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Mehrsprachigkeit im Frankreich der Frühen Neuzeit

2018
978-3-8233-9160-9
Gunter Narr Verlag 
Thomas Scharinger

Der Band beschäftigt sich mit der Präsenz des Italienischen im frühneuzeitlichen Frankreich. Anders als in bisherigen Studien gilt das Interesse nicht der Verbreitung des Italienischen als Literatursprache, sondern seiner Vitalität als Muttersprache italienischer Immigranten. Dabei wird auch untersucht, ob unter den Einwanderern das von damaligen französischen Sprachbeobachtern kritisierte françois italianizé, ein vom Italienischen beeinflusstes Französisch, tatsächlich existierte. Das Werk versteht sich somit als Beitrag sowohl zur französischen als auch zur italienischen Sprachgeschichte.

Der Band beschäftigt sich mit der Präsenz des Italienischen im frühneuzeitlichen Frankreich. Anders als in bisherigen Studien gilt das Interesse nicht der Verbreitung des Italienischen als Literatursprache, sondern seiner Vitalität als Muttersprache italienischer Immigranten. Dabei wird auch untersucht, ob unter den Einwanderern das von damaligen französischen Sprachbeobachtern kritisierte françois italianizé, ein vom Italienischen beeinflusstes Französisch, tatsächlich existierte. Das Werk versteht sich somit als Beitrag sowohl zur französischen als auch zur italienischen Sprachgeschichte. ISBN 978-3-8233-8160-0 Scharinger Mehrsprachigkeit im Frankreich der Frühen Neuzeit Anna Marcos Nickol Mehrsprachigkeit im Frankreich der Frühen Neuzeit Thomas Scharinger Zur Präsenz des Italienischen, seinem Einfluss auf das Französische und zur Diskussion um das françois italianizé 52,7 18160_Umschlag.indd Alle Seiten 14.11.2018 09: 43: 30 Mehrsprachigkeit im Frankreich der Frühen Neuzeit Studia philologica Monacensia Edunt Andreas Dufter et Bernhard Teuber Volumen 8 · 2018 Comité scientifique - Advisory Board - Wissenschaftlicher Beirat Lina Bolzoni (Scuola Normale Superiore di Pisa) Anthony Cascardi (University of California at Berkeley) Pedro Cátedra (Universidad de Salamanca) Victoria Cirlot (Universitat Pompeu Fabra, Barcelona) Marie-Luce Démonet (Université François Rabelais, CESR, Tours) Carlos Garatea Grau (Pontificia Universidad Católica del Perú, Lima) Barbara Kuhn (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt) Frank Lestringant (Université Paris-Sorbonne) María Jesús Mancho Duque (Universidad de Salamanca) Wolfgang Matzat (Eberhard-Karls-Universität Tübingen) Paulo de Sousa Aguiar de Medeiros (University of Warwick) Wolfram Nitsch (Universität zu Köln) Uli Reich (Freie Universität Berlin) Maria Selig (Universität Regensburg) Elisabeth Stark (Universität Zürich) Collegium consultorum Thomas Scharinger Mehrsprachigkeit im Frankreich der Frühen Neuzeit Zur Präsenz des Italienischen, seinem Einfluss auf das Französische und zur Diskussion um das françois italianizé Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb. dnb.de abrufbar. Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2016/ 2017 an der LMU München als Dissertation angenommen. Gedruckt mit Unterstützung der Graduate School Language & Literature Munich. © 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: pagina GmbH, Tübingen CPI books GmbH, Leck ISSN 2365-3094 ISBN 978-3-8233-8160-0 Inhaltsverzeichnis 5 Inhaltsverzeichnis Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1 Einleitung - Gegenstand und Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts - Forschungsstand und Forschungslücken . . . . . . . . . . . . 21 2.1 Passer les monts - Ergebnisse der Geschichts-, Kultur- und Literaturwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.1.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.1.2 Italienkriege (1494-1559) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.1.3 Kultureller Austausch und Handelsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . 23 2.1.4 Italienische Immigranten in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.1.5 Italienische Literatur, Übersetzungen und Français italianisants . . . 27 2.1.6 Antiitalianismus im Frankreich des 16. Jahrhunderts . . . . . . . . . . 31 2.2 International Italian - Ergebnisse der italienischen Sprachgeschichtsschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.2.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.2.2 Italienisch als Verkehrs- und Fremdsprache in der Frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2.2.3 Lexikalische Italianismen im Deutschen, Englischen, Französischen und Spanischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2.3.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2.3.2 Intensität des Sprachkontakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2.3.2.1 Fünf Stufen der Intensität nach Thomason / Kaufman (1988) . . . 59 2.3.2.2 Lautung und Schreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2.3.2.3 Wortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.3.2.4 Morphosyntax und Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2.3.2.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2.3.3 Lexikalische Italianismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2.3.3.1 Referenzwerke zum italienischen Lehngut . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2.3.3.2 Quantität und Qualität - ein Vergleich mit Hispanismen und Okzitanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 6 Inhaltsverzeichnis 2.3.3.3 Probleme bei der Bestimmung von Italianismen . . . . . . . . . . . . . 86 2.3.4 Wege des Sprachkontakts - Kontaktszenarien und Übernahmemilieus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten . . . . . 105 3.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3.2 Sozio- und Varietätenlinguistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3.2.1 Diglossie - Prestige und Funktionsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3.2.2 Einwanderersprachen - Vitalität, Spracherhalt und Sprachwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3.3 Sprachliche Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3.3.1 Prozedurale und resultative Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3.3.2 Lehngut - Lehnwort, Fremdwort und Allogenismus . . . . . . . . . 113 3.3.3 Interferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3.3.4 Entlehnung - AS -produzenteninduziert und ZS -rezipienteninduziert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 3.3.5 Code-switching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 3.3.6 Abgrenzungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3.3.7 Attrition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 3.4 Produktion und Perzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 3.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues du nouveau langage François, italianizé, et autrement desguizé (1578) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 4.1 Vorbemerkungen: Die Deux Dialogues in der Sprachgeschichtsschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 4.2.1 Die Handlung und ihre Protagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 4.2.2 Der Hof als Petite Italie und Quelle des françois italianizé . . . . 144 4.2.3 Züge des françois italianizé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 4.2.3.1 Lautung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 4.2.3.1.1 Vokalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 4.2.3.1.2 Prothese vs. s impurum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 4.2.3.1.3 Konsonantismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 4.2.3.2 Wortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 4.2.3.3 Wortschatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 4.2.3.4 Code-switching und Anredeformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 4.2.4 François autrement desguizé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 4.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Inhaltsverzeichnis 7 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 5.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 5.2 Die Abwesenheit Henri Estiennes vom französischen Hof bis 1579 . . . 188 5.3 Die Hapax-Belege in der älteren Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 5.4 Die Studie von Trescases (1978b) - Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . 205 5.5 Trescases (1978b) revisited . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 5.5.1 Tatsächlich kritisierte Italianismen in den Deux Dialogues . . . 217 5.5.1.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 5.5.1.2 Kriterien zur Bestimmung kritisierter Italianismen . . . . . . . . . 217 5.5.1.3 Getilgte Formen aus Trescases (1978b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 5.5.1.4 Zusätzlich ermittelte Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 5.5.1.5 Von Estienne nicht erkannte Lehnwörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 5.5.2 Tatsächliche Verbreitung der kritisierten Italianismen . . . . . . . 250 5.5.2.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 5.5.2.2 Belegte Italianismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 5.5.2.3 Nicht belegte ‘Italianismen’ - Hapax oder falsche Etymologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 5.5.2.3.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 5.5.2.3.2 Lehnwörter anderer Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 5.5.2.3.3 Französischer Wortschatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 5.5.2.3.3.1 Lexikalische Innovationen des Französischen . . . . . . . . . . . 264 5.5.2.3.3.2 Semantische Innovationen des Französischen . . . . . . . . . . . 268 5.5.2.3.3.3 Erbwörter ohne Bedeutungswandel - attraction cognatique . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 5.5.2.3.3.4 Exkurs: attraction cognatique und mögliche Folgen für die Wortgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 5.5.2.3.4 Hapax-Belege - potentielle Italianismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 5.5.2.3.5 Zusammenfassung und Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 5.6 Die Deux Dialogues in der neueren Forschung - Hapax-Belege und s impurum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 5.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 6.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 6.2.1 Korpus und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 6.2.2 Korpusauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 6.2.2.1 Prestige und universalité des Italienischen in der Renaissance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 6.2.2.2 Vitalität und Spracherhalt in der France italienne . . . . . . . . . . . 340 8 Inhaltsverzeichnis 6.2.2.3 Italienisch als Nähe- und Distanzsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 6.2.2.4 Sprachkompetenz der Immigranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé - Ein Ausblick auf italienische Produktionsdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 6.3.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 6.3.2 Korpus und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 6.3.3 Korpusauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 6.3.3.1 Lautung und Schreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 6.3.3.1.1 Graphien für [u] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 6.3.3.1.2 Graphien für [ʎ] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 6.3.3.1.3 Graphien für [k] und [g] sowie für [t∫], [dʒ] und [∫] . . . . . . 391 6.3.3.1.4 Prothese vs. s impurum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 6.3.3.1.5 Doppelkonsonanz in preposizioni articolate . . . . . . . . . . . . . . . 409 6.3.3.2 Wortschatz und Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 6.3.3.3 Code-switching und Anredeformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 6.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis und Texten anderer italienischer Immigranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 7.1 Vorbemerkungen: françois italianizé und étymologie-histoire . . . . . . 433 7.2 Korpus und Methode - Edition und Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . 440 7.3 Korpusauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 7.3.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 7.3.2 Interferenzen in frühen Briefen (1536-1549) - einmalige Okkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 7.3.3 Interferenzen in der Graphie und in der Lautung . . . . . . . . . . . . 479 7.3.3.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 7.3.3.2 Vokalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 7.3.3.2.1 Graphien für [ɛ], [wɛ], [wa] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 7.3.3.2.2 Graphien für [u] und [y] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 7.3.3.3 Prothese vs. s impurum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 7.3.3.4 Konsonantismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 7.3.3.4.1 Doppelkonsonanz in preposizioni articolate . . . . . . . . . . . . . . . 515 7.3.3.4.2 Ausfall von [k] und [p] vor [t] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 7.3.3.4.3 Ausfall von [k] vor [s] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 7.3.4 Ausdrucksseitige Anpassung am Einzelwort . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 7.3.5 Italianismen im Wortschatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 7.3.5.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 7.3.5.2 Indirektes Lehngut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 7.3.5.3 Direktes Lehngut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 Inhaltsverzeichnis 9 7.3.5.3.1 Hapax-Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 7.3.5.3.2 Denotatsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 7.3.5.3.3 Luxus- und Bedürfnislehnwörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 7.3.5.4 AS -produzenteninduzierte Entlehnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564 7.3.5.4.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564 7.3.5.4.2 Erstbelege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 7.3.5.4.3 Ausdrucksseitige Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 7.3.6 Code-switching und Anredeformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 7.3.7 François autrement desguizé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 7.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 8 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 1 Primärquellen aus dem 16. und 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 1.1 Wörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 1.2 Vorwiegend metasprachliche Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624 1.3 Vorwiegend nichtmetasprachliche Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 1.3.1 Private und administrative Korrespondenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 1.3.1.1 Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 1.3.1.2 Editionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 1.3.2 Memoiren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 1.3.3 Reiseberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630 1.3.4 Verwaltungsschriftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 1.3.5 Verschiedenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 2 Digitale Korpora, Datenbanken und Enzyklopädien . . . . . . . . . . . . . 632 3 Wörterbücher und Sprachatlanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 4 Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663 Anhang 1: Liste rinascimentaler Italianismen ohne Eintrag im OIM und neuer Erstbelege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663 Anhang 2: Tatsächliche und vermeintliche Italianismen in Estiennes Deux Dialogues (1578) auf Basis von Trescases (1978b) . . . 665 Anhang 3: Übersicht zu analysierten Briefen italienischer Immigranten (Italienisch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694 Anhang 4: Übersicht zu analysierten Briefen italienischer Immigranten (Französisch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697 Anhang 5: Italienische und französische Handschriften . . . . . . . . . . . 710 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 715 Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 717 Danksagung 11 Danksagung Beim vorliegenden Band handelt es sich um eine leicht überarbeitete Fassung meiner Arbeit Mehrsprachigkeit im Frankreich der Frühen Neuzeit: Zur Präsenz des Italienischen, seinem Einfluss auf das Französische und zur Diskussion um das françois italianizé, die im Wintersemester 2016 / 2017 an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen wurde. Mein besonderer Dank gilt meinem Lehrer und Doktorvater Prof. Dr. Andreas Dufter für die intensive Betreuung und die Aufnahme der Arbeit in die Reihe Orbis Romanicus. Ferner danke ich der Universität Bayern e. V., ohne deren großzügige Unterstützung durch ein Promotionsstipendium im Rahmen des Elitenetzwerks Bayern die vorliegende Arbeit nicht hätte realisiert werden können, sowie der Graduate School Language & Literature Munich für die Übernahme eines beträchtlichen Teils der Druckkosten. Von Herzen danke ich schließlich all denjenigen, die mich auf meinem Weg zur Promotion begleitet und unterstützt haben, insbesondere meiner Familie und Nicholas sowie Andreas, Claire, Corina, Gwen, Ola, Roger, Silvia und Simon. München, im Juli 2018 Thomas Scharinger 13 1 Einleitung - Gegenstand und Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit widmet sich der Präsenz des Italienischen im frühneuzeitlichen Frankreich sowie seinem Einfluss auf das Französische. Im Zentrum steht dabei nicht - wie in der älteren Forschung üblich - die Verbreitung des Italienischen als Literatursprache, sondern seine tatsächliche Reichweite als Muttersprache italienischer Immigranten. Das Hauptaugenmerk gilt dabei der Frage, ob aufgrund der Vitalität des Italienischen das von damaligen Sprachbeobachtern wie Henri Estienne kritisierte françois italianizé , ein von Italianismen durchdrungenes Französisch, existierte und die Italiener somit an der sprachlichen Beeinflussung des rinascimentalen Französisch beteiligt gewesen sein könnten. Über deren Rolle ist diesbezüglich wenig bekannt. Gleichzeitig wird anhand der Ergebnisse eine Neubewertung des - häufig zu Unrecht - kritisierten Zeugnisses von Henri Estienne vorgeschlagen. Seine Beobachtungen bilden den Ausgangspunkt für die Analyse. In der Arbeit werden also ausgewählte Aspekte des italienisch-französischen Sprachkontakts im 16. Jahrhundert näher beleuchtet. Nun ist es nicht so, dass sich die Forschung bislang nicht für italienische Einflüsse auf das Französische interessiert hätte. Im Gegenteil: Gerade zum 16. Jahrhundert, dem Zeitraum, in dem der Kontakt zwischen beiden Sprachen besonders intensiv war - in keinem Jahrhundert finden mehr italienische Lehnwörter Eingang ins Französische -, sind bereits zahlreiche Studien vorgelegt worden. Welchen neuen Beitrag kann die vorliegende Arbeit also genau leisten? Ein Blick in die einschlägigen Referenzwerke zum italienischen Einfluss auf das Französische zeigt, dass trotz intensiver Forschung die o. g. Aspekte des italienisch-französischen Sprachkontakts im 16. Jahrhundert - mit Ausnahme der Werke Henri Estiennes - bisher nicht genauer untersucht wurden. Für die massive Übernahme von lexikalischen Italianismen etwa werden im Allgemeinen die folgenden Gründe verantwortlich gemacht: Zum einen seien aufgrund der Ausstrahlungskraft der italienischen Renaissancekultur Erfindungen aus Italien zusammen mit ihren Bezeichnungen exportiert worden, was auch zur lexikalischen Bereicherung anderer europäischer Sprachen geführt habe (z. B. im Bereich der Architektur: it. fresco > dt. Fresko , engl. fresco , fr. fresque , sp. fresco ), zum andern - und dies unterscheide Frankreich vom Großteil des übrigen Europa - seien die Franzosen in besonderem Maße von der italienischen Kultur und Literatur begeistert gewesen. In der Forschungsliteratur ist bisweilen sogar von einer Art Italomanie die Rede. Diese sei so weit gegangen, dass sich gewisse fran- 14 1 Einleitung - Gegenstand und Aufbau der Arbeit zösische Schriftsteller, die als Français italianisants bezeichnet werden, darin versuchten, italienische Modelle in italienischer Sprache zu imitieren. Schließlich habe auch der Umstand, dass sich der französische Adel während ausgedehnter Bildungsreisen sowie tausende französische Soldaten aufgrund kriegerischer Auseinandersetzungen für längere Zeit in Italien aufhielten, den Kontakt mit dem Italienischen gefördert. Von der Verbreitung der italienischen Literatur im rinascimentalen Frankreich einmal abgesehen, geht die Forschung also davon aus, dass der Kontakt mit dem Italienischen insbesondere außerhalb Frankreichs stattfand und dass die Übernahme von Italianismen in erster Linie den italienischen Einflüssen gegenüber äußerst offenen Franzosen geschuldet ist. Nun aber war das Italienische auch innerhalb Frankreichs - jenseits der Literatur - präsent. Neben vorübergehend in Frankreich tätigen Künstlern, Handwerkern und Händlern aus Italien waren auch zahlreiche italienische Immigranten, also Einwanderer, die sich dauerhaft dort niederließen, anzutreffen. Besonders hoch war die Konzentration an Italienern in Lyon, das bereits seit dem 15. Jahrhundert ein Anziehungspunkt für italienische Bankiers war, der Provence sowie am französischen Hof, der nicht zuletzt aufgrund der Vermählung von Catherine de Médicis mit Henri II 1533 für Landsleute der Florentinerin attraktiv wurde. In der soziohistorischen Forschung wird in diesem Zusammenhang auch von der France italienne (Dubost 1997) gesprochen. Dass die Einwanderer ihre Muttersprache mitbrachten und sie neben dem Französischen insbesondere dort weiterhin verwendeten, wo sie größere Gemeinschaften bildeten, ist mehr als wahrscheinlich; ebenso, dass in Folge dieser Mehrsprachigkeit italienische Einflüsse in deren Französisch zu beobachten waren. Obwohl der Forschung die Präsenz der Italiener durchaus bekannt ist, wurde bisher nicht überprüft, ob und ggf. in welchem Ausmaß auch sie an der Bereicherung des rinascimentalen Französisch beteiligt gewesen sein könnten. Während die ältere Sprachgeschichtsschreibung (z. B. Darmesteter / Hatzfeld 1878, Brunot HLF II 1906) intuitiv davon ausging, dass die Italiener auch sprachlich Spuren hinterlassen haben müssen, also am Aufkommen von Italianismen beteiligt waren, wird seit Wind (1928) eher die Ansicht vertreten, dass sie diesbezüglich keine wesentliche Rolle spielten. Vielmehr seien die Franzosen selbst, allen voran die sog. Français italianisants , dafür verantwortlich zu machen (vgl. weiter oben) . In ihrer bis heute unersetzbaren Studie zum Einfluss des Italienischen auf das Französische des 16. Jahrhunderts begründet Wind (1928) diese Einschätzung wie folgt: Windisch dans sa Théorie [sic] der Mischsprachen […] et apès lui Wundt […], ont relevé l’importance de ce fait que la langue maternelle d’une personne qui s’expatrie subit une forte altération et non la langue étrangère apprise […]. Et la théorie est confir- 1 Einleitung - Gegenstand und Aufbau der Arbeit 15 mée par les faits. […] De nos jours nous avons pu facilement en constater la vérité dans la langue des bonnes allemandes employées dans notre pays: leur néerlandais est relativement pur, c’est leur allemand qui est absolument dénaturé par l’entrée de nombreux éléments hollandais. […] Il semble donc bien que l’influence des Français a pu être plus efficace que celle des immigrés italiens. (Wind 1928: 15-16, inkl. 15, Fn. 3, Hervorhebungen im Original) Die Vermutung, die Italiener hätten das Französische rasch erlernen müssen, so dass nicht letzteres, sondern ihre Muttersprache Interferenzen aufgewiesen habe, ist angesichts der Erkenntnisse der modernen Sprachkontaktforschung nicht gänzlich unbegründet. In der Tat konnte in Studien zu verschiedensten Migrationskontexten gezeigt werden, dass die Muttersprache von Migranten starke Veränderungen durch die neue Mehrheitssprache erfahren und allmählich sogar abgebaut werden kann. Dieser als Attrition bezeichnete Prozess kann schließlich auch zum vollständigen Verlust der Muttersprache führen. Entscheidend sind dabei aber immer auch die außersprachlichen Rahmenbedingungen. Erfreut sich die Migrantensprache innerhalb einer größeren Einwanderergruppe einer gewissen Vitalität, ist bei den einzelnen Sprechern nicht mit Attritionsphänomenen zu rechnen. Vor diesem Hintergrund ist die Annahme Winds nun nicht mehr überzeugend: Wie dem Passus zu entnehmen ist, veranschaulicht sie ihre Überlegungen am Beispiel deutscher Dienstmädchen im Holland der 1920er Jahre und vergleicht deren Situation - zumindest indirekt - mit derjenigen der italienischen Immigranten im Frankreich des 16. Jahrhunderts. Aus soziolinguistischer Perspektive ist ein solcher Vergleich aber in mehrfacher Hinsicht problematisch: Wie neuere soziohistorische Studien (z. B. Boucher [1981] 2007, Dubost 1997, Heller 2003) zeigen, waren die italienischen Immigranten zumeist keine Bediensteten, sondern gehörten einer sozialen Elite an und brachten manchmal sogar ihr eigenes Dienstpersonal mit nach Frankreich. Dass sie einem vergleichbaren Assimilationsdruck wie deutsche Dienstboten in Holland ausgesetzt waren, ist in Anbetracht ihres gesellschaftlichen Status eher unwahrscheinlich. Anders als die deutschen Frauen, die vermutlich allein emigrierten, kamen die Italiener oft nicht nur mit ihrem Hauspersonal, sondern zusammen mit ihren Familien. Ihre italienischen Netzwerke blieben so häufig erhalten. Des Weiteren waren sie, wie bereits erwähnt, v. a. in Lyon und am französischen Hof, der Petite Italie , in größerer Zahl anzutreffen. Dass das Italienische innerhalb dieser Gemeinschaften weiterhin Verwendung fand und somit vital blieb, ist durchaus anzunehmen. Schließlich ist auch das Prestige des Italienischen im 16. Jahrhundert nicht mit jenem des Deutschen der 1920er Jahre zu vergleichen. Während das Ansehen der deutschen Kultur und Sprache während des Ersten Weltkriegs stark gelitten 16 1 Einleitung - Gegenstand und Aufbau der Arbeit hatte, galt die italienische Renaissance-Kultur im gesamten frühneuzeitlichen Europa und insbesondere in Frankreich als Vorbild. Die Bedeutung des Italienischen als Kultur- und Verkehrssprache war mit derjenigen des Englischen von heute vergleichbar. Da sich die Einwanderer v. a. in gehobenen Kreisen, z. B. am Hof, bewegten, könnten sie - zumindest anfänglich - selbst mit Franzosen, von denen viele des Italienischen mächtig waren, in ihrer Muttersprache kommuniziert haben. Diese soziolinguistisch relevanten Umstände lassen vermuten, dass das Italienische vital blieb. Eine soziolinguistische Beschreibung, die die tatsächliche Reichweite des Italienischen sowie das Sprachverhalten der Immigranten beleuchtet, stellt bis heute ein Desiderat dar. Sie ist aber unerlässlich, um Aussagen darüber machen zu können, ob die Einwanderer überhaupt für eine Beeinflussung des Französischen verantwortlich sein konnten. Nur wenn sich das Italienische weiterhin einer gewissen Vitalität erfreute und kontinuierlich verwendet wurde, kann wahrscheinlich gemacht werden, dass im Französischen der Migranten Interferenzen mit dem Italienischen anzutreffen waren. Außerdem wäre auch denkbar, dass die Italiener - selbst wenn sie das Französische beherrschten - aufgrund ihrer sozialen Stellung sowie des Prestiges des Italienischen bewusst aus ihrer Muttersprache entlehnten. Ein Anliegen der vorliegenden Arbeit ist daher eine soziolinguistische Beschreibung der sog. France italienne, wobei die Reichweite und Vitalität des Italienischen jenseits der Literatur im Mittelpunkt stehen. Des Weiteren muss überprüft werden, ob sich die Vitalität auch in der Sprache selbst widerspiegelt. Anhand authentischer Produktionsdaten wird untersucht, ob im Italienischen der Einwanderer allmählich tatsächlich Interferenzen mit dem Französischen begegneten, was die Vermutung Winds untermauern und für einen gewissen Assimilationsdruck auf die Migranten sprechen würde. Wenn sich umgekehrt auch nach Jahrzehnten in Frankreich keine französischen Einflüsse nachweisen ließen, wäre dies ein Indiz dafür, dass das Italienische vital oder sogar die dominante Sprache blieb. Schließlich ist auch die Analyse von französischen Texten italienischer Einwanderer unabdingbar, um festzustellen, ob darin Spuren des sog. françois italianizé zu beobachten sind oder nicht. Wenn sich z. B. (Erst)Belege für lexikalische Italianismen, die im 16. Jahrhundert Eingang ins Französische gefunden haben, aufspüren ließen, würde dies nahelegen, dass auch die Immigranten für gewisse Innovationen verantwortlich sein konnten. Obschon nach Wind (1928) mehrfach, so z. B. von Vidos (1960) und Hope (1971), die Vermutung geäußert worden ist, dass auch die italienischen Immigranten am Aufkommen von Italianismen beteiligt gewesen sein könnten, wurde ihre Rolle bisher nicht näher beleuchtet. Studien zu ihrem Französisch fehlen bis heute. 1 Einleitung - Gegenstand und Aufbau der Arbeit 17 Die vorliegende Arbeit widmet sich aber nicht ausschließlich diesen in der Forschung bislang vernachlässigten Aspekten des französisch-italienischen Sprachkontakts im 16. Jahrhundert. Wie eingangs erwähnt wurde, bilden die Beobachtungen des bekannten Sprachtheoretikers Henri Estienne den Rahmen der Arbeit. In seinem Pamphlet Deux Dialogues du nouveau langage François, italianizé […] (1578) kritisiert er das italianisierende Französisch am Hofe der Valois. Neben zahlreichen objektsprachlichen Belegen zur Veranschaulichung dieses vom Italienischen durchdrungenen Französisch - die Einflüsse manifestieren sich v. a. in der Lautung und im Wortschatz - gibt er auch wertvolle Hinweise auf das Nebeneinander der zwei Sprachen sowie auf die Rolle der italienischen Höflinge. Auch diese seien für lexikalische Innovationen im rinascimentalen Französisch verantwortlich zu machen. Im Gegensatz zu den weiter oben besprochenen Aspekten ist das Zeugnis Estiennes nun aber durchaus nicht von der Forschung ignoriert worden. Alle Arbeiten, die sich mehr oder weniger intensiv mit dem Einfluss des Italienischen auf das Französische beschäftigen, äußern sich zu den Beobachtungen des Puristen. Auch sind im Laufe der letzten 100 Jahre mehrere kleinere (z. B. Sampson 2004, Cowling 2007) sowie äußerst umfangreiche Beiträge (z. B. Clément 1898, Tracconaglia 1907) zu Estienne entstanden. In den einschlägigen Sprachgeschichten (z. B. Brunot HLF II 1906, Chaurand [1999] 2012) wird er im Zusammenhang mit dem Einfluss des Italienischen während der Renaissance immer genannt. Auffällig ist, dass auf seine aus soziolinguistischer Perspektive interessanten Aussagen zur Mehrsprachigkeit am französischen Hof, etwa zur Vitalität des Italienischen und zum Sprachverhalten der italienischen Höflinge, oft aber nicht näher eingegangen wird. Im Allgemeinen sind es vielmehr seine zahlreichen lexikalischen Italianismen und Bemerkungen zu sonstigen sprachlichen Interferenzen, die im Mittelpunkt des Interesses stehen und auch genauer analysiert werden. Insbesondere diese sind es, die ihm den Ruf eingebracht haben, zum Zwecke der Satire häufig übertrieben zu haben. Viele der von ihm angeprangerten sprachlichen Interferenzen im sog. françois italianizé seien im rinascimentalen Französisch gar nicht nachweisbar. Spätestens seit der Studie von Trescases (1978b) geht die Forschung davon aus, dass über die Hälfte aller lexikalischen Italianismen, die von Estienne in den Deux Dialogues kritisiert werden, als Hapax-Belege betrachtet werden müssen. Es handele sich um Phantasie-Kreationen des Puristen, die außerhalb seiner Schriften nicht anzutreffen seien. Heute gelten die Deux Dialogues als wenig glaubwürdige Quelle. Vermutlich aus diesem Grund wird auch seiner soziolinguistischen Beschreibung im Allgemeinen wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die vorliegende Arbeit soll zeigen, dass die Deux Dialogues - auch wenn es sich um einen polemischen Text handelt - eine wertvolle zeitgenössische 18 1 Einleitung - Gegenstand und Aufbau der Arbeit Quelle darstellen und die Aussagen Estiennes glaubwürdiger sind, als zumeist angenommen wird. Während anhand der Ergebnisse aus Kapitel 6 und 7 seine Ausführungen zur Vitalität des Italienischen und zum françois italianizé auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden, ist Kapitel 5 der bisher vorgebrachten Kritik an den Deux Dialogues gewidmet. Eine umfangreiche lexikologische Analyse, die die Erkenntnisse der neueren etymologischen Forschung berücksichtigt, soll bestätigen, dass die Mehrzahl der von Estienne angeprangerten Italianismen tatsächlich existiert hat. Zum Aufbau der Arbeit Die Arbeit ist in acht Kapitel untergliedert. Neben der vorliegenden Einleitung sowie Kapitel 8, das der Synthese der Ergebnisse gewidmet ist, umfasst sie sechs weitere Kapitel, die im Folgenden vorgestellt werden. In Kapitel 2 wird ein Überblick über den Forschungsstand zu den französisch-italienischen Beziehungen im 16. Jahrhundert gegeben. Die Ergebnisse der Geschichts-, Kultur- und Literaturwissenschaft (vgl. Kapitel 2.1) liefern in erster Linie die notwendigen geschichtlichen Hintergrundinformationen, sind aber auch für die soziolinguistische Beschreibung der France italienne in Kapitel 6 relevant. Die Ergebnisse der italienischen Sprachgeschichtsschreibung (vgl. Kapitel 2.2), die sich in den letzten 20 Jahren verstärkt mit der Verbreitung und dem Prestige des Italienischen außerhalb Italiens ( L’italiano fuori d’Italia ) beschäftigt hat, zeigen - v. a. im Hinblick auf die Quantität und Qualität des italienischen Lehnguts in verschiedenen großen europäischen Sprachen -, dass das Französische im 16. Jahrhundert deutlich stärker vom Italienischen beeinflusst wurde als etwa das Deutsche, Englische oder Spanische. Diese Besonderheiten könnten unter Umständen mit der Präsenz der Immigranten zusammenhängen. Abschließend wird anhand der Erkenntnisse der französistischen Forschung (vgl. Kapitel 2.3) gezeigt, dass die Qualität der sprachlichen Einflüsse auf das Französische selbst - es sind verschiedene sprachliche Ebenen betroffen - nahelegt, dass mehrsprachige Sprechergruppen im Frankreich des 16. Jahrhunderts existiert haben. Die Teilkapitel 2.2 und 2.3 verdeutlichen auch, dass die Rolle der italienischen Immigranten bisher weder von italianistischer noch von französistischer Seite genauer erforscht wurde. In Kapitel 3 werden Modelle aus der Kontaktlinguistk vorgestellt, auf deren Grundlage in Kapitel 5, 6 und 7 die Mehrsprachigkeit im Frankreich der Frühen Neuzeit sowie ihre Folgen beschrieben werden. Neben soziolinguistischen Modellen, die die Rekonstruktion des Nebeneinanders zweier Sprachen erlauben 1 Einleitung - Gegenstand und Aufbau der Arbeit 19 (Funktionsbereiche, Vitalität), werden, da die Analyse authentischer französischer und italienischer Texte den Schwerpunkt der Arbeit bildet, insbesondere verschiedene Arten der gegenseitigen sprachlichen Beeinflussung, die bei Sprachkontakten zu beobachten sind, besprochen und voneinander abgegrenzt (Lehngut, Entlehnung, Interferenz und code-switching ) . Schließlich wird auch diskutiert, wie Attrition, der Verlust der Muttersprache, bzw. deren Ausbleiben nachgewiesen werden kann. Kapitel 4 befasst sich ausführlich mit Henri Estiennes Deux Dialogues (1578). Es wird zunächst der Inhalt der Deux Dialogues referiert, wobei zwischen den soziolinguistisch relevanten Aussagen zur Präsenz des Italienischen sowie zum Sprachverhalten der Immigranten und jenen zu konkreten sprachlichen Einflüssen auf das Französische (Züge des françois italianizé ) unterschieden wird. Erstere dienen im weiteren Verlauf der Arbeit als Ausgangspunkt für die soziolinguistische Analyse zur Vitalität des Italienischen im Frankreich der Frühen Neuzeit (vgl. Kapitel 6). Letztere bilden hingegen die Grundlage für die Untersuchung in Kapitel 7, in dem anhand französischer Texte ausgewählter italienischer Immigranten überprüft wird, ob und ggf. in welchem Maße lexikalische Italianismen und weitere Interferenzen im Französischen der Einwanderer festzustellen sind. Kapitel 5 beschäftigt sich mit der in den letzten 100 Jahren vorgebrachten Kritik an den Deux Dialogues . Es werden die Schwächen dieser Kritik aufgezeigt und eine Neubewertung der Deux Dialogues vorgeschlagen. Von besonderer Bedeutung ist die umfangreiche lexikologische Analyse in Kapitel 5.5, die die Ergebnisse von Trescases (1978b) widerlegt. Es wird gezeigt, dass sich die Mehrheit der von Estienne kritisierten Italianismen auch außerhalb seiner Werke nachweisen lässt, so manche falsche Etymologie aus der Perspektive eines Etymologen der Renaissance durchaus nachvollziehbar ist und selbst die wenigen Hapax-Formen nicht willkürlich, sondern ganz bewusst gewählt wurden. In Kapitel 6 wird der Versuch unternommen, die Vitalität des Italienischen im rinascimentalen Frankreich zu ermitteln, wobei zwei unterschiedliche Perspektiven eingenommen werden: Kapitel 6.2 widmet sich dem Geltungsbereich des Italienischen, d. h. seinem Prestige und seiner kommunikativen Reichweite. Der Fokus liegt auf seiner funktionalen Vitalität. In Kapitel 6.3 hingegen werden ausgewählte Briefe italienischer Immigranten analysiert, um die Vitalität des Italienischen auch durch sprachliche Daten zu bestätigen. 20 1 Einleitung - Gegenstand und Aufbau der Arbeit In Kapitel 7 wird schließlich anhand französischer Briefe von Catherine de Médicis sowie anderer Italiener überprüft, ob sich Spuren des von Estienne kritisierten françois italianizé nachweisen lassen. Der Fokus liegt auf (phonetischen) Schreibungen und der Lexik. Von besonderem Interesse sind neue Erstbelege für bereits bekannte Italianismen und ausdrucksseitige Besonderheiten, die nahelegen, dass es sich bei den Lexemen um Interferenzen oder um von den Italienern selbst herbeigeführte Entlehnungen handelt. Da die Verfasser zum Großteil aus dem höfischen Umfeld stammen, wird auch nach Merkmalen des von Estienne ebenfalls angeprangerten langage courtisanesque gesucht. 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts - Forschungsstand und Forschungslücken 2.1 Passer les monts - Ergebnisse der Geschichts-, Kultur- und Literaturwissenschaft 2.1.1 Vorbemerkungen In der historisch arbeitenden Literatur- und Kulturwissenschaft hat die Beschäftigung mit den Beziehungen zwischen Frankreich und Italien eine lange Tradition. Insbesondere zu den intensiven italienischen Einflüssen auf die französische Renaissancekultur sind bereits in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche Studien in Frankreich vorgelegt worden. Neben Rathéry (1853) und Bourciez (1886) sind v. a. die Arbeiten von Émile Picot zu nennen, der nicht nur mehrere kleinere Beiträge im Bulletin italien 1 publizierte, sondern auch zwei umfangreiche Monographien hinterlassen hat, die trotz einzelner Korrekturen durch rezentere Studien bis heute wertvolle Hilfsmittel für die Untersuchung der italienisch-französischen Beziehungen im 16. Jahrhundert darstellen. In Les Français italianisants ([1906-1907] 1968) beschäftigt sich Picot insbesondere mit der Rolle des Italienischen in der französischen Literatur des 16. Jahrhunderts. Zahlreiche Franzosen, darunter z. B. auch Du Bellay und Montaigne, versuchten sich nicht nur in der Imitation literarischer Modelle aus Italien, sondern schrieben u. a. aufgrund des Prestiges des Italienischen auch in dieser Sprache. In Les Italiens en France au XVI e siècle ([1918] 1995) hingegen gibt Picot einen Überblick über die erstaunlich hohe Anzahl an vorübergehend sowie dauerhaft in Frankreich ansässigen Italienern und beleuchtet deren Einfluss auf die französische Gesellschaft. Im Vorwort zu Les Français italianisants wurden noch weitere Studien, etwa eine Anthologie der zahlreichen Übersetzungen aus dem Italienischen sowie Arbeiten zur Rolle der in Frankreich tätigen italienischen Drucker, Buchhändler und comédiens , angekündigt, die Picot nicht mehr vollenden konnte. Viele der Vorhaben Picots sind jedoch im 20. und 21. Jahrhundert von der Forschung auf- 1 Zu dieser zwischen 1901 und 1918 erschienenen Zeitschrift vgl. De Cesare (1970). 22 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts gegriffen worden, so dass der italienische Einfluss auf die französische Kultur und Literatur des 16. Jahrhunderts heute außerordentlich gut und differenziert beschrieben ist. Neben den Arbeiten von Simone (1965, 1968, 1974), Bingen (1987, 1994, 2003, 2012), Bingen / Renaud (2015), Boucher (1994, 1998, [1981] 2007), Dubost (1997) und Heller (2003) sind v. a. die zahlreichen Beiträge von Balsamo (z. B. 1992, 2003a, b, 2008, 2009, 2015) zu erwähnen. Die Überschrift dieses Kapitels ( Passer les monts ) ist im Übrigen dem Titel eines von Balsamo (1998) herausgegebenen Sammelbands nachempfunden. Gewählt wurde sie hier deshalb, weil sie die Perspektive auf die in den folgenden fünf Kapiteln zu besprechenden Kontaktszenarien (z. B. Italienkriege, Migration usw.) nicht von vornherein einschränkt, sondern erlaubt, die Beeinflussung der französischen Kultur und Gesellschaft - und in der Folge auch der Sprache - auf beiden Seiten der Alpen, also sowohl in Italien als auch in Frankreich, zu beleuchten. Die Franzosen kamen sowohl in der Heimat als auch auf der Apenninenhalbinsel mit der italienischen Kultur und Sprache in Kontakt. Zudem kann so - dies aber nur flankierend anhand ausgewählter Beispiele - gezeigt werden, dass der Kontakt in manchen Bereichen als symmetrisch, in den meisten aber als asymmetrisch betrachtet werden muss. Die italienische Kultur und Sprache erfuhr keine vergleichbare Beeinflussung durch den Kontakt mit der französischen Gesellschaft. Dieses Ungleichgewicht 2 könnte schließlich eine mögliche Erklärung dafür sein, warum die gegenseitige sprachliche Beeinflussung so unterschiedliche Folgen hatte. Während der sprachliche Einfluss des Italienischen auf das Französische - dies sei an dieser Stelle schon vorweggenommen - gerade im 16. Jahrhundert am stärksten ist, nimmt sich umgekehrt der Einfluss des Französischen auf das Italienische - im Vergleich zu anderen Jahrhunderten - äußerst gering aus (vgl. Kapitel 2.2.3). 2.1.2 Italienkriege (1494-1559) Die Kontakte zwischen Italien und Frankreich waren insbesondere in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts kriegerischer Natur. Von 1494 bis 1559 (Frieden von Cateau-Cambrésis) kam es aufgrund der Bestrebungen der französischen Krone, die versuchte, Gebiets- und Herrschaftsansprüche in Italien (Königreich Neapel und Herzogtum Mailand) durchzusetzen, zu zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen, in die nicht nur dort ansässige Mächte, wie die Republik 2 Dass die Beziehungen zwischen Frankreich und Italien während der Renaissance u. a. aufgrund des Prestiges der italienischen Kultur sowie der italienischen Sprache asymmetrisch waren, ist kein neuer Gedanke. In beinahe allen der in den folgenden Kapiteln zitierten Werke finden sich ähnliche Überlegungen. Eine überblicksartige Darstellung dieser Asymmetrie für die einzelnen Bereiche ist aber kaum anzutreffen. 2.1 Passer les monts - Ergebnisse der Geschichts-, Kultur- und Literaturwissenschaft 23 Venedig oder der Stato pontificale , sondern auch internationale Großmächte wie z. B. das Königreich England oder das Osmanische Reich verwickelt waren. Die Allianzen wechselten häufig. Als Hauptgegner Frankreichs können jedoch zumindest ab den frühen 1520er Jahren die Habsburger unter der Führung von Karl V. angesehen werden. Für die vorliegende Arbeit von Bedeutung ist, dass nicht nur zahlreiche hochrangige italienische Offiziere wie z. B. Pietro Strozzi, der später sogar maréchal de France werden sollte, sondern insgesamt auch zehntausende italienische Soldaten (Infanterie und Kavallerie) im französischen Heer kämpften (vgl. Lehugeur 1897 sowie Picot [1918] 1995: 7-50), so dass die Armee sowohl für Italiener als auch für Franzosen als wichtiger Ort des Sprachkontakts betrachtet werden kann. Hervorzuheben ist ferner, dass die Auseinandersetzungen nicht ausschließlich auf der italienischen Halbinsel stattfanden. Auch Frankreich war Schauplatz größerer Schlachten (Thionville 1558) oder musste zumindest dem Einmarsch gegnerischer Truppen (Provence 1536) oder Belagerungen (Metz 1552-1553) standhalten. Italienische Soldaten waren folglich auch für längere Zeit in Frankreich. Mit dem Italienischen kamen daher auch Franzosen in Kontakt, die sich nicht nach Italien begaben. Umgekehrt kam die italienische Bevölkerung im eigenen Land mit französischen Truppen in Berührung. Dieses Kontaktszenario kann als mehr oder weniger symmetrisch betrachtet werden 3 . Dass die guerres d’Italie in der Folge auch zu einem beliebten Motiv in der zeitgenössischen Literatur wurden 4 , zeigt, wie intensiv diese Begegnungen auf beiden Seiten der Alpen wahrgenommen wurden. 2.1.3 Kultureller Austausch und Handelsbeziehungen Auf den ersten Blick als in ähnlichem Maße symmetrisch können die durch den kulturellen Austausch und den Handel bedingten Kontakte zwischen Italien und Frankreich betrachtet werden. Auf den Umstand, dass die Italienreise nicht nur als wichtiger Bestandteil der Bildung und Ausbildung (z. B. zum Erlernen der Reit- und Fechtkunst) des jungen französischen Adels galt, sondern dass auch zahlreiche Künstler, Handwerker und Schriftsteller im rinascimentalen Italien Inspiration suchten, hat schon Picot hingewiesen ([1906-1907] 1968) 5 . Umgekehrt kamen auch bedeutende und weniger bedeutende Architekten, Bildhauer, 3 Zu den guerres d’Italie vgl. Hardy (1880), Lehugeur (1897), Fournel / Zancarini (2003), Hamon (2009) und Heers (2009: 91-173), denen auch die Informationen zu diesem Kapitel entnommen sind. 4 Zum Umgang mit den guerres d’Italie in der Literatur vgl. z. B. Cooper (1997) und Boillet / Piéjus (2002). 5 Zur Bedeutung der Italienreise vgl. auch Balsamo (2003a). 24 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts Handwerker (Porzellan- und Glasherstellung, Seidenproduktion und -verarbeitung) sowie Bankiers und Händler nach Frankreich, von denen einige auch dauerhaft blieben. Des Weiteren hielten sich neben Diplomaten auch kirchliche Würdenträger sowie Literaten aus Italien bisweilen für längere Zeit am französischen Hof auf (vgl. Picot [1918] 1995: v. a. 73-114, 199-255) 6 . Dass solche kulturellen Kontakte auf beiden Seiten der Alpen stattfanden, also gewissermaßen symmetrisch waren, hat Doucet (2003, 2007) am Beispiel der académies équestres gezeigt. Zum einen absolvierten zahlreiche zukünftige französische Reitmeister ihre Ausbildung in Italien, zum anderen kamen auch viele Fachleute aus Italien nach Frankreich und publizierten dort sogar zweisprachige Traktate über die Reitkunst (z. B. Marco de’ Pavari 1581 in Lyon). Die académies équestres im Frankreich des 16. Jahrhunderts waren anfänglich - genauso wie der Handel mit begehrten Rassepferden - fest in italienischer Hand. Eine wichtige Rolle spielten zudem auch die Universitäten. Schon Picot ([1918] 1995: 255-299) hat gezeigt, dass mit der Italienreise oft ein längerer Aufenthalt an italienischen Universitäten verbunden war. Den ersten Ergebnissen von Bingen (2003) 7 zufolge, die sich in einer großangelegten Studie der Präsenz frankophoner Studenten an italienischen Universitäten des 16. Jahrhunderts widmet, waren frankophone Studenten insbesondere an nord- und zentralitalienischen Universitäten vertreten (Bologna, Padua, Pavia, Parma, Pisa, Ferrara), wobei sie in gewissen Zeiträumen zahlenmäßig sogar die größte Gruppe nichtitalienischer Studenten bzw. Absolventen ausmachten, so z. B. zwischen 1536 und 1546 in Ferrara: insgesamt 339 Absolventen, davon 260 (76,5 %) Italiener, 69 Frankophone (20,5 %), 10 Sonstige (3 %). Umgekehrt kamen auch italienische Studenten nach Frankreich: Neben Avignon, Orléans und Toulouse (vgl. Ferté 2003) war z. B. das bereits 1334 von Andrea Ghini gegründete Collège des Lombards in Paris, das an die dortige Universität angegliedert war und anfänglich nur Italiener aufnahm, ein Anziehungspunkt für italienische Studenten. Zu betonen ist, dass aber weniger italienische Studenten nach Frankreich als französische Studenten nach Italien kamen. Auch im Hinblick auf den Austausch von Lehrenden muss laut den Angaben Picots ([1918] 1995: 255, 279) ein gewisses Ungleichgewicht zu beobachten gewesen sein: Während nicht wenige bedeutende Juristen und Theologen aus Italien an französischen Universitäten lehrten und dort ein hohes Ansehen genossen, war die Zahl französischer Professoren an italienischen Universitäten eher überschaubar. 6 Für weitere Einzelstudien, die Picot ([1918] 1995) aber nicht ersetzen, vgl. z. B. die Beiträge in La Circulation (1992) sowie in Balsamo (1998). 7 Laut den Angaben in Bingen / Renaud (2015) ist die Studie noch nicht abgeschlossen. 2.1 Passer les monts - Ergebnisse der Geschichts-, Kultur- und Literaturwissenschaft 25 Wie anhand des universitären Austauschs ersichtlich ist, war das Kontaktverhältnis also weniger symmetrisch, als es zunächst den Anschein hat. Ähnliches lässt sich auch für die anderen in diesem Kapitel besprochenen Bereiche feststellen: Zwar begaben sich Italiener nach Frankreich und Franzosen nach Italien, allerdings waren die Motive verschieden. Während französische Adelige, Künstler, Handwerker, Studenten, Literaten usw. nach Italien gingen, um sich dort ausbilden zu lassen und das Italienische zu erlernen, scheint es sich bei den Italienern vielmehr um Spezialisten zu handeln, die ihre Expertise z.T. gegen Bezahlung nach Frankreich brachten. 2.1.4 Italienische Immigranten in Frankreich Im vorhergehenden Kapitel wurde bereits angedeutet, dass eine nicht unerhebliche Anzahl an Italienern auch dauerhaft in Frankreich blieb, so dass diese als Immigranten bezeichnet werden können. In Picot ([1918] 1995) ist, was angesichts des Umfangs der Materialsammlung auch mehr als nachvollziehbar ist, nicht immer ersichtlich, ob gewisse Personen nun als Einwanderer im engeren Sinne betrachtet werden können oder nicht. Viele Italiener kehrten auch nach längerer Zeit wieder in die Heimat zurück, andere scheinen sich hingegen nicht wirklich in Frankreich niedergelassen zu haben. Für viele jedoch sind schlichtweg keine Informationen über ihr weiteres Schicksal bekannt. Die Migration für alle von Picot genannten Einzelpersonen, deren Identität nicht einmal in allen Fällen zweifelsfrei geklärt ist, genau nachzuzeichnen, scheint ein unmögliches Unterfangen zu sein. Umso bemerkenswerter ist die beeindruckende Studie La France italienne XVI e - XVII e siècle von Dubost (1997), in der der Autor anhand von sog. lettres de naturalité ‘Einbürgerungspapiere’ aus ausgewählten Archiven exemplarisch den Anteil der Italiener an der Gesamtzahl der damaligen Immigranten ermittelt hat. Dubost (1997: 21-51) konnte zeigen, dass die Italiener insbesondere im 16. Jahrhundert zahlenmäßig die wichtigste Gruppe darstellten: Im Jahre 1552 etwa waren über 50 % der eingebürgerten Immigranten Italiener. Auch Aussagen über die genaue geographische Herkunft sind anhand der Dokumente möglich: Die wichtigste Gruppe stammte aus der Toskana. Der Großteil scheint sich in Paris, Lyon und der italianisierten Provence niedergelassen zu haben. Auf die Ergebnisse dieser Studie wird in Kapitel 6.2.2.2 noch detailliert eingegangen. Was die soziökonomische Herkunft der Einwanderer betrifft, so hat nach Picot ([1918] 1995: 73-114, 145-199) auch Dubost (1997: 42-51) darauf aufmerksam gemacht, dass neben den in den vorherigen Kapiteln genannten Berufsgruppen (hochrangige Offiziere, Händler, Künstler, Handwerker usw.) insbesondere Bankiers und Angehörige des Hofes vertreten waren. Erstere ließen 26 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts sich insbesondere in Rouen, Paris und Lyon nieder, wobei Lyon nicht zuletzt auch aufgrund der geographischen Nähe zu Italien schon seit dem 15. Jahrhundert stark italianisiert war. Wie u. a. Boucher (1994, 1998) gezeigt hat, waren die Einwanderer dort in sog. Nazioni organisiert (z. B. Nazione Fiorentina , Nazione Lucchese ). Viele von ihnen waren als Bankiers, Händler, aber auch als Verleger und Drucker tätig 8 . Die Gruppe der Höflinge ist heterogen. Sie umfasst zahlreiche Migranten, die Catherine de Médicis nach ihrer Vermählung mit Henri II im Jahre 1533 an den französischen Hof begleiteten ( dames d’honneurs , aber auch einfaches Personal), sowie Italiener, die zunächst in Paris oder anderswo ansässig waren, etwa die Bankiers Zametti oder Sardini, und erst allmählich eine wichtige Rolle in höfischen Kreisen einnahmen. Daneben kamen auch nach 1533 - bis zum Tode der reine mère im Jahre 1589 und auch danach - stetig weitere Italiener an den Hof. Viele blieben dauerhaft, andere, wie z. B. ihr Leibarzt Cavriana (vgl. Vons 2010), zogen sich nach ihrem Tod wieder nach Italien zurück, auch wenn sie Jahrzehnte in Frankreich verbracht hatten 9 . Einen besonderen Fall stellen die sog. fuorusciti dar. Dabei handelt es sich um politisch verfolgte Patrizierfamilen aus Florenz (z. B. Alamanni, Corbinelli, Salviati, Strozzi), denen Frankreich angesichts der guerres d’Italie nicht ohne Eigeninteresse Asyl gewährte. Auch sie blieben meist dauerhaft und waren eng mit dem Hof verbunden 10 . Zudem hielten sich am französischen Hof vorübergehend auch zahlreiche Literaten und Künstler aus Italien auf. Auch wenn Balsamo (2008: 33-38) betont, dass die Förderung von letzteren durch Catherine de Médicis insofern nicht als „mécénat italianisant“ betrachtet werden darf, als sich der französische Hof diesbezüglich nicht wesentlich von anderen Höfen unterschied, die alle gleichermaßen von der italienischen Renaissancekultur fasziniert waren, kann festgehalten werden, dass die Zahl der vom Hof engagierten Italiener beträchtlich war 11 (vgl. Kapitel 6.2.2.2). Selbst der Gärtner von Catherine de Médicis, Le Calabrais (von 1564 bis 1586), war italienischer Herkunft (vgl. Chevalier 1868). Abschließend festhalten lässt sich, dass die Präsenz der zahlreichen italienischen Immigranten im Frankreich des 16. Jahrhunderts, insbesondere am Hof und in Lyon, eher als einseitiger, asymmetrischer Kontakt betrachtet werden kann. Zu einer vergleichbar intensiven und einflussreichen französischen Prä- 8 Zu italienischen Buchdruckern in Lyon vgl. auch Balsamo (2003b) sowie Rozzo (2015). 9 Zur Entourage von Catherine de Médicis vgl. u. a. Picot ([1918] 1995: 145-199). 10 Für weiterführende Literatur zu den sog. fuorusciti sei auf Cosentino / De Los Santos (2001) sowie die dort genannte Literatur verwiesen. 11 Zu vorübergehend und dauerhaft am Hofe beschäftigten Italienern vgl. u. a. Heller (2003), Boucher ([1981] 2007) sowie die Beiträge in Frommel / Wolf (2008). 2.1 Passer les monts - Ergebnisse der Geschichts-, Kultur- und Literaturwissenschaft 27 senz scheint es an italienischen Höfen - unter Umständen mit Ausnahme des Piemont und Mailands 12 - im gleichen Zeitraum nicht gekommen zu sein. 2.1.5 Italienische Literatur, Übersetzungen und Français italianisants Mit der Verbreitung italienischer Literatur im Frankreich des 16. Jahrhunderts hat sich die Forschung schon früh beschäftigt. Die laut Balsamo (2015: 15) bis heute wertvollen Arbeiten von Bingen (1987, 1994) - das erste Werk widmet sich insbesondere Italienisch-Lehrwerken für Frankophone, wohingegen das zweite italienische Drucke und Übersetzungen aus dem Italienischen in frankophonen Ländern vom 16. bis zum 17. Jahrhundert bespricht - haben gezeigt, dass italienische Werke im Frankreich des 16. Jahrhunderts nicht nur in Übersetzung, sondern auch im Original weit verbreitet waren. Das Interesse an der Geschichte italienischer Drucke in frankophonen Ländern ist bis heute nicht erloschen: Das aktuelle Projekt EDITEF 13 hat zum Ziel, die bisherigen Erkenntnisse noch zu erweitern und insbesondere auch bislang weniger gut erforschte Regionen, wie Wallonien, genauer zu untersuchen. Neben Druckverzeichnissen und Inventarlisten großer Bibliotheken werden auch private Bestände berücksichtigt. Wie der neuesten Publikation von Bingen / Renaud (2015) zu entnehmen ist, scheinen italienische Drucke in Wallonien in einem deutlich geringeren Ausmaß als in Frankreich (Paris, Lyon) verbreitet gewesen zu sein 14 . Der Beitrag von Rozzo (2015) in Baldacchini (2015), ein Sammelband, der ebenfalls im Rahmen von EDITEF entstanden ist, betont, wie wichtig die Rolle der in Lyon ansässigen italienischen Drucker und Verleger für die Verbreitung italienischer Literatur im frühneuzeitlichen Frankreich war 15 . Dass es sich dabei um eine asymmetrische Beziehung zwischen Frankreich und Italien handelt, kann ein kurzer Blick auf die Zahlen des USTC 16 zeigen. Wäh- 12 Zur Sprachgeschichte des Piemont vgl. den Beitrag von Marazzini (1992) in Bruni (1992-1994), zur kurzen französischen Präsenz im Herzogtum Mailand vgl. z. B. Wilhelm (2007). 13 L’Édition italienne dans l’espace francophone à la première Modernité (http/ / www.editef. univ-tours.fr). 14 Wenn an manchen Stellen der Arbeit scheinen verwendet wird, trägt dies dem Umstand Rechnung, dass die Überlieferung in vielen Bereichen unvollständig ist und daher nur anhand der verfügbaren Daten Verallgemeinerungen angestellt werden können. Dies ist ein Problem, mit dem sich historisch arbeitende Disziplinen immer konfrontiert sehen. Bingen (2003) weist z. B. auch auf die lückenhafte Dokumentation in italienischen Universitäten hin, Dubost (1997) auf jene in französischen Archiven. 15 Zur allgemeinen Bedeutung der Buchdrucker und -händler für den Ausbau der Volkssprachen im rinascimentalen Europa vgl. die Beiträge in Kammerer / Müller (2015). 16 Dabei handelt es sich um den online konsultierbaren Universal Short Title Catalogue , der an der University of St. Andrews entsteht und dessen Ziel es ist, alle Drucke im frühneu- 28 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts rend zwischen 1501 und 1600 in Frankreich (v. a. in Paris und Lyon) mindestens 510 Drucke in italienischer Sprache erschienen - die höchste Zahl italienischer Drucke außerhalb Italiens 17 -, sind in den sog. Italian States nur 351 französische Drucke zu verzeichnen. Allerdings sind davon 123 im päpstlichen Avignon, 47 in Chambéry und 40 in Turin entstanden, während auf Rom z. B. nur 17 Drucke entfallen. In Zentral- und Süditalien wurden kaum französische Bücher verlegt, obwohl Rom, Florenz und Neapel, was die Gesamtzahl an Drucken betrifft, neben Bologna und Mailand - und natürlich weit hinter Venedig - als wichtigste Druckorte auf der Apenninenhalbinsel angesehen werden müssen. Zahlreiche Einzeluntersuchungen zu privaten französischen Sammlungen aus dem 16. Jahrhundert zeigen ebenfalls, dass italienische Drucke - abgesehen von lateinischen - zumeist die größte Gruppe fremdsprachlicher Literatur darstellten. Die Bibliothek von Jean Grolier (* 1479, † 1565), der lange als Diplomat in Italien agierte, veranschaulicht, welchen Stellenwert italienische Drucke in manchen Sammlungen haben konnten: 86 % lateinisch, 11 % italienisch, 1 % französisch, 2 % andere (vgl. Roudaut 2003: 103) 18 . Der Einfluss der italienischen Literatur manifestierte sich des Weiteren auch in zahlreichen Übersetzungen aus dem Italienischen. Die Anthologien von Balsamo / Castiglione Minischetti / Dotoli (2009) sowie von Dotoli u. a. (2001) lassen deutliche Tendenzen erkennen. Während Balsamo / Castiglione Minischetti / Dotoli (2009) 1566 Übersetzungen aus dem Italienischen im 16. Jahrhundert zählen, sind es laut Dotoli u. a. (2001) im 17. Jahrhundert ‘nur’ noch 1284 19 . Auch wenn die Zahlen, wie Dotoli u. a. (2001: 11) betonen, zeigen, dass Übersetzungen aus dem Italienischen auch im 17. Jahrhundert noch häufig waren, legen die Zahlen dennoch nahe, dass der Einfluss der italienischen Literatur im 16. Jahrhundert, wie schon eingangs im Hinblick auf die Zahl italienischer Lehnwörter im Französischen festgestellt wurde, am stärksten gewesen sein muss. Dies ist insofern sehr wahrscheinlich, als gerade im 17. Jahrhundert die volkssprachlichen zeitlichen Europa (bisher v. a. aus dem 16. Jahrhundert) zu erfassen (vgl. http: / / www.ustc. ac.uk). Der Katalog ist kostenlos zugänglich, die vielfältigen, miteinander kombinierbaren Suchoptionen (z. B. Sprache, Land, Zeitraum, Genre) selbsterklärend. Die Daten vorangegangener Großprojekte, wie z. B. EDIT16, sind eingespeist worden, so dass der USTC heute als das wichtigste Referenzwerk seiner Art betrachtet werden kann. Vgl. dazu auch Ambrosch-Baroua (2015) und Scharinger (2017). 17 Zur Verbreitung italienischer Druckwerke im frühneuzeitlichen Europa vgl. Scharinger (2017). 18 Für weitere Studien zur Rolle italienischer Drucke in französischen Bibliotheken vgl. die in Roudout (2003: 99-107) genannte Literatur. 19 Dazu zählen auch Editionen ein und desselben Werks. Allerdings lassen die absoluten Zahlen in jedem Fall Rückschlüsse auf die Verbreitung von französischen Übersetzungen aus dem Italienischen zu. Sowohl eine Vielzahl an übersetzten Werken als auch mehrere Auflagen einer Übersetzung sprechen schließlich für eine gesteigerte Nachfrage. 2.1 Passer les monts - Ergebnisse der Geschichts-, Kultur- und Literaturwissenschaft 29 Drucke im Allgemeinen zunehmen, während zumindest in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts lateinische Drucke in Frankreich überwiegen 20 . Wenn also bereits im 16. Jahrhundert mehr Übersetzungen als im 17. Jahrhundert erscheinen, spricht dies eindeutig für deren besondere Bedeutung im 16. Jahrhundert. Auch wenn, wie Stammerjohann (2013: 28) feststellt, noch kein umfassender Vergleich zwischen den Übersetzungen aus dem Italienischen in die verschiedenen europäischen Sprachen vorliegt, anhand dessen gezeigt werden könnte, dass ihre Zahl in Frankreich am höchsten ist, kann zumindest - und das ist für die vorliegende Arbeit schließlich von besonderem Interesse - ein Vergleich zwischen Frankreich und Italien angestellt werden. Balsamo / Castiglione Minischetti / Dotoli (2009) verweisen etwa auf eine Studie von Grohovaz (2001), die sich mit Übersetzungen aus dem Französischen ins Italienische im 16. Jahrhundert beschäftigt 21 und der zufolge insgesamt nur 96 Titel aufgespürt werden können. In einigen Fällen handelt es sich dabei nicht einmal um Übersetzungen genuin französischer Texte, sondern um Übersetzungen ins Französische, auf deren Grundlage eine Übersetzung ins Italienische angefertigt wurde. Auffällig sei auch, dass kaum literarische Klassiker aus dem Französischen übersetzt worden zu sein scheinen. Das deutliche Ungleichgewicht zwischen Übersetzungen aus dem Italienischen ins Französische und solchen aus dem Französischen ins Italienische erklärt Grohovaz folgendermaßen: Il singolare squilibrio che caratterizza gli scambi culturali tra Francia e Italia nel XVI secolo si manifesta con particolare evidenza nel campo delle traduzioni. L’influsso dell’Umanesimo italiano, determinante nel processo di rinnovamento del panorama culturale francese e certamente agevolato dalla cospicua presenza di italiani in Francia, fu veicolato dal moltiplicarsi di edizioni e traduzioni di testi italiani che furono insieme sintomo e ulteriore strumento della sua fortuna. […] Un così vivo interesse da parte del pubblico e degli intellettuali francesi nei confronti della cultura italiana trovò in Italia una contropartita limitata. L’affermarsi in Europa di una vera e propria moda italiana dovette infatti chiudere la strada a qualsiasi influsso esterno sulle nostre manifestazioni culturali. […] Un ostacolo alla lettura di opere realizzate Oltralpe fu certamente la scarsa conoscenza della lingua francese che caratterizzò la penisola per buona parte del secolo. (Grohovaz 2001: 71-73, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) 20 Vgl. USTC: 1501-1510: fr. 1088, lat. 2624; 1511-1520: fr. 1164, lat. 4153; 1521-1530: fr. 1449, lat. 3350; 1531-1540: fr. 2450, lat. 5089; 1541-1550: fr. 3128, lat. 6070; 1551-1560: fr. 4295, lat. 5142; 1561-1570: fr. 5723, lat. 2663; 1571-1580: fr. 5583, lat. 2488; 1581-1590: fr. 6819, lat. 2497; 1591-1600: fr. 5569, lat. 1568. Für das 17. Jahrhundert können anhand des USTC noch keine verlässlichen Ergebnisse präsentiert werden. 21 Wie der Titel Avvio di una catalogazione […] schon andeutet, handelt es sich bei dieser Studie freilich noch nicht um eine Anthologie, die mit Balsamo / Castiglione Minischetti / Dotoli (2009) vergleichbar wäre, dennoch erlaubt sie erste Einblicke. 30 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts Wie aus dem obigen Zitat hervorgeht, sieht Grohovaz - wie auch Boucher (1994,) Heller (2003) und Rozzo (2015) - nicht nur in der Ausstrahlungskraft der italienischen Renaissancekultur, sondern auch in der Präsenz der Italiener in Frankreich einen Grund für die Verbreitung von italienischer Literatur und von Übersetzungen aus dem Italienischen 22 . Dass es umgekehrt in Italien zu nur wenigen Übersetzungen aus dem Französischen kam, lässt sich durch das geringere Prestige der französischen Literatur erklären. Die „scarsa conoscenza della lingua francese“ kann schließlich nur dafür verantwortlich gemacht werden, dass keine Werke im Original rezipiert wurden. Eine besondere Rolle bei der Verbreitung der italienischen Literatur im Frankreich des 16. Jahrhunderts kommt schließlich auch den nach Frankreich eingewanderten italienischen Literaten, wie z. B. Luigi Alamanni, zu, die in Paris und Lyon weiterhin italienische Werke verfassten und publizierten. Wie Balsamo (2015: 17), der sich insbesondere den im Paris des 16. Jahrhunderts durch Italiener publizierten Werken widmet, gezeigt hat, sind im Umfeld der „Italiens ou […] italianisants proches de la cour“ etwa 70 Werke entstanden, mehr als ein Drittel davon während der Regentschaft von Henri III . Auch wenn Balsamo (2008: 33-38, 2015: 24-28) betont, dass die Förderung italienischer Literaten durch den französischen Hof im europäischen Vergleich keine wirkliche Ausnahme darstelle, die äußerst hohen finanziellen Zuwendungen an die Italiener, z. B. an Alamanni, der fuoruscito war, z.T. politische Gründe hatten und viele der italienischen Werke von den französischen Königen selbst in Auftrag gegeben wurden, so dass die Annahme, die Italianisierung des Hoflebens und der höfischen Literatur sei allein den italienischen Immigranten geschuldet, zu kurz greife, lässt sich nicht abstreiten, dass einige Werke Catherine de Médicis persönlich gewidmet sind, diese auch den Druck italienischer Werke in Auftrag gegeben hat und in ihrer Entourage zahlreiche Italiener anzutreffen waren. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Ergebnisse von Conihout / Ract-Madoux (2008), die sich, da die letzten Studien zur nur noch verstreut vorhandenen persönlichen Bibliothek von Catherine de Médicis aus dem 19. Jahrhundert stammen, erneut auf die Suche gemacht haben und ihre durch mühevolle Arbeit in verschiedenen Archiven zusammengetragenen Ergebnisse in À la recherche de la bibliothèque perdue de Catherine de Médicis publiziert haben: Unter den wenigen Büchern, die heute mit Gewissheit der einst um- 22 Balsamo / Castiglione Minischetti / Dotoli (2009: 21-24) weisen mit Bingen (1996) jedoch darauf hin, dass die Übersetzungen, v. a. die zweisprachigen Ausgaben, den Franzosen zum Erlernen des Italienischen dienten. Die Popularität der Übersetzungen dürfe daher nicht zwangsläufig mit der Präsenz der Italiener in Verbindung gebracht werden. Allerdings räumt Balsamo (2015: 17) ein, dass die Übersetzungen auch von Italienern für das Studium des Französischen genutzt wurden. 2.1 Passer les monts - Ergebnisse der Geschichts-, Kultur- und Literaturwissenschaft 31 fangreichen persönlichen Bibliothek der Königin zugeordnet werden können, ist eine beachtliche Zahl an italienischen Titeln zu verzeichnen. Auch wenn sie insgesamt vermutlich mehr französische Bücher besaß, zeigen die Ergebnisse, dass sie auf Literatur in ihrer Muttersprache offenbar nicht verzichtete. An italienischen Höfen kam es umgekehrt im Übrigen kaum zum Druck französischer Werke (vgl. Balsamo 2015: 30-31). Einfluss auf die Verbreitung von italienischer Literatur im weitesten Sinne hatten auch die sog. comédiens italiens 23 , die seit Mitte des 16. Jahrhunderts in unregelmäßigen Abständen am Hof und in Paris italienische Komödien spielten und von denen einige auch in Paris publizierten (vgl. Balsamo 2015: 19-21). Zu betonen ist, dass die Comédie italienne - und dies gegen den Willen der Comédie française , die wohl die Konkurrenz fürchtete - erst ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts das Französische verwendete (vgl. u. a. Despois 1886). Schließlich versuchten sich, wie eingangs bereits erwähnt, auch zahlreiche französische Schriftsteller darin, einzelne Werke in italienischer Sprache zu verfassen, wobei sie unterschiedlich erfolgreich waren. Für diese Gruppe ist der Titel von Picots ([1906-1907] 1968) Les Français italianisants , der Studie, die eben diesen Schriftstellern gewidmet ist, zum Namensgeber geworden 2.1.6 Antiitalianismus im Frankreich des 16. Jahrhunderts Vor allem ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kann in Frankreich eine antiitalienische Strömung festgestellt werden, die sich nicht zuletzt in der Publikation zahlreicher Pamphlete gegen die italienischen Immigranten äußerte. Insbesondere Protestanten wie z. B. Henri Estienne, Innocent Gentillet und François Hotmann sprachen sich gegen eine zunehmende Italianisierung der französischen Gesellschaft aus. Daneben findet sich auch bei Literaten wie z. B. Du Bellay vermehrt Kritik an der italienischen Kultur. Wie der folgende Passus zeigt, spielt dabei auch die Sprache der Immigranten eine wichtige Rolle. Et de fait, combien s’en faut il que la ville de Lyon ne soit colonie italienne? Car, outre ce que bonne partie des habitants sont Italiens, les autres du pays se conforment peu à peu leurs mœurs, façons de faire, manière de vivre et langage; et à peine trouveriez-vous dans icelle ville un malotru artisan qui ne s’adonne à parler le messeresque, parce que ces messers ont cela qu’ils ne font bon visage et n’oyent volontiers sinon ceux qui gazouillent avec eux leur ramage, taschans par ce moyen d’acquérir vogue et crédit à eux et à leur langage. Et les villes de Paris, Marseille, Grenoble et plusieurs 23 Zu den comédiens italiens vgl. immer noch Baschet (1882). 32 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts autres de France ne sont-elles pas ja plaines de messers? (Gentillet 1567: 231-232, zitiert nach Pour et contre […] in Picot [1918] 1995: 25) Der sog. antiitalienische Diskurs ist bereits früh, im Zusammenhang mit dem Einfluss der italienischen Kultur auf die französische Gesellschaft, untersucht worden (z. B. Rathéry 1853, Bourciez 1886). Auch im 20. und 21. Jahrhundert sind zahlreiche Beiträge zum Thema entstanden (z. B. Smith 1966, Balsamo 1992, Sozzi 2002, Heller 2003); in Studien zur Präsenz der Italiener im frühneuzeitlichen Frankreich, wie z. B. in Boucher ([1981] 2007) und Dubost (1997), sind manche Kapitel ebenfalls dieser Thematik gewidmet 24 . In den ersten Arbeiten (Rathéry 1853, Bourciez 1886) wurde die antiitalienische Bewegung als Gegenreaktion auf die starke Italianisierung der französischen Gesellschaft betrachtet, die sich insbesondere nach Jahrzehnten der Imitation italienischer Modelle in der Literatur zu emanzipieren versucht habe. Laut Balsamo (1992) greife diese Annahme jedoch zu kurz. Insbesondere die Pamphlete der Protestanten, die zumeist ihrem politischen und wirtschaftlichen Unmut Ausdruck verliehen, dürften nicht mit einem vermeintlichen Antiitalianismus in der Literatur in Verbindung gebracht werden. Für Balsamo (1992), dem zufolge Italianismus und Antiitalianismus von vornherein in der französischen Literatur miteinander verbunden waren, könne bei den französischen Schriftstellern nicht von einer servilen Imitation italienischer Modelle gesprochen werden. Vielmehr hätten diese von Anfang das Ziel verfolgt, das Französische auszubauen. Insbesondere in den zahlreichen Übersetzungen aus dem Italienischen werde deutlich, dass nach eigenen Ausdrucksformen für das Französische gesucht worden sei (vgl. Balsamo / Castiglione Minischetti / Dotoli 2009: 26-32). Ganz gleich, ob nun von Imitation und Emanzipation gesprochen werden kann oder nicht, fest steht, dass v. a. gegen Ende des 16. Jahrhunderts vermehrt Stimmen zu vernehmen waren, die sich gegen italienische Modelle aussprachen. Andererseits - und dies ist für die vorliegende Arbeit von größerer Bedeutung - haben die soziohistorischen Arbeiten von Dubost (1997: 307-329) und insbesondere Heller (2003) gezeigt, dass Antiitalianismus als gesellschaftliches Phänomen existiert und bisweilen, etwa in Lyon und Marseille, auch zur Verfolgung italienischer Immigranten geführt hat. Gewiss sind die Pamphlete der zeitgenössischen Polemiker - ganz so wie heutige - auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen, dennoch geben sie Auskunft über die damals vorgebrachte Kritik an der France italienne . Wie Dubost (1997) und Heller (2003) zeigen, richtete sich die Kritik in erster Linie gegen den Einfluss italienischer Immigranten bei Hofe und mithin in der Politik. Vertraute von Catherine de Médicis, wie 24 Einen umfänglichen Forschungsüberblick liefert Balsamo (2009). 2.1 Passer les monts - Ergebnisse der Geschichts-, Kultur- und Literaturwissenschaft 33 z. B. Lodovico Gonzaga, waren in der Tat sehr einflussreich. Gleiches gilt für den wirtschaftlichen Bereich. Die meisten Immigranten, die vom Volk aufgrund ihrer sozialen Stellung wahrgenommen werden konnten, waren entweder bereits bei ihrer Ankunft äußerst wohlhabend oder aber machten in kürzester Zeit ihr Vermögen in Frankreich (z. B. Sebastiano Zametti). Bestimmte Bereiche des Handels wurden zudem vorwiegend von Italienern kontrolliert. Eine nicht unerhebliche Zahl der Flugschriften richtete sich z. B. gegen die bekannten italienischen Bankiers. Ihren Höhepunkt erreichte die antiitalienische Bewegung schließlich nach der Bartholomäusnacht 1572, in der tausende Protestanten den Tod fanden und für deren Planung die katholischen Italiener verantwortlich gemacht wurden. Da zahlreiche Pamphlete von Protestanten verfasst wurden, muss der Antiitalianismus in jedem Fall auch im Zusammenhang mit den Religionskriegen in Frankreich betrachtet werden 25 . In der Auseinandersetzung mit dem Fremden wird, wie der oben zitierte Textausschnitt aus Gentillet veranschaulicht, zumeist auch die fremde Sprache, das Italienische, thematisiert. Auch wenn schon allein aufgrund der Textsorte Pamphlet mit Übertreibungen gerechnet werden muss, stellen diese metasprachlichen Zeugnisse wertvolle Quellen dar, geben sie doch erste Hinweise auf die Verbreitung und den Stellenwert des Italienischen im Frankreich des 16. Jahrhunderts. Ganz offensichtlich waren die Italiener und auch ihre Sprache so präsent, dass sie von den Franzosen deutlich als fremd wahrgenommen werden konnten. Angesichts der hohen Zahl an Immigranten ist es durchaus denkbar, dass sie an ihrer Muttersprache festhielten und größere Sprachinseln bildeten. Zudem könnte sowohl ihr sozialer Status als auch das Prestige des Italienischen das Erlernen des Französischen verzögert oder gar entbehrlich gemacht haben. In der vorliegenden Arbeit werden solche metasprachlichen Aussagen ernster genommen, als dies in der Forschung bisher der Fall war. Insbesondere die Deux Dialogues (1578) von Henri Estienne werden angemessen berücksichtigt. Die deskriptive Leistung des Puristen bzw. Sprachbeobachters wird v. a. in der Literatur- und Kulturwissenschaft, aber auch in der Sprachgeschichtsschreibung bis heute oft unterschätzt (vgl. Kapitel 4.1). 25 Zu den Religionskriegen vgl. z. B. Le Roux (2009). 34 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts 2.2 International Italian - Ergebnisse der italienischen Sprachgeschichtsschreibung 2.2.1 Vorbemerkungen Auf den ersten Blick scheint sich die italienische Sprachgeschichtsschreibung seit jeher auch für die Verbreitung des Italienischen außerhalb Italiens und seinen Einfluss auf andere Sprachen interessiert zu haben: Schon in Migliorini ([1960] 1988: 344-347, 385-388) finden sich im Kapitel zum Cinquecento Hinweise auf die Ausstrahlung des Italienischen während der Renaissance, wobei er insbesondere auf dessen Rolle als Kultur- und Fremdsprache in Europa (Literatur, Lehrwerke) sowie auf dessen Bedeutung als Verkehrssprache im Mittelmeerraum hinweist, Bereiche also, die noch heute als Schwerpunkte der Forschung gelten können (vgl. weiter unten). Des Weiteren gibt er auch eine knappe Übersicht über Italianismen in verschiedenen europäischen und nichteuropäischen Sprachen, die im 16. Jahrhundert vermittelt wurden. In den großen Sprachgeschichten jüngeren Datums jedoch, z. B. in Serianni / Trifone (1993-1994) sowie in den einschlägigen Bänden der von Bruni (1992-2003) herausgegebenen Sprachgeschichte (Trovato 1993 zum primo Cinquecento und Marazzini 1993 zum secondo Cinquecento e primo Seicento ), werden der Einfluss des Italienischen auf andere europäische Sprachen, z. B. auf das Französische, seine Bedeutung als Kultursprache und seine Verbreitung im Mittelmeerraum nicht besprochen 26 . Bis zu den 1990er Jahren waren - mit Ausnahme der Arbeiten Folenas (z. B. 1983, [1968-1970] 1990) - offenbar wenige Untersuchungen auf diesem Gebiet durchgeführt worden. Unter anderem aus diesem Mangel heraus erklären sich vielleicht die zahlreichen Sammelbände (meist Kongressakten) aus diesem Zeitraum, die der Verbreitung und Geltung des Italienischen gewidmet sind (z. B. Lo Cascio 1990, Badelli / Da Rif 1991, Stammerjohann / Radatz 1997, Vanvolsem 2000). Ein spezifisch sprachwissenschaftliches Profil haben Lo Cascio (1990) sowie Baldelli / Da Rif (1991) jedoch noch nicht. Beiträge zu sprachgeschichtlichen Themen wie der Verbreitung des Italienischen im Polen der Frühen Neuzeit (z. B. Widłak 1991) oder die Bibliographie der Werke zu lexikalischen Italianismen in den Sprachen der Welt von Muljačić (1991) finden sich noch neben solchen zur damals aktuellen Stellung 26 Im dritten Band von Serianni / Trifone (1993-1994), der fremdsprachlichen Einflüssen auf das Italienische gewidmet ist, weist Morgana (1994: 691-692) im Kapitel zu den Gallizismen aber immerhin auf die in Kapitel 2.1.1 konstatierte Asymmetrie zwischen den französisch-italienischen Lehnbeziehungen im 16. Jahrhundert hin und erwähnt in diesem Zusammenhang z. B. auch die Schriften des Puristen Henri Estienne, die zeigten, wie massiv der italienische Einfluss auf das rinascimentale Französisch gewesen sei. 2.2 International Italian - Ergebnisse der italienischen Sprachgeschichtsschreibung 35 der Italianistik an Universitäten im Ausland. In Stammerjohann / Radatz (1997) und Vanvolsem (2000) gilt das Interesse zwar schon vorwiegend der Verbreitung und dem Einfluss der italienischen Sprache, aber ein wirklich historisches Profil ist trotz einiger sprachgeschichtlicher Beiträge in Vanvolsem (2000) (z. B. Bonomi 2000, Jamrozik 2000, Matarese 2000, Missir di Lusignano 2000, Simone 2000) nur in Stammerjohann / Radatz (1997) zu erkennen (z. B. die Aufsätze von Carrera Díaz 1997, Lo Cascio 1997, Silvestri 1997, Swiggers 1997). Der folgende Passus aus dem programmatischen Artikel von Raffaele Simone in Vanvolsem (2000), dem auch der Titel dieses Teilkapitels nachempfunden ist ( International Italian ) 27 , veranschaulicht, wie die damalige Italianistik den Stand der Forschung einschätzte: Parlare di missione geopolitica significa alludere alle relazioni di forza (politica, culturale e perfino d’immagine) - un tema finora poco studiato in rapporto alla nostra lingua, mentre per altre ne esistono analisi molto estese (per es. Hagège 1987 per il francese). Malgrado questa mancanza negli studi, anche l’italiano ha partecipato in vari momenti della sua storia ad intrecci importanti di tensioni di forza, ed è affiorato più volte, perfino poderosamente, al rango di lingua internazionale, sia pure non di uso generale ma con particolari specializzazioni. Ad esempio, è noto che, nella storia europea, c’è stato un momento in cui l’italiano si è trovato molto vicino ad avere la possibilità di imporsi come lingua internazionale (cioè europea) della cultura. Alludo al Rinascimento, epoca in cui ogni intellettuale europeo conosceva l’italiano, alcuni lo scrivevano (basti pensare ad un esempio importante come Michel de Montaigne, che, visitando l’Italia, ritenne ovvio scrivere una parte del suo Voyage en Italie nella nostra lingua), tutti lo ammiravano per la sua tradizione. Il suo prestigio coincideva in quell’epoca col prestigio della sua letteratura, ma anche con la forza dei banchieri fiorentini e genovesi. (Simone 2000: 433, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Wie aus dem Ausschnitt hervorgeht, beklagt Simone den Mangel an Studien zur Verbreitung des Italienischen als europäische Kultursprache und weist in diesem Zusammenhang auf die besondere Rolle des Italienischen in der Renaissance sowie auf den Umstand hin, dass dieses vor allem in bestimmten Bereichen (gemeint sind z. B. die Kunst und die Musik) als internationale Sprache fungierte. Die damals bereits existierende Arbeit von Folena (1983) beschäftigt sich zwar mit der Rolle des Italienischen in Europa, sie berücksichtigt allerdings vorwiegend das 18. Jahrhundert. Was die Geschichte des Italienischen als Verkehrssprache im Mittelmeerraum betrifft, räumt jedoch schon Simone (2000: 436-437) ein, dass diese zunehmend besser erforscht werde. 27 Der Titel von Simone (2001: 433) ist seinerseits an International English von Trudgill / Hannah (1985) angelehnt. 36 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts In den letzten Jahren sind zahlreiche größere und kleinere Studien zum italiano fuori d’Italia vorgelegt worden, so dass der noch von Simone beklagte Mangel - zumindest teilweise - als überwunden gelten kann. Heute existieren umfangreiche Überblicksdarstellungen, in denen die Ergebnisse der Forschung aus den letzten Jahrzehnten gesammelt sind (z. B. Banfi 2012, 2014, Stammerjohann 2013). Auch in den neueren Sammlungen zur italienischen Sprachgeschichte (z. B. Serianni 2002), im großen Handbuch zur Geschichte der romanischen Sprachen ( HSK 23) 28 sowie im von Sergio Lubello herausgegebenen Manuale di linguistica italiana 29 wird dieser Forschungsrichtung durch eigene Kapitel Rechnung getragen 30 . Zu den Italianismen in den Sprachen der Welt sind ebenfalls unzählige Arbeiten entstanden, die ursprünglich in einem großangelegten Projekt, dem Dizionario di italianismi nel mondo , zusammengetragen werden sollten (vgl. Kapitel 2.2.3). 2.2.2 Italienisch als Verkehrs- und Fremdsprache in der Frühen Neuzeit Die besondere Bedeutung des Italienischen bzw. bestimmter italoromanischer Varietäten, wie z. B. des Venezianischen, als lingua franca 31 im Mittelmeerraum ist bereits von Folena ([1968-1970] 1990) untersucht worden 32 . In der Folge 28 Für eine vergleichende Darstellung der Geschichte der großen romanischen Sprachen als Kultur- und Verkehrssprachen vgl. die einschlägigen Artikel von Minervini (2009) und Wolf (2009), speziell zum Italienischen vgl. u. a. Cremona (2003). 29 Vgl. darin den umfangreichen Foschungsüberblick von Baglioni (2016). 30 In deutschsprachigen Sprachgeschichten des Italienischen, so z. B. in Michel (2005) und Reutner / Schwarze (2011), finden sich inzwischen auch mehr oder weniger umfangreiche Kapitel zur Geschichte des Italienischen außerhalb Italiens. 31 Unter lingua franca wird hier lediglich ‘Verkehrssprache’ verstanden, nicht die u. a. auf italoromanischen Idiomen basierende Mischsprache des Mittelmeerraums, deren Genese und Geschichte bis heute nicht vollständig geklärt ist und für die Cifoletti (2004) die Bezeichnung lingua franca barbaresca geprägt hat. 32 Für die Darstellung des Forschungsstands zum Italienischen im Osmanischen Reich orientiere ich mich an der Synthese in Baglioni (2011: 3-10) und an Minervini (2006). Wenn im Folgenden Italienisch statt Italienisch bzw. italoromanische Idiome verwendet wird, dann deshalb, weil dies zu einer besseren Lesbarkeit des Textes beiträgt. Dass trotz der Kodifizierung des italiano letterario seit Bembo (1525) verschiedene italoromanische Idiome, deren Ausbaugrad dem des Toskanischen in nichts nachstand, auch in der Schriftlichkeit Verwendung fanden, ist mir natürlich bewusst; ebenso, dass die gesprochene Sprache der Siedler in den Kolonien der Levante insbesondere im Mittelalter vermehrt regionale Züge aufwies. Andererseits trägt die Verwendung von Italienisch aber auch der Annahme von Bruni (1999, 2007) Rechnung, dem zufolge v. a. außerhalb Italiens ein u. a. durch die diplomatische Korrespondenz begünstigtes italiano preunitario jenseits des italiano letterario existiert haben kann. 2.2 International Italian - Ergebnisse der italienischen Sprachgeschichtsschreibung 37 haben insbesondere die Beiträge von Bruni (1999, 2007, heute beide in Bruni 2013) sowie von Minervini (2006) gezeigt, dass das Italienische - neben dem Lateinischen und Griechischen - im Osmanischen Reich nicht nur in der diplomatischen Korrespondenz mit Italien (Venedig, Florenz), sondern auch in jener mit anderen europäischen Mächten (Polen, Russland, England, Frankreich) Verwendung fand. Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert kann es als die am weitesten verbreitete westeuropäische Fremdsprache im Osmanischen Reich gelten. Während das Italienische zumeist als vermittelnde Sprache zwischen dem Türkischen und einer anderen europäischen Sprache diente - dem türkischen Original wurde eine italienische Übersetzung beigefügt, vgl. z. B. die Korrespondenz zwischen Elisabeth I. und Konstantinopel -, sind auch Fälle bekannt, in denen der Briefwechsel manchmal, z. B. mit dem polnischen Hof im 16. Jahrhundert, auch direkt auf Italienisch, d. h. ohne Übersetzung, stattfand. Eine gängige Praxis bei bilateralen Abkommen war zudem auch, ein gemeinsames Originaldokument in italienischer Sprache abzufassen, das erst im Anschluss ins Türkische sowie in die Sprache der beteiligten Partei übersetzt wurde (z. B. der Friedensvertrag zwischen Russland und dem Osmanischen Reich von 1774). Das Interesse der Forschung gilt aber nicht nur dem Gebrauch des Italienischen in der Diplomatie, sondern auch seiner tatsächlichen Verbreitung als gesprochene Sprache in der Levante. Nicht nur italienische Siedler in den levantinischen Kolonien, sondern auch Einheimische verwendeten das Italienische. Anhand metasprachlicher Aussagen in zeitgenössischen Reiseberichten konnte gezeigt werden, dass sich reisende Europäer gleich welcher Herkunft dort zumeist des Italienischen bedienten, dieses also in der Tat die lingua franca in der Levante war (vgl. z. B. Banfi 1985: 23-25) 33 . Inwiefern betrifft dies aber nun die französisch-italienischen Beziehungen im 16. Jahrhundert? Schon Migliorini ([1960] 1988: 346-347) weist anhand der Sammlung von Charrière (1848-1860) darauf hin, dass im 16. Jahrhundert auch in der Korrespondenz zwischen Frankreich und dem Osmanischen Reich das Italienische eine gewisse Rolle spielte, nennt aber nur wenige Dokumente, die auf Italienisch verfasst wurden. Obwohl sich die Forschung (z. B. Bruni 1999, 33 Die Ergebnisse Banfis (1985) werden im Übrigen auch von der französischen Forschung bestätigt. Laut Aslanov (2006: 156-161), der sich in seiner Studie dem Französischen in der Levante widmet, ist anhand von Reiseberichten ersichtlich, dass spätestens ab dem 16. Jahrhundert die möglicherweise in früheren Jahrhunderten (seit den Kreuzzügen) zu beobachtende Konkurrenz zwischen dem Französischen, Katalanischen, Okzitanischen und Italienischen eindeutig dem Monopol des Italienischen gewichen ist. Wie stark der Druck italoromanischer Idiome auf das Französische der französischen Siedler in der Levante schon vor dem 16. Jahrhundert war, hat Aslanov (2006: 92-101) anhand dort entstandener französischer Texte gezeigt. Sie weisen zahlreiche Interferenzen und code-switching -Phänomene auf. 38 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts 2007, Baglioni 2006 und Tommasino 2010) mit der Bedeutung und Verbreitung des Italienischen in der Levante und z.T. auch mit der Konkurrenz zwischen dem Französischen und dem Italienischen als Verkehrssprache inzwischen verstärkt auseinandergesetzt hat, ist gerade die Korrespondenz zwischen Frankreich und dem Osmanischen Reich im 16. Jahrhundert in der Italianistik noch nicht ausführlich beschrieben worden. Der bisher kaum rezipierte Beitrag von Bingen (2012) 34 zur Kenntnis und zum Gebrauch des Italienischen bei französischen Botschaftern zwischen 1490 und 1540 lässt jedoch erahnen, welchen Stellenwert das Italienische in der diplomatischen Korrespondenz Frankreichs - nicht nur mit dem Osmanischen Reich - hatte 35 . Offenbar setzt sich das in Kapitel 2.1 für die französisch-italienischen Beziehungen konstatierte Ungleichgewicht auch auf internationaler Ebene fort. Das Italienische genoss nicht nur als Kultursprache in Europa, sondern auch als internationale Verkehrssprache ein so hohes Prestige, dass die Franzosen selbst in Bereichen, die eigentlich der Nationalsprache 36 oder dem Lateinischen vorbehalten waren, bisweilen das Italienische verwenden mussten (vgl. Kapitel 6.2.2.1). Dass das Französische im 16. und 17. Jahrhundert auch in den entfernten Provinzen des Osmanischen Reichs, d. h. im Maghreb, mit dem Italienischen in Konkurrenz stand, zeigen die Beiträge von Cremona (1996, 2003) und Baglioni (2010), die sich mit dem Italienischen in nordafrikanischen Kanzleien beschäftigen. Was die administrative Korrespondenz zwischen Frankreich und der Verwaltung von Tunis, Tripolis und Algier anbelangt, sind nur sehr wenige Briefe aus den maghrebinischen Kanzleien erhalten. Auffällig ist aber, dass zumindest alle der insgesamt 36 Briefe aus Tunis und Tripolis auf Italienisch verfasst wurden, wohingegen in Algier das Französische und Türkische Verwendung fanden (vgl. Cremona 2003: 961). Auch wenn die Antwort aus Frankreich offenbar immer in französischer Sprache erfolgte, ist der Gebrauch des Italienischen ein Indiz für das Prestige, das es als Verkehrssprache genoss. Cremona (2003: 34 Der Beitrag wird in Stammerjohann (2013), Banfi (2014) und Baglioni (2016) nicht erwähnt. 35 Auf den Umstand, dass zahlreiche Botschafter das Italienische verwendeten, weist im Übrigen bereits Picot Bd. 1 ([1906] 1968) ganz lapidar in seinem Vorwort hin, hält eine genauere Betrachtung solcher Texte aufgrund ihres geringen literarischen Werts allerdings für unnötig. 36 Die Verwendung des Begriffs Nationalsprache ist im Hinblick auf das 16. Jahrhundert freilich nicht unproblematisch. Wenn im Folgenden von Nationalsprache die Rede ist, so ist damit die Territorialbzw. Mehrheitssprache gemeint, die später zur Nationalsprache Frankreichs wird. Angesichts der Behandlung der großen europäischen Sprachen im jeweiligen ‘nationalen’ metasprachlichen Diskurs sowie der Bedeutung der Sprachenwahl bei multilateralen Abkommen ist es im Übrigen nicht gänzlich unbegründet, bereits im frühneuzeitlichen Europa von Nationalsprachen zu sprechen. Vgl. dazu auch die Beiträge in Ortola / Roig Miranda (2005). 2.2 International Italian - Ergebnisse der italienischen Sprachgeschichtsschreibung 39 961) hält es für wahrscheinlich, dass seine Verwendung in der Diplomatie eine „extension de son usage dans ce même rôle au centre de l’empire ottoman“ ist. In den zahlreichen Dokumenten aus der lokalen Verwaltungsschriftlichkeit 37 ist die Reichweite des Italienischen besonders deutlich zu erkennen: Wie Cremona (2003: 962) zeigt, sind etwa zwei Drittel der zwischen 1582 und 1687 im 1577 gegründeten französischen Konsulat von Tunis angefertigten Dokumente in italienischer Sprache. Das Französische (in den restlichen 33 % der Texte) wurde nur dann verwendet, wenn alle Beteiligten Franzosen waren. Für Verträge zwischen Franzosen und Vertragspartnern anderer Herkunft (z. B. Engländern, Spaniern, Türken, Griechen, Italienern usw.) wurde grundsätzlich auf das Italienische zurückgegriffen. In den Archiven des englischen Konsulats von Tunis ist laut Cremona (2003: 962) eine ähnlich hohe Anzahl an italienischen Texten vorzufinden. Diese Beobachtungen legen nahe, dass das Italienische die gängige Verwaltungssprache in den Kanzleien von Tunis war. Dass bei Verträgen zwischen Italienern und Franzosen selbst im französischen Konsulat das Italienische Verwendung fand, veranschaulicht erneut, wie unterschiedlich das Prestige der beiden Sprachen im 16. Jahrhundert war. Das Nebeneinander des Italienischen und Französischen hinterließ jedoch Spuren. Auf Interferenzen mit dem Französischen im Italienischen der tunesischen Kanzleien wird in Kapitel 6.3.2 noch genauer einzugehen sein. Was die Rolle des Italienischen als Fremd- und Kultursprache in Europa betrifft, stellt sich der Forschungsstand genauso heterogen dar wie die Thematik selbst. Es existieren zahlreiche kleinere und größere Beiträge, die sich ausgewählten Bereichen widmen: z. B. Bonomi (1998), (2000), Tonani u. a. (2005) zur Rolle des Italienischen als Sprache der Musik und der Oper in Europa, Lo Cascio (1997) zur Verbreitung italienischer Bücher in den Niederlanden im 17. Jahrhundert, Jamrozik (2000) und Widłak (1991, 2000, [2006] 2010) zur Verbreitung des Italienischen in Polen. Wie anhand der wenigen Beispiele ersichtlich ist, konzentrieren sich die Arbeiten auf Bereiche, in denen das Italienische europaweit als Kultursprache fungierte, sowie auf die Verbreitung und Geltung des Italienischen in einzelnen Ländern in bestimmten Epochen. Angesichts der Tatsache, dass für die immense Ausstrahlung des Italienischen während der Renaissance so gut wie immer das Beispiel Frankreichs (vgl. auch den weiter oben zitierten Passus aus Simone 2000) genannt wird, wäre zu erwarten, dass eine beträchtliche Anzahl an Studien zum Italienischen im Frankreich des 16. Jahrhunderts vorgelegt wurde. Dass dem nicht so ist, zeigt ein Blick in 37 Laut Cremona (2003: 962) sind aus dem Zeitraum zwischen 1582 und 1705 allein aus dem französischen Konsulat von Tunis etwa 15 000 Dokumente unterschiedlichster Art (Urteile, Verträge usw.) überliefert. 40 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts die Überblicksdarstellungen wie Serianni (2002), Stammerjohann (1990, 2013) und Banfi (2012, 2014). Zumeist sind die Anmerkungen zum vermeintlich gut untersuchten 16. Jahrhundert sogar knapper als zu den anderen Jahrhunderten. Antonelli (2002) und Motolese (2002) in Serianni (2002) skizzieren v.a. den Einfluss der italienischen Literatur. Sowohl in Stammerjohann (1990: 16-17) als auch in Banfi (2012: 48-51) wird im Wesentlichen auf den starken sprachlichen Einfluss des Italienischen auf das Französische, die Präsenz zahlreicher Italiener in Frankreich, die Vorbildfunktion literarischer Modelle aus Italien sowie insbesondere auf die Schriften des Puristen Henri Estienne verwiesen, der in seinen Deux Dialogues (1578) die Italianisierung des französischen Hofs und des Französischen selbst, das sog. françois italianizé , kritisiert und in seiner 1579 publizierten Precellence anhand eines Vergleichs zwischen dem Französischen und Italienischen zu zeigen versucht, dass ersteres letzterem überlegen sei. In Banfi (2014: 155-164) wird im Abschnitt zum Italienischen im Frankreich des 16. Jahrhunderts, der im Wesentlichen eine überarbeitete Version des entsprechenden Teilkapitels in Banfi (2012: 48-51) darstellt, zusätzlich auf die besondere Rolle Lyons und der dort ansässigen Italiener und italienischen Buchdrucker verwiesen. Stammerjohann (2013: 27-33, 33-37, 38-39) geht in seiner umfangreichen Studie zur Geschichte des Italienischen als Kultursprache und seinem Einfluss auf andere Sprachen auch auf die Rolle der zahlreichen Übersetzungen aus dem Italienischen ein, wobei er für das Französische auf Balsamo / Castiglione Minischetti / Dotoli (2009) verweist. Ferner betont er die Rolle der ersten Lehrwerke für das Italienische, die überwiegend in Frankreich erschienen, sowie den Umstand, dass zahlreiche Ingenieure und hochrangige Offiziere in Frankreich tätig waren. Schließlich erwähnt er auch die besondere Bedeutung von Studienaufenthalten in Italien. Die Synthese der Ergebnisse aus kultur-, literatur- und geschichtswissenschaftlichen Arbeiten ist zwar sehr knapp, aber keinesfalls unvollständig. Wenn explizit (auch in der umfangreichen Bibliographie) keine Hinweise auf sprachgeschichtliche Detailstudien zur Rolle des Italienischen im Frankreich des 16. Jahrhunderts - jenseits der Français italianisants - gegeben werden, spiegelt dies schlichtweg den Forschungsstand wider 38 . Besonders deutlich wird dieser Mangel in den zwei Kapiteln, die ausschließlich dem Einfluss des Italienischen in Frankreich gewidmet sind - die vorhergehenden Informationen entstammen dem allgemeinen Teil aus Stammerjohann (2013), in dem der Autor eine vergleichende Perspektive einnimmt und einen Überblick über den Einfluss des Italienischen auf verschiedene europäische Sprachen gibt. 38 Auch in Baglioni (2016) werden keine einschlägigen Arbeiten genannt. 2.2 International Italian - Ergebnisse der italienischen Sprachgeschichtsschreibung 41 Für den Einfluss des Italienischen auf das Französische im 16. Jahrhundert stellt Stammerjohann (2013: 47-50) gleich zu Beginn mit Verweis auf Brunot HLF II (1906) fest, dass im betreffenden Zeitraum die Beeinflussung durch das Italienische am stärksten war. Als Hauptgründe für den Sprachkontakt nennt er das päpstliche Avignon, Übersetzungen aus dem Italienischen sowie die Präsenz von italienischen Ingenieuren, Bankiers, Künstlern und Italienern aus der Entourage von Catherine de Médicis und geht schließlich auf den politischen sowie sprachlichen Antiitalianismus gegen Ende des 16. Jahrhunderts ein, der als Gegenreaktion auf die starke Italianisierung der französischen Gesellschaft zu verstehen sei. In diesem Zusammenhang nennt auch er die bekannten Schriften von Henri Estienne. Im Kapitel zur Geschichte der Wahrnehmung und Bewertung des Italienischen außerhalb Italiens konzentriert sich Stammerjohann (2013: 185-207) im Teil zum 16. Jahrhundert, der der kürzeste ist und weniger als zwei Seiten umfasst, erneut auf die Werke Estiennes, insbesondere auf die Precellence (1579) 39 . Was lässt sich zusammenfassend im Hinblick auf den Forschungsstand zum Italienischen im Frankreich des 16. Jahrhunderts also feststellen? Wie die Behandlung der Thematik in den großen Überblicksdarstellungen zeigt, hat sich die Forschung - von lexikalischen Einflüssen auf das Französische, die im nächsten Kapitel gesondert zu behandeln sind, einmal abgesehen - bisher v. a. dem geschichtlichen Hintergrund des Kontakts zwischen dem Französischen und dem Italienischen (z. B. Migration), einzelnen Einflusssphären (z. B. Literatur, Übersetzungen) sowie der Bewertung des Italienischen im metasprachlichen Diskurs (z. B. Werke Henri Estiennes) gewidmet. Sprachgeschichtlich orientierte Studien, die sich mit dem konkreten Gebrauch des Italienischen außerhalb der Literatur, also seiner tatsächlichen Reichweite im rinascimentalen Frankreich befassen, sind aber noch nicht vorgelegt worden. Arbeiten, die die Rolle der italienischen Immigranten genauer beleuchten würden, fehlen ebenfalls. Bisher wurden lediglich die Ergebnisse aus der französischen 40 Literatur- und 39 Daneben werden aber auch andere Werke, etwa von Jean Lemaire de Belges oder Estienne Pasquier, kurz besprochen. 40 So stützt sich Stammerjohann (2013) z. B. auf Balsamo (1992) und Heller (2003), Banfi (2012, 2014) u. a. auf Picot ([1906-1907] 1968). Was die italienische Literaturwissenschaft anbelangt, beklagt z. B. Balsamo (2015: 13), dass die Français italianisants von der italianistischen Forschung in Italien lange Zeit ignoriert wurden und Gegenstand „de la seule francesistica “ waren. Inzwischen zeigten die Arbeiten Brugnolos (2009b) aber, dass die italienische Literatur im Frankreich des 16. Jahrhunderts auch in Italien Berücksichtigung findet. In der Tat widmen sich die Beiträge von Brugnolo (2009a, b) ausländischen Schriftstellern, die sich des Italienischen bedienen. Allerdings gilt das Interesse nicht nur Frankreich und auch nicht ausschließlich dem 16. Jahrhundert. In Brugnolo (2009b) finden sich immerhin drei, in Brugnolo (2009a) hingegen nur zwei Beiträge zu den Français 42 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts Kulturwissenschaft rezipiert (vgl. Kapitel 2.1). Was den metasprachlichen Diskurs betrifft, so wird insbesondere auf einzelne kürzere Beiträge zu den Werken Estiennes (z. B. Swiggers 2003) verwiesen. Betont wird aber auch, dass das Italienische nicht nur Feindbild, sondern zunächst auch Vorbild war. Dass aus Italien stammende Gedanken des Vulgärhumanismus, insbesondere im Hinblick auf das Verhältnis Volkssprache vs. Latein, auch Einfluss auf französische Sprachtheoretiker hatten - man denke an die Deffence von Du Bellay (1549), die sich an Speronis Dialogo delle lingue (1542) orientiert - ist hinreichend bekannt (vgl. z. B. Swiggers 1997b, 2001). Auch einige Artikel in Tavoni u. a. (1996), z. B. Bahner (1996), Paternoster (1996) und Richardson (1996), beschäftigen sich mit italienischen Einflüssen auf die linguistica rinascimentale in Frankreich 41 . Manche Beiträge in Tavoni u. a. (1996), z. B. Bingen (1996), Collet Sedola (1996) und Vanvolsem (1996), sind schließlich auch dem Italienisch-Unterricht bzw. Italienisch-Lehrwerken im frühneuzeitlichen Frankreich gewidmet. Die Beschäftigung mit dem Italienischen als Fremdsprache im engeren Sinn (Lehrwerke, Unterricht) - in Stammerjohann (2013) wird dieser Bereich nur überblicksartig behandelt - scheint trotz inhaltlicher Überschneidungen eine Disziplin zu sein, die mehr oder weniger eigenständig neben der eigentlichen italiano fuori d’Italia -Forschung arbeitet. Die meisten Studien zu diesem Thema kommen aus der Grammatikographie- und Lexikographie-Forschung. In diesem Bereich sind die italienisch-französischen Beziehungen dank zahlreicher Einzelstudien, wie Bingen (1987, 1996), Mormile (1989) und insbesondere Matarucco (2003), heute sehr gut beschrieben. Erste Lehrwerke und ‘vollständige’ Wörterbücher 42 , die einer einzigen Fremdsprache gewidmet sind, können als Zeichen eines besonderen Interesses an der jeweiligen Sprache betrachtet werden und daher Aufschluss über das unterschiedliche Prestige geben, das die Sprache in den unterschiedlichen Ländern genießt. Wenn z. B. Grammatiken und Wörterbücher zum Erlernen des Italienischen in bestimmten Ländern früher als in anderen erscheinen, kann dies ein Indiz dafür sein, dass die Kenntnis des Italienischen auch einen unterschiedlichen Stellenwert hat. Auffällig ist, dass - wie in so vielen anderen Bereichen - ein deutliches Ungleichgewicht zwischen Frankreich und Italien zu beobachten ist: Während die italianisants im 16. Jahrhundert. Bezüglich der Rolle des Italienischen jenseits literarischer Werke bringen diese aber kaum neue Erkenntnisse. 41 Vgl. dazu auch Strauss (1938) und Schunk (2003), zum 17. Jahrhundert vgl. Bagola (1991). 42 Wenn im Folgenden von den ersten wirklichen Grammatiken und Wörterbüchern gesprochen wird, dann sind damit natürlich immer die ersten mehr oder weniger vollständigen Werke, also nicht polyglotte Gesprächs- und Dialogbücher oder umfangreiche Glossare gemeint. Dass solche, etwa der Vochabuolista , schon in früheren Jahrhunderten existierten und auch im 16. Jahrhundert noch weit verbreitet waren, ist hinlänglich bekannt (vgl. v. a. Rossebastiano 1984). 2.2 International Italian - Ergebnisse der italienischen Sprachgeschichtsschreibung 43 erste Italienisch-Grammatik für Franzosen von Jean-Pierre de Mesmes - im Übrigen in Anlehnung an das dritte Buch der Prose Bembos (1525) - bereits 1549 in Paris erschien (vgl. Palermo / Poggiogalli 2010: 99-103), stammt die erste bekannte Französisch-Grammatik aus Italien aus dem Jahre 1625 (vgl. Minerva / Pellandra 1991: 12-13 sowie Ambrosch-Baroua / Hafner 2017: 94) 43 . Die Tatsache, dass es sich bei de Mesmes (1549) - von polyglotten Gesprächsbüchern und Grammatiken mit italienischer / lateinischer Metasprache abgesehen - um die erste ‘vollständige’ Italienisch-Grammatik handelt, deren Metasprache eine europäische Volkssprache war, spricht für das besondere Prestige des Italienischen im rinascimentalen Frankreich. In Spanien erschien die erste Italienisch-Grammatik z. B. erst 1596 und blieb bis 1771 auch die einzige (vgl. Carrera-Diaz 1997 sowie Silvestri 1997, 2001) 44 . In England schrieb William Thomas bereits 1550 eine Grammatik, der er auch ein Wörterbuch hinzufügte (vgl. O’Connor 1991: 2970) 45 . In Deutschland wurde die erste wirkliche Grammatik des Italienischen erst 1616 (vgl. Palermo / Poggiogalli 2010: 11) gedruckt 46 . Auch im Hinblick auf Französisch-Italienisch-Wörterbücher sind zahlreiche Studien vorgelegt worden. Neben Mormile (1993) ist insbesondere Lillo (2008, 2013) zu nennen, in der die Ergebnisse der bisherigen Forschung gesammelt sind. Wie bei den Grammatiken waren die Beziehungen zwischen Italien und Frankreich auch bezüglich der Wörterbücher asymmetrisch: Lässt man polyglotte Werke und Gesprächsbücher sowie das laut zeitgenössischen Aussagen 43 Allerdings weisen Minerva / Pellandra (1991: 12-13) in diesem Zusammenhang darauf hin, dass polyglotte Lehrwerke vorhanden waren. Zudem seien sie während ihrer Recherchen in italienischen Bibliotheken auch auf im Frankreich des 16. Jahrhunderts publizierte Italienisch-Grammatiken gestoßen. Diese könnten auch von Italienern genutzt worden sein. Dennoch stellt die Grammatik von Durante von 1625 die erste Französisch-Grammatik dar, die sich aufgrund der Metasprache Italienisch explizit an Italiener richtet. Zu Französisch-Lehrwerken für Italiener im 17. Jahrhundert vgl. auch Colombo Timelli (2000). 44 Carrera-Diaz (1997: 337) sowie Silvestri (2001: 15) vermuten, dass das geringe Interesse an Grammatiken in Spanien mit der engen Verwandtschaft der beiden Sprachen zusammenhängen könnte. Wie Schwägerl-Melchior (2013) für das Regno di Napoli gezeigt hat, kann zumindest in manchen Bereichen davon ausgegangen werden, dass Semikommunikation zwischen Italienern und Spaniern tatsächlich stattfand. Zur Geschichte der Italienisch-Lehrwerke in Spanien vgl. Silvestri (2001), zur Grammatik von 1596 vgl. auch Gualano (2016). Die von Migliorini ([1960] 1988: 345) genannte Grammatik Il Paragon della lingua toscana e castigliana , die 1560 in Neapel erschien, muss in erster Linie als Spanisch-Lehrwerk für Italiener betrachtet werden (vgl. Marazzini 2000: 701). 45 Über die Geschichte der Italienisch-Grammatiken für Anglophone vom 16. bis zum 18. Jahrhundert informiert Pizzoli (2004). 46 Zur Geschichte von Italienisch-Lehrwerken in Deutschland (16. bis 20. Jahrhundert) vgl. Gorini (1997), für einen detaillierteren Vergleich der ersten Grammatiken des Italienischen für ein fremdsprachiges Publikum vgl. Palermo / Poggiogalli (2010). 44 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts 1578 von Roger de Brey in Lyon veröffentlichte Dictionnaire , von dem nach Bingen / Van Passen (1991: 3008) aber kein Exemplar überliefert ist 47 , außer Acht, kann das von einem anonymen Verfasser 1583 in Lyon erschienene Vocabulaire als erstes Französisch-Italienisch-Wörterbuch gelten 48 . Während dieses für Händler und Reisende konzipiert und daher noch sehr unvollständig war, erschien 1584 das an den Adel gerichtete Wörterbuch von Fenice, das gemeinhin als erstes wirkliches Französisch-Italienisch-Wörterbuch betrachtet wird (vgl. Bingen / Van Passen 1991: 3008). Es wurde u. a. von Canal (1598, 1603) überarbeitet und erweitert und bis 1650 aufgelegt. In Italien kam es allerdings - als erstes in Italien verlegtes Französisch-Italienisch-Wörterbuch überhaupt - erst 1647 auf den Markt (vgl. Minerva 2013: 19-20) 49 . Anders als bei den Grammatiken war Frankreich im europäischen Vergleich nicht unter den ersten, die die eigene Volkssprache dem Italienischen in einem zweisprachigen Wörterbuch gegenüberstellten 50 . In Sevilla erschien bereits 1570 das erste vollständige Italienisch-Spanisch-Wörterbuch, das in der Folge auch in Venedig verlegt wurde (vgl. Gallina 1991: 2992) 51 . Schon 1550 erstellte William Thomas aus London ein Italienisch-Englisch-Wörterbuch in Verbindung mit seiner Grammatik - die Sprache ist die der Trecentisten -, 1598 schließlich folgte das berühmte Werk von Florio, das wie jenes von Thomas (1550) allerdings nur den italienisch-englischen Teil enthielt (vgl. O’Connor 1991: 2970-2971) 52 . Im deutschsprachigen Raum, so Bruna / Bray / Hausmann (1991: 3013-3014), erschien das erste vollständige, alphabetisch geordnete zweisprachige Wörterbuch, das zum Großteil in Nürnberg entstanden ist, erst 1605 in Frankfurt. Allerdings sei zu bedenken, dass aufgrund der engen Handelsbeziehungen zwischen Nürnberg und Venedig schon im 15. Jahrhundert nach Sachgruppen geordnete Sprachführer sowie zahlreiche polyglotte Sammlungen, darunter der 47 In der Anthologie von Lillo Bd. 1 (2008: X) wird dieses Wörterbuch ebenfalls erwähnt. Allerdings sei unklar, ob es tatsächlich existiert hat. 48 Laut Colombo Timelli (2006: 9, Fn. 2) könnte es sich bei dem Wörterbuch von 1583 auch um eine Teilversion des Vochabuolista und mithin nicht um ein eigenständiges Französisch-Italienisch-Wörterbuch handeln. 49 Minerva (2013: 19) weist in diesem Zusammenhang jedoch darauf hin, dass in italienischen Bibliotheken auch frühere, in Frankreich und der Schweiz verlegte Exemplare anzutreffen sind. Laut Bingen / Van Passen (1991: 3007-3008) waren zudem polyglotte Gesprächsbücher, die auch einen Teil zum Französischen enthielten, weit verbreitet. 50 Zur Geschiche zweissprachiger Wörterbücher, in denen das Italienische anderen europäischen Sprachen gegenübergestellt wird, vgl. auch Pfister (1990). 51 Zur Geschichte der italienisch-spanischen Lexikographie im 16. und 17. Jahrhundert vgl. Gallina (1959). 52 Zur Diachronie der italienisch-englischen Lexikographie vgl. O’Connor (1990). 2.2 International Italian - Ergebnisse der italienischen Sprachgeschichtsschreibung 45 in ganz Europa verbreitete Vochabuolista 53 , ein Italienisch-Deutsch-Wörterbuch entbehrlich machten. Auch für die Verspätung 54 in Frankreich könne, so Bingen / Van Passen (1991: 3008), die Existenz von polyglotten Wörterbüchern verantwortlich gemacht werden: Der Vochabuolista etwa erlebte zwischen 1542 und 1583 in Lyon und Paris neun Auflagen 55 . Auffällig sei im Übrigen, dass die Wörterbücher insbesondere in solchen Gegenden entstanden (Genf, Lyon, Paris), in denen zahlreiche italienische Immigranten, meist verfolgte Protestanten, anzutreffen waren 56 . Wie der kurze Vergleich gezeigt hat, muss das Italienische also in der Tat ein besonderes Prestige im rinascimentalen Frankreich genossen haben. Die erste Italienisch-Grammatik für Ausländer erscheint 1549 in Paris, das erste Französisch-Italienisch-Wörterbuch, wenn man jenes von 1578 und 1583 nicht berücksichtigt, immerhin 1584. Auch letzteres geht im europäischen Vergleich zumindest entsprechenden Werken in Deutschland voraus. Für das Wörterbuch von Thomas (1550) in England ist zudem zu bedenken, dass es wie Florio (1598) nur den italienisch-englischen Teil enthält. Allein in Spanien erscheint ein erstes umfangreiches Wörterbuch (mit den Teilen Spanisch-Italienisch, Italienisch- Spanisch) bereits 1570. Umgekehrt manifestiert sich - wie schon im Hinblick auf die Verbreitung von französischer Literatur und Übersetzungen aus dem Französischen konstatiert wurde - ein deutliches Ungleichgewicht zwischen Frankreich und Italien. Auf der Apenninenhalbinsel werden, obwohl die Italian States 57 als drittgrößte Drucknation der Renaissance betrachtet werden können, im gesamten 16. Jahrhundert weder Grammatiken noch Wörterbücher zum Erlernen des Französischen gedruckt. 53 Zur Geschichte dieses mehrsprachigen Beststellers im Europa des 15. und 16. Jahrhunderts vgl. Rossebastiano (1984), zur Geschichte des Deutschen als Fremdsprache vgl. Glück (2002), der auch Informationen zu den Anfängen der deutsch-italienischen Lexikographie enthält. 54 Bingen / Van Passen (1991: 3008) merken mit Verweis auf Quemada (1967) an, dass die Produktion von Französisch-Italienisch-Wörterbüchern erst spät einsetzte. Französisch-Flämisch-Wörterbücher etwa erschienen schon früher. 55 Die Vermutung Minervas (2013: 20-21), zweisprachige Wörterbücher seien in Frankreich aufgrund der weit verbreiteten Kenntnis des Italienischen unnötig gewesen, ist insofern wenig überzeugend, als das Gleiche auch für die Entstehung von Italienisch-Grammatiken in Frankreich gelten müsste. 56 Laut Colombo Timelli (2006) richtete sich Fenices Wörterbuch von 1584 insbesondere an Italiener, die das Französische erlernen wollten. 57 Ein kurzer Vergleich der absoluten Zahlen im USTC kann dies bestätigen: Zwischen 1501 und 1600 werden im Holy Roman Empire insgesamt 93 417, in Frankreich 75 041 und in den Italian States 66 262 Werke gedruckt. Zu bedenken ist auch, dass, wie Barbier (2006: 221) anhand der Zahlen des ISTC gezeigt hat, Italien insbesondere vor 1500 noch weit vor Frankreich liegt und im Hinblick auf die Gesamtproduktion - v. a. in Zentralitalien - bereits eine beträchtliche Zahl an Büchern in der Volkssprache erscheint. 46 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts Bisher wurde, was für das Ziel dieser Arbeit und insbesondere dieses Kapitels auch legitim ist, nur die Verbreitung des Italienischen betrachtet. Für die des Französischen wurde sogar lediglich der italoromanische Raum berücksichtigt. Aufschlussreich wäre natürlich ein größer angelegter Vergleich zwischen den europäischen Kultursprachen. Denkbar wäre, dass in Frankreich nicht nur Lehrwerke des Italienischen, sondern auch solche für andere Sprachen äußerst früh produziert wurden. Möglicherweise entstanden Grammatiken des Spanischen sogar früher. In Italien könnten hingegen nicht nur für das Französische, sondern auch für andere Sprachen entsprechende Werke fehlen. Ein solcher Vergleich kann an dieser Stelle nicht geleistet werden 58 . Dennoch kann ein kurzer Ausblick auf die Rolle des Spanischen die weiter oben gemachten Feststellungen untermauern 59 . Dass für das Fehlen von Französisch-Lehrwerken in Italien in der Tat das mangelnde Prestige des Französischen, nicht etwa ein Desinteresse am Fremdsprachenlernen im Allgemeinen verantwortlich gemacht werden kann, zeigen z. B. die bereits erwähnte Spanisch-Grammatik ( il Paragon […] ), die 1560 in Neapel erschien und schon 1565 von einer neuen Grammatik aus Venedig abgelöst wurde, sowie das Wörterbuch von de las Casas (1570), das nur zu Beginn in Sevilla und dann v. a. in Venedig verlegt wurde (vgl. u. a. Breva- Claramonte 2000). Die erste Spanisch-Grammatik in Frankreich „worthy of that name“ stammt aus dem Jahre 1596 (Breva-Claramonte 2000: 720) 60 , das erste Französisch-Spanisch-Wörterbuch, das in Frankreich entstand, aus dem Jahre 1604 (vgl. Verdonk 1991: 2977) 61 . Im Frankreich des 16. Jahrhunderts war das Interesse am Italienischen also deutlich größer als am Spanischen. 58 Es gibt aber bereits einzelne Sammelbände, deren Artikel sich teilweise oder ausschließlich dem frühneuzeitlichen Fremdsprachenunterricht widmen: z. B. Swiggers / Hoecke (1989), Swiggers / de Clerq / Lioce (2000), Zuili / Baddeley (2012) sowie insbesondere Auroux u. a. (2000-2006) (= HSK 18). 59 Das Englische bietet sich, da es, wie hinreichend bekannt ist, im 16. Jahrhundert keine Ausstrahlung auf die Sprachen des kontinentalen Europas hatte und kaum als Fremdsprache unterrichtet wurde (vgl. Marazzini 2000 und v. a. Schröder 2000), nicht dafür an. 60 Die 1565 in Spanien erschienene Gramatica francesca […] muss wohl als Französisch- Lehrwerk für Spanier betrachtet werden (vgl. Kaltz 2000: 715). Zu dieser Grammatik vgl. auch Gaspar Galàn u. a. (2015). 61 Ein offenbar eher unbedeutendes Französisch-Spanisch-Wörterbuch ist 1565 in Spanien entstanden und muss als Französisch-Lehrwerk für Spanier gelten (vgl. Lillo 2013: 13). 2.2 International Italian - Ergebnisse der italienischen Sprachgeschichtsschreibung 47 2.2.3 Lexikalische Italianismen im Deutschen, Englischen, Französischen und Spanischen Durch die Verbreitung des Italienischen als Verkehrs- und Kultursprache kam dieses natürlich auch mit anderen Sprachen in Kontakt. Eng verbunden mit der Erforschung des italiano fuori d’Italia ist daher die Beschäftigung mit italienischen Einflüssen auf andere Sprachen. In der Tat teilen beide Disziplinen - vorausgesetzt, man betrachtet letztere überhaupt als eigenen Bereich - auch ein ähnliches Schicksal. Während Muljačić (vgl. den weiter unten zitierten Passus) Anfang der 1990er Jahre noch eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem sprachlichen Einfluss des Italienischen auf die Sprachen der Welt forderte und diese Thematik - mit Ausnahme von Migliorini ([1960] 1988) - in den großen Sprachgeschichten kaum Berücksichtigung gefunden hatte, begegnet im Handbuch von Serianni (2002) bereits ein kurzes Kapitel von Leonardo Rossi mit dem Titel Il lessico italiano nel mondo . L’italiano rappresenta per una trentina di lingue europee, maghrebine e vicino-orientali un’importante fonte di rinnovamento lessicale esogeno. Per alcune di queste lingue (o le loro parti) esso è stato addirittura la più importante fonte di rinnovamento lessicale esogeno se non in tutti i secoli dal Mille in poi almeno in determinati periodi che segnarono il culmine dell’espansione culturale ed economica italiana nel mondo (soprattutto durante la «rivoluzione commerciale» ed il Rinascimento). […] Mi sembra che sia giunto il momento per studiare globalmente e comparativamente l’impatto lessicale (e, in prospettiva, anche quello fonologico e morfosintattico) italiano in tutte le lingue del mondo e in primo luogo in quelle europee, maghrebine e vicinoorientali. (Muljačić 1991: 519, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Auch wenn das Vorhaben - oder besser: die Forderung -, Italianismen in den Sprachen der Welt vergleichend zu beschreiben, als sehr ambitioniert betrachtet werden könnte, sind in den letzten zwei Jahrzehnten tatsächlich zahlreiche kleinere Beiträge zu italienischem Lehngut in den verschiedensten Sprachen publiziert worden. Hervorzuheben ist, dass dazu nicht nur auf die von Muljačić (1991) genannten bestehenden Arbeiten aus anderen Philologien zurückgegriffen wurde, die sich den Italianismen im Hinblick auf die lexikalische Beeinflussung der jeweiligen Einzelsprache widmen (z. B. Wind 1928 und Hope 1971 für das Französische), sondern auch neue Studien (z. B. Lieber / Seymer 2012, Sergio 2014) entstanden sind, die eine vorwiegend italianistische Perspektive einnehmen. Untersucht wurden nicht nur Sprachen, die aufgrund der Verbreitung des Italienischen als lingua franca im Mittelmeerraum unmittelbar dem Italienischen ausgesetzt waren (z. B. das Türkische) - und daher umgekehrt auch 48 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts eine Beeinflussung des Italienischen selbst zu erwarten ist 62 -, sondern auch solche in Ländern, die durch ihre geographische Lage bedingt nur indirekt mit dem Italienischen als Kultur- und Fremdsprache in Berührung gekommen sind, wie z. B. das Koreanische. Viele dieser Untersuchungen sind im Rahmen eines großangelegten Projekts unter der Leitung von Luca Serianni entstanden, der 2008 ein zweiteiliges Werk ankündigte (Serianni / Pizzoli / Rossi in Vorb.), das der Verbreitung des Italienischen sowie der Beschreibung lexikalischer Italianismen in ca. 80 Sprachen gewidmet sein sollte. Neben Artikeln zum italienischen Lehngut in bestimmten Einzelsprachen sollten auch ausgewählte Denotatsbereiche (z. B. Architektur, Musik) des italienischen Lexikons beschrieben werden, aus denen die meisten Sprachen der Welt eine Vielzahl von Italianismen geschöpft haben. Schließlich war auch ein vergleichendes Wörterbuch geplant (vgl. Serianni 2008: 19, Fn. 1). Zum Druck des Werks kam es allerdings nicht (vgl. Marazzini / Marello 2011: 163-164, Fn. 5). Nur wenige der Artikel, wie z. B. Casapullo (2009), die sich mit dem Einfluss des Italienischen auf wissenschaftliche Fachsprachen im Deutschen, Englischen, Französischen und Spanischen beschäftigt, sind in der Zwischenzeit anderweitig zugänglich gemacht worden. Auch wenn das Wörterbuch letztlich nicht gedruckt wurde, zeigt das Projekt, dass die Erforschung der Geschichte der lexikalischen Italianismen in den Sprachen der Welt heute als etablierter Teilbereich der italiano fuori d’Italia -Forschung betrachtet werden kann. Der Wert solcher Studien liegt auf der Hand. Ein qualitativer und quantitativer Vergleich des italienischen Lehnguts, das von verschiedenen Einzelsprachen im gleichen Zeitraum aufgenommen wurde, lässt natürlich auch Rückschlüsse auf die unterschiedliche Intensität des italienischen Einflusses zu. Für das 16. Jahrhundert wäre zu erwarten, dass sich aufgrund der engen Beziehungen zwischen Frankreich und Italien im Französischen mehr Italianismen als z. B. im Englischen oder Deutschen finden. Ein weniger umfangreiches Projekt als Serianni / Pizzoli / Rossi (in Vorb.) stellt der Dizionario di italianismi in francese, inglese e tedesco ( DIFIT 2008) dar, der unter der Leitung von Stammerjohann entstanden ist 63 . In diesem Wörterbuch sind Italianismen gesammelt, die vom 12. bis zum 19./ 20. Jahrhundert Eingang in das Französische, Deutsche und Englische gefunden haben. Der Aufbau erinnert an die großen etymologischen Wörterbücher (z. B. FEW und LEI): Die Einträge - in alphabetischer Reihenfolge - sind nach den italienischen Etyma geordnet. So 62 Zu türkisch-italienischen Lehnbeziehungen vgl. z. B. Castagneto / D’Amora (2006), speziell zum Einfluss des Türkischen auf das Italienische vgl. z. B. Schweickard (2011), zur Ausstrahlung des Italienischen auf andere mediterrane Sprachen vgl. u. a. Tomasin (2006). 63 Vgl. dazu die nicht unkritischen Rezensionen von Pierno (2010) und Marazzini / Marello (2011). 2.2 International Italian - Ergebnisse der italienischen Sprachgeschichtsschreibung 49 begegnet etwa s.v. attaccare fr. attaquer (1540 TLFi), engl. to attack (< fr. attaquer OED), dt. attackieren (< fr. attaquer DuF). Natürlich sind nicht in allen Fällen Italianismen in allen drei Sprachen vertreten (z.B. s.v. leggiadro , nur fr. † leggiadre und engl. leggiadrous 17. Jh.). Wie anhand des Beispiels attaccare zu sehen ist, geben die Autoren für den Italianismus in der jeweiligen Einzelsprache auch die Quellen an, denen die Informationen entnommen sind. Was die Quellen betrifft, lässt sich feststellen, dass insbesondere im Hinblick auf Italianismen aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit fast ausschließlich auf bereits vorhandene Wörterbücher (für das Französische z. B. den TLF i, für das Englische das Oxford English Dictionary = OED , für das Deutsche das Fremdwörterbuch vom Dudenverlag = DuF) sowie auf einschlägige Einzelstudien und Überblicksdarstellungen (für das Französische z. B. Hope 1971, für das Englische Pinnavaia 2001, für das Deutsche z. B. Wis 1955 und Alanne 1965, 1970) zurückgegriffen wurde 64 . Problematisch ist, dass das Datum des Erstbelegs nicht immer genannt wird. Für das Französische sind diese glücklicherweise aber sehr gut dokumentiert. Ebenfalls ersichtlich ist, dass in das Wörterbuch auch sog. italianismi indiretti aufgenommen werden. Während für fr. attaquer ein italienischer Ursprung als gesichert gilt, kann weder für engl. to attack noch für dt. attackieren eine direkte Herkunft aus dem Italienischen wahrscheinlich gemacht werden. In beiden Sprachen wird eine Vermittlung durch das Französische angenommen. Solche indirekten Italianismen werden in der vorliegenden Arbeit nicht als lexikalische Italianismen betrachtet. Sowohl bei engl. to attack als auch bei dt. attackieren handelt es sich um einen Gallizismus. Im DIFIT werden die italianismi indiretti aber auch als solche gekennzeichnet. Eine besondere Kennzeichnung erhalten auch sog. italianismi dubbi wie z.B. fr. machiavélisme . Dass die Derivationsbasis eine integrierte Form des italienischen Eigennamens ist, steht außer Zweifel. Ob jedoch das Derivat selbst als Entlehnung aus it. machiavellismo zu betrachten ist oder ob es sich um eine eigenständige Bildung im Französischen {-isme} handelt, kann nicht eindeutig entschieden werden. Gleiches gilt für dt. Machiavellismus . Aufgrund der engen Verwandtschaft zwischen dem Französischen und Italienischen weist das Inventar der Wortbildungsmorpheme im Französischen natürlich viele Gemeinsamkeiten mit dem des Italienischen auf. Das Substantiv fr. manquement könnte ein Derivat aus fr. manquer < it. mancare sein, andererseits aber auch direkt aus it. mancamento entlehnt worden sein. Im DIFIT (s.v. mancamento ) wird es als Italianismus behandelt. Solche Probleme werden in Kapitel 2.3.3.3 noch ausführlicher besprochen. 64 Für die vollständige Bibliographie sei auf den DIFIT (2008) bzw. den OIM verwiesen. 50 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts Im Hinblick auf die vorliegende Arbeit von Bedeutung ist, dass sich das Wörterbuch auch als historisches Wörterbuch versteht und daher zahlreiche Italianismen aufnimmt, die heute nicht mehr gebräuchlich sind (z.B. fr. † leggiadre ). Ebenfalls berücksichtigt werden aus dem Italienischen entlehnte Wortbildungsaffixe wie {-esque}, indirektes Lehngut (z. B. die semantische Beeinflussung von dt. Führer nach dem Vorbild von it. duce ) 65 , aber auch sog. Pseudoitalianismen wie tutti frutti 66 , die zwar z. B. im Deutschen nachweisbar sind, für die aber kein Etymon im Italienischen vorhanden ist. Wie bereits erwähnt, sind die Etyma alphabetisch geordnet, so dass das Schicksal eines italienischen Lexems in den verschiedenen Sprachen, wenn der entsprechende Italianismus in allen drei vorhanden ist, auf den ersten Blick ersichtlich ist (z. B. unterschiedliche Erstbelege im Französischen, Deutschen und Englischen). Erschwert wird dadurch jedoch ein quantitativer Vergleich nach Jahrhunderten. Alle Italianismen des Deutschen, Englischen und Französischen des 16. Jahrhunderts miteinander zu vergleichen, würde ein mühsames händisches Auszählen erfordern. Glücklicherweise wurden bei der Erstellung des Wörterbuchs solche Daten bereits erhoben, die Stammerjohann / Seymer (2007) auch interpretiert und veröffentlicht haben und die im Folgenden kurz besprochen werden sollen. Insgesamt, d. h. vom 12. bis zum 20. Jahrhundert (für das Deutsche nur bis zum 19. Jahrhundert), erfasst das Wörterbuch, wenn man italianismi dubbi (z.B. fr. machiavélisme ) und italianismi indiretti (z. B. engl. to attack ) außer Acht lässt, 1967 Italianismen im Französischen, 2270 im Englischen und 2692 im Deutschen. Was die sog. italianismi indiretti anbelangt, sei auffällig, dass diese im Hinblick auf die Gesamtzahl der Italianismen in der jeweiligen Sprache im Französischen nur 0,8 % (16), im Deutschen 11,2 % (340) und im Englischen 17,2 % (473) ausmachen. Stammerjohann / Seymer (2007: 46-47) erklären dies dadurch, dass zahlreiche italianismi indiretti über das Französische in das Englische und Deutsche gelangten (vgl. z. B. engl. to attack , dt. attackieren ), wohingegen das Französische schon immer in direktem Kontakt mit dem Italienischen stand. Eine genaue Datierung der Erstbelege kann, wie weiter oben schon angedeutet, nicht immer gegeben werden. Im Französischen seien insgesamt 151, im Englischen 180 und im Deutschen 615 Italianismen keinem Jahrhundert zuzuordnen. Ein chronologischer Vergleich der datierbaren Italianismen im Französischen (1967-151), Englischen (2270-180) und Deutschen (2692-615) führte zu folgenden Ergebnissen, die den bereits in Hope (1971) und Pinnavaia (2001) ermittelten Zahlen - für 65 Indirektes Lehngut wird also - korrekterweise - zu den italianismi diretti gezählt (vgl. dazu Kapitel 3.3.2). 66 Laut DIFIT (s.v. tutti frutti ) handelt es sich bei tutti frutti im Italienischen, das aber selten ist, vermutlich um ein Lehnwort aus dem Deutschen. 2.2 International Italian - Ergebnisse der italienischen Sprachgeschichtsschreibung 51 Italianismen im Deutschen existieren laut Stammerjohann / Seymer (2007) keine vergleichbaren Studien - gegenübergestellt wurden: 12. Jh. 13. Jh. 14. Jh. 15. Jh. 16. Jh. 17. Jh. 18. Jh. 19. Jh. 20. Jh. Fr. Hope (1971) 7 28 59 91 462 203 106 81 - Fr. DIFIT 8 54 69 120 497 254 434 243 137 Engl. Pinnavaia (2001) - - 4 16 361 467 362 505 213 Engl. DIFIT 0 1 5 10 334 440 351 603 346 Dt. DIFIT 2 9 39 213 242 183 484 865 - Tab. 1: Schichtung der Italianismen im Dt., Engl. und Fr. nach Stammerjohann / Seymer (2007: 49) Laut Stammerjohann / Seymer (2007: 48-49) geht aus den Zahlen eindeutig hervor, dass zunächst das Französische, dann das Deutsche und mit einer gewissen Verspätung schließlich das Englische vom Italienischen beeinflusst worden ist, was sich u. a. anhand der geographischen Lage der einzelnen Länder leicht erklären lässt. In der Tat waren direkte Kontakte zwischen Franzosen, Deutschen und Italienern insbesondere im Mittelalter wahrscheinlicher als mit Sprechern des Englischen. Als die Jahrhunderte, in denen das Italienische den stärksten lexikalischen Einfluss auf andere Sprachen ausübte, werden das 16. und das 19. Jahrhundert genannt. Dies ist insofern erstaunlich, als die Zahlen für das Deutsche und Englische zeigen, dass beide Sprachen im 18. Jahrhundert offenbar mehr Lehngut aufgenommen haben als im 16. Jahrhundert und im Französischen des 19. Jahrhunderts deutlich weniger Italianismen als im 18. Jahrhundert nachgewiesen werden können. Dennoch ist der Einfluss in beiden Jahrhunderten auf alle drei Sprachen in der Tat nicht unerheblich. Während der massive Einfluss im 16. Jahrhundert durch die Ausstrahlung der italienischen Renaissancekultur erklärt wird, sei im 19. Jahrhundert v. a. die europäische Musikterminologie italienischer Herkunft. Was lässt sich aus diesen Zahlen noch ableiten? Ganz offensichtlich passen sie gut zu den in den vorhergehenden Kapiteln gemachten Beobachtungen im 52 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts Hinblick auf die französisch-italienischen Beziehungen im 16. Jahrhundert. Wie die Zahlen zeigen, ist der Einfluss des Italienischen auf das Französische im 16. Jahrhundert - trotz der auffälligen Ergebnisse für das 18. Jahrhundert - stärker als in allen anderen Jahrhunderten. Das Kontaktverhältnis muss also intensiv, das Prestige des Italienischen groß gewesen sein. Den Einbruch im 17. Jahrhundert erklären Stammerjohann / Seymer (2007: 48) im Übrigen durch puristische Tendenzen, die mit Henri Estienne gegen Ende des 16. Jahrhunderts ihren Anfang genommen hätten. Gleichzeitig ist anhand eines Vergleichs auch ersichtlich, dass im 16. Jahrhundert weder das Deutsche noch das Englische in einem ähnlichen Maße lexikalisches Material aus dem Italienischen übernommen haben. Offenbar war das Prestige des Italienischen in Frankreich größer und der Kontakt zwischen dem Italienischen und dem Französischen intensiver. Auffällig ist, dass, wie schon Stammerjohann / Seymer (2007: 48) feststellen, die Zahl der Lehnwörter im Deutschen zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert fast unverändert bleibt (15. Jahrhundert: 213 vs. 16. Jahrhundert: 242). Der starke Anstieg von Italianismen im Englischen (15. Jahrhundert: 10 vs. 16. Jahrhundert: 334) erkläre sich dadurch, dass England als See- und Handelsmacht vermehrt in Kontinentaleuropa aktiv war und sich insbesondere unter Elisabeth I. zur Kulturnation entwickelte. In der Tat passen die unterschiedlichen Zahlen auch zu den in Kapitel 2.2.2 gemachten Beobachtungen 67 . Es konnte gezeigt werden, dass die Produktion von Italienisch-Lehrwerken in Frankreich ihren Anfang nahm (de Mesmes 1549), dass aber auch in England früh Grammatiken und Wörterbücher erschienen (z. B. William Thomas 1550), wohingegen in Deutschland - von 67 Die Betrachtung von Italianismen im Spanischen des 16. Jahrhunderts wäre an dieser Stelle natürlich wünschenswert. Wie in Kapitel 2.2.2 gezeigt wurde, entstanden in Spanien äußerst früh zweisprachige Wörterbücher. Der Kontakt zwischen beiden Sprachen war aufgrund der spanischen Präsenz in Süditalien zudem sehr intensiv. Dass die meisten Italianismen im peninsularen Spanisch - das Spanische in der Neuen Welt, v. a. in Argentinien, stellt aufgrund der italienischen Immigranten einen Sonderfall dar - tatsächlich aus dem 15., 16. und 17. Jahrhundert stammen, wird auch allgemein angenommen (vgl. z. B. Geckeler 2009 und Dworkin 2012: 143). Allerdings existieren - von der inzwischen in die Jahre gekommenen Arbeit von Terlingen ([1943] 1967) einmal abgesehen - keine Studien, auf deren Grundlage verlässliche Zahlen ermittelt werden könnten. Dworkin (2012: 139, Fn. 1) weist gleich zu Beginn seines kurzen Kapitels zu Italianismen im Spanischen auf diesen Umstand hin: „Italian loanwords in Spanish still await scholarly attention within the framework of contemporary studies of lexical contact and borrowing. Terlingen (1943; condensed and revised 1967) is the only systematic synthesis […]. This work shows the weaknesses resulting from its preparation and publication as a doctoral dissertation written under the difficult circumstances of wartime Holland. […]“. Zu spanischen Einflüssen auf das italienische Lexikon, die im 16. Jahrhundert als der wichtigste fremdsprachliche Beitrag zum italienischen Wortschatz gelten können, vgl. D’Agostino (1994), Formisano (2006) und Schweickard (2009). 2.2 International Italian - Ergebnisse der italienischen Sprachgeschichtsschreibung 53 polyglotten Wörter- und Dialogbüchern abgesehen - erst im 17. Jahrhundert wirkliche Grammatiken und vollständige zweisprachige Wörterbücher entstanden sind. Eine unterschiedliche Qualität des Lehnguts in den drei Sprachen wird nicht diskutiert. Stammerjohann / Seymer (2007: 50) verweisen dazu u. a. auf Hope (1971) und Pinnavaia (2001), merken aber an, dass die Italianismen in allen drei Sprachen v. a. den folgenden Denotatsbereichen angehören: Handel, Bankwesen, Marine und Heer, Kunst und Architektur, Musik, Theater und Literatur, Nahrungsmittel 68 . Beispiele - auch zum Spanischen - finden sich in Rossi (2002): Handel / Bankwesen: it. rischio / risico > dt. Risiko , engl. risk (erst 1687 über das Französische), fr. risque ; Marine / Heer: it. colonnello > fr. coronel / colonel , engl. colonel (evtl. über das Französische), sp. coronel , it. casamatta > dt. Kasematte (über das Französische), fr. casemate , engl. casemate (evtl. über das Französische), sp. casamata ; Kunst und Architektur: it. fresco > dt. Fresko , engl. fresco , fr. fresque , sp. fresco ; Musik, Theater und Literatur: it. sonetto > dt. Sonett , engl. sonnet , fr. sonnet , sp. soneto ; Nahrungsmittel: nordit. articiocco > dt. Artischocke , engl. artichoke , fr. artichaut . Dass die Lehnwörter in den verschiedenen Sprachen zum Großteil aus denselben Denotatsbereichen stammen, spricht auf den ersten Blick natürlich nicht für ein besonderes Kontaktverhältnis zwischen Frankreich und Italien. Besonders deutlich wird dies auch anhand eines detaillierteren Vergleichs zwischen dem Französischen und Spanischen, die beide in direktem Kontakt mit dem Italienischen standen. Was die Qualität des italienischen Lehnguts im Spanischen der Frühen Neuzeit anbelangt, stellt Dworkin (2012: 151) aber fest, dass - auch wenn der italienische Einfluss zu dieser Zeit am intensivsten war - mehrheitlich Substantive entlehnt worden seien und der Kontakt daher v. a. im schriftlichen Medium stattgefunden habe bzw. dass nur eine kleinere Sprechergruppe tatsächlich mit dem Italienischen in Kontakt gekommen sei. Beispiele für italienische Lehnwörter im frühneuzeitlichen Spanisch (und Französisch nach Hope 1971) sind: Künste: sp. cartón < it. cartone (vgl. fr. carton ); Architektur: sp. balcón < it. balcone (vgl. fr. balcon ), sp. baldaquín < it. baldacchino (vgl. fr. baldachin / baldaquin ), sp. estúco < it. stucco (vgl. fr. stuc ); Literatur und Musik: sp. madrigal < it. madrigale (vgl. fr. madrigal ); Heereswesen: sp. centinela < it. sentinella (vgl. fr. sentinelle ), sp. cartucho < it. cartuccio (vgl. fr. cartouche ); Bankwesen: sp. crédito < it. credito (vgl. fr. crédit ), sp. monte de piedad < it. monte di pietà (vgl. fr. mont de piété ). Dworkin (2012: 153) betont, dass zahlreiche der von ihm besprochenen Italianismen auch in 68 Auch in Stammerjohann (2013: 135-175) wird die unterschiedliche Qualität des italienischen Einflusses auf das Lexikon der großen europäischen Sprachen nicht genauer besprochen. Vgl. dazu auch die Rezension von Ernst (2015: 850). 54 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts anderen europäischen Sprachen zu finden sind und verweist dazu u. a. auch auf den DIFIT . Die Qualität der frühneuzeitlichen Italianismen im Deutschen ist anhand der verfügbaren Literatur nur schwer zu bestimmen. Massive Einflüsse auf den Kernwortschatz dürften aber nicht festzustellen sein. Im Englischen gilt Ähnliches. Zwar wurden laut Pinnavaia (2001: 134) auch Lexeme wie engl. amorevolous (17. Jahrhundert) < it. amorevole , engl. to enamorate < it. innamorarsi und engl. sdeign < it. sdegno entlehnt, für die bereits englische Bezeichnungen existierten (engl . lovely , to fall in love und disdain ), allerdings seien die Italianismen sehr markiert gewesen. Teil des hochfrequenten Wortschatzes wurden sie nicht. Wie ist der Kontakt zwischen dem Französischen und Italienischen aus qualitativer Perspektive also zu bewerten? Richtig ist, dass eine nicht unerhebliche Anzahl der italienischen Lehnwörter zur Bezeichnung bestimmter neuer Konzepte aus Italien übernommen wurde. Diese Innovationen verbreiteten sich - mit ihrer Bezeichnung - im gesamten rinascimentalen Europa und können u. a. durch das Prestige und die Ausstrahlungskraft der italienischen Renaissance-Kultur erklärt werden. Myers-Scotton (2002) spricht in solchen Fällen von cultural borrowings . Dennoch hebt sich das italienische Lehngut im Französischen nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht von demjenigen in anderen europäischen Nationalsprachen ab. Wie Stefenelli (1981: 196-203) gezeigt hat, finden sich im Französischen des 16. Jahrhunderts nämlich auch Italianismen, für die kein bestimmtes Übernahmemilieu ermittelt werden kann (z.B. fr. réussir < it. riuscire , fr. manquer < it. mancare ). Für die Aufnahme solcher Lexeme, die mit Myers-Scotton (2002) als core borrowings bezeichnet werden können, war keine Bezeichnungsnotwendigkeit verantwortlich, wie es typischerweise bei Sachentlehnungen der Fall ist (z.B. fr. artichaut < nordit. articiocco vs. fr. réussir < it. riuscire neben fr. avoir ( bonne ) issue ). Vielmehr setzen sie die Existenz zweisprachiger Sprecher, also mehr oder weniger intensiven Kontakt, voraus. Auf die Qualität des italienischen Lehnguts im Französischen des 16. Jahrhunderts wird in Kapitel 2.3.3.2 und 2.3.4 noch ausführlicher anhand von Beispielen eingegangen. Stammerjohann / Seymer (2007: 48-49) weisen auch auf das bereits in Kapitel 2.1.1 erwähnte Ungleichgewicht zwischen Italianismen im Französischen und Gallizismen im Italienischen hin und stützen sich dazu auf die Zahlen Hopes (1971). Während im Französischen des 13. Jahrhunderts nur 28 italienische Lehnwörter gezählt werden können, finden sich im Italienischen 161 Gallizismen. Im 15. Jahrhundert kehrt sich das Verhältnis schließlich um (91 Italianismen im Französischen vs. 16 Gallizismen im Italienischen), bevor die Asym- 2.2 International Italian - Ergebnisse der italienischen Sprachgeschichtsschreibung 55 metrie im 16. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreicht (462 Italianismen im Französischen vs. 72 Gallizismen im Italienischen) 69 . Dass angesichts der neuen Zahlen im DIFIT - sowie jener in Lorenzetti (1998) und Schweickard (2009) 70 - für diesen Vergleich noch auf Hope (1971) zurückgegriffen wird, mag zunächst verwundern. Allerdings sind die Unterschiede zwischen dem DIFIT und Hope (1971), der offensichtlich immer noch als wertvolles Hilfsmittel erachtet wird, weniger groß, als es zunächst den Anschein hat. Laut Stammerjohann / Seymer (2007: 50) erklären sich die Abweichungen - mit Ausnahne der unterschiedlichen Zahlen für das 18. Jahrhundert - weniger durch die Tatsache, dass lexikographische Werke wie der TLF i, die neuere Ergebnisse aus der etymologischen Forschung der vergangenen Jahrzehnte zugänglich machen, konsultiert werden konnten, als vielmehr dadurch, dass aufgrund der „criteri più inclusivi“ des DIFIT mehr Einheiten als Italianismen berücksichtigt wurden. Anders als in Hope (1971) zählen im DIFIT nicht nur tatsächlich aus dem Italienischen entlehnte Lexeme und indirektes Lehngut, sondern auch Suffixe wie {-ache}, {-ade} und {-esque} 71 sowie Pseudoitalianismen (z. B. tutti frutti ) zur Gesamtzahl der Italianismen. Hinsichtlich des 16. Jahrhunderts sind die Unterschiede (Hope: 462 vs. DIFIT 497) ohnehin nicht besonders groß. In einigen Fällen finden sich im DIFIT aber wirkliche Ergänzungen zu Hope (1971), etwa Italianismen, die in Hope (1971) fehlen, aber schon in Sarauw (1920) oder Wind (1928) genannt werden und auch vom TLF i als rinascimentale Lehnwörter anerkannt werden (z. B. importer à , tavaïolle ). Des Weiteren konnten einige Italianismen vordatiert werden, die bei Hope (1971: 301) noch als Lehnwörter aus dem 17. Jahrhundert betrachtet werden (z. B. réussite ). Auch im Hinblick auf exotischere Italianismen wie s’inganner , die lange Zeit - nicht nur von Hope (1971: 148-149) - als Hapax-Belege in den Werken des Puristen Henri Estienne betrachtet wurden, ist der DIFIT 69 Dass das Italienische jedoch grundsätzlich offen für fremdsprachliche Einflüsse war, zeigen die Zahlen zum spanischen Lehngut aus dem 15. (ca. 75 Lehnwörter) und 16. Jahrhundert (ca. 686 Lehnwörter) (vgl. D’Agostino 1994: 794 und Schweickard 2009: 2852). Der Rückgang französischer Lehnwörter muss also mit dem geringeren Prestige des Französischen während der Renaissance in Verbindung gebracht werden. 70 Laut Schweickard (2009: 2851-2852), der u. a. auf Lorenzetti (1998) verweist, muss heute von mindestens 201 Gallizismen im Italienischen des 13. Jahrhunderts, von 64 im 15. Jahrhundert und von 172 im 16. Jahrhundert ausgegangen werden. Das Ungleichgewicht zwischen Italianismen im Französischen und Gallizismen im Italienischen ist im 16. Jahrhundert, so auch Schweickard (2009), dennoch weiterhin deutlich zu erkennen. Ebenfalls weiterhin deutlich zu sehen ist, dass sich die Zahl französischer Lehnwörter im Italienischen im 16. Jahrhundert geringer ausnimmt als in anderen Jahrhunderten (z. B. im 19. Jahrhundert: 813 nach Hope 1971, 1150 nach Schweickard 2009). 71 Im Gegensatz zu {-ade} wird {-esque} in Hope (1971), wie schon Pfister (1975: 262) kritisiert, allerdings nicht einmal als Lehnsuffix besprochen. 56 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts offener, was als besonders positive Eigenschaft hervorzuheben ist. Auch wenn der DIFIT insgesamt nur wenige neue Ergebnisse zum 16. Jahrhundert liefert - einen wirklich bedeutenden Beitrag leistet er hingegen zur Dokumentation der Italianismen des 18. und 19. Jahrhunderts -, wird in der vorliegenden Arbeit mehrfach auf dieses Wörterbuch (bzw. den OIM , vgl. weiter unten) zurückgegriffen. Als aktuellstes Referenzwerk zu Italianismen im Französischen vereint es die bisherigen Erkenntnisse der Forschung und bereitet diese benutzerfreundlich auf. Die Konsultation von Sarauw (1920), Wind (1928), Hope (1971) sowie der einschlägigen Wörterbücher macht es aber nicht entbehrlich. Problematisch ist, dass das FEW nicht systematisch als Quelle berücksichtigt wurde und daher einige sporadisch belegte Italianismen des 16. Jahrhunderts wie z. B. escalque / scalque (vgl. Kapitel 5.2) fehlen 72 . Auf neuere Hilfsmittel wie den TLF -Étym, der in der Bibliographie des DIFIT nicht erscheint, wurde nicht zurückgegriffen. Laut DIFIT (s.v. ballerino ), der sich auf die Angaben des TLF i (s.v. ballerin ) bezieht, sei fr. ballerin erst im 19. Jahrhundert belegt. Wie dem TLF -Étym (s.v. ballerin , seit 2006) zu entnehmen ist, handelt es sich dabei aber um einen Italianismus des 16. Jahrhunderts. Die einzelnen Einträge sind auch unterschiedlich umfangreich: Während s.v. mancamento für fr. manquement auch Erstbelege für bestimmte Lesarten und Konstruktionen gegeben werden (z. B. manquement de qc , à qc ), findet sich bei fr. manquer lediglich der Erstbeleg für manquer ‘faire défaut’, nicht für manquer de / à ( faire ) qc ‘négliger, se soustraire à’. Dies ist insofern bedauerlich, als die verschiedenen Lesarten und Konstruktionen des stark polysemen Verbs möglicherweise nacheinander aus dem Italienischen entlehnt wurden (vgl. FEW s.v. mancus ) und daher verschiedene Erstbelege zu erwarten sind. Als nachteilig, aber aus Platzgründen natürlich nachvollziehbar, erweist sich schließlich auch der Umstand, dass der Text, in dem ein Erstbeleg begegnet, nicht genannt wird. Neben dem Datum finden sich lediglich Hinweise auf die Sekundärliteratur sowie auf die einschlägigen Wörterbücher. Für Untersuchungen zur Wortgeschichte ist die Kenntnis der ersten Texte, in denen ein Italianismus belegt ist, jedoch von nicht unerheblichem Interesse (vgl. Kapitel 2.3.3.3). Inzwischen ist der DIFIT auch in digitalisierter Form online zugänglich. Er bildet die Grundlage für ein sehr umfangreiches Projekt der Accademia della Crusca ( OIM = Osservatorio degli italianismi nel mondo ), das u. a. von Luca Serianni koordiniert wird. Bislang enthält die Datenbank nur die Daten des DIFIT zum Deutschen, Englischen und Französischen. Es sollen aber zahlreiche weitere Sprachen berücksichtigt werden. Vielversprechend sind die angedach- 72 Schon Pfister (1975: 253) kritisierte, dass auch Hope (1971) das FEW nicht systematisch ausgewertet hat und daher etliche Italianismen aus verschiedenen Jahrhunderten fehlen. 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 57 ten Suchkriterien. So soll es z. B. möglich sein, nach Italianismen in bestimmten Einzelsprachen in einem bestimmten Zeitraum (z. B. 1500-1540) zu suchen. Viele der Filterfunktionen sind auch miteinander kombinierbar (z. B. vocabolario zoologico im Französischen von 1500-1519). Im Hinblick auf die italienischen Etyma sollen ebenfalls besondere Sucheinstellungen, etwa die Suche nach dialektalen Etyma 73 , möglich sein. Noch gelten die weiter oben im Hinblick auf den DIFIT vorgebrachten Kritikpunkte (vgl. escalque , ballerin , manquer ) auch für den OIM . Bei aller Kritik darf aber nicht vergessen werden, dass sich die Datenbank, die bereits zum jetzigen Zeitpunkt ein unverzichtbares Hilfsmittel darstellt, gerade noch im Aufbau befindet. In der Zukunft wird der OIM gewiss zum wichtigsten Referenzwerk für die Italianismen in den Sprachen der Welt werden. Welchen Stellenwert deren Dokumentation in der internationalen italianistischen Forschung hat, zeigt das Projekt in jedem Fall schon jetzt. 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 2.3.1 Vorbemerkungen Die französische Sprachgeschichtsschreibung hat dem Einfluss des Italienischen im 16. Jahrhundert seit jeher ein gewisses Interesse entgegengebracht. Schon in Brunot HLF II (1906: 28, 78, 176, 198-215) wird ihm ein eigener Abschnitt gewidmet. Mehr oder weniger umfangreiche Anmerkungen zum italienisch-französischen Sprachkontakt in der Renaissance finden sich z. B. auch in François Bd. 1 (1959: 162-165), Caput Bd. 1 (1972: 84-110), Picoche / Marchello-Nizia ([1989] 1996: 344-346), Wolf (1991: 94-95, 104-105) und Lodge (1993: 130-135) sowie in rezenteren Beiträgen zur französischen Sprachgeschichte, z. B. Clerico ([1999] 2012: 158-159, 207-208), Huchon (2002: 129, 145) und Siouffi (2007: 530-531). Auch in kürzeren Überblicksdarstellungen, z. B. in Eckert (1990), Schmitt (2003) und Windisch (2008), wird die Beeinflussung durch das Italienische erwähnt. Dass in Arbeiten, die sich speziell mit der Geschichte des Französischen im 16. Jahrhundert beschäftigen, wie z. B. Darmesteter / Hatzfeld (1878: 64, 77, 108, 155, 164, 177, 184, 192-194, 212, 228), Rickard (1968: 14-17) und Trudeau (1992: 20-35, 46-39, 116-140), dem Einfluss des Italienischen besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, verwundert daher nicht. Als Gründe für den Sprachkontakt und somit für den Einfluss des Italienischen auf das Französische werden im Wesentlichen die Ausstrahlung der 73 Zur Rolle norditalienischer Varietäten im französisch-italienischen Sprachkontakt vgl. Kapitel 2.3.3.3. 58 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts italienischen Renaissancekultur, die Vorbildfunktion der italienischen Literatur, Übersetzungen aus dem Italienischen, die Italienkriege, die Präsenz italienischer Immigranten in Lyon sowie die Italianisierung des Hoflebens durch Catherine de Médicis genannt. Besonders betont wird zumeist auch die Vorbildfunktion der italienischen Vulgärhumanisten, deren Schriften bezüglich der Emanzipation und des Ausbaus der Volkssprache auch von französischen Sprachtheoretikern rezipiert wurden. Die questione della lingua wurde gewissermaßen ins Frankreich des 16. Jahrhunderts importiert. Dass z. B. Teile der Deffence (1549) von Du Bellay aus Sperone Speronis Dialogo delle lingue (1542) z.T. wörtlich übersetzt sind, ist spätestens seit der Studie von Villey ([1908] 1970) hinreichend bekannt. Schließlich wird auch immer auf die Werke des Puristen Henri Estienne verwiesen, insbesondere auf die Deux Dialogues (1578) sowie auf die Precellence (1579) (vgl. Kapitel 2.2.2). Die Adaption italienischer Modelle im vulgärhumanistischen Diskurs sowie die puristischen Gegenbewegungen sind auch die Bereiche, zu denen bis heute vermehrt Einzelstudien vorgelegt werden 74 . Auch wenn der italienische Einfluss auf das Französische der Renaissance auf den ersten Blick gut erforscht zu sein scheint, muss bei genauerem Hinsehen festgestellt werden, dass - wie in der Italianistik - auch von französistischer Seite bisher keine sozio- und varietätenlinguistischen Studien zur Rolle des Italienischen im Frankreich der Frühen Neuzeit vorgelegt worden sind. Welche Reichweite das Italienische außerhalb der Texte der Français italianisants sowie des metasprachlichen Diskurses hatte, bleibt weiterhin unklar 75 . Die Präsenz der italienischen Einwanderer wird zwar in beinahe allen o. g. Arbeiten hervorgehoben, Studien zum Sprachverhalten der Immigranten existieren jedoch nicht. Für die Beschreibung der Verbreitung des Italienischen im rinascimentalen Frankreich stützt sich die Sprachgeschichtsschreibung des Französischen - wie die Arbeiten zum italiano fuori d’Italia - v. a. auf die Ergebnisse der Geschichts-, Kultur- und Literaturwissenschaft (z. B. Picot [1906-1907] 1968, [1918] 1995), ohne diese jedoch soziolinguistisch zu interpretieren. Deutlich besser erforscht sind die konkreten sprachlichen Einflüsse auf das Französische während des 16. Jahrhunderts, wobei man sich bisher insbeson- 74 Zur Vorbildfunktion italienischer Modelle vgl. z. B. Bahner (1996), Paternoster (1996), Swiggers (1997b), (2001), Trabant (2006), zu den puristischen Schriften Estiennes und zu sprachlicher Identität vgl. z. B. Trescases (1978a), Swiggers (1997a), (2003), Cowling (2007) und Grancini (2014). 75 Brunot HLF II (1906: 198) betont zwar, dass der Einfluss des Italienischen nicht als „purement littéraire“ ( Français italianisants ) betrachtet werden dürfe, bezieht sich dabei aber auch nur auf Modelle der wissenschaftlichen oder philosophischen Prosa bzw. auf die Präsenz der Franzosen in Italien. Zur Reichweite des Italienischen als gesprochene Sprache in Frankreich werden - vom Zeugnis Estiennes in den Deux Dialogues (1578) zum françois italianizé am Hofe abgesehen - keine Aussagen gemacht. 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 59 dere dem Wortschatz gewidmet hat. Wie im vorhergehenden Kapitel bereits angedeutet, existieren gerade zu lexikalischen Italianismen im Französischen umfangreiche, bis heute wertvolle Arbeiten (u. a. Wind 1928 und Hope 1971). Daneben behandeln aber auch die meisten der o. g. Beiträge zur französischen Sprachgeschichte italienisches Lehngut im Französischen (vgl. die Überschrift dieses Kapitels). Einflüsse auf anderen sprachlichen Ebenen, etwa in der Lautung und Syntax, wurden hingegen noch nicht systematisch untersucht. Die umfangreicheren Sprachgeschichten wie Brunot HLF II (1906) sowie moderne Grammatiken zum Frühneufranzösischen (Gougenheim 1974, Huchon 1988, Fragonard / Kotler 1994, Lardon / Thomine 2009) äußern sich diesbezüglich z.T. recht unterschiedlich. Es wird mehrheitlich davon ausgegangen, dass sich der Einfluss v. a. im Wortschatz manifestierte. Vereinzelte Hinweise auf italienische Einflüsse jenseits des Lexikons finden sich in kleineren Überblicksdarstellungen zur französischen Sprachgeschichte (z. B. Klare 1998, Huchon 2002), in beinahe allen Studien zu lexikalischen Italianismen (z. B. Sarauw 1920, Wind 1928, Hope 1971) und - im Hinblick auf die Wortbildung - sogar in den großen einsprachigen Wörterbüchern des Französischen, wie dem TLF i. Da die Ergebnisse der Geschichts-, Kultur- und Literaturwissenschaft bereits ausführlich in Kapitel 2.1 sowie in Kapitel 2.2.2 besprochen wurden, werden diese im Folgenden nicht erneut erläutert. Vielmehr soll der Forschungsstand zu den konkreten sprachlichen Einflüssen auf das Französische näher betrachtet werden. Das erste der drei folgenden Teilkapitel ist den Italianismen jenseits des Wortschatzes gewidmet. Anhand aus einer Vielzahl von Arbeiten zusammengetragener Detailbeobachtungen soll gezeigt werden, dass der Kontakt mit dem Italienischen auf verschiedenen sprachlichen Ebenen des rinascimentalen Französisch Spuren hinterlassen hat. Auf die massive Beeinflussung des französischen Wortschatzes - insbesondere auf die Qualität und Quantität des italienischen Lehnguts im Vergleich zu anderen fremdsprachlichen Einflüssen - sowie auf Probleme bei der Identifikation von Italianismen wird in Kapitel 2.3.3 eingegangen. Kapitel 2.3.4 soll verdeutlichen, dass die Forschung gewisse Übernahmemilieus und Kontaktszenarien bisher nicht hinreichend berücksichtigt hat. 2.3.2 Intensität des Sprachkontakts 2.3.2.1 Fünf Stufen der Intensität nach Thomason / Kaufman (1988) Wie soeben erwähnt, soll in diesem Teilkapitel gezeigt werden, dass der Einfluss des Italienischen im 16. Jahrhundert nicht nur auf den Wortschatz beschränkt war und dass bis heute Spuren dieser Beeinflussung auf verschiedenen sprachlichen Ebenen anzutreffen sind. Dabei werden nicht nur deskriptive Ziele ver- 60 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts folgt. In der Sprachkontaktforschung geht man seit Längerem davon aus, dass sich die Intensität des Kontakts zwischen zwei Sprachen auch anhand des Grads der Beeinflussung messen lässt. In anderen Worten: Je mehr sprachliche Ebenen betroffen sind, desto intensiver muss der Kontakt aus soziolinguistischer Sicht gewesen sein (z. B. im Hinblick auf das Prestige der Sprache, aus der entlehnt wird, oder die soziale Stellung der Sprecher, aus deren Sprache entlehnt wird). Die in zahlreichen Arbeiten rezipierte 76 Skala von Thomason / Kaufman (1988: 74-76) unterscheidet fünf Stufen der Intensität: (1) casual contact , (2) slightly more intense contact , (3) more intense contact , (4) strong cultural pressure , (5) very strong cultural pressure . Ohne im Detail auf die einzelnen Stufen einzugehen, lässt sich Folgendes festhalten: Je intensiver der Kontakt ist, auf desto mehr Ebenen lassen sich in Sprache A Einflüsse aus Sprache B feststellen. Mit zunehmender Intensität kommt es außerdem zu vielfältigeren Veränderungen auf den einzelnen Ebenen (z. B. im Hinblick auf die Quantität und Qualität der Lehnwörter). Während sich der Einfluss bei Stufe (1) z. B. fast ausschließlich auf die Übernahme von Inhaltswörtern zur Bezeichnung neuer Konzepte (meist Substantive) beschränkt, sind bei Stufe (2) bereits Konjunktionen und Adverbien sowie neue Laute aus Sprache B anzutreffen. Einflüsse auf morphologischer Ebene (z. B. Wortbildungsaffixe aus Sprache B) sowie auf die Silbenstruktur hingegen sind erst ab Stufe (3) zu beobachten. Zu einer Beeinflussung der Flexion kommt es dabei allerdings noch nicht. Was die (Morpho)Syntax anbelangt, sind geringe Veränderungen, z. B. die Zuweisung neuer Funktionen auf bereits vorhandene Strukturen nach dem Vorbild der Sprache B, bereits ab Stufe (2) nachweisbar, ein typologisch auffälliger Wandel der Satzgliedfolge sowie neue Konkordanzregeln aber erst ab Stufe (5). Von besonderem Interesse ist diese Skala nicht zuletzt deshalb, weil sie auch Hinweise auf die Art des Sprachkontakts liefert. Laut Thomason / Kaufman (1988: 77-83) kann Stufe (1) auch dann auftreten, wenn lediglich aus einer prestigereichen Literatursprache entlehnt wird, ohne dass es zu ‘wirklichem’ Kontakt, d. h. „oral biligualism“, kommen muss. Einflüsse auf die Lautung sind dann natürlich unwahrscheinlich. Mehr oder weniger tiefgreifende Veränderungen auf lautlicher oder grammatischer Ebene setzen im Normalfall immer die - vorübergehende - Zweisprachigkeit eines Teils der Gesellschaft voraus. Laut Thomason / Kaufman (1988: 77-83) sind die Grenzen zwischen den einzelnen Kategorien jedoch „fuzzy“. Sie besprechen daher Stufe (1), (4) und (5) gesondert, die Stufen (2) und (3) aber zusammen. Dennoch lassen sich grob drei Intensitätsgrade unterscheiden: Stufe (1) führt meist nur zur Übernahme 76 Vgl. dazu u. a. auch Haspelmath (2003: 7), Riehl ([2004] 2009: 28-30) und Winter-Froemel (2011: 215). 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 61 von Lexemen, bei Stufe (2) und (3) sind in jedem Fall schon weitere sprachliche Ebenen betroffen, ohne dass die entlehnende Sprache tiefgreifende strukturelle Veränderungen erfährt, die Stufen (4) und (5) hingegen können sogar zu einem typologischen Wandel führen. Im Folgenden wird dafür argumentiert, dass der Kontakt mit dem Italienischen im 16. Jahrhundert durchaus als slightly more intense contact oder more intense contact , d. h. Stufe (2) oder (3), betrachtet werden könnte. 2.3.2.2 Lautung und Schreibung Einflüsse des Italienischen manifestieren sich sowohl in der Lautung als auch in der Schreibung. Letztere wird bei Thomason / Kaufman (1988) zwar nicht berücksichtigt, sie wird aber hier zusammen mit der Lautung behandelt. Dass es in Italien im Zuge der questione della lingua und der zunehmenden Bedeutung des Buchdrucks auch zu einer Orthographiedebatte kam - man denke an die Schriften von Trissino - ist hinreichend bekannt 77 ; ebenfalls bekannt ist, dass einige Reformvorschläge, wie z. B. die Unterscheidung von <i> und <j> sowie der Gebrauch von Akzenten, auch von französischen Sprachtheoretikern und v. a. Druckern übernommen worden sind 78 . Abgesehen von dieser bewussten Übernahme, die nicht zuletzt auch praktische und kommerzielle Gründe hatte, kam es aber auch auf anderer Ebene zu einer Beeinflussung der französischen Graphie, die in den meisten Arbeiten zum italienischen Lehngut im Französischen bisher völlig unberücksichtigt geblieben ist. Schon das FEW (s.v. alăcer ) weist z. B. darauf hin, dass einzelne französische Erbwörter ausdrucksseitig an ihre italienischen Kognaten angepasst werden: z. B. mfr. alaigre > nfr. allègre in Anlehnung an it. allegro . Neben <e> statt <ai> könne auch <ll> durch italienischen Einfluss bedingt sein. Solche Fälle, in denen nur die Schreibung von Einzellexemen betroffen ist, erlauben nun freilich noch nicht, von einer systematischen Beeinflussung graphischer Traditionen im Französischen zu sprechen. Allerdings stellen z. B. Catach u. a. (1980: 281) und Catach u. a. (1995: 1156) fest, dass für die allgemein steigende Frequenz von graphisch realisierter Doppelkonsonanz im Französischen des 16. Jahrhunderts nicht nur lateinischer, sondern - in geringerem Maße - auch italienischer Einfluss verantwortlich gemacht werden kann. Auffällig sei, dass <CC> nicht nur gehäuft in Italianismen (z.B. fr. appartement < it. appartamento ), sondern vermehrt auch in 77 Vgl. dazu z. B. Migliorini (1957b, [1960] 1988: 335-339), Cornagliotti (1988: 383-386) und Biffi/ Maraschio (2009: 2820-2824). 78 Für einen knappen Vergleich zwischen frühen Reformen in Frankreich und Italien vgl. Villey ([1908] 1970: 82-100) und Richardson (1996), für die Orthographiedebatte in Frankreich im Allgemeinen vgl. Catach (1968), Citton / Wyss (1989), Beinke / Rogge (1990: 475-484) sowie Baddeley (1993). 62 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts genuin französischen Wörtern erscheine, was als Modeerscheinung betrachtet werden könne. Anders als die Verwendung von <i> und <j> durch die Drucker lässt sich eine solche italianisierende Mode 79 m. E. nicht durch praktische oder wirtschaftliche Gründe erklären. Vielmehr scheint es durch den authentischen Kontakt mit geschriebenem Italienisch zu einer - wenn auch nicht gänzlich systematischen - Beeinflussung graphischer Traditionen gekommen zu sein, die unter Umständen mit der Übernahme von neuen Lauten in Lehnwörtern aus einer Sprache B vergleichbar ist, wobei < CC > in der Folge aber auch gehäuft in Erbwörtern anzutreffen ist. Auch in der Lautung lassen sich italienische Einflüsse beobachten. Der Schwund von vorkonsonantischem [s] und [z] im Französischen, z. B. lat. căstěllu > château , kann als regelmäßige erbwörtliche Entwicklung betrachtet werden (vgl. z. B. Rheinfelder Bd. 1, 1963: 219-221). Schon Hope (1971: 583-584) weist mit Pope ([1934] 1952: 152, 234) darauf hin, dass die Revitalisierung von [-st-] im Französischen des 16. Jahrhunderts nicht nur gelehrten Wörtern (z.B. fr. modeste ), sondern auch Lehnwörtern aus dem Italienischen (z.B. fr. baster < it. bastare ) geschuldet sein könnte 80 . Ob auch in Italianismen, die bereits im Mittelalter entlehnt wurden (z.B. fr. poste < it. posta ), [-st-] gesprochen wurde, sei unklar. In diesem Fall müsste die Revitalisierung von [-st-] im Französischen früher angesetzt werden. Wenn man davon ausgeht, dass [s] vor [t] im rinascimentalen Französisch nur durch lateinischen Einfluss bedingt ist, könnten mittelalterliche Italianismen, die heute [-st-] aufweisen, natürlich genauso wie französische Erbwörter, in denen vorkonsonantisches [s] aufgrund einer spelling pronunciation wiederbelebt wurde (z. B. lorsque laut Rheinfelder Bd. 1, 1963: 221), behandelt werden. Die Konsonantenabfolge [-st-] in Italianismen des 16. Jahrhunderts ließe sich hingegen dadurch erklären, dass [-st-] im 16. Jahrhundert durch gelehrten Einfluss bereits revitalisiert war. Dann hätte der Kontakt mit dem Italienischen keinerlei Auswirkungen auf die Phonotaktik des Frühneufranzösischen gehabt. Dass dem vermutlich nicht so ist, legen m. E. verschiedene metasprachliche Aussagen bestimmter Sprachbeobachter aus dem 16. und 17. Jahrhundert nahe. Brunot HLF II (1906: 107) verweist im Zusammenhang mit der Orthographiedebatte (<teste> vs. <tete> ‘tête’) z. B. auf Meigret, der sich als Anhänger des 79 Zur Verbreitung von graphischer Doppelkonsonanz im 16. Jahrhundert vgl. auch Vachon (2010: 108-110). 80 Auf den Umstand, dass [-st-] in italienischen Lehnwörtern grundsätzlich erhalten bleibt, weisen auch Kohlmann (1901: 75) und Wind (1928: 25, 41) hin. Allerdings besprechen sie [-st-] v. a. als eines der lautlichen Kriterien zur Bestimmung von italienischen Lehnwörtern. Dass der Einfluss des Italienischen unter Umständen zu einer Revitalisierung der Konsonantenabfolge im Französischen geführt haben könnte, wird dabei nur von Wind (1928: 25) in Erwägung gezogen. 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 63 phonetischen Prinzips 81 gegen <st> ausspricht und den Verfechtern von <teste>, die z.T. auch [tɛst] fordern, in seinen polemischen Schriften eine italianisierende Aussprache unterstellt („Je m’emervęl’le que tu n’as dit testa : a celle fin qe [! ] tu gardasses du tout la prononçiaçion Italiene.“ zitiert nach Brunot HLF II 1906: 107, Fn. 2). Dass es sich dabei um einen polemischen Text handelt, ist nicht wirklich von Bedeutung. Die Aussage zeigt in jedem Fall, dass die Aussprache [-st-] u. a. auch als italienisch, nicht nur als latinisierend, empfunden wurde 82 . Dass es sich bei [-st-] andererseits selbst im 17. Jahrhundert noch um eine mehr oder weniger markierte und nicht völlig revitalisierte Sequenz handeln musste, legen die Hinweise auf die Aussprache italienischer Lehnwörter wie z. B. baster in den großen einsprachigen Wörterbüchern des siècle classique nahe 83 . BASTER , on prononce l’s, signifioit autrefois suffire & se dit encore en cette phrase proverbiale, Baste pour cela, ou absolument, Baste , pour dire, Passe , j’en suis content . Ce mot n’est venu en usage qu’au temps de la Reine Catherine de Medicis, comme remarque Borel. (Furetière 1690 s.v. baster 3) Auch wenn der Kontakt mit dem Italienischen vermutlich nicht allein für die Revitalisierung von [-st-] verantwortlich gemacht werden kann 84 , könnte er dennoch daran beteiligt gewesen sein. Wie weiter oben erläutert wurde, sind laut Thomason / Kaufman (1988) Einflüsse auf die Silbenstruktur erst ab Stufe (3), d. h. bei more intense contact , zu erwarten. Eine im Hinblick auf die Phonotaktik des Frühneufranzösischen ebenfalls auffällige Silbenstruktur stellen Anlautcluster des Typs [sC-] wie in fr. stuc < it. stucco dar, deren erstes Element traditionell als s impurum bezeichnet wird. In der Entwicklung des Französischen erhalten mit s impurum anlautende Wörter in der Regel einen prothetischen Vokal (z. B. lat. stēlla > fr. étoile ), wohingegen in zentral- und süditalienischen Varietäten vermehrt [sC-] erhalten bleibt (lat. stēlla > it. stella ) 85 . Während Lehnwörter aus dem Italienischen im Französischen 81 Zum Werk von Meigret vgl. z. B. Hausmann (1980). 82 Bei fr. tête / it. testa könnte man vermuten, dass den Humanisten des 16. Jahrhunderts das tatsächliche Etymon noch gar nicht bekannt war und schon allein deshalb die Assoziation mit dem Italienischen zwingend war. In Estienne (1549 s.v. teste ) wird fr. teste zwar mit lat. caput übersetzt, allerdings weist der Autor auf lat. testa und die metaphorische Beziehung hin. 83 Auch Monet (1635 s.v. baster ) und Académie (1694 s.v. baster 2) heben hervor, dass [st] auszusprechen ist. 84 Schon Hope (1971: 585) betont, dass gelehrte Wörter aufgrund ihrer großen Zahl einen bedeutenderen Beitrag zur Revitalisierung von [-st-] im Französischen geleistet haben müssen als Lehnwörter aus dem Italienischen. 85 Die Geschichte prothetischer Vokale in italoromanischen Idiomen ist komplex und hier vereinfacht dargestellt. Im Laufe der Arbeit wird aber an verschiedenen Stellen noch ausführlicher darauf eingegangen. Zur Entwicklung von lat. [sC-] im Italienischen und 64 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des 15. Jahrhunderts durchgängig mit prothetischem Vokal, also gut integriert erscheinen, finden sich ab dem 16. Jahrhundert auch erste Belege mit s impurum , deren Anzahl aber überschaubar ist (vgl. Hope 1971: 585). Heute ist [sC-] - anders als etwa im Alt- und Mittelfranzösischen sowie im Spanischen - ein möglicher Onset im Französischen. Hope (1971: 585-586, 631), der wie bei [-st-] darauf hinweist, dass die Revitalisierung von [sC-] im Französischen des 16. Jahrhunderts insbesondere auf gelehrten Einfluss zurückzuführen sei, schließt nicht gänzlich aus, dass auch s impurum in italienischen Lehnwörtern zur Verbreitung von [sC-] beigetragen haben könnte. Sampson (2003, 2004) hingegen macht darauf aufmerksam, dass die meisten Italianismen im Französischen des 16. Jahrhunderts im Gegensatz zur Mehrheit der Latinismen einen prothetischen Vokal aufweisen. Die Lehnwörter seien entweder über norditalienische oder okzitanische Varietäten vermittelt worden, in denen die Prothese noch produktiv war. Ein etwaiger Einfluss des Italienischen auf die Phonotaktik des Französischen der Renaissance wäre somit natürlich ausgeschlossen. In der vorliegenden Arbeit wird allerdings an mehreren Stellen dafür argumentiert, dass Lehnwörter aus dem Italienischen vermutlich doch eine gewisse Rolle bei der Verbreitung von [sC-] im rinascimentalen Französisch gespielt haben. Ohne die Diskussion in den folgenden Kapiteln vorwegnehmen zu wollen, sei an dieser Stelle bereits auf Folgendes hingewiesen: (1) Wie Sampson (2003) selbst feststellt, begegneten im 16. Jahrhundert einige der Italianismen, die heute <esC-> aufweisen, auch noch mit <sC->. Die Prothese kann in einigen Fällen also auch als nachträgliche Integration verstanden werden 86 . (2) Puristen wie Henri Estienne scheinen in [sC-] offenbar ein typisches Merkmal des françois italianizé zu erkennen. (3) Insbesondere bei den sog. Français italianisants wie z. B. Du Bellay, D’Aubigné und Du Tronchet sind Italianismen mit <sC-> (z. B. <sfrizé>, <sfrizade>, <se spacier>) häufig anzutreffen (vgl. Smith 1980a: 36, Fn. 7; 34, Fn. 4). (4) Im 16. Jahrhundert erfahren manche im Französischen bereits etablierte Italianismen zumindest vorübergehend eine formale Angleichung an ihr italienisches Etymon, die ich in der vorliegenden Arbeit als Reitalianisierung bezeichne. Die Lehnwörter fr. escadron < it. squadrone , fr. embuscade < it. imboscata sind schon seit dem 14. bzw. 15. Jahrhundert belegt. Im 16. Jahrhundert begegnen vereinzelt aber auch die Formen scadron und imboscade (vgl. Hope Französischen sei auf Kapitel 6.3.3.1.4 und 7.3.3.3 sowie die dort genannte Literatur verwiesen. 86 Zum Schwanken zwischen [sC-] und [ɛsC-] in Italianismen, das auch noch im 17. Jahrhundert zu beobachten war, vgl. auch die metasprachlichen Aussagen in Thurot Bd. 1 (1881: 215-220). 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 65 1971: 37, 632). Reitalianisierung wird hier analog zu Relatinisierung 87 verstanden. Es handelt sich um eine Erscheinung, bei der die Ausdrucksseite bereits mehr oder weniger integrierter Italianismen wieder bewusst an diejenige des italienischen Etymons angenähert wird, so wie manche französische Erbwörter (z. B. mfr. <tens> ‘Zeit’ zu fr. <temps> oder afr. <setembre> zu fr. <septembre>) an das jeweilige lateinische Etymon ( těmpŭs , sěptěmbre ) angeglichen werden. Wie anhand der Beispiele zu erkennen ist, können davon auch Italianismen mit prothetischem Vokal betroffen sein. Offensichtlich begünstigt der italienische Einfluss also <sC->. Ob auch in der Aussprache s impurum anzunehmen ist, lässt sich natürlich nicht mit Bestimmtheit sagen. Wie bei den Relatinisierungen könnte nur die Graphie verändert worden sein (vgl. fr. temps ohne [p] vs. fr. septembre mit [p]). Metasprachliche Aussagen von zeitgenössischen Sprachbeobachtern wie z. B. Henri Estienne legen aber nahe, dass z. B. [ska-] in scadron zu hören war. Bisher sind in der Forschung solche Reitalianisierungstendenzen noch nicht systematisch beschrieben worden 88 . Notwendig dazu wäre eine umfangreiche korpusbasierte Studie, die möglichst viele Lexeme mit <esC-> sowie verschiedene Textsorten berücksichtigt. Letzteres wäre insbesondere deshalb notwendig, weil z. B. die Formen <scadron> und <squadron> v. a. in poetischen Texten der Pléiade anzutreffen sind (vgl. Hope 1971: 37). Ausgeschlossen werden müsste auch, dass es sich in diesen Fällen um Dubletten handelt, d. h. um erneut entlehnte Italianismen, die eine (leicht) andere Semantik haben als ihre besser integrierten Entsprechungen. In HUG (s.v. imboscade , escadron ) finden sich aber Belege für imboscade und scadron , die sich semantisch nicht von embuscade und escadron unterscheiden 89 . Wenn man davon ausgeht, dass imboscade und squadron tatsächlich nur Varianten von embuscade und escadron darstellen, dann spräche dies dafür, dass unter dem verstärkten Einfluss des Italienischen einzelne im 16. Jahrhundert ausdrucksseitig integrierte Italianismen wieder reitalianisiert werden. Da auch Lexeme mit <esC-> davon betroffen sind, könnte also auch 87 Zur Relatinisierung sowie zum gelehrten Wortschatz des Französischen im Allgemeinen vgl. z. B. Gougenheim (1959), Guiraud (1978), Raible (1996) und Lüdtke (1998). 