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Deutsche Grammatik verstehen und unterrichten

2019
978-3-8233-9134-0
Gunter Narr Verlag 
Matthias Granzow-Emden

Diese neuartige Einführung in die deutsche Grammatik verbindet schulgrammatisches Wissen und neuere Grammatikmodelle in anschaulicher und verständlicher Weise miteinander. Lehramtsstudierende können sich damit die Kenntnisse und Kompetenzen aneignen, die sie für ihr Studium und ihren künftigen Beruf brauchen, erfahrene Lehrkräfte erhalten wichtige Impulse für neue Wege im Deutschunterricht. Mit den funktional orientierten Erklärungen zum Feldermodell und den zahlreichen systematisch gestalteten Tabellen im Bereich der Verben, Nomen/Nominalgruppen, Präpositionen und Pronomen bekommt die Schulgrammatik eine tragfähige Grundlage. Die Tabellen eignen sich darüber hinaus für DaF-/DaZ-Kurse sowie für die autodidaktische Aneignung des Deutschen als Fremd- oder Zweitsprache. Die neue Auflage wurde gründlich überarbeitet und erweitert. "Ein unglaublich sympathisches und leicht verständliches Buch zur Grammatik" (Markus Nickl, Grammatik, Lesetipps, Linguistik, blog.doctima.de)

ISBN 978-3-8233-8134-1 www.bachelor-wissen.de www.narr.de www.granzow-emden.de Diese neuartige Einführung in die deutsche Grammatik verbindet schulgrammatisches Wissen und neuere Grammatikmodelle in anschaulicher und verständlicher Weise miteinander. Lehramtsstudierende können sich damit die Kenntnisse und Kompetenzen aneignen, die sie für ihr Studium und ihren künftigen Beruf brauchen, erfahrene Lehrkräfte erhalten wichtige Impulse für neue Wege im Deutschunterricht. Mit den funktional orientierten Erklärungen zum Feldermodell und den zahlreichen systematisch gestalteten Tabellen im Bereich der Verben, Nomen/ Nominalgruppen, Präpositionen und Pronomen bekommt die Schulgrammatik eine tragfähige Grundlage. Die Tabellen eignen sich darüber hinaus für DaF-/ DaZ-Kurse sowie für die autodidaktische Aneignung des Deutschen als Fremd- oder Zweitsprache. Die neue Auflage wurde gründlich überarbeitet und erweitert. „Ein unglaublich sympathisches und leicht verständliches Buch zur Grammatik“ (Markus Nickl, Grammatik, Lesetipps, Linguistik, blog.doctima.de) Granzow-Emden Deutsche Grammatik Deutsche Grammatik verstehen und unterrichten Matthias Granzow-Emden 3. Auflage 18134_Umschlag_NEU.indd 1-3 20.09.2019 15: 07: 43 Prof. Dr. Matthias Granzow-Emden lehrt Didaktik der deutschen Sprache am Institut für Germanistik der Universität Potsdam. LEHRBUCH \ GERMANISTIK Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (07071) 9797-0 \ Fax +49 (07071) 97 97-11 \ info@narr.de \ www.narr.de Wilfried Kürschner Grammatisches Kompendium Systematisches Verzeichnis grammatischer Grundbegriffe utb M 7., überarbeitete und erweiterte Auflage 2017, 346 Seiten €[D] 22,99 ISBN 978-3-8252-4693-8 eISBN 978-3-8385-4693-3 Dieses Standardwerk der Linguistik listet grammatische Grundbegriffe auf und erläutert sie mit Beispielen. Elementaren Begriffen aus der Semiotik und der Semantik folgen Terminologiefelder zur Graphemik, Phonologie, Morphologie, Wortartenlehre, Syntax und Textgrammatik. Das abschließende Kapitel zur Orthographie berücksichtigt die Stufen der Rechtschreibreform bis zur endgültigen Neuregelung. Die Konzentration auf die grundlegenden Bereiche der Grammatik und die systematische Anordnung der Begriffe erleichtern das Erlernen der Termini in Sachzusammenhängen; zusätzlich steht ein alphabetisches Register zur Verfügung. „Die Präzision der Definitionen, ihre Erklärung im systematischen Zusammenhang und die Übersichtlichkeit der Darstellung sind drei wesentliche Argumente für die Stärke des Grammatischen Kompendiums“ (ZRS 4, 2012). 18134_Umschlag_NEU.indd 4-6 20.09.2019 15: 07: 43 Deutsche Grammatik verstehen und unterrichten 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 1 19 09 2019 16: 27: 15 narr BACHELOR-WISSEN.DE ist die Reihe für die modularisierten Studiengänge ▸ in den Bänden steht, was Studierende brauchen ▸ der Stoff ist in die Unterrichtseinheiten einer Lehrveranstaltung gegliedert ▸ das fachliche Grundwissen wird am Ende jeder Einheit in zahlreichen Übungen vertieft ▸ auf www.granzow-emden.de finden Sie die Lösungshinweise zu allen Übungen, weitere Materialien zum Selbststudium sowie Kopiervorlagen und PDF-Projektionen für Lehrveranstaltungen ▸ auf www.bachelor-wissen.de finden Sie ebenfalls die Lösungshinweise sowie begleitende und weiterführende Informationen zum Studium und zu dieser Reihe 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 2 19 09 2019 16: 27: 15 Deutsche Grammati k verstehen und unterrichten Matt hias Granzow-Emden 3., überarbeitete und erweiterte Aufl age unter Mitarbeit von Johannes Luber 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 3 19 09 2019 16: 27: 16 Idee und Konzept der Reihe: Johannes Kabatek, Professor für Romanische Philologie mit besonderer Berücksichtigung der iberoromanischen Sprachen an der Universität Zürich. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage 2019 2., überarbeitete Auflage 2014 1. Auflage 2013 © 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · 72070 Tübingen · Deutschland Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außer halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: www.bachelor-wissen.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 1864-4082 ISBN 978-3-8233-8134-1 (Print) ISBN 978-3-8233-9134-0 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0196-7 (ePub) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 4 19 09 2019 16: 27: 16 Inhalt V Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 Wege zur Grammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1 1 Die implizite Grammatik und die Sprachen in der Sprache oder: Gibt es gutes und schlechtes Deutsch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1 2 Die explizite Grammatik und die Entwicklung des Standarddeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1 3 Warum wir eine andere Schulgrammatik brauchen . . . . . . . . . . . . 8 1 4 Die Säulen der Schulgrammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1 5 Das Tor zur Schulgrammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1 6 Weitere Aspekte für eine bessere Schulgrammatik . . . . . . . . . . . . . 15 1 7 Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1 8 Verwendete und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2 Das Verb als Schlüssel zum grammatischen Verstehen . . . . . . . 21 2 1 Warum das Verb nicht als Tätigkeitswort bezeichnet werden sollte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2 2 Das Verb und die Satzglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2 3 Hinweise für den Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2 4 Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2 5 Verwendete und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3 Grammatische Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3 1 Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3 2 Sprache als Gegenstand: Begriffsbildung und Terminologie . . . . . 40 3 3 Form und Funktion in der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3 4 Form und Funktion in kulturell geschaffenen Gegenständen . . . 45 3 5 Form und Funktion in der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3 6 Der Regelbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3 7 Muster statt Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3 8 Muster und Markierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3 9 Normen und Normenvermittlung in der Schule . . . . . . . . . . . . . . . 51 3 10 Exkurs: Ein e ist nicht nur ein e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3 10 1 Buchstaben und ihre Ordnungsfunktion: Das e als Buchstabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 3 10 2 Grapheme als Schriftzeichen: Das e als Graphem . . . . . . . 54  Seminarmaterialien unter www.granzowemden.de   18134_Granzow_Emden_SL13 indd 5 19 09 2019 16: 27: 16 VI I nh alt 3 .10 3 Silben und ihre Bedeutung für die gesprochene und geschriebene Sprache: Das e als Silbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3 .10 4 Morpheme als Bausteine der Sprache: Das e als Morphem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3 11 Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3 12 Verwendete und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 4 Die Feldgliederung als zentrales Muster der-deutschen Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 4 .1 Die prinzipielle Zweiteiligkeit des Verbs und die Feldgliederung des Satzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 4 2 Linkes Verbfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4 .3 Rechtes Verbfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 4 .4 Übergangsbereiche der Klammerbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4 5 Vorfeldbesetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 4 .6 Das leere Vorfeld: Der Verberstsatz als markierte Satzform . . . . . 74 4 7 Nachfeldbesetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 4 .8 Didaktische Bedeutung der Feldgliederung und Überblick . . . . . 78 4 .9 Hinweise für den Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 4 10 Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 4 .11 Verwendete und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 5 Formen und Funktionen von satzverbindenden und verweisenden Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 5 .1 Text- und satzverbindende Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 5 .2 Sprachliches Zeigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 5 3 Adverbien und Adjektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 5 .4 Subjunktionen und Verbletztsätze - Adverbien und Verbzweitsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 5 5 Konjunktionen als Einheiten jenseits der Feldgliederung . . . . . . . 99 5 6 Partikeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 5 .7 Überblick zu Adverbien, Subjunktionen, Konjunktionen und Partikeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 5 .8 Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 5 .9 Verwendete und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 6 Eine neue Satzlehre für die Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 6 .1 Warum die schulische Satzlehre problematisch ist . . . . . . . . . . . . . 110 6 .1 1 Aussage-, Frage- und Aufforderungssatz . . . . . . . . . . . . . . . 110 6 1 2 Haupt- und Nebensatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 6 2 Die drei Satzformen im Deutschen - auch als Grundlage verständiger Kommasetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 6 3 Satzfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124   18134_Granzow_Emden_SL13 indd 6 19 09 2019 16: 27: 16 Inhalt VII 6 4 Fragen über Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 6 4 1 Ja-Nein-Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 6 4 2 W-Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 6 5 Satzzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 6 6 Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 6 7 Verwendete und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 7 Starke und schwache Verben und die-verschiedenen Verbarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 7 1 Die Stammformen des Verbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 7 1 1 Schwache Verben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 7 1 2 Starke Verben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 7 1 3 Unregelmäßige Verben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 7 2 Die Unterscheidung verschiedener Verbarten: Vollverben, Hilfsverben, Modalverben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 7 2 1 Entstehung der Verbarten durch Grammatikalisierung . . 139 7 2 2 Funktionsverben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 7 2 3 Die Verben sein und werden als Voll-, Kopula- und Hilfsverb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 7 2 4 Modalverben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 7 2 5 Weitere Verben mit Infinitiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 7 2 6 Reflexive und reziproke Verben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 7 3 Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 7 4 Verwendete und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 8 Formen und Funktionen des Verbs im Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 8 1 Person und Numerus bei Subjekt und finitem Verb . . . . . . . . . . . . 158 8 1 1 Person im Singular . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 8 1 2 Person im Plural und Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 8 1 3 Imperativformen: Eine besondere zweite Person . . . . . . . . 163 8 2 Das Verb, sein Bezug zur Zeit und die Tempora . . . . . . . . . . . . . . . 165 8 3 Verbformen im Aktiv und Passiv (Genus verbi) . . . . . . . . . . . . . . . 171 8 4 Die Partizip II-Form zur Bildung von Verbformen . . . . . . . . . . . . . 173 8 5 Verbformen im Modus Indikativ und Konjunktiv . . . . . . . . . . . . . 175 8 6 Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 8 7 Verwendete und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 9 Übersicht zu den Verbformen: Aktiv- und Passivformen im Indikativ und Konjunktiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Hinweise für den Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 9 1 Präsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 9 2 Präsensperfekt . . . . . . . . . . . 182 9 3 Futur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184  18134_Granzow_Emden_SL13 indd 7 19 09 2019 16: 27: 16 VIII I nh alt 9 4 Futurperfekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 9 5 Präteritum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 9 .6 Präteritumperfekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 9 7 Konjunktiv Präsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 9 .8 Konjunktiv Präsensperfekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 9 9 Konjunktiv Futur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 9 .10 Konjunktiv Futurperfekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 9 11 Konjunktiv Präteritum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 9 12 Konjunktiv Präteritumperfekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 9 .13 würde-Konjunktiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 9 14 Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 9 .15 Verwendete und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 10 Nomen, Nominal- und Präpositionalgruppen . . . . . . . . . . . . . . . 201 10 1 Nomen als zentrale semantische Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 10 2 Nomen als lexikalische Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 10 3 Nomen als syntaktische Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 10 4 Die Feldgliederung eines typischen Satzgliedes . . . . . . . . . . . . . . . . 208 10 5 Das linke Nominalfeld: Sprachliches Zeigen als Ausgangspunkt der Nominalgruppe . . . . . . . . 213 10 6 Zusammenspiel von linkem und rechtem Nominalfeld: Zeigen und Nennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 10 7 Exemplarische Analysen der Nominalgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 10 8 Das leere linke Nominalfeld: Begleiterlose Nominalgruppen . . . . 222 10 9 Hinweise für den Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 10 10 Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 10 11 Verwendete und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 11 Attribute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 11 1 Adjektivattribute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 11 2 Genitivattribute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 11 3 Präpositionalattribute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 11 4 Appositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 11 5 Relativische Attribute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 11 6 Abfolge mehrerer Attribute und weitere Attributsarten . . . . . . . . . 237 11 7 Hinweise für den Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 11 8 Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 11 9 Verwendete und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 12 Kasus, Numerus und Genus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 12 1 Genus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 12 2 Numerus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 12 3 Kasus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246   18134_Granzow_Emden_SL13 indd 8 19 09 2019 16: 27: 16 Inhalt IX 12 4 Der Kasus: Die übliche Fragemethode im Unterricht . . . . . . . . . . . 248 12 4 1 Ein Schulbuchbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 12 4 2 Warum man weder Kasus noch Satzglieder mit der Fragemethode einführen sollte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 12 5 Ein anderer Zugang zum Kasus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 12 5 1 Rektion der Präpositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 12 5 2 Wechselpräpositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 12 5 3 Rektion der Verben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 12 5 4 Rektion von Adjektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 12 5 5 Rektion der Nominalgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 12 5 6 Einheiten, die den Kasus weiterleiten: als und wie . . . . . . . 261 12 5 7 Freie Kasus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 12 5 8 Der Kasus und seine Vermittlung in der Grundschule . . . 262 12 5 9 Unterrichtsmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 12 6 Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 12 7 Verwendete und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 13 Die Deklination der Nominalgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 13 1 Zur Arbeit mit Deklinationstabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 13 2 Zur Ordnung der Kasus und Genera in der Tabelle . . . . . . . . . . . . 278 13 3 Die Deklination der Personalpronomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 13 4 Besondere Deklinationsformen der Nomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 13 5 Hinweise für den Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 13 6 Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 13 7 Verwendete und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 14 Die traditionelle Satzgliedlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 14 1 Warum wir auf den Prädikatsbegriff verzichten sollten . . . . . . . . . 288 14 2 Die Satzglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 14 2 1 Das Subjekt und subjektlose Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 14 2 2 Die Objekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 14 2 3 Adverbialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 14 3 Statt eines Nachworts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 14 4 Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 14 5 Verwendete und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 Abbildungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318   18134_Granzow_Emden_SL13 indd 9 19 09 2019 16: 27: 16 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 10 19 09 2019 16: 27: 16 Vorwort 1 Vorwort Für viele, die Deutsch unterrichten oder einmal unterrichten wollen, ist die Grammatik der am meisten mit Unsicherheit, Abneigung oder sogar Angst besetzte Bereich - nicht selten wegen der Erinnerungen an den eigenen Deutschunterricht . Weil man selbst nicht immer verstand, was die Lehrkraft versuchte zu erklären, scheint es sich hier um eine schwierige, vielleicht auch nur intuitiv beherrschbare Geheimwissenschaft zu handeln Der Rollenwechsel von der Schülerin über die Studentin und Lehramtsreferendarin zur Lehrerin bzw vom Schüler zum Lehrer erfordert von Ihnen eine erneute und andersartige Auseinandersetzung mit der eigenen Sprache und mit Ihrem grammatischen Wissen Diese Vorstellung erscheint Ihnen vielleicht aus den unterschiedlichsten Gründen als recht unangenehm: Plötzlich sollen Sie Kinder und Jugendliche mit einem Lernbereich konfrontieren, der eher an Mathematik als an Sprache erinnert, der viele unverständliche Termini enthält und die Wörter der Sprache durch irgendwelche Regeln aufeinander bezieht, wobei jeder einzelnen Regel so viele Ausnahmen entgegenstehen, dass deren Vermittlung wenig reizvoll erscheint Sie sollen sich mit Inhalten auseinandersetzen, deren Sinn sich Ihnen nie so recht erschlossen hat Wenn Sie Ihre sprachlichen Kompetenzen, also Ihre Fähigkeit, etwas mündlich oder schriftlich auszudrücken, mit dem in Beziehung setzen, was Sie in Ihrem eigenen Grammatikunterricht gelernt haben, sind für Sie vielleicht keine klaren Verbindungen erkennbar Trotzdem können Sie die Inhalte des Grammatikunterrichts nicht ignorieren, weil es die Forderungen der Lehrpläne gibt Sie sollen einen Bereich vertreten, dem Sie mitunter distanziert oder sogar abgeneigt gegenüberstehen Bei dieser Vorstellung vermischen sich inhaltliche und persönliche Erwägungen Wenn Sie sich nicht gut genug in der Grammatik auskennen, könnten Sie die Fragen oder Spitzfindigkeiten der Schülerinnen und Schüler in Verlegenheit bringen und Ihre fachliche Autorität in Frage stellen Dann geht es gar nicht mehr alleine um die Inhalte, sondern um Ihr professionelles Selbstverständnis, das an diesem Punkt in Mitleidenschaft gezogen werden könnte Wer deshalb versucht, die Grammatik im Studium zu umgehen, verschiebt das Problem und trägt dazu bei, dass der Grammatikunterricht seinen schlechten Ruf so beharrlich aufrechterhält Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, haben Sie sich dieses Buch besorgt Wenn Sie sich nach Ihrer Schulzeit nun ein weiteres Mal der Grammatik zuwenden, wird sich Ihnen zeigen, dass Ihr Problem mit dem Grammatikunterricht nicht nur Ihr Problem ist . Die Grammatik, die in der Schule unter- 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 1 19 09 2019 16: 27: 16 2 V orwort richtet wird, gilt als alte Wissenschaft, die in Anlehnung an die lateinische Grammatik entwickelt wurde Dass sie so alt ist und in ihren Grundzügen bis in die Antike zurückreicht, gibt ihr eine gewisse Würde Die Grammatik ist sicherlich der einzige schulische Arbeitsbereich, der sich in seinen Inhalten seit Mitte des 19 Jahrhunderts nur unwesentlich verändert hat . Mit dieser langen Tradition sind aber auch eine Erstarrung und eine Abkoppelung von der modernen Sprachwissenschaft verbunden Vieles wurde zu sehr vereinfacht und dadurch falsch . An anderen Stellen wurden die theoretischen Defizite durch unverständliche Erklärungen überdeckt Es machten sich Methoden breit, von denen niemand sagen kann, wofür sie gut sind, und noch immer scheint es im Grammatikunterricht darum zu gehen, möglichst viel abfragbares Wissen zu erzeugen Die Grammatik sollte aber im Deutschunterricht keine zusätzliche Belastung sein, sondern die Modelle bereitstellen, die das Leben in einer Schriftkultur erleichtern Dann geht es im Grammatikunterricht nicht um ein ängstliches Befolgen von Regeln und Vermeiden von Fehlern, sondern um ein beobachtendes und spielerisches Entdecken der Sprache und der Muster, die sie zusammenhalten . Damit kommt Bewusstheit und Lebendigkeit in die Sprache und Schrift - nicht nur für Sie, sondern auch für die Kinder und Jugendlichen, die Sie einmal unterrichten werden Nach vielen sehr erfreulichen Rückmeldungen findet sich in dieser dritten Auflage alles, was sich in den beiden vorigen bewährt hat . Als besonders geeignet stellte sich immer wieder das Modell der Feldgliederung heraus, das um exemplarische Textanalysen in Abschnitt 6 2 erweitert wurde Mit einem solchen Modell lässt sich die ebenso verbreitete wie widersprüchliche Unterscheidung von Haupt- und Nebensatz überwinden (dazu der neue Abschnitt 6 1 2) Auch seine Übertragung auf die Nominalgruppe und in der Folge auf Satzglieder zeigt die zutiefst menschliche Orientierung an Mustern in der Sprache (dazu der erweiterte Abschnitt 10 4) Am Ende jeder Einheit finden Sie Übungen, die sich für das Selbststudium und als Impulse für Seminarveranstaltungen eignen Lösungshinweise gibt es auf der Verlagshomepage (www bachelor-wissen de) sowie auf meiner Homepage unter www granzow-emden de Lehrende finden dort weiterhin in Lehrveranstaltungen erprobte Seminarmaterialien mit Arbeitsblättern, Kopiervorlagen und PDF- Projektionen All dies wird kontinuierlich überarbeitet und erweitert - im Inhaltsverzeichnis verweist die Maus in der Randspalte auf bereits bestehende Materialien Inspiriert und begleitet hat mich bei dieser dritten Auflage Veronika Sabisch - von Herzen Dank! Johannes Luber danke ich für die zahllosen Stunden bei der Entstehung dieses Buches - für die Ideen zur Gesamtkonzeption, die Hartnäckigkeit im Detail und den Humor Potsdam, im Juli 2019 Matthias Granzow-Emden  18134_Granzow_Emden_SL13 indd 2 19 09 2019 16: 27: 16 Einheit 1 3 Wege zur Grammatik Überblick Inhalt 1 1 Die implizite Grammatik und die Sprachen in der Sprache oder: Gibt es gutes und schlechtes Deutsch? 4 1 2 Die explizite Grammatik und die Entwicklung des Standarddeutschen 7 1 .3 Warum wir eine andere Schulgrammatik brauchen 8 1 .4 Die Säulen der Schulgrammatik 10 1 .5 Das Tor zur Schulgrammatik 13 1 .6 Weitere Aspekte für eine bessere Schulgrammatik 15 1 .7 Übungen 18 1 .8 Verwendete und weiterführende Literatur 19 In der Sprache gibt es viele Sprachen - Dialekte, Idiolekte, Soziolekte, Gruppensprachen - und letztlich hat jeder Mensch seine natürlich erworbene Erstsprache (auch „Muttersprache“ genannt). Diese Sprachen unterscheiden sich in ihrer Lautung, in ihrem Wortschatz und in ihrer impliziten Grammatik. Die vielen Sprachen in der Sprache machen es nötig, dass man sich auf eine gemeinsame Sprache einigt, die jeder verstehen sollte. Ihre Vermittlung steht im Mittelpunkt des Deutschunterrichts - wir nennen diese Sprache auch Standardsprache. Sie hängt eng mit der Schrift zusammen und macht eine explizite Grammatik notwendig. In der langen Tradition des Grammatikunterrichts haben sich jedoch Darstellungsweisen verfestigt, die einem angemessenen Verständnis der expliziten Grammatik und damit auch dem Zugang zur Standardsprache und zu unserer Schriftkultur im Wege stehen. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 3 19 09 2019 16: 27: 16 4 W ege zur g r a mm atik 1.1 Grammatik im Spracherwerb Muttersprache implizite Grammatik in den Varietäten Variation als natürliche Gegebenheit in der Sprache Die implizite Grammatik und die Sprachen in der Sprache oder: Gibt es gutes und schlechtes Deutsch? Mit der Sprache haben wir die bemerkenswerte Fähigkeit, Gedanken von einem Kopf in den anderen zu vermitteln . Diese Möglichkeit haben die Generationen in den vielen tausend Jahren vor uns ausgiebig genutzt und dabei Muster geschaffen, die sie immer weiter ausdifferenziert haben Wenn sprachliche Formen ihre Funktion in einer brauchbaren Weise erfüllten, wurden sie zu einem natürlichen Bestandteil der Sprache Was wir heute in den vielen Sprachen der Welt an Mustern vorfinden, gehört in einer ganz natürlichen Weise zum Menschen, und die kognitiven Voraussetzungen zum Spracherwerb haben unsere Vorfahren praktischerweise der folgenden Generation immer weitervererbt . Der Spracherwerb von Kindern ist so untrennbar mit dem Menschsein verbunden, dass der Linguist Steven Pinker von einem „Sprachinstinkt“ spricht Jede natürliche Sprache hat eine Grammatik als eine Art Betriebssystem, auf dessen Grundlage die Sprache läuft . Dies erscheint so selbstverständlich, dass sich kaum jemand über diese komplexe Fähigkeit wundert Niemand erklärt kleinen Kindern, ob und wann Adjektive dekliniert werden und welche Endungen sie als Attribute in Abhängigkeit von Genus, Numerus und Kasus bekommen Es ist offensichtlich, dass Kinder das Sprechen so nicht lernen würden Was kleine Kinder beim Spracherwerb tun, lässt sich nicht als ein Reiz-Reaktions-Schema deuten - es kann nicht ausschließlich auf Imitation beruhen Trotz der mitunter ungrammatischen Eingaben entwickeln sie ein grammatisches Gespür, was in ihrer Sprache möglich ist und was nicht - ihre Sprache ist im Übrigen immer eine besondere Ausprägung der Sprache, die von den Eltern und anderen wichtigen Bezugspersonen gesprochen wird und die deshalb auch als Muttersprache bezeichnet wird Diese Fähigkeit, Grammatisches in der Sprache zu erkennen und in den eigenen Sprachgebrauch zu integrieren, gehört zu dem Faszinierendsten, was das menschliche Leben auf der Erde hervorgebracht hat Die Kinder selbst erleben ihre Sprachfähigkeiten aber nicht als etwas Besonderes Sie erscheinen ihnen so natürlich wie das Gehen auf zwei Beinen . Die Grammatik, die in jeder Sprache in dieser natürlichen Weise steckt, wird als implizite Grammatik bezeichnet . Sie ist da, sie wird natürlich erworben, und in diesem Sinne kann auch kein Mensch sagen, dass er von Grammatik überhaupt keine Ahnung habe . Eine implizite Grammatik steckt in jedem Dialekt des Deutschen und auch in jeder anderen Varietät wie z B den Jugendsprachen In keiner Varietät gibt es „falsche Regeln“ Auch wenn sie noch so sehr von dem abweichen, was wir für normal halten, hat jede Varietät in gleicher Weise ihre Daseinsberechtigung und eine vollwertige Grammatik in dem Sinne, dass sie Formen für alle in dieser Sprache notwendigen Funktionen entwickelt hat Hierbei Wertungen abzugeben (wie „gutes/ schlechtes 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 4 19 09 2019 16: 27: 16 Einheit 1 5 D Ie ImplIzIt e G r a mm atIk unD D Ie S pr achen In D er S pr ache Beispiel (aus: Pinker, Steven: Der Sprachinstinkt Wie der Geist die Sprache bildet München: Kindler 1996, S .-431) Sprache kann soziale Gruppen verbinden und trennen Beispiel Deutsch“ oder „schöner“ und „hässlicher Dialekt“ oder auch „die Jugendlichen verhunzen die Sprache“) ist immer unangemessen und wird der Sache nicht gerecht Jede Sprache bekommt durch die Menschen, die sie benutzen, ihre Würde und den Status einer vollwertigen Sprache . Wer eine ihm fremde Varietät mit dem Hinweis abwertet, diese Sprache sei „an sich“ unzulänglich oder minderwertig, sucht einen rational erscheinenden Grund, um andere Menschen abzuwerten „Stellen Sie sich vor, Sie sehen einen Naturfilm Gezeigt werden die üblichen großartigen Aufnahmen von Tieren in ihrem natürlichen Lebensraum Doch dann klärt Sie der Sprecher über einige bedenkliche Fakten auf . Die Delphine machen falsche Schwimmbewegungen, der Kuckuck ruft zu nachlässig, die Meisen bauen ihr Nest nicht richtig, die Pandabären halten den Bambus in der falschen Pfote, das Lied des Buckelwals enthält verschiedene wohlbekannte Fehler, und die Schreie der Affen sind schon seit Hunderten von Jahren in einem stetigen Verfall begriffen . Wahrscheinlich würden Sie denken: Was um alles in der Welt soll es bedeuten, dass das Lied des Buckelwals einen ‚Fehler‘ enthält? Singt der Buckelwal denn nicht so, wie ein Buckelwal eben singt? Und wer, zum Teufel, ist eigentlich dieser Sprecher? Doch wenn es um die menschliche Sprache geht, glauben die meisten Leute solchen Beurteilungen nicht nur, sondern halten sie sogar für besorgniserregend “ Die vielen Sprachen in der Sprache leben von ihrem Spiel mit Mustern auf unterschiedlichsten Ebenen Zum auffälligsten gehört in den Dialekten der Klang, wenn sich die Laute (Phoneme) unterscheiden oder auch die Sprachmelodie (Prosodie) . Unterschiede finden sich auch im Wortschatz und in der Grammatik . Das Schöne an den sprachlichen Varietäten ist die kulturelle Vielfalt, die damit in einem Sprachraum zustande kommt Dem Individuum vermittelt die eigene Sprache ein Gefühl von „Nestwärme“, wenn man sich unter seinesgleichen bewegt, was zur Gruppenbildung führt Dies kann aber nicht nur Zusammengehörigkeit bewirken, sondern auch Ab- und Ausgrenzung bedeuten Dies und noch mehr kann ein kleines Filmchen illustrieren, das im Internet unter www youtube com/ watch? v=27wkJ6KDolk zu finden ist und sichtbar macht, was in der selbstverständlichen Sicht auf schulische Bildung und insbesondere den schulischen Schrifterwerb mitunter in den toten Winkel gerät Das parodistische Filmchen heißt „Ostdeutsch“ und enthält eine etwas zynische Parodie auf eine Alphabetisierungskampagne Die wiederum bestand aus mehreren Spots, in denen Menschen durch ihre fehlende Schriftkenntnis in Not geraten Alle diese Spots enden mit dem Slogan: „Schreib dich nicht ab - Lern lesen und schreiben“ 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 5 19 09 2019 16: 27: 16 6 W ege zur g r a mm atik In der Parodie passiert Folgendes: Ein Kfz-Mechaniker steht vor der geöffneten Motorhaube eines Autos; er raucht und isst ein belegtes Brötchen Hinter ihm macht sich der Kühler des Autos in einer Dampfwolke Luft; da kommt der Chef vorbei und mahnt seinen Mitarbeiter demonstrativ ab Diese Abmahnung erfolgt in einer sächsischen Mundart Dabei beruft er sich ausdrücklich auf die Werkstattordnung, die an der Wand hängt: Gibbe raus! Keene Feddbemmen fressn! Glozzn off! ORBEIDN! Der sichtlich eingeschüchterte Mitarbeiter fragt verstört, was das denn heiße und ob er jetzt entlassen sei Seine Sprache lässt keinen besonderen Dialekt erkennen Da greift vermittelnd ein weiterer Mitarbeiter mit einer leichten dialektalen Färbung - ebenfalls sächsisch - ein Er erklärt dem Chef, sein Kollege könne kein Ostdeutsch (wir wissen, dass „Ostdeutsch“ weder ein Dialekt noch sonst eine Varietät des Deutschen ist, sondern allenfalls das, was „Wessis“ dafür halten könnten, aber man sollte Witze ja eigentlich nicht erklären) Die Handlung endet versöhnlich und mit einem Appell: Der Chef legt dem zurechtgewiesenen Mitarbeiter den Arm um die Schultern, entschuldigt sich fast, dass er das nicht gewusst habe und sagt verständnisvoll, dass man da „doch was machen“ müsse Parallel dazu wird (im Stil einer politischen Aufklärung) ein Schriftband eingeblendet, das um einen gesprochenen Appell ergänzt wird: Über 60 Millionen Menschen in Deutschland können nicht richtig Ostdeutsch. „Schreib dich nicht ab. Lerne Ostdeutsch (…).“ Worin liegt nun der Erkenntniswert des Filmchens? Der folgende Gedankengang setzt voraus, dass wir die Vorschriften an der Wand als Standard betrachten: So könnte eine Werkstattordnung in geschriebener Form aussehen Damit würde sich dann das Ostdeutsche als die überregional gültige Sprache auszeichnen - eben eine, die man im deutschen Sprachraum lesen und schreiben können muss Die Verfehlungen des Mitarbeiters, der raucht und isst und eben nicht arbeitet, gehen auf die Unkenntnis dieses Standards zurück „Lerne Ostdeutsch“ hieße im Rahmen des erzählten Filmchens: Setz dich mit der Schrift auseinander - du brauchst sie zur Teilhabe an der Gesellschaft, weil diese Gesellschaft als Schriftkultur existiert Was also eine Gesellschaft durch Schrift zum Standard erhebt, hat eine gewisse Dignität, und es hat sich in aufgeklärten Schriftkulturen bewährt, dass alle Mitglieder dieser Gesellschaft mit dieser Sprache - und jenseits des Filmchens in unserer „richtigen Welt“ ist das die deutsche Standardsprache - umgehen können 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 6 19 09 2019 16: 27: 16 Einheit 1 7 D Ie e x plIzIt e G r a mm atIk unD D I e e nt w IcklunG D e S S ta nDarD D eut Schen Die explizite Grammatik und die Entwicklung des Standarddeutschen Die Dialekte und die vielen anderen Varietäten sind der Ursprung in der geschichtlichen Entwicklung der Sprache, die wir heute als das Deutsche bezeichnen Für die weiteren Überlegungen begeben wir uns zunächst in die Vergangenheit: In einer kleinräumigen mittelalterlichen Gesellschaft spielte die Schrift eine weitaus geringere Rolle als in unserem heutigen Medienzeitalter Die mündlichen Dialekte bestimmten in vielfältiger und ausgeprägter Form das Leben, und wenn etwas aufgeschrieben werden sollte, führte die Lautorientierung zu unterschiedlichsten Schriftbildern - sogar innerhalb eines Textes Diese Vielfalt der Schreibung findet sich auch in frühneuhochdeutschen Texten So enthält das angefügte Textbeispiel aus dem frühen 16 - Jahrhundert von Valentin Ickelsamer, den man als einen der ersten Didaktiker des Deutschen bezeichnen kann, drei Schreibweisen für die Konjunktion und: un ˜ , und, unnd Seit dem Mittelalter stand für Kirche und Wissenschaft das Lateinische als verbindende Sprache zur Verfügung - eine Sprache, die europaweit in Lateinschulen unterrichtet und von allen Gelehrten verwendet wurde Da es keine natürlichen Sprecher des Lateinischen mehr gab, war die Schrift der einzige Bezugspunkt für die Überlieferung Im Bemühen, das Geschriebene zu verstehen und in den Lateinschulen vermitteln zu können, wurde die implizite Grammatik des Lateinischen aufgeschrieben, gelehrt und damit explizit gemacht Zu den bekanntesten Grammatiken gehörte die im vierten nachchristlichen Jahrhundert verfasste Lateingrammatik des Donat Aelius Sie war die Grammatik des Mittelalters, sodass „Donat“ als metonymischer Ausdruck für die Grammatik verwendet wurde Wenn jemand „seinen Donat nicht beherrschte“, hatte er zu wenig Ahnung von expliziter Grammatik Mit dem ausgehenden Mittelalter nahm in Europa die Bedeutung der Volkssprachen zu Die Entwicklung des Buchdrucks und die Reformationsbewegung trugen entscheidend dazu bei, dass sich das Neuhochdeutsche als neue Sprache entwickeln und überregional verbreiten konnte Diese neue Sprache wurde zur Sprache der Literatur und gedruckter Texte und löste das 1.2 Entstehung expliziter Grammatiken Abb. 1.1 Beispiel Frühneuhochdeutsch … von der impliziten zur expliziten Grammatik Entwicklung von Standardsprachen aus den Volkssprachen 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 7 19 09 2019 16: 27: 17 8 W ege zur g r a mm atik Lateinische als Wissenschaftssprache ab Sie wurde zu einer verbindenden Sprache in einem Sprachraum, dessen Grenzen nicht von vornherein feststanden Dies zeigt bis heute die sprachliche Realität in der Schweiz und in den Niederlanden: Vom heutigen Standarddeutsch sind zahlreiche Schweizer Dialekte etwa gleich weit entfernt wie das Niederländische Trotzdem betrachten wir das Niederländische als eine eigene Sprache und das Schweizerdeutsche als Dialekt Die Schrift war auf mehrfache Weise der Motor für die Entwicklung des Standarddeutschen . Sobald es Texte in deutscher Sprache gab, durfte auch ein Publikum nicht fehlen, das diese Texte lesen konnte Die Institution Schule, die nach wie vor einer kleinen Elite vorbehalten war, beschränkte sich nicht mehr auf das Lateinische und erweiterte das Lesen- und Schreibenlernen auf die deutsche Sprache . Aus dem Lateinunterricht wurde die Tradition der expliziten grammatischen Unterweisung auf den Deutschunterricht übertragen Dies zeigt sich bis heute in den grammatischen Einteilungen und dem grammatischen Fachvokabular Interessanterweise findet sich in der über 1600 Jahre alten Grammatik des Donat die Reihenfolge seiner acht „Redeteile“ (partes orationis), wie er die Wortarten nannte, im Wesentlichen auch heute noch in der Wortartengliederung im Inhaltsverzeichnis des Grammatikdudens von 2016: „De partibus orationis Das Wort Partes orationis sunt octo, nomen pronomen verbum adverbium participium coniunctio praepositio interiectio.“ (…) Die flektierbaren Wortarten 1 Das Substantiv (Nomen) 2 Artikelwörter und Pronomen 3 Das Adjektiv 4 Das Verb Die nicht flektierbaren Wortarten 1 Das Adverb 2 Die Partikel 3 Die Präposition 4 Junktionen: die Konjunktion und die Subjunktion Warum wir eine andere Schulgrammatik brauchen Es ist das Ziel des Deutschunterrichts, die Kinder und Jugendlichen mit der Schrift und der Standardsprache vertraut zu machen Weil die unterschiedlichen Varietäten mehr oder weniger von der Standardsprache abweichen, kann die Aneignung des Deutschen über die Schrift auch als erster Fremdsprach- Abb. 1.2 1.3 Probleme der Schulgrammatik 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 8 19 09 2019 16: 27: 17 Einheit 1 9 w arum w Ir e Ine a nD ere S chulGr a mm atIk br auchen unterricht betrachtet werden Ob der Grammatikunterricht diesen Prozess in bestmöglicher Weise unterstützt, wird seit vielen Jahrzehnten bezweifelt und führte mitunter sogar zur Forderung, diesen Arbeitsbereich ganz abzuschaffen Diese Forderung wird in der Praxis zumindest so weit aufgegriffen, dass zahlreiche Lehrkräfte dem Literaturunterricht den Vorzug geben und Grammatikunterricht oftmals nur als ein Abarbeiten von Lehrplanvorgaben stattfinden lassen . Was unter solchen Vorzeichen im Unterricht geschieht, kann keine Begeisterung für das Faszinierende an der Sprache hervorrufen, es ermöglicht keine Einblicke in das System und erscheint weitgehend nutzlos Die Ursachen des Dilemmas, in dem sich die Schulgrammatik befindet, sind aber nicht nur an der Basis bei den Lehrkräften zu suchen: Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat 1982 ein „Verzeichnis der grammatischen Fachausdrücke“ veröffentlicht Dieses Verzeichnis distanziert sich ausdrücklich von den verschiedenen Sprachtheorien der modernen Sprachwissenschaft und ist bis heute die verbindliche Grundlage für die Lehrpläne Dies führt in der Praxis zu mindestens vier Problemen: ► � Fehlende Definitionen der Fachausdrücke: Was die grammatischen Fachausdrücke im Einzelnen bezeichnen sollen, bleibt an vielen Stellen ungeklärt Zu den verschiedenen Termini finden sich in Schulbüchern ganz unterschiedliche Erklärungen Man verwendet zwar das gleiche Wort, meint aber ganz Unterschiedliches So wird das Prädikat in Schulbüchern ganz unterschiedlich verstanden und dargestellt - mal als finite Verbform, mal als das Vollverb eines Satzes, manchmal versteht man darunter beides zusammen und manchmal alles, was nicht Subjekt des Satzes ist Am Ende werden Verb und Prädikat gleichgesetzt, was nicht nur die terminologische Differenzierung fragwürdig erscheinen lässt Mehr dazu erfahren Sie in den Einheiten 2 und 14 ► � Irreführende Fachausdrücke: Im Grammatikunterricht gibt es zahlreiche eingedeutschte Fachausdrücke, die zwar „kindgemäß“ erscheinen, weil sie eine Bedeutung erkennen lassen, aber irreführend sein können Wer z B das Verb als „Tätigkeitswort“ kennengelernt hat, deutet mit diesem Terminus die zentrale Einheit der Grammatik auf unangemessene Weise, was systematische Einsichten verhindern kann Daneben wird er die wichtigsten und häufigsten Verben wie sein, haben, werden, bleiben, dürfen nicht als Verben erkennen oder aber sie als Ausnahmen betrachten ( → Abschnitt-2 1) ► � Isolierte Vermittlung der Fachausdrücke: Die verbindlichen Termini der KMK-Liste finden sich schon ab der dritten und v a in der fünften und sechsten Jahrgangsstufe in den Lehrplänen Im Unterricht werden sie mitunter „abgearbeitet“ und nur benannt, ohne dass ihre Bedeutung begrifflich geklärt wird oder übergreifende Muster der Sprache deutlich würden In höheren Klassen wird dieses meist fragmentarische Wissen oftmals nur 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 9 19 09 2019 16: 27: 17 10 W ege zur g r a mm atik als „schlechtes Gewissen“ eingesetzt; sprachliches Wissen wird somit niemals relevant für das Durchdringen von Sprachstrukturen und kann damit auch nicht das Erschließen von Texten unterstützen ► � Ausschluss der Wissenschaft: Neuere Erkenntnisse der Sprachwissenschaft bleiben in der Schulgrammatik außen vor (wie z B . die sog Wortgruppen, die Feldgliederung des Satzes oder funktionale Aspekte) Eine solche Wissenschaftsferne gibt es sonst in keinem Schulfach - man stelle sich einen entsprechenden Chemie-, Physik- oder Biologieunterricht vor, der 150-Jahre Wissenschaft einfach ignoriert In einem gemeinsamen Projekt bemühen sich seit 2009 Linguisten und Fachdidaktiker in einer deutschlandweiten Arbeitsgruppe, die Defizite des Verzeichnisses von 1982 zu überwinden Den aktuellen Stand können Sie auf der Webseite www grammatischeterminologie de einsehen Die unzulänglichen Vorgaben der KMK sind aber nicht der einzige Grund, weshalb der Grammatikunterricht seinen wichtigen Beitrag zur Vermittlung von Schrift und Standardsprache nicht leisten kann . Einen nicht weniger gravierenden Einfluss hat die traditionelle Wortartenlehre, die kategorial angelegt ist Davon handelt der folgende Abschnitt Die Säulen der Schulgrammatik Die schulische Grammatik hat zwei Säulen: Die eine ist die Wortartenlehre, die andere ist die Satzgliedlehre Beide müssen nach den Vorgaben der Lehrpläne im Grammatikunterricht vorkommen, und auch die Lehrwerke für den Deutschunterricht enthalten beides, weil sie sonst nicht zugelassen werden  1.4 Abb. 1.3 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 10 19 09 2019 16: 27: 17 Einheit 1 11 D Ie S äulen D er S chulGr a mm atIk Die Wortartenlehre als eine der beiden Säulen der traditionellen Grammatik wird kategorial gefasst . Kategorial meint nichts anderes, als dass die Wörter „an sich“ bestimmten Kategorien - den Wortarten - zugeordnet werden Wenn wir eine kategoriale Sichtweise einnehmen, ist eine der zentralen Ausgangsfragen, wie viele Wortarten es gebe (fünf oder acht oder zehn …) Mit dem Nomen, Verb und Adjektiv werden drei Hauptwortarten unterschieden, die als wichtigste Inhaltswörter eine semantische Hauptfunktion haben Daneben gibt es die Funktionswörter, zu denen traditionell die Pronomen und Artikelwörter, aber auch Präpositionen und Konjunktionen bzw Subjunktionen gezählt werden, die einen Satz grammatisch zusammenhalten Ein Grammatikunterricht, der in dieser Weise auf Wortartenebene versucht, die Einzelteile zu ordnen, entspricht einer Ordnung, die Ursus Wehrli in seinem schönen Buch „Kunst aufräumen“ in ein Bild von Kandinsky bringt - er ordnet in Abb 1 5 die Formen aus Abb - 1 .4 nach ihrer Farbe (Wehrlis und Kandinskys Originale sind farbig und hier aus technischen Gründen im Zweifarbdruck wiedergegeben) Wir hätten beispielsweise einen blauen Stapel mit Nomen, einen roten mit Verben, einen schwarzen mit Präpositionen usw Eine solche Ordnung ist ein erheblicher Eingriff in das ursprünglich vorhandene Bild und setzt nicht zuletzt voraus, dass jemand in der Lage ist, die Farben zu erkennen und entsprechend zu ordnen Abb. 1.4 Kandinsky, Wassily: Roter Fleck II, 1921 (Ausschnitt) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 11 19 09 2019 16: 27: 18 12 W ege zur g r a mm atik Kinder in der Schule können aber, um im Bild zu bleiben, die unterschiedlichen Farben noch nicht unterscheiden Wortarten lassen sich nicht wie Farben vom bloßen Anschauen erkennen Zwar gibt es Wörter wie Sonne und schwimmen, die man als prototypische Vertreter der Nomen oder Verben betrachten mag, aber im folgenden Satz scheinen sich diese Zuordnungen umzukehren: Nach dem Schwimmen sonne ich mich auf der Liegewiese Dieses Beispiel ist keine „Ausnahme“ und alles andere als spitzfindig . Prinzipiell können so gut wie alle Wörter zu Nomen werden ( → Einheit 10) Nomen erscheinen nur im Wörterbuch als kategoriale Einheiten Um ihre Großschreibung zu beherrschen, braucht man aber ein relationales Wortartenverständnis Das bedeutet, dass ein Wort nicht ein Nomen „ist“, sondern „als Nomen verwendet wird“, was sich erst in seiner Relation zu anderen Einheiten im syntaktischen Zusammenhang zeigt . Auch die anderen Wortarten können auf eine syntaktische und damit relationale Weise sehr viel angemessener wahrgenommen werden wie die folgende Unterscheidung der Präposition bzw der Subjunktion seit ( → Abschnitt 10 .4 und 5 4): Seit meiner Einschreibung an der Universität ist es mir nicht mehr langweilig Seit ich mich an der Universität eingeschrieben habe, ist es mir nicht mehr langweilig Erst mit einem relational bzw syntaktisch begründeten Wortartenbegriff, den wir in diesem Buch entwickeln wollen, wird auch klar, warum im ersten Satz kein Komma stehen darf, während im zweiten eines stehen muss Neben der kategorialen Wortartenlehre steht als weitere Säule der traditionellen Grammatik die Satzgliedlehre, die sich relational versteht Ein Subjekt, Abb. 1.5 Wehrli, Ursus: Aufgeräumte Version von Kandinskys Bild, 2002 relationales Verständnis der Wortarten Satzglieder: relational und unverstanden 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 12 19 09 2019 16: 27: 18 Einheit 1 13 D a S t or zur S chulGr a mm atIk 1.5 Wortarten im syntaktischen Zusammenhang betrachten ein Objekt oder ein Adverbiale (= adverbiale Bestimmung) bekommt seine Bezeichnung erst durch sein Verhältnis zum Verb im Satz . Der prinzipiell geniale Gedanke der Satzgliedlehre kann im Grammatikunterricht nirgendwo anknüpfen, weil er reduziert wird auf die Fragemethode: Was man mit „Wen oder was“ erfragen könne, sei ein Akkusativobjekt Dabei bleibt nicht nur im Dunkeln, was ein Akkusativobjekt sein soll, sondern auch, was die einzelnen Bestandteile Akkusativ und Objekt bedeuten sollen Wenn Satzglieder komplexer werden und als weitere Bestandteile von Satzgliedern Attribute hinzukommen, ist man mit dem schulgrammatischen Wissen meist überfordert, obwohl gerade an dieser Stelle grammatisches Wissen sinnvoll werden könnte, um die Komplexität der Sprache in den Griff zu bekommen Das Problem der beiden traditionellen Säulen ist, dass sie in der Schule sehr unverbunden und unverbindlich nebeneinanderstehen und zu zwei verschiedenen Grammatiktheorien, einer kategorialen und einer relationalen, führen Zuallererst werden die Wörter auf der kategorialen Ebene in isolierter Form in Wortarten eingeteilt . Die vermeintlich kindgemäßen Kriterien sind für die Zielgruppe meist nicht nachvollziehbar und oftmals sogar falsch ( → Abschnitt-2 1) Das Wissen führt bereits dort zu Widersprüchen - so z B mit der Frage, ob ein substantiviertes Verb ein Substantiv oder ein Verb sei Der nächste Konflikt kommt spätestens dann, wenn sie von der kategorialen zur relationalen Ebene wechseln und verstehen sollen, warum sie in der Satzgliedlehre die Verben im Satz nicht mehr als Verben, sondern als Prädikat bezeichnen sollen, obwohl eine als Verb verwendete Einheit niemals ein Satzglied sein kann und die Verben erst im Satz die für Verben typische Leistung entfalten ( → Abschnitt 2 2/ 14 .1 und Einheit 4) Das Tor zur Schulgrammatik In diesem Buch geschieht bereits die Wortartenlehre auf einer relationalen Grundlage Anders gesagt: Wir gehen von einem syntaktischen Wortartenbegriff aus, der Wörter von Anfang an in ihrem Zusammenspiel mit anderen Wörtern im Satz wahrnimmt . Dieses Zusammenspiel führt zu Wortgruppen Ein Verständnis für die Wortgruppen und den Satz ist wiederum die Voraussetzung für ein Verständnis der Wortarten . Es kommt - um auf den Kandinsky-Vergleich zurückzukommen - darauf an, z B die „roten Formen“ so konsequent wie nur möglich in ihrem Zusammenhang wahrzunehmen Hierfür könnten nur die roten Elemente farbig hervorgehoben werden, während alle anderen Farben in unterschiedlichen Grautönen in den Hintergrund treten Die Gesamtgestalt bliebe erkennbar; gleichzeitig könnten einzelne Teile in den Fokus gelangen Übertragen wir eine solche Sichtweise auf den Satz, kommen von Anfang an die Wortgruppen und damit die relational verstandenen Wortarten in den Blick, die für die Darstellung in diesem Buch zentral sein werden Hierbei geht es v a . um die folgenden Wortgruppen: 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 13 19 09 2019 16: 27: 18 14 W ege zur g r a mm atik ► � Sätze als „Verbgruppen“: Die wichtigste und komplexeste Wortgruppe ist der Satz selbst Weil die zentrale Einheit des Satzes das Verb ist, können wir den Satz auch als die maximal ausgebaute Verbgruppe betrachten ( → Einheit 2) ► � Nominalgruppen: Typischerweise bestehen sie aus einem Pronomen oder aus Begleiter und Nomen Zwischen Begleiter und Nomen können Adjektive bzw Adjektivgruppen treten; sie gehören auch zur Nominalgruppe ( → Einheit 10) . In den meisten Satzgliedern steht eine Nominalgruppe im Zentrum ( → Abschnitt 10 .4) Für den Schulgebrauch spricht m E . nichts dagegen, diese Wortgruppe als Nomengruppe zu bezeichnen ► � Präpositionalgruppen: Einer Nominalgruppe kann prinzipiell eine Präposition vorangehen . So entsteht diese Wortgruppe ( → Einheit 10 .4 und 12 5 1 f ), die auch als Präpositionsgruppe bezeichnet werden könnte Ausgehend von diesen drei Wortgruppen lassen sich die meisten grammatischen Erscheinungen verstehen Ein Wort „ist“ damit nicht ein Verb oder ein Nomen, sondern es wird in der Sprache als Verb oder als Nomen verwendet Dies bringt drei Vorteile: 1 Das Wortartenverständnis baut sich nicht durch Definitionen auf, sondern wird im Zusammenspiel mit anderen Einheiten erkennbar 2 Von Anfang an stehen Sätze als die natürlichen Einheiten der Sprache im Mittelpunkt und nicht einzelne Wörter . 3 Es entsteht ein Tor, bei dem die relationalen Wortarten über die Wortgruppen mit den ebenfalls relationalen Satzgliedern verbunden sind (Abb -1 6) Abb. 1.6 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 14 19 09 2019 16: 27: 18 Einheit 1 15 w e It ere a Sp e k t e für e Ine be SSere S chulGr a mm atIk Texte als Ausgangspunkt der Sprachbetrachtung systematisches Wissen auf Wortebene 1.6 Wenn wir beim Satz und bei Wortgruppen ansetzen, ist das keine Abstraktion, die die Kinder überfordern würde Die Kinder und Jugendlichen gehen vielmehr von genau der Sprache aus, die ihnen in Texten begegnet Texte sind die Einheiten der Sprache . Ich gehe hierbei von einem weiten Textbegriff aus-- ein Text kann auch aus einem Werbespruch auf einem Plakat bestehen, auf dem das Bild wie eine Situation mit einbezogen wird, und auch das in einer bestimmten Situation Gesagte kann als Text verstanden werden . Ein Text besteht aus Sätzen, und nur im Satz lassen sich Wörter wie lieb, Liebe und lieben unterschiedlichen Wortarten zuordnen Der relationale Wortartenbegriff ist die Grundlage, um irgendwann auch den kategorialen Wortartenbegriff in Tabellen oder Wörterbüchern zu verstehen Was man am Ende in Wörterbüchern findet - dass lieben als Verb, seit aber sowohl als Präposition als auch als Subjunktion aufgelistet wird, ist das Ergebnis grammatischer Überlegungen und nicht der Ausgangspunkt Wenn man zu solchen Ergebnissen gelangt ist, kann es durchaus sinnvoll sein, das Wissen weiter zu systematisieren - also z B Gruppen wie starke und schwache Verben oder Hilfs- und Vollverben zu unterscheiden oder auch die Deklination von Nominalgruppen in Tabellen aufzulisten . Das Sortieren von Formen kann Einheiten in einer Weise ins Bewusstsein heben, wie es in ihrem natürlichen Umfeld in Texten oder Sätzen nicht möglich wäre Tabellen für den Schulgebrauch sollten aber - wo immer dies möglich ist - den Kontext, die Bedingungen für das Erscheinen bestimmter Formen sichtbar machen Dieses Prinzip betrifft nicht nur die Arbeit mit Tabellen, es sollte sich in Einführungen, Erklärungen, Tafel- und Heftaufschrieben oder auch entsprechenden Wandplakaten wiederfinden . In diesem Buch finden sich solche Tabellen z B in Einheit 9 zur Konjugation und in Einheit 13 zur Deklination Weitere Aspekte für eine bessere Schulgrammatik Im Folgenden seien fünf weitere Aspekte genannt, die uns zu einer besseren Schulgrammatik führen können Dazu gehört, 1 die Grammatik als ein Modell von Sprache zu verstehen, 2 neuere Erkenntnisse bei der Modellierung einer Schulgrammatik einzubeziehen, 3 Muster in der Sprache zu entdecken, 4 das Zusammenspiel von Form und Funktion zu erkennen und 5 die Vielsprachigkeit im Deutschunterricht wahrzunehmen zu 1 : Eine explizite Schulgrammatik kann nichts anderes als ein Modell sein, das die Muster der Sprache beschreibt Modelle können die Wirklichkeit mehr oder weniger angemessen darstellen ( → Abschnitt 3 1) Das bedeutet, dass die Didaktik eine angemessene Modellierung der Grammatik entwickeln muss - ein Anliegen, zu dem dieses Buch beitragen soll 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 15 19 09 2019 16: 27: 18 16 W ege zur g r a mm atik zu 2 .: In den unterschiedlichen Modellen der Sprachbeschreibung, die in neuerer Zeit entwickelt wurden, gibt es sehr brauchbare Ansätze Viele lassen sich mit der althergebrachten Grammatik verbinden - die traditionelle Grammatik darf schon deshalb nicht ignoriert werden, weil sie durch ihre Tradierung im Deutschunterricht ein kulturelles Allgemeingut ist Die Verbindung traditioneller Sichtweisen der Grammatik mit neueren Erkenntnissen bedeutet dabei keinesfalls einen „zusätzlichen Ballast“ für den Unterricht . Diese Erkenntnisse können Brücken zwischen den zum Teil sehr isolierten schulgrammatischen Wissensbeständen sein, sie können auch vieles vereinfachen und dazu beitragen, Widersprüche in der Beschreibung zu vermeiden In diesem Sinne will dieses Buch neue Aspekte für den Grammatikunterricht aufgreifen zu 3 : Bei jedem Handeln entwickeln sich Muster: Es spielt sich etwas ein, das sich bewährt, und was sich bewährt und eingespielt hat, wird zum Muster Muster finden wir nicht nur in den sozialen Umgangsformen, sondern auch in der Sprache auf allen ihren Ebenen . Dabei entsteht aus den Formen, die sich für bestimmte Handlungszwecke bewähren, die Grammatik einer Sprache Mit dem sprachlichen Muster können wir einen Denkrahmen gewinnen, der Sprachliches angemessener darstellen kann als der überkommene Regelbegriff ( → Abschnitt 3 6 ff ) zu 4 : Das Verhältnis von Form und Funktion wird in der traditionellen Grammatik in sehr undifferenzierter Weise dargestellt Funktionales bleibt häufig ausgeblendet oder wird in unangemessener Weise auf Formen bezogen Eine konsequente Reflexion dieses Verhältnisses fehlt jedoch ( → Einheit-3 3 ff .) zu 5 : Der Deutschunterricht ist in verschiedener Hinsicht vielsprachig: Zum einen bringen alle Kinder „ihre Muttersprache“ mit und erleben die Standardsprache als etwas Fremdes - nicht nur durch das neue Medium der Schrift, sondern auch durch die besondere, von der mündlich gebrauchten Sprache abweichende Konzeption des Schriftlichen Zum andern hat sich in den deutschsprachigen Ländern die Realität an den Schulen in den vergangenen Jahren grundlegend verändert: Viele Kinder und Jugendliche haben eine andere Muttersprache erworben und müssen sich das Deutsche als Zweitsprache aneignen Vergleicht man die grammatischen Inhalte des „normalen Deutschunterrichts“ mit denen des Deutsch als Zweit- oder Fremdsprachunterrichts (DaZ/ DaF), werden mitunter erhebliche Unterschiede in der Darstellung der Sprachstruktur sichtbar Während der eine Unterricht in seiner Tradition gefangen und als „Muttersprachunterricht“ konzipiert war - in der irrigen Annahme, die Schülerinnen und Schüler würden schon können und wissen, was sie in diesem Unterricht lernen -, wurde in der DaZ- und DaF-Didaktik nicht nur gesehen, dass es hier etwas zu lernen gibt, sondern es bestand auch die Freiheit, schlüssigere Darstellungen der Grammatik hinzuzuziehen oder zu entwickeln Solche Erkenntnisse können ebenso den in einer deutschen 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 16 19 09 2019 16: 27: 18 Einheit 1 17 w e It ere a Sp e k t e für e Ine be SSere S chulGr a mm atIk Varietät sprechenden Kindern zur Bewusstwerdung dienen In diesem Sinne möchte die hier dargestellte Grammatik unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden . Denn wider besseren Wissens eine widersprüchliche und für die konkreten Bedürfnisse vielfach nutzlose Grammatik zu unterrichten, ist nicht nur unter ökonomischer Perspektive unverantwortlich, sondern auch unter sozialer, weil dies insbesondere jene zurücklässt, die durch eine andere Erstsprache schwierigere Startbedingungen an deutschen Schulen haben Voraussetzung für einen besseren Grammatikunterricht ist schließlich eine angemessene Erwartung der Lehrkräfte an das, was der Grammatikunterricht zu leisten vermag Er kann jedenfalls keine „schnelle Lösung“ für sämtliche Sprachprobleme sein Grammatikunterricht zielt nicht unmittelbar auf den Sprachgebrauch Zu einem angemessenen Sprachgebrauch kann nur der jahrelange Umgang mit Sprache führen - Zuhören, Sprechen, das Vorgelesen- Bekommen und Lesen von Geschichten und Texten jeglicher Art wirken hierbei zusammen . Der Grammatikunterricht führt zu Kenntnissen über Sprache und kann einen bewussten Sprachgebrauch einleiten Dabei ist die Schrift Ausgangs- und (wenigstens vorläufiger) Zielpunkt des Grammatikunterrichts, worauf auch das Wort Grammatik selbst hinweist (gramma - griech . der Buchstabe) Wer schreibt, braucht Grammatik, und wer liest, ist mit einem grammatischen Begleitbewusstsein erfolgreicher Wo Sprache komplex wird, können grammatische Untersuchungen erhellend sein und das Verstehen von Sprachlichem befördern Wenn es um die Verstehensmöglichkeiten und Interpretationen literarischer Texte geht, steckt in der grammatischen Analyse ein Potential, das in Schule und Studium noch viel zu wenig genutzt wird . Abb. 1.7 Führen grammatische Kenntnisse zu einem besseren Sprachgebrauch? 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 17 19 09 2019 16: 27: 18 18 W ege zur g r a mm atik 1.7  Lösungshinweise unter www.bachelorwissen.de und www.granzowemden.de Beispiel (Jacob Grimm, 1847, aus: http: / / gutenberg spiegel de/ buch/ 6190/ 14) Vermittelt über die Schrift kann auch der mündliche Sprachgebrauch von den grammatischen Kenntnissen profitieren - dies funktioniert aber nicht nach der Formel „Heute gelernt - morgen gekonnt“ Bewusstmachungsprozesse zeigen mitunter sogar den gegenteiligen Effekt: Sie können eine vorübergehende Verunsicherung bewirken - das weiß jeder, der ein Musikinstrument beherrscht und beim Spielen überlegt, was seine Finger da eigentlich tun Auch Kinder sprechen ihre Muttersprache schon recht routiniert, wenn sie in die Schule kommen und werden von der Schrift immer wieder „aufgehalten“, wenn sie lernen, das unbewusst Gekonnte immer besser zu beherrschen Übungen 1 Der Asterixband Der Große Graben erschien in unterschiedlichen Ausgaben. Dr große Graba (Asterix schwätzt Schwäbisch) Da grosse Grobn (Asterix redt wienerisch) Dr gross Grabe (Asterix redt Schwyzerdütsch) Beschreiben Sie an diesem Beispiel das grundlegende Problem, das sich nicht nur historisch bei der Entwicklung einer Standardsprache stellt, sondern auch bei der schulischen Vermittlung der Standardsprache. 2 Zeigen Sie an den folgenden beiden Sätzen, welche Probleme mit einem kategorialen Zugang zu den Wortarten verbunden sind: 1. Das Schreiben lernt man in der Schule. 2. Das schreiben wir erst einmal ins Heft. 3 In der Sprache aber heißt pedantisch, sich wie ein Schulmeister auf die gelehrte, wie ein Schulknabe auf die gelernte Regel alles einbilden und vor lauter Bäumen den Wald nicht sehn; entweder an der Oberfläche jener Regel kleben und von den sie lebendig einschränkenden Ausnahmen nichts wissen, oder die hinter vorgedrungnen Ausnahmen still blickende Regel gar nicht ahnen. Alle grammatischen Ausnahmen scheinen mir Nachzügler alter Regeln, die noch hier und da zucken, oder Vorboten neuer Regeln, die über kurz oder lang einbrechen werden. Was könnte aus Grimms Beschreibung der Sprachentwicklung für den Grammatikunterricht folgen? 4 Die folgende Bundestagsrede von Loriot trägt zwar Züge des Standarddeutschen, weicht aber auch in erheblicher Weise von dem ab, was wir als üblichen Sprachgebrauch betrachten. Zeigen Sie Beispiele für solche Abweichungen. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 18 19 09 2019 16: 27: 18 Einheit 1 19 V erw enD e t e unD w e It erführenD e l It er atur Beispiel (aus: Loriot: Das Frühstücksei, Zürich: Diogenes 2003, S 77-79 © 2008 Diogenes Verlag AG Zürich) 1.8 Bredel, Ursula; Fuhrhop, Nanna; Noack, Christina (2011): Wie Kinder lesen und schreiben lernen. Tübingen: Francke. Budde, Monika; Riegler, Susanne; Wiprächtiger-Geppert, Maja (2011): Sprachdidaktik. Berlin: Akademie Verlag. Crystal, David (1995): Die Cambridge Enzyklopädie der Sprache. Frankfurt a. M.; New York: Campus Verlag. Donatus, Aelius (2009): Die Ars maior des Aelius Donatus. Lateinischer Text und kommentierte deutsche Übersetzung einer antiken Lateingrammatik des 4.- Jahrhunderts für den fortgeschrittenen Anfängerunterricht. Hrsg. v. Axel Schönberger. Frankfurt a. M.: Valentia. Dudenredaktion (2016) (Hrsg.): DUDEN. Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. 9., überarbeitete Auflage. Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich: Dudenverlag. Haueis, Eduard (2007): Unterricht in der Landessprache. Beiträge zur Orientierung des didaktischen Denkens. Baltmannsweiler: Schneider. Verwendete und weiterführende Literatur 1 5 10 15 20 25 Meine Damen und Herren, Politik bedeutet, und davon sollte man ausgehen, das ist doch - ohne darum herumzureden - in Anbetracht der Situation, in der wir uns befinden. Ich kann meinen politischen Standpunkt in wenige Worte zusammenfassen: Erstens das Selbstverständnis unter der Voraussetzung, zweitens, und das ist es, was wir unseren Wählern schuldig sind, drittens, die konzentrierte Be-inhal-tung als Kernstück eines zukunftweisenden Parteiprogramms. Wer hat denn, und das muß vor diesem hohen Hause einmal unmißverständlich ausgesprochen werden. Die wirtschaftliche Entwicklung hat sich in keiner Weise … Das wird auch von meinen Gegnern nicht bestritten, ohne zu verkennen, daß in Brüssel, in London die Ansicht herrscht, die Regierung der Bundesrepublik habe da - und, meine Damen und Herren … warum auch nicht? Aber wo haben wir denn letzten Endes, ohne die Lage unnötig zuzuspitzen? Da, meine Damen und Herren, liegt doch das Hauptproblem. Bitte denken Sie doch einmal an die Altersversorgung. Wer war es denn, der seit 15 Jahren, und wir wollen einmal davon absehen, daß niemand behaupten kann, als hätte sich damals - so geht es doch nun wirklich nicht! Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, daß die Fragen des Umweltschutzes, und ich bleibe dabei, wo kämen wir sonst hin, wo bliebe unsere Glaubwürdigkeit? Eins steht doch fest, und darüber gibt es keinen Zweifel. Wer das vergißt, hat den Auftrag des Wählers nicht verstanden. Die Lohn- und Preispolitik geht von der Voraussetzung aus, daß die mittelfristige Finanz-planung, und im Bereich der Steuerreform ist das schon immer von ausschlaggebender Bedeutung gewesen … Meine Damen und Herren, wir wollen nicht vergessen, draußen im Lande, und damit möchte ich schließen. Hier und heute stellen sich die Fragen, und ich glaube, Sie stimmen mit mir überein, wenn ich sage … Letzten Endes, wer wollte das bestreiten! Ich danke Ihnen … 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 19 19 09 2019 16: 27: 19 20 W ege zur g r a mm atik Ivo, Hubert (1994): Muttersprache, Identität, Nation. Sprachliche Bildung im Spannungsfeld zwischen einheimisch und fremd. Opladen: Westdeutscher Verlag. Keller, Rudi (2004): Ist die deutsche Sprache vom Verfall bedroht? http: / / www. phil-fak.uni-duesseldorf.de/ uploads/ media/ Sprachverfall.pdf (Zugriff am 30. 04. 2018). Löffler, Heinrich (2005): Wie viel Variation verträgt die deutsche Standardsprache? Begriffsklärung: Standard und Gegenbegriffe. In: Eichinger, Ludwig M.; Kallmeyer, Werner (Hrsg.): Standardvariation: Wie viel Variation verträgt die deutsche Sprache? Berlin; New York: de Gruyter, 7-27. Oomen-Welke, Ingelore (2010): Sprachliches Lernen im mehrsprachigen Klassenzimmer. In: Frederking, Volker; Huneke, Hans Werner; Krommer, Axel; Meier, Christel (Hrsg.): Taschenbuch des Deutschunterrichts, Band 1: Sprach- und Mediendidaktik. Baltmannsweiler: Schneider, 409-426. Peyer, Ann (1996): Forta sano estas la plej alta bono de la homa vivo. Wie funktionieren Wörter in einer künstlichen Sprache? In: Praxis Deutsch 139, 60-64. Pinker, Steven (1996): Der Sprachinstinkt. Wie der Geist die Sprache bildet. München: Kindler. 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In: Deutschunterricht 4, 38-45. www.grammatischeterminologie.de (Diskussion und Ergebnisse einer Arbeitsgruppe zur Revision der KMK-Liste - Zugriff am 30. 04. 2018). w w w . k m k . o r g / f i l e a d m i n / D a t e i e n / veroeffentlichungen_beschluesse/ 1982/ 1982_02_26-Verzeichnis-grammatischer- Fachausdruecke.pdf (KMK-Liste von 1982 - Zugriff am 30. 04. 2018). 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 20 19 09 2019 16: 27: 19 21 Das Verb als Schlüssel zum grammatischen Verstehen Überblick Inhalt 2 1 Warum das Verb nicht als Tätigkeitswort bezeichnet werden sollte 22 2 .2 Das Verb und die Satzglieder 25 2 .3 Hinweise für den Unterricht 34 2 .4 Übungen 36 2 .5 Verwendete und weiterführende Literatur 36 Das Verb ist die wichtigste sprachliche Einheit, wenn man die Grammatik verstehen will. Es ist die formenreichste Einheit der Sprache, hat einen großen Einfluss auf die meisten anderen Einheiten, die in einem Satz erscheinen, und macht einen Satz zum Satz. Insofern kann man den Satz auch als eine Wortgruppe betrachten, die vom Verb bestimmt wird. Für einen ersten Zugang reduziert die Schulgrammatik das Verb als Tu-, Tun- oder Tätigkeitswort auf eine semantische Funktion und lenkt die Sprachaufmerksamkeit in eine Richtung, die von grammatischem Verstehen wegführt. Davon handelt der erste Abschnitt. Dass das Verb die bestimmende Einheit des Satzes ist, wird sich im zweiten Abschnitt zunächst darin zeigen, dass es Ergänzungen bei sich hat. Solange Ergänzungen im Satz vorhanden sind, erscheinen sie recht unauffällig. Fehlen Ergänzungen, entsteht eine auffallende Leerstelle. Dies wird ein Text von Loriot illustrieren, in dem manches vom üblichen Sprachgebrauch abweicht. Während die Ergänzungen in der Verbbedeutung angelegt sind, können Angaben als vom Verb zugelassene Einheiten für zusätzliche Informationen im Satz sorgen. Inwiefern das Verb den Satz bestimmt, wird sich auch in den Einheiten 4, 6-9 und 14 zeigen. Einheit 2 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 21 19 09 2019 16: 27: 19 22 D a S V erb al S S chlüSSel zum Gr a mm atISchen V er St ehen Warum das Verb nicht als Tätigkeitswort bezeichnet werden sollte Das Verb als „Tätigkeitswort“ oder auch als „Tu-“ oder „Tunwort“ hat eine sehr lange Tradition In der in Abschnitt-1 2 bereits erwähnten Lateingrammatik, dem „Donat“ aus dem vierten nachchristlichen Jahrhundert, findet sich die folgende Beschreibung: Verbum est pars orationis cum tempore et persona sine casu aut agere aliquid aut pati aut neutrum significans (Das Verb ist ein Redeteil mit temporaler und personaler Markierung ohne Deklination, das ausdrückt, dass man entweder etwas tut oder erleidet oder keines von beidem ) Die Tradition der semantischen Beschreibung („dass man entweder etwas tut oder erleidet oder keines von beidem“) fand sich lange Zeit auch an prominenter Stelle im Grammatikduden Bis zu seiner 6 Auflage von 1998 war es üblich, auch das Verb semantisch einzuführen Die ersten Überschriften zur Untergliederung der Verben waren: Das Verb (…) Bedeutungsgruppen (…) Tätigkeitsverben (Handlungsverben) (…) Vorgangsverben (…) Zustandsverben (…) In 23 der 24 in Brandenburg und Berlin zugelassenen Schulbücher für die 5 -Klasse wird das Verb ganz entsprechend mithilfe des semantischen Kriteriums eingeführt - dafür zwei Beispiele: 2.1 Tradition des Tätigkeitsworts Abb. 2.1 Wort & Co 5, Buchner 2004, S 88 Abb. 2.2 Deutschbuch 5, Cornelsen 2004, S 88 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 22 19 09 2019 16: 27: 19 Einheit 2 23 w arum Da S V erb nIcht al S t ätI Gk e It S wort be ze Ichne t w erD en Sollt e Damit bewegen sich die Schulbücher im Rahmen der zugelassenen Termini aus dem KMK-Verzeichnis von 1982 ( → Abschnitt 1 3) Nur wenn „der deutsche Ausdruck für einen grammatikalischen Begriff unmissverständlich“ sei, sollte er in der Liste neben dem lateinischen Terminus auftauchen Der semantisch motivierte Terminus ist aber nicht nur missverständlich, sondern auch in verschiedener Weise irreführend . Der Linguist und Sprachdidaktiker Hans Glinz hat vor längerer Zeit aus einem Textkorpus von 100 000 Wörtern die 25 Verben zusammengestellt, die am häufigsten vorkommen, und zwar in der folgenden Reihenfolge: Die 25 häufigsten Verben im Deutschen (in dieser Reihenfolge): sein werden haben können müssen wollen machen sollen lassen kommen geben sagen gehen sehen stehen nehmen wissen mögen halten bleiben leben liegen tun sprechen dürfen Allenfalls die unterstrichenen zehn Wörter können zur Bezeichnung einer Tätigkeit verwendet werden (ob man z B machen tun kann, ist eine philosophische Frage …), sie kommen aber in den 100 000 Wörtern lediglich 1 267-mal vor Die restlichen fünfzehn Verben, die keine Tätigkeit bezeichnen, erscheinen dagegen 6 .551 mal, also fünfmal so häufig . Wenn 60 % der 25 häufigsten Verben keine Tätigkeit bezeichnen, müssen sie, sobald man die Kinder und Jugendlichen davon überzeugt hat, dass sie trotzdem „Tätigkeitswörter“ seien, als Ausnahmen erscheinen . Das Problem besteht aber auch in umgekehrter Hinsicht: In der semantischen Beschreibung der Wortarten im Grammatikduden finden sich Tätigkeiten, Zustände und Ereignisse auch bei den Nomen (dort als „Substantive“ bezeichnet): Sind Verben Tätigkeitswörter? Tab. 2.1 (nach Glinz Sprachbuch 3 . Lehrerband, Westermann 1977) Sind Nomen auch Tätigkeitswörter? 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 23 19 09 2019 16: 27: 19 24 D a s V erb als s chlüssel zum gr a mm atischen V erst ehen 1.2.1 Gegenständlichkeit: Konkreta und Abstrakte Konkreta (Singular: das Konkretum) nennt man die Substantive, mit denen etwas Gegenständliches bezeichnet wird, zum Beispiel: Mensch, Mann, Frau, Kind, Fisch, Aal, Blume, Rose, Tisch, Fenster, Auto, Wald, Wasser, Frankfurt, Karl May, Titanic Abstrakta (Singular: das Abstraktum) nennt man die Substantive, mit denen etwas Nichtgegenständliches bezeichnet wird, zum Beispiel etwas Gedachtes. Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit: Menschliche Vorstellungen: Geist, Seele Handlungen: Schlag, Wurf, Schnitt, Boykott Vorgänge: Leben, Sterben, Schwimmen, Schlaf, Reise Zustände: Friede, Ruhe, Angst, Liebe, Alter Eigenschaften: Würde, Verstand, Ehrlichkeit, Krankheit, Dummheit, Länge Verhältnisse oder Beziehungen: Ehe, Freundschaft, Nähe, Unterschied Wissenschaften, Künste: Bilogie, Mathematik, Musik, Malerei Maß- und Zeitbegriffe: Meter, Watt, Gramm, Jahr, Stunde, Mai Der Terminus „Tätigkeitswort“ ist nicht zuletzt deshalb irreführend, weil prinzipiell jedes Verb auch als Nomen verwendet werden kann: Reinhold hat sich beim Klettern verletzt Sie können sich an jedem x-beliebigen Text klarmachen, vor welche Schwierigkeiten Kinder gestellt werden, die mit der semantischen Erklärung einen Begriff des Verbs entwickeln sollen: Rechtzeitig beworben Ein fünfjähriger Junge hat sich bei der Polizei in Bocholt beworben Sein Lebenslauf ist kurz „Besuch des Kindergartens ‚Über den Wolken‘“ ist der einzige Eintrag des kleinen Niklas in der Rubrik „Werdegang“ Das teilte ein Sprecher der Polizei am Mittwoch mit Im Anschreiben steht: „Ich möchte gerne meine Ausbildung starten, sobald ich den Kindergarten und meine schulische Ausbildung abgeschlossen habe Zu meinen Hobbys gehört das Spielen mit Polizeiautos “ Mit dem Tätigkeitskriterium lässt sich nur ein Bruchteil der Verben (in blau) erkennen Wenn Sie beispielsweise nach der Tätigkeit im letzten Satz fragen, landen Sie beim Spielen mit Polizeiautos, vielleicht auch bei den Hobbys, aber nicht beim Verb gehört Hingegen können zahlreiche Nomen im Text mit Tätigkeiten in Verbindung gebracht werden - sie sind im Text unterstrichen Solche Nomen bzw als Nomen verwendeten Wörter werden insbesondere von denjenigen falsch geschrieben, die die Definitionen und Erklärungen in Schulbüchern ernst nehmen und anwenden wollen Abb. 2.3 Duden Die Grammatik, 9 ,-überarb Auflage, Dudenverlag 2016, S -151 Beispiel (aus: Potsdamer Neueste Nachrichten (PNN) vom 22 09 2011; Markierungen: M G -E ) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 24 19 09 2019 16: 27: 19 Einheit 2 25 D a S V erb unD D Ie S at zGlIe D er Ziel des Grammatikunterrichts unangemessene Begriffsbildung und die Folgen 2.2 Verben wiederum lassen sich im Satz nur selten semantisch identifizieren, weil sie dort in besonderen Formen erscheinen Fragt man im ersten Satz nach der Tätigkeit, wird man kaum auf die Formen hat … beworben stoßen usw Das Problematische an dem Versuch einer semantischen Begriffsbildung liegt aber nur an der Oberfläche darin, dass Wortarten falsch klassifiziert werden In der Tiefe geht es um viel mehr: Es geht um das eigentliche Ziel des Grammatikunterrichts Der Horizont der Kinder und Jugendlichen sollte nicht beim Erfassen von Inhaltlichem enden, sondern so erweitert werden, dass sie die Sprache als System begreifen lernen Dazu gehört auch, sprachliche Formen in Texten fokussieren zu können Ein „erster semantischer Zugang“ durchkreuzt dieses Ziel . Mit den semantisch begründeten Termini für syntaktisch begründete Einteilungen wird ein unangemessenes Begriffsverständnis angebahnt, und weil das Verb die zentrale Einheit für den Satz ist, kann dabei auch ein angemessenes Verständnis für die gesamte Grammatik verbaut werden Das falsche Wissen erscheint den Kindern und Jugendlichen zunächst einfach, vielleicht allzu einfach Im zweiten Anlauf, wenn das Tätigkeitswort zum Verb umgetauft wird, scheint sich nur der Terminus zu ändern, während der unangemessene Begriff, der hinter dem Terminus steht, als früh gelegte und ganz tiefe Spur das grammatische Wissen prägt und mitunter ein Leben lang wirksam ist Dies zeigt sich, wenn erfahrene Lehrkräfte, die Schulbücher verfassen, die unangemessene Vermittlung der Wortarten umstandslos auf die sog Satzgliedlehre übertragen . In sage und schreibe zehn von 24 in Berlin und Brandenburg zugelassenen Schulbüchern wird das sog Prädikat ausdrücklich als erfragbare Einheit eingeführt - man könne es beispielsweise mit „Was tut“ oder „Was geschieht“ erfragen Das ist ein kaum zu überbietender Unsinn - wir werden darauf in Abschnitt 14 1 zurückkommen In Einheit 4 werden Sie das wichtigste Muster der deutschen Sprache kennenlernen - die sog Feldgliederung, bei der das Verb die entscheidende Rolle spielt Am Ende der vierten Einheit finden Sie auch methodische Hinweise, wie ein solcher Verbbegriff bereits in der Primarstufe gebildet werden kann Warum ein syntaktischer Verbbegriff das Fundament einer didaktisch verantwortbaren Grammatik sein muss, erfahren Sie im folgenden Abschnitt Das Verb und die Satzglieder Das Verb ist der Schlüssel zum Verständnis der Sprachstruktur . Ob man etwas mitteilt, darstellt, wissen möchte, vermutet usw : Verbhaltige Einheiten, die wir Sätze nennen, erscheinen beim Sprechen und Schreiben Sätze sind allgegenwärtig und so selbstverständlich, dass wir uns zunächst einen Text anschauen wollen, der aus vorwiegend zweifelhaften Sätzen besteht 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 25 19 09 2019 16: 27: 19 26 D a s V erb als s chlüssel zum gr a mm atischen V erst ehen Beispiel (aus: Loriot: Das Frühstücksei, Zürich: Diogenes 2003, S 77-79 © 2008 Diogenes Verlag AG Zürich) Ergänzungen des Verbs Bundestagsrede Meine Damen und Herren, Politik bedeutet, und davon sollte man ausgehen, das ist doch - ohne darum herumzureden - in Anbetracht der Situation, in der wir uns befinden Ich kann meinen politischen Standpunkt in wenige Worte zusammenfassen: Erstens das Selbstverständnis unter der Voraussetzung, zweitens, und das ist es, was wir unseren Wählern schuldig sind, drittens, die konzentrierte Be-inhal-tung als Kernstück eines zukunftweisenden Parteiprogramms Wer hat denn, und das muß vor diesem hohen Hause einmal unmißverständlich ausgesprochen werden Die wirtschaftliche Entwicklung hat sich in keiner Weise … Das wird auch von meinen Gegnern nicht bestritten, ohne zu verkennen, daß in Brüssel, in London die Ansicht herrscht, die Regierung der Bundesrepublik habe da - und, meine Damen und Herren … warum auch nicht? (…) Der Text spielt auf unterschiedlichen Ebenen mit den Hörerbzw Lesererwartungen Er enthält viele inhaltsschwere Worte - es gehe um einen „politischen Standpunkt“, um das „Kernstück eines zukunftsweisenden Parteiprogramms“ Trotz vieler Worte ist der Text erstaunlich inhaltsleer Es erscheinen zahlreiche Verweise, die nicht ausgeführt werden - man könnte von Wegweisern sprechen, die nirgendwohin zeigen; hier nur zwei Beispiele: Der Einschub im ersten Satz „… und davon sollte man ausgehen …“ nennt keinen Bezugspunkt, wovon man ausgehen sollte Im letzten hier wiedergegebenen Satz („Das wird auch von meinen Gegnern nicht bestritten …“) bleibt unklar, worauf das einleitende Das verweist Dass der gesamte Text so fragmentarisch wirkt, liegt zum einen daran, dass sich die aneinandergereihten Äußerungen inhaltlich nicht aufeinander beziehen und ihnen damit die inhaltliche Kohärenz fehlt Wir hätten aber auch Schwierigkeiten, die einzelnen Äußerungen als „Sätze“ oder als abgeschlossene Gedanken zu bezeichnen Der Grund dafür liegt in Loriots Umgang mit den Verben . Mit einem Verb ist in einem Satz ein Gedanke eröffnet, der auch abgeschlossen werden muss Und dagegen verstößt Loriot bereits nach der Anrede: Meine Damen und Herren, Politik bedeutet, und davon sollte man ausgehen, das ist doch - ohne darumherumzureden - in Anbetracht der Situation, in der wir uns befinden Uns wird also vorenthalten, was Politik denn bedeute Eine solche im Verb angelegte Information wird in Grammatiken als Ergänzung bezeichnet, und das Verb und seine Ergänzungen sind grundlegend für das, was wir sowohl grammatisch als auch inhaltlich als Satz oder Gedanken verstehen Zu jedem Verb gibt es ein oder auch mehrere Ergänzungsmuster - sie erinnern an das im Chemieunterricht vermittelte Bild von Atomen, die „ihre 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 26 19 09 2019 16: 27: 19 Einheit 2 27 D a S V erb unD D Ie S at zGlIe D er Ärmchen ausstrecken“ und eine bestimmte Anzahl und Art anderer Elemente an sich binden und so zu Molekülen werden . Aus der Chemie wurde auch der Fachterminus „Valenz“ (Wertigkeit) für dieses Phänomen entliehen Da die Valenz eines Verbs unabhängig ist von seiner Konjugationsform im Satz, nutzen wir für Darstellungen der folgenden Art den Infinitiv, also die Grundform, die auch als Wörterbucheintrag benutzt wird . Das Verb bedeuten braucht in seiner hier verwendeten Semantik (inhaltlichen Bedeutung) zwei Ergänzungen und gilt wegen der zwei Ärmchen als zweiwertig: Politik bedeutet ? ? ? etwas etwas bedeuten Wenn uns jemand sagen möchte, was Politik bedeute, erwarten wir Sätze wie die folgenden: Meine Damen und Herren, Politik bedeutet Arbeit Meine Damen und Herren, Politik bedeutet den Ausgleich unterschiedlichster Interessen Meine Damen und Herren, Politik bedeutet, dass man sich auf Kompromisse einlässt Das rechte „etwas“ aus der obigen Graphik wird also einmal mit dem Wort Arbeit, einmal mit den beiden zusammengehörenden Wortgruppen den Ausgleich unterschiedlichster Interessen und ein weiteres Mal mit dem abhängigen Satz dass man sich auf Kompromisse einlässt besetzt Dass wir den dass-Satz nicht nur als Ergänzung, sondern gleichzeitig auch als „Satz“ bezeichnen, liegt daran, dass er wiederum ein Verb mit seinen Ergänzungen enthält: man lässt sich auf Kompromisse ein jemand auf etwas sich einlassen In der Schule werden die beiden Ergänzungen in Abb 2 4 als Subjekt und Akkusativobjekt, in Abb . 