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Gerichtsdolmetschen

2018
978-3-8233-9111-1
Gunter Narr Verlag 
Christiane Driesen
Haimo-Andreas Petersen
Werner Rühl

Die anspruchsvolle Tätigkeit als ÜbersetzerIn und DolmetscherIn an Gerichten und Behörden erfordert neben hervorragenden Sprachkenntnissen auch juristisches Know-how sowie Erfahrung in den verschiedenen Dolmetsch-Techniken. Dieses Studienbuch vermittelt sowohl die unterschiedlichen translatorischen Kompetenzen als auch das nötige juristische Grundlagenwissen über Zivil- und Strafverfahren, die für das Gerichtsdolmetschen und -übersetzen notwendig sind. Damit bereitet es zuverlässig auf die Zulassung für die Beeidigung bzw. Vereidigung als GerichtsdolmetscherIn vor und ist zum Selbststudium sowie als Unterrichtsgrundlage für entsprechende Lehrgänge bestens geeignet. Die zweite Auflage wurde gründlich überarbeitet. Berücksichtigt werden darin insbesondere die neuen EU-Richtlinien 2010/64 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren und 2012/29 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten. Pressestimmen: "This book, while focused on German court cases, provides ideal support for any kind of practical training for interpreters" (Target 26/1 2014). "Der Ladenpreis ist für die Fülle an wertvollem Inhalt so bescheiden, dass man jedem Kandidaten für die Zulassung als Gerichtsdolmetscher nur empfehlen kann, das Buch zu erwerben" (EULITA-Homepage).

ISBN 978-3-8233-8111-2 Die anspruchsvolle Tätigkeit als ÜbersetzerIn und DolmetscherIn an Gerichten und Behörden erfordert neben hervorragenden Sprachkenntnissen auch juristisches Know-how sowie Erfahrung in den verschiedenen Dolmetsch-Techniken. Dieses Studienbuch vermittelt sowohl die unterschiedlichen translatorischen Kompetenzen als auch das nötige juristische Grundlagenwissen über Zivil- und Strafverfahren, die für das Gerichtsdolmetschen und -übersetzen notwendig sind. Damit bereitet es zuverlässig auf die Zulassung für die Beeidigung bzw. Vereidigung als GerichtsdolmetscherIn vor und ist zum Selbststudium sowie als Unterrichtsgrundlage für entsprechende Lehrgänge bestens geeignet. Die zweite Auflage wurde gründlich überarbeitet. Berücksichtigt werden darin insbesondere die neuen EU-Richtlinien 2010/ 64 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren und 2012/ 29 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten. Pressestimmen: „This book, while focused on German court cases, provides ideal support for any kind of practical training for interpreters“ (Target 26/ 1 2014). „Der Ladenpreis ist für die Fülle an wertvollem Inhalt so bescheiden, dass man jedem Kandidaten für die Zulassung als Gerichtsdolmetscher nur empfehlen kann, das Buch zu erwerben“ (EULITA-Homepage). Driesen / Petersen / Rühl Gerichtsdolmetschen Gerichtsdolmetschen Christiane Driesen / Haimo-Andreas Petersen / Werner Rühl Grundwissen und -fertigkeiten 2. Auflage Prof. Dr. Christiane J. Driesen, juristische Übersetzerin und Dolmetscherin, ist wissenschaftliche Leiterin einer Weiterbildung für juristische Übersetzer und Dolmetscher am ZFW der Universität Hamburg und war von 2009 bis 2017 Vize-Präsidentin von EULITA (European Legal Interpreters and Translators Association). Haimo-Andreas Petersen ist Direktor des Amtsgerichts Haldensleben. Werner Rühl ist Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Hamburg, Lehrbeauftragter der Bucerius Law-School und Universität Hamburg sowie Mitglied der Studienleitung „Dolmetschen und Übersetzen für Gerichte und Behörden“ an der Universität Hamburg. Christiane Driesen / Haimo-Andreas Petersen / Werner Rühl Gerichtsdolmetschen Grundwissen und -fertigkeiten 2., überarbeitete Auflage Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. 2., überarbeitete Auflage 2018 1. Auflage 2011 © 2018 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: www.narr-studienbuecher.de E-Mail: info@narr.de Satz: pagina GmbH, Tübingen Printed in Germany ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-9111-1 Inhalt Vorwort zur zweiten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Zur Verwendung dieses Studienbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.1 Menschenrechte und Eignungsfeststellung der Gerichtsdolmetscher . . . . . . . . 19 1.2 Einsatzfelder der juristischen Dolmetscher und Übersetzer . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.3 Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.3.1 Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.3.2 Gerichtsverfassungsgesetz ( GVG ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.4 Öffentliche Bestellung und Beeidigung bzw. Vereidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.5 Berufsstand und Berufsethos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1.5.1 Vollständigkeit und Treue der Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1.5.2 Neutralität und Schweigepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1.6 Im Spannungsfeld von Berufsethos und Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.6.1 Kommunikationszwänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.6.2 Unterschiedliche Kommunikationsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.6.3 Scheitern der Kommunikation-- notwendige soziokulturelle Klärung . 24 1.6.4 Zur Illustration: Dolmetschtechniken in der Hauptverhandlung des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1.7 Qualifikationsanforderungen an den juristischen Dolmetscher und Übersetzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2 Modul Kommunikationskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.1 Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.2 Kommunikation im Dienst des Berufsethos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.3 Erwerb von Fertigkeiten der Kommunikationskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2.3.1 Souveränität durch Körperhaltung und -sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2.3.2 Visualisierendes Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.3.3 Souveränität durch Dolmetschetikette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2.3.4 Redegewandtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.3.5 Frei sprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.3.6 Richtige Vorlesetechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.4 Übungen zum Erwerb der Kommunikationskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.4.1 Arbeit mit Bildern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.4.2 Übung 1: Personenbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2.4.3 Übung 2: Beschreibung von Gegenständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.4.4 Übung 3: Beschreibung von Räumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 6 Inhalt 2.4.5 Übung 4: Beschreibung einer Szene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.4.6 Arbeit mit Textinhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2.4.7 Übung 1: Presseberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2.4.8 Übung 2: Biographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.5 Vorlesetechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2.5.1 Übung 3: Lautes Vorlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2.6 Vorschlag zur Unterrichtsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.7 Zur Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3 Modul Vom-Blatt-Übersetzen bzw. -Dolmetschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3.1 Definition und Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3.2 Übungen zum Erwerb der Fertigkeit des Vom-Blatt-Übersetzens . . . . . . . . . . 53 3.2.1 Übung 1: In drei Progressionsstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3.2.2 Übung 2: Vom-Blatt-Übersetzen nach kurzem Überfliegen des Textes . 57 3.2.3 Übung 3: Vom-Blatt-Übersetzen von vorbereiteten Fachtexten . . . . . . . 59 3.2.4 Übung 4: Nach Erfahrung mit der Konsekutiv- und Simultantechnik . 61 3.2.5 Übung 5: Vom-Blatt-Dolmetschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3.3 Vorschlag zur Unterrichtsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3.4 Zur Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 4 Modul Konsekutivdolmetschen ohne und mit Notizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4.1 Definition und Besonderheiten vor Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4.2 Psychische Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4.3 Fertigkeit: Konsekutivdolmetschen ohne Notizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 4.3.1 Übung 1: Dolmetschen von vorgetragenen Bildbeschreibungen . . . . . . 66 4.3.2 Übung 2: Dolmetschen von Kurzvorträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 4.3.3 Übung 3: Arbeit mit Ton- und Videoaufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 4.4 Fertigkeit: Notizentechnik für die gerichtliche Kommunikation . . . . . . . . . . . . 67 4.4.1 Inhalt und Art der Notizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 4.4.2 Übungsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 4.4.3 Übung 1: Augenmerk: Roter Faden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 4.4.4 Übung 2: Augenmerk: Monosemische Bezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . 71 4.4.5 Übung 3: Augenmerk: Ungewöhnliche Ausdrücke . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 4.4.6 Übung 4: Augenmerk: Aufzählungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4.4.7 Selektiv und zeitsparend notieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4.4.8 Notizenentwicklung anhand von Texten als Notlösung für Alleinübende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 4.4.9 Übung 1: Allgemeinbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 4.4.10 Übung 2: Behördliche Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 4.4.11 Übung 3: Mischtext Umgangssprache und Gerichtssprache . . . . . . . . . . 87 4.4.12 Übung 4: Internationale Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 4.4.13 Übung 5: Benutzung von oralisierten Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4.4.14 Beispiel einer Unterrichtseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 7 Inhalt 4.5 Vorschlag zur Unterrichtsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4.6 Zur Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 5 Modul Flüsterdolmetschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 5.1 Definition und Einsatz vor Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 5.2 Flüsterdolmetschen erlernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 5.2.1 Übung 1: Arbeit mit visualisierbaren Vorträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 5.2.2 Übung 2: Einsatz von Hör- und Videomedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 5.2.3 Übung 3: Dolmetschen aus Vom-Blatt-Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . 99 5.2.4 Übung 4: Fachrelevante Vorträge der Gruppenteilnehmer . . . . . . . . . . . 100 5.2.5 Übung 5: Bilaterales Dolmetschen von Gesprächen . . . . . . . . . . . . . . . . 101 5.3 Vorschlag zur Unterrichtsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 5.4 Zur Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 6 Modul Einführung in das juristische Übersetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 6.1 Einsatz bei Gericht und Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 6.2 Pragmatische Zielsetzung dieser Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 6.2.1 Übersetzungsansatz bei einem allgemeinsprachlichen Text . . . . . . . . . . 108 6.2.2 Übersetzungsansatz bei einem technischen Fachtext . . . . . . . . . . . . . . . 109 6.2.3 Übersetzungsansatz bei juristischen Fachtexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 6.3 Übungsvorschläge zum Erwerb der Fertigkeit der juristischen Übersetzung . . 115 6.3.1 Übung 1: Urkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 6.3.2 Übung 2: Anklageschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 6.3.3 Weitere Übungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 6.4 Gestaltung von Einführungsveranstaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 6.5 Zur Vertiefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 7 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 7.1 Empfehlungen bei der Annahme eines Auftrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 7.1.1 Bestätigung der Sprache bzw. des Dialekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 7.1.2 Spezifische Fachgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 7.1.3 Eventuelle Befangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 7.1.4 Vorbereitung des Auftrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 7.2 Während der Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 7.2.1 Vorstellung des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 7.2.2 Rolle des Dolmetschers und Konventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 7.2.3 Inhalt des Dolmetschens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 7.2.4 Wahl der Dolmetschtechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 7.3 Verhalten beim Scheitern der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 8 Inhalt 8 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Berufsverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Teil II Juristische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2 Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2.1 Überblick zum Strafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2.1.1 Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2.1.2 Die Verfahrensabschnitte des Strafprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2.2 Grundsätze des Strafverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2.2.1 Legalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2.2.2 Offizialprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2.2.3 Akkusationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 2.2.4 Opportunitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 2.2.5 Untersuchungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 2.2.6 Beschleunigungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2.2.7 Öffentlichkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2.2.8 Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und freie Beweiswürdigung . . . . . . . . . 149 2.2.9 Im Zweifel für den Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 2.2.10 Der gesetzliche Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2.2.11 fair trial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2.2.12 Rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2.2.13 Übung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2.3 Die Beteiligten im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2.3.1 Beschuldigter-- Angeschuldigter-- Angeklagter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2.3.2 Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2.3.3 Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2.3.4 Verteidiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2.3.5 Schöffen (ehrenamtliche Richter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2.3.6 Nebenkläger (Nebenklage) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2.3.7 Verletzter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2.3.8 Jugendgerichtshelfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2.3.9 Bewährungshelfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2.3.10 Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2.4 Das Ermittlungs- oder Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2.4.1 Ingangsetzung des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2.4.2 Beschuldigtenvernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 2.4.3 Untersuchung des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 2.4.4 Lichtbilder und Fingerabdrücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 9 Inhalt 2.4.5 Unterbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2.4.6 Wohnungsdurchsuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 2.4.7 Sicherstellung und Beschlagnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2.4.8 Sicherstellung Führerschein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2.4.9 Sonstige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2.4.10 Haftbefehl und Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2.4.11 Abschluss des Verfahrens durch Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2.4.12 Übung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2.5 Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2.6 Das Hauptverfahren (§§ 213-295 St PO ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 2.6.1 Vorbereitung der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 2.6.2 Die Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2.7 Rechtsmittelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2.7.1 Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2.7.2 Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2.8 Besondere Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2.8.1 Jugendverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2.8.2 Strafbefehlsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 3 Zivilverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 3.1 Allgemeine Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 3.2 Grundsätze im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 3.2.1 Dispositionsmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 3.2.2 Beibringungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 3.2.3 Mündlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3.2.4 Grundsatz der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3.2.5 Rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3.2.6 fair trial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3.2.7 Beschleunigungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3.2.8 Grundsatz des gesetzlichen Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 3.2.9 Übung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 3.3 Beteiligte des Zivilverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 3.3.1 Das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 3.3.2 Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 3.3.3 Rechtsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 3.3.4 Weitere Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 3.3.5 Übung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 3.4 Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 3.4.1 Ingangsetzung des Klageverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 3.4.2 Schriftliches Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 3.4.3 Früher erster Termin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 3.4.4 Güteverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 3.4.5 Termin zur Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 3.4.6 Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 10 Inhalt 3.4.7 Der Dolmetscher in der Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 3.4.8 Übung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 3.5 Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 3.6 Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 3.6.1 Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 3.6.2 Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 3.7 Besondere Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 3.7.1 Mahnverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 3.7.2 Sonstige Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 4 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 11 Vorwort zur zweiten Auflage 1 Seit der letzten Auflage dieses Studienbuchs im Jahr 2011 hat sich im Bereich des juristischen Dolmetschens und Übersetzens vieles zum Positiven hinbewegt. Zahlreiche Jahre Überzeugungsarbeit durch engagierte Fachkenner aus Universitäten und Berufsverbänden sowie durch aufgeschlossene EU -Vertreter haben die Verabschiedung wichtiger Richtlinien ermöglicht, die sich hinsichtlich der erforderlichen Qualifikationen und Kompetenzen der Translationsberufe bereits entscheidend ausgewirkt haben. 2 Am 30. November 2009 nahm der Rat der Europäischen Union eine Entschließung zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren an 3 , woraus sich für die Translationsberufe wichtige Richtlinien ergaben: Die RICHTLINIE 2010 / 64 / EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren und die darauf bezugnehmende RICHTLINIE 2012 / 13 / EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren. Im Rahmen des sogenannten Budapest-Fahrplans 4 bestimmte der Rat der Europäischen Union ferner die Notwendigkeit Opfern einen höheren Schutz zu gewähren und empfahl die Verabschiedung der neuen RICHTLINIE 2012 / 29 / EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001 / 220 / JI . Letztere birgt eine noch größere Herausforderung an die juristischen Dolmetscher, die für traumatisierte Menschen, insbesondere Kinder und Frauen, dolmetschen müssen, was eine bestimmte Qualifikation voraussetzt. Wie in der Präambel (7) der Richtlinie 2010 / 64 wird folgende Absicht überall betont: Die Stärkung des gegenseitigen Vertrauens erfordert eine kohärentere Umsetzung der in Artikel 6 EMRK 5 verankerten Rechte und Garantien. Sie erfordert ferner eine Weiterentwicklung der in der EMRK und der Charta verankerten Mindestvorschriften innerhalb der Union durch diese Richtlinie und andere Maßnahmen. 1 Von ganzem Herzen danken wir für ihre freundschaftliche und kompetente Unterstützung: Stefanie Conradi, Ingrid Fehlauer-Lenz, Gertrud Hofer und Marianne Lederer. 2 Einen ausführlichen Überblick gibt es bei Hertog, E. (2015). 3 AB l. C 295 vom 4. 12. 2009, S. 1. 4 Fahrplan zur Stärkung der Rechte und des Schutzes von Opfern, insbesondere in Strafverfahren. Entschließung des Rates vom 10. Juni 2011 (2011 / C 187 / 01) ( AB l. C 187 / 1 vom 18. 6. 2011.. 5 Europäische Menschenrechtskonvention. 12 Vorwort zur zweiten Auflage Diese in den meisten EU -Mitgliedstaaten 6 nun umgesetzten Richtlinien präzisieren die Aufgaben der juristischen Translationsberufe etwas besser. Sie betonen die Wichtigkeit der Qualität, die nun ausdrücklich hinterfragt 7 werden kann. Einige vom Dolmetscher 8 und Übersetzer in den Richtlinien erwartete Leistungen, wie Vom-Blatt-Übersetzen, Fernbzw. Videodolmetschen und der Umgang mit traumatisierten Personen, werden ausdrücklich angesprochen, während die Beherrschung anderer Fertigkeiten wie Konsekutiv- und Simultan Dolmetschen, der Umgang mit Fachtermini und juristisches Übersetzen dagegen nur als logische Folgen der gestellten Anforderungen abgeleitet werden können. Alle setzen eine Ausbildung, in welcher Form auch immer (Regelstudium oder Weiterbildung), voraus. Problemanalysen und Lösungsansätze dieser EU -Richtlinien wurden und werden im Rahmen von von der EU -Kommission geförderten Projekten angeboten, deren Berichte online frei zugänglich sind 9 . Dieses Studienbuch steht in vollem Einklang mit den neu präzisierten Ansprüchen und setzt sich nach wie vor zum Ziel eine praktische und progressive Vorbereitungshilfe zur Erlangung der Vereidigungbzw. Beeidigung von Dolmetschern und Übersetzern primär bei deutschen Gerichten anzubieten. Christiane J. Driesen, Haimo-Andreas Petersen, Werner Rühl im Januar 2018. 6 In Deutschland: Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren vom 2. Juli 2013, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2013 Teil I Nr. 34, ausgegeben zu Bonn am 5. Juli 2013 und Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz) vom 21. Dezember 2015, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2015 Teil I Nr. 55, ausgegeben zu Bonn am 30. Dezember 2015. 7 Richtlinie 2010 / 64 / EU-- Präambel (26) Wird die Qualität der Dolmetschleistungen als für die Wahrung des Rechts auf ein faires Verfahren unzureichend betrachtet, sollten die zuständigen Behörden die Möglichkeit haben, den bestellten Dolmetscher zu ersetzen. 8 Die Bezeichnung „Dolmetscher“ und andere Personenbezeichnungen werden hier aus Gründen der Übersichtlichkeit in inkludierender Form verwendet. 9 http: / / eulita.eu/ european-projects (letzter Zugriff: 10. 04. 2017). 13 Zur Verwendung dieses Studienbuchs In der ersten Auflage wurde die Problematik der wenig verbreiteten Sprachen nicht genügend hervorgehoben, da die Autoren diese durch Anwendung der Tandem-Dolmetschlehre 10 einigermaßen überwinden. Diese Lehrmethode wurde im Rahmen der Weiterbildungen der Universität Hamburg 11 und der Hochschule Magdeburg-Stendal seit vielen Jahren mit einigem Erfolg für etwa 35 Sprachen erprobt. Mit Hinblick auf die aktuellen politischen Entwicklungen (besonders der Flüchtlingskrise) soll sie nun verstärkt in den Vordergrund rücken. Dem demokratischen Anspruch auf ein faires Verfahren sollte trotz des Mangels an Dolmetschern und Übersetzern für in Deutschland bzw. in Europa wenig verbreitete Sprachen entsprochen werden. Hauptziele Ziel dieses Studienbuchs ist es sowohl allein Übende als auch Teilnehmer eines Weiterbildungsprogramms bei der Vorbereitung auf die Zulassung für die Beeidigung bzw. Vereidigung zu begleiten. Es ist in Kompetenzmodule unterteilt, die zuerst die Notwendigkeit und Anwendung der jeweiligen Kompetenz vorstellen und rechtfertigen und anschließend entsprechende Übungen vorschlagen. Diese Übungen sind sowohl als Übungen für den Einzelnen als auch für die Gruppe oder als Anregungen für die Dozenten im Rahmen von Weiterbildungsmaßnahmen konzipiert. Kriterien für die Selbstbewertung, Gruppenbewertung und Bewertung durch Dozenten werden jeweils angegeben. Angestrebt wird das Erlernen einer effizienten Arbeitsmethode, die mit Hilfe der vorgeschlagenen Übungen weiterentwickelt werden soll. Lediglich die korrekte Anwendung der methodologischen Schritte ist für den Einstieg relevant. Aus methodologischen Gründen werden daher keine einzelnen Übungslösungen angegeben. Dagegen wird dem Benutzer nahe gelegt äquivalente Beispiele selbst zu sammeln und zu bearbeiten. Voraussetzungen für eine sinnvolle Benutzung Zur sinnvollen Benutzung dieses Studienbuchs müssen die Lernenden zuerst zwei Sprachen gründlich beherrschen, das heißt: eine Sprache auf Muttersprachniveau und eine Arbeitssprache auf C-2-, eventuell C-1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (also mit Beherrschung aller Sprachregister, von der Umgangssprache bis zur akademischen Sprache). Da das Recherchieren die Grundlage des juristischen Übersetzens und Dolmetschens darstellt, sind Erfahrungen mit wissenschaftlichem Arbeiten unverzichtbar. 10 Diese wurde zuerst an der Sorbonne Nouvelle von Danica Seleskovitch eingeführt, später im Rahmen des sogenannten „Stage“ der EU -Kommission und bei anderen internationalen Organisationen und Gerichtsbarkeiten eingesetzt. 11 Hamburg ab 1994, Magdeburg ab 2002. 14 Zur Verwendung dieses Studienbuchs Struktur des Studienbuchs Das Studienbuch besteht in seinem ersten Teil aus einzelnen translationswissenschaftlichen Modulen, die jeweils zum Erwerb einer bestimmten für das Gerichtsdolmetschen und -übersetzen notwendigen Kompetenz führen. Module der Translationstechniken Nach einer kurzen Vorstellung der jeweiligen Kompetenz bzw. Technik wird ihre Notwendigkeit beim Gerichtsdolmetschen begründet. Darauf folgen jeweils Übungen zum Erwerb dieser Kompetenz. Folgende Rubriken werden als Leitfaden für die Auswahl der Übungstypen angegeben: ▶ Übungszweck: Angesprochene Kompetenz ▶ Material: Aufnahmegerät, Bilder, Presse, Podcast, Videocast, Urkunden und juristische Texte ▶ Setting: allein, Gruppenübung, Übung mit Dozent ▶ Beschreibung der Übung ▶ Bewertungskriterien (Rhetorik, Vollständigkeit, Fachbegriffe) ▶ einsprachige bzw. zweisprachige Übungen, Tandem-Lehrmethode Schließlich werden die erworbenen Fertigkeiten bzw. Kompetenzen festgehalten. Ferner werden Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung für Dozenten angeboten. Der zweite Teil vermittelt juristisches Grundlagenwissen über das Zivil- und das Strafverfahren. Zur juristischen Kompetenz der Übersetzer und Dolmetscher Das vorliegende Studienbuch hat sich nicht zum Ziel gesetzt, Juristen auszubilden. Vielmehr soll dem Leser ein Überblick über die Verfahren vor den Gerichten gegeben werden, um ihn hierdurch in die Lage zu versetzen, Sachzusammenhänge zu erkennen und sich im prozessualen Verfahren zu orientieren. Weder wird eine Paragraphenkenntnis erwartet noch gar das Auswendiglernen einzelner Vorschriften angestrebt. Hierfür gibt es Gesetzessammlungen, aus denen bei Bedarf Gesetzesstexte abgerufen werden können. Inwieweit man eine Textausgabe der einzelnen Verfahrensvorschriften zur Hand hat, mag jedem selbst überlassen bleiben. Von Nachteil ist dies sicher nicht, insbesondere wenn man sich z. B. in einer Hauptverhandlung schnell orientieren möchte. Mittlerweile bietet auch das Internet vielfältige Möglichkeiten, zuverlässig auf die aktuellste Version eines Gesetzestextes zurückzugreifen. 15 Zur Verwendung dieses Studienbuchs Erlernt werden soll vielmehr Wissen, das für den Dolmetscher unentbehrlich ist, sowohl für die Vorbereitung eines Verfahrens als auch für dessen Begleitung: Die Kenntnis über den Gang eines Gerichtsprozesses, dessen Beteiligte und deren Rechte und Pflichten ermöglicht dem Dolmetscher, sich zu orientieren und sein Handeln vorausschauend zu planen. Das Wissen um Begrifflichkeiten und Fachtermini in einzelnen Verfahrensabschnitten erleichtert die Arbeit und gibt zudem Sicherheit vor unerwarteten Wendungen des Verfahrens. Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen 19 1 Einleitung 1 Einleitung 1.1 Menschenrechte und Eignungsfeststellung der Gerichtsdolmetscher Die Nürnberger Prozesse setzten die Maßstäbe 1 für den modernen Dolmetscherberuf, insbesondere für das Dolmetschen an internationalen Gerichten und Gerichtshöfen. Diese Maßstäbe betrafen insbesondere die Eignungsfeststellung der Dolmetscher, die Vollständigkeit der Verdolmetschung sowie die Qualitätskontrolle. 2 Viele Jahrzehnte später richten sich die internationalen Gerichtsbarkeiten weiterhin nach diesen drei Grundsätzen, während sich erst jetzt langsam ein Konsens über die Notwendigkeit der Qualifikation der juristischen Dolmetscher und Übersetzer bei Gerichten und Behörden abzeichnet, und zwar sowohl bei vielen der deutschen Bedarfsträger und Standesvertretungen als auch bei den relevanten Instanzen der Europäischen Union. Im Rahmen des vom Kommissar für Mehrsprachigkeit, Leonard Orban, im Jahre 2008 einberufenen „Reflection Forum“ 3 erarbeiteten Experten aus unterschiedlichen Disziplinen (Anwälte, Polizeibeamte, Dozenten der Translationswissenschaft, Vertreter des Berufsstandes) Empfehlungen, in denen ein entsprechendes Profil definiert und Lehrinhalte empfohlen werden. 1.2 Einsatzfelder der juristischen Dolmetscher und Übersetzer Im Bewusstsein, dass es sich beim juristischen Dolmetschen und Übersetzen um eine verantwortungsvolle Aufgabe handelt, setzt sich der Gedanke durch, dass es bei Gericht und Behörde sowohl um die Rechtssicherheit als auch um Menschenrechte geht. Daher werden für einige Bereiche nur noch allgemein bestellte und beeidigte bzw. vereidigte Dolmetscher und Übersetzer eingesetzt. Diese werden sowohl von den Behörden (Polizei, Arbeitsämtern, Sozialbehörden, Standesämtern, Ausländerbehörden usw.), von den Gerichten und auch von der Staatsanwaltschaft, von Notaren als auch von Anwälten und Rechtsabteilungen größerer Unternehmen in Anspruch genommen. 1 Skuncke (1989) 5. 2 Gaiba (1998) 40-50, 77. 3 Reflection Forum on Multilingualism and Interpreter Training: Final Report. http: / / ec.europa.eu/ archives/ commission_2004-2009/ orban/ docs/ FinalL_Reflection_Forum_Report_en.pdf (letzter Zugriff: 25. 03. 2017). 20 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen 1.3 Rechtsquellen Grundrechte und Grundfreiheiten, die die Ausübung der Translationstätigkeit unmittelbar bestimmen, werden jeweils in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 4 und in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 5 eindeutig ausgesprochen. Als juristische Folge der Unterzeichnung und Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention wurden diese Bestimmungen in das deutsche Recht integriert. 6 Wie im Vorwort zu diesem Teil ausgeführt, wurden darüber hinaus neue EU -Richtlinien, insbesondere die Richtlinie 2010 / 64 / EU, verabschiedet, die zu einer konkreteren Darstellung der Anforderungen an Dolmetscher und Übersetzer führen. 1.3.1 Grundgesetz Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland 7 heißt es daher entsprechend: Artikel 3 (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (..) (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. 1.3.2 Gerichtsverfassungsgesetz ( GVG ) § 184 des Gerichtsverfassungsgesetzes ( GVG ) bestimmt, dass die deutsche Sprache Gerichtssprache der Bundesrepublik Deutschland ist. Im Einklang mit den Bestimmungen der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ( EMRK ), Artikel 5, Absatz 2, und Artikel 6, Absatz 1 und 3 sieht § 185 GVG vor, dass ein Dolmetscher herangezogen werden muss, falls einer der Beteiligten der Gerichtssprache nicht mächtig ist. 4 https: / / www.menschenrechtserklaerung.de/ die-allgemeine-erklaerung-der-menschenrechte-3157/ : Präambel und Artikel 1, 2, 6, 7, 8, 10, 11 (letzter Zugriff: 10. 04. 2017). 5 https: / / dejure.org/ gesetze/ MRK: Artikel 5 Absatz 2, Artikel 6 Absatz 3 a und e (letzter Zugriff: 10. 04. 2017). 6 EMRK: Artikel 46 lautet: „Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen.“ 7 http: / / www.bundestag.de/ dokumente/ rechtsgrundlagen/ grundgesetz/ gg_01.html (letzter Zugriff: 10. 04. 2017). 21 1 Einleitung Nach Umsetzung der Richtlinie 2010 / 64 / EU wurde das Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren vom 2. Juli 2013 verabschiedet und ist nun im § 187 GVG verankert. 8 1.4 Öffentliche Bestellung und Beeidigung bzw. Vereidigung Je nach Bundesland kennt man die öffentliche Bestellung und allgemeine Beeidigung (Bayern, Hamburg) oder eine allgemeine Beeidigung ohne öffentliche Bestellung (Berlin, Niedersachsen und andere) und / oder Ermächtigung von Übersetzern (zum Beispiel Hessen). Das Hamburger Gesetz über die öffentliche Bestellung und allgemeine Vereidigung von Dolmetschern und Übersetzern sowie die Verordnung über die Bestellung allgemein vereidigter Dolmetscher und Übersetzer vom September 1986 wurden 2005, 2007 bzw. 2015 novelliert 9 . In Deutschland besteht gemäß § 189 GVG neben der Möglichkeit der so genannten Ad-hoc-Vereidigung von Sprachkundigen, die der Richter kraft seiner Unabhängigkeit nach seinem Ermessen auswählt, der von dem öffentlich bestellten Dolmetscher allgemein geleistete Eid, auf den dieser sich vor jeder Gerichtsverhandlung beruft. 8 § 187 (1) Das Gericht zieht für den Beschuldigten oder Verurteilten, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist oder der hör- oder sprachbehindert ist, einen Dolmetscher oder Übersetzer heran, soweit dies zur Ausübung seiner strafprozessualen Rechte erforderlich ist. Das Gericht weist den Beschuldigten in einer ihm verständlichen Sprache darauf hin, dass er insoweit für das gesamte Strafverfahren die unentgeltliche Hinzuziehung eines Dolmetschers oder Übersetzers beanspruchen kann. (2) Erforderlich zur Ausübung der strafprozessualen Rechte des Beschuldigten, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, ist in der Regel die schriftliche Übersetzung von freiheitsentziehenden Anordnungen sowie von Anklageschriften, Strafbefehlen und nicht rechtskräftigen Urteilen. Eine auszugsweise schriftliche Übersetzung ist ausreichend, wenn hierdurch die strafprozessualen Rechte des Beschuldigten gewahrt werden. Die schriftliche Übersetzung ist dem Beschuldigten unverzüglich zur Verfügung zu stellen. An die Stelle der schriftlichen Übersetzung kann eine mündliche Übersetzung der Unterlagen oder eine mündliche Zusammenfassung des Inhalts der Unterlagen treten, wenn hierdurch die strafprozessualen Rechte des Beschuldigten gewahrt werden. Dies ist in der Regel dann anzunehmen, wenn der Beschuldigte einen Verteidiger hat. (3) Der Beschuldigte kann auf eine schriftliche Übersetzung nur wirksam verzichten, wenn er zuvor über sein Recht auf eine schriftliche Übersetzung nach den Absätzen 1 und 2 und über die Folgen eines Verzichts auf eine schriftliche Übersetzung belehrt worden ist. Die Belehrung nach Satz 1 und der Verzicht des Beschuldigten sind zu dokumentieren. (4) Absatz 1 gilt entsprechend für Personen, die nach § 395 der Strafprozessordnung berechtigt sind, sich der öffentlichen Klage mit der Nebenklage anzuschließen. 9 Der in diesen Texten vorgesehene Qualifikationsnachweis stellt nach wie vor einen für Deutschland und viele europäische Länder vorbildlichen Ansatz dar. In diesem anspruchsvollen Verfahren werden nämlich forensische Kenntnisse und berufliche Fertigkeiten geprüft, die zur Ausübung dieser auf ethischen Prinzipien beruhenden Tätigkeit unverzichtbar sind. 22 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen 1.5 Berufsstand und Berufsethos Anders als bei den internationalen Gerichtsbarkeiten, bei denen Konferenzdolmetscher tätig sind, die dem etablierten berufsethischen Kodex der Association Internationale des Interprètes de Conférence ( AIIC ) 10 und den jeweiligen internen Ordnungen unterworfen sind, sind die Konturen des Berufsstands der Übersetzer und Dolmetscher für die innerstaatlichen Gerichtsbarkeiten noch nicht so klar. Daher bestehen fast gleichlautende Berufs- und Ehrenordnungen 11 nebeneinander, die teils dem AIIC -Kodex, teils der Charte du Traducteur der Fédération Internationale des Traducteurs (FIT) entstammen und meistens keine konsequente Trennung zwischen Berufsethos und Guten Praktiken definieren. Anlässlich der Gründung des europäischen Verbandes der juristischen Dolmetscher und Übersetzer ( EULITA ) im Jahr 2011 wurde eine Berufs- und Ehrenordnung verabschiedet, 12 die eine Synthese berufsethischer Grundsätze ihrer Mitgliedsorganisationen unter Berücksichtigung der entscheidenden juristischer Quellen für die Arbeit vor Gericht und im juristischen Feld darstellt. Neben den allgemein proklamierten Verpflichtungen zur Kollegialität und zu fairen Praktiken den Auftraggebern gegenüber ergeben sich aus den oben angeführten Rechtsquellen unumgängliche Pflichten für den juristischen Dolmetscher und Übersetzer, die seine Dolmetschstrategie entscheidend prägen, um zur Gleichstellung aller Menschen vor dem Gesetz und zur Beachtung der Menschenwürde beizutragen. Dazu gehören: 1.5.1 Vollständigkeit und Treue der Übersetzung Der Dolmetscher hat eine sinngetreue 13 und vollständige Übertragung zu leisten. Dies ist nur möglich, wenn er qualifiziert (Hintergrundswissen, Beherrschung aller Techniken) und fachlich vorbereitet ist. Aufträge, für die er nicht qualifiziert ist, sind daher entsprechend abzulehnen. 1.5.2 Neutralität und Schweigepflicht Als Sprachrohr zwischen den Parteien ist der Dolmetscher im deutschen Recht kein Sachverständiger (er bringt keine neuen Inhalte in das Verfahren ein), daher hat er in der Ausübung seiner Tätigkeit neutral zu bleiben. Zur Neutralität gehören auch die Schweigepflicht und der Verzicht darauf, Informationen zum eigenen Vorteil zu benutzen 14 . 10 Kodex in deutscher Sprache: http: / / www.aiic.net/ ViewPage.cfm? article_id=24&plg=6&slg=1 (letzter Zugriff: 10. 04. 2017). 11 Links zu den größten deutschen Verbänden: http: / / uepo.de/ karriere/ berufsverbande/ (letzter Zugriff: 10. 04. 2017). 12 http: / / eulita.eu/ code-ethics (Letzter Zugriff: 10. 04. 2017). 13 Sinngetreu ist hier nicht mit „sinngemäß“ zu verwechseln. 14 Alle anderen Berufsstände mit starker Außenwirkung und großem Einfluss auf andere Menschen (Ärzte, Anwälte, etc.) kennen im Übrigen vergleichbare selbstauferlegte Verpflichtungen 23 1 Einleitung 1.6 Im Spannungsfeld von Berufsethos und Kommunikation Nach Betrachtung des sich aus den Rechtsquellen logisch und konkret ergebenden ethischen Anspruchs an den Berufsstand mögen die Kommunikationsverhältnisse und -zwänge als die größte Hürde erscheinen. Anders als bei internationalen Konferenzen oder Gerichtsbarkeiten, die über Simultandolmetschanlagen verfügen, müssen die Dolmetscher der heimischen Gerichte ihre Dolmetschtechniken ständig an die Gegebenheiten anpassen 15 . Nur durch schnellste Analyse der Kommunikationsumstände und entsprechende Auswahl der einzusetzenden Dolmetschtechniken wird der Dolmetscher seinem ethischen Anspruch gerecht: Konsekutiv, um dem Öffentlichkeitsprinzip gerecht zu werden; Flüstern, um die Parteien vollständig zu informieren sowie zur unintrusiven Klärung entstehender soziokultureller Missverständnisse. 1.6.1 Kommunikationszwänge Mindestens vier unterschiedliche Zwänge herrschen zum Beispiel im Strafverfahren: 16 ▶ Trotz der oft sehr ungünstigen Akustik der Gerichtssäle bleibt es fast undenkbar, die im jeweiligen Bundesland übliche Sitzordnung für Angeklagte, Zeugen, Dolmetscher und Verteidiger auch nur minimal zu verbessern. 17 ▶ Alles, was in der Gerichtssprache auszudrücken ist, muss vom Gericht, aber auch von der anwesenden Öffentlichkeit klar zu hören sein. ▶ Unter Beachtung der Grundrechte des Angeklagten bzw. des Anspruchs des Auftraggebers ist den Angeklagten alles in der Verhandlung Vorgetragene vollständig zu übertragen. ▶ Missverständnisse aufgrund der zwischen den Kommunikationspartnern bestehenden soziokulturellen Kluft müssen unter Beachtung strikter Neutralität geklärt werden. 1.6.2 Unterschiedliche Kommunikationsmuster Oralisierte Vorträge Vorträge unterschiedlicher Länge werden von Juristen und Sachverständigen in Fachsprachen gehalten. In vielen Fällen handelt es sich um in der Gerichtssprache gehaltene Vorträge, die von dem Dolmetscher einem Angeklagten oder Zeugen simultan geflüstert werden. In einigen 15 Auf diese Problematik und die durch die Dolmetschtechniken angebotenen Lösungen wird im Folgenden näher eingegangen. 16 In Zivilverfahren richtet sich der Dolmetscher nach den Ansprüchen der Parteien. 17 In Hamburg z. B. sitzt der Dolmetscher, jedoch nicht der Verteidiger, oft neben dem Angeklagten, und beide müssen sich für die Zeugenvernehmungen nach hinten begeben. In Sachsen-Anhalt sitzen dagegen Verteidiger, Angeklagter und Dolmetscher nebeneinander, was die Kommunikation zwischen ihnen wesentlich vereinfacht. 24 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Fällen hält ein Jurist oder ein Sachverständiger aus dem Ausland einen Vortrag in der Fremdsprache, der dann vom Dolmetscher konsekutiv in die Gerichtssprache zu dolmetschen ist. Verlesene Schriftstücke Richter lesen Dokumente vor (Protokolle oder Urteile), Staatsanwälte z. B. Anklageschriften oder Anwälte Anträge. Der Dolmetscher, dem ein Exemplar überreicht wurde, dolmetscht dann vom Blatt. Dialoge in einer Sprache Die Befragung der der Gerichtssprache kundigen Zeugen wird durch das Gericht vorgenommen-- einem Angeklagten oder Zeugen wird die Befragung simultan geflüstert. Dialoge in zwei unterschiedlichen Sprachen Bei der Befragung der der Gerichtssprache unkundigen Zeugen muss der Dolmetscher abwechselnd in zwei Sprachen dolmetschen. 1.6.3 Scheitern der Kommunikation - notwendige soziokulturelle Klärung Jede Kommunikationssituation kann bei Gericht aufgrund soziokultureller Missverständnisse scheitern. Für den Dolmetscher ist das Unterbrechen des traditionellen Dolmetschflusses immer heikel. Der Kommunikationsrhythmus wird abgebrochen, das Gericht fürchtet evtl. eine ungebührliche Einmischung oder Kompetenzbeschneidung. Folgende abgestufte Strategie soll das Eingreifen des Dolmetschers vermeiden bzw. hinauszögern. ▶ Schritt 1: Versuch einer Übersetzung, die den Parteien die Chance zur Selbstklärung überlässt. ▶ Schritt 2: Beim Scheitern dieses Versuchs weist der Dolmetscher auf das Bestehen eines Missverständnisses hin, damit das Gericht selbst die Initiative zur Behebung ergreifen kann. ▶ Schritt 3: Beim erneuten Scheitern bittet der Dolmetscher um Erlaubnis, die entsprechende Erklärung selbst zu geben. Die entsprechende Erklärung sollte so knapp und präzise wie möglich sein. 25 1 Einleitung 1.6.4 Zur Illustration: Dolmetschtechniken in der Hauptverhandlung des Strafverfahrens 18 Aufruf der Sache - Simultanflüstern Vorstellung des Gerichts. Bei einem, maximal zwei Adressaten eignet sich das Flüsterdolmetschen am besten. Eine soziokulturelle Klärung (z. B. über die Funktion der Schöffen) kann sich als notwendig erweisen. Vernehmung zur Person - Simultanflüstern und Konsekutivdolmetschen Fragen des Gerichts an den Angeklagten können simultan geflüstert werden, dagegen werden seine Antworten für das Gericht und die Öffentlichkeit konsekutiv ohne und mit Notizen (Namen, Orte, Zahlen) laut in die Gerichtssprache übertragen, ebenso evtl. notwendige soziokulturelle Klärungen (z. B. werden Berufe je nach Kultur auf unterschiedliche Art und Weise erlernt). Verlesung des Anklagesatzes - Vom-Blatt-Dolmetschen Meist wird dem Dolmetscher ein Exemplar der Anklageschrift überreicht. 19 Während der Verlesung des Anklagesatzes durch den Staatsanwalt dolmetscht er vom Blatt. Belehrung des Angeklagten - Simultanflüstern Die Belehrung zum Aussageverweigerungsrecht kann simultan geflüstert werden. Erfahrungsgemäß wird diese nicht auf Anhieb verstanden, und oft entsteht Klärungsbedarf. Vernehmung zur Sache - Konsekutivdolmetschen Erst wird dem Angeklagten die Möglichkeit gewährt, im Zusammenhang, d. h. ohne Unterbrechung, Stellung zu dem Tatvorwurf zu nehmen. Nur die sichere Beherrschung der Konsekutivtechnik ermöglicht eine Gleichstellung vor dem Gesetz 20 des Ausländers mit den Gerichtssprachkundigen. Es folgen dann meistens Nachfragen und Vorhalte seitens der Gerichtsmitglieder und Verteidiger. Diese kürzeren Passagen können für den Angeklagten simultan geflüstert und für Gericht und Öffentlichkeit konsekutiv gedolmetscht werden. Jederzeit kann dabei ein Bedarf an soziokultureller Klärung entstehen. 18 St PO 243 Verlauf der Hauptverhandlung. 19 Mit der Zeit kann der Dolmetscher das Verlesene auch ohne Text simultan flüstern. 20 GG Artikel 3: (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft-(…) benachteiligt oder bevorzugt werden-(…). 26 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Beweisaufnahme 21 - Simultanflüstern Zur Wahrung seiner Grundrechte wird dem Angeklagten die Anhörung der Zeugen und Sachverständigen simultan geflüstert. 22 Nur so ist er imstande, von seinem 23 Fragerecht sinnvoll Gebrauch zu machen. Die fakultative Eidleistung am Ende der Aussagen bedarf meistens einer soziokulturellen Klärung. Schluss der Beweisaufnahme Dieser wird vom vorsitzenden Richter verkündet und dem Angeklagten geflüstert. Plädoyers - Simultanflüstern 24 Die Plädoyers des Staatsanwaltes und des Verteidigers sollten simultan geflüstert werden (Wahrung der Würde des Angeklagten GG 3.1 und 3.3). Letztes Wort - Konsekutivdolmetschen Das letzte Wort des Angeklagten ist für das Gericht und die Öffentlichkeit konsekutiv zu dolmetschen. Hier darf keine unzeitgemäße Unterbrechung des Angeklagtenvortrags aufgrund der Dolmetscherunzulänglichkeit vorkommen. Beratung des Gerichts Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. 21 Der richterliche Augenschein ist so vielseitig, dass eine pauschale Empfehlung hier zu schwierig wäre. 22 Die Hinzuziehung von Dolmetschern ist im Übrigen eine Selbstverständlichkeit in Nordamerika: Court Interpreters Act of 1978 and amendment of 1988. 23 Ferner kann die Aussage eines Zeugen oder Sachverständigen die Verteidigungsstrategie eines Angeklagten ändern und ihn zu einer dringenden Rücksprache mit seinem Verteidiger veranlassen. Dazu braucht er aber eine Verdolmetschung der besagten Aussagen. 24 Merkwürdiges: § 259 St PO : Einem der Gerichtssprache nicht mächtigen Angeklagten müssen aus den Schlussvorträgen mindestens die Anträge des Staatsanwalts und des Verteidigers durch den Dolmetscher bekannt gemacht werden. Im Kommentar (Kleinknecht) ist folgende für qualifizierte Dolmetscher unverständliche Erklärung zu lesen: „Nur für die Schlussvorträge werden die §§ 185 I s., 186 GVG eingeschränkt, weil deren vollständige Übersetzung und Bekanntgabe mit übermäßigen Schwierigkeiten verbunden ist.“ Auftraggeber aus Politik oder Wirtschaft würden solche Einschränkungen niemals dulden! 27 1 Einleitung Urteilsverkündung - Simultanflüstern Das Simultanflüstern ist unverzichtbar für eine faire Behandlung des Ausländers, da einerseits der Angeklagte mit höchster Anspannung auf das Urteil wartet und andererseits die sehr formelle Verkündung keine Unterbrechung duldet. Urteilsbegründung - Simultanflüstern Auch wenn viele Angeklagte der Urteilsbegründung nur zerstreut zuhören, da sie sich noch mit den Folgen des Strafmaßes für ihr Leben beschäftigen oder sich über einen Freispruch freuen, sollte die Begründung-- ebenfalls wegen des Grundrechtes der Gleichstellung vor dem Gesetz-- vollständig simultan geflüstert werden. Rechtsmittelbelehrung - Simultanflüstern Diese Information wird aus den bereits erwähnten Gründen simultan geflüstert. 1.7 Qualifikationsanforderungen an den juristischen Dolmetscher und Übersetzer Die Expertenempfehlungen aus dem Bericht des Reflection Forum 25 bestätigen, dass der juristische Dolmetscher und Übersetzer um diesen hohen Anforderungen gerecht zu werden folgendes kognitive Rüstzeug braucht und nachweisen muss: ▶ Gründliche Beherrschung der betreffenden Sprachen ▶ Gründliche Kenntnis der betreffenden Kulturen ▶ Solide forensische Kenntnisse (Gerichtsverfahren / Institutionen der betreffenden Länder) ▶ Fähigkeit, Fachthemen vorzubereiten (Gutachten) ▶ Simultandolmetschen (Flüsterdolmetschen) ▶ Konsekutivdolmetschen (aus dem Gedächtnis und / oder mit Notizentechnik), Vom- Blatt-Übersetzen bzw. Vom-Blatt-Dolmetschen 26 ▶ Berufsethisches Verständnis und Bewusstsein Die sich aus diesen Kernanforderungen ergebenden curricularen Empfehlungen sind für so genannte internationale Sprachen leichter umsetzbar, da bereits bestehende Studiengänge nur wenig angepasst zu werden bräuchten. Geht es jedoch um in Europa wenig verbreitete Sprachen, so ergeben sich Hürden anderer Art, die nur mit höchster Flexibilität der Lehrstrukturen zu lösen sind: 25 Europäische Kommission (2009). 26 Dolmetschen von oralisierten Texten. 28 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen ▶ Translationsdidaktiker, erfahrene Dolmetscher bzw. Übersetzer für diese Sprachen sind in Deutschland selten, daher kann die Ausbildung nur unter Trennung von Sprache und Translationstechnik, d. h. unter Anwendung der „Tandemmethode“ 27 erfolgen. ▶ Die Sprachen sind terminologisch meist wenig erschlossen. 28 Die Ausbildung muss dieses methodisch besonders berücksichtigen. ▶ Das Ausbildungsangebot muss sich den sich schnell verändernden Migrationsflüssen entsprechend anpassen; dies erfolgt am besten durch das Qualifizierungsformat einer Weiterbildung. ▶ Eine Weiterbildung für juristische Dolmetscher und Übersetzer richtet sich an berufstätige, zweisprachige Akademiker, die neben den angebotenen Unterrichtsblöcken an Wochenenden viel allein üben müssen. ▶ Das vorliegende Studienbuch wurde primär für diese Strukturen konzipiert. 27 Diese Methode wird später detailliert dargestellt. Meistens arbeitet ein Dolmetschdidaktiker mit einem Sprachexperten im „Tandem“. Der Eine kontrolliert die Technik, der Andere die Korrektheit und Vollständigkeit der Verdolmetschung. 28 Z. B. wegen der Verabschiedung ganz neuer Rechtssysteme. 29 2 Modul Kommunikationskompetenz 2 Modul Kommunikationskompetenz 2.1 Begründung So erstaunlich es für manche klingen mag, so selbstverständlich ist es doch, dass Dolmetscher ein Vertrauen erweckendes Auftreten sowie eine rhetorische Kompetenz bilden, die conditio sine qua non seiner Akzeptanz bei Gericht und bei den Parteien. Hier gelten sinngemäß die Ergebnisse der psychologischen Forschung hinsichtlich der Glaubwürdigkeit von Rednern. 29 Zum beruflichen Überleben darf der Dolmetscher den verschiedenen Parteien (Richter, Staatsanwalt, Verteidiger-…) keine Angriffsfläche zur Kritik bieten. Alle Gerichtsparteien müssen das Gefühl bekommen, dass sie sich auf einen erfahrenen Dolmetscher bedingungslos verlassen können. 2.2 Kommunikation im Dienst des Berufsethos Der Dolmetscher ist aus berufsethischen Gründen neutral und muss diesen Anspruch auch äußerlich deutlich vermitteln. Aus denselben Gründen darf er keine falschen Erwartungen über seine Funktion 30 hervorrufen und auf keinen Fall die Aufmerksamkeit ungebührlich auf sich lenken; daher hat seine äußere Erscheinung (Kleidung, Schmuck, Frisur etc.) diskret zu sein. Dies ist nicht nur als Zeichen der Achtung vor der Justiz wichtig, 31 sondern auch, um bei Menschen aus anderen Kulturen zuverlässig und vertrauenswürdig 32 zu erscheinen. Dolmetschen ist eine Dienstleistung; Anbieter von Dienstleistungen stellen ihre Belange üblicherweise hinter die ihrer Kundschaft bzw. Auftraggeber. Ein Arzt oder ein Notar mit auffälligen Piercings und Punkfrisur würde im Allgemeinen auch nicht als vertrauenswürdige Erscheinung wahrgenommen werden. Das Einhalten der Grundregeln der Höflichkeit und der kulturellen Bräuche muss selbstverständlich sein. Dies gilt insbesondere für die Begrüßung und für die Vorstellung als Dolmetscher, aber auch für Situationen, in denen unentbehrliche Klärungsfragen gestellt werden müssen oder für die angemessene Reaktion auf berechtigte und sogar unberechtigte Kritik. 29 Z. B. Mehrabian (1981). 30 Zur Gleichheit aller vor dem Gesetz hat der Dolmetscher ausschließlich zu dolmetschen, und in diesem Auftrag ist er weder Anwalt noch Sozialarbeiter. 31 In der Schweiz steht der Hinweis auf diskrete Kleidung in der Dolmetscherladung. Im Vereinigten Königreich ist dies selbstverständlich. Der Respekt vor dem Gesetz wird durch das Verbeugen vor dem königlichen Wappen kundgetan. 32 Diese brauchen den Dolmetscher u.a. als Ruhepol. Ein egozentrisches und pubertäres Auftreten wirkt destabilisierend auf in schwacher Position befindliche Kunden. 30 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen 2.3 Erwerb von Fertigkeiten der Kommunikationskompetenz Spezifische Fertigkeiten, die dem Erwerb und der Verbesserung der mündlichen Dolmetschkommunikation dienen, werden nun in diesem Modul zuerst beschrieben. Angesprochen werden: Souveränität durch sicheres und korrektes Auftreten, visualisierendes Gedächtnis, Redegewandtheit, freies Sprechen und korrekte Vorlesetechnik. 2.3.1 Souveränität durch Körperhaltung und -sprache 2.3.1.1 Richtiges Atmen So offensichtlich es auch erscheinen mag, die richtige Atemtechnik ist die Grundlage einer guten Dolmetschleistung. Richtiges Atmen ist zur Bekämpfung des Stresses und zur Förderung der Konzentration unentbehrlich. Die Modulierung der Stimme 33 hängt auch direkt von der Atmung ab. Gemeint ist hier eine korrekte Bauchatmung. 34 2.3.1.2 Gerades Stehen, gerades Sitzen Gerades Stehen und gerades Sitzen sind Grundvoraussetzung für das richtige Atmen. Beim Sitzen sollte man vermeiden, die Atmung durch Anlehnen an die Tischkante zu behindern. Andererseits vermittelt eine gerade Körperhaltung den Eindruck professioneller Selbstsicherheit. Dabei soll das Körpergewicht gleichmäßig auf beiden Füßen verteilt werden. Der so genannte „Bärentanz“, d. h. das Balancieren von einem Fuß auf den anderen, irritiert das Publikum und zeigt die Verlegenheit des Dolmetschers allzu deutlich. 2.3.1.3 Natürliche Gestik zur Unterstützung der Rede (Mitteilung) In nördlichen Ländern wirkt Gestikulieren unseriös. Eine dezente Gestik ist dennoch sehr hilfreich zur Unterstützung der richtigen Wortwahl. Einige Grundsätze sollten dabei beachtet werden: Die Hände und Arme bewegen sich im Bereich des Oberkörpers und unterhalb des Halses. Gesicht und Haare sollten möglichst nicht berührt werden, da dies das Publikum ablenkt. Die Arme zu verschränken signalisiert Kommunikationsunwillen. Die Gestik sollte sich tendenziell nach oben und zum Publikum hinrichten. 33 S. Literaturempfehlung unter 2.7. 34 Viele Frauen haben eine stockende Atmung, da sie sich die ungünstige Brustatmung angewöhnt haben. Diese schlechte Angewohnheit kann durch Yoga, autogenes Training etc. schnell abgelegt werden. S. Literaturempfehlung unter 2.7. 31 2 Modul Kommunikationskompetenz 2.3.1.4 Blickkontakt mit dem Publikum Wie jeder erfahrene Kommunikator schaut der Dolmetscher seine Adressaten grundsätzlich an. Im Falle mehrerer Adressaten werden diese abwechselnd und möglichst regelmäßig angeschaut. Ausschließlich eine einzige Person anzustarren ist dieser möglicherweise peinlich. Die Anderen fühlen sich ausgeschlossen und könnten negativ reagieren. Die gedolmetschte Mitteilung soll wie die Originalmitteilung vorgetragen werden. Das ist nur möglich, wenn der Dolmetscher den Translationsvorgang vor dem Sprechen abgeschlossen hat. Sobald der Sinn (Bedeutung) verarbeitet worden ist, ergeben sich die passenden „Worthülsen“ (Bezeichnung) beim Ansprechen der Adressaten wie von selbst. Den Blickkontakt zu halten ist auch höchst wichtig, um aufkommende Angriffe in Form von kritischen Bemerkungen rechtzeitig abzuwehren. Perplexität, Zweifel und Aggressivität zeigen sich auf den Gesichtern, und der Dolmetscher kann sich besser darauf einstellen, wenn er das Publikum nicht aus den Augen verliert. 2.3.1.5 Sprechrhythmus und Pausen Der Sprechrhythmus wird vom Abstand zum Adressaten bestimmt. Je weiter ein Sprecher vom Publikum entfernt ist, desto langsamer und artikulierter sollte er sprechen. Die korrekte Atemtechnik reguliert die effiziente Projektion der Stimme. Schnell und dynamisch zu sprechen ist günstig, damit dem Redner zusammengehörende Begriffe (Kollokationen) spontaner einfallen. Bei einem schleppenden Rhythmus können dagegen Gedächtnislücken auftreten, und nachdem man aus dem Rhythmus geraten ist, ist es hoffnungslos, krampfhaft nach dem treffenden Wort zu suchen: Die Situation verschlimmert sich meistens. Das Publikum empfindet Unbehagen und bald auch Misstrauen. Genauso wichtig wie der Sprechrhythmus sind angemessene Pausen. In der mündlichen Kommunikation muss der Adressat die Mitteilung sofort verarbeiten, um sie zu verstehen; dazu sind Pausen unentbehrlich. Der Mut zur Pause seitens des Redners oder Dolmetschers vermittelt den Eindruck der Sicherheit und Souveränität. 2.3.2 Visualisierendes Gedächtnis Für eine gelungene mündliche Kommunikation ist ein zuverlässiges Gedächtnis unverzichtbar. Konsekutivdolmetschen erfordert ein gutes Gedächtnis. Zwei Gedächtnisfunktionen sind beim Dolmetschen besonders wichtig: einerseits das Im-Blick-Behalten der Gliederung der Aussage und andererseits das Visualisieren der Aussage. Der Dolmetscher sollte das visuelle Gedächtnis besonders trainieren: Das Visualisieren ist besonders hilfreich, wenn dem Dolmetscher der gesuchte Begriff „auf der Zunge liegt“, 35 aber nicht sofort einfällt. 35 Seleskovitch (1975) 57 f. 32 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen 2.3.3 Souveränität durch Dolmetschetikette 2.3.3.1 Zu verwendende Personalpronomen Der Dolmetscher spricht für die jeweils gedolmetschten Parteien in der ersten Person Singular, d. h. in der Ich-Form. Von sich spricht er daher in der dritten Person Singular, um jede Verwechslung auszuschließen. So merkwürdig es auch klingen mag, die Parteien sehen die Notwendigkeit dieser Konvention ein und gewöhnen sich meist sehr schnell daran. 2.3.3.2 Rückfragen In jedem Kommunikationsvorgang ergeben sich Unklarheiten. Beim Dolmetschen gibt es drei Hauptursachen dafür: ▶ Die schlechte Akustik: Der Dolmetscher hat z. B. eine Zahl oder einen Eigennamen nicht gehört. ▶ Die scheinbare Unlogik einer Aussage: „Der Zeuge ist mein Bruder, gehört aber nicht zu meiner engen Verwandtschaft“ (Aussage eines Senegalesen). ▶ Die Informationslücke des Dolmetschers: Ein Sachverständiger erwähnt einzelne Teile eines Kühlaggregats im Detail, obwohl die Geschäftsstelle es versäumt hat, dem Dolmetscher das Gutachten rechtzeitig zur Vorbereitung zu schicken. In diesen Fällen ist eine zuverlässige Verdolmetschung kaum möglich. Daher muss der Dolmetscher souverän genug sein, um bei Unklarheiten so nachzufragen, dass seine Kompetenz nicht in Frage gestellt werden kann. Aus ethischen Gründen (Transparenz zur Gleichbehandlung der Parteien) müssen aber alle Gesprächspartner über die Notwendigkeit der Nachfrage informiert werden. Der Dolmetscher sagt daher: „Entschuldigen Sie bitte, der Dolmetscher hat eine Frage.“ oder „… muss hier nachfragen“. Die Frage muss knapp und möglichst geschlossen sein, damit der Gefragte nicht zum Ausschweifen ermuntert wird. Nach Beantwortung der Frage bedankt sich der Dolmetscher höflich und setzt die Verdolmetschung fort. 2.3.3.3 Reaktion auf berechtigte und unberechtigte Kritik So bedauerlich es auch sein mag, Dolmetscher müssen als Dienstleister ihre Reaktion auf berechtigte und unberechtigte Kritik sorgfältig abwägen. Eine Kritik ist berechtigt, wenn sie inhaltlich richtig ist, wenn sie sachlich formuliert wird und von demjenigen ausgesprochen wird, der dazu berechtigt ist. Eine berechtigte Kritik ist mit einer angemessenen, nach Umfang des angerichteten Schadens dosierten Entschuldigung zu beantworten. Der Kritiker wird dem Dolmetscher eher verzeihen, wenn seine berechtigte Kritik ernst genommen wurde. Ausreden und die Schuld auf andere zu schieben sind unbedingt zu vermeiden. Sie verursachen nur Ärger. Ein einfaches Beispiel: Der Dolmetscher kommt mit einer halben Stunde Verspätung zum Termin. Der vorsitzende Richter weist ihn sachlich darauf hin: „Ihre Verspätung wird leider diese Verhandlung und alle Morgentermine verzögern“. Der Dolmetscher bittet mit einer 33 2 Modul Kommunikationskompetenz sachlichen Erklärung (keine Ausrede) um Entschuldigung: „Es tut mir sehr leid, ich musste aber wegen eines plötzlich erkrankten Familienmitglieds auf den Arzt warten. Es war ein Notfall.“ Eine Kritik ist dagegen unberechtigt, wenn sie unfair und inhaltlich unbegründet und / oder beleidigend formuliert ist: „Ich hatte es nicht so verstanden“, sagte ein Politiker, „es lag wohl an der Verdolmetschung“. 36 Leider haben Dolmetscher-- als Dienstleister-- kaum eine Möglichkeit, solch unfaire Kritik abzuwehren. Sie müssen das Gesicht wahren und können sich lediglich damit trösten, dass intelligente Gesprächsteilnehmer den unfairen Angriff auch als solchen wahrnehmen. Eine Kritik ist auch unberechtigt, wenn sie inhaltlich falsch ist und / oder von einem Unbefugten ausgesprochen wird. Zum Beispiel erlaubte sich ein Verteidiger mit nur geringen Französischkenntnissen, einen Dolmetscher abrupt zu unterbrechen und die korrekte Übersetzung des Begriffs „voler“ mit dem deutschen „stehlen“ in Frage zu stellen. Er bestand auf der Verwendung des Begriffs „entwenden“, was im Französischen aber „dérober“ entsprechen würde. Vielleicht wollte dieser Verteidiger den Dolmetscher destabilisieren, um sich selbst aufzuwerten oder um seine Frustration über das Gericht abzureagieren. Vielleicht hoffte er aber auch, dadurch einen strategischen Vorteil für seine Verteidigung zu erkämpfen. Der Dolmetscher sollte in diesem Fall also zu sachfremden Zwecken instrumentalisiert werden, was er auf keinen Fall zulassen darf. Der Dolmetscher muss die unberechtigte Kritik abwehren, um vom Gericht weiterhin vollständig als Fachmann in Sachen Sprache und Kultur akzeptiert zu werden. Er darf dem Gericht gegenüber nicht an Glaubwürdigkeit verlieren. 2.3.3.4 Mögliche Kritikabwehrstrategie für den Dolmetscher Der Kritiker war nicht befugt, den Dolmetscher mit seiner Kritik direkt zu unterbrechen. Er hätte sich zuerst an den Vorsitzenden wenden müssen. Um alle Kommunikationspartner geschickt auf diese Regelverletzung durch den Kritiker aufmerksam zu machen, sollte der Dolmetscher den vorsitzenden Richter demonstrativ darum bitten, zu diesem Vorwurf Stellung nehmen zu dürfen. Aus demselben Grund sollte der Dolmetscher seine Antwort auch nicht an den Kritiker richten, sondern an das Gericht: „Der Dolmetscher lehnt diesen Verbesserungsvorschlag als unrichtig ab und könnte es entsprechend belegen, falls das Gericht dieses wünschen würde.“ 2.3.4 Redegewandtheit Zweifellos ist diese Fertigkeit für die mündliche Kommunikation unentbehrlich. Dolmetscher müssen sehr schnell reagieren und ständig auf alternative Übersetzungslösungen kommen. Falls diese Virtuosität nicht angeboren ist, muss sie trainiert werden. 