88 Meines Wissens hat bisher lediglich Vidos (1965a) in einem kurzen, wenig rezipierten Beitrag - in Hope (1971) wird er, wie schon Pfister (1975: 262) bemängelt, nicht genannt - darauf aufmerksam gemacht, dass ausdrucksseitig gut integrierte Italianismen, sog. „italianismi adattati“, in späteren Jahrhunderten wieder als „italianismi crudi“ erscheinen: z.B. it. cercamare > fr. cercamare (17. Jahrhundert) > fr. cherche-mer (18. Jahrhundert) > fr. cercamare (19. Jahrhundert). Beispiele für Reitalianisierungen von mittelalterlichen Italianismen im Französischen des 16. Jahrhunderts werden aber nicht genannt; Lexeme, die einen prothetischen Vokal aufweisen, ebenfalls nicht. 89 Fontaine (2015a: 288, Fn. 12) kann die Form fr. squadron z. B. auch in einer im 16. Jahrhundert angefertigten Übersetzung aus dem Italienischen nachweisen. 66 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts der Kontakt mit dem Italienischen im 16. Jahrhundert zur Revitalisierung von s impurum im Französischen beigetragen haben. it. Etymon Mfr. 16. Jahrhundert Nfr. squadrone escadron scadron / squadron escadron imboscata embuscade imboscade embuscade Was den von Puristen wie Estienne kritisierten Wandel (bzw. Ersatz) [wɛ] > [ɛ] insbesondere in Herkunftsbezeichnungen (z. B. français ) sowie in den Endungen des imparfait und conditionnel anbelangt, wird in der vorliegenden Arbeit dafür argumentiert, dass die Italiener aufgrund ihrer sozialen Stellung zumindest an der Verbreitung von [ɛ] beteiligt gewesen sein und somit einen Sprachwandel auf diastratischer Ebene begünstigt haben könnten (vgl. dazu ausführlich Kapitel 4.2.3.1.1 und 7.3.3.2.1). 2.3.2.3 Wortbildung Wie eingangs erläutert wurde, begegnen Einflüsse auf morphologischer Ebene laut Thomason / Kaufman (1988) erst ab Stufe (3). Im Französischen des 16. Jahrhunderts werden auch Wortbildungsaffixe aus dem Italienischen übernommen. Im Gegensatz zu Italianismen in der Lautung, Schreibung, Morphosyntax und Syntax sind diese - wie die lexikalischen Übernahmen - sehr gut untersucht. Mehr oder weniger umfangreiche Teilkapitel begegnen bereits in Kohlmann (1901: 82-86), Sarauw (1920: 60-61) und Wind (1928: 44-47). Im Folgenden werden nur solche Affixe behandelt, die auch tatsächlich produktiv sind bzw. waren. Sie müssen also zumindest vorübergehend auch zur Bildung neuer Wörter mit erbwörtlicher Derivationsbasis geführt haben und dürfen nicht nur in Lehnwörtern erscheinen. Im Hinblick auf fr. {-on} < it. {-one}, z. B. in fr. carton < it. cartone, merkt im Gegensatz zu Kohlmann (1901: 85) schon Wind (1928: 46-47) an, dass die augmentative Bedeutung vermutlich nicht einmal erkannt wurde, die Struktur des Wortes also undurchsichtig war (vgl. auch TLF i s.v. -on 1 / onne suff. ) 90 . Als aus dem Italienischen entlehnt gelten die Suffixe {-ade}, {-esque}, {-issime}, wohingegen man für {-esse} annimmt, dass es unter dem Einfluss des Italienischen revitalisiert wurde. 90 Ähnliches gilt für {-ache}, das laut Kohlmann (1901: 82) und Wind (1928: 44-45) auch zu den aus dem Italienischen entlehnten Suffixen zu zählen sei, z. B. in fr. bravache < it. bravaccio . Der TLFi (s.v. -ache suff .) stellt im Hinblick auf {-ache}, das in manchen Wörtern auch aus dem Okzitanischen und Spanischen übernommen worden sei, jedoch fest: „La termin. -ache n’est sentie comme suff. que dans un nombre très restreint de mots.“ Französische Bildungen sind selten. Wirklich produktiv war und ist es offenbar nicht. 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 67 Einhellig als ein aus dem Italienischen entlehntes Wortbildungsaffix betrachtet wird {-esque} (vgl. Kohlmann 1901: 83, Sarauw 1920: 60-61, Wind 1928: 45-46, Huguet [1935] 1967: 169-172 sowie TLF i s.v. -esque suff. ): fr. pédantesque < it. pedantesco , aber z. B. auch mit erbwörtlicher Basis fr. farcesque in Brantôme. Seit dem 16. Jahrhundert ist es äußerst produktiv 91 . Was {-issime} anbelangt, wird heute zumeist eine parallele Herkunft aus dem Italienischen und Lateinischen angenommen (vgl. TLF i s.v. -issime suff. ): fr. grandissime < it. grandissimo , fr. doctissime < lat. doctissimus , aber z. B. auch mit erbwörtlicher Basis fr. Suzannissime als Eigenname in Marguerite de Navarre. Dass der Einfluss des Italienischen einen wesentlichen Beitrag zur Verbreitung und Etablierung des Suffixes im 16. Jahrhundert leistete und zumindest einige Formen mit {-issime} auch italienischer Herkunft sind (z.B. fr. grandissime , illustrissime , rarissime usw.), gilt als unstrittig (vgl. Sarauw 1920: 59-60, Wind 1928: 46, Gougenheim 1974: 54-55 sowie TLF i s.v. -issime suff. ) 92 . Wie Staib (2006) in seiner diachronen Korpusstudie zur Vitalität von {-issime} gezeigt hat, ist das Suffix bis heute allerdings eher selten anzutreffen. So produktiv wie andere entlehnte Affixe ist es nie gewesen. Durch aus dem Italienischen entlehnte Substantive mit {-ezza} wurde das erbwörtliche Suffix {-esse} ‘suff. formateur de subst. exprimant de façon abstr. la qualité désignée par l’adj. de base’ revitalisiert (vgl. TLF i s.v. -esse 1 suff. ). Kohlmann (1901), Sarauw (1920) und Wind (1928) äußern sich zu {-esse} nicht. Das Suffix war zu Beginn des 16. Jahrhunderts kaum mehr produktiv (vgl. Huguet [1935] 1967: 120-122). Laut TLF i (s.v. -esse 1 suff. ) seien viele afr. Bildungen wie z. B. bellesse , duresse , agilesse durch konkurrierende Formen mit {-ité} oder {-té}, z. B. beauté , dureté , agilité, ersetzt worden. Im 16. Jahrhundert aber sei es durch zahlreiche italienische Lehnwörter (z. B. politesse < it. pulitezza , prestesse < it. prestezza usw.) wieder gestärkt worden. Heute ist es nicht mehr produktiv. 91 Dem TLFi (s.v. -esque suff. ) ist zu entnehmen, dass das Suffix in einigen wenigen Lehnwörtern auch über das Spanische vermittelt worden ist. Ein Blick auf die Beispiele zeigt aber, dass es sich - bis auf fr. moresque < sp. moresco - dabei um Lexeme handelt, die erst nach dem 16. Jahrhundert entlehnt wurden (z.B. fr. plateresque < sp. plateresco 1877). Im Französischen war {-esque} aber schon im 16. Jahrhundert produktiv. Der Einfluss des Spanischen war - wenn er überhaupt eine Rolle spielte - in jedem Fall weniger bedeutend als der des Italienischen. Im Spanischen ist das Suffix - zumindest in der Form -esco statt -isco - ebenfalls italienischen Ursprungs und verbreitet sich erst im Laufe des 16. Jahrhunderts (vgl. Dworkin 2012: 154-155). 92 Auch für die Verbreitung des Suffixes {-ísimo} im Spanischen wird heute davon ausgegangen, dass italienischer Einfluss im 16. Jahrhundert eine gewisse Rolle gespielt haben muss. Die Autoren, in denen es vermehrt erscheint, waren „all familiar with Italian“ (vgl. Dworkin 2012: 155). 68 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts Als äußerst verbreitetes Suffix im Französischen des 16. Jahrhunderts kann {-ade} ‘suff. formateur de subst. fém. exprimant l’idée de coll. et appartenant à la lang. fam., avec qqf. une valeur péj.’ gelten. Die Forschung nimmt an, dass {-ade} parallel aus dem Italienischen (fr. bravade , fr. balustrade ), Spanischen (fr. armade , fr. camarade ) und Okzitanischen (fr. aiguade ) vermittelt und spätestens ab dem 15. Jahrhundert im Französischen produktiv wurde (vgl. TLF i s.v. -ade 1 suff. ) 93 . Insbesondere im 16. Jahrhundert seien laut Huguet ([1935] 1967: 154-158) zahlreiche französische Bildungen zu beobachten: z. B. dentade ‘coup de dent’, bonnetade ‘salut qu’on fait en levant son bonnet’, barretade ‘salut qu’on fait en levant sa barette’. Dass der okzitanische und italienische Einfluss die wichtigste Rolle bei der Verbreitung gespielt haben muss, zeigen Hope (1971: 601-609) sowie Gebhardt (1974: 138). Laut letzterem seien die ersten Entlehnungen im Mittelalter zwar okzitanischen Ursprungs, im 15. Jahrhundert stammten jedoch bereits zahlreiche, im 16. Jahrhundert sogar die meisten Lehnwörter mit {-ade} aus dem Italienischen. Erst im 16. Jahrhundert seien auch deutlich mehr französische Bildungen als Lehnwörter mit {-ade} zu beobachten. Die Tatsache, dass nicht [t], sondern [d] in fr. {-ade} < it. {-ata} erscheint, ist unterschiedlich erklärt worden: Denkbar sei, dass it. {-ata} analog zu {-ade} in Lehnwörtern aus dem Okzitanischen integriert wurde. Andererseits sei auch zu bedenken, dass norditalienische Varietäten im 16. Jahrhundert eine wichtige Rolle für die Vermittlung von Italianismen spielten. Intervokalische Plosive erfuhren dort das gleiche Schicksal wie in der übrigen Westromania. Möglicherweise wiesen also bereits viele der italienischen Etyma [d] auf (vgl. dazu v. a. Hope 1971: 601-609). Dass der Einfluss des Italienischen aufgrund von [d] statt [t] geringer war als derjenige des Okzitanischen und der iberoromanischen Sprachen, braucht in jedem Fall nicht angenommen zu werden. Im Gegensatz zu den soeben besprochenen Affixen ist sich die Forschung bezüglich des italienischen Einflusses auf ein anderes Derivationsverfahren eher uneinig. Im Italienischen können Infinitive bis heute substantiviert werden ( cantare > il cantare ). Durch Konversion entstehen so deverbale Nomina. Im modernen Französisch ist dieses Verfahren nicht mehr produktiv. Substantive wie z. B. le pouvoir sind lexikalisiert. Laut Huchon (2002: 129) seien substantivierte Infinitive im 16. Jahrhundert besonders häufig gewesen, wobei sie vorwiegend in bestimmten Genres und v. a. in Texten von bekannten Français italianisants anzutreffen gewesen seien (z. B. in Maurice Scève: le dommageable croire ). Huchon geht daher von italienischem Einfluss aus. Auch Gougenheim (1974: 138) stellt fest, dass substantivierte Infinitive in der Tat verbreitet waren 93 Zur Geschichte von {-ade} vgl. Kohlmann (1901: 83), Sarauw (1920: 60), Wind (1928: 45), Huguet ([1935] 1967: 154-158), Hope (1971: 601-609) sowie Gebhardt (1974: 124-143). 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 69 (z. B. Montaigne: abattons ce cuider ‘cette pensée’), macht dafür aber „l’imitation du grec“ verantwortlich. Anhand eines Passus aus der Deffence (1549) kann er zeigen, dass die Verwendung u. a. durch Du Bellay propagiert wurde und dass dieser darin auch einen Hellenismus zu erkennen glaubte. Zudem merkt er an, dass das Wortbildungsverfahren auch nicht wirklich neu, sondern z. B. auch im Mittelfranzösischen möglich war. Die neuere Forschung zieht italienischen Einfluss inzwischen offenbar nicht mehr in Erwägung. Zwar betonen auch Lardon / Thomine (2009: 269-271), dass substantivierte Infinitive im Französischen des 16. Jahrhunderts verbreitet waren, allerdings merken sie auch an, dass die Konversion bereits im Altfranzösischen produktiv war, also ererbt ist. Wenn die Gebrauchshäufigkeit im Frühneufranzösischen höher war als im Mittelfranzösischen, sei dies insbesondere der „imitation du grec et du latin“ geschuldet. Wie Gougenheim (1974) verweisen sie auf Du Bellay (1549) sowie auf weitere zeitgenössische metasprachliche Aussagen, die alle nahelegen, dass die Sprachtheoretiker darin offenbar keinen Italianismus sahen. Festhalten lässt sich, dass der Kontakt mit dem Italienischen mit Gewissheit für neue Derivationsaffixe im Französischen verantwortlich war. Andere Einflüsse auf die Wortbildung waren vermutlich nicht zu beobachten, wobei sich jedoch nicht gänzlich ausschließen lässt, dass die erhöhte Gebrauchshäufigkeit von substantivierten Infinitiven in den Texten der Français italianisants italienischen Vorbildern geschuldet ist. 2.3.2.4 Morphosyntax und Syntax Italienische Einflüsse auf die Morphosyntax und Syntax des Französischen sind meines Wissens bisher noch nicht systematisch untersucht worden. Hinweise auf etwaige Italianismen finden sich z. B. in Klare (1998: 114), dem zufolge die unbetonten Subjektpronomina, die sich im Mittelfranzösischen schon mehr oder weniger stabilisiert hätten, unter dem Einfluss des Lateinischen und Italienischen wieder seltener geworden seien (z. B. mfr. tu voudras vs. 16. Jh. fr. voudras , vgl. it. vorrai ). In der neueren Forschung wird diesbezüglich aber italienischer Einfluss nicht einmal erwähnt. In Wirklichkeit unterliegt die Realisierung der Subjektpronomina im Französischen des 16. Jahrhunderts bestimmten Regeln, auch wenn noch Variation zu beobachten ist. Während sie im Hauptsatz meist realisiert werden, fehlen sie insbesondere im Nebensatz sowie nach koordinierenden Konjunktionen (vgl. dazu v. a. Lardon / Thomine 2009: 83-88). In frühen Arbeiten, so z. B. in Huguet ([1894] 1967: 176-177), wurde auch für die passivische Bedeutung von Reflexivkonstruktionen italienischer Einfluss verantwortlich gemacht: z. B. le vin se boit… ‘on boit le vin…’ nach it. il vino si beve… . Laut Lardon / Thomine (2009: 220) war „le tour réfléchi employé pour le passif “ im 16. Jahrhundert in der Tat sehr vital. Gleichzeitig weisen sie 70 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts aber auch darauf hin, dass diesbezüglich italienischer Einfluss nicht zwingend angenommen zu werden braucht. Es handle sich bei Reflexivkonstruktionen um gemeinromanische Entwicklungen, die bereits im sog. Vulgärlatein häufig waren. Auch die passivische Bedeutung sei früh belegt. Selbst wenn bis heute umstritten sei, inwiefern diese bereits im Altfranzösischen verbreitet war, könne sie zumindest schon im Mittelfranzösischen als „très développée“ betrachtet werden. Brunot HLF II (1906) äußert sich dazu in ähnlicher Weise: Elle [l’influence sur la grammaire, T. S.] a été, quoi qu’on en ait dit, extrêmement faible. […] Je ne crois pas non plus à certaines transformations de la syntaxe. Que le développement du réfléchi pour le passif ait été accéléré par l’influence de langues comme l’espagnol et l’italien, qui en font si grand usage, cela se peut: mais il avait commencé longtemps auparavant, sans aucune influence étrangère. (Brunot HLF II 1906: 215) Denkbar wäre also lediglich, dass die Gebrauchshäufigkeit unter dem Einfluss des Italienischen zunahm. Ob und ggf. inwiefern der Kontakt mit dem Italienischen diesbezüglich tatsächlich eine Rolle spielte, ließe sich erst durch weitere Studien zufriedenstellend klären. Im Gegensatz zu den bisher besprochenen Phänomenen scheint sich die Forschung im Hinblick auf den accord des participe passé in zusammengesetzten Zeiten mit avoir jedoch einig zu sein. Sowohl Caput Bd. 1 (1972: 132-134), Gougenheim (1974: 251-252), Trudeau (1992: 51) als auch Lardon / Thomine (2009: 326-329) weisen darauf hin, dass die Grundregeln zur Veränderlichkeit des participe passé von Clément Marot, der als Poet am französischen Hof hohes Ansehen genoss, 1538 nach italienischem Vorbild eingeführt wurden. Nostre langue a ceste façon Que le terme qui va devant Voluntiers regist le suyvant: Les vieux exemples je suyvray Pour le mieulx: car, à dire vray, La chanson fut bien ordonnée, Qui dit: M’amour vous ay donnée : Et du bateau est estonné, Qui dit: M’amour vous ay donné. Voylà la force, que possède Le feminin quand il precede. Or prouveray par bons tesmoings, Que tous pluriers n’en font pas moins: Il fault dire en termes parfaicts, Dieu en ce monde nous a faicts : 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 71 Fault dire en parolles parfaictes, Dieu en ce monde les a faictes. Et ne fault point dire (en effect) Dieu en ce monde les a faict : Ne nous a fait pareillement: Mais nous a faicts tout rondement. L’Italien (dont la faconde Passe les vulgaires du monde) Son langage a ainsi basty En disant: Dio noi a fatti. Parquoy (quand je me suis advisé) Ou mes juges ont mal visé, Ou en cela n’ont grand’ science, Ou ilz ont dure conscience. (Marot 1538, zitiert nach Lardon / Thomine 2009: 326) Laut Lardon / Thomine (2009: 325-329) zeigten die letzten drei Zeilen, dass sich Marot darüber im Klaren war, dass die Regel weder etabliert war noch allgemein akzeptiert wurde: Bestimmte Grammatiker des 16. Jahrhunderts, z. B. Pierre de la Ramée, setzten sich damit auseinander und äußerten Vorbehalte. Anders als beim accord mit être schwankte der usage in der Tat während des gesamten 16. Jahrhunderts sowohl in der Dichtung als auch in der Prosa. Noch im 17. Jahrhundert sah sich Vaugelas dazu veranlasst, in seinen Remarques (1647) zur Veränderlichkeit des participe passé (mit avoir und mit être ) Stellung zu beziehen 94 . Auch wenn die Gesetzmäßigkeiten zur Veränderlichkeit des participe passé mit avoir im modernen Französisch nicht im Detail auf das von Marot vorgeschlagene Modell zurückzuführen sind, ist die von ihm in Anlehnung an das Italienische formulierte Regel in ihren Grundzügen bis heute gültig 95 . Wie ist nun dieser Einfluss des Italienischen zu bewerten? Gewiss müssen Veränderungen auf dieser Ebene als tiefgreifender als lexikalische Entlehnungen betrachtet werden. Laut Thomason / Kaufman (1988) sind Einflüsse auf die Morphosyntax und Syntax, z. B. die Übertragung neuer Funktionen auf bereits vorhandene Strukturen, frühestens ab Stufe (2), ein typologischer Wandel wie eine neue Satzgliedfolge sogar erst ab Stufe (5) zu beobachten. Um ein wirklich neues Phänomen handelt es sich beim accord mit avoir allerdings nicht. Laut Lardon / Thomine (2009: 321-325) begegnet er - wenn auch nicht regelmäßig - unabhängig 94 Zur Behandlung des accord bei den Grammatikern und Remarqueurs des 17. Jahrhunderts vgl. z. B. Ayres-Bennett / Seijido (2011: 175-185). 95 Die noch heute gültige Regelung - mit all ihren Besonderheiten und Ausnahmen - geht auf das 18. Jahrhundert zurück (vgl. Lardon / Thomine 2009: 328). 72 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts von der Position des direkten Objekts bereits im Alt- und Mittelfranzösischen (z. B. afr. De cel remanant que Diex te lessa as tu festes les granz proesces par les estranges terres ). Neu an der Marotschen Regelung ist also nicht die Konkordanz an sich, sondern dass erstmals eine verbindliche Regel vorgeschlagen wird. Von einer Beeinflussung, wie sie für die Stufen (4) oder (5) typisch wäre, kann daher nicht die Rede sein. Dennoch handelt es sich um ein Phänomen, das über eine lexikalische Einflussnahme wie in Stufe (1) hinausgeht. Sprachkontakt in der Mündlichkeit, d. h. der Kontakt zwischen Sprechern in mehrsprachigen Gemeinschaften, war dafür freilich nicht verantwortlich. Vielmehr handelt es sich um eine - nach italienischem Vorbild - ‘von oben’ durchgesetzte Regelung 96 . Dass ein Kulturadstrat unter Umständen auch dann Einfluss auf die Morphosyntax und Syntax einer Sprache nehmen kann, wenn dieses ausschließlich in literarischen Texten begegnet, veranschaulichen Thomason / Kaufman (1988: 78) anhand des lateinischen Einflusses auf das Standardenglische. Die Ablehnung des sog. split infinitive sowie der doppelten Verneinung gehe auf Grammatiker des 18. Jahrhunderts zurück, die sich am Lateinischen orientierten 97 . Mit Ausnahme der Marotschen Regel zur Veränderlichkeit des participe passé mit avoir scheint das Italienische keine weiteren Spuren in der Morphosyntax und Syntax des Französischen hinterlassen zu haben. Zu bedenken ist aber, dass bisher zu wenige Detailstudien in diesem Bereich vorliegen. Möglicherweise können künftige Arbeiten weitere - zumindest vorübergehende - Einflüsse auf die Syntax des Frühneufranzösischen aufdecken. 2.3.2.5 Zusammenfassung Wie intensiv war also der Kontakt mit dem Italienischen? In den vorhergehenden Kapiteln wurde gezeigt, dass nicht nur lexikalische Übernahmen aus dem Italienischen, sondern auch Einflüsse auf anderen sprachlichen Ebenen zu beobachten sind. Das Kontaktverhältnis war also in jedem Fall intensiver, als es für Stufe (1) typisch wäre. Zu einem strukturellen Wandel (Sprachmischung), wie er bei Stufe (4) oder (5) zu erwarten wäre, kam es nicht. Vielmehr muss also von Stufe (2) oder (3) ausgegangen werden. Die Qualität und Quantität der lexikalischen Beeinflussung - letztere wird aufgrund ihres besonderen Stellenwerts (497 Lehnwörter laut DIFIT ) in einem eigenen Kapitel (vgl. Kapi- 96 Die Ergebnisse rezenterer Studien zum accord des participe passé im modernen Französisch (z. B. Stark / Riedel 2013) scheinen dies zu bestätigen: Während der accord mit être relativ stabil ist, schwankt er mit avoir . Denkbar wäre, dass sich die willkürliche Regelung ( top-down ) zumindest in informellen Registern nie wirklich durchsetzen konnte. 97 Während split infinitives im Standardenglischen heute wieder (oder noch) anzutreffen sind, ist die doppelte Verneinung verschwunden. In Dialekten des Englischen sind bis heute beide Phänomene erhalten. 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 73 tel 2.3.3.2) behandelt - sprechen ebenfalls dafür, dass die Intensität des Kontakts mindestens Stufe (2) entsprach. An dieser Stelle sei bereits angemerkt, dass italienische Lehnwörter zahlenmäßig den bedeutendsten fremdsprachlichen Beitrag zum französischen Lexikon im 16. Jahrhundert darstellen, dass nicht nur Substantive (z.B. fr. arcade < it. arcata ), sondern auch Verben (z.B. fr. réussir < it. riuscire ) und adverbial gebrauchte Präpositionalphrasen (fr. à l’improviste < it. all’improvista ) entlehnt wurden und dass einige dieser Wörter heute sogar zum französischen Kernwortschatz gehören (fr. réussir < it. riuscire , fr. manquer < it. mancare ). Ausschließlich um Fachwortschatz, der im Zuge des intensiven Ausbaus der französischen Volkssprache im 16. Jahrhundert vermehrt entlehnt wurde ( cultural borrowings ), handelt es sich dabei also nicht (vgl. Kapitel 2.2.3 und 2.3.4). Wie die Bespiele zeigen, war für viele Entlehnungen (z.B. fr. manquer < it. mancare neben fr. faire défaut , défaillir ) keine Bezeichnungsnotwendigkeit verantwortlich ( core borrowings ) 98 . Die folgende Übersicht fasst die Ergebnisse aus den vorhergehenden Kapiteln zusammen. Lexik Lautung / Graphie Wortbildung (Morpho)Syntax Subst. > andere > Grundwortschatz artichaut manquer Revit. [sC-] stuc {-ade} accord mit avoir arcade réussir Revit. [-st-] baster {-issime} ( si passivante ? ) balcon burler < CC > allègre {-esque} dispost important Reitalianisierung escadron > scadron Revit. {-esse} (subst. Inf.? ) Abb. 1: Übersicht zum italienischen Einfluss auf verschiedenen sprachlichen Ebenen 98 Anders als Myers-Scotton (2002) (vgl. Kapitel 2.2.3) unterscheiden Thomason / Kaufman (1988) nicht zwischen core borrowings und cultural borrowings , sondern zwischen basic vocbulary und nonbasic vocabulary . Während letzteres (z. B. Substantive in Fachsprachen) schon bei schwachem Kontakt entlehnt wird, kommt es zur Übernahme von ersterem (Grundwortschatz) nur bei intensiverem Kontakt. Wie schon Haspelmath (2003) feststellt, lassen Thomason / Kaufman (1988) allerdings offen, was genau sie unter basic vocabulary verstehen. Aus den von den Autoren besprochenen Beispielen lässt sich ableiten, dass damit wohl insbesondere - aber nicht nur - Funktionswörter (z. B. Präpositionen) gemeint sind. Ausschlaggebend für die Unterscheidung scheint in jedem Fall v. a. die Wortart (und die Frequenz) zu sein, weniger die Frage, ob bereits eine eigensprachliche Bezeichnung existiert. Dennoch sind Parallelen zwischen den zwei Begriffspaaren zu erkennen (vgl. auch Winter-Froemel 2011: 295-319): Während es sich bei nonbasic vocabulary oft um Sachentlehnungen zur Bezeichnung neuer Konzepte handelt, existieren für das äußerst frequente basic vocabulary gewissermaßen zwangsläufig bereits Bezeichnungen in einer Sprache. Die Übernahme von core borrowings lässt wie jene von basic vocabulary auf intensiven Kontakt und die Existenz zweisprachiger Sprecher schließen (vgl. auch Kapitel 3.3.2). 74 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts Was lässt sich daraus nun über die Art des Sprachkontakts ableiten? Wie weiter oben erläutert, legt die Beeinflussung sprachlicher Ebenen jenseits des Lexikons nahe, dass es zumindest innerhalb bestimmter Gruppen zu „oral bilingualism“ gekommen ist. Andererseits betonen Thomason / Kaufman (1988) aber auch, dass leichte strukturelle Veränderungen, d. h. jenseits des Lexikons und der Lautung, auch durch ausschließlich literarischen Kontakt mit einem Kulturadstrat zustandekommen können (vgl. weiter oben Latein und Englisch split infinitives ). Was den accord des participe passé in zusammengesetzten Formen mit avoir anbelangt, handelt es sich gewiss um eine Regelung ‘von oben’, die keinem „oral bilingualism“ geschuldet ist. Auch die Zunahme von graphisch realisierter Doppelkonsonanz ließe sich am einfachsten auf den Kontakt mit geschriebenem / gedrucktem Italienisch zurückführen. Die Entlehnung von Derivationsaffixen, die Qualität der lexikalischen Übernahmen sowie insbesondere die Einflüsse auf die Lautung legen aber nahe, dass das Italienische und Französische auch in der Mündlichkeit miteinander in Berührung gekommen sind und dass es zweisprachige Sprecher gegeben hat. Wie Thomason / Kaufman (1988: 37, 66-67, 78) zeigen, können trotz des unmittelbaren Kontakts und der Übernahme von Lehnwörtern Einflüsse auf die Lautung ausbleiben, wenn die entlehnenden Sprecher nicht zweisprachig sind: Britische Kolonisten in Indien etwa haben zahlreiche einheimische Wörter übernommen, ohne dass dies zu strukturellen Veränderungen (neue Laute, Silbenstruktur, Morphologie) geführt hätte. Sie alle sind gut ins Englische integriert. Wenn man also davon ausgeht, dass der Einfluss des Italienischen auf das Französische im 16. Jahrhundert nicht nur durch die Verbreitung italienischer Literatur in Frankreich bedingt war, sondern dass auch Sprecher miteinander in Kontakt kamen und es auch zweisprachige Sprecher gab, stellt sich die Frage, welche Sprechergruppe - Italiener oder Franzosen - nun maßgeblich an der Beeinflussung des Französischen beteiligt war. Dass sich einerseits Franzosen in Italien (Italienfeldzüge, Italienreise) und andererseits auch Italiener in Frankreich (Immigranten, Handwerker, Künstler, Soldaten) aufhielten, wurde in Kapitel 2.1 ausführlich dargelegt. Die für die Ermittlung der Intensität zugrunde gelegte Skala von Thomason / Kaufman (1988) gilt jedoch nur im Hinblick auf borrowing , das die Autoren als Übernahme von fremdsprachlichem Material in die Muttersprache definieren. Letztere bleibt erhalten und geht nicht unter. Sie erfährt durch den Kontakt lediglich mehr oder weniger starke Veränderungen. Aus den bisher besprochenen Daten lässt sich daher zunächst nur Folgendes ableiten: Im 16. Jahrhundert müssen Franzosen mit gesprochenem Italienisch in Berührung gekommen sein. Zudem muss ein gewisser Teil der französischen Bevölkerung das Italienische mehr oder weniger gut beherrscht und auch in der Mündlichkeit verwendet haben. Dass das Italienische in der 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 75 Tat als die wichtigste Fremdsprache im Frankreich der Renaissance betrachtet werden muss, wurde in Kapitel 2.2.2 erläutert; ebenso, dass es auch in der internationalen Diplomatie von Bedeutung war. Zu Kommunikationssituationen, die für die Franzosen den Gebrauch des Italienischen erforderlich machten, kann es nicht nur während eines Aufenthalts in Italien, sondern aufgrund der Präsenz zahlreicher italienischer Immigranten auch in Frankreich selbst gekommen sein. Welche Rolle die Einwanderer als Sprecher des Französischen bei der Beeinflussung desselben spielten, ist anhand der Skala nicht ersichtlich. Für die Beurteilung des Einflusses auf eine Sprache durch eine Sprechergemeinschaft, die diese Sprache neu erlernt, müssen laut Thomason / Kaufman (1988: 38-41, 47, 68-69) weitere Faktoren berücksichtigt werden. Auch die Qualität der Beeinflussung unterscheidet sich von klassischem borrowing . Wenn eine Sprechergruppe - bereits ansässige Minderheiten oder Migranten - eine neue Sprache erlernt, sind im Normalfall zunächst Einflüsse auf struktureller Ebene (Lautung, Morphologie, Morphosyntax), nicht aber im Wortschatz zu erwarten. Diese Einflüsse erklären sich durch den möglicherweise unvollständigen Erwerb der neuen Sprache (Lernervarietät). Da es sich um Interferenzen mit der Muttersprache handelt, sprechen Thomason / Kaufman (1988) in solchen Fällen von interference through shift , wobei shift den mehr oder weniger schnellen ‘Sprachwechsel’ meint. Ob und ggf. in welchem Ausmaß diese Veränderungen tatsächlich in das System der erlernten Sprache, d. h. durch die Muttersprachler, übernommen werden, ist von verschiedenen Faktoren abhängig: Wenn die Gruppe der Lerner derjenigen der Muttersprachler zahlenmäßig weit unterlegen ist, setzt sich die Lernervarietät selten durch. Sie existiert vorübergehend, ohne Spuren zu hinterlassen. Die neue Sprache wird allmählich nach dem Modell der Mehrheit erlernt. Zudem sind strukturelle Einflüsse nur dann zu erwarten, wenn die neue Sprache tatsächlich schnell und unvollständig erlernt wird (Grundlage für Kreolisierung). Wenn über längere Zeit Zweisprachigkeit herrscht, die Lerner also die neue Sprache vollständig erlernen können, sind Einflüsse ebenfalls unwahrscheinlich. Die neue Sprache ersetzt allmählich die ursprüngliche Muttersprache der Lerner. Wie ist die Rolle der italienischen Immigranten im Frankreich des 16. Jahrhunderts vor diesem Hintergrund zu bewerten? Obschon noch keine konkreten Zahlen genannt wurden, kann an dieser Stelle schon vorweggenommen werden, dass die Italiener mit Gewissheit eine Minderheit darstellten. Dass sie das Französische abrupt erlernten und das Italienische aufgaben, war - dies sei ebenfalls vorausgeschickt - auch nicht der Fall. Ein Blick auf den sprachlichen Einfluss auf das Französische zeigt, dass insbesondere das Lexikon betroffen ist. Abgesehen von den Einflüssen auf die Lautung spricht das bisher Gesagte also eher für borrowing und nicht für interference through shift . Nun aber spielen - 76 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts wie bei borrowing - weitere Faktoren eine Rolle. Wie dem folgenden Passus zu entnehmen ist, können Lerner, auch wenn diese gesamtgesellschaftlich gesehen eine Minderheit sind und nicht abrupt zur neuen Sprache wechseln, für die sprachliche Beeinflussung der neu erlernten Sprache mitverantwortlich sein. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie aufgrund einer privilegierten Stellung in der Gesellschaft ein hohes Ansehen haben und ihre Sprache in der Folge ein großes Prestige genießt. In solchen Fällen wird traditionell von Superstrat gesprochen. Meist handelt es sich dabei um die Sprache von Invasoren. Interessanterweise sind dann auch vermehrt lexikalische Übernahmen zu beobachten, während strukturelle Einflüsse weiterhin eher unbedeutend bleiben können. As we pointed out in chapter 3, interference through shift need not include lexical transfer. But sometimes it does, especially when the shifting population is not subordinate to the target-language speaker group. The extensive lexical influence of French to English partly as a result of the shift by superstrate French speakers to English is the most famous case, but there are others, too, […]. In cases like these, lexical and even structural borrowing may have been going on before and during the process of shift: that is, English speakers were probably borrowing from French while French speakers were shifting to English. (Thomason / Kaufman 1988: 68-69) Wie Thomason / Kaufman (1988: 123-126, 306-315) am Beispiel des englischfranzösischen Kontaktverhältnisses im Mittelalter zeigen, manifestieren sich die Folgen der Zweisprachigkeit der französischen Eroberer, d. h. der Lerner, in der Tat insbesondere - aber natürlich nicht nur; man denke nur an die Einflüsse auf die Lautung - im Wortschatz des Englischen. Gewiss lässt sich nicht ausschließen, dass Sprecher des Englischen auch aus der Sprache der Invasoren, die ja präsent war, entlehnten. Dennoch zeigen die Ergebnisse von Thomason / Kaufman (1988), dass Migranten grundsätzlich an der lexikalischen Bereicherung der Sprache des neuen Heimatlandes beteiligt sein können. Das italienisch-französische Kontaktverhältnis weist einige Parallelen auf. Gewiss war die Zahl der Einwanderer im Vergleich zur Gesamtbevölkerung geringer als die der Normannen in England, die ihrerseits schon als Minderheit betrachtet werden können. Auch dauerte der Kontakt weniger lange. Insgesamt fällt auch der sprachliche Einfluss deutlich geringer aus. Dennoch ist die Situation im rinascimentalen Frankreich in ganz bestimmten Bereichen mit der im mittelalterlichen England vergleichbar. Betrachtet man nur den französischen Hof und die sog. colonie italienne in Lyon, ist der Anteil der Italiener an der jeweiligen Sprachgemeinschaft beträchtlich. Das Prestige des Italienischen in Frankreich steht dem des Französischen in England in nichts nach. Gleiches gilt für die Sprecher. Sowohl in England als auch in Frankreich gehören diese vorwiegend - aber nicht nur - der Oberschicht an. Zudem trägt vermutlich auch 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 77 das internationale Prestige des Italienischen als Kultursprache zu seiner Vitalität im rinascimentalen Frankreich bei. Das Italienische als klassisches Superstrat zu bezeichnen, fällt schwer, assoziiert man mit dem Begriff doch immer auch militärische Eroberung. Für die Präsenz des Französischen in England trifft dies natürlich zu, für die besondere Stellung des Italienischen in Frankreich spielt dies aber nicht wirklich eine Rolle. Andererseits trägt die Bezeichnung Kulturadstrat der besonderen Bedeutung des Italienischen in Frankreich nicht hinreichend Rechnung, da dadurch v. a. die Rolle des Italienischen als Kultursprache im rinascimentalen Europa in den Vordergrund rückt. Die Präsenz der italienischen Elite bliebe unberücksichtigt. So kann z. B. auch der italienische Einfluss auf das Englische des 16. Jahrhunderts als Kulturadstrat betrachtet werden. Auch wenn das Italienische im frühneuzeitlichen Frankreich nicht als klassisches Superstrat gelten kann, lässt sich in jedem Fall festhalten, dass sowohl die soziohistorischen Voraussetzungen (Prestige des Italienischen und seiner Sprecher) als auch die sprachlichen Daten (v. a. Einflüsse auf die Lautung und den Wortschatz) keinesfalls ausschließen, dass die Beeinflussung des rinascimentalen Französisch z.T. auch den italienischen Immigranten geschuldet sein kann. Diese können durch ihre Präsenz und die Verwendung ihrer Muttersprache borrowing von Seiten der Franzosen gefördert und andererseits auch selbst durch Interferenzen in ihrem Französisch zur Beeinflussung desselben beigetragen haben. 2.3.3 Lexikalische Italianismen 2.3.3.1 Referenzwerke zum italienischen Lehngut Den Einflüssen auf das Lexikon hat sich die Forschung bisher am intensivsten gewidmet. Neben kleineren Beiträgen (z. B. Saya 1905, Klemperer 1926, Adami 1935, Vidos 1931, 1965a, Bray 1997 und Margarito 2008) existieren auch umfangreiche Studien und Überblicksdarstellungen zum italienischen Lehngut im Französischen, wie Kandler (1944), Kohlmann (1901), Sarauw (1920) und Wind (1928), wobei sich die beiden letzteren v. a. dem 16. Jahrhundert widmen. Zudem wurden Arbeiten vorgelegt, die sich mit bestimmten Denotatsbereichen (Fachwortschätzen) beschäftigen: z. B. Deschermeier (1923) zur Heeresterminologie, Vidos (1939) und FENNIS (1995) zu den parole marinaresche 99 , Rommel (1954) 99 Der dreibändige Trésor du langage des galères von Fennis (= FENNIS 1995) widmet sich zwar nicht ausschließlich italienischem Lehngut, leistet aber einen wichtigen Beitrag zur Dokumentation von Italianismen aus dem Bereich der Seefahrt. 78 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts zur Terminologie des Gartenbaus 100 , Vollenweider (1963a, b) zu Lehnwörtern aus dem Bereich der Kochkunst. Das bis heute umfangreichste Referenzwerk zu Italianismen im Französischen (und Gallizismen im Italienischen) stellt Hope (1971) dar, der in seinem zweibändigen Werk die komplizierten Lehnbeziehungen zwischen dem Französischen und Italienischen vom Mittelalter bis 1900 behandelt. Während die Kapitel - das Werk ist nach Jahrhunderten gegliedert - zum lexikalischen Einfluss des Französischen auf das Italienische heute z.T. als überholt gelten und zusammen mit Lorenzetti (1998) und Schweickard (2009) konsultiert werden müssen, sind jene zum italienischen Lehngut im Französischen des 16. und 17. Jahrhunderts bis heute kaum durch andere Arbeiten zu ersetzen 101 . In Kapitel 2.2.3 wurde bereits angemerkt, dass der DIFIT bzw. der OIM lediglich für die Italianismen des 18. und 19. Jahrhunderts wesentliche Neuerungen bringt. Problematisch ist v. a., dass sich der DIFIT mit einer Auflistung der Lehnwörter begnügt, ohne Textstellen für die Erstbelege zu nennen oder den historischen Hintergrund für den Sprachkontakt zu erläutern. Bis heute ebenfalls unersetzlich sind daher die z.T. sehr umfangreichen Schlussbemerkungen nach jedem Kapitel, in denen Hope (1971) die Qualität (z. B. Denotatsbereiche) und Quantität des Lehnguts in einem bestimmten Jahrhundert und die jeweils wichtigsten Übernahmemilieus bespricht 102 . Nach Hope (1971) sind keine vergleichbaren Überblicksdarstellungen zum lexikalischen Einfluss des Italienischen auf das Französische mehr vorgelegt worden. Die neueren - meist kürzeren - Beiträge widmen sich ausschließlich italienischem Lehngut in ausgewählten Fachwortschätzen: z. B. Deriu (2007) zu Italianismen im Bereich der Reitkunst, Trotter (2011), Wilhelm (2013) und Rainer (2014) zu Italianismen des Handels im weitesten Sinne. Dass heute nach über 45 Jahren auch die Kapitel zu italienischen Lehnwörtern im Französischen des 16. und 17. Jahrhunderts in Hope (1971) gewisser Korrekturen bedürfen, versteht sich von selbst. Wie der DIFIT , TLF i, TLF -Étym 100 Strenggenommen beschäftigt sich Rommel (1954) nicht in erster Linie mit Italianismen, sondern mit der Terminologie des frühneuzeitlichen Gartenbaus im Allgemeinen. Allerdings zeigen seine Ergebnisse, dass es auch in diesem Bereich zu zahlreichen lexikalischen Übernahmen aus dem Italienischen kam. 101 Dass die Kapitel zu Gallizismen im Italienischen lückenhafter sind als jene zu Italianismen im Französischen, hat bereits Pfister (1975) in seiner Rezension zu Hope festgestellt. 102 Vgl. etwa die Anmerkungen zum italienischen Lehngut im Französischen des 16. Jahrhunderts in Hope (1971: 228-248). 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 79 sowie die o. g. Detailstudien zeigen, müssen neuentdeckte Lehnwörter hinzugefügt, Erstbelege vordatiert 103 und Etymologien korrigiert 104 werden. Neben solchen durch den damaligen Forschungsstand bedingten Schwächen sind aber auch Probleme zu konstatieren, die schon 1971 vermeidbar gewesen wären. Da an dieser Stelle den zahlreichen Rezensionen zu Hope (1971) 105 keine weitere hinzugefügt werden soll, wird im Folgenden nur kurz auf diejenigen dieser Probleme aufmerksam gemacht, die in der vorliegenden Arbeit noch an verschiedenen Stellen thematisiert werden. Schon Pfister (1975) kritisiert, dass Hope (1971) das FEW nicht systematisch ausgewertet und Arbeiten wie Sarauw (1920) nicht berücksichtigt hat und dass daher einige bereits seit Jahrzehnten dokumentierte Italianismen fehlen. Problematisch ist m. E. ferner, dass Hope (1971) auch Wind (1928), auf die er sich im Kapitel zum 16. Jahrhundert stützt, nicht vollständig rezipiert zu haben scheint. In Hope (1971) fehlen u.a. fr. caquesangue < it. cacasangue , fr. manche ‘pourboire’ < it. mancia , fr. tavaïolle < it. tovagliola , die bereits in Wind (1928: 17, 123, 154) als Italianismen des 16. Jahrhunderts ausgewiesen werden. Heute sind sie aber im TLF i (s.v. caquesangue , manche 2, tavaïolle ) zu finden. Anders verhält es sich mit einigen exotischen Italianismen aus den Deux Dialogues (1578) von Estienne. Obwohl schon Wind (1928: 177, 182) zeigen kann, dass inganner < it. ingannare und spurque < it. sporco auch mindestens einmal außerhalb von Estiennes Pamphlet im 16. Jahrhundert belegt sind, erhalten sie keinen Eintrag in Hope (1971). Während spurque gänzlich unberücksichtigt bleibt, wird inganner sogar als Hapax ausgewiesen. In den TLF i wurden sie - da es sich um ephemere Italianismen des 16. Jahrhunderts handelt - nicht aufgenommen. Sie sind aber im OIM zu finden. Schließlich wurde auch die umfangreiche Studie von Kandler (1944) nicht rezipiert, wobei allerdings anzumerken ist, dass dieses Werk selbst in der deutschsprachigen Romanistik nicht wirklich Berücksichtigung gefunden hat. Meines Wissens ist es - möglicherweise aufgrund der Kriegswirren - auch nie in gedruckter Form verlegt worden 106 . Italianismen wie fr. agent < it. agente , liste < it. lista und fr. salve < it. salva werden bei Kandler (1944: 51, 18, 124-125) bereits erwähnt. Sie alle fehlen in Hope (1971). Auch einige der Korrekturen, die Hope (1971: 149, Fn. 1) in Bezug auf Wind (1928) vornimmt (Vordatierung auf das 16. Jahrhundert oder 103 Sampson (2004: 327-328, Fn. 3) verweist z. B. auf den kleineren Beitrag von Smith (1994), der einige - allerdings wenige - neue Erstbelege für lexikalische Italianismen in Texten von Ronsard bespricht. 104 Auf den Umstand, dass die von Hope (1971) vorgeschlagenen Etymologien für gewisse Lexeme aus der Marineterminologie fragwürdig sind und diesbezüglich ergänzend auch FENNIS (1995) konsultiert werden sollte, weist schon Trotter (2006: 1777) hin. 105 Vgl. z. B. die Rezensionen von Corbett (1973), Muljačić (1973), Fleischman (1975) und Pfister (1975). 106 Ich danke der Universitätsbibliothek Jena für die Bereitstellung des Manuskripts. 80 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts aber Ergänzungen, wie z. B. académie , retirade ), sind schon von Kandler (1944: 200, 115) unternommen worden. Problematisch daran, dass Hope (1971) die soeben genannten Werke nicht oder nur unzureichend berücksichtigt hat, ist, dass sich manche philologische Einzelstudien zu Texten des 16. Jahrhunderts, z. B. Arbeiten zu Henri Estiennes Deux Dialogues , an Hope (1971) orientierten und in der Folge gewisse Italianismen zu Unrecht als Hapax-Belege betrachteten, da sie in Hope (1971) fehlen. In der vorliegenden Arbeit wird daher in Zweifelsfällen immer auch auf Wind (1928), Kandler (1944) und die einschlägigen Wörterbücher ( FEW , TLF i, TLF -Étym) zurückgegriffen. 2.3.3.2 Quantität und Qualität - ein Vergleich mit Hispanismen und Okzitanismen In Kapitel 2.2.3 wurde dargelegt, dass das Französische des 16. Jahrhunderts deutlich mehr lexikalische Italianismen aufgenommen hat als andere große europäische Nationalsprachen wie etwa das Deutsche oder Englische. Der Kontakt des Italienischen mit dem Französischen war offenbar intensiver als mit anderen Sprachen. Im Folgenden soll nun aus französischer Perspektive gezeigt werden, dass das Italienische sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht den bedeutendsten fremdsprachlichen Beitrag zum französischen Lexikon im 16. Jahrhundert leistete. Alle Arbeiten zur Schichtung des französischen Wortschatzes (z. B. Guiraud 1971, Chaurand 1977, Messner 1977, Stefenelli 1981, Walter 1997, Wise 1997, Bertrand 2008) sowie Überblicksdarstellungen in einschlägigen Handbüchern (z. B. Holtus 1990 und Gleßgen 2009) betonen die besondere Rolle des italienischen Lehnguts und weisen das 16. Jahrhundert als Hauptphase der Entlehnung aus 107 . Konkrete Zahlen, die einen quantitativen Vergleich zwischen Anglizismen, Italianismen, Hispanismen und Okzitanismen des 16. Jahrhunderts - oder anderer Jahrhunderte - erlauben, liefern aber nur Guiraud (1971) und Gebhardt (1974) in seiner Studie zum okzitanischen Lehngut im Französischen. Die Zahlen von Gebhardt werden auch von Stefenelli (1981) aufgegriffen und stellen neben jenen Guirauds meines Wissens bis heute die einzige vollständige nach Jahrhunderten untergliederte Auszählung dar 108 . 107 Erstaunlich ist, dass der Einfluss des Italienischen gerade in Matoré (1988), der sich ausschließlich dem französischen Wortschatz des 16. Jahrhunderts widmet, keine besondere Berücksichtigung erfährt. 108 In Wolf (1991) sowie im DMOE werden die Lehnwörter nicht nach Jahrhunderten gegliedert. Einschlägige Beiträge zur französischen Sprachgeschichte, so z. B. Schmitt (2003), verweisen im Zusammenhang mit fremdsprachlichen Einflüssen auf das französische Lexikon ebenfalls noch auf Guiraud (1971) und Gebhardt (1974). 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 81 Jh. Engl. It. Okz. Sp. Dt. Ndl. Gesamt 12. Jh. 12 10 29 2 8 13 74 13. Jh. 5 29 30 2 13 19 98 14. Jh. 9 60 62 14 12 31 188 15. Jh. 5 97 52 14 7 22 197 16. Jh. 16 369 154 96 20 26 681 17. Jh. 62 194 90 97 28 38 509 18. Jh. 123 122 87 57 48 24 461 19. Jh. 444 151 125 88 84 14 906 20. Jh. 578 45 46 52 89 3 813 Gesamt 1254 1077 675 422 309 190 (3927) Tab. 2: Im Nfr. fortlebende Lehnwörter nach Gebhardt (1974: 274, 293) und Stefenelli (1981: 164) Wie aus der Übersicht hervorgeht, sind über 50 % aller bis heute fortlebenden Lehnwörter aus dem 16. Jahrhundert in der Tat italienischer Herkunft. Auch im 15. und 17. Jahrhundert erweist sich das Italienische als wichtigste Gebersprache. Dass das Englische kaum von Bedeutung war, verwundert angesichts seines geringen Prestiges im rinascimentalen Europa nicht (vgl. Kapitel 2.2.2). Bemerkenswert sind aber die Unterschiede zum Okzitanischen und Spanischen. Keine der beiden benachbarten romanischen Sprachen hatte einen vergleichbar nachhaltigen Einfluss auf das Französische. Die in Kapitel 2.2.3 konstatierte besondere Intensität des Sprachkontakts wird also auch aus französischer Perspektive bestätigt. Problematisch an den o. g. Zahlen ist, dass nur bis heute fortlebende Lehnwörter auf der Basis des Grand Robert berücksichtigt werden konnten. Zwar lassen die Zahlen erahnen, dass der Einfluss des Italienischen im 16. Jahrhundert stärker als derjenige anderer Sprachen war, aus einer streng synchronen Perspektive aber müssten auch ephemere Lehnwörter (oder Entlehnungen) oder solche, die nur bis zum 17. Jahrhundert in Gebrauch waren, erfasst werden. Wie der Vergleich mit den Zahlen Hopes (1971) und des DIFIT , die beide auch untergegangene Italianismen behandeln, zeigt, können die Unterschiede beträchtlich sein: ex post 369 bei Gebhardt (1974) vs. 462 bei Hope (1971) und 497 im DIFIT (2008). Ähnliche Unterschiede könnten für die Hispanismen und Okzitanismen zu erwarten sein. Ohne die Kenntnis solcher Lehnwörter lässt sich die wirkliche Intensität eines Sprachkontakts zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht bestim- 82 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts men. Bis heute ist noch keine umfassende Auswertung des FEW erfolgt, um die verschiedenen fremdsprachlichen Einflüsse quantitativ - nach Jahrhunderten geordnet - in ihrer Gesamtheit zu vergleichen. Auf die verfügbaren Einzelstudien wie z. B. Hope (1971) und Gebhardt (1974) zurückzugreifen, bietet sich zwar an, wirft aber auch Probleme auf. Zunächst müsste sichergestellt sein, dass die Arbeiten - wie Gebhardt (1974) auf Basis des Grand Robert - dasselbe Wörterbuch auswerten. Nur so wären die Zahlen wirklich vergleichbar. Nur vorübergehend belegte Lehnwörter werden aber letztlich nur im FEW hinreichend berücksichtigt. Während das okzitanische Lehngut von Gebhardt (1974) auf der Basis des FEW ermittelt wurde, ist dies, wie weiter oben bereits festgestellt, im Hinblick auf die Italianismen noch nicht geleistet worden (weder von Hope 1971 noch vom DIFIT / OIM ). Allerdings sind auch die Zahlen Gebhardts, der für das 16. Jahrhundert von insgesamt 671 Okzitanismen (365, die bis heute, u. a. in Dialekten, fortleben, und 306, die nur vorübergehend nachweisbar sind) ausgeht, kritisch zu betrachten. Selbst wenn seine Studie, wie Trotter (2006: 1781) feststellt, bis heute als die wichtigste und umfangreichste Arbeit zum okzitanischen Lehngut im Französischen betrachtet werden muss, sind einige seiner Etymologien nach dem heutigen Stand der Forschung eher unwahrscheinlich: So müsste fr. fougade mit dem TLF i (s.v. fougasse ) wohl als Italianismus betrachtet werden. Schon Stefenelli (1981: 197, Fn. 48) weist darauf hin, dass Gebhardt viele Zweifelsfälle - möglicherweise zu Unrecht - als Okzitanismen ausweist. Kritisch zu bewerten ist m. E. auch der Umstand, dass es sich bei einigen der nur vorübergehend belegten Okzitanismen in Wirklichkeit um Hapax-Belege handelt (vgl. die Tabellen in Gebhardt 1974: 413-434), so dass man nicht wirklich von 671 Lehnwörtern aus dem Okzitanischen sprechen kann. Was die Beschreibung der Hispanismen im Französischen angeht, ist die Lage noch prekärer. Umfassende Untersuchungen wie Schmidt (1914) oder Ruppert (1915) konnten das FEW natürlich noch nicht berücksichtigen. Einige ihrer Etymologien müssen heute stark angezweifelt werden: So seien z.B. fr. balustrade , bardache , bizarre , bravade usw. Hispanismen, die laut TLF i (s.v. balustrade , bardache , bizarre, bravade ) aber alle eher als Italianismen betrachtet werden müssen. Für das 16. Jahrhundert ermittelt Schmidt (1914: 196) nur 96 Hispanismen, Ruppert (1915: 310) für das 16. und 17. Jahrhundert zusammen ca. 350 bzw. 250, da die Zeit der Aufnahme nicht immer zweifelsfrei festzustellen sei. Die Arbeit von Cioranescu (1987), die wohl als umfassendste Studie zu den frühneuzeitlichen Hispanismen im Französischen betrachtet werden kann 109 , weist 109 Ansonsten sind ausschließlich kleinere Beiträge vorgelegt worden, wie Marre (1910), Brault (1961) und Kidman (1969) zu den Hispanismen vor 1500, Herbillon (1961) und 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 83 ebenfalls recht zweifelhafte Etymologien auf: fr. artichaut , bocal und embuscade werden als Hispanismen ausgewiesen. Problematisch ist v. a., dass Zweifelsfälle zwar besprochen, aber dennoch einfach zu den Hispanismen gezählt werden (vgl. z.B. fr. bastonnade , das laut TLF i sowohl aus dem Italienischen als auch aus dem Spanischen stammen könnte). Auch ist nicht ersichtlich, wie viele der 1456 (+ 9 Addenda) Lehnwörter und Lehnbedeutungen auf das 16. Jahrhundert zurückgehen. Die Arbeit behandelt - in alphabetischer Reihenfolge, nicht chronologisch - Hispanismen, die zwischen 1500 und 1732 zum ersten Mal im Französischen belegt sind. Wie aus dem bisher Gesagten deutlich geworden ist, kann noch kein Vergleich zwischen dem italienischen, okzitanischen und spanischen Einfluss auf den französischen Wortschatz im 16. Jahrhundert unter Berücksichtigung der vorübergehend belegten Entlehnungen angestellt werden. Dass auch das Spanische keine gänzlich unbedeutende Rolle gespielt haben könnte, legen die Ergebnisse von Cioranescu (1987) nahe. Im Hinblick auf die Okzitanismen, die als einzige Gruppe bereits auf Basis des FEW ermittelt wurden, müssen die Ergebnisse Gebhardts (1974) kritisch hinterfragt werden. Die Zahl der Italianismen des 16. Jahrhunderts beläuft sich mindestens auf 497 ( DIFIT ). Wie aber an mehreren Stellen schon angedeutet wurde, muss diese leicht nach oben korrigiert werden (vgl. Kapitel 2.3.3.1). Auch wenn vergleichende Detailstudien bis heute ausstehen, geht die Forschung im Allgemeinen aber davon aus, dass unter den romanischen Sprachen das Italienische den bedeutendsten fremdsprachlichen Beitrag zum französischen Wortschatz geleistet hat (vgl. etwa Gleßgen 2009: 2954). Da soeben von absoluten Zahlen die Rede war, soll an dieser Stelle noch eines festgehalten werden: Wie der OIM [497], Hope (1971) [462] und Wind (1928) [ca. 540] zeigen, sind bisher - die ohnehin wenigen Hapax-Belege in den Deux Dialogues (1578) ausgenommen - etwa 500 Erstbelege für lexikalische Italianismen im Französischen des 16. Jahrhunderts dokumentiert. Gewiss müssen so manche Lehnwörter, die in Detailstudien zu Fachwortschätzen (z. B. Deriu 2007) ermittelt worden sind, addiert werden. Dennoch sollte man sich zumindest vorläufig an der Zahl 500 orientieren 110 . In Arbeiten, die sich mehr oder weniger intensiv Höfler (1966) zum spanischen Lehngut im Französischen der spanischen Niederlande und Haensch (1977) zu spanischen Elementen im französischen Argot. Um ein etabliertes Referenzwerk handelt es sich bei Cioranescu (1987) dennoch nicht. Bezeichnend ist, dass es in den einschlägigen Artikeln des LRL und HSK 23 nicht einmal genannt wird: Der Titel fehlt in Bouvier (1998), Ferrero Campos (1998), Schmitt (2003), Trotter (2006) und Gleßgen (2009). 110 Auch Wolf (1991: 104) geht von ca. 500 Italianismen im Französischen des 16. Jahrhunderts aus. 84 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts dem Einfluss des Italienischen auf das Französische des 16. Jahrhunderts widmen, finden sich bis heute Zahlen, die angesichts des Forschungsstands jeglicher Rechtfertigung entbehren: 2000 nach Fragonard / Kotler (1994: 54), die sich angeblich auf Wind (1928) beziehen; ebenfalls 2000 nach Huchon (2002: 145), die keine Quelle nennt; 320 nach Michel (2005: 108-109), der Guiraud (1971) zitiert; 8000 nach Minerva (2013: 21, Fn. 3), die diese in Wind (1928), Hope (1971) und Serianni (2008) gefunden haben will, 250-300 nach Walter (1988: 96), die sich noch auf Brunot HLF II (1906) beruft. Im Hinblick auf die Qualität des italienischen Lehnguts lassen sich ebenfalls Besonderheiten feststellen. Wie in den vorgehenden Kapiteln bereits erwähnt wurde, beschränkt sich der Einfluss nicht nur auf Substantive zur Bezeichnung neuer Konzepte (sog. cultural borrowings ). Solche werden schon bei schwachem Kontakt übernommen, ohne dass überhaupt Zweisprachigkeit angenommen werden muss. Unter den rinascimentalen Italianismen finden sich abstrakte Nomina (fr. caprice < it. capriccio , fr. intrigue < it. intrigo ), Adjektive (fr. brusque < it. brusco , fr. désastreux < it. disastroso ), Verben (fr. passéger < it. passeggiare , fr. réussir < it. riuscire ), Interjektionen (fr. Baste < it. Basta ) 111 sowie adverbial gebrauchte Präpositionalphrasen (fr. à l’improviste < it. all’improvvista ). Gewiss wurden keine Funktionswörter, etwa Präpositionen oder Pronomina, entlehnt, was laut Thomason / Kaufman (1988) für einen besonders intensiven Kontakt sprechen würde. Allerdings zeigen die Beispiele, dass sich der Einfluss nicht auf Sachentlehnungen beschränkte. Im Vergleich zu den anderen fremdsprachlichen Einflüssen kann mit Stefenelli (1981: 196-201) festgestellt werden, dass das italienische Lehngut, insbesondere auch jenes, das im 16. Jahrhundert aufgenommen wurde, den „(vom fränkischen Superstrat abgesehen) überhaupt bedeutendsten Beitrag“ zum französischen Kernwortschatz ( français fondamental nach Gougenheim u.a. 1964) leistet: z.B. fr. crédit < it. credito , fr. numéro < it. numero , fr. risque < it. rischio (evtl. auch risquer ), fr . important , importance , importer < it. importante , importanza , importare (14.-16. Jahrhundert), fr. soldat < it. soldato , fr. appartement < it. appartamento , fr. plan < it. pianta , fr. artisan < it. artigiano (nordit. [z]), fr. manquer < it. mancare , fr. réussir < it. riuscire 112 . Der Einfluss des Okzitanischen und Spanischen nimmt sich vergleichsweise gering aus. Durch letzteres werden überwiegend Exotismen aus der neuen Welt vermittelt (z.B. fr. chocolat < sp. chocolate , fr. tabac < sp. tabaco ), allein fr. camarade ‘Kameradschaft (milit.)’ < sp. camarada rückt sekundär in den Kernwortschatz ‘Kamerad, Zimmergenosse’ 111 Allerdings handelt es sich dabei um eine Wortart, die - ähnlich wie Substantive - im Allgemeinen schnell entlehnt wird (vgl. z. B. Riehl [2004] 2009: 83). 112 Wolf (1991: 182-186), der sich nicht auf Gougenheim u. a. (1964) stützt, kommt in seiner Auszählung zu ähnlichen Ergebnissen (vgl. Gleßgen 2009: 2950). 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 85 ein. Das Okzitanische bringt hingegen v. a. Wörter aus den Bereichen Schifffahrt (z.B. fr. écueil < okz. escuyell ) sowie zahlreiche Tier- und Pflanzenbezeichnungen. Für den Kernwortschatz relevant sind fr. escalier < okz. escalier sowie fr. auberge < okz. aubergo , wobei letzteres erst im 17. Jahrhundert wirklich geläufig wird. Dass auch die Zentrallexeme fr. camp ‘Feldlager’ und campagne ‘offenes Land’ aus dem Okzitanischen stammen, zweifelt bereits Stefenelli (1981: 199) an, der auch italienischen oder dialektalen Einfluss in Erwägung zieht 113 . Der TLF i (s.v. camp , campagne ) schließt für beide Lexeme eine Herkunft aus dem Okzitanischen zwar nicht aus, merkt aber auch an, dass es sich um dialektale Formen handeln könnte ([ka] normannisch oder pikardisch, vgl. Kapitel 2.3.3.3). Betrachtet man den Beitrag des Italienischen, Okzitanischen und Spanischen zum französischen Kernwortschatz genauer, fällt abgesehen von den quantitativen Unterschieden eine weitere Besonderheit auf: Sowohl der Hispanismus fr. camarade (milit.) als auch die Okzitanismen escalier (archit.) und auberge - möglicherweise auch camp (milit.) - haben sehr spezifische Bedeutungen und können als zu einem bestimmten Fachwortschatz gehörig bezeichnet werden. Teil des Kernwortschatzes werden sie erst später. Gleiches gilt für die Italianismen crédit und numéro , die über den Handel und das Bankwesen vermittelt wurden. Auch appartement , das zunächst als Fachterminus aus der Architektur ‘Wohntrakt eines Schlosses’ verstanden werden muss, rückt laut Stefenelli (1981) mit der Bedeutung ‘Wohnung’ erst sekundär in den Kernwortschatz ein. Für eine besondere Intensität des Sprachkontakts sprechen diese Wörter also nicht. Anfänglich gleicht ihr Schicksal dem anderer Lehnwörter in Fachwortschätzen (vgl. Kapitel 2.2.3). Auffällig sind aber z.B. fr. réussir und fr. manquer , zwei Verben, denen laut Stefenelli (1981) kein wirkliches „Übernahmemilieu“ zugeordnet werden kann. Eine Motivation für deren Aufnahme ins Französische lässt sich nicht ohne Weiteres finden: mfr. défaillir / faillir war vorhanden, ebenso mfr. avoir une ( bonne ) issue . Es wurde bereits vorgeschlagen, dass diese Lexeme möglicherweise über die italianisierte Sprache des Hofes vermittelt wurden (vgl. Wise 1997: 66). Schon Hope (1971: 242 und 242, Fn. 2) stellt im Hinblick auf fr. réussir und manquer fest: „[they] could only have entered the language as a result of intense interference in social circles which enjoyed high prestige“ und „The point is that manquer , réussir , etc. [ brusque , caprice , intrigue , T. S.] seem to have been borrowed and naturalized through spoken usage, and the bilinguals who introduced them had a sufficiently impressive linguistic status […]“. Genauere Studien stehen aber noch aus. Im Gegensatz zu sekundär in den Kernwortschatz eindringenden Italianismen sind diese Verben ein weiteres Indiz 113 Ähnliche Zweifel äußert Stefenelli (1981) auch im Hinblick auf paraître und pour que , für die Gebhardt (1974) okzitanischen Einfluss wahrscheinlich machen will. 86 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts dafür, dass der Sprachkontakt zwischen dem Französischen und Italienischen im 16. Jahrhundert intensiv gewesen sein und dass es auch zweisprachige Sprecher gegeben haben muss. Aus einer Bezeichnungsnotwendigkeit heraus wurden diese core borrowings offenbar nicht entlehnt. Abschließend festhalten lässt sich, dass die bereits in Kapitel 2.3.3 konstatierte besondere Intensität des italienischen Lehnguts im Französischen des 16. Jahrhunderts auch aus französischer Perspektive bestätigt wird. Aus keiner anderen Kontaktsprache wurde in diesem Zeitraum mehr entlehnt. Die Qualität der Lehnwörter zeigt, dass nicht nur Denotatsbereiche betroffen sind, in denen Italianismen auch in anderen europäischen Sprachen anzutreffen sind (Sachentlehnungen), sondern dass auch hochfrequenter, wenig spezifischer Wortschatz übernommen wurde. 2.3.3.3 Probleme bei der Bestimmung von Italianismen Dass sich die moderne etymologische Forschung von der vorwissenschaftlichen Etymologie der Frühen Neuzeit insbesondere durch die Kenntnis der sog. Lautgesetze unterscheidet, ist hinreichend bekannt 114 . Während z. B. Ménage fr. haricot noch auf lat. fava zurückzuführen versuchte, also lediglich die Semantik berücksichtigte, interessierte sich die Etymologie seit Begründung der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft vorwiegend für die lautliche Entwicklung der vermuteten Etyma. Erst durch die Kenntnis der Lautgesetze war die Forschung dazu in der Lage, Erbwörter von Lehnwörtern (oder gelehrten Bildungen) zu unterscheiden. Diese Differenzierung ist bis heute „grundlegend für die […] etymologische Forschung“ (Pfister 2003: 311). Auch wenn es heute also möglich ist, anhand ausdrucksseitiger Besonderheiten ein Lehnwort als solches zu erkennen, kann die Ermittlung dessen genauer Herkunft bisweilen Probleme bereiten. Was die Bestimmung von (rinascimentalen) Italianismen betrifft, ist - wie nicht zuletzt die zahlreichen Zweifelsfälle (z.B. fr. bravade , campagne usw.) im vorhergehenden Kapitel gezeigt haben - insbesondere die Abgrenzung gegenüber Hispanismen und Okzitanismen problematisch. Da eine solche Abgrenzung aber an zahlreichen Stellen der vorliegenden Arbeit äußerst relevant ist, soll im Folgenden kurz darauf eingegangen werden, wie sich Italianismen von Okzitanismen und Hispanismen unterscheiden lassen. Schon Gebhardt (1974) stellt in seiner Studie zum okzitanischen Lehngut im Französischen fest, dass lautliche Kriterien diesbezüglich in vielen Fällen unzureichend sind: 114 Zur Geschichte der romanistischen Etymologie vgl. z. B. Baldinger ([1959] 1977), Pfister (1980), (2003) und Ernst (2014), denen z.T. auch die Informationen in diesem Kapitel entnommen sind. 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 87 Bei allem Nutzen sind die phonetischen Kriterien angesichts der engen formalen Verwandtschaft der romanischen Sprachen untereinander im Einzelfall oft nur schwer praktikabel. Eine Lautentwicklung kann in den verschiedenen romanischen Sprachen unter verschiedenen Bedingungen zu verschiedenen Zeiten zum selben Ergebnis führen; dasselbe gilt für die verschiedenen Dialekte einer Sprache. Diese Umstände - möglicher gelehrter Einfluß mag hinzukommen - eröffnen so viele Alternativen, daß das Herkunftsland anhand phonetischer Kriterien allein kaum eindeutig bestimmt werden kann, obwohl in vielen Fällen nur das phonetische Argument ins Feld geführt wird. (Gebhardt 1974: 66) Dieses Problem lässt sich mit Gebhardt (1974: 63-64) u. a. am Beispiel der Lautfolge [ka] illustrieren. Im Französischen entwickelt sich [k] in dieser Stellung lautgesetzlich zu afr. [t∫] > mfr. [∫] (z. B. lat. cantare > fr. chanter ). Die Sequenz [ka] in französischen Wörtern deutet daher auf eine nicht erbwörtliche Entwicklung, also auf Lehnwörter hin. Woher diese aber nun stammen, lässt sich anhand dieses Kriteriums nicht zweifelsfrei klären. Die Sequenz kann nicht nur aus dem Italienischen (z.B. fr. cavale < it. cavalla ), sondern auch aus dem Spanischen (z.B. fr. camarade < sp. camarada ) sowie aus vielen okzitanischen Varietäten (z.B. fr. cadeau < okz. capdel ) stammen. Auch im äußersten Norden Frankreichs ( ligne Joret ) wird [k] in dieser Position nicht palatalisiert (z.B. fr. camembert ) 115 . Zudem können auch gelehrte Wörter (z.B. fr. candidat ) [ka] aufweisen. Ein etwas anderes Problem stellt die dialektale Variation im Italienischen dar. In Italianismen werde [(t)tʃ] laut Gebhardt (1974: 66) regelmäßig zu [ʃ] (z.B. it. pasticcio > fr. pastiche ). Nun aber heißt das nicht, dass Lehnwörter, in denen angesichts des vermuteten Etymons wider Erwarten [s] statt [ʃ] begegnet (z.B. fr. caprice < it. capriccio ), nicht italienischen Ursprungs sein können. In der Tat weisen zahlreiche Lehnwörter, deren italienische Herkunft heute als gesichert gilt, [s] statt [∫] - oder analog [z] statt [ʒ] - auf (z.B. fr. artisan < it. artigiano , fr. courtisan < it. cortegiano , noliser < it. noleggiare [aber: fr. voltiger < it. volteggiare ], fr. valise < it. valigia ). Die Forschung nimmt in diesen Fällen eine Vermittlung über norditalienische Varietäten an. Die italienischen Etyma wiesen also schon kein [(t)t∫] oder [(d)dʒ] auf (vgl. Hope 1971: 621-623). Auch im Zusammenhang mit {-ade} wurde darauf hingewiesen, dass [d] statt [t] nördlichen Formen geschuldet sein könnte. Wie der folgende Passus aus dem TLF i zeigt, wird die besondere Bedeutung norditalienischer Varietäten im französisch-italienischen Sprachkontakt des 16. Jahrhunderts heute 116 allgemein anerkannt: 115 Zur ligne Joret vgl. Carton (1990), Germain / Pierret (1990), Horiot (1990). 116 Bei Hope (1971) wird fr. chamade noch nicht als Italianismus behandelt. 88 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts 1570 chiamade «batterie de tambour, sonnerie de trompettes pour demander à parlementer» (Carloix, I, 36 ds GDF . Compl.); ca 1570 chamade ( MONLUC , Commentaires , L. V [ III , 21] ds HUG .); 1680 batre la chamade «capituler» ( RICH .); 2. battre la chamade [en parlant du cœur] «battre très fort» (O. FEUILLET , Scènes et comédies , p. 88). Empr. à l’ital. du nord ciamada ( FEW , t. 2, p. 730; DEI ; DAUZAT 73 ; v. ROHLFS , t. 1, § 179 et 201) part. passé fém. du verbe ciamà «appeler» ( DAUZAT 73 ); ciamada correspond. au toscan chiamata «appel» part. passé fém. de chiamare «appeler», du lat. clamare ( clamer *). L’hyp. d’un empr. au port. chamada «id.» ( DIEZ 5 , p. 542; REW 3 , n o 1961) est moins satisfaisante du point de vue hist., étant donné le grand nombre des termes milit. empruntés par le fr. à l’italien. […] ( TLF i s.v. chamade ) 117 Wie aus dem Abschnitt hervorgeht, sprechen sich die Autoren des TLF i auch deshalb für eine Herkunft aus dem Italienischen aus, weil im 16. Jahrhundert zahlreiche Begriffe aus der Heeresterminologie aus dem Italienischen entlehnt wurden. Auch Hope (1971: 630) und Gebhardt (1974: 67-68) betonen, dass in Zweifelsfällen, d. h. wenn lautliche Kriterien zur Bestimmung der Etymologie versagen, auch der „Begriffskreis“, dem ein Wort angehört, zu berücksichtigen ist, und berufen sich dazu auf Vidos ([1957] 1965b: 376), der in solchen Fällen von étymologie organique spricht: „un mot dont l’origine est inconnue peut avoir […] la même origine que les mots appartenant organiquement à la même catégorie idéologique, surtout si la date d’apparition du mot […] est […] identique à celles des autres mots de la même catégorie […]“ (zitiert nach Gebhardt 1974: 68, Fn. 30). Von Bedeutung ist schließlich auch die Chronologie, wobei es laut Gebhardt (1974: 69-71) zweierlei zu berücksichtigen gilt: (1) Obschon Erstbelege immer provisorischen Charakter haben, sind sie doch ein Indiz dafür, in welchem Zeitraum die entsprechenden Lehnwörter in das Französische aufgenommen wurden. Da der italienische und spanische Einfluss v. a. ab dem 16. Jahrhundert spürbar werde, seien Lehnwörter aus früheren Jahrhunderten im Zweifelsfall eher okzitanischen Ursprungs. Abgesehen davon, dass dieses Kriterium nichts zur Unterscheidung von Italianismen und Hispanismen beiträgt, ist es auch insofern problematisch, als, wie aus den Tabellen Gebhardts (1974: 274, 293) selbst hervorgeht, insbesondere Italianismen schon im 15. Jahrhundert häufig sind. (2) Bedeutender hingegen sind Gebhardts (1974) Anmerkungen zum Verhältnis der Chronologie in Geber- und Nehmersprache. In der Forschung ist es üblich, die Herkunft eines Lehnworts aus einer bestimmten Gebersprache nur dann anzuerkennen, wenn das vermutete Etymon in dieser auch früher als das Lehnwort in der Nehmersprache belegt ist. Gebhardt (1974: 70) spricht sich im Hin- 117 Wind (1928: 71) merkt zu fr. chamade auch an, dass [∫] einer spelling pronunciation (fr. <ch> [∫] in it. <chiamata>) geschuldet sein könnte. 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 89 blick auf fr. bande ‘troupe’ (seit ca. 1360) und fr. fougade ‘mine passagère qu’on creuse dans certains sièges pour faire sortir des pans de muraille’ (seit Brantôme, d. h. Ende des 16. Jahrhunderts) gegen eine Herkunft aus dem Italienischen aus, da die vermeintlichen Etyma it. banda (seit Anfang des 16. Jahrhunderts) und it. fogata / fugata (seit dem 17. Jahrhundert) erst deutlich später belegt sind als bande und fougade im Französischen. Während ihm der TLF i (s.v. bande ) bezüglich bande recht gibt, wird für fougade heute trotz des späteren Belegs im Italienischen von italienischer Herkunft ausgegangen. 1583-84 fougade «mine explosive souterraine» ( BRANTÔME , Dames , part. I, Disc. 3, la Reyne d’Escosse, VII , 421 ds HUG .); 2. 1688 fougasse ( MIEGE ). Prob. empr., malgré l’écart chronol., à l’ital. fogata «id.» (dep. XVII e s., Montecuccoli ds BATT., aussi fugata en 1640, OUDIN , Rech. ital. et fr. ; HOPE , p. 196; BL .-W. 1-5 ), plutôt qu’aux dial. du Sud de la France où le mot n’a pas ce sens et ne semble pas anc. (v. FEW t. 3, p. 652b et 658, n. 7), […]. ( TLF i s.v. fougasse 1) Problematisch am chronologischen Kriterium ist, dass Erstbelege sowohl in der Geberals auch in der Nehmersprache immer nur vorläufig sein können. In manchen Fällen, in denen aufgrund der Chronologie ein italienischer Ursprung ausgeschlossen wurde, konnten inzwischen frühere Vorkommen in der Gebersprache ermittelt werden, so dass bestimmte Lexeme heute (wieder) als Italianismen gelten. Besonders deutlich ist dies im Falle von fr. salve (seit 1559), das vom FEW (s.v. salvēre ) noch als Latinismus betrachtet wird, da it. salva erst im 17. Jahrhundert belegt sei. Wie der TLF i zeigt, ist it. salva aber schon seit 1566 nachweisbar. Zwar geht der französische Beleg dem italienischen noch um wenige Jahre voraus, dies sei aber unproblematisch 118 . […] Empr. à l’ital. salva , qui n’est pas att. dep. le XVII e s., comme le croient Bl.-W 1-5 et FEW t. 11, p. 132a, mais déjà au XVI e s. (1566, salva di archibusi ) […]; cf. 1578 H. Estienne […] où salve est cité comme un italianisme […]. ( TLF i s.v. salve ) Schließlich spielen die Erstbelege bzw. die ersten Belege von Lehnwörtern auch unabhängig von der Chronologie eine wichtige Rolle. Wenn nicht nur lautliche Kriterien, sondern auch das chronologische Kriterium sowie die étymologie organique versagen, können die ersten Kontexte, in denen die Lehnwörter begegnen, wertvolle Hinweise auf deren Herkunft liefern. Laut Hope (1971: 630-632) und Gebhardt (1974: 60-61) sind der Überlieferungskontext (z. B. Übersetzungen aus der potentiellen Gebersprache), der Textzusammenhang (z. B. Formulierun- 118 Dass der TLFi mit seiner Annahme richtigliegt, bestätigt auch ein neuer Erstbeleg für it. salva , der während der Recherchen für die vorliegende Arbeit in einem italienischen Brief eines italienischen Botschafters (1545) ausfindig gemacht werden konnte (vgl. Kapitel 7.3.5.4.2). 90 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts gen wie comme disent les Italiens ) sowie die Graphie (z.B. fr. <baldachin> vs. heute <baldaquin> [k], vgl. it. <baldacchino>) von entscheidender Bedeutung. Dies lässt sich am Eintrag für fr. altesse im TLF i veranschaulichen. Das Lexem könnte sowohl aus dem Spanischen als auch aus dem Italienischen stammen: Im 16. Jahrhundert ist der Einfluss beider Sprachen stark, lautlich käme sowohl it. altezza als auch sp. alteza als Etymon in Frage, das Lexem ist sowohl im Italienischen als auch im Spanischen früher belegt als im Französischen, der Denotatsbereich (höfliche Anredeformen) ist im 16. Jahrhundert für Hispanismen und Italianismen gleichermaßen offen (vgl. Kapitel 4.2.3.4). […] 1500 altese forme italianisante […] Empr. - soit à l’esp. alteza ( DAUZAT 1968, BL .-W. 5 , en 2 e hyp.), attesté dans le même emploi dep. 1256-1263, Las Siete Partidas de Alfonso X el Sabio , prol. ds AL . 1958. L’esp. est emprunté au b. lat. altitia (d’où aussi fr. hautesse *, mot héréditaire) CHIRON , 36 ds TLL s.v., 1764, 71 - soit plus prob. (étant donné, la construction la sua altese de la 1 re attest.) à l’ital. altezza ( DAUZAT 1968, BL .-W. 5 en 1 re hyp.; KOHLM . 1901, p. 28; TRACC . 1907, p. 102; SAR . 1920, p. 5; WIND 1928, p. 180; BRUNOT t. 2, p. 209; NYROP t. 1, § 61), attesté au même sens dep. le XVI e s. ( BOCCACCIO , Dec , 3, 5 ds BATT . t. 1 1961: Ardirò di porgere i prieghi miei alla vostra altezza, dalla qual sola ogni mia pace, ogni mio bene e la mia salute venir mi puote ) au sens gén. de «hauteur» dep. Br. Latini, BATT . L’ital. est de même origine que l’esp. alteza. ( TLF i s.v. altesse , Hervorhebung im Fettdruck T. S.) Wie anhand der wenigen Beispiele gezeigt werden konnte, ist die Bestimmung der Wortherkunft also in einigen Fällen in der Tat nicht allein anhand lautlicher Kriterien möglich. Die Berücksichtigung des Überlieferungskontextes sowie weiterer Faktoren (z. B. étymologie organique ) ist für die Klärung des Ursprungs bestimmter Lehnwörter von großer Bedeutung. Bis heute aber gibt es trotz allem Fälle, in denen die Etymologie unklar oder umstritten bleibt. So könnte fr. bastonnade italienischen, okzitanischen oder auch spanischen Ursprungs sein (vgl. TLF i s.v. bastonnade ). Ebenfalls nicht auszuschließen ist, dass in manchen Fällen eine parallele Vermittlung stattgefunden hat. Innerromanische Sprachkontakte stellen den Etymologen aber noch vor weitere Probleme, die bisher ausgeblendet wurden. Aufgrund der engen Verwandtschaft zwischen den romanischen Sprachen weisen diese untereinander natürlich strukturelle Ähnlichkeiten auf. Das Inventar der Wortbildungsaffixe im Französischen und Italienischen etwa lässt deutliche Parallelen erkennen: z.B. fr. {-erie}/ it. {-eria} 119 , fr. {-ment 1}/ it. {-mente} zur Bildung von Adverbien, 119 It. {-eria} ist zwar seinerseits aus dem mittelalterlichen Französisch entlehnt, allerdings ist es im 16. Jahrhundert im Italienischen bereits produktiv (vgl. z. B. Rohlfs Bd. 3, 1954: 325-326). 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 91 fr. {-ment 2}/ it. {-mento} zur Bildung von Substantiven. Hinzu kommt, dass, wie in Kapitel 2.3.2.3 dargelegt wurde, aus dem Italienischen entlehnte Derivationsaffixe wie fr. {-esque} und {-ade} im Französischen des 16. Jahrhunderts bereits produktiv sind. Wie sind daher fr. braverie und fr. bravade (neben fr. brave < it. bravo ) oder fr. pédantesque und fr. pédanterie (neben fr. pédant < it. pedante ) zu interpretieren? Dass es sich bei den Simplizia um italienisches Lehngut aus dem 16. Jahrhundert handelt, wird allgemein anerkannt (vgl. z. B. TLFi s.v. brave , pédant ). Bei den Derivaten jedoch ist nicht immer klar, ob von französischen Bildungen oder - wie bei den Simplizia - von Lehnwörtern aus dem Italienischen ausgegangen werden muss. Der TLF i erkennt fr. brave (Substantiv seit 1521) als Italianismus an, ebenso fr. bravade (seit 1547), wohingegen fr. braverie ‘bravade’ (seit 1541) als französisches Derivat betrachtet wird, obwohl it. braveria seit 1525 belegt ist (vgl. ZING s.v. braveria ). Analog verfährt der TLF i mit fr. pédant (seit 1558), pédantesque (seit 1552) und pédanterie (seit 1560). Letzteres wird als französische Bildung ausgewiesen, obgleich it. pedanteria seit 1556 belegt ist (vgl. DELI s.v. pedante ). Nun könnte man annehmen, dass bravade und pédantesque - im Gegensatz zu braverie und pédanterie - aufgrund ihrer italianisierenden Suffixe, d. h. {-ade} und {-esque}, als Italianismen ausgewiesen werden. Die Behandlung von fr. manquement (neben fr. manquer < it. mancare ), fr. escarmoucher (neben fr. escarmouche < it. scaramuccia ) und fr. risquer (neben fr. risque < it. risco ‘rischio’) zeigt aber, dass dem offenbar nicht so ist. So wird fr. manquement trotz des erbwörtlichen Affixes als italienisches Lehnwort (vgl. it. mancamento ) behandelt, während für fr. escarmoucher sowohl eine französische Bildung als auch italienische Herkunft (vgl. it. scaramucciare ) in Erwägung gezogen wird. Für das Verb fr. risquer hingegen wird, obwohl es als se risquer schon 1577 und damit vor dem Substantiv fr. risque (seit 1578) belegt ist, von einer französischen Bildung auf Basis von fr. risque ausgegangen. Im Italienischen ist rischiare jedoch seit dem 14. Jahrhundert nachweisbar (vgl. DELI s.v. rischio ). Stefenelli (1981: 200) schließt für fr. risquer italienischen Ursprung nicht aus. Grundsätzlich können die weiter oben genannten Kriterien zur Bestimmung der Wortherkunft natürlich auch im Hinblick auf die Beurteilung solcher Derivate von Nutzen sein. Wie der folgende Ausschnitt aus dem TLF i zeigt, scheinen dessen Autoren auch so zu verfahren. […] Empr. à l’ital. bravata ( EWFS 2 [1 re hyp.]; DEI ; WIND , p. 184; BL .-W. 5 ; HOPE , p. 167; DAUZAT 1973) attesté au sens de «entreprise aventureuse, téméraire, accomplie par ostentation» dep. 1536 ( ARETINO , Ragionamenti [1 re éd. 1536], 202 dans BATT .), au sens de «comportement provocateur», en 1545 ( ID ., Le Carte parlanti [1 re éd. 1545], 36, Ibid.). […] Étant donné la faveur dont a joui le mot au XVI e s. (cf. TAHUREAU , 1er Dial. du Democratic , p. 34 dans HUG .) et les empr. faits à l’ital. de brave et de bravoure , 92 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts l’hyp. d’un empr. à l’esp. bravata , dep. 1526 d’apr. AL . ( EWFS 2 , 2 e hyp.; REW 3 , n o 945) ne semble pas à retenir. […] L’hyp. d’une dér. de brave * avec suff. -ade (FEW t. 1, p. 249, s.v. barbarus ) est moins probable, étant données la vitalité du mot ital. et la faveur du mot fr. au XVI e s.; […]. ( TLF i s.v. bravade ) Wie dem Passus zu entnehmen ist, wird die italienische Herkunft von fr. bravade v. a. dadurch begründet, dass sich das Wort im Französischen des 16. Jahrhunderts einer gewissen Beliebtheit erfreute und dass it. bravata weit verbreitet war. Die hohe Frequenz eines Lexems in der Ausgangssprache ist in der Tat eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass es entlehnt wird (vgl. Haspelmath 2003). Möglich ist auch, dass bravata im rinascimentalen Italienisch häufiger war als braveria - letzteres ist aber gut belegt (vgl. GDLI s.v. braveria ). Dass die „faveur“ des Wortes im Französischen ein Indiz für dessen italienische Herkunft ist, ist hingegen weniger überzeugend. Auch braverie ist gut belegt (19 Okkurrenzen vs. 41 für bravade in FRANTEXT 1500-1600 flexion et variantes XVI e - XVII e ). Warum sollten Italianismen grundsätzlich beliebter sein? Problematisch ist ferner, dass anders als bei it. braveria (neben bravata ) kein häufigeres Synonym für it. pedanteria existiert. Warum sollte es sich bei fr. pédanterie also nicht um einen Italianismus handeln, wenn doch pédant und pédantesque (wie brave und bravoure neben bravade ) aus dem Italienischen entlehnt wurden? Eine Antwort auf solche Fragen kann und soll in der vorliegenden Arbeit nicht gegeben werden. Auch ist keine Kritik am TLFi beabsichtigt. Vielmehr sollte auf dieses grundsätzliche Problem bei der Bestimmung von lexikalischen Italianismen aufmerksam gemacht werden, das bis heute noch nicht zufriedenstellend gelöst ist. Angesichts der Unstimmigkeiten zwischen den großen Referenzwerken (z. B. TLF i, GR und FEW) wird im Folgenden so verfahren: Derivate, die aufgrund ihrer Affixe auch französische Bildungen sein könnten und erst nach den entsprechenden Simplizia belegt sind, werden als französische Innovationen behandelt, es sei denn, es handelt sich um die mehr oder weniger italianisierenden Affixe {-ade}, {-esque}, {-esse} und {-issime}. In solchen Fällen gehe ich, wenn ein potentielles Etymon im Italienischen vorhanden ist, von italienischem Lehngut aus. 2.3.4 Wege des Sprachkontakts - Kontaktszenarien und Übernahmemilieus Wie in Kapitel 2.3.2 deutlich wurde, spricht die Qualität der sprachlichen Beeinflussung dafür, dass der Kontakt zwischen dem Französischen und Italienischen intensiv war und dass auch tatsächlich Sprecher des Französischen und Italienischen miteinander in Berührung kamen. Um Einflüsse eines Kulturadstrats, das lediglich im schriftlichen Medium begegnete (z. B. in der Literatur), handelt es 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 93 sich nicht. Sowohl die großen Arbeiten zum italienischen Lehngut im Französischen (z.B. Wind 1928, Kandler 1944, Hope 1971) als auch kleinere Beiträge (z.B. Vidos 1960, Sampson 2003, 2004) haben sich nicht nur mit der Dokumentation von rinascimentalen Italianismen, sondern auch mit der Beschreibung möglicher Kontaktszenarien und Übernahmemilieus beschäftigt. Die Ansicht, dass der Kontakt auch jenseits des schriftlichen Mediums stattgefunden haben muss, wird bereits von Wind (1928: 30, 196-197) vertreten: So seien z. B. französische Soldaten, die lange Zeit in Norditalien verbrachten, sowie Reisende, von denen einige auch an italienischen Universitäten studierten, für die lexikalische Beeinflussung des Französischen verantwortlich gewesen. Auch die Übernahme zahlreicher Begriffe der Marineterminologie sei dem direkten Kontakt zwischen italienischen und französischen Seefahrern in den Häfen des Mittelmeers geschuldet. Interessant ist, dass Wind in diesem Zusammenhang schon auf die Vermittlerfunktion des Okzitanischen hinweist und dass sie ihre Vermutung auch anhand lautlicher Fakten zu belegen versucht. Dass in zahlreichen Italianismen [d] statt [t] in {-ade} erscheint, erkläre sich u. a. dadurch, dass ein beträchtlicher Anteil des französischen Heers von Soldaten aus Südfrankreich (v. a. aus der Gascogne) gestellt wurde. Die Nähe zwischen okzitanischen und italienischen Varietäten habe auch den Sprachkontakt in den Mittelmeerhäfen erleichtert. Die Bedeutung des Okzitanischen als Vermittlersprache wird auch von Gebhardt (1974) sowie insbesondere von Sampson (2003, 2004) betont. Letzterer geht davon aus, dass die Mehrheit der Italianismen im Französischen des 16. Jahrhunderts - anders als die meisten Latinismen - v. a. deshalb einen prothetischen Vokal aufweist, weil die Lehnwörter über okzitanische Varietäten, in denen die Prothese noch voll produktiv war, vermittelt wurden. Andererseits sei laut Sampson (2003) auch denkbar, dass bereits bei den italienischen Etyma ein prothetischer Vokal anzutreffen war. Auch in norditalienischen Varietäten sei die Prothese produktiv gewesen. Da französische Soldaten insbesondere in Norditalien kämpften (Piemont, Lombardei), könnten sie schon in der Ausgangssprache mit entsprechenden Formen in Berührung gekommen sein. Diese Annahme spricht ebenfalls dafür, dass ein beträchtlicher Teil des italienischen Lehnguts nicht über schriftliche Quellen vermittelt wurde. Auch wenn bereits bei Hope (1971: 621-623) erwähnt wird, dass norditalienische Varietäten im französisch-italienischen Sprachkontakt des 16. Jahrhunderts eine gewisse Rolle spielen mussten (vgl. Kapitel 2.3.3.3: fr. noliser [z] < it. noleggiare ? vs. fr. voltiger [ʒ] < it. volteggiare ), und die etymologische Forschung sich deren Bedeutung heute durchaus bewusst ist (vgl. z. B. TLF i s.v. chamade ) 120 , sind bisher noch 120 Besondere Berücksichtigung erfahren einzelne italoromanische Idiome auch in FENNIS (1995). 94 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts keine umfassenden Studien zum unterschiedlichen Stellenwert der einzelnen italoromanischen Varietäten in den französisch-italienischen Lehnbeziehungen vorgelegt worden. Der Kontakt war jeodoch nicht auf die Mündlichkeit beschränkt, sondern fand auch in der Schriftlichkeit statt. Im Hinblick auf die massive lexikalische Übernahme im Bereich der Fachwortschätze (z. B. Kunst, Architektur, aber auch Heeresterminologie) wird immer wieder auf die zahlreichen Übersetzungen von italienischen Traktaten verwiesen (vgl. Wind 1928: 194, Hope 1971: 230). Auffällig sei, dass diese im Vergleich zu Übersetzungen literarischer Werke deutlich mehr Italianismen aufweisen. Kandler (1944: 274) betont in diesem Zusammenhang, dass die Entlehnung von Fachtermini aus dem Italienischen auch vor dem Hintergrund der volkssprachlichen Ausbaubestrebungen im 16. Jahrhundert betrachtet werden müsse. Ausdrucksmittel seien nicht nur aus dem Lateinischen und Griechischen, sondern gleichermaßen aus dem Italienischen geschöpft worden, wobei insbesondere solche Bereiche betroffen gewesen seien (Heereswesen, Reitkunst usw.), in denen die Italiener führend waren. Wie die folgende Stelle (vgl. Abb. 2) aus einer gegen Ende des 16. oder Anfang des 17. Jahrhunderts 121 von Villamont angefertigten Übersetzung eines italienischen Traktats über die Fechtkunst zeigt, könnten solche Werke in der Tat für eine Vielzahl von Lehnwörtern verantwortlich gewesen sein. 121 Mir lag nur die Ausgabe von 1609 vor. Laut USTC existiert aber auch eine Ausgabe aus dem Jahre 1597. Ob es sich bei jener von 1609 lediglich um einen unveränderten Nachdruck handelt, ließ sich nicht feststellen. 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 95 Abb. 2: Auszug aus Cavalcabò (1609: 5), Übersetzung durch Villamont (http: / / www. gallica.bnf.fr) BnF 96 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts Meines Wissens ist diese Übersetzung bisher noch nicht Gegenstand sprachwissenschaftlicher Studien gewesen. Auffällig sind neben ansonsten kaum belegten Italianismen wie inganner , auf das in Kapitel 5.5.1.3 zurückzukommen sein wird, insbesondere die Schreibungen <passegiant>, <passagier> und <chiamate>: Sie alle deuten darauf hin, dass die Übernahme dieser Wörter tatsächlich im schriftlichen Medium, also nicht in der Mündlichkeit, erfolgt ist. Eine detaillierte Analyse dieser Übersetzung kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Der Ausschnitt legt aber in jedem Fall nahe, dass Übersetzungen von italienischen Fachtexten ein Einfallstor für Italianismen waren. Die folgende Textstelle (vgl. Abb. 3) aus einem Traktat über die Reitkunst, Le Cavalerice François ([1593-1594] 4 1646), von Salamon de La Brouë zeigt, dass sich auch in Fachbüchern, die nicht aus dem Italienischen übersetzt wurden, zahlreiche lexikalische Italianismen nachweisen lassen. Ganz wie in einer Übersetzung werden diese dem Leser erläutert. 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 97 Abb. 3: Auszug aus La Brouë Bd. 1 ([1593-1594] 4 1646: 10) (http: / / www.gallica.bnf.fr) BnF Das Traktat von La Brouë wurde zusammen mit anderen Werken über die Reitkunst bereits von Deriu (2007) untersucht. Auffällig sei, dass La Brouë die Übernahme von Italianismen aus einer Bezeichnungsnotwendigkeit („defaut de mots propres“) heraus begründet, obwohl schon die Glossierung (z. B. legeresse - legerté ) 122 zeige, dass zumindest in manchen Fällen erbwörtliche Entsprechungen im Französischen vorhanden waren. Vielmehr scheint also das Prestige des Italienischen („air plus gaillard“) für die Entlehnung durch den cavalerice , der seine Ausbildung in Italien absolvierte, verantwortlich zu sein. 122 Wie anhand des Ausschnitts ersichtlich ist, weisen viele der Lehnwörter {-esse} auf ( legeresse , fermesse , justesse , prestesse ), was die Aussagen des TLFi (s.v. -esse 1 suff. ) bestätigt, dem zufolge das Suffix durch italienischen Einfluss im 16. Jahrhundert vorübergehend revitalisiert wurde. 98 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts Wie anhand der Zusammenschau deutlich wird, hat sich die Forschung intensiv mit der Frage nach Kontaktszenarien und Übernahmemilieus beschäftigt. Dennoch wurde einem Aspekt bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Sowohl Villamont als auch La Brouë waren Franzosen. Auch die französischen Soldaten, die in Norditalien kämpften, oder die Seemänner aus Südfrankreich waren keine Italiener. Die Rolle der zahlreichen italienischen Immigranten im Frankreich des 16. Jahrhunderts wurde noch nicht näher beleuchtet. In den einschlägigen Arbeiten wird ihr Beitrag zur (lexikalischen) Beeinflussung des Französischen unterschiedlich bewertet. Wind (1928: 14-16, 29, 199) hält es zwar für möglich, dass italienische Buchdrucker und Bankiers (v. a. in Lyon) am Aufkommen gewisser Italianismen in der Fachsprache ihrer Berufsgruppe beteiligt waren (z.B. fr. faillite < it. fallita ), geht aber - aus Gründen, die in Kapitel 1 diskutiert wurden - im Allgemeinen davon aus, dass die italienischen Einwanderer keinen entscheidenden sprachlichen Einfluss ausübten. Kandler (1944: 194-195, 203-204) hingegen weist in seiner nach Denotatsbereichen gegliederten Studie an verschiedenen Stellen darauf hin, dass die Bereicherung der Fachwortschätze (z. B. der Architektur) u. a. auch der Präsenz von Experten und Arbeitern aus Italien geschuldet sein könnte, nennt aber kaum konkrete Beispiele. Dass Kandler tatsächlich annimmt, die Italiener seien grundsätzlich am Aufkommen von Italianismen beteiligt gewesen, wird paradoxerweise insbesondere in den Bereichen besonders deutlich, in denen trotz der Präsenz der Immigranten keine oder nur wenige Italianismen aufgenommen wurden. So begründet Kandler (1944: 52-53) die geringe Beeinflussung des Kirchenwortschatzes damit, dass die interne Verwaltungssprache das Lateinische blieb. Die vielen Würdenträger aus Italien, die mit der Verwaltung französischer Diözesen betraut waren, und auch der päpstliche Hof in Avignon, der als italianisierendes Zentrum gelten müsse, hätten daher kaum sprachliche Spuren hinterlassen. Den Ausführungen Hopes (1971: 229, 236, 240-241) ist zu entnehmen, dass auch er den italienischen Immigranten eine gewisse Bedeutung beimisst. Im Gegensatz zu Wind (1928) geht er davon aus, dass der sprachliche Einfluss der Migranten nicht nur im Bereich des Bankwesens, sondern auch im Heer und in der Marine spürbar gewesen sein könnte. Schließlich seien zahlreiche hochrangige italienische Offiziere, wie z. B. Leone Strozzi, im Dienste der französischen Krone gesegelt 123 . Während Wind (1928: 194-195) französische Architekten, die ihre Ausbildung in Italien absolvierten, für das Aufkommen von aus dem Italienischen entlehnten Fachtermini (z.B. fr. stuc < 123 Diese Vermutung wurde schon von Vidos (1960: 5-6) geäußert, den Hope (1971: 240-241) in diesem Zusammenhang allerdings nicht zitiert. Vidos (1960) findet sich aber in Hopes Literaturverzeichnis. 2.3 Les italianismes lexicaux - Ergebnisse der französischen Sprachgeschichtsschreibung 99 it. stucco ) verantwortlich macht, ist bei Hope (1971: 585) - zwar nicht in Bezug auf Kontaktszenarien, aber im Zusammenhang mit der Revitalisierung von s impurum - zu lesen: „The pronunciation of stuc may well have become known in its Italianate form [[st-], T. S.] from the actual speech of Italian workers […].“ Auffällig ist, dass sich Hope (1971: 242), der im Hinblick auf die hochfrequenten Verben réussir und manquer betont, dass diese in der Mündlichkeit (am Hofe) vermittelt worden sein müssen und dass solche Entlehnungen die Existenz von „bilinguals“ voraussetzen, nicht näher zur Rolle der italienischen Höflinge äußert. Auch wer mit „bilinguals“ gemeint ist, bleibt völlig offen. Wind (1928: 198) stellt lediglich fest, dass der Einfluss des Hofes - im Widerspruch zum Zeugnis von Estienne (1578) - als eher gering einzustufen ist, merkt aber an, dass dies u. a. auch damit zusammenhängt, dass einige der über den Hof vermittelten Wörter in der Folge in die Gemeinsprache eingedrungen sind und daher nicht mehr dem Denotatsbereich vie de cour zugeordnet werden können 124 . Welche Lexeme dies genau sind, bleibt aber offen 125 . Zudem seien einige höfische Italianismen als Modeerscheinung zu verstehen, die nur vorübergehend in Gebrauch waren. Zu den italienischen Höflingen äußert sich Wind (1928) in diesem Zusammenhang aber nicht. Problematisch ist, dass weder Wind (1928) noch Kandler (1944) oder Hope (1971) französische Texte von italienischen Immigranten untersucht haben. Ihre Aussagen basieren lediglich auf Vermutungen. In den rezenteren Arbeiten zu bestimmten Fachwortschätzen (vgl. Kapitel 2.3.3.1) wird die Frage nach der Rolle der Einwanderer hingegen zumeist gar nicht gestellt. Die Beiträge stützen sich v. a. auf die Untersuchung von Übersetzungen und Traktaten, die von Franzosen verfasst wurden. Studien zur Sprache der italienischen Migranten stehen also weiterhin aus. Der folgende Passus aus Balsamo (1992) zeigt, dass diese Forschungslücke bis heute 126 nicht immer erkannt wird: Dans une étude prudente, où elle démontra que la diffusion des italianismes n’incombait guère aux Italiens présents dans le Royaume, mais qu’elle était due aux Français eux-mêmes, Bartina H. Wind recensa près de 550 entrées. (Balsamo 1992: 43) 124 Laut Trescases (1978a: 39-41), der im Übrigen nicht ausschließt, dass die Italiener für das Aufkommen von Italianismen verantwortlich waren, seien bestimmte fachsprachliche Lexeme, etwa aus dem Bereich der Reit- und Fechtkunst, aber indirekt auch dem „mode de vie aristocratique“ und mithin der vie de cour zuzuordnen. 125 Hope (1971: 242) vermutet, dass Wind (1928) damit Lexeme wie réussir und manquer meint. Diese könnten anfänglich möglicherweise besonders markierte Italianismen der höfischen Gesellschaft gewesen sein und sich aufgrund des Prestiges des Hofes und seiner Sprecher schließlich allgemein durchgesetzt haben. 126 Ahnliche Aussagen finden sich auch in Balsamo (2003b, 2009, 2015). 100 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Forschung heute davon ausgeht, dass der Sprachkontakt zwischen dem Italienischen und Französischen im 16. Jahrhundert auch jenseits der Literatur stattgefunden haben muss. Sprecher des Französischen scheinen insbesondere in Südfrankreich und Norditalien mit gesprochenem Italienisch in Berührung gekommen zu sein. Viele Begriffe aus den Bereichen Heereswesen und Schifffahrt haben so Eingang ins Französische gefunden. Dem Okzitanischen kommt dabei eine wichtige Vermittlerfunktion zu. Für die massive Übernahme von lexikalischen Italianismen in die verschiedenen Fachwortschätze (Bildende Kunst, Architektur, Reitkunst usw.) seien v. a. die sog. Français italianisants 127 sowie Franzosen, die italienische Fachliteratur übersetzten, verantwortlich gewesen. Das Französische des 16. Jahrhunderts war im Zuge der volkssprachlichen Ausbaubestrebungen besonders offen für neue Ausdrucksmittel. Ob und ggf. welche Rolle die zahlreichen italienischen Einwanderer beim Aufkommen von Italianismen spielten, ist noch unklar. Insbesondere über die tatsächliche Bedeutung der Italiener am vermutlich zweisprachigen französischen Hof ist wenig bekannt. 2.4 Zusammenfassung Kapitel 2 war dem Forschungsstand zu den kulturellen Beziehungen zwischen Frankreich und Italien im 16. Jahrhundert sowie dem daraus resultierenden Sprachkontakt zwischen dem Französischen und Italienischen gewidmet. Es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass das Kontaktverhältnis in vielerlei Hinsicht als asymmetrisch betrachtet werden muss: Während sich der Einfluss der französischen Kultur auf die italienische eher gering ausnahm (geringe Verbreitung französischer Literatur in Italien, kaum Übersetzungen aus dem Französischen), erlebte das rinascimentale Frankreich geradezu eine Italomanie. Italienische Modelle wurden in den verschiedensten Bereichen imitiert (z. B. Architektur, Heeresorganisation, Literatur, v. a. Français italianisants ). Auch im Hinblick auf die volkssprachlichen Ausbaubestrebungen ( questione della lingua ) orientierten sich französische Sprachtheoretiker in ihren programmatischen Schriften an italienischen Vorbildern, so z. B. Du Bellay in der Deffence (1549) an Speronis Dialogo delle lingue (1542). Dieses Ungleichgewicht manifestierte sich schließlich auch in der gegenseitigen sprachlichen Beeinflussung. Das Französische nahm im 16. Jahrhundert mehr Italianismen auf (ca. 500) als in allen 127 Darunter versteht man heute zumeist alle Franzosen des 16. Jahrhunderts, die des Italienischen mehr oder weniger mächtig waren. Der Begriff ist also nicht mehr - wie bei Picot ([1906-1907] 1968) - ausschließlich auf Franzosen beschränkt, die Literatur in italienischer Sprache produzierten. 2.4 Zusammenfassung 101 anderen Jahrhunderten, wohingegen der lexikalische Einfluss des Französischen auf das Italienische im Vergleich zu anderen Jahrhunderten äußerst bescheiden blieb (vgl. auch Schweickard 2009). Eine Besonderheit dieses Sprachkontaktverhältnisses, die es wesentlich von Szenarien unterscheidet, in denen das Italienische als internationale Verkehrs- und Kultursprache zur gleichen Zeit mit anderen Sprachen in Berührung kam, stellt die Präsenz zahlreicher italienischer Immigranten in Frankreich dar. Die Vermählung von Henri II mit Catherine de Médicis führte zur Zuwanderung von Italienern an den französischen Hof. Der Anteil der Italiener an der Lyoner Gesamtbevölkerung war ebenfalls beträchtlich. Nicht wenige dieser Einwanderer gehörten der gesellschaftlichen Elite an (z. B. Generäle, Bankiers, Kardinäle, Händler, Aristokraten). Im 16. Jahrhundert wurden die Geschicke Frankreichs daher nicht selten von Italienern gelenkt, die unter der Herrschaft von Catherine de Médicis gewisse Privilegien genossen. Als Gegenreaktion lässt sich insbesondere gegen Ende des 16. Jahrhunderts eine antiitalienische Strömung beobachten, die sich gegen die Italianisierung der französischen Kultur und Gesellschaft aussprach, wobei auch eine sprachliche Überfremdung durch das Italienische thematisiert wurde. Zu den bekanntesten zeitgenössischen Pamphleten zählen die Deux Dialogues (1578) von Henri Estienne, in denen dieser die Sprache des französischen Hofs kritisiert. Nicht zuletzt aufgrund der Präsenz zahlreicher italienischer Höflinge sei dort ein françois italianizé, ein mit Italianismen durchdrungenes Französisch, gesprochen worden. Die italienische Sprachgeschichtsschreibung hat sich - von den frühen Bemühungen Migliorinis ([1960] 1988) einmal abgesehen - erst in den letzten Jahrzehnten der Geschichte des Italienischen außerhalb Italiens zugewandt und sich insbesondere der Rolle des Italienischen als Verkehrssprache im Mittelmeerraum gewidmet. Wie die Ergebnisse zeigen, genoss das Italienische im 16. Jahrhundert ein so großes Prestige, dass es - neben der jeweiligen Nationalsprache - sogar in der internationalen diplomatischen Korrespondenz verschiedener europäischer (darunter auch Frankreich) und nichteuropäischer Staaten Verwendung fand. Was die Verbreitung des Italienischen als (höfische) Kultursprache im rinascimentalen Europa anbelangt, sind bisher nur wenige Studien vorgelegt worden. Zwar wird betont, dass das Italienische in Frankreich einen besonderen Stellenwert besaß, dass französische Schriftsteller auch Werke auf Italienisch verfassten ( Français italianisants ), dass die ersten Lehrwerke für das Italienische in Frankreich erschienen, dass das Italienische auch im metasprachlichen Diskurs eine gewisse Vorbildfunktion hatte und dass auch die Präsenz der italienischen Immigranten von Bedeutung gewesen sein könnte, allerdings wird dabei lediglich auf die Ergebnisse der Kultur- und Literaturwissenschaft verwiesen. Welche Rolle das Italienische im rinascimentalen Frankreich jenseits 102 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts der Literatur tatsächlich spielte, bleibt unklar. Ob es aufgrund der italienischen Einwanderer etwa auch in der Administration oder zumindest am französischen Hof Verwendung fand, ist bisher noch nicht anhand nichtpolemischer Texte (z. B. Gerichtsakten, Verwaltungsdokumente) untersucht worden. Auch über das Sprachverhalten der Immigranten, das u. a. anhand ihrer privaten Korrespondenz sowie anhand von Memoiren erschlossen werden könnte, ist wenig bekannt. Sozio- und varietätenlinguistischen Arbeiten, die es erlauben würden, die Vitalität sowie den Geltungsbereich des Italienischen in der sog. France italienne differenziert zu beschreiben, existieren nicht. Besser untersucht hingegen sind die konkreten sprachlichen Einflüsse auf das Französische, wobei das Interesse der Forschung v. a. dem lexikalischen Lehngut aus dem Italienischen gilt. Dass der Einfluss des Italienischen auf das Französische des 16. Jahrhunderts massiv war, wird sowohl von italianistischer als auch von französistischer Seite bestätigt. Wie die Ergebnisse der italienischen Forschung (DIFIT 2008) zeigen, nahm das Französische im 16. Jahrhundert deutlich mehr Italianismen (mind. 497) auf als andere große europäische ‘Nationalsprachen’ wie das Englische (ca. 334), Deutsche (ca. 242) und vermutlich auch das Spanische. Offenbar kann die Ausstrahlungskraft der italienischen Renaissancekultur allein also nicht für die massive Beeinflussung des Französischen verantwortlich gewesen sein. Wenn dem so wäre, ließe sich schließlich nicht erklären, warum der Einfluss auf die anderen Sprachen, die ihrerseits - wie ganz Europa - auch mit dem Italienischen als Kultursprache in Berührung kamen, deutlich weniger intensiv war. Aus französischer Perspektive lässt sich mit Gebhardt (1974) und Stefenelli (1981) feststellen, dass im 16. Jahrhundert vermutlich 128 aus keiner anderen Sprache mehr entlehnt wurde als aus dem Italienischen (369 Wörter, die bis heute erhalten sind). Der Einfluss des Spanischen (96 Wörter, die bis heute erhalten sind) und Okzitanischen (154 Wörter, die bis heute erhalten sind) war in jedem Fall weit weniger nachhaltig. Aufschlussreich ist schließlich auch die Qualität des italienischen Lehnguts. In stärkerem Maße als das Deutsche, Englische oder Spanische nahm das Französische nicht nur sog. cultural borrowings zur Bezeichnung neuer Sachverhalte und Gegenstände, sondern auch sog. core borrowings auf, die im Allgemeinen als Indiz für eine besondere Intensität des Sprachkontakts gewertet werden. Aus dem Spanischen und Okzitanischen wurden im 16. Jahrhundert überwiegend cultural borrowings entlehnt. Italienische Einflüsse auf anderen sprachlichen 128 An dieser Stelle sei nochmals angemerkt, dass mangels entsprechender Studien bis heute kein quantitativer Vergleich des unterschiedlichen Lehnguts im Französischen des 16. Jahrhunderts angestellt werden kann. Aus synchroner Perspektive müssten auch ephemere Entlehnungen und Lehnwörter, die nicht bis heute fortleben, berücksichtigt werden. 2.4 Zusammenfassung 103 Ebenen (Lautung, Wortbildung) sprechen ebenfalls dafür, dass der Kontakt zwischen dem Französischen und Italienischen intensiv und keinesfalls auf die Schriftlichkeit (z. B. Einflüsse des lateinischen Kulturadstrats auf die Sprachen des rinascimentalen Europa) beschränkt war. Sprecher des Französischen und des Italienischen müssen miteinander in Berührung gekommen, gewisse Gruppen mehr oder weniger zweisprachig gewesen sein. Die Frage nach den konkreten Kontaktszenarien hat sich die Forschung - die Sprachgeschichtsschreibung und die Lexikologie gleichermaßen - schon früh gestellt. Diese wurden insbesondere anhand der Denotatsbereiche, denen die lexikalischen Italianismen angehören, rekonstruiert. Die hohe Zahl der Lehnwörter aus den Begriffskreisen Heereswesen und Schifffahrt etwa wird im Allgemeinen durch den Aufenthalt französischer Soldaten in Norditalien ( guerres d’Italie ) sowie durch den Kontakt der Seefahrer in den Mittelmeerhäfen erklärt. Hervorgehoben wird auch, dass zahlreiche Künstler und Handwerker ihre Ausbildung in Italien absolvierten und bei ihrer Rückkehr neben den dort erlernten Techniken auch die entsprechenden Bezeichnungen mit nach Frankreich brachten. Von besonderer Bedeutung seien schließlich auch die zahlreichen Übersetzungen italienischer Fachbücher, in denen viele Fachtermini aus dem Italienischen anzutreffen sind. Die Rolle der italienischen Immigranten im rinascimentalen Frankreich wird hingegen zumeist nur unzureichend berücksichtigt und dabei auch sehr unterschiedlich bewertet. Die französische Sprachgeschichtsschreibung geht seit Darmesteter / Hatzfeld (1878) und Brunot HLF II (1906) davon aus, dass es durch die Präsenz von Catherine de Médicis und ihrer italienischen Entourage zu einer Italianisierung des Hoflebens kam, die auch sprachlich Spuren hinterlassen hat, und dass auch italienische Künstler und Handwerker für die lexikalische Bereicherung des Französischen verantwortlich gewesen sein könnten. Überblicksdarstellungen zur Schichtung des französischen Wortschatzes (z. B. Stefenelli 1981, Holtus 1990) sowie einschlägige Beiträge zum italiano fuori d’Italia (Stammerjohann 2013, Banfi 2014) schließen ebenfalls nicht aus, dass die italienischen Immigranten an der Beeinflussung des Französischen beteiligt waren. In den Arbeiten zum italienischen Lehngut im Französischen wird die Rolle der Immigranten nur in Kandler (1944), Hope (1971) und Wind (1928) diskutiert. Im Gegensatz zu letzterer gehen erstere davon aus, dass die Italiener durchaus am Aufkommen von Italianismen beteiligt gewesen sein könnten. Insbesondere für die Übernahme sog. core borrowings wie réussir und manquer wird der möglicherweise zweisprachige Hof verantwortlich gemacht. Problematisch ist, dass in keiner der drei Arbeiten französische Texte von italienischen Immigranten untersucht worden sind. Auch neuere Detailstudien zu bestimmten Fachwortschätzen basieren vorwiegend auf Wörterbüchern, Übersetzungen, 104 2 Italienische Einflüsse auf die französische Kultur und Sprache des 16. Jahrhunderts metasprachlichen Zeugnissen und Gebrauchstexten aus dem 16. Jahrhundert, die von Franzosen verfasst wurden. Insbesondere Untersuchungen zur Sprache der italienischen Höflinge fehlen bis heute. Dass die von Wind (1928) in ihrem bis heute maßgeblichen Beitrag zu italienischen Einflüssen auf das Französische des 16. Jahrhunderts vertretene Annahme, die Einwanderer seien an der sprachlichen Beeinflussung des Französischen eher unbeteiligt gewesen, dem mit Gewissheit bedeutendsten zeitgenössischen metasprachlichen Zeugnis zum Einfluss des Italienischen, den Deux Dialogues (1578) von Henri Estienne, widerspricht und angesichts der besonderen soziohistorischen Umstände (Prestige des Italienischen, Anzahl und soziale Stellung der Immigranten) sowie der dargelegten Forschungslücken (keine soziolinguistischen Studien zur Vitalität des Italienischen in der France italienne , keine Untersuchungen zum Französischen und Italienischen der Immigranten) aüßerst problematisch ist, wurde bereits in Kapitel 1 ausführlich diskutiert. Im Folgenden wird anhand der Untersuchung dieser bislang weitestgehend unberücksichtigt gebliebenen Facetten des italienisch-französischen Sprachkontakts eine Neubewertung der Deux Dialogues (1578) vorgeschlagen. Die Ergebnisse sollen aber natürlich auch - oft sogar vorwiegend - zum besseren Verständnis der Komplexität des italienischen Einflusses auf das rinascimentale Französisch im Allgemeinen beitragen. 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten 3.1 Vorbemerkungen Als theoretischer Beitrag zur Sprachkontaktforschung versteht sich die vorliegende Arbeit nicht. Vielmehr sollen Modelle, die in der Kontaktlinguistik bereits fest etabliert sind 1 , vorgestellt werden, um in den folgenden Analysekapiteln (4, 5, 6 und 7) bestimmte Aspekte der Mehrsprachigkeit im Frankreich der Frühen Neuzeit angemessen beschreiben zu können. Ein kritischer Vergleich der zahlreichen Modelle und Methoden, die seit Weinreich (1953) entwickelt wurden, kann und soll hier nicht erfolgen. Es werden v. a. solche Modelle bevorzugt, die keiner bestimmten Theorie verpflichtet sind und deren Terminologie für ein breites Publikum verständlich ist. In Kapitel 3.2 werden die Grundlagen für die soziolinguistische Beschreibung des Nebeneinanders zweier Sprachen in einer Sprachgemeinschaft erläutert, wobei insbesondere auf unterschiedliche Funktionsbereiche und das Prestige der beteiligten Sprachen sowie die damit verbundenen Implikationen eingegangen wird (Diglossie, Ferguson 1959). Des Weiteren werden auch Ansätze aus der Migrationslinguistik präsentiert, die die Bestimmung der Vitalität einer Migrantensprache anhand demographischer, politischer, kultureller und sprachlicher Faktoren ermöglichen (Conklin / Lourie 1983). Kapitel 3.3 hingegen widmet sich den verschiedenen Arten der gegenseitigen sprachlichen Beeinflussung, die bei Sprachkontakten zu beobachten sind. Zunächst werden zentrale Konzepte wie Lehngut, Entlehnung, Interferenz und code-switching besprochen und voneinander abgegrenzt. Einen Sonderfall stellt dabei die sog. Attrition oder Erosion dar, der allmähliche Verlust der Muttersprache eines Migranten. In Kapitel 3.4 wird schließlich auf die Rolle der Perzeption im Sprachkontakt eingegangen. Die Bedeutung letzterer wurde in der Forschung erst relativ spät erkannt (vgl. dazu Krefeld / Pustka 2010). Insbesondere in mehrsprachigen Gesellschaften kann die Fremdwahrnehmung, d. h. wie die Mitglieder der Gruppe A die Sprache bzw. Varietät der Gruppe B wahrnehmen, Aufschluss über be- 1 Als Grundlage dienen einschlägige Referenzwerke zur Kontaktlinguistik (z. B. Thomason / Kaufman 1988, Myers-Scotton 2002, Clyne 2003, Winford 2003, Riehl [2004] 2009, Matras 2009, Winter-Froemel 2011) sowie Artikel aus dem HSK 3 und HSK 12. 106 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten stimmte, besonders saliente Merkmale (Schibboleths) der Sprache bzw. Varietät von Gruppe B geben. Eng damit verbunden sind Spracheinstellungen, die aus dem möglicherweise unterschiedlichen Prestige der jeweiligen Sprachen bzw. Varietäten resultieren. 3.2 Sozio- und Varietätenlinguistik 3.2.1 Diglossie - Prestige und Funktionsbereiche In Kapitel 2.3.2 wurde anhand der Skala von Thomason / Kaufman (1988) die Intensität des italienischen Einflusses (Sprache B) auf das Französische des 16. Jahrhunderts (Sprache A) bestimmt. Das Modell basiert auf der Annahme, dass die Intensität des Kontakts zwischen zwei Sprachen anhand der Quantität und Qualität der sprachlichen Beeinflussung einer Sprache A durch eine Sprache B ermittelt werden kann. Je mehr sprachliche Ebenen von Sprache A Einflüsse von Sprache B aufweisen, desto intensiver muss der Kontakt gewesen sein. Eine starke Beeinflussung setzt z. B. die Existenz (einer Gruppe) von mehr oder weniger zweisprachigen Sprechern voraus, zum anderen spricht sie dafür, dass Sprache B ein großes Prestige genoss, der soziale Druck auf die Sprecher von Sprache A stark gewesen sein muss. Der soziolinguistische Rahmen des Kontaktverhältnisses wird also ex post anhand sprachlicher Daten rekonstruiert. In Kapitel 2.3.2 konnte so wahrscheinlich gemacht werden, dass gewisse Gruppen im Frankreich des 16. Jahrhunderts zweisprachig waren und dass das Italienische ein gewisses Prestige besaß. Über die tatsächliche Reichweite von Sprache B (hier: Italienisch), d. h. ihre Funktionen in der mehrsprachigen Gesellschaft - insbesondere im Vergleich zu Sprache A (hier: Französisch) -, lässt sich anhand dieses Modells aber wenig aussagen. Auch welche Gruppen nun zweisprachig waren, lässt sich nicht ohne Weiteres feststellen. Für eine synchrone soziolinguistische Bewertung des Verhältnisses zwischen den zwei Sprachen (hier: Italienisch und Französisch im Frankreich des 16. Jahrhunderts) ist die Skala von Thomason / Kaufman (1988) nur bedingt geeignet. Ein bekanntes Modell zur Beschreibung des Nebeneinanders zweier Sprachen bzw. Varietäten in einer Gesellschaft, das insbesondere das unterschiedliche Prestige der beteiligten Idiome sowie eine damit verbundene Funktionsaufteilung berücksichtigt, geht auf Ferguson (1959) zurück, der in diesem Zusammenhang den Begriff Diglossie populär gemacht hat. Das Modell ist in der Folgezeit von verschiedenen Wissenschaftlern (v. a. Fishman 1967) aufgegriffen und 3.2 Sozio- und Varietätenlinguistik 107 erweitert worden 2 , seine Grundgedanken finden sich aber bis heute in einer Vielzahl von Theorien zur Beschreibung von gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit wieder. DIGLOSSIA is a relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language […] there is a very divergent highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written literature, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most written and formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation. (Ferguson 1959: 336) Wie aus dem obigen Passus hervorgeht, beschreibt Ferguson (1959) Diglossie als stabile Form gesellschaftlicher Zweisprachigkeit, in der zwei Varietäten ein- und derselben Sprache nebeneinander existieren, deren Funktionsbereiche streng voneinander getrennt sind. Die sog. L-Varietät ( low variety ) umfasst die primären Dialekte einer Sprache und ggf. auch eine regionale Standardvarietät, während die H-Varietät ( high variety ) eine stark divergierende Varietät darstellt, die mehr Prestige besitzt, gesondert erlernt werden muss und völlig andere Funktionen als die L-Varietät erfüllt. Als Beispiel nennt Ferguson Schweizerdeutsch (regionale Standards und primäre Dialekte) als L-Varietät und Hochdeutsch als H-Varietät in der Schweiz; daneben auch Arabisch (regionale Standards und primäre Dialekte) als L-Varietät und Hocharabisch als H-Varietät in verschiedenen arabischen Ländern. Die L-Varietät unterscheidet sich grundlegend von der H-Varietät: Im Gegensatz zu letzterer ist erstere meist nur schwach ausgebaut 3 , besitzt nur ein geringes Prestige und wird v. a. in nähesprachlichen Kontexten verwendet 4 . Nur die H-Varietät besitzt ein literarisches Erbe. Sie wird ausschließlich in distanzsprachlichen Kontexten gebraucht und muss zumeist außerhalb der Familie, in Institutionen wie der Schule, erlernt werden. Spätestens seit Fishman (1967) wird aber auch dann von Diglossie gesprochen, wenn primäre Dialekte mit der Standardvarietät variieren oder wenn in Sprachkontaktsituationen - nicht notwendigerweise genetisch miteinander verwandte - Sprachen unterschiedliche Funktionen erfüllen und ein unterschiedliches Prestige genießen. Der Begriff lässt sich somit auch auf Migrationskontexte anwenden. Normalerweise fungiert die Muttersprache von Migranten als L-Va- 2 Vgl. dazu z. B. Lüdi (1990), Kremnitz (2004) sowie Riehl ([2004] 2009: 15-19). 3 Zu Ausbausprachen vgl. Kloss (1978). Ausbausprachen verfügen z. B. über eine standardisierte Orthographie und Grammatik und können in allen Bereichen der Schriftlichkeit verwendet werden. 4 Zur Unterscheidung von Nähe- und Distanzsprache vgl. Koch / Oesterreicher (1985, 2011). 108 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten rietät, wohingegen die Nationalssprache der neuen Heimat die H-Varietät darstellt. Die Verwendungsbereiche der H- und der L-Varietät bezeichnet Fishman (1967) als Domänen. Welchen heuristischen Wert hat das Modell aber nun für die Untersuchung des Verhältnisses zwischen dem Französischen und Italienischen im Frankreich des 16. Jahrhunderts? Wie unschwer zu erkennen ist, treffen einige der o. g. Kriterien auf das Nebeneinander des Italienischen und Französischen nicht zu: Dass Ferguson Diglossie als gesamtgesellschaftliches Phänomen betrachtet, im Frankreich des 16. Jahrhunderts aber nur in ausgewählten Gruppen von einer Zweisprachigkeit (z. B. der Hof oder die colonie italienne in Lyon) ausgegangen werden kann, ist weniger problematisch. In der vorliegenden Arbeit interessieren v. a. diese Gruppen. Sie können als kleine zweisprachige Gesellschaften definiert werden. Probleme bereitet hingegen das für diglossische Situationen typische unterschiedliche Prestige der beteiligten Sprachen. Kann das Italienische als typische Migrantensprache und daher als L-Varietät, das Französische hingegen als H-Varietät betrachtet werden? Beide Sprachen waren gleichermaßen im Ausbau begriffen, beide dürften ein vergleichbares Prestige genossen haben: das Französische als Nationalsprache, das Italienische als internationale Kultur- und Verkehrssprache sowie aufgrund des sozialen Status seiner Sprecher. Gerade diese scheinbare Problematik macht aber die Situation im rinascimentalen Frankreich erst wirklich interessant. Heute wird im Allgemeinen angenommen, dass sich Sprachen insbesondere dann gegenseitig beeinflussen, wenn in der bilingualen Sprechergemeinschaft keine starken diglossischen Tendenzen zu beobachten sind (vgl. z. B. Fishman 1967, Winford 2003: 34-35, Riehl [2004] 2009: 32) 5 . Wenn die Sprecher beide Sprachen in den gleichen Domänen einsetzen, ist die Wahrscheinlichkeit von Interferenzen höher. Denkbar wäre, dass die Muttersprache der Migranten am französischen Hof aufgrund ihres Prestiges als Kultursprache (vgl. Kapitel 2.2.2) - gebildetete Franzosen waren schließlich des Italienischen mächtig - wie das Französische auch im distanzsprachlichen Bereich, also in Domänen, die zumeist ausschließlich der Nationalsprache vorbehalten sind, verwendet wurde und das Französische so beeinflussen konnte. Die Übernahme von core borrowings könnte somit unter Umständen tatsächlich im zweisprachigen höfischen Kontext erfolgt sein (vgl. Kapitel 2.3.3.2). In Kapitel 6.2.2.3 wird zu zeigen sein, dass in der Tat keine - für Migrationskontexte eigentlich typische - Diglossie angenommen werden kann. Die Analy- 5 Zum Spannungsverhältnis zwischen diglossischen Tendenzen und der Übernahme von Lehngut im romanischen Kontext vgl. z. B. Trotter (2006: 1781) sowie die dort genannte Literatur. 3.2 Sozio- und Varietätenlinguistik 109 se zeitgenössischer nichtpolemischer Texte soll Aufschluss über den Geltungsbereich und die Reichweite des Italienischen geben. 3.2.2 Einwanderersprachen - Vitalität, Spracherhalt und Sprachwechsel Wie soeben erwähnt, könnten die italienischen Immigranten durch die kontinuierliche aktive Verwendung des Italienischen zur Beeinflussung des Französischen in der France italienne beigetragen haben. Dies ist aber natürlich nur dann wahrscheinlich, wenn sich ihre Muttersprache auch tatsächlich einer gewissen Vitalität erfreute. Viele Migrantengruppen bleiben oft nur über einen bestimmten Zeitraum zweisprachig und geben ihre ursprüngliche Sprache irgendwann auf ( language loss , language shift vs. language maintenance ). In solchen Fällen geht die Zweisprachigkeit und mithin das für Interferenzen verantwortliche Nebeneinander der beiden Sprachen in denselben Domänen verloren. Um Vorhersagen über Sprachwechsel und Spracherhalt machen zu können, wurden in der Soziolinguistik verschiedene Modelle entwickelt 6 , anhand derer die Vitalität einer Migrantensprache bestimmt werden kann. Neben demographischen Faktoren (z. B. Größe der Sprachgemeinschaft, Bindung zum Herkunftsland) spielt dabei auch das Prestige der beteiligten Sprachen eine Rolle. Im Folgenden wird das Modell von Conklin / Lourie (1983) besprochen, auf dessen Grundlage in Kapitel 6.2.2.2 die Vitalität des Italienischen als Migrantensprache im rinascimentalen Frankreich untersucht werden soll. Es wurde ursprünglich zur Analyse der Vitalität von Einwanderersprachen in den USA entworfen und erlaubt aufgrund seines differenzierten Kriterienkatalogs eine präzise soziolinguistische Beschreibung. Die bei Conklin / Lourie (1983) genannten Kriterien können mit Clyne (2003: 53-54), an dem sich auch die folgende Darstellung orientiert, in drei Gruppen eingeteilt werden: (1) Political, social and demographic factors , (2) Cultural factors , (3) Linguistic factors : (1) Ob eine Migrantengruppe an ihrer Muttersprache festhält, d. h. über längere Zeit oder dauerhaft zweisprachig bleibt, hängt u. a. davon ab, wie hoch die Zahl der Immigranten ist. Bilden sie eigene Sprachgemeinschaften (z. B. Little Italy , China Town ), wird auch die Muttersprache weiterhin verwendet. Dass es zum Sprachwechsel, d. h. zur vollständigen Aufgabe der früheren Muttersprache, kommt, ist dann eher unwahrscheinlich. Ist die Zahl der Einwanderer hingegen gering, vermischen sie sich schneller mit der Mehrheitsbevölkerung, was einen Sprachwechsel begünstigt. Positiv auf den Spracherhalt, d. h. auf die Vitalität, wirkt sich eine kontinuierliche Migration aus. Kommen ständig neue 6 Für eine Übersicht vgl. z. B. Clyne (2003: 47-69) und Achterberg (2005: 24-85). 110 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten Mitglieder aus dem gemeinsamen Herkunftsland hinzu, verjüngt sich dadurch die Sprechergruppe. Die Neuankömmlinge sind zudem der neuen Sprache zu Beginn meist nicht mächtig und auf die Kommunikation in der Muttersprache angewiesen. Ebenfalls positive Auswirkungen auf den Spracherhalt hat die geographische Nähe zum Mutterland. Damit verbunden ist die Möglichkeit, frühere soziale Kontakte aufrechtzuerhalten und kurzzeitig ins Heimatland zurückzukehren. Wenn von Anfang an geplant ist, dass der Aufenthalt im Gastland nur vorübergehend ist, begünstigt dies den Spracherhalt ebenfalls. Ein Sprachwechsel ist auch dann unwahrscheinlich, wenn eine gewisse Zahl an Einwanderern in ähnlichen Sektoren tätig ist. Dadurch bilden sich berufliche Netzwerke. In bestimmten Bereichen können die Immigranten eine Mehrheit bilden, was den Gebrauch der Muttersprache begünstigt. Soziale und berufliche Mobilität wirkt sich grundsätzlich negativ auf den Spracherhalt aus. Der Bildungsgrad hingegen muss als „ambivalent factor“ (Clyne 2003: 53) betrachtet werden. Ein hoher Bildungsgrad begünstigt zunächst - wie soziale und berufliche Mobilität - den Sprachwechsel. Allerdings lässt sich bei gebildeten Immigranten, die die neue Sprache erworben haben, beobachten, dass sie gegenüber ihrer Sprache auch loyal bleiben ( language loyalty ). Schließlich spielt auch die identitätsstiftende Funktion der Muttersprache eine Rolle: Wenn die Sprache mit der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe assoziiert und diese von der Mehrheitsbevölkerung nicht diskriminiert wird, fördert dies den Spracherhalt. Sozialer Assimilationsdruck, der z. B. durch Rassismus bedingt sein kann, begünstigt den Sprachwechsel, wirkt sich also negativ auf die Vitalität aus. (2) Gefördert wird die Vitalität der Migrantensprache, wenn diese auch in der neuen Heimat in bestimmten Institutionen Verwendung findet oder aktiv gefördert wird (z. B. in den Schulen). Ebenfalls von Bedeutung ist, ob die Sprache weiterhin notwendig ist, um an religiösen Kulthandlungen oder sonstigen kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen. Ist dies der Fall, wird der Spracherhalt begünstigt. Krefeld (2002, 2004) spricht u. a. in diesem Zusammenhang auch von der kommunikativen Reichweite einer Sprache. In je mehr Bereichen diese Verwendung findet, also z. B. auch innerhalb der weiter oben besprochenen beruflichen Netzwerke, desto vitaler bleibt sie. Wenn die Sprache auch die Sprache des Herkunftslands ist - dies gilt nicht immer, etwa bei wiederholter Migration - und daher mit ethnischer Zugehörigkeit verbunden wird, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass kein Sprachwechsel stattfindet. Damit zusammen hängt schließlich auch die emotionale Verbundenheit mit der Muttersprache. Ist diese stark, wird an der Sprache festgehalten. (3) Auch auf die Migrantensprache selbst bezogene Faktoren können für den Erhalt oder den Verlust der Muttersprache von Bedeutung sein. Handelt es sich bei der Migrantensprache um die Standardvarietät des Herkunftslands, 3.2 Sozio- und Varietätenlinguistik 111 die über eine Schrifttradition verfügt, ist ein Sprachwechsel unwahrscheinlich. Nichtverschriftlichte Varietäten, deren Abstand zum Standard groß ist, werden dagegen leichter aufgegeben. Das Prestige der Sprache sowie das Varietätenbewusstsein der Sprecher spielen dabei eine wichtige Rolle. Unterscheidet sich das Schriftsystem nicht von dem der neuerlernten Sprache (z. B. lateinisches Alphabet), fördert dies den Spracherhalt. Umgekehrt begünstigen Unterschiede den Sprachwechsel. Auch das internationale Prestige der Einwanderersprache kann Auswirkungen auf ihre Vitalität haben. Ist dieses, wie z. B. im Falle des Italienischen im 16. Jahrhundert, groß, wird eher an der Sprache festgehalten. Entscheidend ist auch, ob die Immigranten alphabetisiert sind und ob sie die Muttersprache - sowohl innerhalb der Migrantengruppe als auch im Kontakt mit dem Herkunftsland - weiterhin im schriftlichen Medium verwenden. Eine kontinuierliche Verwendung der Sprache unterstützt den Spracherhalt. Schließlich hängt die Vitalität auch davon ab, wie offen die Einwanderersprache für Lehnwörter aus der neuen Mehrheitssprache ist. Massive Übernahmen begünstigen den Sprachwechsel, ebenso eine zu strikte Ablehnung, da diese zu Ausdrucksschwierigkeiten (z. B. Bezeichnungen für neue Konzepte) führen kann. Eine gewisse Toleranz gegenüber einer lexikalischen Bereicherung aus der neuen Sprache hingegen fördert die Vitalität. In Kapitel 6.2.2.2 wird die Vitalität des Italienischen im rinascimentalen Frankreich anhand der soeben genannten Kriterien ermittelt, wobei das Hauptaugenmerk den unterschiedlichen Verwendungsbereichen gilt. Je größer die kommunikative Reichweite des Italienischen ist - sowohl im distanzals auch im nähesprachlichen Bereich -, als desto vitaler kann es betrachtet werden 7 . 7 In einigen Theorien zum Spracherhalt (vgl. dazu z. B. Clyne 2003: 60) wird davon ausgegangen, dass diglossische Tendenzen, d. h. eine komplementäre Verteilung der Migrantensprache und der Mehrheitssprache auf unterschiedliche Funktionsbereiche, notwendig ist, damit die Migrantensprache erhalten bleibt. Wenn in der vorliegenden Arbeit dafür argumentiert wird, dass im Frankreich des 16. Jahrhunderts keine strenge Diglossie angenommen werden kann, scheint dies auf den ersten Blick gegen die Vitalität des Italienischen zu sprechen. Meines Erachtens wirken sich diglossische Tendenzen aber lediglich in klassischen Migrationskontexten, d. h. in solchen, in denen die Sprache der Einwanderer eine begrenzte kommunikative Reichweite hat, positiv auf den Spracherhalt aus. Wenn die neue Mehrheitssprache in die ohnehin wenigen Funktionsbereiche der ursprünglichen Muttersprache, etwa in den nähesprachlichen Bereich, eindringt, kann sie diese natürlich allmählich verdrängen. Diglossiche Tendenzen sichern in solchen Fällen also in der Tat die kontinuierliche Verwendung der Muttersprache. Wenn allerdings die Muttersprache der Migranten so viel Prestige genießt, dass auch die Mehrheitsbevölkerung ihrer mächtig ist und sie deshalb neben der eigentlichen Mehrheitssprache auch in distanzsprachlichen Kontexten verwendet, spricht dies für die Vitalität der Muttersprache der Migranten. In diesem Fall dringt die Sprache der Einwanderer in Verwendungbereiche vor, die eigentlich der Mehrheitssprache vorbehalten sind. 112 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten 3.3 Sprachliche Auswirkungen 3.3.1 Prozedurale und resultative Aspekte Wie insbesondere in Kapitel 2.3.2 bereits deutlich wurde, führt der Kontakt zwischen zwei - oder mehreren - Sprachen im Normalfall immer auch zu einer gegenseitigen Beeinflussung auf verschiedenen sprachlichen Ebenen. Die Sprachkontaktforschung interessiert sich daher nicht nur für die soziolinguistische Beschreibung von Sprachkontakten, sondern auch für konkrete sprachliche Einflüsse einer Sprache A auf eine Sprache B und umgekehrt. Nicht immer wird dabei zwischen prozeduralen und resultativen Aspekten unterschieden (vgl. Winter-Froemel 2011: 38-41). In der vorliegenden Arbeit wird in Anlehnung an Kabatek (1996) und Winter-Froemel (2011) zwischen Produkten (kontaktinduzierten Veränderungen im System einer Sprache) und Prozessen (Erscheinungsformen sprachlicher Beeinflussung, sog. Interferenzen, in der Rede eines Individuums) unterschieden. Als Lehngut (u. a. Lehnwörter) werden mit Kabatek (1996: 20, Fn. 51) „[…] auf Interferenz zurückzuführende Elemente einer Sprache, die bereits zu den Traditionen derselben gehören“ verstanden (zitiert nach Winter-Froemel 2011: 41). An dieser Stelle festhalten lässt sich zunächst also Folgendes: Lehngut geht zwar zumeist auf Interferenzen aus Sprache A in der Rede (Sprache B) einzelner Individuen zurück, ist aber bereits Teil des Systems der Sprache B, gehört also bereits zum Repertoire aller Sprecher der Sprachgemeinschaft (Sprache B). Winter-Froemel (2011: 277) schlägt zudem vor, den Begriff der Entlehnung ebenfalls prozedural, d. h. als „erstmalige Verwendungen“ von Einheiten der Sprache A (= AS ) in Sprache B (= ZS ) 8 , aufzufassen und nähert Entlehnung somit an Interferenz an. Für die vorliegende Arbeit ist eine solche Unterscheidung zwischen Entlehnung / Interferenz (als Prozess) und Lehngut (als etabliertes Produkt) von großer Bedeutung. In Kapitel 6 und 7 wird mit authentischen italienischen und französischen Texten von italienischen Immigranten aus dem 16. Jahrhundert gearbeitet. Finden sich z. B. in französischen Texten (hier: ZS ) Elemente aus dem Italienischen (hier: AS ), muss entschieden werden, ob es sich dabei um Innovationen handelt (Entlehnung) oder nicht: Erscheint in einem französischen Brief von Catherine de Médicis, der 1585 verfasst wurde, z.B. fr. manquer ‘faire défaut’ < it. mancare , liegt, wenn man bedenkt, dass das Verb mit dieser Bedeutung im Französischen laut TLF i (s.v. manquer ) bereits seit 1546 belegt ist, vermutlich keine Innovation (Entlehnung) vor. Es 8 Winter-Froemel (2011) unterscheidet zwischen AS (Ausgangssprache) und ZS (Zielsprache), nicht zwischen L1 und L2 oder Sprache A und Sprache B. Diese Unterscheidung (AS vs. ZS) wird im weiteren Verlauf auch in der vorliegenden Arbeit übernommen. 3.3 Sprachliche Auswirkungen 113 handelt sich um bereits etabliertes Lehngut, das die Italienerin wie französische Erbwörter (z. B. tuer ) als französisches Lexem erlernt haben könnte. Wenn jedoch z. B. manquer de faire ‘négliger de faire’, das laut TLF i (s.v. manquer ) erst um 1596 belegt ist, in einem von einem italienischen Immigranten verfassten Brief bereits um 1560 begegnet - und im Italienischen mancare di fare ‘omettere, tralasciare’ schon deutlich früher nachweisbar ist -, könnte es sich um eine Entlehnung aus dem Italienischen handeln. In solchen Fällen könnte davon ausgegangen werden, dass die Immigranten an der sprachlichen Beeinflussung des Französischen im 16. Jahrhundert in der Tat beteiligt waren. Neben Interferenz und Entlehnung ist auch code-switching auf die Äußerungen von Individuen beschränkt. Im Falle von code-switching - meist auch bei Interferenzen - gilt zudem, dass es nur bei mehr oder weniger bilingualen Sprechern zu beobachten ist, wohingegen auch prinzipiell einsprachige Sprecher aus einer anderen Sprache - zumeist nur einzelne Lexeme - entlehnen können (vgl. z. B. Clyne 2003: 71-72, Riehl [2004] 2009: 21). Während sich code-switching - wie Interferenzen und Entlehnungen - mehr oder weniger spontan in der Rede manifestiert, wird unter Attrition der allmähliche Verlust der Muttersprache eines Individuums - zumeist in Migrationskontexten - verstanden. Attrition bezeichnet also im Gegensatz zu Interferenz, Entlehnung und code-switching keine konkreten sprachlichen Erscheinungen, sondern den Prozess des kontinuierlichen Abbaus der Muttersprache. Die Folgen der Attrition können sich dann auf unterschiedliche Art und Weise (z.B. durch Interferenzen mit der neuen Sprache) in der Rede des Individuums manifestieren. 3.3.2 Lehngut - Lehnwort, Fremdwort und Allogenismus Wie soeben erläutert, wird unter direktem Lehngut fremdsprachliches Material ( AS ) verstanden, dass bereits Teil der ZS ist und daher grundsätzlich allen Sprechern der ZS zur Verfügung steht. Auch wenn Lehngut nicht auf lexikalische Übernahmen beschränkt ist - es können auch Wortbildungsaffixe (z.B. fr. {-esque} < it. {-esco}) und Laute (z. B. h aspiré aus dem germanischen Superstrat) aus einer AS entlehnt werden, die in der Folge Teil des Systems der ZS werden -, wird im Folgenden vorwiegend auf die Klassifikation von lexikalischem Lehngut eingegangen, da es in der vorliegenden Arbeit v. a. um aus dem Italienischen übernommene Lehnwörter im Französischen des 16. Jahrhunderts geht 9 . Als eta- 9 Das bedeutet nicht, dass in den in Kapitel 6 und 7 analysierten Briefen nicht auch Einflüsse auf anderen sprachlichen Ebenen zu beobachten wären. Allerdings handelt es sich dabei vielmehr um Interferenzen. 114 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten bliertes Schema zur Klassifikation von lexikalischem Lehngut kann Betz (1974) gelten (vgl. dazu auch Winter-Froemel 2011: 68-69). Lehngut direktes/ äußeres Lehngut Lehnwort Lehnbedeutung indirektes/ inneres Lehngut Lehnbildung Lehnübersetzung Lehnschöpfung Fremdwort Allogenismus Abb. 4: Klassifikation von Lehngut in Anlehnung an Betz (1974) Wie aus der Abbildung hervorgeht, lassen sich mit Betz (1974) zwei Hauptkategorien von Lehngut unterscheiden: direktes / äußeres Lehngut und indirektes / inneres Lehngut. Diese Zweiteilung kann in der modernen Entlehnungsforschung als etabliert gelten. Unter direktem Lehngut wird Material aus der AS verstanden, das in die ZS übernommen worden ist. Es kann mehr oder weniger gut integriert sein. Indirektes Lehngut hingegen zeichnet sich gerade dadurch aus, dass kein fremdsprachliches Material aufgenommen wird. Fremdsprachliche Bezeichnungen werden lediglich mit „eigensprachlichem Material nachgebildet“ (Winter-Froemel 2011: 66). Wenn im Französischen des 16. Jahrhunderts baster < it. bastare geläufig ist, muss von direktem Lehngut ausgegangen werden, da vorher keine Form baster vorhanden war. Wenn jedoch das erbwörtliche fr. forestier ‘relatif à la forêt’ im 16. Jahrhundert unter italienischem Einfluss die zusätzliche Bedeutung ‘étranger’ (vgl. it. forestiero ) erhält, muss von indirektem Lehngut (hier: Lehnbedeutung) gesprochen werden, da formal keine Neuerung zu beobachten ist. Fremdes Material wurde nicht übernommen. Weitaus häufiger als in der italienischen und französischen Forschung wird in der deutschsprachigen Entlehnungsforschung, wie auch in Abbildung 4 zu erkennen ist, zwischen Lehnwort und Fremdwort (beide direktes Lehngut) unterschieden (vgl. Winter-Froemel 2011: 66). Die Differenzierung beruht zumeist auf dem unterschiedlichen Integrationsgrad der entlehnten Elemente. Sind diese gut integriert (z.B. dt. Fenster < lat. fenestra ), wird von Lehnwort gesprochen, weist die Ausdrucksseite (phonisch und / oder graphisch) des Worts hingegen fremde Merkmale auf (z.B. dt. Palais < fr. palais ), wird dieses als Fremdwort bezeichnet. 3.3 Sprachliche Auswirkungen 115 Ohne auf die zahlreichen Einwände gegen diese Unterscheidung im Detail einzugehen (vgl. dazu Winter-Froemel 2011: 65-81), sollen kurz einige der wesentlichen Probleme bei der Abgrenzung von Lehn- und Fremdwort besprochen werden. Problematisch ist das Kriterium des Integrationsgrads deshalb, weil es zahlreiche ‘schlecht’ integrierte Wörter gibt, die trotz der offensichtlichen Fremdheit nicht zwangsläufig mehr als fremd angesehen werden können. Das Substantiv dt. Computer etwa ist - von der Großschreibung einmal abgesehen - eher schlecht ins Deutsche integriert: <c> für [k] sowie <u> für [ju: ]. Ähnliches gilt für dt. Cappuccino . Trotzdem handelt es sich in beiden Fällen wohl um Lexeme, die ein Muttersprachler des Deutschen als zum deutschen Wortschatz gehörig betrachten würde. Ihre Gebrauchshäufigkeit ist höher als diejenige von relativ gut integrierten Lehnwörtern wie z.B. dt. parlieren < fr. parler . Ein verlässlicheres Kriterium zur Abgrenzung von Fremd- und Lehnwörtern scheint daher die Gebrauchshäufigkeit zu sein. Das Hauptaugenmerk der vorliegenden Arbeit gilt lexikalischen Italianismen im Französischen des 16. Jahrhunderts. Da nur schriftliche Quellen für die Analyse herangezogen werden können, ist die Beurteilung, ob es sich bei einem bestimmten Italianismus um ein bereits etabliertes Lehnwort oder Fremdwort handelt, anhand lautlicher Kriterien natürlich ohnehin nicht möglich. Ob jedoch eine italianisierende Graphie allein erlaubt, von einem Fremdwort zu sprechen, ist ebenfalls fraglich. Das Wort könnte wie z.B. dt. Cappuccino bereits sehr geläufig gewesen sein. Auch die in Kapitel 2.3.2.2 besprochenen Reitalianisierungen (z.B. it. squadrone > mfr. escadron > 16. Jh. fr. squadron > nfr. escadron ) zeigen, dass etablierte Lehnwörter wieder formal fremd erscheinen können. Entscheidend ist daher immer, ob ein Wort im 16. Jahrhundert bereits gut belegt ist, also als etabliert gelten kann (Lehnwort) oder nicht (Fremdwort). Von Bedeutung ist die Ausdrucksseite der Italianismen dennoch. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn mehrere Formen - besser und weniger gut integrierte Formen - miteinander konkurrieren. Dies kann darauf hindeuten, dass ein rezentes Lehnwort im Begriff ist, ins Französische integriert zu werden. Von besonderem Interesse ist dabei auch, wer (Italiener oder Franzosen) welche Formen verwendet. Allerdings fällt dies bereits in den Bereich der Entlehnung - verstanden als „erstmalige Verwendungen“ in der Zielsprache (vgl. Kapitel 3.3.4). Nicht zum Schema von Betz (1974) gehören sog. Allogenismen, die ich hier - mit Einschränkungen - dem direkten Lehngut zuordne. Der Begriff Allogenismus wird u. a. von Winter-Froemel (2011: 58-64) verwendet und meint eine „sprachliche Innovation innerhalb der ZS , die nicht durch eine Sprachkontaktsituation mit der vermeintlichen AS induziert ist, gleichzeitig aber auf sprachliches Material zurückgreift, das innerhalb der ZS nicht produktiv ist und sich durch eine formal-strukturelle Fremdheit auszeichnet […]“. Beispiele sind etwa dt. pi- 116 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten cobello und alles paletti , die keine Entsprechung in der vermeintlichen Ausgangssprache, hier dem Italienischen, haben. Es handelt sich um Pseudolehnwörter, die oft auch als Scheinentlehnungen 10 bezeichnet werden 11 . Die Zuordnung zum direkten Lehngut kann dadurch gerechtfertigt werden, dass das Material der Allogenismen - wie bei echten Lehnwörtern - fremd ist. Zudem werden sie von den Sprechern der ZS als fremd empfunden. Sowohl dt. picobello als auch dt. alles paletti werden schließlich mit dem Italienischen assoziiert, wohingegen indirektes Lehngut im Allgemeinen häufig nicht einmal als solches erkannt wird. Ganz wie beim direkten Lehngut (Fremdwort vs. Lehnwort) lassen sich auch beim sog. indirekten Lehngut weitere Subkategorien bestimmen: Von Lehnbedeutung spricht man dann, wenn ein bereits vorhandenes Wort eine zusätzliche oder neue Bedeutung erhält: z. B. erbwörtliches fr. forestier ‘relatif à la forêt’ im 16. Jahrhundert unter italienischem Einfluss auch ‘étranger’ (vgl. it. forestiero ). Entscheidend ist, dass keine neue, bisher nicht existierende Form gebildet wird. Bei der Lehnbildung hingegen ist genau das der Fall: Eine fremdsprachliche Bezeichnung wird mit erbwörtlichem Material nachgebildet, es entsteht auch formal eine neue lexikalische Einheit: z. B. im 16. Jahrhundert fr. baiser les mains à qn < it. baciare le mani a qn . Wie das Beispiel zeigt, kann es sich dabei um eine genaue Übersetzung handeln. Auch eine sog. Lehnübertragung ist möglich, die sich von der Lehnübersetzung insbesondere dadurch unterscheidet, dass nicht wörtlich übersetzt wird: dt. Wolkenkratzer statt *Himmelskratzer < engl. skyscraper (vgl. dagegen fr. gratte-ciel und it. grattacielo , die als Lehnübersetzungen betrachtet werden könnten). Schließlich schlägt Betz auch die Kategorie Lehnschöpfung vor, die aber umstritten ist (vgl. Winter-Froemel 2011: 56-58 sowie die dort genannte Literatur): Es handelt sich um kontaktinduzierte Innovationen, bei denen mit erbwörtlichem Material Bezeichnungen geschaffen werden, die sich aber gerade nicht an der Form der fremdsprachlichen Bezeichnung orientieren. Darunter könnten z. B. einige der im Rahmen der französischen Sprachpolitik geschaffenen Ersatzwörter für Anglizismen (z.B. fr. animateur statt engl. disc jockey ) fallen (vgl. Braselmann 1999). Problematisch ist, dass sich solche Innovationen nur bedingt von Innovationen unterscheiden, die einer nichtkontaktinduzierten Bezeichnungsnotwendigkeit geschuldet sind. In der 10 Angesichts der in der vorliegenden Arbeit verwendeten Terminologie sollte, wenn es sich wie im Falle von dt. tutti frutti um etablierte Einheiten des Wortschatzes handelt, besser von Scheinlehnwörtern gesprochen werden, ist Entlehnung doch dem Entlehnungsprozess vorbehalten. 11 In Kapitel 2.2.3 wurde darauf hingewiesen, dass solche Fälle im DIFIT auch als Pseudoitalianismen oder italianismi dubbi bezeichnet werden. 3.3 Sprachliche Auswirkungen 117 vorliegenden Arbeit sind aber weder Lehnübertragungen noch Lehnschöpfungen von Bedeutung 12 . Manchmal - bereits Gebhardt (1974: 111-113) weist darauf hin - ist es nicht leicht, bei eng verwandten Sprachen zwischen gut integriertem direktem Lehngut und indirektem Lehngut (z. B. Lehnübersetzungen) zu unterscheiden. Das im 16. Jahrhundert ins Französische entlehnte mont de piété < it. monte di pietà (vgl. Hope 1971: 211) etwa könnte als integriertes direktes Lehngut oder aber als indirektes Lehngut, als Lehnübersetzung, betrachtet werden. Letzteres ist m. E. wahrscheinlicher. In der vorliegenden Arbeit begegnen aber kaum Fälle, in denen die Unterscheidung von direktem und indirektem Lehngut tatsächlich Probleme bereitet. Eine v. a. in der älteren Forschung umstrittene Unterscheidung stellt schließlich die Differenzierung zwischen sog. Luxus- und Bedürfnislehnwörtern dar, die u. a. auf Tappolet (1913-1917) zurückgeht und trotz so mancher Kritik in der Entlehnungsforschung ihre Anhänger (z. B. Deroy 1956, Matras 2009, Winter- Froemel 2011) hat 13 . Traditionellerweise versteht man unter Bedürfnislehnwörtern solche Lehnwörter, die aufgrund einer Bezeichnungsnotwendigkeit entlehnt werden. Oft werden sie daher auch als Sachentlehnungen bezeichnet. Entlehnt werden sowohl die Ausdrucksals auch die Inhaltsseite. Immer handelt es sich um neue Gegenstände oder Sachverhalte, für die in der entlehnenden Sprache folglich noch keine indigenen Bezeichnungen existieren. Im Französischen des 16. Jahrhunderts können z. B. beinahe alle Lehnwörter, die in Fachwortschätzen zu finden sind und auch ins Deutsche und Englische entlehnt wurden, als Bedürfnislehnwörter betrachtet werden (z. B. nordit. articiocco > dt. Artischocke , engl. artichoke , fr. artichaut , vgl. Kapitel 2.2.3). Luxuslehnwörter hingegen sind fremdsprachliche Bezeichnungen, die entlehnt werden, obwohl bereits indigene Bezeichnungen vorhanden sind. Das Konzept ist bereits bekannt. Eine wirkliche Bezeichnungsnotwendigkeit besteht also nicht. Im Französischen könnte z. B. segnalé / signalé < it. segnalato (neben fr. de qualité / remarquable ) oder baster < it. bastare (neben fr. suffire ) als rinascimentales Luxuslehngut betrachtet werden. Oft sind es solche Luxuslehnwörter, die von Puristen am schärfsten kritisiert werden. Problematisch an dieser Differenzierung ist - von einem puristischen Unterton einmal abgesehen -, dass, wie z. B. auch Tesch (1978: 202-204) anmerkt, die Sprecher grundsätzlich immer die Möglichkeit haben, eine Bezeichnung mit 12 Für eine differenzierte Betrachtung verschiedener Arten von Lehngut vgl. z.B. Höfler (1971) und Scheler (1973). 13 Die folgenden Ausführungen zu Bedürfnis- und Luxuslehnwörtern orientieren sich an Winter-Froemel (2011: 295-319), die ihrerseits eine pragmatische Begründung für die Notwendigkeit dieser Unterscheidung liefert. 118 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten eigensprachlichem Material zu schaffen, also nicht entlehnen müssen. Bedürfnislehnwörter gibt es somit strenggenommen nicht. Andererseits liegt selbst bei sog. Luxuslehnwörtern ein Bedürfnis seitens der Sprecher vor. Diese wollen sich z. B. stilistisch abheben. Die Luxuslehnwörter könnten in ihren Augen zudem bestimmte Bedeutungsnuancen zum Ausdruck bringen. Dass die Kategorien dennoch für die Entlehnungsforschung relevant sind, ist laut Winter-Froemel insbesondere daran ersichtlich, dass sie Aussagen über die Intensität des Kontakts sowie die Motive für die Entlehnung erlauben. Die Begriffe nonbasic vocabulary und basic vocabulary bei Thomason/ Kaufman (1988) könnten z.B. mit den Kategorien Bedürfnis- und Luxuslehnwort in Verbindung gebracht werden. Während nonbasic vocabulary (z.B. Fachwortschatz) bereits bei schwachem Kontakt entlehnt wird (≈ Bedürfnislehnwörter), kommt es zur Übernahme von basic vocabulary (u.a. Grundwortschatz) nur bei intensiverem Kontakt, der ja auch eine Gruppe mehr oder weniger bilingualer Sprecher voraussetzt (≈ Luxuslehnwörter). Anzunehmen ist nämlich, dass für die entsprechenden Konzepte eigentlich bereits Bezeichnungen vorhanden sind, also keine Bezeichnungsnotwendigkeit besteht. Die Unterscheidung von Myers-Scotton (2002: 239) zwischen sog. cultural borrowings (zur Bezeichnung neuer Konzepte) und core borrowings (neue Bezeichnungen neben solchen, die bereits existieren) weist ebenfalls deutliche Parallelen zur Differenzierung zwischen Bedürfnis- und Luxuslehnwörtern auf. Laut Myers-Scotton finden sich core borrowings v. a. in der Sprache bilingualer Individuen und nehmen ihren Anfang oft im code-switching , wohingegen cultural borrowings auch bei monolingualen Sprechern anzutreffen sind. Schließlich seien Luxuslehnwörter laut Öhmann (1961: 4-5) auch ein Indiz dafür, dass die Sprache, aus der entlehnt wird, ein relativ hohes Prestige genießt. Bedürfnislehnwörter können hingegen auch aus Sprachen übernommen werden, die kein besonderes Ansehen haben. Allein die Bezeichnungsnotwendigkeit ist ausschlaggebend. In der vorliegenden Arbeit wird ebenfalls zwischen Luxus- und Bedürfnislehnwörtern unterschieden. Im rinascimentalen Französisch lassen sich neben den zahlreichen Bedürfnislehnwörtern aus dem Italienischen, die das Französische mit dem Deutschen, Englischen und Spanischen teilt, auch Luxuslehnwörter nachweisen, die sich nicht nur auf die bisher genannten Beispiele (vgl. weiter oben sowie Kapitel 2.3.3.2) beschränken. Schon Chaurand (1977: 79-80) weist z. B. anhand von Synonymenpaaren wie fr. jument und fr. cavale < it. cavalla auf diesen Umstand hin. Eine Besonderheit unter den Italianismen des 16. Jahrhunderts stellen die Italianisierungen französischer Erbwörter dar, die als Luxuslehnwörter par excellence betrachtet werden könnten. Sie werden häufig zur Veranschaulichung des tiefgehenden italienischen Einflusses auf das Französische erwähnt: So wird z. B. mfr. chienaille durch canaille < it. canaglia 3.3 Sprachliche Auswirkungen 119 ersetzt, ohne dass eine semantische Veränderung erkennbar wäre (vgl. Fragonard / Kotler 1994: 54, Clerico [1999] 2012: 208). Allerdings handelt es sich dabei, wie schon Chaurand (1977: 77) und Michel (2005: 108) betonen, nicht immer um wirkliche Luxuslehnwörter, wie es zeitgenössische Puristen wie Estienne (1578) glauben machen wollten: So tritt neben polysemes fr. attacher auch attaquer < it. attaccare , die bis heute beide mit unterschiedlicher Bedeutung erhalten geblieben sind (vgl. Hope 1971: 158). Auch bei fr. cavalier und cavalerie < it. cavaliere und cavalleria neben fr. chevalier und chevalerie könne man, so Hope (1971: 179), der sich u. a. auf Gougenheim (1949) bezieht, nicht ohne Weiteres von totaler Synonymie ausgehen. In der vorliegenden Arbeit werden vermeintlich italianisierte Erbwörter daher immer dahingehend überprüft, ob sie auch semantisch verschieden von den formal erbwörtlichen Entsprechungen sind. In solchen Fällen liegt nämlich eine Entlehnung der Ausdrucks- und Inhaltsseite und mithin ein Bedürfnislehnwort vor. 3.3.3 Interferenz Weiter oben wurde bereits erläutert, dass mit Kabatek (1996) und Winter-Froemel (2011) Interferenzen als Phänomene betrachtet werden müssen, die auf die Äußerung von - meist zwei- oder mehrsprachigen - Individuen beschränkt sind. Häufig werden in der Sprachkontaktforschung nur solche Interferenzen untersucht, die mit Kabatek (1996) und Winter-Froemel (2011) als Übertragungsinterferenz bezeichnet werden können: […] Interferenzen […], bei denen aufgrund von Sprachkontakteinflüssen bestimmte von der ZS -Norm oder vom ZS -System abweichende Einheiten aus der AS in die ZS transferiert werden (so dass es zu direkt beobachtbaren Abweichungen von den ansonsten üblichen Realisierungen, also Fehlern kommen kann). (Winter-Froemel 2011: 39) Interferenzen erklären sich also dadurch, dass Elemente oder Regeln aus einer Sprache auf eine andere übertragen werden. Dass dies insbesondere bei zwei- oder mehrsprachigen Individuen zu erwarten ist, versteht sich von selbst. Grundsätzlich kann es auf allen sprachlichen Ebenen zu Interferenzen kommen (vgl. z. B. Riehl [2004] 2009: 28) 14 . In Kapitel 2.2.2 wurde erwähnt, dass das Italienische in administrativen Texten aus nordafrikanischen Kanzleien bisweilen Interferenzen mit dem Französischen aufweist. Es begegnet z. B. <ou> statt <u> 14 Riehl ([2004] 2009: 28) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in der Forschung heute zunehmend von Transferenz gesprochen wird, da der Begriff Interferenz negativ konnotiert sei. In der vorliegenden Arbeit verwende ich aber weiterhin den etablierten Begriff der Interferenz . Damit ist keinerlei Wertung verbunden. 120 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten für [u], was als Übertragung einer französischen Schreibtradition betrachtet werden kann. Auch in der Lautung können Interferenzen zu beobachten sein: So legen metasprachliche Zeugnisse aus dem 16. und 17. Jahrhundert nahe, dass die italienischen Immigranten in Frankreich kein [y] sprechen konnten und dieses oft durch [u] substituierten (z. B. <escouz> [eku] ‘écus’, vgl. dazu Kapitel 6.2.2.4). Dies erklärt sich dadurch, dass im Lautsystem zentral- und süditalienischer Varietäten kein / y/ vorhanden ist und Sprecher dieser Varietäten es daher durch einen ihnen bekannten Laut ersetzten. Interferenzen können auch auf lexikalischer, semantischer oder syntaktischer Ebene auftreten. Hat ein Sprecher Wortfindungsschwierigkeiten während einer Äußerung in der ZS , kann er unbewusst auf lexikalische Einheiten aus der AS zurückgreifen (vgl. Entlehnung und one-word code-switching ). Wenn ein Italiener fr. fermer in der Bedeutung ‘arrêter’ statt ‘fermer’ verwendet, kann dies dem Einfluss von it. fermare geschuldet sein. Etabliert sich die neue Bedeutung, kann von indirektem Lehngut (Lehnbedeutung) im Französischen gesprochen werden. Neben solchen Übertragungsinterferenzen gibt es aber auch Interferenzerscheinungen, die Coseriu (1977) als negative Interferenzen bezeichnet hat. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass kontaktbedingt bestimmte Elemente gerade nicht realisiert werden. Kabatek (1996: 18-19) unterscheidet in Anlehnung an Coseriu (1977) zwei Arten der negativen Interferenz, die auch Winter-Froemel (2011: 38-41) übernimmt: Überschneidungsinterferenz und Unterscheidungsinterferenz. Erstere ist zu beobachten, wenn z. B. in der ZS bewusst ein Element realisiert wird, das die ZS und die AS gemeinsam haben. Wenn z. B. ein Franzose im Italienischen frequentemente statt spesso verwendet, weil auch im Französischen fréquemment (aber kein bedeutungsgleicher Kognat zu spesso ) existiert, kann von einer Überschneidungsinterferenz gesprochen werden. Als negative Interferenz muss sie deshalb betrachtet werden, weil dadurch andere Optionen (it. spesso ), die spezifisch für eine der beiden Sprachen sind, nicht realisiert werden. Bei der Unterscheidungsinterferenz hingegen werden gerade solche Elemente bevorzugt, die die beiden miteinander in Kontakt stehenden Sprachen nicht gemeinsam haben. Wenn Sprecher des Französischen im 16. Jahrhundert tuer statt occir verwenden, um bewusst eine Option zu wählen, die im Italienischen nicht vorhanden ist (it. uccidere , aber kein Kognat zu fr. tuer ) liegt eine Unterscheidungsinterferenz vor. Negativ ist sie deshalb, weil in solchen Fällen gerade gemeinsame Elemente nicht realisiert werden. Dadurch kann sich der sprachliche Abstand vergrößern. 3.3 Sprachliche Auswirkungen 121 3.3.4 Entlehnung - AS -produzenteninduziert und ZS rezipienteninduziert Weiter oben wurde bereits festgestellt, dass Entlehnung (vs. Lehngut oder Lehnwort) als Prozess, als „erstmalige Verwendung“ (Winter-Froemel 2011: 277) einer zumeist lexikalischen Einheit aus der AS in der ZS , verstanden werden kann und daher deutliche Parallelen zur lexikalischen Interferenz aufweist. In beiden Fällen wird ein Wort aus der AS in der ZS verwendet, das noch nicht zu den Traditionen der ZS gehört. Wie wichtig solch eine synchrone Perspektive für die etymologische Forschung ist, wurde in Kapitel 2.3.3.3 ausführlich dargelegt: Insbesondere die Erstbelege eines späteren Lehnworts können Auskunft über seine Herkunft geben. In der vorliegenden Arbeit soll nicht zuletzt auch gezeigt werden, dass die italienischen Immigranten entgegen der Annahme Winds (1928) an der lexikalischen Bereicherung des rinascimentalen Französisch beteiligt waren. In den französischen Texten italienischer Immigranten (vgl. Kapitel 7) gilt das Hauptaugenmerk daher Entlehnungen bzw. lexikalischen Interferenzen aus dem Italienischen. Wie in Kapitel 3.3.1 bereits erwähnt, sind neue Erstbelege (z. B. manquer de faire qc ) von besonderem Interesse. Wie aber sind Okkurrenzen zu bewerten, die zeitgleich zu den Belegen in von Franzosen verfassten Texten erscheinen? Kann es sich dabei nicht mehr um Entlehnungen durch die Immigranten handeln? Eine ähnliche Frage stellt sich im Hinblick auf Italianismen, die in den Briefen der Einwanderer wenige Jahre nach den bisher bekannten Erstbelegen begegnen. Muss in diesem Fall von bereits etablierten Lehnwörtern ausgegangen werden? Eindeutig geklärt werden können diese Fragen nur, wenn es möglich ist, Entlehnungen, die auf Franzosen zurückzuführen sind, von solchen, die den Italienern geschuldet sind, auch unabhängig von - oder zumindest in Ergänzung zu - der Datierung zu unterscheiden. Das in Kapitel 2.3.2 zugrundegelegte Modell von Thomason / Kaufman (1988) zur Messung der Intensität von Sprachkontakten scheint auf den ersten Blick eine solche Unterscheidung zu ermöglichen: Grundsätzlich werden Produkte des Sprachkontakts anhand quantitativer und qualitativer Aspekte entweder auf Entlehnung ( borrowing ) durch die Sprecher der L1 (= ZS , die erhalten bleibt) oder auf interference through shift (Substratinterferenz) durch die Sprecher der L2 (= AS , die untergeht) zurückgeführt. Problematisch ist, dass Innovationen im Lexikon zumeist als Lehnwörter aufgefasst werden, die den Sprechern der L1 ( ZS ) zugeschrieben werden. Einflüsse des Substrats manifestieren sich hingegen insbesondere in der Lautung, Morphosyntax und Syntax. Es wurde aber festgestellt, dass bei superstratalem Einfluss (der AS auf die ZS ) auch die Bereicherung des Wortschatzes der ZS auf Sprecher der AS zurückgehen kann (z. B. französische Einflüsse auf das Mittelenglische). Welche Sprecher am Auf- 122 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten kommen einzelner Lehnwörter (also an den Entlehnungen) beteiligt waren, lässt sich anhand dieses Modells, wie schon Winter-Froemel (2011: 41-44, 276-282) zu Recht beklagt, aber nicht ermitteln. Auch wenn man annehmen kann, dass bestimmte Denotatsbereiche, denen die Lehnwörter angehören, typischerweise einem Superstrat geschuldet sind (z. B. Verwaltungs- und Heeresterminologie - beide Bereiche werden zumeist von den Eroberern kontrolliert und umgestaltet), lässt sich letztlich nichts über das Aufkommen der Lehnwörter aussagen. Denkbar ist, dass die Unterworfenen die Bezeichnungen übernehmen, d. h. entlehnen mussten. Möglicherweise verwendeten aber auch die Eroberer, die die Sprache der Unterworfenen erlernten, Bezeichnungen aus ihrer eigenen Sprache. Das Modell von Thomason / Kaufman (1988) berücksichtigt nur Sprechergruppen als ganze, keine Individuen. Zudem werden die Aussagen zum Kontaktverhältnis ex post gemacht. Eine synchrone Perspektive, die z. B. auch vorübergehend verbreitete Lehnwörter (oder vereinzelte Entlehnungen) berücksichtigt, wird nicht angestrebt. Winter-Froemel (2011: 41-44, 276-293) entwirft daher ein Modell, das den Sprachbenutzer und konkrete Kommunikationssituationen in den Mittelpunkt stellt. Das Interesse gilt Entlehnungen, d. h. den „erstmaligen Verwendungen“ eines Lexems aus der AS in der ZS , aus einer streng synchronen Perspektive. Anhand formaler Kriterien lassen sich Entlehnungen (z. B. Italianismen im Französischen), die von Sprechern der AS (hier: Italiener, vgl. interference through shift ) beigebracht werden, von solchen, für die die Sprecher der ZS selbst (hier: Franzosen, vgl. borrowing ) verantwortlich sind, unterscheiden. Erstere werden als AS -produzenteninduzierte, letztere als ZS -rezipienteninduzierte Entlehnungen bezeichnet. Im Gegensatz zu anderen Modellen wie Ross (1991) bleibt der Verarbeitungsaufwand bei Winter-Froemel (2011) unberücksichtigt. Ross (1991) interessiert sich bei der Bestimmung von Entlehnungen nicht nur für diejenigen, die für die Innovation verantwortlich sind, sondern auch dafür, ob der Transfer bewusst oder unbewusst stattfindet. Er unterscheidet vier Typen (Typ 1: Sprecher AS , bewusste Entlehnung aus der Muttersprache: endo-borrowing ; Typ 2: Sprecher AS , unbewusste Entlehnung / Übertragung / Interferenz aus der Muttersprache: substrate ; Typ 3: Sprecher ZS , bewusste Entlehnung aus der Fremdsprache: exo-borrowing ; Typ 4: Sprecher ZS , unbewusste Übernahme aus der Fremdsprache: metatypy ). In der vorliegenden Arbeit sind insbesondere AS -produzenteninduzierte Entlehnungen von Interesse (Italianismen im Französischen der Italiener). Ob die Einwanderer Italianismen verwendeten, weil ihnen das französische Wort fehlte (Typ 2 bei Ross 1991) oder nicht (Typ 1 bei Ross 1991), ist nicht wirklich von Belang. Beides führt gleichermaßen zu AS -produzenteninduzierten Entlehnungen und mithin zu Italianismen im Französischen. Herauszufinden, ob bewusst oder unbewusst auf das Italienische 3.3 Sprachliche Auswirkungen 123 zurückgegriffen wurde, ist anhand der verfügbaren Texte auch nicht immer möglich. Wenn keine metasprachlichen Kommentare begegnen, die nahelegen, dass das französische Wort nicht abrufbar war oder dass in einem bestimmten Fall absichtlich italianisiert wurde, kann nicht zwischen Typ 1 und Typ 2 unterschieden werden. Befragt werden können Catherine de Médicis und ihre Entourage nicht. Im Folgenden werden unbewusste lexikalische Interferenzen und bewusste Entlehnungen gleichermaßen als AS -produzenteninduzierte Entlehnungen behandelt. Es sei nochmals betont, dass das Ergebnis, ein Italianismus im Französischen eines Immigranten, dasselbe ist. Zentral für die vorliegende Arbeit sind die formalen Kriterien, anhand derer AS -produzenteninduzierte Entlehnungen von ZS -rezipienteninduzierten Entlehnungen abgegrenzt werden können. Insgesamt ergibt sich, dass hier [bei AS -produzenteninduzierten Entlehnungen, T. S.] zunächst keine starken formalen oder semantischen Veränderungen im Kontext der Entlehnung selbst zu erwarten sind. Wenn dennoch entsprechende Veränderungen auftreten, so können diese als Zugeständnis des Produzenten an eine begrenzte AS -Kompetenz des Rezipienten interpretiert werden. […] Eine zweite mögliche Konstellation lässt sich hingegen dahingehend charakterisieren, dass die Entlehnung, d. h. die erstmalige Verwendung der Form in der ZS , durch einen nativen Sprecher der ZS […] erfolgt. In diesem Fall muss die entsprechende Form zu einem früheren Zeitpunkt im Rahmen einer Sprachkontaktsituation in das Wissen dieses […] Individuums [eingegangen sein, T. S.]. Wesentlich dafür, wie die Form bei der Innovation realisiert wird (hinsichtlich Aussprache, Schreibung, Morphologie) und mit welcher Bedeutung sie verwendet wird, ist nun, wie der innovierende ZS-Produzent die Form in dieser vorausgehenden Sprachkontaktsituation rezipiert hat. […] Hervorzuheben ist, dass nur bei ( ZS -) rezipienteninduzierten Entlehnungen - im Gegensatz zur oben skizzierten AS -produzenteninduzierten Entlehnung - beim ersten Schritt eine Kommunikation in der AS , d. h. ein AS -Kontext, gegeben ist, der bestimmte formale Uminterpretationen […] erlaubt. (Winter-Froemel 2011: 277-279) Wie aus dem Ausschnitt hervorgeht, unterscheiden sich AS -produzenteninduzierte Entlehnungen von ZS-rezipienteninduzierten Entlehnungen insbesondere durch den Kontext, in dem diese entstehen. Während erstere spontan von einem AS-Sprecher (hier: Italiener) in einem ZS-Kontext (hier: Französisch) verwendet werden, müssen letztere, die von einem ZS -Sprecher (hier: Franzose) ebenfalls in einem ZS -Kontext (hier: Französisch) eingeführt werden, vom ZS -Sprecher zunächst in einem AS -Kontext (hier: Italienisch) wahrgenommen worden sein. Im Gegensatz zum Sprecher der AS (hier: Italiener) kann nun der Sprecher der ZS (hier: Franzose) die Form, die zum ersten Mal in der ZS (hier: Französisch) realisiert wird, zuvor ‘falsch’ rezipiert bzw. umgedeutet haben, so dass sich seine 124 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten Entlehnung formal und / oder semantisch deutlich von derjenigen des AS -Sprechers unterscheidet, obwohl sie beide auf das gleiche Etymon zurückgehen. Winter-Froemel (2011) veranschaulicht dies u. a. am Beispiel von it. l’alicorno > fr. la licorne . Angenommen werden kann, dass ein Italiener, der it . l’alicorno ins Französische entlehnt, eine Form wie fr. l’alicorne produziert ( AS -produzenteninduzierte Entlehnung), wohingegen ein Franzose, der it. l’alicorno in einem italienischen Kontext gehört hat, durchaus fr. la licorne bilden könnte. Je geringer die Kenntnis der AS des entlehnenden ZS -Sprechers ist, desto wahrscheinlicher sind solche Umdeutungen und Veränderungen (hier: eine durch Reanalyse bedingte Deglutination). Auch ein Numeruswechsel kann so erklärt werden (it. spaghetti Pl., spaghetto Sg., im Französischen jedoch spaghetti Sg.). Semantische Veränderungen können manchmal ebenfalls auf ZS -rezipienteninduzierte Entlehnungen zurückgeführt werden. Während sp. sombrero ‘Hut’ bedeutet, wird mit fr. sombrero < sp. sombrero nur ein ‘breitkrempiger Hut’ bezeichnet. Denkbar wäre, dass Franzosen in einem AS -Kontext sp. sombrero gehört haben und die Bezeichnung mit dem konkreten Referenten in Verbindung gebracht haben. Die allgemeine Bedeutung von sp. sombrero war ihnen aufgrund einer mangelnden Kompetenz in der AS nicht bekannt. Was die Diffusion der Lehnwörter - wenn es sich bei den Entlehnungen nicht um einmalige oder ephemere Innovationen handelt - anbelangt, garantiert eine AS -produzenteninduzierte Entlehnung natürlich nicht, dass die Form dem Etymon weiterhin so ähnlich bleibt. In der Folge können die Formen auch stärker integriert werden (vgl. Winter-Froemel 2011: 278). Möglicherweise wird eine AS -produzenteninduzierte Entlehnung wie fr. l’alicorne von ZS -Rezipienten (wie it. l’alicorno in einem AS -Kontext) während der Verbreitung umgedeutet. Auch Formen wie fr. scorte < it. scorta , die im 16. Jahrhundert vereinzelt noch belegt sind, erscheinen ab dem 17. Jahrhundert nicht mehr (nur noch fr. escorte ). Integrationsprozesse finden bei AS -produzenteninduzierten Entlehnungen im Normalfall aber erst im Nachhinein, also bei der Diffusion, statt. Für die Untersuchung von Erstbelegen stellt die Unterscheidung von AS -produzenteninduzierten Entlehnungen und ZS -rezipienteninduzierten Entlehnungen anhand formaler Kriterien daher ein gutes heuristisches Instrument dar. Das Briefkorpus in Kapitel 7, anhand dessen Estiennes Aussagen zum françois italianizé überprüft werden, umfasst neben autographes italienischer Immigranten auch Briefe, die französischen Sekretären diktiert wurden. Bei der Analyse wird daher auch zu untersuchen sein, inwieweit sich Italianismen in diktierten Briefen und in autographes insbesondere in formaler Hinsicht unterscheiden. Zu vermuten ist, dass in Texten, die von italienischen Einwanderern geschrieben worden sind, vermehrt AS -produzenteninduzierte Entlehnungen (z. B. scorte ) 3.3 Sprachliche Auswirkungen 125 zu finden sind, wohingegen in von französischen Sekretären verfassten Briefen besser integrierte Formen (z. B. escorte ) anzutreffen sein müssten. 3.3.5 Code-switching Wie Interferenzen und Entlehnungen ist code-switching nur im Diskurs von Individuen zu beobachten. Diese müssen - anders als im Falle der Entlehnung - immer zweibzw. mehrsprachig sein, da dabei zwei oder mehrere Sprachen gewissermaßen zusammen verwendet werden. Eine genaue Definition von code-switching zu liefern, ist allerdings deutlich schwieriger, als es zunächst den Anschein haben mag. Abgesehen von Abgrenzungsproblemen zu ähnlichen Phänomenen wie der Entlehnung oder der Interferenz (vgl. das nächste Kapitel), die wirkliche Probleme darstellen, sind in den letzten Jahrzehnten so viele Definitionen und Subkategorien vorgeschlagen worden, dass bereits Clyne (2003: 71-72) beklagt, dass der Begriff inzwischen zu „polysemous and unclear“ geworden ist 15 : In manchen Ansätzen etwa wird zwischen code-mixing und code-switiching unterschieden, wobei jedoch manchmal ersteres (z. B. bei Muysken 2000), manchmal letzteres (z. B. bei McClure 1977) als Oberbegriff verwendet wird. Meist jedoch wird unter code-mixing der Wechsel des Codes innerhalb eines Satzes ( intrasentential ), mit code-switching der Wechsel zwischen Sätzen oder Teilsätzen ( intersentential ) verstanden. Für diese und weitere Unterscheidungen werden allerdings nicht immer ausschließlich formale, d. h. syntaktische, Kriterien zugrundegelegt. In der vorliegenden Arbeit spielt code-switching - das sei an dieser Stelle bereits vorausgeschickt - keine zentrale Rolle. Vielmehr sind Interferenzen, Entlehnungen und Lehngut von Bedeutung. Im Folgenden wird daher nur auf die wichtigsten Eigenschaften von code-switching , wie sie etwa in Poplack (2004), Riehl ([2004] 2009) und Winter-Froemel (2011) präsentiert werden, eingegangen. Insbesondere formale Eigenschaften, die eine Abgrenzung zu anderen Phänomenen wie der Entlehnung erlauben, sowie die Funktionen, die es erfüllen kann, sind von Interesse. Mit Poplack (2004: 589) kann unter code-switching zunächst „the utterance-internal juxtaposition, in unintegrated form, of overt linguistic elements from two or more languages, with no necessary change of interlocutor or topic“ verstanden werden. Im Folgenden unterscheide ich nicht zwischen code-mixing und code-switching , sondern zwischen intrasentential (vgl. Bsp. A, B) und intersentential code-switching (vgl. Bsp. C, D): 15 Auch Riehl ([2004] 2009: 20, Fn. 6) verweist in diesem Zusammenhang auf Clyne (2003: 70-76), der sich mit einigen der bekanntesten Auffassungen von code-switching kritisch auseinandersetzt. Für einen Überblick vgl. auch Lüdi (2004) und Poplack (2004). 126 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten (A) Hier soir, j’ai mangé delle olive buonissime . (B) C’était molto intéressant . (C) Ieri sera volevo mangiare delle olive, mais il n’y en avait plus . (D) Où sont les olives? Le ho comprate solo ieri . Wie Beispiel (B) zeigt, wird manchmal auch dann von code-switching gesprochen, wenn nur ein einzelnes Wort einer Sprache (hier: molto ) in eine Äußerung in einer anderen Sprache (hier: C’était intéressant ) eingebettet wird. Solche Fälle werden zumeist als one-word code-switching bezeichnet. In den Beispielen (C) und (D) ist es hingegen schwieriger, eine dominante Sprache, d. h. eine Matrix, in die eingebettet wird, auszumachen. Ohne weiteren Kontext scheinen beide Sprachen gleichberechtigt zu sein. Inwiefern auch längere Passagen in einer Sprache A (mehrere vollständige Sätze), die in einen Kontext in Sprache B eingebettet sind, noch als code-switching betrachtet werden können, ist umstritten. Bisweilen wird auch nur der Umstand, dass mehrsprachige Individuen bestimmte Sprachen mit bestimmten Gesprächspartnern oder in bestimmten Situationen verwenden, als code-switching bezeichnet (vgl. Rindler-Schjerve 1998: 25-26). Dabei bleiben die Sprachen in den einzelnen Äußerungen aber meist voneinander getrennt. Dass code-switching nur bei zwei- oder mehrsprachigen Individuen auftreten kann, wurde bereits erwähnt. Insbesondere die Beispiele (A), (C) und (D) zeigen, dass der Sprecher über eine gewisse - aber nicht notwendigerweise vergleichbare - Kompetenz in beiden beteiligten Sprachen verfügen muss. Auch mit der Frage, warum einzelne Sprecher switchen, hat sich die Forschung intensiv auseinandergesetzt. Laut Riehl ([2004] 2009: 22-27) lassen sich im Wesentlichen zwei Arten von code-switching unterscheiden: (1) funktionales code-switching , das u. a. diskursstrategische Gründe haben kann, und (2) nicht-funktionales, das gewissermaßen unbewusst stattfindet. Bei (1) hängt der Wechsel von äußeren Faktoren, etwa der Situation, dem Gesprächspartner, der Thematik ab. Diese Verwendungsweisen legen nahe, dass die Sprachen mehr oder weniger getrennt bleiben (vgl. weiter oben Rindler-Schjerve 1998). Andererseits kann, so Riehl, auch im Gespräch mit ein- und derselben Person im selben Kontext (z. B. hinsichtlich der Örtlichkeit) code-switching beobachtet werden. Oft geschieht dies aus diskursstrategischen Gründen (z. B. Themenwechsel). Auch Zitate können in der Originalsprache wiedergegeben werden. Wie bereits angedeutet, ist code-switching nicht auf die Sprache von Individuen beschränkt, die die beteiligten Sprachen ähnlich gut beherrschen. Auch Lerner einer Sprache, die in dieser erst eine geringe Kompetenz haben, können switchen (vgl. Lüdi 2004: 347-340). Dabei ist es nicht so, dass lediglich Elemente aus der Muttersprache, z. B. aufgrund von Wortfindungsschwierigkeiten, 3.3 Sprachliche Auswirkungen 127 in die fremdsprachliche Äußerung eingebettet werden. Auch in muttersprachlichen Äußerungen können fremdsprachliche Elemente erscheinen. Dass dies in der Frühen Neuzeit in gehobenen Gesellschaftsschichten beobachtet werden konnte, betont Wolf (2009: 3319) 16 , die - in Anlehnung an Helfrich (1990) - diesbezüglich von „ A-la-mode -Hofstil“ spricht. Oft werden fremdsprachliche Versatzstücke, meist nur Zitate, in die in der Muttersprache verfassten Texte oder Briefe eingefügt. Im Deutschland des 17. und 18. Jahrhunderts diente dazu häufig das Französische. In französischen Memoiren und Reiseberichten aus dem 16. Jahrhundert lässt sich indessen eine Vorliebe für italienische Versatzstücke feststellen. Die Tatsache, dass die Stellen zumeist nicht paraphrasiert werden, legt nahe, dass die Autoren davon ausgehen konnten, dass ihr Publikum das Italienische ausreichend beherrschte. Meist erfolgt die Verwendung aus stilistischen Gründen oder, wie im folgenden Ausschnitt aus Brantôme zu sehen ist, um Lokalkolorit zu erzeugen. Les courtisanes de Rome […] disent que chiavano come cani, ma che sono quiete della bocca come sassi . […] Et pource, les estrangers qui vont par pays ne se mettent à guières aymer les femmes estrangères, ny volontiers s’encaprichent pour elles, d’autantqu’ilz ne s’entendent point, ny leur parole ne leur touche aucunement au cœur; j’entends ceux qui n’entendent leur langage: et s’ils s’accostent d’elles, ce n’est que pour contenter autant nature, et esteindre le feu naturel bestialement, et puis andar in barca , comme dist un Italien un jour désembarqué à Marseille, allant en Espagne, et demandant où il y avoit des femmes. On luy monstre un lieu où se faisoit le bal de quelques nopces. Ainsi qu’une dame le vint accoster et arraisonner, il luy dit V. S. mi perdona, non voglio parlare, voglio solamente chiavare, e poi me n’andar in barca. (Brantôme Bd. 9, 1876: 250-251, Hervorhebungen im Original) Im Gegensatz zu solch funktionalem code-switching erfolgt die o. g. zweite Art von code-switching (2) laut Riehl meist unbeabsichtigt. Es wird in mehrsprachigen Individuen durch sog. trigger-words ausgelöst. Als solche fungieren können z. B. Eigennamen, insbesondere von Personen, mit denen die andere Sprache, d. h. die, in die gewechselt wird, assoziiert wird. Des Weiteren können auch Elemente, die aus Sprache A in Sprache B entlehnt wurden, den Wechsel von Sprache B zu Sprache A triggern, wenn die Elemente in einer Äußerung in Sprache B begegnen. Vor allem solche Fälle von unbewusstem code-switching sind für die vorliegende Arbeit von Bedeutung, da sie Gemeinsamkeiten mit unbewussten Interferenzen aufweisen. In den Briefen der italienischen Immigranten wird zu überprüfen sein, wann code-switching zwischen dem Italienischen und Franzö- 16 Für weiterführende Literatur vgl. die bibliographischen Angaben in Wolf (2009). 128 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten sischen zu beobachten ist und ob es sich dabei vermehrt um intersentential oder intrasentential code-switching handelt. 