2 5 als Subjekt und Präpositionalobjekt bezeichnet Warum wir diese Sichtweise zunächst zurückstellen, erläutert der folgende Kasten . Valenz Infinitiv Abb. 2.4 Abb. 2.5 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 27 19 09 2019 16: 27: 19 28 D a s V erb als s chlüssel zum gr a mm atischen V erst ehen Definition Valenzmodell und traditionelle Satzgliedlehre Satzglieder Die Ergänzungen eines Verbs sind gleichzeitig Satzglieder. Den Terminus Satzglied nutzen wir als einen Oberbegriff, der im Grammatikunterricht die Verständigung erleichtern kann und mehr umfasst als die Ergänzungen. Ein Satzglied hat folgende Merkmale: ► � Ein Satzglied ist eine im Verb angelegte oder vom Verb zugelassene Einheit. „Im Verb angelegt“ sind die Ergänzungen, „vom Verb zugelassen“ sind die sog. Angaben, die wir weiter unten kennenlernen werden. ► � Ein Satzglied kann aus einem Wort, einer Wortgruppe, mehreren Wortgruppen oder auch aus einem Satz, der traditionell als Gliedsatz bezeichnet wird, bestehen. ► � Wenn ein Satzglied aus mehreren Wortgruppen besteht (wie oben … den Ausgleich unterschiedlichster Interessen), gilt eine der Wortgruppen als zentrales Satzglied (hier: die im Verb angelegte Einheit den Ausgleich); alle anderen Wortgruppen sind Attribute (hier: das Genitivattribut unterschiedlichster Interessen; → Einheit 11). ► � Das Subjekt ist eine Ergänzung des Verbs und gleichzeitig wegen seines Zusammenspiels mit dem finiten Verb eine besondere Ergänzung (im Unterschied zur Valenzgrammatik betrachten wir es nicht einfach als eine Nominativergänzung; → Abschnitt 4.2). ► � Das Verb selbst ist kein Satzglied. Satzglieder sind aus der traditionellen Grammatik bekannt. Unser Satzgliedbegriff unterscheidet sich insbesondere dadurch, dass wir das Verb bzw. die Verben im Satz nicht als Satzglied betrachten (→ Abschnitt 14.1). Auch verzichten wir auf eine vorschnelle Unterscheidung von Objekten und Adverbialien, die im Grammatikunterricht fast ausschließlich über Frageprozeduren stattfindet. In der schulischen Satzgliedlehre entsteht eine große Konfusion, weil mit der Fragemethode die Rolle sowohl der Kasus als auch der Satzglieder ungeklärt bleibt (→ Einheit 12), weil Wortgruppen und ihre Formen - insbesondere Nominal- und Präpositionalgruppen - nicht in den Blick kommen (→ Einheit 10) und weil semantische und strukturelle Notwendigkeiten durcheinandergeraten. Das Valenzmodell besitzt für erste Zugänge zum grammatischen Verstehen offensichtliche Vorteile, weshalb es in diesem Buch verwendet wird. Für den Gebrauch an Schulen hat die Kultusministerkonferenz jedoch die traditionelle Satzgliedlehre mit Subjekt, Objekt, Prädikat und Adverbialien verbindlich festgeschrieben. Daher sollen immer wieder Bezüge zur traditionellen Satzgliedlehre hergestellt werden; einen Überblick erhalten Sie in Einheit 14. In Loriots Text erscheint nach dem dritten Komma mit der Wortform ist ein besonders häufiges Verb, wobei auch hier der Gedanke nicht zu Ende geführt wird . Wir müssen den Gedanken fortführen, um von einem Satz bzw Teilsatz sprechen zu können: … das ist doch ein Skandal/ kein Geheimnis/ eine Selbstverständlichkeit … … das ist doch skandalös/ offensichtlich/ selbstverständlich … 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 28 19 09 2019 16: 27: 20 Einheit 2 29 D a S V erb unD D Ie S at zGlIe D er Hier wird das Verb sein als sog . Kopulaverb verwendet ( → Abschnitt 7 2 3) Es erinnert an eine mathematische Gleichung: x = y Die fettgedruckten Einheiten werden traditionell als Prädikativum oder Prädikatsnomen bezeichnet Wir betrachten sie als Satzglieder und Ergänzungen zum Kopulaverb sein (zu den adjektivischen Einheiten skandalös … s -Abschnitt 5 3) In der folgenden, ebenfalls möglichen Fortführung hingegen erscheint das Verb sein als Hilfsverb ( → Abschnitt 7 .2 3): … das ist doch schon immer so gesehen worden … Es sorgt hier für eine bestimmte Tempusform (grammatisch bezeichnen wir die Verbform ist … gesehen worden als Präsensperfekt Passiv; → Abschnitt 8 2, 8 3 und 9 2) Auch der zweite Absatz beginnt mit einem Satz, dem etwas fehlt: Wer hat denn, und das muss vor diesem hohen Hause einmal unmissverständlich ausgesprochen werden Auch dieser Satz könnte mit zwei grundsätzlich verschiedenen Mustern zu Ende geführt werden . Zum einen könnte das Verb haben als Vollverb dienen Dann hätten wir folgendes Muster: jemand etwas haben In diesem Sinne könnte der Satz z B durch das Satzglied die tragfähigen Konzepte für die Zukunft ergänzt werden: Wer hat denn, und das muss vor diesem hohen Hause einmal unmissverständlich ausgesprochen werden, die tragfähigen Konzepte für die Zukunft? Das Verb haben könnte sich aber auch als Hilfsverb mit unterschiedlichsten Vollverben verbinden, die dann ihrerseits bestimmte Ergänzungen fordern: Wer hat denn (…) eine ganze Legislaturperiode geschlafen? Wer hat denn (…) den Aufschwung bewirkt? Wer hat denn (…) auf den Aufschwung gewartet? Wer hat denn (…) der Regierung ein rasches Handeln empfohlen? Hier werden die Sätze nicht mehr von dem Verb haben bestimmt Das Verb haben wird als Hilfsverb betrachtet, weil es hier lediglich für eine bestimmte sein als Kopulaverb sein als Hilfsverb haben als Vollverb Abb. 2.6 haben als Hilfsverb 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 29 19 09 2019 16: 27: 20 30 D a s V erb als s chlüssel zum gr a mm atischen V erst ehen Tempusform - das Präsensperfekt - sorgt und keine eigene Semantik besitzt In allen Beispielsätzen hängen Anzahl und Art der Ergänzungen jeweils von dem Vollverb ab, das wir am Satzende direkt vor dem Fragezeichen finden Wir haben hier ein-, zwei- und dreiwertige Verben; auch die Art der Ergänzungen unterscheidet sich (z B nicht nur zwischen jemand und etwas oder zwischen jemand und jemandem, sondern auch zwischen etwas und auf etwas): schlafen jemand jemand etwas bewirken jemand auf etwas warten jemand etwas empfehlen jemandem Vielleicht fragen Sie sich jetzt, weshalb schlafen aus dem ersten Satz nur als einwertiges Verb erscheint und nur ein Ärmchen ausstreckt (nur die Einheit wer ist seine Ergänzung) Die oben angeführte Wortgruppe eine ganze Legislaturperiode wird nicht als Ergänzung, sondern als sog Angabe betrachtet Während Ergänzungen in der Bedeutung des Verbs angelegt sind, handelt es sich bei Angaben um Satzglieder, die vom Verb zugelassen werden Das Verb schlafen mit seiner Bedeutung, dass ein belebter Organismus zur Ruhe kommt, nimmt als Ergänzung nur das schlafende Lebewesen . Als Angaben können unterschiedlichste Informationen hinzukommen, die im Folgenden unterstrichen sind: Der Abgeordnete hat im Bahnabteil auf seiner Reise eine ganze Legislaturperiode oft tief und fest wie ein Murmeltier meines Erachtens geschlafen, weil er müde war. Solche Angaben sind zwar grammatisch prinzipiell weglassbar Das heißt aber nicht, dass sie deshalb prinzipiell weniger wichtig wären Mitunter tragen sie die wichtigsten Informationen eines Satzes wie die folgenden unterstrichenen Einheiten: Wir treffen uns morgen um 14 Uhr in der Cafeteria Du kannst das Gleis überqueren, wenn der Zug durchgefahren ist In der schulgrammatischen Satzgliedlehre werden die Angaben den sog Adverbialien (= adverbialen Bestimmungen) zugerechnet und semantisch eingeteilt in Ort, Zeit, Art und Weise und den Grund ( → Abschnitt 14 2 3) Bereits an den bisherigen Beispielen können Sie sehen, dass diese Differenzierung nicht ausreicht und auch nicht eindeutig ist: Wie müsste man oft oder Abb. 2.7 Ergänzungen und Angaben Abb. 2.8 semantische Einteilung der Adverbialien 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 30 19 09 2019 16: 27: 20 Einheit 2 31 D a S V erb unD D Ie S at zGlIe D er Adverbialien als Ergänzungen strukturelle Forderungen der Verben Weglassprobe zur Unterscheidung von Ergänzungen und Angaben? Ergänzungen als obligatorische Satzglieder? meines Erachtens semantisch einteilen? Gibt die Wortgruppe auf seiner Reise Ort oder Zeit an? Durch den semantischen Fokus der Adverbialien gerät eine wesentliche grammatische Erkenntnis in den Hintergrund - dass ein Satz vom Verb ausgeht Adverbialien können nicht nur Angaben, sondern auch Ergänzungen sein . So ist im Verb dauern ein Adverbiale angelegt, das eine zeitliche Ausdehnung beinhaltet; ein Verb wie sitzen braucht üblicherweise ein Adverbiale des Ortes: Die Sitzung dauerte einen ganzen Tag/ bis Mitternacht/ lange. Der Abgeordnete sitzt im Bahnabteil/ auf der Treppe/ da hinten Mit seinen Ergänzungen gestaltet das Verb den Satz aber nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell: Die Partei bewirkt den Aufschwung Die Partei schadet dem Aufschwung Die Partei wartet auf den Aufschwung Das Verb bewirken fordert die Nominalgruppe den Aufschwung, das Verb schaden hingegen dem Aufschwung Die beiden Wortgruppen den Aufschwung/ dem Aufschwung unterscheiden sich zwar äußerlich durch ihren Kasus; inhaltlich lässt sich ihr Unterschied jedoch nicht ohne Weiteres beschreiben Eine ganz andere Form fordert das Verb warten: Hier kommt das Wort auf hinzu und führt zu einer Wortgruppe, die wir in Einheit 10 als Präpositionalgruppe kennenlernen werden . Präpositionalgruppen hängen eng zusammen mit Nominalgruppen, deren Veränderungsmöglichkeiten durch die Kasus in den Einheiten 12 und 13 untersucht werden Um Ergänzungen von Angaben zu unterscheiden, wird oftmals die sog Weglassprobe bemüht: Was fakultativ erscheinen kann, was man also weglassen könne, ohne dass ein Satz ungrammatisch wird, sei eine Angabe; Ergänzungen hingegen seien obligatorisch Dies ist in beiderlei Hinsicht problematisch: Was wir strukturell als weglassbar betrachten, ist für die Kinder und Jugendlichen oft nicht nachvollziehbar . Angaben können die wichtigsten Informationen eines Satzes beinhalten (s o ), sodass es zu einem Konflikt zwischen inhaltlicher und syntaktischer Weglassbarkeit kommen kann Noch weniger trifft die behauptete Obligatorik der Ergänzungen zu Die folgenden Abwandlungen unserer drei Sätze erscheinen nämlich zunehmend akzeptabel - das vorangestellte Sternchen (Asterisk) ist übrigens das graphische Zeichen für einen ungrammatischen Ausdruck, das vorangestellte Fragezeichen steht für einen fragwürdigen Ausdruck: *Die Partei bewirkt ? Die Partei schadet Die Partei wartet 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 31 19 09 2019 16: 27: 20 32 D a s V erb als s chlüssel zum gr a mm atischen V erst ehen Während der erste Satz so kaum vorkommen dürfte, wird man in einer bestimmten Äußerungssituation bei den andern beiden einen geeigneten Kontext gedanklich herstellen Eine Partei, die schadet, schadet jemandem (z B . Die Partei schadet unserer Demokratie), und eine Partei, die wartet, wartet immer auf etwas - ob dies ausgesprochen wird oder auch nicht Ob eine Partei auf bessere Zeiten, auf die nächsten Wahlen oder auf den Aufschwung wartet, sollte bekannt sein, wenn ein Satz ohne eine solche explizite Ergänzung behauptet wird, die aber implizit vorhanden sein muss Ergänzungen können also weglassbar sein - insbesondere dann, wenn sie aus dem Kontext hervorgehen oder selbstverständlich mitgedacht werden, wenn sie als nicht relevant erscheinen oder bewusst verschwiegen werden Insofern erscheint es irreführend, Ergänzungen als obligatorische Satzglieder zu bezeichnen Dies ist aber nicht der einzige Grund, weshalb die Anzahl der Verbergänzungen variieren kann . Ein Verb kann unterschiedliche Bedeutungen haben, und diese sind keine Ausnahmen, sondern die erwartbaren Spiele der Sprache, die wir auf allen ihren Ebenen vorfinden und die wir als Varianten bzw als Muster bezeichnen wollen ( → Abschnitt 3 7) Mit den verschiedenen Bedeutungen verändern sich auch Anzahl und Art der Ergänzungen - wir betrachten dies im Folgenden am Beispiel stellen: (1) Der Abgeordnete stellt den Karton in den Keller - jemand stellt etwas irgendwohin (2) Er stellt seinem Gegner eine Falle/ eine Frage/ ein Bein - jemand stellt jemandem etwas (als Funktionsverbgefüge idiomatisch begrenzt; → Abschnitt 7 2 2) (3) Er stellt den Wecker - jemand stellt etwas (insbesondere auf Uhren bezogen) (4) Er stellt den Wein für die Feier - jemand stellt etwas (i S v bereitstellen, spendieren) (5) Der Polizist stellt den Dieb - jemand stellt jemanden (i S v ergreifen oder überführen) Hier haben wir zwei dreiwertige und zwei zweiwertige „Atommodelle“, wobei sich alle fünf Bedeutungen unterscheiden - auch die mit dem gleichen formalen Schema in den Sätzen (3) und (4): jemand irgendwohin stellen etwas jemand etwas [idiom.] stellen jemandem jemand etwas stellen jemand jemanden stellen (1) (2) (3)/ (4) (5) Umgekehrt gibt es auch Verben, die bei identischer Bedeutung mit formal unterschiedlichen Ergänzungen versehen werden können Bei solchen Varianten wird meistens die eine als markiert betrachtet - z B als gehobener oder auch als veraltet wirkender Sprachgebrauch Ergänzungen hängen von der Verbbedeutung ab Abb. 2.9 Ergänzungsvarianten bei gleicher Verbbedeutung 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 32 19 09 2019 16: 27: 20 Einheit 2 33 D a S V erb unD D Ie S at zGlIe D er Gibt es richtige und falsche Ergänzungen? Beispiel (aus: http: / / www immerhertha de/ 2011/ 01/ 06/ verzahnung-bildlich-raumlich-taktikschulung-und-pausefur-aerts/ ) Ich erinnere mich der Küche meiner Großmutter Sie war schmal und hell und lief quer auf die Bahnlinie zu (…) (Beginn der Kurzgeschichte „Kleist, Moos, Fasane“ von Ilse Aichinger) Der üblichere Sprachgebrauch sähe wohl so aus: Ich erinnere mich an die Küche meiner Großmutter Mit der Wahl eines bestimmten Verbs stellt sich immer auch die Frage nach der Art und Anzahl der Ergänzungen - dies ist eines der wichtigsten Muster, das man in der Grammatik kennen sollte. Dass es hierbei Varianten geben kann, tut diesem Muster keinen Abbruch. Es gehört zum Wesen des lebendigen Sprachsystems. Eine weitere Spielart von erinnern wird laut Duden umgangssprachlich gebraucht und ist insbesondere im norddeutschen Sprachraum verbreitet Das „erinnerte Objekt“ steht im Akkusativ, der (intendierte) Träger der Erinnerung wird nicht genannt . Das folgende Beispiel entstammt dem Hertha-BSC- Fan-Blog der Berliner Zeitung: „Außerdem am Vormittag auf dem Übungsplan: Ecken Für mich ein gutes Omen, denn ich erinnere den Tag im Trainingslager im Sommer in Feldkirchen an der Donau, als die Spieler gleichfalls vormittags Ecken übten und abends ein Spiel anstand “ Der Journalist und Sprachhüter Bastian Sick bezeichnet dies als „Amerikanismus, der sich in die deutsche Sprache eingeschlichen hat“ und der unsere Syntax „heimlich“ verändere (vgl z B I remember the day, Der Spiegel, Kolumne Zwiebelfisch vom 09 06 2004) Als Lehrkraft steht man hier in einem Spannungsfeld zwischen schriftsprachlichen Normen, die es zu vermitteln und zu bewahren gilt, und der natürlichen Lebendigkeit der Sprache, die sich schon immer durch unterschiedlichste Einflüsse verändert hat Nichts spricht dagegen, im Grammatikunterricht mit Schülerinnen und Schülern über entsprechende Varianten und Veränderungen in der Sprache zu diskutieren - sie können die Sprachsensibilität erhöhen und bewusst machen, dass grammatische Strukturen auch mit ästhetischen Entscheidungen verbunden sein können Dabei kann sich zeigen, dass die Frage nach „richtigem“ und „falschem Sprachgebrauch“ oftmals nicht weiterführt, weil sie letztendlich nicht entscheidbar ist Solche Streitfragen kann man didaktisch nutzen, indem man im Unterricht eine ebenso einfache wie funktional fruchtbare Überlegung anstellt: „Wie ließe sich unser Sprachbeispiel verändern, und wie würden sich dabei die Grammatik und die Semantik ändern? “ 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 33 19 09 2019 16: 27: 20 34 D a s V erb als s chlüssel zum gr a mm atischen V erst ehen 2.3 Das Beispiel erinnern in der von B Sick kritisierten Variante verhält sich grammatisch wie die zweiwertigen Verben erwähnen oder nennen: … ich erinnere/ erwähne/ nenne den Tag im Trainingslager … Semantisch kommt ein nicht ausgedrückter Hörerbezug hinzu, was bei zahlreichen dreiwertigen Verben mit entsprechendem Hörerbezug (wie fragen oder erklären) durchaus üblich ist: Ich frage (Sie), ob das akzeptabel erscheint Bastian erklärt (uns), was geht und was nicht So findet eine Auseinandersetzung mit der zentralen Eigenschaft der Verben statt - den Gedanken eines Satzes mithilfe mehr oder weniger notwendiger Ergänzungen zu konstituieren Das Verb eröffnet dabei im Rahmen der Sprache einen mehr oder weniger großen Spielraum, wobei es am Ende nur der mit Sprache handelnde Mensch sein kann, der entscheidet, ob eine Ergänzung notwendig ist oder weggelassen wird Hinweise für den Unterricht Das Verb ist die wichtigste Einheit im Satz und wird im Mittelpunkt mehrerer Einheiten in diesem Buch stehen: ► � In Einheit 4 werden wir betrachten, wie es den Satz in Felder untergliedert ► � Es sorgt für drei unterschiedliche Satzformen, die wichtige Funktionen haben (Einheit 6) ► � Die vielfältigen Verbformen tragen zahlreiche Informationen (Einheit- 7 bis-9) Um das Verb als sprachliche Einheit bewusst zu machen, bieten sich Wortkarten als verschiebbare Einheiten an - dazu finden Sie in Abschnitt 3 2 ein paar theoretische und in Abschnitt 4 .9 viele praktische Hinweise In dieser Einheit ging es darum, wie das Verb mit anderen Einheiten im Satz zusammenspielt . Dieses Kriterium hat einen semantischen Aspekt - aber nicht als globale Aussage über „die Verben“ Das Semantische sollte immer auf ein einzelnes Verb in seiner Verwendung im Satz bezogen werden Dabei sind auch Verallgemeinerungen möglich Bereits Kindern in der Primarstufe leuchtet ein, dass eine als Verb gebrauchte Einheit wie schenken 1 jemanden braucht, der schenkt, 2 jemanden, der das Geschenk bekommt und schließlich 3 das Geschenk selbst . In einem Satz erscheint das Verb schenken also oftmals mit drei Ergänzungen 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 34 19 09 2019 16: 27: 20 Einheit 2 35 h Inw e ISe für D en u nt errIcht Das Verb fressen braucht 1 ein Tier, das Hunger hat und 2 etwas, das gefressen wird . Selbst wenn eine dieser semantischen Rollen einmal fehlen sollte wie im Satz Der Hund frisst, ist die Ergänzung, was er da frisst, in der Sprache zwar nicht vorhanden, aber in der Realität Weil es so selbstverständlich ist, dass ein Tier nicht fressen kann, ohne irgendwelche Nahrung in sein Maul zu befördern, ist diese Einheit sprachlich weglassbar (aber trotzdem eine Ergänzung des Verbs fressen) Das Verb wohnen hat als Ergänzung einen Ort, an dem jemand wohnt (Opa wohnt in Berlin/ auf dem Dachboden/ weit weg) Diese Ortsergänzung ist im Verb angelegt Sie kann durch eine Ergänzung der Art und Weise ersetzt werden, wodurch die Nennung des Ortes wegfallen kann (z B Ihr Freund wohnt zentral/ schön/ teuer) . In einem Vergleich kann das Verb wohnen sogar ohne Ergänzung erscheinen (Kevin wohnt nicht, er haust ) Die Unterscheidung von Ergänzungen oder Angaben kann jedoch an Grenzen stoßen . Sowohl Mitspieler als auch der Ort als auch das Spielzeug könnten im folgenden Satz als Ergänzungen oder Angaben betrachtet werden: Der kleine Kevin spielt mit seinen Freunden auf dem Garagendach Fußball Die meisten Grammatiken gehen hier von Angaben aus, weil die Informationen nicht in derselben Weise im Verb angelegt sind (vgl Die Kinder spielen / *Die Kinder wohnen ) Im Grammatikunterricht sollte es allenfalls um prinzipielle Erkenntnisse zu den Ergänzungen und Angaben von Verben gehen (und nicht um beckmesserische Unterscheidungen, die am Ende womöglich in einem Grammatiktest gipfeln) Deshalb könnte man entweder die Bezeichnung Ergänzung mit einer recht großen Toleranz gebrauchen und alle im Verb angelegten oder vom Verb zugelassenen Einheiten, die einen Satz „ganz machen“, als Ergänzung bezeichnen-- selbst mit linguistischen Untersuchungsmethoden sind die Abgrenzungen zwischen Ergänzungen und Angaben nicht immer eindeutig zu treffen Oder aber man verwendet gleich den Oberbegriff Satzglied für die Einheiten, die traditionell als Subjekt, Objekt und Adverbiale bezeichnet werden ( → Einheit-14) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 35 19 09 2019 16: 27: 20 36 D a s V erb als s chlüssel zum gr a mm atischen V erst ehen 2.4  Lösungshinweise unter www.bachelorwissen.de und www.granzowemden.de Beispiel (aus: Loriot: Das Frühstücksei, Zürich: Diogenes 2003, S 77-79 © 2008 Diogenes Verlag AG Zürich)) 2.5 Übungen 1 (…) Meine Damen und Herren, wir wollen nicht vergessen, draußen im Lande, und damit möchte ich schließen. Hier und heute stellen sich die Fragen, und ich glaube, Sie stimmen mit mir überein, wenn ich sage … Letzten Endes, wer wollte das bestreiten! Ich danke Ihnen … a) Welche als Verben verwendeten Einheiten haben ihre Ergänzungen; wo fehlen die Ergänzungen? b) Obwohl einige Verben ergänzt werden, empfindet man die meisten Sätze als unbefriedigend. Finden Sie hierfür Gründe. 2 1. Der Bus fährt nicht, weil er einen Motorschaden hat. 2. Der Bus fährt in fünf Minuten. 3. Der Bus fährt zum Bundestag. 4. Der Bus fährt die Touristen jede volle Stunde zum Regierungsviertel. a) Stellen Sie die Valenz des Verbs fahren in den vier Sätzen dar. Markieren Sie die Ergänzungen und die Angaben. b) Diskutieren Sie an diesem Beispiel die Notwendigkeit der Unterscheidung von Ergänzungen und Angaben im sprachwissenschaftlichen und im schulischen Zusammenhang. Verwendete und weiterführende Literatur Ágel, Vilmos (2000): Valenztheorie. Tübingen: Narr. Eisenberg, Peter (2013): Grundriss der deutschen Grammatik. Band 2: Der Satz. 4., aktualisierte und überarbeitete Auflage. Heidelberg: Springer. Engel, Ulrich (2004): Deutsche Grammatik. Neubearbeitung. München: Iudicium. Glinz, Hans (1992): Wieviel Grammatik für die Grundschulkinder - und für die Lehrenden? In: Grundschule 1, 9-14. Müller, Astrid; Tophinke, Doris (2011): Verben in Sätzen. Basisartikel. In: Praxis Deutsch 226, 4-11. Spies, Barbara (1989): Zur Aneignung von grammatischem Wissen bei Primarstufenschülern. Untersuchung zum Verständnis der Wortarten. In: Haueis, Eduard (Hrsg.): Sprachbewußtheit und Schulgrammatik. OBST 40, 75-86. Tesnière, Lucien (1980): Grundzüge der strukturalen Syntax. Hrsg. und übers. von Ulrich Engel. Stuttgart: Klett-Cotta. https: / / grammis.ids-mannheim.de/ verbvalenz (Valenzwörterbuch deutscher Verben - Zugriff am 26.01. 2019). 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 36 19 09 2019 16: 27: 20 37 Überblick Grammatische Modellbildung Inhalt 3 1 Modellbildung 38 3 2 Sprache als Gegenstand: Begriffsbildung und Terminologie 40 3 3 Form und Funktion in der Natur 43 3 4 Form und Funktion in kulturell geschaffenen Gegenständen 45 3 5 Form und Funktion in der Sprache 46 3 6 Der Regelbegriff 47 3 7 Muster statt Regeln 49 3 8 Muster und Markierungen 50 3 9 Normen und Normenvermittlung in der Schule 51 3 10 Exkurs: Ein e ist nicht nur ein e 53 3 11 Übungen 57 3 12 Verwendete und weiterführende Literatur 58 Wenn es in Einführungsseminaren um die Modellbildung in der Grammatik geht, sind manche Studierende verwundert: „Es gibt sie doch, ‚die Grammatik‘ - warum sagt man uns nicht, wie sie funktioniert, damit wir sie selbst unterrichten können? “ Eine explizite Grammatik kann niemals auf natürliche Weise im Sprachgebrauch entstehen wie die implizite. Sie ist ein Modell von Sprache, das konstruiert werden muss. Wie bei allen Modellen gibt es dabei vielfältige Möglichkeiten, eine komplexe Wirklichkeit abzubilden - insofern gibt es auch nicht die eine Grammatik. Wenn man die Sprache als komplexe Wirklichkeit untersucht, entstehen Vorstellungen zu ihrer Funktionsweise, die wir auch als Begriffsbildung bezeichnen. Begriffe sind nicht das Gleiche wie die Fachtermini: Die Termini stehen ganz am Ende des Erkenntnisprozesses, wenn das Begriffene eine Bezeichnung erhält. Die grammatische Begriffsbildung Einheit 3 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 37 19 09 2019 16: 27: 20 38 G r a mm atische m odellbildunG 3.1 Tab. 3.1 braucht eine genaue Beobachtung, wie die Formen und Funktionen in der Sprache zusammenspielen. Wir wollen zunächst Formen und Funktionen in alltäglichen Zusammenhängen anschauen, um besser zu verstehen, warum dieses Zusammenspiel und die Fähigkeit, Form und Funktion zu unterscheiden, so zentral für grammatisches Nachdenken und den Grammatikunterricht sind. Mit der Unterscheidung von Formen und Funktionen können wir die vielfältigen Muster in der Sprache angemessener ordnen und begreifen. Solche Muster gibt es auf allen Sprachebenen. Sie können auf vielfältige Weise variiert werden; dabei können wiederum neue Muster entstehen und zu Markierungen werden. Wer solche Zusammenhänge verstanden hat, kann mit der Vermittlung von sprachlichen Normen angemessener umgehen, die die Institution Schule in einer Schriftkultur zu leisten hat. Modellbildung Modelle erfüllen nie die gleiche Funktion wie das Original - ein Flugzeugmodell muss weder fliegen noch Personen befördern können Auch eine Grammatik als Modell der Sprache hat niemals den Anspruch, genau das zu leisten, was das Original - also die Sprache selbst - leistet Modelle können sich unterscheiden - je nachdem, welchen Benutzerkreis sie im Auge haben, und Modelle stehen immer in der Gefahr, die Wirklichkeit falsch wiederzugeben Zur Veranschaulichung soll im Folgenden die Sprache mit einer Landschaft verglichen werden . Dieser Vergleich bietet sich deshalb an, weil wir sowohl mit der Landschaft als auch mit der Sprache eine gleichzeitig natürliche und kulturell geschaffene Wirklichkeit vorfinden Sowohl Landschaft als auch Sprache sind komplex und prinzipiell veränderbar, und von beiden gibt es Modelle als graphisch gestaltete Landkarten bzw als geschriebene Grammatiken Landschaft Sprache Die Landschaft ist eine gleichzeitig natürliche und kulturell geschaffene Gegebenheit. Lebewesen und auch Menschen können sich in ihr aufhalten und bewegen. Die Sprache ist gleichzeitig natürlich und kulturell geschaffen. Man nimmt sie als eine soziale Gegebenheit wahr - sie ist einfach da. Ein Mensch kann sprechen, ohne jemals darüber nachzudenken, was er da eigentlich tut. Sobald ich ein bestimmtes Ziel verfolge, kann eine Orientierung nützlich oder sogar unverzichtbar sein. Sobald ich ein bestimmtes Ziel verfolge, kann eine Orientierung nützlich oder sogar unverzichtbar sein. Das Ziel ist der Ort, an dem jemand sein möchte (und immer auch der Weg, der dorthin führt). Es kann aber auch ein Interesse an einer Umgebung bestehen, also die bloße Information, was es wo gibt. Solche Ziele sind in der Sprache die Schriftaneignung und die willkürliche Verfügbarkeit von Schrift, aber auch der Wunsch, zu wissen und zu verstehen, wie Sprache funktioniert. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 38 19 09 2019 16: 27: 20 Einheit 3 39 m oD ellbIlDunG Zum Erreichen dieser Ziele ist ein Modell der Landschaft nützlich und notwendig. Ein solches Modell heißt Landkarte. Zum Erreichen dieser Ziele ist ein Modell von Sprache nützlich und notwendig. Ein solches Modell heißt Grammatik. Es gibt unterschiedliche Karten in unterschiedlichem Maßstab für unterschiedliche Nutzer und Interessen (für Wanderer, Fahrradfahrer, Autofahrer, für Geographen, für Planungszwecke …) Es gibt unterschiedliche Grammatiken für unterschiedliche Nutzer und Interessen (für die Schule, zum Erlernen einer Fremdsprache, für die Forschung, für berufliche Zwecke …) Eine Karte benutzt verschiedene Symbole, um die Wirklichkeit darzustellen. Eine Grammatik benutzt verschiedene Fachtermini, um die sprachliche Wirklichkeit zu fassen. Die Nutzer müssen eine Karte lesen und verstehen lernen. Diese Symbole werden in der Legende erläutert. Die Nutzer müssen eine Grammatik lesen und verstehen lernen. Die Fachtermini werden dort erläutert. Die Landschaft muss angemessen dargestellt werden: Die Karte muss Wichtiges enthalten, darf aber nichts hinzuerfinden. Die Sprache muss angemessen dargestellt werden: Die Grammatik muss Wichtiges enthalten, darf aber nichts hinzuerfinden. Ein Modell ist immer etwas anderes als das „Original“ - sonst wäre es eine Verdopplung der Wirklichkeit Keine Karte verzeichnet jeden Baum, Stein oder Grashalm, und auch eine Grammatik kann nur ausgewählt und musterhaft die Strukturen der Sprache abbilden Dabei ist es unangemessen, das Modell in Konkurrenz zur Wirklichkeit zu stellen Das Lesen einer Karte kann das Naturerleben nicht ersetzen, und ebenso wenig kann eine Grammatik mit der Lebendigkeit einer Diskussion oder dem ästhetischen Erlebnis konkurrieren, das gute Literatur ermöglicht . Sie kann aber dazu beitragen, sprachlich Gestaltetes bewusster zu verstehen . © Verlag grünes herz® Abb. 3.1 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 39 19 09 2019 16: 27: 20 40 G r a mm atische m odellbildunG Sowohl an Karten als auch an Grammatiken kann man folgende Minimalforderung stellen: Sie müssen als Modelle die Wirklichkeit angemessen abbilden Nur dann ist Orientierung möglich Man kann auch sagen: Wenn eine Karte gut gemacht ist, gewinnt man eine Orientierung Eine fehlerhafte Karte aber kann geradezu verhindern, ein Ziel zu erreichen Man wähnt sich auf dem richtigen Weg, der aber in Wirklichkeit in eine ganz andere Richtung führt Vor diesem Hintergrund wird es hier immer wieder um schulgrammatische Modelle gehen Wo sie in die Irre führen, müssen sie verworfen und durch angemessenere ersetzt werden . Das Sprachsystem wird so dargestellt, dass Sie einen Einblick in die wichtigsten Muster und Funktionsweisen der Sprache erhalten Es ist nicht das Ziel, dass Sie diese Inhalte 1: 1 auf den Grammatikunterricht übertragen . Vielmehr soll Ihnen dieses Wissen ermöglichen, den Lerngegenständen im Grammatikunterricht gelassen zu begegnen, weil sie Ihnen vertraut sind und Sie die Schwierigkeiten kennen, die Kinder und Jugendliche damit haben können Gleichzeitig kann keine Grammatik alle nur denkbaren Strukturen einer Sprache erschöpfend behandeln - mit den Details nimmt der Umfang zu und die Übersichtlichkeit ab Eine gute Schulgrammatik ist exemplarisch in dem Sinne, dass wesentliche Muster in der Sprache erkennbar und durch Analogien auf entsprechende Phänomene übertragbar werden Und wenn exemplarische Grundlagen vorhanden sind, macht es in höheren Klassen oder im Studium auch Freude, einzelne Fragestellungen mithilfe detaillierterer Grammatiken zu vertiefen Sprache als Gegenstand: Begriffsbildung und Terminologie Eine Grammatik und eine Landkarte haben ein paar wesentliche Unterschiede, was den üblichen Zugang und die Anschaulichkeit betrifft Das, was ich auf der Karte in abgebildeter Form vorfinde, ist normalerweise als Phänomen aus der Realität bekannt Jeder weiß, was eine Straße, ein Fluss, ein Laubwald ist Zwar sieht jede einzelne Straße oder jeder konkrete Fluss unterschiedlich aus, aber trotz solcher Abstraktionen können wir beides unterscheiden - wir haben in der Realität eine begriffliche Vorstellung entwickelt „Begrifflich“ meint nun nicht in erster Linie, dass wir Wörter für diese Phänomene haben, sondern dass wir uns vorstellen können, was eine Straße und was ein Fluss ist In zweiter Linie können wir als Menschen nicht anders, als dass wir uns für solche wiederkehrenden Konzepte auch Wörter ausdenken, die als Bezeichnungen in der Lage sind, entsprechende Vorstellungen aufzurufen Im alltäglichen Leben werden Begriff und Terminus meistens gleichgesetzt . Wenn jemandem „ein Begriff “ nicht einfällt, ist damit meistens nichts anderes als ein bestimmtes Wort gemeint Auf den ersten Blick erschiene es befremdend, Straße und Fluss als die Termini für die gedanklichen Konzepte 3.2 alltagssprachliche Begriffsbildung 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 40 19 09 2019 16: 27: 20 Einheit 3 41 S pr ache al S G eG enSta nD : b eGrIff SbIlDunG unD t ermInolo G I e Unterscheidung Begriff - Terminus Sprache als Medium Metasprache Beispiel zu bezeichnen, die sich damit verbinden Trotzdem funktioniert eine Sprache bei näherer Betrachtung genau so . In Wissenschaften werden begriffliche und terminologische Ebene aus guten Gründen zunächst getrennt . Am Anfang steht eine Beobachtung oder eine Erkenntnis, und die Wissenschaft entwickelt daraus eine Theorie Die Gedanken, die man sich hierbei machen muss, um die Welt besser zu verstehen, könnte man auch als Begriffsbildung bezeichnen Um sich einen Begriff machen zu können, muss man eine Sache genau untersuchen und ihre Eigenarten und Abhängigkeiten verstehen lernen Erst daraus können Fachtermini wie die folgenden aus unterschiedlichen Wissenschaften entstehen, die sich auf das schon immer Vorhandene oder auch auf gedankliche Konstrukte beziehen können: Physik: Atome Astronomie: Lichtgeschwindigkeit Sozialwissenschaften: Glück Jura: gerechtes Urteil Auch in der Sprache sind die grammatischen Phänomene da, bevor jemand darüber nachdenkt - kleine Kinder verwenden bereits ausgesprochen komplexe Konstruktionen in ihrer Muttersprache Während aber beim Begehen einer Straße oder dem Betrachten eines Flusses ein Begriff von der sichtbaren Welt entsteht, führt die Verwendung von Präpositionalgruppen nicht zu einem Begriff von Präpositionen oder den Kasus, die dabei ausgelöst werden . Sprache wird als Medium verwendet, und die sprachlichen Formen werden ebenso wenig bewusst wie die Luft als Medium der Schallwellenübermittlung Wenn man spricht, bezieht sich Sprache auf Gegenstände im weitesten Sinne Im Grammatikunterricht wird die Sprache aber selbst zum Gegenstand-- sie richtet sich auf sich selbst . Eine solche Sprache über die Sprache, die damit notwendig wird, bezeichnen wir als Metasprache Das ist deshalb mitunter sehr problematisch, weil es schwerfallen kann, hierbei die Ebenen auseinanderzuhalten Wenn wir über Wörter, Wortgruppen, Sätze und Texte nachdenken, machen wir diese zum Gegenstand der Betrachtung Wir verwenden dabei Wörter, Wortgruppen, Sätze und Texte gleichzeitig als Medium und als Metasprache . Die Metasprache ermöglicht uns das Nachdenken und das Reden über die Sprache als Gegenstand Zu den einfacheren Problemen gehört, wenn Einheiten bestimmt werden sollen, entsprechende Fragen aber inhaltlich gedeutet werden An der Tafel steht „Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum“ Der Lehrer möchte die Satzglieder ermitteln und fragt: „Was ist am Brunnen vor dem Tore? “ Schüler: „Na - ein Lindenbaum! “ 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 41 19 09 2019 16: 27: 20 42 G r a mm atische m odellbildunG Vergegenständlichung: Sprache wird sichtbar Möglichkeiten der Vergegenständlichung Tabellen Missverständnisse kann es darüber hinaus geben, wenn die im Unterricht verwendeten Fachtermini auch alltagssprachlich besetzt sind (wie z B Fall, Objekt, Satz, Ergänzung, Artikel, Aktiv und Passiv, Aussage …) Jede Aufforderung zur Sprachanalyse bedeutet ein „Umschalten“ auf eine strukturelle Sichtweise, die von Kindern und Jugendlichen nicht ohne Weiteres eingenommen werden kann Deshalb sind schriftliche Aufgabenstellungen (oder Begleitnotizen im laufenden Unterricht) prinzipiell sinnvoll, wenn die Aufmerksamkeit auf ein sprachliches Phänomen gelenkt werden soll Was aber nie fehlen sollte, ist die Sichtbarmachung des zu untersuchenden Gegenstandes: Das Sprachbeispiel, um das es im Unterricht geht, muss aufgeschrieben werden Mit der Schrift bekommt die Sprache eine neue Realität: Sie wird zum sichtbaren Gegenstand und dadurch auch in ihren Formen wahrnehmbar Wer schreibt, muss über sprachliche Formen nachdenken können, und wer über sprachliche Formen nachdenkt, macht dies auf der Grundlage der Schrift Daraus ergibt sich die didaktische Forderung nach Vergegenständlichung: Grammatikunterricht braucht an allererster Stelle die Schrift, mit der sprachliche Phänomene sichtbar gemacht werden Was im Unterricht sprachlich untersucht werden soll, muss in geschriebener Form zur Verfügung stehen - als Tafelanschrieb, als Projektion oder als Plakat im Klassenzimmer Ein ganz wichtiges Mittel sind verschiebbare Einheiten ( → Abschnitt 4 9) . Hat man Sprache optisch vor sich, kann man den Fokus auf einzelne Einheiten richten (Morpheme, Wörter, Wortgruppen usw .; indem sie optisch hervorgehoben werden durch Farbe, Unterstreichung usw . Beziehungen zwischen den Einheiten können durch Verbindungspfeile hergestellt werden Dies alles ist Ihnen wahrscheinlich bekannt, aber gerade so alltägliche Methoden brauchen sichere Kenntnisse des Sprachsystems und eine didaktische Planung, um tatsächlich zum Sprachbewusstsein und zu einer gedanklichen Ordnung beizutragen und nicht durch ein Übermaß an Farben und Pfeilen das Gegenteil zu erreichen Eine wichtige Form der Vergegenständlichung sind Tabellen, die besonders gut geplant werden müssen Auch bei der Arbeit mit Tabellen besteht die eben genannte Gefahr, die Kinder und Jugendlichen zu verwirren . Wenn sie aber gut gemacht sind, bieten sie wie kaum eine andere Darstellungsform die Möglichkeit, das Sprachsystem begreifbar zu machen Tabellen begegnen Kindern und Jugendlichen auch im Alltag: in Bedienungsanleitungen, in Zeitschriften, in Busfahrplänen usw Mit dem Prinzip von Tabellen - dass es also darauf ankommt, in waag- und senkrechter Richtung Informationen zusammenzubringen - können Kinder schon sehr früh an einfachen Sachverhalten bei der Arbeit mit Ober- und Unterbegriffen vertraut gemacht werden (z B eine Kreuzklassifikation mit den Oberbegriffen bestimmter Lebewesen und Beispielen für typische Vertreter) Die Möglichkeiten der Vergegenständlichung und Hervorhebung sprachlicher Strukturen werden Ihnen an vielen Stellen in 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 42 19 09 2019 16: 27: 21 Einheit 3 43 f orm unD f unk tIon In D er n atur metasprachliche Begriffsbildung und die Fachterminologie Form und Funktion in der Terminologie 3.3 diesem Buch begegnen, insbesondere auch Beispiele und Hinweise zur didaktisch angemessenen Gestaltung von Tabellen Explizite Hinweise finden Sie insbesondere in Einheit 13 zur Darstellung der Deklinationsformen Erst wenn die sprachlichen Formen und Beziehungen durch Vergegenständlichung in den Horizont der Kinder und Jugendlichen gelangt sind, können sie sich einen Begriff davon machen . Bereits im Landschaftsvergleich haben wir gesehen, dass die Begriffsentwicklung von Straße oder Fluss an die Anschauung der Wirklichkeit gebunden ist Die grammatische Begriffsentwicklung hat als Anschauungsobjekt zu allererst die Schrift Sobald sich hierbei bestimmte Muster abzeichnen, geschieht das Gleiche wie oben: Wir denken uns Wörter für solche Beobachtungen aus, die als Bezeichnungen in der Lage sind, entsprechende Vorstellungen aufzurufen . In den Wissenschaften spricht man hierbei von einer Fachterminologie Nun rufen zahlreiche Termini, die formal gemeint sind, eine funktionale Assoziation hervor - etwas salopp gesagt: Es gibt auch Termini, bei denen „Funktion“ draufsteht, aber „Form“ drin ist Bei „Passiv“ denken viele ans „Nichtstun“, und mit „Perfekt“ assoziiert man „Vollkommenheit“ oder mit etwas schulgrammatischem Wissen auch „Vergangenheit“ . Passiv und Perfekt sind aber Bezeichnungen für ein bestimmtes Zusammenspiel von Verbformen, eine Art Baukastensystem, auf das wir in den Einheiten 8 und 9 zu sprechen kommen Solche Formen sind (wie alle Formen) mit Funktionen verbunden, und mit ihrem Terminus wird eben eine Funktion festgehalten, die man für besonders wichtig hält Zur Klärung der beiden Begriffe ist es aufschlussreich, sich Form und Funktion in der Natur und in kulturell geschaffenen Gegenständen bewusst zu machen Form und Funktion in der Natur Egal, wo wir hinschauen: Überall auf der Welt begegnet uns ein Zusammenspiel von Form und Funktion Manches hat sich im Laufe der Evolution natürlich ergeben Z B finden wir bei Tieren und Menschen eine Öffnung im Körper, die der Nahrungsaufnahme dient . Diese „Form“ ist beim Oktopus, bei einer Heuschrecke oder bei einer Kuh sehr unterschiedlich Obwohl sich die Formen äußerlich unterscheiden, sprechen wir in allen Fällen von einer Mundöffnung bzw von einem Maul und wissen, was damit gemeint ist Dabei hilft uns nicht nur die Form an sich zu ihrer Identifikation, sondern auch die Lage im Vergleich mit anderen Formen So erkennen wir bei bestimmten Tieren den Mund an seinem Verhältnis zu anderen Körperteilen - wir suchen zuerst so etwas wie einen Kopf, dann die Augen und die Nase usw Auch sprachliche Formen existieren in einem Verhältnis zu anderen sprachlichen Formen und werden erst so zu einer bestimmten sprachlichen Form - wir haben dies in der vorigen Einheit am Beispiel des Verbs gesehen 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 43 19 09 2019 16: 27: 21 44 G r a mm atISche m oD ellbIlDunG Die Position einer Form im Verhältnis zu anderen Formen kann damit ein wichtiges Kriterium zu ihrer Identifikation sein Die von Säugetieren bekannte Ortung der Mundöffnung klappt bei Weichtieren oder Insekten nicht so ohne Weiteres Hier haben wir ein anderes Kriterium dafür, was wir als Mundöffnung bezeichnen - eben die Stelle, wo die Nahrung reingeht Mit der Nahrungsaufnahme beschreiben wir aber keine Form, sondern eine Funktion, der alle Lebewesen nachkommen müssen, um am Leben zu bleiben Insofern kann auch eine Funktion ein Kriterium zur Identifikation einer Form sein Eine Form ist aber nur selten auf eine einzige Funktion festgelegt Für die Mundöffnung fallen uns weitere Funktionen ein, denen diese Form dienen kann: Menschen nutzen ihn zum Sprechen und zum Küssen und die meisten Säugetiere atmen mit dem Mund Die Atmung ist zweifellos eine wichtige Funktion für Lebewesen, weil sie den Blutkreislauf mit Sauerstoff versorgt Diese Funktion ist aber wiederum nicht an die eine Form der Mundöffnung gebunden: Es gibt auch eine Nasen- und Kiemenatmung; die Haut kann in begrenztem Umfang Sauerstoff aufnehmen; Wale können sogar mit einer Öffnung im Rücken atmen Diese Öffnung ist aber nichts anderes als eine in ihrer Lage veränderte Nasenöffnung - trotzdem käme niemand darauf, diese Rückenöffnung als „Nase“ zu bezeichnen Das heißt aber wieder nichts anderes, als dass unterschiedliche Formen identische Funktionen übernehmen können Wenn wir also von einer bestimmten Form (hier: dem Mund) ausgehen, hängt diese eng mit bestimmten Funktionen zusammen (hier z B Nahrungsaufnahme, Atmung u a ) Die Form ist damit eine Art Rohmaterial, etwas, das man von außen wahrnehmen kann, sie ist „da“ Die Funktion hingegen ereignet sich und ist mitunter nur dann wahrnehmbar, wenn die Form in Funktion ist Oftmals sind bestimmte Funktionen nicht an eine einzige Form gebunden (Nahrungsaufnahme nicht nur über den Mund, sondern auch als Infusion mit Schlauch und Nadel; Atmung über die Nase usw ) Form Funktion Andere Formen zur Bewältigung der verschiedenen Funktionen: Mund Nahrungsaufnahme Atmung Kommunikation Schlauch und Nadel (Infusion) Kiemen Nase Gestik, Mimik geschriebene Sprache Tab. 3.2 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 44 19 09 2019 16: 27: 21 Einheit 3 45 f orm unD f unk tIon In k ulturell G e Sch aff enen G eG enStä nD en Form und Funktion in kulturell geschaffenen Gegenständen Was für das natürlich Gewachsene gilt, finden wir auch bei allem, was sich der Mensch in seiner Geschichte an kulturellen Gegenständen ausgedacht hat Das gilt für Knöpfe, Büroklammern und Sicherheitsnadeln ebenso wie für Geschirrspülmaschinen und Windkraftanlagen Es gilt auch für Kunst und kultische Gegenstände: Überall gibt es ein Verhältnis von Form und Funktion Aber genauso wie in der Natur haben wir dabei keine 1: 1-Zuordnungen Bei vielen Formen kann man rekonstruieren, wie sie sich entwickelt haben mögen Wer Flüssigkeiten zum Mund führen will, kann dafür die hohle Hand nehmen, aber auch jede Hohlform, wie sie in der Natur z B als Nussschale vorkommt Irgendjemand wird die Idee gehabt haben, entsprechende Formen aus Ton oder Metall herzustellen Das Anbringen eines Stiels erleichterte die Handhabung und führte zu einer Form, die wir Löffel nennen Ein Löffel kann wiederum nicht nur zur Nahrungsaufnahme verwendet werden, sondern auch beim Kochen zum Abmessen von Zutaten in kleineren Mengen Er dient damit - etwas allgemeiner - dem Transport von Festem und Flüssigem Bei sprachlichen Einheiten können wir ebenfalls Formen und Formveränderungen (manchmal mehr oder weniger spekulativ) rekonstruieren; dasselbe gilt für Funktionen, Funktionserweiterungen und -veränderungen Einen wichtigen Beitrag hierzu leistet die Grammatikalisierungsforschung Eine Form wie ein Löffel ist aber nicht auf eine Funktion beschränkt - man kann z B mit seiner Außenseite etwas zerdrücken oder in seine Innenseite hineinschauen und sich dann auf dem Kopf sehen - letztere Funktion wäre dann, sich zu spiegeln oder auch Spaß zu haben In Wörterbüchern findet sich als Erklärung für einzelne Einträge üblicherweise die naheliegendste Funktion (s Abb 3 2) - Zerdrücken und Spiegeln gehören nicht zu den offiziellen Funktionsweisen eines Löffels Auch die funktionalen Erklärungen grammatischer 3.4 Beispiel Abb. 3.2 Duden Deutsches Universalwörterbuch, 6 -Auflage, Dudenverlag 2011 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 45 19 09 2019 16: 27: 22 46 G r a mm atische m odellbildunG Formen beziehen sich üblicherweise auf Prototypisches, was andere Funktionsweisen nicht ausschließt Und schließlich ist die äußere Gestalt eines Löffels nicht auf eine einzige Form beschränkt - es gibt eine prinzipiell unendliche Möglichkeit für Löffeldesigns Trotzdem wissen wir, welcher Ausschnitt von Welt mit der Bezeichnung „Löffel“ getroffen werden soll Nun ist ein Löffel eine relativ einfache Form Es gibt auch komplexere Formen wie Maschinen Hier haben wir ein Zusammenspiel von vielen funktional begründeten Einzelformen, die dem Gesamtzweck der Maschine dienen Ebenso wie bei kulturell geschaffenen Gegenständen gibt es auch in der Sprache mehr oder weniger komplexe Formen - in der Sprache werden aus Phonemen bzw . Graphemen größere Einheiten und schließlich Texte Form und Funktion in der Sprache Das Verhältnis von Form und Funktion in der Grammatik hat Anteile der beiden eben beschriebenen Bereiche Damit ist Sprache etwas ganz Besonderes: Sie ist evolutionär gewachsen, weil sie zur Natur des Menschen gehört und sich mit den Menschen über die Jahrtausende entwickelt hat Gleichzeitig können die Sprache und ganz besonders die Schrift als kulturell erarbeitete Werkzeuge betrachtet werden Die beiden Einflüsse von Natur und Kultur und das stetige Wechselverhältnis von Form und Funktion machen die Sprache zu einem sehr komplexen Gegenstand - so komplex, dass in Schriftkulturen die Vermittlung der Kulturtechniken des Lesens und Schreibens an Institutionen delegiert wird, die man Schulen nennt Manches in der Schrift erscheint nach einer zwölf- oder dreizehnjährigen Schulzeit viel banaler oder selbstverständlicher, als es in Wirklichkeit ist Und wer Kindern und Jugendlichen die Schrift nahebringen möchte, kann dies besser im Bewusstsein um die Komplexität des GegenstandesJede einzelne sprachliche Form - der Buchstabe, das Graphem, das Phonem, die Silbe, das Morphem, das Wort, die Wortgruppe, der Satz und der Text - muss als Form wahrgenommen werden können, die sich von anderen Formen unterscheidet Zur Ermittlung grammatischer Formen wurden im Strukturalismus die sog . operationalen Verfahren eingeführt, die in der Schule als grammatische Proben bezeichnet werden Sie finden sich inzwischen in den meisten Rahmenlehrplänen und sind ein wichtiges Instrumentarium für den Grammatikunterricht Diese Verfahren ermöglichen sprachliche Untersuchungen, indem sprachliche Formen verändert und verglichen werden . Zu den Veränderungen gehören das Ersetzen, Umstellen, Umformen, Erweitern und Weglassen - Sie werden sie in diesem Buch an vielen Stellen kennenlernen (exemplarisch in Abschnitt 11 7) . Einen Überblick über die Verfahren finden Sie z B im Grammatikduden Formvarianten einfache und komplexe Formen 3.5 Natur und Kultur in der Sprache grammatische Proben 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 46 19 09 2019 16: 27: 22 Einheit 3 47 D er r eG elbeGrIff Form und Funktion gehören zusammen 3.6 Erklären Regeln das Sprachsystem? Gleichwohl ergeben sich die Einsichten mithilfe der grammatischen Proben nicht „automatisch“ . Die Beurteilung, ob eine veränderte Form angemessen ist oder nicht, ist nur mit einem hinreichenden Sprachgefühl möglich Dies spricht aber nicht prinzipiell gegen diese Verfahren - allenfalls gegen ihre unreflektierte Anwendung . Wir haben hier ein ähnliches Problem wie beim Schriftspracherwerb: Um das Schreiben zu erlernen, braucht man Sprachbewusstheit Sprachbewusstheit entwickelt sich aber erst in der Auseinandersetzung mit Schrift . In einer ähnlichen gegenseitigen Bedingtheit können die Proben das grammatische Verstehen unterstützen - allerdings nur, wenn sowohl die Lehrkräfte als auch die Kinder und Jugendlichen wissen, was sie tun Dabei sind formale Einsichten kein Selbstzweck Grammatisches Nachdenken braucht eine Doppelperspektive auf Form und Funktion Wer bei den Formen ansetzt, erkennt durch ihre Funktionen erst ihren Sinn Und wer sich sprachlichen Funktionen zuwendet, hat es auch mit den Formen zu tun, die als materielle Grundlage dieser Funktionen dienen Formale Untersuchungen ohne einen funktionalen Bezug geraten formalistisch und sind für die Entwicklung der Sprachbewusstheit und das Erkennen sprachlicher Strukturen nur wenig förderlich . Stellt man z B die aus den Formen beobachtbare Regel auf, dass Nomen im Deutschen einen Artikel bei sich haben, ohne nach der Funktion dieses Zusammenspiels zu fragen, werden die artikellosen Nomen zu Ausnahmen, was sie jedoch nicht sind ( → Abschnitt 10 .8) Durch eine funktionale Betrachtung hingegen lässt sich das Zusammenspiel sprachlicher Formen verstehend erschließen . Man lernt nicht mehr Regeln und ihre Ausnahmen, sondern man lernt, das Funktionieren der Sprachstrukturen und sprachliche Muster zu verstehen Der Regelbegriff Wenn ich in Einführungsseminaren zur Grammatik die Studierenden frage, woran sie bei den Stichwörtern Grammatik und Grammatikunterricht denken, werden in erster Linie das farbige Unterstreichen von Wörtern und Satzgliedern, der Unterschied von „richtigem“ und „falschem“ Sprachgebrauch und das Lernen und Wiedergeben von Regeln genannt Die Redensart „Keine Regel ohne Ausnahme“ scheint in besonderer Weise auf den Grammatikunterricht zuzutreffen Aber sind es wirklich Regeln, die eine Sprache zusammenhalten und die wir im Grammatikunterricht vermitteln wollen und sollen? Die meisten Menschen wissen schon recht früh, was in einer Sprache geht und was nicht Überlegen Sie sich einmal, ob z B der folgende Satz grammatisch ist: 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 47 19 09 2019 16: 27: 22 48 G r a mm atische m odellbildunG Frühling lässt sein blaues Band Wieder flattern durch die Lüfte; (…) Auf der einen Seite akzeptieren wir diesen Satz und erheben ihn sogar zur Dichtung Auf der anderen Seite „stimmt etwas nicht“, was uns der folgende analoge Satz zeigt: Herbst lässt seine Regenwolken wieder ziehen über den Himmel Die meisten Lehrkräfte würden den Satz wahrscheinlich folgendermaßen ergänzen und umstellen: Der Herbst lässt seine Regenwolken wieder-ziehen-über den Himmel ziehen Solche Korrekturen werden im Deutschunterricht oftmals mit dem Verweis auf „grammatische Regeln“ vorgenommen Solche Regeln könnten so aussehen: 1 Das Deutsche ist eine Artikelsprache Nomen bekommen im Deutschen einen Artikel 2 Wird das Verb lassen mit einem Verb im Infinitiv gebraucht, steht das Verb im Infinitiv am Satzende Wenn es solche Regeln gäbe, wäre weiter die Frage, warum sich Eduard Mörike nicht daran hält Und weiter: Müssten wir als Lehrkräfte, die auf Bildungsstandards verpflichtet sind, Mörike die sprachliche Kompetenz absprechen? Wohl kaum Was hier geschieht, ist ein Ausdruck für die Lebendigkeit des Sprachsystems Dieses System funktioniert nicht wie ein mathematisches nach festgelegten Regeln . Regeln folgen üblicherweise einer bewussten Vereinbarung und werden unter Androhung von Sanktionen durchgesetzt . Wer sich in einem Spiel nicht an die Regeln hält, darf nicht mehr mitspielen Für die Sprache ist es dagegen in vielerlei Hinsicht funktional, mit den Formen zu spielen, und deshalb geschieht dies auch auf allen Ebenen wie der Phonologie, Semantik oder Pragmatik, aber auch der Morphologie und Syntax Gleichzeitig kann man aber auch nicht behaupten, Sprache sei „regellos“ im Sinne von „beliebig“ Mörikes Gedicht wäre nicht bekannt geworden, wenn er das Wortmaterial z B so angeordnet hätte: Frühling sein Band blaues lässt Lüfte flattern wieder durch die Der von Mörike gewählte Gedichtanfang ist vielmehr ein Spiel mit dem Möglichen, und wo auf diese Weise gespielt wird, gibt es Gründe Sprache funktioniert auch jenseits dessen, was man gemeinhin als grammatische Regel betrachtet - manchmal sogar besser oder im Fall unseres Gedichts schöner, ästhetischer So entspricht die begleiterlose Form Frühling (statt Der Frühling …) einer Verwendung, wie sie bei Personen möglich ist: 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 48 19 09 2019 16: 27: 22 Einheit 3 49 m uSt er Statt r eG eln Kevin lässt sein blaues Band aus dem Fenster flattern Dadurch liegt es nahe, sich den Frühling als Person vorzustellen, als Allegorie, wie wir das auch von der Nymphendarstellung aus Botticellis bekanntem Bild „Der Frühling“ kennen . Und zur zweiten sprachlichen Besonderheit: Dass auf den Infinitiv flattern bei Mörike eine weitere Wortgruppe folgt (durch die Lüfte), ist ebenfalls kein Grund, eine Ausnahme auszurufen Solche „Nachfeldbesetzungen“ haben wichtige Funktionen - wir werden sie in Abschnitt 4 7 genauer betrachten Muster statt Regeln Wir wollen uns in diesem Buch von einer Regel-Ausnahme-Grammatik bewusst absetzen . Zum einen suggeriert der Regelbegriff, dass die Grammatik aus einem Arsenal trennscharfer Kriterien bestehe Zum andern wird eine Regel als ein „Wenn-dann-Verhältnis“ durch jede Ausnahme entkräftet In vielen Grammatiken wird deshalb inzwischen nicht mehr von Regeln, sondern von Regularitäten gesprochen In diesem Buch wollen wir das, was in der Sprache beobachtbar und beschreibbar ist, als „Muster“ bezeichnen - ein Begriff, der von Ehlich 1991 verwendet und für die sprachliche Beschreibung noch viel zu wenig gebraucht wird, ihr aber gerechter werden kann Mit dem Begriff des Musters haben wir ein für die Schule brauchbares Konstrukt, das unterschiedlichste sprachliche Erscheinungen und grammatische Einteilungen zu erfassen vermag . Wir können z B die Dialekte als unterschiedliche Muster der Sprache „im Großen“ auffassen, in denen wiederum die Muster im Lautlichen, im Grammatischen oder auch im Wortschatz variiert werden Wer z B von der „Regel“ spricht, dass die Präposition wegen mit dem Genitiv verwendet werde (wegen des Regens), unterstellt den süddeutschen Dialekten eine Regelabweichung (oder einen „falschen Sprachgebrauch“), weil dort der Gebrauch mit dem Dativ üblich ist (wegen dem Regen) . Außerdem weicht auch die Standardsprache von ihrer „Regel“ ab: Im Plural ist es durchaus üblich, wegen mit dem Dativ zu verwenden (wegen den starken Abb. 3.3 Botticelli, Sandro: Der Frühling, um 1482 (Ausschnitt) 3.7 Muster und sprachliche Vielfalt 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 49 19 09 2019 16: 27: 22 50 G r a mm atische m odellbildunG Zusammenfassung 3.8 gleichberechtigte Muster Niederschlägen/ wegen der starken Niederschläge); besteht hierbei die Nominalgruppe nur aus dem Nomen, ist der Dativ im Standard sogar die einzig mögliche Form (wegen Niederschlägen/ *wegen Niederschläge) Für die Grammatik existiert damit ein Spannungsfeld zwischen den musterhaften Beschreibungen und den Musterabweichungen Das bedeutet keinesfalls, dass wir auf die musterhaften Beschreibungen und ihre Vermittlung in der Schule verzichten sollten Das Prototypische an der Sprache zu erkennen, ist Basis und Bezugspunkt im Grammatikunterricht Die Spiele mit den prototypischen Mustern können für die Kinder und Jugendlichen eine intellektuelle Herausforderung sein - es ist das, was die Auseinandersetzung mit Sprache spannend macht Mit dem Musterbegriff können wir nicht nur der Eigenart der Varietäten, sondern auch der Vielfalt grammatischer Formen und Funktionen in der Standardsprache gerechter werden Weil der Regelbegriff den Grammatikunterricht seit jeher dominierte, sollen die Argumente für dessen Ablösung hier nochmals in Stichpunkten zusammengefasst werden: ► � Die Suche nach Regeln schränkt das, was es an der Sprache zu entdecken gibt, auf „Immer wenn …, dann …“-Relationen ein. Die Vielfalt sprachlicher Formen und Funktionen wird so vernachlässigt. ► � Ein durch Regeln bestimmtes System kennenzulernen, das durch unzählige Ausnahmen wie in der Grammatik keines zu sein scheint, macht niemandem richtig Freude. Wer immer wieder Ausnahmen findet, ist stets irritiert und verunsichert und meint, die „Regel“ nicht richtig verstanden zu haben. Und wer als Lehrkraft die Regel vermittelt hat, gerät ständig in defensive Situationen, wenn Ausnahmen das Behauptete relativieren: „Aber Sie haben doch gesagt, dass …! “ ► � Muster sind ein verbindendes Kriterium für das Untersuchen von Sprache auf allen Ebenen. Der Begriff erinnert auch an das Spiel mit den Formen in der Kunst und der Ornamentik. Bewährtes wird aufgegriffen und wiederholt, aber auch immer wieder variiert. ► � Der Musterbegriff entlastet die Schulgrammatik. Die meisten „Regeln“ der Schulgrammatik sind nichts anderes als Muster, und deren „Ausnahmen“ sind nichts anderes als das erwartbare Spiel mit dem Muster. Muster und Markierungen Nun gibt es zwei prinzipiell unterschiedliche Möglichkeiten für Musterbildungen Zum einen gibt es weitgehend gleichberechtigte Muster, die nebeneinander existieren und mit denen keine Funktionsunterscheidung einhergeht Ein Beispiel hierfür sind die sog schwachen Verben, die sich ein gemeinsames Bildungsmuster teilen (wie flattern - flatterte - geflattert), während starke Verben jeweils eigene Formen ausgebildet haben (wie lassen - ließ - gelassen) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 50 19 09 2019 16: 27: 22 Einheit 3 51 n ormen unD n ormen V ermIttlunG In D er S chule Starke und schwache Verben sind historisch bedingt und üblicherweise nicht mit bestimmten Funktionen verbunden Zum andern gibt es aber auch Musterveränderungen, mit denen das Besondere vom Normalen unterschieden werden kann . So werden wir den Verbzweitsatz als ein Hauptmuster kennenlernen, das mit Verbletzt- und Verberstsatz zwei markierte Muster besitzt . Wenn aus einem Hauptmuster ein besonderes Muster abgeleitet wird, kann dieses besondere Muster mit einem erhöhten Aufmerksamkeitspotential verbunden sein Dazu seien folgende grundlegende Überlegungen zum Begriff der „Markierung“ angestellt: Sprachliche Muster sind sprachökonomisch sinnvoll - ohne entsprechende Ordnungen würde die Sprache nicht funktionieren. ⇓ Das Abweichen von Mustern erfordert eine besondere Anstrengung beim Verstehen. ⇓ Diese Anstrengungen führen zu erhöhter Aufmerksamkeit. Dieses Aufmerksamkeitspotential kann bei der Sprachproduktion mehr oder weniger bewusst eingesetzt werden. ⇓ Eine Musterabweichung kann sprachgeschichtlich bei häufigem Gebrauch zu einem markierten Muster führen. Nun könnte man zu Recht einwenden, dass Sprachliches immer irgendwie markiert sei - in der Tat sprechen manche Grammatiken z B von Konjugations- oder Kasusmarkierungen Und mit den Bedeutungen von Wörtern würden immer auch „Marken gesetzt“ In diesem Buch bedeutet Markierung, dass sich besondere sprachliche Formen oder Funktionen von dem Normalen, Üblichen abheben und sich dabei nicht nur das Besondere besser erkennen, sondern auch das Übliche (überhaupt) wahrnehmen lässt So erscheinen z B das Aktiv oder der Indikativ als unmarkierte Verbformen nur nachvollziehbar, wenn man die markierten Formen Passiv bzw . Konjunktiv dagegensetzt ( → Abschnitt 8 .3 und 8 5) Normen und Normenvermittlung in der Schule Dass es in der Sprache Muster gibt und dass mit diesen Mustern in unterschiedlichster Weise gespielt wird, bedeutet aber für den Sprachunterricht keinesfalls, die Sprache mit Beliebigkeit zu betrachten und zu vermitteln . Es ist das Ziel des Deutschunterrichts, Kinder und Jugendliche mit der Schrift und der Standardsprache vertraut zu machen und sie in diesem Sinne zu einem Muster und Markierung Abb. 3.4 3.9 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 51 19 09 2019 16: 27: 22 52 G r a mm atische m odellbildunG vielfältigen und angemessenen Sprachgebrauch hinzuführen Dabei sind zwei Faktoren bestimmend: ► � die Unterscheidung von sprachlichen Varietäten auf der einen und dem Konstrukt einer Standardsprache auf der anderen Seite sowie ► � die Schrift, die durch die Sichtbarmachung von Sprache und durch die besonderen Bedingungen ihrer Produktion und Rezeption auch konzeptionell eine besondere Sprache hervorgebracht hat, die sich vom Gesprochenen unterscheidet Was in der Sprache „angemessen“ ist, wird durch das soziale Geflecht in einer besonderen Situation bzw durch kulturell ausgehandelte Notwendigkeiten bestimmter Textsorten bestimmt „Soziales Geflecht“ meint nichts anderes, als dass sich Menschen in unterschiedlichen Situationen zusammenfinden und dabei Sprache gebrauchen Wenn wir das Medium betrachten, in dem Sprache übermittelt wird, können wir eindeutig unterscheiden zwischen Gesprochenem auf der einen und Geschriebenem auf der anderen Seite Der mediale Aspekt der Sprache meint nichts anderes, als dass Sprachliches entweder gesprochen wird und hörbar ist (medial mündlich) oder aber geschrieben und sichtbar ist (medial schriftlich) . Neben diesem medialen Aspekt gibt es einen konzeptionellen: Das engere soziale Umfeld erlaubt einen vertrauten Sprachgebrauch Eine solche Sprache der Nähe wird als „konzeptionell mündlich“ charakterisiert . Typisch hierfür ist der Gebrauch von Dialekten und Varietäten, der Einbezug der Sprechsituation und der gemeinsame Hintergrund, den man mit Gesprächspartnern teilt Konzeptionelle Mündlichkeit ist jedoch nicht auf Gesprochenes beschränkt, sondern findet sich auch in Geschriebenem, wenn hinreichende Vertrautheit besteht (z B in persönlichen Briefen), kann aber auch in literarischen Texten für eine entsprechende Wirkung eingesetzt werden Viele Situationen und Texte lassen sich aber mit „dem gewachsenen Schnabel“ nicht bewältigen - weder in produktiver noch in rezeptiver Hinsicht Sie hängen mit offiziellen Situationen und mit der „Welt der Erwachsenen“ zusammen, und die Schule als Institution bereitet auf diesen besonderen Sprachgebrauch vor . Man spricht hierbei von konzeptioneller Schriftlichkeit - einer Sprache, die den Bedingungen des Schriftgebrauchs gerecht wird Geschriebenes muss hinreichend explizit sein, weil weder eine Gesprächssituation noch Gestik, Mimik oder Stimmführung das Gemeinte deutlich machen können Im Schriftlichen ist die Sprache auf sich selbst gestellt Dies zeigt sich insbesondere dann, wenn Sachverhalte möglichst objektiv dargestellt werden sollen (z B in berichtenden, erklärenden oder wissenschaftlichen Texten) oder wenn eine große Verbindlichkeit und die Notwendigkeit einer möglichst eindeutigen Auslegung besteht (z B in Gesetzestexten) . Ein solcher Anspruch auf Objektivität und Verbindlichkeit lässt sich auch auf Texte übertragen, die zwar mündlich vorgetragen werden, aber die Konzeption des Schriftlichen medial mündlich/ medial schriftlich konzeptionelle Mündlichkeit konzeptionelle Schriftlichkeit 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 52 19 09 2019 16: 27: 22 Einheit 3 53 E x k urs : E in e ist nicht nur E in e Von der Sprachstruktur zum Textverstehen 3.10 übernehmen (z B in Nachrichtensendungen oder der Urteilsverkündung vor Gericht) - insofern kann auch Gesprochenes konzeptionell schriftlich seinDie Schule als gesellschaftliche Institution trägt zu einem angemessenen Sprachgebrauch bei, wenn sie die Kinder und Jugendlichen für die unterschiedlichen Konzeptionen von Sprache sensibilisiert und sie insbesondere bei der Aneignung konzeptionell schriftlicher Fähigkeiten unterstützt Den alten Spruch „Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir“ kann man im Kontext von Schrift und Standardsprache folgendermaßen verstehen: Die Schule ist ein geschützter Bereich, in dem Verfehlungen als notwendige Schritte des Lernens betrachtet werden (sollten) Pädagogen begleiten Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg von der Kindheit zum Erwachsensein Sie spielen mit den Kindern und Jugendlichen unterschiedlichste Situationen durch, schreiben und lesen mit ihnen unterschiedlichste Texte - oftmals auch im Vorgriff auf die Erwachsenenwelt . Viele Texte sind durch ihre besondere und verdichtete Sprache nicht so ohne Weiteres zugänglich Gerade deshalb sind sie es wert, dass man sich an ihnen „abarbeitet“, weil man durch sie etwas über die Welt und über die Sprache lernen kann Oftmals sind dies literarische Texte, die im Mittelpunkt eines bildenden Deutschunterrichts stehen Aber auch Gesetzestexte, Medikamentenbeipackzettel, politische Reden, Leitartikel und Kommentare aus Zeitungen, Behördenanträge, Vertragsklauseln usw können zum Unterrichtsgegenstand werden Für all diese Texte ist eine Durchdringung der Sprachstruktur, ein Verständnis für die Muster in der Sprache erhellend oder sogar notwendige Bedingung für ein inhaltliches Verstehen Exkurs: Ein e ist nicht nur ein e Der folgende Exkurs behandelt vier zu unterscheidende sprachliche Formen: ► � den Buchstaben ► � das Graphem ► � die Silbe ► � das Morphem Alle diese Formen spielen für die Schrift eine wichtige Rolle Buchstabe, Graphem und Silbe sind grundlegend für Orthografie und Graphematik Für den systematischen Zusammenhang der Grammatik ist hiervon das Morphem die wichtigste Einheit Alle vier sprachlichen Formen können in ihrer äußerlichen Gestalt identisch sein Wir werden dies am Beispiel der Form e zeigen, die man als Buchstabe, Graphem, Silbe und Morphem unterscheiden muss 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 53 19 09 2019 16: 27: 22 54 G r a mm atISche m oD ellbIlDunG Buchstaben und ihre Ordnungsfunktion: Das e als Buchstabe Das e als Buchstabe im Deutschen ist zunächst eine äußerlich wahrnehmbare Form Als Form kann ein Buchstabe in ganz unterschiedlichen Varianten erscheinen - er wird trotz der äußerlichen Unterschiede als die Form e wahrgenommen: Dieses e ist einer von 26 Buchstaben unseres Alphabets und gehört zum „Rohmaterial“ der Schrift Aus diesem Rohmaterial entsteht auf den höheren Ebenen der Grapheme, Schreibsilben und Morpheme die Schrift Die Reihenfolge der Buchstaben im Alphabet ermöglicht eine Ordnung, die in einer Schriftkultur in unterschiedlichsten Zusammenhängen nützlich ist In Wörterbüchern, Telefonbüchern und anderen Listen werden die Einträge in der Reihenfolge des Alphabets geordnet Die Reihenfolge a), b), c), d), e) … kann auch zur Gliederung von Aspekten, Aufgaben u Ä dienen Die Computertastatur ist mit den Buchstaben in einer ganz bestimmten Anordnung beschriftet, die üblicherweise als Ausgabe auf dem Bildschirm erscheinen, wenn man sie drückt Hier kommen weitere Buchstaben wie ä, ö, ü und ß dazu, außerdem die Ziffern und weitere Schriftzeichen Auch bei E-Mail- und Internetadressen sorgen die Buchstaben- und andere Schriftzeichenfolgen für Ordnung - sie sind nichts anderes als Codes, die bestimmte Verbindungen durch elektrische Impulse herstellen können (z B www youtube com/ watch? v=27wkJ6KDolk) Schreiben ist aber mehr als ein solches Aneinanderfügen von Schriftzeichen Grapheme als Schriftzeichen: Das e als Graphem Sobald wir schreiben, benutzen wir Grapheme Viele Grapheme gleichen äußerlich den Buchstaben; ein Graphem kann aber auch aus zwei oder drei Buchstaben bestehen wie z B qu, ch oder sch In Alphabetschriften stehen die Grapheme in einer bestimmten Beziehung zu dem, was man im Gesprochenen hören kann - den Phonemen (Phonem-Graphem-Korrespondenz) Diese Beziehung ist zwar nicht immer eindeutig Sie ist aber auch alles andere als beliebig und von einer großen Systematik geprägt, wie die jüngeren Forschungen zur Graphematik zeigen Die vielfältigsten Phonem-Graphem-Korrespondenzen hat das Graphem e, das in den folgenden vier Wörtern für vier unterschiedliche Phoneme steht: ewig - endlich - ohne - immer 3.10.1 Abb. 3.5 3.10.2 ein Graphem - unterschiedliche Phoneme 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 54 19 09 2019 16: 27: 23 Einheit 3 55 E x k urs : E in e ist nicht nur E in e 3.10.3 Das lange und gespannte e in ewig unterscheidet sich von dem kurzen und ungespannten in endlich Im Wort ohne hört man den sog . Zentralvokal Schwa, der ganz ähnlich wie der Reduktionsvokal im Wort immer klingt Eine Form wie das Graphem e kann sich weiterhin mit anderen Formen verbinden und Teil eines komplexeren Graphems sein Dabei bekommt es neue Funktionen-- im Folgenden z B . in den Graphemen eu oder ei als Teil eines Diphthongs oder im Graphem ie als Längezeichen: treu - eilig - Sieb Auf der Ebene der Phonem-Graphem-Korrespondenz übernimmt das e als Form damit ganz unterschiedliche Funktionen Im Alltagsverständnis und auch in manchen pädagogischen Vorstellungen des Schreibenlernens (wie dem „Lesen durch Schreiben“) besteht das Schreiben im Wesentlichen aus einem Aneinanderfügen von Buchstaben Dies wird aber der Komplexität des Schreibens und Schreibenlernens nicht gerecht Silben und ihre Bedeutung für die gesprochene und geschriebene Sprache: Das e als Silbe Die Form e als Schreibsilbe geht zunächst aus von der rhythmischen Gliederung beim Sprechen In der Schrift ist die Silbe v a . bekannt durch die Worttrennung am Zeilenende Das e als Silbe wahrzunehmen, ist im Zusammenhang der Worttrennung zugegebenermaßen etwas gewollt, weil man Wörter wie E-sel oder sä-e (Saatgut ausbringen in der ersten Person) kaum trennen würde - vor der Rechtschreibreform galt dies sogar als Fehler Die Worttrennung am Zeilenende ist es aber nicht, was der Silbe in jüngerer Zeit so viel Aufmerksamkeit bescherte . Sil-ben sind als Sprech-sil-ben die kleins-ten laut-li-chen Ein-hei-ten, die auch schon klei-ne Kin-der in-tu-i-tiv un-ter-schei-den kön-nen; dies tun sie bereits im Kindergartenalter in Abzählreimen Die damit weitgehend übereinstimmenden Schreibsilben liefern beim Lesen optische Hinweise, weil jede Silbe durch genau ein Vokalgraphem gekennzeichnet ist (ein Vokalgraphem kann bei Diphthongen oder einigen Langvokalen auch aus zwei Buchstaben bestehen) Während routinierte Leser dies unbewusst nutzen, kann es Leseanfängern als Hilfe dienen, wenn Texte entsprechend gestaltet werden - z B . mit einer besonderen Schriftart für Vokalgrapheme und zusätzlichen Abständen an den Silbengrenzen Eine solche Silbengliederung wirkt einem buchstabierenden Lesen entgegen In ihrer wichtigen Bedeutung für die Orthografie wurde die Silbe erst in den letzten zwei Jahrzehnten entdeckt . Noch nicht überall hat dieses so zentrale Wissen für Schriftaneignung und Orthografie den Weg in die Schule gefunden 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 55 19 09 2019 16: 27: 23 56 G r a mm atische m odellbildunG 3.10.4 e als Wortbildungsmorphem e als Konjugations- oder Deklinationsmorphem Morpheme als Bausteine der Sprache: Das e als Morphem Die äußerlich wahrnehmbare Form e kann aber nicht nur als Buchstabe, Graphem oder Silbe, sondern auch als Wortbaustein, als Morphem erscheinen Morpheme sind die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten der Sprache Dass wir ein Wort wie Stein als bedeutungstragend und damit auch als Morphem betrachten, leuchtet auf den ersten Blick ein Dass auch ein |e Bedeutungen tragen kann, braucht einen zweiten Blick Z B wird unser nominaler Wortschatz bereichert durch die Verbindung eines Verbstammes mit dem Morphem |e - der senkrechte Strich soll in diesem Buch die Morphemgrenze kennzeichnen . Auffällig sind solche Wortbildungen v a bei Wörtern, die nicht allzu häufig oder umgangssprachlich erscheinen: Sie hat da was in der Mach|e Deine Schreib|e gefällt mir nicht Auch im alltäglichen Wortschatz finden wir diese Wortbildung an vielen Stellen: die Hilf|e (von helfen) die Klag|e (von klagen) die Lieg|e (von liegen) die Stell|e (von stellen) Das e hat in diesen Beispielen also nicht nur die Funktion, als Graphem für ein bestimmtes Phonem - den schwachtonigen Zentralvokal „Schwa“ - zu dienen . Es hat darüber hinaus die Funktion eines Wortbildungsmorphems, weil hier neue Wörter aus Verbstämmen entstehen, die als Nomen verwendet werden können So etwas weiß man allerdings nicht vom bloßen Hinschauen, sondern nur vom verstehenden Vergleich analoger Formen In Wörtern wie Hütte oder Kohle können wir das e am Ende nicht als Wortbildungsmorphem identifizieren - wir kennen kein Morphem hütt| und würden Kohle nicht auf das Gemüse Kohl| beziehen Hier ist das e eben nur ein Graphem für ein Schwa wie im obigen Beispiel ohne . Es hat keine weitere Funktion Neben der Wortbildung kann das Morphem |e noch andere Funktionen übernehmen . Im folgenden Satz ist es beim Verb ein Konjugationsmorphem für die erste Person, beim Nomen ist es eine Pluralmarkierung, also ein Deklinationsmorphem: Ich fisch|e die Fisch|e aus dem Teich Die Morphologie unterscheidet mit der Wortbildung und der Flexion zwei Bereiche: Bei der Wortbildung geht es um neue Wörter . Sie können durch das Zusammensetzen selbständiger Wortbausteine entstehen, was man als Zusammensetzung bzw Komposition bezeichnet (z B Wort|bau|stein) Bekommt ein Wort einen unselbständigen Wortbaustein vorangestellt, nennt man diesen 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 56 19 09 2019 16: 27: 23 Einheit 3 57 ü bunG en Baustein Präfix; ein hinten angehängter unselbständiger Wortbaustein heißt Suffix Das Anhängen unselbständiger Wortbausteine nennt man Ableitung oder Derivation (z B Bleib|e; Be|griff) Wortbildung kommt auch durch eine Kombination dieser Verfahren zustande (z B Sprach|be|wusst|heit) In der Grammatik interessiert uns v a die Flexion, die mit der Konjugation von Verben und der Deklination von nominalen Einheiten zwei große Bereiche unterscheidet: Komposition Wortbildung Derivation Morphologie Konjugation Verb Flexion Deklination Pronomen, Begleiter, Adjektive, Nomen Übungen 1 Gegeben sei ein Backstein. Reflektieren Sie an diesem Gegenstand das Verhältnis von Form und Funktion. 2 - Warum hat unser Nachbar seinen Sohn Hamlet genannt? - Sein oder nicht sein - das ist die Frage. Reflektieren Sie das Verhältnis von Form und Funktion am Beispiel des Wortes sein. 3 Aufschrift auf einer Haarfärbemittelpackung: „Mit unserer Tönung fällt Ihr Haar schon nach dem ersten Versuch gleichmäßig aus.“ a) Zeigen Sie an diesem Beispiel, inwiefern man auch in der Semantik von Mustern sprechen kann. b) Wie unterscheiden sich die beiden Bedeutungen des Verbs ausfallen in syntaktischer Sicht? 4 Der Sprachgebrauch hat einen medialen und einen konzeptionellen Aspekt. Graphisch kann man diesen Unterschied folgendermaßen fassen: medial schriftlich konzeptionell B konzeptionell mündlich schriftlich A medial mündlich Abb. 3.6 3.11  Lösungshinweise unter www.bachelorwissen.de und www.granzowemden.de 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 57 19 09 2019 16: 27: 23 58 G r a mm atische m odellbildunG 3.12 a) Die Markierung A könnte für ein Vorstellungsgespräch stehen, die Markierung B für einen Brief an eine Freundin. Versuchen Sie, die Graphik zu deuten und den prinzipiellen Unterschied zwischen einer medialen und einer konzeptionellen Sichtweise zu beschreiben. b) Tragen Sie in der obigen Graphik die weiteren Großbuchstaben ein: C: Brief an die eigenen Eltern D: Unterhaltung unter Studierenden E: Prüfungsordnung Ihres Studiengangs F: Leitartikel in einer Zeitung G: Glosse in einer Zeitung H: Diskussionsbeitrag in einem Seminar I: Urteilsverkündung vor Gericht J: SMS-Nachricht an einen Freund 5 a) In der Fehlerlinguistik wird der Normfehler vom Systemfehler unterschieden. Nähern Sie sich diesen Begriffen mithilfe folgender Beispiele an: Systemfehler: Die Inbetriebnahme der Lüftungsanlagen sollten nur von geschultem Fachpersonal durchgeführt werden. Normfehler: Habt ihr eure Atlasse dabei? b) In welchem Verhältnis steht unser Musterbegriff zum Systembzw. zum Normfehler? (Hinweis: Für diesen Aufgabenteil sollten Sie die Lösungshinweise zum Teil a) kennen.) 6 Analysieren Sie Form und Funktion des Morphems |en in den beiden unterschiedlichen Erscheinungsweisen von RUFEN: Kleine Hunde geben ab und zu heulende Töne von sich. a) Mit diesen RUFEN locken sie die Mutter heran. b) Mit diesen RUFEN holen sie die Mutter heran. c) Mit diesen RUFEN bringen sie die Mutter zu sich. d) Mit diesen RUFEN sie die Mutter zu sich. (aus: Melzer, Florian 2011, S -167) Verwendete und weiterführende Literatur Bredel, Ursula (2007): Sprachbetrachtung und Grammatikunterricht. Paderborn: Schöningh (UTB). Ehlich, Konrad; Rehbein, Jochen (1986): Muster und Institution. Untersuchungen zur schulischen Kommunikation. Tübingen: Narr. Ehlich, Konrad (1991): Funktional-pragmatische Kommunikationsanalyse. Ziele und Verfahren. In: Flader, Dieter (Hrsg.): Verbale Interaktion. Studien zur Empirie und Methodologie der Pragmatik. Stuttgart, 127-143. 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Berlin; New York: de Gruyter. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 59 19 09 2019 16: 27: 23 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 60 19 09 2019 16: 27: 23 61 Überblick Inhalt 4 1 Die prinzipielle Zweiteiligkeit des Verbs und die Feldgliederung des Satzes 62 4 2 Linkes Verbfeld 65 4 3 Rechtes Verbfeld 68 4 4 Übergangsbereiche der Klammerbildung 70 4 5 Vorfeldbesetzung 71 4 6 Das leere Vorfeld: Der Verberstsatz als markierte Satzform 74 4 7 Nachfeldbesetzung 76 4 8 Didaktische Bedeutung der Feldgliederung und Überblick 78 4 9 Hinweise für den Unterricht 80 4 10 Übungen 82 4 11 Verwendete und weiterführende Literatur 83 In Einheit 2 haben wir das Verb wegen seiner bestimmenden Rolle für die Satzglieder als Schlüssel zum grammatischen Verstehen bezeichnet. Das Verb prägt den Satz aber nicht nur, was seine Ergänzungen angeht. Es strukturiert den Satz auch in Felder, die sich durch die Positionen der Verben im Satz ergeben. Wer dies zum ersten Mal hört, mag zunächst irritiert sein. Denn viele schulgrammatische Darstellungen sehen die Einteiligkeit des Verbs als den Normalfall an. Das Verb werde im Satz zum Prädikat, das nur unter bestimmten Bedingungen auch zweiteilig sein könne. In den letzten Jahrzehnten hat sich jedoch in Grammatiken eine Sichtweise durchgesetzt, die von einer prinzipiellen Zweiteiligkeit des Verbs ausgeht und die auch für die Schulgrammatik zu einem ausgesprochen fruchtbaren Muster oder sogar zu dem Muster im Grammatikunterricht werden könnte. Ausgehend von der üblichen Form des Verbzweitsatzes lassen sich Verberst- und Verbletztsatz als markierte Muster begreifen. Die Feldgliederung als zentrales Muster der deutschen Sprache Einheit 4 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 61 19 09 2019 16: 27: 23 62 D ie F elD glie D erung als zentr ale s M ust er D er D eutschen s pr ache 4.1 Feldgliederung des Satzes Terminologie Beispiel (aus: PNN vom 19 05 2011) Verbzweitsatz Die prinzipielle Zweiteiligkeit des Verbs und die Feldgliederung des Satzes Prinzipielle Zweiteiligkeit bedeutet, dass jeder Satz generell zwei Positionen für das Verb bzw . die Verben bereitstellt: ein linkes und ein rechtes Verbfeld, durch die weitere Felder im Satz entstehen . In den meisten Grammatiken ist von einer linken und einer rechten „Verbklammer“ oder „Satzklammer“ die Rede. Wenn man aber von einer sprachlichen Klammer spricht, meint man zwei Positionen, die ein Feld umschließen. Insofern ist es irreführend, auch die einzelne Position als „Klammer“ zu bezeichnen. Die beiden Felder werden hier als das linke und rechte Verbfeld bezeichnet, die zusammen die Verbklammer bilden. Wer sich die Feldgliederung des Deutschen bewusst gemacht hat, kann beim Verstehen komplexer Sätze, beim eigenen Schreiben und bei der grammatischen Analyse davon profitieren . Dabei kann ein grammatisches Verständnis wachsen, weil es nicht nur in einfachen und konstruierten Sätzen, sondern in prinzipiell allen Sätzen in Texten aller Art wiedergefunden werden kann Dabei tritt nicht nur das Verb als wichtigste Einheit des Satzes ins Bewusstsein . Mit der Feldgliederung lassen sich auch Wortgruppen und Satzglieder strukturieren - noch bevor sie terminologisch gefasst werden Diese Gliederung soll im Folgenden an einer ebenso kurzen wie belanglosen Zeitungsmeldung illustriert werden Stalker-Schwein Mit den Worten „Mir läuft ein Schwein hinterher! “ hat ein Mann in der Nacht zum Mittwoch die Polizei um Hilfe gebeten Der 34-Jährige wurde das Tier auf der Straße in Neumünster (Schleswig-Holstein) einfach nicht mehr los, nachdem es ihn gesichtet hatte Eine Funkstreife eilte herbei, Beamte legten dem Hausschwein eine Hundeleine an Die Polizisten wollten die Sau nicht in ihrem Dienstwagen mitnehmen Deshalb übernahm die Berufsfeuerwehr den Transport zu einer Tierauffangstelle Vor dem linken Verbfeld befindet sich das Vorfeld, und wenn es besetzt ist, haben wir den für das Deutsche typischen Verbzweitsatz als Hauptmuster Zwischen den beiden Verbfeldern befindet sich das Mittelfeld, und nach dem rechten Verbfeld kann bei Bedarf auch ein Nachfeld besetzt werden (s Tab 4 .1)Bevor wir in den folgenden Abschnitten die Besetzung der einzelnen Felder genauer untersuchen, betrachten wir, wie die prinzipielle Zweiteiligkeit des Verbs bzw der Verben zustande kommen kann 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 62 19 09 2019 16: 27: 23 Einheit 4 63 D Ie prInzIp Ielle z w e It e IlI Gk e It D e S V erbS unD D Ie f elD GlIe D erunG D e S S at ze S Tab. 4.1 trennbare Verben Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld 1 Mit den Worten „Mir läuft ein Schwein hinterher! “ hat ein Mann in der Nacht zum Mittwoch die Polizei um Hilfe gebeten. 1.1 „Mir läuft ein Schwein hinterher! “ 2 Der 34-Jährige wurde das Tier auf der Straße in Neumünster (Schleswig-Holstein) einfach nicht mehr los, nachdem es ihn gesichtet hatte. 3 Eine Funkstreife eilte herbei, 4 Beamte legten dem Hausschwein eine Hundeleine an. 5 Die Polizisten wollten die Sau nicht in ihrem Dienstwagen mitnehmen. 6 Deshalb übernahm die Berufsfeuerwehr den Transport zu einer Tierauffangstelle. Im obigen Text ist nur im letzten Satz das rechte Verbfeld unbesetzt In allen anderen Sätzen wird die Verbklammer durch drei unterschiedliche Konstruktionen sichtbar: Die erste in Zeile 1 verwendet ein Hilfsverb in der linken und eine als Partizip II bezeichnete Verbform im rechten Verbfeld; sie hat damit zwei Verben Diese Konstruktion kennen wir bereits aus Abschnitt 2 2 Ebenfalls zwei Verben besitzt die Konstruktion in Zeile 5 mit einem Modalverb und einem Infinitiv Alle Zeilen dazwischen enthalten jeweils nur ein Verb, die als trennbare Verben bezeichnet werden Zu ihnen gehören Einheiten im rechten Verbfeld, die auf den ersten Blick nichts „Verbhaftes“ an sich haben: hinterher, los, herbei und an Man versteht diese Einheiten aber nicht „für sich“, sondern im Zusammenhang mit dem linken Verbfeld In Zeile 4 heißt das Verb nicht legen, sondern anlegen - das können wir nicht nur intuitiv erkennen, sondern auch, wenn wir uns die Konstruktion aus Zeile 5 entleihen: Beamte wollten dem Hausschwein eine Hundeleine anlegen Die Einheit an ist hier kein eigenes Wort; sie ist auch kein Verb, sondern ein Teil des Verbs, das in neueren Darstellungen als Präverb bezeichnet wird und mit dem finiten Verbteil eine Präverbklammer bilden kann Das Verb kann also getrennt werden und in diskontinuierlicher Form (an zwei Orten im Satz) erscheinen Das Verb anlegen unterscheidet sich vom Verb legen nicht nur in der Bedeutung, sondern auch in seinen Ergänzungen, was in den beiden folgenden Darstellungen sichtbar wird Satz 4b verwendet eine übertragene Bedeu- 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 63 19 09 2019 16: 27: 23 64 D ie F elD glie D erung als zentr ale s M ust er D er D eutschen s pr ache tung von legen und führt im Vergleich mit Satz 4 zu einem grammatisch sich unterscheidenden, jedoch bedeutungsgleichen Satz, übernimmt dabei aber das grammatische Muster aus 4a (jemand legt etwas irgendwohin) Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld 4 Beamte legten dem Hausschwein eine Hundeleine an. 4a Beamte legten das Hausschwein in einen Lieferwagen. 4b Beamte legten das Hausschwein an eine Hundeleine. jemand etwas anlegen jemandem jemand irgendwohin legen etwas 4: 4a/ b: Trennbare Verben haben also eigene Wörterbucheinträge und eigene Valenzen Dabei ist ein bestimmtes trennbares Verb nicht unbedingt auf eine Bedeutung und eine Valenz festgelegt: Man kann einem Schwein etwas anlegen; man kann sich mit jemandem anlegen; man kann Geld in Wertpapiere anlegen und ein Schiff kann irgendwo anlegen Neben anlegen kommen in dem Text vier weitere trennbare Verben vor: hinterherlaufen, loswerden, herbeieilen und mitnehmen Alle trennbaren Verben haben eine besondere Betonung - im Infinitiv liegt der Hauptakzent auf dem abtrennbaren Präverb: hinterhérlaufen, lóswerden, herbeíeilen, mítnehmen Diese Betonung haben nicht abtrennbare Präfixe nicht: verlaúfen, beeílen, gewínnen, entscheíden Manche Verben haben eine trennbare und nicht trennbare Variante; dabei ändert sich die Bedeutung Zu diesen Verben gehören úmfahren/ umfáhren, űbersetzen/ übersétzen, űbergehen/ übergéhen, dúrchlaufen/ durchlaúfen, únterstellen/ unterstéllen Ein Verb wie úmfahren hat also ein Präverb, umfáhren hingegen ein Präfix (s dazu Gernhardts Gedicht) Walderkenntnis Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm Wenn ich es nicht umfahre, dann fahre ich es um Tab. 4.2 Abb. 4.1 Präverb und Präfix Beispiel (aus: Gernhardt, Robert: Später Spagat, Frankfurt a M : Fischer 2006,-S -85) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 64 19 09 2019 16: 27: 23 Einheit 4 65 l Ink e S V erbf elD 4.2 finites Verb … … und das Subjekt Tab. 4.3 Subjektprobe Linkes Verbfeld Im linken Verbfeld erscheint üblicherweise das sogenannte finite Verb Wörtlich übersetzt hat ein solches Verb sein Ende (oder seine Bestimmung) gefunden: ein „beendetes Verb“ . Es wird auch als konjugiertes oder gebeugtes Verb oder als „Personalform des Verbs“ bezeichnet Weil es zu den wichtigsten grammatischen Erscheinungen gehört und die Unterscheidung von drei Satzformen begründet, um die es im ganzen Buch gehen wird, erscheint das finite Verb ab hier in den Feldgliederungstabellen und in den Beispielsätzen fettgedruckt . In trennbaren Verben erscheint das abtrennbare Präverb nicht fett, sondern nur der finite Teil Finitheit bezieht sich zunächst auf die grammatische Übereinstimmung (Kongruenz) des Verbs mit einer anderen Einheit im Satz, die als Subjekt bezeichnet wird, und zwar hinsichtlich der zwei Merkmale Person und Numerus ( → Abschnitt 8 1) Dies können wir an beliebigen Sätzen ausprobieren - das Zusammenspiel von Subjekt (unterstrichen) und finitem Verb (fett) finden wir in den meisten Sätzen des Deutschen: Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld 1 Mit den Worten „Mir läuft ein Schwein hinterher! “ hat ein Mann in der Nacht zum Mittwoch die Polizei um Hilfe gebeten. 1a Mit den Worten „Mir läuft ein Schwein hinterher! “ hast du in der Nacht zum Mittwoch die Polizei um Hilfe gebeten. 1b Mit den Worten „Uns läuft ein Schwein hinterher! “ haben zwei Männer in der Nacht zum Mittwoch die Polizei um Hilfe gebeten. In 1a wird die Person des Subjekts verändert (du statt ein Mann), in 1b ist es der Numerus (zwei Männer statt ein Mann) In beiden Sätzen verändert sich auch das linke Verbfeld . Verändert man hingegen andere Satzglieder, behält das finite Verb seine Form: Mit einem lauten Schrei hat ein Mann fünf Polizisten um Hilfe gebeten Mit dem Zusammenspiel von finitem Verb und Subjekt hat man eine der wichtigsten Struktureigenschaften des Satzes erfasst - sie bildet den Kern der sog Konjugation Dabei ist die Pluralprobe ein geeignetes Verfahren, weil man damit die Satzstruktur begreifen lernt . Warum dies mit der „Wer-oder-was- Frage“ oftmals nicht gelingt, erfahren Sie im Abschnitt 12 4 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 65 19 09 2019 16: 27: 23 66 D ie F elD glie D erung als zentr ale s M ust er D er D eutschen s pr ache synthetische Verbbildung Tab. 4.4 analytische Verbbildung Definition Im linken Verbfeld kann aber nicht nur ein Hilfsverb wie in den vorigen Beispielen erscheinen . Auch das valenztragende Verb kann finit werden wie im folgenden Beispiel 1’ oder in Zeile 6 im obigen Stalker-Schwein-Text: Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld 1’ Mit den Worten „Mir läuft ein Schwein hinterher! “ bat ein Mann in der Nacht zum Mittwoch die Polizei um Hilfe. 6 Deshalb übernahm die Berufsfeuerwehr den Transport zu einer Tierauffangstelle. Wenn das valenztragende Verb ausschließlich im linken Verbfeld erscheint, bleibt das rechte leer . Dies gibt es nur in Sätzen im Präsens und Präteritum (sowohl im Indikativ als auch im Konjunktiv; → Einheit 9) Nur hier können das valenztragende und das finite Verb identisch sein Damit finden sich sämtliche grammatischen und semantischen Informationen des Verbs im linken Verbfeld Zu den grammatischen Informationen des finiten Verbs zählen neben Person und Numerus auch die Tempus- und Modusformen ( → Einheiten 8 und 9) Man spricht dann von einer synthetischen Verbbildung Erscheint dagegen wie in Satz 1 ein Hilfsverb im linken Verbfeld, sprechen wir von einer analytischen Verbbildung, die zu einer Verbklammer führt: Hier haben wir eine Art Gewaltenteilung: ► � Das Hilfsverb im linken Verbfeld übernimmt als Finitum das grammatische Zusammenspiel mit dem Subjekt: Ein Mann hat ► � Das Vollverb im rechten Verbfeld sorgt für die Semantik und bestimmt als valenztragendes Verb die Art und Anzahl der Ergänzungen: bitten - jemand/ jemanden/ um etwas Die analytische Verbbildung umfasst neben der Tempusklammer insbesondere die Passivklammer (s Übersicht zu den Verbklammern in Abschnitt 4 8) Ein ganz ähnliches Muster der Klammerbildung und Gewaltenteilung hat das Deutsche auch in der Nominalgruppe ( → Abschnitt 10 4) Das finite Verb wird in Numerus und Person vom Subjekt bestimmt. Im Verbzweitsatz erscheint es im linken Verbfeld. Das Subjekt wiederum ist eine Ergänzung des valenztragenden Verbs des Satzes. Im valenztragenden Verb sind die Ergänzungen angelegt, die in einem Satz üblicherweise erscheinen. Es ist das Verb, das als Vollverb verwendet wird (→ Abschnitte 2.2 und 7.2). Finites und valenztragendes Verb können bei synthetischer Verbbildung identisch sein. In der traditionellen Grammatik werden die Einheiten in linkem und rechtem Verbfeld mitunter als Prädikat bezeichnet (→ Abschnitt 14.1). 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 66 19 09 2019 16: 27: 23 Einheit 4 67 l Ink e S V erbf elD gemeinsames Feld aus Vorfeld und linkem Verbfeld Tab. 4.5 Wenn oben behauptet wurde, das linke Verbfeld sei „üblicherweise“ für das finite Verb im Satz reserviert, dann ahnen Sie schon, dass das schöne Muster an einer bedeutsamen Stelle auch durchbrochen wird . Das finite Verb kann aus dem linken Verbfeld verdrängt werden und dabei in das rechte Verbfeld gelangen . Die Verbletztstellung geht einher mit Einheiten, die als Subjunktionen oder Relativa bezeichnet werden . Dabei entsteht ein neues Feld im Satz, das aus Vorfeld und linkem Verbfeld besteht . Dort kann genau eine Einheit als Subjunktion (in Tab . 4 .5: nachdem, dass) oder Relativum (der) erscheinen . Das neue, etwas dunkler markierte Feld aus Vorfeld und linkem Verbfeld wollen wir hier zunächst an drei Beispielen aus in diesem Buch verwendeten Texten illustrieren und in den Abschnitten-5 .4 zu den Subjunktionen bzw . 11 .5 zu den relativischen Attributen nochmals aufgreifen und vertiefend darstellen Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld Der 34-Jährige wurde das Tier auf der Straße in Neumünster (Schleswig-Holstein) einfach nicht mehr los, nachdem es … nachdem es ihn gesichtet hatte. In einem Interview erklärte Bahnchef Grube, dass … dass Bahnkunden keine voreiligen Schlüsse ziehen dürften. Ich muß kommen wie der Bettler, der … der röchelnd vor Hunger an der Türschwelle verenden will Die Subjunktion oder das Relativum markiert zusammen mit dem finiten Verb im rechten Verbfeld einen solchen Satz als abhängigen Satz, den wir als Verbletztsatz oder auch Nebenmuster bezeichnen wollen Sobald ein Satz mindestens einen abhängigen Teilsatz enthält, spricht man in der traditionellen Grammatik von einem Satzgefüge oder einer Hypotaxe Folgen in einem Satz hingegen gleichwertige Sätze aufeinander, spricht man von einer Satzreihe oder einer Parataxe Was Sie bis hierher wissen sollten: Immer wenn in unseren Tabellen Vorfeld und linkes Verbfeld verbunden sind, kann dort kein finites Verb erscheinen Der Satz in einer solchen Zeile ist ein abhängiger Satz Wir sprechen hierbei von Verbletztsätzen; die traditionelle Grammatik bezeichnet sie als Nebenund/ oder Relativsätze 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 67 19 09 2019 16: 27: 23 68 D ie F elD glie D erung als zentr ale s M ust er D er D eutschen s pr ache 4.3 Tab. 4.6 Beispiel (aus: Kafka, Franz: Sämtliche Erzählungen, hrsg v Paul Raabe, Frankfurt a M : Fischer 1970, S -140) Rechtes Verbfeld Im „typisch deutschen Satz“ bleibt man mitunter bis zum Ende des Satzes im Ungewissen, worum es eigentlich geht, weil im rechten Verbfeld essentielle Informationen erscheinen können Dies wollen wir uns nochmals an Loriots Text aus Abschnitt 2 .2 ins Gedächtnis rufen, der uns im folgenden Satz 7 diese Information am Ende sogar verweigert . Die bearbeiteten Sätze 7 1 bis 7 4 in Tab . 4 6 enthalten Möglichkeiten, wie Loriots Satz beendet werden könnte In Satz 7 1 und 7 2 verstehen wir das finite Verb im linken Verbfeld als valenztragendes Verb (jemand hat etwas), weil das rechte Verbfeld leer bleibt In Satz 7 .3 und 7 4 hingegen erweist sich das finite Verb als Hilfsverb, weil im rechten Verbfeld das valenztragende Verb erscheint Erst mit seinem Auftreten klären sich die sehr unterschiedlichen Bedeutungen der beiden Sätze Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld 7 Wer hat denn, und das muss vor diesem hohen Hause einmal unmissverständlich ausgesprochen werden. 7.1 Wer hat denn (…) die tragfähigen Konzepte für die Zukunft? 7.2 Wer hat denn (…) keinen Plan? 7.3 Wer hat denn (…) den Aufschwung bewirkt? 7.4 Wer hat denn (…) den Aufschwung verhindert? Auch literarische Texte spielen mit der Erwartungshaltung, die mit der Verbklammer aufgebaut und am Ende mitunter enttäuscht wird (s Kafkas Beginn einer Erzählung) . Elf Söhne Ich habe elf Söhne Der erste ist äußerlich sehr unansehnlich, aber ernsthaft und klug; trotzdem schätze ich ihn, wiewohl ich ihn als Kind wie alle andern liebe, nicht sehr hoch ein Sein Denken scheint mir zu einfach (…) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 68 19 09 2019 16: 27: 24 Einheit 4 69 r echt e S V erbf elD infinite Verbformen: Infinitiv und Partizip II Partizip II Stammformen des Verbs Tab. 4.7 Zu den häufigsten Einheiten im rechten Verbfeld gehören ► � Präverben von trennbaren Verben ► � Infinitive ► � Partizip II-Formen Die Präverben kennen wir aus dem Stalker-Schwein-Text, und eben ist uns eines bei Kafka begegnet Infinitive sind die Formen, die Sie auch in Wörterbüchern als die alphabetisch geordneten Einträge der Verben finden Sie sind hinsichtlich Numerus und Person nicht festgelegt (nicht „zum Ende gebracht“) Im Stalker-Schwein-Text (Tab 4 1) erscheint weiterhin ein Infinitiv (mitnehmen in Zeile 5), wobei das Modalverb wollten im linken Verbfeld einen Infinitiv „haben möchte“ Auch eine Partizip II-Form findet sich in diesem Text (gebeten in Satz 1) . In den eben angeführten möglichen Ergänzungen zu Loriots Text werden die rechten Verbfelder in den Sätzen 7 3 und 7 .4 ebenfalls mit solchen Partizipien besetzt (bewirkt/ verhindert) Partizipien sind wie die Infinitive in Person und Numerus nicht festgelegt und gelten deshalb auch als infinite Verbformen Bewusst gelernt haben Sie Partizip II-Formen wahrscheinlich v a im Englischunterricht - es ist immer die dritte der drei Stammformen des Verbs (to go - went - gone, to know - knew - known, to put - put - put usw ) Insbesondere die Formen der starken Verben musste man lernen, weil sie sich oftmals etwas eigensinnig verhalten Auch im Deutschen sollten sich Kinder und Jugendliche mit diesen Formen auseinandersetzen und z B . erkennen, dass die Form gebeten nicht von beten, sondern von bitten kommt ( → Abschnitt 7 1) Während im linken Verbfeld genau eine Einheit erscheint, ist das rechte Verbfeld offen für zwei oder sogar mehr Verben Es gibt auch kombinierte Klammern, die insbesondere dadurch zustande kommen, dass Hilfs- und Modalverben gleichzeitig erscheinen Dabei können unterschiedliche Bedeutungen entstehen - je nachdem, ob ein Hilfs- oder ein Modalverb das linke Verbfeld besetzt (vgl . die Sätze 9 und 10 oder 12 und 13) Warum manche Einheiten unterstrichen sind, erfahren Sie in Abschnitt 7 2 4, wenn wir die Modalverben genauer untersuchen Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld 8 Er hat einen Schneemann gebaut. 9 Er hat einen Schneemann bauen wollen. 10 Er will einen Schneemann gebaut haben. 11 Die Entscheidung ist getroffen worden. 12 Die Entscheidung hat getroffen werden sollen. 13 Die Entscheidung soll getroffen worden sein. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 69 19 09 2019 16: 27: 24 70 D ie F elD glie D erung als zentr ale s M ust er D er D eutschen s pr ache 4.4 Präverb als Teil der Verbklammer Tab. 4.8 Tab. 4.9 Übergangsbereiche der Klammerbildung Auch wenn die Verbklammer zu den zentralen Mustern der deutschen Sprache gehört, gibt es auch hier Übergangsbereiche, bei denen nicht ohne Weiteres zu entscheiden ist, ob wir etwas als Verbklammer bezeichnen sollten oder nicht Und auch hier ist das nicht eine Unzuverlässigkeit oder Regellosigkeit der Grammatik, sondern das erwartbare Spiel der Formen und ihrer Verbindungen Ein solcher Übergangsbereich kann mit dem Auftreten einer Einheit entstehen, die sich mit dem Verb mehr oder weniger eng verbinden kann Solche Verbindungen werden zu trennbaren Verben, wenn die beiden Bestandteile eine neue, nicht aus ihren Einzelteilen bestehende Gesamtbedeutung bilden wie krankschreiben oder kaltstellen in den Beispielen 14 bis 17 in der folgenden Tabelle Bei solchen Verben erscheint der abtrennbare Teil im rechten Verbfeld- - entweder zusammen mit dem Verb wie in 14 und 16 oder alleine wie in 15 und 17 Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld 14 Hugo ließ sich krankschreiben. 15 Der Arzt schrieb Hugo krank. 16 Sie wollte ihren Gegner kaltstellen. 17 Sie stellte ihren Gegner kalt. Dass die auch als Adjektiv verwendbare Einheit hierbei ein Teil des Verbs ist, erkennt man nicht zuletzt daran, dass eine Komparationsform nicht möglich wäre: *Er wollte seinen Gegner kälterstellen Nun gibt es einen Übergangsbereich, „wenn ein einfaches Adjektiv eine Eigenschaft als Resultat des Verbalvorgangs bezeichnet“ („Regeln und Wörterverzeichnis“ 2016) Hier hat der Schreiber die Freiheit, getrennt oder zusammenzuschreiben: Wenn man sich für eine Zusammenschreibung wie in Zeile 18 entscheidet, müsste das Verb als trennbares Verb wie in Zeile- 19 erscheinen Entscheidet man sich für Getrenntschreibung wie in Zeile 20, wäre kalt nicht im rechten Verbfeld zu verorten (Zeile 21) In normaler Schreibung ist zwischen 19 und 21 kein Unterschied sichtbar Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld 18 Wir müssen das Dessert kaltstellen. 19 Wir stellen das Dessert kalt. 20 Wir müssen das Dessert kalt stellen. 21 Wir stellen das Dessert kalt. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 70 19 09 2019 16: 27: 24 Einheit 4 71 V orf elDbe Se t zunG Kopulaklammer und Funktionsverbgefüge Tab. 4.10 4.5 Bei sogenannten Kopulaklammern und Funktionsverbgefügen wird die Entscheidung, ob eine Konstruktion als Verbklammer zu betrachten ist oder nicht, an der Schreibung niemals sichtbar: Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld 22 Weil sich das Hoch Sepideh in Richtung Süden verlagert, ist es im gesamten Mittelmeerraum weiter 23 Der Notar setzte die Familie von der Erbschaft Kopulaklammern wie in 22 und Funktionsverbgefügeklammern wie in 23 haben mit der Verbklammer die Tendenz gemeinsam, den Satz in Felder aufzuteilen Was dafür spräche, auch hier von einer Verbklammer auszugehen, wäre die Semantik des jeweiligen Verbs im linken Verbfeld, das seine spezifische Bedeutung weitgehend eingebüßt hat - die Bedeutung kommt erst durch das rechte Verbfeld zustande, das bei Kopulaverben meist aus einem Adjektiv ( → Abschnitt 5 3) oder einer Nominalgruppe ( → Einheit 10), bei Funktionsverbgefügen meistens aus einer Präpositional- oder Nominalgruppe besteht ( → Abschnitt 7 2 .2) . Diese semantische Rollenverteilung kennen wir bereits aus dem Zusammenspiel von Hilfs- und Vollverb Viele Grammatiken verschieben diese problematische Abgrenzung, indem sie nicht von einer Verb-, sondern von einer Satzklammer ausgehen, worunter nicht nur alle Verbklammern, sondern auch die Klammern durch Kopula und Funktionsverbgefüge gefasst werden Dies erscheint auf den ersten Blick sehr elegant, schafft aber ein neues Abgrenzungsproblem zwischen den Klammern von Funktionsverbgefügen und „normalen“ Ergänzungen . Wir hätten dann z B im Satz Ich bin mal wieder sehr hungrig eine Satzklammer und stünden vor der Entscheidung, ob wir im Satz Ich habe mal wieder großen Hunger die Ergänzung großen Hunger ebenfalls als Teil der Satzklammer betrachten Vorfeldbesetzung Im Verbzweitsatzes erscheint üblicherweise genau ein Satzglied im Vorfeld Dieses Satzglied spielt gewissermaßen die erste Geige im Satz und bekommt damit eine besondere Aufmerksamkeit Deshalb dient diese Position zur Themenentfaltung wie im folgenden Text: sonnig in Kenntnis. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 71 19 09 2019 16: 27: 24 72 D ie F elD glie D erung als zentr ale s M ust er D er D eutschen s pr ache Beispiel (aus: PNN vom 16 10 2014, geringfügig verändert) Tab. 4.11 Position des Subjekts im Satz Tab. 4.12 Vier Jahre bei Larry Vier Jahre lang war der Graupapagei „Nigel“ verschwunden Nun kehrte der sprachbegabte Vogel zu seinem Besitzer in Kalifornien zurück . Zu dessen Überraschung hatte der Papagei seinen britischen Akzent nicht nur durch spanisches Vokabular ersetzt - er wippte auch bei Salsamusik mit Wo Nigel die letzten Jahre verbrachte, weiß niemand Eins hat er aber verraten: Er plapperte den Namen Larry Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld 24 Vier Jahre lang war der Graupapagei „Nigel“ verschwunden. 25 Nun kehrte der sprachbegabte Vogel zu seinem Besitzer in Kalifornien zurück. 26 Zu dessen Überraschung hatte der Papagei seinen britischen Akzent nicht nur durch spanisches Vokabular ersetzt - 27 er wippte auch bei Salsamusik mit. 28 Wo Nigel die letzten Jahre verbrachte, 29 Wo Nigel die letzten Jahre verbrachte, weiß niemand. 30 Eins aber hat er verraten: 31 Er plapperte den Namen Larry. Das Subjekt erscheint nur in den Zeilen 27 und 31 im Vorfeld . Wird das Vorfeld von einem anderen Satzglied besetzt, findet sich das Subjekt üblicherweise an der ersten Position im Mittelfeld wie in allen anderen Sätzen in diesem Text Zeile 29 enthält einen Satz, der aus zwei Sätzen besteht Der Verbletztsatz aus Zeile 28 übernimmt dabei die Funktion eines Satzgliedes, das auch in anderer Form erscheinen könnte: 29' Nigels Aufenthaltsort der letzten Jahre weiß niemand. In 29‘ darf das Satzglied im Vorfeld nicht durch ein Komma abgetrennt werden; dagegen muss in Zeile 29 ein Komma stehen und ermöglicht eine gedankliche 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 72 19 09 2019 16: 27: 24 Einheit 4 73 V orf elDbe Se t zunG Rekursivität Beispiel (aus: Kafka, Franz: Amerika (erster Satz)) Tab. 4.13 rechtes Verbfeld (und mehr) im Vorfeld Tab. 4.14 Ordnung, weil hier durch ein zweites finites Verb (die jeweils fett markierten Einheiten) ein „Satz im Satz“ entsteht . Dies ist ein grundlegendes Prinzip in der Grammatik: Innerhalb einer Struktur (hier: eines Satzes) kann diese Struktur immer wieder erscheinen, was man als Rekursivität bezeichnet Insofern können Sätze beliebig komplex werden, was die Anforderungen beim Lesen erhöht Der folgende Romanbeginn von Kafka enthält im Vorfeld - einem untergeordneten Verbletztsatz (das finite Verb einfuhr ist gleichzeitig das valenztragende Verb) - einen weiteren, in diesen Verbletztsatz eingebetteten Verbletztsatz (Passiv: geschickt worden war), dem seinerseits ein dritter Verbletztsatz (mit den beiden valenztragenden Verben verführen und bekommen) untergeordnet ist Alles, was im folgenden Satz unterstrichen ist, wird tatsächlich als ein („1“) Satzglied verstanden, müsste also in der Feldgliederung vor dem finiten Verb des obersten Bezugssatzes (erblickte) im Vorfeld erscheinen: Als der sechzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen Schiff in den Hafen von New York einfuhr, erblickte er die schon längst beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie in einem plötzlich stärker gewordenen Sonnenlicht Während Kafkas Beispiel vier Kommas im Vorfeld enthält, gibt es im folgenden Satz mit einem ebenfalls sehr umfangreichen Vorfeld keinen Grund für irgendein Komma: 32 Die Veröffentlichung der Formulierung einer Begründung der Ablehnung des Antrags der stimmberechtigten Mitglieder der ausgelagerten Institute unserer Universität auf selbständige Verwaltung der bewilligten Geld- und Sachmittel des laufenden Haushaltsjahres kann wegen der geltenden Geheimhaltungspflicht nicht vorgenommen werden. Von dem Muster „genau ein Satzglied im Vorfeld“ weicht das Deutsche nur sehr selten ab Zu den häufigsten Abweichungen gehört die Verschiebung des rechten Verbfeldes ins Vorfeld: 26' Ersetzt hatte der Papagei seinen britischen Akzent nicht nur durch spanisches Vokabular. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 73 19 09 2019 16: 27: 24 74 D ie F elD glie D erung als zentr ale s M ust er D er D eutschen s pr ache Tab. 4.15 4.6 leeres Vorfeld in Witzen leeres Vorfeld in Aufforderungen und Fragen Wenn das valenztragende Verb ins Vorfeld verschoben wird, kann es mitunter auch Ergänzungen (außer dem Subjekt) oder auch Angaben „mitnehmen“: 26'' Seinen britischen Akzent ersetzt hatte der Papagei nicht nur durch spanisches Vokabular, sondern auch durch portugiesisches. 1'' In der Nacht zum Mittwoch die Polizei um Hilfe gebeten hat ein Mann mit den Worten „Mir läuft ein Schwein hinterher“. Das leere Vorfeld: Der Verberstsatz als markierte Satzform Der Verbzweitsatz ist ein im Deutschen so häufig vorkommendes Muster, dass uns die Abweichung davon immer besonders erscheint: Dort, wo normalerweise genau ein Satzglied steht, kann auch nichts stehen . Dann beginnt der Satz nicht mit dem Vorfeld, sondern mit dem linken Verbfeld, und dieses „Mit-dem-finiten-Verb-ins-Haus-Fallen“ hat ein implizites Potenzial, das die Sprache mit Vorliebe für solche Sprachhandlungen verwendet, die vom Hörer/ Leser besondere Aufmerksamkeit erfordern Was das ist, ergibt sich aus der spezifischen Situation, aus dem Kontext oder aus der Verwendung bestimmter grammatischer Formen Besonders schön wird dies an Witzen sichtbar - einer Textsorte, die typischerweise mit Verberststellung beginnt: 33 Treffen sich zwei Ziegen Sagt die eine: „Kommste mit in die Disco? “ Sagt die andere: „Nee - hab keen Bock! “ Die Verberststellung Treffen sich zwei Ziegen … signalisiert dem Hörer: „Du musst aufpassen, dass du bei dem Witz, der jetzt folgt, die Pointe nicht verpasst “ Es ist nämlich nicht nur peinlich, wenn man als Hörer einen Witz nicht versteht, sondern man steht auch als Witzeerzähler etwas dumm da, wenn man die erwünschte Wirkung nicht erzielt Das Signal „Du musst aufpassen …“ gilt auch für Sprachhandlungen, die eine besondere Interaktion zwischen Sprecher und Hörer einleiten Zu solchen Sprachhandlungen gehören insbesondere Fragen und Aufforderungen Aufforderungen können durch das Zusammenspiel mehrerer Markierungen abgesichert werden . Z B nutzt Satz 34 neben der Verberststellung die besondere Verbform des Imperativs ( → Abschnitt 8 1 3) Im Schriftlichen tragen Aufforderungen oftmals ein Ausrufezeichen In Fragen ist normalerweise eine Aufforderung inbegriffen, wenn man im Gegenzug der Sprachhandlung vom Gegenüber eine Antwort erwartet wie in Satz 35 Mitunter erwartet ein Fragesteller als Antwort auf seine Frage keine sprachliche Handlung, sondern eine bestimmte Aktion (Satz 36) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 74 19 09 2019 16: 27: 24 Einheit 4 75 Eine Frage kann außerdem als rhetorische Frage zum Nachdenken auffordern Aber auch dabei kann sich der Hörer nicht einfach zurücklehnen, sondern muss gedanklich aktiv werden (Satz 37) Auch Bedingungen (traditionell „Konditionalsätze“) lassen sich mit dem Verberstsatz formulieren (Satz 38) Man kann sie als eine Art inneren Monolog deuten: Mit dem Verberstsatz stellt man eine Frage (Satz 38 1), die bei einer positiven Antwort mit einer bestimmten Folge verknüpft ist In der Feldgliederung wollen wir das leere Vorfeld mit einem Kreuz optisch markieren Das Kreuz symbolisiert diese Satzform mit ihrer hörerleitenden Funktion „Du musst aufpassen, weil noch etwas folgt, das von dir eine besondere Handlung, Reaktion oder Aufmerksamkeit erfordert“ In der Schule könnte man den Verberstsatz auch als „Passaufmuster“ bezeichnen Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld 33 Treffen sich zwei Ziegen. 34 Nimm dir einen Keks! 35 Kennst du die Musik? 36 Kannst du das mal halten? 37 Müssen wir nicht alle sterben? 38.1 Fliegen die Schwalben tief? 38 Fliegen die Schwalben tief, wird es bald regnen. In Briefen, der SMS-Kommunikation und in persönlichen Unterhaltungen verzichten Schreiber bzw Sprecher mitunter auch auf den expliziten Verweis auf die eigene Person Auch so kann ein unbesetztes Vorfeld zustande kommen, wobei das fehlende Subjekt durch den Leser bzw Hörer gedanklich ergänzt wird Solche Sätze gelten als umgangssprachlich; sie sind Ellipsen und keine Verberstsätze in dem hier beschriebenen funktionalen Sinne Deshalb verwenden wir hier kein Kreuz im Vorfeld Die eingesparten Redeteile können in Klammern ergänzt werden Bleibe noch ein paar Tage in Erfurt Melde mich, wenn ich wieder da bin Hab gehört, dass du deine Prüfung geschafft hast. Glückwunsch! (Ich) Bleibe noch ein paar Tage in Erfurt. (Ich) Hab(e) gehört, dass … leeres Vorfeld in Bedingungen Tab. 4.16 leeres Vorfeld in Ellipsen - kein Verberstsatz Tab. 4.17 D a S le ere V orf elD : D er V erber St S at z al S m ark Iert e S at zform 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 75 19 09 2019 16: 27: 24 76 D ie F elD glie D erung als zentr ale s M ust er D er D eutschen s pr ache 4.7 Tab. 4.18 (aus: Brecht, Bertolt: Maßnahmen gegen die Gewalt) Tab. 4.19 (aus: Kafka, Franz: Der Kübelreiter) Nachfeldbesetzung Wir wollen nun das Feld betrachten, dem bisher am wenigsten Aufmerksamkeit zukam und das nicht in gleicher Weise wie die anderen Felder als Standard des deutschen Satzes betrachtet wird: Als Nachfeld wird bezeichnet, was sich rechts vom rechten Verbfeld und damit außerhalb der Verbklammer befindet Deshalb bezeichnet man das dort Erscheinende auch als „ausgeklammert“ oder als „Ausklammerung“ Die Ausklammerung ist aber keine Ausnahme im Sprachgebrauch, sondern mit unterschiedlichsten Funktionen verbunden Sie kann 1 Reparaturfunktion haben, 2 Vergleiche durch Wortgruppen mit wie und als beinhalten ( → auch Abschnitt 12 5 6), 3 Verbergänzungen und -angaben als Verbletztsätze beinhalten, 4 Einheiten hervorheben, 5 das Mittelfeld entlasten Diese Funktionen der Nachfeldbesetzung werden im Folgenden an Beispielen illustriert (außerhalb der Tabellendarstellung werden die Nachfeldbesetzungen unterstrichen): zu 1 .: Reparaturfunktion: Vor allem im Mündlichen bietet die Nachfeldbesetzung die Möglichkeit, Informationen nachzuliefern, die im Mittelfeld vergessen wurden Du müsstest dich eigentlich freuen über den Job Wir wollten in den Zoo gehen am Wochenende Anne ist nach Erfurt gefahren mit ihrer Freundin gestern zu 2 : Vergleiche: Bei Vergleichen finden wir üblicherweise die Bezugseinheit im Nachfeld: Gerade ich muß länger leben als die Gewalt. Ich muss kommen wie der Bettler, der röchelnd vor Hunger an der Türschwelle verenden will (…) Dass die Nachfeldbesetzung bei Vergleichen dem Verständnis entgegenkommt, sollen die beiden folgenden Beispiele verdeutlichen: ► � mit Nachfeldbesetzung: Er hat sich in der alten Wohnung wohler gefühlt als in der neuen Sie hat schon lange nicht mehr so gelacht wie an diesem Abend 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 76 19 09 2019 16: 27: 24 Einheit 4 77 n achf elDbe Se t zunG Tab. 4.20 (aus: Brecht, Bertolt: Maßnahmen gegen die Gewalt) Tab. 4.21 ► � ohne Nachfeldbesetzung: Er hat sich in der alten Wohnung wohler als in der neuen gefühlt Sie hat schon lange nicht mehr so wie an diesem Abend gelacht zu 3 : Verbergänzungen und -angaben im Nachfeld: Sowohl im Mündlichen als auch im Schriftlichen kann eine Verbergänzung (oder auch -angabe) als abhängiger Satz ins Nachfeld geraten und ist dann nicht weiter auffällig: Als Herr Keuner, der Denkende, sich in einem Saale vor vielen gegen die Gewalt aussprach, merkte er, wie die Leute vor ihm zurückwichen und weggingen. Der 34-Jährige wurde das Tier auf der Straße in Neumünster (Schleswig-Holstein) einfach nicht mehr los, nachdem es ihn gesichtet hatte. zu 4 : Hervorhebungen: Das Nachfeld kann eine Einheit wie in den folgenden Beispielen hervorheben Dies wird in der Literatur vielfach stilistisch genutzt Sie hatte die langen Jahre der Knechtschaft und die kurzen Jahre der Freiheit ausgekostet und das Brot des Lebens aufgezehrt bis auf den letzten Brosamen . (aus: Brecht, Bertolt: Die unwürdige Greisin - Schlusssatz) Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte; … (aus: Mörike, Eduard: Er ist’s) Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir … (aus Psalm 23) Ein Gespenst geht um in Europa (aus: Marx, Karl/ Engels, Friedrich: Manifest der Kommunistischen Partei - Anfang) zu 5 : Entlastung des Mittelfeldes: Üblich sind Nachfeldbesetzungen auch dann, wenn ansonsten der Abstand zwischen linkem und rechtem Verbfeld allzu groß würde Im folgenden Satz aus Brechts Keuner-Geschichte ist nur eine Kleinigkeit verändert - in Brechts Original heißt es „… der zeigte einen Schein vor, welcher ausgestellt war …“ Der Relativsatz und alle Einheiten, die bis zum abschließenden Punkt noch folgen, stehen im Original im Nachfeld Der im Folgenden veränderte Text ist zwar grammatisch möglich, trägt aber durch die Distanzstellung des trennbaren Verbs parodistische Züge: 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 77 19 09 2019 16: 27: 24 78 D ie F elD glie D erung als zentr ale s M ust er D er D eutschen s pr ache Tab. 4.22 (aus: Brecht, Bertolt: Maßnahmen gegen die Gewalt) 4.8 In die Wohnung des Herrn Egge, der gelernt hatte, nein zu sagen, kam eines Tages in der Zeit der Illegalität ein Agent, der zeigte einen Schein, welcher ausgestellt war im Namen derer, die die Stadt beherrschten, und auf dem stand, daß ihm gehören solle jede Wohnung, in die er seinen Fuß setzte; ebenso sollte ihm auch jedes Essen gehören, das er verlange; ebenso sollte ihm auch jeder Mann dienen, den er sähe, vor Nachfeldbesetzungen können nicht nur in Verbzweitsätzen vorkommen . Im Original zum eben angeführten Beispiel gibt es vier Nachfeldbesetzungen: (…) der zeigte einen Schein vor, welcher … welcher ausgestellt war im Namen derer, die die Stadt beherrschten und auf dem stand, daß … daß ihm gehören solle jede Wohnung, in die er seinen Fuß setzte; (…) Eine Einheit im Nachfeld wird oftmals durch eine verweisende Einheit im Vor- oder v a im Mittelfeld angekündigt (dadurch bzw so in den Beispielen) Dies kann sowohl der Hervorhebung als auch der Textübersicht dienen Die lange Zeit einer Mondfinsternis entsteht dadurch, dass der Erdschatten aufgrund des großen Erddurchmessers um ein Vielfaches größer ist als der Mond (…) Sie hat schon lange nicht mehr so gelacht wie an diesem Abend Didaktische Bedeutung der Feldgliederung und Überblick Das Muster, das wir in diesem Abschnitt mit der Feldgliederung des Satzes kennengelernt haben, ist Ausgangspunkt für zahlreiche weitere grammatische Erkenntnisse: ► � Der Satz bekommt damit eine lineare und sichtbare Gliederung, die eine gedankliche Vorstellung und einen sprachlichen Zugriff auf die dabei entstehenden Felder erlaubt . ► � Im Mittelfeld lassen sich Satzglieder optisch voneinander abheben Dies kann für mehr Klarheit sorgen und Satzglieder bewusst machen ► � Die Feldgliederung und der Fokus auf die zentrale Rolle des Verbs können ein Verständnis für die Zeichen- und insbesondere die Kommasetzung befördern ► � Das Leseverstehen wird unterstützt, wenn man weiß, wo strukturell bedeutsame Verbteile oder Satzglieder gefunden werden können 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 78 19 09 2019 16: 27: 24 Einheit 4 79 D I Da k tISche b e D eutunG D er f elD GlIe D erunG unD ü berblIck Verbklammern im Überblick Tab. 4.23 Tab. 4.24 ► � Neben dem Satz lassen sich auch Satzglieder in entsprechende Felder einteilen und somit nach einem ganz analogen Muster wahrnehmen ( → Abschnitt-10 4) Zusammenfassend seien hier die wichtigsten Verbklammern, die uns in diesem Buch begegnen, mit Beispielen zusammengestellt: a) Präverbklammer b) Modalklammer c) Passivklammer d)-f) Tempusklammer g) würde-Klammer Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld a) Der Vogel frisst den Wurm auf. b) Der frühe Vogel will den Wurm fangen. c) Der Wurm wird leider aufgefressen. d) Der frühe Vogel hat den Wurm gefangen. e) Der frühe Vogel wird den Wurm fangen. f) Der frühe Vogel habe den Wurm gefangen. g) Ein später Vogel würde den Wurm nicht fangen. Kombinierte Klammern: h)/ i) Tempus- und Passivklammer j) Tempus- und Passiv- und Modalklammer k) Tempus- und Modalklammer l) Modal- und Tempusklammer m) Modal- und Passivklammer n) Modal- und Passiv- und Tempusklammer Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld h) Der Wurm ist schon früh gefangen worden. i) Der späte Wurm wird nicht gefangen werden. j) Der späte Wurm hat nicht gefangen werden können. k) Der späte Vogel hat den Wurm nicht fangen können. l) Der späte Vogel kann den Wurm nicht gefangen haben. m) Der späte Wurm will nicht gefangen werden. n) Der späte Wurm kann nicht gefangen worden sein. Wie die Formen im Einzelnen gebildet werden, wird in den Einheiten 7 bis 9 systematisch betrachtet 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 79 19 09 2019 16: 27: 24 80 D ie F elD glie D erung als zentr ale s M ust er D er D eutschen s pr ache 4.9 Hinweise für den Unterricht Das Verb ist nicht nur aus sprachwissenschaftlicher Sicht die wichtigste Einheit für den Satz, sondern auch aus didaktischer Diese Erkenntnis kann tiefgreifende Konsequenzen für den Unterricht haben 1 Das Verb lässt sich nicht in einer Klassenstufe und schon gar nicht in einer Unterrichtseinheit abhandeln Es bestimmt die ganze Schulzeit hindurch den Grammatikunterricht 2 Das Verb ist nicht „eine Wortart“ neben vier oder neun anderen Wortarten Es ist die Einheit, die den Satz zum Satz macht; was ein Verb ist, erfährt man umgekehrt nur vom Satz her 3 Basteln Sie Wort- und Morphemkarten als verschiebbare Einheiten, aus denen sich Wortgruppen und Sätze legen lassen Sie brauchen dafür Karten aus Wellpappe, auf Papier ausgedruckte Wörter und Morpheme, am besten im längsgeteilten A4-Format Wählen Sie insbesondere für die Primarstufe eine Schrift, die das kleine „a“ als rundes „a” abbildet, keine Schnörkel besitzt und sich nahe an der geschriebenen Druckschrift befindet (z B Comic Sans MS oder - etwas nüchterner - Century Gothic in fettem Format) Sinnvoll sind auch leere Wortkarten und dicke Stifte, wenn die Kinder oder auch Sie zusätzliche Ideen haben 4 Wenn Ihnen Magnetkarten wie in Abbildung-4 2 zu aufwändig erscheinen, basteln Sie einen großen Spielplan mit den Satzfeldern für den Boden, oder kleben Sie - falls dies technisch möglich ist - Felder auf dem Klassenzimmerboden mit Klebeband ab - ggf auch für das Arbeiten in Gruppen an verschiedenen Stellen 5 Nehmen Sie sich immer wieder für „die letzten fünf Minuten“ Sätze vor, die die Kinder alleine oder in Gruppen aus Wortkarten zusammensortieren sollen Den Kindern machen solche Zuordnungen Freude - solches Material hat immer Aufforderungscharakter, wie Sie das vielleicht von Spielen wie Scrabble® kennen Dabei kann man zunehmend mehr Material hinzuziehen, das unterschiedliche Sätze/ „Lösungen“ zulässt Verschiebbare Einheiten eignen sich in ganz besonderer Weise dafür, ein syntaktisches Verständnis für die Sprache grundzulegen Bezogen auf das Verb geht es darum, zu erkennen, wo es sich befindet Dass es sich hierbei nicht um abzählbare Positionen, sondern um strukturelle Stellen handelt, ist eine in der Tat anspruchsvolle Erkenntnis, die sich nicht mit dem ersten Einsatz des Materials einstellen kann Bei der Untersuchung, wo sich die Verben befinden, können Sie in verschiedenen Schulstunden den Fokus auf unterschiedliche Aspekte richten: ► � finites Vollverb im linken Verbfeld (die Person oder den Numerus des Subjekts variieren) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 80 19 09 2019 16: 27: 24 Einheit 4 81 h Inw e ISe für D en u nt errIcht ► � trennbares Verb im linken und rechten Verbfeld (lassen Sie die Kinder das abtrennbare Präverb selbst abschneiden - das unterstützt den Erkenntnisprozess) ► � Modalverb im linken, Vollverb im rechten Verbfeld (paraphrasieren lassen, wie sich die Bedeutung des Satzes durch unterschiedliche Modalverben verändert) ► � Hilfsverb im linken, Vollverb im rechten Verbfeld (paraphrasieren lassen, wie sich die Bedeutung des Satzes verändert) oder ► � ein Satzglied im Vorfeld (damit lässt sich der Begriff des Satzgliedes vermitteln, das um Attribute erweitert werden oder auch als abhängiger Satz erscheinen kann) ► � Zusammenspiel Subjekt - finites Verb ► � unbesetztes Vorfeld ► � unterschiedliche Ergänzungen zum Verb ► � Erweiterung um Angaben Als Lehrkraft können Sie immer wieder unterschiedliche Schwerpunkte setzen: Zum einen, wo sich die Verben im Satz befinden; zum andern, was sie im Satz bewirken und mit welchen Einheiten ein Verb zusammenspielt Dieses letzte Kriterium ist ein semantisches - aber nicht als globale Aussage über „die Verben“, sondern immer am einzelnen Verb ( → Abschnitt 2 3) Wenn man Abb. 4.2 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 81 19 09 2019 16: 27: 25 82 D ie F elD glie D erung als zentr ale s M ust er D er D eutschen s pr ache den Begriff der Ergänzung vermitteln möchte, kann man mit Schnüren die strukturellen Verbindungen zwischen Verben und ihren Ergänzungen herstellen und so veranschaulichen Weiterhin kann es sinnvoll sein, die Tabelle auf der folgenden Seite zu vergrößern und für den Tageslichtprojektor zu nutzen Mit einer Folie lassen sich wie oben entsprechende Wortkarten herstellen Für das Klassenzimmer schlägt Stephanie Schönenberg im Praxis Deutsch- Heft 226 eine visuell ansprechende und einprägsame Idee zur Verbklammer vor - das Holzmodell eines „Klammermannes“, der seine Arme mehr oder weniger ausdehnen kann: Abb. 4.3 Abb. 4.4 Abb. 4.5 Übungen 1 Nachdem er die Funktionsweise des Teleskops durchschaut hatte, hat er durchgeschaut. Die Einheit durchschauen erscheint hier nicht nur in unterschiedlichen Bedeutungen. Beschreiben Sie weitere Unterschiede. 2 Übertragen Sie den folgenden Text (ohne Überschrift) in das topologische Satzfelderschema. Verbletztsätze sollten in einer eigenen Zeile erscheinen. Dauerausleiher Ein Australier hat erst nach mehr als 30 Jahren ein Buch in einer Londoner Bibliothek zurückgegeben. Der Marineattaché lieh das Buch 1981 für seine Tochter aus und nahm es versehentlich mit, als er London wieder verließ. In den Händen des Offiziers reiste das Buch mit ihm beruflich um die Welt. Mit dem Strafgeld der Bibliothek von 15 Pence pro Tag müsste der Mann eigentlich 1600 Pfund (1860 Euro) Strafe zahlen. Aber er hatte Glück, weil die Maximalstrafe bei fünf Pfund liegt. 4.10  Lösungshinweise unter www.bachelorwissen.de und www.granzowemden.de Beispiel (aus: PNN vom 11 03 2011) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 82 19 09 2019 16: 27: 25 Einheit 4 83 V erw enD e t e unD w e It erführenD e l It er atur 4.11 3 In den folgenden Beispielen ist in einigen Sätzen das Vorfeld unbesetzt. Beschreiben Sie die Funktionen dieser Nichtbesetzung. 1. Kauf dir was Schönes! 2. Treffen sich zwei Rosinen. Fragt die eine: „Warum hast’n du‘n Helm auf? “ - „Na, ich muss doch in den Stollen.“ 3. Wirst du heut’ noch fertig? 4. Hi Kevin. Schaff es leider nicht ins Kino. Hab starke Bauchschmerzen. Sorry. Meld mich die Woche wieder! 5. Darf ich Sie um einen Gefallen bitten? 4 Markieren Sie in den folgenden Beispielen die Nachfeldbesetzung und beschreiben Sie deren Funktion: 1. Ich habe schon bessere Bücher gelesen als dieses hier. 2. Er kommt erst morgen, der Elektriker. 3. Ich habe selten so viel dämliches Zeug gehört wie in dieser Vorlesungsreihe. 4. Kommst du mit heute Abend ins Kino? 5. Es ist mir gelungen, den Abgabetermin einzuhalten. 6. Ich kenne die Geschichte eines Mannes, der zum Othello wurde und seine Frau erwürgte zwanzig Jahre nach einer Affäre, die sie angeblich mit seinem besten Freund gehabt hatte. (Botho Strauß) 5 Gernhardts Vierzeiler (vgl. S. 64) spielt in den Zeilen 3 und 4 mit zwei Bedeutungen des Verbs umfahren. a) Machen Sie die beiden Bedeutungen mithilfe der Feldgliederung sichtbar. b) Stellen Sie weitere Unterschiede der beiden Verben dar. Walderkenntnis Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm. Wenn ich es nicht umfahre, dann fahre ich es um. Verwendete und weiterführende Literatur Altmann, Hans (1981): Formen der Herausstellung im Deutschen: Rechtsversetzung, Linksversetzung, Freies Thema und verwandte Konstruktionen. Tübingen: Niemeyer. Bangel, Melanie (2011): Wie neue Verben entstehen. Unterrichtsanregungen zur Präfigierung des Verbs. In: Praxis Deutsch 226, 25-29. Eisenberg, Peter; Menzel, Wolfgang (2002): Die Stellung der Wörter im Satz. In: Praxis Deutsch 172, 6-13. Haueis, Eduard (1999): Von ungewissen Gewissheiten - für ein differenziertes Wissen zu Wortgruppen für die Lehrenden. In: Klotz, Peter; Peyer, Ann (Hrsg.): Wege und Irrwege sprachlich-grammatischer Sozialisation. Bestandsaufnahmen, Reflexionen, Impulse. Baltmannsweiler: Schneider, 155-167. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 83 19 09 2019 16: 27: 25 84 D ie F elD glie D erung als zentr ale s M ust er D er D eutschen s pr ache Klotz, Peter (1999): Auf Verbindungen warten können. Von sprachtypischen Klammerstrukturen zu sprachlichem Basiswissen. In: Klotz, Peter; Peyer, Ann (Hrsg.): Wege und Irrwege sprachlich-grammatischer Sozialisation. Bestandsaufnahmen, Reflexionen, Impulse. Baltmannsweiler: Schneider, 185-199. Nübling, Damaris (2008): Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Eine Einführung in die Prinzipien des Sprachwandels. 2. Auflage. Tübingen: Narr. Schönenberg, Stephanie (2011): Problemfall Verbklammer? Der Klammermann als Basismodell der Satzlehre. In: Praxis Deutsch 226, 12-19. Weinrich, Harald (1986): Klammersprache Deutsch. In: Sprachnormen in der Diskussion. Beiträge vorgelegt von Sprachfreunden. Berlin; New York: de Gruyter, 116-145. Weinrich, Harald (2007): Textgrammatik der deutschen Sprache. 4., revidierte Auflage. Hildesheim: Georg-Olms-Verlag. Wöllstein, Angelika (2010): Topologisches Satzmodell. Heidelberg: Universitätsverlag Winter. https: / / www.rechtschreibrat.com/ DOX/ rfdr_Regeln_2016_redigiert_2018.pdf („Regeln und Wörterverzeichnis. Aktualisierte Fassung des amtlichen Regelwerks entsprechend den Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung 2016.“ - Zugriff am 29.08.2019). 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 84 19 09 2019 16: 27: 25 85 Überblick Formen und Funktionen von satzverbindenden und verweisenden Einheiten Inhalt 5 1 Text- und satzverbindende Einheiten 86 5 2 Sprachliches Zeigen 88 5 3 Adverbien und Adjektive 91 5 4 Subjunktionen und Verbletztsätze - Adverbien und Verbzweitsätze 94 5 5 Konjunktionen als Einheiten jenseits der Feldgliederung 99 5 6 Partikeln 101 5 7 Überblick zu Adverbien, Subjunktionen, Konjunktionen und Partikeln 104 5 8 Übungen 106 5 9 Verwendete und weiterführende Literatur 108 Sätze und Wortgruppen stehen in Texten nicht unverbunden nebeneinander, sondern werden durch unterschiedliche Einheiten grammatisch und inhaltlich aufeinander bezogen. Dies leisten Wörter, die in neueren Darstellungen funktional als Konnektoren zusammengefasst werden. Daneben gibt es Einheiten, die innerhalb einer Äußerungssituation oder innerhalb eines Textes für Verweise sorgen. Dieses sprachliche Zeigen ist eine weitere zentrale Sprachfunktion (s. auch Abschnitt 10.5). Die Auseinandersetzung mit Konnektoren und Zeigwörtern dient nicht nur der Sprachbewusstheit. Ihre Bedeutung für Textproduktion und -rezeption macht sie zu einem unverzichtbaren Lerngegenstand. Es ist jedoch nicht möglich, für funktionale Einheiten syntaktische Wortklassenkriterien aufzustellen, weil funktionale Einteilungen quer durch die formalen Einteilungen der Wortarten verlaufen. Zunächst werden wir die textverbindende oder verweisende Funktion von Einheiten betrachten, die als Adverbien verwendet werden können. Manche Adverbien wiederum haben viel mit Adjektiven gemeinsam. Einheit 5 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 85 19 09 2019 16: 27: 25 86 F ormen und F unk tionen von sat z v erbindenden und v erw e isenden e inhe it en Daneben gibt es weitere, ebenfalls nichtflektierbare Einheiten, die als Partikeln bezeichnet werden, wobei die meisten ihrer Einheiten auch als Adverb oder Adjektiv erscheinen können. In der Schule wurden sie bisher eher stiefmütterlich behandelt - wir betrachten sie am Ende dieser Einheit. Einen formbezogenen Zugriff erlauben neben den Adverbien als vorfeldfähigen Einheiten auch die Subjunktionen, die zusammen mit der Verbletztstellung Abhängigkeit signalisieren. Konjunktionen hingegen sind Einheiten, die „nur“ verbinden und nichts an der Satzstruktur verändern: Sie stehen außerhalb der Feldgliederung. Text- und satzverbindende Einheiten Der Text, den wir in dieser Einheit immer wieder aufgreifen werden, ist der Beginn des Romans „Sie da oben, er da unten“ von Cordula Stratmann Darin sind 71 Wörter bzw Wortgruppen unterstrichen, die für Verbindungen und Verweise im Text sorgen Im Grammatikunterricht kann man sich immer wieder den in dieser Einheit behandelten Einheiten intuitiv annähern, indem man Texte danach untersucht, welche Einheiten sie „zusammenhalten“ SO ETWAS 1 hatte sie sich immer völlig anders vorgestellt Spektakulärer Außergewöhnlicher . Auf jeden Fall länger Und 2 nun 3 war es ihr selbst passiert Nun 3 lag sie da 4 tot im Flur und 5 fragte sich, wie 6 es dazu 7 gekommen war, dass 8 Dieter sich beim Erwürgen so 9 geschickt anstellte Ruckzuck war das 10 gegangen Und 11 mit welcher Kraft! Der untrainierte Dieter! Der Ich-müsste-mal-was-Sport-machen-Dieter! Ein Wortgefecht, sie macht eine Bemerkung, die 12 sie jetzt 13 schon wieder 14 vergessen hat, da 15 springt ihr der Dieter an den Hals, und 16 sie kann sich noch nicht mal mehr 17 die Haare richten Tot Durch Dieters Hand Obwohl 18 er sogar 19 noch unbequemerweise seine Handschuhe trug, weil 20 er gerade erst 21 hereingekommen war Das 22 wunderte sie am meisten: dass 23 er das tatsächlich mit dem allerersten Versuch hingekriegt hatte Eben noch 24 in der Straßenbahn und nur einen Wimpernschlag später 25 die eigene Frau umgelegt Chapeau! Dieter war nie 26 ein Typ von großer Präzision gewesen . Immer eher alles kommste heut nicht, kommste morgen Aber 27 heute 28 hatte er sich von einer vollkommen neuen Seite gezeigt Zum letzten Mal 29 Diesmal 30 war es ihm wohl 31 wirklich wichtig gewesen Er hatte in ihrer zwölfjährigen Beziehung zwar 32 des Öfteren 33 angedeutet, dass 34 er sich von ihr niemals auf normale Weise trennen könnte, dazu 35 sei ihre Verbindung zu außergewöhnlich, aber 36 sie hatte das bisher 37 immer als Kompliment aufgefasst Dummerchen! 5.1 Beispiel (aus: Stratmann, Cordula: Sie da oben, er da unten, Köln: Kiepenheuer und Witsch 2010) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 86 19 09 2019 16: 27: 25 Einheit 5 87 t e x t unD S at z V erbInD enD e e Inhe It en Und 38 nun 39 war Dieter weg Hatte natürlich kalte Füße gekriegt So etwas 40 hatte er sich schließlich 41 noch nie 42 getraut! Er war überhaupt äußerst angespannt gewesen bei der ganzen Aktion Die Oberlippe voller Schweißperlen und so 43 Seitdem 44 er sich den Schnurrbart abrasiert hatte, war ihm immer sofort anzumerken, wenn 45 ihn etwas besonders aufregte Worüber 46 Sabine aber 47 am wenigsten hinwegkam, war, dass 48 sie ihm in den letzten Tagen 49 nichts, wirklich gar nichts angemerkt hatte! Man hatte nach zwölf Jahren 50 doch 51 nicht mehr so 52 die volle Aufmerksamkeit für den Partner Und 53 das 54 war manchmal 55 sehr schade . Dieter betrat das Hotel Er hatte nach der Tat 56 sehr aufgewühlt die gemeinsame Wohnung verlassen und 57 war auf direktem Weg zum Flughafen gefahren Dort 58 hatte er Last-Minute einen sehr günstigen Flug Düsseldorf-Münster/ Osnabrück ergattert und 59 war erst zur Ruhe gekommen, als 60 die Maschine endlich abhob (…) In seinem Zimmer 61 sitzend war er ganz zufrieden, wie rund 62 das alles bisher lief Bis auf das störende Gefühl, dass 63 er Sabine ein wenig vermisste In zwölf Jahren 64 gewöhnte man sich eben 65 sehr aneinander Aber 66 das hatte er ja 67 nun 68 gründlich vermasselt Mit seiner Würge-Aktion heute Morgen 69 hatte er direkt für beide die Entscheidung getroffen, dass 70 sie sich nie mehr 71 wiedersehen würden (…) Eine semantisch beschreibbare textverbindende Funktion haben die Einheiten, die Begründungen, Folgen oder Einräumungen einleiten: weil 20 , wenn 45 , obwohl 18 Semantisch schwer zu beschreiben ist hingegen eine sehr häufig erscheinende Einheit, die in dem Textausschnitt immerhin sechsmal erscheint: dass 8/ 23/ 34/ 48/ 63/ 70 Auch die textverbindenden Einheiten und und aber kommen häufig vor Während die Einheit und nur verknüpft, bezieht sich aber auf etwas Unerwartetes und 2/ 5/ 11/ 16/ 38/ 53/ 57/ 59 , aber 27/ 36/ 47 Einige Wörter beziehen sich in komplexer Weise auf das tatsächliche oder unterstellte Vorwissen des erzählenden Protagonisten bzw des Lesers: sogar 19 , wohl 31 , zwar 32 , so 52 , eben 65 , ja 67 Der Romanbeginn enthält zahlreiche Einheiten, die sich auf Zeitliches beziehen Solche Einheiten ordnen die Ereignisse und erscheinen v a in erzählenden Texten So wird in unserem Textbeispiel mit nun 3 , das doppelt erscheint, ein Bezug zum aktuellen Geschehen hergestellt, nachdem es zunächst um die Vorstellungen der Protagonistin ging, die sie bisher zu dem einleitend als so etwas vorgestellten Ereignis hatte - worauf so etwas verweist, zeigt sich erst im 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 87 19 09 2019 16: 27: 25 88 F ormen und F unk tionen von sat z v erbindenden und v erw e isenden e inhe it en 5.2 Terminologie Origo weiteren Textverlauf Entsprechende Ausführungen wären zu allen folgenden Einheiten möglich: jetzt 13 , schon wieder 14 , gerade erst 21 , nur einen Wimpernschlag später 25 , nie 26 , heute 28 , zum letzten Mal 29 , diesmal 30 , bisher 37 , seitdem 44 , in den letzten Tagen 49 , nach der Tat 56 , heute Morgen 69 , nie mehr 71 Auf Orte wird nicht so oft verwiesen, aber auch hier gibt es zwei bemerkenswerte Einheiten: da 4 , dort 58 Mit der Einheit da 5 wird ein Ortsverweis hergestellt - sie bezieht sich auf die Einheit im Flur Für Verweise im Text sorgen weiterhin einige Einheiten, die wie Begleiter eines Nomens aussehen: das 10/ 22/ 54 , die 12 Wir werden uns diesen letztgenannten nominalen Einheiten mit Verweisbzw Zeigfunktion in Einheit 10 ausführlich zuwenden Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass es zahlreiche weitere Einheiten mit Verweisfunktion gibt - einige davon haben wir eben semantisch nach ihrem Zeitbzw Ortsbezug eingeteilt Wir werden sie nun in funktionaler Perspektive betrachten Sprachliches Zeigen Eine der ersten Auseinandersetzungen mit dem sprachlichen Zeigen stammt vom Sprachpsychologen Karl Bühler, der 1934 in seiner Sprachtheorie diese Sprachfunktion vom symbolischen Nennen unterscheidet In den letzten Jahrzehnten wurden diese zentralen Sprachfunktionen in der Linguistik zum festen Bestandteil funktionaler und pragmatischer Auseinandersetzungen . In der Fachliteratur finden Sie die Termini Deixis bzw. deiktisch für die zentrale Sprachfunktion des Zeigens. Diese Sprachzeichen sind in ganz besonderer Weise situationsbzw. kontextgebunden. Als Fachtermini im Bereich des sprachlichen Nennens findet man Symbol bzw. symbolisch. Diese Termini beziehen sich auf die sprachlichen Zeichen, die Dinge und Sachverhalte benennen bzw. bezeichnen. Als Ausgangspunkt für das Zeigen setzt Bühler einen räumlichen, zeitlichen und personenbezogenen Ausgangspunkt an, den er „Origo“ nennt und der durch die drei sprachlichen Ausdrücke ich, hier und jetzt repräsentiert ist Jeder Mensch hat zu allen Zeiten seines Seins ein Ich, ein Hier und ein Jetzt Die Origo ist ein Ausgangspunkt, der uns hilft, die Welt zu ordnen Deiktische Prozesse haben ihren Ausgangspunkt in der personalen Unterscheidung von ich und du und in einem Raumkonzept: Es gibt ein hier, und 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 88 19 09 2019 16: 27: 25 Einheit 5 89 S pr achlIche S z e I G en hier jetzt da so von einem hier aus gibt es auch ein da und dort Die deiktischen Einheiten haben keine losgelöste Bedeutung wie viele andere Sprachzeichen Sie können nur in ihrem Umfeld und mit ihren jeweils einmaligen Bezügen angemessen gebraucht und verstanden werden Wenn man sich überlegt, was hier oder jetzt bedeuten, landet man zunächst bei einem recht kleinen Punkt, der Ort oder Zeit beschreibt Den Punkt kennen wir auch aus der Geometrie Aber Sprache ist etwas ganz anderes als die Mathematik Wir sehen an den folgenden Beispielen, dass hier keine punktförmige Koordinate angibt, sondern mehr oder weniger ausgedehnt sein kann: „Becher hier, bitte kommen Sie sofort zu uns, also mir, beziehungsweise, meine Frau ist schon auch noch da, aber tot eben, das heißt, (…)“ Hier ist es warm! (in einer Wohnung, in einer Stadt, in einer Klimazone …) Im Unterschied zu den Gasplaneten, die weiter draußen liegen, haben wir hier festen Boden unter den Füßen Ebenso wenig ist jetzt semantisch auf einen ganz kleinen, quasi punktförmigen Zeitraum zu beschränken: Ein Wortgefecht, sie macht eine Bemerkung, die sie jetzt 13 schon wieder vergessen hat, da springt ihr der Dieter an den Hals, und sie kann sich noch nicht mal mehr die Haare richten Sabine ist jetzt tot Jetzt, da die Erdkruste erkaltet ist, haben wir bessere Bedingungen, damit sich Leben entwickeln kann Zeigwörter wie hier und jetzt sind bei ihrer Verwendung auf eine angemessene Interpretation angewiesen Als Ursprung des Zeigens kann man das gestische Verweisen mit dem ausgestreckten Zeigefinger betrachten Beim verbalsprachlichen Zeigen kommen bestimmte Bedeutungen hinzu: Beim Wort ich gibt es eine personale, bei den Adverbien hier und da eine lokale, bei den Adverbien jetzt oder gestern eine temporale Zugabe Diese Bedeutungszugaben sind nicht weiter verwunderlich: Wenn es „reines Zeigen“ - also ganz ohne Nennen - gäbe, würde ein einziges Zeigzeichen ausreichen Relativ reines Zeigen haben wir mit dem Zeigwort da, mit dessen Hilfe bereits kleine Kinder Orientierungshandlungen durchführen und aus dem sprachgeschichtlich der Begleiter das hervorgegangen ist ( → Abschnitt 10 5) Nun lag sie da 4 tot im Flur (…) Ebenfalls bemerkenswert ist so Seinen symbolischen Anteil kann man nur schwer beschreiben Zunächst einmal kann so ein gestisches Zeigen begleiten: Stellen Sie sich vor, Sie gehen in einen Baumarkt und sagen: „Ich brauche eine Schraube, etwa so lang“ „So lang“ wird von einer Fingerspreizbewegung begleitet Wenn Ihre Glühbirne kaputt ist und Sie wieder in den Baumarkt kommen und „so eine“ Glühbirne verlangen, dient die mitgebrachte Glühbirne der 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 89 19 09 2019 16: 27: 25 90 F ormen und F unk tionen von sat z v erbindenden und v erw e isenden e inhe it en Beispiel Beispiel Demonstration Sie wollen natürlich nicht „so eine“, weil die, die Sie mitbringen, ja kaputt ist Sie wollen eine, die in ihren wesentlichen Merkmalen-- der Wattzahl, der Form usw der kaputten entspricht, die aber eben nicht kaputt sein darf Ein so macht immer ein angemessenes Mitdenken notwendig wie beim Beginn unseres Textes, der auf die vorausgegangene Handlung verweist, die dem Leser aber erst im darauf folgenden Text vorgestellt wird: So etwas 1 hatte sie sich immer völlig anders vorgestellt Die Einheit so hat Eichendorff besonders ausgiebig genutzt; seine Verweise damit sind ausgesprochen bemerkenswert Im Gedicht Der verliebte Reisende verwendet Eichendorff in 28 Strophen 16 Mal dieses Wort, wobei es 13 Mal unklar bleibt, worauf es verweisen soll In solchen Fällen bindet der Autor den Leser in besonderer Weise in den Text ein: Er muss sich selbst eine Vorstellung bilden, wie weit ein so weit ist (vgl erste Strophe) oder wie es sich anfühlt, wenn man so froh verweinet ist (vgl dritte Strophe) usw Joseph von Eichendorff Der verliebte Reisende Da fahr ich still im Wagen, Du bist so weit von mir, Wohin er mich mag tragen, Ich bleibe doch bei dir Da fliegen Wälder, Klüfte Und schöne Täler tief, Und Lerchen hoch in Lüften, Als ob dein’ Stimme rief Die Sonne lustig scheinet Weit über das Revier, Ich bin so froh verweinet Und singe still in mir . Vom Berge geht’s hinunter, Das Posthorn schallt im Grund, Mein’ Seel wird mir so munter, Grüß dich aus Herzensgrund Ich geh durch die dunklen Gassen Und wandre von Haus zu Haus, Ich kann mich noch immer nicht fassen, Sieht alles so trübe aus (…) Dass so (ganz ähnlich wie da) ein relativ reines Zeigen ermöglicht, also wenig semantische Bestandteile hat, sehen wir beim folgenden Sprachspiel: Was sagt der Beständige? Heute so, morgen so Und was sagt der Unbeständige? Heute so, morgen so Die unterschiedlichen Bedeutungen können hier nur durch Betonung angezeigt werden Wo es um den Beständigen geht, liegt die Betonung auf heute und morgen; das so erscheint jeweils unbetont Beim Unbeständigen hingegen wird zweimal so betont, und zwar in unterschiedlicher Tonhöhe (üblicherweise beim ersten so etwas höher als beim zweiten), was die Unbeständigkeit signalisiert 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 90 19 09 2019 16: 27: 25 Einheit 5 91 a D V erbIen unD a Dje k tI V e Sprechzeitraum, Vorstellungsraum und Redebzw. Textraum Verbindungen von Adverbien und Präpositionen 5.3 Adverbien und Adjektive Der ausgestreckte Zeigefinger kann nur in der Situation verweisen, und auch das sprachliche Zeigen findet zunächst in Situationen statt Sprecher und Hörer können im gemeinsamen Raum, der von Ehlich 1987 als Sprechzeitraum bezeichnet wurde, sprachlich auf Dinge verweisen und die Aufmerksamkeit lenken: Schau mal, was da liegt! Hier fehlt noch was So gefällt mir das aber nicht! Das Zeigen kann sich auch auf Vorgestelltes, den sog . Vorstellungsraum, beziehen: Wenn man in die Wohnung reinkommt, ist gleich links ein Fenster; rechts ist eine Nische, da ist die Garderobe, und auf dem Boden liegt Sabine … Auch in Texten können Zeigwörter für Verweise im Redebzw Textraum genutzt werden: Nun lag sie da tot im Flur und fragte sich, wie 6 es dazu 7 gekommen war, dass Dieter sich beim Erwürgen so geschickt anstellte Was hier behauptet wird, … Damit könnte einiges geklärt werden Wie im letzten Beispielsatz können sich Wörter wie da und hier mit Präpositionen verbinden: dabei, dafür, damit, danach …; hierbei, hiermit, hiervon … Solche Einheiten, die auch als Präpositionaladverbien bezeichnet werden, stellen insbesondere in Texten sprachliche Verweise her, dienen der Textkohärenz und sind Ausdruck konzeptioneller Schriftlichkeit In der Schule kommen diese Einheiten zu kurz, wenn sich der Grammatikunterricht nur auf Wort und Satz beschränkt Adverbien und Adjektive Nicht alle Wörter, die als Adverb verwendet werden können, haben deiktische Anteile In diesem Abschnitt wollen wir uns dieser Wortart zunächst formal in Abgrenzung zu den mitunter ganz ähnlichen Adjektiven annähern und in einem weiteren Schritt die traditionelle semantische Untergliederung betrachten, um schließlich auf die Einheiten mit textverbindender Funktion zurückzukommen Adverbien sind in lexikalischer Sichtweise eine recht heterogene Wortklasse Morphologisch gelten sie als nicht flektierbar Mit diesem Kriterium lassen sie sich von den äußerlich mitunter ganz ähnlichen Adjektiven unterscheiden: Während Adjektive in attributiver Position zwischen Begleiter und 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 91 19 09 2019 16: 27: 25 92 F ormen und F unk tionen von sat z v erbindenden und v erw e isenden e inhe it en Tab. 5.1 als Adverbien gebrauchte Adjektive syntaktische Untergliederung der Adjektive Tab. 5.2 attributives Adjektiv Adjektivergänzung zum Kopulaverb Nomen erscheinen können und dabei eine Deklinationsendung erhalten, lassen sich Adverbien nicht in dieser Weise gebrauchen . Weshalb oft und vielleicht als Adverbien im Wörterbuch stehen, die bedeutungsähnlichen Einheiten häufig und eventuell aber als Adjektive lexikalisiert werden, zeigt die folgende Gegenüberstellung: Adverb: nicht deklinierbar Adjektiv: deklinierbar *der ofte Besuch der häufige Besuch *der vielleichte Besuch der eventuelle Besuch Gemeinsames Merkmal der Adverbien ist, dass sie im Unterschied zu anderen nichtdeklinierbaren Wörtern alleine das Vorfeld besetzen und damit als Satzglied erscheinen können . Nun können aber auch prinzipiell deklinierbare Einheiten, die wir eben als Adjektive bezeichnet haben, alleine im Vorfeld stehen: Eventuell besucht uns heute jemand Im Englischen und in den romanischen Sprachen erscheinen Einheiten in dieser Position als Adverbien mit spezifischen Wortbildungsmorphemen (|ly im Englischen, |mente im Italienischen, |ment im Französischen): Possibly somebody will visit us today Eventualmente qualcuno noi visita oggi Éventuellement, quelqu'un nous rend visite aujourd’hui Ob es für das Deutsche sinnvoll ist, in den drei folgenden Sätzen alle Einheiten neuen/ zufrieden/ freundlich als Adjektive zu betrachten, ist deshalb umstritten: 1. Aber heute hatte er sich von einer vollkommen neuen Seite gezeigt. attributives Adjektiv 2. In seinem Zimmer sitzend war er ganz zufrieden (…) Adjektivergänzung zum Kopulaverb (prädikatives Adjektiv) 3. Er hatte Sabine nicht gerade freundlich behandelt. Adverb (adverbiales Adjektiv) zu 1 .: Die attributive Stellung des Adjektivs neuen zwischen Begleiter und Nomen ist die typische für Adjektive - nur hier bekommen sie eine Deklinationsendung Wir werden diese Formen - die vielfältigen Deklinationsendungen - in Abschnitt 13 1 untersuchen, zuvor aber in Abschnitt 11 1 ihre Funktion als Attribut sowie semantische Aspekte betrachten zu 2 .: Adjektive als Ergänzung zu einem Kopulaverb werden traditionell als prädikative Adjektive bezeichnet Eine Untergruppe bilden die in neueren Grammatiken als Adkopula bezeichneten Einheiten, die mit vielen Adjektiven 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 92 19 09 2019 16: 27: 26 Einheit 5 93 a D V erbIen unD a Dje k tI V e Adverb Abgrenzung der Adverbien von den Adverbialen Semantik der Adverbien das semantische Merkmal teilen, zur Bezeichnung von Eigenschaften zu dienen, aber nicht attributiv erscheinen können: barfuß, egal, einerlei, getrost, leid, perplex, pleite, quitt, schade, schuld … zu 3 : Der traditionelle Terminus „adverbiales Adjektiv“ verweist auf das Satzglied Adverbiale ( → Abschnitt 14 2 3) Adverbiale Adjektive können als Adverbiale im Satz erscheinen und sind (wie auch die Adjektivergänzungen zu Kopulaverben) vorfeldfähig: Nicht gerade freundlich hatte er Sabine behandelt Bezeichnet man ein adverbial gebrauchtes Adjektiv wie freundlich als Adverb, lässt sich dies insbesondere mit Blick auf den Fremdsprachenunterricht didaktisch begründen . Auch mit Blick auf den syntaktischen Wortartenbegriff in unserem Buch ist dies eine konsequente Klassifikation Eine als Adverb verwendete Einheit haben wir oben als eine prinzipiell vorfeldfähige Einheit eingeführt Eine solche Einheit kann damit als Satzglied erscheinen Als Satzglied wiederum müsste man ein Adverb als Adverbiale bezeichnen - ein Unterschied, der mit der hier vorgenommenen syntaktischen bzw relationalen Sichtweise kaum ins Gewicht fällt Während sich der Begriff des Adverbs auf einzelne Wörter bezieht, kann ein Adverbiale auch als Präpositionalgruppe, als Adverbgruppe, als Nominalgruppe, als abhängiger Satz ( → Abschnitt 14 2 3) oder auch als eine Verbindung einer solchen Wortgruppe mit weiteren Attributen erscheinen ( → Abschnitt 11) . Adverbien werden wie die Adverbialien semantisch unterteilt nach Ort, Zeit, Art und Weise und Grund (in der lateinischen Fachterminologie: lokal, temporal, modal und kausal) Wir werden diesen semantischen Aspekt in Einheit 14 nochmals aufgreifen und auf die Adverbialien beziehen Die folgende Zusammenstellung enthält Beispiele für nichtdeklinierbare Einheiten, die im Satz als Adverbien erscheinen können . Dass nicht alle diese Wörter auf eine solche Einteilung festgelegt sind, wird sich im folgenden- Abschnitt in der Auseinandersetzung mit den Einheiten da und seitdem zeigen, die mit Verbletztsatz erscheinen können und dann als Subjunktionen gelten . Folgende Einheiten können als Adverbien verwendet werden: a) gern, immer, möglicherweise, oft, samstags, selten, überall … b) außerdem, da, dann, dort, gestern, hier, seitdem, so, trotzdem, vorher … c) dafür, dagegen, damit, darauf, darin, davon, deswegen, hierfür, hiermit … d) wo, wohin, wann, wie, warum … e) weswegen, weshalb, wodurch, wonach, worauf, worüber … 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 93 19 09 2019 16: 27: 26 94 F ormen und F unk tionen von sat z v erbindenden und v erw e isenden e inhe it en 5.4 Tab. 5.3 Verbletztsatz Die unter b) und c) versammelten Einheiten haben eine Verweisfunktion . Die Einheiten unter d) und e) lassen sich als W-Wörter im Vorfeld als Fragewörter verwenden: Worüber kam Sabine am wenigsten hinweg? Sie können aber auch relativisch verwendet werden: Worüber 46 Sabine aber am wenigsten hinwegkam, war, dass sie ihm in den letzten Tagen nichts, wirklich gar nichts angemerkt hatte! In relativischer Verwendung verändern sie den Satz zu einem Verbletztsatz, der damit als abhängiger Satz markiert wird ( → Abschnitt 11 5) . Dies geschieht auch bei den als Subjunktion verwendeten Einheiten, die wir im folgenden Abschnitt betrachten Subjunktionen und Verbletztsätze - Adverbien und Verbzweitsätze Als häufigste Subjunktion gilt dass Sie leitet üblicherweise einen abhängigen Satz ein, der als Ergänzung eines übergeordneten Satzes dient: Er hatte in ihrer zwölfjährigen Beziehung zwar des Öfteren angedeutet, dass 34 er sich von ihr niemals auf normale Weise trennen könnte, dazu sei ihre Verbindung zu außergewöhnlich, aber sie hatte das bisher immer als Kompliment aufgefasst Verzichten wir auf die Einheit dass, erhalten wir einen selbständigen Verbzweitsatz mit der aus Einheit 4 vertrauten Feldgliederung: Dieter hatte des Öfteren Folgendes angedeutet: Er könnte sich von ihr niemals auf natürliche Weise trennen Wir wollen den Unterschied zwischen dem „normalen“ Verbzweitsatz und dem abhängigen Satz, dem wir am Ende von Abschnitt 4 2 bereits begegnet sind, nochmals in der schematischen Darstellung betrachten: Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Er könnte sich von ihr niemals auf natürliche Weise trennen. dass er sich von ihr niemals auf natürliche Weise trennen könnte. Hier passiert Folgendes: ► � Eine Einheit - hier ist es die sog Subjunktion dass - besetzt die strukturelle Schaltstelle des Satzes, das linke Verbfeld, und blockiert gleichzeitig das Vorfeld ► � Das Vorfeld kann somit nicht besetzt werden 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 94 19 09 2019 16: 27: 26 Einheit 5 95 S ubjunk tIonen unD V erble t z t S ät ze - a D V erbIen unD V erbz w e It S ät ze da als Adverb und als Subjunktion Funktion der Verbletztstellung ► � Dabei wird das finite Verb ans Ende des rechten Verbfeldes verschoben (s - Pfeil), was dieser Konstruktion auch ihre Bezeichnung Verbletztsatz verleiht (zur Terminologie s . Ende dieses Abschnitts) Die Verbletztstellung ist keine formale Spielerei der Sprache, sondern in einer sehr effektiven Weise ein funktionales Mittel, um die Abhängigkeit des Verbletztsatzes von einer übergeordneten Einheit anzuzeigen Zur Verdeutlichung wollen wir eine Einheit betrachten, die sowohl als Adverb im Vorfeld als auch als Subjunktion in der eben beschriebenen Weise erscheinen kann Ein Wortgefecht, sie macht eine Bemerkung, die sie jetzt schon wieder vergessen hat, da 15 springt ihr der Dieter an den Hals, und sie kann sich noch nicht mal mehr die Haare richten Eine kleine Veränderung in diesem Textausschnitt sorgt für einen völlig anderen Sinn: Ein Wortgefecht, sie macht eine Bemerkung, die sie jetzt schon wieder vergessen hat, da ihr der Dieter an den Hals springt, und sie kann sich noch nicht mal mehr die Haare richten Während im originalen Textausschnitt die als Adverb verwendete Einheit da 15 für eine Zäsur sorgt und Dieters Übergriff als plötzliches Geschehen kennzeichnet, verstehen wir den abhängigen da-Satz kausal (da als Subjunktion): Dieters Sprung an den Hals ist der Grund dafür, die erwähnte Bemerkung wieder vergessen zu haben Die Verbletztstellung ist eine syntaktische Markierung; sie hat Signalfunktion für den Hörer, diesen Satz auf eine andere Einheit wie z B einen Bezugssatz zu beziehen Seine enge Zugehörigkeit zum Bezugssatz wird üblicherweise durch Kommasetzung angezeigt . Diese Zugehörigkeit zeigt sich auch inhaltlich: Die Subjunktion bevor erscheint im folgenden Beispiel (1a) zwar nach dem Komma, ist inhaltlich aber auf den Satz vor dem Komma bezogen Somit kann die Subjunktion bevor verblüffenderweise durch das Adverb danach ersetzt werden, wodurch in (1b) zwei selbständige Sätze entstehen: (1a) Dieter brachte Sabine um, bevor er zum Flughafen fuhr (1b) Dieter brachte Sabine um Danach fuhr er zum Flughafen Umgekehrt könnte die Subjunktion nachdem durch das Adverb davor ersetzt werden: (2a) Dieter fuhr zum Flughafen, nachdem er Sabine umgebracht hatte (2b) Dieter fuhr zum Flughafen Davor hatte er Sabine umgebracht 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 95 19 09 2019 16: 27: 26 96 F ormen und F unk tionen von sat z v erbindenden und v erw e isenden e inhe it en seitdem als Subjunktion Tab. 5.4 seitdem als Adverb Tab. 5.5 Die beieinanderstehenden Sätze der vorigen Beispiele sind jeweils bedeutungsgleich Dabei sind die abhängigen Sätze in (1a) und (2a) jeweils Satzglieder des übergeordneten Bezugssatzes und können auch im Vorfeld dieser Verbzweitsätze erscheinen: (1a’) Bevor er zum Flughafen fuhr, brachte Dieter Sabine um (2a’) Nachdem er Sabine umgebracht hatte, fuhr Dieter zum Flughafen Auch die Sätze (1a) und (1a’) bzw (2a) und (2a’) sind bedeutungsgleich Die Sätze in (1b) und (2b) sind hingegen jeweils zwei selbständige Verbzweitsätze Als jeweils „zwei selbständige Gedanken“ sind sie auf ihre Abfolge festgelegt und können nicht umgestellt werden: (1b’) ? Danach fuhr er zum Flughafen Dieter brachte Sabine um (2b’) ? Davor hatte er Sabine umgebracht Dieter fuhr zum Flughafen Dass wir eine als Subjunktion verwendete Einheit eines abhängigen Satzes auf den übergeordneten Satz beziehen, soll hier nochmals mit der Feldgliederung veranschaulicht werden In dem zuerst angeführten Textausschnitt wird seitdem als Subjunktion verwendet: Seitdem 44 er sich den Schnurrbart abrasiert hatte, war ihm immer sofort anzumerken, wenn ihn etwas besonders aufregte Hier erscheint der abhängige Satz im Vorfeld des Bezugssatzes Er ist ein Satzglied dieses Bezugssatzes: Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld Seitdem er sich den Schnurrbart abrasiert hatte, Seitdem er sich den Schnurrbart abrasiert hatte, war ihm immer sofort anzumerken, wenn ihn etwas besonders aufregte. Die als Subjunktion verwendete Einheit gehört inhaltlich nicht zum abhängigen Satz, in dem sie erscheint, sondern zum übergeordneten Bezugssatz Wenn wir nämlich diese Gedankenfolge durch zwei selbständige Sätze ausdrücken, erscheint seitdem als Adverb im zweiten Satz: Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld Er hatte sich den Schnurrbart abrasiert. Seitdem war ihm immer sofort anzumerken, wenn … 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 96 19 09 2019 16: 27: 26 Einheit 5 97 S ubjunk tIonen unD V erble t z t S ät ze - a D V erbIen unD V erbz w e It S ät ze Tab. 5.6 Nur ein Teil der Einheiten, die als Subjunktion verwendet werden können, sind auch als Adverb verwendbar und umgekehrt . Wenn in einem Wörterbuch Beispiele wie die folgenden lexikalisch als Adverbien oder Subjunktionen angeführt sind, heißt das nichts anderes, als dass sie sich syntaktisch als Adverbien bzw als Subjunktionen verwenden lassen: Adverb - Einheit, die im Vorfeld stehen kann: Subjunktion - Einheit im linken Verbfeld/ Vorfeld mit Verbletztstellung: danach nachdem davor/ zuvor bevor damals als deshalb weil/ da trotzdem obwohl In Abschnitt 11 5 werden wir sehen, dass sich neben den Subjunktionen auch die sogenannten Relativa mit abhängigen Verbletztsätzen verbinden und Bezüge in Texten herstellen können Die Auseinandersetzung mit den satz- und textverbindenden Einheiten zeigt ein weiteres Mal, wie Form und Funktion in der Sprache zusammenwirken Die ausschließliche Betrachtung der Form im Grammatikunterricht erschiene ohne die funktionalen Bezüge als wenig durchschaubare Spielerei Aber auch eine Beschränkung auf die funktionalen Anteile wäre unbefriedigend, weil die Gründe für die unterschiedlichen Verstehensmöglichkeiten im Dunkeln blieben Hat man die Funktion der Verbletztstellung erfasst, kann eine Zusammenstellung der als Subjunktionen verwendbaren Einheiten zur Sprachbewusstheit beitragen Als Subjunktionen lassen sich beispielsweise die folgenden Einheiten gebrauchen: ► als, bevor, bis, da, damit, dass, ehe, falls, indem, nachdem, ob, obwohl, seit, seitdem, sobald, sodass, sofern, soweit, während, weil, wenn, wie … ► zweiteilige Subjunktionen: als ob, anstatt dass, so wie, als dass, als wenn, auf dass … ► mit zu + Infinitiv im rechten Verbfeld: anstatt, ohne, um … Sog Infinitivsätze sind abhängige Sätze, bei denen im rechten Verbfeld ein Infinitiv mit zu erscheint Mit den Verbletztsätzen teilen sie die Eigenschaft, abhängige Sätze zu sein, jedoch fehlt ihnen das Subjekt und damit auch eine finite Verbform - in manchen Grammatiken gelten sie deshalb nicht als Sätze Außer dem Subjekt finden sich aber alle für den Textzusammenhang notwendigen, vom Verb ausgehenden Ergänzungen und Angaben, weshalb wir hier trotzdem von Infinitivsätzen sprechen 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 97 19 09 2019 16: 27: 26 98 F ormen und F unk tionen von sat z v erbindenden und v erw e isenden e inhe it en Tab. 5.7 Verbletztsatz - Grundstellung des Satzbaus? Sie werden häufig durch die Einheiten um, ohne oder anstatt eingeleitet, die als Subjunktionen besonderer Art gelten Wir verwenden für sie die gleiche Darstellung wie für Verbletztsätze Das dunkle Feld symbolisiert damit die abhängige Satzform und kann bemerkenswerterweise auch leer bleiben, wenn der Infinitivsatz als Ergänzung des Bezugssatzes oder als Attribut dient: Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld Dieter gab im Hotel einen falschen Namen an, um … um nicht sofort von der Polizei entdeckt zu werden. Er befürchtete, … für den Mord an Sabine in die Hölle zu kommen. Aber noch unangenehmer war für ihn die Vorstellung, sich mit der Polizei anzulegen. Der letzte Satz zeigt, dass die Einheit zu in Infinitivsätzen als morphologischer Bestandteil des Verbs (und nicht etwa als Konjunktion oder Präposition) zu betrachten ist und deshalb immer zusammen mit dem Infinitiv im rechten Verbfeld erscheint . Die Einheit zu erscheint nicht in selbständigen Infinitivsätzen, wie sie in Rezepten und Bedienungsanleitungen vorkommen (Beispiele s - → Abschnitt 14 2 1) Noch eine vorläufig abschließende Bemerkung zum Verbletztsatz: Einiges spricht dafür, die Letztstellung des Finitums als die Grundstellung im deutschen Satzbau anzusehen Denn nur hier erscheint das Verb als eine Einheit - damit ist also zusammen, was zusammengehört Die generative Grammatik betrachtet das Deutsche in diesem Sinne als SOV-Sprache und setzt das Verb an den rechten Rand (SOV = Subjekt - Objekt - Verb) . Auch in der Sprachentwicklung von Kindern gibt es Anzeichen für diese Grundstellung: Wenn die Sprachentwicklung im Alter von etwa zwei Jahren geradezu explodiert, setzen Kinder weitgehend konsequent das Finitum ans Satzende Hierzu zwei Beispiele meiner Töchter in diesem Alter: Omi Paket schickt hat Papa besser Mützen aufsetzen kann Trotzdem wollen wir für unser Grammatikmodell den Verbzweitsatz als Normalfall und als die unmarkierte Form betrachten, was neben der weiteren Sprachentwicklung von Kindern auch der heute übliche Sprachgebrauch des Deutschen nahelegt . 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 98 19 09 2019 16: 27: 26 Einheit 5 99 k onjunk tIonen al S e Inhe It en jenSe It S D er f elD GlIe D erunG 5.5 und als Konjunktion Tab. 5.8 Tab. 5.9 Konjunktionen als Einheiten jenseits der Feldgliederung Wie die Subjunktionen und Adverbien können auch Konjunktionen Sätze verbinden Dabei stehen sie allerdings außerhalb der Feldgliederung, nämlich vor dem Vorfeld Verbindungen mit und sind typisch für den mündlichen Sprachgebrauch; sie finden sich auch in einem sehr frühen Text der Schriftkultur am Anfang der Bibel: Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld 1 Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. 2 Und die Erde war wüst und leer, 3 und es war finster auf der Tiefe; 4 und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. 5 Und Gott sprach: Es werde Licht! 6 Und es ward Licht. 7 Und Gott sah, dass das Licht gut war. 8 Da schied Gott das Licht von der Finsternis 9 und nannte das Licht Tag 10 und die Finsternis Nacht. 11 Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag. (Genesis 1, 1-5) In acht von elf Zeilen erscheint ein und vor dem Vorfeld . Die Sätze 2 bis 4 sind drei eigenständige Sätze: Sie haben jeweils eigene finite Verben und Subjekte Die Kommas dienen hier der Satzgliederung; nach der neuen Rechtschreibung könnten sie auch weggelassen werden . Ein und kann aber nicht nur ganze Sätze verbinden, sondern auch einen unvollständigen Satz an einen vollständigen anhängen, von dem der unvollständige das Subjekt übernimmt wie in Zeile 9 In einem solchen elliptischen Satz wird das Subjekt implizit ergänzt Zeile 10 leiht sich neben dem Subjekt aus Zeile 8 zusätzlich das finite Verb aus Zeile 9 Dass diese Einheiten nur gedanklich vorhanden sind, sollen die eckigen Klammern symbolisieren: 8 Da schied Gott das Licht von der Finsternis 9 und [Gott] nannte das Licht Tag 10 und [Gott] [nannte] die Finsternis Nacht. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 99 19 09 2019 16: 27: 26 100 F ormen und F unk tionen von sat z v erbindenden und v erw e isenden e inhe it en Tab. 5.10 Tab. 5.11 weitere Konjunktionen Man könnte die Zeilen 9 und 10 auch in einer Zeile zusammenfassen und das Mittelfeld als zwei mit und verbundene Wortgruppen deuten, die sich auf dasselbe Verb beziehen: 9' und [Gott] nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Eine entsprechende „Kurzdarstellung“ finden Sie oben in Zeile 2, die wiederum auch folgendermaßen aussehen könnte: 2 Und die Erde war wüst und [die Erde] [war] leer, … Die Konjunktion und sorgt für eine relativ reine Wortgruppen-, Satzbzw Textverbindung . Die folgenden Beispiele zeigen, dass Konjunktionen auch weitergehende semantische Aufgaben übernehmen können: Dieter war nie ein Typ von großer Präzision gewesen . (…) Aber 27 heute hatte er sich von einer vollkommen neuen Seite gezeigt „Becher hier, bitte kommen Sie sofort zu uns, also mir, beziehungsweise meine Frau ist schon auch noch da, aber tot eben-…“ Allein essen machte zwar nicht so viel Spaß, aber wenn ein Koch sein Handwerk so gut verstand wie dieser hier, dann war man beinahe versucht, mit den Speisen zu sprechen, so ernst nahm man sie plötzlich Das letzte Beispiel zeigt, dass Konjunktionen nicht nur Verbzweitsätze parataktisch aneinanderreihen, sondern auch zu einer hypotaktischen Konstruktion hinzutreten, sich also mit Verbletztsätzen verbinden können Dabei können Konjunktion und Subjunktion aufeinander folgen (aber wenn; und dass- …) Auch vor einem Verberstsatz kann eine Konjunktion erscheinen: Und bleib nicht so lange weg! Aber bist du auch wirklich da? Als satzverbindende Einheit kann eine Konjunktion also prinzipiell vor dem Vorfeld erscheinen - manche Grammatiken sprechen hierbei vom „Vorvorfeld“ Als Konjunktionen können beispielsweise die folgenden Einheiten gebraucht werden: und, oder, aber, denn, doch, sondern, beziehungsweise … Es gibt auch paarweise auftretende Konjunktionen und Wortverbindungen: entweder … oder; nicht nur … sondern auch … das heißt; es sei denn … 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 100 19 09 2019 16: 27: 26 Einheit 5 101 p artIk eln 5.6 zur Terminologie nichtflektierbarer Wörter Verwendungsweisen von eben komplexe Bedeutung der Partikeln Abtönungspartikeln Partikeln In älteren Grammatiken wurden alle Einheiten außer den Adjektiven aus den vorigen Abschnitten mitunter als Partikeln zusammengefasst Diese Bezeichnung („kleine Teilchen/ Wörtchen“) war insbesondere durch ihre Nichtflektierbarkeit motiviert; insofern wurden auch noch die Präpositionen hinzugerechnet Neuere Ansätze reservieren den Terminus Partikel ausschließlich für Einheiten, die weder als Adverb noch als Präposition, Subjunktion oder Konjunktion und auch nicht als Interjektion (wie ach, oh, au weia) verwendet werden und gleichzeitig nichtflektierbar sind Die meisten Partikeln sind sprachgeschichtlich aus Einheiten hervorgegangen, die als Adverbien verwendbar sind; eine Partikel kann jedoch nicht wie ein Adverb als Satzglied oder Attribut erscheinen Partikeln lassen sich ebensowenig wie die Adverbien auf eine bestimmte Funktion im Sprachhandeln festlegen . Deshalb werden sie in Unterkategorien eingeteilt, um die es im Folgenden gehen soll Wir betrachten dazu das Ende des Textausschnitts aus Abschnitt 5 1: In seinem Zimmer sitzend war er ganz zufrieden, wie rund das alles bisher lief . Bis auf das störende Gefühl, dass er Sabine ein wenig vermisste . In zwölf Jahren gewöhnte man sich eben 65 sehr aneinander Aber das hatte er ja 67 nun gründlich vermasselt Die beiden unterstrichenen Einheiten unterscheiden sich von der Bedeutung, die man ihnen zuschreiben würde, wenn man ihnen losgelöst von einem Satz begegnet: Das Wort eben kann als Adjektiv einen Unterschied zu rau oder steil oder hügelig beschreiben; im folgenden Satz wird es mit zeitlicher Bedeutung als Adverb verwendet: Eben saß er noch in der Straßenbahn In unserem Textausschnitt aber verbindet eben 65 in komplexer Weise das, was Dieter hier denkt, mit dem, was die Autorin dem potentiellen Leser an Wissen über langjährige Beziehungen unterstellt Das Wörtchen eben bezieht sich darüber hinaus auf den Inhalt des vorangehenden Satzes, indem es das störende Gefühl rechtfertigt, das wiederum im Widerspruch zu seiner davor behaupteten Zufriedenheit steht Nicht ganz so komplex wie die Bedeutung der Einheit eben 65 ist die der Einheit ja 67 , die zwischen dem Wissen von Sprecher und Hörer vermittelt: „Ich als Sprecher weiß etwas, das du als Hörer zwar ebenfalls weißt, aber ich sage es trotzdem“ Die häufigere Verwendung von Wörtern wie ja, nein, doch oder kaum findet sich jedoch in den Antworten zu Fragehandlungen - wir werden sie weiter unten den Antwortpartikeln zurechnen Wenn Wörter wie eben 65 oder ja 67 das Vor- oder Weltwissen von Sprecher und Hörer und die Situation einbeziehen, ist dies ein erster Indikator für 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 101 19 09 2019 16: 27: 26 102 F ormen und F unk tionen von sat z v erbindenden und v erw e isenden e inhe it en Fokuspartikeln ihren Gebrauch als Abtönungspartikel Sie können üblicherweise nicht betont werden und auch nicht im Vorfeld erscheinen, damit also kein Satzglied sein Der Gebrauch von Abtönungspartikeln ist typisch für konzeptionell mündliche Texte Als Abtönungspartikeln werden in Grammatiken üblicherweise die folgenden Einheiten angeführt: aber, auch, bloß, denn, doch, eben, eigentlich, einfach, etwa, erst, halt, ja, jetzt, mal, nur, ruhig, schon, vielleicht, wohl Wie bereits erwähnt können diese „Wörtchen“ auch in anderer Verwendung erscheinen - z . B . als Konjunktion (aber, denn), als Adverb (jetzt, vielleicht) oder als Adjektiv (eigentlich, ruhig) . Deshalb soll im Folgenden ihre Verwendung als Abtönungspartikel an weiteren Beispielen aus dem Roman illustriert werden: Es war doch ziemlich unbedacht von ihm gewesen, Sabine direkt im Flur umzubringen Himmel? ! Wie kam er denn jetzt auf Himmel? ! Er hätte ja wohl kaum den Aufwand eines Mordes betrieben, wenn Sabine eine Kandidatin für den Himmel gewesen wäre! Aber jetzt mal ernsthaft: Wie lief das denn eigentlich nach so einem Mord? „Herr Becher, wie lautet denn Ihre Adresse? “ „Ich weiß gar nicht, wie man das jetzt ausdrückt, bisher also gemeinsame Wohnung, der sich meine Frau aber jetzt durch Tod entzogen hat (…) Wissen Sie, ich weiß gar nicht, ich hab so was halt noch nie erlebt Es ist auch meine erste Ehe (…)“ Wer jemanden tot in der Wohnung liegen hatte, äußerte sich doch in der Regel eher ungeordnet Es klingelte Das war aber flott gegangen Eine weitere Unterkategorie bilden die Fokuspartikeln Sie erscheinen zusammen mit einem Bezugselement, das den inhaltlichen Fokus eines Satzes bildet und auf dem üblicherweise die Betonung liegt Die Fokuspartikel selbst erscheint unbetont . Als Fokuspartikeln können beispielsweise die folgenden Einheiten verwendet werden: allein, auch, ausgerechnet, bereits, besonders, bloß, einzig, eben, ebenfalls, erst, etwa, gar, genau, gerade, gleich, insbesondere, lediglich, nicht einmal, noch, nur, selbst, schon, sogar, wenigstens, zumal … Auch ihre Funktion lässt sich am besten durch Beispiele verdeutlichen: Obwohl er sogar 19 noch unbequemerweise seine Handschuhe trug, weil er gerade 21 erst hereingekommen war 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 102 19 09 2019 16: 27: 26 Einheit 5 103 p artIk eln Intensitätspartikeln Antwortpartikeln Eben noch 24 in der Straßenbahn und nur 25 einen Wimpernschlag später die eigene Frau umgelegt Du musst einen Mord auch wenige Stunden später noch vertretbar finden Vielleicht machte ihm deswegen auch der Mord an Sabine jetzt so zu schaffen Wahrscheinlich waren die Würgemale am Hals schon nicht besonders kleidsam, aber dann noch ein blauer Hintern - das machte sie alles nicht hübscher Sabine wurde es im Flur zunehmend langweilig, und auch über Freundschaften dachte man in solch einer Situation schon mal intensiver nach (…) Bei Anne zum Beispiel hatte sie sich selbst auch lange schon nicht mehr gemeldet . Aber aus dieser Haltung hier kam sie jetzt auch unmöglich noch einmal hoch Diese Äußerung wäre noch nicht einmal verräterisch im Hinblick auf seine Täterschaft Ebenfalls mit einem Bezugselement erscheinen Intensitätspartikeln, die auch als Gradpartikeln bezeichnet werden, die im Unterschied zu den Fokuspartikeln mitunter betont werden und die meist mit einem Adjektiv oder Adverb oder einer davon abgeleiteten Einheit eine Wortgruppe bilden . Sie können deren Inhalt verstärken oder abschwächen In dieser Funktion können beispielsweise die folgenden Einheiten verwendet werden, zu denen anschließend wieder Beispiele erscheinen: beinahe, besonders, einigermaßen, fast, ganz, höchst, nahezu, recht, sehr, überaus, vollkommen, ziemlich, zutiefst … Aber heute hatte er sich von einer vollkommen neuen Seite gezeigt Er hatte nach der Tat sehr aufgewühlt die gemeinsame Wohnung verlassen und war auf direktem Weg zum Flughafen gefahren . Dort hatte er Last-Minute einen sehr günstigen Flug Düsseldorf-Münster/ Osnabrück ergattert und war erst zur Ruhe gekommen, als die Maschine endlich abhob . In seinem Zimmer sitzend war er ganz zufrieden, wie rund das alles bisher lief Er stellte fest: Täter sein ist etwas für die ganz Harten . Sie hatte auch mal irgendwo gelesen, dass bei Toten das Haar sehr schnell an Glanz verliert Es war doch ziemlich unbedacht von ihm gewesen, Sabine direkt im Flur umzubringen Dieter war froh, dass das Gespräch recht zügig beendet war, und fand, dass er seine Sache einigermaßen gut gemacht hatte Antwortpartikeln wie ja, nein oder doch werden auch als Satzäquivalente bezeichnet, wenn sie als Antwortpartikel erscheinen und so einen ganzen Satz ersetzen können Dies können zwar auch Adverbien wie vielleicht oder wahrscheinlich, die den Geltungsbereich einer Behauptung modifizieren können Als Adverbien können sie im Unterschied zu den Antwortpartikeln aber Satzgliedstatus haben: 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 103 19 09 2019 16: 27: 26 104 F ormen und F unk tionen von sat z v erbindenden und v erw e isenden e inhe it en ja als Antwortpartikel vielleicht als Adverb Negationspartikel nicht 5.7 Tab. 5.12 Adverbien Tab. 5.13 Tab. 5.14 Hat Dieter Beweismittel am Tatort zurückgelassen? - Ja (*Ja hat Dieter Beweismittel am Tatort zurückgelassen .) - Vielleicht . (Vielleicht hat Dieter Beweismittel am Tatort zurückgelassen .) Eine ausgesprochen wirkungsvolle Partikel ist die Negationspartikel nicht Sie erscheint üblicherweise im Mittelfeld, kann sich auf den ganzen Satz beziehen und dabei den in einem Satz ausgedrückten Sachverhalt umkehren An der Rezeption seines Hotels hatte man ihm diesen Spanier empfohlen, und die Tapas hatten ihn alle nicht enttäuscht Und nun würde er gar nicht zu Hause anrufen heute Abend Als er in Düsseldorf den Schlüssel ins Schloss seiner Wohnungstür steckte, hätte er nicht sagen können, wie er dorthin gekommen war Mit dem Bezug auf eine bestimmte Einheit wird diese als negiert hervorgehoben: Dieter flog am Montag nach Stuttgart Nicht Dieter flog am Montag nach Stuttgart (, sondern Kevin) Dieter flog nicht am Montag nach Stuttgart (, sondern am Mittwoch) Dieter flog am Montag nicht nach Stuttgart (, sondern nach Osnabrück) Überblick zu Adverbien, Subjunktionen, Konjunktionen und Partikeln Die in den vorigen Abschnitten betrachteten Einheiten lassen sich nur syntaktisch unterscheiden - die jeweils fokussierte Einheit erscheint in diesem Abschnitt unterstrichen . Als Ausgangspunkt dienen uns zwei selbständige Sätze: Sabine war von Dieters Aktion nicht begeistert. Sie wollte nicht so früh sterben. Adverbien können zwar u a . Sätze verknüpfen, sind aber nicht auf diese Funktion festgelegt . Als eigenständige Satzglieder können sie unterschiedlichste Inhalte transportieren und nicht nur im Vorfeld, sondern auch im Mittel- oder Nachfeld erscheinen: Sabine war von Dieters Aktion nicht begeistert. Eigentlich wollte sie nicht so früh sterben. Sabine war von Dieters Aktion nicht begeistert. Sie wollte eigentlich nicht so früh sterben. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 104 19 09 2019 16: 27: 26 Einheit 5 105 ü berblIck zu a D V erbIen , S ubjunk tIonen , k onjunk tIonen unD p artIk eln Subjunktionen Tab. 5.15 Konjunktionen Tab. 5.16 Abtönungspartikeln Tab. 5.17 Fokuspartikeln Tab. 5.18 Intensitätspartikeln Tab. 5.19 Subjunktionen dienen in erster Linie dazu, Sätze zu verbinden Sie besetzen das linke Verbfeld und blockieren gleichzeitig das Vorfeld; das finite Verb erscheint am rechten Rand des rechten Verbfeldes: Sabine war von Dieters Aktion nicht begeistert. weil sie eigentlich nicht so früh sterben wollte. Konjunktionen können Einheiten aller Art miteinander verbinden Wenn sie Sätze verbinden, erscheinen sie außerhalb der Feldgliederung vor dem Vorfeld Sabine war von Dieters Aktion nicht begeistert, denn sie wollte eigentlich nicht so früh sterben. Abtönungspartikeln erscheinen im Mittelfeld, sind weder vorfeldfähig noch betonbar und modifizieren eine Äußerung, indem sie Erwartungen und das Wissen sowohl des Textproduzenten bzw Protagonisten als auch des Textrezipienten in komplexer Weise einbeziehen Sabine war von Dieters Aktion nicht begeistert. Sie wollte eben nicht so früh sterben. Fokuspartikeln stellen die Einheit, auf die sie sich beziehen, in den Fokus eines Satzes Die folgende Fokuspartikel lediglich fokussiert Sabine und impliziert, dass alle außer Sabine von Dieters Aktion begeistert waren: Lediglich Sabine war von Dieters Aktion nicht begeistert. Sie wollte nicht so früh sterben. Intensitätspartikeln beziehen sich ebenfalls auf eine andere Einheit und können die mit ihr bezeichnete Eigenschaft verstärken oder abschwächen: Sabine war von Dieters Aktion sehr überrascht. Sie wollte nicht so früh sterben. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 105 19 09 2019 16: 27: 26 106 F ormen und F unk tionen von sat z v erbindenden und v erw e isenden e inhe it en 5.8  Lösungshinweise unter www.bachelorwissen.de und www.granzowemden.de Beispiel (aus: http: / / de wikipedia org/ wiki/ Mondnacht) Beispiel (aus: Hesse, Hermann (1907): Die schönsten Erzählungen, Frankfurt a M : Suhrkamp, S 7) Übungen 1 Erklären Sie am folgenden Beispiel, was unter Deixis bzw. deiktischen Mitteln zu verstehen ist: - „Dann machen wir es so: Eine Woche kein Fernsehen. Ab jetzt. - „Jetzt im Sinne von jetzt jetzt oder im Sinne von gleich jetzt? “ (aus: Pastewka, Staffel 4, Folge 3: Das Experiment ) 2 Erläutern Sie den Bedeutungsunterschied der folgenden Sätze. Wodurch kommt er zustande? 1. Ich weiß gar nicht, wann ich mich das letzte Mal über ein Geschenk von dir gefreut habe. 2. Ich weiß gar nicht, wann ich mich das letzte Mal so über ein Geschenk von dir gefreut habe. 3 Erläutern Sie den Verweis der Einheit so in der zweiten Strophe von Eichendorffs Gedicht. Mondnacht Es war, als hätt’ der Himmel Die Erde still geküsst, Dass sie im Blütenschimmer Von ihm nun träumen müsst’. Die Luft ging durch die Felder, Die Ähren wogten sacht, Es rauschten leis’ die Wälder, So sternklar war die Nacht. Und meine Seele spannte Weit ihre Flügel aus, Flog durch die stillen Lande, Als flöge sie nach Haus. 4 Leise rieselt der Schnee, still und starr ruht der See … Die unterstrichenen Einheiten werden in einigen Grammatiken als adverbial gebrauchte Adjektive bezeichnet, in anderen als Adverb. Wie können diese Termini jeweils begründet werden? 5 Der Wolf Noch nie war in den französischen Bergen ein so unheimlich kalter und langer Winter gewesen. Seit Wochen stand die Luft klar, spröde und kalt. Bei Tage lagen die großen, schiefen Schneefelder mattweiß und endlos unter dem grellblauen Himmel, nachts ging klar und klein der Mond über sie hinweg, ein grimmiger Frostmond von gelbem Glanz, dessen starkes Licht auf dem Schnee blau und dumpf wurde und wie der leibhaftige Frost aussah. Die Menschen mieden alle Wege und namentlich die Höhen, sie saßen träge und schimpfend in den Dorfhütten, deren rote Fenster nachts neben dem blauen Mondlicht rauchig trüb erschienen und bald erloschen. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 106 19 09 2019 16: 27: 26 Einheit 5 107 ü bunG en Unterstreichen Sie im Text die Einheiten, die in den folgenden Funktionen gebraucht werden: - als attributives Adjektiv - als Adjektivergänzung zum Kopulaverb - als Adverb 6 Der Tischlermeister zum Lehrling: „Du hättest es eben eben machen müssen, dann wäre ich eben nicht so böse geworden.“ a) In der wörtlichen Rede erscheint dreimal eben. Versuchen Sie, allen drei Wörtern unterschiedliche Bedeutungen zuzuordnen und die wörtliche Rede entsprechend zu paraphrasieren. b) Welcher Wortart die Einheit eben zuzuordnen ist, zeigt sich erst in ihrer Verwendung im Satz. Ordnen Sie den drei Verwendungsweisen Wortarten zu. 7 Die beiden folgenden Sätze sind inhaltlich identisch. Doch die Konstruktionen sind unterschiedlich. Beschreiben Sie diese. 1. Er aß einen Hamburger. Nach dem aß er noch zwei Cheeseburger. 2. Nachdem er einen Hamburger gegessen hatte, aß er noch zwei Cheeseburger. 8 1. Ich lache, weil ich glücklich bin. 2. Ich lache, denn ich bin glücklich. 3. Ich lache, dann bin ich glücklich. 4. Ich lache, wenn ich glücklich bin. 5. Ich lache, aber ich bin nicht glücklich. a) Welcher Wortart die Einheiten nach dem Komma jeweils zuzuordnen sind, zeigt sich erst durch ihre Verwendung im Satz. Tragen Sie die Sätze nach den Kommas in das Feldermodell ein. Achten Sie dabei auf die besondere Darstellung der Subjunktionen und Konjunktionen. b) Bestimmen Sie auf dieser Grundlage die als Subjunktionen, Konjunktionen und Adverbien verwendeten Einheiten. c) Finden Sie zu jeder in b) bestimmten Einheit eine weitere mit demselben syntaktischen Verhalten. 9 1. Franziska hat sich ein Los gekauft. Melanie sagt: „Du hast vielleicht Glück! “ 2. Franziska hat den Jackpot geknackt. Melanie sagt: „Du hast vielleicht Glück! “ a) In den beiden Szenen ist der von Melanie geäußerte Satz in seiner geschriebenen Form jeweils identisch. Verändern Sie ihn so, dass der jeweilige Inhalt auch im Geschriebenen erkennbar wird. b) Welchen Wortarten ist die Einheit vielleicht im 1. bzw. im 2. Satz zuzuordnen? 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 107 19 09 2019 16: 27: 26 108 f ormen unD f unk tIonen Von S at z V erbInD enD en unD V erw e ISenD en e Inhe It en 10 … Darauf ging Rotkäppchen zum Bett und zog die Vorhänge zurück; da lag die Großmutter, und hatte die Haube tief ins Gesicht gesetzt und sah so wunderlich aus. „Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren! “ „Damit ich dich besser hören kann.“ „Ei, Großmutter, was hast du für große Augen! “ „Damit ich dich besser sehen kann.“ … Vergleichen Sie Form und Funktion des letzten Satzes aus dem Märchen mit dem nebenstehenden Satz in der Sprechblase. Abb. 5.1 Verwendete und weiterführende Literatur 5.9 Bühler, Karl (1999): Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Ungekürzter Neudr. d. Ausg. Jena, Fischer, 1934. 3. Auflage. Stuttgart: Lucius und Lucius. Diewald, Gabriele (1991): Deixis und Textsorten im Deutschen. Tübingen: Niemeyer. Ehlich, Konrad (1982): Deiktische und phorische Prozeduren beim literarischen Erzählen. In: Lämmert, Eberhard (Hrsg.): Erzählforschung. Stuttgart: Metzler, 112-129. Ehlich, Konrad (1987): so - Überlegungen zum Verhältnis sprachlicher Formen und sprachlichen Handelns, allgemein und an einem widerspenstigen Beispiel. In: Rosengren, Inger (Hrsg.): Sprache und Pragmatik. Stockholm: Almqvist & Wiksell International, 279-298. Eisenberg, Peter (2006): Grundriss der deutschen Grammatik. Band 2: Der Satz. 3.,-durchgesehene Auflage. Stuttgart; Weimar: Metzler. Gornik, Hildegard (2011): Überlegungen zur didaktischen Modellierung der Partikeln. In: Noack, Christina; Ossner, Jakob (Hrsg.): Grammatikunterricht und Grammatikterminologie. OBST 79, 93-111. Helbig, Gerhard; Buscha, Joachim (2001): Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Berlin; München; Wien; Zürich; New York: Langenscheidt. http: / / hypermedia.ids-mannheim.de/ index.html (Grammis: Das grammatische Informationssystem des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim (IDS) - Zugriff am 20. 12. 2012). 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 108 19 09 2019 16: 27: 27 109 Überblick Inhalt 6 1 Warum die schulische Satzlehre problematisch ist 110 6 2 Die drei Satzformen im Deutschen - auch als Grundlage verständiger Kommasetzung 117 6 3 Satzfunktionen 124 6 4 Fragen über Fragen 125 6 5 Satzzeichen 127 6 6 Übungen 128 6 7 Verwendete und weiterführende Literatur 129 In Einheit 4 haben wir den Verbzweitsatz als das Hauptmuster im Satz kennengelernt, der mit dem Verbletzt- und Verberstsatz zwei markierte Muster besitzt. Diese Satzformen sind formal eindeutig bestimmbar und haben wichtige funktionale Komponenten. Mit ihnen werden zwei problematische Modellierungen der Schulgrammatik entbehrlich: Zum einen die Unterscheidung von Haupt- und Nebensätzen, zum andern die widersprüchliche Satzartenlehre, die Aussage-, Frage- und Aufforderungssätze unterscheidet. Fragen und Aufforderungen sind trotzdem hervorhebenswert unter den unzähligen anderen Sprachhandlungen und ein wichtiger Gegenstand des Sprachunterrichts, aber sie brauchen eine angemessene pragmatische Modellierung. Die bestehende Satzartenlehre der Schulgrammatik hingegen vermischt formbezogene Aspekte des Satzbaus, funktionale Aspekte von Sprachhandlungen und graphematische Aspekte der Zeichensetzung und sorgt für viel Konfusion in der Schule. Die Trennung all dieser Aspekte macht eine widerspruchsfreie Modellierung der Satzformen möglich und schafft Raum für die vielfältigen Sprachhandlungen, die es neben Aussagen, Fragen und Aufforderungen gibt. Auch die Satzzeichen können so angemessener behandelt werden. Eine neue Satzlehre für die Schule Einheit 6 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 109 19 09 2019 16: 27: 27 110 E inE nE u E S at zl E hrE für di E S chul E Warum die schulische Satzlehre problematisch ist Im Grammatikunterricht werden Sätze unter anderem eingeteilt in Aussage-, Aufforderungs- und Fragesatz sowie in Haupt- und Nebensatz . Auf den ersten Blick scheinen diese Theorien Form und Funktion in sich zu vereinen und einen sowohl intuitiven als auch reflektierten Zugang zur Sprache zuzulassen Auf den zweiten setzen alle diese Einteilungen die Kenntnis und Anwendung von Merkmalsbündeln voraus, die sowohl in sich als auch im Vergleich der schulgrammatischen und sprachwissenschaftlichen Theorien zu unlösbaren Widersprüchen führen Aussage-, Frage- und Aufforderungssatz Im folgenden Schulbuchbeispiel wird man unmittelbar nach der Erklärung, was es alles gebe, vor den Kopf gestoßen Die eindeutigen Aufforderungen in Aufgabe 6, man solle die Sätze abschreiben bzw Satzzeichen setzen, enden nicht wie behauptet mit einem Ausrufezeichen, sondern mit einem Punkt Was geschieht hier? Wir bekommen eine Aufzählung der Satzarten, die es geben soll Die Termini mit ihren Bestandteilen Aussage, Aufforderung und Frage sind zunächst auf Sprachfunktionen bezogen Diese werden mit Satzzeichen in Beziehung gesetzt, wobei nicht klar ist, ob deren Auswahl form- oder funktionsorientiert zu erfolgen hat, weil der zweite Bestandteil der Termini („-satz“) auf Syntaktisches hinweist Explizit syntaktische Beschreibungen für die drei Satzarten finden sich in der Tat in einigen Schulbüchern, die dabei vom finiten Verb ausgehen: Im Aussagesatz stehe es an zweiter, im Aufforderungs- und in sog Ja-Neinbzw Entscheidungsfragen an erster und in W-Fragen wieder an zweiter Stelle Die Zuordnungen, die die Schulgrammatik beschreibt, sehen also schematisch so aus: 6.1 6.1.1 Abb. 6.1 Doppel-Klick Das Sprach- und Lesebuch 5 2 -Auflage Cornelsen 2007, S 213 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 110 19 09 2019 16: 27: 27 Einheit 6 111 w arum D Ie SchulISche S at zlehre proble m atISch ISt Tab. 6.1 Aufforderungen: Satzzeichen und syntaktische Realisierungsmöglichkeiten Tab. 6.2 Tab. 6.3 Sprachhandlung Satzzeichen Satzform Aussagesatz Aussage/ Mitteilung . [Punkt] Verbzweitsatz Aufforderungssatz Aufforderung ! [Ausrufezeichen] Verberstsatz Fragesatz Entscheidungsfrage ? [Fragezeichen] Verberstsatz W-Frage Verbzweitsatz Mit dieser linearen Zuordnung entsteht im Grammatikunterricht aber ein großes Durcheinander, weil sie nur für einen kleinen Teil der möglichen Sätze im Deutschen gilt . Dies wollen wir im Folgenden exemplarisch an der Sprachhandlung „Aufforderung“ betrachten und anhand der eben eingeführten Zuordnung jeweils graphisch verdeutlichen . Dabei wird sich zeigen, dass es so gut wie alle Kombinationen zwischen der Sprachhandlung Aufforderung, den drei Satzzeichen und den beiden Verbpositionen gibt Wir beginnen mit dem obigen Beispielsatz aus dem Schulbuch, der als einziger der linearen Zuordnung entspricht: Gib mir den roten Hut! Sprachhandlung Satzzeichen Satzform Aussagesatz Aussage/ Mitteilung . [Punkt] Verbzweitsatz Aufforderungssatz Aufforderung ! [Ausrufezeichen] Verberstsatz Fragesatz Entscheidungsfrage ? [Fragezeichen] Verberstsatz W-Frage Verbzweitsatz Auffordern lässt sich z B . auch mit dem Verb an zweiter Stelle: Sie müssen hier noch unterschreiben! Sprachhandlung Satzzeichen Satzform Aussagesatz Aussage/ Mitteilung . [Punkt] Verbzweitsatz Aufforderungssatz Aufforderung ! [Ausrufezeichen] Verberstsatz Fragesatz Entscheidungsfrage ? [Fragezeichen] Verberstsatz W-Frage Verbzweitsatz Die folgenden Sätze sind funktional betrachtet Aufforderungen . Äußerlich erscheinen sie als Fragen, die üblicherweise mit Ja oder Nein beantwortet werden Dies reicht hier aber nicht aus - vielmehr wird eine Handlung erwartet Solche Sätze können mit Ausrufe- oder Fragezeichen erscheinen Gibst du mir den Zucker? / Gibst du mir den Zucker! Kommst du endlich? / Kommst du endlich! 