36 Die Kritik ist unsachlich, da sie pauschal ist. Alles wird verurteilt: der konkrete Auftritt und die gesamte Kommunikation mit Dolmetschern im Allgemeinen. Eine faire Kritik wäre der Hinweis auf einen konkreten Übersetzungsfehler. 34 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen 2.3.5 Frei sprechen Die Technik des freien Vortrags ist in jeder Kommunikationssituation hilfreich, insbesondere als Vorbereitung zum Konsekutivdolmetschen. Sie bildet die Vorstufe zu jeder Dolmetschtechnik, denn es geht hierbei um das logische Strukturieren einer beliebigen Mitteilung. 2.3.6 Richtige Vorlesetechnik Vorlesen wird hier als Vorstufe zum Vom-Blatt-Übersetzen angeführt und erfolgt wie das Vom-Blatt-Übersetzen ebenfalls in drei Etappen: ▶ Sinn der Mitteilung mit den Augen erfassen, ▶ Sinn der Mitteilung beim Hochschauen verarbeiten, ▶ Sinn der Mitteilung beim Anschauen der Adressaten laut wiedergeben. 2.4 Übungen zum Erwerb der Kommunikationskompetenz 2.4.1 Arbeit mit Bildern Die Bilder von Personen, Gebrauchsgegenständen, Räumen, Szenen bzw. Situationen werden sowohl zum Selbststudium als auch für die Gruppenübung vorgeschlagen. Nachstehend können nur wenige Bilder als Beispiel angeboten werden. Das Internet bietet jedoch zahlreiche Quellen, wie z. B. Google Bilder oder Flickr. Im Sprachunterricht werden solche Übungen schon vielerorts mit Erfolg eingesetzt. Durch diese einfach erscheinenden Übungen üben die Teilnehmer unverzichtbare Kommunikationskompetenzen eines Dolmetschers auf systematische Weise. Unabhängig vom Setting empfiehlt es sich, ein Logbuch über Aufgaben und Aufgabenbewertung zu führen. Folgende Aufgabenstellungen sind möglich: Beschreibung von Personen, Gebrauchsgegenständen, Räumen, Situationen. Bei den ersten Übungen darf das Bild während der Beschreibung noch angeschaut werden, sehr bald sollte das Bild verdeckt werden. Die Übungen erfolgen abwechselnd im Stehen oder im Sitzen, damit Sicherheit in beiden Haltungen erlangt werden kann. 35 2 Modul Kommunikationskompetenz 2.4.2 Übung 1: Personenbeschreibung Setting: allein und / oder Gruppenübung; mit oder ohne Dozent Material: Aufnahmegerät, Bilder von Personen Übungszweck: korrektes und sicheres Auftreten, visualisierendes Gedächtnistraining, Redegewandtheit, freies Sprechen Anwendungsgebiet: Zeugenaussagen, Gutachter Bewertungskriterien: Beachtung der Grundregeln der Kommunikation (Haltung, Atmung, Blickkontakt, Sprechrhythmus), Beachtung der Dolmetschetikette, Gedächtnisleistung durch Strukturierung der Information: Vollständigkeit, Redegewandtheit: begriffliche Präzision Allein-Übung Ausführung und Empfehlungen Schauen Sie das Bild eine Minute lang an. Wenden Sie dabei ein systematisches Betrachtungsraster an: ▶ Einleitung: Was stellt das Bild / das Foto dar? ▶ Bildhintergrund? 36 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen ▶ Bildvordergrund? ▶ Besondere Merkmale der dargestellten Person? ▶ Haare? ▶ Einzelne Gesichtsteile (Ausdruck, Form und Farbe)? ▶ Körperbau, Körperteile? ▶ Körperhaltung? ▶ Kleidung (Form, Material)? ▶ Zusammenfassung: Gesamteindruck? Nach Einschalten des Aufnahmegeräts beschreiben Sie bitte das Bild mit lauter Stimme. Stellen Sie sich dabei am besten einen blinden Zuhörer vor. Variante 1: Das Bild darf angeschaut werden und wird in der Muttersprache beschrieben. Variante 2: Das Bild darf angeschaut werden und wird in der Arbeitssprache beschrieben. Variante 3: Das Bild wird verdeckt und in der Muttersprache beschrieben. Variante 4: Das Bild wird verdeckt und in der Arbeitssprache beschrieben. Selbstbewertung Hören Sie die aufgenommene Übung an. Indem Sie das Bild zur Kontrolle anschauen, beantworten Sie folgende Fragen zur eigenen Bewertung. Bitte notieren Sie die Fragen und Antworten in Ihr Logbuch. Bei Übungsvarianten 1 bis 4: Fragen zur Rhetorik: ▶ Wie war die Atmung? (ruhig? gehetzt? ) ▶ Wie war der Sprechrhythmus? (fließend? abgehackt? ) Fragen zur Wortgewandtheit: ▶ Wie war der Wortschatz? (Fanden Sie den passenden Begriff für jedes Detail? ) Darüber hinaus bei den Übungsvarianten 3 und 4 Fragen zum visualisierenden Gedächtnis: ▶ War die Beschreibung vollständig? ▶ War die gewählte Reihenfolge schlüssig? Gruppenübung - Doppelaufgabe Ausführung und Empfehlungen Bildbeschreibung bis max. 3 Minuten. Variante 1: Das Bild darf angeschaut werden und wird in der Muttersprache beschrieben. Variante 2: Das Bild darf angeschaut werden und wird in der Arbeitssprache beschrieben. Variante 3: Das Bild wird verdeckt und in der Muttersprache beschrieben. Variante 4: Das Bild wird verdeckt und in der Arbeitssprache beschrieben. 37 2 Modul Kommunikationskompetenz Verdolmetschung: Ein anderer Gruppenteilnehmer dolmetscht den so entstandenen Vortrag ohne Notizen und ohne Ansehen des Bildes. Übungszweck: Wie oben und freies Sprechen vor einem Publikum, visualisierendes Gedächtnis, Konsekutivdolmetschen ohne Notizen. Die Gruppe schaut das Bild eine Minute lang an. Die Varianten 3 und 4 sollten möglichst bald gefordert werden. Um das visuelle und logische Gedächtnis zu trainieren, sollten die Teilnehmer dabei versuchen, sich das Bild mit Hilfe eines systematischen Rasters genauer einzuprägen. Während des Vortrags und der Verdolmetschung konzentrieren sich die Gruppenteilnehmer auf die jeweiligen Darbietungen (Rhetorik, Vollständigkeit), um sich auf eine fundierte Leistungsbewertung vorzubereiten. Nachdem das Aufnahmegerät eingeschaltet worden ist, präsentiert ein erster Teilnehmer das Bild in der Form eines Kurzvortrags. Dabei sollte er die Rolle eines Zeugen oder eines Sachverständigen einnehmen, dabei grüßen, sich vorstellen und die allgemeine Inhaltsangabe des Bildes als Einführung anbieten. Auf eine logische Strukturierung der Beschreibung sollte besonderer Wert gelegt werden. Der Vortragende soll sich immer wieder an die rhetorischen Grundregeln erinnern. Gleich nach diesem Vortrag erfolgt dessen Verdolmetschung durch einen anderen Teilnehmer, der dieselben Regeln beachtet. Bewertung der beiden Leistungen in drei Etappen: Die Bewertung erfolgt in drei Etappen unter der Leitung des Dozenten. Zuerst sollten der Vortragende und der Dolmetscher ihre Eindrücke über die eigene Leistung formulieren: War die Erfahrung positiv? Gab es besondere Schwierigkeiten? Dann erfolgt die Gruppenbewertung, die selbst eine Übung darstellt. Vortrag und Dolmetschleistung werden sukzessive bewertet. Dabei ist für beide Aufgaben die Anwendung von präzisen, leicht nachvollziehbaren Kriterien durch Beantwortung des folgenden Fragenkatalogs wichtig: Fragen zur Rhetorik: ▶ War der Vortrag (die Verdolmetschung) überzeugend? ▶ Wie war die Atmung? (ruhig? gehetzt? ) ▶ War die Artikulation deutlich? ▶ Wie war der Sprechrhythmus? (fließend? abgehackt? ) ▶ War die Stimme moduliert, angemessen projiziert? ▶ Wie war die Haltung (Körpersprache)? ▶ Wie war die Gestik? (Oberkörper? Hin- und Herschaukeln sowie das Verschränken der Arme sollen vermieden werden.) ▶ Wie war der Blickkontakt? ▶ Wie waren Anfang und Schluss des Vortrags bzw. der Dolmetschleistung? (Wurde am Anfang die Aufmerksamkeit des Publikums geweckt? Wurde das Ende deutlich gemacht? ) 38 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Fragen zur Wortgewandtheit: ▶ Wie war der Wortschatz? ▶ Waren die Fachtermini korrekt? Fragen zum visualisierenden Gedächtnis: ▶ War die Beschreibung / Verdolmetschung vollständig? ▶ War die gewählte Reihenfolge schlüssig? Konstruktive Kritik und Kollegialität sind die Grundlagen der für die Dolmetscherausbildung unentbehrlichen Gruppenarbeit. Durch Objektivierung und Bewusstmachung der Schwierigkeiten von Anderen werden eigene Fehler vermieden und Lösungen leichter gefunden. Verschiedene Vorgehensweisen können hierbei angewendet werden: ▶ Zwei Gruppenteilnehmer werden gebeten eine Bewertung anhand objektiver Kriterien in der Form von Kurzvorträgen abzugeben. ▶ Alle Gruppenteilnehmer werden nacheinander gebeten, auf jeweils einen positiven und einen negativen Punkt hinzuweisen. In beiden Fällen sollte Raum für die Gruppendiskussion gelassen werden. Nach Verinnerlichung der Regeln einer konstruktiven Kritik kann die Gruppe auch ohne Dozent zusätzlich üben. Die Übung kann beliebig wiederholt werden. Selbstverständlich können auch Gruppenteilnehmer Gegenstand einer Beschreibung werden. 2.4.3 Übung 2: Beschreibung von Gegenständen 39 2 Modul Kommunikationskompetenz Setting: allein, Gruppenübung Material: Aufnahmegerät, Bilder von Gebrauchsgegenständen Übungszweck und Anwendungsgebiet: Wie oben, darüber hinaus Präzision der Fachausdrücke als Vorbereitung auf Gutachten Aufgabenstellung: Das Bild bitte eine Minute lang betrachten. Am besten das folgende Betrachtungsraster zur Hilfe nehmen: ▶ Einleitung (Gesamteindruck) ▶ Form? ▶ Farbe? ▶ Größe? ▶ Material? ▶ Einzelteile? ▶ Nutzen / Funktionsweise? ▶ Zusammenfassung: Besonderheiten? Ausführung (max. 3 Minuten) Das nun verdeckte Bild wird unter Berücksichtigung der oben angegebenen rhetorischen Grundsätze beschrieben. Die Beschreibung wird dann gleich von einem anderen Teilnehmer ohne Notizen gedolmetscht. Bewertungskriterien (Selbst- und Gruppenbewertung) ▶ Beachtung der Grundkommunikationsregeln (Haltung, Atmung, Blickkontakt, Sprechrhythmus) ▶ Beachtung der Dolmetschetikette ▶ Gedächtnisleistung durch Informationsstrukturierung: Vollständigkeit ▶ Redegewandtheit ▶ Begriffliche Präzision 40 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen 2.4.4 Übung 3: Beschreibung von Räumen Setting: allein, Gruppenübung Material: Aufnahmegerät, Bilder von Räumen Übungszweck und Anwendungsgebiet: Wie oben, darüber hinaus Präzision der Fachausdrücke als Vorbereitung auf Gutachten oder Zeugenvernehmung Aufgabenstellung: Das Bild bitte eine Minute lang betrachten. Am besten das folgende Betrachtungsraster zur Hilfe nehmen: ▶ Einleitung (Gesamteindruck) ▶ Hintergrund ▶ Vordergrund ▶ Boden, Fenster, Türen ▶ Möbel ▶ Materialien bzw. Stoffe ▶ Besonderheiten ▶ Zusammenfassung Ausführung (max. 3 Minuten) Das nun verdeckte Bild wird unter Berücksichtigung der oben angegebenen rhetorischen Grundsätze beschrieben. Die Beschreibung wird dann gleich von einem anderen Teilnehmer ohne Notizen gedolmetscht. Bewertungskriterien (Selbst- und Gruppenbewertung) ▶ Beachtung der Grundregeln der Kommunikation (Haltung, Atmung, Blickkontakt, Sprechrhythmus) 41 2 Modul Kommunikationskompetenz ▶ Beachtung der Dolmetschetikette ▶ Gedächtnisleistung durch Strukturierung der Information: Vollständigkeit ▶ Redegewandtheit: Begriffliche Präzision 2.4.5 Übung 4: Beschreibung einer Szene Setting: Allein-Übung, Gruppenübung Material: Aufnahmegerät, Bilder von unterschiedlichen Szenen Übungszweck und Anwendungsgebiet: Wie oben, darüber hinaus Präzision der Fachausdrücke als Vorbereitung auf Gutachten oder Zeugenvernehmung Aufgabenstellung: Das Bild bitte eine Minute lang betrachten. Am besten das folgende Betrachtungsraster zur Hilfe nehmen: ▶ Einleitung: Bedeutung der Szene ▶ Ort ▶ Personen (Haltung, Ausdruck, äußere Erscheinung) ▶ Besonderheiten ▶ Zusammenfassung Ausführung (3 Minuten) Das nun verdeckte Bild unter Berücksichtigung der oben angegebenen rhetorischen Grundsätze als Zeuge beschreiben. Die Beschreibung wird dann gleich von einem anderen Teilnehmer ohne Notizen gedolmetscht. 42 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Bewertungskriterien (Selbst- und Gruppenbewertung) Beachtung der Grundregeln der Kommunikation (Haltung, Atmung, Blickkontakt, Sprechrhythmus), Beachtung der Dolmetschetikette, Gedächtnisleistung durch Strukturierung der Information: Vollständigkeit, Redegewandtheit: begriffliche Präzision. 2.4.6 Arbeit mit Textinhalten Biographien, Presseberichte, Video- und Audioaufnahmen werden im Folgenden sowohl zum Selbstüben als auch für die Gruppenübung vorgestellt. Die vorgestellten Aufgaben fördern die rhetorischen Fertigkeiten, das für das Gedächtnis eines Dolmetschers höchstwichtige Visualisieren und das logische Strukturieren. Freies Vortragen und Konsekutivdolmetschen ohne Notizen werden gleichermaßen praktiziert. Unabhängig vom Setting empfiehlt es sich, ein Logbuch über Aufgaben und Aufgabenbewertung zu führen. 2.4.7 Übung 1: Presseberichte Setting: Allein-Übung, Gruppenübung Material: Aufnahmegerät. Im Voraus zur Kenntnis genommene Medienprodukte in Mutter- und Arbeitssprache, am besten zuerst über internationale Themen. Übungszweck: Der Gerichtsdolmetscher ist Sachverständiger für Kultur und Politik der Länder beider Sprachen, daher muss er unter anderem täglich die Nachrichten aus den Ländern der Mutter- und Arbeitssprachen lesen, hören oder sehen. Die nachstehenden Übungen dienen der Förderung folgender Fertigkeiten: Rhetorik, Erweiterung der kognitiven Grundlagen (Kultur, Politik, Soziales), visualisierendes Gedächtnis, Einsatz des eigenen Allgemeinwissens für das Konsekutivdolmetschen ohne Notizen. Aufgabenstellung und Empfehlungen: Nach Kenntnisnahme der Information wird das Aufnahmegerät eingeschaltet. Die Inhalte sind laut möglichst treu in der Muttersprache und dann in der Arbeitssprache vorzutragen. Es sollte sowohl im Stehen als auch im Sitzen geübt werden. Um Informationsinhalte besser zu behalten, sollte man diese möglichst in Bilder umsetzen und gleichzeitig den roten Faden (Gliederung) verfolgen. Allein-Übung (max. 3 Minuten) Die Aufgabe ist als Allein-Übung geeignet. Selbstbewertung Aufnahme abspielen. Folgende Fragen beantworten: ▶ Wie war die Atmung? ▶ Wie war der Sprechrhythmus? (ruhig? gehetzt? ) 43 2 Modul Kommunikationskompetenz ▶ Wurde der Inhalt vollständig wiedergegeben? ▶ War die Mitteilung logisch strukturiert? ▶ Gab es terminologische Probleme? Ergebnisse in das Logbuch eintragen. Gruppenübung - Vortrag und Verdolmetschung Für jede Sitzung bereiten alle Teilnehmer eine Presseschau aus Meldungen von max. 3 Minuten vor. Diese werden von ihnen entweder in der Muttersprache oder in der Arbeitssprache vorgetragen. Die Vorträge sollten abwechselnd im Stehen oder im Sitzen erfolgen. Ein anderer Gruppenteilnehmer dolmetscht den Vortrag. Die Verdolmetschung erfolgt im Stehen, wenn der Vortragende im Stehen gesprochen hatte. Übungszweck: ständiger Erwerb von Informationen über beide Kulturwelten, rhetorische Fertigkeit, strukturierendes, visualisierendes Gedächtnis, Konsekutivdolmetschen ohne Notizen. Ausführung und Empfehlungen Der Vortragende präsentiert den Informationsinhalt in strukturierter Form. In einer kurzen Einleitung wird das Thema angekündigt und dann die Nachricht vorgetragen. Während Vortrag und Verdolmetschung konzentrieren sich die Gruppenteilnehmer auf die jeweiligen Darbietungen (Rhetorik, Vollständigkeit), um sich auf eine fundierte Leistungsbewertung vorzubereiten. Nachdem das Aufnahmegerät eingeschaltet worden ist, präsentiert ein erster Teilnehmer die Nachricht. Dabei können sowohl die Begrüßung als auch die Vorstellung in der Einleitung effizient geübt werden. Auf eine logische Strukturierung der Nachricht sollte besonderer Wert gelegt werden. Der Vortragende sollte die rhetorischen Grundregeln immer beachten. Gleich nach dem Vortrag erfolgt dessen Verdolmetschung durch einen anderen Teilnehmer unter Berücksichtigung derselben Grundsätze. Bewertung der beiden Leistungen in drei Etappen Die Bewertung erfolgt in drei Etappen unter Leitung des Dozenten. Zuerst formulieren der Vortragende und der Dolmetscher ihre persönlichen Eindrücke von der eigenen Leistung. War die Erfahrung positiv? Gab es besondere Schwierigkeiten? Dann erfolgt die Gruppenbewertung, die selbst als eine Übung betrachtet werden soll. Vortrags- und Dolmetschleistung werden sukzessive bewertet. Dabei ist für beide Aufgaben die Anwendung von präzisen, leicht nachvollziehbaren Kriterien durch Beantwortung des folgenden Fragenkatalogs wichtig: 44 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Fragen zur Rhetorik: ▶ War der Vortrag (die Verdolmetschung) überzeugend? ▶ Wie war die Atmung? (ruhig? gehetzt? ) ▶ War die Artikulation deutlich? ▶ Wie war der Sprechrhythmus? (fließend? abgehackt? ) ▶ War die Stimme moduliert, angemessen projiziert? ▶ Wie war die Haltung (Körpersprache)? ▶ Wie war die Gestik? (im Bereich des Oberkörpers? Hin- und Herschaukeln sowie das Verschränken der Arme sind verpönt.) ▶ Wie war der Blickkontakt? ▶ Waren Anfang und Schluss eindeutig? Fragen zur Wortgewandtheit: ▶ Wie war der Wortschatz? ▶ Waren die Fachtermini korrekt? Fragen zum visualisierenden Gedächtnis: ▶ War die Struktur logisch? ▶ War die gewählte Reihenfolge schlüssig? ▶ War die Verdolmetschung korrekt, logisch, vollständig? Solche Übungen sind sehr leicht zu gestalten: Das Internet bietet ständig nützliches Übungsmaterial: Aktualisierte Nachrichtenüberblicke in zahlreichen Sprachen finden sich zum Beispiel bei Google (http: / / news.google.com/ ) oder Yahoo (http: / / news.yahoo.com/ ). Wikipedia, Deutsche Welle und BBC bieten mehrsprachige Informationen. In Deutschland und vielen anderen Ländern werden mittlerweile die Hauptnachrichtensendungen als Video, Vidcast oder Podcast angeboten. Auch Regierungen veröffentlichen auf ihren Webseiten Reden der Staats- und Regierungschefs sowohl in Textals auch Video- oder Audioform. 2.4.8 Übung 2: Biographien Der Gerichtsdolmetscher muss immer wieder Biographien und Lebensläufe dolmetschen und übersetzen. Nachstehende Übung soll u. a. dieses trainieren. Setting: Gruppenübung mit oder ohne Dozent Material: Aufnahmegerät Übungszweck: strukturierendes Gedächtnis, Rhetorik, Konsekutivdolmetschen ohne Notizen. Vorbereitung auf Vernehmungen Aufgabenbeschreibung: Die Übung wird abwechselnd in Mutter- und Arbeitssprache ausgeführt. Ein Gruppenteilnehmer wird gebeten, die Biographie eines Familienmitglieds oder eines guten Bekannten vorzutragen. 45 2 Modul Kommunikationskompetenz Eine andere beliebte Variante ist es, die Teilnehmer zu bitten, sich fünf Minuten lang gegenseitig über ihre Biographie zu interviewen und darüber in der ersten Person zu berichten. Die Vorträge von max. 3 Minuten werden sofort ohne Notizen gedolmetscht. Ausführung und Empfehlung Die Teilnehmer sollen sich an eine logische Gliederung halten. Als Muster zur Erstellung des eigenen Rasters werden hier die Rubriken des Europapasses vorgeschlagen. 37 37 Auszug aus einem Europass-Muster, das wie viele andere auf der Webseite http: / / europass.cedefop. europa.eu (letzter Zugriff: 10. 04. 2017)-- Europäische Gemeinschaften, 2003 mehrsprachig zu finden ist. Europass Lebenslauf 37 Angaben zur Person: ............................................................................................................ Nachname(n)/ Vorname(n): ................................................................................................... Adresse(n): ........................................................................................................................... Telefon: ................................................................................................................................ Mobil: .................................................................................................................................. Fax: ...................................................................................................................................... E-Mail: ................................................................................................................................. Staatsangehörigkeit(en): ...................................................................................................... Geburtsdatum: .................................................................................................................... Geschlecht: .......................................................................................................................... Gewünschte Beschäftigung / Gewünschtes Berufsfeld: .......................................................... Berufserfahrung: .................................................................................................................. Zeitraum: ............................................................................................................................. Beruf oder Funktion: ............................................................................................................ Wichtigste Tätigkeiten und Zuständigkeiten: ........................................................................ Ausbildung: ......................................................................................................................... Zeitraum: ............................................................................................................................. Bezeichnung der erworbenen Qualifikation: ......................................................................... Hauptfächer / berufliche Fähigkeiten: .................................................................................... Name und Art der Bildungs- oder Ausbildungseinrichtung: .................................................. Persönliche Fähigkeiten und Kompetenzen: ......................................................................... Muttersprache(n): ................................................................................................................ Sonstige Sprache(n): ............................................................................................................ Soziale Fähigkeiten und Kompetenzen: z. B.: organisatorische Fähigkeiten und Kompetenzen: .............................................................................................................. Besondere Fähigkeiten: ........................................................................................................ Führung und Motivation von Mitarbeitern: ........................................................................... 46 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Gruppenbewertung Nach dem Vortrag und dessen Verdolmetschung erfolgt zuerst die Selbstbewertung des Vortragenden und des Dolmetschers. Danach wird die Dolmetschleistung durch den Vortragenden beurteilt. Wurde der Vortrag treu gedolmetscht? Die anderen Gruppenteilnehmer analysieren dann kritisch die rhetorische Leistung der Beiden, sowie die Vollständigkeit und die sprachliche Leistung. Durch diese knapp zu haltende Übung werden sowohl dem Vortragenden und dem Dolmetscher als auch den anderen Teilnehmern zu vermeidende Klippen deutlich gemacht. 2.5 Vorlesetechnik Jeder Dolmetscher klagt über Redner, die ihre Texte zu schnell vorlesen. Konferenzdolmetscher legen sogar vertraglich fest, 38 dass vorzulesende Texte den Dolmetschern rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden müssen. Die Schwierigkeit liegt darin, dass das Geschriebene anderen Regeln als das Gesprochene unterliegt. Verba volant, scripta manent. Ein Autor nimmt sich Zeit, seinen Text sorgfältig zu redigieren. Der geschriebene Text wird meistens für Leser konzipiert, die komplexe Passagen immer wieder lesen können. Redner mit Lampenfieber wollen diese Pflichtübung schnell erledigen, und da sie ausformulierte Sätze schnell lesen, fällt die notwendige Identifikation mit der Mitteilung aus: Ihr Redefluss wird gehetzt und monoton. Das Publikum hat keine Gelegenheit, den so vorgetragenen Gedanken nachzuvollziehen. Der frei sprechende Redner konstruiert dagegen seine Mitteilung erst vor dem Publikum, das somit den Gedankengängen zu folgen vermag. Eine Anekdote illustriert diese Beobachtung: Sigmund Freud lud häufig Professoren aus dem deutschsprachigen Raum in sein Institut nach Wien ein. Sobald diese ein Manuskript zum Vortrag hervorzogen, protestierte Freud heftig: „Bitte sprechen Sie frei! Wenn Sie vorlesen, ist es, als ob Sie mich zu einer Spazierfahrt einladen würden, selbst im Auto sitzend, mich aber hinterherlaufen ließen”. Leider ist aber das Vorlesen immer mehr Usus in der heutigen mündlichen Kommunikation, und daran kann kaum etwas geändert werden. Sowohl 38 Jones (1953). Einfühlsamkeit gegenüber Mitmenschen: ............................................................................. Fähigkeit zur Konfliktlösung: ................................................................................................ IKT -Kenntnisse und Kompetenzen: z. B. Gute PC -Kenntnisse, insbesondere Excel und Winword erworben bei der Arbeit und in der Freizeit: .................................................... Künstlerische Fähigkeiten und Kompetenzen: z. B. Klavierspielen: ......................................... Sonstige Fähigkeiten und Kompetenzen: z.B Ausdauer, erworben bei vielen Langstreckenläufen, insbesondere durch zweimalige Teilnahme an Stadt-Marathonläufen: Führerschein(e) Klasse: ......................................................................................................... 47 2 Modul Kommunikationskompetenz bei wissenschaftlichen Kongressen als auch im Rahmen von Gerichtsverhandlungen werden zahlreiche Texte verlesen. Die mündliche Kommunikation scheitert hier aber nur, wenn die Vorlesenden es versäumen, ihre Texte sinnvoll zu oralisieren, das heißt, wenn sie die Augen ausschließlich auf das Manuskript heften und das Publikum ignorieren. 2.5.1 Übung 3: Lautes Vorlesen Setting: allein, Gruppenübung mit und ohne Dozent Material: Aufnahmegerät, Texte aus der Presse Übungszweck: mündliche Kommunikation, visualisierendes Gedächtnis, Redegewandtheit, korrekte Vorlesetechnik als Einführung zum Übersetzen vom Blatt. Vorstufe zum Simultandolmetschen. Aufgabenbeschreibung und Empfehlungen: Es wird beim Vorlesen effizient kommuniziert, wenn das Publikum den Sinn der Mitteilung des vorlesenden Redners im Sprechrhythmus erfassen kann. Das Vorlesen muss daher unbedingt in drei Schritten erfolgen: ▶ Mit den Augen lesen, um den Sinn des Informationsinhaltes zu erfassen, ▶ hochschauen, wobei der Sinn des Informationsinhaltes verarbeitet wird, ▶ das Publikum anschauen und erst dann den Informationsinhalt laut in der jeweiligen Sprache vortragen. Der Text darf so oft wie nötig wieder angeschaut werden, solange dabei nicht gesprochen wird. Im Folgenden werden einige Vorleseübungen vorgeschlagen. Das Internet bietet hier eine Fülle von Übungsmaterial. Um die angehenden Dolmetscher an ihr Arbeitsgebiet zu gewöhnen, können Texte auf Webseiten der Polizei oder der Presse gewählt werden. Es sollten aber am Anfang bildhafte Texte mit möglichst kurzen Sätzen sein. Komplizierte Fachtexte sollten bis zur sicheren Beherrschung der Technik vermieden werden. Ausführung Bitte überfliegen Sie den nachstehenden Text 39 und lesen Sie ihn dann gleich laut vor, wobei Sie die drei oben beschriebenen Etappen genau einhalten. Visualisieren Sie die einzelnen Sinneseinheiten (nicht unbedingt mit dem Satz identisch), bevor Sie zum Sprechen ansetzen. Es darf auf keinen Fall gesprochen werden, solange die Augen noch auf den Text gerichtet sind. 39 Quelle http: / / pressnetwork.de/ herbstzeit-einbruchzeit-2/ : http: / / pressnetwork.de/ herbstzeit-einbruchzeit-2/ (letzter Zugriff: 12. 02. 2017). 48 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Herbstzeit = Einbruchzeit ARAG Experten sagen, wie man sich vor Einbrüchen schützt Die Ernten sind eingebracht, das Laub färbt sich golden und in den Kaminen knistern die ersten Feuer. Der Herbst hat sehr schöne Seiten. Mit dem früheren Einbruch der Dunkelheit steigt allerdings auch die Zahl der Haus- und Wohnungseinbrüche. Im November und Dezember ist in jedem Jahr die Hauptsaison für Einbrecher, warnt die Kriminalpolizei. ARAG Experten sagen, wie man sich schützen kann. Beliebte Einstiegswege Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum zur Einbruchsprävention zeigt, dass die ersten Minuten bei einem Einbruch entscheidend sind. Schafft es der Einbrecher nämlich nicht innerhalb von wenigen Minuten in die Wohnung oder das Haus einzudringen, bricht er den Versuch ab und sucht sich ein einfacheres Ziel. Sicherheit beginnt also damit, Terrassentüren, Fenster und Wohnungstüren gut zu sichern oder zu kontrollieren, ob sie beim Verlassen gut verschlossen sind. Denn dies sind laut Kripo die drei beliebtesten Einstiegswege. Wachsame Nachbarn Oft lohnt es sich, die Nachbarn um Hilfe zu bitten. Vielleicht gibt es nebenan eine ältere Dame, die den ganzen Tag zu Hause ist? Dann kann man beispielsweise nachfragen, ob sie in unregelmäßigen Abständen das Zuhause im Auge haben kann. Das genügt oftmals schon, um die Polizei bei einem Einbruch rechtzeitig zu rufen. Auf keinen Fall sollte man sich dem Haus oder der Wohnung bei einem Einbruchsversuch nähern! Der oder die Täter könnten gewaltbereit sein, warnen ARAG Experten. Aufenthaltsort verschweigen Eine beliebte Funktion bei sozialen Netzwerken wie z. B. Facebook verrät den Freunden und Bekannten den aktuellen Aufenthaltsort. Das macht spontane Verabredungen zwar sehr einfach; es kann von weniger freundlichen Zeitgenossen aber auch als Aufforderung zu Straftaten verstanden werden. Darum ist das Vermeiden von genauen Angaben über den momentanen Aufenthaltsort und die Zeit, in der man nicht zu Hause ist, ganz wichtig! Das gilt auch und gerade für längere Abwesenheiten, z. B. den Urlaub. Sicher im Urlaub Mittlerweile gibt es viele Internetseiten, auf denen man professionelle und semi-professionelle Haussitter engagieren kann. Das macht für Blumenliebhaber mit vielen wertvollen Pflanzen oder Haustierbesitzer vielleicht Sinn. Viele Urlauber scheuen aber die zusätzlichen Ausgaben. Meist gibt es indes auch kostenlose Maßnahmen, die helfen zu verbergen, dass ein Haus oder eine Wohnung gerade nicht bewohnt wird. Zeitschaltuhren an ein paar Lampen angebracht, beleuchten beispielsweise in den Abendstunden gut sichtbar die Wohnräume. Außerdem sollte man einen Nachbarn bitten, regelmäßig den Briefkasten zu leeren, damit die angesammelte Post nicht verrät, dass der Besitzer schon längere Zeit abwesend ist. 49 2 Modul Kommunikationskompetenz Allein-Übung Diese Übung wird am besten vor dem Spiegel ausgeführt. Danach ist der Inhalt aus dem Gedächtnis, ohne Hinzuziehung des Textes, in Mutterbzw. Arbeitssprache wiederzugeben. Dieses kann nur gelingen, wenn der Text korrekt vorgelesen wurde. Selbstbewertung Anhand der Tonaufnahme. Gruppenübung Der Text wird nur einem Teilnehmer zum Lesen überreicht. Alle anderen hören konzentriert zu, ohne notieren zu dürfen. Nach dem Lesen wird ein weiterer Teilnehmer gebeten, den eben vorgelesenen Inhalt in eine andere Sprache zu übertragen. Die Leseleistung ist gelungen, wenn der Inhalt von allen verstanden wurde und die Wiedergabe möglich war. Bewertung Die folgenden Fragen werden zuerst von dem Dolmetscher und dann von allen weiteren Teilnehmern beantwortet: ▶ Wie war die Kommunikation? ▶ Fühlten sich alle angesprochen? ▶ War der Rhythmus angemessen? ▶ War der Vortrag leicht zu behalten? Hausrat versichern Kommen die Einbrecher trotzdem ungehindert in die Wohnung oder das Haus, ist das einzige, was dann noch hilft, die Hausratversicherung. Sie bietet in der Regel Versicherungsschutz gegen Einbruchdiebstahl, Raub und Vandalismus; darüber hinaus sind Schäden durch Feuer, Leitungswasser, Sturm und Hagel versichert. Gute Hausratversicherungen warten mit einem ganzen Bündel an zusätzlichen Angeboten auf, bis hin zur psychologischen Soforthilfe nach einem Einbruch oder Raub. Aus gutem Grund: Die psychische Belastung nach einem Einbruch ist meist genauso schwerwiegend wie der materielle Schaden. Studien belegen, dass sich rund 88 Prozent der Einbruchsopfer vor einem weiteren Einbruch fürchten. 30 Prozent leiden sogar unter Angstzuständen, so ARAG Experten. 50 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen 2.6 Vorschlag zur Unterrichtsgestaltung Gruppengröße: maximal 12 Teilnehmer Zeitraum: ▶ Arbeit mit Bildern: mind. 90 Minuten ▶ Arbeit mit Texten: mind. 90 Minuten ▶ Vorleseübungen: mind. 90 Minuten ▶ Allein-Übung unentbehrlich Unterrichtsgliederung Einführung (15-20 Minuten): Die Kommunikationskompetenz wird beschrieben und ihre Notwendigkeit für das Dolmetschen erklärt. Übungswechsel (alle 20 Minuten): Um Motivation und Konzentration der Gruppe zu erhalten, sollten die Aufgaben im zwanzigminütigen Rhythmus abgewechselt werden. Vor jeder Aufgabe ist ebenfalls genau zu erklären (ca. 5 Minuten), welche Fertigkeiten geübt werden sollen und inwiefern diese Fertigkeiten zum Erwerb der Kommunikationskompetenz beitragen. Genaue Empfehlungen werden auch im Vorfeld gegeben. Ausführung (max. 3 Minuten): Die Ausführung sollte dann nicht länger als 3 Minuten dauern. Alle Teilnehmer sind aktiv zu beteiligen, entweder als Übende oder als Bewerter. Bewertung (max. 5 Minuten): Vor der möglichst kurz zu haltenden Bewertung sollte der Dozent immer wieder betonen, dass eine professionelle Zusammenarbeit wie in einer Werkstatt angestrebt wird. Nicht der Übende, sondern das Übungsprodukt soll dabei konstruktiv bewertet werden. Die Übenden sollten immer als erste über ihre Eindrücke befragt werden, damit sie sich in der Selbstevaluation üben und lernen, die eigenen Schwierigkeiten und Stärken wahrzunehmen. Danach dürfen sich auch die Gruppenmitglieder äußern, um den Dolmetschenden ihre Leistung zu spiegeln. Ausschließlich die klar angekündigte zu übende Fertigkeit ist zu bewerten. Wenn der Schwerpunkt auf die Rhetorik oder Redegewandtheit gelegt wird, sollten z. B. Grammatikfehler in der Arbeitssprache nur nebenbei erwähnt werden und umgekehrt. Kritik sollte nie pauschal formuliert werden. Aussagen wie „Es ist schlecht! “ oder „exzellent! “ führen nicht zum Ziel. Der Dozent sollte Kritikpunkte oder immer wiederkehrende Fehler genau angeben und eine Verbesserung mit Übungsvorschlag anbieten. Jeder Fortschritt sollte lobend erwähnt werden. 2.7 Zur Vertiefung Bruno, Tiziana / Adamczyk, Gregor, 2004. Körpersprache. München: Haufe. Spies, Stefan, 2004. Authentische Körpersprache. Hamburg: Hofmann u. Campe. 51 2 Modul Kommunikationskompetenz Erlernte Fertigkeiten der Kommunikationskompetenz Nach diesen einführenden Übungen sollten folgende Fertigkeiten erlangt worden sein, bevor die eigentlichen Dolmetschtechniken sinnvoll geübt werden können: ▶ souveränes Auftreten, ▶ effiziente mündliche Kommunikation, ▶ freies Vortragen, ▶ Grundlagen der Dolmetscheretikette, ▶ Visualisieren vorgetragener Mitteilungen zur Verbesserung des Gedächtnisses, ▶ Konsekutivdolmetschen ohne Notizen, ▶ Vorlesetechnik als Vorstufe für das Übersetzen vom Blatt. 53 3 Modul Vom-Blatt-Übersetzen bzw. -Dolmetschen 3 Modul Vom-Blatt-Übersetzen bzw. -Dolmetschen 3.1 Definition und Anwendung Als Vom-Blatt-Übersetzen bezeichnet man das sofortige und laute Übersetzen eines vorgelegten Textes. Das Vom-Blatt-Dolmetschen ist eine Variante zu dieser Übung, bei der die zu übersetzende vorgelegte Textfassung von einem Redner verlesen wird. In der ersten Variante bestimmt der Dolmetscher den Rhythmus. In der zweiten Variante muss er sich nach dem Redebzw. Lesefluss des Redners richten. Auge und Ohr müssen daher koordiniert arbeiten. Diese Techniken kommen bei internationalen Konferenzen immer häufiger zum Einsatz und sind im Rahmen internationaler Gerichtsverhandlungen die Regel. Sie sind unentbehrlich im Rahmen von Vertragsverhandlungen oder Einsätzen beim Notar. In beiden Varianten sollte der Dolmetscher von einer minimalen Vorbereitungszeit ausgehen. Im Rahmen einer Gerichtsverhandlung, einer polizeilichen Vernehmung oder einer Vertragsverhandlung wird dem Dolmetscher häufig ein Text zur sofortigen mündlichen Übersetzung überreicht. Es kann sich dabei um einfache Briefe oder um Vernehmungsprotokolle, Anklageschriften, Anträge, Verträge, notarielle Urkunden etc. handeln. Die Zuhörer erwarten eine fließende, sofort verwertbare Übersetzung. Der Dolmetscher muss den Sinn einer Mitteilung exakt wiedergeben können, ohne durch die Form blockiert zu werden. 40 Die Übersetzung sollte so fließend sein wie das Vorlesen in der Originalsprache. Die drei Etappen, die bei den Vorleseübungen definiert wurden, finden hier Anwendung: ▶ Sinn mit den Augen erfassen ▶ Während des Hochschauens: Loslösen von den „Worthülsen“ der Ausgangssprache (Entverbalisieren) 41 ▶ Sinn mit den „Worthülsen“ der Zielsprachen „bekleiden“ und dann erst sprechen Idealerweise sollten die Zuhörer den Übersetzungsvorgang nicht mehr wahrnehmen. Die folgenden Übungen sollen beim Erwerb dieser wichtigen Fertigkeit helfen. 3.2 Übungen zum Erwerb der Fertigkeit des Vom-Blatt-Übersetzens 3.2.1 Übung 1: In drei Progressionsstufen 3.2.1.1 Stufe 1: Inhaltsangabe in Ausgangs- und Zielsprache ohne Vorbereitungszeit Setting: Allein-Übung, Gruppenübung mit oder ohne Dozent Material: Aufnahmegerät, unterschiedliche Pressetexte mit steigendem Schwierigkeitsgrad 40 Seleskovitch / Lederer (2002) 205 ff. 41 Seleskovitch (1975) 7 f. 54 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Übungszweck: ▶ Aneignung des Translationsprozesses: ▶ Erfassen des Sinns (Verstehen) ▶ Deverbalisieren (Verarbeiten) ▶ Neu formulieren (Vortragen) Ausführung und Empfehlung Zur Allein-Übung bzw. Gruppenübung wird ein Text aus der Tagespresse gewählt, der keine besonderen Schwierigkeiten hinsichtlich des Wortschatzes (keine Fachtermini) oder der Syntax (keine Schachtelsätze) bietet. Die Nachricht wird zuerst leise gelesen. Der Übende sollte sich dabei auf die Struktur konzentrieren und diese möglichst „vor seinem geistigen Auge“ visualisieren. Er sollte dabei primär den Sinn des Textinhaltes hinterfragen: „Was will der Autor mitteilen? “ Für das nachstehende Beispiel 42 sollte keine Vorbereitung nötig sein. Es handelt sich um Wortschatz aus dem täglichen Leben. Die Sätze sind weder zu lang noch zu umständlich formuliert. Die Informationsinhalte sind einfach zu visualisieren. 42 Quelle: http: / / www.welt.de/ reise/ article1862578/ Gepaeck_aus_Heathrow_wird_in_Italien_sortiert. html (letzter Zugriff: 10. 04. 2017). FLUGHAFEN-CHAOS 02. 04. 2008 Gepäck aus Heathrow wird in Italien sortiert Das Chaos am Londoner Flughafen Heathrow ist endgültig perfekt: Ein Teil der Koffer, die am neuen Terminal 5 liegen geblieben waren, sollen nun von italienischen Gepäcksortierern geordnet werden - und zwar tatsächlich in Italien. Tausende Gepäckstücke befinden sich auf dem Weg nach Mailand. Eine Kurierfirma aus Mailand soll das Koffer-Chaos, das am Londoner Flughafen Heathrow bei der Eröffnung des Terminals 5 am 27. März entstanden ist, beheben. Das Unternehmen soll die liegen gebliebenen Gepäckstücke sortieren und zu deren Besitzern transportieren, die schon seit Tagen auf ihre Koffer warten. Wenn der Koffer nicht mitgereist ist, geht das Ärgernis los Die Mehrzahl der gestrandeten Gepäckstücke werde in Heathrow sortiert. „Aber für Koffer mit einer Adresse auf dem europäischen Festland geht es schneller, wenn sie zum Sortieren nach Mailand gebracht werden. Dies ist ein branchenübliches Verfahren", sagte ein Sprecher der British Airways der BBC . Insgesamt waren an der neuen Abfertigungshalle nach britischen Medienangaben rund 30.000 Gepäckstücke liegen geblieben, weil die als hochmodern und effektiv gepriesene Gepäckbeförderungsanlage kurz nach der Eröffnung am vergangenen Donnerstag versagte. British Airways sah sich dadurch gezwungen, Hunderte Flüge zu streichen. Tausende Passagiere 55 3 Modul Vom-Blatt-Übersetzen bzw. -Dolmetschen Nach Einschalten des Aufnahmegeräts wird der Inhalt in der Ausgangsprache und gleich danach in der Zielsprache wiedergegeben. Selbstbewertung Tonaufnahme abspielen und folgende Fragen stellen: ▶ Wurden alle Informationsteile korrekt und vollständig wiedergegeben? ▶ Gab es Übersetzungsschwierigkeiten? ▶ Wie war die Kommunikation: Stimme, Rhythmus, Atem? Gruppenbewertung Nach dem Abspielen der Aufnahme und nachdem der Vortragende die eigenen Eindrücke mitgeteilt hat, beantworten Gruppenteilnehmer folgende Fragen zur Leistungsbewertung: Fragen zur Rhetorik: ▶ War der Vortrag (die Verdolmetschung) überzeugend? ▶ Wie war die Atmung? (ruhig? gehetzt? ) ▶ Wie war der Sprechrhythmus? (fließend? abgehackt? ) ▶ War die Stimme moduliert, angemessen projiziert? ▶ Wie war die Haltung (Körpersprache)? ▶ Wie war die Gestik im Bereich des Oberkörpers? (Hin- und Herschaukeln, Verschränken der Arme sind verpönt.) ▶ Wie war der Blickkontakt? ▶ Waren Anfang und Schluss eindeutig? Fragen zur Wortgewandtheit: ▶ Wie war die Wortwahl? ▶ Waren die Fachtermini korrekt? Fragen zum visualisierenden Gedächtnis ▶ War die Struktur logisch? ▶ War die gewählte Reihenfolge schlüssig? ▶ Verdolmetschung korrekt, logisch, vollständig? waren von dem Chaos betroffen. Etliche Fluggäste stellte die Gesellschaft vor die Alternative, entweder auf die Mitnahme ihrer Koffer oder ganz auf ihre Flugreise zu verzichten. (…) 56 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen 3.2.1.2 Stufe 2: Verdolmetschung Einer der Teilnehmer liest den ganzen Text zuerst nur mit den Augen. Nach Abdecken des Artikels trägt er dessen Inhalt laut vor. Als Gegenprobe gibt ein weiterer Teilnehmer die Information, wie er sie verstanden hat, in einer anderen Sprache wieder. Bewertung Zuerst erfolgt die Selbstbewertung durch die beiden Teilnehmer, wobei der Dozent Folgendes fragen kann: ▶ Wie haben Sie sich bei der Übung gefühlt? ▶ Haben Sie den Text wirklich verstanden? ▶ Haben Sie Schwierigkeiten gespürt? Wenn ja, welche? Mögliche Antworten des Teilnehmers: „Ich war sehr nervös, die Namen waren zu kompliziert.“, „Die Zahlen konnte ich nicht behalten.“, „Die Logik der Argumentation war mir nicht klar.“ etc. Dem zweiten Teilnehmer (Dolmetscher) werden dieselben Fragen zur Selbstbewertung gestellt. Zusätzlich bittet ihn der Dozent um eine konstruktive Bewertung des ersten Teilnehmers (Redner): ▶ Was war bei dem Vortrag positiv (Kommunikation, d. h. Artikulation, Modulation, Augenkontakt, Gestik, Logik, Terminologie etc.)? ▶ Hatten Sie Schwierigkeiten mit dem Vortrag? Wenn ja, welche? Mögliche Antwort des Dolmetschers: Lautstärke, Geschwindigkeit etc. Gruppenbewertung Danach kann die Bewertung der beiden Teilnehmer durch die Gruppe erfolgen. Fragen des Dozenten: ▶ Wie haben Sie beide Leistungen empfunden? ▶ Sind Sie als Publikum überzeugt? ▶ Was war positiv? ▶ Was sollte geändert werden? Mögliche Antworten: „Die Kommunikation war korrekt.“, „Die Struktur war logisch.“ etc. Diese Art von Übungen sollen mit den unterschiedlichsten Texten so lange wiederholt werden, bis die Teilnehmer sich voll auf die Wiedergabe des Sinnes konzentrieren und nicht mehr an den Wörtern der Ausgangssprache kleben. 43 43 Seleskovitch / Lederer (2002) 207 ff. 57 3 Modul Vom-Blatt-Übersetzen bzw. -Dolmetschen 3.2.1.3 Stufe 3: Vom-Blatt-Übersetzen der so verinnerlichten Texte Ausführung und Empfehlung Die so gründlich bearbeiteten Texte werden nun vom Blatt übersetzt, wobei die oben definierten Spielregeln genau eingehalten werden. ▶ Nur lautlos lesen, indem sich der Dolmetscher auf die Sinneseinheiten konzentriert-- so oft wie nötig darf hinuntergeschaut werden, insbesondere wegen Zahlen oder Eigennamen. ▶ Hochschauen, wobei die jeweilige Sinneseinheit verarbeitet und sich zu eigen gemacht (assimiliert) wird. ▶ Sprechen, wobei die „Worthülsen“ der Zielsprache gewählt werden. Empfehlung: Nicht Wort für Wort vorgehen, sondern ganze Zeilen mit einem Blick erfassen. Der Blick soll wandern. Bitte von Sinneseinheiten und nicht von Sätzen ausgehen. Die Übung so lange wiederholen, bis sie vollkommen beherrscht wird. 3.2.2 Übung 2: Vom-Blatt-Übersetzen nach kurzem Überfliegen 44 des Textes Diese Übung ist täglich allein durchzuführen. Fünf Minuten pro Sprache sollten zunächst reichen. Jeder Dolmetschunterricht sollte grundsätzlich das Vom-Blatt-Übersetzen beinhalten. Setting: Allein-Übung, Gruppenübung mit oder ohne Dozent Material: Aufnahmegerät, unterschiedliche Pressetexte mit steigendem Schwierigkeitsgrad, Zeitmesser. Allein oder in der Gruppe ist so oft wie möglich ein Tonaufnahmegerät oder besser eine Videokamera zur objektiven Bewertung einzusetzen. Zahlreiche Artikel mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad können von der Internetseite vieler Presseorgane zu Übungszwecken leicht heruntergeladen werden. Übungszweck: ▶ Aneignung des Translationsprozesses ▶ Erfassen des Sinns (Verstehen) ▶ Deverbalisieren (Verarbeiten) ▶ Neu formulieren (Vortragen) ▶ Vorbereitung auf Praxisverhältnisse Ausführung und Empfehlung Bitte den nachstehenden Artikel eine Minute lang (Zeitmesser einschalten) überfliegen. Wegen der Kürze der Vorbereitungszeit sollte keine Vorübersetzung versucht werden. Vorrangig sollte man sich auf den Sinn des Textes konzentrieren. 44 Eine Minute pro 20 Normzeilen à 50 Schriftzeichen. 58 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen OSNABRÜCKER NACHRICHTEN , 31. 03. 2008-01: 46 Kambodschanischer Journalist Dith Pran gestorben Sein Bericht über die Roten Khmer wurde durch den Film «Killing Fields» berühmt The Associated Press New York ( AP ) Dith Pran, dessen erschütternde Schilderungen über die Schreckensherrschaft der Roten Khmer durch den Film «The Killing Fields» weltbekannt wurden, ist tot. Er starb in New York an Bauchspeicheldrüsenkrebs, wie sein früherer Kollege bei der «New York Times», Sydney Schanberg, am Sonntag bestätigte. Dith war 65 Jahre alt. Dith arbeitete 1975 als Dolmetscher für Schanberg, als der Vietnamkrieg endete und in Kambodscha die Roten Khmer an die Macht kamen. Schanberg half seinem Freund, dessen Familie aus dem Land zu bringen. Er musste Dith aber zurücklassen, als die Hauptstadt Phnom Penh an die Roten Khmer fiel - Dith entkam erst viereinhalb Jahre später nach einer unglaublichen Odyssee durch die Todeslager der Roten Khmer. Als Bauer verkleidet überlebte Dith die Terrorherrschaft. Er selbst prägte den Begriff «Killing Fields» für die riesigen Massengräber, die er sah. Das Regime von Pol Pot wird für den Massenmord an fast zwei Millionen der sieben Millionen Kambodschaner verantwortlich gemacht. Während tausende erschossen wurden, weil sie Zeichen von Intellekt oder westlichem Einfluss - dafür reichte eine Brille oder Armbanduhr - zeigten, überlebte Dith, indem er sich als ungebildeter Bauer verkleidete. Er musste in den Feldern arbeiten und bekam meist nicht mehr als eine Handvoll Reis zu essen. Dith arbeitete später als Fotograf für die «New York Times». Über seine Erlebnisse schrieb Schanberg zunächst den Artikel «Der Tod und das Leben des Dith Pran». Daraus entstand ein Buch, das Vorlage für den britischen Film «The Killing Fields» wurde, der 1984 erschien und ein internationaler Erfolg wurde. Dith war Botschafter des guten Willens des UN -Flüchtlingskommissars. Er gründete das Dith Pran Holocaust Awareness Project, um über die Geschichte der Roten Khmer und ihrer Terrorherrschaft zu informieren. [Nachricht: 20080330 APD 7228.xml] Die oben beschriebene Vorgehensweise ist hier anzuwenden: ▶ Nur mit den Augen, lautlos lesen, indem man sich auf die Sinneseinheiten konzentriert-- so oft wie nötig darf hinuntergeschaut werden, insbesondere wegen Zahlen oder Eigennamen. ▶ Hochschauen, wobei die jeweilige Sinneseinheit verarbeitet und zu eigen gemacht (assimiliert) wird. ▶ Sprechen, wobei die „Worthülsen“ der Zielsprache gewählt werden. Empfehlung: Nicht Wort für Wort vorgehen, sondern ganze Zeilen mit einem Blick erfassen. Der Blick soll wandern. Bitte von Sinneseinheiten und nicht von Sätzen ausgehen. 59 3 Modul Vom-Blatt-Übersetzen bzw. -Dolmetschen Selbstbewertung Tonaufnahme abspielen und folgende Fragen stellen: ▶ Gab es Übersetzungsschwierigkeiten? ▶ Wie war die Kommunikation: Stimme, Rhythmus, Atem? Gruppenbewertung Nach Abspielen der Aufnahme und nachdem der Vortragende die eigenen Eindrücke mitgeteilt hat, beantworten Gruppenteilnehmer folgende Fragen zur Leistungsbewertung: Fragen zur Kommunikation: ▶ War die Verdolmetschung überzeugend? ▶ Wie war die Atmung? (ruhig? gehetzt? ) ▶ Wie war der Sprechrhythmus? (fließend? abgehackt? ) ▶ War die Stimme moduliert, angemessen projiziert? ▶ Wie war die Haltung (Körpersprache)? ▶ Wie war die Gestik im Bereich des Oberkörpers? (Hin- und Herschaukeln, Verschränken der Arme sollen vermieden werden.) ▶ Wie war der Blickkontakt? ▶ Waren Anfang und Schluss eindeutig? ▶ Wurde die Dolmetschetikette eingehalten? Fragen zur Translationsleistung: ▶ Wie war die Wortwahl? (Zu wörtlich? Angemessene Sprachebene? ) ▶ Waren die Fachtermini korrekt? ▶ Entsprach die Übersetzung den sprachlichen und kulturellen Konventionen der Zielsprache? ▶ Gab es Auslassungen? 3.2.3 Übung 3: Vom-Blatt-Übersetzen von vorbereiteten Fachtexten Sobald diese besondere Technik beherrscht wird, müssen die Teilnehmer Gelegenheit haben, Texte vorzubereiten und sie dann allein und in der Gruppe vom Blatt zu übersetzen. Beim Vom-Blatt-Übersetzen bzw. -Dolmetschen kann der Dolmetscher das Publikum nicht warten lassen. Die Übersetzung muss fließend sein. In der Praxis wird vom Dolmetscher die zuverlässige und spontane Beherrschung eines Grundvokabulars aus polizeilichen bzw. gerichtlichen Presseberichten erwartet, aber bei den ersten Übungen sollte von Urkunden und juristischen Texten Abstand genommen werden. Setting: Allein-Übung, Gruppenübung, Arbeit mit oder ohne Dozent 60 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Zweifacher Übungszweck: Einerseits wird Vom-Blatt-Übersetzen geübt und andererseits das gängige Fachvokabular als Grundlage für zukünftige Einsätze und als Vorbereitung auf juristisches Übersetzen gelernt. Neues Phantombild nach Überfall auf Geldtransport Im Zusammenhang mit einem im August 2006 in Mahlsdorf erschossenen Geldtransporteur wendet sich die Berliner Polizei mit der Veröffentlichung eines weiteren Phantombildes an die Bevölkerung. Für sachdienliche Hinweise ist eine Belohnung von bis zu 35.000 Euro ausgesetzt. Der 40-Jährige und ein Kollege wollten am Freitag, den 11. August, gegen 1.50 Uhr die Geldautomaten einer Sparkassen-Filiale am Hultschiner Damm im Bezirk Marzahn-Hellersdorf auffüllen. Vor der Bank wurden die beiden von zwei oder drei bewaffneten Räubern abgepasst, die sofort das Feuer eröffneten. Der Wachmann erlag noch vor Ort seinen schweren Verletzungen, sein Kollege und ein weiterer Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, der im Geldtransporter vor der Bank gewartet hatte, blieben unverletzt. Die Räuber flüchteten mit ihrer Beute in einem zuvor gestohlenen schwarzen Audi A6 Avant. Die Veröffentlichung von zwei Phantombildern des Fluchtwagenfahrers sowie des vermeintlichen Todesschützen durch die Berliner Polizei erbrachte zwar eine hohe Anzahl von Hinweisen, eine heiße Spur war jedoch nicht dabei. Über die veröffentlichten Bilder des Fluchtautos, an dem sich zur Tatzeit die entwendeten Kennzeichen B-DJ 2061 befanden, konnte ein Hinweisgeber ermittelt werden, der dieses Fahrzeug am Tag vor und in der Nacht nach der Tat im Bereich Schonensche / Trelleborger Straße in Pankow gesehen haben will. Als Pkw-Führer habe er den auf dem damaligen Phantombild abgebildeten Fahrer des Fluchtwagens wiedererkannt, der sich in Begleitung eines zweiten Mannes befunden habe. Bei diesem Mann, von dem mit Hilfe des Zeugen das nunmehr dritte Phantombild gefertigt wurde, muss es sich nicht zwangsläufig um einen der Täter handeln. Er kann auch eine unbeteiligte Kontaktperson sein. Der Gesuchte ist vermutlich Deutscher, etwa 30 Jahre alt, 1,70 bis 1,75 Meter groß und hat eine normale bis sportliche Figur. Er hat sehr ausgeprägte Tränensäcke unter den Augen und trug damals kurze, dunkle Haare. Die Kriminalpolizei fragt: Wer kennt den auf dem Phantombild abgebildeten Mann, der vermutlich einen Bezug zur Wohngegend Schonensche / Trelleborger / Wisbyer Straße hat? Wer hat den schwarzen Audi A6 Avant mit dem Kennzeichen B-DJ 2061 zwischen Mittwoch, den 9., und Sonnabend, den 12. August 2006, im entsprechenden Bereich in Pankow oder an anderen Stellen der Stadt gesehen? Wer kann sonst sachdienliche Hinweise geben? Für Hinweise, die zur Aufklärung führen, ist nach wie vor eine Belohnung in Höhe von bis zu 35.000 Euro ausgesetzt. Hinweise, die auf Wunsch vertraulich behandelt werden können, nimmt das 1. Raubkommissariat des Landeskriminalamtes, LKA 441, am Tempelhofer Damm 12 unter den Telefonnummern 030 / 4664-944101 per Fax 030 / 4664-944199, per E-mail: lka441@ polizei.verwalt-berlin.de oder jede andere Polizeidienststelle entgegen. 45 45 Quelle: http: / / www.welt.de/ berlin/ article1141021/ Neues_Phantombild_nach_Ueberfall_auf_ Geldtransport_.html (letzter Zugriff: 10. 04. 2017). 61 3 Modul Vom-Blatt-Übersetzen bzw. -Dolmetschen Ausführung und Empfehlungen Allein-Übung und Gruppenübung sind in zwei unterschiedliche Phasen unterteilt: das Vorbereitungsverfahren und die eigentliche Translationsleistung. Vorbereitung eines vom Blatt zu übersetzenden Textes (den Text bis zum Ende lesen): ▶ Was ist der Inhalt? ▶ Fachbegriffe markieren ▶ Fachbegriffe entschlüsseln ▶ Paralleltexte heranziehen ▶ Für Institutionen und Straftaten sind die geeigneten Stellen der entsprechenden Gesetzesbücher zum Vergleich heranzuziehen. Presseberichte in der Zielsprache sind ebenfalls hilfreich. Auf dieser Grundlage werden dann: ▶ Fachwortliste angefertigt ▶ Lösungen für schwer zu übersetzende Stellen am Textrand notiert. Dann erst: ▶ Versuch der Vom-Blatt-Übersetzung, bis das Ergebnis fließend wie im Original vorgelesen wirkt. Gruppenübung und -bewertung Der so gründlich vorbereitete Text wird dann in der Gruppe vom Blatt übersetzt. Das Vom- Blatt-Übersetzen wird so lange geübt, bis die Übersetzung wie ein eigener Vortrag wirkt. Zur Bewertung wird die Tonaufnahme zu Hilfe genommen. 3.2.4 Übung 4: Nach Erfahrung mit der Konsekutiv- und Simultantechnik Setting: Gruppenübung mit und ohne Dozent Material: Aufnahmegerät, Zeitmesser, Artikel aus der Presse mit polizeilichem bzw. gerichtlichem Inhalt, die nach vorausgegangenen Übungen keine Vorbereitung mehr erfordern sollten. Übungszweck: Die Verdolmetschung soll die Kommunikation und den Rhythmus beim Vom-Blatt-Übersetzen auf die Probe stellen. Aufgabenbeschreibung und Empfehlungen Ein Teilnehmer überfliegt den ausgewählten Text eine Minute lang. Er nimmt die Übersetzung vom Blatt vor, während andere Teilnehmer für die Konsekutivverdolmetschung notieren. Nach Abschluss der Vom-Blatt-Übersetzung erfolgt dann die konsekutive Verdolmetschung derselben. Falls Dozenten im Tandem 46 arbeiten, kann ein anderer Teilnehmer simultan flüstern. 46 Beschreibung des Tandemunterrichts in der Einleitung. 62 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Selbstbewertung und Gruppenbewertung Vom-Blatt-Übersetzer und Konsekutivdolmetscher werden zunächst nach den eigenen Eindrücken und nach eventuellen Schwierigkeiten gefragt. Der Konsekutivdolmetscher wird dann um eine Bewertung der Kommunikationsqualität der Vom-Blatt-Übersetzung gebeten. Haben z. B. der Rhythmus bzw. die Kohärenz des Vortrags seine Verdolmetschung erschwert oder erleichtert? Nach Abspielen der Tonaufnahme wird die Gruppe um Bewertung gebeten. Bei dieser Übung können ebenfalls nach entsprechender Vereinbarung zwei Gruppenmitglieder ihre konstruktive Kritik jeweils zur Vom-Blatt-Übersetzung oder zur konsekutiven Verdolmetschung in der Form von Kurzvorträgen äußern. 3.2.5 Übung 5: Vom-Blatt-Dolmetschen Erst nach zuverlässiger Beherrschung des Vom-Blatt-Übersetzens kann das Vom-Blatt- Dolmetschen eingeführt werden. Diese Technik wird sowohl bei internationalen als auch bei nationalen Gerichten, bei Behörden und Notaren immer häufiger angewendet. Der Dolmetscher muss mit dem Rhythmus des Vorlesers Schritt halten. Setting: Gruppe mit oder ohne Dozent. Material: Aufnahmegerät, zuerst allgemeine Presseberichte. Schwierigkeitsgrad steigern, bis mit gerichtlichen Standardtexten (Anklageschriften, Klageschriften, Anträgen) geübt werden kann. Übungszweck: Kommunikationsqualität beim Vorlesen. Beim Vom-Blatt-Dolmetschen Bewältigung der Angst, mit dem fremden Rhythmus nicht mithalten zu können. Teilung der Aufmerksamkeit als notwendige Fertigkeit für die Simultantechnik. Ausführung und Empfehlungen Ein Gruppenteilnehmer wird gebeten, den Text nach der zuvor geübten Methode vorzulesen. Mit den Augen werden die Sinneseinheiten erfasst, die erst mit Blickkontakt zum Publikum vorgetragen werden. Ein anderer Teilnehmer übersetzt den so vorgelesenen Text, indem er sich darauf konzentriert, seine Aufmerksamkeit zwischen dem geschriebenen und dem oralisierten Text hin und her pendeln zu lassen. Selbstbewertung und Gruppenbewertung Vorleser und Vom-Blatt-Dolmetscher werden zunächst nach den eigenen Eindrücken und nach eventuellen Schwierigkeiten gefragt. Der Vom-Blatt-Dolmetscher wird dann um eine Bewertung der Kommunikationsqualität des Vorgelesenen gebeten. Haben z. B. der Rhythmus bzw. die Kohärenz des Vortrags seine Verdolmetschung erschwert oder erleichtert? 63 3 Modul Vom-Blatt-Übersetzen bzw. -Dolmetschen Nach Abspielen der Tonaufnahme wird die Gruppe um Bewertung gebeten. Bei dieser Übung können ebenfalls nach entsprechender Vereinbarung zwei Gruppenmitglieder ihre konstruktive Kritik zur Vorleseleistung oder Vom-Blatt-Verdolmetschung jeweils in Form von Kurzvorträgen äußern. 3.3 Vorschlag zur Unterrichtsgestaltung Gruppengröße: maximal 12 Teilnehmer Zeitraum: Allein-Übung unentbehrlich; täglich mind. 5 Minuten ▶ Angabe des zu übersetzenden Textinhaltes in Ausgangs- und Zielsprache: mind. 90 Minuten ▶ Inhaltsangaben in Ausgangs- und Zielsprache mit anschließender Vom-Blatt-Übersetzung: mind. 90 Minuten ▶ Vom-Blatt-Übersetzen nach kurzem Überfliegen des Textes: mind. 90 Minuten ▶ Vom-Blatt-Übersetzen von vorbereiteten Texten: mind. 90 Minuten Nach den Modulen zu den Konsekutiv- und Simultantechniken werden Vorschläge zur Einbettung des Vom-Blatt-Übersetzens bzw. -Dolmetschens im Laufe einer Lehrveranstaltung angeboten. Unterrichtsgliederung Einführung (15-20 Minuten): Die Technik des Vom-Blatt-Dolmetschens wird beschrieben und ihre praktische Anwendung erklärt. Übungswechsel (alle 20 Minuten): Um Motivation und Konzentration der Gruppe zu erhalten, sollten die Aufgaben im zwanzigminütigen Rhythmus variiert werden. Vor jeder Aufgabe ist genau zu erklären (ca. 5 Minuten), welche Fertigkeiten geübt werden sollen und inwiefern diese Fertigkeiten zum Erwerb der Technik beitragen. Ebenfalls im Vorfeld sollten genaue Empfehlungen gegeben werden. Ausführung (max. 3 Minuten): Die Ausführung sollte dann nicht länger als 3 Minuten dauern. Alle Teilnehmer sind aktiv zu beteiligen, entweder als Übende oder als Bewerter. Bewertung (max. 5 Minuten): Vor der möglichst kurz zu haltenden Bewertung sollte der Dozent immer wieder betonen, dass eine professionelle Zusammenarbeit wie in einer Werkstatt angestrebt wird. Nicht der Übende sondern das Übungsprodukt soll dabei konstruktiv bewertet werden. Die Übenden sollten immer als erste über ihre Eindrücke befragt werden, damit die Gruppenmitglieder die eigenen Schwierigkeiten wie im Spiegel wahrnehmen können. Danach dürfen auch sie sich äußern. Ausschließlich die klar angekündigte zu übende Fertigkeit ist zu bewerten. Wenn der Schwerpunkt auf den korrekten Redefluss oder Redegewandtheit gelegt wird, sollten z. B. Grammatikfehler in der Arbeitssprache nur nebenbei erwähnt werden. 64 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Kritik sollte nie pauschal formuliert werden. Aussagen wie „Es ist schlecht! “ oder „exzellent! “ sind nicht zielführend. Der Dozent sollte Kritikpunkte oder immer wiederkehrende Fehler genau angeben und eine Verbesserung mit Übungsvorschlag anbieten. Jeder Fortschritt sollte lobend erwähnt werden. 3.4 Zur Vertiefung Lambert, Sylvie, 2004. Shared Attention during Sight Translation, Sight Interpretation and Simultaneous Interpretation. Meta, 49 (2, June 2004), 1-12. Laplace, Colette, 1998. La traduction à vue dans la formation de l’interprète de conférence : principes théoriques et approche didactique. T&T, Terminologie et Traduction, la revue des services linguistiques des institutions européennes, (2), 275-302. Spilka, Irène, 1966. La traduction à vue instrument de formation. Meta : Journal des traducteurs / Meta Tanslators’ journal, 11 (2), 43-45. In diesem Modul erzielte Kompetenz Es erfolgte die Aneignung von zwei Techniken, die für das Gerichtsdolmetschen unentbehrlich sind und die auch in anderen Dolmetschsituationen immer unentbehrlicher werden. Die Teilnehmer sollten konsequent bis zur Verfestigung des Translationsvorganges üben: ▶ Erfassung des Sinns mit den Augen, ▶ Konzeptualisierung, ▶ Neuformulierung als essentielle Vorbereitung auf die Simultantechnik, ▶ Aneigung der immer wiederkehrenden Fachtermini durch die Textvorbereitung. 65 4 Modul Konsekutivdolmetschen ohne und mit Notizen 4 Modul Konsekutivdolmetschen ohne und mit Notizen 4.1 Definition und Besonderheiten vor Gericht Konsekutivdolmetschen ist die Wiedergabe einer Aussage oder Mitteilung beliebiger Länge, nachdem diese zu Ende gesprochen wurde. Je nach Mitteilungslänge wird diese Dolmetschtechnik mit oder ohne Notizen eingesetzt. Im gerichtlichen und behördlichen Umfeld findet diese Technik sowohl bei Dialogen (Vernehmungen) in der Form des so genannten bilateralen Dolmetschens als auch bei einsprachigen Dialogen und Vorträgen (Beachtung des Rechtes zu einer Aussage im Zusammenhang) Anwendung. Entscheidend bleibt die Gewährleistung einer treuen, unaufdringlichen Verdolmetschung. Der natürliche Redefluss des Sprechers darf dabei nicht aufgrund der Unzulänglichkeit des Dolmetschers unterbrochen werden. Anders als bei Fachrednern sind die Aussagen zwar häufig emotional und wenig strukturiert, was die konsekutive Verdolmetschung sicherlich erschwert, jedoch müssen selbst temperamentvolle Redner Luft holen. Diese kurze Zeit kann vom Dolmetscher genutzt werden. Da inländische Gerichte leider selten über Simultandolmetschanlagen verfügen, wird das Konsekutivdolmetschen in allen Kommunikationssituationen eingesetzt, bei denen Gericht und Öffentlichkeit Aussageninhalte der gerichtssprachunkundigen Angeklagten, Zeugen bzw. Sachverständigen in besagter Gerichtssprache aufnehmen müssen. Anders als bei wirtschaftlichen oder technischen Konferenzen sind bei gerichtlichen und polizeilichen Vernehmungen Körpersprache und Stimme (mit allen Merkmalen) Teil des Aussageninhalts. Aus diesem Grunde wird der durch die Konsekutivverdolmetschung entstehenden zeitlichen Verschiebung von den Vernehmenden oft mit Ungeduld bzw. Misstrauen begegnet, so dass die Dauer der Konsekutivverdolmetschung vor Gericht und bei Behörden mit nur geringfügigen Abweichungen selten vier Minuten 47 überschreiten kann. 4.2 Psychische Voraussetzungen Beim Konsekutivdolmetschen zählt zuerst das Gedächtnis, dann das Gedächtnis und wieder das Gedächtnis- … und erst zuletzt die Notizentechnik. Essentielle Voraussetzungen sind daher: ▶ Konzentration ▶ Aufmerksamkeit ▶ Gedächtnis 47 Diese Zeit von vier Minuten kann jedoch bei der Verdolmetschung von Berichten Sachverständiger überschritten werden, z. B. beim Dolmetschen der Befragung eines ausländischen Sachverständigen über einen Obduktionsbericht, bei dem jede Verletzung ohne Unterbrechung analysiert werden sollte. 66 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Ohne Konzentration lässt die Aufmerksamkeit nach, und ohne Aufmerksamkeit kann nichts ins Gedächtnis gelangen. Diese Voraussetzungen sind jedoch durch stetiges Üben- - insbesondere durch Dolmetschübungen-- leicht zu verbessern. 4.3 Fertigkeit: Konsekutivdolmetschen ohne Notizen Die ersten Dolmetschübungen befassten sich mit dem Konsekutivdolmetschen ohne Notizen. Diese Technik, die im Rahmen der Übungen zur Kommunikationskompetenz und zum Vom- Blatt-Übersetzen als Zusatzvariante eingeführt wurde, bleibt als Gedächtnistraining unentbehrlich. Sie schult das für das Dolmetschen notwendige intelligente Zuhören: Visualisieren der Aussage und Verfolgen des roten Fadens. Das Vertrauen in das eigene Gedächtnis ist auch entscheidend für die Entwicklung eines effizienten Notationssystems. 4.3.1 Übung 1: Dolmetschen von vorgetragenen Bildbeschreibungen Siehe oben unter 2.4.1 „Arbeit mit Bildern“ (Beschreibung von Personen, von Gegenständen, von Räumen, von Szenen). 4.3.2 Übung 2: Dolmetschen von Kurzvorträgen Siehe oben unter 2.4.2 „Arbeit mit Textinhalten“ (Presseberichte, Biographien, vorgelesene Texte). 