3.3.6 Abgrenzungsprobleme Wie in den vorhergehenden Kapiteln schon angedeutet wurde, ist die Unterscheidung zwischen den auf den ersten Blick so gut voneinander abgrenzbaren Phänomenen code-switching , Interferenz, Entlehnung und Lehngut in der Praxis nicht immer problemlos möglich. Insbesondere die Differenzierung zwischen Fällen von sog. one-word code-switching und Entlehnungen bereitet bisweilen große Schwierigkeiten. Um eine neue Einsicht handelt es sich dabei nicht. Im Gegenteil: Kriterien, die eine zweifelsfreie Zuordnung zur einen bzw. zur anderen Kategorie ermöglichen sollen, werden in der Forschung seit Langem diskutiert (vgl. z. B. Clyne 2003: 70-73, Riehl [2004] 2009: 20-21, Winter-Froemel 2011: 33-38). Im Folgenden soll illustriert werden, anhand welcher Kriterien in der vorliegenden Arbeit zwischen den verschiedenen Phänomenen unterschieden wird. Der Umstand, dass das Korpus ausschließlich aus geschriebenen Texten besteht, erschwert die Abgrenzung zusätzlich. Wie etwa könnte <cascina> im folgenden Beispiel interpretiert werden? (A) Tout à coup, j’ai vu la cascina . Ein wesentliches Kriterium zur Unterscheidung zwischen ( one-word ) codeswitching und Entlehnung / Lehnwort ist, wie auch der Definition aus Poplack (2004) im vorhergehenden Kapitel zu entnehmen ist, dass die eingebetteten Elemente im Falle von code-switching nicht integriert sind. Nun weist aber schon Winter-Froemel (2011: 33-35) darauf hin, dass, wenn nur schriftliche Quellen vorliegen, keinerlei Aussagen über eine etwaige lautliche Integration, die nicht zwangsläufig im Schriftbild zum Ausdruck gebracht werden muss, gemacht werden können. In der vorliegenden Arbeit kommt hinzu, dass es sich um Texte handelt, deren Verfasser auch nicht befragt werden können. Graphisch integriert ist <cascina> nicht. Allerdings wurde im Zusammenhang mit sog. Fremdwörtern bereits dargelegt, dass auch fest in der Sprache etabliertes Lehngut äußerst schlecht oder gar nicht graphisch integriert sein kann (vgl. dt. Cappuccino ). Auch bei Entlehnungen, insbesondere wenn diese von einem Sprecher der AS stammen, kann die Form auch schwach integriert, ja sogar völlig unintegriert sein. Bisweilen wird daher auch vorgeschlagen, nur dann von codeswitching zu sprechen, wenn die Elemente nicht morphosyntaktisch integriert sind. Im obigen Beispiel aber lässt sich diesbezüglich keine Aussage machen. Wäre <les cascine(s)> oder zumindest <une cascina> anzutreffen, könnte man annehmen, das Wort sei integriert. Die Form des bestimmten Artikels in <la cas- 3.3 Sprachliche Auswirkungen 129 cina> hingegen könnte auch italienischen Ursprungs sein. Wie Winter-Froemel (2011: 35) anmerkt, versagt dieses Kriterium v. a. dann, wenn solche Formen „in einem sprachlichen Kontext auftreten, bei dem die Wortstellung in beiden Sprachen […] übereinstimmen [sic] und keine (formal realisierte) Flexion erforderlich ist“. Auch das Kriterium der Habitualisierung greife laut Winter-Froemel (2011: 37) oft zu kurz. Zwar lässt sich anhand des Umstands, dass ein Lexem aus der AS in der ZS verbreitet ist, also bereits von mehreren Sprechern der ZS benutzt wird (= Habitualisierung), wahrscheinlich machen, dass trotz fehlender formaler Integration 17 keine Fälle von one-word code-switching , sondern eher etablierte Lehnwörter vorliegen, allerdings unterscheiden sich die Vorkommen von one-word code-switching nicht immer von Entlehnungskontexten, also Fällen, in denen eine AS -Form zum ersten Mal in der ZS verwendet wird. Aus einer synchronen Perspektive, die sich für den Zeitraum des Aufkommens zukünftiger Lehnwörter interessiert - eine solche wird auch in der vorliegenden Arbeit eingenommen -, kann es sich in solchen Fällen auch um eine Entlehnung handeln, die formal (noch) nicht integriert ist. Ob sich eine solche Entlehnung oder ein solches one-word code-switching wie im Falle von it. cascina > fr. cassine durchsetzt oder nicht, kann erst im Nachinein, also ex post, festgestellt werden. Würde man im fiktiven Beispiel (A) cascina durch chiesa ersetzen, würde es sich vermutlich um einen einmaligen Beleg von chiesa handeln, da it. chiesa nicht ins Französische entlehnt wurde. Der Status von chiesa und cascina aber wäre synchron betrachtet derselbe. In beiden Fällen läge eine Entlehnung oder aber oneword code-switching vor. Der Unterschied bestünde nur darin, dass sich cascina in der Folge etabliert und allmählich besser integriert wird. In der Forschung wird heute mehrheitlich ein Kontinuum zwischen ( one-word ) code-switching und Entlehnung angenommen (vgl. z. B. Clyne 2003: 70-73). In manchen Fällen lassen sich für beide Phänomene schließlich sogar dieselben Gründe (z. B. Wortfindungsschwierigkeiten) verantwortlich machen. Bisweilen wird in der Literatur (vgl. Clyne 2003: 72, Riehl [2004] 2009: 20-21, Winter-Froemel 2011: 37) auch von nonce-borrowings oder ad hoc-Entlehnungen gesprochen. Gemeint sind damit Lexeme einer AS , die in einer ZS in einer mehr oder weniger gut integrierten Form erscheinen, sich aber nicht durchsetzen (z.B. fr. amorevolesse < it. amorevolezza ). Formal unterscheiden sie sich somit von oneword code-switching . Was den Grad der Habitualisierung betrifft, ähneln sie aber Fällen von one-word code-switching . Es handelt sich um ephemere Entlehnungen 17 Oft wird aber das Kriterium der Habitualisierung mit einem hohen Integrationsgrad in Verbindung gebracht. Ich trenne hier bewusst, um auch Fälle wie dt. Cappuccino berücksichtigen zu können. 130 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten (oft Hapax-Belege), die auch einen gewissen Grad an Zweisprachigkeit voraussetzen. Problematisch an dieser laut Clyne (2003: 72) ohnehin umstrittenen Kategorie ist, dass auch sie sich aus synchroner Perspektive nicht wesentlich von Fällen wie cascina oder chiesa unterscheidet. Zwar sind solche Formen besser integriert, aber der Integrationsgrad kann auch bei Entlehnungen schwanken (v. a. zwischen AS -produzenten- und ZS -rezipienteninduzierten Entlehnungen). Wie chiesa setzt sich auch amorevolesse nicht durch. Winter-Froemel (2011) stellt im Hinblick auf den Unterschied zwischen nonce-borrowings und etablierten Lehnwörtern (wie fr. cassine ) fest: Der eigentliche Unterschied scheint damit vor allem in einer zeitlichen Dimension zu liegen, wobei im Falle etablierter Entlehnungen der Weg von der erstmaligen Entlehnung bis hin zur Durchsetzung in der ZS bereits abgeschlossen ist, während dieser potenzielle Prozess (der selbstverständlich nicht in jedem Fall eintreten muss) bei den nonce-borrowings noch an seinem Anfang steht. (Winter-Froemel 2011: 37) In der vorliegenden Arbeit werden Fälle von sog. one-word code-switching , nonce-borrowing und Erstbelege von in der Folge etablierten Italianismen daher gleichermaßen als Entlehnungen, verstanden als erstmalige Verwendungen in der ZS , behandelt. Das heißt nicht, dass nicht an zahlreichen Stellen auch Aussagen über das weitere Schicksal bestimmter Italianismen gemacht werden. Von code-switching wird im Folgenden in der Regel nur dann gesprochen, wenn völlig unintegrierte Elemente aus einer AS , die mehr als eine lexikalische Einheit 18 umfassen, in einer ZS -Äußerung erscheinen. Begegnet hingegen nur eine lexikalische Einheit, kann diese als Entlehnung aufgefasst werden. Sie kann formal mehr oder weniger gut integriert sein. Im Kapitel zu AS -produzenteninduzierten und ZS -rezipienteninduzierten Entlehnungen wurde bereits festgestellt, dass auch lexikalische Interferenzen mit Entlehnungen (als erstmalige Verwendungen) gleichgesetzt werden können. Auch Formen, die auf lexikalische Interferenzen zurückgehen, können mehr oder weniger gut integriert sein. Wie aber lassen sich nun Entlehnungen (= lexikalische Interferenzen und Fälle von one-word code-switching ) von Lehnwörtern trennen? Dass auch letztere nicht immer (graphisch) integriert sein müssen, wurde weiter oben bereits angemerkt. Zur Differenzierung zwischen etablierten Lehnwörtern und Entlehnungen bietet sich daher zunächst das Kriterium der Habitualisierung (und der Datierung) an. Wenn ein Italianismus im 16. Jahrhundert bereits häufig belegt 18 Entscheidend ist die Semantik. Auch Komposita wie it. monte di pietà oder adverbial gebrauchte Präpositionalphrasen wie all’improvvista werden als eine lexikalische Einheit betrachtet. 3.3 Sprachliche Auswirkungen 131 ist, kann davon ausgegangen werden, dass eine Okkurrenz in einem Brief eines italienischen Immigranten vermutlich keine Entlehnung darstellt. Dennoch spielt auch der Integrationsgrad eine entscheidende Rolle: Wenn sich für einen Italianismus bereits französische Graphien etabliert haben, wie z.B. fr. <manquer> < it. mancare , sich in den Briefen eines Migranten aber <mancer> findet, diese Schreibung sonst nirgends belegt ist und im Brief des Migranten keine vergleichbaren Schreibungen, d. h. <ce> statt <que> für [ke], bei französischen Erbwörtern erscheinen, liegt es nahe, dass in solchen Fällen möglicherweise eine AS -produzenteninduzierte Entlehnung vorliegt (vgl. Kapitel 7.3.5.4.3). 3.3.7 Attrition In Kapitel 3.2.2 wurden Kriterien besprochen, anhand derer die Vitalität einer Migrantensprache aus soziolinguistischer Perspektive bestimmt werden kann. In diesem Zusammenhang wurde auch festgestellt, dass bei geringer Vitalität mit einem Sprachwechsel ( language shift ) der Immigranten zur neuen Mehrheitssprache und folglich mit einem Sprachverlust der ursprünglichen Muttersprache ( language loss ) zu rechnen ist. Die Sprachkontaktforschung interessiert sich nun aber nicht nur für den Spracherhalt bzw. Sprachverlust von Sprechergruppen (d. h. veränderte Funktionsbereiche und Status der Sprache), sondern auch für den allmählichen Abbau und möglicherweise vollständigen Verlust der Muttersprache eines Individuums im Migrationskontext (d. h. Veränderungen in der Struktur der Sprache selbst) (vgl. Clyne 2003: 5-6 und Köpke / Schmid 2013: 14-15). Da dieser als Attrition bezeichnete Abbau der Muttersprache durch die Migration bedingt ist 19 , muss sie von anderen Arten des individuellen Sprachverlusts, z. B. bei Aphasikern, abgegrenzt werden. Schmid (2011) definiert Attrition daher wie folgt: The term language attrition, then, refers to the (total or partial) forgetting of a language by a healthy speaker. (Schmid 2011: 3) Seit Seliger / Vago (1991) lassen sich zwei Arten der Attrition im Migrationskontext unterscheiden: Aufgrund des Umstands, dass ein Sprecher eine neue Sprache erlernt, die mehr oder weniger rasch zur dominanten Sprache im neuen Umfeld wird, wird die ursprüngliche Muttersprache nur noch selten, kaum oder gar nicht mehr gebraucht. In der Folge erfährt diese Veränderungen: Zum einen können markierte Formen abgebaut ( internally induced ), zum anderen kann die 19 Grundsätzlich kann auch dann von Attrition gesprochen werden, wenn eine L2 vergessen wird, wie es bei vielen Lernern der Fall sein kann, die eine Fremdsprache über Jahre hinweg nicht mehr gebrauchen (vgl. u.a. Clyne 2003: 5-6, Riehl [2004] 2009: 74-77). Für die vorliegende Arbeit ist sie aber nicht von Bedeutung. 132 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten Muttersprache nach dem Vorbild der neuen dominanten Sprache ( externally induced ) verändert werden (vgl. auch De Fina / Bizzoni 2000: 156, Schmid 2011: 38). Im ersten Fall folgt der Abbau universellen Gesetzmäßigkeiten: So wäre z. B. denkbar, dass im Italienischen italienischer Immigranten die - im Standarditalienischen gültige - Unterscheidung zwischen lo vs. il / gli vs. i zugunsten der weniger markierten Formen il / i aufgegeben wird, obwohl die neue Mehrheitssprache, die die Immigranten erlernen, möglicherweise nicht einmal über den bestimmten Artikel verfügt, eine Angleichung an ein potentielles System, in dem keine zwei Formen für die Maskulina existieren, also nicht für diese Veränderung Modell gestanden haben kann. Im zweiten Fall hingegen beeinflusst die neue Sprache die Muttersprache. So könnten italienische Einwanderer in Frankreich z. B. die - im Standarditalienischen - etablierte Differenzierung von di vs. da aufgeben, da das Französische nur die Präposition de kennt. Natürlich können beide Erscheinungsformen der Attrition bei ein und demselben Immigranten zu beobachten sein. Die Sprachkontaktforschung interessiert sich v. a. für den zweiten Fall und widmet sich zumeist der Beschreibung der Einflüsse der L2 auf die L1. In den neueren Arbeiten (z. B. Schmid 2011, Köpke / Schmid 2013) gilt das Hauptaugenmerk ebenfalls Phänomenen der Attrition, die durch individuelle Zweibzw. Mehrsprachigkeit erklärt werden können, wobei auch Parallelen zu den Einflüssen einer L1 auf eine L2 im Fremdsprachenerwerb hergestellt werden. Bei der Attrition ist eine umgekehrte Richtung einer solchen Beeinflussung anzunehmen. In beiden Fällen beeinflusst die dominante Sprache die weniger dominante. Auch in der vorliegenden Arbeit stehen potentielle Einflüsse des Französischen auf das Italienische der Einwanderer im 16. Jahrhundert im Mittelpunkt. Wie bzw. auf welchen Ebenen manifestiert sich nun aber die Attrition in einer L1? Riehl ([2004] 2009: 74-75) weist darauf hin, dass Attrition „von kleinen Zugangsproblemen wie Wortfindungsschwierigkeiten bis zum völligen Verlust einer Sprache“ reichen kann. Ein typisches Anzeichen für Attrition in L1-Äußerungen eines Migranten sei häufiges code-switching , wenn dieses durch Wortfindungs- und Ausdrucksschwierigkeiten bedingt ist. Laut Schmid (2011) sind v. a. die folgenden Ebenen betroffen: (1) Wortschatz: typisch sind zahlreiche direkte Entlehnungen aus der L2; (2) semantic restructuring , d. h. semantische Interferenzen, wie sie später zu indirektem Lehngut führen können, z.B. it. fermare ‘arrestare’ > ‘chiudere’ unter dem Einfluss von fr. fermer ; (3) Fehler hinsichtlich der pragmatic address , d. h. falsche Anredeformen, sprachliche Höflichkeit 20 ; (4) 20 Fehler in diesem Bereich sind aber nicht immer ausschließlich Einflüssen aus der L2 geschuldet. Laut Clyne (2003: 216-217) erkläre sich der Umstand, dass deutsche, holländische, italienische und französische Immigranten der zweiten Generation, d. h. die bereits in Australien geboren wurden, die Unterscheidung von Sie und Du im Deutschen, 3.3 Sprachliche Auswirkungen 133 Grammatikfehler, z. B. il statt lo , weil im Französischen nur le existiert; (5) ein nicht muttersprachlicher Akzent, d. h. Interferenzen in der Lautung. Als am stabilsten erweist sich die Grammatik. Einflüsse auf anderen Ebenen, insbesondere im Wortschatz, sind im Allgemeinen früher zu beobachten. Schmid (2011: 12, 78) weist darauf hin, dass Attrition nicht zwangsläufig erst nach Jahrzehnten einsetzen muss. Bereits im ersten Jahrzehnt nach der Ankunft im neuen Heimatland können Attritionsphänomene zu beobachten sein. Riehl ([2004] 2009: 75) nennt Studien, denen zufolge in der Sprache der untersuchten Immigranten gerade innerhalb der ersten zehn Jahre die auffälligsten Veränderungen festzustellen waren und sich das Niveau der Sprecher danach vorübergehend stabilisiert zu haben scheint. Von Bedeutung ist immer auch der Umstand, in welchem Alter die Sprecher emigriert sind. Völliger Sprachverlust ist, so wird vermutet, insbesondere dann zu erwarten, wenn die neue Sprache bereits im Kindesalter erlernt wird, wohingegen Sprecher, die als Erwachsene ausgewandert sind und monolingual waren, ihre L1 ‘langsamer’ vergessen (vgl. Riehl [2004] 2009: 73, Schmid 2011: 71) 21 . Es wird daher bisweilen vorgeschlagen, Attrition nur in Bezug auf Sprecher zu verwenden, die nach dem zehnten oder zwölften Lebensjahr emigriert sind. Man geht davon aus, dass jüngere Immigranten ihre vermeintliche L1 ohnehin noch nicht vollständig erworben haben (unvollständiger Erwerb vs. Attrition) (vgl. Köpke / Schmid 2013: 17-18). Aus einem ähnlichen Grund müssen bei der Untersuchung von Attritionsphänomenen Immigranten der zweiten und dritten Generation von solchen der ersten Generation gesondert betrachtet werden, da ersteren oft nur der Input der ersten Generation (Attrition) zur Verfügung steht (vgl. Köpke / Schmid 2013: 14-15). Welche außersprachlichen Faktoren haben nun Einfluss auf die Attrition bei Immigranten der ersten Generation? Soeben wurde festgestellt, dass vermutlich das Alter sowie die Dauer des Aufenthalts eine Rolle spielen. Entscheidend ist aber auch, wie häufig und in welchem Rahmen die L1 im neuen Umfeld noch aktiv verwendet wird. Laut Schmid (2011: 81) reicht eine „non interactive exposure“ (z. B. der Konsum von Medien in der L1) oft nicht aus, um Attrition zu verhindern oder zu verlangsamen. Der aktive Gebrauch in Wort und Schrift hingegen fördert den Erhalt. Die Ergebnisse mancher Studien, so Köpke / Schmid Holländischen, Italienischen und Französischen aufgeben, nicht nur dadurch, dass das Englische über keine solche Differenzierung verfügt, sondern auch dadurch, dass die jeweiligen Sprachen nur im familiären Umfeld erlernt und verwendet werden. 21 Allerdings, so Köpke / Schmid (2013: 19), sind bis heute keine umfangreichen, vergleichenden Studien vorgelegt worden, anhand deren Ergebnisse verlässliche Aussagen über die genaue Korrelation zwischen der Dauer des Aufenthalts / Alter bei der Immigration und dem Grad der Attrition gemacht werden könnten. 134 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten (2013: 19), legen zudem nahe, dass die Verwendung der L1 in formellen Kontexten, etwa im Berufsleben (im distanzsprachlichen Bereich), Attrition effektiver verhindert als der frequente Gebrauch in familiären Kontexten, d. h. als Nähesprache. Offenbar sind also ähnliche außersprachliche Faktoren für den Spracherhalt in Migrantengruppen (vgl. Kapitel 3.2.2) und für die Vitalität der Sprache selbst verantwortlich. Dass die Attrition beim Individuum und der Spracherhalt der Gruppe, auch wenn diese theoretisch getrennt voneinander beschrieben werden können, miteinander verbunden sind, liegt auf der Hand (vgl. Riehl [2004] 2009: 75). Solange die Sprache eine große kommunikative Reichweite hat, also z. B. auch in distanzsprachlichen Kontexten Verwendung findet, bleibt diese sowohl in funktionaler als auch in sprachlicher Hinsicht (Lexikon, Aussprache usw.) vital. Schließlich stellt sich die Frage - und dies ist natürlich auch für die vorliegende Arbeit von besonderem Interesse -, wie bei der Datenerhebung, d. h. bei der Auswahl der Informanten, zu verfahren ist. Laut Schmid (2011: 110-111) und Köpke / Schmid (2013: 19) sollten normalerweise nur Immigranten (der ersten Generation) berücksichtigt werden, die zum Zeitpunkt der Einwanderung bereits zwischen 14 und 17 Jahre alt waren und somit ihre L1 bereits vollständig erworben hatten. Wenn nicht beabsichtigt wird, die Entwicklung der Attrition in den ersten Jahren nachzuzeichnen, sollten zudem Migranten gewählt werden, die mindestens seit zehn Jahren im neuen Heimatland ansässig sind 22 . Im Normalfall werden die erhobenen Daten mit solchen aus einer Vergleichsgruppe von nicht emigrierten (monolingualen) Sprechern aus dem Mutterland verglichen. Ein Vergleich zwischen erster, zweiter und dritter Generation ist, wie weiter oben bereits angemerkt wurde, insofern problematisch, als die Sprecher der zweiten und dritten Generation einen anderen Input haben und die Daten daher im Grunde genommen nicht vergleichbar sind. Die Entwicklung der Attrition sollte in einer einzigen Generation untersucht werden 23 . Im Hinblick auf die Vergleichsgruppe aber herrscht Uneinigkeit: Laut Clyne (2003: 5-6) müsse Attrition über einen längeren Zeitraum (über mehrere Jahre) bei denselben Sprechern untersucht werden. Auch die Sprache im Mutterland sei - allerdings aus anderen Gründen - Veränderungen ausgesetzt. Gegen solche Langzeitstudi- 22 Laut Schmid (2011: 110-111) sollte der Zeitpunkt der Immigration 10-15 Jahre, laut Köpke / Schmid (2013: 19) hingegen 7-15 Jahre zurückliegen. 23 Der Vergleich der Sprachkompetenz von Sprechern der ersten, zweiten und dritten Generation ist natürlich trotzdem von nicht unerheblichem Interesse für die Untersuchung der Vitalität einer Migrantensprache. Wenn die Kompetenz in der zweiten und dritten Generation rapide abnimmt, kann dies z. B. ein Indiz dafür sein, dass die Migrantensprache kaum mehr verwendet bzw. nicht mehr konsequent an die nachfolgenden Generationen weitergegeben wird. 3.3 Sprachliche Auswirkungen 135 en, von denen bisher nur sehr wenige durchgeführt wurden, spricht laut Schmid (2011: 118-120) u. a. der Umstand, dass, um eine Vergleichbarkeit der Daten zu gewährleisten, die Tests für die Probanden immer identisch sein müssten und daher mit Lerneffekten für gewisse tasks gerechnet werden muss. In der vorliegenden Arbeit werden als Datengrundlage v. a. Briefe von Immigranten herangezogen, die Italien als Erwachsene verließen und seit über zehn Jahren in Frankreich lebten, als sie die Briefe verfassten. Auch in sonstiger Hinsicht ist die Gruppe relativ homogen (sozialer Status, regionale Herkunft). Daneben werden auch Briefe von rezenten Einwanderern oder vorübergehend in Frankreich verweilenden Gästen aus Italien analysiert, um zu überprüfen, welches Italienisch in die France italienne importiert wurde. Das Italienische der Gäste und Migranten, die erst seit Kurzem in Frankreich ansässig waren, kann mit jenem der anderen Immigranten verglichen werden. Daten, wie sie durch von Clyne (2003) geforderte Langzeitstudien erhoben werden können, konnten nicht aufgespürt werden. Interessant wären Briefe von ein und demselben Einwanderer aus verschiedenen Jahrzehnten: z. B. (1) kurz, (2) 10 Jahre, (3) 20 Jahre nach der Emigration. Da die Daten nicht in Tests elizitiert, sondern ohnehin aus Briefen erschlossen werden müssten, wäre ein Lerneffekt ausgeschlossen. Ein Problem für die vorliegende Arbeit stellt der Mangel an solchen Briefen jedoch glücklicherweise nicht dar. Wenn sich in den späten Briefen der Migranten (10-20 Jahre nach der Emigration) vermehrt ‘Fehler’ finden würden (z. B. nur di statt di vs. da in Anlehnung an fr. de ), müsste natürlich geklärt werden, ob diese Abweichungen tatsächlich attritionsbedingt sind oder ob diese Erscheinungen - möglicherweise durch die regionale Herkunft bedingt - bereits zum Zeitpunkt der Einwanderung nachweisbar waren. Wenn aber umgekehrt auch 20 Jahre nach der Immigration keinerlei Interferenzen mit dem Französischen festzustellen sind - und dies soll schließlich auch gezeigt werden -, dann darf daraus gefolgert werden, dass die Kompetenz auch 20 Jahre zuvor ähnlich war. In anderen Worten: Wenn keine potentiellen Attritionsphänomene feststellbar sind, entfällt auch die Notwendigkeit eines Vergleichs mit frühen Briefen. Würde man dennoch annehmen wollen, dass eine Veränderung stattgefunden hat, dann müsste man davon ausgehen, dass sich die Kompetenz in der Muttersprache in der neuen Heimat verbessert hat. Auch dieser unwahrscheinliche Fall spräche aber für die Vitalität des Italienischen in der France italienne (vgl. auch Kapitel 6.3.2). 136 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten 3.4 Produktion und Perzeption Wie in den vorhergehenden Kapiteln deutlich geworden ist, widmet sich die vorliegende Arbeit in besonderem Maße der Analyse authentischer französischer und italienischer Texte, die von italienischen Immigranten verfasst worden sind. Das Interesse gilt also sog. Produktionsdaten. Innerhalb von mehrsprachigen Gesellschaften wird aber die Sprache oder Varietät einer Sprechergruppe auch von den Mitgliedern der anderen Gruppen wahrgenommen und bewertet 24 . In der vorliegenden Arbeit spielen die Zeugnisse zeitgenössischer Puristen (z. B. Henri Estienne 1578) sowie weiterer Sprachbeobachter eine wichtige Rolle. Sie äußern sich zum Französischen der italienischen Immigranten, dem sog. françois italianizé. Offenbar existierte also eine Varietät des Französischen im rinascimentalen Frankreich, die von italienischen Einwanderern gesprochen wurde und als solche identifiziert werden konnte. Dass es sich dabei um eine eigenständige, über einen längeren Zeitraum hinweg entstandene Varietät handelt, die demnach zum Varietätenraum des frühneuzeitlichen Französisch gerechnet werden könnte, ist eher unwahrscheinlich. Vielmehr ist davon auszugehen, dass unter françois italianizé eine vorübergehende Lernervarietät einer Immigrantengruppe zu verstehen ist, die aufgrund des gemeinsamen Substrats der Lerner aber gewisse Besonderheiten mit hohem Wiedererkennungswert aufwies 25 . Sie konnte von Sprachbeobachtern in jedem Fall einer bestimmten Gruppe, den italienischen Einwanderern, zugeordnet werden. Die Bedeutung solcher u. a. auf Perzeption beruhender metasprachlicher Aussagen für die Varietäten- und Kontaktlinguistik wurde in der Forschung erst relativ spät erkannt (vgl. dazu Krefeld / Pustka 2010). Die perzeptive Varietätenlinguistik, die als eher junge Disziplin betrachtet werden muss, interessiert sich für solche Daten, da aus ihnen auf sog. Repräsentationen geschlossen werden kann. Dabei handelt es sich um sprachen- und varietätenbezogenes Wissen der Sprecher, das neben dem Sprachwissen vorhanden ist: Es liegt daher nahe, analog zu den phonologischen, syntaktischen und semantischen Repräsentationen, die sowohl sprachliche Realisierungen hervorbringen […] als auch 24 Gleiches gilt auch für die verschiedenen Varietäten einer historischen Einzelsprache, so dass grundsätzlich natürlich jede Sprachgemeinschaft als ‘mehrsprachig’ betrachtet werden kann. 25 So nimmt z. B. auch Pustka (2006: 104-105) an, dass die Lernervarietäten auf Guadeloupe (L2-Französisch der Kreolsprecher, L2-Kreol der Französisch-Sprecher) weder zum Varietätenraum des Kreols noch zu jenem des Französischen zu zählen sind. Zur Unterscheidung von Lernervarietäten und Ethnolekten vgl. z. B. Matras (2009: 74-78). 3.4 Produktion und Perzeption 137 deren Verständnis ermöglichen, die Existenz sprach(en)- und varietätenbezogener Repräsentationen zu postulieren. Diese fließen ebenfalls in die Realisierungen ein und ermöglichen die Wahrnehmung der diasystematischen Markierung der entsprechenden Äußerungen. Über sie kann grundsätzlich auch gesprochen werden […], was für ihre Erforschung äußerst hilfreich ist. In Fällen, in denen die Sprecher die diasystematische Markierung nicht explizit verbalisieren können (oder wollen), ermöglichen es Imitationen und Karikaturen, auf die Repräsentationen zu schließen […]. (Krefeld / Pustka 2010: 11-12) Insbesondere in mehrsprachigen Gesellschaften können die Repräsentationen, d. h. wie die Mitglieder der Gruppe A die Sprache oder Varietät der Gruppe B wahrnehmen - oder besser: bewerten -, Aufschluss über bestimmte, besonders saliente Merkmale (sog. Schibboleths) der Sprache oder Varietät von Gruppe B geben. Oft verfügen die Sprecher - „je nach Schärfe und Klarheit der Repräsentationen“ (Krefeld / Pustka 2010: 21) - auch über eigene Benennungen für die Varietäten: z. B. romanaccio . Auch Verben wie sicilianeggiare finden Verwendung. Im Frankreich des 16. Jahrhunderts wird das Französische der Migranten z. B. als françois italianizé , das Italienische als messeresque bezeichnet. Das Verb italianizer bedeutet ‘italianisiertes Französisch sprechen’, nicht etwa ‘Italienisch sprechen’. Eng damit verbunden sind aber Spracheinstellungen, die aus dem möglicherweise unterschiedlichen Prestige der jeweiligen Sprachen oder Varietäten resultieren. Dies zeigt sich z. B. daran, dass sich Heterorepräsentationen (Fremdwahrnehmung) und Autorepräsentationen (Selbstwahrnehmung) stark voneinander unterscheiden können. Festzuhalten ist, dass die Repräsentationen nicht allein auf der Perzeption der Sprecher und Hörer beruhen, sondern dass neben den soeben erwähnten Spracheinstellungen auch weitere außersprachliche Faktoren auf die Repräsentationen Einfluss haben können (vgl. Krefeld / Pustka 2010: 12-16). In der vorliegenden Arbeit werden die metasprachlichen Aussagen Estiennes in den Deux Dialogues (1578) zum Französischen der italienischen Einwanderer, einer Lernervarietät, ernst genommen. Dass es sich dabei um einen satirischen Text handelt, ist im Übrigen weniger problematisch, als man zunächst vermuten könnte. Angenommen werden muss, dass die Repräsentationen des Puristen in jedem Fall auch von seiner negativen Einstellung beeinflusst sind und nicht allein auf seiner Perzeption beruhen. Zudem ist angesichts des Umstands, dass es sich um einen polemischen Text handelt, mit Übertreibungen zu rechnen. Dennoch sind seine Aussagen wertvoll. Gerade in satirischen Texten und in Komödien treten bestimmte Merkmale (meist die salientesten, sog. Schibboleths) der Varietät, die karikiert werden soll, besonders deutlich hervor (vgl. Schmidt-Riese 1999, Krefeld 2005, Gruber 2010). Ihre „Frequenz ist ‘larger than 138 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten life’“ (Schmidt-Riese 1999: 292, zitiert nach Gruber 2010: 341, Fn. 6). Der Erfolg von Karikaturen und Imitationen basiert, wie Gruber (2010: 340) feststellt, auf einem „Wiedererkennungseffekt“. Im Prinzip verhält es sich wie mit einer Karikatur in einer beliebigen Tageszeitung: Eigentümliche Gesichtszüge eines bekannten Politikers etwa können durchaus übertrieben dargestellt werden, erkannt wird das Gesicht aber trotzdem - oder gerade aufgrund der salienten Merkmale. In jedem Fall können Daten, die aus solchen Texten gewonnen werden, als Ausgangspunkt dienen. In einem zweiten Schritt muss anhand entsprechender Produktionsdaten überprüft werden, ob und ggf. in welchem Ausmaß die Merkmale tatsächlich in der Varietät nachweisbar sind. In Kapitel 4.2.3 werden daher zunächst die Züge des françois italianizé , wie sie in den Deux Dialogues (1578) beschrieben werden, ermittelt, bevor in Kapitel 7.3 untersucht wird, ob diese in französischen Briefen italienischer Immigranten auch wirklich begegnen konnten. 3.5 Zusammenfassung In Kapitel 3 wurden Modelle aus der Kontaktlinguistik und Entlehnungsforschung präsentiert, auf deren Grundlage in den folgenden Kapiteln ausgewählte Aspekte des italienisch-französischen Sprachkontakts im Frankreich der Frühen Neuzeit untersucht werden sollen. Für die soziolinguistische Beschreibung des funktionalen Nebeneinanders beider Sprachen in der France italienne wurde das von Ferguson (1959) populär gemachte und in der Folge u. a. von Fishman (1967) aufgegriffene Konzept der Diglossie erläutert. Denkbar wäre, dass das Italienische aufgrund der hohen Zahl an Immigranten sowie aufgrund deren sozialer Stellung in Bereichen, d. h. Domänen, Verwendung fand, die im Normalfall der Mehrheitsbzw. Nationalsprache vorbehalten sind. In Kapitel 6.2 soll daher analysiert werden, ob in bestimmten mehrsprachigen Gruppen, v. a. am französischen Hof, diglossische Tendenzen festzustellen sind oder nicht. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil eine ausgeprägte gegenseitige sprachliche Beeinflussung insbesondere dann zu erwarten ist, wenn die beiden Sprachen nicht auf getrennte Funktionsbereiche verteilt sind, sondern von den zweisprachigen Sprechern zusammen, d. h. in denselben Kontexten, verwendet werden. Da die aktive Verwendung des Italienischen eine gewisse Vitalität desselben voraussetzt, wurde das Modell von Conklin / Lourie (1983) vorgestellt, anhand dessen die Vitalität einer Migrantensprache unter Berücksichtigung demographischer, politischer sowie varietätenlinguistischer Faktoren bestimmt werden kann. Um in französischen Briefen von italienischen Immigranten überprüfen zu können, ob das Nebeneinander beider Sprachen Spuren hinterlassen hat, die 3.5 Zusammenfassung 139 Einwanderer also tatsächlich ein françois italianizé sprachen bzw. schrieben, wurden verschiedene Erscheinungsformen sprachlicher Beeinflussung besprochen. Dabei wurde in Anlehnung an Winter-Froemel (2011) grundsätzlich zwischen zwei Arten unterschieden: Während Lehngut (u. a. Lehnwörter) als Produkt des Sprachkontakts betrachtet werden kann (Einflüsse aus der AS gehören bereits zum System der ZS ), werden unter Entlehnung, Interferenz und code-switching Phänomene verstanden, die auf den Diskurs von meist zwei- oder mehrsprachigen Individuen beschränkt sind. Einflüsse der AS erscheinen einmalig in der ZS , gehören also noch nicht zu deren Traditionen. Es wird dabei eine streng synchrone Perspektive eingenommen. Des Weiteren wurde versucht, Entlehnung, Interferenz und code-switching anhand formaler Kriterien voneinander abzugrenzen. Es wurde festgestellt, dass Entlehnung, lexikalische Interferenz und v. a. sog. one-word code-switching zahlreiche Parallelen aufweisen und die unterschiedliche Terminologie v. a. den Blick auf konzeptuelle Gemeinsamkeiten versperrt. In der vorliegenden Arbeit wird daher nicht immer streng zwischen den vermeintlich verschiedenen Kategorien unterschieden. Von besonderem Wert für das Ziel der Arbeit erwies sich hingegen die Differenzierung zwischen AS -produzenteninduzierten und ZS -rezipienteninduzierten Entlehnungen nach Winter-Froemel (2011). Anhand formaler Kriterien lässt sich bestimmen, ob eine Entlehnung, d. h. eine der erstmaligen Verwendungen einer AS -Form in der ZS , auf einen Sprecher der AS oder einen Sprecher der ZS zurückgeht. So kann überprüft werden, ob lexikalische Italianismen in den französischen Briefen der Immigranten durch diese selbst herbeigeführt wurden oder nicht. Die Vitalität einer Migrantensprache lässt sich nicht nur in soziolinguistischer Hinsicht (vgl. das Modell von Conklin / Lourie 1983) ermitteln. Auch die Sprache einzelner Immigranten kann Untersuchungsgegenstand sein. Ein relativ junger Forschungszweig der Kontaktlinguistik beschäftigt sich mit sog. Attritionserscheinungen. Unter Attrition wird der allmähliche migrationsbedingte Abbau der ursprünglichen Muttersprache eines Individuums verstanden. Durch das Erlernen und den häufigen Gebrauch einer neuen Sprache, die mehr oder weniger schnell zur dominanten Sprache wird, kann die Erstsprache vergessen bzw. nach dem Muster der neuen Sprache verändert werden. Um in Kapitel 6, das sich nicht nur dem soziolinguistischen Stellenwert des Italienischen widmet, die Vitalität der Muttersprache ausgewählter Einwanderer auch in sprachlicher Hinsicht, d. h. anhand der Analyse italienischer Briefe, überprüfen zu können, wurden unter Berücksichtigung einschlägiger Beiträge der modernen Attritionsforschung (Schmid 2011, Köpke / Schmid 2013) Erscheinungsformen der Attrition dargelegt und außersprachliche Gründe für den individuellen Sprachverlust erläutert. 140 3 Theoretische Grundlagen zur Beschreibung von Sprachkontakten Da auch metasprachliche Aussagen zum Französischen der Immigranten, einer Lernervarietät, von Bedeutung sind - Kapitel 4 und 5 sind den Deux Dialogues (1578) gewidmet -, wurden schließlich die Grundgedanken der perzeptiven Varietätenlinguistik (Krefeld / Pustka 2010) vorgestellt, in der auch satirische Texte als Quellen für die Untersuchung von Mehrsprachigkeit ernst genommen werden. Von besonderem Interesse ist, dass - trotz satirischer Intentionen und Übertreibungen - Karikaturen der Varietät bzw. Sprache einer Sprechergruppe in mehrsprachigen Gesellschaften Aufschluss über bestimmte, besonders saliente Merkmale dieser Varietät bzw. Sprache geben können. 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues du nouveau langage François, italianizé, et autrement desguizé (1578) 4.1 Vorbemerkungen: Die Deux Dialogues in der Sprachgeschichtsschreibung An mehreren Stellen der vorliegenden Arbeit wurde bereits festgehalten, dass bisher keine soziolinguistischen Arbeiten vorliegen, die es erlauben würden, die Vitalität des Italienischen in der sog. France italienne adäquat zu beschreiben. Insbesondere im Hinblick auf das Sprachverhalten der italienischen Immigranten und die Frage, ob und ggf. inwiefern dieses entgegen der problematischen Hypothese Winds (1928) - und in der Folge Balsamos (1992) - sowohl für das Aufkommen als auch für die Verbreitung von Italianismen von Bedeutung gewesen sein könnte, sind noch keinerlei sprachwissenschaftliche Studien vorlegt worden. Es wurde ebenfalls bereits darauf hingewiesen, dass diese Forschungslücken insofern erstaunlich sind, als der Forschung seit Langem - die erste große und auch bis heute maßgebliche Untersuchung stammt von Clément ([1898] 1967) - die Werke des zeitgenössischen Puristen Henri Estienne (*1531, † 1598) bekannt sind, der sich insbesondere in seinen Deux Dialogues du nouveau langage François, italianizé, et autrement desguizé […] (1578) 1 nicht nur zu konkreten sprachlichen Einflüssen auf das Französische, sondern auch zum Nebeneinander des Französischen und Italienischen am französischen Hof äußert, wobei Hinweise auf die Sprache der Immigranten nicht fehlen: Die Muttersprache der Italiener habe sich einer bemerkenswerten Vitalität erfreut und sogar zu Interferenzen in deren Französisch geführt. Auch die Einwanderer seien also für die Italianisierung des Französischen verantwortlich gewesen. Obgleich so- 1 Zum Leben und Gesamtwerk Henri Estiennes vgl. immer noch Clément ([1898] 1967). Bisweilen wird als Geburtsjahr auch 1528 oder 1532 angegeben, was laut Clément ([1898] 1967: 2, Fn. 2) aber unwahrscheinlich ist. Weitere Werke, die sich insbesondere gegen den kulturellen und sprachlichen Einfluss des Italienischen richten und auf die im Laufe der Arbeit vereinzelt, meist indirekt, verwiesen wird, sind: Conformité du langage françois avec le grec (1565), Apologie pour Hérodote (1566), De latinitate falso suspecta […] (1576), Precellence du langage françois (1579), Hypomneses de Gall. lingua (1582). Zur Precellence vgl. auch den Beitrag von Swiggers (1997a). 142 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) wohl umfassendere Werke älteren Datums 2 als auch mehrere kürzere Beiträge 3 zu Estiennes Pamphlet existieren und auch alle größeren Darstellungen zum italienischen Lehngut im Französischen 4 - wenn auch in unterschiedlichem Maße - die Deux Dialogues als Quelle für Italianismen berücksichtigen, sind seine soziolinguistisch relevanten Beobachtungen bisher nur unzureichend untersucht worden 5 . Sie wurden weder systematisch dargestellt noch anhand weiterer Daten aus nichtpolemischen Texten des 16. Jahrhunderts auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft 6 . Zur Sprache der Einwanderer liegen ebenfalls keine Untersuchungen vor. Dass man sich trotz der Kenntnis seiner Texte bislang nicht näher mit diesen Aspekten beschäftigt hat, hängt, wie in Kapitel 1 bereits angedeutet, vermutlich damit zusammen, dass das Interesse der Forschung v. a. den zahlreichen von Estienne angeprangerten lexikalischen Italianismen und anderen Interferenzen galt. Da seit der Arbeit von Trescases (1978b) davon ausgegangen wird, dass mehr als die Hälfte der von Estienne in den Deux Dialogues kritisierten Italianismen Erfindungen des Puristen sind, die sich außerhalb seiner Werke nicht nachweisen lassen, wird der Zeugniswert seines Pamphlets im Allgemeinen in Frage gestellt. Weiterführende Studien zu seinen Beobachtungen scheinen offenbar nicht lohnenswert zu sein. Das folgende Zitat aus Balsamo (1992), der darauf hinweist, dass Estiennes Werk in älteren Studien wie z. B. Bourciez (1886) zu unkritisch rezipiert wurde 7 , kann als exemplarisch für die inzwischen in der Forschung etablierte Meinung 8 gelten: De surcroît, Estienne forgeait plus de la moitié des expressions qu’il citait, renforcant par une invention verbale toute macaronique, la charge comique d’une argumentation tournée vers la satire. Texte d’humeur et texte d’humour, les Deux Dialogues , dans leur 2 Vgl. z. B. Bourciez (1886), Clément ([1898] 1967) und Tracconaglia (1907). 3 Vgl. z. B. Huguet ([1935] 1967: 310-322), Trescases (1978b), Smith (1980b, 1983a, b), Lauvergnat-Gagnière u. a. (1982), Hornsby (1998), Swiggers (2003), Sampson (2004), Cowling (2007), Colombo Timelli (2008). 4 Vgl. Sarauw (1920), Deschermeier (1923), Wind (1928), Kandler (1944), Hope (1971). 5 Der wenig rezipierte Beitrag von Lauvergnat-Gagnière u. a. (1982) sowie der Aufsatz von Cowling (2007) bilden hier eine Ausnahme, indem sie die sozio- und varietätenlinguistischen Überlegungen Estiennes zumindest erwähnen. 6 Selbst die umfangreicheren Studien wie z. B. Clément ([1898] 1967: 107-141) beschränken sich zumeist darauf, den Aussagen Estiennes solche weiterer zeitgenössischer Puristen gegenüberzustellen. Nichtpolemische Texte aus dem 16. Jahrhundert (z. B. Memoiren, Briefe), aus denen z. B. die Reichweite des Italienischen erschlossen hätte werden können, waren aber auch schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Edition verfügbar (vgl. Kapitel 6.2.1). 7 Vgl. auch die Anmerkungen in Balsamo (1992: 61, Fn. 46). 8 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es auch Studien gibt (z. B. Cowling 2007), die die Beobachtungen Estiennes etwas weniger kritisch sehen. Auf diese, deren Anzahl aber überschaubar bleibt, wird im Verlauf der Arbeit an den entsprechenden Stellen hingewiesen. 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 143 exagération et leurs contradictions, - en particulier à propos de la prétendue influence italienne sur la prononciation -, ne valent pas comme un témoignage objectif du vrai parler de la Cour. (Balsamo 1992: 61) Auch in modernen Überblicksdarstellungen zur französischen Sprachgeschichte wie z. B. Clerico ([1999] 2012: 208) und Siouffi (2007: 530-531) ist zu lesen, dass die Aussagen Estiennes kein getreues Abbild der sprachlichen Realität am Hofe der Valois seien 9 . In Kapitel 5, 6 und 7 wird zu zeigen sein, dass die Beobachtungen Estiennes zur France italienne und zum françois italianizé glaubwürdiger sind, als bis heute mehrheitlich angenommen wird, und dass auch sein Verdienst als Etymologe verkannt wurde. Zunächst wird dazu der Inhalt der Deux Dialogues referiert. Nachdem in Kapitel 4.2.1 kurz die Handlung und die Protagonisten von Estiennes Werk vorgestellt werden, konzentriert sich Kapitel 4.2.2 auf seine aus soziolinguistischer Perspektive interessanten Beobachtungen zur Mehrsprachigkeit am französischen Hof. In Kapitel 4.2.3 werden die Züge des françois italianizé , in Kapitel 4.2.4 schließlich ausgewählte Phänomene des von Estienne ebenfalls kritisierten françois autrement desguizé besprochen. 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 4.2.1 Die Handlung und ihre Protagonisten Die Handlung erstreckt sich über zwei Tage und wird zum Großteil von Celtophile und Philausone bestritten. Ersterer kehrt nach etwa 30-jähriger Abwesenheit aus Paris an den französischen Hof zurück und bemerkt anhand der Sprache des Höflings Philausone, dass das dort gesprochene Französisch durch und durch italianisiert ist. Die italienischen Einflüsse auf das Französische sind es denn auch, die neben italienischen Sitten 10 , aber auch anderen sprachlichen Innovationen des zeitgenössischen Französisch Gegenstand der Unterhaltung werden. Abgesehen von phonetischen Erscheinungen dieses françois italianizé wird insbesondere lexikalisches Lehngut besprochen. Als Grund für diese sprachliche Beeinflussung wird rasch die Präsenz der zahlreichen Italiener am Hofe identifiziert. Philausone, dessen Äußerungen an einigen - aber nicht allen! - Stellen in der Tat zahlreiche Italianismen enthalten, wird regelmäßig für 9 Interessanterweise werden die Deux Dialogues ([1578] 1885) jedoch in der Bibliographie zur indogermanischen Wortforschung - u. a. neben Kohlmann (1901), Kandler (1944) und Hope (1971) - als Referenzwerk zu italienischen Einflüssen auf das französische Lexikon genannt (vgl. Heidermanns Bd. 2, 2005: 719). 10 Für eine kulturhistorische Sicht auf den Antiitalianismus in den Werken Estiennes vgl. z. B. Sozzi (1988). sein - zumindest in den Augen Celtophiles - sprachliches Fehlverhalten gerügt. Im Laufe der Unterhaltung kommen die Protagonisten schließlich auch auf die Frage zu sprechen, ob nun das italianisierende Französisch vorzuziehen sei und ob der französische Hof angesichts der italianisierenden Mode überhaupt noch als Modell für den guten Sprachgebrauch dienen könne 11 . Da keine Einigung erzielt werden kann, beschließen sie, die Meinung Philalethes, eines Bekannten Philausones, einzuholen, der sich schließlich gegen das françois italianizé sowie die Vorbildfunktion des Hofes ausspricht und Celtophile somit Recht gibt. Während Philausone den italianisierenden Höfling der 1570er Jahre verkörpert, den es in den Deux Dialogues zu kritisieren gilt, kann Celtophile als das Sprachrohr des Puristen Estienne betrachtet werden. Wie dieser war auch Celtophile oft in Italien, u. a. bei französischen Botschaftern in Venedig, und beherrscht Italienisch und Latein. Genau wie Estienne hat auch Celtophile den französischen Hof verlassen und kehrt erst über 20 Jahre später zurück. Schließlich sind auch beide entschiedene Gegner des françois italianizé . 4.2.2 Der Hof als Petite Italie und Quelle des françois italianizé Als Grund für die zahlreichen Italianismen im rinascimentalen Französisch nennt Estienne zunächst das allgemeine Bedürfnis der französischen Höflinge, ihre zumeist in Italien erworbene Kenntnis des Italienischen zur Schau zu stellen. In dieser Hinsicht unterscheiden sich seine Aussagen also nicht von denen der modernen etymologischen Forschung, die im Sprachverhalten der Français italianisants die Hauptursache für die massive Übernahme von Italianismen im 16. Jahrhundert sieht (vgl. z. B. Wind 1928: 15-16). PHIL .: […] Mais ordinairement, les courtisans frances qui ont esté Romipetes, ayans desir de monstrer leur grand sçavoir, y adjoustent des herbes nouvelles plus qu’aucuns autres, tellement qu’un jour je me trouvay où l’un d’eux parlet d ’amasser un homme, au lieu de dire «tuer». […] Et puis se reprenant, commença à dire qu’il penset à amassar , comme s’il eust esté encores en Italie, et que, quant à luy, il avoit le langage italien beaucoup mieux à commandement que le frances. (Estienne [1578] 1980: 90, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) 11 Wie für viele andere Sprachtheoretiker der Renaissance steht auch für Henri Estienne bereits fest, dass der zukünftige bon usage in Paris (und anderen Städten im Zentrum Frankreichs, etwa in Orléans) zu suchen ist (vgl. u. a. Schmitt 1977, Trudeau 1992: 24, 126, 216). Während die Frage nach der Diatopik also bereits geklärt ist, bleibt offen, welche diastratische Varietät zu wählen ist. Anders als im 17. Jahrhundert war die Rolle des Hofs noch nicht gänzlich unumstritten. So spricht sich neben Estienne z. B. auch Meigret gegen die Sprache der Höflinge aus (vgl. Trudeau 1992: 139). 144 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 145 Aux vieux guerriers ces mots desplaisoyent fort, Et qu’ils disoyent: «Nous faut-il les mots prendre De ceux ausquels nous pouvons l’art apprendre? » Je croy aussi que Brissac, lieutenant De nostre roy, en Piedmont gouvernant Voyait envi que la chevalerie Changer falust en la cavalerie; […] Bref, les François au combat françoizer, D’armes parlans, italianizer. (Estienne [1578] 1980: 59-60, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Wie schon die erste Passage legt auch die zweite nahe, dass nach Ansicht Estiennes die sprachliche Beeinflussung insbesondere auch durch einen längeren Italienaufenthalt begünstigt wird, worin er mit weiteren zeitgenössischen Autoren, so etwa mit Du Bellay und Pasquier, übereinstimmt (vgl. Pour et contre […] in Picot [1918] 1995: 17-32). Zudem wird hier deutlich, dass sich Estienne des Umstands bewusst war, dass bestimmte Denotatsbereiche, wie das Heereswesen, in besonderem Maße offen für italienisches Lehngut waren 12 . Es kann vermutet werden, dass Estienne demnach auch um die Bedeutung der einfachen Soldaten im Sprachkontakt wusste. Wie in Kapitel 2.1.2 und 2.3.4 dargelegt wurde, spielten diese eine wichtige Rolle bei der Diffusion italienischer Kriegsterminologie im Französischen, da sie während der Italienfeldzüge nicht nur lange in Italien verweilten, sondern z.T. auch von italienischen Kommandeuren befehligt wurden und zusammen mit Italienern dienten. Nun aber lässt Estienne an mehreren Stellen keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass auch die Präsenz der Italiener in Frankreich, insbesondere am Hofe von Henri III , für die in seinen Augen exzessive Italianisierung des Französischen verantwortlich ist. So weist er z. B. wiederholt darauf hin, dass gewisse Höflinge insbesondere in der Gegenwart von Italienern italianisieren, um diesen zu gefallen. CEL .: Il y avoit un certain personnage qui prenoit grand plaisir à italianizer, alors principalement qu’il parloit à un Italien, ou bien tenoit propos de quelcun qui l’estoit, tellement que tousjours «Vostre Seigneurie», ou «Sa Seigneurie», trottoit par sa bouche, et in ogni mode item, de bone voglie , et le prime del monde , et plusieurs autres 12 Dies wird auch an anderer Stelle in den Deux Dialogues klar, etwa wenn Estienne ([1578] 1980: 244-245, 250-252) konkrete Italianismen aus diesem Bereich kritisiert. italianismes, entre lesquels estoyent aucuns de ceux que j’ay ouys de vous. (Estienne [1578] 1980: 117, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) CEL .: Je vous prie ne m’usez jamais de ce mot leggiadrement , car il approche trop de nostre ladrement , qui fait un peu mal au cueur. Mais est-il bien possible qu’elle usast de ces mots? PHIL .: Je vous asseure les avoir ouys. Mais notez que quand elle dit «sbigottite», elle parlet à un Italien, et aussi celuy lequel elle faiset prier de ne dismentiguer point (car elle dit ainsi, non pas smentiguer ) estet Italien. (Estienne [1578] 1980: 113, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Dass sich dieses Verhalten aber nicht nur bei Einzelpersonen beobachten, sondern aufgrund des Prestiges der zahlreichen Italiener und deren Sprache auf den gesamten französischen Hof übertragen lässt, macht der folgende Ausschnitt deutlich. PHILAL : ([…] elle [la cour, T. S.] est differente de celle qui a esté il y a vint ou trente ans), s’il n’y avoit non plus d’estrangers, et nommément d’Italiens, qu’auparavant, il semblerait que son autorité ne devroit diminuer quant à l’usage de la langue françoise, mais vous sçavez que pour quarante ou cinquante Italiens qu’on y voyoit autresfois, maintenant on y voit une petite Italie. Or puisqu’ainsi est, considerez quant à cest entrelardement de paroles italiennes parmi les françoises […] s’il est raisonnable qu’on se tienne au jugement des courtisans quant à l’usage dudict françois ainsi entrelardé, et si ce n’est pas faire les mesmes juges et parties. PHIL .: Je vous confesse qu’il y a beaucoup d’Italiens en la cour, mais il y a bien autant de Francés. PHILAL .: Au moins vous m’accordez desja ce poinct, que les Italiens courtisans ne doivent avoir voix en chapitre quant à l’usage du françois, et, par consequent, il ne vous demeure plus que la moitié de la cour, peu plus, peu moins. […] CEL .: A la verité, nous avons grande raison de ne nous fier pas à elle, comme se laissant aisément mener, non point par le nez (comme on dit ordinairement) mais par la langue, veu qu’outre le desir que plusieurs peuvent avoir de complaire à ces estrangers, les voyans en grand credit, ils ont ce naturel (autrement ne seroyent-ils pas François) d’aimer fort la nouveauté. Et ne faut douter que s’il y avoit autant d’Espagnols en la cour qu’il y a d’Italiens, au lieu que nostre françois a des lardons italiens, il auroit des lardons espagnols, […]. (Estienne [1578] 1980: 397-398, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Hervorzuheben ist, dass Celtophile davon ausgeht, dass im Falle einer größeren spanischen Gemeinschaft bei Hofe mehr Hispanismen als Italianismen zu erwarten wären. Dies ist insofern interessant, als es erneut die Bedeutung der 146 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 147 italienischen Immigranten im Hinblick auf die Verbreitung des françois italianizé unterstreicht. Offenbar lässt sich dieses also nicht nur durch das hohe internationale Ansehen des Italienischen als Kultur- und Verkehrssprache im rinascimentalen Europa (vgl. Kapitel 2.2.2) erklären. Abgesehen von diesem eher indirekten Einfluss der Italiener, deren Anwesenheit die Italianisierung der Sprache der französischen Höflinge gewissermaßen ja nur förderte ( borrowing nach Thomason / Kaufman 1988), spielten die Immigranten laut Estienne jedoch auch eine viel unmittelbarere Rolle bei der Beeinflussung des Französischen, indem sie aufgrund ihrer unzureichenden Sprachkenntnis eine Lernervarietät produzierten, die Interferenzen mit ihrer Muttersprache aufwies. Wenn man dem Inhalt der folgenden Textstellen Glauben schenkt, waren in der Petite Italie insgesamt sogar vier verschiedene Varietäten bzw. Sprachformen zu beobachten. PHIL .: […] Et pour vous confesser la verité, comme les François courtisans parlent un langage françois-italien [A], ainsi plusieurs des Italiens courtisans parlent de l’italien-françois [B]. Encore y a-il un troisieme mal: c’est de ces François qui n’ont jamais esté en Italie, et toutesfois se veulent mesler de parler italien [C] pour avoir hanté huict ou dix jours les Italiens. […] CEL .: Quant à ceux-là encore, je ne m’en soucie pas beaucoup, car quand ils gastent l’italien, ils ne gastent rien du nostre; mais je suis fort despité contre ces gastefrançois. Voila pourquoy je porteray bien plus patiemment cest italien françoisé [C]: A fatto una bella intripresa , que ce françois italianizé [A]: Il a faict une belle imprese. (Estienne [1578] 1980: 118, Hervorhebungen im Fettdruck und Zusätze in Klammern T. S.) PHIL.: Encore me souvient-il d’un autre mot autant ou plus estrange qui est procedé de la mesme racine, mais je ne l’ouy jamais qu’une fois, et non pas de la bouche d’un Francés (pour dire la verité) mais d’un Italien [D]. CEL .: Comment? Vous voulez vous faire prier de le nous dire? […] PHIL .: Ce mot estet sgarbatement. (Estienne [1578] 1980: 421, Hervorhebungen im Fettdruck und Zusätze in Klammern T. S.) Estienne unterscheidet also vier verschiedene Varietäten 13 . Während [C] und [D] als Lernervarietäten einzustufen sind, da das Italienische der französischen Höflinge [C] genauso wie das Französische der italienischen Immigranten [D] Interferenzen mit der jeweiligen Muttersprache aufweist, kann für die durch das neue sprachliche Umfeld bedingte allmähliche Beeinflussung der Muttersprache 13 Lauvergant-Gagnière u. a. (1982: 51) sprechen diese Arten der gegenseitigen Beeinflussung in ihrem Beitrag zwar an, behandeln sie aber völlig undifferenziert und sehen daher in allen Fällen gleichermaßen eine Quelle für das italianisierende Französisch. der Immigranten [B] hier durchaus der Begriff Attrition verwendet werden. Im Hinblick auf das italianisierende Französisch der Franzosen [A] darf, da es sich, wie weiter unten noch gezeigt wird, insbesondere um Einflüsse auf lexikalischer Ebene handelt, vereinfacht von Lehngut in der Muttersprache gesprochen werden, auch wenn die Anzahl der entlehnten Elemente bisweilen äußerst hoch sein kann. Wirkliche Sprachmischung findet bei [A] aber keinesfalls statt (vgl. Kapitel 4.2.3). [A] italianisierendes Französisch der Franzosen (Lehngut, L1) [B] französierendes Italienisch der Italiener (Attrition, L1) [C] französierendes Italienisch der Franzosen (Lernervarietät, L2) [D] italianisierendes Französisch der Italiener (Lernervarietät, L2) Gegen Ende des Pamphlets stellt schließlich Philalethe, dessen vermeintlich unparteiisches Urteil ja sowohl von Philausone als auch von Celtophile geschätzt wird, fest, dass das françois italianizé der Franzosen [A] letztlich auf die Interferenzen aufweisende Lernervarietät der Italiener [D] zurückzuführen sei. Dieses diene den Franzosen aufgrund des Prestiges der Italiener als Modell, das es zu imitieren gelte 14 . PHILAL .: Or çà, Monsieur Philausone, pour parler à bon escient, ne considerez-vous pas bien que l’escorchement du langage italien est venu premierement des Italiens qui, par necessité, non pas pour plaisir, entremesloyent leur langage parmi le nostre [D]? Comme il me souvient leur avoir ouy dire quelquesfois: Quand anderons-nous là? Car qui est celuy qui voudroit dire que ce mot anderons fust mis en ce lieu comme ayant quelque garbe (pour parler courtisan) plus que le mot françois «irons»? Et ce-pendant quelque sot François [A < D], de ce vice (car je croy que l’ignorance se peut bien appeler vice) voudra faire une vertu. (Estienne [1578] 1980: 439, Hervorhebungen im Fettdruck und Zusätze in Klammern T. S.) Im Hinblick auf das Schicksal der Muttersprache der Immigranten [B] stellt sich angesichts der Ausführungen Philausones die Frage, weshalb diese trotz des Ansehens der Einwanderer sowie der in Kapitel 2.1 dargelegten kulturellen und demographischen Verhältnisse ebenfalls Interferenzen aufweist und somit rein sprachlich betrachtet 15 an Vitalität verliert (Attrition). Eigentlich wäre zu erwarten, dass sie schon allein aufgrund der sozialen Stellung der Italiener, die das Französische ja nur unzureichend beherrschen und sie daher vermutlich 14 Während ältere Werke wie Clément ([1898] 1967: 325) und Kandler (1944: 276) diesen Hinweis Estiennes zumindest beiläufig erwähnen, wird er in rezenteren Arbeiten lediglich von Cowling (2007: 168-169) zur Kenntnis genommen. 15 Über die Funktionsbereiche, in denen das Italienische in der France italienne Verwendung findet, wurde bisher noch nichts gesagt. 148 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 149 weiterhin vermehrt verwenden, unbeeinflusst bleibt. In der Tat bleibt Philausones Urteil auch nicht unkommentiert. Im weiteren Verlauf der Deux Dialogues wird das Thema erneut aufgegriffen, und Celtophile bringt die folgenden Einwände vor: PHIL.: […] Car je vous confesse que disgratié a vrayment son origine du langage italien qui dit disgratiato (tellement qu’on peut dire qu’entre nous courtisans italianizons en ceste parole: […]) mais quelques-uns, par ignorance, l’appliquent à un autre usage que l’Italie n’a appliqué son disgratiato. Car, au lieu que disgratiato signifie «malencontreux», ou «malheureux», quelcun qui en passant avet ouy ce mot «disgratié» de la bouche de quelque emprunteur […] eut bien grand’haste de dire: Il est disgratié , non pas pour signifier: «Il est malencontreux» ou «Il est malheureux», mais au lieu de dire: «Il est hors de grace» ou «Il n’est plus en grace» […]. CEL .: Je sçay bien cela, mais je crain qu’on ne vous die que disgratia , outre ceste signification ordinaire pour «malencontre», ou «malheur», ou «inconvenient» […] a pris aussi ceste-ci de «malegrace», ou «mauvaise grace», entre les Italiens mesmement, et qu’à leur exemple on a usé ainsi de disgrace , en italianizant. PHIL .: Mais de quels Italiens parlez-vous? CEL .: D’Italiens demeurans en la cour de nostre roy de France, ou pour le moins, lesquels y hantent. PHIL .: Comme si, quand il est question de parler du vray usage de la langue italienne, c’estoyent ceux-là qui doivent avoir voix en chapitre. CEL .: Pourquoy non? PHIL : Vous sçavez mieux que vous ne dites, car vous n’ignorez pas que les mieux parlans y corrompent peu à peu leur langage en s’accommodant au frances [B]. CEL.: Notez aussi qu’il n’est pas ici question du pur et nayf langage italien, mais tel que ceux du pays le parlent, non seulement en leur pays mais aussi estans hors d’iceluy, principalement quand ils sont en France, specialement encore quand ils sont à la cour. (Estienne [1578] 1980: 148-149, Hervorhebungen im Fettdruck und Zusätze in Klammern T. S.) Im Gegensatz zu Philausone geht Celtophile - und damit Estienne - also nicht davon aus, dass der Bedeutungswandel von it. disgrazia / disgraziato mit dem Exil der Italiener in Zusammenhang zu bringen ist. Es handelt sich also nicht um attritionsbedingtes restructuring (vgl. Kapitel 3.3.7). Im Gegenteil: Fr. disgrace / disgracié sei auch in der Bedeutung ‘mauvaise grâce / être hors de grâce’ auf italienischen Einfluss zurückzuführen 16 . Abgesehen davon, dass Estienne 16 Im Übrigen gibt auch die Forschung Estienne Recht: Smith (1980a: 148, Fn. 370) weist unter Berufung auf den DEI (s.v. disgrazia ) sowie auf Hope (1971: 181, 664, Fn. 2) darauf hin, dass fr. disgrace ‘mauvaise grace’ als Italianismus des 16. Jahrhunderts gewertet werden kann. Laut DELI (s.v. disgrazia ) ist die Bedeutung ‘perdita della grazia o del favore somit indirekt zu verstehen gibt, dass im Italienischen der Immigranten keine französischen Einflüsse zu erwarten sind, äußert er sich gleichzeitig auch zum Sprachverhalten der Einwanderer, welches als Begründung für die fehlenden Interferenzen interpretiert werden könnte: Die Italiener würden (1) im Ausland, (2) insbesondere in Frankreich und (3) v. a. am Hofe weiterhin an ihrer Muttersprache festhalten. Während (1) durch das allgemeine Prestige des Italienischen als Verkehrssprache während der Renaissance (vgl. Kapitel 2.2.2) erklärt werden könnte, legen (2) und (3) nahe, dass es sich im Frankreich des 16. Jahrhunderts, insbesondere bei Hofe, einer außergewöhnlichen und daher bemerkenswerten Vitalität erfreuen musste. Ebenfalls von Interesse ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass Estienne zwischen „Italiens demeurans en la cour de nostre roy de France“ und solchen „lesquels y hantent“ unterscheidet. Gerade die Präsenz letzterer, die als Gäste lediglich vorübergehend am Hofe verweilten, könnte das Italienische gleich in zweifacher Hinsicht gestärkt haben. Zum einen lässt der rege Austausch mit Sprechern aus Italien vermuten, dass sich das Italienische 17 der Petite Italie nicht zu einer archaisierenden von Attritionserscheinungen gezeichneten Varietät einer isolierten Sprachinsel 18 entwickelte, zum anderen ist es angesichts der kurzen Dauer ihres Aufenthaltes sowie des geringen Prestiges des Französischen im rinascimentalen Italien (vgl. Kapitel 2.1) wahrscheinlich, dass sie das Französische gar nicht erst erlernten und somit zu einer größeren kommunikativen Reichweite des Italienischen beitrugen. Dass die Beherrschung des Französischen nicht zuletzt auch aufgrund der - wenn auch unterschiedlich ausgeprägten - Italienisch-Kompetenz zahlreicher französischer Höflinge nicht unbedingt nötig gewesen sein könnte, kann der folgenden Textstelle entnommen werden. altrui’ auch schon vor 1348 belegt. Wären die Aussagen von Philausone richtig, könnten die semantischen Veränderungen im Französischen durch eine ZS-rezipienteninduzierte Entlehnung erklärt werden. 17 Wenn Estienne ([1578] 1980: 148-149) in der zuletzt zitierten Textstelle anmerkt, die Italiener bei Hofe sprechen kein „pur et nayf langage italien“, sondern „tel que ceux du pays le parlent“, darf daraus nicht gefolgert werden, es handele sich dabei um ein korrumpiertes Italienisch. Vielmehr weist es Estienne, der, wie u. a. aus der Precellence (1579: XX, 4-5, 134-135, 202-203) ersichtlich wird, nicht nur mit den Schriften von z. B. Bembo, Castelvetro und Varchi vertraut war, sondern auch lange Zeit in verschiedenen Gegenden Italiens verbracht hat, als Kenner der questione della lingua sowie der tatsächlichen Sprachlandschaft des rinascimentalen Italien aus. 18 In der Attritionsforschung wird normalerweise nur die Sprache eines Individuums untersucht. Allerdings ist man sich des Umstands bewusst, dass in Migrantengruppen auch Varietäten entstehen können, die die Attrition der Sprache ihrer Mitglieder widerspiegeln (vgl. Köpke / Schmid 2013). 150 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 151 PHIL .: D’une chouse je m’asseure, c’est que nous avons choisi un juge competent [Philalethe], car je croy qu’il n’y ait homme à cinquante lieues à la ronde qui entende mieux la langue francese, tant pour estre sa langue naturelle, que pour s’y estre exercé pars divers escrits: et l’italienne pource qu’il a passé en Italie une partie de sa jeunesse et depuis ne luy est pas advenu comme à plusieurs d’en oublier quelque partie par discontinuation. Car au contraire, tousjours depuis son retour, il s’est entretenu en ceste langue, tant pour la frequentation avec plusieurs Italiens, comme aussi par la lecture ordinaire. (Estienne [1578] 1980: 394, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Aufgrund der sozialen Stellung der Immigranten sowie deren unzureichender Kenntnis des Französischen weist Gentillet (1576) sogar darauf hin, dass es bisweilen unumgänglich war, mit ihnen Italienisch zu sprechen. Offenbar konnte dieses also auch als Distanzsprache fungieren. Als L-Varietät (vgl. Kapitel 3.2.1) kann es somit nicht betrachtet werden. Ne sont-ce pas Machiavelistes (Italiens ou Italianisez) qui manient les seaux de France, dictent les edits, font les despeches dedans & dehors le Royaume… Et mesmes si l’on veut aujourd’hui obtenir quelque chose en Cour, & avoir bonne & soudaine despeche, il faut savoir parler le langage Messeresque: parce que ces Messers oyent volontiers ceux qui savent parler leur gergon, & n’entendent pas bien le François. (Gentillet 1576: 11, zitiert nach Smith 1980a: 398, Fn. 392) Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass entgegen der bis heute vertretenen Meinung (vgl. Wind 1928 und Balsamo 1992) die Quelle des sog. françois italianizé laut Estienne nicht allein in der Begeisterung der Français italianisants für das Italienische zu sehen ist. Vielmehr wird deren Sprachverhalten durch die Präsenz der italienischen Immigranten beeinflusst. Diese liefern aufgrund ihrer oft ungenügenden Kenntnis des Französischen mit ihrer Lernervarietät ein Vorbild für italianisierendes Französisch, das schließlich von den Franzosen imitiert wird. Für die Einführung von Italianismen ( AS -produzenteninduzierte Entlehnungen) sind somit also auch die Immigranten verantwortlich zu machen. Anders als in der Muttersprache der französischen Höflinge sind in jener der Einwanderer scheinbar keine fremden Einflüsse zu erkennen (keine Attrition). Im Gegenteil: Gerade in Frankreich scheint die Vitalität des Italienischen außer Frage zu stehen. Da - trotz individueller Unterschiede - eine Vielzahl der Franzosen des Italienischen mächtig ist, ist offenbar die Beherrschung des Französischen für die Italiener nicht zwingend erforderlich. Insbesondere am Hof scheinen keine diglossischen Tendenzen zu beobachten gewesen zu sein. Wenn man bedenkt, dass sowohl Estienne als auch der weiter oben zitierte Gentillet als Protestanten heftige Gegner der italienisch-katholischen Krone Frankreichs waren und ihre Werke, wie die vieler anderer Zeitgenossen, daher vor dem Hintergrund des damals weit verbreiteten antiitalienischen Diskurses (vgl. Kapitel 2.1.6) als polemisch verstanden werden müssen, stellt sich die Frage, wie Estiennes soziolinguistische Beschreibung der Petite Italie nun abschließend zu bewerten ist. Auf den ersten Blick scheinen seine Aussagen mit dem, was in der Forschung seit Wind (1928) mehrheitlich angenommen wird, in Widerspruch zu stehen. Die in Kapitel 2.1 überblicksartig vorgestellten Erkenntnisse neuerer soziohistorischer Studien (Dubost 1997) aber lassen das von Estienne gezeichnete Bild durchaus plausibel erscheinen. Aufgrund des Prestiges des Italienischen, der hohen Anzahl an Migranten sowie deren sozialer Stellung kann das Italienische durchaus vital geblieben sein. Was die Italienisch-Kompetenz der Franzosen [C] anbelangt, liegen bereits Arbeiten vor 19 , die Estiennes Beobachtungen weitestgehend bestätigen. Auch das italianisierende Französisch der Franzosen [A] wurde schon früh sowohl in Einzelstudien 20 als auch in den Überblicksdarstellungen zum italienischen Lehngut im Französischen untersucht. Wie in Kapitel 2.3.4 und 2.4 betont wurde, beschränken sich diese ja gerade auf die Texte der Français italianisants. Die Aussagen Estiennes sind offenbar also auch diesbezüglich glaubwürdig. Angesichts des Prestiges und der Reichweite des Italienischen erscheinen schließlich auch seine Ausführungen zur Vitalität der Migrantensprache (d. h. keine Attritionsphänomene [B]) sowie zum italianisierenden Französisch der Einwanderer [D], das zahlreiche Interferenzerscheinungen aufgewiesen haben soll, durchaus plausibel. 4.2.3 Züge des françois italianizé 4.2.3.1 Lautung 4.2.3.1.1 Vokalismus Im Folgenden werden nur solche Einflüsse besprochen, die sich systematisch auswirken. Von Estienne stigmatisierte Erscheinungen, die nur die Ausdrucksseite von bestimmten Einzelwörtern betreffen, wie z.B . Ital(l)e / Itaille statt Italie 21 , können an dieser Stelle nicht berücksichtigt werden. 19 Vgl. neben Picot ([1906-1907] 1968) auch die kleineren Beiträge von Hauvette (1902) und Stoyle (1987). 20 Vgl. z. B. Marty-Laveaux (1896-1898), Sullivan (1931) und Smith (1994) 21 Für die entsprechenden Textstellen vgl. Estienne ([1578] 1980: 415, 434). 152 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 153 [ɛ] statt [wɛ] Explizit als italianisierende Aussprache wird die Monophthongierung 22 [wɛ] > [ɛ] kritisiert. In der Graphie der betroffenen Wörter drücke sich der ‘Wandel’ durch <e>, z. B. <endret>, statt <oi / oy>, z. B. <endroit>, aus. Estienne weist gleich zu Beginn der Deux Dialogues darauf hin, dass diese Schreibungen in seinem Pamphlet bewusst nebeneinander verwendet werden (vgl. den unten zitierten Textausschnitt). In der Tat wird konsequent zwischen <oi / oy> [wɛ] in den Beiträgen Celtophiles und <e> [ɛ] in jenen Philausones unterschieden. Sçachez, lecteur, que ce n’est pas sans cause que vous avez ici les mesmes mots escrits en deux sortes, asçavoir, non seulement «françois», mais aussi «frances»; et non seulement «je disois», «je faisais», «j’estais», «j’allois», «je voulais», mais aussi «je dises», «je faises», «j’estes», «j’alles», «je voules»; pareillement «je dirois» et «je dires», «je ferois» et «je feres», «j’irais» et «j’ires», «je voudrais» et «je voudres». Car, tant ici qu’ès autres lieux où ceste diphthongue OI a esté changée en E (comme ès mots «dret» et «endret», pour «droit» et «endroit»), ç’a esté pour representer la pronontiation usitée en la cour, laquelle Monsieur Philausone veut retenir, maugré qu’on en ait, comme vous verrez par la dispute qui est en ce livre. Autant en est-il de «chose» et «chouse», de «costé» et «cousté», car «chouse» et «cousté», comme on prononce à la cour, plaisent audict Philausone, «chose» et «costé», selon la pronontiation ordinaire, plaisent aux autres. Autant en est-il de quelques autres qui sont escrits en quelques lieux par OU et aillieurs par O seulement. (Estienne [1578] 1980: 64, Advertissement au lecteur ) Im Gegensatz zu [wɛ] > [ɛ] (<oi / oi> und <e>) wird [o] > [u] (<o> und <ou>) in Einzellexemen nicht explizit als italianisierende Aussprache ausgewiesen und kann somit als Kennzeichen des langage courtisanesque im weitesten Sinne betrachtet werden 23 . Die Lautung [wɛ] > [ɛ] hingegen sei laut Estienne dadurch zu erklären, dass [wɛ] im Italienischen nicht existiere und die Italiener die Sequenz daher mit [ɛ] substituierten. 22 Nicht in allen nordgalloromanischen Varietäten entwickeln sich lat. ĭ und ē unter dem Hauptton in freier Stellung über Zwischenstufen zu [wɛ]. Insbesondere für die primären Dialekte der Île-de-France kann vermutlich davon ausgegangen werden, dass nicht [wɛ], sondern [ɛ] die eigentlich ältere Form darstellt, so dass strenggenommen nicht von einer Monophthongierung, sondern lediglich vom Ersatz einer Variante durch eine andere gesprochen werden kann (vgl. dazu die Diskussion und die Bibliographie in Grübl 2013). 23 An keiner der einschlägigen Stellen, an denen diese Erscheinung besprochen wird (vgl. Estienne [1578] 1980: 46, 64, 83, 238, 434), finden sich konkrete Hinweise auf italienischen Einfluss. Vielmehr handelt es sich um françois autrement desguizé , d. h. um sonstige, nicht italianisierende Merkmale des höfischen Französisch. Auch Clément ([1898] 1967: 309-317) nimmt die Entwicklung [o] > [u] nicht in seinen Überblick zu kritisierten Einflüssen auf die Lautung auf. Für weitere Informationen zur Mode der sog. ouistes , die noch im 17. Jahrhundert verbreitet war und gleichermaßen kritisiert wurde, vgl. z. B. Thurot Bd. 1 (1881: 240-242) und Brunot HLF II (1906: 251-254). PHILAL .: […] Quant à françois, anglais , escoçois , milanais , il y a long temps que plusieurs d’eux ont confessé n’avoir pas la langue bien faicte pour les prononcer. Et pourtant suyvans leur langage naturel, qui dit francesé , inglesé , scocesé , milanesé , ont esté fort joyeux d’estre quittes pour dire pareillement en parlant le nostre, frances , angles , escoces , milanes , et pareillement ès feminins francese , anglese , escocese , milanese . […] Car ils disent (comme vous sçavez) j’allés , je venés , je faisés , je disés ; pareillement je ferés , je dirés. Et font le mesme changement tant ès autres endroits semblables qu’en autres lieux où se rencontre ceste povre diphthongue […]. (Estienne [1578] 1980: 404-405, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Wie sind diese Aussagen Estiennes nun zu bewerten? In der Tat erkennt er richtig, dass die Aussprache [ɛ] statt [wɛ] tatsächlich v. a. in Nationalitätsbezeichnungen und den Endungen des imparfait sowie des conditionnel erscheint, wobei aber auch Einzellexeme wie vela statt voilà und endret statt endroit betroffen sein können 24 . Nun aber handelt es sich dabei mit Gewissheit um keine Innovation des 16. Jahrhunderts, da die Lautung schon im 13. Jahrhundert - auch in Paris - vorzufinden ist (vgl. Huchon 1988: 87, Marchello-Nizia 1997: 79). Im Gegenteil: Aufgrund des frühen Vorhandenseins von [ɛ] wird bisweilen, so etwa von Haudricourt (1948), sogar angenommen, dass es als die autochthone Variante in der Île de France betrachtet werden müsse, wohingegen [wɛ] eine jüngere Prestigevariante darstelle, die erst im späten Mittelalter aus anderen Varietäten der langue d’oïl entlehnt wurde (vgl. Grübl 2013: 346-351). Wie erklärt sich also, dass Estienne darin überhaupt eine Innovation zu erkennen glaubt? Laut Clément ([1898] 1967: 312 und Fn. 5) gibt Theodore de Bèze ([1584] 1868: 53-54) Estienne z.T. Recht, indem er feststellt, dass [ɛ] statt [wɛ] zumindest in Nationalitäts- und Herkunftsbezeichnungen auf rezenten italienischen Einfluss zurückzuführen sei. Auch andere Zeitgenossen, wie Des Autels und Pasquier, sehen darin eine Neuerung, die nicht dem gepflegten usage entspreche (vgl. Huchon 1988: 87 und Thurot Bd. 1, 1881: 374-376). Vermutlich ist also tatsächlich von einem Wandel auszugehen, allerdings auf diastratischer Ebene. Dies widerspricht auch nicht der Annahme Haudricourts (1948), dass [ɛ] und [wɛ] bereits seit Langem nebeneinander existierten. Die eigentlich jüngere Prestigevariante [wɛ] wird nur allmählich von der ursprünglich niedrig markierten Variante [ɛ] bei Hofe verdrängt. Ob es Estienne bewusst war, dass [ɛ] schon früher außerhalb des Hofs existierte, kann nicht mit Gewissheit festgestellt werden. In jedem 24 Für Details zur Konkurrenz und Diachronie von [ɛ], [wɛ] und [wa] vgl. die in Grübl (2013) genannte Literatur, für eine knappe Übersicht vgl. z. B. Brunot HLF II (1906: 255-257), Rheinfelder Bd. 1 (1963: 20-23), Huchon (1988: 86-87), Marchello-Nizia (1997: 75-80), für die Bewertung dieser Varianten durch die Grammatiker und Sprachbeobachter des 16. und 17. Jahrhunderts vgl. Thurot Bd. 1 (1881: 374-381). 154 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 155 Fall scheint seine Wahrnehmung bezüglich des innovativen Charakters dieser Erscheinung im bon usage des Hofs auch von anderen Sprachbeobachtern geteilt zu werden. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass Estienne in der Apologie pour Hérodote (1566) den Ursprung für diesen offenbar rezenten Wandel im affektierten Sprachgebrauch der Frauen sieht und eine Beeinflussung durch das Italienische sogar explizit ausschließt (vgl. Clément [1898] 1967: 311 und Cowling 2007: 167). Zu behaupten, dass Estienne seine Meinung zwischen 1566 und 1578 lediglich zum Zwecke der Satire geändert habe, greift aber sicherlich zu kurz. Schon Clément ([1898] 1967: 311) weist darauf hin, dass Estienne in seinen Deux Dialogues auch Züge des langage courtisanesque verurteilt, die er explizit als nicht italianisierend ausweist (vgl. Kapitel 4.2.4). Eine italienische Herkunft für sprachliche Erscheinungen zu erfinden, nur um diese deshalb kritisieren zu können, scheidet als Erklärungsmöglichkeit also aus. Viel wahrscheinlicher ist, dass er zumindest in der Verbreitung dieser Erscheinung italienischen Einfluss vermutet haben könnte. Auch wenn heute im Allgemeinen davon ausgegangen wird, dass für den Ersatz von [wɛ] durch [ɛ] italienischer Einfluss wohl keine Rolle spielte (vgl. z. B. Ayres-Bennett 1994: 59), hält es Schmitt (2003: 802) - wie schon Brunot HLF II (1906: 255) und Chaurand (1977: 74) - durchaus für möglich, dass die italienischen Höflinge zwar nicht für die ‘Innovation’, aber für die Diffusion des Phänomens verantwortlich gewesen sein könnten. Diese könnten, da das Italienische kein [wɛ] aus lat. ē und ĭ in freier Stellung unter dem Hauptton kennt 25 , von den zwei Varianten tatsächlich [ɛ] den Vorzug gegeben haben. Aufgrund des Prestiges ihres françois italianizé wurde diese Aussprache dann zunehmend imitiert und setzte sich vom Hof ausgehend allgemein durch 26 . Dass sie tatsächlich [ɛ] gesprochen haben könnten, legen z. B. auch die Ergebnisse von Aslanov (2006: 62) nahe, der davon ausgeht, dass die Schreibung <e> statt <oi> in bestimmten levantinischen Texten des 13. Jahrhunderts als Folge der Sprachmischung mit italoromanischen Varietäten und mithin als italianisierend 25 Vgl. dazu die Entwicklung von lat. ĭ und ē unter dem Hauptton in freier Stellung in italoromanischen Varietäten in D’Ovidio / Meyer-Lübke ([1932] 2000: 31-54, 174, 180, 183, 185, 187, 189, 194, 198, 201-204, 206-208, 211, 215, 218) sowie Rohlfs Bd. 1 (1949: 117-128). Allerdings ist laut Rohlfs in einigen oberitalienischen Mundarten sowie in Teilen der Toskana eine Diphthongierung von [e] zu [ej], also wie im Altfranzösischen, zu beobachten. Auch [oj] begegne vereinzelt. Bis zu [wɛ] geht die Entwicklung aber nicht. Der Ersatz von [wɛ] durch [ɛ] oder [e] im françois italianizé der Immigranten ist also in Lexemen, deren lat. Etymon ĭ und ē unter dem Hauptton in freier Stellung aufweist, nicht unwahrscheinlich. 26 Zu Bedeutung und Einfluss der Sprache des französischen Hofs, die trotz einiger Gegner bereits im 16. Jahrhundert ein gewisses Prestige genoss, vgl. insbesondere Schmitt (1977) sowie Trudeau (1992: 49-57). betrachtet werden könne 27 . Gewiss hat sich die Lautung [ɛ] heute in den meisten der o. g. Fälle durchgesetzt. Solange aber keine umfassenden Untersuchungen zum Französischen der Italiener vorliegen, die bestätigen können, dass [ɛ] statt [wɛ] in deren Französisch häufiger ist - oder überhaupt vorkommt -, muss deren Beteiligung an der Diffusion des Phänomens spekulativ bleiben. 4.2.3.1.2 Prothese vs. s impurum Eine von Estienne eher indirekt kritisierte Erscheinung des françois italianizé , die zwischen Vokalismus und Konsonantismus angesiedelt werden kann, ist die fehlende Prothese in entlehnten Italianismen, wie scarpe < it. scarpa statt escarpe ‘chaussure’. In Kapitel 2.3.2.2 wurde darauf hingewiesen, dass die Mehrheit der rinascimentalen Italianismen im Französischen einen prothetischen Vokal aufweist und daher gut integriert erscheint, da diese laut Sampson (2003) entweder über norditalienische Varietäten, in denen die Prothese üblich war, oder über das Okzitanische vermittelt wurden. Gleichzeitig wurde aber auch betont, dass anders als im Mittelalter im 16. Jahrhundert vereinzelt auch Italianismen beobachtet werden können, die mit s impurum erscheinen. Estienne scheint darin nun offenbar einen besonders markierten Onset zu sehen. An einigen Stellen der Deux Dialogues wird das Nebeneinander von Formen mit und ohne Prothese auch thematisiert. PHIL .: Si est-ce que vous en passerez par là. Et notez que pour punition je vous feray dire trois fois tout de suite, non pas: «Je vous baise la main, Monsieur Philausone» mais: Je vous baise l’escarpe . Car plusieurs disent ainsi aujourd’huy, parlans aussi incorrectement que sottement et flateusement. CEL.: Tant plus grande me sera ceste punition. Mais pour le moins vous me permettrez de dire la scarpe , au lieu de l’escarpe. (Estienne [1578] 1980: 322, Hervorhebungen im Original) Zwar wird nicht explizit gesagt, dass es sich dabei um einen italianisierenden Anlaut handelt, aber die Tatsache, dass Celtophile hier ironisch verstanden werden muss, dass Philausone gehäuft Formen mit s impurum verwendet (auch scorte statt escorte ) und dass, wie bereits Hope (1971: 585) und Sampson (2004) konstatieren, zahlreiche Hapax-Belege in den Deux Dialogues Formen sind, die keine Prothese aufweisen, legt nahe, dass Estienne darin ein Merkmal des françois italianizé (Schibboleth) gesehen hat (vgl. Kapitel 5.5.2.3.4). In der Tat könnte es sich in der Lernervarietät der Einwanderer dabei um eine auf die Phonotak- 27 Aslanov (2006: 59) weist in diesem Zusammenhang auch auf Lazard (1998: 488) hin, der zufolge die Graphie <e> statt <oi> auch in anderen „textes d’oïl produits en contexte italien“ nachgewiesen werden könne. 156 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 157 tik ihrer Muttersprache zurückzuführende Interferenz handeln. In diesem Fall müsste die fehlende Prothese allerdings nicht nur in Italianismen, in denen sie leicht als Folge einer AS -produzenteninduzierten Entlehnung erklärt werden könnte (vgl. Kapitel 4.2.3.3), sondern auch in französischen Erbwörtern begegnen. 4.2.3.1.3 Konsonantismus Wie schon im Abschnitt zum Vokalismus werden auch hier nur solche Phänomene vorgestellt, die sich laut Estienne systematisch auf das Französische auswirken. Einzelbeobachtungen, wie z. B. der Ersatz von [l] durch [i] nach Obstruenten in piasir statt plaisir 28 unter dem Einfluss von it. piacere , können nicht im Detail besprochen werden. Ausfall von [k] und [p] vor [t] Als Erscheinung, die im Französischen der Italiener auf Interferenzen mit dem Italienischen zurückzuführen sei und von den französischen Höflingen imitiert werde, nennt Estienne den Ausfall von [p] und [k] vor [t] wie in fr. accetter statt accepter und affetté statt affecté . CEL .: Or çà, puis qu’on dit affettion pour «affection», aussi dit-on accetter pour «accepter», et pareillement accettation pour «acceptation». PHIL .: Vous n’en devez pas douter, car nous suyvons la pronontiation italienne aussi bien en l’un qu’en l’autre, et semble qu’il soit plus grand besoing de la suyvre ici que là, pource que ces lettres PT semblent faire le mot encore plus rude que ne font ces autres CT . CEL .: N’est-ce pas merveille qu’entre vous courtisans faites vertu d’un vice estranger en cest endroit, comme en plusieurs autres? PHIL .: Comment vice, puis que ceste pronontiation est plus douce? CEL .: Ces messieurs que vous suyvez en ceci n’ont pas esgard à l’addoucissement que vous dites, mais ils prononcent ainsi pource que leur langue ne peut aisément prononcer autrement. Pareillement quand ils disent Alessandro pour Alexandro [! ], et, una massima pour una maxima , ce n’est point pour mieux prononcer, mais c’est pource qu’ils suivent la pronontiation vicieuse de leur pays, en laquelle ils ont esté nourris et de laquelle malaisément ils se pourroyent desaccoustumer. (Estienne [1578] 1980: 403-404, Hervorhebungen im Fettdruck T. S. Ob Estienne hier mit der Schreibung <-tt-> andeuten will, dass es sich nicht um einen Ausfall der Laute, sondern zunächst um eine totale Assimilation handelt, lässt sich nicht überprüfen. In diesem Fall müssten jeweils phonetisch realisierte 28 Für die entsprechende Textstelle vgl. Estienne ([1578] 1980: 411). Geminaten im rinascimentalen Französisch angenommen werden. Von solchen ist aber an keiner Stelle in den Deux Dialogues die Rede 29 . Wenn man also davon ausgeht, dass der Purist in den o. g. Fällen den Ausfall - nicht die totale Assimilation - der vorkonsonantischen Plosive als italianisierend kritisiert, stellt sich die Frage, ob dafür überhaupt fremdsprachlicher Einfluss verantwortlich gemacht werden kann. Wie hinreichend bekannt ist, stellen der Schwund von labialen Plosiven und die Vokalisierung velarer Plosive in dieser Position eine in der Geschichte des Französischen regelmäßige erbwörtliche Entwicklung dar. So entwickelt sich z. B. lat. rŭpta regelmäßig zu afr. rote > nfr. route und lat. făctu zu afr./ nfr. fait 30 . Auch wenn Konsonanten im Zuge der Relatinisierung 31 ab dem 14. Jahrhundert wieder in die Graphie eingeführt wurden, bleiben sie manchmal bis heute stumm: Während <p> in nfr. septembre < afr. setembre < lat. sěptěmbre wieder phonetisch realisiert wird 32 , bleibt es in nfr. baptême < afr. bateme < lat. băptĭsmu unartikuliert. Ähnliches lässt sich für <c> beobachten: Nfr. octobre < afr. oiteuvre < lat. ŏctōbre wird mit [k] ausgesprochen, wohingegen nfr. respect < afr. respet < lat. respectus lediglich <c> in der Schreibung aufweist. Bis heute lauten im Französischen aspect und direct trotz der identischen Schreibung mit <ct> nicht gleich. Marchello-Nizia (1997: 105) weist anhand von Reimen in Texten des 14. und 15. Jahrhunderts zudem darauf hin, dass selbst für gelehrte Wörter, für die also keine erbwörtlich entwickelten Formen mit geschwundenem Plosiv existierten, angenommen werden muss, dass vorkonsonantisches <p> und <k> nicht immer artikuliert wurde: So reime Neptune etwa mit n’est une . Auch die zahlreichen z.T. widersprüchlichen metasprachlichen Kommentare der Sprachbeobachter des 16. Jahrhunderts in Thurot Bd. 2 (1883: 331-336, 362) legen nahe, 29 Dass die Aussprache von Geminaten v. a. in gelehrten Wörtern im 16. Jahrhundert aber durchaus gefordert wurde und sich angeblich vorübergehend auch bei <tt>, <dd>, <ll> und <rr> tatsächlich durchsetzen konnte, kann den zahlreichen metasprachlichen Aussagen in Thurot Bd. 2 (1883: 370-390) entnommen werden, dem zufolge auch Henri Estienne die Aussprache [ll] in j’appelle und sogar [ff] in affection propagierte. Thurot Bd. 2 (1883: 334, Fn. 1) verweist im Zusammenhang mit der lautlichen Realisierung von <ct> auf Aussagen in anderen Werken Estiennes, in denen dieser gewissen Zeitgenossen vorwirft, z. B. <practique>, das seiner Meinung nach anders als <affecter> ohne [k] artikuliert werden sollte, mit [tt] auszusprechen. 30 Für die lautgesetzliche Entwicklung von Konsonanten in vorkonsonantischer Stellung vgl. z. B. Marchello-Nizia (1997: 103-105) sowie insbesondere Rheinfelder Bd. 1 (1963: 216-238). Die in diesem Kapitel genannten Beispiele sind zum Großteil letzterem entnommen. 31 Zur Relatinisierung sowie zum gelehrten Wortschatz des Französischen sei auch hier auf Gougenheim (1959), Guiraud (1978), Raible (1996) und Lüdtke (1998) verwiesen. 32 Allerdings zeigen die Daten des ALF (Karte 1220 septembre ), dass septembre in zahlreichen Mundarten noch im 20. Jahrhundert ohne [p] realisiert wird. Abgesehen von vereinzelten Regionen im Süden Frankreichs sowie der Dauphiné betrifft dies auch Erhebungspunkte im äußersten Norden. 158 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 159 dass in der Renaissance trotz einer identischen Schreibung <ct> bzw. <pt> auch in ein und demselben Wort eine unterschiedliche Lautung möglich war. Huchon (1988: 93) stellt in ihrem Kapitel zu consonnes implosives zusammenfassend fest: „L’usage est panaché au XVI e siècle“. Wie ist Estiennes Aussage vor diesem Hintergrund also zu bewerten? Zunächst kann festgehalten werden, dass die italienischen Immigranten wie schon bei [ɛ] statt [wɛ] wohl kaum für diese ‘Innovation’ verantwortlich gemacht werden können. Dass sie im Hinblick auf bestimmte Einzelwörter - oder auch im Allgemeinen - aber vermutlich Varianten wählten, in denen kein [p] bzw. [k] artikuliert wurde, ist durchaus plausibel: Denn wie schon Estienne ([1578] 1980: 404) richtig feststellt („leur langue ne peut aisément prononcer autrement“), ist eine solche Konsonantenabfolge in der Phonotaktik des Italienischen - im Übrigen bis heute - nicht vorgesehen (vgl. Tekavčić Bd. 1, 1972: 295) 33 . Selbst gelehrte Wörter erscheinen im Italienischen häufig mit einer angepassten Lautung (z.B. it. pettorale < lat. pectorāle ) 34 . Auch ein Blick auf Gallizismen im Italienischen verrät, dass die - in manchen Fällen durch Relatinisierung wiederbelebte - Konsonantenabfolge eines französischen Etymons im Italienischen normalerweise nicht übernommen, sondern entsprechend integriert wird (vgl. auch Hope 1971: 615): z.B. it. direttore < fr. directeur , it. redattore < fr. rédacteur , it. riflettore < fr. réflecteur 35 . Es wäre also durchaus denkbar, dass im gesprochenen Französisch der italienischen Immigranten tatsächlich kein [pt] und [kt] vorkam und diese Lautung aufgrund des Ansehens der courtisans italiens von den französischen Höflingen zumindest in bestimmten Einzelwörtern nachgeahmt wurde. 33 Zur Entwicklung vorkonsonantischer Plosive in der Geschichte des Italienischen und seiner Dialekte vgl. auch D’Ovidio / Meyer-Lübke ([1932] 2000: 120) sowie Rohlfs Bd. 1 (1949: 398-399, 427-429). 34 Dies könnte damit zusammenhängen, dass auch relatinisierte Schreibungen wie z. B. <ct> in <facto> schon früh von bedeutenden Sprachnormierern wie z. B. Bembo (vgl. Migliorini 1957b: 199) zugunsten einer ‘italienischeren’ Schreibung <fatto> aufgegeben wurden. 35 Gewiss können die Gallizismen auch deshalb gut integriert werden, weil bereits andere Lexeme der jeweiligen lateinischen Wortfamilie als erbwörtlich entwickelte Formen oder frühe Kultismen im Italienischen vorhanden sind (z. B. diretto vor 1321, redatto vor 1742, riflettere vor 1319). Die Erstbelege sind dem DELI (s.v. diretto , redigere , riflettere ) entnommen. Dennoch zeigt diese Tendenz, dass die Konsonantenabfolge für das Italienische untypisch ist und dazu neigt, angepasst zu werden. Unter den etwa 1533 von Hope (1971: 763-776) ermittelten Gallizismen im Italienischen finden sich lediglich zwei mit <pt>: adepto und impromptu . Im Gegensatz zu ersterem, das laut Hope (1971: 375) auch in der Form adetto erscheint und bisweilen auch als Latinismus angesehen wird, gehört letzteres aber v. a. der Fachsprache an (vgl. Hope 1971: 499 und ZING s.v. impromptu ). Ausfall von [k] vor [s] Ähnlich wie [k] vor [t] verhält sich auch [k] vor [s], das laut Estienne im françois italianizé der Italiener in Anlehnung an die phonotaktischen Verhältnisse in deren Muttersprache (kein [ks]) nicht artikuliert werde. PHIL .: Les oye qui voudra. C’est qu’on commance fort à quitter ceste lettre X aussi bien en nostre francés courtisan comme au langage italien. Car il me souvient d’avoir ouy dire non pas seulement ces deux mots Alessandre et une massime (desquels il a esté desja faict mention) mais aussi estreme et ecellent , car notez qu’on prononce en ceste sorte comme si il n’y avet que un C. (Estienne [1578] 1980: 414, Hervorhebungen im Original) Auch hier stellt sich die Frage, inwieweit tatsächlich von einer Beeinflussung durch das Italienische ausgegangen werden kann. Denn [k] verhält sich, was die erbwörtliche Entwicklung betrifft, vor [s] kaum anders als vor [t]. So wird z. B. aus lat. frăxĭnu regelmäßig afr. fraisne > nfr. frêne . Folgt auf [ks] noch ein weiterer Konsonant, fällt der velare Plosiv zumeist ohne vorherige Vokalisierung ganz aus, z. B. lat. ěxclūsa > afr. escluse > nfr. écluse . In Wörtern gelehrter Herkunft wie luxe , examen , extraordinaire jedoch entspricht der Schreibung <x> zumeist [ks] (oder [gz]) 36 . Nach Auskunft von Thurot Bd. 2 (1883: 336-338) fordert die Mehrheit der Sprachmeister des 16. Jahrhunderts, so etwa Meigret und Robert Estienne, auch die Aussprache [ks] (bzw. [gz]). Während Formen wie estreme noch im 17. Jahrhundert getadelt werden, scheint Estienne der einzige zu sein, der z. B. Alessandre , massime kritisiert 37 . Wie im Falle von [t] statt [pt] oder [kt] ist auch hier vorstellbar, dass die italienischen Höflinge selbst in mots savants kein [ks] artikulierten, was laut den Zeugnissen aus Thurot (1883) auffälliger gewesen sein musste als der Ausfall von [p] oder [k]. Bis heute ist [ks] im Italienischen keine natürliche Konsonantenabfolge 38 . Auch voci dotte weisen im Normalfall kein [ks] (und auch kein <x>) auf: z.B. it. escavazione < lat. excavatiōnem . Gallizismen wie it. esploatare < fr. exploiter , das laut Hope (1971: 492) aufgrund puristischer Bewegungen schließlich wieder durch sfruttare ersetzt wurde, erscheinen in der Regel ebenfalls ohne [ks] bzw. <x>. 36 Zur Entwicklung von [ks] in der Geschichte des Französischen vgl. z. B. Rheinfelder Bd. 1 (1963: 228-231), dem auch die o. g. Beispiele entnommen sind. 37 Vgl. auch die Anmerkungen Smiths (1980a: 414, Fn. 427, 428). 38 Zur Entwicklung von [ks] in der Geschichte des Italienischen vgl. z. B. D’Ovidio / Meyer-Lübke ([1932] 2000: 120) und Rohlfs Bd. 1 (1949: 372-376). 160 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 161 [k] statt [ʃ] vor [a] und [e] Obgleich Estienne in Fällen wie cargue statt charge sowie attaquer statt attacher lediglich eine Italianisierung der Lautung erkennen will, handelt es sich bei allen der in der folgenden Textstelle besprochenen Lexeme nach heutigem Stand der Forschung eigentlich um tatsächliche Lehnwörter aus dem Italienischen, die sich neben den französischen Kognaten mit einer eigenen Ausdrucksseite und einer eigenen Bedeutung etabliert haben (vgl. Kapitel 3.3.2). Sie werden an dieser Stelle daher nur der Vollständigkeit halber genannt und nicht weiter diskutiert. Auf sie wird noch an verschiedenen Stellen der vorliegenden Arbeit verwiesen. CEL .: […] Encore n’est-ce pas tout. Car il y en a qui, ne pouvans faire pis, changent en partie la prononciation françoise en l’italienne, tellement que les mots se trouvent estre comme mestifs. De quoy nous avons exemple en cavalier et cavalerie, pour «chevalier» et «chevalerie». Vray est que «chevalier» n’est pas encore du tout banni, mais si est bien «chevalerie». Nous avons aussi exemple en ce mot «cargue», pour «charge», quand ils disent donner la cargue , ou une cargue , encore qu’il n’osent pas dire «carguer» pour «charger». Nous voyons le mesme en attaquer quand on dit: «Il ne l’osa pas attaquer.» Car ce mot attaquer participe du françois «attacher» (qui est le vray mot et nayf) et de l’italien attacar ; si d’avanture ils n’allegoyent (pour se couvrir d’un sac mouillé) qu’en disant attaquer ils ne veulent pas italianizer, mais plustost picardizer. Car vous sçavez que les Picards, comme un «cat» et un «kien», aussi disent-ils «attaquer» pour «attacher». […] PHIL .: Vous fascheriez bien ces messieurs les courtisans si vous leur disiez qu’ils veulent picardizer. Ce-pendant vous n’aurez autre response d’eux sinon qu’ils trouvent plus beau «attaquer» que «attacher», et attacher à la cadene que «attacher à la chaine». (Estienne [1578] 1980: 121-122, Hervorhebungen im Fettdruck T.S.) 4.2.3.2 Wortbildung Abgesehen von lautlichen Erscheinungen äußert sich Estienne auch zu Einflüssen auf die Wortbildung und bespricht dabei die in Kapitel 2.3.2.3 vorgestellten mehr oder weniger italianisierenden Suffixe {-ache}, {-ade}, {-esque}, {-esse} und {-issime}. Wie die folgenden Textausschnitte zeigen, werden sowohl {-ache} als auch {-ade}, für die neben italienischer auch okzitanische und spanische - für {-ade} zusätzlich katalanische und portugiesische - Herkunft möglich ist (vgl. TLF i s.v. -ache suff. , -ade 1 suff. sowie Gebhardt 1974: 138), explizit als italianisierende Suffixe bezeichnet. Auch die Aussprache [d] statt [t] in {-ade}, die auch die moderne etymologische Forschung beschäftigt hat, wird thematisert, wobei norditalienischer Ursprung für [d] aber nicht in Betracht gezogen wird. PHIL .: On aime fort les mots qui ont ceste terminaison, tesmoin aussi embuscade . Et mesmes il y en a qui disent explanader pour «explaner». Quant à camisade, je croy qu’il estet ja un peu usité avant vostre partement. Et je sçay bien qu’aucuns ont dict chemisade, allegans qu’ils disoyent «chemise», et non pas «camise». […]. CEL .: Vous voulez equivoquer sur ce mot de «salade». PHIL .: Pour vous dire la verité, en escrivant je dires «salate» pour mettre distinction entre deux chouses tant diverses, veu mesmement que l’italien est celata comme vous venez de dire. Tellement que ce seret encore bien mieux dict celate. Mais ce sera beaucoup d’avoir permission de faire ce petit changement dont j’ay usé, encore que je n’ignore pas qu’en beaucoup d’autres mots de semblable terminaison nous mettons le D pour le T des Italiens, desquels est embuscade car ils disent imboscata. Et les Hespagnols en ce mot ont usé du mesme changement que nous quant à ceste lettre. Car ils disent embuscada, si j’ay bonne mémoire. (Estienne [1578] 1980: 247-249, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) PHIL .: Quant aux autres anciens mots de guerre, au lieu desquels ils n’ont pas trouvé des italiens qui fussent à leur gré, ils leur ont pour le moins donné ou la terminaison ou la prononciation italienne, comme quand ils disent donner une cargue , au lieu de dire «donner une charge»; quand ils disent une rondache pour une «rondelle». (Estienne [1578] 1980: 250-251, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Interessant ist die offenkundig genaue Beobachtungsgabe des Puristen: Während sich zum eher seltenen {-ache} ansonsten keine weiteren Hinweise finden lassen, wird im Hinblick auf {-ade} nicht nur hervorgehoben, dass es, wie auch die moderne Forschung bestätigt (vgl. Kapitel 2.3.2.3), insbesondere im 16. Jahrhundert äußerst produktiv war („On aime fort les mots qui ont ceste terminaison“), sondern Estienne liefert auch zahlreiche Beispiele im Verlauf der Deux Dialogues . So befinden sich unter den stigmatisierten Italianismen neben dem o. g. embuscade z. B. auch bastonnade , bravade , brigade , camisade , contrade , escalade , estochade , harquebouzade , lancepessade , panade , pavoisade , poignelade , salade , salade ‘une sorte de casque’, staphilade 39 . Anders als bei der Lautung führt er die Verbreitung dieser Suffixe nicht explizit auf das françois italiani- 39 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 36 / 78 / 316 / 372, 105 / 356, 76 / 401 / 402, 247, 74, 246, 242, 260, 245, 262, 268, 67, 248, 249, 418-419). Für Angaben zur Etymologie der einzelnen Lexeme vgl. (TLFi s.v. anspessade , bastonnade , bravade , brigade , camisade , escalade , estafilade , estocade , pavesade , salade 1, salade 2) sowie Hope (1971: 156, 216) und FEW (s.v. contra ). Für contrade und escalade könnte neben italienischem auch okzitanischer, bei bastonnade auch spanischer oder okzitanischer Einfluss verantwortlich sein. Die Lexeme accolade und parade , bei denen es sich laut TLFi (s.v. accolade , parade ) vermutlich nicht um italienisches Lehngut handelt - parade ist eher aus dem Spanischen entlehnt -, werden von Estienne ([1578] 1980: 254, 166 / 326) nicht explizit als Italianismen kritisiert. Zum speziellen Fall von panade , das ich entgegen den Aussagen des FEW (s.v. panis ) sowie des TLFi (s.v. panade ) als Italianismus betrachte, vgl. Kapitel 7.3.5.4.2, zu harquebouzade vgl. Kapitel 5.5.1.4. 162 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 163 zé der italienischen Immigranten zurück. Sie werden lediglich als allgemeines Merkmal des italianisierenden Französisch betrachtet. Im Gegensatz zu {-ache} und {-ade} werden die Affixe {-esque} und {-issime} - für letzteres kann, wie in Kapitel 2.3.2.3 dargelegt wurde, auch gelehrter Einfluss verantwortlich sein - nicht als direkt aus dem Italienischen entlehnte Morpheme ausgewiesen. Allerdings ist durch den jeweiligen Kontext klar ersichtlich, dass Estienne sowohl in der Verwendung von {-esque} als auch von {-issime} ein typisches Kennzeichen des françois italianizé sieht. Italianismen mit {-esque} werden in den Deux Dialogues mehrfach als fremdes Wortgut kritisiert: z. B. arabesque , barbaresque , courtisanesque 40 . An einer Stelle (vgl. die unten zitierte Passage) macht Philausone auch auf eine Reihe von Herkunftsbezeichnungen mit {-esque} aufmerksam, die offensichtlich verdeutlichen sollen, dass das Suffix nach Ansicht Estiennes um 1578 bereits äußerst produktiv war. Einige dieser Formen wie z. B. turquesque , hongresque sind auch tatsächlich im rinascimentalen Französisch verbreitet (vgl. Anhang 2). PHIL .: […]. Tellement qu’au lieu qu’alors on ne parlet guere que de s’habiller à l’hespagnole, ou à l’italienne, depuis on s’est habillé à la tudesque, à la hongresque, à la poulonnesque (ou à la poulonnese), à l’arabesque, voire aucuns à la turquesque, commançans desja à marchander le turban aussi. (Estienne [1578] 1980: 203-204, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) PHIL .: J’enten assez que vous dites cela en vous moquant, mais je veux bien que vous sçachiez que si vous n’estudiez vostre leçon à bon escient avant qu’y aller, vous serez tenu pour un grandissime pedant. Et à propos de ce «grandissime» dont je vien d’user, notez que ces superlatifs sont maintenant fort plaisants aux courtisans, comme sonnans fort bien, et ayans quelque garbe, tellement qu’il vous faudra prendre garde de dire plustost doctissime que «tresdocte»; plustost bellissime que «tresbeau»; plustost bonissime que «tresbon». Dequoy je vous ay bien voulu advertir en passant, de peur de l’oublier. (Estienne [1578] 1980: 209, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Auch im Hinblick auf die Aussage, die nach italienischem und lateinischem Modell gebildeteten absoluten Superlative wie z. B. grandissime , doctissime , bellissime und bonissime seien „fort plaisans aux courtisans“, gibt die moderne Forschung Estienne z.T. Recht. Schließlich erfreuten sich solche Formen in zahlreichen Texten des 16. Jahrhunderts tatsächlich einer gewissen Beliebtheit (vgl. Kapitel 2.3.2.3). 40 Für die entsprechenden Textstellen vgl. Estienne ([1578] 1980: 204 / 317, 80, 36 / 65 / 77 / 83 / 105 / 106/ 126 / 241 / 365 / 378 / 408 / 409 / 414 / 415 / 423). Für Angaben zur Etymologie der einzelnen Lexeme vgl. TLFi (s.v. arabesque , barbaresque , courtisanesque ). Das durch italienischen Einfluss zumindest revitalisierte und mithin italianisierende Suffix {-esse} hingegen wird zwar an keiner Stelle in den Deux Dialogues von den Protagonisten besprochen, aber zahlreiche der von Celtophile kritisierten lexikalischen Italianismen weisen {-esse} auf. Auffällig ist, dass es sich dabei nicht nur um tatsächlich belegte Italianismen wie altesse und délicatesse , sondern in den meisten Fällen sogar um die in der Forschung häufig kritisierten Hapax-Belege bei Estienne handelt: z. B. amorevolesse , domestichesse , leggiadresse , salvatichesse , sciochesse , spurquesse 41 . Vermutlich hat also Estienne diese Lexeme entgegen dem, was in Arbeiten zu den Deux Dialogues im Normalfall angenommen wird, nicht völlig willkürlich gewählt. Betrachtet man die Ausdrucksseite genauer, lässt sich unschwer erkennen, dass in den meisten Fällen typisch italianisierende Elemente (Schibboleths) vorhanden sind, so dass die Phantasie-Kreationen des Puristen also auch als exemplarisch für formal fremdes Wortgut verstanden werden können (vgl. Kapitel 5.5.2.3.4). Abschließend kann festgehalten werden, dass Estienne - anders als bei den Kommentaren zur Lautung - für keines der besprochenen Suffixe ausdrücklich auf die Lernervarietät der italienischen Einwanderer verweist. Die Lektüre der entsprechenden Textstellen erweckt vielmehr den Eindruck, dass die Suffixe insbesondere von den französischen Höflingen verwendet werden. 4.2.3.3 Wortschatz Estienne macht an mehreren Stellen seines Pamphlets deutlich, dass sich der Einfluss des Italienischen auf das Französische insbesondere im Wortschatz manifestiert. CEL.: Et pourquoi avez-vous ainsi italianizé vostre langage, vous qui reprenez le mien? PHIL .: Pource que maintenant l’usance des courtisans est telle, de mescoler des vocables italiens parmi les frances. (Estienne [1578] 1980: 66, Hervohebungen im Fettdruck T. S.) PHIL .: […] Je croy que vous avez bien ceste opinion de moy que jamais je ne parleres ainsi, et que je n’approuve pas ceux qui à tous propos mettent des mots italiens en la place des francés. Mais d’autre costé, je vous veux bien confesser qu’en plusieurs endrets je trouve les mots italiens meslez parmi les nostres, avoir quelque garbe plus grand que n’auroyent les nostres. (Estienne [1578] 1980: 440, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) 41 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 226, 374, 265, 37, 409, 38, 149, 81). Zu amorevolesse vgl. Kapitel 7.3.6. 164 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 165 Während sich die Kritik an der italianisierenden Aussprache und den Wortbildungselementen - von wenigen Einzelbeobachtungen wie z. B. piasir statt plaisir einmal abgesehen - im Grunde genommen auf die bisher dargelegten Erscheinungen beschränkt, werden von Anfang des ersten bis zum Ende des zweiten Dialogs nicht nur mehr als 230 lexikalische Italianismen erwähnt und z.T. ausführlich besprochen (vgl. Kapitel 5.5), sondern auch abstraktere Überlegungen in Bezug auf die Beeinflussung des Wortschatzes angestellt. So stellt Estienne, was in seiner Eigenschaft als Purist auch nicht verwunderlich ist, z. B. fest, dass ein Großteil der entlehnten Lexeme überflüssig sei, weil französische Bezeichnungen bereits existieren und verweist so avant la lettre auf den Unterschied zwischen Luxus- und Bedürfnislehnwörtern (vgl. Kapitel 3.3.2). Wie die unten zitierten Passagen verdeutlichen, seien Entlehnungen aus dem Italienischen nur dann zulässig, wenn sie Gegenstände und Sachverhalte bezeichnen, die den Franzosen und demnach dem Französischen angeblich 42 unbekannt sind. PHIL .: […] Vous orrez dire aussi: «C’est un personnage signalé.» Et je ne sçay pas bonnement quel autre mot on pourret trouver pour mettre en la place de cestuy-ci. CEL .: Vous faites bien de l’empesché, non sans faire tort à nostre langue. Car auparavant que nous eussions ouy dire aux Italiens segnalato, n’avions-nous point de terme par lequel nous pouvions exprimer la mesme chose? C’est grand cas que vous voulez faire croire à nostre langue qu’elle a besoin d’emprunter de l’italienne, en choses mesmement où ell’est aussi bien ou mieux fournie qu’elle. PHIL .: Au lieu de ceci donc: C’est un personnage signalé ou segnalé, que diriez-vous? CEL .: Je dirois: C’est un personnage notable ; ou, C’est un homme recommandable ; ou, C’est un homme rare ; […]. PHIL .: Quand vous auriez esté quelque temps en la cour, vous prendriez bien autant de goust à nostre «segnalé», et à nos autres mots, et vous y appriveseriez. (Estienne [1578] 1980: 115, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) CEL .: Vous presupposez que je ferois scrupule d’user de ces mots italianizez, «charlatan» et «bouffon», et si ainsi estoit, je serois bien empesché à vous respondre. Mais je ne suis pas si scrupuleux. Au contraire, je di qu’il y a certains cas esquels il est permis d’italianizer: sçavoir est quand on parle de choses qui ne se voyent qu’en Italie, ou pour le moins ont leur origine de là, et mesmes y sont plus frequentes, ou plus celebres, et y ont la vogue plus qu’en aucun autre pays, soit pour quelque perfection plus grande ou autrement. Or, specialement quant à ceux qu’ils nomment charlatans , il ne se faut esbahir si nous ne pourrions trouver un mot françois signifiant telles gens, veu que 42 Zum legitimen, aber meist ironischen Gebrauch bestimmter Italianismen durch Estienne vgl. u. a. Smith (1980a: 22) sowie Colombo Timelli (2008: 58-59). le mestier duquel ils se meslent est tel qu’à grand’peine le pourrait-on descrire à un François, […]. (Estienne [1578] 1980: 93, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Bereits Smith (1983a) hat in ihrem Aufsatz zu Estienne und Belleforest darauf hingewiesen, dass Estienne in den Deux Dialogues auch explizit auf die in der rinascimentalen Literatur weit verbreiteten Doppelungen nach dem Muster Italianismus + synonymes Erbwort eingeht, deren Funktion in der Tat u. a. darin bestand, ein (bewusst) neu verwendetes Fremdwort gewissermaßen zu glossieren, da ein Verständnis seitens des Lesers nicht immer vorausgesetzt werden konnte 43 . Estienne erkennt also auch typische Verfahren der pragmatischen Lehnwortintegration (vgl. dazu Winter-Froemel 2011: 37). PHIL.: Laissant donc ceux-là (puis qu’il vous plaist ainsi), je viendray à quelques autres italianizeurs, et vous feray entendre quant à l’usage des mots italiens une autre sorte de sciocchesse (car je me permettray d’user de ce mot en parlant des italianizateurs, aussi bien que si je parles des Italiens), c’est qu’ils usent du mot italien, et puis adjoustent le frances, comme s’ils avoyent quelque remors de conscience d’user d’un mot estranger et incognu, sans adjouster l’exposition. Et […] ceci se trouve avoir esté faict par aucuns en leurs escrits mesmement qu’ils ont mis en lumiere. Et n’y a pas long temps qu’en lisant un livre intitulé Les Epistres des Princes, j’y vi un exemple de ce que je vous di. Car l’auteur ayant ce mot forussites , adjouste et bannis comme s’il voulet mettre le texte et puis la glose. (Estienne [1578] 1980: 149-150, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Neben äußerem Lehngut (vgl. alle weiter oben zitierten Passagen) erkennt der Purist zudem indirekte Lehneinflüsse: Wie die folgenden Ausschnitte zeigen, werden klassische Lehnbedeutungen (z.B. fr. fermer ‘arrêter’ unter dem Einfluss von it. fermare ), aber auch Lehnübersetzungen (fr. baiser les mains à qn < it. baciare le mani a qn ) kritisiert 44 . CEL .: […] Les autres contraignent quelques mots françois de signifier ce que leurs semblables signifient en langage italien. Du nombre desquels estoit celuy qui disoit amasser pour «tuer», et en sont aussi ceux qui disent piller pour «prendre», 43 Zu weiteren Funktionen der Synonymendoppelung in der Diachronie des Französischen im Allgemeinen vgl. den einschlägigen Beitrag von Buridant (1980), zur besonderen Funktion der Glossierung von - nicht nur italienischen - Lehnwörtern im 16. Jahrhundert vgl. auch Klesczewski (1966) und Chocheyras (1969). 44 Für weitere Textstellen zur Kritik an indirektem Lehngut vgl. z.B. Estienne ([1578] 1980: 37-39, 74, 90, 119). 166 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 167 et usent pareillement ou plustost abusent de quelques autres mots françois desquels il a esté parlé. (Estienne [1578] 1980: 119, Hervorhebungen im Fettdruck T.S.) PHIL .: Pource que la coustume est de quitter ici nostre gallicisme, et user de l’italianisme. Or vous sçavez que l’italien dit: E restato (ou rimasto ) con tanto di naso. Il est vray qu’aucuns, au lieu de dire: Il est demeuré avec autant de nez (qui est interpreter le langage italien mot pour mot), […], disent: «Il est demeuré avec un pan de nez», ou […] 45 . (Estienne [1578] 1980: 363, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Dass sich Estienne der dialektalen Vielfalt 46 im rinascimentalen Italien bewusst war, wurde bereits erwähnt. Die Frage, ob er auch um die Bedeutung der verschiedenen italoromanischen Varietäten für die sprachliche Beeinflussung des Französischen wusste, kann anhand der Analyse der Deux Dialogues aber nicht eindeutig geklärt werden. Tracconaglia (1907: 82) will wahrscheinlich machen, dass der Purist an mehreren Stellen seines Werks indirekt zu verstehen gebe, dass das Französische von verschiedenen Varietäten des Italienischen beeinflusst werde, da von „plusieurs herbes cueillies es jardins d’Italie“ die Rede ist 47 . Allerdings lassen sich diese „herbes“ m. E. einfach als Küchenmetaphern interpretieren: Je mehr Italianismen, auch auf verschiedenen sprachlichen Ebenen, vorhanden sind, desto ‘würziger’ erscheint den französischen Höflingen ihre Sprache 48 . Vom Einfluss italienischer Dialekte auf das Französische wird an keiner Stelle der Deux Dialogues explizit gesprochen 49 . Zwar diskutiert Estienne Italianismen wie z. B. artisan , caprice , courtisane und courtiser 50 , für die aufgrund ihrer Lautung, d. h. [z] oder [s] statt [ʒ] oder [ʃ], gemeinhin norditalienischer 45 Zu demeurer avec un pan de nez , das ebenfalls als Übersetzung einer italienischen Vorlage betrachtet werden kann, vgl. Kapitel 5.5.1.4. 46 Ich verwende hier die Bezeichnung dialektal , weil der Überdachungsprozess, d. h. die Toskanisierung, bereits im Gange war und spätestens mit den Prose Bembos (1525) auch von einem kodifizierten Standard für die Literatursprache gesprochen werden kann. Dass sich einige italoromanische Idiome auch in der Schriftlichkeit noch lange einer gewissen Selbständigkeit erfreuten, ist hinreichend bekannt und braucht an dieser Stelle nicht näher ausgeführt zu werden. 47 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 84-85, 89-90). 48 Estienne ([1578] 1980: 85, 87, 90) spricht in diesem Zusammenhang auch von „tourtes“ sowie von „brode“, „menestre“, „cuisinier“ und „appétit“. 49 Dass Estienne aber durchaus mit sprachlichen Besonderheiten italienischer Dialekte vertraut war, belegen neben seinen Ausführungen in der Precellence (1579: 45-55) auch Aussagen in den Deux Dialogues , etwa wenn Estienne ([1578] 1980: 333) über den Jargon venezianischer Gondelfahrer spricht. So sind z. B. Sta li! und Premi! laut Smith (1980a: 333, Fn. 228) in Dialektwörterbüchern tatsächlich nachweisbar. 50 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 420, 141, 107, 202). Einfluss angenommen wird (vgl. Hope 1971: 157, 174, 184, 184) 51 , Hinweise auf einen etwaigen dialektalen Ursprung der betroffenen Lexeme finden sich jedoch nicht. Auch bei der Diskussion um {-ade} (vgl. weiter oben) wird - statt z. B. eine mögliche norditalienische Herkunft zu erwähnen - lediglich auf [d] in fr. {-ade} statt [t] in it. {-ata} hingewiesen. CEL .: En continuant donc le propos sur lequel nous estions, de ces courtisans qui ne peuvent prendre goust à leur françois s’il n’est farci, comment se gouvernent en ce farcissement ceux qui n’entendent rien de la langue italienne? PHIL .: Ne vous ay-je pas dict que toutes herbes leur estoyent bonnes? (Estienne [1578] 1980: 85, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Der weitere Kontext um die oben zitierte Stelle legt nahe, dass es sich bei diesen „herbes“ vielmehr um entlehntes Material handelt, das aufgrund der unzureichenden Beherrschung des Italienischen seitens der französischen Höflinge formal und semantisch starke Veränderungen aufweist: So kritisieren Celtophile und Philausone diezbezüglich Erscheinungen wie z.B. fr. escort / excort statt accort < it. accorto ‘avisé, habile’. Laut Estienne ([1578] 1980: 85-86) weise escort / excort als korrumpierte Form von accort eine zu große Ähnlichkeit mit fr. excors ‘fou’ auf. Die Forschung, so z. B. Sampson (2004: 340) und Smith (1980a: 86, Fn. 104, 106), gibt dem Puristen aber nur z.T. Recht: In der Tat können escort , excort und accort in der Bedeutung ‘avisé, habile’ in Texten französischer Schriftsteller des 16. Jahrhunderts nachgewiesen werden. Nun aber ist es viel plausibler, dass escort keine ausdrucksseitige Variante von accort ist, sondern - wie accort selbst - als direktes Lehngut aus dem beinahe bedeutungsgleichen it. scorto ‘avisé, habile’ 52 betrachtet werden muss. Auch wenn Estienne diesen Italianismus offenbar nicht als eigenständiges lexikalisches Lehnwort erkennt, sind seine Beobachtungen im Hinblick auf die Variante excort statt escort und die Alternation der drei Formen im Sprachgebrauch zutreffend. Ähnliches lässt sich für fr. acconche < it. acconcio feststellen, für das, wie der folgende Passus zeigt, im Sprachgebrauch der Höflinge ebenfalls verschiedene „herbes“ zu finden gewesen seien. PHIL .: […] Car pour ce mot italien acconcio , les uns disent: Il est en bon conche ou en bonne conche ; les autres, Il est bien de conche ; les autres, Il est bien enconche ; aucuns aussi, Il est bien inconche ; et quelques-uns, le faisans plus court que tous les autres, Il est bien conche. CEL .: Et vous, comment? Je croy que vous dites: Il est bien acconche. 51 Zur Rolle norditalienischer Varietäten im französisch-italienischen Sprachkontakt vgl. Kapitel 2.3.3.3. 52 Zum Status von fr. escort < it. scorto als Italianismus vgl. z. B. Hope (1971: 190). 168 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 169 PHIL .: Ouy. CEL .: Toutesfois pour vous dire la verité, il ne me plaist guere d’avantage que les autres. PHIL .: Quoy? Le mot italien, n’est-ce pas acconcio, comme j’ay dict? CEL .: Ouy, vrayement, le mot italien est acconcio , duquel vous ne sçauriez faire en françois bonne menestre, ni bon brode, en quelque façon que vous le vueilliez cuisiner. PHIL .: Si confesserez-vous qu’ acconche est le moins mauvais, comme approchant plus de son original. (Estienne [1578] 1980: 86-87, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Laut den Ergebnissen der etymologischen Forschung (vgl. z. B. Hope 1971: 151, 182 sowie Smith 1980a: 87, Fn. 107) muss auch in diesem Fall eher davon ausgegangen werden, dass es sich um zwei selbständige, aber teilsynonymisch verwendete lexikalische Italianismen im frühneuzeitlichen Französisch handelt: fr. acconche (adj.) < it acconcio (adj.) ‘élégant, en ordre’ und fr. conche (s.f.) < it. concio (s.m.) ‘apprêt, parure, ornement’. Auch wenn Estienne dieser etymologische Unterschied - conche ist keine korrumpierte Form von acconche , was aufgrund der teilsynonymischen Verwendung sowie der tatsächlichen Verwandtschaft der betroffenen Lexeme im Übrigen aber auch vielen anderen Sprechern der damaligen Zeit nicht unbedingt bewusst gewesen sein dürfte - offensichtlich entgangen ist, sind seine Beobachtungen zum Nebeneinander verschiedener Formen von conche dennoch äußerst interessant: Offenbar müssen bei conche Schwankungen im Genus ( en bon conche vs. en bonne conche ) festzustellen gewesen sein. In der Tat ist es nicht die maskuline Form, die näher am italienischen Etymon concio ist, sondern die feminine Form, die sich im Französischen des 16. Jahrhunderts durchgesetzt hat (vgl. Hope 1971: 182 und HUG s.v. conche ). Wie aus der oben zitierten Textstelle klar hervorgeht („approchant plus de son original“), ist für den Puristen Estienne nun aber gerade die Nähe zum italienischen Etymon der Garant für einen nicht korrumpierten Italianismus. Dies wird wenig später im Anschluss an die Kritik von acconche besonders deutlich: Selbst die Varianten estrade und extrade statt strade < it. strada werden, obschon der prothetische Vokal in estrade als Folge der regelmäßigen Integration von mit s impurum anlautenden Fremdwörtern betrachtet werden muss, als korrumpierte Italianismen bezeichnet 53 . Welche Erkenntnis lässt sich nun aus den Beobachtungen Estiennes gewinnen? Um Einflüsse italienischer Dialekte kann es sich bei diesen „herbes“ nicht handeln. Wenn man bedenkt, dass zumindest einige der bisher besprochenen Varianten tatsächlich im Französischen des 16. Jahrhunderts nachweisbar 53 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 88). Andererseits werden aber gerade Formen mit s impurum als besonders unfranzösisch empfunden. sind 54 , sie Estienne also nicht nur erfunden hat, um die Ignoranz der französischen Höflinge zu kritisieren, kann die Diskussion dieser Fälle in den Deux Dialogues auch nicht allein polemischen Zwecken gedient haben. Betrachtet man die Merkmale dieser in den Augen Estiennes „mots mal italianizez“ 55 genauer, so könnten sie durchaus als ZS-rezipienteninduzierte Entlehnungen klassifiziert werden, die der Purist AS -produzenteninduzierten Entlehnungen durch die Italiener gegenüberstellt. Wie in Kapitel 3.3.4 erläutert wurde, lassen sich zwischen diesen zwei Arten der Entlehnung deutliche Unterschiede feststellen: Anders als bei letzteren kann es aufgrund der unzureichenden oder mangelnden Kenntnis der AS (Italienisch) nur bei ZS-rezipienteninduzierten Entlehnungen (d. h. durch die Franzosen) zu mehr oder weniger starken semantischen und formalen Veränderungen kommen, die u. a. durch Reanalyse-Prozesse bedingt sein können. Ein kurzer Vergleich der von Estienne angeführten Beispiele kann dies bestätigen: In Kapitel 4.2.2 wurde als AS -produzenteninduzierte Entlehnung durch die Italiener sgarbatement < it. sgarbatamente genannt, das im Gegensatz zum soeben besprochenen estrade < it. strada keinen prothetischen Vokal aufweist, also weniger gut integriert ist. In Kapitel 4.2.3.1.2 wurde bezüglich der Konkurrenz von Formen mit und ohne Prothese ( l’escarpe vs. la scarpe ) bereits darauf hingewiesen, dass Celtophile, wenn auch mit ironischem Unterton, la scarpe den Vorzug gibt. Im françois italianizé - natürlich nicht im nayf langage françois - scheint dieses für Celtophile die unmarkierte Variante zu sein. Philausone, der die AS (Italienisch) beherrscht und sich von den in seinen Augen ignoranten Höflingen absetzen will, betont, dass er strade statt estrade und acconche statt conche verwende, die Formen also, die ausdrucksseitig dem italienischen Etymon am ähnlichsten sind. Dass Philausone im Allgemeinen Formen mit s impurum bevorzugt, wird auch durch den Umstand nahegelegt, dass er zwar escorte als mögliche Variante nennt, aber in einer stark italianisierenden Passage, die nicht weiter kommentiert wird, ganz selbstverständlich scorte verwendet 56 . Im weiteren Verlauf der Deux Dialogues kommen die Protagonisten erneut auf bestimmte „mots mal italianizez“ zu sprechen, wobei auch Entlehnungen kritisiert werden, deren Form sich durch Reanalyse erklären lässt. CEL .: Et les mots qui sont mal italianizez, c’est-à-dire qui sont corrompus, leur semblent-ils aussi beaux que les autres? 54 Vgl. dazu Hope (1971: 151, 182, 190), HUG (s.v. accort , escort , conche ) sowie Smith (1980a: 86, Fn. 104, 106; 87, Fn. 107). Dass gewisse Formen nicht belegt sind, kann dadurch erklärt werden, dass sie womöglich nur in der gesprochenen Sprache vorkamen. In jedem Fall, also auch wenn sie von Estienne erfunden wurden, können sie als exemplarisch für fehlerhafte Entlehnungen durch französische Höflinge betrachtet werden. 55 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 127). 56 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 128, 38). 170 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 171 PHIL .: C’est comme si vous me demandiez si à un aveugle un homme qui a quelque imperfection en son corps semble aussi beau qu’un autre. Car vous pouvez bien penser qu’ils ne corrompent ces mots que par ignorance du langage italien, duquel n’ayans aucune cognoissance aussi ne peuvent-ils pas cognoistre qu’ils soyent corrompus. Tellement qu’autant leur semblent sains et entiers les uns que les autres, et, par consequent, leur plaisent également. […] CEL .: Je n’ay eu le plaisir que des deguisemens de garbo 57 , d’acconcio , de strada , et de accorto . Je vous prie me faire participant du plaisir des autres. […] PHIL .: De ceux qui disent escorce pour escorte , comme: Ils leur firent escorce, au lieu de dire escorte. CEL .: Ce sont de braves italianizateurs. PHIL .: Ma memoire se mettra en train peu à peu. Voici un autre exemple, d’un qui voulant dire: Il m’incresce , diset: Il me cresce. (Estienne [1578] 1980: 127-128, Hervorhebungen im Original) Während escorce - wie galbe statt garbe , conche statt acconche und escort / excort statt accort - lediglich unmotivierte formale Veränderungen aufweisen 58 und die Prothese in estrade statt strade auf die regelmäßige Integration von Wörtern mit s impurum zurückgeführt werden kann, könnte il me cresce statt il m’incresce < it. m’incresce wie das an anderer Stelle kritisierte il me baste à l’anime statt il me baste l’anime < it. mi basta l’anima 59 in der Tat durch Reanalyse bedingt sein: Bei it. m’incresce könnte die Sequenz [minkreʃʃe] bei gleichzeitigem Ausfall von [n] als [mi] mi (Klitikon ‘mich / mir’) + [kreʃʃe] cresce verstanden worden sein, so dass das Verb increscere sein Präfix verlor. Bei it. mi basta l’anima [mibastalanima] hingegen könnte die Verbalendung -a als die Präposition a aufgefasst worden sein. In Kapitel 3.3.4 wurde ebenfalls erläutert, dass bei ZS -rezipienteninduzierten Entlehnungen neben formalen oft auch semantische Veränderungen (z. B. Spezialisierung wie bei fr. sombrero ) beobachtet werden können. In den Deux Dialogues scheint auf den ersten Blick bei dem bereits in Kapitel 4.2.2 diskutierten fr. disgrace ‘mauvaise grâce’ < it. disgrazia ‘malheur’ ein solcher Fall vorzuliegen. Philausone wirft den französischen Höflingen vor, fr. disgrace nicht in der ursprünglichen allgemeineren Bedeutung von it. disgrazia ‘malheur’ zu verwenden. Allerdings wird er von Celtophile korrigiert, der - worin ihm die Forschung Recht gibt (vgl. DELI s.v. disgrazia : ‘perdita della grazia o del favore altrui’, schon vor 1348 belegt) - darauf hinweist, dass die spezifischere Bedeu- 57 Zur Kritik an der Variante galbe statt garbe vgl. Estienne ([1578] 1980: 66). 58 Dies trifft natürlich nur dann zu, wenn man mit Estienne davon ausgeht, dass es sich bei conche und acconche sowie bei escort / excort und accort nicht um jeweils zwei eigenständige Italianismen handelt. 59 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 123). tung ‘mauvaise grâce’ auch im damaligen Italienischen vorhanden war. Eine tatsächliche Bedeutungsspezialisierung (oder -verengung) erfährt hingegen fr. rosse < dt. Ross , das, wie der unten zitierte Passus zeigt, im Französischen nicht ‘edles Pferd’ oder einfach ‘Pferd’, sondern eher ‘schlechtes Pferd’ bedeutet 60 . PHIL .: […] Ainsi en est-il de rosse, car ross signifie generalement tout cheval en alemand, et toutesfois rosse ne se dit que d’un cheval qui n’a point de cueur, et duquel il n’est possible de tirer quelque bon service, tesmoin le proverbe jamais bon cheval ne devint rosse. (Estienne [1578] 1980: 98-99, Hervorhebungen im Original) Wie sind diese Beobachtungen Estiennes nun zu bewerten? Wie schon im Hinblick auf Luxus- und Bedürfnislehnwörter sowie auf direktes und indirektes Lehngut erkennt der Purist auch hier ( AS -produzenteninduzierte vs. ZS -rezipienteninduzierte Entlehnungen) unterschiedliche Kategorien von lexikalischem Lehneinfluss, die noch heute in der Forschung auseinandergehalten und mit eigenen Etiketten versehen werden. Ganz offensichtlich ist Estienne also mehr als ein Polemiker, der sich mittels einer bloßen Satire gegen eine Überfremdung durch das Italienische zur Wehr zu setzen versucht 61 . Vielmehr muss seine differenzierte Wahrnehmung des Verlaufs und der Folgen kontaktinduzierten Sprachwandels ernster genommen werden, als dies bis heute zumeist der Fall ist. Abgesehen davon, dass sie Estiennes deskriptives Verdienst unterstreicht, lässt die Unterscheidung von AS -produzenteninduzierten vs. ZS -rezipienteninduzierten Entlehnungen im françois italianizé zudem auch Rückschlüsse auf das Nebeneinander des Französischen und Italienischen bei Hofe zu: In Kapitel 3.3.4 wurde dargelegt, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen AS -produzenteninduzierten und ZS-rezipienteninduzierten Entlehnungen darin besteht, dass nur bei letzteren ein meist mündlicher AS -Kontext gegeben ist. Schließlich lassen sich Reanalyse-Phänomene nur beim nicht durch das Schriftbild gestützten Kontakt mit der mehr oder weniger unbekannten Fremdsprache wirklich überzeugend erklären. Für die Petite Italie heißt das, dass die italienischen Höflinge also durchaus Italienisch mit ihren französischen Kollegen gesprochen haben müssen, was dann aufgrund der Reanalyse der AS -Äußerungen zu ZS -rezipienteninduzierten Entlehnungen seitens der Franzosen führen konnte. Das Italienische muss sich demnach in der Tat einer nicht unerheblichen Vitalität erfreut haben. Andererseits waren die Italiener, wenn sie denn Französisch sprachen, 60 Zur Geschichte von fr. rosse < mhd. Ross vgl. TLFi (s.v. rosse ). 61 Schon Bossong (1990: 161-162) weist in einem kurzen Kapitel über Henri Estienne darauf hin, dass in den Deux Dialogues eine gewisse Systematik bei der Beschreibung unterschiedlicher Lehneinflüsse zu erkennen ist, auch wenn ein „begriffliches System“ noch fehlt. 172 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 173 für AS-produzenteninduzierte Entlehnungen (vgl. z. B. sgarbatement , ander ) verantwortlich, die den Franzosen auch als Modell dienen konnten. 4.2.3.4 Code-switching und Anredeformen In Kapitel 2.3.2.5 wurde festgehalten, dass neben lautlichen, morphologischen und lexikalischen Italianismen kaum Einflüsse auf weiteren sprachlichen Ebenen zu beobachten sind. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass Estienne in seinen Deux Dialogues keine Aussagen zu einer etwaigen italianisierenden Syntax macht. Es finden sich weder Hinweise zur von Marot eingeführten Regel des accord der Partizipien in zusammengesetzten Zeiten mit avoir noch zur vermutlich ohnehin nicht durch den Kontakt mit dem Italienischen bedingten Zunahme von substantivierten Infinitiven, nicht realisierten Subjektpronomina oder passivischen Reflexivkonstruktionen. Im Gegenteil: Letztere werden auch von Celtophile ohne Weiteres in neutraler Rede verwendet 62 . Andere von Estienne ([1578] 1980: 270, 331-332) kritisierte Erscheinungen wie z. B. Schwankungen im Genus ( un navire vs. une navire ) oder Numerus ( les couches vs. la couche ) werden m. E. nicht explizit als italianisierend ausgewiesen und sind lediglich als Züge des langage courtisanesque bzw. françois autrement desguizé zu betrachten (vgl. dazu Kapitel 4.2.4) 63 . Eindeutig italienischem Einfluss geschuldet seien nach Estienne jedoch Innovationen im Hinblick auf die sprachliche Höflichkeit. PHIL .: Bon jour à Vostre Seigneurie, Monsieur Celtophile. Puis qu’elle s’allegre tant de m’avoir recontré, je jouiray d’une allegresse reciproque de m’estre imbatu en ce lieu. Mais il plaira à Vostre Seigneurie piller patience si je luy di qu’elle a usé en mon endret d’une façon de langage qui n’a point bon garbe. (Estienne ([1578] 1980: 65-66, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Wie aus der oben zitierten Textstelle ersichtlich ist, kritisiert Estienne nicht nur - wie im Übrigen auch an zahlreichen anderen Stellen der Deux Dialogues 64 - die nominale Anredeform Vostre Seigneurie als solche, sondern auch die damit verbundene Verwendung der 3. Person Singular statt der 2. Person Plural (Verbformen, Pronomina, Possessiva) 65 . Insgesamt, so scheint es, steht Vostre Seigneurie damit stellvertretend für die indirekte Anrede in der 3. Person. 62 Für entsprechende Textstellen vgl. z. B. Estienne ([1578] 1980: 93, 147). 63 Smith (1980a: 20) und Clément ([1898] 1967: 318-319) gehen hingegen davon aus, dass Estienne zumindest in Pluralformen wie les couches italienischen Einfluss gesehen haben will. 64 Für entsprechende Textstellen vgl. z. B. Estienne ([1578] 1980: 67, 73, 114, 117, 264, 265, 320, 330). 65 In diesem Zusammenhang kritisiert Estienne ([1578] 1980: 226) auch Formen wie Sa Majesté / Leurs Majestés , die jedoch nicht für die Anrede verwendet würden, sondern nur Die Frage, ob Estienne hier zu Recht von einer Imitation italienischer Modelle ausgeht, ist nicht leicht zu beantworten. Zum einen muss geklärt werden, ob und ggf. inwiefern in diesen Fällen überhaupt fremdsprachlicher Einfluss vorliegen kann, zum anderen muss ausgeschlossen werden, dass tatsächlich das Italienische, nicht etwa das Spanische als Vorbild gedient hat. Respektvolle nominale Anredeformen des Typs Possessivum in der 2. Person Plural + ehrendes Abstraktum, wie z. B. Vostre Excellence , sind laut Svennung (1958: 68-90) bereits im Lateinischen belegt und auch in der mittellateinischen Schriftlichkeit, v. a. in der Korrespondenz, äußerst gebräuchlich. Gleiches gilt für die damit verbundene Verwendung der 3. Person Singular 66 . Im Französischen könnte daher ähnlich wie im Italienischen ( Vostra Eccellenza ) und Spanischen ( Vuestra Excelencia ) eine gewisse Kontinuität solcher Anredeformen sowie des Gebrauchs der 3. Person Singular - freilich nur in ganz bestimmten Textsorten und mit ganz bestimmten Adressaten - angenommen werden 67 . Von externem Einfluss bräuchte man somit weder für das Bildungsmuster solcher Anredeformen noch für die damit einhergehende Verwendung der 3. Person Singular auszugehen. Dies legen auch die Aussagen Migliorinis (1957a: 194, Fn. 46) nahe, dem zufolge anhand der Korrespondenz Frankreichs mit dem Heiligen Stuhl klar ersichtlich sei, dass im Französischen der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts der Gebrauch von Vostre Sainteté + 3. Person Singular „non […] meno vivo“ war als etwa im damaligen Spanisch. Nun könnte man annehmen, Estienne kritisiere Vostre Seigneurie nicht stellvertretend für abstrakte Anredeformen und die indirekte Anrede in der 3. Person im Allgemeinen, sondern ausschließlich die Anredeform Vostre Seigneurie selbst. Im Gegensatz zu Formen wie Vostre Excellence oder Vostre Majesté kann Vostre Seigneurie natürlich nicht seit der Antike überliefert sein; die Form stammt aus dem Mittelalter (vgl. z. B. Svennung 1958: 87). Dass diese Anredeform im 16. Jahrhundert über das Italienische ins Französische gelangt, ist aber insofern unwahrscheinlich, als Belege für dieselbe schon deutlich früher, u. a. im 14. Jahrhundert, bezeugt sind (vgl. u. a. Svennung 1958: 99-100). Wie ist Estiennes Kritik also zu verstehen? Denkbar wäre, dass Estienne nicht die Übernahme der Anredeform Vostre Seigneurie als um auf die entsprechenden Personen zu referieren. Auf solche Formen, für die ebenfalls italienischer Einfluss verantwortlich sei, wird im Folgenden nicht näher eingegangen. 66 Laut Svennung (1958: 87) sind hier jedoch Schwankungen zu beobachten. Neben der 3. Person Singular kann, mitunter im selben Brief, auch die 2. Person Plural begegnen. 67 Unglücklicherweise konzentrieren sich sowohl ältere als auch neuere Arbeiten zur Anrede im Französischen insbesondere auf das Verhältnis von tu und vous . Nominale Anredeformen des Typs Vostre Seigneurie werden bestenfalls kurz erwähnt, ohne dass genauer auf deren Geschichte oder die Rolle der 3. Person Singular eingegangen würde. So befassen sich weder die in Lebsanft (1987) genannten Arbeiten von Rubin (1910: 120-121) und Day (1911: 121-122) noch Coffen (2002: 109-110) ausführlicher mit diesem Phänomen. 174 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 175 solche anprangert, sondern deren inflationären Gebrauch unter den Höflingen. Als Modeerscheinung könnte diese aufgrund des - durch die italianisierende Hofetikette bedingten - exzessiven Titelwesens als gängige Anrede unter Gleichgestellten - nicht mehr wie früher ausschließlich für Höhergestellte - verwendet worden sein. Dies legen auch die Stellen aus den Deux Dialogues nahe: Philausone wendet sich an Celtophile im Normalfall mit Vostre Seigneurie . Im Italien des 16. Jahrhunderts wird neben der allgemeinen Vorliebe für die indirekte Anrede genau diese Entwicklung ( Vostra Singoria als Anrede für jedermann) von zahlreichen Zeitgenossen kritisiert (vgl. schon Croce 1895). In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder die Verwendung der 3. Person Singular in der Anrede diskutiert, deren zunehmende Frequenz mit jener der abstrakten nominalen Anredeformen (nicht nur mit jener von Vostra Signoria ) eng verbunden ist. Zwar kann mit Formen wie Vostra Signoria noch längere Zeit die 2. Person Plural begegnen (vgl. Migliorini 1957a), allerdings setzt sich allmählich die 3. Person Singular durch, was schließlich auch zu einem tiefgreifenden Wandel des Anredesystems im Italienischen führt, das die 3. Person für die höfliche respektvolle Anrede generalisiert und bis heute erhalten hat (vgl. z. B. Ashdowne 2016). Estienne könnte also befürchtet haben, dass Vostre Seigneurie das in der höflichen Anrede bisher gängige vous hätte verdängen können und sich infolgedessen - wie im Italienischen - schließlich die 3. Person etablieren hätte können, zumal neben Vostre Seigneurie aufgrund des zunehmenden Bedürfnisses nach sozialer Differenzierung im höfischen Kontext auch andere abstrakte Anredeformen vermehrt anzutreffen waren, die ihrerseits den Gebrauch der 3. Person begünstigten. Dass Zeitgenossen des Puristen durchaus über die Konkurrenz zwischen der 2. und 3. Person bei der Anrede nachdachten und in der Verwendung zahlreicher nominaler Anredeformen sowie der 3. Person - ganz wie Estienne - eine Imitation italienischer Modelle sahen, belegen nicht zuletzt auch Aussagen in Briefen von gewissen Français italianisants wie Du Tronchet, die Smith (1980a: 227, Fn. 660) in diesem Zusammenhang diskutiert. Laut Clément ([1898] 1967: 320) und Svennung (1958: 170-171) kann sich die 3. Person im Französischen des 16. Jahrhunderts aber jenseits der nominalen Anredeformen nicht durchsetzen. Wie soeben erläutert, könnte für die steigende Frequenz abstrakter nominaler Anredeformen, insbesondere von Vostre Seigneurie , im rinascimentalen Französisch in der Tat italienischer Einfluss verantwortlich sein. Nun aber wurde weiter oben bereits angedeutet, dass die Vitalität solcher Formen auch spanischen Vorbildern geschuldet sein könnte. Genau wie im rinascimentalen Italienisch erfreut sich die indirekte Anrede auch im zeitgenössischen Spanisch größter Beliebtheit, und die Häufigkeit abstrakter nominaler Anredeformen, insbesondere von Vuestra Merced , führt auch im Spanischen zur Generalisierung der 3. Person für die respektvolle Anrede 68 . Im Allgemeinen geht man davon aus, dass die spanische Hofetikette die verbale (z. B. Anredeformen) und nonverbale (z. B. den berühmten Handkuss) Höflichkeit im frühneuzeitlichen Europa nachhaltig beeinflusst hat (vgl. u. a. Svennung 1958: 35-38, 92-95). Insbesondere im Italienischen seien spanische Modelle imitiert worden. Laut Croce (1895: 47-51), der sich in seinem Werk mit der sprachlichen Beeinflussung des Italienischen durch das Spanische im Vizekönigreich Neapel des 16. und 17. Jahrhunderts 69 beschäftigt, seien sogar einige der im rinascimentalen Italienisch verbreiteten Anredeformen direkt aus dem Spanischen entlehnt worden. Die Durchsetzung der 3. Person sei ebenfalls auf spanischen Einfluss zurückzuführen. Auch wenn man heute mehrheitlich davon ausgeht, dass es sich diesbezüglich um eigenständige Entwicklungen im Italienischen handelt, die durch die Präsenz des Spanischen (Hofetikette, Titelwesen) lediglich verstärkt wurden 70 , lässt sich nicht abstreiten, dass spanische Vorbilder einen gewissen Einfluss ausüben konnten. Im Französischen könnten die von Estienne beschriebenen Innovationen - vorausgesetzt, man nimmt fremdsprachlichen Einfluss an - also auch durch die Imitation spanischer Modelle erklärt werden 71 . Dies ist m. E. aber äußerst unwahrscheinlich. Wenn tatsächlich fremde Vorbilder für die Vitalität der indirekten Anrede, insbesondere von Vostre Seigneurie + 3. Person Singular, im frühneuzeitlichen Französisch verantwortlich waren und sich diese insbesondere im italianisierenden höfischen Milieu verbreitete, warum sollte dann eine Beeinflussung durch das Spanische angenommen werden, wenn das Italie- 68 Anders als im Italienischen setzen sich im Spanischen aber nicht anaphorische Pronomina, wie z.B. it. ella , das auf Vostra Signoria veweist ( lei fungiert anfänglich nur selten als Subjektpronomen), durch. Aufgrund der häufigen Verwendung von Vuestra Merced wird die nominale Anredeform allmählich zu usted pronominalisiert (vgl. u. a. Coffen 2002: 126-138 sowie Ashdowne 2016). 69 Der Sprach- und Kulturkontakt zwischen dem Spanischen und Italienischen im Regno di Napoli der Frühen Neuzeit war auch Gegenstand des Teilprojekts C15 des von der DFG geförderten Sonderforschungsbereichs 573 Pluralisierung und Authorität in der Frühen Neuzeit (15.-17. Jahrhundert) an der LMU München. Einen Überblick über die im Rahmen dieses Projekts entstandenen Arbeiten sowie deren wichtigste Ergebnisse bieten Krefeld / Oesterreicher / Schwägerl-Melchior (2013). 70 Vgl. dazu u. a. Migliorini (1957a), Svennung (1958: 100-102), Beccaria ([1968] 1985: 190-196), Coffen (2002: 116-117), Pizzoli (2002: 616-617) sowie Ashdowne (2016). Zieliński (2017) will in seinem rezenten Beitrag sogar wahrscheinlich machen, dass im Hinblick auf bestimmte Anredeformen das Spanische stärker vom Italienischen beeinflusst wurde als das Italienische vom Spanischen. 71 Während Brunot (1906: 202, Fn.2) im Hinblick auf die nicht genauer spezifizierte Beeinflussung von Vostre Seigneurie - aus seinen Ausführungen wird nicht klar, ob die Anredeform als solche übernommen oder einfach nur häufiger verwendet wurde - sowohl spanischen als auch italienischen Einfluss in Betracht zieht, spricht sich Svennung (1958: 99) für spanischen Einfluss aus. 176 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 177 nische gleichermaßen als Modell in Frage kommt? Selbst wenn nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, dass das Italienische seinerseits vom Spanischen beeinflusst wurde, bedeutet das nicht, dass die entsprechenden Formen im Französischen des 16. Jahrhunderts nicht durch die Präsenz des Italienischen gestärkt wurden. In letzterem war die indirekte Anrede zu jener Zeit bereits nicht weniger vital als im Spanischen. Es könnte sich also bestenfalls um indirekten spanischen Einfluss, der aber über das Italienische vermittelt wurde, handeln (vgl. auch Kapitel 5.5.1.4). Diese Möglichkeit wird im Übrigen auch von Estienne selbst in Betracht gezogen. PHIL : Et pourtant il vous faudra confesser que ce que les Italiens ont dict «Vostre Seigneurie», ce n’a esté qu’à l’imitation d’autres qui les avoyent precedez. CEL.: Je vous confesse que la chose n’a pas eu son commancement d’eux, mais je pense qu’elle a eu son entretenement entr’eux plus qu’en aucune autre nation. (Estienne [1578] 1980: 354) 72 Da immer wieder hervorgehoben wird, in den Deux Dialogues seien auch völlig unintegrierte italienische Wörter und Wendungen zu finden (vgl. z. B. Clément [1898] 1967: 326, Trescases 1978b), stellt sich die Frage, ob Estienne auch Aussagen zu sprachlichen Erscheinungen macht, die heute als code-switching zu bezeichnen wären. In Kapitel 3.3.5 wurde erläutert, dass es sich dabei um das Nebeneinander zweier Sprachen in ein und derselben Äußerung eines zwei- oder mehrsprachigen Individuums handelt. Ließen sich nun viele Fälle von code-switching , d. h. italienische Elemente in einer französischen Matrix oder längere Versatzstücke in italienischer Sprache, nachweisen, würde dies dafür sprechen, dass das Italienische bei Hofe in der Tat sehr vital war: Zwar ist den Ausführungen Estiennes zu entnehmen, dass es neben dem Französischen verwendet wurde (vgl. Kapitel 4.2.2), aber es wäre denkbar, dass die Funktionsbereiche zumeist getrennt waren. Gehäufte Vorkommen von code-switching jedoch würden belegen, dass zweisprachige Individuen beide Sprachen im selben Kontext gebrauchten und mithin nahelegen, dass nicht von einer klassischen Diglossie 73 ausgegangen werden kann. 72 Auch die kritisierte Form Vostre Seigneurie selbst könnte ein Indiz dafür sein, dass eher von italienischem Einfluss auszugehen ist. Während sich - laut zeitgenössischen Quellen - auch im rinascimentalen Italienisch Vostra Signoria zur unmarkierten Anredeform entwickelte, scheint im Spanischen Vuestra Merced (> usted ) häufiger als Vuestra Señoria gewesen zu sein (vgl. z. B. Svennung 1958: 93, 101 sowie Coffen 2002: 134-136). 73 Natürlich hängt dies auch von den Gründen für das code-switching ab. Erklärt es sich nur durch die mangelnde Französisch-Kompetenz der Italiener, so kann de facto dennoch eine Diglossie-Situation vorliegen. Die Immigranten würden dann die high variety einfach nicht ausreichend beherrschen. Allerdings legen alle bisher besprochenen Hinweise Eine aufmerksame Lektüre der Deux Dialogues zeigt, dass Fälle von wirklichem code-switching äußerst selten sind. Zwar ist häufig die Rede davon, dass die französischen Höflinge „vocables italiens“ oder „mots italiens“ 74 in ihr Französisch einbauen würden, aber bei genauerer Betrachtung muss festgestellt werden, dass es sich in beinahe all diesen Fällen um mehr oder weniger integrierte Lehnwörter (oder ephemere Entlehnungen) handelt (vgl. dazu alle bisher zitierten Passagen). Die meisten unintegrierten italienischen Lexeme sind nur objektsprachliches Belegmaterial, das Celtophile und Philausone z. B. bei der Diskussion der Etymologie bestimmter Italianismen im Französischen oder im Hinblick auf phonotaktische Besonderheiten des Italienischen nennen 75 . CEL .: Je m’en rapporte à ce qui en est. J’adjousteray ceci seulement, à propos de lista, qu’il y a un mot italien fort semblable quant aux lettres, mais non pas quant à la signification, duquel aujourd’huy se servent fort ceux qui veulent italianizer, sans entendre (comme je pense) son propre et vray usage. Car de lesto ils font leste lequel mot j’ay ouy appliquer à des choses avec lesquelles il ne s’accorde point. (Estienne [1578] 1980: 112-113, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) 76 Ferner finden sich Versatzstücke auf Italienisch, die meist Sprichwörter, Redewendungen oder Passagen aus literarischen Werken (z. B. Boccaccio), in jedem Fall aber eigenständige Zitate, d. h. Texte, sind 77 . Auch in solchen Fällen kann zwar von code-switching gesprochen werden ( intersentential ), allerdings handelt es sich um die bewusste Verwendung italienischer Elemente, die als Erscheinung des A-la-mode- Stils betrachtet werden kann. Unbeabsichtigtes code-switching liegt hier gewiss nicht vor. CEL .: Je croy qu’elle n’estoit guere accoustumée. PHIL .: Je le pense aussi. Et là-dessus je m’avise du proverbe italien: Chi mi fa piu carezze che non sole, ò ingannato m’a, ò ingannar me vole. (Estienne [1578] 1980: 313, Hervorhebungen im Original) Estiennes nahe, dass das Italienische und das Französische in der Petite Italie tatsächlich keine strikt voneinander getrennten Funktionsbereiche hatten. 74 Die entsprechenden Textstellen (Estienne [1578] 1980: 66, 440) wurden bereits in Kapitel 4.2.3.3 wiedergegeben und brauchen hier nicht wiederholt zu werden. 75 Für weitere Textstellen vgl. z. B. Estienne ([1578] 1980: 88, 123, 124, 144, 175, 402-405). 76 Unglücklicherweise führt Estienne nicht weiter aus, weshalb leste < it. lesto im Französischen seiner Meinung nach ‘falsch’ verwendet werde. Offenbar handelt es sich dabei um semantische Veränderungen (z. B. andere Selektionsbeschränkungen), die auf eine ZS-rezipienteninduzierte Entlehnung wie fr. rosse < mhd. Ross hindeuten. Laut Hope (1971: 206) sind jedoch alle Bedeutungen von fr. leste auch für lesto im rinascimentalen Italienisch nachweisbar. 77 Für weitere Textstellen vgl. Estienne ([1578] 1980: 102-103, 112, 113, 352). 178 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 179 Die Zahl italienischer Elemente (oder Einzelwörter), die in eine französische Matrix eingebettet sind, ist indessen äußerst gering 78 . CEL .: Et sera-ce aussi senza maccharoni ? Car j’ay desir de sçavoir si vous italianizez point en vostre traittement, aussi bien qu’en vostre langage. PHIL .: N’ayez peur que je me traitte à l’italienne, encore que j’aime à italianizer en paroles, et ne craignez pour cela de me venir voir demain a disner. (Estienne [1578] 1980: 262, Hervorhebungen im Original) An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass in diesen Fällen nur selten die in den Augen Estiennes authentische Sprache der Höflinge kritisiert wird. Zumeist ist es Celtophile, der solche italienischen Sequenzen zu satirischen Zwecken einfließen lässt. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass Estienne wirkliches code-switching in der höfischen Kommunikation vermutet hat. Auch die bereits diskutierten Äußerungen italienischer Höflinge, in denen sie Italianismen ( AS -produzenteninduzierte Entlehnungen) ins Französische einführen, wie sgarbatement und Quand anderons-nous là? (vgl. Kapitel 4.2.2 und 4.2.3.3), deuten auf keinerlei code-switching hin. Im Gegenteil: Während bei sgarbatement < it. sgarbatamente lediglich der prothetische Vokal fehlt, erscheint ander < it. andare nicht nur ausdrucksseitig, sondern auch morphosyntaktisch bestens integriert. In beiden Fällen handelt es sich also um lexikalische Entlehnungen. Lediglich die Formen de bone voglie , le prime del monde und in ogni mode , die laut Estienne ([1578] 1980: 124) durchaus verbreitet gewesen seien, bedürfen einer kurzen Erklärung. Während de bone voglie < it. di buona voglia , das laut Hope (1971: 165) auch in der Form de bonne veuille belegt ist, getrost als Lehnwendung betrachtet werden kann, die in mehr oder weniger integrierten Formen (auch als vollständige Lehnübersetzung) anzutreffen ist, sind in ogni mode < it. in ogni modo und le prime del monde < it. il primo del mondo etwas schwieriger zu klassifizieren. Beide weisen sowohl integrierte bzw. eigensprachliche ( mode , le , prime , monde ) als auch unintegrierte bzw. fremdsprachliche ( in , ogni , del ) Elemente auf. Nun aber kann ogni mangels eines gebräuchlichen französischen Kognaten nicht wirklich gut integriert, d. h. erbwörtlich ersetzt werden. Es kann als unintegriertes Lehnwort betrachtet werden. In und del hingegen könnten ohne Weiteres durch ihre französischen Entsprechungen en und du wiedergegeben werden. Auch wenn die italienischen Elemente in und del (z.T. auch ogni ) den Anschein erwecken mögen, dass es sich dabei um code-switching handeln könnte, trifft dies m. E. nicht zu. Vielmehr müssen Fälle wie in ogni mode als aus dem Italienischen entlehnte komplexe Lexien, deren einzelne Elemente in unterschiedlichem Maße integriert sind, verstanden werden. 78 Für weitere Textstellen vgl. Estienne ([1578] 1980: 35, 56, 180, 263). 4.2.4 François autrement desguizé Wie im vorherigen Kapitel bereits erwähnt wurde (vgl. Schwankungen im Genus, z. B. le navire statt la navire, und im Numerus, z. B. les couches statt la couche ) 79 und wie der Titel seines Pamphlets es schließlich auch andeutet, stigmatisiert Estienne als Purist nicht nur Erscheinungen, für die er italienischen Einfluss verantwortlich macht, sondern auch solche, die in seinen Augen als eigenständige korrumpierende Innovationen im Französischen des 16. Jahrhunderts zu betrachten sind 80 . Seine Beobachtungen zum françois autrement desguizé in ihrer Gesamtheit darzulegen, würde - nicht zuletzt auch deshalb, weil es dafür unumgänglich wäre, auf zahlreiche weitere Werke des Puristen einzugehen 81 - den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Im Folgenden werden daher nur ausgewählte Phänomene diskutiert, für die sich auch Okkurrenzen in den in Kapitel 7 analysierten Briefen finden. Im Hinblick auf die Lautung kritisiert Estienne in Übereinstimmung mit anderen Zeitgenossen die Aussprache von ainsi als [ɛ̃(n)sɛ̃(n)], die sich auch in der Schreibung <ainsin> widerspiegelt 82 . Laut Smith (1980a: 271, Fn. 29), die auf Belege in GDF verweist, handelt es sich um eine schon ältere Variante, die im 16. Jahrhundert insbesondere - aber nicht ausschließlich - verwendet wurde, um einen Hiat zu vermeiden (z. B. in ainsin au combat ). Ferner wird die Öffnung von [ɛ] zu [a] vor [r], wie z. B. in sarment statt serment 83 , getadelt. Auch wenn man heute davon ausgeht, dass es sich dabei um eine Erscheinung handelt, die schon vor dem 16. Jahrhundert aufgekommen sein muss (vgl. z. B. Smith 1980a: 47, Fn. 10, Marchello-Nizia 1997: 89-91), erkennt Estienne trotzdem richtig, dass sie im Pariser Volk im 16. Jahrhundert verbreitet war. Schließlich wird 79 Zu Schwankungen im Genus und Numerus von Substantiven im Französischen des 16. Jahrhunderts vgl. z. B. Darmesteter / Hatzfeld (1878: 245-251), Lardon / Thomine (2009: 30-34) und die dort genannte Literatur. 80 Diese werden in einigen Arbeiten, so z. B. in Hornsby (1998: 338), bisweilen fälschlicherweise zu den Erscheinungen gezählt, für die Estienne italienische Herkunft annimmt. 81 Für eine umfassende Darstellung von Estiennes Gesamtwerk vgl. die in Kapitel 4.1 genannte Literatur. 82 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 271, 437). Zur Verbreitung dieser Variante vgl. auch Brunot HLF II (1906: 262) und Gougenheim (1974: 25-26). 83 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 47, 163-164, 263). Zum Status und zur Verbreitung der Formen mit [a] statt [ɛ] vgl. auch Darmesteter / Hatzfeld (1878: 201-202), Thurot Bd. 1 (1881: 3-20), Brunot HLF II (1906: 249-251) sowie Gougenheim (1974: 18-19). Die Öffnung tritt oft, aber nicht ausschließlich vor vorkonsonantischem [r] auf. Laut Thurot Bd. 1 (1881: 3) glaubt Tory (1529) in der Öffnung von [e], [ɛ] zu [a] im Allgemeinen italienischen Einfluss zu erkennen: Ihm zufolge finde sich die Öffnung v. a. in der Sprache von Frauen der Lyoner Oberschicht, die sich in italienischen Kreisen bewegten. 180 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.2 Der Inhalt der Deux Dialogues 181 auch der Wandel von [wɛ] zu [wa] 84 , für den, so z. B. von Chauveau (2012), noch heute angenommen wird, dass es sich um eine Pariser Innovation des 15. und 16. Jahrhunderts handelt, als korrumpierte Aussprache verurteilt. Wie die unten zitierten Passagen illustrieren, hätten auch gewisse Höflinge diese ursprünglich diastratisch niedrig markierten Varianten übernommen. PHILAL .: […] Et quant à user de discretion et bon jugement, vous le pouvez congnoistre par quelques courtisans qui ont si bien appris de dire ainsin à Paris, au lieu de ainsi , qu’ils ne s’en peuvent garder, non plus que de dire troas moas , qui est aussi de la pronontiation parisienne. (Estienne [1578] 1980: 437, Hervorhebungen im Original) En la fin, vous direz la «guarre», Place «Maubart», frere «Piarre». Pensez à vous, ô courtisans, Au pris desquels les paysans Leur ramage en grand honneur mettent, Lors que leur charrue ils muguettent; (Estienne [1578] 1980: 47) Selbst wenn es sich bei diesen Erscheinungen nicht immer um wirklich rezente Innovationen des 16. Jahrhunderts handelt, so nimmt Estienne doch die zu seiner Zeit beobachtbare Variation im Pariser Französisch ‘richtig’ wahr. Auch weitere Sprachbeobachter und Grammatiker der Renaissance teilen sein Urteil bezüglich der diasystematischen Markierung der verschiedenen Varianten 85 . Neben lautlichen Aspekten kritisiert Estienne auch Erscheinungen im Lexikon, die nicht zwangsläufig als Italianismen gelten könnten. So sei z. B. die steigende Gebrauchshäufigkeit bestimmter Gradadverbien wie infini(e)ment und extrêmement dem affektierten langage der Höflinge geschuldet. Dieser abus des adverbes gibt noch im 17. Jahrhundert Anlass zur Kritik und wird z. B. von Molière und Somaize verurteilt (vgl. Smith 1980a: 126, Fn. 284). PHIL .: Il vous faudra avoir ordinairement en la bouche ce mot infiniment , ou ce mot extremement , et dire: «Je vous suis infiniment obligé»; «Je vous suis infiniment serviteur»; pareillement, «Je suis infiniment joyeux»: ou, «infiniment marri»; ou bien, «extremement». Mais j’ouy un jour un sot, passant bien plus outre, en disant à une 84 Für weitere Textstellen vgl. Estienne ([1578] 1980: 46, 163). Zur Konkurrenz zwischen [wɛ], [wa] und [ɛ] vgl. z. B. Darmesteter / Hatzfeld (1878: 211-213), Brunot HLF II (1906: 257), Rheinfelder Bd. 1 (1963: 21-23), für die Bewertung der unterschiedlichen Lautungen im metasprachlichen Diskurs des 16. Jahrhunderts vgl. Thurot Bd. 1 (1881: 352-358), für neuere Einzelstudien zur Diachronie der Varianten vgl. die in Grübl (2013) zitierte Literatur. 85 Vgl. dazu die in diesem Kapitel genannten Stellen in Thurot Bd. 1 (1881). damoiselle: Vous me plaisez infiniment en toute sorte d’infinité. (Estienne [1578] 1980: 126, Hervorhebungen im Original) Des Weiteren äußert sich der Purist auch zur Verbalmorphologie, wobei er insbesondere zwei Phänomene als korrumpiert ausweist: zum einen die Verwendung des Verbs in der 1. Person Plural mit je , z. B. j’allons , zum anderen den Ersatz von Endungen durch solche anderer Konjugationsklassen, z. B. je demandis statt je demandai : PHIL .: […]. Et qu’ainsi soit, chacun dit en la tierce personne il va. Il amena aussi pour exemple j’ay sentu , au lieu de dire «j’ay senti». Et pareillement il s’y en allit , pour «il s’y en alla»; je luy donni , pour «je luy donnay». Et reciproquement: j’escrivay , pour «j’escrivi»; je la baisi , au lieu de dire «je la baisay», comme aussi Marot reprenet ceux qui disoyent frappi pour «frappay», et renda pour «rendit». (Estienne [1578] 1980: 162, Hervorhebungen im Original) PHIL .: Ce n’est pas en cela seulement que trouble leur est faict par les courtisans, mais aussi en plusieurs autres façons de langage, et notamment en ceste-ci: j’allions , je venions , et je disnions , je soupions ; pareillement, j’allons, je venons, je disnons, je soupons. Mais encore ce sont les mieux parlans entre plusieurs qui prononcent ainsi. Car les autres font une autre faute, en ne prononçant point la lettre s mais disans j’allion , je venion , et je disnion , je soupion. (Estienne [1578] 1980: 164, Hervorhebungen im Original) Auch diesbezüglich gibt die Forschung Estienne z.T. Recht: In der Tat lassen sich in zahlreichen Texten des 16. Jahrhunderts sowohl Okkurrenzen für den Typ j’allons als auch für je demandis nachweisen, die nicht nur von Estienne, sondern von der Mehrheit der zeitgenössischen Sprachbeobachter kritisiert wurden (vgl. Smith 1980a: 45, Fn. 3; 162, Fn. 443) 86 . Wie in den vorherigen Fällen kann auch für die Schwankung zwischen den Verbalendungen nicht von einer wirklichen Innovation des 16. Jahrhunderts gesprochen werden. Laut Brunot HLF II (1906: 336-337) galt schon im Altfranzösischen für Verben der ersten Konjugationsklasse, wenn diese auf Palatal endeten, zumeist das i -Paradigma, z. B. je pechis statt je pechai . Bereits ab dem 15. Jahrhundert finden sich Formen mit -i schließlich auch bei weiteren Verben mit {-er} 87 . Nichtsdestoweniger erweist sich Estienne durch die von ihm gemachten Aussagen als genauer Beobachter der sprachlichen Variation im Französischen des 16. Jahrhunderts: In seinem 86 Zur Bewertung des Phänomens im metasprachlichen Diskurs des 16. Jahrhunderts vgl. z. B. Darmesteter / Hatzfeld (1878: 236-237), Brunot HLF II (1906: 335-339) und Trudeau (1992: 88). 87 Vgl. dazu auch Buridant (2000: 207), dem zufolge der Ersatz von -a durch -i v. a. regional bedingt und offenbar schon vor dem 15. Jahrhundert zu beobachten war. 182 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.3 Zusammenfassung 183 Urteil stimmt er zumeist mit anderen Grammatikern überein und zeichnet - aus synchroner Perspektive - ein recht genaues Bild der sprachlichen Realität. 4.3 Zusammenfassung Kapitel 4 war den Beobachtungen Henri Estiennes in seinen Deux Dialogues du nouveau langage François, italianizé, et autrement desguizé, principalement entre les courtisans de ce temps […] (1578) gewidmet. Es wurde gezeigt, dass der Purist in seinem Pamphlet sowohl soziolinguistisch relevante Aussagen zum Nebeneinander des Französischen und Italienischen am Hofe von Henri III als auch zu konkreten sprachlichen Einflüssen des Italienischen auf das Französische macht. Soziolinguistisch von besonderem Interesse erscheinen v. a. die Feststellungen im Hinblick auf den Status des Italienischen in der Petite Italie sowie auf die Genese des sog. françois italianizé . Laut Estienne erfreute sich das Italienische einer gewissen Vitalität, die sich nicht allein durch dessen Prestige als internationale Kultur- und Verkehrssprache in der Renaissance erklären lässt, sondern auch auf die Präsenz der zahlreichen Italiener am Hofe zurückzuführen ist. Von der Tatsache abgesehen, dass zahlreiche Franzosen des Italienischen mächtig waren und sich daher mit den Immigranten in deren Muttersprache unterhielten, trug auch der rege Austausch mit Italien dazu bei, dass sich im Italienischen der Höflinge - entgegen dem, was in einer Sprachinsel zu erwarten wäre - keine Attritionsphänomene manifestierten. In direktem Zusammenhang mit der Vitalität des Italienischen steht auch die unzureichende Französisch-Kompetenz der Immigranten: Aufgrund der kommunikativen Reichweite ihrer Muttersprache brauchten diese die neue Sprache nicht zwangsläufig schnell zu erlernen, zumal sie dank ihrer sozialen Stellung auch keinem besonderen Assimilationsdruck ausgesetzt waren. In der Folge wies ihre Lernervarietät des Französischen vermehrt Interferenzen mit dem Italienischen auf. Dieses françois italianizé diente schließlich den französischen, ohnehin italianisierenden Höflingen zusätzlich als Modell. Entgegen den gängigen Annahmen in der Forschung (z. B. Wind 1928 und Balsamo 1992) waren laut Estienne neben den sog. Français italianisants also auch die italienischen Einwanderer am Aufkommen und an der Verbreitung von Italianismen im rinascimentalen Französisch beteiligt. Im Hinblick auf die Merkmale des am Hofe gesprochenen françois italianizé wurde festgestellt, dass Estienne weder italienische Einflüsse auf die Syntax noch Phänomene von wirklichem code-switching thematisiert. Vielmehr scheint sich der Einfluss auf die Lautung, die Morphologie sowie insbesondere den Wortschatz zu beschränken. Im Einklang mit seinen Beobachtungen zum Sprachverhalten der italienischen Immigranten (geringe Französisch-Kompetenz, Prestige und Verwendung des Italienischen bei Hofe) steht seine Behauptung, dass sich einige der lautlichen Merkmale des françois italianizé als durch die Muttersprache bedingte Interferenzen im Französischen der Einwanderer erklären lassen. So seien der Ersatz von [wɛ] durch [ɛ] sowie der Ausfall von [p] und [k] vor [t] darauf zurückzuführen, dass das Italienische in erbwörtlichen Lexemen weder [wɛ] noch die Sequenz [pC] oder [tC] kennt. Auch Wörter, die mit s impurum anlauten, seien italianisierend, da der Onset in der Phonotaktik des Frühneufranzösischen - trotz zahlreicher Latinismen und Italianismen, die ihn aufweisen - offenbar als markiert empfunden wird. Neben den als italianisierend ausgewiesenen Lautungen werden implizit und / oder explizit die - mit Ausnahme von {-esque} - nicht nur auf das Italienische, sondern z.T. auch auf andere romanische Sprachen oder das Lateinische zurückführbaren Lehnsuffixe {-ache}, {-ade}, {-esque} und {-issime} sowie das durch italienischen Einfluss revitalisierte {-esse} kritisiert. Das Hauptaugenmerk Estiennes gilt jedoch den Einflüssen auf den Wortschatz, die er sehr differenziert beschreibt: Es wurde gezeigt, dass er avant la lettre sowohl zwischen direktem und indirektem Lehngut als auch zwischen Bedürfnis- und Luxuslehnwörtern unterscheidet. Dass er bisweilen auch Bedürfnislehnwörter als überflüssig und mithin zu Unrecht als Luxuslehnwörter betrachtet, ist angesichts seiner puristischen Ziele nicht verwunderlich und bedeutet nicht, dass er die Kategorien grundsätzlich nicht auseinanderhält. Des Weiteren erkennt er, dass bestimmte Denotatsbereiche (z. B. Heereswesen) besonders offen für Italianismen sind. Was die Ausdrucksseite der Lehnwörter anbelangt, konnte festgestellt werden, dass Estienne zwischen besser (z. B. estrade < it. strada ) und weniger gut integrierten (z. B. strade < it. strada ) Formen unterscheidet. Erstere werden wie möglicherweise durch Reanalyse bedingte Veränderungen (z. B. il me cresce statt il m’incresce < it. m’incresce ) als korrumpiert kritisiert. Es wurde vorgeschlagen, dass Estienne anhand von Paaren wie strade und estrade bzw. il m’incresce und il me cresce den Unterschied zwischen AS -produzenteninduzierten und ZS -rezipienteninduzierten Entlehnungen zu illustrieren versucht: Erstere könnten aufgrund der formalen Nähe zum italienischen Etymon von Italienern ins Französische entlehnt worden sein, wohingegen letztere als Innovationen der französischen Höflinge gelten müssen. Die Existenz von AS -produzenteninduzierten Entlehnungen steht im Einklang mit der Annahme, dass auch die Immigranten am Aufkommen von lexikalischen Italianismen im Französischen beteiligt waren. Neben dem sog. françois italianizé werden in den Deux Dialogues auch andere Erscheinungen des rinascimentalen Französisch (z. B. [ɛ] > [a] vor [r], wie z. B. in sarment statt serment , [u] statt [o] in chose , ainsi als [ɛ̃(n)sɛ̃(n)], je demandis 184 4 Das Zeugnis Henri Estiennes in den Deux Dialogues (1578) 4.3 Zusammenfassung 185 statt je demandai und die erhöhte Frequenz von Gradadverbien wie infiniment und extrêmement ) kritisiert, für die Estienne keine italienische Herkunft annimmt. Auch wenn es sich bei diesen Phänomenen, die auch von anderen zeitgenössischen Sprachbeobachtern kommentiert werden, nicht immer um rezente Innovationen des 16. Jahrhunderts handelt, so sind sie im Französischen der Renaissance tatsächlich verbreitet. Diese zu beschreiben, weist Estienne also als Kenner der Variation im Französischen seiner Zeit aus. Schließlich seien mit dem höfischen, affektierten Verhalten der Italiener auch nominale Anredeformen wie Vostre Seigneurie (+ 3. Person Singular) im Französischen gestärkt worden. Ein Vergleich mit den Ergebnissen der heutigen Forschung zum Einfluss des Italienischen auf das Französische in der Frühen Neuzeit (vgl. Kapitel 2.3) zeigt, dass viele der Aussagen des Puristen durchaus ernst genommen werden können: So wird davon ausgegangen, dass sich die Beeinflussung in der Tat auf die Lautung (z. B. die Revitalisierung von [sC-]), die Morphologie ({-ade}, {-esque}, {-issime} und {-esse}) und den Wortschatz (äußeres und inneres Lehngut) beschränkt. Für die höfliche Anrede wurde festgehalten, dass sich die 3. Person nicht durchsetzen konnte, aber eine vorübergehende Konkurrenz zwischen der 2. und 3. Person nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Was seine Beobachtungen bezüglich des françois autrement desguizé betrifft, konnte gezeigt werden, dass diese auch durch andere zeitgenössische metasprachliche Zeugnisse gestützt werden. Wie kommt es nun, dass, wie einleitend in Kapitel 4.1 erwähnt wurde, das Zeugnis Estiennes, insbesondere seine Aussagen im Hinblick auf die Beeinflussung des Französischen durch das Italienische, in der Forschung als wenig glaubwürdig betrachtet werden? Gewiss handelt es sich beim ‘Wandel’ von [wɛ] zu [ɛ] sowie beim Ausfall von [p] und [k] nicht um durch die italienischen Immigranten angestoßene Innovationen. Jedoch könnten sie an der Diffusion dieser Lautungen im bon usage des Hofs beteiligt gewesen sein. Ebenfalls plausibel erscheint die Annahme, dass sowohl Franzosen als auch Italiener für die lexikalische Bereicherung des Französischen verantwortlich gewesen sein könnten ( ZS -rezipienteninduzierte und AS -produzenteninduzierte Entlehnungen). Die Vitalität des Italienischen im Frankreich des 16. Jahrhunderts könnte Interferenzen im Französischen der zweisprachigen Einwanderer begünstigt haben. Durch die Verwendung des Italienischen könnten sich andererseits auch mehr AS -Kontexte ergeben haben, die den Franzosen als Quelle für ZS -rezipienteninduzierte Entlehnungen dienten. 5.1 Vorbemerkungen 187 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues 5.1 Vorbemerkungen In der Forschung wurden und werden v. a. zwei Argumente gegen den Wert der Beobachtungen des Puristen angeführt: Zum einen habe sich Estienne vor dem Verfassen der Deux Dialogues (1578) gar nicht am französischen Hof aufgehalten, so dass er in seinem Pamphlet kein getreues Bild des sprachlichen Alltags am Hofe der Valois zeichnen könne, zum anderen wird anhand von Texten aus dem 16. Jahrhundert zu zeigen versucht, dass sich die meisten der von Estienne stigmatisierten sprachlichen Erscheinungen gar nicht außerhalb seiner Schriften nachweisen lassen. Insbesondere die in den Deux Dialogues kritisierten lexikalischen Italianismen seien zum Großteil als Hapax-Belege zu betrachten. Im Folgenden werden die Schwächen dieser Kritik aufgezeigt und eine Neubewertung der Deux Dialogues vorgeschlagen. Zunächst wird dafür argumentiert, dass Estienne seinen vermeintlichen Mangel an direkter Erfahrung leicht kompensieren und z. B. auch andernorts mit authentischem françois italianizé in Berührung gekommen sein konnte, ein Aufenthalt am Hof also nicht unbedingt notwendig war (Kapitel 5.2). Das Hauptaugenmerk gilt aber der Kritik an den objektsprachlichen Daten, die seinem Werk zu entnehmen sind. In Kapitel 5.3 wird ein Überblick über den Umgang mit den Deux Dialogues in der älteren Forschung (Clément [1898] 1967, Tracconaglia 1907, Wind 1928) gegeben und aufgezeigt, dass ihre Ergebnisse heute zumindest teilweise als überholt gelten müssen. Kapitel 5.4 ist der - mangels Alternativen - bis heute häufig zitierten Studie von Trescases (1978b) gewidmet, seit deren Erscheinen im Allgemeinen davon ausgegangen wird, dass mehr als die Hälfte der in den Deux Dialogues kritisierten Italianismen Hapax-Belege sind. Infolge der kritischen Auseinandersetzung mit dieser Studie war eine erneute lexikologische Analyse der Deux Dialogues unumgänglich (Kapitel 5.5). Schließlich werden in Kapitel 5.6 neuere Untersuchungen (Sampson 2004, Cowling 2007) vorgestellt, die sich allerdings nur ausgewählten Erscheinungen des françois italianizé widmen. Vor allem auf den Beitrag von Sampson (2004), der sich mit den zahlreichen Italianismen, die <sC-> aufweisen, beschäftigt, wird noch an verschiedenen Stellen zurückzukommen sein. 5.2 Die Abwesenheit Henri Estiennes vom französischen Hof bis 1579 Seit Clément ([1898] 1967: 122-125) wird in der Literatur zu Estienne, so z. B. von Smith (1980a: 18), Hornsby (1998: 333), Sampson (2004: 336), Cowling (2007: 163) und Colombo Timelli (2008: 61), immer wieder betont, dass Estienne, der etwa 1551 Paris verlassen hat, um seinem Vater ins Exil nach Genf zu folgen, erst im Jahre 1579, also ein Jahr nach dem Erscheinen der Deux Dialogues, wieder an den französischen Hof zurückkehrte, so dass sein Pamphlet, das explizit den Hof von Henri III ins Visier nimmt, kein direktes und daher kein verlässliches Zeugnis des sprachlichen Alltags am Hofe sein könne. Vielmehr sei davon auszugehen, dass er für seine Satire insbesondere schriftliche Quellen herangezogen habe. In der Tat bezieht sich Estienne ([1578] 1980: 149-150, 340) des Öfteren auf literarische Werke, z. B. von Du Bellay und Belleforest, deren Sprache er als italianisierend kritisiert 1 . Des Weiteren nennt er insbesondere für potentielle Italianismen, die er selbst als Phantasie-Kreationen ausweist (! ), italienische Quellen, wie z. B. Boccaccio. Nun aber weist bereits Clément ([1898] 1967: 124-125) darauf hin, dass Estienne dank der Korrespondenz mit Freunden am Hof, mit deren Hilfe er schließlich auch 1579 in die Entourage von Henri III aufgenommen wurde, durchaus über die Sprache der Höflinge informiert gewesen sein konnte. Zudem sei nicht zu vergessen, dass er in Genf auch Besucher aus Paris empfangen haben könnte. Auch von französischen Protestanten, die kontinuierlich in Genf Zuflucht suchten, könnte ihm vom françois italianizé berichtet worden sein. Schließlich gibt Clément ([1898] 1967: 39, Fn. 5; 124, Fn. 3) auch zu bedenken, dass der Purist zwar nicht in Paris, aber manchmal in Lyon weilte und dort mit reisenden Höflingen in Kontakt gekommen sein konnte, von denen er Informationen über die Sprache des Hofs erhalten haben könnte. Auch wenn all diese Überlegungen für die Glaubwürdigkeit von Estiennes Aussagen sprechen, untermauern sie gleichzeitig die weitverbreitete Annahme, dass die Deux Dialogues nur als ein indirektes und somit unter Umständen ungenaues Abbild der sprachlichen Realität am Hof der Valois angesehen werden können. 1 Dass Henri Estienne tatsächlich Du Bellay und dessen Regrets gelesen hat, belegen auch seine handschriftlichen Anmerkungen in einer Ausgabe dieser Gedichtsammlung, die sich laut Smith (1980a: 76, Fn. 65) und Clément ([1898] 1967: 346, Fn. 3.) in der Bibliothèque municipale de Lyon befindet. Zu den zahlreichen Italianismen bei Du Bellay vgl. z. B. Balsamo (1992: 45), zu Italianismen bei Ronsard vgl. insbesondere Smith (1994). 