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Internetlinguistik

2020
978-3-8233-9117-3
Gunter Narr Verlag 
Konstanze Marx
Georg Weidacher

Rasante technologische Entwicklungen, die Ausweitung der digitalen Kommunikation und deren Auswirkungen auf Sprache und Interaktion kreieren einen dynamischen Datenpool für eines der spannendsten Teilgebiete der modernen Sprachwissenschaft: die Internetlinguistik. Ziel dieses Lehr- und Arbeitsbuches ist es, umfassend über diesen lebendigen Forschungsbereich zu informieren und zu zeigen, wie sprach- und kommunikationswissenschaftliche Methoden sinnvoll kombiniert werden können, um die Eigenheiten sprachlich-kommunikativen Handelns im Internet zu analysieren. Auf leserfreundliche Weise werden aktuelle Forschungsergebnisse mit zahlreichen Anwendungsbeispielen und Übungen didaktisch aufbereitet. Das Buch ist als Einführung konzipiert und eignet sich gleichermaßen für die Seminargestaltung und das Selbststudium. Über die 1. Auflage: "Beschreibung und Analyse internetbasierter Formen der Sprachverwendung werden jeweils rückgebunden an konkretes Anschauungsmaterial, sodass auch hier Begriffliches und Illustrierendes eine gelungene Synthese eingehen." - Weiterbildung 3/2015

Internetlinguis� k Ein Lehr- und Arbeitsbuch 2., aktualisierte und durchgesehene Auflage Konstanze Marx / Georg Weidacher Prof. Dr. Konstanze Marx ist Lehrstuhlinhaberin für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Greifswald. Dr. Georg Weidacher ist Senior Scientist in der Abteilung für Germanistische Linguistik der Karl-Franzens-Universität Graz. Konstanze Marx / Georg Weidacher Internetlinguistik Ein Lehr- und Arbeitsbuch 2., aktualisierte und durchgesehene Auflage 2., aktualisierte und durchgesehene Auflage 2020 1. Auflage 2014 © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-8117-4 (Print) ISBN 978-3-8233-9117-3 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0236-0 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 9 9 10 1 17 1.1 17 1.2 18 1.3 21 1.3.1 21 1.3.2 29 1.4 30 1.4.1 31 1.4.2 38 1.4.3 43 1.4.4 45 1.4.5 46 1.4.6 48 1.5 49 1.5.1 49 1.5.2 56 2 61 2.1 61 2.2 62 2.2.1 62 2.2.2 64 2.2.3 65 2.2.4 67 2.2.5 69 2.2.6 70 2.2.7 74 2.2.8 77 Inhalt Zu diesem Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort zur zweiten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort zur ersten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methoden der Internetlinguistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Internet als Datenpool . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aber wem gehören die Daten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Zitat als eine annehmbare Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . So zitiert man sprachliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . So zitiert man wissenschaftliche Publikationen . . . . . . . . . . . . Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung . . . . . . . . . . WWW = Korpus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . DIY: Eine Datensammlung selbst generieren . . . . . . . . . . . . . . Klick ins Feld: Einfach einmal nachfragen? . . . . . . . . . . . . . . . Log-File-Analyse - Einfach mitschneiden? . . . . . . . . . . . . . . . Digitale Ethnographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auch Umwege führen zu digitalen Daten . . . . . . . . . . . . . . . . In der Bibliographie soll es dann so aussehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Online-Publikation im Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . Quellenverzeichnis für Beispielbelege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medientheorie des Internets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unsere Welt ist online . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was ist ein Medium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einer, der polarisiert: McLuhans Medienbegriff . . . . . . . . . . . Wozu sind sie eigentlich da - die Medien? . . . . . . . . . . . . . . . . Verbreitung! Kommunikation! Speicherung! . . . . . . . . . . . . . . Von Kanälen, Sinnesmodalitäten und Codes: Elemente (technischer) Medien und Mediendefinition . . . . . . . . . . . . . . Primäre, sekundäre und tertiäre Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . Ist das Medium die Botschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von konventionalisierten kommunikativen Handlungen: Kommunikationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . So funktioniert es generell: Mediale Kommunikation - ein allgemeines Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 82 2.3.1 82 2.3.2 84 2.4 90 2.4.1 93 2.4.2 104 2.4.3 105 2.4.4 108 2.4.5 110 3 117 3.1 117 3.2 120 3.2.1 122 3.2.2 132 3.2.3 136 3.3 144 3.3.1 144 3.3.2 149 4 161 4.1 161 4.2 164 4.2.1 168 4.2.2 171 4.2.3 174 4.3 179 4.3.1 179 4.3.2 181 4.3.3 183 4.4 191 4.4.1 192 Ist das Internet nun ein Medium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Internet als Netzwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Web 2.0 und Social Media . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ja, das Internet ist ein Medium! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehr noch: Das Internet ist ein Hybridmedium . . . . . . . . . . . Von „designed spaces“ und Kommunikationsplattformen . . . Das Netz: Alles ist möglich - oder doch nicht? Constraints und Affordances . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von konventionalisierten kommunikativen Handlungen online . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . So funktioniert es im Netz: Ein spezifisches Kommunikationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weder Sondersprache noch Stil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke . . . . . . . . Abgeguckt: Indikatoren für Adaptionsprozesse . . . . . . . . . . . Mitgespielt: Indikatoren für sprachliche Sensibilität und Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Losgetextet: Indikatoren für Oraliteralität . . . . . . . . . . . . . . . . Netzbedingte Dynamik: Neue Bedeutung für Altbekanntes . . . . . . . Ein Freund, ein guter Freund? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gefällt mir ist mehr als ein Ausdruck für Gefallen . . . . . . . . . Pragma-Internetlinguistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ins Netz versetzt: Grundpfeiler der Pragmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachhandlungsphänomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chat-Kommunikation aus pragmatischer Perspektive . . . . . . Performativität in MUDs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Digitale Erweiterungen des Kommunikationsraums - (sprachlich) Freunde finden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spurensuche in der Postingflut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verschlüsseltes Gemeintes, verschlüsseltes Relevantes . . . . . Gricesche Maximen als Dekodierungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . Emotionale Chiffren: E-Implikaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Netz als Kontextkonstituente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nah und fern, privat öffentlich und alles parallel: Der mediale Kontext und die Äußerungssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 6 4.4.2 198 4.4.3 200 5 205 5.1 205 5.2 206 5.3 212 5.3.1 212 5.3.2 218 5.3.3 222 5.3.4 224 5.4 228 5.4.1 234 5.4.2 237 5.4.3 242 5.4.4 245 253 275 277 Ich kenne dich und ich kenne dich nicht: Zur Beziehung zwischen den Kommunikationsteilnehmer*innen . . . . . . . . . . Kognitionsinhärente Merkmale oder: Wie das Internet unser Denken prägt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textlinguistik und das Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine neue Textlinguistik für das Internet? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was ist ein Text überhaupt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Texte im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verlinkt: Hypertextualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermischt: Multimodalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verflüssigt: Fluidity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verteilt: Dialogizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunikationsformen und Textsorten im Internet . . . . . . . . . . . . . Der „Tatort“ nicht mehr nur im TV - Websites zu traditionellen Medienangeboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . BIG Fans - Fanseiten in Sozialen Netzwerken . . . . . . . . . . . . . „Bin krank - Grippe“ - Entschuldigungs-E-Mails . . . . . . . . . . Das virtuelle Tagebuch: Verschiedene Blogs . . . . . . . . . . . . . . Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 Zu diesem Buch Vorwort zur zweiten Auflage Sechs Jahre nach Erscheinen des Arbeitsbuches Internetlinguistik war es höchste Zeit, Aktualisierungen vorzunehmen. Das haben wir mit Freude ge‐ tan, denn die Entwicklungen in diesem Feld, dem inzwischen auch der Name „Digitale Linguistik“ zugewiesen wird, sind so spannend wie eindrucksvoll. Es hat sich in drei große Bereiche ausdifferenziert: die Sprachverwendung in internetbasierten Kommunikationsumgebungen, die Interaktion zwischen Mensch und Maschine und die Generierung von Datenkorpora. Alle Bereiche werfen auch ethische Fragen auf. Als übergeordnete Fragestellungen lassen sich festhalten: Wie nimmt die Internettechnologie Einfluss auf unsere Spra‐ che, auf unsere Kommunikation, auf unser Interaktionsverhalten und damit auch auf unsere Kultur? Mit welchen Methoden können wir diese Prozesse untersuchen? Wie können die Daten dazu erhoben, archiviert und für andere zugänglich gemacht werden? (Marx 2019a). Dies im Blick haben wir inhaltliche Anpassungen vorgenommen, diese orientierten sich am von der Erstauflage vorgegebenen Rahmen. Die Ent‐ wicklungen im Forschungsfeld haben wir auch dort zu berücksichtigen ver‐ sucht, wo wir Literaturhinweise auf weiterführende Themen geben konnten. Durchaus bemerkenswert - das sei hier als Anekdote erwähnt - ist, dass wir in der Überzeugung, so ziemlich alle sprachlichen Belege ersetzen zu müssen, feststellten, dass die Beispiele zum Flughafen BER nicht an Aktualität verlo‐ ren haben. Auch die Eigenschaften von Facebook haben in den letzten Jahren kaum noch Veränderungen erfahren. Das hat uns einerseits erstaunt und andererseits unseren Eindruck bestätigt, dass hier mehr und mehr ein Archiv für soziale Prozesse entsteht. Die „Familie“ der Internetlinguistik-Bücher hat 2019 sowohl mit den bei Winter erschienenen Literaturhinweisen zur Linguistik als auch mit dem ebenfalls bei Narr erschienenen „Starter“ Zuwachs bekommen. Das wirkt auch auf die vorliegende 2. Auflage zurück. Im Grunde können wir das Bild der Geschwisterkinder wieder bemühen, die sich gegenseitig beeinflussen. Auch die „Großen“ übernehmen das, was sich bewährt, von den „Kleinen“. Das wird im vorliegenden Buch besonders im Kapitel 1 und im Kapitel 5 sichtbar. Wir danken bei dieser Gelegenheit unserem Lektor, Tillmann Bub, sehr herzlich für die Unterstützung bei der Umsetzung und die so wunderbare Zusammenarbeit. Fiona Makulik hat uns beim Erstellen der Druckvorlage geholfen, auch ihr danken wir herzlich. Zur Entstehung Zu den Leser*innen A propos bewährt: Für hilfreiche Hinweise in den Rezensionen und die vielen anderen wertvollen Rückmeldungen, die uns in allen möglichen For‐ maten erreichten, danken wir unseren Kolleg*innen und Studierenden, un‐ seren Leser*innen herzlich. Aus unserer Sicht hat das Buch die Tür zu einem Raum geöffnet, in dem seither viele inspirierende Begegnungen stattgefun‐ den haben. Wir sind dafür sehr dankbar. Möge das weiter der Fall sein, möge der Forschungsgegenstand weiterhin viele beflügeln und die Vernetzung der Forschenden bewirken. Greifswald und Graz, im Juni 2020 Konstanze Marx Georg Weidacher Vorwort zur ersten Auflage Eines ist wohl sicher: Ohne das Internet hätte dieses Buch nicht entstehen können. Das liegt zum einen daran, dass das Internet die Arbeit an diesem Buch praktisch erst ermöglicht hat. Schließlich sind Berlin und Graz geo‐ graphisch nicht so günstig gelegen, dass regelmäßige Arbeitsbesprechungen in der einen oder der anderen Stadt eine Option gewesen wären. Das ge‐ meinsame Projekt wuchs und gedieh also parallel in zwei verschiedenen Ländern in Büros etwa zwölf Zug- und zwei Flugstunden voneinander ent‐ fernt. Dabei ermöglichten uns die Kommunikationsfunktionen, die uns das WWW - insbesondere das Web 2.0 - bietet, sowohl den Zugriff auf unsere Daten als auch die Illusion, uns über das Manuskript verständigen zu können als säßen wir in einem Büro. Zum anderen liegt es daran, dass es ohne das Internet keine Internetlinguistik gäbe, sondern schlicht Linguistik. Dazu je‐ doch haben Sie schon eine Menge Lehrbücher gelesen. Das Wissen, das Sie aus diesen Büchern haben, wird Ihnen bei der Lektüre dieses Buches helfen, denn wir setzen linguistische Grundkenntnisse voraus. Dieses Buch ist also keine Einführung in die Linguistik, es richtet sich an Studierende, die auf sprachwissenschaftliches Basiswissen zurückgreifen können und Freude daran haben, dieses auf aktuelle sprachliche Phänomene im Internet anzuwenden. Dennoch werden wir nicht komplett auf Ausfüh‐ rungen zum theoretischen Hintergrundwissen verzichten, diese sind im Buch grau unterlegt und mit einem Häkchensymbol markiert (siehe auch die Sym‐ bolerklärungen am Ende dieser Einleitung). Für Lehrende soll es als Inspiration für Seminarkonzeptionen dienen, mit den einzelnen Kapiteln gibt es eine Struktur für Unterrichtseinheiten vor. Zahlreiche Übungsaufgaben dienen sowohl dem Selbststudium (weil sie im Folgetext diskutiert werden) oder können Anregung für das Seminargespräch sein. Wir setzen voraus, dass die grundlegenden Funktionsweisen von Webanwendungen wie E-Mail, Sozialen-Netzwerkseiten oder Blogs bekannt sind. Zu diesem Buch 10 Zum Gegen‐ stand Aber was ist das eigentlich, Internetlinguistik? Was unterscheidet diese junge, moderne Disziplin von der Allgemeinen Linguistik, was von der Me‐ dienlinguistik? Womit beschäftigt sie sich und welche Forschungsfragen werden hier gestellt? Beginnen wir doch an dieser Stelle gleich mit einer ersten kleinen Auf‐ gabe: Geben Sie das Lexem Internetlinguistik einfach einmal in eine Internet‐ suchmaschine ein oder lassen Sie es uns anders formulieren: Googeln Sie es! In dieser Aufforderung steckt bereits ein Beispiel dafür, was im allgemeinen Verständnis mit Internetlinguistik assoziiert wird: Die Untersuchung einer so‐ genannten „Internetsprache“, googeln als eingedeutschtes Verb wäre entspre‐ chend typisch dafür. In Kapitel 3 lüften wir allerdings ein offenes Geheimnis, wenn wir zeigen, dass es gar nicht die Internetsprache (oder auch netspeak oder Internetslang) gibt. Es gibt sie ebensowenig wie eine Mediensprache. Nun, haben Sie gegoogelt? Wie sieht das Ergebnis aus? Sicherlich wurde Ihnen die Ankündigung zu diesem Buch angezeigt. Sie sind auch auf eine Tagung in Budapest gestoßen, in deren Rahmen wir einen gleichnamigen Workshop angeboten haben. Vielleicht finden Sie auch einen Hinweis auf ein Seminar, das in diesem Wintersemester an der TU Berlin stattfindet und von dessen Diskussionen dieses Buch hier profitiert. An dieser Stelle also schon der herzliche Dank an alle engagierten Seminarteilnehmer*innen. Aber zurück zu Ihrer Suche: Eventuell sind Sie auf die „Gesellschaft für Interlinguistik e.V.“ gestoßen, ein Verein, der sich die Förderung von Plan‐ sprachen zur Aufgabe gemacht hat. Dieses Suchergebnis zeigt nur, dass selbst Google auf Nebenschauplätze ausweichen muss. Eine untergeordnete Rolle für uns spielt übrigens, wie sich die Forschungsdisziplin Linguistik im Inter‐ net präsentiert (vgl. dazu bitte Cölfen/ Cölfen/ Schmitz 1997). Stattdessen steht die Sprachverwendung im Internet im Mittelpunkt dieses Lehr- und Arbeitsbuches. Internet verwenden wir hier so wie in der ein‐ schlägigen Forschungsliteratur (siehe Runkehl/ Schlobinski/ Siever 1998: 3) üblich, sehr weit, und meinen damit alle durch das Internet verfügbaren In‐ ternetdienste (E-Mail, WWW u. a.). Die Termini Web, WWW oder Netz ver‐ wenden wir demzufolge ebenfalls synonym. Als Aufgabe der Internetlinguistik betrachten wir die Untersuchung der Sprachverwendung in Abhängigkeit von der spezifischen Online-Umge‐ bung. Welche wechselseitigen Einflüsse können wir feststellen? Wie gestal‐ tet sich die Kommunikation über die verschiedenen Internetdienste? Was ist charakteristisch wofür? Wie müssen wir die bereits existierenden linguisti‐ schen Ansätze anpassen oder erweitern, um den neuen Kommunikations‐ raum theoretisch adäquat beschreiben zu können? Wir befinden uns damit mitten in der Angewandten Linguistik und kön‐ nen folgerichtig nicht nur genuin sprachwissenschaftlich vorgehen, sondern greifen sinnvollerweise sowohl methodisch als auch theoretisch auf Nach‐ Vorwort zur ersten Auflage 11 bardisziplinen wie die Kommunikations- und Medienwissenschaft, die Psy‐ chologie und die Soziologie zurück. Damit werden die Bausteine, die in der modernen Linguistik verwendet werden, in einer anderen Umgebung neu zusammengesetzt und mit weiteren Bausteinen interdisziplinär ergänzt, um ein modernes und stabiles Gebäude zu errichten. Die Internetlinguistik beschäftigt sich mit der Sprachverwendung im Internet und damit mit einem spezifischen kommunikativen Kontext, dessen Charakteristika in alle Analysen einfließen. Bei der Internetlin‐ guistik handelt es sich um eine Schnittstellendisziplin, die - wie für die Angewandte Linguistik typisch - neben linguistischen Zugängen, kom‐ munikations- und medienwissenschaftliche Methoden kombiniert und durchaus auch sozio- und psychologische Fragestellungen motiviert. Es ist unser Anliegen, eine Anleitung dafür vorzulegen, wie die isolierte Be‐ obachtung sprachlicher Phänomene im Internet überwunden werden kann. Die Sprachverwendung im Internet ist nicht nur ein auf allen sprachwissen‐ schaftlichen Beschreibungsebenen hochinteressanter Forschungsgegen‐ stand, sondern auch über den Tellerrand der Linguistik hinaus. Das haben viele andere vor uns bemerkt. Seit etwa 15 Jahren gibt es eine rege sprachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Themen wie Sprache und Kommunikation im Netz (Runkehl/ Schlobinski/ Siever 1998, Siever/ Schlobinski/ Runkehl 2005, Haase et al. 1997, Baron 2008a,b), Netzsprache (Crystal 2 2006, 2011, Rosenbaum 1996), Mündlichkeit/ Schriftlichkeit (Dür‐ scheid 2003, 5 2016, Storrer 2001a,b, Thaler 2003), Chat-Kommunikation (Beißwenger 2002, 2007, 2009, 2010a,b, 2013a,b, in press), syntaktischen In‐ novationen (Albert 2011, 2013), Bedeutungswandel (Dürscheid/ Brommer 2013) oder den Charakteristika von Hypertexten (Storrer 2004, Jakobs/ Lehnen 2005, Beißwenger/ Storrer 2010, Jakobs 2011). Androutsopoulos (2003a,b) hat sich mit soziolinguistischen Aspekten auseinandergesetzt, Thimm (2000) hat eine Sammlung von Texten zur Sozialität im Netz veröf‐ fentlicht. Döring ( 2 2003) definiert eine Sozialpsychologie des Internets als Forschungsgegenstand. Jakobs/ Lehnen (2006, Jakobs 2013) befassen sich mit Fragen der Usability. Bei Dang-Anh/ Einspänner/ Thimm (2013), Siever (2001, 2006) oder Moraldo (2009) finden wir Untersuchungen zu spezifischen Kom‐ munikationsformen wie Twitter. Es gibt Forschung zu Diskursen im Netz (Frass/ Meier/ Pentzold 2013, Thurlow/ Mroczek 2011), zur Online-Liebe (Dö‐ ring 2002, 2003, Ze’ev 2004, Marx 2012a,b) und sprachlichen Online-Gewalt (Fawzi 2009, 2 2015, Gradinger 2010, Katzer/ Fetchenhauer/ Belschak 2009, Marx 2012a, 2013a,b, Schwarz-Friesel 2013), zur digitalen (Un-)Ordnung (Runkehl 2013), zum Online-Verhalten der verschiedenen Generationen (Feu‐ Zu diesem Buch 12 Zur Handhabung fel/ Stahl/ Lee 2013, Ziefle/ Jakobs 2013), zu Politikerauftritten im Netz (Weid‐ acher 2007), zu kreativen Versuchen, Filter zu umgehen (Eliaz/ Rozinger 2013), zu Identitätskonstruktionen (Gallery 2000, Götzke 2002, Döring 2000b, Thimm/ Ehmer 2000), zur Theologie der Social Media (Ernst/ Costanza 2012) oder zu ins Internet verlegten sozialen Ritualen, wie z. B. die Trauer ( Jakobs/ Ziefle 2010). Ein ganzes DFG-Forschungsnetzwerk, Empirikom, wurde ge‐ gründet, um empirische Methoden in der sprach- und kommunikationswis‐ senschaftlichen Internetforschung zu diskutieren (Beißwenger 2012). Wir könnten diese Aufzählung noch einige Seiten fortführen, die Publika‐ tionen zu allen nur vorstellbaren Facetten des Internets sind schier unüberb‐ lickbar. Das Internet erscheint wie eine Inspirationsquelle, die in absehbarer Zeit nicht versiegt. Wer von dieser Quelle trinken möchte, stellt schnell fest, dass das gar nicht so einfach ist, weil sie stark sprudelt und einen (Daten- oder auch Informations-)Strom speist, der Wellen schlägt, auf denen das Surfen durchaus eine Herausforderung darstellt. Wir haben uns mitreißen lassen von dieser Fülle an hochinteressanten Themen und Forschungsergebnissen. Um noch ein wenig im Bild zu bleiben: Es hat uns harte Ruderarbeit gekostet, schließlich am Ufer der Internetlinguistik anlegen zu können und zwar mit mehr Gepäck als zum Zeitpunkt unseres Aufbruchs. Einiges wurde zu Treib‐ gut und das bedauern wir. Die Dinge aber, die wir retten konnten, weil sie oben schwammen oder wir schnell genug zugegriffen haben, haben wir sorg‐ fältig aufbereitet. Dazu mussten wir sie manchmal auch miteinander verbin‐ den, um sie wiederherstellen zu können. Ihren Eigentümer*innen danken wir. Es gab natürlich auch Dinge, die wir ersetzen mussten oder die komplett neu hinzukamen, weil sich während unseres Surfabenteuers die Notwendigkeit dazu ergab. Nun ist dieses Abenteuer vorerst bestanden und Sie halten mit diesem Buch unsere kompakte Reisedokumentation in den Händen. Natürlich müssen wir uns auch fragen (lassen), warum wir die Dokumentation im Zeit‐ alter des Internets überhaupt noch in eine Buchform gebracht haben. Ganz einfach, wir wollten anderen die Strapazen unserer Reise ersparen, sie sollen einen Aktiv-Urlaub antreten können - angeleitet von einem handlichen Rei‐ seführer. Zudem, da geben wir uns konservativ, sind wir Anhänger*innen des guten alten Leseprozesses. Wir glauben, dass er Wunder bewirken kann, die auch positive Effekte auf alle prozeduralen Fähigkeiten unseres Gehirns ha‐ ben. Im Umkehrschluss beobachteten wir im Selbstversuch und auch bei un‐ seren Studierenden negative Auswirkungen auf die Gedächtnisleistungen oder die Konzentrationsfähigkeit beim staccatohaften Suchen nach Stichworten, wie es für die Onlinerezeption üblich ist, siehe dazu auch den sehr anschauli‐ chen Erklärungsversuch von Nicholas Carr (2010a,b). Jedes der folgenden Kapitel ist mit drei Leitfragen überschrieben, die die jeweilige Thematik des Kapitels aufgreifen. Am Ende eines jeden Kapitels finden Sie den „Speicherinhalt“, der einer Zusammenfassung der wesentli‐ Vorwort zur ersten Auflage 13 chen Punkte entspricht, und zusätzliche Übungsfragen. Aus didaktischen Gründen wird der Text innerhalb der Kapitel mehrfach von Aufgaben oder gerahmten Informationen unterbrochen. Eine Erläuterung der Symbole fin‐ den Sie unten stehend. Die einzelnen Kapitel dieses Buches bauen zwar auf‐ einander auf, bilden aber jedes für sich so geschlossene Einheiten, dass sie in selbst gewählter Reihenfolge gelesen werden können. Aufgabe, für die die Lösung im Anschlusstext gegeben wird. Für den optimalen Lerneffekt empfehlen wir dringend im Leseprozess innezu‐ halten und die Lösung für diese Aufgabe zunächst selbst herauszufin‐ den. Fertigen Sie dazu Stichpunkte an. Denkanregung. Für diese Aufgaben geben wir keine Lösung vor, sie dienen als Anregung für die gründliche und auch kreative Reflexion und können sehr gut im Anschluss an die Rezeption eines Kapitels gelöst werden. Sie sollen zu einem tieferen Verständnis der diskutierten Themen beitragen. Formulierungsvorschlag. Im Kapitel 1 werden Vorschläge dazu un‐ terbreitet, wie Textbausteine formuliert werden können, die für inter‐ netlinguistische studentische Arbeiten obligatorisch sind. Zusatzinformation. Diese Kästen enthalten Informationen, die uns im entsprechenden Zusammenhang als interessant erschienen und In‐ spiration zum Weiterdenken sein können. Theoretisches Hintergrundwissen. Die Informationen in den grauen Kästen beziehen sich auf linguistisches Vorwissen, das Ihnen in den Grundkursen Ihres Studiums vermittelt wurde. Es soll vorkommen, dass dieses im Laufe des Studiums wieder verdrängt wird, die grauen Boxen helfen Ihnen bei der Rekapitulation. In diesen grauen Kästen finden Sie auch Definitionen von anderen zentralen Begrifflichkeiten. Zitat. Längere wörtliche Zitate sind ebenfalls gerahmt. Zu diesem Buch 14 Unser Dank Weiterführende Literatur. Mit den Leseempfehlungen wollen wir Sie er‐ muntern, Ihr theoretisches Wissen zu vertiefen und ein Gespür für Kontro‐ versen in der Forschungsdiskussion zu bekommen. In dieser als Lehr- und Arbeitsbuch konzipierten Einführung können wir diese nämlich nicht auf‐ greifen. Internetadressen. Das kleine Maus-Icon am Rand kennzeichnet Verweise auf Internetadressen. Wie in der Linguistik üblich und deshalb nicht noch einmal anhand von Symbolen erläutert, kennzeichnen einem Satz vorangestellte Fragezeichen eine zumeist semantische Markiertheit. Konzeptualisierungen sind mit Ka‐ pitälchen hervorgehoben, Großbuchstaben markieren Ergebnisse von Schlussfolgerungsprozessen. Sie werden in diesem Buch eine Vielzahl von authentischen sprachlichen Beispielen finden, zur Kennzeichnung der Quelle im Fließtext haben wir auf Kurzzitate zurückgegriffen, d. h. dass auch die Internetadressen nur verkürzt angegeben wurden. Im Anhang dieses Buches finden Sie ein Quellenver‐ zeichnis für die in der Arbeit verwendeten sprachlichen Belege, sofern sie nicht aus zugangsbeschränkten (privaten) Profilseiten stammen. Diese Quel‐ lenangaben sind jeweils der Beispielnummer zugeordnet, unter der sie im Fließtext erscheinen. Aus Datenschutzgründen sind bei Daten aus privaten Profilseiten alle Urheber*innen anonymisiert. Wenn innerhalb von sprach‐ lichen Belegen Klarnamen (Vor- und Zunamen) auftauchten, die nicht ver‐ öffentlicht werden dürfen, wurden diese durch XYZ ersetzt. Zur Illustration einiger weniger Annahmen wurden auch Beispiele kon‐ struiert, diese sind dann daran zu erkennen, dass keine Quelle angegeben ist oder in der Quellenangabe darauf verwiesen wird, dass es sich um ein zu Veranschaulichungszwecken modifiziertes Beispiel handelt. Phänomene wie orthographische oder grammatische Fehler oder außergewöhnliche Schreib‐ weisen treten so häufig auf, dass die Leserlichkeit gestört worden wäre, hät‐ ten wir sie jedes Mal mit einem [sic! ] gekennzeichnet. Wir danken Tillman Bub, Karin Burger, Bernd Villhauer und Celestina Fil‐ brandt vom Narr-Verlag nicht nur für die vertrauensvolle, äußerst ange‐ nehme und vor allem konstruktive Zusammenarbeit, sondern auch für ihre Aufgeschlossenheit, ihre Geduld und Flexibilität. Unsere Studierenden Toivo Glatz, Jonas Nölle, Isabella Knapp, Gerrit Kot‐ zur, Julia Schirnhofer, Carina Stöckler und Alexander Zahrer gaben uns hilf‐ reiche Rückmeldungen und stellten ihre Argusaugen zur Verfügung, ein gro‐ ßes Dankeschön dafür. Unseren beiden wunderbaren Chefs, Monika Schwarz-Friesel und Paul R. Portmann-Tselikas, danken wir ebenso für die moralische und inhaltlich sehr wertvolle Unterstützung wie Thomas Wischnowski und Hildegard Weid‐ Vorwort zur ersten Auflage 15 acher-Gruber. Unseren Familien und Freunden können wir ohnehin gar nicht genug danken. Sie mussten über Monate zwei im kreativen Schreibprozess Befindliche ertragen. Obgleich sich noch Stoff für eine Fortsetzung auf un‐ seren Schreibtischen stapelt, bleibt dieses Weihnachten der Rechner aus. Versprochen. Berlin und Graz, im November 2013 Konstanze Marx Georg Weidacher Zu diesem Buch 16 1 Methoden der Internetlinguistik Lässt sich das WWW als Datenpool für sprachliche Belege nutzen? Welche Datenerhebungsmethoden gibt es? Wie sind Internetquellen zu zitieren und zu bibliographieren? 1.1 Das Internet als Datenpool Das World Wide Web (WWW) ist ein für Sprachwissenschaftler*innen ge‐ radezu unerschöpflicher Datenpool, der sich zudem kontinuierlich neu ge‐ neriert. Wissenschaftliche Fachtexte, journalistische Artikel, Kommentare von Leser*innen, virtuelle Plaudereien, Zeugnisse sozialer Kontaktpflege, Blogs oder Tweets sind gerade einmal den sprichwörtlichen Mausklick ent‐ fernt. Expert*innen und Lai*innen, Jugendliche und Erwachsene, politisch Motivierte, Spaßorientierte, Gelangweilte oder Wütende geben ihr Wissen und/ oder ihre Überzeugungen preis, wollen sich unterhalten oder nutzen das quasi-öffentliche Forum, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Bevor sich Web 1.0 und Web 2.0 etablierten, mussten spontan produzierte Sprachdaten mit viel Aufwand erhoben und mühsam transkribiert werden. Insbesondere dank zahlreicher Social-Media-Anwendungen (wie Facebook, YouTube, Twitter, Tumblr, Nutzer- und Diskussionsforen etc.) scheinen sich die Zugänglichkeitsbedingungen für Sprachdaten erheblich verbessert zu ha‐ ben. Selbst E-Mail-Anbieter binden Kommentarfunktionen in ihre Nachrich‐ tenportale ein. Das heißt, dass das Abfragen der E-Mails nicht nur damit ver‐ bunden werden kann, auf schnellem Wege neueste Informationen zu erhalten. Nutzer*innen können sich zudem gleich zu den im Nachrichtenportal präsen‐ tierten Inhalten äußern und liefern damit jede Menge sprachliches Material. Unter Scheinidentität wird hier ein Profil verstanden, das selektive In‐ formationen, wie etwa Interessen, Einstellung etc. enthält, in dem jedoch auf Klarnamen und ein Foto, auf dem der*die Profilurheber*in deutlich zu erkennen ist, verzichtet wird. Auf diese Weise werden verschiedene Textsorten, wie Artikel, Nachrichten‐ texte oder Nutzerkommentare, deren Form und Inhalt für spezifische lingu‐ istische Fragestellungen relevant sein kann, relativ unproblematisch und mit wenig Zeitaufwand verfügbar. So scheint es unkompliziert, Zugang zu diesen sprachlichen Daten zu erhalten. Dennoch gestaltet sich die Korpusgenerie‐ rung schwierig. Das liegt auch daran, dass Nutzer nach wie vor anonym (in Foren oder Nutzerkommentaren) und/ oder unter Scheinidentitäten (auf Twitter, Instagram und teilweise auch auf Facebook) agieren. Zwar trägt das sicherlich zum Abbau von Hemmungen bei und begünstigt, dass sprachliche Daten überhaupt entstehen und „veröffentlicht“ werden, es birgt aber auch methodische Nachteile: Erstens, ohne technische Hilfsmittel können die Ur‐ heber*innen der Texte kaum ermittelt werden, insbesondere in den Fällen, in denen sich die „Kommentator*innen“ Pseudonyme (vgl. dazu auch den Abschnitt zu Nicknames) geben. Zweitens kann die Situation, in der der Text entstanden ist, nicht kontrolliert werden, so dass keine Aussagen darüber getroffen werden können, ob es sich beispielsweise um eine spontan produ‐ zierte Äußerung handelt oder ob der*die Verfasser*in des Kommentars sei‐ nen*ihren Text vorformuliert hat bevor er*sie ihn „veröffentlichte“. Eine dritte Schwierigkeit ergibt sich mit der Frage, inwieweit andere (und das schließt (Sprach-)Wissenschaftler*innen ein) überhaupt berechtigt sind, diese Daten für ihre Zwecke zu nutzen. 1.2 Aber wem gehören die Daten? Im Umgang mit den Daten aus dem WWW drängt sich die Auffassung ge‐ radezu auf, dass die Daten, die hier veröffentlicht werden, jedem und jeder gehören. Sie sind zugänglich, ihre Urheber*innen haben sie „veröffentlicht“ und damit einem Publikum zur Verfügung gestellt. Keine anderen Merkmale aber treffen auf Informationen zu, die in Büchern veröffentlicht worden sind. Sie sind ebenfalls frei lesbar, ihre Vervielfältigung und Weiterverwendung ist jedoch gesetzlich geregelt. So entspricht es nicht der seriösen Forschungs‐ praxis, Daten aus einem Buch schlicht zu übernehmen, ohne das zu kenn‐ zeichnen und auf den*die Autor*in zu verweisen. Die wenigsten wissen je‐ doch, dass auch für die Verwendung von Daten aus dem WWW eindeutige und verbindliche juristische Vorgaben zu beachten sind. Das Urheberrecht räumt dem Schöpfer geistigen Eigentums ein Aus‐ schließlichkeitsrecht an seinen eigenen kreativen Leistungen ein. 1 Methoden der Internetlinguistik 18 1 Christina Bankhardt hat auf der Eröffnungstagung des DFG-Netzwerks „empirikom. Empirische Erforschung internetbasierter Kommunikation“ am 16.02.2011 in Dortmund gesetzliche Grundlagen zum Urheberrecht und zur Einwilligungserklärung vorgestellt. Wir danken dafür, dass sie uns ihre Materialien zur Verfügung gestellt hat. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass „veröffentlichte“ Daten dem*der Urheber*in gehören und damit unter das Urheberrecht 1 fallen. In vielen Fäl‐ len sind also die Daten, die im Internet kursieren, gesetzlich bis 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers/ der Urheberin geschützt. Auch bei kleineren, einfa‐ chen Texten ist im Zweifel von einer sogenannten Schöpfungshöhe auszu‐ gehen, d. h. dass das „Werk“ - und darunter fallen dann auch internetbasierte (Kommunikations)beiträge - als geschützt gilt. Bei der Schöpfungshöhe handelt es sich um ein ungeschriebenes Tat‐ bestandsmerkmal der „persönlich geistigen Schöpfung“ i.S.d. § 2 Abs. 1 UrhG. Geschützt sind Werke, weil es sich entweder um eine persönlich geistige Schöpfung handelt, ein Sprachwerk, ein Musikwerk oder eine schützenswerte Darstellung. Wenn nun aber das Urheberrecht gilt, bedeutet das, dass wir die Daten, die sich uns wie auf einem „goldenen Tablett“ präsentieren, gar nicht oder nur mit Einverständniserklärung des Urhebers/ der Urheberin für unsere For‐ schung verwenden dürfen? Sollten wir tatsächlich eine Vervielfältigung anstreben, ist vorher das Ein‐ verständnis des Urhebers/ der Urheberin einzuholen. Eine Einverständniserklärung sollte vor der Daten-Erhebung schrift‐ lich fixiert werden und folgende Informationen beinhalten: Angaben über den*die Träger*in und Leiter*in des Forschungsvorhabens; Anga‐ ben zum Forschungszweck; Angaben zur Methode der Datenerhebung; Angaben zur weiteren Verwendung der Daten und der involvierten Per‐ sonen; Zeitpunkt, zu dem die personenbezogenen Daten gelöscht wer‐ den; Erklärung über Freiwilligkeit und Möglichkeit zum Widerruf; ex‐ plizite Einwilligungsformulierung; Ort, Datum und Unterschriften. (siehe Bankhardt 2010) Aber: Wie können wir eine Einverständniserklärung von jemandem einho‐ len, der*die sich a) nicht zu erkennen gibt, weil er*sie ein Pseudonym (Nick‐ name) benutzt und der*die b) auf keinem (technologischen) Weg kontaktiert werden kann? Für viele ist es die fehlende Antwort auf diese Frage, die sie dazu verführt, sich der Daten einfach anzunehmen, sie ohne explizite Er‐ 1.2 Aber wem gehören die Daten? 19 laubnis zu verwenden und weiterzuverarbeiten. Es entspricht dem z. B. bei Gatto (2014: 64) beschriebenen „praktischen Weg“: Sprachliche Daten wer‐ den gesammelt, aber nicht verbreitet. Wenn die Daten nicht zugänglich ge‐ macht werden (können), ist es allerdings schwierig, die Ergebnisse zu über‐ prüfen. Dieses Vorgehen ist vor allem deswegen so verbreitet, weil eine Kontrolle, was mit den Daten nach ihrer „Veröffentlichung“ im WWW geschieht, ge‐ radezu unmöglich ist. Zudem sind WWW-Daten weitaus leichter zugänglich als Daten, die in gedruckten Büchern veröffentlicht sind. Während hier der Erwerb oder zumindest das Aufsuchen einer Bibliothek (oder sogar eine Fernleihe, die mehrere Wochen in Anspruch nehmen kann) vonnöten ist, gibt es beim Zugang zu elektronischen Daten oftmals nicht einmal mehr die Bar‐ riere der Nutzerregistrierung. In Form und Inhalt weichen WWW-Daten oftmals von klassischen, her‐ kömmlichen Texten ab, von Texten beispielsweise, die als Romane oder wis‐ senschaftliche Werke veröffentlicht werden. Autor*innen legitimieren sich hierbei im Idealfall durch eine besondere Kompetenz (Expert*innenwissen, Kreativität, Schreibstil etc.), die wiederum Rezipient*innen davon abhalten sollte, gedankliches Eigentum schlicht zu kopieren. Im WWW - besonders aber beim Surfen im Web 2.0 - entsteht möglicherweise gar kein Bewusstsein dafür, dass es sich hier um schützenswerte Werke handelt, selbst bei Beiträ‐ gen in Kommentarforen. Inhalt und Form scheinen oftmals keinen besonde‐ ren „Wert“ zu indizieren. Heißt das nun, dass wir gesetzeswidrig handeln wenn wir sprachliche Da‐ ten für linguistische Analysen aus dem WWW kopieren um sie unter spezi‐ fischen Fragestellungen zu untersuchen? Nein, denn es ist a) generell nicht ausgeschlossen, eine Einwilligungser‐ klärung für Daten einzuholen. Das entspräche dem bei Gatto (2014) und Ba‐ roni et al. (2009) beschriebenen traditionellen, recht aufwändigen und eine hohe Frustrationstoleranz erfordernden Weg, weil Antwortzeiträume lang werden können oder Antworten gar nicht eintreffen. Es gibt aber z. B. im Chat die Möglichkeit, bei Nutzer*innen direkt während des virtuellen Ge‐ sprächs anzufragen. Ebenso kann eine Erlaubnis stellvertretend bei Admi‐ nistrator*innen von Chat-Räumen oder Foren erfragt werden. Deren Kon‐ taktdaten sind jeweils im Impressum der entsprechenden Seite aufgelistet. Dass über diesen „Umweg“ Kontakt zu den Nutzer*innen aufgebaut werden kann, ist nicht zu erwarten, da sich diejenigen, die Chat-Seiten etc. betreiben, dazu verpflichten, Daten von Nutzer*innen vertraulich zu behandeln. Da aber sprachliche Belege für wissenschaftliche Zwecke als Zitate gelten, ist es b) nicht gesetzeswidrig sie zu kopieren, wenn sie als Zitate ausgewiesen werden. 1 Methoden der Internetlinguistik 20 Aufgabe 1-1 Formulieren Sie ein Anschreiben an eine*n Administrator*in eines von Ihnen selbst gewählten Chat-Angebots (z. B. Knuddels, Jodel etc.) und bitten Sie darum, Daten von Nutzer*innen für Ihre wissenschaftliche Untersuchung verwenden zu dürfen. 1.3 Das Zitat als eine annehmbare Lösung Wenn wir uns im Rahmen einer wissenschaftlichen Publikation mit sprach‐ lichem Material inhaltlich auseinandersetzen, sind wir berechtigt, in unseren Veröffentlichungen darauf zu verweisen und es auch zu zitieren. Zulässig ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck des Zitats, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist. Zuläs‐ sig ist dies insbesondere, wenn 1. einzelne Werke nach der Veröffentli‐ chung in ein selbständiges wissenschaftliches Werk zur Erläuterung des Inhalts aufgenommen werden, 2. Stellen eines Werkes nach der Veröf‐ fentlichung in einem selbständigen Sprachwerk angeführt werden. (§ 51 UrhG) Als Zitate kommen Inhalte von Webangeboten in Frage, die verschiedene Bereiche abdecken. Eine reine Zitatsammlung (ein Korpus, siehe Punkt 1.4.1) gilt allerdings nicht als Zitat. 1.3.1 So zitiert man sprachliche Beispiele Die Quellenangabe für Beispielbelege enthält den Namen des Angebots (Fo‐ rum, Chat, Soziales Netzwerk etc.), den Namen des*der Autor*in (alternativ ein Kürzel) und das Datum der Veröffentlichung. Optional ist die Uhrzeit der Veröffentlichung, deren Relevanz abhängig von der linguistischen Fragestel‐ lung ist. Der URL (Uniform Resource Locator) wird umgangssprachlich auch als: Internet- oder Webadresse bezeichnet. 1.3 Das Zitat als eine annehmbare Lösung 21 Auf Grund ihrer Länge können URLs sperrig wirken und den Lesefluss be‐ einträchtigen. Es ist deshalb ratsam, nur den Namen des Angebots in das Kurzzitat aufzunehmen (1-1) und der wissenschaftlichen Arbeit ein Ver‐ zeichnis beizufügen, das die vollständigen URLs enthält, etwa nach dem Li‐ teraturverzeichnis (siehe dazu 1.5.2). Auf diese Vorgehensweise ist zu Beginn einer Arbeit (z. B. in der Einleitung) hinzuweisen. Formulierungsvorschlag: In der vorliegenden Arbeit werden Inter‐ netquellen für sprachliche Belege in Kurzform angegeben, um den Le‐ sefluss nicht zu beeinträchtigen. Die vollständigen URLs wurden auf einer Liste zusammengefasst, die sich im Anhang befindet. Je nach Fragestellung kann es notwendig sein, sowohl sprachliche Belege aus gedruckten Quellen als auch aus digitalen Quellen anzugeben. Insbesondere wenn in diesem Zusammenhang Print- und Rundfunkmedien, die auch di‐ gital erscheinen und in Social-Media-Kanälen präsent sind, als Quellen her‐ angezogen werden, sind die Kurzverweise auf digitale Quellen konsequent durch die Angabe der Top-Level-Domain, wie .de in (1-2) zu kennzeichnen. Natürlich sind auch die Namen der digitalen Ausgaben von Printmedien sprechend, z. B. Spiegel online oder Zeit online (siehe 1-3). Leser*innen kön‐ nen so ohne aufwendiges Suchen im Anhang bereits im Fließtext erschließen, ob der entsprechende Beleg gedruckten oder digitalen Quellen entnommen worden ist. Die Angabe der Uhrzeit der Veröffentlichung ist ein weiterer Hinweis dafür, dass es sich um eine digitale Quelle handelt (siehe dazu auch den Abschnitt zu Datum und Uhrzeit). (1-1) jetzt mal doof gefragt aber wären nicht karottenchips auch ne idee? dann schmeiß ich ein paar karotten in den ofen, lass die schön trocken werden und verpack sie, oder mein ihr die werden weich nach ein paar tagen? karotten wegen ostern ; ) (chefkoch, sabsieh, 2016-03-22, 10: 40) (1-2) „Die Antarktis ist die letzte Wildnis der Erde“, sagt Swan beim Kongress für Res‐ sourceneffizienz nahe Stuttgart. „Sie ist der einzige Ort der Welt, der uns allen gehört und sie ist die gefährlichste und stärkste leise Kraft.“ 90 Prozent des Eises der ganzen Erde befänden sich am Südpol, sagt er. „Und wenn wir das schmelzen lassen, müssen wir schwimmen.“ Oder Mauern um Hamburg und London bauen, damit es dort trocken bleibe. (sueddeutsche.de, sm, 2019-10-28, 18: 52) 1 Methoden der Internetlinguistik 22 Klarnamen (1-3) Wenn Fachleute über den Zusammenhang von Wetter und Klima sprechen, sagen sie pflichtgemäß: Wir sind uns zunehmend sicher, dass die Wahrscheinlichkeit extremer Ereignisse mit höherer mittlerer Erdtemperatur steigt. Wirksamer wäre, sie sagten: Am Waldbrand vor Berlin, an dem Brandgeruch, der in den Morgen‐ stunden des 24. August 2018 Tausende Berliner bei der Polizei anrufen ließ, war einzig und allein das viele Kohlendioxid schuld, das jeder und jede von uns ver‐ ursacht. (zeit online, th, 2018-11-4, 20: 59) E-Mails und Beiträge aus Sozialen-Netzwerk- oder Blog-Seiten werden nach demselben Muster zitiert, lediglich der Name des Angebots muss dann durch „E-Mail“, „Twitter“ (oder kurz: Tw), „Facebook“ (oder kurz: Fb), „Instagram“ (oder kurz: Ig), WhatsApp (oder kurz: WA), „Snapchat“ (oder kurz: Sc), „YouTube“ (oder kurz: YT), „Jodel“ (oder kurz: J), „Wikipedia (oder kurz: W) o. ä. ersetzt werden. Entscheidet man sich dafür, Namen von Nutzer*innen zu anonymisieren (siehe dazu die Erläuterung im unmittelbar folgenden Ab‐ satz), werden in der URL-Liste im Anhang einer wissenschaftlichen Arbeit nicht die vollständigen Internetadressen angegeben. Diese würden Rück‐ schlüsse auf die Urheberschaft (eine Privatperson) zulassen. Solche Angaben sollten aus Datenschutzgründen nicht aufgenommen, sondern durch den Hinweis „privates Profil“ ersetzt werden. Es kann durchaus vorkommen, dass sich der*die Urheber*in eines Beitrags, den Sie als sprachlichen Beleg in Ihre Arbeit einbinden wollen, nicht eruieren lässt. In solchen Fällen kann ein [anon] für anonym eingesetzt werden. Es ist aber auch möglich, im Methodenteil der Arbeit eine alternative Vorgehens‐ weise zu beschreiben, etwa, dass Belege, für die sich kein*e Urheber*in er‐ mitteln ließ, durch ein spezifisches Kürzel gekennzeichnet sind (vgl. dazu auch den Abschnitt zu Nicknames). Geben Nutzer*innen auf Plattformen, die für die (Netz-)Öffentlichkeit be‐ stimmt sind (z. B. Blogs/ Mikroblogs, YouTube, also Bereiche, die ohne Zu‐ lassungsbeschränkungen eingesehen werden können), Klarnamen oder zu‐ mindest Namen an, die bürgerliche Namen sein könnten, sollten diese (oder bei Twitter zumindest das Handle) zitiert werden, auch, um das Autorenrecht nicht zu verletzen. Das gilt auch für Firmennamen (siehe 1-4 und 1-5). Auf die in 1-4 und 1-5 bereits mitnotierten Social-Media-Reaktionen gehen wir im weiteren Verlauf dieses Kapitels noch ein. (1-4) Ich bin gerade mit einem in einer Diktatur lebenden Danke-Merkel-Taxifahrer ohne Meinungsfreiheit und ganz viel „Heilige Greta“-Faktenwissen zum Bahnhof gefahren. Darf man in Ausnahmefällen um 10: 00 Uhr morgens bereits Schnaps trinken? (Tw, Nina Straßner @DieJuramama, 2019-08-17, 10: 04, L: 524, T: 13, K: 35) 1.3 Das Zitat als eine annehmbare Lösung 23 (1-5) Für uns ein besonderes (Vor-)Weihnachtsgeschenk: Der erfolgreiche Abschluss des traditionsreichen Verfasserlexikon 16. Jahrhundert, das nun als Verfasserlexi‐ kon 17. Jahrhundert weitergeführt wird. https: / / bit.ly/ 2QJ476G#früheneuzeit (Tw, DeGruyterLiteratur @degruyter_lit, 2018-12-20, 14: 51, L: 9, T: 1, K: 0) Auch auf Facebook oder Instagram geben Nutzer*innen durchaus ihren bür‐ gerlichen Namen an. Sind die Daten, die Sie zitieren wollen, öffentlich, dürfen diese Klarnamen zitiert werden. Eine Orientierung bieten die Anonymisie‐ rungsregeln des Journal of Computer-Mediated-Communication ( JCMC), die sich 2003 auf die Frage zur Anonymisierung von persönlichen Homepages beziehen. Persönliche Homepages von prominenten Persönlichkeiten [dürfen] namentlich und mit Webadresse zitiert werden, „with respect to pro‐ tecting the identity of individuals who are not notorious“ [müssen] inhaltliche Verweise auf sonstige persönliche Homepages anonymi‐ siert werden. (Döring 2003: 241) Das betrifft also Personen des öffentlichen Lebens (Politiker*innen, Schau‐ spieler*innen, Musiker*innen, weitere bekannte Persönlichkeiten) oder Fir‐ men, die das Soziale Netzwerk zu Werbezwecken nutzen, siehe Beispiel (1-6). (1-6) Nach einem grandiosen Auftakt gestern im ausverkauften Admiralspalast spiele ich heute „König Ödipus“ sowie morgen und übermorgen „Antigone“. Für die beiden kommenden Termine gibt es noch Karten! (Fb, Bodo Wartke, 2019-10-3, 20: 55, L: 145, K: 12) Was im Hinblick auf Soziale-Netzwerk-Seiten als öffentlich gilt, wird derzeit diskutiert. So wird z. B. die Ansicht vertreten, dass in das Profil integrierte Teilen-Schaltflächen (auch Repin auf Pinterest, Retweet auf Twitter oder Teilen auf YouTube etc.) sogenannte „vorgefertigte Einwilligungserklärun‐ gen“ darstellen, vgl. die Erläuterungen von RA Schwenk auf (https: / / drschw enke.de/ pinterest-und-die-rechtlichen-grenzen-beim-teilen-und-verlinken). Mit Blick auf Facebook ist jedoch zu sagen, dass solche Schaltflächen Be‐ standteil eines jeden Profils sind, dass es dadurch jedoch nicht automatisch als öffentlich betrachtet werden kann. Ein Indiz ist eher die Abonnie‐ ren-Schaltfläche, die auch Privatpersonen in ihr Profil integrieren und somit ihre Beiträge für eine potenzielle Öffentlichkeit freigeben. Sie dürfen eben‐ falls - auch mit Rücksichtnahme auf etwaige Autorenrechte - kenntlich ge‐ 1 Methoden der Internetlinguistik 24 Bildschirmfotos macht werden (siehe Beispiel 1-7), Kosten und Nutzen sind jedoch abzuwä‐ gen (siehe auch den folgenden Abschnitt zu Nicknames). (1-7) Ja, ja … es hätte so schön sein können, aber ich musste heute morgen als ich aufgewacht bin feststellen, dass mein Leben "Gott sei Dank" weitergeht. (Fb, Yvonne Balke, 2013-06-29) Wenn Sie sich nicht sicher sind, ob es sich um eine öffentlich zugängliche Seite handelt oder gar als Freund*in (z. B. bei Facebook) gelistet sind und deshalb Zugriff auf die sprachlichen Daten haben, empfehlen wir, den*die Profilurheber*in unkenntlich zu machen und Namen durch Kürzel zu erset‐ zen (siehe auch den folgenden Abschnitt zu Nicknames). Gleichfalls ist das Profilbild unkenntlich zu machen oder gar nicht zu „zi‐ tieren“ (vgl. § 22 KunstUrhG), es sei denn, es ist Gegenstand einer theoreti‐ schen Betrachtung. Anderenfalls gilt das Kopieren als unerlaubtes Verviel‐ fältigen. Es kann jedoch nur in den Fällen, in denen dem*der Verfasser*in einer Arbeit eine Person bekannt ist, mit Sicherheit bestimmt werden, ob diese Person, identisch mit der Person ist, die auf dem Foto abgebildet ist und die das Foto hochgeladen hat, oder ob alle Personen, die auf einem Foto zu sehen sind, der Veröffentlichung bei Facebook (und anderen Sozialen Netzwerken) zugestimmt haben. In engem Zusammenhang damit steht auch die Frage, wie mit Bildschirm‐ fotos (screenshots) zu verfahren ist, die zur Veranschaulichung in eine schriftliche Arbeit integriert werden sollen. Prüfen Sie bei Bildschirmfotos von privaten Sozialen-Netzwerk-Seiten, ob Ihre Fragestellung ein Bild‐ schirmfoto wirklich notwendig macht. Genügt es beispielsweise nicht auch, die sprachlichen Belege abzutippen und als Beispiel in die Arbeit einzufügen? Falls nicht, sind Profilfotos und Klarnamen nicht in das Bildschirmfoto auf‐ zunehmen, denn die Anonymisierung durch schwarze Balken (o. ä.) stellt bereits einen unerlaubten Eingriff in das Bild dar. Geben Sie in jedem Fall eine Quelle nach dem Muster eines Kurzverweises an und nehmen Sie die vollständige Quelle in Ihr Beispielverzeichnis auf. Bei Kommentaren auf You‐ Tube gehört der Link zum Video, auf das sich der Kommentar bezieht, ins Beispielverzeichnis. Bildschirmfotos, die allein sprachliche Beispiele belegen, sind keine Abbildungen im ursprünglichen Sinn und bedürfen deshalb auch keiner für Abbildungen üblichen Beschriftung in der Form „Abb. XX: …“. Alle anderen Bildschirmfotos (um z. B. Text-Bild-Relationen o. ä. aufzuzeigen) sind wie Abbildungen zu behandeln und im Abbildungsverzeichnis mit voll‐ ständigen Quellen aufzuführen. Das heißt, dass bei öffentlich zugänglichen Seiten die gesamte URL anzugeben ist, bei beschränkt zugänglichen Seiten ein Kurzverweis, wie z. B. „privates Profil“. 1.3 Das Zitat als eine annehmbare Lösung 25 Nicknames IP in IP-Lizenz steht für „Intellectual Property“ und ist nicht mit IP in der im Sprachgebrauch üblichen IP-Adresse (= Internet Protocol) zu ver‐ wechseln. Sie mögen nun einwenden, dass das Zitieren von Facebook-Daten un‐ problematischer nicht sein kann, erteilen doch alle Nutzer*innen mit der Registrierung bei Facebook „eine nicht-exklusive, übertragbare, unterlizenzierbare, gebührenfreie, weltweite Lizenz zur Nutzung jeg‐ licher IP-Inhalte, die […] auf oder im Zusammenhang mit Facebook [gepostet werden] (‚IP-Lizenz‘)“ (vgl. Facebook 2017: Nutzungsbedin‐ gungen). Das heißt, dass Daten zwar nicht verändert werden dürfen, ansonsten aber der Nutzung (auch durch Dritte) zugestimmt wird. Das gilt auch für Instgram und für WhatsApp, wobei nicht klar ist, ob der letztgenannte Dienst nur Profilbilder oder alle gesendeten Fotos nutzt. Abgesehen davon, dass vielen Nutzer*innen diese Tatsache gar nicht bewusst ist, sollte das Vorgehen von Facebook (und der dazugehörigen Dienste Instagram und WhatsApp) auch aus wissenschaftsethischen Gründen nicht unterstützt und schon gar nicht kopiert werden. Wie ist beim Zitieren mit sogenannten Nicknames zu verfahren? Nicknames sind Pseudonyme, die von Nutzer*innen verwendet werden, um eine gewisse Anonymität zu wahren, wenn sie im WWW aktiv werden. Sie waren insbe‐ sondere in Zeiten großer Chat-Aktivität von Bedeutung, erleben aber im Kontext von Instagram zum Beispiel eine Renaissance und kommen auch in Foren weiterhin zum Einsatz. Nicknames dienen auch der Generierung einer digitalen (zweiten? ) Identität. Das bedeutet, dass Nutzer*innen durchaus in‐ tentional konsequent unter ein- und demselben Nickname online agieren. Seitdem sich das Web 2.0 etabliert hat, ist es oftmals mit nur geringem Auf‐ wand (und entsprechendem Interesse) möglich, Nicknames bürgerliche Na‐ men zuzuordnen. Unter einem Nickname getätigte Äußerungen können so‐ mit unter Umständen sehr schnell auf eine Person im wirklichen Leben zurückfallen und gerade bei kompromittierenden Beiträgen reale Konse‐ quenzen (gefährdete Reputation, strafrechtliche Folgen etc.) nach sich zie‐ hen. Damit werden datenschutzrechtliche Überlegungen zumindest moti‐ viert. Wenn wir als Sprachwissenschaftler*innen also vor der Frage stehen, inwieweit ein Beitrag inklusive Nickname zitiert werden kann, sollten wir Kosten und Nutzen sorgfältig abwägen. 1 Methoden der Internetlinguistik 26 Aufgabe 1-2 Überlegen Sie, welche Informationen über Nicknames transportiert werden können und inwieweit diese für sprachwissenschaftliche Fra‐ gestellungen relevant sein könnten. Unter Kosten fallen hier die eventuellen Nachteile, die für den*die Urheber*in eines Internetbeitrags entstehen können, wenn ihr Nickname genannt und allzu leicht dem bürgerlichen Namen zugeordnet werden kann. Unter Nutzen fassen wir den erwarteten wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Es ist bei‐ spielsweise unumgänglich, Nicknames zu zitieren, wenn sie selbst Gegen‐ stand einer Untersuchung sind, beispielsweise im Hinblick auf ihre Semantik, Informationsdichte, Perspektivierung und in Relation zu den Inhalten der veröffentlichten Beiträge in einer entsprechenden kommunikativen Umge‐ bung (vgl. dazu z. B. das Nicknames-Projekt von Schlobinski/ Siever (2018) und Kolleg*innen). So könnte untersucht werden, inwieweit der Fokus auf spezifische Cha‐ rakteristika eines Nutzers/ einer Nutzer*in gelenkt wird, wenn er*sie Nick‐ names wie longlegs oder blueeyes verwendet und in welcher Online-Umge‐ bung das als angemessen akzeptiert wird. Gibt es zum Beispiel einen Unterschied, ob ein solcher Nickname in einem Flirtchat oder in einem po‐ litischen Kommentarbereich benutzt wird und welche Auswirkungen auf die Wahrnehmung und Akzeptanz des Beitragsinhalts könnte die Verwendung in der einen oder anderen Umgebung haben? Eine andere Fragestellung könnte z. B. Diskriminierungsstrategien in Kommentarbereichen themati‐ sieren. Informationen, die zusätzlich zu den sprachlichen Äußerungen über den Nickname kodiert werden, könnten für die Analyse relevant sein. Wählt ein*e Nutzer*in etwa einen Nickname wie H.e.s.s. oder rotesocke veranlasst das zu Mutmaßungen hinsichtlich seiner*ihrer politischen Gesinnung und sollte bei der Analyse der Beiträge berücksichtigt werden. Zusammengefasst sollten die folgenden Überlegungen in den Entschei‐ dungsfindungsprozess (Nickname zitieren oder anonymisieren) einbezogen werden: ▸ Ist die Nennung der Nicknames relevant für die Forschungsfrage? ▸▸ In welcher (möglicherweise für die Person, die im Web unter dem Na‐ ▸ men agiert, kompromittierenden) Umgebung taucht der Nickname auf ? ▸ Wie leicht ist es, im spezifischen Fall anhand des Nicknames Rück‐ ▸ schlüsse auf den Klarnamen einer Person zu ziehen? 1.3 Das Zitat als eine annehmbare Lösung 27 Datum und Uhrzeit Social-Media- Reaktionen Diese Fragen sollten Sie sich natürlich sowieso stellen, bevor Sie Klarnamen in Ihre Arbeit integrieren. Sollten Sie sich im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit dafür ent‐ scheiden, Klarnamen oder Nicknames zu anonymisieren, sollte dies im ge‐ samten Dokument konsequent geschehen. Für eine bessere Übersichtlichkeit können Klarnamen und Nicknames in der Datensammlung mit Zahlen oder Buchstabenkombinationen indiziert werden. Dabei ist darauf zu achten, dass ein- und der*dieselbe Urheber*in auch ein- und dasselbe Kürzel erhält. Be‐ sonders von Belang ist diese Vorgehensweise bei Fragestellungen, die bei‐ spielsweise dialogische Prozesse thematisieren. Eine Liste, auf der Nickname und Kürzel einander zugeordnet dargestellt sind, muss dem*der Verfasser*in einer wissenschaftlichen Arbeit selbstverständlich vorliegen. Bei der An‐ onymisierung von Klarnamen ist ebenso zu verfahren. Wichtig könnten auch die genauen zeitlichen Angaben sein, um die Dis‐ kursdynamik zu bestimmen. Wird beispielsweise sofort geantwortet oder erst am nächsten Tag? Wie reagieren andere auf den Beitrag und wie ant‐ wortet der*diejenige, der*die die Diskussion begonnen hat? Datum des ein‐ gestellten Beitrags und Uhrzeit (sofern nachvollziehbar und abhängig von der spezifischen linguistischen Fragestellung) sollten also in das Kurzzitat (und auch die vollständige Quellenangabe im der Arbeit beigefügten Ver‐ zeichnis) übernommen werden. Die Reihenfolge der Angaben kann selbst‐ ständig festgelegt werden, sollte aber in der gesamten Arbeit einheitlich blei‐ ben. Wir erachten eine Reihenfolge wie: Name des Portals/ der Plattform/ des Internetangebots, Nutzernamen oder Index für den Nutzernamen oder Nick‐ name, Datum, Uhrzeit (wenn eruierbar) und ggf. Social-Media-Reaktionen als sinnvoll, siehe (1-8). (1-8) Luca: Jeder von euch war schon mal bei StarBucks. Ich, 15, habe noch nie einen StarBucks Laden gesehen (YT, Seranet, 2019-10-31, ca. 21: 00, L: 0, DL: 0) Demographische Informationen, wie Geburtsjahr oder Geschlecht, die Nick‐ names oftmals enthalten, können zwar in eine korpusergänzende Legende aufgenommen werden, sie sind jedoch keine verlässliche Grundlage für eine Daten-Auswertung im Hinblick auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen. Insbesondere beim Zitieren von sprachlichen Belegen von Sozialen-Netz‐ werk-Seiten stellt sich oftmals die Frage, inwiefern auch die Reaktionen auf einen Beitrag mit dokumentiert werden müssen. Wir erachten diese Angaben als zum jeweiligen Kommunikat zugehörig und empfehlen, diese in den Kurzverweis aufzunehmen. Gerade bei der seit 2016 erweiterten Face‐ book-Gefällt-mir-Funktion kann der Kurzverweis dabei rasch unübersicht‐ lich werden. Abkürzungen für die jeweiligen Funktionen sind daher ratsam. 1 Methoden der Internetlinguistik 28 Für Kommentare, die sowohl bei Twitter, Facebook, Instagram oder YouTube jeweils Reaktionen auf einen Initialbeitrag (Tweet, Statusmeldung etc.) dar‐ stellen, schlagen wir als Abkürzung das „K“ vor. Für die Teilen-Funktion (Retweet, Teilen) schlagen wir ein „T“ vor. Eine Positiv-Evaluation (Favori‐ sierung, gefällt mir, Herzsymbol oder auch Daumen hoch) kann mit einem „L“ gekennzeichnet sein, die seit 2016 erweiterte Facebook-gefällt-mir-Op‐ tion kann entsprechend mit einem „Lo“ für „Love“ oder „Liebe“, einem „Ü“ für „Überraschung“, einem „W“ für „Wut“, einem „Tr“ für „Trauer“ oder „Traurigkeit“ ergänzt werden, siehe (1-9). Bei YouTube gibt es auch eine Dis‐ like-Funktion, die mit „DL“ abgekürzt werden kann, siehe Beispiel (1-8). (1-9) Wir sind im RADIO! Ein kleiner Beitrag auf BR24. Morgen um 6: 20 auf B5 oder jetzt schon hier www.br.de/ …/ trauerbewaeltigung-im-internet-wenn-sch… (Fb, 22monate, 2019-10-31, L: 46 (davon Tr: 1, Lo: 18) T: 1, K: 0) Die Social-Media-Reaktionen sind natürlich eine sehr dynamische Größe. Im Beispielverzeichnis sollten deshalb auch Datum und Uhrzeit der Dokumen‐ tation notiert werden. In diesem Fall sind solche Angaben sehr hilfreich. In anderen Fällen haben diese Angaben wenig Aussagekraft, wir kommen dar‐ auf in Kap. 1.5 zurück. 1.3.2 So zitiert man wissenschaftliche Publikationen Für das Zitieren von wissenschaftlichen Publikationen, die im WWW ver‐ öffentlicht sind, gilt die etablierte Kurzform „Zitatbeginn … Zitatende“ (Au‐ tor*innen Publikationsjahr: Seitenzahl/ en). Bei PDF-Dokumenten ist das sehr gut zu bewerkstelligen. HTML-Dokumente hingegen enthalten keine Sei‐ tenzahlen. Stattdessen definieren manche Seitenbetreiber sogenannte Sprungmarker (auch Anker, Links). Diese können auch den Rezipient*innen Ihrer Arbeit als Orientierung dienen und sollten anstelle der Seitenzahlen in die Kurzform eingefügt werden, Beispiel (1-10). (1-10) „Kookkurrenzen oder auch Kollokationen sind Gruppen von Wörtern, die häufiger zusammen auftreten, als dass es rein zufällig sein könnte.“ (Bubenhofer 2011: Kookkurrenzen) Sind keine Anker vorhanden, wird in der Kurzform im Fließtext auf eine spezifizierende Angabe verzichtet, Beispiel (1-11). 1.3 Das Zitat als eine annehmbare Lösung 29 (1-11) „Das tut Schrift ja immer: persönliche (face-to-face) Kommunikation einfrieren und unabhängig von Raum und Zeit ermöglichen. Schrift, zumal Handschrift, ist aber immer auch Bild.“ (Schmitz 2003) In der Bibliographie sähe der Eintrag dann so aus: Schmitz, U. (2003): Sommer liegt in der Luft. Text-Bild-Lektüre im Deutschunterricht. linse. http: / / www.linse.uni-due.de/ publikationenlis te/ articles/ sommer-liegt-in-der-luft-text-bild-lektuere-im-deutschunt erricht.html Allerdings ist dieser Artikel 2004 unter dem Titel „Bildung für Bilder. Text-Bild-Lektüre im Deutschunterricht“ in dem von J. Hartmut und P. Jos‐ ting herausgegebenen Sammelband „Ästhetik -Medien - Deutschunterricht. Jutta Wermke zum 60. Geburtstag gewidmet“ im Münchener kopead-Verlag erschienen. Deshalb kann in diesem Fall der zitierte Textausschnitt entspre‐ chend präziser der Druckfassung entnommen und gemäß den üblichen Re‐ geln zitiert werden: Schmitz, U. (2004): Bildung für Bilder. Text-Bild-Lektüre im Deutschunterricht. In: Hartmut, J./ Josting, P. (Hrsg.) (2004): Ästhetik - Medien - Deutschunterricht. Jutta Wermke zum 60. Geburtstag gewidmet. München: kopaed, 219-232. Generell gilt: Lässt sich der*die Autor*in einer Online-Publikation (oder auch der Betreiber einer Internetseite) nicht ermitteln, ist diese Publikation als wissenschaftliche Quelle nicht zitierfähig. Fehlende Jahresangaben oder Sei‐ tenzahlen sollten durch Vermerke wie o. J. (ohne Jahr) oder o. A. (ohne An‐ gabe) - auch in der Bibliographie - vermerkt werden. Publikationen jedoch, für die sich diese Angaben nicht ermitteln lassen, sind genauestens auf ihre Ziterfähigkeit aber auch auf ihre Relevanz zu prüfen. 1.4 Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung Angesichts der Fülle an Daten, die sekündlich im WWW generiert werden, mag es paradox erscheinen, dass die Datenerhebung eine wirkliche Heraus‐ forderung darstellt. Diese besteht darin, die benötigten und für die aktuelle Forschungsfrage relevanten Daten zu finden, sie müssen dabei reliabel und reproduzierbar sein und einen systematischen Bezug zur Sprachwirklichkeit haben (vgl. Bickel 2006). Im folgenden Abschnitt werden verschiedene Wege der Datenerhebung, wie Korpusgenerierung, Einsatz von Fragebögen, Flyern oder Keyloggern, auf ihre Anwendbarkeit für die Internetlinguistik geprüft. 1 Methoden der Internetlinguistik 30 1.4.1 WWW = Korpus? Korpora, die natürlichsprachliche Daten enthalten, ermöglichen eine Beob‐ achtung authentischen Sprachverhaltens. Hierbei kann es sich um Sprach‐ material handeln, das mündlich entsteht und verschriftlicht wird (private oder öffentliche Gespräche) oder das bereits schriftlich fixiert vorliegt (Zei‐ tungsartikel, Webtexte). Ein Korpus zu erstellen, ist eine sehr aufwändige Arbeit, die das zeitliche und finanzielle Budget innerhalb von Forschungsprojekten durchaus über‐ steigen kann. Führt man sich die Anforderungen, die ein Korpus erfüllen muss, vor Augen, könnte man zu dem Schluss gelangen, dass sich die Erstel‐ lung eines umfangreichen Daten-Korpus gar nicht in den Rahmen einer Hausarbeit einpassen ließe. Korpora sind umfangreiche Sammlungen gesprochener und geschrie‐ bener Texte, die ▸ mit Blick auf spezifische Erkenntnisinteressen oder Anwen‐ ▸ dungsszenarien zusammengestellt wurden, um möglichst alle cha‐ rakteristischen Eigenschaften des betreffenden Sprachausschnit‐ tes abzubilden; ▸ in einer Größenordnung von meist mehreren Millionen Textwör‐ ▸ tern vorliegen; ▸ normalerweise elektronisch verfügbar und maschinenlesbar sind; ▸▸ in der Regel nur sinnvoll unter Einsatz von Computern, typischer‐ ▸ weise mittels statistischer Verfahren, untersucht und analysiert werden können. (Paprotté 2002: 366) Auch Texte, die online erschienen sind, sind inzwischen in Korpora erfasst worden. Das Didi-Korpus beispielsweise (DiDi = „Digital Natives - Digital Immigrants. Schreiben auf Social Network Sites“) basiert auf Datenspenden von 136 Nutzer*innen. Es umfasst etwa 650.000 Tokens und setzt sich aus 11.102 Facebook-Status-Meldungen, 6.507 Pinnwand-Kommentaren und 22.218 Chat-Nachrichten zusammen. Diese sind für Nutzer*innen frei zu‐ gänglich, die eine Vertraulichkeitsvereinbarung unterzeichnen. Das Korpus deWac ist Teil eines Projektes, das unter dem Namen WaCky von Linguist*innen und Fachinformatiker*innen initiiert wurde. Es wurde über Suchanfragen aus Webseiten der de-Domäne zusammengestellt und enthält 1,7 Milliarden Wörter, die nach Wortarten erfasst und gekennzeichnet (POS-tagged) sowie lemmatisiert (verstichwortet) wurden. Das Korpus kann nach einer Anmeldung per E-Mail auf den eigenen Rechner geladen werden. 1.4 Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung 31 Auch für andere Sprachen sind nach diesem Muster Korpora generiert wor‐ den. Das Dortmunder Chatkorpus beinhaltet Chats aus den Handlungsberei‐ chen Freizeit, Beratung, Medien und Lehr-/ Lernkontexten und ist sowohl für linguistische als auch für sprachdidaktische Zwecke geeignet (siehe Beiß‐ wenger 2013). Es umfasst 478 Chat-Mitschnitte (140.240 Nutzerbeiträge, 1,06 Millionen Token), die in den Jahren 2002-2008 zusammengestellt und nach Äußerungsbeiträgen, Zuschreibungsbeiträgen und Systemmeldungen anno‐ tiert wurden. Die Suche nach Emoticons, Ausdrücken in Asterisken oder @-Adressierungen ist mit Hilfe eines Java-basierten Suchwerkzeuges mög‐ lich. Ein Releasekorpus mit 385 Dokumenten (59.876 Chat-Beiträgen bzw. 551.762 lfd. Wortformen) ist frei verfügbar. Die Beiträge sind ebenfalls grob nach inhaltlichen (und technologischen) Kriterien annotiert: Äußerungsbei‐ träge werden von Zuschreibungsbeiträgen und Systemmeldungen unter‐ schieden. Bei Äußerungsbeiträgen handelt es sich um Eingaben in das Text‐ eingabefeld, wie z. B.: Hallo ruebennase, wieso langweilst du dich? . In Zuschreibungsbeiträgen referieren Chatter*innen zumeist in der 3. Person auf sich selbst oder das Chat-Geschehen, indem sie die Eingabe durch ein Codesegment so modifizieren, dass ein Platzhalter für die Namen der Teil‐ nehmer*innen entsteht, der dann durch das System eingesetzt wird, wie z. B. ruebennase langweilt sich immer noch … Systemmeldungen machen techni‐ sche Funktionen, wie einloggen, ausloggen etc., sichtbar, sie werden vom Server erzeugt, wie z. B. rübennase betritt den Raum. (vgl. zum gesamten Ab‐ schnitt Beißwenger 2013a). Daten aus der Alltagskommunikation mittels elektronischer Kurznach‐ richten liegen in der MoCoDa (Mobile Communication Database) vor. Die derzeit 2.206 Dialoge (19.224 Nachrichten, 1.063.531 Zeichen) sind im ver‐ trauten mehrfarbigen für mobile Messengerdienste typischen Layout abge‐ bildet. Metadaten wie Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, Standort, Tarif, Ein‐ gabemodus, Beziehung der Schreiber*innen zueinander, ergänzende Informationen zum Dialog, Eingabeart/ -medium und der Modus, wie die Da‐ ten eingestellt worden sind, werden zum jeweils aufgerufenen Dialog ange‐ zeigt. Besonders benutzerfreundlich ist, dass die Dialoge inhaltlich verstich‐ wortet sind, so dass eine Suche durchgeführt werden kann. Das Korpus kann für die Forschung und Lehre genutzt werden. Es ist lediglich ein Passwort notwendig, dass via E-Mail bei Wolfgang Imo (Universität Hamburg) erfragt werden kann. Gerade im Entstehen befindet sich die MoCoDa2. Diese Datenbank ist - wie der Name schon nahelegt - eine Erweiterung der MoCoDa. Ende 2019 verfügte die Datenbank über 367 Chats, 31.811 Nachrichten, 247.587 Tokens und damit 1.021.704 Zeichen. Zu Erweiterung der Datenbasis werden fort‐ 1 Methoden der Internetlinguistik 32 laufend Datenspenden gesammelt. Ein Video zur Anleitung ist unter der fol‐ genden Adresse verfügbar: https: / / db.mocoda2.de/ #/ c/ home. Vorstellen möchten wir auch das Projekt What’s up Switzerland. Im Rah‐ men dieses Projekts wurde 2014 eine große WhatsApp-Datenbasis erstellt (ca. 617 Chats, ca. 750.000 Nachrichten, ca. 5,5Mio. Tokens und 350.000 Emo‐ jis). Es gibt auch ein Satellitenprojekt What’s up Deutschland. Aus dem Pro‐ jekt gingen nicht nur zahlreiche Publikationen hervor. Die Forscher*innen sind derzeit zudem dabei, die Datenbasis für die sprachwissenschaftliche Forschung aufzubereiten, die voraussichtlich ab März 2020 verfügbar sein wird. Eine Sammlung mit etwa 1.500 SMS von Schülern und Schülerinnen und Studierenden der Universitäten Osnabrück und Hannover kann als pdf-Datei von der Seite mediensprache.net heruntergeladen werden. Dialogische Se‐ quenzen finden sich hier nicht, aber Angaben zum Geschlecht und dem Alter der Autor*innen. Ein aus neun Teilkorpora bestehendes Wikipedia-Korpus ist über das Por‐ tal und Recherchesystem COSMASII des Leibniz-Instituts für Deutsche Spra‐ che Mannheim unter den Bedingungen der CC-BY-SA-Lizenz nutzbar. Es umfasst Artikelseiten aus den Jahren 2013, 2015 und 2017 im Umfang von 3.160.142.331 Textwörtern, Diskussionsseiten der Jahre 2013, 2015 und 2017 im Umfang von 733.809.373 Textwörtern und Nutzerdiskussionen aus den Jahren 2015 und 2017 im Umfang von 612.561.557 Textwörtern. Weblogs und Kommentare sind in das BBAW-Korpus zum Projekt „Digi‐ tales Wörterbuch der deutschen Sprache“ (DWDS) integriert (Barbaresi/ Würzner 2014). Mit Hilfe des Fußballlinguistik-Korpus von Simon Meier (TU Dresden) können 290 Taktikanalysen der Taktikblogs niemalsallein.de und halbfeldflanke.de untersucht werden. Darüber hinaus bietet das Korpus der‐ zeit ein umfangreiches mehrsprachiges vollannotiertes Repertoire an Live‐ ticker-Daten, Spielberichten und Taktikanalysen aus den Jahren 2006 bis 2017 (31,5 Mio. Tokens). Das Korpus kann nach einer unkomplizierten Registrie‐ rung kostenlos genutzt werden (Meier 2017). Unter https: / / www.youtube.com/ user/ CLARINGermany kann man sich über die CLARIN-D-Infrastruktur für die sprachbasierte Forschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften informieren. Empfohlen seien auch die CLARIN-D-YouTube-Tutorials. In kurzen Videos werden hier Schritt-für- Schritt-Anleitungen zur Nutzung von Korpora, digitalen Werkzeugen und Webservices gegeben. 