4.3.3 Übung 3: Arbeit mit Ton- und Videoaufnahmen Übungen mit Ton- und Videomedien sollten erst nach sicherer Beherrschung der bereits beschriebenen „live“-Übungen eingeführt werden. Setting: Allein-Übung, Gruppenübung mit und ohne Dozent. Material: Videocasts von Informationssendungen 48 eignen sich besonders gut für solche Übungen, da sie sich automatisch aktualisieren. Wegen der Akustik und der ausschließlichen Tonübertragung ist der Einsatz von Podcasts im Gruppenraum weniger geeignet. Für beide Medien ist besonderer Wert auf eine hohe Tonqualität zu legen. Übungszweck: Gedächtnisübung mit folgenden Schwerpunkten: ▶ Lernen, den „roten Faden“ vor dem geistigen Auge zu visualisieren und zu projizieren. Nur zu diesem Zweck konzentrieren sich die Übenden ganz besonders auf die Reihenfolge der verschiedenen Kurzinformationen. ▶ Lernen, mit einem fremden, meist ungünstigen Sprechrhythmus stressfrei umzugehen. ▶ Lernen, im Zweifelsfall auf den eigenen Informationsstand zurückzugreifen. 48 Beispielsweise Tagesschau in 100 Sek. http: / / www.tagesschau.de/ (letzter Zugriff: 10. 03. 2017). 67 4 Modul Konsekutivdolmetschen ohne und mit Notizen Ausführung und Empfehlung Die Gruppenmitglieder werden eindeutig darüber informiert, dass sie sich vorwiegend auf die Nachrichtenfolge und auf deren Gliederung konzentrieren sollen. Ziel dieser Übung ist eine sinngetreue Wiedergabe der Nachrichten, wobei nicht genau bekannte Fachtermini umschrieben werden dürfen. Bei Zahlen reicht die Größenordnung. Ein Auszug von zwei Minuten der Tagesschau des Vortages wird nach der Anweisung ein einziges Mal abgespielt. Ein Gruppenmitglied trägt dessen Inhalt zuerst in der Ausgangssprache vor. Bei den nächsten Übungsabschnitten sollte gleich in der Zielsprache vorgetragen werden. Bewertungskriterien In der Eigenübung wie in der Gruppenübung stehen die Gedächtnisleistung und das Visualisieren der Gliederung im Vordergrund. Folgende Fragen sollten daher sowohl bei der Selbstbewertung als auch im Rahmen der Gruppenarbeit gestellt werden: ▶ Wurden alle Nachrichten wiedergegeben? ▶ Wurden alle vorgetragenen Nachrichten richtig verstanden? ▶ Wurden alle Nachrichten in der richtigen Reihenfolge wiedergegeben? ▶ Wurden die Fachtermini korrekt übertragen bzw. umschrieben? ▶ Waren die Zahlen bzw. Größenordnungen korrekt? ▶ Selbstverständlich darf die Aufnahme zur Bewertung wieder abgespielt werden. 4.4 Fertigkeit: Notizentechnik für die gerichtliche Kommunikation Die Einführung in die Notizentechnik kommt erst in Betracht, nachdem Inhalte von ca. zwei Minuten mühelos ohne Notizen gedolmetscht werden können. Von den bekannten Methoden 49 zur Notizentechnik ausgehend werden hier Grundlagen erarbeitet, die die Besonderheiten der gerichtlichen Kommunikation besonders berücksichtigen. 4.4.1 Inhalt und Art der Notizen Offensichtlich kann nicht alles Gehörte notiert werden. Geht man davon aus, dass die Redegeschwindigkeit 120 bis 220 Wörter pro Minute beträgt 50 und die Schreibgeschwindigkeit dagegen etwa 20 bis 40 Wörter pro Minute umfasst, dann müssen die für die Verdolmetschung absolut relevanten Begriffe (als Gedanken, Ideen, Sinn) systematisch selektiert werden. Wörter und Stil sind zu verkürzen. Die geeignete Notizentechnik beruht auf keiner magischen Schrift und keiner Stenografie; sie soll lediglich „Krücken“ oder „Eselsbrücken“ für das Gedächtnis anbieten. 49 Herbert (1952), Rozan (1979), Seleskovitch (1976), Matyssek (2005) etc. 50 Seleskovitch / Lederer (2002) 25. 68 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Sieben Notationsgrundsätze 51 haben sich unbestritten bewährt und sind mit den hier angegebenen geringfügigen Nuancen auch für das Gerichts- und Behördendolmetschen anwendbar: ▶ Sinnesinhalt notieren ▶ Abkürzungssystem (Abkürzungen, Zeichen, Symbole) einsetzen.- - Bei Gericht und Behörden spielen jedoch Fachtermini (Benennungen) eine wesentliche Rolle; daher ist diese Empfehlung gründlich anzuwenden. Wegen der meist kurzen Dolmetschzeitabschnitte bei Gericht und Behörden ist die Angabe der Konjugationszeiten und -modi oder der Mehrzahl überflüssig. ▶ Gedankenübergänge werden markiert und betont (horizontale Trennungsstriche, Verbindungswörter oder -zeichen am Rande).-- Beim Gerichts- und Behördendolmetschen sind die zu dolmetschenden Abschnitte wesentlich kürzer als bei den politischen und wirtschaftlichen Reden der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, als die Notizentechnik erarbeitet wurde, daher reicht der horizontale Trennungsstrich oft aus. ▶ Verneinung ▶ Betonung ▶ vertikal (und nicht linear) notieren ▶ diagonal versetzt. Alle Autoren sind sich darüber einig, dass „Ideen“, „Sinn“ und „Bedeutung“ Vorrang gegenüber Benennungen und Wörtern haben sollten und dass der Sinn aus der Worthülse herausgeschält werden muss. Die Notizenmenge hängt auch von der Textsorte und -länge sowie vom Gedächtnis und Informationsstand des Dolmetschers ab. Je länger und je öfter der Gerichts- und Behördendolmetscher sich mit einem Fall befassen musste, desto weniger wird er notieren müssen. Argumentative Aussagen erfordern im Prinzip weniger Notizen als detaillierte Personen- oder Tatortbeschreibungen bzw. Sachverständigenberichte. In den drei Phasen des Translationsvorganges (Erfassung, Verarbeitung und Formulierung des Sinns) stellen die Notizen die Verarbeitungsphase dar. Aus diesem Grunde sollten Notizen möglichst sprachunabhängig sein. Ansonsten sollte gleich in der Zielsprache notiert werden. Nur terminologische Unsicherheiten werden zur späteren Klärung zunächst in der Ausgangsprache notiert. Auf Rechtschreibung wird ebenso wenig geachtet wie bei SMS -Mitteilungen. 4.4.2 Übungsgestaltung Im Folgenden werden zuerst kürzere Beispiele als in der Praxis gegeben, damit die Schritte deutlicher werden. Die ersten Übungsvorschläge sollen insbesondere Alleinübenden, aber auch Gruppenteilnehmern die zu notierenden Stichpunkte systematisch bewusstwerden lassen. Es handelt sich dabei ▶ um die für den chronologischen bzw. logischen Ablauf (den roten Faden) unentbehrlichen Stichpunkte, 51 Rozan (1979) 13. 69 4 Modul Konsekutivdolmetschen ohne und mit Notizen ▶ um die eindeutigen 52 Elemente, auf die der Sprachcode der Zielsprache einfach anzuwenden ist: Zahlen, geographische Namen, eindeutige Fachbegriffe, und ▶ um bemerkenswerte, spezifische Ausdrücke der Redner (z. B. ungewöhnliche Redewendungen). Die vorgeschlagenen Übungen sehen zwei Etappen vor. Zuerst sollen die Teilnehmer das „Was“, d. h. die zu notierenden Elemente, begreifen. Erst danach werden Vorschläge zum „Wie“, d. h. zur Art der Notizen, angeboten. Setting: Insbesondere Allein-Übung 53 , Gruppenübung mit Dozent. Material: Ein A5-Spiralblock empfiehlt sich. Die Spirale verhindert, dass Blätter sich lösen und den Notierbzw. Dolmetschvorgang stören. Das Format A5 passt überall gut hin. Im Sitzen, im Stehen, sogar im Gehen kann darauf notiert werden. Jedenfalls sollte man bei einem Format bleiben, bei dem Automatismen entwickelt werden können. Bei jedem Format wird anders notiert. Tintenfüller und Bleistifte sind aus offensichtlichen Gründen in einer Stresssituation, also beim Dolmetschen, zu vermeiden. Als Schreibwerkzeug sollte lieber ein zuverlässiger Kugelschreiber o. Ä. gewählt werden. Zur eigenen Beruhigung sollten mindestens zwei davon mitgebracht werden. 4.4.3 Übung 1: Augenmerk: Roter Faden Setting: Allein-Übung, Gruppenübung mit Dozent. Material: Zuerst kürzere Texte aus der Presse vorwiegend mit chronologischem Ablauf und mit kriminalistischen Themen, Farbmarker, Tonaufnahmegerät, Block. Übungszweck: Die vorherrschende Rolle des Gedächtnisses soll bewusst gemacht werden, indem klar wird, dass sinnvoll hervorgehobene Schlüsselbegriffe zum Rekonstruieren des chronologischen bzw. logischen Ablaufs einer Handlung ausreichen. Ausführung und Empfehlung ▶ Nachstehenden Auszug kopieren oder ähnlichen Text aus dem Internet herunterladen. In Allein-Übung oder in der Gruppe: ▶ Artikel lesen und verstehen. ▶ Mit dem Farbmarker nur unverzichtbare Stichworte zur Wiedergabe der Textgliederung markieren. ▶ Diese wenigen Begriffe und Informationen auf einen DIN -A5-Spiralblock-- ggf. unter Benutzung von Abkürzungen-- übertragen, wobei jeder Gedanke vom nächsten durch einen kurzen Strich zu trennen ist. ▶ Bei der Ausführung stets an den Vortrag denken! 52 Monosemisch, vgl. Fußnote 52. 53 Die meisten Weiterbildungsmaßnahmen erforden 2 / 3 Allein-Übungen. 70 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen ▶ Nach Einschalten des Aufnahmegeräts: Verdecken des Textes und mündliche Wiedergabe des Inhaltes in der Zielsprache ausschließlich anhand der auf dem Block notierten Stichpunkte. Mit viel Glück überlebt Überfall auf Wirtsehepaar (XY-Sendung vom 05. April 2017) Tatort: Ein italienisches Restaurant im Stadtteil Lustnau Ein italienisches Restaurant am Stadtrand von Tübingen gerät ins Visier zweier Räuber. Sie kundschaften alles genau aus. Dann schlagen sie gnadenlos zu. Opfer: ein italienisches Ehepaar, das das Lokal im Ortsteil Lustnau seit vielen Jahren betreibt. Die erwachsenen Kinder helfen regelmäßig in der Gaststätte mit. Offensichtlich wissen die Täter, dass das Ehepaar das Lokal meist gegen Mitternacht durch den Hintereingang verlässt. Am Sonntag, dem 2. Oktober 2016 gehen die Wirtsleute später als gewohnt. Gegen Mitternacht sind noch zwei Gäste vorbeigekommen. Und dann unterhalten sie sich noch lange mit dem Vater der Wirtin, der gerade aus Italien zu Besuch ist. Schließlich verlässt auch er das Lokal. Als die Wirtsleute das Lokal gegen 2.40 Uhr durch den Hintereingang verlassen, werden sie von den Tätern brutal mit Holzknüppeln zusammengeschlagen und ausgeraubt. Nach einer Weile kann die Frau sich ins Lokal zurück schleppen und telefonisch Hilfe rufen. Nur mit viel Glück überlebt das Paar den Überfall. Personenbeschreibungen: Der Wortführer wird auf Mitte 30 geschätzt. Er ist auffallend klein, 1,60 bis 1,65 Meter, und soll mit leichtem Akzent gesprochen haben, der aber nicht näher bestimmt werden kann. Der zweite Tatverdächtige ist etwa gleich alt, aber etwas größer, 1,70 bis 1,75 Meter. Er hat sehr kurze Haare, möglicherweise auch einen Ansatz zur Stirnglatze. Geraubte Gegenstände: Die Täter erbeuteten folgende Gegenstände: 5 Kellner-Geldbörsen, eine davon mit einem dicken, grünen Gummi; Banktasche, grün mit Reißverschluss; Tragetüte mit Aufdruck „Chicorée“, schwarz-grün, darin befanden sich die Geldbörsen. Beute (v. l.): fünf solcher Kellnergeldbörsen, Eine grüne Banktasche und eine solche Tragetasche. Frage nach Zeugen: Wer hat rund um den Tatort zwischen Neckar und Nürtinger Straße Beobachtungen gemacht, die mit dem Verbrechen zusammenhängen können? Wer waren die beiden Gäste, die in der Nacht zum 3. Oktober 2016 gegen Mitternacht noch ins Lokal gekommen sind? Sie werden ebenfalls als wichtige Zeugen gesucht. Am 3. Oktober war Feiertag (Tag der Deutschen Einheit). Das Paar wurde auf einen Prosecco eingeladen. 71 4 Modul Konsekutivdolmetschen ohne und mit Notizen Bewertungskriterien Zur Bewertung wird die Aufnahme abgespielt. Geachtet wird besonders auf die Vollständigkeit der Wiedergabe, sinnvolle Trennung der Gedanken und korrekte Ausführung des Translationsvorganges: Sinn erfassen, deverbalisieren, neu formulieren. Zur Erklärung aufgetretener Ungenauigkeiten werden die notierten Stichworte kritisch betrachtet. Sind diese Ungenauigkeiten aus der Stichwortauswahl zu erklären? 4.4.4 Übung 2: Augenmerk: Monosemische Bezeichnungen Die Auseinandersetzung mit dem roten Faden als logischem oder chronologischem Ablauf zeigt sehr bald die Wichtigkeit der eindeutigen Benennungen, d. h. Zahlen, Eigennamen, monosemischer 55 Bezeichnungen, die sich für die Struktur als unentbehrlich erweisen. Setting: insbesondere Allein-Übung, aber auch Gruppenübung Material: Aufnahmegerät. Der obige Text kann auch unter diesem Blickpunkt wiederverwendet werden. Sonst vorwiegend beschreibende Texte aus der Presse, am besten mit kriminalistischen Themen; Farbmarker, Block und Kugelschreiber. Übungszweck: Bewusstwerdung der zur Entlastung des Gedächtnisses zu notierenden Begriffe, die keiner weiteren Bearbeitung als eines Wechsels des linguistischen Codes bedürfen. Ausführung und Empfehlungen ▶ Für die Textgliederung unentbehrliche, eindeutige Bezeichnungen im nachstehenden Text, später in Texten ähnlicher Art farbig markieren. ▶ Markierte Elemente auf dem Spiralblock notieren, indem das Bild gleichzeitig wie bei den Kommunikationsübungen visualisiert wird. ▶ Jeden neuen Gedanken, jede neue Idee von den vorherigen mit einem Strich deutlich und klar trennen. ▶ Aufnahmegerät einschalten und ausschließlich anhand der Notizen laut dolmetschen. 54 Quelle: http: / / www.e110.de/ mit-viel-glueck-ueberlebt/ 55 Monosemie: Eigenschaft einer Bezeichnung, nur einen Begriff zu repräsentieren ( DIN 2342). Beide sollen Anfang 50 gewesen sein, er blond, auf der linken Seite über den Lippen dezenter Leberfleck; sie etwas kräftiger, etwa 1,70 groß, offene blonde Haare. Belohnung: Für Hinweise, die zur Aufklärung des Verbrechens führen, ist eine Belohnung von 2.000 Euro ausgesetzt. 54 72 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Bewertungskriterien Zahlen, Körperteile und Kleidungsstücke mit den angegebenen Merkmalen sollten, genau wie die Fachbegriffe „Tatverdächtiger“, „Phantombild“ und „Ermittlung“, die eindeutig und kontextunabhängig sind, notiert und wiedergegeben worden sein. Mord in Obdachlosenheim: Tatverdächtiger gefasst 56 Berlin (ddp-bln). Neun Tage nach der Tötung eines 65 Jahre alten Mitarbeiters eines Obdachlosenheims in Berlin-Mitte ist am Samstag ein Tatverdächtiger festgenommen worden. Wie Polizei und Staatsanwaltschaft berichteten, wurde der 39-Jährige am Morgen nach intensiver Fahndung im Stadtteil Neukölln gestellt. Gegen den Mann sollte noch im Laufe des Tages Haftbefehl wegen Mordes erlassen werden. Ein Kollege hatte den Leichnam des 65-Jährigen am ersten Weihnachtsfeiertag in einer Toilette der Einrichtung in der Köpenicker Straße entdeckt. Der Wachmann wurde laut Obduktion erstochen. Der Tatverdächtige wohnte den Angaben zufolge bis Anfang Oktober 2008 in dem Heim und wurde aufgrund eines Vorfalls des Hauses verwiesen. Zwischenzeitlich kam er in einer anderen Einrichtung unter. Kriminaltechniker des Landeskriminalamtes werteten Spuren an der Kleidung des Tatverdächtigen aus und konnten diese dem Opfer zuordnen. Hintergrund für die Tat dürfte sein, dass der Mann über das Personal in dem Heim verärgert war, hieß es. Außerdem wurde dem Opfer die Brieftasche geraubt. 04. 01. 2009 Ta 4.4.5 Übung 3: Augenmerk: Ungewöhnliche Ausdrücke Ungewöhnliche Formulierungen sowie beabsichtigte oder unbeabsichtigte Fehler sind für den Dolmetscher schwierige Kommunikationsmerkmale, die auch in diplomatischen Gesprächen oder politischen Reden nicht selten vorkommen. 57 Beim Dolmetschen vor Gericht und Behörden ist eine treue Wiedergabe solcher Merkwürdigkeiten wichtig, da sie für die Bewertung der Persönlichkeit der Angeklagten bzw. Glaubwürdigkeit der Zeugen relevant sein können. Um eine automatische Berichtigung, d. h. Verfälschung während der Verdolmetschung zu vermeiden, sollten sie besser notiert werden. 56 Quelle: e110-- Das Sicherheitsportal. http: / / www.e110.de/ index.cfm? event=page.print&id=39261 (letzter Zugriff: 20. 03. 2017). 57 Einige Politiker benutzen z. B. lieber die Bezeichnung Burma als Myanmar. Eine kurze Anekdote illustriert das Phänomen am besten: Ein deutscher Botschafter in Polen hatte inoffiziell von der Ernennung eines Bischofs zum Kardinal erfahren. Dazu wollte er den frisch Ernannten diskret beglückwünschen und begrüßte ihn herzlich mit „Eminenz“. Mit der Absicht, dem Botschafter eine Blamage zu ersparen, änderte der Dolmetscher die Begrüßung zu „Hochwürden“, der für Bischöfe üblichen Anrede. Dieses bemerkte der Botschafter, der dem Dolmetscher ärgerlich vorwarf, ihm seine subtile Pointe verdorben zu haben. 73 4 Modul Konsekutivdolmetschen ohne und mit Notizen Beispiel: Frage: „Wussten Sie, dass Ihr Bruder an dem Tag anreisen würde? “ Antwort in Französisch : „Abstraitement, je le savais, mais pas matériellement. “ Diese Ausdrucksweise ist im Französischen sehr merkwürdig. Gemeint war im Französischen: „Je m’en doutais bien, mais je n’en étais pas certain.“ Die deutsche Übersetzung wäre dann: „Ich ahnte es, war jedoch dessen nicht sicher.“ Vorzuziehen ist jedoch die Übersetzung: „Abstrakt war es mir schon bekannt, materiell nicht“, da diese Variante die Wirkung des französischen Originals auf eine französische Zielgruppe bewahrt. Die unterstrichenen Begriffe sind in der Ausgangssprache ungewöhnlich, daher ist diese Wirkung in der Zielsprache zu bewahren. Ferner deuten diese Begriffe auf das Bildungsniveau des Antwortenden hin. 4.4.6 Übung 4: Augenmerk: Aufzählungen Aufzählungen sind schwer zu behalten, daher werden sie grundsätzlich notiert. Oft werden sie außerdem schnell gesprochen und erfordern nachträgliche Ergänzungen. Daher sollten sie systematisch vertikal übereinander-- nicht linear-- notiert werden. Setting: Gruppenarbeit Übungszweck: Sensibilisierung für die Notwendigkeit, Aufzählungen zu notieren. Ausführung und Empfehlung Im Folgenden werden nur kurze Beispiele von für Gericht und Behörden typische Aufzählungen angeführt. Diese werden von einem Teilnehmer oder einem Dozenten nach der oben beschriebenen Vorlesemethode vorgetragen. Die Gruppenteilnehmer werden gebeten, die aufgezählten Elemente zu notieren. Das Visualisieren und Notieren dieser Elemente untereinander wird dringend empfohlen. Tafsir reiste per Schiff von Dakar nach Antwerpen und von dort nach Hamburg über Bremen. Flensburg erreichte er dann per Anhalter. 74 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Anderes Beispiel mit Fachbegriffen: Mechanische Wunden: Schnitt- und Stichwunden: Die Entstehung von Schnittwunden- und Stichwunden ereignet sich im Haushalt meist schnell. Meist geschehen sie durch unsachgemäße oder unaufmerksame Verwendung von Scheren, Messern, Gartengeräten, Werkzeugen, Sägen, spitzen und / oder scharfen Gegenständen aus Metall oder Holz. Bei der Entstehung dieser Wunden tritt meist eine stärkere Blutung auf. Die Schnittwunde ist unter dem Blut sichtbar. Wunden durch Stiche sind häufig tiefer, während Wunden durch Schnitte oft länglich sind. Die Wundbehandlung reicht von dem Pflaster bis zum möglichen Nähen der Wunde. Hiebwunden: Diese haben wie die Schnittwunden scharfe Ränder. Ihre Entstehung geschieht meist durch scharfe, schneidende Gegenstände wie Beile, Äxte, Säbel etc. Diese werden mit großer Kraft geführt. Sie dringen meist viel tiefer als bei Schnittwunden. Sie können bis auf den Knochen reichen oder gar ganze Gliedmaßen abtrennen. Bisswunden: Deren Entstehung wird meist durch den Biss eines Hundes, seltener eines anderen Tieres verursacht. Hier besteht erhöhte Infektionsgefahr durch den Speichel bzw. die Sekrete oder Gifte des Tieres. Das Muster der Verletzung ähnelt der Stichwunde. Diese Wunden können unterschiedlich tief oder groß sein. Je nach Gebiss des Tieres kann es sich um eine oberflächliche Wunde handeln bis hin zur Abtrennung eines Gliedes. Durch große, flache Zähne kommt es eher zu Quetschwunden. Ergänzend zur Wundbehandlung erhält der Betroffenen i. d. R. eine Tetanus-Impfung. Schusswunden: Hier handelt es sich um Wunden durch Schusswaffen. Die Wunden können je nach Waffe klein sein, aber sie können sehr tief gehen. 58 Nachdem die Teilnehmer mit den oben vorgeschlagenen Übungen konfrontiert worden sind, werden sie leicht davon zu überzeugen sein, eine effiziente und systematische Abkürzungsmethode für ihre Notizen zu entwickeln. 4.4.7 Selektiv und zeitsparend notieren Da die zu dolmetschenden Aussagen oder Vorträge selten eine Dauer von vier Minuten überschreiten, kann der Gerichtsdolmetscher sich stärker auf sein Gedächtnis verlassen. Daher ist das systematische Notieren von Tempus und Numerus für Gerichts- und Behördendolmetschen nicht notwendig. Diese Angaben werden deswegen bei den Notizen nicht berücksichtigt. Für kürzere Dolmetschzeiten reichen folgende Elemente aus: 58 Quelle: http: / / www.wundbehandlung.info/ entstehung/ (letzter Zugriff: 23. 03. 2017). 75 4 Modul Konsekutivdolmetschen ohne und mit Notizen ▶ Schlüsselgedanken zum roten Faden (können durch jedes der nachstehenden Elemente ausgedrückt werden) ▶ relevante eindeutige Begriffe bzw. Benennungen 59 ▶ Zahlen ▶ Eigennamen ▶ Benennungen (Fachtermini) ▶ Aufzählungen ▶ ungewöhnliche Ausdrücke 4.4.7.1 Begriffe in Notizen zeitsparend verkürzen Zur Entwicklung eines individuellen zeitsparenden Systems werden Abkürzungen und Symbole benutzt. Der angehende Dolmetscher muss dabei durch Üben und Selbsttesten seine spontanen und persönlichen Vorlieben herausarbeiten. Dieselben Abkürzungen, Zeichen und Symbole sollten für alle Zielsprachen eines Dolmetschers gleichermaßen gelten. 4.4.7.2 Systematische Benutzung von existierenden Abkürzungen und Symbolen bei eindeutigen Benennungen Der Alltag und das berufliche Leben versorgen uns mehr denn je-- nicht zuletzt dank der SMS -Sprache-- mit einer Vielzahl von für die Notizen geläufigen Abkürzungen und Akronymen, auf die unbedingt zurückgegriffen werden sollte. Beispiele für allgemein bekannte Kürzel und Zeichen für eindeutige Begriffe und Fachtermini sind: Allgemeine Abkürzungen PKW , LKW , SMS , TÜV usw. Medizin AvD (Arzt von Dienst), EKG , EEG , HBV (Hepatitis-B-Virus), HIV usw. Justiz und Behörden St GB , ZPO , U-Haft, BAS t (Bundesanstalt für Straßenwesen) usw. Ein im deutschen Sprachraum viel benutztes Zeichen um Juristisches zu symbolisieren ist das Paragrafenzeichen: §. 59 Begriff: eine Denkeinheit, die aus einer Menge von Gegenständen unter Ermittlung der diesen Gegenständen gemeinsamen Eigenschaften mittels Abstraktion gebildet wird (DIN 2342); Benennung: sprachliche Bezeichnung eines Allgemeinbegriffes in der Fachsprache, auch Fachausdruck oder Terminus genannt ( DIN 2342). 76 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Staaten Abkürzungen aus den Internetadressen bzw. Autokennzeichen: D oder De für Deutschland, CN für China, CL für Chile usw. Geläufige Zeichen für Abstrakta = Idee der Gleichheit: auch, gleich, desgleichen, da ≠ Idee des Gegenteils: dagegen, Gegensatz, Gegenteil ± Idee der Approximation (mehr oder weniger) Geläufige Symbole für Emotionen Dazu gehören die mittlerweile jedem Internetbenutzer bekannten „Smileys“, die beliebig erweitert und variiert werden können. Symbol der Freude, Zufriedenheit: Traurigkeit, Bedauern: Furcht: 4.4.7.3 Von Dolmetschern entwickeltes System von Abkürzungen, Zeichen und Symbolen Seit der Zeit, in der längere Reden ausschließlich konsekutiv gedolmetscht wurden, haben sich nach vielen Generationen von Konferenzdolmetschern Grundsätze herauskristallisiert, die so einleuchtend sind, dass sie sich durchgesetzt haben und auch in allen Standardwerken zur Notizentechnik zum Konsekutivdolmetschen aufgeführt werden. Im Folgenden werden sie kurz vorgestellt. 77 4 Modul Konsekutivdolmetschen ohne und mit Notizen Das Datum vereinfachend notieren Hier sollte man, sofern eindeutig, möglichst zwei Zahlen anstatt vier notieren, also ’98 für 1998, ’04 für 2004 usw. Abkürzungssystematik Falls keine offiziellen Abkürzungen oder Zeichen bekannt sind, bietet sich Jean-François Rozans 60 System an: maximal vier Anfangsbuchstaben und die höher gestellte Endung. Durch diese Vorgehensweise werden spätere Verwechslungen vermieden. Die Endungen können sogar vereinfacht werden. Beispiele aus dem juristischen und behördlichen Kontext sind: ▶ Überwachungskamera-= Üb kam ▶ Personenbeschreibung-= Pers bbung ▶ Gerichtsdolmetschen-= G Dol ▶ Ermittlung-= Ermit ung Zeichen und Symbole In einem Notizensystem erfüllen Symbole und Zeichen dieselbe platz- und zeitsparende Funktion. Der angehende Dolmetscher sollte während der Dolmetschübungen nach und nach feststellen, wann er besser mit einem Symbol, einer Abkürzung oder gar mit dem ausgeschriebenen Wort zurechtkommt. Notizen sind individuell zu entwickeln: Niemals sollten Symbollisten wie stenografische Zeichen memoriert werden. Im Folgenden werden nur wenige Beispiele als Anregung vorgeschlagen. Bejahung, Verneinung und Betonung Viele Dolmetscher streichen das zu Verneinende einfach durch: Betonung kann durch unterschiedliches Unterstreichen nuanciert werden: ▶ sehr betont ▶ oder ziemlich betont 60 Rozan (1956). 78 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Symbole des Ausdrucks Die Idee des Denkens (im Kopf, im Sinn haben) kann mit dem Doppelpunkt ausgedrückt werden: : Das Anführungszeichen als Idee des Aussprechens (sagen, behaupten, erklären): „ oder < (als Schnabel) Der Diskus als Idee des Diskutierens (debattieren, Auseinandersetzung etc.): ◉ Pfeile Pfeile sind sehr ausdrucksvoll und werden von Dolmetschern viel benutzt: Idee von Steigung, Erhöhung: Idee von Senken, Abnehmen: Idee von Aufwärtsentwicklung: Idee von Spannung: 79 4 Modul Konsekutivdolmetschen ohne und mit Notizen Symbole für Menschen und Gebäude 61 Ein kleiner Kreis symbolisiert den Menschen (Kopf): Ein Dach symbolisisert ein Gebäude, eine Einrichtung: Kombination von Symbolen Der Paragraph kann für Gericht, Justiz usw. benutzt werden und der kleine Kreis für eine Person. Je nach Kontext könnte damit der Jurist, der Richter ausgedrückt werden: Symbole aus der Geopolitik Ein Land kann durch ein Quadrat symbolisiert werden: Das Symbol kann günstig mit anderen Symbolen oder Zeichen kombiniert werden; z. B. Einfuhren: Mit dem großen „D“ wird auf Deutschland hingedeutet. So kann die Einwanderung nach Deutschland symbolisiert werden: 61 Nachstehende Symbole nach Matyssek (1989). 80 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Besonders zeitsparende Lösungen für Kontinente: Europa: Nord-, Mittel- und Osteuropa: Nach demselben Prinzip können Afrika, Amerika, Asien und Australien dargestellt werden: Symbole für Tätigkeitsgebiete Gericht: § Polizei, Polizist: Politik, Politiker: Finanzen: 81 4 Modul Konsekutivdolmetschen ohne und mit Notizen Wirtschaft, Umwelt: Wichtig ist das Kombinieren von möglichst wenigen, jedoch immer eindeutigen Symbolen und Zeichen. Symbole werden nicht nur mit anderen Symbolen, sondern auch mit Abkürzungen oder mit ganzen Wörtern kombiniert. Systematisches Beispiel für das Symbol der Arbeit Damit könnten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer wie folgt symbolisiert werden: Arbeitslosigkeit: 4.4.8 Notizenentwicklung anhand von Texten als Notlösung für Alleinübende Leider genügt es nicht, das Prinzip der Notizentechnik zu begreifen. Es muss einige Zeit intensiv geübt werden, bis die notwendigen Automatismen verinnerlicht werden können. Im regulären Dolmetschunterricht geschieht dies durch tägliches Üben leichter. In diesem traditionellen Rahmen kann der Dozent vom Idealfall ausgehen und zum Üben ausschließlich mündliche Vorträge einsetzen. Weiterbildungsprogramme verfügen leider nicht über so viele Präsenzstunden in der Gruppe, daher ist die Allein-Übung dringend notwendig. Aus diesem Grunde werden im Folgenden Anregungen zum Alleinüben gegeben, die für die Gestaltung der eigenen Notizentechnik zuerst von schriftlichen Texten ausgehen. Vier unterschiedlich schwere Übungstexte 82 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen werden dazu als Beispiele angeboten. Wichtig ist es, die eigenen Vorlieben in Bezug auf eindeutiges und effizientes Notieren herauszufinden. 4.4.9 Übung 1: Allgemeinbildung Der erste Übungstext aus dem allgemeinbildenden Bereich wurde wegen seiner logischen Struktur, seiner zahlreichen eindeutigen Begriffe und Aufzählungen gewählt. Er ist lang genug, um auch abschnittweise behandelt zu werden. 62 Quelle: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Helsinki (letzter Zugriff: 17. 03. 2017). Helsinki 62 Die Stadt Helsinki (schwed. Helsingfors) wurde am 12. Juni 1550 auf Befehl des schwedischen Königs Gustav I. Wasa gegründet. Ursprünglich befand sich die Stadt an der Mündung des Flusses Vantaanjoki. Der schwedische Name Helsingfors leitet sich von einer Stromschnelle (schwed. fors) am Unterlauf des Vantaanjoki ab, der damals noch Helsinge å genannt wurde. Das Gebiet des ursprünglichen Helsinki heißt noch heute Vanhakaupunki („Altstadt“), obwohl von der ursprünglichen Stadt nichts mehr erhalten ist. Die Einwohnerschaft Helsinkis bestand aus Bürgern der Städte Porvoo, Ekenäs, Rauma und Ulvila, die sich auf Anweisung des Königs in der neugegründeten Stadt niederlassen mussten. Helsinki wurde gegründet, um einen Konkurrenzhafen zur Hansestadt Tallinn (Reval) auf der anderen Seite des Finnischen Meerbusens zu schaffen. Nur wenig später, im Jahr 1561, eroberte Schweden im Livländischen Krieg aber Tallinn, was Helsinkis weitere Entwicklung hemmte. Zudem war die Lage des Hafens am Ende einer flachen und klippenreichen Bucht für große Segelschiffe ungünstig. Daher wurde Helsinki 1640 unter der Leitung des Generalgouverneurs Per Brahe rund fünf Kilometer näher an das offene Meer an die Stelle des heutigen Stadtzentrums verlegt. Die alte Stadt an der Mündung des Vantaanjoki wurde aufgegeben. Das Erstarken des Russischen Reiches und die Gründung der Stadt Sankt Petersburg im Jahr 1703 hatten maßgeblichen Einfluss auf Helsinki. Der Große Nordische Krieg zwischen Schweden und Russland traf die Stadt schwer. Zunächst fiel ein großer Teil der Bevölkerung 1710 einer Pestepidemie zum Opfer, dann wurde Helsinki 1713 von der eigenen Armee beim Rückzug niedergebrannt. Von 1713 bis 1721 sowie erneut während des Russisch-Schwedischen Krieges 1741-1743 stand Helsinki unter russischer Besatzung. Nachdem Schweden im Frieden von Turku die Festung Hamina an Russland hatte abtreten müssen, wurde 1748 als Schutz für die Ostgrenze Schwedens vor der Küste Helsinkis die Seefestung Sveaborg (heute finn. Suomenlinna) errichtet. Russische Herrschaft Am 2. März 1808 wurde Helsinki während des Russisch-Schwedischen Krieges von russischen Truppen erobert. Dabei wurde es durch eine Feuersbrunst abermals fast völlig zerstört. Als Resultat des verlorenen Krieges musste Schweden 1809 ganz Finnland an Russland abtreten. 83 4 Modul Konsekutivdolmetschen ohne und mit Notizen Die Hauptstadt des neugegründeten Großfürstentums Finnland war anfangs Turku, die bis dahin größte und bedeutendste Stadt des Landes. Aus Sicht von Zar Alexander I. war Turku aber zu weit von Sankt Petersburg entfernt, weshalb er am 8. April 1812 per Dekret Helsinki zur neuen Hauptstadt bestimmte. Die Stadt war zu diesem Zeitpunkt mit rund 4.000 Einwohnern eher unbedeutend. Der deutsche Architekt Carl Ludwig Engel wurde damit beauftragt, das durch den Stadtbrand zerstörte Helsinki als repräsentative Hauptstadt neu aufzubauen. So entstand das klassizistische Zentrum rund um den Senatsplatz. Die umliegenden Stadtviertel bestanden aus meist einstöckigen Holzhäusern, von denen heute nur noch einige vereinzelte erhalten sind. Seit 1819 war Helsinki Sitz des finnischen Senats und damit endgültig Hauptstadt des Großfürstentums. Nach dem großen Stadtbrand von Turku im Jahr 1827 wurde auch die Akademie zu Turku, damals die einzige Universität Finnlands, nach Helsinki verlegt und 1828 in die Universität Helsinki umgewandelt. Im Zuge der Industrialisierung wuchs Helsinki in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stark. Die Eisenbahnverbindungen nach Hämeenlinna und Sankt Petersburg entstanden 1862 und 1870. Kurz nach der Jahrhundertwende überstieg Helsinkis Einwohnerzahl 100.000. In Stadtteilen wie Katajanokka, Kruununhaka und Eira wurden zahlreiche neue Wohnhäuser im Jugendstil erbaut. Seit der Erlangung der Unabhängigkeit Als Finnland am 6. Dezember 1917 die Souveränität erlangte, wurde Helsinki zur Hauptstadt des neuen Staates. Im bald darauf ausgebrochenen finnischen Bürgerkrieg brachten die Roten Garden die Stadt am 28. Januar 1918 unter ihre Kontrolle, die bürgerliche Regierung flüchtete nach Vaasa. Im April griffen deutsche Truppen zur Unterstützung der Weißen in das Kriegsgeschehen ein und eroberten Helsinki nach zweitägigen Kämpfen am 13. April 1918. Anders als in Tampere richtete der Bürgerkrieg in Helsinki relativ wenig Schaden an. Nachdem der Krieg zu Gunsten der bürgerlichen Weißen entschieden worden war, wurden auf der Insel Suomenlinna rund 10.000 Anhänger der Roten interniert, von denen ca. 1.500 verhungerten oder an Krankheiten starben. Im Zweiten Weltkrieg war Helsinki mehreren Großbombardements durch die sowjetische Luftwaffe ausgesetzt. Im Vergleich zu anderen europäischen Städten blieben die Schäden aber relativ gering, was nicht zuletzt einer effizienten Luftabwehr zu verdanken war. Helsinki sollte ursprünglich die Olympischen Sommerspiele 1940 ausrichten. Für die Spiele wurden zahlreiche funktionalistische Bauten wie das Olympiastadion oder das Kulturzentrum Lasipalatsi errichtet. Die Spiele mussten aber wegen des Krieges abgesagt werden. Als Ersatz erhielt Helsinki die Olympischen Sommerspiele 1952. 1975 fand in der Finlandia-Halle in Helsinki die erste Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ( KSZE ) statt, die zu einer Annäherung von Ostblock- und Westblockstaaten führte. (…) Die Wirtschaft Finnlands ist untrennbar mit der Region Helsinki verbunden, die ungefähr ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes der Volkswirtschaft erwirtschaftet. Mit der Börse Helsinki 84 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Ausführung Bitte kopieren Sie den vorangehenden Übungstext. Nachdem Sie ihn überflogen haben, markieren Sie: ▶ mit Rot: die für die Gliederung wichtigsten Begriffe, ▶ mit Gelb: die eindeutigen Begriffe bzw. Benennungen (Zahlen, Eigennamen, Fachbegriffe), ▶ mit Grün: die Aufzählungen. Notieren Sie auf einen A5-Schreibblock in der Zielsprache und der Ihnen am günstigsten erscheinenden Form (Abkürzungen, Symbole oder ganze Wörter): ▶ die für die Gliederung wichtigen Elemente, wobei die einzelnen Gedanken mit einem kleinen Strich zu trennen sind, ▶ die eindeutigen Begriffe und Benennungen (Zahlen, Eigennamen, Fachbegriffe, ungewöhnliche Formulierungen), ▶ die Aufzählungen (untereinander). Legen Sie bitte den Text zur Seite, schalten Sie das Aufnahmegerät ein und versuchen den Text anhand Ihrer Notizen in der Zielsprache wiederzugeben. und zahlreichen Banken ist Helsinki Zentrum des Finanzlebens in Finnland. Als Rückgrat der Wirtschaft von Helsinki können heute die Informationstechnologie und der Finanzsektor gelten. Die Wirtschaft von Helsinki hat sich schrittweise von der Industrie entfernt und beruht heute hauptsächlich auf dem Dienstleistungssektor. Die meisten finnischen Konzerne und die regionalen Abteilungen von internationalen Konzernen haben ihre Hauptquartiere im Großraum Helsinki, hauptsächlich wegen der internationalen Verbindungen, dem Logistik-Netzwerk und der Verfügbarkeit von Arbeitskräften. Allerdings haben sich einige der bedeutendsten Unternehmen, darunter zum Beispiel Nokia, in der Nachbarstadt Espoo angesiedelt. Zu den wichtigsten in Helsinki selbst ansässigen Konzernen gehören der Telekom-Dienstleister Elisa, die Medienkonzerne Otava und Sanoma sowie im Handelswesen die Einzelhändler Kesko, HOK -Elanto sowie die Warenhauskette Stockmann. Während der Mitte des 20. Jahrhunderts konnte Helsinki als wichtigster Industriestandort Finnlands gelten, doch zwischen 1960 und 1980 halbierte sich die Anzahl der Arbeitsplätze im Industriesektor. Übriggeblieben sind aber noch unter anderem die Aker-Finnyards-Werft in Hietalahti, die Arabia-Keramikfabrik und die ABB -Werke in Pitäjänmäki. Jedes Jahr im Oktober findet im Zentrum Helsinkis der traditionelle Strömlingsmarkt statt. 85 4 Modul Konsekutivdolmetschen ohne und mit Notizen Selbstbewertung Vergleichen Sie den markierten Text mit Ihrem auf Tonträger aufgenommenen Vortrag: ▶ War die Wiedergabe vollständig? ▶ War die Struktur korrekt? ▶ Konnten die Abkürzungen oder Symbole mühelos entziffert werden? ▶ Waren Ihre Abkürzungen, Symbole oder Zeichen zuverlässig? ▶ Ziehen Sie Abkürzungen oder Symbole vor? 4.4.10 Übung 2: Behördliche Inhalte Der zweite Übungstext ist ein gerichtlicher bzw. polizeilicher Fachtext, der auch wegen seiner visualisierbaren Struktur und seiner zahlreichen fachtypischen Beispiele von eindeutigen Benennungen, Begriffen und Aufzählungen gewählt wurde. 63 http: / / www.welt.de/ print-welt/ article419788/ Deutscher_Buergermeister_stuerzt_ueber_Nigeria_Mail. html (letzter Zugriff: 15. 03. 2017). Deutscher Bürgermeister stürzt über Nigeria-Mail 63 Hilferuf aus Afrika entpuppt sich als finanzielle Falle - US -Geheimdienst warnt vor groß angelegtem Betrug „Dies ist ein Hilferuf“: Der Titel der E-mail klingt dramatisch, der Verfasser ist ein Unbekannter mit einem afrikanisch klingenden Namen, und der Text des Briefes verspricht „risikofrei“ rund eine Million Dollar Gewinn. Dazu müsse er lediglich Mister „Ogbodube Johnson“ kurzfristig sein Konto für eine Transaktion zur Verfügung stellen. Eine E-mail, bei der wohl jeder sofort auf „löschen“ klicken würde? Jeder natürlich, der nicht zu den Hunderten von Opfern gehört, die sich Jahr für Jahr auf das ausgefeilte System der Betrüger einlassen. Schätzungen von US -Regierungsstellen zufolge verdienen die meist aus Nigeria stammenden Täter mit der Leichtgläubigkeit ihrer Adressaten jährlich mehrere Millionen Dollar. Allein in Deutschland listet das Bundeskriminalamt (BKA) für das vergangene Jahr einen Gesamtschaden von 1,6 Mio. Euro auf, und im sonst so beschaulichen Westfalen hat die Verheißung des schnellen Geldes sogar einen Bürgermeister zu Fall gebracht. Trotz dieser Ereignisse, trotz vieler Warnungen, und trotz einiger Festnahmen Anfang Oktober ebbt die Welle der „geschäftlichen Angebote“ nicht ab. Jede Woche sollen rund 30 000 solcher E-mails an Firmen und private Empfänger verschickt werden, seit die so genannte „Nigeria Connection“ sich vor rund zwei Jahren vom Fax- und Briefpapier auf das Internet verlegt hat. Die Masche der Bauernfänger ist dabei seit 1988 stets die gleiche geblieben: der Verfasser bittet den Empfänger, ihm zu helfen, große Geldbeträge aus einem afrikanischen Land ins Ausland zu schaffen. Oft geben die Betrüger an, Ex-Minister, Regierungsberater oder Mitglieder großer afrikanischer Familien zu sein: „Ich bin der älteste Sohn von Adugbam David Ogbodube, 86 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Ausführung Nachdem Sie den nachstehenden Übungstext überflogen haben, kopieren Sie ihn und markieren dann: ▶ mit Rot: die für die Gliederung wichtigsten Begriffe, ▶ mit Gelb: die eindeutigen Begriffe und Benennungen (Zahlen, Eigennamen, Fachbegriffe), ▶ mit Grün: die Aufzählungen. Auf einen A5-Schreibblock notieren Sie in der Zielsprache und der Ihnen günstig erscheinenden Form (Abkürzungen, Symbole oder ganze Wörter): ▶ die Gliederung, wobei die einzelnen Gedanken mit einem kleinen Strich voneinander zu trennen sind, ▶ die eindeutigen Begriffe (Zahlen, Eigennamen, Fachbegriffe, ungewöhnliche Formulierungen), ▶ die Aufzählungen (untereinander). einer der bekanntesten schwarzen Farmer in Simbabwe, der kürzlich bei Landstreitigkeiten getötet wurde“, heißt es in einem aktuellen Rundschreiben. Dies ist nur eine Variante, die so genannte „Simbabwe Mitleidsnummer“, wie das australische Betroffenen-Forum www.internet-fraud.com auf seiner Website den „neuesten Trend“ nennt. Angeblich sucht der Sohn des getöteten Farmers Asyl in den Niederlanden, wo er aber kein Konto eröffnen dürfe, um das Geld seines Vaters aus Simbabwe nach Europa zu schaffen. Andere Variationen des ausgeklügelten Systems handeln von durch den Islam verfolgten Christen oder von einem tot aufgefundenen Ausländer, an dessen Geld der Schreiber mit Hilfe des Empfängers gelangen will. Sobald der Fisch angebissen hat, wagen die Betrüger US -Geheimdienstinformationen zufolge weitere Schritte: Sie senden täuschend echte „offizielle“ Dokumente, bitten um Blanko-Briefpapier des Empfängers, und verlangen schließlich hohe Vorauszahlungen für Anwaltskosten, Gebühren oder Bestechungsgelder, um die fiktiven Geldsummen aus Afrika nach Übersee überweisen zu können. Im münsterländischen Ennigerloh ist sogar die Stadtverwaltung auf solch ominöse Dokumente der „Bank of Nigeria“ hereingefallen. Die Stadt überwies einem 70 Jahre alten westfälischen Sozialhilfeempfänger 145 000 Euro, um ihm den Zugang zu seinem angeblich in Nigeria geparkten Vermögen von 34 Mio. Euro zu ermöglichen. Nach Erhalt des Geldes tauchte der Rentner in Afrika unter und hinterließ ein politisches Trümmerfeld. Bürgermeister Hans-Ulrich Brinkmann ( SPD ) wurde im Mai abgewählt und muss sich nach Angaben des Münsteraner Oberstaatsanwaltes Wolfgang Schweer Anfang nächsten Jahres wegen „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ vor Gericht verantworten - zusammen mit drei weiteren Mitarbeitern. 87 4 Modul Konsekutivdolmetschen ohne und mit Notizen Legen Sie bitte den Text zur Seite, schalten Sie das Aufnahmegerät ein und versuchen Sie, den Text anhand Ihrer Notizen in der Zielsprache wiederzugeben. Selbstbewertung Vergleichen Sie bitte den markierten Text mit Ihrem auf Tonträger aufgenommenen Vortrag: ▶ War die Wiedergabe vollständig? ▶ Konnten die Abkürzungen oder Symbole mühelos entziffert werden? ▶ Gab es Schwierigkeiten? Welche? 4.4.11 Übung 3: Mischtext Umgangssprache und Gerichtssprache Der dritte Übungstext ist ein Text der Umgangssprache, jedoch mit zahlreichen Begriffen aus der Polizei- und Gerichtssprache, der auch wegen seiner visualisierbaren Struktur und seiner zahlreichen fachtypischen Beispiele an eindeutigen Begriffen und Aufzählungen gewählt wurde. 64 Quelle: -- e110-- Das Sicherheitsportal http: / / www.e110.de/ 60268-2 (letzter Zugriff: 12. 03. 2017). „Car-Jacking“ und „Car-Napping“ - Brutaler Autoklau 64 Diese Methode des Autoraubs kommt ursprünglich aus Südafrika. „Schlüssel her oder du bist tot! “ In den besten Gegenden und am helllichten Tag werden Halter von Fahrzeugen der gehobenen Klasse an Tankstellen oder beim Anhalten an Ampeln überfallen. Blitzschnell machen sich die Täter den steckenden Schlüssel zunutze oder erpressen die Herausgabe mit Waffengewalt. Ein erschreckendes Beispiel Berlin, Juli 2013: Mit vorgehaltener Pistole bedroht ein junger Mann den Besitzer eines BMW - Cabrios, als dieser gerade eine Kleingartenkolonie verlassen will. Der überraschte Fahrer erkennt sofort den Ernst der Lage und händigt dem Räuber seinen Schlüssel aus. Der Car- Napper zerrt den Mann aus dem Wagen, setzt sich hinters Steuer und rast mit dem Fahrzeug davon. Doch in diesem Fall kommt er nicht weit: Bereits nach einer halben Stunde entdeckt die Polizei den Wagen auf dem Parkplatz eines Supermarkts. Hier gelingt es ihr auch, den Räuber festzunehmen. „Car-Napping“ - die „softe“ Version „Car-Jacking“-Fällen in Deutschland sind bislang (glücklicherweise) nur relativ selten dokumentiert. Dafür hat sich bei uns eine vergleichsweise „harmlosere“ Version des kriminellen Phänomens entwickelt, die fast immer nach dem gleichen Prinzip funktioniert: Jemand lockt Sie aus dem Auto, lenkt Sie ab und ein Komplize fährt in aller Ruhe dank Ihres steckenden Zündschlüssels davon. 88 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Ausführung Nachdem Sie den vorstehenden Übungstext überflogen haben, kopieren Sie ihn und markieren dann: ▶ mit Rot die für die Gliederung wichtigsten Begriffe, ▶ mit Gelb die eindeutigen Begriffe (Zahlen, Eigennamen, Fachbegriffe), ▶ mit Grün, die Aufzählungen. Auf einen A5-Schreibblock notieren Sie in der Zielsprache und der Ihnen günstig erscheinenden Form (Abkürzungen, Symbole oder ganze Wörter): ▶ die Gliederung, wobei die einzelnen Gedanken mit einem kleinen Strich voneinander zu trennen sind, ▶ die eindeutigen Begriffe (Zahlen, Eigennamen, Fachbegriffe, ungewöhnliche Formulierungen), ▶ die Aufzählungen (untereinander). Hierzulande ist die Gefahr, den brutalen Methoden des Autoklaus zum Opfer zu fallen, noch nicht so groß. Dennoch ist es im Ernstfall hilfreich, vorbereitet zu sein: Zentralverriegelung aktivieren Wenn Sie sich in einer brenzligen Situation befinden, betätigen Sie von innen die Türverriegelungen, idealerweise die Zentralverriegelung. Moderne Autos übernehmen diese Schutzmaßnahme automatisch. Nicht zum Aussteigen provozieren lassen Wenn ein Fremder Sie auf einen Schaden aufmerksam macht - zum Beispiel defektes Licht - ist das noch kein Grund auszusteigen. Bedanken Sie sich für den Hinweis und sehen Sie später nach. Achtung beim Halten Immer wenn der Motor noch läuft oder der Zündschlüssel steckt: Verlassen Sie nicht Ihren Wagen. Ein Fremder braucht nur loszufahren. Schlüssel abziehen Wenn Sie aussteigen wollen oder müssen, ziehen Sie den Schlüssel ab. Erst dann wird eine eventuelle Wegfahrsperre oder Alarmanlage aktiviert. Besondere Vorsicht in der Garage Bequem gelangen Unbefugte durch das offene Tor in eine Garage. Achten Sie beim Einfahren auf verdächtige Personen. Keine Gegenwehr Stellen Sie sich einem mit Ihrem Auto wegfahrenden Kriminellen niemals in den Weg. Die Gefahr ist groß, dass er sie kaltblütig überfährt. 89 4 Modul Konsekutivdolmetschen ohne und mit Notizen Legen Sie bitte den Text zur Seite, schalten Sie das Aufnahmegerät ein und versuchen Sie, den Text anhand Ihrer Notizen in einer anderen Sprache wiederzugeben. Selbstbewertung Vergleichen Sie bitte den markierten Text mit Ihrem auf Tonträger aufgenommenen Vortrag. ▶ War die Wiedergabe vollständig? ▶ Konnten die Abkürzungen oder Symbole mühelos entziffert werden? ▶ Gab es Schwierigkeiten? ▶ Welche? 4.4.12 Übung 4: Internationale Politik Der vierte Übungstext aus dem Gebiet der internationalen Politik und Verwaltung wurde wegen seiner logischen Struktur, seiner zahlreichen Beispiele von eindeutigen Benennungen und Begriffen gewählt, für die Abkürzungen entwickelt werden sollten. Ausführung Nachdem Sie den nachstehenden Übungstext überflogen haben, kopieren Sie ihn und markieren dann: ▶ mit Rot die für die Gliederung wichtigsten Begriffe, ▶ mit Gelb: die eindeutigen Begriffe und Benennungen (Zahlen, Eigennamen, Fachtermini), ▶ mit Grün: die Aufzählungen. Auf einen A5-Schreibblock notieren Sie in der Zielsprache und der Ihnen günstig erscheinenden Form (Abkürzungen, Symbole oder ganze Wörter): ▶ die Gliederung, wobei die einzelnen Gedanken mit einem kleinen Strich voneinander zu trennen sind, ▶ die eindeutigen Begriffe und Benennungen (Zahlen, Eigennamen, Fachbegriffe, ungewöhnliche Formulierungen), ▶ die Aufzählungen (untereinander). Legen Sie bitte den Text zur Seite, schalten Sie das Aufnahmegerät ein und versuchen Sie, den Text anhand Ihrer Notizen in einer anderen Sprache wiederzugeben. 90 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen 65 Auswärtiges Amt, Der Auswärtige Dienst: Aufgaben. http: / / www.auswaertiges-amt.de/ DE/ AAmt/ Ausw- Dienst/ Aufgaben_node.html (letzter Zugriff: 20. 03. 2017). Aufgaben des Auswärtigen Dienstes 65 Pflege und Förderung der auswärtigen Beziehungen Das Auswärtige Amt ist zuständig für die Pflege der Beziehungen zu anderen Staaten sowie zu den zwischen- und überstaatlichen Organisationen. Diese Aufgabe ist nach Art. 32 Grundgesetz Sache des Bundes. Kompetenz, Auftrag, Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise des Auswärtigen Dienstes sowie die auslandsspezifischen Rechtsverhältnisse der Beschäftigten und ihrer Familien sind in dem Gesetz über den Auswärtigen Dienst vom 30. August 1990 geregelt. Zur Pflege und Förderung der auswärtigen Beziehungen gehören u. a. folgende Felder: ▶ Politik ▶ Wirtschaft ▶ Kultur ▶ Presse und Öffentlichkeitsarbeit ▶ Wissenschaft und Technologie ▶ Entwicklungszusammenarbeit ▶ Konsular- und Völkerrecht ▶ Umwelt und Soziales Angesichts aktueller Entwicklungen sieht sich der Auswärtige Dienst ständig vor neuen Aufgaben etwa bei der Konfliktprävention, der Nord-Süd-Zusammenarbeit und der Zusammenarbeit mit den Transformationsländern in Mittel- und Osteuropa. Von laufend wachsender Bedeutung ist die Mitarbeit in der Europäischen Union und internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, der NATO oder der OSZE . „Unternehmen” für Politikgestaltung, … Der Auswärtige Dienst muss dabei zahlreiche, auch divergierende Interessen bündeln und zusammenführen. Mit seiner Querschnittsfunktion ermöglicht das Auswärtige Amt damit die praktische Koordinierung der vielen Fachpositionen und Einzelperspektiven zu einer geschlossenen deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Dienstleistungen, … Der Auswärtige Dienst versteht sich neben seiner Funktion als Gestalter der Außenpolitik als Dienstleister für die Bürgerinnen und Bürger, die deutsche Wirtschaft, das deutsche Kulturleben und für Parlamentarier und Regierungsvertreter aller Ebenen. Sein Dienstleistungsangebot ist für den Auswärtigen Dienst neben der klassischen Diplomatie zu seiner zweiten, tragenden Säule geworden: Es macht heute gut die Hälfte seiner Aktivitäten aus. So steht das Auswärtige Amt als modernes und aufgeschlossenes Dienstleistungsunternehmen weltweit seiner “Kundschaft” mit seinem Know-how und seinen Kontakten mit Rat und Tat zur Seite. Im Vordergrund stehen dabei die Rechts- und Konsulardienste, die u. a. wegen des lebhaften deutschen Auslandstourismus stetig wachsen. 91 4 Modul Konsekutivdolmetschen ohne und mit Notizen Selbstbewertung Vergleichen Sie bitte den markierten Text mit Ihrem auf Tonträger aufgenommenen Vortrag: ▶ Gab es Schwierigkeiten? Welche? ▶ War die Wiedergabe vollständig? ▶ War die Struktur korrekt? ▶ Konnten die Abkürzungen oder Symbole mühelos entziffert werden? Das hier angebotene Verfahren kann in der Praxis als Vorbreitungsmethode für rechtzeitig angekündigte Einsätze benutzt werden. Die eventuell zur Verfügung gestellten Unterlagen für einen neuen Auftrag können in dieser Weise gründlich vorbereitet werden. 4.4.13 Übung 5: Benutzung von oralisierten Texten Die nächste Stufe der Verfestigung des Notizensystems wird durch das Konsekutivdolmetschen oralisierter Texte erreicht. Es geht hier zunächst wieder um Allein-Übung. Die Förderung der Außenwirtschaft ist ein weiteres zentrales Stück unserer Dienstleistungspalette. Dazu gehört die Verbesserung der Bedingungen für deutsche Exporte und Auslandsinvestitionen und das Werben um ausländische Investitionen in Deutschland. Auch die Kulturabteilungen von Zentrale und Auslandsvertretungen wirken als Dienstleister: Mit der Vermittlung von Kontakten, der Förderung von Institutionen und Veranstaltungen des kulturellen Austausches sowie des Personenaustausches der verschiedensten Sparten geht es um die Pflege eines weltumspannenden Dialogs der Kulturen. Der Deutsche Bundestag und Delegationen der Bundesregierung sowie die Parlamente und Regierungen von 16 Bundesländern pflegen intensive Auslandskontakte auf allen Ebenen und werden bei ihren Reisen im Rahmen der Besucherbetreuung von den Auslandsvertretungen wahrgenommen. Dies umfasst die inhaltliche, organisatorische und protokollarische Vorbereitung und Durchführung von Besuchen. … und Meinungsbildung Die Einflussnahme auf Meinungsbildner und Entscheidungsträger in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft unserer außenpolitischen Partner ist nach wie vor zentrales Anliegen unserer Diplomatie. Ein jüngeres Arbeitsfeld für die deutsche Diplomatie ist die direkte Ansprache der Öffentlichkeit unserer Partner in den Medien, in Interviews, in Diskussionen und Publikationen. Gesetzliche Grundlagen Das Gesetz über den Auswärtigen Dienst ( GAD ), das Konsulargesetz (KonsG) und die Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WÜD) und über konsularische Beziehungen ( WÜK ) bilden den rechtlichen Rahmen für die weltweite Tätigkeit des Auswärtigen Dienstes. © 1995-2008 Auswärtiges Amt 92 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Ausführung Bitte schalten Sie das Tonaufnahmegerät ein und lesen Sie einen der oben vorgeschlagenen Texte laut vor, genau so wie Sie es für das Vom-Blatt-Übersetzen geübt haben (mit den Augen lautlos lesen, hochschauen, sprechen). Legen Sie bitte den Text zur Seite, nehmen Sie Schreibwerkzeug und Block in die Hand, und sobald Sie sich konzentriert fühlen, spielen Sie die Aufnahme ab. Versuchen Sie dann, sinnvoll und relevant zu notieren. Sobald die Aufnahme beendet ist, schalten Sie das Gerät erneut zur Aufnahme ein. Tragen Sie Ihre Verdolmetschung vor, indem Sie Ihre Notizen gelegentlich konsultieren. Selbstbewertung ▶ War die Verdolmetschung vollständig? ▶ Gab es Schwierigkeiten mit den Notizen, die zu Ungenauigkeiten geführt haben? ▶ Wenn ja, welche und warum? ▶ Welche Verbesserungen könnten in Betracht kommen? (Bessere Gliederung, Vertikalität, deutlichere Abkürzungen und Symbole, weniger Notizen-…) Die beschriebenen mündlichen Übungen können zunächst mit allen oben vorgeschlagenen Texten ausgeführt werden. Sie bilden eine gute Grundlage für die Allein-Übung, insbesondere für Teilnehmer, die wenig Gelegenheit haben, im Rahmen der Gruppe zu üben. 4.4.14 Beispiel einer Unterrichtseinheit Nach einer sehr kurz zu haltenden Einführung zum Konsekutivdolmetschen sollte der Dozent schrittweise vorgehen: Sobald er auf die Wichtigkeit des roten Fadens eingegangen ist, sollte er die Gliederung eines frei gehaltenen Vortrags notieren lassen. Videocasts eignen sich auch dafür sehr gut; da sie meistens sehr zügig gesprochen werden, erzwingen sie ein intelligentes Zuhören, wobei die Konzentration auf den „roten Faden“ Priorität hat. Auf die Trennung der Gedanken sollte besonders geachtet werden. Nach der Klärung der eindeutigen Begriffe und Benennungen und dem Notieren von Aufzählungen sollte anhand von frei gehaltenen Vorträgen (oder Videocasts) geübt werden. Wichtig ist es, Konsekutivübungen mit und ohne Notizen abwechselnd durchzuführen. 4.5 Vorschlag zur Unterrichtsgestaltung Gruppengröße: maximal 12 Teilnehmer Zeitraum: Allein-Übung zur Entwicklung des eigenen Notiersystems unentbehrlich; täglich mind. 10 Minuten 93 4 Modul Konsekutivdolmetschen ohne und mit Notizen Unterrichtsgliederung Einführung: Grundsätze des Konsekutivdolmetschens (Gedächtnis): insgesamt 90 Minuten, die in 30-minütige Abschnitte aufzuteilen und jeweils mit Übungsvorschlägen zu illustrieren sind. Übungen ohne Notizen: mind. 180 Minuten (bis zu 2 Minuten pro Teilnehmer) Bewertung (max. 5 Minuten pro Teilnehmer): nach den bereits oben angegebenen Prinzipien Grundprinzipien der Notizentechnik (90 Minuten): Übungen (Wechsel alle 20 Minuten) Konsekutivdolmetschen von von Teilnehmern oder Dozenten gehaltenen themenbezogenen Vorträgen: 4 bis 6 Minuten pro Teilnehmer. Konsekutivdolmetschen von vom Blatt übersetzten Vorträgen. Bewertung (max. 5 Minuten): unter Anwendung der in der Einleitung angegebenen Grundsätze 4.6 Zur Vertiefung AIIC , 1996. The 1995 statistical report. Bulletin, XXIV / 2 p. 15 ff. Ahrens, Barbara, 2001. Einige Überlegungen zur Didaktik der Notizentechnik. In: Kelletat, Andreas F. (Hrsg.), Dolmetschen. Beiträge aus Forschung, Praxis, Lehre. Publikationen des Fachbereichs Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Germersheim, Reihe A-- Abhandlungen und Sammelbände Bd. 30. Frankfurt / Main: Peter Lang. 227-241. Andres, Dörte, 2002. Konsekutivdolmetschen und Notation. Publikationen des Fachbereichs Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Germersheim, Reihe A-- Abhandlungen und Sammelbände Bd. 34. Frankfurt / Main: P. Lang. Fiukowski, Heinz, 1989. Zur Rhetorik für Konsekutivdolmetscher. Fremdsprachen, 33, 98-103. Gile, Daniel, 1995. Fidelity Assessment in Consecutive Interpretation: An Experiment. Target, 7 / 1, 151-164. Gillies, Andrew, 2014. Note-taking for Consecutive Interpreting: A Short Course (Translation Practices Explained) Ilg, Gérard, 1980. L’interprétation consécutive : les fondements. Parallèles, 3, 109-136. Kutz, Wladimir, 1985. Zur Frage der spezifischen Fähigkeiten des Konsekutiv- und Simultandolmetschers. Fremdsprachen 29, 229-214. Matyssek, Heinz, 2005. Handbuch der Notizentechnik für Dolmetscher. Heidelberg: Julius Groos. Rozan, Jean-François, Gillies, A. & Waliczek, B., 2004. Note-taking in consecutive interpreting. Krakow: Tertium. In diesem Modul erzielte Kompetenz Die Teilnehmer haben konsequent gelernt, durch Visualisieren sinnvoll mit ihrem Gedächtnis zu arbeiten. Sie haben die Grundprinzipien der für das Dolmetschen effizienten Notizentechnik verstanden und ihr eigenes System entwickelt. Sie dolmetschen sechsminütige Vorträge oder Aussagen zuverlässig mit Notizen. 95 5 Modul Flüsterdolmetschen 5 Modul Flüsterdolmetschen 5.1 Definition und Einsatz vor Gericht Das Flüsterdolmetschen ist eine erschwerte Form des Simultandolmetschens, da es außerhalb einer schallisolierten Dolmetschkabine stattfindet. 66 Die Bezeichnung ist außerdem irreführend, denn im Gegensatz zum eigentlichen Flüstern 67 wird beim Flüsterdolmetschen stimmhaft gesprochen, und die Klanglaute werden mit Kehlkopfröhren gebildet. Der einzige Unterschied zum normalen Vortragen besteht im Nichtprojizieren der Stimme. Der Dolmetscher muss dringend dafür sorgen, dass er den bzw. die Redner einwandfrei hören und gegebenenfalls auf Schwierigkeiten hinweisen kann. Da diese Technik höchst anstrengend sein kann, muss er auch bequem und gerade sitzen und darf sich nicht zum Zuhörer hin verrenken. Das Flüsterdolmetschen eignet sich für das Dolmetschen von längeren Ausführungen (Rede, Vorträge, Plädoyers) für maximal zwei Personen, die zum Beispiel die Arbeit einer richterlichen oder polizeilichen Fachkommission zu Informationsbzw. Lernzwecken erleben möchten. Diese Technik eignet sich ebenfalls für das Dolmetschen von einsprachigen Dialogen (das Gespräch von zwei Partnern in einer Sprache soll anderen Interessenten in einer anderen Sprache zugänglich gemacht werden) sowie von zweisprachigen Dialogen, bei denen abwechselnd in zwei Sprachen gedolmetscht wird. Ohne Hilfsmittel kann nur für zwei Personen simultan geflüstert werden. Der Einsatz einer so genannten Flüsterbzw. Personenführungsanlage ist in vielen Gerichten der Vereinigten Staaten 68 üblich. Diese Anlage besteht aus einem vom Dolmetscher zu benutzenden Mikrofon und aus mehreren Kopfhörern für die Zuhörer. Der Vorteil besteht darin, dass mehrere Zuhörer die Verdolmetschung bequem verfolgen können. Flüsterdolmetschen ist sinnvoll, wenn ein oder zwei Hörer dem ganzen Verfahren folgen sollen. Wenn ein Zeuge oder ein Sachverständiger angehört werden, ist es oft nützlich, dass der Angeklagte deren Aussagen hören kann. 66 Falls die Ausbildungsstätte über Dolmetschkabinen verfügt, ist deren Benutzung vorteilhaft zur Simultanübung, da mehrere Teilnehmer gleichzeitig arbeiten können. Sie ersetzen jedoch nicht die tatsächliche Übung der Flüstertechnik, bei der das Hören unter erschwerten Umständen und das Adaptieren der Stimme systematisch praktiziert werden. In internationalen Gerichten und Gerichtshöfen stehen Dolmetschkabinen zur Verfügung. Im Sinne eines fairen Verfahrens wäre dies bei nationalen Gerichten zumindest in komplizierten Verfahren sehr zu begrüßen. 67 https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Dolmetschen#Fl.C3.BCsterdolmetschen (letzter Zugriff: 10. 03. 2017): Das Flüstern ist eine Art des stimmlosen Sprechens, bei der die Sprachlaute nicht mit Kehlkopfröhren, dem Klang der Stimme, gebildet werden. Beim Flüstern handelt es sich im Gegensatz zur Stimme um ein Geräusch und keinen Ton. Die Stimmlippen stehen beim Flüstern in Paramedianstellung. Die aus der Lunge strömende Luft reibt an den Stimmlippen, und es entsteht ein Geräusch (Flüstern). Entgegen der verbreiteten Annahme ist Flüstern nicht stimmschonend. 68 Einige Gerichte der Vereinigten Staaten stellen die Anlage zur Verfügung. Einige Dolmetscher bringen ihre eigene zur Verhandlung mit. 96 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Das Strafverfahren 69 sieht nämlich vor, dass der Angeklagte nach der Aussage Fragen stellen darf. Das ist offensichtlich unmöglich, wenn er die Aussagen nicht verstanden hat. In Zivilverfahren oder bei Schiedsverfahren zum Beispiel wird eine vollständige Verdolmetschung von den zahlenden Parteien als Dienstleistung erwartet. Falls der Gerichtssaal mit einer Mikrofonanlage ausgestattet ist, kann sich das Gericht dank der Technik des „lauten“ Flüsterns einen unmittelbaren Eindruck über den fremdsprachigen Angeklagten (oder Zeugen) verschaffen. Die ohne Mikrofon gesprochenen Aussagen des Angeklagten werden bei dieser Technik vom Dolmetscher simultan durch das Saalmikrofon für das ganze Publikum hörbar gedolmetscht. Das korrekt beherrschte Flüsterdolmetschen ist nicht aufdringlich und kann vorteilhaft bei Vernehmungen (Dialog) eingesetzt werden, wobei die Kommunikation ohne Unterbrechung durch den Dolmetscher fließend erfolgen kann. Die Gesprächspartner gewinnen meistens den Eindruck, dass sie direkt kommunizieren, da Aussage und Körpersprache synchron wahrgenommen werden. 5.2 Flüsterdolmetschen erlernen Die Schwierigkeit besteht offensichtlich in der Spaltung der Aufmerksamkeit zwischen Hören und Sprechen. Wichtig ist bei dieser Technik ferner eine vollkommene Kontrolle der eigenen Stimme: Die eigene Stimmintensität darf weder das Hören der Redneraussage noch das Hören der eigenen Verdolmetschung stören. Bei dieser Technik findet der hier mehrmals beschriebene Translationsprozess Anwendung: ▶ Hören (eher als angestrengt zuhören) zum Erfassen des Sinnes in der Ausgangssprache; ▶ Loslösen der „Worthülsen“ (Deverbalisieren); ▶ neue „Worthülsen“ der Zielsprache suchen und sprechen; dabei muss das Hören und Kontrollieren der eigenen Stimme und der eigenen Aussagen ständig erfolgen. Zum Verstehen einer Aussage sollte das Hören reichen. Konzentriert zuzuhören erfordert eine einseitige Orientierung der Aufmerksamkeit. In diesem Fall bleibt keine Zeit für die weiteren zum Simultandolmetschen notwendigen Aktivitäten. 70 5.2.1 Übung 1: Arbeit mit visualisierbaren Vorträgen Für den Anfang ist es wichtig, mit freigesprochenen, visualisierbaren Vorträgen zu arbeiten. Setting: vornehmlich Gruppenübung mit Dozenten Material: Bilder, Aufnahmegerät 69 St PO A.a.O. 70 Lederer (1981) 50. 97 5 Modul Flüsterdolmetschen Übungszweck: Teilen der Aufmerksamkeit zwischen Hören des Redners, Hören der eigenen dolmetschenden Stimme 71 , Kontrollieren der eigenen Stimme. Ausführung und Empfehlungen Zur Einführung in das Flüsterdolmetschen setzt sich ein Teilnehmer bequem neben den Dozenten hin. Von einem Bild ausgehend trägt ein geübter Redner aus der Gruppe einen zweibis dreiminütigen Bericht vor. Der Vortragende kann wahlweise über den Künstler, über die Besonderheiten des Bildes oder über das Leben der dargestellten Person sprechen. Wichtig dabei ist ein klarer, erzählender, bildhafter und fließender Vortrag. Der Flüsterdolmetscher beginnt unmittelbar. Als Übungsmaterial biete sich z. B. an: Jan Vermeer Van Delft, Das Milchmädchen, 1685 Rijksmuseum Amsterdam. Eine Abbildung findet sich unter: http: / / www.vermeer-foundation.org/ The-Milkmaid.html. Eingreifen des Dozenten im Laufe der Übung Bei den allerersten Übungen achtet der Dozent ganz besonders auf Folgendes: ▶ Rhythmus (Wird wirklich simultan gedolmetscht? ) ▶ Wird fälschlicherweise auf das Verb gewartet? ▶ Bei Unterbrechungen und beim Stocken fordert der Dozent den Teilnehmer auf, unbeirrt weiter zu dolmetschen. ▶ korrekte Atmung (Bauchatmung, kein lautes Pusten) ▶ Stimmintensität (Ist der Übende zu laut, stören die Bässe? ) Bewertung Der Übende wird zuerst über seine eigenen Eindrücke und Schwierigkeiten befragt. Der Dozent weist dann zuerst auf die rein technischen Probleme hin: ▶ Hat der Übende den korrekten Rhythmus gefunden? ▶ Hat er richtig geatmet? ▶ Hatte er offensichtliche Hörschwierigkeiten wegen seiner Entfernung zum Redner? ▶ …-oder weil die eigene Stimmintensität sein Hören gestört hat? Erst nachdem diese technischen Schwierigkeiten aufgearbeitet wurden, sollte auf die eigentliche Übertragungsleistung eingegangen werden: 71 Das so genannte „Shadowing“ (simultanes Wiederholen in derselben Sprache) ist zum Spracherwerb angebracht, jedoch nicht für das Erlernen des Simultandolmetschens. Die Lernenden werden dabei gezwungen, am Wort zu kleben. 98 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen ▶ Klebt der Teilnehmer zu sehr an den Wörtern oder gar an der Syntax der Ausgangssprache? ▶ Gab es terminologische Probleme? usw. 5.2.2 Übung 2: Einsatz von Hör- und Videomedien Wie bereits erwähnt, können Weiterbildungsprogramme nicht so viele Übungsmöglichkeiten in der Gruppe und mit Dozentenbetreuung anbieten wie traditionelle Dolmetschstudiengänge. Aus diesem Grunde müssen die Teilnehmer öfter allein üben. Es gibt jedoch Notlösungen: Fernsehdiskussionen und Talk-Shows, zuerst über allgemeine Gesellschaftsthemen, können aufgenommen werden. Wichtig ist es, dass dort frei gesprochen wird. Die in Deutschland vorgelesene Tagesschau oder Ähnliches eignet sich daher schlechter zum Einstieg. Setting: überwiegend Allein-Übungen. Videomedien können jedoch auch für den Einsatz in der Gruppe benutzt werden. Material: heruntergeladene Videocasts und Podcasts. Die Sendung wird über Kopfhörer von dem Übenden gehört, während er die eigene Verdolmetschung in ein Aufnahmegerät (Diktiergerät oder MP 3) spricht. 