188 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues 5.2 Die Abwesenheit Henri Estiennes vom französischen Hof bis 1579 189 Seltsamerweise wird dabei jedoch kaum 2 die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass Estienne sowohl in Briefen als auch in der Konversation mit Höflingen in Lyon und Genf auch tatsächlich mit deren françois italianizé in Kontakt gekommen sein könnte. Der Umstand, dass Estienne eventuell in Italien direkte Erfahrungen mit italianisierendem Französisch gemacht haben könnte, ist hingegen sogar gänzlich unberücksichtigt geblieben: Dass sich der Purist mehrfach in Italien aufgehalten hat und u. a. auch bei französischen Botschaftern wie Odet de Selve in Venedig zu Gast war, gilt als verbürgt (vgl. Smith 1980a: 26). Ebenfalls bekannt ist, dass gerade in Briefen von in Italien tätigen französischen Botschaftern - sowie in solchen von deren Gefolge - bisweilen stark italianisierendes Französisch nachgewiesen werden kann (vgl. z. B. Sullivan 1931 für die Sprache von Du Tronchet 3 ). Während meiner Recherchen bin ich auf meines Wissens sprachwissenschaftlich bisher kaum untersuchte Texte eines Nachfolgers von Odet de Selve gestoßen, die viele Italianismen aufweisen und somit die Behauptung untermauern, dass die Sprache französischer Botschafter in erheblichem Maße lexikalische Einflüsse aus dem Italienischen aufweist. Der folgende Ausschnitt entstammt einer von Arnoul du Ferrier erstellten Auflistung der Kosten für den Besuch von Henri III in Venedig (1574): Voici le compte de la recette et dépense faite par Arnoul du Ferrier, conseiller du Roi en son privé Conseil et son ambassadeur à Venise, des deniers que la Reine mère du Roi [Catherine de Médicis, T. S.] , régente, lui avait envoyés pour le service de Sa Majesté Recepte Reçu des sieurs Strossi et Guadagni Carnesequi, banquiers, la somme de trente-cinq mil sept cens quatorze escuz pistolletz, en vertu d’une lettre de change de pareille somme que la Royne m’a fait tenir. Reçu desdits Strossi et Balbani la somme de douze mil escuz pistolletz […] Premièrement, ont esté envoiés à Venise par commandement de la Royne, douze mil escuz; […] A l’arsenal, huict cens escuz. A la chiurme de la gallère sur laquelle le Roy a monté de Moran à Castelli cent escuz. A la chiurme du Buccintore sur lequel Sa Majesté a faict son entrée à Venise, et depuis y fut mené de son logis au palais, cent escuz et à l’amiral dudit Buccintore une chaine de cent escuz. 2 Lediglich Smith (1980a: 18, Fn. 53) weist auf diese Möglichkeit hin, betont aber, dass keine Quellen vorliegen, die dies tatsächlich bestätigen könnten. 3 Zu exotischen Italianismen in Du Tronchet vgl. auch die zahlreichen Anmerkungen von Smith (1980a: u. a. 35, Fn. 4; 37, Fn. 23; 38, Fn. 25; 77, Fn. 72) in ihrer Edition der Deux Dialogues . 190 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Aux dix-sept gondoles destinées pour le service de Sadicte Majesté, deux cens vingt et huit escuz. A la piatte sur laquelle le Roy est allé à Padoue, vingt cinq escuz. […] Au sieur Girolamo scalgue [scalque] maieur, soixante escuz. Au sieur Stephano et plusieurs autres scalgues [scalques], soixante escuz. […] Au scalgue [scalque] du prince, vingt escuz. Aux deux cameriers du prince, vingt et quatre escuz. […] Aux sept pifres du prince, trente escuz. […] Faict à Venize, le dernier jour de juillet [1574] (Briefe CM , Bd. 5: XXIII - XXV , Hervorhebungen im Fettdruck und Ergänzungen 4 T. S.) Auffällig sind neben den etablierten Lehnwörtern arsenal (seit Ende des 15. Jahrhunderts) < it . arsenale , banquier (seit dem 13. Jahrhundert) < it. banchiere , chiurme (seit Anfang des 14. Jahrhunderts) < it. ciurma , gondole (seit 1549) < it. gondola 5 und der Lehnübersetzung lettre de change (1400-1401) < it. lettera di cambio 6 insbesondere die selteneren Italianismen camerier < it. cameriere , piatte < it. piatta und scalque < it. scalco sowie das Lexem pifre , das hier möglicherweise als mehr oder weniger spontane Entlehnung aus dem Italienischen betrachtet werden kann 7 . 4 Obgleich die Edition des Textes durch Hector de la Ferrière insgesamt verlässlich ist, konnte beim Vergleich mit der Originalhandschrift (BNF FF 3321 [19]) festgestellt werden, dass die Schreibung von fr. scalque < it. scalco nicht als <scalgue>, sondern als <scalque> zu interpretieren ist. Vgl. dazu z. B. die Schreibungen von gallère , gondole sowie von laquelle , lequel im Manuskript. 5 Für die Angaben zum jeweiligen Erstbeleg in runden Klammern sowie zur Wortgeschichte vgl. TLFi (s.v. arsenal , banquier , chiourme , gondole ). Fr. arsenal wurde in verschiedenen Formen schon in früheren Jahrhunderten direkt aus dem Arabischen, manchmal aber auch über italoromanische Varietäten entlehnt. Die Form arsenal aber kommt vermutlich direkt aus dem Venezianischen. Fr. gondole erscheint in anderen Formen schon etwas früher. Ob es hier in der spezifischen Bedeutung ‘petit bateau à la proue recourbée en usage à Venise’ (seit 1558) oder in der allgemeineren Bedeutung ‘petite embarcation’ (seit 1549) gebraucht wird, lässt sich anhand des Kontexts nicht zweifelsfrei klären. 6 Ein entsprechendes Lemma fehlt in Hope (1971). Für den Erstbeleg sowie für die Wortgeschichte vgl. den von Rainer 2014 erstellten Eintrag im TLF-Étym (s.v. lettre de change ). Zum Einfluss des Italienischen auf die französische terminologie cambiale im Allgemeinen vgl. Rainer (2014). 7 Laut FEW (s.v. pfīfer ) sei fr. pifre in der Bedeutung ‘Pfeife’ im 16. Jahrhundert aus dem Spanischen über das Okzitanische ins Französische gelangt und existierte eine Zeit lang neben bedeutungsgleichem fr. fifre . Ab 1574 sei die Form pifre (neben fifre ) auch zur Bezeichnung des nomen agentis in der Bedeutung ‘joueur de fifre’ anzutreffen gewesen. Wind (1928: 119, 160, 195, 203, 207) hingegen nimmt an, dass fr. pifre ‘joueur de fifre’ von it. piffero stammt. Dies ist m. E. in mehrfacher Hinsicht plausibel: Erstens war die frühneuzeitliche Musikterminologie besonders offen für Italianismen (vgl. etwa Stammerjohann 2013: 91-99), was auch zur Aufnahme von z. B. cantilène , concert , contre-basse , duo , 5.2 Die Abwesenheit Henri Estiennes vom französischen Hof bis 1579 191 Was die selteneren Italianismen anbelangt, lässt sich Verschiedenes feststellen: Während es sich bei piatte < it. piatta - zumindest was die Form angeht - um einen in der Forschung bisher nur einmal dokumentierten Italianismus handelt 8 , wird scalque < it. scalco zumindest im FEW (s.v. skalks ) als vereinzelt entlehnter Italianismus im Französischen des 16. Jahrhunderts genannt 9 . Allerdings fehlen - abgesehen vom Hapax-Beleg escarque in Rabelais - Hinweise auf die Quellen, in denen dieses belegt sein soll. Offensichtlich wurde die Kostenaufstellung von Du Ferrier, obschon sie, wie die Ausführungen zu pifre zeigen, den Autoren des FEW bekannt war, nicht in Gänze berücksichtigt. Das Lexem camérier ist insofern von besonderem Interesse, als es hier nicht in der spezifischen Bedeutung ‘officier de la chambre du pape, d’un cardinal’ gebraucht wird, sondern vermutlich ‘chambrier, valet de chambre, serviteur, domestique attaché à une une personne de haut rang’ bedeutet. Laut FEW (s.v. camera ), Hope (1971: 279) und TLF i (s.v. camérier ) ist der Italianismus erst im 17. Jahrhundert und nur in der spezielleren Bedeutung belegt 10 . Wie die Okkurrenz im Text von Du Ferrier aber zeigt, wurde das Lexem schon früher und zudem in seiner wie espinette , fugue , madrigal , sourdine , téorbe geführt hat (vgl. Hope 1971: 173, 182, 183, 187, 191, 198, 207, 223, 224-225). Zweitens wurde it. piffero zur Bezeichnung des Instruments und des nomen agentis (letzteres belegt seit 1461, laut DELI s.v. piffero , für weitere Belege vgl. LEI Germanismi s.v. pīfer ) auch in andere Sprachen entlehnt, etwa in die iberromanischen Sprachen, die ihrerseits ja für die Vermittlung ins Okzitanische verantwortlich gewesen seien (vgl. FEW s.v. pfīfer ). Drittens entstammt der im FEW genannte Erstbeleg für pifre ‘joueur de fifre’ einer Teiledition (Charrière Bd. 3, 1853: 358) der auch hier untersuchten Kostenaufstellung von Arnoul du Ferrier. Warum in diesem Text für die einhellig als fremdsprachlich klassifizierte Form pifre okzitanischer Einfluss angenommen werden sollte, ist nicht nachvollziehbar. Im oben zitierten Textausschnitt lässt sich aus dem Kontext problemlos erschließen, dass es sich um professionelle suonatori di piffero in Venedig handelt. Selbst wenn möglicherweise fr. pifre zur Bezeichnung des Instruments tatsächlich über das Okzitanische vermittelt wurde, scheint es sich bei fr. pifre zur Bezeichnung des nomen agentis - zumindest beim Beleg im Text von Arnoul du Ferrier - um einen Italianismus zu handeln. 8 Weder im FEW (s.v. plattus ) noch in HUG, TLFi (s.v. plate 1), FENNIS, DIFIT oder OIM finden sich Hinweise auf die Form piatte . Auch in den größeren Studien zum italienischen Lehngut im Französischen, insbesondere in Wind (1928) und Hope (1971), wird piatte nicht besprochen. Das FEW nennt nur plate (f.) ‘bateau plat’, für das die frühesten Belege - auch noch laut TLFi - aus dem 17. Jahrhundert stammen, sowie einen Beleg (um 1500) für plat (m.), das ‘bateau plat (à Venise)’ bedeutet. Allein in Vidos (1939: 239-240, Fn. 1) wird ein vereinzelter Beleg für fr. piatte im 17. Jahrhundert (1667) genannt und als Italianismus ausgewiesen. Vgl. dazu die Liste nicht dokumentierter Italianismen in Anhang 1. 9 Hinweise auf diesen Italianismus finden sich außerdem nur noch in HUG (s.v. escarque ), der lediglich den Hapax-Beleg für escarque bei Rabelais aufführt. Vgl. die Liste nicht dokumentierter Italianismen in Anhang 1. 10 Zwar nennen sowohl das FEW (s.v. camera ) als auch der TLFi (s.v. camérier ) und Hope (1971: 279) einen Hapax-Beleg aus dem 14. Jahrhundert, aber dieser sei zu vernachläs- 192 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues im damaligen Italienisch verbreiteten allgemeineren Bedeutung ‘gentiluomo di corte addetto alle stanze del sovrano’ (vgl. DELI s.v. camera ) - zumindest von gewissen Français italianisants - verwendet 11 . Im Hinblick auf die Ausdrucksseite der Italianismen fällt auf, dass diese nur schwach integriert sind. Scalque erscheint anders als bei Rabelais ohne prothetischen Vokal, [ka-] in camérier statt fr. chambrier sowie [pja-] in piatte statt fr. plate entsprechen genau den von Estienne kritisierten Erscheinungen des françois italianizé (vgl. z. B. cargue statt charge und piasir statt plaisir ). Während piatte eine bestimmte - den Franzosen unbekannte - Art von flachem Schiff (in Italien) bezeichnet und daher genauso wie z. B. der gut dokumentierte Italianismus gondole als Bedürfnislehnwort klassifiziert werden kann, scheint es sich bei camérier - zumindest in der allgemeineren Bedeutung ‘chambrier’ - und scalque , das hier vermutlich ‘maître d’hôtel’ bedeutet, um Luxuslehnwörter zu handeln 12 . Was ist aus diesem sprachlichen Befund nun für die Glaubwürdigkeit der Aussagen Estiennes in den Deux Dialogues abzuleiten? Eingangs wurde dafür argumentiert, dass die Beobachtungen des Puristen sehr wohl auf direkten Erfahrungen beruhen können, auch wenn er sich vor dem Verfassen seines Pamphlets nicht am französischen Hof aufgehalten hat. Als historisch gesichert gilt, dass Estienne während seiner ausgedehnten Italienaufenthalte mitunter auch bei französischen Botschaftern verweilte. Da deren Französisch bisweilen starke italienische Einflüsse, insbesondere im Bereich der Lexik, aufweist, könnte er so mit einem von Français italianisants produzierten françois italianizé in Kontakt gekommen sein. Die Analyse des oben zitierten Ausschnitts zeigt exemplarisch, dass sich in der Sprache von in Italien tätigen französischen Diplomaten 13 in der Tat Züge des von Estienne getadelten françois italianizé nachweisen lassen: Abgesehen von im 16. Jahrhundert etablierten Italianismen wie arsenal und gondole finden sich, wenn man fr. pifre ‘joueur de pifre’ als italienisches Lehnwort betrachten will, auch mehr oder weniger spontane Entlehnungen sowie in der sigen. Interessanterweise zählen Darmesteter / Hatzfeld (1878: 193) das Lexem camérier ohne Kommentar (und ohne Belege) zur Gruppe der Italianismen des 16. Jahrhunderts. 11 In HUG (s.v. romipete ) findet sich auch ein früher Beleg von camérier ‘officier de la chambre du pape, d’un cardinal’ in D’Aubigné. 12 Gewiss kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass sowohl camérier als auch scalque Arten von Bediensteten bezeichnen, die eventuell aufgrund ihrer spezifischen Aufgaben tatsächlich keine Entsprechung im Frankreich des 16. Jahrhunderts hatten. Allerdings legt der Kontext nahe, dass die Lexeme hier in ihrer allgemeineren Bedeutung wie it. cameriere ‘gentiluomo di corte addetto alle stanze del sovrano’ und it. scalco ‘servo’ (vgl. DELI s.v. camera , scalco ) gebraucht werden. 13 Zur Bedeutung des Italienischen in der diplomatischen Korrespondenz französischer Botschafter - auch mit nichteuropäischen Ländern - vgl. Kapitel 2.2.2. 5.2 Die Abwesenheit Henri Estiennes vom französischen Hof bis 1579 193 Forschung bisher als wenig verbreitet eingestufte Lehnwörter ( piatte , camérier , scalque ), die laultich schwach integriert sind und daher Eigenschaften ([pja-] statt [pla-], [ka-] statt [ʃa-] und [sk-] statt [ɛsk-]) aufweisen, die als typisch italianisierend empfunden wurden. Auch wenn die obigen Ausführungen nahelegen, dass Estienne mit Produktionsdaten von sog. Français italianisants in Berührung gekommen ist, wurde bisher noch nicht erklärt, ob und ggf. unter welchen Umständen er mit dem italianisierenden Französisch der Immigranten, das er ja gleichermaßen kritisiert, direkte Erfahrungen hat machen können. Wie bereits weiter oben erwähnt wurde, ist es durchaus denkbar, dass er mit reisenden Höflingen aus Paris in Lyon oder auch in Genf zufällig zusammentraf. Diese müssen natürlich nicht alle Franzosen gewesen sein. Während es sich dabei aber lediglich um eine Vermutung handelt, werden historisch verbürgte Fakten, die den Kontakt Estiennes mit dem Französischen italienischer Einwanderer mehr als plausibel erscheinen lassen, in der Forschung bis heute (z. B. in Swiggers 2003, Sampson 2004, Cowling 2007, Colombo Timelli 2008) fast vollständig ignoriert. Allein Smith (1980a: 18, Fn. 54) merkt in einer Fußnote an, dass Estienne durchaus mit dem françois italianizé der zahlreichen italienischen Immigranten in Lyon oder in Genf in Kontakt gekommen sein könnte 14 . Während auf die Präsenz der Italiener und des Italienischen in Lyon, die bereits in Kapitel 2.1.4 erwähnt wurde und in Kapitel 6.2 genauer besprochen wird, an dieser Stelle nicht näher eingegangen zu werden braucht, soll die bedeutende Rolle des Italienischen im Genf des 16. Jahrhunderts, der Stadt, in der sich Estienne schließlich am längsten aufhielt, im Folgenden näher betrachtet werden. Im Gegensatz zur italienischen Kolonie in Lyon, die letztlich in allen kultursowie sprachwissenschaftlichen Arbeiten zum italienischen Einfluss im Frankreich der Renaissance zumindest erwähnt wird, scheint jene in Genf weit weniger im Bewusstsein der Forschung verankert zu sein. Dies mag damit zusammenhängen, dass man bei der Beschäftigung mit Genf - auch schon im 16. Jahrhundert - das französische Hoheitsgebiet zumindest politisch gesehen verlässt. Nichtsdestoweniger ist Genf in mehrfacher Hinsicht für die Sprachgeschichte des Französischen durchaus von Bedeutung: Abgesehen von zahlreichen Werken im Exil lebender französischer Protestanten wie z. B. Calvin und Estienne werden auch zahlreiche Wörterbücher, so z. B. 14 Smith (1980a: 18, Fn. 54) verweist dabei auf Anmerkungen in Rathé (1968: 38) und Stewart (1969: 111). Während Stewart (1969: 111) eigentlich nur erwähnt, dass in Genf zahlreiche Italiener ansässig waren und keinerlei Aussagen zu deren Sprachverhalten macht, handelt es sich bei Rathé (1968: 38) lediglich um den bereits in Kapitel 4.2.2 zitierten Passus aus Gentillet (1576), in dem dieser darauf hinweist, dass mit Italienern in Lyon aufgrund ihrer mangelnden Französisch-Kompetenz bisweilen Italienisch gesprochen werden müsse. 194 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues die ersten Französisch-Italienisch-Wörterbücher (Fenice 1584, Canal 1598, vgl. Kapitel 2.2.2), dort verlegt - und später auch in Frankreich gelesen 15 . Die italienische Kolonie im Genf des 16. und auch 17. Jahrhunderts wird in der Forschung 16 gemeinhin als Refuge italien oder Rifugio italiano bezeichnet, da es sich bei den Einwanderern in erster Linie um Protestanten handelt, die aus ganz Italien 17 vor religiöser Verfolgung flüchteten und schließlich zusammen mit ihren französischen Glaubensbrüdern, die ihr Schicksal jenseits der Alpen teilten, in Genf Zuflucht fanden (vgl. Galiffe 1881: 2 und Fn. 2). Wie in Lyon war der Anteil der Italiener an der Gesamtbevölkerung beträchtlich: Castiglione (1936: 166-167) nimmt an, dass von den ca. 20 000 Einwohnern gegen Ende des 16. Jahrhunderts zwischen 4000 und 5000 italienischer Herkunft waren. Auch wenn inzwischen wohl von einer niedrigeren Zahl auzugehen ist 18 , waren es Mitte des Jahrhunderts in jedem Fall so viele, dass der Genfer Stadtrat - nachdem schon der aus Siena stammende Geistliche Bernardino Ochino 19 von 1542-1545 auf Italienisch gepredigt hatte - auf Bitten Calvins ab 1551 der italienischen Gemeinde sogar zugestand, das Italienische als Sakralsprache zu verwenden (vgl. Galiffe 1881: 35-37 sowie Castiglione 1936: 167 und Fn. 1) 20 . Ma la storia vera e propria della colonia italiana in Ginevra si inizia nel 1551, quando il Marchese di Vico, Galeazzo Carocciolo, organizza i rifugiati del suo paese in comunità 15 Laut zeitgenössischen Sprachmeistern, wie etwa Poulain, kamen insbesondere im 17. Jahrhundert auch zahlreiche Ausländer nach Genf, um dort Französisch zu lernen. Zum Werk Poulains vgl. z. B. Knecht (2004) sowie Kristol (im Druck). 16 Zum Refuge italien vgl. Galiffe (1881), Ferretti (1946), Ziégler (1948), die in Perrenoud Bd. 1 (1979: 256-258) genannte Literatur sowie Cantimori (1992). 17 Nachdem Galiffe (1881), der sich mit der Gesamtheit der italienischen Immigranten beschäftigt, u. a. anhand von Verwaltungsdokumenten und Kirchenbüchern bereits die unterschiedlichen Herkunftsregionen der Flüchtlinge innerhalb Italiens ermittelt hat, sind in der Folgezeit zahlreiche Einzelstudien entstanden, die sich einzelnen Gruppen, etwa den lucchesi oder calabresi , widmen. Zur Emigration aus Lucca vgl. z. B. Pascal (1935), Ziégler (1950), zu Immigranten aus Sizilien vgl. Pascal (1934-1936) sowie einzelne Beiträge in Cantimori u. a. (1959), zu Einwanderern aus Kalabrien vgl. Castiglione (1936). Die Flüchtlinge kamen nicht nur von der Apenninenhalbinsel, sondern auch aus den venezianischen Kolonien in der Levante (vgl. Galiffe 1881: 6-7, Fn. 8). Für eine ausführlichere Bibliographie zum Refuge italien in Genf vgl. Geisendorf (1966: 55-57), dem auch einige der o. g. Titel entnommen sind. 18 Laut Perrenoud Bd. 1 (1979: 56, 256-258), der aber von einer deutlich geringeren Gesamtbevölkerung ausgeht, dürfte sich die Zahl der Italiener in den 1560er Jahren auf nur ca. 1000 belaufen haben. 19 Für biographische Angaben vgl. den Eintrag OCHINO, Bernardo von Miguel Gotor (2013) im DBI. 20 Die spanischen Glaubensbrüder mussten bis 1559 auf dieses Privileg warten (vgl. Galiffe 1881: 72-73). Zur Bedeutung des Italienischen als Sakralsprache im frühneuzeitlichen Genf vgl. auch Scharinger (2017: 174-175). 5.2 Die Abwesenheit Henri Estiennes vom französischen Hof bis 1579 195 religiosa con a capo il Conte Celso Martinengo di Brescia, ex-canonico lateranense. Legame principale fra corregionali e correligionarii è anche questa volta la lingua: l’italiano sarà nel paese straniero la lingua ufficiale del rito calvinista che essi adottano. L’Italia è viva nella favella: l’unità è realizzata, al di là dei confini della Patria spezzettata dalle invasioni straniere e dai dissensi interni, nella lettura in italiano dei libri sacri! (Castiglione 1936: 167, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Wie der oben zitierte Passus aus Castiglione (1936) zeigt, sieht dieser in der Verwendung des Italienischen als Sakralsprache das wichtigste Merkmal der italienischen Kolonie, das die Einwanderer aus den verschiedensten Gegenden Italiens („corregionali“), die alle unterschiedliche italoromanische Idiome sprechen mussten, miteinander verband. Auch wenn Castigliones Aussagen bezüglich der italienischen Einheit („l’unità è realizzata“) vermutlich mehr politisch (oder nationalistisch) denn sprachgeschichtlich zu verstehen sind, spricht er damit gewissermaßen avant la lettre ein Thema an, das in der heutigen Sprachgeschichtsschreibung des Italienischen kaum aktueller sein könnte: Wie De Mauro (1963) gezeigt hat, wird die sprachliche unità Italiens, d. h. die flächendeckende Verbreitung des ‘Italienischen’ als gesprochene Sprache, erst deutlich nach der politischen unità , im 20. Jahrhundert - v. a. durch die Medien sowie die Alphabetisierung - erreicht. Allerdings geht die neuere Forschung spätestens seit den Arbeiten von Bruni (vgl. Kapitel 2.2.2) davon aus, dass es insbesondere auch außerhalb der italienischen Halbinsel, z. B. in der Levante, ein gesprochenes italiano preunitario , d. h. ein gesprochenes Italienisch vor der politischen Einigung Italiens, gegeben haben muss 21 . Dieses wurde nicht nur durch die Verbreitung des Italienischen als Kultur- und Verkehrssprache, sondern auch durch die Emigration von Italienern begünstigt. Wie der obige Ausschnitt nahelegt, könnten italienische Auswanderer auch innerhalb Europas durchaus zur Verbreitung eines italiano preunitario beigetragen haben. Dass das Italienische - als überregionaler Standard unter den Migranten 22 - als Sakralsprache fungierte, ist auch soziolinguistisch von nicht unerheblichem 21 Die türkische Gemeinde in Genf war im Übrigen der Église italienne zugeordnet (vgl. Galiffe 1881: 72-73), was erneut die Bedeutung des Italienischen im Osmanischen Reich bestätigt. Offenbar bevorzugten auch türkische Protestanten in Genf das Italienische. 22 Zu welchen Teilen diese ‘Standardvarietät’ an die v. a. für die Literatur maßgebliche norma bembiana angelehnt war und zu welchen Teilen es sich auch um eine durch Koinéisierung entstandene mündliche Ausgleichsvarietät handelte, kann nur durch eine sorgfältige Untersuchung der hinterlassenen Dokumente geklärt werden und bleibt weiteren Forschungen vorbehalten. Galiffe (1881: 66), dessen Interesse leider nicht vorrangig den sprachlichen Besonderheiten des Italienischen der Einwanderer gilt, stellt im Hinblick auf die von ihm gesichteten Texte bereits beiläufig fest, dass es sich nicht um „lingua toscana in bocca romana“ handelt. Wie Pierno (2004), der in diesem Zusammenhang von einer „possibile questione della lingua“ spricht, gezeigt hat, sprachen sich protestantische 196 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Interesse, da dies unmittelbare Auswirkungen auf das Sprachverhalten der italienischen Einwanderer haben musste (oder als Folge desselben interpretiert werden muss). Angesichts der hohen Anzahl an Italienern sowie der Tatsache, dass diese zunächst unter sich blieben (keine gemischten Ehen mit frankophonen Genfern) und bemüht waren, ihre Verwandten ebenfalls nach Genf zu holen (vgl. Galiffe 1881: 12-13, Fn. 7; 23-24, Fn. 18 sowie Perrenoud Bd. 1, 1979: 258), ist zu vermuten, dass sie das Französische im nähesprachlichen Bereich nicht verwendeten. Dass sie dieses aber auch für distanzsprachliche Kontexte nicht zwangsläufig erlernen mussten, legt die Legitimierung des Italienischen als Sakralsprache nahe. Insgesamt, so kann zumindest vermutet werden, lässt sich die sprachliche Situation innerhalb der italienischen Gemeinschaft im Genf des 16. Jahrhunderts nicht als streng diglossisch bezeichnen: Vielmehr ist anzunehmen, dass die Muttersprache der Italiener eine ähnliche kommunikative Reichweite wie das Französische hatte, also nicht auf spezielle Funktionsbereiche beschränkt blieb. Dafür spricht auch, dass das Italienische aufgrund seines internationalen Prestiges (vgl. Kapitel 2.2.2) mit Gewissheit nicht als klassische low variety (Literatur, Grammatikographie) betrachtet werden kann. Auch der soziale Status der Immigranten legt nahe, dass sie keinem besonderen sozialen und in der Folge sprachlichen Assimilationsdruck ausgesetzt waren: Laut Galiffe (1881: 9-10, 17-18) gehörte die Mehrzahl der Einwanderer höheren Schichten, mitunter dem Adel, an. Zu erwarten ist, dass das Französische der Italiener, wenn sie dieses überhaupt erlernten, Interferenzen mit ihrer Muttersprache aufwies, da diese nicht zuletzt aufgrund des kontinuierlichen Gebrauchs äußerst vital gewesen sein muss. Auch ist es unwahrscheinlich, dass sich das Italienische des Refuge Italien schnell zu einer Varietät einer isolierten Sprachinsel entwickelte. Schließlich hielt die Immigration bis ins 17. Jahrhundert an (vgl. Galiffe 1881: 7) 23 , so dass die Sprechergruppe immer wieder verjüngt wurde. Anzeichen für eine gegenseitige sprachliche Beeinflussung seien denn auch erst im 17. Jahrhundert, als es vermehrt zu gemischten Ehen kam, festzustellen (vgl. Galiffe 1881: 63-66). Auch wenn, wie Galiffe andeutet, die Französisierung des Italienischen, was er insbesondere anhand von Familiennamen sowie Herkunftsbezeichnungen zeigt, für eine allmähliche sprachliche Assimilation der Italiener spricht 24 , betont er, Prediger im Genf des 16. Jahrhunderts auch gegen das archaisierende italiano letterario als Sakralsprache aus. 23 Auch die Église italienne blieb als eigenständige Institution bis zum Ende des 17. Jahrhunderts erhalten (vgl. Galiffe 1881: 37). 24 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Galiffe (1881: 65) bisweilen nicht erkennt, dass gewisse italienische Orts- und Familiennamen weniger stark französiert sind, als es auf den ersten Blick den Anschein hat: Wenn er z.B. fr. Chose < it. Chiozza (heute: 5.2 Die Abwesenheit Henri Estiennes vom französischen Hof bis 1579 197 dass gleichzeitig auch die Italianisierung französischer Namen zu beobachten ist. Angesichts dieser Feststellungen sowie der oben dargelegten Umstände kann davon ausgegangen werden, dass auch in Genf eine Art françois italianizé zu hören war. Vergleicht man nun das Refuge italien mit der in den Deux Dialogues beschriebenen Petite Italie , lassen sich Parallelen erkennen, die nahelegen, dass Estienne seine in Genf gemachten Erfahrungen - unter der Voraussetzung, dass er dies getan hat - zu Recht auf die Situation am Hof von Henri III übertragen hat. Sowohl in Paris als auch in Genf genoss das Italienische nicht zuletzt aufgrund der gesellschaftlichen Stellung seiner Sprecher ein Prestige, das sich nicht allein durch das Ansehen des Italienischen im rinascimentalen Europa erklären lässt. Während es in Genf sogar als Sakralsprache Verwendung fand, konnte es bei Hofe sowohl als Verhandlungssprache als auch für Redebeiträge in der Académie de Palais von Henri III gebraucht werden (vgl. Kapitel 6.2.2.3). Dass aufgrund vergleichbarer Rahmenbedingungen schließlich auch an beiden Orten von italienischen Immigranten eine Art françois italianizé gesprochen worden sein könnte, ist wahrscheinlich und wird zumindest für den Hof sowie für die colonie italienne in Lyon von weiteren Zeitgenossen bestätigt (vgl. Kapitel 4.2.2). Im Hinblick auf den Anteil der Italiener an der Gesamtbevölkerung wurde für Genf festgehalten, dass dieser wie in Lyon durchaus nicht unbedeutsam war. Laut Heller (2003: 178-179), der sich u. a. auf die Ergebnisse von Boucher ([1981] 2007: 422) stützt, erreichte die Anzahl von vom Hof subventionierten Italienern unter Henri III ihren Höhepunkt (vgl. Kapitel 6.2.2.2). Dass Estienne nun tatsächlich mit italienischen Einwanderern und ihrem françois italianizé in Kontakt gekommen ist, legt schon die hohe Anzahl an Immigranten nahe. Zudem darf nicht vergessen werden, dass, wie Galiffe (1881: 25) hervorhebt, zahlreiche Italiener in Genf als Theologen und im Druckereiwesen tätig waren, so dass es sehr wahrscheinlich ist, dass der Drucker Estienne auch persönlich mit Italienern verkehrte. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Estienne, obgleich er sich vor dem Verfassen der Deux Dialogues in der Tat seit über 20 Jahren nicht mehr am französischen Hof aufgehalten hatte 25 , durchaus ein realistisches Bild der <Chioggia> [kjɔddʒa], bei Venedig) als stark adapiert betrachtet, berücksichtigt er nicht, dass der Ortsname im dortigen lokalen Dialekt - sowie im Venezianischen - bis heute [tʃoza] ausgesprochen wird. Wenn man davon ausgeht, dass die zahlreichen venezianischen Immigranten trotz der gemeinsamen italienischen ‘Standardvarietät’ zumindest im Hinblick auf venezianische Orts- und Familiennamen an ihrer dialektalen Aussprache festhielten, erscheint der Grad der Anpassung von ven. [tʃoza] > fr. [ʃoz(ǝ)] eher gering. 25 Angesichts der Tatsache, dass bereits in den 1550er Jahren von einer starken italienischen Präsenz in Paris bzw. am Hofe ausgegangen werden muss (vgl. Kapitel 6.2.2.2), kann sich Estienne natürlich auch an Erfahrungen erinnert haben, die er gemacht hat, 198 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues soziolinguistischen Verhältnisse in der Petite Italie zeichnen konnte und auch seine Aussagen über das françois italianizé ernster genommen werden können, als dies bis heute häufig der Fall ist. Der durch die Absenz vom Hof bedingte Mangel an direkter Erfahrung konnte kompensiert werden: Zum einen könnte er durch die Korrespondenz mit befreundeten Höflingen aus Paris über die Petite Italie unterrichtet gewesen sein, zum anderen könnte er auch in Lyon oder Genf auf Reisende getroffen sein, die ihm vom sprachlichen Alltag am Pariser Hof berichteten. Außerdem wäre denkbar, dass er durch letztere auch direkt mit deren italianisierendem Französisch in Kontakt gekommen ist. Bisher gänzlich unberücksichtigt geblieben ist zudem die durchaus plausible Annahme, dass Estienne auch von in Italien tätigen Botschaftern der französischen Krone ein françois italianizé gehört haben könnte. Schließlich wurde gezeigt, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass der Purist nicht nur während seiner Aufenthalte in Lyon, sondern auch in Genf selbst mit Italienern verkehrte, deren Französisch als Lernervarietät starke Interferenzen mit dem Italienischen aufgewiesen haben könnte. 5.3 Die Hapax-Belege in der älteren Forschung Mais, en général, Estienne, qui possédait à fond l’italien, voit juste et clair: son livre - quoiqu’il faille se défier de l’imagination créatrice de l’auteur - demeure aujourd’hui encore le relevé le meilleur des farcissures dont la mode de ce temps avait bigarré le langage. (Brunot HLF II 1906: 203, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Schon früh hat sich die Forschung mit den in den Deux Dialogues kritisierten sprachlichen Erscheinungen auseinandergesetzt, wobei das Interesse insbesondere den lexikalischen Einflüssen des Italienischen auf das Französische galt. Wie aus dem oben zitierten Abschnitt ersichtlich ist, weist bereits Brunot, der das Zeugnis Estiennes insgesamt als sehr verlässliche Quelle betrachtet, darauf hin, dass manche der in den Deux Dialogues als Italianismen ausgewiesenen Lexeme wohl als Phantasie-Kreationen des Puristen („imagination créatrice“) angesehen werden müssen, da sich außerhalb seiner Werke keine weiteren Okkurrenzen finden lassen. bevor er 1551 als junger Mann seinem Vater ins Exil nach Genf folgte. Zwar ist in den - diesbezüglich autobiographisch zu verstehenden - Deux Dialogues immer die Rede davon, dass die wirkliche Italomanie einsetzte, nachdem Celtophile (also Estienne) den Hof verlassen hatte, allerdings kann er für die Karikatur des françois italianizé der 1570er Jahre auf jenes, das er möglicherweise in den 1550er Jahren selbst gehört hat, zurückgegriffen haben. 5.3 Die Hapax-Belege in der älteren Forschung 199 Anders als Brunot HLF II (1906: 212-213, Fn. 3), der mangels einer eigenen Analyse des Pamphlets lediglich eine unvollständige Liste der Italianismen in den Deux Dialogues liefert und dabei auch nicht wirklich zwischen häufig belegten Lexemen und Hapax-Belegen unterscheidet, bemühen sich Detailstudien zu Estienne wie Clément ([1898] 1967) und Tracconaglia (1907), aber auch Wind (1928) um eine möglichst vollständige Erfassung der von Estienne ermittelten Italianismen. Während laut Clément ([1898] 1967: 361, Fn. 5) im Gesamtwerk des Puristen 234 kritisierte Lehnwörter zu verzeichnen seien, zählt Tracconaglia (1907: 96-174) 315 Italianismen. Wind (1928: 34) hingegen beschränkt sich auf die Analyse der Deux Dialogues und spricht von ca. 200 getadelten Italianismen. Wie lassen sich diese unterschiedlichen Zahlen erklären? Dass Wind, die nur ein - allerdings das wichtigste - Werk Estiennes untersucht, eine geringere Gesamtzahl ermittelt, versteht sich von selbst. Die Abweichungen zwischen Clément und Tracconaglia aber bedürfen einer Erklärung. Betrachtet man die Zahlen Tracconaglias (1907: 177-184) genauer, fällt auf, dass dieser auch ausdrucksseitig veränderte Erbwörter bzw. Latinismen wie affeter statt affecter und estreme statt extreme (vgl. Kapitel 4.2.3.1.3) zu den lexikalischen Italianismen zählt 26 . Zudem werden Simplizia und die dazugehörigen Derivate, wie fr. courtisan und fr. courtisaner , auch wenn letztere laut Estienne als französische Bildungen auf Basis der aus dem Italienischen entlehnten Simplizia verstanden werden müssen - es gibt schließlich kein it. * corteggianare , nur corteggiare -, hinzugezählt. Zwar wird courtisaner in Tracconaglia (1907: 180) als möglicherweise französisches Derivat auf italienischer Basis gekennzeichnet, aber es wird trotzdem zu den 315 Lehnwörtern gezählt. Wie schon bei den ausdrucksseitig veränderten Erbwörtern ist auch hier die Zuordnung nicht immer ohne Weiteres nachvollziehbar. So wird z. B. die komplexe Lexie harquebousade , die nicht zwingend, aber möglicherweise direkt aus dem Italienischen entlehnt wurde (vgl. z.B. Hope 1971: 606), von Tracconaglia (1907: 180) wie courtisaner , das keinesfalls aus dem Italienischen entlehnt sein kann, behandelt. Problematisch ist auch, dass Lexeme, die von Estienne z. B. als Latinismen ausgewiesen werden (z. B. faction , office ), zu den kritisierten Italianismen gerechnet werden 27 . Schließlich fehlen in der von Tracconaglia erstellten Übersicht aber 26 Zwar ordnet Tracconaglia (1907: 184) die 315 Lexeme in verschiedene Subkategorien ein, so z. B. affeter und estreme in „parole francesi che subirono mutazioni nella forma“, aber die Zuordnung ist in einigen Fällen schwer nachvollziehbar. 27 Zwar weist Tracconaglia (1907: 140, 158-159, 181) in seinen Einzelbeobachtungen darauf hin, dass Estienne faction als Latinismus betrachtet, zählt es in seiner Übersicht aber zu den 315 vom Italienischen beeinflussten oder übernommenen Lexemen. Im Hinblick auf office wird nicht einmal erwähnt, dass Estienne dafür eine italienische Herkunft sogar ausschließt. In beiden Fällen handele es sich laut Tracconaglia (1907: 181) um von Estienne erkanntes Lehngut aus dem Italienischen. 200 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues auch einige Lehnwörter aus den Deux Dialogues (z. B. serrail , serviciale , traffique ). Insgesamt sind die Zahlen also nicht zuverlässig. Im Hinblick darauf, ob es sich bei den betroffenen Lexemen um Hapax-Belege oder aber um auch außerhalb der Werke Estiennes verbreitete Italianismen handelt, sind die Angaben Tracconaglias (1907: 184) wenig hilfreich: Zwar unterscheidet er in seiner Übersicht zwischen Lehnwörtern, die sich bis heute erhalten haben (195 „parole rimaste“), und solchen, die untergegangen sind (120 „parole cadute“), aber unter letzteren finden sich sowohl tatsächliche Hapax-Belege (z. B. imparer ) als auch vorübergehend im 16. Jahrhundert nachweisbare Italianismen (z. B. bastant ). Für eine Bewertung der deskriptiven Leistung Estiennes - aus einer streng synchronen Perspektive (16. Jahrhundert) - sind diese Ergebnisse also eher ungeeignet. Aus heutiger Sicht problematisch ist zudem, dass für einige der von Tracconaglia in seinen Einzelbeobachtungen noch als Hapax klassifizierten Lexeme und Wendungen (z. B. spurque , de bonne voglie ) inzwischen weitere Belege gefunden werden konnten und dass sich unter den 195 „parole rimaste“ Wörter finden (z. B. surgir ), die nach dem heutigen Stand der etymologischen Forschung wohl eher nicht als Italianismen zu betrachten sind (vgl. TLF i s.v. surgir ). Clément ([1898] 1967: 361, Fn. 5) berücksichtigt im Gegensatz zu Tracconaglia nur indirektes und direktes Lehngut, also keine ausdrucksseitig veränderten Erbwörter, und geht von 234 Italianismen in Estiennes Werk aus. Allerdings sind auch seine Zahlen kritisch zu betrachten. Zunächst muss auch hier festgestellt werden, dass nicht alle von Estienne in den Deux Dialogues kritisierten Lexeme aufgeführt werden (z. B. callizelle , serviciale ). Auch ist - anders als bei Tracconaglia (1907) - keine tabellarische Übersicht oder Liste vorhanden, der die Gesamtheit der getadelten Italianismen entnommen werden könnte. Eine überblicksartige Zuordnung der einzelnen Italianismen zu den Werken Estiennes, in denen sie besprochen werden, fehlt ebenfalls. Vielmehr muss man die von Seite 323-362 mehr oder weniger konsequent nach Denotatsbereichen geordneten Lexeme und Wendungen einzeln überprüfen. Dabei fällt auf, dass auch bei Clément ([1898] 1967: 339-340) nicht immer klar wird, nach welchen Kriterien ein Lexem nun als von Estienne kritisierter Italianismus gewertet wird oder nicht. Fr. courtisaner wird zusammen mit courtisan und courtisanesque genannt. Ob es nun aber auch als Lehnwort angesehen werden muss, wird nicht näher erläutert. Faction , das heute als Italianismus gilt (vgl. TLF i s.v. faction ), aber von Estienne als Latinismus betrachtet wird, findet sich bei Clément ([1898] 1967: 336), der im Übrigen auch auf Estiennes falsche Etymologie hinweist, unter den „mots de guerre influencés [par l’italien]“. Ob es nur der Vollständigkeit halber mit aufgenommen wird oder tatsächlich zu den 234 Italianismen gezählt werden muss, erschließt sich dem Leser - nicht zuletzt auch aufgrund einer fehlenden Übersicht über die kritisierten Italianismen - nicht. Ähnlich verhält es sich mit 5.3 Die Hapax-Belege in der älteren Forschung 201 capitanesse : Während Estienne darin einen Italianismus zu erkennen glaubt, wird heute eher von einer französischen Bildung auf der aus dem Italienischen, Okzitanischen oder Spanischen entlehnten Basis capitane ausgegangen (vgl. TLF i s.v. capitane ). Clément ([1898] 1967: 337, Fn. 8) merkt zwar an, dass in italienischen Wörterbüchern die Form capitanessa nicht nachweisbar ist, zählt capitanesse aber zu den „termes de guerre et de marine [de l’italien]“ 28 . Unklar bleibt, ob das Lexem zu den 234 getadelten Italianismen zu rechnen ist oder nicht. Estiennes deskriptive Leistung anhand dieser Zahlen zu beurteilen, fällt schwer: Es müsste eigentlich ermittelt werden, wie viele Lexeme und Wendungen er insgesamt als Italianismen stigmatisiert, wobei Fälle wie faction , die er - wenn auch zu Unrecht - als Latinismen ausweist, nicht berücksichtigt werden dürften, Fälle wie capitanesse aber gezählt werden müssten. Dann müsste überprüft werden, in wie vielen Fällen er richtigliegt, also z. B. nicht bei capitanesse . Was die Unterscheidung von tatsächlich im 16. Jahrhundert verbreiteten Italianismen und Hapax-Belegen angeht, geben die Ausführungen Cléments ([1898] 1967: 361, Fn. 5) kaum Auskunft. Wie Tracconaglia unterscheidet er nur zwischen Italianismen, die sich bis heute durchsetzen konnten, und solchen, die wieder aus dem Sprachgebrauch verschwunden sind: „sur 234 mots cités par H. Estienne, 132 sont restés français, soit le tiers [! ]“. Hinweise auf den Status als Hapax-Beleg finden sich nur vereinzelt bei bestimmten Lexemen (vgl. z. B. die Anmerkungen von Clément [1898] 1967: 324 zu domestichesse [<] it. domestichezza ). Aus heutiger Perspektive sind die Zahlen Cléments - wie jene Tracconaglias - zudem kritisch zu überprüfen, da unter den 132 Italianismen, die bis ins Neufranzösische erhalten geblieben sind, nach aktuellem Forschungsstand auch Lehngut aus anderen Sprachen zu finden ist (z. B. surgir , vgl. weiter oben). Anders als Clément und Tracconaglia widmet sich Wind (1928), deren Hauptaugenmerk eigentlich nicht den Werken Estiennes gilt, lediglich der Analyse der Deux Dialogues und zählt darin ca. 200 als Italianismen kritisierte Lexeme. Die als Überblicksdarstellung zum italienischen Lehngut des 16. Jahrhunderts bis heute wertvolle Arbeit Winds erscheint auch als Beitrag zu den Deux Dialogues auf den ersten Blick vielversprechend: Wind (1928: 34), die in stärkerem Maße als ihre Vorgänger um eine synchrone Beschreibung des italianisierenden 16. Jahrhunderts bemüht ist, stellt fest, dass 170 der 200 von Estienne ermittelten Italianismen - zumindest vorübergehend - tatsächlich außerhalb seiner 28 Im LEI (s.v. capitāneus ) sowie im DELI wird ein etwaiges it. capitanessa nicht besprochen. Im ZING (s.v. capitanessa ) findet sich ein Beleg für it. capitanessa aus dem 14. Jahrhundert. Offenbar wurde es aber nur scherzhaft in der Bedeutung ‘moglie del capitano’ gebraucht. Auch im GDLI (s.v. capitanessa ) ist nur diese Bedeutung verzeichnet. Bei Estienne hat capitanesse die Bedeutung von it. capitana ‘nave che porta lo stendardo sotto il quale vanno le altre della stessa squadra’. 202 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Schriften zu finden sind. Der aus diachroner Sicht relevante Hinweis, dass sich davon nur etwa 75 % noch im modernen Französisch nachweisen lassen, kommt erst danach 29 . Demnach kann also nur von ca. 30 Hapax-Belegen in den Deux Dialogues ausgegangen werden, die als Phantasie-Italianismen des Puristen zu betrachten sind. Jedoch sind auch die Zahlen Winds weniger verlässlich, als es zunächst den Anschein hat: Wie bei Tracconaglia und Clément fehlen bei Wind manche der von Estienne in den Deux Dialogues besprochenen Italianismen. Bei Wind (1928) sind dies z. B. die exotischen Hapax-Belege callizelle , contrade und domestichesse . Auch behandelt Wind (1928: 174) fr. office , das ja laut Estienne nicht als italienisches Lehnwort betrachtet werden kann, als Italianismus und nennt ohne weiteren Kommentar u. a. auch den Beleg in den Deux Dialogues . Ob es sich dabei folglich auch um eines der 170 belegten Lehnwörter handelt, bleibt unklar. Es kann aber vermutet werden, dass Wind das Wort als solches einstuft. Aus ihren Ausführungen zu einzelnen Lexemen ist zudem nicht immer ersichtlich, ob das betreffende bei Estienne getadelte Wort nun als häufig belegter Italianismus oder als Hapax angesehen werden muss (vgl. z. B. die Angaben zu fr. stenter < it. stentare in Wind 1928: 177, 205). Ihre Ergebnisse lassen sich leider auch nicht anhand einer Übersicht, in der die kritisierten bzw. kritisierten und belegten Italianismen der Deux Dialogues aufgeführt wären, überprüfen. Hinweise auf Hapax-Belege finden sich ohnehin nur sporadisch. An keiner Stelle werden diese (30) in ihrer Gesamtheit besprochen. Auch müssen im Jahre 2018 Unterschiede im Hinblick auf die Bewertung einer Reihe von Lexemen festgestellt werden: Während Wind (1928: 156, 129, 179, 177) z. B. camisole und guidon als belegte Italianismen betrachtet, die auch bei Estienne zu finden seien, und bastonnade nicht als Italianismus, sondern als mot douteux ansieht, ist nach heutigem Stand der Forschung eher davon auszugehen, dass camisole über das Okzitanische vermittelt wurde, guidon wohl eine französische Bildung ist und bastonnade durchaus italienischer Herkunft sein könnte (vgl. TLF i s.v. bastonnade , camisole , guidon ). Was die frühe Estienne-Kritik angeht, lässt sich als Zwischenfazit somit Folgendes festhalten: Ganz wie Brunot attestieren auch die bisher genannten Arbeiten dem Zeugnis des Puristen implizit oder explizit eine gewisse Glaubwürdigkeit. Während die Zahlen Winds (170 von 200) zeigen, dass die Mehrheit der von Estienne getadelten Italianismen tatsächlich - wenn auch im Einzelfall nur vorübergehend - im Französischen des 16. Jahrhunderts zu finden ist, betont Clément ([1898] 1967: 324), der bezüglich der Hapax-Belege keine kon- 29 An dieser Stelle sei angemerkt, dass den Ausführungen Winds nicht eindeutig entnommen werden kann, ob 75 % der ca. 200 kritisierten Italianismen oder 75 % der 170 belegten Italianismen bis heute erhalten sind. 5.3 Die Hapax-Belege in der älteren Forschung 203 kreten Zahlen liefert, aber wie Wind davon ausgeht, dass der Großteil der in den Deux Dialogues kritisierten Lehnwörter auch außerhalb der Werke Estiennes nachgewiesen werden kann, dass nicht belegte Lexeme zumindest in der gesprochenen Sprache der Höflinge existiert haben könnten (vgl. dazu genauer Kapitel 5.4 und 5.6). Tracconaglia (1907: 96-174, 184) merkt in seinen Kommentaren zu einzelnen Lexemen zwar an, dass es sich in manchen Fällen um Hapax-Belege handelt, unterscheidet aber in der tabellarischen Übersicht gegen Ende seiner Arbeit (315 stigmatisierte Formen) nicht mehr zwischen ephemeren Italianismen mit begrenzter Reichweite im Französischen der Renaissance und tatsächlichen Hapax-Belegen. Offenbar nimmt er die Aussagen Estiennes also so ernst, dass auch nur einmalige Okkurrenzen als „parole cadute“ zu betrachten sind. Andererseits wurde gezeigt, dass weder die Ergebnisse von Clément noch jene von Tracconaglia und Wind unkritisch übernommen werden können: In allen Werken werden einzelne von Estienne in den Deux Dialogues als Italianismen stigmatisierte Lexeme nicht besprochen. Das Inventar der Italianismen ist in allen Arbeiten also unvollständig. Problematisch ist ferner, dass nicht immer klar ist, nach welchen Kriterien die betroffenen Lexeme in dieses Inventar aufgenommen werden: Während Tracconaglia auch ausdrucksseitig italianisierte Erbwörter in seine Übersicht mit aufnimmt, beschränken sich Clément und Wind auf direktes und indirektes Lehngut. Des Weiteren werden in allen drei Werken Wörter wie z. B. faction und office behandelt, die von Estienne ausdrücklich als Latinismen ausgewiesen werden, ohne dass auf den ersten Blick ersichtlich wäre, ob diese von den jeweiligen Autoren nun dem Inventar der kritisierten Italianismen zugeordnet werden oder nicht. Allein in Tracconaglia (1907: 96-174) findet sich eine vollständige kommentierte Liste der von ihm in den Deux Dialogues ermittelten Lexeme und Wendungen, anhand derer - allerdings mühsam - überprüft werden kann, ob die betroffenen Lexeme und Wendungen auch in das Inventar aufgenommen wurden. Dass Tracconaglia dabei in mancher Hinsicht falschliegt, wurde bereits erwähnt. Bei Clément und Wind hingegen fehlt eine solche Übersicht völlig. Dem Fehlen einer solchen ist es schließlich auch geschuldet, dass in keiner der beiden Untersuchungen die Hapax-Belege in den Deux Dialogues in ihrer Gesamtheit analysiert werden. Bei Tracconaglia (1907: 96-174) können der kommentierten Übersicht zwar Informationen bezüglich des Hapax-Status bestimmter Lexeme entnommen werden, diese sind aber in nicht wenigen Fällen als überholt einzustufen. Dass die Zahlen aller o. g. Arbeiten einer kritischen Überprüfung anhand der in den letzten 100 Jahren in der etymologischen Forschung gewonnenen Ergebnisse bedürfen, versteht sich von selbst und wurde weiter oben bereits an Beispielen illustriert. 204 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Vermutlich sind es die soeben dargelegten Unzulänglichkeiten, die dazu geführt haben, dass in späteren Arbeiten (z. B. Kandler 1944: 7-9, 273-276, Rickard 1968: 16-17 und Hope 1971: 148-149, Fn. 4), die sich mehr oder weniger intensiv mit Estienne beschäftigten und die Studien Cléments (1898), Tracconaglias (1907) und insbesondere Winds (1928) rezipiert hatten, keine konkreten Zahlen mehr genannt wurden und das Zeugnis in den Deux Dialogues insgesamt wieder etwas kritischer betrachtet wurde 30 . Eine genaue Untersuchung der Quantität und Qualität der Hapax-Belege blieb jedoch weiterhin aus. Wie bereits mehrfach betont wurde, gelten die Beobachtungen Estiennes in der neueren Forschung (Balsamo 1992, 2003b, 2015, Hornsby 1998, Swiggers 2003, Sampson 2004, Cowling 2007, Colombo Timelli 2008) inzwischen als eher unglaubwürdig 31 : Mehr als die Hälfte der in seinem Pamphlet kritisierten Lexeme und Wendungen seien Hapax-Belege, die der Purist erfunden habe, um die vermeintlich italianisierende Sprache der Höflinge zu karikieren 32 . Ein getreues Abbild der Sprache am Hofe von Henri III könne das françois italianizé Philausones in jedem Fall nicht sein. Auffällig ist, dass abgesehen von Sampson (2004), der sein Urteil auf die Analyse eines - wenn auch nur kleinen - Teils des sprachlichen Materials in den Deux Dialogues stützt (vgl. Kapitel 5.6), alle anderen Beiträge (Balsamo 1992: 61, 2003b: 211, Fn. 2, Swiggers 2003: 307-308, Cowling 2007: 163, Colombo Timelli 2008: 51, Fn. 19) lediglich auf die Studie von 30 Während Rickard (1968: 14, Fn. 3) sowohl Clément (1898) als auch Tracconaglia (1907) und Wind (1928) rezipiert, finden sich im Literaturverzeichnis von Hope (1971: 743-751) lediglich Tracconaglia (1907) und Wind (1928). Im Literaturverzeichnis Kandlers (1944) fehlt Tracconaglia (1907), wohingegen Clément (1898) und Wind (1928) berücksichtigt werden. 31 Im Allgemeinen interessiert sich die Forschung heute ohnehin mehr für Estiennes Wirken als Grammatiker und weniger für seine Beobachtungen zum Einfluss des Italienischen. So ist z. B. keiner der 11 Artikel im Sammelband Estienne (1988) - nicht einmal jener Sozzis (1988) zum antiitalienischen Diskurs - ausschließlich oder schwerpunktmäßig den Deux Dialogues gewidmet. Der Aufsatz von Marzys (2004) beschäftigt sich mit den Hypomneses de Gallica lingua. Einer der rezentesten Beiträge zu Estienne stammt von Trudeau (2013), die sich insbesondere mit Estiennes Auffassung vom bon usage beschäftigt. Der nur drei Seiten umfassende Beitrag von Fontaine (2015b) behandelt zwar schwerpunktmäßig die Kriegsterminologie in der Precellence (1579) - darunter auch Italianismen -, von einer etymologischen Studie kann aber nicht die Rede sein. Im Wesentlichen wird das von Estienne genannte Vokabular aufgeführt, ohne dass unter Zuhilfenahme der einschlägigen Wörterbücher (FEW und LEI) weiterführende Kommentare gegeben würden. 32 Hornsby (1998: 338, Fn. 11), der wie zuvor bereits Thody (1995) die Deux Dialogues mit Étiembles Pamphlet Parlez-vous franglais? vergleicht, gibt zu bedenken, dass trotz gewisser Hapax-Belege und ephemerer Lehnwörter, den Puristen nicht vorgeworfen werden könne, ihr Belegmaterial größtenteils erfunden zu haben. Allerdings begründet er dies im Anschluss nur für Étiemble. 5.4 Die Studie von Trescases (1978b) - Bestandsaufnahme 205 Trescases (1978b) verweisen 33 . Da die Ergebnisse von Trescases (1978b) in der Forschung bis heute unkritisch rezipiert werden, soll die Studie im Folgenden genauer besprochen werden. 5.4 Die Studie von Trescases (1978b) - Bestandsaufnahme Die schärfste Kritik an Estiennes Deux Dialogues kam von Trescases, der in seinem 1978 erschienenen Aufsatz Nouveau regard rétrospectif et instructif sur les ‘Deux dialogues du nouveau langage François italianizé’ d’Henri Estienne auf der Grundlage einer lexikologischen Analyse des Werkes zu zeigen versuchte, dass die Beobachtungen des Puristen nur schwer mit den sprachhistorischen Fakten und den Ergebnissen der etymologischen Forschung zu vereinbaren seien - und dass dessen sprachpflegerische Bemühungen als gescheitert gelten müssen. Anders als seine unmittelbaren Vorgänger (wie z. B. Rickard 1968) lieferte Trescases (1978b: 260-261) wieder konkrete Zahlen, indem er mithilfe des damals erst seit wenigen Jahren verfügbaren Referenzwerks Hope (1971) überprüfte, wie viele der von Estienne getadelten Italianismen tatsächlich als italienische Lehnwörter des 16. Jahrhunderts gelten können, und stellte seine Ergebnisse den Zahlen Winds (1928: 34) und Cléments ([1898] 1967: 361, Fn. 1) gegenüber 34 . Er stellte fest, dass von den ca. 206 kritisierten Italianismen nur 71 als gesichertes Lehngut betrachtet werden können; weitere 8 seien zumindest Italianismen, die bereits in früheren Jahrhunderten Eingang ins Französische gefunden haben. Für die verbleibenden 127 Lexeme fehlt hingegen jedwede Erklärung: Ob es sich dabei um Hapax-Belege oder einfach um falsche Etymologien handelt, bleibt völlig offen. Insgesamt, so Trescases (1978b: 261), erkenne Estienne also nur etwa 15 % (71) der 462 Italianismen, die nach Hope (1971: 233) im Französischen des 16. Jahrhunderts zu verzeichnen seien, wohingegen ihm 391, also 85 %, entgehen. Gegen diese Kritik an Estiennes deskriptiver Leistung lässt sich nun aber Verschiedenes einwenden: Zum einen kann bereits Hope (1971: 233) entnommen werden, dass in den 1580er und 1590er Jahren insgesamt mindestens 70 Erstbelege zu verzeichnen sind, so dass diese Lehnwörter von Estienne 1578 nicht 33 Auch Hornsby (1998: 343, 351) verweist auf den Aufsatz von Trescases (1978b), vermeidet es aber, sich zu konkreten Zahlen bezüglich der in den Deux Dialogues kritisierten Italianismen zu äußern. Bei Sampson (2004) hingegen wird Trescases (1978b) - möglicherweise absichtlich - nicht erwähnt. 34 Tracconaglia (1907), dessen Studie, wie Colombo Timelli (2008: 50, Fn. 19) richtig feststellt, in der Forschung bis heute nur ungenügend berücksichtigt wird, wurde offensichtlich nicht rezipiert. 206 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues wirklich erkannt hätten werden können 35 , zum anderen sind laut Hope (1971: 233) 34 der 462 Lexeme nicht genau datierbar und können somit keinem Jahrzehnt zugeordnet werden 36 . Estienne hätte also höchstens 358 - und nicht 462 - Italianismen erkennen können. Zudem sei daran erinnert, dass zahlreiche Lehnwörter in Fachwortschätzen zu finden sind (vgl. Kapitel 2.3.3.2 und 2.3.4) und daher vermutlich weder den Höflingen in Paris 37 , um deren Sprachgewohnheiten es ja vorrangig geht, noch dem Drucker Estienne bekannt waren. Schließlich deutet Estienne selbst an mehreren Stellen an, dass er gar keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und seine Ausführungen u. a. auch exemplarisch verstanden werden müssen 38 : PHIL .: Cavalerie , et infanterie, ou (comme aucuns parlent) fanterie , les enfans de laquelle sont appelez fantachins . Ils disent aussi un squadron, ou esquadron (car on le prononce diversement) et lancepessade , et patouille, ou patrouille . Il y en a bien d’autres, mais je vous ay voulu reciter aucuns seulement des plus furieux. Et quant aux mots dont on use ès fortifications, vous avez scarpe et contrescarpe , item courradour , parapet , et casemate , et quelques autres qui sont de mesme façon ou à peu pres. (Estienne [1578] 1980: 244-245, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) CEL .: Il y avoit un certain personnage qui prenoit grand plaisir à italianizer, alors principalement qu’il parloit à un Italien, ou bien tenoit propos de quelcun qui l’estoit, tellement que tousjours «Vostre Seigneurie», ou «Sa Seigneurie», trottoit par sa bou- 35 Auf den Umstand, dass zwischen Erstbeleg und tatsächlicher Verbreitung eines Lehnworts bisweilen längere Zeit vergehen kann, so dass auch die 41 in den 1570er Jahren belegten Italianismen nicht zwangsläufig erkannt hätten werden müssen, braucht hier nicht näher eingegangen zu werden. 36 Auch wenn laut Hope (1971: 233, Fn. 2) die meisten der 34 Italianismen, für die keine genaue Datierung möglich ist, vermutlich in den 1540er und 1550er Jahren Eingang ins Französische gefunden haben, müssten diese - will man jegliche Spekulation ausschließen - unberücksichtigt bleiben. Auch im OIM finden sich noch zahlreiche Italianismen, für die keine genaue Datierung möglich ist. 37 Colombo Timelli (2008: 61) begründet das Fehlen zahlreicher Italianismen u. a. dadurch, dass Estienne aufgrund seines Exils nicht wirklich über die sprachliche Realität am französischen Hof informiert war. Lauvergnat-Gagnière u. a. (1982: 50) betonen hingegen, dass die Auswahl der kritisierten Lexeme gerade durch die höfische Lebenswelt bedingt ist. 38 Dass ohnehin nicht die Deux Dialogues allein, sondern das Gesamtwerk Estiennes für eine umfassende Bewertung seiner deskriptiven Leistung berücksichtigt werden müsste, legen schon die Studien von Clément ([1898] 1967: 346, 325, 346, 334) und Tracconaglia (1907: 112, 151, 123, 145) nahe, die zeigen, dass einige sehr bekannte Italianismen zwar in den Deux Dialogues fehlen, dafür aber in anderen Werken besprochen werden: So finden sich z. B. banqueroute und intrade in der Conformité (1565), capuchon in De latinitate falso suspecta (1576) und gabion in der Precellence (1579). Im Übrigen weist bereits Clément ([1898] 1967: 306) darauf hin, dass Estienne in seiner Conformité (1565) beklagt, dass es beinahe unmöglich sei, alle Einflüsse des Italienischen auf das Französische aufzudecken. 5.4 Die Studie von Trescases (1978b) - Bestandsaufnahme 207 che, et in ogni mode item, de bone voglie , et le prime del monde , et plusieurs autres italianismes, entre lesquels estoyent aucuns de ceux que j’ay ouys de vous. (Estienne [1578] 1980: 117, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Des Weiteren merkt Trescases (1978b: 262-263) kritisch an, dass von den 71 ‘richtig erkannten’ Italianismen lediglich 38, also weniger als 20 % der ca. 206 von Estienne kritisierten Lehnwörter, bis heute fortbestehen, wobei nur 9, also weniger als 5 % der ca. 206 stigmatisierten Lexeme, dem hochfrequenten Wortschatz angehören ( assassin , bizarre , caleçon , cavalier , cavalerie , caprice , infanterie , réussir , risque ) 39 . Die Bemühungen des Puristen seien also ohnehin unnötig gewesen. Wie unschwer zu erkennen ist, vermischt Trescases hier aber auf eher ungeschickte Weise zwei verschiedene Betrachtungsebenen miteinander: Synchronie und Diachronie. Dass Lexeme - ganz gleich, ob Erbwörter oder Lehnwörter - im Laufe der Jahrhunderte außer Gebrauch kommen oder gänzlich untergehen, ist ein in der historischen Lexikologie bekanntes Phänomen, das für die diachrone Untersuchung des Wortschatzes einer Sprache von nicht unerheblichem Interesse ist 40 . Die Tatsache, dass bestimmte Lexeme untergehen, lässt jedoch nicht ohne Weiteres direkte Rückschlüsse auf die Vitalität und Verbreitung dieser Lexeme zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit zu. So lässt sich z. B. kaum bestreiten, dass moult , bevor es allmählich von très und beaucoup ersetzt wurde, durchaus zum Kernwortschatz des Alt- und Mittelfranzösischen gehörte 41 . Um den Wert von Estiennes Beobachtungen objektiv zu beurteilen, muss sein Werk daher aus einer rein synchronen Perspektive betrachtet werden. Dass zahlreiche Italianismen nicht bis heute erhalten sind, heißt nicht, dass diese im 16. Jahrhundert nicht weit verbreitet waren. Im Übrigen ließe sich, wenn man der (diachronen) Argumentation von Trescases folgen möchte, noch einwenden, dass das Italienische trotz der ‘geringen’ Zahl an Italianismen im français fondamental laut Stefenelli (1981: 197) dennoch „den (vom fränkischen Superstrat abgesehen) überhaupt bedeutendsten fremdsprachlichen Beitrag“ zum französischen Kernwortschatz liefert 42 . 39 Im Gegensatz zu Stefenelli (1981: 197-199) bezieht sich Trescases für seine Ausführungen zum französischen Kernwortschatz ( français fondamental ) hier nicht auf die Frequenzlisten von Gougenheim u. a. (1964), sondern auf Les indices d’utilité du vocabulaire fondamental français von Savard / Richards (1970). Dies erklärt, warum sich die Auswahl an Italianismen, die Teil des französischen Kernwortschatzes sind, bei Stefenelli (1981: 197-199) und Trescases in einigen wenigen Fällen unterscheidet. 40 Monographien, die sich ausführlich dem Wortuntergang in der Geschichte des Französischen widmen, sind z. B. Huguet ([1935] 1967) und Lippold (1946). 41 Zum Ersatz von moult vgl. z. B. Baldinger (1982). 42 Zur Qualität des italienischen Lehnguts im Französischen und dem italienischen Anteil am französischen Kernwortschatz vgl. die Ausführungen in Kapitel 2.3.3.2. 208 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Als letzten Kritikpunkt führt Trescases (1978b: 263) unter Berufung auf Hope (1971: 234-237) an, dass Estiennes präskriptives Verdienst als äußerst marginal einzustufen sei, da in den letzten vier Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts, d. h. etwa 20 Jahre vor und nach dem Erscheinen der Deux Dialogues , kaum Unterschiede, was die Zahl der Entlehnungen anbelangt, festzustellen sind (1560er: 38, 1570er: 41, 1580er: 31, 1590er: 39). Zudem werden im 17. Jahrhundert noch 203 Italianismen entlehnt, was, so auch Hope (1971: 237), keinen wirklich tiefgreifenden Einschnitt in die Lehnbeziehungen darstelle. Ob man nun in einem Rückgang der Entlehnungen um über 50 % eine signifikante Veränderung sehen möchte oder nicht, sei an dieser Stelle dahingestellt. In der Tat ist sich die Forschung einig, dass sich Estiennes Einfluss schon allein aufgrund der spärlichen Rezeption 43 in Grenzen gehalten haben muss und dass der schwindende Einfluss des Italienischen - insofern man diesen als schwindend betrachtet - dem wachsenden Nationalbewusstsein und antiitalienischen Diskurs im Frankreich des späten 16. Jahrhunderts geschuldet ist (vgl. z. B. Rickard 1968: 17 und Sampson 2004: 330) 44 . Nun aber sagt der Erfolg Estiennes puristischer Bemühungen nichts über den Wert seiner Beschreibung der Sprachgewohnheiten seiner Zeit aus. Vielmehr handelt es sich auch hier - vgl. weiter oben die Anmerkungen zu Diachronie und Synchronie - um zwei Betrachtungsebenen, die nicht miteinander vermischt werden sollten. Denn die Tatsache, dass die Zahl der Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts übernommenen Lehnwörter relativ stabil bleibt, zeigt zwar den geringen präskriptiven Erfolg der Einzelperson Estienne, widerlegt aber nicht dessen deskriptives Zeugnis. Im Gegenteil: Die Kontinuität der Entlehnungen aus dem Italienischen spricht eher dafür, dass die von Estienne kritisierte Italomanie anhielt. Wie aber steht es nun um Estiennes deskriptive Leistung? Selbst wenn man berücksichtigt, dass Estienne maximal 358 Lehnwörter hätte erkennen können, 43 Zur Rezeption von Estienne vgl. Smith (1983b). 44 Zum antiitalienischen Diskurs vgl. Kapitel 2.1.6. Im Übrigen muss Estienne dennoch eine gewisse Sichtbarkeit erlangt haben: Zum einen musste er sich für seine Deux Dialogues sogar vor dem Genfer Stadtrat verantworten (vgl. Clément [1898] 1967: 55-66), zum anderen wurde er von Henri III, der ihn, so Swiggers (2003: 305), als Autor der Deux Dialogues erkannt haben musste, mit dem Verfassen der Precellence (1579) betraut und konnte so sein antiitalienisches Werk fortsetzen. Auch kam es zumindest zu drei Ausgaben der Deux Dialogues (1578, 1579, 1583), wobei jene von 1583 auch von Cotgrave (1611) für die Erstellung seines Dictionarie herangezogen wurde (vgl. Smith 1980b: 247). Eine Schlagwortsuche im GRAND CORPUS (z. B. <italianisé>) zeigt, dass die Deux Dialogues auch in einigen metasprachlichen Texten des 17. Jahrhunderts (z. B. in der 1690 von Alemand besorgten Edition der Remarque s von Vaugelas oder in den Observations von Ménage 1675) genannt werden. Möglicherweise müssen die etablierten Annahmen zur Rezeption von Estienne angesichts der Existenz solcher und weiterer Datenbanken heute überdacht werden. 5.4 Die Studie von Trescases (1978b) - Bestandsaufnahme 209 zahlreiche Italianismen in Fachwortschätzen zu finden sind und er selbst keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, so bleibt der Vorwurf bestehen, dass nur 71 der ca. 206 als Lehnwörter ausgewiesenen Lexeme, also nur etwas mehr als ein Drittel, tatsächlich als italienisches Lehngut des 16. Jahrhunderts betrachtet werden können. Addiert man die 8 Italianismen aus früheren Jahrhunderten ( accort , bouccon , brigade , discortesie , embuscade , police , salade , volte ), so bleiben immer noch 127 Lexeme, für die eine genauere Erklärung aussteht. Eine solche liefert Trescases (1978b: 257) eher unbewusst schon zu Beginn seines Aufsatzes mit einem Zitat aus Clément ([1898] 1967): Je ne crois pas cependant que H. Estienne, s’il s’est amusé à grouper ces mots d’une façon burlesque, les ait tirés de son propre cerveau. Quelques-uns n’ont qu’un temps sans doute, ou qu’une heure: mais ils ont vécu dans la langue parlée. Ils se retrouvent pour la plupart dans la langue écrite. (Clément [1898] 1967: 324, zitiert nach Trescases 1978b: 257, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Dass einige Italianismen möglicherweise nur in der gesprochenen Sprache der Höflinge existiert haben und deshalb nicht überliefert sind, ist nicht ohne Weiteres auszuschließen und wird m. E. in der Forschung zum italienischen Einfluss auf das Französische im Allgemeinen 45 und in der Estienne-Kritik im Besonderen 46 bis heute nicht oft genug betont. Eine aufmerksame Lektüre der Deux Dialogues bestätigt, dass Estienne in den meisten Fällen tatsächlich die gesprochene Sprache der Höflinge kritisiert. Wie aus den unten zitierten Textstellen, die hier als exemplarisch gelten können 47 , ersichtlich ist, werden Italianismen vor allem in der Konversation - u. a. mit Italienern - benutzt ( verba dicendi und sentiendi : 45 Bezeichnenderweise tragen lediglich zwei der zahlreichen lexikologischen Studien zum italienischen Lehngut im Französischen diesem Umstand in ihrem Titel Rechnung: Kohlmann (1901): Die italienischen Lehnworte in der neufranzösischen Schriftsprache. Seit dem 16. Jahrhundert sowie Deschermeier (1923): Zur Geschichte der italienischen Lehnwörter in der französischen Schriftsprache: Die Wörter des militärischen Gedankenkreises (bis ca. 1600) . Dies ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass - anders als bei rezenteren Arbeiten - zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine ausgeprägte Sensibiltät für die Bedeutung der gesprochenen Sprache, die - gerade auch in der historischen Sprachwissenschaft - insbesondere den Arbeiten von Koch / Oesterreicher (u. a. 1985, 2011) zu verdanken ist, nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann. 46 Neben Clément ([1898] 1967: 324) weisen lediglich Lauvergnat-Gagnière u. a. (1982: 48-50) explizit darauf hin, dass schon allein die von Estienne gewählte Textsorte ( dialogues vs. z.B. traité ) wahrscheinlich macht, dass sich die Deux Dialogues insbesondere der gesprochenen Sprache der Höflinge widmen. Für die Berücksichtigung der Mündlichkeit durch Sampson (2004) und Cowling (2007) vgl. Kapitel 5.6. 47 Vgl. hierzu auch alle in der vorliegenden Arbeit zitierten Textstellen aus den Deux Dialogues . 210 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues ouir , dire , parler ), wohingegen deren Verwendung „en escrivant“ offenbar einer besonderen Erwähnung („mesmes“) bedarf 48 . CEL .: Je vous prie ne m’usez jamais de ce mot leggiadrement , car il approche trop de nostre ladrement, qui fait un peu mal au cueur. Mais est-il bien possible qu’elle usast de ces mots? PHIL .: Je vous asseure les avoir ouys. Mais notez que quand elle dit «sbigottite», elle parlet à un Italien, et aussi celuy lequel elle faiset prier de ne dismentiguer point (car elle dit ainsi, non pas smentiguer ) estet Italien. (Estienne [1578] 1980: 113, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) CEL .: Pource que en un certain lieu, à tous les mauvais pas (desquels il y avoit grand nombre), le postillon crioit: La Signoria Vostra stia in cervello! […] Mais dite-moy, ceste façon de parler, «tenir quelcun en cervelle», leur est-elle fort frequente? PHIL.: Ouy, et mesmes on en use souvent en escrivant. (Estienne [1578] 1980: 124-125, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Nun könnte man sich durchaus mit der Erklärung zufrieden geben, dass viele (127! ) der von Estienne kritisierten Italianismen nicht belegt sind, weil diese lediglich in der Mündlichkeit existierten. Jedoch endet das Zitat Cléments ([1898] 1967: 324) mit „Ils se retrouvent pour la plupart dans la langue écrite.“. Wind (1928: 34) äußert sich konkreter und stellt, wie bereits erwähnt, fest, dass sich sogar 170 der ca. 200 von Estienne als Lehnwörter ausgewiesenen Lexeme in zeitgenössischen Autoren nachweisen lassen 49 . Trescases (1978b: 261), der sich nicht davor scheut, Winds (1928) Zahlen zu zitieren, wohl aber davor, diese in Frage zu stellen, begründet die eklatanten Unterschiede (71 von 206 vs. 170 von 200) wie folgt: Ceci ne diminue en rien la valeur intrinsèque de l’étude d’Estienne en tant qu’une analyse d’un certain jargon de la cour ou même, en élargissant au maximum le débat, de celui d’une élite sociale. Et c’est sans grande réserve que l’on peut souscrire à l’opinion de […] B. H. Wind […]. Mais cette pseudo-confusion entre jargon et langue commune servait admirablement les desseins d’Estienne […]. (Trescases 1978b: 261, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) 48 Dies gilt nicht für etablierte Italianismen, wie réussir , die von den Höflingen unbewusst verwendet werden. 49 Es sei daran erinnert, dass sich weder bei Wind (1928) noch bei Clément ([1898] 1967) eine vollständige Liste findet, der man die kritisierten Lexeme entnehmen könnte, und dass die Anmerkungen zur Etymologie und Verbreitung einzelner Italianismen heute einer kritischen Überprüfung bedürfen. 5.4 Die Studie von Trescases (1978b) - Bestandsaufnahme 211 Den Umstand, dass nur wenige der in den Deux Dialogues genannten Italianismen in Hope (1971) verzeichnet sind, dadurch zu erklären, dass der Purist Estienne nur eine Gruppensprache ins Visier nimmt, die sich aufgrund ihrer beschränkten Reichweite nicht auf die langue commune auswirkt, ist aber in zweierlei Hinsicht problematisch. Im Gegensatz zu anderen Fach- und Gruppensprachen ist die Sprache des Hofes, wie Trescases eigentlich ganz richtig erkennt, nämlich die Sprache einer „élite sociale“, die aufgrund ihres Prestiges sehr wohl Auswirkungen auf die damalige Gemeinsprache haben konnte. Denn auch wenn die Vorbildfunktion des Hofs erst mit Vaugelas (1647) gänzlich außer Frage stand, so orientierten sich gewisse Sprachtheoretiker, Wörterbuchautoren und Literaten bereits ab der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts am Sprachideal des französischen Hofs 50 . Daher ist nicht verständlich, warum viele der von Estienne getadelten Italianismen kaum verbreitet gewesen sein sollen, wohingegen die - freilich immer noch puristisch motivierte - Angst Estiennes vor einer vom Hofe ausgehenden Überfremdung der französischen Gemeinsprache aus synchroner Perspektive begründet erscheint. Mais en la cour, plus qu’en tous autres lieux, On a esté de vos mots curieux, Car elle est tant de vous Messieurs remplie, Que c’est desja la petite Italie. Or vous sçavez combien d’autorité Donne ce lieu à ceste nouveauté, Car chacun croit que le meilleur langage Ce soit celui qui est là en usage. (Estienne [1578] 1980: 53-54, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Andererseits - und dies stellt das weitaus größere Problem dar - wirft gerade Trescases’ vermeintlich wichtigstes Argument, die unterschiedlichen Zahlen seien den unterschiedlichen Referenzwerken Hope (1971) vs. Wind (1928) geschuldet, Fragen auf, da nicht ohne Weiteres nachvollziehbar ist, warum Hope (1971) weniger offen gegenüber höfischen Italianismen sein sollte als seine Vorgängerin. Dieser bezieht sich insbesondere im Kapitel zum 16. Jahrhundert ganz explizit auf Wind (1928), zieht z.T. die gleichen Quellen heran und verfolgt, wie aus der unten zitierten Textstelle deutlich hervorgeht, in seinem Werk das glei- 50 Vgl. hierzu insbesondere Schmitt (1977) sowie Trudeau (1992: 49-57). Schon Tracconaglia (1907: 59-61) zeigt anhand verschiedener Quellen des 16. Jahrhunderts, dass die Sprache des Hofes bereits zu Zeiten Estiennes ein gewisses Prestige genoss. Auch Swiggers (2003: 312) schließt nicht aus, dass sich die sprachlichen Innovationen des Hofs auf die Gemeinsprache hätten ausbreiten können. 212 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues che Ziel: eine aus synchroner Perspektive möglichst vollständige Beschreibung der Italianismen im rinascimentalen Französisch, wobei durchaus auch solche Lehnwörter berücksichtigt werden, die nicht in der Gemeinsprache zu finden sind 51 . It would be impossible to draw up a list of sixteenth century Italian loanwords in French without acknowledging one’s profound debt to the research of Professor Bartina Wind. Les Mots italiens introduits en France [sic] au XVI e siecle is still the authoritative work on this period. […] In purists like Henri Estienne I have tried to recognise the word which might well have had a certain viability, however restricted its register or social ambit may have been, and to winnow out those which are ironical deformations. (Hope 1971: 148, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Angesichts dieser Einwände bleibt die Frage bestehen, wie sich die unterschiedlichen Ergebnisse von Wind (1928), 170 von ca. 200, und Trescases (1978b), 71 (+8 aus dem Mittelalter) von ca. 206, begründen lassen. Es liegt nahe, die Abweichungen dadurch erklären zu wollen, dass das von Trescases (1978b) herangezogene Referenzwerk Hope (1971) mehr als 40 Jahre nach Wind (1928) erschienen ist und daher neue Erkenntnisse aus mehr als vier Jahrzehnten etymologischer Forschung berücksichtigen kann. So könnten z. B. viele der 170 Italianismen, die Wind (1928) als belegt ansieht, schon in früheren Jahrhunderten ins Französische gelangt sein. Des Weiteren könnten gewisse Lexeme auch nicht italienischen, sondern z. B. spanischen, okzitanischen, gelehrten oder dialektalen Ursprungs sein 52 . In der Tat weist Hope (1971: 148-149) darauf hin, dass etwa 43 der insgesamt ca. 540 von Wind (1928) identifizierten Italianismen bereits vor dem 16. Jahrhundert im Französischen zu finden sind und dass nach dem aktuellen Stand der Forschung (1971) einige der von Wind (1928) genannten Lexeme zwar als Lehnwörter zu betrachten sind, aber nicht aus dem Italienischen stammen. Ungeachtet der Tatsache, dass sich diese Aussagen auf das Gesamtwerk Winds (1928) und nicht auf deren Analyse der Deux Dialogues beziehen, kann man aber ausschließen, dass die 43 vordatierten Italianismen für die Unterschiede zwischen Wind (1928) und Trescases (1978b) verantwortlich sind: Selbst wenn alle 43 Lehnwörter in den Deux Dialogues vorkommen würden, so müssten diese, da sie alle in Hope (1971) besprochen werden, in der Analyse von Trescases (1978b) der Gruppe der Italianismen des Mittelalters (8 von ca. 206) zugeordnet werden. Offenbar bleiben also nur zwei mögliche Erklärungen für die 127 (206-71-(8)) Lexeme, die laut Trescases (1978b) in Hope (1971) 51 Wie offen Hope (1971) auch für spärlich belegte Italianismen ist, zeigt etwa die Aufnahme von bambin (vgl. Hope 1971: 161) und discoste (Hope 1971: 185). 52 Zur Problematik der Unterscheidung von Italianismen, Hispanismen, Latinismen, Okzitanismen und Dialektismen in der etymologischen Forschung vgl. Kapitel 2.3.3.3. 5.4 Die Studie von Trescases (1978b) - Bestandsaufnahme 213 fehlen. Entweder handelt es sich um ‘echte’ Lehnwörter, deren Ursprung nicht italienisch ist, oder tatsächlich um „ironical deformations“, also Hapax-Belege, die Estienne zum Zwecke der Satire selbst erfunden hat 53 . Angesichts der Zahlen Winds (1928), die nur 30 Hapax-Belege zählt, wohingegen 170 der ca. 200 kritisierten Lexeme als belegt betrachtet werden, müsste es sich bei den 127 von Trescases (1978b) ermittelten Wörtern also in den meisten Fällen um Lehngut aus anderen Sprachen handeln. Wie weiter oben aber bereits angemerkt wurde, stellt Trescases (1978b) Winds (1928) Ergebnisse gar nicht in Frage, sondern erklärt die Unterschiede dadurch, dass zahlreiche Italianismen auf die Sprache der Höflinge beschränkt waren und daher nicht von Hope (1971) berücksichtigt wurden. Des Weiteren hätte er bei der Erstellung der Liste der von Estienne kritisierten Italianismen mit Gewissheit auf einen solchen Befund hingewiesen. Schließlich müsste somit fast die Hälfte aller von Estienne getadelten Italianismen als Lehnwörter aus anderen Sprachen angesehen werden. Um zweifelsfrei zu klären, wie diese 127 Lexeme letztlich zu bewerten sind und um wie viele Hapax-Belege es sich tatsächlich handelt, ist eine sorgfältige Überprüfung von Trescases’ Liste also unumgänglich. Schon ein kurzer Blick auf die Liste offenbart erhebliche Mängel und Ungenauigkeiten, die Zweifel an den Ergebnissen von Trescases (1978b) an sich aufkommen lassen: So werden zu den 127 Lexemen Varianten von etablierten Italianismen, wie etwa squadron statt esquadron , gezählt, auch wenn diese laut Hope (1971: 37) in beiden Formen belegt sind 54 . In der Gruppe der 71 (+8) ‘richtig’ erkannten Italianismen hingegen taucht weder die Form esquadron noch squadron auf, obwohl beide in den Deux Dialogues von Estienne ([1578] 1980: 244-245) besprochen werden. Zudem werden zu den 127 nicht belegten Italianismen auch Lexeme gezählt, die von Estienne ([1578] 1980: 116-117) gar nicht als Italianismen, sondern explizit als Latinismen bezeichnet werden (z. B. office ‘service’) oder in ihrer Eigenschaft als Erbwörter des Französischen (z. B. être recors de ) von Estienne ([1578] 1980: 139) völlig neutral und unkommentiert verwendet werden. Während Fälle wie squadron / esquadron sowohl auf eine ungenaue Lektüre des Referenzwerks Hope (1971) als auch auf eine zu hastige Lektüre der Deux Dialogues zurückgeführt werden können, legt die Aufnahme von Lexemen wie office ‘service’ und être recors de in die Gruppe nicht be- 53 Colombo Timelli (2008: 47-48) weist, ohne dabei jedoch einen Bezug zu Trescases (1978b) herzustellen, darauf hin, dass - anders als in Wind (1928) - in Hope (1971) zahlreiche Hapax-Belege aus Estienne fehlen. 54 Das Lehnwort squadron ist insofern äußerst interessant, als es in der Form esquadron schon Ende des 15. Jahrhunderts in das Französische gelangt, aber die Form ohne prothetischen Vokal gerade im 16. Jahrhundert häufig wird (vgl. Hope 1971: 37). Zur Reitalianisierung vgl. Kapitel 2.3.2.2. 214 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues legter Italianismen nahe, dass Trescases die Deux Dialogues in der Tat nicht vollständig gelesen hat. Dies wird umso deutlicher, wenn man bedenkt, dass Trescases wichtige Anmerkungen des Herausgebers der von ihm verwendeten Edition (Ristelhuber 1885) offenbar nicht zur Kenntnis nimmt. So weist Ristelhuber Bd. 1 (1885: 345, Fn. 1; 163, Fn. 1; 121, Fn. 1) an den entsprechenden Stellen darauf hin, dass sowohl esquadron als auch squadron bei Marot belegt sind und dass recors nicht als Italianismus zu verstehen ist; in der Anmerkung zu office werden lediglich Bedeutungsangaben geliefert, ohne eine italienische Herkunft wahrscheinlich zu machen 55 . Insgesamt, so scheint es zumindest, hat sich Trescases bei der Erstellung seiner Übersicht in der Mehrheit der Fälle lediglich am Wortindex Ristelhubers orientiert, ohne die entsprechenden Textstellen zu prüfen. Dies erklärt auch, warum zahlreiche durch Estienne kritisierte Italianismen (darunter z. B. die zentralen Lexeme manquer und sonnet ), die alle in Hope (1971) zu finden sind, aber im Index von Ristelhuber fehlen, in Trescases’ Liste nicht erscheinen. Dass aber auch der Index nicht immer gründlich berücksichtigt wurde, zeigen Fälle wie stenter : Ganz gleich, ob man dieses als Hapax (Sampson 2004: 332) betrachtet oder nicht (Hope 1971: 223), es sollte in Trescases’ Übersicht nicht fehlen. Auffällig ist ferner, wie Trescases (1978b) mit Derivaten verfährt: Während Derivate mit italienischer Basis und erbwörtlichem Affix (z. B. poltronizer ), die von Estienne ([1578] 1980: 109) explizit als französische Bildungen bezeichnet werden, in die Liste der 127 nicht belegten Italianismen aufgenommen werden, fehlen italienische Derivate, die als äußeres Lehngut ins Französische gelangt sind (z.B. fr. pédantesque < it. pedantesco ), in der Übersicht völlig, auch wenn diese von Estienne ([1578] 1980: 76) als Italianismen kritisiert werden. Als Zwischenfazit lässt sich also festhalten, dass Trescases (1978b) zahlreiche Italianismen nicht berücksichtigt: Varianten etablierter Lehnwörter (z. B. squadron ), Hapax-Belege (z. B. stenter ) und klassische Italianismen (z. B. manquer , pédantesque , sonnet ), wobei letztere sogar die größte Gruppe darstellen. In vielen Fällen lässt sich dies auf den unvollständigen Index Ristelhubers zurückführen. Unter den 127 nicht belegten Italianismen befinden sich neben französischen Erbwörtern (z. B. être recors de ), französischen Derivaten mit italienischer Basis (z. B. poltronizer ) und Latinismen (z. B. office ), die von Estienne nicht als italienische Lehnwörter ausgewiesen werden, auch - meist weniger gut integrierte, aber belegte - Varianten tatsächlicher Italianismen (z. B. squadron ) sowie 55 Eine solche wird aber auch nicht ausgeschlossen. Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass die Edition von Ristelhuber (1885) gewisse Mängel aufweist. Abgesehen davon, dass zahlreiche der im Text vorkommenden Italianismen nicht kommentiert werden, lassen insbesondere die ohnehin spärlichen Anmerkungen zur Etymologie nicht selten zu wünschen übrig. 5.4 Die Studie von Trescases (1978b) - Bestandsaufnahme 215 Italianismen, die zwar in Hope (1971) fehlen, aber nach heutigem Stand der Forschung (vgl. etwa TLF i s.v. liste , salve ) als italienisches Lehngut betrachtet werden müssen (z. B. liste und salve ). Angesichts dieser und weiterer Ungenauigkeiten (vgl. die folgenden Kapitel) können die Ergebnisse von Trescases (1978b), die, wie weiter oben erwähnt, leider bis heute meist unkritisch zitiert werden (Swiggers 2003, Cowling 2007, Colombo Timelli 2008) 56 , also nicht für die Beurteilung der deskriptiven Leistung Estiennes herangezogen werden. Zudem liegen heute - über 45 Jahre nach Hope (1971) 57 - neue Erkenntnisse aus der etymologischen Forschung vor, die eine Überprüfung von Trescases (1978b) ohnehin notwendig machen. Im Folgenden sollen daher die Mängel dieser Studie im Detail aufgezeigt und unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstands korrigiert werden. Als Grundlage dient dabei die hervorragende Edition der Deux Dialogues von Smith 56 Als exemplarisch kann hier Swiggers (2003: 308, 311) angesehen werden: Während er die Ergebnisse von Trescases (1978b), die er im Übrigen ohne weitere Erklärung leicht abändert - 71 von 200, nicht 206 -, anführt, um zu zeigen, dass Estiennes Belege in der Mehrheit als Hapax gelten müssen, zitiert er wenige Seiten später die Zahlen Winds (1928: 34), um zu illustrieren, dass der präskriptive Erfolg Estiennes ausgeblieben sei, ohne auf die unterschiedlichen Zahlen aufmerksam zu machen. Colombo Timelli (2008: 51, Fn. 19; 60) stellt zumindest den von Trescases (1978b) ermittelten Zahlen für die Diachronie (38 von 206 noch heute) jene von Smith (1980a: 19) gegenüber, der zufolge nach einer Überprüfung mittels Wind (1928) und Hope (1971) etwa die Hälfte der von Estienne kritisierten Italianismen bis heute erhalten ist, zieht daraus jedoch auch keine weiteren Schlüsse. Die Ergebnisse zur Synchronie (71 von 206 im 16. Jahrhundert) werden auch hier unkritisch referiert. Am erstaunlichsten ist jedoch, dass Smith (1980b: 246, Fn. 2) in ihrem Beitrag zur Rolle der Deux Dialogues als Quelle für Cotgrave (1611) Trescases (1978b) in einer Fußnote zwar erwähnt, aber seine Ergebnisse unkommentiert lässt. Als Herausgeberin der Deux Dialogues betont sie nicht nur im Vorwort zu ihrer Edition (1980a: 19), sondern auch in ihrem soeben genannten Beitrag (1980b: 247, Fn. 8), dass sie die von Estienne kritisierten Italianismen mit Hilfe von Wind (1928) und Hope (1971) analysiert hat und dass davon ungefähr die Hälfte noch im Französischen des 20. Jahrhunderts nachweisbar ist. Möglicherweise lässt sich ihre Nachsichtigkeit dadurch erklären, dass ihr die Würdigung des wiedererwachten Interesses an Estienne - die letzten großen Arbeiten waren Clément (1898) und Tracconaglia (1907) - wichtiger war, als dieses durch eine - unvermeidbar - harsche Kritik im Keim zu ersticken. 57 Für eine kritische Auseinandersetzung mit Hope (1971) vgl. Kapitel 2.3.3.1. 216 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues (1980) 58 , die die Schwächen der von Trescases verwendeten Edition (Ristelhuber 1885) 59 überwunden hat. Wie schon allein anhand der unterschiedlichen Ausgangszahlen von Wind (1928), ca. 200 Lexeme, und Trescases (1978b), ca. 206 Lexeme, ersichtlich ist, gilt es zunächst (Kapitel 5.5.1) zu klären, wie viele Italianismen Henri Estienne in seinen Deux Dialogues tatsächlich kritisiert 60 . Nicht zuletzt auch deshalb, weil, wie weiter oben gezeigt wurde, in Trescases’ Liste zahlreiche Italianismen fehlen, dafür aber Latinismen und Erbwörter aufgenommen wurden. Im Anschluss (Kapitel 5.5.2) wird, um Estiennes deskriptives Verdienst aus einer rein synchronen Perspektive zu bewerten, nicht nur anhand einschlägiger Referenzwerke (Wind 1928, Hope 1971, FEW , HUG , OIM , TLF i, TLF -Étym), sondern auch anhand meiner Forschungsergebnisse überprüft, wie viele der kritisierten Italianismen auch außerhalb der Deux Dialogues im 16. Jahrhundert zu finden sind. In vielen Fällen wird dabei auch auf die wertvollen Anmerkungen von Smith (1980a) zurückgegriffen, die, wie sich aus dem unten zitierten Passus ablesen lässt, für zahlreiche Italianismen zeigen kann, dass diese eine größere Reichweite hatten, als bisher angenommen wurde. Nous avons pu antidater quelques-uns des italianismes relevés par Wind et Hope (par exemple, stanse , au sens de situation, demeure, attesté dès 1555, au lieu de 1578). Nous avons tâché de citer de nouveaux exemples d’italianismes bien attestés pour mieux apprécier les divers niveaux culturels où ils étaient reçus. Nous indiquons entre parenthèse la source secondaire de toute attestation que nous n’avons pas pu vérifier nous-mêmes. (Smith 1980a: 36, Fn. 126, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) 58 Vgl. z. B. die durchweg positive Rezension von Roques (1983). Nur an wenigen Stellen könnte man m. E. Kritik üben: Smith (1980a: 69, 272, 177, 374, 429) versäumt sowohl die ausdrucksseitig adaptierte Form cattive ‘chétive’, die laut Brunot HLF II (1906: 208) auch in Brantôme zu finden ist, als auch die Italianismen brigantin , délicatesse und pécore im Text zu kommentieren. Im Wortindex gibt Smith (1980a: 467) zumindest für cattive die Bedeutung ‘mauvaise’ an; zu brigantin , délicatesse und pécore finden sich indessen keinerlei Hinweise. Insgesamt handelt es sich aber ohne Zweifel um eine sehr sorgfältig besorgte und äußerst hilfreiche Edition, die u. a. auch von den Autoren des FEW (z.B. s.v. amor ) konsultiert und zitiert wurde. 59 Die Unzulänglichkeiten dieser Edition sind bekannt: So weist z. B. Smith (1980a: 30) in ihrer Edition der Deux Dialogues darauf hin, dass der Text der Ausgabe von Ristelhuber (1885) eine Mischform der Drucke von 1578 und 1583 darstellt und dass die philologischen Anmerkungen des Herausgebers jeweils von sehr unterschiedlicher Qualität sind. 60 Clément ([1898] 1967: 361, Fn. 1) ermittelt im Gesamtwerk Estiennes, also unter Einschluss aller seiner Schriften, etwa 234 kritisierte Lehnwörter. Vgl. Kapitel 5.3. 5.5 Trescases (1978b) revisited 217 5.5 Trescases (1978b) revisited 5.5.1 Tatsächlich kritisierte Italianismen in den Deux Dialogues 5.5.1.1 Vorbemerkungen In Kapitel 5.5.1 wird die Zahl der in den Deux Dialogues tatsächlich kritisierten Italianismen ermittelt. Dazu werden zunächst Kriterien bestimmt, anhand derer ein Italianismus als kritisiert, d. h. als von Estienne erkannt gelten kann. Es muss diesbezüglich zwischen direkter und indirekter Kritik unterschieden werden (Kapitel 5.5.1.2). Zudem muss geklärt werden, welche Bedingungen vorliegen müssen, um überhaupt von einem lexikalischen Italianismus ausgehen zu können. Vermeintlich italianisierte Erbwörter (z. B. endret statt endroit ) müssen von der Erhebung ebenso ausgeschlossen werden wie z. B. unterschiedliche Varianten ein und desselben Lehnworts ( escadron neben squadron ), um Doppelzählungen zu vermeiden. Anhand der ermittelten Kriterien wird dann die Liste von Trescases überprüft. In Kapitel 5.5.1.3 werden zahlreiche Lexeme aus der Liste zu tilgen sein, da sie z. B. von Estienne nicht als Italianismen ausgewiesen werden (vgl. u. a. die Anmerkungen zu office weiter oben). In Kapitel 5.5.1.4 hingegen werden 88 Lexeme und Wendungen, die in den Deux Dialogues als italienisches Lehngut behandelt werden, aber in Trescases fehlen, der Liste unter Berücksichtigung der Kriterien aus Kapitel 5.5.1.2 hinzugefügt. Kapitel 5.5.1.5 widmet sich den wenigen Lehnwörtern, die Estienne nicht erkannt zu haben scheint. 5.5.1.2 Kriterien zur Bestimmung kritisierter Italianismen Da immer wieder betont wird, so etwa von Wind (1928: 143) und Hope (1971: 157), dass Estienne einzelne Italianismen wie z. B. artisan nicht erkennt, weil er diese völlig unkommentiert verwendet, muss zunächst geklärt werden, anhand welcher Kriterien bestimmt werden kann, ob ein Italianismus in den Deux Dialogues als solcher erkannt wird. Schließlich würde eine hohe Anzahl unkommentiert verwendeter und demnach ‘unerkannter’ Italianismen dafür sprechen, dass Estiennes deskriptive Leistung im Allgemeinen fragwürdig ist. Grundsätzlich kann ein Italianismus als erkannt gelten und demnach in die Übersicht aufgenommen werden, wenn dieser von Estienne getadelt wird, wobei allerdings zwei Arten der Kritik zu unterscheiden sind: explizite Kritik und implizite Kritik 61 . 61 Zu expliziter und impliziter Kritik in den Deux Dialogues vgl. auch Scharinger (2012: 225). 218 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Zumeist werden, wie die unten zitierten Textstellen zeigen, Italianismen von Celtophile offen als solche angeprangert. Oft, aber nicht immer, folgt die Kritik dabei unmittelbar auf deren Verwendung durch Philausone. PHIL .: Quand je pren le loisir de penser à ce que je veux dire, je m’en garde bien. Mais quand je parle de quelque chouse à l’improviste, il n’est possible que quelque mot ne m’eschappe. CEL .: Vous n’avez donc pas maintenant pris ce loisir, car il vous en est eschappé un. PHIL .: Est-il possible? Vrayement, je n’en ay rien senti. Quel mot est-ce? CEL .: Ne vous souvient-il pas avoir dict à l’improviste ? PHIL .: Vous m’en faites souvenir. Mais n’est-ce pas bon frances? CEL.: Ouy, si un mot italien, pour estre habillé à la françoise, peut devenir bon françois. PHIL .: Il faut que je vous confesse que la grande accoustumance d’user du francés desguisé, c’est ce qui m’inganne. CEL .: Pendant que vous confessez une faute, vous tombez en une autre, avec vostre inganne . (Estienne [1578] 1980: 416-417, Hervorhebungen im Original) CEL .: Ceux qui mettent un mot italien de mauvaise grace au lieu qu’ils en ont des françois à choisir qui mesmement ont un son plus doux et de meilleure grace, comme ceux qui disent une fogge nouvelle au lieu de dire une «maniere nouvelle», ou «façon nouvelle», ou «mode nouvelle»; pareillement bastance pour dire «suffisance», et manquement pour «defaut»; item, leggiadrement pour «gentillement». (Estienne [1578] 1980: 119, Hervorhebungen im Original) Neben solch expliziter Kritik finden sich aber auch Fälle, in denen Estienne seine puristische Kritik eher implizit äußert, indem die z.T. häufige Verwendung offensichtlicher Italianismen (z. B. baster ) durch Philausone zwar nicht kommentiert wird, diese aber auf dessen Äußerungen beschränkt bleiben, wohingegen Celtophile als Sprachrohr Estiennes in neutraler Rede nur die entsprechenden galloromanischen Wörter (z. B. suffire ) gebraucht 62 . Manchmal bleibt, wie der folgende Textausschnitt illustriert, auch nach stark italianisierenden Passagen eine Kritik aus, wohl um an diesen Stellen den Fortgang der Handlung nicht zu 62 Für die entsprechenden Textstellen zu baster , suffire vgl. Estienne ([1578] 1980: 37, 56, 79, 81, 263, 264, 300, 327, 328, 336, 338, 414). Während Celtophile in neutraler Rede nie baster verwendet, findet sich suffire bisweilen auch in Redebeiträgen von Philausone. Wie Smith (1980a: 16) anmerkt, wird baster zudem schon 1565 in der Conformité explizit als Italianismus bezeichnet. 5.5 Trescases (1978b) revisited 219 verzögern oder weil explizite Hinweise als überflüssig erachtet werden. Auch solche Italianismen werden als erkannt betrachtet 63 . PHIL .: Prenons un autre chemin, de grace, car ce seret une discortesie de passer par la contrade où est la case des dames que sçavez, sans y faire une petite stanse, et, toutesfois, je ne suis pas maintenant bien acconche pour comparoir devant elles; joinct que j’y allay hier, et si on m’y voyet aller si souvent, on pourret penser que je seres inamouré de quelcune d’elles. CEL .: Peut-estre penserait-on ce qui est vray. PHIL .: Madesi. CEL .: Je m’en rapporte à ce qui en est: et, au reste, je suis d’opinion que nous allions voir Monsieur Polycharme, car, si nous ne le trouvons, au moins trouverons-nous son jardin, et ce-pendant nous aurons desja faict une partie du chemin. (Estienne [1578] 1980: 74-75, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Schließlich kommt es auch vor, dass selbst Celtophile Italianismen gebraucht, ohne diese weiter zu kommentieren. In diesen Fällen muss im Einzelfall anhand der Überprüfung der entsprechenden Textstellen entschieden werden, ob Estienne die verwendeten Italianismen tatsächlich nicht als solche erkennt oder ob es sich auch hier um eine eher implizite Kritik handelt. Letzteres kann dann angenommen werden, wenn Celtophile Italianismen ganz offensichtlich ironisch oder in italianisierenden Kontexten verwendet. Wie die folgenden Ausschnitte zeigen, kann davon ausgegangen werden, dass Estienne trotz fehlender expliziter Kritik délicatesse durchaus als italienisch empfindet, während masque offenbar nicht als Lehnwort wahrgenommen wird. PHIL .: […] Et vela pourquoy je vous veux advertir aussi d’une façon de parler dont vous avez usé paravant, asçavoir, soubs correction, car sçachez qu’aujourd’huy les courtisans commancent à se degouster de ce langage, comme sentant sa cour de Parlement. CEL .: Comment donc disent ces messieurs qui sont si delicats , et si hapsichores? J’ay usé de ce mot en despit de leur delicatesse . Que diroyent-ils qu’il sent? (Estienne [1578] 1980: 374, Hervorhebungen im Original) PHIL .: Je veux parler d’une subtile et accorte invention des dames, de laquelle on ne parlet point avant que vous partissiez de France, encore qu’on luy ait accommodé un mot qui estet des lors en usage, et avet esté de tout temps. […] PHIL .: Je parle de l’invention des masques. 63 Manche, aber nicht alle der hier scheinbar nicht kritisierten Italianismen werden an anderer Stelle in den Deux Dialogues kommentiert: vgl. z. B. Estienne ([1578] 1980: 87) für die Kritik an acconche . 220 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues CEL .: Comment! Voulez-vous dire que les masques soyent une invention nouvelle? PHIL.: Ouy, mais ayez un peu de patience, et me respondez. De vostre temps, les dames et damoiselles ne se monstroyent-elles point sans masques? CEL .: Il me semble (sous correction) que vous dites une chose où il y a repugnance, car le masque n’est pas pour se monstrer, ains pour se cacher. (Estienne [1578] 1980: 169-170, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Ohne die Analyse der in den Deux Dialogues tatsächlich kritisierten Italianismen vorwegnehmen zu wollen, kann an dieser Stelle bereits festgehalten werden, dass insgesamt nur wenige Italianismen unkommentiert von Celtophile verwendet werden und daher einer genaueren Prüfung unterzogen werden müssen. Während s’amouracher , artisan , cartel , coronel , délicatesse , lustre , poste (f.), postillon , serrail als implizit kritisiert anzusehen und daher in die Übersicht aufzunehmen sind, müssen z. B. ambassadeur , banquet , banquier , s’escarmoucher , festin , masque , pavois als nicht erkannt betrachtet werden 64 . In bestimmten Fällen können auch andere Werke Estiennes herangezogen werden, um zu belegen, dass er sich des italienischen Ursprungs von in den Deux Dialogues scheinbar neutral verwendeten Wörtern durchaus bewusst war: So wird etwa cartel bereits in der Conformité (1565) als Italianismus ausgewiesen (vgl. Tracconaglia 1907: 124). Ferner werden auch solche Lehnwörter in die Gruppe der erkannten Italianismen aufgenommen, die Estienne als sog. Bedürfnislehnwörter akzeptiert. Denn auch wenn deren Gebrauch durch den Puristen legitimiert wird, sind sie dennoch ‘richtig’ als Lehngut ausgewiesen 65 . Dabei handelt es sich im Übrigen nicht ausschließlich um Lexeme wie assassin oder charlatan , sondern auch um neutrale Begriffe wie menestre 66 . CEL .: Vous presupposez que je ferois scrupule d’user de ces mots italianizez, «charlatan» et «bouffon», […]. Mais je ne suis pas si scrupuleux. Au contraire, je di qu’il y 64 Vgl. in der Reihenfolge wie oben Estienne ([1578] 1980: 285, 420, 62, 285, 374, 40, 124, 124, 131, 239, 198 / 281 / 284, 264, 372, 311, 169-170, 251). Zu s’amouracher , artisan , cartel , lustre vgl. auch die Anmerkungen von Smith (1980a: 285, Fn. 80; 420, Fn. 441; 62, Fn. 34; 40, Fn. 3). Die Gesamtheit der von Estienne offenbar nicht erkannten Lehnwörter wird in Kapitel 5.5.1.5 besprochen. 65 Alle Lexeme dieser Gruppe werden explizit als Lehngut aus dem Italienischen ausgewiesen. Laut Smith (1980a: 264, Fn. 793) könne jedoch auch banquier , das unkommentiert von Philausone und Celtophile verwendet wird (vgl. Estienne [1578] 1980: 264), als ein von Estienne erkannter Italianismus betrachtet werden, der aufgrund seiner Legitimität keiner Kommentierung bedarf. 66 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 101, 93, 87). Zum legitimen, aber meist ironischen Gebrauch bestimmter Italianismen durch Estienne sowie zur Unterscheidung von Luxus- und Bedürfnislehnwörtern bei Estienne vgl. Kapitel 4.2.3.3. 5.5 Trescases (1978b) revisited 221 a certains cas esquels il est permis d’italianizer: sçavoir est quand on parle de choses qui ne se voyent qu’en Italie, […]. (Estienne [1578] 1980: 93, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Ein Blick auf Trescases’ Liste offenbart, dass dieser bei seiner Auswahl explizit und implizit kritisierte sowie legitimierte Italianismen berücksichtigt, ohne dies jedoch in irgendeiner Weise zu begründen. Auffällig ist, dass die von Celtophile verwendeten Italianismen gänzlich fehlen. Daraus zu folgern, dass Trescases diese bewusst ausschließt, ergibt m. E. aber wenig Sinn. Schließlich fehlen auch aus allen anderen Gruppen zahlreiche Lexeme. Insgesamt lassen sich die Lücken in seiner Übersicht eher auf den unvollständigen Index von Ristelhuber (1885) sowie auf die ungenaue Lektüre der Deux Dialogues zurückführen. Will man Estiennes deskriptives Verdienst objektiv beurteilen, so können die nach den oben genannten Kriterien ermittelten Italianismen nun aber nicht alle gleichermaßen behandelt werden. Vielmehr muss die Auswahl weiter eingeschränkt werden. Trescases (1978b: 257-258) beschränkt sich völlig zu Recht auf lexikalische Lehneinflüsse und schließt daher rein graphische bzw. phonetische Veränderungen an französischen Erbwörtern oder etablierten Latinismen (z. B. monition statt munition , accetter statt accepter ) 67 von seiner lexikologischen Analyse aus. In seine Übersicht nimmt er nur äußeres und inneres Lehngut auf. Dies ist deshalb notwendig, weil auch in den einschlägigen Werken zum Einfluss des Italienischen auf das Französische, wie z. B. in Hope (1971), zumeist nur lexikalisches Lehngut erfasst wird. Will man die Anzahl der von Estienne erkannten Italianismen mit der von Hope (1971) ermittelten Gesamtzahl an Italianismen im 16. Jahrhundert (462) vergleichen, müssen lediglich ausdrucksseitig veränderte Erbwörter also unberücksichtigt bleiben. Ferner schließt Trescases (1978b) auch unintegrierte Zitatwörter und Wendungen wie al bordello und in fruttola von seiner Analyse aus. Diese Fälle von code-switching dienen tatsächlich satirischen Zwecken und zeigen lediglich exemplarisch die Konsequenzen des Nebeneinanders beider Sprachen am Hofe auf. Es kann angenommen werden, dass Estienne nicht wahrscheinlich machen will, dass genau diese Wendungen in genau dieser Form als etabliertes Lehngut verbreitet waren. Des Weiteren wird betont, dass Italianismen, die in unterschiedlichen graphischen (und lautlichen) oder morphologischen Varianten auftauchen, nur 67 An dieser Stelle sei angemerkt, dass Estienne ([1578] 1980: 157, 402-404) lediglich für accetter statt accepter italienischen Einfluss annimmt. Die Aussprache [o] statt [y] in monition wird hingegen explizit als Variante ausgewiesen, für die keine Beeinflussung durch das Italienische verantwortlich zu machen sei. 222 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues einmal gezählt werden (z. B. garbe und galbe ), es sei denn, auch bei Hope (1971) sind zwei separate Einträge zu finden, wie etwa bei conche und acconche . Diese Beschränkung auf types soll offenbar sicherstellen, dass Estienne nicht mehr richtig erkannte Italianismen zugeschrieben werden, als sich tatsächlich in den Deux Dialogues finden. Gleichzeitig wird so auch vermieden, dass die Zahl nicht belegter Lehnwörter, d. h. ohne Eintrag in Hope (1971), der Varianten im Normalfall kein eigenes Lemma widmet, zu hoch wird. Kommen Lexeme auch außerhalb fester Wendungen vor, wie baster neben il me baste l’anime , wird sowohl die Redewendung als auch das betreffende Einzellexem berücksichtigt. Dies ist m. E. durchaus sinnvoll, da hier tatsächlich von zwei unterschiedlichen Lehneinflüssen (Lehnwort und Lehnwendung) ausgegangen werden muss. Zur Behandlung von Derivaten mit italienischer Basis aüßert sich Trescases (1978b) hingegen nicht und verfährt dementsprechend uneinheitlich (vgl. Kapitel 5.5.1.3). Insgesamt ermittelt er so 206 als lexikalische Italianismen kritisierte Einheiten. Wie schon mehrfach angemerkt wurde, bedarf die Übersicht von Trescases in verschiedener Hinsicht gewisser Korrekturen. Im Folgenden wird diese unter Berücksichtigung aller bisher genannten Kriterien überprüft. Es werden nur solche Lexeme behandelt, die von Estienne - zu Recht oder zu Unrecht - als Italianismen ausgewiesen werden: Explizit oder implizit kritisierte Italianismen sowie vermeintlich akzeptierte Bedürfnislehnwörter werden gleichermaßen berücksichtigt. Nicht erkannte, da neutral verwendete Lehnwörter werden gesondert besprochen (vgl. Kapitel 5.5.1.5). Wie bei Trescases (1978b) werden nur lexikalische Italianismen gezählt. Italianisierte Erbwörter sowie unterschiedliche Varianten ein und desselben Lehnworts erhalten in der Liste des von Estienne kritisierten Lehnguts keinen eigenen Eintrag. Da die Zahl der Lexeme, die aus der von Trescases (1978b) erstellten Übersicht getilgt bzw. dieser hinzugefügt werden müssen, hoch ist, kann im Folgenden nicht auf jedes im Einzelnen eingegangen werden (vgl. aber Anhang 2). Sie werden in Gruppen zusammengefasst. 5.5.1.3 Getilgte Formen aus Trescases (1978b) (a) Formen, die laut Estienne nur eine ausdrucksseitige Variante eines Italianismus ( type ) sind, aber von Trescases (1978b) nicht als solche gewertet und daher extra gezählt werden ( accolt , escort neben accort , accortise neben accortesse , conche neben acconche , escorce neben escorte sowie garbe neben galbe ) 68 . 68 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 85, 85-86, 120, 140, 120, 120, 86-87, 86-87, 128, 128, 36, 66-67). Der Fall garbe / galbe ist insofern unverständlich, als er von Trescases (1978b: 258) zwar explizit als Beispiel für Paare angeführt wird, die nur einfach gezählt werden, aber in seiner Übersicht trotzdem zwei Einträge, garbe und galbe , zu finden sind. 5.5 Trescases (1978b) revisited 223 [206-6] Dabei ist es unerheblich, ob Estienne mit seiner Einschätzung Recht (z. B. accolt , accortise , escorce , galbe ) oder Unrecht ( escort , conche ) hat 69 . Wie in Kapitel 4.2.3.3 gezeigt wurde, illustriert der Purist anhand dieser Formen den Unterschied zwischen AS-produzentinduzierten und ZS-rezipienteninduzierten Entlehnungen. Nicht aufgenommen werden daher andere, schon bei Trescases (1978b) fehlende Varianten wie z. B. il me cresce neben il m’increcse und pavoisade neben pavigeade 70 . PHIL .: De ceux qui disent escorce pour escorte , comme: Ils leur firent escorce , au lieu de dire escorte. CEL .: Ce sont de braves italianizateurs. PHIL .: Ma memoire se mettra en train peu à peu. Voici un autre exemple, d’un qui voulant dire: Il m’incresce , diset: Il me cresce. (Estienne [1578] 1980: 128, Hervorhebungen im Original) (b) Zitatwörter, d. h. italienische Wörter, die lediglich als Etymon französischer Italianismen genannt werden ( lista, listato ). Ferner solche, die gewissermaßen einer Art code-switching dienen ( Comedianti ) 71 . [206-3] Andere, von Trescases (1978b) unkommentierte italienische Wendungen wie senza maccharoni 72 bleiben auch hier weiterhin unberücksichtigt. CEL .: Ce mot duquel nous venons de parler m’a faict souvenir d’un autre qui a la mesme signification, ou à peu pres. Car ils [les Italiens] ont aussi le mot lista duquel ils se servent en telle chose. Et proprement signifie un billet où les noms de quelques-uns sont arrengez, comme vous diriez un rôle . Mais on en use aussi autrement, en parlant d’autres choses arrengées l’une aupres de l’autre, tellement qu’il se dit mesmement d’un reng de personnes qui vont les unes apres les autres. Et qu’ainsi soit, on lit en Petrarque: io vidi alquante donne in una lista. […]. PHIL .: Mais, au reste, que voulez-vous dire touchant ce mot? CEL .: Que ceux qui disent une liste en italianizant font la mesme faute […]. (Estienne [1578] 1980: 112, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) (c) Wörter, die aus nicht nachvollziehbaren Gründen doppelt gezählt werden, etwa bei martel in teste und de bone voglie 73 , wobei von Trescases (1978b) neben den beiden Wendungen auch in und voglie in die Liste aufgenommen werden, 69 Dass etwa escort < it. scorto in der Tat als ein eigenständiger Italianismus neben accort < it. accorto zu betrachten ist, wurde bereits in Kapitel 4.2.3.3 erläutert. Allerdings nimmt Estienne die Form nicht als solchen wahr, so dass sie hier abgezogen werden muss. 70 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 128, 268). 71 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 112, 156). 72 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 262). 73 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 35, 38). 224 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues auch wenn diese nicht außerhalb der genannten Wendungen vorkommen 74 . [206-2] Hier kann man keine zwei Arten des Lehneinflusses annehmen (z. B. Lehnwort voglie und Lehnwendung de bonne voglie ). Auch die Tatsache, dass laut Hope (1971: 165) schon früh französierte Formen wie de bonne veuille auftauchen, ändert hieran nichts: Es handelt sich lediglich um eine einmal mehr, einmal weniger integrierte Lehnwendung. (d) Italianismen, die von Estienne selbst - direkt oder indirekt - als Hapax ausgewiesen werden (( di ) smentiguer , sbigottit , faire un service ‘décharger son ventre’, sgarbatement , sgomentee ) 75 . [206-5] Angesichts der Tatsache, dass Estienne diese selbst nur als mögliche Italianismen erwähnt, wäre es falsch, sie bei der Beurteilung seiner deskriptiven Leistung zu berücksichtigen. Schließlich gibt er nicht vor, diese Lexeme seien tatsächlich verbreitet. Vielmehr handelt es sich - ähnlich wie in den Fällen des code-switching - um Beispiele, die zum Zwecke der Satire illustrieren sollen, welche extremen Folgen die Zweisprachigkeit gewisser Höflinge haben konnte. Aus diesem Grund nehme ich auch die von Trescases ohnehin unberücksichtigten Formen ander ‘aller’, en frette und imprese 76 nicht in die Übersicht auf. CEL .: Je voudrais bien aussi cognoistre celle qui disait ne dismentiguer point et J’ay esté toute sbigottite. Je luy ferais present d’un autre beau mot qui ne serait que pour les dimanches et les festes, afin de pouvoir rechanger. PHIL .: Quel mot? CEL .: Ce serait sgomentée, extraict d’un vocable boccacien sgomentata. Tellement qu’elle dirait: J’ay esté toute sgomemtée. PHIL .: Il faut que je vous confesse la verité que je n’estes pas desjeuné de ce mot. C’est bien des plus sublins. CEL.: Si vous fueilletez bien Boccace, vous y trouverez: Trovò la donna sua in capo della scala tutta sgomentata et piena di paura . 74 Auch wenn in z. B. noch in den Wendungen in case und in conche (vgl. Estienne [1578] 1980: 74, 86) vorkommt, kann es nicht als eigenständiger Italianismus gelten. Man könnte es in diesen Fällen ohnehin als eine italianisierte Variante von fr. en betrachten. 75 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 113, 113, 117-118, 421, 127). Zwar kommen sbigottit und sgarbatement auch in einer stark italianisierenden Passage Philausones vor (vgl. Estienne [1578] 1980: 36, sbigottit erneut 38), aber der spätere explizite Hinweis darauf, dass es sich in beiden Fällen um einen Hapax handelt, zeigt deutlich, dass die vorherige Verwendung als ironisch zu verstehen ist. 76 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 439, 387, 118). Im rinascimentalen Französisch begegnen jedoch vereinzelt Formen von andare , die als ephemere Italianismen betrachtet werden könnten (vgl. Enckell 1999). 5.5 Trescases (1978b) revisited 225 PHIL .: Mais quel homme estes-vous, quand j’y pense? Vous dites que vous trouvez les italianizemens si mauvais, et toutesfois vous voulez augmenter le nombre. (Estienne [1578] 1980: 127, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) PHIL .: Encore me souvient-il d’un autre mot autant ou plus estrange qui est procedé de la mesme racine, mais je ne l’ouy jamais qu’une fois, et non pas de la bouche d’un Francés (pour dire la verité) mais d’un Italien. […] Ce mot estet sgarbatement. (Estienne [1578] 1980: 421, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) An dieser Stelle sei nochmals angemerkt, dass allein die Kommentare Estiennes ausschlaggebend dafür sind, ob die kritisierten Lexeme als Hapax betrachtet werden oder nicht und daher ggf. von Trescases’ Liste auszuschließen sind. So werden de bonne voglie , le prime del monde und in ogni mode auch weiterhin berücksichtigt. CEL .: Or çà, ces beaux italianismes dont j’ay faict mention tantost: in ogni mode, et de bonne voglie ; item, le prime del monde , ont-ils aussi la vogue entre ces messieurs? PHIL .: Ouy, autant qu’aucuns autres. Mais ils ont aussi certaines façons de parler dont nous n’avons point amené d’exemple (au moins qu’il me souvienne), où les italianismes sont du tout cachez, tout au contraire qu’ès precedens. (Estienne [1578] 1980: 124, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) (e) Lexeme, die in den Deux Dialogues überhaupt nicht als Italianismen ausgewiesen werden. Nimmt man den vollständigen Titel von Estiennes Pamphlet ernst, muss man auch bedenken, dass der Purist nicht ausschließlich le nouveau langage françois italianizé , sondern auch autrement desguizé kritisiert (vgl. Kapitel 4.2.4). Vermutlich daher nimmt Trescases (1978b) z. B. das von Estienne als Hispanismus erkannte cabasset 77 nicht in die Liste auf. Allerdings finden sich zahlreiche Lexeme in Trescases’ Übersicht, für die Estienne keine italienische Herkunft annimmt. So werden militie sowie office ‘service’ in den Deux Dialogues ausdrücklich als Latinismen bezeichnet 78 . [206-2] CEL .: J’enten bien maintenant ce beau trait faire de bons offices. C’est ce qu’on disoit auparavant faire de bons services. Or je m’asseure que si on veut faire la recerche, on trouvera que ceste maniere de parler n’est venue en usage que depuis la traduction des epistres de Ciceron faicte par Dolet, car d’officium latin il en 77 Für die entsprechende Textstelle vgl. Estienne ([1578] 1980: 249). 78 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 243 / 255, 116-117). Im Falle von office deutet Estienne ([1578] 1980: 118) wenig später sogar an, dass boni officii im Italienischen der Höflinge möglicherweise eine Interferenz mit dem Französischen sein könnte. Bei militie ist der Kontext bei der ersten Erwähnung tatsächlich nicht eindeutig. Allerdings macht Estienne ([1578] 1980: 255) an anderer Stelle deutlich, dass es sich bei militie um einen Latinismus handelt. 226 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues fit office en françois, au lieu de dire devoir, et depuis ce mot vint en usage, premierement entre les secretaires d’Estat, et peu à peu entre les autres courtisans. Et je di bien davantage: qu’on trouvera que plusieurs mots escorchez du latin ont esté au mesme temps tirez de ceste traduction. (Estienne [1578] 1980: 116-117, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Ebenfalls ausgeschlossen werden müssen furibunde , furibunder , peregriner 79 , die nicht explizit als Italianismen kritisiert werden und für die im jeweiligen Kontext der Deux Dialogues eine lateinische Herkunft wahrscheinlicher ist 80 . [206-3] Des Weiteren müssen (Erb)Wörter des Französischen aus der Liste getilgt werden, die Estienne bzw. Celtophile völlig neutral verwendet ( à l’esgarée , esventail , être recors de , sadement ) 81 , [206-4] sowie Lexeme, für die eine italienische Herkunft nicht explizit postuliert wird ( s’accomoder de qc , maistresse , passefillons , faire perfection de , service , serviteur ) 82 . [206-6] 79 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 358, 358, 72). Bezüglich furibunde und furibunder ist noch anzumerken, dass Estienne ([1578] 1980: 358) diese ohnehin ironisch verwendet und indirekt als Hapax ausweist. Auch die Latinismen usance und vocable , die schon von Trescases (1978b) nicht in dessen Liste aufgenommen wurden, laut einer flüchtigen Randbemerkung Hopes (1971: 210) aber möglicherweise als von Estienne kritisierte Italianismen gelten könnten, werden hier nicht weiter berücksichtigt. Zum einen werden auch sie in den Deux Dialogues nicht explizit als italienisches Lehngut ausgewiesen, zum anderen macht Estienne ([1578] 1980: 117) an verschiedenen Stellen deutlich, dass er sich auch gegen sog. „mots escorchez du latin“ wendet, so dass sich in einigen - aber wenigen - Fällen nicht mit Gewissheit feststellen lässt, ob bestimmte von Philausone verwendete, aber nicht genauer kommentierte Lexeme als Italianismen oder Latinismen einzustufen sind. Im Falle von vocable spricht auch schon allein die Tatsache, dass Estienne (1579: 215) das Lexem selbst völlig unbefangen in seiner Precellence verwendet, dafür, dass dieses nicht als Italianismus zu werten ist. 80 Ähnlich wie italianisierendes Französisch gab im 16. Jahrhundert auch latinisierendes Französisch Anlass zu Kritik. Für zeitgenössische Parodien bei Rabelais und Tory vgl. z. B. Pfister (1973). 81 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 84, 175, 139, 80). Seltsamerweise geht auch Clément ([1898] 1967: 343) davon aus, dass Estienne esventail als Italianismus betrachtet. In Wirklichkeit erkennt er hier einen Gallizismus im Italienischen des 16. Jahrhunderts (vgl. Smith 1980a: 175, Fn. 495 und Hope 1971: 264). 82 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 125, 327-328, 165, 84 / 150-151, 327-328, 327-328). Laut Smith (1980a: 328, Fn. 213) wird serviteur in der Conformité als Gräzismus ausgewiesen. Denkbar wäre jedoch, dass die Gebrauchshäufigkeit von serviteur in der Korrespondenz, etwa in Formeln wie je suis votre serviteur am Ende eines Briefes, durch italienischen Einfluss zunimmt (vgl. dazu Kapitel 7.3.7). Bei faire perfection de ist es, wie bei militie , zunächst schwierig, zu bestimmen, ob Estienne darin einen höfischen Italianismus sieht oder nicht. Allerdings macht Estienne ([1578] 1980: 150-151) auch in diesem Fall später in den Deux Dialogues deutlich, dass die Redewendung zur Gruppe der „mots qui ne sont point escorchez“ gehört. 5.5 Trescases (1978b) revisited 227 CEL .: Terence, Ovide et Martial appellent flabellum ce que nous disons un esventail. Les Italiens le nomment ventolo , ou sventolo , et aucuns d’entr’eux d’un mot plus approchant du nostre, ventaglio , ou sventaglio. Et encore semble que quelques-uns prononcent ventaio , ou sventaio , bien ou mal, je m’en rapporte à eux. Les Grecs l’ont appelé ripis comme je pense. (Estienne [1578] 1980: 175, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) CEL .: […] Vous avez oublié seulement à me dire comment disent ceux qui veulent italianizer, au lieu de dire «maistresse». PHIL .: Ils disent la Signora. (Estienne [1578] 1980: 328, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Ferner wird das Verb piaffer ausgeschlossen 83 . [206-1] Dieses wird zwar als höfischer Neologismus stigmatisiert, aber nicht explizit als Italianismus bezeichnet. Problematisch ist auch, dass, wie schon Smith (1980a: 40, Fn. 2) betont, kein passendes italienisches Etymon ausgemacht werden kann, so dass Estienne, dessen hervorragende Kenntnis des Italienischen allgemein anerkannt wird 84 , m. E. wohl kaum einen Italianismus darin hätte sehen können. Betrachtet man die Ausdrucksseite von piaffer genauer, könnte man zunächst vermuten, es handele sich aufgrund der Sequenz [pja-] möglicherweise um einen sog. Allogenismus, also eine Art Scheinentlehnung wie etwa dt. alles paletti (vgl. Kapitel 3.3.2). Schließlich kritisiert Estienne ([1578] 1980: 411) Formen wie piasir statt plaisir als italianisierend 85 . Jedoch ist auch dies nicht plausibel, da sich an keiner Stelle der Deux Dialogues sonstige Allogenismen finden lassen. Selbst die exotischsten Hapax-Belege könnten alle auf ein potentielles italienisches Etymon zurückgeführt werden 86 . Ebenfalls ausgeschlossen wird faction , das zwar nach heuti- 83 Für die entsprechende Textstelle vgl. Estienne ([1578] 1980: 40). Laut Smith (1980a: 40, Fn. 2) wird das Lexem auch von anderen Zeitgenossen Estiennes als höfische Innovation kritisiert. Die Etymologie ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Der TLFi (s.v. piaffer ) spricht sich für einen onomatopoetischen Ursprung aus. 84 Estienne (1579: 4-5) gibt in der Precellence an, in Italien sogar für einen Italiener gehalten worden zu sein. Abgesehen von dieser Anekdote zeigen aber auch die genauen Ausführungen zum Italienischen in der Precellence (1579), dass er dieser Sprache tatsächlich mächtig war. Zur unbestreitbaren Italienisch-Kompetenz von Estienne vgl. z. B. auch Swiggers (1997a, 2003: 310-311). Selbst Balsamo (2015: 36) räumt zumindest ein: „il écrivait parfaitement l’italien“. 85 Wie in Kapitel 5.2 gezeigt wurde, existieren im françois italianizé des 16. Jahrhunderts tatsächlich Formen, die diese fremde Lautabfolge aufweisen (z. B. piatte ). In einigen Italianismen aus der Renaissance ist [pja-] sogar bis heute erhalten geblieben, so z. B. in piastre < it. piastra . 86 So ließe sich selbst das aus heutiger Sicht äußerst seltsam anmutende bugiarder - im modernen Italienischen existiert kein bugiardare - tatsächlich auf it. bugiardare zurück- 228 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues gem Stand der Forschung als Italianismus gilt (vgl. TLF i s.v. faction ), aber von Estienne ([1578] 1980: 255) explizit als Latinismus ausgewiesen wird. [206-1] (f) Derivate, deren Derivationsbasis zwar ein Italianismus ist, deren Affixe aber erbwörtlich sind, so dass sie bereits von Estienne als französische Worbildungsprodukte ohne Entsprechungen im Italienischen erkannt werden. Wie die Beispiele in (e) können auch solche Lexeme nicht als von Estienne kritisierte Italianismen gelten. Auszuschließen sind daher accortiser , courtisaner , poltronizer und poltronesquement 87 . [206-4] Nicht aufgenommen werden die schon bei Trescases (1978b) unberücksichtigt gebliebenen Lexeme désastrer und désastrément 88 . Ebenfalls getilgt werden muss cavalereux 89 . [206-1] PHIL .: Il ne leur faiset point de tort. Mais respondez-moy, s’il vous plaist, si la permission que vous donnez d’user de ces mots de poltron et forfante , vous la donnez pas aussi de poltronerie et forfanterie . CEL .: Faloit-il douter de cela? PHIL.: Mais on passe encore plus avant quant au premier. Car de «poltron» nous avons tiré non seulement «poltronerie», mais aussi poltronizer, et depuis quelque temps poltronesquement aussi. CEL .: J’apperçoy bien que vous avez quelque scrupule touchant ces deux mots, d’autant qu’en iceux nous ne pouvons pas dire que nous italianizons, veu que les Italiens ne les ont point. Mais je vous en dispense, car il est bien permis aucunesfois aux disciples d’adjouster quelque chose à ce que leurs maistres leur ont appris, pourveu que ce soit en retenant la mesme grace. (Estienne [1578] 1980: 109, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) PHIL .: Desastre , pour dire un «inconvenient», un «accident», un «malheur», une «malencontre». führen, das laut TLIO (s.v. bugiardare ) zumindest in einem venezianischen Text aus dem 14. Jahrhundert belegt ist. 87 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 121, 202, 109, 109). 88 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 340-341). Estienne bezeichnet accortiser , désastrer und désastrément zudem als Hapax. Sie werden hier nicht der Gruppe der Hapax-Belege (z. B. sgomentée ) zugeordnet, weil ein potentielles italienisches Etymon fehlt und auch aus den Anmerkungen Estiennes klar wird, dass es sich um französische Derivate mit italienischer Basis handeln muss. 89 Für die entsprechende Textstelle vgl. Estienne ([1578] 1980: 60). Im Gegensatz zu den anderen Lexemen der Gruppe bezeichnet Estienne dieses, obschon keine italienische Entsprechung existiert, nicht explizit als französisches Derivat. Allerdings kann wie bei piaffer davon ausgegangen werden, dass der Purist die Form nicht als tatsächliche Entlehnung betrachtet. Es könnte zudem als ausdrucksseitig adaptiertes Erbwort (vgl. fr. chevalereux ) klassifiziert werden (vgl. (h) weiter unten). 5.5 Trescases (1978b) revisited 229 CEL .: Il me souvient l’avoir ouy dire depuis que je suis de retour. Mais est-il beaucoup en usage? PHIL .: Autant qu’aucun autre mot nouveau. Et sçay que quelcun voulant passer plus outre, a usé aussi de desastrément en un sien escrit, au lieu de dire «par un desastre», «par un malheur». Et un autre a dict desastrer pour «infortuner», «rendre malheureux», et desastré pour «infortuné». (Estienne [1578] 1980: 340-341, Hervorhebungen im Fettdruck T.S) Gewiss bewirkt der Ausschluss dieser Derivate aus der Liste der von Estienne kritisierten Italianismen, dass die Zahl der nicht belegten Italianismen in den Deux Dialogues geringer wird. Schließlich lässt sich zu keinem ein Eintrag in Hope (1971) finden. Allerdings verfälscht dies die Beurteilung Estiennes deskriptiver Leistung keineswegs. Wie Smith (1980a: 121, Fn. 257; 109, Fn. 190, 191; 202, Fn. 579; 341, Fn. 246, 247; 60, Fn. 31) gezeigt hat, finden sich mit Ausnahme von accortiser , das ja als Hapax ausgewiesen wird, und cavalereux alle der o. g. Derivate vereinzelt auch in zeitgenössischen Schriftstellern. Würde man also diese französischen Bildungen trotz der expliziten Aussagen Estiennes als Italianismen im weitesten Sinne betrachten und daher nicht aus der Liste ausschließen wollen, so wären auch diese als belegt und nicht als Phantasie-Kreationen des Puristen anzusehen. Des Weiteren müssen Derivate mit italienischer Basis, die aufgrund der Affixe sowohl italienische als auch französische Bildungen sein könnten (z.B. fr. accortement < it. accortamente oder Derivation aus fr. accort < it. accorto ), ausgeschlossen werden, wenn das entsprechende Simplex (z.B. fr. accort < it. accorto ) bereits in die Liste aufgenommen worden ist. Dies ist aus zwei Gründen notwendig: Zum einen erhalten solche Derivate auch bei Hope (1971) nicht immer einen eigenen Eintrag 90 , zum anderen lässt sich, wie in Kapitel 2.3.3.3 erläutert, in manchen Fällen in der Tat nicht mit Bestimmtheit feststellen, ob es sich um Lehnwörter oder französische Wortbildungsprodukte auf italienischer Basis handelt. Würde man diese Formen hier berücksichtigen, müsste man sich entscheiden, ob sie als Italianismen gelten können oder nicht. Im ersteren Fall wären sie zur Gruppe der von Estienne zu Recht kritsierten Italianismen zu zählen, im letzteren Fall wären sie als Fehler Estiennes zu werten. In der vorliegenden Arbeit werden sie von der Analyse ausgeschlossen. Wie schon bei courtisaner , poltronizer , poltronesquement usw. sind aber fast alle der im Folgenden 90 Hope (1971) verfährt im Hinblick auf die Behandlung von solchen Derivaten eher uneinheitlich. Während z. B. burler und burle jeweils einen eigenen Eintrag erhalten, werden manquer und manquement unter demselben Lemma behandelt. In beiden Fällen geht aber Hope (1971: 169-170, 208) davon aus, dass sowohl das Simplex als auch das Derivat entlehnt sind. 230 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues genannten Derivate in Texten des 16. Jahrhunderts zu finden. Diese hier nicht zu berücksichtigen, manipuliert also ebenfalls nicht die Zahl der von Estienne kritisierten, aber vermeintlich nicht belegten Italianismen. Sie alle sind in der Übersicht in Anhang 2 zu finden und könnten bei Bedarf zu den Lehnwörtern in den Deux Dialogues addiert werden. Trescases (1978b) verfährt im Umgang mit solchen Derivaten sehr uneinheitlich: So nimmt er z. B. leggiadrement in die Liste der kritisierten, aber nicht belegten Italianismen auf. Zwar erhält das Derivat bei Hope (1971: 206) keinen eigenen Eintrag, wird aber im Artikel zu leggiadre als belegte Form ausgewiesen, die möglicherweise sogar direkt aus dem Italienischen entlehnt ist. Nun könnte man annehmen, Trescases (1978b) erkenne nicht eindeutig als direktes Lehngut klassifizierbare Derivate nicht als tatsächlich verbreitete Italianismen im 16. Jahrhundert an und ordne sie daher der Gruppe der nicht belegten Italianismen zu. Wie die Behandlung von acconché und assassinateur zeigt, ist dies aber nicht der Fall: Beide finden sich, obwohl sie von Hope (1971: 151, 157) lediglich im Artikel zu acconche bzw. assassin besprochen werden, bei Trescases in der Gruppe belegter Italianismen des 16. Jahrhunderts 91 . Ausgeschlossen werden müssen daher acconché (neben acconche ), accortement , [ accortise ] (neben accort ), assassinateur (neben assassin ), bastant (neben baster ), [ furibunder ] (neben furibunde ), gayoffement (neben gayoffe ), gofferie (neben goffe ), leggiadrement (neben leggiadre ), poltronnerie (neben poltron ), ragionnement (neben ragionner ) 92 . [206-9] Weiterhin berücksichtigt wird jedoch a bastance (neben baster ), da es als lexikalisierte Verbindung betrachtet werden kann (vgl. it. abbastanza ), während disgratier (neben disgrace ) und cavalerie (neben cavalier ), auch wenn sie traditionellerweise als Lehnwörter gelten, hier konsequenterweise ausgeschlossen werden müssen 93 . [206-2] Nicht aufgenommen werden die bei Trescases (1978b) fehlenden Derivate amourachement (ne- 91 Im Übrigen kommt die Form acconché in der von Smith besorgten Edition Estiennes ([1578] 1980: 74) gar nicht vor. An der entsprechenden Stelle steht acconche (< it. acconcio ). Allerdings findet sich in der von Trescases verwendeten Edition Ristelhubers (1885: 51) tatsächlich acconché (< it. acconciato ). 92 Derivate in eckigen Klammern werden bereits aufgrund anderer Kriterien von der Analyse ausgeschlossen und werden an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber nochmals erwähnt. Für die entsprechenden Textstellen vgl. Estienne ([1578] 1980: 74 (74), 120, [120] (120), 100 (100-101), 37 (263), [358] (358), 80 (369, 427), 36 (68), 113 (78), 109 (109), 37 (37)). Trescases (1978b) zählt gayoffement , gofferie und bastant , nicht jedoch gayoffe , goffe und baster . Die Simplizia fehlen in seiner Liste. In meiner Analyse werden baster , goffe und gayoffe hinzugefügt, dafür die Derivate nicht berücksichtigt. An den Ergebnissen ändert sich dadurch nichts: Weder gayoffe noch gayoffement sind belegt. Bastant und gofferie zählen bei Trescases als belegte Italianismen, in meiner Übersicht stattdessen baster und goffe . 93 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 72 (z. B. 263), 148 (148), 60 (45)). 5.5 Trescases (1978b) revisited 231 ben s’amouracher ), assassiner , assasinement (neben assassin ), bouffonnerie (neben bouffon ), braverie (neben brave ), inamourement (neben inamouré ), forfanterie (neben forfante ), manquement (neben manquer ), pédanterie (neben pédant ) sowie capricieux (neben caprice ) und caresse (neben caresser ) 94 . Die beiden letzteren werden jedoch oft als Italianismen gewertet (vgl. TLF i s.v. capricieux , caresse ). Allerdings werden Derivate, die aufgrund der Affixe auch französische Bildungen sein könnten, dann aufgenommen, wenn kein entsprechendes Simplex in den Deux Dialogues zu finden ist. So wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Estienne die italienische Basis erkennt, auch wenn er diese nicht explizit nennt. Daher werden nicht getilgt: balorderie (kein balord ), esplanader (kein esplanade ) und villaquerie (kein veillaque ); capitanesse (kein capitane ) muss hinzugefügt werden (vgl. Kapitel 5.5.1.4) 95 . Auch bugiarder (neben bugie ) 96 wird nicht aus der Liste gestrichen, da die Derivationsbasis in it. bugiardo , nicht in fr. * bugie < it. bugia zu sehen ist. Es handelt sich also um zwei Lehnwörter. Ferner werden auch solche Derivate auf italienischer Basis nicht ausgeschlossen, die aufgrund eines italianisierenden Suffixes (z. B. {-esque}, {-ade}, aber auch {-esse}) vermutlich direkt aus dem Italienischen entlehnt wurden, wie etwa accortesse (neben accort ) 97 . In Kapitel 5.5.1.4 zusätzlich aufzunehmen sind daher: bravade (neben brave ), courtisanesque (neben courtisane ), harquebouzade (neben harquebouze ), leggiadresse (neben leggiadre ), pavigeade (neben pavois ), pédantesque (neben pédant ) 98 . Die Lexeme barbaresque und bastonnade 99 , bei denen die Basis, nicht aber das Affix 100 erbwörtlich sein könnte, werden mit Hope (1971: 161, 30) als Italianismen gewertet. (g) Formen auf {-issime}, die im Allgemeinen sowohl lateinischen als auch italienischen Ursprungs sein können, werden nicht einzeln berücksichtigt. Estienne 94 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 287 (285), 102, 103 (100-101), 94 (93), 42 (56), 291 (74), 109 (108), 113 (37), 44 (48), 211 (141), 313 (316)). 95 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 36, 247, 77, 269). Für capitanesse ist eine italienische Herkunft unwahrscheinlich (vgl. Smith 1980a: 269, Fn. 24 mit Verweis auf Vidos 1939: 285). Die Basis könnte allerdings italienisch sein. 96 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 427 (427)). 97 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 120-121 (120-121)). Zu den Gründen, weshalb in solchen Fällen von direktem Lehngut ausgegangen werden kann, vgl. Kapitel 2.3.3.3. 98 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 105 (56), 36 (107), 260 (260), 409 (78), 268 (251), 76 (48)). Die Lexeme bravade , pavigeade erhalten schon bei Hope (1971: 167, 215) einen eigenen Eintrag neben dem entsprechenden Simplex. 99 Für die entsprechenden Textstellen vgl. Estienne ([1578] 1980: 80, 78). 100 Sowohl {-ade} als auch {-esque} müssen im 16. Jahrhundert bereits als produktive Affixe des Französischen gelten (vgl. Kapitel 2.3.2.3). Allerdings stimmen die meisten Referenzwerke darin überein, dass bastonnade und barbaresque als Italianismen betrachtet werden können. Bei bastonnade weist zudem auch die Basis ([-st-]) eine auffällige Lautung auf. 232 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues versucht anhand dieser Formen nur zu zeigen, dass das Suffix im Französischen bereits produktiv ist. Deshalb wird lediglich grandissime exemplarisch berücksichtigt, wohingegen bellissime , bonissime und doctissime zu tilgen sind 101 . [206-3] Auch die Aufzählung all dieser Superlative in einem Passus legt nahe, dass Estienne darin ein - seit Kurzem - produktives Suffix, und nicht wie bei pédantesque oder bravade , lexikalisches Lehngut erkannt hat. Gerade bei doctissime wäre dies zudem äußerst unwahrscheinlich, da Estienne ([1578] 1980: 400-404), der ja die Reduktion von [-kt-] > [-(t)t-] auf italienischen Einfluss zurückführt, mit Gewissheit keine italienische Derivationsbasis annehmen hat können 102 . Ähnlich verhält es sich mit einer Reihe von Herkunftsbezeichnungen auf {-esque}, die bei Trescases (1978b) allesamt fehlen: PHIL .: […]. Tellement qu’au lieu qu’alors on ne parlet guere que de s’habiller à l’hespagnole, ou à l’italienne, depuis on s’est habillé à la tudesque, à la hongresque, à la poulonnesque (ou à la poulonnese), à l’arabesque, voire aucuns à la turquesque, commançans desja à marchander le turban aussi. (Estienne [1578] 1980: 203-204, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Auch in diesem Fall ist davon auszugehen, dass Estienne bei der Aufzählung erkennt, dass {-esque} allmählich zu einem produktiven Affix des Französischen wird. Abgesehen von tudesque könnte die Derivationsbasis zudem auch französisch sein. Nur arabesque , das als exemplarisch gelten kann, und tudesque , das auch bei Hope (1971: 226) einen eigenen Eintrag erhält, müssen in Kapitel 5.5.1.4 der Liste hinzugefügt werden 103 . (h) Einzelne Lexeme, bei denen lediglich die Ausdrucksseite eines französischen Erbworts (<cattif > neben <chétif>, <disturbe> neben <destourbe>, <imbattu> 101 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 209, 209, 209, 209). 102 Interessanterweise gestattet Estienne (1579: 57-58) in der Precellence (1579) die Verwendung von {-issime} trotz der italienischen Herkunft. Dies erklärt sich dadurch, dass er in diesem Werk zu zeigen versucht, dass das Französische dem Italienischen auf allen sprachlichen Ebenen, also auch in der Wortbildung, wenn nicht überlegen, dann zumindest ebenbürtig sei. Allerdings nennt er auch die - in seinen Augen - synthetische, dem Griechischen nachempfundene Bildung treß + Adjektiv, womit das Französische sogar über zwei Möglichkeiten zum Ausdruck des absoluten Superlativs verfüge. 103 Bei den Konstruktionen des Typs à la tudesque handele es sich laut Tracconaglia (1907: 83) um einen durch italienischen Einfluss bedingten „risveglio“ der angeblich im 16. Jahrhundert bereits unüblich gewordenen französischen Bildungen. Ob hier tatsächlich von einem „risveglio“ oder eher von einer gewissen Kontinuität seit dem Altfranzösischen auszugehen ist, müsste durch Korpusstudien überprüft werden. Robert Estienne bespricht diese Konstruktion in seinem Traicté de la gr-maire Francoise (1557: 74) als französische Bildung. Bei Hope (1971: 155) findet sich auch ein eigener Eintrag zu arabesque . Allerdings ist dies wohl der Tatsache geschuldet, dass dem Lexem neben der Herkunfts- 5.5 Trescases (1978b) revisited 233 neben <embattit>, <inamouré> neben <enamouré>, <ragionner> neben <raisonner>, [<ragionnement > ] neben [<raisonnement>], <ringratier> neben <regratier / regracier>) oder eines Latinismus (<planure> neben <plenure>) italianisiert ist 104 . [206-7] Schließlich werden Fälle wie <monition> statt <munition> von Trescases (1978b), der vermutlich daher auch <favoregger> neben <favoriser> 105 nicht aufnimmt, selbst ausgeschlossen. Zusätzlich abgezogen wird <concet> statt <concept> 106 [206-1], weil es im Kontext der Deux Dialogues m. E. nicht als lexikalischer Italianismus, sondern als italianisierende Variante des im Französischen existierenden Latinismus concept zu verstehen ist. Im Gegensatz zu Clément ([1898] 1967: 357, Fn. 1) betonen sowohl das FEW (s.v. concipere ) als auch HUG (s.v. concept ), Hope (1971: 359) und Smith (1980a: 56, Fn. 16), dass es sich hierbei um einen frühen Hapax-Beleg von it. concetto ‘pensée plus brillante que juste’ handele, das erst im 18. Jahrhundert ins Französische gelangt. Allerdings ist aus dem Kontext klar ersichtlich, dass nicht ‘pensée plus brillante que juste’ gemeint ist, sondern einfach ‘idée’, die Bedeutung also, die der Latinismus fr. concept nach FEW (s.v. concipere ) und Clément ([1898] 1967: 357, Fn. 1) auch bei den zeitgenössischen Autoren Scève und Belleforest hatte, so dass tatsächlich nur von einer ausdrucksseitigen Beeinflussung ausgegangen werden kann. Nicht getilgt wird hingegen past 107 , da im Gegensatz zu <disturbe> vs. <destourbe> nur vermutet werden kann, dass die Lautung beeinflusst wird. So nehbezeichnung noch weitere Bedeutungen zugeschrieben werden. Wie schon bei den Derivaten der Gruppe poltronizer und leggiadrement sind alle o. g. Herkunftsbezeichnungen mit {-esque} in Texten des 16. Jahrhunderts zu finden. Lediglich poulonnesque , das von Estienne selbst mit poulonnese glossiert wird, lässt sich nicht nachweisen (vgl. dazu die entsprechenden Stellen in Anhang 2). 104 Lexeme in eckigen Klammern sind schon aufgrund anderer Kriterien auszuschließen und werden hier nur aus Gründen der Vollständigkeit nochmals genannt. Für die entsprechenden Textstellen vgl. Estienne ([1578] 1980: 69, 76, 65, 74-75, 36, [37], 73, 139). Diese ausdrucksseitig adaptierten Lexeme, von denen viele schon von Brunot HLF II (1906: 208) als nicht-lexikalische Italianismen identifiziert wurden, sind in den meisten Fällen keine Erfindungen Estiennes, sondern können in zeitgenössischen Texten nachgewiesen werden: inamouré findet sich in Palsgrave ([1530] 1852: 307), cattif auch bei Brantôme Bd. 1 (1864: 69). Laut FEW (s.v. plānus ) und TLFi (s.v. planure 2) ist beim Latinismus planure ein phonetischer Einfluss durch das Italienische im 16. Jahrhundert tatsächlich nicht undenkbar. Die Form mit [a] hat sich durchgesetzt und erhalten. Sowohl raisonner als auch raisonnement sind stark polysem. Allerdings wird für keine der Lesarten italienischer Einfluss angenommen (vgl. FEW s.v. ratio und TLFi s.v. raisonner , raisonnement ). Von einem semantischen Einfluss braucht man bei ragionner und ragionnement nicht auszugehen. Es liegt also keine Entlehnung der Ausdrucks- und Inhaltsseite vor. 105 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 38). 106 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 56, 79). 107 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 35). 234 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues men zwar Brunot HLF II (1906: 208) und Huguet ([1935] 1967: 320) an, dass mfr. [pat] unter dem Einfluss des Italienischen zu [past] wird, doch liegen meines Wissens keine metasprachlichen Aussagen vor, die dies rechtfertigen würden. Daher wäre es m. E. durchaus möglich, dass Estienne das französische Erbwort, wie z. B. auch baller , fälschlicherweise als Lehnwort betrachtet (vgl. Kapitel 5.5.2.3.3.3) 108 . Das von Trescases (1978b) als kritisierter Italianismus behandelte Verb s’allégrer 109 wird ebenfalls in der Liste beibehalten. Nach Auskunft des FEW (s.v. alăcer ) wird hier lediglich die Graphie <e> statt <ai> und <ll> statt <l> des französischen Erbworts vom Italienischen beeinflusst. Anders als bei past , das zumindest aufgrund der möglicherweise restituierten Sequenz [-st-] lautlich verändert sein könnte, kann Estienne hier unmöglich eine italianisierende Lautung kritisieren 110 . Rein graphische Einflüsse, d. h. ohne Bezug zur Aussprache, werden in den Deux Dialogues aber an keiner Stelle - weder implizit noch explizit - thematisiert. Viel wahrscheinlicher ist also, dass sowohl baller und past als auch s’allégrer als lexikalische Italianismen verstanden werden 111 . Das ebenfalls erbwörtliche Substantiv allégresse 112 wird wie s’allégrer als Italianismus kritisiert. Es wird aufgrund des Suffixes {-esse} analog zu tatsächlich entlehnten Derivaten, wie accortesse neben accort (vgl. Abschnitt (f)), zusätzlich in die Liste aufgenommen (vgl. Kapitel 5.5.1.4). 108 Tracconaglia (1907: 91) ordnet past wie andere tatsächliche Lehnwörter (z. B. à l’improviste ) sogar in die Gruppe der „parole nuove al francese“ ein. 109 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 65). 110 Dass Estienne hier die Aussprache einer Geminate [ll] kritisiert, ist unwahrscheinlich (vgl. Kapitel 4.2.3.1.3). 111 Das von Estienne ([1578] 1980: 38) als Italianismus stigmatisierte Lexem inganner könnte unter Umständen auch als italianisierende Form des noch im Mittelfranzösischen verbreiteten enganer betrachtet werden. Allerdings spricht vieles dafür, darin - wie Estienne - einen lexikalischen Italianismus zu sehen. In den von mir untersuchten Wörterbüchern des 16. Jahrhunderts (z. B. Estienne 1549, Thierry 1564, Trippault 1581, Nicot 1584) wird es nicht genannt. Estienne (1549), Thierry (1564) und Nicot (1584) (s.v. engigner / enginer ), die die Form enganer nicht aufführen, merken an „usez des formules de decevoir“. In Fenice (1584) und Canal (1598) erscheint enganer im fr.-it. Teil nicht, it. ingannare sowie sämtliche Derivate werden im it.-fr. Teil mit tromper , décevoir bzw. deren Derivaten übersetzt. Mfr. enganer scheint zumindest in dieser Form also im 16. Jahrhundert bereits untergegangen zu sein. In FRANTEXT (1500-1600) finden sich ebenfalls keine Okkurrenzen für enganer . Zudem geht auch das FEW (s.v. * ingannare ) davon aus, dass es sich bei Belegen für inganner um sporadische Entlehnungen aus dem Italienischen im 16. Jahrhundert handelt. Schließlich konnte ich inganner in einer Übersetzung aus dem Italienischen von Villamont (Cavalcabò 1609), der es wie andere Italianismen in seinem Vorwort glossiert (vgl. Kapitel 2.3.4), sowie das bisher nicht dokumentierte Substantiv inganne (< it. inganno ) in Texten des Français italianisant Nicolas Goulas (* 1603, † 1683) nachweisen (vgl. dazu die Liste in Anhang 1). 112 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 65). 5.5 Trescases (1978b) revisited 235 Des Weiteren werden auch cavalier statt chevalier und attaquer statt attacher 113 nicht aus der Liste gestrichen, da entgegen Estienne ([1578] 1980: 121-122) neben der formalen Veränderung laut Hope (1971: 158, 179) und Smith (1980a: 121-122, Fn. 258, 262) auch von einer semantischen Beeinflussung durch das Italienische ausgegangen werden muss, so dass man insgesamt von äußerem Lehngut (Form und Inhalt) sprechen kann 114 (vgl. Kapitel 3.3.2). Aus demselben Grund muss auch cargue statt charge 115 aufgenommen werden (vgl. TLFi s.v. cargue ). Die Berücksichtigung dieser Italianismen bricht nur scheinbar mit der bisherigen Vorgehensweise: Zwar erkennt der Purist nicht, dass die Dubletten auch eine unterschiedliche Semantik haben, jedoch haben sich diese Bedeutungsunterschiede z.T. auch erst im Laufe der Zeit verfestigt. Im 16. Jahrhundert könnten diese Paare manchmal durchaus auch noch (teil)synonymisch gebraucht worden sein (vgl. z. B. Hope 1971: 158 zu attaquer ), so dass Estiennes Beschreibung nicht zwangsläufig ungenau ist. Letztlich kann man nur ex post mit Gewissheit sagen, dass sich die Paare semantisch differenziert haben, wohingegen Estienne zunächst nur die Formen wahrnehmen konnte. Ferner wird auch das Verb baller <baler> nicht ausgeschlossen, da es im Gegensatz zu cattif , disturbe , ragionner und ragionnenment nicht nur eine formale, d. h. graphische Angleichung an seinen italienischen Kognaten erfährt, sondern von Estienne explizit als lexikalischer Italianismus, d. h. als äußeres Lehngut, ausgewiesen wird. PHIL .: […] Au reste, veci une petite leçon qu’il vous faut retenir: c’est qu’il se faudret bien garder d’user en la cour de ce mot «danse», ni de «danser», ni de «danseur». CEL .: Pourquoy? PHIL .: Pource qu’il y a long temps que tout cela a esté banni, et qu’on a fait venir d’Italie bal et baller , et balladin , lesquels trois on a mis en la place de ces trois autres, non pas, toutesfois, sans quelque changement, comme vous pouvez voir. Car de ballo on a faict «bal», et ballare a esté changé en «baller», de ballarino , ou balladino (car je croy que tous les deux se disent) a esté faict «balladin». Mais notez qu’on a faict venir les personnes avec les noms, voire non seulement des balladins, mais aussi des balladines. (Estienne [1578] 1980: 198, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Auch der Umstand, dass baller in späteren Werken Estiennes - anders als etwa s’embattir , inamouré und soulaz [206-1] - nicht als italianisiertes oder der italienischen Entsprechung formal inhärent zu ähnliches Erbwort klassifiziert wird, 113 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 121). 114 Für eine genauere Diskussion der semantischen Unterschiede zwischen chevalier und cavalier im rinascimentalen Französisch vgl. Gougenheim (1949). 115 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 121). 236 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues legt nahe, dass es tatsächlich als integriertes Lehnwort betrachtet wird 116 . Die bewusste Ablehnung von eigentlich französischen Erbwörtern wie enamouré kann als negative Interferenz, d. h. als Unterscheidungsinterferenz nach Kabatek (1996), interpretiert werden, die eine Abstandsmaximierung zwischen den beiden miteinander verwandten und in Konkurrenz zueinander stehenden Idiomen bewirken kann (vgl. Kapitel 3.3.3). Or comme on ne pourrait user de ce mot ancien soulas en cette signification la sans danger de repréhension pourcequ’on le penseroit estre de ceux qu’on escorche auiourdhuy du langage Italien à tors & à travers: ainsi en avons-nous autres desquels on peut dire le mesme. […] Le premier sera Brigade […]. Le second lieu sera donné à Enamouré , car plusieurs pourroyent penser pareillement qu’il fust tiré de l’Italien Inamorato : ou pour le moins faict à son exemple […]. Le troisieme mot sera s’embattir . […] il ne me semble pas qu’en nostre parler ordinaire en devions servir, […] & d’ailleurs que nous sommes en un temps où l’abus de ceux qui escorchent le langage Italien, peut rendre suspect l’usage de tels vocables, & par consequent odieux, aussi bien que des autres. (Estienne 1579: 214-215, Hervorhebungen im Original) Ausdrucksseitig veränderte Lexeme werden jedoch nicht aus der Übersicht ausgeschlossen, wenn die Beeinflussung über die Lautgestalt hinausgeht. Daher müssen délicatesse statt délicateté und rondache statt rondelle 117 (letzteres schon in Trescases 1978b) aufgrund der italianisierenden Morpheme {-esse} und {-ache} berücksichtigt werden. Dies ist insbesondere im Fall von délicatesse notwendig, da hier laut Hope (1971: 185) noch semantische Veränderungen hinzukom- 116 Die manchmal äußerst fragwürdigen Etymologien Estiennes in seiner Precellence (1579) sind schon häufig kritisiert worden (vgl. z. B. Swiggers 1997a: 307-309 sowie die dort zitierte Literatur). Auffällig ist, dass er insbesondere zu zeigen versucht, dass das Italienische im Mittelalter viel aus dem Französischen entlehnt hat: z.B. it. sollazzo < fr. soulas , wobei ihm in diesem Fall die Forschung sogar recht gibt (vgl. FEW s.v. sōlācium und DELI s.v. sollazzo ). Dass viele Etymologien, wie z.B. it. imbattersi *< fr. s’embattir , falsch sind (vgl. z. B. TLIO s.v. imbattersi ), spielt hier keine Rolle. Wichtig ist, dass Estienne die französischen Lexeme eben nicht, wie Trescases (1978b) wahrscheinlich machen will, als Italianismen, sondern lediglich als den italienischen Entsprechungen formal zu ähnlich betrachtet. 117 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 177, 374, 250-251). Wie Smith (1980a: 250-251, Fn. 742) u. a. anhand der Definitionen in Cotgrave (1611) zeigt, muss man bei rondelle und rondache von unterschiedlichen Bedeutungen und mithin von zwei eigenen Lexemen ausgehen. 5.5 Trescases (1978b) revisited 237 men 118 . Ebenfalls ausdrucks- und inhaltsseitig (‘l’art de manier l’épée’) beeinflusst ist escrime 119 (vgl. TLF i s.v. escrime ). PHIL .: Quant aux autres anciens mots de guerre, au lieu desquels ils n’ont pas trouvé des italiens qui fussent à leur gré, ils leur ont pour le moins donné ou la terminaison ou la prononciation italienne, comme quand ils disent donner une cargue , au lieu de dire «donner une charge»; quand ils disent une rondache pour une «rondelle» (Estienne [1578] 1980: 198, Hervorhebungen im Original) (i) Formen wie courtesie und endret 120 , die - wie viele andere (z. B. vela 121 ) - lediglich eine italianisierende Graphie (<e> statt <oi> für [ɛ] statt [wɛ]) aufweisen und auch von Estienne nicht als lexikalische Italianismen betrachtet werden. Sie kommen ganz systematisch in den Redebeiträgen Philausones vor (vgl. Kapitel 4.2.3.1.1). [206-2] Zusammenfassung und Übersicht - Getilgte Lexeme (206-63) Insgesamt werden also nur 143 der 206 von Trescases (1978b) ermittelten Einheiten in den Deux Dialogues tatsächlich als lexikalische Italianismen mit einer gewissen Vitalität kritisiert. In der folgenden Tabelle werden die insgesamt 63 Lexeme und Wendungen aufgelistet, die aufgrund der oben genannten Kriterien aus Trescases’ (1978b) Liste getilgt werden müssen. Formen in eckigen Klammern können wegen verschiedener Kriterien ausgeschlossen werden und werden nur einfach gezählt. Formen in runden Klammern sind solche, die bei Trescases (1978b) nicht berücksichtigt wurden und aus den o. g. Gründen auch hier nicht aufgenommen werden. Sie werden nur zur Veranschaulichung und ohne Anspruch auf Vollständigkeit aufgeführt. Alle Formen sind auch in der Übersicht in Anhang 2 aufgelistet. Im Hinblick auf die später zu ermittelnde Zahl tatsächlich nicht belegter Italianismen sei an dieser Stelle bereits angemerkt, dass 54 der 63 hier getilgten Lexeme und Wendungen solche sind, die Trescases (1978b) zu den 127 zählt, die in Hope (1971) fehlen, wohingegen nur 9 ( acconché neben acconche , assassinateur 118 Laut Hope (1971: 185) übernimmt das Französische neben der Form auch zahlreiche Bedeutungen des polysemen it. delicatezza , die im Italienischen alle früher belegt sind. Vgl. auch TLFi (s.v. délicatesse ). Im FEW (s.v. delicatus ) finden sich keine Hinweise auf italienischen Einfluss. Der OIM (s.v. delicatezza ) zögert und kennzeichnet fr. délicatesse als „italianismo dubbio“. 119 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 216). 120 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 72, 126). 121 Vgl. z. B. Estienne ([1578] 1980: 374, 418). 238 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues neben assassin , bastant neben baster , cavalerie neben cavalier , courtisaner neben courtisane , disgratier neben disgrâce und gofferie neben goffe sowie escort < it. scorto neben accort < it. accorto und conche < it. concio neben acconche < it. acconcio ) in die Gruppe der 71 angeblich richtig erkannten Italianismen gehören. Kategorie Getilgte Formen aus Trescases (1978b) (a) Varianten etablierter Italianismen (-6) accolt , escort / accort , accortise / accortesse , acconche / conche , escorce / escorte , garbe / galbe, ( il me cresce / il m’incresce ), ( pavoisade / pavigeade ) (b) italienische Zitatwörter (-3) lista , listato , Comedianti , ( senza maccharoni ) (c) Doppelzählung (-2) in / martel in teste , voglie / de bone voglie (d) von Estienne als Hapax erkannt (-5) ( di ) smentiguer , sbigottit , faire un service ‘décharger son ventre’, sgarbatement , sgomentée , ( ander ), ( en frette ), ( imprese ) (e) von Estienne nicht als Italianismen ausgewiesen (-17) militie , office ‘service’, furibunde , furibunder , peregriner , à l’esgarée , esventail , être recors de , sadement , s’accomoder de qc , maistresse , passe-fillons, faire perfection de, service, serviteur , piaffer , faction , ( cabasset ) (f) Derivate mit italienischer Basis und erbwörtlichen Affixen (-16) accortiser , courtisaner , poltronizer , poltronesquement , cavalereux , acconché , accortement , [ accortise ] , assassinateur , bastant , [ furibunder ], cavalerie , disgratier , gayoffement , gofferie , leggiadrement , poltronnerie , ragionnement , ( désaster ), ( désastrément ), ( amourachement ), ( assassiner ), ( assasinement ), ( bouffonnerie ), ( braverie ), ( capricieux ), ( caresse ), ( inamourement ), ( forfanterie ), ( manquement ), ( pédanterie ) (g) Formen mit {-issime} (-3) bellissime , bonissime , doctissime (h) lediglich Ausdrucksseite italianisiert oder den it. Kognaten zu ähnlich (Einzellexeme) (-9) <cattif > / <chétif>, <disturbe>/ <destourbe>, <imbattu>/ <embattit>, <inamouré>/ <enamouré>, <ragionner>/ <raisonner>, [<ragionnement > / <raisonnement>], <ringratier>/ <regratier / regracier>, <planure>/ <plenure>, <concet>/ <concept>, <solas> zu ähnlich zu it. <sollazzo>, (<favoregger>/ <favoriser>) 5.5 Trescases (1978b) revisited 239 Kategorie Getilgte Formen aus Trescases (1978b) (i) lediglich italianisierende Graphie (systematisch) (-2) <courtesie>/ <courtoisie>, <endret>/ <endroit>, (<vela>/ <voilà>) Gesamt 206-63 = 143 als lexikalische Italianismen kritisierte Lexeme (ohne Derivate des Typs braverie ) Tab. 3: Getilgte Formen aus Trescases (1978b) 5.5.1.4 Zusätzlich ermittelte Formen Zu den 143 verbleibenden Einheiten hinzugefügt werden müssen Lexeme und Wendungen, die von Estienne explizit oder implizit als Italianismen kritisiert werden, wobei, um spätere Analysen (belegt vs. nicht belegt) zu erleichtern, bereits an dieser Stelle acht Gruppen unterschieden werden können: (aa) Derivate, die aufgrund ihrer Derivationsbasis sowie ihrer Affixe als Entlehnungen aus dem Italienischen betrachtet werden könnten (vgl. (g) weiter oben): [ capitanesse ], courtisanesque , bravade , harquebouzade 122 , [ leggiadresse ], pavigeade , pédantesque , barbaresque , [ bastonnade MA], arabesque , tudesque 123 . [143+8] (bb) Lexeme, die nicht nur phonetisch, sondern auch morphologisch und / oder semantisch von ihren italienischen Kognaten beeinflusst werden und daher als lexikalische Italianismen gelten können (vgl. (h) weiter oben): <cargue>/ <charge>, <délicatesse>/ <delicateté>, <escrime>/ <escremie> 124 . Dazu könnte 122 Im Gegensatz zum TLFi (s.v. arquebusade ) behandele ich arquebusade nicht als französisches Derivat. Nicht nur das als italianisierend empfundene Suffix, sondern auch die Wahrnehmung der zeitgenössischen Sprecher (vgl. z. B. Brantôme Bd. 6, 1873: 21-22) legen nahe, dass fremdes Wortgut vorliegt. Schließlich scheint es sich bei dem im TLFi genannten Erstbeleg von 1475 auch um einen frühen Einzelbeleg zu handeln. Die Belege in FRANTEXT (1500-1600 <arquebusade> flexion et variantes XVI e -XVII e ) lassen vermuten, dass das Lexem erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gebräuchlich wird: Die erste von insgesamt 22 Okkurrenzen stammt aus einem Text aus dem Jahre 1555. Im Italienischen ist archibugiata hingegen schon seit 1540 belegt (vgl. ZING s.v. archibugiata ). Bezeichnenderweise fehlt auch ein entsprechender Artikel im DMF, das zu arquebusade anmerkt: „mot du XVIe“. 123 Vgl. Estienne ([1578] 1980: [269], 36, 105, 260, [409], 268, 76, 80, [78], 204, 204). Lexeme in eckigen Klammern werden anderen Gruppen zugeordnet und hier nur aus Gründen der Vollständigkeit mit aufgeführt. 124 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 121, 177, 216). Im Gegensatz zu Hope (1971: 38) betrachte ich escrime nicht als Lehngut des Mittelalters, da die Bedeutung ‘l’art de manier l’épée’ im Französischen laut TLFi (s.v. escrime ) erst im 16. Jahrhundert nachgewiesen werden kann. 240 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues man auch das fälschlicherweise als Italianismus ausgewiesene [ allégresse ] 125 zählen. [143+3] (cc) Lexeme, die schon bei Hope (1971) als Italianismen des 16. Jahrhunderts verzeichnet sind und bis heute (vgl. TLF i und OIM ) mehrheitlich als solche gelten können: académie , accoster , altesse , s’amouracher , [ arabesque ], artisan , [ barbaresque ], baster , brave , [ bravade ], brocart , caporal , cartel , cervelat , coronel , coyon 126 , courtiser , [ délicatesse ], désastre , estochade , goffe , harquebouze 127 , [ harquebouzade ], humoriste , intrigue , [ leggiadresse ], manquer , mat , moustache , [ pavigeade ], pécore , [ pédantesque ], populasse , postillon , recamé , sonnet , [ tudesque ] 128 . [143+28] (dd) Lexeme, die nach heutigem Stand der Forschung (vgl. TLF i und OIM ) als Italianismen des 16. Jahrhunderts gelten, aber bei Hope (1971) fehlen: agent , [ cargue ], matachin 129 . [143+2] (ee) Lexeme, die schon bei Hope (1971) als Italianismen des Mittelalters verzeichnet sind und bis heute (vgl. TLF i und OIM ) mehrheitlich als solche zu behandeln sind: bannerole , bastonnade , brigantin , canon , carat , caresser , casanier , citadins , galerie , lustre , malvoisie , perruque , poste (f.), pouppe , salade ‘Salat’, serrail , soldate , traffique 130 . [143+18] Hinzugefügt werden muss darüber hinaus auch galiote 131 , welches zwar nicht in Hope (1971) verzeichnet ist, aber laut TLFi (s.v. galiote ) als französische Bildung unter dem Einfluss des Italienischen im 13. Jahrhundert zu 125 Für die entsprechende Textstelle vgl. Estienne ([1578] 1980: [65]). 126 Obschon Colombo Timelli (2008: 66) für ihre Analyse der Deux Dialogues auch auf die Edition von Smith (1980) zurückgreift, gibt sie in ihrer Übersicht der „insulti e termini ad accezione negativa“ an, dass coyon nicht in Estienne (1578) belegt sei. 127 In der vorliegenden Arbeit wird davon ausgegangen, dass es sich bei Formen von arquebuse mit <ou> ([u]) um lexikalische Italianismen, nicht um lediglich ausdrucksseitig beeinflusste französische Formen handelt (vgl. dazu Hope 1971: 156). 128 Für die entsprechenden Textstellen vgl. Estienne ([1578] 1980: 381, 241, 226-227, 285, [204], 420, [80], 263, 56, [105], 193, 243, 62, 262, 285, 369, 202, [177], 340-341, 242, 68, 260, [260], 211, 38, [409], 37, 369, 191, [268], 429, [76], 157, 409, 124, 299, 349, [204]). 129 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 239, [121], 246). 130 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 258, 78, 272, 58, 369, 316, 147, 75, 214, 40, 66, 190, 124, 270, 249, 131, 301, 92). 131 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 272). 5.5 Trescases (1978b) revisited 241 betrachten ist 132 ; ferner cramoisi 133 , das laut TLF i (s.v. cramoisi ) vermutlich über das Italienische vermittelt wurde. [143+2] (ff) Lexeme, die nach heutigem Stand der Forschung als Hapax-Belege gelten müssen: gayoffe , leggiadresse , serviciale ‘clystère’, stenter 134 . Obschon gayoffe immerhin als Eigenname für einen Riesen in Rabelais zu finden ist, kann es nicht wirklich als verbreiteter Italianismus angesehen werden (vgl. Sainéan Bd. 2, 1923: 482). Für serviciale verweist das FEW (s.v. servitium ) zwar auf Belege in Nyrop Bd. 4 ([1935] 1979: 306), eine Überprüfung zeigt jedoch, dass auch dort nur Belege aus Estienne zu finden sind. Während Hope (1971: 223) in stenter den Erstbeleg für das im 17. Jahrhundert in der Kunst verbreitete un tableau stenté sehen möchte, ist mit Smith (1980a: 145, Fn. 366) und Sampson (2004: 332) wohl eher davon auszugehen, dass stenter mit der Bedeutung ‘patienter’ hier als Hapax zu betrachten ist. Leggiadresse kann ebenso wenig zu den belegten Lehnwörtern gezählt werden: Entgegen den Aussagen des OIM (s.v. leggiadrezza ), das sich auf Hope (1971) bezieht, ist es nicht belegt. Hope (1971: 206) nennt nur leggeresse < it. leggerezza , nicht leggiadresse < it. leggiadrezza . Laut FEW (s.v. * leviarius ) sei fr. leggiadresse zwar belegt, eine Überprüfung ergibt jedoch, dass es sich nur in Estienne (1578) findet. Zudem sind nach Aussage des FEW für fr. leggiadresse ‘gentillesse’ und fr. leggeresse ‘agilité’ unterschiedliche Bedeutungen anzunehmen, so dass ersteres auch nicht als stärker italianisierende Variante des letzteren gelten kann (vs. z.B. ricolte neben récolte ). [143+4] (gg) Lexeme und Wendungen, für die eine Herkunft aus dem Italienischen wahrscheinlich ist: baiser les mains , panade , le Grand Seigneur ‘Sultan’, soprefin , spolin , rester / demeurer avec autant de nez , luy vienne le cancre 135 . [143+7] Während Svennung (1958: 35-37) unter Berufung auf Brunot HLF II für baiser les mains à qn spanischen Einfluss verantwortlich machen will, zeigt eine Überprüfung in Brunot HLF II (1906: 208, Fn. 2), dass dieser eigentlich betont, dass gar nicht mit Bestimmtheit festgestellt werden kann, ob die Wendung über das Spanische oder das Italienische vermittelt wurde. Die Befürwortung einer spanischen Herkunft erklärt sich m. E. dadurch, dass Svennung nicht erkennt, dass es sich bei baiser les mains vermutlich um einen über das Italienische vermittelten Hispanismus im Französischen handelt: Er verweist zu Recht darauf, dass bereits mit Croce (1895: 52, 55, 86) it. baciare le mani tatsächlich als Hispanismus im Italienischen 132 Laut FENNIS (s.v. galiote ) ist auch okzitanischer Einfluss denkbar. 133 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 193). 134 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 80, 369, 409, 118, 145). 135 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 39, 262, 272, 193, 193, 363, 438). 242 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues betrachtet werden kann 136 . Nun aber heißt dies nicht, dass fr. baiser les mains nicht über das Italienische vermittelt worden sein kann. Im Gegenteil: Wie in Kapitel 2.2.3 und 2.3.3.2 illustriert wurde, ist im 16. Jahrhundert der Kontakt mit Italien - sowohl in kultureller als auch in sprachlicher Hinsicht - deutlich stärker ausgeprägt als jener mit Spanien, so dass letzteres als direkter Vermittler kaum in Frage kommt. Die Franzosen überquerten auf ihren Reisen schließlich zumeist die Alpen und eher selten die Pyrenäen. Zudem war diese ursprünglich spanische Wendung im rinascimentalen Italienisch schon so etabliert, dass sie sich in italienischen Briefen - auch in solchen italienischer Immigranten in Frankreich - häufig nachweisen lässt (vgl. die unten abgedruckten Passagen sowie Kapitel 6.3.3.2 und 7.3.5.2) 137 . Da die Italiener zahlenmäßig die größte Gruppe an Einwanderern stellten, ist es nur naheliegend, dass die Franzosen auch im eigenen Land über das Italienische mit dieser Wendung in Kontakt kamen und sie demnach auch als italienisch, nicht als spanisch empfanden. Dass die Italiener unter Umständen einen bedeutenden Einfluss auf die sprachliche Höflichkeit im frühneuzeitlichen Frankreich im Allgemeinen ausübten, wurde in Kapitel 4.2.3.4 erläutert 138 . Mandano costà Messer Girolamo Spannocchi gli haviam conmesso che visiti, VV . SS , le quali si contenteran di credere ale parole sue come a noi stessi, e con questo baciamo lor le mani, pregando Dio che li facci e conservi felici. (Piccolomini 1877: 20-21, Brief des Maestrato Supremo di Siena 1555, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Prima non me venuto occasione scrivere a V. S. per questo non voglio manchar pregarla, che quella si ricordi della buona amicitia e volontà che sempre ho portato, asicurandola che in me è cresciuta. […] O volsuto avvisar V. S. del tutto alla quale bacio umilmente le mano […]. (Piccolomini 1877: 29-30, Brief von Baccio Martelli 1554, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Während soprefin ‘eine Art Stoff/ Tuch’ bereits von Vidos (1931: 474) und auch vom FEW (s.v. fīnis ) als ephemerer Italianismus im Französischen des 16. Jahrhunderts anerkannt wird, bereitet die Beurteilung von spolin Probleme. Beide Lexeme werden neben dem auch in Hope (1971: 168) aufgenommenen Italianis- 136 Smith (1980a: 39, Fn. 33) nennt jedoch auch eine zeitgenössische spanische Quelle, die im Spanischen italienischen Einfluss wahrscheinlich machen will. Vermutlich geht die Verbreitung des Handkusses aber tatsächlich vom spanischen Hof (vgl. Zakharine 2006) und die Wendung mithin vom Spanischen aus. 137 Vgl. auch die Belege im GDLI (s.v. baciare ). 138 Die nominale Anredeform Vostre Seigneurie wird hier nicht zu den lexikalischen Italianismen gezählt, da Estienne vermutlich nur die steigende Gebrauchshäufigkeit derselben kritisiert (vgl. auch die Anmerkung zu serviteur in Kapitel 5.5.1.3). 5.5 Trescases (1978b) revisited 243 mus brocart zwar in Cotgrave (1611) als besondere Arten feinen Tuchs genannt, jedoch lässt sich für spolin in dieser Bedeutung kein passendes italienisches Etymon bestimmen. Sampson (2004: 335, insbes. Fn. 23) weist darauf hin, dass fr. spolin und it. spolino in vielen Wörterbüchern gänzlich fehlen und dass it. spolino im GDLI (s.v. spolino ) lediglich als Werkzeug in der Tuchverarbeitung erwähnt wird. Auch das FEW (s.v. * spôla , insbes. Anm. 3) stellt Cotgraves (1611) Definition von fr. spolin ‘eine Art Stoff/ Tuch’ in Frage und stellt fest, dass mit espolin auch im Französischen nur ein Werkzeug bezeichnet werden könne. Die schon im Mittelfranzösischen belegte Form espolin sei zudem nicht als Italianismus zu bewerten. Meiner Meinung nach kann fr. spolin in der Bedeutung ‘eine Art Stoff/ Tuch’ aber als Italianismus des 16. Jahrhunderts gelten: Erstens war der Stoffhandel fest in italienischer Hand (vgl. Kapitel 2.1.3) und der entsprechende Denotatsbereich daher besonders offen für Italianismen, was nicht zuletzt auch die Lehnwörter brocart und soprefin belegen (vgl. étymologie organique in Kapitel 2.3.3.3). Zweitens konnte Smith (1980a: 192-193, Fn. 558) zeigen, dass spolin in der Bedeutung ‘eine Art Stoff/ Tuch’ auch in Texten außerhalb der Deux Dialogues nachgewiesen werden kann. Drittens spricht auch die Tatsache, dass das Lexem in dieser Bedeutung in der wenig adaptierten Form ohne prothetischen Vokal erscheint, dafür, dass wohl von einem Italianismus auszugehen ist. Wie die unten nach Smith (1980a: 192-193, Fn. 558) zitierten Auszüge aus einer ordonnance von Henri III (1577-1578) illustrieren, werden die Stoffbezeichnungen zudem in Kontexten gebraucht, in denen ein eindeutiger Bezug zu Italien hergestellt werden kann. Ein Vergleich mit der entsprechenden Textstelle in Estienne zeigt zudem, dass der Purist auch mit der damaligen Marktlage bestens vertraut war. PHIL .: En ceste mesme police dont je vous ay parlé nous avons le taux des draps de soye par lequel Sa Majesté a voulu remedier au pris excessif d’iceux que les marchands avoyent faict payer depuis quelque temps en çà par leur monopole. […] Et quant à l’or et à l’argent filé, l’once du brocart est taxée à part, celle du spolin à part, celle aussi du soprefin, et celle du subtil. CEL .: Je pense qu’alors que je laissay la France, je n’y laissay pas tous ces noms. PHIL .: Je croy aussi que vous n’y laissastes point plusieurs noms de draps de soye que vous orrez maintenant, et qu’elle ne les a point eus qu’assez long temps apres. CEL .: Sont-ils tous en ceste police? PHIL .: Non, car il n’est parlé que du velours renforcé, […] du velours à fonds de satin pourfillé de Gennes, item du velours de toutes couleurs de Gennes renforcé, du velours cramoisi violet poil et demi de Gennes, du velours cramoisi brun de Gennes, du velours cramoisi haute couleur de Florence et de Luques. Or quant aux façons nouvelles de velours, ou plustost quant aux nouveaux desguisements de velours, il 244 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues y en a bien d’avantage qu’en ceste ordonnance. (Estienne [1578] 1980: 193, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Sa Majesté, désirant remédier au prix excessif des draps de soye, qui depuis quelque temps en ça, par le monopole des marchands, s’est si fort augmenté, a voulu y estre mis le taux qui suit, à sçavoir: […] Les autres taffetas ne se pouvans vendre à prix arresté, pour ce qu’il y en a de trop de sortes, se vendront à la livre, à sçavoir: […] Le brocart le plus gros qui s’employe en broderie… l’once trois-quarts d’escus et 6 sols. Spolin qui est un peu meilleur…trois-quarts d’escus […]. Soprefin, qu’on appelle à Milan brocart […] trois-quarts d’escu et 10 sols […]. (Cimber u.a. Bd. 9, 1836: 211-212, Ordonnance du Roy 1578, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Für die Wendung Luy vienne le cancre! wird auch vom FEW (s.v. cancer , insbes. Anm. 3) italienische Herkunft angenommen 139 . Zu rester avec autant de nez konnte ich in den konsultierten Referenzwerken zum Französischen keine eindeutigen Hinweise finden 140 . Allerdings sehen darin laut Smith (1980a: 363, Fn. 317) auch weitere Zeitgenossen, so etwa Estienne Pasquier, einen Italianismus. Laut DELI (s.v. palmo ) ist die Redewendung rimanere con tanto di naso nach TB (s.v. naso ) zumindest ab 1585 im Italienischen belegt, das bedeutungsgleiche rimanere con un palmo di naso ‘restare deluso’ hingegen schon 1565. Philausone nennt neben rester / demeurer avec autant de nez auch die Variante demeurer avec un pan de nez 141 . Eine Übernahme beider Varianten durch das Französische erscheint hier also trotz des ‘späten’ Belegs von rimanere con tanto di naso durchaus plausibel. Zu panade vgl. Kapitel 7.3.5.4.2. Was Grand Seigneur ‘Sultan (in Konstantinopel)’ anbelangt, lassen sich in den einschlägigen Wörterbüchern 142 zwar keine Hinweise auf eine Beeinflussung durch das Italienische finden, jedoch ist eine solche nicht unwahrscheinlich. Zum einen spielte das Italienische, wie in Kapitel 6.2.2.1 noch dargelegt wird, eine wichtige Rolle in der diplomatischen Korrespondenz zwischen Frankreich und dem Osmanischen Reich, so dass bei den zweisprachigen französischen 139 DI STEFANO (s.v. chancre ) führt Le chancre vous vienne! auf, ohne auf italienischen Ursprung hinzuweisen. 140 Im FEW (s.v. nāsus ) wird eine potentielle Herkunft aus dem Italienischen nicht erwähnt, während im TLFi (s.v. nez ) die Redewendung gänzlich fehlt. In DI STEFANO (s.v. nez , pan ) finden sich die folgenden Varianten: demeurer avec un pan de nez , se retirer avec autant de nez sowie demeurer avec demy pie de nés . Italienische Herkunft wird dabei aber nicht erwähnt. 141 Für die entsprechende Textstelle vgl. Estienne ([1578] 1980: 363). 142 Weder im FEW (s.v. sěnior ) noch im TLFi (s.v. seigneur ) wird ein italienischer Ursprung erwähnt. Auch wird kein Erstbeleg genannt. Das FEW gibt lediglich an, dass es im 16. Jahrhundert verbreitet war. 5.5 Trescases (1978b) revisited 245 Botschaftern ein lexikalischer Transfer insbesondere zur Bezeichnung neuer Konzepte naheliegend ist, zum anderen wurde in der Forschung bereits mehrfach gezeigt, dass das Italienische in der Tat für die Vermittlung bestimmter Lehnwörter aus dem Türkischen und Arabischen verantwortlich ist 143 . Bezeichnenderweise stammt auch das Adjektiv fr. arabesque < it. arabesco aus dem Italienischen. Im Italienischen des 16. Jahrhunderts ist Gran Signore ‘Sultan in Konstantinopel’ häufig anzutreffen und kann daher leicht als Vorlage gedient haben. Laut GDLI (s.v. signore ) ist Gran Signore ‘Sultan’ z. B. schon bei Sanudo (* 1466, † 1536) belegt. CEL .: Je suis joyeux de ce que vous avez parlé des Turcs. Car ce mot me remettra en memoire une interrogation que je voulais vous faire touchant ces mots, le Grand Seigneur, dont vous avez usé deux fois: si c’est la coustume de la cour d’appeler l’empereur des Turcs «le Grand Seigneur». PHIL : Non seulement les courtisans mais les autres aussi l’appellent ainsi, et c’est à l’exemple des Italiens qui l’appellent Il gran Signore comme vous pouvez sçavoir. (Estienne [1578] 1980: 272, Hervorhebungen im Original) (hh) Lexeme und Wendungen, die nach heutigem Stand der Forschung entweder nicht als Italianismen zu werten sind oder für die eine italienische Herkunft zumindest nicht eindeutig belegt werden kann: allégresse , bandière , envoyer au bordel , camisole , capitanesse , être à la dévotion de qn , avoir le diable à / au dos , fatigue ‘Anstrengung’, galère , galion , de grace , grade , guidon , ministre du Roy , oimé , surgir 144 . [143+16] Im Gegensatz zu Tracconaglia (1907: 84), der auch die Interjektionen aimé und orsus als kritisierte Italianismen betrachtet, berücksichtige ich diese hier nicht. Aus dem Kontext wird m. E. lediglich klar, dass affektiertes höfisches Verhalten, nicht jedoch zwangsläufig italianisierendes Französisch angeprangert wird (vgl. Estienne [1578] 1980: 82, 334). Bei Clément ([1898] 1967: 437) wird unter interjections keine der drei ( aimé , oimé , orsus ) berücksichtigt. Sie fehlen auch im Wortindex 145 . Für camisole , galère , galion und surgir wird eher okzitanischer, spanischer und katalanischer Ursprung angenommen, wohingegen für bandière , die De- 143 Zur Vermittlerrolle des Italienischen für Orientalismen vgl. u. a. schon Kandler (1944: 7-8) und Hope (1971: 53-55). 144 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 65, 258, 56, 438, 247, 269, 307, 360, 37, 271, 272, 69, 122, 258, 239, 55, 268). 145 Für keine der drei Interjektionen ließen sich in den einschlägigen Wörterbüchern (FEW, HUG, TLFi, GR) Hinweise auf eine mögliche Herkunft aus dem Italienischen finden. Im Italienischen sind sie seit dem Mittelalter belegt (vgl. ZING s.v. ahimé , ohimé , orsù ) und könnten in der Tat bei Hofe ins Französische übernommen worden sein. Dass Gesprächswörter leicht entlehnt werden, wurde bereits angemerkt; ebenso, dass gewisse Italianismen auf die gesprochene Sprache der Höflinge beschränkt blieben. 