1.4 Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung 33 2 Die Notation für Wortarten wird hier zum Zwecke der Veranschaulichung stark ver‐ einfacht. Mini-Glossar Korpuslinguistik annotieren: zusätzlich zu den sprachlichen Daten innerhalb einer Da‐ tenbank werden sprachwissenschaftlich relevante Daten gespeichert, z. B. Wortarten (‚tagging‘) oder die syntaktische Struktur bei komplexen Äußerungen (‚parsing‘). Das ist ein mühsamer manueller Vorgang, der deshalb häufig von automatischen Verfahren übernommen wird. Diese sind wiederum sehr fehleranfällig, so dass eine manuelle Nachbearbei‐ tung notwendig ist. lemmatisieren: die einem Lexem zugehörige unflektierte Grundform wird notiert, z. B. für das Lexem ging das Lemma gehen oder für Räume das Lemma Raum. Konkordanz: Liste von Kotexten für ein Schlüssel-Lexem Bruchpilot in: „Die Bilanz von Bruchpilot Wowereit“ (n-tv.de, 2013-03-19); „Streicht dem Bruchpiloten Wowereit die Pension“ (berli‐ ner-kurier.de, 2012-07-21); „Bruchpilot Wowereit tauft den A380“ (bz.de, 2012-05-22); „Die Nähe zur Partei wurde der Zeitung jedoch spätestens mit dem Grounding der Swissair und ihrer [sic! ] freisinnigen Bruchpi‐ loten zum Verhängnis“ (zeit.de, 2010-04-08) Kollokation: Ausdruck aus mehreren Wörtern mit (statistisch) starkem Zusammenhalt auf Nummer sicher gehen in: „Die Flughafenplaner wollen auf Nummer sicher gehen: Die endgültige Entscheidung für den Termin werde der Aufsichtsrat nun voraussichtlich erst im August fällen, erklärte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit als Chef des Kontrollgremi‐ ums.“ (spiegel.de, 2012-06-22) Part-of-speech-Tagging (POS-tagging): regelbasiertes Etikettieren von Token im Korpus mit entsprechenden Wortarten In/ PRÄP Berlin/ N sprach/ VFIN man/ PRONINDEF über/ PRÄP den/ ART Rücktritt/ N von/ PRÄP Klaus/ EIGENN Wowereit/ EIGENN 2 . Token: Kleinste Einheit in einem Korpus. Über die Anzahl der Tokens wird die Korpusgröße bestimmt. 1 Methoden der Internetlinguistik 34 Von 1 Anfang 2 an 3 war 4 der 5 massive 6 politische 7 Einfluss 8 von 9 Wowe‐ reit 10 und 11 Platzeck 12 das 13 Todesurteil 14 für 15 das 16 Bauprojekt 17 an 18 Berlins 19 Stadtrand 20 . Type: Identische Tokens in einem Korpus. Über die Anzahl der Types wird die Vokabelgröße bestimmt. Von 1 Anfang 2 an 3 war 4 der 5 massive 6 politische 7 Einfluss 8 von Wowe‐ reit 9 und 10 Platzeck 11 das 12 Todesurteil 13 für 14 das Bauprojekt 15 an Ber‐ lins 16 Stadtrand 17 . Ausgewählte Korpora im Überblick DiDi-Korpus: https: / / commul.eurac.edu/ annis/ didi deWac: http: / / wacky.sslmit.unibo.it/ doku.php? id=corpora Chat-Korpus: www.chatkorpus.tu-dortmund.de MoCoDa: https: / / mocoda.spracheinteraktion.de MoCoDa2: https: / / db.mocoda2.de/ #/ c/ home SMS: www.mediensprache.net/ archiv/ corpora/ sms_os_h.pdf Wikipedia: https: / / cosmas2.ids-mannheim.de/ cosmas2-web/ Blogs und Webkorpus: www.dwds.de/ d/ k-spezial#blogs Liveticker und Blogs: https: / / fussballlinguistik.linguistik.tu-berlin.de Aufgabe 1-3 Welche Schwierigkeiten können sich bei der Arbeit mit bereits beste‐ henden Korpora ergeben? Mit bestehenden, annotierten Korpora zu arbeiten, birgt durchaus Nachteile, insbesondere wenn man die Linguistik als Wissenschaft auffasst, die „regel‐ mäßige Beziehungen zwischen sprachlichen Formen und kommunikativen Funktionen beschreiben will“ (Consten 2014). So können bei der Annotation nicht nur formale Zuordnungsfehler entstehen. Wenn es den Personen, die annotieren, nicht gelingt, eine Äußerung ohne eigene Interpretation, in eine vorgegebene Maske einzupassen, kann das Datenmaterial gar verfälscht werden. Die Interpretation wiederum ist ein natürlicher mit dem Verstehen von Text verbundener Prozess (vgl. Consten 2014 und auch Kapitel 4.3.1). Unter anderem darin liegt die Ursache, dass sich selbst aufwändig generierten und annotierten Korpora keine Antworten auf spezifische Fragen, wie „die Funktion syntaktischer Satzmodi als Marker für Sprechakttypen, die infor‐ mationsstrukturierende Wirkung von Wortstellungsvariationen, die seman‐ 1.4 Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung 35 tisch-logisch kaum beschreibbare Bedeutung mancher Modalpartikeln [oder] der referenzsemantische Effekt von Definitheit“ (Consten 2014) ent‐ nehmen lassen. Auch intentionale Normabweichungen lassen sich z. B. nur schwer von Fehlern abgrenzen. Unmöglich ist es zudem, vom Nicht-Vor‐ kommen eines Phänomens im Korpus auf ein generelles Nicht-Vorkommen im Sprachgebrauch zu schließen (Schlobinski 2011: 133 f.). Unabhängig davon, ob man nun explorativ vorgehen oder einer Hypothese nachgehen möchte, ist es also durchaus ratsam, selbst Daten zu erheben und zu einem Korpus zusammenzustellen. Nicht zuletzt aus forschungsprakti‐ schen Erwägungen (Kosten- und Ressourcenersparnis) drängt sich die Frage auf, inwieweit nicht auch das gesamte WWW als Korpus genutzt und ent‐ sprechend ausgewertet werden kann. Exploratives Vorgehen dient dem Abstecken eines Forschungsfeldes und soll zu Hypothesen führen. Das World Wide Web verfügt über eine unüberschaubare Datenmenge, die frei verfügbar und leicht zugänglich ist. Zudem entfällt ein mühsames Tran‐ skribieren, weil sie bereits in schriftlicher Form vorliegen. Theoretisch kann das WWW also für alle möglichen sprachwissenschaftlichen Forschungsfra‐ gen genutzt werden. Die Texte sind jedoch zumeist in Dokumente eingebet‐ tet, die weitere Kodierungen aufweisen (Menüführungen, Werbung, sog. Bo‐ ilerplates usw.), vgl. Schulte im Walde/ Zinsmeister (2006). Boilerplates sind gleichbleibende (Text-)Elemente. Zudem sind oftmals keine Meta-Informationen verfügbar. Wer ist beispiels‐ weise der*die Autor*in eines Textes? Wie sind seine*ihre Sprachkompeten‐ zen einzuschätzen? Zu berücksichtigen ist auch, welche Sprache im Web vorherrschend ist und ob das Web überhaupt repräsentativ ist für den Sprachgebrauch, den man untersuchen möchte. Damit einher geht die Frage nach den Textsorten, die im Web vorkommen (siehe auch Kapitel 5.4, vgl. auch Bubenhofer 2011). Auch die rechtlichen Grundlagen erschweren die Anwendung des WWW als Korpus. Aufgabe 1-4 Geben Sie in drei Suchmaschinen Ihrer Wahl das Stichwort Persuasion ein. Welche Ergebnisse erhalten Sie? 1 Methoden der Internetlinguistik 36 Problematisch ist zudem, dass die Suchmaschinen nicht die Funktionalitäten aufweisen, die für sprachwissenschaftliche Zwecke vonnöten sind. Die De‐ fizite im Hinblick auf die Abfragesprache, die Annotationen, die Repräsen‐ tativität der erfassten Webseiten und Intransparenz beim Indizieren und Ranking werden bei Bubenhofer (2011) erläutert und werden hier zusam‐ mengefasst wiedergegeben: ▸ „beschränkte Abfragesprache: Es ist […] nicht möglich, mit Auslas‐ ▸ sungszeichen zu arbeiten, also „reguläre Ausdrücke“ zu verwenden. Normalerweise beherrscht eine Abfragesprache (z. B. in Datenbanken) spezielle Zeichen wie *, + oder ? , um einen oder mehrere Buchstaben offen zu lassen. Möchte man z. B. alle Flexionsformen und Komposita des Wortes ‚Hund‘ finden, kann man nicht einfach ‚Hund*‘ eingeben und findet dann auch ‚Hundegebell‘ oder ‚Hunde‘.“ ▸ Fehlende Annotationen: „die indizierten Webseiten [sind] nicht lingu‐ ▸ istisch annotiert. Man kann also nicht einfach so nach Präpositional‐ phrasen oder nach Adjektiv-Nomen-Konstruktionen suchen. ▸ Repräsentativität der erfassten Webseiten: „[…] eine Suchmaschine ▸ [kann] mit ihrem Webcrawler nicht alle verfügbaren Webseiten erfas‐ sen. Es bleibt ein sog. ‚deep web‘ […], das aus Webseiten besteht, die von Suchmaschinen aus technischen Gründen nicht gefunden werden können. Dazu gehören z. B. viele Datenbanken […] geschützte oder schlicht nicht verlinkte Seiten. Das […] ‚deep web‘ soll 500 Mal grösser sein [als das für Suchmaschinen sichtbare Web]. Zudem ist es möglich, dass ein Suchmaschinenbetreiber gewisse Seiten absichtlich sperrt, oder dass er aus politischen Gründen dazu gezwungen wird. [Die] Menge der indizierten Seiten [verändert sich] ständig. Möchte man z. B. Trefferzahlen vergleichen, muss das möglichst zum gleichen Zeit‐ punkt geschehen, da sich ansonsten die Grundgesamtheit der indi‐ zierten Dokumente bereits wieder verändert hat.“ ▸ Intransparenz im Hinblick auf das Indizieren und Ranking: „Suchma‐ ▸ schinen [legen nicht offen], nach welchen Kriterien die Webseiten ge‐ nau indiziert werden und wie das Ranking funktioniert.“ (Bubenhofer 2011: Probleme) Aufgabe 1-5 Für welche Art von sprachwissenschaftlichen Forschungsfragen eignet sich die Recherche im WWW? Formulieren Sie drei Hypothesen. Linguistische Forschungsbereiche, in denen die Suche im WWW gewinn‐ bringend eingesetzt werden kann, sind z. B. die Lexikographie, Semantik, 1.4 Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung 37 Syntax, Maschinelle Übersetzung (vgl. Volk 2002, gelistet bei Bubenhofer 2011: Anwendungen) oder Varietätenlinguistik (Bickel 2006). Es kann dem‐ nach aufschlussreich sein, im WWW zu prüfen, ob spezifische Lexeme oder Phrasen in verschiedenen deutschsprachigen Domänen (.at vs. .ch vs. .de, vgl. Bickel 2006) vorkommen oder auch in welchen Kollokationen. Es lassen sich auch Aussagen über die Bedeutung von Mehrwortsequenzen ableiten. Quantitative Auswertungen von Daten im WWW sind deshalb nicht sinn‐ voll, weil die Grundgesamtheit der im WWW existierenden Dokumente nicht bestimmt werden kann. Wenn statistische Aussagen denn unbedingt ge‐ wünscht sind, sollte ein Korpus erstellt werden, das aus aus dem WWW ge‐ ladenen Seiten besteht, und den Vorteil hat, dass ihre Anzahl und die Anzahl spezifischer fokussierter Phänomene genau angegeben werden können (vgl. Korpusintitiative WaCky). Wichtig ist aber, dass bei allen Aussagen über die Korpusdaten deutlich gemacht wird, dass sie nur auf die Daten innerhalb des Korpus zutreffen und nicht allgemeingültig sind. 1.4.2 DIY: Eine Datensammlung selbst generieren Aufgabe 1-6 Sie haben die Aufgabe, aktuelle Konzeptualisierungen von WISSEN‐ SCHAFTSBETRUG am Beispiel von Metaphern zu untersuchen. Er‐ stellen Sie ein Korpus, auf dessen Grundlage Sie Aussagen über die Verwendung von Metaphern mit Bezug auf Plagiatsaffairen in der In‐ ternet-Berichterstattung im Zeitraum Februar 2011 bis März 2013 ma‐ chen können. Beschreiben Sie Ihre Vorüberlegungen. Wie gehen Sie bei der Korpuserstellung vor, wie bereiten Sie Ihre Daten für die Aus‐ wertung auf ? Wie könnte man nun beim Anlegen einer Datensammlung vorgehen? Eine altmodische aber doch bewährte Methode, Daten aus dem WWW zusam‐ menzustellen, ist das copy- und paste-Verfahren. Es verlangt schlicht kei‐ nerlei informatisches Vorwissen. Hierbei werden die Daten auf der entspre‐ chenden Internetseite markiert, kopiert und in ein Word-Dokument integriert. Der Vorteil an diesem Verfahren ist, dass die Daten unproblematisch in verschiedenen Formaten abgespeichert werden können. Für manche Kon‐ kordanzprogramme ist beispielsweise die Umwandlung in txt-Dateien nötig. Dabei sollten immer auch die Quelle, von der die Daten stammen, das Datum der Veröffentlichung, das Datum der letzten Aktualisierung der Seite (wenn eruierbar) und das Zugriffsdatum notiert werden. Am unkompliziertesten 1 Methoden der Internetlinguistik 38 lassen sich all diese Angaben in einem Bildschirmfoto zusammenfassen, das zusätzlich immer mit abgespeichert werden sollte. Ein Konkordanzprogramm ist dabei behilflich, spezifische Wörter und de‐ ren unmittelbaren Kontext herauszufiltern. Es ermöglicht außerdem die Er‐ stellung von Wortlisten und einfache statistische Rechnungen. KWiC: Key word in context (Schlüssel-Lexem in einem spezifischen Kontext) Es gibt eine Reihe derartiger Programme/ Werkzeuge, die auch im WWW zur Verfügung stehen, als Beispiele seien hier antconc, Glossanet, NotaBene, Conc 1.8 für Macintosh oder KWiCFinder genannt. Eine ausführliche Be‐ schreibung zur Anwendung von antconc gibt Bubenhofer unter: www.bubenhofer.com/ korpuslinguistik/ kurs/ index.php? id=eigenes_ AntConc.html Das Abspeichern kompletter Webseiten (mit dem Browser Firefox z. B. spie‐ lend leicht zu bewerkstelligen, indem beispielsweise einfach über die geläu‐ fige Tasten-Kombination Strg + S unter Dateityp „Webseite, komplett“ ge‐ wählt wird) ist eine sinnvolle Ergänzung, wenn die Architektur der Seite für Text-Bildrelationsanalysen nachvollziehbar bleiben soll. Je nach angestrebter Korpus-Größe und Fragestellung ist für die Daten‐ sammlung ein längerer Zeitraum zu veranschlagen. Es ist deshalb wichtig, den Aufbau systematisch anzugehen. Das heißt, dass Worddokumente oder auch Bilddateien mit einem nachvollziehbaren Dateinamen versehen und in einer rekonstruierbaren Ordnerstruktur abgespeichert werden sollten. Auch die Ordner sollten Namen erhalten, deren Sinn sich auch nach Monaten noch erschließt. Als Bestandteile für Dokumentnamen eignen sich ein Kürzel für die Quelle des Belegs, das Erscheinungsdatum, ein Verweis auf die Textsorte und/ oder ein inhaltlicher Hinweis. Angewendet auf die obige Aufgabe wäre es z. B. möglich, das Online- Medien-Spektrum darüber abzudecken, dass Beiträge aus Boulevardzeitun‐ gen (bild.de) mit Beiträgen aus Tages- (sueddeutsche.de, faz.net) oder Wo‐ chenzeitungen (spiegel.de, zeit.de) verglichen werden. Ebenso können poli‐ tisch eher links gerichtete (z. B. taz.de), eher konsverative (welt.de) und in etwa neutrale Online-Publikationen (berliner-zeitung.de) ausgewählt wer‐ den. Es liegt nahe, unter den Stichwörtern „Karl Theodor zu Guttenberg“, „Sil‐ vana Koch-Mehrin“, „Annette Schavan“ oder „Plagiat“, „Plagiatsaffaire“ usw. 1.4 Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung 39 nach Artikeln zu suchen, die im Zeitraum Februar 2011 bis März 2013 er‐ schienen sind, diese sind entsprechend abzuspeichern. Dazu könnten Ordner angelegt werden, die nach den Online-Medien be‐ nannt sind. Je nachdem, wieviele Texte gefunden werden, können Unterord‐ ner angelegt werden, für die verschiedene Ordnungen vorstellbar sind, z. B. Textsorten (Reportage, Nachricht, Kommentar, Leitartikel, Glosse) oder auch Erscheinungsmonate. Im vorliegenden Fall wäre es auch denkbar, Ordner anzulegen, die entsprechend der Phasen der Aberkennung des Doktortitels bezeichnet sind, beispielsweise: Beginn der öffentlichen Debatte, Prüfver‐ fahren, Aberkennung, Rücktritt. Abhängig von der Länge der Texte ist zu entscheiden, ob ein Textdokument pro Beitrag angelegt werden kann. Es ist nicht sonderlich zweckmäßig, eine Reihe von längeren Artikeln in einem Word-Dokument abzuspeichern. Kommentare von Nutzer*innen sind nicht nur viel kürzer, oftmals referieren Nutzer*innen innerhalb der Kommentar‐ bereiche aufeinander, so dass es hier günstig erscheint, mehrere Kommentare in einem Textdokument zusammenzufassen. Es hat sich bewährt, bereits in die Dokumentennamen auch Nummerierungen aufzunehmen. Der achte Leitartikel (art) in der Sammlung, der beispielsweise in der Berliner Zeitung (bz) am 11.2.2013 erschienen ist und die Nachfolge des Bildungsministerpos‐ ten zum Thema hat, könnte den Dokumentennamen 8_bz_11.2.13_art_wanka erhalten und würde im Ordner ‚Rücktritt‘ abgelegt. Möglicherweise eleganter, aber gleichzeitig auch aufwendiger und an mehr informationstechnologisches Vorwissen geknüpft, ist die Eingabe und Verwaltung der Korpusdaten über eine Datenbank. Die einfachste Möglich‐ keit einen Import in eine Datenbank vorzubereiten ist die systematische Ein‐ gabe der Texte in Felder einer (Excel-)Tabelle. Das soll an einem Beispiel veranschaulicht werden (siehe Tabelle 1-1, angelehnt an das Muster auf www.bubenhofer.com). Text 1 Text 2 Text 3 Quelle www.sueddeutsche.de Datum 16. Februar 2011 Autor/ en Roland Preuß, Tanjev Schultz Überschrift Plagiatsvorwurf gegen Verteidigungsminis‐ ter/ Guttenberg soll bei Doktorarbeit abge‐ schrieben haben Untertitel 1 Verteidigungsminister Guttenberg muss sich gegen Vorwürfe wehren, er habe bei seiner Doktorarbeit getäuscht. Nach SZ-Informatio‐ nen gibt es in seiner Dissertation einige Pas‐ sagen, die er ohne Angabe von Quellen wört‐ lich zitiert. Nach den jüngsten 1 Methoden der Internetlinguistik 40 Text 1 Text 2 Text 3 Bundeswehrskandalen wird Dr. Karl-Theo‐ dor Freiherr zu Guttenberg nun neue Kämpfe ausfechten müssen. Untertitel 2 Die Doktorarbeit sei an mehreren Stellen "ein dreistes Plagiat" und "eine Täuschung", sagte der Bremer Juraprofessor Andreas Fi‐ scher-Lescano, der die Parallelen mit anderen Texten bei einer Routineprüfung entdeckt hat. Fischer-Lescano lehrt an der Universität Bremen Öffentliches Recht, Europa- und Völ‐ kerrecht. […] Zwischentitel „Ungewöhnliche Verkettung von Glücksfäl‐ len“ Text Es war offenbar nicht einfach für Karl-Theodor zu Guttenberg, seine Doktorarbeit zu vollenden, das macht er im Vorwort klar. Günstige Momente zur Fertigstellung habe er "durch freiberufliche wie später parlamenta‐ rische 'Ablenkung' versäumt". Der CSU-Poli‐ tiker verweist auf eine Mischung aus "eher‐ ner professoraler Geduld" und "sanftem, aber unerbittlichem familiären Druck", der das Projekt doch noch zum Abschluss führte. "Diese Arbeit entspringt einer ungewöhnli‐ chen Verkettung von Glücksfällen." […] Rubrik Politik Quelle www.sueddeutsche.de/ politik/ plagiatsvorwu rf-gegen-verteidigungsminister-guttenberg -soll-bei-doktorarbeit-abgeschrieben-haben -1.1060774 Tab. 1-1: Vorschlag für eine Systematisierung von Korpustexten in einer Excel-Tabelle Sind die Daten so gespeichert, lassen sie sich am einfachsten über den Da‐ tei-Explorer durchsuchen. Je größer die Datensammlung jedoch wird, desto günstiger ist der Import in geeignete relationale Datenbanksysteme, z. B. Access, Filemaker oder Oracle. Excel-Tabellen lassen sich unter „speichern unter“ im CSV-Format ab‐ speichern. CSV ist die Abk. für comma separated value, die Werte in der Tabelle werden also in eine Liste übertragen und dadurch importfähig. Das Grundgerüst der Datenbank kann ähnlich strukturiert sein wie die vor‐ bereitete Tabelle. Um einen Datenimport aus der Excel-Tabelle beispielsweise 1.4 Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung 41 vornehmen zu können, werden oftmals sogenannte CSV-Dateien eingesetzt, die die Angaben in der Tabelle in einen importfähigen Datensatz übersetzen. Zudem müssen beim Einsatz von Datenbanksystemen Ein- und Ausgabe‐ masken sowie Auswerteprogramme, sog. Reports, programmiert werden - eine Aufgabe, die ohne EDV-Kenntnisse schwer zu bewerkstelligen ist. Es ist auch möglich, Korpora mit sogenannten Scrapern aufbauen. Grund‐ kenntnisse im Programmieren, z. B. mit Python, sind hierbei von Vorteil. Für Studierende ist erfahrungsgemäß die Angabe einer Mindestgröße für eine Belegsammlung von großer Bedeutung. Mit Schlobinski (2011: 133) könnte man dieser Frage folgendermaßen begegnen: „Gegenüber Aussagen, die allein auf der Grundlage der Introspektion gewonnen wurden und somit eine Einerstichprobe darstellen, ist jede auch noch so schmale Datenbasis ein Gewinn. Auf der anderen Seite sollte man generell vorsichtig sein, wenn aufgrund weniger Belege Aussagen über Sprachen oder gar Sprachfamilien getroffen werden, die von Hunderten, Tausenden oder gar Hunderttausen‐ den gesprochen werden“ (Schlobinksi 2011: 133). Es gibt aber auch Ansichten wie: „Kein Korpus ist groß genug, um die Diversität der Daten im Hinblick auf Parameter wie Medium, Thematik, Stilebene, Genre, Textsorte, soziale, areale, dialektale Varietäten, gesprochene vs. geschriebene Texte etc. reprä‐ sentativ abzubilden. Versuche, das Problem durch Erweiterung der Stich‐ probe zu lösen, vergrößern nur die Diversität der Daten im Hinblick auf die bekannten (und möglicherweise noch unbekannte) Variabilitätsfaktoren und damit die Inhomogenität“ (Köhler 2005: 5). Kurzum: Wir können hier keine konkreten Zahlen nennen, als Faustregel gilt jedoch, dass genügend Daten vorhanden sind, sobald sich ein Muster finden lässt. Für wissenschaftliche Hausarbeiten und studentische Forschungsprojekte sollte der Aufwand dabei einerseits überschaubar bleiben, andererseits muss die Datensammlung genügend Belege aufweisen, um Aussagen treffen zu können. Qualitative Aussagen lassen sich manchmal auch schon mit einem vergleichsweise kleinen Korpus treffen. Allerdings darf dabei dann kein An‐ spruch auf Repräsentativität erhoben werden. Die Ergebnisse der Analyse eines kleinen Korpus treffen eben auf genau dieses Korpus zu. Generell ist zu beachten, dass Themen für korpusbasierte BA- oder MA-Projekte schon mit dem Vorlauf festgelegt werden sollten, der für die Generierung eines Korpus kalkuliert wird. Zwar dürfen Korpora nur mit Zustimmung der Datenurheber*innen ver‐ öffentlicht werden, sie sollten jedoch für Ihre*n Prüfer*innen zugänglich sein, z. B. digital in einem geschützten Bereich, für den Sie einzig dem*der Prü‐ fer*in Zugang gewähren. 1 Methoden der Internetlinguistik 42 1.4.3 Klick ins Feld: Einfach einmal nachfragen? Online-Umfragen sind ein beliebtes Instrument in der empirischen Sozial‐ forschung. Im folgenden Abschnitt soll diskutiert werden, inwieweit sie auch für sprachwissenschaftliche Datenerhebungen nutzbar sind. Nicht jede sprachwissenschaftliche Fragestellung ist dazu geeignet, über einen Frage‐ bogen geklärt zu werden. Aufgabe 1-7 Überlegen Sie sich eine geeignete sprachwissenschaftliche Fragestel‐ lung, über die ein Internet-Fragebogen Aufschluss geben kann. Der Gebrauch von Lexemen in spezifischen sprachlichen Umgebungen (Ko‐ texten), regionale sprachliche Differenzen oder Grammatikalitätsurteile las‐ sen sich gut über (Online-)Fragebögen erfassen. Möchte man aber z. B. wis‐ sen, welchen Einfluss Texte mit hohem Emotionspotenzial auf die Rezeption haben, ist es schwierig, Proband*innen direkt danach zu fragen. Ebenso we‐ nig kann z. B. direkt erfragt werden, wie Menschen beten (vgl. Marx/ Damisch 2013). Sobald persönliche Einstellungen oder emotionale Einflüsse auf Text‐ produktion und -rezeption im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen, wird die empirische Datenerhebung generell problematisch. Es bedarf einer äußerst geschickten Wahl und Formulierung der Fragen, um sich der Ant‐ wort auf solche Forschungsfragen zumindest nähern zu können. In solch diffizilen Fällen, kann der Weg über eine anonyme Online-Befragung mög‐ licherweise fruchtbringend sein. Sogenannte Interview-Effekte werden hier (wie auch bei schriftlichen Befragungen, die nicht online durchgeführt wer‐ den) auf ein Minimum reduziert. Die Proband*innen werden nie einer Face-to-Face-Situation ausgesetzt, so dass sie möglicherweise freier agieren, falls sie Antworten bevorzugen, die weder sozialen Normen noch angenom‐ menen Erwartungen entsprechen. Suggestivfragen beherbergen allerdings immer ein Restrisiko für Interview-Effekte auch wenn die Fragen schriftlich präsentiert werden. Gegenüber herkömmlichen Befragungen haben Online-Fragebögen den Vorteil, dass sie dank der technologischen Bedingungen schnell auszufüllen und zu versenden sind. Damit kann die Teilnahme an der Befragung in die normalen Abläufe der Bildschirmarbeit integriert werden. Befragungen, die beispielsweise per Post verschickt werden, scheitern oftmals an einer ver‐ schwindend geringen Rücklaufquote. Einen Fragebogen aus einem Umschlag zu nehmen, ihn zu lesen, auszufüllen, anschließend wieder in einen Umschlag zu packen, eventuell noch zu frankieren und zum Briefkasten zu tragen, sind Schritte, die Proband*innen nur ungern auf sich nehmen. Angekündigte Be‐ 1.4 Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung 43 fragungen, die in einem vereinbarten Rahmen durchgeführt werden, weisen zwar eine höhere Rücklaufquote auf, weil der*die Leiter*in der Befragung den Rücklauf unmittelbar kontrollieren kann, jedoch ergibt sich hier eine Schwierigkeit, die sich auf das Antwortverhalten auswirken kann: Der*die Proband*in kann nicht selbst entscheiden, wann er*sie die Fragen bearbeitet. Im Online-Verfahren hingegen bestimmen die Teilnehmer*innen einer Studie den Zeitpunkt, an dem sie die Fragen bearbeiten, selbst. Versuchslei‐ ter*innen hegen an diesem Punkt zu Recht die Hoffnung auf eine höhere Motivation und Kooperationsbereitschaft auf der Seite der Teilnehmer*in‐ nen. Ein weiterer Vorteil ist, dass mit geringem Aufwand eine große Anzahl an Personen ungeachtet geographischer Distanzen erreicht werden kann. Das ist z. B. für sprachkontrastive Fragestellungen interessant. Online-Fra‐ gebögen können auch mit einer Sprachauswahl-Option ausgestattet werden, so dass der Fragebogen von Sprecher*innen verschiedener Sprachen ausge‐ füllt werden kann. Vorteilhaft ist auch, dass alle Daten sofort digital vorliegen und in (Statistik-)Programmen weiterverarbeitet werden können. Damit werden Kosten und Zeit gespart. Aufgabe 1-8 Notieren Sie, welche Nachteile die Methode, Daten über Online-Fra‐ gebögen zu erheben, mit sich bringt. Die Nachteile von Online-Fragebögen liegen vorwiegend darin, dass nicht kontrolliert werden kann, ob eine Person der Zielgruppe den Fragebogen ausfüllt oder möglicherweise jemand, der die Zielgruppenparameter nicht erfüllt, stellvertretend für eine Person agiert. Es kann ebenso wenig kontrol‐ liert werden, ob nur eine Person den Fragebogen ausfüllt oder die Antworten Ergebnis einer gemeinschaftlichen Beratung im Rahmen einer illustren Par‐ tygesellschaft sind. Auch die Zusammensetzung der Stichprobe kann nachteilig sein. So neh‐ men oftmals Personen teil, die einfach Freude an empirischen Erhebungen haben, oder Personen, die die jeweilige Thematik besonders positiv oder be‐ sonders negativ tangiert. Die Menge dieser Personen muss nicht notwendi‐ gerweise deckungsgleich mit der Stichprobe sein, die für eine repräsentative Aussage benötigt wird. Diese Gefahr kann dadurch eingegrenzt werden, dass Befragungsbögen per E-Mail verschickt werden. Hierfür müssen einer elek‐ tronischen Nachricht an eine statistisch ermittelte Auswahl an Adressat*in‐ nen lediglich Textdateien hinzugefügt werden. Dieses Vorgehen birgt wie‐ derum eine andere Gefahr - die unsichere Rücklaufquote, weil Pro- 1 Methoden der Internetlinguistik 44 band*innen eine E-Mail mit dem ausgefüllten Fragebogen zurücksenden müssen und dabei möglicherweise auch fürchten, nicht anonym zu bleiben. Eine Zugangsberechtigung zu einer Cloud, in der die ausgefüllten Fragebö‐ gen hinterlegt werden können, könnte ihnen diese Angst nehmen. Online-Befragungen können auch über interaktive Online-Formulare via Webbrowser bearbeitet werden. Ein Versuch, dabei die Stichprobe zu steuern wäre, per E-Mail eine statistisch ermittelte Auswahl an Adressat*innen auf den entsprechenden Link zum Fragebogen aufmerksam zu machen. Mit Hilfe der Internetseite https: / / www.soscisurvey.de/ ist es selbst für Ungeübte sehr einfach, ein solch interaktives Online-Formular zu erstellen. Solange dieses Angebot nicht für kommerzielle Zwecke genutzt wird, ist es kostenlos. Nutzer*innen müssen sich lediglich registrieren und den ein‐ fachen Anweisungen folgen. Wir empfehlen, bei der Anmeldung keine pri‐ vate E-Mail-Adresse (yahoo, gmail etc.), sondern die Uni-E-Mail-Adresse an‐ zugeben. Eine zusätzliche Software ist nicht vonnöten, da die Befragung auf dem Server SoSciSurvey läuft. Weitere kostenlose Anbieter sind zoome‐ rang.com, Questionstar oder Umfrageonline (mit kostenloser Basisversion). Für größere Studien, in deren Rahmen eine Teilnehmer*innen- und Daten‐ verwaltung und kontinuierliche Rückmeldungen über den Verlauf der Erhe‐ bung gewünscht sind, bietet sich das kostenpflichtige Angebot von roga‐ tor.de an (vgl. Döring 2 2003: 230). Es ist wichtig, präzise anzugeben, wie lange die Bearbeitung des Fragebo‐ gens maximal dauert. Gerade bei zeitaufwändigeren Befragungen können potenzielle Teilnehmer*innen so den Zeitpunkt, zu dem sie die Fragen be‐ antworten, besser festlegen. Gleichzeitig wird so einem Problem vorgebeugt, das im Zusammenhang mit Online-Befragungen häufiger auftritt: der vor‐ zeitige Abbruch und damit die Nicht-Verwertbarkeit der Daten. 1.4.4 Log-File-Analyse - Einfach mitschneiden? Die sogenannte Log-File-Analyse ist eine Methode der Datenerhebung, die in etwa mit der teilnehmenden Beobachtung vergleichbar ist. Auf den Rech‐ nern der teilnehmenden Versuchspersonen werden spezifische Protokollie‐ rungsprogramme installiert, die neben den technischen Informationen über den Datenverkehr auch inhaltliche Botschaften aufzeichnen, die im An‐ schluss ausgewertet werden können. Dieses Vorgehen bietet sich insbeson‐ dere für digitale Interaktionssituationen, z. B. in Sozialen Netzwerken (vgl. Gysin 2014, 2015) oder Chat-Räumen (Orthmann 2000), an. Die an der Erhe‐ bung teilnehmenden Nutzer*innen wissen, dass die von ihnen generierten Daten aufgezeichnet werden. 1.4 Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung 45 Beobachterparadoxon: „the aim of linguistic research in the commu‐ nity must be to find out how people talk when they are not being syste‐ matically observed; yet we can only obtain this data by systematic ob‐ servation.“ (Labov 1972: 209) Aufgabe 1-9 Spielt das sogenannte Beobachterparadoxon auch bei Daten eine Rolle, die im oder über das WWW generiert werden? Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie sprachliche Äußerungen im‐ mer auch im Hinblick darauf produzieren, dass diese Daten für eine Analyse bestimmt sind. Für den*die Versuchsleiter*in ist oftmals im Nachhinein ohne explizites Nachfragen kaum zu rekonstruieren, inwieweit beispielsweise besonders drastische oder auch besonders milde Äußerungen der Erhebungssituation geschuldet sind. Der*die Versuchsleiter*in muss ebenfalls damit leben, dass ihm*ihr ein Teil der produzierten Daten generell verborgen bleiben wird, weil die Nutzer*innen von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Aufzeich‐ nungsprogramme zu deaktivieren. Wie bei jeder teilnehmenden Beobach‐ tung wird auch hier mit der Hoffnung gearbeitet, dass sich die Versuchsteil‐ nehmer*innen über einen längeren Zeitraum an die Aufnahmesituation gewöhnen und zunehmend natürlich agieren. 1.4.5 Digitale Ethnographie Für umfassende qualitative Analysen, die auch Netzwerkeffekte (etwa die Dynamik in potenziellen Echokammern, vgl. Sunstein 2001), situative (kon‐ textuelle) Gegebenheiten oder andere Common Ground bildende und damit relevante Aspekte integrieren, sollten Online-Kommunikate in ihrer multi‐ modalen Komplexität erfasst werden. Elementarer Bestandteil von Online-Kommunikaten (Kommunikations‐ elementen bzw. Kommunikationsbeiträgen, vgl. auch Jakobs 2011, Adamzik 2 2016) sind Informationen über deren Ursprungsort und deren Verbreitungs‐ historie, die Angaben zu den Urheber*innen ebenso mit einschließen wie Social-Media-Funktionen (etwa Reaktionen wie Likes, Teilen oder Kommen‐ tare). Geleitet durch das Bestreben, sich ein umfassendes Bild von Praktiken in der Onlinekommunikation (und darüber hinaus) machen zu können, hat sich 1 Methoden der Internetlinguistik 46 die sogenannte Digitale Ethnographie etabliert. Als online-ethnographische Daten versteht Androutsopoulos (2008: 2) Angaben darüber, ▸ welche Motivation Personen haben, spezifische sprachliche Verwen‐ ▸ dungsweisen zu nutzen und was diese bedeuten; ▸ inwieweit sich Personen darüber bewusst sind, wie vielgestaltig die ▸ Online-Kommunikation ist und wie sie dies bewerten; ▸ welches Wissen sie über den Ursprung und die Verbreitung von ▸ sprachlichen Innovationen im Web haben sowie über ▸ die Verknüpfung zwischen den Interpretationen der Kommunikati‐ ▸ onsteilnehmer*innen und der Forscher*innen. Es sind Informationen wie diese (und die oben genannten Kommunikat‐ konstituierenden), die sich nicht einfach von einem Bildschirm ablesen las‐ sen, sondern über eine Methodenkombination erschlossen werden können, die Androutsopoulos „discourse-centred online ethnography“ (kurz: DCOE) nennt. Das bedeutet, dass die systematische Online-Beobachtung von spezi‐ fischen Webseiten (darunter fallen natürlich auch Soziale-Netzwerk-Seiten) in direktem Kontakt mit den sozialen Akteur*innen erfolgen sollte. 1.4.5.1 Online-Beobachtung Wir wenden uns hier zunächst der Online-Beobachtung zu, deren Vorteile natürlich nicht von der Hand zu weisen sind. Forscher*innen können im Web schließlich unbemerkt mitlesen. Dabei beeinflussen sie die laufende Inter‐ aktionssituation nicht. Das Labovsche Beobachter-Paradoxon spielt - wie oben bereits erwähnt - keine Rolle. Zu bedenken ist jedoch, dass die Kommunikation in einem (semi-)öffent‐ lichen Raum, wie dem World Wide Web, für ein Publikum entsteht, dessen Konstitution ungewiss ist. So ist schlicht nicht festlegbar, wer und wie viele Menschen die Interaktion mitverfolgen, ohne sich je aktiv zu beteiligen. Dar‐ über hinaus ist Kommunikation insbesondere auf Sozialen-Netzwerk-Seiten darauf ausgelegt, anschlussfähig zu sein. Dass die Interagierenden die Beobachtungssituation mitdenken und/ oder ihre Beiträge so formulieren, dass sie in der täglich produzierten Textmasse sichtbar werden, ist also durchaus denkbar und relativiert die Freude darüber, dass das Beobachter-Paradoxon wahrscheinlich nicht greift. Andererseits wird damit sichtbar, wie Menschen unter bestimmten Bedingungen digital kommunizieren und so ist die Kommunikation auch beschreibbar. Vermut‐ lich haben wir zudem einen Effekt, der auch bei Datenerhebungen mit Kamera-Aufnahmen eintritt - Gewöhnung an die Kommunikationssituation und mehr und mehr zunehmendes Zulassen von Alltagsinteraktion. 1.4 Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung 47 1.4.5.2 Partizipation Umso wichtiger ist es, dass sich Forscher*innen mit den Online-Kommuni‐ kationsbedingungen vertraut machen. Eine Datenerhebung ohne eigenen Account auf der jeweils untersuchten Plattform erscheint uns schwierig. Beim Überwinden dieser kleinen technischen Hürde - ein Account ist schnell angelegt - sollte es aber nicht bleiben. Es ist unerlässlich, das zu untersu‐ chende Netzwerk auch kennenzulernen (vgl. Marx 2019b). Wer nicht selbst auf Sozialen-Netzwerk-Seiten aktiv ist, wird die Interaktion in diesen Um‐ gebungen nicht analysieren respektive einschätzen können. Jede Plattform hat eine eigene Kommunikationskultur und eigene kommunikative Regeln, die von den Teilnehmer*innen tradiert, thematisiert und aktiv ausgehandelt werden und die man nur kennenlernen kann, wenn man selbst präsent ist. Aktiv und präsent sein involviert natürlich auch, dass Forscher*innen selbst Daten generieren. Diese und die dadurch erzeugte Anschlusskommunikation sollen nicht in die zu untersuchende Datengrundlage einfließen. Sie helfen lediglich dabei, Wissen über die jeweilige Plattform und typische Prozesse zu etablieren. 1.4.6 Auch Umwege führen zu digitalen Daten Es gibt sprachwissenschaftliche Fragestellungen, die zwar digitale Interak‐ tionsphänomene aufgreifen, für deren Untersuchung dennoch auf keinem der oben skizzierten Wege Daten in zufriedenstellender Menge und Qualität online erhoben werden können. Gerade Belege für sehr persönliche, emo‐ tionale Kommunikation sind kaum zugänglich, weil sie in geschützten Be‐ reichen des WWW stattfindet oder auch auf Sozialen-Netzwerk-Seiten für Fremde verborgen bleibt. Liegt das Forschungsinteresse in diesem Bereich, gelingt die Datenerhebung oft nur mit Hilfe der Datenurheber*innen, die erreicht und persönlich angesprochen werden müssen, deren Vertrauen ge‐ wonnen werden muss. Der erste Schritt zur Kontaktaufnahme können Flyer sein. Diese sollten die folgenden Fragen beantworten: ▸ Worum geht es? ▸▸ Wie heißt die Studie? ▸▸ Welches Ziel hat sie? ▸▸ Wer führt die Studie durch? ▸▸ In welchem Zeitraum findet sie statt? ▸▸ Welche Daten werden erhoben und bleiben sie anonym? ▸▸ Welche Anforderungen müssen Studienteilnehmer erfüllen? ▸▸ Wird die Teilnahme vergütet? ▸▸ Können die Ergebnisse eingesehen werden und wann? ▸ 1 Methoden der Internetlinguistik 48 Eine ansprechende Gestaltung lässt sich beispielsweise mit Anwendungen wie istudio-Publisher oder dem Microsoft Publisher problemlos vornehmen. Attraktiv sind natürlich auch kurze Videosequenzen, in denen das For‐ schungsvorhaben verständlich skizziert wird. Ein schönes Beispiel hierfür ist der Erklärfilm für die Datengewinnung zum Aufbau der MoCoDa2. Er kann nicht nur auf der Seite db.mocoda2.de eingesehen werden, sondern auch auf Vimeo (https: / / vimeo.com/ 268035169), was dazu beiträgt, dass ein größerer Kreis potenzieller Datenspender*innen erreicht werden kann. Je nach Fragestellung können auch Gespräche vor Ort und/ oder Vorträge zum Forschungsprojekt Möglichkeiten sein, Personen zu erreichen, die sprachliche Belege (sogenannte Datenspenden) zu Forschungszwecken zur Verfügung stellen würden. Aufgabe 1-10 Sie möchten eine Hausarbeit zum Thema „Das Naddel-Prinzip - Schluss per SMS. Sprachliche Strategien zum Beenden von Beziehun‐ gen über Kurzbotschaften“ schreiben. Bei Ihrer Recherche im Internet haben Sie zwar zahlreiche Berichte über das Phänomen gefunden, aber nur einen sprachlichen Beleg, der von Nadja Abdel Farrag stammt: „Ich habe dich gern, aber ich habe es mir noch mal überlegt. Es geht nicht. Ich wünsche dir alles Gute“. Gestalten Sie einen Flyer, um Personen zu finden, die Erfahrungen mit diesem Thema gemacht haben und bereit sind, sprachliche Belege zur Verfügung zu stellen. 1.5 In der Bibliographie soll es dann so aussehen 1.5.1 Die Online-Publikation im Literaturverzeichnis Es gibt diverse Möglichkeiten, ein Literaturverzeichnis zu erstellen. Manche nutzen eine Software wie Zotero, Citavi, EndNote oder Mendeley. Andere erstellen das Literaturverzeichnis „per Hand“ oftmals erst im Anschluss an den kreativen Schreibprozess. Früher oder später steht jedoch jede*r einem Problem gegenüber: In welcher Form sind Internetquellen ins Literaturver‐ zeichnis aufzunehmen? 1.5 In der Bibliographie soll es dann so aussehen 49 Verwiesen sei auf einen Service, der auf der Internetpräsentation des Projekts „sprache@web“ der Leibniz Universität Hannover und der TU Darmstadt angeboten wird. Die Literatursuche wird hier dadurch auf‐ gewertet, dass beispielsweise bei Sammelbänden nicht nur die biblio‐ graphischen Angaben des Gesamtwerks, sondern auch die einzelnen Beiträge aufgelistet und mit kurzen Inhaltbeschreibungen verlinkt werden. Zusätzlich bieten die Betreiber der Seite die Möglichkeit eines BibTex-Exports, mit dem die bibliographische Angabe problemlos in ein Literaturverwaltungsprogramm oder in LaTex übernommen wer‐ den kann (vgl. auch researchr.org, bibsonomy.org): www.mediensprac he.net/ de/ literatur/ . Zumeist führen die heterogene Beschaffenheit der Quellen und der ver‐ meintliche Mangel an Standards dazu, dass jede*r Schreiber*in individuelle Lösungen für die Aufnahme in das Literaturverzeichnis findet. Runkehl/ Siever (2000: 640) sprechen gar von einem „Ratespiel“ und setzen mit ihrem „Electronic StyleGuide“ Maßstäbe. Ziel dieses Abschnitts ist es, Probleme, die sich beim Zitieren von Inter‐ netquellen ergeben können, zu beschreiben und Muster für Einträge ins Li‐ teraturverzeichnis vorzuschlagen. Dabei orientieren wir uns im Wesentli‐ chen an den Vorgaben von Jens Runkehl und Torsten Siever und nehmen dort Anpassungen vor, wo es die technologische Entwicklung in der vergan‐ genen Dekade notwendig macht. Aufgabe 1-11 Welche Angaben muss ein bibliographischer Eintrag für Online-Pu‐ blikationen enthalten? Als obligatorische Bestandteile eines jeden Eintrags in das Literaturverzeich‐ nis einer wissenschaftlichen Arbeit kennen wir bisher ▸ bei Monographien: Autor*in(nen)-Name(n), Erscheinungsjahr, Titel ▸ der Publikation, Verlagsort und Verlag; ▸ bei Zeitschriftenartikeln: Autor*in(nen)-Name(n), Erscheinungs‐ ▸ jahr, Titel des Aufsatzes, Titel der Zeitschrift, Jahrgang/ Ausgaben‐ nummer, Seitenzahlen; ▸ bei Sammelbänden: Autor*in(nen)-Name(n), Erscheinungsjahr, Titel ▸ des Beitrags, Herausgeber*in(nen)-Name(n), Verweis auf Herausge‐ 1 Methoden der Internetlinguistik 50 Googlebooks berschaft (Hrsg./ Hg./ Hgg./ ed./ eds.), Erscheinungsjahr, Titel des Sam‐ melbandes, Verlagsort, Verlag, Seitenzahlen. Diese Angaben müssen um Informationen ergänzt werden, die der Plattform, auf der sie erscheinen, gerecht werden. Bibliographische Einträge sollten im WWW mühelos auffindbar und überprüfbar und so konstituiert sein, dass sie leicht verständlich und dennoch nicht überfrachtet erscheinen (siehe die fünf Prinzipien von Walker/ Taylor 1998, zitiert und kommentiert bei Run‐ kehl/ Siever 3 2001: 44 f.). Seit Oktober 2012 werden Zitierregeln in der DIN-Norm DIN ISO 690 zusammengefasst. Damit wurde die DIN 1505-2, über die bis dato Zitier‐ regeln festgelegt waren, aktualisiert, indem „a) veraltete nationale Zi‐ tierregeln […] durch neue internationale Zitierregeln ersetzt [und] b) An‐ gaben zum Zitieren von elektronischen Informationsressourcen […] hinzugefügt [wurden]“. (http: / / www.beuth.de/ de/ norm-entwurf/ din-iso -690/ 165487528) Generell kann gesagt werden, dass auf Verweise wie „online verfügbar (un‐ ter)“, „Online-Publikation“, „unter“, „im WWW erhältlich“ usw. innerhalb der bibliographischen Angabe verzichtet werden kann, weil allein durch das Aufführen eines URLs augenscheinlich wird, dass der Text online verfügbar ist (oder war). In der einen oder anderen Veröffentlichung kann man analog zu den bi‐ bliographischen Einträgen von Zeitschriftenartikeln ein „In“ vor der URL-Angabe lesen. Genaugenommen ist das jedoch unpassend, weil nie‐ mand etwas in einer Webseite liest, sondern eher auf. Um hier Verwirrung zu vermeiden, empfehlen wir, bei bibliographischen Angaben von im Netz veröffentlichter Literatur sowohl auf das „In: “ als auch auf das „Auf: “ vor der URL zu verzichten. Online veröffentlichte Zeitschriften, wie linguistik.online oder das Journal für Medienlinguistik (jfml) sind aber korrekt mit „In: “ bib‐ liographiert. Wir betrachten nun die Publikationsformen, die uns im Web begegnen, und prüfen jeweils inwieweit die obigen Parameter identifiziert werden können. Blickt man der bitteren studienalltagspraktischen Wahrheit ins Auge, muss man sich wohl eingestehen, dass viele Studierende den Gang in die Bibliothek als vermeidbar erachten, seitdem Google dazu übergegangen ist, partielle Scans von Büchern im Web zu veröffentlichen. Oftmals kann man anhand des Inhaltsverzeichnisses abschätzen, ob die Publikation relevant für die eigene Fragestellung ist. Sollte das der Fall sein, empfehlen wir dringend, sich nicht mit der von Google vorgenommenen Auswahl an Textabschnitten 1.5 In der Bibliographie soll es dann so aussehen 51 Monographien/ E-Books zufriedenzugeben. Nehmen Sie das Buch stattdessen in die Hand, blättern Sie darin und entscheiden Sie selbst, ob es nicht andere/ weitere wichtige Stellen darin gibt, die beachtet und ggfs. auch zitiert werden müssen. Entsprechend verfahren Sie bei der Aufnahme in das Literaturverzeichnis auf die oben an‐ gegebene herkömmliche Weise, denn ein bei Googlebooks gescanntes Buch ist keine Online-Publikation. Der Vorteil von DOI-Angaben (Digital Object Identifier) ist, dass diese auf das jeweilige Objekt und nicht den Veröffentlichungsort ver‐ weisen. Werden also Objekte von einer Seite entfernt, sind sie u. U. mit dem vorliegenden URL nicht mehr auffindbar, bei DOI-Angaben besteht diese Gefahr nicht. Inzwischen ist es häufig so, dass wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten wie Dissertationen oder Habilitationen eine mit dem Verlag vereinbarte Zeit (meist zwei Jahre) nach der Buchpublikation als Online-Publikation erschei‐ nen oder gar nicht mehr in Buchform publiziert, sondern direkt ins Web gestellt werden. Auch Neuauflagen können in Form von Online-Publikatio‐ nen erscheinen. Bücher, die Jahre nach ihrem Erscheinen unverändert als E-Book im Web veröffentlicht werden, sollten wie eine herkömmliche Buchpublikation ins Literaturverzeichnis übernommen und bestenfalls um die DOI-Angabe (min‐ destens aber um den URL) ergänzt werden. Korrigierte und/ oder aktualisierte Neuauflagen von Büchern, die als E-Publikation erscheinen, werden mit ei‐ nem Hinweis versehen, siehe (1-12). (1-12) Spiegel, C. (2006): STREIT. Eine linguistische Untersuchung verbaler Interaktio‐ nen in alltäglichen Zusammenhängen. Mannheim: Verlag für Gesprächsfor‐ schung. http: / / verlag-gespraechsforschung.de/ 2011/ pdf/ streit.pdf, (korrigierte Neuauflage, Erstauflage 1995, Tübingen: Narr). Inzwischen hat sich der zusätzliche Verweis auf das Datum des letzten Zu‐ griffs als wissenschaftliche Praxis etabliert. Runkehl/ Siever ( 3 2001: 96) zeigen jedoch, dass der Mehrwert eines solchen Datums gering ist und den Zitie‐ renden in eine Rechtfertigungssituation im Sinne von ‚möglicherweise ist die Seite nicht mehr verfügbar, aber als ich die Arbeit verfasst habe, gab es sie noch‘ manövriert. Ein Ausdruck der Veröffentlichung, der ggfs. nachgereicht werden kann, ist viel zweckmäßiger. Wichtig ist es, das Datum der (Erst-)Veröffentlichung und ggf. das Datum der letzten Überarbeitung/ Aktualisierung anzuführen. Diese Daten sind dann vergleichbar mit dem Erscheinungsjahr und der Neuauflage, die für 1 Methoden der Internetlinguistik 52 Offline-Publikationen relevant sind. Das Internet ist dynamisch, weshalb „ein Datum den aktuellen Stand dokumentieren muss, sofern es sich nicht um die erste und damit vorläufig einzige Fassung handelt“ (Runkehl/ Siever 3 2001: 97). „Es ist aber […] wenig sinnvoll, das Download-Datum anzugeben, wenn ein Revisionsdatum eine bestimmte Version dokumentiert. [Es] wird das im Dokument verzeichnete Datum der Erstellung oder - falls bereits modifiziert - das der letzten Änderung angegeben. [Nur! ] [f]alls dies nicht ersichtlich ist, wird das Datum der Sichtung genannt.“ (Run‐ kehl/ Siever 3 2001: 97) Um in der bibliographischen Angabe unterscheiden zu können, ob es sich beim angegebenen Datum um ein Revisionsdatum oder um das Datum des letzten Zugriffs handelt, wird dem Datum entsprechend ein „Rev: “ (für Revision) oder ein „Acc: “ (für Access) vorangestellt. Als Datumsform bietet sich die folgende Variante an: JJJJ-MM-TT (nach DIN 5008 resp. ISO 8601). Diese wird sowohl national und auch international richtig interpretiert. Möchte man eine Versi‐ onsnummer einfügen, kann diese mit Vers. indiziert werden (1-13). Tipp: Wenn keine anderen Daten verfügbar sind, ist es mit Hilfe des Zugriffsdatums möglich, auf http: / / archive.org/ web/ die Version der Seite vom Zugriffstag einzusehen. (1-13) Mustername, M. (2013): Musterartikel auf einer Musterseite. Musterseitenname. h ttp: / / www.musterseite.de/ muster_muster, Vers. 2, Rev: 2020-01-12. Wird keine Datums- oder Versionsangabe gemacht, ist das Publikationsda‐ tum ausschlaggebend und es ist davon auszugehen, dass an dem entspre‐ chenden Dokument seit der Veröffentlichung keine nachvollziehbaren Ver‐ änderungen vorgenommen worden sind, dass es sich also um ein Dokument handelt, dass von der Druckversion nicht abweicht (1-14). (1-14) Runkehl, J./ Schlobinski, P./ Siever, T. (1998): Sprache und Kommunikation im In‐ ternet. Überblick und Analysen. Opladen: Westdeutscher Verlag. www.medienspra che.net/ archiv/ pubs/ 3-531-13267-9.pdf Dass das Dokument zum Zeitpunkt, an dem die wissenschaftliche Arbeit ge‐ schrieben wurde, unter der im bibliographischen Eintrag angegebenen 1.5 In der Bibliographie soll es dann so aussehen 53 Aufsätze Adresse erreichbar war, ist deshalb evident, weil anderenfalls nicht daraus hätte zitiert werden können. Damit entfällt das Datum des letzten Zugriffs. Wenn es sich eruieren lässt, seit wann die Publikation im WWW zugänglich ist, kann das der bibliographischen Angabe hinzugefügt werden. Ebenso ist mit wissenschaftlichen Aufsätzen zu verfahren, die nach dem Erscheinen in einem Sammelband oder in einer Zeitschrift unverändert als PDF im WWW zur Verfügung gestellt wurden. Das Beifügen eines URLs soll in diesen bibliographischen Angaben lediglich signalisieren, dass der Artikel auch online einsehbar ist (1-15). Ist eine DOI-Angabe verfügbar wird diese praktischerweise anstelle des URLs aufgeführt. (1-15) Döring, N./ Pöschl, S. (2006): Images of Men and Women in Mobile Phone Adver‐ tisements. A Content Analysis of Advertisements for Mobile Communication Sys‐ tems in Selected Popular Magazines. Sex Roles. A Journal of Research 5-6, 173-185. www.nicola-doering.de/ wp-content/ uploads/ 2014/ 08/ D%C3%B6ring-P%C3%B6sc hl-2006-Images-of-Men-and-Women-in-Mobile-Phone-Advertisements.pdf Bei der Recherche kann es durchaus vorkommen, dass man auf ein PDF-Do‐ kument stößt, das neben den Namen der Autor*innen und dem Titel keinerlei bibliographische Angaben enthält. Das reicht natürlich für den bibliographi‐ schen Eintrag nicht aus. Es muss also gründlich recherchiert werden, in wel‐ cher Umgebung der Artikel möglicherweise bereits erschienen ist. Die auf diese Weise in Erfahrung gebrachten Angaben werden entsprechend in den bibliographischen Eintrag integriert. Ein naheliegender Schritt ist in diesem Zusammenhang ein Blick in die Publikationslisten des Autors/ der Au‐ tor*in(nen), die auf persönlichen Webseiten einsehbar sind. Bei wissenschaftlichen Publikationen, die vorab online veröffentlicht wer‐ den, ist ein entsprechener Vermerk notwendig, siehe (1-16a). Prüfen Sie je‐ doch vor Abgabe Ihres Manuskripts, ob die Druckfassung inzwischen erschie‐ nen ist. Falls ja, bietet es sich an, sich in der wissenschaftlichen Arbeit auf den gedruckten (vermutlich auch aktualisierten) Aufsatz zu beziehen (1-16b). (1-16a) Storrer, A. (2011): Sprachstil und Sprachvariation in sozialen Netzwerken. studi‐ ger.tu-dortmund. Preprint: http: / / www.studiger.tu-dortmund.de/ images/ Zif-Netz werke-storrer-preprint.pdf (erscheint in: Frank-Job, B./ Mehler, A./ Sutter, T. (Hrsg.) (2013): Die Dynamik sozialer und sprachlicher Netzwerke. Konzepte, Methoden und empirische Untersuchungen an Beispielen des WWW. Wiesbaden: VS Verlag für So‐ zialwissenschaften.) oder 1 Methoden der Internetlinguistik 54 HTML- Dokumente (1-16b) Storrer, A. (2013): Sprachstil und Sprachvariation in sozialen Netzwerken. In: Frank-Job, B./ Mehler, A./ Sutter, T. (Hrsg.) (2013): Die Dynamik sozialer und sprach‐ licher Netzwerke. Konzepte, Methoden und empirische Untersuchungen an Beispielen des WWW. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 329-364. HTML-Dokumente erscheinen mit Verfasser*in(nen)-Name(n), Erscheinungs‐ jahr, Angabe des Titels und des Seitentitels sowie der URL-Adresse in der Bi‐ bliographie. Wenn auf der Seite das Datum angegeben ist, an dem sie erstellt worden ist, ist dieses auf bekannte Weise in den bibliographischen Eintrag aufzunehmen (1-17). Befindet sich jedoch zudem noch das Datum der letzten Aktualisierung auf der Seite, ist dieses in den bibliographischen Eintrag zu integrieren. Auf das Datum der Erstellung wird dann in Klammern mit dem Zusatz „online seit“ hingewiesen (1-18). Wir empfehlen diese Vorgehens‐ weise, weil niemand nachvollziehen kann, ob der zitierte Text bereits Bestand‐ teil der Ursprungsversion der Seite war. Es besteht immer auch die Möglich‐ keit, dass eben dieser Text im Zuge der Aktualisierung eingefügt worden ist. Zitiert wird zu einem Zeitpunkt X und man kann gerade bei einem dynami‐ schen Medium wie dem Internet nur sichere Aussagen über die Beschaffen‐ heit des Textes an diesem Zeitpunkt X machen. Angaben über den*die Au‐ tor*in(nen) oder den*die Herausgeber*in(nen) einer Seite sind notfalls dem Impressum zu entnehmen. Kann eine Text-Autor*in/ Autor*in-Text-Zuord‐ nung nicht eindeutig erfolgen, sollte erwogen werden, den Text nicht zu zitie‐ ren und stattdessen eine verlässlichere Quelle zu suchen. (1-17) Bendel, O. (2012): Siri ist hier. mediensprache. https: / / www.mediensprache.net/ de / handysprache/ siri/ index.aspx (1-18) Meier-Vieracker, S. (2019): Rechtschreibkonformer Extremismus? In: Linguisti‐ sche Werkstattberichte. https: / / lingdrafts.hypotheses.org/ category/ sprache-und -gesellschaft/ sprache-und-sprachkritik (online seit 2019-10-25). Auf manchen Webseiten wird ein Vorschlag dazu unterbreitet, wie die elek‐ tronische Ressource zu zitieren ist, wie beispielsweise auf www.bubenhofer. com: „Diese elektronische Ressource soll wie folgt zitiert werden: Bubenho‐ fer, Noah (2011): Einführung in die Korpuslinguistik: Praktische Grundlagen und Werkzeuge. Elektronische Ressource: www.bubenhofer.com/ korpusling uistik/ .“ Solchen Angaben können alle für die oben angegebene Form not‐ wendigen Angaben entnommen werden. Angepasst an das vorliegend vor‐ geschlagene Format, wäre der bibliographische Eintrag nur minimal zu mo‐ difizieren (1-19): 1.5 In der Bibliographie soll es dann so aussehen 55 (1-19) Bubenhofer, N. (2011): Einführung in die Korpuslinguistik: Praktische Grundlagen und Werkzeuge. bubenhofer. http: / / www.bubenhofer.com/ korpuslinguistik/ kurs/ (online seit 2006). Texte aus digitalen Ausgaben von Printmedien o. ä. sind mit ihrem auf den Tag genauen Erscheinungsdatum aufzuführen (siehe 1-20). (1-20) Langschwager, M./ Krombusch, M. (2018): Hate Speech - Dabei ist Hass überhaupt keine Meinung. WAZ+. https: / / www.waz.de/ wochenende/ hate-speech-dabei-ist -hass-ueberhaupt-keine-meinung-id215710599.html (2018-11-2, 20: 14) Allerdings können journalistische und damit auch populärwissenschaftliche Texte, keine vollwertigen wissenschaftlichen Quellen sein. Informationen, die hier populärwissenschaftlich aufbereitet werden, sollten in den zugrun‐ deliegenden Studien nachgelesen und von dort zitiert werden. Online-Berichte (journalistische Texte) können vielmehr eine Quelle für sprachliche Belege sein, wenn eine entsprechende Fragestellung für die For‐ schungsarbeit vorliegt. Somit sind sie wie auch Quellen für alle in der jewei‐ ligen Forschungsarbeit zitierten sprachlichen Beispiele in ein Quellenver‐ zeichnis aufzunehmen, dass zusätzlich zu einer Bibliographie zu erstellen ist. 1.5.2 Quellenverzeichnis für Beispielbelege Blogs, Soziale-Netzwerk-Seiten, Kommentarbereiche, Wikipedia, Foren oder E-Mails sind Quellen für sprachliche Beispiele. Wir empfehlen hierfür ein Quellenverzeichnis anzulegen, dessen Ordnungsprinzip darin bestehen kann, die Quellen in der Reihenfolge aufzulisten, in der sie in der wissen‐ schaftlichen Arbeit auftreten, d. h. der erste Eintrag in der Liste stellt die vollständige Quelle des ersten in der wissenschaftlichen Arbeit zitierten Be‐ legs dar, der zweite Eintrag zeigt die vollständige Adresse der Internetseite an, der der zweite in der Arbeit zitierte Beleg entstammt usw. Dabei ist die Beispielnummerierung, die im Fließtext zugewiesen wurde, zu nennen. In den Eintrag aufzunehmen sind der Name des Web-Angebots, eine Angabe dazu, um welche Textsorte es sich handelt (Forenbeitrag, Statusmeldung, Artikel, Kommentar, Tweet etc.), optional der Name des Urhebers/ der Urhe‐ berin, der URL des Eintrags und eine Datumsangabe, die auch um eine Zeit‐ angabe ergänzt werden kann, wenn diese ermittelbar ist. Die Angabe des Web-Angebots mag manchem redundant erscheinen. Sie ist aber notwendig, weil sie sich nicht immer aus der URL ergibt, wie z. B. beim Webauftritt der Universität Zürich. Der Name des Webangebots würde „Universität Zürich“ lauten, der URL allerdings „http: / / www. uzh.ch/ index.html“. 1 Methoden der Internetlinguistik 56 Allgemeiner Hinweis Ein anderes Ordnungsprinzip wäre die Kategorisierung nach spezifischen Quellen. Sind z. B. alle sprachlichen Belege Sozialen Netzwerken entnommen worden, können alle Belege, die z. B. aus Facebook stammen, untereinander aufgeführt werden, anschließend alle Belege, die aus Instagram stammen, usw. Der Verweis auf die Beispielnummerierung im Fließtext ist hier ebenso obligatorisch. Quellenverzeichnis - Beispiel-Einträge: (1-1) Chefkoch. Forenbeitrag: sabsieh, Feste: Geschenke https: / / www.c hefkoch.de/ forum/ 2,61,712238/ haltbares-Ostermitbringsel.html 2016-03-22, 10: 40 (1-2) Sueddeutsche.de, Artikel: Mayr, Stefan: Herr Swan und das Eis. w ww.sueddeutsche.de/ wirtschaft/ nahaufnahme-herr-swan-und-das-eis -1.4658938 2019-10-28, 18: 52 (1-3) Zeit online, Artikel: Haberkorn, Tobias: Die Sintflut kommt. http s: / / www.zeit.de/ kultur/ 2018-10/ klimawandel-schuld-anerkennung-kli makrieg-weltklimakonferenz 2018-11-4, 20: 59 (1-4) Twitter, Tweet: Nina Straßner @DieJuramama. https: / / twitter.co m/ DieJuramama/ status/ 1162636374803210240 2019-08-17, 10: 04, L: 524, T: 13, K: 35 … (1-8) YouTube, Kommentar zu „Die LUSTIGSTEN Fake Marken“ von Luca. https: / / www.youtube.com/ watch? v=J064-R7-GSc 2019-10-31, ca. 21: 00, L: 0, DL: 0 Die Länge von Internet-Adressen (URLs) überschreitet nicht selten die Zei‐ lenlänge, sodass ein Umbruch notwendig wird. Weil das Einfügen eines Bin‐ destrichs jedoch den URL verfälscht, sollte ein Umbruch nur an „Solltrenn‐ stellen“, wie beispielsweise nach einem Slash (/ ), einem Punkt oder einem Bindestrich, die jeweils Bestandteile des URLs sind, erfolgen. Im Fließtext lässt sich ein Umbruch manchmal vermeiden, wenn der Text umgestellt wird oder eine Kurzform des URLs (mit Verweis auf die Bibliographie oder das Quellenverzeichnis) eingesetzt wird. Es lohnt sich auch hier immer zu über‐ prüfen, ob nicht ein DOI vergeben ist, der kürzer und eindeutiger ist. 1.5 In der Bibliographie soll es dann so aussehen 57 Speicherinhalt Das WWW stellt einen nahezu unerschöpflichen Datenpool für die sprachwissenschaftliche Forschung dar. Die Datengewinnung ist dabei insbesondere für die Korpusgenerierung vergleichsweise einfach zu rea‐ lisieren und bedarf nicht notwendigerweise spezifischer Informatik‐ kenntnisse. Anwendungen wie antconc erleichtern Geisteswissenschaft‐ ler*innen die Arbeit erheblich. Daten können auch über elektronische Umfragen erhoben werden. Hierbei kann auf das Hilfsmittel SoSciSurvey zurückgegriffen werden. Grundsätzlich können alle Daten, die im Rah‐ men eines Forschungsprojekts erhoben worden sind, in einer wissen‐ schaftlichen Arbeit zitiert werden. Dabei ist darauf zu achten, dass die Persönlichkeitsrechte der Urheber*innen von Beiträgen gewahrt bleiben. Alle bibliographischen Angaben müssen so gestaltet sein, dass die Inter‐ netquelle jederzeit nachprüfbar ist. Korpus: Ein Korpus ist eine Datensammlung, die explorativ oder hypo‐ thesengeleitet auf sprachliche Phänomene untersucht werden kann. Diese Datensammlungen werden entweder quantitativ oder - mit dem Anspruch Aussagen über Form-Funktionsbeziehungen in der Sprache machen zu können - qualitativ ausgewertet. Fragebogen: Ein Fragebogen ist ein in den empirischen Sozialwissen‐ schaften verbreitetes Erhebungsinstrument. Die Internet-Linguistik nutzt u. a. Online-Fragebögen, um beispielsweise die Verbreitung spezi‐ fischer Lexeme oder Grammatikalitätsurteile zu untersuchen. Log-File-Analyse: Mittels einer Log-File-Analyse kann die Online-Ak‐ tivität von Nutzern protokolliert werden. Log-Files können nicht nur statistische, sondern auch inhaltliche Daten enthalten, wie etwa kom‐ munikative Botschaften. Sie sind daher als Erhebungsinstrument für die Internet-Linguistik relevant. Digitale Ethnographie: Für einen umfassenden qualitativen Zugang zu digitalen Daten kann das bewährte ethnographische Vorgehen, Beobach‐ ten und Partizipieren, auch für die Gewinnung von digitalen Daten frucht‐ bar gemacht werden. So können die kommunikativen Regeln, die sich von Plattform zu Plattform unterscheiden, gut erfasst (und erprobt) werden. Datenerhebung auf Umwegen: Ein Ansatz zur Erhebung von digitalen Daten kann auch die analoge Kontaktaufnahme sein. Sie bietet sich in Fäl‐ len an, in denen Beschränkungen jeglicher Art einen Online-Zugang zu Daten (zunächst) unmöglich machen. Ziel ist es durch Gespräche, Vor‐ träge, Flyer, persönlichen Kontakt zu den Proband*innen aufzubauen und sie zu motivieren, Protokolle ihrer digitalen Aktivitäten zu Forschungs‐ zwecken zur Verfügung zu stellen. Wir sprechen auch von Datenspenden. 1 Methoden der Internetlinguistik 58 Übungen 1. In wissenschaftlichen Studien wird der Name von Studienteilneh‐ 1. mer*innen u. a. aus datenschutzrechtlichen Gründen normaler‐ weise nicht erhoben. Warum ist es aber unter Umständen relevant, den Urheber eines im WWW veröffentlichten Textes zu bestim‐ men? 2. Wie würden Sie vorgehen, wenn Sie verschiedene Gebrauchswei‐ 2. sen des Lexems Opfer in den letzten zwanzig Jahren beschreiben müssten? Evaluieren Sie das WWW hinsichtlich seiner Praktika‐ bilität als Korpus. Welche Vor- und welche Nachteile sehen Sie? 3. Rufen Sie die folgenden Seiten auf: 3. a. georg-re.hm/ pdf/ Haase-et-al.pdf a. b. http: / / www.germanistik.uni-hannover.de/ fileadmin/ deutsch b. es_seminar/ publikationen/ HAL/ hal-3.pdf c. http: / / www.digitale-soziale-netze.de/ gi-workshop/ gi-worksh c. op2008-offline/ papers/ Social%20Networks%20-%20das%20W orld%20Wide%20Web%20zwischen%20Identitaetsentwuerfen %20und%20Interaktivitaet.pdf Welche bibliographischen Angaben vermissen Sie jeweils? Wie gehen Sie vor, um die fehlenden Informationen zu ermitteln? Lektüre zur Vertiefung Eine umfassende Einführung in das empirische Arbeiten in Linguistik und Sprachlehrforschung geben Albert/ Marx ( 3 2016) sowie Schlobinski (1996). Der sozialwissenschaftliche Klassiker über Forschungsmethoden und Eva‐ luation von Bortz/ Döring ( 5 2016) ist auch für Linguist*innen äußerst hilf‐ reich. Mit dem Electronic Guide zum Publizieren, Bibliographien und Zitie‐ ren haben Runkehl/ Siever ( 3 2001) die ersten formalen Vorgaben für die Internetlinguistik formuliert. Eine Einführung in die Korpuslinguistik haben Scherer ( 2 2014), Lemnitzer/ Zinsmeister ( 3 2015) und Stefanowitsch (2020) geschrieben. Rogers (2013) stellt digitale Methoden vor. Consten (2014) hält ein überzeugendes Plädoyer dafür, das Erkenntnisinteresse über Form-Funktionszusammenhänge sprachlicher Phänomene und damit die sorgfältige qualitative Auswertung von Daten aller die sprachlichen Prozesse beim Verstehen von Äußerungen und den komplexen Kontext von Äußerungen ignorierenden Korpus-Rech‐ nerei vorzuziehen ist. Für einen integrativen korpuspragmatischen und kul‐ turlinguistisch ausgerichteten Ansatz siehe z. B. Bubenhofer/ Scharloth (2016). 1.5 In der Bibliographie soll es dann so aussehen 59 Androutsopoulos (2013) diskutiert in einem Artikel die Online-Daten‐ sammlung im Rahmen soziolinguistischer Forschung. Die Problematik der sozialen Erwünschtheit wird von Stocke (2004) in einem lesenswerten Über‐ blicksartikel thematisiert. Siever (2015) erörtert Fragen zum Öffentlichkeits‐ status von Social-Media-Plattformen. Kirschner (2015) diskutiert, warum es sich für die Internetforschung lohnt, in den Lehnstuhl zurückzukehren. Lo‐ bin/ Schneider/ Witt (2018) geben einen Überblick über digitale Infrastruktu‐ ren für die germanistische Forschung. Knuchel/ Luth (2018) sowie Pentzold (2017) sensibilisieren für rechtliche und ethische Aspekte im Zusammenhang mit dem Aufbau von Korpora. Tipps zum Erstellen von Fragebögen und weitere Links finden sich unter w ww.fragebogen.de. Testergebnisse zu verschiedenen Literaturverwaltungs‐ programmen können unter http: / / www.artefakt-sz.net/ allerart/ programme -zur-literaturverwaltung-im-test eingesehen werden. Der Initiative Open‐ Access (http: / / www.open-access.net/ ) ist es zu verdanken, dass wissenschaft‐ liche Publikationen kostenfrei online eingesehen werden können. In Marx (2019a) finden Sie nach Themen geordnete Literaturhinweise zur Internetlinguistik. 1 Methoden der Internetlinguistik 60 2 Medientheorie des Internets Ist das Internet ein Medium? Was ist ein Hybridmedium? Inwiefern beeinflussen mediale Eigenheiten die Kommunikation und die Kommunikationsformen, die im Internet zu finden sind? 2.1 Unsere Welt ist online Medien üben einen großen, unübersehbaren Einfluss auf unser tägliches Le‐ ben aus. Über sie erreichen uns Informationen, die unserer direkten Wahr‐ nehmung nicht zugänglich sind. Sie filtern diese Informationen und geben ihnen zugleich eine bestimmte Form und Gestalt. Auf diese Weise erfolgt eine Vorselektion, die unsere Wahrnehmung der Welt und damit unser Weltbild prägt. Darüber hinaus eröffnen uns Medien neue Möglichkeiten, mit unseren Mitmenschen - und mit weit mehr davon, als wir ansonsten erreichen könn‐ ten - zu kommunizieren. Dadurch verändern sie unser soziales Zusammen‐ leben, unsere Gesellschaft. Diese Erfahrung haben wir bzw. unsere Vorfahr*innen unter anderem mit der Erfindung des Buchdrucks oder im letzten Jahrhundert mit der Verbrei‐ tung von Radio und Fernsehen, aber auch zuerst der Festnetz- und dann der Mobiltelefonie gemacht: Alle diese Medien haben die Wissens- und Kom‐ munikationskulturen, die gesellschaftlichen Strukturen und sozialen Prakti‐ ken zum Teil von Grund auf einem unverkennbaren Wandel unterzogen. Gegenwärtig gilt nun das Internet als besonders einflussreich: Es wird zum Beispiel von den einen als eine Chance wahrgenommen, global und auf eine neue Art zu kommunizieren, überkommene soziale und politische Strukturen aufzubrechen, das gesellschaftliche Zusammenleben zu erneuern, Möglich‐ keiten für Wirtschaftstreibende z. B. in der Vermarktung und im Vertrieb zu eröffnen und nicht zuletzt die Einschränkungen der „alten Medien“ zu über‐ winden. Andere wiederum befürchten, dass durch das Internet und die damit verbundene Förderung der Globalisierung regionale Besonderheiten gefähr‐ det werden, dass sich als gefährlich betrachtetes Wissen - z. B. über die Kon‐ Medien als Extensionen des Körpers struktion von Waffen und Sprengkörpern - ungehindert verbreitet, dass Pri‐ vates nicht mehr privat bleibt oder dass die neue Art zu kommunizieren zum Untergang der jeweils gebrauchten Sprache oder zumindest zu deren „Ver‐ schandelung“ durch schlampigen, fehlerhaften Gebrauch führt. Unabhängig davon, ob sich das Internet großen Zuspruchs erfreut oder ob es harsche Kritik erfährt: Es wird immer davon ausgegangen, dass es sich beim Internet um ein - mittlerweile nicht mehr ganz so - „neues Medium“, also ein Medium handelt. Diese Annahme wollen wir hier jedoch nicht ein‐ fach so übernehmen. Vielmehr soll in diesem Kapitel diskutiert werden, in‐ wieweit man im Falle des Internets tatsächlich von einem Medium sprechen kann und was seine medialen Charakteristika sind. 2.2 Was ist ein Medium? Was wir unter einem Medium verstehen, scheint den meisten völlig klar zu sein. Wenn man aber genauer hinsieht, bemerkt man, dass wir im Alltag alles Mögliche als Medium bezeichnen: Das reicht von einzelnen Fernsehsendern wie ARD, ORF etc. über das Medium Radio bis zu Geistersehern und Schama‐ nen. Das, was wir mit dem Alltagsbegriff Medium benennen, sind also sehr heterogene Dinge. Für einen wissenschaftlichen Gebrauch des Terminus in der Medien- und der Internetlinguistik ist das keine befriedigende Situation. Da‐ her werden wir in den folgenden Abschnitten eine genauere Definition dieses für die Internetlinguistik zentralen Begriffs und dabei eine Beschreibung der Rolle von Medien in Kommunikationsprozessen unternehmen. 2.2.1 Einer, der polarisiert: McLuhans Medienbegriff „All media are extensions of some human faculty - psychic or physical.“ (McLuhan/ Fiore 1967: 26) Marshall McLuhan versteht also unter Medien sämtliche Erweiterungen des menschlichen Körpers bzw. der ihm gegebenen Fähigkeiten, seien sie nun geistiger oder körperlicher Natur. Diese Ansicht lässt sich anhand des (McLuhan zufolge) Mediums „Fern‐ rohr“ gut erläutern: Ein Fernrohr ermöglicht es uns, Gegenstände oder Per‐ sonen zu beobachten, die zu weit entfernt sind, als dass wir sie mit bloßem Auge sehen oder zumindest im ausreichenden Ausmaß erkennen könnten. Mit Hilfe der im Fernrohr verwendeten optischen Technologie wird unsere Sehfähigkeit also erhöht. Daher können wir im Sinne McLuhans von einem Medium sprechen, das eine unserer körperlichen Fähigkeiten, nämlich die 2 Medientheorie des Internets 62 der visuellen Wahrnehmung, ausbaut. Es handelt sich somit um eine Exten‐ sion unseres Körpers, genauer: unserer Augen. Herbert Marshall McLuhan (*1911, †1980) ist ein kanadischer Li‐ teraturwissenschaftler und Medientheoretiker. Er ist Begründer einer einflussreichen, wenn auch umstrittenen Medientheorie und prägte unter anderem den Terminus „global village“. Aufgabe 2-1 Überlegen Sie sich weitere Beispiele für Medien im Sinne der zitierten Definition von McLuhan, also weitere Extensionen unserer körperli‐ chen und geistigen Fähigkeiten. Wenn man bedenkt, welche Fähigkeiten unser Körper und unser Geist haben, wie oft wir uns aber auch wünschen, wir könnten etwas besser oder hätten größere Befähigungen etwas zu tun, so ist es keineswegs erstaunlich, wie viele Medien - im sehr weiten Verständnis von McLuhan - wir finden kön‐ nen. Der Definition sehr gut entsprechende Beispiele wären unter anderem das Fahrrad, das Auto oder die Eisenbahn, generell alle Fortbewegungsmittel: Sie erhöhen unsere Möglichkeiten, längere Wegstrecken zu bewältigen, und sind damit Extensionen unserer Beine, wobei das Flugzeug die Einschrän‐ kungen unserer angeborenen Mittel, uns im Raum zu bewegen, noch zusätz‐ lich quasi in einer weiteren Dimension zu überwinden hilft. Genauso ist zum Beispiel ein Hammer auf eine Art eine Extension unserer Hände (Erhöhung der Fähigkeit zu schlagen) und eine Zange ist es auf eine andere Art (Erweiterung der Fähigkeit zu greifen). Kleidung könnte man so als eine Extension unserer Haut und einen Hut als eine unseres Kopfhaars betrachten. Nicht vergessen dürfen wir leider auch Waffen, angefangen mit der Keule, über Wurfspeer, Pfeil und Bogen, Gewehr und Kanone bis hin zu Atombombe und ferngesteuerter Drohne, die alle die Effizienz unserer kör‐ perlichen Fähigkeit, zu kämpfen und zu töten, steigern und ihren räumlichen Wirkungsradius erweitern. Ein positiveres Medium wäre hingegen die Buschtrommel, die uns - quasi als Vorläufer des Telefons - dabei half, auch über räumliche Distanzen hinweg zu kommunizieren, die wir alleine mithilfe der menschlichen Stimme nicht zu überwinden vermochten. McLuhans Medienbegriff umfasst demnach auch Dinge, die wir unserem Alltagsverständnis zufolge nicht als Medien bezeichnen würden, da sie nichts mit Informationsübermittlung oder Kommunikation zu tun haben, also Ei‐ genschaften bzw. Funktionen, die wir im Alltag üblicherweise Medien zu‐ 2.2 Was ist ein Medium? 