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 111 19 09 2019 16: 27: 27 112 E inE nE u E S at zl E hrE für di E S chul E Tab. 6.4 Tab. 6.5 Tab. 6.6 Tab. 6.7 Sprachhandlung Satzzeichen Satzform Aussagesatz Aussage/ Mitteilung . [Punkt] Verbzweitsatz Aufforderungssatz Aufforderung ! [Ausrufezeichen] Verberstsatz Fragesatz Entscheidungsfrage ? [Fragezeichen] Verberstsatz W-Frage Verbzweitsatz Auch im folgenden Satz ist die Frage - hier als W-Frage formuliert - mit einer Aufforderung verbunden Wer hier mit „Ich“ antwortet, hat den Aufforderungscharakter der Frage nicht verstanden: Wer kann mir sagen, wie spät es ist? Sprachhandlung Satzzeichen Satzform Aussagesatz Aussage/ Mitteilung . [Punkt] Verbzweitsatz Aufforderungssatz Aufforderung ! [Ausrufezeichen] Verberstsatz Fragesatz Entscheidungsfrage ? [Fragezeichen] Verberstsatz W-Frage Verbzweitsatz Ebenso wird im folgenden Beispiel üblicherweise keine Antwort erwartet: Du bist immer noch nicht fertig? Sprachhandlung Satzzeichen Satzform Aussagesatz Aussage/ Mitteilung . [Punkt] Verbzweitsatz Aufforderungssatz Aufforderung ! [Ausrufezeichen] Verberstsatz Fragesatz Entscheidungsfrage ? [Fragezeichen] Verberstsatz W-Frage Verbzweitsatz Aufgabenstellungen in Schulbüchern verzichten prinzipiell auf Ausrufezeichen, obwohl es sich dabei meistens um Aufforderungen handelt: - Wähle eines der Themen aus und sammle dazu relevante Aspekte . - Bestimme zu dem ausgewählten Thema deinen Standpunkt und formuliere drei Argumente - Finde zu deinen Argumenten jeweils ein Gegenargument (aus: Tandem Deutsch 5, Kl 9/ 10, Schöningh 2007, S 210) Sprachhandlung Satzzeichen Satzform Aussagesatz Aussage/ Mitteilung . [Punkt] Verbzweitsatz Aufforderungssatz Aufforderung ! [Ausrufezeichen] Verberstsatz Fragesatz Entscheidungsfrage ? [Fragezeichen] Verberstsatz W-Frage Verbzweitsatz 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 112 19 09 2019 16: 27: 27 Einheit 6 113 w arum D Ie SchulISche S at zlehre proble m atISch ISt Tab. 6.8 Fragen: syntaktische Realisierungsmöglichkeiten Bei Aufforderungen, die etwas thematisieren, das der Gesprächspartner als selbstverständlich interpretieren und nicht in Frage stellen soll, wird bisweilen auf ein Ausrufezeichen verzichtet: Heute könntest du mal den Müll runterbringen Sprachhandlung Satzzeichen Satzform Aussagesatz Aussage/ Mitteilung . [Punkt] Verbzweitsatz Aufforderungssatz Aufforderung ! [Ausrufezeichen] Verberstsatz Fragesatz Entscheidungsfrage ? [Fragezeichen] Verberstsatz W-Frage Verbzweitsatz Alle in Tab 6 3 bis Tab 6 .8 angeführten Beispiele für Aufforderungen tragen die Merkmale von zwei oder sogar allen drei Satzarten der traditionellen Satzartenlehre Wenn aber nicht geklärt werden kann, welches Merkmal denn nun ausschlaggebend sein soll - Sprachhandlung, Satzzeichen oder Position des Finitums - wird auch der Terminus „Aufforderungssatz“ unbrauchbar Ähnliches ließe sich für das Fragen aufzeigen Alles, was mit Frageintonation geäußert bzw in der Schrift mit einem Fragezeichen versehen wird, kann zur Frage werden Dir gefiel der Film? Insbesondere in Dialogen kann jede Äußerung als Zitat aufgegriffen, dem Gesprächspartner wie ein Spiegel vorgehalten und in Frage gestellt werden: A: Köln liegt am Rhein, Bremen liegt an der Elbe B: Bremen liegt an der Elbe? Gleichzeitig ist nicht jede als Frage formulierte Äußerung auch als Frage aufzufassen - selbst dann nicht, wenn sie mit einem Fragezeichen endet Dies gilt insbesondere für rhetorische Fragen, aber auch für Aufforderungen (weitere Bsp s o ): Sind wir nicht alle Menschen? (Wir sind doch alle fehlbar .) Kannst du das nicht begreifen? (Ich halte dich für etwas begriffsstutzig ) Möchtest du dir diese Chance entgehen lassen? (Lass dir diese Chance nicht entgehen! ) Ganz so zufällig, wie dies hier erscheinen mag, ist jedoch die Zuordnung zwischen Formen und Funktionen nicht, sonst könnte Sprache nicht funktionieren Fragen und Aufforderungen brauchen immer Markierungen, die beim Reden über Sachverhalte - also z B bei erzählenden und informierenden Sprachhandlungen - üblicherweise fehlen Eine prototypische Aufforderung hat mit dem Imperativ eine besondere Verbform als Markierung - dazu kommt die markierte Satzform „Verberstsatz“ Zu dieser doppelten Markie- 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 113 19 09 2019 16: 27: 28 114 E inE nE u E S at zl E hrE für di E S chul E Aussagen und der „Aussagesatz“ 6.1.2 rung tritt im Schriftlichen das Ausrufezeichen als eine weitere, diesmal graphische Form Die obigen Beispiele zeigen, dass Aufforderungen nicht immer in dieser prototypischen Weise stattfinden Wer mit der herkömmlichen Satzartenlehre versucht, Ordnung in das Sprachsystem zu bringen, erreicht genau das Gegenteil Diese Satzartenlehre vermischt formale und funktionale Anteile, sodass weder die syntaktischformalen noch die funktionalen Muster deutlich werden Mit den drei Sprachhandlungen Aussage, Frage und Aufforderung geraten im Grammatikunterricht alle anderen Sprachhandlungen, die es gibt, in den toten Winkel Und genau diese funktionalen Aspekte des Sprachlichen sind es, die im Sprachunterricht ins Bewusstsein treten müssten, indem konkrete Sätze oder Textausschnitte auf Begriffe gebracht werden - z B Frage, Aufforderung, Empfehlung, Vorwurf, Glückwunsch, Versprechen u v m Diese Begriffe lassen sich nicht an formalen Äußerlichkeiten, sondern immer nur in der verstehenden Annäherung an Texte erkennen Solche Deutungen müssen begründet und ausgehandelt werden Dabei kann es auch zu Überschneidungen in der Interpretation oder auch zu unterschiedlichen Verständnissen kommen - sie zu thematisieren und auszuhalten, ist eine Aufgabe des Deutschunterrichts ( → Abschnitt 6 3) Abschließend noch eine Anmerkung zum sog „Aussagesatz“: Mit diesem Terminus verbaut man zum einen das Verständnis für die Aussage, die eine von vielen möglichen Sprachhandlungen ist Eine Aussage hat einen Wahrheitswert Was mit ihr behauptet wird, kann wahr oder falsch sein . Insofern könnte es Sätze mit Modalverben oder Sätze im Konjunktiv nicht als „Aussagesätze“ geben, weil sich diese Formen einem überprüfbaren Wahrheitswert verweigern ( → Abschnitt 7 2 4 und 8 5) Und wenn „Aussage“ im Terminus Aussagesatz bedeuten soll, dass es ganz allgemein um etwas gehe, was man sagen könne, fehlte wiederum eine Abgrenzung zum Frage- oder Aufforderungssatz Ein Satz mit einem Punkt ist eben ein Satz mit einem Punkt - hier ist es besser, auf einen Terminus zu verzichten Haupt- und Nebensatz Die größte Verwirrung erreicht die Schulgrammatik, wenn es um Haupt- und Nebensatz geht Die Kriterien für diese Unterscheidung sind alles andere als klar Widersprüche entstehen zunächst einmal zwischen dem Grammatikduden und den Darstellungen in Schulbüchern Zur Illustration werden Sätze aus dem folgenden Textausschnitt verwendet: 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 114 19 09 2019 16: 27: 28 Einheit 6 115 w arum D Ie SchulISche S at zlehre proble m atISch ISt Beispiel (aus: Meckel, Christoph: Licht Erzählung, München: Nymphenburger Verlagshandlung GmbH 1978, S . 39f . [Ausschnitt leicht verändert]) Ganz unvermittelt hat sie gesagt, sie fährt heute Nachmittag nach Brüssel Ob ich enttäuscht sei? Ich habe sie zum nächsten Bahnhof gebracht Im Wartesaal stand eine Fotokabine, sie blieb davor stehen und wollte nicht weiter Wollen wir uns fotografieren lassen? Lass uns ein paar verrückte Bilder machen! Als ich klein war, ließ ich mich dauernd fotografieren Ich war besessen davon, mich auf Bildern zu sehen Der Hauptsatz ist nach Duden „ein Teilsatz, der keinem anderen Teilsatz untergeordnet ist“, während der Nebensatz „von einem anderen Teilsatz abhängt, diesem untergeordnet ist“ (s Grammatikduden Abschnitt 1635) Wenn von Teilsätzen die Rede ist, scheinen die Definitionen auf zusammengesetzte Sätze bezogen zu sein Der Duden spricht aber darüber hinaus bei allen „einfachen Sätzen“, die gemäß Abschnitt 1633 „auf einem einzigen Prädikat“ beruhen, von Hauptsätzen (Abschnitt 1637) Aus dem obigen Text wären das z B die folgenden Sätze: 1 Ob ich enttäuscht sei? 2 Ich habe sie zum nächsten Bahnhof gebracht . 3 Wollen wir uns fotografieren lassen? 4 Lass uns ein paar verrückte Bilder machen! Nach Duden können also alle drei Satzformen - Verbzweitsätze wie in 2 , Verbletztsätze wie in 1 . und Verberstsätze wie in 3 und 4 - als „Hauptsätze“ erscheinen Den einfachen Sätzen werden im Duden zusammengesetzte Sätze gegenübergestellt und in Abschnitt 1648, wo es um die Form von Nebensätzen geht, mit Beispielen versehen (die Nebensätze erscheinen hier wie im Duden jeweils in eckigen Klammern; der Fettdruck der finiten Verben wurde von mir ergänzt): 5 [Wenn wir morgen das Spiel gewinnen], sind wir Meister 6 [Siegen wir dieses Jahr nicht], müssen wir es nächstes Jahr überlegter angehen 7 Ich denke, [Agnes wird nachher auch noch kommen] . Die Beispiele zeigen, dass Nebensätze genauso wie die Hauptsätze in allen drei Satzformen erscheinen können: Verbletztsatz (5 .), Verberstsatz (6 ), Verbzweitsatz (7 ) Dies steht im Widerspruch zu den meisten schulgrammatischen Darstellungen, wo es eine Zuordnung Hauptsatz- = Verbzweitsatz bzw Nebensatz- = Verbletztsatz gibt . Dies findet sich z B in der zweiten Zeile der folgenden Tabelle: 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 115 19 09 2019 16: 27: 28 116 E inE nE u E S at zl E hrE für di E S chul E Abb. 6.2 deutsch punkt 3, Klett 2006, S 316 © Ernst Klett Verlag Gmbh Das für den Schulgebrauch prominenteste Kriterium findet sich aber in der ersten Zeile der Tabelle - es wird von fast allen Schulbüchern angeführt Dieses Kriterium ist an sich schon problematisch, weil nicht geklärt ist, was „alleine stehen“ überhaupt meint ► Die meisten Sätze einer natürlichen Sprache sind in einen Text, d .h in ihren Kontext bzw ihre Situation eingebunden Sie sind salopp ausgedrückt soziale Wesen, die nur selten wirklich alleine sind Das Kriterium, ob ein Satz „alleine stehen“ kann, sorgt für einen isolierenden Blick auf einzelne Sätze Eine der wichtigsten Grundfunktionen der Sprache - der situations- und kontextabhängige Verweis - wird mit diesem Kriterium zu einer unerwünschten Erscheinung Im obigen Beispieltext zeigt sich dies z B an den in fast allen Sätzen enthaltenen Personalpronomen wie sie/ wir/ ich/ uns ► In einem zusammengesetzten, mit und verbundenen Satz kann das Subjekt entfallen wie der letzte Teilsatz im folgenden Ausschnitt: Im Wartesaal stand eine Fotokabine, sie blieb davor stehen und wollte nicht weiter Ohne Subjekt kann ein solcher parataktischer Satz aber nicht mehr „alleine stehen“ . Auch der mittlere Teilsatz ist mit dem verweisenden davor auf den vorangehenden angewiesen und kann (zumindest semantisch) „nicht alleine stehen“ . Nach dem Schulbuchkriterium könnten diese drei Verbzweitsätze fälschlicherweise als Hauptsatz mit zwei Nebensätzen bestimmt werden ► Wer dieses Kriterium ernsthaft anwendet, kommt mitunter zu einer gegenteiligen Klassifikation wie der Duden: 7 Ich denke, Agnes wird nachher auch noch kommen 8 Ganz unvermittelt hat sie gesagt, sie fährt heute Nachmittag nach Brüssel . Abb. 6.2 deutsch.punkt 3, Klett 2006, S. 316 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 116 19 09 2019 16: 27: 28 Einheit 6 117 D Ie DreI S atzformen Im D eutSchen 6.2 Markierung durch Satzform Dem Teilsatz vor dem Komma fehlt jeweils ein in der Valenz des Verbs denken bzw sagen angelegtes Satzglied und er kann nicht alleine stehen, wäre also nach dem Schulbuchkriterium ein Nebensatz Der Teilsatz nach dem Komma kann alleine stehen und er wäre somit der Hauptsatz . Der Grammatikduden klassifiziert dies genau umgekehrt Auf den ersten Blick erscheint es bestimmt frustrierend, wenn Sie hier erfahren, dass etwas so Grundlegendes wie die Unterscheidung von Haupt- und Nebensatz bereits in der Theorie so widersprüchlich angelegt ist Vielleicht nutzen Sie aber auch die Chance, um sich und Ihrem Bemühen in Ihrer eigenen Schulzeit etwas wohlwollender und einfühlsamer zu begegnen: Es war nicht immer die eigene Unzulänglichkeit, wenn Sie etwas nicht verstanden haben Eine Chance für die Schulgrammatik besteht darin, sich vom Ballast all der Termini zu befreien, die im Bereich der Satzlehre Form und Funktion wild vermischen und die für niemanden verständlich sind - fünf dieser Termini haben sie in diesem und im vorigen Abschnitt kennengelernt . Ein solcher Verzicht auf einen unverständigen Gebrauch von Fachterminologie ist etwas völlig anderes als „das Kind mit dem Bade auszuschütten“ . Er befreit zu einem nüchternen und verstehenden Blick auf das, was ist . Das Ziel, das die Schulgrammatik mit ihrer Satzlehre verfolgt, ist nicht zuletzt eine angemessene Kommasetzung (s . dazu den folgenden Abschnitt) . Diese Fähigkeit lässt sich nicht in Merksätze pressen, die das Gegenteil bewirken, wenn sie missverständlich, verkürzend, widersprüchlich oder in ihrer theoretischen Tiefe unzugänglich für Lernende sind Die drei Satzformen im Deutschen - auch als Grundlage verständiger Kommasetzung Die drei Satzformen Verbzweitsatz, Verbletztsatz und Verberstsatz sind durch die Position des Verbs im Satz formal eindeutig bestimmbar Dabei gibt es eine unmarkierte und zwei markierte Formen . Die markierten Formen beinhalten Hinweise an den Hörer bzw Leser, wie er solche Sätze zu verarbeiten hat Insofern verbinden sich mit den beiden markierten Satzformen bereits sprachliche Funktionen Im Folgenden finden sich die wesentlichen Merkmale der drei Satzformen im Überblick 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 117 19 09 2019 16: 27: 28 118 E inE nE u E S at zl E hrE für di E S chul E ► � Der Verbzweitsatz ist als Hauptmuster die normale Satzform im Deutschen. Er ist typisch für Berichte, Beschreibungen und Erzählungen. Er ist nicht „an sich“ markiert, kann aber durch den Einsatz besonderer sprachlicher Mittel für die allermeisten Sprachhandlungen markiert werden (z. B. durch Modalverben für Aufforderungen, durch W-Wörter für Fragen → Abschnitt 6.4.2, durch Konjunktivformen für Wünsche usw.). ► � Der Verbletztsatz ist das Nebenmuster und eine markierte Satzform. Markiertheit hat im Verbletztsatz Signalfunktion für den Hörer oder Leser: „Du musst diesen Satz, um ihn angemessen verstehen zu können, auf eine andere Einheit beziehen.“ Das kann z. B. ein anderer Satz, eine Wortgruppe, eine Wahrnehmung oder ein situativ interpretierbarer Sachverhalt sein. ► � Der Verberstsatz ist eine Art „Passaufmuster“ und ebenfalls eine markierte Satzform. Mit ihr verbindet sich für den Hörer oder Leser folgendes Signal: „Du kannst dich jetzt nicht zurücklehnen und einfach zuhören, wie das beim Verbzweitsatz oft möglich ist. Pass auf, denn es folgt noch etwas, das von dir eine besondere Handlung, Reaktion oder Aufmerksamkeit erfordert.“ Mit dem Eintragen von Sätzen in eine Feldgliederungstabelle zeigen sich die Muster, die wiederum den Gebrauch oder Verzicht von Satzzeichen nahelegen Dies ist im Handeln erfahrbar, und ein jeder Irrtum beim Eintragen ist eine Chance, hier Bewusstheit zu entwickeln Das verständige Eintragen ins Felderschema kann zu syntaktischen Erkenntnissen führen und ist deshalb weit mehr als eine Spielerei Es hat auch spielerische Anteile durch die beglückende Erfahrung des „Richtig-ausgefüllt-Habens“ - ganz ähnlich wie beim Ausfüllen von Kreuzworträtseln oder Sudokus In einer Zeile findet sich jeweils ein Satz mit all seinen Ergänzungen, die ggf durch drei Auslassungspunkte abgekürzt werden können Jeder „Satz im Satz“, also die untergeordneten Einheiten mit einem finiten und/ oder valenztragenden Verb, bekommen zusätzlich eine eigene Zeile Der Infinitivsatz wird als Variante des Nebenmusters dargestellt (s Abschnitt 5 4) In dieser didaktisch begründeten Darstellung kann es kein leeres Vorfeld geben Es wird entweder durch ein Satzglied, durch ein elliptisch ausgelassenes (und nur mitgedachtes) Satzglied, durch ein Kreuz im Verberstsatz oder durch ein mit dem linken Verbfeld verbundenes dunkles Feld im Verbletztsatz bzw Infinitivsatz gefüllt Wenn eine Zeile von einer anderen Zeile nicht durch ein Satzschlusszeichen getrennt wird, steht ein Komma oder eine Konjunktion wie und Dies wird zunächst am Beispieltext des vorigen Abschnitts gezeigt: Ganz unvermittelt und 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 118 19 09 2019 16: 27: 28 Einheit 6 119 Tab. 6.9 wörtliche (= direkte) Rede Das Erkennen und Abgrenzen von Sätzen auf dieser Grundlage dient dem Textverstehen und führt zur Fähigkeit, Kommas angemessen zu setzen Anders gesagt: Wenn eine sprachliche Einheit mit „einem“ Satzschlusszeichen aus vielen Sätzen besteht, wenn also in „einem“ Gedanken gleichzeitig viele Gedanken stecken, droht das Ganze unübersichtlich und unverständlich zu werden Die Kommasetzung als sichtbare Markierung gedanklicher Einheiten ist dann etwas ganz anderes als eine lästige orthographische Pflicht und sie hat einen ganz praktischen Zweck: Sie bringt Ordnung in die Gedanken Die Feldgliederung kann auch bei komplexeren Texten zur Klärung der Struktur beitragen, wenn bei oberflächlicher Betrachtung die Verben an allen möglichen Stellen zu stehen scheinen . Insbesondere zeigt sich dies im Umfeld der wörtlichen Rede, die als eine in der Valenz von Verben wie sagen, fragen, Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld Satzform Ganz unvermittelt hat sie gesagt, sie … Verbzweitsatz (Hauptmuster) sie fährt heute Nachmittag nach Brüssel. Verbzweitsatz (Hauptmuster) Ob ich enttäuscht sei? Verbletztsatz (Nebenmuster) Im Wartesaal stand ein Fotokabine, Verbzweitsatz (Hauptmuster) sie blieb davor stehen Verbzweitsatz (Hauptmuster) und [sie] wollte nicht weiter. Verbzweitsatz (Hauptmuster) Wollen wir uns fotografieren lassen? Verberstsatz (Passaufmuster) Lass uns ein paar verrückte Bilder machen! (Verberstsatz) Passaufmuster Als ich klein war, Verbletztsatz (Nebenmuster) Als …, ließ ich mich dauernd fotografieren. Verbzweitsatz (Hauptmuster) Ich war besessen davon, mich... Verbzweitsatz (Hauptmuster) mich auf Bildern zu sehen. Infinitivsatz D Ie DreI S atzformen Im D eutSchen 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 119 19 09 2019 16: 27: 28 120 E inE nE u E S at zl E hrE für di E S chul E Beispiel (Grimm, Jacob und Wilhelm: Kinder- und Hausmärchen Nr. 86, geringfügig verändert) meinen angelegte Ergänzung betrachtet werden kann Solche kommen im folgenden Beispieltext „Der Fuchs und die Gänse“ immer wieder vor . Bereits beim ersten „Satz“ A wird deutlich, dass die direkte Rede als Ergänzung zum vorangehenden Verb sprach dient Auch in der Einheit D kann die ganze direkte Rede der Gans als Ergänzung zum vorangehenden Verb sagte betrachtet werden, auch wenn in dieser direkten Rede zwei Einheiten mit einem Punkt als Satzschlusszeichen vorkommen In diesem Sinne endet jede der folgenden Einheiten A-H entweder mit einem Satzschlusszeichen oder aber mit einem schließenden Anführungszeichen Der Fuchs und die Gänse A Der Fuchs kam einmal auf eine Wiese, wo eine Herde schöner fetter Gänse saß, da lachte er und sprach: „Ich komme ja wie gerufen, ihr sitzt hübsch beisammen, so kann ich eine nach der andern auffressen “ B Die Gänse gackerten vor Schrecken, sprangen auf, jammerten und baten um ihr Leben C Der Fuchs aber wollte auf nichts hören und sprach: „Da ist keine Gnade, ihr müsst sterben “ D Endlich nahm sich eine das Herz und sagte: „Sollen wir armen Gänse doch einmal unser jung frisch Leben lassen, so erzeige uns die einzige Gnade und erlaub uns noch ein Gebet, damit wir nicht in unsern Sünden sterben . Hernach wollen wir uns auch in eine Reihe stellen, damit du dir immer die fetteste aussuchen kannst “ E „Ja,“ sagte der Fuchs, „das ist billig und ist eine fromme Bitte: Betet, ich will so lange warten “ F . Also fing die erste ein recht langes Gebet an, immer „Ga! Ga! “, und weil sie gar nicht aufhören wollte, wartete die zweite nicht, bis die Reihe an sie kam, sondern fing auch an „Ga! Ga! “ G Die dritte und vierte folgte ihr, und bald gackerten sie alle zusammen H (Und wenn sie ausgebetet haben, soll das Märchen weitererzählt werden, sie beten aber alleweile noch immer fort .) In der nun folgenden Zeilengliederung lässt sich darstellen, wie sich in einem Text Gedanken aneinanderreihen Jede Zeile enthält „ihr“ finites Verb, das die Zuteilung zu einer der drei Satzformen begründet Das finite Verb kann wie in den folgenden Zeilen 1 bis 6 mit dem valenztragenden Verb identisch sein oder aber in zweiteiliger Form erscheinen wie in den Zeilen 7 (mit Modalverb) oder Zeile 36 (mit Tempushilfsverb) Ein Satz enthält auch die ihm untergeordneten Sätze: In dessen Zeile erscheint die untergeordnete Einheit (ggf mit Auslassungspunkten wie im Nachfeld der Zeile 1 und 4) Der Satz in Zeile 2 ist dem in Zeile 1 untergeordnet als relativisches Attribut ( → Abschnitt 11 5) und bezieht sich auf die 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 120 19 09 2019 16: 27: 28 Einheit 6 A B C Angabe auf eine Wiese in Zeile 1; die wörtliche Rede in den Zeilen 5 bis 7 ist Ergänzung zum Verb sprechen in Zeile 4 Die nächsten Teile B und C enthalten jeweils vier finite Verben und bekommen deshalb jeweils vier Zeilen Das Subjekt aus Zeile 8 wird in allen folgenden Sätzen übernommen und erscheint in den Vorfeldern in Klammern Durch diese Übernahme besteht der Satz in Zeile 10 aus nur einem Wort Teil D enthält alle drei Satzformen . Satz 18 formuliert mit der impliziten Frage eine Bedingung, deren Folge in Zeile 19 im Vorfeld mit so eingeleitet wird; in Zeile 20 steht das finite Verb im Imperativ ( → Abschnitt 8 1 .3) Deutlich wird bei dieser Darstellung auch die momentane Unterlegenheit der Gänse durch die beiden begründenden Sätze mit damit in den Zeilen 21 und 23 (wer die Oberhand hat, muss sein Handeln nicht begründen) . 121 1 Der Fuchs kam einmal auf eine Wiese, wo... 2 wo eine Herde schöner fetter Gänse saß, 3 da lachte er und 4 [er] sprach: „Ich...“ 5 „Ich komme ja wie gerufen, 6 ihr sitzt hübsch beisammen, 7 so kann ich eine nach der andern auffressen.“ 8 Die Gänse gackerten vor Schrecken, 9 [sie] sprangen auf, 10 [sie] jammerten und 11 [sie] baten um ihr Leben. 12 Der Fuchs aber wollte auf nichts hören und 13 [er] sprach: „Da...“ 14 „Da ist keine Gnade, 15 ihr müsst sterben.“ D Ie DreI S atzformen Im D eutSchen 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 121 19 09 2019 16: 27: 28 122 E inE nE u E S at zl E hrE für di E S chul E Teil E enthält in Zeile 24 im Vorfeld eine satzäquivalente Einheit - ein einzelnes Ja müsste also eine eigene Zeile beanspruchen Hier ist das Ja einfach Ergänzung zum finiten und valenztragenden Verb sagte, die nach dieser Zustimmung in vier Teilsätzen in den Zeilen 25 bis 28 fortgeführt wird Zeile 27 enthält einen vollständigen Verberstsatz aus einem Wort - die Imperativform macht (wie bereits oben in Zeile 20) das Subjekt entbehrlich ( → Abschnitt 8 1 .3) D E 16 Endlich nahm sich eine das Herz und 17 [sie] sagte: „Sollen...“ 18 „Sollen wir armen Gänse doch einmal unser jung frisch Leben lassen, 19 so erzeige uns die einzige Gnade und 20 erlaub uns noch ein Gebet, damit... 21 damit wir nicht in unsern Sünden sterben.“ 22 Hernach wollen wir uns auch in eine Reihe stellen, damit... 23 damit du dir immer die fetteste aussuchen kannst.“ 24 „Ja,“ sagte der Fuchs, „das...“ 25 „das ist billig und 26 [das] ist eine fromme Bitte: 27 Betet, 28 ich will so lange warten.“ 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 122 19 09 2019 16: 27: 28 Einheit 6 123 In Zeile 29 findet sich im Nachfeld eine Konkretisierung des zuvor angeführten Gebetes, die auch als Satz mit Auslassung dargestellt werden könnte: immer (gackerte sie) „Ga! Ga! “ Zeile 31 ist Bezugssatz zu Zeile 30 und zu Zeile 32 . Insofern erscheint im Vorfeld der Zeile 31 der begründende Satz mit weil . und im Nachfeld der darauf folgende Satz mit bis Teil H zeigt, inwiefern das in Abschnitt 6 1 .2 verwendete Schulbuchbeispiel, das Hauptsätzen die nebenordnende und Nebensätzen die unterordnende Konjunktion (= Subjunktion) zuordnet, völlig Unterschiedliches vermischt: Subjunktionen gehen einher mit Verbletztstellung und greifen damit ein in die Syntax Nebenordnende Konjunktionen hingegen stehen außerhalb der Syntax, sie verbinden nur und sie verändern nichts an der Feldgliederung Die nebenordnenden Konjunktionen sind nicht an irgendeine Satzform gebunden und können bei allen Satzformen auftauchen (also auch bei Verbletztsätzen wie in Zeile 36, der in seinem Bezugssatz in Zeile 37 im Vorfeld erscheint) (Und 36 wenn sie ausgebetet haben, 37 (Und wenn..., soll das Märchen weitererzählt werden, 38 sie beten aber alleweil noch immer fort.) F G H 29 Also fing die erste ein recht langes Gebet an, immer „Ga! Ga! “, und 30 weil sie gar nicht aufhören wollte, 31 weil..., wartete die zweite nicht, bis... 32 bis sie an die Reihe kam, sondern 33 [sie] fing auch an „Ga! Ga! “ 34 Die dritte und vierte folgte ihr, und 35 bald gackerten alle zusammen. D Ie DreI S atzformen Im D eutSchen 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 123 19 09 2019 16: 27: 28 124 E inE nE u E S at zl E hrE für di E S chul E Satzfunktionen Die Satzfunktionen lassen sich nicht wie die Satzformen auf drei Muster begrenzen Hier haben sich aus wiederkehrenden kommunikativen Bedürfnissen zahllose Muster entwickelt Solche Muster erkennt man aber zunächst nicht an äußeren Formen Die unterschiedlichen Satzfunktionen haben sich in einem komplexen Zusammenspiel sprachlicher und außersprachlicher Handlungen entwickelt Wer die Funktionen richtig verstehen möchte, braucht ein angemessenes Kontextbzw Situationsverständnis und muss das gemeinsame Vorwissen der an der Kommunikation Beteiligten einschätzen können In der Sprechakttheorie werden solche Sprachhandlungen als Illokutionen bezeichnet . Eine Illokution kann z B eine Empfehlung, eine Warnung, eine Beschwichtigung, eine Aufforderung, eine Frage, ein Vorwurf usw oder auch eine Kombination solcher Sprachhandlungen sein Was in der Sprache als ein ebenso konkretes wie komplexes Zusammenspiel zwischen den Sprechern erscheint, wird mit den Bezeichnungen für die Illokutionen in Worte gefasst und „auf den Begriff gebracht“, und diese Abstraktion hat einen sehr praktischen Nutzen, wenn wir über Sprachhandlungen reden oder nachdenken wollen Kennzeichnend für die Illokutionen ist, dass ein und derselbe Satz ganz unterschiedlich gemeint sein kann An einem einfachen Beispiel: Wenn jemand sagt: „Die Musik dort ist sehr laut“, kann dies funktional sowohl als Empfehlung als auch als Warnung verstanden werden Welche der beiden Illokutionen gemeint ist, wissen die Gesprächspartner normalerweise aus dem Kontext und/ oder dem gemeinsamen Vorwissen Je häufiger ein bestimmtes Muster gebraucht wird, umso wahrscheinlicher ist es, dass sich in der Sprachgeschichte auch Formen ausgebildet haben, um eine bestimmte Sprachhandlung zu kennzeichnen Ein sehr häufig auftretendes Muster wäre z B , dass man jemanden dazu bringen möchte, etwas zu tun . Dass es hierfür neben der Verbform des Imperativs, die am Satzanfang erscheint, viele weitere Möglichkeiten gibt, haben wir in Abschnitt 6 1 in der Auseinandersetzung mit der Aufforderung gesehen Nichts spricht dagegen, besonders wichtigen Sprachhandlungen wie der Frage oder Aufforderung, dem Wunsch oder Ausruf wie in der traditionellen Satzlehre besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen Sie sind aber keine eigenen Satzarten, sondern haben bestimmte Funktionen im sprachlichen Handeln, weshalb sie hier nur den funktionalen Terminus Frage, Aufforderung etc (und nicht Fragesatz, Aufforderungssatz etc ) erhalten Typisch für funktionale Bestimmungen sind Überschneidungen Beispielsweise kann eine Frage zugleich eine Aufforderung enthalten und ausgerufen werden oder auch als Vorwurf eingesetzt oder interpretiert werden Und viele der auf Sprachhandlungen bezogenen Termini lassen sich unterschiedlich deuten - eine Ansage ist auf einem Bahnhof etwas anderes als beim Skatspiel 6.3 Illokutionen Sprachhandlungsmuster 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 124 19 09 2019 16: 27: 28 Einheit 6 125 f r a G en über f r a G en Trotz unterschiedlicher Deutungsmöglichkeiten oder Bedeutungen sind die funktionalen Begriffe elementar für den Deutschunterricht, weil sich durch sie unterschiedlichste Sprachhandlungen in einem Wort kristallisieren Um nicht falsch verstanden zu werden: Was eine Beschwichtigung, eine Empfehlung oder ein Zuspruch ist, erfährt man nicht über diese Termini, sondern nur, indem man eine bestimmte situative Konstellation mit einer besonderen Sprachhandlung in Verbindung bringt . Beispiele hierfür findet man in Texten und anderen Medien, aber auch situativ im Umgang der Schüler untereinander oder inszeniert in Rollenspielen Durch den Terminus wird dann die konkrete Sprachhandlung zu einer verallgemeinerbaren, zu einem Muster, das man durch den Terminus gedanklich festhalten kann Die folgende Liste kann nur exemplarisch sein und enthält Bezeichnungen für unterschiedliche Sprachhandlungen: Absage Ansage Aufforderung Ausruf Aussage Begründung Behauptung Beleg Beschwichtigung Bitte Drohung Empfehlung Feststellung Frage Glückwunsch Kompliment Mitteilung Ratschlag Rhetorische Frage Überreden Überzeugen Unterstellung Versprechen Vorhersage Vorwurf Warnung Wunsch Zuspruch … Fragen über Fragen Exemplarisch für die Satzfunktionen wollen wir in diesem Abschnitt die Frage betrachten - nicht als Fragesatz, sondern (mit einem funktionalen Terminus) als Frage Hierbei wird wiederum das enge Zusammenspiel von Form und Funktion deutlich Eine Frage knüpft an vorhandenes Wissen an und ermöglicht, durch andere Neues in Erfahrung zu bringen Dies ist zunächst eine funktionale Bestimmung, die den Zweck des typischen Fragens beschreibt Weil Fragen eine besondere Interaktion in der Kommunikation darstellen, werden sie durch ein besonderes Satzzeichen formal kenntlich gemacht bzw markiert Um eine Frage zu signalisieren, stehen im Deutschen mit dem leeren Vorfeld (Verberstsatz) und einer Frageeinheit mit w im Vorfeld (W-Frage) zwei Hauptformen bereit, die als Markierungen betrachtet werden können Daneben gibt es unterschiedlichste Möglichkeiten, um jemandem ein Informationsdefizit mitzuteilen Dazu gehört im Mündlichen an erster Stelle ein besonderer Intonationsverlauf, der gegen Ende ansteigen kann Damit wird der Satz nicht „ordentlich“ beendet und man fordert eine Reaktion des Hörers Oftmals erscheinen die so intonierten Fragen auch als Rückfrage und wiederverschiedene Sprachhandlungen Tab. 6.10 6.4 Fragen als markierte Sprachhandlungen 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 125 19 09 2019 16: 27: 28 126 E inE nE u E S at zl E hrE für di E S chul E holen das zuvor Geäußerte Im Schriftlichen findet eine entsprechende Markierung durch ein Fragezeichen statt: Kevin hat nicht angerufen? Weiterhin kann die Verwendung einer Form in der zweiten Person zur Fragemarkierung beitragen, und es gibt auch einzelne Wörter wie tatsächlich im folgenden Satz, die eine Fragehandlung nahelegen können Du hast ihn tatsächlich stehen lassen? Indirekte Fragen in abhängigen Sätzen erhalten kein Fragezeichen, wenn der Bezugssatz nicht als Frage gemeint ist: Das kommt darauf an, ob du Zeit hast Wann kannst du sagen, ob du Zeit hast? Ansonsten ist das Fragezeichen im Schriftlichen eine ganz universell einsetzbare Markierung, um eine Frage zu kennzeichnen Das Fragezeichen erscheint auch bei den beiden Hauptformen, die wir uns genauer anschauen wollen Ja-Nein-Fragen Es gibt Fragen, die einen ganzen Sachverhalt zur Disposition stellen, der mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden kann und die als Ja-Nein-Frage oder Entscheidungsfrage bezeichnet werden Das verbreitetste Muster hierfür ist der Verberstsatz Das Vorfeld darf aber auch besetzt werden, wenn andere Markierungen vorliegen - im Mündlichen kann es die prosodische Markierung der Intonation, im Schriftlichen die graphische der Zeichensetzung sein Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Gehst du heute nochmal weg? Du gehst heute nochmal weg? In der Ausgangsfrage steckt bereits der wesentliche Inhalt der Fragehandlung Wer so fragt, weiß fast alles zu einem Sachverhalt Es fehlt lediglich die Information, wie ein Gegenüber diesen Sachverhalt einschätzt Als Antworten kommen neben „Ja“ und „Nein“ auch alle möglichen Abstufungen vor - neben „Vielleicht“, „Mal sehen“ oder „Kommt drauf an“ auch Zurückweisungen wie „Das sage ich dir nicht“ W-Fragen W-Fragen haben ein W-Wort im Vorfeld und lassen sich nicht mit Ja oder Nein beantworten Inhaltlich fokussiert das W-Wort einen bestimmten Ausschnitt der Welt . Dies können Personen sein, wenn das Fragewort wer, wen, wem oder wessen lautet; es können Charakterisierungen (was für ein …), Orte 6.4.1 Tab. 6.11 6.4.2 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 126 19 09 2019 16: 27: 29 Einheit 6 127 S at z ze Ichen (wo) und Richtungen (wohin/ woher) oder Uhrzeiten (wann), Mengen (wie viel) oder Ursachen (warum) erfragt werden usw Solche Fragewörter werden meistens in Sätze eingebaut . Sie sind dann Teil eines Gedankens, der vom Verb ausgeht In Abschnitt 2 .2 haben wir solche Teile von Gedanken, die vom Verb ausgehen, als Ergänzungen und Angaben bzw als Satzglieder kennengelernt Deshalb heißen W-Fragen auch Ergänzungsfragen . Ein weiteres Indiz, dass es sich bei den Fragewörtern um Satzglieder handelt, ist ihre Vorfeldposition Insofern sind W-Fragen Verbzweitsätze In den W-Fragen kann das W-Wort als Markierung der Frage betrachtet werden Satzzeichen Die wichtigste Funktion der drei Satzschlusszeichen Punkt, Ausrufezeichen und Fragezeichen sowie des Kommas besteht darin, einen Satz von anderen Sätzen abzugrenzen Hierbei wird der Satz als formale Einheit betrachtet - als eine Wortgruppe, die vom Verb ausgeht und bestimmte Einheiten mit sich führt Dass wir Sätze gliedern und voneinander abgrenzen, dient nicht nur dem Satz-, sondern insbesondere dem Textverständnis Der Punkt am Satzende und das Komma für die interne Satzgliederung sind die normalen, unmarkierten Satzzeichen Ein Punkt am Satzende wird immer dann gesetzt, wenn es keinen Grund für ein Frage- oder Ausrufezeichen gibt Ausrufe- und Fragezeichen sind darüber hinaus kommunikative Schriftzeichen Sie haben zusätzliche Funktionen, die sich nur funktional bestimmen lassen und davon abhängen, was ein Schreiber ausdrücken möchte Das Fragezeichen fordert den Leser zum Innehalten auf . Bei der rhetorischen Frage soll weitergedacht oder das allzu Selbstverständliche bewusst wahrgenommen werden; bei üblichen Fragen findet ein Innehalten als Besinnung auf eine angemessene Antwort statt Auch bei einzelnen Wörtern oder Wortgruppen kann ein Fragezeichen erscheinen - das Bezeichnete wird damit zur Disposition gestellt Das Ausrufezeichen verweist mit seinem Terminus auf einen Aspekt, der offensichtlich nicht immer mit seinem Gebrauch verbunden ist - Sprachhandlungen wie Aufforderungen oder Glückwünsche müssen nicht „ausgerufen“ werden In neueren Untersuchungen wird seine Funktion so charakterisiert: Mit der Verwendung des Ausrufezeichens verändert sich etwas Grundlegendes im Verhältnis zwischen Schreiber und Leser (vgl Bredel 2009 und 2010) Die so gekennzeichneten Wörter, Wortgruppen und Sätze erhalten ein besonderes Gewicht - nach dessen Rezeption hat sich beim Leser etwas verändert und er ist ausdrücklich gewarnt, beglückwünscht, aufgefordert usw . Auf eine solche Markierung wird insbesondere dann verzichtet, wenn der Kontext sie entbehrlich macht und das zu Lesende der Erwartung entspricht So beinhalten Aufgabenstellungen in Schulbüchern zwar eine Aufforderung . Wo das 6.5 Punkt und Komma als unmarkierte Satzzeichen Ausrufe- und Fragezeichen als markierte Satzzeichen 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 127 19 09 2019 16: 27: 29 128 E inE nE u E S at zl E hrE für di E S chul E Lösen dieser Aufgabe zu den erwartbaren Handlungen in der Schule gehört, erscheint anstatt eines Ausrufezeichens der Punkt Ein Schreiber hat für gewöhnlich einen funktional abzuwägenden Spielraum für die Entscheidung, ob er ein Ausrufezeichen setzt Diese Entscheidung braucht ein gewisses Fingerspitzengefühl Bedankt man sich bei jemandem und verzichtet dabei auf das Ausrufezeichen, könnte dies so gedeutet werden, dass man die Zuwendung, auf die sich der Dank bezieht, für allzu selbstverständlich hielt Umgekehrt sollten beim wissenschaftlichen Schreiben keine Ausrufezeichen verwendet werden Zwar geht es dabei oftmals um neue Erkenntnisse - das Ausrufezeichen als Kennzeichen einer grundlegenden Veränderung zwischen Schreiber und Leser hat in diesem Kontext aber eine unangenehm belehrende Komponente Übungen 1 Kommentieren Sie den folgenden Schulbuchausschnitt aus didaktischer Perspektive: Satzarten Es gibt verschiedene Arten von Sätzen. Wir unterscheiden den ► � Aussagesatz: Alle Pfadfinder freuen sich auf die Wanderung. Er schließt mit einem Punkt. ► � Fragesatz: Kommt Maria auch mit? Er schließt mit einem Fragezeichen. ► � Aufforderungs-, Befehls- und Ausrufesatz: Bring eine warme Jacke mit! Er schließt normalerweise mit einem Ausrufezeichen. In vielen Situationen verwenden wir aber zum Auffordern auch Frage- oder Aussagesätze: „Gibst du mir mal das Buch? “ oder „Du könntest endlich aus dem Weg gehen.“ Hinter einem Fragesatz verbirgt sich manchmal auch eine Aussage: „Machen wir nicht alle Fehler? “ „Höfliche“ Aufforderungen - etwa in Schulbüchern - verzichten auf das Ausrufezeichen: Diskutiert darüber. 2 Der Ehemann zur Ehefrau: „Willst du das ganze Stück Kuchen essen? “ a) Benennen Sie die formalen Markierungen der wörtlichen Rede des Ehemannes. Auf welche Sprachhandlung weisen diese formalen Elemente hin? Die Ehefrau reagiert: „Ich lasse mir von dir nichts verbieten! “ b) Die Sprachhandlung des Mannes lässt sich funktional auch anders als in Aufgabe a) einordnen. Welche Interpretation legt die Reaktion der Frau nahe? c) Um welche Satzform handelt es sich bei der Reaktion der Ehefrau? 3 Inwiefern sind diese Erklärungen aus dem Nachschlageregister eines Schulbuchs problematisch? 6.6  Lösungshinweise unter www.bachelorwissen.de und www.granzowemden.de Beispiel (aus: Deutschbuch-5, Cornelsen 2006, S -247) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 128 19 09 2019 16: 27: 29 Einheit 6 129 V erw enD e t e unD w e It erführenD e l It er atur Hauptsatz ► � kann im Unterschied zum Nebensatz allein stehen ► � konjugiertes (finites) Verb steht beim Aussagesatz an zweiter Stelle Nebensatz ► � ist von einem Hauptsatz abhängig und wird von ihm durch ein Komma getrennt ► � konjugiertes (finites) Verb steht am Ende ► wird durch eine unterordnende Konjunktion (Konjunktionalsatz), ein Relativpronomen (Relativsatz) oder ein Fragewort eingeleitet ► � kann Gliedsatz oder Attributsatz sein 4 Geld allein macht nicht glücklich, trinkt Bier! Vergleichen Sie diesen Slogan einer Potsdamer Brauerei mit dem folgenden Satz: Wer Wein nicht mag, trinkt Bier. a) Nach dem Komma erscheinen die nur auf den ersten Blick gleichen Wörter … trinkt Bier. Wie verhalten sich die Sätze vor dem Komma dazu? b) Bestimmen Sie Verbzweit-, Verberst- und Verbletztsätze. c) Bestimmen Sie die Subjekte in allen Teilsätzen. Verwendete und weiterführende Literatur Beispiel (aus: deutsch werk 5, Klett 2007, S -265 f ) 6.7 Altmann, Hans (1993): Satzmodus. In: Jacobs, Joachim; von Stechow, Arnim; Sternefeld, Wolfgang; Vennemann, Theo (Hrsg.): Syntax. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. Berlin; New York: de Gruyter, 1006-1029. Boettcher, Wolfgang (2009): Grammatik verstehen. Band 2: Einfacher Satz. Tübingen: Niemeyer. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 129 19 09 2019 16: 27: 29 130 E inE nE u E S at zl E hrE für di E S chul E Bredel, Ursula (2011): Interpunktion. Heidelberg: Universitätsverlag Winter. Granzow-Emden, Matthias (2011): Kritik an der schulischen Satzlehre und Ansätze für eine Neumodellierung. In: Köpcke, Klaus-Michael; Noack, Christina (Hrsg.): Sprachliche Strukturen thematisieren. Sprachunterricht in Zeiten der Bildungsstandards. Baltmannsweiler: Schneider, 121-137. Haueis, Eduard (1998): Wie einfach ist der einfache Satz? In: Didaktik Deutsch 4, 33-42. Searle, John R. (1971): Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay. Frankfurt: Suhrkamp. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 130 19 09 2019 16: 27: 29 Einheit 7 131 Inhalt 7 1 Die Stammformen des Verbs 132 7 2 Die Unterscheidung verschiedener Verbarten: Vollverben, Hilfsverben, Modalverben 138 7 3 Übungen 153 7 4 Verwendete und weiterführende Literatur 156 Starke und schwache Verben und die verschiedenen Verbarten Überblick Wenn man das Verb als eine Einheit kennengelernt hat, die im linken und/ oder rechten Verbfeld erscheint, lässt sich auch die Abstraktion, die im Folgenden stattfindet, bewältigen. Wir wollen hier die Einheiten, die als Verb verwendet werden können, systematisch ordnen und nehmen dabei mitunter auch eine lexikalische Perspektive ein: Bei den Stammformen des Verbs steht Morphologisches im Vordergrund, und auch die Unterscheidung der Verbarten orientiert sich an prinzipiellen Verwendungsmöglichkeiten, wie sie in Wörterbüchern angegeben werden. Weil Verben eine so große Bedeutung für die Konstitution von Gedanken und Sätzen haben, besitzen sie auch eine sehr differenzierte Morphologie. Zunächst hat jedes Verb für sich eine bestimmte Art der Formenbildung, die wir als schwach, stark und auch unregelmäßig bezeichnen. Diese unterschiedlichen Formen sind historisch gewachsen und nicht mit bestimmten Funktionen verbunden. Die Stammformen sind der Ausgangspunkt für die Bildung der zahlreichen Formen, die die Verben im Satz im Zusammenspiel von linkem und rechtem Verbfeld annehmen können. Dieses Zusammenspiel werden wir aber erst in Einheit 9 in seiner Systematik betrachten. Darin spielen die verschiedenen Verbarten - Voll-, Hilfs- und Modalverben - eine wichtige Rolle. Die Unterscheidung der Verbarten lässt an den Übergängen, wo ein bestimmtes Verb zwei Verbarten angehört, aufschlussreiche Erkenntnisse über das Entstehen grammatischer Formen zu. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 131 19 09 2019 16: 27: 29 132 S tark e und Schwache V erben und die V er Schiedenen V erb art en Die Stammformen des Verbs Die Bildung der Stammformen des Verbs ist eine morphologische Angelegenheit . Im Deutschen gibt es starke und schwache Verben und solche, die starke und schwache Anteile mischen und als unregelmäßig bezeichnet werden Die meisten Verbformen eignen sich Kinder als implizite Grammatik im Spracherwerb an, wobei das Muster der schwachen Verben zunächst übergeneralisiert wird - d h , die Kinder erkennen implizit die Formenbildung der schwachen Verben und übertragen diese auch auf starke und unregelmäßige Verben (z B „Die Katze ist zu mir gekommt“; „Ich bin dann schnell nach Hause gerennt“) Außerdem gibt es zahlreiche Varianten in den Dialekten, die in bestimmten Regionen nicht als auffällig gelten - hier zwei Beispiele aus dem süddeutschen Raum: „Die Sonne hat gescheint “ „Des han i mir denkt “ (übersetzt: Das habe ich mir gedacht .) Diese Formen sind nicht „falsch“, sondern einfach nur anders als der Standard oder bei Kindern ein Zwischenschritt im Lernprozess Aufgabe der Schule ist es, den Standard als weitere und in der Schrift übliche Form zu vermitteln Zu einer expliziten Kenntnis der standardsprachlichen Formen gehört, sie nicht nur intuitiv zu kennen, sondern auch bewusst bilden zu können und damit sprachlich zu beherrschen Schwache Verben Zunächst wollen wir die sogenannten schwachen Verben betrachten Sie werden als „schwach“ bezeichnet, weil sie sich sehr bereitwillig dem Bildungsmuster der meisten Verben anschließen, den Infinitivstamm in allen Formen beibehalten und ihre Formen nach nur einem Muster bilden Die meisten Verben im Deutschen haben dieses Bildungsmuster und auch aus anderen Sprachen entlehnte und neu hinzukommende Verben wie z B chauffieren oder outsourcen verwenden es Wer Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache lernt, schätzt schwache Verben v a deshalb, weil sie leicht zu erlernen sind In der folgenden Auswahl-ist der Verbstamm hervorgehoben, was die Morphemstruktur verdeutlicht: erste Stammform Infinitiv zweite Stammform (Präteritumsform 1. u. 3. P. Sg.) dritte Stammform Partizip II machen machte gemacht sagen sagte gesagt legen legte gelegt lächeln lächelte gelächelt 7.1 7.1.1 Tab. 7.1 Morphemstruktur schwacher Verben 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 132 19 09 2019 16: 27: 29 Einheit 7 133 D Ie S ta mmformen D e S V erbS wandern wanderte gewandert reden redete geredet herbeieilen eilte … herbei herbeigeeilt umverteilen verteilte … um umverteilt outsourcen sourcte … out outgesourct chauffieren chauffierte chauffiert studieren studierte studiert bestellen bestellte bestellt Als Verbstamm bezeichnet man die Form, die übrig bleibt, wenn vom Infinitiv sowohl Präfix bzw. Präverb als auch die Infinitivendung |en bzw. |n entfernt werden (in Tab. 7.1 in blauer Schrift). Die Stammformen eines Verbs hingegen sind die drei Formen Infinitiv, Präteritumsform in der 1./ 3. Person Singular und Partizip II, also die Formen, die in der obigen Tabelle in jeweils einer Zeile erscheinen. Schwache Verben behalten den Verbstamm in allen drei Stammformen bei, starke und unregelmäßige Verben nicht. Während die erste und dritte Stammform aus infiniten Formen bestehen, erscheint die zweite Stammform in der 1 bzw . 3 . Person Singular (die Formen der 1 und 3 Person sind im Präteritum immer gleich) An den schwachen Verben lassen sich folgende sprachliche Muster entdecken: ► � Fast alle Verben haben in der ersten Stammform die Infinitivendung |en Wenn der Verbstamm auf …el| oder …er| endet, entfällt der Schwa-Laut aus phonologischen Gründen und die Infinitivendung lautet |n wie bei lächeln oder wandern . ► � Schwache Verben haben das Morphem |te| als Präteritumssignal, dem aus phonologischen Gründen ein zusätzlicher Schwa-Laut vorangehen kann (wie bei redete, rettete, öffnete, regnete) ► � Die dritte Stammform hat bei schwachen Verben üblicherweise ein sog Zirkumfix aus den Morphemen ge| und |t (bzw |et) ► � Kein Zirkumfix erhalten Verben mit Präfix, trennbare Verben (s folgende Punkte) und Verben, deren Stamm auf |ier| endet (wie studieren) Letztere und auch die Verben mit Präfix verzichten in der dritten Stammform auf das Morphem ge| (studieren - studierte - studiert; bestellen - bestellte - bestellt) ► � Vor den Stamm kann ein Präfix oder ein Präverb treten Die Wortbildung mit Präfixen und auch Suffixen bezeichnet man als Derivation; die Bildung mit Präverben wird der Komposition zugerechnet ( → Abschnitt 3 10 .4) Definition Infinitivendung Präteritumssignal Zirkumfix kein Zirkumfix Wortbildung 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 133 19 09 2019 16: 27: 29 134 S tark e und Schwache V erben und die V er Schiedenen V erb art en ► � Bei trennbaren Verben wird in der dritten Stammform zwischen Präverb und Verbstamm das Morphem |ge| eingeschoben Ein solches eingeschobenes Morphem nennt man Infix . Wenn sich das trennbare Verb mit einem bereits präfigierten Verb verbunden hat (wie bei umverteilen), wird kein zusätzliches Morphem eingeschoben (umverteilt) Die Gruppe der schwachen Verben wächst nicht nur durch die Neuankömmlinge aus anderen Sprachen Manche Verben wechseln die Seiten, sodass aus starken schwache Verben werden Bei manchen Verben lässt sich dieser Wechsel beobachten, wenn gleichzeitig zwei Formen nebeneinander bestehen, was wiederum nur eine Stammform (wie in backen) oder auch beide (wie bei melken oder saugen) betreffen kann: backen - (buk)/ backte - gebacken melken - molk/ melkte - gemolken/ (gemelkt) weben - wob/ webte - gewoben/ gewebt saugen - sog/ saugte - gesogen/ gesaugt Bei den ersten drei Verben lässt sich erahnen, wie das Schwinden der starken Form mit der kulturell-gesellschaftlichen Bedeutung des damit Ausgedrückten einhergeht Eine entsprechende Tendenz zeigt das Verb saugen, das in Verbindung mit der technischen Erfindung des Staubsaugers nur die schwache Version erlaubt: Gierig saugte/ sog das Kind an der Flasche Er saugte/ *sog die ganze Wohnung Starke Verben Historisch älter als die schwache ist die starke Verbbildung Starke Verben heißen so, weil sie ihre unterschiedlichen Stammformen im Laufe der Sprachgeschichte „durchgesetzt“ und beibehalten haben Jedes starke Verb hat seine besondere Ablautbildung, die eigens gelernt werden muss . Sie machen sowohl im natürlichen Spracherwerb als auch in der Aneignung des Deutschen als Fremd- oder Zweitsprache mehr Mühe Die folgenden Beispiele für starke Verben entstammen einem leicht veränderten Text aus einer Boulevardzeitung, den Sie in Abschnitt 8 2 finden Den vier schwachen Verben stehen neun starke und zwei unregelmäßige Verben gegenüber . Eine solche Verteilung von starken, schwachen und unregelmäßigen Verben ist durchaus üblich Zwar gibt es quantitativ weniger starke als schwache Verben; die meisten starken Verben sind aber hochfrequent . Die folgenden starken Verben erscheinen in dem Text: Infix 7.1.2 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 134 19 09 2019 16: 27: 29 Einheit 7 135 D Ie S ta mmformen D e S V erbS erste Stammform Infinitiv zweite Stammform (Präteritumsform 1. u. 3. P. Sg.) dritte Stammform Partizip II einschlagen schlug … ein eingeschlagen einschreiten schritt … ein eingeschritten kommen kam gekommen brechen brach gebrochen verstehen verstand verstanden helfen half geholfen werden wurde/ ward (ge)worden nehmen nahm genommen gehen ging gegangen Starke Verben haben folgende Merkmale: ► � In den drei Stammformen gibt es mindestens einen Vokalwechsel, die sogenannten Ablaute Daraus lassen sich Gruppen zusammenstellen, die zu Ablautreihen führen: schreiten, streiten und gleichen gehören z B zu einer Gruppe (ei - i - i: schreiten - schritt - geschritten; streiten - stritt - gestritten; gleichen - glich - geglichen) ► � Die zweite Stammform enthält kein spezielles Präteritumsmorphem (wie das |te| der schwachen Verben) und kein |e in der Endung . Sie sieht aus wie ein Verbstamm Das besondere und in vielfältiger Weise gebrauchte Verb werden weicht davon ab; es besitzt aber neben der heute üblichen Form wurde auch die Form ward, die sich nur in bestimmten Wendungen oder Texten mit einer langen Tradition erhalten hat (wie z B in der Schöpfungsgeschichte; → Abschnitt 5 5) ► � In der dritten Stammform wird die Ablautform des Verbstamms typischerweise vom Zirkumfix ge|…|en umschlossen Auch hier hat das Verb werden die zusätzliche Form worden, die allerdings nur im Passiv erscheint ► � Besitzt das Verb in der ersten Stammform ein Präfix, erscheint dieses in allen drei Stammformen, und wie bei den schwachen Verben verzichtet die dritte Stammform auf ein zusätzliches ge| (z B bekommen - bekam - bekommen) . ► � Bei trennbaren Verben wird in der dritten Stammform (wie bei den schwachen Verben) zwischen das Präverb und den Verbstamm das Infix-Morphem |ge| eingeschoben (eingeschlagen; eingeschritten) . Wenn das trennbare Verb ein bereits präfigiertes Verb enthält (wie z B abbekommen), wird kein zusätzliches Morphem eingeschoben (abbekommen - bekam … ab - abbekommen) An der Lautstruktur des Infinitivs lässt sich nicht erkennen, ob ein Verb stark oder schwach ist (vgl . geben - gab - gegeben, aber leben - lebte - gelebt) und Tab. 7.2 Morphemstruktur starker Verben Vokalwechsel zweite Stammform Zirkumfix Präfixverben Infix 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 135 19 09 2019 16: 27: 29 136 S tark e und Schwache V erben und die V er Schiedenen V erb art en auch nicht, wie es gebildet wird (vgl fliegen - flog - geflogen, aber liegen, lag, gelegen) . Die oben bereits erwähnten Ablautreihen werden manchmal zur Memorierung lautlich entsprechender Verben benutzt, was insbesondere im DaF-Unterricht durch den Gebrauch solcher Verben in Situationen bzw Texten ergänzt werden muss: singen - sang - gesungen klingen - klang - geklungen usw. binden - band - gebunden finden - fand - gefunden usw. sinken - sank - gesunken trinken - trank - getrunken usw. Entsprechende Listen und Ordnungen finden sich in vielen Grammatiken, wobei oftmals auch die unregelmäßigen Verben aufgenommen werden (z B im Grammatikduden 2016, Abschnitt 704) Zwar nahm die Anzahl der starken Verben im Laufe der Sprachgeschichte ab, weil sich viele zu schwachen wandelten Dass aber ein so frequentes Verb wie gehen seine eigenen Formen jemals aufgibt und schwach wird, ist nicht zu erwarten Unregelmäßige Verben In manchen Grammatiken werden die starken Verben als „unregelmäßig“ bezeichnet . Damit wird man diesen Einheiten jedoch nicht gerecht, da ihre Formbildung auf ihre Weise durchaus bestimmten Mustern folgt Wir wollen deshalb nur solche Verben als unregelmäßig bezeichnen, die vom schwachen oder starken Muster mehr oder weniger abweichen oder beide Muster mischen Dabei gibt es wieder fast alle Spielarten Das häufigste Verb ist sein Seine Häufigkeit und Wichtigkeit im Sprachsystem gestattet ihm eine gewisse Extravaganz Es hat völlig unterschiedliche Stammformen (sein - war - gewesen); besonders bemerkenswert sind seine Konjugationsformen im Präsens - nicht nur wegen der drei unterschiedlichen Phoneme bzw . Grapheme am Wortanfang (ich bin - du bist - er ist - wir sind- …) . Auffällig ist auch, dass der Infinitivstamm nicht auf |en endet (das gibt es sonst nur beim Verb tun und den oben erwähnten schwachen Verben, deren Stamm auf …el| oder …er| endet) Das unregelmäßige Verb sein hat nicht zuletzt wegen seiner Partizip II-Form eine große Nähe zu den starken Verben Wie das Verb sein kann auch haben als Hilfsverb verwendet werden . Es hat zwar eine ähnliche Häufigkeit, aber es besitzt vergleichsweise harmlose Unregelmäßigkeiten - zum einen in der zweiten Stammform, aber auch in seinen Konjugationsformen im Präsens, wo in der zweiten und dritten Person das b aus dem Stamm phonologisch und graphematisch verschwunden ist: haben - hatte - gehabt ich habe - du hast - er hat … Tab. 7.3 7.1.3 sein und haben 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 136 19 09 2019 16: 27: 29 Einheit 7 137 D Ie S ta mmformen D e S V erbS Unregelmäßigkeit bei den Verben betrifft jedoch meistens eine Mischung aus starken und schwachen Anteilen . Manche Verben verhalten sich in der Ablautbildung stark und besitzen gleichzeitig typische Merkmale der schwachen Verben wie das |te| in der zweiten oder das Zirkumfix ge|…|t in der dritten Stammform bringen - brachte - gebracht denken - dachte - gedacht kennen - kannte - gekannt wissen - wusste - gewusst senden - sandte - gesandt Das letztgenannte Verb leistet sich darüber hinaus bei gleicher Bedeutung und mit entsprechenden Verwendungsmöglichkeiten eine schwache Variante (senden - sendete - gesendet) Eine andere bemerkenswerte Unregelmäßigkeit hat das Verb wissen, das in der 1 und 3 . Person Präsens identische Formen besitzt (ich weiß-- er weiß) . Die Endungslosigkeit bei gleichzeitiger Übereinstimmung von 1 und 3 Person Präsens gibt es üblicherweise nur bei starken Verben im Präteritum, weshalb sie als „Präteritopräsentia“ bezeichnet werden Auch wenn Sie sich den Fachterminus nicht merken, sollten Sie diese morphologische Besonderheit kennen, die ansonsten nur bei den sechs Modalverben auftritt (sollen, wollen, können, mögen, dürfen, müssen: ich soll-- er soll; ich will - er will …) Außer dem Verb sollen haben alle Modalverben in den Präsensformen im Singular einen Vokalwechsel (ich will/ ich kann/ ich mag/ ich darf/ ich muss) Einen Vokalwechsel in den Stammformen haben alle Modalverben außer sollen und wollen; bei mögen kommt noch eine konsonantische Veränderung hinzu: können - konnte - (gekonnt) mögen - mochte - (gemocht) dürfen - durfte - (gedurft) müssen - musste - (gemusst) Warum die Partizip II-Formen in Klammern erscheinen, erfahren Sie in Abschnitt 9 2 Es gibt noch eine weitere Mischung: die schwache Bildung der zweiten und eine starke Bildung der dritten Stammform Beim Verb mahlen lässt sich mit dieser Formenmischung eine homonyme Partizip II-Form vermeiden (vgl malen - malte - gemalt); beim Verb salzen ist ein Wechsel ins schwache Lager absehbar mahlen - mahlte - gemahlen küren - kürte - gekoren salzen - salzte - gesalzen (gesalzt) Mischung formaler Anteile Präteritopräsentia 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 137 19 09 2019 16: 27: 29 138 S tark e und Schwache V erben und die V er Schiedenen V erb art en Was sich in den unregelmäßigen Verbformen wieder einmal in reicher Variation zeigt, ist das vielfältige Spiel der Sprache mit ihren Formen und Mustern Die Unterscheidung verschiedener Verbarten: Vollverben, Hilfsverben, Modalverben Verben können im Satz für ganz unterschiedliche Aufgaben verwendet werden Die folgende Übersicht unterscheidet die Verbarten in kategorialer Weise und fragt danach, wie sie im Satz erscheinen können Hilfs- und Modalverben bilden dabei zwei sehr überschaubare Gruppen; Vollverben haben einige Untergruppen, wobei die Kopulaverben in manchen Grammatiken nicht zu den Vollverben gezählt werden Alle als Hilfsverben bezeichneten Einheiten finden sich auch an anderen Stellen Vollverben Hilfsverben Modalverben „normale“ Vollverben verlieren finden sein bleiben haben bringen wachsen eingehen passen wissen u. v. a. Kopulaverben sein bleiben werden sein haben werden sollen wollen können mögen müssen dürfen (werden) reflexive und reziproke Verben sich beeilen sich verlieben sich schämen u. a. sich überwerfen sich anfeinden u. a. Funktionsverben (in Erfahrung) bringen (Beobachtungen) anstellen (zur Verfügung) haben (zum Stillstand) kommen (in Betrieb) sein u. v. a. „Spezialverben“ Verben mit dem Infinitiv: lassen; sehen, hören (u. a. Wahrnehmungsverben) Verben mit zu + Infinitiv: brauchen, haben, sein, wissen, scheinen, drohen, pflegen 7.2 Tab. 7.4 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 138 19 09 2019 16: 27: 29 Einheit 7 139 D Ie u nterScheIDunG VerSchIeDener V erbarten : V ollVerben ,h IlfSVerben , m oDalVerben Entstehung der Verbarten durch Grammatikalisierung Wie die unterschiedlichen Verbarten sprachgeschichtlich zustande kommen, beschreibt die Grammatikalisierungsforschung Sprachliche Einheiten ändern nicht nur ihre Bedeutung, sondern auch ihr grammatisches Verhalten Schauen wir uns zuerst Bedeutungsveränderungen an, die sich insbesondere bei häufig gebrauchten Verben zeigen, wie bringen, kommen, halten, gehen usw Irgendjemand verwendet sie irgendwann für irgendeinen neuen Zweck Wenn andere dies nachmachen, entsteht mit der Zeit ein neuer Verwendungszusammenhang für dieses Wort und eine neue Bedeutung wie in den folgenden Beispielen zum Verb gehen: (1) Das Pferd geht in den Stall (2) Die Uhr geht falsch (3) Wie geht’s dir? (4) Der Wunsch geht in Erfüllung In Satz (1) hat das Verb gehen noch die ursprüngliche Bedeutung sich auf Beinen fortbewegen Nimmt man davon nur den Aspekt der Fortbewegung, ermöglicht dies eine Verwendung wie in (2) . In (3) wird mit demselben Verb das allgemeine Befinden thematisiert Im Englischen wird in diesem Sinne für die entsprechende Frage ein noch weiter grammatikalisiertes Kopulaverb verwendet („How are you? “ - *Wie bist du? ) Grammatikalisierung kann aber auch dazu führen, dass Muster, die z B in Ortsergänzungen wie in (1) üblich sind (in den Stall), in Verbindung mit einem bestimmten Nomen zu einem festen Ergänzungsmuster werden Dies finden wir in sog . Funktionsverbgefügen wie in (4) Hier hat das Verb gehen seine Bedeutung weitgehend verloren und wird als Funktionsverb bezeichnet Funktionsverben Ein Funktionsverb bildet eine untrennbare Einheit mit einer Nominal- oder Präpositionalgruppe Geprägt wird die Bedeutung eines solchen Funktionsverbgefüges vom Nomen; die Bedeutung des Verbs hingegen ist verblasst Von dem Nomen aus lässt sich meist ein Verb finden, das eine ähnliche Bedeutung wie das Funktionsverbgefüge hat Funktionsverbgefüge: bedeutungsähnliches Verb: in Erfüllung gehen - erfüllen in Erfahrung bringen - erfahren Beobachtungen anstellen - beobachten zum Stillstand kommen - stillstehen Anspruch haben auf - beanspruchen 7.2.1 Bedeutungsveränderung und -erweiterung 7.2.2 Tab. 7.5 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 139 19 09 2019 16: 27: 30 140 S tark e und Schwache V erben und die V er Schiedenen V erb art en Die ergänzenden Bestandteile in Funktionsverbgefügen sind semantisch nicht frei wählbar - z B . verträgt sich ein gegenteiliger Ausdruck wie in (5) oder ein bedeutungsähnlicher wie in (7) nicht mit einem bestimmten Funktionsverb: (5) *Der Wunsch geht in Nichterfüllung (6) Er bringt die neuesten Informationen in Erfahrung (7) *Er bringt die neuesten Informationen in Vertrautheit Ob die Verbindung von Verb und Nominalbzw . Präpositionalgruppe als Funktionsverbgefüge betrachtet werden kann, lässt sich nicht immer klar entscheiden Eine mögliche Operation zur Abgrenzung ist die Erfragbarkeit, die bei Ergänzungen möglich ist und bei Funktionsverbgefügen nicht Ergänzung: Der Zug kommt um 8 Uhr - Wann kommt der Zug? … Funktionsverbgefüge: Der Zug kommt zum Stillstand - *Wie (…) kommt der Zug? Die Funktionsverben haben mit den Hilfsverben gemeinsam, dass sie nicht die valenztragende Rolle im Satz übernehmen Im Gegensatz zu den Hilfsverben erfüllen sie aber keinen bestimmten grammatischen Zweck Funktionsverben sind Teil einer semantischen Konstruktion, die inhaltlich von einer Nominalgruppe getragen wird Hier soll zur Diskussion stehen, wie ein Text Verbesserung erfahren kann, indem weniger Funktionsverbgefüge Verwendung finden. Man kann jedem, der etwas Wichtiges zum Ausdruck bringen möchte, den guten Rat erteilen, zumindest den Versuch zu unternehmen, bei der Menge der Funktionsverbgefüge innerhalb eines Textes Zurückhaltung zu üben. Zwar hat es keine Notwendigkeit, umfassend Verzicht zu leisten; wenn man aber zur Vernunft kommt und nur wenige Funktionsverbgefüge in Gebrauch hat, kann man unter Beweis stellen, dass ein guter Text im Zusammenhang damit steht, dass man Überarbeitungen vornimmt. Wenn Funktionsverbgefüge gehäuft auftreten, entsteht ein stilistisch bedenklicher Nominalstil (s . Text im Kasten) Trotzdem sind sie eine Bereicherung für die Sprache, weil sie in vielen Fällen für differenziertere Ausdrucksmöglichkeiten sorgen, indem zwischen einem Zustand (Z), einer Zustandsänderung (ZÄ) und dem Bewirken der Zustandsänderung (BZ) differenziert werden kann . Hierfür zwei Beispiele: (Z) stillstehen (ZÄ) zum Stillstand kommen (BZ) zum Stillstand bringen (Z) sich in Abhängigkeit befinden (ZÄ) in Abhängigkeit geraten (BZ) in Abhängigkeit bringen Abgrenzung Funktions- und Vollverben Abgrenzung Funktions- und Hilfsverben Nominalstil 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 140 19 09 2019 16: 27: 30 Einheit 7 141 D Ie u nterScheIDunG VerSchIeDener V erbarten : V ollVerben ,h IlfSVerben , m oDalVerben Während Funktionsverben wie andere Vollverben neue Bedeutungen schaffen und für semantische Differenzierungen sorgen können, bewirken Hilfsverben Grammatisches Zunächst wollen wir den Blick auf die Grammatikalisierung der Verben sein und werden richten Die Verben sein und werden als Voll-, Kopula- und Hilfsverb Das Verb sein wird in den folgenden Sätzen verschiedenen Verbarten zugerechnet: Vollverb sein: Anne ist an der Uni Funktionsverb sein: Anne ist immer in Bewegung Kopulaverb sein: Anne ist eine Studentin Hilfsverb sein: Anne ist zum Seminar zugelassen worden Hilfsverben haben sich im Laufe der Sprachgeschichte in ihrer spezifischen Funktion aus anderen, bereits vorhandenen Verben entwickelt . Sie finden in unserer Übersicht ( → Tab 7 4) die Hilfsverben sein, haben und werden auch in anderen Spalten . Wenn Einheiten in ganz unterschiedlicher Funktion verwendet werden, müssen wir im Sprachgebrauch bereits implizit unterscheiden, welche Funktion denn nun erfüllt wird, wobei (wie wir bereits weiter oben schon gesehen haben) eine ursprüngliche Erwartung durch die Verbklammer enttäuscht werden kann: … bis hierher lässt sich sein als Vollverb interpretieren … … im weiteren Verlauf wird klar: ist = Hilfsverb Anne ist an der Uni leider doch nicht immatrikuliert worden Als Vollverb geht es beim Verb sein zunächst um die reine Existenz wie im Satz Gott ist Weil man aber selten Grund für solche existenziellen Aussagen hat, kommt zum reinen Sein häufig eine inhaltliche Ergänzung, womit hier z B die Bedeutung sich befinden entsteht (Anne ist an der Uni) Von der lokalen Verwendung der Präpositionalgruppe wie in an der Uni oder in Berlin ist es ein kleiner Schritt zum grammatikalisierten Funktionsverb sein wie in Anne ist in Sorge/ in Bereitschaft/ in Bewegung Davon zu unterscheiden ist die Verwendung des Verbs sein als Kopulaverb Die drei Kopulaverben sein, bleiben und werden verbinden ganz allgemein gesprochen zwei Größen X und Y und führen zu Sätzen vom folgenden Typ: X ist Y X bleibt Y X wird Y Die drei Kopulaverben liegen nicht nur semantisch eng beieinander, indem sie sich auf Bestehendes (X ist Y), die Beibehaltung von Bestehendem (X bleibt-Y) 7.2.3 sein als Vollverb sein, bleiben und werden als Kopulaverben 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 141 19 09 2019 16: 27: 30 142 S tark e und Schwache V erben und die V er Schiedenen V erb art en und das Eintreten in ein Bestehen beziehen (X wird Y) Sie haben auch die syntaktische Gemeinsamkeit, dass X und Y stets im gleichen Kasus, dem Nominativ, erscheinen, was in den folgenden, zugegebenermaßen tautologischen Sätzen deutlich wird: Der Präsident ist der Vorsitzende (ebenso: bleibt/ wird) Ich bin ich (ebenso: bleibe/ werde) Wenn man bei dem Wort „ist“ an ein Gleichheitszeichen denkt, empfindet man diese sprachliche Besonderheit sogar in einem mathematischen Sinne als logisch Dabei gilt eine der beiden Einheiten als Subjekt und die andere als Nominativergänzung . In den beiden Beispielen lassen sie sich nicht unterscheiden, weil hier tatsächlich Gleichheit zwischen X und Y besteht Aber meistens lässt sich das Subjekt von einer Nominativergänzung durch die sog Infinitivprobe unterscheiden Zur Ermittlung des Subjekts verändert man das finite Verb in einen Infinitiv und setzt ihn ans Ende des Satzes. Dabei entsteht zunächst ein ungrammatischer Satz: Meyer ist Präsident. →*Meyer Präsident sein Entfernt man das Subjekt, entsteht eine Infinitivgruppe: → Präsident sein/ Meyer (aber: *Meyer sein/ Präsident) Was hierbei also „herausfällt“, ist das Subjekt. Diese Probe funktioniert nicht nur mit dem Verb sein: Die Wahl fand im Juni statt. →*Die Wahl im Juni stattfinden →im Juni stattfinden/ Die Wahl Das Satzmuster der Kopulaverben wird darüber hinaus verwendet, um die mit X bezeichneten Einheiten mithilfe von Ergänzungen zu charakterisieren, die als Adjektive oder als Partizip II-Formen erscheinen können: Der Präsident ist langweilig/ klug/ gewählt (ebenso: bleibt/ wird) In Schulgrammatiken werden die als Y angeführten Einheiten als Prädikativ, Prädikativum oder auch als Prädikatsnomen bzw prädikatives Adjektiv bezeichnet . Wir bezeichnen sie in diesem Buch als „Adjektivergänzungen zum Kopulaverb“, weil wir das Prädikat nicht als Satzglied betrachten und deshalb diesen Terminus nicht benutzen ( → Abschnitt 14 1) Ob solche Einheiten als Teil der Verbklammer im rechten Verbfeld erscheinen, haben wir in Abschnitt 4 4 bereits diskutiert Infinitivprobe zur Subjektermittlung Prädikativum 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 142 19 09 2019 16: 27: 30 Einheit 7 143 D Ie u nterScheIDunG VerSchIeDener V erbarten : V ollVerben ,h IlfSVerben , m oDalVerben Zwar behandeln wir die Einheiten, die für Y erscheinen, im valenzgrammatischen Sinne als Ergänzungen der Kopulaverben, die damit nicht im rechten Verbfeld zu verorten sind Gleichwohl lassen sich hier wie bereits in Abschnitt 4 4 interessante sprachsystematische Übergänge beobachten: Die Einheit gewählt lässt sich einerseits wie ein Adjektiv attributiv verwenden und bekommt dabei die Deklinationsendung |e: der langweilige/ kluge/ gewählte Präsident Andererseits lässt sich gewählt auch als Verb betrachten Der Satz Der Präsident ist gewählt wird als Zustandspassiv bezeichnet und ist zurückführbar auf den folgenden Passivsatz: Der Präsident ist gewählt worden Hier wäre das finite Verb ist nichts anderes als ein Hilfsverb zur Präsensperfektbildung und das Verb worden ebenfalls ein Hilfsverb für das Passiv, was wir in den nächsten beiden Einheiten noch systematisch betrachten werden . In einer anderen Tempusform, dem Präteritum, hieße unser Satz Der Präsident wurde gewählt Auch hier können wir in einer synchronen Perspektive (also in der aktuell gebräuchlichen Sprache ohne Hinzuziehen historischer Daten) Grammatikalisierungsprozesse sichtbar machen . Dieser Passivsatz mit dem Passivhilfsverb werden wird zu einem Satz mit dem Kopulaverb werden, wenn wir das Vollverb gewählt durch ein Adjektiv ersetzen: Der Präsident wurde nüchtern/ traurig/ verrückt Der Präsident wird nüchtern/ traurig/ verrückt Von dieser Version im Präsens aus ist es nur ein kleiner Schritt zur Hilfsverbfunktion für die Futurbildung: Der Präsident wird nüchtern/ traurig/ verrückt sein Die Verbformen haben sich also mit einer wenigstens im Ansatz nachvollziehbaren Zweckmäßigkeit im Laufe der Sprachgeschichte herausgebildet Dabei hat das Verb werden sowohl syntaktisch als auch semantisch eine große Nähe zu den Modalverben Es kann sich mit Infinitiven verbinden (im vorigen und dem folgenden Beispiel mit dem Infinitiv sein) und deren Bedeutung modifizieren: Die Mitbewohner von Anne unterhalten sich: - Weiß jemand, wo Anne ist? - Sie wird an der Uni sein - Nein, sie hat gesagt, sie geht ins Schwimmbad Zustandspassiv und Passiv: sein und werden als Hilfsverben 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 143 19 09 2019 16: 27: 30 144 S tark e und Schwache V erben und die V er Schiedenen V erb art en Damit sind wir in einem weiteren Grenzbereich unserer Klassifizierung angelangt, der uns zu den Modalverben führt Modalverben Modalverben sind eine kleine, auf den ersten Blick sehr überschaubare Verbart, die es aber in sich hat . Syntaktisch sind sie eine der Hauptursachen für Verbklammern; semantisch lassen sich mit ihnen ebenso unauffällig wie wirkungsvoll Verbbedeutungen modifizieren Dies wollen wir einleitend am ersten Abschnitt aus Kafkas Erzählung Der Kübelreiter betrachten und fokussieren zunächst das Modalverb müssen, das hier fünfmal erscheint (der Fettdruck beschränkt sich hier auf die nummerierten Wörter): Der Kübelreiter Verbraucht alle Kohle; leer der Kübel; sinnlos die Schaufel; Kälte atmend der Ofen; das Zimmer vollgeblasen von Frost; vor dem Fenster Bäume starr im Reif; der Himmel, ein silberner Schild gegen den, der von ihm Hilfe will . Ich muß (1) Kohle haben; ich darf doch nicht erfrieren; hinter mir der erbarmungslose Ofen, vor mir der Himmel ebenso, infolgedessen muß (2) ich scharf zwischendurch reiten und in der Mitte beim Kohlenhändler Hilfe suchen Gegen meine gewöhnlichen Bitten aber ist er schon abgestumpft; ich muß (3) ihm ganz genau nachweisen, daß ich kein einziges Kohlenstäubchen mehr habe und daß er daher für mich geradezu die Sonne am Firmament bedeutet Ich muß (4) kommen wie der Bettler, der röchelnd vor Hunger an der Türschwelle verenden will und dem deshalb die Herrschaftsköchin den Bodensatz des letzten Kaffees einzuflößen sich entscheidet; ebenso muß (5) mir der Händler, wütend, aber unter dem Strahl des Gebotes „Du sollst nicht töten! “ eine Schaufel voll in den Kübel schleudern . (…) Das Modalverb müssen weist in seiner Hauptbedeutung auf einen Zwang hin, wobei in den ersten vier Verwendungen muß (1)-(4) bemerkenswert ist, dass niemand genannt wird, der diesen Zwang ausübt Für das erste muß erscheint unmittelbar anschließend die Begründung (ich darf doch nicht erfrieren), wobei auch das dabei verwendete Modalverb darf niemanden nennt, der diese „Nicht-Erlaubnis“, also das Verbot zu erfrieren ausspricht Mit der Häufung der Modalverben, die auf äußeren Zwang bzw ein Verbot hinweisen, verstärkt sich die Wirkung des Ausgeliefertseins, die Kafkas Erzählung bestimmt Auch wenn sich muß (5) auf den Kohlenhändler bezieht, kann sich der damit einhergehende Zwang allenfalls durch die Berufung auf einen moralischen Grundsatz bzw ein biblisches Gebot legitimieren, was die Verhandlungsposition des Protagonisten nicht gerade stärkt Modalverben sind nicht nur semantisch, sondern auch sprachstrukturell interessante Einheiten In Abschnitt 7 1 3 wurde bereits auf morphologische Besonderheiten der Modalverben hingewiesen; auch in Einheit 4 sind sie uns 7.2.4 Beispiel (aus: Kafka, Franz: Sämtliche Erzählungen, Frankfurt a M : Fischer 1970, S -195) müssen 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 144 19 09 2019 16: 27: 30 Einheit 7 145 D Ie u nterScheIDunG VerSchIeDener V erbarten : V ollVerben ,h IlfSVerben , m oDalVerben mehrfach unter syntaktischen Gesichtspunkten begegnet Zunächst sollten Sie die sechs „eigentlichen“ Modalverben kennen, die Sie sich am besten über ihre paarweise auftretenden Stammvokale merken können - zwei mit dem Stammvokal o, zwei mit ö und zwei mit ü: -o-: sollen - wollen -ö-: können - mögen -ü-: dürfen - müssen Die Form möchte ist der Konjunktiv Präteritum des Verbs mögen Diese Form kommt häufiger als die ursprüngliche vor, sodass sie wie ein zusätzliches Modalverb erscheint und in vielen Grammatiken auch so behandelt wird Daneben gibt es einige Verben, die Ähnlichkeiten mit den Modalverben haben und auf die wir am Ende dieses Abschnitts eingehen werden Wir betrachten Kafkas Erzählung nochmals mithilfe der bewährten Feldaufteilung, die sowohl das Typische der Modalverben für die Syntax als auch einige Besonderheiten ihres Gebrauchs veranschaulichen kann: Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld 1 Ich muß Kohle haben; 2 ich darf doch nicht erfrieren; 3 infolgedessen muß ich scharf zwischendurch reiten 4 und [ich] [muß] in der Mitte beim Kohlenhändler Hilfe suchen. 5 ich muß ihm ganz genau nachweisen, daß … 6 Ich muß kommen wie der Bettler, 7 der röchelnd vor Hunger an der Türschwelle verenden will 8 ebenso muß mir der Händler (…) eine Schaufel voll in den Kübel schleudern. 9 „Du sollst nicht töten! “ 10 Sobald ich kann, bezahle ich’s. 10.1 Sobald ich kann, Die wichtigste syntaktische Auswirkung von Modalverben ist die Modalklammer - die Verbindung mit Infinitiven im rechten Verbfeld, die in der Tabelle unterstrichen sind: Die Infinitive haben, erfrieren, reiten, suchen, nachweisen usw verdanken dem Modalverb ihre Form und bleiben auch in anderen Tempora infinit, wie die Beispiele 5 1 bis 5 .3 in der folgenden Tabelle zeigen Der Infinitiv ist aber eine rein strukturelle Forderung, der auch andere Einheiten wie das Passivhilfsverb werden in Zeile 5 4 nachkommen können Das „möchte“ Tab. 7.6 Modalklammer 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 145 19 09 2019 16: 27: 30 146 S tark e und Schwache V erben und die V er Schiedenen V erb art en valenztragende Verb nachweisen steht dann im Partizip II (nachgewiesen); der entsprechende Satz ohne Modalverb (und auch ohne Infinitiv) steht in Zeile-5 5 Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld 5 ich muss ihm ganz genau nachweisen, dass … 5.1 ich musste ihm ganz genau nachweisen, dass … 5.2 ich habe ihm ganz genau nachweisen müssen, dass … 5.3 ich werde ihm ganz genau nachweisen müssen, dass … 5.4 es muss ihm ganz genau nachgewiesen werden, dass … 5.5 es wird ihm ganz genau nachgewiesen, dass … In allen diesen Umformungen und in den Beispielen aus Kafkas Text modifizieren die Modalverben die Bedeutungen der valenztragenden Verben auf vielfältige Weise Zwar bleibt deren Valenz erhalten; die Modalverben entfernen sie aber mehr oder weniger von dem, was man in Texten als faktisch gegeben versteht (vgl Kohle haben und Kohle haben müssen) Wenn in einem Satz mit Modalverb kein Vollverb zu finden ist, lässt sich ein solches oft aus dem Kontext oder der Situation erschließen Dies zeigt sich z B im abhängigen Satz in Zeile 10, der so Redundanz vermeidet Man wird ihn kaum anders verstehen als in 10’: 10 Sobald ich kann, bezahle ich’s 10’ Sobald ich es bezahlen kann, bezahle ich’s Modalverben können einerseits zu allen möglichen Verben hinzutreten und dabei deren Bedeutung modifizieren Sie haben aber andererseits auch Eigenbedeutungen, die einen Satz bestimmen können, wenn kein Vollverb vorhanden ist Ein Beispiel hierfür finden wir in Kafkas Text ganz am Anfang: (…) der Himmel, ein silberner Schild gegen den, der von ihm Hilfe will Insbesondere die Modalverben wollen und mögen können Vollverbstatus bekommen Als Vollverb haben diese Modalverben „ihre Ergänzungen“ Da es den Infinitiv *möchten nicht gibt, führen wir hier die Form der 1 / 3 Person an jemand etwas wollen jemand etwas „möchte“ jemand etwas mögen Tab. 7.7 Modalverben in Vollverbfunktion Abb. 7.1 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 146 19 09 2019 16: 27: 30 Einheit 7 147 D Ie u nterScheIDunG VerSchIeDener V erbarten : V ollVerben ,h IlfSVerben , m oDalVerben Modalverben treten gewöhnlich zu anderen Verben hinzu und verändern deren Bedeutung Dabei geht es um den Bezug zur Wirklichkeit (oder auch zu einer gedachten Wirklichkeit in literarischen Texten) bzw das, was man als faktisch gegeben versteht . Diese Interpretation wird durch Modalverben verändert - man versteht den in einem Satz mit Modalverb ausgedrückten Sachverhalt als weniger faktisch: Anne geht zur Uni Anne soll zur Uni gehen Anne will zur Uni gehen Anne kann zur Uni gehen Anne mag zur Uni gehen Anne darf zur Uni gehen Anne muss zur Uni gehen Funktional sind die Modalverben eng verbunden mit anderen Möglichkeiten der Modalisierung, die sich ebenfalls auf den Wirklichkeitsbezug auswirken: ► � Konjunktiv Präsens: (Man sagt,) Anne gehe zur Uni ► � Konjunktiv Präteritum: Anne ginge zur Uni ► � würde-Konjunktiv: Anne würde zur Uni gehen ► � lexikalische Mittel: Vielleicht/ Wahrscheinlich/ Bestimmt geht Anne zur Uni Von allen Sätzen ist unser Ausgangssatz Anne geht zur Uni am nächsten an der Wirklichkeit - auch wenn er wie im Folgenden fortgesetzt werden kann und der Sachverhalt „zur Uni gehen“ nur auf eine prinzipielle Realität verweist: Anne geht zur Uni, aber heute ist sie krank Modalverben haben Haupt- und Nebenbedeutungen Die Hauptbedeutungen werden als deontische Lesarten beschrieben Sie verändern den Sinn von Sätzen, indem semantische Komponenten hinzukommen Dazu gehören insbesondere ► � Notwendigkeit und Verpflichtung: Anne muss zur Uni gehen Anne soll zur Uni gehen Ich muss Kohle haben Du sollst nicht töten ► � Erlaubnis und Verbot: Anne darf zur Uni gehen Anne darf nicht zur Uni gehen Anne muss nicht zur Uni gehen Anne kann zur Uni gehen ► � Wunsch und Wille: Anne möchte zur Uni gehen Anne mag nicht zur Uni gehen Anne will zur Uni gehen ► � Fähigkeit und Möglichkeit: Anne kann gut rechnen Anne kann zur Uni gehen . Bedeutung der Modalverben deontische Lesart der Modalverben 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 147 19 09 2019 16: 27: 30 148 S tark e und Schwache V erben und die V er Schiedenen V erb art en Die Bedeutungen der Modalverben ergeben sich üblicherweise erst im und aus dem Kontext, sodass eine Veranschaulichung wie durch diese Beispielsätze didaktisch immer bedenklich ist und auch niemals vollständig sein kann - sie wurde aus Gründen der Kompaktheit und Veranschaulichung trotzdem gewählt Einige semantische Aspekte zu den angeführten Beispielen sind bemerkenswert: ► � In der Kombination mit nicht entstehen Bedeutungsverschiebungen, die insbesondere durch den Vergleich mit dem Gebrauch von Modalverben in anderen Sprachen deutlich werden: You must not … - Du darfst nicht … usw ► � Das Verb mögen erscheint als ein auf den Willen zielendes Modalverb v a in negierter Form (Anne mag keine Kompromisse/ nicht zur Uni …) Wo es Zu- oder Abneigung ausdrückt, wird es tendenziell als Vollverb verwendet (Anne mag ihren Nachbarn/ Anne mag ihren Nachbarn nicht) ► � Das Modalverb wollen hat ein Pendant in der Form möchte, die einen höflicheren Sprachgebrauch ermöglicht, wenn ein Wunsch an andere gerichtet wird . Das Verb wollen wirkt dagegen meist zu direkt und distanzlos ► � Der Satz Anne kann zur Uni gehen erscheint zum einen unter „Erlaubnis“ (mit der Fortsetzung …, weil sie die langersehnte Zulassung bekommen hat), zum andern unter „Möglichkeit“ (mit der Fortsetzung …, weil sie viel Geld im Lotto gewonnen hat) Eine weitere Interpretation wäre mit der konkreteren Bedeutung von gehen verbunden (… weil sie ganz in der Nähe ein Zimmer gefunden hat) . Bei den deontischen Lesarten spielt die Einstellung des Sprechers gegenüber dem ausgedrückten Sachverhalt keine Rolle Solche Einstellungen sind aber zentrales Merkmal der Nebenbedeutung, der sog epistemischen Lesart, die insbesondere mit den folgenden Bedeutungen einhergeht: ► � Möglichkeit, Vermutung oder Schlussfolgerung: Das Paket kann nur von Anne sein Morgen muss es schönes Wetter geben Anne und Arne sollen nicht mehr zusammen sein Anne will nichts davon gewusst haben Sie dürfte älter sein als er Ob eine Einheit in deontischer oder epistemischer Lesart verstanden wird, hängt nicht zuletzt vom Kontext ab Der bei der deontischen Lesart angeführte Satz Anne soll zur Uni gehen lässt sich z B auch in epistemischer Lesart und damit anders als eine von außen aufgetragene Verpflichtung verstehen: - Hast du schon gehört - Anne soll zur Uni gehen - Was? Ich dachte, sie macht eine Tischlerlehre epistemische Lesart der Modalverben 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 148 19 09 2019 16: 27: 30 Einheit 7 149 D Ie u nterScheIDunG VerSchIeDener V erbarten : V ollVerben ,h IlfSVerben , m oDalVerben Die differenzierten Bedeutungsmöglichkeiten der Modalverben erschließen sich nur im Kontext und insbesondere im Sprachgebrauch Wenn Kinder und Jugendliche am Anfang des Spracherwerbs stehen (z B im DaZ-Unterricht), sollte es zunächst um die wichtigsten Bedeutungen gehen, wobei die Beispiele am besten in Texten erscheinen sollten oder auch in Sätzen, wenn diese mit einer den Satzinhalt darstellenden Illustration verbunden werden Besonders komplex können sowohl die Bedeutung als auch die Sprachstruktur geraten, wenn sich Modal- und Hilfsverben überlagern wie in den folgenden Beispielen aus Abschnitt 4 3 Dabei sind die von einem Modalverb ausgelösten Infinitive unterstrichen Wenn das Modalverb wie in Zeile 13 oder 16 in das rechte Verbfeld gerät, finden wir die infinite Form unmittelbar links daneben Ein solcher Infinitiv muss nicht immer das valenztragende Verb des Satzes sein (Zeile 16) Eine epistemische Bedeutung der Modalverben erscheint insbesondere für die Zeilen 14 und 17 naheliegend Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld 11 Er will einen Schneemann bauen. 12 Er hat einen Schneemann gebaut. 13 Er hat einen Schneemann bauen wollen. 14 Er will einen Schneemann gebaut haben. 15 Die Entscheidung ist getroffen worden. 16 Die Entscheidung hat getroffen werden sollen. 17 Die Entscheidung soll getroffen worden sein. Unterrichtshinweis Bei der gleichzeitigen Verwendung von Hilfs- und Modalverben entstehen komplexere Bedeutungen, die sich zwar systematisieren lassen (z. B. wie verändert sich die Bedeutung des Modalverbs, wenn es im linken bzw. rechten Verbfeld erscheint), deren Betrachtung in der Schule aber auch ohne eine umfassende Systematisierung lohnenswert erscheint. Durch Umformungen und das Vergleichen von Sätzen können deren Bedeutungen bewusst gemacht werden. Dabei sollte man sich nicht auf mündliche Beschreibungen beschränken, sondern auch die ganze Klasse aufschreiben lassen, wie ein bestimmter Satz verstanden werden kann - hier an unserem Beispiel: Er hat einen Schneemann bauen wollen. → Er hatte die Absicht, einen Schneemann zu bauen. Er will einen Schneemann gebaut haben. → Er behauptet, einen Schneemann gebaut zu haben. Kombination von Modal- und Hilfsverben Tab. 7.8 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 149 19 09 2019 16: 27: 30 150 S tark e und Schwache V erben und die V er Schiedenen V erb art en Das Suchen nach Formulierungsalternativen fördert das genaue Betrachten und ein angemessenes Verstehen von Sprache. Dabei kann grammatisches Wissen in der Gestalt einer grammatischen Terminologie erscheinen - aber auch ohne sie ist diese Arbeit sinnvoll. In einem zweiten Schritt lassen sich grammatische Muster herausarbeiten - z. B. die Eigenschaft der Modalverben, einen Infinitiv zu fordern (mit entsprechenden Unterstreichungen). Wenn das Modalverb im linken Verbfeld erscheint, befindet sich der Infinitiv üblicherweise am rechten Rand des rechten Verbfeldes; erscheint das Modalverb im rechten Verbfeld wie in Satz 13 oder 16, ist der Infinitiv links daneben. Weitere Verben mit Infinitiv Das Muster der Modalverben, sich mit einem Verb im Infinitiv zu verbinden, findet sich auch bei anderen Verben . Manche verbinden sich mit dem reinen Infinitiv, manche mit einem Infinitiv + zu und manche lassen auch beides zu Das Verb lassen kann sich prinzipiell mit Infinitiven verbinden und hat dadurch eine große Nähe zu den Modalverben: Sie ließ den Kaffee stehen/ kalt werden Sie lässt einen Drachen steigen Da ist ein Problem, aber das lässt sich nicht ändern Er lässt sein Fahrrad reparieren Er ließ dem Freund Grüße bestellen Einige Verben lassen sich mit zu + Infinitiv verbinden Dazu gehören: brauchen, haben, sein, wissen, scheinen, drohen, pflegen Das Verb brauchen erscheint dabei meist in negierter Form Wird zu weggelassen, könnte man dies als eine Grammatikalisierungsbewegung hin zu den Modalverben deuten Du brauchst nicht gleich in die Luft (zu) gehen Wenn Sie einen Wunsch haben, brauchen Sie nur (zu) klingeln Die Verben haben und sein können die Bedeutung der Infinitive in ähnlicher Weise wie Modalverben um den Aspekt der Verpflichtung anreichern, wobei sich mit dem Verb sein eine passivische Komponente verbindet: haben + zu Er hat eine Rechnung zu bezahlen (= Er muss eine Rechnung bezahlen ) Sie hat ihre Prüfung abzulegen . (= Sie muss ihre Prüfung ablegen ) sein + zu Der Antrag ist nachzureichen (Der Antrag muss nachgereicht werden ) 7.2.5 lassen Verben mit zu + Infinitiv brauchen haben und sein 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 150 19 09 2019 16: 27: 30 Einheit 7 151 D Ie u nterScheIDunG VerSchIeDener V erbarten : V ollVerben ,h IlfSVerben , m oDalVerben Entsprechende Konstruktionen lassen die Verben wissen, scheinen, drohen, kommen und pflegen zu - das Verb wissen in dieser gehoben wirkenden Verwendung findet sich beispielsweise in Kafkas Erzählung aus Abschnitt 7 2 4: … eine alte, eine sehr alte Kundschaft muß es sein, die mir so zum Herzen zu sprechen weiß Sie scheint den Ernst der Lage zu begreifen Der Neubau droht einzustürzen Sie pflegt ihre Schulden pünktlich zu begleichen Reflexive und reziproke Verben Abschließend soll es mit den reflexiven und reziproken Verben um zwei Untergruppen der Vollverben gehen Wir beginnen mit den reflexiven, weil die reziproken als Spezialfall der reflexiven Verben gelten Nimmt man den grammatischen Terminus reflexiv wörtlich, ist er etwas missverständlich Bei den echten reflexiven Verben ist das Reflexivum sich ein Verbbestandteil . Genau diese Gruppe lässt aber eine Reflexivität nicht in gleichem Maße erkennen wie reflexive Verbvarianten oder „unechte“ reflexive Verben Das Wort „Reflex“ beziehen wir alltagssprachlich auf irgendetwas, das zurückkommt - z B eine unwillkürliche Reaktion auf einen bestimmten Impuls oder auf einen Lichtstrahl, der sich in einer Scheibe spiegelt . In diesem Sinne lassen die reflexiv gebrauchten Verben mit dem Reflexivum sich tatsächlich Reflexivität erkennen: reflexiv gebrauchte Verben nicht-reflexiver Gebrauch 18 Anne sah sich im Spiegel. Anne sah ihren kleinen Bruder im Spiegel. 19 Anne hat sich gekämmt. Anne hat ihren kleinen Bruder gekämmt. 20 Anne hält sich mit Kleinigkeiten auf. Anne hält ihre Kommilitonin mit Kleinigkeiten auf. In allen Beispielen wendet sich das Reflexivum als Ergänzung des Verbs auf das Subjekt zurück: jemand sieht sich/ jemand kämmt sich/ jemand hält sich auf usw Dabei ist das Reflexivum nur eine mögliche Ergänzung und kann durch andere Ergänzungen ersetzt werden: jemand sieht jemanden oder etwas/ jemand kämmt jemanden/ jemand hält jemanden oder etwas auf usw Bei den „echten“ reflexiven Verben ist das Reflexivum sich hingegen ein grammatischer Bestandteil Es gehört zum Verb, hat aber keine Bedeutung im eigentlichen Sinne (Zeilen 21-23) wissen, scheinen … 7.2.6 reflexiv gebrauchte Verben: Reflexivum = Verbergänzung Tab. 7.9 „echte“ reflexive Verben: Reflexivum = Verbbestandteil 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 151 19 09 2019 16: 27: 30 152 S tark e und Schwache V erben und die V er Schiedenen V erb art en reflexive Verben nicht-reflexiver Gebrauch 21 Anne hat sich verlobt. - 22 Anne erholt sich im Urlaub - 23 Anne muss sich beeilen. - Die „echten“ reflexiven Verben entsprechen also nicht unserem Alltagsverständnis von Reflexivität . Dies zeigen nicht zuletzt bedeutungsähnliche Alternativen zu einem reflexiven Verb, die nicht reflexiv gebraucht werden: Anne hat sich verlobt - Anne hat geheiratet Anne erholt sich im Urlaub - Anne entspannt im Urlaub Anne muss sich beeilen - Anne muss schnell sein / Anne muss rennen Bei manchen Verben existiert sowohl eine reflexive als auch eine nicht-reflexive Bedeutungsvariante wie im folgenden Satz: Als ich dir das versprochen habe, habe ich mich wahrscheinlich versprochen Auch in den folgenden Zeilen 24-27 verhalten sich die reflexiven Verbvarianten wie echte reflexive Verben Der nicht-reflexive Gebrauch hat entweder eine andere Bedeutung wie in Zeile 24, eine andere Valenz wie in Zeile 25 oder sie erlaubt keine gemeinsame Verwendung von Reflexivum und Ergänzung in einem Satz wie die Verben in den Zeilen 26 und 27 - dies wäre bei den reflexiv gebrauchten Verben durchaus möglich (vgl . Zeile 18-20: Anne sah sich und ihren kleinen Bruder im Spiegel usw ) reflexive Verbvarianten nicht-reflexiver Gebrauch 24 Anne hält sich in Spanien auf. - (Tür aufhalten oder jemanden aufhalten i. S. v. verzögern sind andere Bedeutungen) 25 Anne freut sich über den Brief. Der Brief freut Anne. 26 Anne erinnert sich an die schöne Zeit. Anne erinnert ihren Bruder an die schöne Zeit. ? Anne erinnert sich und ihren Bruder an die schöne Zeit. 27 Anne setzt sich auf die Bank. Anne setzt ihren kleinen Bruder auf die Bank. ? Anne setzt sich und ihren kleinen Bruder auf die Bank. Wir beginnen auch hier ganz analog zu den reflexiven Verben mit den reziprok gebrauchten Verben . Sie setzen zwei oder mehr Mitspieler voraus, die in den Beispielen 28 und 30 jeweils mit dem Subjekt im Plural vorhanden sind reziprok gebrauchte Verben nicht-reziproker Gebrauch 28 Die Bücher ähneln sich. Die Bücher ähneln einem Telefonbuch. 29 Die Gäste begrüßten sich. Die Gäste begrüßten den Gastgeber. 30 Die Gäste kannten sich. Die Gäste kannten den Gastgeber. Tab. 7.10 reflexive Verbvarianten Tab. 7.11 reziprok gebrauchte Verben Tab. 7.12 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 152 19 09 2019 16: 27: 30 Einheit 7 153 ü bunG en Im reziproken Gebrauch lässt sich das Reflexivum sich durch das Wort einander ersetzen, was die Gegenseitigkeit erkennbar macht Zu den reziprok gebrauchten bzw verwendbaren Verben gehören außerdem sich verstehen, helfen, duzen, hassen, achten, lieben …: Anne versteht Kevin Kevin versteht Anne Anne und Kevin verstehen sich (= Anne und Kevin verstehen einander .) Ein Subjekt im Singular ist bei reziprok gebrauchten Verben dann möglich, wenn es ein Kollektiv bezeichnet; daneben gibt es die unpersönliche Verwendung mit man: Das Kollegium duzte sich Eine Vorstellung der Teilnehmer war nicht notwendig - man kannte sich bereits Die reziprok verwendbaren Verben lassen sich immer auch nicht-reziprok verwenden Dann erscheint statt des Reflexivums eine Verbergänzung; hierbei kann das Subjekt auch im Singular erscheinen (vgl 28-30; mit Singular: Das Buch ähnelte einem Telefonbuch usw ) . Die „echten“ reziproken Verben sind eine sehr kleine Gruppe Eine nichtreziproke Verwendung dieser Verben ist nicht möglich, ebenso wenig eine Ersetzung des Reflexivums durch das Wort einander reziproke Verben nicht-reziproker Gebrauch 31 Die Parteien hatten sich über lange Jahre angefeindet. - 32 Wegen der Erbschaft hatten sich die Geschwister überworfen. - Übungen 1 Bilden Sie die drei Stammformen der folgenden Verben. Handelt es sich um starke, schwache oder unregelmäßige Verben? 1. Stammform (Infinitiv) 2. Stammform (Präteritumsform 1. u. 3. P. Sg.) 3. Stammform (Partizip II) sitzen setzen sprechen sagen nachdenken überlegen reziproke Verben Tab. 7.13 7.3  Lösungshinweise unter www.bachelorwissen.de und www.granzowemden.de 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 153 19 09 2019 16: 27: 31 154 S tark e und Schwache V erben und die V er Schiedenen V erb art en 2 Das folgende Gedicht erscheint auf den ersten Blick auch für didaktische Zwecke attraktiv. Inwiefern könnte sein Einsatz im Unterricht problematisch sein? Ein schlechter Schüler Als ich noch zur Schule gehte, zählte ich bald zu den Schlauen, doch ein Zeitwort recht zu biegen, bringte immer Furcht und Grauen. Wenn der Lehrer mich ansehte, sprechte ich gleich falsche Sachen, für die andern Kinder alle gebte das meist was zum Lachen. Ob die Sonne fröhlich scheinte oder ob der Regen rinnte: wenn der Unterricht beginnte, sitzt’ ich immer in der Tinte. Ob ich schreibte oder leste, Unsinn machtete ich immer, und statt eifrig mich zu bessern, werdete es nur noch schlimmer. (…) 3 a) Wie lauten die drei Stammformen der Verben in den beiden folgenden Beispielen? 