246 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues rivationsbasis von capitanesse und für guidon italienischer Einfluss zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, aber als eher unwahrscheinlich erachtet wird (vgl. die entsprechenden Einträge im TLF i). Insgesamt sind also 5 dieser 16 fälschlicherweise als Italianismen kritisierten Einheiten - für die Derivate guidon und capitanesse nimmt man inzwischen eine eigenständige Bildung aus fr. guider bzw. fr. capitane < it./ okz./ sp. capitana an - zumindest als Lehngut aus anderen romanischen Sprachen zu betrachten. Wie diese falschen Etymologien im Hinblick auf Estiennes Verdienst in ihrer Gesamtheit zu interpretieren sind, wird in Kapitel 5.5.2.3 erörtert. Zusammenfassung und Übersicht - Hinzugefügte Lexeme (143+88) Zu den 143 Lexemen und Wendungen, die nach der Überprüfung von Trescases’ Liste noch als tatsächlich von Estienne kritisierte Italianismen gelten können, müssen weitere 88 addiert werden. Insgesamt muss also von mindestens 231 kritisierten Italianismen (ohne Derivate des Typs braverie ) in den Deux Dialogues ausgegangen werden. An dieser Stelle sei bereits angemerkt, dass 68 dieser 88 Lexeme und Wendungen als auch außerhalb der Deux Dialogues belegte Italianismen betrachtet werden können. In der folgenden tabellarischen Übersicht werden Einheiten, die in mehrere Gruppen passen würden, in eckige Klammern gesetzt. Sie erscheinen nur in der Kategorie, in der sie gezählt werden, ohne Klammern. Kategorie Addierte Formen zu Trescases (1978b) (aa) Derivate mit it. Basis und it. Affixen (+8) [ capitanesse ], courtisanesque , bravade , harquebouzade , [ leggiadresse ], pavigeade , pédantesque , barbaresque , [ bastonnade MA ], arabesque , tudesque (bb) ausdrucksseitig und semantisch adaptierte Lexeme (+3) <cargue>/ <charge>, <délicatesse>/ <delicateté>, <escrime>/ <escremie>, [<allégresse>/ <alaigrece>] 5.5 Trescases (1978b) revisited 247 Kategorie Addierte Formen zu Trescases (1978b) (cc) Italianismen des 16. Jh. (Hope 1971) (+28) académie , accoster , altesse , s’amouracher , [ arabesque ], artisan , [ barbaresque ], baster , brave , [ bravade ], brocart , caporal , cartel , cervelat , coronel , coyon , courtiser , [ délicatesse ], désastre , estochade , goffe , harquebouze , [ harquebouzade ], humoriste , intrigue , [ leggiadresse ], manquer , mat , moustache , [ pavigeade ], pécore , [ pédantesque ], populasse , postillon , recamé , sonnet , [ tudesque ] (dd) Italianismen des 16. Jh. ( TLF i) (+2) agent , [ cargue ], matachin (ee) Italianismen des MA (Hope 1971) (+20) bannerole , bastonnade , brigantin , canon , carat , caresser , casanier , citadins , galerie , lustre , malvoisie , perruque , poste (f.), pouppe , salade ‘Salat’, serrail , soldate , traffique , cramoisi , galiote (ff) Hapax-Belege (+4) gayoffe , leggiadresse , serviciale ‘clystère’, stenter (gg) Lexeme und Wendungen, für die ein it. Ursprung wahrscheinlich ist (+7) baiser les mains , panade , le Grand Seigneur , soprefin , spolin , rester / demeurer avec autant de nez , luy vienne le cancre (hh) Lexeme und Wendungen, für die it. Einfluss unwahrscheinlich ist oder nicht belegt werden kann (+16) allégresse , bandière , envoyer au bordel , camisole , capitanesse , être à la dévotion de qn , avoir le diable à / au dos , fatigue ‘Anstrengung’, galère , galion , de grace , grade , guidon , ministre du Roy , oimé , surgir Gesamt 143+88 = 231 als Italianismen kritisierte Lexeme und Wendungen Tab. 4: Addierte Formen zu Trescases (1978b) 5.5.1.5 Von Estienne nicht erkannte Lehnwörter In Kapitel 5.5.1.2 wurde bereits darauf hingewiesen, dass Estienne in seinen Deux Dialogues bisweilen Italianismen verwendet, die, da sie weder explizit noch implizit kritisiert werden, offenbar nicht als Lehnwörter erkannt werden. Auch wenn deren Zahl gering ist 146 , sollen sie im Folgenden kurz aufgelistet 146 Einige der vermeintlich nicht erkannten Italianismen, wie etwa artisan , können entgegen den Angaben Winds (1928: 143) als indirekt kritisiert und mithin als erkannt gelten. Vgl. dazu exemplarisch die Anmerkungen Smiths in ihrer Edition der Deux Dialogues (1980a: 285, Fn. 80; 420, Fn. 441; 62, Fn. 34; 40, Fn. 3). 248 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues werden, nicht zuletzt auch deshalb, weil Trescases (1978b) diesen Aspekt völlig außer Acht lässt. Als neutral, d. h. auch von Celtophile verwendetes Lehngut können betrachtet werden: ambassadeur , banquet , banquier , s’escarmoucher , festin , masque , pavois 147 . Ferner müssen auch carrière , das zwar nur einmal von Philausone verwendet wird, aber völlig unkommentiert bleibt, sowie faction , das in der Bedeutung ‘fonction d’un soldat armé qui surveille les abords d’un poste’ fälschlicherweise als Latinismus kritisiert wird, als nicht erkanntes Lehngut aus dem Italienischen gelten 148 . Des Weiteren könnten auch carguer ‘charger’ sowie sentir ‘entendre’ 149 zu dieser Gruppe gezählt werden, da Estienne zwar anmerkt, dass solche Italianismen denkbar wären, deren Existenz aber eigentlich ausschließt. Während carguer bereits von Smith (1980a: 121, Fn. 260, 261) in Cotgrave (1611) nachgewiesen wurde und auch vom TLFi (s.v. carguer ) als Italianismus des 16. Jahrhunderts behandelt wird, lassen sich Belege für sentir ‘entendre’ u. a. in Briefen italienischer Immigranten ausfindig machen. Zur Begründung, weshalb bei sentir ‘entendre’ von italienischem Einfluss und entgegen dem FEW (s.v. sĕntīre ) nicht von einer erbwörtlichen Entwicklung ausgegangen werden könnte, vgl. die Diskussion in Kapitel 7.3.5.2. CEL .: II pourroit bien estre, sinon qu’on trouvast qu’autres aussi parlassent de la mesme façon. Quant à sentir la musica, je sçay que cela est ordinaire, et pense bien qu’à la fin on voudra italianizer en ceste façon de parler, comme en un si grand nombre d’autres, tellement que quelque matin on orra dire sentir la musique, pour «ouir la musique». (Estienne [1578] 1980: 361, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Schwieriger gestaltet sich die Beurteilung des Verbs importer und des Substantivs importance . Zwar wird letzteres in den Deux Dialogues ausschließlich von Philausone gebraucht, aber Estienne selbst verwendet es völlig neutral in der Precellence , so dass davon ausgegangen werden muss, dass es nicht als italienisches Lehngut wahrgenommen wird 150 . Das Verb werde laut Clément ([1898] 1967: 356) erst in den Hypomneses kritisiert. Eine Überprüfung der entsprechenden Textstelle zeigt, dass Estienne (1582: 111), der das Paar importance / emporter dem Paar inflammation / enflammer gegenüberstellt, importance als französisch und importer (statt emporter ) lediglich als ausdrucksseitig italianisierend betrachtet (vgl. dazu auch Kapitel 5.5.2.3.4). Dazu passt, dass in den Deux Dialogues 147 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 239, 198 / 281 / 284, 264, 372, 311, 169-170, 251). 148 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 334, 255). Laut TLFi (s.v. carrière ) ist die italienische Herkunft für carrière allerdings nicht gänzlich unumstritten. 149 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 121, 361). 150 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 214, 320, 388), Estienne (1579: 100). 5.5 Trescases (1978b) revisited 249 fast ausschließlich Philausone Formen mit <im-> benutzt, wohingegen in der Rede Celtophiles fast durchgängig Formen von emporter begegnen 151 . Alles in allem ist also davon auszugehen, dass sich Estienne während des Verfassens der Deux Dialogues des italienischen Einflusses auf die Semantik des Verbs nicht bewusst war 152 . Was fr. escort < it. scorto ‘habile, avisé’ und fr. conche < it. concio anbelangt, die u. a. von Hope (1971: 190, 182) als eigenständige Italianismen im Französischen des 16. Jahrhunderts betrachtet werden, wurde unter Berufung auf Sampson (2004: 340) und Smith (1980a: 86, Fn. 104, 106; 87, Fn. 107) bereits in Kapitel 4.2.3.3 festgestellt, dass Estienne darin ‘fälschlicherweise’ lediglich Varianten zum semantisch ähnlichen accort < it. accorto bzw. acconche < it. acconcio sieht. Wie sind die offenbar nicht erkannten Italianismen nun im Hinblick auf Estiennes deskriptives Verdienst zu bewerten? Zunächst lässt sich festellen, dass ihre Anzahl nur marginal ist: Insgesamt handelt es sich um lediglich 15 Lexeme. Bedenkt man zudem, dass importer zumindest 1582 als (formal) italianisierend erkannt wurde, carguer und sentir ‘entendre’ als mögliches Lehngut erwähnt, faction immerhin als fremd und escort und conche zumindest als Varianten von accort bzw. acconche wahrgenommen wurden, bleiben letztlich nur 9 Lexeme, deren italienische Herkunft Estienne tatsächlich gänzlich entgangen zu sein scheint. Dies könnte unter Umständen daran liegen, dass die meisten aufgrund der frühen Erstbelege schon gut in das rinascimentale Französisch integriert waren. So ist es für ambassadeur (Anfang des 14. Jahrhunderts), banquet (Ende des 14. Jahrhunderts), banquier (13. Jahrhundert), carrière (1534), s’escarmoucher (1360), festin (1382 / 1527), importance (15. Jahrhundert), masque (1514), pavois 151 Zur Verwendung von importer und emporter in den Deux Dialogues vgl. Estienne ([1578] 1980: 69, 70, 102, 106, 107, 276, 299, 352, 372, 385). Nicht auszuschließen ist, dass <importer> bei Celtophile (vgl. Estienne [1578] 1980: 254) der Edition geschuldet ist. 152 Inwieweit fr. importer tatsächlich semantisch vom Italienischen beeinflusst ist, scheint nicht gänzlich geklärt zu sein. Von den einschlägigen Referenzwerken zum italienischen Lehngut im Französischen wird es nur in Sarauw (1920: 301), nicht aber in Kohlmann (1901), Wind (1928) und Hope (1971) behandelt. Der TLFi (s.v. importer 1) nimmt für importer ‘exiger, nécessiter, comporter’ lediglich ausdrucksseitigen Einfluss auf bedeutungsgleiches erbwörtliches emporter („réfection probable d’apr. l’ital. importare “), für ‘concerner, être de conséquence pour (qqn, qqc.), être important’ hingegen Entlehnung aus dem Italienischen an. Das FEW (s.v. importare ) bespricht insbesondere importer ‘être important’ und geht dabei von italienischer Herkunft aus. Problematisch ist, dass sowohl laut TLFi als auch laut FEW emporter ‘être important’ im 16. Jahrhundert belegt ist. Die verschiedenen Bedeutungen könnten sich im Französischen also auch eigenständig entwickelt haben. Das FEW betrachtet emporter ‘être important’ jedoch als „Französierungsversuch“ des Italianismus importer . In der vorliegenden Arbeit wird importer ‘être important’ in Anlehnung an das FEW und den TLFi als italienisches Lehngut im Französischen betrachtet. 250 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues (1336) durchaus nicht unwahrscheinlich, dass die Gebrauchshäufigkeit im Jahre 1578 bereits hoch war 153 . 5.5.2 Tatsächliche Verbreitung der kritisierten Italianismen 5.5.2.1 Vorbemerkungen Wesentlich an Trescases’ Kritik war, dass nur 71 der ca. 206 in den Deux Dialogues kritisierten Italianismen tatsächlich Eingang in das rinascimentale Französisch gefunden hätten. Addiert man noch die 8 Lehnwörter aus früheren Jahrhunderten hinzu, seien immer noch 127 Lexeme zu verzeichnen, die wohl als Hapax-Belege 154 gelten müssen, so dass das Zeugnis Henri Estiennes über die Sprache seiner Zeitgenossen insgesamt als eher unzuverlässig betrachtet werden müsse. Wie in den vorhergehenden Kapiteln deutlich geworden ist, sind aber 63 der angeblich als Lehnwörter getadelten Lexeme aus Trescases’ Liste zu streichen, 88 müssen hinzugefügt werden. Es wurde ebenfalls bereits darauf hingewiesen, dass einige Formen, die Trescases als nicht belegt ausweist, in Wirklichkeit durchaus verbreitete Varianten etablierter Italianismen sind und dass mehr als 45 Jahre nach Hope (1971) bestimmte von Estienne als Lehnwörter kritisierte Lexeme zwar in Hope fehlen, aber nach heutigem Stand der Forschung als Lehngut aus dem Italienischen angesehen werden müssen. Im Folgenden wird daher überprüft, wie viele der 231 (206-63+88) Lexeme und Wendungen tatsächlich als Lehngut italienischer Herkunft betrachtet werden können und wie viele davon auch außerhalb der Deux Dialogues verbreitet waren. Zählt man in Trescases’ Liste genau nach, so muss man eigentlich von 72 (nicht 71) in Hope (1971) belegten Lehnwörtern ausgehen. [71+1] Abgezogen werden müssen Derivate, die, wie in Kapitel 5.5.1.2 erläutert wurde, aufgrund erbwörtlicher Affixe auch französische Bildungen sein könnten, aber von Trescases (1978b) als belegte Italianismen gewertet wurden, obwohl kein eigener Eintrag in Hope (1971) vorhanden ist: acconché (neben acconche ), assassinateur (neben assassin ), bastant (neben baster ), courtisaner (neben courtisane ) und gofferie (neben goffe ) 155 . Auch cavalerie (neben cavalier ) sowie disgratier (neben disgrâce ) 156 werden getilgt. Ferner müssen auch escort < it. scorto (neben accort < it. 153 Für die Erstbelege in runden Klammern vgl. TLFi (s.v. ambassadeur , banquet , banquier , carrière , s’escarmoucher , festin , importance , masque , pavois ). 154 Es sei daran erinnert, dass Trescases (1978b) keinerlei Angaben zu diesen 127 Lexemen macht. Ob es sich dabei um Hapax-Belege oder einfach um falsche Etymologien handelt, wird an keiner Stelle geklärt. 155 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 74 (74), 101 (100-101), 37 (263), 202 (107), 36 (68)). 156 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 60 (45, 121), 148 (148)). 5.5 Trescases (1978b) revisited 251 accorto ) und conche < it. concio (neben acconche < it. acconcio ) 157 getilgt werden, die, wie Trescases (1978b) zwar richtig erkannt hat, in Hope (1971: 190, 182) als eigenständige lexikalische Italianismen des Französischen der Renaissance behandelt werden, aber von Estienne nur als Varianten von accort bzw. acconche betrachtet werden. [71-9] 5.5.2.2 Belegte Italianismen Weitere Lexeme und Wendungen, die als belegt gelten können und daher addiert werden müssen, lassen sich innerhalb einiger der folgenden Kategorien in zwei Untergruppen einteilen: Zum einen all diejenigen, die in Trescases’ Übersicht fehlen und belegt sind (vgl. das vorherige Kapitel), zum anderen solche, die von Trescases fälschlicherweise als Hapax-Belege (oder falsche Etymologien) eingestuft wurden. Hinzugefügt werden können: (aaa) Derivate, die aufgrund ihrer Derivationsbasis sowie ihrer Affixe als Lehngut aus dem Italienischen des 16. Jahrhunderts betrachtet werden können (vgl. (g) und (aa) weiter oben), aber in Trescases’ Übersicht fehlen: courtisanesque , bravade , harquebouzade , pavigeade , pédantesque , barbaresque , [ bastonnade MA], arabesque , tudesque 158 . [71+8] Ferner muss auch das fälschlicherweise als nicht belegt erachtete accortesse (neben accort ) 159 addiert werden. [71+1] Des Weiteren sind auch esplanader (kein esplanade ) und villaquerie (kein veillaque ) 160 zu berücksichtigen, da die entsprechenden Simplizia bei Estienne nicht genannt werden 161 . [71+2] (bbb) Lexeme, die nicht nur ausdrucksseitig, sondern auch semantisch von ihren italienischen Kognaten beeinflusst werden und daher als tatsächliche Ita- 157 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 85-86 (85-86), 86-87 (86-87)). 158 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 211, 313, 36, 105, 260, 268, 76, 80, [78], 204, 204). Lexeme in eckigen Klammern werden anderen Gruppen zugeteilt und hier nur aus Gründen der Vollständigkeit mit aufgeführt Das Lexem capitanesse kann nicht als belegter Italianismus des 16. Jahrhunderts gelten, da eine italienische Herkunft laut TLFi (s.v. capitane ) unwahrscheinlich ist. Leggiadresse kann ebenso wenig zu den belegten Lehnwörtern gezählt werden. Entgegen den Aussagen des OIM (s.v. leggiadrezza ) ist es nicht außerhalb der Werke Estiennes belegt (vgl. Kapitel 5.5.1.4). 159 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 120-121 (120-121)). Zu den Gründen, weshalb in solchen Fällen von direkter Entlehnung auszugehen ist, vgl. Kapitel 2.3.3.3. 160 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 247, 77). Das schon von Trescases (1978b) als belegt betrachtete balorderie (Estienne [1578] 1980: 36) wird weiterhin in der Liste der richtig erkannten Italianismen beibehalten, da das entsprechende Simplex balord in den Deux Dialogues nicht thematisiert wird. 161 Die Derivate callizelle , domestichesse , spurchesse (vgl. Estienne [1578] 1980: 75, 37, 81) werden nicht als belegte Italianismen gewertet. Zwar können die Simplizia domestiquer , 252 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues lianismen gelten können, aber in Trescases (1978b) fehlen (vgl. (h) und (bb) weiter oben): <cargue>/ <charge>, <délicatesse>/ <delicateté>, <escrime>/ <escremie> 162 . [71+3] (ccc) Lexeme, die schon bei Hope (1971) als Italianismen des 16. Jahrhunderts verzeichnet sind und bis heute (vgl. TLF i und OIM ) mehrheitlich als solche betrachtet werden (vgl. (cc) weiter oben): académie , accoster , altesse , s’amouracher , [ arabesque ], artisan , [ barbaresque ], baster , brave , [ bravade ], brocart , caporal , cartel , cervelat , coronel , coyon , courtiser , [ délicatesse ], désastre , estochade , goffe , harquebouze , [ harquebouzade ], humoriste , intrigue , manquer , mat , moustache , [ pavigeade ], pécore , [ pédantesque ], populasse , postillon , recamé , sonnet, [ tudesque ] 163 . [71+28] (ddd) Lexeme, die nach heutigem Stand der Forschung (vgl. OIM, TLFi) als Italianismen des 16. Jahrhunderts gelten, aber bei Hope (1971) und Trescases (1978b) fehlen (vgl. (dd) weiter oben): agent , [ cargue ], matachin 164 . [71+2] Außerdem müssen armet , drapeau , faire halte , liste und salve 165 hinzugefügt werden, die, da sie nicht in Hope (1971) belegt sind, bei Trescases als Hapax bzw. falsche Etymologien gelten. Sie alle sind nach Auskunft des TLF i italienisches Lehngut aus dem 16. Jahrhundert. [71+5] Des Weiteren muss zumindest laut FEW und OIM (s.v. casa ) auch case 166 in der Bedeutung ‘gutes / edles Haus’ als indirektes Lehngut gelten, da sich die Bedeutungsverbesserung (‘Hütte’ > ‘gutes / edles Haus’) kaum anders als durch den Einfluss des Italienischen in der Renaissance erklären lässt. [71+1] (eee) Lexeme und Wendungen, für die eine Herkunft aus dem Italienischen wahrscheinlich ist (vgl. (gg) weiter oben): baiser les mains , panade , le Grand spurque und calle in italianisierenden Autoren des 16. Jahrhunderts nachgewiesen werden (vgl. Smith 1980a: 75, Fn. 55; 37, Fn. 23; 81, Fn. 88), aber die Derivate selbst sind im Gegensatz zu villaquerie usw. nicht außerhalb der Deux Dialogues belegt. 162 Für die entsprechenden Textstellen vgl. Estienne ([1578] 1980: 121, 177, 216). Nicht aus (bb) übernommen wurde allégresse , für das eine italienische Herkunft unwahrscheinlich ist. 163 Lexeme in eckigen Klammern wurden bereits weiter oben in die Übersicht aufgenommen und werden hier nur aus Gründen der Vollständigkeit mit aufgeführt. Für die entsprechenden Textstellen vgl. Estienne ([1578] 1980: 381, 241, 226-227, 285, [204], 420, [80], 263, 56, [105], 193, 243, 62, 262, 285, 369, 202, [177], 340-341, 242, 68, 260, [260], 211, 38, 37, 369, 191, [268], 429, [76], 157, 409, 124, 299, 349, [204]). 164 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 239, [121], 246). 165 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 248, 257, 256, 112, 260). 166 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 74). 5.5 Trescases (1978b) revisited 253 Seigneur ‘Sultan’, soprefin , spolin , rester / demeurer avec autant de nez , luy vienne le cancre 167 . [71+7] (fff) Italianismen, die laut FEW , HUG , OIM , Smith (1980a), TLF i, TLF -Étym oder meinen Forschungsergebnissen im 16. Jahrhundert zumindest vorübergehend auch außerhalb der Deux Dialogues zu finden sind, also richtig als solche erkannt wurden, aber sowohl von Hope (1971) als auch von Trescases (1978b) als Hapax betrachtet werden: amasser ‘tuer’, amorevolesse , baster l’anime , brode , capiter ‘arriver’, tenir qn en cervelle , fastide , ferites , fermer ‘arrêter’, gentil-donnes , inganner , piller ‘prendre’, à sa poste ‘à son gré’, le prime del monde , spurque 168 . Es findet sich für sie alle mindestens eine weitere Okkurrenz in Texten des 16. Jahrhunderts außerhalb der Werke Estiennes (vgl. die Angaben in Anhang 2). Dabei handelt es sich freilich nicht um tatsächlich etablierte Italianismen, aber sie erkannt zu haben, weist Estienne als sehr genauen Beobachter seiner Zeit aus. [71+15] (ggg) Formen, die von Trescases (1978b) nicht als Varianten etablierter Italianismen erkannt und daher als Hapax eingestuft wurden: ricolte , spaceger , [ squadron MA ], staphier , [ strade MA ], [ stropier MA ] statt récolte , passeger , [ escadron MA ], estafier , [ estrade MA ], [ estropier MA ] 169 . [71+3] Es sei darauf hingewiesen, dass es durch die Aufnahme dieser Lexeme nicht zu wie weiter oben kritisierten Doppelzählungen (z. B. escorce neben escorte ) kommt. Solche Varianten werden natürlich nur dann berücksichtigt, wenn die jeweils ‘französischere’ Form aus Hope (1971: 219, 214-215, 192) nicht bei Estienne erscheint und deshalb nicht in die Liste aufgenommen wurde. Auffällig ist, dass es sich dabei in allen Fällen um weniger gut integrierte Formen handelt ([ri-] statt [re-] und s impurum ). Auch wenn die Formen ricolte , spaceger und staphier laut den einschlägigen Referenzwerken nicht außerhalb der Deux Dialogues dokumentiert sind 170 , können die 167 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 39, 262, 272, 193, 193, 363, 438). 168 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 90, 265, 73, 87, 39, 124, 73, 67, 74, 182-183, 38, 66, 90, 124, 304). Die in ihrer Semantik beeinflussten Verben fermer und amasser stellen insofern einen Sonderfall innerhalb dieser Gruppe dar, als sie in Hope (1971: 648) zwar keinen Eintrag als Italianismen des 16. Jahrhunderts erhalten, aber zumindest im Kapitel zur Theorie der Entlehnung als Beispiele für Lehnbedeutungen genannt werden. Allerdings liefert Hope keine weiteren Belege aus zeitgenössischen Texten. 169 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 140, 35, 244-245, 76, 36, 347). 170 Weder Hope (1971: 219, 214-215, 192) noch Wind (1928: 39, 150, 201, 94, 148, 167, 165) nennen sonstige Belege für diese Varianten. Auch in den Anmerkungen Smiths (1980a: 140, Fn. 348; 35, Fn. 4; 76, Fn. 62) finden sich keinerlei Hinweise auf weitere Okkurrenzen außerhalb der Werke Estiennes. Allerdings lasse sich laut Smith (1980a: 35, Fn. 4) und HUG (s.v. spacier ) spacier ‘spaceger’ in Du Tronchet und anderen Autoren des 16. Jahrhunderts nachweisen. In HUG (s.v. récolte , spaceger / passeger , estafier ) sind keine weiteren Belege für die von Estienne kritisierten Varianten zu finden. Jedoch verwendet 254 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Lexeme als verbreitete und demnach von Estienne richtig erkannte Italianismen gelten. Zum einen wurde eingangs betont, dass es um types geht, zum anderen könnten diese Varianten zumindest in der gesprochenen Sprache existiert haben. Vermutlich sind diese schlecht integrierten Formen von Estienne auch ganz bewusst gewählt worden: Sie können als exemplarisch für AS -produzenteninduzierte Entlehnungen betrachtet werden (vgl. Kapitel 4.2.3.3). Dass sich andererseits gerade im 16. Jahrhundert tatsächlich vermehrt Italianismen mit s impurum finden (z.B. fr. stuc < it. stucco ), wurde schon mehrfach erwähnt. Auch gibt es Italianismen, in denen bis heute die Sequenz [ri-] statt [re-] erhalten geblieben ist (z.B. fr. riposte < it. risposta ). Dass die Varianten ricolte , spaceger und staphier im Französischen des 16. Jahrhunderts existiert haben, ist also durchaus nicht unwahrscheinlich. (hhh) Italienisches Lehngut, das schon vor dem 16. Jahrhundert ins Französische gelangt ist: Neben den 8 von Trescases (1978b) identifizierten Wörtern accort , bouccon , brigade , discortesie , embuscade , police , salade ‘eine Art Helm’, volte 171 [71+8] sind dies die 20 Lexeme aus (ee), also bannerole , bastonnade , brigantin , canon , carat , caresser , casanier , citadins , galerie , lustre , malvoisie , perruque , poste (f.), pouppe , salade ‘Salat’, serrail , soldate , traffique sowie cramoisi und galiote 172 . [71+20] Ferner muss escalade 173 addiert werden, das von Trescases (1978b), obwohl es von Hope (1971: 37-38) besprochen wird, unverständlicherweise als nicht belegt ausgewiesen wird. [71+1] Außerdem die von Trescases (1978b) nicht erkannten Varianten squadron , strade , stropier statt escadron , estrade , estropier 174 . [71+3] In der Tat sind sowohl strade als auch die weniger gut integrierten Formen squadron und stropier auch außerhalb der Texte Estiennes belegt (vgl. u. a. Hope 1971: 37, 39 und HUG s.v. estropier ) 175 . Wie bei den Formen im vorhe- D’Aubigné die Form stafier . Eine Suche nach den Varianten in FRANTEXT (1500-1600) ergibt ebenfalls keine Treffer. 171 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 85, 262, 76, 74, 247, 111, 248, 69). 172 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 258, 78, 272, 58, 369, 316, 147, 75, 214, 40, 66, 190, 124, 270, 249, 131, 301, 92, 193, 272). 173 Für die entsprechende Textstelle vgl. Estienne ([1578] 1980: 246). Der TLFi (s.v. escalade ) hält hier okzitanischen Ursprung jedoch für wahrscheinlicher. 174 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 244-245, 36, 347). In den Deux Dialogues sind sowohl escadron als auch squadron zu finden. Es wird hier nur squadron berücksichtigt. 175 Während in Hope (1971: 39) die Form strade nicht besprochen wird, betonen Wind (1928: 81) und Sampson (2004: 331), dass strade auch außerhalb der Werke Estiennes belegt sei. Allerdings nennen sie keine Quellen. In den Anmerkungen Smiths (1980a: 36, Fn. 5) konnte ich keine weiteren Hinweise auf die Verbreitung dieser Variante finden. In FRAN- TEXT (1500-1600) konnten jedoch zwei Okkurrenzen (jeweils eine in einem Text von Du Bellay und L’Estoile) nachgewiesen werden. HUG (s.v. estrade ) nennt hingegen nur die Belege aus den Deux Dialogues . 5.5 Trescases (1978b) revisited 255 rigen Abschnitt könnte es sich auch hier um Beispiele für AS -produzenteninduzierte Entlehnungen handeln. Möglicherweise will Estienne damit aber auch auf ein Phänomen aufmerksam machen, das bereits in Kapitel 2.3.2.2 angesprochen wurde und m. E. als Reitalianisierung bezeichnet werden kann: Bereits etablierte und dementsprechend ausdrucksseitig integrierte Italianismen werden im 16. Jahrhundert bisweilen wieder an ihr italienisches Etymon angenähert. Im Gegensatz zu Trescases (1978b) zähle ich auch diese Italianismen zur Kategorie der richtig erkannten und im 16. Jahrhundert belegten Lehnwörter. Abgesehen von der Tatsache, dass es sich hierbei in jedem Fall um belegtes und demnach von Estienne ‘richtig’ erkanntes Lehngut handelt, sprechen mehrere Gründe für die Berücksichtigung dieser mittelalterlichen 176 Italianismen: Erstens ist anzunehmen, dass diese Italianismen aufgrund des frühen Eindringens ins Französische im 16. Jahrhundert bereits etabliert, frequent und daher besonders sichtbar waren, so dass es nicht gegen, sondern für Estiennes Leistung spricht, diese zu erkennen 177 . Zweitens räumt Estienne in manchen Fällen selbst ein, dass gewisse Italianismen schon länger im Französischen zu finden sind und daher wohl nicht zwangsläufig als Lehngut aus dem 16. Jahrhundert betrachtet werden können. CEL .: Je sçay aussi fort mauvais gré à ceux qui ne se contentent d’user de quelques mots italiens qui en la fin ont esté rendus familiers au langage françois, mais de ceux-là font venir d’autres qui luy sont aussi estranges comme ceux-là luy sont familiers. Pour exemple, ceux qui ne se contentent pas de dire accort , et accortement , mais disent aussi accortise et accortesse . Et un certain personnage a passé encore plus outre. Car, ne se contentant pas de ces termes, y a adjousté accortiser , pour dire «faire devenir accort», et n’a pas fait difficulté d’en user en ses escrits. (Estienne [1578] 1980: 120-121, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) 176 Wie Hopes (1971: 27-66) Kapitel Italianisms in French during the Middle Ages zu entnehmen ist, sind viele der von Estienne (1578) kritisierten Italianismen, die bereits vor dem 16. Jahrhundert Eingang ins Französische gefunden haben, Lehnwörter des 15. Jahrhunderts und somit eher rinascimental denn mittelalterlich. Auch Stefenelli (1981: 197, Fn. 48) weist darauf hin, dass 91 der sog. Italianismen des MA bei Hope (1971) aus dem 15. Jahrhundert stammen. Vergleicht man diese Zahl mit jener der Italianismen im 13. (29) und 14. Jahrhundert (59), zeigt sich, dass über die Hälfte aller ‘mittelalterlichen’ Italianismen in Hope (1971) dem 15. Jahrhundert zugeordnet werden müssen. Im Falle von estropier widerspricht der TLFi (s.v. estropier ) den Angaben Hopes (1971) und nennt einen späteren Erstbeleg (1529). 177 Dass sie im Französischen der Höflinge des 16. Jahrhunderts tatsächlich verbreitet waren und der Purist mithin ein realistischeres Bild der höfischen Sprachgewohnheiten skizziert, als bisher angenommen wurde, belegt im Übrigen auch die Analyse der Briefe italienischer Einwanderer in Kapitel 7.3.5.3.2. 256 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Für die Bewertung seiner deskriptiven Leistung ergeben sich somit zwei Möglichkeiten: Entweder man schließt solche Italianismen gänzlich von der Analyse aus, da sie, wie z. B. nicht als Italianismen kritisierte Latinismen, von Estienne nicht explizit als Lehngut des 16. Jahrhunderts ausgewiesen werden, oder man berücksichtigt sie als getadelte Lehnwörter und zählt sie dann aber zur Kategorie der tatsächlich verbreiteten Italianismen. Letzteres ist m. E. insofern sinnvoll, als, wie oben angemerkt wurde, die mittelalterlichen Lehnwörter im 16. Jahrhundert vermutlich frequent waren. Drittens weist schon Hope (1971: 50) darauf hin, dass bestimmte Lexeme, wie etwa soldat , zwar bereits in früheren Jahrhunderten entlehnt wurden, aber erst im 16. Jahrhundert wirklich häufig belegt sind 178 . Auffällig im Falle von escadron ist, wie weiter oben bereits erwähnt, dass die italianisierende Variante squadron ohne prothetischen Vokal gerade im 16. Jahrhundert auftaucht, so dass unter Umständen sogar von einer erneuten Entlehnung (oder von einer Reitalianisierung) ausgegangen werden könnte. Vor diesem Hintergrund wird umso verständlicher, dass Estienne in einigen Fällen annimmt, es handele sich um rezentes Lehngut. Bisweilen erfahren ‘mittelalterliche’ Lehnwörter im 16. Jahrhundert auch einen semantischen Wandel, der zwar nicht in erster Linie sprachlich, aber dennoch kulturell den Italienern - insbesondere jenen in Frankreich - geschuldet ist: So bezeichnet laut TLF i (s.v. casanier ) mfr. casanier < it. casaniere ‘chi presta denaro’ zunächst einfach nur in Frankreich ansässige Bankiers bzw. Geldverleiher aus Italien. Da diese offenbar wenig mobil waren und immer am selben Ort verweilten, entwickelte sich unter dem Einfluss von gerade im 16. Jahrhundert verbreitetem fr. case < it. casa ‘Haus’ die sekundäre Bedeutung ‘jemand, der gerne zu Hause bleibt’. Auch solche Fälle hat Estienne erkannt, was erklärt, weshalb manchmal auch Italianismen früheren Datums zum Ziel der Satire in den Deux Dialogues werden. Wie der folgende Passus veranschaulicht, setzt Estienne die neue, dem Italienischen unbekannte Bedeutung mit bouquin und ross in Verbindung. Wie in Kapitel 4.2.3.3 erläutert wurde, erkennt Estienne in ross aufgrund der veränderten Semantik eine ZS -rezipienteninduzierte Entlehnung. Möglicherweise wird casanier implizit also auch als eine solche kritisiert 179 . 178 Dass zwischen Erstbeleg und tatsächlicher Etablierung eines Lehnworts ein gewisser Abstand liegen kann, ist hinreichend bekannt. 179 Nicht auszuschließen ist jedoch, dass es sich bei fr. casanier ‘jemand, der gern zu Hause bleibt’ in Wirklichkeit um eine erneute Entlehnung aus dem Italienischen handelt. Der OIM (s.v. casaniere 2) widmet den zwei Bedeutungen von fr. casanier jeweils einen eigenen Eintrag und weist unter Berufung auf den DEI und den GDLI darauf hin, dass auch casaniere ‘casalingo’ im Italienischen belegt ist. 5.5 Trescases (1978b) revisited 257 CEL .: Et ce qui me fait croire cela, c’est qu’il me souvient de ce mot casanier , duquel ils usoyent, disans: «C’est un gentilhomme casanier.» Car, parlans ainsi, ils se servoyent du mot italien casa comme ils se servoyent des mots alemans buk et ross. Car, comme nous avons dict que de ceux-ci ils avoyent faict bouquin et rosse , dont ils usoyent par un mespris des choses ausquelles ils donnoyent ces noms, ainsi se peut dire de «casanier» que, parlans ainsi d’un gentilhomme qui trouvait bon le repos en sa maison pendant que les autres estoyent à la guerre, ils ont mieux aimé se moquer d’un tel par un mot ayant son origine de l’Italie que par un l’ayant de la France. (Estienne [1578] 1980: 147, Hervorhebungen im Original) Abschließend kann festgestellt werden, dass auch die Kritik an sog. mittelalterlichen Italianismen eindeutig für Estiennes deskriptive Leistung spricht. Ganz gleich, ob diese schon vor dem 16. Jahrhundert etabliert waren, von Estienne als frühe Lehnwörter erkannt wurden oder nicht oder in bestimmten Fällen tatsächlich erst im Laufe des 16. Jahrhunderts eine gewisse Frequenz aufwiesen, sie alle müssen als damals verbreitete Lehnwörter gelten, die Estienne, dem es schließlich auch gar nicht um Erstbelege, sondern um die Wortherkunft im Allgemeinen und um den zeitgenössischen usage bei Hofe ging, richtig als solche erkannt hat. Zusammenfassung und Übersicht - Belegte Italianismen (71+1-9+107) Wie weiter oben dargelegt wurde, müssen von den 71 (eigentlich 72) von Trescases (1978b) ermittelten Italianismen, die auch außerhalb der Deux Dialogues nachweisbar sind, 9 abgezogen werden (72-9 = 63). Nicht weniger als 50 Lexeme ((aaa), (bbb), (ccc), (ddd)), die als etabliertes Lehngut im 16. Jahrhundert gelten können, sind hingegen hinzuzufügen. Bei weiteren 3 ((ggg)) handelt es sich um potentielle Varianten etablierter Italianismen, die von Trescases (1978b) nicht als solche erkannt wurden. Für 7 Lexeme und Wendungen ((eee)), die durchaus häufig in Texten des 16. Jahrhunderts anzutreffen sind, ist eine Herkunft aus dem Italienischen sehr wahrscheinlich. Addiert man diese 60 zu den 63 (72-9), kann man zunächst von 123 Italianismen ausgehen. Schließt man die 32 Lehnwörter aus früheren Jahrhunderten ((hhh)) mit ein, können 155 der von Estienne angeprangerten Italianismen als tatsächlich verbreitet gelten. Berücksichtigt man schließlich noch die 15 Italianismen ((fff)), für die mindestens ein weiterer Beleg außerhalb der Werke Estiennes gefunden werden kann, sind 170 der 231 als Lehngut kritisierten Lexeme und Wendungen im Französischen des 16. Jahrhunderts nachweisbar. Diese Zahlen erinnern an die Ergebnisse Winds (1928: 34), der zufolge 170 der ca. 200 kritisierten Lexeme tatsächlich in zeitgenössischen Autoren zu fin- 258 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues den sind. Wie aber bereits festgestellt wurde, lassen sich ihre Ergebnisse leider nicht anhand einer Übersicht, in der die kritisierten bzw. belegten Italianismen der Deux Dialogues aufgeführt wären, überprüfen. Dass trotz der identischen Zahl von 170 belegten Italianismen erhebliche Unterschiede zwischen ihren und meinen Ergebnissen bestehen, zeigt zum einen die unterschiedliche Gesamtzahl der ermittelten kritisierten Einheiten (200 vs. 231), zum anderen die unterschiedliche Behandlung einer Reihe einzelner Lexeme und Wendungen. Die unterschiedliche Gesamtzahl erklärt sich vor allem dadurch, dass in Wind (1928) einige der Hapax-Belege (z. B. callizelle , contrade , domestichesse ) aus Estienne fehlen, wohingegen die Unterschiede im Hinblick auf die Bewertung zahlreicher Lexeme dem heutigen Stand der etymologischen Forschung geschuldet sind (vgl. z.B. die Anmerkungen zu camisole , guidon in Kapitel 5.3). An dieser Stelle sei explizit darauf hingewiesen, dass hier keinesfalls Kritik am bis heute äußerst hilfreichen Referenzwerk Winds im Allgemeinen geübt werden soll 180 . Lediglich die Bewertung der Deux Dialogues , deren Analyse, wie Wind (1928: 34) selbst betont, nicht als Hauptziel ihrer Arbeit betrachtet werden kann, bedurfte schon allein aufgrund der seit nunmehr 90 Jahren gewonnenen Forschungsergebnisse einer Überprüfung. Zudem sollte die Analyse auf eine solide Basis gestellt werden: Dazu wurden transparente Kriterien bestimmt, anhand derer nachvollziehbar ist, welche Lexeme überhaupt als kritisiert gelten können und ob diese als außerhalb der Deux Dialogues belegt angesehen werden müssen. Schließlich schien es auch notwendig, eine Übersicht in alphabetischer Reihenfolge aller in Estienne (1578) als Italianismen ausgewiesenen Lexeme und Wendungen zu erstellen (vgl. Anhang 2). Die folgende Tabelle fasst meine Ergebnisse zusammen. Formen in eckigen Klammern werden nur einfach gezählt. Bei den Lexemen und Wendungen, die zu den Ergebnissen Trescases’ (1978b) addiert werden müssen, wird zwischen solchen, die in seiner Übersicht gänzlich fehlen (insgesamt 68), und solchen, die von ihm als falsche Etymologien, Hapax oder Italianismus des MA gewertet wurden (insgesamt 39), unterschieden. Kategorie Addierte Formen zu Trescases (1978b) fehlt vollständig (68) nicht als Italianismus des 16. Jh. gewertet (39) (aaa) Derivate mit it. Basis und it. Affixen (+11) courtisanesque , bravade , harquebouzade , pavigeade , pédantesque , barbaresque , [ bastonnade MA ], arabesque , tudesque accortesse , esplanader , villaquerie 180 Vgl. z. B. Kapitel 2.3.3.1 für die Schwächen in Hope (1971), die sich aus der unvollständigen Rezeption Winds (1928) ergeben. 5.5 Trescases (1978b) revisited 259 Kategorie Addierte Formen zu Trescases (1978b) (bbb) ausdrucksseitig und semantisch adaptiert (+3) <cargue/ charge>, <délicatesse/ délicateté>, <escrime/ escremie> --- (ccc) Italianismen des 16. Jh. (Hope 1971) (+28) académie , accoster , altesse , s’amouracher , [ arabesque ], artisan , [ barbaresque ], baster , brave , [ bravade ], brocart , caporal , cartel , cervelat , coronel , coyon , courtiser , [ délicatesse ], désastre , estochade , goffe , harquebouze , [ harquebouzade ], humoriste , intrigue , manquer , mat , moustache , [ pavigeade ], pécore , [ pédantesque ], populasse , postillon , recamé , sonnet , [ tudesque ] --- (ddd) Italianismen des 16. Jh. ( TLF i und FEW ) (+8) agent , [ cargue ], matachin armet , case , drapeau , faire halte , liste , salve (eee) Lexeme und Wendungen, für die it. Herkunft wahrscheinlich ist (+7) baiser les mains , panade , le Grand Seigneur , soprefin , spolin , rester / demeurer avec autant de nez , luy vienne le cancre --- (fff) Italianismen des 16. Jh., auch außerhalb der Deux Dialogues (+15) --amasser ‘tuer’, amorevolesse , baster l’anime , brode , capiter ‘arriver’, tenir qn en cervelle , fastide , ferites , fermer ‘arrêter’, gentil-donnes , inganner , piller ‘prendre’, à sa poste ‘à son gré’, le prime del monde , spurque 260 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Kategorie Addierte Formen zu Trescases (1978b) (ggg) unberücksichtigte Varianten etablierter Italianismen des 16. Jh. (+3) --ricolte , spaceger , [ squadron MA ], staphier , [ strade MA ], [ stropier MA ] (hhh) Italianismen des MA (Hope 1971) (+32) bannerole , bastonnade , brigantin , canon , carat , caresser , casanier , citadins , galerie , lustre , malvoisie , perruque , poste (f.), pouppe , salade ‘Salat’, serrail , soldate , traffique und cramoisi , galiote nach ( TLF i) accort , bouccon , brigade , discortesie , embuscade , police , salade ‘eine Art Helm’, volte und escalade , squadron , strade , stropier Gesamt: 63 (72-9)+107 = 170 der 231 als Italianismen kritisierten Lexeme und Wendungen auch außerhalb der Deux Dialogues (1578) Tab. 5: Belegte Italianismen in den Deux Dialogues vs. Trescases (1978b) 5.5.2.3 Nicht belegte ‘Italianismen’ - Hapax oder falsche Etymologie? 5.5.2.3.1 Vorbemerkungen Wie im vorherigen Kapitel gezeigt wurde, lassen sich für 170 der 231 als Italianismen kritisierten Lexeme und Wendungen auch außerhalb der Deux Dialogues Okkurrenzen in Texten des 16. Jahrhunderts nachweisen. In allen 170 Fällen ist eine Herkunft aus dem Italienischen wahrscheinlich. Im Gegensatz zur Aussage Trescases’ (1978b) können also nicht 127, sondern nur 61 als Hapax-Belege bzw. falsche Etymologien angesehen werden. Dies erklärt sich dadurch, dass 54 der 63 aus seiner Liste getilgten Lexeme solche sind, die er als nicht belegt betrachtet, für 31 ( MA und 16. Jahrhundert) der 127 durchaus von italienischem Ursprung auszugehen ist bzw. Vorkommen in weiteren Texten des 16. Jahrhunderts nachgewiesen werden können und 20 (88-68) von Estienne fälschlicherweise als italienisches Lehngut ausgewiesene, aber von Trescases (1978b) unberücksichtigt gebliebene Lexeme hinzugefügt werden müssen. Von den somit eigentlich 62 (127-54-31+20) zu Unrecht als Italianismen stigmatisierten Einheiten muss noch eine weitere - in Trescases’ Liste können schließlich 72, nicht nur 71 belegte Lehnwörter gezählt werden - abgezogen werden. Wie bereits angemerkt wurde, bleibt bei Trescases (1978b) völlig offen, wie die angeblich nicht belegten Lexeme zu bewerten sind. Lediglich implizit gibt er zu verstehen, dass es sich wohl um Phantasie-Kreationen Estiennes, also 5.5 Trescases (1978b) revisited 261 Hapax-Belege wie z.B. fr. *bugie < it. bugia ‘Lüge’, handeln muss, die aufgrund ihrer geringen Verbreitung nicht in Hope (1971) verzeichnet sind. Dass dies aber deutlich zu kurz greift, zeigen - neben vielen anderen - die Lexeme baller , faquin und morion . Sie alle werden, wie Trescases (1978b) richtig feststellt, zwar von Estienne als italienische Lehnwörter bezeichnet, aber nicht als im 16. Jahrhundert verbreitete Italianismen in Hope (1971) aufgenommen. Nun aber heißt das keineswegs, dass es sich deshalb um Hapax-Belege potentieller Italianismen handelt, die der Purist zum Zwecke der Satire selbst erfunden hat. Denn sie alle sind belegt. Während morion als Hispanismus gilt, wird für baller und faquin in der französischen Forschung erbwörtliche Herkunft angenommen (vgl. TLF i s.v. baller , faquin , morion ). Auch einige der 20 (88-68) zusätzlich ermittelten Lexeme, wie etwa camisole , die der Liste der von Estienne fälschlicherweise als Italianismen bezeichneten Einheiten hinzugefügt werden müssen, sind keine Hapax-Belege, sondern etablierte Okzitanismen (vgl. TLFi s.v. camisole ). Auf dieser Unterscheidung zwischen ‘falschen’ Etymologien ( camisole ) und tatsächlichen Hapax-Belegen (fr. *bugie < it. bugia ‘Lüge’) zu bestehen, mag zunächst unverständlich erscheinen. Sie ist aber notwendig, um Estiennes Beobachtungen besser verstehen und beurteilen sowie ggf. entsprechend würdigen zu können. Würde sich herausstellen, dass zahlreiche der zu Unrecht als Lehnwörter aus dem Italienischen ausgewiesenen Lexeme fremdsprachlicher Herkunft und nur wenige von Estienne selbst erschaffene Hapax-Belege wären, würde dies insofern für den Wert seines Zeugnisses sprechen, als er zumindest fremdes Wortgut als solches erkennt. Umgekehrt würde eine hohe Zahl an ‘hausgemachten’ Hapax-Belegen die nunmehr etablierte Meinung, Estiennes Aussagen seien wenig glaubwürdig, untermauern. Im Folgenden werden daher die 61 Lexeme genauer besprochen und in zwei große Gruppen eingeteilt: tatsächliche Hapax-Belege und ‘falsche’ Etymologien. Letztere können unterteilt werden in Lehngut anderer Herkunft und französischen Wortschatz. Wie in den vorhergehenden Kapiteln wird hier zwischen Formen, die bereits bei Trescases (1978b) zu finden sind, und solchen, die ergänzt wurden, unterschieden. 262 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues 5.5.2.3.2 Lehnwörter anderer Herkunft Bereits in Trescases (1978b): courradour , morion ‘eine Art Helm’ 181 [2]. Addiert werden müssen: bandière , camisole , galère , galion , grade , surgir 182 . [6] Während für courradour okzitanischer, für galion und morion spanischer, für grade lateinischer und für galère und surgir heute katalanischer Ursprung angenommen wird, ist bei bandière und camisole , obschon eine okzitanische Herkunft wahrscheinlich ist, italienischer Einfluss bei der Vermittlung zumindest nicht gänzlich ausgeschlossen 183 . Dass Estienne all diese Lexeme als Italianismen bezeichnet, bedeutet nun aber nicht zwangsläufig, dass seine Beobachtungen wenig brauchbar im Allgemeinen wären: Wie bereits ausführlich erläutert wurde, ist die genaue Bestimmung der Herkunft romanischer Lehnwörter oft bis heute nicht immer zweifelsfrei möglich (vgl. Kapitel 2.3.3.3). In vielen der o. g. Fälle etwa sind phonetische Kriterien, wie der Erhalt des velaren Plosivs vor [a], was ja für Italianismen, Latinismen, Hispanismen und Okzitanismen gleichermaßen charakteristisch sein kann, wenig hilfreich. Auch semantisch-kulturelle Kriterien ( étymologie organique ) können hier wenig zur Klärung der Etymologie beitragen. Ein Blick auf die Denotatsbereiche, denen die betroffenen Lexeme zuzuordnen sind, genügt, um festzustellen, dass es sich dabei um Bereiche handelt (Heereswesen: bandière , courradour , morion und Schifffahrt: galère , galion , surgir ) 184 , in denen neben Hispanismen, Latinismen und Okzitanismen vermehrt auch Italianismen zu finden sind. Letztere machen dabei zudem meist den bedeutendsten Anteil aus, so dass es nur verständlich erscheint, dass als ausdrucksseitig fremd erkanntes Wortgut hier gewissermaßen automatisch als italienisches Lehngut betrachtet wird. Vor diesem Hintergrund ist z. B. die Annahme, der Hispanismus morion ‘eine Art Helm’ sei wie die Italianismen armet und salade 185 , die ebenfalls eine bestimmte Art Helm bezeichnen, aus dem Italienischen entlehnt worden, durchaus nachvollziehbar. Außerdem könnte fr. morion , das, wie Smith (1980a: 249, Fn. 736) anmerkt, auch von Nicot (1606) als Lehnwort italienischer Herkunft betrachtet wird, in der Tat durch das Italienische vermittelt worden sein. In Kapitel 5.5.1.4 wurde bereits für baiser les mains vorgeschlagen, dass es sich - im Französischen - dabei um einen Italianismus handelt. Auf 181 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 245, 248). 182 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 258, 247, 271, 272, 122, 268). 183 Für die Angaben zur Etymologie der einzelnen Lexeme vgl. TLFi (s.v. bandière , camisole , galère , galion , grade , morion , surgir ) sowie FEW (s.v. cŭrrere ). 184 Fr. grade kann hier nicht dem Bereich Heereswesen zugeordnet werden, camisole nicht der Schifffahrt, da die Lexeme in ihrer allgemeinen Bedeutung ‘degré’ bzw. ‘vêtement qui se porte sur la chemise’ verwendet werden. 185 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 248). 5.5 Trescases (1978b) revisited 263 das grundsätzliche Problem, dass es bisweilen schwierig sein kann, zwischen Italianismen und Hispanismen zu unterscheiden bzw. dass gleichzeitiger Einfluss nicht immer auszuschließen ist, weisen neben dem Wörterbuchautor Nicot (1606) implizit auch andere Zeitgenossen, etwa Brantôme, sowie Estienne selbst an einer Stelle der Deux Dialogues hin: D’autres disent un coup d’harquebuzade et un coup de canonnade ce qui est très-improprement parlé; car le coup de canon s’appelle canonnade et le coup d’harquebuz, harquebuzade. Les Italiens et les Espaignolz (desquelz nous avons appris et emprunté les motz), ne font telles incongruitez. (Brantôme Bd. 6, 1873: 21-22, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) CEL.: Ces mots (comme je croy) sont ramassez partie de l’italien, partie de l’hespagnol. Car quant à «salade», l’italien dit celata , quant à «morion», ou «morrion», il dit morrione . Quant à «cabasset», j’enten que capacete est hespagnol. (Estienne [1578] 1980: 249, Hervorhebungen im Original) Im Hinblick auf den Latinismus fr. grade halten schon Tracconaglia (1907: 148) und Kandler (1944: 200) eine Vermittlung durch das Italienische für möglich. Der Okzitanismus courradour wird laut Angaben des FEW (s.v. cŭrrĕre ) im Laufe des 16. Jahrhunderts tatsächlich vollständig von der stärker italianisierenden Variante corridor < it. corridore verdrängt 186 . Vorausgesetzt werden muss in all diesen Fällen natürlich immer, dass die entsprechenden Lexeme zum damaligen Zeitpunkt, d. h. 1578, nicht nur in der ‘tatsächlichen’ Gebersprache, sondern auch im Italienischen verbreitet waren. Dies lässt sich für camiciuola (seit Ende des 16. Jahrhunderts) 187 und sorgere (seit dem 15. Jahrhundert ‘gettare le ancore in mare’) anhand der entsprechenden Einträge im DEI , für bandiera (seit dem 13. Jahrhundert), corridore (vor 1540), galera (vor 1433), galeone (seit dem 13. Jahrhundert, aber v. a. im 16. und 17. Jahrhundert ‘nave da guerra e da trasporto del XVI e XVII secolo’), grado (vor 1294) und morione (1559 aus dem Spanischen) anhand des DELI problemlos nachweisen. Abschließend kann also festgestellt werden, dass diese aus heutiger Sicht wohl falschen Etymologien nicht dazu führen sollten, Estiennes Verdienst grundsätzlich in Frage zu stellen. Vielmehr zeigen sie, dass er Lehnwörter als 186 Wind (1928: 126-127, 196) betrachtet courradour offenbar lediglich als Variante zu corridor . Die italienische Herkunft des Lexems scheint für sie außer Frage zu stehen. Eine Vermittlung über das Okzitanische wird nicht einmal in Erwägung gezogen. 187 Laut LEI (s.v. camīsia ) in der Bedeutung ‘farsetto per lo più di lana, da portare generalmente sopra la camicia’ schon seit 1488; ab 1562 ‘veste per i galeotti’. In den Deux Dialogues hat camisole die erste, weniger spezifische Bedeutung. Vgl. auch Anmerkung 184 in diesem Kapitel. 264 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues solche wahrnimmt und diesen aufgrund durchaus nachvollziehbarer Gründe (Ausdrucksseite und étymologie organique ) eine bestimmte Herkunft zuweist 188 . Anhand der Lexeme bandière und camisole , für die der TLF i (s.v. bandière und camisole ) italienischen Einfluss zumindest nicht kategorisch ausschließt, ist ersichtlich, dass Estienne in gewissen Fällen mit Problemen konfrontiert war, die die etymologische Forschung bis heute beschäftigen. 5.5.2.3.3 Französischer Wortschatz Schon in Trescases (1978b): s’allégrer , attilé , bal , balladin 189 , baller , chère ‘visage’, faquin , galanterie ‘distinction, élégance dans l’esprit et les manières’, gentillesse ‘acte, manière empreinte de grâce, de délicatesse’, humeur ‘caprice’, lever (weniger Selektionsbeschränkungen, da auch mit Abstrakta, z. B. lever du souci ), page , past , patrouille , rondache , ronde , tollache 190 . [17] Ferner zu berücksichtigen sind: allégresse , envoyer au bordel , capitanesse , être à la dévotion de qn (nicht mehr auf den religiösen Kontext beschränkt), avoir le diable à / au dos , fatigue ‘ce qui est cause de fatigue, travail pénible’, de grace , guidon , ministre du Roy ‘conseiller du Roy’, oimé 191 . [10] Selbst wenn es sich hierbei um eine sehr heterogene Kategorie handelt, lassen sich die meisten der hier genannten Lexeme und Wendungen, die alle im Französischen des 16. Jahrhunderts verbreitet waren, nochmals - zumindest grob - in Untergruppen einteilen. 5.5.2.3.3.1 Lexikalische Innovationen des Französischen Bei den Lexempaaren fr. chère (ca. 1100)/ it. cera (1250) ‘visage’, fr. faquin (1542)/ it. facchino (1435), fr. page (1225)/ it. paggio (1304) und fr. patrouille (1559)/ it. pattuglia (1565) wird - faquin ausgenommen - aufgrund früherer Erstbelege im Französischen heute eher von Gallizismen im Italienischen als von Italianismen 188 In der Hälfte der Fälle handelt es sich dabei auch tatsächlich um Innovationen des 16. Jahrhunderts. Der Erstbeleg in runden Klammern ist für courradour Smith (1980a: 245, Fn. 718), für die übrigen Lexeme dem TLFi entnommen: bandière (1305 / 1310), camisole (1547), courradour (1578), galère (1402), galion (1208), grade (1578), morion (1542), surgir (1423). Auch wenn einige dieser Wörter schon früher entlehnt wurden, sind sie dennoch im 16. Jahrhundert häufig. Für courradour und grade liefert Estienne sogar den Erstbeleg. 189 Bei balladin könnte es sich auch um einen Okzitanismus handeln (vgl. TLFi s.v. baladin ). Auffällig ist, dass für balladin - im Gegensatz zu allen anderen zu Unrecht als Italianismen verurteilten Lexemen - kein Etymon im Italienischen existierte. Weder im LEI noch im GDLI oder LIZ4.0 ( Cinquecento ) finden sich Belege. 190 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 65, 185, 198, 198, 198, 119, 114, 180, 180, 143-144, 37, 389, 35, 245, 250-251, 256, 251). 191 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 65, 56, 269, 307, 360, 37, 69, 258, 239, 55). 5.5 Trescases (1978b) revisited 265 im Französischen ausgegangen 192 . Ähnlich verhält es sich mit fr. ronde (1559)/ it. ronda (1554-1565) ‘inspection militaire’: Laut DELI (s.v. ronda ) ist it. ronda als über das Spanische vermittelter Gallizismus im Italienischen zu betrachten 193 . Im Hinblick auf fr. guidon (15. Jahrhundert) und it. guidone (vor 1565) ist die Etymologie wie bei faquin noch immer umstritten: Der TLF i (s.v. guidon ) geht für das Französische aber von erbwörtlicher Bildung aus 194 . An dieser Stelle kann natürlich keine ausführliche Diskussion über die Wortgeschichte der betroffenen Lexeme geführt werden. Wie bereits mehrfach erwähnt, stütze ich mich für die Beurteilung von Estiennes Leistung in den meisten Fällen auf die einschlägigen Referenzwerke. Wie sind nun Estiennes Beobachtungen bezüglich dieser Lexempaare zu interpretieren? Zunächst kann festgestellt werden, dass alle betroffenen Wörter im Italienischen um 1578 vorzufinden waren, so dass dieses - wie schon bei den Lehnwörtern im vorhergehenden Kapitel - grundsätzlich als potentielle Gebersprache hätte fungieren können. Auch die Denotatsbereiche, denen die o. g. Lexeme angehören, sind solche, die als typische Einflusssphären des Italienischen gelten: Während mit guidon , ronde und patrouille wichtige Konzepte aus dem Bereich des Militärwesens versprachlicht werden, kann page und der möglicherweise ohnehin aus dem Italienischen stammende Arabismus faquin problemlos mit den tatsächlichen Italianismen ragach und bardache assoziiert werden, die alle junge männliche Bedienstete im weitesten Sinne bezeichnen 195 . Was chère betrifft, lässt sich m. E. keine überzeugende Zuordnung zu einem bestimmten Denotatsbereich vornehmen. Jedoch weist bereits Hope (1971: 90-91) darauf hin, dass sich im Italienischen die gleichen Redewendungen wie im Französischen finden (z.B. it. far buona cera und fr. faire bonne chère ), so dass eine 192 Für die jeweiligen Erstbelege in runden Klammern vgl. TLFi (s.v. chère , faquin , page , patrouille ) und DELI (s.v. cera , facchino , paggio , pattuglia ). Auffällig ist, dass im Italienischen facchino zumindest in mittellateinischen Texten aus Venedig früher belegt ist als in französischen Texten. Im Gegensatz zum TLFi (s.v. faquin ) stellen die Autoren des DELI (s.v. facchino ) sowie Serianni (2008) daher eine Vermittlung durch das Französische in Frage. Migliorini ([1960] 1988: 385-386) nimmt für fr. faquin sogar italienische Herkunft an. Für die verschiedenen Positionen zum Ursprung von fr. faquin und it. facchino vgl. auch die Diskussion in Hope (1971: 99-100). 193 Während die Autoren des DEI (s.v. ronda ) in it. ronda einen Gallizismus aus dem 16. Jahrhundert sehen, spricht sich der DELI (s.v. ronda ) für eine Vermittlung des Gallizismus durch das Spanische (1554-1565) aus. Auch wenn man heute einen frühen Erstbeleg (vor 1557) im Italienischen kennt (vgl. z. B. auch ZING s.v. ronda ), wird immer noch an der französisch-spanischen Herkunft festgehalten. 194 Für die Erstbelege in runden Klammern vgl. TLFi (s.v. guidon ) sowie DELI (s.v. guidone ). Hope (1971: 41) betrachtet fr. guidon noch als Italianismus. 195 Für eine ausführliche Diskussion der Etymologie der Fortsetzer von *ragatius vgl. Bec (1963). 266 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Beeinflussung der einen Sprache durch die andere in den Augen Estiennes naheliegend erscheinen musste 196 . Abgesehen von chère und page handelt es sich bei all diesen Lexemen auch tatsächlich um Innovationen des rinascimentalen Französisch. Estienne erkennt also lexikalische Neuerungen des 16. Jahrhunderts und interpretiert diese aus unschwer nachvollziehbaren Gründen, wie dem Vorhandensein von italienischen Entsprechungen und der Zugehörigkeit zu bestimmten Bereichen, als Lehngut aus dem Italienischen. Im Falle von attilé handelt es sich laut Smith (1980a: 185, Fn. 527) vermutlich nur um die Revitalisierung eines Lexems, das im Altfranzösischen frequent war, im Mittelfranzösischen seltener und schließlich im 16. Jahrhundert unter dem Einfluss des Italienischen wieder häufiger gebraucht wurde 197 . Für capitanesse ist zwar eine italienische Herkunft der Derivationsbasis nicht auszuschließen (vgl. TLF i s.v. capitane ), jedoch ist beim Derivat selbst schon seit Vidos (1939: 285) von einer französischen Bildung auszugehen (vgl. auch Smith 1980a: 269, Fn. 24). Im Hinblick auf de grace und oimé konnte ich bei meinen Recherchen keine Hinweise finden, die italienischen Einfluss bestätigen könnten 198 . Sowohl attillato (1529) als auch capitana (1484) und di grazia ‘per piacere’ (13. Jahrhundert) lassen sich im rinascimentalen Italienisch nachweisen 199 . Auch in diesen Fällen wäre das Urteil Estiennes also unter Umständen nachvollziehbar, da das Italienische erneut als Quelle in Betracht kommen konnte. Im Hinblick auf die Redewendungen envoyer au bordel , être à la dévotion de qn und avoir le diable à dos konnte kein gesicherter Einfluss aus dem Italienischen nachgewiesen werden. Selbst wenn es im 16. Jahrhundert durchaus zur Übernahme von Lehnwendungen kommt (vgl. z. B. Kapitel 5.5.2.2: tenir qn en cervelle ) und Smith (1980a: 307, Fn. 150; 360, Fn. 307) zumindest für être à la dévotion de 196 In der Tat, so Hope (1971: 90-91), sprechen die gemeinsamen Redewendungen dafür, dass it. cera samt eben dieser Wendungen aus dem Französischen entlehnt worden ist. Im Übrigen erkennt Estienne schon ein Jahr später in seiner Precellence (1579), dass es sich um einen frühen Gallizismus im Italienischen handelt (vgl. Smith 1980a: 119, Fn. 249). Vgl. dazu auch Kapitel 6.3.3.2. 197 Nach Auskunft des FEW (s.v.* aptĭcŭlare ) handele es sich bei it. attillato sogar um einen Gallizismus im Italienischen. Eine mögliche Rückentlehnung ins Französische des 16. Jahrhunderts wird aber nicht erwähnt. Eine Volltextsuche nach attill- im LEI (Band III.1 und Band III.2) ergab keine Treffer. Laut DELI (s.v. attillare ) sei die Annahme, es handele sich bei it. attillare um einen Gallizismus, kritisch zu hinterfragen. Bei Cella (2003) wird attillare / attillato nach Auskunft des Wortindex nicht besprochen. Im GDLI (s.v. attillare ) ist lediglich „Etimo discusso“ zu lesen. 198 Während für oimé keine Einträge zu finden sind (vgl. Kapitel 5.5.1.4), weisen für de grace ‘par pitié’ weder französische (FEW s.v. gratia , TLFi s.v. grâce ) noch italienische Referenzwerke (DELI s.v. grazia ) - im TLIO fehlt das Lemma grazia bisher - auf eine Vermittlung durch das Italienische ( di grazia ) hin. 199 Für die Erstbelege in runden Klammern vgl. DELI (s.v. attillare , capitano , grazia ). 5.5 Trescases (1978b) revisited 267 qn und avoir le diable à dos potentielle Vorlagen aus dem rinascimentalen Italienisch ( avere devozione in qn und avere il diavolo addosso ) belegen kann, finden sich in den einschlägigen Referenzwerken keinerlei Hinweise auf eine mögliche Entlehnung aus dem Italienischen 200 . Wie in den bisherigen Fällen ist aufgrund der Existenz ähnlicher Wendungen im Italienischen auch hier eine Entlehnung durch das Französische nicht grundsätzlich undenkbar, so dass Estiennes Urteil erneut nicht gänzlich unverständlich erscheinen muss. Bezüglich être à la dévotion de qn kann im Übrigen noch angemerkt werden, dass bereits für die veränderte Semantik des Einzellexems dévotion italienischer Einfluss nicht als unmöglich angesehen wird: Der TLF i (s.v. dévotion ) verweist auf Tracconaglia (1907: 135), ohne dessen Aussage jedoch inhaltlich wiederzugeben. Ihm zufolge könnten die veränderten Selektionsbeschränkungen (‘Ergebenheit’ nicht mehr nur im religiösen Kontext, sondern auch gegenüber weltlichen Personen) im 16. Jahrhundert durchaus auf den Einfluss des Italienischen zurückgeführt werden. Noch schwieriger zu beurteilen ist die Herkunft der belegten Lexeme fr. rondache und fr. tollache , die beide bestimmte Typen eines Schilds bezeichnen 201 . Während ich für tollache keine Hinweise auf die Etymologie finden konnte 202 , wird rondache trotz des möglicherweise italianisierenden Suffixes {-ache} sowohl im FEW (s.v. rǒtŭndus ) als auch im TLF i (s.v. rondache ) als erbwörtlich (di- 200 Weder im FEW (s.v. bord ) noch im TLFi (s.v. bordel ), DEI (s.v. bordello ), DELI (s.v. bordello ), TLIO (s.v. bordello ) oder in DI STEFANO (s.v. bordel ) wird envoyer qn au bordel bzw. mandare al bordello eigens erwähnt. Allein im GDLI (s.v. bordello ) wird die Redewendung mandare in bordello bei Aretino (* 1492, † 1556) genannt. Im FEW (s.v. devotio , diabolus , dorsum ), in DI STEFANO (s.v. diable ) sowie im TLFi (s.v. dévotion , diable , dos ) finden sich keine Hinweise auf italienischen Einfluss. Im TLIO und DELI finden sich unter den Lemmata devozione (auch devoto ), diavolo , addosso keine Hinweise auf die jeweiligen Redensarten (jedoch avere il diavolo in corpo und avere qc addosso ). Laut GDLI (s.v. diavolo ) kann die Redewendung avere il diavolo addosso bereits im 13. Jahrhundert nachgewiesen werden. Eine Übernahme durch das Französische wird aber nicht diskutiert. Das DEI (s.v. devozione ) gibt für die französische (! ) Redewendung être à la dévotion de qn an, es handele sich um eine Lehnwendung aus dem Italienischen. Unglücklicherweise wird aber keine Entsprechung gegeben, die als Etymon zu betrachten wäre; ein Beleg fehlt ebenfalls. 201 Für rondache lassen sich in HUG zahlreiche Beispiele finden, während toulache außerhalb der Deux Dialogues nur in François de Sales belegt zu sein scheint. Auch für tollache lassen sich jedoch weitere Okkurrenzen in Texten des 16. Jahrhunderts nachweisen, so etwa im Recueil de la Chevauchee faicte en la ville de Lyon le Dix septiesme de novembre 1578 , der in Leber Bd. 9 (1838: 147-168, hier 151) abgedruckt ist. 202 Lediglich HUG (s.v. toulache ) spricht sich - allerdings mit Verweis auf Estienne (1578) - für eine italienische Herkunft aus, ohne jedoch ein passendes Etymon vorzuschlagen. Im FEW, TLFi, GR, GDLI, DEI, DELI, TLIO ist kein entsprechender Eintrag zu finden. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit mfr. taloche (vgl. DMF s.v. taloche sowie FEW s.v. * talapacium ). 268 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues alektal) gewertet. Interessanterweise listet der TLFi im Eintrag zu {-ache} jedoch rondache als Beispiel für Italianismen mit {-ache} auf: fr. rondache < it. rondaccio. Während rondache in Kohlmann (1901), Sarauw (1920), Deschermeier (1923) sowie Hope (1971) fehlt, betrachten es Wind (1928: 101), Kandler (1944: 75) 203 , der GR (s.v. rondache ) sowie der DEI (s.v. rondaccia ) zumindest als möglichen Italianismus. Abgesehen vom für Italianismen typischen Denotatsbereich, dem Militärwesen, hat hier das italianisierende Suffix {-ache} mit Gewissheit Estiennes Überlegungen beeinflusst. Als Datum für den Erstbeleg von fr. rondache nennt der TLF i 1569, wohingegen it. rondaccia nach Auskunft des GDLI und des DEI erst im 17. Jahrhundert belegt zu sein scheint 204 . Angesichts der mangelnden Informationen zu toulache muss wohl die Nennung bei Estienne (1578) als Erstbeleg betrachtet werden. 5.5.2.3.3.2 Semantische Innovationen des Französischen Für die semantische Entwicklung von galanterie ‘distinction, élégance dans l’esprit et les manières’ (1611), gentillesse ‘acte, manière empreinte de grâce, de délicatesse’ (1578), fatigue ‘ce qui est cause de fatigue, travail pénible’ (1555), humeur ‘caprice’ (16. Jahrhundert) 205 , lever mit Abstrakta wie z. B. lever du souci (1549) sowie ministre du Roy ‘conseiller du Roy’ (1611) wird vom FEW und TLF i italienischer Einfluss nicht bestätigt 206 . Auffällig ist zunächst, dass es sich in allen Fällen tatsächlich um semantische Innovationen des 16. Jahrhunderts 207 handelt, die Estienne richtig als solche wahrgenommen hat. Wie bei den voran- 203 Kandler (1944: 75) nennt vereinzelte frühere Belege für rondace (also mit <c>) ab 1390, betont aber, dass sich der Italianismus erst im Laufe des 16. Jahrhunderts wirklich etabliert hat. 204 Auch für die maskuline Form rondaccio gibt der GDLI (s.v. rondaccio ) nur Belege aus dem 17. Jahrhundert. 205 Weder im FEW (s.v. hūmor ) noch im TLFi (s.v. humeur ) wird ein präziser Erstbeleg für die Bedeutung ‘caprice’ angegeben, wohl weil sich diese leicht aus der 1559 belegten Bedeutung ‘tempérament, caractère’ ableiten lässt. In HUG (s.v. humeur 2) finden sich zahlreiche Belege für humeur ‘caprice’ außerhalb der Deux Dialogues . 206 Für die jeweiligen Erstbelege in runden Klammern vgl. TLFi (s.v. galanterie , gentillesse , fatigue , humeur , ministre ) sowie FEW (s.v. lĕvāre ). Der TLFi (s.v. galanterie ) gibt für den Erstbeleg von 1537 die Bedeutung ‘mauvais tour’ an. Obschon man auf Estienne (1578) verweist, wird es als französisches Derivat aus fr. galant betrachtet, und der Erstbeleg mit der Bedeutung ‘distinction, élégance dans l’esprit et les manières’ entstammt Cotgrave (1611), nicht Estienne (1578). 207 Das Jahr 1611 in Cotgrave für die Erstbelege für galanterie ‘distinction, élégance dans l’esprit et les manières’ und ministre du Roy im TLFi (s.v. galanterie , ministre ) erscheint angesichts der Okkurrenzen in Estienne (1578) unverständlich. Insbesondere wenn man bedenkt, dass der TLFi im Falle von galanterie sogar explizit darauf hinweist, dass es sich dabei laut Estienne (1578) um einen Italianismus handelt. Dass die Sprache Cotgraves (1611) ohnehin die des 16. Jahrhunderts ist, ist seit Brunot HLF III, 1 (1909: 200, Fn. 1) be- 5.5 Trescases (1978b) revisited 269 gegangenen Lexemen und Wendungen lassen sich auch hier im rinascimentalen Italienisch entsprechende potentielle Vorlagen nachweisen, die fast durchgängig auch früher belegt sind: galanteria ‘finezza di modi’ (1504), ‘atto galante’ (1545), gentilezza ‘comportamento gentile’ (13. Jahrhundert), fatica ‘sforzo’ (vor 1294), umore ‘capriccio’ (16. Jahrhundert), levare mit Abstrakta (16. Jahrhundert), ministro ‘membro del governo’ (1527) 208 . Dass italienischer Einfluss hier zumindest nicht in allen Fällen zwingend angenommen werden muss, erklärt sich für die einzelnen Lexeme wie folgt: Die Bedeutung von ministre ‘conseiller du Roy’ kann sich problemlos aus der laut TLF i (s.v. ministre ) schon 1509 belegten Bedeutung ‘conseiller d’un souverain en général’ entwickelt haben. Bezüglich des Latinismus fr. fatigue schließt Hope (1971: 648) wie bei amasser ‘tuer’ und fermer ‘arrêter’ zwar eine semantische Beeinflussung durch das Italienische nicht aus, nennt aber keine weiteren Belege. Angesichts der Tatsache, dass sich der metonymische Wandel ‘action de fatiguer, résultat de cette action’ (seit Anfang des 14. Jahrhunderts) > ‘ce qui est cause de fatigue, travail pénible’ (1555) gänzlich ohne fremdsprachliche Einflüsse erklären lässt, sollte wie im TLF i (s.v. fatigue ) aber eher von einer eigenständigen Entwicklung im Französischen ausgegangen werden 209 . Was humeur ‘caprice’ anbelangt, so stellt schon Smith (1980a: 144, Fn. 356) fest, dass Estienne das Wort in dieser Bedeutung in seiner Apologie pour Hérodote (1566) neutral verwendet und dass italienischer Einfluss wenig plausibel ist. In der Tat ist nach Auskunft des TLFi (s.v. humeur ) eine durchaus als Ausgangsbasis denkbare Grundbedeutung ‘tempérament, caractère’ schon 1559 belegt. Im Hinblick auf die veränderten Selektionsbeschränkungen bei lever kann Smith (1980a: 37, Fn. 19; 120) zwar überzeugend zeigen, dass abstrakte Objekte erst im 16. Jahrhundert, insbesondere bei italianisierenden Autoren, zu beobachten sind, jedoch kannt und braucht an dieser Stelle nicht weiter erläutert zu werden (vgl. u. a. auch Hope 1971: 149-150). 208 Für die Erstbelege in runden Klammern vgl. DELI (s.v. galante , gentile 2, fatica , ministro ) sowie DEI (s.v. umore ). Im Hinblick auf die veränderten Selektionsbeschränkungen bei levare , das seit 1304 in der Bedeutung ‘togliere’ belegt ist, finden sich keine Hinweise im DEI oder DELI. Im TLIO fehlt das Lemma levare bisher vollständig. Laut GDLI (s.v. levare ) finden sich aber schon bei Dante Okkurrenzen mit der Bedeutung ‘rimuovere un ostacolo, superare una difficoltà’. Wie Smith (1980a: 37, Fn. 19; 120) zeigen kann, ist im Italienischen levare mit Abstrakta schon im 13./ 14. Jahrhundert belegt, wohingegen lever mit Abstrakta im Französischen tatsächlich erst im 16. Jahrhundert, insbesondere bei sog. Français italianisants , zu beobachten ist. Dieser Befund stimmt im Grunde genommen auch mit den Angaben des in diesem Fall von Smith (1980a) nicht konsultierten FEW (s.v. lĕvāre ) überein, das als Erstbeleg 1549 nennt, jedoch nicht auf einen potentiellen italienischen Ursprung verweist. 209 Zur universellen Relevanz der Metonymie für den Bedeutungswandel vgl. z. B. Blank (1997: 230-266). 270 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues ist laut FEW (s.v. lĕvāre ) die Grundbedeutung ‘enlever’ mit Konkreta schon seit altfranzösischer Zeit frequent. Auch hier braucht also eine Beeinflussung durch das Italienische nicht zwingend vorausgesetzt zu werden. Etwas anders verhält es sich hingegen mit galanterie und gentillesse : Abgesehen davon, dass sie sich im Gegensatz zu fatigue , humeur und lever problemlos dem für Italianismen typischen Denotatsbereich höfisches Verhalten zuordnen lassen, schließt der TLF i (s.v . galanterie , gentillesse ) italienischen Einfluss offenbar nicht kategorisch aus. In beiden Einträgen wird zumindest auf Estienne (1578) verwiesen, im Falle von gentillesse ‘acte, manière empreinte de grâce, de délicatesse’ entstammt der Erstbeleg sogar den Deux Dialogues , jener für galanterie ‘mauvais tour’ einer Übersetzung des Cortegiano von Colin (1537). Das FEW (s.v. wala ) merkt zumindest für galanterie an: „entsteht zur zeit des it. einflusses auf die höfischen Lebensformen im 16. jh., und erreicht seine stärkste vitalität im 17. jh.“ Ganz offensichtlich sind hier noch weitere Einzelstudien nötig, um die Etymologie und Wortgeschichte eindeutig zu klären. Angesichts der Tatsache, dass die entsprechenden Bedeutungen im Italienischen früher belegt sind, könnte es sich in diesen Fällen tatsächlich um Lehngut im Französischen handeln. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Estiennes Annahme, bei den o. g. semantischen Innovationen handele es sich um vom Italienischen angestoßene Entwicklungen, durchaus nachvollziehbar ist. In Bezug auf galanterie und gentillesse könnten weitere Forschungen sein Urteil vielleicht sogar bestätigen. Dass solch eine verspätete Rehabilitation in der Tat möglich ist, zeigt das bereits in Kapitel 2.3.3.3 besprochene fr. salve < it. salva . Während z. B. das FEW (s.v. salvēre ) aufgrund früherer Belege im Französischen noch davon ausging, das Etymon zu it. salva sei in fr. salve zu sehen, konnten Studien zeigen, dass it. salva deutlich früher belegt ist, als vom FEW angenommen wurde, so dass fr. salve heute (vgl. z. B. TLF i s.v. salve ) in der Tat als Italianismus im Französischen betrachtet wird. 5.5.2.3.3.3 Erbwörter ohne Bedeutungswandel - attraction cognatique 210 L’instinct étymologique atteint tous les mots, même les plus usuels; il les groupe, les associe, les dissocie, les corrige, soit dans leur contenu psychique, soit dans leur forme matérielle. ( Jaberg 1937: 208) Einen interessanten Sonderfall stellen schließlich die fälschlicherweise als Italianismen kritisierten Lexeme allégresse ([13. Jahrhundert Hapax], ab 15. Jahrhundert geläufig), s’allégrer (13.-14., 16. Jahrhundert), bal (12. Jahrhundert), 210 Für die diesem Kapitel zugrundeliegenden Vorüberlegungen vgl. auch Scharinger (2012). 5.5 Trescases (1978b) revisited 271 baller (1165-1170) sowie past (1260) dar 211 . Auch im Italienischen existieren im 16. Jahrhundert entsprechende Erbwörter, sog. Kognaten: allegrez(z)a (1250), allegrarsi (vor 1237), ballo (1310), ballare (1321) sowie pasto (1321) 212 . Von den soeben besprochenen Lexemen, wie z. B. galanterie , unterscheiden sich diese Erbwörter - wie im Übrigen auch von tatsächlichem indirekten Lehngut wie fr. amasser neben ‘accumuler’ auch ‘tuer’ < it. ammazzare ‘tuer’ - dahingehend, dass kein Bedeutungswandel im 16. Jahrhundert stattfindet 213 . Sowohl allégresse ‘joie’ als auch s’allégrer ‘se réjouir’, bal ‘danse’, baller ‘danser’ und past ‘repas’ sind vor und nach dem 16. Jahrhundert in der gleichen Bedeutung belegt 214 . Dennoch werden sie von Estienne, wie die folgenden Ausschnitte belegen, offenbar als Italianismen wahrgenommen. Während allégresse , s’allégrer und past in stark italianisierenden Passagen vorkommen, wird baller sogar explizit als lexikalischer Italianismus bezeichnet: PHIL .: Bon jour à Vostre Seigneurie, Monsieur Celtophile. Puis qu’elle s’allegre tant de m’avoir rencontré, je jouiray d’une allegresse reciproque de m’estre imbattu en ce lieu. Mais il plaira a Vostre Seigneurie de piller patience si je luy di qu’elle a usé en mon endret d’une façon de langage qui n’a point bon garbe. (Estienne [1578] 1980: 65-66, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) 211 Für die Erstbelege in runden Klammern vgl. FEW (s.v. alăcer , pascĕre ) sowie TLFi (s.v. bal , baller ). Auf balladin wird im Folgenden nicht weiter eingegangen. Festgehalten werden kann, dass es nach dem heutigen Stand der Forschung (vgl. z. B. Chauveau 2006) nicht als Italianismus zu betrachten ist. 212 Für die Erstbelege in runden Klammern vgl. LEI (s.v. alacer ) sowie DELI (s.v. ballare , pasto ). Aus heutiger Perspektive würde man statt it. allegrezza eher it. allegria erwarten. Allerdings ist letzteres nach Auskunft des LEI erst im 16. Jahrhundert (1535) belegt, wobei es noch die Bedeutung ‘festa, tripudio di più persone, baldoria di convitati’ hat und seine heutige Bedeutung ‘stato d’animo lieto ed esulante’ erst im 17. Jahrhundert (1625) nachgewiesen werden kann. In LIZ4.0 ( Cinquecento ) finden sich 813 Okkurrenzen für allegrezza vs. 10 für allegria . Dass allegrezza die etabliertere Form im rinascimentalen Italienisch darstellt, zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass im LEI zahlreiche Wendungen mit allegrezza (z. B. avere alegreza di qc ), aber keine mit allegria genannt werden. Das LEI weist im Übrigen auch darauf hin, dass es sich bei der Wortfamilie von it. allegro entgegen der landläufigen Vermutung (z. B. im DEI s.v. allegro ) nicht zwangsläufig um mittelalterliches Lehngut aus dem Galloromanischen handeln muss. 213 Sowohl it. allegrezza als auch fr. allégresse erhalten zwar im 16. Jahrhundert die zusätzliche Bedeutung ‘vivacità, vivacité’ (vgl. z. B. LEI s.v. alacer und TLFi s.v. allégresse ), aber diese Bedeutung wird in den Deux Dialogues nicht erwähnt. 214 Vgl. Chauveau (2006), FEW (s.v. alăcer , pascĕre ) sowie TLFi (s.v. allégresse , bal , baller ). 272 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues PHIL .: Je m’en alles un peu à space, car j’y ceste usance de spaceger apres le past, et mesmes quelque volte, incontinent apres, quand j’ay un peu de fastide ou de martel in teste. (Estienne [1578] 1980: 73, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) PHIL .: […] Au reste, veci une petite leçon qu’il vous faut retenir: c’est qu’il se faudret bien garder d’user en la cour de ce mot «danse», ni de «danser», ni de «danseur». CEL .: Pourquoy? PHIL .: Pource qu’il y a long temps que tout cela a esté banni, et qu’on a fait venir d’Italie bal et baller , et balladin , lesquels trois on a mis en la place de ces trois autres, non pas, toutesfois, sans quelque changement, comme vous pouvez voir. Car de ballo on a faict «bal», et ballare a esté changé en «baller», de ballarino , ou balladino (car je croy que tous les deux se disent) a esté faict «balladin». Mais notez qu’on a faict venir les personnes avec les noms, voire non seulement des balladins, mais aussi des balladines. (Estienne [1578] 1980: 198, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Was die Ausdrucksseite der betroffenen Lexeme anbelangt, lässt sich zudem für allégresse , s’allégrer , baller und past eine leichte Italianisierung feststellen: Im Hinblick auf die Wortfamilie von fr. allègre (mfr. meist <alaigre>) merkt schon das FEW (s.v. alăcer ) an, dass bei den Graphien <e> statt <ai> sowie <-ll-> statt <-l-> italienischer Einfluss im 16. Jahrhundert nicht auszuschließen sei. Die Form allégresse vs. ebenfalls erbwörtliches alaigreté könnte m. E. darüber hinaus aufgrund von {-esse} als italianisierend gelten. Dass es sich bei einem Lexem mit {-esse} im 16. Jahrhundert häufig entweder um einen tatsächlichen Italianismus (z. B. altesse ) oder zumindest um eine Italianisierung eines französischen Wortes (z. B. délicateté > délicatesse ) handelt, wurde bereits in Kapitel 2.3.2.3 erläutert. Nun ist allégresse tatsächlich erst im 15. Jahrhundert wirklich häufig belegt (vgl. FEW s.v. alăcer ) und scheint alaigreté im 16. Jahrhundert bereits verdängt zu haben 215 . Für past wäre laut Brunot HLF II (1906: 208) unter Umständen sogar eine lautliche Beeinflussung, die Revitalisierung von [-st], denkbar. Auch bei baller fällt auf, dass im 16. Jahrhundert Okkurrenzen mit <-ll-> häufiger sind als in früheren Jahrhunderten 216 , was sich letztlich auch in den Wörterbuch- 215 Vgl. z. B. die Vorkommen in FRANTEXT (1500-1600: 0 <alaigreté>, <allaigreté>, <allégreté>, <allegreté> vs. 77 <allegresse>, 21 <alegresse>, 7 <alaigresse>, 18 <allaigresse>). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, wie allégresse und alaigreté in zeitgenössischen Wörterbüchern behandelt werden. Während sie etwa bei Robert (1549) und Nicot (1606) noch als Synonyme behandelt werden, taucht im Dictionnaire der Académie (1694) und in Furetière (1690) nurmehr alegresse auf. 216 Vgl. z. B. die Belege im DMF (s.v. baller ), die Erstbelege in Chauveau (2006) sowie die Okkurrenzen in FRANTEXT ( Ancien français : 4 <baler> vs. 1 <baller>, Moyen français : 10 <baler> (4 Okkurrenzen sind nicht <baler> ‘danser’) vs. 1 <baller>, 1500-1600: 3 <baler> und 1 <basler> vs. 28 <baller>). Es konnten nur die Formen des Infinitivs berücksichtigt werden, da eine Suche in FRANTEXT nach flexion et variantes XVI e -XVII e auch Formen von bailler ‘donner’ sowie Substantive, z. B. balai , in die Ergebnisse einschließt. 5.5 Trescases (1978b) revisited 273 einträgen widerspiegelt: Während in Robert Estienne (1549) noch <baler> und <baleur> zu finden sind, begegnet schon in Thierry (1564) und in der Folge auch in Nicot (1584), Nicot (1606), Ménage (1650), Académie (1694), Furetière (1690) nurmehr die Schreibung mit <-ll-> 217 . Auch wenn Catach u. a. (1980: 281) betonen, dass die Zunahme graphischer Doppelkonsonanz im rinascimentalen Französisch nicht nur auf italienischen Einfluss, sondern insbesondere auch auf Latinisierungstendenzen zurückzuführen ist, kann eine Orientierung an der Graphie des lateinischen Etymons zumindest für allégresse , s’allégrer und baller ausgeschlossen werden: Im Gegensatz zu past , das mit lat. pastus in Verbindung gebracht werden konnte - in zweisprachigen Wörterbüchern, wie z. B. Estienne (1549), Thierry (1564) und Nicot (1584), findet sich kein Eintrag zu past , aber zu repas , das auch tatsächlich mit lat. pastus übersetzt wird -, können die graphisch realisierten Geminaten in allégresse und s’allégrer nur schwer an lat . alăcer und alacritas angelehnt sein. Bei baller scheint das vlat. Etymon ballare hingegen gänzlich unbekannt gewesen zu sein. Sowohl Estienne (1549) als auch Thierry (1564), Nicot (1584) und Monet (1635) übersetzen baler / baller an erster Stelle mit lat. saltare 218 . Jedoch unterscheiden sich allégresse , s’allégrer , bal , baller und past auch von Formen wie ragionner statt raisonner oder inamouré statt enamouré , die in Kapitel 5.5.1.2 bewusst aus der Kategorie der als lexikalische Italianismen kritisierten Lexeme ausgeschlossen wurden. Zum einen ist bei ersteren eine Beeinflussung der Lautung - unter Umständen mit Ausnahme von past - nicht gegeben, so dass sie von Estienne, der, wie weiter oben bereits erläutert wurde, an keiner Stelle der Deux Dialogues rein graphische Italianisierungen diskutiert, als lexikalische Italianismen betrachtet worden sein müssen, wohingegen die Schreibung <ragionner> nahelegt, dass auch eine veränderte Aussprache ([ʒ] statt [z]) zu erwarten ist. Zum anderen werden die Lexeme im Gegensatz zu z.B. fr. enamouré auch nicht in anderen Werken als lediglich italianisierende Erbwörter ‘rehabilitiert’. Im Falle von baller äußert sich Estienne, wie die oben zitierte Textstelle illustriert, schließlich auch ganz eindeutig: Das Lexem sei als lexikalischer Italianismus zu betrachten, das das französische Wort danser verdränge. Wie aber lässt sich nun erklären, dass Estienne ganz offensichtlich französische Erbwörter, die keinen semantischen Wandel erfahren haben, also offenbar keinerlei innovatives Potential im rinascimentalen Französisch aufweisen, als Italianismen stigmatisiert? 217 Erstaunlicherweise erscheint <baler> wieder in Cotgrave (1611), der eigentlich dafür bekannt ist, sich in vielerlei Hinsicht an den Deux Dialogues orientiert zu haben (vgl. dazu den Beitrag von Smith 1980b), sowie in Monet (1635) und Richelet (1680). 218 Ménage (1650 s.v. baller ) nennt als Etymon bereits ballare , das er als Gräzismus im Lateinischen ausweist. 274 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Wie schon bei den in den vorangegangenen Kapiteln besprochenen Lexemen lassen sich auch diese semantischen Bereichen zuordnen, in denen gehäuft tatsächliche Lehnwörter aus dem Italienischen anzutreffen sind: So könnten allégresse und s’allégrer neben den tatsächlichen Lehnwörtern acconche , accort , bizarre , bouffon , brave , caprice , être dispost , ingambe , leggiadre und leste , die Wind (1928: 206) zusammen als „emprunts exprimant des qualités physiques, ou des qualités d’esprit, de cœur, de caractère“ bezeichnet, als Eigenschaften eines Höflings gelten. Fr. past hingegen kann mühelos mit Kulinarischem im weitesten Sinne - etwa artichaut , broccoli , brode , cervelat , menestre ( panade ) 219 - in Verbindung gebracht werden. Wie nicht zuletzt Vollenweider (1963a, b) gezeigt hat, finden sich im Bereich der Kochkunst zahlreiche Italianismen. Im Falle von fr. bal und baller begegnen neben weiteren aus dem Italienischen übernommenen Bezeichnungen für kunstvolles Bewegen (z. B. volter , voltiger ) 220 zudem sogar entlehnte Derivate auf Basis des italienischen Kognaten ballare : fr. ballet < it. balletto und fr. ballerin < it. ballerino 221 . Vom Umstand abgesehen, dass all diese Lexeme im Gegensatz zu rein phonetisch und graphisch adaptierten Formen, wie ragionner statt raisonner , Denotatsbereichen angehören, die für Lehngut aus dem Italienischen äußerst offen sind, weisen sie zwei weitere Besonderheiten auf, die sie von diesen unterscheiden: Anders als die nur vereinzelt außerhalb der Deux Dialogues belegten Formen wie cattif statt chétif sowie inamouré statt enamouré 222 sind sie, was angesichts ihrer Eigenschaft als französische Erbwörter auch nicht verwunderlich ist, in Texten des 16. Jahrhunderts auch tatsächlich zu finden (vgl. z. B. HUG s.v. allegresse , s’allegrer , bal , baller , past ). Des Weiteren stehen sie alle in Konkurrenz zu frequenteren erbwörtlichen (partiellen) Synonymen (z. B. baller vs. danser oder past vs. repas ), die im Italienischen hingegen entweder kaum belegt ( ripasto neben pasto ) oder zumindest deutlich seltener sind ( ballare häufiger als danzare ), 219 Zu artichaut , broccoli , cervelat , menestre vgl. z. B. Hope (1971: 156-157, 168, 180, 209), zu panade vgl. die Ausführungen in Kapitel 7.3.5.4.2. 220 Zu den Italianismen volter , voltiger vgl. z. B. Hope (1971: 52, 227), zur Bedeutung des Tanzens im rinascimentalen Frankreich und der Verbreitung von u. a. aus Italien stammenden Innovationen innerhalb Europas vgl. insbesondere die kulturgeschichtliche Arbeit von McGowan (2008). Dass gerade der Bereich der Tanzkunst ein Einfallstor für Lehnwörter ist, zeigt Pierno (2009) anhand der zahlreichen Gallizismen im Italienischen des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts, des Zeitraums also, in dem sich die Lehnbeziehungen umkehren. 221 Zur Etymologie von ballet vgl. TLFi (s.v. ballet ), zu ballerin vgl. TLF-Étym (s.v. ballerin ). Entgegen den Angaben des OIM (s.v. ballerino ) handelt es sich bei ballerin um einen Italianismus des 16. Jahrhunderts (vgl. Kapitel 2.2.3). 222 Die Form ragionner ist meines Wissens nicht außerhalb der Werke Estiennes belegt. 5.5 Trescases (1978b) revisited 275 was sich anhand eines Vergleichs der jeweiligen Okkurrenzen in FRANTEXT und LIZ 4.0 rasch nachweisen lässt 223 . Synonymenpaare FRANTEXT (1500-1600) LIZ4.0 (1500-1600) allégresse & joie allégresse 77 (132) joie 653 (791) allegrezza 813 gioia 630 s’allégrer & se réjouir s(e)’(r)allégrer 1 (0) se réjouir 5 (366) (r)allegrarsi 69 gioire 56 baller & danser baller / ba(s)ler 32 danser / dancer 133 ballare 93 danzare 41 bal & danse bal 29 danse 39 ballo 134 danza 73 past & repas past 10 repas 173 pasto 202 ripasto 0 Tab. 6: Unterschiedliche Frequenz von gemeinsamen Lexemen im Französischen und Italienischen Bei genauerer Betrachtung kommt man nicht umhin, festzustellen, dass die von Estienne fälschlicherweise als Italianismen kritisierten Erbwörter zahlreiche Eigenschaften mit tatsächlichen Italianismen (z.B. fr. baster < it. bastare neben erbwörtlichem fr. suffire ) teilen, die man als Luxuslehnwörter bezeichnen könnte: (1) Vorhandensein erbwörtlicher (partieller) Synonyme im Französischen, die das Italienische kaum kennt oder die im Italienischen weniger frequent sind: 223 Die Zahlen geben die Okkurrenzen der genannten Formen wieder (z. B. 77 für allégresse ), jene in runden Klammern schließen auch flektierte Formen sowie graphische Varianten - insbesondere solche des 16. Jahrhunderts - mit ein. Wie weiter oben bereits erwähnt wurde, konnten für das Paar baller & danser keine konjugierten Formen berücksichtigt werden, da die Ergebnisse einer Suche nach flexion & variantes XVI e -XVII e auch Substantive wie balai , Eigennamen oder Formen anderer Verben, wie z. B. bailler ‘donner’, enthalten. Für s’allégrer sind die Suchergebnisse für flektierte Formen ohnehin wenig aussagekräftig, da von 88 Treffern nur 2 verbale Formen sind - der o. g. Infinitiv und it. s’allegra in einem italienischen Gedicht von Du Bellay -, wohingegen die übrigen 86 Okkurrenzen Varianten des Adjektivs allègre oder Eigennamen sind. Bei fr. bal mussten 3 der 32 Okkurrenzen ausgeschlossen werden, da sie nicht ‘danse’ bedeuten. Bei fr. danse konnten nur 39 von 50 Belegen als Substantive gewertet werden, bei it. ballo waren es 134 von 137, bei it. danza 73 von 79. Analog zur Suche in FRANTEXT wurden auch in LIZ4.0 keine flektierten Formen analysiert. 276 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues fr. allégresse *[<] it. allegrezza neben fr. joie (it. gioia seltener als allegrezza ) fr. s’allégrer *[<] it. allegrarsi neben fr. se réjouir (it. gioire seltener als allegrarsi ) fr. baller *[<] it. ballare neben fr. danser (it. danzare seltener als ballare ) fr. bal *[<] it. ballo neben fr. danse (it. danza seltener als ballo ) fr. past *[<] it. pasto neben fr. repas (it. ripasto , selten belegt 309 ) fr. baster < it. bastare neben fr. suffire (it. sufficiare , selten belegt 310 ) Synonymenpaare FRANTEXT (1500-1600) LIZ4.0 (1500-1600) baste & suffit baster (3.P.Sg.) 29 su(f)fire (3.P.Sg.) 163 bastare (3.P.Sg.) 1027 sufficiare (3.P.Sg.) 0 allégresse & joie allégresse 77 (132) joie 653 (791) allegrezza 813 gioia 630 s’allégrer & se réjouir s(e)’(r)allégrer 1 (0) se réjouir 5 (366) (r)allegrarsi 69 gioire 56 baller & danser baller / ba(s)ler 32 danser / dancer 133 ballare 93 danzare 41 bal & danse bal 29 danse 39 ballo 134 danza 73 past & repas past 10 repas 173 pasto 202 ripasto 0 Tab. 7: Gemeinsamkeiten zwischen Kognaten und Luxuslehnwörtern Ein Sprecher des Französischen, der ebenfalls das Italienische beherrscht - und dies trifft im Falle von Henri Estienne mit Gewissheit zu -, könnte daher das in der Muttersprache seltenere (z. B. baller und past ), in der Fremdsprache aber etabliertere Synonym (z. B. ballare und pasto ) als fremd, also als Lehnwort (wie baster vs. suffire ) 226 wahrnehmen. Umgekehrt ist es äußerst unwahrscheinlich, dass im Französischen vitale Lexeme (z. B. suffire , danser , repas ), deren Entspre- 224 Für die spärlichen Belege vgl. GDLI (s.v. ripasto ). In LIZ4.0 ( Cinquecento ) lässt sich ripasto hingegen nicht nachweisen. 225 Für die wenigen Belege vgl. GDLI (s.v. sufficiare ). In LIZ4.0 ( Cinquecento ) sind für sufficiare keine Okkurrenzen zu finden. 226 Für die Analyse dieses Synonymenpaares wurde nur nach der 3. Person im Singular gesucht. Einige der 29 Okkurrenzen von fr. baste sowie der 1027 Vorkommen von it. basta sind strenggenommen keine konjugierten Formen des Infinitivs fr. baster bzw. it. bastare , sondern Interjektionen. Da aber ein Zusammenhang mit den entsprechenden Verben noch klar erkennbar ist, wurden sie nicht von der Analyse ausgeschlossen. 5.5 Trescases (1978b) revisited 277 chungen im Italienischen kaum belegt oder weniger frequent sind ( sufficiare , danzare , ripasto ), als nicht erbwörtlich empfunden werden 227 . (2) Im Gegensatz zum erbwörtlichen 228 Synonym meist ausdrucksseitig fremd, da phonetisch und / oder graphisch potentiell italianisierend: fr. allégresse *[<] it. allegrezza neben fr. joie (it. und fr. <ll>, {-esse}) fr. s’allégrer *[<] it. allegrarsi neben fr. se réjouir (it. und fr. <ll>) fr. baller *[<] it. ballare neben fr. danser (it. und fr. <ll>) fr. bal *[<] it. ballo neben fr. danse (unauffällig) fr. past *[<] it. pasto neben fr. repas (it. und fr. [-st]) fr. baster < it. bastare neben fr. suffire (it. und fr. [-st-]) Weiter oben wurde bereits ausgeführt, dass <-ll-> in s’allégrer , allégresse und baller durchaus als italianisierend betrachtet werden kann. Anders als bei s’allégrer kann bei allégresse neben <e> zusätzlich das Suffix {-esse} als italianisierend gelten. Was die Sequenz [-st] angeht, erscheint es ebenfalls gerechtfertigt, zumindest von einer im Hinblick auf die phonotaktischen Regularitäten des rinascimentalen Französisch markierten Konsonantenabfolge zu sprechen. Zwar kann [-st] aufgrund des lateinischen und italienischen Einflusses insbesondere gegen Ende des 16. Jahrhunderts wieder als revitalisiert gelten (vgl. Kapitel 2.3.2.2), aber noch im 17. Jahrhundert erachten es sowohl Monet (1635 s.v. baster ) als auch die Académie (1694 s.v. baster 2) und Furetière (1690 s.v. baster 3) für notwendig, darauf hinzuweisen, dass das graphisch realisierte <s> in baster auch tatsächlich auszusprechen ist. BASTER , on prononce l’s, signifioit autrefois suffire & se dit encore en cette phrase proverbiale, Baste pour cela, ou absolument, Baste , pour dire, Passe , j’en suis content […]. (Furetière 1690, s.v. baster 3, Hervorhebungen im Original) 227 Sowohl bei it. danzare als auch bei it. gioia und gioire handelt es sich um frühe Gallizismen im Italienischen (vgl. z. B. DELI s.v. danzare , gioia , gioire ), was die Frequenzverhältnisse der Lexeme im Italienischen zusätzlich erklären könnte. Dass laut LEI (s.v. alacer ) für die Wortfamilie von it. allegro heute nicht mehr zwangsläufig von französischer Herkunft ausgegangen werden muss, erklärt hingegen, warum fr. s’allégrer und allégresse durchaus als Italianismen wahrgenommen werden konnten. 228 Im Falle der fälschlicherweise als Italianismen kritisierten Lexeme (z. B. baller und past ) ist das sog. erbwörtliche Synonym natürlich nur scheinbar das einzige Erbwort im Französischen. 278 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Baster , faisant sonner l’s , estre bastant , estre suffisant , suffire pourquoi que ce soit : Sufficio, feci, fectum, ficere. Satis esse. Tout cheval bastera pour si legere charge […] Baste, n’an parlons plus […]. (Monet 1635, s.v. baster , Hervorhebungen im Original) BASTER v.n. (l’ s se prononce.) Suffire. Cela ne sçauroit baster , pour dire, Cela ne sçauroit suffire. (Académie 1694, s.v. baster 2, Hervorhebungen im Original) (3) Zugehörigkeit zu Denotatsbereichen, die besonders offen für Italianismen sind: fr. allégresse *[<] it. allegrezza vgl. fr. caprice < it. capriccio fr. s’allégrer *[<] it. allegrarsi vgl. fr. bouffon < it. buffone fr. baller *[<] it. ballare vgl. fr. voltiger < it. volteggiare fr. bal *[<] it. ballo vgl. fr. volte < it. volta fr. past *[<] it. pasto vgl. fr. menestre < it. minestra fr. baster < it. bastare vgl. fr. manquer < it. mancare Aufgrund dieser Parallelen zu ‘echten’ Lehnwörtern aus dem Italienischen erscheint Estiennes Urteil also nachvollziehbar. Wie weiter oben bereits erläutert wurde, sind es diese Eigenschaften, die die betroffenen Lexeme von lediglich ausdrucksseitig veränderten Formen wie z. B. <ragionner> statt <raisonner> unterscheiden. Welche Unterschiede sind aber nun im Vergleich zu den Lexemen und Wendungen aus Kapitel 5.5.2.3.3.1 (z. B. patrouille ) und 5.5.2.3.3.2 (z. B. humeur ‘caprice’) festzustellen? Letztere sind schließlich auch im 16. Jahrhundert verbreitet und gehören Denotatsbereichen an, die besonders offen für Italianismen sind. Im Gegensatz zu z. B. patrouille handelt es sich bei allégresse , s’allégrer , bal , baller und past im rinascimentalen Französisch aber nicht um lexikalische Innovationen zur Bezeichnung neuer Konzepte, so dass sie von Estienne eher nicht als rezentes äußeres Lehngut empfunden hätten werden dürfen. Zudem existieren weder im Italienischen noch im Französischen einschlägige Synonyme zu patrouille bzw. pattuglia , was angesichts der Neuheit der Lexeme nicht verwunderlich ist. Um vermeintlich indirektes Lehngut wie im Falle von humeur ‘caprice’ kann es sich auch nicht handeln, weil sich die denotative Bedeutung während des 16. Jahrhunderts nicht ändert und daher keine potentielle Beeinflussung durch das Italienische angenommen werden kann. Die folgende Tabelle fasst die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der besprochenen Lexeme im Hinblick auf die bisher diskutierten Eigenschaften zusammen: 5.5 Trescases (1978b) revisited 279 Eigenschaft adaptierte Erbwörter lex. Innovationen sem. Innovationen Erbwörter ohne Bedeutungswandel Luxuslehnwörter ragionner patrouille humeur baller baster Existenz von Entsprechungen (Kognaten) im It. ja ja ja ja ja ausdrucksseitig italianisierend ja nein nein ja ja italianisierende Denotatsbereiche nein ja ja ja ja Verbreitung außerhalb der Werke Estiennes nein ja ja ja ja lex. Innovation nein ja nein nein, aber als solche empfunden ja sem. Innovation nein nein ja nein nein Synonymenpaare im Fr. und It. mit unterschiedlicher Frequenz nein nein nein ja baller & danser ja baster & suffire Tab. 8: Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Kognaten und Lehngut Wie sich aus der Übersicht ablesen lässt, scheinen sich also die betroffenen Lexeme (z. B. baller ) in der Tat wie Luxuslehnwörter (z. B. baster ) zu verhalten. Während der wesentliche Unterschied zu lexikalischen Innovationen im Französischen wie patrouille darin besteht, dass es sich nicht um Innovationen, sondern um bereits etablierte Erbwörter handelt, grenzen sie sich von semantisch 280 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues beeinflussten Lexemen dahingehend ab, dass kein Bedeutungswandel beobachtet werden kann. Im Hinblick auf dieses letzte Kriterium aber bedürfen allégresse , s’allégrer , bal , baller und past jeweils noch einer genaueren Überprüfung, da sich die o. g. Synonymenpaare (z. B. baller & danser sowie allégresse & joie ) nicht alle gleich verhalten (totale vs. partielle Synonymie) und Estienne daher bei einigen der Lexeme möglicherweise eine kontaktinduzierte Veränderung in der Semantik wahrnehmen hätte können. Wie im Folgenden gezeigt wird, lässt sich nur bei totaler Synonymie mit Gewissheit ausschließen, dass bereits semantische Unterschiede bestehen und diese fälschlicherweise als kontaktinduziert interpretiert werden. Mit anderen Worten: Nur wenn das betreffende Wortpaar im Französischen (z. B. baller & danser ) vor und nach dem Sprachkontakt keine partielle Synonymie aufweist, ist es ausgeschlossen, dass Estienne das ‘weniger französische’ Lexem (z. B. baller ) aufgrund eines vermeintlich kontaktbedingten Bedeutungswandels als Italianismus (indirektes Lehngut) kritisiert. So taucht zwar allégresse in Texten des 16. Jahrhunderts zusammen mit joie in für Synonyme typischen Doppelungen 229 auf (vgl. die Okkurrenzen in FRAN- TEXT ), jedoch werden allégresse und joie schon in zeitgenössischen Wörterbüchern nicht gleich behandelt: In Estienne (1549), Thierry (1564), Nicot (1584), Nicot (1606) und Monet (1635) wird fr. allégresse mit lat. alacritas übersetzt, fr. joie hingegen mit lat. laetitia , exultatio oder gaudium 230 . In Cotgrave (1611) wird allégresse u. a. mit alacritie , mirth , joyfullness of the heart glossiert, wohingegen joie u. a. als joy , mirth , gladness und lightness of the heart wiedergegeben wird. Auch die großen einsprachigen Wörterbücher stellen Unterschiede fest, was sich leicht anhand der jeweiligen Definitionen erkennen lässt 231 : Académie (1694): alégresse ‘joie qui éclatte au dehors’ vs. joie ‘passion, mouvement agréable que l’ame ressent dans la possession d’un bien’, Furetière (1690): alegresse ‘joie éclatante & generale, qui vient d’une cause soudaine, & dans certaines festes ou solemnités […] Ce mot est dérivé d’ alegre , parce que dans cette joye on saute, on danse […]’ vs. joye ‘emotion de l’ame qui cause une dilatation du cœur & un plaisir sensible à la veu ou à la possession de quelque bien qu’elle ressent’. Insgesamt scheint sich die Freude also bei allégresse deutlicher, d. h. auch körperlich zu manifestieren. Das entsprechende Verb fr. s’allégrer 232 ist 229 Zur Funktion der Synonymendoppelung in der Diachronie des Französischen vgl. Kapitel 4.2.3.3 sowie die dort zitierte Literatur. 230 Monet (1635) stellt hier insofern eine Ausnahme dar, als er trotz der unterschiedlichen Übersetzungen allégresse und joie als Synonyme behandelt. 231 Allein Richelet (1680) stellt allégresse ohne weitere Erläuterungen joie , plaisir gegenüber. Ein entsprechender Eintrag fehlt in Corneille (1694). 232 Laut FEW (s.v. alăcer ) könnte für die Bildung des bedeutungsgleichen Verbs fr. se rallégrer (vgl. it. rallegrarsi ) im 16. Jahrhundert tatsächlich italienischer Einfluss verantwortlich 5.5 Trescases (1978b) revisited 281 hingegen so selten - in FRANTEXT war nur eine Okkurrenz zu finden -, dass es in keinem der von mir konsultierten Wörterbücher 233 aufgeführt wird. Es ist anzunehmen, dass es sich von réjouir so unterscheidet wie allégresse von joie . Es wäre denkbar, dass Estienne im - bereits vorhandenen, aber möglicherweise durch den Kontakt mit dem Italienischen tatsächlich gestärkten - Merkmal [+vif] italienischen Einfluss erkannt hat 234 . Bei fr. bal könnte die bereits seit dem 13. Jahrhundert beobachtbare Polysemie 1. ‘danse’, 2. ‘réunion où l’on danse’ (vgl. TLF i s.v. bal sowie Chauveau 2006) für das Urteil Estiennes verantwortlich sein. Zwar werden bal und danse in Estienne (1549), Thierry (1564), Nicot (1584), Nicot (1606) und Monet (1635) als Synonyme behandelt und noch in Cotgrave (1611) wird bal mit engl. a dance / a dancing übersetzt 235 , aber schon in Richelet (1680), Académie (1694) und Furtière (1694) ist nur noch die zweite Lesart zu finden. Möglicherweise war also die Bedeutung ‘danse’ schon nicht mehr gebräuchlich, so dass Estienne darin (zu Recht sein. Für Tracconaglia (1907: 101) sei auch im Falle des eher seltenen fr. alegrir (vgl. die Belege in GDF) von einem Italianismus auszugehen. 233 Es fehlt in Estienne (1549), Thierry (1564), Nicot (1584), Nicot (1606), Monet (1635) sowie in Richelet (1680), Académie (1694), Corneille (1694), Furetière (1690) und selbst in Cotgrave (1611). Interessant ist auch, wie Französisch-Italienisch-Wörterbücher verfahren: Das Verb fehlt im fr.-it. Teil bei Fenice (1584), Canal (1598, 1603), Anonyme I (1650), Oudin (1655), Oudin / Ferretti (1662-1663) und Oudin / Ferretti/ Veneroni (1681). Im jeweiligen it.-fr. Teil wird it. allegrar(si) auch nie mit fr. (s’)allégrer , sondern immer mit fr. (se) réjouir übersetzt. Auch im it-fr. Teil von Anonyme II (1677) und Veneroni (1695) wird it. allegrar(si) mit fr. (se) réjouir glossiert. Offenbar war das Verb im rinascimentalen Französisch also tatsächlich kaum verbreitet. 234 Sowohl it. allegrezza als auch fr. allégresse erhalten im 16. Jahrhundert die zusätzliche Bedeutung ‘vivacità, vivacité’ (vgl. z. B. LEI s.v. alacer und TLFi s.v. allégresse ). Ob es sich im Französischen dabei um italienischen Einfluss handelt, ist meines Wissens bisher nicht untersucht worden. Da sowohl fr. allégresse als auch it. allegrezza ‘joie vive’ bedeuten, ließe sich der metonymische Bedeutungswandel aber leicht in beiden Sprachen unabhängig voneinander erklären. 235 Die Italienisch-Französisch-Wörterbücher helfen hier nur bedingt weiter, da it. ballo die gleiche Polysemie wie fr. bal aufweist und daher aus der Gegenüberstellung von fr. bal und it. ballo keine Erkenntnisse bezüglich der unterschiedlichen Lesarten zu erwarten sind. In der Tat übersetzen Fenice (1584), Canal (1598, 1603) und Anonyme I (1650) sowohl fr. bal als auch fr. danse mit it. ballo & danza . Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts lässt sich jedoch eine Veränderung im Umgang mit fr. bal feststellen: Oudin (1655), Oudin / Ferretti (1662-1663) und Oudin / Ferretti / Veneroni (1681) geben für fr. bal nicht mehr danza ‘danse’, sondern nur noch ballo an, das sogar durch festa und festino ergänzt wird, während fr. danse weiterhin mit danza & ballo übersetzt wird. Offenbar hatte fr. bal also die Bedeutung ‘danse’ bereits eingebüßt. 282 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues oder zu Unrecht? 236 ) eine Beeinflussung, d. h. eine Revitalisierung 237 , durch das Italienische, in dem ballo bis heute die gleiche Polysemie aufweist, vermutet hat. Ähnlich verhält es sich mit fr. past . Schon im Altfranzösischen ist das Lexem nach Auskunft des FEW ( pascĕre ) stark polysem: u. a. 1. ‘curée qu’on laisse aux chiens de chasse’, 2. ‘patûre de l’oiseau de proie’, 3. ‘repas, nourriture’. Fr. repas , das seit dem Altfranzösischen u. a. ‘nourriture en général’ bedeutet, erhält zwar erst im 16. Jahrhundert die heutige Bedeutung ‘nourriture que l’on prend à des heures fixes’ (bei Rabelais 1534), verdrängt aber past sehr schnell. Vielleicht war also 1578 past in der Bedeutung ‘nourriture que l’on prend à des heures fixes’ bereits so ungebräuchlich (vgl. die Okkurrenzen in FRANTEXT 10 past vs. 173 repas ), dass Estienne - wie bei bal ‘danse’- eine erneute Entlehnung vermutet hat. Die zeitgenössischen Wörterbücher geben leider wenig Auskunft zu past , weil es kaum erwähnt wird 238 . Andererseits könnte gerade diese negative Evidenz die Vermutung, das Lexem sei kaum mehr in Gebrauch gewesen, bestätigen. Allein beim Wortpaar baller & danser scheint tatsächlich totale Synonymie vorzuliegen. Beide Lexeme werden nicht nur in Estienne (1549), Thierry (1564), Nicot (1584) und Monet (1635) durchgängig gleich, d. h. mit lat. saltare , übersetzt, sondern auch von Cotgrave (1611), Fenice (1584), Canal (1598, 1603), Anonyme I (1650), Oudin (1655) und Oudin / Ferretti (1662-1663) als Synonyme behandelt. Neben Nicot (1606) hält auch Ménage (1650) die Wörter für bedeutungsgleich. Schließlich wird baller auch von den einsprachigen Wörterbüchern (Richelet 1680, Académie 1694, Furetière 1690) als veraltete Variante für danser genannt, 236 Sowohl der TLFi (s.v. bal ) als auch Chauveau (2006) weisen darauf hin, dass Estienne (1578) das Lexem seltsamerweise als Italianismus kritisiert, ohne jedoch weitere Überlegungen anzustellen. 237 Schon Tracconaglia (1907: 182) schlägt in seiner Einteilung der von Estienne als Italianismen kritisierten Lexeme eine Kategorie „Parole cadute in disuso rinforzate o risuscitate dalle sinonime italiane“ vor, zu der er auch fr. bal zählt. 238 Ein entsprechendes Lemma fehlt in Estienne (1549), Thierry (1564), Nicot (1584), Monet (1635) sowie in Richelet (1680) und Académie (1694). In den Französisch-Italienisch-Wörterbüchern (Fenice 1584, Canal 1598, 1603, Anonyme I 1650) findet sich fr. past nicht, it. pasto wird an keiner Stelle mit fr. past übersetzt. Obschon it. pasto auch in Oudin (1655), Oudin / Ferretti (1662-1663), Oudin / Ferretti / Veneroni (1681) nicht mit fr. past übersetzt wird, wird fr. past als veraltete Variante von repas aufgeführt. Furetière (1690) behandelt es einfach als Synonym von repas . Ähnlich verfährt Nicot (1606), der aber als erste Bedeutung ‘viande & bechée qu’on donne à l’oiseau de proye’ nennt. Corneille (1694) hingegen erwähnt past als regionale Variante von repas , gibt aber lediglich an „dont on se sert en de certains lieux“, ohne jedoch genauere diatopische (oder vielleicht auch diastratische) Angaben zu diesen „lieux“ zu machen. Cotgrave (1611), von dem, wie bereits mehrfach erwähnt wurde, bekannt ist, dass er für die Erstellung seines Wörterbuchs mit Gewissheit auch auf die Deux Dialogues zurückgegriffen hat (vgl. Smith 1980b), bespricht past als meal ; repas wird ebenfalls mit meal übersetzt. 5.5 Trescases (1978b) revisited 283 ohne dass Bedeutungsunterschiede erwähnt würden 239 . Diese metasprachlichen Aussagen werden auch von der heutigen etymologischen Forschung bestätigt, die, obschon bisweilen versucht wurde, Bedeutungsunterschiede zwischen fr. baller und fr. danser wahrscheinlich zu machen, meist von totaler Synonymie ausgeht (vgl. insbesondere Haas 1964 und Meier / de Peña 1967) 240 . Anders als bei allégresse , s’allégrer , bal und past hat Henri Estienne also bei baller unmöglich einen auf italienischen Einfluss zurückzuführenden Wandel des Denotats vermuten können. Auch aus der weiter oben zitierten Textstelle geht hervor, dass er in baller in der Tat eine lexikalische Entlehnung zu erkennen glaubte. Nun aber zeigen schon die Belege in FRANTEXT ( Ancien français : 1 <baller> und 4 <baler>, Moyen français : 1 <baller> und 10 <baler> 241 , 1500-1600: 28 <baller> und 3 <baler>, 1 <basler>), dass baller kontinuierlich seit dem Altfranzösischen belegt ist, also nicht von rinascimentalem Lehngut - oder von einer Revitalisierung wie vielleicht im Falle von bal ‘danse’ 242 - ausgegangen werden kann. Es lässt sich jedoch eine leichte Zunahme der Gebrauchshäufigkeit im Verhältnis zu danser im 16. Jahrhundert beobachten. FRANTEXT Ancien français Moyen français 1500-1600 baller / baler 5 (55 %) 11 (11 %) 32 (19 %) danser / danc(i)er 4 (45 %) 89 (89 %) 133 (81 %) Tab. 9: Verteilung von baller & danser in FRANTEXT ( Ancien français - 1600) Betrachtet man diesen Fall genauer, so lassen sich deutliche Parallelen zu dem, was in der Semantik traditionellerweise als Volksetymologie bezeichnet wird, erkennen. Dass es jedoch zu kurz greifen würde, Estiennes ‘falsche’ Etymologie von fr. baller als klassische Volksetymologie zu bezeichnen, soll im Folgenden gezeigt werden. 239 Dass es bereits in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts außer Gebrauch gekommen sein dürfte, legt der Umstand nahe, dass es schon in Oudin (1655) sowie in Oudin / Ferretti (1662-1663) als veraltet ausgewiesen wird und dass es schließlich in Oudin / Ferretti / Veneroni (1681) gänzlich fehlt. 240 Zur Etymologie von danser und baller im Französischen und in anderen romanischen Sprachen - insbesondere zur umstrittenen Etymologie von danser - vgl. neben den einschlägigen Werken (FEW, LEI, DELI) auch Aeppli (1925), Brüch (1929, 1936), Haas (1964) sowie Meier / de Peña (1967), speziell zu fr. baller vgl. Chauveau (2006). 241 Vier der insgesamt 14 Okkurrenzen von <baler> haben nicht die Bedeutung ‘danser’ und werden daher nicht berücksichtigt. 242 Tracconaglia (1907: 182) geht wie für das Substantiv bal auch beim Verb baller von einer Revitalisierung unter italienischem Einfluss aus. 284 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Unter Volksetymologie versteht man im Allgemeinen 243 einen Reanalyseprozess, durch den ein Wort zumeist sowohl aufgrund einer formalen Ähnlichkeit als auch aufgrund einer gewissen semantischen Nähe auf ein anderes - i. d. R. nicht verwandtes - Wort bezogen wird. Infolge dieser Neuinterpretation, die, wie Blank (2001: 91) betont, immer der tatsächlichen Etymologie widerspricht, wird das umgedeutete Wort formal und / oder semantisch an das ähnliche Wort (Paronym) angenähert. Angesichts dieser Annäherung spricht man in diesem Zusammenhang auch von attraction paronymique 244 . Als Beispiel für eine volksetymologische Umdeutung, die sich nur auf das signifiant , nicht aber auf das signifié des betroffenen Lexems auswirkt, kann fr. choucroute dienen. Das aus dem Alemannischen entlehnte Wort für dt. Sauerkraut erscheint im Französischen anfänglich in der Form sou(r)croute . Da es aber allmählich mit fr. chou ‘Kohl’ und croûte ‘partie extérieure d’un pain’ in Verbindung gebracht wurde, änderte sich die Ausdrucksseite entsprechend. Das Denotat blieb dabei aber unverändert 245 . Anders verhält es sich hingegen im Falle von fr. forain und fr. souffreteux , bei denen eine attraction paronymique einen Bedeutungswandel nach sich zog. So wurde afr./ mfr. souffraiteus ‘nécessiteux, indigent, misérable’, ein Derivat zu afr./ mfr. souffraite ‘manque, privation, disette, misère’ < vlat. * suffracta (Partizip von vlat. suffringere ), nachdem das Substantiv im 16. Jahrhundert unterging, im Laufe der Zeit mit dem Verb souffrir assoziiert, was sich nicht nur durch die formale Ähnlichkeit, sondern auch im Hinblick auf die Semantik erklären lässt. Spätestens im 19. Jahrhundert ist es denn auch nur noch in der neuen Bedeutung ‘qui est souffrant’ belegt. Das Adjektiv forain ‘qui est dehors, à l’extérieur’, das aus vlat. foranus ‘qui est dehors’ 243 Die Literatur zur Volksetymologie ist umfangreich. Die theoretischen Überlegungen zur Volksetymologie sowie die o. g. Beispiele sind den einschlägigen Beiträgen Blanks (1993, 1997: 303-317, 2001: 91-92) und Jänickes (1991: 5-7) entnommen. Für weitere Beispiele vgl. auch Baldinger (1973) und Pfister (1980: 100-120). Laut Blank (1997: 303, Fn. 313) geht der Terminus Volksetymologie wahrscheinlich auf Förstemann (1852) zurück. 244 Dieser Begriff, der sich insbesondere in der Romanistik etabliert hat, geht vermutlich auf Dauzat (1927) zurück. Vgl. dazu Hristea (1995: 594-597), der die Gleichsetzung von étymologie populaire und attraction paronymique kritisch sieht. Allerdings erklärt sich seine Kritik m. E. durch eine zu enge Definition von Paronymie als „quasihomonymie“. Im Folgenden wird an dem zu Recht verbreiteten Begriff festgehalten und Paronymie an der entsprechenden Stelle so definiert, dass auch Hristeas Einwände leicht überwunden werden können. 245 Jedoch führt auch bereits ein solcher Wandel laut Blank (1997: 308) zu einem sog. weichen Bedeutungswandel. Was sich durch die Interpretation ändert, ist die interne Wortvorstellung, die Blank (1997: 95, 107-108) in seinem komplexen, mehrere Ebenen umfassenden Modell der lexikalischen Bedeutung auf der Ebene des einzelsprachlich-lexikalischen Wissens um das Wort ansiedelt. Sie umfasst insbesondere das Wissen um die Zugehörigkeit zu Wortfamilien. Dennoch ist bei solch einem weichen Bedeutungswandel das signifié , also das Semem, nicht betroffen. 5.5 Trescases (1978b) revisited 285 stammt, kann aufgrund des Lautwandels vlat. deforis > fr. (de)hors nicht mehr mit diesem in Verbindung gebracht werden und wird schließlich als Adjektiv zu fr. foire < lat. feria ‘foire, marché’ interpretiert. Neben der ausdrucksseitigen Ähnlichkeit ist auch hier ein inhaltlicher - v. a. auf Weltwissen beruhender - Zusammenhang zwischen den betroffenen Lexemen zu erkennen: Markthändler kommen - insbesondere im Mittelalter - von auswärts. Schließlich kann es auch vorkommen, dass infolge einer volksetymologischen Umdeutung sowohl ein Bezeichnungsals auch ein Bedeutungswandel stattfindet 246 . So wird etwa afr. pleintiveus ‘abondant’ (Derivat zu afr. pleinteif , selbst Derivat zu afr . plentet < lat. plenitas ‘abondance’) 247 unter dem Einfluss von afr. plante zu afr. plantureux ‘fertile’. Wie die obigen Beispiele zeigen, handelt es sich bei den umgedeuteten Wörtern in den meisten Fällen um Lexeme, die durch die Neuinterpretation an geläufige Wörter angegliedert und somit besser in den Wortschatz der entsprechenden Sprache integriert werden: Während das Lehnwort choucroute ohnehin zu keiner erbwörtlichen Wortfamilie gehören kann, können souffreteux und forain spätestens nach dem Schwund von afr./ mfr. soufraitte und dem Lautwandel vlat. deforis > fr. (de)hors 248 nicht mehr mit diesen assoziiert werden. Blank (1993) sieht daher eine der Haupttriebfedern für die Volksetymologie in der Integration des „verwaisten Wortes“. Betroffen von volksetymologischen Umdeutungen sind laut Blank (1997: 307) daher insbesondere Lehn-, Dialekt- oder Fachwörter sowie Lexeme, die, da sie Wortfamilien angehören, deren Mitglieder entweder untergegangen sind oder zu denen aufgrund von Sprachwandel (insbesondere Lautwandel) keine motivationalen Beziehungen mehr hergestellt werden können, als isoliert gelten müssen. Zumeist trägt eine geringe Gebrauchshäufigkeit zur Isolation bei. Angesichts des bisher Gesagten stellt sich die Frage, inwiefern es gerechtfertigt ist, Estiennes ‘falsche’ Etymologie von baller nicht als traditionelle Volksetymologie zu betrachten. Genau wie bei den obigen Beispielen handelt es sich auch hier um ein Reanalyse-Phänomen, durch das fr. baller mit it. ballare in Verbindung gebracht wird. Neben der formalen Ähnlichkeit und der gleichen 246 Blank (1997: 304 und 304, Fn. 317) unterscheidet zusätzlich einen vierten Typ des volksetymologischen Einflusses, bei dem nur die Graphie des umgedeuteten Wortes eine Veränderung erfährt, räumt aber selbst ein, dass dieser „getrost“ als Sonderform des Bezeichnungswandels ohne wirklichen Bedeutungswandel (vgl. z. B. choucroute ) betrachtet werden kann. 247 Für die etymologischen Angaben zu plantureux vgl. TLFi (s.v. plantureux ), der im Gegensatz zu Blank (1997: 304) nicht von einer Annäherung an plante , sondern an heureux ausgeht. 248 Im Altfranzösischen ist aber noch fors ‘hors’ belegt (vgl. GDF s.v. fors ), so dass, wie bei souffreteux und souffrette , erst nach dessen Verschwinden eine volksetymologische Umdeutung möglich war. 286 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Semantik der betroffenen Lexeme kann auch Weltwissen eine Rolle spielen: Aus onomasiologischer Perspektive ist auffällig, dass zahlreiche Bezeichnungen für das Tanzen aus dem Italienischen entlehnt sind (vgl. weiter oben). Auch ist baller gewissermaßen isoliert, da sein frequenteres erbwörtliches Synonym danser häufiger gebraucht wird. Allerdings lassen sich vier wesentliche Unterschiede feststellen, die im Folgenden näher erläutert werden: (1) Erstens stehen schon die beteiligten Lexeme in einem anderen Verhältnis zueinander als etwa im Falle von souffreteux und souffrir . Schließlich handelt es sich hier nicht um Paronyme, sondern um Kognaten. Da im Hinblick auf Kognaten und Paronyme in linguistischen Lexika bis heute unterschiedliche Definitionen Anwendungen finden, sie bisweilen nicht einmal erwähnt werden 249 und manchmal sogar gleichgesetzt werden, müssen die Begriffe an dieser Stelle kurz definiert werden. Würde man z. B. Bußmanns (2008 s.v. Paronymie ) sehr spezifischer Definition folgen, die Paronymie als „lautliche Ähnlichkeit zwischen zwei Ausdrücken in verschiedenen Sprachen“ bezeichnet und als Beispiele dt. Sommer und engl. summer nennt, könnte - unter Umständen mit Ausnahme von choucroute - eigentlich keiner der o. g. Fälle als attraction paronymique gelten. In der Mehrheit der Fälle ist schließlich erbwörtlicher Wortschatz betroffen. Dies gilt es unbedingt zu berücksichtigen. Selbst im Falle von Lehngut, das durch volksetymologische Interpretation besser integriert wird, kann, wie weiter unten noch erläutert wird, im Grunde genommen auch nicht wirklich von einer interlingualen Erscheinung gesprochen werden. Schließlich sind auch die Beispiele eher fragwürdig, da es sich um klassische Kognaten handelt, die sich semantisch völlig entsprechen: Sowohl dt. Sommer als auch engl. summer bedeuten ‘Sommer’. Nun aber wurde weiter oben bereits festgestellt, dass ein wesentliches Merkmal der attraction paronymique darin besteht, dass die Annäherung an Paronyme immer der tatsächlichen Etymologie widerspricht, so dass semantisch weitgehend identische Kognaten schon allein aufgrund dieser Eigenschaft keine Paronyme sein können. Dieses wichtige semantische Argument lässt auch sehr weite Definitionen von Paronymen unzulänglich erscheinen: So definiert Matthews (2007 s.v. paronym ) Paronyme als „Words which are linked by a similarity of form. Hence paronymic attraction = popular etymology. […]“. So könnten zwar alle der o. g. Fälle von attraction paronymique erklärt werden, aber es 249 Vgl. z. B. den unterschiedlichen Umgang mit Kognaten und Paronymen in Pei (1966), Conrad (1985), Knobloch (1986), Lewandowski (1994), Bußmann (2008), Crystal (2010), Glück (2010). 5.5 Trescases (1978b) revisited 287 würden auch bedeutungsgleiche Kognaten betroffen sein, da eine semantische Einschränkung auch hier fehlt. Als Zwischenfazit kann also festgehalten werden, dass sowohl Kognaten als auch Paronyme Ähnlichkeiten bezüglich des Wortkörpers aufweisen. Ein wesentlicher Unterschied besteht aber darin, dass Paronyme zwar in einer gewissen semantischen Relation (oder Weltwissensbeziehung) zueinander stehen, aber im Gegensatz zu Kognaten nie semantisch (weitestgehend) identisch sind, da andernfalls volksetymologische Prozesse eigentlich nicht als attraction paronymique bezeichnet werden könnten 250 . Abgesehen von diesem die Synchronie betreffenden Kriterium drängt sich die Unterscheidung aus diachroner Perspektive geradezu auf: Paronyme gehen auf unterschiedliche Etyma, Kognaten auf das gleiche Etymon zurück 251 . Im weiteren Verlauf sollen daher die folgenden Definitionen verwendet werden. Kognaten Erbwörtliche Lexeme zweier oder mehrerer verwandter Sprachen, die auf das gleiche Etymon zurückgehen und sich ausdrucksseitig sowie semantisch noch weitestgehend entsprechen. Laut dieser engen Definition kann also nur gemeinsamer Erbwortschatz (z.B. fr. baller und it. ballare , die beide aus vlat. ballare ‘tanzen’ stammen und beide auch noch ‘tanzen’ bedeuten) als kognat gelten. Paronyme Formal ähnliche Lexeme innerhalb einer Sprache (oder in mehreren Sprachen), die auf verschiedene Etyma zurückgehen, in einer semantischen Relation zueinander stehen, aber nicht bedeutungsgleich sind. Darunter fallen also insbesondere die o. g. Beispiele sourcroute und chou bzw. croûte , souffreteux und souffrir sowie forain und foire. 250 Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass es auch Kognaten gibt, die sich semantisch bereits soweit voneinander entfernt haben, dass sie sich tatsächlich fast wie Paronyme verhalten, vgl. z.B. dt. Knecht und engl. knight ‘Ritter’. Solche Fälle spielen aber in der vorliegenden Arbeit keine Rolle und werden daher nicht weiter berücksichtigt. 251 Für den Sprecher scheint die Diachronie auf den ersten Blick keine Bedeutung zu haben. Allerdings betont, wie Blank (1997: 330) feststellt, bereits Ullmann (1964: 101), dass zahlreiche Volksetymologien auf gegebildete Laien zurückzuführen sind. Da sich diese, wie z. B. im Falle von Henri Estienne, aber auch mit der Diachronie beschäftigen, ist letztere bei solchen Phänomenen wohl doch nicht nur für den Sprachwissenschaftler von Interesse. 288 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues (2) Zweitens handelt es sich in Fällen wie der Interpretation von fr. baller *[<] it. ballare immer um ein kontaktinduziertes, interlinguales Phänomen, da ein Erbwort als Lehnwort empfunden wird, wohingegen die attraction paronymique vor allem zwischen zwei Erbwörtern zu beobachten ist. Wie weiter oben bereits angedeutet wurde, muss im Grunde genommen auch bei einer volksetymologischen Umdeutung von Lehnwörtern wie choucroute von einem intralingualen Prozess ausgegangen werden, da das mittels Umdeutung zu integrierende Wort ja im Normalfall bereits Eingang in die Sprache gefunden hat und sich wie andere isolierte Wörter verhält. In jedem Fall findet die Annäherung an ein Erbwort statt, während im Falle von fr. baller *[<] it. ballare das Erbwort mit der anderen Sprache in Verbindung gebracht wird. Die Vergleichsgrundlage ist also verschieden. (3) So wie sich bei volksetymologischen Umdeutungen eine formale Annäherung an das Paronym beobachten lässt, kann es auch in Fällen wie baller *[<] it. ballare zu einer formalen Angleichung an den Kognaten kommen. Jedoch ist ein Bedeutungswandel auf der denotativen Ebene, d. h. des Semems, grundsätzlich auszuschließen, da sich die Kognaten in der Tat noch semantisch entsprechen: Sowohl fr. baller als auch it. ballare bedeuten - auch nachdem baller an ballare angenähert wurde - ‘tanzen’. Was sich jedoch ändert, ist möglicherweise das, was Blank (1997: 95, 107) als externe Wortvorstellung bezeichnet. Diese Ebene der Wortbedeutung gehört nicht mehr zum Semem, sondern umfasst z. B. das Wissen um die diasystematische Markierung des Lexems. Fr. baller würde demnach von einem neutralen Register in ein italianisierendes verschoben werden. Die Markiertheit würde also zunehmen. (4) Schließlich ist auch das Ergebnis der Annäherung von fr. baller an it. ballare nicht das gleiche wie bei der volksetymologischen Umdeutung von z. B. souffreteux oder auch choucroute . Im Gegenteil: Durch die umgedeutete Herkunft aus der Fremdsprache erscheint fr. baller weniger integriert, „verwaister“ als vorher. Die kontaktinduzierte Isolation im Wortschatz bezieht sich in erster Linie aber nur auf den Erbwortschatz: So könnte man bei fr. baller annehmen, dass es an die ebenfalls aus dem Italienischen entlehnten Derivate ballerin und ballet angegliedert wird und somit durchaus eine (aus tatsächlichen Italianismen bestehende) Wortfamilie hat. Wie im Falle von choucroute ändert sich die interne Wortvorstellung (Zugehörigkeit zu Wortfamilien). Wie in Punkt (3) aber bereits erwähnt wurde, nimmt die Markiertheit des Lexems dadurch in jedem Fall zu, so dass von Desintegration eines erbwörtlichen Lexems gesprochen werden kann. Aufgrund der genannten Unterschiede schlage ich vor, in Fällen wie baller *[<] it. ballare von einer kontaktinduzierten Sonderform der Volksetymologie, der 5.5 Trescases (1978b) revisited 289 attraction cognatique , zu sprechen. Die folgende Tabelle fasst die wesentlichen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zusammen: Kriterien attraction paronymique attraction cognatique beteiligte Lexeme Paronyme -formale Ähnlichkeit -semantische Relation, keine Identität -unterschiedliche Etyma -isoliert im Wortschatz Kognaten -formale Ähnlichkeit -gleiche denotative Bedeutung -gleiches Etymon -isoliert im Wortschatz (vs. Synonyme) Prozess Reanalyse aufgrund formaler Ähnlichkeit und semantischer Relation / Weltwissen Reanalyse aufgrund formaler Ähnlichkeit und semantischer Identität / Weltwissen (Denotatsbereiche) Sprachkontakt nicht kontaktinduziert, Assoziation mit der eigenen Sprache kontaktinduziert, Assoziation mit der fremden sprache Resultat formale und / oder semantische Annäherung, Abnahme der Markiertheit, Integration isolierter Wörter nur formale Annäherung, Zunahme der Markiertheit, Desintegration von Erbwörtern Tab. 10: Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen attraction paronymique und attraction cognatique Unter attraction cognatique ist also ein kontaktinduzierter Reanalyse-Prozess zu verstehen, durch den erbwörtliche Lexeme (z.B. fr. baller ), die aufgrund der Existenz frequenterer erbwörtlicher Synonyme (z.B. fr. danser ) als isoliert betrachtet werden können, an ihre Kognaten (z.B. it. ballare ), die ihrerseits in der Kontaktsprache (Italienisch) vital sind, angenähert und dadurch als Luxuslehnwörter aus der Kontaktsprache (Italienisch) empfunden werden und in der Folge als markierter und desintegrierter erscheinen als vor dem Sprachkontakt. Ihre Ausdrucksseite kann sich an die des Kognaten annähern, die denotative Bedeutung ändert sich jedoch nicht, da sich beide Kognaten semantisch noch weitestgehend entsprechen 252 . 252 Hristea (1995) unterscheidet neben Fällen wie choucroute , souffreteux , plantureux einen vierten Typ der Volksetymologie, die er „étymologie populaire latente“ nennt. Bei diesem Typ komme es weder zu einem Bezeichnungsnoch zu einem Bedeutungswandel. So werde z. B. rum. bancher ‘banquier’ als Derivat aus rum. ban ‘argent’ empfunden, auch wenn beide Lexeme auf völlig verschiedene Etyma zurückgehen. Die einzige Änderung, die 290 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues 5.5.2.3.3.4 Exkurs: attraction cognatique und mögliche Folgen für die Wortgeschichte Im Hinblick auf die Wortgeschichte der betroffenen Lexeme stellt sich die Frage, ob und ggf. wie sich eine solche Zunahme der Markiertheit letztlich auswirkt. Für baller , das im Laufe des 17. Jahrhunderts veraltet (vgl. die Aussagen von Richelet 1680, Furetière 1690, Académie 1694) und schließlich außer Gebrauch kommt, stellt die etymologische Forschung, so z. B. Chauveau (2006: 3, Fn. 2), fest, dass das Lexem, bevor es schwindet, vermutlich eine semantische Spezialisierung erfahren haben muss. An der gleichen Stelle wird auch erwähnt, dass Estienne (1578) das Lexem als Italianismus ausweist, ohne jedoch eine Verbindung zum Untergang des Wortes herzustellen. Avant de devenir généralement désuète, la famille lexicale [de baller, T. S.] a dû connaître des usages distincts selon les milieux. En 1578, Henry Estienne la considère comme empruntée par la langue de la Cour à l’italien […]. (Chauveau 2006: 3, Fn. 2) Denkbar wäre, dass das Lexem aufgrund einer attraction cognatique auch von anderen Zeitgenossen als Italianismus empfunden und dementsprechend verwendet wurde. Nachdem die italianisierende Mode abnahm, könnte das Lexem analog zu anderen Luxuslehnwörtern (z. B. baster ) allmählich außer Gebrauch gekommen sein. Dazu müsste sich aber nachweisen lassen, dass baller im 16. Jahrhundert aufgrund seiner Markiertheit tatsächlich wie ein Lehnwort gebraucht wurde. Eine qualitative Analyse der im Vergleich zu jenen des frequenteren Synonyms danser überschaubaren Okkurrenzen von baller / baler in FRANTEXT scheint diese Annahme zu bestätigen. FRANTEXT Ancien français Moyen français 16. Jh. 17. Jh. 18. Jh. 19. Jh. 20. Jh. baller / baler 5 11 32 4 0 4 5 danser / danc(i)er 4 89 133 391 452 1381 2351 Tab. 11: Okkurrenzen von baller & danser in FRANTEXT ( Ancien français - 20. Jh.) sich hier vollzieht, wäre also darin zu sehen, dass ein Wort mit einem anderen Urspung assoziiert wird. - Allerdings müsste auch hier von einem sog. weichen Bedeutungswandel ausgegangen werden, da sich die interne Wortvorstellung ändert. - In der Tat weist dieser Typ Gemeinsamkeiten mit der attraction cognatique auf. Es überwiegen jedoch die Unterschiede: Abgesehen davon, dass letztere immer kontaktinduziert ist und die Annäherung an ein fremdsprachliches Lexem erfolgt, ist auch ihr Ergebnis, die Desintegration erbwörtlichen Materials, ein anderes. Wie andere Arten der Volksetymologie trägt die „étymologie populaire latente“ in erster Linie zur Integration isolierter Wörter bei. 5.5 Trescases (1978b) revisited 291 Während baller / baler im Alt- und Mittelfranzösischen durchgängig in allen Vorkommen 253 neutral verwendet wird, lässt sich im 16. Jahrhundert, in dem - was die absoluten Zahlen betrifft - baller / baler am häufigsten erscheint, eine Tendenz zur Verwendung in italianisierenden Kontexten feststellen. In mindestens 13 der 26 254 analysierten Okkurrenzen, also in mindestens der Hälfte der Fälle, erscheint das Verb in inhaltlich (Bezug zu Italien) und / oder sprachlich (in Nachbarschaft zu tatsächlichen Italianismen) italianisierenden Passagen. In sechs Fällen tritt es, was für echte Italianismen nicht ungewöhnlich ist, in Synonymendoppelung mit danser auf 255 . Voicy le Carneval, menons chacun la sienne, Allons baller en masque, allons nous pourmener, Allons voir *Marc *Antoine, ou *Zany bouffonner, Avec son Magnifique à la Vénitienne … ( FRANTEXT : Du Bellay Joachim, Les Regrets , 1558, p. 194, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) […] chasseur, voleur et brigant de bois. Ces jeunes gens, que l’on appelle nez coeffez, ne m’accorderont jamais que les richesses ne leur servent à festoyer les dames, à banqueter, baller, braver, voltiger… ( FRANTEXT : Estienne Charles, Paradoxes , 1561, p. 73, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Wie aus den oben zitierten Textstellen ersichtlich ist, findet sich baller in Nachbarschaft zu zahlreichen Italianismen aus dem 16. Jahrhundert, wie carneval (1549) < it. carnevalo / e , das formal auch noch näher am italienischen Etymon ist als fr. carnaval , masque (1514) < it. maschera , Zany (1558) < it. Zanni , das hier zwar als Eigenname, aber später im 16. Jahrhundert, etwa bei Brantôme, auch als common noun erscheint, brigant ‘voleur armé’ (Ende des 15. Jahrhunderts) < it. brigante , das ausdrucksseitig (<t> statt <d>) ebenfalls noch mehr Gemeinsamkeiten mit dem italienischen Ursprungswort aufweist, sowie voltiger (1525-1530) < it. volteggiare . Die Verben bouffonner (1549), braver (1515) und 253 Vier der 14 Okkurrenzen von <baler> im Mittelfranzösischen haben nicht die Bedeutung ‘danser’ und werden daher nicht berücksichtigt. 254 Von den insgesamt 32 Okkurrenzen mussten sechs von der Analyse ausgeschlossen werden: In einem Fall bedeutet die Form baller ‘bailler’, in zwei Fällen handelt es sich um eine Übersetzung, dreimal sind die Textstellen identisch zu drei bereits berücksichtigten Textstellen aus demselben Werk (Bonaventure des Périers). 255 Zur Synonymendoppelung vgl. Kapitel 4.2.3.3. In drei weiteren Fällen erscheint es zwar nicht in der typischen Form baller et danser , befindet sich aber in unmittelbarer Nähe zu danser . 292 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues banqueter (Ende des 14. Jahrhunderts) können zwar vermutlich als französische Derivate zu bouffon (1530) < it. buffone , brave (vor 1521) < it. bravo und banquet (Ende des 14. Jahrhunderts, aber erst ab Mitte des 15. Jahrhunderts geläufig) < it. banchetto gelten, haben aber hier einen italianisierenden Charakter 256 . In der ersten Passage ist auch ein inhaltlicher Bezug zu Italien erkennbar. Ganz offensichtlich wird der vermeintliche Italianismus baller stilistisch in die Nähe tatsächlicher Italianismen gerückt 257 . Im 17. Jahrhundert finden sich lediglich drei Okkurrenzen für <baller> und eine für <baler>, was die metasprachlichen Aussagen über das Veralten des Wortes (vgl. Oudin 1655, Oudin / Ferretti 1662-1663, Richelet 1680, Furetière 1690, Académie 1694) bestätigt. In einem Fall kommt das Verb wieder in einer Doppelung mit danser vor. Mindestens einmal könnte der Kontext als italianisierend eingestuft werden. Während im 18. Jahrhundert keine Vorkommen für baller / baler zu finden sind, ergibt die Suche für das 19. Jahrhundert immerhin vier Treffer 258 . Drei der Okkurrenzen erscheinen zwar nicht in explizit italianisierenden Passagen, aber bei den Autoren Victor Hugo und George Sand, die beide als italianisierende Autoren des 19. Jahrhunderts bekannt sind 259 . In einem Fall könnte der Kontext jedoch kaum italianisierender sein: […] j’ai fait préparer son logement dans le palais *Malatesta. "*Pagolo *Orsini." l’aimable *Pagolo! … vrai, ne dirait-on pas que là, nous allons tous banqueter et baller? […] Bonsoir, *Miguelotto; […] ( FRANTEXT , Barbier Auguste, Satires , 1865, p. 202, César Borgia , Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Angesichs der Tatsache, dass im 17. Jahrhundert nur vier Okkurrenzen zu verzeichnen sind, im 18. Jahrhundert hingegen keine einzige, stellt sich die Frage, 256 Für die Erstbelege sowie die Hinweise zur Wortgeschichte vgl. TLFi (s.v. carnaval , masque , Zani , brigand , voltiger , bouffon , boufonner , brave , braver , banquet , banqueter ). 257 Zur stilistischen Funktion von Lehn- und Fremdwörtern im Allgemeinen vgl. z. B. Spillner (1996), der darauf hinweist, dass auch ohne „semantische Notwendigkeit“ entlehnt wird, etwa um Lokalkolorit zu zeichnen. Fr. baller könnte neben danser also wie fr. baster neben fr. suffire empfunden worden sein. 258 In drei der insgesamt sieben Belege hat baller nicht die Bedeutung ‘danser’. 259 Bereits Kohlmann (1901: 11) weist darauf hin, dass bei den französischen Romantikern des 19. Jahrhunderts italienische „Scenerien“ beliebt waren und dass neben Lamartine, Alfred de Musset und Prosper Mérimée auch Victor Hugo sowie George Sand als italianisierende Autoren gelten müssen. Zur Bedeutung des Italienischen bei George Sand vgl. insbesondere Bordas (2004). 5.5 Trescases (1978b) revisited 293 ob baller / baler überhaupt bis ins 19. Jahrhundert überlebt hat oder ob vielleicht eine erneute Entlehnung durch die italianisierenden Autoren angenommen werden muss. Ebenfalls denkbar wäre eine Revitalisierung des Lexems: Wie Stefenelli (1989) gezeigt hat, erleben gerade in der Literatur des 19. Jahrhunderts zahlreiche Archaismen eine „résurgence“ 260 . Im 20. Jahrhundert ergibt die Suche nach <baler> einen, diejenige nach <baller> 18 Treffer, von denen nur vier ‘danser’ bedeuten. Während <baler> (in einer Synonymendoppelung mit danser ) sowie ein Vorkommen von <baller> in bewusst archaisierenden Passagen von Farals La vie quotidienne au temps de Saint Louis (1942) Verwendung finden, also eine mittelalterliche Szenerie unterstützen sollen, kann zumindest für eine der drei verbleibenden Okkurrenzen von <baller> erneut sowohl in inhaltlicher als auch in sprachlicher Hinsicht ein eindeutig italianisierender Kontext festgestellt werden: Le charlatan arrache une dent à un capitan […] […] on jette des fleurs et des oranges, tandis que les marchandes qui les livrent continuent à baller […] Le temps de joie et d’amour est de retour. […] danses des zingaras, visages découverts […] voici les bohémiennes! Carnaval, tu les ramènes, […] ( FRANTEXT , Apollinaire Guillaume, Casanova , 1918, p. 989, Acte II , Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Wie die obige Textstelle aus Apollinaires Casanova (1918) belegt, befindet sich baller auch hier in Nachbarschaft zu echten Italianismen, wie charlatan (1572) < it. ciarlatano , capitan ‘chef militaire’ (vor 1514), ‘chef militaire avec nuance ironique’ (1560) < it. capitano , carnaval (1549) < it. carnevale / o 261 , sowie zu dem - vom französisierenden Plural einmal abgesehen - völlig unintegrierten italienischen Zitatwort zingaras . Was lässt sich abschließend aus der Distribution von baller / baler in FRAN- TEXT nun für die Wortgeschichte ablesen? Offensichtlich ist, dass es im Alt- und Mittelfranzösischen verbreitet war und mit der Bedeutung ‘danser’ in neutralen Kontexten Verwendung fand. Ab dem 16. Jahrhundert, in dem es, was die absolute Zahl an Okkurrenzen betrifft, am häufigsten anzutreffen ist, lässt sich beobachten, dass sich das Lexem in 50 % der Fälle in italianisierenden Kontexten, zumeist in Nachbarschaft zu tatsächlichen Italianismen wiederfindet. Schon seit dem Mittelfranzösischen ist das konkurrierende Synonym danser häufiger. Wahrscheinlich ist also, dass das Lexem während des Sprachkontakts 260 Zur stilistischen Funktion von Archaismen vgl. z. B. Ludwig (2009). 261 Für die Erstbelege in runden Klammern vgl. TLFi (s.v. charlatan , capitan , carnaval ). 294 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues mit dem Italienischen im 16. Jahrhundert neben dem frequenteren danser als Luxuslehnwort aus dem Italienischen betrachtet wurde ( attraction cognatique ) und stilistisch in die Nähe echter Lehnwörter gerückt wurde, wohingegen danser als das unmarkierte, vermeintlich einzige erbwörtliche Synonym wahrgenommen wurde. In der Tat ergibt die Analyse der Kontexte, in denen danser / dancer im 16. Jahrhundert erscheint, dass es in 85 von 109 Fällen, also in ca. 78 %, in neutralen Passagen verwendet wird 262 . Als die italianisierende Mode im siècle classique allmählich abnimmt, sinkt die Gebrauchshäufigkeit von baller parallel zu derjenigen tatsächlicher Italianismen wie z. B. baster neben suffire . Wie die untenstehende Tabelle veranschaulicht, nimmt auch die Frequenz von baster zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert kontinuierlich ab 263 . Dass es insbesondere bei baster im 19. Jahrhundert zu einem erneuten Anstieg kommt, könnte möglicherweise durch die soeben erwähnte Vorliebe der französischen Romantik für italienische Szenerien (und in der Folge für Italianismen) erklärt werden (vgl. Anmerkung 259). FRANTEXT Ancien français Moyen français 16. Jh. 17. Jh. 18. Jh. 19. Jh. 20. Jh. baller / baler 15 11 48 2 0 0,7 0,5 danser / danc(i)er 12,5 93 198 209 199 245 224 baste ‘suffit’ 0 0 43 11,2 264 3,9 265 8,5 266 1,8 267 suf(f)it 0 14,7 243 922 1218 724 838 Tab. 12: Relative Häufigkeit von baller & danser und baste & suffit in FRANTEXT ( Ancien français - 20. Jh.) 262 Von den 78 Okkurrenzen von <danser> konnten 17, von den 55 für <dancer> hingegen 7 nicht berücksichtigt werden, da entweder nicht mit Gewissheit festgestellt werden konnte, ob es sich um einen neutralen oder italianisierenden Kontext handelt oder mehrere Okkurrenzen direkt hintereinander im gleichen Abschnitt erschienen, so dass eine doppelte Zählung das Ergebnis wohl verfälscht hätte. Dass danser z.T. in italianisierenden Passagen auftaucht, erklärt sich u. a. dadurch, dass es zweimal in einer Synonymendoppelung und dreimal in unmittelbarer Nachbarschaft zu baller / baler erscheint. 263 Die Werte sind normalisiert und entsprechen den Vorkommen pro 10 000 000 Wörter. 264 Zwei der insgesamt 23 Okkurrenzen bedeuten nicht ‘suffire’ und wurden daher nicht berücksichtigt. 265 Ein Beleg, la baste , musste ausgeschlossen werden. 266 Ein Beleg musste ausgeschlossen werden, da die Bedeutung nicht ‘suffire’ entsprach. 267 Drei Okkurrenzen wurden getilgt: Einmal handelt es sich um einen Eigennamen, einmal kommen zwei Belege direkt hintereinander vor, im letzten Fall handelt es sich nicht um baste ‘suffit’. 5.5 Trescases (1978b) revisited 295 Trotz der zunehmenden Frequenz von baster im 19. Jahrhundert lässt sich jedoch beobachten, dass baster als Verb nur im 16. und 17. Jahrhundert Verwendung findet, wohingegen alle Okkurrenzen ab dem 18. Jahrhundert Vorkommen der Interjektion baste sind. Gewiss mag die Verbindung zwischen der Interjektion und dem dazugehörigen Verb durchsichtig gewesen sein - weiter oben wurde deshalb für die Ermittlung der Gesamtzahl der Okkurrenzen von baste im 16. Jahrhundert nicht zwischen flektierten Formen des Verbs und der Interjektion unterschieden -, jedoch nur solange, wie das Verb auch tatsächlich vorhanden ist. Mit anderen Worten heißt das, dass das Verb baster - wie baller - strenggenommen im siècle classique ausstirbt und nurmehr die in der Folge unmotivierte Interjektion zurückbleibt, was durch metasprachliche Zeugnisse schließlich auch bestätigt wird. Im 17. Jahrhundert werden baller und baster gleichermaßen als veraltet ausgewiesen: Während Richelet (1680) baller als veraltet und baster zumindest als defektiv bezeichnet - es werde nur noch in der 3. Person Singular des Subjonctifs gebraucht, womit er, wie an seinem Beispiel erkennbar ist, die Interjektion baste meint -, ist baster laut Furetière, abgesehen von der Interjektion baste , außer Gebrauch und baller wird in der Bedeutung ‘dancer’ auch nur noch in der Synonymendoppelung baller & danser genannt 268 . BALLER. v.n. Danser. Cette jeunesse a dansé & ballé toute la nuit. Il est plus en usage en ces deux phrases. Cet homme va les bras ballans , pour dire, en agitatant les bras: & Il est midy sonné & ballé , pour dire, midi passé. […] (Furetière 1690, Bd. 1, s.v. baller , Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) † Baler, v.n. Dancer. [Pour être un vrai galand, il faut toujours babiller, dancer, baler. Sar. Poe. ] (Richelet 1680 s.v. baler , Hervorhebungen im Original) BASTER , on prononce l’s, signifioit autrefois suffire & se dit encore en cette phrase proverbiale, Baste pour cela, ou absolument, Baste , pour dire, Passe , j’en suis content . […] (Furetière 1690, Bd. 1, s.v. baster 3, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Baster , v.n. Ce mot signifie sufire ; mais il n’est proprement en usage dans ce sens qu’à la troisième personne du subjonctif. Ansi on dit en parlant familièrement, ou dans le stile le plus bas, baste , pour dire, il sufit , c’est assez . (Richelet 1680: s.v. baster 1, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) 268 Der Dictionnaire der Académie (1694) weist nur baller , nicht aber baster als Archaismus aus. 296 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Diese Gemeinsamkeiten mit tatsächlichen Luxuslehnwörtern könnten m. E. auch ein möglicher Grund für das allmähliche Verschwinden des Lexems sein, das schließlich im 19. und 20. Jahrhundert in archaisierenden und italianisierenden Kontexten infolge einer erneuten Entlehnung oder aber Revitalisierung wieder auftaucht. Gründe, die traditionellerweise, etwa bei Lippold (1946), Huguet ([1935] 1967) und Stefenelli (1992), für den Wortuntergang verantwortlich gemacht werden, scheinen für fr. baller nicht plausibel zu sein. Laut Huguet ([1935] 1967: 43-59) gehen defektive und / oder besonders unregelmäßige Verben (z. B. tollir , remanoir , occir ) häufiger verloren als ein Synonym, das etwa der Verbklasse -er angehört (z. B. enlever , ôter , rester , tuer ). Nun aber unterscheiden sich baller und danser in dieser Hinsicht nicht. Die ohnehin umstrittene Annahme, Homonymenkonflikte könnten für den Wortuntergang verantwortlich sein 269 , vermag schon mangels potentieller Homonyme wenig zur Klärung des Schicksals von baller beizutragen 270 . Auch um einen sog. Historizismus (wie vielleicht bald dt. Telefonzelle , Videorekorder oder Kassette ) kann es sich nicht handeln, da potentielle Referenten aufgrund außersprachlicher Umstände nicht verloren gehen. Es wurde gezeigt, dass baller eben gerade keinen denotativen Bedeutungswandel durchmacht. Es bezeichnet vor und nach dem Sprachkontakt eine Handlung, die auch heute noch als Tanzen bekannt ist. Durchaus vorstellbar ist also, dass baller nicht nur als Italianismus wahrgenommen ( attraction cognatique ), sondern aufgrund der stilistischen Markierung auch als solcher verwendet wurde und schließlich - ganz so wie bestimmte tatsächliche Italianismen (z. B. baster neben suffire ) -, nachdem der italienische Einfluss allmählich zurückging, außer Mode kam. 269 Vgl. hierzu insbesondere die Kritik von Rothwell (1962). 270 Zwar war auch baller bereits in altfranzösischer Zeit polysem und konnte neben ‘danser’ auch ‘osciller’ bedeuten und gleichmäßige, schwankende Bewegungen im Allgemeinen bezeichnen (vgl. auch oben das Zitat aus Furetière 1690), jedoch handelt es sich dabei nicht um Homonymie (vgl. Chauveau 2006). Diese Bedeutungen finden sich im untersuchten Korpus zudem nur im Mittelalter und ab dem 19. Jahrhundert. Im 16. und 17. Jahrhundert handelt es sich bei allen Okkurrenzen um baller / baler ‘danser’, so dass es unwahrscheinlich ist, dass die Konkurrenz zur Lesart ‘osciller’ von Bedeutung war. Selbst wenn man annehmen würde, dass die Bedeutung ‘danser’ angesichts des Vorhandenseins von danser schwinden kann, indem sie in ‘osciller’ aufgeht und so die Polysemie reduziert würde, spräche dies nicht gegen die Vermutung, dass eine attraction cognatique vorausgegangen ist. Dass baller in der Bedeutung ‘danser’ vor dem Sprachkontakt bereits stabil war und daher nicht als indirektes Lehngut empfunden worden sein kann - eine Vermutung, die für past angestellt wurde -, zeigen die Belege im Alt- und Mittelfranzösischen. Auch hier ist die Bedeutung ‘danser’ ( Ancien français : 5, Moyen français : 10) schon häufiger als andere ( Ancien français : 0, Moyen français : 4). 5.5 Trescases (1978b) revisited 297 5.5.2.3.4 Hapax-Belege - potentielle Italianismen In Trescases (1978b): bugie ([<] it. bugia vor 1294), bugiarder ([<] it. bugiardo 13. Jahrhundert, bugiardare 14. Jahrhundert), callizelle ([<] it. callisella 16. Jahrhundert), caver ‘enlever’ ([<] it. cavare um 1400), contrade ([<] it. contrada 13. Jahrhundert), domestichesse ([<] it. demestichezza vor 1294), fogge ([<] it. foggia vor 1313), il m’incresce ([<] m’incresce Ende des 12. Jahrhunderts), imbratter ‘souiller’ ([<] it. imbrattare ‘sporcare’ 1348), imparer ([<] it. imparare vor 1342), in ogni mode ([<] it. in ogni modo vor 1484), indugier ([<] it. indugiare 1225), noye ([<] it. noia 12. Jahrhundert), pocotin ([<] it. ? pocotino oder pochettino ), rinfresquant ([<] it. rinfrescante 1592, aber rinfrescare 1294), salvatichesse ([<] it. selvatichezza 1350), schiave ([<] it. schiavo 13. Jahrhundert), sciochesse ([<] it. sciocchezza 1353), aller a space ([<] it. andare a spasso ‘passeggiata’ 1310-1312), spurquesse ([<] it. sporchezza 16. Jahrhundert), strane ([<] it. strano Ende des 13. Jahrhunderts), straque ([<] it. stracco vor 1374) 271 . [22] Hinzuzufügen sind: gayoffe ([<] it. gaglioffo vor 1342), leggiadresse ([<] it. leggiadrezza vor dem 16. Jahrhundert), serviciale ‘clystère’ ([<] it. serviziale vor 1535), stenter ([<] it. stentare vor 1535) 272 . [4] Im Gegensatz zu den in den vorherigen Kapiteln behandelten ‘falschen’ Etymologien handelt es sich bei diesen Lexemen und Wendungen tatsächlich um Hapax-Belege, die nach dem heutigen Stand der Forschung nicht außerhalb der Werke Estiennes belegt sind. Wie bereits erwähnt wurde, sind es gerade diese, die Estienne den Ruf eingebracht haben, zum Zwecke der Satire einen nicht unerheblichen Anteil der von ihm in den Deux Dialogues kritisierten Italianismen selbst erfunden zu haben, was insofern paradox ist, als sie bisher in keiner der mir bekannten Arbeiten zu Estienne (Clément [1898] 1967, Huguet [1935] 1967: 310-322, Trescases 1978b, Lauvergnat-Gagnière u. a. 1982, Hornsby 1998, Swiggers 2001, Sampson 2004, Cowling 2007, Colombo-Timelli 2008) genauer - geschweige denn in ihrer Gesamtheit - untersucht worden sind 273 . 271 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 427, 427, 75, 37, 74, 37, 82, 75, 81, 67, 117, 39, 76, 140, 38, 38, 330, 149, 73, 81, 36, 73). Für die Erstbelege der potentiellen italienischen Etyma vgl. DELI (s.v. bugia 2, bugia 2, cavo 1, contrada , dimestichezza , foggia , increscere , imbrattare , imparare , modo , indugiare , noia , rinfrescare , selvatichezza , schiavo , sciocco , spassare , strano , stracco ), TLIO (s.v. bugiardare ) und GDLI (s.v. callisella , cavare , dimestichezza , spasso , sporchezza ). 272 Für die entsprechenden Textstellen vgl. Estienne ([1578] 1980: 80, 369, 409, 118, 145). Für die Erstbelege in runden Klammern vgl. DELI (s.v. gaglioffo , servo , stentare ) sowie GDLI (s.v. leggiadrezza ). 273 Allein Tracconaglia (1907) führt in seinem kommentierten Wortindex beinahe alle Hapax-Belege aus den Deux Dialogues auf - es fehlt aber z. B. serviciale ‘clystère’ -, untersucht diese jedoch nicht in ihrer Gesamtheit. In seiner Zusammenfassung, in der er die als 298 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Auch in größeren Überblicksdarstellungen zum Einfluss des Italienischen, wie Wind (1928) und Hope (1971), die sich mehr oder weniger ausführlich auch den Werken Estiennes widmen, ist keine vollständige Liste der Hapax-Belege in den Deux Dialogues zu finden. Wie in Kapitel 5.5.1.2 gezeigt wurde, mussten fünf von Estienne selbst - direkt oder indirekt - als Hapax ausgewiesene Lexeme (( di ) smentiguer , sbigottit , faire un service ‘décharger son ventre’, sgarbatement , sgomentée ) 274 aus Trescases’ Liste getilgt werden. Aus demselben Grund wurden auch die in Trescases (1978b) ohnehin unberücksichtigt gebliebenen Formen ander ‘aller’, en frette und imprese 275 nicht aufgenommen. Für einige wenige, in der Literatur häufig als Hapax bezeichnete Formen wie z. B. ringratier neben regracier konnte zudem gezeigt werden, dass es sich dabei lediglich um ausdrucksseitig italianisierende Formen französischer Wörter handelt, die von Estienne nicht als lexikalisches Lehngut kritisiert werden. Zunächst lässt sich feststellen, dass die Zahl der ‘hausgemachten’ Hapax- Belege bei Estienne also gar nicht so hoch ist, wie gerne behauptet wird. Von den insgesamt 231 kritisierten Lexemen und Wendungen sind nur 26, also etwas mehr als ein Zehntel, als Hapax-Belege zu betrachten, die Estienne nicht als solche kennzeichnet. Eine aufmerksame Lektüre der Textstellen, an denen diese 26 Formen erscheinen, legt zudem nahe, dass Estienne vermutlich auch sie nicht wirklich als etabliert angesehen hat. Wie die unten zitierten Ausschnitte zeigen, wird die tatsächliche Verbreitung der betroffenen Lexeme bisweilen sogar explizit hinterfragt oder sie finden sich in stark italianisierenden Passagen Philausones, die nur an wenigen Stellen der Deux Dialogues in dieser Art vorkommen 276 . PHIL .: Je vous ay dict la verité pourtant, comme vous cognoistrez quand vous viendrez à la cour. CEL .: Orray-je dire là: Il me baste l’anime, comme vous m’avez tantost dict? Italianismen kritisierten Lexeme in Kategorien einzuteilen versucht, trennt er schließlich auch nicht wirklich zwischen tatsächlich verbreiteten Italianismen und Hapax-Belegen, sondern lediglich zwischen Lehnwörtern, die erhalten, und solchen, die untergegangen sind: So finden sich z. B. sowohl das belegte bastant als auch der Hapax sciochesse in der Gruppe der untergegangenen „parole passate dall’italiano integralmente, con forma e significato“. Zudem werden Lexeme wie z. B. inganner , volte , spurque , für die inzwischen weitere Belege gefunden werden konnten, noch als Hapax-Belege gewertet (vgl. auch Kap. 5.3). 274 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 113, 113, 117-118, 421, 127). 275 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 439, 387, 118). 276 Auffällig ist hier erneut die hohe Zahl an verba dicendi und verba sentiendi . Als einer der wenigen weist auch Kandler (1944: 275) darauf hin, dass solch übertrieben italianisierende Abschnitte in den Deux Dialogues eigentlich selten sind. 5.5 Trescases (1978b) revisited 299 PHIL .: Et quoy donc? Vray est qu’aucuns disent un peu autrement: Il me baste à l’anime, mais ils n’italianizent pas bien, comme vous sçavez, puisque les Italiens disent: Mi basta l’anima. CEL .: Disent-ils aussi martel in teste, comme vous avez dict? PHIL .: En doutez-vous? CEL .: Oit-on là ce mot aussi dont vous avez usé deux fois, straque ? Ce que je vous demande aussi touchant ce mot noye , quand vous avez dict: Cela me donne noye (encore que je sçache bien que l’italien dit ordinairement: Questo mi da noia ); pareillement touchant ce mot imbatu. PHIL .: Je vous feray une response generale: que je n’ay rien dict qui ne se die ou ne se puisse dire; car il vous plaira de noter que tant plus nouvelles sont ces nouveautez, tant meilleures on les trouve, et de meilleur goust. (Estienne [1578] 1980: 123, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) PHIL .: […] Or, voyant qu’il se monstret estre tout sbigotit de mon langage (qui est toutesfois le langage courtisanesque, dont usent aujourd’huy les gentilshommes francés qui ont quelque garbe, et aussi desirent ne parler point sgarbatement, je me mis à ragionner avec tuy touchant iceluy en le soustenant le mieux qu’il m’estet possible. Et voyant que, nonobstant tout ce que je luy pouves alleguer, ce langage italianizé luy semblet fort strane, voire avoir de la gofferie, et balorderie, je pris beaucoup de fatigue pour luy caver cela de la fantasie. Mais (pour vous dire la verité), je ne trouves point de raisons bastantes pour ce faire. Et, au contraire, tant plus je m’efforces de luy lever ceste opinion par mes ragionnemens, tant plus luy se burlet de moy, se sentant bien asseuré de son baston, ainsi qu’il monstret. (Estienne [1578] 1980: 36-37, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Insbesondere im letzten Abschnitt fällt auf, dass neben den tatsächlich verbreiteten Italianismen ( courtisanesque , balorderie , bastantes , se burler , garbe ), den vermeintlich italianisierenden Lautungen [ɛ] statt [wɛ], den ausdrucksseitig adaptierten Formen ragionner und ragionnemens sowie den fälschlicherweise als indirektes Lehngut aus dem Italienischen kritisierten Bedeutungen von fatigue und lever (mit Abstrakta) gleich drei Hapax-Belege ( sbigotit , sgarbatement , strane ) vorzufinden sind. Zu erkennen, dass solche Passagen eindeutig satirischen Zwecken dienen und wohl eher kein genaues Abbild der Sprachgewohnheiten der Höflinge sind, wird Estienne von seinen Lesern erwartet haben. Zu behaupten, er unterscheide nicht zwischen etablierten Italianismen und Phantasie-Kreationen (vgl. insbesondere die Kritik von Rickard 1968: 17), greift hier mit Gewissheit zu kurz. Auffällig ist zudem, dass zwei der drei von Philausone gebrauchten Hapaxformen ( sbigottit und sgarbatement ) zu denen gehören, die an anderer Stelle explizit als solche ausgewiesen werden. Es kann also ange- 300 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues nommen werden, dass auch strane , das nur noch ein weiteres Mal in einer italianisierenden Passage erscheint 277 , von Estienne vielmehr als potentieller denn als etablierter Italianismus betrachtet wurde. Gegen Ende des Pamphlets, wenn im Gespräch zwischen Celtophile, Philausone und Philalethe Estiennes Überlegungen gewissermaßen abschließend zusammengefasst werden, legt schließlich auch der resümierende Kommentar von Philalethe (vgl. unten) nahe, dass Estienne nicht alle der von Philausone gebrauchten Italianismen als tatsächlich etabliertes Lehngut betrachtet. PHILAL.: J’ay à vous remercier grandement, Monsieur Philausone, des beaux mots que vous m’avez appris aussi bien qu’à Monsieur Celtophile. Car je vous confesse qu’il y a long temps que je ne les avois ouys jamais. (Estienne [1578] 1980: 421) Dass es sich in allen 26 Fällen in der Tat um potentielle Italianismen und nicht etwa um Allogenismen handelt, ergibt eine genauere Analyse der betroffenen Lexeme. Wie weiter oben gezeigt wurde (vgl. dazu die italienischen Wörter und die jeweilige Angabe für den Erstbeleg), existieren für sie alle potentielle Etyma im rinascimentalen Italienisch, die, von wenigen Besonderheiten abgesehen, keiner weiteren Erklärung bedürfen. Für das heute seltsam anmutende it. bugiardare lässt sich zumindest im TLIO (s.v. bugiardare ) ein Beleg in einem venezianischen Text des 14. Jahrhunderts - allerdings mit der Bedeutung ‘mutare in bugia’, nicht ‘mentire’ - nachweisen 278 . Heute existiert noch sbugiardare ‘jmd. als Lügner bloßstellen’. It. callisella ist laut GDLI (s.v. callisella ) sogar in Bandello (*1485, †1561) belegt, dessen Werke sowohl im Original als auch in Übersetzung im Frankreich des 16. Jahrhunderts verbreitet waren 279 . Für cavare ‘togliersi di dosso, liberarsi’ sind im GDLI (s.v. cavare ) auch für die figurative Verwendung zahlreiche Belege schon vor dem 16. Jahrhundert zu finden. Als Variante zu dimestichezza ist domestichezza im 16. Jahrhundert belegt (vgl. GDLI s.v. dimestichezza ). In LIZ 4.0 ( Cinquecento ) ist es mit 128 Okkurrenzen sogar häufiger als dimestichezza , für das nur 50 Vorkommen zu verzeichnen sind. Etwas schwieriger verhält es sich mit pocotino (> fr. pocotin ), das in keinem der einschlägigen Wörterbücher 280 besprochen wird. Tracconaglia (1907: 162) macht 277 Für die entsprechende Textstelle vgl. Estienne ([1578] 1980: 265). 278 Weder im GDLI noch im DEI, DELI oder TB wird das Verb eigens erwähnt. In LIZ4.0 ( Cinquecento ) sind keine Okkurrenzen zu finden. Es existierte jedoch bugiare (vgl. GDLI s.v. bugiare ). Interessant ist auch, dass laut OIM (s.v. bugiardo ) im Englischen des 16. und 17. Jahrhunderts das Nomen als vorübergehender lexikalischer Italianismus nachweisbar ist. Offenbar wurde zumindest das Substantiv in andere Sprachen entlehnt. 279 Smith (1980a: 75, Fn. 55) merkt an, dass das Simplex fr. calle < it. calle in Du Tronchet, einem der bekanntesten Français italianisants , sogar belegt ist. 280 Weder im GDLI noch im DEI, DELI, TB oder TLIO wird die Form erwähnt. In LIZ4.0 ( Cinquecento ) sind ebenfalls keine Okkurrenzen zu finden. 5.5 Trescases (1978b) revisited 301 jedoch als Etymon it. pochettino wahrscheinlich 281 . Auch wenn it. rinfrescante laut DELI (s.v. rinfrescare ) erst 1592 belegt ist, heißt das nicht, dass die Form nicht bereits 1578 existiert hat. Schließlich lässt sich das Verb seit 1294 durchgängig nachweisen. Estienne liefert hier also indirekt einen neuen Erstbeleg für das Italienische, was im Übrigen auch der weit verbreiteten Annahme (vgl. z. B. Sampson 2004) widerspricht, der Purist habe sich fast ausschließlich an schriftlichen italienischen Quellen orientiert. Ganz offensichtlich war er auch mit der gesprochenen Sprache der Zeit vertraut. Während man heute sporcizia und nicht sporchezza oder gar spurchezza erwarten würde, sind beide Formen laut GDLI (s.v. sporchezza ) belegt. Für sporchezza lassen sich auch drei Okkurrenzen, für sporcizia hingegen nur eine in LIZ 4.0 ( Cinquecento ) finden. Auch für die aus der Liste getilgten Lexeme und Wendungen wie sbigottit ([<] it. sbigottito vor 1292), faire un service ‘décharger son ventre’ ([<] it. fare un servizio ‘bisogno corporale’ vor 1571), sgomenté ([<] it. sgomentato vor 1321), ( di ) smentiguer ([<] it. ( di ) smenticare , smentigare vor dem 16. Jahrhundert) 282 existieren potentielle Etyma im Italienischen des 16. Jahrhunderts 283 . Selbst für it. sgarbatamente , für das Smith (1980a: 36, Fn. 11) und Cowling (2007: 167) feststellen, es sei nicht im 16. Jahrhundert belegt, konnten vier Belege in LIZ 4.0 ( Cinquecento ) ermittelt werden, darunter drei erneut in Bandello (* 1485, † 1561), einer in Piccolomini (* 1508, † 1578) 284 . In allen Fällen handelt es sich also um potentielle Italianismen, die möglicherweise in der gesprochenen Sprache der Höflinge tatsächlich Verwendung fanden, also um „rien […] qui ne se die ou ne se puisse dire“ 285 . Dass gerade die gesprochene Sprache am Hofe - zumindest im 17. Jahrhundert - für 281 Smith (1980a: 144, Fn. 344) schlägt hingegen it. pocolino als Etymon vor, das laut DEI (s.v. poco ) schon seit dem 14. Jahrhundert belegt sei. Auch wenn die Form pocotino in der Tat selten gewesen sein dürfte, ist es durchaus vorstellbar, dass es sich dabei um eine dialektale Variante von pochettino handelt. 282 An dieser Stelle sei angemerkt, dass fr. dimentiquer < it. dimenticare in Marco Polo, also in einem von einem Italiener in französischer Sprache verfassten Text, tatsächlich belegt ist (vgl. dazu Vidos 1965a: 989, Fn. 1). 283 Für die Erstbelege in runden Klammern vgl. DELI (s.v. sbigottire , servo , sgomentare ) sowie GDLI (s.v. smenticare ), nach dessen Auskunft die Varianten smentigare und dismenticare auch tatsächlich belegt sind. 284 Im zeitgenössischen Italienisch scheint sgarbatamente aber in der Tat selten gewesen zu sein. Die Existenz des Adverbs wird anfänglich auch von Celtophile, dem Sprachrohr Estiennes, in Frage gestellt (vgl. Estienne [1578] 1980: 422). 285 Im Übrigen könnten die Hapax-Belege auch durchaus als exemplarisch für die Vorlieben gewisser Français italianisants betrachtet werden. Dass in Du Tronchet zahlreiche Hapax-Formen zu finden sind, wurde bereits erwähnt (vgl. dazu die Anmerkungen Smiths 1980a: u. a. 35, Fn. 4; 37, Fn. 23; 38, Fn. 25; 77, Fn. 72 in ihrer Edition der Deux Dialogues ). Auch in Brantôme lassen sich einige Italianismen ausmachen, die außerhalb seiner Werke nicht weiter belegt sind, wie z. B. descalse < it. discalcio , vicinance < it. vicinanza (vgl. Wind 1928: 159, 148). 302 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues zahlreiche lexikalische Innovationen verantwortlich war und diese offenbar nicht immer bis in die Schriftlichkeit vordrangen, kann auch dem folgenden Passus aus Vaugelas (1647) entnommen werden. Je réponds que pource qui est de parler, on sait bien que la lecture ne saurait suffire, tant parce que la bonne prononciation qui est une partie essentielle des langues vivantes, veut que l’on hante la Cour, qu’à cause que la Cour est la seule école d’une infinité de termes, qui entrent à toute heure dans la conversation et dans la pratique du monde, et rarement dans les livres. (Vaugelas 1647, Préface , Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Selbst wenn man animmt, dass Estienne diese Italianismen in der Tat nur zu satirischen Zwecken erfunden hat, zeigt eine genauere Betrachtung ihrer Ausdrucksseite, dass er diese nicht willkürlich gewählt hat, sondern dass die meisten unter ihnen gewissermaßen als exemplarisch für fremdes Wortgut aus dem Italienischen gelten können: So weisen contrade , domestichesse , salvatichesse , sciochesse , spurchesse und leggiadresse - neben z.T. lautlichen Besonderheiten - alle mehr oder weniger italianisierende Suffixe ({-ade}, {-esse}) auf. Besonders auffällig ist jedoch die hohe Anzahl an Formen mit s impurum , die schon von Hope (1971: 585) und insbesondere Sampson (2004) konstatiert wurde (vgl. Kapitel 5.6). Nicht weniger als sieben Lexeme ( sciochesse , schiave 286 , space , spurquesse , strane , straque , stenter ) weisen diesen in der Phonotaktik des rinascimentalen Französisch markierten Onset auf. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang zusätzlich die von Estienne explizit als Hapax ausgewiesenen Formen ( sbigottit , sgarbatement , sgomenté , smentiguer ), wird deutlich, dass der Purist in diesem Onset ganz offensichtlich ein typisches Erkennungsmerkmal für Italianismen gesehen haben muss. Wie im Laufe der Arbeit schon mehrfach betont wurde, kann vermutet werden, dass Estienne mit diesen Formen Beispiele für AS-produzenteninduzierte Entlehnungen liefert. Dass im Französischen des 16. Jahrhunderts auch Latinismen mit s impurum anlauten konnten, widerspricht dieser Vermutung nicht. In beiden Fällen handelt es sich schließlich um nichterbwörtliches Material, das formal 286 Die Form <schiaves> ist im Übrigen tatsächlich in einem Text des 16. Jahrhunderts belegt. In einem Reisebericht erzählt Jacques Gassot (* 1525, † 1585) von den Sklaven der Türken in der Levante und verwendet dabei <schiaves>. Aslanov (2006: 156) weist jedoch darauf hin, dass in diesem Fall nicht von einem bewusst italianisierenden Text ausgegangen werden darf. Der Text reflektiere lediglich die Sprachmischung im Französischen der Levante. Allerdings ist Gassot kein Siedler, sondern nur ein Reisender, der eigentlich in Frankreich ansässig ist. In der Tat wird schiaves aber nicht so verwendet, wie es Estienne im françois italianizé ( schiave de vostre seigneurie ) kritisiert. Laut Smith (1980a: 330, Fn. 217) findet sich aber <sclave> in dieser Bedeutung in einem Text des bekannten Français italianisant Du Tronchet. 5.5 Trescases (1978b) revisited 303 auffällig war. Ganz offensichtlich wurde dieser Anlaut also noch als fremd empfunden und war gegen Ende des 16. Jahrhunderts noch nicht völlig revitalisiert. Neben den Formen mit s impurum lässt sich eine zweite Gruppe erkennen, deren Mitglieder ein besonderes Merkmal teilen: Sowohl il m’incresce 287 als auch imbratter , imparer , in ogni mode 288 , indugier und rinfresquant weisen alle die Graphie <in>/ <im> auf, in der Estienne offenbar ebenfalls ein Merkmal für italienischen Einfluss erkennen will. In der Tat finden sich diese Schreibungen im rinascimentalen Französisch nicht nur in Wörtern gelehrter (z. B. incarner < lat. incarnare ), sondern auch - was in Arbeiten zum Einfluss des Italienischen auf das Französische nicht oder nur unzureichend berücksichtigt wird - italienischer ( à l’improviste < it. all’improvvista ) Herkunft, wohingegen in Erbwörtern (z. B. envahir < vlat. * invadire ) die Schreibung <en>/ <em> überwiegt. Letztere spiegelt den regelmäßigen Lautwandel von lat. [in] bzw. [im] > afr. [ɛ̃ n] bzw. [ɛ̃ m] wider, der heute z. B. die vokalische Alternation des Typs [-] im Erbwort neben [ɛ̃ ] im gelehrten Wort, wie enflammer neben inflammation , envahir neben invasion usw., erklärt 289 . Dass die unterschiedlichen Graphien im 16. Jahrhundert auch für eine unterschiedliche Lautung stehen, liegt schon deshalb nahe, weil sich erbwörtliches <en> bzw. <em> [ɛ̃ (n)] bzw. [ɛ̃ (m)] schon früh, laut Straka (1955: 255) spätestens im 11. Jahrhundert, zu [-(n)] bzw. [-(m)] öffnete, so dass, selbst wenn <in>/ <im> möglicherweise nicht mehr zwischen [ĩ(n)] bzw. [ĩ(m)] und [ɛ̃ (n)] bzw. [ɛ̃ (m)] schwankte, sondern sich [ɛ̃ (n)] bzw. [ɛ̃ (m)] bereits etabliert hatte (vgl. Huchon 1988: 89), der Lautwert von <in>/ <im> nicht mit dem von <en>/ <em> zusammenfallen konnte. Wie schon bei s impurum erkennt Estienne also auch hier von erbwörtlichen Entwicklungen abweichende, auffällige Besonderheiten, die er exemplarisch anhand der Hapax-Belege aufzeigt. Dass ihm die Korrelation zwischen it. {in-} <in>/ <im> und fr. {en-} <en>/ <em> tatsächlich bewusst war, 287 Auch wenn es sich hierbei um einen Hapax-Beleg handelt, hat Estienne ein Verb gewählt, das französischen Zeitgenossen, die des Italienischen mächtig waren, offenbar gut bekannt war. So benutzt es etwa Palma Cayet (1590) in einer Passage (vgl. Petitot / Monmerqué Série 1, Bd. 40, 1824: 94, Memoiren Palma Cayet), in der er, wie es im 16. Jahrhundert durchaus häufig der Fall war, die Worte eines Italieners in der Originalsprache wiedergibt. Zur stilistischen Funktion solcher Versatzstücke im A-la-mode -Stil vgl. Kapitel 3.3.5. 288 Wie im Falle von il m’incresce wählt Estienne auch hier eine Wendung, die sich völlig unintegriert als Zitat in den Memoiren eines italianisierenden Autors des 17. Jahrhunderts (Goulas Bd. 1, 1879: 72) findet. 289 In den meisten Fällen handelt es sich dabei um das im Lateinischen äußerst produktive, aus der Präposition in entstandene Präfix {in-}, das lokative und inchoative Bedeutung hatte (vgl. u. a. TLFi s.v . in- 2). Zur erbwörtlichen Entwicklung der Vokale vor Nasalkonsonanten im Französischen vgl. u. a. Rheinfelder Bd. 1 (1963: 71-86) sowie insbesondere Straka (1955). 304 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues wird an einer Stelle der Deux Dialogues besonders deutlich, nämlich wenn er behauptet, das Italienische habe imbattersi aus fr. s’embattir entlehnt 290 . PHIL .: Quant à cest autre mot, imbatu , on luy doit faire meilleur recueil qu’aux autres. CEL .: Pourquoy? PHIL .: Pource que je me doute qu’il est du nombre des mots que les Italiens ont empruntez du vieil langage frances, mais ils ont changé la lettre E en I, car on diset: Ils se sont embatus en un tel pays. (Estienne [1578] 1980: 123, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Etwas weniger explizit als im Falle von it. imbattersi und fr. s’embattir wird der Zusammenhang zwischen it. {in-} <in>/ <im> und fr. {en-} <en>/ <em> während der Diskussion um die italienische Lernervarietät der französischen Höflinge thematisiert (vgl. den unten zitierten Textausschnitt). Offenbar wird <in> bzw. <im>, [ĩ(n)] bzw. [ĩ(m)] (vgl. z. B. françois italianizé : imprese < it. impresa ) als so typisch italienisch empfunden, dass die Franzosen beim Versuch Italienisch zu sprechen <en> bzw. <em>, [-(n)] bzw. [-(m)] in französischen Erbwörtern mit <in> bzw. <im>, [ĩ(n)] bzw. [ĩ(m)] substituierten. Im italien françoisé erscheine daher z.B. it. intripresa < fr. entreprise . CEL .: Quant à ceux-là encore, je ne m’en soucie pas beaucoup, car quand ils gastent l’italien, ils ne gastent rien du nostre; mais je suis fort despité contre ces gastefrançois. Voila pourquoy je porteray bien plus patiemment cest italien françoisé: A fatto una bella intripresa , que ce françois italianizé: Il a faict une belle imprese. (Estienne [1578] 1980: 119, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Auch das ausdrucksseitig veränderte Erbwort inamouré statt enamouré , das außerhalb der Werke Estiennes zumindest in Palsgrave (1530) in der italianisierenden Form nachgewiesen werden kann, legt nahe, dass Estienne in it. <in>/ <im> die Entsprechung zu fr. <en>/ <em> erkannt hat. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum Philausone fast ausschließlich in statt en in den italianisierenden Wendungen martel in teste und in case verwendet, obwohl ersteres außerhalb der Deux Dialogues meines Wissens nur in der Form martel en teste (vgl. HUG s.v. martel sowie Smith 1980a: 35, Fn. 1) vorkommt 291 . Auch die Konkurrenz zwischen in und en wird von Estienne besprochen, etwa wenn er, wie die unten zitierte Passage illustriert, verschiedenste Varianten von en conche aufzählt. 290 In Kapitel 5.5.1.3 wurde bereits darauf hingewiesen, dass diese Etymologie so nicht haltbar ist (vgl. z. B. TLIO s.v. imbattersi ). Dennoch ist sie insofern von Interesse, als sie nahelegt, dass Estienne die Korrelation zwischen it. {in-} <in>/ <im> und fr. {en-} <en>/ <em> erkannt hat. 291 Für die entsprechenden Textstellen vgl. Estienne ([1578] 1980: 35, 74). Zu martel en teste vgl. auch den Beitrag von Schweickard (2012). 5.5 Trescases (1978b) revisited 305 PHIL .: Je ne quitterais pas ma part de ce passetemps pour cent escus, quand je n’ay point de martel in teste. Et me souvient d’un mot italien entr’autres, qui leur [aux courtisans, T. S.] est comme une pierre à laquelle ils ont tous accoustumé de chopper, mais diversement. Car pour ce mot italien acconcio , les uns disent: Il est en bon conche ou en bonne conche ; les autres, Il est bien de conche ; les autres, Il est bien enconche ; aucuns aussi, Il est bien inconche; et quelques-uns, le faisans plus court que tous les autres, Il est bien conche. (Estienne [1578] 1980: 86, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Dass die Schreibung <in>/ <im> als Merkmal italienischer Lehnwörter oft erhalten blieb, bisweilen aber auch zur Graphie <en>/ <em> in Konkurrenz stehen konnte, zeigen die zeitgenössischen (Erst)Belege einer Reihe von Italianismen, deren Etymon im Italienischen die Sequenz <in>/ <im> aufweist. Ein Blick in Hopes Wörterliste (1971) genügt, um grob drei Gruppen zu unterscheiden: (1) Italianismen, die nach Quellenlage vermutlich nur in der italianisierenden Form entlehnt wurden (z. B. imposte < it. imposta ), (2) solche, deren Erstbeleg mit <in>/ <im> erscheint, sich aber allmählich <en>/ <em> durchsetzt (z. B. encastrer < incastrer < it. incastrare ), (3) solche, in denen Schwankungen zwischen <in>/ <im> und <en>/ <em> zu beobachten sind, sich aber <in>/ <im> durchsetzt (z. B. infanterie < infanterie , enfanterie < it. infanteria ) 292 . Zu Gruppe (3) könnte auch importer ‘être important’ gezählt werden, das laut FEW (s.v. importare ) im 16. Jahrhundert in dieser Bedeutung auch mit <em> erscheint, was als Französisierungsversuch zu verstehen sei. Schließlich wird die Annahme, der Purist erkenne in <in>/ <im> eine italianisierende Schreibung (und Lautung), auch dadurch unterstützt, dass er sich wenige Jahre später in seinem Werk Hypomneses (1582) explizit zur italianisierenden Aussprache von importer (statt fr. emporter ) äußert 293 . Ne hoc quidem praetereundum censeo, aliquando in verbam Latinam vocalem retineri, quum in verbali mutetur. Dicitur enim Enflammer , ab Inflammare: & tamen Inflammation , non Enflammation . Sic etiam dicitur, Cela emporte beaucoup , & tamen, Cela est d’importance : non d’emportance . Scio tamen esse etiam qui dicant, Cela importe : sed hoc recentioris sermonis est, & Italicum imitantis. (Estienne 1582: 111, Hervorhebungen im Original) Neben Estienne scheinen darin auch weitere Sprachbeobachter des 16. Jahrhunderts, so etwa Estienne Pasquier, ein Merkmal für italienischen Einfluss zu sehen. 