72 Übungszweck: Üben der Simultantechnik; Vorbereitung auf die Benutzung einer Flüsteranlage; Einstimmen auf unterschiedliche, allgemeinsprachliche Themen; Gewöhnung an möglichst viele Aussprachen und Sprachrhythmen. Ausführung und Empfehlungen Sich zuerst um einen ruhigen Atemrhythmus bemühen. Nach Einschalten des Aufnahmegeräts Videobzw. Tonaufnahme abspielen. Aufmerksamkeit zwischen Hören und Verstehen der Mitteilungen einerseits und Verarbeiten und Formulieren in der Zielsprache andererseits pendeln lassen. Das Hören soll mühelos zum Verstehen der Mitteilungen reichen. Die Stimme ist stets zu kontrollieren, damit sie das Hören nicht abschirmt. Selbstbewertung Zunächst sollten allein auf der Grundlage der aufgenommenen Verdolmetschung folgende Bewertungskriterien angewendet werden: ▶ rhetorische Merkmale: Stimmqualität? Tonintensität? Sprechrhythmus? (Ruhe? Sicherheit? Hektik? ) ▶ sprachliche Merkmale: Korrektheit der Sprache in Lexik und Syntax? Vollständigkeit der einzelnen Gedankeneinheiten (Sätze)? Passende Kollokationen? 72 Es ist dank entsprechender Mischpult-Software (auch Freeware) auch möglich, mit zwei Tonspuren zu arbeiten: eine zur Aufnahme und zum Abhören des Ausgangstextes und die andere zur Aufnahme der Verdolmetschung. 99 5 Modul Flüsterdolmetschen Nach dem Abhören des Ausgangsvortrags und dem Vergleich mit der Verdolmetschung werden die Übersetzungsmerkmale bewertet: ▶ Vollständigkeit? ▶ Notwendige Loslösung aus den lexikalischen und syntaktischen Formen der Ausgangssprache? ▶ Übersetzungsprobleme (Fachbegriffe)? 5.2.3 Übung 3: Dolmetschen aus Vom-Blatt-Übersetzungen Im Rahmen der Gruppenarbeit kann die rhetorische Qualität der von anderen Teilnehmern geleisteten Vom-Blatt-Übersetzungen auch sinnvoll eingesetzt werden. Diese Übung eignet sich auch für gemischte Sprachgruppen und im Rahmen der Ausbildung von Teilnehmern mit wenig verbreiteten Sprachen in der oben beschriebenen Tandemmethode. Setting: Gruppenübung mit und ohne Dozent Material: möglichst zwei Aufnahmegeräte, Zeitmesser, Artikel aus der Presse, zuerst über allgemeine, gesellschaftliche oder soziokulturelle Themen, dann mit polizeilichem bzw. gerichtlichem Inhalt, die nach vorausgegangenen Übungen keine Vorbereitung mehr erfordern sollten. Übungszweck: Simultandolmetschen: Pendeln der Aufmerksamkeit, Kontrolle der Stimme, die weder Redner noch Publikum stören darf. Die Verdolmetschung stellt außerdem die Kommunikation und den Rhythmus beim Vom-Blatt-Übersetzen auf die Probe. Ausführung und Empfehlungen Ein Gruppenmitglied überfliegt den ausgewählten Text eine Minute lang. Ein Teilnehmer nimmt die Übersetzung vom Blatt vor, während der andere bequem sitzend einem Dozenten oder einem anderen sprachkundigen Teilnehmer simultan flüstert. Beide Leistungen sollten aufgenommen werden. Selbstbewertung und Gruppenbewertung Vom-Blatt-Übersetzer und Flüsterdolmetscher werden zunächst nach den eigenen Eindrücken und nach eventuellen Schwierigkeiten gefragt. Der Flüsterdolmetscher wird dann um eine Bewertung der Kommunikationsqualität der Vom-Blatt-Übersetzung gebeten. Haben z. B. der Rhythmus bzw. die Kohärenz des Vortrags seine Verdolmetschung erschwert oder erleichtert? Nach Abspielen der Tonaufnahmen wird die Gruppe um eine Bewertung gebeten. Bei dieser Übung können nach entsprechender Vereinbarung ebenfalls zwei Gruppenmitglieder ihre konstruktive Kritik jeweils zur Vom-Blatt-Übersetzung oder zur Flüsterdolmetschung (in diesem Fall wird natürlich der Dolmetschadressat befragt) in der Form von Kurzvorträgen äußern. 100 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen 5.2.4 Übung 4: Fachrelevante Vorträge der Gruppenteilnehmer Angehende Gerichts- und Behördendolmetscher müssen sich mit der Ausländerproblematik des Gastlandes gründlich auseinandersetzen. Die Vorbereitung von Vorträgen bildet eine sehr gute Gelegenheit dazu, zumal diese als Kommunikation und Dolmetschübung gleichzeitig benutzt werden können. Am sinnvollsten für die zukünftige Tätigkeit des angehenden Gerichts- und Behördendolmetschers ist die Erstellung einer Typologie von Ausländern: ▶ Wer sind sie? Woher kommen sie? Warum kommen sie? ▶ Wie sind die Aufenthaltsbedingungen? (Schengener Abkommen kann vorgestellt werden, die Regelung der Staatsangehörigkeit in Deutschland und im Vergleichsland) ▶ Standeswesen in Deutschland und im Vergleichsland ▶ Asylpolitik und -verfahren ▶ Bildungswesen (Schule, Ausbildung, Studium) in Deutschland und im Vergleichsland, Anerkennungen von Abschlüssen ▶ Ausländer und die Arbeitswelt: Arbeitskonflikte und -verfahren ▶ Gründung einer Firma und / oder eines Vereins (Ausländer und Deutsche im Ausland) in Deutschland und in dem Vergleichsland ▶ Handels- und Schiedsverfahren mit dem Ausland ▶ Ausländer im Sozial- und Gesundheitswesen (Kranken- und Rentenversicherungen, Familienzuschüsse etc.) ▶ Konflikte und Verfahren beim Sozialgericht ▶ Ausländer und Polizei ▶ Ausländer im Strafverfahren ▶ Internationale bzw. europäische Verfahren Material und Setting: Zu den hier angebotenen Themen werden Vorträge von ca. 8 Minuten Länge als PowerPoint-Präsentation vorbereitet. Die korrekte Präsentationstechnik (nur Stichpunkte notieren) bildet einerseits eine zusätzliche Verfestigung der Notizentechnik und ist andererseits sowohl für Konsekutivals auch für Simultanübungen verwendbar. Je nach der Unterrichtsfrequenz kann ein von der ganzen Gruppe vorzubereitendes Wochenthema gewählt werden, zu dem mehrere Teilnehmer Vorträge präsentieren sollen. Im Falle von längeren Unterrichtsabständen können mehrere Themen für eine Sitzung vorgesehen werden. Ausführung Ohne Notizen, Karten oder sonstige Grundlagen, abgesehen von seiner PowerPoint-Präsentation, hält einer der Teilnehmer den vorbereiteten Vortrag vor der Gruppe, die das Thema selbst gründlich vorbereitet hat. Ein Teilnehmer flüstert für einen Dozenten oder einen anderen Teilnehmer. Der Vortrag sollte fünf bis acht Minuten dauern und wird gegebenenfalls auch aufgeteilt. Nach der Flüsterverdolmetschung erfolgt die Bewertung. 101 5 Modul Flüsterdolmetschen Bewertung Zuerst wird die Leistung des Vortragenden besprochen. Dieser wird als erster gefragt. Danach werden diejenigen Teilnehmer nach ihrer Einschätzung gefragt, die geflüstert haben. Falls eine Flüsteranlage eingesetzt wurde, wird die Gruppe anschließend um Bewertung gebeten. Als Diskussionsleiter bringt der Dozent die Gruppe dazu, die wichtigsten Merkmale einer gelungenen Kommunikation und Dolmetschleistung objektiv herauszuarbeiten. Dieses ist zur Verbesserung der eigenen Leistung essentiell. Bewertungskriterien: ▶ Rhetorik ▶ Vollständigkeit ▶ Sprachebene und -register ▶ Fachtermini ▶ unangemessene Tonnachahmung der Ausgangssprache 5.2.5 Übung 5: Bilaterales Dolmetschen von Gesprächen Dialoge (Befragungen, Vernehmungen usw.) bilden einen wichtigen Bestandteil der Kommunikationsformen bei Behörden und im Gerichtsverfahren. Diese werden zuverlässig gedolmetscht, wenn der Dolmetscher sowohl die Konsekutivals auch die Flüstertechnik beherrscht. Dann erst kann er von Fall zu Fall entscheiden, welche dieser Techniken der Kommunikation am besten dient oder ob eine Kombination beider sinnvoll ist. Das erste Gebot ist, bei den Gesprächspartnern das Gefühl einer unmittelbaren Kommunikation zu gewährleisten. Die Flüstertechnik eignet sich sehr gut dazu, sofern die Gesprächspartner die Zielsprache sehr gut beherrschen und sich von der Ausgangssprache nicht beirren lassen. Wichtig ist es, mit frei gesprochenen, improvisierten Dialogen zu üben. Setting: vornehmlich Gruppenübung mit Dozenten, Rollenspiel Material: Bilder und / oder vorgegebene Gesprächsthemen; Bilder können zur Themenillustration dienen. Als Themen sollten wahre Begebenheiten aus dem polizeilichen oder behördlichen Alltag gewählt werden, die bei den Beratungssendungen der Polizei oder den Fernsehsendern leicht zu finden sind. Weitere Themenvorschläge: ▶ Verlustmeldung von Gegenständen bei der Polizei ▶ Beschwerde von Fluggästen wegen Flugstreichung ▶ Beschwerde über laute Nachbarn ▶ Meldung eines Handtaschenraubes ▶ Beobachtung eines Einbruchs ▶ Fahrerflucht 102 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Übungszweck für die Dolmetschenden: ▶ Teilen der Aufmerksamkeit zwischen Hören des Redners, Hören der eigenen dolmetschenden Stimme, Kontrollieren der eigenen Stimme. ▶ Sprachenwechseln unter Berücksichtigung der Gesprächspartner, die vom Dolmetschen nicht gestört werden dürfen. ▶ Die anderen Gesprächspartner sollten den Dolmetscher vergessen und das Gefühl einer Direktkommunikation haben. ▶ Improvisation üben. Diese Fertigkeit ist für die Kommunikationskompetenz unentbehrlich, da sie insbesondere Redegewandtheit fördert. Ausführung und Empfehlungen Ein Thema wird vorgestellt und die eventuellen terminologischen Fragen werden im Vorfeld geklärt. 73 Quelle : http: / / www.e110.de/ gesuchter-in-spanien-verhaftet/ . Vater und Kind in Spanien entdeckt - Gesuchter legt selbst die Spur 73 (…) Gefängnis statt Strandurlaub: Dominik R., mutmaßlicher Mörder einer 20-jährigen Frau aus Niederbayern, ist in Spanien festgenommen worden. Zu ihrer großen Erleichterung fanden die Spezialeinsatzkräfte auch den gemeinsamen Sohn des Paars bei dem Gesuchten. Der Kleine ist wohlauf, wie die bayerische Polizei mitteilt. Beide sind inzwischen wieder zurück in Bayern - allerdings getrennt: der Vater in U-Haft, sein Sohn in der Obhut des Jugendamts. Der anderthalb-jährige Junge wird wohl bei Pflegeeltern aufwachsen. Der 22 Jahre alte Tatverdächtige war nach dem gewaltsamen Tod seiner Partnerin mit dem Kleinkind aus Freyung geflohen. Mitte November wurden er und das Kind in „Aktenzeichen XY… ungelöst“ gesucht. Doch dann brachte er die Fahnder selbst mit einer bizarren Botschaft auf seine Spur. Nach dem Fund der Leiche der jungen Frau hatte der mutmaßliche Mörder mehreren Menschen aus seinem Umfeld ein Foto von sich und seinem Sohn geschickt - aus dem Ausland, wahrscheinlich aus Frankreich. Dazu schrieb er laut Polizei, er werde noch ein paar Tage Urlaub machen und sich dann stellen. Die Beamten suchten deshalb in der vergangenen Woche mit Hochdruck und europaweit nach dem jungen Mann. Die Kripo Passau richtete eine 20-köpfige Sonderkommission ein. Den Namen des Bruders benutzt Deren Ermittlungen führten in den Küstenort Lloret de Mar, wo spanische Spezialeinheiten den 22-Jährigen in einem Apartmenthaus verhafteten. Er hatte dort unter dem Namen seines Bruders eingecheckt. Die Polizisten fanden auch das Fluchtauto des Mannes. Die Staatsanwaltschaft Passau stellte umgehend einen Auslieferungsantrag an die spanischen Behörden. 103 5 Modul Flüsterdolmetschen Drei Dialoge mit jeweils drei Rollen können sich z. B. aus dieser Geschichte ergeben: ▶ ausländische Kundin in einem Einzelhandelsgeschäft wird mit Dolmetscher von einem Polizeibeamten angehört, da sie den Vater mit dem Kind beobachten konnte. ▶ ausländischer Passant wird mit Dolmetscher von einem Polizeibeamten vernommen, da der Dieb ihn auf seinen Weg vom Bankautomaten zu seinem Mountainbike heftig gestoßen hatte. ▶ Der ausländische Vater wird von der Polizei vernommen. Bewertung Der Dolmetscher wird zuerst nach den eigenen Eindrücken und Schwierigkeiten gefragt. Der Dozent weist dann zuerst auf die rein technischen Probleme des Dolmetschers hin: ▶ Hat der Dolmetscher den korrekten Rhythmus gefunden? ▶ Hat er richtig geatmet? ▶ Hatte er offensichtliche Hörschwierigkeiten, weil er sich im Verhältnis zu den Gesprächspartnern ungünstig positioniert hat? ▶ …-oder weil die eigene Stimmintensität sein Hören gestört hat? Bei den Verantwortlichen war die Erleichterung groß, das Kind unversehrt vorzufinden. „Der Schutz des Kindes hatte für uns immer oberste Priorität.“ Der Kleine kam nach der Festnahme vorübergehend in eine spanische Jugendhilfeeinrichtung. Bizarre Tätowierungen Die spanische Polizei war entsetzt darüber, dass sich der 22-Jährige wohl nach dem Tod seiner Partnerin mit bizarren Tätowierungen schmücken ließ. Die Beamten bezeichneten es als „makaber“, dass er sich den Namen und das Geburtsdatum des Opfers, ein Kruzifix mit dem mutmaßlichen Datum der Ermordung - 27. 10. 2016 - sowie „Gracias por todo“ („Danke für alles“) habe tätowieren lassen. Die Mutter des Opfers hatte die Leiche in einem Mehrfamilienhaus in Freyung entdeckt - versteckt in einem Plastiksack. Sie hatte sich Sorgen gemacht, weil ihre Tochter über längere Zeit nicht zu erreichen gewesen war. Dem Obduktionsbericht zufolge war die junge Frau zu diesem Zeitpunkt bereits bis zu drei Wochen lang tot. Für die Polizei kein Unbekannter Ihren Partner hatten die Ermittler rasch als dringend tatverdächtig ausgemacht. Weil sie ihn bereits im Ausland vermuteten, wurde er mit internationalem Haftbefehl gesucht. Dominik R. ist für die Polizei kein Unbekannter, er war wegen mehrerer Einbruchsdiebstähle bereits zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. 104 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Die Gesprächspartner werden dann gebeten sich als „Kunden“ über die Dolmetschleistung zu äußern: ▶ Hat der Dolmetscher die Grundsätze der Dolmetschetikette (Fragen, Benutzung der ersten und dritten Person) beachtet? ▶ Hat sich der Dolmetscher korrekt vorgestellt? ▶ Hat er gestört? (zu laut? zu viele Unterbrechungen? ) Erst nach Klärung dieser Punkte können die wichtigsten sonstigen Translationsprobleme angesprochen werden. 5.3 Vorschlag zur Unterrichtsgestaltung Gruppengröße: maximal 12 Teilnehmer Unterrichtsgliederung Einführung (15-20 Minuten): Die Technik des Flüsterdolmetschens wird beschrieben und ihre praktischen Anwendungsmöglichkeiten werden erklärt. Übungswechsel (alle 20 Minuten): Um Motivation und Konzentration der Gruppe zu erhalten, sollten die Aufgaben im zwanzigminütigen Rhythmus variiert werden. Vor jeder Aufgabe ist genau zu erklären (ca. 5 Minuten), welche Fertigkeiten geübt werden sollen und inwiefern diese Fertigkeiten zum Erwerb der Technik beitragen. Ebenfalls im Vorfeld sollten genaue Empfehlungen abgegeben werden. Übung 1-- Dolmetschen des Bildbeschreibungsvortrags (zwei Teilnehmer) Übung 2-- Dolmetschen von Videoaufnahmen Übung 3-- Dolmetschen von Vom-Blatt-Übersetzungen (zwei Teilnehmer; Vortragender und Dolmetscher) Übung 4-- Dolmetschen von Kurzvorträgen (zwei Teilnehmer, bis 5 Minuten) Ausführung (3 bis max. 5 Minuten): Die Ausführung sollte dann nicht länger als 5 Minuten dauern. Alle Teilnehmer sind aktiv zu beteiligen, entweder als Übende oder als Bewerter. Bewertung (je max. 5 Minuten): Vor der möglichst kurz zu haltenden Bewertung sollte der Dozent immer wieder betonen, dass eine professionelle Zusammenarbeit wie in einer Werkstatt angestrebt wird. Nicht der Übende, sondern das Übungsprodukt soll dabei konstruktiv bewertet werden. Die Übenden sollten immer als erste über ihre Eindrücke befragt werden, damit die Gruppenmitglieder die eigenen Schwierigkeiten wie im Spiegel wahrnehmen können. Danach dürfen sie sich ebenfalls äußern. Ausschließlich die klar angekündigte zu übende Fertigkeit ist zu bewerten. Wenn der Schwerpunkt auf den korrekten Redefluss oder die Redegewandtheit gelegt wird, sollten z. B. Grammatikfehler in der Arbeitssprache nur nebenbei erwähnt werden. 105 5 Modul Flüsterdolmetschen Kritik sollte nie pauschal formuliert werden, wie: „Es ist schlecht! “ oder „exzellent! “. Der Dozent sollte Kritikpunkte oder immer wiederkehrende Fehler genau angeben und eine Verbesserung mit Übungsvorschlägen anbieten. Jeder Fortschritt sollte lobend erwähnt werden. 5.4 Zur Vertiefung Bowen, Margareta / Bowen, David u. a., 1995. Interpreters and the Making of History. In: Delisle, Jean / Woodsworth, Judith (Hrsg.), Translators through History. Benjamins Translation Library 13. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 245-277. Cooper, Cary L./ Davies, Rachel / Tung, Rosalie L., 1982. Interpreting stress: Sources of job stress among conference interpreters. Multilingua, 1 / 2, 97-107. Gerver, David, 1982. Empirical Studies of Simultaneous Interpretation: A Review and a Model. In: Brislin, Richard W. (Hrsg.), Translation: Applications and Research. New York: Gardner, 165-207. Goldman-Eisler, Frieda, 1972. Segmentation of Input in Simultaneous Translation. Journal of Psycholinguistic Research, 1 / 2, 127-140. Herbert, Jean, 1952. Manuel de l’Interprète. Genève: Librairie de l’Université Georg. Kurz, Ingrid, 1996. Simultandolmetschen als Gegenstand der interdisziplinären Forschung. Wien: Wiener Universitätsverlag. Lederer, Marianne, 1981. Pédagogie de la traduction simultanée. In: Delisle, Jean (Hrsg.), Pédagogie de la Traduction et de l’Interprétation. Ottawa: Presses universitaires. Moser, Barbara, 1978. Simultaneous Interpretation: A Hypothetical Model and its practical Application. In: Gerver, David / Sinaiko, H. Wallace (Hrsg.), Language Interpretation and Communication. New York: Plenum, 353-368. Pöchhacker, Franz, 1994. Simultandolmetschen als komplexes Handeln. Language in Performance 10. Tübingen: Narr. In diesem Modul erzielte Kompetenz Die Teilnehmer haben geübt, den Translationsprozess unter erschwerten akustischen Verhältnissen anzuwenden: ▶ Erfassung des Sinnes ohne Anstrengung bei bloßem Hören ▶ Konzeptualisierung ▶ Neuformulierung in der Zielsprache ohne Projizieren der Stimme ▶ Sie haben die für die Arbeit eines Gerichts- und Behördendolmetschers unentbehrliche soziokulturelle kognitive Grundlage vertieft. 107 6 Modul Einführung in das juristische Übersetzen 6 Modul Einführung in das juristische Übersetzen 6.1 Einsatz bei Gericht und Behörden Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Gerichtsdolmetscher die Technik des Vom- Blatt-Übersetzens bzw. Vom-Blatt-Dolmetschens beherrschen muss. Eine Vielzahl der in einer Gerichtsverhandlung zu übersetzenden Texte 74 sind juristischer Art. Beim Notar und im Rahmen zahlreicher Geschäftsverhandlungen 75 werden ebenfalls Vom-Blatt-Übersetzungen bzw. -Dolmetschungen verlangt. Ferner ist der beeidigte bzw. vereidigte 76 Dolmetscher in den meisten Bundesländern auch Urkundenübersetzer bzw. als Übersetzer ermächtigt und muss dann bestätigte bzw. beglaubigte 77 Übersetzungen anfertigen. Dabei muss er sowohl formale Vorgaben der jeweiligen Richtlinien zur Urkundenübersetzung 78 als auch gattungsimmanente Merkmale der juristischen Übersetzung beachten. Im Übungsabschnitt „Einführung in das Vom-Blatt-Übersetzen“ wurden aus didaktischen Gründen 79 für das Vom-Blatt-Übersetzen bzw. -Dolmetschen keine Urkunden, sondern zunächst Presseartikel aus dem Themenfeld der Kriminalität als Übung angeboten. Erst nach der sicheren Beherrschung der Technik und einer gründlichen Auseinandersetzung mit dem juristischen Übersetzen kann diese Textsorte zuverlässig vom Blatt übersetzt bzw. gedolmetscht werden. 6.2 Pragmatische Zielsetzung dieser Einführung Im Folgenden sollen die ersten Etappen einer Auseinandersetzung mit juristischen Texten geübt werden. 80 Von Urkunden und juristischen Texten ausgehend werden methodische Übersetzungsschritte für diese Textsorten vorgeschlagen. Weiterführende Literaturempfehlungen sollen eine sinnvolle theoretische Vertiefung anregen. Zum besseren Verständnis wird im Folgenden der unterschiedliche Übersetzungsansatz bei drei wesentlichen Textsorten schematisch dargestellt. Die Nuancen der methodischen 74 Anklageschriften, Urteile, Anträge etc. 75 Verträge, Satzungen etc. 76 Die Bezeichnung ist länderabhängig. 77 Die Länder sind sich über diese Bezeichnung auch nicht einig. 78 Das Hamburger Merkblatt zur Urkundenübersetzung, das zahlreiche ähnliche Merkblätter inspiriert hat, und die „Hinweise für die Anfertigung von Übersetzungen durch öffentlich bestellte und allgmein beeidigte Übersetzerinnen und Übersetzer“ werden am Ende dieses Kapitels beigefügt. 79 Die didaktische Erfahrung zeigt, dass die Lernenden nicht mit allen Schwierigkeiten gleichzeitig konfrontiert werden sollten. Die zu erfüllenden Lernziele sollten klar und etappenweise definiert und gesteigert werden. 80 Einige Fachwerke zur juristischen Übersetzung werden in der Bibliographie aufgeführt und können zur Vertiefung herangezogen werden. 108 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Schritte werden zuerst anhand eines allgemeinsprachlichen, dann eines technischen und zum Schluss eines Rechtstextes illustriert. 6.2.1 Übersetzungsansatz bei einem allgemeinsprachlichen Text Allgemeinsprachliche Texte sind Texte, die keine Fachtermini enthalten und für ein muttersprachliches Durchschnittspublikum allgemein verständlich sind. Die Einschätzung der Allgemeinsprachlichkeit bleibt offensichtlich subjektiv. Aus diesem Grunde wurden hier die ersten Zeilen eines Märchens als Beispiel gewählt, das ja sogar von Kindern verstanden wird: „Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die wünschten sich schon lange vergeblich ein Kind. Endlich machte sich die Frau Hoffnung, der liebe Gott werde ihren Wunsch erfüllen. Die Leute hatten in ihrem Hinterhaus ein kleines Fenster, daraus konnte man in einen prächtigen Garten sehen, der voll der schönsten Blumen und Kräuter stand; er war aber von einer hohen Mauer umgeben, und niemand wagte hineinzugehen, weil er einer Zauberin gehörte, die große Macht hatte und von aller Welt gefürchtet ward.” 81 Zur Berücksichtigung der märchentypischen Stilelemente wird der Übersetzer sich lediglich kurz auf die Kinderzeit besinnen und die drei bereits beschriebenen Etappen des einfachen Translationsvorgangs sofort einsetzen: ▶ Erfassung des Sinns im Ausgangstext; ▶ Entverbalisierung d. h. auch hier Loslösung von den märchentypischen Signalen der deutschen Sprache; ▶ Neuformulierung in der Zielsprache unter Hervorrufung der märchentypischen Formulierung der Zielsprache. 81 Günther (1990) 19. 109 6 Modul Einführung in das juristische Übersetzen 6.2.2 Übersetzungsansatz bei einem technischen Fachtext Reine technische Fachtexte sind selten. Zur Illustration wird hier eine kurze technische Beschreibung für einigermaßen aufgeklärte Verbraucher als Beispiel angeboten: Kaffeemühlen ▶ Kaffee / Esp. Mühle ProEdition ▶ G VX 2 32 ▶ Exklusive Optik: gebürstete Edelstahloberfläche; Kombination von matten und glänzenden Elementen ▶ Mahlwerkmühle ▶ Mahlgrad wählbar (17 Stufen) für perfektes Kaffeemehl für Filterkaffee oder Espressomaschine ▶ Tassenzahl wählbar von 2 bis 12 Tassen ▶ Blau beleuchteter Ein-/ Aus-Schalter ▶ Große Einfüllöffnung mit Sicherheitsdeckel ▶ Abnehmbares Mahlwerk zur leichten Reinigung ▶ Abnehmbarer Behälter für Kaffeemehl (spülmaschinengeeignet) ▶ Kapazität des Kaffeebohnen-Behälters: 200 g 82 82 http: / / www.krups.de/ fruehstueck/ kaffeemuehlen s (letzter Zugriff: 15. 02. 2017). 110 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Der Übersetzer hat es hier hauptsächlich mit einer Aneinanderreihung knapper eindeutiger 83 Begriffe zu tun. Er muss sie gründlich verstehen, bevor er mit dem Übersetzungsvorgang beginnen kann. Bei modernen Geräten kann nämlich meistens davon ausgegangen werden, dass die Fachredakteure bemüht sind, Fachbegriffe in einem bestimmten kontextuellen Sinn zu benutzen. Mahlwerk, Mahlgrad, Kaffeemehl sind im Kontext der Kaffeemühle eindeutig. Dagegen gibt es unterschiedliche Behälter, die durch ihren Inhalt definiert werden. Einige Begriffe können ohne Bild des Geräts kaum eindeutig übersetzt werden. Für einige Zielsprachen ist es nämlich notwendig, die Form des Ein- und Aus-Schalters oder der Einfüllöffnung zu sehen, bevor der passende Begriff gefunden werden kann. Der technische Fachtext erfüllt eine Funktion 84 , die auf das Zielpublikum aller Sprachen gleich wirken muss. Unter Anwendung entsprechender eindeutiger Begriffe und unter Beachtung der Textsortenkonventionen muss die Übersetzung die gleiche Funktion 85 erfüllen wie der Ausgangstext. Die drei Übersetzungsschritte bleiben mit wenigen Nuancen die gleichen: Das Erfassen des Sinnes eines technischen Ausgangstextes wird einem aktiven Klärungsvorgang vorangestellt, wobei der Klärungsvorgang einerseits die Fachtermini, andererseits die in der Zielsprache geltenden Übersetzungskonventionen für die Textsorte betrifft. Der erfahrene Fachübersetzer wird den Klärungsvorgang jedoch immer weniger brauchen. Die Deverbalisierungsphase wird durch das Anschauen des Gegenstandes oder einer Zeichnung begünstigt. Eine für das Zielpublikum einleuchtende Übersetzung technischer Vorgänge verlangt geradezu die Loslösung 86 von den „Worthülsen“ der Ausgangssprache. Bei der Neuformulierung sind die Textsortenkonventionen strikt anzuwenden. Allgemeinsprachliche Texte und technische Fachtexte betreffen überwiegend Gegenstände, Zustände und Wirklichkeiten, die in ähnlichen Kulturkreisen meistens objektivierbar sind. Ein Mann und eine Frau, die sich ein Kind wünschen, ein Fenster im Hinterhaus, die Edelstahloberfläche, das Mahlwerk und der Ein- und Aus-Schalter ergeben eindeutige Bilder, die durch eine Übersetzung ohne große Schwierigkeiten in der Vorstellung des Zielpublikums reproduziert werden können. 83 Eine Bezeichnung ruft spontan ein einziges Bild hervor, bevor es ggf. nach erneuter Überlegung präzisiert werden kann: z. B. das Wort „Hammer“. 84 Die Funktionsanalyse nach Nord (2001) 9 ff. empfiehlt sich hier. 85 Nord (2001) 25. 86 Ein Hersteller von Zeichengeräten führte so genannte „Tuschefüller“ im Katalog. Diese erschienen im französischen Katalog als „Stylos à encre de Chine“. Die Übersetzung störte mein Sprachempfinden als Französischmuttersprachlerin. Zur Bestätigung zeigte ich französischen technischen Zeichnern das entsprechende Gerät. Alle sprachen spontan von einem „Stylo à dessin“ und niemals von einem „Stylo à encre de Chine“. 111 6 Modul Einführung in das juristische Übersetzen 6.2.3 Übersetzungsansatz bei juristischen Fachtexten 87 Mit einem kurzen Auszug aus dem Strafgesetzbuch kann die Besonderheit der Übersetzung juristischer Texte veranschaulicht werden: § 240 St GB , Nötigung: (1) Wer einen anderen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Der deutschsprachige Laie wird diesen kleinen Auszug nur mit Schwierigkeiten begreifen: Zuerst wegen der Form, insbesondere der Struktur, Unterteilung und der abgekürzten Bezeichnung der deutschen Gesetzbücher, dann wegen der altertümlich anmutenden sprichwortartigen Syntax: „Wer-…,“ und schließlich wegen der Lexis: Anhäufung von abstrakten Begriffen (was bedeuten konkret Nötigung oder empfindliches Übel? ). Dadurch kommen Zweifel über das eigene richtige Verständnis der einzelnen Begriffe auf. Dem Fachübersetzer ohne einschlägige Erfahrung im Bereich der juristischen Übersetzung wird es zuerst kaum anders ergehen. Seine Erfahrung als Fachübersetzer verhilft ihm jedoch zu einer geeigneten Strategie: Der Sinn des juristischen Textauszuges kann erst nach einer sorgfältigen Entschlüsselung 88 begriffen werden. 6.2.3.1 Entschlüsselung Fragen nach den Quellen, dem Wesen und der Funktion Der kleine Auszug ist ein Paragraf aus der deutschen Strafprozessordnung. Als Gesetz ist er von normativer Art. Gesetzestexte können im Allgemeinen drei Funktionen erfüllen: Befehlen (Gebieten / Verbieten), Definieren oder Erschaffen einer Institution (im weitesten Sinne). Die Merkmale und Stilkonventionen dieser Textsorte sind als erstes zu ermitteln. § 240 St GB erfüllt offensichtlich eine definierende Funktion, die typischerweise vom Indefinitpronomen wer eingeführt und im Präsens ausgedrückt wird. 87 Daum (1995) 11. 88 Bocquet (1994) 7. 112 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Lexik: Begriffsklärung Es gilt hier festzustellen, ob ein Begriff ausschließlich in der Rechtssprache oder auch in der Umgangssprache vertreten ist und ob Sinnesabweichungen bestehen. Die Definition wird zuerst im entsprechenden Gesetzbuch gesucht. Zur gründlichen Klärung werden dann einsprachige Rechtswörterbücher 89 herangezogen. Der Schlüsselbegriff Nötigung ist ein eindeutiger juristischer Begriff, der im deutschsprachigen Raum durch die jeweiligen Strafgesetzbücher 90 definiert wird. Der Begriff wird von Laien meist im korrekten juristischen Sinne benutzt. Weitere, nach derselben Methode zu klärende Begriffe ▶ rechtswidrig ▶ Gewalt ▶ Drohung ▶ Handlung ▶ Duldung ▶ Unterlassung ▶ Freiheitsstrafe Nach diesem Entschlüsselungsvorgang sollte die Sinnerfassung des Textes in der Ausgangssprache erreicht worden sein. 6.2.3.2 Vorbereitung auf die juristische Verschlüsselung für den Zieltext Mit der Bewusstmachung der stilistischen Konventionen eines deutschen definierenden Gesetzestextes und der semantischen Ausarbeitung desselben befindet sich der juristische Übersetzer nun auf halber Strecke. Er muss jetzt onomasiologisch vorgehen, d. h. von den Bedeutungen (Signifikaten) ausgehend die korrekte Benennung / Bezeichnung (Signifikante) der Zielsprache herausarbeiten. Die stilistischen Konventionen sind hier ebenfalls zu beachten. Checkliste als methodische Hilfe ▶ Der kleine Auszug ist ein Paragraf aus der deutschen Strafprozessordnung. Gibt es eine Strafprozessordnung in dem Staat der Zielsprache? ▶ Wenn nein, welche Einrichtung erfüllt dieselbe oder eine ähnliche Funktion? Mit Anmerkung des Übersetzers arbeiten. ▶ Wenn ja, stimmt deren Bezeichnung mit der deutschen Bezeichnung überein? ▶ Wenn ja, gibt es Konventionen oder offizielle Vorschriften, die bei der Übersetzung anzuwenden sind? 89 Z. B. Guntz: Creifelds Rechtswörterbuch (2011). 90 Österreich St GB § 105, Schweiz St GB Art. 181 113 6 Modul Einführung in das juristische Übersetzen ▶ Ist die Institutionsbezeichnung laut Vorschrift 91 mit einem Hinweis auf das Herkunftsland zu übersetzen oder muss der Begriff in der Ausgangssprache stehen und eventuell in einer Anmerkung des Übersetzers erklärt werden? ▶ Gelten Konventionen oder gar Vorschriften 92 , die die Wahrung der Typographie (Absätze, inhaltliche Aufteilung) von dem Urkundenübersetzer verlangen? ▶ Wenn nein: Diese Merkmale sollten für mehr Transparenz dennoch beibehalten werden. ▶ Wie werden Gesetze im Staate der Zielsprache unterteilt (z. B. Artikel)? ▶ Falls dort keine Paragrafenunterteilung üblich ist, welche Entscheidungskriterien sollten angesetzt werden? Entscheidungshilfen ▶ Die Übernahme der in Deutschland üblichen Paragrafenunterteilung macht dem Zielpublikum der Übersetzung die fremde Herkunft des Textes deutlich. ▶ Die Benutzung der für Gesetzestexte im Staate des Zielpublikums üblichen Unterteilungen mag jedoch leserlicher sein. ▶ Sind offiziell anerkannte Übersetzungen von ähnlichen Texten vorhanden, denen der Übersetzer sich anschließen könnte? ▶ Gibt es entsprechende Empfehlungen in den Merkblättern zur Anfertigung von beglaubigten Übersetzungen des relevanten Bundeslandes? Stilistische Konventionen ▶ Welche Konventionen gelten für die grammatische Struktur (Übergänge: Konjunktionen 93 ) und die logische Struktur (induktiv, deduktiv) der Zielsprache? ▶ Sind diese bei der Übersetzung ohne Einschränkung anwendbar? ▶ Die deutsche Rechtssprache benutzt meistens das Präsens und hat eine Vorliebe für die Passivform; welche Zeit und Form sind in der juristischen Zielsprache üblich? ▶ Zum Ausdruck der Allgemeingültigkeit eines Paragrafen benutzt die deutsche Rechtssprache das Pronomen wer. Welche Möglichkeiten gibt es zum Ausdruck der Allgemeingültigkeit in der juristischen Zielsprache? ▶ Nach welchen Kriterien ist eine eventuelle Auswahl 94 zu treffen? 91 Merkblatt zur Anfertigung von beglaubigten Übersetzungen. Internationale Gerichte sind dagegen für die Beibehaltung des Originalbegriffs. 92 Dies ist in den meisten deutschen Bundesländern der Fall. 93 Nebenordnende (aber, oder, und, denn etc.) und unterordnende (weil, da, damit, dass, indem, während, als etc.) Konjunktionen. 94 Alternativen im Französischen: Quiconque, celui qui, toute personne etc. 114 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Lexik ▶ Gibt es in einem Gesetzbuch der Zielsprache eine dem Schlüsselbegriff (Nötigung) gewidmete Stelle? ▶ Wenn ja, kann der Übersetzer von einem Paralleltext ausgehen? ▶ Wenn nein, muss der Übersetzer das nächstliegende meist gemischt linguistisch-juristische Äquivalent wählen und in einer Anmerkung auf die Problematik hinweisen 95 . Mit den anderen zu klärenden Rechtsbegriffen (rechtswidrig, Gewalt, Drohung, Handlung, Duldung, Unterlassung, Freiheitsstrafe-…) sollte analog vorgegangen werden und zwar in Anwendung derselben Hierarchie: ▶ Suche nach einer eindeutigen juristischen Definition im Gesetz der Ausgangs- und Zielsprachen; falls dieses nicht möglich ist: ▶ Suche nach einem mehrdeutigen juristischen äquivalenten Begriff; falls dieses nicht möglich ist: ▶ Suche nach einem linguistisch-juristischen bzw. rein linguistischen Äquivalent. ▶ Eventuell eine Anmerkung des Übersetzers in Betracht ziehen. In der als Beispiel vorgeschlagenen kurzen Bestimmung befindet sich im Übrigen auch eine im juristischen Sprachgebrauch feststehende Redewendung „mit einem empfindlichen Übel“ für die ein stilistisches Äquivalent gefunden werden sollte. Die Übersetzung wird unter Berücksichtigung von geltenden Landesvorschriften bzw. von Vorschriften einer Behörde und einer Organisation erstellt. Nach Klärung der oben angeführten Fragen sollte die jeweils geltende Richtlinie für die Anfertigung von Übersetzungen herangezogen werden. Als Beispiel wird hier auf das Hamburger Merkblatt 96 Bezug genommen. 6.2.3.3 Einbeziehung der zu berücksichtigenden Behördenvorschriften Überschrift: Gemäß Absatz 2 des Merkblatts ist eine Überschrift mit Angabe der Sprache erforderlich. Vollständigkeit: Absatz 3 macht auf die Vollständigkeit aufmerksam: Alles soll übersetzt oder angezeigt werden. Durchstreichungen: Die als Beispiel angeführte Urkunde weist Durchstreichungen auf: diese müssen auch angegeben werden. Unterschriften und Siegel sind zu übersetzen oder zu beschreiben. Unleserlichkeit ist anzugeben. 95 Dies wäre der Fall mit dem Begriff „Contrainte“ im Französischen, der in der Übersetzung des schweizerischen St GB gewählt wurde. 96 Es ist auch das älteste. FREIE UND HANSESTADT HAMBURG Merkblatt für die Anfertigung von beglaubigten Übersetzungen Stand: 1. August 2002-- Behörde für Inneres -A 243 / 721.00-20 / 9-. Das Merkblatt ist im Anhang abgedruckt. 115 6 Modul Einführung in das juristische Übersetzen Schriftbild: Absatz 4 trägt die Überschrift „Schriftbild“ und verlangt, das Layout der Übersetzung dem des Ausgangstextes anzugleichen. Dieses würde in unserer Musterurkunde auch Anwendung finden. Anmerkungen des Übersetzers: Absätze 8 und 9 weisen auf die Möglichkeit von Anmerkungen des Übersetzers zur Erläuterung oder Klärung möglicher Missverständnisse hin. Vielleicht wäre in der Übersetzung eine Anmerkung über die Funktion des Standesbeamten notwendig. Formalien: Zum Schluss sollte der Übersetzer die formalen Absätze 6 (Schriftträger) und 7 (Verbinden von Blättern) sowie 17 (Beglaubigungsformel) beachten. 6.3 Übungsvorschläge zum Erwerb der Fertigkeit der juristischen Übersetzung Die ausgewählten Übungsvorschläge sind typische Beispiele aus der Praxis des Gerichts- und Behördenübersetzers. Sie lassen die ersten Schritte des Translationsprozesses erkennen. Vier Übersetzungsschritte sind bei der juristischen Übersetzung notwendig: ▶ Entschlüsselung bzw. Analyse 97 des Ausgangstextes 98 (semantischer Vorgang) ▶ Sicheres Verständnis des Ausgangstextes ▶ Neu-Verschlüsselung (onomasiologischer Vorgang) in der Zielsprache unter Berücksichtigung der geltenden Konventionen, damit die Funktion des Ausgangstextes in dem Zieltext signalisiert wird ▶ Neu-Formulierung à Übersetzung Aus der eben schematisch dargestellten Vorgehensweise ergibt sich die Notwendigkeit einer konsequenten Hierarchie der einzusetzenden Hilfsmittel: 99 Zusätzlich zu dem für jeden professionellen Übersetzer notwendigen Rüstzeug- - d. h. Enzyklopädien, Lexika, Wörter- und Fachbücher sowie Translation Memory Tools 100 -- sollten am Arbeitsplatz des juristischen Übersetzers folgende, hier nach Wichtigkeit geordnete Hilfsmittel für jede Arbeitssprache zur Verfügung stehen: ▶ Einsprachige Rechtswörterbücher, ▶ Listen von Abkürzungen, ▶ Gesetzbücher im Original und, wenn möglich, in einer anerkannten Übersetzung, Urkundenmustersammlungen, ▶ mehrsprachige Lexika, ▶ die im Land geltende Richtlinie zur Urkundenübersetzung, ▶ Literatur zur Rechtssprache, ▶ Literatur zur juristischen Übersetzung ▶ Internetlinks zu Gerichten, Behörden und Verwaltungen, 97 Sourioux / Lerat (1992) 11 ff. 98 Bocquet (1994). 99 Sowohl auf Papier als auch in elektronischer Form. 100 Software zum Speichern von Übersetzungssegmenten: Across, DejaVu, Multitrans, SDLX , Transit, TRADOS etc. 116 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen ▶ Internetlinks zum Bundesanzeiger und den entsprechenden Amtsblättern der Zielsprache, ▶ ferner eine vom Übersetzer geführte, laufend aktualisierte Terminologieliste, die beim Dolmetschen nützlich eingesetzt werden kann. 6.3.1 Übung 1: Urkunden Ein großer Teil der Aufträge besteht aus Urkunden aus dem Personenstandswesen. Setting: nach einer allgemeinen Einführung in der Gruppe erfolgt die Textanalyse in Allein- Übung. Material: Sammlung von Urkunden, insbesondere Standesurkunden. Übungszweck: erste Etappe zur Einführung in das juristische Übersetzen. Die strikte methodische Vorgehensweise wird anhand dieser relativ einfachen Textvorlagen eingeübt. Phraseologie und Konvention des Urkundenwesens werden besonders beachtet und für spätere Aufträge festgehalten. Hier wird zuerst ein Ehefähigkeitszeugnis als Übungsgrundlage vorgeschlagen. Standesamt Magdeburg Ehefähigkeitszeugnis Der Martha Galando, geboren am 7. 10. 1980 in Tamaro, Rumänien, wohnhaft in 39190 Magdeburg, Breitscheidstr. 6 wird bescheinigt, dass seiner / ihrer Eheschließung mit Bert Simser geboren am 8. 11. 1979, in Esheim, Deutschland Staatsangehörigkeit: rumänische nach deutschem Recht / dem im Deutschen Reich / der Bundesrepublik Deutschland kein bekanntes Hindernis entgegensteht, Gültigkeitsdauer: Sechs Monate seit dem Tage der Ausstellung. Magdeburg, den 20. 6. 2006 Der Standesbeamte Otto Grestein Siegel: Ausführung Vorbereitende Textanalyse: Die Übersetzungsarbeit beginnt mit der systematischen Klärung der Kernpunkte. Folgende Fragen sind zu stellen: 117 6 Modul Einführung in das juristische Übersetzen ▶ Quelle und Funktion des zu übersetzenden Textes? Diese Informationen sind in einsprachigen Rechtswörterbüchern mit Angabe der zu konsultierenden Rechtsquellen zu finden. 101 ▶ Woran sehen Sie, dass es sich um eine Urkunde handelt? Bitte suchen Sie nach der exakten Definition einer Urkunde in der Ausgangs- und in Zielsprache. ▶ Erfüllt die äußere Form dieses Textes die Anforderungen an eine Urkunde (Hinweise auf den Autor, Unterzeichnung, Siegel)? ▶ Was ist der Zweck bzw. die Funktion dieser Urkunde? Definieren Sie die Ehefähigkeit. 102 ▶ Können Sie äquivalente Parallelurkunden in der Zielsprache finden? Fragen zu Schlüsselbegriffen und Vergleich: ▶ Bitte suchen Sie die Definition eines Standesbeamten 103 . Gibt es Standesbeamte oder Äquivalente in der Zielsprache? ▶ Werden vergleichbare Urkunden im Lande der Zielsprache ebenfalls von einem Standesbeamten ausgestellt? ▶ Was sind die Hindernisse zur Ehefähigkeit in Ausgangs- und Zielsprache? Textstruktur und Konventionen und Vergleich: ▶ Welche feststehenden Konventionen zur Angabe der Personalien gelten in den Ausgangs- und Zielsprachen (Namenform, geboren, wohnhaft etc.)? ▶ Welche Zeit und Formen werden in beiden Sprachen bei Urkunden vorgezogen? 101 Creifelds Rechtswörterbuch (2004): „Urkunde- - ist eine in Schriftzeichen verkörperte Gedankenäußerung. Lediglich im Strafrecht ist der Begriff der Urkunde weiter (→Urkundenfälschung). Man unterscheidet öffentliche und Privaturkunden. Öffentliche U. sind solche, die von einer →Behörde innerhalb ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind (§ 415 I ZPO ). Dazu gehören insbes. die notariellen U. (→Form, 1 c), aber auch ZustellungsU. der Bediensteten der Deutschen Post AG (§ 182 ZPO). Privaturkunden sind alle anderen, nicht öffentlichen U., auch wenn die Unterschrift öffentlich beglaubigt ist (→Formerfordernisse, 1 b). Echt ist eine U. grundsätzlich dann, wenn sie von der Person stammt, welche die Urkunde nach ihrem Inhalt, insbes. nach der Unterschrift, ausgestellt haben soll.“ 102 Creifelds Rechtswörterbuch (2004): Ehefähigkeit ist die Fähigkeit einer Person zur rechtswirksamen →Eheschließung. Wer geschäftsunfähig ist (→Geschäftsfähigkeit), kann eine Ehe nicht eingehen (§ 1304 BGB ). Eine Ehe soll ferner nicht vor Eintritt der →Volljährigkeit eingegangen werden (sog. Ehemündigkeit, § 1303 I BGB ). 103 Creifelds Rechtswörterbuch (2004), Standesbeamter: „Dem St. obliegt die Vornahme der →Eheschließung sowie die Führung der →Personenstandsbücher und die Erteilung von →Personenstandsurkunden (sog. Personenstandssachen); auch ist er zur Entgegennahme namensrechtlicher Erklärungen zuständig (→Name der Familie, →Name des Kindes, →Einbenennung usw.); s.a. →Lebenspartnerschaft. Die Aufgaben des Standesamts sind staatliche Angelegenheiten, die den Gemeinden zur Erfüllung nach Anweisung übertragen worden sind (§§ 51 ff. PS tG).“ 118 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Anfertigung einer Arbeitsliste für Urkunden Um wiederkehrende Übersetzungsfragen möglichst endgültig zu lösen, sollten Arbeitslisten für die jeweiligen Textgattungen angefertigt werden, die später in Datenbanken eingearbeitet werden sollten. Folgende Kategorien sollten bei einer Terminologieliste berücksichtigt und auf Termini der Ausgangssprache und ihre möglichen Übersetzungen angewendet werden (auf dieser Grundlage wird dann über die Notwendigkeit und den relevanten Inhalt einer Anmerkung des Übersetzers entschieden): ▶ Spalte eins einer tabellarischen Darstellung: Begriff oder feststehender Ausdruck in der Ausgangssprache ▶ Spalte zwei: Quellen, Definition in der Ausgangssprache ▶ Spalte drei: Übersetzungsvorschlag in der Zielsprache mit Hinweis auf Entsprechungsqualität durch Symbole (=-eindeutig, ≈ entspricht etwa, ≠ keine eindeutige Entsprechung) ▶ Spalte vier: Quellen, Definition, Begründung für die gewählte Äquivalenz. Interessant ist auch die Frage nach der Zugehörigkeit des jeweiligen Begriffs: ▶ eindeutiger (monosemischer), einem Rechtsgebiet zugehöriger juristischer Fachbegriff in der Ausgangssprache und in der Zielsprache? ▶ mehrdeutiger (zu mehreren Rechtsgebieten gehörender) juristischer Fachbegriff in der Ausgangssprache und in der Zielsprache? ▶ gemischte Zugehörigkeit (Rechtssprache und Umgangssprache) in der Ausgangssprache? Folgende Begriffe sollten für die Urkundenübersetzung endgültig geklärt werden: ▶ Standesamt ▶ Ehefähigkeit ▶ Zeugnis ▶ Bescheinigen ▶ Eheschließung ▶ Staatsangehörigkeit ▶ Gültigkeitsdauer ▶ Ausstellung ▶ Siegel 6.3.2 Übung 2: Anklageschrift Sehr häufig wird vom Gerichtsdolmetscher die Übersetzung der Anklageschrift verlangt. In der Sitzung wird dieses Dokument vom Blatt gedolmetscht, indem der Dolmetscher mit Hilfe des Textes den vom Staatsanwalt verlesenen Anklagesatz simultan übersetzen muss. Die Anklageschrift gibt eine sehr gute Einführung zum Strafverfahren und sollte daher unbedingt Teil der Gerichtsdolmetscherausbildung sein. 119 6 Modul Einführung in das juristische Übersetzen Setting: Vorbereitung der Textanalyse als Allein-Übung, Gruppenübung Material: Sammlung von Anklageschriften, Musterurteile Übungszweck: Auseinandersetzung mit Entscheidungstexten, Assimilieren der besonderen Syntax, Lexik Aufgabenbeschreibung und Empfehlung Nachstehende Anklageschrift sorgfältig lesen, definitionsbedürftige Begriffe und Redewendungen sowie besondere syntaktische Strukturen markieren. Staatsanwaltschaft Hamburg, den 16. 09. 06 bei dem Landgericht Hamburg GeschäftsNr.: 202 Js 296 / 06 Anklageschrift Der Tischler Anton Sanda geboren am 01. 02. 1975 in Tchamba / Togo ledig Staatsangehörigkeit: Togolesisch wohnhaft: Ottmarstraße 28 24000 Hamburg nicht vorbestraft wird angeklagt, in Hamburg vom 24. 10. 04 bis 04. 12. 05 in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt zu haben, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregte oder unterhielt, indem er als Empfänger von Sozialhilfe der Sozialabteilung des Bezirksamtes Hamburg Mitte unter Verletzung der Offenbarungspflicht gemäß § 60 I SGB I die Arbeitsaufnahme bei der Fa. Wadan & Co GmbH nicht mitteilte und dadurch insgesamt € 3.579,72 von dem zuständigen öffentlichen Leistungsträger zu Unrecht ausgezahlt erhielt und für sich behielt. Vergehen, strafbar nach §§ 263, 13 St GB , 1, 3, 105 JGG . Rechtliches Gehör ist angeboten worden. 120 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Quelle und Funktion des zu übersetzenden Textes bestimmen Diese Informationen werden in der Strafprozessordnung in § 200 St PO und durch die Nr. 110-112 RiSt BV ausführlich dargelegt. Zusätzlich können einsprachige Rechtswörterbücher herangezogen werden. ▶ Was ist die Funktion der Anklageschrift? ▶ Wer ist der Autor der Anklageschrift? ▶ Definition der juristischen und behördlichen Fachtermini anhand von Primärquellen (Gesetzestexte, hier z. B. St PO für die Anklageschrift) ▶ eventuelle Klärung von Sekundärbegriffen (hier: „beglaubigt“, Bezirksjugendgericht, Geschäftsnummer usw.) ▶ Klärung der Abkürzungen Von der Funktion des Ausgangstextes ausgehend Paralleltext suchen Unter Heranziehung einsprachiger Rechtswörterbücher oder einschlägiger Gesetzestexte werden folgende Fragen gestellt: ▶ Durch welche Maßnahmen wird die Eröffnung des Hauptverfahrens im Staate der Zielsprache beantragt? Beweismittel: Zeugen: 1. Fr. Alberta Sicher BL 5 d.A. 2. instruierter Vertreter der Fa. Wadan & Co GmbH- Bl 6 d. Urkunden 1. Kopie seiner Erklärung gem. § 60 AFG v. 31. 01. 94 B1.: 6 d.A. - 2. Kopie des Aufhebungsu. Erstattungsbescheides v.09. 02. 96 BI .: 7 d.A.- 3. Kopie des Arbeitsvertrages mit der Fa. Erewer 4. Kopien der Anträge auf eine Arbeitserlaubnis durch die Fa. Erewer BI .: 14f d.A. Es wird beantragt, das Hauptverfahren zu eröffnen und Termin zur Hauptverhandlung anzuberaumen vor dem Amtsgericht Hamburg Bezirksjugendgericht, Jugendrichter. B1.: 16ff d. A. - gez. Rundholz Staatsanwalt beglaubigt Martin Justizangestellte 121 6 Modul Einführung in das juristische Übersetzen ▶ Wird im Staate der Zielsprache eine Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft gestellt? 104 ▶ Entsprechungen für die markierten Schlüsselbegriffe kritisch bestimmen (belegen) ▶ über die Textstruktur und Konventionen der Zielsprache kritisch entscheiden: Kann und soll z. B. die Syntax des Ausgangstextes nachgeahmt werden? Welche sind die Konventionen der Rechtssprache in der Zielsprache (Zeiten, Modi, Substantivierungen)? Anfertigung einer Arbeitsliste der typischen Fachbegriffe Es ist hilfreich mit Kategorien zu arbeiten. Endgültig zu klärende typische Begriffe der Anklageschriften sind: ▶ Staatsanwaltschaft ▶ Landgericht ▶ Anklageschrift ▶ vorbestraft ▶ Vergehen ▶ strafbar ▶ rechtliches Gehör ▶ Beweismittel ▶ gemäß ▶ Zeugen ▶ es wird beantragt ▶ Hauptverfahren ▶ Hauptverhandlung ▶ rechtswidrig ▶ Verletzung ▶ zu Unrecht ▶ Vermögensvorteil Diese Begriffe sollten in das vorgeschlagene Tabellenmuster aufgenommen und laufend ergänzt werden. ▶ Syntaktisches Merkmal: (Anreihung von Ort und Zeitangaben und Einführung der Umstände mit „indem“) Erst nach dieser gründlichen Textanalyse darf die eigentliche Übersetzung in Angriff genommen werden. 104 Bei einer Sprache, die in mehreren Staaten gesprochen wird, muss sich der Gerichtsdolmetscher nach dem Adressaten richten und die geeignetem juristischen und gerichtlichen Bezeichnungen eines Staates wählen. 122 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen 6.3.3 Weitere Übungsvorschläge Aus Zivil-, Familien- oder Wirtschaftsverfahren (Gesellschaftsverträge) können Urkunden nach den beschriebenen Arbeitsschritten als Allein- und Gruppenübungen angeboten werden. 6.4 Gestaltung von Einführungsveranstaltungen Gruppengröße: maximal 12 Teilnehmer Unterrichtsgliederung Einführung (90 Min): Besonderheiten der deutschen Rechtssprache, Typologie der juristischen Texte, Konventionen, Schritte der juristischen Übersetzung, Hierarchie der Hilfsmittel, Beispiel einer Textanalyse Eigenarbeit: Die Teilnehmer erhalten Textmuster in deutscher Sprache und Zielsprache und bereiten die jeweiligen Textanalysen mit Tabelle zur Rechtfertigung sowie einen Übersetzungsentwurf vor. Gruppenarbeit mit Dozent (jeweils 90 Minuten pro Rechtstextgebiet): Bestimmung der problematischen Textstellen, Lösungsangebote mit Begründung, Einigung über die Anfertigung der Übersetzung. 6.5 Zur Vertiefung Bocquet, Claude, 1994. Pour une méthode de traduction juridique. Prilly: CB Sevice SA . Bocquet, Claude, 2008. La traduction juridique, Fondement et méthode. Bruxelles: Groupe De Boeck s.a. Cebulla, Manuel, 2007. Sprachmittlerstrafrecht, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Dolmetscher und Übersetzer. Schriften zur Rechtswissenschaft, Band 83. Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin. Cornu, Gérard, 1990. Linguistique juridique. Paris : Monchrestien. Daum, Ulrich, 1995. Gerichts- und Behördenterminologie. 9. überarbeitete Aufl. Berlin: Schriften des BDÜ 31. Engbert, Jan, 1992. Wie analysiert man Gerichtsurteile? -- Ein Plädoyer für eine textsortenspezifische Textanalyse, in: Grinsted, Annette; Wagner, Johannes (Hrsg.): Communication for specific purposes, Tübingen: Narr, 93-111. (dt-dän.) Sarcevic, Susan, 1997. New Approach to Legal Translation. The Hague: Kluwer Law International. Schlüter-Ellner, Corinna, 2011. Juristendeutsch verständlich gemacht und Treffende Verben in der deutschen Rechtssprache, BDÜ Schriftenreihe 40. Berlin: BDÜ . Sims, Vanessa, 2001. English Law and Terminology, Baden: Nomos. Simon, Heike; Funk-Baker, Gisela, 2009. Einführung in das deutsche Recht und in die deutsche Rechtssprache. 4. Auflage, München: Beck Juristischer Verlag. 123 6 Modul Einführung in das juristische Übersetzen Standardformulierungen für deutsche Vertragstexte. Mit Übersetzungen in englischer, französischer und spanischer Sprache. Zusammengest. v. Sprachendienst des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland, 2004. (Terminological Series / Terminologische Schriftenreihe 4). 4., neubearb. Auflage, Berlin et al.: de Gruyter. Stengel-Hauptvogel, Ina, 1997. Juristisches Übersetzen Spanisch-Deutsch: Immobilienkaufverträge, Tübingen: Narr. Übungsmaterial: Musterformulare: http: / / www.muster-formular.de/ musterformulare/ index.php (letzter Zugriff: 13. 03. 2017). EUR -Lex-- Der Zugang zum EU -Recht http: / / eur-lex.europa.eu/ de/ index.htm (letzter Zugriff: 13. 03. 2017). In diesem Modul erzielte Kompetenz Die Teilnehmer haben die Merkmale der juristischen Sprache kennengelernt. Sie haben gelernt, die methodischen Schritte der juristischen Übersetzung zu praktizieren: ▶ Entschlüsselung und Verständnis des Textes in der Ausgangssprache, ▶ Verarbeitung und Neuverschlüsselung des Inhaltes in der Zielsprache. Sie haben die Hierarchie der einzusetzenden Hilfsmittel verstanden und wenden diese systematisch bei der Textanalyse ein. 125 7 Ausblick 7 Ausblick Nach dem Erwerb und Nachweis der Dolmetsch- und -Übersetzungqualifikationen für Gericht und Behörde, zu dem das vorliegende Studienbuch beitragen möchte, empfiehlt sich die Bemühung um eine öffentliche Bestellung und allgemeine Beeidigung. Nachstehende Hinweise in der Form einer Checkliste mögen bei der Annahme und Ausführung von Gerichts- und Behördenaufträgen hilfreich sein. 7.1 Empfehlungen bei der Annahme eines Auftrages Vor der Auftragsannahme sollte sich der Dolmetscher immer vergewissern, dass er auch tatsächlich imstande ist, den Einsatz gewissenhaft durchzuführen. Der berufsethische Anspruch soll hier als Richtschnur gelten. 7.1.1 Bestätigung der Sprache bzw. des Dialekts Manchmal begehen Geschäftsstellen Fehler bei der Zuordnung der Sprache zu einem bestimmten Land (Beispiel: Gambia und Senegal). Der bloße Anstand gebietet es, die Bedarfsträger auf den unnötig kostspieligen Irrtum sofort aufmerksam zu machen. Stellt der Dolmetscher fest, dass er die Sprache bzw. den Dialekt nicht einwandfrei beherrscht, so hat er den Auftrag abzulehnen (Beispiel: Ladung eines chinesischen Dolmetschers, der zwar Hochchinesisch, jedoch kein Kantonesisch beherrscht). Stellt der Dolmetscher fest, dass er die Sprache zwar beherrscht, jedoch ohne den politischen oder soziokulturellen Hintergrund des betreffenden Landes gründlich zu kennen, so wäre zumindest eine entsprechende Vorbereitungszeit einzuplanen (Beispiel: Englisch / USA , Französisch / Belgien, Spanisch / Latein-Amerika). 7.1.2 Spezifische Fachgebiete Der Dolmetscher sollte sich über im Laufe der Verhandlung aufkommende Fachgebiete (Medizin, Bankwesen, Technik usw.) informieren. Er kann den Auftrag nämlich nur dann annehmen, wenn eine angemessene Vorbereitung zeitlich möglich ist. Die Vorbereitung erfolgt entweder mit eigenen Mitteln (Beispiel: technische Themen) und / oder durch Einsichtnahme in für diesen Zweck wichtige Teile der Akte (Beispiel: Vorbereitung der Übertragung von medizinischen Gutachten). Besonders taktvoll muss der Dolmetscher den Vorsitzenden von der Wichtigkeit seiner Vorbereitung für den zügigen Verlauf der Verhandlung überzeugen. Dabei ist zu vermitteln, dass die gründliche Vorbereitung des Dolmetschers dessen Neutralität keineswegs beeinträchtigt. 126 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen 7.1.3 Eventuelle Befangenheit Der Dolmetscher sollte sich vergewissern, dass er seine Tätigkeit völlig unbefangen ausführen kann. Im Zweifelsfall ist der Auftrag abzulehnen. Mögliche Gründe für Befangenheit: ▶ Dem Dolmetscher geht das besondere Thema emotional so nahe, dass er möglicherweise nicht mehr im vollen Besitz seiner Fähigkeiten arbeiten kann (Beispiel: Sittlichkeitsdelikte, eigene ähnliche Erlebnisse). ▶ Der Dolmetscher kennt den Angeklagten persönlich, und diese Tatsache könnte zu einer Beeinträchtigung der Verteidigung des Angeklagten (Schamgefühl des Angeklagten) führen. 7.1.4 Vorbereitung des Auftrags Der Gerichtsdolmetscher bildet sich ständig weiter und bereitet die einzelnen Aufträge gründlich vor. Als Vor-Information sollte man beispielsweise die Anklage- oder Klageschrift o. Ä. sorgfältig lesen. Die Fachterminologie / Fachgebiete sollten entsprechend aufgefrischt werden. 7.2 Während der Sitzung 7.2.1 Vorstellung des Gerichts Wenn der Vorsitzende es unterlässt, werden dem Angeklagten bzw. Beklagten oder Kläger die Gerichtsteilnehmer vom Dolmetscher vorgestellt. 7.2.2 Rolle des Dolmetschers und Konventionen Den Parteien ist ferner Folgendes zu vermitteln: ▶ Der Dolmetscher ist neutral und unparteiisch. ▶ Der Dolmetscher dolmetscht alles Gesprochene. ▶ Er ist kein Rechtsberater, kein Sozialarbeiter und unterhält sich im Laufe der Verhandlung bzw. in den Pausen nicht privat. Direktes Ansprechen zwischen den Prozessteilnehmern (Gericht, Verteidiger, Angeklagte, Zeugen usw.) ist zu bevorzugen, da es zur Eindeutigkeit beiträgt. Die Form: „Fragen Sie ihn, ob er in der Stadt war“ ist meistens irreführend, während eine direkte Frage „Waren Sie in der Stadt? “ mögliche Missverständnisse vermeidet. 127 7 Ausblick 7.2.3 Inhalt des Dolmetschens Alles und nichts Anderes-- keine Vereinfachung; Einhaltung der Stilebene, akkurate Terminologie; der Ausländer soll das verstehen, was ein Deutscher verstehen würde, damit er vor dem Gesetz gleichbehandelt wird. 7.2.4 Wahl der Dolmetschtechniken Der Dolmetscher passt die üblichen Dolmetschtechniken den Kommunikationszwängen sinnvoll und flexibel an. ▶ konsekutiv: Für das Dolmetschen von längeren Redeabschnitten (etwa 3 Minuten beim Gericht) mit Hilfe der Notizentechnik im Anschluss an den Redner. Beispiel: Bericht eines ausländischen Sachverständigen oder Zeugen. Grund: Laut St PO steht es diesen zu, im Zusammenhang, d. h. ohne Unterbrechung auszusagen. ▶ konsekutiv ohne Notizen: Dolmetschen von mehreren Sätzen (Informationsblöcken) ohne Notizen (maximal 1 bis 2 Minuten). Beispiel: Vernehmung zur Person (Dialoge). ▶ Simultanflüstern: Wenn der Dolmetscher ausschließlich für den Angeklagten / Zeugen dolmetscht (bei Zeugenvernehmung bzw. Sachverständigenberichten). Die Verhandlung wird nicht gestört, während alles gedolmetscht wird. 7.3 Verhalten beim Scheitern der Kommunikation Ein Scheitern der Kommunikation zwischen Gericht und Ausländer entsteht häufig aufgrund der unterschiedlichen soziokulturellen Hintergründe. Einerseits sind Rechtssprache und Gerichtsverfahren für Laien schwer verständlich; andererseits werden Ausländer von nationalen Gerichten aufgrund der Unkenntnis ihnen fremder Traditionen oder politischer Ereignissen häufig missverstanden. Vor dem folgenschweren endgültigen Scheitern der Kommunikation hat der Dolmetscher gelegentlich erklärend einzugreifen. Dabei sind jedoch strikte berufsethische Regeln einzuhalten: ▶ Da der auf Neutralität bedachte Dolmetscher primär zur Übertragung zwischen zwei Sprachen beauftragt wurde, muss die abzugebende Erklärung wirklich unverzichtbar sein. ▶ Da der Vorsitzende der Leiter der Verhandlung ist, kann der unparteiische Dolmetscher seine Autorität nicht beschneiden und bittet den Vorsitzenden daher taktvoll, die Erklärung abgeben zu dürfen. Die Initiative einer Ablehnung bleibt dem Vorsitzenden unbenommen. ▶ Auf die würdevolle und gleichberechtigte Behandlung des Sprachunkundigen bedacht, informiert der Dolmetscher auch diesen über die Notwendigkeit der Erklärung. Der Dolmetscher gibt dann die Erklärung ohne Ausschweifung. 128 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Nach dem deutschen Gesetz ist der Dolmetscher zwar kein Sachverständiger, das Gericht kann ihn jedoch jederzeit um ein Gutachten bitten und ihn dann ad hoc als Sprachsachverständigen beeidigen. Richtschnur der Dolmetschstrategie sind immer die berufsethischen Prinzipien des Dolmetschers und die in der Europäischen Menschenrechtskonvention und im Grundgesetz verankerte Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. 129 8 Bibliographie 8 Bibliographie ARD , Tageschau. http: / / www.tagesschau.de/ (letzter Zugriff: 10. 04. 2017). Baigorri-Jalón, Jesús, 2005. Interpreters at the United Nations: A History, Interpreting 7(1), 141-146. BDÜ , 2014. Berufs- und Ehrenordnung (Grundsätze des Standesrechts) [ PDF ]. http: / / www.bdue.de/ der-bdue/ statuten/ berufs-und-ehrenordnung (letzter Zugriff: 10. 04. 2017). Becker, Wilfried, o. J. Notizentechnik. Germersheim: BBK Gesellschaft für moderne Sprachen mbH. Beiersdorf AG . Verletzungsarten. Hansaplast. http: / / www.hansaplast.de/ med-info/ Wund-versorgung/ Verletzungsarten.html (letzter Zugriff: 25. 01. 2011). Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, 2003. 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Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001 / 220 / JI . 133 8 Bibliographie Rozan, Jean-François, 1957. La prise de note en interprétation consécutive. Genève: Université de Genève Georg & cie S. A. Schlüter-Ellner, Corinna, 2011. Juristendeutsch verständlich gemacht und Treffende Verben in der deutschen Rechtssprache, BDÜ Schriftenreihe 40. Berlin: BDÜ . Schweda-Nicholson, Nancy. 1992. The Provision of Interpretation Services for Lesser-Used Languages in the United States Courts: A Language Planning Perspective, LPLP , 16: 1, 38-52. Seleskovitch, Danica, 1978. Langage, langues et mémoire. Etude de la prise de notes en interprétation consécutive. Paris: Lettres Modernes. Seleskovitch, Danica, 1988. Der Konferenzdolmetscher: Sprache und Kommunikation (Textcontext. Beiheft). Heidelberg: Groos. Seleskovitch, Danica / Lederer, Marianne, 2001. Interpreter pour traduire. 4. 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Berlin: Bundesverb. der Dolmetscher und Übers. 135 Anhang Anhang Berufsverbände Europa EULITA (European Legal Interpreters and Translators Association) http: / / www.eulita.eu/ home (letzter Zugriff: 01. 03. 2017) Deutschsprachiger Raum Assoziierte Dolmetscher und Übersetzer in Norddeutschland e. V. ( ADÜ Nord) Wendenstraße 435 D-20537 Hamburg http: / / www.adue-nord.de (letzter Zugriff: 01. 03. 2017) ATICOM -- Fachverband der Berufsübersetzer und Berufsdolmetscher e. V. Winzermarkstr. 89 D-45529 Hattingen http: / / www.aticom.de (letzter Zugriff: 01. 03. 2017) Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer e. V. ( BDÜ ) Bundesgeschäftsstelle Kurfürstendamn 170 D-10707 Berlin http: / / www.bdue.de (letzter Zugriff: 01. 03. 2017) Österreichischer Verband der Gerichtsdolmetscher ( OVGD ) Postfach 14 A-1016 Wien http: / / www.gerichtsdolmetscher.at (letzter Zugriff: 01. 03. 2017) Association suisse des traducteurs, terminologues et interprètes ASTTI Schweizerischer Übersetzer-, Terminologen- und Dolmetscher-Verband Terminologs ed Interprets Postgasse 17 CH -3011 Bern http: / / www.astti.ch (letzter Zugriff: 01. 03. 2017) 136 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen FREIE UND HANSESTADT HAMBURG 01.10.2010 Behörde für Inneres und Sport Merkblatt für die Anfertigung von beglaubigten Übersetzungen 1. Anwendungsbereich Dieses Merkblatt ist bei der Anfertigung von schriftlichen Übersetzungen sowohl in die deutsche als auch in die fremde Sprache zu beachten. Es ist sinngemäß auch bei der mündlichen Übertragung (Dolmetschen) anzuwenden. 2. Überschrift Die Übersetzung ist mit einer Überschrift zu versehen, die sie in deutscher Sprache als "Beglaubigte Übersetzung aus der ... Sprache", ggf. als "Beglaubigte Teilübersetzung aus der ... Sprache" kennzeichnet. Bei Übersetzungen in eine fremde Sprache ist eine sinngemäße, fremdsprachige Überschrift anzubringen. 3. Vollständigkeit und Richtigkeit Die Vorlage ist als eine Einheit zu betrachten und soll inklusive aller Zusätze (Beglaubigungsvermerke, Apostille, handschriftliche Zusätze usw.) vollständig übersetzt werden. Wird der Auftrag auf eine auszugsweise Übersetzung beschränkt, so sind die Auslassungen zu kennzeichnen, möglichst unter stichwortartiger Bezeichnung des nicht übersetzten Teils. Die auf Vordrucken üblichen Verlagsangaben oder drucktechnischen Hinweise (Vordrucknummern oder Auflagenbezeichnungen) sind regelmäßig nicht zu übersetzen. Gebührenmarken, Stempel- und Siegelabdrucke, Unterschriften, Paragraphen Auf dem Ausgangsdokument angebrachte Gebührenmarken, Stempel- und Siegelabdrucke sind in der Übersetzung zu erwähnen. Die in Stempel- oder Siegelabdrucken enthaltenen Texte sind zu übersetzen, sofern es zum Verständnis erforderlich ist, ansonsten reicht eine Beschreibung (z.B. Siegel der im Kopf der Urkunde beschriebenen oder der ausstellenden Behörde). Unterschriften und Paraphen sind als solche zu beschreiben, ggf. mit dem Zusatz "unleserlich". 4. Schriftbild 4.1 Das Layout der Übersetzung soll dem des Ausgangstextes angeglichen werden. 4.2 Bei technisch notwendigen erheblichen Abweichungen sind entsprechende Hinweise (z.B. rechts oben, am linken Rand, senkrecht stehend usw.) anzubringen. Bei mehrseitigen Vorlagen mit Seitennummerierung ist vor dem jeweiligen Text die entsprechende Seitenzahl des Ausgangstextes anzugeben. 4.3 Bei der Übersetzung von auf Vordrucken gefertigten Texten sind leere Felder oder Spalten zu kennzeichnen mit "Anm. des Übers.: keine Eintragung". 4.4 Im Ausgangstext mit Füllstrich geschlossene Felder oder Zeilen sind auch in der Übersetzung entsprechend darzustellen. 137 Anhang 5. Auffälligkeiten Auf Auffälligkeiten des zu übersetzenden Dokuments (z.B. Rasuren, hand- oder maschinenschriftliche Verbesserungen und Überschreibungen, Streichungen usw.) ist in einer Anmerkung hinzuweisen. Durchgestrichene, aber lesbar gebliebene Textstellen sollen ebenfalls übersetzt und als im vorgelegten Schriftstück gestrichen gekennzeichnet werden. Werden durchgestrichene Stellen nicht übersetzt, so ist in einer Anmerkung darauf hinzuweisen. Ebenso ist in einer Anmerkung auf durchgestrichene und dadurch unlesbar gewordene Stellen hinzuweisen. 