1. Sie hängte das Bild an die Wand. 2. Der Mantel hing lange im Schrank. b) Beschreiben Sie den Unterschied der beiden Verben. Zeichnen Sie hierzu die „Atommodelle“ zu beiden Verben. c) Vergleichen Sie das Verhalten des Verbs hängen mit den drei Verben setzen - stellen - legen und den drei Verben sitzen - stehen - liegen. Formulieren Sie dazu Beispielsätze mit diesen Verben nach folgendem Muster: Er setzt die Figur auf den Schrank./ Die Figur sitzt auf dem Schrank. Was stellen Sie fest? d) Unterschiedliche Stammformen treten auch bei den Verben erschrecken und bewegen auf. Finden Sie zu jedem Verb zwei unterschiedliche Verwendungen und erläutern Sie die Valenzen. 4 a) Wie lauten die drei Stammformen der Verben in den folgenden Beispielpaaren? 1a) Ich habe dir einen Brief gesandt. 1b) Er hat den Funkspruch längst gesendet. 2a) In den Fässern gor der Wein. 2b) Es gärte in der Menge. 3a) Leonardo da Vinci schuf die Mona Lisa. 3b) Die Mannschaft schaffte den Ausgleich. 4a) Ich habe die Messer geschliffen. 4b) Sie war über die Straße geschleift worden. b) Was könnten die Gründe für die Verwendung der unterschiedlichen Formen sein? Beispiel (aus: Bull, Bruno Horst (1972): Eine Katze ging ins Wirtshaus München: Heyne) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 154 19 09 2019 16: 27: 31 Einheit 7 155 ü bunG en 5 Obwohl in den beiden folgenden Sätzen hat als finites Verb erscheint, unterscheiden sie sich erheblich. Woran liegt das? 1. Er hat viel Geld. 2. Er hat viel Geld verloren. 6 1. Es ist ja auch wirklich nichts im Fernsehen, was man gern sehen möchte. 2. Heute brauchen wir Gott sei Dank überhaupt nicht erst in den blöden Kasten zu gucken. 3. Ich laß mir doch von einem Fernsehgerät nicht vorschreiben, wo ich hinsehen soll! 4. Was wäre denn heute für ein Programm gewesen? 5. Heute ist der Apparat ja nu kaputt. (aus: Loriot: Das Frühstücksei, Zürich: Diogenes 2003, S 77-79 © 2008 Diogenes Verlag AG Zürich) Bestimmen Sie in den Sätzen die Verben und unterscheiden Sie Vollverben, Kopulaverben, Hilfsverben und Modalverben. 7 Als Michelangelo vor einem Marmorblock stand, soll er gesagt haben: „David ist schon in diesem Block, ich muss ihn nur noch herausschlagen! “ Beschreiben Sie die beiden hier verwendeten Modalverben in ihrer syntaktischen Auswirkung und in ihrer Semantik. 8 Beschreiben Sie die sprachlichen Mittel der folgenden Werbung eines Medienmarktes und des Titels einer Fernsehsendung: 1. So muss Technik. 2. Ich kann Kanzler. 9 In der Schule kursiert der sprachpflegerische Hinweis: „Wer brauchen ohne zu gebraucht, braucht brauchen gar nicht zu gebrauchen.“ Diskutieren Sie diesen Hinweis und berücksichtigen Sie dabei den folgenden, im Mündlichen möglichen Satz: Er brauch morgen nicht kommen. [sic! ] 10 Der Text im dunkel hinterlegten Kasten auf Seite 132 enthält 14 Funktionsverbgefüge. Markieren Sie alle und ersetzen Sie diese durch verbale Ausdrücke. (Bitte beachten Sie dabei: Auch so entsteht noch nicht unbedingt ein „schöner“, ästhetisch ansprechender Text! ) 11 Der Abgeordnete klebt Wahlplakate an die Wand. Der Abgeordnete beklebt die Wand mit Wahlplakaten. a) Untersuchen Sie, wie das Präfix be| den Sinn und die Valenz im zweiten der beiden Sätze beeinflusst. b) Vergleichen Sie die beiden folgenden Sätze mit den beiden obigen. Versuchen Sie eine formbezogene und eine inhaltliche Annäherung an die Unterschiede. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 155 19 09 2019 16: 27: 31 156 S tark e und Schwache V erben und die V er Schiedenen V erb art en Wahlplakate werden vom Abgeordneten an die Wand geklebt. Die Wand wird vom Abgeordneten mit Wahlplakaten beklebt. 12 1. Der Fahrer hält den Schirm. 2. Der Fahrer hält einen Mittagsschlaf. 3. Die Ministerin hielt ihre Wahlversprechen. 4. Der Dienstwagen hält. 5. Die Koalition hält. 6. Die Koalition hielt ihre Gesetzesvorlage für einen großen Wurf. 7. Die Ministerin hielt ihre Mitarbeiter an der kurzen Leine. 8. Die Ministerin hielt sich beim Haushaltsentwurf an die Abmachungen. a) Beschreiben Sie für jeden Satz die Semantik des Verbs halten. b) Stellen Sie dar, wie sich mit der veränderten Bedeutung auch die Anzahl und Art der Ergänzungen verändern kann. 13 Verbraucht alle Kohle; leer der Kübel; sinnlos die Schaufel; Kälte atmend der Ofen; das Zimmer vollgeblasen von Frost; vor dem Fenster Bäume starr im Reif; der Himmel, ein silberner Schild gegen den, der von ihm Hilfe will. a) Der Beginn von Kafkas Erzählung Der Kübelreiter unterscheidet sich von den Satzmustern, die wir in den Einheiten 4 und 5 kennengelernt haben. Beschreiben Sie die Unterschiede. b) Schreiben Sie den Beginn des Kübelreiters so um, dass Sätze entstehen. c) Wie unterscheidet sich die Wirkung des Originaltextes von Ihrer Umarbeitung? Verwendete und weiterführende Literatur Boettcher, Wolfgang (2009): Grammatik verstehen. Band 1: Wort. Tübingen: Niemeyer. Dudenredaktion (2009) (Hrsg.): DUDEN. Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. 8., überarbeitete Auflage. Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich: Dudenverlag. Eisenberg, Peter (2006): Grundriss der deutschen Grammatik. Band 2: Der Satz. 3., durchgesehene Auflage. Stuttgart; Weimar: Metzler. Karrasch, Günter (2011): „Die können sollen, müssen wollen dürfen“. Modalverben in Sätzen. In: Praxis Deutsch 226, 46-52. Szczepaniak, Renata (2009): Grammatikalisierung im Deutschen. Eine Einführung. Tübingen: Narr. http: / / hypermedia.ids-mannheim.de/ index.html (Grammis: Das grammatische Informationssystem des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim (IDS) - Zugriff am 20. 12. 2012). 7.4 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 156 19 09 2019 16: 27: 31 157 Inhalt 8 1 Person und Numerus bei Subjekt und finitem Verb 158 8 2 Das Verb, sein Bezug zur Zeit und die Tempora 165 8 3 Verbformen im Aktiv und Passiv (Genus verbi) 171 8 4 Die Partizip II-Form zur Bildung von Verbformen 173 8 5 Verbformen im Modus Indikativ und Konjunktiv 175 8 6 Übungen 177 8 7 Verwendete und weiterführende Literatur 178 Das Verb wirkt in ganz besonderer Weise am Zusammenspiel von Form und Funktion mit - wir wollen in dieser und der darauf folgenden Einheit von den Formen des Verbs ausgehen und sie auf Funktionen beziehen. Die Formenvielfalt des Verbs kommt insbesondere durch seine prinzipielle Zweiteiligkeit im Satz zustande. Die grammatischen Informationen, die sich im Zusammenspiel von linkem und rechtem Verbfeld ausdrücken, überlagern sich in konkreten Sätzen immer und führen gleichzeitig zu einer bestimmten Person im Singular oder Plural, einem Tempus, einem Modus und einer Form im Aktiv oder Passiv. Trotzdem ist es üblich, zur Einführung diese Kategorisierungen zu trennen und den Fokus auf jeweils einen Aspekt zu richten. Die formalen Unterscheidungen des Verbs betreffen ► � Person und Numerus: Diese Kategorisierungen werden nur am finiten Verb sichtbar und werden vom Subjekt eines Satzes bestimmt. ► � das Tempus: Der Zeitbezug ist zwar eine wichtige, aber nicht die einzige Funktion der verschiedenen Tempusformen. ► � das Genus verbi, das auch als Diathese oder einfach Aktiv-Passiv bezeichnet wird: Hier gibt es mit dem Aktiv eine häufigere und mit dem Passiv eine markierte Form. ► � den Modus: Standardmodus ist der Indikativ. Daneben gibt es die besonderen Formen des Konjunktivs. Den Imperativ behandeln wir im Unterschied zur traditionellen Grammatik nicht als Modus, sondern als besondere Verbform der zweiten Person. Formen und Funktionen des Verbs im Satz Einheit 8 Überblick 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 157 19 09 2019 16: 27: 31 158 f ormen unD f unk tIonen D e S V erbS Im S at z Die formalen Kategorisierungen korrespondieren mit sprachlichen Funktionen, sind diesen aber nicht eindeutig zugeordnet. Was man beispielsweise funktional als Passiv bezeichnet, lässt sich nicht nur durch die grammatisch als Passiv beschriebenen Formen ausdrücken. Trotzdem ermöglichen die formalen Unterscheidungen eine Ordnung, um den Formenreichtum in den Griff zu bekommen. Ein systematischer Überblick zu den Verbformen folgt in Einheit 9. Person und Numerus bei Subjekt und finitem Verb Das finite Verb bekommt seine Person- und Numerusmerkmale vom Subjekt des Satzes Subjekte in der ersten oder zweiten Person gibt es nur als Personalpronomen Was bei der grammatischen „Person“ auf den ersten Blick nach einer sehr formalen Durchnummerierung ausschaut, ist auf den zweiten durchaus funktional - es ist eine Unterscheidung zwischen Sprecher (1 Person), Hörer (2 Person) und Besprochenem (3 Person) Das Besprochene kann als Nominalgruppe ( → Einheit 10), als Personalpronomen (er/ es/ sie) oder als Satz erscheinen (s Beispiele in Tab 8 4) Wenn es in den folgenden Abschnitten um die grammatischen Formen geht, werden für die Person die Ordinalzahlen 1 / 2 / 3 verwendet; in funktionaler Sicht erscheint auch erste/ zweite/ dritte Person Person im Singular Wir unterscheiden bei jedem finiten Verb in Abhängigkeit vom Subjekt drei Personen und zwei Numeri und wollen zunächst die Singularformen betrachten Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Präsens Ich versteh|e die Welt nicht mehr. Die 1 Person im Singular verbindet sich immer mit dem Personal„pronomen“ ich Der Terminus Personalpronomen trifft mit seinem ersten Teil durchaus den Sachverhalt - wer ich sagen kann, ist eine Person In der Vorstellung kann auch alles andere wie eine Person behandelt werden, wenn z B in Märchen oder anderen fantastischen Geschichten ein Tier oder irgendein Ding durch seine Fähigkeit zu sprechen diese menschliche Eigenschaft erhält Der zweite Teil des Wortes (…pronomen) ist allerdings irreführend Ich ist funktional kein 8.1 8.1.1 Tab. 8.1 1. Person Singular Abb. 8.1 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 158 19 09 2019 16: 27: 32 Einheit 8 159 p er Son unD n umeruS be I S ubje k t unD fInIt e m V erb „Fürwort“ oder „Stellvertreter für ein Nomen“, wie es die traditionelle Grammatik darstellt, sondern der einzig adäquate Ausdruck, mit dem ein Sprecher auf sich selbst verweisen kann Dieses Zeigen des Sprechers auf sich selbst wird in der Fachliteratur mit dem Terminus Sprecherdeixis bezeichnet Weil in gewissem Sinne sich jeder selbst der nächste ist, erscheint die Bezeichnung „1 Person“ für die Einheit ich vielleicht etwas egozentrisch, aber funktional durchaus angemessen Die zweite Person zielt auf den Hörer und wird als Hörerdeixis bezeichnet Wenn man sich jemandem zuwendet, wird dieser zur zweitwichtigsten Person in der Gesprächssituation Dabei gibt es im Deutschen eine weitere Unterscheidung zwischen vertraut/ familiär und höflich-distanziert/ formell Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Präsens Du versteh|st die Welt nicht mehr. Die vertraut-familiären Formen der 2 Person im Singular gelten als die markiertesten - nicht nur, weil |st lautlich markanter ist als |e, |t oder |en Diese Konjugationsendung findet sich in fast allen Verbformen der vertrauten 2 -Person Singular - sowohl in den Präsensals auch den Präteritumsformen; nur die besonderen Verbformen des Imperativs verzichten darauf Das Morphem |st ist darüber hinaus die einzige Konjugationsendung, die konsequent nur von einer Person genutzt wird (im Präteritum entsprechen sich z B die finiten Verben der 1 und 3 Person immer) Diese besondere Markierung erscheint durchaus funktional, weil man für gewöhnlich die größte Aufmerksamkeit dann beansprucht, wenn man sich direkt an jemanden richtet Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Präsens Warum versteh|en Sie die Welt nicht mehr? Die höflich-distanzierten Formen der 2 Person entsprechen lautlich den Formen der 3 Person Plural Deshalb wird das Siezen in der traditionellen Grammatik nicht eigens angeführt bzw einfach zur 3 Person Plural gepackt - aus didaktischen Gründen sollte man es aber funktional zur zweiten Person rechnen Dafür gibt es zwei gewichtige Gründe: Zum einen müssen Kinder nach der Primarschulzeit die gesellschaftlichen Konventionen lernen, die mit der Höflichkeitsform verbunden sind Zum andern gibt es diese 2 Per- 2. Person Singular Tab. 8.2 2. Person vertraut/ familiär Abb. 8.2 Tab. 8.3 2. Person höflichdistanziert/ formell 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 159 19 09 2019 16: 27: 32 160 f ormen unD f unk tIonen D e S V erbS Im S at z son nicht nur in Gesprächen, sondern auch im Schriftverkehr Die Konvention der Höflichkeit schlägt sich auch in der Orthografie nieder, wenn man die Großschreibung als Signal für Wichtigkeit und Respekt deutet Natürlich kann man die Großschreibung auch als Unterscheidungsschreibung zur kleingeschriebenen 3 Person erklären, die insbesondere wegen der Situationsentbundenheit in der Schrift wichtig ist Die familiär-vertraute Version Du, Dich, Dir bzw Ihr/ Euch/ Euer kann nach der amtlichen Regelung von 2006 nur dann großgeschrieben werden, wenn man sich wie in Briefen persönlich an jemanden wendet Ansonsten werden diese Formen immer kleingeschrieben (z B in Aufgabenstellungen in Schulbüchern) . Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Präsens Die Studentin versteh|t die Welt nicht mehr. Präsens Das Urteil erschein|t ihr ungerecht. Präsens Was hier passiert ist, gefälll|t ihr gar nicht. Präsens Es geh|t nicht immer gerecht zu. Präsens Es regn|et den ganzen Tag. Die Einheiten der 3 - „Person“ beziehen sich auf das Besprochene - das muss nicht eine Person sein (weshalb „Person“ hier in Anführungszeichen erscheint), sondern kann sich auf alles Mögliche beziehen Dabei gibt es im Singular sowohl bei den Personalpronomen als auch bei anderen Nominalgruppen eine Unterscheidung nach drei Genera Die Personalpronomen der 3 - Person dienen insbesondere dazu, einen bereits fokussierten Gegenstand oder Sachverhalt fortzuführen Darüber hinaus füllt das Pronomen es eine strukturelle Lücke, wenn kein anderes Subjekt vorhanden ist (s die beiden letzten Beispiele in Tab -8 4) Abb. 8.3 Tab. 8.4 3. Person Singular Abb. 8.4 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 160 19 09 2019 16: 27: 35 Einheit 8 161 p er Son unD n umeruS be I S ubje k t unD fInIt e m V erb Person im Plural und Überblick Auch im Plural unterscheiden die drei Personen Sprecher, Hörer und die besprochenen Gegenstände (im weiten Sinne) Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Präsens Wir versteh|en die Welt nicht mehr. In der 1 Person Plural erscheint die Form wir, die sich üblicherweise auf mehr als einen Sprecher bezieht Die dabei entstehenden Gruppenbildungen sind unterschiedlich interpretierbar, wie der folgende Witz zeigt: - Du, Schatz, wir kennen uns jetzt seit 20 Jahren - meinst du nicht, wir sollten heiraten? - Klar - aber wer nimmt uns denn noch? Wer wir verwendet, meint meistens sich selbst und eine andere Person oder sich selbst und viele andere Personen, was man auch als inklusive Bedeutung von wir bezeichnet Daneben gibt es weitere Gebrauchsmöglichkeiten: ► ein exklusives wir: „Wir beide, aber jeder für sich“ (z B Ich habe einen Bruder Wir haben im gleichen Jahr geheiratet ) ► ein wir, das den Sprecher ausschließt (z B in der folgenden Lehrerfrage: Haben wir auch alle unsere Hausaufgaben gemacht? ) ► das Autoren-wir, das wir auch in diesem Buch an vielen Stellen verwendet haben In der 2 Person gibt es wie im Singular eine vertraute und eine höflich-distanzierte (formelle) Variante, wobei sich letztere äußerlich nicht vom Singular unterscheidet Auch hier ist (wie im Singular) die formelle Variante immer und die vertraute in Briefen u Ä großzuschreiben Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Präsens Ihr versteh|t die Welt nicht mehr. Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Präsens Warum versteh|en Sie die Welt nicht mehr? 8.1.2 Tab. 8.5 1. Person Plural Abb. 8.5 2. Person Plural Tab. 8.6 2. Person vertraut/ familiär Tab. 8.7 2. Person höflichdistanziert/ formell 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 161 19 09 2019 16: 27: 36 162 f ormen unD f unk tIonen D e S V erbS Im S at z Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Präsens Warum versteh|en die Leute die Welt nicht mehr? Die Einheiten der 3 „Person“ nennen bzw verweisen auf Besprochenes im Plural (sowohl Personen als auch Gegenstände im weitesten Sinne) Eine Unterscheidung nach Genera wie im Singular gibt es dabei nicht Das Pronomen sie entspricht lautlich den formellen Formen der 2 - Person, wird hier allerdings kleingeschrieben Abschließend seien Person und Numerus in den beiden wichtigsten Tempusformen Präsens und Präteritum im Überblick dargestellt Ein Überblick über sämtliche Tempusformen erfolgt in Einheit 9 Präsens: Funktion Singular (schwach bzw. stark) Plural (schwach bzw. stark) 1. Person Sprecher ich sag|e bzw. schreib|e wir sag|en bzw. schreib|en 2. Person Hörer familiär/ vertraut Hörer höflich/ distanziert du sag|st bzw. schreib|st Sie sag|en bzw. schreib|en ihr sag|t bzw. schreib|t Sie sag|en bzw. schreib|en 3. Person Besprochenes er es sag|t bzw. schreib|t sie sie sag|en bzw. schreib|en Abb. 8.6 Abb. 8.7 Tab. 8.8 3. Person Plural Abb. 8.8 Überblick zu Person und Numerus Tab. 8.9 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 162 19 09 2019 16: 27: 38 Einheit 8 163 p er Son unD n umeruS be I S ubje k t unD fInIt e m V erb Präteritum: Funktion Singular (schwach bzw. stark) Plural (schwach bzw. stark) 1. Person Sprecher ich sag|te bzw. schrieb wir sag|ten bzw. schrieb|en 2. Person Hörer familiär/ vertraut Hörer höflich/ distanziert du sag|test bzw. schrieb|st Sie sag|ten bzw. schrieb|en ihr sag|tet bzw. schrieb|t Sie sag|ten bzw. schrieb|en 3. Person Besprochenes er es sag|te bzw. schrieb sie sie sag|ten bzw. schrieb|en Imperativformen: Eine besondere zweite Person Der Terminus Imperativ (von imperare - befehlen) ist mit einer sehr speziellen Sprachfunktion verbunden: Eine Imperativform wird verwendet, wenn sich ein Sprecher mit einer Bitte, einer Aufforderung oder einem Befehl an einen Hörer wendet Wegen der hörerorientierten Ausrichtung dieser Sprachhandlung hat sie nur Formen in der zweiten Person Weil sich das im Imperativ Geäußerte üblicherweise erst noch erfüllen muss, gibt es auch keine Tempusformen, keine Unterscheidung von Aktiv und Passiv und keine Konjunktivformen Im folgenden Textauszug sind die Imperativformen fett markiert (bei trennbaren Verben nur ihr finiter Teil): Kurt Tucholsky: Ratschläge für einen schlechten Redner Fang nie mit dem Anfang an, sondern immer drei Meilen vor dem Anfang! Etwa so: „Meine Damen und meine Herren! Bevor ich zum Thema des heutigen Abends komme, lassen Sie mich Ihnen kurz …“ (…) Sprich nicht frei - das macht einen so unruhigen Eindruck . Am besten ist es: du liest deine Rede ab Das ist sicher, zuverlässig, auch freut es jedermann, wenn der lesende Redner nach jedem viertel Satz mißtrauisch hochblickt, ob auch noch alle da sind (…) Sprich mit langen, langen Sätzen - (…) die Nebensätze schön ineinandergeschachtelt (…) Fang immer bei den alten Römern an und gib stets, wovon du auch sprichst, die geschichtlichen Hintergründe der Sache (…) Kümmere dich nicht darum, ob die Wellen, die von dir ins Publikum laufen, auch zurückkommen - das sind Kinkerlitzchen Sprich unbekümmert um die Wirkung, um die Leute, um die Luft im Saale; immer sprich, mein Guter Gott wird es dir lohnen Du mußt alles in die Nebensätze legen Sag nie: „Die Steuern sind zu hoch .“ Das ist zu einfach Sag: „Ich möchte zu dem, was ich soeben gesagt habe, noch kurz bemerken, daß mir die Steuern bei weitem …“ So heißt das . Tab. 8.10 8.1.3 Beispiel (aus: Tucholsky, Kurt: Gesammelte Werke Bd . III, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1960, S -600, Fettungen von M G -E ) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 163 19 09 2019 16: 27: 38 164 F ormen und F unk tionen de s V erbs im s at z Trink den Leuten ab und zu ein Glas Wasser vor - man sieht das gern Wenn du einen Witz machst, lach vorher, damit man weiß, wo die Pointe ist (…) Kündige den Schluß deiner Rede lange vorher an, damit die Hörer vor Freude nicht einen Schlaganfall bekommen . (…) Kündige den Schluß an, und dann beginne deine Rede von vorn und rede noch eine halbe Stunde . Dies kann man mehrere Male wiederholen (…) Sprich nie unter anderthalb Stunden, sonst lohnt es gar nicht erst anzufangen Wenn einer spricht, müssen die andern zuhören - das ist deine Gelegenheit Mißbrauche sie Für den vertraut-familiären Gebrauch hat der Imperativ eine eigene Form in der zweiten Person Singular; die Pluralform der zweiten Person entspricht äußerlich der üblichen Indikativform Typisch für Aufforderungen mit dem Imperativ sind sowohl die Verberststellung als auch ein fehlendes Subjekt: Singular: Schreib bitte den Brief ! Plural: Schreibt bitte den Brief ! Die vertraut-familiären Imperativformen im Singular werden zum größten Teil durch den Verbstamm gebildet, dem optional ein |e angehängt werden kann: fang an/ fange an; sag/ sage; trink/ trinke; lach/ lache; red/ rede Bei einigen starken Verben wird der Stamm jedoch umgelautet; ein |e kann nicht angehängt werden Diese Verben erfahren auch in der „normalen“ 2 -und 3 Person eine Umlautung Die folgende Zusammenstellung enthält die häufigsten Formen: befehlen: befiehl brechen: brich empfehlen: empfiehl essen: iss fressen: friss geben: gib helfen: hilf lesen: lies messen: miss nehmen: nimm sehen: sieh sprechen: sprich stechen: stich sterben: stirb treffen: triff verderben: verdirb vergessen: vergiss werfen: wirf Die Pluralformen kennen diese morphologische Besonderheit nicht; bei ihnen wird dem Verbstamm immer ein |t angehängt: befehlt, esst, gebt, lest, seht usw Wenn der Verbstamm auf d, t oder gn endet, wird bei den Pluralformen aus lautlichen Gründen ein Schwa-Laut bzw das Graphem e eingeschoben: redet, ratet, begegnet Da der Verzicht auf das Subjekt bei den vertraut-familiären Formen üblich ist, wirken Imperativsätze mit einem Subjekt durch die betonte Hörerdeixis markiert: Schreib du bitte den Brief ! vertraut-familiäre Formen des Imperativs Tab. 8.11 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 164 19 09 2019 16: 27: 38 Einheit 8 165 D a S V erb , Se In b e zu G zur z e It unD D Ie t e mp or a In der höflich-distanzierten zweiten Person haben sich keine eigenen Imperativformen ausgebildet Sowohl im Singular als auch im Plural erscheinen sie immer mit dem Subjekt Sie Singular/ Plural: Schreiben Sie bitte den Brief ! Der Imperativ ist etwas ganz anderes als Indikativ und Konjunktiv- - er ist formal und funktional ausgesprochen spezialisiert und eben nur eine spezielle Form der zweiten Person . Deshalb betrachten wir die traditionelle Einordnung des Imperativs bei den Modi als eine Verlegenheitslösung Der Modus beschränkt sich in dieser Grammatik auf die Unterscheidung von Indikativ und Konjunktiv: Indikativformen haben keine besondere Markierung und sind sehr universell verwendbar Konjunktivformen sind hinsichtlich des Wirklichkeitsbezugs markiert ( → Abschnitt- 8 .5); beide Modi besitzen im Unterschied zum Imperativ Formen in allen Personen und Tempora mit einer zusätzlichen Unterscheidung von Aktiv und Passiv ( → Einheit 9) Das Verb, sein Bezug zur Zeit und die Tempora Die Erfahrung von Zeit gehört neben der Wahrnehmung des Raumes zu den grundlegenden Dimensionen, denen sich kein Mensch entziehen kann Natürlich finden sich solche Erfahrungen auch in der Sprache . Es gibt lexikalische Mittel wie bald, heute, nachdem, seit zwei Stunden, am Abend, im nächsten Jahr oder um 17 25 Uhr am 10 Oktober 2018; Zeitaspekte finden sich weiterhin in Wörtern wie schnell, allmählich, dauernd, sich beeilen, Epoche usw Auch die Verben im linken und rechten Verbfeld stellen in vielfältiger Weise einen Bezug zur Zeit her Diese Funktion führte zu dem Terminus „Zeitwort“, der aber mit Blick auf die vielfältigen lexikalischen Mittel, die ebenfalls einen Zeitbezug haben, für Kinder irreführend ist Den Zeitbezug bewirken Verben an erster Stelle durch die Tempusformen, die seit jeher zum schulgrammatischen Wissen gehören Wie fast überall spielt auch hier die Unterscheidung von Form und Funktion eine wichtige Rolle: ► � Formal unterscheiden wir die sechs Tempusformen (kurz: Tempora) Präsens, Präsensperfekt, Futur und Futurperfekt, außerdem Präteritum und Präteritumperfekt . Ein bestimmter Satz kann z B formal im Präsens stehen, aber nicht „in der Gegenwart“ Das Präsens kann zwar einen Bezug zur Zeit herstellen Es ist aber keine Zeit; es ist auch keine „Zeit, in der das Verb steht“, sondern eine Form ► � Funktional kann ein bestimmter Satz auf Zeitliches verweisen Die zeitliche Einordnung lässt sich erst am konkreten Satz in seiner situativen bzw kontextuellen Umgebung treffen Dabei unterscheiden wir die drei Zeitstufen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Man kann z B sagen, dass eine Geschichte in der Zukunft spielt, aber nicht, dass sie in der Zukunft steht höflich-distanzierte Formen des Imperativs systematische Einordnung des Imperativs 8.2 Verb als „Zeitwort“? Form und Funktion: Tempusform und Zeitbezug 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 165 19 09 2019 16: 27: 38 166 F ormen und F unk tionen de s V erbs im s at z Wenn eine Geschichte in der Zukunft spielt, steht sie meistens im Präsens oder Futur oder als erzählender Text auch im Präteritum . Viele Sätze sind aber „zeitlos“ gemeint (wie in den meisten wissenschaftlichen Texten) Die hier gewählte Reihenfolge der Tempusformen ist formal begründet: Die ersten vier Tempora enthalten jeweils ein finites Verb im Präsens, die letzten beiden eines im Präteritum Die Termini orientieren sich am Grammatikduden von 2016 und erscheinen auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig, sind auf den zweiten aber sehr systematisch und konsequent In der folgenden Übersicht werden sie den schulgrammatisch üblichen Termini gegenübergestellt: traditionelle Terminologie neue Terminologie Begründung der neuen Terminologie Präsens Präsens Perfekt Präsensperfekt finites Hilfsverb im Präsens + typische Perfektbildung Futur I Futur finites Futurhilfsverb werden + Infinitiv Futur II Futurperfekt finites Futurhilfsverb werden + typische Perfektbildung + Infinitiv haben/ sein Präteritum/ Imperfekt Präteritum Plusquamperfekt Präteritumperfekt finites Hilfsverb im Präteritum + typische Perfektbildung Bevor wir in Einheit 9 die Tempusformen im Indikativ und Konjunktiv systematisch darstellen, wollen wir uns dem Zeitphänomen in der Sprache funktional annähern . An einem leicht veränderten Text aus einer Boulevardzeitung, der bereits in Abschnitt 7 1 .2 als Materialpool für die starken Verben diente, werden wir die Funktionen der verwendeten Tempusformen betrachten und anschließend untersuchen, wie Verben darüber hinaus durch ihre spezifische Semantik auf Zeitliches verweisen Der Text erscheint zur besseren Lesbarkeit zunächst in normaler Darstellung; für die Analyse verwenden wir unsere Feld- und Zeilengliederung Zivilcourage Karen S ist auf dem Heimweg, als an der U-Bahn-Station Mehringdamm ein stark alkoholisierter Mann auf eine ältere Frau mit einer Bierflasche einschlägt Als sie einschreitet, kommt es zu einem Gerangel . Der Rowdy stürzt dabei ins Gleisbett und bricht sich den Arm Das Gericht brummt Karen S 700 Euro auf - wegen vorsätzlicher Körperverletzung . Die Studentin versteht die Welt nicht mehr Sie half - und wurde dafür bestraft Ob sie das nächste Mal vielleicht lieber wegschaut, weiß sie nicht Nun hat sie sich einen Rechtsbeistand genommen und geht in Revision Tab. 8.12 Beispiel 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 166 19 09 2019 16: 27: 38 Einheit 8 167 D a S V erb , Se In b e zu G zur z e It unD D Ie t e mp or a Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld 1 Karen S. ist auf dem Heimweg, als … 1.1 als an der U-Bahn-Station Mehringdamm ein stark alkoholisierter Mann auf eine ältere Frau mit einer Bierflasche einschlägt. 2 Als sie einschreitet, kommt es zu einem Gerangel. 3 Der Rowdy stürzt dabei ins Gleisbett 3.1 und [er] bricht sich den Arm. 4 Das Gericht brummt Karen S. 700 Euro auf - wegen vorsätzlicher Körperverletzung. 5 Die Studentin versteht die Welt nicht mehr. 6 Sie half 6.1 - und [sie] wurde dafür bestraft. 7.1 Ob sie das nächste Mal vielleicht lieber wegschaut, 7 Ob sie das nächste Mal vielleicht lieber wegschaut, weiß sie nicht. 8 Nun hat sie sich einen Rechtsbeistand genommen 8.1 und [sie] geht in Revision. Im Text finden wir folgende Tempora: ► � Zeilen 1-5: Präsens ► � Zeile 6 und 6 .1: Präteritum ► � Zeile 7 1 und 7: Präsens ► � Zeile 8: Präsensperfekt ► � Zeile 8 1: Präsens Leser werden den Text als Bericht verstehen und die Präsens-Zeilen 1 bis 4 in der Vergangenheit ansiedeln Da in Zeile 4 von einem Gerichtsverfahren mit Urteilsspruch die Rede ist, erweist sich diese Lesart als angemessen . Eine solche Präsensverwendung wird auch als narratives oder historisches Präsens bezeichnet Damit lässt sich ein Geschehen aus der Vergangenheit vergegenwärtigen Das Präsens in Zeile-5 wird man als unmittelbare Reaktion auf das Tab. 8.13 exemplarische Analyse der Formen und Funktionen narratives/ historisches Präsens 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 167 19 09 2019 16: 27: 39 168 F ormen und F unk tionen de s V erbs im s at z Urteil ebenfalls in der Vergangenheit ansiedeln, aber vermuten, dass es in die Gegenwart hineinreicht Das Präteritum in Zeile 6 kann auf das Geschehen in Zeile-2, das Präteritum in Zeile 6 1 auf das Urteil in Zeile 4 bezogen werden Weil das Geschehen in Zeile 6 dem in Zeile 6 1 vorausgeht, wäre in Zeile 6 auch das Präteritumperfekt angemessen (Sie hatte geholfen, …) In Zeile 7 1 bezieht sich das Präsens auf die Zukunft, im übergeordneten Bezugssatz (im linken Verbfeld und Mittelfeld in Zeile 7) auf die Gegenwart Zeile 8 schließlich hat zwar Vergangenheitsbezug; die Auswirkungen dieser Entscheidung wirken aber in die Zukunft hinein, was spätestens durch die Zukunftsbedeutung des Präsenssatzes in Zeile 8 1 deutlich wird . Das Präteritum erschiene in Zeile- 8 allenfalls dann angemessen, wenn ein Revisionsurteil bereits vorläge und damit das ganze Verfahren in der Vergangenheit angesiedelt wäre (z B Sie nahm einen Rechtsbeistand und ging erfolgreich in Revision) Wie in Zeile-8 dient die Präsensperfektform häufig dazu, das Hineinwirken von Vergangenem in die Gegenwart zu beschreiben Die Untersuchung eines Textes in dieser Weise kann zum einen unangemessene Zuordnungen wie „Präsens = Gegenwart“ relativieren Zum andern lassen sich ausgehend von Texten auch die zeitbezogenen Implikationen darstellen, die in Verben semantisch stecken können: ► � In Zeile 1 bezeichnet das Vollverb … ist (auf dem Heimweg) einen zeitlich begrenzten Vorgang (z B im Unterschied zu Karen S ist eine Frau, was einen Zustand beschreibt, der üblicherweise ein Leben lang anhält) ► � Das Geschehen, das in Zeile 1 .1 mit dem Verb einschlagen beschrieben wird, enthält meist mehrere aufeinanderfolgende Aktivitäten mit Anfangs- und Endpunkt ► � In Zeile 2 bezeichnet das Verb einschreiten den Moment, der kurz nach dem Entschluss des Einschreitens liegt . Dagegen geht das anschließende Funktionsverbgefüge zu einem Gerangel kommen von einem Anfangspunkt und einem sich allmählich steigernden Geschehen aus, das im Moment des Stürzens sein Ende findet (Zeile 3) ► � In den Zeilen 3 und 3 .1 beschreiben die Verben stürzen und brechen ein fast punktförmiges, sich kaum ausdehnendes Ereignis ► � Dagegen beinhaltet das Verb (nicht mehr) verstehen in Zeile 5 einen mehr oder weniger ausgedehnten geistigen Zustand usw Solche Analysen können in der Schule durchaus erhellend sein und die Sprachbewusstheit fördern Da die verschiedenen „Aktionsarten“ des Verbs ihre Wirkung nur in Texten entfalten, sollten sie jedoch nicht in isolierter Form zum Unterrichtsgegenstand werden Neben den Zeitstufen und den Aktionsarten gibt es eine weitere funktionale Unterscheidung von Sprech-, Ereignis- und Betrachtzeit, die zu einem Verstehen der vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten der Tempusformen beitragen kann: Aktionsarten des Verbs Sprechzeit/ Ereigniszeit/ Betrachtzeit 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 168 19 09 2019 16: 27: 39 Einheit 8 169 D a S V erb , Se In b e zu G zur z e It unD D Ie t e mp or a ► � E s gibt eine Zeit, während der etwas gesagt bzw geschrieben wird In der Fachliteratur fasst man sie als „Sprechzeit“ zusammen ► � Das, was geäußert bzw geschrieben wird, kann dabei auf einen Zeitpunkt oder eine Zeitspanne in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft bezogen sein . Diese Zeit bezeichnen wir als Ereigniszeit (auch wenn nur ein Bruchteil von dem, worauf dieser Terminus zielt, als „Ereignis“ im alltagssprachlichen Verständnis gelten kann) ► � Beim Sprechen oder Schreiben kann man sich auch gedanklich „versetzen“ und ein Ereignis von einem Zeitpunkt oder einer Zeitspanne aus betrachten, der/ die in der Vergangenheit oder Zukunft liegt Diese Zeit nennen wir Betrachtzeit In unserem Zeitungsbericht liegt die Sprechzeit (eigentlich „Schreibzeit“) für das Geschehen in den Zeilen 1 bis 3 1 bestimmt einige Wochen nach der Ereigniszeit, da bereits ein Gerichtsverfahren stattgefunden hat Für die Beschreibung des Ereignisses wird die Betrachtzeit mit der Ereigniszeit synchronisiert, was wie bei einer Live-Berichterstattung das Präsens als Tempus ermöglicht: Der Schreiber begleitet in seiner Betrachtung Karen S . auf ihrem Heimweg bis zum Armbruch des Rowdys an der U-Bahn-Station Zeitverlauf Betrachtzeit = Ereigniszeit Sprechzeit Karen S. ist auf dem Heimweg, als (…) ein stark alkoholisierter Mann auf eine ältere Frau (…) einschlägt. Erst in Zeile 6 wird das Geschehen aus der aktuellen Sicht des Schreibers beschrieben - die Sprechzeit wird gleichzeitig zur Betrachtzeit; die beiden sich unterscheidenden Ereigniszeiten des Helfens bzw Bestraftwerdens liegen in der Vergangenheit, was sowohl in Zeile 6 als auch in 6 1 zum Präteritum führt (Abb 8 13) Abb. 8.9 Sprechzeit Abb. 8.10 Ereigniszeit Abb. 8.11 Betrachtzeit Abb. 8.12 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 169 19 09 2019 16: 27: 39 170 F ormen und F unk tionen de s V erbs im s at z Zeitverlauf Ereigniszeit 1 Sprechzeit = Betrachtzeit Sie half - und wurde dafür bestraft Ereigniszeit 2 In Zeile 7 befinden sich im untergeordneten Teilsatz Betracht- und Ereigniszeit in der Zukunft (das nächste Mal ist ein hypothetisches Ereignis); im übergeordneten Satz (weiß sie nicht) fällt die Ereigniszeit zwar ebenfalls mit der Betrachtzeit zusammen . Beides liegt aber bei einer solchen Reportage in der jüngeren Vergangenheit Dabei erscheint es (wie bereits angedeutet) nicht unbedingt angemessen, das Nichtwissen als „Ereignis“ zu bezeichnen Das Zusammenfallen von Betracht- und Ereigniszeit ermöglicht sowohl im abhängigen als auch im übergeordneten Satz das Präsens als Tempusform Zeitverlauf Betrachtzeit 2 = Ereigniszeit 2 Betrachtzeit 1 = Ereigniszeit 1 Ob sie das nächste Mal vielleicht lieber wegschaut, weiß sie nicht. Sprechzeit Die Betrachtzeit kann auch in der Zukunft verankert werden, um von dort auf eine Ereigniszeit zurückzublicken, die ebenfalls in der Zukunft liegt Dies soll das folgende, jenseits unseres Bezugstextes konstruierte Beispiel zur Beschreibung von Zukünftigem mit der Tempusform Präsensperfekt illustrieren Die Verwendung der Futurperfektform wäre hier ebenfalls möglich, gäbe dem Sachverhalt aber einen stärker hypothetischen Charakter (Im nächsten Winterurlaub wirst du deine Prüfungen hinter dich gebracht haben) Zeitverlauf Ereigniszeit Betrachtzeit Im nächsten Winterurlaub hast du deine Prüfungen hinter dich gebracht. Sprechzeit Prüfungen Winterurlaub Abb. 8.13 Abb. 8.14 Abb. 8.15 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 170 19 09 2019 16: 27: 39 Einheit 8 171 V erbformen Im a k tI V unD p a SSI V (G enuS V erbI ) Verbformen im Aktiv und Passiv (Genus verbi) In einem Satz wird nicht nur ein bestimmtes Tempus verwendet, sondern auch ein Genus verbi . Dieser Fachterminus fasst als Oberbegriff die Unterscheidung von Aktiv und Passiv zusammen . Dass Verben ein Geschlecht haben sollen, erscheint noch etwas absurder als bei den Nomen Zumindest die sehr alberne Zuordnung Aktiv = männlich/ Passiv = weiblich findet sich heute zum Glück nicht mehr in den Schulgrammatiken, aber vielleicht können Sie sich so wenigstens den Fachterminus merken . Funktional und auch formal lassen sich die Aktivformen nur ex negativo eingrenzen: Alles, was formal kein Passiv ist, gilt als Aktiv . Aktiv bezeichnet also die unmarkierte, Passiv die markierte Form Weil bei Weitem nicht jeder Aktivsatz Aktivität erkennen lässt, erscheint der Terminus in seiner wörtlichen Bedeutung irreführend Formal stehen z B alle folgenden Sätze im Aktiv: Anne lag schon den ganzen Mittag faul auf dem Sofa und hatte zu gar nichts Lust . Sie fror, weil die Heizung mal wieder ausgefallen war Da ließ sie ein Taxi kommen, das sie zum Friseur brachte Dort hat sie die Haare geschnitten bekommen Keiner der Sätze taugt so richtig dafür, zu erklären, was denn nun „aktiv“ bedeute Man würde im Gegenteil v a bei den letzten beiden Sätzen vermuten, dass hier so etwas wie Passiv im Spiel ist Manche Grammatiken beschreiben solche Sätze auch als „passivisch“ oder als lassenbzw bekommen-Passiv . Der formale Passivbegriff ist aber reserviert für eine Konstruktion mit dem Hilfsverb werden und einer Partizip II-Form im rechten Verbfeld . Im obigen Text Zivilcourage kommt das Passiv nur einmal vor: Sie half - und [sie] wurde dafür bestraft Ein analoger Aktivsatz könnte in einem ersten Entwurf so aussehen: Sie half und das Gericht bestrafte sie dafür Nun ist es in einem Rechtsstaat nicht die Aufgabe von Gerichten, zu bestrafen oder zu belohnen, sondern einfach nur, das Recht herzustellen Der obige Passivsatz umgeht dieses Problem, indem der Auslöser des Geschehens bzw Sachverhalts einfach ausgespart wurde . Dies geschieht mit einer Konstruktion, die vorzugsweise an sog . transitiven Verben stattfindet: Aktivsatz: Der Richter spricht den Angeklagten frei Passivsatz: Der Angeklagte wird freigesprochen Der lateinische Fachterminus „transitiv“ (lat transire - hinübergehen) bezieht sich auf das „Hinübergehen“ der Akkusativergänzung (schulgrammatisch „des Akkusativobjekts“) in die Position des Subjekts (s Pfeil) Transitive Verben sind also solche mit Akkusativergänzung im Aktivsatz, die im Passivsatz zum 8.3 Genus verbi - Aktiv und Passiv transitive Verben 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 171 19 09 2019 16: 27: 39 172 F ormen und F unk tionen de s V erbs im s at z Subjekt wird Bei der Umformung vom Aktivzum Passivsatz wird das Subjekt des Aktivsatzes entbehrlich, auch wenn es inhaltlich bei Bedarf in einer Präpositionalgruppe erscheinen kann (vom Richter/ durch den Richter) Dieses Beispiel macht übrigens auch deutlich, dass der in manchen Schulgrammatiken gebrauchte Terminus „Leideform“ für das Passiv funktional nicht angemessen ist Zwar stehen alle folgenden Sätze im Passiv, aber nur im ersten erschiene der Terminus halbwegs einleuchtend, weil in den drei folgenden nicht viel gelitten wird: Karen wurde bestraft Karen ist gelobt worden Karen wird geliebt Der Auslöser eines Geschehens oder Sachverhalts wird im Passiv ausgespart In Passivsätzen besteht die Möglichkeit, den Auslöser eines Geschehens zu verschweigen - in Schulgrammatiken wird das Passiv deshalb auch funktional als „täterabgewandt“ beschrieben Damit lässt sich aber nicht im Umkehrschluss das Aktiv als „täterzugewandt“ charakterisieren Zum einen erscheint es etwas eigenartig, wenn im Satz Kevin liebt Karen Kevin als „Täter“ bezeichnet wird Zum andern kann der „Täter“ oder das „Agens“, wie der Auslöser eines Geschehens oder Sachverhalts oft genannt wird, auch in Aktivsätzen ausgespart werden Für diese Funktion kommen ganz unterschiedliche sprachliche Mittel infrage: sprachliche Mittel: Beispiel: Verben wie lassen oder bekommen Karen bekam Lob. Anne ließ sich zur Uni fahren. sein + zu + Infinitiv Die Vorschrift ist zu beachten. gehören + Partizip II So ein Verhalten gehört verboten. unpersönliches man als Subjekt Man bestrafte Karen. Unbelebtes als Handlungsauslöser Die Erkenntnisse zwingen uns zu raschem Handeln. reflexivische Konstruktionen Das Problem zeigt sich hier in besonderer Weise. Solche Darstellungsmittel sind durchaus funktional, weil sie dazu beitragen können, Redundantes einzusparen; weiterhin können sie auch zur Verschleierung von Sachverhalten dienen (indem z B Verantwortlichkeiten verschwiegen werden) Passiv als täterabgewandte Perspektive Möglichkeiten einer täterabgewandten Darstellung in Aktivsätzen Tab. 8.14 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 172 19 09 2019 16: 27: 39 Einheit 8 173 D Ie p artIzIp II-f orm zur b IlDunG Von V erbformen Die Partizip II-Form zur Bildung von Verbformen Eine besondere Rolle für die Bildung der Passiv- und der unterschiedlichen Perfektformen spielt die Partizip II-Form, die wir als „dritte Stammform“ kennengelernt haben und der wir schon mehrfach begegnet sind Diese Form hat sich in der Sprachgeschichte entwickelt, weil sich so auf sehr elegante Weise der Adjektivbestand erweitern ließ, ohne neue Adjektive erfinden zu müssen Das, was in vielen Verben als prozessuale Bedeutung steckt, wurde mit der Partizip II-Form auf das Resultat dieses Prozesses fokussiert, und dieses „Ende“ beschreibt bei vielen Verben - ganz ähnlich wie viele Adjektive - eine Eigenschaft Weil sie einen verbalen Ursprung haben, aber oft als Adjektiv verwendet werden, haben Partizipien auch den deutschen Terminus Mittelwort erhalten Verb Partizip II (Adjektive) Anne bereitet ein Referat vor. … das vorbereitete Referat (vgl. das schöne/ lange/ langweilige Referat) Anne wäscht ihre Jeans. … die gewaschenen Jeans (vgl. die neuen/ schwarzen/ kaputten Jeans) Anne schließt ihr Studium ab. … das abgeschlossene Studium (vgl. das mühsame/ erfolgreiche Studium) Anne trinkt einen Wein. … der getrunkene Wein (vgl. der rote/ gute/ trockene Wein) Wenn nun die Partizip II-Form das Resultat des im Verb ausgedrückten Prozesses adjektivisch fassen kann, lassen sich auch die verschiedenen Verbformen mit Partizip II besser verstehen: Mit dem Getrunkensein ist das Trinken zu einem Ende gekommen, und dies lässt sowohl die Perfektals auch die Passivverwendung plausibel erscheinen In den unterschiedlichen Perfektformen erscheint meist das Hilfsverb haben: Anne hat einen Wein getrunken vgl : Anne hat einen Wein intus Hier ist allerdings anzumerken, dass sich nicht in jedem Perfektsatz das Hilfsverb haben wie hier auf die Bedeutung des Vollverbs haben beziehen lässt - es hat sich (wie die gesamte Perfektbildung) grammatikalisiert Ebenfalls grammatikalisiert hat sich die Perfektbildung mit dem Hilfsverb sein, die auf das Kopulaverb sein bezogen werden kann: Kopulaverb + Adjektiv (Präsens): Das Baby ist müde Präsensperfektbildung mit Hilfsverb + Partizip II: Das Baby ist eingeschlafen . 8.4 Tab. 8.15 Perfektbildung 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 173 19 09 2019 16: 27: 39 174 F ormen und F unk tionen de s V erbs im s at z Was die Beispiele weiterhin zeigen, ist die Wirkung der Präsensform hat bzw ist auf die Bedeutung der beiden Sätze Die Präsensformen lassen den im Vollverb ausgedrückten Sachverhalt in die Gegenwart hineinreichen Das eingeschlafene Baby schläft in der Folge, und auch der getrunkene Wein tut seine Wirkung Vergleichen Sie dazu die beiden Antwortmöglichkeiten im folgenden Dialog - eine Präteritumsform in der Antwort ist kaum erwartbar: - Was ist denn mit Anne los? Warum lacht sie dauernd? - Sie hat einen Wein getrunken / ? Sie trank einen Wein Und auch beim Passiv erscheint die resultative Bedeutung, die in vielen Partizip II-Formen mitschwingt, plausibel Als Hilfsverb erscheint im Passiv werden, das als Kopulaverb eine Zustandsveränderung ausdrückt Hier entsteht also ein Spannungsverhältnis zwischen einem Resultat (Partizip-II) und einer gewissen Dynamik durch Veränderung (werden) . So wie sich das Kopulaverb werden mit einer Adjektivergänzung verbindet, kann es sich in grammatikalisierter Form als Hilfsverb auch mit Verben im Partizip II verbinden und zu Passivformen führen: Kopulaverb werden + Adjektiv Passiv: Hilfsverb werden + Partizip II Das Referat wurde leider etwas langweilig. Das Referat wurde sehr sorgfältig vorbereitet. Die Jeans werden beim Waschen heller. Die Jeans werden bei 60 Grad gewaschen. Das Studium wird bestimmt wundervoll. Das Studium kann nicht immer in der Regelstudienzeit abgeschlossen werden. Der Wein wird bei guter Lagerung immer besser. Der Wein wird am besten bei 18 Grad getrunken. Eine enge Verbindung zwischen Partizip II-Formen und Adjektiven zeigt sich auch im sog Zustandspassiv Im Präsensperfekt Passiv kann bei manchen Verben die resultative Bedeutung hervorgehoben werden, indem das spezielle Passivhilfsverb worden, das im Präsensperfekt erscheint, weggelassen wird: Präsensperfekt Passiv: Die Jeans sind gewaschen worden Zustandspassiv: Die Jeans sind gewaschen Das Verb sein im linken Verbfeld kann in solchen Sätzen sowohl als Hilfsverb gedeutet werden, das vom Präsensperfekt herkommt ( → Abschnitt 9 2), als auch als Kopulaverb, das sich mit einer als Adjektivergänzung verwendeten Partizip II-Form verbindet ( → Abschnitt 7 2 3) Passivbildung Tab. 8.16 Zustandspassiv 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 174 19 09 2019 16: 27: 39 Einheit 8 175 V erbformen Im m oDuS I nD Ik atI V unD k onjunk tI V Verbformen im Modus Indikativ und Konjunktiv „Indikativ“ ist eine formale Bezeichnung für den unmarkierten Modus und betrifft alle Sätze, die nicht im Konjunktiv stehen Der lateinische Terminus (indicativus = zur Aussage geeignet) ist auf die notwendige Bedingung zur Formulierung von Aussagen bezogen Aussagen sind Behauptungen, die wahr oder falsch sein können Wenn nun der Indikativ eine notwendige formale Bedingung für Aussagen ist, folgt daraus, dass im Konjunktiv keine Aussagen möglich sind, weil Sätze im Konjunktiv nicht wahr oder falsch sein können . Dass indikativische Sätze nicht auf Aussagen beschränkt sind, haben wir bereits am Ende des Abschnitts 6 1 festgestellt Auch der deutsche Terminus „Wirklichkeitsform“ beschreibt allenfalls eine Teilmenge der Sätze im Indikativ Wir haben beispielsweise gesehen, wie Modalverben den Wirklichkeitsbezug modifizieren ( → Abschnitt 7 .2 .4); auch lexikalische Mittel wie wahrscheinlich, vielleicht, hoffentlich oder auch nie, nicht oder keinesfalls können das, was man für wirklich hält, durchkreuzen - trotzdem können sie jederzeit in indikativischen Sätzen auftauchen Der Indikativ ist die unmarkierte Modusform, die Konjunktivformen hingegen sind markiert und haben ein kleineres Funktionsspektrum Mit dem Konjunktiv hat das Deutsche Verbformen, um die Faktizität einer Äußerung zu relativieren oder etwas weitergehend einen Sachverhalt als nicht zutreffend darzustellen Sätze im Konjunktiv sind in diesem Sinne markiert . Während die Darstellung von Sachverhalten „als real“ auf Indikativformen angewiesen ist, beinhalten Konjunktivformen eine gedankliche Grenzüberschreitung Sie fassen die Welt nicht so, wie sie ist (oder zumindest zu sein scheint), sondern entfernen sie mehr oder weniger von dem, was man als „wirklich“ versteht Das folgende Gedicht von Heinz Erhardt geht in den ersten beiden Zeilen von einer irrealen Vorstellung aus und beginnt mit dem Konjunktiv Präteritumperfekt ( → Abschnitt 9 12) Was in den folgenden Zeilen (3) bis (6) erscheint, ist zwar ebenso irreal; mit den beiden ersten Zeilen ist aber eine Voraussetzung geschaffen, die hier den Konjunktiv Präteritum bzw einen würde-Konjunktiv in der letzten Zeile ermöglicht und das Geschehen damit als potentiell möglich darstellt: Der Berg (1) Hätte man sämtliche Berge der ganzen Welt (2) zusammengetragen und übereinandergestellt (3) und wäre zu Füßen dieses Massivs (4) ein ruhiges Meer, ein breites und tief ’s (5) und stürzte dann unter Donnern und Blitzen (6) der Berg in dieses Meer - - - na, das würd spritzen! 8.5 Indikativ Konjunktiv Beispiel (aus: Der große Heinz Erhardt, Oldenburg: Lappan, 2009, S 239) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 175 19 09 2019 16: 27: 39 176 F ormen und F unk tionen de s V erbs im s at z Die Termini der Konjunktivformen unterscheiden sich in den Grammatiken. Häufig findet sich die Unterscheidung zwischen Konjunktiv I-Formen, die insbesondere für den Bezug auf wörtliche Rede benutzt werden, und Konjunktiv II-Formen, die den Wirklichkeitsbezug von Äußerungen markieren. Äußerungen im Konjunktiv II sollen nicht als eine Darstellung der Wirklichkeit, sondern als gedankliche Konstruktion verstanden werden. ► � Für den Konjunktiv I gibt es vier Formmuster, die formale Ähnlichkeiten mit der Präsens-, Präsensperfekt-, Futur und Futurperfektbildung haben und die eine temporale Komponente besitzen. ► � Die Konjunktiv II-Formen lassen sich aus dem Präteritum und dem Präteritumperfekt im Indikativ ableiten. Bei diesen Formen wird der temporale Aspekt aber von den Funktionen Möglichkeit/ Irrealität dominiert, sodass sie häufig als Konjunktiv Potentialis bzw. Konjunktiv Irrealis bezeichnet werden. Die Tempusbezeichnungen aus dem Indikativ übernehmen wir im Sinne eines Baukastensystems für den Konjunktiv. Die Termini sollten aber nicht funktional verstanden werden; sie sind lediglich Termini zur Ordnung des Konjunktivs, die es ermöglichen, dessen Formenreichtum sehr einfach in den Griff zu bekommen: Sie sind weitgehend identisch mit den entsprechenden Formen im Indikativ und unterscheiden sich nur im finiten Verb, das in den Konjunktiv I-Formen stets im Konjunktiv Präsens, in den Konjunktiv II-Formen stets im Konjunktiv Präteritum steht. Dies bedeutet gleichzeitig, dass uns das finite Verb im Zusammenspiel mit dem rechten Verbfeld prinzipiell die Identifikation von Indikativ- und Konjunktivformen ermöglicht. Die in den einzelnen Abschnitten in der folgenden Einheit 9 angeführten Verbformen seien zuvor im Überblick dargestellt: Indikativformen Konjunktivformen Präsens Die Studentin versteht … Konjunktiv Präsens Die Studentin verstehe … Konjunktiv I- Formen Präsensperfekt Die Studentin hat … verstanden Konjunktiv Präsensperfekt Die Studentin habe … verstanden Futur Die Studentin wird … verstehen Konjunktiv Futur Die Studentin werde … verstehen Futurperfekt Die Studentin wird … verstanden haben Konjunktiv Futurperfekt Die Studentin werde … verstanden haben Präteritum Die Studentin verstand … Konjunktiv Präteritum Die Studentin verstände … Konjunktiv II- Formen Präteritumperfekt Die Studentin hatte … verstanden Konjunktiv Präteritumperfekt Die Studentin hätte … verstanden - würde-Konjunktiv Die Studentin würde … verstehen zusätzliche analytische Konjunktiv II- Form Terminologie Tab. 8.17 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 176 19 09 2019 16: 27: 39 Einheit 8 177 ü bunG en Übungen 1 1 5 Fernsehabend Ein Ehepaar sitzt vor dem Fernsehgerät. Obwohl die Bildröhre ausgefallen ist und die Mattscheibe dunkel bleibt, starrt das Ehepaar zur gewohnten Stunde in die gewohnte Richtung. 10 15 20 25 30 35 Sie Wieso geht der Fernseher denn gera- de heute kaputt? Er Die bauen die Geräte absichtlich so, daß sie schnell kaputtgehen … (Pause) Sie Ich muß nicht unbedingt fernsehen … Er Ich auch nicht … nicht nur, weil heute der Apparat kaputt ist … ich meine sowieso … ich sehe sowieso nicht gern Fernsehen … Sie Es ist ja auch wirklich nichts im Fernsehen, was man gern sehen möchte … (Pause) Er Heute brauchen wir Gott sei Dank überhaupt nicht erst in den blöden Kasten zu gucken … Sie Nee … (Pause) … Es sieht aber so aus, als ob du hinguckst … Er Ich? Sie Ja … Er Nein … ich sehe nur ganz allgemein in diese Richtung … aber du guckst hin … Du guckst da immer hin! Sie Ich? Ich gucke da hin? Wie kommst du denn darauf? Er Es sieht so aus … Sie Das kann gar nicht so aussehen … ich gucke nämlich vorbei … ich gucke absichtlich vorbei … und wenn du ein kleines bißchen mehr auf mich achten würdest, hättest du bemerken können, daß ich absichtlich vorbeigucke, aber du interessierst dich ja überhaupt nicht für mich … Er (fällt ihr ins Wort) Jaaa … jaaa … jaaa …. jaaa … Sie Wir können doch einfach mal ganz woandershin gucken … Er Woanders? … Wohin denn? Sie Zur Seite … oder nach hinten … Er Nach hinten? Ich soll nach hinten sehen? … Nur weil der Fernseher kaputt ist, soll ich nach hinten sehen? Ich laß mir doch von einem Fernsehgerät nicht vorschreiben, wo ich hinsehen soll! (Pause) Sie Was wäre denn heute für ein Programm gewesen? 8.6  Lösungshinweise unter www.bachelorwissen.de und www.granzowemden.de Beispiel (aus: Loriot: Das Frühstücksei, Zürich: Diogenes 2003, S 77-79 © 2008 Diogenes Verlag AG Zürich) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 177 19 09 2019 16: 27: 39 178 F ormen und F unk tionen de s V erbs im s at z 40 45 50 55 Er Eine Unterhaltungssendung … Sie Ach … Er Es ist schon eine Un-ver-schämtheit, was einem so Abend für Abend im Fernsehen geboten wird! Ich weiß gar nicht, warum man sich das überhaupt noch ansieht! … Lesen könnte man statt dessen, Kartenspielen oder ins Kino gehen … oder ins Theater … statt dessen sitzt man da und glotzt auf dieses blöde Fernsehprogramm! Sie Heute ist der Apparat ja nu kaputt … Er Gott sei Dank! Sie Ja … Er Da kann man sich wenigstens mal unterhalten … Sie Oder früh ins Bett gehen … Er Ich gehe nach den Spätnachrichten der Tagesschau ins Bett … Sie Aber der Fernseher ist doch kaputt! Er (energisch) Ich lasse mir von einem kaputten Fernseher nicht vorschreiben, wann ich ins Bett zu gehen habe! a) Markieren Sie im Text „Fernsehabend“ von Loriot die finiten Verben; bestimmen Sie Person und Numerus und deren Funktionen. b) Die bauen die Geräte absichtlich so, daß sie schnell kaputtgehen. Erläutern Sie, inwiefern der Terminus Personalpronomen missverständlich sein kann. c) Ich gehe nach den Spätnachrichten der Tagesschau ins Bett. Bestimmen Sie die Tempusform dieses Satzes und ihre Funktion. d) Nennen Sie weitere Mittel, die im Text zur Versprachlichung von Zeit verwendet werden. 2 Beschreiben Sie die Besonderheit des Imperativs in Form und Funktion in Abgrenzung zu Verbformen im Indikativ und Konjunktiv am folgenden Beispiel: Repariere bitte den Fernseher! 3 Häufig wird behauptet, Futur und Futurperfekt seien Zukunftsformen. Diskutieren Sie diese Behauptung und beziehen Sie dabei den folgenden Minidiskurs mit ein. Er: „Ich finde die Chips nicht.“ Sie: „Wenn sie nicht in der Küche sind, werden sie weg sein.“ Er: „In der Küche sind sie nicht.“ Sie: „Schade, du wirst sie gestern gegessen haben! “ Verwendete und weiterführende Literatur siehe Abschnitt 9.15 8.7 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 178 19 09 2019 16: 27: 39 179 Einheit 9 Inhalt 9 1 Präsens 181 9 2 Präsensperfekt 182 9 3 Futur 184 9 4 Futurperfekt 186 9 5 Präteritum 188 9 6 Präteritumperfekt 189 9 7 Konjunktiv Präsens 191 9 8 Konjunktiv Präsensperfekt 192 9 9 Konjunktiv Futur 193 9 10 Konjunktiv Futurperfekt 194 9 11 Konjunktiv Präteritum 195 9 12 Konjunktiv Präteritumperfekt 197 9 13 würde-Konjunktiv 198 9 14 Übungen 199 9 15 Verwendete und weiterführende Literatur 200 Die Unterscheidung der Tempora, der Modi und der beiden Genera verbi betreffen zunächst formale Aspekte - sie gehören zum Grundwissen in der Schule und fassen das Zusammenspiel bestimmter Verbformen im linken und rechten Verbfeld in eine Terminologie. Dieses Zusammenspiel der Formen wird in dieser Einheit systematisch und anschaulich dargestellt, und zwar immer am gleichen Satz Der frühe Vogel fängt den Wurm. Dieser Beispielsatz ermöglicht alle hier vorgesehenen Formen im Indikativ Übersicht zu den Verbformen: Aktiv- und Passivformen im Indikativ und Konjunktiv Überblick 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 179 19 09 2019 16: 27: 40 180 Ü bersicht zu den V erbformen und Konjunktiv sowie im Aktiv und Passiv, die damit vergleichbar werden. Komplex werden die Formen insbesondere durch Modal- und Passivklammern, die in den einzelnen Abschnitten immer in der gleichen Abfolge erscheinen (Aktivsatz ohne/ mit Modalverb; Passivsatz ohne/ mit Modalverb). Die beiden Verbfelder werden als formbildende Einheiten immer hervorgehoben und mit Beschreibungen gekennzeichnet: Auf sie kommt es bei der Formenbestimmung an. Nach dieser strukturell und optisch immer gleichen Darstellung finden sich Anmerkungen zu Form und Funktion der Kategorisierungen und ggf. weitere Beispiele. Die Termini und die Anordnung der Indikativ- und Konjunktivformen weichen im Folgenden von der traditionellen Anordnung ab (zur Begründung → Abschnitt 8.2/ Tab. 8.12). Zur besseren Übersicht erscheint jede Tempusform auf einer neuen Seite. Hinweise für den Unterricht Mit der folgenden Blankoversion können sich die Schülerinnen und Schüler ggf . auch exemplarisch die Formen der beiden Modi bzw einzelner Tempora im Aktiv und Passiv durch eigenes Eintragen bewusst machen Für einen ersten Überblick kann es sinnvoll sein, nur die jeweils ersten Zeilen (also ohne die Modalverben) zu berücksichtigen 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 180 19 09 2019 16: 27: 40 Einheit 9 181 p r ä SenS Präsens Ein Aktivsatz steht im Präsens, wenn ► � die finite Verbform ein Vollverb im Präsens ist oder ► � die finite Verbform ein Modalverb im Präsens ist und im rechten Verbfeld ein Vollverb im Infinitiv erscheint finites Vollverb im Präsens + … … (evtl. trennbarer Verbteil) Der frühe Vogel fängt den Wurm. Der frühe Vogel kann den Wurm fangen. finites Modalverb im Präsens +… … Infinitiv Ein Passivsatz steht im Präsens, wenn sich ► � das finite Passivhilfsverb werden im Präsens mit einem Vollverb im Partizip II im rechten Verbfeld verbindet oder ► � ein finites Modalverb im Präsens mit einem Vollverb im Partizip II und dem Hilfsverb werden im Infinitiv im rechten Verbfeld verbindet finites Hilfsverb werden im Präsens + … … Partizip II Der Wurm wird (vom frühen Vogel) gefangen. Der Wurm kann (vom frühen Vogel) gefangen werden. finites Modalverb im Präsens + … … Partizip II + werden Wenn es um Zeitliches geht, ist das Präsens wie keine andere Tempusform für alle Zeitstufen verwendbar Für Gegenwärtiges und Zukünftiges gilt es als Standardtempus: Anne rennt durch die Wohnung und sucht ihren Schlüssel Im nächsten Jahr finden keine Wahlen statt 1989 fällt die Mauer (historisches Präsens) Das Präsens gilt als unmarkierte Tempusform und ist zweifelsohne das flexibelste Tempus - so flexibel, dass es manche Grammatiker als „atemporal“ beschreiben Dafür spricht, dass für „Zeitloses“ prinzipiell das Präsens verwendet wird: Unser Sonnensystem liegt in der Milchstraße Zwei mal zwei ist vier Das Hemd wird bei 60 Grad gewaschen Anne hat den Führerschein . 9.1 Abb. 9.1 Abb. 9.2 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 181 19 09 2019 16: 27: 40 182 Ü bersicht zu den V erbformen Präsensperfekt Ein Aktivsatz steht im Präsensperfekt, wenn sich ► � das finite Hilfsverb haben oder sein im Präsens mit einem Vollverb im Partizip II im rechten Verbfeld verbindet oder ► � das finite Hilfsverb haben im Präsens mit einem Vollverb im Infinitiv und einem Modalverb im Infinitiv verbindet (Hinweis: Das Modalverb darf in dieser Konstruktion nicht als Partizip II-Form erscheinen: *Der frühe Vogel hat den Wurm fangen gekonnt ) finites Hilfsverb haben/ sein im Präsens +… … Partizip II Der frühe Vogel hat den Wurm gefangen. Der frühe Vogel hat den Wurm fangen können. finites Hilfsverb haben im Präsens +… … Infinitiv + Modalverb im Infinitiv Ein Passivsatz steht im Präsensperfekt, wenn sich ► � die finite Verbform des Hilfsverbs sein im Präsens mit einem Vollverb im Partizip II und dem Passivhilfsverb worden im rechten Verbfeld verbindet oder ► � das finite Hilfsverb haben im Präsens mit einem Vollverb im Partizip II und dem Passivhilfsverb werden im Infinitiv und einem Modalverb im Infinitiv im rechten Verbfeld verbindet finites Hilfsverb sein im Präsens +… … Partizip II + worden Der Wurm ist (vom frühen Vogel) gefangen worden. Der Wurm hat (vom frühen Vogel) gefangen werden können. finites Hilfsverb haben im Präsens +… … Partizip II + werden + Modalverb im Infinitiv Das Präsensperfekt findet sich insbesondere dann, wenn Vergangenes als in die Gegenwart hineinwirkend dargestellt wird: Ich habe die Lösung gefunden Das Baby ist eingeschlafen Anne hat ihr Passwort vergessen Im Wintersemester haben viele mit dem Studium begonnen Im Gesprochenen wird das Präsensperfekt zur Darstellung von Vergangenem dem Präteritum meistens vorgezogen; dabei gibt es regionale Unterschiede Die Verbindung mit dem Hilfsverb haben oder sein ist für die meisten Verben festgelegt Diese Alternative besteht allerdings nur in Sätzen, die 9.2 Abb. 9.3 Abb. 9.4 Perfekthilfsverb haben oder sein 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 182 19 09 2019 16: 27: 40 Einheit 9 183 p r ä SenSp erf e k t sich in der oberen Zeile von Abbildung 9 3 befinden können, weil nur hier unterschiedliche Vollverben im rechten Verbfeld erscheinen können . In allen anderen Sätzen fordert entweder das Modalverb am rechten Rand des rechten Verbfeldes das finite Hilfsverb haben oder die Form worden wie in Abb -9 4 das finite Hilfsverb sein . Für DaZ-Lerner gibt es ein paar hilfreiche Hinweise für die Zuordnung Die meisten Verben verbinden sich mit haben Deshalb ist es ökonomisch, sich die sehr viel geringere Anzahl der Verben mit sein besonders bewusst zu machen Mit sein im Perfekt verbinden sich ► � die drei auch als Kopulaverben verwendeten Einheiten sein, bleiben und werden; ► � einige Verben, mit denen sich ein Ortswechsel bezeichnen lässt: gehen, fahren, rennen, klettern, steigen …; ► � einige Verben, mit denen sich ein Zustandswechsel bezeichnen lässt: aufwachen, begegnen, einschlafen, geschehen, vorkommen … Einige Verben erfordern mit unterschiedlichen Bedeutungen oder Ergänzungen das eine oder das andere Hilfsverb für die Perfektbildung: Hilfsverb sein Hilfsverb haben Anne ist zur Uni gefahren. Kevin hat seine Freundin zur Uni gefahren. Anne ist auf eine Lösung gestoßen. Kevin hat Anne von der Leiter gestoßen. Anne ist nach Berlin gezogen. Kevin hat die Notbremse gezogen. Das Verb erschrecken hat eine intransitive und starke Variante mit dem Hilfsverb sein und eine transitive und schwache mit haben: Anne ist bei dem Knall erschrocken. Kevin hat Anne mit einem Böller erschreckt. Bei sehr wenigen Verben sind beide Hilfsverben möglich: Anne ist/ hat in ihrer Jugend viel geschwommen/ gerudert/ geklettert In Passivsätzen im Präsensperfekt findet sich das Perfekthilfsverb sein nicht nur in den Sätzen ohne Modalverb, sondern auch im sog Zustandspassiv: Der Rasen ist gemäht (vgl .: Der Rasen ist gemäht worden ) Modalverben erscheinen im Präsensperfekt üblicherweise im rechten Verbfeld im Infinitiv und nur dann in der Partizip II-Form, wenn sie als Vollverben verwendet werden (Er will das nicht - Er hat das nicht gewollt) Tab. 9.1 Tab. 9.2 Perfekthilfsverb sein im Präsensperfekt Passiv und Zustandspassiv Modalverben im Präsensperfekt 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 183 19 09 2019 16: 27: 40 184 Ü bersicht zu den V erbformen Futur Ein Aktivsatz steht im Futur, wenn sich ► � das finite Futurhilfsverb werden im Präsens mit einem Vollverb im Infinitiv verbindet oder ► � das finite Futurhilfsverb werden im Präsens mit einem Vollverb im Infinitiv und einem Modalverb im Infinitiv verbindet finites Hilfsverb werden im Präsens +… … Infinitiv Der frühe Vogel wird den Wurm fangen. Der frühe Vogel wird den Wurm fangen können. finites Hilfsverb werden im Präsens +… … Infinitiv + Modalverb im Infinitiv Ein Passivsatz steht im Futur, wenn sich ► � die finite Verbform des Futurhilfsverbs werden im Präsens mit einem Vollverb im Partizip II und dem Passivhilfsverb werden im Infinitiv im rechten Verbfeld verbindet oder ► � die finite Verbform des Futurhilfsverbs werden im Präsens mit einem Vollverb im Partizip II und dem Passivhilfsverb werden im Infinitiv und einem Modalverb im Infinitiv im rechten Verbfeld verbindet finites Hilfsverb werden im Präsens +… … Partizip II + werden Der Wurm wird (vom frühen Vogel) gefangen werden. Der Wurm wird (vom frühen Vogel) gefangen werden können. finites Hilfsverb werden im Präsens +… … Partizip II + werden + Modalverb im Infinitiv Traditionell wird das Tempus Futur funktional mit der Darstellung von Zukünftigem in Verbindung gebracht Die Hauptbedeutung des Hilfsverbs werden ist jedoch die Vermutung - diese Funktion teilt es mit einigen Modalverben: Wo ist Anne? - Sie wird/ dürfte/ könnte/ muss im Stau stehen . Wo ist mein Schlüssel? - Er wird/ dürfte/ könnte/ muss im Flur liegen Warum schreien die Vögel so? - Es wird/ dürfte/ könnte/ muss Regen geben . Mit der prinzipiell möglichen Vermutungsbedeutung läge es näher, werden nicht als Hilfs-, sondern als Modalverb zu deuten, was zur Folge hätte, dass man alle Futursätze im Deutschen formal als Präsens kategorisieren würde Das Hilfsverb werden kann nämlich an derselben Stelle wie Modalverben in Präsenssätzen erscheinen: 9.3 Abb. 9.5 Abb. 9.6 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 184 19 09 2019 16: 27: 40 Einheit 9 185 f utur Der frühe Vogel wird/ kann/ will usw den Wurm fangen Umgekehrt könnte man den Modalverben auch Hilfsverbstatus zuschreiben, wenn sie auf Zukünftiges verweisen - im folgenden Satz steht das Referathalten bei allen möglichen Modalverben noch aus: Anne soll/ will/ darf/ muss/ kann/ mag/ möchte ein Referat halten Auch beim Hilfsbzw Modalverb werden hat sich die Gültigkeit des Gesagten noch nicht erfüllt Deshalb eignet es sich gleichermaßen für so unterschiedliche Sprachhandlungen wie Versprechen und Befehle, wenn Sprecher- und Hörerrolle ausgetauscht werden: Ich werde mich an die Abmachungen halten Du wirst dich an die Abmachungen halten Dass man in der traditionellen Grammatik werden als Hilfsverb für die Futurbildung und nicht als Modalverb betrachtet, mag drei Gründe haben: 1 Es ist kein Präteritopräsentium wie die „Haupt“-Modalverben (im Präsens unterscheidet sich die Verbform der ersten Person ich werde von der dritten er wird); man hat ihm seine Verwandtschaft also „nicht angesehen“ 2 Seine Präteritumsform ist im Unterschied zu allen Modalverben nicht mit dem Infinitiv kombinierbar: Sie sollte/ wollte/ konnte/ durfte/ musste … an der Uni sein aber: *Sie wurde an der Uni sein 3 Weil das Lateinische eigene Futurformen kennt, mag man im Deutschen auch danach gesucht haben und wurde bei dieser Konstruktion fündig Vielleicht haben Sie oben beim Satz Es wird Regen geben zu Recht eingewandt, dass damit doch etwas Zukünftiges ausgedrückt werde Nun ist alles, was in der Zukunft liegt, mehr oder weniger wahrscheinlich - es kann immer etwas dazwischenkommen . Insofern ist „Vermutung“ die Hauptfunktion der Konstruktion mit werden - im Einzelfall kann es von einer temporalen Interpretation überlagert werden Weil wir in diesem Buch die Tempusformen zu allererst als Formen betrachten, sollen hier die Einteilungen Futur (traditionell Futur I) und Futurperfekt (traditionell Futur II) trotzdem beibehalten werden 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 185 19 09 2019 16: 27: 40 186 Ü bersicht zu den V erbformen Futurperfekt Ein Aktivsatz steht im Futurperfekt, wenn sich ► � das finite Futurhilfsverb werden im Präsens mit einem Vollverb im Partizip-II und dem Infinitiv des Hilfsverbs haben oder sein (wie im Präsensperfekt) verbindet oder ► � das finite Futurhilfsverb werden im Präsens mit einem Vollverb im Partizip-II und dem Infinitiv des Hilfsverbs haben oder sein (wie im Präsensperfekt) und einem infiniten Modalverb verbindet finites Hilfsverb werden im Präsens +… … Partizip II + Perfekthilfsverb haben/ sein Der frühe Vogel wird den Wurm gefangen haben. Der frühe Vogel wird den Wurm gefangen haben können. finites Hilfsverb werden im Präsens +… … Partizip II + haben/ sein + Modalverb im Inf. Ein Passivsatz steht im Futurperfekt, wenn sich ► � die finite Verbform des Futurhilfsverbs werden im Präsens mit einem Vollverb im Partizip II und dem Passivhilfsverb worden und dem Infinitiv des Hilfsverbs sein verbindet oder ► � die finite Verbform des Futurhilfsverbs werden im Präsens mit einem Vollverb im Partizip II und dem Passivhilfsverb worden und dem Infinitiv des Hilfsverbs sein und einem infiniten Modalverb verbindet finites Hilfsverb werden im Präsens +… … Partizip II + worden + sein Der Wurm wird (vom frühen Vogel) gefangen worden sein. Der Wurm wird (vom frühen Vogel) gefangen worden sein können. finites Hilfsverb werden im Präsens +… … Partizip II + worden + sein + Modalverb im Inf. Das Futurperfekt ist eigentlich kein zusätzliches Tempus, sondern eine modale Verbform, mit der sich Vermutetes oder Zukünftiges mit der zusätzlichen Komponente Vorzeitigkeit ausdrücken lässt - Weißt du, wo meine Grammatik ist? Vermutung: - Du wirst sie mal wieder verliehen haben! Bezug auf Zukünftiges: - Wenn du lange genug suchst, wirst du sie bald gefunden haben 9.4 Abb. 9.7 Abb. 9.8 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 186 19 09 2019 16: 27: 40 Einheit 9 187 f uturp erf e k t Auch im Futurperfekt lassen sich wie im Futur die Formen von werden durch andere Modalverben (wie müssen/ können/ dürfen) ersetzen: Der frühe Vogel wird/ muss/ kann den Wurm gefangen haben. Er wird/ will/ soll einen Schneemann gebaut haben In beiden Sätzen entfernt die Einheit im linken Verbfeld den im Satz dargestellten Sachverhalt vom faktisch Gegebenen und sorgt gleichzeitig durch die Präsensform für eine Vergegenwärtigung Ein weiteres Spannungsverhältnis entsteht zum rechten Verbfeld, wo mit dem Hilfsverb haben und einer Partizip- II-Form eine für das Perfekt typische Konstruktion erscheint Die Verwendung der Modalverben wird hierbei als epistemisch bezeichnet ( → -Abschnitt-7 2 .4) Unter temporalem Aspekt wird v a die im Perfekt enthaltene Vorzeitigkeit wirksam Ebenso wie gebaut haben bezieht sich auch gefangen haben auf Vergangenes Wie beim Futur beeinflusst beim Futurperfekt die grammatische Person die Sprachhandlung Bei einer Verbindung mit der ersten Person liegt ein Versprechen nahe, mit der zweiten eine Aufforderung und mit der dritten Person eine Vermutung: Morgen werde ich alles erledigt haben Morgen werden Sie alles erledigt haben Morgen wird er alles erledigt haben Tab. 9.3 Präsens- und Perfektanteile im Futurperfekt 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 187 19 09 2019 16: 27: 40 188 Ü bersicht zu den V erbformen Präteritum Ein Aktivsatz steht im Präteritum, wenn ► � die finite Verbform ein Vollverb im Präteritum ist oder ► � die finite Verbform ein Modalverb im Präteritum ist und im rechten Verbfeld ein Vollverb im Infinitiv erscheint finites Vollverb im Präteritum +… … (evtl. trennbarer Verbteil) Der frühe Vogel fing den Wurm. Der frühe Vogel konnte den Wurm fangen. finites Modalverb im Präteritum +… … Infinitiv Ein Passivsatz steht im Präteritum, wenn sich ► � das finite Passivhilfsverb werden im Präteritum mit einem Vollverb im Partizip II im rechten Verbfeld verbindet oder ► � ein finites Modalverb im Präteritum mit einem Vollverb im Partizip II und dem Passivhilfsverb werden im Infinitiv im rechten Verbfeld verbindet finites Hilfsverb werden im Präteritum +… … Partizip II Der Wurm wurde (vom frühen Vogel) gefangen. Der Wurm konnte (vom frühen Vogel) gefangen werden. finites Modalverb im Präteritum +… … Partizip II + werden Funktional verweist das Präteritum üblicherweise auf Vergangenes Es ist das Standardtempus für Berichte und Erzähltes: Zum gleichen Bach kamen ein Wolf und ein Lamm, um dort zu trinken Der Wolf stand oben am Wasser, das Lamm ein Stück abwärts … (Äsop) Für Gegenwärtiges und Zukünftiges ist der Gebrauch des Präteritums nur eingeschränkt und insbesondere im Mündlichen im informellen Kontext der Verben sein und haben möglich; bei Vollverben ist dieser Gebrauch weniger wahrscheinlich „Wie war nochmal deine Telefonnummer? “ „Wer hatte Pizza Salami? “ ? „Wer spielte morgen gegen Hertha? “ 9.5 Abb. 9.9 Abb. 9.10 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 188 19 09 2019 16: 27: 40 Einheit 9 189 p r ät erItump erf e k t Präteritumperfekt Ein Aktivsatz steht im Präteritumperfekt, wenn sich ► � das finite Hilfsverb haben oder sein im Präteritum mit einem Vollverb im Partizip II im rechten Verbfeld verbindet oder ► � das finite Hilfsverb haben im Präteritum mit einem Vollverb im Infinitiv und einem Modalverb im Infinitiv verbindet finites Hilfsverb haben/ sein im Präteritum +… … Partizip II Der frühe Vogel hatte den Wurm gefangen. Der frühe Vogel hatte den Wurm fangen können. finites Hilfsverb haben im Präteritum +… … Infinitiv + Modalverb im Infinitiv Ein Passivsatz steht im Präteritumperfekt, wenn sich ► � die finite Verbform des Hilfsverbs sein im Präteritum mit einem Vollverb im Partizip II und dem Passivhilfsverb worden im rechten Verbfeld verbindet oder ► � das finite Hilfsverb haben im Präteritum mit einem Vollverb im Partizip-II und dem Passivhilfsverb werden im Infinitiv und einem Modalverb im Infinitiv im rechten Verbfeld verbindet finites Hilfsverb sein im Präteritum +… … Partizip II + worden Der Wurm war (vom frühen Vogel) gefangen worden. Der Wurm hatte (vom frühen Vogel) gefangen werden können. finites Hilfsverb haben im Präteritum +… … Partizip II + werden + Modalverb im Infinitiv Präteritumperfekt bedeutet nicht „besonders lange her“, sondern wird als relationale Tempusform verwendet Üblicherweise wird es auf einen Sachverhalt bezogen, der chronologisch weiter zurückliegt als ein anderer, der wiederum meist im Präteritum erscheint Zeitverlauf Ereigniszeit 1 Sprechzeit = Betrachtzeit Ereigniszeit 2 Nachdem der Vogel den Wurm gefangen hatte, fraß er ihn auf. Der Vogel fraß den Wurm auf, nachdem er ihn gefangen hatte. 9.6 Abb. 9.11 Abb. 9.12 Abb. 9.13 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 189 19 09 2019 16: 27: 40 190 Ü bersicht zu den V erbformen Konjunktiv Präsens Ein Aktivsatz steht im Konjunktiv Präsens, wenn ► � die finite Verbform ein Vollverb im Konjunktiv Präsens ist oder ► � die finite Verbform ein Modalverb im Konjunktiv Präsens ist und im rechten Verbfeld ein Vollverb im Infinitiv erscheint finites Vollverb im Konjunktiv Präsens +… … (evtl. trennbarer Verbteil) Der frühe Vogel fange den Wurm. Der frühe Vogel könne den Wurm fangen. finites Modalverb im Konjunktiv Präsens +… … Infinitiv Ein Passivsatz steht im Konjunktiv Präsens, wenn sich ► � die finite Verbform des Passivhilfsverbs werden im Konjunktiv Präsens mit einem Vollverb im Partizip II im rechten Verbfeld verbindet oder ► � die finite Verbform eines Modalverbs im Konjunktiv Präsens mit einem Vollverb im Partizip II und dem Passivhilfsverb werden im Infinitiv im rechten Verbfeld verbindet finites Hilfsverb werden im Konjunktiv Präsens +… … Partizip II Der Wurm werde (vom frühen Vogel) gefangen. Der Wurm könne (vom frühen Vogel) gefangen werden. finites Modalverb im Konjunktiv Präsens +… … Partizip II + werden Die Formen im Konjunktiv Präsens, Konjunktiv Präsensperfekt, Konjunktiv Futur und Konjunktiv Futurperfekt können für die sog indirekte Rede, den Bezug auf Äußerungen anderer, verwendet werden und signalisieren, dass dafür keine Haftung übernommen wird Dies ist die häufigste Verwendung dieser Formen: Konjunktiv Präsens: In der Zeitung stand, der Minister trete zurück Konjunktiv Präsensperfekt: In der Zeitung stand, der Minister sei zurückgetreten Konjunktiv Futur: In der Zeitung stand, der Minister werde zurücktreten Konjunktiv Futurperfekt: Er prophezeite ihr, der Minister werde vor der nächsten Wahl zurückgetreten sein Daneben erscheint der Konjunktiv Präsens in fachsprachlichen Texten wie z B . Aufgabenstellungen in der Geometrie, in Rezepten zur Markierung einer Aufforderung oder bei (mehr oder weniger frommen) Wünschen: 9.7 Abb. 9.14 Abb. 9.15 Bezug auf Äußerungen anderer weitere Funktionen 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 190 19 09 2019 16: 27: 40 Einheit 9 191 k onjunk tI V p r ä SenS Gegeben sei ein Kreis mit dem Mittelpunkt M und einem Radius von 4 cm (…) Man nehme einen halben Liter Milch, zwei Eier, 500 g Mehl und gebe alles in eine Schüssel (…) Der Herr behüte dich / Möge dein Weg / Hoch lebe unser Chef ! Die Konjunktiv Präsens-Formen werden vom Präsensstamm abgeleitet und lassen sich im Konjugationsmuster von Verben an einigen Stellen äußerlich nicht von den indikativischen Präsensformen unterscheiden . Bei solchen Formengleichheiten, die in den folgenden Tabellen durchgestrichen sind, werden Konjunktiv Präsens-Formen häufig durch Konjunktiv Präteritum- oder würde-Formen ersetzt Funktion Singular Ersatzformen Plural Ersatzformen 1. Person Sprecher ich fange ich finge ich würde fangen wir fangen wir fingen wir würden fangen 2. Person familiär/ vertraut 2. Person höflich/ distanziert du fangest Sie fangen Sie fingen Sie würden fangen ihr fanget Sie fangen Sie fingen Sie würden fangen 3. Person Besprochenes er es fange sie sie fangen sie fingen sie würden fangen Bei schwachen Verben gibt es noch mehr Formengleichheiten - nur in der dritten Person im Singular und den familiär-vertrauten Formen der zweiten Person unterscheiden sich die Präsensformen im Konjunktiv und Indikativ Wenn sich darüber hinaus die Form im Konjunktiv Präteritum nicht von der indikativischen Form des Präteritums unterscheidet, wird häufig die würde- Form verwendet Funktion Singular Ersatzformen Plural Ersatzformen 1. Person Sprecher ich baue ich baute ich würde bauen wir bauen wir bauten wir würden bauen 2. Person familiär/ vertraut 2. Person höflich/ distanziert du bauest Sie bauen Sie bauten Sie würden bauen ihr bauet Sie bauen Sie bauten Sie würden bauen 3. Person Besprochenes er es baue sie sie bauen sie bauten sie würden bauen Tab. 9.4 Übersicht Konjunktiv Präsens und Ersatzformen bei starken Verben Tab. 9.5 Übersicht Konjunktiv Präsens und Ersatzformen bei schwachen Verben 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 191 19 09 2019 16: 27: 41 192 Ü bersicht zu den V erbformen Konjunktiv Präsensperfekt Ein Aktivsatz steht im Konjunktiv Präsensperfekt, wenn sich ► � das finite Hilfsverb haben oder sein im Konjunktiv Präsens mit einem Vollverb im Partizip II im rechten Verbfeld verbindet oder ► � das finite Hilfsverb haben im Konjunktiv Präsens mit einem Vollverb im Infinitiv und einem Modalverb im Infinitiv verbindet . (Hinweis: Das Modalverb darf hier nicht als Partizip II-Form erscheinen: *Der frühe Vogel habe den Wurm fangen gekonnt ) finites Hilfsverb haben/ sein im Konj. Präsens +… … Partizip II Der frühe Vogel habe den Wurm gefangen. Der frühe Vogel habe den Wurm fangen können. finites Hilfsverb haben im Konjunktiv Präsens +… … Infinitiv + Modalverb im Infinitiv Ein Passivsatz steht im Konjunktiv Präsensperfekt, wenn sich ► � die finite Verbform des Hilfsverbs sein im Konjunktiv Präsens mit einem Vollverb im Partizip II und dem Passivhilfsverb worden im rechten Verbfeld verbindet oder ► � das finite Hilfsverb haben im Konjunktiv Präsens mit einem Vollverb im Partizip II und dem Passivhilfsverb werden im Infinitiv und einem Modalverb im Infinitiv im rechten Verbfeld verbindet finites Hilfsverb sein im Konjunktiv Präsens +… … Partizip II + worden Der Wurm sei (vom frühen Vogel) gefangen worden. Der Wurm habe (vom frühen Vogel) gefangen werden können. finites Hilfsverb haben im Konj. Präsens +… … Partizip II + werden + Modalverb im Infinitiv Die Formen des Konjunktiv Präsensperfekts signalisieren üblicherweise eine Vorzeitigkeit zur Betrachtzeit Sie werden wie die Formen des Konjunktiv Präsens insbesondere für den Bezug auf Äußerungen anderer verwendet: In der Zeitung stand, der Minister sei zurückgetreten In der Zeitung stand, der Minister habe das Treffen abgesagt 9.8 Abb. 9.16 Abb. 9.17 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 192 19 09 2019 16: 27: 41 Einheit 9 193 k onjunk tI V f utur Konjunktiv Futur Ein Aktivsatz steht im Konjunktiv Futur, wenn sich ► � das finite Futurhilfsverb werden im Konjunktiv Präsens mit einem Vollverb im Infinitiv verbindet oder ► � das finite Futurhilfsverb werden im Konjunktiv Präsens mit einem Vollverb im Infinitiv und einem Modalverb im Infinitiv verbindet finites Hilfsverb werden im Konj. Präsens +… … Infinitiv Der frühe Vogel werde den Wurm fangen. Der frühe Vogel werde den Wurm fangen können. finites Hilfsverb werden im Konj. Präsens +… … Infinitiv + Modalverb im Infinitiv Ein Passivsatz steht im Konjunktiv Futur, wenn sich ► � die finite Verbform des Futurhilfsverbs werden im Konjunktiv Präsens mit einem Vollverb im Partizip II und dem Passivhilfsverb werden im Infinitiv im rechten Verbfeld verbindet oder ► � die finite Verbform des Futurhilfsverbs werden im Konjunktiv Präsens mit einem Vollverb im Partizip II und dem Passivhilfsverb werden im Infinitiv und einem Modalverb im Infinitiv im rechten Verbfeld verbindet finites Hilfsverb werden im Konj. Präsens +… … Partizip II + werden Der Wurm werde (vom frühen Vogel) gefangen werden. Der Wurm werde (vom frühen Vogel) gefangen werden können. finites Hilfsverb werden im Konj. Präsens +… … Partizip II + werden + Modalverb im Inf. Funktional werden die Formen im Konjunktiv Futur wie die bisher betrachteten Konjunktivformen insbesondere für den Bezug auf Äußerungen anderer verwendet Die besprochenen Sachverhalte sind meist auf Vermutetes oder Zukünftiges bezogen: In der Zeitung stand, der Minister werde zurücktreten In der Zeitung stand, der Minister werde das Treffen absagen . 9.9 Abb. 9.18 Abb. 9.19 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 193 19 09 2019 16: 27: 41 194 Ü bersicht zu den V erbformen Konjunktiv Futurperfekt Ein Aktivsatz steht im Konjunktiv Futurperfekt, wenn sich ► � das finite Futurhilfsverb werden im Konjunktiv Präsens mit einem Vollverb im Partizip II und dem Infinitiv des Hilfsverbs haben oder sein (wie im Präsensperfekt) verbindet oder ► � das finite Futurhilfsverb werden im Konjunktiv Präsens mit einem Vollverb im Partizip II und dem Infinitiv des Hilfsverbs haben oder sein (wie im Präsensperfekt) und einem infiniten Modalverb verbindet finites Hilfsverb werden im Konj.Präsens +… … Partizip II + Perfekthilfsverb haben/ sein im Inf. Der frühe Vogel werde den Wurm gefangen haben. Der frühe Vogel werde den Wurm gefangen haben können. finites Hilfsverb werden im Konj. Präs. +… … Part.II + haben/ sein + Modalverb im Inf. Ein Passivsatz steht im Konjunktiv Futurperfekt, wenn sich ► � die finite Verbform des Futurhilfsverbs werden im Konjunktiv Präsens mit einem Vollverb im Partizip II und dem Passivhilfsverb worden und dem Infinitiv des Hilfsverbs sein verbindet oder ► � die finite Verbform des Futurhilfsverbs werden im Konjunktiv Präsens mit einem Vollverb im Partizip II und dem Passivhilfsverb worden und dem Infinitiv des Hilfsverbs sein und einem infiniten Modalverb verbindet finites Hilfsverb werden im Konjunktiv Präsens +… … Partizip II + worden + sein Der Wurm werde (vom frühen Vogel) gefangen worden sein. Der Wurm werde (vom frühen Vogel) gefangen worden sein können. finites Hilfsverb werden im Konj. Präsens +… … Partizip II + worden + sein + Modalverb im Inf. Auch die Formen im Konjunktiv Futurperfekt erscheinen v a für den Bezug auf Äußerungen anderer Die besprochenen Sachverhalte sind meist auf Vermutetes oder Zukünftiges bezogen: Er prophezeite ihr, der Minister werde vor der nächsten Wahl zurückgetreten sein 9.10 Abb. 9.20 Abb. 9.21 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 194 19 09 2019 16: 27: 41 Einheit 9 195 k onjunk tI V p r ät erItum Konjunktiv Präteritum Ein Aktivsatz steht im Konjunktiv Präteritum, wenn ► � die finite Verbform ein Vollverb im Konjunktiv Präteritum ist oder ► � die finite Verbform ein Modalverb im Konjunktiv Präteritum ist und im rechten Verbfeld ein Vollverb im Infinitiv erscheint finites Vollverb im Konjunktiv Präteritum +… … (evtl. trennbarer Verbteil) Der frühe Vogel finge den Wurm. Der frühe Vogel könnte den Wurm fangen. finites Modalverb im Konjunktiv Präteritum +… … Infinitiv Ein Passivsatz steht im Konjunktiv Präteritum, wenn sich ► � die finite Verbform des Passivhilfsverbs werden im Konjunktiv Präteritum mit einem Vollverb im Partizip II im rechten Verbfeld verbindet oder ► � ein finites Modalverb im Konjunktiv Präteritum mit einem Vollverb im Partizip-II und dem Passivhilfsverb werden im Infinitiv im rechten Verbfeld verbindet finites Hilfsverb werden im Konj. Präteritum +… … Partizip II Der Wurm würde (vom frühen Vogel) gefangen. Der Wurm könnte (vom frühen Vogel) gefangen werden. finites Modalverb im Konjunktiv Präteritum +… … Partizip II + werden Konjunktiv Präteritum-Formen markieren den Wirklichkeitsbezug von Äußerungen, die nicht als eine Darstellung der Wirklichkeit, sondern als gedankliche Konstruktion verstanden werden sollen . Der für diese Formen ebenfalls gebräuchliche Terminus Konjunktiv Potentialis verweist auf die Hauptfunktion dieser Formen, sich auf Nicht-Faktisches, aber prinzipiell Mögliches zu beziehen - häufig in Verbindung mit konditionalen Konstruktionen: Wenn ich mehr Bafög bekäme, müsste ich weniger arbeiten Der Minister träte zurück, wenn man ihm strafbares Handeln nachweisen könnte Konjunktiv Präteritum-Formen werden auch in Rollenspielen von Kindern und als Ausdruck der Höflichkeit verwendet: Du wärst die Mutter und ich das Kind und wir hätten ein kleines Baumhaus … Könnten Sie …/ Hätten Sie …/ Wäre es möglich, …/ Ich hätte gern … 9.11 Abb. 9.22 Abb. 9.23 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 195 19 09 2019 16: 27: 41 196 Ü bersicht zu den V erbformen Einige Konjunktiv Präteritum-Formen haben äußerliche Entsprechungen mit den indikativischen Formen Wenn die Formen nicht zu unterscheiden sind, wird der würde-Konjunktiv häufig als Ersatz verwendet Funktion Singular Ersatzform Plural Ersatzform 1. Person Sprecher ich finge wir fingen wir würden fangen 2. Person familiär/ vertraut 2. Person höflich/ distanziert du fingest Sie fingen Sie würden fangen ihr finget Sie fingen Sie würden fangen 3. Person Besprochenes er es finge sie sie fingen sie würden fangen Die schwachen Verben haben im Konjunktiv Präteritum und im Indikativ Präteritum die gleichen Formen; auch sie werden häufig durch die würde- Formen ersetzt Funktion Singular Ersatzform Plural Ersatzform 1. Person Sprecher ich baute ich würde bauen wir bauten wir würden bauen 2. Person familiär/ vertraut 2. Person höflich/ distanziert du bautest du würdest bauen Sie bauten Sie würden bauen ihr bautet ihr würdet bauen Sie bauten Sie würden bauen 3. Person Besprochenes er es baute sie er es würde bauen sie sie bauten sie würden bauen Tab. 9.6 Übersicht Konjunktiv Präteritum und Ersatzformen bei starken Verben Tab. 9.7 Übersicht Konjunktiv Präteritum und Ersatzformen bei schwachen Verben 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 196 19 09 2019 16: 27: 41 Einheit 9 197 k onjunk tI V p r ät erItump erf e k t Konjunktiv Präteritumperfekt Ein Aktivsatz steht im Konjunktiv Präteritumperfekt, wenn sich ► � die finite Verbform des Hilfsverbs haben oder sein im Konjunktiv Präteritum mit einem Vollverb im Partizip II verbindet oder ► � die finite Verbform des Hilfsverbs haben im Konjunktiv Präteritum mit einem Vollverb im Infinitiv und einem Modalverb im Infinitiv verbindet finites Hilfsverb haben/ sein im Konj. Präteritum +… … Partizip II Der frühe Vogel hätte den Wurm gefangen. Der frühe Vogel hätte den Wurm fangen können. finites Hilfsverb haben im Konjunktiv Präteritum +… … Infinitiv + Modalverb im Infinitiv Ein Passivsatz steht im Konjunktiv Präteritumperfekt, wenn sich ► � die finite Verbform des Hilfsverbs sein im Konjunktiv Präteritum mit einem Vollverb im Partizip II und dem Passivhilfsverb worden im rechten Verbfeld verbindet oder ► � das finite Hilfsverb haben im Konjunktiv Präteritum mit einem Vollverb im Partizip II und dem Passivhilfsverb werden im Infinitiv und einem Modalverb im Infinitiv im rechten Verbfeld verbindet finites Hilfsverb sein im Konjunktiv Präteritum +… … Partizip II + worden Der Wurm wäre (vom frühen Vogel) gefangen worden. Der Wurm hätte (vom frühen Vogel) gefangen werden können. finites Hilfsverb haben im Konj. Präteritum +… … Partizip II + werden + Modalverb im Infinitiv Formen im Konjunktiv Präteritumperfekt ermöglichen ebenfalls gedankliche Konstruktionen, die sich meist auf Sachverhalte beziehen, die in der Vergangenheit nicht stattgefunden haben und deshalb als irreal verstanden werden: Hätte ich den Antrag rechtzeitig abgeschickt, wäre das Geld schon da Wenn Ramos das Tor geschossen hätte, wäre das ganze Spiel anders verlaufen Wenn sich Sätze im Konjunktiv Präteritumperfekt auf Nichtvergangenes beziehen, liegen die Gründe für den als irreal beschriebenen Sachverhalt üblicherweise in der Vergangenheit: Die Kündigung ist ärgerlich - mein Mietvertrag wäre aber sowieso abgelaufen . 9.12 Abb. 9.24 Abb. 9.25 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 197 19 09 2019 16: 27: 41 198 Ü bersicht zu den V erbformen würde-Konjunktiv Ein Aktivsatz steht im würde-Konjunktiv, wenn sich ► � das finite Hilfsverb werden im Konjunktiv Präteritum mit einem Vollverb im Infinitiv verbindet oder ► � das finite Hilfsverb werden im Konjunktiv Präteritum mit einem Vollverb im Infinitiv und einem Modalverb im Infinitiv verbindet finites Hilfsverb werden im Konj. Präteritum +… … Infinitiv Der frühe Vogel würde den Wurm fangen. Der frühe Vogel würde den Wurm fangen können. finites Hilfsverb werden im Konj. Präteritum +… … Infinitiv + Modalverb im Infinitiv Ein Passivsatz steht im würde-Konjunktiv, wenn sich ► � die finite Verbform des Hilfsverbs werden im Konjunktiv Präteritum mit einem Vollverb im Partizip II und dem Passivhilfsverb werden im Infinitiv im rechten Verbfeld verbindet oder ► � die finite Verbform des Hilfsverbs werden im Konjunktiv Präteritum mit einem Vollverb im Partizip II und dem Passivhilfsverb werden im Infinitiv und einem Modalverb im Infinitiv im rechten Verbfeld verbindet finites Hilfsverb werden im Konj. Präteritum +… … Partizip II + werden Der Wurm würde (vom frühen Vogel) gefangen werden. Der Wurm würde (vom frühen Vogel) gefangen werden können. finites Hilfsverb werden im Konj. Präteritum +… … Partizip II + werden + Modalverb im Inf. Mit dem würde-Konjunktiv existiert eine Form, deren finites Verb wie in den anderen Konjunktiv II-Formen im Konjunktiv Präteritum steht und die deshalb oftmals auch zum Konjunktiv II gezählt wird . Im Indikativ besitzt er kein Pendant . Funktional ist die würde-Konjunktivform sehr universell verwendbar und kann die meisten Konjunktivformen ersetzen Eine solche Ersatzform ist immer dann sinnvoll, wenn eine Konjunktivform mit einer indikativischen zusammenfällt (s . Tabellen in den Abschnitten 9 7 und 9 .11) Weil die analytischen würde-Formen einfacher zu bilden sind, werden sie mitunter generell den anderen Konjunktivformen vorgezogen, weshalb wiederum sprachpflegerisch ambitionierte Lehrkräfte das Deutsche als „würde-lose Sprache“ bezeichnen Damit wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, weil die würde-Form mit den Ersatzformen eine wichtige Funktion und darüber 9.13 Abb. 9.26 Abb. 9.27 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 198 19 09 2019 16: 27: 41 Einheit 9 199 ü bunG en hinaus auch konventionalisierte Verwendungsbereiche besitzt (z B . in Bewerbungsschreiben oder Aufforderungen): Über Ihre Einladung würde ich mich freuen Ich würde Sie gerne sprechen (? Ich spräche Sie gerne ) Übungen 1 Die Form haben + Partizip II wird häufig zur Darstellung eines Ereignisses verwendet, das in der Vergangenheit stattgefunden hat, aber einen Bezug zur Gegenwart herstellen soll. Inwiefern besitzen die sprachlichen Formen das Potenzial für diese Funktion? 