292 Für detailliertere Anmerkungen zu den einzelnen Lexemen vgl. Hope (1971: 202, 187, 202). 293 Einen italienischen Einfluss auf die Semantik des Verbs erkennt Estienne aber offenbar nicht (vgl. Kapitel 5.5.1.5). 306 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Je ne dirai pas ‚imboscade‘, comme disait le soldat sous le règne de Henri II pour dire qu’il avait esté à la guerre de Parme […] le mot d’embusche nous est très propre et naturel. (Pasquier, zitiert nach Hope 1971: 632, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) 294 Offenbar hält Pasquier nicht nur das Suffix {-ade}, sondern auch die Sequenz <im> für nicht „naturel“. Besonders interessant in diesem Fall ist, dass embuscade laut Hope (1971: 37) als Italianismus betrachtet werden muss, der in der französischeren Form, also mit <em>, schon im 15. Jahrhundert belegt ist. Ganz offensichtlich kommt es aus dem Bedürfnis heraus, bewusst zu italianisieren, also zu einer Art Reitalianisierung - wie bei escadron , das ebenfalls seit dem 15. Jahrhundert mit prothetischem Vokal belegt ist, aber insbesondere in den Werken der Pléiade in der Form scadron Verwendung findet (vgl. dazu Kapitel 2.3.2.2). Wenn Estiennes Hapax-Kreationen also beinahe in der Hälfte aller Fälle s impurum bzw. <in>/ <im> aufweisen, dann vermutlich deshalb, weil er exemplarisch auf besonders prominente italianisierende Lautungen und Schreibungen des françois italianizé aufmerksam machen wollte (Schibboleths), die beide, so scheint es, von den sog. Français italianisants in Lehnwörtern italienischer Herkunft bevorzugt wurden. Um unüberlegt ad hoc erfundene Bildungen handelt es sich in jedem Fall nicht. 5.5.2.3.5 Zusammenfassung und Übersicht Wie in Kapitel 5.5.2.3 gezeigt wurde, können, obschon sogar 20 Formen zu Trescases’ (1978b) Liste der von Estienne fälschlicherweise als Italianismen kritisierten Lexeme und Wendungen hinzugefügt werden müssen, insgesamt nur 61 - nicht 127 - Etymologien von Estienne als ‘falsch’ gelten. Weder die einschlägigen Studien zu den Deux Dialogues noch Trescases (1978b) haben diese genauer analysiert. Letzterer gibt implizit sogar zu verstehen, dass es sich einfach um Hapax-Belege handelt. Wie die Untersuchung gezeigt hat, trifft dies aber nur in weniger als der Hälfte der Fälle (26 von 61) tatsächlich zu, wobei diese keinesfalls willkürlich gewählt wurden. Sie veranschaulichen exemplarisch besondere ausdrucksseitig italianisierende Merkmale italienischer Lehnwörter (Schibboleths) und könnten, da für sie alle potentielle Etyma im rinascimentalen Italienisch vorhanden waren, möglicherweise in der gesprochenen Sprache des Hofes tatsächlich existiert haben. Bei den verbleibenden 35 Lexemen und Wendungen handelt es sich hingegen nicht um Hapax-Belege, sondern - in der Mehrheit - um Lehnwörter aus anderen romanischen Sprachen (z. B. bandière ), eigenständige lexikalische (z. B. patrouille ) 294 Der Passus aus Pasquier findet sich im Übrigen schon bei Wind (1928: 127, Fn. 1). 5.5 Trescases (1978b) revisited 307 oder semantische Innovationen (z. B. galanterie ) des Französischen sowie um Erbwörter (z. B. baller ), die aufgrund einer kontaktinduzierten volksetymologischen Umdeutung ( attraction cognatique ) als Italianismen empfunden werden. Mit Ausnahme der von der attraction cognatique betroffenen Wörter sind die meisten der kritisierten Lexeme, Bedeutungen und Wendungen wirkliche Innovationen des 16. Jahrhunderts, die sich Estienne aus der damaligen Perspektive also zu Recht zu erklären versucht. Bedenkt man zudem, dass beinahe alle 35 Formen zu Denotatsbereichen gehören, in denen Italianismen im rinascimentalen Französisch häufig sind (z. B. Militärwesen: bandière , patrouille , Hofleben: galanterie, Tanz und Akrobatik: baller ), dass in allen Fällen ein potentielles italienisches Etymon vorhanden war und dass in manchen Fällen (z. B. bandière , galanterie ) die etymologische Forschung bis heute italienischen Einfluss tatsächlich nicht gänzlich ausschließt, erscheint Estiennes Urteil durchaus nachvollziehbar. Die folgende Tabelle fasst die Ergebnisse zusammen, wobei zwischen Lexemen und Wendungen, die schon in Trescases (1978b) zu finden sind, und solchen, die addiert werden müssen, unterschieden wird. Es sei daran erinnert, dass Trescases (1978b) keine Unterteilung in Hapax-Belege vs. falsche Etymologien vornimmt. Kategorie Falsche Etymologien und Hapax-Belege in den Deux Dialogues (1578) Falsche Etymologien (vermeintliche Italianismen) bereits in Trescases (1578) hinzugefügt Lehnwörter anderer Herkunft (8) courradour , morion bandière , camisole , galère , galion , grade , surgir lex. Innovationen des Französischen (16) attilé , balladin , chère ‘visage’, faquin , page , patrouille , rondache , ronde , tollache envoyer au bordel , capitanesse , être à la dévotion de qn (nicht mehr auf den relig. Kontext beschränkt), avoir le diable à / au dos , de grace , guidon, oimé sem. Innovationen des Französischen (6) galanterie ‘distinction, élégance dans l’esprit et les manières’, gentillesse ‘acte, manière empreinte de grâce, de délicatesse’, humeur ‘caprice’, lever (mit Abstrakta, z. B. lever du souci ) fatigue ‘ce qui est cause de fatigue, travail pénible’, ministre du Roy ‘conseiller du Roy’ attraction cognatique (5) s’allégrer , bal , baller , past allégresse 308 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Kategorie Falsche Etymologien und Hapax-Belege in den Deux Dialogues (1578) Falsche Etymologien (vermeintliche Italianismen) bereits in Trescases (1578) hinzugefügt Hapax-Belege (potentielle Italianismen) (26) bugie , bugiarder , callizelle , caver ‘enlever’, contrade , domestichesse , fogge , il m’incresce , imbratter ‘souiller’, imparer , in ogni mode , indugier , noye , pocotin , rinfresquant , salvatichesse , schiave , sciochesse , aller a space , spurquesse , strane , straque gayoffe , leggiadresse , serviciale , stenter Gesamt: 61 der 231 als Italianismen kritisierten Lexeme und Wendungen in den Deux Dialogues (1578) sind vermeintliche oder potentielle Italianismen. Tab. 13: Hapax-Belege und falsche Etymologien in den Deux Dialogues vs. Trescases (1978b) 5.6 Die Deux Dialogues in der neueren Forschung - Hapax- Belege und s impurum In den vorhergehenden Kapiteln wurde hervorgehoben, dass das Zeugnis Estiennes in den Deux Dialogues von der Forschung bis heute als eher unglaubwürdig betrachtet wird und dass sich diese Skepsis v. a. auf die unkritische Rezeption der Untersuchung von Trescases (1978b) zurückführen lässt. Auch wenn seit Trescases (1978b) keine umfassenderen lexikologischen Studien zu den Deux Dialogues vorgelegt wurden, erscheinen mir zwei rezentere Beiträge zum von Estienne in seinem Pamphlet kritisierten françois italianizé erwähnenswert, die im Folgenden kritisch besprochen werden sollen. Zum einen handelt es sich dabei um Sampson (2004), der anhand einer eigenen Analyse ausgewählter sprachlicher Phänomene in den Deux Dialogues zu zeigen versucht, dass die Aussagen des Puristen nur schwer mit der sprachlichen Realität im rinascimentalen Französisch zu vereinbaren seien, zum anderen um den nur wenige Seiten umfassenden Artikel von Cowling (2007), der auf der Grundlage neuerer Erkenntnisse der Soziolinguistik wahrscheinlich machen will, dass gerade die umstrittenen Hapax-Belege in den Deux Dialogues tatsächlich existiert haben könnten, und Estienne so gewissermaßen rehabilitiert. 5.6 Die Deux Dialogues in der neueren Forschung - Hapax-Belege und s impurum 309 Obschon sich beide Beiträge u. a. mit Hapax-Belegen auseinandersetzen, bleibt eine umfassende Untersuchung, die diese in ihrer Gesamtheit berücksichtigen würde, aus. Beide Autoren beschränken sich auf eine überschaubare Auswahl an Lexemen. Sampson (2004) beschäftigt sich in seinem Artikel mit den zahlreichen Formen, die mit s impurum anlauten, wobei neben den im vorherigen Kapitel besprochenen Hapax-Belegen auch Varianten etablierter Italianismen und italienische Zitatwörter Berücksichtigung finden. Insgesamt, so stellt Sampson (2004) fest, sei das Bild, das Estienne vom italianisierenden Französisch der Höflinge zeichnet, wenig plausibel, da die Mehrheit der in den Deux Dialogues kritisierten Italianismen keinen prothetischen Vokal aufweise, was für italienisches Lehngut im Französischen des 16. Jahrhunderts untypisch sei. Sampson (2003: 441) betont, dass über 80 % der rinascimentalen Italianismen im Französischen, deren Etymon - im italiano letterario - mit [sC-] anlautet (35 der 43 von Hope 1971 für das 16. Jahrhundert ermittelten Lexeme), mit prothetischem Vokal erscheinen, obschon, wie die Mehrheit der zur gleichen Zeit entlehnten mots savants zeige, die Prothese bei der Lehnwortintegration eigentlich nicht mehr produktiv war 295 . Dies erkläre sich dadurch, dass die Italianismen - anders als der gelehrte Wortschatz - nicht vorwiegend schriftlichen Quellen entstammten, sondern in erster Linie im Gesprochenen vermittelt worden seien. Schon die Denotatsbereiche, denen sie größtenteils angehören (Handel, Marine, Heer usw.), legten nahe, dass sie von Händlern und Soldaten, d. h. weniger belesenen Personen, ins Französische eingeführt wurden. Da die Kontakte zwischen Franzosen und Italienern im südlichen Teil Frankreichs (Marseille, Lyon) am intensivsten waren, sei es sehr wahrscheinlich, dass die meisten Italianismen zunächst über einen „southern filter“, also über okzitanische Varietäten, in denen die Prothese bis heute produktiv ist, ins Französische gelangt seien und schließlich wie tatsächliche Okzitanismen (z. B. escalier , escargot ) die Sequenz [ɛsk-] aufwiesen. Andereseits brauche zur Erklärung der Prothese in manchen Fällen auch gar keine Vermittlung über das Okzitanische angenommen zu werden: Sowohl die Daten Telmons (1975) zu piemontesischen Mundarten, in denen prothetische Vokale bis heute verbreitet sind, als auch die Analyse ausgewählter privater Briefe der aus der Toskana stammenden Alessandra Macinghi Strozzi (* 1407, † 1471) ließen vermuten, so Sampson (2003: 444-447), dass in nord- und zentralitalienischen Varietäten des 16. Jahrhunderts prothetische Vokale durchaus häufiger waren als im damaligen italiano letterario . In letzterem seien prothe- 295 Sampson (2003: 440; 2004: 328-329) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass schon in Sprachtraktaten aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, etwa in Dubois (1531), auch mit s impurum anlautende Formen als französisch empfunden wurden. 310 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues tische Vokale, schon bevor Bembo (1525) in seinen Prose deren Vorkommen lediglich nach konsonantisch auslautenden Wörtern für legitim erklärte (z. B. per iscritto ), eher selten gewesen 296 . Da sich die Franzosen während der Italienkriege, insbesondere in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, vermehrt im Piemont aufhielten und auch die Kontakte mit Florenz von Bedeutung waren, sei es wahrscheinlich, dass bereits die Etyma mancher rinascimentaler Italianismen im Französischen einen prothetischen Vokal aufwiesen 297 . Wie sind nun die Formen mit s impurum in den Deux Dialogues vor diesem Hintergrund zu bewerten? Sampson (2004: 331) ermittelt in Estiennes Pamphlet zunächst 45 Formen, deren Etymon im Standarditalienischen (und auch im italiano letterario des 16. Jahrhunderts) s impurum aufweist. Davon sind 10 lediglich italienische Zitatwörter, die von Sampson (2004) nicht näher besprochen werden. Sie alle weisen [sC-], also keinen prothetischen Vokal auf ( schiave , schiera , scornato , scorno , sgarbatamente , sgomentata , sta-li , stentare , strada , sventaglio ) 298 . Wie in Kapitel 4.3.2.4 erläutert wurde, handelt es sich in diesen Fällen nicht wirklich um code-switching . Zumeist finden sie sich in metasprachlichen Kommentaren, etwa wenn über den Ursprung bestimmter Italianismen diskutiert wird. Da sie von Estienne nicht als im Französischen etablierte Lexeme betrachtet werden, schließt sie Sampson (2004) zu Recht aus seiner Analyse aus. Unter den verbleibenden 35 Formen sind auch 11 der in den vorhergehenden Kapiteln genannten Hapax-Belege ( sbigottit , sciochesse , sgarbatement , sgomentée , smentiguer , space , spaceger , spurchesse , stenter , strane , straque ) 299 . Sampson (2004: 331-333) stellt zunächst fest, dass es sich dabei um Lexeme handelt, die sich nicht - auch nicht in anderer Form - außerhalb der Deux Dialogues nachweisen lassen. Zudem weist er darauf hin, dass ihr marginaler Status von Estienne selbst hervorgehoben wird: Während laut Philausone z. B. sgarbatement nur einmal von einem Italiener verwendet worden sei, finden sich space , spaceger , strane und straque in „deliberately Italianizing speeches“ von Philausone. Dieser entschuldigt sich etwa auch für den - ohnehin nur einmaligen - Gebrauch von sciochesse . Schließlich seien auch smentiguer 296 Zur Diachronie der Prothese im Italienischen verweist Sampson (2003: 444, Fn. 22) auf Rohlfs Bd. 1 (1949: 311-313). 297 Zur besonderen Bedeutung norditalienischer Varietäten als Quelle für Italianismen im Französischen des 16. Jahrhunderts vgl. Kapitel 2.3.3.3. 298 Für die entsprechenden Textstellen vgl. Estienne ([1578] 1980: 330, 112, 129, 129, 36, 127, 333, 146, 88, 175). It. scosese ‘scozzese’, das von Estienne ([1578] 1980: 404) zusammen mit anderen italienischen Nationalitätsbezeichnungen genannt wird, bleibt bei Sampson (2004) unberücksichtigt. 299 Vgl. Estienne ([1578] 1980: 36, 149, 36, 127, 113, 73, 35, 81, 146, 36, 73). Im Gegensatz zu Sampson (2004) betrachte ich spaceger nicht als lexikalischen Hapax, sondern als nicht außerhalb der Deux Dialogues belegte Variante von passéger (vgl. Kapitel 5.5.2.2). 5.6 Die Deux Dialogues in der neueren Forschung - Hapax-Belege und s impurum 311 und sbigottit auf das françois italianizé einer courtisane beschränkt, die solche Italianismen zudem v. a. im Gespräch mit Italienern verwende 300 . Celtophile schlägt in diesem Zusammenhang vor, zusätzlich sgomentée < it. sgomentata zu verwenden. Im vorhergehenden Kapitel wurde nicht zuletzt anhand eben dieser Beobachtungen dafür argumentiert, dass Estienne entgegen der insbesondere von Rickard (1968: 17) vorgebrachten Kritik sehr wohl zwischen etabliertem Lehngut und bewussten Phantasie-Kreationen unterscheidet. Sampson (2004), der sich in erster Linie für die auffällige Ausdrucksseite interessiert, zieht aus der Analyse der o. g. Kontexte jedoch keine vergleichbaren Schlüsse. Auch unterscheidet er abschließend nicht zwischen explizit als Hapax ausgewiesenen Lexemen und solchen, bei denen der Kontext nur vermuten lässt, dass der Purist an der entsprechenden Stelle ganz bewusst eine eigene Kreation verwendet. Er begnügt sich mit der Feststellung, dass es sich in allen Fällen um von Estienne zu ironischen Zwecken erfundene Italianismen handeln muss, deren für italienisches Lehngut untypische Ausdrucksseite einer Erklärung bedarf. Die Annahme, Estienne habe diese Formen ohne prothetischen Vokal absichtlich gewählt, um das italianisierende Französisch der Höflinge ‘unfranzösischer’ wirken zu lassen, greife laut Sampson (2004: 336) zu kurz. Schließlich zeige die Behandlung der verbleibenden 19 Lexeme 301 , d. h. derjenigen, die tatsächlich im 16. Jahrhundert verbreitet waren ( escarpe / scarpe , escorne / scorne , escorte / scorte , esquadron / squadron , estrade / strade , escalade , s’escarmoucher , escort , escrime , estocade , scarpe (milit.), spadachin , spolin , spurque , stanse , staphier , staphilades , se stomaquer , stropiez ) 302 , dass Estienne in manchen Fällen - eigentlich in nur einem Fall - auch Formen ohne s impurum (z. B. escarpe statt scarpe ) als etabliert ansieht. Laut Sampson (2004: 336-341) lassen sich diese 24 Formen in drei Gruppen einteilen; ihre Beurteilung in den Deux Dialogues erkläre sich wie folgt: Die militärischen Termini escalade , s’escarmoucher , escrime und estocade seien typische Beispiele für über okzitanische Varietäten vermittelte Italianismen, die bereits zu Zeiten Estiennes im Pariser Französisch ausschließlich mit 300 Zwar kommen sbigottit und sgarbatement , wie bereits in Kapitel 5.5.1.2 erwähnt, auch in einer stark italianisierenden Passage Philausones vor, aber der spätere explizite Hinweis darauf, dass es sich in beiden Fällen um einen Hapax handelt, zeigt deutlich, dass die vorherige Verwendung als ironisch verstanden werden muss. Estienne will also nicht wahrscheinlich machen, dass diese Italianismen tatsächlich verbreitet waren. 301 Die eingangs erwähnten 45 in den Deux Dialogues kritisierten Formen verteilen sich auf 40 types (10 italienische Zitatwörter, 11 Hapax-Belege und 19 mehr oder weniger etablierte Italianismen, von denen 5 sowohl mit als auch ohne prothetischen Vokal erscheinen). 302 Für die entsprechenden Textstellen vgl. Estienne ([1578] 1980: 322 / 322, 128 / 128, 128 / 38, 244 / 244, 88 / 88, 246, 372, 86, 216, 242, 245, 76, 193, 304, 35, 76, 418, 79, 381). Im Gegensatz zu Sampson (2004) behandele ich se stomaquer in der vorliegenden Arbeit nicht als in den Deux Dialogues kritisierten Italianismus, sondern als Latinismus. 312 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues prothetischem Vokal erscheinen. Eine alternative Form mit s impurum könne daher nicht genannt werden. Bei escarpe / scarpe , escorne / scorne , escorte / scorte , esquadron / squadron , estrade / strade handele es sich hingegen um Italianismen, die bereits seit einer gewissen Zeit im Französischen verbreitet waren. Da beide Formen existierten, mussten diese kommentiert werden. Mit Ausnahme von esquadron / squadron - die konkurrierenden Formen werden nicht weiter besprochen - wird in den Deux Dialogues den Varianten mit s impurum - von Celtophile 303 - der ‘Vorzug’ gegeben 304 . Dass Estienne wie bei den Phantasie- Kreationen (z. B. sbigottit ) auch hier die weniger gut integrierten Formen als verbreitet betrachtet, sei auffällig und nur schwer mit den „speech habits“ im Französischen des 16. Jahrhunderts vereinbar. Die dritte Gruppe umfasse schließlich auch außerhalb der Deux Dialogues nachweisbare Italianismen, die in Estienne allerdings ausschließlich ohne prothetischen Vokal erscheinen. Abgesehen von spurque und stanse , die nach heutigem Stand der Forschung in der Tat nur mit s impurum belegt sind, scheinen scarpe (milit.), spadachin , spolin , staphier , staphilades , se stomaquer sowie stropiez erneut den im Französischen der Renaissance vorherrschenden Tendenzen zu widersprechen. Auch hier wären Varianten mit Prothese als authentischer anzusehen. Woher kommt nun Estiennes offensichtliche Vorliebe für s impurum in den Deux Dialogues ? Wie weiter oben bereits angedeutet wurde, schließt Sampson (2004: 336) aus, dass die fehlende Prothese bewusst zu satirischen Zwecken eingesetzt wird. Vielmehr seien die Formen dadurch zu erklären, dass der Purist aufgrund seiner Absenz vom Hofe nur unzureichend mit dem tatsächlich gesprochenen françois italianizé der Höflinge vertraut war. Die meisten der kritisierten Italianismen - und dies scheint, auch wenn Sampson diesbezüglich keine Aussagen macht, sowohl für die Hapax-Belege als auch für etabliertes Lehngut zu gelten - habe der Purist anhand italienischer Klassiker, also anhand schriftlicher Quellen, selbst geschaffen. Dass im italiano letterario des 16. Jahrhunderts prothetische Vokale schon vor Bembo (1525) selten waren, wurde weiter oben bereits erwähnt. Estienne müsse also wie für den gelehrten Wortschatz davon ausgegangen sein, dass sich die gebildeten Sprecher am Schriftbild des (Standard)italienischen orientierten. Selbst wenn man annehme, dass Estienne, der ja ohne Zweifel lange Zeit in Italien verbracht hat, mit dem gesprochenen Italienisch der Renaissance in Kontakt gekommen ist, sei zu vermuten, dass die Kreise, in denen er sich bewegte, - insbesondere im Gespräch 303 Im Falle von escarpe / scarpe betont Philausone, dass im langage courtisanesque escarpe geläufiger sei. In allen anderen Fällen jedoch spricht sich auch Philausone für Formen mit s impurum aus (vgl. Kapitel 4.2.3.3). 304 Das Paar escorte / scorte wird nicht explizit erwähnt, die Bevorzugung von scorte kann aber indirekt erschlossen werden (vgl. Kapitel 4.2.3.3). 5.6 Die Deux Dialogues in der neueren Forschung - Hapax-Belege und s impurum 313 mit gebildeten Ausländern - ihren Sprachgebrauch an die norma bembiana anpassten und daher vorwiegend Formen mit s impurum verwendeten. Insgesamt sei Estiennes Zeugnis also in zweierlei Hinsicht kritisch zu betrachten: Zum einen sei der Purist offenbar nicht über das authentische françois italianizé der Höflinge informiert gewesen, zum anderen scheint er sich auch der Verbreitung prothetischer Vokale in nord- und zentralitalienischen Varietäten nicht bewusst gewesen zu sein. Diese Einschätzung wirft m. E. aber mehrere Probleme auf, die im Folgenden kurz diskutiert werden sollen: Zunächst scheint mir bereits die Einteilung Sampsons etwas problematisch zu sein. Es ist nämlich nicht ohne Weiteres verständlich, weshalb Estienne für escalade , s’escarmoucher , escrime und estochade keine s impurum -Varianten liefert. Gewiss handelt es sich dabei um etablierte Italianismen, die als militärische Termini möglicherweise tatsächlich über das Okzitanische vermittelt wurden. Allerdings trifft dies auch auf scarpe (milit.) zu, das wie letztere nicht ohne prothetischen Vokal belegt ist, aber in den Deux Dialogues dennoch als scarpe erscheint 305 . Im Hinblick auf s’escarmoucher kann festgehalten werden, dass Estienne das Lexem vermutlich ohnehin nicht als Italianismus erkennt (vgl. Kapitel 5.5.1.4) und daher - vorausgesetzt, man nimmt an, er benutzt <sC-> bewusst - auch gar keine s impurum -Form in Frage kommt. Ferner ist auffällig, dass spadachins und staphilades , die ebenfalls Begriffe aus dem Heereswesen sind, auch ohne Prothese erscheinen, obwohl sie im 16. Jahrhundert zumeist mit der Schreibung <es-> belegt sind 306 . Auch der mittelalterliche Italianismus stropiez sollte angesichts der Tatsache, dass er seit Langem im Französischen etabliert war und daher gut integriert gewesen sein müsste 307 , kein s impurum aufweisen, zumal vor dem 16. Jahrhundert die Pro- 305 Weder in FRANTEXT (1500-1600) noch in HUG (s.v. scarpe ) konnten Okkurrenzen für scarpe außerhalb der Werke Estiennes gefunden werden. Auch in Hope (1971: 189) finden sich - anders als im Eintrag zu escarpe / scarpe ‘chaussure’ - keinerlei Hinweise auf Formen ohne prothetischen Vokal. Sampson (2004) nennt keine weiteren Belege für Formen mit s impurum außerhalb der Deux Dialogues . Auch in Smith (1980a: 245, Fn. 717) werden keine weiteren Vorkommen für scarpe erwähnt. 306 Für Belege mit und ohne prothetischen Vokal von spadachin und staphilade in Texten des 16. Jahrhunderts vgl. u. a. HUG (s.v. estaphilade , spadachin ), Wind (1928: 132, 128) und Hope (1971: 223, 192). In FRANTEXT (1500-1600) sind - mit Ausnahme eines Eigennamen Spadassin in Rabelais - keine Okkurrenzen für Formen ohne prothetischen Vokal zu finden. Auch in Smith (1980a: 76, Fn. 61; 418, Fn. 439) werden - abgesehen vom Eigennamen in Rabelais - keine Belege für Formen mit <sC-> genannt. 307 Dies gilt freilich nur dann, wenn man wie Hope (1971: 39) und der OIM (s.v. stroppiare ) annimmt, dass dieses Verb bereits im 15. Jahrhundert entlehnt wurde. Der TLFi (s.v. estropier ) behandelt es als Italianismus des 16. Jahrhunderts. 314 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues these bei der Lehnwortintegration ja noch äußerst produktiv war 308 . Insgesamt ist es viel wahrscheinlicher, dass Estienne im Onset [sC-] also sehr wohl ein Merkmal des françois italianizé der Höflinge erkannt hat und diesen, wie schon Hope (1971: 585) vermutet, bewusst in den Deux Dialogues einsetzt, um auf die in seinen Augen unnatürliche Lautabfolge aufmerksam zu machen. Auch Sampsons (2004: 336) wichtigstes Argument, Philausone betone, bei Hofe sei escarpe der Form scarpe vorzuziehen, so dass nicht angenommen werden könne, dass Estienne im françois italianizé ausschließlich s impurum -Formen akzeptiere, ist nicht wirklich überzeugend. In allen anderen Fällen, in denen zwei Formen vorhanden sind ( escorne / scorne , escorte / scorte , estrade / strade ), bevorzugt Philausone schließlich tatsächlich die Varianten ohne prothetischen Vokal. Zudem ist auch nicht Philausone, sondern Celtophile als das Sprachrohr Estiennes zu betrachten. Wenn ersterer letzteren korrigiert (vgl. den unten zitierten Passus), muss daraus nicht notwendigerweise gefolgert werden, dass die sprachliche Realität den Aussagen Philausones entspricht. PHIL .: Si est-ce que vous en passerez par là. Et notez que pour punition je vous feray dire trois fois tout de suite, non pas: «Je vous baise la main, Monsieur Philausone» mais: Je vous baise l’escarpe . […] CEL.: Tant plus grande me sera ceste punition. Mais pour le moins vous me permettrez de dire la scarpe , au lieu de l’escarpe. PHIL .: Non feray […]. (Estienne [1578] 1980: 322, Hervorhebungen im Original) Im Gegenteil: Der Einwand Celtophiles zeigt vielmehr, dass im françois italianizé angesichts der zahlreichen genannten Formen mit s impurum eben solche als unmarkierter Fall 309 zu erwarten wären. Zweitens ist auch die Behauptung, die Formen ohne Prothese zeigten, dass Estienne nicht über das authentische françois italianizé informiert gewesen sei, problematisch. Auch wenn der Großteil der rinascimentalen Italianismen im Französischen des 16. Jahrhunderts letztlich einen prothetischen Vokal aufweist, heißt das nicht, dass nicht möglicherweise über einen längeren Zeitraum konkurrierende Formen nebeneinander existiert haben. Sampson (2003: 441; 2004: 333) selbst weist anhand von Beispielen aus HUG darauf hin, dass nicht nur zahlreiche Latinismen (z. B. escrupule / scrupule ), sondern auch gewisse Italia- 308 Das Verb estropier ist allerdings in der Tat ohne prothetischen Vokal belegt. Während in Hope (1971: 39) und Smith (1980a: 347, Fn. 353) keine Formen mit s impurum genannt werden und in FRANTEXT (1500-1600) selbst unter Berücksichtigung flektierter Formen (insgesamt nur 3) keine Okkurrenzen mit s impurum zu finden sind, weisen alle Belege in HUG (s.v. stropier ) - u. a. in Montaigne und Monluc - die Graphie <str-> auf. 309 Im Hinblick auf die Phonotaktik des „nayf langage françois“ (Estienne [1578] 1980: u. a. 40) sind die Formen umgekehrt natürlich als besonders markiert einzustufen. 5.6 Die Deux Dialogues in der neueren Forschung - Hapax-Belege und s impurum 315 nismen (z. B. estafette / stafette ) formalen Schwankungen unterlagen und sowohl mit als auch ohne Prothese belegt sind. In Kapitel 5.2 wurde zudem gezeigt, dass in Texten gewisser Français italianisants auch seltenere Italianismen wie scalque < it. scalco bisweilen ohne prothetischen Vokal erscheinen. Es wurde ebenfalls bereits darauf hingewiesen, dass gerade im 16. Jahrhundert eine Art Reitalianisierung bei etablierten Italianismen zu beobachten ist, von der auch Lexeme mit prothetischem Vokal betroffen sind (z.B. it. squadrone > fr. escadron > fr. scadron , it. strada > fr. estrade > fr. strade ) 310 . Estiennes Ausführungen und das entsprechende sprachliche Material in den Deux Dialogues zeichnen also möglicherweise - zumindest exemplarisch - ein deutlich authentischeres Bild, als Sampson (2004) annimmt. Drittens treffen die von Sampson (2003, 2004) angestellten allgemeineren Überlegungen zur Verbreitung der Italianismen im Französischen des 16. Jahrhunderts nicht notwendigerweise auf die von Estienne ins Visier genommene Petite Italie zu. So ist es nicht unwahrscheinlich, dass die unter den Höflingen verbreiteten Italianismen nicht über einen „southern filter“, also über eine okzitanische Varietät, in der die Prothese noch voll produktiv war, vermittelt wurden. Vielmehr könnten die courtisans angesichts der Verbreitung und Rolle der italienischen Literatur im Frankreich des 16. Jahrhunderts (vgl. Kapitel 2.2.2) in der Tat mit schriftlichen Quellen in Berührung gekommen sein. Des Weiteren - und dies macht Estienne schließlich auch ganz deutlich - lieferten die Italiener am Hofe mit ihrem françois italianizé ein Modell, das von den französischen Höflingen imitiert wurde. In der Tat findet sich unter den wenigen Italianismen, die in den Deux Dialogues ganz explizit als Innovationen der italienischen Höflinge ausgewiesen werden, auch die Form sgarbatement , die aufgrund der fehlenden Prothese als exemplarisch für AS -produzenteninduzierte Entlehnungen angesehen werden kann (vgl. Kapitel 4.2.3.3). Abgesehen vom françois italianizé der italienischen Höflinge kann natürlich auch deren Muttersprache, die ja zum sprachlichen Alltag bei Hofe gehörte (vgl. Kapitel 4.2.2), als Vorbild gedient haben. Nun aber scheinen die beiden soeben angestellten Überlegungen im Widerspruch zu den Ergebnissen Sampsons (2003, 2004) zu stehen: Wenn man annimmt, dass im 16. Jahrhundert auch in nord- und zentralitalienischen Varietäten prothetische Vokale häufig waren, dürfte das Italienische der Höflinge und in der Folge auch deren françois italianizé eigentlich kaum s impurum- Formen aufweisen. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass auch in ihrer Muttersprache die Prothese nicht voll produktiv war. Dies ist insofern wahrscheinlich, als - wie in Kapitel 6 gezeigt wird - der Großteil der Immigranten insbesondere ab der 310 Zum Nebeneinander der Varianten im Französischen des 16. Jahrhunderts vgl. Wind (1928: 81), Kandler (1944: 203-204) und Hope (1971: 37, 192-193). 316 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht aus dem Norden, in dem bestimmte Varietäten die Prothese bis heute bewahrt haben (vgl. Telmon 1975), sondern aus Mittelitalien stammte. Mehr als 30 % aller Einwanderer, darunter auch Catherine de Médicis als Symbolfigur der Petite Italie , kamen aus der Toskana, in der laut Sampson (2010: 80-96) prothetische Vokale ab dem 16. Jahrhundert im Rückgang begriffen waren. Auch wenn, wie Sampson (2003: 445-447; 2004: 339-340; 2010: 80-96) mehrfach betont, die Ergebnisse seiner Analyse der Briefe von Alessandra Macinghi Strozzi (* 1407, † 1471) nahelegten, dass die Prothese auch in toskanischen Varietäten deutlich etablierter gewesen sei als im zeitgenössischen italiano letterario , kann daraus m. E. nicht gefolgert werden, dass das Italienische der Italiener am Hofe von Henri III (in den 1570er Jahren) ebenfalls noch vermehrt prothetische Vokale aufwies: Zum einen liegen zwischen dem von Sampson untersuchten sprachlichen Material und dem Italienischen der Petite Italie mehr als 100 Jahre, so dass - insbesondere angesichts der Normierungsbestrebungen im 16. Jahrhundert - durch Sprachwandel bedingte Unterschiede im Lautstand mehr als wahrscheinlich sind, zum anderen ist anhand der Ergebnisse Sampsons ersichtlich, dass die Prothese in zentralitalienischen Varietäten - anders als im Okzitanischen oder Spanischen - auch schon gegen Ende des 15. Jahrhunderts nicht voll produktiv war 311 . Zudem könnten sich die italienischen Einwanderer - insbesondere im Ausland, v. a. im Gespräch mit Fremden - an der norma bembiana orientiert haben. Das Prestige des auf den Schriften der Trecentisten beruhenden italiano letterario stand auch im rinascimentalen Frankreich außer Frage. Schließlich wäre auch denkbar, dass sich unter den Italienern in der France italienne und der Petite Italie eine Koiné herausgebildet hat, in der aufgrund der - nicht nur zahlenmäßig - starken Präsenz toskanischer Einwanderer einerseits und des Einflusses der auf dem fiorentino antico basierenden Literatursprache andererseits prothetische Vokale als markierte Erscheinungen rasch verloren 311 Sampson (2003: 445-447) analysiert 73 private Briefe und ermittelt 1182 Wortformen, die im italiano letterario mit [sC-] anlauten würden. In den 481 Fällen, in denen die Wortform auf Objektklitika, den bestimmten Artikel oder einsilbige Präpositionen folgt, die alle vokalisch auslauten, findet sich nur 18 Mal (= 3,7 %) ein prothetischer Vokal. Während sich die geringe Zahl an prothetischen Vokalen in diesen Fällen laut Sampson (2003: 446) dadurch erklären lässt, dass sich die den Wortformen vorausgehenden Elemente alle „almost proclitically“ verhalten, bedürfen die verbleibenden 701 Kontexte einer genaueren Betrachtung. Auffällig ist, dass in diesen Fällen - im Gegensatz zum italiano letterario - prothetische Vokale in der Tat nicht nur nach auf Konsonant auslautenden Präpositionen (z. B. per iscritto ), sondern auch nach mehrsilbigen vokalisch endenden Wörtern (z. B. potrebbe istare ) nachweisbar sind. Allerdings erscheint die Prothese nur in 374 von 701 Fällen, also in etwas mehr als 50 %. Voll produktiv wie im Spanischen oder Okzitanischen war sie also auch schon gegen Ende des 15. Jahrhunderts in zentralitalienischen Varietäten nicht. 5.6 Die Deux Dialogues in der neueren Forschung - Hapax-Belege und s impurum 317 gingen. In diesem Fall wäre selbst im Italienischen der aus dem Piemont stammenden Höflinge keine Prothese mehr zu erwarten. Abschließend kann festgehalten werden, dass die zunächst durchaus plausibel scheinende Kritik Sampsons (2004) am Wert der Beobachtungen Estiennes in den Deux Dialogues bei genauerer Betrachtung selbst kritisch hinterfragt werden muss. Problematisch ist insbesondere, dass die von Sampson formulierten Annahmen bezüglich des Aufkommens und der Verbreitung von Italianismen im Französischen der Renaissance („southern filter“, Prothese in norditalienischen Varietäten) zwar unbestreitbar wertvolle Einsichten im Hinblick auf den frühneuzeitlichen Sprachkontakt zwischen dem Französischen und dem Italienischen im Allgemeinen liefern, aber nicht notwendigerweise zur Erklärung der besonderen sprachlichen Situation in der Petite Italie herangezogen werden können. Wie Estienne betont, sind am Hofe schließlich mehr als anderswo gerade die italienischen Höflinge für die zahlreichen Italianismen im françois italianizé verantwortlich. Die Formen mit s impurum können, da sie schwach integriert sind, als AS -produzenteninduzierte Entlehnungen (z. B. sgarbatement ) betrachtet werden. Es versteht sich von selbst, dass verlässliche Aussagen zur Authentizität des von Estienne in den Deux Dialogues kritisierten sprachlichen Materials letztlich nur nach einer Analyse eben dieses françois italianizé gemacht werden können (vgl. dazu Kapitel 7.3.3.3). Dass darüber hinaus auch ein Ausblick auf italienische Produktionsdaten der Migranten, insbesondere im Hinblick auf die Vitalität von s impurum , aüßerst nützlich wäre, wurde ebenfalls deutlich (vgl. dazu Kapitel 6.3.3.1.4). Im Gegensatz zu Sampson (2004) attestiert Cowling (2007), der sich in seinem kurzen Aufsatz u. a. auch mit den ‘zahlreichen’ Hapax-Belegen in den Deux Dialogues beschäftigt, Estienne eine gewisse Glaubwürdigkeit, indem er - was in der neueren Forschung gewiss als Alleinstellungsmerkmal gelten kann - wahrscheinlich macht, dass diese in der Tat existiert haben könnten. Ohne die Hapax-Belege - oder die von Estienne erkannten etablierten Italianismen - in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen, greift Cowling (2007: 166) eine sehr prominente, stark italianisierende und oft zu Unrecht als exemplarisch betrachtete Passage aus den Deux Dialogues heraus (vgl. die unten in Auszügen zitierte Textstelle) und analysiert die darin enthaltenen ‘Italianismen’ 312 . 312 Dabei handelt es sich um die in vielen Werken (z. B. Huguet [1935] 1967: 311-312, Rickard 1968: 201-202, Fragonard / Kotler 1994: 10, Michel 2005: 108) zitierte Eröffnungsrede von Philausone, die bisweilen auch in Arbeitsbüchern zur französischen Sprachgeschichte (z. B. in Wolf 1969: 87-88, nicht aber in Ayres-Bennett 1996) abgedruckt wird. Dass dieser Passus, wie schon Brunot HLF II (1906: 202-203) und Kandler (1944: 275) richtig feststellten, eigentlich nicht als exemplarisch für die Äußerungen Philausones gelten kann, 318 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Aux lecteurs tutti quanti. Messieurs, il n’y a pas long temps qu’ayant quelque martel in teste (ce qui m’advient souvent pendant que je fay ma stanse en la cour), et, à cause de ce, estant sorti apres le past pour aller un peu spaceger, je trouvai par la strade un mien ami nommé Celtophile. Or, voyant qu’il se monstret estre tout sbigotit de mon langage (qui est toutesfois le langage courtisanesque, dont usent aujourd’huy les gentilshommes francés qui ont quelque garbe, et aussi desirent ne parler point sgarbatement, je me mis à ragionner avec tuy touchant iceluy en le soustenant le mieux qu’il m’estet possible. Et voyant que, nonobstant tout ce que je luy pouves alleguer, ce langage italianizé luy semblet fort strane, voire avoir de la gofferie, et balorderie, je pris beaucoup de fatigue pour luy caver cela de la fantasie. Mais (pour vous dire la verité), je ne trouves point de raisons bastantes pour ce faire. Et, au contraire, tant plus je m’efforces de luy lever ceste opinion par mes ragionnemens, tant plus luy se burlet de moy, se sentant bien asseuré de son baston, ainsi qu’il monstret. En la fin, voyant que j’aves à faire à si forte partie, et que les repliques me commançoyent à manquer (encore que je fisse bonne mine), j’acceptay fort volontiers pour arbitre Monsieur Philalethe, esperant qu’il y auret quelque domestichesse entre luy et ces mots qu’il oit souvent à la cour, et pourtant me feret scorte. Mais je trouvay que je m’ingannes bien. […] Ce-pendant je leur baise la main, et à vous aussi. (Estienne [1578] 1980: 35-39, zitiert nach und Hervorhebungen in Anlehnung an Cowling 2007: 166) Ohne lediglich ausdrucksseitig veränderte Erbwörter (z. B. ragionnement ) 313 , an anderer Stelle bewusst als Hapax ausgewiesene Lexeme (z. B. sbigotit ) oder Bedeutungen, die auch auf semantische Entwicklungen im Französischen zurückgeführt werden könnten (z. B. fatigue ), gesondert zu berücksichtigen, zählt Cowling (2007: 167) unter Einschluss der völlig unintegrierten Form tutti quanti sowie der Lehnwendungen martel in teste und baiser la main insgesamt 34 Italianismen. Er stellt richtig fest, dass sich darunter auch mehrere Hapax-Belege befinden (z. B. domestichesse , sgarbatement ) 314 . Deren hohe Anzahl erkläre sich da diese in der Mehrheit in weitaus geringerem Maße italianisierend sind, wurde bereits erwähnt. 313 Dass bei ragionner und ragionnement vermutlich keine semantische Beeinflussung anzunehmen ist, wurde bereits in Kapitel 5.5.1.3 erläutert. 314 Im genannten Textausschnitt ermittelt Cowling (2007: 167) insgesamt nicht weniger als 14 Hapax-Belege. Dass aber inganner nicht als solcher gelten kann und tutti quanti als Zitatwort eigentlich unberücksichtigt bleiben müsste, wurde in der vorliegenden Arbeit ausführlich dargelegt (vgl. Kapitel 5.5.1.3). Auch wurde bereits Cowlings (2007: 167) Feststellung, dass it. sgarbatamente im 16. Jahrhundert nicht einmal im Italienischen belegt sei, widerlegt. In LIZ4.0 ( Cinquecento ) konnten vier Okkurrenzen nachgewiesen werden (vgl. Kapitel 5.5.2.3.4). 5.6 Die Deux Dialogues in der neueren Forschung - Hapax-Belege und s impurum 319 dadurch, dass es unter den französischen Höflingen zu einer Art von elitärem code-switching gekommen sein muss. Cowling (2007: 167-168) verweist in diesem Zusammenhang auf Myers-Scotton (2002: 35), der zufolge insbesondere in Entwicklungsländern beobachtet werden könne, dass Einheimische, die höheren sozialen Schichten angehören, bewusst Elemente aus einer prestigereichen internationalen Verkehrssprache - zumeist Englisch - in ihre muttersprachlichen Äußerungen einfließen lassen, um sich so als Elite abzugrenzen. Im rinascimentalen Frankreich verfolgten, so Cowling (2007), die französischen Höflinge möglicherweise das gleiche Ziel, indem sie vermehrt Elemente aus dem Italienischen verwendeten. Da es sich dabei, wenn man der Unterscheidung von Myers-Scotton (2002) folgte, nicht vorrangig um cultural borrowings (Bedürfnislehnwörter), sondern um core borrowings (Luxuslehnwörter) handele, sei auch verständlich, warum zahlreiche Italianismen in den Deux Dialogues Hapax-Belege sind. Im Gegensatz zu cultural borrowings , die zur Bezeichnung neuer Konzepte entlehnt werden und grundsätzlich auch von monolingualen Sprechern, also solchen, die die AS , aus der entlehnt wird, nicht beherrschen, verwendet werden, sind core borrowings , die ohne Bezeichnungsnotwendigkeit entlehnt werden, v. a. in Äußerungen zweisprachiger Individuen ( code-switching ) zu erwarten und dementsprechend seltener. Sieht man von der Tatsache ab, dass die analysierte Textstelle - wie Cowling (2007: 168) letztlich selbst einräumt - nicht wirklich als exemplarisch für das Französische Philausones gelten kann, scheint diese soziolinguistisch begründete Erklärung der Hapax-Belege durchaus sinnvoll zu sein. Dass sich die Höflinge als Elite abzugrenzen versuchten, ist mehr als wahrscheinlich; ebenso, dass das Italienische aufgrund seines Prestiges während der Renaissance - wie das Englische heute - eine geeignete Quelle darstellte, aus der lexikalisches Material geschöpft werden konnte. Lässt man zudem außer Acht, dass, wie in Kapitel 4.2.3.4 besprochen wurde, aufgrund des relativ hohen Integrationsgrads der kritisierten Italianismen (mit Ausnahme der s impurum -Formen) in den Deux Dialogues eigentlich kaum Fälle von wirklichem code-switching nachzuweisen sind - von den von Cowling (2007) genannten Formen würde nur die Wendung tutti quanti das Kriterium der Unintegriertheit erfüllen - und man daher besser von vorübergehenden Entlehnungen sprechen sollte, kann das Sprachverhalten der französischen Höflinge und die dadurch bedingte Präsenz der Hapax-Belege also überzeugend erklärt werden. Dass diese vorwiegend im mündlichen code-switching ihren Anfang nahmen (allmählich aber besser integriert wurden), würde zudem die im Verlauf der vorliegenden Arbeit geäußerte Vermutung untermauern, dass zahlreiche Formen aus den Deux Dialogues auf die gesprochene Sprache beschränkt blieben und deshalb in den heute verfügbaren Quellen aus dem 16. Jahrhundert nicht belegt sind. 320 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues Nun aber erklären Cowlings (2007) Überlegungen, die im Wesentlichen mit den in Kapitel 2.3.4 diskutierten traditionellen Annahmen zu Aufkommen und Verbreitung der Italianismen im Französischen der Renaissance (z. B. Wind 1928) übereinstimmen, die Existenz der zahlreichen Italianismen nur zum Teil. Schließlich sei es laut Estienne insbesondere das françois italianizé der italienischen Höflinge gewesen, das aufgrund deren mangelnder Französisch-Kompetenz zahlreiche - v. a. lexikalische - Interferenzen aufgewiesen habe und den französischen courtisans als Modell gedient habe. In der Tat weist Cowling (2007: 168) unter Berufung auf eine der auch in der vorliegenden Arbeit berücksichtigten Textstellen aus den Deux Dialogues (vgl. Kapitel 4.2.2) auf diesen Umstand hin, geht aber, was angesichts des äußerst begrenzten Umfangs seines Beitrags auch nachvollziehbar ist, nicht näher darauf ein. Da aber gerade die Rolle der italienischen Immigranten bei der Verbreitung italienischer Lehnwörter, obschon sie von Estienne als bedeutend eingestuft wird, in der Forschung seit Wind (1928) als marginal gilt und sich die zahlreichen nicht belegten Formen in den Deux Dialogues anhand von Cowlings (2007) Überlegungen auch ohne den Einfluss der Italiener erklären ließen, ist eine Untersuchung des françois italianizé der italienischen Höflinge unabdingbar, um die Authentizität der Aussagen Estiennes letztlich beurteilen zu können. Zunächst muss überprüft werden, ob sich in deren Französisch überhaupt Italianismen nachweisen lassen. In einem zweiten Schritt kann dann die Qualität der Entlehnungen bestimmt werden: Nimmt man Estienne ([1578] 1980: 439) ernst, handelt es sich bei den Italianismen im françois italianizé der Italiener aus deren Perspektive in allen Fällen um Bedürfnisentlehnungen, da sie italienische Lexeme „par necessité, non pas pour plaisir“ im Französischen verwendeten. Sie machten also keinen Unterschied zwischen fr. balcon < it balcone (keine Bezeichnung im Französischen) und fr. manquer < it. mancare (neben fr. faire défaut ). Die französischen Höflinge, die dieses italianisierende Französisch imitierten, mussten aber erkennen, ob in ihrem muttersprachlichen Lexikon bereits entsprechende Bezeichnungen vorhanden waren oder nicht. Wenn also, wie Estienne wahrscheinlich macht, zumindest einige der Luxuslehnwörter im Französischen der französischen Höflinge auf Interferenzen in der Sprache ihrer italienischen Kollegen zurückzuführen sind - und nicht, wie sich angesichts der Annahmen Cowlings (2007) ebenfalls vermuten ließe, von ihnen selbst gebildet wurden -, müssten im françois italianizé der Italiener aus französischer Sicht neben Bedürfnisentlehnungen (z.B. fr. balcon < it. balcone ) also auch Luxusentlehnungen (z.B. fr. manquer < it. mancare neben fr. faire défaut ) zu finden sein. 5.7 Zusammenfassung 321 5.7 Zusammenfassung Kapitel 5 war der im Laufe der letzten 100 Jahre vorgebrachten Kritik an Henri Estiennes Deux Dialogues du nouveau langage François, italianizé, et autrement desguizé, principalement entre les courtisans de ce temps […] (1578) gewidmet. Es wurde gezeigt, dass die Beobachtungen des Puristen, obschon sie - von wenigen Ausnahmen wie einigen italianisierenden Lautungen einmal abgesehen - durchaus mit den Erkenntnissen der modernen Forschung zu vereinbaren sind, bis heute mehrheitlich in Frage gestellt werden. Es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass in den Arbeiten zu den Deux Dialogues immer wieder zwei Argumente vorgebracht werden, um die Zweifel an der Glaubwürdigkeit seiner Aussagen zu rechtfertigen: Zum einen könne er aufgrund seiner Abwesenheit vom französischen Hof kein getreues Abbild des Sprachverhaltens der Höflinge sowie des dort gesprochenen Französisch liefern, zum anderen spreche die hohe Anzahl an kritisierten Italianismen, die sich angeblich nicht außerhalb seiner Werke nachweisen ließen und daher als Hapax-Belege gelten müssten, dafür, dass er in der Tat die Mehrheit seines objektsprachlichen Materials zum Zwecke der Satire selbst erfunden hat. Was den ersten Kritikpunkt betrifft, wurde dafür argumentiert, dass Estienne durch reisende Höflinge einerseits und durch den Briefwechsel mit Freunden aus der Entourage von Henri III andererseits durchaus über den sprachlichen Alltag am Hofe sowie über das dort verbreitete françois italianizé informiert gewesen sein hätte können. Darüber hinaus hätte er während seiner Italienaufenthalte auch mit dem italianisierenden Französisch französischer Botschafter in direkten Kontakt kommen können. In Lyon und Genf war vermutlich ein von Italienern produziertes françois italianizé zu hören. Schließlich war während des gesamten 16. Jahrhunderts der Anteil der Italiener an der Gesamtbevölkerung in beiden Städten so hoch und die kommunikative Reichweite des Italienischen so groß, dass die Immigranten das Französische wahrscheinlich nur langsam erlernten. Dass diese Lernervarietät in der Folge Interferenzen mit der vitaleren Muttersprache aufwies, ist durchaus nicht undenkbar. Der durch die Abwesenheit vom Hof bedingte Mangel an direkter Erfahrung hätte von Estienne also in vielerlei Hinsicht kompensiert werden können. Im Hinblick auf die von Estienne diskutierten Phänomene sprachlicher Beeinflussung wurde festgehalten, dass die neuere Forschung (Trescases 1978b, Balsamo 1992, Hornsby 1998, Swiggers 2003, Cowling 2007, Colombo Timelli 2008) im Gegensatz zu älteren Arbeiten (Clément [1898] 1967, Brunot HLF II 1906, Tracconaglia 1907, Wind 1928) mehrheitlich davon ausgeht, dass der Purist in vielen Fällen übertreibe und seine Aussagen daher nicht ernst genommen 322 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues werden könnten. Insbesondere der Umstand, dass sich mehr als 50 % der in den Deux Dialogues besprochenen lexikalischen Italianismen nicht außerhalb seiner Werke nachweisen ließen, zeige, dass der Großteil des kritisierten objektsprachlichen Materials als Phantasie-Kreation des Puristen zu betrachten sei. Da sich in diesem Zusammenhang - abgesehen von Sampson (2004) - alle neueren Beiträge nicht auf eine eigene Untersuchung der Deux Dialogues , sondern auf die von Trescases (1978b) ermittelten Ergebnisse beziehen, wurde diese Studie kritisch überprüft. Anhand einer eigenen umfassenden lexikologischen Analyse der Deux Dialogues konnte - u. a. durch die Berücksichtigung moderner Referenzwerke ( TLF i, TLF -Étym, OIM ) - gezeigt werden, dass die Arbeit von Trescases (1978b) aufgrund erheblicher Schwächen keinesfalls für die Beurteilung der deskriptiven Leistung Estiennes (mehr) herangezogen werden kann. Zunächst wurde festgestellt, dass nicht 206, sondern mindestens 231 Lexeme und Wendungen von Estienne als Italianismen im Französischen ausgewiesen werden. Während 88 in Trescases (1978b) unberücksichtigt gebliebene Italianismen zu addieren waren, mussten 63 Lexeme und Wendungen aus seiner Liste getilgt werden (206-63+88 = 231). In diesen Fällen handelt es sich zumeist um Latinismen, die der Purist auch als solche erkennt (z. B. office ‘service’), um völlig neutral verwendete französische Erbwörter (z. B. esventail ), für die Estienne keine italienische Herkunft annimmt, oder um Varianten etablierter Italianismen (z. B. escorce neben escorte ), die in den Deux Dialogues explizit als solche ausgewiesen werden, aber von Trescases (1978b) trotz der angeblichen Beschränkung auf types als eigene Lehnwörter gezählt werden. Zudem waren Lexeme, die Estienne selbst als Hapax ausweist (z. B. sgomenté ) - eine Tatsache, die die Forschung bis heute mehr oder weniger ignoriert -, aus der Liste zu streichen. Neben der von Trescases (1978b) ermittelten Gesamtzahl an kritisierten Lexemen und Wendungen musste auch die Zahl der von Estienne ‘richtig’ als Italianismen erkannten und tatsächlich verbreiteten Lehnwörter korrigiert werden. Die Analyse hat gezeigt, dass Estienne - vorausgesetzt, man berücksichtigt auch Lehngut aus dem 14. und 15. Jahrhundert - nicht nur in 71 (von 206), sondern in 170 (von 231) Fällen richtigliegt: Mindestens 170 der 231 in den Deux Dialogues als Lehnwörter oder -wendungen angeprangerten Einheiten sind italienischen Ursprungs und in weiteren Texten des 16. Jahrhunderts belegt. Die unterschiedlichen Zahlen erklären sich hauptsächlich dadurch, dass anders als in Trescases (1978b) auch sog. ‘mittelalterliche’ Italianismen als ‘richtig’ erkannt gelten können (insgesamt: 32 von 170), schon allein 68 der 88 hinzugefügten Lexeme belegte Italianismen sind und auch weniger gut integrierte, aber zumeist belegte Varianten von rinascimentalen Italianismen berücksichtigt werden, wenn sie in ihrer besser integrierten Form noch nicht in die Liste aufgenommen wurden 5.7 Zusammenfassung 323 (z. B. staphier , da kein estaffier vs. escorce neben escorte ). Schließlich konnten auch für bisher meist als Hapax betrachtete Italianismen (z. B. inganner , soprefin , spolin ) Belege außerhalb der Deux Dialogues ausfindig gemacht werden. Infolge dieser Korrekturen verringert sich nicht zuletzt auch die Zahl der vermeintlichen Hapax-Belege in den Deux Dialogues . Statt der laut Trescases (1978b) angeblich 127 (von 206) Phantasie-Kreationen können lediglich 61 (von 231) Fälle gezählt werden, in denen Estienne offenbar falschliegt. Da in keiner der mir bekannten Arbeiten eine umfassende Analyse dieser ‘Fehler’ Estiennes vorgelegt wurde, wurden diese genauer betrachtet. Es konnte gezeigt werden, dass es sich entgegen dem, was Trescases (1978b) implizit für die 127 von ihm ermittelten Lexeme zu verstehen gibt, in weniger als der Hälfte der Fälle (26 von 61) tatsächlich um Hapax-Belege potentieller Italianismen (z.B. fr. bugie < it. bugia ) handelt. 30 der 61 Lexeme und Wendungen sind entweder (1) Lehnwörter aus anderen romanischen Sprachen sowie dem Lateinischen (z.B. fr. morion < sp. morione , seit 1542 laut TLF i) oder (2) lexikalische (z. B. patrouille , Erstbeleg laut TLF i 1559) bzw. (3) semantische (z.B. fr. fatigue ‘être fatigué’ > ‘ce qui est cause de fatigue, travail pénible’, laut TLF i seit 1555) Innovationen des Französischen, die Estienne als mehr oder weniger rezente Neuerungen im Wortschatz zu erklären versucht. Sie alle sind verbreitet und keine Hapax-Belege. Obschon Estiennes Etymologien nach dem heutigen Stand der Forschung als falsch gelten müssen, ist seine Annahme, es handele sich dabei um italienisches Lehngut, aus seiner Perspektive durchaus nachvollziehbar: Zum einen ist in der Mehrheit der Fälle tatsächlich von Innovationen des 16. Jahrhunderts auszugehen, zum anderen lassen sich beinahe alle 30 Einheiten Denotatsbereichen zuordnen, die insbesondere im 16. Jahrhundert offen für Italianismen sind (z. B. Heereswesen, Schifffahrt, höfisches Leben). Des Weiteren existieren im zeitgenössischen Italienisch auch die potentiellen Etyma. Bedenkt man zudem, dass die etymologische Forschung in manchen Fällen (etwa bei fr. camisole , galanterie ) bis heute italienischen Einfluss nicht gänzlich ausschließt und auch andere Sprachbeobachter des 16. Jahrhunderts die Meinung des Puristen teilen (z. B. Nicot im Hinblick auf den italienischen Ursprung von fr. morion ), sprechen Estiennes ‘falsche’ Etymologien nicht zwangsläufig gegen den Wert seines Zeugnisses. Vielmehr muss er als genauer Beobachter der Sprache seiner Zeit betrachtet werden, dessen Etymologien für die damaligen Verhältnisse durchaus plausibel waren. In einigen wenigen Fällen (5) werden auch Erbwörter (z.B. fr. baller *[<] it. ballare ), die weder in lexikalischer noch in semantischer Hinsicht als Innovationen des 16. Jahrhunderts gelten können, fälschlicherweise als Italianismen ausgewiesen. Es wurde vorgeschlagen, in solchen Fällen von einem kontaktin- 324 5 Zur Kritik an den Deux Dialogues duzierten Sonderfall volksetymologischer Umdeutung auszugehen, der in der vorliegenden Arbeit als attraction cognatique bezeichnet wurde. Was die 26 - von Estienne nicht explizit als solche ausgewiesenen - Hapax- Belege betrifft, wurde festgehalten, dass es sich dabei nicht um Allogenismen, wie z.B. dt. alles paletti , handelt, sondern um potentielle Italianismen, für die im rinascimentalen Italienisch auch die entsprechenden Etyma vorhanden gewesen wären (z.B. fr. strane < it. strano ), so dass sie zumindest im gesprochenen françois italianizé der Höflinge auch tatsächlich existiert haben könnten. Andererseits wurde anhand der entsprechenden Textstellen gezeigt, dass Estienne entgegen der häufig vorgebrachten Kritik (z. B. Rickard 1968) in den meisten Fällen den exotischen Charakter der betroffenen Italianismen auch eingesteht und sie nicht wie etablierte Lehnwörter (z.B. fr. réussir < it. riuscire ) behandelt. Eine genauere Betrachtung der Ausdrucksseite der Hapax-Belege legt zudem nahe, dass der Purist seine Exotismen, die gewiss satirischen Zwecken dienen, nicht willkürlich gewählt hat: So weisen zahlreiche Formen s impurum (z.B. fr. strane < it. strano ) oder die Sequenz <in-/ im-> (z.B. fr. indugier < it. indugiare ) auf, die im Gegensatz zu erbwörtlichem <esC-> und <en-/ em-> als Schibboleths für die graphische (und phonische) Ausdrucksseite von Italianismen betrachtet werden können. Die Hapax-Belege sind somit als exemplarisch zu verstehen. Von den neueren Arbeiten zu den Deux Dialogues wurden Sampson (2004) und Cowling (2007) genauer besprochen. Letzterer versucht Estienne gewissermaßen zu rehabilitieren, indem er die Existenz der zahlreichen Hapax-Belege nicht auf die polemischen Absichten des Puristen zurückführt, sondern dadurch zu erklären versucht, dass es am Hofe zu einer Art elitärem code-switching seitens der französischen Höflinge gekommen sei. Eine Vielzahl von Italianismen sei auf die Mündlichkeit beschränkt geblieben und daher nicht belegt. Problematisch ist, dass Cowling (2007) nicht genauer auf die Rolle der italienischen Höflinge eingeht, die laut Estienne ebenfalls maßgeblich am Aufkommen von Italianismen beteiligt gewesen sein sollen, so dass eine umfassende Bewertung der in den Deux Dialogues gemachten Aussagen ausbleiben muss. Sampson (2004) hingegen will angesichts der vielen Formen mit s impururm wahrscheinlich machen, dass Estienne gerade kein getreues Abbild des (am Hofe) gesprochenen Französisch liefert: Der Großteil der tatsächlich belegten Italianismen im Französischen der Renaissance weise einen prothetischen Vokal auf, da sie entweder über okzitanische oder norditalienische Varietäten vermittelt wurden, in denen die Prothese produktiv war. Dagegen wurde eingewendet, dass Sampson die besondere Situation in der Petite Italie nicht hinreichend berücksichtigt. Anders als in gewissen Teilen Frankreichs wurden italienische Lehnwörter am Hofe insbesondere durch die italienischen Immigranten und nicht durch Sprecher des Okzitanischen vermittelt. Da die Mehrheit der italie- 5.7 Zusammenfassung 325 nischen Höflinge aus Zentralitalien stammte - laut Sampson (2010) waren prothetische Vokale dort ab dem 16. Jahrhundert im Rückgang begriffen - und sich aufgrund eines ausgeprägten Varietätenbewusstseins bereits am kodifizierten italiano letterario orientierte, in dem die Prothese seit Bembo (1525) auf wenige Kontexte beschränkt war (z. B. per iscritto ), ist die Annahme, dass sowohl in ihrem Italienisch als auch in ihrem françois italianizé Formen mit [sC-] häufig waren, durchaus gerechtfertigt. Wie bei der kritischen Auseinandersetzung mit der Studie Cowlings (2007) wurde auch im Hinblick auf Sampson (2004) betont, dass die Analyse französischer und italienischer Produktionsdaten italienischer Immigranten unerlässlich ist, um den Wert Estiennes deskriptiver Leistung tatsächlich beurteilen zu können. Abschließend kann festgestellt werden, dass das Zeugnis Estiennes mit Gewissheit als glaubwürdiger betrachtet werden muss, als dies in der Forschung heute mehrheitlich der Fall ist. Die Ergebnisse der lexikologischen Analyse der Deux Dialogues haben bereits gezeigt, dass Estienne vielmehr als ernstzunehmender Etymologe denn als Satiriker betrachtet werden muss. In den folgenden Kapiteln werden ausgehend von seinen Beobachtungen zwei weitere Aspekte der Mehrsprachigkeit im Frankreich der Frühen Neuzeit beleuchtet, was die Analyse zusätzlicher Daten erforderlich macht. 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne 6.1 Vorbemerkungen In Kapitel 2.4 wurde festgehalten, dass bis heute keine (sozio)linguistischen Studien zum Italienischen in der France italienne und der Petite Italie vorgelegt worden sind. Das Hauptaugenmerk der französischen Forschung galt bislang v. a. der Verwendung des Italienischen in der Literatur durch die sog. Français italianisants (z. B. Picot [1906-1907] 1968) sowie dem Wirken italienischer Literaten am französischen Hof (z. B. Balsamo 2015). Auch die italienische Forschung, die in den letzten Jahrzehnten ein beachtliches Interesse am italiano fuori d’Italia entwickelt hat, sich aber insbesondere dessen Bedeutung als Verkehrs- und Kultursprache widmet, hat sich bisher nicht näher mit der Rolle des Italienischen als Migrantensprache im rinascimentalen Frankreich befasst. Wie an mehreren Stellen der vorliegenden Arbeit deutlich wurde, ist eine Beschreibung der Vitalität des Italienischen in der France italienne aber in mehrfacher Hinsicht von Interesse. Dass neue Erkenntnisse zur Verbreitung des Italienischen außerhalb Italiens zum einen natürlich für die italianistische Forschung ( italiano fuori d’Italia ) von Bedeutung sind, versteht sich von selbst. Zum anderen ist eine solche Beschreibung aber auch für die französische Sprachgeschichtsschreibung relevant, könnte sie doch erste Antworten auf die Frage geben, welche Bedeutung die Mehrsprachigkeit der Italiener im frühneuzeitlichen Frankreich für die sprachliche Beeinflussung des Französischen tatsächlich hatte, und so unter Umständen die Aussagen von Henri Estienne bestätigen. Im Folgenden soll daher der Versuch unternommen werden, die Vitalität des Italienischen im rinascimentalen Frankreich zu ermitteln: Kapitel 6.2 widmet sich der funktionalen Vitalität des Italienischen, d. h. seinem Prestige und seiner kommunikativen Reichweite. In Kapitel 6.3 hingegen werden ausgewählte Briefe italienischer Immigranten analysiert, um die Vitalität des Italienischen auch durch sprachliche Daten zu bestätigen. Es soll exemplarisch gezeigt werden, dass in der Muttersprache gewisser Einwanderer auch Jahrzehnte nach der Immigration keine Interferenzen mit dem Französischen nachweisbar sind. Kapitel 6.2 gliedert sich in zwei Teile. Zunächst werden soziohistorische Arbeiten, deren Ergebnisse für die soziolinguistische Beschreibung der France italienne verwendet werden, sowie zahlreiche zeitgenössische Quellen aus dem 16. Jahrhundert, die ergänzend als Datengrundlage dienen, vorgestellt. Der 328 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne zweite Teil, die Präsentation der Ergebnisse, ist in vier Teilkapitel untergliedert. Während Kapitel 6.2.2.1 dem Prestige des Italienischen als internationale Kultur- und Verkehrssprache aus französischer Perspektive gewidmet ist, befasst sich Kapitel 6.2.2.2 mit der Vitalität des Italienischen innerhalb der italienischen Einwandererkolonien in Frankreich, die anhand der Kriterien des in Kapitel 3.2.2 besprochenen Modells von Conklin / Lourie (1983) ermittelt wird. Die Reichweite des Italienischen, insbesondere im distanzsprachlichen Bereich, wird gesondert in Kapitel 6.2.2.3 behandelt. Wie in Kapitel 3.3.7 gezeigt, verhindert die Verwendung einer Migrantensprache als Distanzsprache Attrition und ist mithin ein Garant für den Spracherhalt. In Kapitel 6.2.2.4 soll anhand metasprachlicher Zeugnisse ein Ausblick auf die durch die Vitälität des Italienischen bedingte Französischkompetenz der italienischen Einwanderer gegeben werden. 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 6.2.1 Korpus und Methode Für die soziolinguistische Beschreibung der France italienne und der Petite Italie wurden zunächst die Ergebnisse ausgewählter geschichts- und kulturwissenschaftlicher Studien fruchtbar gemacht. Neben den bekannten Werken Picots ([1906-1907] 1968, [1918] 1995) waren insbesondere die bisher in der Sprachgeschichtsschreibung noch nicht hinreichend berücksichtigten Arbeiten von Boucher (1994, [1981] 2007) und Dubost (1997) von Bedeutung. Während letzterer anhand von sog. lettres de naturalité ‘Einbürgerungspapieren’ u. a. zeigen kann, dass die Italiener zahlenmäßig die größte Einwanderergruppe im 16. Jahrhundert darstellten, und dabei deren genaue Herkunft und sozialen Status rekonstruiert, beschäftigt sich Boucher (1994) mit der colonie italienne in Lyon bzw. ([1981] 2007) mit der Präsenz der Italiener am Hof von Henri III . Wie Dubost (1997) liefert auch Boucher ([1981] 2007) konkrete Zahlen (z. B. zum Anteil und Einfluss der Italiener in bestimmten Berufsgruppen). Neben Dokumenten aus der Verwaltungsschriftlichkeit (Rechnungsbücher, Urkunden, Verträge usw.) wurden u. a. auch die private und administrative Korrespondenz ausgewählter Zeitgenossen sowie Memoiren und Reiseberichte aus dem 16. Jahrhundert untersucht. Abgesehen von den auf diese Weise ermittelten (demographischen) Daten finden sich in beiden Werken zudem auch vereinzelt Hinweise auf das Sprachverhalten und die Sprachkompetenz der Immigranten sowie auf die Reichweite des Italienischen. 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 329 Um diese Daten zu arrondieren, wurden für die vorliegende Arbeit zahlreiche weitere zeitgenössische Quellen gesichtet und ggf. analysiert. Gesucht wurde insbesondere nach Texten, die gerade keine Sprachtraktate, wie etwa die Deux Dialogues (1578), sind. Auch Sprachlehrbücher oder Grammatiken wurden nicht berücksichtigt. Vielmehr sollten private Texte ausgewählter Zeitgenossen, v. a. Angehöriger des Hofes, sowie Dokumente aus der Verwaltungsschriftlichkeit aufgespürt werden, die sich nicht in erster Linie mit sprachlichen Fragen beschäftigen. Explizite Aussagen zum Nebeneinander des Französischen und des Italienischen sowie zum Sprachverhalten der Immigranten sollten sich idealerweise nur zufällig in den Quellen finden. Übertreibungen, wie sie in polemischen Texten zu erwarten sind, dürften so seltener anzutreffen sein. In manchen Fällen lassen sich gewisse Informationen auch nur indirekt erschließen: So kann bisweilen etwa schon allein die Sprachwahl in gewissen Schriftstücken Auskunft darüber geben, wer mit wem in welcher Sprache kommunizierte. Von Interesse sind natürlich auch Hinweise auf Spracheinstellungen. Denkbar wäre, dass das Italienische in der France italienne eine wichtige identitätsstiftende Funktion hatte. Schließlich sind aber auch Karikaturen des Französischen der Immigranten, die - gesondert betrachtet - den Beobachtungen Estiennes (1578) zum françois italianizé gegenübergestellt werden können, wertvoll. Die als Datengrundlage herangezogenen Quellen stammen mehrheitlich aus dem 16. Jahrhundert. In einigen Fällen wurden auch Quellen aus dem 17. Jahrhundert berücksichtigt, insbesondere dann, wenn diese besonders aussagekräftig sind und vergleichbare Informationen für das 16. Jahrhundert nicht aufgespürt werden konnten. Da der italienische Einfluss mit Marie de Médicis und Mazarin auch im 17. Jahrhundert bedeutend war, dürfen in mancher Hinsicht Parallelen angenommen werden. Die Dokumente lassen sich grob in fünf Gruppen einteilen (vgl. Quellen- und Literaturverzeichnis 1.3 Vorwiegend nichtmetasprachliche Texte ): (1) Private und administrative Korrespondenz (2) Memoiren (3) Reiseberichte (4) Verwaltungsschriftlichkeit (5) Verschiedenes (1) Briefe aus dem 16. Jahrhundert, die einer privaten oder administrativen Korrespondenz entstammen, können in mehrfacher Hinsicht als wertvolle Quellen betrachtet werden. Zunächst lässt bereits die Wahl der Sprache Rückschlüsse auf die Reichweite derselben zu. Wenn etwa, wie weiter unten zu sehen sein wird, verschiedene italienische Immigranten in einer mehr oder weniger offiziellen Korrespondenz auch dann das Italienische verwenden, wenn der Adressat Franzose ist, legt dies nahe, dass das Italienische im distanzsprachlichen Bereich verwendet werden konnte. Daneben können sowohl in privaten als auch in offiziellen Briefen (von Franzosen und italienischen Immigranten) metasprachliche Aussagen anzutreffen sein. In manchen Fällen kann der Gebrauch des Italienischen sogar zum Gegenstand des Briefs werden. Auf die Handschriften aus dem 16. Jahrhundert, die ohnehin für die sprachliche Analyse des Italienischen (Kapitel 6.3) und Französischen (Kapitel 7) der Einwanderer herangezogen werden, beschränkt sich das für die soziolinguistische Untersuchung erstellte Briefkorpus jedoch nicht. Es sind zahlreiche Editionen vorhanden, die zwar aufgrund der Editionspraxis (z. B. Normalisierung der Graphie) nicht immer den Ansprüchen einer linguistischen Analyse genügen, aber wertvolle Quellen für die soziolinguistische Beschreibung darstellen. Von Interesse sind schließlich in erster Linie die Inhalte, d. h. die zeitgenössischen metasprachlichen Aussagen zu Sprachverwendung, -einstellung und -kompetenz, oder allein die Wahl der Sprache. Im vorliegenden Kapitel wird u. a. auf die Edition der Briefe von Catherine de Médicis (Baguenault de Puchesse / de La Ferrière 1880-1943, 11 Bände), Henri IV (Berger de Xivrey, 9 Bände) und Mazarin (Chéruel 1879, 9 Bände) zurückgegriffen. Als wertvolle Quellen erwiesen sich auch die Sammlungen von Charrière (1848-1860, 4 Bände), Desjardins (1859-1886, 6 Bände) und Tommaseo (1838, 2 Bände). Während in ersterem Briefe und Dokumente von französischen Botschaftern in der Levante gesammelt sind, finden sich in letzteren Briefe und Berichte italienischer Botschafter, die am französischen Hof tätig waren. Desjardins widmet sich Gesandten aus der Toskana (15.-17. Jahrhundert), Tommaseo hingegen venezianischen Botschaftern im 16. Jahrhundert. Aus den Briefen geht klar hervor, dass das Italienische eine große kommunikative Reichweite hatte: Bisweilen wurde selbst mit dem französischen König in italienischer Sprache verhandelt. Schließlich zeigen die Briefe auch, dass unter den italienischen Immigranten bereits ein ausgeprägtes Varietätenbewusstsein vorhanden war. (2) Zeitgenössische Memoiren können manchmal ebenfalls aufschlussreich sein. Insbesondere solche, die von Angehörigen des französischen Hofs verfasst wurden, geben Hinweise auf das Sprachverhalten oder die Sprachkompetenz gewisser Immigranten. Auch Informationen zur Reichweite des Italienischen sind vereinzelt anzutreffen. Des Weiteren sind auch die Memoiren hochrangiger Offiziere von Interesse. Viele dienten zusammen mit Italienern und machten Aussagen zum Nebeneinander des Italienischen und Französischen im Heer. In einigen Fällen konnten sogar Imitationen des françois italianizé bestimmter Immigranten aufgespürt werden, aus denen zusätzliche, von Estienne (1578) nicht beschriebene Merkmale erschlossen werden können - die sich in den Briefen 330 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 331 der Immigranten z.T. auch nachweisen lassen (vgl. Kapitel 7). Als Datengrundlage diente insbesondere die umfangreiche Sammlung von Petitot / Monmerqué (1819-1829): Série 1 umfasst 52 Bände ( depuis le règne de Philippe-Auguste jusqu’au commencement du XVII e siècle ), Série 2 hingegen 79 Bände ( depuis l’avènement de Henri IV jusqu’à la paix de Paris conclue en 1763 ). Insgesamt wurden 70 Memoiren aus dem 16. und 17. Jahrhundert gesichtet. Außerdem konnten 15 weitere Memoiren (z. B. von Goulas, Souvigny) ausfindig gemacht werden, die Hinweise auf das Italienische der France italienne liefern. Schließlich wurden auch die Memoiren des bekannten Hofchronisten Brantôme (Lalanne 1864-1882, 11 Bände) berücksichtigt. (3) Dass anhand von Reiseberichten die Verbreitung und das Prestige einer Sprache als Kultur- und Verkehrssprache rekonstruiert werden können, haben u. a. die Arbeiten von Banfi (1985) und Aslanov (2006) gezeigt (vgl. Kapitel 2.2.2). Für die vorliegende Arbeit wurden 40 Reiseberichte aus dem 16. und 17. Jahrhundert gesichtet. Von besonderem Interesse waren solche, die Auskunft über die Verbreitung des Italienischen in der Levante liefern. Die Ergebnisse der italienischen Forschung zur Verbreitung des italiano fuori d’Italia können so aus französischer Perspektive bestätigt werden. Gleichzeitig belegen sie auch, dass sich die Franzosen des 16. und 17. Jahrhunderts des Prestiges des Italienischen bewusst waren, was sich auch auf deren Umgang mit den italienischen Immigranten ausgewirkt haben könnte. Aufgrund des Prestiges des Italienischen könnte mit den Einwanderern in ihrer Muttersprache gesprochen worden sein, was nicht für alle Migrationskontexte selbstverständlich sein dürfte. Ebenfalls berücksichtigt wurden Reiseberichte von Italienern, die sich im 16., z. B. Cellini (Bacci 1901), oder im 17. Jahrhundert, z. B. Locatelli (Vautier 1905), in Frankreich - zumeist in Lyon und am französischen Hof - aufhielten. Auch sie können wertvolle Informationen über die Reichweite des Italienischen geben. So beklagt sich z. B. Locatelli noch im 17. Jahrhundert, dass er aufgrund der Begeisterung der Franzosen für das Italienische kaum die Möglichkeit hatte, das Französische zu erlernen. (4) Auch Dokumenten, die der Verwaltungsschriftlichkeit entstammen, können Informationen über das Italienische im rinascimentalen Frankreich entnommen werden. In Niederschriften kann z. B. festgehalten worden sein, welche Sprachen bei Verhandlungen zum Einsatz kamen bzw. toleriert wurden und welche nicht. Als interessant erweisen sich etwa die Protokolle der États généraux von 1593 (Bernard 1842), aus denen hervorgeht, dass neben dem Französischen und Lateinischen auch das Italienische verstanden wurde, wohingegen das Spanische abgelehnt wurde. In der umfangreichen, von Bonnardot / Guérin / Le Grand (1883-1921) editierten Sammlung Registres des délibérations du bureau de la ville de Paris - Bände 1-16 [1499-1616] - finden sich verschiedenste Dokumente. Von Interesse sind etwa die Berichte über den Empfang gewisser 332 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Botschafter, aus denen hervorgeht, dass das Italienische als internationale Verhandlungssprache unersetzlich war. (5) Neben einzelnen Werken ausgewählter Zeitgenossen war schließlich die Sammlung von Cimber u. a. (1834-1837) von Bedeutung. Wie dem Titel zu entnehmen ist, versteht sich die Sammlung als Ergänzung zu z. B. Petitot / Monmerqué. Sie enthält v. a. Zeitungsartikel, Pamphlete, Auszüge aus der Gebrauchsliteratur und Verwaltungsschriftlichkeit und stellt somit in der Tat eine wichtige Ergänzung zu Sammlungen wie Petitot / Monmerqué dar, die sich in erster Linie für mehr oder weniger literarisch wertvolle Memoiren eminenter Persönlichkeiten interessieren. Cimber, Louis u. a. (Hrsg.) (1834-1837): Archives Curieuses de l’Histoire de France, depuis Louis XI jusqu’à Louis XVIII ou collection de pièces rares et intéressantes, telles que chroniques, mémoires, pamphlets, lettres, vies, procès, testaments, exécutions, sièges, batailles, massacres, entrevues, fêtes, cérémonies funèbres, etc., etc., etc., publiées d’après les textes conservés à la Bibliothèque Royale, et accompagnées de notices et éclaircissements. Ouvrage destiné à servir de complément aux collections Guizot, Buchon, Petitot et Leber . Série 1, 15 Bände. Paris: Beauvais. In den Dokumenten finden sich nicht selten Hinweise auf die konkrete Reichweite des Italienischen und das Sprachverhalten der Immigranten. Die Texte sind bisweilen sehr kurios: So begegnet neben dem Bericht einer Hebamme von Marie de Médicis z. B. die Beschreibung des familiären Alltags in einer bekannten Einwandererfamilie aus dem 16. Jahrhundert (Pietro Strozzi). Es sind also auch Hinweise auf die Rolle des Italienischen als Nähesprache anzutreffen. Wie glaubwürdig sind nun diese Quellen? Was die Dokumente der Verwaltungsschriftlichkeit (4) anbelangt, kann davon ausgegangen werden, dass die Aussagen zur Verwendung des Italienischen, die in den Texten meist nur eine untergeordnete Rolle spielen, nicht satirischen Zwecken dienen. Sie können als verlässliche Quellen betrachtet werden. Gleiches gilt für die Sprachenwahl in bestimmten Briefen (1): Insbesondere dann, wenn diese nicht einmal kommentiert wird, kann angenommen werden, dass sie völlig neutral erfolgt. In jedem Fall ist die Verwendung der einen oder der anderen Sprache eine Tatsache. Die Reichweite des Italienischen wird hier nur indirekt erschlossen. Anders verhält es sich mit expliziten Aussagen zur Verbreitung des Italienischen, dem Sprachverhalten der Einwanderer sowie zu deren Französischkompetenz v. a. in (2), (3), (5). Sie alle werden von Individuen gemacht, deren Intentionen nicht bekannt sind. Im Hinblick auf die Imitationen des françois italianizé wurde bereits festgestellt, dass sie ohnehin gesondert betrachtet werden. Zudem wird ihr Wahrheitsgehalt anhand authentischer Produktionsdaten aus dem 16. Jahrhundert in Kapitel 7 überprüft. In den anderen Fällen ist eine Über- 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 333 prüfung natürlich schwieriger. Allerdings sprechen gute Gründe dafür, diese Quellen durchaus ernst zu nehmen. Wie bereits Gruber (2010: 354-355) in ihrem Beitrag zur Imitation des Italienischen spanischer Soldaten im Regno di Napol i in zeitgenössischen Komödien richtig anmerkt, sind die Daten zum Sprachbewusstsein aus historischen Quellen nicht weniger verlässlich als solche, die in der modernen soziolinguistischen Forschung durch Sprecherbefragungen gewonnen werden. Auch heute können die Informanten bewusst Informationen zurückhalten oder falsche Angaben im Hinblick auf Merkmale bestimmter Varietäten machen. Gleiches gilt m. E. auch für Aussagen über Prestige und Funktionsbereiche bestimmter Varietäten oder Sprachen. Auch sprachbiographische Interviews, die der Gewinnung solcher Informationen dienen, sind keine glaubwürdigere Quelle. Außerdem zeigen die z. B. von Banfi (1985), Aslanov (2006) und Tommasino (2010) untersuchten Reiseberichte, deren Wert als Quelle von den Autoren im Übrigen auch nicht angezweifelt wird, dass sich die Aussagen von französischen und italienischen Reisenden größtenteils decken. Die Annahme, zahlreiche Autoren hätten voneinander abgeschrieben, würde zu kurz greifen. Zwar ist aus vielen Berichten - Gleiches gilt für die Memoiren 1 (2) - ersichtlich, dass die Autoren im Allgemeinen mit den Werken ihrer - auch internationalen - Kollegen vertraut waren, allerdings sprechen gerade bestimmte Hinweise und Anmerkungen dafür, dass eben nicht nur kopiert wurde. Im Gegenteil: An manchen Stellen werden gewisse Feststellungen sogar korrigiert oder Informationen ergänzt. Es kann also davon ausgegangen werden, dass sich in der Reise- und Memoirenliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts bereits eine Art peer review etabliert hatte. Sentiments du Sieur de la Boullaye-le-Gouze sur les diverses Relations qu’il a leues des pays estrangers Le sieur de Villamond [1595, T. S.] a fort bien escrit l’Italie, mais a manqué […] au Chap. 17. de son deuxiesme Livre, où il dit, que les Iahobites occupent iusques à 40. Royaumes: & au Chap. 18. du mesme Liure il dit pour faire voir […]. Et dedans le recit de ses Voyages il me semble fort veritable, quoy qu’il passe pour menteur à tout le monde. (La Boullaye-le-Gouze 1653: Préface ) In einigen Fällen bestätigen auch die Ergebnisse aus anderen, neutraleren Quellen, dass die Beobachtungen der Zeitgenossen richtig gewesen sein müssen: So geht z. B. aus vielen Berichten hervor, dass das Italienische in Polen weit verbreitet war. In den Registres der Pariser Kanzleien wird erwähnt, dass mit polnischen 1 So hat z. B. Brantôme die Memoiren von Martin Du Bellay, Monluc und Bayard, die alle in Petitot / Monmerqué Série 1 (1819-1829) zu finden sind, rezipiert (vgl. Brantôme Bd. 1, 1864: 79, 269). 334 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Botschaftern auch auf Italienisch verhandelt werden musste. Wie Minervini (2006) schließlich gezeigt hat, lässt sich im 16. Jahrhundert auch in der Korrespondenz zwischen Polen und dem Osmanischen Reich die Verwendung des Italienischen anhand authentischer Dokumente nachweisen (vgl. Kapitel 2.2.2). Viele der soeben vorgestellten Dokumente sind der Geschichts- und Kulturwissenschaft bereits seit Langem bekannt. Insbesondere die umfangreichen Sammlungen wurden schon verschiedentlich als Datengrundlage herangezogen: So finden sich z. B. die Briefsammlungen von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943), Charrière (1848-1860), Desjardins (1859-1886) und Tommaseo (1838) bereits im Quellenverzeichnis von Boucher ([1981] 2007) und Dubost (1997). Auch die Werke Brantômes sind hinreichend bekannt und wurden u. a. von Picot ([1918] 1995) analysiert. Die meisten Memoiren aus Petitot / Monmerqué (1819-1829) sind ebenfalls nicht unbekannt. Selbst die kuriosen Texte aus Cimber u. a. (1834-1837) wurden vereinzelt, unter vielen anderen z. B. von Gellard (2014), schon untersucht. Ausgewählte Briefe und Dokumente aus Charrière (1848-1860) wurden sogar in der Forschung zum italiano fuori d’Italia (u. a. von Migliorini [1960] 1988, Tommasino 2010 sowie von Bingen 2012) berücksichtigt. Obschon die Quellen also gut untersucht zu sein scheinen, verspricht eine Analyse dennoch neue Erkenntnisse zu liefern. Zum einen interessieren sich alle o. g. Arbeiten - mit Ausnahme der zuletzt genannten - in erster Linie nicht für metasprachliche Aussagen zum Nebeneinander des Französischen und Italienischen oder zum Sprachverhalten und zur Sprachkompetenz der Einwanderer - solche Informationen werden, wenn überhaupt, oft nur nebenbei erwähnt -, zum anderen konnten bisher weder die geschichtswissenschaftlichen noch die sprachwissenschaftlichen Studien die Quellen in ihrem vollen Umfang (insgesamt mehrere 10 000 Seiten) auswerten. Einige äußerst interessante Stellen aus Dokumenten in Cimber u. a. (1834-1837) sowie aus den Memoiren in Petitot / Monmerqué (1819-1829) sind bisher offenbar unentdeckt geblieben. Andere Dokumente, wie einzelne Memoiren (z. B. von Goulas und Souvigny), die Protokolle der États généraux von 1593 sowie der Reisebericht von Locatelli, scheinen ebenfalls weniger gut erforscht oder gar unbekannt zu sein. Mit den ausgewählten Texten 2 wurde folgendermaßen verfahren: Zunächst wurde in den Digitalisaten nach Okkurrenzen von <ital-/ ytal->, <lang-/ ling->, <franc-> (in englischen Texten auch <French>), <parl->, <entend-/ intend-> gesucht. Die Reduktion auf Wortstämme (z. B. <entend-/ intend->) oder Wurzeln 2 Insgesamt wurden an die 200 Bände, von denen jeder im Durchschnitt um die 500 Seiten umfasst, durchsucht. Sie alle sind in digitalisierter Form über http: / / www.gallica.bnf.fr zugänglich. 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 335 (<ital->) sollte sicherstellen, dass auch flektierte Formen erfasst werden. Auch die Variation in der rinascimentalen Graphie wurde berücksichtigt (<ytal(l)ien> statt <italien>). Dem Umstand, dass sich die ‘Italiener’ trotz der Existenz der Bezeichnung italiano im 16. Jahrhundert zumeist noch als toscani , veneziani usw. bezeichneten (vgl. z. B. Kattenbusch 2003: 164-165), wurde ebenfalls Rechnung getragen. In den Texten wurde nicht nur nach <ital-/ ytal->, sondern auch nach <tosc-/ tusc->, <venet-/ venez-> usw. gesucht. Im Falle eines Treffers wurde der Kontext überprüft (Ort, Zeit, beteiligte Personen). Konnten keinerlei Treffer erzielt werden, wurde die Suche auch auf <pronon-/ pronun->, <compren-/ capi-> ausgedehnt. Ähnlich wurde bei Texten verfahren, die besonders zahlreiche metasprachliche Informationen enthalten. In Reiseberichten und Briefen aus der diplomatischen Korrespondenz - manchmal aber auch in anderen Dokumenten - wurde zudem nach <truch-> ( truchement ), <interpret-> und <drago-> ( dragoman ) gesucht. In Editionen waren grundsätzlich auch <idiom->, <dialect->, <patois> von Bedeutung. Bisweilen sind in den philologischen Fußnoten der Editionen wertvolle Hinweise versteckt: Etwa wenn eine dialektale Äußerung, die durch die Schlagwortsuche nicht aufgespürt werden könnte, als „patois“ ausgewiesen wird (vgl. z.B. Souvigny Bd. 1, 1906: 306). Dass diese Anmerkungen, was für das 19. und frühe 20. Jahrhundert nicht untypisch ist, häufig von einem mangelnden Varietätenbewusstsein zeugen und / oder puristisch sind, ist kein Nachteil. In jedem Fall machen sie auf interessante Passagen aufmerksam, die dann analysiert werden können. Wie der folgende Passus zeigt, sind solche Anmerkungen oft auch erfrischend: So äußert sich ein des Bayerischen unkundiger Herausgeber zur Schreibung <Minguen> in einem Reisebericht aus dem frühen 17. Jahrhundert z. B. wie folgt: „ Munich ou München en allemand, dont l’auteur, peu familiarisé avec cette langue, avait fait Minguen ! C’était la capitale du duché de Bavière dont Maximilien était duc depuis 1598.“ (Gontaut-Biron 1888: 3-4, Fn. 1). Insgesamt konnten so an die 250 Textstellen ermittelt werden, die mehr oder weniger bedeutende Hinweise auf das Italienische und die Italiener in der France italienne oder - im Falle der Reiseberichte - außerhalb Frankreichs enthalten. In vielen Fällen handelt es sich dabei um demographische Hinweise: Es wird z. B. häufig die hohe Anzahl an Italienern in Lyon oder im französischen Heer erwähnt. Daneben finden sich aber auch Hinweise auf die Italienischkompetenz bestimmter Franzosen. Schließlich konnten auch Belege aufgespürt werden, die für die Rekonstruktion der Reichweite des Italienischen und des Sprachverhaltens der Einwanderer äußerst aufschlussreich sind. Im Folgenden kann und soll natürlich nicht jeder Beleg im Einzelnen besprochen werden. Es wird eine Auswahl getroffen. 336 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne 6.2.2 Korpusauswertung 6.2.2.1 Prestige und universalité des Italienischen in der Renaissance In Kapitel 2.2.2 wurde festgehalten, dass das Italienische im 16. Jahrhundert im östlichen Mittelmeerraum als Verkehrssprache verbreitet war. Im Osmanischen Reich fand es nicht nur in der diplomatischen Korrespondenz mit Italien, sondern auch in jener mit anderen europäischen Mächten Verwendung. In der Sammlung von Charrière (1848-1860) sowie in zahlreichen Reisberichten konnten weitere, meines Wissens bisher nicht besprochene Belege ausfindig gemacht werden, die die bisherigen Annahmen der Forschung zur Rolle des Italienischen in der Levante untermauern. Im Gegensatz zum Passus aus Villamont (1595), der die Funktion des Italienischen als Verkehrssprache zur Verständigung mit Zentraleuropäern illustriert, zeigen die Ausschnitte aus dem Reisebericht der Pariser Bischöfe (1680), dessen Autor anonym ist, dass das Italienische darüber hinaus auch zur Verständigung unter (christlichen) Siedlern verschiedener Herkunft verwendet wurde 3 . C’est en somme çe que i’ay appris frequentant avec la nation Gregeoise, qui est un peuple multiplié, tant en la Grece, que l’Asie & Affrique, & peu en ay trouvé qui n’ait entendu ou parlé Italien quelque peu, […]. (Villamont 1595: 179) Comme les Turcs souffrent toutes sortes de Religions pour de l’argent, il ne faut pas s’estonner qu’il y en ait plusieurs dans Alep. […] On y voit quelques sectes différentes de Chrestiens, dont les uns sont Grecs, les autres Arméniens, les troisièmes Jacobites ou Syriens, les quatriémes Maronites, & Les derniers s’appellent Francs, c’est à dire Europeans. […] toutes ces Nations jointes ensemble font un corps de quarante ou cinquante mille personnes qui parlent Italien entr’elles. Les Grecs sont […] nombreux […]; ils sont quinze ou vingt mille, […]. La ville de Bassora est environ à six-vingt lieues de Bagdat, et à trente lieues du Sein Persique. […] Les gens du Païs y parlent Arabe, Turc, & Persan, mais les Europeans & les Indiens y parlent Portugais, qui est dans les Indes ce que l’Italien est dans l’Empire Ottoman, […]. (Anonyme [ Voyages des évèques ] 1680: 189, 305) Der besonderen Rolle des Italienischen in der Levante waren sich jedoch nicht nur Reisende aus Frankreich bewusst. Seit Migliorini ([1960] 1988) ist schließlich bekannt, dass auch die französische Krone bisweilen gezwungen war, das Italienische in der Korrespondenz mit dem Osmanischen Reich zu verwenden. 3 Zahlreiche weitere Hinweise auf die Rolle des Italienischen in der Levante finden sich auch in den Berichten von Fermanel u. a. (1679: 95, 441) und Tavernier (1676: 27, 41, 131, 182). 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 337 In der Sammlung von Charrière konnte ein interessanter Passus aus einem Brief des Botschafters de La Vigne an Henri II vom Mai 1558 aufgespürt werden: Le G. S. [= Grand Seigneur, T. S.] vous escript un mot dans sa lettre que doresnavant, quant vous lui escriprez, que ce soit ou en italien ou en latin; il vous plaira n’en faire rien […]. Car par ce moyen, lesdits dragomans cherchent de tyranniser vos ambrs et faire accroyre audit G. S. tout ce qu’ils voudront, de quoy nous les empeschons tant que nous povons; estant eux contraincts de se retirer a nous pour traduire les lettres de francoys en italien. (Charrière Bd. 4, 1860: 469-470, Brief von De la Vigne vom Mai 1558 an Henri II ) Wie aus der Textstelle hervorgeht, muss zumindest gegen Ende der 1550er Jahre die Korrespondenz mit Konstantinopel in italienischer Sprache erfolgt sein. Die französischen Briefe des Hofes wurden durch die in Konstantinopel ansässigen französischen Botschafter ins Italienische übersetzt. Verstanden wurde das Französische in den Kanzleien des Großtürken offenbar nicht. Anzunehmen ist daher, dass die Kanzleien des Grand Seigneur ebenfalls das Italienische verwendeten, um zu antworten. In der Tat sind auch einige in italienischer Sprache verfasste Depeschen, Verträge und Briefe bekannt (vgl. Migliorini [1960] 1988). Ob diese dann durch die französischen Botschafter übersetzt oder einfach im Original weitergeleitet wurden, kann aus dem Passus nicht erschlossen werden. Deutlich wird aber, dass das Französische nicht für die diplomatische Korrespondenz geeignet war und auf das Italienische ausgewichen werden musste. Wie aus der folgenden Stelle aus einem Brief von Henri IV an seinen Botschafter in Konstantinopel hervorgeht, scheint im späten 16. Jahrhundert auf türkischer Seite auch das Französische zum Einsatz gekommen zu sein. Vous dictes que vous avés obtenu une lettre de ce Grand Seigneur, de laquelle vous m’avés envoyé un double; elle est composée d’un style qui tient plus du français que de celui que les prédécesseurs du Grand Seigneur souloient user. Je ne sçay que vous dire et ordonner sur tout cela, puisque vous ne faites ce que je vous commande. (Gontaut-Biron 1888: LVIII : Brief von Henri IV im Juli 1599 an einen Botschafter in Konstantinopel) Offenbar muss dieses Französisch aber noch verstärkt Interferenzen (mit dem Italienischen oder Türkischen? ) aufgewiesen haben. Die ungewöhnlich gute Qualität des Französischen im double , das Henri IV von seinem Botschafter erhält, lässt Zweifel an der Echtheit des Dokuments aufkommen. Es scheint sogar der Verdacht auf, dass der Brief vom Botschafter selbst verfasst wurde. Schließlich ist die Bedeutung des Italienischen als Verkehrssprache im Osmanischen Reich nicht nur in der diplomatischen Korrespondenz Frankreichs und damit außerhalb seiner Grenzen zu spüren, sondern auch in Frankreich selbst. 338 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Der folgende Passus aus einem Bericht in den Registres du bureau de la ville de Paris über den Empfang und Aufenthalt eines Gesandten aus dem heutigen Sparta 4 legt nahe, dass das Italienische auch als Verhandlungssprache innerhalb Frankreichs Verwendung fand. Il parloit fort bien la langue italienne, et entendoit quelque peu le françoys; et estiment aucuns qu’il feust chrestien regnié, Albanoys ou Esclavonyen, […] et est le roy d’Argie de la nation des Mores blancs, qui est subjecte et tributaire au Grand Turc […]. ( Registres Bd. 4, 1888: 68-69, November 1552) Dass das Italienische in der Levante auch als Sprache der Religion von Bedeutung war, ist bekannt (vgl. u. a. Tommasino 2010 sowie den Abschnitt aus Anonyme 1680 weiter oben). In Kapitel 5.2 wurde darauf hingewiesen, dass die türkische Gemeinde in Genf an die église italienne angegliedert war. Wie die folgende Stelle aus einem Brief eines Priesters an Saint Vincent de Paul zeigt, fand bisweilen noch im 17. Jahrhundert auch in Frankreich das Italienische als Sakralsprache Verwendung, wenn die Gläubigen aus der Levante waren. Hier, […] on baptisa dans l’église cathédrale neuf Turcs, à la vue de toute la ville de Marseille, […]. Aussi n’avions-nous pas intention de cacher cette action, afin de mouvoir quelques autres Turcs, qui semblent hésiter. Aujourd’hui deux nouveaux sont venus me trouver pour me dire qu’ils veulent être chrétiens; ils étaient accompagnés d’un autre, qui fut baptisé il y a environ dix jours. Nous continuons à leur faire le catéchisme en italien, deux fois le jour, pour les consolider et affermir tant que faire se pourra; autrement, ils seraient au hasard de retourner au mahométisme. (Coste Bd. 2, 1921: 398, Brief eines Priesters aus Marseille im Juni 1643) In Kapitel 2.2.2 wurde bereits angedeutet, dass das Italienische im 16. Jahrhundert auch in Polen eine gewisse Verbreitung erlangt hatte und eine wichtigere Rolle als Fremdsprache als das Französische spielte (vgl. auch Jamrozik 2000, Widłak 1991, [2006] 2010 und Wolf 2009). Minervini (2006) hat zudem darauf aufmerksam gemacht, dass das Italienische manchmal auch in der Korrespondenz zwischen Polen und dem Osmanischen Reich zum Einsatz kam. Die Verbreitung des Italienischen im frühneuzeitlichen Polen wird auch in französischen Beschreibungen aus dem 16. Jahrhundert bestätigt. So schreibt un gentilhomme à la suite de M. Rambouillet , der diesen 1573 nach Polen begleitet 5 : 4 Laut den Herausgebern Bonnardot / Guérin / Le Grand Bd. 4 (1888: 69, Fn. 1) müsse es sich wohl um das heutige Sparta handeln. 5 Im Übrigen weist auch M. de Rambouillet in seinem Bericht darauf hin, dass das Italienische als lingua franca der Diplomaten in Polen betrachtet werden müsse (vgl. Cimber u.a. Bd. 9, 1836: 140). Zum Stellenwert des Italienischen im frühneuzeitlichen Polen vgl. auch Scharinger (2017: 178-180). 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 339 C’est chose estrange comme le latin, allemant et italien est commun de par deçà, car de cent gentilshommes il ne s’en pourroit trouver deux qui n’entendent le latin, et la pluspart ces trois langues, lesquelles ils apprennent à l’escolle par un mesme moyen. (Cimber u.a. Bd. 9, 1836: 142, Bericht über Krakau 1573) Der Sammlung von Charrière Bd. 3 (1853: 341-342) kann entnommen werden, dass einige an Catherine de Médicis adressierte Briefe von polnischen Geistlichen aus den 1570er Jahren ebenfalls in italienischer Sprache verfasst wurden. Offenbar war das Französische nicht dafür geeignet. Dass polnische Würdenträger in der Tat wohl eher des Italienischen und weniger des Französischen mächtig waren, legt auch ein Bericht aus den Registres du bureau de la ville de Paris nahe, aus dem hervorgeht, dass polnische Gesandte, nachdem offenbar zunächst niemand in der Lage war, mit ihnen zu kommunizieren, von Catherine de Médicis selbst offiziell empfangen wurden. Et puis après, allerent trouver la Royne Mere en sa chambre, à laquelle ledict sieur Evesque feyt harangue; et par ce que laditte Dame sceut que ledict Evesque parloit bien italien, luy feit elle mesme la responce bien à propos, respondant à chascun point de ce qu’elle avoit entendu […]. Après, s’en allerent saluer la Royne, pour laquelle fut faict responce par l’Evesque de Paris. ( Registres Bd. 7, 1893: 99-100, Empfang im August 1573) 6 Angesichts der Verbreitung und des Prestiges des Italienischen im 16. und 17. Jahrhundert könnte in Anlehnung an den in der französischen Sprachgeschichtsschreibung üblichen Begriff universalité du français auch von einer universalité des Italienischen gesprochen werden, die die Franzosen sowie die italienischen Immigranten auch durchaus als solche wahrnahmen 7 . In Kapitel 6.2.1 wurde bereits angedeutet, dass dies auch Auswirkungen auf die Vitalität des Italienischen in der France italienne gehabt haben könnte: Zum einen ist der Erhalt einer Migrantensprache laut Conklin / Lourie (1983) insbesondere dann wahrscheinlich, wenn die Sprecher um das internationale Prestige ihrer Sprache wissen, zum anderen könnten auch die Franzosen, die sich ja ebenfalls über die Bedeutung des Italienischen im Klaren waren, zum Erhalt desselben beigetragen 6 Diese Anekdote findet sich auch in anderen zeitgenössischen Quellen und wird auch von Stammerjohann (2013: 81-82) im Zusammenhang mit der Verbreitung des Italienischen in Polen besprochen. 7 Dass insbesondere im späten 18. Jahrhundert - man denke an Rivarol - versucht wurde, die universalité des Französischen nicht durch dessen Verbreitung, sondern sprachimmanent, d. h. durch typologische Eigenschaften (das Französische als langue claire et précise ), zu erklären, ist hinreichend bekannt und muss an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Zur universalité des Französischen vgl. z. B. Swiggers (1987), Fumaroli (2001), Neis (2003). 340 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne haben, indem sie mit den Migranten - nicht zuletzt um ihre Italienisch-Kompetenz unter Beweis zu stellen (vgl. Kapitel 4.2.2) - in deren Muttersprache kommunizierten. 6.2.2.2 Vitalität und Spracherhalt in der France italienne Wie soeben gezeigt wurde, war Catherine de Médicis 1573, also 40 Jahre nach ihrer Ankunft in Frankreich, noch in der Lage, mit den polnischen Gesandten auf Italienisch zu verhandeln. Offenbar blieb ihre Muttersprache erhalten. In diesem Kapitel soll die Vitalität des Italienischen in der France italienne und der Petite Italie aus soziolinguistischer Perspektive näher beleuchtet werden. Wie bereits erwähnt, wird dafür das in Kapitel 3.2.2 vorgestellte Modell von Conklin / Lourie (1983) zugrundegelegt. Da auch demographische Faktoren, etwa die Größe der Einwanderergruppe, Auswirkungen auf das Schicksal einer Einwanderersprache haben, werden zunächst die Daten und Ergebnisse aus den soziohistorischen Arbeiten von Boucher ([1981] 2007) und Dubost (1997) besprochen, die dabei durch Belege aus dem Korpus veranschaulicht, präzisiert und ergänzt werden. Die folgende Übersicht ist Dubost (1997: 30) entnommen, der in seiner Studie anhand von sog. lettres de naturalité ‘Einbürgerungspapieren’ den Anteil der Italiener an der Gesamtzahl der Immigranten im Frankreich des 16. und 17. Jahrhunderts zu ermitteln versucht. Es werden nur die Zahlen für das 16. Jahrhundert wiedergegeben. 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 341 Zeitraum Immigranten Italiener Anteil der Italiener 1547 27 10 37 % 1548 49 19 38,8 % 1549 57 26 45,6 % 1550 80 39 48,8 % 1551 87 40 45,9 % 1552 69 37 53,6 % 1556 74 26 35,1 % 1565 104 42 40,4 % 1566 153 63 41,2 % 1567 99 45 45,5 % 1568 74 24 32,4 % 1582-1591 257 86 33,5 % 1592-1601 386 106 27,5 % Gesamt 1516 563 37,1 % Tab. 14: Anzahl italienischer Immigranten im 16. Jh. nach Dubost (1997: 30) Wie aus der Tabelle ersichtlich ist, können für bestimmte Zeiträume keine verlässlichen Angaben gemacht werden. Wie so oft in historischen Arbeiten können nur dann Daten erhoben und interpretiert werden, wenn entsprechende Dokumente überliefert sind 8 . Die ermittelten Zahlen legen trotz der Lücken nahe, dass die Italiener in gewissen Zeiträumen (z. B. 1552 über 50 %) die bedeutendste Einwandergruppe darstellten. Wenn man annimmt, dass in den Kanzleien genauso viele Einbürgerungspapiere von Italienern wie von anderen Immigranten erhalten geblieben bzw. verloren gegangen sind, sind die Zahlen durchaus repräsentativ. Den Umstand, dass diese Zahlen repräsentativ sind, gilt es auch im Hinblick auf die absoluten Zahlen zu berücksichtigen. Auf den ersten Blick scheint die Gruppe der Immigranten recht überschaubar zu sein. Wie aber Dubost (1997) an mehreren Stellen selbst anmerkt, sind die lettres de naturalité nur für einen Bruchteil der Einwanderer von Interesse: Da sie insbesondere eine gewisse Rechtssicherheit (auch in Erbschaftsangelegenheiten) garantierten, waren v. a. äußerst wohlhabende Immigranten, die auch dauerhaft blieben, an der Einbürgerung interessiert. 8 Bei den unterschiedlichen Quellen, auf die Dubost zurückgreift, handelt es sich meist um notarielle Dokumente aus französischen Kanzleien (vgl. Dubost 1997: 23-51). 342 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Dass der Großteil der Italiener durch die Analyse nicht erfasst werden kann, zeigt sich z. B. auch daran, dass zahlreiche Bedienstete italienischer Adeliger oft keine lettres de naturalité erhielten. Ihre Existenz kann aber anhand von bezahlten Gehältern in Rechnungsbüchern usw. zweifelsfrei nachgewiesen werden (vgl. Dubost 1997: 198-199) 9 . Zu bedenken ist auch, dass nicht alle Einwanderer zwangsläufig lettres de naturalité beantragen mussten. So konnten z. B. Italiener aus dem Milanais , auch als dieses nicht mehr von Frankreich kontrolliert wurde, auch ohne solche Papiere entsprechende Privilegien genießen 10 . Notera le lecteur, que ceux du Pays de Flandres, Milan, la franche Comté & Savoye ne sont tenus obtenir lettres de naturalité pour demeurer en ce Royaume: d’autant que nos Rois pretendent lesdicts pays leur appartenir […]. (Hennequin 1595: 21) Dass größere italienische Kolonien im rinascimentalen Frankreich existierten, legen auch die Berichte der venezianischen Botschafter in Tommaseo (1838) sowie anderer Zeitgenossen nahe. Di modo che al presente in quella città [di Tours, T. S.] lavorano piu di ottomila teleri, e vi abitano alquanti maestri veneziani con sue moglie [! ] e figlioli ma molto più di Genovesi, Lucchesi, e Francesi naturali. (Tommaseo Bd. 1, 1838: 258, Cavallo 1546) […] non sanno però fare il formagio e se se ne fa in qualche parte di buono, vien fatto da’ Italiani medesimi che sono andati ad abitare in Francia. (Tommaseo Bd. 2, 1838: 574, Lippomano 1577) [Lione, T. S.] è forestiera di varie nazioni, ma il più pero anzi quasi il tutto italiana di varie citta; per le fiere che se vi fanno, e gran contratto di mercanzia e cambii che vi è. Il piu de i mercatanti che stanno in Lion son Fiorentini e Genovesi. Se vi fanno quattro fiere a l’anno, nelle quali si pagano infiniti danari per ogni parte, di sorte che Lion è il fondamemto del danaro di tutta Italia e buona parte di Spagna e Fiandra, che corra per i cambii. (Tommaseo Bd. 1, 1838: 36-37, Navagero 1525-1529) Ebenfalls unberücksicht bleiben die zahlreichen Italiener in der französischen Armee, von denen einige nicht nur in Frankreich kämpften oder stationiert waren, sondern auch dauerhaft blieben (vgl. Kapitel 2.1.2). Boucher ([1981] 2007: 418-421) weist z. B. darauf hin, dass hochrangige italienische Offiziere im Dienste der französischen Krone überwiegend Landsleute in ihre Truppen aufnahmen und so auch die Immigration einfacher Soldaten förderten und dass italienische 9 Dass die Mehrheit der Immigranten somit nicht erfasst wird, betont auch Baudouin-Matuszek (1999) in ihrer insgesamt sehr positiven Rezension zu Dubost (1997). 10 Dubost (1997: 36) hingegen erklärt die verhältnismäßig schwache Zuwanderung aus dem Milanais u. a. mit einer strengen Auswanderungspolitik. 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 343 Regimente nach dem Tod des Kapitäns bisweilen an andere Italiener ‘weitervererbt’ wurden. Wie aus den Memoiren französischer Offiziere hervorgeht, liefen v. a. während der Belagerung von Metz 1552-1553 viele italienische Soldaten zu den Franzosen über. […] qu’ils feront service au roy de France toute leur vie, sans jamais changer de party; aussi qu’ils ont des parants en France qui respondront de leur fidelité. […] M. de Vielleville les bailla en charge au sieur Roux, qui les traicta fort favorablement; bien aise d’avoir de ses patriotes, et qu’ils estoient tutti terrazzani , c’est-à-dire tous d’une ville […]. (Petitot / Monmerqué Série 1, Bd. 27, 1822: 84-86, Memoiren Vieilleville) Der Ausschnitt zeigt zweierlei: zum einen, dass die Italiener vorwiegend italienischen Regimenten zugeteilt wurden, zum anderen, dass in manchen Fällen offenbar bereits familiäre Netzwerke vorhanden waren, in die die Soldaten aufgenommen werden konnten. Die Zahl italienischer Soldaten darf nicht unterschätzt werden. In den Memoiren 11 ist oft auch von „noz italiens“ die Rede. Dass in Lyon zahlreiche Italiener ansässig waren, gilt heute als verbürgt und ist im Allgemeinen auch unstrittig. Genaue Zahlen zu nennen, erweist sich aber als äußerst schwierig. Heller (2003: 39) zitiert Quellen aus dem 16. Jahrhundert, nach deren Auskunft etwa 12 000 Italiener in Lyon anzutreffen gewesen sein sollen. Problematisch ist, dass es sich dabei um impressionistische Schätzungen von Zeitgenossen handelt, deren Wahrheitsgehalt nicht ohne Weiteres überprüft werden kann. Boucher (1994: 12-22), die sich in ihrer Studie speziell mit der présence italienne à Lyon beschäftigt, ist weitaus vorsichtiger und weist u. a. darauf hin, dass schon allein bezüglich der Gesamtbevölkerung keine verlässlichen Aussagen gemacht werden können: Die Schätzungen schwanken zwischen 50 000 und 70 000, bevor die Bevölkerung gegen Ende des 16. Jahrhunderts aufgrund der Religionskriege massiv zurückging. Boucher (1994: 13) zeigt anhand von Verwaltungsdokumenten, dass im Jahre 1571 3183 abgabepflichtige Personen erfasst wurden, von denen 183 Ausländer sind. Darunter sind 154 Italiener: 42 aus Florenz, 36 aus Mailand, 27 aus Lucca und 27 aus Genua. Die Verteilung entspricht den sog. Nazioni ( Fiorentina , Milanese , Lucchese , Genovese ), in die die Immigranten, wie in Kapitel 2.1.4 erläutert wurde, organisiert waren. Dass die Italiener also als die wichtigste Einwanderergruppe betrachtet werden müssen, steht außer Frage. Im Hinblick auf die Gesamtzahl aller steuerpflichtigen Personen machen sie hingegen nur 5 % aus. Allerdings gibt schon Boucher (1994: 13) zu bedenken, dass zahlreiche kleine Händler und einfache Einwan- 11 Vgl. dazu insbesondere die Memoiren von Rabutin (Petitot / Monmerqué Série 1, Bd. 31-32, hier: Bd. 31, 1823: 161) und Salignac (Petitot / Monmerqué Série 1, Bd. 32, 1823: 296). Zu gemischten Heeren, die gemeinsam in Italien kämpften, vgl. v. a. die Memoiren von Monluc (Petitot / Monmerqué Série 1, Bd. 20-22, 1821-1822). 344 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne derer natürlich nicht berücksichtigt wurden und dass in Rechnungsbüchern aus früheren Jahrzehnten Ausländer grundsätzlich nicht aufgeführt wurden. Es kann vermutet werden, dass zahlreiche Italiener auch in den Listen von 1571 fehlen. Bemerkenswert sei, dass auf diese 5 % aller abgabepflichtigen Personen 28 % des zu versteuernden Einkommens entfallen. In jedem Fall müssen die großen italienischen Bankiersfamilien in Lyon als soziale Elite betrachtet werden. Was die Italiener am französischen Hof, der sog. Petite Italie , angeht, konnte Boucher ([1981] 2007: 407-481) zeigen, dass ihre Anzahl in der Tat beträchtlich war, und spricht daher von einer „colonisation de la cour par les Italiens“ 12 . Wie viele Personen der Hof im Allgemeinen umfasste, ist strittig. Laut Boucher ([1981] 2007: 120-124) schätzte der weiter oben zitierte Lippomano, als er als neuer Botschafter für Venedig 1577 an den französischen Hof kam, dass dieser wohl aus 8000 Personen bestehe. Boucher geht unter Berufung auf Inventarlisten, Rechnungsbücher und sonstige Quellen davon aus, dass die Anzahl der zum Hof gehörigen Personen während der Regentschaft von Henri III ca. 6000 entsprach. Auch wenn sich anhand der verfügbaren Quellen die Nationalität der einzelnen Mitglieder in vielen Fällen leider nicht nachweisen lässt, konnte Boucher zumindest den Anteil der Italiener in ausgewählten Bereichen der maison du Roi , d. h. in der Entourage von Henri III , ermitteln. Diese umfasste zwischen 1572 und 1574 1064, im Jahre 1584 1096 officiers domestiques . Wie prominent die Präsenz der Italiener war, zeigt Boucher ([1981] 2007: 408-416) anhand ihrer Verteilung auf bestimmte Berufsgruppen. In manchen Bereichen waren sie besonders stark vertreten. Funktion 1574 1584 Maîtres d’hôtel 11,76 % 6,25 % Gentilshommes de la chambre 10,08 % 9,09 % (12,64 % 1585) Gentilshommes servants 11,11 % 11,11 % Écuyers d’écurie 19,23 % 0 % (aber 53,1 % 1588) Aumôniers 11,61 % 11,50 % Valets de chambre 25,47 % 20,83 % 12 An dieser Stelle sei angemerkt, dass in der vorliegenden Arbeit nicht - wie es von Balsamo (u. a. 2009, 2015: 24-25) immer wieder im Hinblick auf ältere (nationalphilologische) Untersuchungen zum italienischen Einfluss im Frankreich des 16. Jahrhunderts kritisiert wird - behauptet werden soll, dass die italienischen Immigranten eine Italianisierung bestimmter Milieus, insbesondere des Hofes, absichtlich herbeiführten. Dennoch muss man die Präsenz der Italiener als alloglotte Sprechergruppe ernstnehmen. Dass sie kulturell und sprachlich Spuren hinterlassen haben, steht in jedem Fall außer Frage. 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 345 Funktion 1574 1584 Valets de garde-robe 13,51 % 15,38 % Médecins 17,65 % 15,78 % Maréchaux des logis 14,28 % 8,33 % Huissiers 11,11 % 8,28 % Fourriers 7,69 % 11,42 % Porte-manteaux 20,00 % 9,09 % Secrétaires de la chambre 3,12 % 2,33 % Tab. 15: Anteil italienischer Höflinge in der Entourage von Henri III nach Boucher ([1981] 2007: 412) Boucher ([1981] 2007: 410) nennt nur für ausgewählte Gruppen auch die absoluten Zahlen: Während 1574 z. B. 3 von 17 Ärzten italienischer Herkunft waren, waren unter den valets de chambre 27 von 106 italienischer Abstammung. Neben den italienischen Höflingen im Dienste von Henri III gab es jedoch noch weitere, so dass sich ihre Gesamtzahl erhöht. Boucher ([1981] 2007: 413-415) ermittelt anhand zusätzlicher Quellen auch den Anteil der Italiener in der Entourage der Königin Élisabeth d’Autriche sowie des Duc d’Alençon. Auch dort waren die Italiener zahlreich und in ähnlichen Gruppen vertreten. Von besonderem Interesse ist schließlich auch die Entourage von Catherine de Médicis. Die Italiener verteilten sich wie folgt: Funktion 1570-1575 1575-1580 1580-1589 Dames 15,68 % 15,00 % 15,78 % Filles et demoiselles 18,74 % 10,00 % 10,71 % Filles de chambre 16,66 % 14,28 % 25,00 % Maîtres d’hôtel 33,33 % 10,00 % 18,75 % Gentilhommes servants 18,51 % 18,71 % 14,89 % Écuyers d’écurie 20,00 % 33,33 % 40 % Aumôniers 41,66 % 29,41 % 18,75 % Médecins 66,66 % 40,00 % 0 % Valets de chambre 20 % 5,88 % 4,76 % Femmes de chambre 19,60 % (1570-1589) 346 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Funktion 1570-1575 1575-1580 1580-1589 Secrétaires (chambre) 4,00 % 3,03 % 7,40 % Tab. 16: Anteil italienischer Höflinge in der Entourage der reine mère nach Boucher ([1981] 2007: 413) Was lässt sich aus den Prozentwerten ableiten? Sowohl in der Entourage von Henri III als auch in jener von Catherine de Médicis waren Italiener in verschiedenartigen Bereichen vertreten. Auch wenn sich ihre Präsenz nicht auf bestimmte Domänen beschränkte, lassen sich dennoch Bereiche erkennen, in denen die italienischen Höflinge offenbar gehäuft anzutreffen waren. Auffällig hoch war ihre Konzentration innerhalb der Gruppe der écuyers d’écurie 13 . Wie bereits in Kapitel 2.1.3 erwähnt, waren die Italiener in der Reitkunst und Pferdedressur führend. Dass ihre Expertise also auch am Hof gefragt war, ist nicht verwunderlich. Bemerkenswert ist zudem die hohe Anzahl an Italienern in der unmittelbaren Umgebung der sovrani : valets de chambre , aumôniers , filles et dames . Die Anzahl der Italiener scheint in beiden Haushalten bis auf wenige Ausnahmen über die Jahre hinweg relativ stabil zu geblieben zu sein. Hervorzuheben ist lediglich die hohe Konzentration an Italienern im Umfeld von Catherine de Médicis Anfang der 1570er Jahre. Wie sind diese Daten nun soziolinguistisch zu interpretieren? Laut dem Modell von Conklin / Lourie (1983) spielen für die Vitalität einer Migrantensprache folgende Faktoren eine Rolle: Eine hohe Anzahl an Migranten allein reicht noch nicht aus, um den Spracherhalt zu sichern. Diese sollten idealerweise in Migrantengemeinschaften ( Little Italy ) organisiert, also nicht isoliert voneinander sein. Dass die Petite Italie am Hofe als frühneuzeitliches Little Italy betrachtet werden kann, wurde soeben gezeigt. Gleiches nimmt man auch für Lyon an, wo die Immigranten ja bekanntermaßen sogar in eigene Nazioni gegliedert waren. Sowohl Heller (2003: 25-26, 41) als auch Boucher (1994: 16-19) betonen, dass sich die Italiener in Lyon eher schleppend und unfreiwillig integrierten. Laut Dubost (1997: 140) wohnte die Mehrheit der Italiener in Lyon im quartier de la Juiverie . Auch lettres de naturalité wurden selten verlangt. Was die Italiener in Paris anbelangt, stellt Dubost (1997: 140-145) zwar fest, dass nicht von einer wirklichen Ghettoisierung gesprochen werden könne, räumt allerdings ein, dass sich die Italiener gehäuft in bestimmten Vierteln (z. B. Saint Germain oder Marais ) ansiedelten und oft auch ganz bewusst einen Wohnort in unmittelbarer Nähe zu ihren Landsleuten suchten. Für manche einflussreiche Familien konnte 13 Auch wenn 1584 offenbar keinerlei italienische écuyers Gehälter von Henri III bezogen, machten sie nur ein Jahr später über 50 % dieser Gruppe aus. 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 347 Dubost (1997) zeigen, dass sie sogar in derselben Straße, manchmal direkt nebeneinander wohnten 14 . Aufgrund des bisher Gesagten darf also angenommen werden, dass in der France italienne (zumindest in Paris, Lyon und am Hof) größere Migrantengruppen vorhanden waren, die dazu beitrugen, dass das Italienische vital blieb. Laut Conklin / Lourie (1983) wirkt sich auch eine kontinuierliche Immigration positiv auf den Spracherhalt aus. Dass während des gesamten 16. Jahrhunderts ständig neue Einwanderer kamen, geht schon allein aus den Ergebnissen von Dubost (1997) hervor (vgl. Tab. 14 weiter oben). Auch wurde bereits erwähnt, dass neben Immigranten auch zahlreiche Gäste - nicht nur Künstler, Handwerker und Architekten - vorübergehend in Lyon, Paris oder am französischen Hof weilten (vgl. Picot [1918] 1995). Dass diese Neuankömmlinge auch tatsächlich den Kontakt zu ihren Landsleuten suchten - und sich die jeweilige Sprachgemeinschaft auf diese Weise stetig verjüngen konnte -, gilt als verbürgt. Wie u. a. Dubost (1997: 121-147) gezeigt hat, finden sie sich zunächst bei Botschaftern, Händlern, Aristokraten und Bankiers aus Italien wieder, die ihnen den Neustart erleichtern. L’Italien qui, aux XVI e et XVII e siècles, émigre en France ne tente généralement pas cette aventure en coupant les ponts avec le groupe dont il fait partie. À la différence du simple errant, le migrant d’Ancien Régime est soutenu dans son entreprise par la comunauté à laquelle il appartient: familiale, profesionnelle ou autre. […] À l’arrivée, le migrant trouve des compatriotes déjà installés qui l’aident dans les premiers temps de sa vie française. Le migrant s’intègre ainsi dans un système de solidarités multiples. (Dubost 1997: 121) Ein weiterer Umstand, der Laut Conklin / Lourie (1983) den Spracherhalt begünstigt, ist die geographische Nähe zum Mutterland und damit verbunden die Aufrechterhaltung früherer sozialer Kontakte, die die Verwendung der Muttersprache fördert. Die Nähe von Lyon oder Marseille zu Italien braucht wohl nicht diskutiert zu werden. In der Tat reisten zahlreiche Immigranten immer wieder in die Heimat oder wurden von Angehörigen besucht (vgl. Picot [1918] 1995). Aber auch aus dem fernen Paris und selbst aus der Normandie kehrten viele Italiener aus privaten oder geschäftlichen Gründen für mehr oder weniger lange Zeit nach Italien zurück 15 . 14 Vgl. dazu auch das anschauliche Kartenmaterial in Dubost (1997: 483). 15 Ein Blick auf den Inhalt der frühen Briefe von Catherine de Médicis genügt, um sich einen Eindruck über die Mobilität der Italiener zu verschaffen. Oft schickte sie ihre Vertrauten nach Florenz, um persönliche Angelegenheiten regeln zu lassen (vgl. dazu Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 1, 1880: 1-50). Den Archiven des Parlement de Normandie ist zu entnehmen, dass sich manche Funktionäre italienischer Abstammung, 348 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Die Vitalität der Migrantensprache ist auch davon abhängig, ob grundsätzlich die Möglichkeit der Rückkehr in das Heimatland besteht oder nicht. Wenn z. B. geplant ist, sich nicht dauerhaft niederzulassen, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit des Spracherhalts. Im frühneuzeitlichen Frankreich kann diesbezüglich sogar eine Besonderheit beobachtet werden. Die Verbindungen zu Italien waren nämlich so stark, dass eine Rückkehr auch noch in der dritten Generation möglich war (vgl. z. B. Boucher [1981] 2007: 476-481). Les correspondances échangées entre ceux qui se sont installés en France et ceux qui sont demeurés dans la péninsule sont un autre témoignage des liens conservés avec l’Italie. Ces correspondances sont entretenues longtemps après l’implantation des familles en France: dans les années 1620-1640, deux ou trois générations après l’installation à Lyon des premiers d’Elbène à la fin du XV e siècle, leurs descendants continuent d’écrire abondamment et régulièrement au cardinal Barberini […] Et ils ne sont pas les seuls […]. Le maintien de fortes attaches italiennes rend moins surprenants certains retours effectués par des familles pourtant installées en France depuis plusieurs générations. (Dubost 1997: 125-127) Ebenfalls von Bedeutung für die Vitalität können berufliche Netzwerke sein. Sind zahlreiche Migranten in ähnlichen Bereichen tätig, kann dies die kontinuierliche Verwendung der Muttersprache fördern. Für die colonie italienne in Lyon wurde in Kapitel 2.1 bereits festgehalten, dass die Immigranten insbesondere im Bankwesen und im Buchdruck bzw. -handel tätig waren. Aus den Übersichtstabellen zur Entourage von Henri III und Catherine de Médicis ist ersichtlich, dass auch in der Petite Italie in bestimmten Gruppen vermehrt Italiener anzutreffen waren. Auch die Ergebnisse von Dubost (1997: 42-51) zum sozialen Status der Einwanderer legen nahe, dass bestimmte Gruppen stärker vertreten waren als andere. Problematisch ist, dass der Beruf in weniger als der Hälfte aller lettres de naturalité erscheint. Ebenfalls verständlich ist, dass Aristokraten die wichtigste Gruppe ausmachten. Schließlich waren sie es, die in erster Linie an einer Einbürgerung interessiert waren. Dennoch lassen sich Tendenzen erkennen. So finden sich neben dem Adel v. a. hochrangige Offiziere, Kleriker und Bankiers. Handwerker und Künstler machen hingegen nur einen geringen Anteil aus. Allerdings ist zu bedenken, dass diese in vielen Fällen wohl keine Einbürgerung wünschten. Wie Boucher ([1981] 2007: 432) zeigen konnte, wurden manche Sparten am französischen Hof sogar von italienischen Künstlern dominiert. Die Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum zwischen 1570 und 1590. denen von ihren französischen Amtskollegen im Übrigen eine mangelnde Kenntnis des Französischen attestiert wurde, bisweilen mehrere Monate lang in Italien aufhielten (vgl. Floquet Bd. 1, 1840: 452-455 sowie Bigot de Monville 1905: 179). 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 349 Künstler Gesamt Italiener Anteil der Italiener chantres 78 20 25,64 % joueurs d’instrument 78 36 46,15 % violonistes 36 27 75,00 % baladins 6 6 100 % Tab. 17: Präsenz italienischer Künstler am französischen Hof 1570-1590 nach Boucher ([1981] 2007: 432) Wenn also Estienne ([1578] 1980: 198) bezüglich bal , baller , baladin , ballerin feststellt „on a fait venir les personnes avec les noms“, ist sein Verdacht - zumindest was ballerin betrifft - womöglich nicht unbegründet. Dass in Gruppen, die überwiegend aus Italienern bestanden, das Italienische noch vermehrt Verwendung fand, also vital blieb, ist wahrscheinlich. Ebenso wahrscheinlich ist m. E. aber auch, dass diese Experten auch für das Aufkommen von lexikalischen Italianismen im Französischen verantwortlich gewesen sein könnten 16 . Wenn sie Französisch sprachen, könnten sie die italienischen Bezeichnungen für bestimmte Neuerungen verwendet haben. Es wird immer wieder betont, dass der Grund für die Bereicherung von Fachwortschätzen in den zahlreichen Übersetzungen von italienischen Traktaten zu sehen ist (vgl. Kapitel 2.3.4). Dass dies aber eine Beteiligung der italienischen Immigranten keinesfalls ausschließt, zeigt der folgende Ausschnitt aus Tuccaros (1599) Trois dialogues de l’exercice de sauter et voltiger […] . In seiner Selbstübersetzung 17 führt der Hofakrobat ganz selbstbewusst lexikalische Italianismen (z. B. saltarin ) 18 ein. 16 Dass der französische Kirchenwortschatz trotz der Präsenz zahlreicher italienischer Kleriker kaum italienische Einflüsse aufweist, wurde mit Kandler (1944: 52-53) dadurch erklärt, dass die Verwaltungssprache oft noch das Lateinische war (vgl. Kapitel 2.3.4). Laut Boucher ([1981] 2007: 423) wurden 1500-1535 35 von 112, 1535-1570 40 von 112 und 1570-1595 27 von 115 Bistümern von Italienern verwaltet. 17 Laut Balsamo (2015: 45) handelt es sich dabei um eine vom Autor selbst besorgte Übersetzung. 18 Zur Etymologie von fr. saltarin vgl. FEW (s.v. saltare ), das das Lexem (nur ein Beleg in D’Aubigné) als Italianismus ausweist, obwohl im Italienischen das Substantiv saltarino nicht belegt zu sein scheint. Im DELI (s.v. saltare ) ist die Form saltarino nicht verzeichnet. Im GDLI (s.v. saltarino , salterino ) findet sich saltarino nur als Adjektiv mit der Bedeutung ‘allegro’. Immerhin ist das Adjektiv salterino ‘che si muove con salti e balzi’ belegt. Dass es sich beim französischen Substantiv saltarin dennoch um eine Entlehnung aus dem Italienischen handelt, legen neben dem Zeugnis Tuccaros auch weitere rinascimentale Italianismen aus demselben Denotatsbereich nahe (z.B. fr. saltimbanque < it. saltimbanco , vgl. Hope 1971: 221). 350 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne […] ie recognois avoir moy-mesme esté le plus panure & mauvais saltarin du monde. (I’useray de ce mot avecques le congé & licence de ceste noble troupe, encor’qu’il soit peu usité en langue Françoise, car estant un vocable peregrin & estranger, il semble pourtant estre fort propre pour signifier en un mot, celui qui a la parfaite cognoissance de bien sauter.) (Tuccaro 1599: 3, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Betrachtet man die Immigration der Italiener und das Aufkommen lexikalischer Italianismen im Französischen des 16. Jahrhundert in einem größeren Zusammenhang, fällt zweierlei auf: Zum einen decken sich die Denotatsbereiche, in denen die Italianismen anzutreffen sind, weitestgehend mit den Berufsgruppen, denen die Einwanderer angehören (z. B. Militär, Kunst und Handwerk, höfische Gesellschaft), zum anderen sind auch Parallelen zwischen der Anzahl an Erstbelegen und der Anzahl an Einwanderern zu erkennen: Weiter oben wurde festgestellt, dass die Einwanderung Mitte des 16. Jahrhunderts am intensivsten gewesen sein muss. Hope (1971: 233-234), der nur für das 16. Jahrhundert die Erstbelege nach Jahrzehnten aufschlüsselt, stellt die höchste Zahl zwischen 1540 und 1560 fest (insgesamt 159 von 428 im 16. Jahrhundert) 19 . In beiden Fällen ist auch gleichermaßen mit Verzögerungen zu rechnen. Hope (1971) betont, dass zwischen Aufkommen in der Mündlichkeit und Erstbeleg eine gewisse Zeit vergehen kann. Gleiches gilt, so Dubost (1997), für Ankunft und Erhalt der lettres de naturalité 20 . Schließlich ist die Annahme, die Immigranten könnten für bestimmte Lehnwörter verantwortlich sein, auch nicht neu. Vidos (1960) weist in 19 Nicht alle der 462 von Hope (1971) für das 16. Jahrhundert ermittelten Italianismen können einem Jahrzehnt zugeordnet werden. Angesichts der neuen Zahlen im OIM müssten die Erstbelege natürlich überprüft werden. Bisher ist das mittels der Werkzeuge im OIM noch nicht problemlos möglich, da nicht genau datierbare Italianismen noch nicht von den genau datierbaren Lehnwörtern getrennt werden können und mithin ein manuelles Auszählen erforderlich wäre. Da in Kürze aber ohnehin noch weitere Italianismen eingespeist und die Suchfunktionen optimiert werden sollen, habe ich für die vorliegende Arbeit auf ein Auszählen verzichtet. 20 Auch Balsamo (2009: 15) weist auf diese Parallele hin, sieht darin jedoch einen Beleg dafür, dass die Aussagen Estiennes in den Deux Dialogues unglaubwürdig seien, da dieser ja behaupte, italienische Einflüsse auf das Französische seien verstärkt in den 1570er Jahren festzustellen. Selbst wenn sich Estienne im Hinblick auf das Jahrzehnt, in dem der Einfluss des Italienischen am intensivsten war, vielleicht tatsächlich irrt, ändert dies nichts an seiner grundsätzlich richtigen Annahme, dass die Migranten am Aufkommen von Italianismen beteiligt waren. Außerdem können zwischen dem Erstbeleg eines italienischen Lehnworts und dessen tatsächlicher Verbreitung auch mehrere Jahre vergehen. Weiter oben wurde zwar festgehalten, dass zwischen Aufkommen in der Mündlichkeit und Erstbeleg mehrere Jahre liegen können, dies gilt aber natürlich nur für Italianismen, die über die gesprochene Sprache vermittelt wurden. Lehnwörter, wie sie sich z. B. in Übersetzungen fachsprachlicher Traktate finden, nehmen eben dort ihren Anfang und benötigen eine gewisse Zeit, um sich in der (gesprochenen) Allgemeinsprache zu etablieren. 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 351 diesem Zusammenhang auf die Rolle von Italienern in der französischen Marine hin, Stammerjohann (2013) bringt die Aufnahme italienischer Bezeichnungen im kulinarischen Bereich mit den Köchen von Catherine de Médicis in Verbindung. Studien auf Grundlage entsprechender Quellen liegen aber noch nicht vor. Durch die Berücksichtigung von Texten wie z. B. Tuccaro (1599) könnte die etymologische Forschung zu wichtigen neuen Erkenntnissen gelangen. Im Hinblick auf die Vitalität des Italienischen ist laut Conklin / Lourie (1983) schließlich auch das identitätsstiftende Potential der Migrantensprache von Bedeutung. Insbesondere wenn kein wirklicher Assimilationsdruck zu beobachten ist und die emotionale Bindung der Sprecher an ihre Sprache und Gemeinschaft stark ist, wird der Spracherhalt begünstigt. Wie sehr sich zumindest bestimmte Immigranten als Italiener, oder besser als toscani , milanesi , genovesi usw., betrachteten, hat Boucher (1994: 16) für einige Mitglieder der colonie italienne in Lyon gezeigt: So ist z. B. anhand eines Testaments ersichtlich, dass sich der Verfasser, der offenbar auch keine lettres de naturalité beantragt hatte, selbst als „florentin, citoïen de Lyon“ bezeichnete. Dem folgenden Ausschnitt aus einem Brief von Filippo Cavriana an Lodovico Gonzaga, in dem ersterer letzterem mitteilt, dass sich die Suche nach einem Arzt schwierig gestaltet, kann entnommen werden, dass sich Italiener in der Tat nicht immer ohne Weiteres problemlos in Frankreich integrierten 21 . Interessant ist im Übrigen auch, dass - sowohl der Sender als auch der Empfänger des Briefes lebten bereits seit über 20 Jahren in Frankreich - überhaupt in Erwägung gezogen wird, einen Arzt aus Italien zu holen. Di medico, io non ne trovo, ne meco gli amici che cercano per me, et pure cerco, perche inna[n]zi che ne habbia uno d’Italia, formato al vivere di Francia ci vorrà tempo et longo et Dio sa qual riuscita farà. bacio à VE le mani et altresi a Madama Duchessa, a quali prego da Dio ogni contento. (Brief von Cavriana von il di della Candellorie del 1586 , BNF FF 3374 [48], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) In gleich zwei Briefen der Nazione Fiorentina bzw. der Nazione Fiorentina e Lucchese an Catherine de Médicis - es handelt sich um Originalhandschriften aus den Sammlungen der BNF , die in Kapitel 6.3 auch als Datengrundlage für die linguistische Analyse des Italienischen der France italienne herangezogen werden - finden sich ebenfalls äußerst aufschlussreiche Stellen. Madama, Sebene la M[…]ta vra ha sempre havuto per sua grandissima bontà in racomandatione la nation’ vra, Si non habbiamo noi voluto mancare di farle hora colla 21 Dies widerspricht offensichtlich auch der Annahme Balsamos (2015: 25), dem zufolge sich die italienischen Immigranten zumeist mühelos integrierten. 352 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne presente reverenza. (Brief der Nazione Fiorentina vom August 1559 an Catherine de Médicis [Anonym], BNF FF 3898 [41]) Interessant ist, dass sich die Nazione Fiorentina ganz selbstverständlich als nation’ vra ‘la nazione vostra’ bezeichnet 22 . Auch aus dem zweiten Brief geht hervor, dass sie Catherine de Médicis als Italienerin wahrnehmen und so den Gebrauch des Italienischen rechtfertigen. Oltre di questo non possiamo mancare diricordarle con ogni humilta che e corrono propossiti che la nra natione Italiana restera indietro e sara peggio trattata che le altre […] Restando questa lingua Italiana con si poca conditione apresso questa corona […] Non possiamo far di meno che rimostrarlo a Vra Maesta larghissimamente. Non sapendo dove con piu giusto titolo possiamo ricorrerci, & dachi piu begnina mente possiamo esser uditi et exauditi. Pregandola humilissimamente che il suo buon piacere sia di volerci scusare se la troppa affetione et zelo del honore della lingua Italiana ci facessi ecciedere con lo scrivere è debiti mezzi, & dopo aver basciato le sacrate mane con ogni riverentia et divotione Preghiamo Dio che lidia lunga vita e la mantengha felice […]. (Brief der Nazione Fiorentina e Lucchese vom 10. Juli 1560 an Catherine de Médicis [Anonym], BNF FF 3898 [79], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Ob „questa lingua Italiana“ nach dem Tod von Henri II und während der kurzen Regentschaft von François II tatsächlich an Ansehen verlor, wie es die Nazione Fiorentina e Lucchese wahrscheinlich machen will, oder ob die Sprache hier einfach strategisch (identitätsstiftend) eingesetzt wird, lässt sich nicht ohne Weiteres feststellen. Klar ersichtlich ist in jedem Fall, dass sich die Immigranten in Lyon als Italiener bezeichnen, Catherine de Médicis als Italienerin wahrnehmen und nicht das Französische verwenden, obwohl nicht auszuschließen ist, dass es sich bei den Verfassern um Immigranten der zweiten oder dritten Generation handelt. Wie Boucher (1994) gezeigt hat, geht die Gründung der Nazione Fiorentina schon auf das 15. Jahrhundert zurück. Die Italiener nahmen sich also als solche wahr und verbanden mit ihrer Sprache auch die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe. Dass die Italiener spätestens in den 1570er Jahren dank Catherine de Médicis offenbar (wieder) gewisse Privilegien genossen, kann dem Zeugnis des venezianischen Botschafters Lippomano entnommen werden. Per ordinario si mostra sempre allegra, e ascolta tutti; e favorisce molto la nazione italiana, la quale senza essa [Caterina de’ Medici, T. S.] la farebbe molto male. E non so come si ritroveranno alcuni dopo la sua morte, e massime di quelli che son in odio al populo parigino e di tutta la Francia. (Tommaseo Bd. 2, 1838: 630, Lippomano 1577) 22 In der Handschrift ist eindeutig <vra> ‘vostra’ zu lesen. In zwei Fällen erscheinen auch abgekürzte Schreibungen für nostro , die deutlich verschieden sind (vgl. Anhang 5). 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 353 Laut Conklin / Lourie (1983) haben auch „cultural factors“ Einfluss auf die Vitalität der Migrantensprache. Insbesondere wenn die Teilnahme an Kulthandlungen ihre Kenntnis voraussetzt oder sie institutionell gefördert wird, wirkt sich dies positiv auf ihren Erhalt aus. In Kapitel 5.2 wurde gezeigt, dass die Italiener in Genf nicht zuletzt dank der Bestrebungen Calvins das Italienische als Sakralsprache verwenden konnten. Für die France italienne lässt sich unglücklicherweise nicht feststellen, ob das Italienische auch im Gottesdienst Verwendung fand, was angesichts der hohen Anzahl an italienischen Geistlichen - und Gläubigen - nicht undenkbar wäre. Dubost (1997: 135) geht davon aus, dass es keine eigenständige église italienne gab, bezieht sich dabei aber vorwiegend auf Paris. Für Lyon konnte Boucher (1994: 147-153) zeigen, dass sich die Italiener in großen Kirchen eigene Kapellen einrichteten. Denkbar wäre, dass auch Gottesdienste in italienischer Sprache abgehalten wurden. Im privaten Bereich, z. B. am Hofe, ist angesichts der Präsenz zahlreicher Italiener unter den aumôniers von Catherine de Médicis durchaus vorstellbar, dass etwa die Beichte auf Italienisch abgenommen wurde. Dass das Italienische in jedem Fall auch bei kulturellen Veranstaltungen im weitesten Sinne Verwendung fand, kann als verbürgt gelten. Sowohl in Lyon als auch in Paris und am Hof erfreute sich das Théâtre italien größter Beliebtheit. Es wurde bis ins 17. Jahrhundert auch vor französischem Publikum nicht auf Französisch gespielt 23 (vgl. Boucher 1994: 126-136, Boucher [1981] 2007: 772-803, Dubost 1997: 99-104). Wie der folgende Ausschnitt aus dem Vorwort zu Gherardis Sammlung aus dem Théâtre italien zeigt, kamen dabei - zu satirischen Zwecken - auch verschiedene italoromanische Idiome zum Einsatz, was als Indiz dafür betrachtet werden kann, dass zumindest unter den italienischen Immigranten 24 bereits ein gewisses Varietätenbewusstsein existiert haben muss. Les curieux de la langue italienne y trouveront par ci, par là des scenes purement en italien, & d’autres mélées de françois & d’italien, ainsi qu’on les jouoit sur notre theâtre, avec cette difference pourtant que le Docteur & Arlequin n’y parlent pas le langage ferré de Boulogne & de Bergame, parce qu’on ne les entendroit pas. (Gherardi Bd. 1, [1741] 1969, Avertissement ) Dass am französischen Hof italienische Schriftsteller tätig waren, deren Werke auch in Paris und Lyon publiziert wurden, ist in Kapitel 2.1.4 schon erwähnt 23 Wie der Sammlung von Gherardi ([1741] 1969) entnommen werden kann, existierten (vermutlich ab dem 17. Jahrhundert) aber zweisprachige Stücke. Auch intersentential code-switching ist zu beobachten. 24 Aus zahlreichen Memoiren des 17. Jahrhunderts (z. B. Petitot / Monmerqué Série 2, Bd. 50, 1826: 59-60, Memoiren Montglat) geht eindeutig hervor, dass französische Zuschauer oft nicht folgen konnten. 354 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne worden (vgl. Balsamo 2015). Auch auf den Umstand, dass italienische Bücher in Frankreich verbreiteter waren als anderswo in Europa (vgl. Scharinger 2017), wurde bereits hingewiesen. Die Immigranten hatten also die Möglichkeit, weiterhin in ihrer Muttersprache zu lesen oder diese im Rahmen kultureller Veranstaltungen zu hören. Schließlich finden sich Belege dafür, dass am französischen Hof neben Theateraufführungen u. a. auch Lesungen in italienischer Sprache stattfanden (vgl. Picot Bd. 2, [1907] 1968: 3-17). Dem folgenden Ausschnitt aus einer épître von Jean-Baptiste du Four zu einer in Lyon verlegten Edition des Decameron von 1555 kann entnommen werden, dass das Italienische am französischen Hof gepflegt wurde. Auch viele französische Hofdamen aus der Entourage von Catherine de Médicis waren offenbar des Italienischen mächtig. M. Battista Alamanni, gentilhuomo rarissimo in tutte le scienze et stimato hoggi nella lingua thoscana tra i migliori compositori del nostro tempo; con il quale trovandomi io un giorno infra li altri in camera della reina [di Caterina de’ Medici, T. S.], dove era tutta la nobiltà delle donne franzese, Io pregai che gli piacesse darmene a conoscere qualch’una, acciò che io potessi alcuna volta, secundo l’occasione, della loro virtù et valore parlare; per il che lui, come persona cortesissima, mi disse: «Tutte quelle che vedete qui con altre molte che hora non ci sono, sarebbono degno suggetto di Homero e di Vergilio, né hanno solo la vera cognizione della lingua thoscana, ma nello scrivere et comporre in essa son venute al colmo». (Du Four 1555, zitiert nach Picot Bd. 2, [1907] 1968: 8) Aus einem Brief eines toskanischen Botschafters geht zudem hervor, dass auch Italienisch-Lehrer am Hof beschäftigt wurden. Von einer institutionellen Förderung kann dabei zwar nicht gesprochen werden, dennoch scheint das Erlernen des Italienischen in manchen Fällen auch professionell begleitet worden zu sein. Besonders deutlich wird auch, wie wichtig italienische Netzwerke waren. Neuankömmlinge am Hof wurden offenbar von ihren Landsleuten protegiert. Sono già tre anni passati, che un Cosimo Ruggieri; stato già con messer Domenico Bonsi, e venuto quà con M. Tommaso, suo fratello, si fermò poverissimo in questa corte; e, per la scarsità de’ partiti, nel principio, si pose a stare col Commendatore Petrucci, antecessore mio; col favore del quale, credo io, ch’ egli si cominciasse poi a far conoscere per bello ingegno e spiritoso, […]; di maniera che M. Montmorin, primo scudiero della Regina Cristianissima, si contentò d’averlo appresso di sè, per insegnare la lingua italiana alli paggi di Sua Maestà. […] Per questo, e per li favori che li hanno fatto in cio Giangaleazzo Fregoso e l’abbate Guadagni, venne egli, […], in tal cognizione e credito della Regina, madre del Re [Caterina de’ Medici, T. S.], che, […] fu eletto, non sono molti mesi, per insegnare a M. il duca d’Alençon la lingua toscana; […]. (Desjardnis Bd. 3, 1865: 929, Bericht von Vincenzo Alamanni vom 26. April 1574) 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 355 Schließlich spielen laut Conklin / Lourie (1983) auch auf die Sprache selbst bezogene Faktoren eine Rolle für deren Vitalität. Handelt es sich um eine Sprache, die auch international ein gewisses Prestige genießt, die über eine Schriftradition verfügt und deren Alphabet sich nicht von dem der neuen Mehrheitssprache unterscheidet, wirkt sich dies im Allgemeinen positiv aus. Dies alles trifft auf das Italienische in der France italienne zu. Entscheidend ist aber auch, ob die Immigranten tatsächlich Sprecher dieser Standardvarietät sind. Wenn sie hingegen eine Varietät sprechen, die über keine Schrifttradition und kein besonderes Prestige verfügt, ist der Sprachwechsel bzw. -verlust wahrscheinlicher. Im Folgenden wird anhand der Ergebnisse von Dubost (1997) die regionale Herkunft der Einwanderer besprochen. Zudem wird auch auf die Frage eingegangen, ob überhaupt bereits ein ausgeprägtes Varietätenbewusstsein vorhanden war oder nicht. Herkunft 1549-1601 Anteil an der Gesamtzahl Piemont 132 17 % Mailand (Milanais) 96 12,4 % Norden 3 0,4 % Riviera (Genua) 68 8,8 % Nizza 29 3,7 % Venedig 26 3,3 % Po-Ebene 101 13 % Toskana (allg.) 240 31 % Florenz 153 19,7 % Lucca 55 7 % Rom 31 4 % Neapel 33 4,2 % Sizilien 2 0,25 % Korsika 12 1,5 % Malta 2 0,25 % Gesamt 775 -- Tab. 18: Regionale Herkunft der italienischen Immigranten im 16. Jh. nach Dubost (1997: 34) 356 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Wie aus der Übersicht hervorgeht, können zwei Zonen ausgemacht werden, aus denen die Mehrheit der Einwanderer kommt: zum einen nördliche Regionen (v. a. Piemont, Lombardei, Ligurien), zum anderen die Toskana 25 . Laut Dubost (1997: 35) sei die Immigration aus den nördlichen Regionen insbesondere in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts besonders stark, was sich durch die französische Präsenz im Piemont und im Milanais erklärt, wohingegen ab der zweiten Hälfte vermehrt Migranten aus Zentralitalien zu verzeichnen sind. Wie die Zahlen zeigen, stammen insgesamt mehr als 30 % aus der Toskana. Die von Dubost für die gesamte France italienne ermittelten Regionen scheinen sich im Wesentlichen auch in der Zusammensetzung der colonie italienne in Lyon ( Nazione Fiorentina , Lucchese , Milanese , Genovese ) sowie der höfischen Gesellschaft - 1577 wurden Gehälter für 140 Italiener 26 , 82 Piemontesen und 21 Neapolitaner gezahlt (vgl. Bocher [1981] 2007: 422) - widerzuspiegeln. Was lässt sich daraus nun für die Vitalität der Muttersprache der Migranten ableiten? Offensichtlich ist, dass mehr als ein Drittel der Einwanderer Sprecher einer toskanischen Varietät waren. Können sie aber allein deshalb als Sprecher einer prestigereichen Standardvarietät gelten? In den weiter oben zitierten Ausschnitten (vgl. Du Four 1555 und Alamanni 1574) wurde bereits ersichtlich, dass das Prestige des Toskanischen auch im Frankreich des 16. Jahrhunderts bekannt war. Allerdings könnte damit auch die norma bembiana gemeint sein. In Kapitel 2.2.2 wurde erwähnt, dass sich die erste Italienisch-Grammatik (De Mesmes 1549) in Frankreich in der Tat an den Prose Bembos orientierte. Meines Erachtens sprechen im Wesentlichen aber drei Gründe dafür, die toskanischen Immigranten durchaus als Sprecher einer ‘Standardvarietät’ zu betrachten. Erstens wurde das toscano ( fiorentino ) vivo - anders als z. B. das zeitgenössische Venezianisch - im rinascimentalen Italien zumindest als eine mögliche Alternative zum Tre Corone -Modell und zur lingua cortigiana diskutiert, wobei es auch institutionell - man denke an die Medici und ihre Accademia Fiorentina - gefördert wurde 27 . Zweitens konnte Florenz, das gewissermaßen das literarische Erbe der Tre Corone für sich beanspruchte, spätestens seit Varchi und dessen Kompromiss- 25 Die Herkunftsangaben sind Dubost (1997: 34) entnommen und spiegeln offenbar die Angaben in den lettres de naturalité wider. Manchmal wird ein genauer Ort genannt (z. B. Florenz und Lucca), manchmal aber auch nur die Region. Unter Norden versteht Dubost (1997: 34) das Trentino sowie angrenzende Regionen in den Alpen. Nicht aus allen Einbürgerungspapieren geht die regionale Herkunft des Migranten hervor. 26 Diese Kategorie dürfte insbesondere Einwanderer aus Zentralitalien umfasst haben. Im 16. Jahrhundert wurde v. a. Zentralitalien als Italien bezeichnet. 27 Für einen knappen Überblick über die questione della lingua im Italien des 16. Jahrhunderts vgl. z. B. Koch (1988). Ausführlich informiert Vitale (1984). 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 357 lösung zwischen archaischem und zeitgenössischem Florentinisch z.T. wieder sprachlichen Einfluss ausüben. La rilettura di Bembo condotta da Varchi non fu affatto fedele, e anzi risultò in un vero e proprio tradimento […]. [Essa] è di estrema importanza. […] Questi principi permisero a Firenze di esercitare di nuovo un controllo sulla lingua […]. (Marazzini 2002: 269-270) Drittens - und dies scheint mir das Wichtigste zu sein - galt die norma bembiana in erster Linie für das italiano letterario , nicht für die Mündlichkeit. So weist z. B. auch Marazzini (2002: 264, 301-304) darauf hin, dass selbst Bembo dem zeitgenössischen Toskanischen durchaus eine gewisse Brauchbarkeit für die Kommunikation beimaß und dass der Franziskaner Girolamo Panigarola (* 1548 Mailand, † 1594 Asti) 28 Predigern empfahl, sich nach Florenz zu begeben, um die „lingua fiorentina parlata“ zu erwerben, da diese als besonders geeignet für die Predigt erachtet wurde 29 . Sowohl in Memoiren als auch in Reiseberichten lassen sich zudem zahlreiche metasprachliche Aussagen ausfindig machen, die dem gesprochenen Toskanisch der Frühen Neuzeit ein außergewöhnliches Prestige - gewissermaßen als ‘Standardvarietät’ der Mündlichkeit - attestieren 30 . Auch Ausländer, die das Italienische erlernen wollten, orientierten sich zumeist am gesprochenen Toskanischen (vgl. die folgenden Ausschnitte). Sienne de tout temps a esté fort polie, la plus belle Langue que l’on parle en Italie est la Senese, ou Toscane Romanisée […]. (La Boullaye-le-Gouze 1653: 12) The inhabitants [of Lucca, T. S.] are exceedingly civill to strangers, above all places in Italy, and they speake the purest Italian. (Evelyn [1645] 1890: 150) Dass auch unter den Italienern in der Petite Italie ein Bewusstsein für das Prestige des Toskanischen vorhanden war, kann dem Bericht des venezianischen Botschafters Lippomano aus dem Jahre 1577 entnommen werden. Der Vergleich mit dem zeitgenössischen Französisch legt nahe, dass insbesondere die gespro- 28 Zu Panigarola, der sich im Übrigen auch längere Zeit in Frankreich aufhielt, vgl. den Beitrag PANIGAROLA, Girolamo von Vincenzo Lavenia (2014) im DBI. 29 Marazzini (2002: 302) spricht im Zusammenhang mit diesen Aufenthalten von Predigern in Florenz von einer frühneuzeitlichen „abitudine di «risciacquare i panni in Arno»“. Vgl. dazu auch Marazzini (1989). 30 Vgl. u. a. Coulon Bd. 2 (1644: 385), Deseine (1699: 132), Duval (1656: 14), Grangier de Liverdis (1667: 237), Huguetan (1681: 40), Münster Bd. 1 (1575: 326), Vologer (1643: 114). Interessanterweise ziehen zahlreiche Reisende bzw. Lerner das Italienische Sienas und Luccas jenem von Florenz vor. Zur besonderen Rolle Sienas vgl. z. B. die bei Stammerjohann (2013: 16) genannte Literatur. 358 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne chene oder zumindest nicht ausschließlich die literarische Sprache („che si costuma in corte“) gemeint ist 31 . La migliore e la più forbita lingua è quella che si costuma in corte e nella Isola di Francia: e come in Italia la toscana è stimata la più perfetta cosi in Francia è stimata più quella di Parigi. (Tommaseo Bd. 2, 1838: 586-588, Lippomano 1577) Wie dem folgenden Passus aus einem Brief des Cardinal de Retz entnommen werden kann, stand das ‘moderne’ Toskanisch in der France italienne auch im 17. Jahrhundert noch hoch im Kurs. Der Kardinal bittet einen anderen Italiener darum, ein Schriftstück auf Italienisch zu verfassen. Dieser sei als „Fiorentino“ geeigneter als er. […] de plus vous êtes un rêveur de me demander des lettres, puisque vous avez des blancs-signés de quoi en faire de plus éloquentes que moi, vous qui êtes tout frais esmolu et véritablement Fiorentino . (Chantelauze Bd. 1, 1878: 397-398, Brief des Cardinal de Retz vom November 1651, Hervorhebung im Original) 32 Es kann also davon ausgegangen werden, dass die Immigranten aus der Toskana, die die wichtigste Einwanderergruppe unter den Italienern darstellten, um das Prestige ihrer Varietät wussten. Sie konnte sowohl in der Konversation als auch in nichtliterarischen Textsorten verwendet werden. Auch dieser Umstand begünstigte mit Gewissheit den Erhalt ihrer Muttersprache. Schließlich, so Conklin / Lourie (1983), hat auch die regelmäßige Verwendung der Muttersprache Einfluss auf den Spracherhalt. Wenn die Migranten alphabetisiert sind und die Sprache weiterhin verwenden, stärkt dies die Vitalität. Dass die Immigranten, von denen die meisten als überdurchschnittlich gebildet betrachtet werden müssen, auch noch in der zweiten und dritten Generation an Verwandte in Italien schrieben, wurde weiter oben dargelegt. Laut Dubost (1997: 125-126) wendeten sich Franzosen zudem häufig an die Immigranten, wenn es darum ging, geschäftliche Angelegenheiten in Italien zu erledigen. Aufgrund der Sprachkenntnisse fungierten sie als Vermittler. Anhand der weiter oben besprochenen Briefe der Nazione Fiorentina e Lucchese an Catherine de Médicis ist auch ersichtlich, dass das Italienische zur Kommunikation innerhalb der 31 Schon Balsamo (2015: 37) weist anhand von Aussagen eines am französischen Hof tätigen venezianischen Poeten darauf hin, dass das Prestige des Toskanischen außer Frage stand. Allerdings könnte sich der Venezianer dabei lediglich auf das toscano antico und mithin auf die Literatursprache bezogen haben. 32 Gleichzeitig stellt der Kardinal in diesem Brief fest, dass er es grundsätzlich vorziehe, auf Französisch zu schreiben. Dies ist angesichts der Tatsache, dass er kein Immigrant der ersten Generation ist, aber auch nicht verwunderlich. Das Italienische beherrschte er trotzdem sehr gut (vgl. z.B. Chantelauze 1882: 87). 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 359 France italienne ( colonie italienne in Lyon und französischer Hof) auch im distanzsprachlichen Bereich Verwendung finden konnte. Abschließend festhalten lässt sich, dass in der France italienne die von Conklin / Lourie (1983) emittelten Voraussetzungen für eine starke Vitalität der Migrantensprache offenbar alle erfüllt waren. 6.2.2.3 Italienisch als Nähe- und Distanzsprache La reyne [Catherine de Médicis, T. S.], sa femme et mère de nos roys, parloit encore fort peu son toscan avecques ceux de sa nation pour grandz affaires, ainsi que le roy son mary, portant en cela l’honneur qu’elle devoit au royaume où elle avoit pris sa grandeur et bonne fortune. […] Elle disoit et parloit fort bien françois, encor qu’elle fust italienne. A ceux de sa nation […] ne parloit que bien souvent françois, tant elle honnoroit la France et sa langue, et faisoit fort paroistre son beau dire aux grands, aux estrangiers et aux ambassadeurs qui la venoient trouver tousjours après le roy. (Brantôme Bd. 7, 1873: 74, 374-375, Hervorhebungen im Fettdruck T.S.) Glaubt man den Aussagen des Chronisten Brantôme, scheint Catherine de Médicis selbst im Gespräch mit Italienern nur noch selten ihre Muttersprache verwendet zu haben. Was im Zusammenhang mit den der Forschung (z. B. in Dubost 1997: 123-124) durchaus bekannten Aussagen von Brantôme aber zumeist übersehen wird, ist, dass der Chronist, wie im obigen Ausschnitt zu erkennen ist, unter Umständen eine Diglossie-Situation andeutet. Meines Erachtens kann „pour grandz affaires“ nur dahingehend interpretiert werden, dass das Französische in distanzsprachlichen Kontexten dominierte. In anderen Bereichen 33 scheint das Italienische hingegen nicht ausgeschlossen gewesen zu sein. Wenn die Beobachtungen Brantômes tatsächlich zutreffend sind - und man Catherine de Médicis hier als exemplarisch betrachtet -, würde dies nahelegen, dass die Situation in der France italienne einer für Migrationskontexte typischen Situation entsprochen hat. Die Migrantensprache blieb auf die kommunikative Nähe beschränkt, ihre Reichweite also begrenzt. Nun aber wurde bereits an mehreren Stellen der Arbeit die Vermutung geäußert, dass das Italienische nicht zuletzt aufgrund seines internationalen Prestiges unter Umständen auch in distanzsprachlichen Kontexten verwendet werden konnte. In Kapitel 3.3.7 wurde außerdem darauf hingewiesen, dass sich die Verwendung einer Migrantensprache im distanzsprachlichen Bereich auch positiv auf den Spracherhalt bei einzelnen Individuen auswirkt (keine Attrition). Im Folgenden soll daher der Geltungsbereich des Italienischen in der France itali- 33 Auch der weitere Kontext in Brantôme Bd. 7 (1873: 74-75) legt nahe, dass nur Situationen der kommunikativen Distanz gemeint sind. 360 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne enne genauer betrachtet werden. Es soll gezeigt werden, dass es entgegen den Aussagen Brantômes nicht nur in der kommunikativen Nähe, sondern auch - selbst in Gegenwart von Franzosen - in der kommunikativen Distanz Verwendung finden konnte. Dass das Italienische innerhalb von Migrantenfamilien weiterhin als Nähesprache fungierte, ist mehr als wahrscheinlich. In der Tat begegnen vereinzelt Hinweise im Korpus, die diese Annahme bestätigen. So soll in der Familie von Filippo Strozzi, der im 16. Jahrhundert nach Frankreich kam und später wie sein Vater, Pietro Strozzi, maréchal de France werden sollte, weiterhin Italienisch gesprochen worden sein 34 . […] respondit en Italien, car il [Philippe Strozzi, T. S.] ne savoit encore mot de Francois […]. Elle, voiant son frère tout bouffé d’envie du raisin […], respond aussi promptement: «Che io batta mio fratello» c’est-à-dire que je batte mon frère. (Cimber u.a. Bd. 9, 1836: 405-406 [1547]) Nicht nur innerhalb der Einwandererfamilien, sondern auch unter den Bediensteten eines italienischen Aristokraten könnte das Italienische weiterhin im nähesprachlichen Bereich verwendet worden sein. Im Gegensatz zu Boucher ([1981] 2007: 478-481), die am Beispiel ausgewählter Einwandererfamilien zeigt, dass noch in der zweiten Generation vorwiegend untereinander geheiratet wurde, stellt Dubost (1997: 334-335) fest, dass insgesamt mehr gemischte als italienische Ehen in der France italienne zu beobachten seien. Allerdings erkläre sich dies insbesondere durch den Mangel an jungen weiblichen Immigrantinnen. Etwa 80 % der Immigranten seien männlich gewesen, so dass sie gewissermaßen notgedrungen auf Französinnen ausweichen mussten. Mit Bekannten, Verwandten und Vertrauten konnten die Italiener aber in jedem Fall weiterhin das Italienische in der kommunikativen Nähe verwenden. Einer der Leibärzte von Catherine de Médicis, der enge Verbindungen zum ebenfalls aus Mantova stammenden Duc de Nevers (Lodovico Gonzaga) unterhielt, schrieb diesem kontinuierlich auf Italienisch, dessen französischer Frau, der Duchesse de Nevers, hingegen auf Französisch 35 . Zu vermuten ist, dass Lodovico Gonzaga auch in italienischer Sprache antwortete, also trotz seiner Ehe mit einer Französin nicht 34 Die folgende Textstelle ist dem Bericht des Erziehers von Filippo Strozzi aus der Sammlung von Cimber u. a. (1834-1837) entnommen. Sie wird auch von Dubost (1997: 124) erwähnt. 35 Dies legt zumindest die Handschriftensammlung BNF 3374 nahe. Sie enthält italienische und französische Briefe von Filippo Cavriana aus den 1580er Jahren, als er bereits seit über 20 Jahren in Frankreich ansässig war. Alle französischen Briefe sind an die Duchesse de Nevers adressiert, die italienischen an den Duc. Die Briefe werden auch für die Analyse in Kapitel 6.3 und 7 herangezogen. Biographische Informationen zu Filippo Cavriana und Lodovico Gonzaga werden in Kapitel 6.3.2 gegeben. 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 361 auf das Italienische verzichten musste. Ein sehr prominentes Beispiel dafür, dass bisweilen auch in gemischten Ehen das Italienische als Nähesprache fungieren konnte, liefern Henri IV und Marie de Médicis Anfang des 17. Jahrhunderts. In den Briefen von Henri IV konnte ich in einem Brief an seine Frau den folgenden Passus entdecken, der nahelegt, dass zumindest zu Beginn der Ehe neben dem Französischen auch das Italienische eine Rolle spielte. Vous aurés eu à vostre lever de mes nouvelles par mr de Monbason. Je me suis fort promené tout aujourd’huy; mon estomac est un peu remis; demain je cours un chevreuil, qui m’achèvera de guerir. Vous avés oublié de m’escrire en italien et de m’appeler vostre cœur. (Berger de Xivrey Bd. 5, 1850: 393, Brief von Henri IV vom 13. März 1601) Welche Bedeutung kam dem Italienischen nun aber in der kommunikativen Distanz zu? Weiter oben wurde gezeigt, dass die colonie italienne in der Korrespondenz mit Catherine de Médicis manchmal das Italienische verwendete. Auch die soeben erwähnten Briefe von Cavriana an den Duc de Nevers können in einigen Fällen dem distanzsprachlichen Bereich zugeordnet werden. Die Beteiligten sind dabei aber immer Italiener. Die Verwendung des Italienischen durch Catherine de Médicis beim Empfang der polnischen Gesandten zeigt, dass das Italienische entgegen den Aussagen Brantômes in distanzsprachlichen Kontexten gebraucht werden konnte. Allerdings liegt hier ein distanzsprachlicher Sonderfall vor, handelt es sich doch um diplomatische Verhandlungen mit Gesprächspartnern, die das Französische offenbar nicht einmal beherrschten. Die Frage, ob die Reichweite des Italienischen in der France italienne so groß war, dass auch in gemischten Gruppen (Italiener und Franzosen) Italienisch gesprochen werden konnte, ist damit also noch nicht beantwortet. Denkbar wäre, dass - wie schon Estienne (1578) vermutete - aufgrund der Kenntnis des Italienischen unter den gebildeten Franzosen zumindest in bestimmten Kreisen Italienisch verwendet werden konnte. Hinweise darauf, dass zumindest in privaten Unterredungen zwischen Italienern und Franzosen am Hof bisweilen das Italienische gebraucht wurde, können u. a. dem Bericht Cellinis entnommen werden (vgl. dazu schon Picot [1918] 1995). Leone und Pietro Strozzi, zwei hochrangige Offiziere im Dienste der französischen Krone, schrieben - auch nachdem sie bereits seit längerer Zeit in Frankreich waren - sowohl an Catherine de Médicis als auch an den französischen König auf Italienisch (vgl. Kapitel 6.3.2). Einzelne Briefe der toskanischen Botschafter belegen, dass in privaten Audienzen mit dem französischen König auch das Italienische zum Einsatz kommen konnte und sich z. B. Charles IX sogar dafür entschuldigte, die 362 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Sprache nicht gut genug zu beherrschen. Wie der folgende Ausschnitt zeigt, fand manchmal auch eine Art Semikommunikation 36 statt. Finito di parlare sino a questo passo, Sua Maestà [Charles IX , T. S.] mi replicò con la maggiore amorevolezza del mondo: Mi so molto male di non saper parlare cosi bene italiano, ch’io vi possa esprimere il concetto mio. E, replicandoli io che seguitassi di parlare francese, che l’intenderei, mi disse: […]. (Desjardnis Bd. 3, 1865: 683, Brief von André Albertani an den Gran Duca di Toscana vom Juli 1571) Von besonderem Interesse ist jedoch eine andere Aussage zur unzureichenden Italienisch-Kompetenz von Charles IX , da aus dem Kontext ersichtlich ist, dass das Italienische am Hof manchmal auch innerhalb größerer Gruppen, d. h. jenseits privater Unterredungen 37 , als Verhandlungssprache Verwendung fand. Bei Verhandlungen im Anschluss an das Colloque de Poissy , das 1561 von Catherine de Médicis mit der Absicht, eine Aussöhnung zwischen Protestanten und Katholiken herbeizuführen, organisiert wurde, kam trotz der Gegenwart von Charles IX und weiteren französischen Beratern ganz offensichtlich auch das Italienische zum Einsatz. Le Roi très chrétien [Charles IX , T. S.] qui étoit présent, et dont la coutume est de ne dire jamais rien dans ces occasions, parce qu’il n’entend pas bien la langue italienne, répondit alors que cela étoit ainsi et qu’on ne devoit attendre que de Dieu seul toute sorte de bons succès. (Cimber u.a. Bd. 6, 1835: 26, Brief von P. de Sainte-Croix vom Januar 1562, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Gewiss war Charles IX zu diesem Zeitpunkt noch sehr jung und beteiligte sich vielleicht wenig an politischen Diskussionen. Dennoch ist aus dem Brief des in 36 Zur Semikommunikation (auch Interkomprehension und Rezeptive Mehrsprachigkeit) sowie zu verwandten Phänomenen vgl. Braunmüller / Zeevaert (2001). An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Rezeptive Mehrsprachigkeit im Frankreich des 16. Jahrhunderts nicht als gesamtgesellschaftliches Phänomen verstanden werden darf. Nicht alle Sprecher des Italienischen verstanden problemlos das Französische. Umgekehrt verstanden nicht alle Franzosen das Italienische. Es kann also nicht von Interkomprehension, wie sie zwischen Sprechern skandinavischer Sprachen (z. B. Schweden und Norwegern) zu beobachten ist, ausgegangen werden, die die Sprache des anderen allein aufgrund des „Ausschöpfen[s] des Wissens bezüglich der Varietäten des eigenen Diasystems“ verstehen, d. h. passiv beherrschen (Braunmüller / Zeevaert 2001: 2). Wenn Semikommunikation wie im obigen Ausschnitt stattfand, dann nur, wenn einer der Gesprächspartner eine mehr oder weniger gute passive Kenntnis der Sprache des anderen durch aktives Lernen erworben hatte. Auch in solchen Fällen kann aber von Semikommunikation gesprochen werden (vgl. Braunmüller / Zeevaert 2001: 2). 37 Weitere Belege für den Gebrauch des Italienischen in privaten Audienzen am Hof finden sich in Desjardins Bd. 2 (1861: 186, Pandolfi 1506), Bd. 3 (1865: 190, Ricasoli 1547) sowie in Bingen (2012). 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 363 Rom geborenen Geistlichen, der als nunzio del Papa am französischen Hof ein Vertrauter von Catherine de Médicis war (vgl. Cimber u.a. Bd. 6, 1835: Avertissement ), ersichtlich, dass auch mehrere Franzosen anwesend waren. Das Italienische konnte offenbar auch in Beratungen verwendet werden, die nicht unter vier Augen, d. h. zwischen einem Franzosen und einem Italiener, stattfanden. Die Formulierung „la coutume est de ne dire jamais rien dans ces occasions“ legt zudem nahe, dass der Gebrauch des Italienischen in solch einer Situation keine Ausnahme darstellte. In der Akademie von Henri III , die als philosophisch-literarischer Zirkel am französischen Hofe verstanden werden kann 38 , konnten Redebeiträge auch in italienischer Sprache erfolgen. Der aus Mantova stammende, weiter oben bereits erwähnte Leibarzt von Catherine de Médicis, Filippo Cavriana, bediente sich laut zeitgenössischen Quellen dazu in der Tat seiner Muttersprache (vgl. Baschet 1882: 66-67 und Dubost 1997: 125). Dass die Begeisterung der Franzosen für das Italienische sowie deren Kenntnis desselben - zumindest für vorübergehend in Frankreich verweilende Italiener - das Erlernen des Französischen manchmal noch im 17. Jahrhundert entbehrlich machten, ist dem Bericht Locatellis zu entnehmen (vgl. Locatelli 1905: 8, Fn. 2). Des Weiteren scheint die kommunikative Reichweite des Italienischen nicht auf die gruppeninterne Kommunikation in mehr oder weniger höfischem Rahmen beschränkt gewesen zu sein. Die Akten zu den États généraux von 1593 legen nahe, dass neben dem Französischen und Lateinischen auch das Italienische, nicht aber das Spanische akzeptiert wurde. […] lequel sieur de Ferya […], encores qu’il l’entendist et parlast françoys, fit néanmoins response en sa langue espagnolle, laquelle fut dès lors redigée par escript et translatée en françoys par messieurs de Montigny et le Barbier, à la priere de messieurs les autres deputez; dont ledict sieur le Barbier a faict lecture sur-le-champ, […]. (Bernard 1842: 86, März 1593) Et davantage il fut arresté que le cardinal de Pellevé rendroit et donneroit la response de par les estats audict duc de Feria en langue française, et puis la donneroit à entendre audict duc de Feria en langue latine, à celle fin que toute l’assemblée l’entende. (Bernard 1842: 655, März 1593) Et lors mondict sieur le legat se seroit levé et salué un chacun, puis rassis, auroit dit en sa langue italienne qu’il louoit Dieu de ceste saincte resolution, et, entre autres choses, […]. (Bernard 1842: 346, August 1593) 38 Zu Akademien im frühneuzeitlichen Frankreich vgl. z. B. Yates (1947). 364 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Im Gegensatz zum Spanischen brauchte das Italienische offenbar nicht übersetzt zu werden. Bereits im Juni 1593 wurde ein Redebeitrag auf Italienisch eingebracht, der, wie Bernard (1842: 288) betont, erst nachträglich („depuis traduit en françois“), wohl für die Akten, übersetzt wurde. Laut dem Herausgeber sei dies angesichts der Verbreitung des Italienischen im Frankreich des 16. Jahrhunderts „rien d’extraordinaire“, das Italienische sei schließlich von italienischen Geistlichen auch in der Predigt verwendet worden (vgl. Bernard 1842: 288, Fn. 2). Unglücklicherweise nennt er keine weiteren Quellen. In jedem Fall zeigt der Umgang mit dem Italienischen im Rahmen der États généraux , dass es auch noch gegen Ende des 16. Jahrhunderts nichts von seiner kommunikativen Reichweite eingebüßt hatte. Es konnte auch in Bereichen verwendet werden, die im Normalfall der Nationalsprache vorbehalten sind. Dadurch hebt es sich auch von anderen großen europäischen Nationalsprachen wie dem Spanischen ab, dessen Geltungsbereich im rinascimentalen Frankreich nicht mit jenem des Italienischen vergleichbar war. Einem zeitgenössischen Bericht ist zu entnehmen, dass Marie de Médicis noch 1610 vor den Generalständen in Metz Italienisch sprach. Allerdings erkannte sie wohl selbst, dass eine Übersetzung notwendig war. La Royne [Marie de Médicis, T. S.] fit cognoitre qu’elle avoit fort bien compris l’intention des Gens des trois Estats, & ayant respondu en Italien, commanda ses parolles estre interpretées par un Gentilhomme qui se trouva là. (Fabert 1610: 26) Die Wahl des Italienischen muss in diesem Fall also weniger auf dessen Reichweite als vielmehr auf die mangelnde Französisch-Kompetenz von Marie de Médicis zurückgeführt werden. Auch nach zehn Jahren in Frankreich war diese offenbar nicht in der Lage, sich zu politischen Themen in französischer Sprache zu äußern 39 . Etwas anders scheint es sich im Falle eines einfachen italienischen Dienstboten zu verhalten, der sich 1569 in Paris vor Gericht verantworten musste und sich laut Dubost (1997: 123) nur „en son langage“ verteidigen konnte. Laut Auskunft der Protokolle sei dies für das Gericht, so Dubost, offenbar kein Problem gewesen. Von Übersetzern ist zumindest nicht die Rede. Mitte des 16. Jahrhunderts musste das Italienische also eine solche Reichweite haben, dass es unter Umständen auch vor Gericht verwendet werden konnte. 39 Ihre unzureichende Beherrschung des Französischen war legendär. Schon in Dubost (1997: 124) finden sich Aussagen von ihren Zeitgenossen, die ihr eine mangelnde Kompetenz attestieren. Auch in den von mir untersuchten Texten, z. B. in Gouals Bd. 1 (1879: 227), begegnen zahlreiche Hinweise auf die eigentümliche Qualität ihres Französisch. Zur Rolle des Italienischen in der Entourage von Marie de Médicis vgl. die Memoiren einer ihrer Hebammen (Cimber u.a. Bd. 14, 1837: 184). 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 365 Im vorliegenden Kapitel wurde gezeigt, dass das Italienische nicht nur als Nähesprache innerhalb von Immigrantenfamilien, sondern auch in distanzsprachlichen Bereichen Verwendung fand. Anhand metasprachlicher Aussagen sowie authentischer Briefe ist ersichtlich, dass es auch dann zum Einsatz kommen konnte, wenn einer der Gesprächspartner Franzose war. Nicht nur in privaten Unterredungen am Hofe, sondern auch innerhalb größerer Gruppen konnte es bisweilen verwendet werden. Eine klassische Diglossie-Situation, in der die Migrantensprache ausschließlich auf die kommunikative Nähe beschränkt bleibt, scheint also zumindest in bestimmten Milieus nicht vorgelegen zu haben. Die Reichweite des Italienischen erklärt sich v. a. dadurch, dass die soziale Elite im Frankreich des 16. Jahrhunderts des Italienischen mächtig war und eine beträchtliche Zahl an Immigranten wichtige Ämter bekleidete. Von einer Semikommunikation, die allein durch die enge Verwandtschaft zwischen zwei Sprachen ermöglicht wird (z. B. Schwedisch und Norwegisch) kann aber nicht gesprochen werden. Nicht alle Franzosen beherrschten gleichermaßen das Italienische. 6.2.2.4 Sprachkompetenz der Immigranten In den vorhergehenden Kapiteln wurde gezeigt, dass sich das Italienische in der France italienne einer für eine Migrantensprache wohl eher untypischen Vitalität erfreute, was dazu geführt haben könnte, dass das Französische zumindest anfänglich nur schleppend erlernt wurde. Laut zeitgenössischen Sprachbeobachtern wie Estienne (1578) wies das françois italianizé der Immigranten in der Tat Interferenzen mit ihrer Muttersprache auf. Im Folgenden werden ausgewählte Belege aus Texten des 16. und 17. Jahrhunderts präsentiert, die Auskunft über die Sprachkompetenz einzelner Einwanderer geben, wobei auch Immigranten selbst zu Wort kommen. Zudem werden auch Imitationen des françois italianizé näher betrachtet, um Charakteristika dieser Lernervarietät zu ermitteln, die in den Deux Dialogues nicht genannt werden und so die in Kapitel 4.2.3 besprochenen Daten arrondieren. Weiter oben wurde darauf hingewiesen, dass ein einfacher Bediensteter 1569 nicht in der Lage war, sich vor einem Pariser Gericht auf Französisch zu verteidigen. Um wen es sich dabei handelte oder wie lange er zu jenem Zeitpunkt schon in Frankreich lebte, ist nicht bekannt. Anders verhält es sich mit einer Reihe weitaus bekannterer Einwanderer. Auch ihnen wurde von Zeitgenossen eine mangelnde Französisch-Kompetenz attestiert. Der bereits mehrfach er- 366 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne wähnte Pietro Strozzi etwa soll - wie Marie de Médicis - das Französische nie richtig erlernt und stets das Italienische bevorzugt haben 40 . Pour parler ast’ heure de la personne de ce grand mareschal [Pietro Strozzi, T. S.], il estoit un bel homme de corps et de visage, plus furieux pourtant que doux, encores qu’il aymast à rire, à bouffonner et à dire le mot, ce qu’il sçavoit très bien faire, mieux en son langage qu’en françois, lequel il ne parloit si sauvant que le sien. (Brantôme Bd. 2, 1866: 244) Dass Strozzi das Französische nicht so gut beherrschte wie seine Muttersprache, legen auch seine handschriftlichen Briefe nahe, die in Kapitel 6.3 analysiert werden. Trotz aufwändiger Recherchen konnten nur italienische Briefe aufgespürt werden. Selbst in Briefen an den König Henri II wurde das Italienische verwendet. Alle Briefe, die auf Französisch verfasst sind, stammen von Sekretären und wurden von Strozzi lediglich unterschrieben. Anzunehmen ist, dass sein Französisch in der Tat eine Art françois italianizé war. Anders verhält es sich offenbar mit Catherine de Médicis, die sehr jung nach Frankreich kam und mit dem französischen König verheiratet war. Wie weiter oben bereits angedeutet, habe sie laut Brantôme das Französische sehr gut beherrscht. Gewiss muss man Dubost (1997: 123-125), der sich in seiner Studie auf der Grundlage von metasprachlichen Zeugnissen zumindest auf zwei Seiten auch zur Französisch-Kompetenz der Einwanderer äußert, recht geben, wenn er feststellt: „Quant à la maîtrise du français, elle est très variable.“ Dass diesbezüglich mit individuellen Unterschieden zu rechnen ist, versteht sich von selbst. Andererseits darf aber in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen werden, dass die Dauer des Aufenthalts mit Bestimmtheit eine Rolle gespielt hat. Zu erwarten wäre, dass das Französische der Immigranten zumindest anfänglich vermehrt Interferenzen mit der Muttersprache aufwies. Brantôme (* 1537, † 1614) dürfte Catherine de Médicis wohl zum ersten Mal bewusst wahrgenommen haben, als diese schon seit mindestens 20 Jahren in Frankreich lebte. Als Beispiel dafür, dass der Grad der Beherrschung des Französischen mit der Dauer des Aufenthalts in Verbindung steht, kann Mazarin gelten. Die metasprachlichen Aussagen seiner Zeitgenossen, denen zufolge sein Französisch zahlreiche Interferenzen mit dem Italienischen aufwies, sind hinreichend be- 40 Aussagen zur Vorliebe Pietro Strozzis für das Italienische finden sich auch in Brantôme Bd. 2 (1866: 274) sowie in den Memoiren von Monluc (Petitot / Monmerqué Série 1, Bd. 21, 1822: 363) und Vieilleville (Petitot / Monmerqué Série 1, Bd. 27, 1822: 356-357). Laut einer Anekdote sollen auch seine letzten Worte, als er 1558 in der Schlacht von Thionville starb, in seiner Muttersprache gewesen sein. 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 367 kannt und brauchen an dieser Stelle nicht zitiert zu werden 41 . Interessant sind hingegen Beobachtungen, die ihm abgesehen von seinem Akzent eine gewisse Kompetenz im Französischen bestätigen, sowie seine Selbsteinschätzung, wie sie einigen seiner Briefe entnommen werden kann. Bisher sind diese meines Wissens in der Forschung nicht berücksichtigt worden. J’ay honte de la peine que vous prenez de m’escrire de vostre main, et que je ne puisse faire de mesme, mais, n’ayant pas assez de connoissance de l’orthographe françoise, je suis obligé de dicter ce que voudrois escrire. (Chéruel Bd. 2, 1879: 5, Brief von Mazarin vom Juli 1644) Il [Mazarin, T. S.] avoit beaucoup d’esprit, et parloit assez bien notre langue: il l’écrivoit même d’une manière à se pouvoir faire admirer; mais comme il lui restoit l’accent de son pays, il n’avoit pas l’agrément du discours, ni la facilité de s’exprimer. (Petitot / Monmerqué Série 2, Bd. 38, 1824: 21, Memoiren Mme de Motteville) Wie aus dem ersten Passus ersichtlich ist, schrieb Mazarin nach eigenen Angaben kurz nach seiner Ankunft in Frankreich französische Briefe noch nicht selbst 42 . Jahre später sei, wenn man den Aussagen von Mme de Motteville Glauben schenkt, sein geschriebenes Französisch aber bereits bewundernswert. Dass einige Immigranten von französischen Sekretären Sprachunterricht erhielten, geht aus den Memoiren von Marie-Félicie des Ursins hervor, die Anfang des 17. Jahrhunderts an den französischen Hof kam und erst selbst zu schreiben begann, als ihr Sekretär für längere Zeit abwesend war (vgl. Fiche Bd. 1, 1877: 36). Auch wenn die bisherigen Ausführungen nahelegen, dass die Immigranten v. a. anfänglich Probleme mit dem Französischen hatten, darf angenommen werden, dass ihr Französisch auch zu einem späteren Zeitpunkt noch Spuren eines françois italianizé aufweisen konnte. Schließlich hatte ihre Muttersprache eine solche Reichweite, dass sie sie weiterhin neben dem Französischen verwenden konnten, was mit Gewissheit Interferenzen begünstigte. Im Folgenden werden Imitationen des françois italianizé ausgewählter Italiener besprochen. Zwei der drei Auszüge (Vieilleville 16. Jahrhundert und Bassompierre 17. Jahrhundert) entstammen Memoiren, die nicht zu satirischen Zwecken geschrieben wurden. Der erste Ausschnitt ist den Memoiren des bereits erwähnten Vieilleville entnommen, der sich zur Französisch-Kompetenz des 41 Vgl. dazu z. B. Dubost (1997: 123-125). Weitere Aussagen finden sich z. B. in den Memoiren von de Brienne (Petitot / Monmerqué Série 2, Bd. 35, 1824: 62). 42 Für weitere Briefe, in denen sich Mazarin zu seiner mangelnden Kenntnis des Französischen äußert, vgl. Chéruel Bd. 2 (1879: 57): Brief vom September 1644 und Chéruel Bd. 8 (1894: 477): Brief vom Juni 1658. 