6. Schriftträger und Schreibmittel Die für die Erstellung der Übersetzung verwendeten Materialien (Papier und Farbstoffe der Schreibgeräte einschließlich Stempelfarbe für den Siegelabdruck) sollen urkundenecht sein. 7. Verbinden von Blättern Besteht die Übersetzung aus mehreren Blättern, so sind diese zu nummerieren (unabhängig und zusätzlich zu einer etwaigen Nummerierung der Vorlage) und so miteinander zu verbinden, dass der Zusammenhang nicht ohne äußerlich erkennbare Beschädigung aufgehoben werden kann. Als Material für derartiges Verbinden kommen Klebesiegel, Ösen und Urkundengarn in Betracht. Andernfalls ist jedes einzelne Blatt der Übersetzung mit dem Abdruck des Siegels und dem Handzeichen des Übersetzers zu kennzeichnen. 8. Anmerkungen Anmerkungen des Übersetzers sind an geeigneter Stelle z.B. als Fußnoten anzubringen und mit dem Zusatz "Anm. d. Übers." zu versehen. Anmerkungen sollen insbesondere dann angebracht werden, wenn die korrekte Übersetzung in der Zielsprache missverständlich sein kann, weil es z.B. vergleichbare Rechtsinstitute nicht gibt oder die Begriffsinhalte erheblich voneinander abweichen. 9. Bezeichnungen von Behörden, Gerichten und sonstigen öffentlichen Stellen Derartige Bezeichnungen sollen übersetzt, hilfsweise in der Originalbezeichnung übernommen und insbesondere dann in einer Anmerkung erläutert werden, wenn es in der Zielsprache keine entsprechenden Institution gibt. Hilfreich können als Anmerkung auch Funktionsbezeichnungen sein (Straf-, Zivil-, Vormundschafts- oder Familiengericht, Standesamt, Genehmigungsbehörde für ..., Notariat, Kammern, Standesorganisationen o.ä.). 10. Zahlen und Datumsangaben Zahlen sind unverändert mit arabischen Ziffern oder römischen Zahlzeichen wiederzugeben. Die Reihenfolge der Elemente einer Datumsangabe bestimmt sich nach den Regeln der Zielsprache (in Deutschland nach DIN 5008). Zahlenangaben in Worten sind auch in der Übersetzung in Worten zu übertragen. Das gilt auch für die Bezeichnung von Monaten innerhalb einer Datumsangabe. Datumsangaben in einer anderen Zeitrechnung sind als solche zu erläutern. Die Umrechnung ist in einer Anmerkung darzustellen. 11. Abkürzungen Abkürzungen sind nach Möglichkeit aufzulösen und zu übersetzen. Bezeichnungen von Gesetzen und vergleichbaren Normen sind zu erläutern, wenn die Übersetzung in der 138 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen Zielsprache nicht verständlich sein würde. Bezeichnungen wie Strafgesetz, Personenstandsgesetz, Handelsgesetzbuch oder Zivilprozessordnung dürften in der Regel ausreichend sein. Kann die Bedeutung einer Abkürzung oder einer sonstigen Zeichenfolge mit vertretbarem Aufwand nicht festgestellt werden, ist dies ebenso zu erläutern. 12. Schreibfehler, inhaltliche Fehler Im Ausgangstext enthaltene Schreibfehler können, sofern sie nicht sinnentstellend sind, in der Übersetzung kommentarlos ignoriert werden. Sofern das fehlerhafte Wort unverändert in die Übersetzung zu übernehmen ist (z.B. Orts- oder Personennamen), ist auf den Schreibfehler soweit erforderlich unter Angabe der richtigen Schreibweise hinzuweisen. Erkennt der Übersetzer inhaltliche Fehler in dem zu übersetzenden Schriftstück, sollte er in geeigneter Weise darauf hinweisen, um dem Entstehen des Verdachts, fehlerhaft übersetzt zu haben, entgegenzuwirken. 13. Zeugnisse, Diplome und vergleichbare Dokumente 13.1 Bei Zeugnissen und Diplomen sind der Schultyp, die Noten, die Berufsbezeichnung oder der akademische Grad möglichst genau zu übersetzen. In einer Anmerkung kann eine inhaltlich entsprechende deutsche bzw. fremdsprachige Bezeichnung angegeben werden. Zu vermeiden ist eine Formulierung, die als Präjudiz für ein Feststellungs- oder Genehmigungsverfahren missverstanden werden kann. 13.2 Die verbindliche Feststellung der deutschen Entsprechung obliegt den zuständigen Behörden, nämlich den Kultusministerien und der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Bundesrepublik Deutschland. 13.3 Den Auftraggebern sollte mit der Übersetzung der folgende Hinweis gegeben werden: "Im Rechtsverkehr der Bundesrepublik Deutschland dürfen an ausländischen Bildungseinrichtungen erworbene akademische Grade erst nach Erteilung der erforderlichen Genehmigung geführt werden. Eine Führung ohne Genehmigung ist unbefugt und als solche nach § 132a des Strafgesetzbuchs strafbar". Eine weitergehende Darstellung würde den Rahmen dieses Merkblattes sprengen. Die zuständige hamburgische Behörde ist die Behörde für Wissenschaft und Forschung unter der Anschrift: Hamburger Str. 37, 22083 Hamburg. 14. Personen- und Ortsnamen 14.1 Personen- und Ortsnamen sowie Adelsprädikate sind grundsätzlich nicht zu übersetzen, sondern in der Ursprungsschreibweise mit allen diakritischen Zeichen wiederzugeben. Entsprechendes gilt für akademische Grade, wobei diese als solche kenntlich zu machen sind, um eine Verwechslung mit Bestandteilen des Personennamens zu vermeiden. Wenn in der Herkunftssprache Namen von Personen oder Orten dekliniert oder Personennamen in männlicher und weiblicher Form gebildet werden, ist auf diese Besonderheit hinzuweisen. 14.2 Verwendet die Ausgangssprache andere als lateinische Schriftzeichen, so sind Personennamen vorrangig zu transliterieren (buchstabengetreu zu übertragen). Lässt die fremde Sprache eine Transliteration nicht zu (z.B. Arabisch, Chinesisch oder Neuhebräisch), so ist der Name nach dem Klang und den Lautregeln der deutschen Sprache zu übertragen (Transkription). Erläuternd kann unter Angabe der Quelle (z.B. Reisepass) die im fremden Sprachraum übliche Version der Schreibweise mit lateinischen Buchstaben angefügt werden. 14.3 Weisen Beteiligte anhand inländischer Personenstandsurkunden oder anderer amtlicher Unterlagen eine anders lautende Version der Transliteration oder Transkription nach, so ist diese zu verwenden. Sollte die Version, die der Übersetzer für richtig hält, so stark von 139 Anhang anderen Versionen abweichen, dass Zweifel an der Identität entstehen können, sollte dies in einer Anmerkung erläutert werden. 14.4 Für das Übertragen von Namen aus der chinesischen Schrift ist grundsätzlich das Hanyu-Pinyin-System (ohne Tonzeichen) zu verwenden. Früher geläufige Schreibweisen insbesondere von Ortsnamen können zur Verdeutlichung in Klammern angefügt werden, sofern sie allgemein gebräuchlich waren. Entsprechendes gilt für das Japanische. 14.5 Als Hilfsmittel für die Transliteration bzw. die Transkription empfiehlt sich das Duden- Taschenbuch 5/ 5a: "Satzanweisungen und Korrekturvorschriften". Die von der Internationalen Organisation für Normung (ISO) empfohlenen Normen können angewendet werden, obwohl diese in erster Linie für den maschinellen Datenaustausch im wissenschaftlichen Bereich entwickelt worden sind. Im Bestätigungsvermerk (s. Nr. 17) ist anzugeben, welche Transliteration/ Transkription benutzt worden ist. Sind bei fremdsprachigen Personennamen Vor- und Familiennamen nicht eindeutig voneinander zu unterscheiden, so sind die Familiennamen durch Unterstreichen oder durch Schreiben in Großbuchstaben kenntlich zu machen. Kennt die Rechtsordnung, aus der die Personennamen stammen, die Kategorien Vor- und Familiennamen nicht, so ist dies durch entsprechende Erläuterungen als Anmerkung darzustellen. Entsprechendes gilt für Namenselemente wie Mittel- oder Zwischennamen, die keine Entsprechung in den Kategorien des deutschen Namensrechts haben. 14.6 Besonderheiten bei Ortsnamen Bei Übersetzungen in die deutsche Sprache ist für Ortsnamen und andere geographische Bezeichnungen die fremdsprachige Bezeichnung zu übernehmen. Gibt es eine allgemein übliche deutsche Bezeichnung, so ist diese zu verwenden (z.B. Duden "Wörterbuch geographischer Namen"). Die fremdsprachige Schreibweise ist ggf. als Transliteration oder Transkription in einer Anmerkung anzufügen, sofern die Identität der Begriffsinhalte nicht offensichtlich ist. Nr. 14.4 gilt entsprechend. Sofern Ortsnamen und andere geographische Bezeichnungen sich geändert haben, soll dies mit entsprechenden Anmerkungen ("früher: ...", "jetzt: ... " oder "in der Zeit von ... bis: ... ") dargestellt werden, wenn es zum Verständnis der Übersetzung geboten erscheint. 14.7 Bei Übersetzungen in eine fremde Sprache sind die vorstehenden Grundsätze sinngemäß anzuwenden. Bindende Übersetzungsregeln für die Zielsprache bleiben unberührt. 14.8 Anschriftenangaben Anschriftenangaben sind nicht zu übersetzen, sondern lediglich als Anschrift zu kennzeichnen. Sie sind ggf. zu transliterieren oder zu transskribieren, so dass die Angaben in der Übersetzung zum Adressieren von Schriftwechsel benutzt werden kann. Wenn die Verständlichkeit nicht beeinträchtigt wird, ist auch eine verkürzte Darstellung wie "Postanschrift der ausstellenden Behörde " möglich. 15. Staatennamen Das "Verzeichnis der ausländischen Staatennamen für den amtlichen Gebrauch in der Bundesrepublik Deutschland", herausgegeben vom Auswärtigen Amt, ist bei Übersetzungen in die deutsche Sprache zu beachten. Die geltende Fassung ist im Internet unter http: / / www.auswaertiges-amt.de/ www/ de/ laenderinfos/ verzeichnis/ index_html veröffentlicht und kann als pdf-Datei (35 KB) heruntergeladen werden. Die Bezeichnung "Bundesrepublik Deutschland" ist bei Übersetzungen in die deutsche bzw. fremde Sprache unverändert zu lassen (nicht: deutsche Bundesrepublik oder BRD). 140 Teil I Translationswissenschaftliche Grundlagen 16. Nicht oder nicht eindeutig übersetzbare Begriffe Eine Vielzahl vor allem juristischer Begriffe lässt sich entweder gar nicht oder nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit in die andere Sprache übersetzen. Auf diesen Mangel ist in einer Anmerkung des Übersetzers hinzuweisen (z.B. "in der Rechtsordnung der Zielsprache ohne Entsprechung" oder "beschreibt den Begriff der Ausgangssprache nur unvollkommen"). Ziel derartiger Anmerkungen ist es, den Leser auf unvermeidliche Mängel einer Übersetzung aufmerksam zu machen. Ausführliche vergleichende Darstellungen können nicht Gegenstand der Anmerkungen sein. 17. Beglaubigungsformel Die Vorlage ist als Original zu bezeichnen wenn sie Vorlage ein Originalhandzeichen und/ oder Siegel/ Stempelabdruck des Ausstellers trägt. - Die Vorlage ist als beglaubigte (Foto)Kopie zu bezeichnen, wenn sie einen entsprechenden Beglaubigungsvermerk mit Originalhandzeichen und/ oder Siegel/ Stempelabdruck des Herstellers trägt. - Die Vorlage ist als unbeglaubigte (Foto)Kopie zu bezeichnen, wenn sie keinen entsprechenden Beglaubigungsvermerk mit Originalhandzeichen und/ oder Siegel/ Stempelabdruck des Herstellers trägt. Auf weitere Besonderheiten der Vorlage ist ebenfalls hinzuweisen (z.B. "handschriftlich verfassten Erklärung"). Die Beglaubigungsformel ist am Schluss auf der Übersetzung anzubringen und lautet: "Die Richtigkeit und Vollständigkeit der Übersetzung (Teilübersetzung) des mir vorgelegten Originals (beglaubigten Fotokopie, unbeglaubigten Fotokopie) wird hiermit beglaubigt." Der Beglaubigungsvermerk ist mit Ort und Zeitpunkt der Erstellung der Übersetzung zu ergänzen, vom Übersetzer zu unterschreiben und mit dem Abdruck des Dienstsiegels abzuschließen. Bei Übersetzungen in eine fremde Sprache ist ein sinngemäßer, fremdsprachiger Bestätigungsvermerk hinzuzufügen. Weitergehende Regelungen der Rechtsordnung, in der die Übersetzung Verwendung finden soll, bleiben unberührt. Für die Umschrift aus Schriftsprachen, die nicht lateinische Buchstaben verwenden, ist als Anmerkung anzugeben, welche Transliteration bzw. Transkription benutzt worden ist (vgl. hierzu Nr. 14.5). 18. Mitwirkungsverbote, Ausschließungsgründe Die Vorschrift über das Verbot der Mitwirkung als Notar (§ 3 des Beurkundungsgesetzes vom 28.8.1969 - BGBl. I Seite 1513 -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 31.8.1998 - BGBl. I Seite 2585-) und die Ausschließungsgründe für Notare (§ 6 des genannten Gesetzes) sind sinngemäß zu beachten. 141 Anhang Teil II Juristische Grundlagen 143 1 Einleitung 1 Einleitung Der nachfolgende Teil zu den juristischen Inhalten kann ohne die Verwendung von Gesetzestexten bearbeitet werden, weil die notwendigen Passagen im Originaltext des jeweiligen Paragraphen oder in Form einer inhaltlichen Zusammenfassung wiedergegeben werden. Es empfiehlt sich jedoch nicht nur für die Lektüre, sondern vielmehr für die Arbeit in der Praxis, über eine Textausgabe der jeweiligen Verfahrensvorschriften zu verfügen. Für andere Gesetzestexte ist eine Anschaffung nicht unbedingt sinnvoll, zumal mittlerweile auch im Internet ausreichendes Gesetzesmaterial verfügbar ist. Aktuell ist hierbei in der Regel die Internetseite des Bundesministeriums der Justiz (www.gesetze-im-internet.de; letzter Aufruf 11. 08. 2017). Wie schon einleitend erwähnt, soll dieses Studienbuch nicht der Ausbildung zum Juristen dienen. Somit wurde auch nur eine Auswahl von Themen vorgenommen, deren Kenntnis in der praktischen Arbeit von Dolmetschern hilfreich sein dürfte. Dabei werden nicht alle Komplexe in ihrer ganzen Breite und Verästelung dargestellt, da die Kenntnis jeder Alternativmöglichkeit und jeder möglichen Problemstellung nicht zwingend einen größeren Lernerfolg mit sich bringt. Die in dem Modul abgedruckten gerichtlichen Entscheidungen sollen nur der Veranschaulichung dienen und können bei den einzelnen Gerichten inhaltlich voneinander abweichen. 145 2 Strafverfahren 2 Strafverfahren 2.1 Überblick zum Strafverfahrensrecht 2.1.1 Rechtsquellen Das strafprozessuale Verfahren ist im Wesentlichen in der Strafprozessordnung (St PO ), dem Gerichtsverfassungsgesetz ( GVG ) und den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiSt BV ) verankert. Während das Gerichtsverfassungsgesetz Regelungen zur Gerichtsorganisation enthält und die RiSt BV eine umfangreiche Ergänzung zur Strafprozessordnung darstellen, finden sich die für den Dolmetscher wichtigen Vorschriften vornehmlich in der St PO . Sowohl für die Lektüre dieser Anleitung als auch für die spätere Arbeit im gerichtlichen Bereich empfiehlt es sich, zumindest über eine aktuelle Ausgabe der Strafprozessordnung zu verfügen, so wie sie überall im Buchhandel preiswert zu erhalten ist. Soweit im Folgenden auf einzelne Vorschriften der St PO oder auch anderer Gesetze Bezug genommen wird, erfolgt dies unter Angabe des Paragraphen und weiter unterteilt des Absatzes und des Satzes einer Vorschrift. Zum Schluss folgt die Angabe des Gesetzes in abgekürzter amtlicher Form. Also als Beispiel: die Textpassage: „Das Urteil wird durch Verlesung der Urteilsformel und Eröffnung der Urteilsgründe verkündet“ ergibt sich aus § 268 Abs. 2 S. 1 St PO . Eine Angabe des jeweiligen Buches wäre verfehlt und die Nennung einer Seitenzahl falsch, da diese je nach Herausgeber, Textauswahl oder Auflage variieren kann. 2.1.2 Die Verfahrensabschnitte des Strafprozesses Das strafprozessuale Verfahren vor deutschen Gerichten lässt sich in einem Grobraster in folgende Abschnitte einteilen: ▶ Ermittlungsverfahren (oder auch Vorverfahren) ▶ Zwischenverfahren ▶ Hauptverfahren ▶ Rechtsmittelverfahren ▶ Vollstreckungsverfahren Das Ermittlungsverfahren hat die Zielrichtung, festzustellen, ob eine Person, nämlich der Beschuldigte, hinreichend verdächtig ist, eine Straftat begangen zu haben. Hinreichender Tatverdacht setzt voraus, dass aufgrund einer Prognose der Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten die Begehung einer Straftat wahrscheinlich nachgewiesen werden kann ( BGH NJW 2000, 2672). Liegt der hinreichende Tatverdacht nach Durchführung aller erforderlichen Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft vor, folgt die Erhebung der Anklage, § 170 Abs. 1 St PO . Anderenfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein gemäß § 170 Abs. 2 St PO oder auch §§ 153 ff St PO . 146 Teil II Juristische Grundlagen Im Zwischenverfahren überprüft das Gericht die Prognoseentscheidung der Staatsanwaltschaft. Geht auch das Gericht von einer überwiegenden Verurteilungswahrscheinlichkeit aus, lässt es die Anklage zu und eröffnet das Hauptverfahren. Andernfalls lehnt es die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Das Hauptverfahren beginnt mit dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses. In der weiteren Folge bereitet das Gericht die Hauptverhandlung vor und führt die Hauptverhandlung durch. Die Entscheidung über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten mündet in ein Urteil, entweder Verurteilung zu einer Strafe oder Freispruch. Das Rechtsmittelverfahren oder auch Verfahren 2. Instanz zählt zu den Rechtsbehelfen. Rechtsbehelfe teilen sich in zwei Gruppen auf, nämlich in Rechtsmittel und sonstige Rechtsbehelfe. Das Rechtsmittel dient der Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung durch ein weiteres, höheres Gericht. Rechtsmittel sind die Berufung, die Revision und die Beschwerde. Sonstige Rechtsbehelfe sind das Wiederaufnahmeverfahren, §§ 359 ff St PO und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, §§ 44 ff St PO . Das Vollstreckungsverfahren wird nach Eintritt der Rechtskraft einer Entscheidung durch die Staatsanwaltschaft durchgeführt, §§ 449 ff St PO . 2.2 Grundsätze des Strafverfahrensrechts Das Strafverfahren unterliegt neben den Ablaufregeln auch einer Reihe von „Spielregeln“, nämlich Prinzipien (auch „Maximen“ genannt), welche sich teils auf das gesamte Verfahren, teils auf Abschnitte des Verfahrens beziehen. 2.2.1 Legalitätsprinzip Dieses Prinzip beinhaltet die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und durchzuführen, soweit ein Anfangsverdacht für das Vorliegen einer Straftat gegeben ist. Bei hinreichendem Tatverdacht muss gem. § 170 Abs. 1 St PO grundsätzlich Anklage vor dem zuständigen Gericht erhoben werden. Das Legalitätsprinzip lässt sich demnach auch als Verfolgungs- und Anklagezwang bezeichnen. Es wird eingeschränkt durch das Opportunitätsprinzip (s. 2.2.4). 2.2.2 Offizialprinzip Die Staatsanwaltschaft ist nicht nur verpflichtet, Ermittlungen anzustrengen, sie ist auch allein berechtigt, ein Strafverfahren einzuleiten und zu ermitteln. Die Strafverfolgung liegt damit allein in der Hand des Staates, nie des Bürgers. Dies ist anders im zivilrechtlichen Verfahren. Dort leitet der einzelne Bürger das Klageverfahren selbst ein und bestimmt dessen Gegenstand und Umfang. Unabhängig von der Frage der Kostentragungspflicht steht es ihm frei, jederzeit die Klage zurückzunehmen und seinen Anspruch nicht weiter zu verfolgen (sog. Dispositionsmaxime). 147 2 Strafverfahren Zu beachten ist aber, dass das Offizialprinzip auch Einschränkungen unterliegt. Zum einen besteht bei bestimmten Delikten, wie z. B. Hausfriedensbruch, Beleidigung oder Sachbeschädigung, aber auch bei Körperverletzung, vgl. §§ 223, 230 St GB (Strafgesetzbuch), das Erfordernis, dass der Verletzte die Strafverfolgung beantragt, weshalb diese Delikte als Antragsdelikte bezeichnet werden. Fehlt es an dem Antrag und wird durch die Staatsanwaltschaft nicht das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht, so kann eine Verurteilung nicht erfolgen. Auch das Privatklageverfahren stellt eine Abweichung vom Offizialprinzip dar. Dieses in §§ 374-394 St PO geregelte Verfahren gibt dem Verletzten einer Straftat die Möglichkeit, eine Verurteilung des Täters durch eine eigene Klage herbeizuführen. Welche einzelnen Delikte für diese Verfahren geeignet sind, ergibt sich abschließend aus § 474 St PO . Von einer weiteren Darstellung dieses Verfahrensgangs soll jedoch hier abgesehen werden. 2.2.3 Akkusationsprinzip Als weiteres Prinzip gilt § 151 St PO , der beinhaltet: „Die Eröffnung einer gerichtlichen Untersuchung ist durch die Erhebung einer Klage bedingt.“ Das so beschriebene Akkusationsprinzip stellt, nachdem die Staatsanwaltschaft ihrer Verpflichtung zur Anklageerhebung nachgekommen ist, fest, dass ein Gericht nur über die Straftaten entscheiden darf, welche angeklagt wurden, bzw. umgekehrt: nur auf Anklage kann es zu einer gerichtlichen Untersuchung kommen. Damit wird-- mit einem Blick auf die Historie-- gewährleistet, dass Ermittlungen und Entscheidung nicht in derselben Hand liegen, sondern von unterschiedlichen Stellen herbeigeführt bzw. getroffen werden. 2.2.4 Opportunitätsprinzip Abweichend von den o. g. Maximen besteht ein gewisser Handlungsspielraum für die Strafverfolgungsbehörden durch das Opportunitätsprinzip. Hiernach können bei Straftaten von geringerem Gewicht in Ausnahmefällen Verfahren nach den §§ 153 ff St PO eingestellt werden, teils mit, teils ohne Auflagen. Auf die einzelnen Einstellungsarten wird später näher eingegangen werden. 2.2.5 Untersuchungsgrundsatz Dieser ergibt sich aus § 160 Abs. 2 St PO . Auch wenn es nicht immer den Anschein hat und durch Medien das Bild transportiert wird, Polizei und Justiz seinen nur an der Sammlung von Beweisen für die Überführung eines Täters interessiert, so ist es nach dem gesetzlichen Auftrag deren ausdrückliche Aufgabe, auch Entlastendes zu ermitteln. Fahndungsdruck, Beachtung durch die Öffentlichkeit und auch statistische Erhebungen lassen dies gelegentlich in den Hintergrund treten. Für ein rechtsstaatliches Verfahren ist die Beachtung dieser Umstände aber zwingend notwendig. 148 Teil II Juristische Grundlagen 2.2.6 Beschleunigungsgrundsatz Sowohl die Ermittlungsbehörden im Vorverfahren als auch das Gericht im Hauptverfahren sollen dafür Sorge tragen, dass ein Verfahren mit der nötigen Eile durchgeführt wird. Der Täter, den letztendlich das Ergebnis des gesamten Verfahrens trifft, soll nicht unzumutbar lange im Ungewissen gelassen werden, wie sein Fehlverhalten geahndet wird und welche Folgen auf ihn zukommen. Außerdem soll der in der Hauptverhandlung gewonnene Eindruck nicht durch Zeitablauf verloren gehen. Folge des Beschleunigungsgrundsatzes ist u. a., dass die Dauer der Untersuchungshaft auf maximal 6 Monate beschränkt ist, sofern nicht die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen eine längere Dauer rechtfertigen (§ 121 Abs. 1 St PO ). Die Oberlandesgerichte wenden hier sehr strenge Maßstäbe an und lassen insbesondere Personalmangel in der Justiz nicht als Grund gelten, die 6-Monats-Grenze zu überschreiten. Für die Hauptverhandlung gilt die Konzentrationsmaxime, wonach die Hauptverhandlung möglichst in einem Zuge durchgeführt werden soll. Bei umfangreicheren Hauptverhandlungen, die sich teilweise über viele Verhandlungstage erstrecken, sollen diese möglichst bald aufeinander folgen. § 229 gibt den Gerichten hier jedoch genügten Spielraum, um auf organisatorische Rahmenbedingungen reagieren zu können. 2.2.7 Öffentlichkeitsgrundsatz Hauptverhandlungen finden grundsätzlich öffentlich statt, d. h. jedem Interessierten muss die Möglichkeit gegeben werden, an einer Hauptverhandlung als Zuschauer teilhaben zu können. Dies folgt aus § 169 GVG . Hintergrund ist, dass nicht der Eindruck entstehen soll, es werde hinter verschlossenen Türen ein Verfahren durchgeführt, um es der Kontrolle der Öffentlichkeit (hierzu zählen auch die unterschiedlichen Medien) zu entziehen. Das Interesse der Öffentlichkeit ist aber nach geltendem Recht (Stand: August 2017) insofern eingeschränkt, als es unzulässig ist, während der Verhandlung Ton- und Filmaufnahmen zu fertigen, welche öffentlich vorgeführt oder veröffentlicht werden sollen. Diese Regelung dient dem Schutz der Privatsphäre der am Verfahren beteiligten Personen. Die Bundesregierung hat allerdings den Entwurf eines „Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderung“ vorgelegt. Danach sollen Ton- und Filmaufnahmen der Verhandlungen einschließlich der Verkündung der Entscheidungen zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken zugelassen werden, wenn es sich um ein Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung handelt. Außerdem soll die Tonübertragung in einen Presseraum gestattet werde. Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang Aufnahmen zugelassen werden, soll das Gericht unter Abwägung der Interessen der Öffentlichkeit und den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen treffen. Durch die Möglichkeit der Zulassung von Aufzeichnungen soll auch die Kommunikation mit Menschen mit Sprach- und Hörbehinderung verbessert werden. 149 2 Strafverfahren Nach dem Regierungsentwurf (§ 169 Abs. 2 Satz 3 GVG n.F.) sind die Aufnahmen nicht zur Akte zu nehmen und dürfen nicht zu Verfahrenszwecken genutzt werden. Interessant dürfte die Diskussion über die Frage sein, ob es dabei bleiben kann, wenn nur durch die Tonaufnahme nachgewiesen werden kann, dass z. B. ein Angeklagter aufgrund unrichtiger Verdolmetschung seine Rechte nicht vollständig wahrnehmen konnte. Nach gegenwärtiger Rechtslage ist der Grundsatz der Öffentlichkeit in einigen Fällen eingeschränkt. So finden Verhandlungen gegen Jugendliche (§ 48 Abs. 1 Jugendgerichtsgesetz, JGG ) und Verhandlungen in Familiensachen sowie Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 170 GVG ; z. B. über die Geschäftsfähigkeit von Personen) grundsätzlich nicht öffentlich statt. Darüber hinaus kann-- nicht zwingend muss-- durch Beschluss des Gerichts in besonderen Fällen die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, zum Beispiel soweit dies zum Schutz der Privatsphäre einzelner Prozessbeteiligter nötig ist, weil in der Verhandlung Geheimnisse (z. B. das Steuergeheimnis) behandelt werden, sich in der Hauptverhandlung Gefahren für Leib, Leben oder Gesundheit eines Beteiligten ergeben oder wenn eine Person unter achtzehn Jahren vernommen werden soll, §§ 171 b, 172 GVG . 2.2.8 Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und freie Beweiswürdigung Das Gericht entscheidet das Verfahren nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung, so die Formulierung in § 261 St PO . Das setzt voraus, dass der gesamte Prozessstoff mündlich erörtert wird und auch etwaig heranzuziehende Urkunden vollständig verlesen werden. Dies stellt hohe Anforderungen an die Tätigkeit des Dolmetschers, der nicht nur fortlaufend das gesprochene Wort zu übertragen hat, sondern auch ihm unbekannte Urkundentexte übersetzen muss, ohne dass er sich immer ausreichend auf die jeweiligen Fachtermini vorbereiten kann. Entsprechende Beispiele werden im Abschnitt Hauptverfahren vorgestellt. Zudem muss sich das Gericht einen eigenen Eindruck in der Hauptverhandlung verschaffen, um ein Urteil sprechen zu können. Das erfordert die ständige Anwesenheit aller das Verfahren entscheidenden Richter, sei es nun der Einzelrichter, das Schöffengericht oder die Strafkammer. Aus dem Ergebnis dessen, was das Gericht in der Hauptverhandlung an Erkenntnissen gewonnen hat, entscheidet es frei, ohne dass es nach einer festgelegten Regel ein Beweisergebnis annimmt. Es zählt die persönliche Überzeugung des Richters. 2.2.9 Im Zweifel für den Angeklagten Die allseits bekannte lateinische Formulierung in dubio pro reo beinhaltet die bestehende Unschuldsvermutung bis zu dem Zeitpunkt, an dem durch ein Gericht zweifelsfrei die Schuld des Täters festgestellt worden ist. Bleiben begründete Zweifel, so ist ein Angeklagter freizusprechen. 150 Teil II Juristische Grundlagen 2.2.10 Der gesetzliche Richter Der Grundsatz „Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden“ findet sich in Art. 101 Abs. 2 des Grundgesetzes ( GG ). Die Festlegung des gesetzlichen Richters soll verhindern, dass willkürlich, also auch gezielt ein bestimmter Richter mit der Erledigung eines Verfahrens betraut wird, z. B. weil von diesem im konkreten Fall eine Milde erhofft oder eine besondere Härte erwartet wird. Derartige Einflussnahmen auf ein Verfahren lassen sich nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbaren. Aus diesem Grunde sind durch das GVG die sachliche und durch die St PO die örtliche Zuständigkeit der Gerichte geregelt, die konkrete Zuordnung des jeweiligen Richters erfolgt dann über sogenannte Geschäftsverteilungspläne der einzelnen Gerichte. Diese werden erstellt von gewählten Richtergremien, den Präsidien, welche im Voraus für ein Jahr festlegen, welcher Richter in welchen Sachgebieten arbeiten wird. Insofern kann nicht für ein konkretes Verfahren ein bestimmter Richter eingeteilt werden. 2.2.11 fair trial Abschließend soll hier noch der Begriff des fairen Verfahrens angesprochen werden. Dieser leitet sich sowohl aus Art. 1, 20 Abs. 3, 28 GG ab als auch aus Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention ( EMRK ). Darin heißt es unter anderem: „Jede Person hat ein Recht darauf, dass-… über eine gegen sie erhobene Anklage von einem-… Gericht in einem fairen Verfahren-… verhandelt wird.“ Was das im Einzelnen bedeutet und was alles damit umfasst ist, ist teils umstritten und wird durch die Rechtsprechung ständig weiterentwickelt. Grundsätzlich erwartet der Grundsatz aber, dass das Gericht eine faire, nachvollziehbare und für die Parteien vorhersehbare, somit berechenbare Verfahrensgestaltung und -führung zeigt. Der Angeklagte muss sich darauf verlassen können, dass sich das Gericht nicht widersprüchlich verhält, ihn nicht in seinen Rechten einschränkt, eigenes Fehlverhalten einräumt und dies nicht zulasten des Angeklagten gehen lässt. 2.2.12 Rechtliches Gehör Auch im Strafverfahren ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz) von großer Bedeutung. Maßnahmen gegen einen Betroffenen dürfen danach grundsätzlich erst ergehen, nachdem dieser die Möglichkeit hatte, etwaige Gründe, die gegen die Maßnahme sprechen, dem Entscheidungsträger mitzuteilen. Aus der Natur der Sache ergeben sich allerdings zahlreiche Einschränkungen insb. im Ermittlungsverfahren. 151 2 Strafverfahren 2.2.13 Übung Der ausländische Staatsbürger Rodrigo M. wird des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verdächtigt. Nach einer Festnahme und der Vernehmung als Beschuldigter geschieht zunächst nichts weiter. Da gegen Rodrigo M. weitere Verfahren beim Amtsgericht anhängig sind, schickt die Staatsanwaltschaft die Akten rein zur Kenntnisnahme dem Gericht, welches aufgrund von Überlastung die Fälle beiseite legt. Zwölf Monate später verhandelt das Gericht das Verfahren auch wegen des Betäubungsmitteldelikts, schließt jedoch die Öffentlichkeit aus, um den ständigen „Presserummel“ zu unterbinden. Rodrigo M. spricht nur wenig deutsch, deshalb verliest das Gericht seine Beschuldigtenvernehmung, äußern darf er sich nicht. Das Gericht hegt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erhebliche Zweifel an einer Täterschaft, verurteilt Rodrigo M. aber dennoch zu einer Freiheitsstrafe, um nicht Nachahmungstäter zu ermutigen und den Eindruck zu hinterlassen, Rauschgifthändler könnten „frei ausgehen“. Das Gericht hat eine Vielzahl der im Strafverfahren relevanten Grundsätze verletzt. Welche und wodurch? 2.3 Die Beteiligten im Strafverfahren Im Nachfolgenden soll dem Leser ein Überblick über die Personen und Institutionen verschafft werden, welche sich im weitesten Sinne aufgrund einer Straftat mit diesem Vorgang zu beschäftigen haben. Die Darstellung orientiert sich hierbei nur grob an den einzelnen Verfahrensabschnitten, es wird jedoch jeweils deutlich gemacht, in welchem Stadium des Verfahrens der Beteiligte im Wesentlichen betroffen ist, sei es im Ermittlungsverfahren, Zwischenverfahren, dem Hauptverfahren, dem Rechtsmittelverfahren oder der Vollstreckung einschließlich des Verfahrens bei Aussetzung einer Strafe zur Bewährung. 2.3.1 Beschuldigter - Angeschuldigter - Angeklagter Die unterschiedliche Bezeichnung eines zunächst verdächtigen, mutmaßlichen Täters orientiert sich am jeweiligen Verfahrensstand. Man beachte grundsätzlich bei der Wahl von allgemeinen Formulierungen, dass Art. 6 Abs. 2 MRK vorgibt: „Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum Beweis ihrer Schuld als unschuldig.“ Insofern sollte tunlichst auch die jeweils durch das Gesetz vorgesehene Formulierung beachtet werden. Die Bezeichnung für die Hauptperson des Strafverfahrens, nämlich denjenigen, der einer Straftat zunächst verdächtig ist und gegen den das Strafverfahren bis zur Vollstreckung betrieben wird, ist Beschuldigter. Der Beschuldigte wird aber in einzelnen Verfahrensabschnitten unterschiedlich benannt, so dass folgende Bezeichnungen zu wählen sind, § 157 St PO : ▶ Beschuldiger im Ermittlungsverfahren ▶ Angeschuldigter im Zwischenverfahren 152 Teil II Juristische Grundlagen ▶ Angeklagter im Haupt- und Rechtsmittelverfahren ▶ Verurteilter im Vollstreckungsverfahren Die weibliche Form ist entsprechend (Beschuldigte etc.). Soweit im Weiteren allein die männliche Form gewählt wird, dient dies der Vereinfachung, ist aber auch dem Umstand geschuldet, dass durchschnittlich über 75 % der Täter männlichen Geschlechts sind. 2.3.2 Staatsanwaltschaft Die Staatsanwaltschaft ist ein sogenanntes Organ der Rechtspflege, ebenso wie das Gericht auch. Zu ihren Aufgaben gehört die Durchführung des Ermittlungsverfahrens, weshalb man sie auch als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ bezeichnet, und die Anklageerhebung (Akkusationsprinzip) beim zuständigen Gericht. Der Staatsanwaltschaft obliegt die Teilnahme an der Hauptverhandlung. Sie verliest dort durch einen sogenannten Sitzungsvertreter, der ein eigenes Frage- und Beweisantragsrecht hat, die Anklageschrift. Ihr steht die Rechtsmitteleinlegung zu sowohl zuungunsten als auch zugunsten des Angeklagten. Letztendlich führt sie die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen durch. Die Vorschriften zur Organisationsstruktur und Zuständigkeit sowie Aufgaben der Staatsanwaltschaft ergeben sich aus §§ 141-152 GVG . Auf die übrigen, die Staatsanwaltschaft betreffenden Vorschriften wird in den einzelnen Verfahrensabschnitten nachstehend hingewiesen werden. Der Aufbau der Staatsanwaltschaft orientiert sich entsprechend an der Organisation der Gerichte, § 142 GVG : ▶ beim Bundesgerichtshof die Bundesanwaltschaft (Leiter: Generalbundesanwalt) ▶ beim Oberlandesgericht die Generalstaatsanwaltschaft (Leiter: Generalstaatsanwalt) ▶ beim Landgericht die Staatsanwaltschaft (Leiter: Leitender Oberstaatsanwalt) Zugleich besteht hier auch die Zuständigkeit für die jeweiligen Amtsgerichte. Eine entsprechende Orientierung an den Gerichten ergibt sich auch für die örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft, § 143 Abs. 1 GVG , d. h. die örtlichen Zuständigkeiten sind identisch. Die Staatsanwälte sind weisungsgebunden, sie haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen, § 146 GVG . Das gilt jedoch nicht für die Situation während der Hauptverhandlung, wenn der Vorgesetzte nicht anwesend ist, insoweit es sich um die Beweiswürdigung und die Bemessung der Rechtsfolgen (z. B. Strafen, Auflagen etc.) handelt. Diese Weisungsgebundenheit unterscheidet den Staatsanwalt erheblich vom Richter. Für diesen gilt: Der Richter ist unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen, Art 97 Abs. 1 GG ; § 25 DR iG. Eine inhaltliche Entscheidung kann dem Richter nicht durch einen Vorgesetzten aufgegeben werden. Dennoch arbeitet der jeweilige Staatsanwalt in dem ihm zugeteilten Dezernat wesentlich selbstständig. Bei seinen Ermittlungen bedient er sich sogenannter Ermittlungspersonen. 153 2 Strafverfahren 2.3.3 Polizei Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (§ 152 GVG ) sind in der Regel Polizisten, welche grundsätzlich an Weisungen der Staatsanwaltschaft gebunden, in der Praxis jedoch weitgehend selbstständig im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens tätig werden und nach Durchführung der Ermittlungen den Vorgang der Staatsanwaltschaft für einen Abschluss vorlegen. Wer Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft ist, bestimmt das Landesrecht, § 152 Abs. 2 GVG . Die Polizei ist gemäß § 163 St PO zur Durchführungen von Ermittlungen verpflichtet, denn dort heißt es: „Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes haben Straftaten zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um eine Verdunkelung der Sache zu verhüten.“ 2.3.4 Verteidiger Der Beschuldigte im Ermittlungsverfahren, der Angeschuldigte im Zwischenverfahren und der Angeklagte im Hauptverfahren kann sich eines Verteidigers bedienen, der seine Rechte wahrnimmt und das Verfahren inhaltlich überprüft und bis zum Abschluss begleitet. Im Strafverfahren unterscheidet man dabei zwischen einem Wahlverteidiger und einem Pflichtverteidiger. In anderen Verfahren werden die für eine Partei tätigen Rechtsanwälte, um solche handelt es sich nämlich in der Regel, als Prozessbevollmächtigte (u. a. im Zivilverfahren), Verfahrensbevollmächtigte (z. B. im Betreuungsverfahren) oder auch Beistand (z. B. für Zeugen in unterschiedlichen Verfahren) bezeichnet. Im Strafverfahren ergeben sich die Regelungen zur Verteidigung im Wesentlichen aus den §§ 137 ff St PO und den Nr. 106-108 RiSt BV . 2.3.4.1 Wahlverteidiger (§§ 137-139 St PO ) Gemäß § 137 St PO kann sich der Beschuldigte in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen. Verteidiger können in der Bundesrepublik Deutschland zugelassene Rechtsanwälte sein. Zugelassen werden können ausgebildete Anwälte auch in einem anderen europäischen Land nach der Prüfung durch die zuständige Rechtsanwaltskammer (vgl. Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland, Eu RAG ). Gemäß § 138 Abs. 1 St PO können auch Rechtslehrer an deutschen Hochschulen Verteidiger sein, soweit sie die Befähigung zum Richteramt, d. h. das zweite juristische Staatsexamen absolviert haben. Zwischen dem Beschuldigten (Mandanten) und dem Verteidiger kommt ein zivilrechtliches Vertragsverhältnis zustande, welches den Mandanten auch verpflichtet, ein Honorar zu zahlen. Dieses kann frei ausgehandelt und in einer sogenannten Honorarvereinbarung fixiert werden. Ebenso wie sich der Beschuldigte den Verteidiger wählt, kann er diesem jederzeit das Mandat auch wieder entziehen. Die Zahl der Wahlverteidiger wird durch das Gesetz auf drei begrenzt, § 137 Abs. 1 Satz 2 St PO . 154 Teil II Juristische Grundlagen Selten werden andere Personen (Rechtskundige, Familienangehörige, Vertrauenspersonen) als Verteidiger auftreten, auch wenn dies nach der Strafprozessordnung durchaus möglich ist. Gemäß § 138 Abs. 2 St PO kann dieser Personenkreis mit Genehmigung des Gerichts zugelassen werden. Den Verteidiger kann der Betroffene in jedem Verfahrensstadium beiziehen, demnach auch bereits im Ermittlungsverfahren / Vorverfahren. 2.3.4.2 Pflichtverteidiger (§§ 140 ff St PO ) Der Pflichtverteidiger wird einem Beschuldigten dann bestellt, wenn kein Wahlverteidiger beauftragt ist und ein Fall der sogenannten notwendigen Verteidigung gegeben ist. Dabei handelt es sich um einen Fall, in dem die Beteiligung eines Verteidigers zwingend notwendig ist, sei es weil sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann, sei es, weil das Verfahren eine hohe Strafe oder besondere Schwierigkeiten erwarten lässt. Gemäß § 140 Abs. 1 St PO besteht diese Notwendigkeit, wenn eine oder mehrere folgende Voraussetzungen vorliegen: 1. Die Hauptverhandlung findet in der 1. Instanz vor einem Oberlandes- oder Landgericht statt, 2. dem Beschuldigten wird ein Verbrechen (Strafandrohung von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe) zur Last gelegt, 3. das Verfahren führt zu einem Berufsverbot. 4. Durch das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts ( UH aft RÄ ndG) vom 29. 07. 2009 ist mit Wirkung vom 01. 01. 2010 auch ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn sich der Beschuldigte aufgrund eines Haftbefehls in Untersuchungshaft befindet oder eine einstweilige Unterbringung erfolgt ist. 5. Der Beschuldigte ist zur Beobachtung (§ 81 St PO ) untergebracht, 6. es wird ein Sicherungsverfahren durchgeführt, 7. der bisherige Verteidiger wurde ausgeschlossen. Darüber hinaus muss gemäß § 140 Abs. 2 St PO auf Antrag oder von Amts wegen ein Pflichtverteidiger bestellt werden, 1. wenn wegen der Schwere der Tat eine Verteidigung notwendig ist. Dies ist in der Regel der Fall, wenn eine Strafe von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe zu erwarten ist, sei es als Einzelstrafe oder als Gesamtstrafe. 2. wenn die Sach- oder Rechtslage schwierig ist. Die Schwierigkeit ist im Einzelfall zu beurteilen. Allein die Tatsache, dass eine Vielzahl von Einzeltaten (z. B. Seriendiebstähle) vorliegt oder mehrere Zeugen zu vernehmen sind, macht nicht schon die Sach- oder Rechtslage schwierig. 3. wenn sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. 155 2 Strafverfahren Hinweis: Ein häufiger Irrglaube ist es, ein Verteidiger könne in Verfahren, in denen eine Pflichtverteidigung nicht notwendig ist, dennoch als Pflichtverteidiger bestellt werden, wenn der Angeklagte sich einen Verteidiger „nicht leisten kann“, also finanziell nicht in der Lage ist, einen Verteidiger zu bezahlen. Da hier gerade die Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung, die in § 140 St PO klar beschrieben sind, nicht vorliegen, kann auch eine Bestellung nicht erfolgen. Anders ist dies im Prozesskostenhilfeverfahren (s. 3.3.3.3). Hier soll der klagenden oder verklagten Partei die Durchsetzung zivil- oder familienrechtlicher Ansprüche ermöglicht werden. Weit verbreitet ist ebenfalls die Annahme, eine der deutschen Sprache nicht mächtige Person müsse einen Pflichtverteidiger gestellt bekommen, da sie „nicht verstehe“, was verhandelt wird. Auch dieser Fall ist nicht durch § 140 St PO gedeckt, es besteht keine notwendige Verteidigung. Dem Angeklagten ist demzufolge ein Dolmetscher an die Seite zu stellen, um die Problematik des „Nichtverstehens“ zu überbrücken. Das funktioniert aber nur, wenn das „Nichtverstehen“ allein auf sprachlichen Ursachen beruht. Der Dolmetscher kann und darf nicht in die Rolle des Rechtsberaters gedrängt werden. Deshalb sollte einem ausländischen Angeklagten dann ein Pflichtverteidiger bestellt werden, wenn die Tat, deren er angeklagt ist, in seinem Heimatland möglicherweise unbekannt oder nicht unter Strafe gestellt ist oder wenn kulturelle Aspekte für die Bewertung des Verhaltens eine wesentliche Rolle spielen. Auch dies ist aber eine Einzelfallentscheidung des jeweils zuständigen Gerichts. Gesetzlich geregelt ist die Beiordnung dann, wenn ein Angeklagter hör- oder sprachbehindert ist. Gemäß § 140 Abs. 2 Satz 2 St PO ist auf Antrag (! ) ein Pflichtverteidiger zu bestellen, auch wenn ein Gebärdendolmetscher herangezogen wird. Vor einer Bestellung eines Pflichtverteidigers gibt das Gericht dem Angeklagten die Möglichkeit, selbst einen Rechtsanwalt zu benennen. Äußert sich der Angeklagte nicht und unterbreitet keinen Vorschlag, dann wählt das Gericht einen Rechtsanwalt aus der Liste der beim Amtsgericht zugelassenen Rechtsanwälte aus und bestellt diesen. Die Entscheidung über die Bestellung des Pflichtverteidigers trifft das Gericht durch Beschluss. Wird die Bestellung abgelehnt, kann dies durch eine einfache Beschwerde angefochten werden. Die Bestellung hingegen ist nicht anfechtbar. 2.3.5 Schöffen (ehrenamtliche Richter) Die Gerichte sind je nach Art des Spruchkörpers mit Berufsrichtern und teilweise ehrenamtlichen Richtern besetzt. Ehrenamtliche Richter findet man nicht nur in Strafverfahren, sondern unter anderem auch in Verfahren vor der Kammer für Handelssachen am Landgericht, in Verfahren vor den Arbeitsgerichten oder den Sozialgerichten. Nur bei den Strafgerichten werden die ehrenamtlichen Richter als Schöffen bezeichnet. Schöffen sind in den Schöffengerichten der Amtsgerichte tätig, welche mit einem Berufsrichter als Vorsitzendem und zwei Schöffen als Beisitzern besetzt sind, § 29 Abs. 1 GVG . Beim Landgericht gibt es jeweils zwei Schöffen in den Kleinen oder Großen Strafkammer, § 76 Abs. 1 GVG . 156 Teil II Juristische Grundlagen Das Schöffenamt ist ein Ehrenamt und kann nur von Deutschen ausgeübt werden, § 31 GVG . Jeder Bundesbürger ist verpflichtet, dieses Amt wahrzunehmen. Die Wahl der Schöffen erfolgt mittlerweile für einen Zeitraum von fünf Jahren in einem umfangreichen, in §§ 36 ff GVG geregelten Verfahren, von dessen Darstellung hier abgesehen werden soll. Die konkrete Einteilung der Schöffen für ihre Tätigkeit an den für sie vorgesehenen Gerichten erfolgt jährlich im Wege einer öffentlichen Auslosung mit der Festlegung konkreter Sitzungstage für das gesamte kommende Jahr. Hierdurch wird eine gezielte Zuordnung einzelner ehrenamtlicher Richter zu konkreten Verfahren vermieden, was dem Prinzip des gesetzlichen Richters widersprechen würde. Eine Besonderheit hinsichtlich der Jugendschöffengerichte besteht dahingehend, dass jeweils ein weiblicher und ein männlicher Schöffe dem Gericht angehören müssen. Das Geschlecht der Berufsrichter ist dabei nicht ausschlaggebend. Der Schöffe steht in der Ausübung seines Richteramtes gleichberechtigt neben dem / den Berufsrichtern und hat in Abstimmungen eine Stimme wie der Berufsrichter auch. Da im Strafverfahren alle für den Angeklagten nachteiligen Entscheidungen über die Schuldfrage und über die Rechtsfolgen der Tat gemäß § 263 Abs. 1 St PO von einer Zwei-Drittel-Mehrheit abhängig sind, können die Schöffen durchaus den Vorsitzenden oder die Berufsrichter überstimmen, wenn sie anderer Auffassung sind. Die Beratung der Richter und deren Entscheidung erfolgt ohne Beteiligung der Öffentlichkeit und unterliegt dem Beratungsgeheimnis, welches auch nach Abschluss des Verfahrens von allen Richtern einzuhalten ist. Im Rahmen der Hauptverhandlung ist ein Schöffe verpflichtet, an der Aufklärung mitzuwirken. In Abstimmung mit dem Vorsitzenden ist er berechtigt, Fragen an den Angeklagten, die Zeugen oder Sachverständigen zu richten. Eine Vorabinformation über das Verfahren und seine Besonderheiten oder rechtliche sowie tatsächliche Schwierigkeiten erhält der Schöffe durch den Vorsitzenden nicht, so dass er im direkten Eindruck der Hauptverhandlung urteilen kann. 2.3.6 Nebenkläger (Nebenklage) Die Regelungen zur Nebenklage ergeben sich aus den §§ 395-402 St PO . Die Nebenklage gibt dem Verletzten oder auch den Angehörigen eines Getöteten die Möglichkeit, sich (neben der Staatsanwaltschaft) aktiv an dem Strafverfahren zu beteiligen. Zu diesem Zwecke schließt sich der Nebenkläger der bei Gericht erhobenen Anklage der Staatsanwaltschaft durch eine schriftliche Erklärung an. Das Gericht prüft, ob die Person, welche die Nebenklage erhebt, zum Kreis der Anschlussberechtigten gehört. Diese sind in § 395 St PO abschließend aufgeführt. Gegen Jugendliche kann eine Nebenklage nur unter eingeschränkten Bedingungen erhoben werden, § 80 Abs. 3 JGG . Durch die Zulassung der Nebenklage erlangt der Nebenkläger umfangreiche Rechte in dem weiteren Strafverfahren. Er ist berechtigt zur dauernden Anwesenheit in der Hauptverhandlung, darf Fragen und Beweisanträge stellen, hat ein Recht zur Ablehnung eines Richters 157 2 Strafverfahren wegen Befangenheit und hat insbesondere die Möglichkeit- - unabhängig von der Staatsanwaltschaft- - Rechtsmittel einzulegen. All dies steht sonst einem Geschädigten, obwohl Opfer eines Strafverfahrens, nicht zu. Eine Ausnahme in eingeschränktem Rahmen bietet da lediglich das Verfahren zur Entschädigung des Verletzten. 2.3.7 Verletzter Das Adhäsionsverfahren (Verfahren zur Entschädigung des Verletzten) ist in den §§ 403-406c St PO geregelt und gibt dem durch eine Straftat Verletzten / Geschädigten oder seinen Erben die Möglichkeit, sozusagen im Strafverfahren einen Zivilprozess zu führen, ohne hierfür ein Zivilgericht bemühen zu müssen. Zugleich kann der Verletzte in dem Verfahren auch Zeuge sein oder als Nebenkläger auftreten, sofern die Voraussetzungen gegeben sind. Neben dem Umstand, dass der Verletzte prozessfähig sein muss, darf nicht bereits eine Zivilklage wegen des geltend gemachten Schadens bei Gericht eingereicht worden sein (anderweitige Rechtshängigkeit). Gemäß § 404 Abs. 1 St PO muss der Verletzte einen Antrag, schriftlich oder mündlich, bei einem Urkundsbeamten des Gerichts oder auch mündlich in der Hauptverhandlung stellen, in welchem er seinen Anspruch näher begründet und Beweismittel benennt. Die Regelungen zur Prozesskostenhilfe gelten hier wie in einem zivilrechtlichen Verfahren. Erfolgt ein Schuldspruch oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung, so gibt das Gericht dem Antrag des Verletzten statt, soweit der Antrag auch begründet ist. Anderenfalls, nämlich wenn der Antrag unzulässig oder unbegründet ist, sieht das Gericht von einer Entscheidung ab. Ein Adhäsionsantrag ist in Verfahren gegen Jugendliche nicht zulässig, § 81 JGG , gegen Heranwachsende kann dieses Verfahren durchgeführt werden. Eine Verurteilung im Adhäsionsverfahren darf jedoch nicht erfolgen, wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, der Heranwachsende sei als Jugendlicher zu behandeln und entsprechend zu verurteilen. In diesen Fällen muss der Geschädigte seine Ansprüche auf dem „normalen“ Klageweg beim Zivilgericht anhängig machen. 2.3.8 Jugendgerichtshelfer Die Jugendgerichtshilfe wird als ein besonderer Fachdienst bei den Jugendämtern der kreisfreien Städte und der Landkreise geführt. Aufgabe ist die Beteiligung in Jugendverfahren, nämlich den Verfahren vor dem Jugendrichter, dem Jugendschöffengericht auf amtsgerichtlicher Ebene oder der Jugendkammer des Landgerichts. Das sind Verfahren, welche vor diesen Gerichten gegen Jugendliche, also Personen im Alter von 14 bis zu 18 Jahren, oder Heranwachsende, Personen im Alter von 18 bis zu 21 Jahren, geführt werden. Die Aufgaben der Jugendgerichtshilfe selbst ergeben sich aus der Vorschrift des § 38 JGG (Jugendgerichtsgesetz). 158 Teil II Juristische Grundlagen Grundsätzlich soll die Beteiligung der Behörde dafür sorgen, pädagogische, soziale und fürsorgerische Gesichtspunkte in das Verfahren zu tragen. Der Jugendgerichtshelfer erforscht im Vorfeld der Hauptverhandlung die Persönlichkeit, die Entwicklung und das Umfeld des Angeklagten. Dies kann erfolgen durch Anhörung des Angeklagten selbst, dessen Teilnahme freiwillig ist, durch Befragung von Angehörigen, Pädagogen, Erziehern, Ausbildern oder anderen Personen, welche an der Entwicklung und Ausbildung des Angeklagten beteiligt sind bzw. waren, und durch Einholung von Informationen bei anderen Behörden. In der Hauptverhandlung hat die Jugendgerichtshilfe ein Anwesenheitsrecht, kein eigenes Frage- oder Antragsrecht. Zur Erforschung einzelner notwendiger Sachverhalte wird aber das Gericht einzelne Fragen sinnvollerweise zulassen. Die Jugendgerichtshilfe legt ihre gewonnenen Erkenntnisse über den Angeklagten in einem mündlichen Bericht dar, äußert sich zu der Frage, ob der Angeklagte Reifeverzögerungen aufweist, und unterbreitet auf Veranlassung des Gerichts einen Vorschlag, welche Maßnahmen aus den JGG zur Einwirkung auf den Angeklagten ergriffen werden sollten und könnten. Aus obigem ist ersichtlich, dass dem Bericht der JGH eine erhebliche Bedeutung zukommt, da diese Einblick in die Entwicklung des Angeklagten hat, der so dem Gericht nicht zugänglich wäre. Da dies mit in die Entscheidung des Gerichts einfließt, kommt auch hier dem Dolmetscher eine entscheidende Bedeutung zu, da es dem Angeklagten oder auch erziehungsberechtigten Angehörigen möglich sein muss, die Schilderung des persönlichen Werdegangs zu verfolgen und gegebenenfalls bei Falsch- oder Fehlinformationen eine Richtigstellung herbeizuführen. Die Jugendgerichtshilfe ist neben der Tätigkeit für und in der Hauptverhandlung auch dafür zuständig, die von dem Gericht getroffenen Entscheidungen, soweit es sich um Weisungen oder Auflagen handelt, umzusetzen und zu überwachen. Im Falle der Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung erfolgt eine Zusammenarbeit mit einem ggfls. bestellten Bewährungshelfer, und selbst bei der Verbüßung einer Jugendstrafe in einer Jugendanstalt hält der Jugendgerichtshelfer persönlichen Kontakt und unterstützt bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Ein eigenständiges Rechtsmittel steht der Jugendgerichtshilfe nicht zu. 2.3.9 Bewährungshelfer Ein Bewährungshelfer kann einem Verurteilten durch das Gericht bestellt werden, wenn: ▶ dieser zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, ▶ dieser zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, hiervon einen Teil verbüßt hat, und der verbleibende Strafrest zur Bewährung ausgesetzt wurde, ▶ Führungsaufsicht angeordnet wurde, § 68 a St GB . Der Verurteilte wird dann in Bezug auf seinen Bewährungshelfer Proband genannt. 159 2 Strafverfahren Es erfolgt eine Unterstellung des Verurteilten unter die Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers mit der Zielrichtung der Verhinderung neuer Straftaten und damit der Einhaltung von Regeln innerhalb der Bewährungszeit, § 56 d St GB . Der Bewährungshelfer unterstützt und betreut den Probanden, überwacht dessen Erfüllung der vom Gericht erteilten Bewährungsauflagen und berichtet dem Gericht, welchem die Bewährungsaufsicht obliegt, regelmäßig über den Werdegang des Probanden bzw. über etwaige Versäumnisse und neue Straftaten. Mit dem Erlass der Strafe oder einem Aufhebungsbeschluss endet die Tätigkeit des Bewährungshelfers. 2.3.10 Gericht Die Aufgaben und Zuständigkeiten des Gerichts sind zur besseren Übersicht im Abschnitt 2. 4. 11.1.3 dargestellt. Ergänzend soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass das Gericht bereits im Ermittlungsverfahren tätig werden kann. Zuständig ist das Amtsgericht und dort der sogenannte Ermittlungsrichter, § 162 St PO . 2.4 Das Ermittlungs- oder Vorverfahren Das Ermittlungsverfahren stellt zunächst einen wichtigen Abschnitt in der gesamten Bearbeitung einer begangenen Straftat dar, da hierdurch bereits eine Weichenstellung für den Gang der späteren Hauptverhandlung vorgenommen wird. Werden Gesichtspunkte nicht ausreichend, falsch oder in unzulässiger Weise ermittelt, kann dies erhebliche Auswirkungen auf den Gang des Hauptverfahrens haben. Insofern erfordert die Arbeit im Vorverfahren ein hohes Maß an Präzision und Wissen um die rechtlichen Voraussetzungen. Folglich kommt auch dem Dolmetscher eine erhebliche Bedeutung zu, kann doch sein Einsatz notwendig sein bei der Vernehmung des Beschuldigten und von Zeugen, deren Aussagen von Bedeutung für die Überführung oder Entlastung des Beschuldigten sind. Angesichts der Tatsache, dass sich immer wieder die Ermittlungsbehörden auch der Hilfe von sogenannten Online-Übersetzungsprogrammen bedienen, kann nicht häufig genug der Einsatz eines professionellen Gerichtsdolmetschers angemahnt werden. Nicht nur der Angeklagte, auch das bearbeitende Gericht hat ein Anrecht darauf, fehlerfrei übersetzte oder gedolmetschte Inhalte zur Verfügung gestellt zu bekommen. Letztendlich muss und kann das Gericht seine Entscheidung auf diese Unterlagen und Informationen stützen, was aber nur bei verlässlicher Übertragung möglich ist. 2.4.1 Ingangsetzung des Strafverfahrens Man kann in der Bundesrepublik Deutschland von jährlich ca. 5 Millionen Straftaten ausgehen, welche als solche bekannt werden, gemeint ist aber nicht: aufgeklärt. Bei dieser Betrachtung kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass eine erhebliche Anzahl von Straftaten gar nicht als Straftat erkannt oder entdeckt werden. Das ist die sogenannte 160 Teil II Juristische Grundlagen Dunkelziffer, welche sich mit ca. 1: 9 darstellen lässt: auf eine entdeckte Straftat kommen neun unentdeckte strafbare Handlungen. Man denke im unteren Kriminalitätsbereich an die Vielzahl von Trunkenheitsfahrten, die nicht in einer Kontrolle der Polizei enden, Straftaten wie Körperverletzungen im häuslichen Bereich, welche hinter verschlossenen Türen bleiben, Diebstähle in Kaufhäusern, die unbeobachtet vom Kaufhausdetektiv erfolgen, bis hin zu den Unterschlagungen von Dingen, die verloren gegangen sind und vom Finder behalten werden. Die Ingangsetzung des Strafverfahrens kann erst dann erfolgen, wenn die jeweiligen Behörden auch davon Kenntnis erlangt haben. Dies geschieht einerseits über eine Anzeige. Diese kann mündlich oder schriftlich erstattet werden bei der örtlichen Polizei, der Staatsanwaltschaft, aber auch in einem Amtsgericht. Durch eine Anzeige werden Informationen gegeben, die der Ermittlungsbehörde zum Anlass dienen, tätig zu werden (Offizialprinzip) und zu prüfen, ob eine Straftat vorliegt und wer als Täter in Betracht kommt. Anlass für das Tätigwerden kann auch ein Strafantrag sein, der dann gestellt wird, zum Beispiel wenn der Verletzte verdeutlichen will, dass die Strafverfolgung von ihm ausdrücklich gewünscht wird. Letztendlich müssen die Ermittlungsbehörden auch Ermittlungen aufnehmen, wenn sie auf anderem Weg Kenntnis von einer Straftat haben. Dies kann erfolgen aufgrund von Erkenntnissen aus unterschiedlichen Medien, auch dem Internet, oder durch eigene Wahrnehmung. Dies reicht von Kontrollen durch die Polizei bis hin zu Erkenntnissen, welche ein Staatsanwalt während des Verlaufs einer Hauptverhandlung erlangt. Gemäß § 152 Abs. 2 St PO muss die Staatsanwaltschaft wegen aller verfolgbaren Straftaten einschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Diese tatsächlichen Anhaltspunkte bilden den sogenannten Anfangsverdacht, der besteht, wenn es aus Sicht der Verfolgungsbehörde möglich erscheint, dass die Begehung einer Straftat vorliegt. Reine Vermutungen reichen also nicht aus, um ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und durchzuführen. Zum besseren Verständnis des Umfangs der Tätigkeiten und Angelegenheiten der Ermittlungsbehörden werden nachstehend einzelne Ermittlungsmaßnahmen dargestellt, welche jedoch nur teilweise eine Dolmetscherbeteiligung erfordern. Die Beispiele sind nicht abschließend, umfassen aber die gängigen Vorkommnisse in einem Ermittlungsverfahren. 2.4.2 Beschuldigtenvernehmung Im Rahmen des Vorverfahrens muss der Beschuldigte teilweise erhebliche Zwangsmaßnahmen über sich ergehen lassen, sei dies verbunden mit einem Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit, den Schutz seiner Wohnung oder durch Beschränkung seiner Freiheit. Hingegen hat die Beschuldigtenvernehmung, geregelt in §§ 133 ff St PO , zumindest was das Inhaltliche angeht, freiwilligen Charakter. Eine rein informatorische Befragung einer Person stellt noch keine Vernehmung dar, kann aber in eine Vernehmung übergehen. Da eine Belehrungspflicht besteht, ist der Beschuldigte dann darüber aufzuklären, dass er als Beschuldigter angesehen wird, und er ist gem. § 136 Abs. 161 2 Strafverfahren 1 St PO darauf hinzuweisen, „dass es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen“. Standardmäßig enthalten Beschuldigtenvernehmungen folgende vorgefertigten Formulierungen: Zu Beginn meiner ersten Vernehmung ist mir eröffnet worden, welche Tat mir zur Last gelegt wird. Belehrung Mir ist eröffnet worden, dass es mir freisteht, mich zur Sache (Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen sowie zu der Beschuldigung) zu äußern oder nicht auszusagen und jederzeit, auch schon vor meiner Vernehmung, einen von mir zu wählenden Verteidiger zu befragen. Ich bin auch darüber belehrt worden, dass ich zu meiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen kann. Ich habe die Belehrung verstanden und möchte mich äußern / nicht äußern. Die Vernehmung des Beschuldigten beinhaltet jedoch nicht, wie man denken könnte, nur die Gewährung des rechtlichen Gehörs. Sie ist zugleich ein Beweismittel im Verfahren. Somit ist der Grund verständlich, warum der Beschuldigte keine Angaben machen muss. Der Beschuldigte ist nämlich nicht verpflichtet, in irgendeiner Weise aktiv an den Ermittlungen mitzuwirken, also auch nicht, sich gegebenenfalls selbst zu belasten. Allein Angaben zu seiner Person müssen erfolgen, dies dient der reinen Identifizierung der Person, welche vernommen wird. Ein Schweigen des Beschuldigten darf sich im Verfahren nicht negativ auswirken, denn der Beschuldigte nimmt lediglich ein ausdrücklich durch das Gesetz gewährtes Recht wahr. Dies ist unabhängig von dem Umstand, inwieweit sich ein Geständnis später positiv auf das Ergebnis der Beweisaufnahme und das Strafmaß auswirken kann. Diese Frage wird sich ein Beschuldigter, später Angeklagter im Hauptverfahren immer stellen müssen, denn letztendlich hat das Ergebnis eines Verfahrens Auswirkungen auf seine spätere Lebensgestaltung, sei dies aufgrund einer Geldstrafe oder sogar einer Freiheitsstrafe. Allgemeinverbindliche Vorgaben, ob und wenn ja wann und in welchem Umfang ein Geständnis abgelegt werden sollte, gibt es nicht. Dies ist abhängig von der Beweislage und dem Verfahrensablauf, der Einstellung des Beschuldigten und der Erfolgserwartung des Verteidigers. Im Rahmen jeder ersten Vernehmung, aber auch bei weiteren Vernehmungen, ist durch die Ermittlungsbehörden darauf zu achten, dass die Verwendung sogenannter verbotener Vernehmungsmethoden unterbleibt. Gemäß § 136a St PO darf der Beschuldigte nicht misshandelt, durch Übermüdung, durch Verabreichung von Mitteln, Quälerei, Täuschung oder Hypnose beeinträchtigt werden. Er darf weder bedroht werden, noch dürfen ihm Versprechungen gemacht werden, es sei denn 162 Teil II Juristische Grundlagen der allgemeine Hinweis auf vom Gesetz vorgesehen Strafmilderungsmöglichkeiten, die ein Gericht anwenden könnte, wie zum Beispiel § 31 des Betäubungsmittelgesetzes. Dies mag in manchen Fällen der Öffentlichkeit nicht ganz nachvollziehbar sein, man denke nur an den aus der Presse bekannten Entführungsfall, bei welchem durch Androhung von Folter und Schmerzen ein Geständnis erzwungen wurde, in der Hoffnung das entführte Kind möglicherweise noch lebend aufzufinden. Die Konsequenz aus der Androhung wäre jedoch die Anwendung. Eine Beschuldigtenvernehmung, welche mit verbotenen Vernehmungsmethoden durchgeführt wurde, die möglicherweise in einem Geständnis endete, kann in einem Verfahren nicht als Beweismittel verwendet werden. Sie unterliegt einem Beweisverwertungsverbot. 2.4.3 Untersuchung des Beschuldigten Das vorbenannte schließt jedoch nicht aus, dass sich der Beschuldigte Untersuchungen seiner Person unterziehen muss. Er ist verpflichtet, angeordnete Maßnahmen zu dulden. Gegebenenfalls sind diese unter Zwang durchzuführen, sofern sich der Beschuldigte weigert, da anderenfalls Beweise verloren gehen könnten. 2.4.3.1 Körperliche Untersuchung und Blutprobe § 81 a St PO führt aus: Eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten darf zur Feststellung von Tatsachen angeordnet werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Der Beschuldigte muss es also hinnehmen und auch dulden, dass er in einfacher Weise körperlich untersucht wird, weil beispielsweise Körpermerkmale, Verletzungen etc. von Bedeutung sein können, aber auch, dass Blutproben und andere körperliche Eingriffe wie Entnahmen von Körperflüssigkeiten, Fremdkörpern etc. durchgeführt werden. Die Untersuchung ist daran geknüpft, dass sie von einem Arzt durchgeführt und von einem Richter angeordnet wird, in Ausnahmefällen durch die Staatsanwaltschaft oder die Polizei. Mehr und mehr geht die Rechtsprechung aber dazu über, den sogenannten Richtervorbehalt zu verfestigen, nämlich, dass die Anordnung allein durch den Richter erfolgen soll, zumal eine Erreichbarkeit eines Richters mittlerweile durch Eildienstregelungen weitestgehend abgesichert ist. Entnommene Blutproben und Körperzellen dürfen nur in dem dafür bestimmten Verfahren verwendet und müssen anschließend vernichtet werden. 2.4.3.2 Molekulargenetische Untersuchungen, § 81 e St PO Soweit Körperzellen entnommen worden sind, besteht die Möglichkeit, diese auf ihre DNS zu untersuchen. Die Untersuchung der Desoxyribonukleinsäure, bekannt als DNA -Analyse, dient der Aufschlüsselung des Körperzellenmaterials wie Hautzellen, Blut, Sperma, Speichel etc. des Beschuldigten zum Vergleich mit am Tatort oder am Opfer gefundenem fremdem 163 2 Strafverfahren Körperzellenmaterial. Da der „genetische Fingerabdruck“ eines Menschen individuell ist, handelt es hierbei um eine fast 100-prozentige Möglichkeit der Täteridentifizierung. Die Anordnung sowohl der Entnahme als auch der Untersuchung obliegt dem Richter. Abgesehen von diesen Maßnahmen, die allein im Ermittlungsverfahren erfolgen, hat der Gesetzgeber mit § 81 g St PO die Möglichkeit geschaffen, dass auch Körperzellen unter bestimmten Voraussetzungen entnommen, untersucht und in einer Datenbank für zukünftig zu erwartende Verfahren eingelagert werden. Dies bedarf einer richterlichen Entscheidung. Ein derartiger Beschluss könnte folgenden Inhalts sein: Amtsgericht …………… Gesch.