2 Auf den ersten Blick scheinen sich die beiden folgenden Sätze in ihrer grammatischen Struktur zu entsprechen. Wo liegen die Unterschiede? Kevin wird bald entlassen. Kevin wird bald gehen. 3 Nachdem er die Welt gerettet hatte, gönnte sich Superman ein Eis. Beschreiben Sie die Verwendung der Tempora. Beziehen Sie sich dabei auf die Sprechzeit, Betrachtzeit und Ereigniszeit. 4 Gott erhalte Tante Gertrud - aber bald! Analysieren Sie das Sprachspiel inhaltlich und formal. 5 In der Sprachwissenschaft wird behauptet, dass sich der Sprachbau im Deutschen zunehmend von einem synthetischen in einen analytischen wandelt. Diskutieren Sie diese These an den Tempus- und Konjunktivformen. 6 Beschreiben Sie Form und Funktion des Verbs sein in den folgenden Beispielen: 1. Die Müdigkeit ist verschwunden. 2. Der Zaun ist frisch gestrichen. 3. Der Kollege ist verrückt. 7 Im folgenden Text erscheint das Verb werden in unterschiedlicher Funktion. Diskutieren Sie, in welcher Verwendung Sie es als Kopula-, Modalbzw. Hilfsverb deuten würden. 9.14  Lösungshinweise unter www.bachelorwissen.de und www.granzowemden.de 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 199 19 09 2019 16: 27: 41 200 Ü bersicht zu den V erbformen 1 5 10 15 Sieben Milliarden Menschen: Mehr und weniger Wir werden immer schneller immer mehr. Wir werden immer schneller immer weniger. Ende Oktober, so haben die Vereinten Nationen ausgerechnet, wird der siebenmilliardste Mensch auf der Erde seine Augen aufschlagen. Eine schier unvorstellbare Zahl. Der Anteil der Europäer indes wird geringer. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dann wird es hier eben leerer und bequemer, anderswo eben enger und unbequemer. Gleichzeitig könnten Firmen undenkbar viele Produkte dorthin verkaufen und die Menschen außerhalb Europas den Reichtum des Westens mehren. Doch die Rechnung geht nicht auf. Viele dieser Menschen werden in den Armenhäusern Afrikas oder Asiens geboren, sie haben kaum Chancen, eine Schule zu besuchen oder einen Arzt. Das verheißt nichts Gutes. Und es heißt: steigende Lebensmittelpreise, mehr Umweltprobleme. Für alle. Dann wird es auch in Europa unbequemer. Offenbar ist es allerdings nicht so, dass vor allem Arme sich nicht ums Morgen scheren: Mehr als 200 Millionen Frauen sagen zum Beispiel, sie würden gern verhüten, hätten aber nicht die Möglichkeit. Frauen in wenig entwickelten Ländern zu unterstützen, hat Wirkung weit darüber hinaus. Verwendete und weiterführende Literatur Dudenredaktion (2009) (Hrsg.): DUDEN. Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch.8.,überarbeitete Auflage. Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich: Dudenverlag. Köller, Wilhelm (1997): Funktionaler Grammatikunterricht.Tempus,Genus,Modus: Wozu wurde das erfunden? Baltmannsweiler: Schneider. Rothstein, Björn (2007): Tempus. Heidelberg: Universitätsverlag Winter. Sayatz, Ulrike (2011): Aus zwei Richtungen sprechen. Aktiv- und Passivformen des Verbs. In: Praxis Deutsch 226, 40-45. Topalovic, Elvira (2011): Gestern, heute, morgen … . Zeit in der Sprache - Zeit in Verben. In: Praxis Deutsch 226, 53-59. Uhl, Benjamin (2011): Sein oder haben? - Das ist hier die Frage. Unterrichtsanregungen zur Perfektbildung. In: Praxis Deutsch 226, 20-24. Weinrich, Harald (2001): Tempus. Besprochene und erzählte Welt. 6., neu bearbeitete Auflage. München: Beck. http: / / hypermedia.ids-mannheim.de/ index.html (Grammis: Das grammatische Informationssystem des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim (IDS) - Zugriff am 20. 12. 2012). www.ids-mannheim.de/ service/ reform/ regeln2006.pdf („Regeln und Wörterverzeichnis. Entsprechend den Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung.“ - Zugriff am 20. 12. 2012). Beispiel (aus: Ingrid Müller im Tagesspiegel vom 04 05 2011) 9.15 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 200 19 09 2019 16: 27: 41 201 Nomen, Nominal- und Präpositionalgruppen Inhalt 10 1 Nomen als zentrale semantische Einheiten 202 10 2 Nomen als lexikalische Einheiten 203 10 3 Nomen als syntaktische Einheiten 204 10 4 Die Feldgliederung eines typischen Satzgliedes 208 10 5 Das linke Nominalfeld: Sprachliches Zeigen als Ausgangspunkt der Nominalgruppe 213 10 6 Zusammenspiel von linkem und rechtem Nominalfeld: Zeigen und Nennen 217 10 7 Exemplarische Analysen der Nominalgruppe 220 10 8 Das leere linke Nominalfeld: Begleiterlose Nominalgruppen 222 10 9 Hinweise für den Unterricht 223 10 10 Übungen 224 10 11 Verwendete und weiterführende Literatur 226 Kenntnisse zum Nomen sind im Deutschen v. a. wegen seiner Großschreibung wichtig. Dies ist eine Besonderheit des deutschen Schriftsystems. Sie erleichtert dem Leser das inhaltliche Erfassen von Texten. Wenn man bedenkt, um wie viel mehr gelesen als geschrieben wird, erscheint die satzinterne Großschreibung auch durchaus funktional. Gleichzeitig gilt sie seit jeher als der fehleranfälligste Bereich der Rechtschreibung und ist damit nicht nur für die Schreiber eine besondere Herausforderung, sondern auch für die Lehrkräfte, die dies unterrichten müssen. In dieser Einheit soll einführend gezeigt werden, inwiefern die Schwierigkeiten mit der satzinternen Großschreibung mit der verbreiteten lexikalischen bzw. kategorialen Vermittlung des Nomens im Deutschunterricht zusammenhängen. Deshalb wollen wir Überblick Einheit 10 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 201 19 09 2019 16: 27: 41 202 N ome N , N omiN al uNd P r ä P ositioN algruP P e N einen syntaktischen, an der Wortgruppe orientierten Zugang zum Nomen herstellen, der uns zur Nominal- und Präpositionalgruppe führt. Dieser Zugang zielt nicht nur auf die praktische Beherrschung der Großschreibung, sondern vermittelt auch elementares sprachsystematisches Wissen, weil die beiden Wortgruppen als Keimzelle typischer Satzglieder betrachtet werden können, die eine dem Satz analoge Feldgliederung besitzen. Die Nominalgruppe lässt sich darüber hinaus als ein Zusammenspiel von Zeigen und Nennen betrachten. Dieser funktionale Ansatz soll insbesondere einem vertiefenden Verstehen der sprachlichen Strukturen und der Sprachbewusstheit dienen. Nomen als zentrale semantische Einheiten Nicht wenige Lehrkräfte und Didaktiker haben sich v a in den 1980er Jahren für eine gemäßigte Kleinschreibung im Deutschen starkgemacht Ob es sinnvoll sei, die übliche Großschreibung von Nomen nach der damals bevorstehenden Rechtschreibreform beizubehalten, wurde ausführlich und kontrovers diskutiert Erstaunt hat in diesem Zusammenhang ein Versuch mit dem Niederländischen, einer Schrift mit gemäßigter Kleinschreibung (vgl Bock/ Hagenschneider/ Schweer 1989) Texte wurden so verändert, dass die Nomen wie im Deutschen großgeschrieben wurden . Das Lesetempo der Niederländer wurde aber nicht langsamer, sondern schneller Das war erstaunlich, weil die so veränderten Texte von der Lesegewohnheit der Niederländer abwichen Dies erklärte man sich so: Durch die Großschreibung werden in Texten die wichtigsten inhaltstragenden Einheiten visuell markiert . Was „inhaltstragend“ bedeutet, soll die folgende Gegenüberstellung verdeutlichen: In der linken Spalte finden Sie einen kurzen Zeitungstext, den Sie bereits aus Abschnitt 2 1 kennen, aus dem die Nomen entfernt wurden In der rechten Spalte erscheinen nur die Nomen und Namen . Obwohl sie weniger als ein Drittel der Wörter des Textes ausmachen, vermitteln sie den wesentlichen Inhalt des Textes: Rechtzeitig beworben Ein fünfjähriger _____ hat sich bei der _____ in _____ beworben Sein _____ ist kurz „_____ des _____ _____“ ist der einzige _____ des kleinen _____ in der _____ _____ Das teilte-ein _____ der _____ am _____ mit Im ____-steht: „Ich möchte gerne meine _____ starten, sobald ich den _____ und meine schulische _____ abgeschlossen habe Zu meinen _____ gehört das _____ mit _____ “ Junge - Polizei - Bocholt - Lebenslauf - Besuch - Kindergartens - ‚Über den Wolken‘ - Eintrag - Niklas - Rubrik - „Werdegang“ - Sprecher - Polizei - Mittwoch - Anschreiben - Ausbildung - Kindergarten - Ausbildung - Hobbys - Spielen - Polizeiautos 10.1 gemäßigte Kleinschreibung vs. satzinterne Großschreibung satzinterne Großschreibung und das Erfassen von Textinhalten Beispiel 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 202 19 09 2019 16: 27: 41 Einheit 10 203 n omen al S le x Ik alISche e Inhe It en Nomen als lexikalische Einheiten Die großzuschreibenden Nomen ermöglichen dem Leser also eine schnelle inhaltliche Orientierung im Text Die für die Schule wichtige Frage besteht nun aber darin, ob sich vermitteln lässt, was ein Nomen „ist“ Betrachtet man die Darstellungen in den meisten Lehrwerken, scheint dies auf den ersten Blick so zu sein: Die meisten schulischen Modellierungen erklären das Nomen zunächst mit seiner Bezeichnungsfunktion für Gegenständliches Diese lexikalische Bestimmung trifft durchaus zu Nun versuchen aber die meisten Darstellungen, diese Bezeichnungsfunktion auf Gefühle und Gedanken auszuweiten Dies ist äußerst problematisch, wenn Schülerinnen und Schüler die satzinterne Großschreibung beherrschen wollen: Gefühle lassen sich nämlich nicht nur mit Nomen bezeichnen - sonst müsste man Wörter wie verliebt oder unheimlich konsequenterweise großschreiben Und wenn man das Beispielwort Fantasie als Gedanken bezeichnet, wären fantastisch und fantasieren wohl ebenfalls Nomen Außerdem fassen wir Gedanken für gewöhnlich nicht in Wörtern, sondern in Sätzen Wenn wir versuchen, die Nomen unseres obigen Textes nach den im Lehrwerk genannten Kategorien zu ordnen, bringen wir allenfalls die Hälfte davon unter: Lebewesen Gegenstände und Sachen Gefühle und Gedanken ? Junge Polizei (? ) Sprecher Niklas Wolken (? ) Lebenslauf (? ) Eintrag Anschreiben Polizeiautos - Bocholt Besuch Werdegang Mittwoch Ausbildung Kindergarten Hobbys Spielen 10.2 Abb. 10.1 Wortstark 5 Themen und Werkstätten für den Unterricht, Schroedel 2003, S 230 Tab. 10.1 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 203 19 09 2019 16: 27: 42 204 N ome N , N omiN al uNd P r ä P ositioN algruP P e N Manche der Zuordnungen erscheinen problematisch: Steht Polizei für die Lebewesen, die diesen Beruf ausüben, oder für eine Institution? Sind Wolken „Gegenstände“ oder „Sachen“? Bezeichnet Lebenslauf das Stück Papier, auf dem er ausgedruckt ist, oder das, was er beinhaltet? Solche Fragen führen im Unterricht auf Nebengleise - sie lassen sich zum einen nicht eindeutig beantworten, aber auch die richtige Schreibung wird so nicht beherrschbar und der Lerngegenstand erscheint komplizierter, als er in Wirklichkeit ist . Zwar können alle diese Wörter „allein mit einem Artikel“ stehen und erfüllen damit die erste Erklärung aus dem Lehrwerk, aber dieses Kriterium trifft nicht nur auf die als Nomen verwendeten Einheiten zu - z B könnte man im Satz Morgen treffen wir uns um drei folgende Nomen annehmen: der/ das Morgen; das Treffen; das Wir; die Drei Pointiert formuliert passiert in der Schule Folgendes: Die Kinder bekommen ab der dritten Klasse eine Erklärung zum Nomen; anschließend haben Lehrkräfte und die Jugendlichen sechs bis neun Schuljahre Zeit, um deren Unzulänglichkeiten zu reparieren Dass sich der lexikalische Nomenbegriff trotzdem so hartnäckig in der Schule hält, könnte historische Gründe haben: Zu den ersten Wörtern, die im Mittelalter großgeschrieben wurden, gehörte das, was in religiösen Texten wichtig erschien; so z B die Bezeichnungen für Gott und Religiöses - sog Nomina Sacra Die Großschreibung wurde übernommen für Eigennamen, dann für die Bezeichnungen von Menschen, Tieren und Pflanzen Nach den Lebewesen wurden die Bezeichnungen für die substantiell wahrnehmbare Welt mit Großbuchstaben markiert („Substantiv“) Dieses semantisch motivierte Konzept hat sich in der Entwicklung unserer Schrift aber in ein syntaktisches gewandelt, das man für eine Beherrschung der satzinternen Großschreibung kennen muss Nomen als syntaktische Einheiten Im Satz können so gut wie alle Wörter als Nomen erscheinen Sie finden in keinem Wörterbuch die großgeschriebenen Einträge Betreiben, Wir oder Danach aus den folgenden Sätzen: Das Betreiben einer Ölheizung braucht eine Genehmigung Aktion Mensch - Das Wir gewinnt (Werbung) Man denkt nur selten an das Danach Alle diese Nomen haben einen Begleiter bei sich Solche Beobachtungen führen im Deutschunterricht zu dem oben bereits erwähnten Hinweis, dass man Nomen daran erkenne, dass sie entweder einen Begleiter bei sich haben oder dass man einen Begleiter vor sie setzen könne . Wenn man sich daran orientiert, könnte der Satz Der kleine Mann seufzt laut folgendermaßen geschrieben werden: 10.3 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 204 19 09 2019 16: 27: 42 Einheit 10 205 n omen al S S y nta k tISche e Inhe It en *Der Kleine mann Seufzt Laut Warum? ► � Vor Kleine steht ein Begleiter, also Großschreibung ► � Vor mann kann kein Begleiter stehen (*der Kleine der mann), also Kleinschreibung ► � Vor seufzt kann ein Begleiter stehen: *Der Kleine mann, der Seufzt Laut; also Großschreibung ► � Vor Laut kann ein Begleiter stehen (der Laut), also Großschreibung Wir haben also mit der konsequenten Befolgung unserer Regel fast alles falsch gemacht Dieses Beispiel karikiert das Problem, aber es zeigt auch, dass man ein angemessenes syntaktisches Wissen braucht, um die satzinterne Großschreibung zu beherrschen Deshalb wollen wir im Folgenden einen syntaktischen Begriff des Nomens zugrunde legen, der das Nomen nicht in isolierter Form erklärt, sondern als eine Einheit im Satz betrachtet, was uns mit der Nominalgruppe zu einer weiteren Wortgruppe führt Der dabei entstehende Nomenbegriff ist notwendig, wenn man die Rechtschreibung beherrschen will . Wir gehen von einem in Funke 2005 vorgestellten Verfahren aus, das die Sprachbewusstheit fördern kann, weil sich auch intuitiv die äußerlich gleichen, aber jeweils als Verb oder Nomen verwendeten Einheiten unterscheiden lassen: An unserem Kaninchenstall hängt ein Vorhängeschloss . a Dieses SCHLOSS machte ich zu b Dieses SCHLOSS sperrte ich ab c Dieses SCHLOSS klinkte ich ein d Dieses SCHLOSS ich ab Die Schülerinnen und Schüler waren bei ihrer Abschlussfeier mit ihrer Rektorin nicht zufrieden a Die REDE immer so unverständlich b Die REDE war nur schwer verständlich c Die REDE erschien vielen zu schwierig d Die REDE hat kaum jemandem gefallen Als Zugabe hörten wir vom Schulchor ein Lied von Shakira a Das SINGEN die immer mit viel Begeisterung b Das SINGEN begeisterte auch das Publikum c Das SINGEN viele nochmals auf dem Nachhauseweg d Das SINGEN wir auch manchmal im Unterricht . Beispiel 1 (aus: Funke 2005, S 188) Beispiel 2 Beispiel 3 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 205 19 09 2019 16: 27: 42 206 N ome N , N omiN al uNd P r ä P ositioN algruP P e N Die in Großbuchstaben geschriebenen Einheiten werden entweder als Nomen oder als Verb verwendet Für eine richtige Schreibung hilft ein isoliertes Wortartenwissen nicht - man muss erkennen, wie das Wort im konkreten Satz verwendet wird: ► � Im ersten Beispiel verweisen die Einheiten im Vorfeld auf dasselbe - es geht immer um das im einleitenden Satz erwähnte Vorhängeschloss, aber nur in den ersten drei Sätzen wird das Schloss explizit genannt, während in d nur darauf verwiesen wird ► � Im zweiten Beispiel wird in Zeile a mit der Einheit die im Vorfeld auf die Rektorin verwiesen; Zeilen b-d thematisieren dagegen die Rede auf der zuvor erwähnten Abschlussfeier ► � In 3a, c und d verweist die Einheit im Vorfeld auf das einleitend erwähnte Lied; in b greift hingegen die Nominalgruppe das Singen das Gesamtgeschehen des einleitenden Satzes auf Diese Unterscheidungen verweisen uns nochmals auf den zentralen Unterschied zwischen einer lexikalischen und einer syntaktischen Perspektive auf die Wortarten: Die lexikalische fragt danach, welcher Wortart ein Wort im Wörterbuch zugerechnet werden soll Dies setzt jedoch ein umfassendes grammatisches Wissen voraus - dazu gehört ein Überblick über die prinzipiellen Verwendungsmöglichkeiten eines Wortes und seine flektierten und unflektierten Formen auch jenseits einer konkreten Verwendung im Satz Das lexikalische Wortartenverständnis ist damit letztendlich abstrakter als das syntaktische Bei den Nomen kommt noch hinzu, dass sie lexikalisch gar nicht eingrenzbar sind, weil prinzipiell jedes Wort als Nomen verwendet werden kann Anders gesagt: Nomen können jederzeit durch ihr Zusammenspiel mit anderen Einheiten im Satz zustande kommen und bilden mit diesen anderen Einheiten eine Nominalgruppe Dieses Zusammenspiel ist aber alles andere als systemlos Dieses System zeigt sich am besten mit unserem Feldermodell: Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld 1 An unserem Kaninchenstall hängt ein Vorhängeschloss. a Dieses SCHLOSS machte ich zu. b Dieses SCHLOSS sperrte ich ab. c Dieses SCHLOSS klinkte ich ein. d Dieses SCHLOSS ich ab. Tab. 10.2 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 206 19 09 2019 16: 27: 42 Einheit 10 207 n omen al S S y nta k tISche e Inhe It en Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld 2 Die Schülerinnen und Schüler waren bei ihrer Abschlussfeier mit ihrer Rektorin nicht zufrieden. a Die REDE immer so unverständlich. b Die REDE war nur schwer verständlich. c Die REDE erschien vielen zu schwierig. d Die REDE hat kaum jemandem gefallen. Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld 3 Als Zugabe hörten wir vom Schulchor ein Lied von Shakira. a Das SINGEN die immer mit viel Begeisterung. b Das SINGEN begeisterte auch das Publikum. c Das SINGEN viele nochmals auf dem Nachhauseweg. d Das SINGEN wir auch manchmal im Unterricht. Tab. 10.3 Tab. 10.4 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 207 19 09 2019 16: 27: 42 208 n omen , n omIn al unD p r ä p oSItIon alGrup p en Die Feldgliederung eines typischen Satzgliedes Die meisten Satzglieder gehen von einer Nominalgruppe oder einer Präpositionalgruppe aus und haben eine analoge Struktur zum Satz Diese Eigenschaft der Sprache - dass eine kleinere Struktur so aussieht wie die größere - erinnert an Fraktale Fraktale findet man beispielsweise in Eiskristallen oder auch Pflanzen wie z B Farnen In der Nominalgruppe gibt es wie im Satz eine Klammer Diese beiden Klammern sind sprachhistorisch etwa zur gleichen Zeit im Althochdeutschen entstanden (vgl Ágel 1996) Jeweils das linke Feld trägt die grammatische Markierung, die flektierende Sprachen auszeichnet (Satzklammer: finites Verb; Nominalklammer: dekliniertes Pronomen bzw deklinierter Begleiter), das rechte Feld trägt den Inhalt (bei analytischer Bildung das valenztragende Verb bzw das Nomen): habe … abgeschlossen dieses … Schloss werde … reden die … Rede konnte … singen das … Singen 10.4 Abb. 10.2 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 208 19 09 2019 16: 27: 43 Einheit 10 209 D Ie f elD GlIe D erunG e Ine S t y p ISchen S at zGlIe D e S Damit können wir die Nominalgruppe als eine Art Keimzelle betrachten, die in typischen Satzgliedern als Grundlage für eine Struktur dient, die uns bereits aus Sätzen bekannt ist: Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld Dieses Schloss gehört zum Kaninchenstall. linkes Nominalfeld nominales Mittelfeld rechtes Nominalfeld dieses Schloss Die Wortgruppe hat ein linkes Feld für das Pronomen Das Pronomen wird als Begleiter oder Artikelwort bezeichnet, wenn im rechten Feld (wie hier) das groß zu schreibende Nomen erscheint Dazwischen gibt es ein Mittelfeld Dort stehen typischerweise Adjektive, die in dieser Position als attributive Adjektive bezeichnet werden „Attributiv“ bedeutet, dass sie ein Teil des ganzen Satzgliedes und damit auch ein Teil dieser Nominalgruppe sind Attributive Adjektive werden durch eine Deklinationsendung (alt|e) in die Wortgruppe eingebunden: linkes Nominalfeld nominales Mittelfeld rechtes Nominalfeld dieses alte Schloss Einer Nominalgruppe kann prinzipiell eine Präposition vorausgehen - der lateinische Terminus verweist auf diese syntaktische Möglichkeit (lat praeponere - voranstellen) Die Verbindung aus Präposition und Nominalgruppe wird als Präpositionalgruppe bezeichnet Jede Präposition löst bei der folgenden Nominalgruppe einen Kasus aus, der sich von der unmarkierten Form, dem Nominativ, unterscheidet - diesen Aspekt werden wir in Abschnitt 12 5 systematisch darstellen Hier sehen wir die Veränderung im linken Nominalfeld und im Mittelfeld: aus dieser wird diesem, aus alte wird alten: Präpositionsfeld linkes Nominalfeld nominales Mittelfeld rechtes Nominalfeld zu diesem alten Schloss Nominalgruppe Präpositionalgruppe Schließlich gibt es wie im Satz ein Nachfeld für Einheiten, die zu diesem Satzglied gehören Dies kann wie im folgenden Beispiel wieder eine Präpositionalgruppe sein: Tab. 10.5 Attributive Adjektive Tab. 10.6 Präpositionalgruppe Tab. 10.7 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 209 19 09 2019 16: 27: 43 210 N ome N , N omiN al uNd P r ä P ositioN algruP P e N Präpositionsfeld linkes Nominalfeld nominales Mittelfeld rechtes Nominalfeld nominales Nachfeld zu diesem alten Schloss an unserem Kaninchenstall Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld Zu diesem alten Schloss an unserem Kaninchenstall gibt es keinen Schlüssel mehr. Der Satz und ein typisches Satzglied haben also einen ganz ähnlichen Aufbau Wie der Satz kann auch das Satzglied aus beliebig vielen Einheiten bestehen und dann mehr oder weniger komplex sein Zum einen gibt es Satzglieder aus nur einem Wort Sie tragen das ganze Potential der in einem Satzglied möglichen Einheiten in sich: Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld Den habe ich verloren. Präpositionsfeld linkes Nominalfeld nominales Mittelfeld rechtes Nominalfeld nominales Nachfeld den Nominalgruppe Wenn wir innerhalb dieses Satzgliedes von einer Nominal„gruppe“ sprechen, mag dies auf den ersten Blick irritieren: Zu einer Gruppe gehören doch mindestens drei! Das Fachwort zeigt aber lediglich an, dass in dem Muster Nominalgruppe immer drei Felder offenstehen . Man kann diese Felder mit nur einem Wort oder auch mit mehr Wörtern besetzen (das ist so ähnlich wie bei einer „Sitzgruppe“ im Wohnzimmer, die ein größeres Sofa für mehrere Personen bezeichnet, auf dem auch mal nur eine Person Platz nehmen kann) Auf den ersten Blick mag die Feldgliederung für Wortgruppen und das typische Satzglied als theoretische Spielerei erscheinen . Sie kann aber dazu beitragen, auch beliebig komplexe Satzglieder wie das folgende in den Griff zu bekommen Tab. 10.8 Wortgruppen mit nur einem Wort Tab. 10.9 komplexe Satzglieder 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 210 19 09 2019 16: 27: 43 Einheit 10 211 D Ie f elD GlIe D erunG e Ine S t y p ISchen S at zGlIe D e S Ich habe für den alten, ganz schön verwitterten und aus den Fugen geratenen Stall im Hinterhof, in dem schon mein Großvater vor über fünfzig Jahren Kaninchen gezüchtet hat, ein neues Schloss besorgt Präpositionsfeld linkes Nominalfeld nominales Mittelfeld rechtes Nominalfeld nominales Nachfeld für den alten, ganz schön verwitterten und aus den Fugen geratenen Stall im Hinterhof, in dem schon mein Großvater vor über fünfzig Jahren Kaninchen gezüchtet hat, Nominalgruppe Präpositionalgruppe Im Mittelfeld wird sichtbar, dass nur die attributiv zur Nominalgruppe gehörenden Adjektive eine Deklinationsendung erhalten (alt|en/ verwittert|en/ geraten|en) und damit als Informationen zum Stall verstanden werden Die beiden Wörter ganz und schön sind zwar prinzipiell auch als Adjektive verwendbar - es gibt durchaus ganze und schöne Ställe Das ist hier aber nicht gemeint - beide Wörter sind als Intensitätspartikeln Teil der Adjektivgruppe ganz schön verwitterten ( → Abschnitt 5 6) Zentral für das Verständnis des Satzgliedes ist die durch eigene Felder hervorgehobene Präpositionalgruppe für den Stall Weitere Wortgruppen im Mittel- und Nachfeld geben zu dieser zentralen Wortgruppe weitere Informationen auch sie können wieder Präpositionalgruppen enthalten (aus den Fugen geratenen/ im Hinterhof) Die Präpositionalgruppe im Hinterhof ist ein Teil des gesamten Satzgliedes und deshalb ebenso wie der anschließende, durch Kommas eingeschobene Satz ein Attribut . Dieser Satz wiederum ist zwar nur Teil des Satzgliedes in Tab 10 10, er hat aber alles, was einen Satz zum Satz macht: ein valenztragendes Verb (züchten) mit seinen Ergänzungen (jemand züchtet etwas) und darüber hinaus zwei Angaben (irgendwo und irgendwann) Die Präpositionalgruppe vor über fünfzig Jahren ist also ein eigenes Satzglied im Attributsatz, aber keinesfalls ein Attribut zum gesamten Satzglied der Tab 10 10 (wie die vorausgehende Präpositionalgruppe im Hinterhof) Ein Satzglied in einem Attributsatz kann wiederum Attribute bei sich haben usw , was die Verständlichkeit beeinträchtigen kann, insbesondere dann, wenn wie im folgenden Beispiel banale Sachverhalte durch existentielle überlagert werden: Tab. 10.10 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 211 19 09 2019 16: 27: 43 212 N ome N , N omiN al uNd P r ä P ositioN algruP P e N Ich habe für den alten, ganz schön verwitterten und aus den Fugen geratenen Stall im Hinterhof, in dem schon mein Großvater, der in Schlesien aufgewachsen und nach dem Krieg mit seiner Mutter, die selbst aus ärmlichen Verhältnissen kam, ins Rheinland geflohen ist, vor über fünfzig Jahren Kaninchen gezüchtet hat, ein neues Schloss besorgt Um es nochmal zu betonen: Alles, was in diesem Satz unterstrichen ist, ist ein Satzglied (jemand besorgt etwas für etwas) Diese Rekursivität - also die Möglichkeit, dass jede Struktur ihre eigene Struktur wieder und immer wieder aufgreifen kann, sorgt dafür, dass in einer natürlichen Sprache eine unendliche Anzahl von Sätzen möglich ist Mit den beiden Feldgliederungen lässt sich darstellen, wie Wortarten, Wortgruppen, Satzglieder und Sätze aufeinander bezogen sind - oder besser: sein können Diese Darstellung beinhaltet keine Regeln oder Definition für alle diese Einheiten Sie zeigt vielmehr die Muster, die in der Sprache immer wieder vorkommen Sie hat damit keinen erklärenden oder definitorischen, sondern einen heuristischen Wert Das erscheint auf den ersten Blick nicht besonders wissenschaftlich Auf den zweiten zeigt sich die Möglichkeit, sprachliche Strukturen „sehen zu lernen“ Solche Sehhilfen können zur Begriffsbildung beitragen Indem Prototypisches von eher Untypischem unterschieden werden kann, werden auch die Ränder, die Übergangsbereiche zwischen sprachtheoretischen Einteilungen erkennbar, aber auch Ausschlussbereiche, wenn eine Einheit nicht zu einem Muster gehört Man lernt also, syntaktische Konstellationen zu erkennen, aus denen sprachliche Begriffe hervorgehen Dass die Nominal- und Präpositionalgruppen neben der Verbgruppe in diesem Buch so viel Aufmerksamkeit bekommen, lässt sich auch quantitativ begründen In dem oben bereits verwendeten Text gehören fast dreiviertel aller Wörter, nämlich 51 von 69, zu den unterstrichenen Nominalbzw . den doppelt unterstrichenen Präpositionalgruppen Wenn wir die 11 Verben mit den 51- Wörtern aus Nominal- und Präpositionalgruppen addieren, sind das 62-von 69-Wörtern und damit 90 % der Wörter im Text: Rechtzeitig beworben Ein fünfjähriger Junge hat sich bei der Polizei in Bocholt beworben Sein Lebenslauf ist kurz „Besuch des Kindergartens ‚Über den Wolken‘“ ist der einzige Eintrag des kleinen Niklas in der Rubrik „Werdegang“ Das teilte ein Sprecher der Polizei am Mittwoch mit Im Anschreiben steht: „Ich möchte gerne meine Ausbildung starten, sobald ich den Kindergarten und meine schulische Ausbildung abgeschlossen habe Zu meinen Hobbys gehört das Spielen mit Polizeiautos “ Beispiel (aus: PNN vom 22 09 2011) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 212 19 09 2019 16: 27: 43 Einheit 10 213 D a S lInke n omInalfelD : S prachlIche S z eIGen alS a uSGanGSpunkt Der n omInalGruppe Die 15 Nominalgruppen sind in Tabelle 10 .8 in drei Spalten aufgeteilt: ► � In der ersten Spalte sind beide Nominalfelder besetzt Als Begleiter erscheinen neben ein und der auch Formen von mein und sein ► � In der zweiten Spalte ist nur das linke Nominalfeld mit den Pronomen ich bzw das besetzt ► � In der dritten Spalte ist nur das rechte Nominalfeld besetzt Nominalgruppen Präpositionalgruppen ein fünfjähriger Junge sein Lebenslauf des Kindergartens der einzige Eintrag des kleinen Niklas ein Sprecher der Polizei meine Ausbildung den Kindergarten meine schulische Ausbildung das Spielen ich ich das Besuch Werdegang bei der Polizei in Bocholt Über den Wolken in der Rubrik am Mittwoch im Anschreiben zu meinen Hobbys mit Polizeiautos Im Unterschied zur Schulgrammatik wollen wir die Pronomen nicht als „Fürwörter“ betrachten, die eine Nominalgruppe ersetzen können Ihre wichtigste Funktion ist der Verweis, was uns bereits in Abschnitt 5 .2 als sprachliches Zeigen begegnet ist . Diese Funktion des Pronomens bleibt auch mehr oder weniger erhalten, wenn es als Begleiter verwendet wird Sprachliches Zeigen gilt als die wichtigste Funktion des Begleiters neben der Mengenbildung In der traditionellen Modellierung der Nominalgruppe stehen meistens die Nomen als die inhaltstragenden Einheiten im Mittelpunkt Pronomen und Begleiter haben aber weitaus mehr als eine Hilfsfunktion in der Sprache Sie tragen in bemerkenswerter Weise dazu bei, die Hörer bzw Leser in Situationen bzw Texten zu orientieren - darum soll es in der folgenden Auseinandersetzung mit sprachlichem Zeigen gehen Das linke Nominalfeld: Sprachliches Zeigen als Ausgangspunkt der Nominalgruppe Steven Pinker beschreibt in seinem „Sprachinstinkt“ die Sprache als bemerkenswerte Fähigkeit und als „Wunder der Natur“: „Wir können im Geist unseres Gegenübers mit höchster Präzision ganz bestimmte Bilder entstehen lassen Dabei denke ich nicht an Telepathie oder Gedankenkontrolle oder andere fixe Ideen aus den Grenzwissenschaften (…) Indem wir nichts anderes tun, Tab. 10.11 10.5 Nominalgruppen: mehr als ein Bezeichnen der Dinge 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 213 19 09 2019 16: 27: 44 214 N ome N , N omiN al uNd P r ä P ositioN algruP P e N als mit dem Mund Geräusche zu produzieren, können wir im Gehirn anderer Personen neue und präzise Gedankenkombinationen erzeugen “ (S .-17) Sprache gehört zu dem Natürlichsten und Selbstverständlichsten, sodass man das Wundern darüber manchmal vergisst Und das Wundern und Staunen und „Sich-Begeistern“ ist immer wieder ein guter Ausgangspunkt, wenn wir uns mit der Sprache im Sprachunterricht auseinandersetzen Wenn Sprache ausschließlich symbolische Funktion hätte - also das Benennen, Bezeichnen der Dinge in der Welt, dann wäre nicht klar, wie die Sprache damit mehr leisten könnte als eine „Verdopplung der Wirklichkeit“ Sprache ist mehr - sie deutet und ordnet die Welt, stellt gemeinsame Orientierungen auf bestimmte Sachverhalte her und schafft eine eigene Denkwelt - eine neue Ebene neben der materiellen Welt, die erst durch Sprache existent und zugänglich wird Nominalgruppen sind beim Aufbau dieser Denkwelten in ganz besonderer Weise beteiligt Dem Wesen der Nominalgruppe kann man sich funktional annähern, indem man es als ein Zusammenspiel von Zeigen und Nennen betrachtet Dabei ist die Zeigfunktion mit den Pronomen, die Nennfunktion v a . mit den Nomen verbunden In der traditionellen Grammatik werden Pronomen mit der Übersetzung „Fürwort“ zu „Stellvertretern eines Nomens“ erklärt Die Ersatz- oder Stellvertreterfunktion trifft jedoch nicht den Kern der Leistung der Pronomen; gleichzeitig wird mit dieser Kennzeichnung die gemeinsame Verweisfunktion der Pronomen ausgeblendet . Bereits in Abschnitt 8 .1 1 haben wir festgestellt, dass die Einheit ich keine Nomen ersetzt, sondern den einzig adäquaten Ausdruck für die Sprecherrolle darstellt Mit einem ich wird jeweils aktuell verwiesen auf eine Person, die etwas sagt oder schreibt, und der Verweis bzw das Zeigen ist die ursprüngliche Funktion, auf die sich alle Pronomen zurückführen lassen . Dies gilt auch für die Einheit das, die sich sprachgeschichtlich zurückführen lässt auf das Wort da Die Einheit da spielt nicht nur sprachhistorisch eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Pronomen und Nominalgruppen . Sie hat auch ontogenetisch - also für die Entwicklung des Individuums - eine Schlüsselrolle beim Spracherwerb, weil sie die verbale Kommunikation einleitet Eine der ersten kommunikativen Handlungen bei ganz kleinen Kindern ist das gegenseitige Anschauen und Lächeln (also die Übernahme einer bestimmten Emotion) Bald darauf können die Kinder dem Blick folgen - man schaut irgendwo hin, und das Kind tut das auch Der Augenkommunikation folgen die Anfänge der verbalen Kommunikation Die Kleinkinder zeigen auf alles, was sie bemerken, was sie haben wollen oder was ihnen sonst irgendwie kommentierungswürdig erscheint Oftmals begleiten sie dieses Zeigen mit einem „Da! “ Was sie dabei tun, ist eine Orientierungshandlung: Sie lenken die Aufmerksamkeit der Erwachsenen auf Dinge hin und freuen sich, wenn es funktioniert, mit ihren noch recht begrenzten sprachlichen Möglichkeiten relativ viel zu bewirken Sind Pronomen „Fürwörter“? Verweisfunktion der Pronomen das und da 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 214 19 09 2019 16: 27: 44 Einheit 10 215 D a S lInke n omInalfelD : S prachlIche S z eIGen alS a uSGanGSpunkt Der n omInalGruppe Die Verwendung von da ist nicht allein kleinen Kindern vorbehalten, sondern ein universelles Mittel, um eine gemeinsame Orientierung herzustellen Der folgende Dialog in einem Bahnabteil wäre mathematisch betrachtet widersprüchlich: - Entschuldigung, ist da frei? - Da nicht, aber da schon Wenn Sie da durch eine mathematische Variable ersetzen, erhalten Sie in der Antwort X nicht, aber X schon . Sprache ist aber etwas anderes als Mathematik . In unserem Beispiel geht es nicht um Logik, sondern um die Orientierung eines Anderen in einer bestimmten Situation Die sprachliche Handlung ist verbunden mit einer Zeigegeste, die mit dem zweiten da einen anderen Platz als mit dem ersten fokussiert . Genauso wie beim Kind wird das sprachliche da begleitet - durch Finger-, Hand- oder Körpergeste; oft auch durch die Blickrichtung Bereits in Abschnitt 5 2 haben wir in der Auseinandersetzung mit den Adverbien gesehen, dass sprachliches Zeigen nicht in jedem Fall an gestisches Zeigen gekettet ist Es hat sich sprachlich mit bestimmten Einheiten von der Gestik losgemacht Aus der Einheit da, die eine gemeinsame Fokussierung im Raum ermöglicht, entstand im Laufe der Sprachgeschichte das Verweiswort das Es ist im Unterschied zu da nicht auf Orte beschränkt und kann sich wie in unserem Text auf mehr oder weniger komplexe Sachverhalte beziehen - das im Vorfeld in Zeile 4 verweist auf die gesamte Zeile 3: 3 „Besuch des Kindergartens ‚Über den Wolken‘“ ist der einzige Eintrag des kleinen Niklas in der Rubrik „Werdegang“. 4 Das teilte ein Sprecher der Polizei am Mittwoch mit. In der folgenden Frage bezieht sich das auf ein Ding - allerdings noch unabhängig vom grammatischen Genus des bezeichneten Gegenstandes Soll ich Ihnen das einpacken? das: das Bild/ den Salat/ die Flasche Das Zeigsystem hat sich in unserer Sprache immer weiter differenziert Während das Pronomen das noch sehr universell verweisen kann, sind der oder die auf Nomen in einem bestimmten Genus bezogen Ich meine den dort den: den Wagen/ das Auto/ die Limousine Tab. 10.12 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 215 19 09 2019 16: 27: 44 216 N ome N , N omiN al uNd P r ä P ositioN algruP P e N Im Unterschied zur traditionellen Grammatik, die das Pronomen als Stellvertreter der Nominalgruppe beschreibt, wollen wir die Blickrichtung umkehren. Pronomen sind keine Fürwörter und keine Stellvertreter anderer Einheiten. Sie können aber auf Unterschiedlichstes verweisen - was das jeweils ist, ergibt sich aus der Situation oder dem Kontext. Für die Nominalgruppe sind Pronomen damit die ursprünglicheren Einheiten, die immer dann alleine verwendet werden können, wenn sie mit ihrer Verweisfunktion genügend Orientierung ermöglichen. Wenn Sie zu einem Fahrradhändler gehen, können Sie auf das Angebot Bezug nehmen und sagen Ich möchte das hier kaufen . Hier genügt der alleinige Verweis durch ein Pronomen Wenn Sie zuhause erzählen, was Sie Neues vor der Tür stehen haben, kommt ein Nennen hinzu Haben Sie das Fahrrad zuvor schon einmal gemeinsam besichtigt oder in einem Prospekt angeschaut, ist das Fahrrad „zeigbar“ und Sie können einen Satz wie unten äußern Das Pronomen - im Laden noch ausschließlich verweisend verwendet - tritt nun zum nennenden Nomen hinzu und signalisiert, dass der Zuhörer das Genannte geistig identifizieren kann Ich habe das Fahrrad gekauft Ist der Kauf für Ihren Zuhörer eher überraschend, die Information also neu, tritt an die Stelle des verweisenden das ein Wort, das wie im folgenden Satz eine strukturelle Ersatzfunktion für etwas prinzipiell Zeigbares übernimmt und dabei signalisiert, dass der Zuhörer das Genannte noch nicht identifizieren kann . Semantisch beinhaltet das Wort ein auch eine Menge - eben „1“ Fahrrad Ich habe ein Fahrrad gekauft Standardsprachlich ist es nicht üblich, in dieser Nominalgruppe auf einen Begleiter zu verzichten: *Ich habe Fahrrad gekauft Wenn in Nominalgruppen auf einen Begleiter verzichtet werden kann, hat dies meistens einen Grund, der sich ebenfalls auf das Konzept von Zeigen und Nennen beziehen und so verstehen lässt ( → Abschnitt 10 8) Pronomen können in einer bestimmten Situation also auf etwas verweisen-- das Wort ich auf den Sprecher, das Wort das z B auf einen ganzen Satz, einen Gegenstand oder einen Sachverhalt Einige der Pronomen haben im Laufe der Sprachgeschichte die Funktion übernommen, als Begleiter Nomen an sich zu binden . Im Sprachgebrauch geschieht dies immer dann, wenn sprachliches Zeigen alleine nicht ausreicht - das Fahrrad z B nicht im Sichtfeld steht und zusätzlich benannt werden muss 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 216 19 09 2019 16: 27: 44 Einheit 10 217 z uS a mmenSp Iel Von lInk e m unD recht e m n omIn alf elD : z e I G en unD n ennen Zusammenspiel von linkem und rechtem Nominalfeld: Zeigen und Nennen Im rechten Nominalfeld erscheinen die Nomen Für die Wahrnehmung der Welt leisten sie Erstaunliches . Als Eigennamen haben sie individualisierende Funktion . In unserem Beispieltext am Ende von Abschnitt 10 .4 erscheinen drei Namen: Niklas, Bocholt, Über den Wolken . Namen tragen in erster Linie Personen und Orte - es ist einfach praktisch, im sozialen Miteinander andere Menschen identifizieren zu können oder Orte eindeutig zu bezeichnen, damit man sich verabreden kann Namen können auch mehrteilig sein wie der Name für die Institution „Über den Wolken“; der kleine Niklas hat einen Nachnamen, der ihn genauer identifizierbar macht Etwas ganz anderes als Namen sind Bezeichnungen, mit denen wir zunächst einmal die sichtbare Welt benennen und ordnen können Hier geht es bereits um eine abstraktere Wahrnehmung der Welt, weil dabei Klassen oder auch Hierarchien gebildet werden Z B hat ein Fahrrad bestimmte Merkmale: Es ist ein Fahrzeug mit zwei Rädern, das mit Muskelkraft bewegt werden kann Das Wort Zweirad wiederum ist ein Oberbegriff zu Fahrrad, aber auch Mopeds sind Zweiräder . Das Wort Fahrzeug wiederum ist ein weiterer Oberbegriff für vieles, was Räder hat Die Erkenntnis, dass es Wörter gibt, mit denen sich die sichtbare, substantielle bzw gegenständliche Welt sprachlich fassen und ordnen lässt, hat den Nomen wie schon erwähnt auch den Terminus Substantiv eingebracht . Doch nur ein kleiner Teil der Nomen bezeichnet Substanzen, also das, was man „sehen und anfassen kann“ Die Sprache hat das Konzept, mit dem sie zunächst auf Gegenständliches Bezug nehmen kann, durch einen einfachen Trick ausgedehnt, sodass prinzipiell alles wie ein Gegenstand behandelt werden kann Sie verwendet Pronomen, mit denen man immer auch auf Gegenständliches verweisen kann, in einer neuen Funktion: In Sätzen können Pronomen eine Begleitfunktion übernehmen Pronomen mit Begleitfunktion werden zu Begleitern und lassen die begleiteten Einheiten wie Gegenstände erscheinen So, wie man auf materiell wahrnehmbare Gegenstände Bezug nehmen kann, kann man durch die Konstruktion der Nominalgruppe gedankliche Gegenstände aller Art schaffen: ► � ein Lebenslauf ist zunächst ein gedankliches Konstrukt: Bestimmte Informationen zu einer Person, die v a . Ausbildung und Beruf betreffen, werden in einem Wort fassbar . Gleichzeitig bezeichnet Lebenslauf auch einen Gegenstand, wenn man damit das Stück Papier meint, auf dem sich eine entsprechende Auflistung befindet ► � ein Besuch bezeichnet keinen Gegenstand, sondern ein Verhalten von Menschen, die andere Menschen oder auch eine Institution mit einer bestimm- 10.6 Nomen als individualisierende Marken: Namen Nomen als Bezeichnungen Pronomen in Begleiterfunktion 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 217 19 09 2019 16: 27: 44 218 N ome N , N omiN al uNd P r ä P ositioN algruP P e N ten Absicht aufsuchen Zwar weiß jeder, was ein Besuch ist, aber eine genaue verbale Definition, was alles zu einem Besuch gehört und wann ein Besuch ein Besuch ist, erscheint wiederum recht komplex ► � das Spielen macht die entsprechende Beschäftigung zu einem gedanklichen Gegenstand, der im Satz nicht mehr als Verb, sondern als Satzglied verwendet werden kann Pronomen und Begleiter sind nicht wie die Nomen beliebig erweiterbar, sondern sie haben eine relativ klar abgrenzbare Anzahl von Wörtern, die als Begleiter oder Pronomen verwendet werden können In der folgenden Übersicht soll zunächst deutlich werden, dass alle Einheiten, die als Begleiter gelten, auch als Pronomen verwendet werden können Als Begleiter verwendbare Einheiten bilden also eine Teilmenge der Pronomen Eine solche Übersicht kann auch als sukzessiv erweiterbares Plakat im Klassenzimmer aufgehängt werden - ausgehend von den wichtigsten Pronomen ich, du, er … und den wichtigsten Begleitern/ Pronomen der und ein, die nach und nach um weitere Einheiten ergänzt werden (Abb . 10 .3) Als Begleiter werden im Wesentlichen die Einheiten betrachtet, die prinzipiell die Funktion der wichtigsten Begleiter der oder ein übernehmen können und dabei nicht mit beliebigen anderen Begleitern kombiniert werden können - also alleine oder nur mit ausgewählten anderen Begleitern das linke Nominalfeld besetzen (wie z B die beiden Kinder oder in dieser unsrer Schule) Wie überall im Sprachsystem gibt es auch hier Randbereiche der Wortarteneinteilung . So haben die Einheiten etwas, nichts, jemand und niemand begleiterähnliche Funktion, wenn sie Adjektive zu Nomen machen (etwas Neues, nichts Besonderes …) Pronomen Begleiter ich, du, Sie, er, es, sie wer sich man wir, ihr, Sie, sie der ein alle dieser kein sämtliche jener irgendein jeder derselbe was für ein beide derjenige welcher einige (ein) solcher manche etliche mein, dein, sein … Übersicht zu den Pronomen und Begleitern Abb. 10.3 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 218 19 09 2019 16: 27: 44 Einheit 10 219 z uS a mmenSp Iel Von lInk e m unD recht e m n omIn alf elD : z e I G en unD n ennen In Grammatiken werden Begleiter meist als Artikel oder Artikelwörter bezeichnet, wobei die Formen von der und ein am häufigsten erscheinen. Diese beiden Einheiten haben eigene Termini und werden traditionell als bestimmter und unbestimmter Artikel bezeichnet. Auch wenn diese Bezeichnungen in der Grammatikgeschichte zu festen Wendungen geworden sind, werden sie in diesem Buch bewusst vermieden. Die Bezeichnung „bestimmt“ bzw. „unbestimmt“ ist schon deshalb unhaltbar, weil sie auf eine spezifisch sprachliche Weise falsch ist. Nicht der Begleiter an sich ist bestimmt oder unbestimmt - genau dies steckt aber sprachlich in den Termini bestimmter bzw unbestimmter Begleiter Als „bestimmt“ könnte man allenfalls bezeichnen, wie ein Sprecher den Bezug einer Nominalgruppe verstanden haben will (wie im Satz „Ich möchte das Fahrrad kaufen“ vs „Ich möchte ein Fahrrad kaufen“) Grammatisch angemessen müsste man dann aber von einem „bestimmenden“ bzw . „nicht bestimmenden“ Begleiter/ Artikel sprechen . Im folgenden Abschnitt, der aus einer Geschichte stammen könnte, würde man des Morgens wohl eher als unbestimmt, eines Morgens hingegen als bestimmt beschreiben: Seit Jahren passierte immer das Gleiche: Des Morgens kam der Milchmann, danach fütterte der alte Mann seine Hühner (…) Aber eines Morgens geschah etwas Besonderes: Ein Bote kam und teilte dem alten Mann mit, dass (…) Für Kinder und Jugendliche werden die Ziele des Sprachunterrichts konterkariert, wenn eine deutsche, prinzipiell verstehbare Fachterminologie mit den Spracherfahrungen nicht kompatibel ist Die beiden Begleiter der und ein haben so viele Verwendungsbereiche, dass ihre üblichen Termini das Sprachbewusstsein eher verunsichern als erhellen So lassen sich beide Begleiter in einer Verwendung, die als generisch bezeichnet wird und mit der man sich auf ganze Klassen beziehen kann, oftmals bedeutungsgleich gebrauchen: Der Wal ist ein Säugetier -/ -Ein Wal ist ein Säugetier Der Bachelor-Abschluss soll für einen Beruf qualifizieren .-/ -Ein Bachelor-Abschluss soll für einen Beruf qualifizieren Ein generisches der verweist auf jede einzelne Erscheinung, auf die sich das Nomen beziehen kann; das generische ein hingegen wird exemplarisch verstanden - was für das beliebig Ausgewählte gilt, gilt für alle Wann welcher Begleiter verwendet wird, hat in einer Begleitersprache zum einen sprachsystematische Gründe, weil es einen prinzipiellen Begleiterzwang gibt Daneben entscheidet der Sprecher bzw Schreiber, wie er verstanden werden will - wie er den Hörer bzw . Leser orientieren möchte, was fokussiert werden und welche Menge gebildet werden soll . Dies wollen wir in der folgenden exemplarischen Analyse betrachten . Terminologie Gibt es einen „bestimmten Artikel“? 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 219 19 09 2019 16: 27: 44 220 N ome N , N omiN al uNd P r ä P ositioN algruP P e N Exemplarische Analysen der Nominalgruppe In unserem Text, den wir hier nochmals in seiner Feldgliederung anführen, erscheinen die Nominalgruppen mit Formen der Begleiter ein und der, mein und sein, daneben einige begleiterlose Nominalgruppen sowie die oben bereits betrachteten Pronomen das und ich . Wir betrachten einige der Nominalgruppen; die Zahlen stehen für die Zeilen in der Tabelle: 1 ein fünfjähriger Junge: Wird in einem Text eine Person, ein Gegenstand oder Sachverhalt zum ersten Mal genannt, wird üblicherweise der Begleiter ein verwendet Was so eingeführt wird, muss keinesfalls „unbestimmt“ sein - somit wäre auch hier der Terminus „unbestimmter Artikel“ ungeeignet Der Begleiter ein entlastet in dieser Verwendung den Hörer davon, das mit dem Nomen Bezeichnete identifizieren zu müssen Eine solche Einführung darf nur einmal erscheinen - nun ist der Junge bekannt Danach ist eine thematische Fortführung mit dem Pronomen er möglich Eine Bezugnahme ist auch mit anderen nominalen Einheiten möglich (z B der Junge, der Kleine, das Kind) Es gibt auch Texte, in denen das Muster der hörerentlastenden Einführung durchbrochen wird, indem von Anfang an Formen des Begleiters der verwendet werden, was dem Leser Bekanntheit suggeriert und für einen unvermittelten Beginn sorgt In Zeitungsberichten erschiene dies sehr befremdend; in Kurzgeschichten wie der folgenden von Ilse Aichinger ist der unvermittelte Beginn hingegen ein übliches Stilmittel: 10.7 Tab. 10.11 Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Nachfeld 1 Ein fünfjähriger Junge hat sich bei der Polizei in Bocholt beworben. 2 Sein Lebenslauf ist kurz. 3 „Besuch des Kindergartens ‚Über den Wolken‘“ ist der einzige Eintrag des kleinen Niklas in der Rubrik „Werdegang“. 4 Das teilte ein Sprecher der Polizei am Mittwoch mit. 5 Im Anschreiben steht: „Ich möchte …“ 5.1 „Ich möchte gerne meine Ausbildung starten, sobald ich … 5.2 sobald ich den Kindergarten und meine schulische Ausbildung abgeschlossen habe. 6 Zu meinen Hobbys gehört das Spielen mit Polizeiautos.“ 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 220 19 09 2019 16: 27: 44 Einheit 10 221 e x e mpl arISche a n aly Sen D er n omIn alGrup p e Das Fenster-Theater Die Frau lehnte am Fenster und sah hinüber Der Wind trieb in leichten Stößen vom Fluss herauf und brachte nichts Neues Die Frau hatte den starren Blick neugieriger Leute, die unersättlich sind (…) 4 ein Sprecher der Polizei: Zwar wird der Sprecher hier neu eingeführt - der Begleiter ein hat in diesem Sinne Entlastungsfunktion Hier könnte aber auch der Sprecher stehen, insofern der Sprecher ein Teil der Polizei ist, die bereits erwähnt wurde - man könnte es als Weltwissen betrachten, dass eine Polizei einen Sprecher haben kann Ein Verzicht auf einen Begleiter wäre hier jedoch nicht möglich Auch die attributiv angebundene Nominalgruppe der Polizei muss mit Begleiter erscheinen - er hat strukturelle Funktion, indem er den Genitiv markiert und die Zugehörigkeit des Genitivattributs zur Bezugsnominalgruppe ein Sprecher kennzeichnet 2 sein Lebenslauf: Die traditionell als Possessivpronomen bezeichnete Einheit sein kennzeichnet den Lebenslauf als zum bereits erwähnten Jungen gehörig Possessiva drücken nicht nur semantische Zugehörigkeit aus, sondern haben immer auch Verweisfunktion - sie sind wie die Personalpronomen in drei Personen im Singular und Plural kategorisiert ( → Abschnitt-8 1 und 13 3): Singular Plural 1. Person mein Lebenslauf unser Lebenslauf 2. Person vertraut/ familiär 2. Person höflich/ formell dein Lebenslauf Ihr Lebenslauf euer Lebenslauf Ihr Lebenslauf 3. Person Maskulinum 3. Person Neutrum 3. Person Femininum sein Lebenslauf sein Lebenslauf ihr Lebenslauf ihr Lebenslauf 6 das Spielen mit Polizeiautos: Mit dem Begleiter wird das Spielen zu einer Nominalgruppe und zu einem gedanklichen Gegenstand, auf den verwiesen und über den etwas behauptet werden kann; es kann also im Unterschied zum Verb spielen als Satzglied verwendet werden Zweifelsohne kommt der Ausdruck von einem Verb her Er wird aber nicht als Verb verwendet - das linke Verbfeld ist im Satz in Zeile 6 bereits anders besetzt Der gesamte Ausdruck könnte als Satzglied nur gemeinsam im Vorfeld erscheinen: Das Spielen mit Polizeiautos gehört zu meinen Hobbys Als Attribut dieses Satzgliedes erscheint die Präpositionalgruppe mit Polizeiautos Bemerkenswert ist der fehlende Begleiter Ein entsprechendes Nomen im Singular müsste allerdings einen Begleiter tragen (das Spielen mit einem Polizeiauto, aber *das Spielen mit Polizeiauto) Da der Begleiter ein u a auch mengenbildend als „eins“ verstanden werden kann, besitzt er keine Pluralform-- linguistisch spricht man hier von einem Nullartikel ihr Lebenslauf Possessiva Tab. 10.12 Pluralform des Begleiters ein 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 221 19 09 2019 16: 27: 44 222 N ome N , N omiN al uNd P r ä P ositioN algruP P e N 1 bei der Polizei in Bocholt: Obwohl diese komplexe Präpositionalgruppe im einleitenden Satz erscheint, muss im ersten Teil der Gruppe der Begleiter der verwendet werden . Es gehört zum selbstverständlichen Weltwissen, dass es in jeder Stadt „die Polizei“ als Institution gibt Hieße es bei einer Polizei, wäre man als Leser zu Recht irritiert, weil man nicht wüsste, warum die Polizei als „dem Hörer unbekannt“ vorgestellt wird Die Nominalgruppe in der Präpositionalgruppe in Bocholt kann hingegen nur begleiterlos erscheinen Dies ist typisch für Namen: Sie werden individualisierend verwendet Mit der Nennung Bocholt soll der Hörer die eine Stadt gedanklich aufrufen Insofern könnte der Begleiter keine weitere Orientierung bieten 3 der einzige Eintrag des kleinen Niklas in der Rubrik „Werdegang“: Hier wird der Eigenname als Genitivattribut und mit dem Adjektivattribut kleinen gebraucht Dies erfordert einen Begleiter Auch im ersten Teil dieses Satzgliedes (der einzige Eintrag) könnte das Nomen nicht alleine erscheinen Jedoch könnte das Adjektiv die Begleiterfunktion übernehmen, da es mengenbildend verstanden werden kann und damit eine begleitertypische Funktion erfüllen würde: „Besuch des Kindergartens ‚Über den Wolken‘“ ist einziger Eintrag des kleinen Niklas in der Rubrik „Werdegang“ Auch hier zeigt sich, dass es nicht Regeln sind (wie z B „Nomen haben einen Begleiter“), sondern Muster, die den Sprachgebrauch bestimmen und dass Wörter die Funktionen anderer Wörter übernehmen können Das leere linke Nominalfeld: Begleiterlose Nominalgruppen Unser Ausgangspunkt in der Auseinandersetzung mit Zeigen und Nennen war, dass Pronomen auch alleine eine Nominalgruppe bilden können . Wenn eine nennende Einheit hinzukommt, übernimmt das Pronomen die Funktion eines Begleiters Begleiter und Nomen bilden ein Grundmuster des Deutschen . Nomen erscheinen prinzipiell nicht ohne einen Begleiter, der dabei verschiedene Funktionen übernimmt - zu den wichtigsten gehören die Orientierungsfunktion und die Mengenbildung . Das „prinzipielle“ Erscheinen lässt wie erwartet auch begleiterlose Nominalgruppen zu - also Nominalgruppen mit Nullartikel . Sie sind aber keine Ausnahmen, sondern mit dem Konzept von Zeigen und Nennen nachvollziehbar Bei den Eigennamen haben wir bereits gesehen, wie sie sich in das Konzept von Zeigen und Nennen einfügen lassen, weil Eigennamen einen individuellen Bezugspunkt haben und bei ihrer Nennung für ein Verständnis beim Empfänger bereits eine bestimmte kognitive Adresse zur Verfügung stehen muss Weil damit einem Hörer ein mit einem Eigennamen bezeichnetes Individuum bereits bekannt ist, wird jedes weitere Zeigen überflüssig: „Anne hat gerade nach dir gefragt “ begleiterlose Eigennamen 10.8 begleiterlose Eigennamen 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 222 19 09 2019 16: 27: 44 Einheit 10 223 h Inw e ISe für D en u nt errIcht Ein Begleiter ist aber trotzdem möglich - nicht nur als Sprachvariation, wie sie in vielen Dialekten vorkommt Wenn die durch den Namen gegebene „Adresse“ nicht eindeutig ist, kann explizites Zeigen durch einen Begleiter hinzukommen Attribute helfen dabei, diese Adresse zu sichern: „Die Anne aus dem Einführungsseminar hat gerade nach dir gefragt .“ Bei Stoffbezeichnungen dagegen verhält es sich genau entgegengesetzt Eine unbestimmte Masse oder ein Material „an sich“ ist gerade nicht in einem individuellen Sinne zeigbar und benötigt deshalb keine gemeinsame Orientierung von Sprecher und Hörer: Er hatte Dreck an den Schuhen Holz ist nicht so lange haltbar wie Stahl Geld regiert die Welt Das heißt nicht, dass bei Stoffbezeichnungen nicht gezeigt werden könnte Wo es also um den konkreten Dreck, das konkrete Holz oder Geld geht, muss gezeigt werden „Den Dreck machst du aber weg! “ „Wo ist das Holz aus der Garage? “ „Das Geld, das ich dir geliehen habe, …“ Bezogen auf die Feldgliederung der Nominalgruppe ( → Abschnitt 10 .4) haben begleiterlose Nominalgruppen ein leeres linkes Nominalfeld Auch bei der Feldgliederung des Satzes gibt es in Infinitivsätzen die Möglichkeit eines unbesetzten linken Verbfeldes ( → Abschnitt 5 4 und 14 .2 1) Hinweise für den Unterricht Die prinzipiellen Erweiterungsmöglichkeiten der Nominalgruppe in ihrem Mittelfeld können didaktisch zu ihrer Bewusstmachung genutzt werden . Für die Einführung in der Grundschule haben sich die sog Treppengedichte bewährt, die mit der syntaktischen Erweiterbarkeit der Nominalgruppen spielen: die Ameise die kleine Ameise die kleine, fleißige Ameise macht sich auf eine Reise auf eine lange Reise auf eine lange, beschwerliche Reise Diese Methode macht deutlich, dass nicht einfach die Einheit großzuschreiben ist, vor der ein Begleiter erscheint, sondern die Bezugseinheit, die am begleiterlose Stoffbezeichnungen Vergleich Nominal- und Verbklammer 10.9 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 223 19 09 2019 16: 27: 44 224 N ome N , N omiN al uNd P r ä P ositioN algruP P e N rechten Rand der Wortgruppe steht . Mit dieser prinzipiellen Erweiterbarkeit der Nominalgruppe lässt sich ein syntaktischer Wortartenbegriff grundlegen: das Warten das ermüdende Warten das lange ermüdende Warten verhindert, dass wir starten Diese Methode wird ausführlich in Röber-Siekmeyer 1999 oder auch in Günther/ Nünke 2005 beschrieben Sie kann insbesondere durch eigene Gedichte der Kinder ein Bewusstsein für die Nominalgruppe aufbauen Die Nomen am rechten Rand der Nominalgruppe können zunächst als Treppenwörter bezeichnet werden. Ein solcher Terminus eignet sich, weil er syntaktisch motiviert ist. Nicht geeignet hingegen sind Bezeichnungen wie „substantiviertes Verb“ oder „substantiviertes Adjektiv“, weil solche Termini eine kategoriale und eine relationale Sichtweise auf die Wortarten vermischen. Die in Abschnitt 10 3 verwendete Methode von Funke 2005 wird sicherlich bald in vielen Lehrwerken zu finden sein . Die Wortgruppe, die sich in einem von vier Sätzen von den anderen unterscheidet, ist zwar immer eine Nominalgruppe; sie unterscheidet sich aber dadurch, dass sie als Nominalgruppe entweder ein Nomen enthält oder auch nicht . Insofern kann diese Methode zu einem angemessenen Begriff von Pronomen, Begleiter und Nomen beitragen Weil wir ein intuitives Wissen darüber haben, wie Sätze aufgebaut sind, finden Kinder auch ohne explizite Grammatikkenntnisse hier die richtigen Lösungen Ab welchem Sprachentwicklungsstand die nominale Feldgliederung als paralleles Muster zur Feldgliederung des Satzes zu einer angemessenen Vorstellung von der Nominalgruppe führen kann, müsste empirisch untersucht werden Übungen 1 Ein Ehemann kommt schlechtgelaunt nach Hause, wirft sich in den Sessel und greift nach der Zeitung. Sagt die Ehefrau: „Du solltest dir ein Beispiel an unserem Nachbarn nehmen - der nimmt seine Frau erst mal in den Arm und küsst sie zärtlich, wenn er nach Hause kommt. Warum tust du das nicht auch? “ - Sagt der Ehemann: „Du bist lustig! Ich kenne die Frau doch gar nicht! “ Dieser Witz kommt auf eine spezifisch sprachliche Weise zustande. Zeigen Sie, welche Einheit die Mehrdeutigkeit ermöglicht. 2 Wenn alle reingehen, gehen nicht alle rein, Terminologie 10.10  Lösungshinweise unter www.bachelorwissen.de und www.granzowemden.de 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 224 19 09 2019 16: 27: 45 Einheit 10 225 ü bunG en aber wenn nicht alle reingehen, gehen alle rein. a) Dieses Sprachspiel ist mathematisch betrachtet widersprüchlich. Denken Sie sich eine Situation, auf die das Sprachspiel zutreffen und als sinnvoll erscheinen könnte. b) Beschreiben Sie den Beitrag der Pronomen zum Funktionieren des Sprachspiels. 3 Die Kinder würden gerne BASTELN und Werken als Schulfach haben. a) Dieser Satz kann zwei Bedeutungen haben - je nachdem, ob BASTELN groß- oder kleingeschrieben wird. Paraphrasieren Sie diese beiden Möglichkeiten in eindeutiger Weise. b) Erläutern Sie das Zusammenspiel der verbalen und nominalen Einheiten in den beiden Bedeutungsmöglichkeiten des Ausgangssatzes. 4 Begründen Sie die unterschiedliche Schreibung der unterstrichenen Wörter im folgenden Beispiel. 1. Er hat Schuld./ Ich habe Angst. 2. Er ist schuld./ Mir ist angst. 5 Zum Lachen geht der Schulleiter in den Keller. Der Schulleiter geht in den Keller, um dort zu lachen. Anne hat nichts zu essen. Karen kommt zu spät zum Essen. In den beiden Satzpaaren findet sich jeweils eine Einheit, der einmal zu und einmal zum vorausgeht. Zeigen Sie, inwiefern die folgende Kleinbzw. Großschreibung grammatisch begründet werden kann. 6 Fragt die junge Auszubildende: „Was darf‘s denn sein? “ Sagt der Kunde: „200 Gramm Leberwurst - aber von der groben.“ Sagt sie: „Tut mir leid, die Chefin ist heute nicht da, aber ich bediene Sie auch gerne.“ a) Schreiben Sie die unterstrichene Äußerung so auf, wie sie die Auszubildende verstanden hat. b) Beschreiben Sie - auch mithilfe grammatischer Proben - den Unterschied zwischen Version a) und der unterstrichenen Äußerung. Wie kommt er zustande? 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 225 19 09 2019 16: 27: 45 226 N ome N , N omiN al uNd P r ä P ositioN algruP P e N Verwendete und weiterführende Literatur 10.11 Ágel, Vilmos (1996): Finites Substantiv. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 24, 16-57. Bock, Michael/ Hagenschneider, Klaus/ Schweer, Alfred (1989): Zur Funktion der Groß- und Kleinschreibung beim Lesen deutscher, englischer und niederländischer Texte. In: Eisenberg, Peter/ Günther, Hartmut (Hrsg.): Schriftsystem und Orthographie. Tübingen: Niemeyer, 23-56. Bredel, Ursula (2010): Die satzinterne Großschreibung - System und Erwerb. In: Bredel, Ursula; Müller, Astrid; Hinney, Gabriele (Hrsg.): Schriftsystem und Schrifterwerb: linguistisch - didaktisch - empirisch. Berlin; New York: de Gruyter, 217-234. Fuhrhop, Nanna (2009): Orthografie. 3., aktualisierte Auflage. Heidelberg: Universitätsverlag Winter. Funke, Reinold (1995): Grammatik in Funktion. Beobachtungen zu Groß- und Kleinschreibfehlern in Diktaten. In: Deutschunterricht 48, 430-434. Funke, Reinold (2005): Sprachliches im Blickfeld des Wissens. Grammatische Kenntnisse von Schülerinnen und Schülern. Tübingen: Niemeyer. Granzow-Emden, Matthias (202): Zeigen und Nennen. Sprachwissenschaftliche Impulse zur Revision der Schulgrammatik am Beispiel der „Nominalgruppe“. Tübingen: Stauffenburg. Günther, Hartmuth; Nünke, Ellen (2005): Warum das Kleine großgeschrieben wird, wie man das lernt und wie man das lehrt. Duisburg: Gilles und Francke. Noack, Christina (2006): Aber Wie-Wörter schreibt man doch klein. In: Praxis Deutsch 198, 36-43. Nübling, Damaris (2008): Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Eine Einführung in die Prinzipien des Sprachwandels. 2. Auflage. Tübingen: Narr. Röber-Siekmeyer, Christa (1999): Ein anderer Weg zur Groß- und Kleinschreibung. Leipzig u. a.: Klett. Schübel. Adelbert (2009): Von der Norm zur Vielfalt - Brauchen wir noch eine Substantivgroßschreibung? In: Siehr, Karl-Heinz; Berner, Elisabeth (2009) (Hrsg.): Sprachwandel und Entwicklungstendenzen als Themen im Deutschunterricht: fachliche Grundlagen - Unterrichtsanregungen - Unterrichtsmaterialien. Potsdam: Universitätsverlag, 25-46. Weinrich, Harald (1986): Klammersprache Deutsch. In: Sprachnormen in der Diskussion. Beiträge vorgelegt von Sprachfreunden. Berlin; New York: de Gruyter, 116-145. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 226 19 09 2019 16: 27: 45 227 Attribute Inhalt 11 1 Adjektivattribute 228 11 2 Genitivattribute 232 11 3 Präpositionalattribute 233 11 4 Appositionen 234 11 5 Relativische Attribute 234 11 6 Abfolge mehrerer Attribute und weitere Attributsarten 237 11 7 Hinweise für den Unterricht 238 11 8 Übungen 241 11 9 Verwendete und weiterführende Literatur 242 An vielen Stellen haben wir in der vorigen Einheit gesehen, wie das typische Muster der Nominalgruppe aus verweisendem Begleiter und Nomen auf vielfältige Weise erweitert werden kann (auch dann, wenn sie in einer Präpositionalgruppe erscheint): ein fünfjähriger Junge ein Sprecher der Polizei bei der Polizei in Bocholt „Wo ist das Holz aus der Garage? “ „Das Geld, das ich dir geliehen habe, …“ Solche Erweiterungen einer Nominalgruppe werden als Attribute bezeichnet (lat. attribuere - beifügen). Ein Attribut erscheint zwar wie ein Satzglied in Form einer Wortgruppe, aber es hat nicht die gleiche Selbständigkeit. Ein Attribut ist immer Teil eines Satzgliedes. Deshalb kann es auch nicht alleine im Vorfeld erscheinen. Attribute liefern weitere Informationen zum Inhalt einer Nominalgruppe und können deren Bedeutung präzisieren. Einheit 11 Überblick 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 227 19 09 2019 16: 27: 45 228 A ttribut e An verschiedenen Stellen in den vorigen Einheiten haben wir gesehen, wie sich die sprachliche Komplexität erhöht, wenn ein Satz in einem Satz erscheint. In ganz ähnlicher Weise können Nominalgruppen als Attribute zu anderen Nominalgruppen hinzutreten und deren Komplexität erhöhen. Diese Attribute können wiederum Attribute mit sich führen. Solche rekursiven Strukturen in der Sprache sind einer der Gründe dafür, dass man mit einer endlichen Anzahl von Wörtern in einer Sprache eine unendliche Anzahl von Sätzen bilden kann. Durch Attribute verdichten sich Texte, weil sich mit ihnen viel Information in vergleichsweise wenigen Worten unterbringen lässt. Diese Verdichtung stellt höhere Anforderungen an die Sprachnutzer, wenn beim Lesen und Verstehen die durch Attribute erweiterten Satzglieder wieder aufzulösen sind. Je komplexer die Satzglieder werden, umso mehr entfernen sie sich vom natürlich erworbenen Sprachgebrauch der Kinder und Jugendlichen. Bei der Auseinandersetzung mit Attributen geht es um die Aufgabe des Sprachunterrichts, zu den typisch schriftsprachlichen Strukturen einen Zugang zu schaffen. Die in Abschnitt 10.4 eingeführte Feldgliederung der Nominalgruppe dient dabei nicht nur dem Einblick ins Sprachsystem, sondern auch dazu, die Komplexität in den Griff zu bekommen und das inhaltliche Sprachverstehen zu unterstützen. Adjektivattribute Zu den wichtigsten Erweiterungen einer Nominalgruppe gehören Adjektivattribute Sie erscheinen zwischen Begleiter und Nomen; typisch für Adjektivattribute sind ihre Deklinationsendungen, die wir in Abschnitt 13 1 systematisch untersuchen werden . Die Deklinationsmorpheme erscheinen in den folgenden Beispielen abgesetzt und fett markiert; die jeweils thematisierten Attributsarten werden in der ganzen Einheit unterstrichen: ein fünfjährig|er Junge - der fünfjährig|e Junge - die fünfjährig|en Jungen der einzig|e Eintrag - einzig|er Eintrag - mit einem einzig|en Eintrag des klein|en Niklas - der klein|e Niklas meine schulisch|e Ausbildung - nach meiner schulisch|en Ausbildung Als Adjektive können auch Partizipien verwendet werden, die ebenfalls Deklinationsendungen erhalten Da die Partizipien von Verben herkommen, können sie als Attribut Ergänzungen und Angaben wie ein entsprechendes Verb im Satz bekommen, was den Abstand zwischen Begleiter und Nomen in der Nominalklammer vergrößert: Über den richtigen Weg in die nach der Atomkatastrophe von Fukushima beschlossen|e Energiewende wird immer offener gestritten (Beginn des Leitartikels der PNN vom 29 03 2012) 11.1 Partizip II-Formen als Adjektive 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 228 19 09 2019 16: 27: 45 Einheit 11 229 a Dje k tI VattrIbut e Über den richtigen Weg in die von der Bundesregierung unmittelbar nach der Atomkatastrophe von Fukushima beschlossen|e Energiewende wird immer offener gestritten Das Feld innerhalb der Nominalklammer wird dabei für einen satzähnlichen Gedanken genutzt So attribuierte Nominalgruppen können bereits vorhandenes Wissen aktivieren, ohne die darin enthaltenen Sachverhalte thematisch in den Mittelpunkt zu rücken . Dies geschieht, wenn man den Gedanken, der sich in den attribuierten Nominalgruppen befindet, als eigenen Satz formuliert . Unmittelbar nach der Atomkatastrophe von Fukushima wurde von der Bundesregierung die Energiewende beschlossen Über den richtigen Weg dorthin wird immer offener gestritten Weil sie sowohl verbale als auch adjektivische Anteile in sich haben, werden Partizipien in der Schulgrammatik auch als Mittelwort bezeichnet Dabei werden zwei Formen unterschieden Das Partzip II kann das, was im Herkunftsverb als prozessuale Bedeutung steckt, auf das Ergebnis fokussieren, das bereits abgeschlossen ist (die beschlossene Energiewende) Daher kommen die Termini „Partizip Perfekt“ oder „Mittelwort der Vergangenheit“, die als Formbezeichnungen allerdings irreführend sein können Daneben gibt es Partizip I-Formen, die semantisch im weitesten Sinne Gleichzeitigkeit ausdrücken können und schulgrammatisch auch als „Partizip Präsens“ oder „Mittelwort der Gegenwart“ bezeichnet werden Sie lassen sich im Satz nicht als Verb, sondern nur adjektivisch verwenden In attributiver Verwendung können sie wie ein Verb oder eine Partizip II-Form Ergänzungen bei sich haben und eine Adjektivgruppe bilden: die ein Gesetz beschließende Bundesregierung Gebildet wird das Partizip I aus der Infinitivform eines Verbs, der die Endung |d angehängt wird . denkend, hängend, spielend, verweisend … Das Verb sein bekommt als Partizip I (seiend) einen „normalen“ Infinitiv mit der Endung |en zugrunde gelegt Bei häufiger Verwendung finden sich solche Formen auch als Adjektive im Wörterbuch Manche existieren neben dem Verb mit einer ähnlichen Häufigkeit: anziehend, bedeutend, berechnend, entscheidend, erfrischend, dauernd … Manche werden sogar häufiger verwendet als die ursprünglichen Verben: belebend, dringend, verheerend, zermürbend Partizip I-Formen als Adjektive 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 229 19 09 2019 16: 27: 45 230 A ttribut e Einige haben sich semantisch verselbständigt, sodass man beim Gebrauch kaum mehr an das Ursprungsverb denkt: bedeutend, fesselnd, reizend, spannend … Die vom Verb währen abgeleitete Form während hat sich grammatikalisiert und wird kaum noch als Partizip I, sondern meistens als Präposition oder Subjunktion verwendet Insbesondere die Einheiten, die sich auch als Adjektive im Wörterbuch finden, sind nicht nur attributiv verwendbar, sondern auch als Adjektivergänzung zum Kopulaverb: ein entscheidender Moment Der Moment war entscheidend Eine semantische Untergliederung der als Adjektiv verwendbaren Einheiten kann in funktionaler Perspektive sinnvoll und im Grammatikunterricht ein interessanter Unterrichtsgegenstand sein Die Einteilung hat heuristischen Wert - es lassen sich semantische Gemeinsamkeiten von Wörtern entdecken; dabei gehen die Gruppen ineinander über Es geht also nicht um eindeutige Abgrenzungen . Die Untergliederung erfolgt hier lexikalisch und orientiert sich an Eisenberg 2006: Absolute Adjektive bezeichnen Eigenschaften und können sich beispielsweise auf Farbe oder Form beziehen oder auch von einem Verb abgeleitet sein: blau, hellgrün, rund, gerade, quadratisch, geprüft, immatrikuliert, verheiratet … Ein relatives Adjektiv braucht ein Vergleichsobjekt, um seine Bedeutung zu entfalten alt - jung/ neu, breit - schmal, eng - weit, dick - dünn/ schlank, groß - klein, hoch - nieder/ tief, lang - kurz … Ein hoher Raum ist hoch im Vergleich zur Durchschnittshöhe von Räumen, aber üblicherweise sehr viel niedriger als ein hoher Berg Die Bedeutungen relativer Adjektive werden oftmals übertragen (z B ein hohes Alter, ein hoher Preis); dabei entstehen unterschiedliche Gegensatzpaare (z B alt - jung; alt - neu) Qualitätsadjektive haben Merkmale der beiden bisher genannten Gruppen und beziehen sich auf Durchschnittsnormen, die in einem als positiv oder negativ bewerteten Bereich liegen können: gesund - krank, ehrlich - unehrlich, gut - böse/ schlecht, schön - hässlich, klug - dumm, fleißig - faul, fröhlich - traurig, höflich - unhöflich … Adjektive mit dem Suffix |bar können insbesondere von transitiven Verben abgeleitet werden Was das ursprüngliche Verb ausdrückt, wird im Adjektiv zu einer optionalen Eigenschaft: Semantik der Adjektive absolute Adjektive relative Adjektive Qualitätsadjektive Ableitungen vom Verb 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 230 19 09 2019 16: 27: 45 Einheit 11 231 a Dje k tI VattrIbut e ausleihbar, anwendbar, erklärbar, essbar, dehnbar, erziehbar, formbar, regierbar, waschbar … Ableitungen mit dem Suffix |ig beschreiben Eigenschaften, indem sie das vom Nomen Bezeichnete als Vergleichsgröße nutzen: anständig, aufwändig, eilig, farbig, gelenkig, lebendig, neblig, sandig, schuldig, würdig … Ableitungen mit dem Suffix |lich bedeuten „in der Art“ des vom Nomen Bezeichneten oder beziehen eine Eigenschaft auf das vom Nomen Bezeichnete in allgemeinerer Art: ärztlich, gefährlich, jährlich, natürlich, menschlich, peinlich, schriftlich, wissenschaftlich … Ableitungen mit dem Suffix |isch signalisieren Zugehörigkeit im weiten Sinne: französisch, kosmetisch, kritisch, politisch, syntaktisch, technisch … Ableitungen von Adverbien mit dem Suffix |ig sind nur attributiv verwendbar (z B die heutigen Nachrichten; mit sofortiger Wirkung): einstig, dortig, heutig, nachherig, sofortig, sonstig … An der Grenze zwischen Adverbien und Adjektiven stehen Einheiten, die sich semantisch wie Adverbien wie z B gern, umsonst, vielleicht … verhalten und attributiv erscheinen können: angeblich, augenscheinlich, mutmaßlich, vermeintlich, vermutlich … Die Beispiele machen deutlich, dass der Terminus Wiewort nicht unproblematisch ist Damit verbindet man in der Schule die Absicht, die Adjektive mit der Wie-Frage zu ermitteln . Aber gerade die attributiv verwendeten Adjektive sind auf diese Weise nicht erfragbar, weil die deklinierte Form nicht als Antwort taugt: - Aber heute hatte er sich von einer vollkommen neuen Seite gezeigt - Wie ist die Seite? - *neuen Der Terminus Eigenschaftswort ist zwar nicht auf alle, aber dennoch auf die als typisch geltenden Adjektive beziehbar Ein weiteres semantisches Merkmal vieler als Adjektiv verwendbarer Einheiten ist ihre Komparierbarkeit . Komparation bezeichnet die drei Vergleichsformen (z B . neu - neuer - neuest|), die wiederum als Positiv (neu), Komparativ (neuer) und Superlativ (neuest| bzw . am neuesten) bezeichnet werden In Schulbüchern werden diese Formen als „Steigerungsformen“ bezeichnet Hier ist als deutscher Terminus Vergleichsformen vorzuziehen - eine ältere Dame ist übli- Ableitungen von Nomen Ableitungen von Adverbien zur Terminologie Komparation von Adjektiven 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 231 19 09 2019 16: 27: 45 232 A ttribut e cherweise jünger als eine alte Dame und ein neueres Kleid ist nicht ganz neu - hier ist der Komparativ keine Steigerungs-, sondern eine Abschwächungsform Der Terminus Vergleichsform verbindet die beiden Möglichkeiten Komparation ist kein typisch syntaktisches, sondern ein semantisches Phänomen Zahlreiche als Adjektiv verwendbare Einheiten wie jährlich, tot oder schwanger gelten als nicht komparierbar . Dies ist aber keine syntaktische Einschränkung- - wenn jemand die Komparative toter oder schwangerer verwendet, versteht man, was damit gemeint sein könnte Im Unterschied zu den meisten grammatischen Darstellungen wird hier die Komparation nicht zur Flexion gezählt, sondern zur Wortbildung ( → Abschnitt 3 .10 4) Für diese Sichtweise spricht auch, dass manche als Adverbien verwendeten Einheiten, die prinzipiell als nicht flektierbar gelten, ebenfalls Komparationsformen besitzen (oft - öfter - am öftesten) Weitere Vergleichsformen sind durch Ableitungen mit vorangestellten Wortbausteinen (Derivation), durch Komposition oder durch Intensitätspartikeln möglich: megateuer, superklug, hyperkorrekt, ultraflach, ultrakrass, uralt, urkomisch … bildhübsch, hocherotisch, nagelneu, saukalt, schweineteuer, tieftraurig … besonders fleißig, enorm weit, höchst bedenklich, sehr gut, überaus wichtig, vollkommen ratlos, ziemlich traurig Neubildungen durch Derivation entstehen insbesondere in Werbetexten oder in der Jugendsprache . Manche davon sind Modeerscheinungen, gehen mitunter aber auch in die Standardsprache ein Die Vergleichsformen mit Intensitätspartikeln sind hingegen nicht so sehr der Mode unterworfen Während adjektivische Attribute und ihre Ergänzungen ihren Platz zwischen Begleiter und Nomen haben, befinden sich die folgenden Attributsarten rechts der Nominalklammer Genitivattribute Nur das Genitivattribut kann sich einer Nominalgruppe als Nominalgruppe - also ohne Präposition - anschließen . Neben dem Genitivattribut gibt es kein entsprechendes Akkusativ- oder Dativattribut (das in manchen Grammatiken so bezeichnete Akkusativattribut hat einen sehr eingeschränkten Verwendungsbereich; → Abschnitt 11 .6) Das Genitivattribut erlaubt auf sehr ökonomische Weise Präzisierungen von Nominalgruppen Deshalb findet man in den Leitartikeln von Zeitungen besonders viele Genitivattribute - mit diesem sprachlichen Mittel lassen sich Informationen verdichten Eine Nominalgruppe kann genau ein Genitivattribut an sich binden, das sich ihr unmittelbar anschließt: der einzige Eintrag des kleinen Niklas Weitere Vergleichsformen Derivation Komposition mit Intensitätspartikeln 11.2 Funktion 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 232 19 09 2019 16: 27: 45 Einheit 11 233 p r ä p oSItIon al attrIbut e Weil das Genitivattribut auch eine Nominalgruppe ist, kann dieses wiederum ein Genitivattribut an sich binden, das seinerseits ebenfalls durch ein Genitivattribut erweitert werden kann usw , wodurch eine Kettenstruktur entsteht: Ein Blick in die Zukunft zeigt die Notwendigkeit einer Diskussion der Folgen einer Energiewende Das vorige Beispiel zeigt auch, dass nominale Einheiten ganz ähnlich wie die Verben ergänzungsbedürftig sein können Wenn von einer Notwendigkeit gesprochen wird, erwartet man die Information, was notwendig sei; wenn dies eine Diskussion ist, erwartet man die Information, was da diskutiert werde; wenn dies Folgen sind, fehlt die Information, von welchen Folgen die Rede ist Insofern ist zur Identifikation von Attributen die mitunter bemühte Weglassprobe untauglich Was im Deutschen genitivisch angeschlossen werden kann, braucht in flexionsärmeren Sprachen wie dem Englischen eine zusätzliche Präposition: ein Sprecher der Polizei *a speaker the police a speaker of the police Auch in manchen Dialekten des Deutschen wird der Genitiv vermieden und es entstehen entsprechende Konstruktionen: ein Sprecher von der Polizei Deshalb sind Genitivformen vielen Kindern und Jugendlichen aus ihrem Sprachgebrauch nicht bekannt und müssen nicht zuletzt deshalb im Deutschunterricht thematisiert werden Ein Unterrichtsbeispiel zur Vermittlung von Genitivattributen in der Grundschule finden Sie in Granzow-Emden 2003 (s -weiterführende Literatur) Präpositionalattribute Präpositionalattribute bestehen aus Präpositionalgruppen Sie können auch über ein anderes Attribut hinweg mit einer Nominalgruppe verbunden sein: das Spielen mit Polizeiautos der einzige Eintrag des kleinen Niklas in der Rubrik „Werdegang“ Alle Präpositionen fordern („regieren“) in der auf sie folgenden Nominalgruppe einen der drei obliquen Kasus (Akkusativ, Dativ oder Genitiv) . Wir werden dieses syntaktische Verhalten in Abschnitt 12 .5 eingehender betrachten Präpositionalgruppen können auch als Ergänzungen oder Angaben des Verbs erscheinen und sind dann selbständige Satzglieder, die traditionell als Präpositionalobjekte oder als Adverbialien bezeichnet werden ( → Einheit 14) Attribute: Untauglichkeit der Weglassprobe 11.3 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 233 19 09 2019 16: 27: 45 234 A ttribut e Appositionen Im eben verwendeten Beispiel erscheint nach der Präpositionalgruppe eine weitere unterstrichene Einheit: der einzige Eintrag des kleinen Niklas in der Rubrik „Werdegang“ Beide unterstrichenen Einheiten gehören eng zusammen; „Werdegang“ steht wiederum in einem attributiven Verhältnis zur Nominalgruppe der Rubrik und wird als Apposition bezeichnet Eine ähnliche Beziehung besteht im Folgenden zwischen des Kindergartens und dem Namen der Institution, der als Ganzes eine Apposition darstellt Auch Ortsnamen können in dieser Weise als Apposition erscheinen: „Besuch des Kindergartens ‚Über den Wolken‘“ die Universität Potsdam die Autobahn Hamburg - Berlin Daneben werden Nachnamen sowie durch Komma abgetrennte Einschübe als Appositionen betrachtet: Dirk Hoffmann, Sprecher der Polizei in Bocholt, teilte hierzu mit: … In Maß-, Mengen- oder Behälterangaben können Nomen unmittelbar aufeinander folgen . Weil das erste Nomen die Form des Begleiters bestimmt, gilt auch hier das zweite als Apposition: Sie trank eine Flasche Wein/ ein Glas Wein (aber: … einen Wein) Er kaufte einen Sack Kartoffeln, eine Kiste Obst und ein Paar Schuhe Niklas aß eine Menge Süßes Relativische Attribute Relativische Attribute erscheinen als Relativsätze in der Satzform Verbletztsatz - das finite Verb erscheint am Satzende Sie verwenden damit das typische Muster von abhängigen Sätzen . An der Gelenkstelle - also dort, wo sonst die Subjunktion erscheint - haben sie eine verweisende Einheit, ein sog Relativpronomen (= Relativum) Es verweist üblicherweise auf eine nominale Einheit im übergeordneten Satz, und man muss den Verweis nachvollziehen, um den Relativsatz zu verstehen Relativsätze können das Textverstehen erschweren und sind ein typisches sprachliches Mittel der Schriftlichkeit Im folgenden Satz verweist das Relativum die auf die Nominalgruppe meine schulische Ausbildung, die wir als Bezugsnominal bezeichnen: Dem Kindergartenbesuch wird meine schulische Ausbildung folgen, die ich in zehn bis zwölf Jahren hoffentlich erfolgreich abgeschlossen habe. 11.4 11.5 Tab. 11.1 die als Relativum 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 234 19 09 2019 16: 27: 45 Einheit 11 235 r el atI V ISche a ttrIbut e In abhängigen Sätzen mit Subjunktion (hier: sobald) hingegen wird üblicherweise ein Bezug zum gesamten übergeordneten Satz hergestellt (also zur ersten der beiden Zeilen): „Ich möchte gerne meine Ausbildung starten, sobald ich den Kindergarten und meine schulische Ausbildung abgeschlossen habe. Zur Illustration sei ein weiteres Beispiel angeführt, bei dem zunächst das Relativum das auf die Nominalgruppe mein Bier verweist Für ein angemessenes Verständnis muss der Hörer den Verweis auf das Bierglas und das darin enthaltene Getränk nachvollziehen: Es ist mein Bier, das ich trinke. Die Subjunktion dass im nächsten Beispiel verweist hingegen auf den gesamten Satz der ersten Zeile, der dabei nur als Redewendung im Sinne Es ist meine Angelegenheit … verstanden werden kann, während sich der dass-Satz nicht auf eine aktuelle Flüssigkeitszufuhr, sondern auf ein Alkoholproblem bezieht: Es ist mein Bier, dass ich trinke. Mit dem Relativum haben relativische Attribute eine verweisende Einheit, die es ihnen ermöglicht, auch über andere Satzglieder im Satz hinweg attributive Beziehungen herzustellen: Meiner schulischen Ausbildung blicke ich mit Freude entgegen, die ich in zehn bis zwölf Jahren hoffentlich erfolgreich abgeschlossen habe. Die Abhängigkeit des Relativsatzes lässt sich üblicherweise auflösen, indem die verweisende Einheit nicht in einem Verbletzt-, sondern in einem Verbzweitsatz erscheint Das Pronomen behält seine verweisende Funktion - traditionell wird es dann als Demonstrativpronomen (= Demonstrativum) bezeichnet: Meiner schulischen Ausbildung blicke ich mit Freude entgegen. Die habe ich in zehn bis zwölf Jahren hoffentlich erfolgreich abgeschlossen. Tab. 11.2 sobald als Subjunktion Tab. 11.3 das als Relativum Tab. 11.4 dass als Subjunktion Tab. 11.5 die als Relativum Tab. 11.6 die als Demonstrativum 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 235 19 09 2019 16: 27: 45 236 A ttribut e Genus und Numerus des Relativums werden bestimmt vom Bezugsnominal, während sein Kasus vom valenztragenden Verb im Relativsatz abhängt Im folgenden Beispiel bleibt das Relativum im Femininum und erscheint in der vom Verb entgegenblicken geforderten Form der: Dem Kindergartenbesuch wird meine schulische Ausbildung folgen, der ich mit Freude entgegenblicke. Neben dem Relativum der werden auch Formen der Einheit welcher relativisch verwendet; es gilt allerdings als stilistisch schwerfällig: Dem Kindergartenbesuch wird meine schulische Ausbildung folgen, welcher ich mit Freude entgegenblicke. Das Relativum welcher kann verwendet werden, um eine Häufung gleicher relativischer Anschlüsse zu vermeiden wie in Zeile 3 im folgenden Text, der uns in Abschnitt 4 7 bereits begegnet ist: 1 In die Wohnung des Herrn Egge, der … (Zeile 1.1 u. 1.2), kam eines Tages in der Zeit der Illegalität ein Agent, … (Zeile 2-7) 1.1 der gelernt hatte, … (Zeile 1.2) 1.2 nein zu sagen, 2 der zeigte einen Schein vor, welcher … 3 welcher ausgestellt war im Namen derer, die 4 die die Stadt beherrschten, und … 5 und auf dem stand, daß … 6 daß ihm gehören solle jede Wohnung, in die … 7 in die er seinen Fuß setzte (…) Dieser komplexe Satz enthält zahlreiche weitere Abhängigkeiten, die man für ein Textverstehen implizit oder auch explizit rekonstruieren muss: In Zeile 1 2 erscheint ein Infinitivsatz, der keine Attributs-, sondern eine Ergänzungsfunktion zum übergeordneten Satz in Zeile 1 .1 einnimmt (der gelernt hatte: jemand lernt etwas) . Zeile 1 1 wiederum ist Attribut zum Attribut des Herrn Egge aus Zeile 1 Zeile 3 ist Attribut zur Nominalgruppe einen Schein aus Zeile-2; Zeile 4 ist Attribut zur Nominalgruppe derer aus dem Nachfeld in Zeile 3 Einem Relativum kann wie anderen Nominalgruppen auch eine Präposition vorangehen Im vorigen Beispiel bezieht sich das Relativum auf dem (Mas- Tab. 11.7 der als Relativum (Dativ Femininum) Tab. 11.8 welcher als Relativum Tab. 11.9 (aus: Brecht, Bertolt: Maßnahmen gegen die Gewalt) Präposition + Relativum 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 236 19 09 2019 16: 27: 45 Einheit 11 237 a bfolG e mehrerer a ttrIbut e unD w e It ere a ttrIbut S art en kulinum) in Zeile 5 auf einen Schein in Zeile 2; die ganze Präpositionalgruppe auf dem ist gleichzeitig eine Art Ortsergänzung zum Verb in Zeile 5 (irgendwo steht etwas); die andere Ergänzung (etwas) findet sich in Zeile 6 und- 7 Entsprechend bekommt das Relativum in die in Zeile 7 seine Präposition vom Verb setzen in derselben Zeile; es bezieht sich auf jede Wohnung in Zeile-6 Was sich hier kompliziert anhören mag, sind genau die Rekonstruktionen, die man für ein angemessenes Textverstehen gedanklich nachvollziehen muss Ein relativischer Bezug auf Orte ist durch das flexionslose Relativum wo möglich: Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn? Ein relativisches wo bezieht sich häufig auf eine Präpositionalgruppe oder ein Adverb: Sie studierte in Heidelberg, wo sie auch ihre Jugend verbracht hatte Sie studiert dort, wo andere Urlaub machen Die flexionslose und damit vergleichsweise einfache Struktur der relativischen Verwendung von wo hat v a . in der Umgangssprache und in Dialekten zu seiner recht universellen Verwendung geführt: ? Deutsch ist das Fach, wo ich am liebsten mag Eine quasi-relativische Verwendung ermöglichen die Einheiten wer - bezogen auf Personen - und was - bezogen auf Gegenstände und Sachverhalte Im folgenden Beispiel ist der Verbletztsatz Subjekt des übergeordneten Satzes: Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein Im folgenden Beispiel ist der Verbletztsatz Ergänzung zu hören (jemand hört etwas) Relativisch wird er, wenn man das als Bezugsnominal hinzufügt: Ich habe (das) gehört, was du gesagt hast Abfolge mehrerer Attribute und weitere Attributsarten Folgen in einem Satz mehrere Attribute aufeinander, gibt es ein typisches Muster für die Abfolge: 1 Genitivattribut, 2 Präpositionalattribut, 3 relativisches Attribut: Der Haftbefehl der Schweiz gegen nordrhein-westfälische Steuerfahnder, der in der vorigen Woche viel Empörung ausgelöst hatte, stellte für kurze Zeit das bereits verabredete Steuerabkommen infrage Abschließend seien weniger häufige Attribute mit Beispielen angeführt: wo als Relativum 11.6 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 237 19 09 2019 16: 27: 45 238 A ttribut e ► � Adverbattribut: Die Frau dort ist meine Dozentin ► � Infinitivattribut: In der Angst, das Beste zu verpassen, meldete er sich für alle Seminare an ► � Verbletztattribut: Den Hinweis, dass man die Schrauben nochmals anziehen muss, hatte er übersehen Wegen der Ungewissheit, ob er auch wirklich den Herd ausgeschaltet und das Fenster geschlossen hatte, ging er nochmals zurück in seine Wohnung ► � Akkusativattribut: Akkusativattribute können nicht in einer so universellen Weise wie Genitivattribute verwendet werden und sind im Wesentlichen auf Zeitliches beschränkt: Die Veranstaltung nächsten Mittwoch muss leider entfallen Hinweise für den Unterricht Ob ein Satzglied als ein Attribut oder als eigenständiges Satzglied gedeutet wird, hat Auswirkungen auf das Verständnis des sprachlich Vermittelten Der folgende Witz spielt mit dieser Möglichkeit, weil er unterschiedlich interpretiert werden kann: - „Ich möchte gern das grüne Messgewand im Schaufenster anprobieren “ - „Sehr gern, Hochwürden Sie können aber auch die Ankleidekabine benutzen “ Wenn Schüler versuchen, diese Doppeldeutigkeit nur vom gegebenen Text her aufzulösen, schillern die beiden Bedeutungen hin und her Es kann dabei durchaus passieren, dass in einem Moment die Pointe und im nächsten die weniger spektakuläre Bedeutung erfasst wird Eine Annäherung an die beiden Bedeutungsmöglichkeiten kann hier durch Umformulierungen stattfinden, die dabei die Funktion grammatischer Proben bekommen Diese können zunächst intuitiv erfolgen, indem versucht wird, den Ausgangssatz so zu gestalten, dass die darauf erfolgende Antwort entweder schlüssig oder unmöglich wird Dabei können beispielsweise folgende Varianten entstehen: (1) Ich möchte gern im Schaufenster das grüne Messgewand anprobieren (2) Im Schaufenster möchte ich gern das grüne Messgewand anprobieren (3) Das grüne Messgewand möchte ich gern im Schaufenster anprobieren (4) Ich möchte gern das grüne Messgewand anprobieren, und zwar im Schaufenster (5) Das grüne Messgewand im Schaufenster möchte ich gern anprobieren 11.7 Anwendung grammatischer Proben 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 238 19 09 2019 16: 27: 45 Einheit 11 239 h Inw e ISe für D en u nt errIcht (6) Ich möchte gern das grüne Messgewand, das im Schaufenster hängt, anprobieren (7) Ich möchte gern das grüne Messgewand anprobieren, das im Schaufenster hängt (8) Das grüne Messgewand möchte ich gern anprobieren, das im Schaufenster hängt (9) Ich möchte gern das grüne, im Schaufenster hängende Messgewand anprobieren (10) Ich möchte gern das grüne Messgewand aus dem Schaufenster anprobieren Mit den Umformulierungen findet bereits grammatische Arbeit statt - auch wenn dies den Schülerinnen und Schülern nicht unmittelbar bewusst ist Die Umstellprobe in (1) bis (3) und (5) und die Umformprobe in (4) und (6) bis (10) heben inhaltlich die Doppeldeutigkeit (und damit den Witz) auf In den Fällen (1) bis (4) erscheint die Antwort des oder der Angestellten schlüssig Mit der Einheit im Schaufenster wird jedes Mal ein Ort angegeben, an dem das im Satz ausgedrückte Geschehen lokalisiert ist Sie wird dabei nicht nur inhaltlich, sondern auch in ihrer Position im Satz deutlich von der Einheit das grüne Messgewand getrennt Die größte Nähe besteht in (1), wo die beiden Einheiten zwar noch nebeneinander, aber in umgekehrter Reihenfolge erscheinen Neben der Nähe kann also auch die Abfolge einen Hinweis auf die inhaltliche Deutung liefern In (1) bis (4) wird die Einheit im Schaufenster als selbständige Einheit aufgefasst, die nicht von der Einheit das grüne Messgewand abhängt; terminologisch wird sie als Ortsangabe oder traditionell als Adverbiale des Ortes gefasst ( → Abschnitt 14 2 .3) Auch in den Versionen (5) bis (10) wird lokalisiert Der Ort im Schaufenster betrifft aber nicht das gesamte im Satz ausgedrückte Geschehen (also das beabsichtigte Umkleiden), sondern nur die Ergänzung das grüne Messgewand Die Information zum Ort ist damit kein selbständiges Satzglied, sondern ein Attribut Die Ergänzung das grüne Messgewand bekommt damit neben der Farbe ein weiteres Merkmal zur Identifikation In (5) findet die Operation des Umstellens (Verschiebens) statt, alle weiteren Operationen können als Umformungen bezeichnet werden, weil sich das sprachliche Material verändert Daran können die wesentlichen Merkmale des Attributs erkannt werden, so z B die inhaltliche Zugehörigkeit, die sich in der unmittelbaren Abfolge im Satz zeigen kann Während diese Abfolge auch im doppeldeutigen Ausgangssatz bestand, ergibt sich mit seiner Besetzung des Vorfeldes ein Hinweis auf die enge Zusammengehörigkeit, weil es nur dort eindeutig zu einem einzigen Satzglied wird Dieser Satz ist nicht mehr wie in (1) bis (4) interpretierbar Die relativischen Attribute in (6), (7) und (8) haben eine zunehmende Distanz in der linearen Abfolge . Hier übernimmt das Relativum das eine Zeigfunktion und überbrückt die Distanz zwischen den zusammengehörigen Einheiten 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 239 19 09 2019 16: 27: 45 240 A ttribut e Nicht jede Umformung eines Attributs verändert den Sinn eines Satzes . So kann ein Adjektivattribut das Gleiche bedeuten wie ein relativisches: das grüne Messgewand = das Messgewand, das grün ist Ein präpositionales Attribut kann nicht nur die Präposition wechseln, sondern auch zu einem relativischen oder einem adjektivischen (mit Partizip I-Form) werden: das grüne Messgewand im Schaufenster: = das grüne Messgewand aus dem Schaufenster = das grüne Messgewand, das im Schaufenster hängt = das grüne, im Schaufenster hängende Messgewand Wird das Verb hängen wie im letzten Beispiel als Partizip I adjektivisch in die Nominalgruppe eingebunden, kann es dieselben Ergänzungen und Angaben wie bei seiner Verwendung im Satz tragen; damit erhöht sich die Komplexität der Wortgruppe Die hier verwendeten grammatischen Proben können das Verstehen unterstützen und sind damit keine Spielerei, sondern ein Mittel zur Annäherung an einen Text Dabei sind nicht alle Proben in gleicher Weise hilfreich So erscheint die Weglassprobe als nicht geeignet zum Erkennen der Satzstruktur: Der Witz beruht auf der funktionalen Doppeldeutigkeit der Einheit im Schaufenster als Attribut bzw als Adverbiale In beiden Funktionen könnte sie weggelassen werden Mit den beiden Bedeutungsalternativen des Witzes geht ein prinzipieller grammatischer Unterschied einher Insofern ist es sinnvoll, mit fortgeschrittenen Schülerinnen und Schülern den Unterschied zwischen Satzgliedern und Attributen auch terminologisch zu fassen Die Umformungen können darüber hinaus die Möglichkeiten und Grenzen der grammatischen Verfahren aufzeigen . Was hier der sprachlichen Analyse dient, wird von ihnen auch beim Verfassen eigener Texte ständig mehr oder weniger bewusst angewandt Streichungen, Ersetzungen und das Verschieben von Einheiten sind die notwendigen Operationen bei der Überarbeitung eigener Aufsätze, um diese angemessener, verständlicher und leserfreundlicher zu gestalten Sinn der Fachterminologie und der Proben 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 240 19 09 2019 16: 27: 45 Einheit 11 241 ü bunG en Übungen 1 Auf dem Marktplatz hat die Polizei am Nachmittag eine Prügelei mit Schlagstöcken beendet. a) Dieser Satz besitzt eine spezifisch sprachlich-strukturelle Doppeldeutigkeit. Erklären Sie die beiden Bedeutungen und verzichten Sie dabei auf linguistische Fachsprache. b) Stellen Sie mithilfe einer grammatischen Probe die eine Bedeutung dar. Tun Sie dann das gleiche für die andere Bedeutung. c) Erklären Sie, warum der Satz zweideutig ist. Verwenden Sie dabei grammatische Fachausdrücke. 