368 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Conte della Mirandola, eines italienischen Offiziers im Dienste der französischen Krone, äußert. Dieser erklärt sich gerade vor dem französischen König. Mais estants sur ces enquestes, son père, le comte de La Myrande, fort grand joueur, […] se présenta devant le Roy tout esperdu, disant en langaige bastard mêlé de français et d’italien: Corps di Dio , Sire je son ruynat. Mon forfante de bastardin m’a robat trente mille escouz in oro, et tout ce que j’avia de riche et precioulx en quatre coffres; et s’en est andat con les coffres et miei muletti rendre Anglais. Il n’i a pas mon colliero et mantello de l’Ordre qu’il ne m’habbia emportat , dispeto di Dio: que feray-je? (Petitot / Monmerqué Série 1, Bd. 26, 1822: 309, Memoiren Vieilleville, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Wie im obigen Ausschnitt 43 zu sehen ist, sind sowohl Fälle von intrasentential (z. B. et miei muletti ) als auch von intersentential code-switching (z. B. dispeto di Dio: que feray-je? ) zu beobachten. Auffällig sind ferner die Partizipien robat und andat , die mit französischen Hilfsverben erscheinen. Diese zusammengesetzten Formen können als Produkte der Sprachmischung betrachtet werden, die in erster Linie auf lexikalische Interferenzen zurückzuführen sind. Die Partizipien sind zwar italienische Formen, allerdings sind sie morphologisch angepasst. Italianismen mit der Endung -ato begegnen im Französischen meist mit -at (z.B. it. stroppiato > fr. estropiat ). Die Interferenz findet also auf lexikalischer Ebene statt. Anstelle der französischen Lexeme voler und aller werden die italienischen Entsprechungen in leicht adaptierter Form verwendet. Aus französischer Perspektive handelt es sich um Luxuslehnwörter oder core-borrowings . Im vorliegenden Fall muss wohl davon ausgegangen werden, dass der Sprecher aufgrund seiner unzureichenden Kenntnis des Französischen entlehnt. Der Passus bestätigt damit die Aussagen Estiennes (1578), der u. a. auch fr. ander < it. andare kritisiert (vgl. Kapitel 4.2.3). Auch die Vorkommen von code-switching können so erklärt werden: Sowohl längere Einheiten als auch Fälle von one-word code-switching ( forfante ), die in der vorliegenden Arbeit an Entlehnungen angenähert werden, müssen durch Wortfindungsschwierigkeiten erklärt werden. Interessant ist, dass es sich bei forfante um einen tatsächlichen Italianismus im Französischen des 16. Jahrhunderts handelt. Möglicherweise wurde das Lexem vom Verfasser der Memoiren bewusst gewählt, um auf eine AS-produzenteninduzierte Entlehnung aufmerksam zu machen. Der Passus legt in jedem Fall nahe, dass italienische Immigranten - der Conte della Mirandola kann als zum Hof gehörig betrachtet werden (vgl. Kapitel 6.3.2) - aufgrund ihrer unzureichenden Beherrschung des 43 Dieser Passus aus den Memoiren Vieillevilles findet sich auch in François Bd. 1 (1959: 163). 6.2 Vitalität aus soziolinguistischer Perspektive 369 Französischen auch unfreiwillig am Aufkommen von lexikalischen Italianismen beteiligt gewesen sein könnten. Ebenfalls auffällig ist bastardin . Möglicherweise soll mit <st> hier auf [-st-] hingewiesen werden. Wie in Kapitel 2.3.2.2 erläutert wurde, könnte die Sequenz [-st-], die insbesondere in Italianismen und Latinismen begegnet, von Sprechern des Frühneufranzösischen noch als besonders auffällig und als italianisierendes Merkmal empfunden worden sein. Schließlich bedürfen auch die Schreibungen <escouz> und <precioulx> einer genaueren Betrachtung. Die Graphie <ou> lässt vermuten, dass in den entsprechenden Wörtern [u] artikuliert wurde, nicht [y] bzw. [ø]. Eine solche Aussprache, die auf Interferenzen mit dem Italienischen zurückgeführt werden könnte, ist im françois italianizé der Immigranten durchaus nicht unvorstellbar. Weiter oben wurde gezeigt, dass beinahe die Hälfte aller Einwanderer im 16. Jahrhundert aus Zentralitalien stammte. Als Sprecher zentralitalienischer Varietäten kannten sie gerundete Palatalvokale nicht. Auch nach Auskunft der folgenden Textstelle, die einem satirischen Text aus dem 17. Jahrhundert entnommen ist, scheint die Aussprache dieser Laute Italienern, die erst seit Kurzem in Frankreich waren, Probleme bereitet zu haben. […] cet Italien estoit à Paris depuis huit jours, & il croyoit avoir desja l’accent François; un jour en parlant à une personne, Son stato , luy dit-il, sta matina al bourreau per pigliar la carrozza di Versaglia , La personne à qui il parlait, luy dit qu’il faloit dire burreau , & que le Bourreau estoit Il Boia ; l’italien rejetta la faute de sa mauvaise prononciation sur. M. M… & sur M. G… Quei gasconi che sono in casa , dit-il, mi guastono l’accento . (Cotolendi 1694: 71-72) In den Deux Dialogues wird ein eventueller Ersatz von [y] oder [ø] durch [u] erstaunlicherweise nicht erwähnt (vgl. Kapitel 4.2.3). Auch die folgende Textstelle aus den Memoiren von Bassompierre aus dem 17. Jahrhundert legt nahe, dass gerundete Palatalvokale von italienischen Immigranten nicht immer problemlos ausgesprochen werden konnten. Karikiert wird das françois italianizé von Concini, einem Vertrauten von Marie de Médicis, mit dem Bassompierre, der seinerseits ebenfalls ein Vertrauter der Königin war, in engem Kontakt stand 44 . Per Dio, moussou, je ne connaisse Maignat, je n’entende point cela, je ne sais ce que c’est, moussou. […] Gli ministri m’ont donné cette strette et me veulent perdre. […] Seignor, je suis perdu; seignor, je suis ruiné; seignor, je suis misérable. (Petitot / Monmerque Série 2, Bd. 20, 1822: 32-34, 134, Memoiren Bassompierre) 44 Hinweise auf seine unzureichende Beherrschung des Französischen finden sich auch in anderen zeitgenössischen Texten (vgl. z. B. Petitot / Monmerqué Série 2, Bd. 8, 1821: 406, Memoiren Béthune). 370 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Neben <Seignor> und <moussou>, die auf den Ersatz von [œ] 45 bzw. [ø] durch [ɔ]/ [o] bzw. [u] hindeuten, sowie den Verbalformen connaisse und entende fällt das Substantiv strette auf. Wie weiter oben im Falle von forfante handelt es sich auch hier um einen tatsächlich belegten rinascimentalen Italianismus im Französischen (vgl. FEW s.v. strictus ), der aber in einer eher schlecht integrierten Form erscheint. An mehreren Stellen wurde schon darauf hingewiesen, dass s impurum in lexikalischen Italianismen von Estienne (1578) als Erkennungsmerkmal für das françois italianizé betrachtet wurde. Dass Bassompierre für seine Karikatur ebenfalls auf einen Italianismus mit s impurum zurückgreift, legt nahe, dass der Anlaut noch als markiert empfunden wurde und offenbar als Schibboleth des françois italianizé galt. Wie bei forfante könnte es sich auch hier um eine AS -produzenteninduzierte Entlehnung durch einen Immigranten handeln. Dass Bassompierre bewusst einen mehr oder weniger rezenten Italianismus - kein französisches Erbwort - wählt, der ausdrucksseitig zudem schlecht integriert ist, lässt vermuten, dass damit angedeutet werden soll, dass die Immigranten spontan aus dem Italienischen entlehnten. Wäre die Form nur ein wenig schlechter angepasst (it. stretta ), könnte sogar von one-word code-switching gesprochen werden. Was lässt sich aus den soeben analysierten Textstellen ableiten? Offenbar wird bestimmten Einwanderern eine mangelnde Beherrschung des Französischen unterstellt. Abgesehen von auf Wortfindungsschwierigkeiten zurückführbaren Fällen von code-switching und Entlehnungen fallen v. a. lautliche Interferenzen auf. Die gerundeten Palatalvokale des Französischen scheinen den Immigranten Schwierigkeiten bereitet zu haben. Dass es sich bei diesen Imitationen wohl kaum um ein getreues Abbild des françois italianizé handeln kann, ist anhand der Daten selbst ersichtlich. Warum sollte Concini [y] ( perdu ), aber nicht [ø] und [œ] ( moussou , Seignor ) aussprechen können? Auch gli ministri scheint trotz der Variation im rinascimentalen Italienisch Bassompierre selbst geschuldet zu sein. Wertvoll sind diese Imitationen, wie in Kapitel 3.3.4 betont wurde, aber trotzdem. Wie in allen Karikaturen werden prominente Merkmale überspitzt dargestellt. Dass die Artikulation von [y], [ø] und [œ] zumindest einigen Einwanderern Probleme bereiteten, ist durchaus denkbar (kein / y/ , / ø/ und / œ/ in zentral- und süditalienischen Varietäten). Spuren dieser Phänomene könnten in Texten von Einwanderern - auch von solchen, die des Französischen bereits mächtig waren - nachweisbar sein. Da aber eine mangelnde Kenntnis des Französischen und in der Folge Interferenzen mit dem Italienischen die Vitalität des Italienischen voraussetzen, soll zunächst ein Ausblick auf italienische Produktionsdaten gegeben werden. 45 Laut Huchon (1988: 90) könne bei lautgesetzlich regelmäßig entstandenem [ø] vor [r] im 16. Jahrhundert auch noch von [ø] ausgegangen werden. 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 371 Im nächsten Teilkapitel wird die Vitalität der Muttersprache der Immigranten näher beleuchtet. Angesichts der aus soziolinguistischer Perspektive äußerst günstigen Rahmenbedingungen dürften keine Anzeichen für Attrition festzustellen sein. 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé - Ein Ausblick auf italienische Produktionsdaten 6.3.1 Vorbemerkungen Wie aus der Überschrift dieses Teilkapitels hervorgeht, werden mit der Analyse italienischer Produktionsdaten gleich zwei Ziele verfolgt. Zum einen soll anhand der Texte der Immigranten gezeigt werden, dass in ihrer Muttersprache auch nach längerer Zeit in Frankreich keine Interferenzen mit dem Französischen festzustellen sind, zum anderen geben die Daten - zumindest exemplarisch - auch darüber Auskunft, welches ‘Italienisch’ in der France italienne anzutreffen war und daher sowohl den Franzosen als auch den Einwanderern selbst als Grundlage für das françois italianizé dienen konnte. Während durch den Nachweis, dass im Italienischen der Immigranten keine Beeinflussung durch das Französische zu beobachten ist, die weiter oben anhand soziolinguistisch relevanter Daten gemachten Aussagen zur Vitalität des Italienischen in der France italienne auf der Basis von authentischem Sprachmaterial untermauert werden sollen, ist die Kenntnis des Italienischen insofern von besonderer Bedeutung, als bestimmte Erscheinungen des von Estienne (1578) kritisierten françois italianizé nur dann überzeugend durch die Präsenz der Italiener erklärt werden können, wenn die gleichen Phänomene auch in deren Italienisch, also dem vermeintlich zugrundeliegenden Modell, vorkommen. Andernfalls wäre in der Tat nach anderen Ursachen zu suchen. Dies soll am Beispiel von Estiennes Aussagen zu s impurum kurz veranschaulicht werden. In Kapitel 5.6 wurde dargelegt, dass Sampson (2003, 2004) das Zeugnis Estiennes v. a. deshalb als wenig glaubwürdig erachtet, weil die Anzahl an lexikalischen Italianismen mit [sC-] bzw. <sC-> in den Deux Dialogues viel zu hoch sei und das Pamphlet daher nicht die sprachliche Realität im Frankreich des 16. Jahrhunderts widerspiegeln könne. Anders als bei zahlreichen Latinismen, so Sampson, sei bei rinascimentalen Italianismen ein prothetischer Vokal die Regel, weil diese zumeist durch okzitanische oder norditalienische Varietäten, in denen die Prothese voll produktiv war, vermittelt worden seien. Auch wenn, wie in Kapitel 4.2.3 bereits betont wurde, das Aufkommen von Italianismen in 372 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne der von Estienne ins Visier genommenen Petite Italie direkt auf die Italiener zurückgeführt werden muss, also kein okzitanischer Filter vorhanden war, und die Mehrheit der Höflinge toskanischer, nicht norditalienischer Herkunft war, können Zweifel an der Authentizität der Beobachtungen des Puristen bestehen bleiben. Wie Sampson (2003) gezeigt hat, war im 15. Jahrhundert selbst in toskanischen Varietäten die Prothese noch verbreiteter, als oft angenommen wird. Vermutlich, so Sampson (2003, 2004), war sie sogar bis in das 16. oder 17. Jahrhundert anzutreffen. Problematisch an Sampsons Vermutung ist aber, dass er sich dabei insbesondere auf seine Untersuchung von 73 Briefen von Alessandra Macinghi Strozzi (* 1407, † 1471) stützt, die Daten also - wenn überhaupt - als exemplarisch für eine toskanische Varietät des 15. Jahrhunderts gelten können. Nach der Berücksichtigung weiterer Produktionsdaten, u. a. aus dem 16. Jahrhundert, muss Sampson (2010: 80-96) selbst feststellen, dass prothetische Vokale im geschriebenen Toskanisch des 16. Jahrhunderts stark im Rückgang begriffen waren. Die Analyse von italienischen Briefen aus dem 16. Jahrhundert könnte, insbesondere wenn sie von Persönlichkeiten stammen, die sich tatsächlich in Frankreich aufhielten, wertvolle Erkenntnisse liefern. Wenn die Beobachtungen Estiennes richtig sind, müsste sich zumindest nachweisen lassen, dass die Prothese in ihrem Italienisch eher selten war. 6.3.2 Korpus und Methode Das Korpus umfasst insgesamt 35 italienische Briefe aus dem 16. Jahrhundert, die sich auf mindestens 15 verschiedene Verfasser verteilen. Für die Zusammenstellung des Korpus galt es Verschiedenes zu berücksichtigen. Zunächst musste entschieden werden, welcher Textsorte die zu untersuchenden Dokumente angehören sollten. Wie weiter oben dargelegt wurde, waren einige Immigranten, wie z. B. Luigi Alamanni, auch literarisch tätig und ließen ihre Werke sogar in Frankreich verlegen (vgl. Balsamo 2015). Da aber die Sprache in solchen Werken - ganz gleich, ob Prosa oder Lyrik - sehr elaboriert ist und möglicherweise durch Dritte, wie z. B. den Verleger oder Drucker, verändert worden sein könnte, wurden gedruckte Quellen aus dem 16. Jahrhundert für die Untersuchung nicht in Betracht gezogen. Alle für die vorliegende Arbeit analysierten Texte sind Briefe, die nicht für den Druck oder ein größeres Publikum bestimmt waren. Um wirklich private Korrespondenz, in der die Sprache erwartungsgemäß noch weniger elaboriert ist, handelt es sich dabei allerdings auch nicht. In vielen Fällen sind die Adressaten der König (Henri II ) oder die Königin (Catherine de Médicis). Aufgrund der doppelten Zielsetzung musste nach zwei Arten von Texten gesucht werden. Für die Beschreibung des Italienischen, mit dem die Franzosen in der France italienne in Berührung kamen, können sowohl frühe Briefe der Einwanderer als auch solche von vorübergehend in Frankreich verweilenden Gästen aus Italien (z. B. Botschafter am Hofe) als Datengrundlage dienen (Gruppe A). Um nachzuweisen, dass das Italienische der Immigranten entgegen dem, was in einer Sprachinsel zu erwarten wäre, lange die dominante Sprache blieb, also nicht vom Französischen beeinflusst wurde, ist es hingegen notwendig, Briefe zu untersuchen, die zu einem Zeitpunkt verfasst wurden, als die Schreiber schon längere Zeit in der neuen Heimat lebten (Gruppe B). Ein Vergleich zwischen frühen und späten Briefen ein und desselben Einwanderers ist im Übrigen nicht erforderlich. Es reicht völlig aus, Briefe, die nach jahrzehntelangem Aufenthalt in Frankreich geschrieben wurden, zu analysieren. Zum einen werden auch in der modernen Attritionsforschung nicht zwingend mehrfach Daten - im Abstand von mehreren Jahren - erhoben (vgl. z. B. Schmid 2011: 118-120), zum anderen wurde in Kapitel 3.3.7 bereits dargelegt, dass ein solcher Vergleich unnötig ist, wenn sich in späten Briefen keinerlei Attritionsphänomene feststellen lassen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die ursprüngliche Kompetenz erhalten geblieben ist. Nur in manchen Fällen wäre solch ein Vorgehen sinnvoll: Wenn etwa gezeigt werden soll, dass gewisse ‘Fehler’ in der Muttersprache der Immigranten nicht durch Attrition bedingt, sondern schon von Anfang an anzutreffen waren. Wenn in einem Brief eines Migranten z. B. die Verwechslung von it. di und it. da bzw. das Nichtvorhandensein dieser Unterscheidung zu beobachten ist, darf daraus nicht ohne Weiteres gefolgert werden, dass dies dem Einfluss des Französischen, das nur de kennt, geschuldet ist. Möglicherweise waren entsprechende Schwankungen schon in der Varietät, die der Einwanderer mitbrachte, festzustellen. Die Anzahl der Fälle, in denen bestimmte Auffälligkeiten sowohl durch Attrition als auch durch die Variation im rinascimentalen Italienisch erklärt werden könnten, ist im untersuchten Korpus aber überschaubar. Insbesondere für Gruppe B wurde versucht, solche Briefe zu finden, die von Einwanderern geschrieben wurden, über deren Sprachverhalten auch metasprachliche Aussagen bekannt sind (z. B. Briefe von Pietro Strozzi, Filippo Cavriana und der Nazione Fiorentina di Lione ). Zudem wurde darauf geachtet - soweit dies möglich war -, Briefe von solchen Immigranten aufzuspüren, von denen auch französische Briefe überliefert sind. So können in Kapitel 7 hinsichtlich bestimmter Erscheinungen auch Vergleiche zwischen französischen und italienischen Briefen ein und derselben Person angestellt werden. Schließlich sollte auch die regionale Herkunft der Italiener berücksichtigt werden. Wie in Kapitel 6.2.2.2 gezeigt wurde, stammte spätestens ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts der Großteil der Immigranten aus der Toskana. Daneben war auch Norditalien noch von Bedeutung. Es sollte daher versucht werden, in erster 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 373 374 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Linie Briefe von Einwanderern aus Nord- und Zentralitalien zu finden. Würden in der Mehrheit Briefe von Süditalienern analysiert, wären die Daten weniger repräsentativ für das Italienische der France italienne . Neben den bisher dargelegten Kriterien musste auch entschieden werden, ob für die Untersuchung Briefe in edierter Form oder aber Handschriften herangezogen werden sollten. Naheliegend war, auf die in den vorhergehenden Teilkapiteln besprochenen Briefsammlungen wie z. B. von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943), Desjardins (1859-1886), Piccolomini (1877) oder Tommaseo (1838) zurückzugreifen. Der Vorteil von Editionen ist offensichtlich. Im Gegensatz zu originalen Handschriften aus dem 16. Jahrhundert sind edierte Briefe natürlich viel leichter zu lesen. Letztlich wurde aber aus verschiedenen Gründen kein einziger Brief aus den o. g. Sammlungen berücksichtigt. Problematisch ist etwa, dass insgesamt nur wenige Briefe vorhanden sind, die die weiter oben diskutierten Kriterien erfüllen: In Desjardins (1859-1886) und Tommaseo (1838) finden sich fast ausschließlich Briefe von Botschaftern, d. h. nur solche, die zu Gruppe A zu rechnen wären. Briefe von wirklichen Immigranten (Gruppe B) enthalten nur Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) und Piccolomini (1877). Obwohl die Sammlung von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) Briefe von Catherine de Médicis enthält und in Piccolomini (1877) zumindest zwei Briefe von Pietro Strozzi ediert sind, konnten diese Briefe nicht für die Analyse berücksichtigt werden. Was die Briefe von Catherine de Médicis anbelangt, muss zunächst festgestellt werden, dass nur wenige ihrer italienischen Briefe erhalten bzw. in die Sammlung aufgenommen worden sind. Insgesamt lassen sich in den zehn Bänden der Edition nur ca. 20 italienische Briefe aufspüren. Problematisch ist, dass überhaupt nur ein Brief aus späteren Jahren (1583) vorhanden ist, der von einem Sekretär verfasst wurde und nur eine kurze handschriftliche Ergänzung von Catherine de Médicis enthält 46 . Was die anderen Briefe betrifft, so sind nur vier weitere Briefe (1533, 1533, 1539, 1562) tatsächlich als autographes von Catherine de Médicis ausgewiesen 47 . Bei den übrigen Briefen handelt es sich nach Angaben der Herausgeber um in Italien angefertigte Übersetzungen aus dem Französischen 48 , die nicht als Datengrundlage herangezogen werden können, wären doch etwaige Interferenzen vermutlich allein auf den Übersetzungspro- 46 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 111-112): Ergänzung zum Brief vom 06. Juli 1583. 47 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 2): Brief vom 14. September 1533, Briefe CM (Bd. 1: 3): Brief vom 03. Dezember 1533, Briefe CM (Bd. 1: 4): Ergänzung zum Brief vom 01. August 1539, Briefe CM (Bd. 1: 409): Brief von Ende September 1562. 48 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 7: 204-205): Brief vom 09. Dezember 1579 [Anonym], Briefe CM (Bd. 7: 280): Brief vom 29. August 1580, Briefe CM (Bd. 8: 370-371): Brief vom 30. November 1585, Briefe CM (Bd. 10: 78-79): Brief vom 13. Dezember 1562. zess zurückzuführen und könnten keinerlei Auskunft über das Italienische der italienischen Immigranten in Frankreich geben; daneben gibt es Briefe, die am französischen Hof verfasst wurden und als Originale 49 ausgewiesen werden, allerdings können sie keinem Sekretär zugeordnet werden, so dass auch diese nicht für sprachliche Analysen geeignet sind. Schließlich ließe sich nicht erkennen, ob sprachliche Auffälligkeiten einem italienischen Sekretär, dessen Italienisch-Kompetenz abnimmt, oder einem französischen Sekretär, der das Italienische unzureichend beherrscht, geschuldet sind 50 . Bei manchen Briefen kann laut den Herausgebern offenbar nicht mit Gewissheit bestimmt werden, ob ein Original oder eine Übersetzung 51 vorliegt. Diese mussten ebenfalls - genauso wie zeitgenössische Kopien 52 - unberücksichtigt bleiben, da nicht auszuschließen ist, dass Veränderungen durch den Übersetzer oder Kopisten vorgenommen wurden. Insgesamt wären somit nur fünf autographes von Catherine de Médicis und zwei von Pietro Strozzi (1554, 1555) in Piccolomini (1877) für die Analyse geeignet, wobei allerdings nur zwei Briefe von Catherine de Médicis aus späteren Jahren stammen (1562 und 1583). Was Gruppe A betrifft, wäre hingegen eine ausreichende Anzahl an Briefen in Desjardins (1859-1886) und Tommaseo (1838) vorhanden. Bisher wurden nur inhaltliche Probleme der Briefsammlungen besprochen, wohingegen die Frage, ob nun im Allgemeinen edierte Briefe oder Handschriften vorzuziehen sind, noch nicht diskutiert wurde. Wie bereits erwähnt, würde die Arbeit mit edierten Texten eine nicht unerhebliche Zeitersparnis bedeuten. Allerdings gilt das, was soeben im Hinblick auf zeitgenössische Kopien gesagt wurde, natürlich auch für Editionen. Insbesondere wenn diese aus dem 19. Jahrhundert stammen und nicht für sprachwissenschaftliche Analysen erstellt wurden, ist zu erwarten, dass die Herausgeber in vielen Fällen Änderungen vornahmen, um die Briefe so einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. 49 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 3-4): Brief vom 20. Januar 1538 [Anonym], Briefe CM (Bd. 1: 19-20): Brief vom 08. Juli 1547 [Anonym], Briefe CM (Bd. 4: 39-40): Brief vom 18. April 1571 [Anonym], Briefe CM (Bd. 4: 46): Brief vom 24. Mai 1571 [Anonym]. 50 Wie Hauvette (1902) anhand eines italienischen Briefs, der von einem Sekretär von Marguerite de Navarre verfasst wurde, gezeigt hat, war die Beherrschung des Italienischen auch unter französischen Sekretären nicht selbstverständlich und konnte variieren. 51 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 4: 102): Brief vom 17. Mai 1572, Briefe CM (Bd. 8: 9): Brief vom 28. Februar 1582, Briefe CM (Bd. 8: 34-35): Brief vom 01. Juni 1582, Briefe CM (Bd. 8: 174): Brief vom Januar 1584, Briefe CM (Bd. 8: 371): Brief vom 30. November 1585, Briefe CM (Bd. 9: 16-17): Brief vom 23. Juni 1586, Briefe CM (Bd. 9: 226): Brief vom 21. Juli 1587, Briefe CM (Bd. 9: 275): Brief vom November 1587, Briefe CM (Bd. 10: 304): Brief vom 31. Januar 1573, Briefe CM (Bd. 10: 382): Brief vom 03. Juni 1575. 52 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 7: 182): Brief vom 22. Oktober 1579, Briefe CM (Bd. 8: 240): Brief vom März 1585, Briefe CM (Bd. 10: 13-14): Brief vom 29. September 1554. 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 375 376 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Neben der bewussten Modernisierung der Graphie können unbeabsichtigte, durch Ungenauigkeiten bei der Transkription bedingte Fehler den ursprünglichen Charakter der Texte zusätzlich verfälschen. Was z. B. die Edition von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) betrifft, konnte durch einen Vergleich ausgewählter französischer Handschriften mit den dort transkribierten Texten gezeigt werden, dass es bisweilen zu Abweichungen von den Manuskripten kommt (vgl. dazu ausführlich Kapitel 7.2). Insbesondere die Graphie, nicht etwa die Lexik oder Syntax ist davon betroffen. Ob Handschriften oder Editionen als Datengrundlage dienen sollten, hängt daher v. a. davon ab, welche Phänomene untersucht werden sollen. Wenn z. B. lediglich die Syntax, die Lexik oder Anredeformen von Interesse sind, können - vorausgesetzt, es handelt sich um sorgfältig besorgte Editionen - auch edierte Briefe eine verlässliche Quelle sein. In der etymologischen Forschung etwa werden edierte Texte auch als Quellen für Erstbelege bestimmter Lexeme genannt, ohne dass dabei immer die Manuskripte überprüft werden (vgl. z. B. TLF i s.v. pointille und salve ). Wenn jedoch Graphien oder indirekt Lautungen Gegenstand der Untersuchung sind, erweisen sich Editionen, wenn sie nicht den hohen Ansprüchen der modernen Philologie genügen, als weniger geeignetes Datenmaterial. An dieser Stelle muss daher zunächst geklärt werden, was genau in den italienischen Briefen untersucht werden sollte. Im Hinblick auf die Briefe der Gruppe A wurde schon angedeutet, dass die Analyse zeigen sollte, welches Italienisch in der France italienne anzutreffen war und somit als Grundlage für das françois italianizé dienen konnte. Das Interesse galt zunächst der Lexik und Anredeformen. Es sollte überprüft werden, ob im Italienischen der Immigranten die von Estienne (1578) kritisierten Lexeme (z.B. it. sbigottito ) und Wendungen (z.B. it. baciare la / le mano / i a qn ), die sich schließlich im françois italianizé wiederfinden, tatsächlich verbreitet waren. Daneben sollten auch Anredeformen (z.B. it. Vostra Signoria ) sowie insbesondere die Konkurrenz zwischen der 2. und 3. Person in der Anrede, analysiert werden. Andererseits sollte, wie eingangs bereits erläutert, auch die Vitalität von s impurum bzw. prothetischen Vokalen genauer betrachtet werden. Vor allem im Hinblick auf das Verhältnis zwischen <sC-> und <isC-> 53 schienen die edierten Briefe unbrauchbar zu sein. Nur allzu leicht könnte eine Schreibung wie <istessa> absichtlich oder unbeabsichtigt mit <stessa> transkribiert worden sein. Was die Briefe der Gruppe B anbelangt, ist die Frage danach, was es zu zeigen gilt, deutlich schwieriger zu beantworten. Denn wie stellt man negative Evidenz 53 Anders als in der heutigen Westromania erscheint der prothetische Vokal im Italienischen zumeist als [i]. Aber auch [e] bzw. [ɛ] sind in bestimmten italoromanischen Varietäten nachweisbar (vgl. z. B. Rohlfs Bd. 1, 1949: 311-313 sowie Sampson 2003, 2010: 137-145). am besten dar? Gewiss ließe sich ganz lapidar feststellen, dass keine Interferenzen mit dem Französischen nachgewiesen werden können. Ein eigenes Kapitel dazu bräuchte es dann aber nicht. Wie in Kapitel 3.3.7 dargelegt wurde, sind nach den Erkenntnissen der modernen Attritionsforschung (vgl. z. B. Schmid 2011) insbesondere die folgenden Phänomene zu beobachten: (1) Wortfindungsschwierigkeiten verbunden mit Entlehnungen aus der neuen Sprache, (2) semantic restructuring , d. h. semantische Interferenzen, wie sie später zu indirektem Lehngut führen können, (3) Fehler hinsichtlich der pragmatic address , (4) Grammatikfehler und (5) ein nicht-muttersprachlicher Akzent. Dass sich keine lexikalischen Französismen im Italienischen der France italienne finden (1), könnte sich - statt sich mit der bloßen Feststellung zu begnügen, dass dem so ist - dadurch nachweisen lassen, dass insbesondere in Fällen, in denen im Französischen keine Kognaten vorhanden sind (it. parlare und fr. parler vs. it. sbigottito und fr. étonné ohne sbigottit ), weiterhin das italienische Lexem Verwendung findet. Die Immigranten müssten also weiterhin sbigottito verwenden, nicht etwa stonato 54 . Im Folgenden werden aber nur einige solcher Fälle exemplarisch besprochen. Die Diskussion eines jeden solchen Vorkommes scheint ebenso unnötig zu sein wie eine unkommentierte Liste aller Fälle, in denen ein ‘italienisches’ Lexem erscheint. Problematisch ist zudem, dass die Briefe alle in einem mehr oder weniger distanzsprachlichen Kontext entstanden sind, die Sprache daher elaboriert ist und mithin wirkliche Wortfindungsschwierigkeiten, wie sie in spontaner Rede zu beobachten wären, eigentlich nicht zu erwarten sind. Im Hinblick auf semantic restructuring (2) kann ähnlich verfahren werden. Wenn Kognaten im Französischen und Italienischen vorhanden sind, die semantisch mehr oder weniger verschieden sind, könnte gezeigt werden, dass keine semantische Beeinflussung stattfindet. It. fermare dürfte weiterhin nur in der Bedeutung ‘arrestare’, nicht wie fr. fermer in der Bedeutung ‘chiudere’ verwendet werden. Was code-switching angeht, kann, wenn keine Vorkommen zu verzeichnen sind, lediglich dessen Nichtvorhandensein konstatiert werden. Anders verhält es sich mit Erscheinungen, die die pragmatic address (3) betreffen. Anredeformen können systematisch erfasst werden, um zu überprüfen, ob die Verwendung der als italienisch betrachteten Formen (z. B. Vostra Signoria mit der 3. Person Singular) stabil bleibt. Denkbar wäre, dass, wie im Französischen, vermehrt voi mit der 2. Person Plural begegnet. 54 It. stonare ‘confondere, stordire’ < fr. étonner ist in der Tat vorhanden, aber erst im 18. (vgl. ZING s.v. stonare 2) bzw. 19. Jahrhundert (vgl. DELI s.v. stonare 1) belegt. 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 377 378 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Auf die Suche nach potentiellen Grammatikfehlern (4) - in den untersuchten Texten sind mir keine aufgefallen - wurde verzichtet. Zum einen ist in der Grammatik erst sehr spät mit Attritionsphänomenen zu rechnen (vgl. Kapitel 3.3.7), zum anderen werden auch in Kapitel 7, das sich komplementär zu Kapitel 6.3 verhält, keine Einflüsse auf die Grammatik untersucht. Ein nicht-muttersprachlicher Akzent (5) kann in schriftlichen Quellen natürlich nur schwer nachgewiesen werden. Allerdings kann passend zum Medium auch nach Interferenzen auf rein graphischer Ebene gesucht bzw. deren Abwesenheit gezeigt werden. Welche Schreibungen kommen dafür nun aber in Frage? Ohne die Ergebnisse in Kapitel 7 vorwegnehmen zu wollen, sollen einige Erscheinungen des françois italianizé vorgestellt werden, die in diesem Zusammenhang interessant erscheinen. Auffällig ist, dass in den französischen Texten mancher Einwanderer Graphien begegnen, die vermuten lassen, dass italienische Schreibkonventionen auf das Französische übertragen wurden. Insbesondere bei der Wiedergabe von palatalen Lauten, die das Lateinische nicht kennt und für die die romanischen Sprachen eigene Schreibungen entwickeln mussten, ist eine solche Übertragung zu beobachten: z.B. fr. <figle> statt <fille> (vgl. it. <figlia>) oder fr. <giours> statt fr. <jours>/ <iours> (vgl. it. <giorni>). Eine veränderte Lautung braucht dabei nicht unbedingt angenommen zu werden. Palatales [ʎ] blieb auch im Französischen bis zum 18. oder gar 19. Jahrhundert erhalten (vgl. u. a. Rheinfelder Bd. 1, 1963: 113, 200 und Huchon 1988: 84); dass <goiurs> auf [dʒ] statt [ʒ] verweist, lässt sich zwar nicht gänzlich ausschließen, jedoch wird solch eine Lautung von zeitgenössischen Sprachbeobachtern nicht erwähnt. Wenn sich nun umgekehrt nachweisen ließe, dass im Italienischen der Immigranten die typisch italienischen Schreibungen stabil blieben, also nicht etwa it. <iorno>/ <jorno> oder <fillia> erscheint, würde dies zeigen, dass das Italienische - auch in der Schriftlichkeit - dominant blieb, Interferenzen also nur im françois italianizé zu beobachten waren. Von einem italien françoisé könnte dann nicht die Rede sein. Gewiss entwickelte sich im Laufe der Verschriftung 55 der romanischen Sprachen eine Vielzahl von Varianten für die graphische Realisierung der neu entstandenen palatalen Laute (vgl. z. B. Meisenburg 1996: 55-66). Einige, wie z. B. <ill> für [ʎ], waren nicht nur in französischen, sondern auch in italienischen Texten anzutreffen (vgl. Cornagliotti 1988: 379-380, Biffi/ Maraschio 2009: 2820-2821). Allerdings hatten sich - wie sich anhand der Produktionsdaten in diesem Kapitel sowie in Kapitel 7.3.2 auch problemlos nachweisen lässt - im 16. Jahrhundert bereits einzelsprachliche Unterschiede herausgebildet: Während z. B. <gl> vorwiegend italienisch ist, be- 55 Zur begrifflichen Unterscheidung zwischen Verschriftung und Verschriftlichung vgl. Oesterreicher (1993). gegnet im Französischen v. a. <(i)ll> 56 . Auch die Schreibung der Doppelkonsonanz in sog. preposizioni articolate (z.B. it. alla , della ) sollte auf ihre Vitalität hin überprüft werden. Auffällig ist, dass im françois italianizé von Catherine de Médicis und Zametti häufig <alla> statt <a / à la> anzutreffen ist. Möglicherweise handelt es sich auch bei < CC > in den preposizioni articolate um eine Erscheinung, die im Italienischen der France italienne so stabil blieb, dass sie nicht nur nicht aufgegeben wurde, sondern sogar für Interferenzen im Französischen der Einwanderer sorgte. Weitere Schreibungen, die unter Umständen von französischen Traditionen beeinflusst worden sein könnten und die daher ebenfalls auf ihre Stabilität hin untersucht werden sollten, sind <ch> für [k] vor [e], [ɛ] und [i] sowie <u> für [u]. Wie z. B. Cremona (1996, 2003) und Baglioni (2010) gezeigt haben, lassen sich in italienischen Texten aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die in nordafrikanischen Kanzleien entstanden sind, Interferenzen mit dem Französischen nachweisen, da dort beide Sprachen nebeneinander in der Verwaltung Verwendung fanden. Cremona (1996) und Baglioni (2010: 31, 49, 54-55) nennen neben <ill> statt <gli> in z. B. <voillo> ‘voglio’ auch <ou> statt <u> für [u] sowie <qu> statt <ch> für [k] vor [e], [ε] oder [i]. Wenn solche Interferenzen in anderen Kontaktsituationen zwischen dem Italienischen und Französischen nachweisbar sind, könnte auch das Italienische der France italienne vergleichbare Einflüsse zeigen. Abgesehen von diesen Interferenzen, die lediglich die graphische Wiedergabe von Lauten betreffen, die das Französische und das Italienische gemeinsam haben, könnten natürlich auch Interferenzen in der Lautung selbst zu beobachten gewesen sein. Denkbar wäre z. B., dass prothetische Vokale, wenn diese im Italienischen nicht ohnehin - wie Sampson (2003) vermutet - noch häufig waren, im Italienischen der France italienne besonders vital waren. Auch das Verhältnis von <sC-> und <isC-> war daher genauer zu beleuchten. Wie im Einzelfall bei der Datenerhebung verfahren wurde, wird an den entsprechenden Stellen noch ausführlich erläutert. Wie anhand der bisherigen Überlegungen deutlich wird, verspricht insbesondere die Analyse von Graphien wertvolle Erkenntnisse bezüglich der Vitalität des Italienischen im Frankreich des 16. Jahrhunderts zu liefern. Alle weiter oben genannten Editionen, d. h. Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943), Desjardins (1859-1886), Piccolomini (1877) und Tommaseo (1838), konnten daher nicht berücksichtigt werden. Es mussten also andere Texte ausfindig ge- 56 Nichtsdestoweniger war die Schreibung palataler Laute in der Orthographiedebatte des 16. Jahrhunderts ein viel diskutiertes Thema. Für Frankreich vgl. z. B. Citton / Wyss (1989: 128) und Beinke / Rogge (1990: 475-484), für Italien vgl. Migliorini (1957b, [1960] 1988: 335-339), Cornagliotti (1988: 383-386) und Biffi/ Maraschio (2009: 2820-2824). 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 379 380 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne macht werden, die alle bisher besprochenen Kriterien erfüllen. Letztere werden an dieser Stelle nochmals überblicksartig zusammengefasst. (1) Gruppe A / B: Briefe, keine Schriften, die für den Druck bestimmt waren (2) Gruppe A: frühe Briefe von Immigranten sowie von nicht dauerhaft in Frankreich ansässigen Italienern; Gruppe B: späte Briefe von Immigranten (3) Gruppe B: insbesondere Briefe von Einwanderern, über deren Sprachverhalten metasprachliche Aussagen bekannt sind (4) Gruppe B: insbesondere Briefe von Immigranten, von denen auch französische Briefe analysiert werden können (5) Gruppe A / B: insbesondere Briefe von Einwanderern und Gästen aus Nord- und Zentralitalien (6) Guppe A / B: keine Editionen, die nicht den Anforderungen einer philologischen Analyse genügen Insgesamt konnten 35 Briefe von mindestens 15 verschiedenen Schreibern aufgespürt werden, die im Folgenden kurz besprochen werden. Für Gruppe A konnte auf eine moderne Edition von elf Briefen von Luigi Alamanni (* 1495 Florenz, † 1556 Amboise) 57 zurückgegriffen werden, die 2001 im Laboratoire italien publiziert wurden 58 . Der florentinische Schriftsteller, der in Frankreich seit den 1530er Jahren auch italienische Werke publizierte, kam als einer der zahlreichen fuorusciti schon 1522 nach Frankreich (Lyon). In den folgenden Jahren begab er sich aber mehrfach nach Italien, bis er 1527 nach der Vertreibung der Medici aus Florenz wieder in seine Heimat zurückkehrte. 1530 suchte er erneut Zuflucht in Frankreich und ließ sich in der Provence nieder. Erst 1539 hielt er sich erneut für längere Zeit in Italien auf. Als Sekretär des Kardinals Ippolito d’Este reiste er nach Padua, Rom und Neapel und hatte die Gelegenheit Bembo, Speroni und Varchi zu treffen. Nachdem er 1540 wieder nach Frankreich zurückgekehrt war, reiste er noch mehrfach als Botschafter für die französische Krone nach Italien. Am französischen Hof, wo er sich, wie auch aus den elf Briefen hervorgeht, des Öfteren aufhielt, genoss er hohes Ansehen; 1544 wurde er von Catherine de Médicis zum Maître d’Hôtel ernannt und behielt diese Stellung auch inne, nachdem sie Königin wurde. Im Jahre 1556 verstarb er in Amboise während eines Aufenthalts am Hofe. 57 Für sämtliche Angaben zu Luigi Alamanni vgl. den Artikel ALAMANNI, Luigi von Robert Weiss (1960) im DBI. 58 Vgl. Cosentino, Paola / De Los Santos, Lucie (Hrsg.) (2001): „Un nuovo documento sul fuoriuscitismo fiorentino: undici lettere inedite di Luigi Alamanni a Filippo Strozzi (aprile 1536-febbraio 1537).“ Laboratoire italien 1 (ENS Éditions): 141-167. Die Frage, ob die Briefe, die aus dem Zeitraum 1536-1537 stammen, zu Gruppe A oder B gerechnet werden sollten, ist nicht leicht zu beantworten. Wenn man aber davon ausgeht, dass er sich erst ab den 1530er Jahren wirklich dauerhaft in Frankreich aufhielt, scheint es sinnvoller zu sein, diese Briefe noch als frühe Briefe einzuordnen. Wie die Herausgeberinnen betonen (vgl. den folgenden Passus), waren sie darum bemüht, bei der Edition keinerlei größere Veränderungen vorzunehmen. Lediglich die Auflösung von damaligen konventionalisierten Kürzeln ist m. E. problematisch 59 . Wie ich anhand aller anderen Briefe, die als Manuskripte vorlagen, sehen konnte, werden Funktionswörter wie z. B. che bisweilen abgekürzt. Um zu verhindern, dass Okkurrenzen (z. B. <ch> für [k] vor [e], [ɛ] oder [i]) gezählt werden, die in den Handschriften gar nicht vorkommen, blieben in den Briefen von Alamanni alle Vorkommen von che unberücksichtigt; ebenso formelhafte Wendungen am Anfang sowie am Ende der Briefe. Il criterio generale dell’edizione è stato quello di trascrivere con la maggior fedeltà possibile queste lettere. Manteniamo, secondo la lezione dei manoscritti, la divisione del testo in paragrafi e la grafia originale. Abbiamo sciolto le abbreviazioni, operato una sobria regolarizzazione della punteggiatura, e restituito secondo l’uso moderno gli accenti e apostrofi, l’uso delle maiuscole, e l’alternanza u / v. Le espressioni aggiunte dall’autore in interlinea sono state inserite fra due asterischi. Infine, abbiamo inserito tra parentesi uncinate i pochi interventi congetturali. (Cosentino / De Los Santos 2001: 149) Dass einer der elf Briefe (27. November 1536) vermutlich kein autographe ist, sondern von einem Sekretär verfasst wurde, stellt kein Problem dar. Da der Brief in Avignon entstanden ist, war auch dieser italienische Schreiber zumindest vorübergehend in Frankreich, so dass auch sein Italienisch als Modell für das françois italianizé dienen konnte. Alle weiteren 24 Briefe sind Originalmanuskripte aus den Archiven der BNF , die frei online zugänglich sind (vgl. http: / / www.gallica.bnf.fr). In den meisten Fällen handelt es sich dabei um autographes . In einer Handschriftensammlung ( BNF FF 15 555) etwa konnten drei längere Briefe eines gewissen Gio Batista Guadagni vom November bzw. Dezember 1572 an Catherine de Médicis ausfindig gemacht werden. In allen Fällen handelt es sich um autographes . Wie aus den Briefen hervorgeht, hielt sich Guadagni zunächst für unbestimmte Zeit in Paris und am Hofe auf und kämpfte dann u. a. zusammen mit Filippo Strozzi in La Rochelle gegen die Protestanten. Alle drei 59 Zu mehr oder weniger konventionalisierten Kürzeln in rinascimentalen Handschriften und Drucken vgl. z. B. Marazzini (1993: 215). 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 381 382 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Briefe wurden in der Nähe von La Rochelle verfasst. In den Briefen ist ebenfalls die Rede davon, dass Guadagni von den Kriegshandlungen in Kürze „di bocca“ am Hofe berichten wird. Unglücklicherweise finden sich weder in Jouanna u. a. (1998: 934-937) noch im DBI Informationen zu Gio Batista Guadagni. In Picot ([1918] 1995: 79-83) 60 wird jedoch ein Giambattista Guadagni (* 1542 Lyon, † 1591 Langres) genannt, der ein Vertrauter von Catherine de Médicis gewesen sein soll und in den 1570er Jahren in der Tat in kriegerische Auseinandersetzungen mit den Protestanten verwickelt war. Sehr wahrscheinlich ist, dass er ein Sprößling der weitverzweigten Bankiersfamilie Guadagni aus Florenz ist, die schon seit dem 15. Jahrhundert geschäftlich auch in Lyon tätig war. Da aber nicht auszuschließen ist, dass es sich nicht um einen in Lyon geborenen Italiener, einen Migranten der 2. oder 3. Generation, handelt, sondern um ein anderes Mitglied der Guadagni aus Florenz, das nur kurzzeitig im Dienste der französischen Krone in Frankreich gegen die Protestanten kämpfte, wurden die Briefe Gruppe A zugeordnet. Ebenfalls zu Gruppe A gehört ein früher, sehr kurzer Brief (1553) von Lodovico Gonzaga, Duc de Nevers (* 1539 Mantova, † 1595 Nesle) 61 , von dem in Kapitel 7 auch französische Briefe analysiert werden. Wie anhand des Manuskripts zu erkennen ist, handelt es sich um ein autographe . Dass Gonzaga sehr früh an den französischen Hof geschickt wurde (1549) und ein Vertrauter von Catherine de Médicis war, die für ihn zu vermitteln versuchte, als er in den 1580er Jahren bei Henri III in Ungnade fiel und sich für längere Zeit nach La Cassine (in den Ardennen) zurückzog, ist bekannt; auch dass er als Diplomat im Dienste der französischen Krone häufig in Italien agierte und enge Beziehungen zu italienischen Agenten pflegte. Interessant ist auch, dass er in Nevers zahlreiche italienische Handwerker ansiedelte, die u. a. in der Kunstglasproduktion tätig waren, und sich so gewissermaßen seine eigene Petite Italie schuf. Ein Brief von Pandolpho della Stupha (* 1500 Florenz, † 1568 Florenz) 62 aus dem Jahre 1560, in dem er Catherine de Médicis mit etwas Verspätung zum Tod von Henri II kondoliert, muss auch zu Gruppe A gerechnet werden. Zwar war Della Stupha ab Anfang der 1530er Jahre im Dienste der französischen Krone und ein enger Vertrauter von Catherine de Médicis am Hofe, allerdings zog er sich gegen 1542 wieder nach Florenz zurück. Auch nachdem er nach Italien zurückgekehrt war, muss er sich aber noch manchmal am französischen Hof 60 Auf den Umstand, dass Picot ([1918] 1995) bei manchen Vornamen Flüchtigkeitsfehler unterlaufen sind, hat u. a. schon Bingen (2003: 25, Fn. 1) hingewiesen. 61 Für alle biographischen Angaben vgl. Picot ([1918] 1995: 31-32, 50, 74, 94, 97, 132, 139, 175, 186, 195, 240-241) sowie den Eintrag Ludovico Gonzaga in der Enciclopedia Treccani . 62 Für alle biographischen Angaben vgl. den Eintrag DELLA STUFA, Pandolfo von Vanna Arrighi (1989) im DBI. aufgehalten haben, wie ein Brief von ihm aus dem Jahre 1545 aus Compiègne belegt. Der Brief von 1560 wurde in Florenz, möglicherweise von einem dort ansässigen Sekretär, verfasst. Er konnte daher nicht zu Gruppe B gezählt werden. In jedem Fall handelt es sich, selbst wenn der Brief von einem Sekretär geschrieben wurde, um ein Italienisch, das zumindest in schriftlicher Form in die France italienne gelangte. Zudem wurde der Brief von Della Stupha, der sich schließlich lange Zeit in Frankreich aufgehalten hatte, diktiert und spiegelt so - unter Umständen mit Ausnahme der Graphie - auch sein Italienisch wider. Ähnliches gilt für einen der zwei Briefe von Lorenzo Strozzi (* 1523 Florenz, † 1571 Avignon) 63 an Catherine de Médicis. Beide Briefe, in denen die Königin über den Verlauf bzw. die Folgen des Konklaves zur Papstwahl 1559 informiert wird, stammen aus Rom, nur einer ist jedoch mit Gewissheit ein autographe . Wie seine Brüder Leone und Pietro verbrachte er schon einen Teil seiner Kindheit mit Catherine de Médicis, die nach dem Tod ihrer Angehörigen bei den Strozzis aufwuchs - Filippo Strozzi, der Vater, war mit Clarissa de’ Medici verheiratet -, und folgte ihr nach Frankreich, wo ihm eine Karriere als Erzbischof bevorstand. Im Jahre 1557 wurde er zum Kardinal. Im Gegensatz zum vermutlich von einem Sekretär verfassten Brief (Gruppe A) kann das autographe zu Gruppe B gerechnet werden. Dieses stammt aus dem Jahre 1559. Lorenzo Strozzi kam vermutlich schon in den 1530er Jahren nach Frankreich, spätestens 1544 erhielt er lettres de naturalité . Zwei der drei Briefe seines Bruders Leone Strozzi (* 1515 Florenz, † 1554 bei Piombino) 64 an den Duc de Guise und Catherine de Médicis aus dem Jahre 1551 können als autographes betrachtet und Gruppe B zugeordnet werden. Leone Strozzi kommandierte bereits ab 1541 Teile der französischen Flotte. Seine Briefe stammen aus Marseille bzw. „di galera“. Der dritte Brief, der an Henri II adressiert ist, stammt vermutlich von einem seiner Sekretäre und wird ebenfalls zu Gruppe B gezählt. Wie sein Bruder Leone starb auch Pietro Strozzi (*ca. 1510 Florenz, † 1558 bei Thionville) 65 in einer Schlacht für Frankreich. Spätestens ab 1541 war er dauerhaft für die französische Krone im Heer tätig und an zahlreichen bedeutenden Schlachten in den guerres d’Italie (Siena 1554, Rom 1557) beteiligt. Im Jahre 1557 wurde er schließlich zum maréchal de France ernannt. Von seinen fünf Briefen sind drei autographes (1556, 1556, 1558), die Gruppe B zugeordnet 63 Für alle biographischen Angaben vgl. Picot ([1918] 1995: 44, 101, 156, 174). 64 Für alle biographischen Angaben vgl. Picot ([1918] 1995: 44, 113, 174) sowie den Eintrag Leone Strozzi in der Enciclopedia Treccani . 65 Für alle biographischen Angaben vgl. Picot ([1918] 1995: 27, 36, 91, 43-44, 113, 152, 174), Jouanna u. a. (1998: 1315-1317) sowie den Eintrag Piero Strozzi in der Enciclopedia Treccani . 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 383 384 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne werden können. Zwei Briefe (beide 1556) entstammen vermutlich der Feder eines Sekretärs und wurden zudem während seiner Aufenthalte außerhalb Frankreichs angefertigt, so dass diese zu Gruppe A gezählt werden müssen. Die metasprachlichen Aussagen über seine Vorliebe für das Italienische wurden bereits in Kapitel 6.2.2.4 besprochen. Französische Handschriften, die als autographes betrachtet werden könnten, ließen sich nicht ausfindig machen. Seine französischen Briefe wurden offenbar von Sekretären verfasst. Teil der Entourage von Catherine de Médicis war neben den Strozzis auch Pico Conte della Mirandola, der laut Picot ([1918] 1995: 174) schon früh mit an den französischen Hof kam. Aus seinem Brief (1554) geht hervor, dass er gerade an der Seite von Pietro Strozzi kämpft und dass der Brief an den französischen Hof gerichtet ist. Er kann zu Gruppe B gerechnet werden. Weitere Informationen über diesen Immigranten konnten leider nicht ausfindig gemacht werden 66 . Möglicherweise handelt es sich aber um den Conte de La Myrande, dessen Französisch von Vieilleville karikiert wurde (vgl. Kapitel 6.2.2.4). Deutlich besser dokumentiert ist hingegen das Leben von Filippo Cavriana (* 1536 Mantova, † 1606 Pisa) 67 , der schon 1565 als Arzt von Lodovico Gonzaga nach Nevers kam und ab 1568 an den französischen Hof ging, an dem er abgesehen von wenigen Unterbrechungen bis 1589 blieb. Als enger Vertrauter und Leibarzt von Catherine de Médicis verließ er Frankreich erst nach deren Tod. Die fünf autographes , die aus der Mitte der 1580er stammen und an Lodovico Gonzaga adressiert sind, der sich zu jener Zeit in La Cassine aufhielt, nachdem er bei Henri III in Ungnade gefallen war, können alle zu Gruppe B gezählt werden. In Kapitel 6.2.2.3 wurde bereits erwähnt, dass Cavriana auch in der Académie de Palais Vorträge auf Italienisch hielt. In Kapitel 7 werden auch französische Briefe vom ihm untersucht. Da seine Briefe äußerst lang sind und nicht eine unverhältnismäßig hohe Zahl an tokens auf einen einzigen Autor entfallen sollte, wurde in drei Fällen nur die erste Seite des jeweiligen Briefes analysiert, in den zwei übrigen Briefen wurden jeweils die ersten beiden Seiten berücksichtigt 68 . 66 Weder in Picot ([1918] 1995) noch in der Enciclopedia Treccani findet sich ein entsprechender Eintrag. Auch im DBI wird er nicht erwähnt. In Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 11 (1943: 137) finden sich hingegen zahlreiche Hinweise auf unterschiedliche Personen, die alle den Namen Mirandole / Mirandola tragen. Aufgrund des Datums 1554 kämen aber mindestens drei Personen in Frage. 67 Für die biographischen Angaben vgl. Picot ([1918] 1995: 174) und Vons (2010) sowie den Eintrag CAVRIANI, Filippo von Gino Benzoni (1979) im DBI. 68 Die Briefe Cavrianas sind von Spigarolo (1999) ediert worden. Die Edition lag mir erst im Nachhinein vor. Obschon es möglich wäre, relativ leicht Daten nachzuerheben, etwa den jeweils restlichen Teil der fünf Briefe, wurde aus den o. g. Gründen (zu hohe Anzahl an tokens von einem Autor) darauf verzichtet. Zudem weicht die Edition im Hinblick auf Weniger gut, aber ausreichend dokumentiert ist das Leben des in Lucca geborenen Bankiers Sebastiano Zametti (* 1549 Lucca, † 1614 Paris) 69 , der zwar erst 1581 lettres de naturalité erhielt, aber schon in jungen Jahren nach Paris gekommen sein muss. Sein Brief stammt aus dem Jahr 1582 und ist vermutlich an einen italienischen Bankier in Lyon gerichtet. Der Großteil des Briefs wurde von einem Sekretär verfasst. Zametti selbst fügte nur wenige Zeilen am Ende des Briefes hinzu. Dieser Teil kann in jedem Fall zu Gruppe B gerechnet werden. Da der Sekretär unbekannt ist, wird der von ihm geschriebene Teil Gruppe A zugeordnet. In Kapitel 7 werden auch französische Handschriften von Sebastiano Zametti untersucht. Während alle bisherigen Briefe von Italienern verfasst wurden, die mehr oder weniger zur Entourage von Catherine de Médicis gehörten und somit, auch wenn sie sich nicht dauerhaft am Hof aufhielten, Teil der Petite Italie waren, stammen die letzten zwei Briefe aus Lyon. Sie beide sind von einem unbekannten Sekretär verfasst und an Catherine de Médicis adressiert. Während der Brief von 1559 von Piero Capponi, dem Konsul der Nazione Fiorentina , unterzeichnet wurde, finden sich im Brief von 1560 gleich vier Unterschriften. Dieser Brief, der im Namen der Nazione Fiorentina e Lucchese verfasst wurde, ist nicht nur im Hinblick auf die verwendete Sprache selbst von Interesse, sondern, wie in Kapitel 6.2.2.2 erläutert wurde, auch deshalb, weil die Verwendung des Italienischen explizit erwähnt wird und zudem beklagt wird, dass dieses bei Hofe nicht mehr ausreichend gewürdigt werde. Beide Briefe wurden, obschon der jeweilige Sekretär unbekannt ist, Gruppe B zugeordnet, da sprachliche Auffälligkeiten einzelne Schreibungen bisweilen von den Originalmanuskripten ab, so dass sie für die Analyse von Schreibungen nicht uneingeschränkt geeignet ist. In Kapitel 6.3.3.2 wird jedoch an einer Stelle auf zwei äußerst interessante Beispiele für lexikalische Entlehnungen aus dem Französischen eingegangen, die sich nicht im für die vorliegende Untersuchung analysierten Quellenmaterial finden, sondern der Edition entnommen sind. 69 Für die biographischen Angaben vgl. Picot ([1918] 1995: 140-142). Dubost (1997: 221-222) geht davon aus, dass Zametti piemontesischer Herkunft war, macht aber keine genaueren Angaben. Dass er aus dem Piemont kam, wird auch von Jouanna u.a (1998: 1377-1379) bestätigt, allerdings merken diese an, dass er in jedem Fall in Lucca geboren wurde. Er sei zunächst, wie viele Bankiers, in Lyon tätig gewesen, bevor er nach Paris ging. Erstmals erwähnt wird er in einem Dokument von 1575. Allerdings wurden ihm damals sehr wichtige Geschäfte anvertraut, so dass er wohl schon eine gewisse Reputation erlangt haben musste. Im Jahre 1575 musste er also bereits seit längerer Zeit in Frankreich als Bankier tätig gewesen sein. Die weiteren Angaben stimmen mit den Aussagen Picots ([1918] 1995) überein. Die Biographie einzelner Immigranten genau nachzuzeichnen, ist nicht immer leicht. In der vorliegenden Arbeit wird davon ausgegangen, dass Zametti, auch wenn er zwischenzeitlich im Piemont lebte, toskanischer Herkunft und 1582 in jedem Fall bereits seit geraumer Zeit in Frankreich war. 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 385 386 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne nahelegen, dass der jeweilige Schreiber schon längere Zeit in Frankreich verbracht hatte. Die insgesamt 35 Briefe verteilen sich wie folgt auf Gruppe A und B: Zu Gruppe A gehören 19 Briefe: elf Briefe von Luigi Alamanni, drei Briefe von Gio Batista Guadagni, ein Brief von Lodovico Gonzaga, ein Brief eines Sekretärs von Lorenzo Strozzi, zwei Briefe eines Sekretärs von Pietro Strozzi sowie ein Brief von Pandolpho della Stupha. Gruppe B umfasst 16 Briefe: fünf Briefe von Filippo Cavriana, einen Brief des Conte della Mirandola, jeweils drei Briefe von Leone (zwei autographes und ein diktierter Brief) und Pietro Strozzi, einen Brief von Lorenzo Strozzi, zwei Briefe der Nazione Fiorentina bzw. Lucchese sowie die handschriftliche Ergänzung Zamettis. Der dem Sekretär diktierte Teil im Brief Zamettis zählt zu Gruppe A. Sowohl die edierten Briefe von Alamanni als auch alle Handschriften sind online zugänglich. Da die Manuskripte in den meisten Fällen gut lesbar sind 70 , wurden sie nicht eigens ediert. In Anhang 3 finden sich die genauen Angaben zum Aufbewahrungsort der Manuskripte. In den folgenden Kapiteln wird daher bei der Quellenangabe auf die vollständige Nennung der Handschrift, d. h. mit Adressat, verzichtet. Die Verweise sind selbsterklärend. Das zitierte Belegmaterial in den folgenden Kapiteln kann auf den ersten Blick sehr unterschiedlich erscheinen: Im Gegensatz zu den Daten aus den 24 Handschriften weisen jene aus den Briefen Alamannis, da sie der Edition entnommen sind, vermehrt Apostrophe und Akzente auf. Die Transkription der Belege aus den Manuskripten wurde von mir vorgenommen. Es wurde darauf geachtet, so wenige Anpassungen wie nur möglich vorzunehmen. Die einzigen durch meine Transkription bedingten Abweichungen vom Original sind der Verzicht auf die Unterscheidung von <s> und <ß> zugunsten von <s> sowie die Kennzeichnung von <v> und <u>. Jedes Phänomen, das in den folgenden Kapiteln besprochen wird, wurde sowohl in den Briefen der Gruppe A als auch in jenen der Gruppe B untersucht. Zwar sind gewisse Interferenzen (z. B. <ou> statt <u> für [u]) als Attritionserscheinungen eigentlich nur in den Briefen der Gruppe B zu erwarten, allerdings kann ein Vergleich der beiden Gruppen zeigen, dass zwischen der Sprache von vorübergehenden Gästen bzw. von Einwanderern, die erst seit Kurzem in Frankreich sind, und derjenigen von Immigranten, die seit über zehn Jahren in der neuen Heimat ansässig sind, keine wesentlichen Unterschiede festgestellt werden können. Was andere Phänomene, wie Anredeformen oder die Vitalität von s impurum , betrifft, sollten die Briefe der Gruppe A ohnehin untersucht werden. 70 Nur in sehr wenigen Fällen waren Einzelwörter nicht zu entziffern und wurden daher von der Analyse ausgeschlossen. 6.3.3 Korpusauswertung 6.3.3.1 Lautung und Schreibung 6.3.3.1.1 Graphien für [u] Wie weiter oben bereits erwähnt, konnte Cremona (1996) zeigen, dass in italienischen Dokumenten aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die in nordafrikanischen Kanzleien angefertigt wurden, bisweilen <ou> statt <u> für [u] erscheint, was als Übertragung einer französischen Schreibtradition betrachtet werden könnte. Dies ist insofern nicht unwahrscheinlich, als das Französische dort neben dem Italienischen in der Verwaltung verwendet wurde 71 . Da auch in der France italienne beide Sprachen nebeneinander existierten und zumindest von den Immigranten auch regelmäßig nebeneinander verwendet wurden, sollte überprüft werden, ob in den Briefen der Gruppe B möglicherweise <ou> statt <u> begegnet. Da v. a. die Graphie von Bedeutung ist, wurden auch Schreibungen für z. B. buono , guerra , seguire berücksichtigt, in denen <u> vermutlich für [w] steht. Theoretisch könnte es in der France italienne auch zu Schreibungen wie <bouono>, <gouerra>, <segouire> gekommen sein. Der Großteil der Daten entfällt aber auf <u> [u]. Alle Fälle, in denen <u> vermutlich für [w] steht, wurden extra gezählt und erscheinen in der Tabelle in eckigen Klammern 72 . Eigennamen blieben für die quantitative Analyse unberücksichtigt. Abgekürzte Wörter wurden nur dann gezählt, wenn eindeutig <u> statt <ou> zu erkennen ist: z. B. <humiliss[…]te>. <u> <ou> Gruppe A Alamanni 249 [74] 0 Guadagni 64 [15] 0 71 Bruni ([2007] 2013: 183) verweist im Zusammenhang mit den Ergebnissen Cremonas (1996) auf die Arbeit von Baglioni (2006), der auch in zypriotischen Texten aus dem 15. Jahrhundert, in denen aufgrund der Präsenz von Franzosen ebenfalls Interferenzen anzutreffen sind, <ou> statt <u> für it. [u] nachweisen konnte. Zu Interferenzen mit dem Italienischen in dort entstandenen französischen Texten vgl. Aslanov (2006). 72 Auf die phonologische Debatte im Hinblick auf das Verhältnis von / u/ und [w] braucht hier nicht eingegangen zu werden, ebensowenig auf die Debatte um die Existenz von Diphthongen im Italienischen. In der vorliegenden Arbeit orientiere ich mich diesbezüglich an der Klassifikation von Muljačić (1972: 85-89), vgl. dazu auch Mioni (2011: 125-126). Schreibungen wie <qu>, etwa in quale , wurden nicht berücksichtigt, da auch im Französischen <qu>, etwa in quelle , begegnet und daher weniger Interferenzen zu erwarten sind. 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 387 388 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne <u> <ou> Gonzaga 1 [1] 0 Della Stupha 55 [6] 0 Sekretär Lorenzo Strozzi 7 [1] 0 Sekretär Pietro Strozzi 32 [8] 0 Sekretär Zametti 8 [1] 0 Gruppe B Cavriana 109 [34] 0 Conte della Mirandola 6 [1] 0 Nazione Fiorentina / Lucchese 59 [12] 0 Leone Strozzi 107 [17] 0 Sekretär Leone Strozzi 39 [5] 0 Lorenzo Strozzi 11 [3] 0 Pietro Strozzi 75 [5] 0 Zametti 1 [0] 0 Gesamt A: 416 B: 407 A: 106 B: 77 A: 0 B: 0 Tab. 19: Schreibungen für [u] in den it. Briefen der Immigranten Wie aus der Übersichtstabelle hervorgeht, kommt die Schreibung <ou> weder in den Briefen der Gruppe A (522 Okkurrenzen für <u>) noch in jenen der Gruppe B (484 Okkurrenzen für <u>) vor. Sie scheint also keine übliche oder zumindest mögliche Graphie im rinascimentalen Italienisch gewesen zu sein und auch nicht in der France italienne unter dem Einfluss des Französischen Verbreitung erlangt zu haben. Interessant ist, dass Guadagni in allen Briefen den französischen Eigennamen La Noue nicht italianisiert, also immer <ou> statt <u> schreibt 73 . Die einzige auffällige Schreibung, die auf den ersten Blick französisierend wirken könnte, ist <continouame[n]te> im Brief von Pandolpho della Stupha 74 . Angesichts des Umstands, dass dieser Brief von einem florentinischen Sekretär geschrieben wurde, ist französischer Einfluss aber äußerst unwahrscheinlich. Meines Erachtens muss <continouamente> ohnehin als 73 Vgl. Brief von Guadagni vom November 1572 (FF 15 555 [187-188]), vom 06. Dezember 1572 (BNF FF 15 555 [204-205]), vom 07. Dezember 1572 (BNF FF 15 555 [209]). 74 Vgl. Brief von Della Stupha vom 30. Mai 1560 (BNF FF 3898 [12]). <continovamente> gelesen werden (vgl. dazu Rohlfs Bd. 1, 1949: 481, z. B. ait. continovo ). 6.3.3.1.2 Graphien für [ʎ] 75 Wiederum in Anlehnung an die Ergebnisse Cremonas (1996) wurde auch die Konkurrenz der Schreibungen für [ʎ] näher betrachtet. Auch wenn die graphische Wiedergabe von palatalen Lauten im 16. Jahrhundert im Allgemeinen sowohl in Frankreich als auch in Italien noch diskutiert wurde und in der Anfangszeit der Verschriftung beider Sprachen diesbezüglich noch Gemeinsamkeiten zu beobachten waren, hatten sich, wie auch die folgenden Ergebnisse zeigen, bereits einzelsprachliche Unterschiede etabliert. Im Italienischen ist eher <gl(i)> 76 , im Französischen <(i)ll> anzutreffen. Die Variation im rinascimentalen Italienisch erwies sich dennoch als problematisch. Weit häufiger als im Französischen ist [ʎ] im Italienischen auch außerhalb lexikalischer Wörter wie figlia anzutreffen. Insbesondere Formen des bestimmten Artikels (z. B. gli ) und damit einhergehend auch des Teilungsartikels (z.B . degli ) sowie der sog. preposizioni articolate (z. B. agli ) können <gl(i)> [ʎ] aufweisen. Wäre die Verteilung und Schreibung dieser Formen im 16. Jahrhundert schon genauso stabil wie im heutigen Standarditalienisch, könnten die entsprechenden Okkurrenzen ohne Weiteres quantitativ erfasst werden. Schreibungen wie <alli amici> statt <agli amici> müssten dann als vom Französischen beeinflusst betrachtet werden. Da aber hinreichend bekannt ist, dass die Verhältnisse im 16. Jahrhundert noch gänzlich anders waren 77 , wurden solche Formen nicht berücksichtigt. Auch wenn <li> statt <gli> als Objektpronomen erscheint, darf keine Beeinflussung durch das Französische angenommen werden. Okkurrenzen wie z. B. <agli> und <degli> wurden auch nicht aufgenommen. Gewiss hätten diese gezählt werden können, dann aber hätten ihnen zum Vergleich auch Graphien wie <alli> gegenübergestellt werden müssen. Da aber ein Vergleich nur Aussagen über die Variation im ‘Italienischen’ des 16. Jahrhunderts, nicht über etwaige Interferenzen mit dem Französischen gestattet, wurde an dieser Stelle auf einen solchen verzichtet. Bei der Datenerhebung wurden Okkurrenzen wie <agli> und <alli> jedoch grundsätzlich mit aufgenommen, da die 75 Das Interesse gilt natürlich gleichermaßen den entsprechenden Geminaten. 76 Migliorini (1957b: 216) weist im Hinblick auf die Schreibung <gli> für [ʎ] darauf hin, dass diese bereits in den Aldinen durchgängig anzutreffen ist und Schwankungen (z. B. in Texten von Guicciardini oder Machiavelli) lediglich in Bezug auf <i>, d. h. <gl> vs. <gli>, zu beobachten sind. Selbst Trissino, so Migliorini ([1960] 1988: 335), beschäftigte sich zu Beginn seiner Reformen nicht mit Schreibungen für [ʎ] und verwendete <gl(i)>. Erst spät schlug er <lj> vor, eine Graphie, die sich aber nicht durchsetzen konnte. Auch laut Marazzini (1993: 209) hatte sich <gl> bzw. <gli> für [ʎ] im 16. Jahrhundert bereits stabilisiert. 77 Vgl. dazu z. B. Rohlfs Bd. 2 (1949: 123-144) sowie Renzi (2009: 2841-2842). 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 389 390 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Formen der sog. preposizioni articolate als eigenes Phänomen genauer betrachtet werden sollten (vgl. Kapitel 6.3.3.1.5). Die folgende Tabelle gibt nur Auskunft über die potentiell konkurrierenden Graphien <(i)ll> und <gl(i)> in lexikalischen Wörtern sowie in Formen der Subjektpronomina egli und egliono , da bei letzteren keinerlei Variation zu beobachten war. Eigennamen wurden nicht berücksichtigt. Abgekürzte Formen wie z. B. <fig…lo> ‘figliuolo’ wie im Brief von Lodovico Gonzaga wurden in die Übersicht aufgenommen, da <g> deutlich erkennbar ist. <gl(i)> <(i)ll> Gruppe A Alamanni 25 0 Guadagni 16 0 Gonzaga 1 0 Della Stupha 6 0 Sekretär Lorenzo Strozzi 0 0 Sekretär Pietro Strozzi 0 0 Sekretär Zametti 1 0 Gruppe B Cavriana 23 0 Conte della Mirandola 1 0 Nazione Fiorentina / Lucchese 6 0 Leone Strozzi 15 0 Sekretär Leone Strozzi 4 0 Lorenzo Strozzi 1 0 Pietro Strozzi 3 0 Zametti 1 0 Gesamt A: 49 B: 54 A: 0 B: 0 Tab. 20: Schreibungen für [ʎ] in den it. Briefen der Immigranten Gewiss ist die Anzahl der ermittelten Okkurrenzen in beiden Gruppen (A: 49, B: 54) überschaubar. Dennoch lässt sich feststellen, dass in keinem Fall <(i)ll> für [ʎ] erscheint. Die Ergebnisse legen einerseits nahe, dass <(i)ll> keine gängige Schreibung für [ʎ] im Italienischen des 16. Jahrhunderts mehr war, andererseits zeigen sie, dass es im Italienischen der Immigranten, in deren françois italianizé Schreibungen wie <figle> oder <baglia> zu beobachten sind, offenbar nicht zu Interferenzen mit französischen Schreibtraditionen kam . Auffällig ist lediglich die Schreibung <Marsilia> für Marseille , wie sie in einem Brief von Alamanni 78 sowie in zwei Briefen von Leone Strozzi 79 begegnet. Im heutigen Italienisch wird im Normalfall <Marsiglia> geschrieben. Vermutlich ist die Schreibung <Marsilia> einfach latinisierend (vgl. lat. Massilia ). Gegen französischen Einfluss spricht auch, dass nur <l>, nicht <ll> erscheint. 6.3.3.1.3 Graphien für [k] und [g] sowie für [t∫], [dʒ] und [∫] 80 Wie weiter oben erwähnt, konnte Cremona (1996) auch <que> statt <che> in italienischen Texten aus Nordafrika nachweisen. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass im françois italianizé bestimmter Immigranten auch Schreibungen wie <giours> und <giustification> anzutreffen sind. Auch wenn insbesondere im Hinblick auf die graphische Wiedergabe von [t∫], [dʒ] und [∫], wie schon im Falle von [ʎ], davon ausgegangen werden muss, dass in der Frühphase der Verschriftung sowohl des Italienischen als auch des Französischen (und natürlich auch anderer romanischer Sprachen) zahlreiche Varianten entstanden sind, von denen sich beide Sprachen auch manche teilen konnten, können, wie auch der folgende Passus aus Lippomano (1577) zeigt, im 16. Jahrhundert schon unterschiedliche Tendenzen in den Einzelsprachen ausgemacht werden 81 . Perchè pronunciano tutte le lor parole, o la maggior parte sincopate; e quello che scrivono col legame e unione di molte consonanti esprimono poi brevemente, come a dire per esempio il castello di Sciatelerò, essi scriveranno le chasteau de Chastellerault . Tuttavia nella favella francese ancora essi pronunziano Sciatelerò. Con ciò sia che quello che pronunziano per il sc lo scrivono per ch , succedane che vocale si voglia; quello che pronunciamo per che e per chi , lo scrivono per que e per qui . (Tommaseo Bd. 2, 1838: 587, Lippomano 1577) 78 Vgl. Cosentino / De Los Santos (2001: 155-156): Brief vom 17. September 1536. 79 Vgl. Brief von Leone Strozzi vom 02. Juli 1551 (BNF FF 3129 [16]), vom 04. September 1551 (BNF FF 3129 [25-27]). 80 Das Interesse gilt hier natürlich gleichermaßen den entsprechenden Geminaten. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird nicht immer [kk] und [k], [gg] und [g], [tt∫] und [t∫] usw. angegeben. 81 Laut Migliorini (1957b: 204) wird z. B. der Gebrauch von <ch> für [k] vor [i], [e] oder [ɛ] im 16. Jahrhundert „assolutamente regolare“. Vgl. dazu auch Marazzini (1993: 206). Nur in Sizilien und Teilen Süditaliens hält sich die Konvention <ch> für [t∫] noch bis zum 16. Jahrhundert (vgl. Biffi/ Maraschio 2009: 2817). 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 391 392 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Überprüft werden sollte daher die Vitalität der vornehmlich italienischen Schreibungen für [t∫], [dʒ] und [∫]. Verglichen mit französischen Traditionen kann auch <ch> für [k] vor [i], [e] oder [ɛ] als spezifisch italienisch betrachtet werden. Um zu überprüfen, ob diese Eigentümlichkeit im Italienischen der France italienne begegnete und erhalten blieb, wurden in den Briefen der Gruppe A und B alle Schreibungen für [k] vor [i] (und [j]), [e] und [ɛ] ausgezählt. Graphien für [k] vor [a], [o], [ɔ] und [u] wurden hingegen nicht genauer betrachtet, da weniger Unterschiede zu französischen Schreibtraditionen vorhanden und daher keine Interferenzen zu erwarten sind (vgl. fr. <que> mit it. <che> vs. fr. <colonne> mit it. <colonna>) 82 . Auch für [g] wurden nur Graphien vor [e], [ɛ] und [i] (und [j]) untersucht. Etwas anders verhält es sich mit den Schreibungen für [t∫], [dʒ] und [∫]. Während sich die französischen und die italienischen Korrelationen im 16. Jahrhundert für [ʒ] bzw. [dʒ] vor [e], [ɛ] und [i] weitestgehend entsprechen (z.B. fr./ it. <g> [ʒ] bzw. [dʒ] vor [e], [ɛ] und [i], vgl. fr. général und it. generale ) 83 und sich insbesondere vor [a], [o], [ɔ] und [u] unterscheiden (fr. <i(e)>/ <j(e)>, nicht <g> für [ʒ] vs. it. <gi> für [dʒ], vgl. fr. jamais und it. giammai ), sind im Hinblick auf [t∫] und [∫] keine Gemeinsamkeiten vorhanden: Während im Französischen für [∫] mehr oder weniger durchgängig <ch> steht 84 , finden sich im Italienischen <sc> bzw. <c> für [∫] bzw. [t∫] vor [e], [ɛ] und [i] (z.B. it. nascere , cento ) sowie <sci> bzw. <ci> für [∫] bzw. [t∫] vor [a], [o], [ɔ] und [u] (z.B. it. sciolto , ciò ). In den Briefen der Gruppe A und B sollten daher für [dʒ] nur Schreibungen vor [a], [o], [ɔ] und [u] genauer betrachtet werden, wohingegen die Wiedergabe von [∫] bzw. [t∫] in allen Fällen von Interesse war. An dieser Stelle ließe sich natürlich die berechtigte Frage stellen, warum überhaupt Schreibungen für [dʒ] und [t∫] auf ihre Verbreitung und Vitalität hin überprüft werden sollten. Schließlich teilen das Italienische und Französische des 16. Jahrhunderts - in letzterem sind ja längst keine Affrikaten mehr vorhan- 82 Diese Darstellung ist natürlich vereinfacht. Angesichts der Tatsache, dass im Französischen anders als im Italienischen [kw] z. B. auch vor [a] nicht erhalten blieb - Schreibungen wie fr. <quand> sind etymologisch - und im Französischen der Renaissance daher auch Graphien wie <quarere> ‘carrière’ (<qua> und <ca> für [ka]) nicht selten sind, wäre rein theoretisch auch für das Italienische der France italienne denkbar, dass nicht nur <que> statt <che>, sondern auch <quarriera> statt <carriera> erscheint. In den Briefen begegneten aber keine Fälle von <qua> [ka], auch keine latinisierenden Graphien wie <quotidiano> [ko]. 83 Im Französischen wird für [ʒ] vor [e], [ɛ], [ǝ] und [i] neben <g> natürlich auch <i>/ <j> gebraucht (z. B. <ge>, <ie> und <je> ‘je’). 84 Die Schreibung <ce> statt <che> für [∫], die u. a. als Merkmal bestimmter nordgalloromanischer Schreibtraditionen betrachtet werden kann (vgl. z. B. Marchello-Nizia 1997: 111-112), bleibt hier unberücksichtigt. Vgl. dazu aber Kapitel 7.3.2. den (vgl. z. B. Rheinfelder Bd. 1, 1963: 164-165) - lediglich [∫]. Die Betrachtung der Schreibungen für [dʒ] und [t∫] lohnt sich aber: Es ist durchaus vorstellbar, dass auch Graphien für [t∫] und [dʒ] von französischen Schreibtraditionen für [∫] und [ʒ] beeinflusst wurden. Formen wie <giours> und <giustification> im françois italianizé zeigen schließlich, dass umgekehrt eine Beeinflussung auch möglich war (also it. <gi> statt fr. <i / j> für [ʒ]). Dies gilt natürlich nur dann, wenn man eine veränderte Lautung im Französischen der Italiener ([dʒ] statt [ʒ]) ausschließt. Wenn man solche Schreibungen andererseits als Reflexe von Interferenzen auf lautlicher Ebene ansehen will, dann könnten französisierende Schreibungen, also <jorni> statt <giorni>, unter Umständen auch auf eine veränderte Lautung ([ʒ] statt [dʒ]) hinweisen. Eine genauere Betrachtung dieser Schreibungen ist also in jedem Fall lohnenswert. Es handelt sich um italienische Eigentümlichkeiten, die unter dem Druck der Mehrheitssprache Französisch aufgegeben oder zumindest beeinflusst worden sein könnten. Bei der Datenerhebung wurde Folgendes berücksichtigt: In den Briefen von Alamanni wurden aus den in Kapitel 6.3.2 dargelegten Gründen vereinzelte Okkurrenzen nicht gezählt, da sie - wie in vielen anderen rinascimentalen Manuskripten - zu Beginn und am Ende eines Briefes abgekürzt erscheinen könnten, ohne dass die Auflösung der Kürzel in der Edition durch die Herausgeberinnen kenntlich gemacht worden wäre. Davon waren aber nur wenige Vorkommen von <giorno> bzw. <giorni> betroffen. Ebenfalls nicht gezählt wurden alle Okkurrenzen von <che>. Auch dieses wird häufig abgekürzt. In allen von mir analysierten Handschriften wurden nur solche Belege für <che> in der quantitativen Auswertung berücksichtigt, die ausgeschrieben sind. Abgekürzte Formen wurden der Vollständigkeit halber aber erfasst. Die wenigen Kürzel <ecc.> ‘Vostra Eccellenza’ wurden nicht gezählt. Die im 16. Jahrhundert gängigen Schreibungen wie z. B. <anchora> werden ebenso wie Auffälligkeiten bei Eigennamen weiter unten gesondert besprochen. 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 393 394 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne [k] und [g] vor [e], [ɛ], [i] [t∫], [dʒ] und [∫] italienisch <ch>, <gh> französisch <qu>, <gu> italienisch <c>/ <ci>, <sc>/ <sci>, <gi> französisch <ch>, <i / j> Gruppe A Alamanni 51 0 148 0 Guadagni 62 1 60 0 Gonzaga 1 0 2 0 Della Stupha 39 0 31 0 Sekretär Lorenzo Strozzi 11 0 4 0 Sekretär Pietro Strozzi 9 0 16 0 Sekretär Zametti 9 0 8 0 Gruppe B Cavriana 98 0 81 0 Conte della Mirandola 3 0 4 0 Nazione Fiorentina e Lucchese 35 1 33 1 Leone Strozzi 87 0 48 0 Sekretär Leone Strozzi 17 0 11 0 Lorenzo Strozzi 1 0 4 0 Pietro Strozzi 38 0 33 0 Zametti 5 0 0 0 Gesamt A: 182 B: 284 A: 1 B: 1 A: 269 B: 214 A: 0 B: 1 Tab. 21: Schreibungen für [k], [g], [t∫], [dʒ] und [∫] in den it. Briefen der Immigranten Wie aus der Tabelle hervorgeht, kann <ch> bzw. <gh> für [k] bzw. [g] vor [e], [ɛ], [i] und [j] in beiden Gruppen als äußerst stabil gelten. Sowohl in Gruppe A (1 von 183) als auch in Gruppe B (1 von 285) begegnet jeweils nur einmal <qu> 85 . Offenbar wurde also das Italienische der France italienne diesbezüglich nicht von französischen Schreibtraditionen beeinflusst. Dass <ch> und <gh> vital waren, zeigen auch vereinzelte Okkurrenzen dieser Schreibungen vor [a], [o], [ɔ]. Graphien wie <anchora> sind im 16. Jahrhundert durchaus nicht ungewöhnlich. Dass es sich dabei nicht um eine Hypergeneralisierung von <ch> bzw. <gh> für [k] bzw. [g] im Italienischen der Immigranten (Gruppe B) handelt, zeigen vergleichbare Vorkommen in den Briefen der Gruppe A sowie in beliebigen rinascimentalen Texten aus Italien 86 . Gruppe A: Alamanni (z. B. <anchora>, <ancho>, <charo>) 87 , Gruppe B: Cavriana (z. B. <anchor>) 88 , Nazione Fiorentina (z. B. <mantengha>, <charita>) 89 , Leone Strozzi (z. B. <luogho>, <pregho>) 90 , Pietro Strozzi (z. B. <replichare>) 91 . Wie sind aber nun die zwei Vorkommen von <qu> zu interpretieren? Im Brief der Nazione Fiorentina erscheint <quelle> ‘che le [Objektpronomen]’ 92 . Kontrahierte Formen aus che und einem folgenden Pronomen sind nicht selten und erscheinen z. B. auch in einem Brief von Pietro Strozzi <chella> ‘che ella’ 93 sowie im anderen Brief der Nazione Fiorentina e Lucchese <che’la> ‘che ella’ 94 . Wie die Beispiele zeigen, ist die Schreibung dabei aber immer <ch>, nicht <qu>. Möglicherweise handelt es sich in diesem Fall also tatsächlich um eine Interferenz mit dem Französischen. Der Brief könnte von einem Immigranten der 2. oder 3. Generation verfasst worden sein, der balanciert zweisprachig war. Die Graphie <qu> hier als latinisierend zu betrachten, ist m. E. nicht wirklich sinnvoll. Würde es sich um eine alternative Schreibung für [k] vor [e] handeln, 85 Dass sich die Zahl der Okkurrenzen in Gruppe A und B hier stärker unterscheidet als bei den anderen Phänomenen liegt insbesondere daran, dass in den elf Briefen von Alamanni (Gruppe A) sämtliche Vorkommen von <che> unberücksichtigt bleiben mussten. 86 Laut Migliorini (1957b: 204) finden sich Schreibungen wie <cha>, <cho> und <chu>, die im 15. Jahrhundert noch sehr häufig begegnen, im 16. Jahrhundert insbesondere in Texten von weniger gebildeteten Schreibern. Auch Trifone (2006: 104-108) kann in seinem Werk Rinascimento dal basso Graphien wie <chuore>, <alchun>, <chaso>, <charo>, <anchora> usw. in toskanischen Texten aus dem späten 15. Jahrhundert nachweisen. 87 Vgl. Cosentino / De Los Santos (2001: 149-150, 155-156): Brief vom 15. April 1536, vom 07. Mai 1536, vom 17. September 1536. 88 Vgl. Brief von Cavriana von il di della Candellorie del 1586 (BNF FF 3374 [48]). 89 Vgl. Brief der Nazione Fiorentina e Lucchese vom 10. Juli 1560 (BNF FF 3898 [79]). 90 Vgl. Brief von Leone Strozzi vom 02. Juli 1551 (BNF FF 3129 [16]). 91 Vgl. Brief von Pietro Strozzi vom 31. Dezember 1556 (BNF FF 3117 [33-34]). 92 Vgl. Brief der Nazione Fiorentina vom August 1559 (BNF FF 3898 [41]). 93 Vgl. Brief von Pietro Strozzi vom 31. Dezember 1556 (BNF FF 3117 [33-34]), vom 12. August 1556 (BNF FF 3117 [28-30]). 94 Vgl. Brief der Nazione Fiorentina e Lucchese vom 10. Juli 1560 (BNF FF 3898 [79]). 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 395 396 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne sollten mehr Belege nachweisbar sein. In allen anderen Fällen aber begegnet <ch>. Nicht zuletzt aus diesem Grund scheint auch die Zuordnung der Briefe der Nazione Fiorentina zu Gruppe B gerechtfertigt zu sein - in Kapitel 6.3.2 wurde angemerkt, dass der Sekretär unbekannt ist. Noch wahrscheinlicher ist französischer Einfluss im Hinblick auf <que> 95 in einem Brief von Guadagni. Dass es sich hier um eine alternative, latinisierende Schreibung für it. che handelt, ist äußerst unwahrscheinlich: Selbst wenn die zahlreichen Abkürzungen für che in den drei Briefen von Guadagni nicht berücksichtigt wurden (z. B. <ch>, <c h >, <cI>), sind immer noch 31 Formen für che als <che> ausgeschrieben 96 . Auch in allen anderen Fällen, in denen [k] oder [g] vor [e], [ɛ], [i] und [j] graphisch wiedergegeben wird, begegnet <ch> oder <gh>. Betrachtet man das Vorkommen genauer, d. h. auch den Kontext, wird verständlich, weshalb hier das Französische eine Rolle gespielt haben könnte. <Io trovai in Beausse que M. de la Noue era partito per questa volta il giorno avanti che io partissi di Parigi>. Möglicherweise ist die Präsenz von <M. de la Noue> für die Interferenz mit dem Französischen verantwortlich. Der Name wird auch in den folgenden Briefen nicht italianisiert (kein <u> statt <ou>, kein <della>). Ebenfalls französisch bleibt im selben Brief <à la Rochelle>, das nur wenige Zeilen später erscheint. In den folgenden zwei Briefen, also nachdem Guadagni einige Wochen mit Filippo Strozzi in La Rochelle gekämpft hat, begegnen hingegen nur noch <alla Roccella>, <della Roccella>, <dalla Roccella> 97 . In diesen Briefen sind auch keine auffälligen Schreibungen mehr anzutreffen. Denkbar wäre also, dass Guadagni, der, wie aus seinem Brief eindeutig hervorgeht, noch kurz zuvor in Paris gewesen sein muss, aufgrund des französischen Settings noch alle Orts- und Personennamen in französischer Graphie wiedergibt, also nicht italianisiert, und sogar einmal <que> statt <che> schreibt, aber bereits nach wenigen Wochen in der Gesellschaft anderer Italiener sogar Toponyme italianisiert. Im Hinblick auf die Schreibungen für [t∫], [∫] und [dʒ] lässt sich Ähnliches feststellen wie für <ch> und <gh>. In fast allen Fällen finden sich Graphien, wie sie im heutigen Italienisch zu erwarten wären. Innerhalb der 269 Okkurrenzen in Gruppe A können keinerlei französische Einflüsse beobachtet werden. Von 95 Vgl. Brief von Guadagni vom November 1572 (BNF FF 15 555 [187-188]). 96 Cremona (1996: 95) gibt bei seiner Analyse der aus Tunesien stammenden Texte zu bedenken, dass <que> statt <che> nicht zwangsläufig auf französischen Einfluss zurückgeführt werden müsse. Auch in Texten, die aus dem rinascimentalen Italien kommen, seien solche Graphien vereinzelt zu beobachten. Laut Biffi/ Maraschio (2009: 2821) handle es sich bei <qu> für [k] um eine spanische Schreibtradition, die schon vor dem 16. Jahrhundert v. a. in den Kanzleien Neapels verbreitet war. 97 Vgl. Brief von Guadagni vom 06. Dezember 1572 (BNF FF 15 555 [204-205]), vom 07. Dezember 1572 (BNF FF 15 555 [209]). den 215 Schreibungen in Gruppe B könnte nur eine als französisierend betrachtet werden (<justa domanda>). Bevor letztere genauer besprochen wird, müssen noch einige wenige Einzelformen erläutert werden. Soeben wurde betont, dass in der Mehrheit der Fälle Graphien begegnen, die auch im heutigen Standarditalienisch anzutreffen wären. Ausnahmen hierzu sind: Gruppe A: Gonzaga (<bascio> vs. heute <bacio>) 98 , Guadagni (<lassar> und <laciarlo> vs. heute <lasciare>) 99 und Gruppe B: Cavriana (<brusciare> vs. heute <bruciare>) 100 , Conte della Mirandola (<basciando> vs. heute <baciando>) 101 , Nazione Fiorentina e Lucchese (<basciato> vs. heute <baciato> und <ecciedere> vs. heute <eccedere>) 102 , Leone Strozzi (<lasciero> vs. heute <lascerò>) 103 . Französischer Einfluss braucht aber für keine der Schreibungen angenommen zu werden: Während <lassar> sowie alle Graphien von baciare mit <sci> und <brusciare> als phonetische Schreibungen betrachtet werden können (<ss> [ss], <sci> [∫(∫)]), die die Variation im Italienischen des 16. Jahrhundert widerspiegeln 104 , scheint es sich bei <ecciedere> und <lasciero> um einen ‘unnötigen’ Gebrauch des diakritischen <i> zu handeln. Auch für <ch> und <gh> konnte gezeigt werden (z. B. <anchora>, <luogho>), dass sie im 16. Jahrhundert auch in Kontexten erscheinen konnten, in denen sie heute nicht mehr üblich sind 105 . Im Hinblick auf <lasciero> könnte zudem von einer analogen Schreibung ausgegangen werden, weisen doch die meisten Formen von lasciare in anderen Tempora <sci> auf. Die Graphie <laciarlo> könnte als hyperkorrekte Form interpretiert werden, da Guadagni ansonsten <lassare> schrieb und vermutlich auch [ss] aussprach 106 . 98 Vgl. Brief von Gonzaga vom 20. Dezember 1553 (BNF Fonds Clairambault 347 [149]). 99 Vgl. Brief von Guadagni vom November 1572 (BNF FF 15 555 [187-188]), vom 07. Dezember 1572 (BNF FF 15 555 [209]). 100 Vgl. Brief von Cavriana vom 22. November 1585 (BNF FF 3374 [21]). 101 Vgl. Brief von della Mirandola vom 20. Juni 1554 (BNF Fonds Clairambault 347 [231]). 102 Vgl. Brief der Nazione Fiorentina e Lucchese vom 10. Juli 1560 (BNF FF 3898 [79]). 103 Vgl. Brief von Leone Strozzi vom 16. September 1551 (BNF FF 3129 [22-23]). 104 Zur durch die diatopische Variation bedingten Konkurrenz zwischen stimmhaften sowie stimmlosen Affrikaten und Sibilanten im Italienischen vgl. z. B. Rohlfs Bd. 1 (1949: 347-348, 357-359, 361-363, 372-377). Lassare etwa ist laut Rohlfs Bd. 1 (1949: 373) als typisch für toskanische Mundarten anzusehen und bis heute erhalten, ebenso brusciare und basciare . 105 Auch Trifone (2006: 104-108) kann in Rinascimento dal basso Graphien wie <dolcie>, <macierate> usw. in toskanischen Texten aus dem späten 15. Jahrhundert nachweisen. 106 Nicht auszuschließen ist, dass hier nicht <laciarlo>, sondern wie im anderen Brief Guadagnis <lassarlo> zu lesen ist. Die Handschrift ist hier sehr undeutlich. 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 397 398 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Die einzige Form, die tatsächlich von französischen Schreibtraditionen beeinflusst worden sein könnte, ist <justa domanda> 107 , die im Brief der Nazione Fiorentina e Lucchese an Catherine de Médicis erscheint. Wie die Befunde nahelegen, war <ju> keine gängige Graphie für [dʒu]. Im selben Brief findet sich auch <giusto>. Anzunehmen, <ju> sei der Variation in der italienischen Graphie geschuldet, ist m. E. nicht überzeugend. In allen anderen 33 Fällen, in denen [t∫], [∫] und [dʒ] graphisch realisiert werden, ist mit Ausnahme von <ecciedere> keinerlei Variation zu beobachten. Im Allgemeinen ist in allen Briefen erstaunlich wenig Variation festzustellen. Möglicherweise handelt es sich beim Schreiber erneut (vgl. <quelle>) um ein bereits in Frankreich geborenes Mitglied der Nazione Fiorentina e Lucchese , das beide Sprachen gleichermaßen beherrschte. Die Schreibungen von bestimmten Eigennamen wie <Iulio Cesare> 108 bei Alamanni oder <Juliano de Medici> 109 bei Lorenzo Strozzi können in historischen Kontexten auch heute noch begegnen. Abschließend kann festgehalten werden, dass in den untersuchten Briefen Schreibungen für [k] und [g] vor [e], [ɛ], [i] und [j] sowie für [t∫], [∫] und [dʒ] schon weitestgehend der Verteilung im modernen Standarditalienisch entsprechen. Auch in der France italienne blieben diese italienischen Eigentümlichkeiten trotz der Präsenz der Mehrheitssprache Französisch, in der andere Schreibtraditionen vorhanden waren, stabil. 6.3.3.1.4 Prothese vs. s impurum Weiter oben wurde erwähnt, dass die Betrachtung des Verhältnisses von s impurum vs. Prothese im Italienischen der Einwanderer sowie im Italienischen des 16. Jahrhunderts im Allgemeinen von besonderer Bedeutung ist. Glaubt man den Aussagen von Henri Estienne (1578), muss s impurum ein deutliches Erkennungsmerkmal des françois italianizé gewesen sein, was, so die Kritik Sampsons (2003, 2004), insofern unwahrscheinlich ist, als die Mehrheit der Italianismen im Französischen des 16. Jahrhunderts einen prothetischen Vokal aufweise. Auch wenn Sampsons wichtigstes Argument, die Italianismen seien über okzitanische Varietäten vermittelt worden, in denen die Prothese noch voll produktiv war, im Hinblick auf das Französische der Petite Italie nicht von Belang ist - schließlich wurden die Italianismen laut Estienne dort direkt von den Italienern eingeführt -, muss geklärt werden, ob und ggf. in welchem Außmaß auch im dem françois italianizé zugrundeliegenden Italienisch, dem der 107 Vgl. Brief der Nazione Fiorentina e Lucchese vom 10. Juli 1560 (BNF FF 3898 [79]). In der Handschrift könnte aber auch <susta domanda> gelesen werden. Somit läge kein französischer Einfluss vor. 108 Vgl. Cosentino / De Los Santos (2001: 155-156): Brief vom 17. September 1536. 109 Vgl. Brief von Lorenzo Strozzi vom 01. Januar 1560 (BNF FF 3898 [2]). France italienne , prothetische Vokale verbreitet waren. Nur wenn vermehrt s impurum begegnet, kann wahrscheinlich gemacht werden, dass die Italiener für die schwache Präsenz von prothetischen Vokalen im françois italianizé verantwortlich waren. Problematisch ist, dass Sampson (2003) anhand der Ergebnisse Telmons (1975) für moderne piemontesische Mundarten sowie anhand seiner Analyse von privaten Briefen der Florentinerin Alessandra Macinghi Strozzi davon ausgeht, dass die Prothese nicht nur in Norditalien, sondern auch in der Toskana bis in die Frühe Neuzeit verbreiteter war, als es das italiano letterario , in dem spätestens seit Bembo (1525) prothetische Vokale eigentlich nur noch nach Konsonant (vgl. z.B . per iscritto ) toleriert wurden, vermuten lässt. Da die Mehrheit der Einwanderer, v. a. ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, aus Zentralitalien stammte (vgl. Kapitel 6.2.2.2), könnten in ihrem Italienisch also in der Tat noch vermehrt prothetische Vokale anzutreffen gewesen sein. In Kapitel 5.6 wurde aber bereits darauf hingewiesen, dass zwischen den von Sampson untersuchten Briefen (Alessandra Macinghi Strozzi * 1407, † 1471) und dem Italienischen der Petite Italie (1578) mehr als 100 Jahre liegen und dass anhand der Ergebnisse Sampsons (2003) klar ersichtlich, dass die Prothese in zentralitalienischen Varietäten auch schon gegen Ende des 15. Jahrhunderts nicht voll produktiv war, so dass dass die Vermutung, im Italienischen der Immigranten seien prothetische Vokale möglicherweise nicht mehr die Regel gewesen, durchaus nicht unbegründet ist. Dies legen schließlich auch die neuesten Ergebnisse Sampsons (2010) nahe. Nach Berücksichtigung weiterer Daten stellt Sampson (2010: 80-96) selbst fest, dass die Prothese in toskanischen Varietäten ab dem 16. Jahrhundert rasch schwindet. Estienne (1578) wird in diesem Zusammenhang aber nicht wirklich rehabilitiert 110 . Die folgende Tabelle veranschaulicht Sampsons (2010: 88) Ergebnisse zur Vitalität der Prothese im Toskanischen des 14., 15. und 16. Jahrhunderts. Es wurden fünf mehr oder weniger private Briefsammlungen (in Edition) untersucht, da, so Sampson, prothetische Vokale v. a. außerhalb des italiano letterario anzutreffen gewesen seien: Margherita Datini (= MD , 243 Briefe), Francesco Marco Datini (= FMD , 183 Briefe), Alessandra Macinghi Strozzi (= AMS , 73) 111 , Marco Parenti (= MP , 95 Briefe), Niccolò Machiavelli (= NM , 78 Briefe), Michelangelo Buonarroti (= MB , 135 Briefe). 110 Sampson (2010: 120, Fn. 127) nimmt weiterhin an, Estienne habe sich in den Deux Dialogues (1578) am italiano letterario , d. h. an schriftlichen Quellen, orientiert. 111 Anders als in Sampson (2003) werden in Sampson (2010: 88) 1183, nicht 1182 potentielle Kontexte für <isC-> in dieser Sammlung ermittelt (vgl. Kapitel 5.6). 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 399 400 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Verfasser Potentielle Kontexte <isC-> gesamt nach Pause nach Konsonant nach Vokal Proklitikon nach Vokal andere MD 14./ 15. Jh. 1507 729 (48 %) 78 (83) 62 (69) 105 (561) 484 (794) FMD 14./ 15. Jh. 1223 537 (44 %) 56 (81) 58 (65) 68 (477) 355 (600) AMS 15. Jh 1183 392 (33 %) 53 (67) 29 (30) 18 (481) 292 (605) MP 15. Jh. 1156 208 (18 %) 42 (133) 36 (36) 19 (443) 111 (544) NM 15./ 16. Jh 1008 10 (1 %) 0(40) 3(53) 0(310) 7(605) MB 15./ 16. Jh. 640 32 (5 %) 3(19) 10 (18) 2(196) 17 (407) Tab. 22: Frequenz von <isC-> in toskanischen Texten des 14.-16. Jh. nach Sampson (2010: 88) Wie aus der Tabelle hervorgeht, nimmt die Frequenz von <isC-> in toskanischen Texten ab dem 16. Jahrhundert rapide ab (vgl. Spalte 2 und 3). Bei Machiavelli etwa erscheinen prothetische Vokale nur noch in 10 von 1008 möglichen Kontexten (<sC-> im italiano letterario ) 112 . Selbst im späten 14. und 15. Jahrhundert begegnet <isC-> aber in weniger als der Hälfte aller potentiellen Kontexte (z. B. MD : 729 von 1507). Offensichtlich ist, dass die Prothese nie so produktiv war wie in der Westromania. Nun aber dürfen prothetische Vokale, wenn sie nicht - wie in der Westromania üblich - generalisiert worden sind, nicht unabhängig von ihrer lautlichen Umgebung betrachtet werden. Wenn man wie Sampson (2010: 71-73) - und dies ist in der diachronisch arbeitenden Romanistik traditionellerweise der Fall - davon ausgeht, dass prothetische Vokale als epenthetische Laute zur Vermeidung ungünstiger Silbenstrukturen ( s impurum ) 113 dienen, können sie natürlich 112 Es wurden nur Formen mit <sc->, nicht solche mit <sci- / e-> für [∫] berücksichtigt. 113 Ungünstig ist ein solcher Onset deshalb, weil die Sonorität nicht kontinuierlich bis zum Nukleus ansteigt. Da [s] sonorer ist als ein folgender Plosiv, entsteht ein extrasyllabisches Maximum. Durch den prothetischen Vokal entsteht eine zusätzliche Silbe, so dass [s] in deren Koda rückt und der ursprüngliche Onset ( s impurum ) reduziert wird. Für eine Übersicht zu universellen Silbenstrukturpräferenzen vgl. z. B. Pustka (2011: 108-129) sowie die dort genannte Literatur. nicht in allen Umgebungen gleichermaßen häufig auftreten. Wie aus der Tabelle ersichtlich ist, teilt Sampson die Okkurrenzen daher in vier unterschiedliche Gruppen ein: nach Pause (Spalte 4), nach Konsonant (Spalte 5), nach vokalisch auslautendem Klitikon (Spalte 6), nach anderen, d. h. mehrsilbigen, vokalisch auslautenden Wörtern (Spalte 7). Die Zahlen in runden Klammern zeigen an, wie viele mögliche Kontexte in der entsprechenden Gruppe vorhanden sind. Dass in Fällen, in denen vokalisch auslautende proklitische Elemente (Objektpronomina, Formen des bestimmten Artikels, einsilbige Präpositionen, laut Sampson 2010: 90 aber auch einsilbige Konjunktionen wie ma , o , e , che ) vorausgehen, prothetische Vokale selten sind, erklärt sich dadurch, dass natürlich kein Anlaut mit [sC-] vorliegt, der einen prothetischen Vokal erforderlich machen könnte. Eine Sequenz wie ti scrivo kann als [tis.krivo] silbifiziert werden. Die Zahlen in Spalte 6 zeigen, dass in solchen Umgebungen äußerst selten <isC-> erscheint. Dass allerdings im 14. und 15. Jahrhundert dennoch Okkurrenzen zu verzeichnen sind, spricht für die Vitalität der Prothese, die in solchen Fällen nicht satzphonetisch erklärt werden kann und möglicherweise generalisiert hätte werden können. Tatsächlich frequent sind prothetische Vokale erwartungsgemäß nach Pause und konsonantisch auslautenden Wörtern (z. B. Iscrivo a Maria oder per iscritto ). Im letzten Fall wird die Prothese auch noch von Bembo (1525) toleriert 114 . Sampson (2003) unterscheidet in der Kategorie „nach Pause“ zusätzlich zwischen „satzinitial“ und „in der Satzmitte nach Pause“. In der vorliegenden Arbeit werden aber beide Umgebungen in Anlehnung an Sampson (2010) zusammen behandelt. Die Zahlen in Spalte 4 und 5 zeigen, dass die Prothese in diesen Fällen im 14. und 15. Jahrhundert in der Tat beinahe voll produktiv war. Allerdings ist auch ersichtlich, dass spätestens im 16. Jahrhundert graphisch realisiertes s impurum selbst in diesen Kontexten der Normalfall gewesen zu sein scheint. Sampson (2010) erklärt dies durch die zunehmende Orientierung am italiano letterario . Beide Verfasser gehörten einer gebildeten Elite an. Besonders interessant sind schließlich die Zahlen in Spalte 7. Sie zeigen, dass auch in Kontexten, in denen eine Wortform nicht auf ein konsonantisch auslautendes Wort oder Pause folgt (z. B. potrebbe istare ), prothetische Vokale anzutreffen waren. Zu vermuten ist, so Sampson (2010: 90-91), dass die vokalisch auslautenden Formen, die immer mehrsilbig sind (z. B. telo iscrivesi vs. ti scrivesi ), zumindest einen sekundären Akzent aufwiesen, und so eine „phonological boundary of some sort“ eine Silbifizierung wie mit proklitischen Elementen ver- 114 In Wendungen wie per iscritto kommt sie heute sogar graphisch zum Ausdruck. Solche Fälle sind aber äußerst selten. Im gesprochenen Italienisch kann sie aber zur Optimierung der Silbenstruktur bis heute begegnen (z. B. in spiaggia [inispjaddʒa], vgl. dazu u. a. Lichem 1969: 137). 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 401 402 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne hinderte. In jedem Fall, so Sampson (2010), zeigten die Ergebnisse, dass die Prothese in toskanischen Varietäten (v. a. satzphonetisch bedingt) bis mindestens zum Ende des 15. Jahrhunderts noch deutlich produktiver gewesen sei als im italiano letterario 115 . Ganz gleich, ob nun der dramatische Rückgang im 16. Jahrhundert darauf zurückzuführen ist, dass man sich verstärkt an der norma bembiana orientierte oder nicht, fest steht, dass die Frequenz von <isC-> im 16. Jahrhundert rapide abnahm. Dass dies bei gebildeten Sprechern auch Auswirkungen auf die Aussprache haben konnte, ist nicht unwahrscheinlich. Im Italienischen der Immigranten in der France italienne könnte s impurum in allen lautlichen Kontexten also bereits durchaus verbreitet gewesen sein. In allen 35 Briefen wurden daher Formen mit <isC-> und <sC-> ermittelt. Für die Untersuchung musste zunächst bestimmt werden, wie die Daten kategorisiert werden sollten. In Anlehnung an Sampson wurden Wortformen, die auf proklitische Objektpronomina, einsilbige Präpositionen und Konjunktionen, die auf Vokal auslauten, und den bestimmten Artikel folgen, in eine eigene Kategorie eingeordnet. Schließlich ist in der Tat kaum mit prothetischen Vokalen zu rechnen. Würden sich im Italienischen der France italienne (Gruppe B) aber zahlreiche Fälle von <isC-> in dieser Gruppe nachweisen lassen, wäre dies insofern interessant, als es die Vermutung nahelegt, dass das Italienische unter Umständen sogar vom Französischen beeinflusst worden ist (it. a iscrivere wie fr. à écrire ) 116 . Eine zweite Gruppe umfasst alle Vorkommen, in denen die Wortform mit s impurum bzw. Prothese nach Konsonant (z. B. per iscritto ), satzinitial (z. B. Iscrivimi ) oder in der Satzmitte nach Pause (z. B. A questi dì, iscrisse Matteo ) vorkommt. In all diesen Fällen wäre <i> bzw. [i] satzphonetisch erklärbar. Der dritten Gruppe werden alle Okkurrenzen zugeordnet, in denen <sC-> bzw. <isC-> nach mehrsilbigen vokalisch auslautenden Wörtern erscheint ( hanno speranza , poterebbe stare ). Folgende Besonderheiten mussten bei der Kategorisierung berücksichtigt werden: Vorkommen, in denen <sC-> bzw. <isC-> auf ein einsilbiges Voll- oder Hilfsverb folgen, wie z. B. <fa strada>, <ho scritto>, die weder in Sampson (2003) noch in Sampson (2010) einer Kategorie zugewiesen werden, wurden der ersten Gruppe (z. B. lo spirito , ti scrivo ) zugeordnet. Okkurrenzen wie <io spero>, <il 115 Wie die Zahlen in Tab. 22 zeigen, war aber die Prothese bereits im 14. und 15. Jahrhundert in diesen Fällen nicht voll produktiv. Sampson (2003, 2010) schlägt innerhalb dieser Gruppe weitere Unterkategorien vor, die für die vorliegende Arbeit aber nicht von Bedeutung sind, da im untersuchten Korpus durchgängig (d. h. in all diesen Unterkategorien) <sC-> erscheint. 116 Baglioni (2010: 125-127) stellt eine gewisse Frequenz von <esC-> in italienischen Texten aus Tunesien fest, was auf französischen und spanischen Einfluss zurückgeführt werden könne. mio scrivere>, die bei Sampson (2003, 2010) ebenfalls nicht explizit erwähnt werden, wurden in die dritte Gruppe eingeordnet (mehrsilbig und vokalischer Auslaut), wohingegen z. B. <voi stessi>, <più strettamente> noch zur ersten Gruppe gezählt wurden. Alle mehrheitlich als fallende und steigende Diphthonge des Italienischen betrachteten Verbindungen wurden als einsilbig gewertet 117 . Schreibungen wie <dalla speranza> wurden der dritten Gruppe zugeordnet. Zwar geht der Wortform ein bestimmter Artikel voraus, dieser ist aber Teil der zweisilbigen preposizione articolata . Vorkommen wie <essendosi scoperti> 118 <volerci scusare> 119 oder <sonci speranze> 120 wurden, da die Pronomina enklitisch, nicht proklitisch sind, zur dritten Gruppe (mehrsilbig und vokalischer Auslaut) gezählt. Problematisch war schließlich auch die Schreibung <ī stato> 121 ‘in stato’ in einem Brief von Pietro Strozzi. Gewiss zeigt das diakritische Zeichen an, dass ein Nasal folgen müsste. Sollte diese Schreibung, die einen Einzelfall in den untersuchten Briefen darstellt, nun aber in die zweite ( per iscritto ) oder erste Gruppe ( lo spirito ) eingeteilt werden? Letztlich habe ich mich dafür entschieden, diese aufgrund der Tatsache, dass keine weiteren Belege vorhanden waren, nicht aufzunehmen. Schreibungen wie <et stiamo> 122 , wie sie häufig in den in Briefen Alamannis begegnen, wurden jedoch eindeutig der ersten Gruppe ( lo spirito ) zugeordnet. Dass es sich bei <et> um eine etymologische Schreibung handelt, die nicht auf [et], sondern auf [e] verweist, ist m. E. mehr als wahrscheinlich. Einen Sonderfall stellt <si conosce che egli è anchor sdegnato> 123 in einem Brief Cavrianas (vgl. auch Anhang 5) dar. Wie im Manuskript ersichtlich ist, wurde <anchor> erst nachträglich eingefügt. Es wurde daher wie <è sdegnato> behandelt (Gruppe 1). Einen letzten Sonderfall stellen Formen wie <mi expedisca> 124 , z. B. bei Leone Strozzi, dar, von denen aber nur wenige anzutreffen waren. Neben spedire und ispedire existiert im Italienischen der Renaissance auch expedire 125 . Nun kann bei expedire m. E. aber nicht von einem prothetischen Vokal ausgegangen werden. 117 Für die Klassifizierung der ‘Diphthonge’ des Italienischen sei auf Muljačić (1972: 85-89) verwiesen (vgl. dazu auch Mioni 2011: 125-126). 118 Vgl. Brief von Leone Strozzi vom 04. September 1551 (BNF FF 3129 [25-27]). 119 Vgl. Brief der Nazione Fiorentina e Lucchese vom 10. Juli 1560 (BNF FF 3898 [79]). 120 Vgl. Cosentino / De Los Santos (2011: 149-150): Brief vom 15. April 1536. 121 Vgl. Brief von Pietro Strozzi vom 10. März 1558 (BNF Fonds Clairambault 349 [53]). 122 Vgl. z. B. Cosentino / De Los Santos (2011: 152): Brief vom 10. Juni 1536. 123 Vgl. Brief von Cavriana von il di della Candellorie del 1586 (BNF FF 3374 [48]). Spigarolo (1999: 277) weist in seiner Edition im Übrigen nicht auf diesen Umstand hin. 124 Vgl. Brief von Leone Strozzi vom 02. Juli 1551 (BNF FF 3129 [16]). 125 Zur Diachronie der Prothese im Italienischen sei auf Rohlfs Bd. 1 (1949: 311-313) verwiesen. Speziell zur Entwicklung von lat. ex-/ extravgl. Rohlfs Bd. 3 (1954: 238-242). 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 403 404 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Vielmehr scheint das lateinische Präfix vollständig in einem solchen Latinismus erhalten zu sein. Satzphonetisch bedingt kann ex- im obigen Beispiel ohnehin nicht sein. Da es sich hierbei eher um ein lexikalisches Phänomen handelt, wurden solche Formen nicht gezählt. Neben Formen von expedire und extraordinario blieben auch si estendevano 126 sowie espeditioni 127 unberücksichtigt. Eigennamen wie z. B. Strozzi wurden grundsätzlich nicht berücksichtigt. Formen mit <sci-/ e-> [∫] kamen nicht vor. Gruppe 1 lo spirito Gruppe 2 per iscritto Gruppe 3 potrebbe istare <sC-> <isC-> <sC-> <isC-> <sC-> <isC-> Gruppe A Alamanni 36 1 4 0 46 0 Guadagni 8 0 1 0 5 0 Gonzaga 0 0 0 0 0 0 Della Stupha 4 0 1 1 6 0 Sekretär Lorenzo Strozzi 0 0 0 0 3 0 Sekretär Pietro Strozzi 4 0 0 0 0 0 Sekretär Zametti 2 0 0 0 1 0 Gruppe B Cavriana 16 0 2 0 18 1 Conte della Mirandola 1 0 0 0 0 0 Nazione Fiorentina e Lucchese 4 0 0 0 6 0 Leone Strozzi 4 0 0 0 11 0 Sekretär Leone Strozzi 1 0 0 0 1 0 126 Vgl. Brief von Leone Strozzi vom 02. Juli 1551 (BNF FF 3129 [16]), vom 04. September 1551 (BNF FF 3129 [25-27]). 127 Vgl. Brief von Cavriana vom 26. Juli 1586 (BNF FF 3374 [76]). Gruppe 1 lo spirito Gruppe 2 per iscritto Gruppe 3 potrebbe istare <sC-> <isC-> <sC-> <isC-> <sC-> <isC-> Lorenzo Strozzi 2 0 0 0 1 0 Pietro Strozzi 10 0 0 0 9 0 Zametti 0 0 0 0 0 0 Gesamt A: 54 B: 38 A: 1 B: 0 A: 6 B: 2 A: 1 B: 0 A: 61 B: 46 A: 0 B: 1 Tab. 23: Frequenz von <isC-> vs. <sC-> in den it. Briefen der Immigranten Wie aus der Übersichtstabelle hervorgeht, konnten in Gruppe A insgesamt 123 Formen ermittelt werden, in denen heute [sC-] bzw. <sC-> 128 zu erwarten wäre, wohingegen in den Briefen der Gruppe B 87 Vorkommen erfasst wurden. In beiden Gruppen (A: 55 von 123, B: 38 von 87) entfällt etwas weniger als die Hälfte der Belege auf die erste Kategorie. Die Schreibungen <sC-> folgen auf proklitische Objektpronomina, einsilbige vokalisch auslautende Präpositionen (z. B. a , da , di ) und Konjunktionen (z. B. che und e ), den bestimmten Artikel, einsilbige vokalisch auslautende Verbalformen (z. B. è , fa , ho , ha ). Erwartungsgemäß war in diesen Fällen keine Prothese zu beobachten (für den Sonderfall bei Alamanni siehe weiter unten). Insbesondere im Hinblick auf das Italienische der Immigranten (Gruppe B) kann festgestellt werden, dass trotz des potentiellen Einflusses des Französischen keine erhöhte Frequenz von <isC-> zu beobachten ist. In Analogie zu j’ai espéré hätte schließlich z. B. auch ho i / esperato begegnen können. Für die zweite Kategorie hingegen konnten insgesamt nur wenige Belege aufgespürt werden (Gruppe A: 7, Gruppe B: 2). Allerdings ist die geringe Anzahl angesichts der Ergebnisse Sampsons (2010) nicht erstaunlich: Von ca. 1000 Wortformen in jeder Sammlung erscheint nur ein Bruchteil nach Konsonant oder nach Pause (vgl. Spalte 2 und Spalte 4 / 5 in Tab. 22). Insbesondere im Hinblick auf Okkurrenzen nach Konsonant erklärt sich die geringe Anzahl m. E. ganz einfach durch den Umstand, dass ein konsonantischer Auslaut im Italienischen im Allgemeinen sehr selten ist. Nichtsdestoweniger sind die Vorkommen in den Briefen der Gruppe A und B aufschlussreich. In nur einem Fall, bei 128 Dass die Prothese nach konsonantischem Auslaut auch heute noch vereinzelt in der Mündlichkeit begegnen kann, wurde bereits erwähnt (vgl. Anmerkung 114 in diesem Kapitel). 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 405 406 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Pandolpho della Stupha, erscheint <isC-> in <con isperanza>. Interessant ist, dass in diesem in Florenz verfassten Brief die norma bembiana strikt eingehalten wird (vgl. <con isperanza>, aber <mi sbigottì>, <di scrivere>, <che mi stimoli>, <con piu acuto sprone>, <d’havere speso>, <sia stata>, <come io spero>, <meno spiacevole>, <[Pause oder auch Satzfang] scrivendole>, <farmi scrivere>, <è stata> 129 ). Besonders auffällig sind die Schreibungen in den Briefen Alamannis. Prothetische Vokale fehlen in fast all seinen Briefen (insgesamt 86 Vorkommen von <sC->, nur eines für <isC->), auch nach Konsonant oder satzinitial: vgl. z. B. <con speranza>, <non starà>, <[Satzanfang] Scrivo>, <il non scrivermi> 130 . Auch das einzige Vorkommen nach Pause in Gruppe B erscheint ohne Prothese: <[la lettera] la quale le ho io medesimo letta, stando ella [Catherine de Médicis, T. S.] a sedere nel suo gabinetto> 131 ; ebenso jenes nach Konsonat: <over scusa> 132 . Auffällig ist, dass mit Ausnahme von <con isperanza> im Brief von Della Stupha nirgends die Prothese erscheint, obwohl sie in diesen Kontexten selbst im italiano letterario noch begegnen konnte. Gewiss ist die Anzahl an Belegen gering. Allerdings legen diese nahe, dass die Prothese nicht mehr so produktiv war wie noch 100 Jahre zuvor. Nach Sampson (2010) weisen z. B. 29 der 30 von ihm in den Briefen von A. M. Strozzi ermittelten Formen nach Konsonant <isC-> auf. Für die dritte Kategorie wurden 61 Okkurrenzen in Gruppe A und 47 in Gruppe B gezählt. Keine der 61 in Gruppe A ermittelten Formen weist <isC-> auf. In Gruppe B ist es nur eine von 47, die, wie weiter unten noch zu zeigen sein wird, aber auch aus dieser Kategorie ausgeschlossen werden könnte. Beispiele: <si vantassino spagniolevolmente> 133 , <voluto scoprire>, <l’ha fatto scrivere> 134 , <posso scriverle> 135 , <essendoli ‘gli’ scappato di bocca>, <disse spontaneamente> 136 , <mi sono sforzato> 137 . In einem Fall wurde auch ein Vorkommen nach <lei> in diese Kategorie eingeordnet, da eine Art Proklise unmöglich erscheint: <ho riconosciuto in lei straordinario contento> 138 . Diese Befunde legen nahe, dass die Prothese im 16. Jahrhundert nicht mehr so produktiv gewesen sein 129 Vgl. Brief von Della Stupha vom 30. Mai 1560 (BNF FF 3898 [12]). 130 Vgl. Cosentino / De Los Santos (2011: 150-151, 152-153, 153-154): Brief vom 07. Mai 1536, vom 21. Mai 1536, vom 30. Juni 1536, vom 28. Juli 1536. 131 Vgl. Brief von Cavriana vom 25. Juli 1586 (BNF FF 3374 [70]). 132 Vgl. Brief von Cavriana von il di della Candellorie del 1586 (BNF FF 3374 [48]). 133 Vgl. Cosentino / De Los Santos (2011: 155): Brief vom 11. August 1536. 134 Vgl. Brief von Cavriana von il di della Candellorie del 1586 (BNF FF 3374 [48]), vom 13. März 1586 (BNF FF 3374 [53]). 135 Vgl. Brief von Guadagni vom 06. Dezember 1572 (BNF FF 15 555 [204-205]). 136 Vgl. Brief von Leone Strozzi vom 04. September 1551 (BNF FF 3129 [25-27]). 137 Vgl. Brief von Pietro Strozzi vom 12. August 1556 (BNF FF 3117 [28-30]). 138 Vgl. Brief von Cavriana vom 25. Juli 1586 (BNF FF 3374 [70]). kann, wie es Sampson (2003, 2010) noch für das 15. Jahrhundert gezeigt hat. Die Ergebnisse decken sich vielmehr mit jenen Sampsons (2010) für das 16. Jahrhundert. Abschließend seien noch die einzigen zwei Fälle neben <con isperanza> erwähnt, in denen <isC-> überhaupt anzutreffen war. In einem Brief Alamannis ist zu lesen: <à noi istessi> 139 . Satzphonetisch erklärbar ist die Prothese hier nicht - abgesehen davon kommt sie bei Alamanni nicht einmal in den Kontexten vor, in denen sie so begründet werden könnte. Vielleicht findet sie hier zur besonderen Betonung von stessi Verwendung. Solch eine Funktion hat <i> auch im zweiten Beleg, in einem Brief Cavrianas: <questo istesso l’ho udito> 140 . Ob hier allerdings tatsächlich ein prothetischer Vokal vorliegt, ist fraglich. Vielmehr scheint es sich um eine kontrahierte Form von io und stesso zu handeln, so dass der Beleg unter Umständen auch von der Analyse ausgeschlossen werden könnte. Schließlich könnte v. a. im ersten Fall auch eine lexikalisierte Form vorliegen 141 . Festgehalten werden kann, dass bis auf wenige Ausnahmen weder in den Briefen der Gruppe A noch der Gruppe B <isC-> überhaupt nachweisbar ist. S impurum erscheint nicht nur in solchen Kontexten (z. B. nach proklitischen Pronomina), in denen es ohnehin zu erwarten ist, sondern auch nach mehrsilbigen vokalisch auslautenden Wörtern sowie satzinitial oder sogar nach Konsonant (z. B. <con speranza>). Die Befunde legen nahe, dass prothetische Vokale in toskanischen Varietäten des 16. Jahrhunderts nicht mehr so vital waren wie noch 100 Jahre zuvor. Auch in der Sprache der Immigranten, die seit etwa 20 Jahren in Frankreich lebten, als sie die Briefe schrieben, scheint die Prothese nicht häufiger gewesen zu sein als im Italienischen von vorübergehend in Frankreich verweilenden Gästen aus Italien oder Einwanderern, die erst seit Kurzem in der neuen Heimat lebten. Dieses Italienisch konnte nicht nur den Immigranten selbst, sondern auch den Franzosen als Grundlage für das françois italianizé dienen. Nun deutet Sampson (2003, 2010) an, dass die Prothese in der Mündlichkeit noch länger vital geblieben sein könnte. Die Absenz von <isC-> in den Briefen von Machiavelli und Buonarroti sei dadurch erklärbar, dass es sich um äußerst gebildete Sprecher (und Schreiber) handelte, die sich am italiano letterario des 16. Jahrhunderts orientierten. Die Briefe aus dem 15. Jahrhundert hätten nicht nur einen stärker nähesprachlichen Charakter, sondern seien auch von weniger gebildeten Schreibern verfasst worden. Mindestens bis zum Ende des 15. Jahrhunderts müsse [isC-] also anzutreffen gewesen sein. Im Gegensatz zu den von 139 Vgl. Cosentino / De Los Santos (2001: 158-159): Brief vom 25. Februar 1537. 140 Vgl. Brief von Cavriana vom 26. Juli 1586 (BNF FF 3374 [76]). 141 Laut Sampson (2010: 93) sei istesso auch in späteren Jahrhunderten belegt und könne als lexikalisierte Variante gelten. 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 407 408 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Sampson (2010) herangezogenen Texten entstammen die 35 hier untersuchten Briefe nicht wirklich einer privaten Korrespondenz. Allerdings ist die Sprache auch nicht in allen 35 Briefen als in besonderem Maße elaboriert zu betrachten. Zwei der drei autographes von Pietro Strozzi etwa wurden während einer campagna militare geschrieben. Dass nicht viel Zeit für eine formale Überarbeitung war, zeigen die Handschriften ganz deutlich. Lorenzo und Leone Strozzi, die einen Teil ihrer Kindheit mit Catherine de Médicis verbrachten, könnten trotz gewisser formelhafter Wendungen, die in der damaligen höfischen Korrespondenz erwartet wurden (vgl. Kapitel 6.3.3.3), die Kommunikationssituation mit der französischen Königin als weniger distanzsprachlich empfunden haben als andere Zeitgenossen. Dass zumindest in manchen Briefen von Alamanni an Filippo Strozzi der Ton vertrauter war, legen neben der Anrede mit voi und der 2. Person Plural (statt Signore oder Vostra Signoria mit 3. Person Singular) auch einige Stellen nahe, in denen Alamanni selbst erwähnt, dass er angesichts des vertrauenswürdigen Boten unbeschwert schreiben könne. Auch wenn er sich damit zunächst natürlich auf brisante Inhalte bezieht, könnte dies auch auf die verwendete Sprache Einfluss gehabt haben (vgl. z. B. „scrivo un poco alla libera per la sicurtà dello huomo che la porta“ 142 ). Wäre die Prothese im Italienischen der France italienne noch vital, sollte sie sich m. E. zumindest vereinzelt in den soeben erwähnten Briefen belegen lassen. Letztlich nie ganz ausschließen lässt sich, dass die Graphien nicht den mündlichen Sprachgebrauch widerspiegeln. Denkbar wäre natürlich, dass die Schreibungen - auch in weniger distanzsprachlichen Kontexten - nicht phonetisch, sondern an das italiano letterario angelehnt sind. Dagegen spricht allerdings, dass abgesehen von <con isperanza> im Brief von Della Stupha auch in solchen Kontexten kein <isC-> erscheint, in denen es im italiano letterario eigentlich zu erwarten wäre. Dass es sich dabei (z. B. <con speranza>) um hyperkorrekte Schreibungen handelt, ist insofern äußerst unwahrscheinlich, als z. B. Alamanni, bei dem die meisten Graphien <sC-> nach Konsonant begegnen, als gebildeter Literat bestens mit den Schriften Bembos, den er auch persönlich getroffen hat, vertraut war. Die Ergebnisse der Analyse decken sich also mit den Befunden Sampsons (2010). Offenbar war die Prothese in zentralitalienischen Varietäten ab dem 16. Jahrhundert beinahe verschwunden. Im geschriebenen Italienisch der France italienne lässt sie sich jedenfalls nicht nachweisen. 142 Vgl. Cosentino / De Los Santos (2011: 152-153): Brief vom 30. Juni 1536. 6.3.3.1.5 Doppelkonsonanz in preposizioni articolate Wie weiter oben schon angedeutet, sollte auch die Verbreitung und Vitalität von < CC > in sog. preposizioni articolate genauer betrachtet werden. An dieser Stelle sei bereits erwähnt, dass im françois italianizé bestimmter Immigranten auffällig häufig Schreibungen wie <alla>, <della> statt <à / a la>, <de la> begegnen. Zu vermuten ist, dass diese für das Französische des 16. Jahrhunderts untypischen Schreibungen auf Interferenzen mit der Muttersprache zurückzuführen sind. Angesichts der Tatsache, dass die meisten Einwanderer aus Zentralitalien kamen, kann angenommen werden, dass Schreibungen wie <alla> zumindest in ihrem Italienisch auch auf [ll] hindeuten 143 . Der Analyse der entsprechenden Graphien in den Briefen der Gruppe A und B liegen folgende Überlegungen zugrunde: Zunächst galt es zu bestimmen, ob alle Fälle, in denen ein bestimmter Artikel auf die Präpositionen a , da , di , con , in , su und auch per folgt, berücksichtigt werden sollten oder nicht. Auch wenn bei der Datenerhebung zunächst alle Vorkommen von a , da , di , con , in , su und per mit bestimmtem Artikel erfasst wurden, wurden für das vorliegende Kapitel nur bestimmte Formen untersucht. Da in erster Linie die graphisch realisierte Doppelkonsonanz und indirekt auch Geminaten in der Lautung von Interesse waren, wurden Formen wie al , ai , del usw. von der Untersuchung ausgeschlossen. Diese könnten z. B. über Interferenzen auf morphologischer Ebene (z. B. du statt del oder au statt al ) Auskunft geben, müssten dann aber auch in einem eigenen Kapitel behandelt werden. Wie anhand der Daten ersichtlich ist, lässt sich diesbezüglich aber ohnehin kein französischer Einfluss beobachten. Umgekehrt kommt es hier auch im françois italianizé zu keinen Interferenzen auf morphologischer Ebene (vgl. Kapitel 7.3.3.4.1). Im Hinblick auf die zu untersuchenden Schreibungen, also z. B. <alla> und <della>, stellt die Variation im Italienischen des 16. Jahrhunderts ein erhebliches Problem dar. Seit dem Altitalienischen ist für die preposizioni articolate eine beachtliche Vielfalt an Formen vorhanden (vgl. z. B. Rohlfs Bd. 2, 1949: 123-144): Neben <alla> findet sich noch <a la>, neben <dello> auch <de lo>, von Graphien wie <alli> statt <agli> einmal ganz abgesehen. Ob < CC > in den Briefen der Gruppe B also stabil bleibt, kann anhand des hier zugrundeliegenden Korpus gar nicht gezeigt werden. Ebensowenig kann die Frage beantwortet werden, ob Vorkommen von <a la> in den Briefen der Migranten auf französischen Einfluss zurückzuführen sind oder nicht. Um Attrition nachzuweisen, müssten mehrere Briefe von ein und derselben Person über einen längeren Zeitraum hinweg untersucht werden. Nur wenn sich nachweisen ließe, dass sich die Graphien 143 Zur Diskussion, ob <ll> in <alla> auch im françois italianizé auf [ll] verweist, vgl. Kapitel 7.3.3.4.1. 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 409 410 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne bzw. Formen bei ein und derselben Person allmählich verändern (von < CC > zu <C>), könnte eine durch die Migration bedingte Erosion überhaupt angenommen werden. Was aber sowohl in den Briefen der Gruppe A als auch in jenen der Gruppe B überprüft werden kann, ist, ob - aus rein synchroner Perspektive - Schreibungen mit Doppelkonsonanz häufiger sind als solche mit einfachen Konsonanten. Dass < CC > in preposizioni articolate im françois italianizé auf den Einfluss des Italienischen zurückzuführen ist, kann natürlich nur dann wahrscheinlich gemacht werden, wenn solche Schreibungen im Italienischen der France italienne auch tatsächlich verbreitet sind. Des Weiteren musste geklärt werden, welche Präpositionen untersucht werden sollten. Dass insbesondere die Betrachtung von a , di sowie da von Interesse ist, versteht sich von selbst. Schließlich finden sich italianisierende Formen im Französischen insbesondere bei à und de . Da aber auch die Häufigkeit von <CC> in z. B. nella und sulla Auskunft über die Vitalität von < CC > in preposizioni articolate im Allgemeinen zu geben verspricht, wurden Verbindungen mit in und su ebenfalls berücksichtigt. Vorkommen von per , bei dem amalgamierte Formen schon immer weniger verbreitet gewesen zu sein scheinen - im heutigen Standarditalienisch ist z. B. al , dal , del , nel , sul die Regel, pel hingegen kaum mehr anzutreffen -, sind insgesamt selten. Auch erscheinen sie meist abgekürzt (z. B. als <p>). Sie wurden daher nicht näher betrachtet. Ähnliches gilt für Verbindungen mit con , die zwar weniger markiert als solche mit per (vgl. z. B. Tekavčić Bd. 2, 1972: 133), allerdings auch weit weniger häufig als solche mit a , di , da , in , su sind, wobei letztere, wie gesagt, alle obligatorisch sind. Zuletzt stellte sich auch die Frage, welchen konkurrierenden Schreibungen Formen wie <alla> gegenübergestellt werden sollten und wie mit Fällen wie <alli> zu verfahren ist. Auch letztere sollten nicht von der Analyse ausgeschlossen werden. Den Graphien mit < CC > wurden immer die entsprechenden Formen mit <C> gegenübergestellt (z. B. <alla> vs. <a la>, <dallo> vs. <da lo>, <nelle> vs. <ne le>, <dell’> vs. <de l’>). Gleiches gilt auch für <alli>. Im Hinblick auf die graphisch realisierte Doppelkonsonanz kann es nur zu <a li>, nicht zu <agli> in Konkurrenz stehen. In anderen Worten: Schreibungen wie z. B. <agli>, <degli>, <dagli> wurden nicht berücksichtigt, da sie zwar manchmal alternative Graphien für <alli>, <delli> und <dalli> sind, aber nichts über das Verhältnis von <C> vs. < CC > in preposizioni articolate aussagen. Auch Formen wie <ai> oder <de’>, die ohnehin von der Analyse ausgeschlossen wurden, könnten <alli> bzw. <delli> (z. B. <ai giorni> vs. <alli giorni>, <de’ altri vs. <delli altri>) im Hinblick auf < CC > vs. <C> nicht gegenübergestellt werden. Einen Sonderfall stellen jedoch Vorkommen wie <del huomo> dar. Solche Fälle müssen gezählt werden, und zwar (wie <de l’huomo>) als konkurrierende Schreibung zu <dell’huomo>. Eigennamen wurden nur dann nicht berücksichtigt, wenn die preposizione articolata Teil des Namens ist (z. B. <il Duca della Rubia> vs. <dalla Roccella>, letzteres wurde gezählt). In wenigen Fällen waren auch Formen des Teilungsartikels anzutreffen. Diese wurden berücksichtigt; ebenso Formen wie <delle quali>. a, da, di in, su <CC> <C> <CC> <C> Gruppe A Alamanni 41 0 4 0 Guadagni 31 5 1 0 Gonzaga 0 0 0 [coll] 0 Della Stupha 14 1 4 0 Sekretär Lorenzo Strozzi 6 0 2 0 Sekretär Pietro Strozzi 8 0 0 0 Sekretär Zametti 4 0 0 0 Gruppe B Cavriana 22 1 3 0 Conte della Mirandola 4 0 0 0 Nazione Fiorentina e Lucchese 11 1 3 2 Leone Strozzi 34 1 6 0 Sekretär Leone Strozzi 11 0 1 0 Lorenzo Strozzi 1 0 1 0 Pietro Strozzi 27 0 4 0 Zametti 1 0 0 0 Gesamt A: 104 B: 111 A: 6 B: 3 A: 11 B: 18 A: 0 B: 2 Tab. 24: Frequenz von <C> vs. < CC > in preposizioni articolate in den it. Briefen der Immigranten Wie aus der Übersicht hervorgeht, ist < CC > sowohl in Gruppe A als auch in Gruppe B deutlich häufiger als <C>. Letzteres lässt sich in Verbindungen mit a , da , di in nur neun (A: 6, B: 3) von insgesamt 224 potentiellen Kontexten nachweisen. Was preposizioni articolate mit in und su anbelangt, so finden sich unter 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 411 412 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne den 31 Belegen nur zwei Formen mit <C> (z. B. <nel’honore>), beide im Brief der Nazione Fiorentina e Lucchese aus Lyon 144 . Bevor die wenigen Sonderfälle im Einzelnen besprochen werden, kann bereits festgestellt werden, dass < CC > in preposizioni articolate im Italienischen der France italienne also die häufigere Schreibung war, also als der unmarkierte Normalfall betrachtet werden kann. Unterschiede zwischen Gruppe A und B lassen sich nicht beobachten. Vermutet werden kann daher, dass z. B. <ll> in fr. <alla>, <della> im françois italianizé also in der Tat auf Interferenzen mit dem Italienischen der Immigranten zurückzuführen ist. Wie bei den in den vorhergehenden Kapiteln diskutierten Schreibungen (<gl(i)> statt <(i)ll> und <u> statt <ou> usw.) üben französische Schreibtraditionen offenbar auch hier keinen oder kaum Einfluss aus. Italienische Eigentümlichkeiten werden bewahrt. Auch in der Schriftlichkeit scheint das Italienische also weiterhin verwendet worden zu sein. Weiter oben wurde bereits angemerkt, dass angesichts der Variation im rinascimentalen Italienisch nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann, ob in Schreibungen wie <da le> statt <dalle> z. B. in einem Brief von Leone Strozzi 145 und Cavriana 146 eine Beeinflussung durch das Französische vorliegt oder nicht. Da nun aber die Ergebnisse nahelegen, dass < CC > als Normalfall zu betrachten ist und in den Briefen von Strozzi (34 < CC > vs. 1 <C>) und Cavriana (22 < CC > vs. 1 <C>) in allen weiteren vergleichbaren preposizioni articolate (zudem auch in solchen mit in und su ) die Doppelkonsonanz realisiert wird, darf man annehmen, dass es sich bei Graphien wie <da le> nicht mehr um mögliche Varianten handelt. In diesem Fall sollten mehrere Belege ausfindig gemacht werden können. Gegen die Annahme, dass hier französischer Einfluss vorliegt, spricht allerdings, dass auch einmal im Brief von Della Stupha, der nicht nur in Florenz, sondern vermutlich auch von einem dort ansässigen Sekretär verfasst wurde, <à la divina Maestà> 147 erscheint. Auch in diesem Brief kommen ansonsten nur Schreibungen mit < CC > vor (14 mit a , da , di ; 4 mit in , su ). Ob der Referent ( la divina Maestà ) hier eine Rolle für die Nichtrealisierung von < CC > spielt, lässt sich nicht feststellen. Ein ähnlicher Fall begegnet in den Briefen von Guadagni: Obwohl er mehrheitlich, d. h. in 31 von 36 Fällen, < CC > schreibt, finden sich auch die folgenden Graphien: <à la Rochelle> 148 , <à la terra>, <la lettera che io mando à la Ma[es] tà vostra> 149 , <far sapere à le Ma[es]tà vostre>, <baciato à la Ma[es]ta vostra le 144 Vgl. Brief der Nazione Fiorentina e Lucchese vom 10. Juli 1560 (BNF FF 3898 [79]). 145 Vgl. Brief von Leone Strozzi vom 02. Juli 1551 (BNF FF 3129 [16]). 146 Vgl. Brief von Cavriana vom 13. März 1586 (BNF FF 3374 [53]). 147 Vgl. Brief von Della Stupha vom 30. Mai 1560 (BNF FF 3898 [12]). 148 Vgl. Brief von Guadagni vom November 1572 (BNF FF 15 555 [187-188]). 149 Vgl. Brief von Guadagni vom 06. Dezember 1572 (BNF FF 15 555 [204-205]). mani> 150 . Dass <à la Rochelle>, das im selben Brief wie <que> statt <che> erscheint, aufgrund des französischen Settings als französisierend gelten muss, wurde weiter oben bereits besprochen; ebenso, dass in den folgenden Briefen durchgängig <alla Rocella>, <dalla Roccella> erscheint. Die Graphie <à la terra> ist mit <da le> in den Briefen von Leone Strozzi und Cavriana vergleichbar. Warum hier <C> begegnet, erschließt sich nicht. Gleiches gilt für die verbleibenden drei Schreibungen, die alle in Verbindung mit la / le Maestà vostra / vostre stehen. Dass Maestà hier eine Rolle spielt, ist eher unwahrscheinlich. Schließlich finden sich in denselben Briefen z. B. auch <alla Ma[es]tà vostra> und <delle Ma[es]tà vostre>. Können also bei Guadagni, bei dem <à la Rochelle> sowie <que> und durchgängig <Mons./ M. de la Noue> anzutreffen sind, Interferenzen mit dem Französischen angenommen werden? Der Umstand, dass <C> im Italienischen der France italienne sehr selten ist und daher kaum mehr als mögliche Variante in Frage zu kommen scheint, legt dies nahe. Andererseits findet sich auch <à la divina Maestà> im Brief von Della Stupha. Wenn man annimmt, dass er nur vorübergehend in Frankreich war (vgl. Kapitel 6.3.2) und der Brief zudem von einem Sekretär in Italien niedergeschrieben wurde, ist eine Beeinflussung durch das Französische im Allgemeinen weniger plausibel. Wie diese Schreibungen in den Briefen Guadagnis letztlich zu bewerten sind, lässt sich nicht eindeutig klären. Festgehalten werden kann jedoch, dass < CC > in preposizioni articolate als die im Italienischen der France italienne übliche Schreibung betrachtet werden muss. Interferenzen mit französischen Schreibtraditionen sind - unter Umständen von wenigen Einzelfällen abgesehen - nicht zu beobachten. Dass Graphien wie <alla> und <della> im françois italianizé der Immigranten auf Interferenzen mit deren Muttersprache zurückzuführen sind, ist daher in jedem Fall mehr als wahrscheinlich. 6.3.3.2 Wortschatz und Semantik Wie in Kapitel 6.3.2 erläutert wurde, sollte auch die Lexik des Italienischen der France italienne genauer betrachtet werden. Während der Wortschatz in den Briefen aus beiden Gruppen gleichermaßen darüber Auskunft gibt, ob die von Estienne (1578) kritisierten Lexeme und Wendungen im françois italianizé tatsächlich häufig im vermeintlichen Modell, dem Italienischen der Immigranten, anzutreffen sind, sind die Briefe der Gruppe B insofern von Interesse, als sich anhand der verwendeten Sprache überprüfen lässt, ob eine lexikalische Beeinflussung durch das Französische stattfindet. Gleichzeitig sollte auch nach Fällen von sog. semantic restructuring gesucht werden. Denkbar wäre, dass indirektes 150 Vgl. Brief von Guadagni vom 07. Dezember 1572 (BNF FF 15 555 [209]). 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 413 414 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne Lehngut, z. B. in Form von Lehnbedeutungen, im Italienischen der Einwanderer zu beobachten ist. Auffällig ist, dass in den Briefen der Gruppe A tatsächlich zahlreiche Okkurrenzen für die Etyma der Italianismen im françois italianizé anzutreffen sind: Neben Vorkommen von basta che 151 , mancare di / a fare 152 (z. B. non mancherò molto spesso di tenervi ), mancare di qc 153 (z. B. non manco di questi ufici ), importare , importante , importanza 154 , le braverie 155 , bravo 156 , fuorusciti 157 , ingannare 158 , soldati 159 usw. findet sich im Brief von Della Stupha auch ein Beleg für sbigottire 160 , der zeigt, dass es sich im 16. Jahrhundert dabei nicht nur um ein Buchwort aus Boccaccio handelte. Wenn Estienne ([1578] 1980: 36) in fr. sbigottit also einen potentiellen Italianismus im françois italianizé vermutete, war dies durchaus nicht unbegründet. In der höfischen Korrespondenz war sbigottire zumindest anzutreffen. Daneben finden sich auch zahlreiche Belege für baciare le mani a qn 161 am Ende der Briefe, was nahelegt, dass die Wendung im Italienischen, auch wenn sie ursprünglich wohl dem Spanischen nachempfunden wurde, sehr verbreitet war. In einem Brief von Alamanni findet sich eine Okkurrenz für fare buona ciera (z. B. e non mancano molti signori italiani a favorirci , et i principali mi fanno tanto buona ciera ) 162 , das als Gallizimus im Italienischen betrachtet werden muss (vgl. Hope 1971: 90-91). Um eine mehr oder weniger einmalige lexikalische Interferenz im Italienischen von Alamanni handelt es sich bei fare buona ciera aber vermutlich nicht. Im Italienischen ist cera ‘viso, faccia’ schon vor 1250 (vgl. DELI s.v. cera ), die Wendung fare buona cera ‘fare buona accoglienza’ spätestens seit dem 15. Jahrhundert belegt (vgl. Hope 1971: 90-91, LEI s.v. * cara ). Sie ist also - 151 Vgl. Cosentino / De Los Santos (2001: 149-150): Brief vom 15. April 1536. 152 Vgl. Cosentino / De Los Santos (2001: 149-150, 150-151): Brief vom 15. April 1536, vom 21. Mai 1536, Brief von Guadagni vom 07. Dezember 1572 (BNF FF 15 555 [209]). 153 Vgl. Cosentino / De Los Santos (2001: 150, 152): Brief vom 07. Mai 1536, vom 10. Juni 1536, Brief von Gonzaga vom 20. Dezember 1553 (BNF Fonds Clairambault 347 [149]). 154 Vgl. Cosentino/ De Los Santos (2001: 150-151, 153-154, 155): Brief vom 21. Mai 1536, vom 28. Juli 1536, vom 11. August 1536, Brief von Guadagni vom 07. Dezember 1572 (BNF FF 15 555 [209]), Brief von Pietro Strozzi vom November 1556 (BNF FF 3117 [36]). 155 Vgl. Cosentino / De Los Santos (2001: 152): Brief vom 10. Juni 1536. 156 Vgl. Cosentino / De Los Santos (2001: 152-153): Brief vom 30. Juni 1536. 157 Vgl. Cosentino / De Los Santos (2001: 153-154): Brief vom 28. Juli 1536. 158 Vgl. Cosentino / De Los Santos (2001: 157-159): Brief vom 23. Februar 1537, vom 25. Februar 1537. 159 Vgl. Brief von Guadagni vom 06. Dezember 1572 (BNF FF 15 555 [204-205]). 160 Vgl. Brief von Della Stupha vom 30. Mai 1560 (BNF FF 3898 [12]). 161 Vgl. Brief von Gonzaga vom 20. Dezember 1553 (BNF Fonds Clairambault 347 [149]), Brief von Guadagni vom November 1572 (BNF FF 15 555 [187-188]), vom 06. Dezember 1572 (BNF FF 15 555 [204-205]), vom 07. Dezember 1572 (BNF FF 15 555 [209]). 162 Vgl. Cosentino / De Los Santos (2001: 150-151): Brief vom 21. Mai 1536. trotz französischer Herkunft - schon als integrierter Teil des italienischen Lexikons anzusehen. Wie Smith (1980a: 119, Fn. 249) anmerkt, präzisiert Estienne seine zu fr. chère in den Deux Dialogues getroffene Aussage in der Precellence . Während Estienne ([1578] 1980: 119, 289, 319, 360) in fr. chère ‘visage’ eine semantische Beeinflussung durch das Italienische cera ‘viso, faccia’ vermutet und faire bonne chère nicht weiter kommentiert - es wird mehrfach von Celtophile verwendet, der es u. a. in Froissart gelesen haben will -, erkennt er 1579 an, dass it. cera aus dem Französischen entlehnt wurde, aber nur in der alten, im Französischen des 16. Jahrhunderts nicht mehr gebräuchlichen Bedeutung ‘viso, faccia’ verwendet wird. Die Wendung faire bonne chère in der übertragenen Bedeutung ‘traiter bien, faire bon accueil à qn’ sei hingegen ausschließlich französisch. Wie anhand der Belege in Hope (1971: 90-91), Cella (2003: 359-360) sowie im LEI (s.v. * cara ) ersichtlich ist, scheint sich Estienne aber zu irren; andernfalls müsste fare buona ciera im Brief Alamannis tatsächlich als eine spontane, nicht etablierte Lehnübersetzung aus dem Französischen betrachtet werden. In den Briefen begegnen auch Beispiele für andere Wendungen, die für Estienne - wie baciare le mani a qn - zum affektierten höfischen Sprachgebrauch zählen. Laut Smith (1980a: 330, Fn. 217) lassen sich Formulierungen wie vostre sclave in Texten gewisser Français italianisants auch tatsächlich nachweisen. CEL .: Comment «esclave»? En vient-on jusque-là? PHIL .: Quand vous aurez esté à la cour, vous ne me demanderez pas cela. Vray est qu’on dit plus volontiers schiave en italianizant, et schiave de Vostre Seigneurie quand on luy veut bien donner la sausse. CEL .: Mais schiave en italien est feminin, non masculin, et pluriel, non singulier, tellement qu’il signifie des femmes esclaves. PHIL.: C’est tout un. Car quand ces messieurs disent schiave de Vostre Seigneurie , il faut faire son comte qu’on oit un mot qui est à demi frances, à demi italien, ou plustost, ni frances ni italien. CEL .: Mais peuvent-ils bien parler ainsi sans rire? […] Vrayement ce trait est hyperboliquement hyperbolique en flatterie, et n’est guere moins hyperbolique en sottise. (Estienne [1578] 1980: 329-330, Hervorhebungen im Original) Io vi prego a raccomandarmi quanto più strettamente si può al mio honoratissimo signor Lorenzo de’ Med[ici] le cui divine virtù non sarò mai satio di celebrare et sarà suggetto a più di mille delle mie carte et io con tutto il mondo insieme gli sono schiavo et di gratia si habbia cura che la estrema persecution [! ] che gli sarà fatta non gli faccia danno […]. (Cosentino / De Los Santos 2001: 157-15: Brief vom 23. Februar 1537 an Filippo Strozzi [autographe], C. Strozz., V, 1207, ins. III , n. 122 [c. 1], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 415 416 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne In den Briefen Alamannis, denen auch der obige Ausschnitt entnommen ist, finden sich noch weitere Formeln (z. B. de’ quali sono devotissimo servitore 163 ), die sich laut Estienne ([1578] 1980: 330) auch im françois italianizé bzw. autrement desguizé wiederfinden 164 . Ganz offensichtlich lieferten die Italiener also tatsächlich entsprechende Vorlagen. Auch im Italienischen der Immigranten (Gruppe B) finden sich vergleichbare Stellen. […] assicurando V. Mta [che] io spendero sempre l’honor, la vita et la roba insieme in servizio di V. Mta et di cotesta corona et baciando [con] ogni humilta le mani di V. Mta […] (Brief von Lorenzo Strozzi vom 09. November 1559 an Catherine de Médicis [autographe], BNF FF 3898 [48-49]) Wie die Zeilen Strozzis nahelegen, begegnen in den Briefen der Gruppe B neben vielen anderen Etyma für Italianismen im Französischen des 16. Jahrhunderts die gleichen Lexeme und Wendungen wie in Gruppe A: z. B. baciare le mani a qn 165 , mancare / mancare di qc / di fare qc 166 , bravare 167 , inganno 168 , stroppiato 169 , basta che 170 , segnalato servitio 171 , importare 172 , assassinamento , intrigo , ingannato 173 , riuscire 174 . In einem Brief der Nazione Fiorentina e Lucchese 175 findet sich auch die Vorlage ( non ci bastando l’anima ) für das von Estienne ([1578] 1980: 73) kritisierte il me baste ( à ) l’anime . Auch diese Wendung war also im Italienischen der France italienne anzutreffen und könnte von manchen Franzosen übernommen worden sein - wie in Kapitel 5.5.2.2 gezeigt wurde, findet sich ein Beleg auch außerhalb der Deux Dialogues . 163 Vgl. Cosentino / De Los Santos (2001: 150-151): Brief vom 21. Mai 1536. 164 Vgl. Kapitel 7.3.7 für authentische Beispiele aus dem françois italianizé et autrement desguizé . 165 Vgl. Brief von della Mirandola vom 20. Juni 1554 (BNF Fonds Clairambault 347 [231]), Brief der Nazione Fiorentina e Lucchese vom 10. Juli 1560 (BNF FF 3898 [79]), Brief von Lorenzo Strozzi vom 09. November 1559 (BNF FF 3898 [48-49]). 166 Vgl. Brief von Cavriana vom 22. November 1585 (BNF FF 3374 [21]), vom 25. Juli 1586 (BNF FF 3374 [70]), Brief der Nazione Fiorentina vom August 1559 (BNF FF 3898 [41]), Brief der Nazione Fiorentina e Lucchese vom 10. Juli 1560 (BNF FF 3898 [79]), Brief von Leone Strozzi vom 02. Juli 1551 (BNF FF 3129 [16]), vom 04. September 1551 (BNF FF 3129 [25-27]), vom 09. November 1559 (BNF FF 3898 [48-49]), Brief von Zametti vom August 1582 (BNF FF 15 906 (2) [721]). 167 Vgl. Brief von Cavriana vom 22. November 1585 (BNF FF 3374 [21]). 168 Vgl. Brief von Cavriana von il di della Candellorie del 1586 (BNF FF 3374 [48]). 169 Vgl. Brief von Cavriana vom 13. März 1586 (BNF FF 3374 [53]). 170 Vgl. Brief von Cavriana vom 25. Juli 1586 (BNF FF 3374 [70]). 171 Vgl. Brief von Cavriana vom 26. Juli 1586 (BNF FF 3374 [76]). 172 Vgl. Brief der Nazione Fiorentina e Lucchese vom 10. Juli 1560 (BNF FF 3898 [79]). 173 Vgl. Brief von Leone Strozzi vom 04. September 1551 (BNF FF 3129 [25-27]). 174 Vgl. Brief von Pietro Strozzi vom 12. August 1556 (BNF FF 3117 [28-30]). 175 Vgl. Brief der Nazione Fiorentina e Lucchese vom 10. Juli 1560 (BNF FF 3898 [79]). Auch si burla di lei [Catherine de Médicis, T. S.] piu apertamente che non soleva sowie teme che […] la reina [Catherine de Médicis, T. S.] l’accarezzi et sopporti 176 in einem Brief Cavrianas sind äußerst interessant. Sowohl fr. se burler als auch fr. caresser werden von Estienne ([1578] 1980: 37, 316) kritisiert. Während es sich bei se burler in der Tat um einen Italianismus des 16. Jahrhunderts handelt (Erstbeleg 1578 in Estienne laut TLF i s.v. se burler ), ist fr. caresser ‘cajoler, toucher en signe d’affection, de tendresse’ zwar als Italianismus des frühen 15. Jahrhunderts zu betrachten, allerdings ist die übertragene Bedeutung ‘flatter’ erst ab 1538 nachweisbar (vgl. TLF i s.v. caresser ). Auch im obigen Beispiel wird accarezzare eher in der Bedeutung ‘flatter, chérir’ verwendet, die im Italienischen schon früher belegt ist (vgl. TLIO s.v. careggiare , LEI s.v. cārus ). Unter Umständen kommt es also im 16. Jahrhundert zu einer erneuten Beeinflussung durch das Italienische. Von Estienne wird caresser auch in dieser Bedeutung genannt: caresser et chérir . In den französischen Briefen von Catherine de Médicis erscheint im Übrigen gleich zweimal caresser et honorer (vgl. dazu Kapitel 7.3.5.3.3). Neben diesen Etyma für tatsächliche Italianismen im Französischen des 16. Jahrhunderts sind auch vermehrt Lexeme (z. B. infinitamente , negoziare / negozio 177 , ufficio 178 ‘servizio’) anzutreffen, deren französischen Kognaten oder gelehrten Entsprechungen (z. B. infiniment , négocier , office ‘service’) Estienne ([1578] 1980: 126, 239, 116-117) eine hohe Gebrauchshäufigkeit am Hofe attestiert, ohne sie jedoch ausdrücklich als Italianismen zu bezeichnen. Im Falle von office ‘service’ wird sogar explizit lateinischer Ursprung wahrscheinlich gemacht. Möglicherweise liegt hier also italienischer Einfluss nur im Hinblick auf die erhöhte Frequenz der entsprechenden erbwörtlichen bzw. gelehrten Lexeme im Französischen vor. PHIL .: […] Je croy que je n’ay pas besoin de vous advertir qu’on dit : «Le roy est allé à l’assemblée», non pas, «à la chasse». Car desja de vostre temps on parlet ainsi. Quant à ces mots «negotier», «negotiateur», «negotiation», je ne sçaures bonnement dire s’ils ont esté introduicts depuis; pour le moins sçay-je bien qu’ils sont beaucoup plus usitez qu’ils n’ont esté. (Estienne [1578] 1980: 239, Hervorhebungen im Original) Im Gegensatz zum TLF i (s.v. négocier ) schließt das FEW (s.v. něgōtium ) für den Latinismus négocier (14. Jahrhundert) ‘Handel betreiben’ > ‘verhandeln’ 176 Vgl. Brief von Cavriana vom 25. Juli 1586 (BNF FF 3374 [70]). 177 Vgl. Brief von Pietro Strozzi vom 12. August 1556 (BNF FF 3117 [28-30]), Brief von Cavriana vom 22. November 1585 (BNF FF 3374 [21]). 178 Vgl. Brief von Pietro Strozzi vom 31. Dezember 1556 (BNF FF 3117 [33-34]), Cosentino/ De Los Santos (2001: 150): Brief vom 07. Mai 1536, Brief von Cavriana vom 22. November 1585 (BNF FF 3374 [21]), Brief von Guadagni vom 07. Dezember 1572 (BNF FF 15 555 [209]). 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 417 418 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne (16. Jahrhundert) eine semantische Beeinflussung durch das Italienische nicht gänzlich aus. Smith (1980a: 239, Fn. 697) weist ebenfalls auf den Bedeutungswandel hin. Dass it. infinitamente , negoziare und ufficio ‘servizio’ im Italienischen der Immigranten umgekehrt vom Französischen beeinflusst sein könnten, wie Estienne ([1578] 1980: 116-118) für ufficio ‘servizio’ annimmt, ist hingegen äußerst unwahrscheinlich. Laut DELI (s.v. infinito , negozio , ufficio ) ist infinitamente seit 1330, negoziare ‘esercitare il commercio’ seit 1348, ‘intavolare le trattative per arrivare ad un accordo’ seit 1533 und ufficio ‘servizio’, wenn auch selten, seit Boccaccio belegt. Was aber sagt nun die Präsenz aller bisher besprochenen Lexeme und Wendungen in den Briefen der Gruppe B aus? Gewiss zeigen sie wie jene in den Briefen der Gruppe A, dass das Italienische der France italienne in der Tat als lexikalische Quelle für das françois italianizé dienen konnte. Um entlehnt zu werden, müssen Lexeme in der AS frequent sein (vgl. u. a. Haspelmath 2003). Darüber hinaus sprechen sie aber auch dafür, dass das Italienische der Einwanderer vital blieb. In den Briefen begegnen italienische, nicht französische Wörter: basta statt suffit , burlarsi statt se moquer , ingannare / inganno statt tromper / tromperie , mancare statt défaillir , impresa 179 nicht intripresa , wie es Estienne als Beispiel für vom Französischen beeinflusstes Italienisch nennt. Im Gegenteil: Der Gebrauch der Lexeme scheint so stabil gewesen zu sein, dass sie sogar ins Französische, die eigentliche Mehrheitssprache, übertragen wurden. Französische Einflüsse auf die Lexik oder Semantik lassen sich bis auf einen Fall, der weiter unten zu besprechen sein wird, nicht nachweisen. So begegnet in einem Brief von Leone Strozzi z. B. fermarsi in un posto ‘rimanere’ 180 , Okkurrenzen für it. fermare / fermarsi , die semantisch von fr. fermer beeinflusst wären, sind hingegen in keinem der Briefe anzutreffen. Auch non … punto in einem Brief von Pietro Strozzi 181 , das an fr. ne … point erinnert, wird im ZING (s.v. punto 2) als spezifisch toskanisch ausgewiesen und ist schon im 13. Jahrhundert belegt 182 . In einem Brief Cavrianas aber kann zumindest ein Fall von lexikalischem Einfluss durch das Französische beobachtet werden: Ma l’opinione che egli ha della preudhommia di VS lo fa pigliare il partito 183 . Auffällig ist preudhommia . In diesem Fall scheint eine Entlehnung oder sogar Lehngut im Italienischen der Einzelperson Cavriana vorzuliegen: preudhommia < fr. preudhommie . Abgese- 179 Vgl. z. B. Brief von Pietro Strozzi vom 12. August 1556 (BNF FF 3117 [28-30]). 180 Vgl. Brief von Leone Strozzi vom 02. Juli 1551 (BNF FF 3129 [16]). 181 Vgl. Brief von Pietro Strozzi vom November 1556 (BNF FF 3117 [36]). 182 Vgl. dazu auch Rohlfs Bd. 3 (1954: 191-192). 183 Vgl. Brief von Cavriana vom 13. März 1586 (BNF FF 3374 [53]). hen von <eu> ([ø] oder doch it. [o]? ) 184 ist das Substantiv gut integriert. Die Frage, ob es sich um eine spontane ZS -rezipienteninduzierte Entlehnung oder um etabliertes Lehngut im Repertoire von Cavriana handelt, kann nicht geklärt werden. Von Lehngut im engeren Sinne, das zum Wortschatz einer historischen Einzelsprache gehört und daher von allen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft geteilt wird, kann aber hier - anders als bei fare buona ciera im Brief Alamannis - nicht gesprochen werden. Dass es sich nicht um - unter Umständen auch nur vorübergehend - verbreitetes Lehngut im Italienischen handeln kann, legt der Eintrag in Hope (1971: 115-116) zu produomo nahe. Das Substantiv it. produomo < fr. preudhomme kann als früher Gallizismus im Italienischen betrachtet werden. Das Abstraktum prodhommia wird aber nicht genannt. In den einschlägigen Referenzwerken wird es ebenfalls nicht erwähnt (Cella 2003, GDLI , DELI , TLIO ). In Florio (1598) sind keine entsprechenden Einträge zu finden. Auch in den zeitgenössischen Französisch-Italienisch-Wörterbüchern findet sich preudhommia nicht: Fenice (1584), Canal (1598), Canal (1603), Anonyme I (1650), Oudin (1655), Oudin / Ferretti (1662-1663), Anonyme II (1677), Oudin / Ferretti / Veneroni (1681). In allen Wörterbüchern fehlt das Lexem im italienisch-französischen Teil, im französisch-italienischen Teil wird fr. preudhommie zumeist mit it. lealtà , probità , bontà , fedeltà übersetzt. Diese Übersetzungen stimmen auch mit den Definitionen in einsprachigen bzw. Französisch-Latein- oder Französisch-Englisch-Wörterbüchern überein: Estienne (1549) probitas ; Cotgrave (1611) courage , valour , loyaltie , integritie ; Monet (1635) intégrité ; Académie (1694) probité . Laut Corneille (1694) und Furetière (1690) (s.v. prudhomme ) muss prudhomme bzw. prudhommie gegen Ende des 17. Jahrhunderts in dieser Bedeutung bereits als veraltet gelten. Wie lässt sich diese lexikalische Übernahme erklären? Um ein Luxuslehnwort scheint es sich in jedem Fall nicht zu handeln. Ein einziges erbwörtliches Lexem zur Bezeichnung des Konzepts scheint im Italienischen nämlich nicht existiert zu haben. Besonders deutlich wird dies, wenn man in den o. g. Französisch-Italienisch-Wörterbüchern die Übersetzungen für preudhomme genauer betrachtet: Fast immer findet sich als italienische Entsprechung das offenbar bereits damals lexikalisierte huomo da bene. Auch Cavriana verwendet in seinen Briefen mehrfach huomo da bene , nie preuduomo. Für das entsprechende Abstraktum aber muss er auf preudhommia zurückgreifen. Ganz gleich, ob es sich dabei nun um eine spontane Entlehnung oder um Lehngut (im Repertoire Cavrianas) handelt, der Adressat, Lodovico Gonzaga, der selbst noch länger als Cavriana in Frank- 184 Schreibungen wie <prudhommie>, die auf [y] hindeuten, begegnen vermehrt erst im 17. Jahrhundert. Im 16. Jahrhundert kann wohl noch von der lautgesetzlich regelmäßigen Aussprache [ø] (< lat. prōděst ) ausgegangen werden (vgl. auch Rheinfelder Bd. 1, 1963: 25). 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 419 420 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne reich ansässig war und das Französische sehr gut beherrschte (vgl. die Analyse seiner französischen Briefe in Kapitel 7), konnte das Wort gewiss verstehen. Denkbar wäre, dass das Konzept, das mit fr. preudhommie versprachlicht wurde, spezifisch französisch oder sogar nur innerhalb der höfischen Gesellschaft Frankreichs bekannt war. Vermutlich hatte es einen semantischen Mehrwert, der durch lealtà , probità , bontà , fedeltà nicht zum Ausdruck gebracht werden konnte. Wenn im Brief Cavrianas also preudhommia erscheint, handelt es sich gewiss nicht um eine unbewusste lexikalische Interferenz mit dem Französischen oder gar um die Folge attritionsbedingter Wortfindungsschwierigkeiten. In Kapitel 3.2.2 wurde angemerkt, dass laut Conklin / Lourie (1983) eine gewisse Offenheit gegenüber lexikalischen Übernahmen aus der Mehrheitssprache zur Bezeichnung neuer Konzepte zum Spracherhalt beitragen kann. Nur so kann die Muttersprache der Immigranten weiterhin als effektives Kommunikationsmittel genutzt werden. Offenbar liegt hier genau so ein Fall vor 185 . 6.3.3.3 Code-switching und Anredeformen In Kapitel 4.2.3.4 wurde dargelegt, dass Estienne (1578) sowohl in der zunehmenden Gebrauchshäufigkeit von nominalen Anredeformen wie Vostre Seigneurie als auch in der damit verbundenen Verwendung der 3. Person Singular italienischen Einfluss vermutet. Auch wenn nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, dass die Beliebtheit der indirekten Anrede im rinascimentalen Italienisch ihrerseits auf spanische Vorbilder zurückzuführen ist, wurde dafür argumentiert, dass die Verbereitung derselben im Französischen des 16. Jahrhunderts - wenn man diesbezüglich fremdsprachlichen Einfluss annimmt - 185 Der Edition von Spigarolo (1999: 279, 289) sowie den entsprechenden Originalmanuskripten (Brief von il di della Candellorie del 1586 , BNF FF 3374 [48] und Brief vom 13. März 1586, BNF FF 3374 [53]) kann entnommen werden, dass Cavriana auch <billietto> und <hardoise> verwendet. In beiden Fällen handelt es sich um Lexeme, die als Lehnwörter tatsächlich Eingang ins Italienische finden. Während it. biglietto < fr. billet zumindest schon vor 1600 belegt ist (vgl. DELI, ZING s.v. biglietto sowie LEI s.v. bulla ), scheint it. ardesia < fr. ardoise aber erst im 18. Jahrhundert entlehnt worden zu sein (vgl. DELI, ZING s.v. ardesia ). Dass Cavriana hier ardoise als Gallizismus avant la lettre verwendet, steht außer Frage. Gleiches scheint angesichts der Schreibung <billietto> - in Kapitel 6.3.3.1.2 wurde gezeigt, dass in der France italienne nie <ll> statt <gl> für [ʎ] begegnet - aber auch für biglietto zu gelten. Um Luxusentlehnungen oder attritionsbedingte lexikalische Interferenzen handelt es sich hier deshalb aber nicht. Vielmehr scheinen - ganz wie für preudhommie - keine Entsprechungen im Italienischen existiert zu haben, was unter Umständen auch die Aufnahme der Lexeme in die historische Einzelsprache Italienisch erklärt (zur Akzeptanz von it. biglietto vgl. DELI s.v. biglietto ). Fr. ardoise bezeichnet ein Material, das Cavriana möglicherweise vor seiner Ankunft in Frankreich unbekannt war, mit fr. billet konnten womöglich nur ganz bestimmte Mitteilungen gemeint sein. Wie preudhommie entlehnt Cavriana also auch billet und ardoise aus einer Bezeichnungsnotwendigkeit heraus. eher italienischem denn spanischem Einfluss geschuldet ist. Im Italienischen der France italienne sollte daher die Vitalität und Verbreitung solcher Anredeformen genauer betrachtet werden. Während die Ergebnisse aus Gruppe A zeigen sollen, ob z. B. Vostra Maestà (+ 3. Person Singular) überhaupt schon etabliert war und so nach Frankreich importiert werden konnte, kann anhand der Briefe aus Gruppe B überprüft werden, ob die Formen auch in Frankreich stabil blieben. Wie in Kapitel 6.3.2 erwähnt, sind laut den Ergebnissen der modernen Attritionsforschung schließlich insbesondere im Hinblick auf die pragmatic address Erosionserscheinungen zu beobachten (vgl. auch Kapitel 3.3.7). Wie bei einigen der anderen bisher besprochenen Phänomene stellt die Variation im Italienischen des 16. Jahrhunderts auch hier ein gewisses Problem dar. Wie schon Croce (1895) und v. a. Migliorini (1957a) gezeigt haben, ist im 16. Jahrhundert für die höfliche Anrede neben der 3. Person Singular auch noch die 2. Person Plural gebräuchlich. Nicht selten finden sich beide Modelle sogar in ein und demselben Brief nebeneinander (z. B. in einem Brief Bembos an Enrico Orsini: Oggi ho ricevuto le lettere di V. Sig. […] Per le quali veggo quello, che molto m’è stato caro di vedere, che voi avete preso […] Sempre che V. Sig. si vorrà valere di quel poco che io sono, ella […] , zitiert nach Migliorini 1957a: 190). Anfänglich war der Gebrauch der 3. Person fast ausschließlich in Verbindung mit respektvollen nominalen Anredeformen wie z. B. Vostra Signoria / Eccellenza / Maestà , also wenn Höhergestellte angesprochen wurden, möglich. Anhand der wenigen Briefe aus Gruppe B könnten, wenn sich herausstellen sollte, dass vermehrt die 2. Person Plural erscheint, also gar keine Aussagen bezüglich der Vitalität gemacht werden. Wie bereits an anderer Stelle erläutert wurde, wäre dazu ein Vergleich zwischen frühen und späten Briefen ein und desselben Immigranten notwendig. Nur wenn gezeigt werden könnte, dass zu Beginn die 3. Person Singular, nach mehreren Jahren in Frankreich aber überwiegend die 2. Person Plural in der Anrede Verwendung findet, könnte von Attrition, die durch den Einfluss des Französischen bedingt ist, gesprochen werden. Wenn aber umgekehrt fast ausschließlich die 3. Person Singular begegnet, kann daraus geschlossen werden, dass diese von Anfang an bereits etabliert war. Andernfalls müsste angenommen werden, dass das Italienische der Einwanderer in Frankreich den peninsularen Entwicklungen folgt. Dies aber spräche genauso für die Vitalität des Italienischen in der France italienne . Die Briefe der Gruppe A hingegen geben ohnehin nur Auskunft darüber, welches Italienisch importiert wurde. Naheliegend ist, dass Unterschiede je nach Adressat zu beobachten sind. In der Tat stellen die Briefe von Alamanni einen Sonderfall dar. Sie alle sind an seinen Verbündeten Filippo Strozzi, nicht an einen höhergestellten Fürsten gerichtet. Die Anredeform Vostra Signoria erscheint nur in einem Brief, der zudem der einzige ist, den er nicht selbst geschrieben, sondern von einem Sekretär 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 421 422 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne verfassen lassen hat. In den zehn autographes ist durchgängig die traditionelle Anrede Messer in Verbindung mit der 2. Person Plural anzutreffen, was auch der Verteilung, die Migliorini (1957a) insbesondere für den Anfang des 16. Jahrhunderts in Italien ermittelt hat, entspricht. Harete inteso come il Re ha donato carica a messer Piero vostro figliuolo di mille fanti con tanto favore et straordinario honore quanto si desse mai ad alcuno capitano, agli amici suoi (fra i quali mi truovo io) è parso da non rifiutare un tanto honore et da un tanto Re […]. (Cosentino / De Los Santos 2011: 153-154: Brief vom 28. Juli 1536 an Filippo Strozzi [autographe] C. Strozz., V, 1209, ins. IX, n. 38, 47 [c. 2], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) […] raccomandomi a Vostra Signoria quanto più si possa et vi prego a ricordarvi di me qualche volta et sapere ch’io sono ai comandi vostri et prego Dio che vi doni quel buono colore che desiderate nei vostri honorati disegni. In Avignione il giorno XXVII di Novembre MDXXXVI . Il tutto di Vostra Signoria et a’ suoi comandi Luigi Alamanni (Cosentino / De Los Santos 2011: 157: Brief vom 27. November 1536 an Filippo Strozzi [Anonym], C. Strozz., V, 1208, ins. IV , n. 91 [c. 1], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Wie im zweiten Passus zu sehen ist, kommt im Brief, der von seinem Sekretär verfasst wurde, Vostra Signoria mit der 2. Person Plural vor. Lediglich am Ende erscheint a’ suoi comandi . Dieses Nebeneinander kann aber auch in Briefen, die im selben Zeitraum in Italien entstanden sind, beobachtet werden (vgl. weiter oben). Anders verhält es sich in den restlichen Briefen der Gruppe A. Im Brief von Lodovico Gonzaga an den Vater findet sich Vostra Eccellenza (+ 3. Person Singular) 186 . In den Briefen von Guadagni, die alle an Catherine de Médicis gerichtet sind, erscheint durchgängig Vostra Maestà in Verbindung mit der 3. Person Singular. Lediglich bei Possessiva begegnet manchmal noch vostro / a , wenn Vostra Maestà / la Maestà Vostra nicht in unmittelbarer Nähe erscheint (z. B. Madama, […]. […] vostro figliuolo […] ). Daneben wird auch le Maestà Vostre (+ 3. Person Plural, z. B. Le Maestà Vostre desiderano ) verwendet, wenn zusätzlich Charles IX angesprochen wird. […] la lettera che io mando à la Ma[es]tà vostra, per la quale ella potrà giudicare […] ch[e] è quanto posso scriverle al presente degno che la Ma[es]tà vostra sappia, alla quale baciando humiliss[imamen]te le Reali mani prego Idio ch[e] conceda à lei, et à 186 Vgl. Brief von Gonzaga vom 20. Dezember 1553 (BNF Fonds Clairambault 347 [149]). tutta la sua Real Prole, con sanità felicissima et lunga vita. (Brief von Guadagni vom 06. Dezember 1572 an Catherine de Médicis [autographe], BNF FF 15 555 [204-205], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Vor allem inhaltlich interessant ist: che Mons. de Biron, et il s [ ignor ] Strozzi sono accampati alla vista della Rocella 187 . Filippo Strozzi, der Sohn von Pietro Strozzi, kam bereits in jungen Jahren nach Frankreich und kann daher mehr oder weniger als Immigrant der 2. Generation betrachtet werden (vgl. Kapitel 7.2). Dass ihn Guadagni, der zusammen mit ihm in La Rochelle kämpft, im Gegensatz zu Mons. de Biron (oder auch zu M. de la Noue ) als S [ ignor ] Strozzi bezeichnet, lässt vermuten, dass er ihn noch als Italiener wahrnahm und auch Italienisch mit ihm sprach. Über die Selbstwahrnehmung von Filippo Strozzi, der seine französischen Briefe auch mit Strosse , nicht wie sein Vater mit Strozi (! ) unterschrieb, sagt dies aber natürlich nicht zwangsläufig etwas aus. Im Brief von Pandolpho della Stupha, der ebenfalls an Catherine de Médicis gerichtet ist, lässt sich Ähnliches beobachten wie bei Guadagni. In Verbindung mit Vostra Maestà erscheint durchgehend die 3. Person Singular, jedoch einmal noch vostro figliuolo , wenn sich die nominale Anredeform nicht in unmittelbarer Nähe befindet 188 . Bei den Personalpronomina und Verbalformen aber ist die 3. Person stabil. Auch könnte in suo [di Henri II ] e vostro [di Catherine de Médicis] figliuolo die Form vostro zur Vermeidung von Missverständnissen verwendet worden sein, wie sie der Gebrauch der 3. Person bisweilen mit sich brachte. Laut Migliorini (1957a) beklagten zahlreiche zeitgenössische Sprachbeobachter solche Probleme. In allen anderen Fällen erscheinen auch die Possessiva in der 3. Person Singular. In den Briefen der Sekretäre von Lorenzo und Pietro Strozzi sowie von Zametti ist die Verteilung der Formen mit derjenigen in den soeben besprochenen Briefen vergleichbar. In ersteren begegnet Vostra Maestà / Eccellenza mit der 3. Person Singular, im Brief Zamettis, der vermutlich an einen Bankier in Lyon adressiert ist, hingegen durchgängig die 2. Person Plural. Formen wie Vostra Signoria kommen in diesem Brief aber auch nicht vor. Lediglich zu Beginn des Briefes erscheint einmal Signore . Inwiefern diese drei Briefe im Hinblick auf die verwendeten Anredeformen überhaupt noch der Gruppe A zugeordnet werden müssen, ist strittig. Anders als bei den Graphien kann für die Lexik - im entsprechenden Kapitel wurde diesbezüglich auch nicht scharf getrennt - und die Anredeformen davon ausgegangen werden, dass sie demjenigen, der den Brief diktiert, geschuldet sind. Andererseits legen die Unterschiede zwischen den autographes von Alamanni und dem Brief, den einer seiner Sekretäre verfasst 187 Vgl. Brief von Guadagni vom 07. Dezember 1572 (BNF FF 15 555 [209]). 188 Vgl. Brief von Della Stupha vom 30. Mai 1560 (BNF FF 3898 [12]). 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 423 424 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne hat, nahe, dass die Schreiber manchmal doch auch Einfluss auf die sprachliche Gestaltung haben konnten 189 . Für die Anrede in Gruppe A lässt sich also Folgendes festhalten: Sowohl die 3. Person Singular und Plural als auch die 2. Person Plural finden Verwendung. Erstere erscheint immer in Verbindung mit nominalen Anredeformen wie Vostra Maestà / Eccellenza , wohingegen voi für die Anrede nicht wirklich höhergestellter Personen gebraucht wird. Wenn die 3. Person begegenet, sind kaum mehr Schwankungen zu beobachten. Lediglich Possessiva, nicht aber Verbalformen sowie Subjekt- und Objektpronomina können dabei bisweilen noch in der 2. Person Plural erscheinen. In den Briefen der Gruppe B ist die Situation ähnlich. In der handschriftlichen Ergänzung von Zametti begegnet passend zum vom Sekretär verfassten Teil des Briefs die 2. Person Plural. In den Briefen Cavrianas, die alle an den Duc de Nevers gerichtet sind, erscheint ausschließlich die 3. Person Singular. Das Kürzel für die Anredeformen dürfte für Vostra Eccellenza stehen (vgl. dazu die Stellen aus den Briefen Cavrianas weiter unten). Wie der folgende Ausschnitt aus dem Brief des Conte della Mirandola zeigt, findet in Verbindung mit Vostra Eccellenza die 3. Person Singular Verwendung. Io ho pregato Mons. di Part[? ], pre[sente ‘presente apportatore’], il quale per le occorrenze di qua e mandato dal Sig. Pietro [Strozzi] alla corte che a vra ecc. dia per mio nome raguaglio di cio che occorre in queste parti, onde io ben humil[…]te la supp[li]co a farmi gra[tia] di credergli come a me stesso, et io alla relation sua riportandomi […]. (Brief von della Mirandola vom 20. Juni 1554 an den französischen Hof [autographe], BNF Fonds Clairambault 347 [231], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Auch in den Briefen der Nazione Fiorentina scheint die 3. Person in Verbindung mit Vostra Maestà - selbst wenn im Brief gleichzeitig die vokativisch gebrauchte Anredeform Madama anzutreffen ist - obligatorisch zu sein. Lediglich bei den Possessiva kommt es auch hier noch zu Schwankungen: Madama, Sebene la M[…]ta vra ha sempre havuto per sua grandissima bontà in racomandatione la nation’ vra, Si non habbiamo noi voluto mancare di farle hora colla presente reverenza 190 . In allen anderen Fällen steht ausnahmslos die 3. Person. In den Briefen von Leone Strozzi ist Ähnliches zu beobachten: Der Adressat wird mit Vostra Eccellenza / Maestà angesprochen, im Anschluss wird die 3. Person verwendet 191 . In den Briefen von Lorenzo und Pietro Strozzi sind diesbezüglich keinerlei Un- 189 Es ist zu vermuten, dass manche Briefe nicht diktiert, sondern lediglich mit inhaltlichen Vorgaben in Auftrag gegeben wurden. Vgl. dazu auch Kapitel 7.2. 190 Vgl. Brief der Nazione Fiorentina vom August 1559 (BNF FF 3898 [41]). 191 Vgl. Brief von Leone Strozzi vom 02. Juli 1551 (BNF FF 3129 [16]), vom 04. September 1551 (BNF FF 3129 [25-27]). terschiede festzustellen. Bei letzterem erscheint sogar lei statt ella als Subjektpronomen ( che lei fa a me 192 ), eine Verwendung, die von Sprachtheoretikern des 16. Jahrhunderts nicht nur im Hinblick auf die Anrede getadelt wurde und sich nur allmählich durchsetzen konnte (vgl. dazu z. B. Migliorini 1957a). Insgesamt lässt sich also festhalten, dass in den Briefen der Immigranten keinerlei Auffälligkeiten im Hinblick auf die Anrede zu beobachten sind. Im Gegenteil: Die Verwendung der 3. Person Singular ist genauso etabliert wie in den Briefen der Gruppe A. Eine Beeinflussung durch das Französische, die vermehrt zum Gebrauch der 2. Person Plural führen hätte können, fand offenbar nicht statt 193 . Wenn Estienne die italienischen Immigranten für die zunehmende Häufigkeit von Anredeformen des Typs Vostre Excellence sowie der 3. Person Singular in der höflichen Anrede verantwortlich macht, so ist dies zumindest nicht unbegründet. Die Daten schließen in jedem Fall nicht aus, dass aufgrund der Präsenz der Italiener die 3. Person in der höflichen Anrede auch im Französischen der France italienne verbreitet gewesen sein hätte können. Wie bereits angedeutet, lassen sich in den Briefen keine Vorkommen von unbeabsichtigtem code-switching nachweisen. In den Briefen Cavrianas jedoch begegnen äußerst interessante Stellen, an denen er die Äußerungen bestimmter Gesprächspartner wörtlich, d. h. auch auf Französisch, wiedergibt. Wie in Kapitel 3.3.5 angemerkt wurde, kann diese Art als funktionales code-switching bezeichnet werden. Aus welchen Gründen er dies tat, ist nicht ganz klar. Vermutlich aber versuchte er den Adressaten, Lodovico Gonzaga, der sich im Exil befand, nachdem er bei Henri III in Ungnade gefallen war, genauestens über den Fortgang der Bemühungen von Catherine de Médicis und ihren Beratern am Hofe zu informieren. Diese versuchten, bei Henri III für Gonzaga zu vermitteln. Die Frage, ob Gonzaga, der das Französische muttersprachlich beherrschte (vgl. Kapitel 7), seinen Informanten darum gebeten hatte, alle relevanten Gespräche im genauen Wortlaut wiederzugeben, ließ sich anhand der Korrespondenz in der Handschriftensammlung BNF FF 3374 nicht klären. […] ciò mi han detto come à huomo che suspettava questo senza saper eglino, che VE me ne havesse scritto. anzi bravando lor dissi[: ] croyes Madame q[ue] si on se veult mocquer, ou offenser mon prince, soubs pretexte de luy escrire, et mener en lounge l’affaire que ie quitteray tout la, et l’advertiray quil se prene garde, car ie ne veulx servir 192 Vgl. Brief von Pietro Strozzi vom 31. Dezember 1556 (BNF FF 3117 [33-34]). 193 In Kapitel 4.2.3.4 wurde zwar festgehalten, dass auch im Französischen nominale Anredeformen wie Vostre Sainteté in Verbindung mit der 3. Person Singular ererbt sein könnten, allerdings deuten die Ausführungen Svennungs (1958: 99-100) darauf hin, dass im Französischen selbst mit solchen Formen vermehrt die 2. Person Plural Verwendung fand. Im Italienischen der France italienne hätte die 2. Person Plural unter dem Einfluss der Mehrheitssprache Französisch also gestärkt worden sein können. 6.3 Vitalität statt Attrition und Grundlage des françois italianizé 425 426 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne dinstrument pour trahair [! ] mon prince, à qui iay obligation et si on le met une foys au champs, vous ne le retireres plus. Ella allhora mi rispose quello. et bellievre m’ha detto, Nous ne sommes pas si fins q[ue] vous pensez, croies q[ue] ie ne seray iamais instrument de trhaison, Altretanto mi disse villeroy nel suo gabinetto, al quale VE scriverà un poco men liberame[n]te […]. Quanto alle let[tere] particolari per la reina [Catherine de Médicis, T. S.], che VE m’incaricava di dare, io non ho mancato, et le ho visto leggere da lei sola, et poi me le ha date affine di brusciarle in sua presenza, sicome feci, dicendo ella, Jesus il ne faut que ces letres ne soet veues de persone […]. (Brief von Cavriana vom 22. November 1585 an Le Duc de Nevers, Lodovico Gonzaga [autographe], BNF FF 3374 [21]) […] et la reina [Catherine de Médicis, T. S.] si rallegrava meco, di vedere cosi buona volontà nel re, la quale spesso mi diceva, Mais que nous soyons de retour, croies quil fairà les niques aux aultres, et que le Roy le contenterà et gratifierà sellon ses services; […]. (Brief von Cavriana vom 26. Juli 1586 an Le Duc de Nevers, Lodovico Gonzaga [autographe], BNF FF 3374 [76]) Wie aus den oben zitierten Stellen eindeutig hervorgeht, handelt es sich hier nicht um unbeabsichtigtes code-switching . Vielmehr begegnen die französischen Passagen als Zitate, als eigene Texte, die von der italienischen Matrix völlig unabhängig sind. Es handelt sich also um intersentential code-switching . Besonders interessant ist, dass Cavriana mit Catherine de Médicis manchmal offenbar auf Französisch kommunizierte (vgl. Madame… ). Während sich dies im ersten Teil des ersten Abschnitts unter Umständen durch die Präsenz der französischen Sekretäre Bellièvre und Villeroy erklären lässt, legen der zweite Teil des ersten Abschnitts sowie der zweite Auszug, aus denen klar ersichtlich ist, dass ausschließlich Catherine de Médicis und Cavriana anwesend sind, nahe, dass zumindest Catherine de Médicis im Gespräch mit Cavriana das Französische verwendete. In Kapitel 6.2.2.3 wurde gezeigt, dass das Italienische der France italienne bisweilen auch im distanzsprachlichen Bereich Verwendung fand (z. B. beim Colloque de Poissy 1561). Die soeben besprochenen Befunde zeigen umgekehrt, dass das Französische manchmal auch als Nähesprache unter den Immigranten fungieren konnte. Auch diese Ergebnisse bestätigen die bereits getroffene Aussage, dass in der France italienne keine strenge Diglossie angenommen werden kann. Weder im distanzsprachlichen noch im nähesprachlichen Bereich kann von einer klaren Funktionsverteilung zwischen dem Französischen und Italienischen ausgegangen werden. Beide Sprachen konnten von den zweisprachigen Individuen nebeneinander verwendet werden. Cavriana verwendete, wie aus seiner Korrespondenz ersichtlich ist, mit Catherine de Médicis manchmal 6.4 Zusammenfassung 427 das Französische 194 , mit Gonzaga hingegen für gewöhnlich das Italienische. Wie in Kapitel 3.2.1 dargelegt wurde, begünstigt gerade eine solche Situation die gegenseitige Beeinflussung der beiden Sprachen. Anhand der bisher besprochenen Daten können im Italienischen der Immigranten jedoch kaum französische Einflüsse festgestellt werden. Offenbar blieb es in der France italienne aufgrund seiner aus soziolinguistischer Perspektive besonderen Vitalität die dominante Sprache der Einwanderer. 6.4 Zusammenfassung Kapitel 6 war der Vitalität des Italienischen in der France italienne gewidmet. Diese sollte aus zwei unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden, was sich auch in der Gliederung des Kapitels widerspiegelt. In einem ersten Schritt wurde die Vitalität aus soziolinguistischer Sicht rekonstruiert. Dafür wurde auf Daten aus soziohistorischen Arbeiten (v. a. Boucher 1994, [1981] 2007 sowie Dubost 1997) und eigenes Quellenmaterial aus dem 16. und 17. Jahrhundert zurückgegriffen. Es konnte gezeigt werden, dass das Prestige und die Verbreitung des Italienischen als internationale Verkehrs- und Kulturssprache in der Frühen Neuzeit auch in Frankreich selbst spürbar bzw. für international agierende Franzosen wahrnehmbar war. Die in der Forschung zum italiano furori d’Italia vertretene Annahme, das Italienische habe auch in der Korrespondenz zwischen Frankreich und dem Osmanischen Reich eine gewisse Rolle gespielt, konnte durch weitere Belege aus Texten des 16. und 17. Jahrhunderts untermauert werden. Auch in Frankreich selbst fand es bei Verhandlungen mit Gesandten aus Polen und dem Osmanischen Reich Verwendung, so dass in Anlehnung an den in der französischen Sprachgeschichtsschreibung üblichen Terminus universalité du français durchaus von einer universalité des Italienischen während der Renaissance gesprochen werden könnte. Dieses außergewöhnliche Prestige ist auch im Hinblick auf die Vitalität des Italienischen als Migrantensprache in der France italienne von Bedeutung. Dem Modell von Conklin / Lourie (1983) zufolge wirkt sich das internationale Ansehen einer Sprache auch darauf aus, ob im Migrationskontext an dieser festgehalten wird oder nicht. Es konnte gezeigt werden, dass sich sowohl die italienischen Einwanderer als auch die Franzosen des Prestiges des Italienischen bewusst waren. Laut Conklin / Lourie (1983), deren differenziertes Modell Vor- 194 Anderen Briefen Cavrianas ist zu entnehmen, dass bei privaten Unterredungen zwischen ihm und Catherine de Médicis aber auch das Italienische zum Einsatz kam (vgl. z. B. Spigarolo 1999: 242). 