63 Vermittlungs‐ funktion von Medien schreiben. Allerdings fokussiert McLuhan in seinen Arbeiten doch großteils Medien der Kommunikation oder der Informationsübertragung, wenn er zum Beispiel den Buchdruck oder das Fernsehen als Medien ins Zentrum seiner Analysen rückt. Da auch das Internet der Informationsverarbeitung und der Kommunikation dient, übernehmen wir diese Fokussierung des Be‐ griffs Medium. Das heißt, wir werden nur mehr dann von einem Medium sprechen, wenn es die Extension kognitiver und kommunikativer Fähigkei‐ ten bewirkt. 2.2.2 Wozu sind sie eigentlich da - die Medien? Wie schon der Medienbegriff von McLuhan gezeigt hat, ist ein wesentliches Bestimmungselement von etwas als Medium dessen Funktion. Diese Funk‐ tion, die etwas erst zu einem Medium macht, besteht darin, bestimmte menschliche Fähigkeiten zu verbessern, zu erweitern oder überhaupt erst umsetzbar zu machen. Dabei geht es, wenn wir McLuhans Definition nur auf Medien im engeren Sinn einschränken, um Fähigkeiten, die der Verarbeitung und Verbreitung von Informationen sowie der Kommunikation dienen. Aufgabe 2-2 Überlegen Sie, welche Fähigkeiten des Menschen mithilfe von Medien ausgebaut oder verbessert werden können, damit Informationsverar‐ beitung und/ oder Kommunikation besser funktionieren. Bedenken Sie dabei, dass es nicht nur um Face-to-Face-Kommunikation gehen muss. Allgemein kann festgestellt werden, dass Medien gerade in Hinblick auf Kommunikation eine Vermittler-Funktion haben. Dieses Bedeutungselement von MEDIUM lässt sich auch etymologisch auf die ursprüngliche Bedeutung des lateinischen Wortes medium zurückführen. Demnach fungiert etwas, das in irgendeiner Form zwischen - räumlich oder zeitlich - getrennten Dingen oder Personen vermittelt, als Medium. Dabei ist das Medium jeweils einer‐ seits das „Mittlere“, also das, was gleichsam zwischen den getrennten Dingen/ Personen steht, was sie verbindet, und andererseits das instrumentalistisch eingesetzte „Mittel“, um eine Verbindung herzustellen (vgl. Habscheid 2000: 127). Beide Bedeutungselemente sind für MEDIUM relevant, da sie der Ver‐ mittlungsfunktion von Medien zugrunde liegen. Wenn nun in diesem Sinn von Medien als Vermittlern die Rede ist, denken wir zunächst wohl am ehesten an ein Medium wie das Telefon. Es verbindet räumlich weit voneinander entfernte Personen und ermöglicht diesen eine Ausweitung ihres Kommunikationsradius. Damit handelt es sich beim Tele‐ 2 Medientheorie des Internets 64 Verbreitungs-/ Übertragungs‐ medien Kommunikati‐ onsmedien fon um einen typischen Fall eines Mediums im Sinne McLuhans: Es ermög‐ licht die Extension einer menschlichen Fähigkeit, nämlich der, sich mitein‐ ander zu verständigen bzw. zu kommunizieren. Die Vermittlungsfunktion von Medien kann in einem weiten Sinn als grundlegend betrachtet werden. Es ist jedoch notwendig, hier etwas zu dif‐ ferenzieren: Medien - auch Medien im engeren Sinn von Mitteln der Kom‐ munikation - vermitteln zwischen Dingen oder Personen auf durchaus un‐ terschiedliche Weise. So werden nicht nur räumliche Distanzen überwunden, sondern in anderen Fällen auch zeitliche. Oder es geht nicht nur darum, Kommunikation zwischen einzelnen Menschen zu ermöglichen oder zu er‐ leichtern, sondern auch um eine Erweiterung des Adressat*innenkreises ei‐ ner kommunikativen Handlung. Dementsprechend lassen sich Medien in drei Klassen einteilen: ▸ Verbreitungsmedien ▸▸ Kommunikationsmedien ▸▸ Speichermedien ▸ 2.2.3 Verbreitung! Kommunikation! Speicherung! Zu den ersten - allerdings noch nicht technologischen - Verbreitungs- oder auch Übertragungsmedien gehören das Formen eines Trichters mit den Hän‐ den, der zur Verstärkung stimmlicher Äußerungen dient, und der Einsatz von Bot*innen. Beide ermöglichen die Überwindung von räumlichen Entfernun‐ gen, die einer erfolgreichen Kommunikation entgegenstehen. Da es dabei zunächst nur darum geht, Informationen in eine Richtung, also von Sen‐ der*innen zu Empfänger*innen zu übermitteln, spricht man von Verbrei‐ tungs- oder Übertragungsmedien. Moderne und auf einer Technologie basierende Verbreitungsmedien sind zum Beispiel das Megaphon, das Flugblatt/ der Flyer, das Radio und das tra‐ ditionelle Fernsehen. Wenn man diese Beispiele betrachtet, wird auch klar, dass es bei Verbreitungsmedien nicht nur um die Überwindung von räumli‐ chen Distanzen geht. Vielmehr ist ein wichtiger Aspekt, dass man mit ihnen auch einen größeren Adressat*innenkreis erreichen kann: Die Informationen werden unter einer größeren Anzahl von Menschen verbreitet. Für Kommunikationsmedien wie Briefverkehr oder Telefon ist dies hin‐ gegen kein entscheidender Punkt. In diesen Fällen erfolgt der Austausch von Informationen prototypischerweise zwischen zwei Individuen. Zwar gibt es mittlerweile auch die Möglichkeit von Telefon- oder Videokonferenzen - im Internet zum Beispiel mittels Skype -, an denen durchaus auch eine größere Anzahl von Leuten teilnehmen kann. Dennoch bleibt auch in diesen Fällen die Möglichkeit von Rückmeldungen, also der Wechsel der Rollen von Sen‐ 2.2 Was ist ein Medium? 65 Speichermedien der*in und Empfänger*in der wesentliche Aspekt. Potenzielle Interaktivität ist daher das definitorische Merkmal von Kommunikationsmedien. Ein anderes Problem, das einer Kommunikationsintention entgegensteht, kann auch sein, dass wir nicht so sehr räumliche, sondern zeitliche Distanzen zu überwinden haben. Wir müssen in solchen Fällen die Informationen für einen späteren Zeitpunkt verfügbar halten, das heißt, wir müssen sie spei‐ chern. In früheren Zeiten (und in schriftlosen Kulturen auch heute noch) war die einzige Möglichkeit, sich die Dinge zu merken, über die man sprechen wollte. Für die Speicherung wichtiger, für eine ganze Gruppe bedeutsamer Informationen kristallisierten sich „Spezialist*innen“ als Mensch-Medien heraus (vgl. Ehlich 1983: 31 f.) Das bekannteste Beispiel dafür sind wohl Druid*innen, deren berühmtester - wenn auch fiktiver - Vertreter Miraculix aus den Asterix-Comics ist. Die wichtigste Information, über die er verfügte, nämlich das Rezept des Zaubertranks, wurde seit Generationen nur von Druid*innenmund zu Druid*innenohr weitergegeben (https: / / www.comedix .de/ lexikon/ special/ zaubertrank.php). Er und seine Vorgänger*innen fun‐ gierten somit in ihrer - fiktiven - Gesellschaft wie ihre Pendants in der realen Welt als Spezialist*innen, die für ihre Kultur essentielles Wissen speicherten und es weitergaben. Heutzutage sind wir nicht mehr auf solche Mensch-Medien angewiesen, aber wir benötigen natürlich weiterhin Speichermedien wie zum Beispiel ein gedrucktes Buch (genereller: den Buchdruck oder die Schrift), eine Audio‐ kassette, eine DVD oder eine CD-ROM. Mithilfe dieser Medien speichern wir Informationen und halten sie für spätere Kommunikationssituationen ver‐ fügbar. Dabei ist die Dauer der Speicherung zunächst ohne Relevanz: Eine Tafel mit in Stein gemeißelten Hieroglyphen ist genauso ein Speichermedium wie ein Post-it mit der Botschaft: „Milch fehlt“, das auf die Kühlschranktür geklebt und vielleicht schon fünf Minuten später wieder entfernt wird. Zu beachten ist, dass die Klassifizierung einzelner Medien nicht in jedem Fall eindeutig ist. Zum Beispiel ist ein Brief, der Teil eines Briefverkehrs ist, zwar ein Kommunikationsmedium; als solches kann er aber nur fungieren, weil die vermittelte Botschaft in ihm schriftlich fixiert, also gespeichert wurde. Ein Brief ist somit primär aufgrund seiner Funktion ein Kommuni‐ kationsmedium. Daneben ist er aber auch ein Speichermedium. Zusammenfassend und etwas vereinfachend kann man feststellen, dass ▸ Verbreitungsmedien eine Extension unserer Befähigung zur Signal‐ ▸ produktion bewirken, ▸ Kommunikationsmedien unsere Fähigkeiten zu kommunizieren und ▸▸ Speichermedien einen Teil unserer kognitiven Fähigkeiten, nämlich ▸ unser Gedächtnis erweitern. 2 Medientheorie des Internets 66 Sinnesmodalitäten Kanal Das Internet kann, wie wir noch sehen werden, sowohl als Verbreitungsme‐ dium als auch als Kommunikationsmedium als auch als Speichermedium fungieren. 2.2.4 Von Kanälen, Sinnesmodalitäten und Codes: Elemente (technischer) Medien und Mediendefinition Medien - und insbesondere technische Medien - sind komplex. Sie setzen sich aus mehreren Elementen zusammen bzw. weisen unterschiedliche As‐ pekte auf, die erst als Gesamtheit die Eigenheiten eines Mediums begründen: Elemente eines Mediums Sinnesmodalität die Sinnesorgane, die bei der Verarbeitung der über das Medium vermittelten Informationen beteiligt sind Kanal die physikalische Grundlage des Mediums bzw. der von ihm hergestellten Verbindung technischer Apparat und seine Produkte die dem Medium zugrundeliegende Technologie Medieninstitution die soziale Institution, die das Medium zur Verfügung stellt Kommunikationsform/ mediale Gattung / Text‐ sorte die vom Medium ermöglichten und im Medium gebräuchlichen kulturellen Praktiken der Informati‐ onsverbreitung und Kommunikation semiotischer Modus / Code die im Medium verwendbaren und verwendeten Zeichenressourcen und -systeme Tab. 2-1: Elemente eines technischen Mediums Um seine Vermittlungsfunktion erfüllen zu können, muss ein Medium Si‐ gnale vermitteln, die von zumindest einem Rezeptionssorgan des Menschen verarbeitet werden können. Es gibt demnach vom Gesichtspunkt der Rezep‐ tion aus in Hinblick auf vom Menschen verarbeitbare Signale die folgenden Sinnesmodalitäten: visuell (Sehsinn), auditiv (Hörsinn), olfaktorisch (Ge‐ ruchsinn), gustatorisch (Geschmackssinn) und taktil (Tastsinn). Das Radio zum Beispiel spricht ausschließlich den Hörsinn an. Dieses Medium und die von ihm vermittelten Botschaften sind daher wesentlich durch die auditive Sinnesmodalität geprägt. Damit Signale überhaupt verarbeitet werden können, müssen sie zunächst das entsprechende Sinnesorgan erreichen. Es muss also eine physikalische Verbindung zwischen Produzent*innen und Rezipient*innen geben, über die die Signale vermittelt werden. Diese physikalische Verbindung wird als Ka‐ 2.2 Was ist ein Medium? 67 Technischer Apparat Medieninstitution Kommunikati‐ onsformen, mediale Gattungen, Textsorten Semiotischer Modus, Code nal bezeichnet. Man unterscheidet entsprechend zum Beispiel optische (d. h. Lichtwellen leitende), akustische (z. B. die Luft als Schallwellen leitendes Element) und haptische (z. B. die Haut, die taktile Reize überträgt) Kanäle Der mehr oder weniger komplexe technische Apparat, mit dessen Hilfe die Signale vermittelt werden, bildet den Kern jedes (technischen) Mediums. Häufig bezeichnet man auch nur dieses Element alleine als Medium. Ohne die Nutzung eines Kanals, einer Sinnesmodalität etc. kann ein technischer Apparat aber nicht als Medium fungieren. Daher sollten die anderen Ele‐ mente auch ihre Berücksichtigung finden, wenn man ein Medium beschreibt. Als Beispiele für solche technischen Apparate und ihre Produkte wären der Buchdruck mit den daran beteiligten Druckmaschinen und den Drucker‐ zeugnissen oder Videokameras mit den damit erzeugten Videos und den Projektionsflächen zu nennen. An den meisten Fällen medialer Kommunikation sind soziale Institutionen beteiligt, die die Vermittlung von Informationen erst ermöglichen. Beispiele für solche Medieninstitutionen sind Verlage, Theater, Museen oder Telefon‐ anbieter. Im Internet wären das Internetprovider, auf einer anderen Ebene aber auch zum Beispiel YouTube, WhatsApp oder Wikipedia. Im Zuge von Kommunikationsprozessen mittels eines Mediums bilden sich bestimmte Formen der Kommunikation heraus, die einerseits durch die technisch-physikalischen Gegebenheiten des Mediums, andererseits durch das Kommunikationsverhalten der Kommunizierenden geprägt sind. Solche konventionalisierten Formen sind Ausdruck kultureller Praktiken der Kom‐ munikation. Man spricht hier von Kommunikationsformen, medialen Gat‐ tungen oder Textsorten (siehe dazu Kapitel 5.4). Beispiele dafür sind Tierdo‐ kumentationen im Fernsehen, Nachrichtensendungen im Radio, Zeitungskommentare oder Liebesbriefe. Abhängig von den technischen und physikalischen Grundlagen eines Me‐ diums und davon, welche Sinne angesprochen werden, kann zur Formulie‐ rung einer medialen Botschaft auf verschiedene semiotische Ressourcen zu‐ rückgegriffen werden. Eine solche Zeichenressource bezeichnet man als semiotischen Modus. Es handelt sich hierbei quasi um das Material, aus dem die Zeichen produziert werden, wobei bereits eine bestimmte Konventiona‐ lisierung der Nutzung als Zeichenressource gegeben sein muss (vgl. Kress 2010: 84 ff.). Beispiele für semiotische Modi sind Schriftarten, Bilder und die menschliche Sprache. Wenn eine Form der Nutzung eines semiotischen Mo‐ dus bereits stark konventionalisiert ist, das heißt, wenn Zeichenformen und Zeichenbedeutungen bereits relativ fest miteinander verknüpft sind, liegt ein Code vor (vgl Fraas/ Meier/ Pentzold 2012: 57). Codes sind demzufolge nicht mehr nur Zeichenressourcen, sondern Zeichensysteme wie Einzelsprachen (Deutsch, Englisch etc.), eine Geheimschrift oder Verkehrsschilder. 2 Medientheorie des Internets 68 Damit lässt sich zum Beispiel ein Telefongespräch so beschreiben: Bot‐ schaften werden von den Gesprächsteilnehmer*innen wechselseitig ausge‐ tauscht. Dabei werden die auditive Sinnesmodalität und der akustische Kanal sowie die menschliche (gesprochene) Sprache als semiotischer Modus und eine bestimmte Sprache als Code verwendet. Eine Telefongesellschaft stellt als Medieninstitution das Telefon als technischen Apparat für ein Telefon‐ gespräch als mediale Gattung zur Verfügung. Aufgabe 2-3 Wenn Sie eine Folge einer Serie wie „The Big Bang Theory“, „Sherlock“ oder „Game of Thrones“ anschauen, wie sehen da die einzelnen Medi‐ enelemente konkret aus? Welche Sinnesmodalitäten werden genutzt? Welche Kanäle? Etc. Wir haben uns bei der Beschreibung der einzelnen Elemente eines Mediums und bei unseren Beispielen auf technische Medien beschränkt. Außerdem betrachten wir den jeweiligen technischen Apparat als den Kern eines Me‐ diums. Damit verwenden wir in Anlehnung an McLuhan einen technologi‐ schen Medienbegriff. MEDIUM kann somit folgendermaßen definiert wer‐ den: Medien sind technische Mittel (unterschiedlicher Komplexität), die, in‐ dem sie zur Verbreitung und/ oder Speicherung von Informationen und/ oder zur Kommunikation verwendet werden können, eine Extension be‐ stimmter körperlicher und geistiger zur Kommunikation und Kognition notwendiger Fähigkeiten des Menschen bewirken. Darüber hinaus können Medien als Formen der Zeichenprozessierung (vgl. Schneider 2017: 37), d. h. der Verarbeitung von Zeichen betrachtet werden, wobei der Form der Zeichenprozessierung durch die jeweiligen materiellen Bedingungen, die sich aus den technischen oder/ und physikalischen Grund‐ lagen des jeweiligen Mediums ergeben, ein Rahmen gesetzt wird (vgl. Kap. 2.2.6). 2.2.5 Primäre, sekundäre und tertiäre Medien Auch wenn wir uns mit unserer Definition auf technische Medien beschrän‐ ken, kann noch eine Unterteilung in drei Kategorien (vgl. Kerlen 2003: 13-14) 2.2 Was ist ein Medium? 69 Primäre Medien Sekundäre Medien Tertiäre Medien Weitere Funktionen von Medien unternommen werden, wobei Medien der ersten Kategorie jedoch nicht mehr unter unseren Medienbegriff fallen. Primäre Medien sind dadurch charakterisiert, dass sie Kommunikation ohne den Einsatz eines technischen Geräts bzw. ohne technische Unterstüt‐ zung ermöglichen, also gerade ohne das, was wir in unserer engeren Defi‐ nition als das zentrale Element eines Mediums ansehen. Dazu zählen Sprache, Mimik und Gestik. Primäre Medien ermöglichen somit nur direkte, unmit‐ telbare Kommunikation im Rahmen von Face-to-Face-Gesprächen. Sekundäre Medien bedürfen hingegen eines technischen Geräts zur Her‐ stellung und Verbreitung ihrer Botschaft. Dazu gehören zum Beispiel das Foto (bzw. der Fotoapparat) oder ein mithilfe von Pinseln und Farben her‐ gestelltes Gemälde. Für beide Arten von Bildern benötigt man ein technisches Gerät zur Produktion, jedoch keines zur Rezeption der über das Medium vermittelten Botschaft. Ein weiteres, wenn auch anders geartetes Beispiel ist das Megaphon. Tertiäre Medien wie das Telefon funktionieren nur, wenn sowohl Sen‐ der*innen als auch Empfänger*innen über ein technisches Gerät verfügen. Dies ist zum Beispiel auch beim Fernsehen der Fall, für das ein Fernsehsender, aber auch ein Empfangsbzw. Endgerät notwendig sind. Da wir für die Nut‐ zung des Internets sowohl als Produzent*innen als auch als Rezipient*innen einen Computer benötigen, ist das Internet ein tertiäres Medium 2.2.6 Ist das Medium die Botschaft? Bislang haben wir nur die Grundfunktion von Medien besprochen: Medien dienen der Vermittlung von Informationen zwischen Personen über räumli‐ che und zeitliche Distanzen hinweg. Dies gilt, wenn auch auf etwas unter‐ schiedliche Weise, für Verbreitungs-, Speicher- und Kommunikationsmedien und sowohl für sekundäre als auch für tertiäre Medien. Im Zuge dieser Vermittlung von Informationen tun wir als Mediennut‐ zer*innen jedoch noch etwas anderes: Wir wählen die Informationen aus, ordnen und strukturieren sie. Auf diese Weise gestalten wir die Botschaft, die wir vermitteln wollen. Dies ist auch notwendig, damit Empfänger*innen sie verarbeiten können. Sonst geht es ihm*ihr zum Beispiel wie jemandem, der*die den Schulaufsatz eines Grundschülers oder einer Grundschülerin liest, der bzw. die noch nicht gelernt hat, einen Text zusammenhängend zu strukturieren. In so einem Aufsatz stehen zwar vielleicht viele Informationen, aber nicht unbedingt die relevanten. Außerdem fehlt oft noch die Ordnung, es gibt Sprünge und Lücken in der Erzählung. Eine kohärente Interpretation des Aufsatzes und damit ein Verstehen der Botschaft kann so für die Rezipi‐ ent*innen erschwert, in Extremfällen sogar unmöglich werden. In diesem Fall wird das Problem durch die mangelnde Kompetenz des Senders oder der 2 Medientheorie des Internets 70 Einfluss des Mediums auf die Botschaft Senderin verursacht. Er*sie beherrscht den Umgang mit dem Medium Schrift und das Verfassen komplexer Texte noch nicht in ausreichendem Maß. Daran kann man erkennen, dass Medien neben ihrer Hauptfunktion als Informationsvermittler und den damit verbundenen Funktionen des Ver‐ breitens, des Speicherns und der Kommunikation auch noch weitere Funk‐ tionen haben: Sie dienen den Produzent*innen von Texten oder anderen Kommunikaten zur Bearbeitung, Strukturierung und Gestaltung von Infor‐ mationen (vgl. Kerlen 2003: 14). Der entscheidende Punkt dabei ist aber, dass wir Medien nicht einfach so benützen können, wie wir wollen. Vielmehr beeinflusst ein Medium die Se‐ lektion der zu vermittelnden Information, deren Strukturierung und die Ge‐ staltung der Botschaft. Wenn wir uns schon durch langen Gebrauch an den Umgang mit einem Medium gewöhnt haben und vor allem solange keine Probleme auftauchen, bemerken wir diese Wirkung eines Mediums zumeist nicht. Im Grunde sollen wir sie auch nicht bemerken: „Medien wirken wie Fensterscheiben: Sie werden ihrer Aufgabe umso besser gerecht, je durchsichtiger sie bleiben, je unauffälliger sie un‐ terhalb der Schwelle unserer Aufmerksamkeit verharren.“ (Krämer 1998: 74) Kommunikation mittels eines Mediums - so die Annahme - funktioniert demnach im Normalfall so, dass uns dessen Eigenheiten gar nicht bewusst werden. Andererseits fallen auch Lai*innen zumindest bei manchen Medien sehr wohl deren technische und materielle Bedingungen auf (vgl. Schmitz 2004: 28). Dies vor allem dann, wenn uns diese Bedingungen in unseren Möglichkeiten zu kommunizieren einschränken. So ist zum Beispiel die be‐ schreibbare Fläche auf einer Ansichtskarte, bei einer SMS oder bei Twitter knapp bemessen. Daher können mittels dieser vom jeweiligen Medium be‐ stimmten Kommunikationsformen keine längeren Botschaften vermittelt werden - außer man sendet eine ganze Serie von Ansichtskarten bzw. SMS oder verlinkt einen längeren Text mit dem Tweet. Medien ermöglichen also nicht nur Informationsverarbeitung und Kommunikation, sie schränken diese auch wieder ein. 2.2 Was ist ein Medium? 71 Beispiel Fernsehen Medium und Gestaltung der Botschaft Aufgabe 2-4 Überlegen Sie, inwiefern das Medium Radio - und damit ist heutzutage auch das Internetradio gemeint - die vermittelten Botschaften prägt. Wie beeinflusst es die Selektion und Gestaltung der Informationen? Betrachten wir als weiteres Beispiel das Fernsehen: Dieses Medium ermög‐ licht es, den akustischen und den optischen Kanal zur Informationsvermitt‐ lung zu nutzen. Daher kann auf semiotische Modi zurückgegriffen werden, die auf der auditiven und der visuellen Sinnesmodalität beruhen. Mittels des Fernsehens können also Geräusche, Musik und sprachliche Zeichen sowie stehende und - typischerweise - bewegte Bilder gesendet werden. Der Einfluss des Mediums Fernsehen auf die gesendeten Botschaften er‐ streckt sich jedoch nicht nur darauf, dass es etwas ermöglicht. Vielmehr geht es auch darum, dass das Medium eine bestimmte Art von Botschaften und eine bestimmte Gestaltung nahelegt. So wird in einer Nachrichtensendung wie der „Tagesschau“ oder auf einem Nachrichtensender wie CNN eine Mel‐ dung eher gesendet, wenn es dazu effektvolle Bilder gibt. Ist das nicht der Fall, wird entweder versucht, irgendwie passende Bilder aufzutreiben, oder die Meldung wird in die Rubrik „Kurznachrichten“ verbannt und vielleicht nur vor dem Hintergrund eines stehenden Bildes vorgelesen. Dies geschieht natürlich auch eher, wenn die Meldung keine so große Bedeutung hat. Den‐ noch: Auch das Medium - jedes Medium - wirkt als Filter und gestaltet so die Botschaft mit. Diese Funktion eines Mediums beschränkt sich nicht nur auf seine Filter‐ wirkung, also auf die Selektion von Informationen. Darüber hinaus müssen Sender*innen auf die vom Medium bereitgestellten Möglichkeiten zur Ge‐ staltung bzw. zur Formulierung der Botschaft zurückgreifen. Anders ausge‐ drückt: Sie können die Angebote nutzen, die ihnen das Medium bietet. Bei‐ spielsweise können sie in eine SMS Emoticons einbauen oder Links in einen Tweet. Ansonsten sind sie bei SMS - im Unterschied zu MMS - aber auf die Nutzung des semiotischen Modus der geschriebenen Sprache angewiesen. Die Gestaltung einer Botschaft hängt also ganz wesentlich vom verwen‐ deten Medium ab: Medien „ermöglichen spezifische Performanzen“ (Schnei‐ der 2006: 81). Das heißt, dass ein Medium aufgrund seiner technisch-media‐ len Eigenschaften die konkrete Durchführung kommunikativer Handlungen ermöglicht, aber eben nur eine Durchführung auf eine spezifische Weise. Zum Beispiel ist eine Performanz im Radio oder bei einem Telefongespräch auf akustische Zeichen angewiesen, im Fernsehen oder beim Video-Skypen kommen hingegen Bilder dazu, im Falle des Fernsehens auch noch schriftli‐ 2 Medientheorie des Internets 72 che Texte oder zumindest Elemente, wie z. B. eingeblendete Schlagzeilen in Nachrichtensendungen. Diese schriftlichen Texte sind normalerweise aber sehr kurz, weil längere Texte im Medium Fernsehen nicht adäquat wären. Jedes Medium prägt also die vermittelten Performanzen und die in ihm erzeugten Kommunikate wie Fernseh- oder Radiosendungen, Zeitungsarti‐ kel, Werbeplakate, SMS, Tweets oder Blogs. Dadurch wird über den Zei‐ chengebrauch auch der Inhalt der Botschaft modifiziert (vgl. Habscheid 2000: 137). Ein im Fernsehen gesendeter Bericht hat deshalb nie den exakt gleichen Inhalt wie ein Bericht im Radio, selbst wenn in beiden das gleiche Ereignis thematisiert wird. Mit McLuhan könnte man also feststellen: „The medium is the message.“ (McLuhan 2003: 19) Natürlich ist diese Formulierung - wie häufig bei McLuhan - überspitzt. Er hat sie auch im Titel seines Buches „The Medium is the Massage“ (McLuhan/ Fiore 1967) umformuliert, aber nur auf den ersten Blick etwas abgeschwächt. Denn auch dort behauptet er: „All media work us over completely. They are so pervasive in their […] consequences that they leave no part of us untou‐ ched, unaffected, unaltered. The medium is the massage“ (McLuhan/ Fiore 1967: 26). Es ist möglicherweise nur ein Gerücht, dass McLuhan dabei übri‐ gens einfach den Satzfehler seines Lektors beibehalten hat. Aufgabe 2-5 Überlegen und diskutieren Sie: Auf welche Weise „massiert“, also be‐ einflusst und verändert das Internet unsere Art zu kommunizieren und unsere moderne Gesellschaft im Sinne McLuhans? Nun mag man die Ansichten McLuhans für übertrieben halten. Die Wirkung eines Mediums auf die Gestalt der Botschaft lässt sich aber nicht leugnen. Medien prägen die Art, wie wir kommunizieren, und sie beeinflussen, was wir kommunizieren. Sie geben uns bis zu einem gewissen Grad und je nach Medium auf unterschiedliche Weise vor, wie wir unsere Kommunikate for‐ mulieren, welche semiotischen Modi wir verwenden, welche Inhalte wir vorzugsweise vermitteln oder speichern und wie wir die Informationen ord‐ nen und strukturieren. Zwar sind genau das - neben der grundlegenden Vermittlungsfunktion - die Funktionen von Medien. Man darf aber nicht übersehen, dass Medien sich nicht einfach so benutzen lassen. Vielmehr bestimmen ihre Rahmenbedin‐ 2.2 Was ist ein Medium? 73 Constraints und affordances gungen ganz entscheidend mit, auf welche Weise wir diese Funktionen nut‐ zen können. Diese Rahmenbedingungen können in Anlehnung an Lemke (2002) und Barton/ Lee (2013: 27 ff.) als affordances und constraints bezeichnet werden (vgl. auch Bucher/ Helmond 2019). Affordances - oder „Ermöglichungen“ - sind sozusagen die positiven Rahmenbedingungen, d. h. das, was ein Medium als Möglichkeiten für die Formulierung und Gestaltung eines Kommunikats anbietet. Constraints dagegen sind die technisch begründeten Einschrän‐ kungen durch das Medium. Vor allem letztere erzeugen den „medialen Wi‐ derstand“ (vgl. Knape 2000: 62 ff.), den jemand überwinden muss, wenn er oder sie mittels eines bestimmten Mediums kommunizieren möchte. So muss zum Beispiel jemand, der*die eine populärwissenschaftliche Radiosendung über eine neu entdeckte Tierart gestalten möchte, auf ge‐ naue Beschreibungen und Vergleiche zurückgreifen, da ihm*ihr der opti‐ sche Kanal nicht für die Präsentation von Abbildungen des Tiers zur Ver‐ fügung steht. Allerdings bewirkt in so einem Fall der mediale Widerstand, dass eine optimale Lösung kaum möglich ist. In einem Medium wie dem Fernsehen hingegen wäre der diesbezügliche mediale Widerstand gerin‐ ger. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass Tierdokumentationen eher im Fernsehen gesendet werden, während Musiksendungen auch und be‐ sonders im Radio ihren Sendeplatz finden. Da das Internet, wie wir noch sehen werden (Kapitel 2.4.3), die Möglichkeiten mehrerer Medien in sich vereinigt, ist dort der mediale Widerstand für einen Bericht über eine neu entdeckte Tierart noch geringer. Allerdings ergeben sich hier Constraints im Rahmen des jeweils gewählten Teilmediums (z. B. Internet-TV, Inter‐ netradio etc.) bzw. der jeweiligen Kommunikationsform (Website, Soziale- Netzwerk-Seite, Foto-Blog etc.). Diese Rahmenbedingungen, die Constraints und Affordances, haben nicht nur Auswirkungen auf die Gestaltung einzelner Kommunikate. Darüber hin‐ aus sind sie auch die technische Grundlage für die Herausbildung von For‐ men der Kommunikation in einem Medium. 2.2.7 Von konventionalisierten kommunikativen Handlungen: Kommunikationsformen Wir haben gesehen, wie Medien auf die menschliche Kommunikation ein‐ wirken: „Medien schneiden aus der Fülle der kommunikativen Möglichkeiten bestimmte heraus und gestalten sie aus […].“ (Baecker 2005: 177) Zum Bei‐ spiel können wir in bestimmten Medien nur den optischen oder den akusti‐ schen Kanal und jeweils nur geeignete semiotische Modi verwenden. Da‐ durch wirken sich die technischen Gegebenheiten eines Mediums auf die Formen unserer kommunikativen Handlungen aus. 2 Medientheorie des Internets 74 Kommunikati‐ onsformen Die 5 Kriterien von Kommunika‐ tionsformen Zeichentyp Kommunikati‐ onsrichtung Man sollte allerdings dabei nicht übersehen, dass nicht alleine das Medium die Herausbildung solcher formaler Strukturen der Kommunikation be‐ stimmt. Die Benutzer*innen eines Mediums wählen im Allgemeinen auch aus den jeweiligen Affordances aus, wenn sie kommunizieren, und entwi‐ ckeln so quasi die Formen mit. Dies können sie jedoch nur im Rahmen der vorgegebenen medialen Bedingungen tun. Wenn solche Formen kommunikativer Handlungen gebräuchlich werden, wenn sie bis zu einem gewissen Grad konventionalisiert werden, spricht man von Kommunikationsformen (vgl. Brock/ Schildhauer 2017). Dazu ist anzu‐ merken, dass es auch Kommunikationsformen gibt, die keines technischen Mediums bedürfen. Auch ein Face-to-Face-Gespräch oder eine ohne techni‐ sche Hilfsmittel gehaltene Rede sind Kommunikationsformen. Kommunikationsformen können also definiert werden als „[…] kommu‐ nikative Konstellationen, die über ein Hilfsmittel erst möglich gemacht wer‐ den, aber auch [als] solche, die ohne Hilfsmittel auskommen“ (Dürscheid 2005b: 2). Sie sind voneinander mittels folgender wesentlicher Kriterien zu unterscheiden (vgl. dazu Ziegler 2002: 21 und Holly 1996: 11): Der verwendete Zeichentyp ist ein wichtiges Merkmal von Kommunika‐ tionsformen. Grundlegend wird hier zwischen verbalen und non-verbalen Zeichen unterschieden und bei den verbalen wiederum zwischen gespro‐ chener und geschriebener Sprache. Man muss allerdings ergänzen, dass sich manche Kommunikationsformen, wie zum Beispiel Fernsehsendungen, ge‐ rade durch eine Mischung mehrerer (verbaler und non-verbaler) Zeichenty‐ pen - oder semiotischer Modi - auszeichnen. Außerdem muss natürlich bei nonverbalen Zeichen weiter differenziert werden. Schließlich wären hier so unterschiedliche Zeichentypen wie Körpersprach-, Bild- oder Musikzeichen zu nennen. Die Kommunikationsrichtung ist entweder einseitig oder wechselseitig. Die Kommunikation kann also monologisch (Ansprache, Radiosendung etc.) oder dialogisch (Face-to-Face-Gespräch, Telefongespräch etc.) verlaufen. Manche Kommunikationsformen, wie zum Beispiel ein Brief oder eine SMS, gelten zwar als monologisch (vgl. Holly 1996: 12), sie ermöglichen oder for‐ dern aber oft eine Antwort. Solche Kommunikationsformen sind daher nicht so prototypisch monologisch wie eine Fernsehsendung oder ein Zeitungs‐ artikel. Zu beachten ist auch, dass durch eine Kombination zweier Kommunika‐ tionsformen eine neue Kommunikationsform entstehen kann. Ein Beispiel wäre eine Phone-in-Sendung, die die monologische Kommunikationsform Radiosendung mit der dialogischen des Telefongesprächs verbindet. Im Internet waren die Websites von Online-Zeitungen zunächst monolo‐ gische Kommunikationsformen. Mit der Einführung der Möglichkeit, Kom‐ mentare zu Artikeln zu posten bzw. auch diese Kommentare wiederum zu 2.2 Was ist ein Medium? 75 Medium Zeitlichkeit Anzahl der Kom‐ munikationspartner*innen kommentieren, hat sich aber auch hier eine komplexe Kommunikationsform mit monologischen und dialogischen Elementen etabliert. Kommunikationsformen unterscheiden sich auch in Hinblick auf die Ka‐ pazität des verwendeten Mediums zur Speicherung und Übertragung von Daten. Dies sollte aber nicht nur quantitativ verstanden werden. Vielmehr gehört zur Kapazität auch, welche Art von Daten bzw. Informationen ge‐ speichert oder übertragen wird. Generell kann überhaupt das Medium an sich als Kriterium zur Beschreibung einer Kommunikationsform herangezo‐ gen werden. So unterscheiden sich zum Beispiel Brief und E-Mail oder Radio- und Fernsehsendung gerade durch das verwendete Medium. Es werden zuweilen (vgl. z. B. Holly 1996: 10) auch Kommunikations‐ formen angenommen, die nicht an ein bestimmtes Medium gebunden sind. Hollys Beispiel ist die Kommunikationsform Zeichnung. Zeich‐ nungen können sowohl mit einem Bleistift auf Papier, mit Kreide auf einer Tafel als auch mit einem Zeichenprogramm auf einem Compu‐ terbildschirm hergestellt werden. Es ist aber fraglich, ob man dann tat‐ sächlich noch von der jeweils gleichen Kommunikationsform sprechen sollte oder nicht doch besser von Bleistift-, Kreide- und Computer‐ zeichnungen als unterschiedliche, wenn auch verwandte Kommuni‐ kationsformen. Auch das Kriterium der Zeitlichkeit erlaubt nicht in jedem Fall eine eindeu‐ tige Bestimmung, obwohl die Unterscheidung von synchronen und asyn‐ chronen Kommunikationssituationen zunächst klar erscheint: Entweder liegt zeitliche Unmittelbarkeit vor oder nicht. So kann ein Face-to-Face-Ge‐ spräch als synchron und ein Briefwechsel als asynchron verlaufend beschrie‐ ben werden. Wie sieht es jedoch mit E-Mails aus? An sich sind diese auch asynchrone Kommunikationsformen. Aufgrund der Schnelligkeit der Da‐ tenübertragung können sich aber quasi E-Mail-Gespräche entwickeln, wenn beide Kommunikationspartner jeweils rasch antworten. Das Kriterium „syn‐ chron - asynchron“ ist also in diesem Fall - noch deutlicher zum Beispiel bei WhatsApp - relativ. Das letzte Merkmal betrifft die Anzahl der Kommunikationspartner*in‐ nen. Damit können vor allem Kommunikationsformen der Massenkommu‐ nikation von solchen unterschieden werden, die eher in einem privaten oder zumindest überschaubaren Rahmen bleiben. Auch hier gibt es aber Misch‐ formen. In einer Talkshow oder bei einem Interview in einem Fernsehma‐ gazin sprechen nur wenige Personen miteinander. Erreicht wird mit der Sen‐ dung aber ein Massenpublikum. Ähnlich ist es im Falle einer Diskussion in einem Internet-Forum oder auf einer öffentlichen Facebook-Seite. 2 Medientheorie des Internets 76 Modell medialer Kommunikation Aufgabe 2-6 Beschreiben Sie mithilfe dieser fünf Kriterien, Zeichentyp, Kommuni‐ kationsrichtung, Medium, Zeitlichkeit und Anzahl der Kommunikati‐ onspartner*innen, die Kommunikationsformen „Kinofilm“, „Rede vor einem Publikum“ und „Chat“. Man kann feststellen, dass im Grunde alle Kriterien mehr oder weniger direkt mit dem jeweils verwendeten Medium in Zusammenhang stehen. Wenn auch die Nennung des Mediums als einziges Beschreibungsmerkmal einer Kom‐ munikationsform natürlich nicht ausreicht, so ist daher doch zu erkennen, dass seine Affordances und Constraints maßgeblich an der Herausbildung von Kommunikationsformen beteiligt sind. 2.2.8 So funktioniert es generell: Mediale Kommunikation - ein allgemeines Modell Medien spielen also eine entscheidende Rolle bei der Speicherung und der Verbreitung von Informationen und sie wirken prägend auf die Durchfüh‐ rung kommunikativer Handlungen. Letztendlich hängen alle genannten Funktionen mit ihrer Hauptfunktion zusammen: Kommunikation zu erleich‐ tern oder überhaupt erst zu ermöglichen. Das gilt nicht nur für die Kommu‐ nikationsmedien im engeren Sinn, die interaktives kommunikatives Handeln erlauben. Auch die anderen Medien dienen der Kommunikation, wenn diese dort auch - zumindest was das Senden einer Botschaft betrifft - einseitig bleibt. Aus diesem Grund führen wir hier nur ein generelles Modell von Kommunikation an (Abbildung 2-1), das diese verschiedenen Arten von Kommunikation abbildet. Dieses Modell abstrahiert außerdem von den Ei‐ genheiten einzelner Medien, weshalb es im Großen und Ganzen für alle Kommunikationsprozesse mithilfe technischer Medien gültig ist. Ein spezi‐ elles Modell für Internet-Kommunikation wird dann in Kapitel 2.4.5 erstellt. Das allgemeine Kommunikationsmodell ist angelehnt an das von Strohner (2001: 21), wurde aber in einigen Punkten stark verändert. Wir verwenden zum Beispiel - anders als Strohner - den oben dargestellten technischen Medienbegriff. Deshalb bezieht sich unser Modell nur auf Kommunikation, die mittels eines technischen Mediums vollzogen wird. 2.2 Was ist ein Medium? 77 Erläuterung des allgemeinen Kommunikationsmodells Abb. 2-1: Modell zur Kommunikation mittels eines technischen Mediums Zur Erläuterung der einzelnen Komponenten des Modells (Abbildung 2-1): Die Modellkomponenten Sender und Empfänger sind im einfachsten Fall zwei Personen, die miteinander kommunizieren. Typisch wäre dafür ein Te‐ lefongespräch. Es kann aber auch sein, dass keine konkrete Person als Sender identifiziert werden kann, sondern dass es sich um eine Medieninstitution, wie zum Beispiel einen Radio- oder Fernsehsender, handelt. Die Komponente des Empfängers kann auf der anderen Seite auch aus mehr als einer konkre‐ ten Person bestehen. Dies ist typischerweise bei Massenmedien, wiederum wie dem Radio oder dem Fernsehen, der Fall. 2 Medientheorie des Internets 78 Sendegerät und Empfangsgerät Kanal Massenmedien sind Medien, mittels derer einseitig verlaufende Mas‐ senkommunikation stattfindet, bei der ein großes, anonymes und di‐ sperses Publikum öffentlich adressiert wird (vgl. Hartmann 2008: 64). Unser Modell unterscheidet in der Darstellung nicht zwischen Individual- und Massenkommunikation bzw. zwischen den jeweils dafür geeigneten Medien, weil es allgemeine Gültigkeit haben soll. Es abstrahiert des Weiteren von der Unterscheidung zwischen einseitiger und wechselseitiger Kommu‐ nikation. Mit dem Modell wird daher sowohl Kommunikation in einem in‐ teraktiven Medium dargestellt wie auch in einem, das keine Möglichkeit zur Rückmeldung bietet. Im Falle von Interaktivität sind ja auch nur die Rollen der Kommunizierenden vertauscht: Sender*innen einer ersten, initiierenden kommunikativen Handlung werden zu Empfänger*innen der reagierenden Handlung, also der Antwort, und umgekehrt. Die Struktur des Kommunika‐ tionsprozesses an sich verändert sich daher nicht. Das Medium umfasst die darin enthaltenen Komponenten „Sendegerät“, „Empfangsgerät“ und „Kanal“. Es ist das technische Mittel, das zur Kommu‐ nikation benützt wird. Um mit Hilfe eines technischen Mediums kommunizieren zu können, be‐ nötigt man zunächst ein Sendegerät, mit dem Sender*innen die Informatio‐ nen in das Medium eingeben und sie abschicken können. Beispiele sind ein Telefon oder beim Medium Radio ein komplexer Verbund technischer Geräte wie unter anderem ein Mikrophon und ein Radiowellensender. Für Eingaben in das Internet benötigt man einen PC, ein Tablet, ein Smartphone oder ein ähnliches Gerät. Bei tertiären Medien müssen dann auch die Empfänger*innen über ein technisches Gerät verfügen, das das Empfangs- oder Endgerät des Mediums ist, also zum Beispiel ein Fernseh- oder ein Radiogerät oder ebenfalls ein Telefon. Im Falle von sekundären Medien entfällt diese Komponente. Der Informationsträger erreicht dann direkt das entsprechende Sinnesorgan des Empfängers oder der Empfängerin. Der Kanal bildet die Verbindung zwischen Sende- und Empfangsgerät. Über ihn werden die Informationen als Signale geschickt. Bei einem Face-to-Face-Gespräch wäre die Luft der Kanal, in dem sich die Schallwellen ausbreiten. Bei einem Telefongespräch ist der Kanal die Telefonleitung, durch die die elektrischen Impulse gesendet werden (vgl. Nöth 2 2000: 236). Er ist somit eine entscheidende Komponente eines Mediums. Signale sind die materielle Seite von Zeichen bzw. die Informationsträ‐ ger. 2.2 Was ist ein Medium? 79 Informationsträ‐ ger und Kommu‐ nikationsform Semiotischer Modus Bedeutung, Referenz und Kontextmodell Über das Medium wird der Informationsträger vermittelt. Er gehört nicht direkt zum Medium, da er vom Sender oder der Senderin gestaltet wird. Da dieser*diese dabei jedoch die Affordances und Constraints des jeweiligen Mediums berücksichtigen muss, beeinflusst das Medium die Form des Infor‐ mationsträgers ganz entscheidend. Wenn sich, wie in Kapitel 2.2.7 dargestellt, eine bestimmte Form im Gebrauch des Mediums und in der Ausnutzung sei‐ ner Möglichkeiten herauskristallisiert hat, spricht man von einer Kommu‐ nikationsform. Auf die mehr oder weniger stark konventionalisierten Ge‐ staltungsvorgaben einer Kommunikationsform kann bzw. muss in der Folge immer wieder zurückgegriffen werden, sobald man auf die entsprechende Art ein Medium nutzen will. So richtet man sich als Sender oder Senderin zum Beispiel nach den Gestaltungsprinzipien der Kommunikationsform „Brief “, wenn man einen Geschäftsbrief versenden will. Ein anderes Beispiel ist die Form eines Tweets, die die Gestalt der Botschaft bis zu einem gewissen Grad vorgibt, wenn man twittert. Zur Gestaltung eines Informationsträgers muss auf einen semiotischen Modus zurückgegriffen werden. Dieser ist eine Zeichenressource, die sowohl Sender*innen als auch Empfänger*innen bekannt sein muss. Abgesehen da‐ von kann kein beliebiger Modus gewählt werden, weil dieser mit dem je‐ weiligen Medium kompatibel sein muss. Umgekehrt kann aber auch zum Beispiel kein aus optischen Signalen bestehender Informationsträger über ein akustisches Medium vermittelt werden. Diese wechselseitige Abhängig‐ keit von semiotischem Modus und Medium soll durch die beiden Doppel‐ pfeile im Modell symbolisiert werden. In der oberen Hälfte des Modells geht es nicht mehr um den reinen Trans‐ fer von Signalen. Hier ist dargestellt, wie Sender*innen und Empfänger*in‐ nen mithilfe ihres Wissens über den verwendeten semiotischen Modus den Informationsträger mit einer Bedeutung verknüpfen und einen Referenzbe‐ zug der Botschaft herstellen. Das heißt, sie beziehen die Botschaft auf den Ausschnitt der „Wirklichkeit“, über den kommuniziert wird. Außerdem kon‐ texualisieren sie die Botschaft: Zum Beispiel wird bei einer Aussage über bevorstehende Wahlen zum Bundestag ein politischer Kontext aufgerufen. Auf diese Weise wird ein Kontextmodell aufgebaut, d. h. ein kognitives Mo‐ dell des Kontexts der jeweiligen kommunikativen Handlung (vgl. Port‐ mann-Tselikas/ Weidacher 2010). Entscheidend ist dabei, dass Bedeutung, Referenz und Kontextmodell von Sender*innen und Empfänger*innen gemeinsam konstituiert, also aufgebaut werden. Daher zeigen die Pfeile auf dieser Ebene nicht zur Modellkompo‐ nente „Empfänger“ hin, sondern von diesem weg zu den verschiedenen Komponenten des Inhalts der Botschaft. Der Informationsträger (bzw. das Signal) wird also über das Medium von Sender*innen zu Empfänger*innen 2 Medientheorie des Internets 80 transferiert. An der Konstitution des Inhalts muss hingegen der Empfänger oder die Empfängerin aktiv im Zuge der Rezeption der Botschaft mitarbeiten. Bewusst wird einem die aktive Rolle von Empfänger*innen bei der Sinn‐ konstitution im Übrigen zumeist nur, wenn es zu Missverständnissen oder zu anderen Problemen in der Kommunikation kommt. Man denke nur an schwierige literarische Texte, deren Interpretationen ganz unterschiedlich sein können, je nachdem, was der jeweilige Empfänger oder die Empfängerin an Vorwissen, Rezeptionsinteresse und Interpretationsarbeit beisteuert. Aufgabe 2-7 Wenden Sie das hier vorgestellte Kommunikationsmodell auf die Nach‐ richtensendung „Tagesschau“ oder auf „Zeit im Bild“ an. Spezifizieren Sie die einzelnen Komponenten des Modells (z. B.: „Empfangsgerät“ → „Fernsehgerät“). Mini-Glossar Medientheorie Medium: technisches Gerät (unterschiedlicher Komplexität), das, indem es zur Verbreitung und/ oder Speicherung von Informationen und/ oder zur Kommunikation verwendet werden kann, eine Extension bestimmter körperlicher und geistiger zur Kommunikation und Kognition notwen‐ diger Fähigkeiten des Menschen bewirkt. Zugleich eine diese technolo‐ gische Basis nutzende Form der Zeichenprozessierung. Kanal: physikalisch-chemische Verbindung zwischen Sende- und Emp‐ fangsbzw. Endgerät. Über ihn werden die Informationen als Signale bzw. wird der Informationsträger geschickt. Je nach Kanal bzw. Art des Informationsträgers werden ein oder mehrere Wahrnehmungssinne oder Sinnesmodalitäten angesprochen. Kommunikat/ lnformationsträger: materielle Formseite der Bot‐ schaft; Träger der Informationen, von denen ausgehend der Empfänger oder die Empfängerin den Sinn einer kommunikativen Handlung kon‐ stituiert. Semiotischer Modus: Zeichenressource, d. h. das Material, aus dem die Zeichen produziert werden; Sender*innen oder Empfänger*innen müs‐ sen über eine ausreichende und sich ausreichend überlappende Kenntnis eines semiotischen Modus bzw. eines darauf basierenden Codes verfü‐ gen, um bei der Produktion bzw. Rezeption einer Botschaft darauf ko‐ gnitiv zurückgreifen zu können. 2.2 Was ist ein Medium? 81 Anfänge Constraints und Affordances: technische Einschränkungen, die ein Medium der Gestaltung eines Informationsträgers auferlegt, bzw. Mög‐ lichkeiten, die es in dieser Hinsicht bietet. Kommunikationsform: mehr oder weniger stark konventionalisierte Formen der Gestaltung kommunikativer Handlungen bzw. von Botschaf‐ ten; das Aussehen von Kommunikationsformen wird einerseits durch die Constraints und Affordances des jeweiligen Mediums bis zu einem ge‐ wissen Grad vorgegeben, andererseits durch den Gebrauch bestimmt, den Kommunizierende von den medialen Möglichkeiten machen. 2.3 Ist das Internet nun ein Medium? Zu definieren, was ein Medium ist, hat sich als schwierig herausgestellt. Wir haben uns für einen technischen Medienbegriff entschieden, weil dieser sich am besten auf das Internet anwenden lässt. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir das Internet von vorneherein einfach als Medium bezeichnen können. Auch, dass man im Alltag vom Internet als einem „neuen Medium“ spricht, ist zwar ein Hinweis auf den medialen Charakter des Internets, ist für eine medien- und kommunikationswissenschaftliche Betrachtung aber nicht aus‐ reichend. Wir werden uns daher in den folgenden Abschnitten mit der Frage beschäftigen: Ist das Internet ein Medium? Und, da wir diese Frage - das wollen wir hier schon verraten - mit ja beantworten: Welche Charakteris‐ ktika weist das Medium Internet auf ? 2.3.1 Das Internet als Netzwerk Die Bezeichnung „Internet“ ist die Abkürzung für „interconnected net“, d. h. „in sich verbundenes Netz“. In der nicht abgekürzten Form der Bezeichnung wird also gleich doppelt das Phänomen der Vernetzung angesprochen. Damit wird das Grundprinzip des Internets überdeutlich: Es geht um den Aufbau eines Netzes durch die technische Verbindung von Computern (mittlerweile inklusive Smartphones und anderer Sende- und Empfangsgeräte). Diese Idee der Vernetzung kennzeichnete schon die Anfänge bzw. Vorläu‐ fer des Internets. Zu diesen zählen die ersten Computervernetzungen in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren, für die Telefonleitungen genutzt wurden. Dabei ging es zunächst aber nur darum, periphere Terminals, die keine vollwertigen Computer waren, über Datenleitungen mit einem zen‐ tralen Großrechner zu verbinden. Damit konnten mehrere User*innen die 2 Medientheorie des Internets 82 World Wide Web (WWW) Rechenkapazität des zentralen Computers zur gleichen Zeit nützen (vgl. Hie‐ bel et al. 1998: 224; Warnke 2011: 27). Der eigentliche Ursprung des Internets liegt allerdings woanders: In den sechziger Jahren, mitten im Kalten Krieg, stellte das Verteidigungsministe‐ rium der USA Überlegungen an, dass im Falle eines atomaren Angriffs die Kommunikation zwischen verschiedenen militärisch wichtigen Institutio‐ nen zusammenbrechen könnte, wenn die Verbindung zur zentralen Kom‐ mandostelle unterbrochen werden würde. Die gesamte Kommandostruktur hätte - so befürchtete man - auf diese Weise mit einem Schlag zerstört wer‐ den können. Es wurde daher ein dezentral aufgebautes Netzwerk zur Da‐ tenübertragung entwickelt: das ARPANET (vgl. Böhn/ Seidler 2 2014: 146). Durch diese rhizomartige Vernetzung schien die Aufrechterhaltung von Kommunikation wahrscheinlicher als bei einer zentralistischen Struktur. Rhizom: Netzwerk ohne hierarchische Ordnung, ohne Punkte, die zen‐ traler sind als andere; ursprünglich: Teil des Sprosssystems verschiede‐ ner Pflanzen; zur metaphorischen Verwendung (vgl. Deleuze/ Guattari 1977). Dieser und andere Vorläufer des Internets wurden zunächst nur im militäri‐ schen oder wissenschaftlichen Bereich verwendet. Dies lag einerseits daran, dass sie nur für einen sehr klar definierten Nutzer*innenkreis gedacht waren, andererseits aber auch daran, dass der Umgang mit diesen Netzwerken, auch wenn sie wie zum Beispiel das USENET öffentlich zugänglich waren, für Lai*innen eher schwierig war. Erst mit der Entwicklung von HTTP (Hypertext Transfer Protocol) für die Übertragung von Daten, des grafikfähigen HTML (Hypertext Markup Lang‐ uage), von Browsern wie Mosaic und des World Wide Web (WWW) begann der eigentliche Siegeszug des Internets (siehe z. B. Runkehl/ Schlobinski/ Siever 1998: 13 ff.). Heutzutage ist das Internet ein beinahe globales Netz‐ werk, das jedem, der oder die einen Zugang hat, erlaubt, Informationen von einem Computer an einen anderen zu schicken. Der Erfolg des WWW oder Web war so groß, dass es häufig mit dem In‐ ternet insgesamt verwechselt wurde. Das WWW ist aber nur ein Teil des Internets. Es ist quasi eine Technologie innerhalb einer Technologie. Aller‐ dings ist es ein ganz zentraler Teil des Internets, in den zum Teil auch ur‐ sprünglich andere Bereiche des Internets integriert wurden. Zum Beispiel können auch E-Mails über das Web verarbeitet und gesendet werden. Mit dieser Entwicklung wurde das Internet zu einem Netzwerk, das Com‐ puter und damit deren Nutzer*innen verbindet. Dieses Netzwerk erhielt seit ungefähr den ersten Jahren des neuen Jahrtausends eine neue Qualität durch 2.3 Ist das Internet nun ein Medium? 83 Web 2.0 Web 1.0 vs. Web 2.0 die Entstehung neuer und die Weiterentwicklung alter medialer Möglich‐ keiten und Kommunikationsformen. Das Schlagwort dafür lautet: Web 2.0. 2.3.2 Web 2.0 und Social Media Der Terminus Web 2.0 wurde erstmals im Oktober 2003 von Eric Knorr in einem Artikel für das IT-Magazin „CIO“ erwähnt. Knorr sagt darin die Ent‐ wicklung des Internets zu einer standardisierten Arbeitsplattform voraus, in die man Arbeitsprozesse auslagern kann. Diese Entwicklung betrachtete er als den Beginn des Web 2.0 (vgl. Anastasiadis/ Thimm 2011b: 11). Als eigentlicher Ursprung des Begriffs Web 2.0 wird jedoch häufig der berühmt gewordene, 2005 veröffentlichte Essay „What is Web 2.0: Design Patterns and Business Models for the Next Generation of Software“ von Tim O’Reilly (2007) angesehen. Darin erläutert O’Reilly, was unter Web 2.0 zu verstehen sei. Dieser Aufsatz und die ihm vorangegangene Konferenz waren eine Reaktion auf das Platzen der „dot-com-Blase“, also auf den Zusam‐ menbruch zahlreicher Internet-Unternehmen im Jahr 2001. O’Reilly wollte neue Entwicklungen im Internet aufzeigen, nicht zuletzt, damit die Bereitschaft, in Internet-Firmen zu investieren, wieder gesteigert würde. Web 2.0 ist daher schon im Ansatz kein wirklich neutraler Aus‐ druck. Er wurde - und wird noch immer - mit stark positiver Konno‐ tation verwendet (vgl. Schmidt 2 2011: 14). Tim O’Reilly (*1954) ist Gründer von O’Reilly Media (Verlag für Computer-Bücher) und prominentes Mitglied und Vordenker der Tech‐ nologie-Community. Als Ausgangspunkt wählt O’Reilly die Gegenüberstellung von Elementen oder Phänomenen des Web 1.0 und des Web 2.0. Die wichtigsten - und auch heute noch nachvollziehbaren - Gegensatzpaare sind die folgenden (vgl. O’Reilly 2007: 18): 2 Medientheorie des Internets 84 Web 2.0 als „Mitmach-Web“ Web 1.0 Web 2.0 Veröffentlichung Partizipation Britannica Online Wikipedia Verzeichnis (Taxonomie) Kategorisierung mittels „tagging“ („folksonomy“) persönliche Websites Bloggen Tab. 2-2: Unterschiede zwischen dem Web 1.0 und dem Web 2.0 (O’Reilly 2007: 18) Grundlegend ist der erste Unterschied: Im Web 1.0 veröffentlichten Institu‐ tionen, Firmen oder Personen etwas im Internet, das dann von anderen re‐ zipiert wurde. Im Grunde unterschied sich das nicht allzu sehr von Veröf‐ fentlichungen in Zeitungen oder im Fernsehen. Im Web 2.0 hingegen können alle aktiv an den Kommunikationsprozessen teilnehmen. Das Web 2.0 wird daher auch als „Mitmach-Web“ (Huber 2 2010: 16) bezeichnet. Sehr schön ist das anhand des zweiten Gegensatzpaares zu erkennen. Bri‐ tannica Online war - und ist noch immer - die Online-Ausgabe der Encyc‐ lopedia Britannica (Abbildung 2-2). Sie wird von professionellen Autor*innen verfasst, überarbeitet und ins Netz gestellt. Abb. 2-2: Online-Ausgabe der Encyclopedia Britannica (www.britannica.com/ ) (2019-09-08) Die Einträge in Wikipedia werden dagegen von „Amateur*innen“ gestaltet. Potenziell jeder kann dabei mitarbeiten und wird auf der Startseite auch dazu eingeladen: Es ist ein Projekt „[…], zu dem du mit deinem Wissen beitragen kannst.“ (Abbildung 2-3) Außerdem gibt es Links, die zu Anleitungen führen, wie man Artikel anlegt oder überarbeitet. 2.3 Ist das Internet nun ein Medium? 85 Folksonomies und Tagging Abb. 2-3: Hauptseite von Wikipedia (https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia: Haupt‐ seite) Während im Web 1.0 noch Kategorisierungen in Form von vorgegebenen Taxonomien (systematisch und hierarchisch aufgebauten Klassifizierungs‐ systemen) erfolgten, bietet das Web 2.0 zum Teil auch den User*innen die Möglichkeit, eigene und anders geartete Kategorisierungen vorzunehmen, sogenannte „folksonomies“ (vgl. O’Reilly 2007: 23). Zum Beispiel kann ein Foto eines jungen Hundes auf der Foto-Sha‐ ring-Plattform Flickr mit „Welpe“, aber auch mit „süß“, „zum Knuddeln“ etc. getaggt, also mit einem Schlagwort versehen werden. Wenn dies viele User*innen von Flickr tun, entstehen neue Kategorisierungen, die mehr auf Assoziationen beruhen als auf hierarchischen Ordnungen. So kann sich durch das Taggen mit „süß“ eine Kategorie herausbilden, zu der nicht nur Fotos von jungen Hunden, sondern auch unter anderem von Katzen und anderen Tieren zum Knuddeln, von Kuscheltieren, aber auch von kleinen Kindern oder von von Teenies angehimmelten Sängern oder Schauspielern gehören. Auf diese Weise entsteht eine Folksonomy als Ordnungsmuster - und dies aufgrund der dort vorhandenen Möglichkeiten der Partizipation. Aufgabe 2-8 Suchen Sie auf Tumblr Blogs, die mit „deutsche sprache“ getaggt sind. Was fällt Ihnen einerseits formal und andererseits thematisch auf, wenn Sie die Liste der Blogs mit einem wissenschaftlichen Buch über die deutsche Sprache vergleichen? Die Funktion von Tags zeigt sich besonders deutlich auch auf der Microb‐ logging-Plattform Twitter: Hier kann man eigene Tweets mit einem Tag ver‐ sehen, um sich an der Diskussion über ein Thema zu beteiligen. Zum Beispiel konnte man seine Tweets mit dem Tag #nrw13 an den Diskurs über die ös‐ terreichischen Nationalratswahlen im September 2013 anhängen (Bsp. 2-1). 2 Medientheorie des Internets 86 Blogging- Plattformen Merkmale des Web 2.0 Mittels eines solchen Taggings erhöht man die Chancen, dass ein Tweet von am selben Thema Interessierten gelesen wird, signifikant. (2-1) Twitter, Rudi Fußi @rudifussi, 2013-09-28, 11: 39 Tagging ist im Übrigen eine der prototypischen Praktiken des Social Web, da hier das webbasierte Informationsmanagement von nicht-professionellen User*innen und das Entstehen von kollektiven Wissensordnungen aufgrund individueller Handlungen besonders deutlich wird (vgl. Schmidt 2 2011: 169). Der soziale Aspekt von Tagging oder Wikipedia ist zwar nicht das einzige Kennzeichen des Web 2.0, weshalb man dieses auch nicht mit dem Social Web gleichsetzen sollte. Er zeigt sich aber auch im vierten Gegensatzpaar in der Tabelle: Persönliche Websites sind eine Plattform des jeweiligen Individu‐ ums. Natürlich kann man auch einen Blog auf eine solche Seite stellen. Ty‐ pischer für das Web 2.0 ist es aber, auf einer Blogging-Plattform wie Tumblr zu bloggen. Damit wird man Teil einer sozialen Gemeinschaft, ein Effekt, der noch verstärkt wird, wenn User*innen - vielleicht sogar wechselseitig - Blogs abonnieren und so stets über Änderungen informiert werden. Ähnlich funktioniert das beim Microblogging auf Twitter. Auch hier wird damit - noch auf eine andere Weise als durch Tagging - die soziale Komponente deutlich, die für das Web 2.0 essenziell ist. Trotz der Bedeutung dieser sozialen Komponente ist sie jedoch nicht al‐ leine bestimmend für die Definition des Web 2.0. Dieses kennzeichnen ins‐ gesamt folgende Merkmale (vgl. zum Folgenden Runkehl 2012: 3 ff.; Ebers‐ bach/ Glaser/ Heigl 2011: 28 ff.): ▸ Einfache Bedienung: Die Nutzung einzelner Dienste verlangt keine ▸ besonderen Kompetenzen. Die jeweilige Software ist so einfach zu be‐ dienen, dass praktisch jeder und jede problemlos damit umgehen kann. Die benutzer*innenfreundlichen Oberflächen regen außerdem zur ak‐ tiven Nutzung an. 2.3 Ist das Internet nun ein Medium? 87 ▸ User*innen als Produzent*innen: Die einfache Handhabung er‐ ▸ möglicht es User*innen, selbst Inhalte ins Netz zu stellen. Die Rolle der Nutzer*innen verwandelt sich von Informationskonsument*innen zu Informationsproduzent*innen. Das Schlagwort dazu lautet „user-ge‐ nerated content“. Abb. 2-4: Die Teilen-Funktion auf Facebook ▸ lmpetus des Teilens: Das Teilen von Informationen ist ein ganz zen‐ ▸ traler Punkt im Web 2.0. Texte, Bilder, Informationen jeder Art können und sollen mit anderen geteilt werden. Dies ist zum Beispiel eine wich‐ tige Funktion von Facebook. Dort wird das „Teilen“ direkt mit einem eigenen Button angeboten und man kann abgesehen von Fotos (siehe Abbildung 2-4) etc. zum Beispiel auch Tweets teilen, wodurch auch noch eine Verknüpfung verschiedener Plattformen und Dienste mög‐ lich ist. Durch dieses „information sharing“ werden von User*innen produzierte Inhalte weit im Netz verbreitet. 2 Medientheorie des Internets 88 Social Web ▸ Einbeziehung der kollektiven lntelligenz der Nutzer*innen: Da‐ ▸ durch, dass die Nutzer*innen selbst Inhalte generieren, im Netz ver‐ öffentlichen, teilen, kommentieren und gemeinsam bearbeiten, bildet sich ein Informationspool, der unter Einbeziehung der kollektiven In‐ telligenz der User*innen entsteht. Ein konkretes Beispiel dafür ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia, ein anderes sind Frage-Antwort- Plattformen wie gutefrage (www.gutefrage.net/ ). ▸ Kollaboration: Die Tendenz zur Zusammenarbeit und die Einbezie‐ ▸ hung der kollektiven Intelligenz der Nutzer*innen sind nicht nur für Wikipedia typisch, sondern auch für die kollaborative Entwicklung von Open-Source-Software. So stellen manche Software-Entwick‐ ler*innen früh Beta-Versionen ihrer Programme ins Netz, in der Hoff‐ nung, durch Kommentare und Feedback von User*innen Anregungen zur Verbesserung der Software zu erhalten. ▸ Veröffentlichung: Die Kollaboration einander persönlich Unbekann‐ ▸ ter wird nicht zuletzt dadurch ermöglicht, dass Dienste für öffentliche Kommunikation genutzt werden, deren Vorläufer noch der Individu‐ alkommunikation dienten. Ein Beispiel ist Twittern, mit dem man ein potenziell globales Publikum ansprechen kann, während eine SMS an ein bestimmtes Individuum gerichtet ist. Damit einher geht die Vermischung von Privatem und Öffentlichem. Es werden auch Informationen einem breiteren Publikum zugänglich gemacht, die früher dem privaten Bereich vorbehalten waren. ▸ Mobilität des lnternets: Vor allem durch die Erweiterung von Han‐ ▸ dys zu Smartphones, die Erfindung von Tablet-Computern und die Entwicklung von Software für diese Geräte wurde das Internet mobil nutzbar. Dadurch ist eine potenziell ununterbrochene Teilnahme an Kommunikationsprozessen und an sozialen Gemeinschaften im Web 2.0 möglich. Unter Berücksichtigung dieser Eigenschaften kann man das Web 2.0 defi‐ nieren als: „[W]eb-based platforms that emerged as popular in the first decade of the twenty-first century, and that incorporate user-generated content and social interaction, often alongside or in response to structures or (multimedia) content provided by the sites themselves.“ (Herring 2013: 4) Das Social Web ist ein Teilbereich des Web 2.0. Dieser Begriff umfasst die Bereiche des Webs, bei denen es um die Unterstützung sozialer Interaktionen 2.3 Ist das Internet nun ein Medium? 89 Selbstorganisation und den Aufbau und die Festigung sozialer Gemeinschaften über das Internet geht (vgl. Ebersbach/ Glaser/ Heigl 2011: 32 f.). Wichtig ist dabei unter anderem die Idee der Selbstorganisation. Das heißt, dass die Mitglieder einer Gemeinschaft zumindest zu einem Teil selbst und kollaborativ Verhaltensregeln und Normen entwickeln. Dies geschieht zum Beispiel mittels sozialer Rückkopplung in Form von Kommentaren und Be‐ wertungen zu Beiträgen in Diskussionsforen oder durch das Melden als un‐ passend empfundener Postings auf Facebook-Seiten. Manche sehen das als eine Art Demokratisierung des Internets (vgl. Ebersbach/ Glaser/ Heigl 2011: 36). Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass die - zumeist nicht von den User*innen gewählten - Administrator*innen von Foren einige Ver‐ haltensregeln vorgeben und User*innen auch gegebenenfalls auf die Neti‐ quette hinweisen (siehe auch Kapitel 4.5.2) oder sie überhaupt für das Forum sperren. Dennoch können „einfache“ User*innen die Administrator*innen auf Fehlverhalten hinweisen bzw. Vorschläge für Regeln einbringen. Verhaltensregeln, die für den gegenseitigen höflichen Umgang für das Netz formuliert worden sind, fallen unter den Terminus Netiquette. Zuweilen werden auch die von der jeweiligen Plattform vorgegebenen Af‐ fordances anders genutzt als ursprünglich vorgesehen. Ein Beispiel dafür ist die Verwendung des „Like“bzw. „Gefällt mir“-Buttons auf Facebook, die nicht immer als positive Bewertung im eigentlichen Sinn zu verstehen ist (vgl. Kapitel 3.3.2 in diesem Buch und Orlitsch 2013). Man kann also zusammenfassen: Das Social Web ist ein wesentlicher Teil des Web 2.0, das wiederum ein Teil des Internets ist. Damit ist allerdings die Frage noch nicht geklärt, was das Internet insgesamt seinem Wesen nach eigentlich ist, ein Medium oder etwas anderes? 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! Wir haben das Internet als Vernetzung von Computern beschrieben. Die Computer fungieren dabei als Eingabe-, Sende- und Empfangsgeräte und sind somit ein Teil des Mediums „Internet“. Sie können aber auch für sich und ohne Vernetzung - also als Stand-alone-PC - in gewisser Weise ein Medium sein. Offensichtlich sind Computer Speichermedien. Auf ihrer Festplatte las‐ sen sich Daten speichern. Daneben sind sie auch Abspielgeräte von Wech‐ seldatenträgern wie CD-ROMs, DVDs und USB-Sticks und damit eine Kom‐ ponente anderer Medien. Sie sind in dieser Funktion vergleichbar mit 2 Medientheorie des Internets 90 Das Internet als technische Infrastruktur und technische Plattform Dia-Projektoren, DVD-Playern oder (nicht vernetzten) Spielkonsolen (vgl. Beck 2006: 15). Computer werden auch „Abrufmedien“ (Bleicher 2010: 68) genannt, wenn mit ihnen zum Beispiel ein Artikel einer Online-Ausgabe einer Zeitung ab‐ gerufen wird. Wir wollen in diesem Zusammenhang aber nicht vom Com‐ puter als Medium sprechen, sondern als Empfangs- oder Endgerät. Als das Medium, über das ein solcher Kommunikationsprozess verläuft, bezeichnen wir das Internet. Dieses kann unter drei Gesichtspunkten betrachtet werden: ▸ das Internet als technische Infrastruktur und technische Plattform; ▸▸ das Internet als medial konstituierter Kommunikationsraum; ▸▸ das Internet als Multimedium, Medienkonglomerat oder Hybridme‐ ▸ dium. „Das Internet ist trotz aller seiner weiteren Dimensionen ein vor allem tech‐ nisches Phänomen.“ (Warnke 2011: 12) Es stellt sich zunächst als komplexer technischer Apparat dar, der aus Computern als Eingabe- und Endgeräten und aus Servern sowie aus den Kabel- oder kabellosen Verbindungen als Kanal besteht. Das heißt, das Internet ist eine technische Infrastruktur (vgl. Beck 2006: 19), die das Vermitteln von Informationen ermöglicht und damit eine Extension unserer kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten be‐ wirkt. Es kann somit als Medium im von uns definierten Sinn verstanden werden. Allerdings muss die Vorstellung einer linear funktionierenden Informati‐ onsvermittlung, wie sie andere Medien (z. B. Megaphon, Telefon, Radio, Fernsehen etc.) kennzeichnet, für das Medium Internet korrigiert werden. Sicher: Auch im Internet werden zum Teil Informationen linear von Sen‐ der*innen zu Empfänger*innen geschickt. Die technische Infrastruktur des Internets bildet darüber hinaus aber eine Plattform, auf der Informationen gespeichert, verbreitet oder ausgetauscht werden können. Das Internet ist daher als Medium auch eine technische Plattform (vgl. Bleicher 2010: 16). Die gebräuchliche Metapher Datenautobahn ist aus diesem Grund für das Inter‐ net nicht wirklich passend. Die technische Plattform Internet ist die Grundlage für einen virtuellen Kommunikationsraum. Man betritt ihn, wenn man - wie es heißt - ins In‐ ternet geht. Eine andere räumliche Metapher für das Internet ist die Bezeich‐ nung Cyberspace. Die Vorstellung ist also offenbar die, dass das Internet ein medial konstituierter Raum ist, in dem man mit anderen Informationen aus‐ tauschen und damit viele verschiedene Dinge tun kann: 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! 91 Das Internet als Multimedium, Medienkonglomerat oder Hybridmedium „Das Internet ist somit ein Medium, in dem sich eine transnationale Kommunikationsgemeinschaft konstituiert, ein Ort, an dem sich Men‐ schen treffen, miteinander reden, Geschäfte abschließen, Dinge her‐ ausfinden […]“. (Runkehl/ Schlobinski/ Siever 1998: 27) Das Internet als medial konstituierter Raum hat neben der technischen Grundlage auch eine soziale Komponente. Es handelt sich nicht nur einfach um einen (virtuellen) Raum. Das Internet ist zugleich ein sozialer Raum. Die‐ ser Aspekt wurde insbesondere im Zuge der Entwicklung des Social Web offenkundig. Er ist aber schon im Internet an sich mit seinen Möglichkeiten zur Kommunikation und zum sozialen Austausch - zum Beispiel per E-Mail - angelegt. Wie Runkehl/ Schlobinski/ Siever (1998) feststellten - und das schon zu ei‐ ner Zeit, in der vom Web 2.0 noch gar nicht die Rede war -, kann man im Internet und mit dem Internet viele Dinge tun. Dies liegt vor allem auch daran, dass das Internet kein „einfaches“ Medium ist. Im Medium Fernsehen kann man unterschiedliche Shows, Spielfilme, Do‐ kumentationen, Nachrichtensendungen etc. zeigen, aber: Es handelt sich im‐ mer um Fernsehsendungen, die sich in ihren medialen Eigenschaften nur relativ geringfügig unterscheiden. Die einzige Ausnahme ist hier der Tele‐ text. Im Internet finden wir hingegen ganz unterschiedliche Arten und Formen der Informationsvermittlung im weitesten Sinn: Man kann einen online ge‐ stellten wissenschaftlichen Aufsatz lesen, eine Pressekonferenz per Live‐ stream verfolgen, Musik - hoffentlich legal - herunterladen, skypen, chatten, twittern, an einem Diskussionsforum über das neueste Computerspiel teil‐ nehmen, eine E-Mail versenden usw. Das Internet wirkt daher nicht wie ein Medium, sondern wie die technische Verbindung vieler Medien. Man nennt das Internet daher auch ein Multimedium. Weil diese Medien alle gemeinsam das Internet als technische Plattform nützen und dabei stark miteinander verzahnt sind, spricht man auch von einem Medienkonglomerat. So lässt sich zum Beispiel der Link zu einem YouTube-Video per Twitter versenden oder man kann einen Vlog oder Video-Blog mit seiner Facebook-Seite verlinken. Auf diese Weise verschwim‐ men die Grenzen zwischen den einzelnen Medien und Kommunikationsfor‐ men. Vor allem kann der User oder die Userin zwischen ihnen problemlos wechseln. Er oder sie kann sich sozusagen durch das Medienkonglomerat bewegen und dabei die Medien nutzen, die für ihn oder sie gerade von In‐ teresse sind oder die ihm oder ihr die besten Möglichkeiten für die Umsetzung seiner jeweiligen Kommunikationsintention zu sein scheinen. 2 Medientheorie des Internets 92 Konvergenz und Hybridisierung Ebenen der Kon‐ vergenz im Inter‐ net Hybridisierung von Medien Durch dieses „media merging“ (Schlobinski 2005: 3) kommt es - meta‐ phorisch gesprochen - zu einer Hybridisierung des Mediums Internet. Diese beruht auf der Integration auch von der Art her unterschiedlicher Einzelme‐ dien (vgl. Schlobinski 2006: 30). Das Resultat ist das Hybridmedium Internet. Hybridisierung: Kreuzung verschiedener Gattungen oder Arten bei der Pflanzen- oder Tierzucht. 2.4.1 Mehr noch: Das Internet ist ein Hybridmedium „Das Netz könnte als ein ganzes Bündel von Medien, als Makro- oder Metamedium oder als Mischung verschiedener Medien bezeichnet werden, als Hybridmedium, das […] eine Fülle von Anwendungen, Funktionen und Kommunikationsmodi ermöglicht.“ (Beck 2006: 21) Damit aus dem Internet ein Hybridmedium werden kann, muss es zu - wie Herring (2013: 4) es nennt - „CMCMC“, d. h. „convergent media compu‐ ter-mediated communication“ kommen, also zu einer Verschmelzung meh‐ rerer Medien in einem mit dem Computer durchgeführten Kommunikati‐ onsprozess. Dieser Ausdruck ist allerdings etwas irreführend, da nicht nur Medienkonvergenz im eigentlichen Sinn vorliegt, sondern eine generelle Konvergenz in Form einer „[…] Verflechtung und Verschmelzung von tech‐ nischen und kommunikativen Prozessen und Aktivitäten der Medienpro‐ duktion bzw. Medienrezeption […]“ (Androutsopoulos 2010: 422). Diese Konvergenz bzw. Hybridisierung findet sich beim Medium Internet auf mehreren Ebenen: Medien: In das Internet sind andere, ältere Medien integriert. Es gibt zum Beispiel Radiosender, die eigene Websites betreiben, wo man live Radio hören oder sich auch einzelne Sendungen als mp3-Files downloaden kann. Ein Bei‐ spiel ist der österreichische Kultursender „Öl“ (https: / / oe1.orf.at/ ). Live im Internet Radio zu hören unterscheidet sich dabei wenig davon, wie die Sen‐ dungen des „alten“ Mediums Radio konsumiert wurden. Das Downloaden stellt hingegen eine verstärkte Nutzung der Möglichkeiten des neuen Medi‐ ums dar. Das Medium Radio ist so noch stärker in das Hybridmedium Internet integriert. 