-Nr.: …………… BESCHLUSS In dem Verfahren nach dem DNA -Identitätsfeststellungsgesetz gegen K…… E……… geboren am ……… in ……… wohnhaft ……… Postanschrift: ………(Anschrift der Eltern) wird gemäß § 81 g St PO i.V.m. § 81 f St PO angeordnet, a) die Entnahme von Körperzellen des Betroffenen durchzuführen; b) die so gewonnenen Körperzellen zur Feststellung des DNA -Identifizierungsmusters molekular-genetisch zu untersuchen. Mit der Durchführung der Untersuchung wird folgender Sachverständiger gemäß § 81 f Abs. 2 St PO i.V.m. § 81 g Abs. 3 St PO beauftragt: Dr. ……… oder Vertreter im Amt Landeskriminalamt ……… Kriminaltechnisches Institut oder vertretungsweise von der Firma ………GmbH Dr. ……… Gründe Laut Auskunft des Bundesamtes der Justiz vom ……… ist der Betroffene bislang achtmalig strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden. Unter anderem wurde er am …… durch das Amtsgericht ……… wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls schuldig gesprochen (Geschäftsnummer: ………). Als konkrete Tathandlungen hat das Gericht u. a. Folgendes festgestellt: 164 Teil II Juristische Grundlagen 2.4.4 Lichtbilder und Fingerabdrücke Der Beschuldigte muss gem. § 81 b erdulden, dass von ihm für das Verfahren Lichtbilder angefertigt werden, dass seine Fingerabdrücke zu Vergleichszwecken abgenommen werden, aber auch, dass an ihm Messungen vorgenommen werden, um beispielsweise im Verfahren Größenverhältnisse zu möglicherweise von Überwachungskameras aufgenommenen Personen herzustellen. 2.4.5 Unterbringung Soweit es sich um die Person des Beschuldigten allein handelt, soll noch angemerkt werden, dass auch eine Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus erfolgen kann, § 81 St PO . In der Nacht vom … zum …… entwendeten die Angeklagten E…… und B…… gemeinsam mit der noch nicht strafmündigen N……… aus der Wohnung der Mutter der N……… in………, aus einem Hängeschrank der Küche, ca. 6 Schachteln Zigaretten, aus dem Kinderzimmer die Handtasche der Geschädigten S……… mit Bargeld in Höhe von ca. 1.500,00 bis 2.340,00 Euro, den Bundespersonalausweis, die EC -Karte der ……… Bank, Wohnungs- und Fahrzeugschlüssel, den Führerschein sowie ein Handy vom Typ …… von nicht unerheblichem Wert, von einem Wäscheständer auf dem Balkon der Wohnung weiterhin einen BH , einen Slip und ein schwarzes T-Shirt. Aufgrund ihres gemeinsamen Tatplanes stiegen der Angeklagte B. und die N……… über den Balkon in die Wohnung ein, während der Angeklagte E……… davor wartete. Gemeinsam verbrachten sie das Diebesgut vom Tatort und teilten es untereinander auf. In der Nacht vom … zum …… entwendeten der Angeklagte E……… und die noch nicht strafmündige N……… den vor dem Grundstück ……… gesichert abgestellten PKW der S……… vom Typ ………, amtliches Kennzeichen ………, wobei sie den beim Wohnungseinbruch entwendeten PKW-Schlüssel benutzten. Anschließend fuhr der Angeklagte E……… mit diesem PKW davon, um ihn in Zukunft für sich zu nutzen, obwohl er wusste, dass er nicht im Besitz einer hierfür erforderlichen Fahrerlaubnis war. Diese Handlungen stellen eine Katalogtat im Sinne von § 81 g Abs. 1 St PO dar. Das Maß der an den Tag gelegten kriminellen Energie im Rahmen der Tatausführung gibt Grund zu der Annahme, dass auch zukünftig gegen den Betroffenen vergleichbare Strafverhandlungen geführt werden können. Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde zulässig (§ 304 Abs. 2 StPO), welche schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Haldensleben einzulegen ist. Amtsgericht Richter am Amtsgericht 165 2 Strafverfahren Dies ist notwendig, wenn ein Gutachten zum psychischen Zustand des Beschuldigten erforderlich wird, beispielsweise um zu prüfen, ob er zum Tatzeitpunkt überhaupt schuldfähig gewesen ist. Die Anordnung erfolgt durch das Gericht nach Anhörung eines Sachverständigen und eines Verteidigers, die heranzuziehen sind, da mit der Unterbringung eine erhebliche Beeinträchtigung der Freiheit des Beschuldigten einhergeht, auch wenn sich die Maßnahme eventuell für ihn günstig auswirken mag. Die Dauer der Unterbringung beträgt höchstens sechs Wochen, in der Regel muss dieser Zeitrahmen nicht ausgeschöpft werden. 2.4.6 Wohnungsdurchsuchung Die Unverletzlichkeit der Wohnung wird durch Art. 13 Abs. 1 Grundgesetz garantiert, jedoch mit der Einschränkung des Absatzes 2, der vorsieht: „Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.“ Gem. § 102 St PO können demnach Durchsuchungen beim Beschuldigten und gem. § 103 St PO bei anderen Personen durchgeführt werden. Die Durchsuchung darf nur zu dem Zweck erfolgen, den Beschuldigten zu ergreifen und vorläufig festzunehmen, oder um für das Verfahren wichtige Beweismittel aufzufinden. § 102 St PO umfasst dabei die Durchsuchungsmöglichkeit nicht nur der Wohnung allein, sondern auch der Sachen des Beschuldigten, z. B. eines Pkws, und auch seiner Person selbst. Bei anderen, unbeteiligten Dritten darf zu diesen Zwecken nur durchsucht werden, wenn bestimmte Erkenntnisse vorliegen, dass sich der Beschuldigte oder die Beweismittel sicher in den Räumlichkeiten befinden. Während der Nachtzeit dürfen Wohnungen, Geschäftsräume oder ein Grundstück nur durchsucht werden bei Verfolgung eines Beschuldigten, der auf frischer Tat gestellt wurde und z. B. in ein Gebäude geflüchtet ist, zur Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen oder bei Gefahr in Verzug, § 104 Abs. 1 St PO . Da die Beschränkung sich auf Gebäude etc. bezieht, kann die Durchsuchung der Person des Beschuldigten und seiner Sachen auch jederzeit in der Nacht erfolgen. Die Nachtzeit ist durch § 104 Abs. 3 St PO wie folgt definiert: ▶ im Zeitraum 01.04. bis 30.09. eines Jahres: von 21.00 Uhr bis 04.00 Uhr ▶ im Zeitraum 01.10. bis 31.03. eines Jahres: von 21.00 Uhr bis 06.00 Uhr Die Anordnung der Durchsuchung erfolgt durch das jeweilige Amtsgericht, bei Gefahr in Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft, § 105 St PO . Wegen der Bedeutung des Grundrechtseingriffs soll Letzteres eine Ausnahme sein. Durch die Einsetzung eines dauerhaften richterlichen Bereitschaftsdienstes, der derzeit zwar noch nicht für 24 Stunden besteht und in einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt wird, soll eine ständige Erreichbarkeit eines Richters für die Entscheidung in diesen und anderen Verfahren (z. B. Haftsachen, Blutentnahmen, Unterbringungen) gewährleistet werden. 166 Teil II Juristische Grundlagen Zur Verdeutlichung und zur Übung ist nachstehend ein Durchsuchungsbeschluss dargestellt: Amtsgericht BESCHLUSS In dem Ermittlungsverfahren gegen Peter Mustermann geboren am 13. 04. 1957 in Mannheim wohnhaft: [Adresse] wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz wird gemäß §§ 102, 105 St PO die Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume des Beschuldigten sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen angeordnet, da zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen wird, im Einzelnen: ▶ Betäubungsmittel ▶ Verpackungsmaterialien ▶ Feinwaagen ▶ Aufzeichnungen über die bereits durchgeführte Drogengeschäfte (insbesondere Schuldnerlisten) ▶ Bargeldbestände zum An- und Verkauf von Rauschgiften ▶ Mobilfunktelefone und ▶ Telefonlisten Gleichzeitig wird gemäß § 94 St PO die Beschlagnahme der aufgefundenen Gegenstände angeordnet, da diese für die Untersuchung von Bedeutung sein oder der Einziehung unterliegen können. Gründe: Die Staatsanwaltschaft führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Der Beschuldigte ist verdächtig, in der Zeit seit November 2008 bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Gewinnerzielungsabsicht unerlaubt Betäubungsmittel verschiedener Art erworben und verkauft zu haben, um sich eine fortlaufende Einnahmequelle von noch nicht festgestelltem Umfang zu verschaffen. So erwarb er in der Zeit bis August 2009 von einer gesondert verfolgten Person in Magdeburg in ca. 15 Fällen 20 Gramm Marihuana und 50 bis 150 Gramm Haschisch sowie gelegentlich zusätzlich 10 Gramm Amphetamin. In 5 dieser Fälle veräußerte er das Rauschgift an den gesondert Verfolgten [Name]. Ein weiteres Rauschgift-Geschäft mit dem gesondert Verfolgten [Name] fand in der Zeit vom September bis zum Dezember 2009 statt. 167 2 Strafverfahren 2.4.7 Sicherstellung und Beschlagnahme In dem oben skizzierten Beschluss wurde zugleich die Beschlagnahme von aufgefundenen Gegenständen angeordnet. Zu trennen ist aber zwischen den Begriffen Sicherstellung und Beschlagnahme. Die Sicherstellung unterscheidet sich in eine formlose Sicherstellung und eine Beschlagnahme, jeweils von Beweismitteln eines Strafverfahrens. Formlos ist die Sicherstellung, wenn der Eigentümer oder Besitzer der Sache nicht bekannt ist, z. B. eine Tatwaffe, die keiner Person zugeordnet werden kann, oder wenn die Sache freiwillig herausgegeben wird. Wird die Sache jedoch nicht freiwillig zur Verfügung gestellt, so bedarf es der ausdrücklichen Beschlagnahme. Die Sicherstellung (in beiden genannten Formen) beinhaltet eine öffentlich-rechtliche Inverwahrungsnahme oder Sicherstellung in anderer Weise. In anderer Weise meint dabei die rein förmliche Beschlagnahme, weil beispielsweise Grundstücke und Räume zwar sichergestellt, aber nicht bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft verwahrt werden können, wie das bei beweglichen Gegenständen der Fall ist. Die Anordnung der Beschlagnahme kann nur durch den Richter oder bei Gefahr im Verzug durch Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen durchgeführt werden, § 98 Abs. 1 St PO . Wurde eine Beschlagnahme ohne richterliche Anordnung durchgeführt, so soll binnen drei Tagen eine richterliche Bestätigung eingeholt werden, wenn die Beschlagnahme in Abwesenheit des Beschuldigten erfolgt ist oder er Widerspruch erhoben hat. Unabhängig davon kann der Beschuldigte jederzeit eine richterliche Entscheidung beantragen, § 98 Abs. 2 St PO . Diese könnte folgenden Inhalt haben: Verbrechen, strafbar gem. §§ 29 Abs. 1, 30 Abs. 1 Nr. 2 Bt MG . Der Beschuldigte ist der Tat dringend verdächtig aufgrund der Angaben der Zeugin [Name] sowie dem Ergebnis der Ermittlungen im Rahmen eines anderweitigen Strafverfahrens. Die vorgenannten Gegenstände, deren Auffindung die Durchsuchung dient, kommen als Beweismittel in Betracht. Amtsgericht Richter am Amtsgericht 168 Teil II Juristische Grundlagen 2.4.8 Sicherstellung Führerschein Eine häufig in Betracht kommende Maßnahme ist die Sicherstellung von Führerscheinen aufgrund der Begehung von Straßenverkehrsdelikten. Auch wenn der Führerschein eigentlich als Einziehungsgegenstand sichergestellt werden kann, denn im Fall beispielsweise einer Trunkenheitsfahrt kann die Fahrerlaubnis entzogen und der Führerschein gem. § 94 Abs. 3 St PO sichergestellt bzw. beschlagnahmt werden. Das Gericht verbindet diese in der Regel mit der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis mit der Folge, dass der Beschuldigte keine führerscheinpflichtigen Kraftfahrzeuge mehr im Straßenverkehr führen darf, bis eine endgültige Entscheidung durch ein Urteil getroffen worden ist. Ein Beschluss könnte in folgender Form abgefasst werden: Beschluss In dem Ermittlungsverfahren gegen Andreas Sonnenschein, geboren am 13. 04. 1957 in Düsseldorf, [Adresse] wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz wird die Beschlagnahme folgender am 06. 09. 2006 sichergestellter Gegenstände, nämlich: ▶ Mauser HSC Mod. 84,8 mm ▶ Magazin 2 Patronen ▶ Walther CP 88; 4,5 mm mit / in blauer Box ▶ 2 Gaskartuschen richterlich bestätigt. Gründe: Die Beschlagnahme der Gegenstände war, nachdem der Beschuldigte die richterliche Entscheidung beantragt hat, § 98 Abs. 2 St PO , richterlich zu bestätigen, da diese als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, § 94 St PO . Der Beschuldigte ist verdächtig, erlaubnispflichtige Waffen ohne Erlaubnis (kleiner Waffenschein) geführt zu haben, strafbar gemäß §§ 10, 52, Anlage 2 Abschnitt 2, Unterabschnitt 3 Nr. 2 und Nr. 2.1 WaffG. Amtsgericht Richter am Amtsgericht 169 2 Strafverfahren Amtsgericht Beschluss In dem Ermittlungsverfahren gegen Andrea-Marie Wagenschmidt geboren am 13. 04. 1957 in Hamburg [Adresse] wird der Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. Die Maßnahme gilt zugleich als Beschlagnahme des Führerscheins. Gründe: Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen befuhr die Beschuldigte am 31. 12. 2009 öffentliche Straßen im Bereich von Hamburg, mit einem Pkw Seat Ibiza, amtliches Kennzeichen HH - CC 324. An der Kreuzung Altenauer Chaussee / Weizengrund fuhr sie mit ihrem Fahrzeug auf den Pkw des verkehrsbedingt haltenden [Name] auf, wodurch dieser verletzt wurde und an dem Pkw ( VW Bora, H- AU 830) ein Schaden von ca. 6.000,- Euro entstand. In Kenntnis des Verkehrsunfalls verließ die Beschuldigte die Unfallstelle, ohne ihrer Wartepflicht nachzukommen und die Feststellung ihrer Person, ihres Fahrzeugs und der Art ihrer Beteiligung zu ermöglichen. Nach diesen Umständen sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass das Gericht der Beschuldigten gem. § 69 St GB die Fahrerlaubnis entziehen wird. Um die Allgemeinheit zu schützen, erschien deshalb die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 111 a St PO erforderlich. Die Beschuldigte darf spätestens ab Zugang dieses Beschlusses kein fahrerlaubnispflichtiges Fahrzeug mehr in der Bundesrepublik Deutschland führen. Die für den Wohnort der Beschuldigten zuständige Polizeidienststelle wird von der Fahrerlaubnisentziehung in Kenntnis gesetzt. Für den Fall, dass die Beschuldigte den Führerschein nicht freiwillig herausgeben sollte, wird zudem gemäß §§ 102, 105 St PO die Durchsuchung der Wohnung und anderer - Geschäfts - Räume sowie ihrer Person, ihres Kraftfahrzeuges und anderer ihr gehörenden Sachen angeordnet. Amtsgericht Richter am Amtsgericht 170 Teil II Juristische Grundlagen 2.4.9 Sonstige Maßnahmen Darüber hinaus besteht eine Vielzahl von weiteren Ermittlungsschritten innerhalb des Ermittlungsverfahrens, von deren abschließender Darstellung hier abgesehen werden soll. Dabei handelt es sich zum Beispiel um: ▶ den Einsatz technischer Mittel, §§ 100c, 100d St PO ▶ die Beschlagnahme von Postsendungen, § 99 St PO ▶ den Einsatz verdeckter Ermittler, § 110a St PO ▶ die Aufzeichnung und Überwachung des Fernmeldeverkehrs, §§ 100 a ff. 2.4.10 Haftbefehl und Untersuchungshaft Der größte Eingriff in die Rechte des Beschuldigten ist der Entzug seiner Freiheit, welche ihm Art. 104 Abs. 2 Grundgesetz gewährt, in Form der Untersuchungshaft. Anders als in der Öffentlichkeit häufig angenommen, ist die Untersuchungshaft keine vorgezogene Bestrafung und kein Mittel, um einen Täter zu einem Geständnis zu bewegen. Aufgabe der Untersuchungshaft ist es allein, durch Sicherung des Beschuldigten die rechtsstaatliche Durchführung eines Strafverfahrens und eine mögliche spätere Strafverfolgung zu gewährleisten. Da hier ein erheblicher Eingriff vorliegt, sind die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls sowohl durch die beantragende Staatsanwaltschaft als auch durch das erlassende Gericht genauestens zu prüfen. Dabei müssen drei Kriterien berücksichtigt werden. 2.4.10.1 Dringender Tatverdacht Das Gericht hat zunächst festzustellen, dass ein dringender Tatverdacht vorliegt, also eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass dem Beschuldigten eine Straftat nachgewiesen werden kann. Diese Annahme ist aus konkreten Tatsachen abzuleiten, bloße Vermutungen reichen nicht aus. Der dringende Tatverdacht ist zu unterscheiden vom Anfangsverdacht (Möglichkeit der Begehung einer Straftat) und dem hinreichenden Tatverdacht gem. § 203 St PO , nämlich der Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte wegen einer Straftat verurteilt werden wird. 2.4.10.2 Haftgründe Im Weiteren muss das Vorliegen eines sogenannten Haftgrundes gegeben sein. Hierzu zählen: ▶ Flucht, § 112 Abs. 2 Nr. 1 St PO : Flucht oder Verborgen halten sind dann anzunehmen, wenn sich der Beschuldigte aus seinem normalen Lebensmittelpunkt entfernt hat mit der Zielsetzung, sich dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörde zu entziehen. ▶ Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 St PO : Diese ist anzunehmen, wenn bestimmte Umstände dafür sprechen, dass sich der Beschuldigte eher dem Strafverfahren entziehen als diesem 171 2 Strafverfahren stellen werde. Anhaltspunkte können Auffälligkeiten beim Wohnort- oder Arbeitsplatzwechsel, Verwendung falscher Namen, geringe familiäre Bindung und ähnliches sein. Allein der Umstand, dass jemand seinen Wohnsitz, als Deutscher oder als Ausländer, im Ausland hat, rechtfertigt nicht die Annahme, die Person werde sich dem Strafverfahren entziehen. ▶ Auch die Erwartung einer hohen Strafe kann Fluchtgefahr begründen, jedoch nicht für sich allein, sondern nur in Verbindung mit weiteren Überlegungen, zum Beispiel fehlende soziale Bindungen, welche den Fluchtanreiz nicht unterbinden können. ▶ Eine besonders hohe Straferwartung, wie dies bei Tötungsdelikten der Fall ist, benötigt hingegen nur die Prüfung, ob besondere Umstände vorliegen, welche die Fluchtgefahr ausräumen können. ▶ Verdunklungsgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 3 St PO : Hierbei ist Voraussetzung, dass sich aus dem Verhalten des Beschuldigten der Verdacht ergibt, dass er auf Beweismittel einwirken und damit das Verfahren beeinflussen will, wie es im Gesetz formuliert ist: „…-die Gefahr droht, dass die Ermittlung der Wahrheit erschwert wird.“ Dies kann dadurch geschehen, dass der Beschuldigte Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen will etc., auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige einwirkt oder andere Personen dies tun lässt. Ein reiner Kontakt zu dem Personenkreis ist dabei irrelevant, vielmehr müssen besondere Umstände hinzutreten, so zum Beispiel Androhung von Gewalt oder Versprechung von Zuwendungen im Falle einer günstigen Zeugenaussage. ▶ Wiederholungsgefahr, § 112 a St PO : Dieser Haftgrund kommt eher selten in Betracht und greift nur dann, wenn Haftgründe nach § 112 St PO nicht bestehen und eines der in § 112 a Abs. 1 St PO genannten Delikte (sog. Anlasstaten) begangen wurde. Zugleich muss festgestellt werden, dass der Beschuldigte weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen bzw. die begangene Straftat fortsetzen wird. Soweit aber derartige Gefahren, die vom Beschuldigten ausgehen, in anderer Art und Weise eingedämmt werden, ist die Annahme der Wiederholungsgefahr unzulässig. Dies wäre zum Beispiel der Fall bei Behandlung eines Täters bei Sexualdelikten, Therapie eines Drogenabhängigen oder Betreuung und Unterbringung eines Jugendlichen in einem Heim. 2.4.10.3 Verhältnismäßigkeit Neben dringendem Tatverdacht und dem Vorliegen eines Haftgrundes ist zu prüfen, ob die freiheitsentziehende Anordnung der Untersuchungshaft in einem sinnvollen Verhältnis zu der Bedeutung der Tat und der Straferwartung steht. 2.4.10.4 Erlass oder Ablehnung Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erlässt das Gericht nach Prüfung der o. g. Voraussetzungen einen Haftbefehl. Dieser könnte folgenden Inhalt haben: 172 Teil II Juristische Grundlagen Haftbefehl Gegen Michael [Name] geboren am 13. 04. 1991 wohnhaft [Adresse] wegen Raubes pp wird die Untersuchungshaft angeordnet. Der Beschuldigte ist verdächtig gemeinschaftlich handelnd mit dem gesondert verfolgten Christof [Name], als Heranwachsender, am 17. 12. 2009 zwischen 02.00 und 03.00 Uhr in [Adresse] tateinheitlich ▶ a) mit Gewalt eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, die Sache sich rechtswidrig zuzueignen, ▶ b) eine andere Person körperlich misshandelt zu haben, wobei die Tat mittels eines gefährlichen Werkzeugs und gemeinschaftlich begangen wurde. Dem Beschuldigten wird zur Last gelegt: Am Tattag begaben sich der maskierte Beschuldigte und der gesondert verfolgten Christof [Name] nach Aufbrechen der Wohnungstür in die Wohnung der schlafenden Geschädigten Regina [Name] und durchsuchten die Räumlichkeiten. Als die Geschädigte wach wurde und trotz Aufforderung eine neben ihr im Bett befindliche Tasche nicht herausgab, diese vielmehr gegen eine Wegnahme festhielt, schlug der Beschuldigte mit einem Schürhaken auf die Geschädigte ein, so dass sie Platzwunden im Gesicht und am rechten Unterarm davontrug. Anschließend flüchteten die Täter mit der Tasche. Verbrechen und Vergehen strafbar gem. §§ 249 Abs. 1, 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 u. Nr. 4, 25 Abs. 2, 52 St GB , §§ 1, 105 JGG . Der Beschuldigte ist der Tat dringend verdächtig aufgrund der Angaben der Zeugen [Namen], dem eigenen glaubhaften Geständnis und den Ausführungen des weiteren Beschuldigten. Gegen den Beschuldigten besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 St PO . Der Beschuldigte wurde durch das Amtsgericht [Name] am 20. 09. 2009 wegen räuberischer Erpressung in mehreren Fällen, Körperverletzungs- und Diebstahlshandlungen zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren verurteilt, deren Vollstreckung nur unter Bedenken zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die in diesem Verfahren wegen einschlägiger Delikte zu erwartende erhebliche Jugendstrafe stellt einen erhöhten Fluchtanreiz für den Beschuldigten dar. Amtsgericht Richter am Amtsgericht 173 2 Strafverfahren Anderenfalls lehnt das Gericht den Erlass des Haftbefehls ab. Dies könnte wie folgt aussehen: Amtsgericht Beschluss In dem Ermittlungsverfahren gegen Bernd J. [Name] [Adresse] wegen gemeinschaftlichen Betruges wird der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 17. 01. 2010 auf Erlass eines Haftbefehls als unbegründet zurückgewiesen. Gründe: Durch Antrag vom 17. 01. 2010 hat die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht den Erlass eines Haftbefehls gegen den Beschuldigten beantragt. Sie hat hierzu ausgeführt, der Beschuldigte sei dringend verdächtig, sich in der Zeit vom 13. 06. 2009 bis 24. 12. 2009 gemeinschaftlich handelnd in 9 Fällen eines Betruges gemäß § 263 St GB schuldig gemacht zu haben. Ein dringender Tatverdacht bestehe aufgrund der Angaben des Beschuldigten sowie beigezogener Kontoauszüge. Als Haftgrund hat die Staatsanwaltschaft Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 St PO angenommen aufgrund der Straferwartung und mangelnder familiärer und beruflicher Bindungen, zumal der Beschuldigte angekündigt habe, sich zu seiner Freundin nach Thailand zu begeben. Die Staatsanwaltschaft hat ebenfalls den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 3 St PO angenommen, da sich der Mittäter des Beschuldigten in Thailand befinde.Der Antrag auf Erlass eines Haftbefehls war zurückzuweisen. Ein dringender Tatverdacht besteht nicht. Der Beschuldigte hat sich am 10. 01. 2010 selbstständig zur Polizei begeben und dort Angaben zur Sache gemacht. Er hat sich dahingehend eingelassen, der gesondert Verfolgte [Name] habe ihm vorgeschlagen, Waren aus Thailand über die Internetplattform [Name] zu verkaufen und die Zahlungsmodalitäten über ein Konto des Beschuldigten in Deutschland abzuwickeln. Entsprechend habe er, der Beschuldigte, ein Konto eingerichtet und dem gesondert Verfolgten seine Kontounterlagen zur Verfügung gestellt. Die Einlassung des Angeklagten kann derzeit nicht widerlegt werden. Zwar sind in den von der Staatsanwaltschaft aufgeführten 9 Fällen Waren über [Name] ersteigert worden und Zahlungen auf das Konto des Beschuldigten geleistet worden. Der Umstand, dass der Beschuldigte im Rahmen der jeweiligen Bestätigung der Ersteigerung mit Echtnamen und Bankverbindung aufgeführt wurde, spricht für die Richtigkeit der Angaben des Beschuldigten.Die Frage des dringenden Tatverdachtes kann im Übrigen dahinstehen, da Haftgründe nicht vorliegen. 174 Teil II Juristische Grundlagen Die Schwere der Tat und die Höhe einer zu erwartenden Strafe orientiert sich zunächst an den bislang ermittelten 9 Fällen. Hieraus ist keine Strafe zu erwarten, die einen erhöhten Fluchtanreiz annehmen lassen könnte. Im Übrigen liegen keine Gründe vor, die die Annahme rechtfertigen können, der Beschuldigte werde sich dem Verfahren entziehen. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der Beschuldigte beabsichtigt, Freunde in Thailand zu besuchen. Hieraus kann nicht der Schluss gezogen werden, der Beschuldigte werde in Thailand verbleiben und dort untertauchen, um sich so dem Strafverfahren zu entziehen. Insbesondere muss berücksichtigt werden, dass der Beschuldigte selbsttätig umfangreiche Angaben im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gemacht hat und im Übrigen vorab angekündigt hat, er wolle seine Freundin in Thailand besuchen. Selbst dann, wenn der Beschuldigte Wohnsitz in Thailand nehmen sollte, rechtfertigt dies nicht zwingend die Annahme des „Sich-Entziehens“. Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr liegt nicht vor. Ein dringender Verdacht, der Beschuldigte werde Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen etc. besteht derzeit nicht, da den Ermittlungsbehörden die in der Bundesrepublik Deutschland zu erlangenden Beweismittel bekannt sind. Darüber hinaus bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Beschuldigte auf den gesondert verfolgten Mittäter in Thailand unlauter einwirken oder andere zu einem solchen Verhalten veranlassen werde. Hiergegen spricht insbesondere die Einlassung des Beschuldigten. Amtsgericht Richter am Amtsgericht 2.4.10.5 Verkündung des Haftbefehls Den Haftbefehl vollstreckt die Staatsanwaltschaft. Nach seiner Festnahme ist der Beschuldigte dem zuständigen Richter vorzuführen und zwar unverzüglich, spätestens am Tag nach der Ergreifung. Bereits zu diesem Zeitpunkt sollte dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger gem. § 140 Abs. 1 Nr. 4 St PO bestellt werden. Dem Beschuldigten muss eröffnet werden, was ihm zur Last gelegt wird. Darüber hinaus ist er über seine Rechte-- Aussageverweigerung, Beweisantragsrecht, Beiziehung eines Verteidigers-- zu belehren und ihm ist Gelegenheit zu geben, sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern. Selbstverständlich ist-- soweit das Erfordernis besteht-- ein Dolmetscher beizuziehen. Da es sich um eine unverzügliche Maßnahme handelt, kann es vorkommen, dass der Dolmetscher relativ unvorbereitet und spontan einen Auftrag erhält. Hier ist die Flexibilität des Dolmetschers gefragt, sowohl was seine zeitliche Verfügbarkeit als auch was das Einstellen auf ein eventuell bislang unbekanntes Strafrechtsgebiet angeht. 175 2 Strafverfahren Durch das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts ( UH aft RÄ ndG) vom 29. 07. 2009 sind mit Wirkung vom 01. 01. 2010 einige besondere Änderungen eingetreten: Dem Beschuldigten muss bereits bei seiner Verhaftung eine Abschrift des Haftbefehls in einer ihm verständlichen Sprache (das Gesetz nennt nicht den Begriff „Muttersprache“) ausgehändigt werden. Ist dies nicht möglich, ist ihm unverzüglich der Inhalt in einer für ihn verständlichen Sprache mitzuteilen und die Aushändigung von Haftbefehlsabschrift und Übersetzung unverzüglich nachzuholen. Zudem ist der Beschuldigte über die möglichen Rechtsbehelfe der Haftbeschwerde und der mündlichen Haftprüfung zu belehren, auch über die Möglichkeit, die Vorführung vor dem zuständigen Richter zu beantragen. Dies erfolgt durch das Gericht. Aufgrund der o. g. gesetzlichen Änderung ist dem Beschuldigten bereits bei seiner Verhaftung eine schriftliche Rechtsbehelfsbelehrung in einer ihm verständlichen Sprache auszuhändigen. Dabei ist er darauf hinzuweisen, dass er im Verfahren die unentgeltliche Hinzuziehung eines Dolmetschers verlangen kann. Bei der Anhörung des Beschuldigten vor dem Haftrichter wird dem Beschuldigten eine Rechtsbehelfsbelehrung ausgehändigt, die folgenden Inhalt haben sollte: Rechtsbehelfsbelehrung zum Haftbefehl 1. Sie können gegen den Haftbefehl Beschwerde einlegen. 2. Solange Sie sich in Untersuchungshaft befinden, können Sie anstelle der Beschwerde jederzeit die gerichtliche Prüfung beantragen, ob der Haftbefehl aufzuheben oder sein Vollzug auszusetzen ist (Haftprüfung). Dies gilt nicht, wenn der Haftbefehl erlassen worden ist, weil der Widerruf der Aussetzung einer Freiheits- oder Jugendstrafe oder einer Unterbringung zu erwarten ist (§ 453c StPO); in diesem Fall können Sie lediglich Beschwerde einlegen. 3. Die Beschwerde bzw. der Antrag auf Haftprüfung ist zu richten - vor Erhebung der öffentlichen Klage: an das Gericht, das den Haftbefehl erlassen hat, - nach Erhebung der öffentliche Klage: an das Gericht, das mit der Sache befasst ist. 4. Das Gericht kann über Ihre Beschwerde ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Über Ihren Antrag auf Haftprüfung muss dagegen eine mündliche Verhandlung stattfinden, wenn Sie dies ausdrücklich beantragen. Ist aber schon einmal mündlich verhandelt worden, haben Sie nur dann einen Anspruch auf eine erneute mündliche Verhandlung, wenn die Untersuchungshaft mindestens drei Monate und seit der letzten mündlichen Verhandlung mindestens zwei Monate gedauert hat. Ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung besteht ferner nicht, solange die Hauptverhandlung andauert oder wenn ein Urteil ergangen ist, das auf eine Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt. 5. Gegen eine Entscheidung oder sonstige Maßnahme nach § 119 Abs. 1, 2 und 3 St PO kann gerichtliche Entscheidung beantragt werden, soweit nicht das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft ist, § 119 Abs. 5 St PO . 176 Teil II Juristische Grundlagen Gegen eine behördliche Entscheidung oder Maßnahme im Untersuchungshaftvollzug kann gerichtliche Entscheidung beantragt werden. Eine gerichtliche Entscheidung kann zudem beantragt werden, wenn eine im Untersuchungshaftvollzug beantragte behördliche Entscheidung nicht innerhalb von drei Wochen ergangen ist, § 119a Abs. 1 St PO : 6. Die Beschwerde bzw. der Antrag auf Haftprüfung, der Antrag auf gerichtliche Entscheidung sowie der Antrag auf mündliche Verhandlung können zu Protokoll der Geschäftsstelle des unter Nr. 3 bezeichneten Gerichts oder schriftlich erklärt werden. Sofern Sie sich nicht auf freiem Fuß befinden, können Sie diese Erklärungen auch zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts geben, in dessen Bezirk die Anstalt liegt, in der Sie auf behördliche Anordnung verwahrt sind. Die schriftliche Erklärung muss in deutscher Sprache erfolgen. Das Gericht muss dafür Sorge tragen, dass dem Beschuldigten eine Übersetzung zur Verfügung gestellt werden kann. 2.4.10.6 Vollzug der Untersuchungshaft Der Vollzug erfolgt in der hierfür vorgesehenen Justizvollzugsanstalt ( JVA ) auf der Basis des Haftbefehls und mit einem vom Gericht ausgestellten Aufnahmeersuchen. In der JVA werden die Bedingungen u. a. durch die Untersuchungshaftvollzugsordnung ( UVO llzO) geregelt, welche durch Erlasse der jeweiligen Landesjustizverwaltungen in den einzelnen Bundesländern zu unterschiedlichen Zeiten in Kraft getreten ist. Für die dolmetscherische und übersetzerische Tätigkeit sind einige Regelungen der UV ollzO, so zum Beispiel im Hinblick auf Besuche, den Briefverkehr oder den Telefonverkehr, von Bedeutung. Zur Gewährleistung eines ungehinderten Strafverfahrens wird der Briefwechsel eines Untersuchungshäftlings überwacht, damit er nicht auf diesem Wege Einfluss auf Zeugen, Mittäter oder Dritte nehmen oder Beweismittel vernichten oder verändern lassen kann. Deshalb enthält die UV ollzO dazu folgende Regelungen: Nummer 30 UV ollzO Überwachung des Schriftwechsels. (1) Der Schriftwechsel des Gefangenen wird durch den Richter oder durch den Staatsanwalt (Nr. 3) überwacht. (2) Nicht überwacht werden Schreiben an Volksvertretungen des Bundes und der Länder sowie an deren Mitglieder, soweit die Schreiben an die Anschriften dieser Volksvertretungen gerichtet sind und den Absender zutreffend angeben, sowie an die Europäische Kommission für Menschenrechte. 177 2 Strafverfahren Der Schriftwechsel zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger darf nicht überwacht werden. Telefonate des Beschuldigten-- sofern ihm durch den Richter eine Telefonerlaubnis erteilt wird-- unterliegen ebenfalls der inhaltlichen Kontrolle: Nummer 38 UV ollzO Fernmündlicher Verkehr. Telegramme. (1) Fernmündliche Gespräche des Gefangenen mit Personen außerhalb der Anstalt bedürfen der Zustimmung des Richters oder des Staatsanwalts (Nr. 3). In dringenden unbedenklichen Fällen kann auch der Anstaltsleiter die Zustimmung erteilen. Das Gespräch wird im vollen Wortlaut mitgehört; Nr. 36 Abs. 1 bleibt unberührt. (2) Telegramme werden wie Schreiben überwacht, aber beschleunigt befördert. Sofern der Gefangene mit der Öffnung des Telegramms einverstanden ist, kann ihn der Anstaltsleiter in dringenden unbedenklichen Fällen von dem wesentlichen Inhalt in Kenntnis setzen. (3) Gebühren hat der Gefangene im Voraus zu entrichten. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Anstalt und zur Sicherung des Strafverfahrens muss der Briefwechsel eines ausländischen, nicht der deutschen Sprache mächtigen Beschuldigten übersetzt und seine Telefongespräche verdolmetscht werden. Das kann bei einem regen Brief- und Telefonkontakt mit erheblichen Kosten verbunden sein, welche zumindest teilweise von dem Beschuldigten- - im Falle einer späteren Verurteilung-- zu tragen sind. Hierzu hatte u. a. das Bundesverfassungsgericht 2003 entschieden, dass die anfallenden Dolmetscherkosten bei Telefonaten in vollem Umfang von dem Beschuldigte zu tragen sind, die Kosten für die Übersetzung von Briefwechseln aber nur dann, wenn dieser einen erhöhten Anfall aufweist. Hier sollte der Beschuldigte rechtzeitig auf eine eventuelle Kostentragungspflicht hingewiesen werden, damit er gegebenenfalls selbst das Briefaufkommen einschränken kann. Dass dieses nicht unbedeutend ist, zeigt sich daran, dass im o. g. Verfahren ein Kostenanteil von ca. 20.000 DM für Dolmetschergebühren während der Untersuchungshaft entstanden war. 2.4.10.7 Mündliche Haftprüfung Ein häufiger Einsatz des Dolmetschers erfolgt in der mündlichen Haftprüfung, die bereits oben in der Rechtsbehelfsbelehrung aufgeführt ist. Der Beschuldigte kann durch das Gericht überprüfen lassen, ob der Haftbefehl aufzuheben ist oder gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt werden kann. Dies geschieht in einer nichtöffentlichen, mündlichen Verhandlung, über die ein Protokoll angefertigt wird. Der Beschuldigte kann jederzeit einen solchen Antrag stellen, jedoch nicht ständig wiederholt. 178 Teil II Juristische Grundlagen Nach 6 Monaten sind von dem zuständigen Gericht die Akten dem Oberlandesgericht zur Haftprüfung vorzulegen, denn die Untersuchungshaftdauer darf sechs Monate nur dann überschreiten, wenn gem. § 121 Abs. 1 St PO „die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen“. 2.4.10.8 Weitere Haftbefehlsarten An dieser Stelle soll nur darauf hingewiesen werden, dass die Strafprozessordnung auch noch weitere Formen von Untersuchungshaft, Haftbefehlen und Unterbringung vorsieht: ▶ § 127 b St PO : Hauptverhandlungshaft zur Entscheidung im beschleunigten Verfahren ▶ § 230 St PO : Haftbefehl gegen einen Angeklagten, der schuldhaft dem Hauptverhandlungstermin ferngeblieben ist ▶ § 453 c St PO : Haftbefehl gegen einen Verurteilten, dessen Bewährung widerrufen werden soll ▶ § 126 a St PO : Die einstweilige Unterbringung gem. § 126 a St PO ist eine Maßnahme zum Schutz der Allgemeinheit vor gemeingefährlichen Rechtsbrechern Während die Untersuchungshaft gem. § 112 St PO (Flucht, Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr) allein der Verfahrenssicherung dient, wird hier die Vorwegnahme einer Unterbringung gem. §§ 63, 64 St GB ermöglicht. Voraussetzung ist das Vorliegen dringender Gründe, dass der Beschuldigte die Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen hat. Weitere Voraussetzung ist die Erwartung, dass das Gericht im Hauptverfahren eine Maßnahme nach §§ 63, 64 St GB verhängen, also die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt anordnen wird. Zuletzt ist zu prüfen, ob die öffentliche Sicherheit diese vorläufige Maßnahme erfordert, ob nämlich die Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte weiterhin rechtswidrige schwere Taten begehen werde. Das zuständige Amtsgericht erlässt einen Unterbringungsbefehl auf Antrag der Staatsanwaltschaft und nach Anhörung des Beschuldigten. Mit dem Unterbringungsbefehl wird die einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt angeordnet. Das Verfahren entspricht im Wesentlichen dem des Haftbefehls. Eine Außervollzugsetzung wie beim Haftbefehl ist hingegen nicht zulässig. Eine Umwandlung des Unterbringungsbefehls in einen Haftbefehl ist möglich. Die einstweilige Unterbringung bleibt, sofern nicht eine Aufhebung erfolgt, bis zur Rechtskraft eines Urteils aufrechterhalten. 179 2 Strafverfahren 2.4.10.9 Übung Fall: Peter Meier hat mal wieder Durst und entschließt sich, im Supermarkt um die Ecke eine Flasche Bier zu entwenden, da er nicht genug Geld mithat. Die Gelegenheit ist günstig, er greift zu, steckt die Flasche in seinen Rucksack und verlässt den Laden. Als er von dem Kaufhausdetektiv angesprochen wird, rennt er weg und versteckt sich aus Angst vor Verfolgung bei seinem Freund Franz Müller. Das Bier schmeckt ihm gar nicht mehr. Erst nach einer Woche wird er von der Polizei in seinem Versteck entdeckt. Darf der von der Stjaatsanwaltschaft beantragte Haftbefehl erlassen werden? Begründen Sie Ihre Entscheidung 2.4.11 Abschluss des Verfahrens durch Staatsanwaltschaft Nach Durchführung der Ermittlungen und nach Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Beweismittel ist es Aufgabe der Staatsanwaltschaft, das Verfahren zu einem Abschluss zu bringen. Erwägt die Staatsanwaltschaft anzuklagen, so erfolgt ein Abschlussvermerk in den Akten, § 169 a St PO , und sie erhebt durch Einreichung einer Anklageschrift beim zuständigen Gericht die öffentliche Klage, § 170 Abs. 1 St PO . Liegen die Voraussetzungen nicht vor, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein, § 170 Abs. 2 St PO . Darüber hinaus kann eine Erledigung erfolgen durch anderweitige Einstellung, §§ 153 ff St PO oder im Strafbefehlswege gem. §§ 407 ff St PO . Im Jahr 2015 wurden durch die Staatsanwaltschaften bundesweit insgesamt nahezu 4.990.000 Verfahren erledigt, davon rund 429.000 Vorgänge durch Anklageerhebung, 543.000 Strafbefehle wurden beantragt, und ca. 1.344.000 Verfahren durch eine Einstellung gem. § 170 Abs. 2 St PO beendet. 2.4.11.1 Anklageerhebung Zum Zwecke der Anklageerhebung legt die Staatsanwaltschaft dem zuständigen Gericht die Anklageschrift zusammen mit den Verfahrensakten vor, § 199 Abs. 2 St PO . Soweit eine der deutschen Sprache nicht mächtige Person betroffen ist, sollte die Staatsanwaltschaft zugleich eine Anklageschrift in übersetzter Form mitübersenden, um das gerichtliche Verfahren nicht zu verzögern. 2.4.11.1.1 Inhalt der Anklageschrift Der erforderliche Inhalt einer Anklageschrift wird durch § 200 St PO konkret beschrieben: 180 Teil II Juristische Grundlagen 1. Die Anklageschrift hat den Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen (Anklagesatz). In ihr sind ferner die Beweismittel, das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll, und der Verteidiger anzugeben. Bei der Benennung von Zeugen ist deren Wohn- oder Aufenthaltsort anzugeben, wobei es jedoch der Angabe der vollständigen Anschrift nicht bedarf. In den Fällen des § 68 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 1 genügt die Angabe des Namens des Zeugen. Wird ein Zeuge benannt, dessen Identität ganz oder teilweise nicht offenbart werden soll, so ist dies anzugeben; für die Geheimhaltung des Wohn- oder Aufenthaltsortes des Zeugen gilt dies entsprechend. 2. In der Anklageschrift wird auch das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen dargestellt. Davon kann abgesehen werden, wenn Anklage beim Strafrichter erhoben wird. Das in Absatz 2 genannte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen beinhaltet eine Darstellung der Erkenntnisse sowohl über die persönlichen Verhältnisse des Angeschuldigten als auch über das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens, z. B. die Angaben des Angeschuldigten zur Sache und die zusammenfassende Wiedergabe verfahrensrelevanter Zeugenaussagen und anderer Beweismittel. Die Anklage soll so gefasst sein, dass das Gericht vollumfänglich einen Eindruck über das bisherige Verfahren erlangen kann. Zugleich soll die Anklageschrift den Angeschuldigten in die Lage versetzen zu verstehen, welches strafbare Verhalten ihm konkret zur Last gelegt wird und aus welchen Umständen die Staatsanwaltschaft ihre Erkenntnisse geschöpft hat. Gem. § 199 Abs. 2 St PO muss die Anklageschrift zudem den Antrag enthalten, das Hauptverfahren zu eröffnen. Durch die Erhebung der öffentlichen Klage „wechselt“ der Beschuldigte seine Bezeichnung und wird zum „Angeschuldigten“. Die spätere Bezeichnung „Angeklagter“ erhält er zu dem Zeitpunkt, zu dem das zuständige Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen hat, § 157 St PO . 2.4.11.1.2 Beispiel einer Anklageschrift Eine Anklageschrift wäre unter Berücksichtigung der o. g. Vorgaben in folgender Form zu fassen: Staatsanwaltschaft Geschäftsnummer: 325 Js 14278 / 10 An das Amtsgericht -Schöffengericht - 38140 [Ort] 181 2 Strafverfahren 1. Klaus N. [Name] geboren am [Datum, Geburtsort] wohnhaft [Adresse] ledig, deutscher Staatsbürger 2. Peter K. [Name] geboren am [Datum, Geburtsort] wohnhaft [Adresse] geschieden, deutscher Staatsbürger werden angeklagt, am 01. 05. 2010 gegen 23.05 Uhr in S. [Ort] eine andere Person mittels eines gefährlichen Werkzeugs, mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt zu haben. Den Angeschuldigten wird zur Last gelegt: Am Abend des 01. 05. 2010 gegen 23.05 Uhr schlugen und traten die Angeschuldigten in S. auf der Straße „Kiefernweg“ wechselseitig auf den Geschädigten Karl P.[Name] ein, und zwar auch dann noch, als dieser bedingt durch die Faustschläge bzw. Fußtritte am Boden lag. Die Angeschuldigten zielten in Richtung des Oberkörpers und des Kopfes. Die Angeschuldigten handelten nach einem zuvor gemeinsam gefassten Tatentschluss. Während der Tathandlungen nahmen sie die Handlungen des jeweils anderen Angeschuldigten wahr, billigten diese und wollten sich, wie die vorangegangenen, auch die zukünftigen Tathandlungen des jeweils anderen Angeschuldigten zurechnen lassen. Der Geschädigte P. erlitt durch die Tat der Angeschuldigten ein Schädelhirntrauma, einen Bruch des Augenhöhlenbodens rechts mit Verlagerung von Gewebsteilen in die Oberkieferhöhle, was eine operative Versorgung notwendig machte. Darüber hinaus eine Einblutung in die Augenbindehäute beidseitig, eine Platzwunde im Bereich des rechten Unterlides, einen Bluterguss im Bereich beider Augen, eine Brustkorbprellung sowie eine Verrenkung des linken Daumens. Die Verletzungen waren potentiell lebensgefährlich, weil es durch den Bruch des Augenhöhlenbodens zur Möglichkeit des Eindringens von Bakterien in das Hirngewebe kommen kann.Vergehen, strafbar gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 4, Nr. 5, 25 Abs. 2 St GB . Beweismittel: I. Angaben der Angeschuldigten, soweit sie sich eingelassen haben. N. Bl. 113 ff. d.A. K Bl. 125 ff. d.A. II . Zeugen: 1. POM L. [Dienststelle] 2. POM W. [Dienststelle] 3. POM T. [Dienststelle] 4. Frau Bertha M. [Adresse] Bl. 17 d.A. 182 Teil II Juristische Grundlagen 5. Herr Karl P. [Adresse] Bl. 60 d.A. 6. Herr Wolfgang M. [Adresse] Bl. 111 d.A. III . Urkunden: 1. Auszug aus dem Bundeszentralregister 2. Rechtsmedizinisches Gutachten bzgl. Karl P. des Instituts für Rechtsmedizin Bl. 104 ff.d.A. 3. Befundberichte bzgl. Blutalkoholbestimmung Bl. 65 d.A. IV . Sachverständiger: Dr. med. K. [Name], zu laden über Institut für Rechtsmedizin V. Gegenstand des Augenscheins: Bildanlage Bl. 37 ff. d.A. Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen: 1. Zur Person: Über die im Anklagerubrum gemachten Angaben hinaus sind weitere Mitteilungen nicht möglich, da eine Einlassung fehlt. Der Angeschuldigte N. ist bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, der Angeschuldigte K. ist laut Auskunft des Bundesamtes für Justiz vom 17. 11. 2010 bislang in 11 Fällen verurteilt worden. 2. Zur Tat: Die Angeschuldigten sind der ihnen zur Last gelegten und im Anklagesatz näher beschriebenen Straftat hinreichend verdächtig. Soweit sie eine Tatbegehung nicht eingeräumt haben, werden sie überführt durch die Aussagen der benannten Zeugen. Der Zeuge P. hat in seiner polizeilichen Vernehmung bekundet……[wird für diesen und alle weiteren Zeugen näher ausgeführt] Der Sachverständige ist in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gelangt….[wird näher ausgeführt] Es wird beantragt, das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht [Ort] - Schöffengericht - zu eröffnen. [Name], Staatsanwalt 2.4.11.1.3 Zuständigkeit des Gerichts Wie § 170 Abs. 1 St PO bestimmt, ist die Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht einzureichen. Die jeweilige Zuständigkeit ergibt sich aus der St PO und dem GVG und soll hier nur insofern dargestellt und problematisiert werden, als dies für den „Normalfall“ und die tägliche Praxis insbesondere eines Dolmetschers von Interesse und Bedeutung ist. Eine grundsätzliche 183 2 Strafverfahren Unterscheidung ist zu treffen zwischen der örtlichen Zuständigkeit (Gerichtsstand) und der sachlichen Zuständigkeit eines Gerichts. Örtliche Zuständigkeit Die örtliche Zuständigkeit wird durch §§ 7 ff St PO geregelt. Hauptgerichtsstand und damit regelmäßig zur Anwendung kommend ist der Gerichtsstand des Tatortes, § 7 St PO , d. h. das Gericht, in dessen festgelegtem Gerichtsbezirk eine Straftat begangen wurde, ist demzufolge auch für die Durchführung des Strafverfahrens zuständig. Aus § 8 St PO folgt der Gerichtsstand des Wohnsitzes oder Aufenthaltsortes, womit die Zuständigkeit des Gerichts gegeben ist, in dessen Bezirk der Angeschuldigte zum Zeitpunkt der Erhebung der Anklage seinen Wohnsitz hat. Gemäß § 9 ist auch ein Gerichtsstand dort gegeben, wo der Angeschuldigte ergriffen worden ist, Ergreifungsort, auch wenn dort kein direkter Sachzusammenhang mit der ursprünglichen Straftat besteht. Das Wahlrecht beim Vorliegen mehrerer Gerichtsstände liegt bei der Staatsanwaltschaft. Besonderheiten zur örtlichen Zuständigkeit ergeben sich im Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende. Hierzu wird auf die Ausführungen unter 2.8.1.5. verwiesen. Sachliche Zuständigkeit Die sachliche Zuständigkeit wird durch die Vorschriften des GVG geregelt. Damit wird bestimmt, welches Gericht in Strafsachen das Verfahren zu bearbeiten hat, nämlich ob Amts-, Land- oder Oberlandesgericht, und welches konkrete Gremium an diesen Gerichten mit der Sache betraut wird. Am Amtsgericht ist der Strafrichter gem. § 25 GVG nur zuständig für Vergehen, wenn eine höhere Strafe als 2 Jahre nicht zu erwarten ist. Bei einer höheren Straferwartung als 2 Jahre und bei Verbrechen ist das Schöffengericht gem. §§ 28, 29 GVG , wahlweise bei besonders umfangreichen Verfahren auch das erweiterte Schöffengericht, § 29 Abs. 2 GVG , zuständig. Die Strafgewalt der Schöffengerichte reicht jedoch nur für die Verhängung von Freiheitsstrafen bis zu maximal 4 Jahren. Während der Strafrichter, der ein Berufsrichter ist, allein entscheidet, wird das Schöffengericht neben einem Berufsrichter als Vorsitzendem mit zwei Schöffen als Beisitzern besetzt. Beim erweiterten Schöffengericht kommt ein weiterer Berufsrichter hinzu. Bei den Landgerichten sind erstinstanzlich sogenannte Große Strafkammern eingerichtet, die zuständig sind für alle Verbrechen, die nicht in den Zuständigkeitsbereich von Amtsgerichten oder Oberlandesgerichten fallen, sowie für Verfahren, bei denen eine höhere Strafe als vier Jahre oder die Unterbringung des Angeschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten ist. Zusätzlich kann die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Verfahren anklagen, wenn sie von besonderer Bedeutung sind (besondere Gründe wirtschaftlicher, politischer, kriminalistischer Art), §§ 74 Abs.1, 24 Abs. 1 GVG . 184 Teil II Juristische Grundlagen Die Besetzung der Strafkammern erfolgt mit 3 Berufsrichtern und 2 Schöffen, in weniger schwierigen und umfangreichen Verfahren kann eine Reduzierung auf 2 Berufsrichter beschlossen werden, § 76 Abs. 2 GVG . Für die im Katalog des § 74 Abs. 2 GVG aufgeführten Verbrechen (Tötungsdelikte) ist beim Landgericht eine Schwurgerichtskammer (grundsätzlich 3 Berufsrichter / 2 Schöffen) eingerichtet. Unter den jeweiligen Voraussetzungen können bei einem Landgericht eine Staatsschutzkammer, § 74 a GVG , eine Jugendschutzkammer, § 74 b GVG und Wirtschaftsstrafkammern, § 74 c GVG bestehen. Die Oberlandesgerichte sind in erster Instanz der Strafverfahren zuständig für die im Katalog des § 120 Abs.1, Abs. 2 GVG genannten Straftaten. Das Gremium heißt dann Strafsenat und ist mit 5 Berufsrichtern besetzt, bei weniger umfangreichen Sachen kann die Besetzung auf 3 Berufsrichter reduziert werden, § 122 GVG . Durch diese Bestimmungen des GVG erfolgt aber nicht die Zuordnung eines Verfahrens zu der konkreten Person eines Richters, der Richter einer Kammer oder eines Senats. Das Präsidium des jeweiligen Gerichts, welches gem. § 21 e GVG vor Beginn eines Geschäftsjahres einen Geschäftsverteilungsplan fasst, bestimmt damit die Aufgaben jedes einzelnen Richters für das folgende Geschäftsjahr. Die dann eingehenden Verfahren können entsprechend zugeordnet werden. Allein durch dieses Prozedere ist gewährleistet, dass dem Angeschuldigten sein gesetzlicher Richter nicht entzogen wird. 2.4.11.2 Strafbefehlsverfahren Das Verfahren zum Erlass eines Strafbefehls ist wegen seiner Besonderheiten im Abschnitt 2.8.2 näher dargestellt. 2.4.11.3 Einstellung gem. § 170 Abs. 2 St PO Wie bereits einleitend erwähnt, stellt die Staatsanwaltschaft ein Verfahren ein, wenn nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens keine hinreichenden Gründe vorliegen, die eine Anklageerhebung rechtfertigen. Dies kann seinen Grund finden in prozessualen Voraussetzungen, z. B. wenn wegen eingetretener Verjährung eine Verfolgung nicht mehr zulässig wäre, oder in materiellen Gründen, wenn durch die ermittelte Handlung kein Strafgesetz verletzt wurde. Hauptfall ist hingegen die Einstellung aus tatsächlichen Gründen, die dann erfolgt, wenn bei Würdigung aller ermittelten Umstände eine Verurteilung des Beschuldigten nicht zu erwarten ist, z. B. wenn er als Täter ausgeschlossen werden kann bzw. ihm die Tatbegehung nicht nachzuweisen ist. Soweit eine Vernehmung des Beschuldigten stattgefunden hat, ist er formlos über die Einstellung zu unterrichten, § 170 Abs. 2 S. 2 St PO . 185 2 Strafverfahren 2.4.11.4 Einstellung gem. § 153 ff St PO Das Opportunitätsprinzip (siehe unter 2.2.4) gibt der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, von einer Verfolgung oder gar der Erhebung einer Anklage abzusehen. Grundvoraussetzung ist dabei, dass zum einen die Einstellung gem. § 170 Abs. 2 St PO nicht in Betracht kommt und zum anderen lediglich ein Vergehen i.S.v. § 12 Abs. 2 St GB vorliegt. Exemplarisch seien nachfolgende Einstellungsmöglichkeiten erwähnt. 2.4.11.4.1 Nichtverfolgung von Bagatellsachen Neben den bereits genannten Voraussetzungen ist erforderlich, dass die Schuld des Täters gering ist und ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht besteht. § 153 Abs. 1 St PO setzt nahezu ausschließlich die Zustimmung des Gerichts, das sonst bei Anklageerhebung für das Verfahren zuständig wäre, voraus. Die Einstellung erfolgt durch eine Verfügung der Staatsanwaltschaft, ohne dass dem Beschuldigten noch weitergehende Auflagen erteilt werden. Von den bereits erwähnten erledigten Verfahren des Jahres 2015 wurden in der Bundesrepublik Deutschland ca. 1.422.000 ohne Auflagen eingestellt. 2.4.11.4.2 Einstellung nach Erfüllung von Auflagen Hingegen wurden 2015 insgesamt ca. 175.000 Einstellungen gegen Auflagen vorgenommen und die Verfahren auf diesem Wege beendet. § 153 a Abs. 1 St PO sieht u. a. vor, dass ein Verfahren mit Zustimmung des Gerichts und des Beschuldigten eingestellt werden kann, wenn dieser Auflagen oder Weisungen erfüllt, zum Beispiel: 1. zur Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens eine bestimmte Leistung zu erbringen, 2. einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen, 3. sonst gemeinnützige Leistungen zu erbringen, 4. Unterhaltspflichten in einer bestimmten Höhe nachzukommen, 5. sich ernsthaft zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter- Opfer-Ausgleich) und dabei seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wieder gutzumachen oder deren Wiedergutmachung zu erstreben, oder 6. an einem Aufbauseminar nach § 2b Abs. 2 Satz 2 oder § 4 Abs. 8 Satz 4 des Straßenverkehrsgesetzes teilzunehmen. Das Verfahren wird durch die Staatsanwaltschaft unter Fristbestimmung zur Erledigung der Auflagen und Weisungen eingestellt, wobei der Zeitraum je nach Art der Auflage 6 Monate bzw. 1 Jahr maximal betragen darf. 186 Teil II Juristische Grundlagen Nach Erfüllung der Auflagen und Weisungen wird das Verfahren durch die Staatsanwaltschaft endgültig eingestellt. 2.4.11.4.3 Täter-Opfer-Ausgleich Exemplarisch soll hier der sogenannten Täter-Opfer-Ausgleich ( TOA ) herausgegriffen werden, da lediglich dieser einen direkten Bezug zu einer Tätigkeit des Dolmetschers erwarten lässt. Im Jahr 2015 wurden insgesamt 11.925 Verfahren mit der Auflage, an einem TOA teilzunehmen, vorläufig eingestellt. Durch den TOA soll eine außergerichtliche Konfliktschlichtung (Mediation) herbeigeführt werden unter freiwilliger Beteiligung von Täter und Opfer. Gemäß § 155 a St PO sollen Staatsanwaltschaft und Gericht die Möglichkeit eines solchen Verfahrens in jedem Stadium des Verfahrens überprüfen. Mit der Durchführung wird gem. § 155 b TOA eine sogenannte Ausgleichsstelle beauftragt. Dies können speziell auf eine derartige Konfliktschlichtung spezialisierte Vereine oder Einrichtungen, die Jugendgerichtshilfe, der soziale Dienst der Justiz oder-- je nach Länderregelung-- die Schiedsstellen sein. Ein bestimmtes Verfahren, wie der TOA durchzuführen ist, existiert nicht, jedoch haben sich bestimmte Verfahrensabläufe herausgebildet. Hauptziel des TOA ist dabei, eine Gesprächsgrundlage zwischen den Parteien zu schaffen und ihnen so unter Aufsicht einer unabhängigen Person die Möglichkeit zu geben, Rechtsfrieden herzustellen. Dies umfasst zum einen die Möglichkeit, eine Regelung zum Schadensersatz und eventuell Schmerzensgeld zu treffen, zum anderen wird dem Täter, dem das Opfer nicht anonym bleibt, Gelegenheit gegeben, sich in das Erleben des Opfers hineinzuversetzen, mit der Folge, dass möglicherweise in einer neuerlichen Konfliktsituation ein anderes Verhalten gezeigt wird. Auch das Opfer befindet sich in einer aktiven Gesprächssituation, welche zum Beispiel bei einer Vernehmungssituation als Zeuge im Gerichtsverfahren gar nicht gegeben wäre. Der Geschädigte erfährt-- möglicherweise erstmalig im Verfahren-- dass eine konkrete Auseinandersetzung mit dem von ihm Erlebten erfolgt. Die Beteiligung eines Dolmetschers in diesem Zusammenhang kann sich sowohl bei einem Vorgespräch als auch bei dem Ausgleichsgespräch ergeben, sofern eine der Parteien, Täter oder Opfer, der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig ist. Die Beteiligten werden zunächst schriftlich von der Ausgleichsstelle eingeladen. Im Brief erhalten sie Informationen zum TOA und einen Terminvorschlag zu einem Vorgespräch. Dieses wird getrennt geführt, informiert über den weiteren Gang des Verfahrens und dient der Vorbereitung des zu einem späteren Zeitpunkt durchzuführenden Ausgleichsgesprächs. Die Freiwilligkeit der Teilnahme beider Parteien ist in jeder Phase des Verfahrens gewährleistet. Im Rahmen des Ausgleichsgesprächs treffen die Parteien unter Anleitung des neutralen Mittlers aufeinander, Opfer und Täter schildern die eigene Sicht der Auseinandersetzung, treffen Vereinbarungen zur Schadensregulierung und fixieren diese schriftlich. 187 2 Strafverfahren In der Folge wird die Einhaltung der Wiedergutmachungsvereinbarung durch den Mediator überwacht und Erfolg oder Misserfolg des Ausgleichs anschließend der Staatsanwaltschaft übermittelt. Statistisch werden etwa 2 / 3 der TOA -Verfahren erfolgreich durchgeführt. 1 / 3 scheitert daran, dass entweder Täter oder Opfer nicht bereit waren, mitzuwirken. Bei einem positiven Ergebnis stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren endgültig ein, bei einem Scheitern erhebt sie Anklage bei dem zuständigen Gericht. 2.4.11.4.4 Einstellung bei unwesentlichen Nebenstrafen Gem. § 154 Abs. 1 St PO kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Straftat absehen und das Verfahren einstellen, wenn der Täter wegen weiterer Handlungen bereits rechtskräftig durch ein Gericht verurteilt worden ist und die dem neuen Verfahren zugrunde liegende weitere Straftat neben der abgeurteilten Straftat nicht ins Gewicht fällt. Auf diese Art und Weise wurden durch die Staatsanwaltschaften im Bundesgebiet im Jahr 2015 rund 358.000 Verfahren eingestellt. 2.4.11.4.5 Weitere Einstellungsmöglichkeiten Mit der obigen Erläuterung der Einstellungsmöglichkeiten sind lediglich die in der Praxis hauptsächlich auftretenden Verfahrensbeendigungen aufgeführt worden. Die Aufzählung ist insofern nicht abschließend. Die Darstellung weiterer Beendigungsmöglichkeiten soll hier unterbleiben. 2.4.12 Übung Fall: Michael K. hat Hunger, aber am Monatsende nicht mehr ausreichende Mittel für einen Einkauf. Deshalb entschließt er sich - erstmalig in seinem Leben - einen Diebstahl zu begehen. Mit diesem Gedanken betritt er das X-Kaufhaus, sucht dort Waren zusammen, welche ihm für die nächsten 2 bis 3 Tage ausreichend erscheinen und verstaut diese zusammen mit einer Flasche Champagner für den Geburtstag seiner Mutter in einem mitgeführten Rucksack. Damit passiert er den Kassenbereich, ohne den Gesamtkaufpreis von 57,80 Euro zu begleichen. Dort wird er von dem Kaufhausdetektiv gestellt, ist aber nicht bereit, nach all der Aufregung die Ware herauszugeben und verteidigt seinen Rucksack, bis ihm die Flucht gelingt. § 252 St GB bestimmt: Wer, bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen, gegen eine Person Gewalt verübt oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben anwendet, um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten, ist gleich einem Räuber zu bestrafen. 188 Teil II Juristische Grundlagen Die Strafandrohung für einen Räuber liegt gem. § 249 St GB bei mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe. Dies weiß auch der zuständige Staatsanwalt und überlegt, wie er das Verfahren beenden kann. Insofern ist zu prüfen, welche Einstellungsmöglichkeiten in Betracht kommen oder ob eine Anklage erhoben werden muss. 2.5 Zwischenverfahren Nachdem die Staatsanwaltschaft-- wie oben dargestellt-- die Anklageschrift verfasst und diese nebst den Verfahrensakten dem zuständigen Gericht vorgelegt hat, beginnt das Zwischenverfahren, damit die Tätigkeit des Gerichts in diesem Verfahrensabschnitt. Das Gericht prüft seine Zuständigkeit und den Inhalt der Anklageschrift mit der Maßgabe, ob die Formvorschriften eingehalten sind und ob hinreichende Gründe vorliegen (hinreichender Tatverdacht), die eine Durchführung des Strafverfahrens rechtfertigen, § 203 St PO . Der Vorsitzende stellt dem Angeschuldigten und soweit erforderlich einem gesetzlichen Vertreter und einem Verteidiger die Anklageschrift zu. Damit verbunden ist die Aufforderung, innerhalb einer bestimmten Frist mitzuteilen, ob der Angeschuldigte die Vornahme von Beweiserhebungen vor der Entscheidung des Gerichts beantragt und ob er Einwendungen gegen die Eröffnung des Verfahrens vorbringen will, § 201 Abs. 1 St PO . Im Falle der Beteiligung von Personen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, sind neben der Übersetzung der Anklageschrift auch diese Aufforderungen und Hinweise in übersetzter Form zu übersenden, damit der Angeschuldigte überhaupt von den ihm durch die St PO eingeräumten Rechten und Möglichkeiten Kenntnis erlangen kann. Sofern dem Angeschuldigten die Unterlagen nicht wirksam zugestellt werden können, ermittelt das Gericht seinen Aufenthaltsort, stellt gegebenenfalls das Verfahren gem. § 205 St PO ein. Nach einer wirksamen Zustellung und Ablauf der gesetzten Frist fasst das Gericht einen Beschluss, in dem es die Eröffnung des Hauptverfahrens beschließt. Dies tut es aber nur dann, wenn es zu der Erkenntnis gelangt ist, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig ist, § 203 St PO , nach seiner Beurteilung also eine Verurteilung des Angeschuldigten wahrscheinlich erscheint. Durch den Eröffnungsbeschluss, § 207 St PO , lässt das Gericht die Anklage zur Hauptverhandlung zu und bezeichnet das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll. Soweit erforderlich legt das Gericht dar, mit welchen Änderungen die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen wird. Zugleich beschließt es die etwaige Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder einstweiligen Unterbringung. Kann das Gericht hingegen den hinreichenden Tatverdacht nicht bejahen, lehnt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens durch Beschluss ab, sofern ergänzende Ermittlungen zur Sachaufklärung nicht beigetragen haben oder nicht durchgeführt wurden, § 204 St PO . Hiergegen kann die Staatsanwaltschaft die sofortige Beschwerde erheben. 189 2 Strafverfahren 2.6 Das Hauptverfahren (§§ 213-295 St PO ) Als Kernstück des gerichtlichen Wirkens kommt dem Hauptverfahren eine hauptsächliche Bedeutung zu, da hierin die Tatsachenfeststellungen erfolgen sollen, auf deren Basis das Gericht seine Entscheidung, sei dies eine Verurteilung zu einer Strafe oder ein Freispruch, fällt. Gekennzeichnet vom Mündlichkeitsgrundsatz und dem Beschleunigungsgebot (s. 2.2.6) führt dies zu dem fast wichtigsten Betätigungsfeld des Dolmetschers im strafrechtlichen Verfahren. Die enorme Bedeutung sowohl für das Gericht als auch für die übrigen Verfahrensbeteiligten, insbesondere aber für den Angeklagten als zentraler Person des Geschehens, kann dabei nicht deutlich genug herausgestellt werden. Das Vorschriften zum Hauptverfahren gliedern sich in Regelungen zur: ▶ Vorbereitung der Hauptverhandlung ▶ Hauptverhandlung Die Hauptverhandlung lässt sich zur Übersichtlichkeit in folgende Unterabschnitte gliedern: ▶ Aufruf der Sache, § 243 Abs. 1 Satz 1 St PO ▶ Feststellung der Anwesenheit aller Beteiligten, § 243 Abs. 1 Satz 2 St PO ▶ Zeugenbelehrung, § 43 Abs. 2 Satz 1 St PO ▶ Vernehmung des Angeklagten zur Person, § 243 Abs. 2 Satz 2 St PO ▶ Verlesung des Anklagesatzes, § 243 Abs. 3 Satz 1 St PO ▶ Belehrung des Angeklagten, § 2443 Abs. 4 Satz 1 St PO ▶ Vernehmung des Angeklagten zur Sache, § 243 Abs. 4 Satz 2 St PO ▶ Beweisaufnahme, §§ 244 ff St PO ▶ Schlussvorträge, § 258 St PO ▶ Letztes Wort des Angeklagten, § 258 Abs. 2 St PO ▶ Verkündung einer Entscheidung, mündliche Begründung ▶ Rechtsmittelbelehrung. 2.6.1 Vorbereitung der Hauptverhandlung Die Vorbereitung der Hauptverhandlung dient im Wesentlichen der Ladung der Beteiligten und der Strukturierung der späteren Hauptverhandlung. Die Bestimmung des Hauptverhandlungstermins nimmt der Vorsitzende des Gerichts vor, § 213 St PO , wobei auch dem Umstand Rechnung getragen wird, dass insbesondere Verteidiger und Sachverständige am Termintag durch weitere Verhandlungen verhindert sein könnten. Soweit dies möglich ist, erfolgt eine Absprache des konkreten Termins mit diesen Beteiligten. Die erforderlichen Ladungen der Beteiligten werden vom Vorsitzenden angeordnet, ebenso wie die Benachrichtigung des Nebenklägers. Soweit Zeugen oder Sachverständige geladen werden, sind diese namentlich zu benennen unter Angabe von Wohn- oder Aufenthaltsort, § 222 St PO . Der Eröffnungsbeschluss muss dem Angeklagten spätestens mit der Ladung übersandt werden, § 215 St PO . Soweit das Verfahren beim Landgericht oder Oberlandesgericht geführt 190 Teil II Juristische Grundlagen wird, ist auch die Besetzung des Gerichts mitzuteilen, spätestens jedoch zu Beginn der Hauptverhandlung, § 222 a St PO . 