2 Das neue Fahrrad meiner Schwester mit dem gelben Sattel, das vor der Tür stand, ist umgefallen. Das Vorfeld dieses Satzes enthält ein komplexes Satzglied. Analysieren Sie die Bezüge der daran beteiligten Einheiten und verwenden Sie dabei eine angemessene Fachterminologie. 3 Das normale adjektivische Attribut (wie z. B. in das neue Fahrrad) hat zwei besondere Merkmale, die es von allen anderen Attributsarten unterscheidet: Eines betrifft seine syntaktische Stellung, das andere ist morphologisch bedingt. Beschreiben Sie. 4 Bestimmen Sie im folgenden Text von Botho Strauß die Attribute. Der Arglose Ich kenne die Geschichte eines Mannes, der zum Othello wurde und seine Frau erwürgte zwanzig Jahre nach einer Affäre, die sie angeblich mit seinem besten Freund gehabt hatte. Er entdeckte Indizien für ihre Untreue erst im Nachlass seines Freunds, den er nicht mehr zur Rede stellen konnte. Der Gedanke ließ ihn nicht mehr los, dass seine Frau, die er unverbrüchlich liebte, ihn zwanzig Jahre in dieser elenden Täuschung eingesperrt hatte. In Wahrheit aber konnte er den Gedanken an seine Arglosigkeit nicht ertragen. Den Gedanken, dass sie ihn in seiner Arglosigkeit zwanzig Jahre lang still beobachtet, wenn nicht gar bemitleidet hatte. Sein Mangel an Argwohn brachte ihn nachträglich zur Raserei. Nicht die, die ihn vermutlich betrogen hatte, wollte er töten, sondern jene einzige Zeugin seiner erbärmlichen Arglosigkeit. 11.8  Lösungshinweise unter www.bachelorwissen.de und www.granzowemden.de Beispiel (aus: Strauß, Botho: Mikado, München: Deutscher Taschenbuchverlag 2009, S . 98) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 241 19 09 2019 16: 27: 46 242 A ttribut e 5 Untersuchen Sie Semantik, Syntax und Deixis (Verweisfunktion) der Relativsätze in den folgenden Stilblüten: 1. Die Eltern, die keine Kinder haben, sollten eigentlich mehr Steuern zahlen. 2. Im letzten Jahr waren es mehr als 5000 Tote, die bei Unfällen starben. 3. Meinen Großeltern wurden letzte Woche drei Hühner gestohlen, von denen eins ein Hahn war. 4. In der Mitte des Bildes befindet sich eine kleine Lichtung, die man nicht erkennen kann. 5. Ein Künstler ist ein Mensch, der machen kann, was er will, wenn er es kann. 6. Genetische Untersuchungen ermöglichen heute den wissenschaftlich exakten Nachweis, welcher Vater derjenige ist, der es wirklich getan hat. 7. Kafka schrieb einen Brief an seinen Vater, aus dem dieser alles über seinen Sohn erfuhr. Der Brief kam aber nicht an. 8. Sie war inzwischen zu einer jungen Frau gereift, was man von ihrem Bruder nicht sagen konnte. 9. Das, was sie tut, tut sie ganz oder gar nicht. Verwendete und weiterführende Literatur Eichinger, Ludwig M. (1993): Vom Nutzen der Nominalklammer. Eine funktionale Erklärung für die Reihenfolge gestufter Adjektivattribute im Deutschen. In: Vuillaume, Marcel; Marillier, Jean- François; Behr, Irmtraud (Hrsg.): Studien zur Syntax und Semantik der Nominalgruppe. Tübingen: Narr, 85-104. Eisenberg, Peter (2006): Grundriss der deutschen Grammatik. Band 2: Der Satz. 3., durchgesehene Auflage. Stuttgart; Weimar: Metzler. Fuhrhop, Nanna; Thieroff, Rolf (2005): „Was ist ein Attribut? “ In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik 33, 306-342. Granzow-Emden, Matthias (2003): Oh wie gut, dass niemand weiß? Zur grammatischen Kategorienbildung in der Grundschule. In: Grundschule 5, 35-39. Granzow-Emden, Matthias (2008): Der Relativsatzautomat: Ein Fragespiel. In: Deutschunterricht Heft 2, 36-40. 11.9 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 242 19 09 2019 16: 27: 46 243 Kasus, Numerus und Genus Inhalt 12 1 Genus 244 12 2 Numerus 244 12 3 Kasus 246 12 4 Der Kasus: Die übliche Fragemethode im Unterricht 248 12 5 Ein anderer Zugang zum Kasus 254 12 6 Übungen 267 12 7 Verwendete und weiterführende Literatur 268 Nominalgruppen erscheinen im Satz in deklinierter Form. Wir wollen die zur Deklination gehörenden Kategorisierungen in dieser Einheit zunächst trennen und in der darauf folgenden Einheit in tabellarischen Übersichten wieder zusammenführen. Die Trennung erscheint sinnvoll, weil sich Kasus, Numerus und Genus grammatisch grundlegend unterscheiden. Auch auf die anschließende Zusammenführung kann man nicht verzichten, weil die drei Kategorisierungen im Sprachgebrauch immer gemeinsam erscheinen. Das Genus der lexikalisierten Nomen ist üblicherweise formal festgelegt; der Numerus ist eine funktionale und semantisch bedingte Kategorisierung. Der Kasus hingegen lässt sich nur syntaktisch verstehen. Im Satz fordern v. a. Präpositionen und Verben bestimmte Kasus im Zusammenspiel mit Nominalgruppen. Dieses Zusammenspiel sollte man kennen, wenn man die Sprache als System verstehen möchte - in dieser Einheit werden deshalb systematische Zugangsmöglichkeiten zum Kasus im Mittelpunkt stehen. Die in der Schule meist eingesetzte Fragemethode kann einen solchen Zugang jedoch nicht leisten. Überblick Einheit 12 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 243 19 09 2019 16: 27: 46 244 K a sus , N umerus uNd G e Nus Genus Ein lexikalisiertes Nomen - also ein Wort, das im Wörterbuch als Nomen angeführt ist, hat im Deutschen üblicherweise ein bestimmtes Genus und steht im Maskulinum, Neutrum oder Femininum Genus ist eine grammatische Kategorisierung, die vom Nomen ausgeht und an die anderen Einheiten einer Nominalgruppe weitergegeben wird In der schulgrammatischen Tradition wurde statt Genus auch der Terminus „Geschlecht“ bzw männlich/ weiblich/ sächlich verwendet Dies ist irreführend, weil es auch Personenbezeichnungen im Neutrum gibt - das Kind oder das Mitglied bezeichnen keine Sache Darüber hinaus korrespondiert das Genus nur bei wenigen Nomen mit einer natürlichen Geschlechtszugehörigkeit: der Mann, die Frau, der Junge (aber das Mädchen), der Schüler, die Schülerin, der Sprecher, die Sprecherin, der Kater (aber die Katze als Sammelbezeichnung für beide Katzengeschlechter) Meistens ist das Genus ein rein formales Merkmal - die Gründe für die Genuszuweisung liegen für die meisten Nomen in der tiefen Vergangenheit der Sprachgeschichte Nur wenige Nomen lassen ihr Genus an äußerlichen Merkmalen erkennen: ► � Nomen mit den Suffixen |ung, |heit, |keit und |schaft sind immer Feminina: die Markierung, die Bewusstheit, die Aufmerksamkeit, die Wissenschaft ► � Nomen mit den Suffixen |chen und |lein sind immer Neutra: das Sternchen, das Männlein ► � Die Bezeichnungen für Tage, Monate und Jahreszeiten sind meistens Maskulinum: der Montag, der Januar, der Frühling (aber: das Frühjahr) Wer Deutsch als Erstsprache gelernt hat, besitzt meist eine weitgehende Sicherheit in der Genuszuweisung Für DaF- und DaZ-Lerner stellt sie jedoch eine besondere Schwierigkeit dar; deshalb finden Sie in DaF-Grammatiken und Lehrwerken weitere Zuordnungsmuster neben den eben genannten Sie können die Sicherheit bei der Genuszuordnung unterstützen; daneben ist das spielerische Üben des Grundwortschatzes mit Begleitern sinnvoll (z B nach dem Memory®-Prinzip mit Bild- und Wortkarten) Ohne die Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Texten und dem möglichst vielfältigen Sprachgebrauch in unterschiedlichen Situationen kann die Aneignung der Zweitsprache jedoch nicht gelingen Numerus Die meisten lexikalisierten Nomen besitzen mit dem Singular und Plural zwei unterschiedliche Formen Diese Formen werden semantisch verwendet zur Unterscheidung von „1“ (Singular) und „2 oder mehr“ (Plural) des mit dem Nomen Bezeichneten Damit stimmen beim Numerus Form und Funktion weitgehend überein 12.1 Genus und Geschlecht 12.2 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 244 19 09 2019 16: 27: 46 245 n umeruS Einheit 12 Die besondere Schwierigkeit für Spracherwerb und -aneignung sind die jeweils eigenen Pluralformen eines jeden Nomens, die man lernen muss und die man den Wortformen nicht ansieht Z B . haben die äußerlich ähnlichen Wörter der Nagel und die Nadel die Pluralformen die Nägel bzw die Nadeln; das Lexem die Mutter besitzt nicht nur die Pluralform die Mütter - im Schraubenbereich heißt sie die Muttern Die im Deutschen möglichen Pluralformen werden in der folgenden Tabelle an Verwandtschaftsbezeichnungen gezeigt - beim Pluralmorphem |e geht es um Familienmitglieder im weiteren Sinne: Pluralmorphem Singularform Pluralform |e der Freund der Hund die Freund|e die Hund|e |en die Frau die Enkelin die Schwägerin die Frau|en die Enkelinn|en die Schwägerinn|en |n die Schwester die Tante der Vetter die Schwester|n die Tante|n die Vetter|n |er das Kind die Kind|er [Nullmorphem] der Enkel der Onkel die Enkel die Onkel [Umlautung] der Vater die Mutter die Tochter der Bruder der Schwager die Väter die Mütter die Töchter die Brüder die Schwäger [Umlautung] |e der Sohn die Söhn|e [Umlautung] |er der Mann die Männ|er |s die Oma der Opa der Onkel die Oma|s die Opa|s die Onkel|s (ugs.) - - die Eltern die Geschwister Die Tabelle, die nur die Wörterbucheinträge und damit die Nominativformen enthält, lässt bereits erahnen, was tatsächlich in allen Kasus zutrifft: Während im Singular drei Genera unterschieden werden, ist diese Unterscheidung im Plural neutralisiert - die Begleiter für Nomen im Maskulinum, Neutrum und Femininum unterscheiden sich nicht Der Singular gilt als die unmarkierte, der Plural als die markierte Form, was sich formal in den Endungen, der Umlautung und einer Kombination Tab. 12.1 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 245 19 09 2019 16: 27: 46 246 K a sus , N umerus uNd G e Nus von beidem zeigen kann Wenn sich Singular und Plural beim Nomen nicht unterscheiden, der Plural also mit dem sog . Nullmorphem gebildet wird (der Enkel - die Enkel), markiert der Begleiter die Nominalgruppe Deshalb gibt es keine Nomen im Femininum, die ihren Plural mit dem Nullmorphem bilden - eine formale Unterscheidung zwischen Singular und Plural könnte so nicht gesichert werden Manche Nomen wie Obst, Mehl, Ruhe oder Schutz werden nur im Singular verwendet Andere Nomen, die als Pluraliatantum bzw Pluraletantum bezeichnet werden, kennen nur eine Pluralform (z B die Kosten, die Ferien, die Leute) . Kasus Ein wesentliches Kennzeichen des Deutschen als einer flektierenden Sprache sind die Kasusformen Jede Nominalgruppe hat einen Kasus Der Kasus hat sehr viele und sehr unterschiedliche Funktionen Viele davon sind historisch gewachsen und aus heutiger Perspektive nicht unmittelbar einleuchtend Wer die Kasus im Deutschen erfassen möchte, braucht für die allermeisten Erscheinungen einen doppelten Blick: ► � Einerseits gibt es die sichtbaren Formveränderungen der Nominalgruppen . Neben der Form ich gibt es die Formen mich oder mir, und alle drei Wörter verweisen auf dasselbe - die Sprecherrolle Ein semantischer Unterschied lässt sich nicht feststellen Es gibt die Formen die Frau und der Frau, und niemand würde dies als Geschlechtsumwandlung auffassen . ► � Daneben gibt es Einheiten, die solche Formveränderungen auslösen, was in der Fachterminologie als Regieren bzw Rektion bezeichnet wird Es heißt ohne mich, aber mit mir; entsprechend ohne die Frau, aber mit der Frau Was hier die Präpositionen auslösen, geschieht in den beiden folgenden Satzpaaren durch die unterschiedlichen, aber weitgehend bedeutungsgleichen Verben: Sie beglückwünscht mich Sie gratuliert mir Sie beglückwünscht die Frau Sie gratuliert der Frau Obwohl sich Präpositional- und Verbalgruppen strukturell erheblich unterscheiden, können sie bei Nominalgruppen die gleichen Formen auslösen (vgl z B mit mir/ gratuliert mir) Der Kasus ist damit eine Art innersprachlicher Code; mit Termini wie Akkusativ oder Dativ sollen solche analogen Formveränderungen erfasst werden Wenn man von Formveränderungen spricht, braucht man einen Bezugspunkt, eine Ausgangsform (wir könnten auch Normalform, Nennform oder unmarkierte Form sagen) In unserem Beispiel leuchtet es intuitiv ein, ich oder die Frau als die Normalform, eine Form wie mir oder der Frau als veränderte Nomen ohne unterschiedliche Numerusfomen 12.3 Nominativ als Normalform 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 246 19 09 2019 16: 27: 46 Einheit 12 247 k a SuS Form zu betrachten . Als Normalform gilt im Deutschen der Nominativ; in Wörterbüchern finden wir die Einträge in dieser Form Manche Grammatiken bezeichnen diesen Kasus als Casus rectus - das bedeutet „aufrechter Fall“, den man von Akkusativ, Dativ und Genitiv als den drei „schiefen Fällen“, den Casus obliqui (Sg : Casus obliquus), unterscheidet Die Kasus sind selbstverständlicher Bestandteil des natürlichen Spracherwerbs - zumindest in der Varietät, die ein Kind erwirbt Dabei gibt es Übergangsformen - z B . äußern dreijährige Kinder Sätze wie „Bleibst Du bei mich? “ Ein Verbessern wäre hier unangebracht - Eltern antworten einfach „Ja, ich bleibe bei Dir“, und die fünfjährigen Kinder beherrschen dann meist die üblichen Formen . Der natürliche Spracherwerb bezieht sich aber immer auf eine bestimmte Varietät, z B einen bestimmten Dialekt Varietäten weichen vom Schriftgebrauch mehr oder weniger ab . So kennen viele Dialekte keinen Genitiv und verwenden seit jeher andere Formen: Standardsprache: Die Glückwünsche seiner Kollegen freuten ihn Dialekt: Die Glückwünsche von seinen Kollegen freuten ihn wegen + Genitiv (Standard): Wegen des Krachs konnte er nicht schlafen wegen + Dativ (im Dialekt): ? Wegen dem Krach konnte er nicht schlafen Zum Genitivgebrauch gibt es aber auch gegenläufige Tendenzen, die einem Bemühen um „Überkorrektheit“ entspringen mögen: gemäß + Genitiv (statt Dativ): *Hast Du Dein Aussehen gemäß Deines Vorbildes geändert? (Internetbeleg) Betrachtet man die Vermittlung einer angemessenen Standardsprache als Aufgabe der Schule, gibt es im Bereich der Kasus also etwas zu tun . Im didaktischen Umfeld wird die Kasusbeherrschung jedoch mitunter relativiert, weil auch ohne korrekten Kasusformen dem Sinn von Sprachliches vermittelt werden könne (wie in diesen Satz) Diese Relativierung führt dazu, dass man sich im Deutschunterricht mit sehr wenig zufrieden gibt: Man beschränkt sich auf eine bestimmte Methode, die sogenannte Fragemethode In den folgenden Abschnitten wird sich zeigen, dass sich mit dieser Methode nichts Brauchbares über die Kasus lernen lässt . Diejenigen, die Probleme mit der angemessenen Kasusverwendung haben - und das sind an unseren Schulen nicht nur die Kinder und Jugendlichen, die in ihrem Dialekt oder in der Umgangssprache etwas anderes gelernt haben, sondern auch alle, die Deutsch als Zweitsprache lernen - erfahren nicht, woran diese Probleme liegen und wie sie zu beheben wären Explizite Kenntnisse zum Kasussystem sollte man nun zunächst von denen erwarten, die als Lehrkräfte eine Sprache studiert haben Dazu gehört auch, unterscheiden zu können, was man über die Kasus wissen kann und was nicht . Man kann z B wissen, dass ein bestimmtes Verb oder eine bestimmte Präpo- Kasus und Varietäten 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 247 19 09 2019 16: 27: 46 248 k a SuS , n umeruS unD G enuS sition einen bestimmten Kasus fordert Warum aber das eine Verb oder die eine Präposition den einen Kasus und die anderen Einheiten einen anderen fordern, lässt sich letztendlich ebenso wenig erklären wie die Ursache, weshalb eine bestimmte Lautfolge wie [tı∫] ein bestimmtes Möbelstück bezeichnet Aufgabe der Lehrkräfte ist es, das Formensystem der Kasus im Rahmen des Verstehbaren den Schülerinnen und Schülern zugänglich zu machen Ausgangspunkt sollten dabei die Phänomene an sich sein, also das Zusammenspiel der kasusauslösenden Einheiten und der Nominalgruppen, die sich dabei verändern können Wie aus solchen Beobachtungen eine Ordnung hergestellt werden kann, wird im Abschnitt 12 5 hergeleitet und in tabellarischen Überblicken in Einheit 13 gezeigt Der Kasus: Die übliche Fragemethode im Unterricht Wenn in der Schule die Kasus thematisiert werden, tauchen dabei meistens die Fragewörter wer/ wen/ wem/ wessen und auch was auf Die Kasus und die Fragewörter werden bis in die Terminologie hinein gleichgesetzt, wenn der Nominativ als Werfall, der Genitiv als Wesfall usw . bezeichnet wird Im Grammatikunterricht wird viel Energie darauf verwendet, entsprechende Fragen zu stellen und Kasus und/ oder Satzglieder zu ermitteln Dabei verwendet man ein Verfahren, das mit einem einfachen Input und Output an die Klarheit mathematischer Operationen erinnert Die Wessen-Frage soll also zu einer Form im Genitiv führen Dieses Verfahren erscheint erstens blind, weil zwischen der Nominalgruppe im Genitiv, dem Genitivattribut und einer Ergänzung im Genitiv bzw dem Genitivobjekt nicht differenziert wird, zweitens unzuverlässig, weil die Wessen-Frage zahlreiche Nominalgruppen im Genitiv nicht identifizieren kann (s Beispiel 1 im Kasten), und drittens falsch, weil es Genitivattribute mitunter nur um den Preis eines unangemessenen, „zurechtgebogenen“ Fragens oder auch gar nicht ermitteln 12.4 Abb. 12.1 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 248 19 09 2019 16: 27: 47 Einheit 12 249 D er k a SuS : D Ie üblIche f r a G e me thoD e Im u nt errIcht kann (s Beispiel 2 und 4) und weil die Wessen-Frage Nominalgruppen in allen möglichen Kasus ermittelt, solange diese ein Possessivum als Begleiter haben (s Beispiel 3 und 4) Das Verfahren ist aber auch deshalb unbrauchbar, weil-- wenn es denn einmal funktioniert - ein bestimmtes Fragewort - eben „Wessen“ - auf einen Terminus (Genitiv) verweist, über den man am Ende lediglich weiß, dass Einheiten, die so benannt werden, mit „Wessen“ zu ermitteln seien In den folgenden Sätzen 1 und 2 stehen die unterstrichenen Einheiten im Genitiv, können aber mit der Wessen-Frage nicht ermittelt werden Dagegen könnte in Satz 3 das Subjekt sein Buch für eine Genitivform gehalten werden („Wessen Buch wurde zum Welterfolg? “) In 4 verweist die Wessen-Frage ebenfalls auf einen Nominativ („Wessen Buch war es? “), während die Genitivform des Jahres nicht ermittelt wird 1 Während der Buchtage fand eine Lesung mit Friedrich Müller statt 2 Der Autor des Romans „Aus allen Wolken“ hatte im Januar letzten Jahres einen Unfall 3 Sein Buch wurde zum Welterfolg 4 Es war auch mein Buch des Jahres Sowohl die Kasus an sich als auch die Satzglieder werden in der Schule erfragt und benannt, ohne dass der Unterschied von Kasus und Satzgliedern geklärt und das Benannte begrifflich erfasst würde Das Ziel dieser Bemühungen scheint darin zu liegen, am Ende in einer Klassenarbeit zu überprüfen, ob die Kinder und Jugendlichen zu irgendwelchen Beispielsätzen Fragen stellen können, die ihnen lediglich Informationen liefern, die in diesen Sätzen schon vorkommen, um sie mit einem Fachterminus zu versehen, den sie nicht verstehen Ein solch unsinniges Tun unterbindet nicht nur die Freude, die jede verstehende Auseinandersetzung mit den Dingen in der Welt - und dazu gehört eben auch die Sprache - mit sich bringt, sondern es führt die Kinder und Jugendlichen vor und lässt sie erkennen, dass sich das Fragenstellen nicht lohnt (allenfalls extrinsisch motiviert, um eine gute Note zu bekommen) In der Auseinandersetzung mit den Fragen in Abschnitt 6 .4 haben wir gesehen, dass Fragen jenseits der Kasusermittlungen geniale Sprachhandlungen sind, mit denen man sich der eigenen Wissensbestände vergewissern und sie erweitern kann um das Wissen anderer . Ein solches, auf Erkenntnis ausgerichtetes Fragen sollte im Deutschunterricht an unterschiedlichsten, aber geeigneten Gegenständen geübt werden . Ein Schulbuchbeispiel Den grotesken Unsinn der Fragemethode parodiert Christian Morgenstern in der Begegnung eines Werwolfs mit einem verstorbenen Dorfschullehrer sehr humorvoll: Beispiel 12.4.1 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 249 19 09 2019 16: 27: 47 250 K a sus , N umerus uNd G e Nus Der Werwolf Ein Werwolf eines Nachts entwich von Weib und Kind und sich begab an eines Dorfschullehrers Grab und bat ihn: „Bitte, beuge mich! “ Der Dorfschulmeister stieg hinauf auf seines Blechschilds Messingknauf und sprach zum Wolf, der seine Pfoten geduldig kreuzte vor dem Toten: „Der Werwolf “ - sprach der gute Mann, „des Weswolfs, Genitiv sodann, dem Wemwolf, Dativ, wie man’s nennt, den Wenwolf, - damit hat’s ein End’ “ Dem Werwolf schmeichelten die Fälle, er rollte seine Augenbälle „Indessen“, bat er, „füge doch zur Einzahl auch die Mehrzahl noch! “ Der Dorfschulmeister aber musste gestehn, dass er von ihr nichts wusste Zwar Wölfe gäb’s in großer Schar, doch ‚Wer‘ gäb’s nur im Singular Der Wolf erhob sich tränenblind - er hatte ja doch Weib und Kind! ! Doch da er kein Gelehrter eben, so schied er dankend und ergeben Das Gedicht ist über 100 Jahre alt - es ist nicht zuletzt ein historischer Beleg für die Beständigkeit bestimmter Brauchtümer in einer staatlichen Institution, seien sie auch noch so eigenartig Nun kann das Gedicht durchaus zur Belustigung derer dienen, die mit der Kasusfragemethode konfrontiert wurden oder die als Lehrkräfte diese selbst praktizieren Für Kinder und Jugendliche, die diese Praktiken noch nicht über sich ergehen lassen mussten, ist der Witz des Dialogs, der sich aus der Begegnung von Werwolf und Zombie-Dorfschullehrer ergibt, allerdings nicht nachvollziehbar In einem Schulbuch wird aber genau dieses Gedicht verwendet, um in einer fünften Klasse das Thema Kasus einzuführen Dabei zeigen sich verschiedene Unzulänglichkeiten - Sie finden die Aufgaben auf der folgenden Seite . Zunächst sollen sich die Kinder inhaltlich mit Werwölfen auseinandersetzen und sich mithilfe eines Lexikons informieren (Aufgabe 1) Wem aber der Werwolf in diesem Gedicht zum ersten Mal begegnet, versteht auch den Witz der Pseudodeklination Weswolfs, Wemwolf, Wenwolf nicht . Genau darum geht es aber, wenn in der zweiten Aufgabe nach dem „Fehler“ des Dorfschullehrers gefragt wird . Damit dürften eben diese Formen gemeint sein, die als Sprachspiel den schulischen Brauch parodieren Aber ein Sprachspiel ist eben ein Sprachspiel und kein „Fehler“ Was dagegen als unangemessen bezeichnet werden könnte, ist die fehlende syntaktische Struktur der Äußerung - dass mit den Begleitern alle vier Kasus angezeigt werden, ohne dass ein Grund für diese Formen vorläge: Der Werwolf, (…) des Weswolfs, Genitiv sodann, dem Wemwolf, Dativ, wie mans nennt, den Wenwolf, - damit hat’s ein End Niemand würde dieses Gebilde als einen Satz bezeichnen; es ist lediglich eine Aufzählung unterschiedlicher Deklinationsformen . Ein entsprechendes, von jeder konkreten Sprachverwendung abstrahierendes Tun wird den Schülerinnen und Schülern in den Aufgaben 4, 5 und 7 zugemutet: Sie sollen in Beispiel (aus: Morgenstern, Christian: Gesammelte Werke, hrsg v Clemens Heselhaus, Bd I: Galgenlieder, Palmström, Weyarn: Seehamer 1998, S -90 f ) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 250 19 09 2019 16: 27: 47 Einheit 12 251 D er k a SuS : D Ie üblIche f r a G e me thoD e Im u nt errIcht Abb. 12.2 deutsch .werk 1 Gymnasium . Arbeitsbuch für das 5 . Schuljahr Klett 2004, S 187 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 251 19 09 2019 16: 27: 48 252 K a sus , N umerus uNd G e Nus Aufgabe- 4 „das Substantiv“, in Aufgabe 5 die „zusammengesetzten Wörter“ und in 7 „die Formen des bestimmten und unbestimmten Artikels“ durchdeklinieren, ohne einen Anhaltspunkt zu haben, wie die Deklinationsformen zustande kommen Auch zur Beantwortung der Aufgaben 3 und 8 fehlen die Voraussetzungen Selbst wenn es den Schülerinnen und Schülern möglich wäre, die Tabelle in Aufgabe 8 zu erstellen, verbliebe das Ganze in unverstandenen Benennungsprozeduren In Aufgabe 8 wird - auf dieser Seite zum ersten Mal und sehr unvermittelt - die Satzgliedebene beschritten, womit dann wahrscheinlich alles, was einen Dativ hat, für ein Dativobjekt gehalten wird Warum man weder Kasus noch Satzglieder mit der Fragemethode einführen sollte Die Fragemethode wird in der Schule sowohl zur Einführung der Kasus als auch der Satzgliedlehre verwendet So werden zwei sehr unterschiedliche, auch für sich genommen recht komplexe sprachliche Phänomene miteinander vermischt und mitunter sogar für dasselbe gehalten Diese Vermischung ist der Grund für ständige Irritationen im Grammatikunterricht und steht einem Verstehen der sprachlichen Strukturen im Weg Wer sich hierbei um ein Verständnis bemüht und scheitert, sieht dies als eigene Unzulänglichkeit, obwohl es sich um eine Unzulänglichkeit der Methode und grammatischen Modellbildung handelt Wenn Sie sich nun fragen, warum diese Methode manchmal doch funktioniert, so liegt das daran, dass sie eine Ersatzprobe darstellt: Wird eine Ergänzung zu einem Verb mit einer Person im Dativ gefüllt, so stellt sie ein sog Dativobjekt dar und kann durch ein Wem ersetzt werden: Rotkäppchen begegnet der Großmutter Wem begegnet Rotkäppchen? Die Einfachheit dieser Operation kann allerdings auf vielfältige Weise durchkreuzt werden: So kann ein Dativobjekt auch anderes als Personen bezeichnen; dann ist die Wem-Frage zumindest zweifelhaft: Dieser Theorie begegnet man in unterschiedlichen Darstellungen ? Wem begegnet man in unterschiedlichen Darstellungen? Außerdem muss man bei der Auswahl des Fragewortes den richtigen Kasus bereits intuitiv beherrschen, um „richtig“ fragen zu können: Rotkäppchen trifft die Großmutter Wen trifft Rotkäppchen? Rotkäppchen begegnet der Großmutter Wem begegnet Rotkäppchen? Eine Ergänzung kann weiterhin nicht nur als Nominalgruppe, sondern auch als Satz erscheinen und ist dann nur mit einem vieldeutigen Was erfragbar: 12.4.2 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 252 19 09 2019 16: 27: 48 Einheit 12 253 D er k a SuS : D Ie üblIche f r a G e me thoD e Im u nt errIcht Rotkäppchen sieht, dass ihre Großmutter sich verändert hat Was sieht Rotkäppchen? Während es valenztheoretisch angemessen erscheint, den dass-Satz einfach als eine Verbergänzung zu betrachten, würde man hier schulgrammatisch weiterhin von einem Akkusativobjekt ausgehen Nun ist die Fragemethode dermaßen weit verbreitet - sie ist das Verfahren im Grammatikunterricht schlechthin, das Ihnen auf Ihrem Berufsweg begegnen wird wie ein Schnupfen Deshalb seien zum Überblick nochmals die Punkte zusammengestellt, die gegen dieses Verfahren sprechen und die Sie ggf auch als Argumentationsgrundlage in Fachkonferenzen nutzen können (wobei Sie als Novizen immer ein gewisses Fingerspitzengefühl brauchen, damit Ihre Einwände als fundierte fachliche Diskussion und nicht als Besserwisserei verstanden werden): ► � Die Methode vermittelt allenfalls ein Wissen, das sich auf das Benennen sprachlicher Einheiten beschränkt Wer eine Einheit als „Dativobjekt“ bezeichnen kann, hat damit weder die Eigenart des Kasussystems noch den Begriff des Objekts erfasst ► � Das „richtige Fragen“ in diesem Bereich lässt sich nicht lernen Es setzt einen sicheren Gebrauch der Standardsprache bereits voraus (z B . kann man jemanden beeindrucken, aber jemandem imponieren usw ) Dies betrifft v a die Kinder und Jugendlichen, die durch ihren Dialekt oder eine andere Erstsprache diese Sicherheit nicht haben können ► � „Richtiges Fragen“ im Sinne der Methode kann zu einem unangemessenen Fragen anleiten Auf der Suche nach dem Kasus stellt man zum Satz Kevin schläft auf der Matratze die Frage „Auf wem schläft Kevin? “ (anstatt „Wo …“); zum Satz Katrin freut sich auf den Sonntag fragt man „Auf wen oder was freut sich Katrin? “ und verhindert so die Aneignung des standardsprachlich angemessenen Fragewortes „Worauf freut sich Katrin? “ oder auch der inhaltlich weiterführenden Frage „Warum freut sich Katrin? “ . Mit der augenscheinlich unproblematischen Methode („Fragen kann jeder“) entsteht ein Formalismus, weil die formale Bestimmung das pragmatisch angemessene Fragen verdrängt ► � Weiterhin wird in der Schule mitunter alles, was man erfragen kann, für ein Objekt gehalten . In unserem Beispiel Kevin schläft auf der Matratze wird nicht nur unangemessen gefragt („Auf wem schläft Kevin? “); die Antwort auf der Matratze wird wegen des Signalwortes wem für ein Dativobjekt (statt eines Adverbiales des Ortes) gehalten ► � Auch ein „richtiges Fragen“ im Sinne der Methode führt nicht automatisch zum richtigen Benennen der damit herausgelösten Einheit Dies zeigt sich v a bei der „Wer oder was“bzw „Wen oder was“-Frage Zwei mit oder verbundene Einheiten werden normalerweise disjunktiv verstanden: Das Erscheinen der einen Einheit schließt die andere Einheit aus (z B . Morgen 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 253 19 09 2019 16: 27: 48 254 K a sus , N umerus uNd G e Nus ist Dienstag oder Mittwoch - beides gleichzeitig ist nicht möglich) Es entspricht insofern dem „unverbildeten“ Sprachgebrauch, im Satz Ich erkenne das Problem in der Einheit das Problem einen Nominativ zu vermuten (mit einem disjunktiven oder lässt sich genauso gut „Wer oder was erkenne ich? “ wie „Wen oder was …“ oder auch „Wie/ warum/ wohin oder was …“ fragen) Ein anderer Zugang zum Kasus Im Folgenden wird eine Annäherung an die Kasus versucht, die sich auf die sprachlichen Erscheinungen selbst konzentriert und dabei die Fachtermini zu den Kasus zunächst vermeidet Dies hat seinen Grund darin, dass durch die verbreitete Fragemethode die Kasusbezeichnungen Akkusativ, Dativ etc die zugeordneten Fragewörter reflexartig auslösen und so das eigentliche sprachliche Phänomen verstellen können Ein entsprechender Verzicht kann im schulischen Unterricht zur bewussten Aneignung dieser sprachlichen Erscheinung beitragen Die Unterscheidung der Kasus ist eine recht abstrakte Angelegenheit, die sich nicht vom bloßen Hinschauen erschließt; gleichwohl ist ein bewusstes Hinschauen eine der beiden Voraussetzungen für ein Erkennen Die andere ist das Herstellen von Analogien Die hier gewählte Vorgehensweise kann ab der 7 Klasse als Modell für den Unterricht dienen, wenn man die spezifischen Voraussetzungen der jeweiligen Klasse berücksichtigt und entsprechend modifiziert Im Anschluss folgt ein Vorschlag, mit dem ab der dritten Klasse entsprechende Formunterschiede entdeckt werden können . Die Tabellen sollten die Kinder und Jugendlichen dabei immer selbst oder mit gegenseitiger Unterstützung ausfüllen Die Nominalgruppen in der jeweils fokussierten Kasusform werden in den folgenden Abschnitten unterstrichen Rektion der Präpositionen Das Phänomen, dass sich nominale Einheiten in ihrer Form verändern, ohne dass sich ihre Bedeutung verändert, ist in flektierenden Sprachen unterschiedlich ausgeprägt Im Englischen beispielsweise finden wir solche Formveränderungen nur noch vereinzelt So verzichtet das Personenzeigwort you auf unterschiedliche Kasusformen: You have to know: I can’t live with or without you Du musst wissen: Ich kann nicht mit dir und nicht ohne dich leben Der Form you stehen in der deutschen Übersetzung die drei Formen du, dich und dir gegenüber Wo sich im Englischen die beiden Präpositionen auf eine einzige Form beziehen können (with or without you), wird es im Deutschen aufwändiger Auch wenn die drei Formen du, dich und dir das Gleiche bedeu- 12.5 12.5.1 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 254 19 09 2019 16: 27: 48 Einheit 12 255 e In a nD erer z u G a nG zum k a SuS ten, müssen im Deutschen hier diese drei unterschiedlichen Formen erscheinen, weshalb die beiden folgenden Zeilen nicht grammatisch sind: *… mit oder ohne dich *… mit oder ohne dir Wir wollen diese Erscheinung systematisch ordnen - eine im strengen Sinne logische Erklärung, warum das Deutsche diese Formen „will“, gibt es nicht Nun ist auch das Englische eine flektierende Sprache, und was auf den ersten Blick gleich aussieht, unterscheidet sich trotzdem - allerdings auf eine hier unsichtbare Weise Im folgenden Satz, der ganz analog zum obigen aufgebaut ist, verändert sich das Personenzeigwort I zur Form me: I think you can’t live with or without me Ich denke, du kannst nicht mit mir und nicht ohne mich leben Wenn wir dieses begrenzte Datenmaterial sortieren, lässt sich schon Wesentliches erkennen: englische Ausgangsform: I you veränderte Form: with or without … … me … you deutsche Ausgangsform: ich du veränderte Form 1: ohne … … mich … dich veränderte Form 2: mit … … mir … dir Die Veränderungen, die die Präpositionen with und without bzw mit und ohne fordern, sind ein typisches Merkmal einer flektierenden Sprache Die Formen, die in den Zeilen sichtbar werden, sind die Realisierungen der verschiedenen Kasus Nun sehen wir im Englischen eine Veränderung der Form I zu me, wenn sie zusammen mit den Präpositionen with or without gebraucht wird Weil es eine solche Form me gibt, steht auch das danebenliegende you in einem Kasus, der allerdings nicht sichtbar wird Ein ähnliches Phänomen können wir ebenso im Deutschen beobachten Wenn wir anstelle der Personenzeigwörter Bezeichnungen für unterschiedliche Haustiere einsetzen, können wir ebenfalls Veränderungen beobachten Die hierfür ausgewählten Tiere finden sich im Wörterbuch unter den Stichwörtern Hund, m; Schaf, n; Katze, f Damit wissen wir, dass es sich um die Ausgangsformen der Hund, das Schaf und die Katze handelt Bei dem folgenden Verfahren kommt eine wichtige grammatische Probe zum Zug, die sog Ersatzprobe . Was an einer bestimmten Stelle ersetzt werden kann, hat entsprechende grammatische Eigenschaften . Tab. 12.2 Tab. 12.3 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 255 19 09 2019 16: 27: 48 256 K a sus , N umerus uNd G e Nus Ich kann nicht mit dir dem Hund dem Schaf der Katze und nicht ohne dich den Hund das Schaf die Katze leben. Hier wird deutlich, dass die Präposition mit Formen auslöst, die sich allesamt von der Ausgangsform unterscheiden Dagegen stehen bei der Präposition ohne zwei Formen, die sich unterscheiden (dich; den Hund); zwei weitere haben keinen äußerlich wahrnehmbaren Unterschied zur Ausgangsform (das-Schaf; die Katze) In Analogie zu den veränderten Formen sprechen wir auch bei den an der Oberfläche gleichbleibenden Formen davon, dass sie einen Kasus tragen - Kasus ist also auch im Deutschen ein Phänomen, das an den Formen manchmal nicht sichtbar wird und trotzdem da ist Damit können wir auch die obige Tabelle erweitern: Ausgangsform ich du der Hund das Schaf die Katze veränderte Form 1: ohne … mich dich den Hund das Schaf die Katze veränderte Form 2: mit … mir dir dem Hund dem Schaf der Katze Während die Wörter in einer Spalte die jeweils gleiche Semantik haben, besitzen auch die drei Zeilen mit dem Kasus eine Gemeinsamkeit, die von kompetenten Sprechern und Schreibern nicht so ohne Weiteres wahrgenommen wird, weil sie bereits im natürlichen Spracherwerb weitgehend unreflektiert realisiert und meist ebenso unreflektiert auf die Schrift übertragen wurde Reflexion kann z B . dann einsetzen, wenn jemand über die Form der Frau stolpert („Ist das dann ein Maskulinum? “), wenn sich attributive Adjektive zwischen Begleiter und Nomen schieben, die dekliniert werden müssen, oder wenn an irgendeiner Stelle einmal das Sprachgefühl versagt Präpositionen lösen bei den Nominalgruppen, die ihnen üblicherweise folgen, Kasus aus . Wir können auch sagen: Eine Präposition regiert in der Wortgruppe, die zu ihr gehört, einen bestimmten Kasus Dabei haben wir uns bisher mit der „veränderten Form 1“ auf den Akkusativ und mit der „Form 2“ auf den Dativ beschränkt Es gibt auch Präpositionen, die den Genitiv regieren Der Nominativ hingegen wird von Präpositionen nie ausgelöst Zu den Präpositionen, die den Akkusativ regieren, gehören die folgenden Einheiten: für, durch, gegen, ohne, um … Zu den Präpositionen, die den Dativ regieren, gehören die folgenden Einheiten: aus, bei, mit, nach, seit, von, zu … Schließlich gibt es auch Präpositionen, die den Genitiv regieren: außerhalb, innerhalb, oberhalb, statt, trotz, unterhalb, während, wegen … Tab. 12.4 Tab. 12.5 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 256 19 09 2019 16: 27: 48 Einheit 12 257 e In a nD erer z u G a nG zum k a SuS Nur die Präpositionen mit Genitivforderung nehmen sprachgeschichtlich zu, weil aus Nominal- oder Präpositionalgruppen, die ja prinzipiell ein Genitivattribut fordern können ( → Abschnitt 11 2), über Grammatikalisierung neue Präpositionen mit Genitivforderung entstehen Manchen Präpositionen ist ihre Herkunft vom Nomen noch anzusehen (dank, kraft, trotz …) Die amtliche Regelung lässt in den folgenden Fällen offen, ob man in der Schreibung von einer Präposition oder von einer Präpositionalgruppe mit einem Nominal auszugehen hat: anstelle/ an Stelle; aufgrund/ auf Grund; aufseiten/ auf Seiten; mithilfe/ mit Hilfe; vonseiten/ von Seiten; zugunsten/ zu Gunsten; zulasten/ zu Lasten; zuungunsten/ zu Ungunsten Wechselpräpositionen Die meisten Präpositionen regieren einen ganz bestimmten Kasus Es gibt aber auch die folgende Gruppe von genau neun Präpositionen, die den Akkusativ oder Dativ regieren können: in - an - auf - über - unter - vor - hinter - neben - zwischen auf + Akkusativ: Sie legt das Buch auf den Tisch auf + Dativ: Das Buch liegt auf dem Tisch Wegen dieses Rektionswechsels nennt man diese Präpositionen „Wechselpräpositionen“ Der „Wechsel“ ist bei lokaler Bedeutung mit den Bedeutungsalternativen „Richtung“ (bei Akkusativ) bzw „Ort“ (bei Dativ) verbunden; die Kasusverwendung hat damit auch eine funktionale Komponente Die Wechselpräpositionen sind leicht memorierbar: Alle lassen sich in einem Schaubild mit zwei Häusern ihrer Bedeutung entsprechend eindeutig „verorten“ Das geht mit den anderen Präpositionen nicht: 12.5.2 Abb. 12.3 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 257 19 09 2019 16: 27: 49 258 K a sus , N umerus uNd G e Nus Wechselpräpositionen werden jedoch nicht nur für die Bezeichnung räumlicher Verhältnisse gebraucht, sondern auch für zeitliche Dabei erscheint meist der Dativ: vor + Dativ: Vor dem nächsten Treffen hatte er noch etwas Zeit in + Dativ: In zwei Jahren kann viel passieren Wenn es zu einer auf die Zeit bezogenen Konstruktion eine analoge gibt, die auf den Raum bezogen sein könnte und wenn dort der Akkusativ erschiene, finden sich auch Wechselpräpositionen mit dem Akkusativ: vor + Akkusativ: Vor das nächste Treffen wollte er kein anderes legen in + Akkusativ: In diese zwei Jahre hatte er große Hoffnungen gesetzt Rektion der Verben Im Folgenden beobachten wir, wie sich die Wörter ich und du als Ergänzungen im Satz verändern können Wenn in einem Satz beide Wörter vorkommen, kommt meistens der Kasus ins Spiel Er kann die Rollen im Satz signalisieren: (1) Ich sehe dich (2) Du siehst mich Wir können hier eine Art Übermarkierung feststellen Der gleiche Sachverhalt ließe sich auch mit geringerem formalem Aufwand darstellen; etwa *Ich sehe du/ *Du siehst ich oder auch noch minimalistischer: *Ich du sehen/ *Du ich sehen Entsprechende Formen gibt es durchaus in den Sprachen der Welt, die dadurch nicht primitiver, sondern nur anders sind Betrachten wir weitere Sätze mit erster und zweiter Person: (3) Ich unterstütze dich (4) Ich beglückwünsche dich zu deiner Wahl (5) Ich frage dich, ob es morgen schönes Wetter gibt Andere Verben hingegen passen nicht in dieses Muster, obwohl sie in ihrer Bedeutung Ähnlichkeiten mit den eben angeführten aufweisen: (3’) *Ich helfe dich (4’) *Ich gratuliere dich zu deiner Wahl (5’) *Ich antworte dich, dass es morgen regnen soll Die Sätze 3’ bis 5’ lassen sich einfach reparieren, indem die Form dich durch die Form dir ersetzt wird: (6) Ich helfe dir (7) Ich gratuliere dir zu deiner Wahl (8) Ich antworte dir, dass es morgen regnen soll 12.5.3 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 258 19 09 2019 16: 27: 49 Einheit 12 259 e In a nD erer z u G a nG zum k a SuS Wenn man wieder fragt, was der Unterschied zwischen dich und dir sei, hilft die Semantik nicht weiter Die Bedeutung ist die gleiche - dich und dir verweisen beide auf den Hörer . Insofern haben wir es auch hier mit einer formalen Spielerei der Sprache zu tun Wir können nun (wie oben bei den Präpositionen ohne und mit) die Formen vergleichen, die sich mit den beiden Verben aus (3) und (6) verbinden können (man könnte hierfür natürlich ebenso die Verben aus (4) und (7) oder aus (5) und (8) verwenden) Nominativ ich du wir ihr der Hund das Schaf die Katze veränderte Form 1: Ich unterstütze … mich dich uns euch den Hund das Schaf die Katze veränderte Form 2: Ich helfe … mir dir uns euch dem Hund dem Schaf der Katze Hierbei stellen wir Folgendes fest: Was bei den Präpositionen als „veränderte Form 1“ erscheint, finden wir in exakter Übereinstimmung bei den Verben Entsprechendes gilt für die „Form 2“ . Dieses Phänomen wird mit den Fachtermini Akkusativ (Form 1) und Dativ (Form 2) auf einen Begriff gebracht Sie bezeichnen Formveränderungen, die auf ganz unterschiedliche Weise zustande kommen können - hier durch Verben und in den vorigen Abschnitten durch Präpositionen Nicht alle Verben lösen genau einen Kasus aus In Einheit 2 haben wir gesehen, dass unterschiedliche Verben eine unterschiedliche Anzahl und Art von Ergänzungen fordern können und dass sich dies sogar bei einem ganz bestimmten Verb unterscheiden kann Das online verfügbare Programm E-VALBU (https: / / grammis ids-mannheim .de/ verbvalenz) zeigt dies auf sehr eindrückliche Weise - spielen Sie damit! Eine kleine Auswahl von Verben, die sich bezüglich ihrer Ergänzungen gleich verhalten können, ist im Folgenden aufgelistet Verben mit Nominativergänzung: sein, werden, bleiben, heißen … Verben mit Akkusativergänzung: beglückwünschen, beeindrucken, treffen, unterstützen; anrufen, bauen, bewundern, holen, interessieren, lieben, mögen, schlagen, sehen, suchen, trösten, verstecken, zeichnen … Verben mit Dativergänzung: gratulieren, imponieren, begegnen, helfen; absagen, danken, fehlen, folgen, gehören, gleichen, passen, schaden, schmeicheln, schwerfallen, trauen, widersprechen, winken, zuhören … Verben mit Genitivergänzung: sich annehmen, bedürfen, sich entsinnen, sich erfreuen, sich vergewissern … Verben mit Akkusativ- und Dativergänzung: abnehmen, antun, beibringen, berichten, bescheinigen, beweisen, bieten, ermöglichen, erzählen, geben, heimzahlen, leihen, raten, schenken, überlassen … Verben mit Akkusativ- und Genitivergänzung: anklagen, berauben, entbinden, überführen … Tab. 12.6  18134_Granzow_Emden_SL13 indd 259 19 09 2019 16: 27: 49 260 K a sus , N umerus uNd G e Nus Verben können aber nicht nur Kasus regieren, sondern auch Präpositionen, die wiederum einen Kasus auslösen (hier: jemand wehrt sich gegen jemanden/ gegen etwas): sich wehren + gegen + Akkusativ: Er wehrte sich gegen die Angriffe Dass dabei ein Verb nicht nur eine Präposition, sondern auch deren Kasusforderung mitbestimmen kann, zeigt der folgende Vergleich: denken + an + Akkusativ: Sie dachte an ihren Großvater hängen + an + Dativ: Sie hing an ihrem Großvater Die Präposition an ermöglicht als Wechselpräposition eine Verbindung mit- Akkusativ oder mit Dativ Welcher Kasus folgen muss, bestimmt aber das- Verb . Die Schulgrammatik bezeichnet solche Ergänzungen als Präpositionalobjekte - unabhängig vom Kasus, der dabei erscheint Die anderen in einem Verb- angelegten Nominalgruppen in einem bestimmten Kasus werden traditionell- als Akkusativ-, Dativ oder Genitivobjekt bezeichnet ( → Abschnitt-14 2 2) Rektion von Adjektiven Kopulaverben können mit einem Adjektiv erscheinen, das seinerseits eine Ergänzung fordert, die in einem bestimmten Kasus steht: mächtig + Genitiv: Sie war des Ungarischen mächtig nützlich + Dativ: Der Hinweis war ihm nützlich gewöhnt + Akkusativ: Sie ist das frühe Aufstehen gewöhnt Auch andere Ergänzungen sind hier möglich wie z B zwei Nominalgruppen in bestimmten Kasus oder eine Präpositionalgruppe: schuldig + Dativ + Akkusativ: Er blieb ihr die Antwort schuldig interessiert + an + Dativ: Sie ist an einer Lösung interessiert stolz + auf + Akkusativ: Er ist stolz auf seine bestandene Prüfung Rektion der Nominalgruppe Eine Nominalgruppe kann eine weitere Nominalgruppe im Genitiv an sich binden . Wir haben solche Konstruktionen in Abschnitt 11 2 als Genitivattribute kennengelernt: Sie hat sich die Telefonnummer des Bruders ihrer Nachbarin notiert Die meisten Genitive im Deutschen sind Genitivattribute; Genitive als Verbforderung (sog Genitivobjekte) sind hingegen selten ( → Abschnitt 14 2 .2) Eine Nominalgruppe kann prinzipiell eine andere im Genitiv nach sich zie- Präpositionalobjekte 12.5.4 12.5.5 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 260 19 09 2019 16: 27: 49 Einheit 12 261 e In a nD erer z u G a nG zum k a SuS hen Insofern kann auch eine Präpositionalgruppe, die aus einer Präposition und einer Nominalgruppe besteht, ein Genitivattribut bei sich haben: Sie wartet auf die Ziehung der Lottozahlen Einheiten, die den Kasus weiterleiten: als und wie Es gibt zwei Wörter, die sich wie eine Präposition mit einer Nominalgruppe verbinden können, aber im Unterschied zu den Präpositionen keine eigene Kasusforderung haben, sondern den Kasus einer Bezugseinheit weiterleiten: als und wie Mit ihnen finden Zuordnungen und Vergleiche statt Wegen ihrer Verbindungsfunktion zu anderen Nominalgruppen werden als und wie auch als Adjunktoren bezeichnet . Ein solcher Terminus ist allemal sinnvoller, als die beiden Einheiten den Konjunktionen zuzuschlagen, mit denen sie als verbindende Einheiten allenfalls den funktionalen Gesichtspunkt des Verbindens teilen Im Grammatikunterricht kann man bei einer so kleinen Wortklasse durchaus auf einen eigenen Terminus verzichten . Viel wichtiger ist, ihre Gemeinsamkeit mit den Präpositionen zu kennen, aber auch zu wissen, warum sie nicht zu den Präpositionen gezählt werden Die Wortgruppen mit als und wie können ein Bezugsnominal haben, dessen Kasus sie aufgreifen und an „ihre“ Nominalgruppe weiterleiten: Nominativ Ein Student wie er konnte sich das leisten Akkusativ Einen Studenten wie ihn hatte sie noch nie zuvor getroffen Dativ Das käme einem Studenten wie ihm nicht in den Sinn Nominativ Als reicher Student hatte er viele Freunde Akkusativ Sie hatte ihn als einen freundlichen Menschen kennengelernt Dativ Kevin hatte mit ihm als seinem schärfsten Konkurrenten so seine Probleme Auch in Vergleichen wird der Kasus auf diese Weise weitergegeben: Nominativ Er war älter als sein Bruder, aber genauso alt wie sein Cousin Dativ Das Studieren fiel ihm leichter als seinem Bruder - fast so leicht wie seinem Cousin . 12.5.6 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 261 19 09 2019 16: 27: 49 262 K a sus , N umerus uNd G e Nus Freie Kasus Freie Kasus sind vergleichsweise selten, sollen aber nicht unerwähnt bleiben Hier gibt es keine andere Einheit, die den Kasus fordert oder ermöglicht Freie Kasus erscheinen insbesondere im Akkusativ und Genitiv; als schulgrammatische Satzglieder werden sie den Adverbialien zugerechnet: freier Akkusativ: Den ganzen Tag regnete es freier Genitiv: Eines Tages rief sie ihn an Ob es freie Dativformen gibt, ist in der Forschung umstritten Manche Theorien bezeichnen sie als Objekte, andere als Adverbialien Die folgenden Unterscheidungen sind semantische, was eine Nähe zu den Adverbialien nahelegt ( → Abschnitt 14 2 3): Der Dativus commodi bzw incommodi bezeichnet üblicherweise Personen, zu deren Gunsten oder Ungunsten etwas geschieht: Sie brachte ihrem Freund ein Paket zur Post Sie wäscht ihrem Kind die Haare Er hat ihr das Auto zu Schrott gefahren Der Pertinenzdativ bezeichnet meist eine Person, wenn einer ihrer Körperteile im selben Satz thematisiert wird: Der Präsident schüttelte der Ministerin die Hand Sie trat ihm ins Schienbein Als Dativus judicantis bezeichnet man den Dativ des Urteilenden: Die Erklärung erschien ihr zu schwierig Die Musik war ihm zu laut Der Dativus ethicus erscheint häufig im Mündlichen als Ermahnung oder Aufforderung und bezeichnet eine Person, die ein emotionales Interesse an dem im Satz Dargestellten hat: Komm mir ja nicht zu spät! Dass Du mir keinen Schnupfen kriegst! Du bist mir so einer! Dass es solche freien Kasus gibt, ist aber kein Widerspruch zu der Beobachtung, dass Kasus normalerweise eine Einheit brauchen, die sie auslösen Der Kasus und seine Vermittlung in der Grundschule Bereits Kinder können sich dem formalen Charakter der Kasus annähern, indem sie ihn spielerisch als einen Code in der Sprache erkennen Die Methode ist auch in Klassen mit unterschiedlichen Herkunftssprachen der Kinder anwendbar Wer eine deutsche Varietät als Muttersprache erworben hat, kann dabei sehen, wie differenziert er „richtige Formen“ kennt, ohne zu 12.5.7 12.5.8 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 262 19 09 2019 16: 27: 49 Einheit 12 263 e In a nD erer z u G a nG zum k a SuS wissen, warum diese Formen die richtigen sind Diese Erkenntnis kann zu einer respektvollen Haltung gegenüber Kindern mit anderen Muttersprachen führen, die sich solche Formen mitunter sehr viel mühevoller aneignen müssenDas Verfahren wendet auf systematische und kontrollierte Art und Weise das operationale Verfahren der Ersatzprobe an - eine Kopiervorlage findet sich im Anschluss Zunächst wird mit sechs unterschiedlichen zweistelligen Verben ausprobiert, welche Einheiten in ein gegebenes Satzmuster eingefügt werden können . Dies geschieht so, dass jeder Satzrahmen mit einer Zahl von 1 bis 6 versehen ist und die Kinder die Begleiter von Wolf und Großmutter ergänzen und anschließend überprüfen, in welchem Satzrahmen welche Form verwendet wurde . Dadurch entsteht für jede der Formen ein bestimmter Code (134 entspricht hier dem Akkusativ, 256 dem Dativ) Die Zahlenfolge ist natürlich völlig willkürlich Sie soll zeigen, dass an den Stellen, wo z B dem Wolf eingefügt wurde, auch der Großmutter stehen kann Insofern gibt es neben der inhaltlichen Gemeinsamkeit von den/ dem Wolf und die/ der Großmutter auch eine strukturelle Gemeinsamkeit zwischen den Wolf/ die Großmutter und dem Wolf/ der Großmutter Aufgabe 3 erweitert diese Einsicht auf das Personalpronomen ich In einem weiteren Schritt wird in Aufgabe 4 der Versuch auf Präpositionen angewandt Auch hier zeigt sich, dass in einen bestimmten, von einer Präposition vorgegebenen Rahmen nur Einheiten aus den Sätzen 1, 3 und 4, in einen anderen Rahmen nur die der Sätze 2, 5 und 6 eingefügt werden können In diesem Sinne lernen die Kinder den Kasus als eine Art Code in der Sprache kennen Und das ist er auch - nicht mehr und nicht weniger Dieses Wissen lässt sich sukzessive ausbauen und erweitern - z B am gegebenen Material um eine systematische Untersuchung von Nominalgruppen im Neutrum oder im Plural oder der anderen Personalpronomen Dass bei den hier vorgestellten Aufgaben zunächst auf den Genitiv verzichtet wurde, liegt nicht nur daran, dass Verben mit Genitivforderung im Deutschen seltener und weniger gebräuchlich sind Es ist eine didaktisch begründete Komplexitätsreduktion, um das Wesen des Kasus verstehbar zu machen Gerade der Genitiv braucht aber eine intensive Auseinandersetzung, weil seine Formen in vielen Dialekten nicht gebräuchlich sind und insofern gelernt werden müssen 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 263 19 09 2019 16: 27: 49 264 K a sus , N umerus uNd G e Nus Unterrichtsmaterial Aufgabe 1 a) Fülle in der letzten Spalte alle Zeilen aus: 1 Rotkäppchen traf den Wolf ihn ____ Großmutter ____ 2 Rotkäppchen begegnete _______________ ______ _______________ ______ 3 Rotkäppchen besuchte _______________ ______ _______________ ______ 4 Rotkäppchen beschenkte _______________ ______ _______________ ______ 5 Rotkäppchen half _______________ ______ _______________ ______ 6 Rotkäppchen vertraute _______________ ______ _______________ ______ b) Sicherlich weißt du noch, was in dem Märchen alles passiert Überlege dir, ob die Sätze in dieser Tabelle stimmen Wenn nicht, kannst du die entsprechende Zeile in der letzten Spalte einklammern c) Überlege dir, woher du weißt, welche Form jeweils einzutragen ist (Achtung: Ist die Antwort wirklich so einfach? ) 12.5.9 Tab. 12.7 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 264 19 09 2019 16: 27: 49 Einheit 12 265 e In a nD erer z u G a nG zum k a SuS Aufgabe 2 Untersuche die Formen, die du in den Sätzen 1 bis 6 verwendet hast Fülle dazu die Lücken der folgenden Kästchen aus Vergleiche anschließend die entstandenen Zahlenfolgen den Wolf ihn 1 3 4 die Großmutter sie __ __ __ ____ Wolf ____ __ __ __ ___________ ____ __ __ __ Aufgabe 3 Stell dir vor, du würdest in dem Märchen mitspielen Untersuche, welche Formen in welchen Sätzen vorkommen können und vergleiche die Zahlenfolgen 1 Rotkäppchen traf _____ 2 Rotkäppchen begegnete _____ 3 Rotkäppchen besuchte _____ 4 Rotkäppchen beschenkte _____ 5 Rotkäppchen half _____ 6 Rotkäppchen vertraute _____ mich __ __ __ mir __ __ __ 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 265 19 09 2019 16: 27: 49 266 K a sus , N umerus uNd G e Nus Aufgabe 4 a) Probiere nun wie in Aufgabe 1 und 3 in den folgenden vier Sätzen, welche Kästchen aus Aufgabe 2 und 3 du jeweils einsetzen kannst Was stellst du fest? b) Welche Wörter bewirken hier die unterschiedlichen Formen? Kreise sie ein Rotkäppchen bringt Geschenke für ____ _________ ____ __ __ __ _____________ ____ __ __ __ _______ __ __ __ Rotkäppchen bringt Geschenke zu ____ _________ ____ __ __ __ ____ _________ ____ __ __ __ _______ __ __ __ Rotkäppchen tanzte um Code: __ __ __ Rotkäppchen tanzte mit Code: __ __ __ 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 266 19 09 2019 16: 27: 49 Einheit 12 267 ü bunG en Übungen 1 Diskutieren Sie den folgenden Merkkasten unter didaktischer Perspektive: Jedes Substantiv (Nomen) hat ein Geschlecht (Genus), das man am bestimmten Artikel eindeutig erkennen kann. Man unterscheidet: ► � männlich (maskulin): der Junge; ein Junge, ► � weiblich (feminin): die Frage; eine Frage, ► � sächlich (neutral): das Kleid; ein Kleid. Substantive kommen im Singular (Einzahl) und im Plural (Mehrzahl) vor. Einzahl und Mehrzahl nennt man auch die „Formen des Numerus“. 2 Bilden Sie den Plural der folgenden Anglizismen und vergleichen Sie die Pluralform im Englischen mit der, die im Deutschen verwendet wird. 1. Smoothie, Bodyguard, Snack, Notebook, Model, Update, Download, Shop, Nerd, Highlight, Chip, Fan, E-Mail 2. Burger, Center, Biker, Laser, Outsider, Reporter, Manager, Scanner, Computer, Sprayer, Surfer, Teenager, Toaster, Trailer 3 Die Methode des Fragens führt nicht, wie vielfach behauptet wird, zu den Kasus, sondern zu mehr oder weniger komplexen Satzgliedern. Fragen Sie z. B. im folgenden Satz nach dem Dativobjekt: „Wem folgte das Gericht? “ Welche Beobachtungen machen Sie? Das Gericht folgte der Argumentation eines Sachverständigen, der den Sachverhalt anders als die Staatsanwaltschaft beschrieb. 4 Wie kommen die Formen der unterstrichenen Einheiten zustande? 1. Das ist der Autor, der dieses Jahr den Literaturnobelpreis gewonnen hat. 2. Die Welt beglückwünscht den Autor für diese Auszeichnung. 3. Nach dem Autor hielt auch der Vorsitzende des Komitees eine lange Rede. 4. Das berühmteste Werk des Autors wurde in mehr als dreißig Sprachen übersetzt. 5 Seit seiner Kündigung hatte er Geldprobleme. a) Ermitteln Sie den Kasus der Nominalgruppe seiner Kündigung. b) Vergleichen Sie den Satz in a) mit dem folgenden in semantischer und syntaktischer Perspektive. Berücksichtigen Sie in Ihrer Darstellung auch das Komma im zweiten Satz. Seit ihm gekündigt wurde, hatte er Geldprobleme. 6 Beschreiben Sie die unterschiedliche Bedeutung der folgenden Sätze. Wie kommt sie zustande? 1. Der kleine Nils hatte Kevin als Experte in grammatischen Fragen etwas voraus. 2. Der kleine Nils hatte Kevin als Experten in grammatischen Fragen etwas voraus. 12.6  Lösungshinweise unter www.bachelorwissen.de und www.granzowemden.de Beispiel (aus: Deutsch plus 5, Cornelsen/ Volk und Wissen 2004, S . 67) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 267 19 09 2019 16: 27: 49 268 K a sus , N umerus uNd G e Nus 7 Bestimmen Sie den Kasus der unterstrichenen Wörter: 1. Sie wollte weder mit noch ohne Bello in den Urlaub. 2. Sie fühlte sich mit und ohne Auto mobil. 3. Fährt er mit oder ohne uns ans Meer? 4. Fährt er mit oder ohne euch ans Meer? Verwendete und weiterführende Literatur Granzow-Emden, Matthias (2006): Wer oder was erschlägt man besser nicht mit einer Klappe? Kasus und Satzglieder im Deutschunterricht. In: Becker, Tabea; Peschel, Corinna (Hrsg.): Gesteuerter und ungesteuerter Grammatikerwerb. Baltmannsweiler: Schneider, 87-104. Sayatz, Ulrike (2009): Von Denkmälern und Denkmalen, Balkons und Balkonen, Anfängen dieses Jahres und diesen Jahres: Die Vermittlung von System, Norm und Variation in der Schule am Beispiel der Nominalflexion. In: Siehr, Karl- Heinz; Berner, Elisabeth (Hrsg.): Sprachwandel und Entwicklungstendenzen als Themen im Deutschunterricht: fachliche Grundlagen - Unterrichtsanregungen - Unterrichtsmaterialien. Potsdam: Universitätsverlag, 65-82. VALBU/ E-VALBU : Elektronisches Valenzwörterbuch deutscher Verben, https: / / grammis.ids-mannheim.de/ verbvalenz - Zugriff am 13.04.2019 12.7 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 268 19 09 2019 16: 27: 50 269 Inhalt 13 1 Zur Arbeit mit Deklinationstabellen 270 13 2 Zur Ordnung der Kasus und Genera in der Tabelle 278 13 3 Die Deklination der Personalpronomen 279 13 4 Besondere Deklinationsformen der Nomen 282 13 5 Hinweise für den Unterricht 284 13 6 Übungen 285 13 7 Verwendete und weiterführende Literatur 286 Wenn die Nominalgruppe aus Begleiter, attributivem Adjektiv und Nomen besteht, stimmen ihre Formen zwar grammatisch in Numerus und Kasus überein, sodass viele Grammatiken von einer Kongruenz sprechen. Für diese Übereinstimmungen gibt es aber nur wenige formbezogene Anhaltspunkte, weshalb die Deklination der Nominalgruppe auf den ersten Blick recht undurchschaubar erscheint. Das heißt aber nicht, dass sie deshalb systemlos wäre - sonst könnte man als kompetenter Sprachnutzer nicht mit so großer Sicherheit angemessene von unangemessenen Formen unterscheiden. Eine solche Sicherheit können Lerner mit anderer Muttersprache jedoch nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit erlangen, und Dialektsprecher haben hierbei ebenfalls Probleme. Trotz der Mehrsprachigkeit in den meisten Klassenzimmern wird im Deutschunterricht dieser wichtige und gleichzeitig auch komplexeste Bereich des Deutschen weitgehend ausgespart. In den Lehrwerken wird er nur selten thematisiert, sodass Lehrkräfte hier keine Unterstützung für die systematische Auseinandersetzung bekommen. Im DaF-Bereich ist die Deklination der Nominalgruppe zwar ein selbstverständlicher Unterrichtsgegenstand, jedoch scheinen die zahlreichen Tabellen, die DaF-Lehrwerke und Grammatiken anbieten, wegen der Unüberschaubarkeit der möglichen Formen kaum erlernbar zu sein. In dieser Einheit soll gezeigt werden, dass es in der Nominalgruppe ein wesentliches Prinzip für die Deklinationsformen gibt mit offensichtlichen Parallelen zum sog. Perso- Die Deklination der Nominalgruppe Überblick Einheit 13 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 269 19 09 2019 16: 27: 50 270 D ie D e klin ation D er n omin algrup p e nalpronomen in der dritten Person. Zwar hat die Arbeit mit Tabellen keinen besonders guten Ruf und kommt im Deutschunterricht nur selten vor, weil viele Lehrkräfte sie als Ausweis für einen formalistischen Grammatikunterricht betrachten. Tabellen bieten aber bei reflektierter Verwendung und didaktisch sinnvollem Einsatz eine Möglichkeit zur Vergegenständlichung der Sprache, auf die man keinesfalls verzichten sollte. Wo sich die hier gewählten Darstellungsweisen von den schulgrammatischen Darstellungen unterscheiden, finden Sie entsprechende Hinweise und Begründungen. Zur Arbeit mit Deklinationstabellen Die Tabelle 13 7 am Ende dieses Abschnitts enthält alle in diesem Abschnitt thematisierten Formen im Überblick Ihr Gebrauch in der Schule setzt jedoch die Arbeit mit einer weniger komplexen Tabelle voraus, die für die einführende Auseinandersetzung mit der Deklination im Unterricht gedacht ist Deklinationstabellen haben für die Darstellung der Wortgruppen mit Nomen vier Spalten: drei für die unterschiedlichen Genera und eine für den Plural - die Pluralformen für alle drei Genera entsprechen sich nämlich Weiterhin haben die Tabellen vier Zeilen für die vier Kasus im Deutschen Zur Orientierung für die Nutzer kommt eine weitere Zeile ganz oben hinzu, die die drei Generaspalten und die Pluralspalte kennzeichnet; ganz links erscheint eine Spalte zur Kennzeichnung der Kasus Zur optischen Unterscheidung von Singular und Plural können in der oberen Orientierungszeile Bildchen erscheinen - hier sind es die in den Tabellen beispielhaft gewählten Tiere Die linke Orientierungsspalte enthält nicht nur die Bezeichnungen für die vier Kasus, sondern auch exemplarische Sätze mit einer Leerstelle, in der eine Nominalgruppe in einem bestimmten Kasus erscheinen muss, der von einer anderen Form in diesem Satz regiert wird So kann man die Deklinationsformen am sprachlichen Phänomen selbst und gleichzeitig systematisch und gesteuert durch die vorgegebene Ordnung der Tabelle kennenlernen Für den Nominativ ist dies ein Satz mit fehlendem Subjekt: Wer wartet denn da? Oh, … wartet auf mich Für die anderen Kasus erscheint in Tabelle 13 1 ein Satz mit fehlender Verbergänzung, die traditionell als Akkusativ-, Dativ- oder Genitivobjekt bezeichnet wird: Ich füttere … Ich helfe … Ich erfreue mich … 13.1 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 270 19 09 2019 16: 27: 50 Einheit 13 271 z ur a rbe It mIt D e klIn atIonSta bellen Maskulinum Sg. Neutrum Sg. Femininum Sg. Mask./ Neut./ Fem. Pl. Wer wartet denn da? Oh, … Nominativ … wartet auf mich. … wartet auf mich. … wartet auf mich. … warten auf mich. Ich füttere … Akkusativ Ich helfe … Dativ Ich erfreue mich … Genitiv Maskulinum Sg. Neutrum Sg. Femininum Sg. Mask./ Neut./ Fem. Pl. Wer wartet denn da? Oh, … Nominativ … wartet auf mich. … wartet auf mich. … wartet auf mich. … warten auf mich. Ich gehe ohne … spazieren. Akkusativ Ich gehe mit … spazieren. Dativ Anstelle … hätte ich lieber eine Maus. Der Hunger … ist riesig. Genitiv Tab. 13.1 Tab. 13.2 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 271 19 09 2019 16: 27: 50 272 D ie D e klin ation D er n omin algrup p e In Tabelle 13 2 wird für jeden obliquen Kasus ein Satz mit einer Präposition angeführt, die eine eindeutige Kasusforderung besitzt Diese Nominalgruppen gehören zur Präposition und gelten auch in der Schulgrammatik niemals als Objekte: Ich gehe ohne … spazieren Ich gehe mit … spazieren Anstelle … hätte ich lieber eine Maus Für den Genitiv erscheint zusätzlich ein Satz mit einem Genitivattribut als Leerstelle: Der Hunger … ist riesig Mit den beiden Versionen kann der formale Charakter der Kasus deutlich werden, wie er in Abschnitt 12 5 entwickelt wurde: Obwohl Verben und Präpositionen grammatisch ganz unterschiedliche Einheiten sind, regieren sie in Nominalgruppen bestimmte Formen, die sich gleichen können und dann mit einem formalen Terminus (Akkusativ etc .) bedacht werden Ein angemessener Zugang zum System erfordert, dass die Schülerinnen und Schüler die Tabelle selbst ausfüllen Dabei können sie sich gegenseitig unterstützen Diese Arbeit kann nicht nur systematische Einsichten, sondern auch das Verständnis füreinander fördern - dass es nicht selbstverständlich ist, so viele verschiedene Formen immer fehlerfrei zu verwenden, besonders dann, wenn man diese Sprache nicht von klein auf gelernt hat Maskulinum Sg. Neutrum Sg. Femininum Sg. Mask./ Neut./ Fem. Pl. Wer wartet denn da? Oh, … Nominativ der Hund dieser Hund … wartet auf mich. das Schaf dieses Schaf … wartet auf mich. die Katze diese Katze … wartet auf mich. die Tiere diese Tiere … warten auf mich. Ich füttere … Ich gehe ohne … spazieren. Akkusativ den Hund diesen Hund das Schaf dieses Schaf die Katze diese Katze die Tiere diese Tiere Ich helfe … Ich gehe mit … spazieren. Dativ dem Hund diesem Hund dem Schaf diesem Schaf der Katze dieser Katze den Tieren diesen Tieren Ich erfreue mich … Anstelle … hätte ich lieber eine Maus. Der Hunger … ist riesig. Genitiv des Hundes dieses Hundes des Schafs dieses Schafs der Katze dieser Katze der Tiere dieser Tiere Tab. 13.3 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 272 19 09 2019 16: 27: 51 Einheit 13 273 z ur a rbe It mIt D e klIn atIonSta bellen Es ist sinnvoll, die Tabelle den Kindern und Jugendlichen mehrfach zur Verfügung zu stellen und mit unterschiedlichen Begleitern ausfüllen zu lassen - zunächst mit den Begleitern der und dieser wie in Tabelle 13 3, die meistens dieselben Endungen tragen (d|er/ dies|er; d|en/ dies|en etc ; Varianten gibt es bei den Formen d|as - dies|es und d|ie - dies|e) . Die hier fett markierten Endungen werden als stark bezeichnet Maskulinum Sg. Neutrum Sg. Femininum Sg. Mask./ Neut./ Fem. Pl. Wer wartet denn da? Oh, … Nominativ ein Hund mein Hund … wartet auf mich. ein Schaf mein Schaf … wartet auf mich. eine Katze meine Katze … wartet auf mich. Tiere meine Tiere … warten auf mich. Ich füttere … Ich gehe ohne … spazieren. Akkusativ einen Hund meinen Hund ein Schaf mein Schaf eine Katze meine Katze Tiere meine Tiere Ich helfe … Ich gehe mit … spazieren. Dativ einem Hund meinem Hund einem Schaf meinem Schaf einer Katze meiner Katze Tieren meinen Tieren Ich erfreue mich … Anstelle … hätte ich lieber eine Maus. Der Hunger … ist riesig. Genitiv eines Hundes meines Hundes eines Schafs meines Schafs einer Katze meiner Katze (-) meiner Tiere Als nächstes trägt man Nominalgruppen mit den Begleitern ein| und mein| in die Tabelle ein (vgl Tab 13 4) Im Plural wird der Begleiter ein durch Begleiterlosigkeit ersetzt; im Genitiv Plural fehlt eine entsprechende Form . Im Singular haben alle diese Begleiter dieselben Endungen, z B im Dativ Femininum: ein|er Katze; mein|er Katze Auch der Begleiter unser| und die anderen Possessiva (dein|, sein|, ihr|, Ihr|, euer|) erhalten genau die gleichen Endungen (Ich helfe unser|er Katze usw .) An fast allen Stellen tragen diese Begleiter starke Endungen Beim Ausprobieren werden Sie aber feststellen, dass an genau drei Stellen der Tabelle keine Endungen vorkommen: im Nominativ Maskulinum, im Nominativ Neutrum und im Akkusativ Neutrum- - diese Stellen werden uns gleich bei den attributiven Adjektiven nochmals beschäftigen … ein| Hund wartet auf mich … ein| Schaf wartet auf mich Ich füttere ein| Schaf . starke Deklination Tab. 13.4 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 273 19 09 2019 16: 27: 51 274 D ie D e klin ation D er n omin algrup p e Maskulinum Sg. Neutrum Sg. Femininum Sg. Mask./ Neut./ Fem. Pl. Wer wartet denn da? Oh, … Nominativ der dicke Hund … wartet auf mich. das schwarze Schaf … wartet auf mich. die kleine Katze … wartet auf mich. die lieben Tiere … warten auf mich. Ich füttere … Ich gehe ohne … spazieren. Akkusativ den dicken Hund das schwarze Schaf die kleine Katze die lieben Tiere Ich helfe … Ich gehe mit … spazieren. Dativ dem dicken Hund dem schwarzen Schaf der kleinen Katze den lieben Tieren Ich erfreue mich … Anstelle … hätte ich lieber eine Maus. Der Hunger … ist riesig. Genitiv des dicken Hundes des schwarzen Schafs der kleinen Katze der lieben Tiere Wird die Nominalgruppe mit den Begleitern der oder dieser um ein attributives Adjektiv erweitert, so tragen diese die sogenannten schwachen Endungen-|e bzw |en (Tab 13 .5) . Sie verteilen sich in unserer Tabelle auf eine Weise, die sich gut einprägen lässt: Man kann die |en-Endungen so einkreisen, dass sich daraus eine Ente ergibt (Tab 13 .6) Die beiden Morpheme en + e lassen sich auch als (kleingeschriebene) ente lesen Attributive Adjektive können aber auch starke Endungen tragen Sie werden genau dann stark dekliniert, wenn kein anderes Mitglied der Nominalgruppe die starke Endung trägt Das ist üblicherweise dann der Fall, wenn der Begleiter fehlt: Mit fett|em Speck fängt man Mäuse Alle mögen frisch|es Brot Im Genitiv Maskulinum und Genitiv Neutrum wird das sog Genitiv-s am Nomen als starke Deklinationsendung betrachtet, weshalb das attributive Adjektiv auch bei Begleiterlosigkeit schwach dekliniert: Trotz schlecht|en Wetters fand das Spiel statt . Wer wartet Ich Ich spazieren. Ich Ich spazieren. Ich erfreue Anstelle … lieber eine Maus. Der Hunger … Tab. 13.5 Deklination der attributiven Adjektive 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 274 19 09 2019 16: 27: 52 Einheit 13 275 z ur a rbe It mIt D e klIn atIonSta bellen Die Begleiter vom Typ ein|, kein| und mein| haben an den oben erwähnten drei Stellen keine Endungen (im Nominativ Maskulinum, im Nominativ Neutrum und im Akkusativ Neutrum … vgl Tabelle 13 4) Auch dort übernehmen die Adjektive die starke Endung … ein dick|er Hund wartet auf mich … ein schwarz|es Schaf wartet auf mich Ich füttere ein| schwarz|es Schaf Die Tabelle auf der folgenden Doppelseite enthält die wesentlichen Strukturen der in diesem Abschnitt dargestellten Nominalgruppendeklination Ihre Komplexität erfordert vorab einige Hinweise zu ihrer Anordnung und zu den verwendeten Symbolen: Maskulinum Sg. Neutrum Sg. Femininum Sg. Mask./ Neut./ Fem. Pl. Wer wartet denn da? Oh, … Nominativ der dick|e Hund … wartet auf mich. das schwarz|e Schaf … wartet auf mich. die klein|e Katze … wartet auf mich. die lieb|en Tiere … warten auf mich. Ich füttere … Ich gehe ohne … spazieren. Akkusativ den dick|en Hund das schwarz|e Schaf die klein|e Katze die lieb|en Tiere Ich helfe … Ich gehe mit … spazieren. Dativ dem dick|en Hund dem schwarz|en Schaf der klein|en Katze den lieb|en Tieren Ich erfreue mich … Anstelle … hätte ich lieber eine Maus. Der Hunger … ist riesig. Genitiv des dick|en Hundes des schwarz|en Schafs der klein|en Katze der lieb|en Tiere Tab. 13.6 Abb. 13.1 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 275 19 09 2019 16: 27: 53 276 D I e D e klIn atIon D er n omIn alGrup p e Tab. 13.7 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 276 19 09 2019 16: 27: 57 Einheit 13 277 z ur a rbe It mIt D e klIn atIonSta bellen 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 277 19 09 2019 16: 28: 00 278 D ie D e klin ation D er n omin algrup p e Zur Ordnung der Kasus und Genera in der Tabelle Vielleicht haben Sie sich gefragt, weshalb die Kasus in der Tabelle nicht so angeordnet sind, wie Sie das in der Schule vielleicht gelernt haben, wenn der Nominativ als erster Fall, der Genitiv als zweiter, der Dativ als dritter und schließlich der Akkusativ als vierter Fall bezeichnet und die Genera in der Reihenfolge der - die - das genannt wurden Der erste Grund für eine andere Reihenfolge ist die Übersichtlichkeit der Formen, die sich dabei ergibt In der hier favorisierten Darstellung, die in DaFbzw DaZ-Lehrwerken und auch im neuen Grammatikduden (wenigstens an einigen Stellen) verwendet wird, entstehen im Unterschied zur traditionellen Darstellung zahlreiche Felder, die durch Formengleichheit zusammenhängen und die man sich dadurch besser einprägen kann: traditionelle Darstellung: neue Darstellung: Mask. Fem. Neutr. Plural Mask. Neutr. Fem. Plural Nom. der die das die Nom. der das die die Gen. des der des der Akk. den das die die Dat. dem der dem den Dat. dem dem der den Akk. den die das die Gen. des des der der Der zweite Grund für diese Reihenfolge ist das Sprachsystem selbst: Der Akkusativ ist der zweithäufigste Kasus nach dem Nominativ und er steht in Konkurrenz zum Dativ - v a bei vielen Verben, die entweder eine Ergänzung im einen oder im anderen Kasus oder aber in beiden Kasus haben wollen Auch die Wechselpräpositionen werden mit Akkusativ oder mit Dativ gebildet Der Genitiv hingegen hebt sich von den anderen beiden obliquen Kasus ab: Als Verbforderung erscheint er kaum mehr; ist aber der Attributskasus ( → Abschnitt 11 2) Drittens erscheint die neue Darstellung vor dem Hintergrund des natürlichen Spracherwerbs plausibel . Kinder erwerben zuerst den Nominativ, dann den Akkusativ, dritter Kasus ist der Dativ Den Genitiv als vierten Kasus erwerben (wie schon vielfach erwähnt) nicht alle Kinder auf natürliche Weise Eine entsprechende Reihenfolge lässt sich ebenso im ungesteuerten Zweitspracher- 13.2 Tab. 13.8 Tab. 13.9 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 278 19 09 2019 16: 28: 00 Einheit 13 279 D Ie D e klIn atIon D er p er Son alpronomen werb beobachten Das heißt nun keinesfalls, dass der Genitiv weniger wichtig wäre Gerade dieser Kasus muss gelernt werden - nicht, um ihn aus sprachpflegerischen Gründen zu retten, sondern um ihn auch Dialektsprechern und Kindern mit anderer Erstsprache verfügbar zu machen An vierter und letzter Position ist der Genitiv auf eine angemessene Weise exponiert Die Deklination der Personalpronomen Die folgende Tabelle lässt sich genauso nutzen wie die Tabellen aus den obigen Vorlagen Es spricht sogar einiges dafür, das Prinzip der Nominaldeklination an den Personalpronomen einzuführen, weil das Zusammenspiel aus Begleitern, attributiven Adjektiven und Nomen vergleichsweise komplex ist Bei den Personalpronomen steckt die ganze Deklination in einem Wort, das seine Bedeutung (z B Sprecher- oder Hörerverweis) beibehält, während es sich in seiner Form verändert Die Bilder in der Kopfzeile illustrieren die Funktion der unterschiedlichen Personalpronomen Insbesondere die formellen, höflich-distanzierten Formen der zweiten Person sollten die Kinder und Jugendlichen kennenlernen, weil sie die meisten Menschen in ihrem sozialen Umfeld üblicherweise duzen . Im Genitiv erscheinen die Personalpronomen sehr selten Interessant ist, dass aus den Formen im Genitiv (wie meiner, deiner, Ihrer etc ), die funktional Zugehörigkeit ausdrücken können, die Possessiva abgeleitet werden, die als Pronomen und Begleiter Entsprechendes leisten können Funktional interessant erscheint an den Formen der dritten Person, dass sie lautlich weitgehend mit dem Begleiter der übereinstimmen (s Übersicht in Tabelle 13 7) . Allerdings fehlt der verweisende Anteil d| ( → Abschnitt-10 5) Dies entspricht ihrer Funktion: Sie verweisen nur schwach auf bereits eingeführte Gegenstände und führen dabei ein bereits eingeführtes Thema fort Insofern ist die Deixis der Einheiten er, ihn oder sie schwächer als die der Einheiten der, den oder die . 13.3 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 279 19 09 2019 16: 28: 00 280 D ie D e klin ation D er n omin algrup p e erste Person Sg.: Sprecher zweite Person Sg.: Hörer „dritte Person“ Sg.: Besprochenes (Personen, Dinge …) vertraut/ familiär höflich/ distanziert Maskulinum Neutrum Femininum Nominativ Das bin … Das bist … Das sind … Das ist … Das ist … Das ist … Sie unterstützt … Sie geht ohne … spazieren. Akkusativ Sie hilft … Sie geht mit … spazieren. Dativ erste Person Sg.: Sprecher zweite Person Sg.: Hörer „dritte Person“ Sg.: Besprochenes (Personen, Dinge …) vertraut/ familiär höflich/ distanziert Maskulinum Neutrum Femininum Nominativ Das bin … ich Das bist … du Das sind … Sie Das ist … er Das ist … es Das ist … sie Sie unterstützt … Sie geht ohne … spazieren. Akkusativ mich dich Sie ihn es sie Sie hilft … Sie geht mit … spazieren. Dativ mir dir Ihnen ihm ihm ihr Sie Sie Sie Sie Sie Sie Tab. 13.10 Tab. 13.11 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 280 19 09 2019 16: 28: 01 Einheit 13 281 D Ie D e klIn atIon D er p er Son alpronomen vertraut/ familiär höflich/ distanziert Maskulinum Neutrum Femininum ist … vertraut/ familiär höflich/ distanziert Maskulinum Neutrum Femininum ist … sie sie ihr erste Person Pl.: Sprechergruppe zweite Person Pl.: Hörergruppe „dritte Person“ Pl.: Besprochenes (Personen, Dinge …) vertraut/ familiär höflich/ distanziert Nominativ Das sind … Das seid … Das sind … Das sind … Sie unterstützt … Sie geht ohne … spazieren. Akkusativ Sie hilft … Sie geht mit … spazieren. Dativ erste Person Pl.: Sprechergruppe zweite Person Pl.: Hörergruppe „dritte Person“ Pl.: Besprochenes (Personen, Dinge …) vertraut/ familiär höflich/ distanziert Nominativ Das sind … wir Das seid … ihr Das sind … Sie Das sind … sie Sie unterstützt … Sie geht ohne … spazieren. Akkusativ uns euch Sie sie Sie hilft … Sie geht mit … spazieren. Dativ uns euch Ihnen ihnen Tab. 13.12 Tab. 13.13 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 281 19 09 2019 16: 28: 01 282 D ie D e klin ation D er n omin algrup p e Besondere Deklinationsformen der Nomen Die Singularformen der Nomen im Femininum sind in allen vier Kasus gleich Dagegen haben wir bei den Formen im Maskulinum und Neutrum gesehen, dass sich ihre Genitivformen üblicherweise durch das Endungsmorphem |s bzw |es von den anderen Kasusformen abheben Ein weiteres typisches Kasusmorphem existiert im Plural aller drei Genera: Wo es lautlich möglich ist, wird zusätzlich zur Pluralendung ( → Abschnitt-12 2) im Dativ der Pluralform ein |n angehängt: die Freund|e - den Freund|e|n die Kind|er - den Kind|er|n die Enkel - den Enkel|n die Mütter - den Mütter|n die Söhn|e - den Söhn|e|n die Männ|er - den Männ|er|n die Geschwister - den Geschwister|n Im Singular hat sich bei einigen, meistens einsilbigen Nomen im Maskulinum und Neutrum in manchen Wendungen die sprachgeschichtlich ältere Dativendung |e erhalten: in diesem Sinn|e im Grund|e genommen in Zug|e der Einsparungen behutsam zu Werk|e gehen Im Maskulinum gibt es einige lexikalisierte Nomen, die in den obliquen Kasus im Singular und in allen Pluralformen ein |n oder |en angehängt bekommen Die meisten von ihnen bezeichnen Lebewesen Sie werden als schwache Nomen oder als n-Deklination bezeichnet Maskulinum Singular Maskulinum Plural Nominativ der Mensch die Mensch|en Akkusativ den Mensch|en die Mensch|en Dativ dem Mensch|en den Mensch|en Genitiv des Mensch|en der Mensch|en Hier ist ein Sprachwandel zu beobachten - im Internet finden sich Einträge wie die folgenden: Was macht den Mensch zum Menschen? Delfin steht dem Mensch an Intelligenz kaum nach … 13.4 Dativ-n im Plural Dativ-e im Singular n-Deklination von Nomen im Maskulinum Tab. 13.14 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 282 19 09 2019 16: 28: 01 Einheit 13 283 b e SonD ere D e klIn atIonSformen D er n omen Einige Maskulina der n-Deklination lassen sich semantisch, andere auch morphologisch ordnen - hier einige Beispiele: ► � Personenbezeichnungen: der Beamte, der Bote, der Christ, der Erbe, der Fürst, der Gatte, der Held, der Insasse, der Kollege, der Kunde, der Laie, der Nachkomme, der Narr, der Neffe, der Prinz, der Zeuge … ► � Tierbezeichnungen: der Affe, der Bär, der Bulle, der Hase, der Löwe, der Rabe … ► � Staatsangehörigkeitsbezeichnungen auf |e: der Chinese, der Chilene, der Däne, der Deutsche, der Finne, der Franzose, der Grieche, der Pole, der Schwede, der Türke … ► � Berufsbezeichnungen auf |oge: der Biologe, der Pädagoge, der Psychologe … ► � Fremdwörter und Personen- und Berufsbezeichnungen auf |ant, |at, |ent, |et, |ist, |nom u a : der Demonstrant, der Diamant, der Konsonant … der Adressat, der Automat, der Bürokrat, der Demokrat, der Kandidat … der Dozent, der Präsident, der Quotient, der Student … der Athlet, der Magnet, der Prophet, der Planet … der Astronom, der Ökonom … der Chirurg, der Doktorand, der Katholik, der Philosoph, der Pilot … ► � Im Genitiv Singular entfällt in der n-Deklination üblicherweise das Genitivs Nur wenige Wörter kombinieren die n-Deklination mit einem Genitiv-s: Maskulinum Nominativ der Buchstabe Akkusativ den Buchstabe|n Dativ dem Buchstabe|n Genitiv des Buchstabe|n|s ebenso: der Funke, der Gedanke, der Name, der Wille … � Nur ein Nomen im Neutrum hat vergleichbare Formen, wobei sich wie bei allen Neutra Nominativ- und Akkusativform entsprechen: Tab. 13.15 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 283 19 09 2019 16: 28: 02 284 D ie D e klin ation D er n omin algrup p e Neutrum Nom. das Herz Akk. das Herz Dat. dem Herz|en Gen. des Herz|en|s Hinweise für den Unterricht Um die Deklinationsformen zu üben, bietet sich ein Spiel an, das Sie auch im Heft Praxis Deutsch 202 finden . Ausgangspunkt ist die einführend verwendete Blankotabelle (Tab 13 1 oder 13 2), die Sie als Spielplan auf A4 oder A3 vergrößern Außerdem brauchen Sie Kärtchen in zwei, drei oder vier verschiedenen Farben (für zwei bis vier Mitspieler) Auf den 16 Kärtchen einer bestimmten Farbe stehen 16 Nominalgruppen wie in den ausgefüllten Tabellen 13 3, 13 .4 oder 13 .5 . Sie können diese Tabellen als Kopiervorlagen benutzen, auf verschiedenfarbiges Papier kopieren und die 16 Felder mit den Nominalgruppen ausschneiden (lassen) Kurze Spielanleitung „Drei in einer Reih’“: Zwei, drei oder vier Mitspieler sitzen nebeneinander. Zur Vorbereitung empfiehlt es sich, das Spielfeld gemeinsam auszulegen - jedes Kärtchen an seinen Platz. Zum Spiel: Jeder Mitspieler bekommt die 16 Kärtchen einer Farbe. Die Kärtchen liegen verdeckt auf dem Tisch. Im Uhrzeigersinn wird jeweils ein Kärtchen gezogen, auf die (bzw. eine) passende Stelle auf dem Spielfeld gelegt und laut vorgelesen. Bereits liegende Kärtchen können zugedeckt werden und erhalten dann eine andere Farbe. Wer zuerst drei Kärtchen in einer Reihe (waagrecht/ senkrecht/ diagonal) platziert hat, hat gewonnen. Varianten: ► � Wer zuerst vier Kärtchen in einer Reihe (waagrecht/ senkrecht/ diagonal) platziert hat, hat gewonnen. ► � Die Regeln bleiben die gleichen, nur wird offen gespielt … ► � Verschiedene Kärtchen verwenden: der dicke Hund; den dicken Hund …; ein Hund, einen Hund …; ein dicker Hund … ► � … Bei diesem Spiel geht es nicht nur um Glück, sondern auch um Taktik, weil insgesamt vier Formen doppelt erscheinen Nur im Maskulinum finden sich für jeden der vier Fälle eindeutige Kasusmarkierungen Deshalb muss sich der Mitspieler entscheiden, ob z B das Kärtchen der Katze auf dem Dativ- oder Genitivfeld für eine eigene Reihe erfolgversprechender erscheint und ob auf dem einen oder anderen Feld bereits das Kärtchen eines Mitspielers liegt, der kurz vor dem Ziel steht Auch im Nominativ und Akkusativ finden sich (außer Tab. 13.16 13.5 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 284 19 09 2019 16: 28: 02 Einheit 13 285 ü bunG en im Maskulinum) jeweils die gleichen Formen - die Zusätze „… wartet/ warten auf mich“ in den Tabellen 13 3, 13 .4 oder 13 5 können vorab entfernt werden Ein ganz wichtiges Spielprinzip ist das laute Vorlesen dessen, was man gelegt hat Dabei ist ein Wechsel der Tabellen mit Verben (Tabelle 13 1) oder Präpositionen (Tabelle 13 2) sinnvoll Gerade Kinder mit anderer Erstsprache werden so auch im alltäglichen Sprachgebrauch mehr und mehr über die Formen verfügen, ohne darüber nachzudenken Denn gerade im Bereich der Kasusbeherrschung kommt es auf ein automatisiertes Wissen bzw Können an: Niemand stellt sich bei jedem Verb, bei jeder Präposition die Frage, ob ihnen ein Akkusativ oder ein Dativ folgt, um dann endlich etwas zu sagen Spielvarianten: Bei zwei Mitspielern bietet sich die Variante „Vier in einer Reih’“ an Taktisch anspruchsvoller wird das Spiel, wenn offen gespielt wird Die Mitspieler ordnen ihre Kärtchen so an wie auf der Kopiervorlage (diese kann hierfür auf ein weißes Papier kopiert werden) Ansonsten bleiben die Regeln dieselben . Man darf sich aber hierbei nicht nur auf die eigene Dreierbzw Viererreihe konzentrieren, sondern muss auch entsprechende Pläne der Mitspieler verhindern Dabei bilden sich immer wieder unterschiedliche Koalitionen unter den Mitspielern Übungen 1 Entdecken Sie die zahlreichen kultur- und bauhistorischen Kostbarkeiten und lassen Sie sich von der romantischen Altstadt beeindrucken. Sie gilt als größtes Flächendenkmal Deutschlands und verzaubert Gäste und Einwohner mit mittelalterlichem Flair und faszinierender Geschichte. Ob altehrwürdiges Kloster, imposante Kirchen, der Erfurter Schatz oder prachtvolle Patrizierhäuser - Die Thüringer Landeshauptstadt bietet Geschichte zum Anfassen! […] Abb. 13.2 13.6  Lösungshinweise unter www.bachelorwissen.de und www.granzowemden.de Beispiel (aus: www erfurttourismus de, Zugriff am 29 11 12) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 285 19 09 2019 16: 28: 02 286 D ie D e klin ation D er n omin algrup p e Eines der Wahrzeichen der Stadt Erfurt ist die Krämerbrücke, die längste durchgehend mit Häusern bebaute und bewohnte Brücke Europas. Die Krämerbrücke ist das interessanteste Profanbauwerk Erfurts, sie wurde zunächst aus Holz und 1325 aus Stein errichtet. Ursprünglich war die 120 m lange Krämerbrücke mit 62 schmalen Häusern bebaut, die später auf 32 Häuser zusammengefasst wurden. Von den beiden ehemaligen Brückenkopfkirchen an den beiden Enden der Brücke existiert heute noch die östliche Ägidienkirche (imposanter Turmausblick, Di-So 11-17 Uhr). Auf der Krämerbrücke befinden sich Galerien und Lädchen mit Thüringer Blaudruckstoffen, handbemalter Keramik, Lauschaer Glas, Schmuck, Holzschnitzereien sowie unter anderem Unstrut-Weinen, die zum Verweilen und zum Entdecken der Historie einladen. a) In einigen Nominalgruppen sind attributive Adjektive unterstrichen. Zeigen Sie, wie der Kasus in diesen Wortgruppen zustande kommt. b) Bestimmen Sie neben dem Kasus auch den Numerus und das Genus der Nominalgruppen, in denen die unterstrichenen Adjektive erscheinen. c) Welche der unterstrichenen Adjektive sind schwach und welche stark dekliniert? 2 Betrachten Sie die unterstrichenen Formen in den folgenden Beispielen. Beide Varianten existieren im aktuellen Sprachgebrauch. Warum könnten manche Grammatiken wie z. B. der Duden die erste Variante bevorzugen? Und wie könnte die Existenz der Form diesen Jahres in Beispiel 2 erklärt werden? 1. Im Mai dieses Jahres feierten sie die Stadtgründung vor 1270 Jahren. 2. Im Mai diesen Jahres feierten sie die Stadtgründung vor 1270 Jahren. Verwendete und weiterführende Literatur Belke, Gerlind (2003): Mehrsprachigkeit im Deutschunterricht. Sprachspiele, Spracherwerb und Sprachvermittlung. 3., korrigierte Auflage. Baltmannsweiler: Schneider. Belke, Gerlind; Geck, Martin (2007): Das Rumpelfax: Singen, Spielen, Üben im Grammatikunterricht. Handreichung für den Deutschunterricht in mehrsprachigen Lerngruppen. 2.,- unveränderte Auflage. Baltmannsweiler: Schneider. Gallmann, Peter (1990): Kategoriell komplexe Wortformen. Das Zusammenwirken von Morphologie und Syntax bei der Flexion von Nomen und Adjektiv. Tübingen: Niemeyer. Granzow-Emden, Matthias (1998): Die Deklination der Substantivgruppe. Didaktische Überlegungen zur tabellarischen Darstellung. In: Kuhs, Katharina; Steinig, Wolfgang (Hrsg.): Pfade durch Babylon. Konzepte und Beispiele für den Umgang mit sprachlicher Vielfalt in Schule und Gesellschaft. Freiburg im Breisgau: Fillibach, 279-295. Granzow-Emden, Matthias (2007): Drei in einer Reih’. Im Falle eines Falles: Ein Deklinationsspiel. In: Praxis Deutsch 202, 24-29. Thieroff, Rolf; Vogel, Petra M. (2009): Flexion. Heidelberg: Universitätsverlag Winter. Wegener, Heide (1995): Die Nominalflexion des Deutschen - verstanden als Lerngegenstand. Tübingen: Niemeyer. 