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! 93 Hybridisierung von Medienkategorien Abb. 2-5: Video auf „Zeit online“ (www.zeit.de/ ) (2019-09-08) Ähnlich ist es mit dem Fernsehen oder mit Printmedien wie zum Beispiel der Wochenzeitung „Die Zeit“. In ihrem Web-Auftritt (www.zeit.de/ ) finden sich einerseits Artikel, die so auch in der Printversion erscheinen oder erscheinen könnten. Nur das Lay-out wird dabei der neuen Medienumgebung angepasst. Andererseits bietet die Website auch Videos an (siehe Abbildung 2-5), womit sie die Affordances des neuen Mediums nützt. Bei allen diesen Beispielen ist eine Konvergenz verschiedener Medien zu erkennen, wie sie für das Internet typisch ist. Diese Form der Hybridisierung kann aber auch so aussehen, dass Internetzeitungen entstehen, von denen es zuvor keine Printversion gab. Das bekannteste Beispiel hierfür ist die „Huf‐ fington Post“ (www.huffpost.com/ ). Ähnlich ist es mit Formen des Internet‐ fernsehens, wie es unter anderem auf YouTube angeboten wird, beispiels‐ weise der YouTube-Kanal „WELT Nachrichtensender“ (www.youtube.com/ u ser/ N24de). Verbreitungs-, Kommunikations- und Speichermedium: Im Internet kommt es nicht nur zu einer Konvergenz verschiedener Medien, sondern auch unterschiedlicher Medientypen, wie wir sie in Kapitel 2.2.3 vorgestellt haben. Aufgabe 2-9 Überlegen Sie, inwiefern das Internet zugleich ein Verbreitungs-, ein Kommunikations- und ein Speichermedium ist. Informationen zur Un‐ terscheidung der drei Medienkategorien finden Sie in Kapitel 2.2.3. Das Internet ist ein Verbreitungsmedium. Öffentliche Institutionen (z. B. eine Stadtverwaltung wie die von Zürich: www.stadt-zuerich.ch/ portal/ de/ index. html) können aktuelle Informationen auf ihre Website stellen und sie so ver‐ breiten. Politiker*innen oder Parteien können Wahlveranstaltungen über Twitter ankündigen oder darüber berichten: 2 Medientheorie des Internets 94 Abb. 2-6: Kurzbericht über eine Wahlkampfveranstaltung über Twitter (Grüne Steier‐ mark @GrueneSt) (2019-11-05) Privatpersonen können auch über Facebook zu einer Party einladen - wobei dabei zuweilen die Verbreitungswirkung des Mediums Internet größer ist als von den Einladenden beabsichtigt. Das Internet ist auch und das Social Web ist vor allem ein Kommunikati‐ onsmedium. Postings auf Facebook, Videos auf YouTube oder Fotos auf Flickr können kommentiert werden, man kann an Diskussionsforen teilnehmen oder auch persönliche oder an alle „Follower“ gerichtete Nachrichten per Twitter versenden. Nicht zuletzt dienen Webmail, WhatsApp, Skype etc. hauptsächlich oder sogar ausschließlich der direkten Kommunikation. Als Speichermedium gedacht sind Online-Speicher wie Dropbox, Google Drive, Skydrive oder Amazon Cloud Drive. Dort können alle möglichen Da‐ teien gespeichert und in der „Cloud“, also direkt im virtuellen Datenspeicher im Internet bearbeitet werden. Als Speichermedium fungiert das Internet 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! 95 Hybridisierung von Push- und Pull-Kommunika‐ tion auch in Form von Diensten wie Flickr, Tumblr oder auch Facebook. Es gibt hier auch die Möglichkeit, quasi nur für sich Bilder oder anderes zu speichern. Allerdings ist die Idee hinter diesen Plattformen eher, die Bilder oder andere Informationen auch anderen zugänglich zu machen. Damit entstehen kol‐ lektive Speicher im Internet, die ein Teil dessen sind, was vor allem die soziale Komponente des Web 2.0 ausmacht. Es geht hier um den Impetus des Teilens und um Veröffentlichung und darüber hinaus um die Nutzung der kollektiven Intelligenz der User*innen und um Kollaboration. Das Internet als Speicher‐ medium gewinnt so eine ganz neue Qualität. Push- und Pull-Kommunikation: „Das traditionelle ,Pushmodell‘ der Kommunikation, bei dem eine Botschaft von einem Kommunikator oder ei‐ ner Kommunikatorin über ein Medium an Empfänger*innen gesendet wird, verändert sich im Internet zur ‚Pullkommunikation‘, bei der Nutzer*innen gezielt ihre Angebote selbst selektieren.“ (Bleicher 2010: 15) Natürlich gibt es auch im Internet noch Push-Kommunikation, beispielsweise per E-Mail oder WhatsApp. Schon bei Twitter aber erhält man die Botschaft erst, wenn man jemandem „folgt“ (Abbildung 2-7), seine Tweets also abonniert hat. Empfän‐ ger*innen selektieren zumindest vor, von wem sie Botschaften erhalten. Noch deutlicher wird diese aktive Rolle der Nutzer*innen beim Betrachten und Lesen einer Website: Hier können sie wählen, welche Links sie anklicken und welche Teile des Hypertextes sie tatsächlich lesen (siehe dazu Kapitel 5). Sie selektieren also zuerst eine Website, die sie interessiert, und dann wie‐ derum auf dieser Website, was sie dort anspricht. Diese Selektionen sind au‐ ßerdem häufig Resultat einer aktiven Suche der User*innen. Damit ist die Pull-Komponente bei Kommunikationsprozessen, die über eine Website lau‐ fen, sehr stark ausgeprägt. 2 Medientheorie des Internets 96 Abb. 2-7: Push- und Pull-Kommunikation: Bei Twitter selektieren Empfänger*innen vor, von wem sie Botschaften erhalten. (https: / / twitter.com/ georg_weidacher/ following) Die hier beschriebene Freiheit der Selektion wird durch Suchmaschi‐ nen wie Google nicht nur gefördert, sondern auch eingeschränkt, da diese über die Relevanz der Treffer mitentscheiden und zum Beispiel mitunter Werbeanzeigen als „beste Treffer“ anführen. So wird zwar, wenn man den Suchbegriff „Internet“ eingibt, der entsprechende Wi‐ kipedia-Artikel als erstes Ergebnis gelistet. Danach folgen aber zehn Treffer, bei denen es sich um Anzeigen von lokalen Internet-Providern bzw. -Dienstleistern handelt, wie jenen in Abbildung 2-8. Tatsächlich gesuchte Informationen zum Internet finden sich erst danach. Dieses Prinzip der Vorselektion findet sich auch auf Plattformen wie Facebook oder Amazon. Dort werden bestimmte neue Freunde oder Produkte danach vorgeschlagen, welche Interessen sich aus den von den Plattformen gesammelten Daten herauslesen lassen. Auf diese Weise entstehen Filter-Bubbles (Pariser 2012) und „Echokammern“, in 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! 97 Hybridisierung von Individual- und Massenkom‐ munikation denen wir quasi nur mehr das „hören“, was wir zuvor ins Internet „ge‐ rufen“ haben (vgl. Weidacher 2019a: 114 ff.). Abb. 2-8: Resultat einer Google-Suche zum Suchbegriff „Internet“ (Ausschnitt) lndividual- und Massenkommunikation: Aufgrund der Bedeutung der Pull-Kommunikation im Medium Internet kann dieses schon einmal nicht als typisches Massenmedium bezeichnet werden. Massenkommunikation ver‐ läuft nämlich grundsätzlich einseitig (siehe dazu auch die Definition von Massenmedien in Kapitel 2.2.8). Dabei werden die kommunizierten Infor‐ mationen durch den Sender oder die Senderin vorgegeben und ausgesendet (= Push-Kommunikation), mittels der Präsentation perspektiviert und in ih‐ rer Relevanz bewertet. Im Internet sind diese Selektionen und Relevanz‐ strukturen hingegen noch nicht so stark im Vorhinein etabliert. Vielmehr entscheiden die User*innen stärker mit, welche Informationen sie rezipieren und welche Relevanz sie diesen Informationen zuschreiben. 2 Medientheorie des Internets 98 Über Twitter erreicht man zum Beispiel, wie oben gezeigt, nur Leute, die einem „folgen“. Allerdings kann die Zahl der Follower so groß sein, dass man zumindest in dieser rein quantitativen Sicht von einem Massenmedium spre‐ chen könnte, dies aber nur in Fällen wie zum Beispiel dem eines der bekann‐ testen Twitterer Österreichs, des TV-Journalisten Armin Wolf (Abbildung 2-9) mit derzeit (2019-09-08) 427,881 Followern. Auch hier entscheidet aber schlussendlich nicht der Produzent oder die Produzentin darüber, ob er oder sie Massenkommunikation betreibt, sondern die User*innen, die aktiv Twit‐ terer auswählen, denen sie folgen und deren Tweets sie lesen wollen. Au‐ ßerdem können die Follower auch retweeten, favorisieren und auf einzelne Tweets antworten, was auch nicht zu massenmedialer Kommunikation im eigentlichen Sinn passt. Abb. 2-9: Twitter-Account von Armin Wolf, österreichischer TV-Journalist (Armin Wolf @ArminWolf) Seiten in Sozialen Netzwerken können darüber hinaus auch so eingestellt werden, dass sie nur für „Freunde“ zugänglich sind. Damit sind sie nicht mehr 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! 99 Hybridisierung privater und öffentlicher Kommunikation an ein anonymes und disperses Publikum gerichtet (es sei denn der Freun‐ deskreis wird unüberschaubar groß, vgl. dazu auch Kapitel 3.3.1) - es fehlt ihnen ein weiteres Merkmal eines Massenmediums. Dies gilt für offene Seiten von Institutionen, Politiker*innen, Schauspieler*innen usw. nicht, aber dafür können auch auf ihnen von User*innen Kommentare gepostet werden. Die Kommunikation auf solchen Facebook-Seiten verläuft demnach wiederum nicht einseitig wie bei Massenmedien. Formen der Individualkommunikation (E-Mail, WhatsApp usw.) entspre‐ chen darüber hinaus überhaupt nicht der Definition für MASSENMEDIUM. Sie sind aber auch ein wichtiger Teil des Internets. Deshalb lässt sich zusam‐ menfassen: Das Internet weist Kommunikationsformen auf, die denen eines Massenmediums ähnlich sind. Insgesamt ist es aber auch auf dieser Ebene ein Hybridmedium, da es sowohl Individualals auch Massenkommunika‐ tion (mit Einschränkungen) zulässt. Private und öffentliche Kommunikation: Individualkommunikation ist grundsätzlich personal und kann auch im Internet privat erfolgen, ohne dass sie an eine Öffentlichkeit gerichtet ist und auch ohne dass jemand mit‐ hört. Andererseits bietet das Internet auch Möglichkeiten für öffentliche Kommunikation, zum Beispiel über Websites und offene Social-Media-Sei‐ ten. Interessant ist aber die Hybridisierung der beiden Arten von Kommu‐ nikation, die Haas/ Brosius (2011: 104 ff.) als „ipöK“ - „interpersonal-öffent‐ liche Kommunikation“ - bezeichnen. IpöK findet vor allem in Diskussionsforen, aber auch zum Beispiel auf of‐ fenen Facebook-Seiten oder auf Twitter statt. Hier ein Beispiel: eine Frage aus einem Forum zum Computerspiel „GTA 5“ (2-2): (2-2) (GTAnext, Egler/ Dennis, 2013-09-20) Es wird hier eine Frage gestellt, die dann persönlich beantwortet wird. Es handelt sich also um interpersonale Kommunikation, die so auch gänzlich 2 Medientheorie des Internets 100 Hybridisierung semiotischer Modi Hybridisierung von Sprachen, Varietäten und Stilen privat stattfinden könnte. Andererseits sind aber sowohl Frage als auch Ant‐ wort im Forum für alle sichtbar und damit öffentlich. Die Kommunikations‐ situation ist daher durch ipöK gekennzeichnet, eine Hybridisierung von pri‐ vatinterpersonaler und öffentlicher Kommunikation. Semiotische Modi: Im Internet kann auf verschiedene Zeichenressour‐ cen zurückgegriffen werden: Bilder (Fotos, aber auch andere Graphiken), Vi‐ deos, sprachliche Zeichen (schriftlich oder mündlich), Schriftarten und ty‐ pographische Mittel, Musik und noch einige andere. Besonders auffällig ist die Verwendung verschiedener Modi in einem Kommunikat. Beispiele wären eine Website, auf der sich (sprachliche) Texte, Fotos, Videos befinden und vielleicht noch anderes, oder ein Tweet, an den ein Foto angehängt ist, oder das Video-Skypen. Bei allen diesen Kommuni‐ kationsformen liegt Multimodalität vor, ein wichtiges Merkmal von Kom‐ munikation im Internet (siehe auch Kapitel 5.3.2). Sprachen, Varietäten und Stile: Wie wir in Kapitel 3 feststellen, gibt es die Internetsprache nicht. In der virtuellen Welt des Internets werden ganz im Gegenteil alle möglichen Sprachen und von diesen wiederum viele Va‐ rietäten (z. B. Dialekte, Soziolekte, Fachsprachen, Jugendsprache etc.) ver‐ wendet (siehe Bsp. 2-3), wie es auch bei den nicht-sprachlichen Modi stilis‐ tische Variation gibt. (2-3) (krone.at, donaukind/ peaches09, 2013-11-27) Auffallend ist wiederum, dass - wie im obigen Beispiel (2-3) - in ein und derselben Kommunikationssituation unterschiedliche Varietäten eingesetzt werden (siehe auch Kapitel 3.2.1). Eine Hybridisierung von Sprachen ergibt sich schon, wenn man zum Beispiel mit einer deutschen Version von Linked‐ In ein Profil betrachtet, in dem die Angaben in einer anderen Sprache ein‐ getragen sind (2-4): 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! 101 Hybridisierung von Sinnesmodalitäten und Kanälen (2-4) (LinkedIn, esd, 2012-12) Darüber hinaus sind auch immer wieder Foren zu finden, in denen in meh‐ reren Sprachen kommuniziert wird, oder Twitterer, die ihre Tweets abhängig von den intendierten Adressat*innen in verschiedenen Sprachen formulie‐ ren, oder es werden auf Flickr oder Instagram (2-5) Kommentare in verschie‐ denen Sprachen gepostet: (2-5) (Instagram, berlinstagram, 2013-10-06) Sinnesmodalitäten und Kanäle: Grenzen werden der Vielfalt und der Hy‐ bridisierung der semiotischen Modi nur durch die technische Einschränkung des Mediums auf bestimmte Sinnesmodalitäten und Kanäle gesetzt. Nur un‐ ser Seh- und unser Hörsinn werden durch entsprechende Signale über das Medium Internet erreicht. Sehr eingeschränkt kann noch der Tastsinn ange‐ sprochen werden, wenn zum Beispiel bei einer Szene mit einer Explosion in einem Computerspiel die Maus vibriert. Diese wenigen Sinnesmodalitäten kommen jedoch im Internet zumindest in einigen Bereichen kombiniert vor. Der Kanal, den das Internet nutzt, besteht zunächst aus den Kabel- oder kabellosen Verbindungen zwischen den Computern. Über diese Netzverbin‐ dungen werden die Informationen in Form von digitalen Impulsen transpor‐ 2 Medientheorie des Internets 102 Hybridisierung von Medieninstitutionen Hybridisierung von Kommunika‐ tionsformen tiert. Diese müssen dann im Endgerät aber in optische und akustische Signale „übersetzt“ werden, damit wir den Informationsträger mit unseren Sinnen verarbeiten können. Erst dann können wir auch erkennen, ob der Informa‐ tionsträger in Hinblick auf die angesprochene Sinnesmodalität und den Ka‐ nal hybridisiert ist. Medieninstitutionen: Auch einzelne Medieninstitutionen im Internet sind durch Hybridisierung gekennzeichnet. So ist Google zum Beispiel pri‐ mär eine Suchmaschine. Darüber hinaus wird aber neben anderen Diensten auch mit GMail ein Webmail-Dienst angeboten oder mit Google Drive ein Online-Speicher. Außerdem gibt es einen Link zu YouTube, sodass dieses Video-Portal integriert ist. Ähnliche Formen der Hybridisierung einer Me‐ dieninstitution findet man auch bei Yahoo! , Facebook und Amazon. Aufgabe 2-10 Analysieren Sie die Websites von Yahoo! (https: / / de.yahoo.com/ ) und von amazon.de (https: / / www.amazon.de/ ). Inwiefern kann man bei beiden von hybridisierten Medieninstitutionen sprechen? Aber auch: Worin unterscheiden sich die beiden in Hinblick auf die Hybridisie‐ rung? Kommunikationsformen: Kommunikationsformen im Internet weisen ebenfalls Hybridisierung auf. Ein Beispiel wäre die Kommunikationsform „Video-Blog“ oder „Vlog“ (z. B. der des Journalisten Robert Misik auf der Website www.derstandard.at/ diskurs/ kolumnen/ misik der Online-Ausgabe der Zeitung „Der Standard“), bei der die Kommunikationsformen „Video“ und „Blog“ verschmolzen werden. Auf diese Weise entsteht eine neue - hybride - Form. Mit Thurlow/ Lengel/ Tomic (2004: 31) kann man abschließend feststellen: „[T]he internet is not a single communication technology but rather a collection of different technologies for communicating. For this reason, it may be better to think of the internet as a system comprised of many subsystems, and each sub-system has its own genre or type of com‐ munication. There is certainly no single way of communicating on the internet.“ 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! 103 Kommunikati‐ onsplattformen als „designed spaces“ 2.4.2 Von „designed spaces“ und Kommunikationsplattformen Das Internet ist - wie in Kapitel 2.4 erläutert wurde - insgesamt eine tech‐ nische Plattform, die einen virtuellen Raum zur Kommunikation und zur Speicherung und Verbreitung von Informationen eröffnet. Das Medium In‐ ternet bietet dabei die technische Basis für einzelne spezielle Kommunikati‐ onsplattformen, die jeweils für bestimmte Formen der Kommunikation oder Informationsverarbeitung genutzt werden können. Auf diese Plattformen kann man verschiedene Arten sprachlicher Mitteilungen, Texte, Bilder, Vi‐ deos oder Audio-Files stellen. Bekannte Beispiele hierfür sind soziale Netz‐ werke wie Facebook, Photo-sharing-Sites wie Flickr oder Blogging-Websites wie Tumblr. Es handelt sich bei diesen Plattformen aber nicht um unstrukturierte Räume, die man füllen kann, wie man will. Vielmehr bieten sie „designed spaces“ (Barton/ Lee 2013: 29). Das heißt, die Plattformen geben zum Beispiel bis zu einem gewissen Grad vor, welche semiotischen Modi hauptsächlich genutzt werden sollen oder wie gepostete Texte gestaltet sein können. Der zur Verfügung gestellte Raum weist also ein bestimmtes Design auf, dem man sich als User*in anpassen muss. Da zu restriktive Vorgaben dieser Art jedoch bei User*innen nicht sehr beliebt sind, gibt es zumeist auch Möglichkeiten, das Design etwas individueller zu gestalten. Diese Möglichkeit beschränkt sich im Allgemeinen aber mehr oder weniger auf das Lay-out der persönli‐ chen Seite auf einer dieser Plattformen. Abgesehen von diesen Kommunikationsplattformen, die die Grundlage für ganze Netzwerke zahlloser Seiten individueller User*innen bilden, kann man auch bei einzelnen Websites von Plattformen sprechen. Diese bieten den User*innen zwar nicht die Möglichkeit, ein eigenes Profil oder einen Account anzulegen, aber es werden von den Ersteller*innen der Website verschiedene Texte und Bilder auf die Seite gestellt und oft gibt es auch für die Nutzer*in‐ nen noch die Möglichkeit, zumindest Kommentare zu posten. Ein Beispiel ist die Website der Science-Fiction-Serie „Perry Rhodan“ (Ab‐ bildung 2-10). Hier findet man allgemeine Informationen zur Serie, zu Neu‐ erscheinungen von Heften, Büchern und Hörbüchern oder Blogs der Autoren der Serie. Unter dem Link „Perrypedia“ wird aber auch eine Art Enzyklopädie zur fiktiven Welt der Serie angeboten, die in Form eines Wikis von Fans der Serie erstellt wird. Außerdem gibt es auch ein Diskussionsforum und einen Shop. Die Website fungiert also als eine Plattform für vielfältige Kommuni‐ kationsprozesse, die durch das gemeinsame Thema und die Website als tech‐ nischen und formalen Rahmen zusammengehalten werden. 2 Medientheorie des Internets 104 (einge‐ schränkte) Multi‐ modalität Abb. 2-10: https: / / perry-rhodan.net/ (2019-09-03) 2.4.3 Das Netz: Alles ist möglich - oder doch nicht? Constraints und Affordances Die einzelnen Plattformen und das Internet generell ermöglichen verschie‐ dene Formen von Kommunikation, schränken diese aber, wie wir gesehen haben, auch wieder ein. Es gibt also im Internet wie bei jedem anderen Me‐ dium Constraints und Affordances, die auf die Technologie des Mediums zurückzuführen sind. Die wichtigsten Constraints und Affordances des In‐ ternets sind die Ermöglichung (eingeschränkten) multimodalen Kommuni‐ zierens, von Verlinkungen und damit von Hypertextualität sowie von Inter‐ aktivität in der einen oder anderen Form: In vielen Bereichen des Internets kann man auf verschiedene semiotische Modi zurückgreifen, um seine Botschaft zu formulieren. Das Internet ist so‐ mit ein Medium, das Multimodalität ermöglicht. Allerdings können nur se‐ miotische Modi verwendet werden, die auf optischen oder akustischen Si‐ gnalen beruhen. Andere Kanäle sind im Internet - zumindest zurzeit - nicht verfügbar. Insofern ist die Affordance der Multimodalität im Internet in ih‐ rem Ausmaß technisch auch wieder eingeschränkt. 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! 105 Hypertextualität und Ergodizität Andererseits ist das Internet ideal für die Kombination von schriftlichen Texten und Bildern, aber auch sehr gut geeignet für das Hochladen von Vi‐ deos oder von Audio-Files. So kann zum Beispiel eine Aktivistin wie Greta Thunberg den Kern einer Botschaft als kurzen Text zusammen mit dem Video einer Rede auf Instagram posten, in der sie ihre Anliegen ausführlicher dar‐ legt (Abbildung 2-11). Diese multimodale Gestaltung der Botschaft nützt die Affordances des Internets - und in diesem Fall auch der Kommunikations‐ plattform Instagram - und ist damit adäquater für eine solche kommunikative Handlung, als es zum Beispiel ein rein schriftlicher, monomodaler Text wäre. Abb. 2-11: www.instagram.com/ gretathunberg/ bzw. www.instagram.com/ p/ BzDxPyy hCnh/ (2019-09-03) Als besonders typisch für Kommunikation mittels elektronischer Medien und insbesondere für Kommunikation im Internet gilt die Möglichkeit, einzelne Elemente miteinander zu verlinken und so Hypertexte zu konstituieren (zur Definition von HYPERTEXT siehe Kapitel 5). Hypertextualität in einem wei‐ teren Sinn gibt und gab es zwar auch schon in „alten Medien“, aber erst in den elektronischen Medien wird die hypertextuelle Verlinkung zu einem zentralen Mittel der Verknüpfung von Texten und Textteilen. Dabei werden nicht nur sprachliche Elemente verlinkt, sondern unter anderem vor allem auch Bilder. Dieses Phänomen der Verlinkung komplexer Zeichen, die un‐ 2 Medientheorie des Internets 106 Interaktivität terschiedlichen semiotischen Modi angehören, bezeichnet man in Anleh‐ nung an Lemke (2002) als Hypermodalität (Weidacher 2007: 260). Hypertextualität und Hypermodalität sind zunächst Affordances für Sen‐ der*innen und Gestalter*innen von Online-Kommunikaten. Zugleich sind sie die Basis für eine Affordance, die den Rezipient*innen dieser Kommunikate zur Verfügung steht: Ergodizität. „During the cybertextual process, the user will have effectuated a se‐ miotic sequence, and this selective movement is a work of physical construction that the various concepts of ,reading‘ do not account for. This phenomenon I call ergodic, using a term appropriated from physics that derives from the Greek words ergon and hodos, meaning ,work‘ and ,path‘.“ (Aarseth 1997: 1) Aarseth nennt also das Phänomen ergodisch, dass User*innen, wenn sie mit Hypertexten konfrontiert sind, aktiv entscheiden, welche Links sie anklicken. Auf diese Weise wirken sie nicht mehr nur am Aufbau des Sinns einer Bot‐ schaft aktiv mit (siehe Kommunikationsmodell Kapitel 2.2.8), sondern sie kon‐ stitutieren auch das Kommunikat, also die materielle Seite der Botschaft, mit. Erst dadurch, dass sie den Links folgen, stellen sie die Verknüpfung her und machen das verlinkte Element zu einem Teil des (Hyper-)Textes. Offensichtlicher ist das, was Aarseth mit Ergodizität meint, im Falle von Computerspielen wie GTA, Risen oder dem Online-Spiel World of Warcraft: In allen diesen Spielen hat der Spieler oder die Spielerin einen Avatar, mit dem er oder sie sich durch die virtuelle Welt des Spiels bewegt. Erst dadurch aber, dass er oder sie durch diese Welt geht, konstituiert sich diese. Dabei kann es sein, dass manche Bereiche der von den Produzent*innen programmierten Welt nie betreten werden. Diese werden dann aber auch nicht Teil des Spiels, wie es der Spieler bzw. die Spielerin im Zuge des spielerischen Handelns aufbaut. Ähnlich funktioniert es im Falle von Hypertexten, wo User*innen auch nicht allen Links folgen und somit selektieren, welche Elemente sie in den jeweils von ihnen ergodisch konstituierten Hypertext einbauen. Rezipient*innen eines Hypertextes sind also bereits aktive Nutzer*innen des Angebots im Internet. Richtig interaktiv handeln sie jedoch erst, wenn sie zum Beispiel auf online angebotene Texte oder Bilder antworten, indem sie einen Beitrag in einem Forum posten oder ein auf Flickr hochgeladenes Foto kommentieren. Dass dies in vielen Bereichen des Internets möglich und für das Web 2.0 sogar typisch ist, zeigt, dass Interaktivität eine wichtige Af‐ fordance dieses Mediums ist. Für einige Bereiche ist Interaktivität sogar essenziell. Chatten und das Versenden von Messages über WhatsApp funktionieren ausschließlich in‐ 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! 107 Adaptierte Kom‐ munikationsfor‐ men im Internet teraktiv. Mit dem Posten von Statusmeldungen auf Facebook, einem Foto auf Instagram, einem Blog auf Tumblr oder einem Tweet lädt man üblicherweise auch zur Interaktivität ein - und ist enttäuscht, wenn andere Interaktivität verweigern und keine oder eine zu geringe Rückmeldung erfolgt, eine Re‐ aktion, die im folgenden Tweet ironisiert wird: (2-6) (Anatol Stefanowitsch @astefanowitsch, Twitter, 2013-08-24) 2.4.4 Von konventionalisierten kommunikativen Handlungen online Alle genannten Affordances und Constraints sind beteiligt an der Heraus‐ bildung von Kommunikationsformen im Internet (siehe dazu auch Kapitel 5.4). Dabei ist zu beachten, dass man zwischen neuen bzw. emergenten und adaptierten Kommunikationsformen unterscheiden muss: Adaptierte Kommunikationsformen sind solche, die Vorläufer in den „al‐ ten Medien“ haben und nur an die neue mediale Umgebung angepasst wur‐ den. Dazu gehören zum Beispiel Artikel in Online-Ausgaben von Zeitungen, die im Prinzip den Print-Versionen entsprechen. Hier wird manchmal nur das Lay-out verändert und der Text durch Verlinkungen in eine Hypertext‐ struktur eingefügt. Etwas weiter geht die Adaptierung schon bei Blogs. Als deren Vorläufer wurden ursprünglich Tagebücher in einem weiteren Sinn betrachtet, also speziell auch Reisetagebücher, Schiffslogbücher etc., die nicht nur für den Verfasser selbst geschrieben werden, was ja auch für Online-Blogs gilt. Blo‐ geinträge im Internet, zum Beispiel auf einer Blogging-Plattform wie Tumblr, werden aber anders als die Einträge in den alten Kommunikationsformen angeordnet: Es erscheint im Internet immer der neueste Blog zuerst. Die An‐ ordnung der Einträge bleibt also chronologisch, wird aber umgedreht. Dies ist auch gut begründet, wenn man bedenkt, dass man ein Tagebuch einfach auf der letzten Seite aufschlagen kann, während man im Internet mühsam ganz nach unten scrollen müsste. Es ist daher bei der Kommunikationsform Blog wichtig, dass jeweils der aktuellste Eintrag ganz oben steht. Dasselbe gilt im Prinzip für die Microblogging-Plattform Twitter. Auch hier erscheint immer der neueste Tweet als erster. Seit Februar 2016 gibt es allerdings auch die Option, dass einem die „besten Tweets zuerst“ angezeigt werden, wobei die Auswahl der Tweets durch einen Algorithmus getroffen 2 Medientheorie des Internets 108 wird. Dies ist auch die Default-Einstellung. Man kann aber seit September 2018 auf die chronologische Ordnung der Timeline umschalten. Wie auch immer: Beide Ordnungsprinzipien sind an die medialen Gegebenheiten des Internets angepasst und wären in einem herkömmlichen Tagebuch schlicht so nicht möglich. Es stellt sich hier jedoch die Frage, ob man Tweets überhaupt noch zu den adaptierten Kommunikationsformen im Internet zählen kann. Als ihre Vor‐ bilder können wohl einerseits wieder Tagebücher bzw. schon Internet-Blogs gesehen werden, andererseits, vor allem was die Form betrifft, auch SMS. Dennoch ist Twittern etwas, das sich sehr weit von seinen Vorläufern weg‐ entwickelt hat: Obwohl das auch möglich ist, dient Twitter nicht mehr so sehr dem direkten Austausch von Botschaften zwischen Individuen - hier wäre eher WhatsApp der Nachfolger von SMS im Internet. Twitter wird aber auch nicht einfach als öffentliches Tagebuch genutzt. Vielmehr kommt beides vor, jedoch in einer neuen, von den Affordances und Constraints bestimmten Form. So sind auf Twitter zum Beispiel auch - zumindest für die jeweiligen Follower - öffentliche Diskussionen möglich, was es so in keiner der Vor‐ läufer-Kommunikationsformen gab. Ein Beispiel dafür wäre die folgende Diskussion (2-7) zwischen zwei bekannten österreichischen Zeitungsjour‐ nalisten: (2-7) (Twitter, MichaelFleischhacker @mfleischhacker1 vs. Thomas Mayer @Tom‐ MayerEuropa, 2013-10-06) 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! 109 Emergente Kommunikati‐ onsformen Bei Tweets geht die Adaptierung also schon so weit, dass man besser von einer neuen oder emergenten Kommunikationsform spricht. Die wahrscheinlich wichtigste emergente Kommunikationsform im Inter‐ net ist die Website. Vor allem wenn die Affordances Hypertextualität, Mul‐ timodalität und Interaktivität auf einer Website entsprechend genutzt wer‐ den, ist diese Form der Kommunikation typisch für das Internet. Anders ausgedrückt sind Websites in ihrer jetzigen Gestalt der formale Ausdruck dessen, was das Internet für bestimmte kommunikative Zwecke, wie zum Beispiel das Verbreiten von Informationen, an Möglichkeiten bietet. Und sie konnten sich in dieser Form nur im Internet herausbilden. Emergenz: Herausbildung neuer Formen oder Eigenschaften eines Sys‐ tems infolge des Zusammenwirkens seiner Elemente. Eine andere für das Internet spezifische Kommunikationsform hätte viel‐ leicht auch woanders entstehen können, ist in dieser speziellen Form aber ebenfalls erst in diesem Medium emergiert: das Internet-Meme (vgl. dazu Weidacher 2019b). Ihre prototypische Gestaltung bestehend aus einem Bild‐ hintergrund und sprachlichen Elementen am oberen und unteren Rand nützt die Affordanz der Multimodalität, ihre virale Verbreitung die der Hypertex‐ tualität und den Impetus des Teilens. Außerdem entspricht die Funktionali‐ sierung von Internet-Memes als ironisch-sarkastische Beiträge zu einem Diskurs oder in einem Dialog den Gepflogenheiten auf vielen Soziale-Netz‐ werk-Plattformen wie z. B. Twitter (vgl. Kap. 4.3.1). Internet-Memes sind da‐ mit eine Kommunikationsform, die vom Internet geprägt wurde und die um‐ gekehrt Kommunikation im Internet prägt. 2.4.5 So funktioniert es im Netz: Ein spezifisches Kommunikationsmodell Das in Kapitel 2.2.8 vorgestellte allgemeine Kommunikationsmodell kann nun für die Darstellung von Online-Kommunikation adaptiert werden. Dafür greifen wir auf die in den letzten Kapiteln beschriebenen Eigenschaften des Internets zurück und ersetzen die allgemeinen Bezeichnungen im Modell durch internetspezifische. Da das Internet aber, wie erläutert wurde, ein Hybridmedium ist, das auch unterschiedliche Kommunikationsformen er‐ möglicht, müssen wir die Darstellung noch weiter spezifizieren. Wir haben dafür die für das Internet zentrale Kommunikationsform der Website ge‐ wählt. 2 Medientheorie des Internets 110 Abb. 2-12: Kommunikationsmodell für das Internet Erläuterung des Modells (Abbildung 2-12): Die Komponenten Sender und Empfänger sowie der gesamte obere Teil des Modells, der die gemeinsame Sinnkonstitution darstellt, ändern sich gegen‐ über dem allgemeinen Modell nicht. Dieser Teil eines Kommunikationsproz‐ esses ist im Prinzip nicht vom jeweiligen Medium abhängig. Anstelle von Sendebzw. Empfangsgerät werden die Termini Eingabegerät und Endgerät verwendet, die als Bezeichnungen üblicher sind, wenn es um Kommunikation mittels Computern - damit sind hier auch Tablets und Smartphones gemeint - geht. Diese Bezeichnungen sollen auch verdeutli‐ chen, dass man Informationen eingibt, wenn man das Internet als Medium nutzt, und dass das Endgerät nicht nur ein simples Empfangsgerät ist wie ein Radio. Schließlich kann mit dem Endgerät Einfluss auf den Informationsträ‐ ger genommen werden, indem man zum Beispiel durch das Anklicken eines Links und das Nicht-Anklicken von anderen Links Elemente auswählt und 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! 111 Speicherinhalt andere nicht (Ergodizität). Das soll der gepunktete Pfeil unten rechts sym‐ bolisieren, der vom Endgerät zum Informationsträger zeigt. Der gestrichelte Pfeil darüber, der in dieselbe Richtung weist, steht hin‐ gegen für die Möglichkeit von Rückmeldungen, zum Beispiel in Form von Kommentaren, die man auf manchen Websites posten kann (Interaktivität). Da solche Kommentare Teil der Website werden, indem sie auf dieser zu lesen sind, stellen sie eine Veränderung des Informationsträgers dar. Daher muss dieser Pfeil im Gegensatz zum allgemeinen Kommunikationsmodell hier ein‐ gefügt werden. Der Informationsträger selbst wird von den digitalen Impulsen gebildet, die über eine Kabel- oder kabellose Verbindung als Kanal gesendet werden und die auf dem Bildschirm des Endgeräts als optische (und manchmal zu‐ sätzlich akustische) Signale angezeigt werden. Diese Signale erscheinen dort in Gestalt der Kommunikationsform Website. Diese Komponenten stehen im Rahmen des Mediums Internet, wobei im Fall von Websites das WWW als Teil des Hybridmediums bzw. als mediale Plattform anzusehen ist. Im Zuge der Kommunikation mittels einer Website kann schließlich auf die semiotischen Modi Schrift, Bilder, Videos, gespro‐ chene Sprache und Musik - vielleicht auch noch auf andere - zurückgegriffen werden. Aufgabe 2-11 Adaptieren Sie das Kommunikationsmodell so, dass es a) Twittern bzw. b) Video-Skypen darstellt. Das Internet prägt die Kommunikationsprozesse, die mittels dieses neuen Mediums ablaufen. Dabei sind seine Affordances und Constraints von entscheidender Bedeutung: Da die Technik des Internets zum Beispiel die Verwendung verschiedener semiotischer Modi erlaubt bzw. sogar anregt, gelten multimodale Kommunikate als typisch für Internet-Kom‐ munikation. Auf Basis dieser technischen Möglichkeiten und Einschränkungen sowie der kommunikativen Bedürfnisse und des Nutzungsverhaltens derer, die mittels des Internets kommunizieren, haben sich verschiedene Kommu‐ nikationsformen im Internet herausgebildet. Diese Kommunikationsfor‐ men befinden sich in einem stetigen Wandel: Einerseits entstehen neue und werden andere obsolet, andererseits verändern sich die Merkmale einzelner Kommunikationsformen. Der Grund dafür ist vor allem, dass sich auch die technischen Möglichkeiten des Internets durch die Ent‐ 2 Medientheorie des Internets 112 wicklung neuer oder verbesserter Soft- oder Hardware verändern und dass sich in diesem dynamischen Medium neue Nutzungsweisen her‐ ausbilden. lnternet: technisches Medium, das auf der Vernetzung von Computern beruht. Es ist zugleich eine technische Plattform, ein medial konstituier‐ ter Raum und vor allem ein Multibzw. Hybridmedium, das durch Me‐ dienkonvergenz gekennzeichnet ist. Web 2.0: beruht auf neueren Entwicklungen im Internet und setzt sich zusammen aus den Bereichen des Internets, die durch die Partizipation der User*innen gekennzeichnet sind („Mitmach-Web“). Social Media: Plattformen und Dienste im Web 2.0, die vor allem zur Herstellung und Aufrechterhaltung sozialer Kontakte genutzt werden, wie zum Beispiel Snapchat, WhatsApp, Facebook, LinkedIn, Xing oder Twitter. Hybridmedium: Medium, das durch Medienkonvergenz auf mehreren Ebenen gekennzeichnet ist. Die Hybridisierung erfolgt im Internet zum Beispiel dadurch, dass auf verschiedene Medien, Formen von Kommu‐ nikation, semiotische Modi etc. - zum Teil sogar im selben Kommunikat - zurückgegriffen werden kann. Kommunikationsplattform: Plattformen im Internet, die zur Verbrei‐ tung von Informationen und zur Kommunikation genutzt werden. Sie bieten „designed spaces“, in die Kommunikate hochgeladen werden kön‐ nen, damit andere sie lesen, betrachten und (häufig) kommentieren kön‐ nen. Adaptierte Kommunikationsformen: Kommunikationsformen, die zwar an die Gegebenheiten eines neuen Mediums angepasst wurden, deren Herkunft aus einer anderen medialen Umgebung aber noch er‐ kennbar ist. Beispiele: E-Mail, Online-Zeitungsbericht, Blogs. Die Grenze zu den emergenten Kommunikationsformen ist allerdings fließend. Emergente Kommunikationsformen: Kommunikationsformen, die sich aufgrund der neuen medialen Gegebenheiten in einem Medium - in unserem Fall im Internet - herausgebildet haben. Beispiele: Tweets, Vlogs und Foto-Blogs. Multimodalität: Verwendung verschiedener semiotischer Modi (z. B. Sprache, Bilder, Videos oder Musik) in einem komplexen Kommunikat. 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! 113 Übungen 1. Wenden Sie die 5 Kriterien für Kommunikationsformen (Kapitel 1. 2.2.7) auf Kommunikation mittels WhatsApp und Instagram an. 2. Analysieren Sie die Website der österreichischen Tageszeitung 2. „Der Standard“ (https: / / derstandard.at/ ). Welche Formen von Me‐ dienkonvergenz bzw. Hybridisierung finden Sie? Berücksichtigen Sie möglichst alle in Kapitel 2.4.1 diskutierten Ebenen. 3. Diskutieren Sie, inwiefern Instagram, Amazon und die Website 3. „Geschenke der Hoffnung“ (http: / / www.geschenke-der-hoffnung. org/ ) jeweils Merkmale des Web 2.0 (Kapitel 2.3.2) aufweisen. Lektüre zur Vertiefung McLuhan/ Fiore (1967) präsentiert McLuhans medientheoretische Ideen prä‐ gnant und auf eine sehr kreative Weise. Wissenschaftlicher im Stil und um‐ fassender in der Darstellung ist McLuhan (2003). Posner (1985) ist eine ältere, aber grundlegende Arbeit zu einigen Begriffen der Semiotik und Kommuni‐ kationstheorie, darunter auch zum Medienbegriff. Spezieller und mehr aus sprachwissenschaftlicher Perspektive und daher sehr lesenswert zu diesem Thema ist Habscheid (2000). Einen Überblick über Medientheorien bietet des Weiteren Weber ( 2 2010). Einen alternativen, aber gerade für Sprachwissen‐ schaftler*innen interessanten Medienbegriff vertreten Ehlich (1998) und Schneider (2006 u. 2017). Eine sehr lesbare Mediengeschichte bietet Böhn/ Seidler ( 2 2014), ausführ‐ licher zum gleichen Thema: Hiebel et al. (1998). Warnke (2011) beleuchtet vor allem die technische Seite des Internets. Bleicher (2010) ist hingegen eine sehr kompakte Darstellung des Internets aus medienwissenschaftlicher Sicht. Fraas/ Meier/ Pentzold (2012) beschäftigen sich aus kommunikations- und medienwissenschaftlicher Sicht mit Online-Kommunikation. Einen sehr guten Überblick zum Begriff der „affordances“ allgemein und zu den Affor‐ danzen von Social-Media-Plattformen im Speziellen bietet Bucher/ Helmond (2019). Zum Web 2.0 findet man weitere Infomationen in Schmidt ( 2 2011) und Huber ( 2 2010) und im kompakten Aufsatz von Herring (2013). Sehr gut lesbar und sehr kurz zum selben Thema: Runkehl (2012). Wenn Sie sich über die Auswirkungen der digitalen Medien auf die Gesellschaft informieren möch‐ ten, ist Lindgren (2017) sehr empfehlenswert, wenn dieses Buch auch weni‐ ger linguistisch ausgerichtet ist. Zum Diskurs über digitale Daten und die „Datafizierung“ der Gesellschaft im Zusammenhang mit den Neuen Medien aus linguistischer und interdisziplinärer Sicht siehe Steen/ Liedtke (2019). 2 Medientheorie des Internets 114 Speziell mit den Sozialen Medien beschäftigen sich Huber ( 3 2013), der Sam‐ melband herausgegeben von Anastasiadis/ Thimm (2011a) sowie das Hand‐ buch zum Thema von Burgess/ Marwick/ Poell (2019). Weiterführend zur Analyse multimodaler Kommunikation sind Kress (2010), van Leeuwen (2005) und Bateman/ Wildfeuer/ Hiippala (2017). Zum Begriff der „Kommunikationsformen“ siehe unter anderem die Aufsätze von Dürscheid (2005b) und von Holly (1996). 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! 115 Gibt es eine „Internetsprache“? 3 Sprache im Internet Gibt es überhaupt eine Internetsprache? Welche Besonderheiten gibt es auf den verschiedenen linguistischen Be‐ schreibungsebenen? Inwiefern kann Online-Kommunikation Bedeutungen verändern? 3.1 Weder Sondersprache noch Stil Eine Internetsprache, eine Sprache also, die einzig für die Kommunikation im Internet verwendet wird, gibt es nicht, darüber ist man sich in der For‐ schung inzwischen weitestgehend einig. Abgesehen von der Auszeichnungs‐ sprache HTML (Hypertext Markup Language), die viele Internetseiten struk‐ turiert, aber für normale Nutzer*innen nicht unmittelbar sichtbar ist, präsentiert uns „das Internet“ keine Sprache mit eigener Systematik. Sie muss nicht wie eine Fremdsprache erlernt werden. Noch vor einigen Jahren kur‐ sierten Bezeichnungen wie Netspeak (Crystal 2 2006) oder Cyberslang (Abel 2 2000), die aber die (sozialen) Unterschiede im Online-Sprachgebrauch aus‐ blendeten (Androutsopoulos 2003a: 3) und eine homogene, für Internetkom‐ munikation typische Sprache suggerierten. Das „Internet“ ist aber kein homogener Kommunikationsraum, sondern gerade als Hybridmedium ein Puzzle aus vielen Versatzstücken, wie z. B. Blogs, Foren, Lexika, Ratgeberseiten, Präsentationen von Firmen, Produkten oder Universitäten; es gibt Seiten, die sich an Kinder, an Jugendliche, an Er‐ wachsene in spezifischen Berufsgruppen oder an Rentner*innen richten; Hobbies, Vorlieben, außergewöhnliche Fähigkeiten oder Lebensumstände, Politik, Wissenschaft - für alles gibt es Angebote im Internet. So thematisch heterogen wie all diese Angebote allein schon sind, so unterscheiden sie sich auch hinsichtlich der verwendeten Sprache. Man kann daher auch nicht von einer Sondersprache ausgehen, die mehr oder weniger ausschließlich im Internet verwendet wird. Im Gegenteil: Wir finden durchaus verschiedene Sprachstile („Art[en] der sprachlichen Gestaltung“, siehe Fleischer/ Michel/ Starke 1993), zum Beispiel den umgangssprachlichen Stil in Phänomene des Sprachgebrauchs im Internet sozialen Netzwerken, den Wissenschaftsstil in Online-Publikationen, den Be‐ amtenstil auf Behördenseiten, den poetischen Stil auf Gedichtseiten oder den Regionalstil in Kommentarbereichen lokaler Webangebote, aber einen einheitli‐ chen Internet-Stil finden wir nicht. Es gibt außersprachliche Faktoren, die diese Stile motivieren, wie etwa die Herkunft und das Traditionsbewusstsein oder die beruflichen Anforderungen. Das Medium Internet als außersprachlichen Faktor für einen „Internet-Stil“ anzunehmen, wäre zwar möglich. Das könnte aber die Sprachwirklichkeit im Internet nur unzureichend erklären, weil auch andere Faktoren eine Rolle spielen. Die kommunikativen Praktiken und der Sprachge‐ brauch im Internet sind schlicht zu verschieden. Sondersprachen sind von der Standardsprache abweichende Sprach‐ varianten, die in Sondergruppierungen ( Jäger, Bergleute, Gauner) ver‐ wendet werden (vgl. Bußmann 4 2008). Das, was zumeist als „Internetsprache“ bezeichnet wird, findet sich fast aus‐ schließlich in bestimmten Kommunikationsformen wie Foren, Chatumge‐ bungen, Wikipedia-Diskussionsseiten, Blogs oder Microblogging-Plattfor‐ men, dort also, wo Menschen direkt miteinander kommunizieren. Wir sprechen mit Storrer (2013, 2017) in solchen Fällen vom „interaktionsorien‐ tierten Schreiben“. Man kann aber auch hier feststellen, dass der Sprachge‐ brauch keineswegs einheitlich ist. Es hängt sehr von der Art des jeweiligen Forums, aber auch von den individuellen Nutzer*innen ab, wie dort sprach‐ lich formuliert wird. Dasselbe gilt für E-Mails: Internetspezifische Merkmale finden sich kaum in offiziellen bzw. Geschäfts-E-Mails, aber auch nicht in allen privaten E-Mails. Wir können auch deshalb nicht von einer „Internetsprache“ sprechen, weil sich bereits jetzt ein wechselseitiger Austausch mit anderen Domänen der Kommunikation abzeichnet. Das heißt, dass wir angeblich typische inter‐ netspezifische Phänomene auch in Bereichen der Offline-Kommunkation und in Offline-Medien wiederfinden, wie Akronyme, die sich auch als Wort gut aussprechen lassen, z. B. YOLO (you only live once), LOL (laughing out loud) oder asapst (as soon as possible mit deutschem -st-Suffix) oder Wörter, wie Freund, deren Bedeutung durch ihre Verwendung im Sozialen Netzwerk nicht mehr einfach festzulegen ist. Auch Emoticons verharren nicht in ihrer typischen Online-Umgebung, sondern tauchen in Briefen, auf T-Shirts oder auf Flyern wieder auf. Dennoch gibt es Formulierungsweisen und sprachliche Phänomene, die relativ spezifisch für den Sprachgebrauch im Internet sind. Sie haben sich unter den Kommunikationsbedingungen im WWW ausgeprägt. Während Kritiker*innen in diesem Bereich den Beginn des Sprachverfalls verorten und 3 Sprache im Internet 118 fürchten, dass „das Internet“ die Sprache verhunze, sehen wir hier höchst interessante Phänomene: ▸ neue Wörter, mit denen auf neue Entwicklungen reagiert wird, ▸▸ Abkürzungen und Kurzschreibweisen, mit denen der notwendigen ▸ Kommunikationsgeschwindigkeit Rechnung getragen wird, ▸ Lexeme, die sich durch ihren Gebrauch im WWW in einem Prozess ▸ der Bedeutungsveränderung befinden, ▸ hybride Kommunikationsformen zwischen Mündlichkeit und Schrift‐ ▸ lichkeit, was sich auch in der Grammatik spiegelt, ▸ Selbstregulierungstendenzen und ▸▸ Signale für eine hohe Sensibilität für Sprache und Kreativität bei den ▸ Nutzern. Gerade als Linguist*innen erhalten wir allein durch das WWW Zugang zu sprachlichem Material, das wir anders nur mit sehr viel Aufwand oder gar nicht gewinnen könnten. Es entwickeln sich Kommunikationssituationen, denen man anders gar nicht oder nur eingeschränkt beiwohnen könnte. Texte und Interaktionsgewebe sowie Soziale Netzwerke entstehen (Lobin 2018: 130), in denen sich Menschen spontan austauschen, schnell reagieren und kommunikative Routinen entwickeln, so dass bei uns Forscher*innen der Eindruck erweckt wird, dass wir hier mit natürlicher Sprache als Unter‐ suchungsgegenstand konfrontiert werden. Das ist eine sehr willkommene Datenlage, auch wenn wir dabei die Produktionssituation nicht ausblenden dürfen, in der Beiträge für den interpersonalen Austausch im Web 2.0 ent‐ stehen: Personen, die räumlich isoliert voneinander aber im Bewusstsein darüber, dass auch fremde Personen ihren Text/ ihren Gesprächsbeitrag lesen könnten, Sprache produzieren, ohne die unmittelbare oft auch nonverbale Reaktion der Gesprächspartner*innen mit einzubeziehen oder gerade im Be‐ wusstsein, dass Aufmerksamkeit oft nur mit spezifischen Formen und Inhal‐ ten erreicht werden kann. Dabei können sie sich ungestört zu Hause vor dem eigenen Rechner befinden. Beiträge werden aber auch mit Hilfe von Smart‐ phones ins Netz gestellt, entstehen also häufig unterwegs, in Gesellschaft von anderen Menschen, in der U-Bahn, auf Konzerten, beim Pilze suchen, aus dem Krankenhaus nach der Geburt des Kindes, aus der Schule, beim Ma‐ rathon usw. Sie beziehen sich oft auf Erlebnisse und können dabei sogar Auskopplungen von Face-to-Face geführten Gesprächen sein. Die Kommmunikationsebenen online vs. offline und damit die Sprache, die auf der einen oder der anderen Ebene verwendet wird, voneinander ab‐ zugrenzen oder auch eine Entscheidung darüber zu treffen, was zuerst da war und was wodurch beeinflusst wird, halten wir nicht für zielführend. So ist z. B. die Frage schwer zu beantworten, ob nicht schon bevor sich das Internet etabliert hat, Zettelchen zwischen Schüler*innen ausgetauscht wur‐ 3.1 Weder Sondersprache noch Stil 119 Leitfragen auf der Suche nach Hinweisen für internetspezifische sprachliche Merkmale Wortschatzer‐ weiterungen den, die knapp formulierte Mitteilungen oder vielleicht sogar ein grinsendes Gesicht enthielten, wenn uns nicht zufällig ein solcher Zettel in die Hände gespielt wurde, wir sie gar aus unserer eigenen Schulzeit aufbewahrt haben oder wir uns möglicherweise recht gut erinnern können. Abkürzungen, die ebenfalls als typisch für die Sprache im Internet angesehen werden, begegnen uns beispielsweise seit Jahrzehnten, u. a. im medizinischen oder auch im mi‐ litärischen Bereich. Wie kann man nun also bestimmen, was ein internetspezifisches sprachliches Merkmal ist? Wir begeben uns in diesem Kapitel deshalb auf eine Suche nach Anhaltspunkten: ▸ Wo finden wir in den Daten Hinweise auf neue Kommunikationsbe‐ ▸ dingungen? ▸ Finden wir diese auf allen linguistischen Beschreibungsebenen? ▸▸ Welche neuen Wörter sind entstanden und warum ist das linguistisch ▸ relevant? ▸ Wo wird durch das WWW eine Bedeutungsveränderung motiviert? ▸▸ Welche Prozesse laufen beim Verstehen von Wörtern ab, die im Netz ▸ anders verwendet werden? Das sind die Fragen, die uns interessant erscheinen. Sie sollen im Folgenden anhand von Beispielen diskutiert werden. Dieses Kapitel ist also nicht als umfassender Überblick über alle sprachlichen Auffälligkeiten im Internet konzipiert. Stattdessen werden einzelne interessante Phänomene herausge‐ griffen und aus der Perspektive einer spezifischen Sprachbeschreibungs‐ ebene (Lexik, Syntax, Semantik …) heraus diskutiert. Ziel ist es, den intensi‐ ven Austausch im Seminargespräch oder ein selbständiges Nachdenken vor der Folie dieser Muster anzuregen. 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke Es ist nicht überraschend, dass die rasante und vielfältige Entwicklung der Internettechnologie dazu beigetragen hat, dass sich zahlreiche neue Termini etabliert haben. Dazu gehören Bezeichnungen für Internetangebote, wie Facebook, Twitter, YouTube, Skype, WhatsApp, Snapchat, Tumblr, Instagram, Wikipedia usw., Bezeichnungen für (kommunikative) Handlungen im WWW, wie Shitstorm, bloggen, twittern, chatten, googeln, spammen und Le‐ xeme aus den Feldern Technik (internetfähig, Smartphone, Intranet, Browser, Modem, Add-On, App, Netbook, Content-Management-System, Crawler, Coo‐ kie, ICQ), Bildung (eLearning, blended learning, Lernplattform), Unterhaltung (Flashmob, Mediathek, Feed, Avatar, eZine, Netiquette), Wirtschaft (Social Me‐ 3 Sprache im Internet 120 Weitere sprachliche Phänomene dia Marketing, eCommerce, Online-Shop, Flatrate, Online-Banking, PayPal), Verwaltung (ELSTER, Online-Formular), Gesellschaft (digital divide, digital natives, Internet-Generation, Netz-Community, Silversurfer, eHealth) und Po‐ litik (E-Government). Sie verdeutlichen, dass das WWW integraler Bestand‐ teil unseres Lebens geworden ist, die „Generation Internet“ operiert selbst‐ verständlich mit diesen Termini. Auch Crystal (2011) fasst die Entwicklung wenig aufgeregt zusammen: „Certainly there are no lexical grounds for saying, as media pundits sometimes do, that Internet vocabulary has been a radical source of language change. All that has happened is that languages have acquired an additional lexical dimension, as they always do when their speakers gain a new domain of knowledge.“ Crystal (2011: 60 f.) Die Veränderungen beschränken sich aber nicht nur darauf, dass neue Wör‐ ter in den Sprachgebrauch übernommen werden. Gerade in der zwischen‐ menschlichen Internet-Kommunikation - an der Schwelle zwischen Münd‐ lichkeit und Schriftlichkeit, zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, zwischen Symmetrie und Asymmetrie, zwischen Synchronizität und Asynchronizität also - finden sich weitere Muster, die in vielen Publikationen als typisch beschrieben worden sind und hier noch einmal zusammengefasst werden sollen. Wir stützen uns dabei auf einen gekürzten Facebook-Kommentar-Text als Quelle für verschiedene Merkmale: (3-1) A: Ich find die neue Grafik scheusslich. Billig. Plump. Örgs [1].[2] B: Ich auch. [3] Will mich nicht dran [4] gewöhnen. UInd [5] ich erschauder [6] immer, wenn ich den Screen [7] unlocke [8] B: An-Locke [9] […] C: Und kannste [10] nicht zurückdingsen [11]? D: Ich empfehle dir gerne [12] das Xperia Z1 ; -P [13] […] B: GRAD GEMACHT! [14] Mit der Tagesschau End-Morse-Zeichenfolge daa daa did daa did did daa daa […] E: aber es ist soooo [15] hässlich […] E: Da du ehh [16] nicht drum rum [17] kommst und die Performance [18] echt gut ist … Kannste [19] auch gleich Updates [20] [21] […] 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke 121 3 Gruppen sprachlicher Phänomene im Internet Adaptionsprozesse F: Die Funktionen sind schon toll. Aussehen, naja,[22] Geschmackssache. Und dass endlich Multitasking [23] wirklich funzt [24] [25] ist auch super. […] F: Das aktuell offene Programm kann man mit ios 6 nicht so schließen, es erscheint nicht unten in der Leiste. Du musst aus dem Programm raus [26] (also auf ein anderes) und dann kannste [27] da so schließen. Bei 7 sind alle Programme unten in der Leiste und durch nach oben Wischen kann alles schnell geschlossen werden. […] F: Die "Häufigen Orte" habe ich ausgeschaltet. Das ist mir zu viel Überwachung. Das Ding weiß auf die Minute genau, wie lange ich die letzten 2 Tage gearbeitet habe. G: Das kann ich anhand von Bockwurst- und Red-Bull-Fotos auch tracken [28] […] F: Haste [29] nu [30] 7? G: Nee [31]. Mein Handy zeigt mir nich mal an, dass [32] eine Softwareaktuali‐ sierung gibt F: Wenn du jetzt kein early adpoter [33] mehr bist, dann werden wir wirklich alt (Facebook, jzp, 2013-09-20, 21: 55 - 2013-09-21, 12: 07) Aufgabe 3-1 Versuchen Sie zunächst die Phänomene 1-33 mit eigenen Worten zu beschreiben, zu erklären und zu kategorisieren. Was fällt Ihnen jeweils auf ? Inwiefern liegen hier Hinweise darauf vor, dass es sich um inter‐ netspezifische sprachliche Merkmale handelt? Wir schlagen vor, die oben indizierten Belege drei Gruppen zuzuordnen: 1. Indikatoren für Adaptionsprozesse 1. 2. Indikatoren für sprachliche Sensibilität und Reflexion 2. 3. Indikatoren für Oraliteralität 3. Diese Kategorien werden im Folgenden genauer beschrieben. Dabei gehen wir von den Belegen in (3-1) aus, ziehen aber zur Illustration jeder Kategorie weitere Merkmale und Beispiele heran. Wir weisen darauf hin, dass es sich nicht um sich ausschließende Kategorien handelt. 3.2.1 Abgeguckt: Indikatoren für Adaptionsprozesse Unter Adaption wird hier verstanden, dass Lexeme, grammatische Kon‐ struktionen oder andere sprachliche Formen, die für andere Kommunikati‐ onsdomänen typisch sind, in den Bereich der Internetkommunikation über‐ nommen werden. Zu diesen anderen Domänen zählen zum Beispiel die 3 Sprache im Internet 122 Mediale Eigen‐ heiten als Motivation Soziale Anbindung als Motivation Kommunikation unter Jugendlichen, in verschiedenen Fachbereichen oder in sozialen Gruppen. Dementsprechend werden lexikalische oder gramma‐ tische Elemente aus Fachsprachen, Gruppenstilen, Sondersprachen, Jugend‐ sprachen, Soziolekten, Dialekten, aber auch einfach der mündlichen Um‐ gangssprache für jeweils bestimmte Bereiche der Internetkommunikation adaptiert. Darüber hinaus werden auch sprachliche Ausdrücke, die in man‐ chen Kommunikationsformen der Online-Kommunikation international üb‐ lich geworden sind, aus Fremdsprachen für die deutschsprachige Kommu‐ nikation im Internet übernommen. Wenn man nur grob unterteilt, kann man feststellen, dass diese Adapti‐ onsprozesse hauptsächlich durch zwei Gründe motiviert sind: Erstens werden sprachliche Formen adaptiert, die besonders gut zu den medialen Constraints und Affordances des Internets passen. Ein Beispiel wäre die Verwendung einer verkürzten Ausdrucksweise (Ellipsen [2], Kurz‐ wörter usw.), wie wir sie schon aus Zeitungsannoncen, Telegraphie oder SMS kennen, etwa in der Chat-Kommunikation oder beim Schreiben von Tweets. Auch die Übernahme und der massive Ausbau von Hypertextstrukturen (siehe Kapitel 5.3.1) sind so durch die medialen Eigenheiten des Internets motiviert. Weil vor allem im Web 2.0 häufig dialogische und synchrone Kommuni‐ kation möglich ist (z. B. beim Chatten), kommt es aufgrund dieser medialen Eigenheiten des Internets auch zu Adaptionen, die Phänomene und Elemente mündlicher Sprachverwendung in schriftlichen Texten simulieren. So finden sich in unserem Beispiel (3-1) Apokopen, Assimilationen, Elisionen/ Verkür‐ zungen, Zusammenziehungen [10], [19], [27], [29], Endungselisionen [6]. Außerdem werden typographische Mittel als Kompensationsstrategien ad‐ aptiert und konventionalisiert, um die medialen Constraints zu umgehen, die einer Wiedergabe mündlicher Rede in den schriftbasierten Kommunikati‐ onsformen des Internets entgegenstehen. Beispiele wären die Verwendung von Fettdruck, Majuskelschreibung oder Buchstabeniteration (soooo [15]), um Lautstärke oder eine bestimmte Intonation zu signalisieren. Auf diese Phänomene der Oraliteralität gehen wir in Kapitel 3.2.3 anhand des Beispiels (3-15) noch gesondert ein. Zweitens liegt vielen Adaptionsprozessen ein Bestreben zugrunde, kom‐ munikatives Handeln im Internet an jeweils bestimmte soziale Domänen an‐ zubinden. Zum Beispiel kann durch die Verwendung jugendsprachlicher Elemente, signalisiert werden, dass man im Rahmen einer jugendkulturellen Domäne kommuniziert. Durch die Übernahme soziolektaler oder dialektaler Ausdrucksformen verortet man sich hingegen in sozial oder regional defi‐ nierten Gruppen und mit einer umgangssprachlichen Ausdrucksweise (z. B. zurückdingsen [11] und funzt [24]) ruft man einen persönlicheren, privateren und von sozialer „Lockerheit“ geprägten Kommunikationskontext auf. Auf 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke 123 Füllung lexikalischer Lücken durch Anglizismen diese Weise werden die im Internet getätigten Äußerungen jeweils an eine auch offline existierende Kommunikationsdomäne angebunden. Auch die Übernahme fremdsprachlicher Elemente kann zumindest teil‐ weise so interpretiert werden: Hier geht es unter anderem auch um eine sprachliche Anbindung an eine internationale „Internet-Community“. Spe‐ ziell dann, wenn Internet-Fachtermini adaptiert werden, soll darüber hinaus auch noch aufgezeigt werden, dass der*die Kommunizierende zu den „Inter‐ net-Expert*innen“ gehört. Besonders häufig werden gerade mit der letztgenannten Motivation Le‐ xeme aus dem Englischen übernommen, wie in unserem Beispiel die Angli‐ zismen Screen [7], Performance [18], Updates [20], Multitasking [23] oder early adpoter [adopter] [33]. Verben werden nach den Regeln der deutschen Spra‐ che konjugiert - und damit grammatisch angepasst: unlocke [8] oder tracken [28]; Nomen entsprechend dekliniert: Leecher, Follower, Poster oder Lurker. Inhaltlich beziehen sich diese Lexeme vorwiegend auf technologische Ent‐ wicklungen, Computeranwendungen oder Handlungen, die im Zusammen‐ hang mit der internetbasierten Kommunikation vollzogen werden. Gerade in Verbindung mit neuen Angeboten im Netz können sogenannte Wortwol‐ ken entstehen, ein Beispiel dafür zeigt Abbildung 3-1. Mit Neologismen, die um einen gemeinsamen Wortstamm konstruiert werden, können lexikalische Lücken schnell geschlossen werden. Abb. 3-1: Wortwolke für das Lexem blog 3 Sprache im Internet 124 Füllung lexikalischer Lücken durch Wortbildung Eine lexikalische Lücke entsteht, wenn sich ein Konzept entwickelt hat, für das es noch kein Wort gibt. Konzepte sind Bausteine unserer Kognition, hier wird das Wissen über die Welt gespeichert (Schwarz 3 2008). Es kann vorkommen, dass wir zwar ein Konzept von einem Sach‐ verhalt haben, es aber nicht mit einem Lexem benennen können, z. B. die Bezeichnung für den Ex-Freund vor dem Ex-Freund oder der vergebliche Versuch, sich an einen Traum zu erinnern oder das Pendant für satt, wenn man nicht mehr durstig ist (Schwarz/ Chur 6 2014). Aufgabe 3-2 Welche lexikalischen Lücken haben sich im Zusammenhang mit Twit‐ ter ergeben? Wie wurden sie gefüllt? Entwerfen Sie eine Wortwolke. Wie anhand der Wortwolke für das Lexem blog schön zu sehen ist, beruhen viele Neologismen, mit denen lexikalische Lücken gefüllt werden, auf Wort‐ bildungsprozessen. Die Adaption von internetspezifischen Termini erfolgt also auch auf grammatisch-morphologischer Ebene. Auffallend ist dabei, dass aufgrund des Einflusses des Englischen bzw. der Übernahme englischer Ele‐ mente Wortbildungsarten häufiger vorkommen, die für das Deutsche an‐ sonsten nicht so typisch sind. Neben Komposition und Derivation finden sich so auch zahlreiche Beispiele für Konversion und Kontamination: ▸ Komposition (Zusammensetzung): Verbindung (mindestens) zweier ▸ Wörter, z. B. blog-roll, photo-blog und blog-o-sphere bzw. mit einer Ver‐ bindung eines englischen Elements mit einem deutschen Element: Blog-o-sphäre (mit dem -oals Fugenmorphem); ▸ Derivation (Ableitung): Wortbildung mithilfe eines Affixes; z. B. das ▸ deverbale Substantiv blogg-er und davon ausgehend: Blogg-er-in; auch (early) adopter [33] oder Influencer-in; ▸ Konversion (Wortartwechsel): ein Lexem wechselt die Wortart, ohne ▸ dass sich etwas an seiner Form ändert, wobei im Deutschen allerdings ein Flexionsaffix hinzukommen kann bzw. muss; z. B. engl. blog → (to) blog, dt. Blog → bloggen; auch tracken [28] von track; ▸ Kontamination (Wortkreuzung): Verschmelzung zweier Wortseg‐ ▸ mente zu einem neuen Lexem; z. B. blargon (blog + jargon), blogorhea oder Blogorrhö (Blog + Diarrhö) und vlog (video + blog); blogoholic (aus blog + alcoholic) beruht auch auf Wortbildung durch Kontamination, wobei allerdings -holic aufgrund seiner bereits fortgeschrittenen Grammatikalisierung auch schon als reihenbildendes Suffix (vgl. 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke 125 Akronyme und Abkürzungen work-a-holic, sugar-holic, choco-holic) betrachtet werden kann. In die‐ sem Fall liegt blogoholic Derivation als Wortbildungsart zugrunde. Abgesehen von den genannten Wortbildungsarten spielen noch zwei andere Arten der Prägung neuer Wörter eine besondere Rolle bei der Adaption sprachlicher Elemente für bestimmte Bereiche der Online-Kommunikation: Akronyme und Inflektive. Abkürzungen und Akronyme: Akronyme setzen sich aus einzelnen Buch‐ staben, im Allgemeinen den Anfangsbuchstaben zweier oder mehrerer Wör‐ ter zusammen. Daher werden sie auch als Initialwörter bezeichnet. Ausge‐ sprochen werden entweder die einzelnen Buchstaben jeder für sich (z. B. afk) oder, wenn dies artikulatorisch möglich ist, die ganze Buchstabenfolge als silbische Einheit (z. B. LOL). Akronyme können flektiert werden, wie z. B. in asapst (as soon as possible-st), das auch im mündlichen Sprachgebrauch (offline) vorkommt. Abkürzungen und Akronyme können als Adaption vor allem aus den Be‐ reichen Technik, Verwaltung, Politik oder Militär, aber auch als Übernahme kommunikativer Praktiken, die sich in der Kommunikation per SMS heraus‐ gebildet haben, eingestuft werden. Da sie sehr platzsparend und ökonomisch sind, stellen sie eine geeignete Ausdrucks- oder Schreibweise dar, um die Constraints von Kommunikationsformen wie WhatsApp, Chat oder Twitter zu umgehen. Sie werden aber auch gerne in E-Mails eingesetzt, wenn es um Schnelligkeit beim Schreiben geht, aber auch darum, zu signalisieren, dass man die moderne, dem neuen Medium angepasste Art des Kommunizierens beherrscht. Die Anzahl an Abkürzungen und Akronymen ist daher nahezu unüberschaubar. Eine kleine Auswahl ist in der folgenden Tabelle zusam‐ mengefasst. ack acknowledged (Zustimmung) afaik as far as I know (soweit ich weiß) afair as far as I remember (soweit ich mich erinnern kann) afk away from keyboard (nicht am Computer) brb be right back (bin gleich wieder da) btw by the way (nebenbei; ach übrigens) cu(2) see you (too) (Tschüß, bis bald/ auch Tschüß) cyl see you later (bis später! ) eig eigentlich fdp fils de pute = französisch für Hurensohn fyi for your information (zu deiner Information) 3 Sprache im Internet 126 hdf halt die Fresse hth hope this helps (hoffe, dass das hilft) imho in my humble opinion (said with false modesty) (meiner unmaßgeb‐ lichen/ bescheidenen Meinung nach) (aber die Bescheidenheit ist meistens unaufrichtig) imo in my opinion (meiner Meinung nach) iirc if I remember correctly (wenn ich mich recht erinnere) lol laughing out loud (laut am Lachen) mdr mort de rire = französisch für „sich totlachen“ nn noname (du Niemand! ) np no problem (kein Problem) oj obligatory joke (obligatorischer Witz) om(f)g oh my (fucking) god (gottverdammt) omfsm oh mein fliegendes Spaghetti-Monster ot Off-Topic (Thema entspricht nicht dem Thema der Diskussion) plz please (bitte) (auch „pls“ möglich) pmfji pardon me for jumping in (entschuldige, dass ich mich einmische) rofl rolling on the floor laughing (rolle gerade auf dem Boden vor Lachen) rtfm read the fucking manual (lies die scheiß Anleitung) scnr sorry, could not resist (tut mir leid, konnte nicht widerstehen) stfw search the fucking web (such doch selber im Internet) thx thanks (danke) oder auch thy = thank you (ich danke dir) tia thanks in advance (schon im Voraus danke) trz trotzdem vllt vielleicht (auch: vl) wb welcome back yolo you only live once (man lebt nur einmal, im Sinne von: carpe diem) zZ zur Zeit Tab. 3-1: Auswahl an Abkürzungen und Akronymen 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke 127 Inflektive Aufgabe 3-3 Abkürzungen und Akronyme werden einerseits verwendet, um Platz- und Zeitmangel Rechnung zu tragen. Sie bewirken aber auch Sozialis‐ ierungsprozesse. Überlegen Sie, inwiefern sich das Verwenden von Abkürzungen und Akronymen auf die Beziehung zwischen Kommu‐ nikationspartnern auswirkt. Beziehen Sie das folgende Beispiel in Ihre Überlegungen mit ein. (WASP, diablo3, 2012-07-09, 21: 41) Inflektive sind Adaptionen aus der Comicsprache und gelten heute als Re‐ miniszenzen an die „guten alten Chatzeiten“. Sie werden meist in Asteriske oder spitze Klammern gesetzt und dazu verwendet, para- oder nonverbale Handlungen sprachlich zu simulieren (3-2 bis 3-4). Grammatisch betrachtet handelt es sich um bloße Verbstämme ohne Flexionsendung, die als ein spe‐ zieller Typ der Wortart Interjektion klassifiziert werden können (vgl. Duden 8 2009: 599). (3-2) A: […] Dein Geschluchze bei Sanvean hat nur Lisa Gerrards Stimme übertönt B: Ach Klappe! *abwink* (eas, Facebook, 2013-06-18, 17: 45) (3-3) […] oh! *bestaun* (Birgit Mathon @BirgitMathon, Twitter, 2013-10-20, 14: 58) 3 Sprache im Internet 128 Emoticons/ Emojis Leetspeak (3-4) (Twitter, Dannyela TM @DaTraube, 2013-06-05, 18: 15) Wie das letzte Beispiel (3-4) zeigt, können Inflektive auch in komplexen For‐ men auftreten, indem sie quasi aus einer ganzen Phrase gebildet werden: z. B. *gelangweilt mit den Beinen baumel*. Inflektive sind typisch für die Chat-Kommunikation, werden inzwischen aber auch mündlich verwendet, hier zumeist quotativ, was durch eine Veränderung der Stimme oder gesti‐ sche Anführungszeichen markiert wird. Sie dienen vorrangig dazu, affek‐ tiv-emotionale Informationen zu übermitteln und den kommunikativen On‐ line-Raum um Komponenten der Offline-Kommunikation (Körpersprache, Gestik, Mimik etc.) zu erweitern. Allerdings scheint die Verwendung von Inflektiven zurückzugehen bzw. wird von dieser Konstruktion nur mehr quotativ Gebrauch gemacht. Zur Vermittlung von Emotionen oder quasi als Ersatz von Gestik und Mimik werden vermehrt Emoticons (im obigen Beispieldiskurs (3-1) dreimal) und Emojis eingesetzt. Es handelt sich hierbei um Zeichen (zumeist ikonische Gesichter), die verwendet werden, um komplexe emotionale Sachverhalte und Handlungen kompakt und effektiv darzustellen, aber auch um gramma‐ tische Funktionen zu übernehmen, z. B. als Ersatz von Satzzeichen (dazu Al‐ bert 2013). In Kapitel 4 wird ausführlich auf die Funktion und Bedeutung von Emoticons/ Emojis eingegangen. Als eine Art Zeichensprache kann auch „Leetspeak“ gelten. Das Besondere hier ist, dass Buchstaben komplett durch ähnlich aussehende Zahlen ersetzt werden, z. B. 1337 (Leet auf dem Kopf stehend und rückwärts gelesen). Ent‐ 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke 129 Adaption auf syntaktischer Ebene wickler von Filter- und Suchprogrammen werden dadurch vor neue Her‐ ausforderungen gestellt. Leet fungiert somit als eine Art Geheimsprache, die deutlich schwerer zu entschlüsseln ist. So finden wir z. B. Anleihen aus Leet. Das heißt, dass einzelne Grapheme oder ganze Silben durch Zahlen ersetzt werden, wie z. B. in m8 (mate), w8 (wait) oder n8 (night oder im Dt.: Nacht). Bei den Beispielen handelt es sich um eher harmlose Lexeme, relevant wird diese Form der Verschleierung auch in Kombination mit Graphemvertau‐ schungen und -ersetzungen vor allem dann, wenn heikle Themen wie Se‐ xualität (pr0n, n0rp für porn, 6E für sexy, newd für nude beispielsweise) oder Drogenkonsum (1ü13 für Tüte oder 0fen [großes O als null]; beides für ‚Ma‐ rihuana rauchen‘) verhandelt werden. Eine interessante Entwicklung hat zu dem Lexem b00n geführt, das in der Sprache von Gamer*innen abwertend für renitente Neulinge verwendet wird, aber in entsprechenden Chaträumen nicht erwünscht oder sogar ver‐ boten ist. Ursprünglich gebrauchte man die Bezeichnung newbie, die dann verkürzt wurde zu newb. Nun ist „ew“ im Englischen in etwa gleichlautend mit [u: ], das ebenfalls als „oo“ graphemisch realisiert werden kann. Das wie‐ derum lässt sich schneller tippen, weshalb newb zu noob wurde. Um Suchfilter umgehen zu können, wurde noob nicht nur zu boon (auch Entwickler von Suchfilterprogrammen lernen schnell). Die beiden oo wurden durch zwei Nullen ersetzt, eine weitere Stolperfalle für Suchfilter einerseits, eine sym‐ bolische Anspielung auf ‚eine Null sein/ eine doppelte Null sein‘, die die Be‐ deutung des Lexems verstärkt, andererseits. Ähnliche Beispiele für graphemische Variationen phonetischer Äquiva‐ lente sind mOwl für Maul oder sHiCe für scheiße. In diesen Wortspielen tritt Kreativität zutage, die auf eine sprachliche Sensibilität schließen lässt, der Übergang zu Punkt 3.2.2 ist also fließend. Auf syntaktischer Ebene findet man zum Beispiel das Weglassen eines Pronomens (vor allem der 1. Person) wie in Beispiel (3-5). Dabei handelt es sich um die Adaption einer kommunikativen Praktik, die in bestimmten Textsorten und Kommunikationsformen - unter anderem Kontaktanzeigen, Briefen und SMS - üblich war und zum Teil noch ist. 3 Sprache im Internet 130 Regionalismen (3-5) (Facebook, Spotted Uni-viertel Graz, 2013-10-24) Als Indikator für Adaption aus Regionalismen kann [31] (aus dem Beispiel 3-1) angesehen werden, wobei hieran nicht eindeutig zu bestimmen ist, wel‐ cher Dialekt vorliegt. Klarer wird es an Beispiel (3-6). (3-6) A: verweist auf eine Großmutter, die ihrerseits als Fremdsprachenkorrespondentin ausgebildet, beim Ullsteinverlag bis 1928 wirkte und uns Enkel stets darin be‐ stärkte, uns einer ausgezeichneten Sprache zu bedienen. Dit kann ooch nerven. B: KANN vielleicht - wenn man jung ist, wa aber die fähigkeit dazu ist doch ein geschenk! A: Allerdings und ich bin auch fürderhin voll des Dankes, dass man mich frühzeitig lehrte, einen jepflechten Genitiv spazieren führen zu können! B: und DAS verbunden mit deinen unbestreitbaren koch- und back-künsten ist einfach eine unwiderstehliche MÜSCHUNK A: Ick hab noch JANZ andre Sachen druff, dooo! (Facebook, jzp, 2013-10-08, 21: 09-21: 15) Hier wird von A kontrastierend zu einem sehr elaborierten Sprachstil sehr unvermittelt auf das Berlinerische zurückgegriffen. Daraufhin entwickelt sich ein spielerischer Schlagabtausch. An diesem Beispiel, wie an dem Einsatz von Dialekten überhaupt, lassen sich demnach auch Indikatoren für Sensi‐ bilität und Reflexion sowie Indikatoren für Oraliteralität nachvollziehen (siehe dazu auch Kapitel 3.2.3). 