2.6.2 Die Hauptverhandlung 2.6.2.1 Aufruf, Feststellungen und Anklageverlesung Die Hauptverhandlung beginnt mit dem vom Vorsitzenden angeordneten Aufruf der Sache, er kann jedoch den Aufruf auch selbst vornehmen. Anschließend wird die Anwesenheit von Angeklagtem, Verteidiger, Zeugen und Sachverständigen überprüft. Hier wäre im Bedarfsfall die Anwesenheit des Dolmetschers festzustellen. Vor dem Beginn seiner Tätigkeit ist der Dolmetscher gem. § 189 GVG dahingehend zu vereidigen, dass er „treu und gewissenhaft übertragen werde“. Im Falle einer allgemeinen Beeidigung, reicht es aus, dass sich der Dolmetscher auf den allgemein geleisteten Eid beruft. Gegen einen nicht erschienen Angeklagten kann eine Hauptverhandlung nicht stattfinden, Ausnahmen ergeben sich nur in einem Verfahren gem. § 232 St PO , wenn nur mit niedrigen Geldstrafen zu rechnen ist. Erscheint der Angeklagte demnach trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zum Hauptverhandlungstermin, so ordnet das Gericht dessen Vorführung an oder erlässt je nach Umständen einen Haftbefehl gem. § 230 Abs. 2 St PO . Im letzteren Fall wird die Hauptverhandlung ausgesetzt und ein neuer Termin bestimmt, sobald der Haftbefehl vollstreckt ist. Die Untersuchungshaft kann während der gesamten Zeit bis zum Abschluss des Verfahrens andauern, der Haftbefehl selbst endet mit dem Abschluss der jeweiligen Instanz, in der er angeordnet wurde. Die Hauptverhandlung ist in ständiger Anwesenheit des Angeklagten durchzuführen, § 231 St PO , bei selbstherbeigeführter Verhandlungsunfähigkeit und wegen ordnungswidrigen Benehmens kann jedoch gegen ihn unter den Voraussetzungen der §§ 231 a, 231 b St PO in Abwesenheit weiterverhandelt werden. Hingegen kann die Hauptverhandlung durchaus unterbrochen und später fortgesetzt werden. Kurze Verhandlungsunterbrechungen (z. B. eine Pause zur Erholung, Besprechung etc.) ordnet der Vorsitzende an, längere das Gericht in seiner gesamten Besetzung, § 228 Abs. 1 St PO . Eine Unterbrechung darf maximal 3 Wochen betragen bzw. wenn die Hauptverhandlung davor an mindestens 10 Verhandlungstagen stattgefunden hat bis zu 1 Monat. Werden die Fristen überschritten, so muss mit der Hauptverhandlung von neuem begonnen werden. Das bedeutet, dass alle Verfahrenshandlungen wiederholt werden müssen. Nach der Präsenzfeststellung erfolgt die Belehrung der Zeugen, soweit sie bereits anwesend sind, anderenfalls werden sie zum Zeitpunkt ihrer Vernehmung über ihre Wahrheitspflicht belehrt. Anschließend verlassen die Zeugen den Verhandlungssaal und dürfen bis zu ihrer Vernehmung nicht in der Verhandlung anwesend sein. Der Öffentlichkeitsgrundsatz wird hierdurch nicht tangiert, da diese Vorgehensweise ihre gesetzliche Grundlage in § 243 Abs. 2 S. 1 St PO findet. 191 2 Strafverfahren Der Vorsitzende vernimmt anschließend den Angeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen, was allein der Identitätsfeststellung des Angeklagten dient und diesen Rahmen auch nicht überschreiten darf. Es folgt die Verlesung der Anklageschrift durch den Vertreter der Staatsanwaltschaft. Soweit dem Dolmetscher im Vorfeld der Hauptverhandlung bereits eine Anklageschrift zur Verfügung gestellt worden ist, ergibt sich für ihn weniger die Problematik, spontan den Text übertragen zu müssen. In diesem Zusammenhang bleibt zu empfehlen, zumindest den Versuch zu wagen, zur Vorbereitung der Hauptverhandlung an ein Exemplar der Anklageschrift zu gelangen. Die höfliche Bitte an das Gericht, gekoppelt mit dem Hinweis auf die bessere Vorbereitung auf die Hauptverhandlung, sollte zum Erfolg führen. Eine Verpflichtung des Gerichts zur Aushändigung eines Anklageexemplars besteht nicht, in der Regel wird das Gericht aber dem Wunsch des Dolmetschers entsprechen können, da die gute Vorbereitung auch einen reibungslosen Verlauf der Hauptverhandlung verspricht. Im schlimmsten Fall muss sich der Dolmetscher aber mit der Tatsache konfrontiert sehen, dass der Staatsanwalt sich nach Aufforderung des Gerichts von seinem Platz erhebt und die Anklageschrift verliest, so wie er sie vor sich findet. Erwartet wird hierbei eine simultane Übersetzung des Textes. Zur Verdeutlichung wird nachstehend ein möglicher Text aufgeführt, der wie dargestellt auch durch den Anklagevertreter flüssig verlesen wird. Es mag geprüft werden, ob der Leser in der Lage ist, spontan eine Verdolmetschung vorzunehmen (vergleiche auch Teil I, Kap. 6.3.2, Übung 2). (Text des Staatsanwalts) Herrn Michael Meyer, Herrn Thomas Wolf und Herrn Peter Misch, Personalien wie soeben erörtert, klage ich an, im Zeitraum 24. Januar 2008 bis 07. Februar 2008 in Sindelfingen und anderenorts, der Angeklagte Meyer gemeinschaftlich handelnd durch 3 Straftaten, der Angeklagte Wolf gemeinschaftlich handelnd durch 1 Straftat und der Angeklagte Misch gemeinschaftlich handelnd durch 2 Straftaten, 1. die Angeklagten Meyer und Misch, gemeinschaftlich handelnd eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, die Sache sich oder einem anderen rechtswidrig zuzueignen, 2. die Angeklagten und Misch gemeinschaftlich handelnd, fremde bewegliche Sachen einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, die Sachen sich oder einem anderen rechtswidrig zuzueignen, wobei der Angeklagte Misch bei einem Diebstahl auf frischer Tat getroffen, gegen eine Person Gewalt verübt hat, um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten, 3. die Angeklagten Meyer und Wolf, gemeinschaftlich handelnd eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, die Sache sich oder einem anderen rechtswidrig zuzueignen. 192 Teil II Juristische Grundlagen Im Einzelnen wird ihnen zur Last gelegt: Zu 1.: Aufgrund eines gemeinsamen Tatplanes begaben sich die Angeklagten Meyer und Misch am 24. Januar 2008 zwischen 08.00 Uhr und 11.00 Uhr auf ein Betriebsgelände in Sindelfingen, Neustädter Weg 271, wo sie unter Verwendung des zuvor aus dem unverschlossenen Umkleideraum entwendeten Fahrzeugschlüssels den Pkw Mercedes 230, amtliches Kennzeichen SI - HP 444, des Geschädigten Wolfram Heinze entwendeten. Beide Angeklagte nutzten den Pkw in der Folge wie Eigentümer. Zu 2.: Am 07. Februar 2008 gegen 11.30 Uhr begaben sich die Angeklagten Meyer und Misch auf Grund eines einheitlichen Tatplanes in den Zack-Markt in Duisburg. Dort nahmen sie aus den Auslagen einen MP3-Player „Henko747“, eine CD „Greatest Hits Vol.7“, eine MP 3-Adapter-Kassette sowie einen Computer, bestehend aus Rechner und Bildschirm, welche sie unter ihrer Bekleidung versteckten bzw. in die Hand nahmen, und passierten damit den Kassenbereich, ohne die Ware zu bezahlen. Bei Verlassen des Zack-Marktes wurden die Angeklagten von dem Zeugen Peter Rannstadt, welcher sie beobachtet hatte, angesprochen. Während der Angeklagte Meyer unter Zurücklassung des Bildschirms die Flucht ergriff, wurde der Angeklagte Misch vom Zeugen Rannstadt festgehalten, um diesen an der Flucht zu hindern. 2.6.2.2 Vernehmung des Angeklagten zur Sache Auf der Grundlage der verlesenen Anklageschrift kommt es anschließend zur Vernehmung des Angeklagten unter Berücksichtigung folgender Gesichtspunkte: Der Vorsitzende hat zunächst ausdrücklich festzustellen- - dies geht auf die Gesetzesänderung im Jahr 2009 zurück- -, ob es vor Eröffnung (also im Zwischenverfahren) oder nach Eröffnung des Hauptverfahrens zu Erörterungen mit dem Gericht und den übrigen Verfahrensbeteiligten über eine mögliche Verständigung gekommen ist. Beim Vorliegen der Erörterungen ist deren Ergebnis mitzuteilen. Hintergrund ist der Umstand, dass § 257 c St PO im Verfahren die Möglichkeit einer sogenannten „Verständigung“ zum Verfahrensgang und Ergebnis eröffnet unter der Bedingung, dass der Angeklagte geständig ist und man sich lediglich über die Rechtsfolgen einigt („Deal“). Eine Verständigung erfolgt in der Form, dass zunächst das Gericht bekannt gibt, welchen Inhalts die Verständigung sein könnte. Dabei kann es auch eine mögliche Ober- oder Untergrenze der zu erwartenden Strafe nennen. Sofern Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichts zustimmen, kommt die Verständigung zustande. Gegen ein auf einer Verständigung beruhendes Urteil kann der Angeklagte dennoch ein Rechtsmittel einlegen. Demzufolge ist es auch unzulässig, einen Rechtsmittelverzicht des Angeklagten zu Protokoll zu nehmen. Der Angeklagte wird, nachdem die o. g. Hinweise erfolgt sind, gem. § 243 Abs. 5 St PO von dem Vorsitzenden darüber belehrt, dass es ihm freistehe, sich zur Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. 193 2 Strafverfahren Bereits an dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass es sich um ein ureigenstes Recht des Angeklagten handelt, von dem ihm zu gewährenden rechtlichen Gehör Gebrauch zu machen oder nicht. Ein Schweigen darf ihm insbesondere keine Nachteile bereiten. Hingegen kann und muss das Gericht Angaben, insbesondere ein Geständnis, im Rahmen der Zumessung einer Strafe positiv bewerten. Schweigt der Angeklagte, so wird in die Beweisaufnahme eingetreten, will er Angaben machen, so wird er nach den Grundsätzen vernommen, die auch schon bei der ersten Vernehmung eines Beschuldigten anzuwenden waren. Seine Angaben beziehen sich dabei sowohl auf seine persönlichen Verhältnisse einschließlich seines persönlichen und beruflichen Werdegangs als auch auf die Erörterung der in der Anklageschrift erhobenen Vorwürfe. Dem Dolmetscher kommt hierbei eine erhebliche Bedeutung zu, da es unbedingt erforderlich ist, dass der Angeklagte sich seiner Rechte-- Aussagen oder Schweigen-- bewusst ist. Die Belehrung des Gerichts ist genauesten zu übertragen, ebenso wie die dann folgende Aussage des Angeklagten. Da die Einlassung des Angeklagten zum Zwecke der Urteilsfindung gewürdigt werden muss, das Gericht insbesondere die Glaubwürdigkeit des Angeklagten einschätzen muss, ist eine korrekte Verdolmetschung von kaum zu überschätzender Bedeutung. Der Dolmetscher muss die Einlassung möglichst genau übertragen. Er darf weder etwas auslassen, was er für unwichtig hält, noch etwas hinzufügen, was der Angeklagte tatsächlich nicht gesagt hat. Anders als ggf. in Konferenzsituationen darf der Dolmetscher die Aussage nicht „glätten“, d. h. auch mehrfaches Ansetzen, ein Verhaspeln, unübliche Ausdruckweisen oder „Versprecher“ müssen möglichst authentisch wiedergegeben werden, weil genau diese Elemente für die spätere Beweiswürdigung von Bedeutung sein können. 2.6.2.3 Beweisaufnahme Gemäß § 244 Abs. 1 St PO erfolgt nach der Vernehmung des Angeklagten der Eintritt in die Beweisaufnahme. Danach hat das Gericht zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Insofern ist Beweis zu erheben über alle Umstände, welche der Angeklagte nicht in einem-- glaubwürdigen-- Geständnis eingeräumt hat und die verfahrensrelevant sind. Unbeachtlich sind dabei offenkundige Tatsachen oder Erfahrungssätze. Dies umfasst das Allgemeinwissen, welches einer Person unterstellt werden kann, da die betreffenden Informationen aus der schulischen Bildung, dem Fernsehen, dem Internet oder den Print-Medien vermittelt werden. Die Beweisaufnahme ist geprägt vom Amtsermittlungsgrundsatz, also anders als im Zivilverfahren, wo der Beibringungsgrundsatz gilt. Die Erforschung des Gerichts erstreckt sich auf die beabsichtigte Feststellung von Tatsachen und Geschehensabläufen, aber auch auf innere Zusammenhänge, so zum Beispiel inwieweit der Angeklagte Handlungen vorsätzlich begangen hat. Im Rahmen der Amtsermittlung darf sich das Gericht auch nicht allein auf die von Staatsanwaltschaft und Verteidigung vorgebrachten Beweismittel beschränken und die Beweisaufnahme darauf reduzieren. Letztendlich ist das Gericht-- ebenso wie die Staats- 194 Teil II Juristische Grundlagen anwaltschaft im Ermittlungsverfahren-- gehalten, alle belastenden, aber auch entlastenden Momente zu berücksichtigen, denn es gilt auch in diesem Stadium des Verfahrens weiterhin die Unschuldsvermutung. Daneben eröffnet § 244 St PO aber auch die Möglichkeit für die Verfahrensbeteiligten, einen sogenannten Beweisantrag zu stellen. Der Beweisantrag ist das ernsthafte, unbedingte oder an eine Bedingung geknüpfte Verlangen eines Prozessbeteiligten, über eine die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betreffende Behauptung durch bestimmte, nach der St PO zulässige Beweismittel Beweis zu erheben ( BGHS t 1, 29,31). Durch den Antragsteller eines derartigen Beweisantrages muss dargelegt werden, für welche bestimmte Tatsache welches bestimmte Beweismittel herangezogen werden soll. Geht das Gericht dem Beweisantrag nicht nach, indem es den Beweis erhebt, so lehnt es diesen in einem förmlichen Beschluss ab. Dies kann seinen Grund darin haben, dass ein Beweisantrag unzulässig, offenkundig überflüssig ist oder zum Zwecke der Prozessverschleppung gestellt wurde. Aufgrund des Umfangs der hierzu ergangenen Rechtsprechung soll an dieser Stelle von einer Diskussion und weiteren Darstellung abgesehen werden. Lehnt das Gericht einen Beweisantrag zu Unrecht ab, handelt es sich um einen Verfahrensfehler, auf den später im Falle der Entscheidungserheblichkeit die Revision gestützt werden kann. Die Beweisaufnahme kann sich auf alle Beweismittel erstrecken, welche auch schon im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren erörtert worden sind. Exemplarisch sollen die Beweismittel herausgehoben werden, welche für die Tätigkeit des Dolmetschers eine besondere Anforderung darstellen und die zudem in nahezu jedem Verfahren Gegenstand der Beweisaufnahme sein können. 2.6.2.3.1 Zeugenvernehmung Nicht nur im Vorverfahren, sondern gerade schwerpunktmäßig im Hauptverfahren stellt der Zeugenbeweis das häufigste und wichtigste Beweismittel dar. Der Zeuge ist verpflichtet, zur Vernehmung zu erscheinen und wahrheitsgemäß auszusagen, sofern nicht ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht. Auf der anderen Seite ist der Zeugenbeweis wiederum ein eher schlechtes Beweismittel, da er von den persönlichen Faktoren des Zeugen geprägt wird. Von entscheidender Bedeutung ist bereits, was ein Zeuge tatsächlich wahrgenommen hat bzw. was er meint, wahrgenommen zu haben. Verdeutlicht wird dies als einfaches Beispiel durch die Situation bei einem Verkehrsunfall: Aufmerksam geworden durch das Anstoßgeräusch zweier Fahrzeuge, wendet ein Passant seinen Blick zum Unfallgeschehen, nimmt die Endstellung der Fahrzeuge wahr und überlegt, wie sich der Unfall ereignet haben könnte. Daraus kann sich zunehmend ein inneres Bild entwickeln, wie der Unfall sich ereignet haben muss. Dies bleibt bei dem Zeugen dann als tatsächliches Geschehen präsent. Bei der Wahrnehmung des Zeugen können zudem Umstände hinzutreten, die durch das Tatgeschehen bedingt sind. Leicht nachvollziehbar ist, dass das Opfer einer Straftat, das später als Zeuge gehört werden wird, innerhalb der Tatsituation Angst erleidet, Stress ausgesetzt ist 195 2 Strafverfahren oder im Falle von Körperverletzungsdelikten durch Schmerzen oder gar Bewusstlosigkeit beeinträchtigt ist. In der Zeit nach der Tat wird dieses gedanklich verarbeitet, Erinnerungslücken ausgefüllt, Scham, Folgeschäden und Traumatisierungen, gerade im Bereich von Sexualstrafdelikten, müssen verarbeitet werden, teils mit professioneller Hilfe. Andererseits führt der Zeitablauf bis zu einer Hauptverhandlung zu neuen Erinnerungslücken, und letztendlich darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Vernehmung als Zeuge in der Hauptverhandlung eine enorme psychische Belastung für den Zeugen darstellt, erhöht noch, wenn er selbst Opfer oder unmittelbar Beteiligter ist. Diesen Umständen müssen nicht nur das Gericht und die übrigen Beteiligten Rechnung tragen, auch dem im Bedarfsfall eingesetzten Dolmetscher kommt hierbei eine wichtige Bedeutung zu, und zwar in doppelter Hinsicht: Dolmetscht er für den Zeugen, so muss gewährleistet sein, dass der Zeuge die gestellten Fragen auch inhaltlich verstanden hat und seine Antwort richtig und umfassend wiedergegeben wird. Für die erhöhten Anforderungen an die Präzision der Verdolmetschung, die sich aus der späteren Beweiswürdigung durch das Gericht ergibt, gilt das zuvor zur Verdolmetschung der Einlassung des Angeklagten gesagte entsprechend. Ist der Dolmetscher für den Angeklagten tätig, muss es garantiert sein, dass dieser sowohl die Frage als auch die Antwort des Zeugen vollständig erfasst. Nur wenn der Angeklagte versteht, was der Zeuge auf welche Frage geantwortet hat, kann er sich adäquat mit dem Gesagten auseinandersetzen und hierauf eine mögliche weitere Verteidigungsstrategie, einschließlich notwendig werdender Beweisanträge stützen. Wie bereits eingangs erwähnt, ist der Zeuge verpflichtet, einer ordnungsgemäßen Ladung Folge zu leisten. Bleibt er dennoch der Hauptverhandlung unentschuldigt fern, so wird gegen ihn gem. § 51 Abs. 1 St PO ein Ordnungsgeld verhängt und zugleich Ordnungshaft angeordnet, sofern er das Ordnungsgeld nicht bezahlt. Weiter werden dem Zeugen die Kosten auferlegt, die dadurch entstanden sind, dass er nicht erschienen ist, z. B. wenn hierdurch ein zusätzlicher Verhandlungstag erforderlich wird. Zulässig ist darüber hinaus die zwangsweise Vorführung des Zeugen. In diesem Fall wird die laufende Verhandlung unterbrochen oder mit anderen Zeugen fortgeführt, während versucht wird, die Vorführung zu realisieren. Scheitert dies am Verhandlungstag, wird versucht die Vorführung am folgenden Verhandlungstag zu realisieren. Vor der Vernehmung des Zeugen hat das Gericht zu prüfen, ob dem Zeugen ein Recht, die Aussage zu verweigern, zusteht. ▶ Gem. § 52 Abs. 1 St PO darf das Zeugnis verweigert werden von der Verlobten, der Ehefrau oder dem Lebenspartner (Lebenspartnerschaft nach dem LP artG) des Angeklagten, von Verwandten und Verschwägerten im Rahmen des § 52 Abs. 1 Nr. 3 St PO . ▶ Ein Zeugnisverweigerungsrecht steht ebenfalls zu den Berufsgeheimnisträgern, die in §§ 53, 53 a St PO aufgeführt sind, sowie den öffentlich Bediensteten, § 54 St PO . Von erheblicher praktischer Bedeutung ist § 55 St PO , ein Auskunftsverweigerungsrecht, da ein Zeuge die Antwort auf Fragen verweigern kann, deren Beantwortung ihn selbst oder nahe Angehörige der Strafverfolgung aussetzen würde. Dies kommt in Betracht, wenn der Zeuge 196 Teil II Juristische Grundlagen Mittäter sein oder im Zusammenhang mit dem verhandelten Verfahren strafbare Handlungen begangen haben kann und die wahrheitsgemäße Beantwortung einer Frage zu einem Ermittlungsverfahren gegen den Zeugen führen würde. Nach Klärung der Personalien des Zeugen erfolgt die Vernehmung zur Sache. Darin soll der Zeuge im Zusammenhang darlegen, was ihm über „den Gegenstand seiner Vernehmung“, § 69 Abs.1 St PO bekannt ist, gemeint ist also das konkrete Beweisthema. Der Zeuge hat einen Anspruch darauf, dass er seinen Bericht ohne unterbrechende Fragen und Vorhalte erstatten kann. Ist der Zeuge aber zu sehr durch die Vernehmungssituation beeindruckt und insofern gehemmt bzw. ist er intellektuell nur eingeschränkt in der Lage, einen umfassenden Bericht zu erstatten, so kann das Gericht helfend eingreifen, nachfragen, Vorhalte machen und lenkende Hinweise geben. Im Anschluss an den Bericht können zur Aufklärung und zur Vervollständigung der Aussage weitergehende Fragen gestellt werden. Dabei obliegt das Fragerecht zunächst dem Vorsitzenden, welcher aber auf Verlangen allen übrigen Verfahrensbeteiligten einschließlich Beisitzern und Schöffen das Recht zu gestatten hat, Fragen zu stellen, § 240 St PO . Eine Ausnahme bildet die Befragung von Zeugen im Alter unter 18 Jahren, § 241 a St PO . Hier befragt der Vorsitzende allein, hat jedoch Fragen der übrigen Beteiligten aufzugreifen und selbst zu stellen. Er kann aber das Fragerecht auch direkt übertragen, wenn es nicht das Wohl des Zeugen tangiert. Eine Vereidigung des Zeugen unterbleibt in der Regel. Gem. § 59 Abs. 1 St PO werden Zeugen nur vereidigt, wenn es das Gericht nach seinem Ermessen für erforderlich hält. 2.6.2.3.2 Sachverständige Gemäß § 72 St PO gelten für den Sachverständigen die gleichen Verfahrensvorschriften wie für Zeugen. Entsprechend ist es ebenfalls seine Aufgabe, dem Gericht über Tatsachen und Erfahrungssätze Auskunft zu geben oder-- hier unterscheidet er sich vom Zeugen-- einen bestimmten Sachverhalt zu beurteilen. So kann der Sachverständige im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Untersuchungen durchgeführt haben wie die Feststellung der Blutalkoholkonzentration aus einer entnommenen Blutprobe, die Prüfung von Betäubungsmitteln auf ihren Wirkstoffgehalt, die Vermessung und Aufnahme eines Unfallortes usw. Die Befragung des Sachverständigen erstreckt sich dann insofern auf die von ihm festgestellten Tatsachen. Andererseits kann es Aufgabe des Sachverständigen sein, dem Gericht Erfahrungswissen zu vermitteln, zum Beispiel Kenntnisse aus Wissenschaft und Forschung, Technik, Sport, auch Kultur und Wirtschaft. Insofern kann auch durchaus ein Dolmetscher, eher jedoch ein Übersetzer, als Sachverständiger herangezogen werden, insbesondere wenn es sich um die Beurteilung des Wortlautes eines Textes handelt. Hierzu bedarf es eines gesonderten Auftrages, da es nicht Aufgabe eines in dem Verfahren tätigen Dolmetschers ist, aus dieser Funktion herauszutreten und zugleich als Sachverständiger zu fungieren. Informatorische Fragen des Gerichts sind von diesen Überlegungen nicht betroffen. 197 2 Strafverfahren Das entscheidende Kriterium ist die Sachkunde des Sachverständigen. Demzufolge wird er herangezogen, wenn die eigene Sachkunde des Gerichts zur Beurteilung nicht mehr ausreicht. Hauptbetätigungsfeld ist die Erstellung eines Sachverständigengutachtens, nämlich der Auftrag an den Sachverständigen, einen bestimmten Sachverhalt aufgrund seiner Fachkenntnisse zu beurteilen. Die Erkenntnisse können dabei auf der Grundlage der Informationen durch das Gericht, z. B. Übermittlung eines Schriftstückes für eine Handschriftenprüfung, Vorlage einer Waffe zur ballistischen Untersuchung basieren , oder auf eigenen Erkenntnissen beruhen, zum Beispiel wenn der Angeklagte auf seine Schuldunfähigkeit oder ein Zeuge auf seine Glaubwürdigkeit untersucht werden soll und der Sachverständige deshalb eine Exploration vornimmt. Das Ergebnis wird-- sofern es nicht zu einer Verlesung des Gutachtens kommt-- vom Sachverständigen in der Hauptverhandlung mündlich erläutert. Verlesen werden häufig kurze Gutachten, deren Erläuterung nicht zwingend erforderlich ist. In Betracht käme beispielsweise ein Befundbericht: Institut für Rechtsmedizin [Datum] Befundbericht über die Untersuchung auf Ethanolkonzentration Die bei uns am 02. 05. 2010 eingegangene, eindeutig gekennzeichnete Blutprobe Name, Vorname K., Peter Geburtsjahr 1975 entnommen durch Dr. L. medizinische Einrichtung: Kreiskrankenhaus S. angeordnet durch: Polizeirevier S. wurde nach zwei international üblichen, standardisierten Verfahren gemäß den Richtlinien zur Bestimmung der Blutalkoholkonzentration im Blut für forensische Zwecke ( BAK -Richtlinie) untersucht. Der Analy s enmittelwert aus zwei Einzelwerten nach dem 1. gaschromatografischen (Head Space-)Verfahren (1.21 o / oo, 1.22 o / oo) und aus zwei Einzelwerten nach dem 2. GC -Verfahren (1.19 o / oo, 1.21 o / oo) beträgt 1,21 o / oo Dieser Wert gilt für die Zeit der Blutentnahme am 02. 05. 2010, um 3,25 Uhr. Das Institut hat mit Erfolg an dem erforderlichen Ringversuch (externe Qualitätskontrolle) teilgenommen. Ein Rückrechnungsgutachten wird ausdrücklich vorbehalten. [Unterschriften] 198 Teil II Juristische Grundlagen Zu unterscheiden vom Sachverständigen ist der sachverständige Zeuge, § 85 St PO . Dabei handelt es sich um eine Person, die vergangene Tatsachen aufgrund ihrer Sachkunde-- und damit unterscheidet sie sich vom Zeugen-- wahrgenommen hat. So zum Beispiel der Arzt, bei dem sich ein Geschädigter vorgestellt und der Verletzungen festgestellt hat. Seine Befragung erfolgt als Zeuge zu den von ihm festgestellten Tatsachen. Vom Sachverständigen unterscheidet er sich dahingehend, dass ihm weder Gericht noch Staatsanwaltschaft oder Polizei einen Auftrag zur Durchführung der Ermittlung von Verletzungen erteilt hat. Für den sachverständigen Zeugen gelten somit direkt alle die Zeugen betreffenden Verfahrensvorschriften. Der Sachverständige wird durch das Gericht zur Wahrheit ermahnt, über Verweigerungsrechte belehrt und erstattet dann mündlich sein Gutachten im Zusammenhang. Im Anschluss daran kann-- wie in der Zeugenvernehmung-- eine Befragung durchgeführt werden. In der Regel bleibt der Sachverständige gem. § 79 St PO unvereidigt. Wie bereits oben ausgeführt, ist nicht sichergestellt, dass dem Dolmetscher Unterlagen wie die Anklageschrift oder auch ein schriftliches Sachverständigengutachten vorab zur Verfügung gestellt werden bzw. werden können. Beispielhaft kann sich der Dolmetscher deshalb spontan mit folgenden Informationen konfrontiert sehen, die entweder im Wege der Verlesung durch das Gericht oder durch mündlichen Vortrag eines Sachverständigen den Prozessbeteiligten bekannt gemacht werden. Dem Angeklagten sind die Informationen vollständig und genauestens zugänglich zu machen, da sich hieran auch sein weiteres Verhalten im Strafprozess orientieren kann. Aus einem Gutachten eines Sachverständigen für forensische Biologie zur DNA -Analyse: Die Ergebnisse der DNA -Analyse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die DNA -Typisierungsmuster des Zellmaterials der Spuren 09 (Abrieb Fantaflasche), 10 (Abrieb Fantaflasche) und 13 (Abrieb Fantaflasche) stimmen mit dem Typisierungsmuster des Tatverdächtigen Matthias Z. überein. Somit kann das Zellmaterial dieser Spuren von Matthias Z. stammen. Dabei wurde die Spur 09 mit allen oben genannten PCR -Systemen analysiert, während die Spuren 10 und 13 aus Effektivitätsgründen lediglich mit den Systemen SE33, TH01 und FIBRA untersucht wurden. Die errechnete Häufigkeit der DNA -Merkmalskombination des Tatverdächtigen Matthias Z., die auch für die DNA -Merkmalskombination des von der Spur 09 typisierten Zellmaterials gilt, beträgt unter Verwendung deutscher Allelfrequenzdaten 1 durch 2,23 mal 10 hoch 11. Statistisch bedeutet das, eines von etwa 223 Milliarden Individuen, bezogen auf nichtverwandte Personen, besitzt die angegebene Merkmalskombination. Aus einem forensisch-psychiatrischen Gutachten zur Einsichts- und Steuerungsfähigkeit eines Angeklagten zum Zeitpunkt der Tatbegehung: 199 2 Strafverfahren Die Einschätzung der Intelligenz des Begutachteten ist als durchschnittlich auf Normalniveau vorzunehmen. Hinweise auf einen dezenten kognitiven Abbauprozess ließen sich feststellen. Auf die Schuldfähigkeit des Begutachteten waren aus diesem Umstand jedoch keine Einschränkungen abzuleiten. Einsichtsfähigkeit in moralische Normen und Werte war erkennbar. Im Bereich der krankheitsbezogenen Diagnostik zeigten sich Hinweise auf eine Alkoholgefährdung des Probanden, wobei derzeit die Schwelle zur Alkoholabhängigkeit als fraglich erreicht bezeichnet werden muss. Die Persönlichkeitsdiagnostik ergab keine Hinweise auf eine krankhafte Veränderung der Persönlichkeit des Begutachteten, wenngleich leichte Persönlichkeitsakzentuierungen hinsichtlich paranoider oder zwanghafter Persönlichkeitszüge erkennbar waren. Die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten ist unter gleich bleibenden Lebensumständen als im mittleren Bereich erhöht einzuschätzen. Das Gericht hat das Sachverständigengutachten im Rahmen der freien Beweiswürdigung gem. § 261 St PO zu beurteilen. Dabei muss es eigenständig über das vom Sachverständigen vorgetragene Resultat entscheiden und kann nicht ungeprüft die Ergebnisse des Sachverständigen übernehmen. 2.6.2.3.3 Urkundenbeweis Der Urkundenbeweis erfolgt durch die Verlesung eines Schriftstückes, wobei dessen gedanklicher Inhalt ermittelt und zum Beweiszwecke verwertet werden soll. Damit bezieht sich § 249 St PO auf alle Schriftstücke, die verlesbar sind und durch ihren Gedankeninhalt einen Beweis erbringen. Dies bedeutet andererseits, dass in Geheim-, Kurzschrift oder einer fremden Sprache verfasste Texte nicht verlesen werden, es sei denn sämtliche Beteiligte des Verfahrens seien der fremden Sprache mächtig. Die Übersetzung des fremdsprachigen Textes ist dann wiederum eine Urkunde, gegen deren Verlesung keine Bedenken bestehen. Unter besonderen Umständen, die abschließend in § 251 St PO aufgezählt sind, können Protokolle über die Vernehmung von Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten verlesen werden. Dies ist jedoch gem. § 252 St PO ausgeschlossen bei Zeugen, die zwar seinerzeit einen Aussage gemacht haben, sich aber jetzt auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 52 ff St PO berufen. Dies kann zu erheblichen Problemen bei der Beweisführung des Gerichts führen. In einer nicht geringen Zahl von Fällen, so zum Beispiel Sexual- und / oder Körperverletzungsdelikte im häuslichen Bereich, steht allein der Ehepartner als Zeuge zur Verfügung. Auch wenn er noch im Zusammenhang mit der Anzeigenerstattung eine Zeugenaussage gemacht hat, die allein Grundlage des durchgeführten Verfahrens ist, steht ihm das Recht zu, in der Hauptverhandlung aufgrund des Ehegattenstatus keine Angaben zu machen. Der 200 Teil II Juristische Grundlagen Grund dafür mag vielfältig sein: Aussöhnung, innerfamiliärer Druck, Scham oder Schuldgefühl. Es besteht jedenfalls keine Möglichkeit, die ursprüngliche Aussage im Verfahren zu verwerten. Der Urkundenbeweis Protokollverlesung ist diesbezüglich untersagt. Selbst die Vernehmung der Polizeibeamten, welche seinerzeit die Zeugenaussage protokolliert haben, wäre als Zeugenbeweis nicht zulässig bzw. die Zeugenaussage nicht verwertbar. Der Urkundenbeweis beinhaltet für den Dolmetscher die Aufgabe, dem Angeklagten ebenfalls den Inhalt der Urkunde bekannt zu machen, denn die Verlesung durch das Gericht hat ja gerade die Intention der Bekanntgabe. Es sollte sinnvollerweise angestrebt werden, dass nicht die Verlesung simultan gedolmetscht wird, sondern vielmehr nach der Verlesung durch das Gericht der Dolmetscher dem Angeklagten den Inhalt der Urkunde vom Blatt übersetzt. Wenn der Angeklagte den Inhalt der Urkunde aus Gründen jenseits der Sprachkompetenz nicht versteht, ist es nicht Aufgabe des Dolmetschers, sondern ggf. des Gerichts eine Klärung herbeizuführen. 2.6.2.3.4 Beweis durch richterlichen Augenschein Als Augenschein wird jede sinnliche Wahrnehmung definiert. Die Wahrnehmung kann durch Sehen erfolgen, der Begriff „Augenschein“ meint hingegen nicht nur dies. Auch Wahrnehmungen durch Hören, Riechen, Schmecken oder Fühlen gehören hierzu. Die Bandbreite reicht von Film- und Tonaufnahmen, Bildern, Fotos, Skizzen, Zeichnungen auch technischer Art, Urkunden, wenn es nicht auf ihren Inhalt sondern z. B. den äußeren Eindruck ankommt, bis hin zu Versuchen oder Experimenten, welche dem Gericht vorgeführt werden. Die Inaugenscheinnahme selbst erfolgt-- wenn möglich-- im Verhandlungssaal oder dort, wo sich das Objekt des Augenscheins befindet. Auch an diesem Ort findet die Hauptverhandlung statt und wird protokolliert. Sämtliche Verfahrensbeteiligte und das Gericht in seiner vollen Besetzung (z. B. bei einer Kammer) haben anwesend zu sein, folglich auch der Dolmetscher. 2.6.2.4 Schlussvorträge Nach dem Schluss der Beweisaufnahme erhalten gem. § 258 St PO die einzelnen Verfahrensbeteiligten das Wort für ihre Ausführungen und Anträge. Dies beginnt mit dem Staatsanwalt und wird weitergeführt-- soweit vorhanden-- vom Nebenkläger und / oder dessen Vertreter und letztendlich dem Verteidiger sowie dem Angeklagten. Der Vortrag soll in der Regel in freier Rede gehalten werden, das Gericht kann aber die Verwendung von Aufzeichnungen nicht untersagen. Dass dadurch manchmal die Lebendigkeit des Vortrages verloren geht, ist kein Kriterium, das berücksichtigt werden darf. Eine Verpflichtung, einen Schlussvortrag zu halten, besteht nur für den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft (Nr. 138, 139 RiSt BV , nicht für die übrigen Verfahrensbeteiligten. 201 2 Strafverfahren § 259 Abs. 1 St PO bestimmt, dass dem der Gerichtssprache nicht mächtigen Angeklagten aus den Schlussvorträgen mindestens die Anträge des Staatsanwalts und des Verteidigers durch den Dolmetscher bekannt gemacht werden müssen. Unabhängig hiervon sollte aber das Gericht darauf achten, dass dem Angeklagten der gesamte Vortrag von Staatsanwaltschaft und Verteidiger bekannt gemacht wird. Gem. § 258 Abs. 3 St PO hat der Angeklagte-- auch wenn er vorab seinen eigenen Schlussvortrag gehalten haben sollte-- das sogenannte letzte Wort bzw., wie das Gesetz es ausdrückt, ist er zu befragen, „ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe“. Diese Frage kann nur ernsthaft so an den Angeklagten gerichtet werden, wenn sich das Gericht sicher ist, dass der Angeklagte auch verstanden hat, worauf Staatsanwalt und Verteidiger ihre- - vermutlich unterschiedlichen- - Anträge stützen. Dies kann der Angeklagte nur, wenn ihm die gesamten Vorträge zur Kenntnis gebracht werden, so wie dies bei einem der deutschen Gerichtssprache Mächtigen auch der Fall wäre. 2.6.2.5 Urteil 2.6.2.5.1 Urteilsverkündung Nach dem Ende der Vorträge folgt eine Beratung des Gerichts, soweit es sich um ein Richtergremium handelt. Die Beratung leitet der Vorsitzende, § 194 GVG . Die Beratung selbst ist geheim. Ein allein tätiger Strafrichter oder Jugendrichter wird eine kurze Verhandlungspause zur Abfassung des Urteilstenors und Vorbereitung der Begründung bestimmen. Nach Beratung verkündet der Vorsitzende das Urteil. Es ergeht im Namen des Volkes und erfolgt durch die Verlesung der Urteilsformel und Eröffnung der Urteilsgründe. Beispielhaft könnte bei einer Verurteilung folgendes vom Vorsitzenden verlesen werden: Es ergeht im Namen des Volkes folgendes Urteil: Der Angeklagte wird wegen gemeinschaftlichen Raubes, gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls in 2 Fällen, hierbei in einem Fall in Tateinheit mit Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Trunkenheit im Verkehr, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Die Verwaltungsbehörde darf ihm vor Ablauf von zwölf Monaten keine Fahrerlaubnis erteilen. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich seiner eigenen notwendigen Auslagen. Angewendete Vorschriften: §§ 249 Abs.1, 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 316 Abs. 1, 242 Abs. 1, 25 Abs. 2, 52, 53, 69 a St GB , §§ 21 Abs. 1 Nr. 1 St VG 202 Teil II Juristische Grundlagen Im Falle eines Freispruchs würde die Tenorierung lauten: Es ergeht im Namen des Volkes folgendes Urteil : Der Angeklagte wird freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens, einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeklagten, werden der Staatskasse auferlegt. Folgend werden die Urteilsgründe durch den Vorsitzenden eröffnet, entweder durch mündliche Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung der Gründe, sofern sie schon schriftlich niedergelegt sind. In der Regel liegen die Urteilsgründe-- mangels ausreichender Zeit-- noch nicht in schriftlicher Form vor. Auch hier kommt der Tätigkeit des Dolmetschers eine erhebliche Bedeutung zu, denn die Gründe, die das Gericht zu einer Verurteilung veranlasst haben, müssen dem Angeklagten verdeutlicht werden. Der Angeklagte muss nämlich innerhalb einer Woche nach Verkündung des Urteils, in aller Regel also vor Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe entscheiden, ob er mit der Entscheidung einverstanden ist oder das Urteil mit einem Rechtsmittel in einer weiteren Instanz überprüft wissen will. 2.6.2.5.2 Rechtsmittelbelehrung Nach der abschließenden Darstellung der Urteilsgründe belehrt der Vorsitzende des Gerichts den Angeklagten, auch wenn sein Verteidiger zugegen ist, über die Rechtsmittel und Rechtsbehelfe. Diese Verpflichtung ergibt sich aus der Regelung des § 35 a St PO . Die Notwendigkeit ergibt sich insbesondere auch aus der Tatsache, dass die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels gem. § 314 Abs. 1 St PO (Berufung) bzw. 341 Abs. 1 St PO (Revision) nur eine Woche, gerechnet ab Urteilsverkündung, beträgt. In der Regel wird dem Angeklagten zusätzlich eine Rechtsmittelbelehrung in schriftlicher Form ausgehändigt. Diese kann folgenden Inhalt haben: Rechtsmittelbelehrung I. 1. Sie können gegen das Urteil entweder die Berufung oder die Revision einlegen. Mit der Berufung können Sie erreichen, dass sowohl die tatsächlichen Feststellungen über den Sachverhalt wie auch seine rechtliche Beurteilung nachgeprüft werden. Sie können auch neue Beweismittel (Zeugen, Sachverständige, Urkunden) angeben. 203 2 Strafverfahren Die Revision können Sie dagegen nur darauf stützen, dass das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe, nicht aber darauf, dass der Sachverhalt, den das Gericht festgestellt hat, nicht der Wirklichkeit entspreche. 2. Wollen Sie das Urteil anfechten, so müssen Sie innerhalb einer Woche nach der Verkündung des Urteils (Rechtsmittelfrist) bei dem Amtsgericht, das dieses Urteil erlassen hat, zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich in deutscher Sprache unter Angabe der Geschäftsnummer die Erklärung abgeben, dass Sie gegen das Urteil nach Ihrer Wahl die Berufung oder Revision einlegen. Sie können sich aber auch die Entscheidung, welches Rechtsmittel Sie wählen, vorbehalten, bis Ihnen das Urteil mit der schriftlichen Begründung zugestellt ist. In diesem Falle genügt es, wenn Sie während der Rechtsmittelfrist zur Niederschrift der Geschäftsstelle oder schriftlich erklären, dass Sie das Urteil anfechten, ohne zugleich das Rechtsmittel als „Berufung“ oder „Revision“ zu bezeichnen. II . 3. Haben Sie Berufung eingelegt, so steht es Ihnen frei, sie zu begründen. Es empfiehlt sich jedoch, anzugeben, ob Sie die Berufung auf bestimmte Beschwerdepunkte, z. B. das Strafmaß, beschränken und ob Sie neue Beweismittel vorbringen. Wollen Sie die Berufung begründen, so soll dies innerhalb einer Woche geschehen. Die Frist beginnt mit dem Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels (Nr. 2) oder, wenn das Urteil zu dieser Zeit noch nicht zugestellt ist, mit seiner Zustellung. Die Begründung ist dem Gericht schriftlich in deutscher Sprache einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle zu erklären. 4. Wird die Berufung nicht auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt oder wird sie überhaupt nicht begründet, so gilt der ganze Inhalt des Urteils als angefochten. Haben Sie das Urteil angefochten, ohne das Rechtsmittel zu bezeichnen, und geben Sie keine weitere Erklärung ab, so gilt die Anfechtung als Berufung. Wenn Sie lediglich zu einer Geldstrafe von nicht mehr als fünfzehn Tagessätzen verurteilt wurden oder eine Geldstrafe bis zu dieser Höhe neben einer Verwarnung vorbehalten wurde, ist die Berufung nur zulässig, wenn sie vom Landgericht angenommen wird. Die Berufung wird angenommen, wenn sie nicht offensichtlich unbegründet ist. Wurden Sie wegen einer Ordnungswidrigkeit verurteilt, wird die Berufung angenommen, wenn Ihnen eine Geldbuße von mehr als 250 € oder eine Nebenfolge auferlegt wurde. III . 5. Im Verfahren über eine von Ihnen eingelegte Berufung ist die öffentliche Zustellung bereits zulässig, wenn eine Zustellung nicht unter einer Anschrift möglich ist, unter der letztmals zugestellt wurde oder die Sie zuletzt angegeben haben. 6. Sind bei Beginn der Hauptverhandlung weder Sie noch in den Fällen, in denen dies zulässig ist, Ihre Vertreterin oder Ihr Vertreter erschienen und ist das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt, hat das Gericht Ihre Berufung ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen. Dies gilt entsprechend, wenn die Berufung von Ihrer gesetzlichen Vertreterin oder Ihrem gesetzlichen Vertreter eingelegt worden ist und sowohl diese als auch Sie ausbleiben. Bleibt allein Ihre 204 Teil II Juristische Grundlagen Viele Gerichte halten zur Vereinfachung derartige Belehrungen bereits in übersetzter Form vor, was eine Übersetzung noch während der Verhandlung entbehrlich macht. gesetzliche Vertreterin oder Ihr gesetzlicher Vertreter aus, so ist ohne diese zu verhandeln. Wenn nur Sie nicht erscheinen, aber Ihre gesetzliche Vertreterin oder Ihr gesetzlicher Vertreter erscheint, kann auch ohne Sie verhandelt werden. 7. Ist die Berufung von Ihnen eingelegt worden, kann das Gericht Ihre Vorführung oder Verhaftung anordnen, wenn Sie bei Beginn der Hauptverhandlung nicht erscheinen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigen. IV . 8. Haben Sie Revision eingelegt, so müssen Sie diese begründen. Hierzu gehört die Erklärung, a) ob das Urteil im Ganzen oder nur in bestimmten Teilen angefochten und ob beantragt wird, es ganz oder teilweise aufzuheben (Revisionsanträge), und b) ob das Urteil wegen der Verletzung des sachlichen (materiellen) Rechts oder wegen Verletzung einer Vorschrift über das Verfahren angefochten wird (Begründung); im letzten Fall müssen alle Tatsachen angegeben werden, aus denen sich der Verfahrensmangel ergeben soll. 9. Zur Begründung der Revision genügt eine von Ihnen unterschriebene Schrift nicht. Die Revisionsanträge und ihre Begründung (Nr. 8) müssen vielmehr zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts erklärt oder in einer von der Verteidigerin oder dem Verteidiger oder einer Rechtsanwältin oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift in deutscher Sprache eingereicht werden. Dies muss innerhalb eines Monats geschehen. Die Frist beginnt mit dem Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels (Nr. 2) oder, wenn zu dieser Zeit das Urteil noch nicht zugestellt war, mit der Zustellung. 10. Haben Sie das Urteil angefochten, ohne das Rechtsmittel zu bezeichnen, und entschließen Sie sich für die Revision, so müssen Sie dies dem Gericht mitteilen und das Rechtsmittel in der Frist und in den Formen der Nummern 8 und 9 begründen. V. 11. Gegen die Entscheidung über die Verpflichtung, Kosten oder notwendige Auslagen zu tragen, können Sie sofortige Beschwerde einlegen, wenn der Beschwerdewert 200 € übersteigt. Die sofortige Beschwerde ist bei dem unter Nr. 2 genannten Amtsgericht innerhalb einer Woche nach der Verkündung des Urteils schriftlich in deutscher Sprache oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen. VI . 12. Bei schriftlichen Erklärungen genügt es zur Fristwahrung nicht, dass die Erklärung innerhalb der Frist zur Post gegeben wird. Die Frist ist vielmehr nur dann gewahrt, wenn die Erklärung vor dem Ablauf der Frist beim Gericht eingeht. 13. Fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages. 205 2 Strafverfahren Die mündliche Rechtsmittelbelehrung ist jedoch auch in diesem Fall vom Dolmetscher zu übertragen! 2.6.2.6 Ende der Hauptverhandlung Die Hauptverhandlung und damit auch das Hauptverfahren schließt mit der Verkündung des Urteils, § 260 Abs. 1 St PO. 2.7 Rechtsmittelverfahren Soweit der Angeklagte, der Verteidiger oder die Staatsanwaltschaft, aber auch der gesetzliche Vertreter oder ein Nebenkläger gegen das Urteil-- fristgemäß-- kein Rechtsmittel einlegen, tritt sogenannte Rechtskraft ein, sowohl bei Verurteilung als auch bei einem Freispruch. Dies bedeutet, dass zum einen diese Entscheidung nicht mehr durch ein Rechtmittel angefochten werden (formelle Rechtskraft) und zum anderen der Verurteilte wegen der der Entscheidung zugrundeliegenden Handlung nicht erneut belangt werden kann (materielle Rechtskraft). Rechtsmittel sind Berufung, Revision und Beschwerde. Daneben gibt es Rechtsbehelfe wie das Wiederaufnahmeverfahren oder die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Letzteren sind in ihrem formellen Wesen ohne Belang für den Dolmetscher, so dass von einer Darstellung an dieser Stelle abgesehen werden kann 2.7.1 Berufung Die Regelungen zur Berufung ergeben sich aus §§ 312 ff St PO . Danach ist dieses Rechtsmittel nur gegen Urteile des Strafrichters und des Schöffengerichts zulässig, also Entscheidungen des Amtsgerichts. Mit der Berufung wird eine neue Tatsacheninstanz begehrt, nämlich die Überprüfung des amtsgerichtlichen Urteils in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht mit der zusätzlichen Möglichkeit, dass gem. § 323 Abs. 3 St PO nicht nur die bisher in der ersten Instanz bekannten Beweismittel sondern auch neue Beweismittel zulässig sind. Wie bereits oben erwähnt, beträgt die Frist zur Berufungseinlegung eine Woche, und die Berufung muss beim Amtsgericht fristgemäß erhoben werden, § 314 St PO . Geht das Schreiben, mit dem Berufung eingelegt wird, verspätet ein, so wird die Berufung durch das Gericht der zweiten Instanz als unzulässig verworfen. Einer besonderen Begründung der Berufung bedarf es nicht, diese ist aber zulässig und auch sinnvoll, um das Gericht darüber zu informieren, auf welche konkreten Gesichtspunkte das Rechtsmittel gestützt werden soll. Das zuständige Berufungsgericht ist das Landgericht und dort die kleine Strafkammer, §§ 74 Abs. 3, 76 Abs.1 GVG , welche mit einem Berufsrichter und zwei Schöffen besetzt ist. Für die dolmetscherische Tätigkeit stellt das Berufungsverfahren im Verhältnis zum erstinstanzlichen Verfahren keine größeren Schwierigkeiten dar. Zu beachten ist nur, dass gem. § 324 St PO das Gericht zunächst einen Vortrag über die bisherigen Ergebnisse des Verfahrens 206 Teil II Juristische Grundlagen hält, sozusagen den bisherigen Gang des Verfahrens chronologisch und inhaltlich darstellt, und darüber hinaus das Urteil des Amtsgerichts verlesen werden kann. Soweit möglich, sollte folglich der Dolmetscher den Versuch machen, mit der Ladung auch eine Abschrift des Urteils zu erhalten. Danach verläuft das Verfahren entsprechend der ersten Instanz durch Vernehmung des Angeklagten und Durchführung der Beweisaufnahme. Wie in allen Verfahrensabschnitten besteht auch im Berufungsverfahren die Möglichkeit einer Einstellung durch das Gericht bei entsprechender Zustimmung der jeweiligen Verfahrensbeteiligten. Soweit eine Einstellung nicht erfolgt, beendet das Gericht das Verfahren durch Urteil. Kommt das Berufungsgericht in seiner Entscheidung zum gleichen Ergebnis wie das Amtsgericht, so verwirft es die Berufung. Hält es aber die Berufung für begründet, so hebt es das erstinstanzliche Urteil auf und entscheidet selbst in der Sache. 2.7.2 Revision Die Regelungen zur Revision ergeben sich aus §§ 333 ff St PO . Danach ist das Rechtsmittel zulässig gegen erstinstanzliche Urteile des Landgerichts (Strafkammern und Schwurgericht) und des Oberlandesgerichts, daneben aber auch gegen Urteile der zweiten Instanz, also Entscheidungen der kleinen Strafkammer, die in der Berufung entschieden hat. Letztendlich besteht die Möglichkeit der sogenannten Sprungrevision. Damit können auch Urteile des Amtsgerichts anstelle der Berufung gleich durch die Revision angegriffen werden. Mit der Revision wird die Überprüfung dahingehend begehrt, ob durch das vorangegangene Urteil eine Verletzung des Gesetzes erfolgt ist. Demnach gibt es keine neue Tatsacheninstanz, es wird nur geprüft, ob das Verfahren sowohl verfahrensmäßig ordnungsgemäß durchgeführt wurde und dass es keine Verletzung des materiellen Rechts gegeben hat. Zuständig für das Revisionsverfahren gegen Entscheidungen der Landgerichte und Oberlandesgerichte erster Instanz ist der Bundesgerichtshof, § 135 Abs. 1 GVG , wobei ein Strafsenat dann mit fünf Berufsrichtern besetzt ist. Für die Revision gegen Berufungsurteile der kleinen Strafkammer und bei der Sprungrevision ist das Oberlandesgericht zuständig, § 121 Abs. 1 GVG , der Senat ist in diesen Verfahren mit drei Berufsrichtern besetzt. Eingelegt wird die Revision bei dem Gericht, dessen Entscheidung angegriffen wird; auch hier gilt die oben genannte Wochenfrist. Hinzu kommt jedoch, dass die Revision binnen eines Monats nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. spätestens ab Zustellung des schriftlichen Urteils begründet und mit einem Antrag versehen werden muss, §§ 344, 345 St PO . Die Begründung hat durch einen Rechtsanwalt oder Verteidiger oder zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts zu erfolgen. Kommt das angerufene Revisionsgericht zu dem Ergebnis, die Revision sei unzulässig oder unbegründet, so verwirft es sie. Hält es aber die Revision für begründet, dann hebt das Gericht 207 2 Strafverfahren das angefochtene Urteil auf und verweist in der Regel das Verfahren zurück an die vorherige Instanz zur erneuten Verhandlung, §§ 353, 354 St PO . Dem Dolmetscher kommt im Normalfall in diesem Verfahren kaum eine Bedeutung zu, hingegen muss er wieder aktiv werden, wenn aufgrund der Zurückverweisung die Hauptverhandlung erneut in der ersten Instanz bzw. der Berufungsinstanz durchgeführt wird. 2.8 Besondere Verfahrensarten 2.8.1 Jugendverfahren 2.8.1.1 Einleitung Das Jugendverfahren unterscheidet sich, was die Frage strafbaren Verhaltens angeht, nicht wesentlich vom allgemeinen Strafrecht. Jedoch ist die Verfahrensgestaltung teilweise, die jeweilige gerichtliche Entscheidung aber grundlegend abweichend vom Strafgesetzbuch. Dem Jugendverfahren kommt eine erhebliche Bedeutung zu, bedenkt man, dass Jugendliche ca. 13 % und Heranwachsende ca.11 % der Tatverdächtigen in der Bundesrepublik Deutschland stellen. Da sich diese noch in ihrer Entwicklung befinden, muss nachhaltig auf die Täter eingewirkt werden, um ein zukünftig weiterhin kriminelles Verhalten zu verhindern. 2.8.1.2 Begriffe Im Jugendrecht sind bestimmte Begrifflichkeiten und die damit verbundenen Voraussetzungen von immanenter Bedeutung. Die Bestimmungen hierzu ergeben sich aus dem Jugendgerichtsgesetz ( JGG ). Wie schon beim Abschnitt Jugendgerichtshelfer erwähnt, sprechen wir von: ▶ Kindern, nämlich strafunmündigen Personen bis 14 Jahren ▶ Jugendlichen, in den Altersstufen von 14 bis 18 Jahren ▶ Heranwachsenden, in den Altersstufen von 18 bis 21 Jahren ▶ Erwachsenen, ab 21 Jahren Diese Alterszuordnungen ergeben sich aus § 1 JGG . Kinder können damit auch bei Verletzung von Strafgesetzen nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Jedoch kann und muss bei einem gezeigten abweichenden Verhalten mit pädagogischen Mitteln und / oder Maßnahmen des Jugendamtes eine Einflussnahme vorgenommen werden. Für Jugendliche gilt das JGG uneingeschränkt, so dass gegen diese auch nur geeignete Maßnahmen aus dem Katalog des Gesetzes entnommen werden können. Bei den Heranwachsenden hingegen ist zu beachten, dass sich diese in einer Entwicklungsphase zwischen dem Jugendlichen und dem Erwachsenen befinden und diesem Umstand durch den Gesetzgeber Rechnung getragen wurde. Nach § 105 Abs. 1 JGG soll nämlich das Gericht Jugendrecht anwenden, wenn die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen 208 Teil II Juristische Grundlagen ergibt, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung einem Jugendlichen gleichstand. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so kann das Gericht den Täter nur wie einen Erwachsenen behandeln und gegen ihn dann die nach dem Strafgesetzbuch vorgesehenen Strafen, nämlich Geld- oder Freiheitsstrafe verhängen. 2.8.1.3 Das Hauptverfahren Die Hauptverhandlung weicht im Wesentlichen nicht vom normalen Strafprozess ab, da die Grundsätze der St PO auch hier gelten. Allerdings ist abweichend- - wie bereits in Kap. 2.2.7 dargestellt- - dass die Öffentlichkeit bei der Verhandlung gegen Jugendliche ausgeschlossen ist bzw. bei Beteiligung von Heranwachsenden und / oder Erwachsenen ausgeschlossen werden kann. Zudem ist die Beteiligung des Jugendgerichtshelfers nur für das Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende vorgesehen; für das Gericht hat er eine besondere Bedeutung bei der Ermittlung der persönlichen Verhältnisse und des Werdegangs des Angeklagten. Dem Verfahren gegen Jugendliche kann sich der Geschädigte nur unter bestimmten Bedingungen als Nebenkläger anschließen, § 80 Abs. 3 JGG , ein Adhäsionsverfahren ist nicht zulässig, § 81 JGG . Sind Heranwachsende betroffen und kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass sie einem Erwachsenen gleichzusetzen, demnach nach allgemeinem Strafrecht zu beurteilen sind, so gelten auch die allgemeinen Regeln zur Nebenklage und Adhäsion. Der Schutz des JGG wirkt sich dann nicht mehr aus. 2.8.1.4 Zuständigkeiten Die Jugendgerichte unterscheiden sich in den Jugendrichter, das Jugendschöffengericht und die Jugendkammer. ▶ Jugendrichter: Der Jugendrichter ist ein Strafrichter am Amtsgericht der die spezielle Tätigkeit des Jugendrichters ausübt. Dieser ist zuständig für Verfehlungen, also strafbare Handlungen, von Jugendlichen und Heranwachsenden, wenn nur die Verhängung von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zu erwarten ist. Der Jugendrichter kann Jugendstrafe von bis zu maximal einem Jahr verhängen, § 39 JGG . ▶ Jugendschöffengericht: Dieses Gericht ist zuständig für Verfehlungen von Jugendlichen oder Heranwachsenden, wenn weder der Jugendrichter noch die Strafkammer des Landgerichts (s. u.) zuständig ist, § 40 JGG . Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn bei vorsichtiger, vorausschauender Abwägung absehbar ist, dass im Falle einer Verurteilung eine höherer Jugendstrafe als ein Jahr verhängt werden könnte. Dieses Gericht ist ebenfalls beim Amtsgericht angesiedelt und besteht aus einem Berufsrichter (Jugendrichter) und zwei ehrenamtlichen Richtern (Schöffen, immer jeweils ein Mann und eine Frau). Letztendlich kann dieses Gericht eine Jugendstrafe von bis zu 10 Jahren verhängen. 209 2 Strafverfahren ▶ Jugendkammer: Diese ist beim Landgericht eingerichtet und zuständig für die Verfahren, welche üblicherweise bei der Schwurgerichtskammer gemäß § 74 GVG angeklagt werden, also im Wesentlichen Tötungsdelikte. Zudem bearbeitet sie Verfahren, welche durch das Schöffengericht vorgelegt werden, § 41 JGG . Die Jugendkammer ist aber auch in II . Instanz tätig und entscheidet über das Rechtsmittel der Berufung gegen Urteile des Jugendgerichtes und des Jugendschöffengerichts. In der Regel sind Jugendkammern besetzt mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen. Ist in den vorbenannten Verfahren zugleich auch ein Erwachsener angeklagt, so orientiert sich die Zuständigkeit an der Strafgewalt und Zuständigkeit der Gerichte nach allgemeinem Recht, so dass zum Beispiel beim Jugendrichter angeklagt werden kann, wenn nicht mehr als zwei Jahre Freiheitsstrafe für den Erwachsenen zu erwarten sind, beim Jugendschöffengericht wenn nicht mehr als vier Jahre Freiheitsstrafe drohen, und bei der Jugendkammer, wenn eine darüberliegende Strafhöhe angenommen wird. 2.8.1.5 Örtliche Zuständigkeit Örtlich zuständig sind die vorbenannten Gerichte nach den Regelungen der St PO und den dort aufgeführten Gerichtsständen. Zudem eröffnet § 42 JGG die Möglichkeit, bei dem Gericht die Anklage zu erheben, bei welchem der für den betreffenden Jugendlichen zuständige Vormundschaftsrichter tätig ist. Damit ist in der Regel das Gericht am Wohnsitz des Jugendlichen betroffen. Hier sollte nach Möglichkeit auch dann Anklage erhoben werden. 2.8.1.6 Maßnahmen des Gerichts Da das Jugendgericht nicht auf eine Geld- oder Freiheitsstrafe erkennt, kann auf das Fehlverhalten eines Jugendlichen gem. § 5 JGG nur mit Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln oder Jugendstrafe reagiert werden. 2.8.1.7 Einstellung des Verfahrens Dennoch besteht für das Gericht in bestimmten Fällen auch die Möglichkeit, ein Verfahren einzustellen. Neben der sich bereits aus § 153 St PO ergebenden Möglichkeit, das Verfahren wegen geringer Schuld einzustellen, wird die Einstellungsmöglichkeit dem Gericht eröffnet über §§ 45, 47 JGG . Dies ist möglich, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits durchgeführt wurde oder der Angeklagte sich bereits bemüht hat, mit dem Verletzten eine Einigung herbeizuführen, zum Beispiel durch einen außergerichtlichen Täter-Opfer-Ausgleich oder durch eigenen Bemühungen zum Schadensausgleich. Derartige Maßnahmen sind besonders sinnvoll bei Vandalismus im dörflichen oder innerstädtischen Umfeld, wenn sich die Jugendlichen selbstständig mit der Verwaltung in Verbindung setzen und an einer Schadensregulierung teil- 210 Teil II Juristische Grundlagen haben. Neben der eigenen Wahrnehmung des Fehlverhaltens hat dieses auch erheblichen Einfluss auf das Verhalten anderer gefährdeter Jugendlicher. Alternativ ist die Möglichkeit gegeben, dass das Gericht ein Verfahren für sechs Monate einstellt und dem Jugendlichen aufgibt, Auflagen, Weisungen oder erzieherische Maßnahmen zu erfüllen. Die Einstellung bedarf der Zustimmung der Staatsanwaltschaft. Statistisch gesehen werden in der gerichtlichen Entscheidung ca. 30 % der Verfahren gem. §§ 45, 47 JGG eingestellt. 2.8.1.8 Verurteilungen In den übrigen Fällen führt das Gericht das Verfahren zu Ende und entscheidet letztendlich durch Urteil, in welchem zum einen die Schuld des Angeklagten festgestellt, zum anderen eine der unten aufgeführten Maßnahmen verhängt wird. Bei den Verurteilungen werden in ca. 40 % der Fälle einfache Zuchtmittel verhängt, in ca. 13 % Jugendarrest, und in ca. 4 % Erziehungsmaßregeln. In ungefähr 10 % der Fälle erfolgt eine Verurteilung zu einer Jugendstrafe, davon zu 40 % ohne Bewährung. ▶ Erziehungsmaßregeln: Hierunter versteht man zum einen die Möglichkeit für das Gericht, dem Jugendlichen Weisungen, das sind Gebote oder Verbote, zu erteilen, §§ 9, 10 JGG . ▶ Im Einzelnen kann sich die Weisung darauf beziehen, sich an einem bestimmten Wohnort aufzuhalten, Arbeitsleistungen zu erbringen, sich einem Betreuungshelfer zu unterstellen, am Verkehrsunterricht, an einem sozialen Trainingskurs oder einem Täter- Opfer-Ausgleich teilzunehmen oder auch sich einer heilerzieherischen Behandlung bis hin zu einer Entziehungskur zu unterziehen. ▶ Zum anderen ist eine Erziehungsmaßregel die Anordnung des Gerichts, dass der Jugendliche Hilfe zur Erziehung annehmen muss, §§ 9, 12 JGG , entweder in Form einer Erziehungsbeistandschaft oder in einer Einrichtung z. B. des betreuten Wohnens. ▶ Zuchtmittel: Diese Mittel ermöglichen es den Jugendgerichten, den Angeklagten zu verwarnen, ihm Auflagen zu erteilen oder gegen ihn einen Jugendarrest zu verhängen. ▶ Die Verwarnung spricht das Gericht in der Regel schon nach der Urteilsverkündung aus, um dem Jugendlichen das Unrecht seiner Tat deutlich vor Augen zu führen und in dieser Weise erzieherisch auf ihn einzuwirken, § 14 JGG . ▶ Zu den Auflagen zählt die Schadenswiedergutmachung, eine Entschuldigung beim Opfer, die Ableistung gemeinnütziger Arbeiten oder Zahlung eines Geldbetrages an eine gemeinnützige Einrichtung, § 15 JGG . ▶ Als Arrestmaßnahme kann zum einen Freizeitarrest verhängt werden, wobei eine Freizeit in der Regel gerechnet wird von Samstag Nachmittag bis Montag früh. Maximal zwei Freizeitarreste sind zulässig. ▶ Zum anderen besteht die Möglichkeit des Kurzarrestes und des Dauerarrestes, welcher mindestens eine Woche und höchstens vier Wochen andauern darf, § 16 JGG . 211 2 Strafverfahren ▶ Jugendstrafe: Das Gericht verhängt eine Jugendstrafe, also den Freiheitsentzug in einer Jugendanstalt, wenn bei dem Jugendlichen entweder schädliche Neigungen festgestellt werden oder wenn wegen der Schwere der Schuld die Jugendstrafe erforderlich ist, § 17 JGG . Beide Feststellungen bedürfen einer genauen und grundlegenden Prüfung durch den Richter, der sich aufgrund der ermittelten Informationen der Jugendgerichtshilfe, eigenen Untersuchungen und gegebenenfalls mithilfe eines Sachverständigen seine Überzeugung bilden muss. ▶ Die Dauer der Jugendstrafe beträgt mindestens 6 Monate und maximal 5 Jahre. Wenn es sich aber bei der Tat um ein Verbrechen handelt, für das nach dem allgemeinen Strafrecht eine Freiheitsstrafe von mehr als 10 Jahren angedroht ist, so beträgt das Höchstmaß 10 Jahre, § 18 JGG . ▶ Ob und inwieweit eine derartige Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, ergibt sich aus §§ 21 ff JGG . Von einer Darstellung der jeweiligen Möglichkeit soll an dieser Stelle wegen des Umfangs abgesehen werden. 2.8.1.9 Kosten des Verfahrens Im allgemeinen Strafverfahren werden den Angeklagten regelmäßig die Kosten des Verfahrens und auch ihre eigenen notwendigen Auslagen, wie zum Beispiel Verteidigergebühren, Fahrtkosten zum Termin etc., auferlegt. Das Jugendverfahren eröffnet aber die Möglichkeit, von einer Auferlegung abzusehen, § 74 JGG . Der dahinterstehende Gedanke ist, dass ein Jugendlicher nicht in der weiteren Zukunft zusätzlich mit manchmal doch erheblichen Kosten belastet werden soll und dadurch in seiner Lebensführung und beruflichen Entwicklung eingeschränkt wird. Ist er doch in der Lage, aus eigenen Mitteln die Kosten zu erstatten, wird von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht. 2.8.1.10 Übung Folgende Anklageschrift wird Ihnen vorgelegt: Überprüfen Sie die Anklageschrift auf ihre Vollständigkeit und insbesondere hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts Hannover und der sachlichen Zuständigkeit des Jugendrichters. 212 Teil II Juristische Grundlagen Staatsanwaltschaft Geschäftsnummer: 345 Js 17654 / 10 An das Amtsgericht - Jugendrichter - Hannover Anklageschrift 1. Steven B. geboren am 11. 11. 1998 wohnhaft [Straße] Berlin 2. Nico M. geboren am 13. 04. 1980 wohnhaft [Straße] Berlin werden angeklagt, am 31. 12. 2010 in Hannover gemeinschaftlich handelnd ohne die erforderliche Erlaubnis entgegen § 27 Abs.1 des Sprengstoffgesetzes mit explosionsgefährlichen Stoffen umgegangen zu sein. Den Angeschuldigten wird zur Last gelegt: Am Tattage delaborierten die Angeschuldigten in der Wohnung des Angeschuldigten Steven B. diverse pyrotechnische Erzeugnisse (Knallkörper, Raketen) und füllten die Inhaltsstoffe in eine Blechdose ein, die nachfolgend mit Panzerband umwickelt und mit einer Lunte versehen wurde. Es lag in der Absicht der Angeschuldigten, diese „Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung“ zur Detonation zu bringen. Der Sprengkörper konnte durch Polizeikräfte sichergestellt werden. Die Angeschuldigten besaßen keine Erlaubnis zum Erwerb und zum Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen nach § 27 Sprengstoffgesetz, was ihnen bewusst gewesen ist. Vergehen strafbar nach §§ 27 Abs. 1 Nr. 2, 40 Abs. 1 Nr. 3 SprengG sowie § 25 Abs. 2 St GB Beweismittel: [… wird im Einzelnen ausgeführt …] Es wird beantragt, die Anklage zu zulassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht - Jugendrichter - in Hannover zu eröffnen. Staatsanwalt 213 2 Strafverfahren 2.8.2 Strafbefehlsverfahren Wie bereits dargestellt, hat die Staatsanwaltschaft mehrere Möglichkeiten, ein eingeleitetes Strafverfahren zu erledigen. Neben möglichen Einstellungsarten und der bereits beschriebenen Anklageerhebung kann die Staatsanwaltschaft beim zuständigen Gericht den Erlass eines Strafbefehls beantragen. Diese Antragsart ist statistisch gesehen nahezu zahlenmäßig gleich mit den Anklagen. An der staatsanwaltschaftlichen Erledigung haben Strafbefehlsanträge einen Anteil von etwa 11 %, was in absoluten Zahlen im Jahr 2015 etwa 543.000 Verfahren bundesweit entsprach. Das Strafbefehlsverfahren wird-- wenn kein Einspruch eingelegt wird-- ohne eine Hauptverhandlung durchgeführt: „Im Verfahren vor dem Strafrichter und im Verfahren, das zur Zuständigkeit des Schöffengerichts gehört, können bei Vergehen auf schriftlichen Antrag der Staatsanwaltschaft die Rechtsfolgen der Tat durch schriftlichen Strafbefehl ohne Hauptverhandlung festgesetzt werden. Die Staatsanwaltschaft stellt diesen Antrag, wenn sie nach dem Ergebnis der Ermittlungen eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich erachtet“, § 407 Abs. 1 S. 1 und S. 2 St PO . Es handelt sich insofern um ein rein im schriftlichen Wege durchgeführtes Verfahren, das gerade nicht auf eine Hauptverhandlung abzielt, sondern vielmehr eine schnelle und effektive Erledigung einer Straftat aus dem Bereich der mittleren Kriminalität anstrebt. Der Strafbefehl enthält im Wesentlichen die Elemente einer Anklageschrift, wird aber ergänzt durch die Festlegung der Rechtsfolgen und eine Rechtsbehelfsbelehrung, § 409 St PO . Als Rechtsfolgen kommen hauptsächlich Geldstrafe, Verwarnung mit Strafvorbehalt, zudem Fahrverbote oder Entziehung der Fahrerlaubnis in Betracht. Wenn der Angeschuldigte-- hier heißt er entsprechend dem Zwischenverfahren noch so-- solange der Strafbefehl noch nicht vom Gericht erlassen wurde, einen Verteidiger hat, kann gegen ihn auch Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr festgesetzt werden, wenn deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Zur Verdeutlichung und zum Üben wird nachstehend ein Strafbefehl abgedruckt, der auch in dieser Form erlassen wurde: Amtsgericht Geschäftsnummer: 1 Cs 647 / 10 Herrn Peter K. [Name] [Adresse] weitere Personalien: geboren am … in …, Familienstand: ledig, Staatsangehörigkeit: deutsch Strafbefehl Die Staatsanwaltschaft beschuldigt Sie, in der Nacht vom 31.10. zum 01. 11. 