13.7 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 286 19 09 2019 16: 28: 02 287 Die traditionelle Satzgliedlehre Inhalt 14 1 Warum wir auf den Prädikatsbegriff verzichten sollten 288 14 2 Die Satzglieder 292 14 3 Statt eines Nachworts 308 14 4 Übungen 308 14 5 Verwendete und weiterführende Literatur 311 Den Satzgliedern sind wir in diesem Buch bereits an vielen Stellen begegnet - ab Einheit 2 mit den Ergänzungen und Angaben sowie dem Subjekt als einer besonderen Ergänzung. Dabei haben wir die traditionelle Satzgliedlehre bisher zurückgestellt. Zum einen, weil der Satz als eine vom Verb ausgehende Einheit einfacher darzustellen ist; zum andern, um die mitunter reflexartig ausgelöste Fragemethode auszublenden, die sich mit Termini wie Objekt oder Adverbiale automatisch einstellt, wenn Sie die Satzglieder über die Fragemethode kennengelernt haben. Diese Methode kann zwar einen einfachen Zugriff auf die Satzglieder ermöglichen - dabei muss man sich aber sehr bewusst sein, was man tut, und dieses Bewusstsein können Schulkinder noch nicht haben. Die Methode sollte also nicht den Ausgangspunkt im Grammatikunterricht bilden, ► � weil sie für die Kinder und Jugendlichen nicht so einfach zu handhaben ist, wie es die Modellierungen in fast allen Schulbüchern nahelegen, ► � weil sich das „richtige Erfragen“ in der Praxis so aufwändig gestaltet, dass Ermittlungs- und Benennungsprozeduren dominieren und ► � weil dadurch der Einblick in die Bedeutungen und die grammatische Gestaltung eines Satzes verstellt wird (→ Abschnitt 12.4). Gleichwohl kann man die Idee der Satzgliedlehre, die Vielfalt der sprachlichen Strukturen im Satz in wenigen Relationen darzustellen, als genial bezeichnen. Das meiste von dem, was Sprache und damit auch die prinzipiell unbegrenzten Denkmöglichkeiten ausmacht, lässt sich mit einem sehr kleinen Arsenal an Satzgliedern fassen: einem Subjekt, den Objekten und den Adverbialien; als weitere Bestandteile von Satzgliedern kommen Attribute hinzu - wir haben sie bereits in Einheit 11 betrachtet. Überblick Einheit 14 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 287 19 09 2019 16: 28: 02 288 D ie tr a D itionelle S at zglie Dlehre Bevor wir uns im zweiten Abschnitt den Satzgliedern anhand authentischer Texte aus didaktischer Perspektive annähern, werden wir im ersten Abschnitt in Abgrenzung zur traditionellen Grammatik feststellen, dass das Prädikat gar kein Satzglied ist. Warum wir auf den Prädikatsbegriff verzichten sollten Im Grammatikunterricht geschieht die Einführung des Prädikats als höhere Weihe, wenn es nicht mehr um Wortarten, sondern um Satzglieder geht Dabei erfahren die Einheiten im linken und rechten Verbfeld im Satz eine Wandlung und sollen nicht mehr die Verben, sondern das Prädikat des Satzes sein Dieser mystische Wandel wird aber nur dann notwendig, wenn die Wortarten lexikalisch eingeführt wurden ( → Abschnitt 1 4) Problematisch ist die Umbenennung insbesondere dann, wenn man auch die Satzglieder lexikalisch-kategorial (und nicht syntaktisch-relational) einführt und dabei an der semantischen Erklärung - das Verb als Tätigkeitswort-- festhält, womit wir uns in Abschnitt 2 1 auseinandergesetzt haben Dann wird die relationale Säule der Satzglieder durch die semantische bzw lexikalische Sichtweise auf die Wortarten erschlagen: In immerhin zehn von 24 in Berlin und Brandenburg zugelassenen Schulbüchern wird das Prädikat als eine Einheit dargestellt, bei der man nach dem Tun bzw dem Geschehen in einem Satz fragen müsse - hierfür drei Beispiele: 14.1 Abb. 14.1 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 288 19 09 2019 16: 28: 03 Einheit 14 289 w arum w Ir auf D en p r ä D Ik at SbeGrIff V er zIcht en Sollt en Abb. 14.2 Doppel-Klick Das Sprach- und Lesebuch 5 2 -Auflage, Cornelsen 2007, S 257 Abb. 14.3 P A U L D 5 Persönliches Arbeits- und Lesebuch Deutsch Schöningh 2004, S 268 Abb. 14.4 deutsch werk-1 Gymnasium Arbeitsbuch für das 5 Schuljahr Klett 2004, S 220 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 289 19 09 2019 16: 28: 05 290 D I e tr a D ItIonelle S at zGlI e Dlehre Auch die funktionalen Erklärungen für das Prädikat sind oftmals fernab der sprachlichen Realität Betrachten wir ein Beispiel aus einem Schulbuch für die siebte Klasse: Das Prädikat drücke aus, „was getan wird bzw geschieht“ - man überprüfe diese Behauptung an den folgenden Sätzen: Der Ball ist rund Ein Spiel dauert 90 Minuten Das Runde muss ins Eckige Alle Beispiele beziehen sich auf den Fußball Man darf grammatische Merksätze nicht wörtlich nehmen In keinem der Sätze lässt sich ein Tun oder Geschehen erkennen Im Schulbuchbeispiel erfahren wir weiterhin, dass das Verb das „Zentrum des Satzes“ sei Diese Feststellung kann nur syntaktisch gemeint sein im valenzgrammatischen Sinne - dass also das Verb eine wichtige Rolle spielt, wenn es um die Anzahl und Art der Mitspieler im Satz geht In semantischer Perspektive betrachten Schülerinnen und Schüler wohl eher Dirk oder den Datenhelm als „Zentrum des Satzes“ - warum das Prädikat nimmt so wichtig sein soll, müssen sie sich selbst zusammenreimen Schließlich könnten aufmerksame Schülerinnen und Schüler auch hier eine prinzipielle Erfragbarkeit des Prädikats ableiten Selbst im konstruierten Beispielsatz des Merkkastens versagt das Verfahren: Kein Mensch würde auf die Frage Was macht Dirk die Antwort „nimmt“ bzw „Dirk nimmt“ formulieren Der Wunsch nach einem grammatischen Verfahren - der Erfragbarkeit des Prädikats - geht zulasten des natürlichen Sprachgebrauchs Hierbei wird Kindern und Jugendlichen unter der Hand ein unangemessener Sprachgebrauch nahegelegt Das Prädikat als erfragbare Einheit darzustellen, mag daher kommen, dass es traditionell zu den Satzgliedern gezählt wird Fragt man aber umgekehrt, was ein Satzglied sein soll, kommt man zu einer Reihe von Merkmalen, von denen keines auf das traditionelle Prädikat zutrifft: Abb. 14.5 Deutsch plus-7 2 -Auflage, Cornelsen 2006 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 290 19 09 2019 16: 28: 05 Einheit 14 291 w arum w Ir auf D en p r ä D Ik at SbeGrIff V er zIcht en Sollt en Was wir in Grammatiken und Schulbüchern über Satzglieder erfahren: … aber: - Satzglieder sind verschiebbare Einheiten. Das sogenannte Prädikat ist nicht verschiebbar. - Ein Satzglied kann ins Vorfeld verschoben werden. Das linke Verbfeld kann nicht vor sich selbst stehen - mit dem finiten Verb ist also ein wesentlicher Teil des sogenannten Prädikats nicht vorfeldfähig. - Ein Satzglied kann komplex sein, also aus mehreren Wortgruppen bestehen, die zusammengehören und meist nebeneinander stehen. Das sogenannte Prädikat erscheint in seiner zweiteiligen Form im Verbzweitsatz diskontinuierlich im linken und rechten Verbfeld. - Ein Satzglied kann normalerweise nur als Ganzes ins Vorfeld verschoben werden. Vom sogenannten Prädikat kann allenfalls das rechte Verbfeld im Vorfeld erscheinen. - Semantisch tragen die Satzglieder die Mitspielerrollen des Satzes (wie Agens, Patiens, Rezipient etc.). Das sogenannte Prädikat trägt niemals eine Mitspielerrolle, vielmehr teilt es den Satzgliedern ihre Rollen zu. - Satzglieder sind erfragbare Einheiten. Das sogenannte Prädikat lässt sich nicht erfragen. Wenn die als Prädikat bezeichnete Einheit keines der Merkmale erfüllt, die zur Definition für Satzglieder verwendet werden, so liegt nahe, dass diese Einheit gar kein Satzglied ist Das relationale Verb haben wir in Abschnitt 2 .2 als den Ausgangspunkt des Satzes kennengelernt Diese Einheit im linken und/ oder rechten Verbfeld ist kein Satzglied wie die Ergänzungen und Angaben, sondern die Einheit, die diese Satzglieder fordert bzw zulässt Anders gesagt: Mit einem syntaktisch-relationalen Verbverständnis sind Verben auch in der Satzgliedlehre nichts anderes als Verben Nun mag es durchaus Lehrkräfte geben, die einen Verzicht auf das Prädikat schon deshalb ablehnen, weil es zum Kern der schulgrammatischen Tradition gehöre . Hier muss darauf verwiesen werden, dass diese Tradition Brüche hat, weil sich das Prädikat in den letzten Jahrzehnten begrifflich verändert hat Der ursprüngliche Prädikatsbegriff fasste all das in einem Satz als Prädikat, was nicht Subjekt war - ein Satz bestand aus dem Satzgegenstand (dem Subjekt) und der Satzaussage (dem Prädikat), wobei zum Prädikat auch die Ergänzungen und Angaben im Satz gehörten . Eine solche Modellierung lässt sich auf das Zusammenspiel von Referieren und Prädizieren in einem Satz beziehen und kann durchaus zur Sprachbewusstheit beitragen . Was aber in den o a Schulbuchbeispielen als „Prädikat“ bezeichnet wird, meint etwas ganz anderes - im besten Falle die Einheiten, die im linken und/ oder rechten Verbfeld erscheinen (vgl Einheit 4) . Und diese Einheiten sind weder Satzglieder noch das Prädikat des Satzes . Tab. 14.1 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 291 19 09 2019 16: 28: 05 292 D ie tr a D itionelle S at zglie Dlehre Die Satzglieder Ein relationales Wortartenverständnis ist mit einer relationalen Satzgliedlehre kompatibel - über die Wortgruppen gelangt man zu den Satzgliedern . Dabei kommt der Verbanalyse eine besondere Bedeutung zu Zu ermitteln sind linkes und rechtes Verbfeld sowie das valenztragende Verb . Ein valenztragendes Verb hat in seiner Verwendung im Satz eine ganz spezifische Bedeutung, die zu den Satzgliedern führt; umgekehrt zeigen die Satzglieder durch ihren Inhalt und ihre syntaktischen Merkmale (z B Kasus) die spezifische Bedeutung des Verbs an Dieser grundlegende Gedanke begegnete uns bereits in Abschnitt-2 2 am Beispiel des Verbs stellen Ausgehend von den Verben lassen sich vorab die Verbzweitvon den Verbletztsätzen unterscheiden (Verberstsätze kommen fast ausschließlich in dialogischen Texten vor) . Was im Vorfeld eines Verbzweitsatzes erscheinen kann, ist üblicherweise ein Satzglied Das valenztragende Verb verbindet sich mit Satzgliedern, die typischerweise als Nominal- oder Präpositionalgruppe, als Satz (traditionell: Gliedsatz) oder - bei Kopulaverben - als Adjektivergänzung zum Kopulaverb erscheinen . Ein Satzglied kann komplexer werden, wenn es sich seinerseits mit Wortgruppen verbindet, die wir in Übereinstimmung mit der traditionellen Grammatik als Attribute bezeichnen ( → Einheit 11) Abhängige Verbletztsätze mit einer Subjunktion sind meistens ein Satzglied, abhängige Infinitivsätze können Satzglied oder Attribut sein, und Relativsätze sind meistens Attribute Damit hat man eine erste Orientierung für die Analyse komplexerer Sätze In Einheit 2 haben wir die Satzglieder in Ergänzungen und Angaben unterteilt Für eine Ergänzung - das Subjekt - haben wir wegen ihrer besonderen grammatischen Bedeutung den traditionellen Terminus beibehalten Auf den traditionellen Terminus verzichtet haben wir bisher zum einen bei den Objekten und den Adverbialien, aber auch diese Termini lassen sich mit einer entsprechenden Begriffsbildung in einen valenzorientierten Ansatz integrieren, sodass man sich als Lehrkraft mit der neuen Modellbildung im Kopf nicht außerhalb der Verordnungen befindet, die durch Lehrpläne und KMK-Liste vorgegeben sind . Das Subjekt und subjektlose Sätze Folgende Merkmale kennzeichnen das Subjekt: ► � es erscheint als nominaler Ausdruck im Nominativ oder als Satz ► � es bestimmt das finite Verb in Person und Numerus ► � es erscheint in den meisten Sätzen ► � es erscheint nicht in Infinitivsätzen ► � es erscheint typischerweise im Vorfeld oder direkt nach dem finiten Verb ► � es ist eine Ergänzung des Verbs 14.2 Das Verb als Ausgangspunkt bei der Satzgliedanalyse 14.2.1 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 292 19 09 2019 16: 28: 05 Einheit 14 293 D Ie S at zGlIe D er Darüber hinaus gibt es in Schulbüchern Kennzeichnungen, die nicht nachvollziehbar erscheinen, weil die Grenze zwischen alltagssprachlicher und fachsprachlicher Ebene nicht geklärt ist oder weil sie eine Allgemeingültigkeit suggerieren, die es so nicht gibt . Die meisten Beschreibungen nehmen dabei eine semantische Perspektive ein (ganz ähnlich wie bei der kategorialen Beschreibung der Wortarten) und verfehlen damit das syntaktisch-relationale Wesen der Satzglieder ► � Subjekt als „Gegenstand des Satzes, über den das Prädikat etwas aussagt“ (Kombi Deutsch 5, Buchner 2007, S 156) ► � Subjekt als „Ausgangspunkt eines Geschehens“ (Deutsch plus 7, Cornelsen 2002, S 62) ► � Subjekt „gibt an, wer oder was etwas tut bzw was geschieht“ (Wort & Co 5, Buchner 2004, S . 124) ► � Subjekt sagt, „wer oder was es ist, wovon im Satz die Rede ist“ (Praxis Sprache 5, Westermann 2004, S . 195) ► � Subjekt sagt meistens „wer der Täter einer Handlung ist“ (wortstark 5, Schroedel 2003, S 247) ► � Subjekt als „Täter, Verursacher, Gegenstand des Satzes“ (D 5, Schöningh 2004, S -293) ► � Subjekt als „Verursacher einer Handlung“ (P A U L D 7, Schöningh 2006, S 325) Zunächst betrachten wir die im Beispieltext unterstrichenen Subjekte in einer Inhaltszusammenfassung zu einem Film aus einer Fernsehzeitschrift und überprüfen daran die Kennzeichnungen aus den Schulbüchern Die Subjekte erscheinen hier in Fettdruck, die Verbfelder in blauer Schrift: Der Herr der Ringe - Die Gefährten (1) Nur einen magischen Ring braucht der finstere Sauron noch, (2) um den ganzen Kontinent Mittelerde zu unterwerfen . (3) Das Kleinod befindet sich im Besitz des ahnungslosen Hobbits Frodo (Elijah Wood) . (4) Als Gandalf (Ian McKellen) ihn aufklärt, (5) ist es vorbei mit Frodos friedlichem Leben im sonnigen Auenland: (6) Der Ring muss vernichtet werden (7) Mit einem multikulturellen Expeditionsteam (Hobbits, Elben, Zwerge, Menschen) bricht Frodo auf ins Herz der Finsternis … (8) Die „Mutter aller Fantasieromane“ galt als unverfilmbar, (9) bis Peter Jackson der ganz große Wurf gelang - (10) mit atemberaubender Kulisse und modernster Tricktechnik Der kurze Text enthält bis auf Satz (5) keine besonders komplexen Subjekte Von einem „Täter“ zu sprechen erscheint bereits in Satz (1) als bedenklich, Subjekt in Lehrwerken Beispiel (aus: TV Spielfilm vom 18 12 2011) Subjekt als „Täter“? 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 293 19 09 2019 16: 28: 05 294 D ie tr a D itionelle S at zglie Dlehre weil die mit dem Subjekt bezeichnete Person nichts tut, sondern ein Defizit hat (Sauron braucht den Ring) Der Infinitivsatz (2) hat kein finites Verb, und wo kein finites Verb ist, fehlt üblicherweise auch das Subjekt (s Ende dieses Abschnitts) . In Satz (3) könnte man auf den ersten Blick die Beschreibung „Gegenstand des Satzes“ für das Subjekt für angemessen halten - manche Lehrwerke verwenden ja auch den deutschen Terminus „Satzgegenstand“ für das Subjekt Dadurch entsteht aber ein Widerspruch zu Satz (1), wo derselbe Ring als Objekt des Satzes erscheint In den Kennzeichnungen zum Subjekt in den Lehrwerken wird deutlich, wie man sich um eine funktionale Annäherung an den Subjektsbegriff bemüht Dabei beziehen sie sich offensichtlich auf die aus der philosophischen Tradition stammende Unterscheidung zwischen einem erkennenden Subjekt und dem außerhalb von ihm liegenden Objekt, die auch alltagssprachlich verwendet wird, wenn von einem „komischen Subjekt“ oder dem „Objekt der Begierde“ die Rede ist In der Sprache kann sich aber dieses Verhältnis umkehren: Der schöpferisch tätige Regisseur wird in Satz (9) zum Objekt, sein Werk (der ganz große Wurf) hingegen zum Subjekt des Satzes Hier käme allenfalls die Subjektsbeschreibung „wovon im Text die Rede ist“ infrage, die aber so vieldeutig interpretiert werden kann, dass sich dadurch die Eigenart des Subjekts nicht erschließen lässt Um das Subjekt zu definieren, hat die schon mehrfach erwähnte formale Beschreibung die umfassendste Gültigkeit: Das Subjekt bestimmt das finite Verb in Person und Numerus In funktionaler Perspektive lässt sich das Subjekt schwer fassen . Man könnte es allenfalls als Ausgangspunkt eines Gedankens fassen, der durch den ganzen Satz vollendet wird Eine solche funktionale Bestimmung können die Kinder und Jugendlichen besser nachvollziehen, wenn sie das formale Zusammenspiel im Satz über verschiebbare Einheiten kennengelernt haben ( → Abschnitt 4 9) Zur Identifikation des Subjekts eignen sich Proben mit Einheiten, die zwischen der Person oder dem Numerus variieren Wir haben solche Proben bereits in Abschnitt 4 2 vorgestellt Ein etwas sperriges Subjekt finden wir in Satz (5): Zum Kopulaverb sein gehört das Adverb vorbei, als Subjekt hätten wir zunächst die Einheit es, die auf die Präpositionalgruppe mit Frodos friedlichem Leben im sonnigen Auenland verweist Diese Präpositionalgruppe ist zwar das inhaltliche Subjekt, aber eine Präpositionalgruppe kann kein Subjekt sein . Die Einheit es hat also nur verweisende Funktion . Wenn wir darauf verzichten, müssen wir auch auf die Präposition in dem inhaltlichen Subjekt verzichten, damit dieses im Nominativ erscheinen kann (mit Frodos friedlichem Leben … → Frodos friedliches Leben …): Infinitivsätze haben kein Subjekt Subjekt als Satzgegenstand? philosophischer und sprachwissenschaftlicher Subjektsbegriff formale und funktionale Bestimmung des Subjekts es als verweisendes Subjekt 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 294 19 09 2019 16: 28: 06 Einheit 14 295 D Ie S at zGlIe D er Als Gandalf ihn aufklärt, ist Frodos friedliches Leben im sonnigen Auenland vorbei: (…) Der Satz (5) zeigt damit ein etwas ungewöhnliches Spiel eines Satzgliedes, weil es diskontinuierlich (also getrennt) erscheint . Die Trennung wird hier möglich,- weil die verweisende Einheit es für eine Verbindung der beiden Teile sorgt Bereits in Abschnitt 4 5 haben wir gesehen, dass die Einheit es strukturell als Nominalgruppe eingesetzt werden kann, wo es kein logisches bzw inhaltlich bestimmtes Subjekt gibt Solche Subjekte sind operational nicht zugänglich: Es regnet nur nachts im sonnigen Auenland Auch in diesem Satz gibt es ein Subjekt Ein Subjekt kann auch als Satz erscheinen . Das finite Verb steht dann in der 3 Person Singular Den Ring zu vernichten, gelang dem Expeditionsteam erst in der dritten Folge Es gefiel Sauron gar nicht, dass der Ring vernichtet werden sollte Der Vergleich der folgenden Beispiele zeigt, dass auch ein Zitat als Ganzes zum Subjekt werden kann: Im letzten Abschnitt steht, dass der Film als unverfilmbar galt . Im letzten Abschnitt steht: „Die ‚Mutter aller Fantasieromane‘ galt als unverfilmbar, bis Peter Jackson der ganz große Wurf gelang (…)“ Subjekte, die als Satz erscheinen, lassen sich am besten mit einer Ersatzprobe nachweisen Für die Ersatzprobe eignet sich ein Nomen mit dem Genus Maskulinum, da sich nur im Maskulinum alle vier Kasus unterscheiden ( → Einheit-13): Im letzten Abschnitt steht der letzte Gedanke/ der größte Blödsinn … Den Ring zu vernichten gelang… (s o ): Der erfolgreiche Abschluss/ Der Durchbruch gelang dem Expeditionsteam erst in der dritten Folge Weil das Subjekt in fast jedem Satz erscheint, ist es nicht besonders auffällig Dagegen kann sein Fehlen auffallen Insofern können auch subjektlose Sätze zur Bewusstheit beitragen, was Subjekte sind In Textsorten wie Kochrezepten und Bedienungsanleitungen erscheinen üblicherweise subjektlose Sätze, und weil das Subjekt für das finite Verb sorgt, erscheinen in Rezepten fast ausschließlich infinite Verbformen: Subjekt als Satz subjektlose Sätze 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 295 19 09 2019 16: 28: 06 296 D ie tr a D itionelle S at zglie Dlehre Apfelpfannkuchen Zutaten für drei Portionen: 4 Eier 150-g Mehl 100-ml kohlensäurehaltiges Wasser 150-ml Milch 1 Pck Vanillezucker 50-g Zucker 1 Apfel 1 Prise Salz Öl und evtl Butter zum Ausbacken Zubereitung: Eiweiß und Eidotter trennen und das Eiweiß schaumig schlagen Die weiteren Zutaten außer dem Apfel in eine Schüssel geben und mit einem Mixer mischen Anschließend den Eischnee unterheben Den Apfel schälen, in kleine Scheiben schneiden und zum Teig geben Etwas Öl in der Pfanne erhitzen und den Teig beidseitig ausbacken, bis der Pfannkuchen goldbraun ist Man kann den Apfel auch weglassen Weil in Infinitivsätzen das finite Verb fehlt und damit das linke Verbfeld nicht besetzt ist, gehören Mittelfeld und rechtes Verbfeld zur Grundausstattung von Infinitivsätzen: Vorfeld linkes Verbfeld Mittelfeld rechtes Verbfeld Eiweiß und Eidotter trennen und das Eiweiß schaumig schlagen. Die weiteren Zutaten außer dem Apfel in eine Schüssel geben und mit einem Mixer mischen. Anschließend den Eischnee unterheben. Den Apfel schälen, in kleine Scheiben schneiden und zum Teig geben. Etwas Öl in der Pfanne erhitzen und den Teig beidseitig ausbacken, bis der Pfannkuchen goldbraun geworden ist. Man kann den Apfel auch weglassen. Abb. 14.6 Beispiel Tab. 14.2 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 296 19 09 2019 16: 28: 06 Einheit 14 297 D Ie S at zGlIe D er Der Verzicht auf das Subjekt ist in solchen Textsorten funktional, weil sonst der angesprochene Leser bzw . ein unpersönliches man mit wiederholender Penetranz im Mittelpunkt stehen würde und nicht mehr die Sache, die hergestellt werden soll Ebenfalls möglich, aber nicht weniger penetrant wären Passivsätze (Eiweiß und Eidotter werden getrennt und das Eiweiß wird schaumig geschlagen …) Nur in den beiden letzten Zeilen gibt es jeweils ein Subjekt (der Pfannkuchen; man) und jeweils ein finites Verb (ist; kann) Infinitivsätze werden mitunter nicht als Sätze anerkannt, weil ihnen Subjekt und finites Verb fehlten Dabei stellt sich natürlich die Frage, wie man die obigen Einheiten dann nennen sollte . Wir wollen sie aus sprachsystematischen Gründen ebenfalls als Sätze betrachten Abhängige Infinitivsätze, denen wir bereits in Abschnitt-5 4 begegnet sind, werden wie Verbletztsätze durch Komma von ihrer Bezugseinheit abgetrennt bzw durch ein Satzschlusszeichen abgeschlossen, weil sie von einem valenztragenden Verb ausgehen und üblicherweise ihre Ergänzungen (außer eben dem Subjekt) bei sich haben . Den Plan, Apfelpfannkuchen zu backen, hatte sie schnell wieder aufgegeben, weil sie keine Äpfel hatte Aber man braucht nicht unbedingt Äpfel, um Apfelpfannkuchen zu backen Infinitivsätze könnte man auch als strukturelles Pendant zu den Nominalgruppen ohne Begleiter betrachten ( → Abschnitt 10 8) Die Objekte Traditionell werden die Objekte syntaktisch und formorientiert eingeteilt Folgende Objekte werden unterschieden: ► � Ein Objekt kann in Form einer Nominalgruppe in einem bestimmten Kasus erscheinen . Die Nominalgruppe bekommt den Kasus vom Vollverb des Satzes zugeteilt . Zusammen mit den zugehörigen Attributen wird es als Akkusativ-, Dativ- oder Genitivobjekt bezeichnet ► � Präpositionalobjekte bekommen vom Vollverb des Satzes eine Präposition mit einer bestimmten Kasusforderung zugewiesen ► � Statt eines kasusbestimmten Objekts kann ein abhängiger Satz erscheinen, der in der Schulgrammatik die gleiche Bezeichnung bekommt wie das kasusbestimmte Objekt, das dort stehen könnte Solche Gliedsätze werden also auch als Akkusativ-, Dativ-, Genitiv- oder Präpositionalobjekt bezeichnet Darüber hinaus gibt es in den meisten Lehrwerken Kennzeichnungen, die problematisch sind: ► � Das Objekt antworte auf bestimmte Fragen, wobei dem Akkusativobjekt „wen oder was …? “, dem Dativobjekt „wem …? “ und dem Genitivobjekt Infinitivsätze sind auch Sätze abhängige Infinitivsätze 14.2.2 traditioneller Objektsbegriff Objekte in Lehrwerken 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 297 19 09 2019 16: 28: 06 298 D I e tr a D ItIonelle S at zGlI e Dlehre „wessen …? “ zugeordnet werden Präpositionalobjekte werden mit einem Frageadverb erfragt („worauf/ woran/ worunter …? “, manchmal auch „auf was“ etc ) ► Es wird als notwendiges bzw nicht weglassbares Satzglied bezeichnet In der folgenden Kolumne sind die Objekte mit den zu ihnen gehörenden Attributen unterstrichen oder unterkringelt Wo die Preise stabil sind (1) Eine der größten politischen Sensationen der vergangenen Wochen bestand in der Ankündigung der Bahn, (2) ihre Preise im nächsten Jahr nur im Nahverkehr zu erhöhen (3) Im Fernverkehr bleiben die Preise stabil, zum Teil über viele Monate! (4) Zwar gibt es in Deutschland Firmen, (5) die ihre Preise manchmal über mehrere Jahre stabil halten (6) Aber von der Bahn hätte niemand einen solchen Schritt erwartet (7) In einem Interview erklärte Bahnchef Grube, (8) dass Bahnkunden keine voreiligen Schlüsse ziehen dürften (9) Vor allem dürften sie nicht darauf hoffen, (10) dass die Züge pünktlich fahren oder funktionieren (11) Wörtlich: „Es wird weiterhin Herausforderungen geben, und zwar nicht nur im Winter“ - den Winter kann man eh vergessen! -, „sondern mindestens noch rund drei Jahre “ (12) 25 Zeilen später im gleichen Interview sagte der Bahnchef: (13) „Bis 2014 werden die Kunden gelegentlich mit Einschränkungen rechnen müssen “ (14) Da habe ich nachgerechnet und bin zu dem Ergebnis gekommen, Tab. 14.3 (aus: deutsch ideen 5 Schroedel 2005, S 295) Abb. 14.7 (Kombi-Buch Deutsch 5, Buchner 2010, S 158) Beispiel (aus: Harald Martenstein im Tagesspiegel vom 24 10 2010) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 298 19 09 2019 16: 28: 07 Einheit 14 299 D Ie S at zGlIe D er (15) dass es bis 2014 nicht drei Jahre voller Herausforderungen sind, sondern sogar vier (16) Ich stelle mir dann den Besitzer einer Currywurstbude vor, (17) der seine Friteuse nicht gewartet hat, (18) jetzt sagt er, (19) dass er bis 2014 seine Currywürste gelegentlich kalt servieren muss (20) Zum Ausgleich für diese Herausforderung würde er die Preise 2011 nicht erhöhen, (21) aber nur für die Würste, die in die Wohnung geliefert werden (22) Im Nahverkehr wird die Wurst teurer (…) Akkusativobjekte sind die häufigste Objektart In den Sätzen (2), (5), (8) und (19) befinden sie sich innerhalb abhängiger Sätze, die auch als ganze wiederum Objekte sind: (2) ihre Preise (5) ihre Preise (6) einen solchen Schritt (8) keine voreiligen Schlüsse (11) Herausforderungen; den Winter (16) den Besitzer einer Currywurstbude (17) seine Friteuse (19) seine Currywürste (20) die Preise Auch die abhängigen Sätze in (8) oder (13) werden als Akkusativobjekte bezeichnet, was eine gewisse Abstraktion bedeutet Sie stehen nicht im Akkusativ, sondern vertreten eine Einheit, die im Akkusativ stehen müsste In Satz (7) ist durch das Verb erklären der Satz (8) angelegt; in Satz (12) ist durch das Verb sagen die wörtliche Rede in Satz (13) angelegt (jemand erklärt etwas/ jemand sagt etwas) . Die obige Kolumne enthält weder Dativnoch Genitivobjekte Dativobjekte (im Folgenden doppelt unterstrichen) erscheinen häufig als weiteres Objekt neben Akkusativobjekten (einfach unterstrichen) - z B in Verbindung mit Verben im semantischen Umfeld von geben: Die Bahn versprach ihren Kunden, die Preise nur im Nahverkehr zu erhöhen Die Bahn empfiehlt ihren Kunden, im Winter viel Zeit mitzubringen Der Currywurstbudenbesitzer verpachtet der Bahn seinen Wagen Die Bahn verweigerte der Zeitung ein Interview Dativobjekte können auch die einzige Verbergänzung neben dem Subjekt sein: Stabile Preise nützen den Kunden Die Kunden konnten der Fahrpreiserhöhung nicht zustimmen . Akkusativobjekt Dativobjekt 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 299 19 09 2019 16: 28: 07 300 D ie tr a D itionelle S at zglie Dlehre Genitivobjekte (hier unterstrichelt) sind die seltensten Objekte im heutigen Deutsch: Der Winter bedarf besonderer Vorkehrungen Die unterkringelten Satzglieder gehen von einer Präposition aus Weil sie vom valenztragenden Verb des Satzes gefordert werden, gelten sie als Präpositionalobjekte In Satz (1) fordert das Verb bestehen die Präposition in mit einer Nominalgruppe im Dativ In einem Präpositionalobjekt ist die Präpositionalgruppe ganz eng ans Verb angebunden; die Präposition hat dabei meist ihre ursprüngliche Bedeutung aufgegeben - als „ursprünglich“ könnte man hier eine Ortsbedeutung annehmen, die sich mit in verbinden kann Wenn das Verb eine Wechselpräposition fordert ( → Abschnitt 12 .5 2), legt es auch die Kasusforderung der Präposition fest - ob also die Wechselpräposition mit dem Akkusativ oder dem Dativ erscheinen muss Während in unserem Text in Zeile (1) das Verb bestehen mit der Präposition in und einem Dativ erscheint, erscheint das Verb investieren mit der äußerlich gleichen Wechselpräposition, die aber einen Akkusativ bei sich hat: Die Bahn investierte zu wenig in die Wartung der Züge Auch wenn hier Akkusativ oder Dativ erscheinen, spricht die traditionelle Grammatik nicht von Akkusativ- oder Dativobjekten Üblicherweise fordert ein Verb mit Präpositionalobjekt eine ganz bestimmte Präposition (wie warten auf) Bei manchen Verben gibt es Varianten: bestehen in/ aus; schwärmen von/ für; kämpfen mit/ gegen/ für; sich eignen für/ zum Präpositionalobjekte erscheinen auch in den Sätzen (6) und (9)/ (10): In Satz (6) hat das Verb erwarten neben dem Subjekt niemand und dem Akkusativobjekt einen solchen Schritt das Präpositionalobjekt von der Bahn (jemand erwartet etwas von jemandem) In Satz (9) fordert das Verb hoffen neben dem Subjekt ebenfalls ein Präpositionalobjekt (jemand hofft auf etwas) Dieses Präpositionalobjekt wird zunächst realisiert durch die verweisende Einheit darauf, die auf den abhängigen Satz (10) verweist . Erschiene dieser Satz im Vorfeld, entfiele der Verweis: Dass die Züge pünktlich fahren oder funktionieren, dürften sie nicht hoffen . Auch ein solcher abhängiger Satz wird traditionell als Präpositionalobjekt bezeichnet, weil er das Präpositionalobjekt ersetzt In der Schule wird zum Ermitteln von Objekten häufig die Weglassprobe herangezogen: Sie seien notwendige Satzglieder, weil sie zu einem grammatisch vollständigen Satz gehörten und seien deshalb nicht weglassbar . Auf die meisten Objekte aus dem obigen Text trifft dies zu . Trotzdem ist die Weglassprobe kein zuverlässiges Verfahren zur Ermittlung von Objekten, weil Objekte auch weggelassen werden können, wenn sie inhaltlich mitgedacht werden, im Kontext erscheinen oder wenn die mit ihnen vermittelte Information nicht interessiert: Genitivobjekt Präpositionalobjekt Weglassprobe 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 300 19 09 2019 16: 28: 07 Einheit 14 301 D Ie S at zGlIe D er Die Bahn empfiehlt ihren Kunden, im Winter viel Zeit mitzubringen Der Currywurstbudenbesitzer verpachtet der Bahn seinen Wagen Die Bahn verweigerte der Zeitung ein Interview Die Weglassprobe ist auch deshalb problematisch zum Erkennen von Objekten, weil das Weglassen von Satzgliedern die Verbbedeutung maßgeblich verändern kann und man sich dann quasi in einem anderen Satz befindet: „Bis 2014 werden die Kunden gelegentlich mit Einschränkungen rechnen müssen .“ Ich stelle mir dann den Besitzer einer Currywurstbude vor, der seine Friteuse nicht gewartet hat, (…) Objekte sind also mitunter weglassbar Trotzdem verbindet die Objekte, dass sie valenzgrammatisch Verbergänzungen sind Dass die Objekte nicht die einzigen Ergänzungen unter den Satzgliedern sind, haben wir bereits beim Subjekt erfahren, das als eine spezielle Verbergänzung gilt, und auch Adverbialien können als Ergänzung erscheinen . Das Objekt ist ein Gegenbegriff zu den Adverbialien, um die es im folgenden Abschnitt gehen wird Wir können das Objekt aber auch als Gegenbegriff zum Subjekt verstehen Dies betrifft zum einen Formales - ein Objekt kann nicht im Nominativ stehen, das Subjekt kann nur im Nominativ stehen Zum andern betrifft es auch die Terminologie, wenn man die Gegenüberstellung von Subjekt und Objekt auf die bereits oben erwähnte philosophische Tradition bezieht Während sich der philosophische Subjektbegriff auf den mit Bewusstsein ausgestatteten Menschen beschränkt, kann in der Sprache das Verb dieses Subjekt-Objekt-Verhältnis umkehren: Der Student interessiert sich für den Aushilfsjob Den Studenten interessiert der Aushilfsjob Der Gebrauch einer philosophischen Idee für die Sprachbeschreibung kann also schnell an Grenzen geraten Mit dem Abschied vom Terminus „Objekt“ verliert man deshalb nicht die grundlegende Idee der Sprachbeschreibung, sondern nur ein Etikett, das seinerseits auch schon eine Umdeutung erfahren hatte Adverbialien Als Adverbialien werden die Satzglieder bezeichnet, die nicht Subjekt, Objekt, Ergänzung eines Kopulaverbs oder Teil eines Funktionsverbgefüges im Satz sind Durch die Vielfalt ihrer Erscheinungsmöglichkeiten lassen sie sich am einfachsten durch den Ausschluss der anderen Satzglieder definieren; sie werden dadurch auch zu einer Art Restklasse Während die Objekte syntaktisch und formorientiert eingeteilt werden, finden wir bei Adverbialien eine semantische Unterscheidung Die traditionell Objekte als Ergänzungen Objekt als Gegenbegriff zum Subjekt 14.2.3 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 301 19 09 2019 16: 28: 07 302 D ie tr a D itionelle S at zglie Dlehre am häufigsten genannten Untergliederungen sind Ort, Zeit, Art und Weise und Grund; sie sind aber bei Weitem nicht die einzigen Terminologisch finden sich folgende Varianten - wir verwenden in diesem Buch hiervon die erste: ► � das Adverbiale - Pl die Adverbialien ► � das Adverbial - Pl . die Adverbiale ► � die adverbiale Bestimmung ► � die Umstandsbestimmung In Grammatiken und Schulbüchern erscheinen zum Adverbiale oft die folgenden Merkmale: ► � Sie „sind diejenigen Satzglieder, die man am leichtesten erkennen kann Sie können nämlich durch Fragen wie wo? , wann und wie? ermittelt werden “ Unterschieden werden „drei Arten von adverbialen Bestimmungen“: des Ortes, der Zeit und der Art und Weise (wortstark 5, Schroedel 2003, S 244) ► � Adverbialien seien „Satzglieder, die Angaben über die näheren Umstände von Ereignissen enthalten (…) [und] zum Verständnis eines Satzes/ Textes notwendig, grammatisch unbedingt nötig sind sie nicht . Man kann Adverbiale weglassen, ohne dass ein Satz grammatisch unvollständig wird “ (Wort & Co 5, Buchner 2004, S . 127) Dass sie grammatisch nicht „unbedingt nötig“ seien, wird in manchen Lehrwerken auch auf die Weglassprobe bezogen - was man weglassen könne, ohne dass ein Satz ungrammatisch werde, sei ein Adverbiale (z B . Deutschprofi A4, Oldenbourg 2006, S 207; Tandem 3, Schöningh 2005, S 286) Dies ist ein ebenso wenig brauchbares Kriterium zur Erfassung dieser Satzglieder wie die umgekehrte Behauptung für die Objekte, wie der folgende Beispieltext zeigen wird Wir betrachten zunächst einen Text mit 16 Adverbialien, die hier unterstrichen sind Attribute, die zu einem Adverbiale gehören, sind unterstrichelt; die Verben sind blau markiert: Dudley umnachtet (1) Der bislang heißeste Tag des Sommers neigte sich dem Ende zu (2) und eine schläfrige Stille lag über den großen wuchtigen Häusern des Ligusterwegs (3) Autos, die normalerweise glänzten, standen staubig in den Einfahrten, (4) und Rasenflächen, die einst smaragdgrün waren, lagen verdorrt und gelbstichig da - (5) wegen der Dürre war es verboten worden, (6) sie mit Gartenschläuchen zu wässern (7) Die Bewohner des Ligusterwegs, die sich nun nicht mehr wie üblich mit Autowaschen und Rasenmähen die Zeit vertreiben konnten, hatten sich in die Schatten ihrer kühlen Häuser zurückgezogen zur Terminologie Beispiel (aus: Rowling, Joanne K : Harry Potter und der Orden des Phönix Hamburg: Carlsen 2003, S 7) 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 302 19 09 2019 16: 28: 07 Einheit 14 303 D Ie S at zGlIe D er (8) und die Fenster weit aufgestoßen in der Hoffnung, (9) eine vermeintliche Brise hereinzulocken (10) Der einzige Mensch, der noch draußen war, ein Teenager, lag in einem Blumenbeet vor Nummer vier flach auf dem Rücken . (11) Es war ein schlaksiger, schwarzhaariger Junge mit Brille, (12) der ausgezehrt und leicht ungesund wirkte wie jemand, (13) der in kurzer Zeit recht schnell gewachsen war Wir beginnen mit einer syntaktischen Betrachtung der verwendeten Wortgruppen In der folgenden Auflistung werden die Adverbialien, die im Text als Verbergänzung dienen, zusätzlich fett markiert Bei ihnen würde die oben erwähnte Weglassprobe einer angemessenen Analyse im Weg stehen - ohne sie wären die Sätze nämlich ungrammatisch Die meisten Adverbialien sind Präpositionalgruppen: (2) über den großen wuchtigen Häusern des Ligusterwegs (3) in den Einfahrten (5) wegen der Dürre (6) mit Gartenschläuchen (7) in die Schatten ihrer kühlen Häuser (8) in der Hoffnung (10) in einem Blumenbeet vor Nummer vier (10) flach auf dem Rücken (13) in kurzer Zeit Quantitativ an zweiter Stelle stehen bei den Adverbialien die Adverbgruppen, zu denen wir auch die adverbial verwendeten Adjektive zählen (vgl Abschnitt-5 3) Von den Adverbien haben die Adverbialien ihre Bezeichnung: Adverbialien sind die Satzglieder, die üblicherweise durch eine als Adverb verwendete Einheit realisiert werden können ( → Abschnitt 5 3): (3) normalerweise (4) einst (8) weit (12) ausgezehrt und leicht ungesund (13) recht schnell Ebenfalls häufig sind abhängige Sätze, zu denen wir Beispiele aus weiter oben verwendeten Texten anführen: Als Herr Keuner weggegangen war, fragten ihn seine Schüler nach seinem Rückgrat Der 34-Jährige wurde das Tier auf der Straße in Neumünster einfach nicht mehr los, nachdem es ihn gesichtet hatte 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 303 19 09 2019 16: 28: 07 304 D ie tr a D itionelle S at zglie Dlehre Eher untypisch sind Nominalgruppen als Adverbialien: Des Morgens kam der Milchmann, danach fütterte der alte Mann seine Hühner Den ganzen Tag schien im Auenland die Sonne Dieses Jahr werden die Fahrpreise im Fernverkehr nicht erhöht In dieser formalen Darstellung haben wir uns an der Häufigkeit orientiert, wie die einzelnen Wortgruppen in Texten vorkommen An den beiden Rändern - den Präpositionalgruppen als den typischen Erscheinungsweisen von Adverbialien und den Nominalgruppen als deren seltensten Erscheinungsweisen - entstehen manchmal Abgrenzungsschwierigkeiten zum Objekt Präpositionalgruppen können nur dann Objekt sein, wenn ihre Präposition im Verb angelegt ist und die Präposition ihre ursprüngliche Bedeutung aufgegeben hat Wird eine Präpositionalgruppe als Adverbiale verwendet, kann sie zwar als Ergänzung im Verb angelegt sein (wie die Einheiten in den Sätzen (2), (3) und (10)), diese Ergänzungen sind aber normalerweise nicht auf eine ganz bestimmte Präposition festgelegt: Der Junge lag in einem Blumenbeet/ hinter einem Blumenbeet/ neben einem Blumenbeet Am anderen Rand und damit relativ selten erscheint eine Nominalgruppe als Adverbiale Wenn eine Nominalgruppe so verwendet wird, hat sie einen freien Kasus und hat feste Formen (eines Tages/ eines Morgens/ dieses Jahr/ die ganze Strecke/ meines Erachtens/ frohen Mutes/ guter Dinge …) Sie können unabhängig vom valenztragenden Verb zu einem Satz hinzutreten Wenn Nominalgruppen hingegen als Objekte erscheinen, bekommen sie ihren Kasus vom Verb zugeteilt ( → Abschnitt 12 5 3 und 14 2 2) Wir können die Adverbialien nicht nur formal, sondern auch nach ihrer Semantik einteilen, wie das in der Schulgrammatik seit jeher gemacht wird In den meisten Lehrwerken findet sich die Untergliederung in drei oder vier Adverbialien; manche unterscheiden jedoch zunächst nur Ort und Zeit (z B Deutsch plus Kl . 5, Cornelsen 2007, S 225); Art und Weise und Grund werden später nachgereicht (Deutsch plus Kl 7, Cornelsen 2006, S 64) Wir versuchen im Folgenden, die Adverbialien aus unserem Text den vier üblichen Untergliederungen zuzuteilen: 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 304 19 09 2019 16: 28: 07 Einheit 14 305 D Ie S at zGlIe D er Adverbiale des Ortes Adverbiale der Zeit Adverbiale der Art und Weise (und des Mittels) Adverbiale des Grundes (1) über den großen wuchtigen Häusern des Ligusterwegs (3) in den Einfahrten (7) in die Schatten ihrer kühlen Häuser (direktional) (10) in einem Blumenbeet vor Nummer vier (10) flach auf dem Rücken (4) einst (6) mit Gartenschläuchen (8) weit (12) ausgezehrt (12) leicht ungesund (7) wie üblich (5) wegen der Dürre (8/ 9) in der Hoffnung, eine vermeintliche Brise hereinzulocken Das Adverb normalerweise sperrt sich gegen eine eindeutige semantische Einteilung Man könnte es einerseits in eine Reihe mit Adverbialien stellen, die sich auf Häufigkeit und Rhythmus von Vorgängen oder Ereignissen beziehen wie alle zwei Stunden oder wöchentlich Dieser Untergliederung werden ebenso als Adverbialien verwendbare Adverbien wie selten, oft, fast immer zugerechnet, die weniger festgelegte Rhythmen beschreiben Sie werden auch als frequentative Adverbialien bezeichnet . Wir könnten andererseits normalerweise auch als Adverbiale der Bedingung deuten, weil es die Bedingung des Normalseins („wenn es normal zugeht“) beinhaltet . Die Einheiten wie üblich in Satz (7) und wie jemand … in den Sätzen (12)/ (13) sind Vergleiche, die mitunter als eigene Untergliederung erscheinen Eine mehrdeutige Interpretation erlaubt auch die Einheit 25 Zeilen später aus der Kolumne des vorigen Abschnitts als Adverbiale des Ortes oder als Adverbiale der Zeit: 25 Zeilen später im gleichen Interview sagte der Bahnchef: (…) Ort und Zeit sind nicht nur über die Relativitätstheorie miteinander verbunden, sondern auch sprachlich So werden Präpositionen, die Ortsrelationen herstellen können, für Zeitliches verwendet (vor fünf Minuten, in einem Jahr …) oder für die Angabe von Gründen (z B vor: Der Junge lag vor Erschöpfung auf dem Boden) Auch Verben können ihre Bedeutung entsprechend verändern: Der Junge liegt im Blumenbeet Der Termin liegt im Januar Weil Ort und Zeit so nah beieinander liegen können und sich mitunter auch gar nicht unterscheiden lassen, fasst die IDS-Grammatik Ergänzungen des Ortes und der Zeit zum Situativkomplement zusammen: Der Unfall passierte auf der Reise/ bei einer Wanderung/ im Urlaub Tab. 14.4 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 305 19 09 2019 16: 28: 07 306 D ie tr a D itionelle S at zglie Dlehre Die übliche semantische Einteilung der Adverbialien ist aber trotzdem kein Fehltritt der Analyse wie die viel kritisierte Bezeichnung von Verben als Tätigkeitswörter Wir befinden uns nämlich bei der Satzgliedanalyse bereits auf einer relationalen Ebene, wenn wir vom Verb aus die Satzglieder wahrgenommen haben Bei den Adverbialien kommen die semantischen Einteilungen als funktionale Aspekte zu der zunächst etwas nüchternen Analyse der syntaktischen Abhängigkeiten hinzu Sie enthalten Erkenntnismöglichkeiten, auf die man im Grammatikunterricht nicht verzichten sollte: Mit den semantischen Einteilungen kommen Muster des Weltbezugs in den Blick, die für ein funktionales Sprachverständnis aufschlussreich sind Bestimmte Aspekte kommen dabei besonders häufig vor: Der Mensch lebt in Raum und Zeit und deutet vieles als ein Zusammenspiel von Ursache und Wirkung, und diese Gegebenheiten finden sich auch in der Sprache - Adverbialien des Ortes, der Zeit und des Grundes können üblicherweise zu einem Gedanken bzw einem Satz hinzukommen, weshalb diese Adverbialien besonders häufig sind Die anderen Arten der Adverbialien lassen sich entsprechend deuten - bei der Beschreibung von Sachverhalten spielen z B . Adverbialien der Art und Weise oder des Mittels eine wichtige Rolle Wie viele Untergliederungen von Adverbialien ganz genau notwendig sind, kann nicht eindeutig beantwortet werden, weil die Welt und die Ausdrucksbedürfnisse zu vielfältig sind, um sie in vier, zehn oder zwanzig Kategorien unterzubringen Die Einteilung erfolgt üblicherweise nach semantischen Klassen, die mit deutschen oder lateinischen Fachtermini bezeichnet werden Die deutschen Termini erscheinen für eine semantische Analyse angemessener und können in der Schule zu einer Begriffsbildung beitragen, weil man über die Termini in Verbindung mit sprachlichen Beispielen zunehmend abstrakte Relationen begreifen lernt wie Grund, Folge, Zweck, Bedingung oder Einräumung („wirkungsloser Gegengrund“) Auch wenn die semantischen Einteilungen nicht immer eindeutig vorgenommen werden können, bedeuten sie damit sprachliches Lernen im besten Sinne In Grammatiken finden sich die folgenden Einteilungen: lateinischer Terminus deutscher Terminus Beispiel (unterstrichen) Lokaladverbiale Adverbiale des Ortes Autos standen staubig in den Einfahrten. Im Auenland wird die Wurst teurer. Direktionaladverbiale Adverbiale der Richtung Die Bewohner des Ligusterwegs (…) hatten sich in die Schatten ihrer kühlen Häuser zurückgezogen. Temporaladverbiale Adverbiale der Zeit Dieses Jahr werden die Fahrpreise im Fernverkehr nicht erhöht. Was heute passiert, steht morgen in der Zeitung. Seitdem er sich den Schnurrbart abrasiert hatte, Tab. 14.5 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 306 19 09 2019 16: 28: 07 Einheit 14 307 D Ie S at zGlIe D er lateinischer Terminus deutscher Terminus Beispiel (unterstrichen) war ihm immer sofort anzumerken, wenn ihn etwas besonders aufregte. Durativadverbiale Adverbiale der Zeitdauer Zwar gibt es in Deutschland Firmen, die ihre Preise manchmal über mehrere Jahre stabil halten. Frequentativadverbiale Adverbiale der Häufigkeit Die Bahn erhöht jährlich ihre Preise. Die WM findet alle vier Jahre statt. Modaladverbiale Adverbiale der Art und Weise Es war ein schlaksiger, schwarzhaariger Junge mit Brille, der ausgezehrt und leicht ungesund wirkte (...) Instrumentaladverbiale Adverbiale des Mittels (…) wegen der Dürre war es verboten worden, sie mit Gartenschläuchen zu wässern. Adversativadverbiale Adverbiale des Gegensatzes Während die erste Folge ein großer Erfolg wurde, floppte die Fortsetzung. Substitutivadverbiale Adverbiale der anderen Möglichkeit Anstatt sich zu entschuldigen, machte er ihr Vorwürfe. Komitativadverbiale Adverbiale der Begleitung Mit einem multikulturellen Expeditionsteam (Hobbits, Elben, Zwerge, Menschen) bricht Frodo auf ins Herz der Finsternis. Ohne seine Jacke geht er nirgendwo hin. Konditionaladverbiale Adverbiale der Bedingung Bei Unwetter haben die Züge meistens Verspätung. Wenn die Friteuse ausfällt, werden die Würste kalt serviert. Restriktivadverbiale Adverbiale der Einschränkung Du kannst vorbeikommen, außer wenn du schon etwas vorhast. Quantitätsadverbiale Adverbiale des Maßes Das Gericht brummt Karen S. 700 Euro auf - wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Kalte Würste kosten die Hälfte. Die Sitzung dauerte zwei Stunden. Frodo lief einen Kilometer. Kommentaradverbiale Die Reaktion war meines Erachtens überzogen. Frodo ist wahrscheinlich überfordert. Kausaladverbiale Adverbiale des Grundes (…) wegen der Dürre war es verboten worden, sie mit Gartenschläuchen zu wässern. Konzessivadverbiale Adverbiale der Einräumung/ des wirkungslosen Gegengrundes Obwohl das Buch als unverfilmbar galt, gelang Jackson der ganz große Wurf. Das Buch galt als unverfilmbar. Trotzdem gelang Jackson der ganz große Wurf. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 307 19 09 2019 16: 28: 07 308 D ie tr a D itionelle S at zglie Dlehre lateinischer Terminus deutscher Terminus Beispiel (unterstrichen) Konsekutivadverbiale Adverbiale der Folge Die Friteuse fiel aus, sodass die Würste kalt serviert werden mussten. Finaladverbiale Adverbiale des Zwecks und Ziels Um den Film zu drehen, ging Jackson nach Neuseeland. Damit der Film ein Erfolg wird, überließ er nichts dem Zufall. Der Film eignet sich zur Unterhaltung. Textadverbiale Zum einen möchte sie ein gutes Verhältnis zu ihren Schülerinnen haben, zum andern muss sie auch ihre Autorität zeigen. Statt eines Nachworts Wenn Sie irgendwann als Lehrkraft an eine Schule kommen, werden Sie vermutlich schon bald den Satz hören: „Nun vergessen Sie mal alles, was Sie an der Universität gehört haben Sprachwissenschaft mag ja eine nette Gedankenspielerei sein, aber wir machen es hier eben so, wie wir es schon immer machen .“ Wenn Sie am Anfang Ihres Studiums stehen, haben Sie in diesem Buch etwas ganz Ähnliches erfahren (nur andersrum): Gehen Sie kritisch mit dem um, was Sie in der Schule gelernt haben und was in Büchern steht Versuchen Sie, das zu verstehen, was in der Schule den Kindern und Jugendlichen beigebracht werden soll, und was Sie selbst nicht richtig verstehen, könnte auch für die Schülerinnen und Schüler problematisch sein In diesem Buch ging es um eine didaktische Betrachtung der Grammatik Didaktik ist in erster Linie die Auswahl aus der Fülle von Gegenständen, die es in einem Ausschnitt „von Welt“ gibt, und nicht alle Details sind gleich wichtig, wenn man die Muster eines Systems wie der Sprache verstehen möchte Unser Blick auf die Welt hat sich in den letzten Jahrzehnten in einer Weise ausdifferenziert, dass der damit verbundene Wissenszuwachs für den Gebrauch an Schulen sehr sorgfältig geordnet werden muss Natürlich kann man den Fortschritt auch ignorieren und Traditionen pflegen, obwohl man es besser weiß Diese Situation haben wir in der offiziellen Schulgrammatik Wer selbst denken und verstehen möchte, wird sich damit nicht zufrieden geben Übungen 1 Sie haben folgende Magnetkarten als verschiebbare Einheiten für die Tafel hergestellt (vgl. Abb. 4.2 auf S. 81). Was können Kinder und Jugendliche daran in grammatischer Hinsicht lernen? 14.3 Vergessen Sie alles … 14.4  Lösungshinweise unter www.bachelorwissen.de und www.granzowemden.de 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 308 19 09 2019 16: 28: 07 Einheit 14 309 ü bunG en der früh er Vogel Wurm such t der früh e Vogel Wurm friss t der ein en Vogel Wurm fress t den ein en Vogel Wurm schmeck e den dem ge er ihn auf auf hat will . 2 Stellen Sie sich vor, Sie müssten im Praktikum eine Unterrichtseinheit erarbeiten, die zum Merkkasten „Die notwendigen Satzglieder: Prädikat - Subjekt - Objekt“ hinführt (s. Abbildung 14.4). Diskutieren Sie diesen Schulbuchausschnitt. 3 1. Schild an einem Tresen: „In betrunkenem Zustand können wir Sie leider nicht bedienen! “ 2. Und jetzt singe ich ‚Am Brunnen vor dem Tore‘“, sagt die Gastgeberin. „Sehr vernünftig“, meint der Gast, „hier drinnen hört Ihnen sowieso keiner mehr zu.“ 3. Er zu ihr: „Ich nehme dich zu meiner Frau! “ Sie zu ihm: „Was soll ich denn bei deiner Frau? “ Bestimmen Sie die Satzglieder, die für die Doppeldeutigkeit dieser Beispiele verantwortlich sind. 4 1. Das Bild hängt an der Wand. 2. Die alte Frau hängt an ihrer Vergangenheit. 3. Der Nachbar steht auf dem Balkon. 4. Der alte Mann hofft auf bessere Zeiten. a) Alle Sätze enthalten jeweils eine Präpositionalgruppe. Diese Präpositionalgruppen haben unterschiedliche Funktionen. Ermitteln Sie diese. b) Wie unterscheiden sich die jeweils gleichen Präpositionen in semantischer Hinsicht? 5 In einem Schulbuch fand sich in der ersten Auflage folgende Aufgabe. Worauf weist der Fehler hin? Genitiv-Objekt: wessen? Kennst du dich aus bei den Tieren? Die Jungen ____________________ nennt man Frischlinge. Das Weibchen ____________________ nennt man Fähe. Die Jungen ____________________ heißen Ferkel. Der Vater ____________________ heißt Hahn. Das Junge ____________________ nennt man Fohlen. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 309 19 09 2019 16: 28: 08 310 D ie tr a D itionelle S at zglie Dlehre 6 1. Der bislang heißeste Tag des Sommers neigte sich dem Ende zu und eine schläfrige Stille lag über den großen wuchtigen Häusern des Ligusterwegs. 2. Die beiden in einem Haushalt lebenden Frauen waren zuvor wegen des angeblich unziemlichen Verhaltens des „Kindes“ in einen handfesten Streit geraten. 3. Als Gandalf ihn aufklärt, ist es vorbei mit Frodos friedlichem Leben im sonnigen Auenland: Der Ring muss vernichtet werden. 4. Der Winter bedarf bei der Bahn besonderer Vorkehrungen. 5. Eine der größten politischen Sensationen der vergangenen Wochen bestand in der Ankündigung der Bahn, ihre Preise im nächsten Jahr nur im Nahverkehr zu erhöhen. 6. Ich stelle mir dann den Besitzer einer Currywurstbude vor, der seine Friteuse nicht gewartet hat, jetzt sagt er, dass er bis 2014 seine Currywürste gelegentlich kalt servieren muss. 7. Seit Jahren passierte immer das Gleiche: Des Morgens kam der Milchmann, danach fütterte der alte Mann seine Hühner (…). Aber eines Morgens geschah etwas Besonderes: Ein Bote kam und teilte dem alten Mann mit, dass (…) 8. Die lange Zeit einer Mondfinsternis entsteht dadurch, dass der Erdschatten aufgrund des großen Erddurchmessers um ein Vielfaches größer ist als der Mond (…) 9. Dieter vergewisserte sich der allgemeinen Zustimmung. a) Unterstreichen Sie die Nominalgruppen im Genitiv. b) Ermitteln Sie in den Sätzen folgende Einheiten im Genitiv: - Genitivobjekte - Adverbialien als Präpositionalgruppe - Adverbialien als freier Genitiv - Genitivattribute - andere Arten des Genitivs 7 1. Aufgrund ihrer besonderen Sachkunde gab es keine Probleme. 2. Das ist kein Wunder bei ihrer besonderen Sachkunde. 3. Dazu bedarf es ihrer besonderen Sachkunde. 4. Das danken wir ihrer besonderen Sachkunde. 5. Das ist das Ergebnis ihrer besonderen Sachkunde. Auf den ersten Blick scheint es sich bei den fünf unterstrichenen Phrasen um fünf identische Nominalgruppen zu handeln. a) Analysieren Sie die Kasus mithilfe grammatischer Proben. Wie kommen die Kasus zustande? b) Begründen Sie, welche der Nominalgruppen Satzglieder und welche nur Teil eines Satzgliedes sind? 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 310 19 09 2019 16: 28: 08 Einheit 14 311 V erw enD e t e unD w e It erführenD e l It er atur Dürscheid, Christa (2012): Syntax. Grundlagen und Theorien. Mit einem Beitrag von Martin Businger. 6., aktualisierte Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Eisenberg, Peter (2006): Grundriss der deutschen Grammatik. Band 2: Der Satz. 3.,-durchgesehene Auflage. Stuttgart; Weimar: Metzler. Glinz, Hans (1995): Die leidige Grammatik [und weitere Aufsätze]. In: Praxis Schule 5-10, Heft 4, 6-24. Gornik, Hildegard; Weise, Anja (2009): „Da steckt immer wem drin, wer was kriegt.“ Den Begriff „Objekt“ entwickeln. In: Praxis Deutsch 214, 18-24. Granzow-Emden, Matthias (2006): Wer oder was erschlägt man besser nicht mit einer Klappe? Kasus und Satzglieder im Deutschunterricht. In: Becker, Tabea; Peschel, Corinna (Hrsg.): Gesteuerter und ungesteuerter Grammatikerwerb. Baltmannsweiler: Schneider, 87-104. Haider, Hubert (1994): „(Un-)heimliche Subjekte“. In: Linguistische Berichte 153, 372-385. Heidolph, Karl Erich; Flämig, Walter; Motsch, Wolfgang (1984): Grundzüge einer deutschen Grammatik. Berlin: Akademie Verlag. Musan, Renate (2009): Satzgliedanalyse. 2., aktualisierte Auflage. Heidelberg: Universitätsverlag Winter. Pittner, Karin (1999): Adverbiale im Deutschen. Untersuchung zu ihrer Stellung und Interpretation. Tübingen: Stauffenburg. Wieland, Regina; Melzer, Florian (2010): ‚Was ist ein Satzglied? ‘ - Unterschiedliche Zugänge zu einer grammatischen Einheit: Anregungen für die 5. Klassenstufe. In: Frederking, Volker; Huneke, Hans Werner; Krommer, Axel; Meier, Christel (Hrsg.): Taschenbuch des Deutschunterrichts, Band 1: Sprach- und Mediendidaktik. Baltmannsweiler: Schneider, 457-466. 8 Vergleichen Sie die unterstrichenen Wortgruppen nach ihrem Kasus und als Satzglieder. Verwenden Sie dabei grammatische Proben sowie die valenzgrammatische Darstellung („Atommodell“). Wer hat denn eine ganze Legislaturperiode geschlafen? Wer hat denn eine ganze Legislaturperiode verschlafen? Verwendete und weiterführende Literatur 14.5 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 311 19 09 2019 16: 28: 08 312 Register A Abfolge mehrerer Attribute 237 abhängiger Satz. Siehe Verbletztsatz Ablaut. Siehe starke Verben Ableitung 57 Abtönungspartikel 102, 105 Adjektiv 70 f., 91 f., 101 f., 142 f., 173 f., 209, 211, 218, 222, 228 ff. , 274 f. − Ableitungen vom Verb 230 f. − Ableitungen von Adverbien 231 − Ableitungen von Nomen 231 − absolute Adjektive 230 − Adjektivattribut 92, 209, 211, 228 ff. , 274 f. − Adjektivergänzung zum Kopulaverb 92 f. , 142 f., 260 − Adjektivgruppe 211, 229 − adverbiales Adjektiv 93 − Deklination 92, 228, 274 ff. − Komparation 70, 231 f. − Komparativ 231 − Komparierbarkeit 232 − Partizip I 229 f. − Partizip II 142, 173 f. , 228 f. − Positiv 231 − prädikatives Adjektiv. Siehe Adjektivergänzung zum Kopulaverb − Qualitätsadjektive 230 − Rektion von Adjektiven mit Kopulaverb 260 − relative Adjektive 230 − Semantik 230 − Suffix 230 f. − Superlativ 231 − Vergleichsformen 231 Adjektivattribut 92, 209, 211, 228 ff. , 274 f. Adjektivgruppe 211, 229 Adjunktor 261 Adkopula 92 Adverb 89, 91-98 , 101 f., 104 f., 231 f., 303 − Adverbattribut 238 − Adverbgruppe 103 f., 303 − Präpositionaladverb 91 − Semantik 93 Adverbiale 13, 28, 30 f., 93, 262, 301-308 adverbiale Bestimmung. Siehe Adverbiale Adversativadverbiale 307 Agens 172 Akkusativ 246-263, 269-284 − Akkusativattribut 238 − Akkusativergänzung 171, 297-301 − Akkusativobjekt 13, 171, 253, 260, 270, 297-301 − Casus obliquus 247 − freier Akkusativ 262 Aktionsarten 168 Aktiv 171 f. , 181-198 § als # und § wie # 261 analytische Verbbildung 66 Aneignung 8 Angabe 28, 30 f. , 35, 228 Antwortpartikel 104 Apposition 234 Artikel. Siehe Begleiter Artikel (bestimmter/ unbestimmter) 219 Asterisk 31 Attribut 13, 28, 209, 227-240 , 272 ff., 292, 298, 302 − Adjektivattribut 92, 228 ff. , 274 f. − Adverbattribut 238 − Akkusativattribut 238 − Apposition 234 − Genitivattribut 221, 232 f. , 237, 260 f., 272 − Infinitivattribut 238 − Präpositionalattribut 233 , 237 − relativisches Attribut 234 ff. − Verbletztattribut 238 Aufforderung 74 f., 110 ff., 124, 190, 199, 262 Aufforderungssatz 109, 113 f., 124 Ausklammerung 76 Ausrufezeichen 110-114, 127 f. Aussage 114, 175 Aussagesatz 110-114 B Begleiter 14, 91 f., 204-216, 217-224 , 244 ff., 273 ff. − Begleiterlosigkeit 48, 221, 222 f. − Deklination 270-279 − § der # 218 ff., 272-278 − § ein # 218 ff., 272-278 − Nullartikel 221 f. − Possessivum 221, 249, 273, 279 Begriffsbildung 40 ff. bestimmter Artikel 219 Betrachtzeit 168 ff. Bezugssatz 95 f., 123, 126 § bleiben # 138, 141 f. Buchstabe 54 C Casus obliquus 233, 247 Casus rectus 247 D Dativ 246-263, 269-284 − Casus obliquus 233, 247 − Dativergänzung 297-301 − Dativobjekt 252 ff., 258 ff., 270, 297-301 − Dativus commodi 262 − Dativus ethicus 262 − Dativus incommodi 262 − Dativus judicantis 262 − freie Dativformen 262 − Pertinenzdativ 262 Deixis 88 ff., 159, 213-219. Siehe auch Zeigen Deklination 57 − § n # -Deklination 282 ff. Deklination der attributiven Adjektive 211, 274 f. Deklination der Nominalgruppe 269-284 − Deklination der attributiven Adjektive 211, 274 f. − Deklination der Begleiter 270-279 − Deklination der Personalpronomen 279 ff. − schwache Deklinationsformen 274 ff. − starke Deklinationsformen 273 ff. Demonstrativum 235 deontische Lesart 147 f. Derivation 57 Deutsch 7 f. − gutes Deutsch 5 f. − schlechtes Deutsch 5 f. Deutschunterricht 8 ff., 15 ff., 51 ff., 247 ff. Dialekt 5 f.. Siehe auch Varietät Diathese. Siehe Genus verbi Diphthong 55 direkte Rede 120 Direktionaladverbiale 306 disjunktiv 253 f. diskontinuierlich 63, 291 Donat 7 f., 22 dritte Person 158, 160 ff. Durativadverbiale 307 § dürfen # 138, 145-150 E Eigennamen 204, 217 f., 222 Eigenschaftswort 231 Einzahl. Siehe Singular Ellipse 75 Entscheidungsfrage 126 epistemische Lesart 148 f. Ereigniszeit 168 f. Ergänzung 21, 26-35 , 63 f., 66 f., 69, 71, 82, 143, 146, 228, 237, 252 f., 258 f., 287-308 − fakultativ 31 − obligatorisch 31 f. Ergänzungsfrage 127 Ersatzprobe 252, 255, 295 erste Person 158-163 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 312 19 09 2019 16: 28: 08 313 Register Erststellung des finiten Verbs. Siehe Verberstsatz Erweiterungsprobe 223 explizite Grammatik 7 f. F fakultativ 31 Fall. Siehe Kasus Feldgliederung der Nominalgruppe 208 f. Feldgliederung des Satzes 61-83 , 94-99, 104 f., 117-123 , 208-213 − Hauptmuster des Satzes 118 − leeres Vorfeld 74 f. − linkes Verbfeld 65 ff. − Mittelfeld 62, 77 f. − Nachfeld 62, 76 ff. − Nebenmuster des Satzes 118 − Passaufmuster des Satzes 118 − rechtes Verbfeld 68 ff. − Verberstsatz 74 f. , 117-122 − Verbletztsatz 94-98 , 117-123 − Verbzweitsatz 62, 66 f., 71, 94, 96, 117-123 − Vorfeld 62, 71 ff. − Vorvorfeld 100 Feldgliederung eines Satzgliedes 208-213 Femininum 221, 244 , 245 f., 270-284 Finaladverbiale 308 finites Verb 65 ff. , 95, 110, 158 , 166, 176, 181-198, 208, 234, 291-295 − Erststellung des finiten Verbs. Siehe Verberstsatz − Letztstellung des finiten Verbs. Siehe Verbletztsatz − Zweitstellung des finiten Verbs. Siehe Verbzweitsatz Flexion 56 f., 232. Siehe auch Deklination und Konjugation − flektierbar 8 − flektierende Sprache 246, 254 f. − nicht flektierbar 91, 101, 232 Fokuspartikel 102 ff. Form und Funktion 4, 43ff. , 53 ff., 110 Frage 74 f., 111, 113, 125 ff. , 249, 253 − indirekte Frage 126 − Intonation 113, 125 f. − Ja-Nein-Frage 110-114, 126 − W-Frage 110-114, 126 f. Fragehandlungen 110 ff., 124 ff. Fragemethode 13, 28, 248-254, 287 Fragesatz 110-114 Fragewort 94, 102, 126, 248, 252 ff. Fragezeichen 110-114, 127 f. freier Akkusativ 262 freier Dativ 262 freier Genitiv 262 Frequentativadverbiale 305, 307 Frühneuhochdeutsch 7 Funktionsverb 138 ff. Funktionsverbgefüge 32, 71 f., 139ff. , 301 Funktionswörter 11 Funktion und Form 4, 43 ff. , 53-57, 110 Futur 143, 165 f., 176, 184 f. Futur I. Siehe Futur Futur II. Siehe Futurperfekt Futurperfekt 165 f., 170, 176, 186 f. G gebeugtes Verb. Siehe finites Verb Gegenwart 165 f., 174 generische Beschreibung 219 Genitiv 248-263, 270-284 − Casus obliquus 247 − Genitivattribut 221, 232 f. , 237, 260 f., 272 − Genitivergänzung 297-301 − Genitivobjekt 260, 270, 297-301 Genus beim Nomen 244 , 270-284 Genus beim Personalpronomen 158, 279 f. Genus beim Possessivum 221 Genus beim Relativum 236 Genus verbi 171 f. , 181-199 Geschlecht 171, 244 geschrieben 42, 52, 55 gesprochen 52, 54 f., 182 Gliedsatz 28, 292 Gradpartikel. Siehe Intensitätspartikel Grammatikalisierung 45, 139, 141, 143, 173 f., 230, 257 grammatische Kategorie. Siehe Wortarten grammatische Muster 49 ff. Siehe auch Muster grammatische Norm 51 ff. grammatische Proben 46 − Ersatzprobe 252, 255, 295 − Erweiterungsprobe 223 − Umformprobe 146, 149, 172, 239 − Umstellprobe 239 − Weglassprobe 31, 233, 240, 300 ff. grammatische Regel 47 ff. Graphem 55 Graphematik 53 f. Großschreibung von Nomen 201-224 Grundform des Verbs. Siehe Infinitiv gute Schulgrammatik 40 H Hauptmuster des Satzes 118 Hauptsatz 114 ff. Hilfsverb 29 , 66, 138, 141 ff. , 149, 181-199 − § haben # als Hilfsverb 29, 138, 173, 182 f. − Perfekthilfsverb 173 f., 182 f. − § sein # als Hilfsverb 29, 138, 141 ff. , 173, 182 f. − § werden # als Hilfsverb 138, 143, 184 ff. − § werden # als Passivhilfsverb 143, 174 , 181-199 historisches Präsens 167, 181 Hörerdeixis 159 Hypotaxe 67, 100 I Illokutionen 124 Imperativ 74, 113, 163 ff. Imperfekt. Siehe Präteritum implizite Grammatik 4-6 Indikativ 175 f. , 181-189 indirekte Frage 126 indirekte Rede 190 infinite Verbformen 69 , 295 ff. Siehe Infinitiv und Partizip II Infinitiv 27, 63, 69 , 97, 133, 135 f., 142, 145 f., 149 f., 229 Infinitivattribut 238 Infinitivprobe 142 Infinitivsatz 97 f., 142, 223, 236, 292, 294 ff. Infix 134 f. Inhaltswörter 11 Instrumentaladverbiale 307 Intensitätspartikel 103, 105, 232 Interjektion 101 Intonation 113, 125 f. intransitives Verb 183 irreguläre Verbformen. Siehe unregelmäßige Verben J Ja-Nein-Frage 110-114, 126 K Kasus 28, 31, 236, 246-263 , 270-284 − Akkusativ 246-263, 269-284 − Akkusativattribut 238 − Akkusativergänzung 171, 297-301 − Akkusativobjekt 13, 171, 253, 260, 270, 297-301 − freier Akkusativ 262 − Casus obliquus 233, 247 − Casus rectus 247 − Dativ 246-263, 269-284 − Dativergänzung 297-301 − Dativobjekt 252 ff., 258 ff., 270, 297-301 − freie Dativformen 262 − Deklination der Nominalgruppe 269-284 − freie Kasus 262 f. − Genitiv 248-263, 270-284 − Genitivattribut 221, 232 f. , 237, 260 f., 272 − Genitivergänzung 297-301 − Genitivobjekt 260, 270, 297-301 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 313 19 09 2019 16: 28: 08 314 R egist e R − Kasusforderung. Siehe Rektion − Nominativ 142, 246 ff. , 256, 259, 270-284, 292 − Nominativergänzung 142 − Semantik 256, 259 Kasusforderung. Siehe Rektion kategoriale (lexikalische) Wortarteneinteilung 10 ff. , 131, 203 f. Kategorie. Siehe Wortarten Kategorisierungen der Nominalgruppe 243ff. Kategorisierungen des Verbs 157 ff. Kausaladverbiale 307 Klammerbildung − Ausklammerung 76 − Feldgliederung der Nominalgruppe 208 ff. − Feldgliederung des Satzes 61-82 , 94-99, 104 f., 117 ff. − Hauptmuster des Satzes 118 − leeres Vorfeld 74 f. − linkes Verbfeld 65 ff. − Mittelfeld 62 − Nachfeld 62, 76 ff. − Nebenmuster des Satzes 118 − Passaufmuster des Satzes 118 − rechtes Verbfeld 68 ff. − Verberstsatz 74 f. , 117-122 − Verbletztsatz 94-98 , 117-123 − Verbzweitsatz 62, 67, 71, 94, 96, 117-123 − Vorfeld 62, 71-76 − Vorvorfeld 100 − Kopulaklammer 71 − Modalklammer 66, 79, 145, 181-199 − Nominalklammer 208 , 228 f. − Passivklammer 66, 79, 181-199 − Präverbklammer 63 f. , 79 − Satzklammer 62, 71 − Tempusklammer 66, 79, 181-199 − trennbares Verb 63 f. , 69 f., 133, 135 − Verbklammer 61-82. Siehe auch Feldgliederung des Satzes − § würde # -Klammer 79, 198 KMK (Kultusministerkonferenz) 9 f., 23, 292 Komitativadverbiale 307 Komma 12, 72 f., 95, 118 f., 127, 297 Kommentaradverbiale 307 Komparation 70, 231 f. − Komparativ 231 − Positiv 231 − Superlativ 231 Komparierbarkeit 232 Komposition 56 f. Kongruenz 65, 269 Konjugation 57, 65, 158-163 Konjunktion 99 ff. , 105, 123 Konjunktiv 175 f. , 190-199 − Konjunktiv Futur 176, 190, 193 − Konjunktiv Futurperfekt 176, 190, 194 − Konjunktiv I. Siehe Konj. Präsens/ Konj. Präsensperfekt/ Konj. Futur/ Konj. Futurperfekt − Konjunktiv II. Siehe Konj. Präteritum/ Konj. Präteritumperfekt/ würde-Konj. − Konjunktiv Irrealis. Siehe Konjunktiv Präteritumperfekt − Konjunktiv Potentialis. Siehe Konjunktiv Präteritum − Konjunktiv Präsens 147, 176, 190 f. − Konjunktiv Präsensperfekt 176, 190, 192 − Konjunktiv Präteritum 176, 195 f. − Konjunktiv Präteritumperfekt 176, 197 − § würde # -Konjunktiv 147, 175 f., 191, 196, 198 f. Konnektor 85 § können # 138, 145-150 Konsekutivadverbiale 308 Kontext 32, 74, 124, 148 f., 165, 216 f., 300. Siehe auch Situation konzeptionelle Mündlichkeit 52 konzeptionelle Schriftlichkeit 52 f. Konzessivadverbiale 307 Kopulaklammer 71 Kopulaverb 29, 71, 138 f., 141 ff. , 173 f., 260 kulturelle Vielfalt 5 Kultusministerkonferenz (KMK) 9 f., 23, 292 L Latein 7 f. Laut 5, 49 − Ablaut. Siehe starke Verben − lautliche Markierung 159 − Lautorientierung 7 − Phonem 5, 54 f. − Schwa-Laut 55, 133, 164 − Umlautung 164, 245 leeres Vorfeld 74 f. Lehrpläne 9 f. Letztstellung des finiten Verbs. Siehe Verbletztsatz lexikalische/ kategoriale Wortarteneinteilung 10 ff. , 131, 203 f. linkes Verbfeld 65 ff. Lokaladverbiale 306 M männlich 171, 244 markierte Satzformen 117 f. Markierung 50 f. − ... der zweiten Person 159 − ... des Verberstsatzes 74, 118 − ... des Verbletztsatzes 95, 118 − ... durch Großschreibung 202, 204 − ... durch Intonation 113, 125 f. − ... durch Konjunktivformen 175, 195 − ... durch Passivfomen 171 − ... durch Pluralform 56, 245 f. − ... durch Satzzeichen 127 − ... durch W-Wort 127 − unmarkierte Numerusform 245 − unmarkierter Kasus 246 − unmarkierter Modus 175 − unmarkierter Verbzweitsatz 98, 118 − unmarkierte Satzzeichen 127 − unmarkiertes Genus verbi 171 − unmarkierte Tempusform 181 − ... von Sprachhandlungen 113 Maskulinum 158, 221, 244 , 270-284 Matrixsatz. Siehe Bezugssatz medial mündlich 52 f. medial schriftlich 52 f. Mehrzahl. Siehe Plural Mittelfeld 62 Mittelwort 173, 229 − Mittelwort der Gegenwart. Siehe Partizip I − Mittelwort der Vergangenheit. Siehe Partizip II § möchte # 145-150 Modaladverbiale 307 Modalklammer 66, 79, 145, 181-199 Modalverb 63, 66, 69, 114, 137 f., 144-150 , 181-199 − deontische Lesart 147 f. − epistemische Lesart 148 f. Modellbildung 38 ff. Modus des Verbs 175 f. , 181-199 § mögen # 138, 145-150 Morphem 57 − Deklinationsmorphem 56, 274-284 − Konjugationsmorphem 56, 158-163 Morphologie 56 f. Mündlichkeit. Siehe konzeptionelle Mündlichkeit § müssen # 138, 144-150 Muster 4 f., 15 f., 26, 32 f., 40, 49 ff. , 61, 70, 124 f., 132, 136, 210, 306 Muttersprache 4, 16, 262 N Nachfeld 62, 76 ff. Namen. Siehe Eigennamen narratives Präsens 167 § n # -Deklination 282 ff. Nebenmuster des Satzes 118 nebenordnende Konjunktion. Siehe Konjunktion Nebensatz 114 ff. Negationspartikel 104 Nennen 14, 88, 214, 216 f., 222 f. Nennform 246 Neutrum 158, 221, 244 , 270-284 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 314 19 09 2019 16: 28: 08 Register 315 Niederländisch 8, 202 Nomen 201-223, 243-263 − Deklination 269-284 − § n # -Deklination 282 ff. − Genus 244 , 270-284 − Großschreibung von Nomen 201-223 − Kasus. Siehe Kasus und Nominalgruppe − Numerus 244 ff. , 270-284 − schwache Nomen. Siehe § n # - Deklination − Suffix 244 Nominalgruppe 14, 66, 140, 158, 201-224 , 243-285. Siehe auch Begleiter − Deklination 270-284 − Feldgliederung der Nominalgruppe 208 ff. − Numerus der Nominalgruppe 270-284 − Rektion der Nominalgruppe 260 Nominalklammer 208-213, 228 f. Nominativ 142, 246 ff. , 256, 259, 270-284, 292 − Casus rectus 247 − Nominativergänzung 142 Normen 51 ff. Nullartikel 221 ff. Numerus beim Nomen 244 ff. , 270-284 Numerus beim Verb 158-163 Numerus der Nominalgruppe 270-284 O Oberbegriff 217 Objekt 13, 28, 297-301 − Akkusativobjekt 13, 171, 253, 260, 270, 297-301 − Dativobjekt 252, 258 ff., 270, 297-301 − Genitivobjekt 260, 270, 297-301 − Präpositionalobjekt 233, 260, 297 f., 300 obligatorisch 31 f. obliquer Kasus 233, 247 operationale Verfahren. Siehe grammatische Proben Origo 88 Orthografie 53, 55, 160 − satzinterne Großschreibung 201-224 Ortsbestimmung. Siehe Lokaladverbiale P Parataxe 67, 100 Partikel 101 ff. − Abtönungspartikel 102, 105 − Antwortpartikel 104 − Fokuspartikel 102 ff. − Gradpartikel. Siehe Intensitätspartikel − Intensitätspartikel 103, 105, 232 − Negationspartikel 104 Partizip I 229 f. Partizip II 69 , 142, 173 f. , 228 f. Partizip Perfekt. Siehe Partizip II Partizip Präsens. Siehe Partizip I Passaufmuster des Satzes 118 Passiv 143, 157, 171 ff. , 181-199 − Passivklammer 66, 79, 181-199 − Zustandspassiv 143, 174 Perfekt. Siehe Präsensperfekt Perfekthilfsverb 173 f., 182 f. Personalform des Verbs. Siehe finites Verb Personalpronomen 158-163 , 279 ff. Person des Verbs 158-163 Phonem 5, 54 f. Plural − Pluralform der Personalpronomen 161 ff., 281 − Pluralform des Begleiters § ein # 221 − Pluralformen der Possesiva 221 − Pluralformen des Nomens 244 ff. − Pluralformen des Verbs 161-165 − Plural in der Nominalgruppe 270-282 − Pluralprobe 65 Pluraliatantum 246 Plusquamperfekt. Siehe Präteritumperfekt Positiv 231 Possessivum 221, 249, 273, 279 Prädikat 9, 13, 288 ff. Prädikativum 29, 142 Prädikatsnomen 29, 142 Präfix 57 , 64, 133, 135 Präposition 14, 209 , 233, 236, 254-258 , 272 − Präpositionaladverb 91 − Präpositionalattribut 233 , 237 − Präpositionalgruppe 14, 139 f., 208-213 , 233, 294, 300, 303 − Präpositionalobjekt 233, 260, 297 f., 300 − Rektion 246, 254-260 − Wechselpräposition 257 f. Präsens 66, 136 f., 165-170, 181 − historisches Präsens 167, 181 − narratives Präsens. Siehe historisches Präsens Präsensperfekt 165-170, 173 f., 182 f. Präteritopräsentia 137 Präteritum 66, 133, 165 ff., 188 Präteritumperfekt 165 f., 189 Präverb 63 f. , 69 f., 135 Präverbklammer 63 f. , 79 Proben. Siehe grammatische Proben Pronomen 208-224 − Demonstrativum 235 − Personalpronomen 158-163 , 279 ff. − Genus beim Personalpronomen 158, 279 f. − Possessivum 221, 249, 273, 279 − Reflexivum 151 ff. − Relativum 67, 234 ff. Punkt 110-114, 127 f. Q Quantitätsadverbiale 307 R rechtes Verbfeld 68 ff., 73 Rederaum 91 Redewiedergabe 190 reflexive Verben 138, 151 ff. Reflexivum 151 ff. Regelbegriff 47 ff. Reiz-Reaktions-Schema 4 Rektion 246 − ... der Nominalgruppe 260 − ... der Präpositionen 246, 254-258 − ... der Verben 246, 258 ff. − ... von Adjektiven mit Kopulaverb 260 Rekursivität 73, 212 relationale (syntaktische) Wortarteneinteilung 13 ff. , 204 ff., 224, 292 relativisches Attribut 234 ff. Relativsatz. Siehe relativisches Attribut Relativum 67, 234 ff. Restriktivadverbiale 307 reziproke Verben 138, 151 ff. S sächlich 244 Satz − abhängiger Satz. Siehe Verbletztsatz − Bezugssatz 95 f., 123 − Hauptmuster des Satzes 118 − Hypotaxe 67, 100 − Infinitivsatz 97 f., 142, 223, 236, 292, 294 ff. − Matrixsatz. Siehe Bezugssatz − Nebenmuster des Satzes 118 − Parataxe 67, 100 − Passaufmuster des Satzes 118 − relativisches Attribut 234 ff. − Relativsatz. Siehe relativisches Attribut − Verberstsatz 74 f. , 117-123 − Verbgruppe 14, 25-35 − Verbletztsatz 94-98 , 117-123 − Verbzweitsatz 62, 66, 71, 94, 96, 117-123 Satzarten 110-114 Satzaussage 291 Satzformen 117-123 Satzfunktionen 124 f. Satzgefüge 67 Satzgegenstand 291, 294 Satzglied 28, 71, 208-213 . Siehe auch Satzgliedlehre 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 315 19 09 2019 16: 28: 08 316 r eG ISt er Satzgliedlehre 10, 12 f., 25, 28, 30, 252, 287-308 . Siehe auch Attribut; siehe auch Ergänzung und Angabe − Adverbiale 13, 28, 30 f., 93, 262, 292, 301-308 − Akkusativergänzung 171, 297-301 − Akkusativobjekt 13, 171, 253, 260, 270, 297-301 − Dativergänzung 297-301 − Dativobjekt 252 f., 258 ff., 270, 297-301 − Genitivattribut 221, 232 f. , 237, 260 f., 272 − Genitivergänzung 297-301 − Genitivobjekt 260, 270, 297-301 − Nominativergänzung 142 − Objekt 13, 28, 297-301 − Präpositionalobjekt 233, 260, 297 f., 300 − Satzglied 28, 71, 208-213 − Subjekt 12, 28, 65 ff. , 72, 99 f., 142, 158, 171 f., 292 ff. . Siehe auch finites Verb − Infinitivprobe 142 − Subjektlosigkeit 164, 297 − Subjektprobe 65 satzinterne Großschreibung 201-224 Satzklammer 62, 71 f.. Siehe auch Feldgliederung des Satzes und Verbklammer Satzreihe 67 Satzverbindung 85-105 Satzzeichen 128 f. Schreiben 42, 52, 55 Schrift 8, 52 Schriftkultur 6, 46, 54 Schriftlichkeit/ konzeptionelle Schriftlichkeit 52 f. schwache Deklinationsformen 274 ff. schwache Nomen. Siehe § n # -Deklination schwache Verben 132 ff. Schwa-Laut 55, 133, 164 Schweizerdeutsch 8 § sein # als Hilfsverb 29, 138, 141 ff. , 173, 182 f. Semantik − ... bei der Wortarteneinteilung 22 ff. − ... der Adjektive 230 − ... der Adverbialien 304-308 − ... der Adverbien 93 − ... der Aktionsarten des Verbs 168 − ... der Begleiter 220 ff. − ... der Komparationsformen 231 f. − ... der Modalverben 147 ff. − ... der Numerusformen 244 − ... der Präpositionen 256 f., 305 − ... der Zeigwörter 89 f. − ... des Nomens 202 ff. − ... des Verbs 66, 71, 168 ff. − ... freier Dativformen 262 − ... und Kasusform 256, 259 Silbe 55 Singular 158 ff., 244 ff., 270-284 − Singularformen der Personalpronomen 158 ff., 280 − Singularformen der Possessiva 221 − Singularformen des Nomens 244 ff. − Singularformen des Verbs 158-165 − Singular in der Nominalgruppe 270-284 Situation 52, 74, 91, 102, 124 f., 165, 215 f.. Siehe auch Kontext § sollen # 138, 145-150 Sprachbewusstheit 47 Spracherwerb 4 Sprachhandlung 109-114, 124 f. Sprachinstinkt 4 sprachliche Kompetenz 48 sprachliches Nennen. Siehe Nennen sprachliches Zeigen. Siehe Zeigen Sprechen 52, 54 f., 182 Sprecherdeixis 159 Sprechzeit 168 f. Sprechzeitraum 91 Stamm des Verbs (Verbstamm) 133 Stammformen des Verbs 132-138 Standardsprache 6 f., 16, 49 ff., 253 starke Deklinationsformen 273 ff. starke Verben 134 ff. Steigerungsformen. Siehe Vergleichsformen bzw. Komparation Stellungsfeldermodell. Siehe Feldgliederung Sternchen (Asterisk/ *) 31 Stoffbezeichnungen 223 Subjekt 12, 28, 65 ff. , 72, 99 f., 142, 158, 171 f., 292 ff. . Siehe auch finites Verb − Infinitivprobe 142 − Subjektlosigkeit 164, 297 − Subjektprobe 65 Subjunktion 67 f., 94-98 , 105, 123 Substantiv. Siehe Nomen Substitutivadverbiale 307 Suffix 57 , 133, 230 f., 244 Superlativ 231 Symbol 88 syntaktische/ relationale Wortarteneinteilung 13 ff. , 204-215, 224, 292 synthetische Verbbildung 66 T Tabellen 15, 42 − Deklinationstabellen 270-284 − Konjugationstabellen 158-163 − Verbtabellen 181-199 Täter 172 Tätigkeitswort 22 ff. , 288 Temporaladverbiale 306 f. Tempus 165-170 , 181-199 Tempusklammer 66, 79, 181-199 Terminologie 8 f., 40 ff. Text 10, 15 , 17, 46, 52 f., 85-105 − Begleiterverwendung in Texten 219-223 − Konnektoren 85 − Tempusverwendung 167 f. − Texte mit Infinitivsätzen 295 ff. − Textinhalte und satzinterne Großschreibung 202 Textadverbiale 308 Textraum 91 topologisches Modell. Siehe Feldgliederung transitives Verb 171, 230 trennbares Verb 63 f. , 69 f., 133, 135 Treppengedichte 223 U Umformprobe 146, 149, 172, 239 Umlautung 164, 245 Umstellprobe 239 unbestimmter Artikel 219 f. unregelmäßige Verben 136 ff. unterordnende Konjunktion. Siehe Subjunktion V Valenz 27 f. , 64, 146, 152 valenztragendes Verb 66 ff., 208, 236, 292, 304 Variante 32 ff., 54, 64, 137, 151 f., 161, 183, 273, 300. Siehe auch Muster Variation 4 Varietät 4-8, 50, 52, 247, 262 Verb 21-35, 181-199 − Aktionsarten 168 − Aktiv 171 f. , 181-199 − analytische Verbbildung 66 f. − Diathese. Siehe Genus verbi − dritte Person 158, 160 ff. − erste Person 158-163 − finites Verb 65 ff. , 95, 110, 158 , 166, 176, 181-199, 208, 291 ff. − Erststellung des finiten Verbs. Siehe Verberstsatz − Letztstellung des finiten Verbs. Siehe Verbletztsatz − Zweitstellung des finiten Verbs. Siehe Verbzweitsatz − Funktionsverb 138 ff. − Funktionsverbgefüge 32, 71 f., 139 ff. , 301 − Futur 143, 165 f., 176, 184 f. − Futur I. Siehe Futur − Futur II. Siehe Futurperfekt − Futurperfekt 165 f., 170, 176, 186 f. 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 316 19 09 2019 16: 28: 09 Register 317 − gebeugtes Verb. Siehe finites Verb − Gegenwart 165 f., 174 − Genus verbi 171 f. , 181-199 − Grundform des Verbs. Siehe Infinitiv − Hilfsverb 29 , 66, 138, 141 ff. , 149, 181-199 − § haben # als Hilfsverb 29, 138, 173, 182 f. − Perfekthilfsverb 173 f., 183 f. − § sein # als Hilfsverb 29, 138, 141 ff. , 173, 182 f. − § werden # als Hilfsverb 138, 143, 184f. − § werden # als Passivhilfsverb 143, 174 , 181-199 − Imperativ 74, 113, 163 ff. − Imperfekt. Siehe Präteritum − Indikativ 175 f. , 181-189 − infinite Verbformen 69 , 295 ff.. Siehe Infinitiv und Partizip II − Infinitiv 27, 63, 69 , 97, 133, 135 f., 142, 145 f., 149 f., 229 − Infinitivprobe 142 − intransitiv 183 − irreguläre Verbformen. Siehe unregelmäßige Verben − Kategorisierungen des Verbs 157 f. − Konjugation 57, 65, 158-163 − Konjugationsmorphem 56, 158-162 − Konjunktivformen. Siehe Konjunktiv − Kopulaklammer 71 − Kopulaverb 29, 71, 138, 141 ff. , 173 f., 260 − linkes Verbfeld 65 ff. − Modalklammer 66, 79, 145, 181-199 − Modalverb 63, 66, 69, 114, 137 f., 144-150 , 181-199 − deontische Lesart 147 f. − epistemische Lesart 148 f. − Modus 175 f. , 181-199 − Numerus beim Verb 158-163 − Partizip I 229 f. − Partizip II 69 f. , 142, 173 f. , 228 f. − Passiv 143, 157, 171 ff. , 181-199 − Zustandspassiv 143, 174 − Passivklammer 66, 79, 181-199 − Perfekt. Siehe Präsensperfekt − Personalform. Siehe finites Verb − Person des Verbs 158-163 − Pluralformen des Verbs 161 ff. − Prädikat 9, 13, 288 ff. − Prädikativum 29, 142 − Prädikatsnomen 29, 142 − Präfix 64, 133, 135 − Präsens 66, 136 f., 165-170, 181 − historisches Präsens 167, 181 − narratives Präsens. Siehe historisches Präsens − Präsensperfekt 165-170, 173 ff., 182f. − Präteritopräsentia 137 − Präteritum 66, 133, 137, 165 f., 188 − Präteritumperfekt 165 f., 189 − Präverb 63 f. , 69 f., 135 − Präverbklammer 63 f. , 79 − rechtes Verbfeld 68 ff. − reflexive Verben 138, 151 ff. − Rektion der Verben 246, 258 ff. − reziproke Verben 138, 151 ff. − schwache Verben 132 ff. − Singularformen des Verbs 158-163 − Stamm des Verbs (Verbstamm) 133 − Stammformen des Verbs 132-138 − starke Verben 134 ff. − synthetische Verbbildung 66 − Tempus 165-170 , 181-199 − Tempusklammer 66, 79, 181-199 − transitives Verb 171, 230 − trennbares Verb 63 f. , 69 f., 133, 135 − unregelmäßige Verben 136 ff. − Valenz 27 f. , 64, 146, 152 − valenztragendes Verb 66 ff., 208, 236, 292, 300, 304 − Vergangenheit 165 − Vollverb 29 f., 66 f. , 138, 141, 146, 297 − Vorzeitigkeit 186 f. − Wertigkeit 27 − § würde # -Klammer 79, 198 − Zeitstufe 165 f. , 181 − Zustandspassiv 143, 174 − zweite Person 159-165 Verbarten 138-153 Verben mit Infinitivforderung 144-150 Verberstsatz 74 f. , 117-123 Verbgruppe 14, 25-35 Verbklammer 61-82. Siehe auch Feldgliederung des Satzes Verbletztattribut 238 Verbletztsatz 94-99 , 117-123 Verbmodus 175 f. , 181-199 Verbstamm 133 Verbtabellen 158-165, 181-199 Verb und Zeitbezug 165-170 Verbzweitsatz 62, 66, 71, 94, 96, 117-123 Vergangenheit 165 Vergegenständlichung 42 f. Vergleichsformen 231 verschiebbare Einheiten 42, 80 Verschiebeprobe. Siehe Umstellprobe Verweis. Siehe Zeigen Vollverb 29 f., 66 f. , 138, 141, 144, 146, 297 Vorfeld 62, 71 ff. Vorstellungsraum 91 Vorvorfeld 100 Vorzeitigkeit 186 f. W Wechselpräposition 257 f. Weglassprobe 31, 233, 240, 300 ff. weiblich 171, 244 § werden # als Hilfsverb 138, 143, 184 f. § werden # als Passivhilfsverb 143, 174 , 181-199 Werfall/ Wesfall ... 248-254 Wertigkeit 27 W-Frage 110-114, 126 f. Wiedergabe von Äußerungen 190 § wie # und § als # 261 Wiewort 231 Wirklichkeitsbezug 147, 176 Wissenschaftsferne 10 § wollen # 138, 145-150 Wort 12, 14 Wortarten 8, 10-15 , 23, 25, 80, 85, 93, 206, 212, 218 − lexikalische/ kategoriale Wortarteneinteilung 10 ff. , 131, 203 f. − syntaktische/ relationale Wortarteneinteilung 13 ff. , 204 ff., 224, 292 Wortartenlehre 10 ff. Wortbaustein 56 Wortbildung 56 , 133 Wortgruppe 13 ff. , 28, 78, 205, 212 − Adjektivgruppe 209, 229 − Adverbgruppe 103 f., 303 − Nominalgruppe 14, 66, 140, 158, 201-224 , 243-285. Siehe auch Begleiter − Präpositionalgruppe 14, 139 f., 209-213 , 233, 294, 300, 303 − Verbgruppe 14, 25-35 wörtliche Rede 119 § würde # -Klammer 79, 198 § würde # -Konjunktiv 147, 175f., 191, 196, 198f. W-Wort 94, 126 f. Z Zeichensetzung 128 f. Zeigen 14, 88 ff. , 159, 213-219 , 222 f. − Nennen 14, 88, 214, 216, f., 222 f. − Origo 88 − Rederaum 91 − Sprechzeitraum 91 − Textraum 91 − Vorstellungsraum 91 Zeitbestimmung. Siehe Adverbiale Zeitbezug 165-170 Zeitstufe 165 , 181 Zirkumfix 133, 135 Zukunft 165 f., 185 Zusammensetzung 56 Zustandspassiv 143, 174 zweite Person 159-165 Zweitstellung des finiten Verbs. Siehe Verbzweitsatz 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 317 19 09 2019 16: 28: 09 318 Abbildungsnachweise Abb. 1.1: Fechner, Heinrich (1972/ 1882) (Hrsg.): Vier seltene Schriften des sechzehnten Jahrhunderts. Mit einer bisher ungedruckten Abhandlung über Valentinus Ickelsamer von Friedrich Ludwig Karl Weigand. Reprograf. Nachdr. der Ausg. Berlin 1882. Hildesheim u. a.: Olms, o. S. Abb. 1.2: Schönberger, Axel (2009): Die Ars maior des Aelius Donatus. Frankfurt a. M.: Valentia, S.40; Duden. Die Grammatik, 8., überarb. Auflage. Mannheim: Dudenverlag 2009, Inhaltsverzeichnis. Abb. 1.3: © Matthias Granzow-Emden. Abb. 1.4: Wassily Kandinsky, Roter Fleck II/ © VG Bild-Kunst, Bonn 2014. Abb. 1.5: Ursus Wehrli, Kandinskys Roten Fleck aufräumen, erschienen in: Ursus Wehrli, Kunst aufräumen, Copyright © 2002 Kein & Aber AG, Zürich - Berlin. Abb. 1.6: © Matthias Granzow-Emden. Abb. 1.7: © Matthias Granzow-Emden. Abb. 2.1: Wort & Co. 5, Sprachbuch für Gymnasien, Bamberg: C. C.Buchners Verlag, 3. Auflage 2007, S. 88. Abb. 2.2: Deutschbuch 5, Neue Ausgabe, 2. Aufl., 4. Druck 2008/ 06 © Cornelsen Schulverlage Berlin, S. 88. Abb. 2.3: Duden - Die Grammatik © 2009 Bibliographisches Institut/ Sauerländer, Mannheim. Abb. 2.4-2.9: © Matthias Granzow-Emden. Abb. 3.1: Rad-, Wander- und Gewässerkarte „Havelseen 3, Werder - Potsdam“, M: 1: 35.000, mit freundlicher Genehmigung des Verlages. © Verlag grünes herz®, Dr. Lutz Gebhardt e. K., Am Hang 27-28, 98693 Ilmenau/ Thür., Tel. (0 36 77) 4 66 28-0, Fax 4 66 28-80, www.gruenes-herz.de. Abb. 3.2: Duden - Deutsches Universalwörterbuch © 2011 Bibliographisches Institut/ Sauerländer, Mannheim. Abb. 3.3: bpk/ Alfredo Dagli Orti. Abb. 3.4-3.6: © Matthias Granzow-Emden. Abb. 4.1-4.2: © Matthias Granzow-Emden. Abb. 4.3-4.5: © Schönenberg, Stephanie: Problemfall Verbklammer? Der Klammermann als Basismodell der Satzlehre. In: Praxis Deutsch 226 (2011), S. 14. Abb. 5.1: S. 108: © Matthias Granzow-Emden. Abb. 6.1: Doppel-Klick 5, 2. Aufl., 2. Druck 2007/ 06 © Cornelsen Schulverlage Berlin, S. 213. Abb. 6.2: deutsch.punkt 3, Klett 2006, S. 316 © Ernst Klett Verlag GmbH Abb. 7.1: © Matthias Granzow-Emden. Abb. 8.1-8.8: © Matthias Granzow-Emden. Abb. 8.9-8.15: © Matthias Granzow-Emden. Abb. 9.1-9.27: © Matthias Granzow-Emden. Abb. 10.1: aus: wortstark 5, © Bildungshaus Schulbuchverlage Westermann Schroedel Diesterweg Schöningh Winklers GmbH, Braunschweig, S. 230. Abb. 10.2-10.3: © Matthias Granzow-Emden. Abb. 12.1: © Matthias Granzow-Emden. Abb. 12.2: Maximilian Nutz u. a.: deutsch.werk 1 Gym SB. © Ernst Klett Verlag GmbH, Stuttgart 2004. Abb. 12.3: © Matthias Granzow-Emden. Tab. 13.1-13.16: © Matthias Granzow-Emden. Abb. 14.1: © Matthias Granzow-Emden. Abb. 14.2: Doppel-Klick 5, 2001 © Cornelsen Schulverlage Berlin, S. 257. Abb. 14.3: P. A. U. L. D. 5, Persönliches Arbeits- und Lesebuch Deutsch - Für Gymnasien, © Schöningh Verlag, Paderborn 2002, Ausschnitt aus S. 268. Abb. 14.4: Maximilian Nutz u. a.: deutsch.werk 1 Gym SB. © Ernst Klett Verlag GmbH, Stuttgart 2004. Abb. 14.5: Deutsch plus 7, 2. Aufl., 1. Druck 2006/ 06 © Cornelsen Schulverlage Berlin, S. 62. Abb. 14.6: © Matthias Granzow-Emden. Abb. 14.7: Gottlieb Gaiser/ Karla Müller (Hrsg.): Kombi Buch Deutsch 5, Lese- und Sprachbuch für Gymnasien, Neue Ausgabe Bayern, Bamberg: C. C. Buchners Verlag, 2. Auflage 2007, S. 158. Tab. 14.3: deutsch.ideen 5, © Bildungshaus Schulbuchverlage Westermann Schroedel Diesterweg Schöningh Winklers GmbH, Braunschweig 2005, S. 295. Beispiele S. 19; 26 und 36: Loriot: Das Frühstücksei. Gesammelte dramatische Geschichten mit Doktor Klöbner und Herrn Müller-Lüdenscheidt, Herrn und Frau Hoppenstedt, Erwin Lindemann u. v. a. © Diogenes-Verlag, Zürich 2008, S. 77-79. S. 24, 202, 212 und 220: dpa: http: / / www.dpa-news.de/ mediaobject.jsf? moid=28723613 © dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH. Alle Inhalte sind urheberrechtlich geschützt. Jegliche Nutzung von Inhalten, Texten, Grafiken und Bildern ist ohne ausdrückliche schriftliche Zustimmung der dpa unzulässig. Dies gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe sowie Speicherung, Bearbeitung oder Veränderung. S. 62: dpa: http: / / www.dpa-news.de/ mediaobject.jsf? moid=1347238 © dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH. Alle Inhalte sind urheberrechtlich geschützt. Jegliche Nutzung von Inhalten, Texten, Grafiken und Bildern ist ohne ausdrückliche schriftliche Zustimmung der dpa unzulässig. Dies gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe sowie Speicherung, Bearbeitung oder Veränderung. S. 64 und 83: Robert Gernhardt, Walderkenntnis. Aus: ders., Später Spagat. © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt a. M. 2006. S. 86 f.: Stratmann, Cordula: Sie da oben, er da unten. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2010 (Romanbeginn). S. 90: Eichendorff, Joseph von: Der verliebte Reisende. In: http: / / gutenberg.spiegel.de/ buch/ 4294/ 54. S. 129: Maximilian Nutz u. a.: deutsch.werk 5, S. 265 f. (c) Ernst Klett Verlag GmbH, Stuttgart 2007. S. 144: Kafka, Franz: Der Kübelreiter. Sämtliche Erzählungen, Frankfurt a. M.: Fischer 1970, S. 195. S. 154: Bruno Horst Bull (1972): Eine Katze ging ins Wirtshaus. München: Heyne (c) Bruno Horst Bull. S. 155 und 177: Das Frühstücksei. Gesammelte dramatische Geschichten mit Doktor Klöbner und Herrn Müller-Lüdenscheidt, Herrn und Frau Hoppenstedt, Erwin Lindemann u. v. a. © Diogenes-Verlag, Zürich 2008, S. 77-79. S. 163 f.: Tucholsky, Kurt: Gesammelte Werke. Bd. III. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1960, S. 600. S. 175: © Aus: ‚Das große Heinz Erhardt Buch‘ 2009 Lappan Verlag Oldenburg. S. 200: Ingrid Müller: Sieben Milliarden Menschen: mehr oder weniger. In: Tagesspiegel (Berlin) vom 04. 05. 2011. S. 205: Funke, Reinold: Sprachliches im Blickfeld des Wissens. Grammatische Kenntnisse von Schülerinnen und Schülern, Tübingen: Niemeyer 2005, S. 188. S. 250: Morgenstern, Christian: Gesammelte Werke, hrsg. v. Clemens Heselhaus, Bd. I: Galgenlieder, Palmström, Weyarn: Seehamer 1998, S. 90 f. S. 293: Bericht zum Film „Herr der Ringe“. In: TV Spielfilm vom 18. 12. 2011. S. 298 f.: Harald Martenstein: Wo die Preise stabil sind. In: Tagesspiegel (Berlin) vom 24. 10. 2010. S. 302 f.: Rowling, Joanne K.: Harry Potter und der Orden des Phönix. Hamburg: Carlsen 2003, S. 7. a bbIlDunG Sn achw e ISe 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 318 19 09 2019 16: 28: 09 Christa Dürscheid, Jan Georg Schneider Standardsprache und Variation narr STARTER 2019, 96 Seiten €[D] 10,90 ISBN 978-3-8233-8268-3 eISBN 978-3-8233-9268-2 Im Band wird einleitend der Begriff Standardsprache erläutert und als Gebrauchsstandard konzeptualisiert. Die anschließenden Kapitel stellen die Entwicklung der deutschen Standardsprache dar und behandeln Standardsprachideologien. Danach wird ein Überblick über die Unterschiede zwischen dem geschriebenen und gesprochenen Gebrauchsstandard gegeben und das Verhältnis zwischen Norm und Variation illustriert. Anschließend liegt der Schwerpunkt auf einer Diskussion der Faktoren, die zu sprachlicher Variation führen können. Das Abschlusskapitel widmet sich der diatopischen Variation im Standarddeutschen (z.B. Österreich, Deutschland, Schweiz). Der Band wendet sich an Studierende der germanistischen Sprachwissenschaft und kann auch im gymnasialen Oberstufenunterricht eingesetzt werden. Beginnen mit den narr STARTERN, vertiefen mit den narr STUDIENBÜCHERN, ERFOLGREICH STUDIEREN! LEHRBUCH \ GERMANISTIK DER STUDIEN- STARTER Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (07071) 9797-0 \ Fax +49 (07071) 97 97-11 \ info@narr.de \ www.narr.de 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 319 19 09 2019 16: 28: 09 Christine Römer Der deutsche Wortschatz Struktur, Regeln und Merkmale 2., übearbeitete und ergänzte Auflage 2019, 234 Seiten €[D] 24,99 ISBN 978-3-8233-8288-1 e ISBN 978-3-8233-9288-0 Der Wortschatz einer Sprache ist eine zentrale Komponente der menschlichen Sprachfähigkeit, die der Kreativität beim Bilden und Verstehen überlieferter und neuer Wörter wenige Grenzen setzt. Er ist nicht statisch, sondern in ständiger Veränderung. Da in den Wörtern und Wendungen für die Kommunikation wichtige Erfahrungen der Sprachgemeinschaften gespeichert sind, ist der Wortschatz nicht nur eine psychische, sondern auch eine grammatische, soziale und kulturelle Tatsache. Dieses Studienbuch betrachtet das komplexe Phänomen „deutscher Wortschatz“ beispielorientiert aus verschiedenen inhaltlichen und methodischen Perspektiven und vermittelt so Studierenden und Lehrenden Einblick in die „Welt der Wörter“. Die 2., komplett überarbeitete und ergänzte Auflage berücksichtigt die neuesten Erkenntnisse in der universitären Forschung und Lehre. Sie enthält neue Kapitel zu den aktuellen Entwicklungen im deutschen Wortschatz und zu den komplexen Wörtern. SPRACHWISSENSCHAFTEN \ GERMANISTIK Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (07071) 9797-0 \ Fax +49 (07071) 97 97-11 \ info@narr.de \ www.narr.de 18134_Granzow_Emden_SL13 indd 320 19 09 2019 16: 28: 09 Prof. Dr. Matthias Granzow-Emden lehrt Didaktik der deutschen Sprache am Institut für Germanistik der Universität Potsdam. LEHRBUCH \ GERMANISTIK Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (07071) 9797-0 \ Fax +49 (07071) 97 97-11 \ info@narr.de \ www.narr.de Wilfried Kürschner Grammatisches Kompendium Systematisches Verzeichnis grammatischer Grundbegriffe utb M 7., überarbeitete und erweiterte Auflage 2017, 346 Seiten €[D] 22,99 ISBN 978-3-8252-4693-8 eISBN 978-3-8385-4693-3 Dieses Standardwerk der Linguistik listet grammatische Grundbegriffe auf und erläutert sie mit Beispielen. Elementaren Begriffen aus der Semiotik und der Semantik folgen Terminologiefelder zur Graphemik, Phonologie, Morphologie, Wortartenlehre, Syntax und Textgrammatik. Das abschließende Kapitel zur Orthographie berücksichtigt die Stufen der Rechtschreibreform bis zur endgültigen Neuregelung. Die Konzentration auf die grundlegenden Bereiche der Grammatik und die systematische Anordnung der Begriffe erleichtern das Erlernen der Termini in Sachzusammenhängen; zusätzlich steht ein alphabetisches Register zur Verfügung. „Die Präzision der Definitionen, ihre Erklärung im systematischen Zusammenhang und die Übersichtlichkeit der Darstellung sind drei wesentliche Argumente für die Stärke des Grammatischen Kompendiums“ (ZRS 4, 2012). 18134_Umschlag_NEU.indd 4-6 20.09.2019 15: 07: 43 ISBN 978-3-8233-8134-1 www.bachelor-wissen.de www.narr.de www.granzow-emden.de Diese neuartige Einführung in die deutsche Grammatik verbindet schulgrammatisches Wissen und neuere Grammatikmodelle in anschaulicher und verständlicher Weise miteinander. Lehramtsstudierende können sich damit die Kenntnisse und Kompetenzen aneignen, die sie für ihr Studium und ihren künftigen Beruf brauchen, erfahrene Lehrkräfte erhalten wichtige Impulse für neue Wege im Deutschunterricht. Mit den funktional orientierten Erklärungen zum Feldermodell und den zahlreichen systematisch gestalteten Tabellen im Bereich der Verben, Nomen/ Nominalgruppen, Präpositionen und Pronomen bekommt die Schulgrammatik eine tragfähige Grundlage. Die Tabellen eignen sich darüber hinaus für DaF-/ DaZ-Kurse sowie für die autodidaktische Aneignung des Deutschen als Fremd- oder Zweitsprache. Die neue Auflage wurde gründlich überarbeitet und erweitert. „Ein unglaublich sympathisches und leicht verständliches Buch zur Grammatik“ (Markus Nickl, Grammatik, Lesetipps, Linguistik, blog.doctima.de) Granzow-Emden Deutsche Grammatik Deutsche Grammatik verstehen und unterrichten Matthias Granzow-Emden 3. Auflage 18134_Umschlag_NEU.indd 1-3 20.09.2019 15: 07: 43