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke 131 Sprachspiele als Ausdruck sprach‐ licher Reflexion Sprachspiele auf grammatischer Ebene 3.2.2 Mitgespielt: Indikatoren für sprachliche Sensibilität und Reflexion Wortspiele sind ein Zeichen für sprachliche Kreativität, aber auch Reflexion. Indem Nutzer*innen z. B. bewusst von Regeln abweichen oder aus bekannten Mustern neue Formen kreieren, versuchen sie nicht nur originell zu sein, son‐ dern auch für eine spezifische (zumeist witzige) Atmosphäre zu sorgen. In Beispiel (3-7) wird etwa das Lexem romantisch, das in Kombination mit gemütlich und Gute Nacht ein Emotionspotenzial hevorrufen würde, das den Nutzer*innen hier möglicherweise unangemessen intim erscheint, durch das Umstellen der Vokale variiert. Dadurch entsteht eine ironische Distanz. Am Ende des kurzen Austauschs wird die Aufmerksamkeit gar weg von der Gute-Nacht-Wünsch-Situation hin zur sprachlichen Ebene gelenkt, indem B bemerkt, dass noch drei Vokalumstellungen innerhalb des Lexems roman‐ tisch möglich sind. (3-7) A: gemütlich B: Gute Nacht, Jenz. C: Ramontisch! A: Rimantosch B: 3 gehen noch. (Facebook, jzp, 2013-05-16, 22: 03 - 2013-05-17, 00: 38) Auch in unserem Ausgangsbeispiel finden wir Belege für sprachliche Krea‐ tivität, z. B. in Form von Lautmalerei (Örgs [1]) oder als besondere Wortbil‐ dungsform (An-Locke [9]). Bei diesem eingedeutschten Anglizismus handelt es sich um eine Modifikation des im vorhergehenden Kommentar verwen‐ deten Lexems [8] unlocke. Durch das Wortspiel in [9] positioniert sich B iro‐ nisch und zugleich selbstkritisch dazu, das englische Verb to unlock nach den Regeln der deutschen Grammatik konjugiert zu haben, indem er die Ein‐ deutschung folgendermaßen überspitzt: a. die englische Vorsilbe unwird durch die deutsche homophone Silbe a. anersetzt, damit verändert sich die Bedeutung von un-; b. es wird ein Trennstrich zwischen an und locke eingefügt; b. c. beide Segmente werden großgeschrieben, somit entsteht das homo‐ c. phone Nomen Locke, auch -locke erfährt also eine Bedeutungsverän‐ derung. Sprachspiele werden auch auf der grammatischen Ebene betrieben, wie zum Beispiel in den folgenden Tweets, in denen verschiedene Wortbildungsarten kreativ genutzt werden: Sprachspiel mittels (übertriebener) Komposition (3-8), Sprachspiel mittels Konversion (Adverb bzw. Adkopula egal als Verb) (3-9) oder Sprachspiel mittels Kontamination (Twitter plus Psychiatrie) (3-10). 3 Sprache im Internet 132 Lautliche und semantische Sprachspiele Explizite Sprachreflexion (3-8) Salonalphaelitejournalistentwitterer (Twitter, Karin Koller @karinkollerwp, 2013-10-19) (3-9) Ich hasse nicht. Ich egale. (Twitter, Tintenmeer @DasZuhoerOhr, 2013-10-10) (3-10) Guutten morgen Twittchiatrie (Twitter, Isi @Orbit, 2013-10-28) Ein Sprachspiel, das auf einer lautlichen - und aus ironischer Sicht auch semantischen - Ähnlichkeit zweier Lexeme (Kopulation und Koalition) be‐ ruht, liegt im folgenden Tweet vor, in dem auf die Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl 2013 in Deutschland angespielt wird (3-11): (3-11) (Twitter, Grumpy Peer @GrumpyPeer1, 2013-10-21, 9: 27) Sprachspiele sind jedoch nur eine mögliche Form, die Nutzer*innen wählen, um über Sprache zu reflektieren. Wir finden auch sehr direkte Verweise, wie z. B. die Reaktion von B in (3-12). (3-12) A: Elke, Andrea und all die anderen Körpergerüchehyposensiblen: im Kölner Nahverkehr stürbet Ihr! A: tausendfach B: Ich freu mich sehr über deine herzhafte Verwendung des so unterrepräsentier‐ ten Konjunktivs. B: Halte aus, Tapferer. A: Der Konjunktiv würde rulen, verwendete man ihn öfterS. […] B: Der Konjunktiv rulte, wenn … (Facebook, adk, 2013-10-08) In ähnlich direkter Weise werden orthographische Auffälligkeiten themati‐ siert, obgleich Fehler durchaus auch toleriert, ignoriert oder gar nicht erst bemerkt werden. Das sehen wir auch an den Tippfehlern [5] und [33] oder dem fehlenden Komma [25] - hierauf gibt es keinerlei Reaktion im weiteren Diskursverlauf. In der Forschungsliteratur (Siever 2005a, Dürscheid 2005a 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke 133 u. a.) wurde über die Jahre immer wieder darauf hingewiesen, dass eine normgerechte Schreibung im Netz eher eine untergeordnete Rolle spielt. Wichtiger wäre der spontane, schlagfertige Austausch. Das zeige sich v. a. an der konsequenten Kleinschreibung und einer hohen Fehlertoleranz im Hinblick auf die gesamte Orthographie (inklusive der Zeichensetzung). Ge‐ rade darin sehen Kritiker*innen eine Bedrohung für die Sprache durch die Kommunikation im WWW. Tatsächlich kann man gar nicht von einer konsequenten Kleinschreibung sprechen, in der Kommunikation auf Sozialen-Netzwerk-Seiten spielt Klein‐ schreibung beispielsweise kaum eine Rolle, Kleinschreibung scheint statt‐ dessen immer dann aufzutreten, wenn Nutzer*innen sich an neue technolo‐ gische Eingabemodalitäten gewöhnen müssen (wie z. B. vor Jahren daran, dass die Nummern auf dem Telefon auch zum Schreiben genutzt werden können). Es gibt zudem Belege dafür, dass Sprache und Sprachnormen nicht nur beachtet, sondern im WWW durchaus auch reflektiert werden. Zwar sind alle Nutzer*innen mit den Produktionsbedingungen im WWW vertraut, weshalb es natürlich eine Menge an Fehlern gibt, die unkommentiert bleiben (wer hat sich nicht schon einmal vertippt? ). Dennoch sind metasprachliche Kommentare im Web 2.0 systematisch wahrnehmbar (Arendt/ Kiesendahl 2015: 159). So finden wir Selbstkorrekturen oder Rückmeldungen hinsichtlich der Rechtschreibung, wenn die Verschreiber zu Irritationen führen könnten (3-13). (3-13) A: und? schmeckt's? B: namnam. perverser scheiß! A: probier mal erdnussbutter mit nutella B: andermal, mir is grad nach ner Kacker 29. September um 15: 02 • Gefällt mir B: andermal, mir is grad nach ner Knacker 29. September um 15: 03 • Bearbeitet • Gefällt mir A: wie bitte? ? ? ? A: Du meinst sicher was herhaftes : o) B: Knackwurst 29. September um 15: 03 • Gefällt mir A: also herzhaftes B: ebenD! A: genau mit D (Facebook, jzp, 2013-09-29) Der Fehler (Kacker/ Knacker) wird hier sogar zweimal korrigiert: B wählt im laufenden Dialog ein anderes Lexem (Knackwurst) und korrigiert um 15: 03 seinen Rechtschreibfehler im 15: 02 veröffentlichten Kommentar. Auch A 3 Sprache im Internet 134 Ein Beispiel für metasprachliche Reflexion auf Facebook vertippt sich (herhaftes) und sendet einen zweiten Kommentar mit Korrektur des Tippfehlers (herzhaftes). Die Kommunikation wird mit ironischem me‐ tasprachlichen Verweis beendet, B schreibt eben absichtlich falsch und mar‐ kiert das mit einem großen D am Ende des Lexems - tatsächlich eine Variante, wie das Lexem häufig mündlich realisiert wird. A nimmt diesen ironischen Verweis noch einmal explizit auf. Beispiel (3-14) zeigt, wie ein Offline-Text an einer Straßenbahnhaltestelle einen metasprachlichen Mini-Diskurs auf Facebook motivieren kann. Dabei werden alle Fehler, die in dem Ankündigungstext auf orthographischer und grammatikalischer Ebene sowie in der Wortwahl gemacht worden sind, kommentiert. (3-14) A: Hat das ein BVG-Kontrolleur geschrieben? B: Linienverkehr ist aber auch hübsch. Ebenso wie Stammstrecke. C: ich kaufe ein "a" , biete 1x linienverkehr . D: haha fantastico! E: Genetivus verschwundibus F: Vom PR-Verantwortlichen nach drei Korrekturdurchgängen freigegeben. E: Obama (Facebook, ffz, 2013-06-19) Aufgabe 3-4 Eine Funktion der metasprachlichen Reflexion kann das kritische Ver‐ weisen auf orthographisch-grammatikalische Inkompetenz sein. Sprachkritik kann aber auch als Strategie in argumentativen Netz-Dis‐ kursen eingesetzt werden. Überlegen Sie, welche kommunikativen Ziele mit dieser Strategie erreicht werden sollen und suchen Sie Bei‐ spiele im Kommentarbereich der Kolumne „Der Schwarze Kanal“ von Jan Fleischhauer auf Spiegel Online: http: / / www.spiegel.de/ thema/ spo n_fleischhauer/ . 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke 135 Oraliteralität Zum Modell von Koch/ Oesterreicher 3.2.3 Losgetextet: Indikatoren für Oraliteralität Wer versucht, die Kommunikation im Web 2.0 zu beschreiben, stellt schnell fest, dass Kategorisierungen wie mündlich/ schriftlich, privat/ öffentlich, syn‐ chron/ asynchron oder dialogisch/ monologisch in vielen Bereichen kaum noch eindeutig durchgeführt werden können. Vielfach kommt es zu Über‐ lappungen und die Grenzen verschwimmen, wie es für das Hybridmedium Internet auch nicht anders zu erwarten ist. Wir werden im Internet mit sprachlichen Äußerungen konfrontiert, die - obwohl sie verschriftet wurden - Merkmale mündlicher Sprachverwendung aufweisen. Selbst in der ein‐ schlägigen Fachliteratur fällt daher eine eindeutige Zuordnung schwer, wes‐ halb Attribute wie „zwittrig“ (Meise-Kuhn 1998), „getipptes Gespräch“ (Stor‐ rer 2001a, b), „textbasierte Mündlichkeit“ (December 1993), „verschriftlichte Mündlichkeit“ (Günter/ Wyss 1996) u. ä. gefunden wurden (siehe Thaler 2007 für einen Überblick). Wir sprechen hier von einer Hybridisierung in der Sprachverwendung, die zu Oraliteralität führt. Auch in unserem Eingangs‐ beispiel (3-1) finden sich solche Phänomene der oraliteralen Sprachverwen‐ dung, die durch eine Verschriftlichung an sich mündlicher Ausdrucksweisen gekennzeichnet sind: E: Haste [29] nu [30] 7? F: Nee [31]. Wie lassen sich nun aber diese Phänomene erklären? Als theoretischen Aus‐ gangspunkt wählen wir dafür ein in diesem Zusammenhang häufig zitiertes, diskutiertes, was manche Aspekte betrifft auch kritisiertes (vgl. Feilke/ Hennig 2016) Modell, das von Koch/ Oesterreicher (1985) stammt. Sie unterscheiden zwischen Konzeption und Realisierung einer sprachlichen Äußerung. Wäh‐ rend die Konzeption oder der Duktus einer Äußerung in der Terminologie von Koch/ Oesterreicher (2008: 199 f.) „gesprochen“ oder „geschrieben“ sein kann, kommt für die Realisierung entweder eine graphische oder eine phonische Ausdrucksform in Betracht. Dabei ist das Verhältnis von phonischer und gra‐ phischer Ausdrucksform durch eine strikte Dichotomie gekennzeichnet: Eine Äußerung wird entweder über den akustisch-phonischen oder über den op‐ tisch-graphischen Kanal vermittelt bzw. in diesem realisiert. Die Merkmale „geschrieben“ und „gesprochen“ hingegen stellen Punkte auf einer Skala dar, auf der verschiedene Abstufungen möglich sind (Koch/ Oesterreicher 1985: 17). Schematisch lässt sich diese Unterscheidung von Konzeption und Reali‐ sierung - unter Berücksichtigung prototypischer Beispiele für mündliche Kommunikation (= phonisch + gesprochen) und für schriftliche Kommunika‐ tion (= graphisch + geschrieben) - so darstellen: 3 Sprache im Internet 136 Situationen mündlicher vs. schriftlicher Kommunikation Konzeption ⇒ gesprochen geschrieben Realisierung ⇓ phonisch vertrautes Face-to-Face-Gespräch (im Vorhinein ausfor‐ mulierter) Vortrag graphisch abgedrucktes Interview Verwaltungsvorschrift Tab. 3-2: Beispiele für mögliche Kombinationen zwischen der Art der Konzeption und der Art der Realisierung (Koch/ Oesterreicher 1985) Aus diesem Schema ist ablesbar, dass die Ebenen der Konzeption und die der Realisierung prinzipiell voneinander unabhängig sind. Allerdings ist offen‐ sichtlich, dass eine phonische Realisierung eine gesprochene Konzeption na‐ helegt und eine graphische Realisierung eine geschriebene Konzeption. Dies liegt an den Eigenheiten der Kommunikationssituation, in der eine phonische oder eben eine graphische Realisierung einer Äußerung erfolgt, wobei jedoch neben dem für die Realisierung verwendeteten Medium bzw. semiotischen Modus auch andere Faktoren, wie z. B. das wechselseitige Verhältnis zwi‐ schen den Kommunizierenden, eine wichtige Rolle für die Konzeption spie‐ len. Aufgabe 3-5 Bevor Sie weiterlesen: Überlegen Sie, wie sich Situationen mündlicher Kommunikation von solchen schriftlicher Kommunikation unterschei‐ den. Und: Welche Auswirkungen haben die Eigenheiten der beiden Typen von Kommunikationssituationen jeweils auf die verwendete Sprache? Prototypische Situationen mündlicher Kommunikation, wie sie bei Face-to- Face-Gesprächen vorliegen, sind durch die Kopräsenz von Sprecher*in und Hörer*in geprägt. Diese teilen sich einen gemeinsamen Wahrnehmungsraum (vgl. Ehlich 1983: 28), auf den sie daher direkt Bezug nehmen können. Au‐ ßerdem ermöglicht ihnen ihre Kopräsenz, abgesehen von der Verwendung sprachlicher Mittel, auch den Einsatz gestischer, mimischer und anderer kör‐ persprachlicher Zeichen. Die Kommunikation in einem Face-to-Face-Ge‐ spräch erfolgt also prinzipiell multimodal. Des Weiteren stehen den Kom‐ munizierenden paraverbale Mittel zur Verfügung: Intonation, Lautstärke, Sprechtempo etc. Schriftliche Kommunikation in ihrer traditionellen Form ist hingegen in ihren Mitteln im Vergleich dazu defizitär, weil sie zunächst nicht über die‐ 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke 137 selben non- und paraverbalen Zeichen verfügen kann. Außerdem liegt bei schriftlicher Kommunikation eine „zerdehnte Kommunikationssituation“ (Ehlich 1983: 32) vor. Das heißt, die Kommunizierenden sind im Allgemeinen nicht kopräsent - eine Ausnahme wäre z. B. das Schreiben von „Briefchen“ oder heute wohl eher WhatsApp-Nachrichten während des Schulunterrichts -, weshalb sie über keinen gemeinsamen Wahrnehmungsraum verfügen. Sie können die Situation daher auch nicht als beiden direkt zugänglichen Be‐ zugsraum heranziehen, was unter anderem die Möglichkeiten interaktiven dialogischen Handelns einschränkt. Außerdem kann dadurch nicht synchron kommuniziert werden. Diese räumliche und zeitliche Distanz sei im Übrigen laut Koch/ Oester‐ reicher (2008: 202) ein Hauptgrund für die „kommunikative Distanz“, die für graphisch realisierte Kommunikation kennzeichnend sei und zu der auch gehöre, dass schriftliche Kommunikation prototypischerweise weniger emo‐ tional und unpersönlicher geführt werde. Prototypisch mündliche Kommu‐ nikation sei hingegen von „kommunikativer Nähe“ (Koch/ Oesterreicher 2008: 202) geprägt. Dieser Aspekt des Modells ist jedoch gerade in Hinblick auf schriftliche Online-Kommunikation mit Vorsicht zu genießen. Schon althergebrachte Texte wie z. B. persönlich formulierte Briefe zeigen, dass keine absolute me‐ diale Determination (vgl. Androutsopoulos 2007b: 89) vorliegt. Vielmehr spielen auch die Kommunikationsform und der situative Kontext eine we‐ sentliche Rolle. So werden Privatgespräche normalerweise mit geringerer kommunikativer Distanz geführt als formelle Bewerbungsgespräche. Ge‐ nauso können Forendiskussionen oder Chats je nachdem, wer mit wem wor‐ über und in welchem sozialen Kontext kommuniziert, einen unterschiedli‐ chen Sprachduktus aufweisen. Die mediale Realisierung ist daher nur als ein Faktor unter mehreren zu betrachten. Diese fehlende mediale Determination ermöglicht im Übrigen, gesprochen oder geschrieben konzeptualisierte Formulierungen als Kontextualisierungs‐ hinweise einzusetzen (vgl. Portmann-Tselikas/ Weidacher 2010: 34-41), um zu signalisieren, wie die Kommunizierenden die jeweilige Kommunikations‐ situation beurteilen, z. B. als formell-distanziert oder als informell-persön‐ lich. Die Unterschiede zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunika‐ tion, wie sie Koch/ Oesterreicher postulieren und wie wir sie in der nachstehenden Tabelle noch einmal zusammenfassen, dürfen daher nur mit der Einschränkung verstanden werden, dass es sich hierbei um die Beschrei‐ bung von prototypischen Kommunikationssituationen handelt. 3 Sprache im Internet 138 Auswirkungen der unterschiedlichen Kommunikati‐ onssituationen Mündliche Kommunikation Schriftliche Kommunikation Kopräsenz der Kommunizierenden räumlich-zeitliche Distanz synchron asynchron interaktiv - dialogisch nicht interaktiv - monologisch (tendenziell) persönlich (tendenziell) unpersönlich multimodal monomodal Tab. 3-3: Eigenheiten mündlicher vs. schriftlicher Kommunikation (nach Koch/ Oester‐ reicher 2008) Diese Unterschiede phonisch bzw. graphisch realisierter Kommunikation wirken sich auf den jeweils typischen gesprochenen bzw. geschriebenen Duktus der Formulierung sprachlicher Äußerungen aus. Konzeptionelle Schriftlichkeit zeichnet sich gegenüber konzeptioneller Mündlichkeit durch folgende grundlegenden Merkmale aus: ▸ Aufgrund der fehlenden Kopräsenz: Einschränkung in der Verwen‐ ▸ dung sprachlicher Prozeduren des Zeigfelds. ▸ Aufgrund der fehlenden Synchronität und Interaktivität: Einschrän‐ ▸ kung in der Verwendung sprachlicher Prozeduren des Lenkfelds. ▸ Aufgrund der fehlenden phonischen Realisierung und damit der ▸ Nicht-Verfügbarkeit paraverbaler Mittel: Einschränkung in der Ver‐ wendung sprachlicher Prozeduren des Malfelds. ▸ Aufgrund der größeren kommunikativen und damit auch persönlichen ▸ Distanz: geringere Bereitschaft zur Verwendung umgangssprachlicher (auch dialektaler, soziolektaler etc.) Formulierungen bzw. geringere Akzeptanz derselben. Im funktional-grammatischen Ansatz der sogenannten Funktionalen Prag‐ matik (vgl. z. B. Ehlich 2007) werden sprachliche Mittel - als „Prozeduren“ bezeichnet - fünf Feldern zugeordnet: Symbolfeld, Zeigfeld, Operationsfeld, Lenkfeld, Malfeld. Erläutert werden diese Felder im folgenden Kasten (siehe dazu Hoffmann 2013: 39 ff.). 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke 139 Dialogizität in schriftlichen Kommunikationsformen im Web 2.0 Symbolfeld: nennende oder charakterisierende Prozeduren, mit denen Elemente der außersprachlichen Wirklichkeit benannt oder charakteri‐ siert werden (z. B. Frau, Paul, schnell, gern, sagetc.) Zeigfeld: zeigende/ deiktische Prozeduren, mit denen Sprecher*innen Hörer*innen im gemeinsamen Wahrnehmungsraum orientieren (z. B. ich, du, wir, hier, da, dort, jetzt, dies etc.) Operationsfeld: operative Prozeduren, mit denen Hörer*innen bei der Verarbeitung der Äußerung unterstützt werden (z. B. Artikel, Konjunk‐ tionen, Subjunktionen, Relativpronomina, anaphorische Personalprono‐ mina (er, sie, es), Pluralendungen etc.) Lenkfeld: lenkende/ expeditive Prozeduren, mit denen Sprecher*innen Hö‐ rer*innen unmittelbar mental zu lenken versuchen (z. B. Interjektionen, wie hmm, na! , oh (alle mit der entsprechenden Intonation), und der Imperativ) Malfeld: malende/ expressive Prozeduren, mit denen Sprecher*innen Nuancen der Einstufung und Bewertung ausdrücken (z. B. intonatorische Modulation: Hat die Mut! ; Diminutive: (Schätz)-chen etc.) Dass nicht alle Prozeduren in schriftlich geführter Kommunikation auf die‐ selbe Weise eingesetzt werden können wie in prototypischer mündlicher Kommunikation, ist evident und durch die oben angeführten Unterschiede der beiden Typen von Kommunikationssituationen auch leicht erklärbar. Nun gibt es aber Formen schriftlicher Sprachverwendung, die ein gewisses Maß an Dialogizität aufweisen wie zum Beispiel Briefe. In solchen Kommu‐ nikationsformen kann es daher zur Verwendung an sich eher für Mündlich‐ keit typischer sprachlicher Elemente - etwa von bestimmten Prozeduren des Zeig-, Lenk- oder Malfelds - kommen. Dieses Phänomen ist in einigen Kom‐ munikationsformen im Internet und speziell im Web 2.0 noch wesentlich ausgeprägter, da diese nicht nur dialogischer sind als prototypische schrift‐ liche Texte, sondern weil hier die Kommunikation auch noch - zumindest annähernd - synchron verlaufen kann. „Je stärker die Kommunikation dialogischer und synchroner erfolgt, desto häufiger lassen sich mündliche Aspekte des Sprachgebrauchs in der Internet-Kommunikation feststellen.“ (Runkehl/ Schlobinski/ Siever 1998: 116). 3 Sprache im Internet 140 Indikatoren von Oraliteralität: eine Beispielanalyse Prozeduren des Malfelds Gerade im Web 2.0 spielen schriftliche, aber mehr oder weniger dialogische und synchrone Kommunikationsformen eine große Rolle. Dies gilt unter an‐ derem für Diskussionsforen, Twitter, WhatsApp und natürlich das Chatten. Auch Kommentare zu Postings auf Sozialen-Netzwerk-Seiten, zu Berichten von Online-Zeitungen oder zu YouTube-Videos weisen oft Kennzeichen kon‐ zeptioneller Mündlichkeit auf, weil es sich dabei um zumindest teilweise dialogische ipöK (= interpersonal-öffentliche Kommunikation; siehe Kapitel 2.4.1) handelt. In allen diesen Kommunikationsformen werden Elemente mündlichen Sprachgebrauchs eingesetzt. Da dies jedoch wegen der Einschränkungen durch die graphische Realisierung nicht immer eins zu eins möglich ist, haben sich zusätzlich Schreibkonventionen herausgebildet, mit denen zum Beispiel intonatorische Muster oder körpersprachliche Zeichen in Schrift abgebildet werden sollen. (3-15) öööhm [1]. ja [2]. klingt zwar jetz [3] komisch [4], is [5] aber so^^ [6] [7] wurd [8] au [9] immer von den spaten [10] gebeeft [11] [12] die bei mir iner [13] schule waren. vor allem von einer person. [14] reden, bringt nix [15], außerdem ises [16] langweilig. Najo [17], hab [18] halt angefangen ihn zu beefen [19] [20] usw. nu [21] lassense [22] mich in ruh [23] un [24] machen den andern [25] fertig, weil der [26] au [27] hinterücks pber die andern gelabert [28] hat^^ [29] <ironie> [30] also merke [31], wenne [32] [33] gebeeft wirst, zurückbeefen un aufe [34] schnauze [35] haun [36] [37] XD [38] </ ironie> [39] <ernsthaft> [40] doch ersma [41] labern [42] [43] [44], vlt bringts [45] was [46], wenn nich [47] die ironie ausprobiern [48] [49]. </ ernsthaft> [50] MfG Alex (Knuddels, Power Bat, 2007-09-12) In diesem Beispieltext, einem Beitrag in einem Diskussionsforum zum Thema Mobbing auf der Plattform knuddels.de, finden sich einige Indikatoren für Oraliteralität: Die fehlende Intonation wird einerseits durch Buchstabeniteration bei öööhm [1] nachgeahmt, andererseits durch eine lexikalische Benennung (in spitzen Klammern) dessen, was in phonischer Realisierung auch intonato‐ risch angezeigt wird, ersetzt: [30], [39], [40] und [50]. Auf diese Weise können auch Prozeduren des Malfelds schriftlich umgesetzt werden. Emoticons ([6], [29], [38]) stehen hingegen mehr anstelle mimischer Zei‐ chen, die ja aufgrund des fehlenden gemeinsamen Wahrnehmungsraums der Kommunizierenden ansonsten nicht eingesetzt werden könnten. Auch diese 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke 141 Prozeduren des Lenkfelds Prozeduren des Zeigfelds konventionalisierten schriftlichen Zeichen können als Prozeduren des Mal‐ felds betrachtet werden, da sie der Nuancierung der Äußerung dienen (siehe dazu auch Kapitel 4.3.3). Prozeduren des Lenkfelds sind öööhm [1], ja [2], Najo [17] und der Impe‐ rativ [31]. Außerdem kann man noch die Infinitivkonstruktionen zurückbee‐ fen un aufe schnauze haun [37], doch ersma labern [43] und die ironie auspro‐ biern [49] als lenkende Prozeduren kategorisieren, weil mit ihnen versucht wird, den*die Leser*in unmittelbar mental zu lenken und sie daher quasi im‐ perativisch wirken. Auch diese Prozeduren sind Indizien für Oraliteralität, weil synchrone und dialogische Kommunikation für ein unmittelbares Ein‐ wirken auf den Rezipienten prädestiniert ist. Prozeduren des Zeigfelds, die eher in einem Face-to-Face-Gespräch üblich sind, weil dort auf Elemente des gemeinsamen Wahrnehmungsraums verbal „gezeigt“ werden kann, finden sich nur wenige in Beispiel 3-15: jetz [3] und - etwas versteckt - wenne [33], in dem ein du enthalten ist. Zwei weitere interessante zeigende Prozeduren werden im folgenden Posting (3-16) ver‐ wendet: (3-16) (krone.at, vjeverica, 2013-11-04, 12: 48) Mit dem Demonstrativpronomen die und dem demonstrativen Artikelwort DEM wird verbal auf Personen gezeigt, wobei das Zeigen vor allem bei DEM zugleich (ab-)wertend ist. Bei phonischer Realisierung würden das Zeigen und die Wertung auch durch die Intonation (Prozedur des Malfelds) unter‐ stützt. Die in einem schriftlichen Text nicht einsetzbare Intonation wird hier durch Majuskelschreibung angezeigt - übrigens auch, weil sonst bei graphi‐ scher Realisierung eine Unterscheidung zwischen definitem Artikel und de‐ monstrativem Artikelwort nicht möglich wäre. Auch in diesem Beispiel liegt also Oraliteralität vor. Im folgenden Tweet (3-17) kommt noch eine direkte Anrede (Alter) dazu, die eigentlich auch besser in eine Kommunikationssituation mit Kopräsenz der Kommunizierenden passen würde bzw. eine solche Situation quasi si‐ muliert. 3 Sprache im Internet 142 Weitere Merk‐ male mündlicher Umgangsspra‐ che Apokopen Assimilationen Ellipsen Andere Phänomene (3-17) Alter wollen die uns verarschen? ? ? soll das wichtig sein? wie wärs zuerst Stier‐ kampf unterstützung abschaffen? (krone.at, andreas2568, 2013-11-04, 14: 47) Jugendsprachliche Elemente wie Alter, die wiederum für mündliche Kom‐ munikation typischer wären, finden sich auch im Beispiel (3-15): spaten [10], gebeeft [11], gelabert [28] und labern [42], wobei labern wohl nicht rein ju‐ gendsprachlich ist, sondern eher zur allgemeinen Umgangssprache gehört. Weitere Merkmale mündlicher Umgangssprache, die hier in einem gra‐ phisch realisierten Text emuliert, also nachgeahmt werden (siehe dazu z. B. Siever 2006: 81 f.), sind die folgenden: ▸ Apokopen (Lauttilgung am Ende oder im Inneren eines Wortes, vor ▸ allem des unbetonten e (Schwa) und des t: jetz [3], is [5], wurd [8], au [9], hab [18], nu [21], ruh [23], un [24], andern [25], au [27], haun [36], ersma [41], nich [47] und ausprobiern [48]. ▸ Assimilationen (Lautanpassungen, zum Teil zugleich mit Tilgungen, ▸ und Morphemverschmelzungen): iner [13], nix [15], ises [16], lassense [22], wenne [32], aufe [34] und bringts [45]. ▸ Ellipsen (Auslassungen auf syntaktischer Ebene): klingt zwar jetz ko‐ ▸ misch [4], vor allem von einer person. [14] und hab halt angefangen ihn zu beefen [20]. Die an sich auch elliptische Konstruktion wenn nich wurde hier aufgrund ihrer starken Konventionalisierung als Kon‐ struktion nicht berücksichtigt. Außerdem ist zwar festzustellen, dass Ellipsen als syntaktische Kürzungen nicht nur in mündlicher Kom‐ munikation, sondern auch in manchen schriftlichen Kommunikati‐ onsformen üblich sind. ▸ Umgangssprachlich sind auch folgende Phänomene: die Aussprache ▸ bzw. Schreibung von nix [15], die Phrase nix bringen, was [46] (anstelle von etwas), die ganze Phrase etwas bringen sowie schnauze [35] und die ganze Phrase aufe schnauze haun. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Beispieltext (3-15) zahlrei‐ che Indikatoren von Oraliteralität aufweist. Er ist damit typisch für den Sprachgebrauch in einigen Kommunikationsformen im Internet. Allerdings möchten wir noch einmal betonen, dass es durchaus auch einen anderen, rein konzeptionell geschriebenen Sprachgebrauch im Internet gibt. Die beschrie‐ benen Indikatoren als Merkmale einer „Internetsprache“ zu bezeichnen, wie es vor allem Sprachkritiker*innen oft tun, wäre daher eine Übergeneralisie‐ rung und ist somit abzulehnen. 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke 143 3.3 Netzbedingte Dynamik: Neue Bedeutung für Altbekanntes Spezifische sprachliche Verwendungsweisen im Internet werfen aus bedeu‐ tungstheoretischer Perspektive hochinteressante Fragen auf. Wie ist es bei‐ spielsweise zu erklären, dass sich bei Lexemen, die im Englischen polysem sind (wie z. B. Hoax) im deutschsprachigen Raum nur eine Bedeutungskom‐ ponente [‚Falschmeldung/ Scherz im Internet‘] durchgesetzt hat? Haben die mehrdeutigen Lexeme Reiter, Netzwerk, Forum, Protokoll, Virus, Administra‐ tor, Profil oder Konto Bedeutungskomponenten, die sich überschneiden? Sind diese Bedeutungskomponenten ein Erklärungsansatz dafür, dass die Ver‐ wendung dieser Lexeme in computertechnologischen Kontexten als adäquat betrachtet wird? Gibt es hinsichtlich einer Bewertung von komplexen Sachverhalten (etwa politische Entscheidungen o. ä.) oder einer zwischenmenschlichen Bezie‐ hung Einflüsse auf die Bedeutungsinterpretation? Wir denken hier etwa daran, dass Freundschaftsanfragen bei Facebook nicht wirklich abgelehnt werden können, als Option steht lediglich ein „nicht jetzt“ zur Verfügung, das die Möglichkeit einer späteren Annahme der Freundschaftsanfrage im‐ pliziert (vgl. Kapitel 4.2.3). Hat die Tatsache, dass sich online leichter Tabus brechen lassen, Einfluss auf die Bedeutung von Lexemen? So wird etwa das Lexem sterben häufig von Jugendlichen im Sinne einer Aufforderung an andere gebraucht (z. B. Geh sterben! ), übrigens auch offline. Gemeint ist damit nicht notwendigerweise, dass die Adressat*innen ihrem Leben ein Ende setzen sollen, sondern eher, dass sie Frieden geben, andere in Ruhe lassen sollen. Nachfolgend greifen wir exemplarisch zwei semantisch interessante Phä‐ nomene heraus: 1. die semantische „Karriere“ des Lexems Freund, 2. die re‐ ferenzielle Vielschichtigkeit der Phrase gefällt mir. Damit die bloße Ebene der Beschreibung überwunden werden kann, wollen wir hier Ansätze auf‐ zeigen, in welchem theoretischen Rahmen diese und vergleichbare Phäno‐ mene analysiert werden können. 3.3.1 Ein Freund, ein guter Freund? Seitdem sich Facebook in Deutschland etabliert hat, scheint ein Bedeutungs‐ wandel des Lexems Freund initiiert worden zu sein. Das Lexem wurde zu‐ nächst unreflektiert aus dem Englischen (friend), wo es auch für Personen verwendet werden kann, mit denen man einfach nur bekannt ist, übernom‐ men. Im deutschsprachigen Raum wird hingegen als Merkmal von ‚Freund‘ im Zusammenhang mit Beziehungsrelationen immer eine besondere Ver‐ trautheit angegeben, die einem*einer Bekannten nicht zukommt. 3 Sprache im Internet 144 Aufgabe 3-6 Schlagen Sie die Bedeutung von ‚Freund‘ im Duden nach. Welche Be‐ deutungsvarianten gibt es? Inwiefern ist Freund mehrdeutig und wie lässt sich diese Mehrdeutigkeit mithilfe von Pronomen auflösen? Nun haben Facebook-Nutzer*innen im Durchschnitt 272 „Freunde“ (JIM-Studie 2012). Diese können unmöglich alle im selben Vertrauensverhältnis zum*zur Nutzer*in stehen. Es ist daher ein Gedankenexperiment wert, die Bedeutung des Lexems Freund, wie es bei Facebook verwendet wird, vor der Folie der beiden bekanntesten Wortbedeutungstheorien zu beschreiben. Wir meinen hier zum einen die Merkmalstheorie und zum anderen die Prototypentheorie. Zur Erinnerung: Vertreter der Merkmalstheorie (z. B. Brekle 1972, Barthes 1974 oder Wiegand/ Wolski 1985) gehen davon aus, dass sich Wortbedeutungen ein‐ deutig anhand von sogenannten semantischen Merkmalen (Seme) beschreiben und über Merkmalsbündel voneinander abgrenzen lassen. Ein Mädchen hat z. B. die Merkmale [+MENSCHLICH, +WEIBLICH, -ERWACHSEN] und ließe sich über das Merkmal +/ - MENSCHLICH von der Bedeutung der weiblichen Nin‐ jago-Legofigur Nya [-MENSCHLICH, +WEIBLICH, -ERWACHSEN) abgrenzen. Aufgabe 3-7 Versuchen Sie anhand der Tabelle 3-4 Merkmale zu finden, mit deren Hilfe sich Freund (bei Facebook) von anderen Bezeichnungen für Per‐ sonen in zwischenmenschlichen Beziehungen abgrenzen lässt. Was stellen Sie fest? Merkmale Freund (Facebook) Freund*in Lebenspartner*in Bekannte*r Kumpel*ine Kamerad*in Partner*in Genosse/ Genossin Anhänger*in Tab. 3-4: Tabelle zur Aufgabe 3-7 3.3 Netzbedingte Dynamik: Neue Bedeutung für Altbekanntes 145 Es ist kaum möglich, die Bedeutung von Freund (Facebook) über ein begrenz‐ tes Merkmalsinventar so zu beschreiben, dass sie eindeutig von der Bedeu‐ tung von Freund*in, Bekannte*r, Kumpel, Kamerad*in oder gar Fan/ Anhän‐ ger*in zu unterscheiden ist. Mit Merkmalen wie MENSCHLICHKEIT oder LEBENDIGKEIT kommen wir an diesem Punkt nicht weiter. Es müssen also weitere Merkmale gefunden werden, so z. B. in Hinblick auf Vertrautheit, Art des Kontaktes oder auch auf die meistgenutzte Kommunikationsebene. Ist aber die Bedeutung von Freund (bei Facebook) schon deshalb von Kum‐ pel abgegrenzt, weil das Merkmal +TEIL DES VIRTUELLEN SOZIALEN NETZWERKS zutrifft? Schließt das nicht auch den*die Bekannte und sogar den*die Geschäftspartner*in ein? Und wie kann Vertrautheit angegeben wer‐ den, als Merkmal, das entweder vorhanden ist oder nicht? Es wird deutlich, dass es sehr schwierig ist, eine semantische Analyse anhand von binären Merkmalen durchzuführen. Hier böte es sich eher an, einen Grad der Ver‐ trautheit anzusetzen, es bräuchte sogenannte relationale Merkmale: Ein*e Freund*in ist vertrauter als ein*e Bekannte*r, aber wie vertraut ist ein „Freund“ auf Facebook? Gerade der Freund (bei Facebook) vereint mehrere Merkmale, die ebenso auf Kumpel*ine, Freund*in, Geschäftspartner*in oder Kamerad*in zutreffen können. Der merkmalstheoretische Ansatz zur Bedeutungsbeschreibung reicht also nicht aus - in diesem wie in vielen Fällen, in denen Konzepte nicht eindeutig als definitorische Merkmalsbündel beschrieben werden können. Dass es unscharfe Kategoriengrenzen gibt, ist keine neue Erkenntnis. Die in den 1970er Jahren entwickelte Prototypentheorie (Rosch 1978) ver‐ sucht der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sich viele Bedeutungen nicht strikt von anderen abgrenzen lassen. In Anlehnung an das Wittgensteinsche Prinzip der Familienähnlichkeiten werden in der Prototypentheorie Katego‐ rien als eher vage und nicht klar umgrenzt aufgefasst und beschrieben. So gibt es mehrere ungleich gute Vertreter einer Kategorie, die sich mental mehr oder weniger nah um einen sogenannten Prototypen gruppieren, die also mehr oder weniger repräsentativ für eine Kategorie sind. Familienähnlichkeit besagt, dass jedes Mitglied einer Kategorie min‐ destens eine Eigenschaft mit einem anderen Mitglied der Kategorie teilt (vgl. Wittgenstein 1984: 278). Die Frage ist nun, wie man den prototypischen Vertreter der Kategorie F R EUND * IN beschreiben kann, um dann die Bedeutung von Freund (bei Face‐ book) in Relation dazu zu bestimmen? Unweigerlich muss man zunächst wieder auf spezifische semantische Merkmale zurückgreifen. Der Vorteil der Prototypentheorie besteht jedoch darin, dass sie nicht den Anspruch hat, 3 Sprache im Internet 146 Kategorien eindeutig voneinander abzugrenzen, sondern Bedeutungen dar‐ über zu bestimmen, was Kategorienvertreter miteinander verbindet. Es geht also eher darum, gemeinsame Merkmale zu finden und diese dahingehend zu beurteilen, wie typisch sie für eine Kategorie sind. Ein Prototyp ist die mentale Repräsentation eines typischen Mitglieds einer Kategorie. Er muss nicht als tatsächlicher Vertreter dieser Kategorie existieren, sondern ist die Summe der Vertreter einer Kategorie, die die meisten Eigenschaften der betreffenden Klasse vereinen (vgl. u. a. Schwarz/ Chur 6 2014: 53). Ein dynamischer Prozess wie der des Bedeutungswandels, den das Lexem Freund gerade zu durchlaufen scheint, kann so jedoch auch nicht abgebildet oder nachvollzogen werden. Die gegenwärtige Bedeutung des Lexems ist eng mit dessen Verwendung auf der Sozialen-Netzwerk-Seite Facebook ver‐ knüpft. So existieren momentan offenbar zwei Konzepte von F R EUND * IN im Gedächtnis derer, die das Soziale Netzwerk Facebook nutzen. Das eine Konzept umfasst Personen, die Teil der virtuellen Freundesliste sind. Freunde bezeichnet also Personen, die in die Freundesliste auf Facebook aufgenommen worden sind, auf deren Freundesliste man entsprechend auch aufgelistet ist und die dadurch Zugang zur eigenen Aktivität auf Facebook erlangen. Sie können entsprechend Statusmeldungen lesen, Kommentare abgeben oder auch die Gefällt-mir-Funktion nutzen. Das andere Konzept umfasst Personen, die als enge Vertraute gelten, mit denen vertrauliche Themen besprochen werden, die über lange Jahre Teil unseres Lebens sind, deren Auffassung und Meinung das eigene Leben be‐ einflusst. Auch diese engen Vertrauten können in der virtuellen Freundesliste auftauchen. Es ergeben sich daher über diese Vertreter*innen Schnittmen‐ gen: Nur ein Teil der auf der virtuellen Freundesliste befindlichen Freunde gehört zum „analogen“ Freundeskreis. Für beide Konzepte gibt es jedoch nur ein Lexem, nämlich Freund. Die semantisch interessante Frage ist nun, wie sich die „Karriere“ des Le‐ xems Freund in Zukunft gestalten wird. Dürscheid/ Brommer (2013: 32) ver‐ muten, dass sich das durch Freund versprachlichte Konzept so wandelt, dass es in Zukunft auch außerhalb von Facebook für Personen verwendet wird, die nicht zum engen Freundeskreis gehören. Möglich ist natürlich auch, dass sich dadurch die Notwendigkeit ergibt, neue Bezeichnungen für enge Ver‐ traute zu finden - wir werden also gerade jetzt Zeugen eines hochspannen‐ den Bedeutungswandelprozesses. 3.3 Netzbedingte Dynamik: Neue Bedeutung für Altbekanntes 147 Aufgabe 3-8 Versuchen Sie analog zu der berühmten Einteilung der „Vogeligkeit“ mit dem Rotkehlchen als prototypischem Vertreter der Kategorie (Ab‐ bildung 3-2) Abstufungen hinsichtlich einer „Freundhaftigkeit“ zu skiz‐ zieren. Beziehen Sie die folgenden Kategorienvertreter mit ein: Freund*in, Kumpel*ine, Kamerad*in, Vertraute*r, Gefährte/ Gefährtin, Partner*in, Genosse/ Genossin, Lebensgefährte/ Lebensgefährtin, Fan (Anhänger*in), Liebhaber*in, Verbündete*r, Schatz. Wo würden Sie den Freund bei Facebook hier platzieren? Erstellen Sie zur Beantwortung dieser Frage eine Online-Fragebogen-Studie. Abb. 3-2: Abstufungen der Vogeligkeit (Rosch 1975), Abbildung entnommen aus Aitchison (1997: 68) 3 Sprache im Internet 148 Aufgabe 3-9 Überlegen Sie, ob die inzwischen nicht mehr ganz so neue Freundes‐ listenunterteilung in „enge Freunde“ und „Bekannte“ Einfluss auf den oben avisierten Bedeutungswandelprozess nehmen kann. 3.3.2 Gefällt mir ist mehr als ein Ausdruck für Gefallen Der komplexe Ausdruck Gefällt mir (engl. like) wird als Option für eine schnelle Reaktion auf eine Statusmeldung von Facebook zur Verfügung ge‐ stellt (siehe zum gesamten Unterkapitel auch Marx 2018). Sie steht neben den Optionen „kommentieren“ und „teilen“ zur Verfügung, um sich zu einem veröffentlichten Inhalt zu positionieren. Der Hilfebereich von Facebook sieht hierfür ausschließlich eine Positivbewertung vor. In der konkreten Kommunikationssituation jedoch fällt eines auf: Die Bedeutung von gefällt mir kann nicht allein mit ‚positiv bewerten‘ paraphrasiert werden. Das Bedeutungsspektrum dieses komplexen Ausdrucks ist viel weiter und sehr dynamisch. Interessant hierbei ist, wie die Rezipient*innen (also die Facebook-Nutzer*innen) den Inhalt von gefällt mir erschließen: Wie gelingt es ihnen, herauszufinden, ‚was‘ gefällt oder auch was ‚gefällt‘ in der jewei‐ ligen Situation eigentlich bedeutet? Schauen wir uns zunächst einmal einige konkrete belegte Kommunikationssituationen an (alle aus privaten Face‐ bookprofilen zitiert), um auszuloten, wie gefällt mir verwendet wird: ▸ Situation 1: Ein*e Facebook-Nutzer*in (Nutzer*in 1) teilt einen Link ▸ via eine*n andere*n Nutzer*in (Nutzer*in 2). Einem/ einer dritten Nut‐ zer*in gefällt das. ▸ Situation 2: Nutzer*in 1 veröffentlicht die Statusmeldung: „Wollte ▸ Obama nicht Guantanamo schließen? …stattdessen wurden die Ge‐ fängnisregeln auf Berlin ausgeweitet. ; .))“ Nutzer*in 2 gefällt das. ▸ Situation 3: Nutzer*in 1 teilt einen Artikel mit dem Titel „Ritalin: Wie ▸ die Pharmaindustrie unsere Kinder vorsätzlich zerstört“ und kommen‐ tiert: „Unfassbar, wie Kinder ruhiggestellt werden damit sie in unsere Gesellschaft passen und die Pharmaindustrie schön daran verdienen kann ….“. Nutzer*in 2 gefällt das. ▸ Situation 4: Nutzer*in 1 teilt einen Artikel mit dem Titel „Pussy ▸ Riot-Sängerin Tolokonnikowa: Nachrichten aus dem GULag www.faz .net‚ Nadeschda Tolokonnikowa berichtet aus ihrem russischen Straf‐ lager. Dort werden Menschen entrechtet, erniedrigt und zu Tode ge‐ schunden ….“ und kommentiert: „Russland verfällt der Zarenzeit (Ho‐ mophobie, GULag, …) und niemand hätte das vor ein paar Jahren wirklich für möglich gehalten. DAS ist eine Bedrohung für die gesamte 3.3 Netzbedingte Dynamik: Neue Bedeutung für Altbekanntes 149 Menschheit. Ein Trend der Kreise zieht, weltweit. WELT, mach was! “ Nutzer*in 2 gefällt das. ▸ Situation 5: Ein Vater hat auf Facebook mitgeteilt, dass seine Tochter ▸ geboren ist. Daraufhin erhält er zahlreiche Glückwünsche auf seiner Facebook-Seite. Jeden einzelnen Glückwunsch quittiert der Vater mit „gefällt mir“. ▸ Situation 6: Nutzer*in 1 hat ein Foto geteilt, das Spaghetti zeigt, die ▸ im ungekochten Zustand durch Würstchenstücke gebohrt und an‐ schließend gekocht wurden und kommentiert: „…musst ich gleich an dich denken hahaha! “ Nutzer*in 2 gefällt das. Er*sie antwortet: „Hab ick dass auch gemacht? weiß ich gar nicht mehr …“. Das gefällt Nut‐ zer*in 1. Aufgabe 3-10 Worauf bezieht sich gefällt mir in jeder der hier angegebenen Situa‐ tionen? Versuchen Sie, eine Paraphrase zu finden und geben Sie an, wie Sie zu dieser Deutung gelangt sind. In jedem einzelnen Verstehensprozess (Situation 1-6), müssen die Rezipi‐ ent*innen - das sind im konkreten Fall die Profilurheber*innen - Referenz etablieren, d. h. dass sie herausfinden müssen, worauf sich gefällt mir ei‐ gentlich genau bezieht. Wir wollen versuchen, diesen Prozess theoretisch nachzuvollziehen und benötigen dafür die folgenden Annahmen: ▸ Bei den sprachlichen Gebilden aus Statusmeldung, Kommentar und ▸ aktivierter Gefällt-mir-Option handelt es sich um Texte (siehe auch Kapitel 5.3). ▸ Die Phrase gefällt mir ist elliptisch, sie ist um das Pronomen das ver‐ ▸ kürzt. ▸ Das Pronomen das wird nicht realisiert und ist deshalb eigentlich eine ▸ Nullanapher. ▸ Beim Verstehen von gefällt mir wird das Pronomen das automatisch ▸ mitgedacht. ▸ Es spielt daher für die Referenzialisierung eine Rolle und wird deshalb ▸ hier als komplex-anaphorisches Pronomen betrachtet, also so, als ob es realisiert werden würde. ▸ Das Pronomen das gibt selbst keine Bedeutung vor, es trägt nur eine ▸ Information, die das grammatische Geschlecht (neutrum) betrifft. Referenz ist die Bezugnahme auf die außersprachliche Welt mittels sprachlicher Ausdrücke (siehe u. a. Schwarz-Friesel/ Consten 2014). 3 Sprache im Internet 150 a) b) Eine Anapher ist ein satzübergreifendes Wiederaufnahmephänomen. Ana‐ phorik entsteht dadurch, dass in einem Text ein zweites oder weiteres Mal auf eine Entität (Referent) Bezug genommen wird. Damit wird der Aus‐ druck, der zum ersten Mal auf den Referenten verweist, zum „Antezeden‐ ten“ (der Junge), der ihn wieder aufnehmende Ausdruck zur „Anapher“ (er). Der Junge starrte unaufhörlich auf sein Smartphone. Er bekam nichts um sich herum mit. Bei Null-Anaphern bleibt die syntaktische Position, die die pronominale Anapher einnehmen würde, unbesetzt. Komplex-Anaphern (dieser Zustand) beziehen sich auf komplexe Refe‐ renzstrukturen, also größere Textabschnitte und nicht - wie Anaphern - auf Nominalphrasen (siehe Marx 2011: 9). Der Junge starrte unaufhörlich auf sein Smartphone. Er bekam nichts um sich herum mit. Dieser Zustand hielt nun schon seit einer Stunde an. Erst in der konkreten Referenzsituation - z. B. in einer der sechs oben an‐ gegebenen Situationen - wird deutlich, worauf sich die Phrase [das] gefällt mir bezieht. Wir wollen nun die kognitiven Schritte nachvollziehen, die die‐ sen Referenzialisierungsprozess ausmachen. Wir fragen uns also: Wie ver‐ steht der*die Rezipient*in jeweils gefällt mir? In den Verstehensprozess sind nach innen und nach außen gerichtete mentale Schritte involviert. So muss einerseits der Bedeutungsinhalt von etwas gefällt jmd., der im mentalen Lexikon gespeichert ist, aktiviert werden (nach innen gerichteter Prozess). Es muss weiterhin herausgefunden werden, worauf sich [das] gefällt mir in der konkreten (Text-)Welt bezieht (nach au‐ ßen gerichteter Prozess). Das mentale Lexikon ist ein Teil des Langzeitgedächtnisses, in dem alle Informationen über die Wörter einer Sprache in Form von sogenannten Lexikoneinträgen gespeichert sind (Schwarz/ Chur 6 2014). Der Bedeutungsinhalt von gefällt mir kann in etwa mit ‚positiv bewerten‘ umschrieben werden, das haben wir bereits festgehalten. Überlegen wir nun einmal, wer oder was als jeweiliger Textreferent für das [gefällt mir] in Frage kommt. 3.3 Netzbedingte Dynamik: Neue Bedeutung für Altbekanntes 151 Textreferenten stehen symbolisch für außersprachliche Objekte und sind in unserem Kopf als geistige Einheiten repräsentiert (Schwarz-Frie‐ sel/ Consten 2014). Worauf genau bezieht sich also die positive Bewertung in Situation 1? Gefällt es dem*der dritten Nutzer*in, dass Nutzer*in 1 einen Link geteilt hat? Gefällt es dem*der dritten Nutzer*in, dass Nutzer*in 1 diesen Link via Nutzer*in 2 geteilt hat? Gefällt es dem*der dritten Nutzer*in, dass Nutzer*in 2 ursprüng‐ lich diesen Link veröffentlicht hat? Oder bezieht sich das gefällt mir des drit‐ ten Nutzers/ der dritten Nutzerin schlicht auf den Inhalt des Beitrags, auf den man stößt, wenn man den Link durch Anklicken aktiviert? Die Antwort finden wir nicht, wenn wir lediglich den Bedeutungsinhalt von gefällt mir aktivieren. In dem Fall wären alle oben erwähnten Referen‐ tialisierungsoptionen gleich gut. Stattdessen ist es sinnvoll, auch außer‐ sprachliche Überlegungen mit einzubeziehen, diese betreffen zum einen die Kommunikationsplattform und deren Spezifika. Zum anderen spielt auch die kommunikative Absicht des Produzenten/ der Produzentin (Nutzer*in 1) eine Rolle. Nutzer*in 3 versucht diese zu entschlüsseln bevor er*sie darauf re‐ agiert. Das Soziale Netzwerk dient als Kommunikationsplattform zwischen Per‐ sonen, die zur jeweiligen Freundesliste gehören. Statusmeldungen beziehen sich auf ein ganzes Themenspektrum, das von privat/ persönlich bis öffent‐ lich/ politisch reichen kann. Statusmeldungen können gleichfalls einfach da‐ durch erzeugt werden, dass ein Link geteilt wird. Dabei ist der*die Nutzer*in, der*die den Link erzeugt hat (Nutzer*in 2), technisch voreingestellt, wird also automatisch mit aufgeführt. Die Möglichkeit, den Namen von Nutzer*in 2 zu entfernen, besteht nur dann, wenn Nutzer*in 2 und die Quelle für den ge‐ teilten Beitrag nicht übereinstimmen. Zudem könnte ein solcher Namevon-Nutzer*in-2-Entfernen-Vorgang (auch wenn er vergleichsweise wenig Zeit in Anspruch nimmt) zuviel Aufwand oder Umstände bedeuten, z. B. wenn Facebook über das Smartphone aufgerufen wird. Somit wird allein durch die technischen Voraussetzungen die Wahrschein‐ lichkeit reduziert, dass es Nutzer*in 1 darum ging, den Fokus seiner*ihrer Statusmeldung auf Nutzer*in 2 und nicht auf den geteilten Inhalt zu verlegen. Nutzer*in 3 lenkt also seine*ihre Aufmerksamkeit - wie von Nutzer*in 1 wohl beabsichtigt - auf den Inhalt des geteilten Links. Seine Reaktion gefällt mir - genauer das Demonstrativpronomen das - bezieht sich also auf den kom‐ plexen Sachverhalt, der auf der Seite dargestellt wird, auf die verlinkt wird. Allerdings können wir nicht ausschließen, dass Nutzer*in 3 mit gefällt mir nicht auch positiv bewerten will, dass Nutzer*in 1 den Link gefunden und geteilt hat und damit ein positives Feedback abgibt. 3 Sprache im Internet 152 In Situation 2 und 3 finden wir eine solche Verschiebung der Referenz weg vom dargestellten Sachverhalt. Das liegt in Situation 2 daran, dass das von Nutzer*in 1 entworfene Szenario klar als Kritik identifiziert werden kann. Nutzer*in 1 vergleicht die Sicherheitsmaßnahmen, die die Berliner Bürger während des Besuchs des amerikanischen Präsidenten sehr eingeschränkt ha‐ ben, mit den Zuständen im Gefangenenlager Guantanamo. Zwar wird dieser Vergleich durch Emoticons ironisch gebrochen, aber die Kritik wird dadurch nicht aufgehoben. Nutzer*in 2 signalisiert mit gefällt mir sowohl, dass er*sie diese Kritik verstanden hat, als auch, dass er*sie damit konform geht. Gefällt mir wird hier nicht eingesetzt, um den beschriebenen Sachverhalt als positiv zu bewerten, sondern um ‚Zustimmung‘ zur Meinung, die Nutzer*in 1 ver‐ tritt, anzuzeigen und sich seiner*ihrer negativen Auffassung anzuschließen. In Situation 3 teilt Nutzer*in 1 nicht nur einen Link, sondern kommentiert den im verlinkten Artikel dargestellten Sachverhalt auch. Die gefällt-mir-Re‐ aktion von Nutzer*in 2 kann sich formal auf den im verlinkten Artikel dar‐ gestellten Sachverhalt und auf den Kommentar von Nutzer*in 1 beziehen. Es ist nun allerdings unwahrscheinlich, dass Nutzer*in 2 den Sachverhalt positiv bewertet, dass bei Kindern inflationär ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom diagnostiziert wird, um dieses mit dem Medikament Ritalin behandeln und die Kinder ruhigstellen zu können. Die Positivbewertung gilt wohl eher dem Kommentar von Nutzer*in 1, allerdings kann der komplexe Referent von das [gefällt mir] hier auch nicht mit der Sachverhaltsproposition gleichgesetzt werden. Es wird Nutzer*in 2 kaum gefallen, dass es ‚unfassbar ist, wie Kinder ruhiggestellt werden damit sie in unsere Gesellschaft passen und die Phar‐ maindustrie schön daran verdienen kann‘. Vielmehr gefällt es Nutzer*in 2, dass Nutzer*in 1, diesen Sachverhalt als „unfassbar“ einstuft. Gefällt mir bezieht sich hier also ebenfalls auf eine der Sachverhaltsebene übergeordnete Bewertung, der durch Nutzer*in 2 zugestimmt wird, damit übernimmt Nut‐ zer*in 2 die Negativbewertung von Nutzer*in 1. In Situation 4 lässt sich gefällt mir der Handlungsaufforderung „WELT, mach was! “ zuordnen und bezieht sich nicht auf den Rest des Kommentars zum geteilten Artikel, den beschriebenen Sachverhalt „Russland verfällt der Zarenzeit (Homophobie, GULag, …) und niemand hätte das vor ein paar Jah‐ ren wirklich für möglich gehalten. DAS ist eine Bedrohung für die gesamte Menschheit. Ein Trend der Kreise zieht, weltweit.“ Nutzer*in 1 verweist mit einem Link zusätzlich auf einen auf www.faz.net veröffentlichten Artikel über die „Pussy Riot“-Sängerin Tolokonnikowa. Es wird berichtet, dass sie einen offenen Brief aus dem Gefangenenlager geschmuggelt hat, in dem sie die Zustände schildert, denen die Lager-Insassen ausgeliefert sind und bes‐ sere Haftbedingungen fordert. In dem Artikel wird aus diesem Brief zitiert, es wird auch berichtet, dass Tolokonnikowa in einen Hungerstreik getreten ist. 3.3 Netzbedingte Dynamik: Neue Bedeutung für Altbekanntes 153 Teile dieses Artikels kommen also ebenfalls als Bezugsgrößen (Referenten) für das gefällt mir in Frage, so z. B. der Mut der Sängerin, einen offenen Brief zu schreiben, ihn aus dem Lager zu schmuggeln, Forderungen aufzustellen und diese mit einem Hungerstreik durchsetzen zu wollen. Gefällt mir wird hier im Sinne von ‚Anerkennung‘ oder ‚Sympathiebekundung‘ verwendet. Gefällt mir kann sich auch auf den Inhalt der Forderung beziehen und wäre in dem Fall eine ‚Zustimmung‘ zu den konkreten Inhalten der Forderung. In Situation 5 stellt sich nicht die Frage, ob der Vater jeden Glückwunsch, den er zur Geburt seiner Tochter erhält, als positiv empfindet. Bemerkens‐ wert ist eher, dass er mit einer expliziten Positivbewertung reagiert. Die Notwendigkeit, bei ehrlich gemeinten Glückwünschen eine Bewertung zu formulieren, ergibt sich aber eigentlich gar nicht, weil sie so offensichtlich ist. Damit wird sie redundant und unökonomisch. Vielmehr entspricht es der kommunikativen Praxis, sich in solchen Fällen zu bedanken. Eine solche Op‐ tion bietet Facebook jedoch nicht an. In diesem Beispiel ist zwar klar, worauf sich die Phrase bezieht. Aus dem Wissen, dass der*die Rezipient*in aber über Glückwunschsituationen hat, muss er*sie auf eine Umdeutung von gefallen im Sinne von bedanken schließen. Damit tritt die Bewertungskomponente von gefallen zugunsten der kommunikativen Angemessenheit, die durch be‐ danken erfüllt ist, in den Hintergrund. Auch in Situation 6 muss das gefällt mir, mit dem Nutzer*in 1 auf die Frage „Hab ick dass auch gemacht? weiß ich gar nicht mehr …“ reagiert, umge‐ deutet werden, weil sich für das komplex-anaphorische Pronomen das (in gefällt mir) kein sinnvoller Referent finden lässt. Der Verstehensprozess soll hier an einer exemplarischen Generierung eines Textweltmodells nachvoll‐ zogen werden. Ein Textweltmodell (TWM) ist eine kognitive Struktur, die Konstella‐ tionen von Textreferenten und Relationen zwischen diesen repräsentiert. Dieses mentale Modell entsteht bei jedem Sprachverstehensprozess au‐ tomatisch und unbewusst und greift auf textinterne und textexterne In‐ formationen zurück. Es fließen hier also das Wissen aus dem Langzeit‐ gedächtnis (top down) und die Informationen, die der Text enthält (bottom up), zusammen (Schwarz-Friesel/ Consten 2014: Kapitel 4). Jede*r Rezipient*in erstellt im Rezeptionsprozess ein eigenes Textweltmodell, das sich auch auf Grund der textexternen Informationen, die in dieses Modell einfließen, vom Textweltmodell eines anderen Rezipienten/ einer anderen Rezipientin, der*die denselben Text liest, unterscheiden kann. Wir nehmen hier die Perspektive ein, die ein*e außenstehende*r Leser*in hat. 3 Sprache im Internet 154 Zum Zeitpunkt der Rezeption des gefällt mir von Nutzer*in 1 sind folgende Textreferenten im Textweltmodell verfügbar: Nutzer*in 1 (ich), Nutzer*in 2 (dich), Spaghetti-und-Würstchen-Gericht (die zwar nicht sprachlich, sondern als Abbildung eingeführt werden, worauf dann aber mit dass (sic! ) Bezug genommen wird). Folgende Relationen zwischen den Textreferenten sind etabliert: Nutzer*in 1 hat an Nutzer*in 2 gedacht als er die bizarre Art Würst‐ chen mit Spaghetti zuzubereiten (dass sic! ) auf einem Bild gesehen hat. Nut‐ zer*in 2 kann sich nicht erinnern, Spaghetti und Würstchen schon einmal auf diese Weise zubereitet zu haben (dass sic! ) und fragt nach. Das gefällt Nutzer*in 1. Es lässt sich nun nicht zuordnen, worauf sich das gefällt mir bezieht. Es findet sich kein Textreferent für das gefällt mir, er muss also von den Le‐ ser*innen aktiv konstruiert werden, d. h. dass die Leerstelle im Textweltmo‐ dell gefüllt werden muss. Dabei wird zunächst von der Bedeutung von ge‐ fallen ausgegangen und gefragt, was Nutzer*in 1 noch positiv bewerten könnte? Darauf, dass Nutzer*in 2 sich und auch Nutzer*in 1 fragt, ob er*sie auch schon einmal Würstchen und Spaghetti so zubereitet hat; darauf, dass er*sie einräumt, sich nicht erinnern zu können? Das ist eher unwahrschein‐ lich. Das semantische Wissen über das Lexem gefallen wird nun top down (aus dem Gedächtnis) angereichert um das Wissen, das über die Kommunikati‐ onsplattform Facebook gespeichert ist. Dazu gehört, dass es z. B. zum Zeit‐ punkt, an dem diese Interaktion stattfand, nur drei Funktionen gibt, mit de‐ nen auf eine Statusmeldung reagiert werden kann. Kommentieren und Teilen sind Funktionen, die mehr Aufwand bedeuten als gefällt mir, das mit nur einem Klick aktiviert wird. Eine neutrale Option, wie z. B. eine Lesebestäti‐ gung, steht den Nutzer*innen bis heute nicht zur Verfügung. Genau in dieser Funktion wird gefällt mir jedoch hier benutzt. Das zeigt sich auch daran, dass Nutzer*in 1 direkt im Anschluss die Frage beantwortet: „Nee, aber das schmeckt dir sicher lieblingswürstchenrezept! ! ! “ Für den komplexen Ausdruck gefällt mir kommen also abhängig vom kon‐ kreten Ko- und Kontext die folgenden dynamischen Bedeutungskomponen‐ ten in Frage: ▸ Positivbewertung eines Sachverhalts ▸▸ Ausdruck von Anerkennung ▸▸ Ausdruck von Zustimmung ▸▸ Solidarisierungssignal ▸▸ Negativbewertung eines Sachverhalts ▸▸ Lesebestätigung ▸▸ Dank ▸ 3.3 Netzbedingte Dynamik: Neue Bedeutung für Altbekanntes 155 Weitere Bedeutungskomponenten sind vorstellbar. Im Verstehensprozess muss der Rezipient also aktiv rekonstruieren, worauf sich der komplexe Ausdruck genau bezieht. Das ist ein aufwendiger kognitiver Prozess, der durch ökonomische Erwägungen und graduelle Abstufungen hinsichtlich der Relevanz blitzschnell vollzogen wird. Abb. 3-3: Textweltmodell Situation 6 zur Auflösung der Phrase [das] gefällt mir von Nutzer*in 1: In Phase 2 kann die Spezifikation für das gefällt mir nicht aus dem Lexi‐ koneintrag für gefallen gezogen werden, es muss auf das Schema, das im Langzeit‐ gedächtnis (LZG) für Facebook etabliert ist, zurückgegriffen werden, um das gefällt mir im Sinne einer Lesebestätigung interpretieren zu können. Am Beispiel des komplexen Ausdrucks gefällt mir lässt sich so sehr schön zeigen, wie sich eine semantische Fragestellung in den Bereich der Pragmatik ausdehnt. Bedeutung ist weder ein genuin semantisches noch ein genuin pragmatisches Phänomen - eine Beobachtung, der der von Schwarz ( 3 2008) etablierte Ansatz der kognitiven Semantik Rechnung trägt. 3 Sprache im Internet 156 Speicherinhalt Aufgabe 3-11 Suchen Sie in anderen Kommunikationsplattformen nach ähnlichen Beispielen. Eine „Internetsprache“ existiert nicht, auch nicht als Sondersprache. Vielmehr wird der Terminus für sprachliche Phänomene in der Inter‐ netkommunikation gebraucht. Dabei ist er irreführend, weil es unter‐ schiedlichste Formen des Sprachgebrauchs im Internet gibt und die mit „Internetsprache“ gemeinten Phänomene nur in bestimmten - wenn auch für das Web 2.0 zentralen - Kommunikationsformen vorkommen. Diese Phänomene sind aufgrund von Adaptionsprozessen, einem krea‐ tiven bzw. reflektierenden Umgang mit Sprache sowie der Hybridisie‐ rung gesprochensprachlicher und geschriebensprachlicher Elemente (Oraliteralität) entstanden. Sie sind auf der lexikalischen, der grammati‐ schen und der orthographischen Sprachebene zu finden. Des Weiteren zeigt sich an den Beispielen „Freund“ und „Gefällt mir“, dass es durch eine spezielle Verwendung im Internet zu einer Ausdifferenzierung neuer Bedeutungen und Gebrauchsweisen sprachlicher Ausdrücke kom‐ men kann. Adaptionsprozesse: Übernahme sprachlicher Formen aus anderen Kommunikationsdomänen in die Online-Kommunikation und zum Teil Anpassung dieser Formen an die medialen Gegebenheiten im Internet. Akronyme: aus einzelnen Buchstaben gebildete Wörter, die vor allem beim Chatten und Twittern, aber auch in Diskussionsforen oder E-Mails gerne eingesetzt werden (LOL, ROFL, YOLO etc.), weil sie kurz sind und zum Teil auch Zugehörigkeit zur Internet-Community signalisieren. Inflektive: Adaptionen aus der Comicsprache. Es handelt sich dabei um bloße Verbstämme ohne Flexionsendung, die zu den Interjektionen ge‐ zählt werden, meist zwischen Asteriske oder spitze Klammern gesetzt werden und die zur sprachlichen Signalisierung para- oder nonverbaler Handlungen dienen (*bestaun*, *gelangweilt mit den Beinen baumel* etc.). Leetspeak: Buchstaben werden durch Zahlen ersetzt (w8 für wait). Sprachreflexion im Internet: metasprachliches Kommentieren des Sprachgebrauchs anderer im Internet Kommunizierender, aber auch im‐ plizites Reflektieren von Sprache und Sprachgebrauch durch Sprach‐ spiele. 3.3 Netzbedingte Dynamik: Neue Bedeutung für Altbekanntes 157 Oraliteralität: Hybridisierung gesprochener und geschriebener Spra‐ che, d. h. in manchen graphisch realisierten Texten im Internet werden Elemente konzeptioneller Mündlichkeit verwendet, unter anderem um kommunikative Nähe zu signalisieren bzw. die jeweilige Äußerung dia‐ logischer und persönlicher wirken zu lassen. Indikatoren dafür sind eine für schriftliche Texte große Anzahl von Prozeduren des Zeig-, des Lenk- und des Malfelds sowie die Verwendung von Formen der mündlichen Umgangssprache wie Apokopen, Assimilationen, Ellipsen oder um‐ gangssprachliche Ausdrücke. Interaktionsorientiertes Schreiben: Im Fokus stehen das aktuelle Kommunikationsgeschehen und der kommunikative Erfolg, weshalb mehr auf Schnelligkeit als auf Prägnanz geachtet wird. Dabei sind neue Formulierungsstrategien und grafische Konventionen entstanden, die fortlaufend an die kommunikativen Bedingungen angepasst werden (vgl. Storrer 2013). Sprachgebrauchswandel im Internet: Veränderung der semantischen Merkmale von Lexemen aufgrund ihrer Verwendung zu bestimmten Zwe‐ cken oder in bestimmten Kontexten in der Internet-Kommunikation (Bei‐ spiel: Freund). Dies kann den Gebrauch ganzer Phrasen und neben der se‐ mantischen auch die pragmatische Ebene betreffen (Beispiel: gefällt mir). Übungen 1. Überprüfen Sie, welche der folgenden Wörter bereits in den 1. DUDEN aufgenommen worden sind: Flashmob, Shitstorm, googlen, Thread, Facebook, twittern, Hoax, Clickbait. 2. Was bedeutet pwnd? Was bedeutet waYne (auch: wayne oder 2. Wayne)? Recherchieren Sie die Entstehungsgeschichte dieser Le‐ xeme. 3. Welche Funktion hat ein „! “ vor einer Phrase? 3. 4. Versuchen Sie die Bedeutung von „#“ im Microblogging zu be‐ 4. schreiben. 5. Analysieren Sie ein Chat-Protokoll (auf einer Chat-Plattform wie 5. Knuddels oder auf Facebook) hinsichtlich der dort verwendeten Indikatoren für Oraliteralität. 6. Welche Funktion hat die folgende Statusmeldung von A, die ein 6. Zitat des Moderators, Ross Antony, darstellt? Ross: Ich hoffe, dass ihr damit leben kann, die punkte dass ihr jetzt von uns bekomm. (ffz, Facebook, 2012-09-06) 3 Sprache im Internet 158 Lektüre zur Vertiefung Grundlegendes zur Grammatik des Deutschen finden Sie in Duden ( 8 2009). Zur Funktionalen Grammatik ist Hoffmann (2013) zu empfehlen. Lohde (2006) beschreibt die Wortbildungsarten des Deutschen. Hennig (2006) dis‐ kutiert die Grammatik der gesprochenen Sprache, deren Merkmale zum Bei‐ spiel in Chat-Kommunikation emuliert werden. Kurze aber fundierte Ant‐ worten auf die Kritik am angeblichen Sprachverfall im Internet bieten Schlobinski (2012), Storrer (2017) und Kapitel A.I.1 in Tagg (2015). Als Einführung in die Semantik empfehlen wir Schwarz/ Chur ( 6 2014). Grundlegend für die Jugendsprachforschung sind die Bücher von Androut‐ sopoulos (1998), Neuland ( 2 2018) und Bahlo et al. (2019), lesenswert sind ebenfalls Bahlos Forschungsergebnisse (2010, 2012). Busch (2018) nimmt di‐ gitale Schreibregister bei Jugendlichen in den Blick. Androutsopoulos et al. (2006) haben in ihrem Sammelband zu neueren Entwicklungen der Internetkommunikation auch Diskussionsbeiträge dazu zusammengestellt, ob Sprache im Internet im Forschungsfeld Variationslin‐ guistik anzusiedeln ist. Androutsopoulos (2020) beleuchtet neue Interpunk‐ tionsroutinen. Siever (2005a, 2011 und 2012a) widmet sich den Charakteris‐ tika von SMS, E-Mail und Chat (ebenso wie übrigens auch Dürscheid 2006) und skizziert den zunehmenden Einfluss von Mündlichkeit auf unsere Spra‐ che. Der Klassiker und damit immer noch sehr lesenswerte Überblick ist nach wie vor Runkehl/ Schlobinski/ Siever (1998). Das angesichts der zunehmenden Bedeutung von digitaler Kommunika‐ tion und des Sprachgebrauchs im Internet entstehende neue Bild von Spra‐ che, das auch Auswirkungen auf die Sprachwissenschaft hat, beschreibt sehr lesbar und aktuell Lobin (2018). Ebenfalls sehr zu empfehlen, allerdings mit einem starken Fokus auf dem Englischen ist McCulloch (2019), insbesondere Kap. 1, 4 und 5. Sehr kompakt und klar, aber auch zum Teil etwas anspruchs‐ voll ist der Handbuchartikel von Thurlow (2019). 3.3 Netzbedingte Dynamik: Neue Bedeutung für Altbekanntes 159 4 Pragma-Internetlinguistik Welche Sprachhandlungsphänomene kommen im Netz vor? Wie verstehen wir scheinbar irrelevante Postings? Was bedeutet Kontext im Netz? 4.1 Ins Netz versetzt: Grundpfeiler der Pragmatik Wie nehmen wir in bestimmten Situationen Bezug auf die Welt? Wie ver‐ stehen wir Gemeintes? Wie reden wir miteinander? Kurzum: Wie gebrau‐ chen wir Sprache in unterschiedlichen Kontexten? Das sind die relevanten Fragen in der pragmalinguistischen Forschung. Ansätze wie die Sprechakt‐ theorie (Austin 2 1975, 1986, Searle 1969, 1971), die Theorie der konversati‐ onellen Implikaturen (Grice 1975) und die Konversationsanalyse (Kallmeyer/ Schütze 1976, Deppermann 4 2008, Levinson 3 2000 u. a.) sind bislang zur Klä‐ rung dieser Fragen herangezogen worden. Sie bilden die drei Stützpfeiler der linguistischen Pragmatik. Auch in kognitiven Referenztheorien werden so‐ ziale und interaktionale Bedingungen berücksichtigt (siehe Schwarz 3 2008: 213 ff. für einen Überblick). Wenn wir die Bedeutung, die in Abhängigkeit von spezifischen Kontexten entsteht, in den Mittelpunkt unseres Interesses stellen, ist die sogenannte Äußerungsbedeutung unser Forschungsgegenstand. Es handelt sich hierbei um die aktuelle, kontextabhängige Bedeutung eines Wortes oder Satzes in Abgrenzung zur wörtlichen, kontextunabhängigen Bedeutung, der Aus‐ drucksbedeutung. Die Ausdrucksbedeutung eines Wortes entspricht dem mentalen Lexikon‐ eintrag und wird anhand von Merkmalen bestimmt. In einem komplexen Ausdruck, wenn also mehrere Wörter miteinander kombiniert werden, kann sie dem Kompositionalitäts- oder Fregeprinzip zufolge ermittelt werden, in‐ dem die Bedeutungen der einzelnen Lexeme unter Berücksichtigung ihrer grammatikalisch festgelegten Relation addiert werden. Die formale Semantik konzentriert sich traditionell auf die Beschreibung der Ausdrucksbedeutung von Lexemen und Sätzen, während die Beschreibung der Äußerungsbedeu‐ Kommunikativer Sinn: Ankündi‐ gung Kommunikativer Sinn: Entwar‐ nung tung Gegenstand pragmatischer Theorien ist. Kognitiv-semantische Ansätze allerdings berücksichtigen in ihren Untersuchungen alle Bedeutungsbe‐ schreibungsebenen (Schwarz 1992, Schwarz 3 2008, Schwarz/ Chur 6 2014, Fi‐ scher 2000 u. a.). Eine dritte Ebene der Bedeutungsbeschreibung bildet der kommunikative Sinn. Es handelt sich hierbei um den intendierten Gesprächszweck einer Äu‐ ßerung, der im Idealfall von den Hörer*innen erschlossen wird. Machen wir uns diese Unterscheidung an einem Beispiel (4-1) klar: (4-1) Rücken eingerenkt, Wärmepflaster draufgepappt. Wieder im Spiel. Kontext 1: Sina Trinkwalder (Gründerin des ökosozialen Textilunterneh‐ mens Manomama) twittert (Twitter, 2013-03-26, 13: 25, hier leicht modifiziert, um die unterschiedlichen kontextabhängigen Bedeutungen besser veran‐ schaulichen zu können) Kontext 2: 59. Spielminute im Champions League Finale FC Bayern Mün‐ chen gegen Borussia Dortmund, Fan kommentiert ein Foul an Arjen Robben (FC Bayern München, Facebook, 2013-03-25) Der Tweet (4-1) lässt sich (auf der Ebene der Ausdrucksbedeutung) folgen‐ dermaßen paraphrasieren: Die Wirbelsäule wurde soeben zurück in die rich‐ tige Position gebracht und mit einem Verband, der hohe Temperaturen ent‐ wickelt, versehen. Die Person mit den Beschwerden ist zurück in einer auf konstitutiven Regeln basierenden Situation. Die Äußerungsbedeutung in Kontext 1 lässt sich in etwa so zusammenfassen: Sina Trinkwalder beschreibt ihre eigene gesundheitliche Situation kurz vor der Abreise nach Berlin, wo sie am Abend in der Sendung von Günther Jauch zu Gast sein wird. Es handelt sich also um den Rücken der Äußerungspro‐ duzentin. Mit Spiel wird zum einen auf den bevorstehenden Medienauftritt, aber auch auf die generelle Fähigkeit, zu arbeiten und zu agieren, referiert. Mit der Äußerung wird also u. a. das Erscheinen am Abend in der Sendung angekündigt. Die Äußerungsbedeutung in Kontext 2 lässt sich in etwa so zusammen‐ fassen: Mit Rücken wird nicht auf den Rücken des Kommentators Bezug ge‐ nommen, sondern auf den Rücken des FCB-Spielers Arjen Robben. Mit Spiel ist hier konkret das Fußballspiel gemeint, das zum Äußerungszeitpunkt im Gange ist. Da Arjen Robben ein wichtiger Spieler im Verein ist und eine Verletzung und dadurch veranlasste Auswechslung durchaus Auswirkungen auf den Spielverlauf haben könnte, ist der Kommentar für Bayern-Fans eine Entwarnung. 4 Pragma-Internetlinguistik 162 Dreiebenenmodell der Bedeutungsbeschreibung Ausdrucksbedeutung: kontextunabhängig, grammatisch determiniert Äußerungsbedeutung: kontextabhängig, kann nicht isoliert verstan‐ den werden Kommunikativer Sinn: Gesprächszweck, der von den Intentionen des Sprechers abhängig ist (siehe Bierwisch 1979, Schwarz/ Chur 6 2014, Schwarz 3 2008) Ausdrucksbedeutungen produzieren und erschließen zu können, ist Teil unserer semantischen Kompetenz. Die situationsangemessene, rezipiente‐ norientierte Produktion und kontextabhängige Rezeption von Äußerungs‐ bedeutungen fällt in den Bereich der pragmatischen Kompetenz. Dank un‐ serer pragmatischen Kompetenz wissen wir, dass wir zwar vor Gericht, nicht aber in einer Prüfungssituation die Aussage verweigern dürfen. Un‐ sere pragmatische Kompetenz bewahrt uns davor, unseren Vorgesetzten unaufgefordert zu duzen, unsere Professorin mit „Hallo Zuckerchen“ an‐ zusprechen, ein Referat mit der Erklärung „geht heut nicht, muss erstmal schlafen, war spät gestern“ abzusagen oder einem dreijährigen Kind die Relativitätstheorie darzulegen. Ebenso wenig würde jemand in einem Be‐ werbungsgespräch für eine Stelle im Hauptstadtstudio des Bayrischen Rundfunks erwähnen, dass er*sie bei einem Praktikum in München ge‐ merkt habe, wie schwierig es für ihn*sie wäre, mit gebürtigen Bayern aus‐ zukommen. Aufgabe 4-1 Haben Sie beim Lesen bereits die eine oder andere reale Situation in eine Web 2.0-Kommunikationssituation übertragen? Wagen Sie dieses Gedankenexperiment und überlegen Sie, inwiefern besonders offizi‐ elle, von Asymmetrie der Kommunikationspartner*innen bestimmte Situationen von Web 2.0-Effekten beeinflusst werden. Wie beurteilen Sie beispielsweise die folgende authentische E-Mail? Gute Nacht Frau Marx, Ich wollte meinen Termin bein Ihnen für den 2.4 um 11: 00 Uhr noch einmal bestätigen und fragen wo der Termin stattfindet. Liebe Grüße und eine erholsame Nacht [Vorname] (dienstliche E-Mail, 2013-03-28, 3: 32) 4.1 Ins Netz versetzt: Grundpfeiler der Pragmatik 163 Haben Sie vielleicht sogar selbst schon einmal eine E-Mail an ihren Dozenten/ Ihre Dozentin mit „Hallo“ eröffnet und mit „Liebe Grüße“ beendet? (vgl. dazu auch Kapitel 5.4.3). Unsere pragmatische Kompetenz befähigt uns auch, den kommunikativen Sinn einer Äußerung zu rekonstruieren. Somit können wir leicht aus einer Frage wie „Wolltest Du nicht gerade den Geschirrspüler ausräumen? “ eine Aufforderung herauslesen. Bei einem privaten Jitsi-Telefonat mit einem Freund/ einer Freundin, das wir tagsüber führen, beginnen wir nicht am Ver‐ stand unseres Gesprächspartners/ unserer Gesprächspartnerin zu zweifeln, wenn er*sie sich plötzlich für das konstruktive Feedback bedankt und ver‐ spricht, die Reklamation weiterzuleiten. Vielmehr rekonstruieren wir, dass sein*ihr Vorgesetzte*r den Raum betreten haben muss und uns unser*e Ge‐ sprächspartner*in zu signalisieren versucht, dass er*sie „auflegen“ und das Gespräch auf einen späteren Zeitpunkt vertagen muss. Das theoretische Instrumentarium derartige Verstehensprozesse zu be‐ schreiben, bieten uns die Sprechakttheorie und die Theorie der konversati‐ onellen Implikaturen. 