2010 in B [Ort] durch 2 Straftaten 214 Teil II Juristische Grundlagen 1. fahrlässig im Straßenverkehr ein Fahrzeug geführt zu haben, obwohl Sie infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage waren, das Fahrzeug sicher zu führen, 2. einem Amtsträger, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand geleistet zu haben. Ihnen wird zur Last gelegt: 1. Sie befuhren mit einem Blutalkoholgehalt von mindestens 1,97 o / oo im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit, die Sie aufgrund der zuvor genossenen Menge alkoholischer Getränke bei gebotener und Ihnen zumutbarer Sorgfalt hätten erkennen können und müssen, mit Ihrem Fahrrad öffentliche Straßen von A. nach B., u. a. die Straße zwischen der B724 und B. 2. Als Sie von der B724 kommend in Richtung B. unterwegs waren, wurde bei Ihnen durch Polizeibeamte eine Alkoholkontrolle durchgeführt. Da diese einen Wert von 1,71 o / oo ergab, wurden Sie in das Krankenhaus zwecks Blutentnahme verbracht. Anschließend wurden Sie zu Ihrer Wohnanschrift gebracht, da Sie ohne Ausweisdokumente unterwegs waren und Ihre Personalien überprüft werden sollten. An Ihrer Wohnadresse drängelten Sie sich durch die Tür des Grundstücks und verschlossen diese schnell hinter sich. Anschließend sprachen Sie den Polizeibeamten ein Verbot für das Betreten des Grundstücks aus. Nachdem die Polizeibeamten nunmehr gezwungen waren, den kniehohen Zaun zu übersteigen bzw. die Tür wieder aufzuriegeln, drohten Sie dem POM K. [Name] Schläge an, als dieser weiterhin auf dem Vorzeigen Ihres Ausweises bestand. Vergehen der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, strafbar gemäß §§ 316 Abs. 1, Abs. 2, 113 Abs. 1, 53 St GB . Beweismittel: I. Ihre Angaben. Bl. 12 ff. Bd. II II . Zeuge: POM K, zu laden über Revierstation M. Bl. 5 f. Bd. II III . Urkunden: 1. Ärztlicher Untersuchungsbericht vom 03. 11. 2010 Bl. 7 R. Bd. II 2. Befundbericht über die Untersuchung auf Ethanolkonzentration Bl. 8 Bd. II Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wird gegen Sie eine Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen, gebildet aus Einzelgeldstrafen für die Straftat zu 1. in Höhe von 40 Tagessätzen zu 25,00 Euro für die Straftat zu 2. in Höhe von 25 Tagessätzen zu 25,00 Euro verhängt. Die Höhe eines Tagessatzes beträgt 25,00 Euro, die Gesamtgeldstrafe mithin insgesamt 1250,00 Euro. 215 2 Strafverfahren Im Falle der Uneinbringlichkeit tritt an die Stelle eines Tagessatzes ein Tag Freiheitsstrafe. Sie haben auch die Kosten des Verfahrens und Ihre notwendigen Auslagen zu tragen. Dieser Strafbefehl wird rechtskräftig und vollstreckbar, wenn Sie nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung bei dem oben bezeichneten Amtsgericht Haldensleben schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle Einspruch einlegen. Es steht Ihnen frei, den Einspruch zu begründen. Es empfiehlt sich jedoch anzugeben, ob Sie den Einspruch auf bestimmte Beschwerdepunkte, z. B. das Strafmaß, die Entziehung der Fahrerlaubnis oder die Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis, beschränken möchten. In der Einspruchsschrift können Sie auch weitere Beweismittel (Zeugen, Sachverständige, Urkunden) angeben. Ist der Einspruch rechtzeitig eingegangen, findet eine Hauptverhandlung statt. In dieser entscheidet das Gericht, nachdem es die Sach- und Rechtslage erneut geprüft hat. Dabei ist es an den Schuld- und Strafausspruch in dem Strafbefehl nicht gebunden. Bei Durchführung einer Hauptverhandlung und Erlass eines Urteils kann das Gericht die Dauer des Fahrverbots, der Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis oder Wiedererteilung der entzogenen Fahrerlaubnis verlängern oder ein im Strafbefehl nicht verhängtes Fahrverbot oder eine Entziehung der Fahrerlaubnis anordnen. Wenn Sie den Einspruch in zulässiger Weise auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränken, erstreckt sich die Hauptverhandlung in der Regel nur darauf. In den übrigen Punkten steht der Strafbefehl dann einem rechtskräftigen Urteil gleich. Gegen die Entscheidung über die Verpflichtung, Kosten oder notwendige Auslagen zu tragen, können Sie sofortige Beschwerde einlegen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt. Die sofortige Beschwerde ist bei dem Amtsgericht innerhalb einer Woche einzulegen. Bei schriftlichen Erklärungen genügt es zur Fristwahrung nicht, dass die Erklärung innerhalb der Frist zur Post gegeben wird. Die Frist ist vielmehr nur dann gewahrt, wenn die Erklärung in deutscher Sprache vor dem Ablauf der Frist beim Gericht eingeht. Fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages. Falls Sie kein Rechtsmittel einlegen wollen und der Strafbefehl rechtskräftig geworden ist, Sie aber zur Zahlung von Geldstrafe und Kosten nicht in der Lage sein sollten, können Sie einen begründeten Ratenzahlungsantrag unter Beifügung aktueller Belege über Ihre Einnahmen und Ausgaben bei der Staatsanwaltschaft Magdeburg stellen. Richter am Amtsgericht 216 Teil II Juristische Grundlagen Nach Eingang des Strafbefehlsantrages bei Gericht prüft dieses die Voraussetzungen, erlässt den Strafbefehl, wenn keine Bedenken bestehen, und stellt diesen dem Angeklagten-- nunmehr ist er so zu bezeichnen-- zu. Dem Angeklagten ist es nun überlassen zu überlegen, wie er sich verhalten möchte: Ist er mit dem Inhalt des Strafbefehls und der Strafe sozusagen einverstanden, so legt er keinen Rechtsbehelf ein, und der Strafbefehl wird nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist automatisch rechtskräftig. Akzeptiert er den Vorwurf und die Strafe jedoch nicht, muss er binnen 2 Wochen ab Zustellung des Strafbefehls hiergegen schriftlich Einspruch bei dem den Strafbefehl erlassenden Gericht einlegen. Dabei kann er allerdings den Einspruch auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränken, zum Beispiel nur auf den Rechtsfolgenausspruch, sozusagen die verhängte Strafe. Die Einspruchseinlegung hat zur Folge, dass nunmehr eine Hauptverhandlung durchgeführt wird, in welcher der Angeklagte freigesprochen oder verurteilt wird. Dies kann auch dazu führen, dass nach Durchführung der Beweisaufnahme gegen den Angeklagten eine höhere Strafe als die des Strafbefehls verhängt wird. Die Hauptverhandlung und die Rechtmittel sind identisch mit den bereits beschriebenen. 2.8.2.1 Übung Der Beschuldigte Anton K., der schon vielfach verurteilt wurde, ist nachts in die Laube seines Nachbarn eingedrungen, nachdem er zuvor die Tür aufgebrochen hat. Aus der Laube nimmt er einen DVD -Player, eine Gartenschere, 2 Flaschen Schnaps und eine Tafel Schokolade (Vollmilch) im Gesamtwert von ca. 300,-- Euro als Beute mit. Bei der Tat handelt es sich um einen Diebstahl im besonders schweren Fall. Dazu führt § 243 St GB aus: (1) In besonders schweren Fällen wird der Diebstahl mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. zur Ausführung der Tat in ein Gebäude, einen Dienst- oder Geschäftsraum oder in einen anderen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält, Kurz nach dem Verlassen des Tatortes begegnet Anton K. dem angetrunkenen Wilfried S. Der sieht, was K. bei sich trägt, und entschließt sich, diesem die Beute abzunehmen, um sie selbst zu behalten. S. schlägt auf K. ein, bis dieser flüchtet und die Gegenstände zurücklässt. Bei der Tat handelt es sich u. a. um einen Raub. 217 2 Strafverfahren Dazu führt § 249 St GB aus: (1) Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. Staatsanwalt Dr. Fleißig möchte beide Verfahren möglichst einfach erledigen und entschließt sich, jeweils Strafbefehlsanträge zu stellen. In Fall des Anton K. beantragt er eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten (ohne Bewährung) und im Fall des Wilfried S. eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden soll. Das Gericht hält beide Anträge für unzulässig. Finden Sie Gründe. 219 3 Zivilverfahren 3 Zivilverfahren 3.1 Allgemeine Betrachtungen Das zivilrechtliche Verfahren unterscheidet sich grundlegend vom Strafverfahren. Geht es im Strafverfahren im Kern stets um den Vorwurf, ein Bürger habe gegen vom Staat festgelegte Grundregeln für das menschliche Zusammenleben verstoßen, betrifft das Zivilrecht die Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander. Dabei kann es sich um sog. natürliche Personen (=- Privatpersonen) oder auch juristische Personen (z. B. Unternehmen) handeln. Es geht regelmäßig um die Klärung der Frage, wer kann was von wem verlangen. Das Zivilrecht lässt sich vereinfacht auf den Begriff des „Privatrechts“ reduzieren, dessen Handeln unter Privatautonomiegesichtspunkten abläuft. Damit steht den Parteien eine Willens- und Handlungsfreiheit zu, die es ihnen erlaubt, frei zu entscheiden, mit welchem Partner sie Vertragsbeziehungen eingehen möchten, wann sie dies tun wollen und zu welchen Bedingungen. Die Vertragsfreiheit soll hierbei nicht durch den Staat beeinflusst werden, solange ordnungsrechtliche Mindeststandards (Verbraucherschutz; Gleichbehandlung, Regeln des fairen Wettbewerbs) beachtet werden. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit gibt den Bürgen die Befugnis, ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten grundsätzlich selbst- - privatautonom- - zu gestalten. Dies geschieht regelmäßig durch Verträge. Für typische Verträge (Kauf, Miete, Bürgschaft etc.) sieht das Gesetz Standards vor, von denen nur teilweise durch einzelvertragliche Regelungen abgewichen werden kann (z. B. Gewährleistung für Neuware beim Kauf; Schriftformerfordernis für Bürgschaftserklärungen, sofern der Bürge nicht Kaufmann i.S.d. Handelsgesetzbuchs ist, etc.). Im Grundsatz gilt: Je genauer das Vertragswerk formuliert ist, je eindeutiger die aufgestellten Regeln sind und je mehr Eventualitäten bzw. Entwicklungen bedacht wurden, umso weniger besteht die Möglichkeit des Missverständnisses unter den Vertragsparteien. Zugleich wird das Risiko der Übervorteilung einer Partei durch die andere minimiert, wenn beide Parteien an der Ausgestaltung des Vertrags gleichberechtigt mitwirken. Das Zivilrecht bietet deshalb Auffangregelungen an für den Fall, dass Vertragspartner bestimmte Fragen aus welchen Gründen auch immer nicht geregelt haben oder einzelne Regelungen der Verträge gegen zwingende gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Das Zivilverfahren ist im Wesentlichen in der Zivilprozessordnung ( ZPO ) geregelt, welche von zwei gleichberechtigten Parteien ausgeht, deren Konflikt das Zivilgericht in erster Linie moderieren und Schlichten soll und nur, wenn dies nicht gelingt, durch Urteil entscheiden kann. 220 Teil II Juristische Grundlagen 3.2 Grundsätze im Zivilprozess Wie wir aus dem Strafverfahren bereits wissen, sind Verfahren geprägt von einer Reihe von Grundsätzen, welche dazu dienen, einen reibungslosen Verlauf des Prozesses zu gewährleisten. Im Strafprozess waren dies z. B. das Offizialprinzip, das Opportunitätsprinzip, das fair trial, Anspruch auf rechtliches Gehör, Mündlichkeitsgrundsatz etc. Ähnliche Regeln-- teilweise sind sie identisch-- finden sich auch im Zivilverfahren. 3.2.1 Dispositionsmaxime Grundlegender Unterschied zum Strafprozess ist neben dem Umstand, dass zwei Parteien einen Streit welcher Art auch immer durch das Gericht geschlichtet wissen wollen, die Tatsache, dass es gleichzeitig den Parteien freisteht festzulegen, worüber sie sich überhaupt auseinandersetzen wollen. Der Kläger, also der zunächst aktive Part des Verfahrens, hat für sich die freie Entscheidung zu treffen, ob er gerichtlich gegen eine andere Person vorgehen möchte oder auf eine Geltendmachung verzichtet. Er kann entscheiden, ob er eine Klage einreicht, wann er dies tut und welchen Anspruch er genau verfolgen will, bei einer Geldforderung zum Beispiel, mit welcher Höhe er seine Forderung beziffert. Dabei kann die Entscheidung, einen Prozess zu führen, von unterschiedlichen Überlegungen getragen werden. So ist es möglich, dass der Vertragspartner einer geschäftlichen Beziehung (zunächst) ein gerichtliches Verfahren vermeidet, um die guten Geschäftsbeziehungen nicht zu gefährden, oder ein anderer nur einen geringen Teilbetrag begehrt, um die Verfahrenskosten zu minimieren, und dadurch kostengünstig eine Entscheidung des Gerichts herbeiführt, welche wegweisend für weitere Verfahren ist. Dieses Recht der Parteien, den Gang des Verfahrens zu bestimmen, nennt man Dispositionsmaxime oder Parteiherrschaft. Sie umfasst auch die Berechtigung des Klägers, eine eingereichte Klage ganz oder teilweise zurückzunehmen oder auch vor dem Gericht einen Vergleich abzuschließen, in welchem sich beide Parteien-- in der Regel finanziell-- entgegenkommen. 3.2.2 Beibringungsgrundsatz Anders als im Strafverfahren ist im zivilrechtlichen Verfahren- - von Ausnahmen z. B. im Familienrecht und im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren abgesehen- - keine Amtsermittlung des Gerichts möglich. Das Offizialprinzip gilt hier nicht. Die Folge ist, dass nicht der Richter Tatsachen zur Prüfung des Falles zusammenträgt, denn dies ist allein Aufgabe der Parteien. Die Parteien können für sich entscheiden, welche Tatsachen sie vortragen wollen, und das Gericht darf auch nur diese in seiner Entscheidung berücksichtigen. Im Rahmen ihrer Angaben sind Kläger und Beklagter auch gezwungen, Regeln einzuhalten, da im Zivilprozess-- wie in allen Rechtsgebieten-- der Grundsatz von Treu und Glauben Vorrang hat. § 138 Abs. 1 ZPO legt dabei fest: „Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.“ 221 3 Zivilverfahren Das Recht der Partei, einen bestimmten von ihr ausgewählten Sachverhalt zu verwenden, also diesen dem Gericht vorzutragen und zur Grundlage einer vom Gericht begehrten Entscheidung zu machen, wird mit dem Begriff des Beibringungsgrundsatzes umschrieben. Das Gericht ist gemäß § 139 ZPO allerdings verpflichtet, die Parteien darauf hinzuweisen, wenn ihr Sachvortrag widersprüchlich oder unvollständig ist oder wenn gegen ein Begehren rechtliche Bedenken bestehen. Die Hinweispflicht wird von den obersten Zivilgerichten (Bundesgerichtshof und Bundesarbeitsgericht) als Bestandteil eines rechtsstaatlichen Verfahrens sehr hoch eingeschätzt. Ihre Grenze findet die Hinweispflicht allerdings dort, wo das Gericht die Partei erst auf ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel hinweisen müsste, welches die Partei selbst nicht angesprochen hat. Eine Überschreitung der Hinweispflicht begründet die Besorgnis der Befangenheit und führt, wenn die Gegenseite einen entsprechenden Antrag stellt, zur Ablehnung des Richters, der in diesem Fall durch seinen geschäftsplanmäßigen Vertreter ersetzt werden muss. Beispiel Im Jahre 2017 klagt K gegen B auf Bezahlung von Kosten für die Reparatur einer Waschmaschine, die K bereits 2012 durchgeführt hat. B verteidigt sich damit, er habe keinen schriftlichen Reparaturauftrag erteilt, bestreitet aber nicht, dass K die Reparatur ausgeführt hat. Außerdem sei die Reparatur nicht fachgerecht erfolgt. K bestreitet aber nicht, dass die Maschine nach der Reparatur ohne Einschränkungen genutzt werden konnte. Erteilt der Richter B den Hinweis, er könne eine Verurteilung vermeiden, indem er sich auf den Ablauf der 3jährigen Verjährungsfrist (§ 195 BGB ) beruft, muss er mit einer Ablehnung wegen Befangenheit (§ 42 ZPO ) rechnen. Führt B zu seiner Verteidigung aus, er halte die Geltendmachung der Forderung nach so langer Zeit für ungerecht; außerdem könne er sich an Einzelheiten der Abwicklung nicht erinnern, da er Unterlagen nicht so lange aufbewahre, ist das Gericht berechtigt und auch verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass es diesen Einwand, obwohl laienhaft umschrieben, als Einrede der Verjährung bewertet. Ein evtl. Befangenheitsantrag der Gegenseite bliebe in diesem Fall ohne Erfolg. 3.2.3 Mündlichkeit Der Grundsatz der Mündlichkeit gilt grundsätzlich auch im Zivilverfahren, wie sich aus § 128 Abs. 1 ZPO ergibt, der lautet: „Die Parteien verhandeln über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht mündlich.“ Der Grundsatz wird aber durch § 129 ZPO stark eingeschränkt, wonach die mündliche Verhandlung durch Schriftsätze vorbereitet werden muss, wenn die Partei anwaltlich vertreten ist. Verzichtet die Partei auf einen Anwalt, was nur vor den Amtsgerichten und den Arbeitsgerichten zulässig ist, kann der Richter den Parteien aufgeben, vorbereitende Schriftsätze einzureichen, was regelmäßig auch geschieht. In der mündlichen 222 Teil II Juristische Grundlagen Verhandlung kann auf Schriftsätze und andere (in der Regel als Anlagen zu den Schriftsätzen eingereichte) Dokumente Bezug genommen werden, soweit keine der Parteien widerspricht und das Gericht dies für angemessen hält. Die Verlesung von Dokumenten findet nur ausnahmsweise statt, wenn es auf ihren wörtlichen Inhalt ankommt (§ 137 Abs. 3 ZPO ). In der Praxis beschränkt sich die mündliche Verhandlung in Zivilsachen daher regelmäßig auf die Erörterung tatsächlich oder rechtlich kontroverser Punkte und auf die Suche nach einer gütlichen Einigung, auf die hinzuwirken das Gericht in jeder Lage des Verfahrens verpflichtet ist (§ 278 Abs. 1 ZPO ). Für die Dolmetscher bedeutet dies, dass sie bei Einsätzen im Zivilverfahren stets mit Fachterminologie aus den unterschiedlichsten Bereichen rechnen müssen, mit denen sich die Beteiligten des Rechtsstreits bereits eingehend befassen konnten. Die Bitte an das Gericht, vorab Einsicht in die Akte nehmen zu können oder zumindest einzelne Schriftsätze (Klage, Rechtsmittelbegründung etc.) zu erhalten, um sich auf die Terminologie vorzubereiten, ist auch hier geeignet, die Qualität der Verdolmetschung deutlich zu erhöhen. Ein verstärkter Einsatz des Dolmetschers erfolgt in der Durchführung der Beweisaufnahme, auf die nachstehend noch weiter eingegangen werden wird. Hingegen gibt es-- anders als im Strafverfahren- - eine Urteilsverkündung oder -begründung in der Regel selten im direkten Anschluss an die mündliche Verhandlung. Regelmäßig wird die Entscheidung zu einem späteren Zeitpunkt verkündet werden, sei es am Ende des Verhandlungstages oder zu einem gesonderten Verkündungstermin. Die Verkündung des Urteils ist im Zivilverfahren von geringerer Bedeutung als im Strafverfahren, weil durch sie keine Rechtsmittelfrist ausgelöst wird. Die Fristen zur Einlegung von Berufung oder Revision beginnen- - von einer sehr seltenen Ausnahme abgesehen-- mit der Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils (§§ 517, bzw. 548 ZPO ). Eine Herausforderung für den Dolmetscher kann sich ergeben, wenn der Rechtsstreit, was relativ häufig geschieht, in der mündlichen Verhandlung durch einen Vergleich erledigt wird. In diesem Fall ist der Inhalt des Vergleichs gemäß § 160 Abs. 3 Ziffer 1 in das Protokoll aufzunehmen und muss von der Protokollführerin zum Zwecke der Genehmigung durch beide Parteien vorgelesen oder vom Diktiergerät vorgespielt werden (§ 162 Abs. 1 ZPO ). Da der genehmigte Vergleich den Rechtsstreit endgültig erledigt und er einen vollstreckbaren Titel darstellt, muss gewährleistet werden, dass die Parteien den Inhalt des Vergleichs verstehen. Dieser kann durchaus komplex sein und Fachterminologie enthalten. Beispiel für einen Vergleich aus einem (arbeitsrechtlichen) Zivilverfahren Die Parteien schließen zur Erledigung des Rechtsstreits folgenden Vergleich: 1. Das Arbeitsverhältnis hat durch fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 30. 03. 2016 aus dringenden betriebsbedingten Gründen mit dem 30. 09. 2016 geendet. Die Beklagte verpflichtet sich, das Arbeitsverhältnis bis zu diesem Zeitpunkt auf der Grundlage eines Brutto- 223 3 Zivilverfahren monatsgehalts von € 5.700,-abzurechnen und die sich ergebenden Nettobeträge an den Kläger auszuzahlen, soweit Ansprüche des Klägers für diesen Zeitraum nicht durch gesetzlichen Forderungsübergang auf Dritte übergegangen sind. Der Beklagten bleibt vorbehalten, den Nettobetrag in zwölf gleichen Raten; beginnend mit dem 01. 05. 2017 zu zahlen. Die dem Kläger gemachten Vorwürfe werden seitens der Beklagten nicht mehr aufrechterhalten. Die Parteien sind sich darin einig, dass dem Kläger zustehende Urlaubsansprüche in Natura gewährt worden sind. 2. Die Beklagte verpflichtet sich, an den Kläger für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung gemäß §§ 9, 10 KS chG in Höhe von € 15.000,-zu zahlen. Die Auszahlung erfolgt unter Berücksichtigung der steuerlichen Abzüge. Die Parteien vereinbaren, dass der Abfindungsanspruch mit Protokollierung des Vergleichs entstanden und vererbbar ist. 3. Die Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger ein qualifiziertes berufsförderndes Zeugnis mit der Beurteilung „gut“ und einer entsprechenden Dankes- und Bedauernsformel und Zukunftswunschformel zu erteilen. Der Kläger hat das Recht, der Beklagten einen Entwurf des Zeugnisses zu übersenden, von dem diese nur aus wichtigem Grund abweichen darf. 4. Die Beklagte verpflichtet sich, die Vorwürfe, die sie zur Begründung der weiteren fristlosen Kündigungen vom 20. 04. 2016 und vom 19. 07. 2016 erhoben hat, nicht mehr aufrecht zu halten und aus diesen Kündigungen keine Rechte herzuleiten. Die Beklagte verpflichtet sich, ihre Strafanzeigen gegen den Kläger zurückzunehmen bzw. gegenüber der Strafverfolgungsbehörde zu erklären, dass aus ihrer Sicht kein Interesse an der Strafverfolgung besteht. Die Beklagte verpflichtet sich, gegenüber dem Kläger auf der Grundlage der heutigen bekannten Umstände keine weiteren Strafanträge zu stellen. 5. Der Beklagte verpflichtet sich, die Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung des Klägers bis zum 30. 09. 2016 zu entrichten. 6. Die Parteien verpflichten sich, wechselseitig negative Äußerungen über den jeweils anderen auf Bewerbungsportalen oder ähnlichen Internetseiten zu unterlassen. 7. Der Kläger verpflichtet sich, seinen Lebenslauf in Internetportalen, soweit die Zusammenarbeit mit der Beklagten betroffen ist, den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechend darzustellen. 8. Mit diesem Vergleich sind sämtliche beiderseitige Ansprüche aus dem beendeten Arbeitsverhältnis, gleich aus welchem Rechtsgrund, gleich ob bekannt oder unbekannt, Ansprüche der Beklagten aus der Unterlassungserklärung des Klägers sowie der vorliegende Rechtsstreit und der Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht 14 Ca 171 / 16 erledigt. Dies gilt nicht für Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung. Insoweit verpflichtet sich die Beklagte, alle evtl. erforderlichen Erklärungen abzugeben, die erforderlich sind, damit der Kläger die Altersversorgung selbst oder durch einen künftigen Arbeitgeber bedienen kann. vorgelesen und genehmigt. 224 Teil II Juristische Grundlagen 3.2.4 Grundsatz der Öffentlichkeit Ebenso wie die Strafverfahren sind zivilrechtliche Verfahren grundsätzlich öffentlich, sowohl hinsichtlich der mündlichen Verhandlung als auch bei der Urteilsverkündung, § 169 GVG . Nichtöffentlichkeit besteht hingegen in Familiensachen und Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, § 170 GVG , oder wenn ein Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgt ist, z. B. bei einem Ausschluss zum Schutz der Privatsphäre, § 171 b GVG , sei nun ein Verfahrensbeteiligter oder ein Zeuge betroffen. Hierzu bedarf es einer ausdrücklichen Entscheidung des Gerichts durch einen Beschluss, der in der Regel zunächst öffentlich verkündet wird, ehe dann die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird. Dies erfolgt dadurch, dass alle nicht am Verfahren beteiligten Personen den Sitzungssaal verlassen. 3.2.5 Rechtliches Gehör Seine Grundlage findet der Grundsatz des rechtlichen Gehörs in Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes. Es muss seitens des Gerichts beiden Parteien ausreichend Gelegenheit gegeben werden, sich zu den Argumenten der anderen Seite zu äußern und hierzu vom Gericht angehört zu werden. Dabei darf das Gericht in seiner Entscheidung auch nur den Vortrag bzw. die Argumente einer Partei berücksichtigen, wenn der Gegner hiervon Kenntnis erlangt hat und ihm die Gelegenheit gegeben wurde, sich damit auseinanderzusetzen. 3.2.6 fair trial Der Grundsatz des fairen Verfahrens ist schon aus dem Strafverfahren bekannt (Kap. 2. 2. 11) und gilt entsprechend auch für das zivilrechtliche Verfahren, bezieht sich aber nicht auf das Verhalten der Parteien untereinander, sondern vielmehr auf die Stellung des Gerichts gegenüber den beteiligten Prozessparteien. Die Prozessbeteiligten können aus der Stellung des Gerichts heraus erwarten, dass sie von diesem mit einer Entscheidung nicht überrascht werden, dass der Richter offen, verbindlich und nachvollziehbar handelt und seine Verhandlungsführung auf die Belange der Parteien einstellt. Dies gilt unabhängig von der Möglichkeit, einen Richter wegen der begründeten Besorgnis der Befangenheit ablehnen zu können, § 42 ZPO . 3.2.7 Beschleunigungsgrundsatz Zur Durchführung eines Verfahrens bestimmt § 272 Abs. ZPO : „Der Rechtsstreit ist in der Regel in einem umfassend vorbereiteten Termin zur mündlichen Verhandlung (Haupttermin) zu erledigen.“ Für die Vorbereitung eines gerichtlichen Termins sieht § 273 Abs. 1 ZPO vor: „Das Gericht hat erforderliche vorbereitende Maßnahmen rechtzeitig zu veranlassen.“ 225 3 Zivilverfahren Dies bedeutet, dass der Richter zur Vermeidung eines sich hinschleppenden Verfahrens die mündliche Verhandlung umfangreich vorbereiten muss und zugleich Maßnahmen ergreift, die der Beendigung des Verfahrens dienen können, seien es Auflagen an die Parteien oder eventuell die Ladung von Zeugen. Zur Beschleunigung des Verfahrens darf andererseits das Gericht von den Parteien erwarten, dass auch diese dem Gericht in Schriftsätzen vollständig und vor allem rechtzeitig darlegen, welche relevanten Tatsachen sie zur Durchsetzung ihrer Ansprüche vortragen wollen und welche Beweismittel sie für erforderlich halten, § 282 ZPO . Dem Gericht ist durch Fristsetzung die Möglichkeit gegeben, auf ein prozessökonomisches Verhalten der Parteien hinzuwirken und verspätet vorgebrachte Angriffs- oder Verteidigungsmittel (verspätetes Vorbringen) zurückzuweisen, mit der Folge, dass diese in der richterlichen Entscheidung nicht mit berücksichtigt werden. 3.2.8 Grundsatz des gesetzlichen Richters Insoweit wird wegen der Gleichartigkeit auf die Ausführungen im Abschnitt Strafverfahren verwiesen (Kap. 2. 2. 10). 3.2.9 Übung Der Fliesenleger V. Boch aus München verlegt im Haus des Geschäftsmanns A. Geiz aus Nürnberg im Sommer 2009 Bodenfliesen im Wohnzimmer zu einem Preis von 3.500,-- Euro. Als Geiz nach drei Monaten die offene Rechnung noch nicht beglichen hat, spricht Boch ihn an. Geiz erklärt ihm, dass er zur Zeit ein wenig „klamm“ sei, aber demnächst einen größeren Geschäftsabschluss erwarte. Er schlägt ihm vor, auch noch die Fliesen im Badezimmer auszuwechseln, so dass man dann insgesamt auf eine Summe von 7.400,-- Euro käme, die er auch auf einmal bezahlen werde. Wie erwartet: Boch erledigt seine Arbeiten und Geiz zahlt erneut nicht. Nach vielen vergeblichen Versuchen, doch noch außergerichtlich an sein Geld zu gelangen, entscheidet sich Boch, den Klageweg zu beschreiten. Er stellt fest, dass er die Klage beim Landgericht einreichen muss, hierfür einen Rechtsanwalt benötigt und auch gar nicht weiß, ob Geiz wird zahlen können. Suchen Sie nach Möglichkeiten sowohl das Verfahren zu vereinfachen, als auch Kosten zu sparen. 3.3 Beteiligte des Zivilverfahrens 3.3.1 Das Gericht Welches Gericht, konkret welcher Richter, für das jeweilige Zivilverfahren zuständig ist, richtet sich nach zwei Gesichtspunkten. 226 Teil II Juristische Grundlagen 3.3.1.1 Sachliche Zuständigkeit Zunächst ergibt sich die Frage der sachlichen Zuständigkeit, also grob gesagt, ob das Amts- oder das Landgericht in I. Instanz tätig werden soll. Diese Problematik lässt sich mithilfe der §§ 23, 71 GVG beantworten. Danach ist das Amtsgericht u. a. zuständig für: ▶ Verfahren auf Zahlung von Beträgen bis zu 5.000,-- Euro ▶ Streitigkeiten über Wohnraummietverhältnisse ▶ Streitigkeiten zwischen Reisenden und Wirten, Fuhrleuten, Schiffern und anderen (nähere Aufzählung siehe § 23 Abs. 1 Nr 2 b) GVG ) ▶ bestimmte Streitigkeiten nach dem Wohnungseigentumsgesetz Soweit die wichtigsten Gesichtspunkte, die Aufzählung ist nicht abschließend, vgl. hierzu § 23 GVG . Für alle weiteren Verfahren ist- - vereinfacht gesagt- - gem. § 71 GVG das Landgericht in I. Instanz zuständig. 3.3.1.2 Örtliche Zuständigkeit Ist die sachliche Zuständigkeit geklärt, ist im nächsten Schritt festzustellen, welches Gericht örtlich zuständig ist. Hierzu enthalten die §§ 12 ff ZPO differenzierte Regelungen zu allgemeinen, besonderen und ausschließlichen Gerichtsständen, von deren Darstellung hier im Einzelnen abgesehen werden kann. Als Beispiel soll hier nur der allgemeine Gerichtsstand des Wohnsitzes genannt werden. Dies bedeutet, dass eine Person bei dem Gericht verklagt werden muss, in dessen Bezirk diese Person ihren Wohnsitz hat. Zuständig ist dort dann das Amtsgericht oder Landgericht unter den o. g. sachlichen Gesichtspunkten. Die Prüfung, welches Gericht zuständig ist, obliegt zunächst der Partei, welche eine Klage erheben möchte, denn sie muss sich an das richtige Gericht wenden. Das Gericht selbst prüft ebenfalls, ob seine Zuständigkeit gegeben ist, notfalls verweist es nach Anhörung der Parteien den Rechtsstreit an das „richtige“ Gericht. 3.3.2 Parteien Die Parteien des zivilrechtlichen Verfahrens heißen Kläger / in und Beklagte / r, wobei es unerheblich ist, ob an dem gerichtlichen Streit sogenannte natürliche Personen (=- Bürger), private Unternehmen oder juristische Personen beteiligt sind. Voraussetzung ist, dass die Partei parteifähig ist, § 50 ZPO . Danach kann Partei eines Prozesses nur sein, wer rechtsfähig, nämlich Träger von Rechten und Pflichten, ist. Weiterhin muss die Partei prozessfähig sein, §§ 51, 52 ZPO . Prozessfähig ist eine Person, wenn sie Verträge abschließen kann. Dies gilt z. B. (mit Einschränkung) nicht für Minderjährige. Diese sind zwar rechtsfähig, denn sie können ein Eigentumsrecht haben und sind 227 3 Zivilverfahren z. B. erbberechtigt. Sie sind aber nicht prozessfähig, da sie nicht Verträge abschließen können. Insofern wird für sie ein Prozess durch einen gesetzlichen Vertreter geführt. 3.3.3 Rechtsanwälte 3.3.3.1 Prozessbevollmächtigte Kläger und Beklagter können, wenn sie sich dazu in der Lage fühlen, ein zivilrechtliches Verfahren beim Amtsgericht selbst führen. Dies bezeichnet man als Parteiprozess, § 79 ZPO . Es steht ihnen aber frei, sich für das Verfahren eines Rechtsanwalts zu bedienen, der die Interessen seiner Mandantschaft vor Gericht wahrnimmt. Das erstreckt sich, neben der Beratung an sich, von der Einreichung der Klageschrift, der Klageerwiderung und weiterer Schriftsätze über die Stellung von Anträgen in der mündlichen Verhandlung, die Teilnahme an der Beweisaufnahme bis hin zur Einlegung von Rechtsmitteln. Im Verfahren werden die so tätigen Rechtsanwälte als Prozessbevollmächtigte bezeichnet. 3.3.3.2 Anwaltszwang Bei den Landgerichten und Oberlandesgerichten besteht hingegen in Zivilverfahren ein sogenannter Anwaltszwang, § 78 ZPO . Gleiches gilt beim Amtsgericht in Familiensachen. Dies bedeutet, dass sich eine Partei in den Verfahren zwingend von einem Rechtsanwalt vertreten lassen muss. Den Prozess als Partei selbst zu führen, ist unzulässig. Seine Begründung findet dies darin, dass entweder schwierige juristische Sachverhalte zu beurteilen sind oder das Verfahren einen erheblichen Streitwert (über 5.000,-- Euro) aufweist und damit weitreichende finanzielle Folgen für die Partei verbunden sein können. Eine professionelle Vertretung soll insofern Schaden von der Partei abwenden. Die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten bedarf einer sogenannten Prozessvollmacht durch die Partei; ohne diese kann der Rechtsanwalt keine Prozesshandlungen vornehmen. 3.3.3.3 Prozesskostenhilfe Auch wenn von der Systematik her der Begriff der Prozesskostenhilfe nicht zwingend im Zusammenhang mit der Tätigkeit eines Rechtsanwaltes stehen muss, soll dies hier erörtert werden, da eine Beiordnung eines Rechtsanwaltes meistens mit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe einhergeht. Anders als im Strafverfahren, in welchem ein Pflichtverteidiger nicht aus dem Grund der Mittellosigkeit einer Partei beigeordnet werden kann, soll im Zivilverfahren jedem Bürger die Möglichkeit eingeräumt werden, einen Rechtsstreit vor einem Gericht zu führen, auch dann, wenn ihm hierzu die finanziellen Mittel fehlen. Noch bis 1980 als „Armenrecht“ bezeichnet, sieht das Recht der Prozesskostenhilfe in § 114 ZPO vor: „Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält 228 Teil II Juristische Grundlagen auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.“ Das Gericht führt bei dem Kläger hinsichtlich der beabsichtigten Klage oder dem Beklagten bezüglich der Art seiner Verteidigung gegen die Klage eine zweifache Prüfung durch. Zum einen sind die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu beleuchten und festzustellen, ob die familiäre Situation, das Einkommen, das Vermögen und die Verbindlichkeiten eine Gewährung von Prozesskostenhilfe rechtfertigen. Die anzulegenden Kriterien ergeben sich aus den Regelungen zu §§ 114 ff ZPO . In einem zweiten Schritt prüft das Gericht dann, inwieweit das Vorbringen der Partei geeignet ist, zu einem Erfolg der Klage oder der Verteidigung zu führen. Nach Anhörung des Gegners entscheidet das Gericht durch Beschluss. Hierbei kann zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwaltes als Prozessbevollmächtigtem erfolgen. Zwingend erforderlich wäre dies, soweit bei dem Gericht Anwaltszwang besteht. In anderen Fällen ordnet das Gericht bei, wenn es entweder die Vertretung durch einen Rechtsanwalt für erforderlich hält oder der Gegner bereits von einem Rechtsanwalt vertreten wird und somit Chancengleichheit vor Gericht hergestellt werden soll. Die Folge der Gewährung von Prozesskostenhilfe ist, dass Gerichtskosten und die Vergütung des Prozessbevollmächtigten durch die Staatskasse getragen und erstattet werden. Verliert die Partei jedoch den Prozess und hat die Kosten des Gegners zu tragen, so sind diese nicht durch die Prozesskostenhilfe abgedeckt. Ein Prozesskostenrisiko bleibt somit in jedem Fall bestehen. 3.3.4 Weitere Beteiligte Zu den weiteren Beteiligten des Zivilverfahrens zählen Zeugen, die im Rahmen der Beweisaufnahme vernommen werden, Sachverständige, welche im Auftrag des Gerichts anhand eines Beweisbeschlusses ein Gutachten schriftlich erstatten, und letztendlich auch der Dolmetscher, dessen Einsatz im Rahmen der mündlichen Verhandlung bis hin zur Beweisaufnahme von Bedeutung ist. 3.3.5 Übung Ausgangspunkt ist der unter 3.2.9 dargestellte Fall. Beantworten Sie hierzu folgende Fragen: a) Wer sind die Parteien des angestrebten Verfahrens und wie werden sie im Verfahren bezeichnet? b) Welches Gericht ist sachlich zuständig, wenn Boch den vollen Betrag von 7.400,--Euro einklagt bzw. wenn Boch lediglich 3.500,-- Euro geltend macht? c) Welche örtliche Zuständigkeit ist gegeben? d) In welchem Fall benötigen die Parteien einen Prozessbevollmächtigten? e) Steht dem offensichtlich nicht zahlungsfähigen Geiz Prozesskostenhilfe zu? 229 3 Zivilverfahren 3.4 Verfahrensablauf 3.4.1 Ingangsetzung des Klageverfahrens Anders als im Strafverfahren, in welchem das Gericht aufgrund einer Anklage oder eines Strafbefehlsantrages tätig wird, bedarf es im Zivilverfahren der Erhebung einer Klage, welche nach den Vorschriften des § 253 ZPO zu verfassen ist. Danach bedarf sie eines Antrages, welchen der Kläger in der mündlichen Verhandlung zu stellen gedenkt und einer Begründung, aus der sich ergibt, woraus der Kläger seinen Anspruch herleitet. Durch die Klageeinreichung wird das Verfahren (gerichts-)anhängig, ein bedeutsamer Umstand, denn hierdurch kann beispielsweise die Verjährung unterbrochen werden. Zur Verdeutlichung ist nachstehend eine kurze Klageschrift skizziert, welche weder vom tatsächlichen Sachverhalt noch von der juristischen Konstellation her besondere Schwierigkeiten bietet: Amtsgericht Klage der Transportunternehmen GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer Peter Müller, Gneisenaustraße 15, 30007 Hannover - Klägerin - Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Wrobel und Partner gegen James-P. Jackson Limited, vertreten durch den Director James P. Jackson, London, Great Britain - Beklagte - wegen Forderung Vorläufiger Streitwert: 1.500,-- € Namens und in Vollmacht der Klägerin erhebe ich Klage und werde in einem anzuberaumenden Termin beantragen, 1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.500,-- € nebst Zinsen in Höhe von 8 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15. 10. 2015 zu zahlen. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Für den Fall des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen wird bereits beantragt, durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Begründung: Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einem geschlossenen Speditionsauftrag in Anspruch. Die Klägerin wurde am 15. 06. 2015 durch die Beklagte beauftragt, einen Transport von London, Großbritannien nach München durchzuführen. Für den Transport wurde eine Vergütung von 1.500,-- € vereinbart. 230 Teil II Juristische Grundlagen Von der Anhängigkeit eines Rechtsstreits ist der Begriff der Rechtshängigkeit zu unterscheiden, welche eintritt, wenn die Klage dem Beklagten wirksam zugestellt wurde, § 261 ZPO . Die Rechtshängigkeit ist u. a. deshalb bedeutsam, weil die Klage danach nicht mehr bei einem anderen Gericht erhoben werden kann. Voraussetzung für die Zustellung ist, dass der Kläger einen Gerichtskostenvorschuss zahlt, dessen Höhe sich an dem Streitwert orientiert und sich aus einer Tabelle des Gerichtskostengesetztes ( GKG ) entnehmen lässt. Ein Vorschuss ist nur dann nicht zu zahlen, wenn dem Kläger für seine beabsichtigte Klage Prozesskostenhilfe gewährt worden ist. Das Gericht bestimmt im Anschluss daran, ob es das Verfahren mit einem frühen ersten Termin oder mit einem schriftlichen Vorverfahren fortsetzen will. Beweis: Vertrag vom 15. 06. 2015 An der Ladestelle in London wurde der Lastkraftwagen beladen und begann den Transport. Beweis: CMR Frachtbrief vom 03. 07. 2015 Erst später wurde festgestellt, dass der Lkw an der Ladestelle in London von der Beklagten mit der falschen Fracht beladen wurde. Anstelle der Ladung zur Container-Nummer 17321 wurde das Fahrzeug mit Ladung zur Container-Nummer 28 005 versehen. Beweis: Vernehmung des Zeugen Arthur Brightwon, ladungsfähige Anschrift: Kensington Road, London Nach Feststellung dieser Umstände wurde die falsche Ladung, welche tatsächlich für einen Zielort in der Türkei vorgesehen war, in Hannover entladen und eingelagert. Für den Transport und die Einlagerung der falschen Fracht stellte die Klägerin der Beklagten folgende Beträge in Rechnung: 1. Transport von London nach Hannover: 1.200,-- € 2. Lagerkosten: 300,-- € 3. Summe: 1.500,-- € 4. Beweis: Rechnung vom 12. 08. 2015 Eine Zahlung erfolgte aber nicht, so dass die Beklagte unter Fristsetzung zum 14. 10. 2015 zum Ausgleich aufgefordert wurde. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus den Vorschriften der Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßenverkehr. Zwei beglaubigte Abschriften sowie Gerichtskosten in Höhe von 121,--. € per Verrechnungsscheck anbei. Rechtsanwalt 231 3 Zivilverfahren 3.4.2 Schriftliches Vorverfahren Das Gericht ordnet das schriftliche Vorverfahren an, wenn es der Ansicht ist, ohne eine ausführliche schriftliche Darstellung der Parteien den Rechtsstreit mit den Parteien nicht sinnvoll erörtern zu können, § 276 ZPO . Der Beklagte erhält die Klage zugestellt mit der Aufforderung, innerhalb einer bestimmten Frist Stellung zu nehmen. Tut er dies nicht, so kann das Gericht ein Versäumnisurteil erlassen, wodurch der Kläger einen vollstreckbaren Titel erhält. Legt der Beklagte wiederum eine Klagerwiderung vor, so erhält nunmehr der Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme. Sobald die Argumente wechselseitig ausgetauscht sind, bestimmt das Gericht einen Termin zur mündlichen Verhandlung. 3.4.3 Früher erster Termin Alternativ kann das Gericht nach Einreichung der Klage auch einen frühen ersten Termin bestimmen, § 275 ZPO , um den Vorgang möglichst zeitnah mündlich zu erörtern. In diesem Fall kann der Beklagte auch auf die Klage erwidern, dies jedoch auch ohne nachteilige Rechtsfolgen unterlassen. 3.4.4 Güteverhandlung Sobald es zu einem Termin zur mündlichen Verhandlung kommt, sei dies ein früher erster Termin oder auch ein Termin nach Durchführung des schriftlichen Vorverfahrens, muss das Gericht darauf hinwirken, dass eine Einigung zwischen den Parteien erreicht wird. Zu diesem Zweck führt es eine Güteverhandlung durch, § 278 Abs. 2 ZPO . In dieser Verhandlung sollen die Parteien die Möglichkeit erhalten, die unterschiedlichen Standpunkte dem Gericht vorzutragen und zu erläutern, Zweifelsfragen können durch das Gericht geklärt und die wechselseitigen Argumente überprüft werden. Bei einem positiven Verlauf ist eine gütliche Einigung der Parteien zu erwarten. Ein derartiger Vergleich dient erheblich dem Rechtsfrieden und ist zudem für beide Seiten mit einer schnellen Beilegung des Streits verbunden, so dass die Parteien nicht einen langen Rechtsstreit mit ungewissem Ausgang und erheblichem Kostenrisiko führen müssen. 3.4.5 Termin zur Hauptverhandlung Können sich die Parteien aber nicht einigen, so ist die Güteverhandlung als gescheitert anzusehen, und das Gericht geht in eine streitige Verhandlung über, in der Regel direkt nach der Güteverhandlung. Es kann aber auch ein gesonderter Termin bestimmt werden. In diesem Termin stellen die Parteien ihre Anträge, wie sie bereits in der Klageschrift und der Klageerwiderung formuliert worden sind. Während der Kläger beantragt, den Beklagten z. B. wie im obigen Beispiel zu der Zahlung einer bestimmten Summe zu verurteilen, beantragt der Beklagte, die Klage ganz oder teilweise 232 Teil II Juristische Grundlagen abzuweisen, es sei denn, er erhebt eine Widerklage, weil er selbst eigene Ansprüche gegenüber dem Kläger geltend machen kann. 3.4.6 Beweisaufnahme Nach Abwägung der einzelnen Argumente prüft das Gericht, ob der Prozess bereit entschieden werden kann oder ob die Durchführung einer Beweisaufnahme erforderlich ist, in welcher die Beweismittel, mit denen eine der Parteien ihren Vortrag untermauert, herangezogen werden. Amtsgericht Magdeburg Geschäfts-Nummer: 17 C 7658 / 09 Beschluss In der Zivilsache der Frau Hertha Müller, wohnhaft Südstraße 4, 39100 Magdeburg - Klägerin - Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Baumann, Müller und Weber gegen 1. Herrn Fritz, wohnhaft Nordweg 15, 39100 Magdeburg 2. Fair Versicherungs AG , vertreten durch den Aufsichtsrat, dieser vertreten durch den Vorsitzenden Dr. Wendhausen, Florian-Silbereisen-Straße 2, 22001 Hamburg - Beklagte - Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Schmidt-Holthans 1. Es soll Beweis erhoben werden über die Behauptung der Klägerin, der Beklagte zu 1) sei mit dem von ihm gefahrenen Lkw plötzlich nach links auf die Gegenfahrbahn ausgeschert, wobei der Zeuge Peter Sammler, um eine Kollision zu vermeiden, eine Gefahrbremsung eingeleitet und instinktiv das Fahrzeug der Klägerin weiter nach links gelenkt habe, durch die Vernehmung des Zeugen Sammler, auf Antrag der Klägerin, sowie gegenbeweislich zu der Behauptung der Beklagten, das Fahrzeug der Klägerin sei rechts an dem Lkw vorbeigeschossen und ohne eine anderweitige Gefährdung im Straßengraben gelandet, durch die Vernehmung des Zeugen Hans Werner, auf Antrag der Beklagten. 2. Die Zeugen werden zum Beweistermin geladen, aber wieder abgeladen, wenn nicht jede Partei für den von ihr benannten Zeugen einen Auslagenvorschuss von 100,-- € binnen 2 Wochen nach Erhalt dieses Beschlusses bei Gericht einzahlt oder Gebührenverzichtserklärung beibringt. Auf die Folgen einer verspäteten oder unterlassenen Einzahlung gem. § 356 ZPO wird hingewiesen. 3. In Abhängigkeit des Ergebnisses der Beweisaufnahme behält sich das Gericht vor, ein verkehrsanalytisches Sachverständigengutachten einzuholen. 4. Termin zur Beweisaufnahme und Fortsetzung der mündlichen Verhandlung wird bestimmt auf Mittwoch, den 10. Dezember 2009, 13.00 Uhr, Saal 15. Richter am Amtsgericht 233 3 Zivilverfahren Neben der Vernehmung von Zeugen (Zeugenbeweis) kommt die Anhörung eines Sachverständigen, die Vorlage einer Urkunde (Urkundenbeweis), die persönliche Inaugenscheinnahme oder auch die Vernehmung einer Partei in Betracht. Die einzelnen Vorschriften zur Beweisaufnahme finden sich in den §§ 355 ff ZPO . Ein Beweisbeschluss könnte in folgender Form abgefasst sein: 3.4.7 Der Dolmetscher in der Beweisaufnahme Das Hauptbetätigungsfeld des Dolmetschers ergibt sich aus dem Umfang der Beweisaufnahme, hier in der Regel in der Vernehmung von Zeugen zu konkreten Beweisthemen (siehe obigen Beweisbeschluss). Heutzutage arbeiten Gerichte in Zivilsachen weitgehend ohne die Beteiligung einer Protokollantin, so dass der Richter nicht nur die Verhandlung und Durchführung der Beweisaufnahme leitet, sondern zugleich auch mittels Diktiergerät das Protokoll in Anwesenheit aller Beteiligten aufnimmt. Zu einem späteren Zeitpunkt wird das Protokoll durch eine Justizbedienstete in Reinschrift verfasst und vom Richter unterschrieben. Die Parteien bzw. deren Prozessbevollmächtigte erhalten hiervon eine Abschrift mit der Gelegenheit zur Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme. An der Beweisaufnahme, also hier bei der Vernehmung des / der Zeugen, sind in der Regel die Prozessbevollmächtigten zugegen, manchmal auch die Parteien selbst, sofern sie dies wünschen bzw. wenn dies vom Richter zur Klärung von Zweifelsfragen angeordnet worden ist. Die Vernehmung der Zeugen erfolgt allein zu den im Beweisbeschluss gestellten Fragen. Das Fragerecht liegt hierbei zunächst beim Vorsitzenden, der im Anschluss daran den Par- 2. Die Zeugen werden zum Beweistermin geladen, aber wieder abgeladen, wenn nicht jede Partei für den von ihr benannten Zeugen einen Auslagenvorschuss von 100,-- € binnen 2 Wochen nach Erhalt dieses Beschlusses bei Gericht einzahlt oder Gebührenverzichtserklärung beibringt. Auf die Folgen einer verspäteten oder unterlassenen Einzahlung gem. § 356 ZPO wird hingewiesen. 3. In Abhängigkeit des Ergebnisses der Beweisaufnahme behält sich das Gericht vor, ein verkehrsanalytisches Sachverständigengutachten einzuholen. 4. Termin zur Beweisaufnahme und Fortsetzung der mündlichen Verhandlung wird bestimmt auf Mittwoch, den 10. Dezember 2009, 13.00 Uhr, Saal 15. Richter am Amtsgericht 234 Teil II Juristische Grundlagen teien Gelegenheit zur Frage gibt, zunächst der Partei, welche den jeweiligen Zeugen benannt hat, und anschließend der Gegenseite. Eine mögliche Vereidigung des Zeugen ist im zivilprozessualen Verfahren selten und unterbleibt in der Regel. Nachstehend wird ein mögliches Protokoll in seinem Wortlaut wiedergeben. Hierbei ist zu beachten, dass der Richter zunächst den Zeugen im Zusammenhang zu der jeweiligen Frage mit dessen Worten berichten lässt, dann das Protokoll mit eigenen Worten diktiert. Insofern handelt es sich nicht um ein Wortprotokoll der Zeugenaussage selbst, sondern vielmehr um eine zusammenfassende Wiedergabe des vom Zeugen Gesagten. Es liegt in der Natur der Sache, dass damit eine Veränderung der konkreten Zeugenaussage gegeben ist, wenn auch der Richter bemüht ist, sich weitgehend an der Originalaussage zu orientieren. Nicht selten führt dies jedoch zu Diskussionen im Rahmen der Beweisaufnahme, sofern die Parteien unterschiedlicher Auffassung darüber sind, was der Zeuge konkret gesagt bzw. mit seiner Formulierung gemeint hat. Gegebenenfalls ist durch Nachfrage beim Zeugen eine Klärung herbeizuführen. Hintergrund der Diskussion und des Ringens um eine besondere Formulierung ist häufig, dass sich eine der Parteien aus der Wortwahl Vorteile für den Ausgang des Verfahrens verspricht. Nicht immer ist die Wiedergabe einfach für den Dolmetscher, sofern er für eine der Parteien dolmetscht, denn dieser muss der Verlauf der Diskussion vermittelt werden, um den eigenen Standpunkt weiter begründen oder revidieren zu können. Ebenso problembeladen ist es, wenn der Dolmetscher für einen ausländischen Zeugen überträgt, denn dessen Angaben sollen von Gericht und Parteien verstanden werden und zwar so exakt, dass hierauf der weitere Prozess oder auch bereits das Ergebnis des Verfahrens gestützt werden kann. Das Protokoll einer Beweisaufnahme könnte wie unten wiedergegeben verfasst werden. Ausgangsfall ist eine Verkehrsunfallsituation mit widerstreitenden Angaben der Unfallbeteiligten. Der Richter würde den folgenden Text zum Diktat nehmen, wiedergegeben ist insofern nicht die spätere Textform, sondern vielmehr der exakte Wortlaut, der vom Dolmetscher zu übertragen wäre. Das Protokoll orientiert sich dabei am Verlauf des Termins zur Durchführung der Beweisaufnahme. Es wird der Rechtsstreit aufgerufen, und die Beteiligten betreten den Gerichtssaal. Der Richter beginnt, das Protokoll aufzunehmen: „Diktat in dem Rechtstreit Wagner gegen Müller, Geschäftsnummer 15 C 38765 aus 2009, gegenwärtig Richter am Amtsgericht Sommer ohne Hinzuziehung einer Protokollkraft. Bei Aufruf erschienen mit der Klägerin persönlich Rechtsanwalt Dr. Horten und mit dem Beklagten persönlich Rechtsanwalt Kampmann in Untervollmacht für Rechtsanwalt Baumeister. Weiter war erschienen der Zeuge Din Dao Nguyen und der Dolmetscher Herr San Trong, der sich auf seinen allgemein geleisteten Eid beruft. Die Parteien erklären sich mit der Löschung des Tonträgers nach Fertigstellung einverstanden.“ 235 3 Zivilverfahren Hier unterbricht der Richter das Protokoll und belehrt den Zeugen hinsichtlich seiner Wahrheitspflicht und der Strafbarkeit einer falschen uneidlichen oder eidlichen Falschaussage um dann im Diktat fortzusetzen: „Der Zeuge wurde belehrt. Zur Person, ich heiße Din Dao Nguyen, bin 30 Jahre alt, von Beruf Einzelhändler, wohnhaft in Hamburg, mit den Parteien nicht verwandt und nicht verschwägert.“ Der Richter befragt nun den Zeugen zum Beweisthema, lässt ihn zusammenfassend berichten, fragt gegebenenfalls nach, um dann zu formulieren: „Zum Zeitpunkt des Unfalls befand ich mich vor meinem Geschäft Schmidtstraße Ecke Weserstraße und konnte wahrnehmen, dass die Klägerin mit ihrem roten Golf beabsichtigte, von der Schmidtstraße in die Bandelgasse nach rechts abzubiegen. Der Beklagte befand sich mit seinem Pkw, einem grünen Ford, direkt hinter dem klägerischen Fahrzeug. Als die Klägerin verkehrsbedingt anhalten musste, versuchte der Beklagte trotz der klaren Verkehrssituation, die Klägerin links zu überholen, und stieß dabei mit seinem Fahrzeug gegen den linken hinteren Kotflügel des Pkws der Klägerin.“ Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin und auch der Vertreter des Beklagten erhalten Gelegenheit nachzufragen bzw. weitere Fragen zu stellen, was wie folgt im Protokoll wiedergegeben wird: „Auf Vorhalt des Klägervertreters: Die Klägerin musste anhalten, weil Kinder beabsichtigten, die Straße zu überqueren. Wäre sie weitergefahren, hätte die Gefahr bestanden, dass sie eins der Kinder überfährt. Auf Vorhalt des Beklagtenvertreters: Nein, die Kinder waren noch nicht auf der Straße, aber es sah so aus, als wollten sie rüberlaufen, ich hätte in der Situation auch angehalten. Auf Vorhalt des Klägervertreters: Die Kinder waren gut zu sehen, es musste dem Beklagten klar gewesen sein, warum die Klägerin angehalten hatte.“ Nachdem alle Fragen erörtert wurden, kann die Vernehmung des Zeugen beendet und dieser entlassen werden: 236 Teil II Juristische Grundlagen „Das Protokoll wurde in Anwesenheit des Zeugen diktiert, auf ein nochmaliges Vorspielen wird verzichtet. Auf die Vereidigung des Zeugen wird allseits verzichtet, der Zeuge macht Auslagen geltend und wird um 10.15 Uhr entlassen.“ Soweit keine weiteren Zeugen zu hören sind, treten die Parteien bzw. deren Vertreter in die Erörterung des Beweisergebnisses ein und führen die Hauptverhandlung durch Stellung von Anträgen zu Ende. Zudem legt der Richter einen Termin fest, an welchem er seine Entscheidung (z. B. ein Urteil oder einen weiteren Beweisbeschluss) verkünden wird: „Die Parteien verhandelten mit den zu Protokoll vom 15. 02. 2010 gestellten Anträgen zur Sache und zum Ergebnis der Beweisaufnahme. Termin zur Entscheidung wird bestimmt auf Mittwoch, den 30. April 2010, 13.00 Uhr, Saal 17“ Damit ist die Verhandlung beendet und das Protokoll abgeschlossen. Anhand dieses Beispiels ist gut ersichtlich, dass der Dolmetscher in seiner Tätigkeit sowohl das zu übertragen hat, was gerade im Gerichtssaal erörtert wird, als auch parallel dazu das, was der Richter zu Protokoll diktiert. Letztendlich ist das Protokoll Grundlage für die richterliche Entscheidung und damit für die Frage, wer in dem Rechtsstreit obsiegen oder verlieren wird. Nur eine genaueste Wiedergabe des Gesagten ermöglicht es der Partei, ihre Rechte in dem Verfahren wahrzunehmen und gegebenenfalls ihre weitere Vorgehensweise im Verfahren zu überdenken. 3.4.8 Übung Ausgehend von dem Fall unter 3.2.9 stellt sich der weitere Gang des Verfahrens wie folgt dar: Geiz behauptet nun, Boch habe die Arbeiten nicht vollständig ausgeführt, die Abrechnung sei überhöht und im Übrigen sei das Werk mangelhaft. Zur Übung wird nachstehend ein Auszug aus einem möglichen Beweisbeschluss skizziert: Beweisbeschluss In dem Rechtsstreit Boch ./ . Geiz Es soll ein Sachverständigengutachten darüber eingeholt werden, 1. ob die Forderung des Klägers aus der Rechnung vom 15. 11. 2009 unter Berücksichtigung der im Vertrag vom 30. 06. 2009 getroffenen Vereinbarung und der im Zusatzvertrag vom 9. 10. 2009 getroffenen Vereinbarung gerechtfertigt ist, wobei der Sachverständige überprüfen soll, ob die einzelnen Positionen ausgeführt worden sind, 2. ob die in Rechnung gestellten Leistungen belegt sind; soweit dies nicht erfolgt ist, welche Leistungen unter Berücksichtigung des erzielten Ergebnisses bei einem wirtschaftlich vertretbaren Aufwand anzuerkennen sind und welche Vergütung hierfür angemessen ist, 3. ob die Leistungen des Klägers die in der Klageerwiderung aufgeführten Mängel [einzelne Mängel werden vom Gericht aufgezählt] tatsächlich aufweisen, 4. ob bestimmte Mängel auf einem Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik oder auf besonders grober Nachlässigkeit des Klägers beruhen, 5. welche konkreten Arbeiten erforderlich und welche zu berechnenden Kosten notwendig sind, um die durch den Sachverständigen festgestellten Mängel zu beseitigen, 6. ob nach Durchführung der Nachbesserungsarbeiten letztendlich ein Minderwert verbleibt, gegebenenfalls in welcher Höhe dieser ausfällt, 7. falls die Beseitigung bestimmter Mängel nicht möglich ist oder einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert, welche Minderleistung hierfür berechnet werden muss. Der Sachverständige soll eine Ortsbesichtigung durchführen. Die Parteien sowie die Prozessbevollmächtigten sind hierzu rechtzeitig zu laden. Mit der Erstattung des Gutachtens wird beauftragt……[Name und Adresse des Sachverständigen] 237 3 Zivilverfahren 3.5 Entscheidung Sofern alle Beweismittel herangezogen sind und eine gütliche, vergleichsweise Einigung nicht möglich ist, hat das Gericht eine Entscheidung zu treffen. § 300 ZPO sieht hierzu vor: Ist der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif, so hat das Gericht sie durch Endurteil zu erlassen. In seiner Entscheidung verurteilt das Gericht entweder den Beklagten antragsgemäß oder es weist die Klage ab mit der Folge, dass der jeweilige Verlierer auch die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Dringt der Kläger mit seinem Antrag nicht vollständig durch, so wird der Beklagte teilweise verurteilt, teilweise die Klage abgewiesen, und die Kosten des Verfahrens werden entsprechend aufgeteilt. 9. 10. 2009 getroffenen Vereinbarung gerechtfertigt ist, wobei der Sachverständige überprüfen soll, ob die einzelnen Positionen ausgeführt worden sind, 2. ob die in Rechnung gestellten Leistungen belegt sind; soweit dies nicht erfolgt ist, welche Leistungen unter Berücksichtigung des erzielten Ergebnisses bei einem wirtschaftlich vertretbaren Aufwand anzuerkennen sind und welche Vergütung hierfür angemessen ist, 3. ob die Leistungen des Klägers die in der Klageerwiderung aufgeführten Mängel [einzelne Mängel werden vom Gericht aufgezählt] tatsächlich aufweisen, 4. ob bestimmte Mängel auf einem Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik oder auf besonders grober Nachlässigkeit des Klägers beruhen, 5. welche konkreten Arbeiten erforderlich und welche zu berechnenden Kosten notwendig sind, um die durch den Sachverständigen festgestellten Mängel zu beseitigen, 6. ob nach Durchführung der Nachbesserungsarbeiten letztendlich ein Minderwert verbleibt, gegebenenfalls in welcher Höhe dieser ausfällt, 7. falls die Beseitigung bestimmter Mängel nicht möglich ist oder einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert, welche Minderleistung hierfür berechnet werden muss. Der Sachverständige soll eine Ortsbesichtigung durchführen. Die Parteien sowie die Prozessbevollmächtigten sind hierzu rechtzeitig zu laden. Mit der Erstattung des Gutachtens wird beauftragt……[Name und Adresse des Sachverständigen] 238 Teil II Juristische Grundlagen Mit dem Urteil erlangt der Kläger, sofern er obsiegt, einen sogenannten Titel, der Grundlage für ein Zwangsvollstreckungsverfahren ist. 3.6 Rechtsmittel Ein Rechtsmittel eröffnet demjenigen, der mit der Entscheidung eines Gerichts nicht einverstanden ist, die Möglichkeit, ein Verfahren zum nächsthöheren Gericht, der nächsten Instanz, zu bringen. Im Einzelnen handelt es sich bei Rechtsmitteln um die Berufung und die Revision, die sofortige Beschwerde und die Rechtsbeschwerde. Lediglich auf die zuerst genannten beiden Rechtsmittel soll hier kurz eingegangen werden, da eine umfangreiche Darstellung für den hier beabsichtigten Zweck und Lernerfolg nicht sinnvoll und letztendlich zu weitführend ist. 3.6.1 Berufung Die Berufung ist in Zivilsachen möglich gegen im ersten Rechtszug erlassene Endurteile, § 511 Abs. 1 ZPO . Das bedeutet: ▶ Urteil I. Instanz vom Amtsgericht, Berufung zum Landgericht ▶ Urteil I. Instanz vom Landgericht, Berufung zum Oberlandesgericht Die Fragen der Zulässigkeit, der Fristen sowie der weitere Verfahrensgang sollen hier nicht näher erläutert werden. 3.6.2 Revision Die Revision findet gegen die in der Berufungsinstanz ( II . Instanz) erlassenen Endurteile statt, § 542 Abs. ZPO . Für die Revision ist ausschließlich der Bundesgerichtshof zuständig (§ 133 GVG ). Eine Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für Revisionen gibt es im Zivilverfahren-- anders als im Strafverfahren-- nicht (§ 119 GVG ). Auch hier soll auf die Darstellung der einzelnen Formen der Revision, deren Zulässigkeit und des Verfahrensgangs nicht weiter eingegangen werden. 3.7 Besondere Verfahrensarten Abschließend sollen weitere Verfahrensarten im zivilprozessualen Alltag nicht unerwähnt bleiben, da diese teilweise einen erheblichen Arbeitsanteil, insbesondere in der amtsgerichtlichen Praxis einnehmen. 239 3 Zivilverfahren 3.7.1 Mahnverfahren Hierbei handelt es sich um ein rein schriftliches Verfahren. Auf Antrag kann das Gericht einen Mahnbescheid erlassen, wenn der Antragsteller einen Anspruch auf einen bestimmten Betrag in Euro geltend macht und dieser Anspruch nicht (mehr) von einer Gegenleistung abhängig ist, § 688 ZPO . Unabhängig von der Höhe des Streitwertes (also auch über 5.000,-- Euro) und unabhängig von der sonst zu klärenden örtlichen Zuständigkeit ist im Mahnverfahren immer das Amtsgericht am Wohnort des Antragstellers zuständig. Ausnahmen bestehen nur dann, wenn durch Landesgesetz in den einzelnen Bundesländern ein zentrales Mahngericht eingerichtet worden ist. Dann ist unabhängig vom Wohnort diesem der Antrag vorzulegen. Mittlerweile kann über eine Internetplattform der Länder ein derartiger Mahnbescheidsantrag auch online erstellt werden. Durch umfangreiche Hilfehinweise ist dies auch für den Laien unproblematisch. Gegen den Mahnbescheid kann der Antraggegner innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Widerspruch einlegen mit der Folge, dass das Verfahren abgegeben und wie ein normales Klageverfahren durchgeführt wird. Erfolgt kein Widerspruch, kann der Antragsteller nun einen Vollstreckungsbescheid beantragen, gegen den sich der Antraggegner mit dem Einspruch, ebenfalls innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung, wenden kann. Unterbleibt auch der Einspruch, so wird der Vollstreckungsbescheid rechtskräftig und dient als Titel der Vollstreckung. 3.7.2 Sonstige Verfahrensarten Darüber hinaus bestehen weitere Verfahrensarten, von deren Darstellung hier abgesehen werden soll, da keine oder eine geringe Beteiligung des Dolmetschers zu erwarten ist oder die gleichen Grundsätze wie in der mündlichen Verhandlung Anwendung finden. Bei Interesse können zu folgenden Verfahrensarten die jeweiligen Regelungen der ZPO entnommen werden: ▶ Einstweilige Verfügung: §§ 935 ff ZPO ▶ Urkunds- und Wechselprozess: §§ 592 ff ZPO ▶ Selbstständiges Beweisverfahren: §§ 485 ff ZPO ▶ Nichtigkeitsklage: § 579 ZPO ▶ Restitutionsklage: § 580 ZPO 241 4 Bibliographie 4 Bibliographie Baumbach, Adolf / Lauterbach, Wolfgang / Albers, Jan / Hartmann, Peter, 2015. Zivilprozessordnung, 73. Aufl. München: Verlag C. H. Beck. Bundeskriminalamt, 2017. Polizeiliche Kriminalstatistik 2016. http: / / www.bka.de (letzter Zugriff: 13. 08. 2017). Bundesministerium der Justiz. http: / / www.gesetze-im-internet.de (letzter Zugriff: 14. 08. 2017). Burhoff, Detlef, 2015. Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 7. Aufl. Münster: ZAP - Verlag. Burhoff, Detlef, 2015. Handbuch für die Strafrechtliche Hauptverhandlung, 8. Aufl. Münster: ZAP - Verlag. Eisenberg, Ulrich, 2017. Jugendgerichtsgesetz, 19. Aufl. München: Verlag C. H. Beck. Fischer, Thomas, 2017. Strafgesetzbuch, 64. Aufl. München: Verlag C. H. Beck. Göbel, Klaus, 2013. Strafprozess, 8. Aufl. München: Verlag C. H. Beck. Jehle, Jörg-Martin, 2015. Strafrechtspflege in Deutschland, 6. Aufl. Berlin: Bundesministerium der Justiz. Karlsruher Kommentar, 2013. Strafprozessordnung, 7. Aufl., München: Verlag C. H. Beck. Kissel, Otto Rudolf / Mayer, Herbert, 2015. Gerichtsverfassungsgesetz, 8. Aufl. München: Verlag C. H. Beck. Meyer-Goßner, Lutz/ Schmitt, Bertram, 2017. Strafprozessordnung, 60. Aufl. München: Verlag C. H. Beck. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 76. Auflage 2017, München: Verlag C. H. Beck. Schönke, Adolf / Schröder, Horst, 2014. Strafgesetzbuch, 29. Aufl. München: Verlag C. H. Beck. Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Rechtspflege, Staatsanwaltschaften 2009, Fachserie 10 Reihe 2,6-2015, https: / / www-ec.destatis.de (letzter Zugriff: 13. 08. 2017). ISBN 978-3-8233-8111-2 Die anspruchsvolle Tätigkeit als ÜbersetzerIn und DolmetscherIn an Gerichten und Behörden erfordert neben hervorragenden Sprachkenntnissen auch juristisches Know-how sowie Erfahrung in den verschiedenen Dolmetsch-Techniken. Dieses Studienbuch vermittelt sowohl die unterschiedlichen translatorischen Kompetenzen als auch das nötige juristische Grundlagenwissen über Zivil- und Strafverfahren, die für das Gerichtsdolmetschen und -übersetzen notwendig sind. Damit bereitet es zuverlässig auf die Zulassung für die Beeidigung bzw. Vereidigung als GerichtsdolmetscherIn vor und ist zum Selbststudium sowie als Unterrichtsgrundlage für entsprechende Lehrgänge bestens geeignet. Die zweite Auflage wurde gründlich überarbeitet. Berücksichtigt werden darin insbesondere die neuen EU-Richtlinien 2010/ 64 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren und 2012/ 29 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten. Pressestimmen: „This book, while focused on German court cases, provides ideal support for any kind of practical training for interpreters“ (Target 26/ 1 2014). „Der Ladenpreis ist für die Fülle an wertvollem Inhalt so bescheiden, dass man jedem Kandidaten für die Zulassung als Gerichtsdolmetscher nur empfehlen kann, das Buch zu erwerben“ (EULITA-Homepage). Driesen / Petersen / Rühl Gerichtsdolmetschen Gerichtsdolmetschen Christiane Driesen / Haimo-Andreas Petersen / Werner Rühl Grundwissen und -fertigkeiten 2. Auflage