4.2 Sprachhandlungsphänomene Mit der Erkenntnis, dass man mit Wörtern Dinge tut, tun kann, hat der englische Sprachphilosoph John L. Austin 1955 in einer Vorlesung (veröf‐ fentlicht posthum 1962) den Grundstein für die Sprechakttheorie gelegt. Er unterschied zwischen konstativen und performativen Sprechakten. Als konstative Sprechakte wurden die sprachlichen Äußerungen eingestuft, mit denen die Welt schlicht beschrieben wird, wie z. B.: Eine Strecke ist eine von zwei Punkten begrenzte Linie. Als performative Sprechakte hingegen wurden die Sprechakte bezeichnet, mit denen wir die Welt verändern, wie Ich taufe dich auf den Namen Felix oder Ich verurteile Sie zu neun Jahren Haft oder Ich ernenne Sie zum Professor/ zur Professorin. Es hat sich gezeigt, dass diese strikte Trennung nicht aufrechterhalten werden konnte, da selbst konstative Äußerungen Performativität aufweisen. Wir vollziehen also auch mit konstativen Sprechakten Handlungen, z. B. indem wir etwas behaupten oder etwas feststellen. 4 Pragma-Internetlinguistik 164 Sprechakt- Komponenten John Searle (*1932) ist ein berühmter amerikanischer Sprachphilo‐ soph, er lehrt an der Berkely-Universität in Kalifornien, USA. Sein für die Linguistik wichtigstes Werk heißt „Speech Acts: An Essay in the Philosophy of Language.“ Es wurde 1969 veröffentlicht, 1971 kam die deutsche Übersetzung auf den Markt. Als Albertus-Magnus-Professor lehrte John Searle im Mai 2013 an der Universität zu Köln. John Searle, Schüler Austins, hat Austins Ideen weiterentwickelt, indem er die Teilakte eines Sprechaktes neu überdachte und Regeln explizierte, die für das sprachliche Handeln gelten. Wenden wir uns zunächst den vier Teilakten eines Sprechaktes zu: ▸ Äußerungsakt ▸▸ Propositionaler Akt ▸▸ Illokutionärer Akt ▸▸ Perlokutionärer Akt ▸ Diese Teilakte laufen simultan ab, wenn sich ein*e Sprecher*in äußert. Er produziert eine Abfolge von Phonemen, Morphemen, Wörtern, Sätzen (Äu‐ ßerungsakt). Im Falle computervermittelter Kommunikation erfolgt der Äu‐ ßerungsakt meistens nicht mündlich, sondern durch das Eingeben von Buch‐ stabenfolgen über eine Tastatur. Jeder Sprechakt hat eine bestimmte Referenz und Prädikation, einen be‐ stimmten Inhalt (Propositionaler Akt). Über eine Prädikation werden diesen Vertretern oder Elementen Eigenschaften zugesprochen. Unter Referenz wird das Verhältnis zwischen Sprache und Welt, präzi‐ ser, die sprachliche Bezugnahme auf die Welt oder auf ihre Vertreter, Elemente in der Welt, verstanden. Jeder Sprechakt wird mit einer bestimmten Intention, zu einem bestimmten Zweck, mit einem bestimmten Handlungswert (Illokution) geäußert. Die Perlokution beschreibt die intendierte Wirkung beim Hörer/ bei der Hörerin. Verdeutlichen wir uns die Unterscheidung dieser Teilakte an den folgenden Beispielen. (4-2) Robert ist jetzt auch bei Instagram. Ist Robert jetzt auch bei Instagram? Robert ist jetzt auch bei Instagram! 4.2 Sprachhandlungsphänomene 165 Sprechakt- Kategorisierung Diese drei Sätze zeigen, dass die Proposition gleich bleiben kann, während sich die Äußerung (z. B. die Wortstellung) und die Illokution (Feststellung vs. Frage vs. Ausrufsatz) ändern. Mit einer Aussage oder Feststellung würde der*die Sprecher*in beispielsweise dem Hörer/ der Hörerin signalisieren, dass er*sie sich auf den Wahrheitsgehalt der Aussage verlassen kann. Eine Frage kann signalisieren, dass vom Hörer/ von der Hörerin eine Antwort erwartet wird. Ein Ausruf könnte z. B. als Warnung intendiert sein und entsprechend vorsichtiges Verhalten beim Hörer/ bei der Hörerin auslösen. Vorstellbar ist auch, dass es sich hier um eine Aufforderung an den Hörer/ die Hörerin han‐ delt, doch endlich auch dem Sozialen Netzwerk beizutreten. Es gibt also auch eine ganze Reihe an plausiblen Perlokutionen. Wie man zu solchen Inter‐ pretationen gelangen kann, wird unter Punkt 4.3 thematisiert. (4-3) Klaus Wowereit schaut ratlos auf den Flughafen. Der regierende Bürgermeister von Berlin schaut ratlos auf den Flughafen. Der Aufsichtsratsvorsitzende des Flughafens Berlin-Brandenburg schaut ratlos auf den Flughafen. Liegt der Äußerungszeitpunkt dieser drei Sätze vor dem 7. Januar 2013 und ist somit sichergestellt, dass es sich bei Klaus Wowereit um die Person han‐ delt, die sowohl das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin beklei‐ det als auch das des Vorsitzenden im Aufsichtsrat des Flughafens Ber‐ lin-Brandenburg, lässt sich zeigen, dass bei verschiedenen Äußerungen die Illokution und auch die Proposition gleich bleiben können. Ebensogut kann eine Äußerung verschiedene Illokutionen haben. Satz (4-4) kann geäußert werden, um Überraschung, Anerkennung oder Verwun‐ derung auszudrücken oder um z. B. eine Prognose für eine mögliche Kandi‐ tatin für die Präsidentschaftswahl im Jahr 2016 abzugeben - das Hinter‐ grundwissen über den auf Social Media basierenden Wahlkampf des amtierenden Präsidenten Obama vorausgesetzt. (4-4) Hillary Clinton twittert jetzt! Die Illokution eines Sprechaktes lässt sich anhand von sogenannten illoku‐ tionären Indikatoren ermitteln. Performative Verben, Verben also, mit denen der Sprechakt, der gerade ausgeführt wird, explizit benannt wird (wie z. B. versprechen, warnen, gratulieren, taufen …) zählen zu den illokutiven Indika‐ toren. Auch Satztypen (Deklarativ-, Interrogativ- und Imperativsätze), der Verbmodus (Indikativ, Konjunktiv oder Imperativ), Modalverben (können, dürfen, wollen, sollen, mögen, müssen), Satzadverbien (leider, sicherlich, wahr‐ scheinlich …), Modalpartikeln (eben, halt, vielleicht, wohl …) und Intonation/ Interpunktion sind Verweise auf die Illokution einer Äußerung (siehe auch 4 Pragma-Internetlinguistik 166 Meibauer 2 2001). Die unterschiedlichen Illokutionen von Sprechakten bilden die Grundlage für die Unterscheidung von fünf Sprechakttypen. ▸ Repräsentativa (Assertiva) ▸▸ Direktiva ▸▸ Kommissiva ▸▸ Expressiva ▸▸ Deklarativa ▸ Mit einem repräsentativen (auch: assertiven) Sprechakt legen sich Spre‐ cher*innen auf die Wahrheit/ Falschheit einer Proposition fest. Im Beispiel (4-5) stellt der Sprecher (Autor) fest, dass mit vertraulichen Daten gehandelt wird und Millionen deutsche Patient*innen und Ärzte/ Ärztinnen ausgespäht werden. (4-5) Handel mit vertraulichen Daten: Millionen deutsche Patienten und Ärzte werden ausgespäht. (spiegel.de, 2013-08-18, 8: 08) Ein direktiver Sprechakt dient dazu, Hörer*innen (und im Falle internetver‐ mittelter Kommunikation: Leser*innen) zu einer bestimmten Handlung zu veranlassen. Im Beispiel (4-6) bittet eine Mutter um Hilfe bei der Suche nach ihrer Tochter und fordert die Nutzer*innen des Sozialen Netzwerks direkt auf, ein Bild ihrer Tochter zu teilen. (4-6) [VERMISST. Seit März ist meine Tochter, XYZ, verschwunden. Sie wurde noch einmal in XYZ gesehen, als Sie bei einem Mann in einen schwarzen Twingo mit SU-Kennzeichen einstieg.] Bitte helft mir Sie zu finden und teilt das Photo. [Meine Tochter hat blaue Augen und einen Leberfleck auf der linken Wange. Sie ist ca. 1,70 m groß. Ich danke euch, XYZ] (Facebook, fmt, 2013-04-03) Mit einem kommissiven Sprechakt verpflichten sich Sprecher*innen, eine bestimmte Handlung selbst zu vollziehen. Typische kommissive Sprechakte sind Versprechen oder Drohungen. In Beispiel (4-7) droht der*die Verfas‐ ser*in des Beitrags einer Nutzerin des Netzwerks mit dem Tod, wenn sie ihre „Faxen“ [Anschuldigungen] gegenüber Michelle und Naomi nicht unterlässt. (4-7) […] MACH KEINE FAXEN BEI MICHELLE UND NAOMI SONST KANNST DU WAS ERLEBEN DU DRECKIEGES MÄDCHEN ICH SEZT EIN FUß IN DEINER DRECKS SCHULE UND DU BIST TOD ! (Isharegossip, 2011-02-27, 22: 10: 28) Expressive Sprechakte dienen dazu, Gefühle auszudrücken, soziale Kontakte zu etablieren, zu festigen und/ oder aufrechtzuerhalten. In Beispiel (4-8) ver‐ 4.2 Sprachhandlungsphänomene 167 Fragen, die in diesem Kapitel thematisiert werden mittelt der*die Verfasser*in des Beitrags durch die Verwendung der Lexeme entsetzt, erschrocken und wütend einen Eindruck von seinem derzeitigen Ge‐ fühlszustand und leitet damit die Evaluierung eines Sachverhalts ein. (4-8) [So, jetzt muss ich euch hier mal vollabern.] Ich bin entsetzt / erschrocken/ wütend … und das alles gleichzeitig. [aber beginne ich mal von vorne.] ( Joomla! , akp, 2011-06-20, 18: 17) Sie sehen aber bereits an Beispiel (4-4), dass ein Sprechakt mehrere Illokuti‐ onen haben kann, das wird besonders dann deutlich, wenn eine expressive Komponente hinzukommt, wie z. B. durch die durchgehende Großschrei‐ bung in (4-7). Unter Punkt 4.3.3 wird dieser Aspekt noch einmal thematisiert. Deklarative Sprechakte dienen dazu, eine neue Realität zu etablieren, einen neuen Sachverhalt institutioneller Art zu schaffen. Hierbei handelt es sich z. B. um taufen, ernennen, kündigen, verurteilen usw. Einige dieser Sprechakte können auch digital vermittelt und entsprechend verschriftlicht vollzogen werden. Gerade unbedachte Facebook-Statusmeldungen haben beispiels‐ weise bereits zu unmittelbaren Kündigungen geführt, die direkt auf derselben Plattform mitgeteilt worden sind. So bezieht sich das rekonstruierte Beispiel (4-9) auf eine Meldung auf web.de, derzufolge eine Frau aus Großbritannien auf Facebook über ihren Job und ihren Chef geklagt hatte. Dieser befand sich jedoch in ihrer Freundesliste und antwortete prompt. (4-9) Angestellte: Ich hasse meinen Job und mein Chef ist ein Idiot. Vorgesetzter: Das war dann heute Ihr letzter Arbeitstag. Ab morgen brauchen Sie nicht mehr zu erscheinen, Sie sind gekündigt. Interessant ist es nun, zu überprüfen, welche Bedeutung Performativität, also der Handlungscharakter von sprachlichen Äußerungen, im WWW errreicht. ▸ Welche Rolle spielt die Performativität von Sprache für eine virtuelle ▸ Realität und in einer virtuellen Realität? ▸ Lässt sich anhand von sprachlichen Äußerungen in Sozialen Medien ▸ zeigen, dass die lange bemühte Dichotomie online vs. offline obsolet geworden ist? Diese Fragen führen uns als roter Faden durch dieses Kapitel und werden in Beispieldiskussionen zu MUDs und Facebook thematisiert. 4.2.1 Chat-Kommunikation aus pragmatischer Perspektive Typischerweise werden in Chat-Umgebungen, sei es in MUDs oder auf Chat-Plattformen nicht-sprachliche Handlungen von Kommunikationsteil‐ 4 Pragma-Internetlinguistik 168 nehmer*innen versprachlicht, indem auf die eigene Person in der dritten Person Singular Bezug genommen wird. Performativität entsteht also nicht in erster Linie dadurch, dass verschiedene Illokutionen ausgedrückt werden sollen, sondern deshalb, weil Handlungen, die nicht wirklich durchgeführt werden, sprachlich simuliert werden. Aufgabe 4-2 Lesen Sie den folgenen Chat-Ausschnitt aus Knuddels.de (2012-01-13). Welche Handlungsbeschreibungen finden Sie? Überlegen Sie, wie sich die Handlungsbeschreibungen voneinander unterscheiden. Beachten Sie dabei insbesondere Äußerungen, in denen außersprachliche Hand‐ lungen explizit beschrieben werden. Rachel40: >Aethien: ahaaaa welche denn flames of love 123 freut sich über alle gerade Gekommenen sehr. Weinsberger Kreuz ist todtraurig. Rachel40 wünscht kara312 viel spass im chat Rachel40: och Weinsberger Kreuz Weinsberger Kreuz: lol Kara312: warum todtraurig? >kara312 kann sich gar nicht gegen das liebliche Küssen von nur Marc gibt’s schon wehren …[im Chat durch blaue Schrift hervorgehoben] Rachel40: hallo dornröschen1214 flames of love 123 streicht Weinsberger Kreuz tröstend über die Wange. Rachel40: hallo bärchen327 Weinsberger Kreuz: mir war danach kara312 Weinsberger Kreuz: danke flames of love 123 dornröschen1214: hallo an alle Aethien: kenn mich da nicht so aus ….aber auch was zum schlafen, hab ne spritze bekommen und bin echt krank …großes Blutbild etc. kara312: und nu ist es schon wieder besser? flames of love 123: hallo dornröschen1214 Weinsberger Kreuz: iihhhh flames of love 123 net sabbern dornröschen1214 hat gelesen, dass Blumen glücklich machen, und schenkt flames of love 123 Rachel40 sogleich einen Strauß Margariten. Aethien: hallo dornröschen1214 Cherny (1995a), die sprachliche Handlungen in MUDs untersucht hat, un‐ terscheidet fünf Typen von sprachlichen Handlungssimulationen, die hier mit Beispielen aus dem obigen Chat näher erläutert werden: 4.2 Sprachhandlungsphänomene 169 ▸ normale Handlungen (schenkt flames of love 123 Rachel40 sogleich einen ▸ Strauß Margariten) ▸ Rückmeldungen (streicht Weinsberger Kreuz tröstend über die Wange) ▸▸ Scherzhafte Spielerei (kann sich gar nicht gegen das liebliche Küssen von ▸ nur Marc gibt’s schon wehren) ▸ Erzählung (hat gelesen, dass Blumen glücklich machen) ▸▸ Expositionen (freut sich über alle gerade Gekommenen sehr; ist todtrau‐ ▸ rig) Die ersten drei Typen drücken Handlungen in der virtuellen Realität aus. Dabei wird überwiegend das Tempus Präsens verwendet. Virtanen (2013) sieht hierin eine unmittelbare Verbindung zum von Searle (2001: 106) so be‐ zeichneten „dramatic present“, das bei der Beschreibung von Ereignissen eine nahezu zeitgleiche Konstruktion bewirkt. Übertragen auf die oben unter‐ schiedenen Typen bedeutet das, dass sie in dem Moment, in dem sie auf dem Bildschirm erscheinen, als Handlungen wahrgenommen werden. Natürlich wechseln hier weder Blumen den Besitzer, noch erhält jemand Streichelein‐ heiten. Die einzige Handlung, die wirklich vorgenommen wird, ist das Ein‐ tippen der Handlungsbeschreibungen in den Rechner. Überträgt man aber die Kategorien „Erzählung“ und „Exposition“ von ei‐ ner MUD-Umgebung auf eine Chat-Umgebung, wird deutlich, dass hier Handlungs- und Emotionsbeschreibungen vorliegen, die der (Empfindungs- und Erlebnis-)Welt der Nutzer*innen zuzuordnen sind. Die Performativität dieser Sprechakte muss wiederum darin liegen, dass eine spezifische Illoku‐ tion und damit verbundene Erwartung (Perlokution) an die Chat-Teilneh‐ mer*innen „enttarnt“ werden kann und soll. Wenn Weinsberger Kreuz hier also seine Traurigkeit thematisiert, müssen die anderen Chat-Teilnehmer*in‐ nen die Absicht dahinter, den kommunikativen Sinn der Äußerung rekon‐ struieren. Das gelingt ihnen, indem sie eine sogenannte konversationelle Implikatur ziehen. Wie dieser Schlussfolgerungsprozess gelingt, wird unter Punkt 4.3 in diesem Kapitel erläutert. Eine Ausprägung der Performativität von sprachlichen Äußerungen liegt also darin, dass Handlungen simuliert werden können, indem man sie beschreibt. Interessanterweise gibt es inzwischen sogar Ergebnisse aus der Hirnforschung, die belegen, dass der sensorische und motori‐ sche Kortex während des Lesens, also in der Generierungsphase des Textweltmodells, mit aktiviert wird (Speer et al. 2009). Das sind die Areale, die Empfindungen/ Berührungen registrieren und Bewegun‐ gen/ Muskelaktivität willentlich kontrollieren. Für Performativität von Sprache gibt es also sogar Hinweise in Form von Gehirnscans. 4 Pragma-Internetlinguistik 170 4.2.2 Performativität in MUDs Die Vermutung liegt nun nahe, dass sich die Performativität von sprachlichen Äußerungen in allein durch Deskription produzierten Parallelwelten (MUDs: Multi User Dungeons) nicht von der in belletristischen Buch-Texten unter‐ scheidet. Allerdings bildet die sprichwörtliche Textwelt oder auch ‚ver‐ schriftlichte Parallelwelt‘ (nicht zu verwechseln mit der mentalen Ebene des Textweltmodells) einen Rahmen für Interaktionen, die auf sprachlichen Be‐ fehlen basieren. Diese Befehle erlauben es den Nutzer*innen, in der Parallelwelt aktiv zu werden und - abhängig davon, welche Erfahrungsstufe oder wie viel virtu‐ elles Geld man beispielsweise bereit zu zahlen ist - auf sie einzuwirken. Do‐ nick (2008) zählt diese Befehle zu den persistenten Handlungen in Abgren‐ zung zu transistorischen Handlungen. Transistorische Handlungen tragen zwar auch zum Aufbau oder zur Veränderung einer virtuell-mentalen Welt bei, sie sind aber nicht langfristig nachweisbar. Sie werden häufig in Form von Inflektiven in Sternchen gesetzt und sind mit den Handlungsbeschrei‐ bungen in anderen Chat-Umgebungen vergleichbar. Virtuell-mentale Welten entstehen in Gesprächssituationen und heben sich von dem Geschehen in der MUD-Welt ab. Virtuell-reale Welten sind langfristig nachweisbar, sie konstituieren sich aus den textuellen Beschreibungen der MUD-Komponenten (Donick 2008). Als persistente Handlung hingegen gilt die Eingabe eines Befehls, der ganze Handlungsketten auslöst und eine Veränderung der MUD-Umgebung nach sich zieht. Donick (2008: 30 f.) veranschaulicht diesen Prozess an dem fol‐ genden Beispiel (4-10) aus dem MUD „Silberland“. (4-10) eingegebener Befehl: toete maus Du kaempfst nun gegen eine Maus. […] Die Maus kitzelt Dich am Bauch. Du kratzt die Maus. Die Maus sticht Dich sehr leicht. [Tod: Lars] Eine Maus hat gerade Thagor umgebracht. Du faellst in ein schwarzes Loch. Ploetzlich wird es daemmrig um Dich herum. Du versuchst etwas zu erkennen. [Beileid: Troxa] oha Du kneifst die Augen zusammen. 4.2 Sprachhandlungsphänomene 171 Gelingensbedingungen Zumindest versuchst Du es, denn da Du keinen richtigen Koerper hast, kannst Du auch nichts zusammenkneifen. […] Der*die Spieler*in, der*die als Charakter Thagor den Befehl toete maus ein‐ gibt, durchläuft nun ohne weiteres Zutun die oben angegebene Handlungs‐ sequenz, an dessen Ende der Charakter Thagor stirbt - und nicht die Maus. Unter diesen Handlungssequenzen liegen also an den Befehl gekoppelte Al‐ gorithmen, die die Spieler*innen selbst nicht beeinflussen können. Sie kön‐ nen nur verändert werden, wenn man den Algorithmus kennt und die Mög‐ lichkeit und Kompetenz hat, ihn umzuschreiben. Mit einem Befehl (dem Sprechakt toete maus) manövriert ein*e Spieler*in seinen/ ihren Charakter also in eine unsichere Situation. Ein Befehl, der nur ausgelöst werden kann, wenn Regeln einer spezifischen Eingabesyntax befolgt werden, beinhaltet hier also auch eine Komponente der Unsicherheit. Das ist ungewöhnlich, ist doch der direktive Sprechakt Be‐ fehl (oder auch Aufforderung) üblicherweise an Regeln geknüpft, die die Ausführung einer definierten Aufgabe verlangen. Damit verbunden ist durchaus auch der Wunsch des Sprechers/ der Sprecherin, die Situation zu kontrollieren. Dass der*die Hörer*in (und in diesem Fall das System) eine Anweisung befolgt oder nicht befolgt, ist zwar nicht konstitutiver Bestandteil des Sprech‐ akts. Wir erinnern uns: Die Perlokution beschreibt lediglich die intendierte Wirkung. Somit erschließt sich der Unterschied zwischen einer Aufforde‐ rung und einem Befehl nicht auf den ersten Blick. Jedoch sind sich Spie‐ ler*innen, die die Regeln des MUDs kennen, darüber im Klaren, dass sie durch einen Befehl die Kontrolle über ihren Charakter (temporär) aus der Hand geben (müssen), weil sie gar nicht wissen, welche Handlungssequenzen der Befehl auslöst. Das ist aus sprechakttheoretischer Perspektive gerade im Hinblick auf die Regeln, die Searle (1969) für spezifische illokutionäre Akte formuliert hat, interessant. Schauen wir uns also zunächst an, welche Regeln zum Gelingen von Sprechakten beitragen. Dazu kehren wir zurück zur theoretischen Grundlage der Sprechakttheorie. Searle (1969) unterscheidet konstitutive und regulative Regeln. Regulative Regeln regulieren ein bereits bestehendes Verhalten. Dar‐ unter fallen z. B. Manieren beim Essen oder im sozialen Miteinander oder die Regeln im Straßenverkehr. Ohne konstitutive Regeln hingegen würde es ein bestimmtes Verhalten gar nicht geben. Ein klassisches Beispiel hierfür sind Spielregeln. Eine Sportart oder ein Kartenspiel könnte ohne konstitutive Re‐ geln nicht gespielt werden. Searle zufolge basiert auch sprachliches Handeln auf konstitutiven Regeln der Form: X gilt als Y im Kontext C. 4 Pragma-Internetlinguistik 172 „Die semantische Struktur einer Sprache läßt sich als eine auf Kon‐ ventionen beruhende Realisierung einer Serie von Gruppen zugrun‐ deliegender konstitutiver Regeln begreifen; Sprechakte sind Akte, für die charakteristisch ist; daß sie dadurch vollzogen werden, daß in Übereinstimmung mit solchen Gruppen konstitutiver Regeln Ausdrü‐ cke geäußert werden.“ (Searle 1971: 59) Das bedeutet also, dass zwar die Konventionen, an die eine Äußerung bei‐ spielsweise in verschiedenen Sprachen gebunden ist, variieren können, die konstitutiven Regeln aber sprachenübergreifend gültig sind. So ist es uner‐ heblich, ob jemand einen Glückwunsch als Ich gratuliere Dir oder Gefeliciteerd met oder in einer weiteren Sprache realisiert, die konstitutiven Regeln für einen Glückwunsch bleiben gleich. Für die verschiedenen Illokutionen lassen sich also Searle (1969) zufolge diese konstitutiven Regeln festhalten: ▸ Normale Ein- und Ausgabe-Bedingungen ▸ beinhalten, dass Sprecher*innen (S) und Hörer*innen (H) überhaupt in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren. Sie verfügen über ge‐ meinsames sprachliches Wissen, sind im vollen Besitz ihrer geistigen Kräfte und handeln aus freien Stücken. Die normalen Ein- und Aus‐ gabe-Bedingungen gelten für jeden illokutionären Akt. ▸ Regel des propositionalen Gehalts ▸ Mit der Äußerung muss S einen Inhalt ausdrücken, der mit der Illoku‐ tion vereinbar ist. So muss bei einem Befehl (um bei unserem Beispiel (4-10) zu bleiben) die H anbefohlene Handlung in der Zukunft liegen, sie muss einen zukünftigen Akt A von S prädizieren. Entsprechend erfüllen Sprechakte wie ? Ich befehle oder ? Wowereit: Ich befehle, dass der Flughafen BER im letzten Jahr eröffnet wurde nicht die Regel des propositionalen Gehalts für den illokutionären Akt des Befehlens. ▸ Einleitungsregel ▸ Diese Regel bezieht sich auf die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein spezifischer illokutionärer Akt eingeleitet werden kann. Ei‐ nen Befehl kann S beispielsweise nur geben, wenn er*sie sich gegen‐ über H in einer in der sozialen Hierarchie übergeordneten Position befindet. H muss in der Lage sein, das von S Geforderte umzusetzen und auch S muss glauben, dass H in der Lage ist, das Geforderte um‐ zusetzen. Dabei ist es für S und auch für H nicht offensichtlich, dass H das Geforderte bei normalem Verlauf der Dinge aus eigenem Antrieb umsetzen würde. Entsprechend erfüllen Sprechakte wie ? Angestellter zum Vorgesetzten: Lesen Sie sofort die E-Mails! oder ? Ein Feldwebel be‐ fiehlt seiner Einheit: Fliegen Sie den Saturn an! oder ? Ein Vorgesetzter 4.2 Sprachhandlungsphänomene 173 Soziale Netzwerke befiehlt seinem Mitarbeiter: Schmecken Sie beim Essen nichts! nicht die Einleitungsregel für den illokutionären Akt des Befehlens. ▸ Aufrichtigkeitsregel ▸ Mit dieser Regel wird erfasst, wie S zum Vollzug bestimmter illokuti‐ onärer Akte steht. So muss er*sie, wenn er*sie etwas befiehlt, die Aus‐ führung des zukünftigen Akts auch wirklich wollen. ▸ Wesentliche Regel ▸ Mit dieser Regel wird festgelegt, wann mit einer Äußerung ein be‐ stimmter illokutionärer Akt vollzogen wird. So gilt ein Befehl als Ver‐ such, H dazu zu bringen, dass Geforderte deshalb umzusetzen, weil S in einer H übergeordneten Position ist. In Seminaren hat sich oftmals gezeigt, dass es Studierenden schwer fällt, die wesentliche Regel für spezifische illokutionäre Regeln zu be‐ stimmen, während die Regel des propositionalen Gehalts und die Ein‐ leitungsregeln weniger Schwierigkeiten bereiten. Wir führen daher an dieser Stelle Beispiele für die wesentliche Regel der Illokutionen auf‐ fordern, versprechen und beglückwünschen auf: ▸ auffordern gilt als Versuch H dazu zu bringen, etwas zu tun; ▸▸ versprechen gilt als Übernahme einer Verpflichtung, etwas zu tun; ▸▸ beglückwünschen gilt als Ausdruck der Freude und Achtung ge‐ ▸ genüber H. Aufgabe 4-3 Überlegen Sie nun, inwiefern diese Regeln auch auf einen Befehl in einer MUD-Umgebung zutreffen. 4.2.3 Digitale Erweiterungen des Kommunikationsraums - (sprachlich) Freunde finden Wir haben u. a. an dem Beispiel aus der MUD-Umgebung gesehen, wie sprachliche Beschreibungen virtuelle Handlungen initiieren und Verände‐ rungen in der virtuellen Welt bewirken können. Soziale Netzwerke sind nun von virtuellen Spielumgebungen zu unter‐ scheiden. Sie sind z. B. nicht darauf angelegt, dass fiktionale Identitäten mit‐ einander interagieren. Die technischen Möglichkeiten der Interaktion kön‐ nen dennoch vergleichbar sein, etwa die Chatoberflächen. Dass Soziale Netzwerke jedoch eine digitale Erweiterung unseres Kommunikationsraum darstellen, ließ sich recht früh daran ablesen, dass Liebesbeziehungen ihren 4 Pragma-Internetlinguistik 174 Anfang zum Beispiel auf Facebook nahmen. Im folgenden Forumsbeitrag wird das beschrieben. (4-11) ich habe meinen jetzigen freund auch über Facebook kennengelernt! er hatte mich einfach so hinzugefügt, darauf hatte ich ihn angeschrieben, ob man sich denn kennt und so sind wir dann ins gespräch gekommen … dann halt getroffen und wie‘s dann halt so weitergeht Hihi liebe grüße (gofeminin, sharry994, 2011-03-24, 19: 52) Der kleine Erfahrungsbericht von sharry994 ist nur ein Beispiel von vielen, das zeigt, dass Handlungen, die - im Rahmen einer Sozialen-Netzwerk-Seite - vorgenommen werden, zu Veränderungen im konkreten sozialen Raum führen können. Es ist nun zu überlegen, inwieweit es sich bei diesen Hand‐ lungen, die an vorgegebene Funktionen gebunden sind, um Sprechakte han‐ delt. Zunächst einmal kann ein neuer Freund einer Freundesliste nicht ein‐ fach hinzugefügt werden (hier ist die obige Beschreibung (4-11) etwas zu kurz gefasst). Ein*e Facebook-Nutzer*in, der*die seiner Freundesliste eine neue Person hinzufügen will, sendet eine Freundschaftsanfrage. Darüber kann die betreffende Person abhängig von ihren Facebook-Einstellungen z. B. per E-Mail informiert werden, sie kann die Freundschaftsanfrage aber auch auf der Startseite sehen, z. B. kann unter der Rubrik „Freunde finden“ eingesehen werden, wer die Freundschaftsanfrage gestellt hat. Nun bedarf es einer ak‐ tiven Annahme dieser Freundschaftsanfrage, der*die Facebook-Nutzer*in hat nämlich die Wahl zwischen „Bestätigen“ und „nicht jetzt“. Mit der Bestäti‐ gung erhält er als neuer „Freund“ sofort Zugang zur Profilseite des*der An‐ fragenden (sofern diese*r seine Privatsphäre-Einstellungen so beschränkt hat, dass nur Freunde die Inhalte seiner/ ihrer Seite sehen können, anderen‐ falls hätte er*sie ohnehin Zugriff) und gehört zum digital etablierten Freun‐ deskreis desjenigen, der die Anfrage gestellt hat. Wird eine Anfrage abge‐ lehnt, erhält der*die Anfragende keine Mitteilung. Wenn er*sie die Seite der Person aufruft, die seine Freundschaftsanfrage abgelehnt hat, kann er*sie allein daran, dass er*sie wieder die Option hat, eine Freundschaftsanfrage zu senden, ablesen, dass die erste Freundschaftsanfrage abgelehnt worden ist. Betrachten wir nun die sprachlichen Komponenten Freundschaftsanfrage versenden und Bestätigen genauer. Beide sprachlichen Wendungen sind sehr verkürzt und lassen sich in etwa mit Ich möchte Dich in meine Freundesliste aufnehmen. Bist Du einverstanden? und Ja, ich möchte in Deine Freundesliste aufgenommen werden paraphrasieren. Dass es sich hierbei um expressive Sprechakte handelt, ist deutlich. Gleichzeitig enthält Freundschaftsanfrage versenden eine direktive Komponente, denn die Frage birgt natürlich die Aufforderung, auch zu antworten. Mit der Antwort Bestätigen werden nicht 4.2 Sprachhandlungsphänomene 175 nur zugrundeliegende Datenstrukturen verändert (die beispielsweise den Zugang zu persönlichen Daten des Anfragenden gewähren), sondern - wenn die Anfrage von einem Fremden kam, wie im Beispiel (4-11) geschildert, auch soziale Beziehungen, wenn auch in einem ersten Schritt nur über eine tech‐ nische Funktion. Der Sprechakt Bestätigen enthält also auch eine deklarative Komponente. Aufgabe 4-4 Nachdem das Web 2.0 seit einigen Jahren etabliert ist, verspüren meh‐ rere Nutzer den Impuls, ihre Freundeslisten aufzuräumen, d. h. Kon‐ takte zu löschen. Diskutieren Sie, unter welchen Bedingungen ein sol‐ cher Vorgang auch unter sprechakttheoretischen Aspekten interessant ist. Beziehen Sie das folgende Beispiel, einen Ausschnitt aus dem Forum der Seite chefkoch.de (2011-11-01), in Ihre Überlegungen ein. Zilles (19: 42): Hallo Ihr Lieben! Ringe nun schon so lange damit, in meiner Freundesliste mal aufzu‐ räumen und habe es bisher nur noch nicht gewagt, dies meinen noch gespeicherten Freunden mitzuteilen. Durch diesen Thread habe ich aber Mut bekommen und mir ein Herz gefasst und hoffe auch auf Verständnis von der nun von mir „gelösch‐ ten Freunden“. Bin ja nicht aus der Welt und wer mit mir persönlich schnacken will, schreibt mir einfach eine KM! Oder Ihr bekommt von mir ein Lebenszeichen! (Warnung) Hoffentlich trete ich jetzt nicht ins Fettnäpfchen mit meiner Entschei‐ dung! Liebe Grüße Mary Vanillestern (19: 46): Da nimmt sich jemand mächtig wichtig. Miguan (20: 07): „Ich bin hier draußen. K*tz.“ Prima … Sabine-HH (20: 13): Ähm Zilles, man hätte die ganze Aktion auch stillschweigend durchziehen bzw. den gelöschten Usern vorher mit‐ teilen können, warum man sie löscht. Aber diese öffentliche An‐ kündigung, dass Du jetzt eine Auswahl getroffen hast, hat einen Bei‐ geschmack, den nicht jeder nachvollziehen kann bzw. Spekulationen über die Intention (s. o.) provoziert. Gruß Sabine Clabauer (20: 13): und wer nie auf der Liste stand, und sich trotzdem sauwohl gefühlt hat, entgeht jetzt einem ruhmreichen Rausschmiss. Schade, DAS hätte ich gern erlebt man kann nicht alles haben seufz 4 Pragma-Internetlinguistik 176 Chefkochmampfi (20: 13): Hallo zusammen, es ist schon krass wenn, man sieht wie Freds vor 4 Jahren hier noch abliefen … und heute zum praktisch gleichen Thema … warum muss gleich scharf ge‐ schoßen werden? Und kann die Info nicht einfach akzeptieren? Hubert50 (20: 17): Den Thread hätte man anders formulieren müssen: Mein lieber Freund, Du hast sicher noch nicht gemerkt, dass ich Dich von meiner Freundesliste gestrichen habe. Aber damit Du weißt, dass Du mich mal kannst, habe ich einen Thread in der PE aufgemacht. So, und jetzt weißt Du es. Acedela (20: 30): Ich stand nie auf dieser Freundesliste und bin deshalb jetzt tief gekränkt Zilles (22: 10): Hallo! Da war wohl mein Thread um Verständnis zur Reduzierung meiner Freundesliste ein Tritt ins Fettnäpfchen. Sorry! Das ich Eurer Meinung nach nicht die richtigen Worte gefunden habe. Aber wer mich hier schon seit Jahren kennt, weiss, dass ich niemanden kränken wollte. Freundschaft bedeutet für mich eben nicht nur sehen zu können, wenn jemand nur eingeloggt ist. Vielen Dank, Chefkochmampfi Liebe Grüße Mary Wie oben erwähnt, ist eine explizit abgelehnte Freundschaftsanfrage nicht mit einer Mitteilung an den*die Anfragende*n verbunden. Allerdings darf auch gefragt werden, als wie adäquat jemand, der partout nicht in den vir‐ tuellen Freundeskreis der anfragenden Person aufgenommen werden will, eine Option wie „nicht jetzt“ erachtet. Letztlich muss diese gewählt werden. Gleichzeitig kann aber damit nicht ausgeschlossen werden, dass die Anfrage möglicherweise wieder gestellt wird. Die Anfrage kann also gemäß der ihm angebotenen Option nur „vorläufig“ abgelehnt werden. Weil es aber keine andere (eine endgültige) Möglichkeit gibt, wird diese gewählt. Uneindeutig dabei bleibt, ob er*sie möglicherweise noch einmal darüber nachdenkt oder ob der Entschluss, keine virtuelle Freundschaft mit der Person eingehen zu wollen, feststeht. Der*die Anfragende hat aufgrund der erneuten (techni‐ schen) Möglichkeit, eine Freundschaftsanfrage zu versenden, eine Schluss‐ folgerung zu ziehen. Die Meldung „Freundschaftsanfrage versendet“ wurde durch „Freundschaftsanfrage senden“ ersetzt, d. h. die angefragte Person hat die Anfrage gelesen, aber nicht angenommen. Obwohl dem*der Anfragenden diese Botschaft nicht direkt mitgeteilt wird, kann er*sie die Bedeutung von „Freundschaftsansage senden“ erschließen. Dazu benutzt er*sie u. a. Wissen über Freundschaftsanfrageprozesse bei Facebook. Dieses Wissen gehört zum Kontext der Kommunikation. Ein Höflichkeitselement, das die Absage in eine 4.2 Sprachhandlungsphänomene 177 Indirekte Sprechakte neue Option umwandelt, ist also sprichwörtlich vorprogrammiert. Paraphra‐ siert würde das also bedeuten, dass der Sprechakt Ich möchte nicht zu Deinem Freundeskreis gehören in Sende mir eine Freundschaftsanfrage umgewandelt wird. Für den*die Anfragende*n ergäbe das keinen Sinn. Ein Schlussfolge‐ rungsprozess führt dann zwar zu dem gleichen Schluss, wie bei der Rezeption eines Satzes wie Ich lehne Deine Freundschaftsanfrage ab, die Gefühle des*der Anfragenden werden aber mehr geschont. Wir haben es hier mit einem tech‐ nologisch automatisierten indirekten Sprechakt zu tun. Indirekte Sprechakte vermitteln Bedeutungen, die über das wortwörtlich Gesagte hinausgehen. Während ein direkter Sprechakt eine Übereinstim‐ mung von Form und Funktion aufweist (also S sagt das, was er*sie meint), gibt es diese Übereinstimmung bei indirekten Sprechakten nicht (also S sagt etwas, meint aber etwas anderes). „Funktion“ bezieht sich hier auf die Illo‐ kution des Sprechaktes. Searle (1982) unterscheidet für indirekte Sprechakte zwei Illokutionen: die primäre Illokution (das Gemeinte) und die sekundäre Illokution (das Gesagte). Aufgabe 4-5 Indirekte Sprechakte sind kein Sonderfall der Kommunikation, sie tre‐ ten sehr häufig auf. Überlegen Sie, wer in welcher Situation und mit welcher Motivation Informationen gern indirekt vermittelt. Betrachten wir dazu als Beispiel die Facebook-Statusmeldung in (4-12). Auf den ersten Blick handelt es sich hier um einen repräsentativen (assertiven) Sprechakt, nämlich die Feststellung, dass sich A und B an einem spezifischen Ort befinden. Wie die Reaktion von C allerdings zeigt, wird diese Feststellung nahezu automatisch umgedeutet. C versteht die Statusmeldung als Auffor‐ derung (oder Einladung), doch auch zu dem angegebenen Ort zu kommen und sich dazu zu gesellen, C arbeitet damit interpretativ den direktiven Sprechakt als primäre Illokution heraus. Die Feststellung ist also (nur) die sekundäre Illokution. (4-12) A ist mit B hier: Kaffee Mitte Gefällt mir_Kommentieren_vor etwa einer Stunde hier: [Ortsname] 4 Pragma-Internetlinguistik 178 Konversationale/ konversationelle Implikaturen C: Da kommen wir doch mal hingeradelt vor etwa einer Stunde via Handy_Gefällt mir (Facebook, dek, 2013-05-11) 4.3 Spurensuche in der Postingflut Oben beschriebene indirekte Sprechakte sind ein alltägliches Phänomen, wenn Menschen miteinander kommunizieren. Es ist daher nicht verwun‐ derlich, dass sie auch für das Forschungsgebiet der Internetlinguistik und spezifischer: der Pragma-Internetlinguistik von Belang sind. Im folgenden Abschnitt wollen wir nun darauf eingehen, wie Äußerungen, die vom Pro‐ duzenten (P) durch eine Art Spiel mit Illokutionen (siehe oben) maskiert wurden, vom Rezipienten (R) demaskiert werden. Das ist schließlich die Auf‐ gabe der Hörer*innen/ Leser*innen auf ihrer Spurensuche zum vollständigen Sinn einer Äußerung. 4.3.1 Verschlüsseltes Gemeintes, verschlüsseltes Relevantes Wie Schwarz-Friesel (2010: 12) schreibt, gehört es zu den „erstaunlichsten Fähigkeiten des menschlichen Geistes, aus einer sprachlichen Äußerung, die […] einen bestimmten Inhalt vermittelt, aber tatsächlich etwas ganz Anderes meint bzw. vermitteln will, dieses tatsächlich Gemeinte blitzschnell und ohne kognitive Anstrengung zu erschließen.“ C schließt in (4-12) „blitzschnell“, dass es sich bei der Statusmeldung um eine Aufforderung (oder Einladung) handeln muss. Dieser Schlussfolgerungsprozess lässt sich mit der Theorie der konversationalen (auch: konversationelle) Implikaturen von Grice (1975, 1989) sehr gut beschreiben. Paul Grice (*1913, †1988) war ein englischer Philosoph, der mit der Unterscheidung zwischen wörtlicher und gemeinter Bedeutung ent‐ scheidend zur Ausdifferenzierung semantischer und pragmatischer Theorien beigetragen hat. Während Searle zusätzliche, kontextgebundene Bedeutungen aus der Sicht der Sprecher*innen betrachtet, erklärt Grice den Verstehensprozess und nimmt damit die Hörer*innen-Perspektive ein. Ein weiterer Unterschied zwischen den Ansätzen von Searle und Grice besteht darin, dass Grice zu‐ sätzliche Bedeutungen nicht nur auf illokutionärer Ebene erfasst. Über kon‐ versationale (auch: pragmatische) Implikaturen lassen sich z. B. auch Bedeu‐ tungserweiterungen auf propositionaler Ebene erfassen. 4.3 Spurensuche in der Postingflut 179 Punkt 1: Konventionale Bedeutung „Eine konversationale Implikatur ist ein nicht explizit genannter, aber in einer bestimmten Situation potentiell zu erschließender Sinn der Äußerung.“ (Schwarz-Friesel 2 2013: 24 mit Bezug auf die Gricesche Theorie) Der Identifikationsprozess für konversationale Implikaturen involviert die folgenden Daten: ▸ die konventionale (also wörtliche) Bedeutung der verwendeten Wörter ▸ (im Folgenden „Punkt 1“) ▸ das Kooperationsprinzip und die Konversationsmaximen (im Folgen‐ ▸ den „Punkt 2“) ▸ den Ko- und Kontext einer Äußerung (im Folgenden „Punkt 3“) ▸▸ anderes Hintergrundwissen (im Folgenden „Punkt 4“) ▸▸ die Annahme, dass alles für das Verständnis der Implikatur Relevante ▸ beiden Kommunikationspartnern verfügbar ist (Grice 1975) (im Fol‐ genden „Punkt 5“) Wir werden uns nun die ersten drei Punkte genauer anschauen, Punkt 4 fließt in die Überlegungen zu Punkt 3 ein, Punkt 5 wird in den Ausführungen zu Punkt 2 berücksichtigt. Dass die zusätzliche Bedeutung einer Äußerung nicht rekonstruiert wer‐ den kann, wenn die Grundbedeutung/ die Ausdrucksbedeutung nicht erfasst worden ist, setzen wir hier als leicht nachvollziehbar voraus. Schauen wir uns an dieser Stelle den Unterschied zwischen konversationalen und kon‐ ventionalen Implikaturen an. Konventionale Implikaturen sind an die wört‐ liche Bedeutung gebunden, sie lassen sich nicht zurücknehmen (oder auch „streichen“ oder annulieren). Bei (4-13) handelt es sich um eine Äußerung der Bundeskanzlerin, Angela Merkel, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz anlässlich des Besuchs des ehemaligen amerikanischen Präsidenten, Barack Obama. Innerhalb weniger Minuten löste sie damit eine Flut an Tweets (#Neuland), einen sogenannten shitstorm, aus, die Äußerung avancierte zum Meme-Motiv. Ein Internet-Meme ist die humoristische/ sarkastische Reaktion der In‐ ternetgemeinde auf ein (mediales) Ereignis. (4-13) Das Internet ist für uns alle Neuland. Mögliche Implikaturen aus dieser Äußerung sind: 4 Pragma-Internetlinguistik 180 Punkt 2 a. Das Internet ist ein rechtsfreier Raum. (siehe Tweet von Regierungs‐ a. sprecher Steffen Seibert: Neuland-Diskussion: Worum es der Kanzlerin geht - Das Internet ist rechtspolitisches Neuland, das spüren wir im polit. Handeln täglich. Steffen Seibert @RegSprecher, Twitter, 2013-06-19, 8: 39) b. Die Überwachungsmaßnahmen durch die amerikanischen Geheim‐ b. dienste sind gerechtfertigt. c. Das Internet ist für jeden unerforschtes Gebiet. c. d. Es gibt ein Internet. d. Dabei lassen sich die Implikaturen d) und e) aus der Bedeutung des Satzes ableiten. Würde man versuchen, diese Bedeutungen zu streichen, entstände ein logischer Widerspruch: ? ? DAS INTERNET IST FÜR UNS ALLE NEU‐ LAND, ABER DAMIT WILL ICH NICHT SAGEN, DASS ES FÜR JEDEN UNERFORSCHTES GEBIET IST./ ? ? DAS INTERNET IST FÜR UNS ALLE NEULAND, ABER ES GIBT GAR KEIN INTERNET. Die Implikaturen a) und b) hingegen müssen durch einen aktiven Re‐ konstruktionsprozess erschlossen werden, sie sind streichbar (auch: annu‐ lierbar): DAS INTERNET IST FÜR UNS ALLE NEULAND, DAS BEDEU‐ TET ABER NICHT, DASS HIER KEINE GESETZE GELTEN./ DAS INTERNET IST FÜR UNS ALLE NEULAND, ABER DAS HEISST NICHT, DASS DIE AMERIKANISCHEN GEHEIMDIENSTE DESHALB GLEICH ALLE MENSCHEN UNTER GENERAL-VERDACHT STELLEN UND JE‐ DEN DATENAUSTAUSCH AUFZEICHNEN DÜRFEN. 4.3.2 Gricesche Maximen als Dekodierungshilfe Wenden wir uns nun der theoretischen Grundlage für den oben benannten und inzwischen bereits mehrfach erwähnten Rekonstruktionsbzw. Schluss‐ folgerungsprozess zur Identifikation von konversationalen Implikaturen zu, dem Kooperationsprinzip und den Konversationsmaximen. Das Kooperati‐ onsprinzip und die Maximen der Quantität, Qualität, Relevanz und Modalität sind nicht normativ zu verstehen, d. h. sie sind keine Regeln, die für die zwi‐ schenmenschliche Kommunikation vorgeschrieben sind. Vielmehr erfüllt die Beachtung dieser Maximen die ganz normale Erwartungshaltung in einer Kommunikationssituation. Wenn wir mit jemandem kommunizieren, halten wir uns unwillkürlich daran, weil wir verstanden werden wollen und auch selbst verstehen wollen, wir wollen uns verständigen. Ausnahmefälle sind z. B. Lügen, die nicht als solche enttarnt werden sollen. Jede angenommene Verletzung dieser Maximen deutet darauf hin, dass eine Äußerung uminterpretiert werden muss und die Identifizierung einer konversationalen Implikatur erwünscht ist. Stellt der*die Rezipient*in (R) also fest, dass der*die Produzent*in (P) einer Äußerung in einem dieser 4.3 Spurensuche in der Postingflut 181 Punkte von den Prinzipien abweicht, geht er*sie davon aus, dass er*sie etwas anderes verstehen soll als ihm*ihr expressis verbis vermittelt wurde. Kooperationsprinzip Der Beitrag zur Konversation soll genau so gestaltet sein, wie es an dem Punkt in der Konversation, an dem er erfolgt, erforderlich ist. Was er‐ forderlich ist, wird durch den Zweck oder die Richtung des Gesprächs, das gerade geführt wird, bestimmt. Maximen der Quantität 1. Der Gesprächsbeitrag sollte so informativ sein, wie es der gegen‐ 1. wärtige Konversationszweck verlangt. 2. Der Gesprächsbeitrag sollte nicht informativer sein, als es der ge‐ 2. genwärtige Konversationszweck verlangt. Maximen der Qualität Ein Gesprächsbeitrag sollte wahr sein. 1. Sage nichts, was Du für falsch hältst. 1. 2. Sage nichts, was Du nicht beweisen oder adäquat begründen kannst. 2. Maxime der Relevanz Sei relevant. Maximen der Modalität Drücke Dich klar aus. 1. Vermeide eine obskure (verschleiernde) Ausdrucksweise. 1. 2. Vermeide Doppeldeutigkeit. 2. 3. Fasse Dich kurz, vermeide unnötige Weitschweifigkeit. 3. 4. Erzähle die Dinge in der richtigen Reihenfolge. 4. Kehren wir zurück zu Beispiel (4-12) und vollziehen die einzelnen Schritte, die zur Identifikation der konversationalen Implikatur durch Freund C füh‐ ren, einmal en détail nach. Statusmeldung von A auf Facebook: „A und B sind hier: Kaffee Mitte“ Schritt 1: Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass A sich unkooperativ ver‐ hält oder die Konversationsmaximen verletzen will. Schritt 2: Anscheinend hat A mit der Statusmeldung die Maxime der Rele‐ vanz verletzt. Warum sollte es für 318 Freunde einer Freundesliste wichtig sein, wo A sich gerade mit B befindet? 4 Pragma-Internetlinguistik 182 Schritt 3: Anscheinend hat A mit der Statusmeldung die Maxime der Quan‐ tität verletzt. A macht lediglich eine Aussage (repräsentativer/ assertiver Sprechakt) über den Aufenthaltsort von A und B und sagt damit möglicher‐ weise zu wenig. Schritt 4: Anscheinend hat A mit der Statusmeldung auch die Maxime der Modalität verletzt, denn A formuliert den Zweck der Statusmeldung nicht klar und deutlich. Schritt 5: C und auch einige andere Freunde (auf der Freundesliste) treffen sich gelegentlich im „Kaffee Mitte“. Das Café ist nicht weit von Cs Wohnort entfernt. A weiß, dass C und auch einige andere Freunde (auf der Freundes‐ liste) wissen, dass das „Kaffee Mitte“ gemeinsamer Treffpunkt ist und dass es vom Wohnort einiger Freunde nicht weit entfernt ist. Schritt 6: C weiß, dass A das weiß. C geht davon aus, dass A das Koopera‐ tionsprinzip einhält. Die Statusmeldung wird für C relevant, wenn C davon ausgeht, dass A mehr sagen will als expressis verbis formuliert, nämlich Wer Zeit hat, darf sich zu uns gesellen/ Wir würden Euch gern hier treffen o. ä. Schritt 7: A weiß, dass C und andere Freunde (auf der Freundesliste) diese konversationale Implikatur herausarbeiten können und hindert niemanden daran, indem A beispielsweise die Implikatur durch eine Erweiterung der Statusmeldung wie Das heißt aber nicht, dass Ihr jetzt alle hier aufschlagen sollt streicht. Schritt 8: Also nimmt C an, dass A implikatieren wollte, dass A (und auch B) C (und andere) einladen (direktiver Sprechakt), sich zu ihnen zu gesellen. Aufgabe 4-6 Wie aber interpretiert jemand ( J) diese Statusmeldung, der zwar auch auf der Freundesliste von A steht, aber weder wie C in der Nähe des Cafés wohnt, noch oft die Gelegenheit hat, sich mit A offline zu treffen? Gehen wir davon aus, dass J A seit über zwei Jahren nicht gesehen hat. Wie würde J die Statusmeldung interpretieren? 4.3.3 Emotionale Chiffren: E-Implikaturen Für J erscheint die Statusmeldung ebenfalls zunächst irrelevant. Auch in sei‐ ner Auffassung scheinen die Maxime der Quantität und der Modalität ver‐ letzt. Schließlich kennt er das „Kaffee Mitte“ nicht. J hat jedoch keinen Grund anzunehmen, dass A das Kooperationsprinzip nicht einhält und sieht daher die Relevanz der Statusmeldung darin, dass A J trotz der räumlichen Entfer‐ 4.3 Spurensuche in der Postingflut 183 nung und der langen Zeit, die sich beide nicht offline gesehen haben, am Leben teilhaben lassen und den Kontakt aufrecht erhalten will. J interpretiert die assertive Statusmeldung also als expressiven Sprechakt, indem er eine sogenannte E-Implikatur zieht: ICH WILL MICH MIT DIR VERBUNDEN FÜHLEN. Diese wurden von Schwarz-Friesel (2010) in Abgrenzung zu I-Im‐ plikaturen (die sich aus der primären Illokution einer Äußerung ergeben) in die sprachwissenschaftliche Forschungsdiskussion eingebracht. E-Implikaturen sind emotionsbasierte Implikaturen, sie beziehen sich auf die emotionale Verfassung des Produzenten. Ein Rezipient zieht eine E-Implikatur um eine gemeinte expressive Bedeutung (die emotionale Einstellung des Produzenten zum Referenzbereich oder zum Hörer) zu erschließen (Schwarz-Friesel 2010: 18 f., Schwarz-Friesel 2 2013: 187 f.). Sprachliche Mittel, die zur Vermittlung emotionaler Bewertungen eingesetzt werden, sind beispielsweise Interjektionen (oh, ach, ih), affektive Adjektive (wütend, todtraurig, glücklich), Nomen (Neid, Glück, Trauer), Adverbien oder Verben (lieben, trauern, freuen), Modalpartikel (leider, glücklicherweise) oder spezifische grammatische Konstruktionen, wie Optativsätze und Exklama‐ tivsätze (siehe Schwarz-Friesel 2007 und 2 2013). Mit Optativsätzen werden Wünsche ausgedrückt. In der internetvermittelten Kommunikation gibt es weitere Indikatoren, die Rückschlüsse auf expressive Bedeutungen erlauben, z. B. Majuskeln in (4-14) oder Graphemwiederholungen in (4-15), die den auf sprachlicher Ebene rea‐ lisierten ÄRGER und die WUT auf typographischer Ebene und durch eine verfremdete Orthographie verstärken. Abgesehen davon werden Emotionen - wie oben gezeigt - in Inflektivkonstruktionen oder durch die Referenz auf die metasprachliche Ebene direkt thematisiert. (4-14) KRIEGT EUCH EIN, fühlt ihr euch stark weil ihr über andere IM INTERNET AB‐ LÄSTERT? ? ? ihr seid einfach zu feige einer person ehrlich und direkt gegenüber zu treten! ! Ich kenne ihn nicht und ich kenne euch nicht aber eure intelligenz reicht nicht mal an die eines melonenkerns. (Isharegossip, 2011-03-29, 19: 18: 27) (4-15) ihr stinkt alleeeeeeeeeeeee hahahahahahahah ! ! ! ! (Isharegossip, 2011-03-29, 17: 11: 26) 4 Pragma-Internetlinguistik 184 Emojis sind ein beliebtes Mittel, um u. a. expressive Bedeutungen auszudrü‐ cken. Ihre Vorgänger (und teilweise werden sie noch verwendet) sind Emo‐ ticons (das Lexem setzt sich zusammen aus emotion und icon; auch: Ideogr‐ amme oder Smileys, siehe Rosenbaum 1996) bilden verschiedene Gesichtsausdrücke (; o); : -D; : o( ) oder andere Symbole, wie Herzen (<3) oder Rosen (@>--- ), nach, indem Interpunktionszeichen auf eine spezifische Art und Weise angeordnet werden. Dass Emoticons um 90° gedreht gelesen werden müssen, spielt allenfalls noch in der E-Mail-Kommunikation eine Rolle, weil bestimmte Tastenkombinationen in vielen Umgebungen eine automatische Repräsentation als Piktogramm bewirken. So werden z. B. sogar in einfachen Textprogrammen die Kombination aus ‚: ‘ + ‚-‘ + ‚)‘ zu einem lachenden  oder ‚: ‘ + ‚-‘ + ‚(‘ zu einem weinenden . Emojis sind nun Bildzeichen (Piktogramme), ihr Name setzt sich zusam‐ men aus den japanischen Wörtern e für ,Bild‘ und moji für ,Buchstabe.‘ Emojis basieren auf der Unicode-Kodierung, dennoch werden sie nicht auf allen Endgeräten gleich angezeigt, was zu Missverständnissen führen kann, vor allem dann, wenn statt eines Emojis Fragezeichen angezeigt werden. In der Mehrzahl sind Emojis den Handlungen oder konkreten Referen‐ zobjekten, auf die Bezug genommen werden soll, so ähnlich, dass es Rezipi‐ enten in der Regel keine Schwierigkeiten mehr bereitet, ihre Bedeutung zu erfassen. Mit den im ostasiatischen Raum entstandenen Animotikons können gar komplexe Handlungen, wie weinen oder vor Freude hüpfen, dargestellt werden (siehe Trautsch/ Wu 2012: 56). Somit erübrigt sich auch die lang ver‐ breitete Annahme, dass nur, wer die „paraphrastischen Äquivalente“ dieser Zeichenkombinationen beherrscht, an der Internetkommunikation teilhaben könne. Beißwenger (2000: 98) merkt allerdings an, dass sich die Zahl der tatsächlich verwendeten Emoticons auf ungefähr zehn einpendelt. Aufgabe 4-7 Welche kommunikative Absicht verbinden Sie mit welchem Emoji? Erstellen Sie eine Liste mit 20 Beispielen. Emojis können verschiedene für die Bedeutung einer sprachlichen Äußerung relevante Funktionen haben, wie z. B.: Spezifizierung, Hervorhebung, Ab‐ schwächung (auch: Relativierung) auf propositionaler aber auch auf emo‐ tionaler Ebene. Ziehen wir zur Verdeutlichung einige Beispiele heran. (4-16) Martin hat mir heute eine Blume geschenkt. 4.3 Spurensuche in der Postingflut 185 Da der*die Produzent*in (P) der elektronischen Äußerung davon ausgehen kann, dass der*die Rezipient*in (R) weiß, wie eine Blume aussieht, scheint durch das Hinzufügen eines Piktogramms die Maxime der Quantität verletzt. P gibt scheinbar ein Zuviel an Informationen. R geht aber von der prinzipi‐ ellen Kooperationsbereitschaft von P aus, davon also, dass das Kooperati‐ onsprinzip eingehalten wird. R stellt fest, dass über das Piktogramm, das hier eine Rose zeigt, eine semantische Spezifizierung des Lexems Blume vorge‐ nommen wird (Blume steht in einer übergeordneten semantischen Relation zu Rose, Blume ist also das Hyperonym von Rose, siehe Schwarz-Chur 6 2014). R aktiviert nun Wissen über das Lexem Rose, insbesondere, dass die Rose als Zeichen, als Symbol für die Liebe fungiert. Dieses Wissen führt zu Rück‐ schlüssen über die emotionale Verfassung von P, wenn R weiß, welche Ein‐ stellung P zu Martin hat. Abhängig davon, ob P in einer positiven oder ne‐ gativen Beziehung zu Martin steht, zieht R die E-Implikatur, dass P glücklich (verliebt) oder peinlich berührt bis genervt ist. In jedem Fall wird der spezi‐ fischen Art der Blume durch die nachträgliche Spezifizierung über ein aus dem Schriftbild deutlich herausragendes Emoji eine besondere Bedeutung beigemessen. Es wird zudem ein kleiner Spannungsbogen aufgebaut. Emojis werden auch benutzt, um bereits versprachlichte Elemente oder Propositionen einer Äußerung schlicht hervorzuheben (4-17) und, wie in (4-18), eine emotionale Verfassung, die hier durch mies schon negativ eva‐ luiert wird, zu bekräftigen. (4-17) Martin hat mir heute eine Rose geschenkt. (4-18) Ich hatte heute einen miesen Tag. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass ökonomische Aspekte beim Einsatz von Emojis auch vorrangig sein können. So wird in (4-19) die Pro‐ position (sein, am Computer), die ebenso versprachlicht werden könnte, durch ein Emoji substituiert. Gleichfalls präsentiert sich P hier als besonders originell. (4-19) nachher: Interessanterweise werden Emojis aber auch eingesetzt, um den Wahrheitsge‐ halt einer Proposition umzukehren (4-20) oder eine Aussage (4-21) abzuschwä‐ chen. Die Äußerung in (4-20) erhält durch den Einsatz eines traurigen Smi‐ leys eine sarkastische Komponente. Das Lexem Super-Tag in Verbindung mit einem Ausrufungszeichen löst zunächst eine positive Stimmung bei R aus, die durch das Emoji jäh ins Gegenteil verkehrt wird und damit P und R auf eine gemeinsame negative Stimmungsebene manövriert. Hätte P beispielsweise 4 Pragma-Internetlinguistik 186 Sarkasmus geschrieben Ich hatte heute einen schlechten Tag wäre R in der Rezeptionssitu‐ ation nicht eine emotionale Schleife durchlaufen. Eine emphatische Reaktion wäre sicherlich ebenfalls garantiert gewesen (natürlich immer abhängig da‐ von, in welcher Beziehung P und R stehen), aber der Gefühlsumschwung, der das negative Gefühl nun potenziert, wäre ausgeblieben. (4-20) Das war heute ein Super-Tag! (4-21) Ich warne Dich, wenn Du mir morgen die Legofiguren nicht mitbringst, verlange ich Leihgebühren. In (4-21) bewirkt ein Emoji, ein Zwinker-Smiley, die graduelle Rücknahme einer explizit-performativen Warnung (Ich warne Dich). Wir sprechen hier von „graduell“, weil das nicht heißt, dass P die Rückforderung der Legofigu‐ ren zurücknimmt. Die Konsequenz, mit der R zu rechnen hat, wenn er*sie der Aufforderung, die Legofiguren am auf den Äußerungszeitpunkt folgen‐ den Tag zurückzugeben, nicht nachkommt, ist allerdings nicht ganz ernst gemeint. P ist gar nicht in der Position Leihgebühren zu verlangen, die Ein‐ leitungsbedingen für die Warnung/ Drohung sind gar nicht erfüllt. Es gibt keine gesetzliche Grundlage und auch keine vertraglichen Vereinbarungen zwischen P und R zur Nutzungsdauer der Legofiguren, durch die in Aussicht gestellte Forderung von Leihgebühren scheint die Maxime der Qualität ver‐ letzt. Der zwinkernde Smiley kann hier als Bestätigung dafür gesehen wer‐ den, dass P sich sehr wohl darüber bewusst ist. Dennoch besteht eine gewisse Dringlichkeit, die sich daraus ergibt, dass P überhaupt eine Konsequenz ver‐ sprachlicht hat und damit ein Zuviel an Informationen gibt (scheinbare Ver‐ letzung der Maxime der Quantität). Entsprechend können Emojis in der internetvermittelten Kommunikation also auch in der Funktion von Emotionsregulatoren eingesetzt werden. Sie dienen dazu, schriftlich fixierten Mitteilungen die Schärfe zu nehmen. Diese werden nämlich allein dadurch, dass sie schriftlich fixiert werden, nach wie vor anders wahrgenommen als mündliche Mitteilungen (vgl. zu den Spezifika von Mündlichkeit und Schriftlichkeit Kapitel 3.2.3). Um das bisher Gesagte zum Thema Implikaturen noch einmal zu rekapitu‐ lieren, eignet sich ein sarkastischer Sprechakt, der hier analog zu dem von Schwarz-Friesel (2010: 22 f.) vorgestellten Rekonstruktionsprozess eines iro‐ nischen Sprechakts analysiert werden soll. In einem Facebook-Post wird ein Link geteilt, der auf einen Artikel mit der Überschrift „Soja gibt es bald nur noch in gentechnisch manipulierter Form“ (erschienen auf www.deutsche-wirtschafts-nachrichten.de) verweist. Der Kommentar (4-22) dazu lautet: 4.3 Spurensuche in der Postingflut 187 (4-22) Supi! Party on - Diversität sucks! (Facebook, ctp, 2013-05-22) Gemeint ist damit das Gegenteil: DAS IST NICHT „SUPI“, KEINE „PARTY ON“, „DIVERSITÄT SUCKS“ NICHT. Damit liegt ein scheinbarer Verstoß ge‐ gen die Maxime der Qualität vor, der so offensichtlich ist, dass er leicht ent‐ tarnt werden kann. P simuliert also Unaufrichtigkeit nur und wählt damit einen eher umständlichen Weg Kritik daran zu üben, dass Gentechnik im brasilianischen Soja-Anbau einen immer größeren Stellenwert einnimmt. Wie ist zu erklären, dass hier eine völlig nachvollziehbare Kritik derart verklausuliert wird noch dazu in einer WWW-Umgebung, in der offene, ja sogar auch rüde (siehe dazu 4.5.3) Umgangsformen nicht ungewöhnlich sind? Der Grund dafür ist auf der Beziehungsebene zu suchen. Dabei geht es hier nicht um die Beziehung zwischen P und denjenigen, die die zunehmende Gentechnik im brasilianischen Soja-Anbau zu verantworten haben. Es geht auch nicht um die Beziehung zwischen P und den Journalist*innen von www.deutsche-wirtschafts-nachrichten.de, sondern um die Beziehung zwi‐ schen P und den Personen, die in Ps Freundesliste eingetragen sind und/ oder Zugriff auf von P geteilte Links haben. Diese Personen ziehen zwei Implikaturen, zum einen, dass mit dem Kom‐ mentar K (4-22) tatsächlich Nicht-K (also das ganze Gegenteil von K) gemeint ist, das betrifft die Maxime der Qualität. Damit ist der kommunikative Sinn der Äußerung noch nicht erschlossen. Selbst wenn P das Gemeinte explizit kommentiert hätte DAS IST NICHT „SUPI“, KEINE „PARTY ON“, „DIVER‐ SITÄT SUCKS“ NICHT wäre das ein scheinbarer Verstoß gegen die Maxime der Relevanz, denn - so fragen wir uns bei vielen Statusmeldungen - warum und für wen ist eine solche Statusmeldung zum Zeitpunkt der Beitragsver‐ öffentlichung relevant? Der Kreis potenzieller Rezipient*innen ist mindes‐ tens so groß, wie die Freundesliste. Darunter sind möglicherweise einige, die bereits über einen längeren Zeitraum in der Gen-Soja-Debatte mitdiskutie‐ ren. Für sie mag der Beitrag relevant sein. Bei allen anderen würde wiederum ein (zweiter) Implikaturen-Rekonst‐ ruktionsprozess ausgelöst. Der kommunikative Sinn des Kommentars lässt sich wie folgt umschreiben WACHT AUF! oder PROTESTIERT EBENFALLS! (jeweils Direktiv) oder ES GIBT EIN ERNSTHAFTES PROBLEM IM SOJA-ANBAU (Assertiv). Dieser kommunikative Sinn enthält sowohl kognitive als auch expressive Informationen. P ruft zum Protest auf, gleichzeitig wird seine*ihre emotio‐ nale Einstellung zur Sache qua E-Implikatur (ICH BIN WÜTEND/ BESORGT/ AUFGEBRACHT) kundgetan. Die I-Implikatur ist annullierbar: Ein groß an‐ gelegter Protest lohnt sich eh nicht./ Ob wir nun etwas auf Facebook posten oder nicht, wir haben sowieso keinen Einfluss auf die Sache. Hingegen ist es 4 Pragma-Internetlinguistik 188 kaum möglich, die E-Implikatur zu streichen: ? ? Das macht mich nicht wü‐ tend, ? ? Ich mache mir da überhaupt keine Sorgen. Soziale Netzwerke liefern uns unzählige Belege, die Implikaturen-Re‐ konstruktionsprozesse auf expressiver Ebene nahelegen. Dazu einige Bei‐ spiele: (4-23) Ist das ein Wetterchen. (mld, Facebook, 2013-05-05) (4-24) Also ich hätte sie auch gegessen (+ Bild von Erdbeertorte, die heruntergefallen ist) (Facebook, rgk, 2013-05-05) (4-25) Eigentlich wollt ich grad ins Bett …aber kein Problem mein Kind - spielen wir noch ne Runde! (Facebook, dek, 2013-02-13) (4-26) Das Bett ist 1,60m breit, das Kind 1,31m lang. Wenn ich mich ganz klein zusam‐ menrolle, passe ich vllt. in die freien 50cm2 am Fußende? (Twitter, anja @schreibmamsell, 2013-06-20) (4-27) Operation „Schlafzimmerzurückeroberung“: läuft (mld, Facebook, 2013-02-27) (4-28) Impressionen: Das Gegenteil von „Widersetzen“ ist „wieder setzen“. (Twitter, Reptil @SattesKrokodil, 2013-05-24) (4-29) 21: 21 (Facebook, ctp, 2013-03-18) (4-30) Und putzt euch gleich schön die Zähne. Sonst werden die faul und fallen aus. Es gibt zahnlose Beispiele dafür. (Twitter, Die grüne Fee @MeggSchicksi, 2013-05-24) (4-31) Couch liegen, Alf kucken - fühl mich grad wie 15 (Facebook, dek, 2011-09-01) Für jeden dieser Beiträge stellt sich die Frage, inwiefern er eigentlich relevant ist. Welchen kommunikativen Sinn hat es beispielsweise in (4-29), die Uhrzeit 4.3 Spurensuche in der Postingflut 189 zu posten? Was wollen die Produzent*innen in (4-28) und (4-30) mit den Sprachspielen bezwecken? Wieso lässt uns P in (4-25) an einem Zwiege‐ spräch mit seinem*ihrem Kind teilhaben? Oder warum könnte es in (4-24) für 318 zu einer Freundesliste gehörende Personen/ Facebook-Profile inter‐ essant sein, dass eine Erdbeertorte heruntergefallen ist und dass P „sie auch gegessen“ hätte? Hier werden teils überflüssige, weil offensichtliche Infor‐ mationen vermittelt, es handelt sich jeweils um scheinbare Verstöße gegen die Maxime der Relevanz. Da wir aber annehmen, dass sich jeder einzelne Produzent/ jede einzelne Produzentin kooperativ verhält, setzt ein Implikaturen-Rekonstruktionspro‐ zess bei uns ein. Dabei wird deutlich, dass alle Beiträge vor allem einen Zweck erfüllen: Sie dienen dazu den Kontakt zu Freund*innen (Facebook) und Fol‐ lower*innen (Twitter) aufrecht zu erhalten. Aus scheinbar irrelevanten Sta‐ tusmeldungen und Tweets sind also in vielen Fällen E-Implikaturen wie ICH WILL MEINE FREUND*INNEN/ FOLLOWER*INNEN AN MEINEM ALLTÄGLICHEN LEBEN TEILHABEN LASSEN, ICH DENKE AN SIE, ICH MÖCHTE MICH IHNEN NÄHER FÜHLEN, SIE SOLLEN SICH MIR NÄHER FÜHLEN zu ziehen. Die Produzent*innen dieser Beiträge nutzen die Plattform des Sozialen Netzwerks, um Gedanken (und auch Ge‐ fühle) auf effektive Art und Weise mit einer großen Menge von Personen zu teilen. Diese Menge überschneidet sich oftmals mit der Menge an Personen, die ohnehin spezifisches Hintergrundwissen haben, so z. B. dass P in (4-25) ein kleines Kind hat oder dass P mit seinem Beitrag (4-29) Verhalten in So‐ zialen Netzwerken persifliert und sich damit auf ein Gespräch bezieht, indem darüber kritisch reflektiert worden ist. Dieses Wissen ist nicht bei allen Re‐ zipient*innen vorauszusetzen. Es stellt sich nun die Frage, welches Wissen zum Ziehen der E-Implikaturen notwendig ist. Unterscheidet sich dieses Wissen von dem Wissen, dass zum Ziehen der I-Impikaturen notwendig ist? Bislang haben wir das Bedeutungswissen (Punkt 1) und das Wissen über das Kooperationsprinzip und die Konversationsmaximen (Punkt 2) genauer be‐ trachtet. Nach einer Denkanregung wenden wir uns im nächsten Abschnitt (Punkt 3) dem Wissen über Ko- und Kontext zu, das ebenfalls essentiell für die Rekonstruktion von Bedeutungen ist, die über das wörtlich Gesagte hin‐ ausgehen. Aufgabe 4-8 Sie haben nun E-Implikaturen kennengelernt und gesehen, dass sie nicht nur in expressiven Sprechakten vorkommen. Wie beurteilen Sie demnach die theoretische Abgrenzung von Expressiva von allen an‐ deren illokutionären Sprechakttypen? 4 Pragma-Internetlinguistik 190 Punkt 3 Lasswell-Formel 4.4 Das Netz als Kontextkonstituente In allen Abschnitten dieses Kapitels wurde immer wieder auf die besondere Rolle des Kontextwissens für das Verstehen von Äußerungsbedeutungen verwiesen. Ziel dieses Abschnitts ist es nun, die Faktoren zu bestimmen, die den Kontext für die internetvermittelte Kommunikation bestimmen. In der pragmatischen Fachliteratur gibt es enge und weite Kontextdefinitionen. Le‐ vinson ( 3 2000: IX) beispielsweise erachtet die Parameter Identität, Rolle und Platzierung der Gesprächsteilnehmer*innen, Annahmen darüber, was die Teilnehmer*innen wissen oder voraussetzen, oder die Platzierung einer Äu‐ ßerung innerhalb einer Sequenz von Redebeiträgen als konstitutiv für eine Bestimmung des Kontexts. Weiterhin als wichtig erachten wir, dass in an‐ deren Ansätzen die unmittelbare sprachliche Umgebung als Kotext klassifi‐ ziert und von anderen Kontextfaktoren abgegrenzt wird. Ein für die inter‐ netvermittelte Kommunikation überaus wichtiges Kontext-Kriterium ist natürlich das Übertragungsmedium mit seinen spezifischen Eigenschaften und das Wissen darüber. Als Faustregel für kontextrelevante Aspekte bietet sich die Lasswell-For‐ mel an, die urprünglich zur Beschreibung massenmedialer Kommunikation herangezogen wurde: Who says what in which channel to whom with what effect? (Lasswell 1948). Sie sollte um die Aspekte Zeit, Ort und Motivation/ Grund des Gesprächs folgendermaßen erweitert werden, um die von And‐ routsopoulos (2004) für die Medienlinguistik erweiterte Komponente der Formel „in which code“ näher bestimmen zu können: Wer sagt was zu wem, wann, wo, über welchen Kanal und warum? Ausgehend davon, dass das „was“ die zu entschlüsselnde Botschaft, die Äu‐ ßerung ist, lassen sich aus den weiteren Konstituenten der Formel Parameter ableiten, die den Kontext näher bestimmen: ▸ Kenntnis des Mediums (Kanal) ▸ Welcher Kommunikationskanal wird genutzt und wie wirken sich dessen Eigenschaften auf die mögliche Interpretation einer Äußerung aus? (siehe auch Lyons 1977, 1982 und Bußmann 4 2008). ▸ Äußerungssituation (wann, wo) ▸ Wann wird etwas gesagt? Wo wird etwas gesagt? ▸ Beziehung zwischen Sprecher und Hörer (wer zu wem, warum) ▸ In welcher sozialen Beziehung stehen die Gesprächspartner zueinan‐ der? Welchen Status vertreten sie, welche Rollen nehmen sie in der konkreten Gesprächssitutation ein? 4.4 Das Netz als Kontextkonstituente 191 Allgemeines Räumliche Aspekte Welche Vorannahmen können gegenseitig vorausgesetzt werden? Welchen Zweck verfolgt der Sprecher mit der Äußerung? ▸ Kognitionsinhärente Aspekte ▸ Inwiefern wird der Verstehensprozess auch von Schemata beeinflusst, die in unserem Gedächtnis gespeichert sind? Schauen wir uns diese Parameter einmal im Hinblick auf die internetver‐ mittelte Kommunikation an. 4.4.1 Nah und fern, privat öffentlich und alles parallel: Der mediale Kontext und die Äußerungssituation Die Informationstechnologie des Internets bietet den Übertragungsweg für die Kommunikationsbeiträge im WWW. Damit ist das Medium bereits fest‐ gelegt und eine statische Größe in der Konstellation aller Kontextfaktoren. Kommunikationsbeiträge werden mit Hilfe eines internetfähigen Endgeräts produziert - unter Benutzung einer Tastatur verschriftlicht, mit Blick auf einen Bildschirm (ungeachtet dessen, ob ein PC, ein Laptop, ein Tablet oder ein Smartphone benutzt werden). Der*die Rezipient*in empfängt die Nach‐ richten ebenfalls an einem internetfähigen Endgerät an einem Bildschirm. P und R befinden sich also nicht in einer Face-to-Face-Gesprächssituation. Die Kommunikation ist unabhängig von der Schallübertragung, damit können spezifische sprechsprachliche Signale, wie Intonation und Prosodie, nicht übermittelt werden und scheiden als Indikatoren für die Bedeutungserschlie‐ ßung aus. (Video-)phonie wird hier aus der Betrachtung ausgeklammert. Aufgabe 4-9 Das Merkmal der schriftlichen Fixierung in Bezug auf computerver‐ mittelte Kommunikation kann zu besonderen Anforderungen in der Kommunikationssituation führen. Inwiefern? Begründen Sie Ihre Überlegungen. Es ist nicht obligatorisch für die internetvermittelte Kommunikation, dass sich P und R in räumlicher Distanz voneinander befinden, da durchaus Situationen vorstellbar sind, in denen beispielsweise Arbeitskolleg*innen, die gemeinsam in einem Großraumbüro tätig sind, das Web 2.0 als Kommunikationsraum nutzen. Analog zur Enträumlichung des Telefons durch Einführung des Mo‐ biltelefons ist dank WLAN auch die Umgebung, in der Web 2.0-Kommunikate produziert und rezipiert werden, nicht mehr gebunden. Noch vor wenigen Jahren war allein dadurch, dass die Möglichkeiten, Zu‐ gang zum Internet zu erhalten, limitiert waren, klar, wo und oftmals auch 4 Pragma-Internetlinguistik 192 Interaktivität Multitasking wann Kommunikationspartner*innen E-Mails abfragen oder an einem Chat teilnehmen konnten. Inzwischen können Ortungsdienste des Smartphones den Aufenthaltsort zum Äußerungszeitpunkt offenlegen, allerdings muss diese Funktion nicht aktiviert werden. Ein Nebeneffekt der technischen Enträumlichung ist, dass Personen zu Beginn ihrer Kommunikation oftmals thematisieren, wo sie sich zum mo‐ mentanen Zeitpunkt befinden oder den Aufenthaltsort des Gegenübers ab‐ fragen. Offenbar birgt diese Information für die Gestaltung und den Verlauf der Kommunikation relevante Aspekte. Ein plötzlicher Abbruch eines Nach‐ richtenwechsels ist beispielsweise leichter einzuordnen, wenn bekannt ist, dass sich beide Kommunikationspartner*innen jeweils an ihrem Arbeitsplatz oder im Zug befinden. Insofern ist auch das Stichwort der Interaktivität, die bekanntlich jeden zwischenmenschlichen Informationsaustausch kennzeichnet, etwas weiter zu fassen. Während in der Face-to-Face-Interaktion die Reaktion auf eine Botschaft im Normalfall unmittelbar erfolgt, ist das für internetvermittelte Kommunikation nicht zwingend so. Diese kann quasi-synchron (zeitgleich, wie z. B. in der Chat-Kommunikation) oder asynchron (zeitversetzt) erfolgen. Per E-Mail versendete Botschaften beispielsweise müssen nicht unmittelbar rezipiert und beantwortet werden, ebenso verhält es sich mit persönlichen Nachrichten oder Statusmeldungen, die innerhalb eines Sozialen Netzwerks verschickt werden. Selbst Meldungen, die über WhatsApp oder iMessenger gesendet werden, sind kein Garant für eine synchrone Kommunikation. Ab‐ hängig davon, wann und in welcher Situation sich die Empfänger*innen be‐ finden, kann jedoch der synchrone Austausch von Gesprächsbeiträgen auch über diese Kanäle entstehen (selbst bei der E-Mail). Interessant ist, dass sich abhängig von den verschiedenen Übertragungsmodi und Formen auch ver‐ schiedene Erwartungshaltungen an Kommunikationsformen herauskristal‐ lisieren, die zudem noch durch individuelle Faktoren beeinflusst werden. Aufgabe 4-10 Wann erwarten Sie sofort eine Antwort? Wenn Sie eine WhatsApp schreiben? Wenn Sie über Instagram, Jodel oder Snapchat kommuni‐ zieren? Wenn Sie eine E-Mail schreiben? Anwendungen wie Whatsapp zeigen mittlerweile Nachrichten als „gelesen“ an. Überlegen Sie, wie sich diese Funktion auf die Erwartungshaltung des Produzenten/ der Produzentin der Nachricht auswirkt. Betrachtet man die Gewohnheiten, die sich im Umgang mit dem WWW eta‐ blieren, liegt die Vermutung nahe, dass eine soeben versendete Nachricht 4.4 Das Netz als Kontextkonstituente 193 auch schnell aus dem Fokus geraten kann und erst dann wieder relevant wird, wenn eine Antwort kommt. Gerade Heranwachsende und Jugendliche haben sich die Fähigkeit angeeignet, diverse mediale Tätigkeiten parallel auszu‐ führen. Sie hören Musik, chatten, verschicken Botschaften über das Smart‐ phone, recherchieren für die Hausaufgaben, posten eine Insta-Story und ver‐ folgen Let’s Play-Videos auf YouTube - alles mehr oder weniger gleichzeitig. Dabei müssen sie in einem ständigen Wechselspiel relevante Informatio‐ nen suchen und irrelevante Informationen verwerfen, was mit einem erhöh‐ ten kognitiven Aufwand verbunden ist (Baron 2008a, 2008b). Denkbar ist, dass dieser nicht ohne weiteres zu leisten ist und sich deshalb die Art und Weise, wie Informationen verarbeitet und gespeichert werden, modifiziert und damit auch eine Umorganisation und veränderte Funktionsweise unse‐ res Gehirns bewirkt (Yus 2008, Salvucci/ Taatgen 2011, Carr 2010a, b, 2013). Es könnte also sein, dass Internetnutzer*innen, die ihre Aufmerksamkeit auf viele verschiedene Stimuli verteilen, um eine große Menge an Informa‐ tionen gleichzeitig zu verarbeiten, eine Abneigung den Quellen gegenüber entwickeln, die nicht mit einer sofortigen Belohnung aufwarten oder deren Relevanz erst verzögert offenbart wird, wie z. B. in einem Roman (Yus 2011: 12). Diesen Wandel machen sich Personen bewusst, die die Entwicklung des Internets mitverfolgen und auch Veränderungen an sich selbst wahrnehmen konnten, wie es beispielsweise Carr (2010a, b) lebhaft beschreibt. Sie versu‐ chen einerseits Schritt zu halten und andererseits dem Sog des Internets zu widerstehen. Konzentrationsstörungen oder Aufmerksamkeitsdefizite einzig auf den neuen Mediennutzungsgewohnheiten zu schieben, ist jedoch zu ein‐ seitig. Auch wer Verrohung beklagt, dabei Heranwachsende im Blick hat und Internetkommunikation als Ursache identifiziert, macht es sich viel zu ein‐ fach. So zeigt sich z. B. an Impulsgeber*innen der FridaysForFuture-Initiati‐ ven, dass Jugendliche in den Fokus von Hass und Hetze, die von Erwachsenen ausgehen, geraten. Festzuhalten bleibt, dass Internetkommunikation natür‐ lich im Rahmen der technischen Affordanzen und Restriktionen (siehe auch Kap. 2.4.3) der jeweiligen Plattformen gedacht werden muss, die den bedeu‐ tungsspezifizierenden Kontext von Äußerungen maßgeblich mitbestimmen. Aufgabe 4-11 Tragen Sie die Standpunkte der Kommentartoren zur folgenden Tat‐ ort-Statusmeldung in Bezug auf das Multitasking zusammen. Fans von Oliver Mommsen aufgepasst! Am Sonntag chattet er parallel zum „Tatort: Er wird töten“ mit Euch! Seid dabei - um 20 Uhr geht‘s los: www.tatort.de 28Gefällt mir · · Teilen · · 416 Personen gefällt das. 4 Pragma-Internetlinguistik 194 A: So Schmeckt Berlin wie kann man denn parallel zum tatort chatten (oder was auch immer) wollen? ! B: […] kannst ja fragen wer der Mörder ist C: […] Das mach ich nur, wenn der Tatort schlecht ist und ich laestern muss. D: […] wenn das wieder ne wiederholung sein sollte geht das doch. E: […]Und wer ermittelt dann? Kapier‘ ich nicht F: eigentlich ne gute Idee, aber ich bin echt zu analog dafür. tatort wird auf dem TV geschaut und daneben habe ich bestimmt keinen Laptop oder pad im Einsatz, um zu chatten. Könnte er ja danach machen, oder wäre das zu old school? G: […] Ach, ich dachte immer Tatort sei live … nehmt mir doch nicht meine Illusionen H: Also irgendwann is ja mal schluss mit dem multitask-gedöns ! Dem‐ nächst chattet man in der oper mit dem intendanten/ choreographen nach backstage oder was ? Kann sich eigentlich noch ein mensch auf dieser welt auf eine einzige sache konzentrieren und damit zufrieden sein, sie einfach nur zu geniessen ? ? ? ? I: Parallel zum Tatort chatten - eine perfekte Nebenbeschäftigung für konzentrationslose Dauerhandyherumtüddler …wer das macht, ist doof. - Naja, wenn der Tatort aus dem Saarland kommt, dann kann man das evt ruhig machen. Dabei muss man aber auch nicht schauen … J: Immer dieser neumodische Blödsinn. Wenn ich Tatort gucken will, will ich Tatort gucken - und nicht tschätten. K: Genau! ! ! Dislike chatten während man Tatort schauen möchte! Soll das heißen, dass der Tatort an sich nicht interessant genug ist, um sich ihm ganz zu widmen? L: ? ? ? ? ? ok …. dann kann der Streifen ja nicht so toll sein, wenn man nebenher chatten kann M: Hm, nette Idee. Aber ich guck mir den Stedefreund lieber in Ruhe an (Facebook, Tatort, 2013-06-07, 16: 09-16: 45) In der computervermittelten Kommunikation verschränken sich die Ebenen kommunkativer Räume. Zu der strengen und etablierten Dichotomie zwi‐ schen Öffentlichkeit und Privatheit, die bislang für unsere Kommunikation relevant war, gesellt sich ein dritter kommunikativer Raum, die Semi-Öf‐ fentlichkeit. Die Kontrolle darüber, welche Informationen, in welchem dieser Räume präsentiert wird, ist im WWW nahezu unmöglich. Insbesondere seitdem das 4.4 Das Netz als Kontextkonstituente 195 Web 2.0 als adäquate Kommunikationsebene akzeptiert worden ist, werden auch private (und sensible) Daten für andere einsehbar verhandelt. Der Mehrgewinn, gleichzeitig mit mehreren Personen effizient kommunizieren zu können, tritt hinter das Misstrauen in das Medium und die bange Frage zurück: Wer - abgesehen von Geheimdiensten - kann das eigentlich noch alles mitlesen? Gerade in Sozialen Netzwerken ist Privatheit nur über persönliche Nach‐ richten möglich, Statusmeldungen sind allen „Freunden“ dann zugänglich, wenn man durch entsprechende Privatsphäre-Einstellungen verhindert, dass weitere Personen Zugriff auf das eigene Profil haben. Betrachtet man jedoch die durchschnittliche Anzahl der in Freundeslisten eingetragenen Personen, wird schnell deutlich, dass sich hier eine kleine, eine Semi-Öffentlichkeit, formiert. Noch vor einigen Jahren spielte die Anzahl der Facebook-Freunde gerade unter Jugendlichen eine maßgebliche Rolle für die Anerkennung in‐ nerhalb der Peer-Group. Der erweiterte soziale Interaktionsraum hat sich inzwischen von Facebook auf andere Sozialen Netzwerke verlagert, u. a. In‐ stagram (das zu Facebook gehört), Snapchat oder Jodel, eine App, über die im Umkreis von zehn Kilometern anonym gechattet werden kann. Relevante Größen dürften sich inzwischen auf Abonnent*innen-Zahlen und Follo‐ wer*innen beziehen. Damit wird also der kommunikative Raum oftmals auch für Personen zugänglich, die gar nicht zum unmittelbaren Freundes- und Bekanntenkreis vom Inhaber eines Profils gehören, und wird entsprechend gestaltet. Aber nicht nur im Sozialen Netzwerk ist der Adressat*innenkreis (oder der Kreis der Personen, die Zugang zur eigenen Online-Aktivität haben) un‐ übersichtlich. Auch an einen spezifischen Adressaten gerichtete E-Mails können cc oder bcc an weitere Personen gesendet werden. Je nachdem wel‐ chen Inhalt eine solche E-Mail hat, muss diese Verbreitung nicht unbedingt im Interesse des Empfängers/ der Empfängerin sein. Besonders deutlich wird das am Beispiel von Cybermobbing (Marx 2017). Aufgabe 4-12 Ordnen Sie den Feldern im unten stehenden Schema die folgenden Ty‐ pen der computervermittelten Kommunikation zu: MUD, Twitter, Facebook, Instagram, WhatsApp, E-Mail, Chat, Blogs, Newsgroups, Kommentare. Fallen Ihnen weitere Typen ein? 4 Pragma-Internetlinguistik 196 Abb. 4-1: Aufgabenfeld für die Aufgabe 4-12 Beim Lösen von Aufgabe 4-12 haben Sie sicherlich festgestellt, dass die Web 2.0-Kommunikation vorwiegend mehrere Kommunikationsteilneh‐ mer*innen involviert (siehe dazu auch Kapitel 2). Daraus ergeben sich Fragen, die das Kommunikationsverhalten der im Web 2.0 Agierenden betreffen. ▸ Sind sie sich darüber bewusst, dass sich ihre Kommunikation an viele ▸ richtet? ▸ Hat das - wir haben es oben schon angedeutet - Auswirkungen auf ▸ ihre Art zu kommunizieren? Verändert sich die Kommunikation ins‐ gesamt? ▸ Gibt es noch private Themen? ▸ Betrachtet man Statusmeldungen wie (4-32) ist man geneigt, gerade die letzte Frage zu verneinen. Hier wird eine eindeutig private Botschaft als Status‐ meldung auf dem Facebook-Profil veröffentlicht, so dass in dem Fall 366 Freunde als potenzielle Leser*innen in Frage kommen. (4-32) A > B Weiß nicht was ich ohne Dich machen würde Gefällt mir_Kommentieren_Freitag um 22: 03 in der Nähe von [Ortsname] B und 32 anderen gefällt das. B: I u Freitag um 22: 20 via Handy_Gefällt mir (5) [A und vier andere] (Facebook, mld, 2013-05-10) Der kommunikative Sinn dieser Äußerung geht also über die Bekundung der gegenseitigen Zuneigung hinaus und bezieht weitere Rezipient*innen mit ein, die die tiefe emotionale Verbindung, die A und B füreinander fühlen, bezeugen können sollen. A nutzt damit das durch das Soziale Netzwerk zur Verfügung gestellte Forum einer (Semi-)Öffentlichkeit, die er in der Face-to- 4.4 Das Netz als Kontextkonstituente 197 Face-Interaktion so nur mit erheblichem Aufwand hätte herstellen können. Nicht nur das Publikum hätte mühsam herbeigeführt werden müssen, es hätte auch einer kommunikativen Einbindung, z. B. den Rahmen einer Rede, bedurft. Der Aufregung, die mit dem Sprechen vor einer großen Menge von Personen noch dazu zu einem so persönlichen Thema verbunden ist, entgeht A, indem er seine Äußerung digital kommuniziert. Im vorliegenden Fall re‐ agieren nur die Personen, denen die Statusmeldung „gefällt“. Das „Sprechen“ über Gefühle kann also erleichtert werden. Beispiel (4-33) zeigt, wie bewusst Nutzer*innen mit der durch das Soziale Netzwerk kreierten Öffentlichkeit umgehen. Sie verhandeln hier darüber, wie die Diskussion zu einem nicht-öffentlichkeitstauglichen Thema (der grüne Brief) auf anderen Kanälen weitergeführt werden kann. So schlägt B ein Telefonat vor und C kündigt eine „pn“, eine persönliche Nachricht, an, die nur A und C lesen können. (4-33) A: Der grüne Brief ist da … jetzt wird es ernst. [21 Kommentare] A: ansonsten, ahbt ihr schon eine idee, was ihr machen werdet? ? ? und inka, bin ja da völlig unbedarft. wie machst du das denn mit dem anwalt? ? bist du in einer rechtschutz? ? ? ? welchen hast du denn? ? ? grüße B: Annette ….Ruf mich an, hast Post C: Alles nur mit Rechtsschutz! ! Ich Schick dir mal ne pn: ) (Facebook, att, 2013-05-18) In (4-34) geht dem expliziten Verweis von P ein Rätselraten über einen avi‐ sierten Wechsel der Stelle voraus: (4-34) P: Stopp! Und wenn, dann verkünde ich das bestimmt nicht über Facebook! (Facebook, arn, 2016-03-12) 4.4.2 Ich kenne dich und ich kenne dich nicht: Zur Beziehung zwischen den Kommunikationsteilnehmer*innen Es gibt vielgestaltige Konstellationen, wie sich die Beziehung zwischen Pro‐ duzent*innen und Rezipient*innen im Rahmen einer internetbasierten Kom‐ munikation gestalten kann. ▸ Produzent*in (P) und Rezipient*in (R) kennen sich; ▸ a. P und R sind miteinander befreundet; a. b. P und R stehen einander relativ neutral gegenüber; b. c. P und R können sich nicht leiden; c. 4 Pragma-Internetlinguistik 198 Vertrautheit Anonymität ▸ P und R sind sich noch nie Face-to-Face begegnet; ▸ a. P und R sind miteinander befreundet; a. b. P und R stehen einander relativ neutral gegenüber; b. c. P und R können sich nicht leiden. c. Sind P und R einander schon Face-to-Face begegnet oder gar befreundet, nutzen sie das Web als Erweiterung ihres gemeinsamen sozialen Raumes. Somit ist die Kommunikation im Web kein exklusiver Weg des Informati‐ onsaustausches zwischen den Kommunikationspartner*innen, sondern wird neben Telefon oder Face-to-Face-Gespräch eingesetzt. Oftmals etablieren sich spezifische Routinen zum Gebrauch des einen oder anderen Kommuni‐ kationskanals, die sowohl situationsals auch themenabhängig sein können. Personen, die lange keinen Kontakt zu einer bestimmten Person gehabt ha‐ ben, wählen gern auch den Weg über das Soziale Netzwerk, um sich wieder ins Gedächtnis zu rufen. Dafür steht ihnen auf der vergleichsweise langsa‐ men und auf soziale Archivierung ausgerichteten Plattform Facebook sogar eine Funktion, das „Anstupsen“ zur Verfügung. Auch für den ersten inhalt‐ lichen Austausch nach langer Zeit werden durchaus Soziale Medien genutzt. Auf diese Weise werden beispielsweise unangenehme Momente, die ein spontaner Anruf nach langer Zeit und womöglich zu einem ungünstigen Zeitpunkt auslösen kann, vermieden. Auch Personen, die in regem Kontakt miteinander stehen, haben gewisse Ordnungsstrategien im Umgang mit unterschiedlichen Kommunikations‐ plattformen. Die einen posten beispielsweise ausschließlich politische In‐ halte auf Facebook und organisieren ihren privaten Austausch über E-Mails, den geschützten Nachrichtenbereich eines Sozialen Netzwerks oder eben Face-to-Face. Andere nutzen Soziale Medien eher privat, um alle Freunde/ Freundinnen (oder Bekannten) effizient zu erreichen. Absprachen zu Treffen können dann im Nachgang - beispielsweise mit dem Einstellen von Fotos - in Erinnerung gehalten werden. Damit sind Soziale Medien Instrumente für Alltagskommunikation, politische Kommunikation, gesellschaftliche Debat‐ ten und soziales sowie diskursives Gedächtnis gleichermaßen. Aufgabe 4-13 Zählen Sie Voraber auch Nachteile computervermittelter Kommuni‐ kation zwischen Personen auf, die in einer privaten Beziehung zuein‐ ander stehen. Seitdem sich das Web 2.0 etabliert hat, scheint ein vorher unweigerlich mit der internetvermittelten Kommunikation verbundenes Merkmal in den Hin‐ tergrund zu rücken - die Anonymität. Dieses Merkmal vereint wiederum 4.4 Das Netz als Kontextkonstituente 199 mehrere Komponenten. Zum einen bezieht es sich darauf, dass Urheber*in‐ nen von Kommunikationsbeiträgen nicht zwangsläufig identifiziert werden können, d. h. dass bürgerliche Identitäten durch die Nutzung von Nicknames verschleiert werden (sollen) (vgl. hierzu Kapitel 1.3.1). Das kann Zurückhal‐ tung und Vorsicht bei den Kommunikationspartner*innen auslösen, die die Vertrauenswürdigkeit des Gegenübers zunächst bewerten müssen. Zum an‐ deren wird Anonymität oft mit Einsamkeit assoziiert, die auch dadurch ent‐ stehen kann, dass sich durch die Kommunikation mit permanent „getarnten“ Gesprächspartner*innen keine Vertrauensbasis aufbauen kann. Es führt zu Verunsicherung und schließlich zum Abbruch des Kontakts, wenn Personen nicht irgendwann ihre Identität preisgeben oder diese zudem noch ständig wechseln, und das betrifft nicht nur den spielerischen Umgang mit Identitä‐ ten in Spiel-Umgebungen. Aufgabe 4-14 Andererseits ist die sogenannte „Depersonalisierung“ laut Chenault (1998) auch eine Voraussetzung für den besonders persönlichen Aus‐ tausch. Inwiefern kann man auch dieser Beobachtung zustimmen? 4.4.3 Kognitionsinhärente Merkmale oder: Wie das Internet unser Denken prägt Lesen wir ein Wort, eine Phrase oder einen Satz im WWW, helfen uns auch die sogenannten kognitionsinhärenten Kontextmerkmale im Verstehenspro‐ zess. Hierbei handelt es sich um Schemata, die im Langzeitgedächtnis kom‐ plexe Szenarien und ihre Konstituenten repräsentieren. „Schemata stellen komplexe Wissensstrukturen dar, welche die Erfah‐ rungen repräsentieren, die ein Mensch im Laufe seines Lebens macht.“ (Schwarz 32008: 116 f.) Dank der Innovationen auf dem Telekommunikationsmarkt haben Personen eine Vielzahl an Schemata zu neuen Kommunikationsformen etabliert. Ty‐ pischerweise gehören die folgenden Konstitutenten zum FAC E BOOK -Schema: FACE BOOK - P R O FIL ANLE G EN , P RIVAT S PHÄR E - EIN S TELLUNG EN VO RNEHMEN , MIT B EKANNTEN UND F R EUNDEN VE RNETZEN , S TATU SMELDUNG EN F O RMULIE R EN , P E R ‐ SÖNLICHE DATEN AKTUALI S IE R EN , BILDE R EIN S TELLEN , EINGAB EN ÜB E R EINE TAS ‐ TATUR AN EINEM INTE RNETFÄHIG EN ENDG E RÄT TÄTIG EN , ONLINE S EIN usw. 4 Pragma-Internetlinguistik 200 Vergleichbare Schemata gibt es natürlich für den Umgang mit Twitter oder Instagram. Über rein funktionale Komponenten hinaus, werden die Schemata auch inhaltlich ausdifferenziert, wie z. B. in (4-35). (4-35) Klar auf Instagram haben sie das schönere Essen und die größeren Muskeln. Aber hier auf Twitter lachen wir gemeinsam, drücken einander die Daumen und ärgern uns mit, wenn mal was daneben geht. Und das ist mir irgendwie wichtiger. (Twitter, @deinTherapeut, 2018-06-23) Laut Schwarz (1992: 124) zählen Faktoren dieser Art zu den „permanenten Kontextfaktoren“. Während sich also die unmittelbare Umgebung für eine sprachliche Äußerung ändert, stellen die Wissenseinheiten (Schemata) z. B. zu den verschiedenen Verwendungsweisen des WWW (Kommunikations‐ raum, Recherplattform, Archiv) oder den Eigenschaften unterschiedlicher Sozialer Medien eine feste abrufbare Größe im Gedächtnis dar. Diese beein‐ flussen den Verstehensprozess, was sich am Beispiel (4-36) gut zeigen lässt. A (der Schauspieler Pierre Sanoussi-Bliss) postet am frühen Nachmittag (14: 28) die Statusmeldung „jetzt im kino! “ und verlinkt mit einer Spie‐ gel-Filmkritik zum Film „Freier Fall“. (4-36) B: sehr empfehlenswert, hab ihn bereits zur BERLINALE sehen dürfen. C: kaa Arbeit? A: wieso? ich bin beim drehen. D: danke für den kinotip J C: ich bin so hohl! dachte bist im kino […]. (Facebook, Pierre Sanoussi-Bliss, 2013-05-23) Zwischen C und A gibt es hier ein Missverständnis, das sich in Cs Frage danach, ob A keine Arbeit habe, äußert und im zweiten Kommentar von C ausformuliert wird. Für das Zustandekommen dieses Missverständnisses gibt es mehrere Gründe. Zum einen hat C offenbar das Wissen, das prototypisch an eine Statusmeldung geknüpft ist, aktiviert. Dazu gehört, dass die Person, die eine Statusmeldung veröffentlicht, eine Aussage über sich selbst macht. Motiviert wird diese Aussage durch Fragen (wie z. B: „Was machst Du gerade, XYZ? “), die bei Facebook bereits im Eingabefeld für den Status platziert sind. Zum anderen enthält die Aussage „jetzt im kino! “ weder ein Subjekt noch ein Prädikat. Es wird in der sprachlichen Äußerung also nicht eindeutig spe‐ zifiziert wer oder was im Kino ist oder kommt. Aufgrund seines Wissens über Statusmeldungen ordnet C die Rolle „wer“ A (und damit auch ist), dem Ur‐ heber der Statusmeldung, zu. Die anderen Kommunikationsteilnehmer*in‐ 4.4 Das Netz als Kontextkonstituente 201 Speicherinhalt nen wenden ihr Wissen über verlinkte Statusmeldungen an und weisen der sprachlichen Äußerung die Rolle „was“ (ein Film, der im Kino kommt) zu. Die Pragma-Internetlinguistik überträgt die Theorien, die sich bereits zur Beschreibung von Äußerungsbedeutungen und sprachlichen Face-to- Face-Handlungen bewährt haben, auf die Kommunikation in Sozialen Medien. Als wichtigste Aufgabe im Zuge dieser Adaption offenbart sich hierbei die genaue Ausdifferenzierung eines Kontextes, da das Internet nicht nur Kanal oder Plattform, sondern auch Teil der Kommunikation ist und damit ein für den Kontext konstitutiver Faktor. Somit sind alle Kommunikationsphänomene, die erst dank der Internettechnologie ent‐ stehen können und die sich nicht erklären lassen, ohne dass die mediale/ technologische Entstehungssituation und die Kommunikationsumge‐ bung mitgedacht wird, Untersuchungsgegenstand der Pragma-Internet‐ linguistik. Darunter fällt natürlich das Interesse daran, wie erreichbar Kontextinformationen für die Nutzer*innen sind, mit welchen Strategien auf sie zugriffen wird, aus welchen Quellen sie gezogen werden und in welchem Ausmaß sie notwendig im Verstehensprozess sind. Gerade aus Rezipient*innensicht ist in dem schnellen Medium kein Raum für un‐ ökonomisches Verhalten. Umso interessanter ist, wie die Flut an Infor‐ mationen anhand von Relevanzindikatoren beherrschbar wird. Sprechakte: sind sprachliche Äußerungen in spezifischen Kommunika‐ tionssituationen. Sie stellen sprachliche Handlungen dar. Ebenso wie für die linguistische Pragmatik handelt es sich hierbei um einen zentralen Ausdruck für die Pragma-Internetlinguistik. Die von Searle formulierten Gelingensbedingungen für Sprechakte können jedoch nicht problemlos auf die über programmierte Algorithmen laufende Kommunikation in virtuellen Welten übertragen werden. Performativität: bezeichnet den Handlungscharakter einer sprachli‐ chen Äußerung. Eine besonders interessante Facette spiegelt sich in den technischen Funktionen auf Sozialen-Netzwerk-Seiten wider, mit denen komprimiert komplexe kommunikative und soziale Handlungen vollzo‐ gen werden können, die auch im realen Leben Wirkung zeigen. Kooperationsprinzip und Konversationsmaximen: beschreiben die Erwartungshaltungen, die jeder zwischenmenschlichen Kommunikation zugrundliegen. Gerade für die Kommunikation im Web 2.0 eröffnet sich in vielen Fällen die Frage nach der Relevanz von Beiträgen. Hierbei müs‐ sen emotionale Zusatzbedeutungen in die Überlegungen einbezogen werden. Implikaturen: sind Zusatzbedeutungen, die über das wörtlich Gesagte hinausgehen. Sie können aus dem wörtlich Gesagten abgeleitet werden 4 Pragma-Internetlinguistik 202 (konventionale Implikaturen) oder unter Zuhilfenahme von Kontextfak‐ toren interpretiert werden (konversationale/ konversationelle Implika‐ turen). Übungen 1. Beurteilen Sie den folgenden spotted-Beitrag hinsichtlich seiner 1. Performativität. Nutzen Sie hierfür das Instrumentarium der Sprechakttheorie und berücksichtigen Sie dabei, dass dieser Bei‐ trag auf Facebook öffentlich einsehbar ist. Ende Januar ist IPR ausgefallen. Du kamst, ich stand schon da und sagte Dir, dass der Prof krank ist und es ausfällt. Bis dahin habe ich Dich für einen Schnösel gehalten. Wir haben uns kurz unterhalten und uns ge‐ genseitig angestrahlt. Dein unglaubliches Lächeln und Deine sympathi‐ sche Art haben mich eines Besseren belehrt. Und da ich vor Prüfungen immer etwas durchdrehe und damals noch an meinem Ex hing (= keine gute Kombination), habe ich Dich und Dein Hallo die Wochen darauf nicht wahrgenommen. Sorry … Ich Blindfisch und ich Taubfisch. Jeden‐ falls ist Dein Lächeln erst jetzt bei mir angekommen - in den Ferien. So ein Shit. Seitdem denke ich nur noch: WOW! Und zu guter Letzt hat mir ein Vöglein gezwitschert, dass Du vergeben bist. Noch einmal Shit. Was soll’s. Wenn ich wüsste, dass Du Single bist, würde ich etwas unterneh‐ men. Ich weiß noch nicht was, aber mir würde bestimmt was Gutes ein‐ fallen. Naja, Shit happens. Aber Du sollst wissen: Dein Lächeln ist der absolute Ober-Wahnsinn! Viel schöner als die Sonne. Und wenn ich Dich das nächste Mal zufällig sehe, dann schenke ich Dir meins. (Spotted: HU Berlin Kommode - Zweigbibliothek Rechtswissenschaft, Facebook, 2013-03-06) 2. Beschreiben Sie den kommunikativen Sinn des folgenden Kom‐ 2. munikationsbeitrags. Auf welche Informationen stützen Sie sich dabei? Guttenberg-Wochen bei Facebook! Einfach eine Meldung aus dem Freun‐ deskreis kopieren und als eigene Meldung veröffentlichen. Bitte aber ohne Quellenangabe! Am Besten gleich diese, dann wird‘s ein Ketten‐ plagiat. Achja, is natürlich von mir … (Facebook, ctp, 2011-02-22) 3. Diskutieren Sie an einem konkreten Beispiel aus dem Freundes‐ 3. kreis, ob es sich um einen indirekten Sprechakt handelt, wenn der Beziehungstatus geändert wurde. 4.4 Das Netz als Kontextkonstituente 203 4. Versuchen Sie die Relevanz eines Beitrags mit der Überschrift 4. „Achtung, Achtung, Achselnässe! Promis schwitzen eben auch“ (web, 2013-06-17, 11: 39) zu erklären. Lektüre zur Vertiefung Grundlegende Ausführungen zur Pragmatik sind nachzulesen bei Meibauer ( 2 2001) (der auch Kritik an der Sprechakttheorie übt) und Bublitz ( 3 2019). Liedtke nimmt Implikaturen-Theorien unter die Lupe (1995) und gibt eine Einführung in die moderne Pragmatik (2016). E-Implikaturen sind erstmals von Schwarz-Friesel (2010) beschrieben worden. Veröffentlichungen zur Pragma-Internetlinguistik gibt es von Yus (2011) - hier als „Cyberpragma‐ tics“ bezeichnet - als Sammelband von Herring/ Stein/ Virtanen (2013) und Hoffmann/ Bublitz (2017). Seit 2018 gibt es die bei John Benjamins erschei‐ nende Online-Zeitschrift „Internet Pragmatics“. Eine Reihe von sprach- und kommunikationswissenschaftlichen Publika‐ tionen widmet sich einzelnen pragmatisch interessanten Phänomenen, z. B. der Chat-Kommunikation (Beißwenger 2000, 2002, 2007, 2009), der Höflich‐ keit in studentischen E-Mails (Seifert 2012, Kiesendahl 2011), dem Cyber‐ mobbing (Fawzi 2009, 2 2015, Marx 2017), Invektivität z. B. in Form von Ha‐ teSpeech (Scharloth 2017) oder Antisemitismus (Schwarz-Friesel 2019), der kommunikativen Usability ( Jakobs 2013), Informationsfilterprozessen (Run‐ kehl 2013), Emojis (Beißwenger/ Pappert 2019, Fladrich/ Imo 2020), Memes (Bülow/ Merten/ Johann 2018), der Mensch-Maschine-Interaktion (Lotze 2016), der Verwendung von Hashtags (Zappavigna 2018), der Web 2.0-Kom‐ munikation unter Jugendlichen (Neumann-Braun/ Autenrieth 2011) oder di‐ gitalen Schreibregistern bei Schüler*innen (Busch 2018). Frindte/ Köhler (1999) denken in ihrem medienphilosophischen Buch zur Kommunikation im Internet über die Rolle des Internets bei der Konstruktion von Wirklich‐ keit nach, Meier/ Viehhauser/ Sahle (2020) haben einen Sammelband zu Re‐ kontextualisierung als Forschungsparadigma des Digitalen publiziert. 4 Pragma-Internetlinguistik 204 5 Textlinguistik und das Internet Was sind Hypertexte? Welche typischen Merkmale kennzeichnen Texte im Internet? Was ist aus textlinguistischer Sicht interessant an Blogs, Tweets, Soziale-Netzwerk-Seiten, Websites, E-Mails etc.? 5.1 Eine neue Textlinguistik für das Internet? Immer wieder hört man die Kritik, vor allem Jugendliche würden nichts mehr lesen und stattdessen nur mehr im Internet surfen. Nun finden sich im Inter‐ net in der Tat Kommunikationsformen, in denen das Lesen von Texten keine oder nur eine geringe Rolle spielt: Man kann skypen, Foto-Blogs auf Flickr oder Instagram betrachten, Webradio hören oder sich Videos auf YouTube anschauen. Die Kritiker*innen übersehen jedoch, dass in weiten Bereichen des Internets und auch des Web 2.0 dennoch weiterhin schriftliche Texte vorherr‐ schend sind. Sie spielen einerseits schon eine wichtige Rolle durch die Mög‐ lichkeit, Fotos oder Videos zu kommentieren, andererseits aber auch in Kom‐ munikationsformen, die wesentlich auf sprachlich-textuellen Kommunikaten beruhen. Auch wenn bildliche Kommunikation aufgrund der Affordances des Mediums Internet an Bedeutung gewonnen hat, kann daher - zumindest teil‐ weise - Entwarnung gegeben werden: Wer im Internet surft, liest dort im All‐ gemeinen auch viel, und das Schreiben und Veröffentlichen von Texten wird durch Facebook, Twitter, Blogging-Plattformen etc. eher gefördert. Was allerdings abgenommen hat, ist die Länge der Texte, die gelesen wer‐ den. Das Internet und der Computer als Endgerät bieten sich für die Lektüre zum Beispiel von Romanen einfach nicht an, da diese unter den technischen Bedingungen mühsam ist. Dies mag sich mit der Verbreitung von E-Book-Re‐ adern und Tablets wieder ändern, aber E-Books sind, auch wenn sie über das Internet heruntergeladen werden, keine typischen Internet-Texte. Inter‐ net-Texte zeichnen sich, abgesehen von der meistens geringeren Länge, noch durch einige andere Merkmale aus (siehe Kapitel 5.3), die für die Textlingu‐ istik von besonderem Interesse sind. Brauchen wir eine Internet- Textlinguistik? Die traditionelle Textlinguistik entwickelte ihre methodischen und theo‐ retischen Grundlagen anhand von Texten in „alten Medien“. Angesichts neuer Textformen ist sie nun aber gezwungen, ihre Textdefinition zu über‐ denken und gegebenenfalls zu adaptieren. Andererseits eröffnet sich ihr ein spannendes - und riesiges - Korpus an Texten, die einer textlinguistischen Analyse zugänglich sind. Die Frage, die sich angesichts neuer Kommunika‐ tionsformen und Textsorten im Web stellt, ist daher: Brauchen wir eine ei‐ gene Internet-Textlinguistik oder kommen wir mit den althergebrachten textlinguistischen Modellen aus (vgl. Ziegler 2004)? In diesem Kapitel werden wir einige aus textlinguistischer Sicht zentrale Aspekte der Internet-Kommunikation betrachten. Der Fokus wird dabei auf den grundlegenden Merkmalen von Internet-Texten und auf für das Internet besonders typischen und wichtigen Kommunikationsformen und Textsorten liegen. Zunächst wird jedoch der dem ganzen Kapitel zugrunde liegende Textbegriff erläutert. 5.2 Was ist ein Text überhaupt? Aufgabe 5-1 Was versteht man im Alltag unter einem Text? Überlegen Sie bzw. dis‐ kutieren Sie mit Kommiliton*innen, was man dem Alltagsverständnis zufolge alles als Text bezeichnet. Recherchieren Sie dazu bei Bedarf auch im Internet. Obwohl wir alle täglich Texte lesen oder schreiben, muss man feststellen: Was einen Text zu einem Text macht, lässt sich nicht so einfach sagen. Auch der Textlinguistik ist trotz zahlreicher Versuche (vgl. die Auflistung in Klemm 2002) noch keine alle zufrieden stellende Definition geglückt. Verschiedene Kriterien wurden dabei immer wieder genannt: ▸ Ein Text besteht aus mehreren zusammenhängenden Sätzen. ▸▸ Ein Text beruht auf einer Vernetzung von Informationen. ▸▸ Ein Text ist eine komplexe sprachliche Handlung. ▸▸ Ein Text ist eine (komplexe) schriftlich festgelegte sprachliche Äuße‐ ▸ rung. ▸ Etc. ▸ Keines dieser hier vage formulierten Kriterien ist jedoch hinreichend für eine Definition von TEXT. Außerdem finden sich immer wieder sprachliche Äu‐ ßerungen, die wir intuitiv ganz selbstverständlich als Texte bezeichnen wür‐ 5 Textlinguistik und das Internet 206 TEXT als prototypische Kategorie Sprachlichkeit Kohäsion den, die aber das eine oder andere der oben genannten Kritieren nicht oder nur unvollständig erfüllen. Aus diesem Grund scheint es uns am erfolgver‐ sprechendsten zu sein, keine exakt durch eindeutige Kriterien abgegrenzte Kategorie TEXT zu definieren, sondern von einem prototypischen Textkon‐ zept auszugehen (zur Prototypentheorie siehe auch Kapitel 3.3.1 und zum prototypischen Textbegriff Sandig 2000). Das Konzept des prototypischen Textes erlaubt es uns zu sagen, dass es typischere und weniger typische Texte gibt, das heißt, Texte, die alle wich‐ tigen Textualitätsmerkmale erfüllen und die damit im Zentrum der Kategorie TEXT stehen, und solche, bei denen dies nicht der Fall ist. Es bleibt aber dennoch die entscheidende Frage: Was sind nun die Merkmale eines proto‐ typischen Textes? Was macht einen prototypischen Text zu einem Text? Beginnen wir mit einer Definition: „Ein Text ist eine komplex strukturierte, thematisch wie konzeptuell zusammenhängende sprachliche Einheit, mit der ein Sprecher eine sprachliche Handlung mit erkennbarem kommunikativem Sinn voll‐ zieht.“ (Linke/ Nussbaumer/ Portmann 1994: 245) Aus dieser Definition lassen sich direkt oder indirekt folgende Textualitäts‐ merkmale ableiten: Sprachlichkeit, Kohäsion, Kohärenz, Textfunktion, Text‐ sortenzugehörigkeit, Schriftlichkeit, sprechsituationsüberdauernde Stabili‐ tät, Abgeschlossenheit und Monologizität. Ein Text wird zunächst als etwas Sprachliches bestimmt. Das heißt, für die Formulierung von Texten kann dieser Definition zufolge nur Sprache als se‐ miotischer Modus genutzt werden. Gerade dieses Merkmal prototypischer Texte erscheint jedoch nicht mehr im gleichen Maß gültig, wenn wir an tex‐ tuelle Kommunikation im Internet denken (siehe Kapitel 5.3.2). Aber auch schon bei modernen gedruckten Zeitschriften ist festzustellen, dass die Ar‐ tikel immer häufiger als multimodale Konglomerate aus sprachlichen und bildlichen Elementen gestaltet werden. Des Weiteren wird ein Text als eine komplex strukturierte Einheit defi‐ niert. Das heißt, dass sich ein prototypischer Text aus mehreren Sätzen zu‐ sammensetzt. Damit würde zum Beispiel die leuchtende Aufschrift Ausgang über einer Tür in einem Kinosaal nicht mehr als prototypischer Text zählen. Schließlich besteht sie nicht einmal aus einem vollständigen Satz. Ähnliches gilt für ein Schild im Zoo: Das Füttern der Tiere ist verboten! Dabei handelt es sich zwar um einen Satz, aber eben nur um einen einzigen. Wir könnten aber auch nicht von einem prototypischen Text sprechen, wenn mehrere Sätze zumindest optisch eine Einheit bildeten, sie aber nicht 5.2 Was ist ein Text überhaupt? 207 Kohärenz durch textgrammatische Mittel der Kohäsion miteinander verbunden wären. So sind zum Beispiel nicht durch Kohäsionsmittel miteinander verbundene Sätze auf einem Notizzettel, den Sie beispielsweise neben ihrem Telefon lie‐ gen haben, kein prototypischer Text. Zwar legt ihre „räumliche Nähe“ auf dem Zettel einen Zusammenhang nahe - wenn dieser auch nicht notwendi‐ gerweise gegeben sein muss -, aber dieser Zusammenhang wird zumindest auf der Textoberfläche nicht durch Kohäsionsmittel signalisiert. Es fehlt also die klare textgrammatische Strukturierung, die einen prototypischen Text kennzeichnet. Kohäsion: Textzusammenhang, der an der Textoberfläche durch text‐ grammatische Mittel, die Kohäsionsmittel, hergestellt bzw. signalisiert wird. Zu den Kohäsionsmitteln zählen Junktoren, wie Konjunktionen, Subjunktionen und Konjunktionaladverbien, die Rekurrenz von Lexe‐ men, Substitution, Pro-Formen, explizite Textverknüpfung und andere. (Konstruiertes) Beispiel: Folgendes [explizite Textverknüpfung] wollen wir berichten: Paul lebt gerne in Griechenland, weil [Subjunktion] dort das Wetter schön ist. In seiner neuen Heimat [Substitution für Griechenland] hat er [Pro-Form für Paul] sich daher [Konjunktionaladverb] sogar ein Haus gekauft. Paul [Re‐ kurrenz] wohnt sehr gerne darin [Pro-Form für Haus]. Es gibt auch textähnliche Gebilde, die Kohäsionsmittel aufweisen, aber dennoch keine inhaltlich zusammenhängenden Texte sind. Hier werden an der Textoberfläche Zusammenhänge signalisiert, die auf der thema‐ tisch-konzeptuellen Ebene nicht gegeben sind: (Konstruiertes) Beispiel eines kohäsiven, aber nicht kohärenten Textes: Paul lebt gerne in Griechenland, obwohl sich die Erde um die Sonne dreht. Deshalb kocht er morgen Suppe. Diese Speise aßen schon die alten Römer. Griechenland ist die Heimat der Griechen. Nun ist Kohäsion nicht das zentrale Merkmal von Textualität. Ein prototy‐ pischer Text erfüllt dieses Kriterium jedoch. Wichtiger ist der in der obigen Definition angesprochene thematische und semantisch-konzeptuelle Zusammenhang: die Kohärenz eines Textes. Erst wenn es Rezipient*innen gelingt, auf Basis der im Text vermittelten Infor‐ mationen einen Gesamtsinn zu (re-)konstruieren, haben sie den Text ver‐ standen, und erst dann kann man davon sprechen, dass sie tatsächlich einen Text (! ) gelesen haben. Sie haben dann ein kognitives Textweltmodell im Kopf (siehe auch Kapitel 3.3.2), in dem die einzelnen im Text behandelten Themen 5 Textlinguistik und das Internet 208 Textfunktion Textsortenzuge‐ hörigkeit Schriftlichkeit Sprechsituati‐ onsüberdau‐ ernde Stabilität und die aufgerufenen Konzepte miteinander verknüpft sind, sodass sie ein kohärentes Sinnganzes ergeben. Bei der Lektüre zum Beispiel experimenteller oder avantgardistischer li‐ terarischer Texte kann der Aufbau eines kohärenten Textmodells schwierig sein. Wenn es unmöglich ist und damit der Text - zumindest für viele Le‐ ser*innen - nicht kohärent ist, kann man aus diesem Grund nicht mehr von einem prototypischen Text sprechen. Mit Texten werden, wie die obige Definition feststellt, sprachliche Hand‐ lungen mit einem kommunikativen Sinn vollzogen. Texte haben also eine Funktion, die sie in einer gegebenen Kommunikationssituation erfüllen. Schließlich schreiben wir Texte nicht einfach nur so, sondern wir verfolgen kommunikative Ziele damit. Ist eine Textfunktion nicht klar erkennbar oder kann sie nicht zumindest halbwegs sicher erschlossen werden, so handelt es sich wiederum nicht um einen prototypischen Text. Neben den drei genannten Merkmalen prototypischer Texte (Kohäsion, Kohärenz und Textfunktion) ist auch noch die in der Definition nicht ange‐ sprochene Textsortenzugehörigkeit zu nennen: Einen prototypischen Text können auch textlinguistische Lai*innen problemlos einer Textsorte zuord‐ nen. Es ist jeweils klar, dass es sich um einen Liebesbrief, ein Mahnschreiben, ein Wahlplakat oder eine Scherz-E-Mail handelt. Ist dies bei einem Text nicht klar, können wir ihn also keiner Textsorte zuordnen, dann ist er kein proto‐ typischer Text. Ein Aspekt der zitierten Definition ist noch interessant, weil hier eine Be‐ zeichnung gewählt wurde, die zu einem prototypischen Text gerade nicht passt: Der Verfasser bzw. die Verfasserin des Textes wird von Linke/ Nuss‐ baumer/ Portmann als „Sprecher“ bezeichnet. Im Allgemeinen versteht man unter einem Text, noch dazu einem prototypischen Text, aber eine geschrie‐ bene sprachliche Äußerung. Schriftlichkeit ist daher auch ein Merkmal eines prototypischen Textes. Wenn man diesen Punkt genauer betrachtet, stellt man jedoch fest, dass die schriftliche Fixierung vor allem deshalb so ein relevantes Kriterium für Textualität ist, weil Texte generell durch eine „sprechsituationsüberdauernde Stabilität“ (Ehlich 1983: 32) gekennzeichnet sind. Im Gegensatz zu mündli‐ chen Äußerungen, die sofort, nachdem sie ausgesprochen wurden, auch schon vergangen sind, werden Texte, indem sie niedergeschrieben werden, quasi materiell gespeichert. Damit überdauern sie die jeweils aktuelle Situa‐ tion, in der sie formuliert werden. Wir können daher auch heute noch Ro‐ mane lesen, die vor hundert Jahren geschrieben wurden, oder Liebesbriefe, die unser Großvater unserer Großmutter noch vor ihrer Heirat geschickt hat. Es geht dabei nicht darum, dass nur der Textinhalt überliefert wird, son‐ dern um die Überlieferung der sprachlichen Oberflächengestalt des Textes. Diese sprachliche Basis eines Textes, das, was niedergeschrieben wurde und 5.2 Was ist ein Text überhaupt? 209 Abgeschlossen‐ heit Monologizität was Rezipient*innen lesen, bezeichnet Stetter (1999: 294) als Textur. Die sprechsituationsüberdauernde Stabilität von Texten wird also durch eine Fi‐ xierung der Textur erreicht. Die Stabilität von Texten kann übrigens auch durch eine originalgetreue mündliche Überlieferung - von Epen, Balladen, Sagen etc. - gewährleistet werden. Verschriftlichung ist also zwar in literalen Gesellschaften wie un‐ serer die gebräuchlichste und bewährteste Form der Stabilisierung von Tex‐ ten über einen größeren Zeitraum hinweg, aber generell nicht die einzig mögliche. Dieses Textualitätskriterium ist der Kern für eine weitere Textde‐ finition: „TEXTE sind Produkte sprachlichen Handelns, die in ihrer medialen Repräsentation und Gestaltkonstanz darauf angelegt sind, abgelöst von der Entstehungssituation an anderen Orten und zu anderen Zeiten (immer neu) rezipierbar zu sein.“ (Zifonun/ Hoffmann/ Strecker 1997: 249) Der zentrale Punkt in dieser Definition ist für uns die Gestaltkonstanz von Texten, d. h. die Stabilisierung ihrer Textur. Diese ist nämlich in manchen Bereichen des Internets nicht mehr gegeben, wie wir in Kapitel 5.3.3 noch sehen werden. Auch ein anderes, häufig nicht explizit genanntes Merkmal von prototy‐ pischen Texten gilt nicht für alle Texte im Internet: die Abgeschlossenheit (siehe Kapitel 5.3.1). Im Allgemeinen kann man bei einem Text sagen, wo er beginnt und wo er endet. Dies kann durch das Layout signalisiert werden oder auch durch Formeln wie Es war einmal am Beginn bzw. wie Und so lebten sie glücklich bis an ihr Ende am Schluss eines Märchens. Dadurch wird ein Text als komplexe Einheit abgegrenzt. Er ist in sich geschlossen. Wenn dies, wie zum Beispiel bei einem Romanfragment, nicht der Fall ist, kann man zwar noch von einem Text, aber nicht mehr von einem prototypischen Text spre‐ chen. Das letzte für uns relevante Merkmal prototypischer Texte ist, dass sie grundsätzlich monologisch sind. Sie werden von Autor*innen verfasst und von Leser*innen rezipiert, die zumindest nicht direkt und zeitnah auf den Text antworten können. Es fehlt bei textueller Kommunikation also die Mög‐ lichkeit zur Interaktivität und Dialogizität, wie sie zum Beispiel in Face-to-Face-Gesprächen gegeben ist. Wie wir schon in Kapitel 2.4.1 gesehen haben, sieht es im Hybridmedium Internet jedoch anders aus. Hier finden sich sehr wohl Texte, die in der einen oder anderen Form Dialogizität auf‐ weisen (siehe auch Kapitel 5.3.4). Sie sind daher nicht prototypisch im hier 5 Textlinguistik und das Internet 210 dargestellten Sinn, aber gerade aus diesem Grund von besonderem Interesse für die Textlinguistik. Mini-Glossar zu den Merkmalen prototypischer Texte Sprachlichkeit: der Aspekt prototypischer Texte, dass diese nur sprach‐ lich formuliert sind, ohne Verwendung anderer semiotischer Modi (wie z. B. Bilder). Kohäsion: die textgrammatische Verknüpfung einzelner Sätze auf der Oberfläche eines Textes. Kohäsion wirkt transphrastisch, also über ein‐ zelne Sätze hinaus. Die wichtigsten Kohäsionsmittel sind: Pronominali‐ sierung, Rekurrenz von Lexemen, Substitution, explizite Textverknüp‐ fung und die verschiedenen Formen der Junktion (Konjunktionen, Subjunktionen und Konjunktionaladverbien). Kohärenz: der inhaltliche Zusammenhang eines Textes, also die Ver‐ knüpfung auf semantischer Ebene. Kohärenz entsteht erst im Zuge der Rezeption eines Textes im Kopf der Leser*innen, die die Einzelinforma‐ tionen des Textes unter Rückgriff auf eigenes Wissen zu einem komple‐ xen, in sich zusammenhängenden kognitiven Textmodell verbinden. Textfunktion: die sich aus der jeweiligen Kommunikationssituation ergebende und meist in seiner Formulierung und Gestaltung signalisierte Hauptfunktion eines Textes. Einzelne Abschnitte oder Teile eines Textes mögen eine andere Funktion haben, diese unterstützt im Allgemeinen aber die Funktion des Gesamttextes. Textsortenzugehörigkeit: die Zuordnung eines Textes zu einer Text‐ sorte, also einer Kategorie von Texten, die in ihren formalen und funk‐ tionalen Merkmalen übereinstimmen. Textsorten sind prototypische Ka‐ tegorien, weshalb es auch „bessere“ und „schlechtere“ Exemplare einer Kategorie gibt. Schriftlichkeit: der Aspekt prototypischer Texte, dass diese schriftlich verfasst sind, also nicht mündlich und auch nicht unter Verwendung an‐ derer semiotischer Modi. Sprechsituationsüberdauernde Stabilität: die grundlegende Funk‐ tion von Texten, dass sie über die aktuelle Kommunikationssituation, in der sie verfasst werden, hinaus erhalten bleiben und sie nicht, wie münd‐ lich getätigte Äußerungen, flüchtig sind. Texte „zerdehnen“ die Kom‐ munikationssituation, indem die sprachliche Oberflächengestalt, die Textur - im prototypischen Fall durch Verschriftlichung - stabilisiert, d. h. fixiert wird. 5.2 Was ist ein Text überhaupt? 211 Brauchen wir eine Internet- Textlinguistik? Die 4 Merkmale von Texten im Internet Intertextualität Abgeschlossenheit: das Merkmal prototypischer Texte, dass sie einen durch Grenzsignale erkennbaren Anfang und ein ebenso signalisiertes Ende haben. Prototypische Texte sind aufgrund dieses Merkmals in sich geschlossene und damit klar von anderen Texten abgegrenzte Einheiten. Monologizität: die Eigenheit prototypischer Texte, dass sie von einem Autor oder einer Autorin verfasst werden, und zwar so, dass keine direkte und unmittelbare, also dialogisch-interaktive, Antwort möglich ist und auch prinzipiell keine erwartet wird. 5.3 Texte im Internet Die grundlegenden Konzepte und Begriffe der Textlinguistik, wie sie im letz‐ ten Abschnitt vorgestellt wurden, sind für Texte im Internet genauso relevant und daher für die Analyse von Internet-Texten brauchbar. Auch Texte im Internet sind mehr oder weniger kohäsiv und kohärent, haben eine Text‐ funktion und sind, wenn das auch nicht immer leicht fällt, einer Textsorte zuordenbar. Es lassen sich aber für die textuelle Kommunikation im Internet Besonderheiten feststellen, die einerseits in manchen Fällen eine Anpassung der theoretischen Konzepte, andererseits eine Erweiterung dessen, was als Gegenstand der Textlinguistik betrachtet wird, nötig erscheinen lassen. Im Folgenden werden wir die vier wichtigsten Merkmale von typischen Texten im Internet erläutern: Hypertextualität, Multimodalität, Fluidity und Dialogizität. Anzumerken ist dazu, dass diese Merkmale nicht alle Texte im Internet kennzeichnen und dass nicht alle Merkmale ausschließlich auf tex‐ tuelle Online-Kommunikation beschränkt sind. Dennoch können sie als prä‐ gend für die neuen textbasierten Kommunikationsformen im Internet be‐ trachtet werden. 5.3.1 Verlinkt: Hypertextualität Texte enthalten stets Verweise auf andere Texte. Man nennt dieses Merkmal Intertextualität (vgl. z. B. Beaugrande/ Dressler 1981). Grundsätzlich unter‐ scheiden wir zwei Arten von Intertextualität (siehe dazu auch Habscheid 2009: 33 f.): 5 Textlinguistik und das Internet 212 Hypertextualität ▸ Texte verweisen auf andere Texte, die nach dem gleichen Textmuster, ▸ also dem gleichen Formulierungsschema, gestaltet sind. Das heißt, je‐ der Text ist intertextuell über seine Textsortenzugehörigkeit mit allen anderen Texten derselben Textsorte verbunden. Wenn man zum Beispiel eine Einladung zu einer wissenschaftlichen Tagung per E-Mail aussendet, so folgt man bei der Formulierung der E-Mail bis zu einem gewissen Grad einem konventionalisierten Mus‐ ter, dem auch andere schon gefolgt sind, wenn sie eine ähnliche Kom‐ munikationsaufgabe zu lösen hatten. Damit verweist man implizit auf diese anderen E-Mails bzw. auf die Textsorte insgesamt, zu der sie ge‐ hören. ▸ Mittels Zitaten bzw. Zitatangaben kann man eine intertextuelle Ver‐ ▸ bindung zu anderen Einzeltexten herstellen. So verweist zum Beispiel die obige Angabe „siehe dazu auch Habscheid 2009“ auf das entspre‐ chende Buch. Ähnlich intertextuell funktioniert das wörtliche Zitat der Textdefinition von Linke/ Nussbaumer/ Portmann (1994) in Kapitel 5.2. Eine solche intertextuelle Bezugnahme muss aber nicht immer so ex‐ plizit erfolgen. Vielmehr gibt es auch die Möglichkeit einer Anspielung auf einen anderen Einzeltext, indem man einzelne sprachliche Ele‐ mente aus dem Ursprungstext übernimmt, beispielsweise den Namen Herr Grundeis aus Erich Kästners Roman „Emil und die Detektive“ in Beispiel (5-1): (5-1) (Twitter, Zenon @kaot50, 2013-11-17, 11: 39) Beide Arten von Intertextualität findet man in Offlinewie auch in On‐ line-Texten. Dasselbe gilt für intratextuelle Verknüpfungen durch Kohäsi‐ onsmittel, wie sie oben beschrieben wurden. Interessant ist jedoch an Texten im Internet, dass hier die Grenze zwischen intra- und intertextuellen Ver‐ weisen nicht mehr in jedem Fall eindeutig zu ziehen ist. Dies liegt vor allem daran, dass Texte im Internet zwar nicht durchwegs, aber typischerweise Hypertextualität aufweisen. Der Ausdruck Hypertext wurde von Ted Nelson bereits 1965 zur Bezeich‐ nung der Vernetzung von Texten und Informationen verwendet (vgl. Bleicher 2010: 21 f.). Die grundlegende Vorstellung von Hypertextualität geht aber schon auf Vannevar Bush zurück. Allerdings konnten dessen Ideen zur Zeit 5.3 Texte im Internet 213 Nicht-Linearität ihrer Veröffentlichung (1945) aus technischen Gründen noch nicht umgesetzt werden. Erst mit der Entwicklung leistungsfähiger Hard- und Software konnte Hypertextualität zur prägenden Eigenschaft von Kommunikaten in den neuen Medien werden. Vannevar Bush (*1890, †1974) war Berater des US-amerikanischen Präsidenten Roosevelt und Koordinator der Forschung im Bereich Waffentechnik während des II. Weltkriegs. Er gilt als Vordenker im Bezug auf das Konzept der Hypertextualität, insbesondere in seinem berühmt gewordenen Aufsatz: „As We May Think“ (Bush 1945). Bush beschreibt darin die Struktur menschlicher Denkprozesse als assoziativ und erdachte das „Memex“, eine Art elektronischen Schreibtisch (! ) mit eingebauter Datenspeicher- und Datenvernetzungsfunktion. Das Me‐ mex sollte ebenfalls assoziativ funktionieren und der Unterstützung des menschlichen Denkens und des Gedächtnisses dienen. Bushs Ziel war es, vor allem Forschungsergebnisse effizienter und quasi „men‐ schenfreundlicher“ zu speichern und verfügbar zu machen. (Eine ge‐ nauere Erläuterung des Memex findet sich in Warnke 2011: 143 ff.) Als die drei zentralen definitorischen Merkmale von Hypertexten nennt Storrer (2000: 227) die folgenden: ▸ Hypertexte sind nicht-linear organisiert. ▸▸ Hypertexte erlauben die Verwendung mehrerer unterschiedlicher ▸ Symbolsysteme (Multimodalität). ▸ Hypertexte sind computerverwaltete Texte. ▸ Da das zweite Merkmal, die Multimodalität, zwar ein typisches Merkmal von Texten im Internet ist, aber aus unserer Sicht kein notwendiges oder spezi‐ fisches Definitionskriterium für Hypertexte, besprechen wir diesen Punkt gesondert in Kapitel 5.3.2. Für die Definition von Hypertexten ist unserer Ansicht nach hingegen das erste der drei Merkmale besonders relevant, wobei auch Storrer (2019: 225) Nicht-Linearität als die zentrale Idee von Hypertext erachtet. Während her‐ kömmliche Texte so gestaltet sind, dass sie im Idealfall vom Anfang bis zum Ende linear gelesen werden, ermöglichen Hypertexte ein gleichsam assozia‐ tives, wenn auch durch ihre Struktur zum Teil vorgegebenes Springen von einem Textteil zu einem anderen. Auf diese Weise wird eine nicht-lineare Rezeption unterstützt. Die nicht-lineare Struktur von Hypertexten ergibt sich dadurch, dass Texte in Textmodule, sogenannte Knoten, zerlegt werden, die aber durch Verlin‐ kungen, als Kanten bezeichnet, miteinander verbunden sind (Abbildung 5-1). 5 Textlinguistik und das Internet 214 Intratextuelle Verlinkungen Intertextuelle Verlinkungen Abb. 5-1: Modell einer Hypertextstruktur Konkrete Hypertexte müssen natürlich nicht so viele Verlinkungen aufwei‐ sen, es kann aber auch mehr Knoten und mehr Kanten in einer Hypertext‐ struktur geben. Es kann auch sein, dass ein Knoten, also ein Modul, eine zentrale Rolle in einer Hypertextstruktur spielt und daher mit allen anderen Knoten verlinkt ist, während die anderen Knoten untereinander keine Ver‐ linkung aufweisen. Entscheidend ist nur, dass es solche Verlinkungen gibt und dass diese eine nicht-lineare Rezeption unterstützen. Anzumerken ist, dass die Verlinkungen intratextuell sein können. Ein Bei‐ spiel dafür ist die Website „Was ist Hypertext? “ (Abbildung 5-2), wo zu Beginn des Textes ein Inhaltsverzeichnis als Orientierungshilfe angeboten wird. Die einzelnen Kapitelüberschriften in diesem Verzeichnis sind Hyperlinks, so‐ dass man, wenn man auf eine der Überschriften klickt, direkt zum jeweiligen Kapitel und damit zu einem anderen Abschnitt desselben Textes gelangt. Die Verlinkungen können aber auch intertextuell sein, wie zum Beispiel in einem Artikel der Internet-Zeitschrift Telepolis (Abbildung 5-3): Hier ge‐ langt man durch Anklicken der Links zum „Greenhouse Gas Bulletin“ bzw. zur Seite der Weltmeteorologie-Organisation. Auf jeden Fall verlässt man über die Verlinkungen den Text, den man ursprünglich gelesen hat. Die hypertextuelle Verlinkung verschiedener Texte bewirkt jedoch, dass diese Texte im Rezeptionsprozess enger miteinander verknüpft werden. Da‐ durch ist der Unterschied zwischen verlinkten Modulen eines Textes und verschiedenen verlinkten Texten zuweilen nicht mehr so deutlich zu erken‐ nen wie in den beiden angeführten Beispielen. Hypertextualität bewirkt auf diese Weise ein Verschwimmen der Grenze zwischen Intratextualität und Intertextualität. Generell sind die Links mit ihren Benennungen eine Art hypertextuelle Kohäsionsmittel. Sie verbinden Textmodule nicht nur technisch, indem sie den Rezipienten zu einem anderen Textmodul weiterleiten. Ihre Benennung (z. B. Eine Basisdefinition in Abbildung 5-2) ist im Allgemeinen auch ein Hin‐ 5.3 Texte im Internet 215 weis darauf, was Leser*innen im nächsten Modul erwartet. Sie funktionieren somit ähnlich wie explizite Textverknüpfungen in herkömmlichen linearen Texten. Abb. 5-2: Website mit intratextueller Verlinkung (http: / / www.perzept.de/ hyper-text/ W as.htm) Abb. 5-3: Website mit intertextueller Verlinkung (http/ / www.heise.de/ tp/ blogs/ 2/ 1552 88) 5 Textlinguistik und das Internet 216 Hypertextualität und Ergodizität Hypertexte als computerver‐ waltete Texte Gedruckte Hypertexte Hypertextualität ist die Basis für Ergodizität (siehe Kapitel 2.4.3). Das heißt, sie ermöglicht es Rezipient*innen, ihren eigenen Weg durch den Hy‐ pertext zu finden, indem sie die Links auswählen, die sie anklicken. Diese aktive Beteiligung der Rezipient*innen an der Textkonstitution geht über die entsprechenden Aktivitäten der Leser*innen eines linearen Textes hinaus: Bei der Lektüre eines linearen Textes sind die Leser*innen auch am Aufbau des Textsinns beteiligt (siehe das Kommunikationsmodell in Kapitel 2.2.8). Bei der Rezeption eines Hypertextes stellen sie sich darüber hinaus auch die Textur erst endgültig zusammen. Der Autor oder die Autorin eines Hyper‐ textes formuliert natürlich die Textur, gestaltet sie und fügt auch die Verlin‐ kungen ein, aber die Rezipient*innen wählen dann aus, was sie lesen. Durch diese Selektionsprozesse bestimmen sie mit, wie die Textur aussieht, die sie rezipieren. Aus der Hypertextualität und der Ermöglichung ergodischen Rezipierens ergibt sich auch, dass das Textmerkmal der Abgeschlossenheit für On‐ line-Texte mit hypertextueller Struktur nicht mehr auf dieselbe Weise gilt wie für herkömmliche lineare Texte. Solange Links vorhanden sind, können Rezipient*innen potenziell immer weiterlesen. Natürlich überschreiten sie dann irgendwann die Grenze des einen Textes und betreten einen anderen. Solche Textgrenzen erscheinen aber durch die Verlinkungen zuweilen recht unscharf. Wann der eine Text abgeschlossen ist und wann der andere beginnt, ist daher nicht mehr so leicht bestimmbar. Zu dieser Reduktion der Abgeschlossenheit trägt außerdem die Aufsplit‐ terung eines Textes in einzelne (verlinkte) Module bei. Dadurch ist nicht im‐ mer klar, welcher Knoten noch zum einen Text gehört und welcher schon zum nächsten. Hypertextualität funktioniert im Internet und generell in den elektroni‐ schen Medien so gut, weil es dafür die entsprechenden technischen Voraus‐ setzungen gibt. Daher ist es auch berechtigt, das diesbezügliche von Storrer genannte Merkmal zur Definition und Beschreibung von Hypertexten her‐ anzuziehen: Hypertexte sind computerverwaltete Texte. Sobald man meh‐ rere elektronisch verlinkte Module eines Hypertexts ausdruckt, merkt man, was den Mehrwert eines Hypertexts ausmacht (vgl. Storrer 2000: 229). Die Links sind zwar noch immer erkennbar, aber man kann ihnen nicht mehr einfach durch Anklicken folgen. Eine hypertextuelle Modularisierung eines Textes ist daher nicht mehr so leicht möglich. Dazu sind jedoch zwei ein‐ schränkende Bemerkungen nötig: Einerseits gibt es auch Hypertextualität in gedruckten Texten, wenn auch nicht so ausgeprägt. Anderseits finden sich im Internet auch Texte, die keine Hypertexte sind. Hypertextualität findet sich in gedruckten Texten wie zum Beispiel Lexi‐ kon- oder Wörterbucheinträgen, wo mittels eines Pfeils oder eines anderen 5.3 Texte im Internet 217 Elektronische Texte vs. Hyper‐ texte Multimodale Texte im Internet Symbols auf einen anderen Eintrag verwiesen wird. Solche Verweise ver‐ wendet auch die Duden-Grammatik: (5-2) Sätze sind weitgehend vom finiten Verb bestimmt bzw. von dem damit gebildeten Prädikat (↑1309). Die übrigen Bestandteile, die Satzglieder, hängen davon ab (↑1179). (Duden 8 2009: 763) Die Pfeile und Zahlen in den Klammern verweisen auf die entsprechenden Abschnitte in der Grammatik. Sie stellen somit „Links“ in einem gedruckten Text dar. Die zweite Einschränkung bezieht sich darauf, dass man im Internet auch Texte findet, die keine hypertextuellen Verlinkungen aufweisen - abgesehen davon, dass man sie nur über einen Link erreichen kann. Es handelt sich dabei um herkömmliche Texte, die nur ins elektronische Medium übertragen oder gar eingescannt wurden. Ein Beispiel dafür sind wissenschaftliche Aufsätze, die ins Netz gestellt wurden, um sie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen (siehe z. B. die Homepage des Linguisten Utz Maas: https: / / zentr um.virtuos.uni-osnabrueck.de/ utz.maas). Solche Texte werden als „elektro‐ nische Texte“ bezeichnet (Wenz 2001: 96). Sie sind aber keine Hypertexte, was zeigt, dass Hypertexte zwar die typischsten und dem Medium adäqua‐ testen Texte im Internet sind, aber nicht die einzigen. 5.3.2 Vermischt: Multimodalität Multimodalität ist das zweite von Storrer (2000) genannte Definitionsmerk‐ mal von Hypertexten. Multimodalität ist jedoch aus unserer Sicht ein eigen‐ ständiges Merkmal von Internet-Texten und nicht an Hypertextualität ge‐ bunden, weshalb wir diesem Thema ein eigenes Unterkapitel widmen. Wie schon in Kapitel 2.4.1 dargestellt, gehört die Möglichkeit, verschie‐ dene semiotische Modi zu verwenden, zu den Affordances des Hybridmedi‐ ums Internet. Dies wirkt sich auch auf die Gestaltung von Texten aus: Wir finden im Internet so häufig Kombinationen aus sprachlichen, bildlichen und zum Teil auch anderen semiotischen Elementen, dass diese Form der Multi‐ modalität als typisch für Texte im Internet angesehen werden kann. 5 Textlinguistik und das Internet 218 Abb. 5-4: Website des deutschen Bundeskanzleramts (Ausschnitt) (www.bundesregie rung.de/ breg-de/ bundesregierung/ bundeskanzleramt) (2019-11-08) Als Beispiel kann hier die Website des deutschen Bundeskanzleramts dienen (Abbildung 5-4): Theoretisch wäre es auch möglich, zur Beschreibung dieser Institution einfach einen rein sprachlichen Text zu formulieren. Weit pas‐ sender für das Internet ist aber die hier gewählte Lösung: Die Informationen werden auf einzelne Module verteilt, und für diese Module werden verschie‐ dene semiotische Modi verwendet. So findet man ein Porträtbild des aktuel‐ 5.3 Texte im Internet 219 Leistungspotenziale von Sprache und Bildern len Kanzleramtsministers und verlinkt einen Text über ihn und seinen Auf‐ gabenbereich. Zusätzlich wird unter anderem unter „Geschichte und Architektur des Kanzleramts“ neben einem sprachlichen Text ein „Blick hin‐ ter die Kulissen“ in Form eines Videos zur Illustration angeboten. Auf diese Weise werden die Affordances des Internets genutzt, um Informationen an‐ schaulicher zu präsentieren, als es mit einer rein sprachlichen Beschreibung möglich wäre. Dass multimodale Texte zumindest für bestimmte kommunikative Zwecke geeigneter sind, beruht auf den unterschiedlichen Leistungspotenzialen der verschiedenen Zeichentypen. Bilder zum Beispiel leisten anderes als Sprache. Aufgabe 5-2 Überlegen Sie: Welche unterschiedlichen Eigenschaften von Bildern bzw. Sprache lassen sich feststellen? Welche kommunikativen Funk‐ tionen erfüllen Bilder besser als sprachliche Zeichen und umgekehrt? Hier eine kurze Gegenüberstellung von Eigenschaften der beiden semioti‐ schen Modi Bild und Sprache (nach Stöckl 2011: 48 f., gekürzt): Beschreibungsebene Bild Sprache Semiotik (Zeichensystem) flächige Anordnung lineare Anordnung ikonisch (wahrnehmungsnah) arbiträr (wahrneh‐ mungsfern) Perzeption/ Kognition (Verstehen) simultane Wahrnehmung sukzessive Wahrneh‐ mung schnell langsam (vergleichs‐ weise) gedächtnis- und wir‐ kungsstark gedächtnis- und wir‐ kungsschwach direkt emotionsverbunden nicht direkt emotions‐ verbunden Semantik (Bedeutungspotenzial) beschränkter semanti‐ scher Spielraum (z. B. keine oder nur einge‐ schränkte Möglichkeit zur Negation, zur Modalisie‐ rung, zur Referenz auf Abstraktes, zur Argumen‐ tation und logischen Ver‐ bindung von Aussagen) (tendenziell) unbe‐ schränkter semantischer Spielraum 5 Textlinguistik und das Internet 220 Hypermodalität Beschreibungsebene Bild Sprache Pragmatik (kommunikative Funktio‐ nalität) Zeigen merkmalsreicher Objekte Handlungen/ Ereignisse in der Zeit darstellen Anzeigen der Lage von Objekten zueinander im Raum Logische Bezüge (z. B. Kausalität oder Konditio‐ nalität) zwischen Ele‐ menten erklären Tab. 5-1: Gegenüberstellung von Eigenschaften von Bild und Sprache (vgl. Stöckl 2011: 48 f.) Bilder sind demnach besonders gut geeignet, wenn ein Gegenstand darge‐ stellt werden soll. Denselben Gegenstand verbal zu beschreiben ist schon wesentlich schwieriger: Bilder sagen mehr als 1000 Worte - zumindest, wenn es um Beschreibungen geht. Mit Bildern kann man auch besser emotionalisieren. Sie wirken schneller, direkter und stärker: „Bilder sind direkte Schüsse ins Gehirn“ (Kroeber-Riel 1996: 53). Andererseits ist die Sprache besser geeignet, wenn man etwas er‐ zählen will oder um logisch zu argumentieren. Sprachlich kann man Nega‐ tionen einfach ausdrücken oder eine Äußerung modalisieren (z. B. mittels Modalverben, Modaladverbien oder dem Konjunktiv). Aufgrund dieser unterschiedlichen Leistungspotenziale der beiden semio‐ tischen Modi ist es oft vorteilhaft, beide in multimodalen Texten zu kombi‐ nieren. Bilder können so zum Beispiel beschreibende Teile einer Erzählung ersetzen oder ergänzen. Im obigen Beispiel (Abbildung 5-4) wird das Por‐ trätfoto des Kanzleramtsministers verwendet, damit Rezipient*innen wissen, wie er aussieht, und sie dadurch vielleicht auch einen direkteren Bezug zu dieser Person herstellen können. Eine verbale Beschreibung wäre hingegen unpassend und könnte nie das leisten, was das Bild vermag. Auch das Video „Das Bundeskanzleramt - ein Blick hinter die Kulissen“ ist wesentlich an‐ schaulicher, als es ein sprachlicher Text je sein könnte. Bilder dienen daneben auch der Strukturierung von Texten, wie an unse‐ rem Beispiel schön zu erkennen ist. Sie sind damit Teil des Textdesigns von Sprache-Bild-Gefügen, die Schmitz (2003: 626) als „Lesebilder im Internet“ bezeichnet. Zusätzlich können Bilder - wie in unserem Beispiel - als Links fungieren. Dabei kommt es zu einer besonders deutlichen Kombination mit der anderen schon beschriebenen Eigenschaft prototypischer Texte im Internet: der Hy‐ pertextualität. Die Verbindung von Multimodalität und Hypertextualität nennt man „Hypermodalität“ (Weidacher 2007; Lemke 2002). Erst durch Hy‐ permodalität werden die Affordances des Mediums Internet tatsächlich ge‐ 5.3 Texte im Internet 221 Verringerte Stabilität durch Löschbarkeit Verringerte Stabilität durch Fluidity nutzt. Sie ist daher auch ein wesentliches Merkmal prototypischer Inter‐ net-Texte, wenn sie auch nicht bei allen Texten im Internet vorkommt. 5.3.3 Verflüssigt: Fluidity Die sprechsituationsüberdauernde Stabilität von Texturen ist eines der zen‐ tralen Definitonsmerkmale von Texten. Bei geschriebenen Texten im Inter‐ net ist dieses Kriterium von Textualität im Grunde auch auf dieselbe Weise gegeben. Allerdings gibt es im Internet zwei Phänomene, die die Stabilität verringern: ▸ Texte können zwar recht einfach ins Netz gestellt werden, sie können ▸ aber auch ebenso einfach wieder gelöscht werden. ▸ Manche Texte im Internet werden immer wieder überarbeitet. Ihre ▸ Textur wird verändert - und das zuweilen von mehreren Autoren. Zum ersten Punkt ist zu sagen, dass das Löschen von Texten zwar an sich tatsächlich recht einfach ist, dass allerdings Texte oder Bilder manchmal vor dem Löschen durch andere User*innen im Internet weiterverbreitet und an anderer Stelle gespeichert werden. In diesem Fall lassen sie sich nur an ihrem ursprünglichen Ort im Netz löschen, aber möglicherweise nicht mehr end‐ gültig aus dem Internet entfernen. Diese ungewollte Stabilität ist jedoch kein Gegenargument zur prinzipiellen Löschbarkeit von Texten im Internet. Diese ist zum Beispiel auf Websites von Online-Zeitungen gut zu erkennen, wo Artikel im Normalfall nicht länger als ca. einen Tag zu finden sind. Auf das Problem, dass vor allem manche Jugendliche gerne - auch erotische oder peinlich-lustige - Fotos von sich machen, um diese elektronisch an Freunde zu schicken, sie aber aufgrund von schlechten Erfahrungen fürchten, dass diese Fotos dann im Internet verbreitet werden könnten, hat Snapchat (www.snapchat.com) reagiert. Über diese Plattform kann man Fotos und Videos austauschen, die aber für den Empfänger nur bis zu zehn Sekunden sichtbar bleiben. Dann ver‐ schwinden sie. Die Bilder können auch zumindest nicht einfach ge‐ speichert werden. Damit wird versucht, die befürchtete sprechsituati‐ onsüberdauernde Stabilität und dadurch ermöglichte Verbreitung - in diesem Fall von Bildern - zu verhindern. Die prinzipielle einfache Löschbarkeit von Texten im Internet ist der eine Aspekt ihrer verringerten Stabilität. Interessanter ist der andere Aspekt: die Fluidity (vgl. Barton/ Lee 2013: 26) oder „Verflüssigung“ von Texten. 5 Textlinguistik und das Internet 222 Abb. 5-5: Versionsgeschichte des Wikipedia-Artikels zu „Doris Lessing“ (Ausschnitt) (http: / / de.wikipedia.org/ w/ index.php? title=Doris_Lessing=history) Fluidity kennzeichnet zum Beispiel Instagram Stories, die nur 24 Stunden lang zugänglich bleiben. Ansonsten ist sie im Speziellen bei Texten in soge‐ nannten Wikis ausgeprägt und dort auch besonders gut nachvollziehbar, von denen die Online-Enzyklopädie Wikipedia am bekanntesten ist. Wiki bzw. ursprünglich wikiwiki bedeutet schnell auf Hawaiianisch. Der Software-Entwickler Ward Cunningham, der mit den gängigen Textverarbeitungsprogrammen unzufrieden war, wurde 1995 zu dieser Namensgebung angeregt, als er den Shuttlebus vom Flughafen Hono‐ lulu zum Strand sah: den Wikiwiki-Bus (vgl. Ebersbach/ Glaser/ Heigl 2011: 41). Wie man in Abbildung 5-5 sehen kann, werden die einzelnen Artikel dieser Online-Enzyklopädie kollaborativ, also von mehreren Autor*innen (hier z. B. Malki1211, JD Müller etc.), verfasst, wobei sich die Autor*innen im Allge‐ meinen nicht kennen (vgl. Herring 2013: 15). Es handelt sich bei Wikipedia daher um eine Plattform, die für das Web 2.0 typisch ist (siehe Kapitel 2.3.2). Entscheidend für die Fluidity solcher Texte ist, dass das kollaborative Ar‐ beiten an einem Eintrag in der Online-Enzyklopädie prinzipiell nie abge‐ schlossen ist. Wenn wir einen Eintrag wie zum Beispiel den zu Doris Lessing lesen, so haben wir zwar einen temporär stabilisierten Text vor uns. Durch die ständige Überarbeitung ist die Stabilität jedoch nur eine relative. Da‐ durch, dass des Weiteren die Versionsgeschichte (siehe Abbildung 5-5) für alle Nutzer*innen einsehbar ist, wird die Historie der Textgenese offengelegt und damit die Verflüssigung des Textes verdeutlicht. 5.3 Texte im Internet 223 Externe Dialogizität Fluidity ist kein Merkmal aller Texte im Internet. Sie ist aber Ausdruck der Nutzung einer sehr internetspezifischen Affordance des Mediums. Zugleich verkörpern Texte, die auf diese Weise „verflüssigt“ sind, in besonderem Maß den durch das Internet geförderten Wandel von textueller Kommunikation. 5.3.4 Verteilt: Dialogizität Prototypische Texte sind monologisch. Im Internet gibt es jedoch Texte, für die dieses Prinzip nicht mehr eindeutig gilt. Dafür gibt es zwei Gründe: Ers‐ tens die Ermöglichung externer Dialogizität, zweitens die Ermöglichung in‐ terner Dialogizität. Unter externer Dialogizität verstehen wir die Möglichkeit, auf einen Text direkt zu antworten, wobei die Antwort vom Text selbst eingefordert wird. Diese Form der Dialogizität, die ursprünglich kennzeichnend für mündliche Gespräche ist, findet man auch schon beim Briefverkehr. Allerdings verläuft der schriftliche Dialog dort stark asynchron, weshalb die Dialogizität zu‐ mindest eingeschränkt ist. Im Internet ist externe Dialogizität hingegen bei manchen Kommunikati‐ onsformen auch mehr oder weniger synchron möglich, etwa beim Chatten und in Diskussionen in Foren oder auf Twitter (Beispiel 5-3). (5-3) (Twitter, 2013-11-18, 15: 28, 16: 11, 16: 52) Der erste Tweet initialisiert durch seine Aufforderung (Bitte vervollständigen Sie diesen Satz) einen Dialog. Die Antwort kommt dann ca. eine Stunde später, theoretisch wäre aber auch eine sofortige Antwort möglich gewesen. Auf den 5 Textlinguistik und das Internet 224 Interne Dialogizität zweiten Tweet folgt eine Reaktion von einem anderen User. Dieser dritte Tweet ist zwar keine Antwort auf eine Frage, aber dennoch Teil des dialogi‐ schen Gesprächs, weil es sich um einen reaktiven Gesprächsakt handelt. Diese extern dialogischen Tweets sind für sich jeweils Texte. Wenn ein Rezipient aber das gesamte Twitter-Gespräch auf einmal und als Einheit liest, so wird es für ihn zu einem komplexen Text, der sich aus den einzelnen Tweets zusammensetzt. Dieser komplexe Text weist interne Dialogizität auf. Interne Dialogizität kennzeichnet zum Beispiel Dramen. Auch diese werden als Gesamttext rezipiert, bestehen aber aus den Redebeiträgen der einzelnen Figuren. Allerdings steht hinter diesen Redebeiträgen ein Autor oder eine Autorin, der Verfasser bzw. die Verfasserin des Dramas, der bzw. die die ein‐ zelnen Äußerungen den Figuren in den Mund legt. Texte mit interner Dialogizität im Internet, wie das Twitter-Gespräch in Beispiel (5-3), sind hingegen kaum einmal von nur einem Autor oder einer Autorin verfasst worden. Im Allgemeinen handelt es sich um kollaborativ-dia‐ logisch konstituierte Texte. Auch aus diesem Grund unterscheiden sie sich von prototypischen Texten, die von einem Autor oder einer Autorin als Texte in‐ tendiert sind. Die Teilnehmer*innen am obigen Twitter-Gespräch intendierten hingegen wohl kaum das Gespräch insgesamt als Text. Sie trugen nur durch ihre Tweets dazu bei. Erst nach Beendigung des „Gesprächs“ wird der Gesamt‐ text als kohäsiv und kohärent rezipiert. Ein weiteres Beispiel für externe wie auch interne Dialogizität ist ein Ausschnitt aus der Facebook-Seite des ehe‐ maligen österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann (5-4): (5-4) 25. Mai 2012: Bundeskanzler Werner Faymann Die Schweizer Fahne ist gehisst: Heute um 14 Uhr trifft Bundeskanzler Werner Faymann die Bundespräsidentin der Schweiz, Eveline Widmer-Schlumpf, im Bun‐ deskanzleramt. (t.b.) Heinz Sommer: schön .. was gibts am buffet ..? [1] Wolfgang Ladich: …na wenigsten ein Staatsakt, wo uns niemand um Geld anbet‐ telt …! ! [2] Gerhard Nakuru: Ein Schlumpftreffen? [3] Christian Knop: Kommt auch Vater Abraham? [4] Helmut Hirtenlehner: Viel Spass und alles Gute ! [5] P0l Vinccenöur: Die besprechen, wos am besten hinflüchten sollten, um dem Volkszorn zu entgehenAA [6] Siegfried Pirker: Na jetzt trifft unser BK Werner mal jemanden aus der besten Demokratie der Erde. ICH HOFFE ER LERNT WAS DABEI UND KANN ES IN ÖSTERREICH UMSET‐ ZEN! ! [7] 5.3 Texte im Internet 225 Zwischen-Fazit Christian Knop: Nur ist Österreich reif für eine direkte Demokratie? Ich glaub nein! ! [8] Ingomar Pesz: …na ja, ich kenne die Schweiz und ihre Verhältnisse sehr gut. Ob sie aber „die beste Demokratie der Welt ist“, davon bin ich nicht überzeugt. Ich möchte hier keine Abstimmungen, die sich gegen Menschengruppen richten, ich möchte auch kei …ne, die die Religionsfreiheit einschränken und ich möchte auch keine, bei denen sich das Volk in bestehende Rechte Einzelner oder Gruppen (Pen‐ sionen, Sozialhilfe, Krankenversicherung etc.) nachträglich einmischt. Das alles gibt’s in der Schweiz und es klingt immer sehr schön, aber nur dann, wenn man auf die Butterseite fällt; sprich: ein hohes Gehalt einstreifen kann. [9] (Facebook, Bundeskanzler Werner Faymann, 2012-05-25) Das „Team Bundeskanzler“ (t.b.) postete auf der Facebook-Seite des damali‐ gen österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann die Meldung, dass die Schweizer Präsidentin Widmer-Schlumpf auf Staatsbesuch nach Wien ge‐ kommen ist. Diese Meldung ist ein an sich monologischer Text. Allerdings wurde er von etlichen User*innen kommentiert. Die geposteten Kommentare sind zum Teil direkte Reaktionen auf den Inhalt dieser Meldung ([1], [2], [5], [6]). Zum Teil sind es aber auch scherzhafte Wortspiele mit dem Namen der Schweizer Präsidentin ([3], [4]). Diese Kommentare sind - mit Ausnahme von [5] - sicher keine Reaktionen, die so vom „Team Bundeskanzler“ inten‐ diert oder gewünscht waren. Als reaktive Äußerungen brechen sie aber den‐ noch die Monologizität der Meldung auf. Noch interessanter sind in Hinblick auf die Dialogizität aber die Kommen‐ tare [7] - [9]. Hier entwickelt sich nämlich ein Dialog zwischen den Usern in Form einer „ipöK“, also einer interpersonal-öffentlichen Kommunikation (siehe Kapitel 2.3.4): [7] ist zwar eine Reaktion auf die ursprüngliche Mel‐ dung, [8] und [9] hingegen reagieren auf [7]. Dabei wird in [8] ein Element aus [7] (der besten Demokratie der Erde) implizit mit direkte Demokratie wieder aufgenommen; in [9] das gleiche Element sogar wörtlich wiederholt. Die ein‐ zelnen Beiträge sind somit kohäsiv verknüpft, was die (externe) Dialogizität dieser Kommentare auch an der sprachlichen Oberfläche deutlich macht. Wenn man nun im Nachhinein die Meldung und die geposteten Kommen‐ tare liest, erfasst man alles zusammen als einen Text. Es ist sicher kein pro‐ totypischer Text, weil er nicht als solcher intendiert wurde, nicht von einem Autor bzw. einer Autorin oder zumindest einem Autor*innenteam als Text konzipiert wurde und weil der ursprüngliche dialogische Charakter der Kommentare weiterhin sehr stark ausgeprägt ist. Trotzdem kann man - zu‐ mindest aus Sicht der Rezipient*innen - von einem Gesamttext sprechen, aber eben einem Text mit interner Dialogizität. Texte im Internet sind natürlich Texte, die auch die Merkmale prototypischer Texte in alten Medien aufweisen. Es handelt sich um mehr oder weniger 5 Textlinguistik und das Internet 226 komplexe Gebilde, die kohärent sind, eine Funktion haben, einer Textsorte zugerechnet werden können usw. Allerdings sind zumindest einige Texte im Internet - und zwar gerade solche, die als besonders typisch für textuelle Internet-Kommunikation gelten - durch Eigenheiten geprägt, die den Kri‐ terien herkömmlicher Textualität widersprechen bzw. die diese Kriterien er‐ weitern. Tabelle 5-2 soll das in Form einer zusammenfassenden Gegenüber‐ stellung noch einmal veranschaulichen: Merkmale prototypischer herkömmlicher Texte Besondere Merkmale von (vielen) Texten im Internet Stabilität Fluidity Abgeschlossenheit Hypertextualität Sprachlichkeit/ Schriftlichkeit Multimodalität Monologizität Dialogizität Tab. 5-2: Gegenüberstellung: Kennzeichen prototypischer Texte vs. entsprechende Ei‐ genheiten von Texten im Internet Ein typisches Beispiel für einen (komplexen) Text im Internet ist eine poli‐ tische Facebook- oder Instagram-Seite wie die des österreichischen Politikers Sebastian Kurz (www.facebook.com/ sebastiankurz.at/ bzw. www.instagram. com/ sebastiankurz/ ): Fluidity ist durch die kollaborative und sich stetig ver‐ ändernde Gestaltung der Seite gegeben, Hypertextualität durch die Modula‐ risierung und die Verlinkungen, Multimodalität durch den Einsatz der se‐ miotischen Modi Sprache und Bild und Dialogizität durch die Kommentar- und die Gefällt-mir-Funktion. Prototypische Texte im Internet sehen also in einigen Punkten anders aus als ein generell prototypischer Text. Dies bedeutet nun nicht - um unsere Frage vom Beginn des Kapitels zu beantworten -, dass wir eine eigene In‐ ternet-Textlinguistik mit völlig neuer Begrifflichkeit brauchen. Schließlich haben wir im Internet auch Texte vor uns, die mehr oder weniger kohäsiv und kohärent sind, die eine Textfunktion haben und die man mehr oder we‐ niger einer Textsorte zuordnen kann. Eine Adaption und Erweiterung des Text-Begriffs ist hingegen angesichts der Entwicklung textueller Kommuni‐ kation im Internet wohl unumgänglich, speziell wenn man auch den kreati‐ ven Umgang mit Texten und den medialen Möglichkeiten des Internets er‐ fassen will, wie wir sie in Abbildung 5-6 vor uns haben. 5.3 Texte im Internet 227 Kommunikati‐ onsformen Abb. 5-6: Zwei durch eine Hand scheinbar verbundene Tweets (Twitter, ( ノ ಠ 益 ಠ) ノ I’M EVIL @PokemaniacoJuan, 2013-11-06, 20: 02) Aufgabe 5-3 Überlegen bzw. diskutieren Sie: Handelt es sich bei den beiden Tweets in Abbildung 5-6 jeweils um Texte oder insgesamt um einen Gesamt‐ text? Ziehen Sie zur Beantwortung der Frage die erläuterten Merkmale von prototypischen Texten und von Texten im Internet heran. 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet Kommunikationsformen sind „medial bedingte kulturelle Praktiken“ (Holly 2011: 155). Das heißt, sie sind Ausformungen kommunikativer Handlungen, die sich in einer Sprach-, Kommunikations- oder Kulturgemeinschaft her‐ ausgebildet haben. Dabei spielen die mediale Basis der jeweiligen Kommu‐ nikationsform und der Charakter der Kommunikationssituation die ent‐ scheidende Rolle. Allerdings ist auch der kulturelle Aspekt nicht zu unterschätzen: Kommunikationsformen entstehen erst durch die Art und 5 Textlinguistik und das Internet 228 Was ist eine Text‐ sorte? Textsorten als typisierte Ant‐ worten auf Kommunikati‐ onsanlässe Weise des Gebrauchs, den Kommunizierende von den Möglichkeiten eines Mediums machen (siehe Kapitel 2.2.7). Die wichtigsten Kommunikationsformen im Internet sind Websites, Soziale-Netzwerk-Seiten als eine spezielle Form von Websites, Blogs (inkl. Foto-Blogs), Vlogs, Microblogs, E-Mails (bzw. Web-Mails), Instant Messages oder WhatsApp-Messages, Sprachnachrichten, Chatrooms (bzw. Chats) und Internet-Telefonie (Skypen). Jede dieser Kommunikationsformen nutzt die eine oder andere Affordance des Mediums Internet. Jede ist aber auch durch dessen Constraints geprägt. Die genannten Kommunikationsformen stellen spezifische Nutzungsweisen des Internets dar. Zugleich sind sie Antworten auf Kommunikationsbedürfnisse: Am Beginn der Entwicklung des Internets stand der Wunsch, Informationen rasch austauschen zu können. Das Internet stellte dafür die technisch-mediale Basis zur Verfügung. Die einzelnen Kom‐ munikationsformen wurden entwickelt, um das Medium auf eine praktikable und effiziente Weise nutzen zu können und um unterschiedliche Kommuni‐ kationsbedürfnisse zu bedienen. So sind E-Mails eine Möglichkeit, viel schneller direkt schriftlich miteinander zu kommunizieren, als man es brief‐ lich je könnte. Die Kommunikationsform E-Mail ist somit eine Reaktion auf den Bedarf nach einer Beschleunigung kommunikativer Prozesse. Ein anderes Beispiel sind Websites, die von Firmen ins Netz gestellt wer‐ den, damit sich potenzielle Kund*innen stets über aktuelle Produkte oder die Firma generell informieren können. Natürlich steht hier vor allem auch die Absicht der Firma dahinter, Werbung zu betreiben. Beide Aspekte von Fir‐ men-Websites entsprechen Kommunikationsbedürfnissen einerseits der Firma und andererseits der Kund*innen. Wenn wir von Firmen-Websites sprechen, sprechen wir allerdings nicht mehr nur von Kommunikationsformen. Websites sind Kommunikationsfor‐ men, Firmen-Websites hingegen Textsorten. Der Unterschied besteht darin, dass Websites als Kommunikationsformen nur als bestimmte formale Aus‐ prägungen der Nutzung eines Mediums definiert sind. Firmen-Websites sind als Textsorten hingegen darüber hinaus durch ihre Funktion bestimmt. Au‐ ßerdem sind bei Textsorten die formalen Eigenschaften im Allgemeinen de‐ taillierter bestimmbar. Was sind nun Textsorten genau? Textsorten sind - wie Kommunikations‐ formen - Mittel, um bestimmte Kommunikationsprobleme zu lösen. Aller‐ dings handelt es sich dabei um spezifischere Probleme, weshalb auch Text‐ sorten als Lösungen spezifischer ausgeformt sind. Grunsätzlich lassen sich Textsorten daher, wie folgt, definieren (siehe dazu Devitt 2008: 1 ff.): Textsorten sind typisierte Antworten auf sich wiederholende kommuni‐ kative Anlässe bzw. Situationen. Das heißt, Textsorten sind in ihrer Form konventionalisiert worden, weil sie sich bei der Lösung eines Kommunika‐ tionsproblems als erfolgreich erwiesen haben und daher auch von anderen, 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet 229 die vor demselben Kommunikationsproblem standen, angewendet wurden. Aufgrund der Konventionalisierung einer Textsorte kann nun auf diese zu‐ rückgegriffen werden, und wir müssen uns nicht immer wieder aufs Neue überlegen, wie wir das jeweilige Kommunikationsproblem lösen könnten (vgl. auch Schwarz-Friesel/ Consten 2014). Ein Beispiel ist die automatisch verschickte Erinnerungs-E-Mail einer Universitätsbibliothek mit der Mitteilung, dass ein ausgeliehenes Buch bald zurückzugeben ist (Beispiel 5-5). Entscheidend ist dabei nicht, dass diese E-Mail automatisch generiert und verschickt wurde, sondern dass jede Bibliothek ihre Erinnerungs-E-Mails auf zumindest sehr ähnliche Weise formuliert. Zum Beispiel werden die genauen Angaben zum fälligen Buch eingefügt, und das in mehr oder weniger ähnli‐ cher tabellarischer Form. (5-5) (Erinnerungs-E-Mail, UB Graz, 2013-11-18) Wenn Bibliotheken also vor dem Kommunikationsproblem stehen, Entleh‐ ner*innen an die Rückgabe eines Buches erinnern zu müssen, können sie auf die konventionalisierte Textsorte „Erinnerungs-E-Mail einer Bibliothek“ zu‐ rückgreifen, wie man auch an Beispiel (5-6), einem Erinnerungs-E-Mail einer anderen Bibliothek, erkennen kann. Die Formulierung und Gestaltung dieses Textes entspricht zwar nicht in jedem Detail, aber doch von der Grundstruk‐ tur und den meisten Merkmalen her der der anderen Erinnerungs-E-Mail. 5 Textlinguistik und das Internet 230 Textsorten als situationsspezifische kommunikative Praktiken Prägung von Textsorten durch ihre Kontexte Der situative Kontext (5-6) (Erinnerungs-E-Mail, UB TU Berlin, 2013-04-13) Textsorten sind somit situationsspezifische kommunikative Praktiken: Sie haben sich in bestimmten Kommunikationssituationen herausgebildet und erfüllen dort eine spezifische Funktion. Und sie sind in ihrer Form konven‐ tionalisiert. Das heißt, dass unter anderem ein bestimmter sprachlicher Stil verwendet wird, wenn nötig, zur Kommunikationsdomäne passende Ter‐ mini, eine bestimmte Textstruktur und ein mehr oder weniger stark kon‐ ventionalisiertes Layout. Als kommunikative Praktiken stellen Textsorten daher formal typisierte kommunikative Handlungen dar. Textsorten werden demzufolge in ihrer Form geprägt durch ihre jeweilige Kommunikationsfunktion, die situativen Parameter (Kontext der Situation), das Medium (Kontext des Mediums), andere vorhandene Textsorten (Kontext der Textsorten) und die gruppenspezifsche Kultur (Kontext der Kultur). In unserem Beispiel (5-5) ist die Kommunikationsfunktion klar: Es handelt sich um eine Mitteilung, die einerseits informiert (Informationsfunktion), zugleich zur Rückgabe des Buches oder zur Verlängerung der Leihfrist auf‐ fordert (Appellfunktion). Die situativen Parameter ergeben sich unter ande‐ rem aus den an der Kommunikation Beteiligten. Das sind hier der Entlehner oder die Entlehnerin als Individuum in der Rolle des Empfängers und die Universitätsbibliothek als Institution in der Rolle des Senders. Zwischen die‐ sen besteht aufgrund der Buchausleihe ein soziales Verhältnis, das Entleh‐ ner*innen verpflichtet, das Buch zurückzugeben, und das es der Bibliothek erlaubt, Entlehner*innen daran zu erinnern oder sie gegebenenfalls auch zu mahnen. 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet 231 Der Kontext des Mediums Der Kontext der Textsorten Der Kontext der Kultur Formale Merkmale von Textsorten Das Internet, über das die E-Mail gesendet wurde, bildet den Kontext des Mediums, wobei hier mit dem Kontext des Mediums auch die gewählte Form der Verwendung des Mediums, also die Kommunikationsform E-Mail, ge‐ meint ist. Beide, Medium und Kommunikationsform, beeinflussen grundle‐ gend die formalen Eigenschaften einer Textsorte. Ebenfalls relevant ist die Vorbildwirkung anderer - meist älterer - Text‐ sorten. So ist bei der zitierten Erinnerungs-E-Mail noch immer das Vorbild eines Erinnerungsschreibens in Form eines Briefes erkennbar. Gerade bei der Herausbildung neuer Textsorten wird, sofern möglich, auf bereits vorhan‐ dene zurückgegriffen, auch wenn sie für das neue Medium adaptiert werden müssen. Das ist einfacher als die Erfindung völlig neuer Formen. Außerdem ist es für uns kognitiv praktisch unmöglich, bereits konventionalisierte Lö‐ sungen, wie es die vorhandenen Textsorten sind, nicht zu berücksichtigen. Neben dieser paradigmatischen Vernetzung von Textsorten mit älteren oder hinsichtlich Form und Funktion verwandten Textsorten können auch syn‐ tagmatische Verbindungen die Gestalt einer Textsorte beeinflussen. Dies ist zum Beispiel bei einem Mahnschreiben der Fall, das im Allgemeinen einen Hinweis auf ein zuvor ergangenes Erinnerungs-E-Mail, auf das vom Entleh‐ ner oder der Entlehnerin nicht entsprechend reagiert wurde, als konstitutives Element enthält. Damit ist eine Textsorte wie in unserem Beispiel „Erinne‐ rungs-E-Mail einer Bibliothek“ stets in ein Textsortennetz (vgl. Weidacher 2018: 49-53), d. h. in einen Kontext anderer Textsorten eingebettet. Schließlich prägt auch noch der Kontext der jeweiligen Kultur eine Text‐ sorte. In unserem Beispiel (5-5) wirkt er sich unter anderem dadurch aus, dass die Institution der Leihbibliothek in unserer Kultur existiert. Damit ist das kulturelle Konzept des Ausleihens und Zurückgebens verbunden. Gerade dieses Konzept ist für die Erinnerungs-E-Mail ein ganz entscheidender As‐ pekt des kulturellen Kontexts, weil einerseits damit die Funktion der Text‐ sorte zusammenhängt, andererseits aber auch die sprachlich-formale Ge‐ staltung. Nur dadurch, dass Entlehner*innen zur Rückgabe des Buches verpflichtet sind, ist die Bibliothek dazu berechtigt, sie daran zu erinnern bzw. die Rückgabe zu fordern. Und nur aus diesem Grund kann sie eine solche Forderung mehr oder weniger direkt formulieren, und das in einem Stil, wie er aufgrund kultureller Konventionen hier passend erscheint. Die Prägung von Textsorten durch die verschiedenen Kontexte zeigt sich also auch in ihrer sprachlichen Formulierung und ihrer semiotischen Ge‐ staltung. Texte, die einer Textsorte angehören, weisen daher gemeinsame Merkmale auf, wie etwa die Verwendung bestimmter semiotischer Modi (z. B. Texte mit oder ohne Bilder), eines bestimmten Stils (z. B. formell vs. infor‐ mell), einer bestimmten Lexik (z. B. fachsprachlich oder nicht), eines be‐ stimmten Layouts (z. B. das Layout eines Zeitungsberichts mit Titel, Lead und dem Haupttext in Spalten) oder einer bestimmten Art der Textstruktur 5 Textlinguistik und das Internet 232 Wandelbarkeit von Textsorten (z. B. narrativ, deskriptiv oder argumentativ). Dazu kommt, dass Textsorten meistens durch ein Thema oder ein Themengebiet, das besprochen wird, charakterisiert sind. Aufgabe 5-4 1. Analysieren Sie den Beispieltext (5-6): Welche formalen Merkmale 1. sind typisch für die Textsorte „Erinnerungs-E-Mail einer Biblio‐ thek an einen Entlehner“? 2. Überlegen Sie, welche formalen Merkmale für einen Zeitungs‐ 2. kommentar (auch in einer Online-Zeitung) kennzeichnend sind. Sie können dazu auch im Internet zum Thema „journalistische Textsorten“ recherchieren. Die formalen Merkmale von Textsorten erleichtern es Rezipient*innen, die Kommunikationsabsicht von Textautor*innen zu erkennen und den Text in einen passenden Kontext einzuordnen. Sie können dabei ebenso auf ihr Wis‐ sen über Textsorten als kommunikative Praktiken zurückgreifen, wie es die Autor*innen von Texten getan haben. Wichtig ist dabei nur, dass alle an ei‐ nem Kommunikationsprozess Beteiligten die verwendete Textsorte, ihre Funktion und ihre formale Gestalt gleichermaßen kennen. Da sich die sozialen Verhältnisse und damit auch die Kontexte textueller Kommunikation ändern, unterliegen auch Textsorten einem stetigen Wan‐ del. Textsortenmerkmale verändern sich, ganze Textsorten werden nicht mehr gebraucht (z. B. Glückwunschtelegramme). Dafür entstehen neue kom‐ munikative Praktiken und damit neue Textsorten (vgl. dazu die Beispiela‐ nalysen in Brock/ Pflaeging/ Schildhauer 2019). Diese sind, wie oben erwähnt, häufig in ihrer Form an alte Textsorten angelehnt, insbesondere wenn sie dieselbe oder zumindest eine ähnliche Funktion haben. Beispiele wären Glückwunsch-Posts auf Facebook oder Glückwunsch-WhatsApp-Mitteilun‐ gen, die in manchen Aspekten Glückwunschtelegrammen ähneln. Heutzutage sind es gerade die neuen Medien und insbesondere das Internet, die durch ihre technischen Möglichkeiten die Herausbildung neuer Textsorten gestatten (vgl. Schwarz-Friesel/ Consten 2014). Deren typische Merkmale sind zum Teil erst dabei, sich auszuprägen und konventionalisiert zu werden. Daraus resultiert zum Beispiel die Unsicherheit, wie man eine E-Mail for‐ mulieren soll: Wie formell muss der Stil sein? Benötige ich eine Anrede und, falls ja, wie soll diese aussehen: Sehr geehrte Frau XY, Liebe XY oder einfach Hallo? Das hängt natürlich vom situativen Kontext ab, ob die Kommunizie‐ renden z. B. in einem privaten oder offiziellen Verhältnis zueinander stehen. Dennoch: Während es bei Briefen ziemlich klar war, wie ein privater oder 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet 233 Die Kommunika‐ tionsform Website Das Prinzip „detail on demand“ ein offizieller Brief auszusehen hatte und welche Anrede verwendet werden musste, scheint das bei E-Mails nicht so eindeutig bzw. noch nicht so stark konventionalisiert zu sein. Der Kontext des Hybridmediums Internet, in dem sich die neuen Textsorten entwickeln, verwischt die Grenzen zwischen privat und offiziell offenbar in einigen Handlungsdomänen, und das wirkt sich auch auf die Herausbildung der formalen Merkmale der neuen Textsorten aus (siehe dazu auch Kapitel 4.1, 4.4 und 5.4.3). Im Internet haben sich verschiedene neue Kommunikationsformen ent‐ wickelt. Schon alleine darum entstehen auch immer neue Textsorten bzw. verändern sich die schon etablierten. Wir können hier natürlich nicht alle neuen Textsorten beschreiben, ja nicht einmal aufzählen. Daher soll anhand von einigen wenigen Beispielen textueller Kommunikation im Internet die Herausbildung von Textsorten und ihre theoretische Bestimmung exempla‐ risch besprochen werden. 5.4.1 Der „Tatort“ nicht mehr nur im TV - Websites zu traditionellen Medienangeboten Der deutsche Fernsehsender ARD informiert die Zuschauer mittels einer Website über die Fernsehserie „Tatort“. Die Frage ist allerdings, ob man bei dieser Website überhaupt von einem Text sprechen kann und, wenn ja, wel‐ cher Textsorte er zuzurechnen wäre. Eine Website ist grundsätzlich eine Kommunikationsform, sogar die wich‐ tigste Kommunikationsform im Internet. Sie ist außerdem die typischste Umsetzung des Prinzips der Hypertextualität im Internet. Lehnen (2006: 199) definiert Websites sogar als „im Internet online verfügbare Hypertexte“, was uns aber angesichts anderer Kommunikationsformen, die auch hypertextu‐ elle Verlinkungen aufweisen können (z. B. Tweets, E-Mails, Blogs etc.), als zu verengende Definition erscheint. Richtig ist aber zweifellos, dass Websites beinahe notwendigerweise eine Hypertextstruktur zugrunde liegt. Dies liegt daran, dass eine bildschirmge‐ rechte Darstellung der Inhalte erforderlich ist, die präsentiert und vermittelt werden sollen. Da das Lesen langer Texte am Bildschirm eher mühsam ist - und man normalerweise auch nicht so gern lange scrollt -, sollten die Inhalte auf mehrere Module aufgeteilt und die Module durch Links verknüpft wer‐ den. Die Leser*innen können so mittels Anklicken die Informationen aufru‐ fen, die sie interessieren, und sie können diese leichter rezipieren, weil sie ihnen in Form kürzerer Textmodule angeboten werden. Das Prinzip, das dieser Gestaltungsweise zugrunde liegt, nennt man „De‐ tail auf Nachfrage“ bzw. „detail on demand“ (Storrer 2004: 217). Es zeigt sich sehr schön in der Gestaltung der Startseite der ARD-Website zur Fernsehserie „Tatort“ (Beispiel 5-7). 5 Textlinguistik und das Internet 234 Beispielanalyse Auf dieser Homepage zum „Tatort“ finden sich zunächst abgesehen von den Sendeterminen keine konkreten Informationen. Rezipient*innen können sich diese aber durch Anklicken der Links (Alle Fälle, Vorschau, Kommissare usw.) selbst ihren Interessen entsprechend suchen. Dies ist auch im Normal‐ fall die Hauptfunktion der Homepage einer Website: Sie dient als Portal, durch das man die Website betritt, wobei die weiterführenden Wege durch die Links angezeigt werden. (5-7) (Website zur Serie „Tatort“ (Ausschnitt), Das Erste, www.daserste.de/ unterhaltun g/ krimi/ tatort/ index.html, 2019-11-08) Als Homepage bezeichnet man eigentlich nur die Start- oder Einstiegs‐ seite einer Website. Es hat sich aber auch die ungenaue Verwendungs‐ weise verbreitet, dass man eine gesamte Website Homepage nennt. Durch das Anklicken der meisten Links auf dieser Homepage gelangen Re‐ zipient*innen zu direkt vom Fernsehsender bereitgestelltem Informations‐ material. Dieses besteht aus sprachlichen Texten, Bildern und Videos, ist also multimodal aufbereitet. Rezipient*innen können aber auch auf den Link „Alle Fälle“ klicken, wenn sie eine Online-Diskussion über die einzelnen Folgen der Serie verfolgen oder an der Diskussion selbst teilnehmen möchten. Dort können sie auch Fragen zur jeweiligen Folge stellen und so zu weiteren In‐ formationen kommen. Sie können aber auch nur den intern dialogischen Text einer Forumsdiskussion lesen. Über diesen Link finden sie also Informatio‐ nen, die nicht vom Autor bzw. der Autorin der Website zur Verfügung gestellt werden. Man kann damit feststellen, dass die Tatort-Website die in Kapitel 5.3 be‐ schriebenen Merkmale von Texten im Internet aufweist: Sie ist hypertextuell strukturiert, multimodal gestaltet, enthält intern dialogische Module bzw. 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet 235 Die Textsorten‐ zugehörigkeit dieser Website Diese Website als „Puzzle- Text“ erlaubt in den Kommentarforen externe Dialogizität und es findet sich auch Fluidity. Zwar gibt es hier kein Modul, das auf dem Wiki-Prinzip beruht, aber zumindest über den Link „Vorschau“ gelangt man zu einem Modul, das durch eine rasche Veränderung der Inhalte gekennzeichnet ist. Es bleibt aber die Frage, ob man hier überhaupt von einem Text sprechen kann. Die Bedingung wäre, dass diese Website nicht nur die Merkmale von Texten im Internet aufweist, sondern zumindest einige der zentralen Krite‐ rien von Textualität erfüllt. Diese Website behandelt ein Thema, nämlich die Fernsehserie „Tatort“. Alle Textmodule beziehen sich auf dieses Thema und sind inhaltlich mitein‐ ander verbunden. Damit liegt Kohärenz vor. Kohäsion ist zunächst gegeben, weil die Textmodule aus in sich kohäsiven Texten bestehen, wie zum Beispiel den Inhaltsbeschreibungen der einzelnen Tatort-Folgen, die man über den Link „Alle Fälle“ findet. Über die Links sind die Module aber auch untereinander kohäsiv vernetzt, zumal die Benennun‐ gen der Links als explizite Mittel der Textverknüpfung betrachtet werden können. Des Weiteren ist eine klare Textfunktion erkennbar, und zwar eine Funktion der gesamten Website: Sie soll über die Fernsehserie „Tatort“ in‐ formieren und darüber hinaus eine Plattform für an der Serie Interessierte sein. Die anderen Kriterien eines prototypischen Textes (Sprachlichkeit, Schriftlichkeit, Abgeschlossenheit, Monologizität und sprechsituationsüber‐ dauernde Stabilität) werden nicht oder nur zum Teil erfüllt, was aber eben an den Eigenheiten dieses typischen Online-Textes liegt. Die Textsorte, zu der diese Website zu zählen ist, kann man „informative Website (begleitend zu einer Fernsehsendung)“ nennen. Andere, allerdings nicht ganz so komplexe Beispiele für diese Textsorte sind die Website des ORF zur Sendung „Am Schauplatz“ (https: / / tv.orf.at/ schauplatz/ ) und die zur Zeichentrickserie „Family Guy“ auf ProSieben MAXX (https: / / www.prosiebe nmaxx.at/ tv/ family-guy). Damit ist auch das Kriterium der Textsortenzuge‐ hörigkeit erfüllt und die Kommunikationsform Website, die die medial ge‐ prägte Grundlage der Textsorte bildet, in die Benennung inkludiert (wie z. B. auch bei „Liebesbrief “: Kommunikationsform Brief, „Kontaktanzeige“: Kom‐ munikationsform Anzeige oder „Glückwunschtelegramm“: Kommunikati‐ onsform Telegramm). Die Website ist also grundsätzlich als Text zu bestimmen. Allerdings handelt es sich um einen komplexen Text, der aus mehreren Teiltexten, nämlich den einzelnen Modulen zusammengesetzt ist. Man spricht auch von einem Textkonglomerat oder einem „Puzzle-Text“ (Püschel 1997). Au‐ ßerdem kann der Text erst durch ergodisches Handeln (zur Ergodizität siehe Kapitel 2.4.3) der Rezipient*innen konstituiert werden, was aber prinzipiell kein Widerspruch zur Textualität dieser Website ist. Diese Web‐ site ist damit sicher kein prototypischer Text. Wenn man den Textbegriff 5 Textlinguistik und das Internet 236 Soziale-Netz‐ werk-Seiten jedoch, wie wir es oben getan haben, den Gegebenheiten im Internet ent‐ sprechend adaptiert und erweitert, kann man diese Website durchaus als prototypischen Online-Text bezeichnen. Aufgabe 5-5 Wenn Sie die Website Ihrer Universität betrachten: Wie würden Sie die Textsorte benennen, zu der sie gehört? Welche Textsorten-Merkmale liegen Ihrer Zuordnung zugrunde. Vergleichen Sie dazu die Website Ihrer Universität mit denen anderer Universitäten und mit denen von Schulen. 5.4.2 BIG Fans - Fanseiten in Sozialen Netzwerken Soziale-Netzwerk-Seiten sind im Prinzip auch Websites - und damit kom‐ plexe Textkonglomerate. Sie sind aber Teile eines Sozialen Netzwerks, das auf einer medialen Plattform aufbaut. Dieser Vernetzungsgedanke, der für das Internet generell grundlegend ist (siehe Kapitel 2.3.1), ist hier besonders ausgeprägt und zielt auch nicht so sehr auf eine technische Vernetzung ab - die wird ohnehin vorausgesetzt -, sondern auf eine soziale. Es geht Inter‐ net-User*innen, die einem solchen Sozialen Netzwerk beitreten, daher we‐ niger um Informationsverbreitung, was die typische Funktion von Websites ist. Vielmehr steht das Ziel im Vordergrund, mit anderen in Kontakt zu treten. Zu diesem Zweck gibt es verschiedene Plattformen, die zum Teil unter‐ schiedliche Zielgruppen ansprechen: LinkedIn und Xing dienen hauptsäch‐ lich der Förderung beruflicher und geschäftlicher Kontakte. Instagram und Facebook werden eher für eine Vernetzung im Privatleben verwendet, wobei beide durch ihre rein quantitative Dominanz unter den Plattformen mittler‐ weile auch schon von Firmen oder Politiker*innen zur Kommunikation mit potenziellen Kund*innen oder Wähler*innen genutzt werden. Während zum Beispiel auf LinkedIn die einzelnen Seiten einander auf‐ grund der relativ eingeschränkten Zielgruppe und der spezifischen Zielset‐ zung als berufliches Netzwerk großteils vor allem in Hinblick auf ihre Funk‐ tion ähneln, haben sich auf Facebook unterschiedliche Arten von Seiten herausgebildet. Am häufigsten sind wohl Seiten von Privatpersonen, die sich im Sozialen Netzwerk präsentieren und dort mit anderen über Statusmel‐ dungen, das Posten von Bildern, das Teilen und Kommentieren der Face‐ book-Einträge von anderen oder mittels des Facebook Messengers kommu‐ nizieren wollen. Beispiel (5-8) zeigt aber eine Facebook-Seite, hinter der eine andere Intention steht. 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet 237 Beispielanalyse Hierbei handelte es sich um eine Seite, die eine Privatperson auf die soziale Plattform Facebook stellte, um einerseits über diese Serie zu informieren, vor allem aber ihrer Begeisterung für die Fernsehserie „The Big Bang Theory“ Ausdruck zu geben, andererseits um mit Gleichgesinnten über die Sendung zu kommunizieren. (5-8) (Facebook, The Big Bang Theory-Fanseite, 2013-11-22) Obwohl das Thema ein ähnliches ist wie bei der Tatort-Website, ist die In‐ tention doch eine ganz andere: Die Tatort-Website wird von einem Fernseh‐ sender betrieben, der damit sein eigenes Produkt bewirbt, die Facebook-Seite hingegen von einer Privatperson, die kein solches Interesse hat. Was ihre Intention war, wurde klar, wenn man auf den auf Facebook-Seiten üblichen Button „Info“ klickte. Dann erschien folgende Beschreibung (5-9). In einer auf den aktuellen, von der Intention her vergleichbaren Facebook-Fanseiten zu „The Big Bang Theory“ nicht mehr vorfindbaren Ausführlichkeit wird hier explizit gemacht, was mit dieser Seite bezweckt wird: (5-9) News, Hintergrundinfos der Schauspieler, Verrücktes und alles was sonst noch zu erzählen ist über TBBT seit 1. Februar 2011. / / Spoiler-frei! [1] Beschreibung Entstanden am 1. Februar 2011. Qualität vor Quantität! Diskussionen und Neuigkeiten über The Big Bang Theory im deutschen TV und alle News von Fans, für Fans. [2] Was ist der Unterschied zwischen TBBTgermany und den anderen TBBT Seiten? 5 Textlinguistik und das Internet 238 Textsortenzuge‐ hörigkeit dieser Facebook-Seite - Ich hatte schnell die Angewohnheit im Internet nach Informationen über TBBT zu suchen. Alte so wie Neue. Hintergrundinformationen und Informationen zu verschiedenen Folgen. Irgendwie habe ich mich plötzlich so reingesteigert, dass ich mir dachte, es wäre schön wenn ich das Wissen teilen würde mit anderen die auch verrückt nach der Serie sind. Daher sind die meisten Informationen hier auf der Seite von mir selbst recherchiert und selten kopiert von üblichen TBBT Seiten. [3] Ich versuche eine persönliche Note einzubringen und beizubehalten. Ich frage nicht nach „Klick auf GEFÄLLT MIR wenn ihr XYZ kennt! “ oder „TEILE es mit deinen Freunden! “ um an mehr Beteiligte hier auf der Seite zu kriegen. Ich denke, wenn ihr es als Empfehlung für eure Freunde sieht, werdet ihr es schon selbst teilen, oder nicht? ; ) [4] Ich verbreite das Wort über TBBTgermany an Leute die wirklich daran interessiert sind an einer anderen Form von Informationsaustausch. Dies ist somit eine Fan‐ seite und sie ist inoffiziell. [5] […] Ich freue mich jedenfalls immer über Fans, die der Seite Aufmerksamkeit geben oder mir ein Feedback hinterlassen. Darum habe ich es ja gestartet. Um mit an‐ deren Fans in Kontakt zutreten. [6] (Facebook, Info-Text auf The Big Bang Theory-Fanseite, 2013-11-16) In den Abschnitten [1] und [2] stellt der Urheber dieser Seite gleich klar, wozu er diese Seite unterhält: Er möchte Neuigkeiten über „The Big Bang Theory“ austauschen. Der Auslöser dafür war, dass er aus Begeisterung für die Serie große Mengen an Informationen zum Thema gesammelt hat und diese nun teilen möchte (siehe Abschnitt [3]). Auffällig ist hier der Impetus des Tei‐ lens, der für das Social Web insgesamt konstitutiv ist (siehe Kapitel 2.3.2). In Abschnitt [4] spricht er - wenn auch für sich etwas einschränkend - die Vernetzungsfunktion von Facebook-Seiten an, und in [5] und [6] spricht er seine Intention noch einmal explizit aus: Er möchte als Fan mit anderen Fans der Serie in Kontakt treten. Auch dieser Wunsch bezieht sich auf die Ver‐ netzungsfunktion solcher Seiten. Darüber hinaus liefert er uns auch die Be‐ zeichnung der Textsorte, zu der diese Seite zählt: Es handelt sich um eine „Fanseite in einem Soziale-Medien-Netzwerk“. Diese Feststellung der Textsortenzugehörigkeit resultiert nicht nur aus den eigenen expliziten Angaben des Seiten-Betreibers, obwohl die „Perspek‐ tive der Beteiligten“ (Habscheid 2009: 65) durchaus auch wichtig ist. Die Textsortenzugehörigkeit lässt sich aber wiederum auch ohne die explizite Erklärung über die anhand verschiedener Signale erkennbare Textfunktion, das Textthema und die benutzte Kommunikationsform inklusive deren se‐ miotischer Merkmale erschließen. Die Kontexte der Situation, des Mediums und der Kultur (siehe Kapitel 5.4) sind für Rezipient*innen wie für Textlin‐ 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet 239 guist*innen dabei eine große Hilfe. Auch der Kontext anderer, aber verwand‐ ter Textsorten ist für die Textsortenbestimmung relevant (vgl. die kogniti‐ onsinhärenten Merkmale in Kapitel 4.4.3): Die Rezipient*innen solcher Seiten kennen vermutlich Fan-Websites, Fanzines (Fan-Zeitschriften) oder ähnliche Möglichkeiten, das Fan-Sein (zum Fan-Sein im Web vgl. Klemm 2012) zu zei‐ gen und zu artikulieren. Sie können daher auch durch Vergleich auf die Text‐ sorte dieser Sozialen-Netzwerk-Seite schließen. Natürlich kann man so nicht alle Sozialen-Netzwerk-Seiten eindeutig einer klar umgrenzten Kategorie zuordnen. Auch hier gilt wieder das Prinzip der Prototypikalität. Dennoch liefert eine text- und textsortenlinguistische Analyse solcher neuartiger Texte, wie wir sie im Internet finden, interessante Erkenntnisse nicht nur über die jeweilige Textsortenzugehörigkeit eines Textes, sondern auch zum Textsortenbegriff an sich. Noch eingehender hinterfragen und schärfen können wir den Textsorten‐ begriff vor allem dann, wenn wir zum Vergleich Fanseiten auf anderen Platt‐ formen betrachten und hinsichtlich ihrer Textsortenmerkmale analysieren. So fällt bei Beispiel (5-10), einer Fanseite auf Instagram, auf, dass die Bild‐ kommunikation, in diesem Fall mittels Fotos, eine noch größere Rolle spielt. YouTube (5-11) ist ohnehin eine Video-Plattform. Deshalb herrscht auch hier eine Dominanz von - in diesem Fall bewegten - Bildern vor, wobei auf der Seite von Dark Vaper etwas fehlt, was ansonsten viel zum Social-Media-Cha‐ rakter von YouTube beiträgt: Es finden sich hier keine Videos, in denen sich Dark Vaper selbst an die Rezipient*innen wendet, wie es zum Beispiel Influ‐ encer*innen tun. Jedenfalls bieten aber auch Instagram und YouTube die Möglichkeit, gepostete Beiträge zu bewerten, zu kommentieren, darüber zu diskutieren und so auch Gemeinschaften zu bilden. Aufgrund dieser und an‐ derer formaler Übereinstimmungen und, weil die Intention hinter diesen Seiten mit derjenigen der „The Big Bang Theory“-Fanseite auf Facebook ver‐ gleichbar ist, können alle drei Seiten als „Fanseiten in einem Sozialen Netz‐ werk bzw. auf einer Social-Media-Plattform“ kategorisiert werden. 5 Textlinguistik und das Internet 240 (5-10) (Instagram, thebig_bangtheory, www.instagram.com/ thebig_bangtheory/ 2019-11-09) (5-11) (YouTube, Dark Vaper, www.youtube.com/ channel/ UCOgh_-nkwPh9KbXtNREJ3 Hg, 2019-11-09) Aufgabe 5-6 Suchen Sie andere Fanseiten auf Facebook, Instagram und YouTube und vergleichen Sie diese mit den in diesem Abschnitt beschriebenen. Achten Sie dabei auch auf die Gestaltung und auf die sprachlichen Formulierungen. 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet 241 Die Kommunika‐ tionsform E-Mail Beispielanalyse 5.4.3 „Bin krank - Grippe“ - Entschuldigungs-E-Mails Die Kommunikationsform E-Mail ist heute zum alltäglichen Mittel direkter, zumeist dialogischer, wenn auch vom Prinzip her nicht synchroner Kom‐ munikation geworden. E-Mails haben somit die Funktion von Briefen, sind diesen aber an Übermittlungsgeschwindigkeit weit überlegen. Schon vor Jahren stellte Schmitz (2002: 33) fest, E-Mails kämen bereits in die Jahre. Damit meinte er nicht nur, dass wir uns an den Umgang mit ihnen gewöhnt haben und sie daher gar nicht mehr wirklich neu auf uns wirken. Vielmehr sah er sie schon „auf dem Weg zu sprachlicher Normalität“ (Schmitz 2002: 33). Heutzutage könnte man hinzufügen, dass sie sich zumindest in manchen kommunikativen Kontexten bereits auf dem Weg in die relative Bedeutungslosigkeit befinden, weil ihre Funktion von anderen Kommuni‐ kationsformen wie WhatsApp-Messages übernommen wird. Zur von Schmitz festgestellten Normalität gehört, dass E-Mails für unter‐ schiedlichste Zwecke eingesetzt werden können und dass sich auch die sprachlichen Merkmale abhängig vom jeweiligen Zweck ausdifferenziert haben. Wenn zum Beispiel eine Geschäfts-E-Mail verfasst wird, ist sie im Allgemeinen in einem eher formellen Stil gehalten, eine private E-Mail hin‐ gegen wird eher sprachlich informell sein. Damit sind E-Mails an sich nicht durch eine bestimmte Sprachverwendung gekennzeichnet. Diese ist höchs‐ tens etwas mehr an mündlichen Sprachgebrauch angelehnt (vgl. Dürscheid 2006: 105). Allerdings ist auch diese Tendenz nicht sehr stark, wenn eine E-Mail eine offizielle Funktion hat. Wir fragen uns aber, ob man nicht doch bei manchen Textsorten, die auf der Kommunikationsform E-Mail basieren, immer noch Entwicklungen in der Formulierung oder auch Unsicherheiten der Schreiber*innen entdecken kann. Diese würden auf die Herausbildung neuer oder veränderter kommu‐ nikativer Praktiken hindeuten, die auch zu Veränderungen im Erscheinungs‐ bild der Textsorte führen würden. Als Beispiel betrachten wir die Textsorte Entschuldigungs-E-Mail (zum Folgenden siehe Weidacher 2011); und zwar geht es genauer um E-Mails, die Studierende an Lehrveranstaltungsleiter*innen geschickt haben, um sich für etwas zu entschuldigen. Früher wurden zu diesem Zweck Briefe geschrieben, später wurden Lehrveranstaltungsleiter*innen angerufen. Heute wird eben meistens die E-Mail verwendet. Die Grundfunktion und die Kommunikationssituation sind prinzipiell aber gleich geblieben: Es geht um eine Entschuldigung in einem relativ offiziellen Rahmen. Der offizielle Charakter hat sich zwar in den letzten Jahrzehnten etwas verän‐ dert, weil der Umgang zwischen Studierenden und Lehrveranstaltungslei‐ ter*innen lockerer geworden ist. Dennoch bleibt das Verhältnis ein nicht-privates, was in manchen Entschuldigungs-E-Mails auch an der sprachlichen Formulierung klar erkennbar ist: 5 Textlinguistik und das Internet 242 Der „Clash“ kommunikativer Praktiken (5-12) Sehr geehrter Herr Prof. W.! Leider muss ich mich für die heutige Einheit des PS Text und Kompetenz ent‐ schuldigen, da ich eine Magen-Darm-Grippe habe. Mit freundlichen Grüßen XY (dienstliche E-Mail, 2006-12-21, 11: 51) In Beispiel (5-12) werden eine formelle Anrede und eine formelle Schluss‐ floskel verwendet. Der Hauptteil des Textes ist kurz und prägnant und durchwegs standardsprachlich formuliert, wobei da anstelle von weil auch noch etwas gehobenerer Stil ist. Im Prinzip könnte so auch ein Entschuldi‐ gungsbrief verfasst sein. Von einer größeren Nähe zur Mündlichkeit oder auch nur zu informellerem Sprachgebrauch ist hier nichts zu bemerken. Et‐ was anders sieht es im nächsten Beispieltext aus: (5-13) Bin krank - Grippe. Möchte Ihnen hiermit noch Frohe Weihnachten und ein Gutes neues Jahr wün‐ schen. Mit freundlichen Grüßen XY (dienstliche E-Mail, 2006-12-14, 08: 22) Hier ist zwar die Schlussfloskel wieder formell, die Anrede fehlt aber gänz‐ lich. Der Haupttext ist extrem kurz und enthält nur die Begründung für die Abwesenheit, nicht jedoch den Entschuldigungsakt selbst. Außerdem ist die Begründung elliptisch, zum Teil stichwortartig. Das würde zwar zur Kom‐ munikationsform E-Mail passen, bei der es häufig um Schnelligkeit und da‐ mit Kürze in der Formulierung geht. Es passt aber nicht so recht zur Funktion des Textes. Wir haben in diesem Text somit einen „Clash“ verschiedener kommuni‐ kativer Praktiken vor uns: Die eine hat sich ursprünglich im Rahmen for‐ meller schriftlicher Entschuldigungshandlungen entwickelt, die andere ist typisch für einen raschen Austausch von E-Mails. Diesen „Clash“ erkennt man auch an den im Verhältnis zum Hauptteil außergewöhnlich langen Weihnachtswünschen. Diese passen besser zur Praxis brieflicher Kommuni‐ kation als zu dieser ansonsten knapp formulierten E-Mail. Das nächste Beispiel (5-14) zeigt andere Anzeichen einer Informalisierung, die teilweise durch die gesellschaftlichen Veränderungen, teilweise aber auch durch die neuen medial geprägten kommunikativen Praktiken verursacht ist. (5-14) Liebe Frau Prof. K.! Ich habe folgendes Problem: Zum dritten Mal in diesem Semester hat mich ein hinterhältiges Bakkterium niedergestreckt und so liege ich mit eitriger Angina 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet 243 und Lungenentzündung im Bett. Jetzt wollte ich Sie fragen, ob es ein Problem wäre, wenn ich morgen fehlen würde, […] Für den Fall, dass ich sonst hinausgeschmissen werde aus dem Modul, komme ich auf alle Fälle morgen. Ansonsten wäre ich wirklich froh uns allen das ersparen zu können . Mit freundlichen Grüßen XY (dienstliche E-Mail, 2007-06-27, 15: 26) Die Schlussfloskel ist wieder formell, die Anrede aber schon informeller. Dazu kommt die ironisch anmutende Formulierung hat mich ein hinterhäl‐ tiges Bakkterium niedergestreckt und so liege ich mit eitriger Angina und Lun‐ genentzündung im Bett im ersten Absatz des Hauptteils. Der ironische Ton ist möglicherweise als Mittel der Distanzverringerung intendiert. Jedenfalls nimmt er dem Text etwas vom Charakter einer rein formellen Entschuldi‐ gung. Eine ähnliche Wirkung haben die Wahl des umgangssprachlichen Lexems hinausgeschmissen und die Verschiebung der Phrase aus dem Modul weg von seiner eigentlichen syntaktischen Position in das Nachfeld des Nebensatzes, also in die Position nach dem finiten Verb werde. Beide sprachlichen Phäno‐ mene sind eher kennzeichnend für mündlichen Sprachgebrauch, für infor‐ melleres Formulieren und nicht zuletzt für kommunikative Praktiken, die sich im Verlauf - allerdings privater - E-Mail-Kommunikation herausgebil‐ det haben. Ähnliches gilt für die sehr informelle Anrede Hallo! im nächsten Beispiel: (5-15) Hallo! Mein Name ist XY und es ist geplant, dass ich morgen (18.6.) ein Referat über Neidhart von Reuental halte und die Proseminararbeit über Walter von der Vo‐ gelweide abgebe. Nachdem ich den Aufwand von dieser Doppelbelastung unter‐ schätzt habe, würde ich gerne um ein paar Tage aufschub bitten was die Prose‐ minararbeit betrifft. […] Ich habe versucht sie telefonisch zu erreichen*) , was mir aber nicht gelingen wollte - daher bleibt mir nichts anderes übrig als sie per Mail darüber zu verständigen. Grüße XY *) der anruf erfolgte Sonntag abend am Institut! *ggg* (dienstliche E-Mail, 2007-08-27, 12: 04) Es sind aber nicht nur die informelle Anrede und die knappe Schlussfloskel, die den formellen Charakter des Textes verringern. Vor allem ist die durch *) markierte Anmerkung interessant: der anruf erfolgte Sonntag abend am In‐ stitut! *ggg* Diese als Scherz gemeinte Anmerkung soll wohl der Informali‐ sierung und damit der Verringerung der sozialen Distanz zwischen Sender und Empfänger der Entschuldigungs-E-Mail dienen. 5 Textlinguistik und das Internet 244 Zur Herausbil‐ dung der neuen Textsorte Ent‐ schuldigungs- E-Mail Blogs Diese Wirkung wird noch durch *ggg* also die dreimalige Wiederholung der Abkürzung für die Inflektiv-Form grins, verstärkt. Die Verwendung sol‐ cher Abkürzungen und, wenn auch mit rückläufiger Tendenz, von Inflekti‐ ven ist typisch für gewisse kommunikative Praktiken in der Online-Kom‐ munikation (siehe Kapitel 3.2). Sie ist aber eine Abweichung vom erwartbaren Muster eines Entschuldigungsschreibens. Die besprochenen Beispiele zeigen, dass es eine gewisse Variation in der Formulierung von Entschuldigungs-E-Mails gibt. Man könnte natürlich sa‐ gen, dass dies einfach an der größeren oder geringeren Kommunikationskom‐ petenz der einzelnen Textautor*innen liegt. Die Variation beruht aber wohl auch auf dem neuen medialen Kontext, in dem sich die Textsorte Entschuldi‐ gungs-E-Mail mit allen ihren Merkmalen erst vollständig herausbilden muss. Erschwerend ist dabei, dass sowohl die gesellschaftlichen als auch die kom‐ munikativen Verhältnisse - nicht zuletzt durch das Internet - sehr dynamisch geworden sind. Es ist daher damit zu rechnen, dass auch die Entwicklung der Textsorte Entschuldigungs-E-Mail weiterhin im Fluss bleiben wird. Aufgabe 5-7 Diskutieren Sie die in diesem Abschnitt besprochenen Entschuldi‐ gungs-E-Mails. Welche ist Ihrer Meinung nach am geschicktesten for‐ muliert? Welche wird am ehesten als adäquate Form einer Entschul‐ digung akzeptiert? Worauf achten Sie selbst, wenn Sie eine Entschuldigungs-E-Mail schreiben? 5.4.4 Das virtuelle Tagebuch: Verschiedene Blogs Weblogs, kurz Blogs, sind eine weitere Kommunikationsform im Internet (zu Blogs als Kommunikationsform vgl. Schildhauer 2017). Ihre Bezeichnung be‐ ruht auf der Verbindung von Web und Log (engl. für Tagebuch oder Proto‐ koll). Blogs sind also Tagebücher, die im Web geführt werden. Dabei handelt es sich häufig um private Online-Tagebücher, die einfach eine Verlagerung dieser Textsorte in ein anderes Medium darstellen - allerdings mit einem gra‐ vierenden Unterschied: Blogs sind im Allgemeinen öffentlich oder zumindest für einen bestimmten Freundeskreis zugänglich. Dieses Faktum ist Ausdruck der Tendenz, im Internet und insbesondere in den sozialen Medien, auch Pri‐ vates einer Öffentlichkeit zu präsentieren (vgl. Kapitel 2.4.1 und 4.4.1). Darüber hinaus findet man aber immer öfter Blogs im Netz, die sich von herkömmlichen Tagebüchern unterscheiden. Noch relativ ähnlich sind zum Beispiel Reise-Blogs (vgl. Marx/ Weidacher 2019, 67 ff.). Darin halten die Blogger*innen Reiseerlebnisse fest, ähnlich wie man es auch schon aus Rei‐ 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet 245 Ein populärwis‐ senschaftlicher Blog setagebüchern oder Schiffslogbüchern kannte. Allerdings dienen sie nicht mehr dazu, dass jemand seine Reiseerlebnisse für sich aufschreibt, um sie dann vielleicht nach Jahren nachlesen zu können. Vielmehr geht es darum, dass Daheimgebliebene den ins Netz gestellten Reise-Blog lesen und so die Reise praktisch „live“ mitverfolgen können. Eine andere Funktion haben Blogs, die nicht die privaten Erlebnisse des Bloggers oder der Bloggerin thematisieren. Dazu gehören unter anderem Blogs von Wissenschaftler*innen, die mittels populärwissenschaftlichen Bloggens einen größeren, über die engere „scientific community“ hinausrei‐ chenden Adressat*innenkreis erreichen wollen. Zum Beispiel bloggt der Di‐ rektor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache Mannheim (IDS), Henning Lobin, auf der Plattform „Spektrum.de Scilogs“ unter dem Titel „Die Engel‐ bart-Galaxis“ zum Themenbereich „Kommunikation und Digitalisierung“ (siehe Beispiel 5-16). (5-16) (Weblog: „Die Engelbart-Galaxis“ von Henning Lobin, https: / / scilogs.spektrum.de / engelbart-galaxis/ , 2019-11-09) Wie schon am Beginn seines damals neuesten Blogeintrags erkennbar ist (5-16), greift Henning Lobin durchaus auf persönliche Erfahrungen zurück. Dennoch unterscheidet sich sein Blog deutlich von z. B. einem persönlichen Reiseblog oder gar einem privaten Tagebuch. Sowohl Thema als auch Funk‐ tion sind ganz andere: Er thematisiert Entwicklungen und Problembereiche, die sich im Zuge der zunehmenden Digitalisierung der Kommunikation er‐ geben, wobei er einen speziellen Fokus auf das Lesen und das Schreiben legt, wie er unter „Über das Blog“ darlegt: 5 Textlinguistik und das Internet 246 Weitere Formen von Blogs (5-17) Wir Menschen sind nicht mehr die einzigen, die lesen und schreiben - Computer tun es auch. Nach Jahrtausenden des Monopols über die Schrift müssen wir diese Bastion im 21. Jahrhundert räumen. In diesem Blog wird thematisiert, wie sich die Digitalisierung von Lesen und Schreiben auf das auswirkt, was einmal die Schrift‐ kultur gewesen ist. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie sich das Lesen und Schreiben konkret ändert, wie der Computer uns bei diesen Kulturtechniken im‐ mer mehr unterstützt, uns diese nach und nach abnimmt und dabei selbst zum Leser und Schreiber wird. Douglas Engelbart, der Erfinder der Maus, hat diese Entwicklung schon 1968 in einer legendären Demonstration in ihren Grundzügen vorhergesehen. Aufgrund der von ihm angestoßenen Entwicklungen bewegen wir uns seitdem in digitalen Welten jenseits der Schriftkultur, wir sind zu Bewohnern der Engelbart-Galaxis geworden. (Weblog: „Die Engelbart-Galaxis“ von Henning Lobin, „Über das Blog“, https: / / sci logs.spektrum.de/ engelbart-galaxis/ about-the-blog/ , 2019-11-09 Lobin bloggt hier durchaus unter dem Blickwinkel und mit der Expertise eines Wissenschaftlers. Dadurch aber, dass er weitgehend auf wissenschaft‐ liche Terminologie verzichtet und dass er narrative Abschnitte mit zum Teil Erzählungen persönlicher Erlebnisse einbaut, weicht er bei seiner Textfor‐ mulierung von Prinzipien wissenschaftlichen Stils ab. Aufgrund dieser for‐ malen und der oben genannten funktionalen Merkmale, des Erscheinens auf einer öffentlich zugänglichen Plattform im Medium Internet sowie der Kom‐ munikationsform kann man Lobins Blog daher der Textsorte „populärwis‐ senschaftlicher Blog“ zurechnen. Einen weiteren wichtigen Unterschied zu herkömmlichen Tagebüchern - allerdings einen formalen Unterschied - kann man an diesem Beispiel (5-16) auch erkennen: Bei Blogs steht immer der letzte Eintrag - in diesem Fall „Mein kleiner Freund Xiao Bai, oder: Soziale Robotik im Shandong-Hotel“ - ganz oben bzw. am Beginn des Blogs. Dies erleichtert es den Leser*innen, auch wirklich den aktuellsten Beitrag zuerst lesen zu können, ohne ihn durch Scrollen suchen zu müssen. Ermöglicht wird diese Anordnung erst durch die Flexibilität des neuen Mediums, in dem man Texte nicht linear schreiben bzw. einfügen muss, sondern etwas, das man später verfasst, voranstellen kann. In Tagebüchern ist das naturgemäß anders, da der Autor bzw. die Autorin dort nicht gut ganz hinten beginnen und sich dann schreibend bis zur ersten Seite des Buches vorarbeiten kann (siehe auch Kapitel 2.4.4). Abschließend ist zu Blogs noch zu sagen, dass diese nicht nur sprachlich formuliert sein müssen. Gerade Reise-Blogs beinhalten häufig auch Fotos oder sogar Videos. Außerdem gibt es noch die eigenen Kommunikationsfor‐ men Foto-Blog und Vlog. 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet 247 Mikroblogging Eine weitere mit dem Blog verwandte Kommunikationsform ist der Mik‐ roblog. Diese Kommunikationsform bildet die Basis für die soziale Plattform Twitter. Sie ähnelt Blogs, hat aber eine andere formale Ausprägung, die sich aus den Constraints ergibt, denen Tweets unterworfen sind (siehe dazu Übung 3 am Ende dieses Kapitels). Ein besonders zentraler Constraint von Tweets ist ihre Beschränkung auf eine maximale Länge von ursprünglich 140, seit 2017 280 Zeichen. Dazu können auch noch zitierte Elemente wie andere Tweets, Bilder oder GIFs kommen oder es können Texte oder ganze Websites mit einem Tweet verlinkt werden, wie es in Beispiel (5-18) mit der Seite „klimafakten.de“ geschieht. Außerdem kann die Längenbeschränkung noch umgangen werden, indem mehrere Tweets zu einem Thread verknüpft werden, wie es ebenfalls im Beispiel (5-18) der Fall ist. Dennoch bleibt die Längenbeschränkung ein we‐ sentliches Merkmal, das die Formulierung und Gestaltung von Tweets ent‐ scheidend beeinflusst und das sie auch von „normalen“ Blogs unterscheidet. (5-18) (Twitter, Meike Richter @immateriell, 2019-09-20, 08: 50) Was Tweets mit Blogs verbindet, ist hingegen, dass es sich bei ihnen ebenfalls um in der Regel öffentlich - in diesem Fall auf einem Twitter-Account - gepostete Texte handelt, die umgekehrt chronologisch angeordnet sind, so‐ dass immer der neueste Tweet ganz oben, das heißt als erster zu sehen ist. Je nachdem, was in Tweets geschrieben wird, bilden sie daher ebenfalls eine Art persönliches Tagebzw. Logbuch mit der Funktion einer Aufzeichnung 5 Textlinguistik und das Internet 248 und zugleich Verbreitung von Gedanken zu verschiedenen Themen wie z. B. dem Klimawandel in (5-18). Vor allem auch mittels Hashtags (z. B. #Framing) können einzelne Tweets mit anderen thematisch ähnlichen verknüpft und so in einen Diskurs einge‐ bettet werden. Man kann damit an Diskussionen im Internet teilnehmen. Darin liegt die soziale Komponente der Plattform Twitter, die im Gegensatz zu anderen Sozialen Medien wie vor allem WhatsApp nicht primär auf Dia‐ logizität ausgerichtet ist. Wenn man von Direct Messages, die man über Twitter auch an ausgewählte Follower senden kann, absieht, geht es hier zunächst um die Veröffentlichung und Verbreitung von Informationen, Mei‐ nungen etc., was ja auch die Hauptfunktion von Blogs generell ist. Tweets wie die beiden in (2-18) können, wenn man alle genannten Merk‐ male zusammenfasst, als „persönliche Tweets zu einem öffentlich diskutier‐ ten Thema“ kategorisiert werden. Zu überlegen wäre allerdings noch, ob nicht neben der Textsortenbestimmung einzelner Tweets auch die Bestim‐ mung ganzer Twitter-Accounts möglich und sinnvoll wäre, oder grundle‐ gender: Ist nicht auch ein solcher Account insgesamt als ein - komplexer - Text zu betrachten? (Vgl. Hausendorf et al. 2017, 170 ff.) In diesem Fall wäre der Account von Meike Richter ein persönlicher Account zum Zweck der Teilnahme an öffentlichen Diskursen, aber auch zur Verbreitung von Infor‐ mationen aus dem Privatleben (in einem anderen Tweet vom 08.11. berichtet sie darüber, dass sie sich in Wien mit österreichischen Süßigkeiten einge‐ deckt hat). Damit ist ihr Account z. B. von Firmen-Accounts zu unterscheiden, die der PR oder der Produktwerbung dienen. Eine exakte Differenzierung bzw. Zuordnung einzelner Tweets oder gan‐ zer Twitter-Accounts zu Textsorten ist jedoch aufgrund der unscharfen Grenzen der einzelnen Textkategorien häufig schwierig. Dies liegt einerseits an der allgemeinen, auch für gedruckte Texte geltenden Problematik einer systematischen Textsortenzuordnung. Andererseits verstärkt sich das Pro‐ blem insbesondere in diesem Fall durch die für das Hybridmedium Internet typische Vermengung privater und öffentlicher Kommunikation, aber auch wegen der Hybridisierung auf anderen Ebenen wie unter anderem der der semiotischen Modi. Nicht zuletzt stellt der stete Wandel textueller Kommu‐ nikation im Internet, wie er bei allen in diesem Kapitel betrachteten Formen zu beobachten ist, Textsortenlinguist*innen vor Probleme. Er macht ihnen aber auch bewusst, dass die von ihnen entwickelten Kategorien ständig ihrem Untersuchungsmaterial anzupassen sind. 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet 249 Speicherinhalt Texte im Internet weisen auch die Merkmale auf, die Textualität grund‐ sätzlich ausmachen. Allerdings sind viele Texte im Internet - und gerade diejenigen, die wir als typisch für textuelle Online-Kommunikation emp‐ finden - durch Eigenheiten gekennzeichnet, die sie aufgrund der Mög‐ lichkeiten des Mediums und der darin entstandenen Kommunikations‐ formen entwickelt haben. Diese Eigenheiten sind Hypertextualität, Multimodalität, Fluidity und Dialogizität. Diese Merkmale prägen in mehr oder weniger starkem Ausmaß auch die Textsorten, die sich zum Zwecke textueller Kommunikation im Internet herausgebildet haben, wie z. B. „informative Website (begleitend zu einer Fernsehsendung)“, „Fanseite in einem Soziale-Medien-Netzwerk“, „Entschuldigungs- E-Mail“ oder „populärwissenschaftlicher Blog“. Text: komplexe sprachliche Handlung, die in sich einen semantischen (Kohärenz) und - prototypischerweise - einen textgrammatischen (Ko‐ häsion) Zusammenhang sowie eine erkennbare kommunikative Funk‐ tion (Textfunktion) aufweist. Prototypische Texte sind außerdem in sich abgeschlossen, monologisch, sprachlich und schriftlich formuliert und vor allem sind sie durch das Merkmal der „sprechsituationsüberdauern‐ den Stabilität“ ihrer Textur definiert. Textur: materielle Oberflächengestalt eines Textes, d. h. das, was man „vor Augen hat“, wenn man einen Text liest. Textsorte: (prototypisch strukturierte) Kategorie von Texten, die in ih‐ ren formalen und funktionalen Merkmalen übereinstimmen. Hypertext: nicht-linear organisierter Text, bestehend aus mehreren durch Links verbundenen Modulen. Prototypische Hypertexte sind zu‐ dem computerverwaltet und multimodal. Elektronische Texte: grundsätzlich alle Texte, die elektronisch gespei‐ chert sind, wobei die Bezeichnung hauptsächlich für solche elektronisch ge‐ speicherten Texte verwendet wird, die keine Hypertextualität aufweisen. Multimodale Texte: Texte, zu deren Gestaltung auf verschiedene semio‐ tische Modi zurückgegriffen wurde (z. B. Sprache-Bild-Konglomerate). Hypermodale Texte: (für das Internet typische) Texte, die sowohl hy‐ pertextuell strukturiert als auch multimodal gestaltet sind. Externe Dialogizität: Ermöglichung interaktiv-dialogischen Handelns, d. h. die Möglichkeit, auf eine sprachliche Handlung (z. B. eine mündlich geäußerte Aufforderung oder eine in einem Diskussionsforum gestellte 5 Textlinguistik und das Internet 250 Frage) direkt zu antworten, wobei die Antwort von der Handlung, also der auf eine Reaktion abzielenden Aufforderung bzw. Frage, selbst ein‐ gefordert wird. Interne Dialogizität: Eigenschaft von Texten, die sich aus einzelnen dialogischen kommunikativen Handlungen zusammensetzen, aber nach‐ träglich, d. h. nach Beendigung des (schriftlich geführten) Gesprächs als Gesamttext rezipiert werden (z. B. Diskussionen in einem Internet-Fo‐ rum). Fluidity: Eigenheit von Texten im Internet - speziell in Wikis. Sie kön‐ nen kollaborativ von mehreren Autor*innen und vor allem ständig be‐ arbeitet und umgeschrieben werden und werden dadurch „verflüssigt“, d. h. sie sind nie endgültig abgeschlossen und fixiert. Übungen 1. Diskutieren Sie, in welchem Ausmaß und in welcher Form Blogs 1. die vier Merkmale prototypischer Texte im Internet (Hypertextu‐ alität, Fluidity, Multimodalität und Dialogizität) aufweisen. 2. Beschreiben Sie die Kommunikationsform Wiki anhand des 2. deutschsprachigen „World of Warcraft“-Wikis (https: / / wowwiki.fa ndom.com/ de/ wiki/ WoWWiki). 3. Beschreiben Sie die Textsortenmerkmale von Werbetweets wie 3. z. B. jenen von Red Bull (https: / / twitter.com/ redbull) oder adidas (https: / / twitter.com/ adidas). 4. Ist ein Diskussionsforum eine Kommunikationsform oder eine 4. Textsorte? Begründen Sie Ihre Meinung. 5. Analysieren Sie die Website des Chemie- und Life-Science-Kon‐ 5. zerns Bayer (https: / / www.bayer.de/ ). Was fällt Ihnen an dieser Fir‐ men-Website auf ? Welche Textfunktion hat sie - vielleicht auch im Unterschied zu anderen Firmen-Websites? Lektüre zur Vertiefung Eine hervorragende Einführung in die Textlinguistik haben Schwarz-Friesel/ Consten (2014) geschrieben. Die klassische, aufgrund von überarbeiteten Neuauflagen aber noch immer sehr aktuelle und empfehlenswerte Einfüh‐ rung in dieses Fachgebiet ist Brinker/ Cölfen/ Pappert ( 8 2014), als außerdem sehr lesenswert empfehlen wir Habscheid (2009). Einen guten Überblick über die einzelnen Themen und Teilbereiche der Textlinguistik bietet der Sam‐ melband herausgegeben von Janich ( 2 2019). Definitiv keine Einführung und 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet 251 eher schwierig zu lesen, dafür aber ein besonders interessanter und innova‐ tiver Beitrag zum Thema Textkommunikation ist Hausendorf et al. (2017). Um den Textbegriff und die Frage, ob wir einen neuen brauchen, geht es im Sammelband von Fix [u. a.] (2002), wobei insbesondere der darin enthal‐ tene Beitrag von Klemm (2002) zu empfehlen ist, in dem verschiedene Text‐ definitionen aufgelistet und kategorisiert werden. Das noch immer vielleicht spannendste Buch über Textsorten, wenn auch nicht mehr ganz neu, ist Devitt (2004), worin vor allem auch die Einbettung von Textsorten in ihre kulturellen Kontexte erläutert wird. Kurz und prägnant, mit einer zusätzlichen angewandt-linguistischen Per‐ spektive, erläutert Storrer (2004) Hypertextualität. Darüber hinaus behandelt Storrer (2019) das für Hypertexte grundlegende Zusammenspiel von Text und Interaktion am Beispiel von Wikipedia-Artikeln und Wikipedia-Diskus‐ sionen. Das Textdesign von nichtlinearen Texten (off- und online) analysiert ausführlich Schirnhofer (2010). E-Mails sind Thema im Sammelband von Ziegler/ Dürscheid (2002) und bei Kiesendahl (2011). Schmidt (2006) betrachtet Blogs aus kommunikations-so‐ ziologischer Sicht, Schildhauer (2017) beschreibt sehr gut und knapp die Kommunikationsform Blog. Siever (2012b), Zappavigna (2012) und der Sam‐ melband von Weller et al. (2014) beschäftigen sich eingehend mit Mikro‐ blogging und speziell Twitter. Dang-Anh (2019) bietet eine spannende Ana‐ lyse einer speziellen Verwendung von Twitter, Meiler (2018) eine ebenso interessante Untersuchung wissenschaftlicher Weblogs. Der von Tannen/ Trester (2013) herausgegebene Sammelband enthält Analysen verschiedener kommunikativer Praktiken, Kommunikationsformen und Textsorten im Web 2.0. Runkehl (2011) beschäftigt sich mit einer besonderen Kommunikations‐ form: der (zuweilen schon lästigen) Bannerwerbung im Internet. 5 Textlinguistik und das Internet 252 Bibliographie Aarseth, E. J. (1997): Cybertext. Perspectives on Ergodic Literature. Baltimore/ London: The Johns Hopkins University Press. Abel, J. ( 2 2000): Cybersl@ng. 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Dreiebenenmodell 163 E-Implikatur 184, 186 Ellipse 123, 143, 158 Emergenz 110 Emoji 129, 185-187 Emoticon 129, 141, 153, 185 Ergodizität 106f., 112, 236 Fluidity 222-224, 251 Flyer 48, 118 Folksonomy 86 Fragebogen 43, 58 Gelingensbedingungen 172, 202 Hybridmedium 93, 100, 112f., 117, 136, 210, 218, 234 Hypermodalität 107, 221 Hypertextualität 218, 221 Impetus des Teilens 88, 96, 110, 239 indirekte Sprechakte 178f. Inflektiv 128f., 157, 245 Interaktionsorientiertes Schreiben 118, 158 ipöK 100f., 226 Kanal 67f., 72, 74, 79, 91, 102, 112 kognitionsinhärente Merkmale 200 Kohärenz 208, 211, 236 Kohäsion 207f., 211, 236 Kollokationen 29, 34, 38 Kommunikationsformen 68, 74-77, 80, 82, 100, 103, 108-110, 112f., 119, 138, 140, 193, 200, 212, 228f. Kommunikationsmedium 66f., 94 Kommunikationsmodell 77f., 110f. Kommunikationsrichtung 75 Konkordanz 34, 38 Konversationsmaximen 181f., 202 Korpus 21, 28, 32, 34f., 58 Kurzzitat 22, 28 Lasswell-Formel 191 Leetspeak 129, 157 Log-File-Analyse 45, 58 Massenkommunikation 98-100 Massenmedium 98f. Medienkonglomerat 91f. Medium 62-65, 91-93 Meme 180 Modus, semiotischer 69, 80f. Monologizität 210, 212, 226f. Multimodalität 101, 113, 214, 218 Multitasking 193 Netiquette 90 Oraliteralität 122, 131, 136, 141f., 157 Performativität 168, 170, 202 primäre Medien 70 Privatheit 121, 195 Prototypentheorie 145f., 207 Prozeduren 139f., 158 Push- und Pull-Kommunikation 96 Qualitativ 42 Quantitativ 38 Regionalismen 131 sekundäre Medien 70 Signal 67, 79, 102, 112 Sinnesmodalitäten 67f., 72, 81, 102 Social Web 87, 89f., 95 Sondersprache 117, 157 Speichermedium 66, 94f. Sprachkritik 135, 143 Sprachreflexion 132, 157 Sprachspiele 132f., 190 Sprechakt 164-166, 202 Stabilität, sprechsituationsüberdauernde 207, 209, 211, 222 tagging 34, 85 tertiäre Medien 69f. Texte, elektronische 218, 250 Textsorte 209, 211f., 227, 229-231 Textur 210f., 217, 222, 250 Textweltmodell 154-156, 170, 208 Token 34 Type 35 Verbreitungsmedium 65, 94 Web 2.0 84-86, 119, 123, 134, 136 Wortschatzerweiterungen 120 WWW 17, 83 Zeichentyp 75, 77 Zeitlichkeit 76f. Register 276 Abbildungsverzeichnis Abb. 2-1: Modell zur Kommunikation mittels eines technischen Mediums . 78 Abb. 2-2: Online-Ausgabe der Encyclopedia Britannica (www.britannica.co m/ ) (2019-09-08) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Abb. 2-3: Hauptseite von Wikipedia (https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wikiped ia: Hauptseite) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Abb. 2-4: Die Teilen-Funktion auf Facebook . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Abb. 2-5: Video auf „Zeit online“ (www.zeit.de/ ) (2019-09-08) . . . . . . . . . . . . 94 Abb. 2-6: Kurzbericht über eine Wahlkampfveranstaltung über Twitter (Grüne Steiermark @GrueneSt) (2019-11-05) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Abb. 2-7: Push- und Pull-Kommunikation: Bei Twitter selektieren Empfänger*innen vor, von wem sie Botschaften erhalten. (https: / / twitter.com/ georg_weidacher/ following) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Abb. 2-8: Resultat einer Google-Suche zum Suchbegriff „Internet“ (Ausschnitt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Abb. 2-9: Twitter-Account von Armin Wolf, österreichischer TV-Journalist (Armin Wolf @ArminWolf) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Abb. 2-10: https: / / perry-rhodan.net/ (2019-09-03) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Abb. 2-11: www.instagram.com/ gretathunberg/ bzw. www.instagram.com/ p / BzDxPyyhCnh/ (2019-09-03) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Abb. 2-12: Kommunikationsmodell für das Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Abb. 3-1: Wortwolke für das Lexem blog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Abb. 3-2: Abstufungen der Vogeligkeit (Rosch 1975), Abbildung entnommen aus Aitchison (1997: 68) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Abb. 3-3: Textweltmodell Situation 6 zur Auflösung der Phrase [das] gefällt mir von Nutzer*in 1: In Phase 2 kann die Spezifikation für das gefällt mir nicht aus dem Lexikoneintrag für gefallen gezogen werden, es muss auf das Schema, das im Langzeitgedächtnis (LZG) für Facebook etabliert ist, zurückgegriffen werden, um das gefällt mir im Sinne einer Lesebestätigung interpretieren zu können. . . . 156 Abb. 4-1: Aufgabenfeld für die Aufgabe 4-12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Abb. 5-1: Modell einer Hypertextstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Abb. 5-2: Website mit intratextueller Verlinkung (http: / / www.perzept.de/ hy per-text/ Was.htm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 5-2: Website mit intratextueller Verlinkung (http: / / www.perzept.de/ hy per-text/ Was.htm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Abb. 5-3: Website mit intertextueller Verlinkung (http/ / www.heise.de/ tp/ bl ogs/ 2/ 155288) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Abb. 5-4: Website des deutschen Bundeskanzleramts (Ausschnitt) (www.bu ndesregierung.de/ breg-de/ bundesregierung/ bundeskanzleramt) (2019-11-08) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Abb. 5-5: Versionsgeschichte des Wikipedia-Artikels zu „Doris Lessing“ (Ausschnitt) (http: / / de.wikipedia.org/ w/ index.php? title=Doris_Le ssing=history) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Abb. 5-6: Zwei durch eine Hand scheinbar verbundene Tweets (Twitter, ( I’M EVIL @PokemaniacoJuan, 2013-11-06, 20: 02) . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Abbildungsverzeichnis 278 LEHRBUCH \ GERMANISTIK Konstanze Marx, Georg Weidacher Internetlinguistik narr STARTER 2019, 96 Seiten €[D] 10,90 ISBN 978-3-8233-8116-7 eISBN 978-3-8233-9116-6 Was ist eigentlich das Besondere an der Online-Kommunikation? Wer sich diese Frage stellt, ndet im vorliegenden Büchlein erste Antworten und weitere Fragestellungen des hochaktuellen Forschungsgebiets der Internetlinguistik. In sieben Kapiteln werden typische Phänomene der vielgestaltigen und dynamischen Interaktion im Internet vorgestellt. Viele Übungsaufgaben motivieren zum Weiterdenken. Prof. Dr. Konstanze Marx ist Lehrstuhlinhaberin für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Greifswald. Dr. Georg Weidacher ist Senior Scientist in der Abteilung für Germanistische Linguistik der Karl-Franzens-Universität Graz. DER STUDIEN- STARTER Beginnen mit den narr STARTERN , vertiefen mit den narr STUDIENBÜCHERN , ERFOLGREICH STUDIEREN! Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (07071) 9797-0 \ Fax +49 (07071) 97 97-11 \ info@narr.de \ www.narr.de Rasante technologische Entwicklungen, die Ausweitung der digitalen Kommunika� on und deren Auswirkungen auf Sprache und Interak� on kreieren einen dynamischen Datenpool für eines der spannendsten Teilgebiete der modernen Sprachwissenscha� : die Internetlinguis� k. Ziel dieses Lehr- und Arbeitsbuches ist es, umfassend über diesen lebendigen Forschungsbereich zu informieren und zu zeigen, wie sprach- und kommunika� onswissenscha� liche Methoden sinnvoll kombiniert werden können, um die Eigenheiten sprachlich-kommunika� ven Handelns im Internet zu analysieren. Auf leserfreundliche Weise werden aktuelle Forschungsergebnisse mit zahlreichen Anwendungsbeispielen und Übungen didak� sch au� ereitet. Das Buch ist als Einführung konzipiert und eignet sich gleichermaßen für die Seminargestaltung und das Selbststudium. Über die 1. Auflage: „Beschreibung und Analyse internetbasierter Formen der Sprachverwendung werden jeweils rückgebunden an konkretes Anschauungsmaterial, sodass auch hier Begriffl iches und Illustrierendes eine gelungene Synthese eingehen.“ - Weiterbildung 3/ 2015 ISBN 978-3-8233-8117-4