428 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne hersagen zum Erhalt einer Einwanderersprache erlaubt, spielen für die Vitalität aber noch weitere Faktoren eine Rolle. Anhand demographischer und anderer soziolinguistisch relevanter Daten wurde gezeigt, dass in der France italienne alle Voraussetzungen erfüllt waren, die nach Conklin / Lourie (1983) für die Vitalität und mithin den Erhalt einer Migrantensprache notwendig bzw. förderlich sind. So waren die Italiener z. B. am französischen Hof, in Paris sowie in Lyon in größeren Gemeinschaften organisiert ( Petite Italie ). Die geographische Nähe zum Mutterland ermöglichte, Kontakt zu halten und unter Umständen in die Heimat zurückzukehren. Dieser Umstand sowie eine kontinuierliche Immigration während des gesamten 16. Jahrhunderts sicherten wie auch die Existenz italienischer Netzwerke in der France italienne den aktiven Gebrauch der Muttersprache. Es konnten auch Belege dafür ausfindig gemacht werden, dass die emotionale Bindung zur Sprache aufgrund ihrer identitätsstiftenden Funktion stark war. Die Tatsache, dass die Mehrheit der Einwanderer gebildet war und aus der Toskana stammte, konnte sich ebenfalls positiv auf die Vitalität auswirken. Sprecher einer Standardvarietät, die diese in Wort und Schrift verwenden, können als Garant für den Spracherhalt gelten. Dass das Italienische in der Tat nicht auf die kommunikative Nähe, z. B. innerhalb von Migrantenfamilien, beschränkt blieb, konnte anhand verschiedener Quellen (Briefe, Memoiren) wahrscheinlich gemacht werden. In gewissen Kreisen, insbesondere am Hof, konnte es bisweilen auch in gemischten Gruppen, d. h. trotz der Anwesenheit von Franzosen, als Verhandlungssprache in distanzsprachlichen Kontexten fungieren. Eine strenge Diglossie, in der das Italienische lediglich im nähesprachlichen Bereich unter den Immigranten zum Einsatz kam, kann nicht angenommen werden. Diese für eine Migrantensprache außergewöhnliche Vitalität könnte auch dazu geführt haben, dass die Italiener das Französische nur langsam erlernten. Anhand zeitgenössischer Texte wurden Imitationen und Karikaturen ihres italianisierten Französisch präsentiert und den Beobachtungen Estiennes (1578) gegenübergestellt. Wie letzterer attestieren auch diese metasprachlichen Zeugnisse den Immigranten eine eher unzureichende Französisch-Kompetenz. Ein besonders auffälliges Merkmal des françois italianizé (Schibboleth), das in den Deux Dialogues nicht genannt wird, scheint die fehlerhafte Artikulation oder Absenz der gerundeten Palatalvokale des Französischen zu sein. Bestimmte Schreibungen (<ou> oder <o> statt <u> oder <eu>) deuten darauf hin, dass anstelle von [y], [ø] und [œ] oft [u], [o] oder [ɔ] realisiert wurde. Da angesichts dieser Umstände zu vermuten ist, dass sich das Italienische nicht nur in funktionaler, sondern - in der Folge - auch in sprachlicher Hinsicht als vital erweisen musste, wurden in einem zweiten Schritt italienische Produktionsdaten von ausgewählten Einwanderern analysiert. Aufgrund der Tatsache, 6.4 Zusammenfassung 429 dass die Mehrheit der Immigranten aus der Toskana stammte, wurden überwiegend Texte von Schreibern toskanischer Herkunft berücksichtigt. Insgesamt wurden 35 Briefe von 15 Schreibern untersucht, die sich in zwei Gruppen einteilen lassen. Gruppe A umfasst Briefe von Immigranten, die erst seit kurzer Zeit in Frankreich lebten, sowie von vorübergehend in Frankreich agierenden Italienern, wohingegen in Gruppe B Briefe anzutreffen sind, die von Einwanderern frühestens zehn Jahre nach ihrer Ankunft in Frankreich verfasst wurden. Anhand letzterer wurde überprüft, ob Anzeichen für Attrition, d. h. Interferenzen mit dem Französischen, festzustellen sind oder nicht. Die Briefe der Gruppe A dienten zum einen als Vergleichsgrundlage, zum anderen veranschaulichen sie aber auch, welches Italienisch in die France italienne importiert wurde und so als Grundlage für das françois italianizé dienen konnte. Das Hauptaugenmerk galt ausgewählten Schreibungen, dem Wortschatz, der höflichen Anrede sowie eventuellen Vorkommen von code-switching . Was die Schreibungen anbelangt, konnte gezeigt werden, dass spezifisch italienische Graphien durchgängig stabil bleiben, also nicht von französischen Traditionen beeinflusst werden. Überprüft wurden Schreibungen, für die z. B. Cremona (1996) nachgewiesen hat, dass sie im Kontakt mit dem Französischen Interferenzen aufweisen können: z.B. it. [u] (it. <u> vs. fr. <ou>), velare und palatale Konsonanten, z.B. it. [k] vor [i], [e], [ɛ] (it. <ch> vs. fr. <qu>) und [ʎ] (it. <gl(i)> vs. fr. <(i)ll>). Auffällig ist, dass bis auf wenige Ausnahmen keine Interferenzen mit dem Französischen festzustellen sind und bereits die heute üblichen Graphien begegnen. Zwischen Gruppe A und B ließen sich keine signifikanten Unterschiede beobachten. Gleiches gilt für die graphische Doppelkonsonanz in sog. preposizioni articolate (z.B. it. <alla> vs. fr. <à la>). Dass spezifisch italienische Schreibungen eine solche Stabilität zeigen, legt nahe, dass das Italienische weiterhin in der Schriftlichkeit Verwendung fand. Die Analyse von <sC-> vs. <isC-> hat gezeigt, dass prothetische Vokale sowohl in Gruppe A als auch in Gruppe B kaum anzutreffen sind. Selbst in Umgebungen, in denen die Prothese zu erwarten wäre (v. a. nach Konsonant wie in <con speranza>), erscheint (graphisches) s impurum . Die Ergebnisse bestätigen die Befunde von Sampson (2010), dem zufolge prothetische Vokale in zentralitalienischen Varietäten ab dem 16. Jahrhundert im Rückgang begriffen waren. Gleichzeitig lassen sie auch die Beobachtungen Henri Estiennes in einem neuen Licht erscheinen. Der Purist erkennt in s impurum ein typisches Merkmal des françois italianizé , das den italienischen Einwanderern geschuldet sein könnte. Auch im Lexikon konnten keine Einflüsse des Französischen nachgewiesen werden, was insofern als äußerst aussagekräftig betrachtet werden muss, als sich der Einfluss einer neuen Mehrheitssprache nach den Erkenntnissen der modernen Attritionsforschung normalerweise zuerst im Wortschatz manifes- 430 6 Die Vitalität des Italienischen in der France italienne tiert. Es sind fast durchgängig italienische Erbwörter, darunter auch Lexeme, die als Etyma für Italianismen im Französischen des 16. Jahrhunderts betrachtet werden können, anzutreffen. Semantische Interferenzen mit dem Französischen waren ebenfalls nicht festzustellen. Dieser Befund legt nahe, dass das Italienische kontinuierlich verwendet wurde. Ein Mangel an Ausdrucksmitteln kann jedenfalls nicht attestiert werden. Lediglich in den Briefen Cavrianas finden sich vereinzelt lexikalische Übernahmen aus dem Französischen (z. B. preudhommia < fr. preudhommie ), die aber als Bedürfnisentlehnungen angesehen werden können. Zu vermuten ist, dass für diese französischen Bezeichnungen im Italienischen keine treffenden Entsprechungen vorhanden waren. Eine gewisse Offenheit gegenüber Entlehnungen zur Bezeichnung neuer - v. a. kulturspezifischer - Konzepte trägt laut Conklin / Lourie (1983) wesentlich zur Vitalität einer Migrantensprache bei. Um unbeabsichtigte, möglicherweise attritionsbedingte lexikalische Interferenzen handelt es sich bei Cavriana jedenfalls nicht. Für die höfliche Anrede konnte die gleiche Stabilitiät wie für die Schreibungen und das Lexikon festgestellt werden. In Verbindung mit nominalen Anredeformen wie Vostra Maestà erscheint durchgängig die 3. Person Singular. Lediglich bei den Possessiva sind - wie im rinascimentalen Italien - leichte Schwankungen (3. Person Singular und 2. Person Plural) zu beobachten. Unterschiede zwischen Gruppe A und B waren nicht feststellbar. Schließlich begegneten in den Briefen eines Migranten auch besonders interessante Fälle von intersentential code-switching . Um unbeabsichtigtes code-switching handelt es sich dabei nicht. Cavriana gibt die Aussagen von Dritten in der Originalsprache Französisch wieder. Es liegen also Zitate vor. In einem in italienischer Sprache verfassten Brief erscheinen diese reproduzierten Äußerungen völlig eigenständig. Sprachmischung findet nicht statt. Sie weisen Cavriana vielmehr als bilinguales Individuum aus, das beide Sprachen offenbar gleichermaßen gut beherrscht. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er mit Catherine de Médicis manchmal das Französische, mit dem Adressaten des Briefs, Lodovico Gonzaga, hingegen immer das Italienische verwendet. Offensichtlich darf also auch im nähesprachlichen Bereich nicht von einer strikten Diglossie ausgegangen werden. An mehreren Stellen wurde bereits erwähnt, dass das Fehlen diglossischer Tendenzen Interferenzen und Entlehnungen im Diskurs zweisprachiger Individuen begünstigt. Im Italienischen der Immigranten ließ sich jedoch keine Beeinflussung durch das Französische feststellen. Das besondere Prestige des Italienischen in der France italienne sowie die hohe soziale Stellung vieler Migranten führten offenbar dazu, dass das Italienische die dominante Sprache der Einwanderer blieb. Denkbar wäre, dass umgekehrt in ihrem Französisch Interferenzen mit ihrer Muttersprache anzutreffen waren. Das folgende und letzte Kapitel ist daher der Untersuchung französischer Briefe 6.4 Zusammenfassung 431 italienischer Immigranten gewidmet. Ausgehend von den in Kapitel 4.2.3 ermittelten Merkmalen des françois italianizé soll überprüft werden, ob sich Spuren desselben im Französischen der Italiener nachweisen lassen. 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis und Texten anderer italienischer Immigranten 7.1 Vorbemerkungen: françois italianizé und étymologiehistoire On trouve en effet dans les auteurs du XVI e siècle un très-grand nombre de mots italiens dont une bonne partie s’est conservée dans la langue. Ce sont [entre autres, T. S.] des termes de cour, introduits par Catherine de Médicis: courtisan (cortigiano), camérier (cameriere), escorte (scorta), brigue (briga), altesse (altezza), spadassin (spadaccino), la créature (de qqn) (creatura), etc. […]. (Darmesteter / Hatzfeld 1878: 193, Ergänzungen und Hervorhebung im Fettdruck T. S.) Auf den Umstand, dass die jüngere Forschung seit Wind (1928) und Balsamo (1992) im Gegensatz zu älteren Arbeiten (vgl. den oben zitierten Passus aus Darmesteter / Hatzfeld 1878) mehrheitlich davon ausgeht, dass die Rolle der italienischen Immigranten hinsichtlich der sprachlichen Beeinflussung des Französischen der Renaissance eher als marginal betrachtet werden kann, wurde gleich zu Beginn der Arbeit hingewiesen. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass diese Annahme aber in mehrfacher Hinsicht fragwürdig erscheinen muss, den Aussagen zeitgenössischer Sprachbeobachter wie Henri Estienne widerspricht und letztlich nur durch die Analyse französischer Produktionsdaten italienischer Einwanderer widerlegt oder bestätigt werden kann. Die Beschäftigung mit französischen Texten italienischer Migranten ist jedoch nicht nur für die sprachgeschichtliche, sondern darüber hinaus auch für die etymologische Forschung von Bedeutung: Etwaige lexikalische Interferenzen könnten sowohl im Hinblick auf die étymologie-origine als auch auf die étymologie-histoire , d. h. die „biographie du mot“ (Baldinger [1959] 1977), bestimmter Italianismen wertvolle Erkenntnisse liefern. In Kapitel 2.3.3.3 wurde gezeigt, dass es bisweilen sehr schwierig sein kann, das Etymon eines Lehnworts zweifelsfrei zu bestimmen ( étymologie-origine ). Insbesondere bei Lehnwörtern romanischen Ursprungs erweisen sich die gängigen Kriterien (Chronologie, Phonetik, étymologie organique ) manchmal als unzureichend. Fr. brave (Erstbe- 434 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis leg vor 1521 / 1535) 1 könnte sowohl spanischen als auch italienischen Ursprungs sein (vgl. TLFI s.v. brave ): Der Einfluss beider Sprachen war im 16. Jahrhundert groß; phonetisch kommen it. bravo und sp. bravo gleichermaßen als Etyma in Betracht; das Lexem gehört einem Denotatsbereich (militärische / höfische Tugend) an, in dem neben Italianismen auch Hispanismen häufig sind. Dass sich der TLFi letztlich für eine Herkunft aus dem Italienischen ausspricht, wird damit begründet, dass die (Kon)Texte, in denen die premières attestations erscheinen, italianisierend sind. In der Tat begegnet brave zunächst in Texten bekannter Français italianisants (z. B. De Scève, Rabelais). Dass die Kenntnis französischer Texte italienischer Immigranten genauso zur Klärung der étymologie-origine bestimmter Lexeme beitragen könnte, liegt auf der Hand: Wenn sich vermehrt (Erst)Belege für Lehnwörter, die lateinischer bzw. romanischer Herkunft sein könnten, in von Italienern verfassten Texten nachweisen ließen, spräche dies dafür, dass es sich dabei um Italianismen, nicht um Hispanismen, Latinismen oder gar Okzitanismen handelt. Auch im Hinblick auf die étymologie-histoire - und dies gilt für anerkannte Italianismen und Lehnwörter unsicherer Herkunft gleichermaßen - wäre die Untersuchung französischer Produktionsdaten von italienischen Einwanderern von nicht unerheblichem Interesse: Neue Erstbelege sowie Okkurrenzen, die zeitnah zu den im FEW oder TLF i dokumentierten Erstbelegen erscheinen, würden, insbesondere wenn ihre Ausdrucksseite darauf hindeutet, dass es sich um AS -produzenteninduzierte Entlehnungen handelt, zeigen, dass die Immigranten in der Tat am Aufkommen von Italianismen beteiligt waren. Gewisse Lehnwörter hätten somit ihren Ursprung nicht im françois italianizé der Français italianisants , sondern in jenem der Italiener. Die Frage, ob es sich bei den AS -produzenteninduzierten Entlehnungen um ungewollte, auf Wortfindungsschwierigkeiten zurückführbare lexikalische Interferenzen oder um bewusste Entlehnungen aus der prestigeträchtigen Muttersprache handelt 2 , ist dabei unerheblich. Entscheidend für eine sprachliche Beeinflussung des Französischen ist lediglich, dass im den Franzosen als Modell dienenden françois italianizé der Italiener lexikalische Italianismen nachweisbar sind. Kapitel 7 ist daher dem françois italianizé italienischer Immigranten gewidmet. Bei den Texten des Korpus handelt es sich zum Großteil um Briefe von Catherine de Médicis, die im eingangs zitierten Passus aus Darmesteter / Hatzfeld 1 Laut TLFi (s.v. brave ) handelt es sich beim Erstbeleg um ein Substantiv. Als Adjektiv ist brave in verschiedenen Bedeutungen belegt: ‘beau’ (1535), ‘fier, arrogant’ (1541), ‘bon’ (vor 1544), ‘noble’ (vor 1544), ‘courageux’ (1549). 2 Es sei daran erinnert, dass der Verarbeitungsaufwand bei AS-produzenteninduzierten Entlehnungen in der vorliegenden Arbeit nicht gesondert berücksichtigt wird (vgl. Kapitel 3.3.4). 7.1 Vorbemerkungen: françois italianizé und étymologie-histoire 435 (1878) explizit für das Aufkommen von (höfischen) Italianismen verantwortlich gemacht wird. Freilich steht Catherine de Médicis bei Darmesteter / Hatzfeld (1878) nur metonymisch für die Gesamtheit der italienischen Höflinge 3 . Dennoch eignen sich ihre Briefe sehr gut als Grundlage für das Korpus zum françois italianizé : Zwar scheint ihr Französisch laut zeitgenössischen Sprachbeobachtern - nachdem sie Jahrzehnte in Frankreich verbracht hatte - gut gewesen zu sein, aber Spuren des françois italianizé könnten sich in ihren Briefen angesichts der Tatsache, dass keine diglossischen Tendenzen zu beobachten waren und sie auch regelmäßig das Italienische verwendete, trotzdem finden lassen. Zudem sind nicht nur Interferenzen, sondern auch lexikalische Entlehnungen von Interesse. Zu letzteren kann es auch bewusst - ganz unabhängig von der Französisch-Kompetenz - kommen. Schließlich - und dies sind in erster Linie praktische Gründe - sind zahlreiche ihrer Briefe erhalten und sogar ediert. Gleichzeitig sind viele der Originalhandschriften auch online zugänglich. Dass ihre Briefe eine vielversprechende Quelle darstellen, legen im Übrigen vereinzelte trouvailles philologiques der französischen Lexikologie nahe, die im Folgenden kurz besprochen werden sollen. Auch wenn bisher weder von sprachgeschichtlicher noch von etymologischer Seite her umfassenden Untersuchungen zum françois italianizé der italienischen Einwanderer vorgelegt wurden 4 , sind der etymologischen Forschung einzelne Briefe von Catherine de Médicis durchaus bekannt. Der bereits aus diesen Briefen ersichtliche Wert solcher Texte für die étymologie-histoire bestimmter Italianismen sowie für die Sprachgeschichte bleibt dabei jedoch zumeist unerkannt. Eine Schlagwortsuche nach <Médicis> im vollständig digitalisierten TLF i liefert zunächst 174 Treffer. In 16 Fällen (s.v. bonifier 2, débarasser , électoral , embarras , importer 1, indemniser , laird , moricaud , panade , patriote , pointille , préséance , regrès , rupture , sortie , tavaïolle ) handelt es sich dabei in der Tat um Verweise auf Briefe von Catherine de Médicis. Sie alle erscheinen in den Anmerkungen zur Etymologie und Wortgeschichte, die sich am Ende eines jeden Artikels finden und u. a. Auskunft über die entsprechenden Erstbelege geben 5 . Vier der 16 Lexeme ( bonifier 2, importer 3 Für biographische Informationen zu Catherine de Médicis vgl. u. a. die in Kapitel 2.1.4 genannte Literatur. 4 Vgl. aber den kurzen Beitrag von Scharinger (2018). 5 Die Natur dieser Verweise ist allerdings höchst heterogen: Während in acht Fällen (s.v. indemniser , patriote , pointille , préséance , regrès , rupture , sortie , tavaïolle ) - zumeist unter Angabe des genauen Datums der Briefe - direkt auf die auch in der vorliegenden Arbeit verwendete Edition von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) verwiesen wird, finden sich bei bonifier 2, débarasser , électoral , embarras , importer 1, laird , moricaud , panade lediglich Hinweise auf die Arbeiten von Barbier (1925-1947). Was die ersten acht Belege anbelangt, so legen sowohl die formal äußerst unterschiedlichen Angaben (vgl. z.B. s.v. rupture : „ Lettres de Catherine de Médicis , éd. H. de La Ferrière, t. 2, p. 403, col. 2“ 1, pointille, tavaïolle ) können als Italianismen des 16. Jahrhunderts betrachtet werden 6 . Eine Beziehung zwischen der italienischen Herkunft und dem italianisierenden Kontext des Erstbelegs / der Erstbelege wird dabei allerdings nur für bonifier hergestellt: Wie im Falle von brave geht der TLF i (s.v. bonifier 2) für bonifier ‘donner à titre de boni’, das insofern einen Zweifelsfall darstellt, als es sich dabei auch um eine Entlehnung aus dem Mittellateinischen oder um ein erbwörtliches Derivat handeln könnte, von italienischem Ursprung aus und begründet dies folgendermaßen: […] 2. 1712 fin. «donner à titre de boni» ( Défense du Duc de Marlborough , 8 dans BARB. Misc. 7, p. 307). […]; le sens 2 est prob. aussi empr. à l’ital. bonificare dans son emploi comme terme de finances 1688 ( FLORIO , Vocabulario dans BARB ., op. cit. , p. 308). Cette hyp. ( BL .-W. 5 , 2 e hyp.; BARB ., op. cit. , pp. 306-309) que semblent confirmer le caractère et les sources des textes des 1 res attest. (1562 Corresp. de Cath. de Médicis, i359 2 dans BARB ., op. cit. , p. 308; 1572 Négoc. du Levant , iii, 253, ibid. ) est plus probable que celles soit d’une dérivation de bon * pour le sens 1 et de boni * pour le sens 2 avec suff. -ifier *; soit d’un empr. direct. au lat. médiév. bonificare . ( TLF i s.v. bonifier 2, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) vs. s.v. sortie : „CATHERINE DE MÉDICIS, Lettres , éd. H. de La Ferrière, t. III, 199“ vs. s.v. tavaïolle : „CATHERINE DE MÉDICIS, Lettre 14 avr., éd. H. de la Ferrière, t. 4, p. 97“) sowie das Ausbleiben von weiteren Referenzen nahe, dass es sich dabei in der Tat um trouvailles philologiques einzelner (Sprach)Wissenschaftler handelt, die dem TLFi auch getrennt voneinander übermittelt wurden. Die Belege aus Barbier (1925-1947), dessen Beiträge zur galloromanischen Etymologie trotz einiger wohlwollender Rezensionen (vgl. z. B. Gamillscheg 1939) laut Jud (1946 / 1947: 401) in ihrer Gesamtheit unglücklicherweise wenig Beachtung gefunden haben, zeigen hingegen, dass ausgewählte Medici-Briefe bereits gezielt für etymologische Studien gesichtet wurden. Von einer umfassenden Analyse französischer Produktionsdaten italienischer Einwanderer kann dabei aber nicht die Rede sein: Zum einen beschränkt sich die lexikologische Untersuchung verständlicherweise auf Lehnwörter und lässt Interferenzen auf anderen sprachlichen Ebenen völlig außer Acht, zum anderen konnte, was angesichts der zu Zeiten Barbiers (* 1873, † 1947) verfügbaren technischen Hilfsmittel auch mehr als nachvollziehbar ist, nur ein Bruchteil der etwa 6000 erhaltenen Briefe untersucht werden. Zudem galt das etymologische Interesse insbesondere Erstbelegen zur Klärung der étymologie-origine und weniger der étymologie-histoire , so dass zahlreiche Italianismen in den Briefen von Catherine de Médicis, die zeitnah zu bekannten Erstbelegen erscheinen, vermutlich unberücksichtigt geblieben sind. Wie weiter oben dargelegt wurde, tragen diese jedoch wesentlich zu einem besseren Verständnis der Diffusion von Italianismen im frühneuzeitlichen Frankreich bei und sind daher für die Forschung keineswegs von geringerem Interesse als tatsächliche Erstbelege. Für die vorliegende Untersuchung konnten die Arbeiten Barbiers nicht konsultiert werden. Es darf aber angenommen werden, dass die Angaben im TLFi die wichtigsten Egebnisse aus Barbier zusammenfassen. 6 Für den Zweifelsfall panade vgl. die Diskussion in Kapitel 7.3.5.4.2. 436 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.1 Vorbemerkungen: françois italianizé und étymologie-histoire 437 Anders als bei bonifier 7 gilt die italienische Herkunft für importer , pointille und tavaïolle heute als gesichert 8 . Zur Klärung der étymologie-origine tragen die entsprechenden Belege in den Briefen daher freilich nichts Neues bei. Für die étymologie-histoire der Lexeme sowie für die Sprachgeschichte sind die Vorkommen aber sehr aufschlussreich, da sie nahelegen, dass es sich dabei in allen Fällen um AS -produzenteninduzierte Entlehnungen handelt, die unabhängig von den z.T. früher belegten ZS -rezipienteninduzierten Entlehnungen auftauchen. So ist der transitive Gebrauch von importer ‘concerner, être de conséquence pour’ < it. importare laut TLF i (s.v. importer 1) zwar schon 1543 belegt, die Konstruktion importer à ‘concerner, être de conséquence pour’ jedoch erst 1552 in einem Brief von Catherine de Médicis 9 . Angesichts der Tatsache, dass it. importare a zumindest in der Bedeutung ‘essere inerente a’ schon im 14. Jahrhundert nachweisbar ist (vgl. z. B. TLIO s.v. importare ) und im 16. Jahrhundert zahlreiche Belege für importare a mit den heutigen Bedeutungen zu finden sind (vgl. LIZ4.0 Cinquencento ), erscheint es wenig plausibel, dass es sich bei fr. importer à in den Briefen von Catherine de Médicis um eine Entwicklung im Französischen handelt, die nach der Entlehnung von fr. importer < it. importare stattgefunden hat. Viel wahrscheinlicher ist, dass Catherine de Médicis, die als Muttersprachlerin des Italienischen sämtliche Konstruktionen von it. importare kennt, diese - bewusst oder unbewusst - auch auf fr. importer überträgt. Wie bereits mehrfach erwähnt wurde, zeichnen sich AS -produzenteninduzierte Entlehnungen insbesondere dadurch aus, dass im Gegensatz zu ZS -rezipienteninduzierten Entlehnungen weder starke formale (z. B. durch Reanalyse) noch semantische Veränderungen zu erwarten sind. Gleiches muss m. E. auch für (morpho)syntaktische Eigenschaften der entlehnten Elemente gelten, v. a. dann, wenn sich die Systeme der betroffenen Sprachen ( AS und ZS ) z. B. aufgrund eines engen Verwandschaftsverhältnisses diesbezüglich nicht wesentlich unterscheiden und so eine Übertragung begünstigt wird (auch im Französischen Anschluss mit à ). 7 Für den Beleg in den Briefen von Catherine de Médicis vgl. Briefe CM (Bd. 1: 359-361): Brief vom 17. Juli 1562. Die Autoren des TLFi erwähnen nicht, dass es sich dabei laut Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 1 (1880: 359) um eine copie du temps , nicht aber um ein Original handelt. 8 An dieser Stelle sei angemerkt, dass die drei Lexeme entgegen dem, was die Angaben des TLFi vermuten lassen, in den einschlägigen Arbeiten zum italienischen Lehngut im Französischen recht unterschiedlich behandelt werden: importer wird lediglich in Sarauw (1920: 301) besprochen und fehlt sowohl in Wind (1928) als auch in Hope (1971); ein Eintrag zu pointille findet sich dagegen in Sarauw (1920: 56), Wind (1928: 99, 131) und Hope (1971: 216-217); tavaïolle wird zwar von Sarauw (1920: 29) und Wind (1928: 154) als Italianismus ausgewiesen, bleibt aber in Hope (1971) unberücksichtigt. 9 Für den Beleg vgl. Briefe CM (Bd. 1: 55-56): Brief vom 13. Mai 1552 [Duthier]. Ähnlich verhält es sich bei tavaïolle . Auch hier ist die Okkurrenz in den Briefen von Catherine de Médicis (1572) 10 kein wirklich neuer Erstbeleg, sondern erscheint ein Jahr später als in einem französischen Inventar (1571). Auffällig ist aber, dass fr. tavaïolle 1572 nicht wie im Erstbeleg von 1571 als maskulines Substantiv verwendet wird, sondern das gleiche Genus wie das italienische Etymon la tovagliola aufweist (vgl. TLF i s.v. tavaïolle ). Anzunehmen, Catherine de Médicis verwende hier ein bereits etabliertes Lehnwort im Französischen, greift gewiss zu kurz. Sowohl die Datierung als auch die formale Nähe zu it. tovagliola sprechen eher dafür, dass es sich um eine von fr. le tavaïolle (1571) unabhängige AS -produzenteninduzierte Entlehnung handelt. Dieser Befund für die Wortgeschichte von fr. tavaïolle zeigt somit exemplarisch, dass in der Petite Italie ZS-rezipienteninduzierte und AS-produzenteninduzierte Entlehnungen parallel zueinander stattfinden konnten 11 . Im Falle von pointille ist schließlich sogar ein neuer Erstbeleg (1564) 12 zu verzeichnen. Dieser geht demjenigen in Brantôme und Montaigne (ca. 1580) nicht nur um mehr als zehn Jahre 13 voraus, sondern lässt auch ausdrucksseitig ( punctile ) eine größere Nähe zum italienischen Etymon (it. puntiglio ) erkennen. Die Sequenz <ct> mag zunächst latinisierend erscheinen. Dass es sich hierbei um einen Latinismus handelt, ist aber aufgrund des Fehlens eines potentiellen lateinischen Etymons äußerst unwahrscheinlich. Für das Italienische wird seinerseits von spanischem Ursprung (sp. puntillo ) ausgegangen (vgl. TLFi s.v. pointille sowie DELI s.v. puntiglio ). Eine mögliche Erklärung für diese vermeintlich latinisierende Graphie könnte die von Wilhelm (2013: 176-177) konstatierte Tendenz sein, gewisse Italianismen graphisch zu integrieren, indem sie stärker latinisiert werden 14 . Dies wäre im Falle von punctile auch insofern plausibel, als es sich bei 10 Für den Beleg vgl. Briefe CM (Bd. 4: 96-97): Minute eines Briefs vom 14. April 1572. 11 Der Umstand, dass Lehnwörter und mots savants , wie Lardon / Thomine (2009: 31) feststellen, im 16. Jahrhundert unabhängig vom jeweiligen Etymon zumeist maskulin sind, widerspricht dieser Annahme im Übrigen nicht. Im Gegenteil: Die Tendenz zum Genuswechsel ließe sich unter Umständen sogar als Generalisierung eines Phänomens ZS-rezipienteninduzierter Entlehnung fassen, handelt es sich bei diesen maskulinen Lehnwörtern doch immer um Entlehnungen durch Franzosen. 12 Für den Beleg vgl. Briefe CM (Bd. 2: 237): Brief vom 28. November 1564. Dass es sich dabei um eine Kopie, nicht aber um ein Original handelt, wird von den Autoren des TLFi nicht erwähnt. 13 Hope (1971: 216-217) verweist auf einen früheren Erstbeleg (1571) im FEW (s.v. pŭnctum ), den der TLFi aber nicht übernimmt. Eine Überprüfung im FEW ergibt, dass dort zwar 1571 als Datum genannt wird, aber ein entsprechender Quellennachweis fehlt. 14 Dieses von Wilhelm (2013) beschriebene Phänomen kann die Autorin aufgrund ihres Korpus nur für frühneuzeitliche Italianismen des Handels belegen. Allerdings kann solch ein Verfahren der Lehnwortintegration m. E. auch problemlos für Lexeme aus anderen Denotatsbereichen angenommen werden. Latinisierungen sind im Französischen des 438 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.1 Vorbemerkungen: françois italianizé und étymologie-histoire 439 dem Brief nicht um ein originales autographe von Catherine de Médicis handelt, sondern um einen Brief, den sie einem ihrer Sekretäre diktierte. Dieser könnte versucht haben, den spontanen Italianismus besser zu integrieren. Ebenfalls denkbar wäre natürlich, dass die Schreibung <ct> dem zeitgenössischen Kopisten zu verdanken ist. Erwähnenswert ist m. E. zudem, dass punctile anders als das spätere pointille nicht feminin, sondern maskulin („ces petiz punctiles“) und somit wie schon tavaïolle näher am italienischen Etymon ist. Wie die Betrachtung von importer à , pointille und tavaïolle gezeigt hat, muss davon ausgegangen werden, dass es in der Petite Italie also tatsächlich zu AS produzenteninduzierten Entlehnungen gekommen ist, die Italiener also am Aufkommen von Italianismen im Französischen des 16. Jahrhunderts beteiligt waren. Diese Befunde bestätigen erneut, dass, wie bereits an mehreren Stellen deutlich wurde, von italienischen Immigranten verfasste Texte nicht nur eine wertvolle Quelle für die Erhellung der Wortgeschichte einzelner Lehnwörter darstellen, sondern auch dazu beitragen können, den Sprachkontakt im rinascimentalen Frankreich besser zu verstehen. Kapitel 7 gliedert sich wie folgt: In Kapitel 7.2 wird zunächst erläutert, nach welchen Kriterien das untersuchte Korpus zusammengestellt wurde, wobei v. a. auf Stärken und Schwächen der von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) besorgten Edition der Briefe von Catherine de Médicis eingegangen wird. Zudem wird auch das methodische Vorgehen begründet. In Kapitel 7.3 werden dann die Ergebnisse der Korpusanalyse vorgestellt und interpretiert. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Frage, ob und ggf. in welchem Ausmaß sich die von Estienne (1578) beschriebenen Phänomene des françois italianizé , die ausführlich in Kapitel 4.2.3 besprochen wurden, tatsächlich anhand authentischer Produktionsdaten nachweisen lassen. Darüber hinaus werden auch sprachliche Auffälligkeiten näher beleuchtet, die zwar in den Deux Dialogues nicht erwähnt werden, aber dennoch als italianisierend gelten müssen. Es wird auch überprüft, ob sich in dieser höfischen Korrespondenz Züge des von Estienne (1578) ebenfalls kritisierten françois autrement desguizé finden. 16. Jahrhunderts schließlich auf beinahe allen sprachlichen Ebenen beobachtbar und daher möglicherweise im Allgemeinen vertrauter oder weniger fremd als italianisierende Schreibweisen. Der TLFi (s.v. pointille ) spricht im Hinblick auf die Form punctile von einem „1er essai d’adapt. au fr[ançais]“, ohne dies jedoch weiter zu kommentieren. 7.2 Korpus und Methode - Edition und Handschriften Wie im vorhergehenden Kapitel bereits erwähnt, sind es Briefe italienischer Höflinge, die die Datengrundlage für die Analyse bilden. Das Korpus umfasst 168 Briefe von Catherine de Médicis aus den Jahren 1536-1588 sowie ausgewählte Briefe, die von anderen Immigranten italienischer Herkunft verfasst wurden. Während letztere in der Mehrheit der Fälle durch Recherchen in den online zugänglichen Handschriftensammlungen der französischen Nationalbibliothek (BNF) ausfindig gemacht werden konnten (vgl. weiter unten), wurde für die Auswahl der Briefe von Catherine de Médicis auf die Edition von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) zurückgegriffen. Da sich deren Stärken und Schwächen in nicht unerheblichem Maße auf die Zusammenstellung des Korpus ausgewirkt haben, sollen diese im Folgenden erläutert werden. Dazu werden auch vorhandene Rezensionen herangezogen: Neben älteren Besprechungen, die jeweils zeitnah zur Publikation der einzelnen Bände erschienen sind (z. B. Auvray 1902 und Romier 1910), ist insbesondere jene von Gellard (2013) von Bedeutung, da sie nicht nur die jüngste, sondern gleichzeitig auch die umfassendste und umfangreichste Rezension darstellt 15 . Die Edition umfasst elf Bände, wobei es sich beim letzten Band (1943) um einen nachträglich erstellten, umfangreichen Personen- und Sachindex handelt, der selbst keine edierten Briefe enthält 16 . Alle elf Bände sind in digitalisierter Form (Scans) online zugänglich 17 . Der folgenden Tabelle kann das jeweilige Erscheinungsjahr der einzelnen Bände (Spalte 2), die Anzahl der jeweils enthaltenen Briefe (Spalte 3) sowie der Zeitraum, aus dem diese stammen (Spalte 4), entnommen werden. 15 Dass trotz des in Kapitel 7.1 monierten fehlenden Interesses seitens der sprachgeschichtlichen und etymologischen Forschung dennoch Rezensionen zu dieser Edition entstanden sind, braucht nicht zu verwundern. In anderen Disziplinen werden die Briefe von Catherine de Médicis seit jeher als wichtige Quelle geschätzt. Geschichtswissenschaftliche Arbeiten, die diese Edition nutzen, sind neben vielen anderen z. B. Frommel / Wolf (2008) und Gellard (2014). In letzterer ( Une reine épistolaire. Lettres et pouvoir au temps de Catherine de Médicis ) ist die diplomatische Korrespondenz der Königin, also die Briefe selbst, sogar Gegenstand der Arbeit. 16 Die Bände 1-5 wurden von Hector de La Ferrière, die Bände 6-10 von Gustave Baguenault de Puchesse ediert. In der vorliegenden Arbeit wird bei Verweisen auf die Edition diesbezüglich nicht unterschieden. Es werden immer beide Herausgeber genannt. 17 Die Bände 2, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 und 11 sind über http: / / www.gallica.bnf.fr abrufbar, die Bände 1-10 über http: / / www.archive.org. 440 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.2 Korpus und Methode - Edition und Handschriften 441 Band Erscheinungsjahr Anzahl der Briefe Zeitraum Band 1 1880 935 1533-1563 Band 2 1885 608 1563-1566 Band 3 1887 607 1567-1570 Band 4 1891 499 1570-1574 Band 5 1895 452 1574-1577 Band 6 1897 280 1578-1579 Band 7 1899 484 1579-1581 Band 8 1901 581 1582-1585 Band 9 1905 578 1586-1588 Band 10 1909 887 1537-1587 Tab. 25: Übersicht zur Edition der Briefe von Catherine de Médicis von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) Wie aus der Übersicht hervorgeht, sind in Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) ca. 6000 Briefe von Catherine de Médicis ediert. Die Zahlen in Spalte 3 sind dem Index des jeweiligen Bandes entnommen. Wie Gellard (2013) zeigt, bedürfen diese aber gewisser Korrekturen: So fehlen z. B. einige der editierten Briefe (insbesondere in Band 10) im Index des entsprechenden Bandes. Andererseits wird bisweilen ein und derselbe Brief - z.T. mit unterschiedlicher Datierung - offenbar aus Unachtsamkeit an mehreren Stellen (manchmal in unterschiedlichen Bänden) abgedruckt und daher doppelt gezählt 18 . Dass es sich bei diesen ca. 6000 Briefen auch nicht um alle jemals von Catherine de Médicis verfassten Briefe handeln kann, versteht sich von selbst. Schon Baguenault de Puchesse (1910, 1917) hat nach dem Erscheinen von Band 10 weitere Briefe entdeckt und ediert. Gellard (2013: 2) konnte schließlich weitere 288 Briefe ausfin- 18 Gellard (2013: 12) berücksichtigt allerdings nicht immer, dass die Herausgeber diese Fehler bisweilen selbst bemerken: So merken Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 10 (1909: 282-283, Fn. 1) im Hinblick auf den dort abgedruckten Brief vom 16. April 1571 [De Neufville / CM] (Original: Archives de Fourquevaux , Kopie: BNF FF 10 752 [keine Angabe]) an: „Cette lettre a été donnée incomplètement et avec une fausse date au tome IV, p. 64“. Unter den 168 Briefen meines Korpus findet sich in der Tat ein Brief, der zweifach abgedruckt ist (vgl. Briefe CM Bd. 3: 63-64 und 71: Brief vom Oktober bzw. November 1567 [autographe] BNF FF 3221 [78]). Die Datierung unterscheidet sich aber kaum (Oktober 1567 bzw. November 1567), so dass der Brief nicht als Zweifelsfall ausgeschlossen werden muss. dig machen, die in Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) fehlen, und stellt fest, dass der Forschung heute insgesamt mindestens 5979 Briefe aus dem Zeitraum vom 08. August 1559-06. Dezember 1588 bekannt sind 19 . Für das Korpus der vorliegenden Arbeit wurde aber nur auf Briefe zurückgegriffen, die in Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) ediert sind. In Bezug auf die hier verwendete Edition macht Gellard (2013: 3-17) ebenfalls darauf aufmerksam, dass manchmal auch in Fällen, in denen ein Brief nicht mehrfach erscheint, die Angaben hinsichtlich des Datums und des Ortes, an dem der Brief verfasst wurde, fehlerhaft sind 20 . Während Ungenauigkeiten bezüglich des Ortes für das Ziel der vorliegenden Arbeit kaum eine Rolle spielen 21 , ist eine genaue Datierung schon allein im Hinblick auf etwaige neue Erstbelege aber von größter Bedeutung. Bei der Auswahl der Briefe wurde daher die Datierung anhand von Gellard (2013) überprüft. Da dies nur für die zwischen 1559 und 1588 geschriebenen Briefe möglich war, wurde versucht, von jenen, die zwischen 1533 und 1558 verfasst wurden, nach Möglichkeit solche zu wählen, deren Datierung durch die jeweiligen Handschriften tatsächlich belegt wird. Für die im Rahmen meiner Untersuchung ermittelten neuen Erstbelege kann die Datierung der entsprechenden Dokumente in jedem Fall als sicher gelten 22 . 19 Gellard (2013, 2014) beschäftigt sich insbesondere mit der Korrespondenz zwischen 1559-1589 und verzichtet daher auf eine genauere Überprüfung der Briefe von 1533-1558. In seiner Monographie spricht Gellard (2014: 58, 62) hingegegen von nur noch 5958 verfügbaren Briefen aus dem Zeitraum vom 08. August 1559-06. Dezember 1588. 20 Nicht alle Handschriften weisen neben der Unterschrift von Catherine de Médicis auch Ort und Datum auf, so dass beides unter Berücksichtigung des Inhalts und historischer Fakten (z. B. die Geburt eines ihrer Kinder) mühsam rekonstruiert werden muss. In vielen Fällen liegen Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) aber richtig. 21 Die genaue Kenntnis des Ortes wäre z. B. nur dann von Interesse, wenn der Sekretär, der den Brief verfasst hat, unbekannt ist und regionale Besonderheiten im Französischen dadurch erklärt werden könnten. Die in dieser Arbeit untersuchten Briefe weisen aber kaum dialektale Auffälligkeiten auf. 22 Im Falle von liste (< it. lista ) finden sich die neuen Erstbelege ohnehin in Briefen aus dem Jahre 1562, so dass deren Datierung schon von Gellard (2013) überprüft und ggf. korrigiert worden sein hätte müssen. Zudem findet sich nach Angaben der Edition in beiden Handschriften ein genaues Datum. Dieses wurde also offenbar nicht rekonstruiert. Im Falle von agent ‘conseiller d’un prince’ (1557 in den Briefen von Catherine de Médicis statt 1578 laut TLFi s.v. agent ) < it. agente u. a. ‘conseiller d’un prince’ seit 1525 / 1527 (vgl. DELI s.v. agente sowie LEI s.v. agēns ) weist die Originalhandschrift zwar kein Datum auf, aber die Datierung von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 1 (1880: 113) ist aufgrund inhaltlicher Aspekte überzeugend. Abgesehen davon konnten zwei weitere Belege (1562, 1572) ausfindig gemacht werden, die dem bisher dokumentierten Erstbeleg - im Übrigen aus den Deux Dialogues (1578) - immer noch vorausgehen. In beiden Fällen wird das Datum durch die jeweilige Handschrift belegt, wobei jene von 1572 auch im Original vorlag. 442 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.2 Korpus und Methode - Edition und Handschriften 443 Die Aufbewahrungsorte der für die Edition von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) konsultierten Handschriften beschränken sich nicht nur auf französische Archive (vgl. auch Gellard 2013: 1): Neben Sammlungen der Bibliothèque Nationale de France, der Archives Nationales, des Service historique de la Défense sowie kommunaler Bibliotheken 23 wurden z. B. auch solche, die sich in Privatbesitz 24 befinden, konsultiert. Des Weiteren wurden Handschriften des British Museum, des ebenfalls britischen Record Office sowie aus Archiven in Wien und St. Petersburg gesichtet. Schließlich stammt ein nicht unerheblicher Teil auch aus italienischen Archiven (z. B. aus Florenz, Modena, Turin). Problematisch ist, dass die Angaben zum Aufbewahrungsort in einigen - aber glücklicherweise wenigen - Fällen so unpräzise sind (z. B. „Archives de Turin“ oder „Archives de Modène“), dass es heute schwierig wäre, die entsprechenden Handschriften aufzuspüren 25 . Mit Ausnahme der Medici-Archive in Florenz handelt es sich dabei meistens um Sammlungen in Italien. Bei der Zusammenstellung des Korpus wurden daher nur solche Briefe berücksichtigt, deren Handschriften problemlos anhand der Angaben von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) auffindbar waren bzw. wären. Die soeben erläuterten Einschränkungen erklären nun aber noch nicht, weshalb aus den ca. 6000 Briefen gerade die eingangs erwähnten 168 ausgewählt wurden. Schließlich darf man zu Recht annehmen, dass von ca. 6000 Briefen mehr als 168 die o. g. Kriterien erfüllen. Dass aus Zeitgründen eine Auswahl getroffen werden musste, versteht sich von selbst. Ursprünglich bestand die Absicht, insgesamt 200 Briefe von Catherine de Médicis zu analysieren. Angesichts des glücklichen Umstands, dass ihre Korrespondenz aus sechs Jahrzehnten überliefert ist, bot es sich an, jeweils die gleiche Anzahl an Briefen aus jedem Jahrzehnt zu untersuchen, um so eventuell beobachtbare Entwicklungen zu verfolgen. Anzunehmen ist, dass ihr Französisch in den 1530er Jahren noch deutlich mehr Interferenzen aufweist als etwa in den 1580er Jahren. Da aber gerade aus den frühen Jahren nur sehr wenige Briefe erhalten sind, sollten 40 aus den 1530er / 1540er Jahren, und jeweils 40 aus den folgenden Jahrzehnten (1550er, 1560er, 1570er, 1580er), also insgesamt 200, analysiert werden. Eine ausreichende Anzahl an Briefen aus den ersten zwei Jahrzehnten zu finden, die zudem die o. g. Kriterien erfüllen, stellte sich aber als äußerst schwierig heraus, da ihre Gesamtzahl im Vergleich zu den Briefen aus den anderen Jahrzehnten verschwindend gering ist: Band 1 der Edition enthält insgesamt nur 23 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 10: 282-283): Brief vom 16. April 1571 [De Neufville / CM]. 24 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 7: 407-408): Brief vom 27. Oktober 1581 [Anonym] oder Briefe CM (Bd. 8: 70): Brief vom 10. November 1582 [De L’Aubespine]. 25 Dies ist ein Problem, auf das bereits früh, so etwa von Romier (1910: 614), aufmerksam gemacht wurde. acht Briefe aus den 1530er Jahren, von denen vier nicht auf Französisch, sondern auf Italienisch verfasst sind. Aus den 1540er Jahren sind zwar um die 40 Briefe erhalten, allerdings befinden sich die dazugehörigen Manuskripte v. a. in italienischen Archiven, sind also nur schwer auffindbar. Zudem sind nur drei davon autographes von Catherine de Médicis, wohingegen es sich in den restlichen Fällen um von Sekretären geschriebene Briefe handelt. In Band 10 sind gerade einmal drei Briefe aus dem Zeitraum 1533-1549 zu finden, die aber wiederum keine autographes von Catherine de Médicis sind 26 . Insgesamt wurden daher nur acht Briefe aus den 1530er / 1540er Jahren in das Korpus aufgenommen. Aus den folgenden Jahrzehnten hingegen jeweils 40, so dass letztlich 168 Briefe analysiert wurden. Dass gerade aus den frühen Jahren nur so wenige Briefe erhalten sind, kann verschiedene Gründe haben: Zum einen spielte Catherine de Médicis neben Diane de Poitiers, der einflussreichen Mätresse von Henri II , lange Zeit nur eine unbedeutende Rolle am französischen Hof und war daher kaum in politische Angelegenheiten verwickelt, die, wie nicht zuletzt Gellard (2014) eindrucksvoll gezeigt hat, zur damaligen Zeit mehr als alles andere eine umfangreiche Korrespondenz erforderlich machten, zum anderen kann auch ein Großteil ihrer Briefe schlichtweg nicht überliefert sein. Hinweise, die letzteres wahrscheinlich machen, finden sich in den Briefen selbst. So wird nicht nur gelegentlich erwähnt, dass gewisse Briefe verloren gegangen sein müssen, sondern auch, dass ein Brief aus Gründen der Geheimhaltung unbedingt vernichtet werden müsse 27 : Monsieur de Lanssac, j’ay quasi en ung mesme temps receu voz deux dépesches des premier et XIIII e [! ] du mois d’aoust dernier passé, avec le dupplicata d’icelle du XXIII e du précédent dont l’original n’est poinct venu en mes mains; et fault qu’il se soit perdu comme beaucoup d’autres pacquetz par les chemins. (Briefe CM : Bd. 1: 393-395: Minute vom 04. September 1562 an Monsieur de Lansac [Anonym], BNF FF 15 410 [73]) 26 Der Index in Briefe CM (Bd. 10: 591) gibt vier statt drei Briefe an. Allerdings wird der Brief vom 28. Februar an Monsieur le Cardinal du Bellay (BNF FF 3921 [27]) im Band selbst (vgl. Briefe CM Bd. 10: 3) auf 1550 datiert. Weder in Baguenault de Puchesse (1917) noch in Gellard (2013) finden sich Hinweise auf bislang nicht edierte Briefe aus den 1530er / 1540er Jahren. 27 Die Aufforderung, einen Brief zu verbrennen, findet sich sowohl in ihren Briefen als auch in solchen anderer Zeitgenossen äußerst häufig: Vgl. u. a. auch Briefe CM (Bd. 1: 473-474): Ergänzung zum Brief vom 12. Januar 1563, Briefe CM (Bd. 10: 282-283): Ergänzung zum Brief vom 16. April 1571, Briefe CM (Bd. 4: 64-65): Brief vom 06. August 1571 [Anonym], Briefe CM (Bd. 8: 315-316): Brief vom 10. Juni 1585 [Anonym] sowie Briefe CM (Bd. 7: 474-475): Brief vom 01. Juli 1580 von Jean d’Arces, Baron de Livarot, an La Reine Mère [autographe] (BNF FF 15 563 [83], nicht [53], wie in Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 4, 1899: 474 angegeben). 444 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.2 Korpus und Methode - Edition und Handschriften 445 […] je suis byen ayse de set que les avés si byen disposés et guardé que l’on ne lé rebaille; et quant je vous voyré, je vous conteré come touttes chause sont. Breulé sete letre et ne me alégué poynt; et pour fayre la pays, come me mendés, y fault par nécésité que je demeure ysi, […]. (Briefe CM : Bd. 1: 500-501: Ergänzung zum Brief vom 09. Februar 1563 an Monsieur de Gonnor [Anonym / CM ], Hervorhebungen im Fettdruck T. S., BNF Fonds Colbert, n o 24 [29]) Weiter oben wurde bereits angemerkt, dass u. a. auch deshalb nur acht Briefe aus den 1530er und 1540er Jahren in das Korpus aufgenommen wurden, weil es sich beim Großteil der aus diesem Zeitraum überlieferten Briefe nicht um autographes von Catherine de Médicis, sondern um Briefe handelt, die französischen Sekretären diktiert wurden. Damit wurde ein weiteres Kriterium vorweggenommen, das bei der Auswahl der Briefe zu berücksichtigen war und im Folgenden näher erläutert wird. In Kapitel 3.3.4 wurde bereits deutlich, dass der Vergleich zwischen von italienischen Immigranten selbst verfassten Briefen und solchen, die sie ihren französischen Sekretären lediglich diktierten, von besonderem Interesse für die vorliegende Arbeit ist. Zunächst verspricht ein direkter Vergleich v. a. im Hinblick auf mutmaßlich italianisierende Schreibungen und Lautungen (z. B. <ou> [u] statt <u / ue> [y] in jusque ) aufschlussreich zu sein. Fänden sich solche ausschließlich in den autographes der Italiener, also nicht in den Briefen der Sekretäre, so spräche dies dafür, dass die Graphien in der Tat auf Interferenzen mit dem Italienischen und nicht auf die starke Variation im Französischen des 16. Jahrhunderts zurückzuführen sind. Von nicht geringerer Bedeutung ist eine solche Gegenüberstellung auch in Bezug auf das Lexikon. Zu erwarten ist, dass sowohl in von Italienern geschriebenen als auch in diktierten Briefen lexikalische Italianismen zu finden sind. Wenn man davon ausgeht, dass die Sprache der Briefe in beiden Fällen die der Italiener ist, handelt es sich freilich in beiden Fällen gleichermaßen um AS -produzenteninduzierte Entlehnungen. Während neue Erstbelege wahrscheinlich machen, dass es sich dabei in der Tat um AS -produzenteninduzierte Entlehnungen handelt, zeigen Okkurrenzen bereits etablierter Italianismen zunächst aber nur, dass diese Italianismen im Französischen der Einwanderer vorhanden sind, nicht aber, ob es sich dabei (wie bei den Erstbelegen) um Interferenzen mit deren Muttersprache bzw. um spontane Entlehnungen handelt. Schließlich könnten sie diese bereits im Französischen existierenden Italianismen - ganz wie französische Erbwörter - erlernt haben. Genau in diesen Fällen können etwaige Unterschiede in der Schreibung ein und desselben Italianismus wertvolle Hinweise liefern: Wenn bestimmte Italianismen, die mitunter schon seit Längerem im Französischen des 16. Jahrhunderts etabliert und in der Folge bereits ausdrucksseitig integriert sind, von den Franzosen in der angepassten ‘französischeren’ Graphie, von den Italienern jedoch in Anlehnung an die Graphie des entsprechenden italienischen Etymons ‘italienischer’ wiedergegeben werden, legt dies nahe, dass die Italiener in ihren autographes nicht auf lexikalisches Material aus dem Französischen, das bereits vorhanden und integriert ist, sondern auf Lexeme ihrer Muttersprache zurückgreifen, und mithin von lexikalischen Interferenzen, d. h. von AS -produzenteninduzierten Entlehnungen, auszugehen ist. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn davon nur tatsächliche Italianismen (z. B. <sachager> statt <saccager> für fr. saccager < it. saccheggiare ), nicht aber z. B. Kognaten (nicht <chi>, <che> statt <qui>, <que> für fr. qui , que neben it. chi , che ) betroffen sind. Wäre letzteres der Fall, müsste man annehmen, dass gemeinsamer Erbwortschatz grundsätzlich italianisiert wird. Ebenfalls ausgeschlossen werden muss, dass die Schreibung nicht der systematischen Übertragung einer phono-graphematischen Konvention aus dem Italienischen (z. B. <ch> für [k]) geschuldet ist. In diesem Fall müsste sie sich aber durchgängig, d. h. sowohl in Kognaten als auch in französischen (Erb)Wörtern, für die im Italienischen keine Entsprechungen existieren (z. B. <remarcher> für fr. remarquer 28 ), nachweisen lassen. Schließlich dürfte die Schreibung auch nicht durch eine etwaige Generalisierung einer französischen Konvention (z.B. fr. *<ch> für [k] vor [i]) erklärbar sein (vgl. dazu Kapitel 7.3.5.4.3). Für das Korpus (168 Briefe) wurden daher genau so viele autographes (84, d. h. vier aus den 1530er / 1540er Jahren und jeweils 20 aus den vier folgenden Jahrzehnten) von Catherine de Médicis wie diktierte Briefe (84, d. h. vier aus den 1530er / 1540er und jeweils 20 aus den vier folgenden Jahrzehnten) ausgewählt. Dass sie zahlreiche Briefe tatsächlich selbst geschrieben hat, wurde schon von ihren Zeitgenossen, z. B. von Brantôme, hervorgehoben: Quand elle n’estoit point empeschée, elle-mesme lisoit toutes les lettres de conséquence qu’on luy escrivoit, et le plus souvent, de sa main, en faisoit les despesches […]. Je la vis une fois, pour une après-disnée, escrire de sa main vingt paires de lettres et longues. (Brantôme, Bd. 7, 1874: 374, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) 29 Daneben geben aber auch ihre Briefe selbst Auskunft darüber, welche Bedeutung es zur damaligen Zeit offenbar hatte, Briefe - insbesondere in wichtigen Angelegenheiten - eigenhändig zu schreiben. An einigen Stellen betont sie etwa, dass sie den vorliegenden Brief selbst schreibt. In anderen Briefen entschuldigt sie sich dafür, dass sie krankheitsbedingt nicht selbst - oder nur einen 28 It. rimarcare wird erst 1630 aus dem Französischen (fr. remarquer ) entlehnt (vgl. DELI s.v. rimarcare 2). 29 Hierbei handelt es sich um einen häufig zitierten Passus, der auch in Gellard (2014: 57) abgedruckt ist. 446 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.2 Korpus und Methode - Edition und Handschriften 447 Teil des Briefs - schreiben kann. Auch wird an mehreren Stellen deutlich, dass ihre Handschrift von den jeweiligen Adressaten in der Tat als solche erkannt wurde und so gewissermaßen fälschungssicher war. Vgl. die folgenden Ausschnitte: […] qui me fayst, oultre toutes les autres letres, vous ayscripre la présente de ma mayn, afin que n’oublié rien de set que m’aseure que saurés bien fayre […]. (Briefe CM : Bd. 1: 310-311: Brief vom 09. Mai 1562 an Monsieur de Limoges [autographe, Kopie], BNF FF 6620 [203]) Monsieur mon fils, je vous prie m’excuser, cet ne vous escrips de ma meyn, car j’é mon mal auprès de l’orelle qui ne me le permet pas, ni de me lever; […]. (Briefe CM : Bd. 8: 265: Ergänzung zum Brief vom 25. April 1585 an Le Roy Monsieur Mon Fils [autographe], BNF FF 3371 [48]) […] et ensetpandent que neul ne le voye, ni parle à lui de quelque qualité qu’i souit, si ne vous aporte letre ayscrypte de ma mayn. (Briefe CM : Bd. 1: 461-462: Ergänzung zum Brief vom 03. Januar 1563 an Monsieur de Danville [autographe], BNF FF 3194 [3]) Monsieur de Villeroy, affin que je n’esmeuve mon rhume, je signerai cette lettre de la main gaulche, et pour ce, ne vous esbahissez pas si elle est mal signée, et ne soiez poinct en peyne; car je n’ay à present nulle douleur 30 . (Briefe CM : Bd. 9: 60-61: Brief vom 05. Oktober 1586 an Monsieur de Villeroy [Pinart], BNF FF 15 573 [142]) Wie die obigen Passagen 31 schon vermuten lassen, ist - mit Ausnahme der 1530er / 1540er Jahre - eine ausreichende Anzahl an autographes vorhanden, aus der 84 für das Korpus ausgewählt werden konnten. Laut Gellard (2014: 94) sind 819 der 5958 Briefe aus dem Zeitraum vom 08. August 1559-06. Dezember 1588 autographes von Catherine de Médicis. Neben diesen 819 Briefen, die vollständig von ihr verfasst wurden, finden sich, so Gellard (2014: 95, Fn. 1), aber in 7 % der von ihren Sekretären redigierten Briefe, d. h. in ca. 360 (7 % von 5958-819), handschriftliche Ergänzungen der Königin, die in einigen Fällen äußerst umfangreich sein können (vgl. Anhang 5). Unter den für das Korpus ausgewählten 84 auto- 30 Wie sich in der über http: / / www.gallica.bnf.fr zugänglichen Handschrift leicht überprüfen lässt, hebt sich diese Unterschrift in der Tat von allen anderen ab. 31 Die Relevanz eigenhändig verfasster Briefe wird noch an zahlreichen weiteren Stellen deutlich: Vgl. u. a. auch Briefe CM (Bd. 10: 282-283): Ergänzung im Brief vom 16. April 1571 [De Neufville / CM], Briefe CM (Bd. 4: 216): Ergänzung zum Brief vom 18. Mai 1573, Briefe CM (Bd. 5: 196): Ergänzung zum Brief vom 12. Mai 1576, Briefe CM (Bd. 8: 247): Ergänzung zum Brief vom 09. April 1585, Briefe CM (Bd. 8: 261): Ergänzung zum Brief vom 24. April 1585. Zur allgemeinen Bedeutung von autographes in der frühneuzeitlichen Korrespondenz vgl. Gellard (2014: 94-97) sowie die dort genannte Literatur. graphes finden sich auch solche Ergänzungen. Zum einen sind sie, was die Länge betrifft, nicht immer kürzer als eigenständige Briefe, zum anderen sind sie für das Ziel der Untersuchung von besonderem Interesse: Da in den Ergänzungen meist inhaltliche Aspekte aus dem diktierten Teil wieder aufgegriffen werden, um diesen gewissermaßen Nachdruck zu verleihen (vgl. auch Gellard 2014: 95), ist zu erwarten, dass auch eine ähnliche Lexik Verwendung findet, so dass die Schreibungen von französischen Sekretären mit jenen von Catherine de Médicis in manchen Fällen anhand desselben Wortes verglichen werden können (vgl. Anhang 5 <dificoulté>). Es versteht sich von selbst, dass für solche Vergleiche keinerlei Zweifel an der Person des Verfassers der entsprechenden Briefe bestehen darf. Wie aus dem Quellennachweis der zuletzt zitierten Passagen ersichtlich ist, finden sich in der Edition von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) aber auch Briefe, die auf der Grundlage von (zeitgenössischen) Kopien ediert wurden. Da in solchen Fällen mögliche Änderungen in der Graphie durch den Kopisten jedoch nicht auszuschließen sind, wurden solche Briefe nicht in das Korpus aufgenommen. Auch Briefe, bei denen es sich laut den Herausgebern um Übersetzungen handelt, blieben unberücksichtigt. Ebenfalls ausgeschlossen werden mussten Briefe, die in Teilen chiffriert waren. Denn auch wenn die entsprechenden Passagen in der Originalhandschrift dechiffriert wurden und somit lesbar sind, ist davon auszugehen, dass die Dechiffrierung durch den Empfänger vorgenommen wurde, etwaige Besonderheiten in der Schreibung also diesem geschuldet sind. Ein weiteres Kriterium war daher, dass bei der Zusammenstellung des Korpus nur Briefe - und dies galt für autographes und diktierte Briefe gleichermaßen - ausgewählt wurden, die auf der Grundlage einer nicht (de)chiffrierten Originalhandschrift ediert wurden 32 . Als Original gelten neben von Catherine de Médicis verfassten autographes mit ihrer Unterschrift auch Briefe, die von ihren Sekretären geschrieben wurden. Ob in letzteren auch die Unterschrift des jeweiligen Sekretärs erscheint oder nicht, ist unerheblich. Entscheidend ist, dass sich in jedem Fall die Originalunterschrift von Catherine de Médicis und ggf. - aber nicht zwingend - von ihr vorgenommene handschriftliche Ergänzungen finden. Manchmal unterschreiben sowohl Catherine de Médicis als auch der Sekretär. 32 In lediglich zwei Fällen wurden zeitgenössische Kopien, die an den entsprechenden Stellen der Arbeit selbstverständlich als solche ausgewiesen werden, aufgrund äußerst interessanter Erscheinungen analysiert: Es handelt sich dabei um Kopien zweier Briefe eines italienischen Sekretärs des Cardinal d’Armagnac. Des Weiteren wurde eine in Teilen (de) chiffrierte Handschrift ausgewertet. Es wurden dabei aber nur die nicht chiffrierten Passagen berücksichtigt. Zumeist wurden ohnehin nur Eigennamen (von Orten und Personen) chiffriert, da diese aus strategischen Gründen unbedingt geheim gehalten werden sollten. 448 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.2 Korpus und Methode - Edition und Handschriften 449 Zudem können auch sogenannte minutes als Originale betrachtet werden. Dabei handelt es sich um erste Entwürfe für offizielle Briefe und Depeschen, die in mehr oder weniger stark veränderter Form schließlich auch verschickt werden 33 . Die ursprüngliche minute aber verbleibt normalerweise beim Sender. Oft tragen diese bereits ein Datum sowie den Namen des Empfängers, jedoch keine Unterschrift. In der vorliegenden Arbeit werden nur wenige solcher minutes berücksichtigt. Dass es sich dabei - ganz wie bei Originalen mit Unterschrift - um ernstzunehmende Quellen handelt, legt schon die Behandlung solcher minutes im TLF i (s.v. tavaïolle ) nahe: Für den Beleg von tavaïolle (1572) in den Briefen von Catherine de Médicis (vgl. Kapitel 7.1) wird nicht einmal eigens erwähnt, dass dieser eigentlich ‘nur’ in einer minute erscheint. Die so wichtige eindeutige Klassifizierung von Briefen als autographe , Original eines Sekretärs, minute oder Kopie ist, wie schon früh, so z. B. von Romier (1910), kritisiert wurde, in der Edition von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) im Einzelfall leider nicht immer gewährleistet 34 . Auch wenn dieser Umstand im Allgemeinen gewiss zu Recht zu bemängeln ist, muss er im Hinblick auf die Ziele der vorliegenden Arbeit nicht zwangsläufig als nachteilig erachtet werden. Im Gegenteil: Im Zweifelsfall keine Angabe zur Natur der der Edition des jeweiligen Briefes zugrundeliegenden Handschrift zu machen, zeugt - wenn man Nachlässigkeit als Ursache ausschließt - m. E. von einer durchaus verantwortungsbewussten Editionspraxis. Für das Korpus wurden daher nur solche Briefe berücksichtigt, die von den Herausgebern eindeutig und explizit als Originale ( autographes , minutes und diktierte Briefe) ausgewiesen werden 35 . Neben den soeben erläuterten Unzulänglichkeiten der Edition wird bisweilen, z. B. von Romier (1910), auch kritisiert, dass zahlreiche diktierte Briefe zwar als Originale ausgewiesen werden, der jeweilige Sekretär aber unbekannt ist. In der Tat finden sich signatures der Sekretäre nur in etwa 34 % der zwischen dem 08. August 1559 und dem 06. Dezember 1588 diktierten Briefe (5958-819 33 Der TLFi (s.v. minute 2) definiert minute wie folgt: „Première rédaction (d’un texte, d’un document officiel) qu’on se propose de mettre au net, de recopier. […] En partic., vieilli. Brouillon, original d’une lettre“. 34 Dies ist aber offenbar nur bei wenigen Briefen der Fall. Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 10: 286): Brief vom September 1571, Briefe CM (Bd. 10: 294): Brief vom 04. März 1572. 35 In nur einem Fall wurde ein Brief in das Korpus aufgenommen, zu dem in Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 10 (1909: 546) keine genaueren Angaben gemacht werden: Vgl. Briefe CM (Bd. 10: 546): Brief aus den 1560er Jahren. Anhand der dazugehörigen Handschrift (BNF FF 3152 [3]) lässt sich aber erkennen, dass es sich dabei um ein Original eines anonymen Sekretärs handelt, das die Unterschrift von Catherine de Médicis aufweist. autographes ) (vgl. Gellard 2014: 91-92) 36 . Dass dies aber für die vorliegende Untersuchung unerheblich ist, wurde weiter oben bereits erwähnt: Entscheidend ist nämlich nicht, dass der jeweilige Sekretär 37 bekannt ist, sondern dass der Brief anhand der Unterschrift von Catherine de Médicis als Original bestimmt werden kann. Auch der Umstand, dass Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) im Hinblick auf den Verfasser einzelner Briefe manchmal ungenaue Angaben machen, stellt kein wirkliches Problem dar: So werden z. B. einige Originale als Briefe von anonymen Sekretären ausgewiesen, obwohl die entsprechenden Handschriften neben der Unterschrift von Catherine de Médicis auch diejenige eines - vermutlich unbekannten Sekretärs - aufweisen 38 . Auch solche Briefe wurden bei der Zusammenstellung des Korpus berücksichtigt. In allen Fällen handelt es sich schließlich um Originale, die von einem Sekretär von Catherine de Médicis, und nicht von ihr selbst, verfasst wurden. Entscheidend für die Analyse war, dass, insbesondere in Bezug auf die Graphie, 84 autographes mit 84 Originalen verglichen werden konnten. Bevor alle bei der Auswahl des Korpus berücksichtigten Kriterien abschließend überblicksartig zusammengefasst werden, muss noch eine Frage geklärt werden, auf die bislang nicht näher eingegangen wurde: Handelt es sich bei den von ihren Sekretären geschriebenen Briefen tatsächlich um diktierte Briefe oder muss man eher davon ausgehen, dass Catherine de Médicis nur grobe Angaben machte, die (sprachliche) Ausarbeitung der Briefe aber letztlich in der Verantwortung des jeweiligen Sekretärs lag? Im Hinblick auf italianisierende Schreibungen (systematisch: z.B. it. <u> statt fr. <ou> für fr. [u], Italianismen: <sacchager> statt <saccager>) ist diese Frage freilich nicht von Belang. Ganz gleich, ob ein Brief diktiert wurde oder nicht, lassen sich die Unterschiede in der Graphie auf die unterschiedlichen Schreiber ( autographes : Catherine de Médicis vs. Originale: Sekretäre) zurückführen. Anders verhält es sich jedoch bei der Beurteilung des Wortschatzes. Dass lexikalische Italianismen im Französischen 36 Allerdings weist Gellard (2014: 91-92, Fn. 4) darauf hin, dass etwa 28 % der in Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) abgedruckten Briefe (08. August 1559-06. Dezember 1588) anhand von Kopien ediert wurden, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich in den entsprechenden - leider nicht immer erhaltenen - Originalhandschriften Unterschriften der Sekretäre fanden. 37 Zu den wichtigsten Sekretären im Dienste von Catherine de Médicis vgl. Gellard (2014: 91-107). 38 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 32): Brief vom 04. März 1550 [Anonym], Briefe CM (Bd. 1: 53-54): Brief vom 01. Mai 1552 [Anonym], Briefe CM (Bd. 3: 222): Brief vom 23. Januar 1569 [Anonym / CM]. Entgegen den Angaben von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 1 (1880: 54) trägt ein Brief sogar die Unterschrift des durchaus bekannten Sekretärs Duthier: Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 54): Brief vom 05. Mai 1552 [Anonym]. Für weitere Beispiele sei auf die entsprechenden Anmerkungen in Anhang 4 verwiesen. 450 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.2 Korpus und Methode - Edition und Handschriften 451 der Italiener im Allgemeinen, d. h. nicht nur in autographes , häufig sind, kann anhand entsprechender Okkurrenzen in Briefen, die von Sekretären verfasst wurden, nur dann wahrscheinlich gemacht werden, wenn davon ausgegangen werden kann, dass die Wortwahl auch die der Italiener ist, die Briefe also diktiert wurden. Andernfalls könnten die - formal zumeist gut integrierten - Italianismen auch den italianisierenden französischen Sekretären geschuldet sein. Il est extrêmement compliqué de savoir quelle était la teneur et la précision des ordres donnés par Catherine de Médicis pour la rédaction de ses lettres; le fait qu’il ne se retrouve aucun document de ce type laisse à penser qu’elle ne communiquait pas d’instructions écrites, mais cela n’est pas certain. Dictait-elle plutôt ses lettres ou se contentait-elle de donner oralement de grandes directions? Impossible de le déterminer; ce qui est probable en revanche, c’est qu’elle effectuait une relecture de la version proposée par les secrétaires, avant de les signer et parfois même de rajouter quelques lignes de sa main […]. (Gellard 2014: 95, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Wie dem oben zitierten Ausschnitt aus Gellard (2014) zu entnehmen ist, lässt sich heute nicht mit Gewissheit bestimmen, ob Catherine de Médicis ihre Briefe tatsächlich diktierte oder nicht. Allerdings sprechen m. E. neben der o. g. Tatsache, dass keinerlei schriftliche Anweisungen (für immerhin mehr als 5000 Briefe) überliefert sind, auch zahlreiche Briefe selbst dafür, dass diese diktiert wurden: Schon allein in den Fällen, in denen sie sich dafür entschuldigt, krankheitsbedingt nicht de sa main geschrieben zu haben (vgl. weiter oben), legen die Formulierungen nahe, dass sie während des Verfassens der entsprechenden Briefe anwesend war, diese also diktiert wurden. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Entschuldigung wie im unten zitierten Brief nicht einmal handschriftlich von ihr selbst ergänzt, sondern ebenfalls vom Sekretär niedergeschrieben wurde. Monsieur mon fils, si je n’estoie travaillée du mal que j’ay près l’oreille gauche, qui m’a repris depuis trois jours, me gardant de me pouvoir baisser à mon aise, je vous escriprois de ma main, pour vous requérir, comme je faiz bien affectueusement, de vouloir avoir agréable la bonne affection qu’a le sr de la Peraudière, présent porteur, l’ung de mes gentilshommes d’honneur, et frère de la dame de Marigny, gouvernante de ma fille la princesse de Lorrayne. (Briefe CM : Bd. 8: 261: 2. Brief vom 24. April 1585 an Le Roy Monsieur Mon Fils [Anonym / CM ], BNF FF 3371 [42]) Auch wenn sie sich dafür entschuldigt, dass der Brief aus Eile möglicherweise etwas kurz geraten sein könnte, deuten gewisse Formulierungen darauf hin, dass sie anwesend war, die Wortwahl also als die ihre anzusehen ist. Dies muss v. a. dann angenommen werden, wenn solche Ergänzungen nach der Grußformel und dem Datum und / oder sogar nach der Unterschrift von Catherine de Médicis erscheinen: […] je prie Dieu, Monsieur de Villeroy, vous avoir en sa saincte et digne garde. Escript à Paris, le XXII e de may 1588 J’ay entendu que le cardinal de Guize va à Troyes, pour y faire ce qu’il pourra pour l’avoir à leur devocion. Randan leur amene des forces, et St-Vidal, se dict-il; estans bien deliberez de se battre avec Lavardin qu’ilz ont oy dire qui vient trouver le Roy. La Chastre est arrivé icy dès hier au soir. PINART CATERINE Monsieur, excusez-moy, je me haste afin que ce courrier puisse partir dès ce soir. (Briefe CM : Bd. 9: 348: Brief vom 23. Mai 1588 an Monsieur de Villeroy [Pinart], BNF FF 15 574 [189]) Schließlich gibt es auch Fälle, in denen ein Brief, nachdem ein Teil durch den Sekretär geschrieben wurde, von Catherine de Médicis fortgesetzt wird. Wie die unten zitierten Ausschnitte zeigen, kann der Wechsel auch innerhalb eines Satzes erfolgen. Danach kann ein Abschnitt erneut vom Sekretär redigiert werden. In solchen Fällen 39 , die von Gellard (2014: 95) nicht besprochen werden und sich m. E. nur dadurch erklären lassen, dass die Briefe diktiert wurden, handelt es sich nicht um die bereits erwähnten Ergänzungen von Catherine de Médicis, die sich als eigenständiger Text am Ende eines Briefs befinden. […] car, comme vous dictes, la Guienne en a bon besoing. Ce a esté très bien faict d’avoir ( de sa main ) fest envoyer par Shombert pour savoyr des novelles. Je creyns byen que cete bele embasade nous fase plus de mal que de byen […]. De l’écriture de Pinart : Monsieur de Believre, je vous prie, suivant vostre bon advis contenu par la lettre qu’avez escripte au secretaire Pinart, tenir la main ad ce que, suivant ce que j’escripts au sr de Villeroy et Brulart, il plaise au Roy envoyer devers la royne d’Angleterre pour le faict de la royne d’Escosse. (Briefe CM : Bd. 9: 70-72: Brief vom 22. Oktober 1586 an Monsieur de Villeroy [Pinart / CM ], BNF FF 15 908 [327]) […] que je voulloys bien qu’elle seust encores que le nombre estant de 5oo soldats seullement ne peust pas apporter beaucoup de subject de craindre grand effect; et seray très ayse que vous leur en dictes autant par delà, si jà ne l’avoient entendu, affin que l’occasion qui se présente à ceste heure es Pays-Bas du murmure qui y est 40 , ne demande pourquoy s’arme le duc d’Albe que cet c’est la cause, et ne set fault 39 Vgl. dazu auch Briefe CM (Bd. 8: 248-250): Brief vom 13. April 1585 [Pinart / CM]. 40 Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 10 (1909: 283, Fn. 1) merken in einer Fußnote zu dieser Stelle an: „Ici la lettre cesse d’être dictée, et c’est la Reine qui la termine, avec son langage et son orthographe ordinaires.“ 452 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.2 Korpus und Methode - Edition und Handschriften 453 ebeir [= ébahir] set comense à set guarder et aufanser, et quel demende joustise des prinses et de l’admiral. A quoy avons respondeu que, quant alla nef, que y fesions cet que povions […]. (Briefe CM : Bd. 10: 282-283: Brief vom 16. April 1571 an Monsieur de Fourquevaulx [Anonym / CM ], Original: Archives de Fourquevaux , Kopie: BNF FF 10 752 [keine Angabe]) In der vorliegenden Arbeit wird daher angenommen, dass auch die Sprache der Briefe, die von Sekretären redigiert wurden, diejenige von Catherine de Médicis ist. Lexikalische Italianismen lassen sich somit, auch wenn diese ausdrucksseitig relativ gut integriert sind, auf die Wortwahl der Königin zurückführen. Dennoch könnten sich Einflüsse der Sekretäre nicht nur in der Graphie widerspiegeln: Denkbar wäre, dass diese durch Paraphrasierungen oder Synonymendoppelung ihrer Meinung nach nicht allgemeinverständliche Italianismen gewissermaßen glossierten (vgl. dazu Kapitel 7.3.5.2). Auch wenn, wie soeben gezeigt wurde, davon auszugehen ist, dass es sich in den lettres dictées und autographes gleichermaßen um das françois ( italianizé ) von Catherine de Médicis handelt, liegt die Vermutung nahe, dass sich die Sprache in diktierten Briefen von derjenigen in den autographes im Hinblick auf den Elaborationsgrad deutlich unterscheidet. Während erstere fast immer offiziellen Charakter haben, ist zumindest ein Teil ihrer autographes als private Korrespondenz zu betrachten. So sind etwa die meisten Briefe an die Duchesse de Guise (ab 1566 Duchesse de Nemours), mit der sie eine langjährige Freundschaft verband, autographes . Zu erwarten ist, dass das Französische in autographes an ihre Vertrauten nähesprachliche Züge trägt, wohingegen ihre offizielle Korrespondenz als distanzsprachlich angesehen werden muss. Dass ein wesentlicher Unterschied zwischen Distanz- und Nähesprache u. a. ein unterschiedlich hoher Elaborationsgrad ist, kann seit den einschlägigen Arbeiten von Koch / Oesterreicher (1985, 2011) als bekannt vorausgesetzt werden und bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Erläuterung. Explizite Hinweise auf eine solche unterschiedliche sprachliche Qualität ihrer Briefe finden sich - wie so oft - in den Briefen selbst: Disposant par vostre dexterité, avec noz bons serviteurs et les amis que tous [! ] avez par delà, les choses en sorte que, arrivant lesdictes lectres en forme elles passent sans aucun empeschement, à quoi vous employerez tout ce que vous pourrez, en maniere que, sans perdre une seulle heure de temps, l’expedition s’en face, il ne fault poinct aussi qu’ilz s’amusent à nous vouloir faire sur ce des remonstrances; car il n’y a syllabe, mot ne chause èsdictes lettres qui n’ayt esté poisé à la ballance et disputé tant […] (Briefe CM : Bd. 10: 95-96: Brief vom 20. März 1563 an Le Sieur de Montmorency [Anonym], BNF FF 3194 [135], nicht [125]) Cy cete lestre ayst mal ecripte, c’et que je me suis endormie en l’aycrivant. Le conte de la Suse, présant porteur, vous va trover, qui vous ayst bien afectioné et ausi Beaumont, qui m’a prié le vous recomender d’une compagnie de jeans d’armes. (Briefe CM : Bd. 5: 145: Brief vom 01. Oktober 1575 an Le Roy Monsieur Mon Fils [autographe], BNF FF 6625 [15]) 41 Bei der Auswahl der Briefe wurde darauf geachtet, auch solche offenbar weniger elaborierten autographes von Catherine de Médicis zu berücksichtigen. Gegenstand der Untersuchung ist zwar nicht nähesprachliches Französisch der Renaissance, jedoch kann vermutet werden, dass in nähesprachlichen Kontexten aufgrund eines geringeren Planungsaufwands mehr Interferenzen zu beobachten sind. Dies kann insbesondere dann angenommen werden, wenn die sprachliche Produktion unter Bedingungen (z. B. Ermüdung, Eile usw.) stattfindet, die Interferenzen bei mehrsprachigen Individuen im Allgemeinen begünstigen (vgl. dazu z. B. Schmid 2011). Andererseits sind aber auch offizielle Briefe von Catherine de Médicis als wichtige Quellen zu betrachten. Denn wenn sich trotz größter Sorgfalt und eines hohen Planungsaufwands dennoch Interferenzen beobachten lassen, so spricht dies in noch stärkerem Maße als vergleichbare Belege in privaten autographes dafür, dass in diesen Fällen möglicherweise eine systematische Interferenz vorliegt. Einmalige Performanzfehler sind in solchen Texten in jedem Fall weniger wahrscheinlich. Im Folgenden werden die für die Erstellung des Korpus zugrundegelegten Kriterien nochmals stichpunktartig aufgelistet: (1) nach Möglichkeit genaue, zweifelsfreie Datierung (2) präziser Quellennachweis, d. h. Handschriften problemlos auffindbar (3) acht Briefe aus den 1530er / 1540er Jahren, jeweils 40 für die übrigen Jahrzehnte (4) gleiche Anzahl an autographes und Briefen, die von Sekretären verfasst wurden (5) nur Briefe, die auf Grundlage eines nicht (de)chiffrierten Originals editiert wurden (6) auch autographes , die als private Korrespondenz zu betrachten sind Neben diesen vorwiegend inhaltlichen Aspekten ist für philologische Analysen natürlich nicht zuletzt auch die sprachliche Qualität der Edition, d. h. die originalgetreue Wiedergabe der Texte, von größter Bedeutung. Nur wenn sichergestellt ist, dass die Herausgeber während des Editionsprozesses keine (wesentlichen) 41 Für weitere ‘mitternächtliche’ autographes von Catherine de Médicis vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 5: 181): Brief vom 26. Dezember 1575, Briefe CM (Bd. 9: 79): Brief vom 03. November 1586. 454 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.2 Korpus und Methode - Edition und Handschriften 455 Veränderungen vorgenommen haben, können die edierten Briefe als verlässliche Datengrundlage betrachtet werden. Abgesehen von vereinzelten Fehlern aus Unachtsamkeit kann es sich bei etwaigen Abweichungen vom Original auch um systematische Änderungen, z. B. um modernisierte Schreibungen, handeln. Jegliche Abweichung von der Originalhandschrift ist - zumindest dann, wenn sie nicht als solche gekennzeichnet wird - als nachteilig zu bewerten. Die Edition von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) scheint sich in dieser Hinsicht als äußerst zuverlässig zu erweisen: Bedenkt man, dass die Briefe nicht für sprachwissenschaftliche Zwecke ediert wurden und normalisierte Schreibungen in Editionen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts durchaus zur gängigen Praxis gehörten, erstaunt es, dass sich die Herausgeber um eine so große Nähe zu den Originalhandschriften bemühten: Während die Kennzeichnung von Auslassungen sowie ggf. von den Herausgebern beigebrachten Ergänzungen in stark beschädigten Originalhandschriften genauso wie der Hinweis auf (de)chiffrierte Passagen erwartbar ist 42 , stellt der offenbare Verzicht auf angepasste Schreibungen - insbesondere in den autographes von Catherine de Médicis - keine Selbstverständlichkeit dar. Statt die bisweilen selbst für das 16. Jahrhundert eigentümlichen Graphien (z. B. <tudus> für <tous les deux>) zu ersetzen, versehen die Herausgeber die edierten Briefen mit zahlreichen Anmerkungen zu sprachlichen Besonderheiten. In einigen wenigen Fällen wird dabei sogar auf potentielle Interferenzen mit dem Italienischen aufmerksam gemacht. Nicht immer liegen die Herausgeber dabei allerdings richtig. Während italienischer Einfluss z. B. bei par venteure (vgl it. per ventura ) statt par aventure und fermer ‘arrêter’ (vgl. it. fermare ‘arrestare’) durchaus plausibel erscheint 43 , braucht bei fr. neveu ‘petit-fils’ nicht von einer semantischen Beeinflussung durch das Italienische ausgegangen zu werden 44 . Gewiss bedeutet it. nipote bis heute sowohl ‘neveu’ als auch ‘petit-fils’, allerdings ist diese Polysemie auch für den französischen Kognaten seit dem 12. Jahrhundert belegt (vgl. z. B. TLF i s.v. neveu ). Die Anzahl solcher Anmerkungen ist insgesamt gering. Wenn diese für Erscheinungen, die in der vorliegenden Arbeit besprochen werden, relevant sind, so wird an den entsprechenden Stellen darauf hingewiesen. 42 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 8: 469): 2. Teil des Mémoire de Catherine de Médicis au Duc de Montmorency vom Mai 1585 [Anonym], Briefe CM (Bd. 1: 91): Brief vom 17. Juli 1554 [Anonym / CM] sowie die jeweiligen Anmerkungen der Herausgeber. 43 Für die entsprechenden Okkurrenzen und die Anmerkungen der Herausgeber vgl. Briefe CM (Bd. 1: 82-83): Brief vom 03./ 08. September 1553, Briefe CM (Bd. 1: 343-344): Brief vom 30. Juni 1562 [De L’Aubespine]. 44 Für die entsprechende Okkurrenz sowie die Anmerkungen der Herausgeber vgl. Briefe CM (Bd. 9: 17): Brief vom 23. Juni 1586 [De Neufville]. Wie genau die Herausgeber nun aber wirklich edierten, lässt sich letztlich nur anhand eines Vergleichs edierter Briefe mit den jeweils zugrundeliegenden Handschriften feststellen. Im Folgenden wird daher eine kurze Handschrift im Original abgedruckt und der von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) edierten Version gegenübergestellt. Anhand dieses frühen autographe von Catherine de Médicis lassen sich systematisch vorgenommene Änderungen durch die Herausgeber sehr gut zeigen. Es mag aufgrund der außergewöhnlich guten Lesbarkeit zwar nicht repräsentativ für die Gesamtheit der Briefe sein, allerdings wären zahlreiche andere Handschriften für den ungeübten Leser nur schwer zu entziffern, so dass sie an dieser Stelle wenig zur Veranschaulichung beitragen könnten. Abb. 5: autographe von Catherine de Médicis vom August 1536 ( BNF FF 3292 [72]) (http: / / www.gallica.bnf.fr) BnF Mon cousin, j’é receu la letre que m’avés etcrypte, vous aceurant que m’avés fayt le pleus grant plésyr quy let posibyle, é vous veo pryer de me fayre à cavoyr dé noveles, et que ne m’esecripvié pleus en syrimonye (cérémonie), car vous savés byen que se net pas à moy à quy l’an fo (faut) fère, que cere la fin, me racomandant byen fort à vous. Vostre bonne cousyne Caterine (Briefe CM : Bd. 1: 3, Fn. 3: Brief vom August 1536 an Monsyeur le Gran Mestre [autographe], BNF FF 3292 [72]) 456 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.2 Korpus und Methode - Edition und Handschriften 457 Wie auf den ersten Blick zu erkennen ist, wird in der Edition die im 16. Jahrhundert noch wenig etablierte Unterscheidung von <u> und <v> (z. B. <cousin> und <que m’avés>) sowie von <i> und <j> (z. B. <j’é receu> und <posibyle>) eingeführt und konsequent angewandt. Auch wenn die Herausgeber darum bemüht sind, die mitunter eigentümliche Originalgraphie einzelner Lexeme (z. B. <syrimonye>) beizubehalten, nehmen sie dennoch systematische Änderungen vor, die zwar die Lesbarkeit erheblich erleichtern, aber auch als empfindliche Eingriffe in den Originaltext betrachtet werden müssen: Neben einer von den Editoren gewählten Interpunktion fällt auch die Verwendung von accents auf. Diese werden manchmal in Anlehnung an die Orthographie des modernen Französisch (z. B. <à>) gesetzt, manchmal aber auch nur, um die vermutete Qualität des Vokals anzuzeigen und so die Lektüre zu erleichtern (z. B. <j’é>, <m’avés>, <fère>). Abkürzungen wie <v(t)re> ‘vostre’ werden systematisch ausgeschrieben, ohne dass dies besonders gekennzeichnet wäre. Einer der auffälligsten Unterschiede zwischen der Handschrift und der Edition ist jedoch mit Gewissheit in der Festlegung der Wortgrenzen zu sehen (z. B. <m’esecripvié> statt <mes e cripvye> oder <j’é> statt <ie>), die wie alle anderen Anpassungen darauf abzielt, den Text für heutige Leser zugänglicher zu machen. Wie das Beispiel von <m’esecripvié> statt <mes e cripvye> bereits erahnen lässt, können durch die willkürliche Festlegung von Wortgrenzen aber wertvolle Hinweise verloren gehen: So wurde z. B. an mehreren Stellen der vorliegenden Arbeit betont, dass s impurum als salientes Merkmal des françois italianizé gelten kann und dass daher bei der Analyse von Produktionsdaten italienischer Einwanderer das Verhältnis von Formen mit und ohne Prothese von besonderem Interesse ist. Angesichts der anhand des obigen Beispiels illustrierten Editionspraxis stellt sich nun aber die Frage, wie etwa die Sequenz <m’escuser> in einem edierten Brief zu interpretieren ist. Die zugrundeliegende Handschrift könnte in diesem Fall sowohl <m’escuser> als auch <me scuser> aufweisen. Träfe Letzteres zu, so könnte die Schreibung <me scuser> als Indiz dafür gewertet werden, dass das Verb excuser auch in Isolation s impurum aufweist. Dass diese Annahme anhand weiterer Okkurrenzen in unterschiedlichen lautlichen Umgebungen (z. B. nach konsonantischem Auslaut) überprüft werden müsste, versteht sich von selbst. Dennoch sollte deutlich geworden sein, dass sich die Editionspraxis von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) für die Ziele der vorliegenden Arbeit diesbezüglich als nachteilig erweist. Am Beispiel von <m’esecripvié> statt <mes e cripvye> wird schließlich noch ein weiteres - im Grunde genommen einer jeden Edition inhärentes - Problem ersichtlich: Der Ersatz von <y> durch <i> lässt vermuten, dass trotz der unbestreitbaren Präzision der Herausgeber in Einzelfällen mit Ungenauigkeiten zu rechnen ist. Dass es trotz größter Sorgfalt bisweilen zu solchen Transkriptionsfehlern kommt, ist angesichts der Masse der edierten Briefe (ca. 6000) auch durchaus nachvollziehbar. Während meiner Recherchen konnte ich in mehreren Fällen Abweichungen von den Originalhandschriften feststellen, die nicht systematischen Anpassungen, sondern der Unachtsamkeit der Herausgeber geschuldet sind. So fiel z. B. auf, dass unter den zahlreichen Okkurrenzen von importer in einem Fall die Schreibung <em-> statt <im-> erscheint 45 . Da es sich dabei um einen von einem anonymen Sekretär verfassten Brief handelt und die Schreibung <emporter> ‘importer’, wie in Kapitel 5.5.1.5 bereits dargelegt wurde, laut FEW (s.v. importare ) als Französierungsversuch des lexikalischen Italianismus (fr. importer < it. importare ) interpretiert werden könnte, lag die Vermutung nahe, dass in diesem Fall tatsächlich eine vermeintlich französischere, dem Sekretär geschuldete Schreibung vorliegt. Eine Überprüfung anhand der Handschrift zeigte jedoch, dass <importer> statt <emporter> gelesen werden muss. Im Hinblick auf italianisierende Schreibungen wie <alla> ‘à la’ und <della> ‘de la’, die bis in die 1580er Jahre vereinzelt in den autographes von Catherine de Médicis zu finden sind, ist festzustellen, dass diese in der Edition nicht in allen Fällen berücksichtigt wurden. So wird etwa in einem Brief <all assault> als <à l’assault> 46 transkribiert. Angesichts der bisher dargelegten Schwächen der Edition dürfte bereits klar geworden sein, dass diese nur mit gewissen Einschränkungen für die Untersuchung des françois italianizé von Catherine de Médicis herangezogen werden konnte. Während edierte Briefe für lexikologische Analysen (Vorhandensein von Italianismen) sowie für die Untersuchung von Anredeformen als verlässliche Quellen dienen konnten (vgl. auch die Behandlung der Edition im TLF i), musste für die Analyse von - potentiell italianisierenden - Schreibungen (z. B. <u> statt <ou> für [u], s impurum vs. Prothese, <alla> vs. <à la>), insbesondere im Hinblick auf den Integrationsgrad lexikalischer Italianismen (z. B. <sacchager> statt <saccager>), auf die Originalhandschriften zurückgegriffen werden. Da aber nicht alle Handschriften ohne Weiteres zugänglich sind 47 und die Analyse derselben mit einem nicht unerheblichen Aufwand verbunden ist, wurde das 168 Briefe umfassende Korpus geteilt: Eine Hälfte der Briefe (Gruppe A) wurde weiterhin nur in edierter Form untersucht, wohingegen für die andere Hälfte (Gruppe B) auch die zugrundeliegenden Handschriften analysiert wur- 45 Vgl. Briefe CM (Bd. 5: 308-309): Brief vom 02. Dezember 1575 [Anonym]. 46 Vgl. Briefe CM (Bd. 4: 183): Brief vom 17. März 1573. 47 Dass gewisse Handschriften schwer zugänglich sind, bedeutet nicht, dass der Aufbewahrungsort unklar wäre. Für das Korpus wurden, wie bereits erwähnt, grundsätzlich nur solche Briefe ausgewählt, für deren Manuskripte in Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) ein eindeutig bestimmbarer Aufbewahrungsort angegeben wird. 458 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.2 Korpus und Methode - Edition und Handschriften 459 den. Für die Untersuchung lexikalischer Italianismen, italianisierender Anredeformen sowie lexikalischer Züge des françois autrement desguizé konnte die Gesamtheit der Briefe als Datengrundlage dienen, für die Analyse der Graphien hingegen nur die Briefe der Gruppe B 48 . Bei der Aufteilung des Korpus wurde darauf geachtet, dass die Kriterien für die Zusammensetzung des Gesamtkorpus auch für die Auswahl der Briefe für Gruppe B berücksichtigt wurden. Das Subkorpus (Gruppe B) spiegelt somit den Aufbau des Gesamtkorpus wider. Aus jedem Jahrzehnt (1550er, 1560er, 1570er, 1580er Jahre) wurden für 20 der jeweils 40 Briefe auch die Handschriften konsultiert. Unter diesen 20 waren jeweils zehn autographes und zehn Briefe, die französischen Sekretären diktiert wurden. Es wurde ebenfalls darauf geachtet, dass sich die zehn Briefe nach Möglichkeit gleichmäßig über das entsprechende Jahrzehnt verteilen (also nicht neun von zehn Briefen aus dem Jahre 1585 für die 1580er Jahre). Auch wurde versucht, innerhalb eines jeden Jahrzehnts eine vergleichbare Anzahl an längeren und kürzeren Briefen zu berücksichtigen. Eine identische Anzahl an tokens für jedes Jahrzehnt konnte angesichts der Datenlage nicht gewährleistet werden. Da für die acht Briefe aus den 1530er / 1540er Jahren sieben Handschriften zugänglich waren und gerade die frühen Briefe interessant sind, wurden alle sieben Manuskripte (nicht nur vier) analysiert. Die folgende Tabelle veranschaulicht die Zusammensetzung des Gesamtkorpus. 1530er / 1540er 1550er 1560er 1570er 1580er aut. Sek. aut. Sek. aut. Sek. aut. Sek. aut. Sek. Gruppe A: 81 --- 1 10 10 10 10 10 10 10 10 Gruppe B: 87 4 3 10 10 10 10 10 10 10 10 Gesamt: 168 4 4 20 20 20 20 20 20 20 20 Tab. 26: Zusammensetzung des Briefkorpus (Catherine de Médicis) Für die Auswahl der Briefe aus Gruppe B musste daher - neben den weiter oben genannten sechs Kriterien - auch die Verfügbarkeit der entsprechenden Handschrfiten berücksichtigt werden: In das Subkorpus wurden Briefe nur dann 48 Wenn in einigen wenigen Fällen auch Aussagen zur Schreibung bestimmter Einzelwörter aus Briefen der Gruppe A gemacht werden, wurden dazu die entsprechenden Handschriften zusätzlich konsultiert. aufgenommen, wenn die entsprechenden Manuskripte über www.gallica.bnf. fr online zugänglich waren. Des Weiteren - und dies schränkte die Auswahl zusätzlich ein - mussten die jeweiligen Handschriften auch tatsächlich lesbar sein. Nur wenn dies zutrifft, ist gewährleistet, dass in Zweifelsfällen nicht doch auf die edierte Version zurückgegriffen werden muss. Angesichts der Tatsache, dass alle elf Bände der Edition in digitalisierter Form vorhanden sind, lag es nahe, für die Auswahl geeigneter Briefe wie bei der Analyse der Dokumente in Kapitel 6.2 nach Schlagwörtern zu suchen. Die Suche nach <ytal-/ ital-> führte allerdings zu nur wenigen brauchbaren Ergebnissen. Wie weiter oben schon erwähnt, sind Hinweise der Herausgeber auf Interferenzen mit dem Italienischen selten (vgl. die Anmerkungen zu par vanteure , fermer ‘arrêter’) und nicht immer etymologisch richtig (vgl. neveu ‘petit-fils’). Nach den 497 im DIFIT (2008) ermittelten Italianismen des 16. Jahrhunderts zu suchen, schien in mehrfacher Hinsicht problematisch: Zum einen ist zu erwarten, dass ein Großteil der rinascimentalen Italianismen aufgrund der Zugehörigkeit zu bestimmten Denotatsbereichen (z. B. maritimer Spezialwortschatz) in der höfischen Korrespondenz kaum eine Rolle spielte, zum anderen - und dies stellt das weitaus größere Problem dar - ist die Qualität der Scans so minderwertig, dass zahlreiche Italianismen, obwohl sie in einer keineswegs exotischen Graphie erscheinen und durchaus als zum höfischen Wortschatz gehörig betrachtet werden können (z. B. canaille ), einfach nicht gefunden werden. Andererseits stellen gerade stark italianisierende Graphien ein Problem dar, da sie nicht in allen Fällen ohne Weiteres vorhersagbar sind (z. B. <sacchager>) und daher nicht gezielt nach ihnen gesucht werden kann. Gleiches gilt für die ausdrucksseitige Italianisierung französischer (Erb)Wörter: Wie etwa kann vermutet werden, dass in einem autographe von Catherine de Médicis - von den ohnenhin eigentümlichen Graphien einmal ganz abgesehen - <menencolyque> statt <mélancholique> (vgl. it. maninconico ) oder <strasordynere> statt <extraordinaire> (vgl. it. straordinario ) erscheint? Nach bisher nicht dokumentierten Italianismen kann dagegen - ganz unabhängig von deren Schreibung sowie von der Qualität der Scans - nicht gesucht werden. Ebenso wenig planbar erscheint die Suche nach Phänomenen von code-switching . Der Versuch, mittels der Suche nach kürzeren Wortbestandteilen (Stämme, Wurzeln oder Affixe) das Problem italianisierender Schreibungen (z. B. nur <sac-> statt <saccager>/ <sacchager>, <-esque>) sowie solcher, die sich auf die Variation im Frühneufranzösischen zurückführen lassen (z. B. <sent->/ <sant-> statt <senti(r)>, da auch mit z. B. <santy> zu rechnen ist), zu überwinden, führt hingegen zu einer schier unüberschaubaren Anzahl an Treffern (z. B. 455 für <sac->, 1162 für <sent->, 654 für <sant-> allein in Band 1), da alle Wörter, die an irgendeiner Stelle die jeweilige Sequenz aufweisen, erfasst werden. Aufgrund 460 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.2 Korpus und Methode - Edition und Handschriften 461 der schlechten Qualität der Scans sind darunter zudem viele Okkurrenzen, die nicht einmal der Suchanfrage entsprechen. Gleichzeitig muss auch vermutet werden, dass zahlreiche passende Belege nicht gefunden werden (vgl. die Anmerkungen zu canaille ). Im Hinblick auf mehr oder weniger systematisch italianisierende Graphien (z. B. <u> statt <ou> für [u]) scheinen Suchanfragen schließlich noch weniger praktikabel zu sein. Sucht man etwa nach <u>, um im Anschluss Lexeme zu ermitteln, die <u> statt <ou> aufweisen, erhält man allein in Band 1 101 007 Treffer. Darunter befinden sich zunächst natürlich alle Wörter, die an irgendeiner Stelle <u> enthalten, also z. B. tu , vous , tout , jeune . Würde man hingegen item-based suchen, also z. B. <tou> und <tu-> für tout (<tout>, <tout(t)e(s)>, <tous>, <tut(t)e>, <tus> usw.), fiele die Zahl der Okkurrenzen zwar geringer aus (3138 für <tou->, 1201 für <tu-> alle in Band 1), allerdings müssten jene für tout immer noch mühsam vom ‘Beifang’ (z. B. sculpture , tu ‘tu’ usw.) getrennt werden. Zudem würde die Beschränkung auf ein einziges Lexem nicht erlauben, verallgemeinernde Aussagen zum Nebeneinander von <u> und <ou> [u] zu machen. Um Tendenzen zeigen zu können, sollten im Idealfall unterschiedliche types berücksichtigt werden. Nur so kann ausgeschlossen werden, dass es sich bei z. B. <tu> ‘tout’ um eine auf ein Einzellexem beschränkte idiosynkratische Schreibung handelt. Völlig unbemerkt bleiben würden dabei im Übrigen auch hyperkorrekte Formen wie <teutte> (<eu> [y]), wie sie bisweilen in den autographes von Catherine de Médicis erscheinen. Wie die soeben dargelegten Unzulänglichkeiten vermuten lassen, halfen elektronische Suchanfragen also nur bedingt bei der Auswahl der 168 Briefe. In den meisten Fällen konnten passende Briefe während der Lektüre der Briefsammlung ausfindig gemacht werden. Abschließend muss auch auf die Frage eingegangen werden, wie repräsentativ diese 168 Briefe aber nun sind. Gewiss ließe sich - auch wenn die Berücksichtigung der in diesem Kapitel genannten Kriterien die Zahl der in Frage kommenden Briefe tatsächlich deutlich einschränkt - aus den zahlreichen Briefen eine vergleichbare Menge anderer Briefe analysieren. Dass in manchen Fällen ein Brief x einem Brief y vorgezogen wurde, weil in ersterem ein lexikalischer Italianismus (z. B. cavalcadour ) zu finden war, darf nicht zur Annahme verleiten, dass durch die Auswahl der Briefe die Ergebnisse in eine bestimmte Richtung verzerrt werden sollten. Wenn, um beim soeben angeführten Beispiel zu bleiben, in keinem anderen Brief die Rede von Pferden oder der Reitkunst ist, könnte alternativ auch kein Brief analysiert werden, in dem das gleiche Konzept mittels französischer Erbwörter versprachlicht würde. Darüber hinaus scheint es mir durchaus legitim zu sein, selbst in Fällen, in denen ein Brief x einen Italianismus (z. B. manquer à qc ), ein Brief y hingegen eine semantisch vergleichbare erbwörtliche Entsprechung (z. B. faillir à qc ) aufweist, nur ersteren in das Korpus aufzunehmen. Verzerrt wären die Ergebnisse nämlich nur dann, wenn auf ihrer Grundlage Aussagen bezüglich der konkurrierenden Frequenz solcher Synonymenpaare ( manquer neben faillir ) formuliert würden. In der vorliegenden Arbeit aber gilt das Hauptaugenmerk der Frage, ob entgegen der Annahme Winds (1928) überhaupt lexikalische Italianismen im françois italianizé der Immigranten nachweisbar sind und ob es sich dabei in manchen Fällen um AS -produzenteninduzierte Entlehnungen handelt (Erstbelege, Ausdrucksseite). Im Hinblick auf lexikalische Interferenzen sowie auf Anredeformen, code-switching und Erscheinungen des françois autrement desguizé wurden die Briefe ohnehin ausschließlich qualitativ ausgewertet. Was Interferenzen in der Schreibung (und Lautung) anbelangt, können in den 87 Briefen der Gruppe B konkurrierende Schreibungen (z. B. <u> und <ou> für [u]) quantitativ erfasst und im Anschluss sowohl qualitativ als auch quantitativ interpretiert werden. So soll z. B. überprüft werden, ob gewisse Interferenzen auch in späteren Briefen nachweisbar sind, also durchgängig erhalten bleiben. Quantitative Aspekte sind dabei v. a. insofern von Interesse, als erst eine gewisse Anzahl an Okkurrenzen wahrscheinlich machen kann, dass es sich bei einer bestimmten Schreibung tatsächlich um eine Interferenz mit dem Italienischen handelt, und nicht um einen einmaligen Performanzfehler (z. B. nur einmal <u> für [u]), der unter Umständen auch bei einem monolingualen Sprecher bzw. Schreiber zu beobachten sein könnte. Im Französischen des 16. Jahrhunderts ist eine starke Variation auf allen sprachlichen Ebenen zu beobachten, da Normierungsbestrebungen - insbesondere auf dem Gebiet der Orthographie 49 - zwar in vollem Gange, aber noch nicht abgeschlossen sind. Dass sprachliche Besonderheiten im françois italianizé von Catherine de Médicis aber nun gerade nicht auf die Variation im rinascimentalen Französisch, sondern auf den Einfluss ihrer italienischen Muttersprache zurückzuführen sind, soll anhand einschlägiger Referenzwerke (z. B. DMF , GDF , Gougenheim 1974, GRAND CORPUS , HUG ) sowie anhand eines Vergleichs mit anderen Texten aus dem 16. Jahrhundert (in FRANTEXT 1500-1600) gezeigt werden. Daneben werden auch neuere empirische Studien wie Vachon (2010) konsultiert. Als äußerst vorteilhaft ist in diesem Zusammenhang der Umstand zu bewerten, dass inzwischen sowohl GDF als auch HUG in digitalisierter Form online zugänglich sind. Nach bestimmten Formen kann so nicht nur unter dem jeweiligen Lemma, sondern im gesamten Dokument gesucht werden. GDF und HUG sind für die umfangreiche Sammlung von Belegen, 49 Zur Orthographie-Debatte im Frankreich des 16. Jahrhunderts vgl. die bereits in Kapitel 2.3.2.2 genannte Literatur. 462 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.2 Korpus und Methode - Edition und Handschriften 463 die auch den weiteren Kontext eines Lexems, d. h. längere Textpassagen, mitaufnehmen, bekannt. Während GDF insbesondere den Zeitraum vor dem 16. Jahrhundert und auch zahlreiche regionale Varianten berücksichtigt, zeichnet sich HUG dadurch aus, dass eine Vielzahl an Belegen auch aus Texten stammt, die in FRANTEXT (1500-1600) schlichtweg fehlen. Neben den Werken wichtiger Français italianisants wie Monluc und Brantôme dienen z. B. auch ausgewählte Texte von Henri Estienne als Datengrundlage 50 . Sowohl GDF als auch HUG stellen somit eine wertvolle Ergänzung zu FRANTEXT (1500-1600) dar. Schließlich verspricht auch der Vergleich mit den diktierten Briefen, die von französischen Sekretären verfasst wurden, besonders aufschlussreich zu sein. Gleichzeitig muss aber auch ausgeschlossen werden, dass es sich bei den Eigentümlichkeiten im Französischen von Catherine de Médicis um individuelle, d. h. idiosynkratische Erscheinungen handelt. Wie die folgenden Passagen aus ihren Briefen belegen, war sie sich durchaus darüber im Klaren, dass die Sprache - oder doch nur die Schreibung? - in ihren Briefen Anlass zur Kritk bot: Je l’ay fest duble, afin que n’ayés tant de poyne à le lire pour le montrer. (Briefe CM : Bd. 9: 123-125: Brief vom 20. Dezember 1586 an Monsieur de Villeroy [Anonym / CM ], Bibl. imp. de Saint-Pétersbourg, Documents français, vol. 19 [52-53]) […] pour se que je ares peur de vous donner trop de pouyne à lyre heune longue lestre sy mauvèse que la myene, j’é pryé monsieur le cardynal de Chatyllon de vous an conter […]. (Briefe CM : Bd. 1: 49: Brief vom 10./ 15. April 1552 an Monsieur le Conestable [autographe], BNF FF 3119 [8]) Daher sollten neben den 168 Briefen von Catherine de Médicis auch Texte anderer italienischer Immigranten, meist aus ihrer Entourage, untersucht werden. Wenn sich in diesen Texten die gleichen Phänomene (z. B. <alla> statt <à la>) festellen ließen wie in den Briefen der Königin, würde dies nahelegen, dass es sich in solchen Fällen nicht um individuelle Eigentümlichkeiten, sondern um auf Interferenzen mit dem Italienischen zurückführbare Besonderheiten handelt. Edierte Briefe von italienischen Immigranten aus der Renaissance sind, zumindest wenn man solche sucht, die auf Französisch verfasst wurden, selten. Glücklicherweise finden sich in der Edition von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) ab Band 5 auch sog. pièces justificatives . Dabei handelt 50 Wie alle Referenzwerke weist auch HUG Schwächen auf, wie sie z. B. von Naïs (1959) diskutiert worden sind. Allerdings stellt das Werk als einziges so umfangreiches Wörterbuch für nur ein Jahrhundert ein wertvolles Hilfsmittel dar. Andernfalls ließe sich schließlich nur schwer erklären, weshalb die Mühe unternommen wurde, das Wörterbuch - nicht in retrodigitalisierter Form - online zugänglich zu machen (vgl. http: / / www. classiques-garnier.com). es sich um Dokumente verschiedenster Art (notarielle Texte, Verträge, Briefe), die im z.T. recht umfangreichen Anhang eines jeden der sechs Bände (5-10) abgedruckt sind. Sie alle stehen in einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Leben und Wirken von Catherine de Médicis. Darunter befinden sich auch Texte, die für die vorliegende Arbeit von nicht unerheblichem Interesse sind: Neben zwei Briefen des Cardinal d’Armagnac, die, da sie, so Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 6 (1897: 221-222, Fn. 1; 410, Fn. 1), von solch einer „couleur italienne“ sind, von einem italienischen Sekretär „peu lettré“ verfasst worden sein müssen, wurden zwei Briefe (genauer: ein Brief und eine minute ) des Duc de Nevers (Lodovico Gonzaga * 1539 Mantova, † 1595 Nesle) an Catherine de Médicis sowie sechs Briefe von Filippo Strozzi (* 1541 Florenz, † 1582 Azoren) in das Korpus aufgenommen. Schließlich wurde auch eine Aufstellung der Vermögenswerte und Besitztümer der Medici in Mittelitalien aus dem Jahre 1572 berücksichtigt, die im Rahmen der Jahrzehnte andauernden Erbschaftsstreitigkeiten zwischen Catherine de Médicis und der Duchesse de Parme (Marguerite d’Autriche) 51 von ersterer in Auftrag gegeben wurde. Über den Verfasser, der sich offenbar nach Italien begab, um sich vor Ort ein Bild der Lage zu machen, ist leider nur wenig bekannt. Laut Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 9 (1909: 446, Fn. 1) trägt das Originaldokument neben dem Titel Valleur des biens de la maison ancienne de Medici en Toscanne, apartenantz à la Royne Mère du Roy, selon qu’ils m’ont esté montrez par le chevalier Marignol, à ce commis par son Altesse, en l’année 1572 den Zusatz La prisée des biens que la Royne, mere du Roy, ha en Toscane, envoyée par Monsieur Boromi . Während es sich beim chevalier Marignol (wie z. B. bei Petrucci und Ricasoli) um einen bekannten Repräsentanten des Granduca di Toscana am französischen Hof handelt, konnte ich zum eigentlichen Verfasser, Boromi, keine weiterführenden Informationen finden (vgl. Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 11, 1943: 32, 172, 274) 52 . Sowohl der Name als auch sprachliche Auffälligkeiten im Text legen m. E. aber nahe, dass auch er italienischer Abstammung war. Genaue Angaben (u. a. zum Aufbewahrungsort der entsprechenden Handschriften) zu den soeben genannten Texten sowie zu den 168 Briefen von Catherine de Médicis finden sich in der Übersicht in Anhang 4. Bei der Auswahl der o. g. Texte konnten aufgrund der geringen Anzahl derselben leider nicht die gleichen Kriterien wie bei der Zusammenstellung der 168 Briefe von Catherine de Médicis berücksichtigt werden. Die Briefe des Se- 51 Zu Hintergründen und Verlauf dieser Streitigkeiten vgl. die zeitgenössischen Dokumente in Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 9 (1909: 438-444) sowie die Anmerkungen der Herausgeber. 52 Weder in der Enciclopedia Treccani noch im DBI waren Informationen zu finden. Auch in Picot ([1918] 1995) werden keine Angaben zu Boromi gemacht. 464 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.2 Korpus und Methode - Edition und Handschriften 465 kretärs „peu lettré“ sind, wie auch den Handschriften zu entnehmen ist, leider nur in Kopie überliefert. Bei der Vermögensaufstellung von Boromi handelt es sich vermutlich zwar um ein Original, das Manuskript der BNF ist aber leider nicht online zugänglich, so dass nur die edierte Version analysiert werden konnte. Die Untersuchung beschränkte sich daher wie bei den 81 Briefen der Gruppe A auf lexikalische Besonderheiten. Im Hinblick auf die Briefe von Lodovico Gonzaga und Filippo Strozzi lässt sich Verschiedenes feststellen: Für alle Briefe sind die entsprechenden Handschriften online einsehbar. Während die Briefe von ersterem eine minute und eine zeitgenössische Kopie, also keine autographes sind, sind jene von Strozzi Originale. Allerdings handelt es sich dabei in vier von sechs Fällen um diktierte Briefe, die nur z.T. kurze handschriftliche Ergänzungen von Strozzi aufweisen. Die Zahl an autographes von italienischen Immigranten beläuft sich somit letztlich also nur auf zwei. Unvorteilhaft ist zudem, dass sowohl Filippo Strozzi als auch Lodovico Gonzaga bereits in jungen Jahren nach Frankreich kamen. Da sie das Französische daher vermutlich recht gut erlernten, müssten sie eigentlich als Immigranten der zweiten Generation betrachtet werden 53 . Gewiss konnte aufgrund der Quellenlage nicht angestrebt werden, neben den 168 Briefen von Catherine de Médicis eine vergleichbare Anzahl an Texten von anderen italienischen Einwanderern zu untersuchen. Solche Produktionsdaten sollten schließlich nur das Korpus arrondieren, um in Einzelfällen die Befunde aus den Medici-Briefen zu untermauern. Dennoch erschien es wünschenswert, mehr als zwei originale autographes in das Korpus aufzunehmen. Im Idealfall sollte es sich dabei um Texte handeln, die von Italienern redigiert wurden, die erst im Erwachsenenalter nach Frankreich immigrierten. Zudem sollten die Manuskripte online zugänglich sein, um nicht nur die Lexik, sondern auch etwaige italianisierende Schreibungen (z. B. <alla> statt <à la>) im Original überprüfen zu können. Angesichts der Tatsache, dass in den Handschriftensammlungen der BNF bereits italienische Manuskripte von Immigranten aus dem höfischen Umfeld aufgespürt werden konnten, die in Kapitel 6.3 im Hinblick auf mögliche Attritionsphänomene untersucht wurden, lag es nahe, erneut nach entsprechenden Dokumenten auf Französisch zu suchen. Von besonderem Interesse waren französische Briefe von Einwanderern, deren italienische Texte in Kapitel 6.3 analysiert wurden (z. B. von Pietro Strozzi, Filippo Cavriana, Sebastiano Zametti). Die Analyse solcher Briefe erlaubt nämlich nicht nur, das françois italianizé anderer Italiener demjenigen von Catherine de Médicis gegenüberzustellen, 53 Für biographische Angaben zu Lodovico Gonzaga vgl. die bereits in Kapitel 6.3.2 genannte Literatur, für Filippo Strozzi, den Sohn von Pietro Strozzi, vgl. Picot ([1918] 1995: 44-45), Jouanna u. a. (1998: 1315-1318) und den Eintrag Filippo Strozzi in der Enciclopedia Treccani . sondern ermöglicht auch einen direkten Vergleich zwischen der möglicherweise unterschiedlichen Französisch- und Italienisch-Kompetenz ein und desselben Verfassers (vgl. weiter unten). Passende Manuskripte ausfindig zu machen, erwies sich aber als schwieriger, als zunächst angenommen. Die Suche nach lesbaren originalen autographes von z. B. Pietro Strozzi (Suche nach: <Strozzi>, <Strosse>, <Strossi>) in der Rubrik manuscrits führte zu keinen brauchbaren Ergebnissen. Neben italienischen autographes ließen sich v. a. von Sekretären verfasste Briefe auf Französisch finden 54 . Glücklicherweise konnten aber neben einem weiteren autographe von Filippo Strozzi fünf französische autographes (vier Briefe und die Aufzeichnungen eines discours ) von Filippo Cavriana (* 1536 Mantova, † 1606 Pisa) gefunden werden, die aus der Mitte der 1580er Jahre stammen. Wenn man bedenkt, dass Cavriana bereits 1565 nach Frankreich kam, wo er - kurze Unterbrechungen ausgenommen - bis 1589 verweilte, handelt es sich um relativ späte Briefe. Zu erwarten wäre, dass er das Französische nach beinahe 20 Jahren in Frankreich bereits erlernt hat und dieses in der Folge nur wenige Interferenzen mit dem Italienischen aufweist 55 . Des Weiteren konnten zwei autographes von Lodovico Gonzaga sowie ein längerer Brief seines bereits in Frankreich geborenen Sohnes Carlo Gonzaga (* 1580 Paris, † 1637 Mantova) 56 in das Korpus aufgenommen werden. Schließlich konnten auch drei Briefe des wohl Mitte des 16. Jahrhunderts nach Frankreich eingewanderten Bankiers Sebastiano Zametti (* 1549 Lucca, † 1614 Paris), von denen zwei aus den 1590er Jahren stammen, sowie ein Brief seines Kollegen Scipione Sardini (* 1526 Lucca, † 1599 Paris) aus dem Jahre 1562 aufgespürt werden 57 . Insgesamt konnten also weitere 13 von Italienern auf Französisch verfasste Texte in das Korpus aufgenommen werden. Dass aufgrund der geringen Anzahl solcher Texte dabei nicht die gleichen Kriterien wie bei der Auswahl der Medici-Briefe berücksichtigt werden konnten, wurde weiter oben bereits 54 Für entsprechende Briefe von Pietro Strozzi vgl. z. B. BNF FF 3053 [85-88], BNF FF 3117 [37], BNF FF 3142 [15], BNF FF 20 457 [65]. 55 Für biographische Angaben zu Filippo Cavriana vgl. die in Kapitel 6.3.2 genannte Literatur. 56 Für biographische Angaben zu Carlo Gonzaga vgl. Picot ([1918] 1995: 32) sowie den Eintrag CARLO I Gonzaga Nevers, duca di Mantova e del Monferrato von Gino Benzoni (1977) im DBI. 57 Der einzige weitere französische Brief von Scipione Sardini, der online zugänglich ist (vgl. BNF FF 3411 [32]), wurde von einem Sekretär verfasst und für die vorliegende Arbeit nicht berücksichtigt. Für biographische Angaben zu Sardini, der spätestens seit 1548 in Lyon ansässig war, etwa 1565 nach Paris kam und ein enger Vertrauter von Catherine de Médicis wurde, vgl. Picot ([1918] 1995: 134-139) sowie Jouanna u. a. (1998: 1276-1277). Letztere geben kein Geburtsdatum an. 466 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.2 Korpus und Methode - Edition und Handschriften 467 angedeutet. Zwar handelt es sich in allen Fällen um autographes , die als Originalhandschriften online zugänglich sind, allerdings entstammen alle Briefe einer mehr oder weniger offiziellen Korrespondenz, so dass davon auszugehen ist, dass die verwendete Sprache eher elaboriert ist, also weniger Interferenzen anzutreffen sind. Außerdem ist die Mehrheit der Briefe in den 1580er / 1590er Jahren entstanden, zu einer Zeit also, als viele der jeweiligen Verfasser bereits Jahre oder gar Jahrzehnte in Frankreich verbracht hatten und das Französische möglicherweise schon gut beherrschten. Auch wenn diese Umstände vermuten lassen, dass sich in den Briefen unter Umständen nur Spuren des françois italianizé nachweisen lassen, sind sie nicht weniger wertvolle Quellen als frühe Briefe der Einwanderer. Im Gegenteil: Wenn in späten französischen Briefen noch Interferenzen mit dem Italienischen zu beobachten sind, sich in späten italienischen Briefen hingegen aber keinerlei französische Einflüsse feststellen lassen (vgl. Kapitel 6.3), legt dies nahe, dass das Französische auch nach Jahren in Frankreich die weniger dominante Sprache der Immigranten blieb, was einmal mehr die Vitalität des Italienischen in der France italienne unterstreichen würde. Mit diesen nicht edierten Handschriften 58 wurde genau so verfahren wie mit den italienischen Manuskripten in Kapitel 6.3. Es wurde auch hier auf eine vollständige Edition verzichtet. Nur besonders interessante Passagen wurden transkribiert. Alle Briefe sind lesbar, so dass - wie in den Briefen von Catherine de Médicis der Gruppe B - auch Graphien berücksichtigt werden konnten 59 . Im folgenden Kapitel werden die Ergebnisse der Korpusanalyse präsentiert und interpretiert. Da mittels der Untersuchung solcher Produktionsdaten die Aussagen von zeitgenössischen Sprachbeobachtern auf ihren Wert hin überprüft werden sollten, wurde insbesondere nach Phänomenen gesucht, die von Henri Estienne in seinen Deux Dialogues (1578) als saliente Merkmale des françois italianizé beschrieben werden (vgl. Kapitel 4.2.3). Das Hauptaugenmerk galt daher potentiell italianisierenden Lautungen und Schreibungen sowie lexikalischen Interferenzen bzw. Entlehnungen. Im Hinblick auf letztere sollte v. a. die Frage geklärt werden, ob im Französischen der italienischen Immigranten auch AS -produzenteninduzierte Entlehnungen zu finden sind. Daneben wurde auch nach Vorkommen von code-switching und - was angesichts der Textsorte Brief vielversprechend erschien - nach italianisierenden Anredeformen gesucht. Etwaige Interferenzen in der Morphologie und Syntax standen - nicht zuletzt deshalb, weil davon in zeitgenössischen Quellen nie die Rede ist - nicht im Mittelpunkt des Interesses. Auffälligkeiten konnten diesbezüglich in der Tat lediglich 58 Auf den Umstand, dass die Briefe Cavrianas auch in edierter Form vorliegen (vgl. Spigarolo 1999), wurde bereits in Kapitel 6.3.2 hingewiesen. 59 Nur in sehr wenigen Fällen mussten unlesbare Einzelwörter unberücksichtigt bleiben. in einem der untersuchten Texte nachgewiesen werden (vgl. Kapitel 7.3.6). Was die Frequenz bei der Realisierung von Subjektpronomina im Französischen der Renaissance betrifft, wurde bereits im Kapitel zum Forschungsstand darauf hingewiesen, dass heute im Allgemeinen davon ausgegangen wird, dass italienischer Einfluss keine Rolle spielt. Während der Lektüre der Texte konnte ich im Übrigen keine auffälligen Abweichungen von der üblichen Verteilung (vgl. Lardon / Thomine 2009: 79-88) feststellen. Die möglicherweise tatsächlich nach italienischem Vorbild eingeführte Regel bezüglich des accord des participe passé in zusammengesetzten Zeiten mit avoir wird in den meisten Fällen befolgt. Allerdings wird dieses Phänomen von Sprachbeobachtern nicht als italianisierend kritisiert. Im Gegenteil: Henri Estienne hält sich im Normalfall selbst an die entsprechenden Regeln. Aufgrund des Umstands, dass sowohl Catherine de Médicis als auch Strozzi, Gonzaga, Cavriana und Zametti als zum französischen Hof gehörig betrachtet werden können, wurde schließlich auch nach Spuren des françois autrement desguizé ( langage courtisanesque ) gesucht. Wie im Einzelfall bei der Datenerhebung verfahren wurde, wird an den entsprechenden Stellen erläutert. 7.3 Korpusauswertung 7.3.1 Vorbemerkungen Wie bereits erwähnt, besteht das Korpus aus zwei Gruppen. Während für die Untersuchung von code-switching , Anredeformen, lexikalischen Italianismen sowie bestimmten Phänomenen des françois autrement desguizé sowohl die 87 Briefe der Gruppe B als auch die 81 Briefe der Gruppe A als Datengrundlage dienen konnten, wurden für die Analyse italianisierender Graphien nur die Briefe aus Gruppe B berücksichtigt. Nur bei letzteren (Gruppe B) wurden auch die Originalhandschriften analysiert. Von den 13 Texten anderer italienischer Immigranten lagen in 12 Fällen auch - oder sogar ausschließlich - die Manuskripte vor, so dass auch diese auf italianisierende Schreibungen hin überprüft werden konnten. Das zitierte Belegmaterial in den folgenden Kapiteln unterscheidet sich z.T. stark voneinander. Die Daten der Briefe aus Gruppe B sind den Handschriften entnommen, so dass zahlreiche Schreibungen von der Edition abweichen, die Daten der Briefe aus Gruppe A entstammen der Edition. Letztere weisen deshalb auch vermehrt Apostrophe und Akzente auf. Bei der Transkription der Belege aus den Briefen der Gruppe B wurde darauf geachtet, so wenig wie möglich vom Original abzuweichen. Die einzigen bewussten Abweichungen sind der Verzicht auf die Unterscheidung von <s> und <ß>/ <∫> 468 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 469 zugunsten von <s> sowie die Kennzeichnung von <v> und <u>. Die vereinzelte Großschreibung bei <Roy>, <Royne> und <Royaume> in den Handschriften wurde nicht berücksichtigt. Wenn in Einzelfällen auch Aussagen über bestimmte Graphien von Lexemen in Briefen der Gruppe A gemacht werden, dann nur, weil in diesen Fällen die entsprechenden Handschriften im Hinblick auf diese Schreibungen überprüft wurden. Alle analysierten Briefe sind in Anhang 4 aufgelistet. In den Fußnoten der Arbeit erscheinen abgekürzte Angaben zu den Briefen. Sie sind aber selbsterklärend und können anhand von Anhang 4 problemlos aufgeschlüsselt werden. Wenn Eigennamen in eckigen Klammern begegnen (z. B. [Duthier], vgl. auch die bisherigen Angaben in Kapitel 7.1. und 7.2), bedeutet dies, dass der Brief von einem Sekretär verfasst wurde. Fehlt eine solche Angabe, handelt es sich um ein autographe . Bisweilen wird im Folgenden - zumeist in Fußnoten - auch auf Briefe verwiesen, die nicht in Anhang 4 erscheinen und nicht zu den 168 analysierten Briefen zu rechnen sind. Diese werden immer als solche gekennzeichnet. Dabei handelt es sich um z.T. äußerst interessante Briefe, die ich während meiner Recherchen entdeckte, aber aufgrund der in Kapitel 7.2 erläuterten Kriterien (z. B. Manuskript nicht auffindbar) nicht in das Korpus aufnehmen konnte. Auf diese Briefe wird immer dann verwiesen, wenn für bestimmte Erscheinungen nur eine geringe Anzahl an Belegen aus den 168 analysierten Briefen ermittelt werden konnte, um zu zeigen, dass diese Erscheinungen unter Umständen doch verbreiteter waren, als es zunächst den Anschein haben könnte. 7.3.2 Interferenzen in frühen Briefen (1536-1549) - einmalige Okkurrenzen […] pourse que ieares peur de vous donner trop de pouyne alyre heune longue lestre sy mauvese que la myene ie prye mons[ieur] le cardynal de chatyllon de vous anconter […]. (Briefe CM : Bd. 1: 49: Brief vom 10./ 15. April 1552 an Monsieur le Conestable [autographe], BNF FF 3119 [8]) Wie in Kapitel 7.2 bereits erwähnt wurde, sind unglücklicherweise nur wenige autographes aus den 1530er und 1540er Jahren erhalten, was insofern bedauerlich ist, als gerade in frühen Briefen noch mehr Interferenzen mit dem Italienischen zu erwarten sind. Die Frage, ob sich die geringe Anzahl an überlieferten Briefen aus diesem Zeitraum durch die eher unbedeutende Rolle von Catherine de Médicis am französischen Hof (vgl. Kapitel 7.2) oder dadurch erklären lässt, dass sie während der ersten Jahre vermehrt italienische Briefe schrieb und solche auf Französisch - wie Mazarin oder Marie-Félicie des Ursins (vgl. Kapitel 6.2.2.4) - vorzugsweise ihren Sekretären diktierte, kann anhand der Sammlung von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) nicht eindeutig geklärt werden. Zwar sind ca. 40 der aus den ersten zwei Jahrzehnten erhaltenen Briefe von Sekretären verfasst und vier der elf autographes auf Italienisch 60 , allerdings ist die Gesamtzahl der Briefe aus den 1530er und 1540er Jahren so gering (ca. 50 von 6000), dass davon auszugehen ist, dass der Großteil schlichtweg nicht überliefert ist. Auch wenn somit die Annahme, sie habe wenige Briefe auf Französisch selbst verfasst, spekulativ bleiben muss, belegen Aussagen wie im oben zitierten Ausschnitt, dass sie sich noch in den 1550er Jahren ihrer mangelnden Schreibkompetenz bewusst war und es manchmal vorzog, gewisse Inhalte durch Boten übermitteln zu lassen. Im Folgenden werden vier frühe autographes (1536, 1536, 1543, 1543) besprochen. Neben phonetischen Schreibungen wie z. B. <fo fere> ‘faut faire’ und Genusfehlern wie <letre parle quel> 61 , die auf eine mangelnde (orthographische) Kompetenz im Allgemeinen hindeuten, finden sich auch Formen, die sich nur durch Interferenzen mit dem Italienischen erklären lassen. So müssen etwa <meracomanda[n]t> (vgl. it. raccomandare ), <posibyle> (vgl. it. possibile ) und <figle> ‘fille’ 62 als italianisierend gelten. Keine der drei Formen lässt sich auf die Variation im Frühneufranzösischen zurückführen. Die Schreibung <ra-> in recommander findet sich nur in den beiden Briefen aus dem Jahre 1536, in allen weiteren für die vorliegende Arbeit analysierten autographes erscheint sowohl in den Formen des Verbs recommander als auch in jenen des Substantivs recommandation ausschließlich <re-> 63 . In den Briefen der Sekretäre ist ebenfalls nur die Schreibung <re-> nachweisbar 64 . Ebenfalls nur <re-> findet sich in einem autographe von Sebastiano Zametti 65 . Weder 60 Auch der Umstand, dass sich in frühen diktierten Briefen (in französischer Sprache) handschriftliche Ergänzungen von Catherine de Médicis auf Italienisch finden, könnte darauf hindeuten, dass sie noch vermehrt das Italienische verwendete (vgl. z. B. Briefe CM Bd. 1: 4: Ergänzung zum Brief vom 01. August 1539). 61 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 3, Fn. 3): Brief vom August 1536, Briefe CM (Bd. 1: 3): Brief vom August 1536. 62 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 3, Fn. 3): Brief vom August 1536, Briefe CM (Bd. 1: 3): Brief vom August 1536. 63 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 42-43): Brief von Ende Juni 1551, Briefe CM (Bd. 10: 5): Brief vom Oktober 1551, Briefe CM (Bd. 1: 48): Brief von Ende Oktober 1551, Briefe CM (Bd. 1: 67): 2. Brief vom 20./ 23. Juni 1552, Briefe CM (Bd. 1: 71-72): Brief vom Oktober 1552, Briefe CM (Bd. 1: 82-83): Brief vom 03./ 08. September 1553, Briefe CM (Bd. 1: 99): Brief vom Juni 1555, Briefe CM (Bd. 1: 128-129): Brief von Ende November 1559, Briefe CM (Bd. 1: 219-220): Brief von Ende Juli 1561. 64 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 25): Brief vom 17. Juni 1548 [Anonym], Briefe CM (Bd. 1: 43-44): Brief vom 26. September 1551 [Anonym], Briefe CM (Bd. 1: 49): Brief vom 22. Februar 1552 [Anonym], Briefe CM (Bd. 5: 5-6): Brief vom 03. Juni 1574 [Anonym], Briefe CM (Bd. 8: 344): Brief vom 06. August 1585 [Anonym / CM]. 65 Vgl. Brief von Zametti vom August 1582 (BNF FF 15 906 (2) [723]). 470 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 471 im DMF (s.v. recommander , recommandation ) noch in GDF (s.v. recommander , recommandation ), HUG (s.v. recommander , recommandation ) oder FRANTEXT (1500-1600) lassen sich Graphien mit <ra-> ausfindig machen 66 . Eine Suchanfrage im GRAND CORPUS (<rac(c)omander/ -ation>) führte zu keinerlei Ergebnissen. Ganz offensichtlich liegt hier also eine von Sprachbeobachtern des 16. und 17. Jahrhunderts nicht eigens wahrgenommene Interferenz mit it. raccomandare vor, die Catherine de Médicis nach wenigen Jahren in Frankreich auch selbst überwindet. Ähnliches kann für <posibyle> festgestellt werden: Die möglicherweise viersilbige Form erinnert stark an it. possibile und ist nur einmal in einem der beiden Briefe von 1536 nachweisbar. In allen weiteren autographes sowie in den Briefen der Sekretäre finden sich ausschließlich Belege für <posible / possible / possyble> 67 . Im DMF (s.v. possible ), in GDF (s.v. possible ), HUG (s.v. possible ) und FRAN- TEXT (1500-1600) sind keine Belege, die auf possibile hindeuten, nachweisbar 68 . Im GRAND CORPUS finden sich keine remarques zu etwaigem fr. possibile . Anders als bei <racomanda[n]t> und <posibyle> handelt es sich bei <figle> lediglich um eine Interferenz in der Graphie, die keine Auswirkungen auf die Aussprache gehabt haben dürfte. Schließlich blieb palatales [ʎ] auch im Französischen bis zum 18. oder gar 19. Jahrhundert erhalten (vgl. u. a. Rheinfelder Bd. 1, 1963: 113, 200 und Huchon 1988: 84) 69 . Wenn Catherine de Médicis also fr. fille mit <figle> wiedergibt, kann lediglich von einer Interferenz im Hinblick auf graphische Konventionen (it. <gl(i)> für [ʎ]) gesprochen werden. Wie bei <posibyle> handelt es sich hierbei um eine einmalige Erscheinung, die weder in späteren autographes noch in von den Sekretären verfassten Briefen auftaucht. 66 In FRANTEXT (1500-1600) wurde auch nach flektierten Formen ( flexion et variantes XVI e -XVII e siècles ) gesucht. In HUG und GDF wurde nicht nur unter den entsprechenden Lemmata, sondern über recherche simple im gesamten Wörterbuch gesucht. 67 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 77-78): Brief von Ende Juli 1553, Briefe CM (Bd. 1: 107): Brief von Ende August 1557, Briefe CM (Bd. 7: 359): Ergänzung zum Brief vom 19. Februar 1581 [Pinart / CM], Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585, Briefe CM (Bd. 1: 43-44): Brief vom 26. September 1551 [Anonym], Briefe CM (Bd. 1: 491): Brief vom 31. Januar 1563 [Anonym], Briefe CM (Bd. 10: 502-504): Instruction à Monsieur de Matignon vom 16. Juni 1574 [Pinart], Briefe CM (Bd. 5: 22): Brief vom 17. Juni 1574 [Pinart], Briefe CM (Bd. 7: 373-374): Brief vom 29. April 1581 [Anonym / CM], Briefe CM (Bd. 8: 262): Brief vom 25. April 1585 [Anonym], Briefe CM (Bd. 8: 344): Brief vom 06. August 1585 [Anonym / CM]. 68 In FRANTEXT (1500-1600) wurde auch nach flektierten Formen gesucht ( flexion et variantes XVI e -XVII e siècles ). In HUG und GDF wurde nicht nur unter den entsprechenden Lemmata, sondern über recherche simple im gesamten Wörterbuch gesucht. 69 Allerdings betont Marchello-Nizia (1997: 112-113), dass zahlreiche Schreibungen bereits ab dem ausgehenden 13. Jahrhundert darauf hindeuten, dass [ʎ] allmählich zu [j] reduziert wird, der Wandel von [ʎ] > [j] also vereinzelt schon früh einsetzte. Alle weiteren Okkurrenzen haben die Form <fyl(l)e / fille> 70 . Suchanfragen (<figle(s)>) im DMF sowie in GDF , HUG , FRANTEXT (1500-1600) und im GRAND CORPUS erzielten keine Treffer. Dass es sich in allen soeben besprochenen Fällen (<racomandant>, <posibyle> und <figle>) tatsächlich um Interferenzen mit dem Italienischen handelt, legt im Übrigen auch ein Blick auf die italienischen Briefe von Catherine de Médicis nahe. Wie in Kapitel 6.3.2 bereits erwähnt wurde, konnten diese Briefe nicht im Original analysiert werden. Vertraut man aber der Edition von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943), lässt sich - obschon die Menge an italienischen autographes gering ist - erkennen, dass die entsprechenden Kognaten, d.h. it. raccomandare , possibile und figlia , die Graphien <ra->, <-ibile> und <gl> aufweisen 71 . Die Schreibung <figle> lässt sich im 17. Jahrhundert außerdem in einem französischen Brief einer Verwandten, Marie de Médicis ( autographe vom August 1615), nachweisen (vgl. Avenel Bd. 2, 1853: 149), was ebenfalls dafür spricht, dass es sich dabei um eine Interferenz mit dem Italienischen handelt 72 . Bisher wurden Interferenzen nur anhand von einzelnen Lexemen untersucht. Während dies für <racomanda[n]t> und <posibyle> durchaus gerechtfertigt ist - schließlich finden sich in den analysierten Briefen (87 der Gruppe B sowie die Texte anderer Immigranten) keine weiteren Belege für den Ersatz von fr. redurch rabzw. -ible durch -ibile -, bedarf <gl> für [ʎ] einer genaueren Betrachtung. Auch wenn abgesehen von <figle> in keinem der autographes von Catherine de Médicis l mouillé mit <gl> wiedergegeben wird (vgl. u.a. <mylleur>, <alle> ‘aille’, <travalle>, <batalle>, <barbuller> ‘barbouiller’, <ballant> ‘baillant’, <traval>, falle ‘faille’) 73 , handelt es sich dabei um eine Interferenz, die unter 70 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 125): Brief vom September 1559, Briefe CM (Bd. 1: 128-129): Brief von Ende November 1559, Briefe CM (Bd. 1: 135-136): Brief vom Mai 1560, Briefe CM (Bd. 2: 383): Brief vom September 1566, Briefe CM (Bd. 8: 238-239): Brief vom Februar 1585, Briefe CM (Bd. 1: 49): Brief vom 22. Februar 1552 [Anonym], Briefe CM (Bd. 7: 416-417): Brief vom 18. November 1581 [Anonym]. 71 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 2): Ergänzung zum Brief vom 12. September 1533 (BNF Fonds Dupuy n o 486 [55]), Briefe CM (Bd. 1: 2): Brief vom 14. September 1533 (Archives de Turin [ohne Angabe]), Briefe CM (Bd. 1: 3): Brief vom 03. Dezember 1533 (BNF Fonds Dupuy n o 486 [79]), Briefe CM (Bd. 1: 4): Ergänzung zum Brief vom 01. August 1539 (Arch. des Médicis, filza 4726 [2]). 72 Zur mangelnden Französisch-Kompetenz von Marie de Médicis vgl. die in Kapitel 6.2.2.4 besprochenen Aussagen ihrer Zeitgenossen. 73 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 6, Fn. 1): Brief vom Juni 1543, Briefe CM (Bd. 1: 42-43): Brief von Ende Juni 1551, Briefe CM (Bd. 1: 67): 2. Brief vom 20./ 23. Juni 1552, Briefe (Bd. 1: 71-72): Brief vom Oktober 1552, Briefe CM (Bd. 1: 82-83): Brief vom 03./ 08. September 1553, Briefe CM (Bd. 3: 82-83): Brief vom Dezember 1567, Briefe CM (Bd. 4: 167): Brief vom 13. Februar 1573, Briefe CM (Bd. 6: 37-39): Brief vom 18. September 1578, Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. 472 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 473 italienischen Einwanderern - zumindest zu Beginn ihres Aufenthalts in Frankreich - möglicherweise weit verbreitet war. In einem der zwei stark italianisierenden Texte, die von einem unbekannten italienischen Sekretär des Cardinal d’Armagnac verfasst wurden (vgl. Kapitel 7.2), erscheint häufig <gl> für [ʎ]: z. B. <apres avoir avittouaglie le chiasteau>, <lui baglier quelque moien>, <il baglia une compagnie>, <il a baglie> ‘il a baillé’, <il luy baglia ung sien>, <animes alla piglierie> 74 . Solche Schreibungen durch die Variation im noch wenig normierten rinascimentalen Französisch zu erklären, würde in jedem Fall zu kurz greifen. Zwar sehen sich alle romanischen Sprachen im Laufe ihrer Verschriftung dem Problem gegenüber, insbesondere die neu entstandenen palatalen Laute mit dem herkömmlichen lateinischen Alphabet wiederzugeben, allerdings kann trotz der seit dem Mittelalter entstandenen Vielfalt an Varianten <gl(i)> für [ʎ] als vorwiegend italienisch betrachtet werden 75 . Die Korpusanalyse der italienischen Produktionsdaten in Kapitel 6.3.3.1.2 zeigt ebenfalls, dass <gl(i)> für [ʎ] im Italienischen etabliert war. Rheinfelder Bd. 1 (1963: 113) nimmt <gl(i)> nicht in seine Auflistung der zahlreichen möglichen Schreibungen für l mouillé im Französischen auf. Anders als bei <gn> für [ɲ] gehen das Französische und das Italienische hier also unterschiedliche Wege. Dass zumindest für gebildete Franzosen - und diese waren es schließlich, die überwiegend des Schreibens mächtig waren - <gl(i)> italienisch und <(i)ll> französisch war, belegt auch die folgende Stelle aus Estiennes Deux Dialogues , in der er bestimmte Erbwörter des Italienischen zu Unrecht als Gallizismen im Italienischen ausweist. Trotz der z.T. falschen Etymologien können seine Beobachtungen zur Verteilung von <gl(i)> vs. <(i)ll> ernst genommen werden. CEL.: [...] Quant aussi à quelques mots latins, esquels ils ont voulu nous ensuyvre (c’est-à-dire, les desguiser ainsi que nous, ou à peu pres), au lieu que nous y doublons ceste mesme lettre, asçavoir L, ils y mettent GL , comme quand pour muraille que nous avons faict du latin «murus», ils disent muraglia. Toutesfois les mieux parlans disent plustost muro comme je pense. Mais comme nous avons «mur» et «muraille», aussi ont-ils voulu avoir muro et muraglia. Le mesme ont-ils faict en autres mots de semblable pronontiation qu’ils ont pareillement pris de nous, combien qu’il n’y ait point d’apparence que nous les ayons des Latins, comme en ce mot travail. 74 Vgl. Briefe CM (Bd. 6: 409-412): Relation du cardinal d’Armagnac touchant l’accomodement qu’il a faict avec le mareschal Damville, pour le remettre aux bonnes graces de sa Majesté vom Dezember 1578 [Kopie]. 75 Für einen diachronen Überblick zum Umgang mit den neu entstandenen palatalen Lauten in verschiedenen romanischen Schriftsystemen vgl. insbesondere Meisenburg (1996: 55-66), speziell zum Französischen vgl. Morin (2009), zum Italienischen vgl. Biffi/ Maraschio (2009). Vgl. ferner die in Kapitel 6.3.2 genannte Literatur. Car de cestuy-ci ils ont faict travaglio , comme tagliare de tailler. (Estienne [1578] 1980: 412, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) 76 Auch im Hinblick auf die Schreibung anderer palataler Konsonanten lassen sich in einigen Texten Besonderheiten beobachten, die möglicherweise Interferenzen mit dem Italienischen geschuldet sind. Während sowohl in den autographes von Catherine de Médicis als auch in den Briefen, die von ihren Sekretären verfasst wurden, durchgängig <ch> für [∫] erscheint 77 , finden sich im soeben erwähnten Text des unbekannten Sekretärs sowie in einzelnen Briefen von Filippo Strozzi 78 neben unauffälligen Schreibungen (z. B. <marchant>, <riche>) auch Graphien wie <maceminer>, <rice>, <face> ‘fâché’, <ciastiglion> ‘Chastillon’, <depeces>, <cesquin> ‘chacun’, <marcier> ‘marcher’, <de recieff>, die alle an italienische Konventionen (<ce>, <ci>, <cia>, <cio>, <ciu> für [t∫]) erinnern, die, wie in Kapitel 6.3.3.1.3 gezeigt wurde, im 16. Jahrhundert als relativ stabil gelten können. Gewiss ist im Nordgalloromanischen neben <che> auch <ce> für [∫] belegt (vgl. z. B. Marchello-Nizia 1997: 111-112). In den Briefen italienischer Immigranten von dialektalen Schreibungen - <ce> für [∫] begegnet u. a. in pikardischen Texten - anstelle von Interferenzen mit italienischen Konventionen auszugehen, scheint mir aber wenig sinnvoll zu sein. Während Filippo Strozzi, der in jungen Jahren nach Frankreich kam und 1560 zum Seigneur d’Épernay (in der Region Alsace-Champagne-Ardenne-Lorraine) ernannt wurde, möglicherweise tatsächlich mit nördlichen Schreibtraditionen in Berührung gekommen sein könnte, scheint dies zumindest für den italienischen Sekretär aus dem okzitanischen Sprachraum äußerst unwahrscheinlich zu sein 79 . 76 An dieser Stelle sei angemerkt, dass das Suffix aille in französischen Substantiven in nicht wenigen Fällen eigentlich dadurch erklärbar ist, dass Lehnwörter aus dem Italienischen (z.B. fr. antiquaille < it. anticaglia ) vorliegen (vgl. dazu auch TLFi s.v. aille suff. sowie Holtus 1990: 524). 77 Belege für <ch> für [∫] finden sich in beinahe allen untersuchten Briefen der Gruppe B, so dass an dieser Stelle auf Verweise auf einzelne Briefe verzichtet wird. In nur einem Fall begegnet <cercher> ‘chercher’, das der regelmäßigen Verteilung auf den ersten Blick zu widersprechen scheint. Die Form findet sich in einem von einem Sekretär verfassten Brief (vgl. Briefe CM: Bd. 5: 5-6: Brief vom 03. Juni 1574 [Anonym]). In diesem Fall handelt es sich aber vermutlich nicht um einen Fehler aus Unachtsamkeit. Viel wahrscheinlicher ist, dass der Sekretär eine konservativere Schreibung für chercher wählt, das erbwörtlich im Anlaut [s] statt [∫] aufweist. Die regressive Assimilation von [s] >[∫] setzt sich laut Rheinfelder Bd. 1 (1963: 167) ohnehin erst im 16. Jahrhundert durch, so dass die Schreibung möglicherweise nicht einmal konservativ, sondern sogar phonetisch (<c> für [s]) ist. 78 Vgl. Briefe CM (Bd. 7: 499-500): Brief vom 06. April 1581, Briefe CM (Bd. 7: 500): Brief vom 14. August 1581. 79 Die Annahme, es könne sich bei diesem unbekannten Sekretär entgegen den Angaben von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 6 (1897: 410, Fn. 1) nicht um einen Ita- 474 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 475 Auch für das stimmhafte Pendant [ʒ] lassen sich vereinzelt Schreibungen nachweisen, die italianisierend anmuten. Neben <i> und <j> findet im Französischen auch <g> Verwendung, allerdings erscheint dieses insbesondere vor <e> [e], [ɛ] und <i> [i]. Graphien wie <giours> und <giustice> in den Briefen des unbekannten Sekretärs 80 und <giustification> in einem Text von Cavriana 81 scheinen daher eher die Schreibung der italienischen Entsprechungen <giorni>, <giustizia> und <giustificazione> widerzuspiegeln, was sich zumindest im Falle von Cavriana anhand seiner italienischen Texte auch nachweisen lässt. In den Briefen von Catherine de Médicis ( autographes und dictées ) taucht hingegen weder vor [y] noch vor [ɔ], [o] oder [u] <g> für [ʒ] auf. Die Lexeme jour , justifier sowie justification weisen im Übrigen alle <i> oder <j> auf 82 . Die Schreibungen <giours>, <giustice> und <giustification> lassen sich weder im DMF noch in GDF , HUG , FRANTEXT (1500-1600) oder im GRAND CORPUS nachweisen. Möglicherweise ebenfalls als italianisierend zu betrachten sind <Languedoch> in den Briefen des unbekannten Sekretärs sowie <d’Annemarch> ‘de Danemark’ in einem Brief von Scipione Sardini 83 . Die Sequenz <ch> für [k] kann liener („L’écriture et le style de cette pièce ont une telle couleur italienne que l’intelligence du texte est souvent difficile.“), sondern um einen Sprecher einer okzitanischen Varietät handeln, scheint angesichts der Vielzahl italianisierender Schreibungen (<alla>, <gl>, <cia>, s impurum ) nicht gerechtfertigt. Selbst wenn man Formen wie <sperence> ‘espérance’ als hyperkorrekt betrachtet - im Okzitanischen war die Prothese voll produktiv und hyperkorrekte Formen in der Folge häufig (vgl. Sampson 2003, 2004, 2010) - können Graphien wie <alla> und <gl> im 16. Jahrhundert als italianisierend gelten. Nicht gänzlich auszuschließen ist, dass es sich unter Umständen um einen von italienischen Schreibtraditionen beeinflussten okzitanischen Schreiber handelt. Meisenburg (1996: 369-371) erwähnt Studien zu okzitanischen Scriptae , die starke Einflüsse von italoromanischen Schreibtraditionen aufweisen (z. B. Heinimann 1988: 179). Wenn man annimmt, dass der unbekannten Sekretär des Cardinal d’Armagnac tatsächlich ein von italoromanischen Traditionen beeinflusster okzitanischer Schreiber war, so wären die o. g. Graphien dennoch, wenn auch indirekt, als italianisierend zu werten. 80 Vgl. Briefe CM (Bd. 6: 409-412): Relation du cardinal d’Armagnac touchant l’accomodement qu’il a faict avec le mareschal Damville, pour le remettre aux bonnes graces de sa Majesté vom Dezember 1578 [Kopie], Briefe CM (Bd. 6: 221-222, Fn. 1): Mémoire du cardinal d'Armagnac, légat d'Avignon, touchant les offres que le mareschal Damville faict pour rentrer aux bonnes grâces de Sa Majesté vom 01. Dezember 1578 [Kopie]. 81 Vgl. Brief von Cavriana: Propos tenus par le Sr Cabriani vom 16. November [1585] vor Monsieur d’Espernon und „beaucoup de monde“ (BNF FF 3374 [6-7]). Auffällig ist, dass im Brief wenige Wörter vor <giustification> von Sebastiano Zametti die Rede ist. Möglicherweise hat der italienische Eigenname hier die italienische Schreibtradition gewissermaßen getriggert. 82 Vgl. Briefe CM (Bd. 4: 167): Brief vom 13. Februar 1573, Briefe CM (Bd. 5: 5-6): Brief vom 03. Juni 1574 [Anonym], Briefe CM (Bd. 8: 469-470): Mémoire de Catherine de Médicis au Duc de Montmorency vom Mai 1585 [Anonym] z.T. mit (de)chiffrierten Passagen. 83 Vgl. Brief von Sardini vom 07. September 1562 (BNF FF 3219 [91]). als italienische Konvention betrachtet werden (vgl. z. B. Migliorini 1957b, Marazzini 1993: 206 sowie Kapitel 6.3.3.1.3), wohingegen, wie bereits weiter oben besprochen, im Französischen <ch> für [∫] verwendet wird. Weder in den autographes von Catherine de Médicis noch in den Briefen, die sie ihren Sekretären diktierte, hat <ch> den Lautwert [k]; Schreibungen für Languedoc etwa weisen immer <c>, nicht jedoch <ch> auf 84 . Neben diesen mehr oder weniger systematischen Interferenzen, die auf der Übertragung von italienischen Konventionen auf französische Schreibungen beruhen, finden sich - wie im Falle von <racomanda[n]t> und <posibyle> bei Catherine de Médicis - auch in den Texten von Cavriana, Sardini und Strozzi einzelne Formen, die durch die Muttersprache der Immigranten bedingte ausdrucksseitige Besonderheiten aufweisen, aber weniger systematischer Natur zu sein scheinen: Bei Cavriana etwa begegnen <deux ò [‘ou’, vgl. it. o ] trois foys>, <C’est à cett’heure, Madame, o [‘ou’, vgl. it. o ] jamais>, <plus par voulonte naturelle que per [‘par’, vgl. it. per ] ce que vous> 85 , bei Sardini <ne sen fier entierament [‘entièrement’, vgl. it. interamente ]> 86 . In einem Brief von Strozzi 87 lässt sich schließlich sogar die von Henri Estienne ([1578] 1980: 415, 434) in seinen Deux Dialogues als italianisierend kritisierte Form <Italle> statt <Italie> ausfindig machen. Die Schreibung <o> für ‘ou’ findet sich weder in den autographes von Catherine de Médicis noch in den von den Sekretären verfassten Briefen: Während in ersteren <u> oder <ou> erscheint, begegnet in letzteren immer <ou> 88 . Sie ist auch nicht in den Texten der anderen Immigranten anzutreffen. Die Form 84 Als Beispiele können beinahe alle Briefe aus Gruppe B dienen, so dass hier auf Einzelnachweise verzichtet werden kann. Speziell zu <Languedoc> vgl. Briefe CM (Bd. 6: 292-293): Brief vom 03. März 1579, Briefe CM (Bd. 5: 5-6): Brief vom 03. Juni 1574 [Anonym], Briefe CM (Bd. 7: 416-417): Brief vom 18. November 1581 [Anonym], Briefe CM (Bd. 8: 4): Brief vom 15. Januar 1582 [Anonym]. In nur einem Fall erscheint <choucher> ‘coucher’ in einem autographe von Catherine de Médicis (vgl. Briefe CM Bd. 5: 143: Brief vom 28. September 1575). Vermutlich handelt es sich hierbei aber lediglich um einen Flüchtigkeitsfehler, bei dem <ch> gewissermaßen ‘zu früh’, also schon am Wortanfang, realisiert wurde. Anzunehmen, dass <choucher> im Anlaut [∫] aufweist oder dass in diesem Lexem durchgängig <ch> für [k] Verwendung findet, ist angesichts von Okkurrenzen wie <coucher> in anderen autographes (vgl. z. B. Briefe CM Bd. 1: 39-40: Brief vom 18. April 1551) wenig sinnvoll. Zum besonderen Fall von <sachager> vgl. Kapitel 7.3.5.4.3. 85 Vgl. Brief von Cavriana: Propos tenus par le Sr Cabriani vom 16. November [1585] vor Monsieur d’Espernon und „beaucoup de monde“ (BNF FF 3374 [6-7]), Brief vom 26. Juli 1586 (BNF FF 3374 [12]). 86 Vgl. Brief von Sardini vom 07. September 1562 (BNF FF 3219 [91]). 87 Vgl. Brief von Filippo Strozzi vom 05. Juni 1563 (BNF FF 3243 [60]). 88 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 10: 5): Brief vom Oktober 1551, Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585, Briefe CM (Bd. 1: 43-44): Brief vom 26. September 1551 [Anonym], Briefe CM (Bd. 1: 73-74): Brief vom 14. Januar 1553 [Anonym], Briefe CM (Bd. 5: 22): Brief 476 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 477 <entierament> mit <a> statt <e> lässt sich weder in DMF , GDF , HUG , FRAN- TEXT (1500-1600), GRAND CORPUS noch in den Briefen der Gruppe B nachweisen 89 . Belege für <per> können zwar in mehreren der o. g. Werke ermittelt werden, allerdings handelt es sich dabei zum Großteil um Okkurrenzen in lateinischen Passagen oder alt- und mittelfranzösischen Texten 90 . Dass <Ital(l)e> bzw. <Ytal(l)e> bei gewissen Français italianisants - wie z. B. Jean Lemaire de Belges - tatsächlich belegt ist, hat bereits Smith (1980a: 415, Fn. 430) gezeigt. Welche Schlüsse lassen sich nun aus den bisher besprochenen Erscheinungen für das françois italianizé der Immigranten ziehen? Dass es sich in diesen Fällen, wie es schließlich die Überschrift dieses Teilkapitels suggeriert, um einmalige Okkurrenzen handelt, ist in erster Linie der Datenlage geschuldet. Von Scipione Sardini konnte z. B. nur ein einziger Brief untersucht werden. Dass er fr. entièrement möglicherweise konsequent oder zumindest gehäuft mit <entierament> wiedergegeben hat, kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Gleiches gilt für <Italle> bei Strozzi und <per> bei Cavriana. Im Hinblick auf die äußerst interessanten systematischen Interferenzen wie z. B. <gl(i)> statt <(i)ll> für [ʎ] legen neben dem Beleg <figle> im ersten autographe von Catherine de Médicis die zahlreichen Okkurrenzen in einem der Briefe des Sekretärs aus Armagnac nahe, dass die Italiener zunächst an spezifisch italienischen Schreibkonventionen festhielten. Ähnliches könnte für <g(i)> für [ʒ] vor [y], [ɔ], [o] und [u] sowie für <ch> für [k] angenommen werden. Angesichts der Tatsache, dass nur zwei Dokumente dieses Sekretärs und wenige Texte Cavrianas berücksichtigt werden konnten, lassen sich aber keine verlässlichen Aussagen darüber machen, ob und ggf. in welchem Maße solche Schreibungen häufiger anzutreffen waren als die französischen. Problematisch ist auch, dass im Falle des Sekretärs - wenn er überhaupt Italiener war - gänzlich unklar ist, seit wann er in Frankreich weilte. Bei Cavriana hingegen liegen - wie auch bei Lodovico Gonzaga, Filippo Strozzi und Sebastiano Zametti - Texte vor, die erst Jahrzehnte nach der Immigration verfasst wurden, so dass insgesamt mit deutlich weniger Interferenzen zu rechnen ist. Was die frühen autographes von Catherine de Médicis betrifft, ist die Lage nicht wirklich besser. Zwar zeigt ein Vergleich mit den späteren Briefen, dass vom 17. Juni 1574 [Pinart], Briefe CM (Bd. 8: 262): Brief vom 25. April 1585 [Anonym]. In seltenen Fällen begegnet in den autographes auch <au> ‘ou’, was auf [o] hindeutet. 89 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 130-131): Brief vom 03. Januar 1560, Briefe CM (Bd. 10: 502-504): Instruction à Monsieur de Matignon vom 16. Juni 1574 [Pinart], Briefe CM (Bd. 5: 198-199 und 315-316): Brief vom 16. Mai 1576 [Anonym], Briefe CM (Bd. 8: 258-259): Brief vom 19. April 1585 [Anonym / CM]. 90 Dass nicht per , sondern par die im Französischen der Renaissance gebräuchliche Variante darstellt, veranschaulicht ein Passus aus Robert Estiennes Traicté de la gr-maire Francoise (1557: 86), in dem er lat. per fr. par gegenüberstellt. Formen wie <posibyle> und <racomanda[n]t> durch französischere Varianten ersetzt werden, wie verbreitet die anfänglichen Interferenzen aber tatsächlich waren, lässt sich aufgrund der geringen Anzahl sowie der Kürze der vier verfügbaren Manuskripte nicht rekonstruieren. Ob der Ersatz von re- durch ra- bzw. von -ible durch -ibile auf die o. g. Lexeme beschränkt blieb oder ob er als systematische morphologische Interferenz in weiteren Wörtern mit entsprechenden Präbzw. Suffixen zu beobachten war, kann anhand der verfügbaren Daten nicht geklärt werden. Neben <posibyle> und <racomanda[n]t> sind keine weiteren Lexeme mit den jeweiligen Affixen vorhanden 91 . Auch im Hinblick auf die Beurteilung der Konkurrenz zwischen den Graphien <gl(i)> und <(i)ll> für die Wiedergabe von l mouillé stellt die Datenlage ein Problem dar. In den vier Manuskripten finden sich lediglich zwei Wörter mit [ʎ]: <figle> und <mylleures>. Während ersteres in einem der ca. 1536 verfassten Briefe erscheint, findet sich <mylleures> in einem ca. 1543 geschriebenen autographe . Ob Catherine de Médicis in den ersten Jahren also vermehrt oder sogar durchgängig <gl(i)> für l mouillé schrieb und erst ab 1543 die Graphie <(i)ll> Verwendung fand, lässt sich nicht feststellen. Auch die Zahl an Kontexten, in denen andere palatale Konsonanten (z. B. [ʒ] und [∫]) graphisch realisiert werden müssten, ist äußerst gering. Trotz der soeben diskutierten Probleme können aus den - durch die Datenlage bedingten - Einzelbeobachtungen allgemeinere Schlussfolgerungen und Vermutungen abgeleitet werden. Die Untersuchung der Dokumente zeigt, dass im Französischen der Immigranten Besonderheiten zu beobachten sind, die sich nicht durch die interne Variation im Französischen des 16. Jahrhunderts erklären lassen, sondern - was der These Winds (1928) widerspricht - auf Interferenzen mit dem Italienischen zurückzuführen sind. Neben ausdrucksseitigen Veränderungen in Einzelwörtern (z. B. <entierament>) kam es offenbar auch zu systematischen Interferenzen, etwa durch die Übertragung italienischer Schreibkonventionen auf das Französische (z. B. <baglia> für fr. bailla ). Interessant ist, dass davon zumeist die graphische Realisierung von im Lateinischen nicht vorhandenen palatalen Konsonanten (<gl(i)> für [ʎ], <gi> für [(d)ʒ] und <c> für [(t)∫]) betroffen ist, die wie etwa <ch> für [k] als italienische Spezifika gelten können. Wie in Kapitel 6.3.3.1 gezeigt wurde, erweisen sich diese spezifisch italienischen Traditionen als äußerst stabil. In italienischen Texten der Immigranten werden sie auch nach Jahrzehnten in der France italienne nicht durch französische Entsprechungen ersetzt. Was die Intensität der Interferenzen anbelangt, kann trotz der wenigen Dokumente festgestellt werden, dass diese in den einzelnen Briefen stark variiert: In den Texten des anonymen Sekretärs aus 91 Unglücklicherweise finden sich auch keine Lexeme mit den Allomorphen -able oder -uble , die analog zu -ible durch -abile oder -ubile ersetzt hätten werden können. 478 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 479 Armagnac (vgl. auch die folgenden Teilkapitel) sind zahlreiche Interferenzen zu beobachten, in jenen von Cavriana hingegen deutlich weniger. Zu vermuten ist, dass Interferenzen in frühen Briefen häufiger sind als in solchen, die zu einem Zeitpunkt verfasst wurden, als die jeweiligen Schreiber schon länger in Frankreich lebten und das Französische schon besser erlernt hatten. Der Vergleich der vier autographes von Catherine de Médicis (1536, 1536, 1543, 1543) mit späteren Briefen scheint diese Annahme zu bestätigen. Gewisse italianisierende Formen (z. B. <posibyle>) werden nach einigen Jahren durch französischere Varianten ersetzt. Wie die Texte Cavrianas zeigen, sind aber auch in späten Briefen noch vereinzelt Interferenzen mit dem Italienischen nachweisbar (z. B. <o> für fr. ou ), wohingegen in italienischen Texten kaum Einflüsse aus dem Französischen erkennbar sind. Die Ergebnisse legen m. E. nahe, dass das Italienische die dominante Sprache der Einwanderer blieb und dass dessen Vitalität zumindest anfänglich Interferenzen in ihrem françois ( italianizé ) begünstigte. 7.3.3 Interferenzen in der Graphie und in der Lautung 7.3.3.1 Vorbemerkungen Le caractere est assez gros de lettre bastarde entre ltalienne & Françoise, l’ortographe n’est pas correcte mais elle l’est plus que des autres que nous avons vû de nostre Reyne Catherine de Medicis, quoy qu’elle eust demeuré déja plus de 30 ans en France. (Huguetan 1681: 69) Wenn man dem oben zitierten Passus aus einem Reisebericht von Huguetan, der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verschiedenste Briefe in den Vatikanischen Archiven sichtete, trotz der Tatsache, dass es sich dabei strenggenommen nicht um das Zeugnis eines direkten Zeitgenossen von Catherine de Médicis handelt, Glauben schenkt, sind nicht nur in frühen Briefen von Catherine de Médicis (vgl. das vorhergehende Kapitel) Interferenzen mit dem Italienischen zu beobachten. Im Gegenteil: In der Wahrnehmung eines gebildeten Franzosen aus dem siècle classique scheinen insbesondere im Hinblick auf die Orthographie auch in Briefen, die sie nach Jahrzehnten in Frankreich verfasst hat, noch deutliche Einflüsse des Italienischen erkennbar zu sein. In den folgenden Kapiteln werden daher italianisierende Schreibungen in allen autographes (1536-1588) von Catherine de Médicis sowie von weiteren italienischen Immigranten besprochen und ggf. französischeren Graphien aus den Briefen der Sekretäre gegenübergestellt. Neben Auffälligkeiten in Einzelwörtern sind v. a. systematische Interferenzen, wie sie von zeitgenössischen Sprachbeobachtern wie Estienne (1578) beschrieben wurden, von Interesse. Dass sich diese Besonderheiten dadurch erklären lassen könnten, dass Catherine de Médicis das Schicksal vieler Frauen der Renaissance teilte, die laut Baddeley (1993: 149-153) häufig nur im Lesen, nicht aber im Schreiben unterrichtet wurden und daher oft sehr eigentümliche Graphien entwickelten, ist im Übrigen kein Nachteil. Im Gegenteil: Laut Baddeley (1993) sind in den Texten der Frauen deutlich weniger relatinisierte, dafür aber mehr phonetische Schreibungen anzutreffen als in solchen, die von gebildeten Männern und professionellen Schreibern redigiert wurden. Zu erwarten ist also, dass die autographes von Catherine de Médicis aufgrund ihrer möglicherweise geringen Kenntnis traditioneller und etymologisierender Schreibungen Rückschlüsse auf ihre tatsächliche Aussprache zulassen. 7.3.3.2 Vokalismus 7.3.3.2.1 Graphien für [ɛ], [wɛ], [wa] Wie in Kapitel 4.2.3.1.1 gezeigt wurde, sieht Estienne im Ersatz von [wɛ] durch [ɛ], der sich insbesondere in den Endungen des imparfait und conditionnel , aber auch in bestimmten Einzelwörtern wie endret ‘endroit’ oder vela ‘voilà’ sowie in Herkunftsbezeichnungen wie françois (<-ois>/ <-oise>) manifestiert, eine den Italienern geschuldete Aussprache, die schließlich von den französischen Höflingen übernommen wurde. In den Deux Dialogues wird an den entsprechenden Stellen - also z. B. nicht in Fällen wie <doit>, <soit>, <avoir> - daher konsequent zwischen <e> für [ɛ] in der Rede Philausones und <oi / oy> für [wɛ] in den Beiträgen von Celtophile unterschieden. Im o. g. Kapitel wurde dargelegt, dass es sich sowohl bei [wɛ] als auch bei [ɛ] um erbwörtliche Lautungen des Französischen handelt und dass im Falle von [ɛ] vermutlich nicht einmal von einer Innovation des 16. Jahrhunderts ausgegangen werden kann. Ganz gleich, ob man - wie es traditionell der Fall ist - annimmt, dass es sich dabei in der Tat um eine - zeitlich nicht genau situierbare - Monophthongierung ([wɛ] > [ɛ]) handelt, oder ob man davon ausgeht, dass [ɛ] als autochthone Variante des Pariser Beckens parallel zu jüngerem [wɛ] weiterexistierte, kann für die Situation im 16. Jahrhundert Folgendes festgehalten werden: Für die Fortsetzung von lat. ĭ und ē unter dem Hauptton in freier Stellung existieren [wɛ], [ɛ] sowie das laut Chauveau (2012) vermutlich erst im 15. Jahrhundert entstandene [wa] nebeneinander. Letzteres wird von Estienne ebenfalls kritisiert, nicht aber als italianisierend ausgewiesen. Zeitgenössische metasprachliche Zeugnisse (vgl. Thurot Bd. 1, 1881: 374-376) zeigen, dass die Schreibung <oi/ oy> im 16. Jahrhundert für die Lautungen [wɛ], [ɛ] und [wa] steht und im Einzelfall nicht vorausgesagt werden kann, welche der drei Lautungen in Wörtern mit <oi/ oy> tatsächlich anzunehmen ist (vgl. z. B. auch Catach 1989: 50 sowie Vachon 2010: 82-84). Gewiss existieren phonetische Schreibungen wie <oa> und <e>, die auch in den Deux Dialogues Verwendung 480 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 481 finden und die Lautungen [wa] bzw. [ɛ] nahelegen 92 , allerdings lässt sich umgekehrt von <oi/ oy> nicht zwangsläufig auf [wɛ] schließen. In Kapitel 4.2.3.1.1 wurde dafür argumentiert, dass Estienne, da er in früheren Werken für den ‘Wandel’ [wɛ] >[ɛ] italienischen Einfluss eigentlich ausschloss, in den Deux Dialogues v. a. wahrscheinlich machen will, dass die italienischen Höflinge an der Verbreitung, nicht aber in erster Linie am Aufkommen von [ɛ] statt [wɛ] beteiligt waren. Aufgrund ihrer sozialen Stellung hätten sie so zur Etablierung dieser Aussprache am Hofe und mithin im zeitgenössischen bon usage beigetragen. Vor diesem Hintergrund ließe sich der Ersatz von [wɛ] durch [ɛ] auch tatsächlich als Wandel bzw. Innovation - auf diastratischer Ebene - verstehen. Die ursprünglich diastratisch niedrig markierte Variante [ɛ] wird aufgrund der gehäuften Verwendung durch die Italiener salonfähig. Ob Estienne wusste, dass [ɛ] bereits lange vorher existierte, ist aus synchroner Perspektive denn auch nicht mehr von Bedeutung. Als Sprachbeobachter seiner Zeit stellt er - zu Recht - fest, dass die konkurrierenden Lautungen [wɛ], [ɛ] und [wa] nebeneinander existierten und dass bei Hofe die Tendenz bestand, die ursprüngliche Prestigevariante [wɛ] durch diastratisch niedrig markiertes [ɛ] zu ersetzen. Dass die Italiener angesichts der Tatsache, dass das Italienische kein [wɛ] als Fortsetzung aus lat. ĭ und ē unter dem Hauptton in freier Stellung kennt (die regelmäßige Entwicklung führt zu [e]), möglicherweise wirklich vermehrt [ɛ] statt [wɛ] artikulierten und so unter Umständen zur Diffusion der Aussprache beitrugen, wird in der Forschung (vgl. z. B. Chaurand 1977: 74 und Schmitt 2003: 802) vereinzelt auch angenommen. Um eine Beteiligung der italienischen Höflinge an der Verbreitung von [ɛ] statt [wɛ] wahrscheinlich zu machen und so Estiennes Vermutungen zu belegen, muss zunächst gezeigt werden, dass sich in deren françois italianizé tatsächlich überwiegend [ɛ] findet. Zu diesem Zweck wurden die konkurrierenden Schreibungen <oi / oy> und <e> in den 87 Briefen der Gruppe B ausgezählt. Was die Verteilung der Graphien angeht, sind deutliche Unterschiede zwischen den autographes von Catherine de Médicis und den von ihren Sekretären verfassten Briefen zu erwarten. Auch wenn, wie weiter oben bereits erwähnt, aus den möglicherweise überwiegend in den Briefen der Sekretäre erscheinenden <oi/ oy>‒Schreibungen nicht ohne Weiteres gefolgert werden kann, dass diese auch wirklich für [wɛ] stehen, lässt sich umgekehrt aus phonetischen Schreibungen wie <e> ableiten, dass diese dem Lautwert [ɛ] entsprechen. Wenn sich also in den autographes von Catherine de Médicis vermehrt <e> statt <oi/ oy> nachwei- 92 Schon Brunot HLF II (1906: 255-256) weist auf <e> und <oa> statt <oi / oy> in den zeitgenössischen „autographes des moins lettrés“ hin. sen ließe, würde dies in der Tat dafür sprechen, dass zumindest in ihrem françois italianizé [ɛ] anzutreffen war. Für die Datenerhebung galt es Folgendes zu berücksichtigen: Um nicht eine Vielzahl an Belegen zu sammeln, die in einem späteren Schritt wieder aus den Daten ausgeschlossen hätten werden müssen, wurden nur solche Okkurrenzen von <oi / oy> berücksichtigt, die für [wɛ], [ɛ] und [wa] stehen können. Fälle wie <Poloigne>, in denen <i> nicht als Teil des Digraphs <oi> zu verstehen ist, sondern zu <ign> gehört, einer durchaus nicht unüblichen Schreibung, um den palatalisierten Konsonanten [ɲ] graphisch wiederzugeben (vgl. auch <ill> für [ʎ]), wurden grundsätzlich nicht berücksichtigt. Die Zahl solcher Fälle war aber überschaubar. Deutlich komplizierter verhält es sich hingegen mit <e>. Dieses findet natürlich nicht nur als phonetische Schreibung für [ɛ] statt [wɛ] wie z. B. in <vela>, sondern auch für die Wiedergabe aller anderen e -Laute Verwendung. Neben <le> ‘le, les’, <de> ‘de, des’, <fet> ‘fait, faites’ begegnet z. B. auch <seusedere> ‘succèdera’ 93 , in dem <e> vermutlich nicht für [a] steht, dessen Lautwert aber nicht ohne Weiteres bestimmbar ist. Für die Untersuchung wurden daher nur solche Vorkommen von <e> berücksichtigt, für die vorausgesetzt werden kann, dass im 16. Jahrhundert auch die Aussprache [wɛ] oder [wa] verbreitet war (Endungen des imparfait und conditionnel , Herkunftsbezeichnungen mit -ois / oise sowie Einzellexeme, in denen [ɛ] bzw. [wɛ] zumeist auf lat. ĭ und ē unter dem Hauptton in freier Stellung zurückgeht 94 ). Ein weiteres Problem ist darin zu sehen, dass neben <e> in manchen Fällen auch die Schreibung <ay>, etwa in <connaystre> 95 statt <oi>, als phonetische Schreibung interpretiert werden muss. Während der Untersuchung fielen aber keine weiteren Okkurrenzen von <ay/ ai> für <oy / oi> auf. ‘Umgekehrt’ ist natürlich auch mit umgekehrten Schreibungen zu rechnen, in denen <oy / oi> für <ay / ai> [ɛ] steht, wie in <voy> ‘vais’. Diese stellen aber insofern kein größeres Problem dar, als sie im Gegensatz zu <ai / ay> ohnehin erfasst werden, also nicht eigens gesucht werden müssen, und bei der quantitativen - nicht bei der qualitativen - Auswertung einfach unberücksichtigt bleiben können. Solche Fälle waren im Korpus auch selten und nur in den autographes von Catherine de Médicis anzutreffen. Die Graphie <oe>, etwa in <toutfoes>, müsste zur Gruppe <oi / oy> gezählt werden, kommt in den Briefen der Gruppe B aber nicht vor 96 . Die Schreibungen <oui/ 93 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 194): Brief von Anfang Mai 1561. 94 Auch Lexeme, deren lat. Etymon nicht ĭ und ē unter dem Hauptton in freier Stellung aufweist, können sich der Entwicklung zu [wɛ] anschließen (vgl. dazu Rheinfelder Bd. 1, 1963: 22-23). 95 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 6, Fn. 1): Brief vom Juni 1543. 96 Vgl. aber z. B. Brief von Sardini vom 07. September 1562 (BNF FF 3219 [91]). 482 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 483 ouy>, z. B. in <souyt> und <volouir>, werden, da sie auf die Lautung [wa] hindeuten könnten, als eigene Untergruppe behandelt. Okkurrenzen von <oi / oy> sowie von <e> vor Nasal blieben aufgrund der hinreichend bekannten retardierenden Wirkung 97 dieser Laute grundsätzlich unberücksichtigt. Da die Nasalisierung der Vokale und die damit einhergehende retardierende Wirkung zunächst unabhängig von der Position der folgenden Nasalkonsonanten (sowohl im Kopf als auch in der Koda) erfolgte, wurden sowohl Belege wie <moins> als auch solche wie <poine> von der Analyse ausgeschlossen. Der Großteil der dadurch nicht erfassten Okkurrenzen entfällt im Übrigen auf die soeben genannten Beispiele sowie auf die Verneinungspartikel point und Formen von reine . Wie die folgende Übersichtstabelle zeigt, wurden die Belege innerhalb der zwei Kategorien (Sekretäre vs. autographes ) in zwei Gruppen eingeteilt (<oi / oy> vs. <e>). Da die Zahl der Belege für <oui / ouy>, die nur in den autographes von Catherine de Médicis erscheinen, überschaubar ist, werden diese Fälle später gesondert besprochen. Innerhalb der Gruppen <oi / oy> vs. <e> wurden die Okkurrenzen in zwei Untergruppen eingeteilt (Lexem [= Lex.] vs. Endung [= End.]). Während letztere nur Belege umfasst, die <oi / oy> bzw. <e> in den o. g. Verbalendungen sowie in Herkunftsbezeichnungen mit -oi / oise aufweisen, finden sich in ersterer Schreibungen für Einzelwörter wie voilà oder endroit sowie für sonstige Endungen (z. B. -oir in vouloir ). Ob es sich bei den Belegen der Verbalformen in der Gruppe Endung um Vollverben im imparfait oder conditionnel (z. B. <ie aves peur>) oder aber um Hilfsverben in zusammengesetzten Zeiten, d. h. plus-que-parfait oder conditionnel passé (z. B. <mavet promis>), handelt, wurde nicht kenntlich gemacht. Eigennamen (z. B. Amboise , Blois , Savoye ) blieben grundsätzlich unberücksichtigt. Jahrzehnt Sekretäre autographes <oi / oy> <e> <oi / oy> <e> Lex. End. Lex. End. Lex. End. Lex. End. 1530er 1540er 19 2 0 0 8 1 1 1 21 von 21 100 % 0 von 21 0 % 9 von 11 82 % 2 von 11 18 % 97 Vgl. dazu z. B. Straka (1955) und Rheinfelder Bd. 1 (1963: 71-86). Jahrzehnt Sekretäre autographes <oi / oy> <e> <oi / oy> <e> Lex. End. Lex. End. Lex. End. Lex. End. 1550er 52 14 0 0 98 2 0 14 66 von 66 100 % 0 von 0 0 % 100 von 114 88 % 14 von 114 12 % 1560er 68 6 1 0 124 10 4 46 74 von 75 99 % 1 von 75 1 % 134 von 184 73 % 50 von 184 27 % 1570er 101 12 2 0 84 9 2 11 113 von 115 98 % 2 von 115 2 % 93 von 106 88 % 13 von 106 12 % 1580er 114 16 2 0 80 9 4 27 130 von 132 98 % 2 von 132 2 % 89 von 120 74 % 31 von 120 26 % 1530er- 1580er 404 48 5 0 394 31 (24 %) (130) 11 99 (76 %) (130) 452 von 457 99 % aller Okk. 5 von 457 1 % aller Okk. 425 von 535 79 % aller Okk. 110 von 535 21 % aller Okk. Tab. 27: Übersicht zu <e> vs. <oi / oy> in den Briefen von Catherine de Médicis Wie aus der Tabelle hervorgeht, sind phonetische Schreibungen (<e> für [ɛ]) ausschließlich in den autographes vorzufinden. In fünf von 457 Fällen (1 %) erscheint zwar auch in den Briefen der Sekretäre <e>, allerdings handelt es sich dabei ausnahmslos um Formen des Verbs voir im Futur oder Konditional (z. B. <vous verrez>) 98 . In den autographes werden diese Formen von voir kurioserweise durchgängig mit <oi / oy> wiedergegeben (z. B. <voyre> ‘verrez’) 99 . Im 98 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 515): Brief vom 22. Februar 1563 [Anonym], Briefe CM (Bd. 5: 5-6): Brief vom 03. Juni 1574 [Anonym], Briefe CM (Bd. 5: 22): Brief vom 17. Juni 1574 [Pinart], Briefe CM (Bd. 7: 406-407): Brief vom 23. Oktober 1581 [Anonym], Briefe CM (Bd. 8: 4): Brief vom 15. Januar 1582 [Anonym]. Schon Vachon (2010: 147-148) weist darauf hin, dass diese Formen zu den wenigen gehören, die auch in gedruckten Texten früh und mehrheitlich (ca. 82 %) mit <e> erscheinen. 99 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 42-43): Brief von Ende Juni 1551, Briefe CM (Bd. 2: 383): Brief vom September 1566, Briefe CM (Bd. 3: 202-203): Brief vom 12. November 1568, Briefe CM 484 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 485 Hinblick auf die phonetischen Schreibungen <e> in den autographes lässt sich Folgendes feststellen: Während <e> in insgesamt ‘nur’ 110 von 535 möglichen Kontexten (21 %) nachweisbar ist, scheint es in den Endungen des imparfait und conditionnel hingegen die unmarkierte Variante zu sein. In 99 von 130 Fällen (76 %) begegnet hier die Schreibung <e>. Noch deutlicher wird dies, wenn man umgekehrt betrachtet, auf welche Kontexte sich die phonetischen Schreibungen überwiegend verteilen: Von den insgesamt 110 Vorkommen von <e> entfallen 90 % (99 Okkurrenzen) auf die o. g. Verbalendungen 100 . Die restlichen elf Fälle verteilen sich auf die von Estienne kritisierte Form <vela> (sechs Okkurrenzen) 101 sowie auf Formen von connaître 102 (vier Okkurrenzen), das wie im Übrigen auch alle Formen seiner Ableitungen (z. B. <reco(n)gnoissance>) von den Sekretären durchgängig mit <oi / oy> wiedergegeben wird 103 . In einem einzigen Fall erscheint auch <reaume> ‘royaume’ 104 , das ansonsten aber konsequent mit <oi / oy> geschrieben wird. Die Graphien für connaître in den autographes sind im Übrigen äußerst interessant, bestätigen sie doch, dass das Verb bereits im 16. Jahrhundert auch mit [ɛ] ausgesprochen werden konnte. Schon Vachon (2010: 83) gibt angesichts der Annahme von Catach u. a. (1995: 268-269, s.v. connaître ), denen zufolge eine solche Aussprache für connaître erst im 17. Jahrhundert attestiert sei, zu bedenken: „[…] ce qui n’exclut pas qu’elle ait déjà existé de façon sporadique au 16 e siècle“. (Bd. 6: 37-39): Brief vom 18. September 1578, Briefe CM (Bd. 7: 359): Ergänzung zum Brief vom 19. Februar 1581 [Pinart / CM], Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. 100 Herkunftsbezeichnungen mit -ois / oise , die ja schließlich auch zur Gruppe Endung gehören, waren wider Erwarten so selten, dass sie nicht ins Gewicht fielen. In den Briefen der Sekretäre erscheint einmal <angloys> (vgl. Briefe CM Bd. 1: 491: Brief vom 31. Januar 1563 [Anonym]), wohingegen in den autographes einmal <Polonoys> begegnet (vgl. Briefe CM Bd. 10: 320: Brief vom Juni 1573). 101 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 290-293): Brief vom 10. April 1562, Briefe CM (Bd. 5: 143): Brief vom 28. September 1575, Briefe CM (Bd. 6: 37-39): Brief vom 18. September 1578, Briefe CM (Bd. 8: 13): Brief vom 15. März 1582, Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. 102 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 6, Fn. 1): Brief vom Juni 1543, Briefe CM (Bd. 1: 130-131): Brief vom 03. Januar 1560, Briefe CM (Bd. 1: 290-293): Brief vom 10. April 1562, Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. 103 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 22-23): Brief vom 07. April 1548 [Bertauld], Briefe CM (Bd. 1: 43-44): Brief vom 26. September 1551 [Anonym], Briefe CM (Bd. 3: 157): Brief vom 21. Juli 1568 [De Neufville], Briefe CM (Bd. 5: 5-6): Brief vom 03. Juni 1574 [Anonym], Briefe CM (Bd. 10: 502-504): Instruction à Monsieur de Matignon vom 16. Juni 1574 [Pinart], Briefe CM (Bd. 5: 213): Brief vom 15. August 1576 [Anonym / CM], Briefe CM (Bd. 7: 373-374): Brief vom 29. April 1581 [Anonym / CM], Briefe CM (Bd. 8: 344): Brief vom 06. August 1585 [Anonym / CM]. Nur in einem Fall findet sich auch in den autographes <oy> in <conoysant> (vgl. Briefe CM Bd. 6: 37-39: Brief vom 18. September 1578). 104 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 536): Ergänzung zum Brief vom 20. März 1563. Wie sind diese Schreibungen nun zu interpretieren? Aus den Graphien <oi / oy> der Sekretäre lässt sich nicht zwangsläufig ableiten, dass diese in der Mehrheit der Fälle auch in der Mündlichkeit tatsächlich [wɛ] (oder [wa]) produzierten. Die gebildeten Schreiber könnten trotz der etablierten Graphien eine andere Aussprache gepfelgt haben 105 . Die phonetischen Schreibungen <e> in den autographes hingegen legen nahe, dass im françois italianizé von Catherine de Médicis in der Tat [ɛ] anzutreffen war, wobei dies insbesondere in den o. g. Verbalendungen angenommen werden muss. Von den 1530er bis in die 1580er Jahre werden diese mehrheitlich mit <e> geschrieben. Die Frage, ob in den Fällen, also insbesondere in Einzelwörtern außer voilà und connaître , in denen <oi / oy> erscheint, [wɛ], [ɛ] oder sogar [wa] anzunehmen ist, kann nicht beantwortet werden. Auch Catherine de Médicis könnte sich der Tatsache bewusst gewesen sein, dass z. B. in <roy>, <royaume>, <soit> usw. <oi / oy> die etablierte Schreibung war, ohne jedoch auch tatsächlich [wɛ] ausgesprochen zu haben. Schließlich las sie die meisten Briefe, die sie diktierte, bevor sie diese unterschrieb, und könnte so mit den Graphien der Sekretäre konfrontiert worden sein. Wie die absoluten Zahlen zeigen, handelt es sich beim Großteil aller Kontexte, in denen <oi / oy> erscheint, nicht nur in ihren eigenen Briefen (394 von 425 Okkurrenzen), sondern auch in denen der Sekretäre (404 von 452 Okkurrenzen) nicht um die o. g. Endungen, sondern zumeist um lexikalische Wörter, die zudem auch noch äußerst frequent sind ( roi , royaume usw.). Dass sie also vermehrt in solchen Fällen und nicht bei den Endungen mit den traditionellen Graphien in Berührung kam, ist durchaus nicht unwahrscheinlich. Neben der Form <reaume> lassen v. a. umgekehrte Schreibungen wie <ie voy> ‘je vais’ 106 , die immer homograph zu den Formen von je vois 107 sind, vermuten, dass - zumindest in manchen Wörtern - <oi / oy> dem Lautwert [ɛ] entsprach. Auch die eingangs erwähnten Graphien <ouy / oui>, die auch in anderen Texten des 16. Jahrhunderts nachweisbar sind (vgl. z. B. Thurot Bd. 1, 1881: 371) und die aufgrund von <u> auf [w] hindeuten könnten, tragen nur wenig zur Klärung der Frage bei, ob im Französischen von Catherine de Médicis neben [ɛ] auch [wɛ] oder sogar [wa] existiert hat. Die Schreibungen kommen - abgesehen von <plesouyt> ‘plaisait’ in einem äußerst hastig geschriebenen Brief an 105 Auch Vachon (2010: 84) stellt sich die Frage, ob trotz der Graphien <oi / oy> in der Mündlichkeit unter Umständen bereits [ɛ] etabliert war. Allerdings tendiert sie angesichts der Ergebnisse (98,5 % <oi> vs. 1,5 % <ai>) ihrer Korpusanalyse zur Annahme, dass „la prononciation [ɛ] ne devait pas paraître naturelle“. 106 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 67): 2. Brief vom 20./ 23. Juni 1552, Briefe CM (Bd. 5: 143): Brief vom 28. September 1575, Briefe CM (Bd. 6: 292-293): Brief vom 03. März 1579. 107 Vgl. Briefe CM (Bd. 10: 5): Brief vom Oktober 1551, Briefe CM (Bd. 1: 290-293): Brief vom 10. April 1562, Briefe CM (Bd. 6: 37-39): Brief vom 18. September 1578, CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. 486 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 487 Henri III aus dem Jahre 1585, der in vielerlei Hinsicht sprachliche Auffälligkeiten aufweist (vgl. auch die folgenden Kapitel) - nur selten und nur in <souyt>, <souyr>, <volouir> und <povouyr> 108 vor. In denselben Briefen begegnen nun aber nicht nur <scavoir> und <savoyr>, sondern auch <povoyr> und <soit>. Sowohl die konkurrienden Schreibungen für die Einzelwörter pouvoir und soit als auch die Graphien für savoir , von dem angenommen werden kann, dass sich die lautliche Realisierung seiner Endung nicht wesentlich von derjenigen in vouloir und pouvoir unterscheidet, legen nahe, dass es sich bei <ouy/ oui> lediglich um Varianten von <oi / oy> handelt. Will man diese eher seltenen Schreibungen dennoch als Indiz dafür werten, dass in bestimmten Umgebungen [wɛ] oder [wa] artikuliert wurde, lässt sich abschließend Folgendes festhalten: Die phonetischen Schreibungen <e> in den autographes von Catherine de Médicis lassen den Schluss zu, dass in ihrem françois italianizé [ɛ] statt [wɛ] zu beobachten war. Angesichts des Umstands, dass 90 % dieser Graphien in Verbalendungen ( imparfait , conditionnel , plus-que-parfait , conditionnel passé ) erscheinen und 76 % dieser Endungen mit <e> geschrieben werden, kann angenommen werden, dass in diesen Fällen sogar ausschließlich [ɛ] anzutreffen war. Schwieriger verhält es sich mit der Beurteilung der <oi / oy>-Schreibungen. Umgekehrte Schreibungen wie <ie voy> ‘je vais’ deuten darauf hin, dass auch <oi / oy> dem Lautwert [ɛ] entsprach. Insbesondere in hochfrequenten lexikalischen Wörtern wie roi , royaume könnte die Schreibung <oi / oy> einfach erlernt worden sein. Andererseits könnten Grapien wie <oui / ouy>, z. B. in vouloir , pouvoir , soir, als Anzeichen dafür gewertet werden, dass in manchen Wörtern auch [wɛ] oder [wa] anzutreffen war. Möglicherweise ist diesbezüglich im Französischen von Catherine de Médicis mit einem hohen Maß an Variation - unter Umständen abhängig vom Einzelwort - zu rechnen, wie sie schließlich für das Französische des 16. Jahrhunderts im Allgemeinen angenommen wird. Im Hinblick auf die Beobachtungen Estiennes kann festgehalten werden, dass diese durch die oben diskutierten Ergebnisse in zweifacher Hinsicht bestätigt werden. Zum einen scheint [ɛ] statt [wɛ] tatsächlich im françois italianizé verbreitet gewesen zu sein 109 , zum anderen sind davon auch insbesondere diejeni- 108 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 39-40): Brief vom 18. April 1551, Briefe CM (Bd. 10: 5): Brief vom Oktober 1551, Briefe CM (Bd. 1: 194): Brief von Anfang Mai 1561, Briefe CM (Bd. 1: 219-220): Brief von Ende Juli 1561, Briefe CM (Bd. 1: 290-293): Brief vom 10. April 1562, Briefe CM (Bd. 4: 167): Brief vom 13. Februar 1573, Briefe CM (Bd. 4: 183): Brief vom 17. März 1573, Briefe CM (Bd. 7: 314): Ergänzung zum Brief vom 04. Januar 1581, Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. 109 In den Texten der anderen italienischen Immigranten konnten trotz einer relativ hohen Anzahl potentieller Kontexte keine phonetischen Schreibungen (<e> für [ɛ]) ausfindig gemacht werden. Mit Ausnahme von <verrez> in einem Brief Cavrianas (vgl. Brief von Cavriana vom 05. November 1585, BNF FF 3374 [8-11]) erscheinen ausnahmslos die Graphien gen Kontexte und Einzelwörter betroffen, die Estienne in den Deux Dialogues explizit nennt: Neben den o. g. Verbalendungen weisen z. B. alle sechs Okkurrenzen für voilà in den untersuchten autographes <e> (<vela>) auf. 7.3.3.2.2 Graphien für [u] und [y] In Kapitel 6.2.2.4 wurde anhand von Daten aus Texten des 16. und 17. Jahrhunderts gezeigt, dass den italienischen Immigranten offenbar auch die Artikulation der gerundeten Palatalvokale [ø], [œ] und [y] Probleme bereitete. Sowohl die fingierten Produktionsdaten in den Memoiren von Vieilleville (<precioulx> statt <precieux>, <escouz> statt <escus / z>) sowie jene aus den Memoiren von Bassompière (<Seignor> statt <Seigneur>) deuten darauf hin, dass im françois italianizé der Immigranten - in der Wahrnehmung der Franzosen - [ø], [œ] und [y] als [o], [ɔ] oder [u] realisiert wurden. Wie im o. g. Kapitel bereits erläutert wurde, ist es nicht unwahrscheinlich, dass diese - von Estienne (1578) im Übrigen nicht kritisierte - Erscheinung in der Tat zu beobachten war. Da das Italienische mit Ausnahme der galloitalienischen Mundarten keine gerundeten Palatalvokale kennt und schließlich die Mehrheit der Einwanderer spätestens ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus Zentralitalien stammte, wäre es durchaus denkbar, dass es bei der Aussprache dieser markierten Laute zu durch die Muttersprache der Italiener bedingten Interferenzen kam. Der Ersatz der französischen Vokale durch [o], [ɔ] und [u] könnte leicht durch die Unterschiede zwischen dem französischen und italienischen Vokalinventar erklärt werden. Angesichts der Tatsache, dass Catherine de Médicis toskanischer Herkunft war, liegt es nahe, dass diesbezüglich auch in ihrem françois italianizé Besonderheiten festzustellen sind. Bestimmte Schreibungen in ihren autographes scheinen diese Annahme schon auf den ersten Blick zu bestätigen: Während auffällige Graphien für [œ] und [ø] (z. B. <cour> ‘cœur’, <solemant> ‘seulement’ oder <dus> ‘deux’ 110 ) eher selten begegnen, sind zahlreiche Schreibungen für [u] und [y] anzutreffen (z. B. <iouque> neben <iuesques> sowie in ein und demselben Brief <resuldre> neben <resouldre> 111 ), die vermuten lassen, dass ihr die Unterscheidung der beiden Vokale nicht immer leicht gefallen sein könnte. <oi>, <oy> sowie einmal <oe>. Vermutlich lässt sich dies dadurch erklären, dass es sich in den meisten Fällen um Briefe handelt, die zu einem Zeitpunkt geschrieben wurden, als die jeweiligen Verfasser bereits seit langer Zeit in Frankreich lebten. Denkbar ist auch, dass das Fehlen von phonetischen Schreibungen mit dem meist hohen Elaborationsgrad der Texte zusammenhängt, die fast alle in distanzsprachlichen Kontexten entstanden sind. 110 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 99): Brief vom Juni 1555, Briefe CM (Bd. 1: 290-293): Brief vom 10. April 1562, Briefe CM (Bd. 10: 5): Brief vom Oktober 1551, Briefe CM (Bd. 3: 202): Ergänzung zum Brief vom 11. November 1568. 111 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 99): Brief vom Juni 1555, Briefe CM (Bd. 1: 130-131): Brief vom 03. Januar 1560, Briefe CM (Bd. 8: 13): Brief vom 15. März 1582. 488 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 489 Davon auszugehen, dass die beiden Laute grundsätzlich nicht auseinandergehalten wurden, also [y] nicht artikuliert wurde, und dass <u/ eu> und <ou> daher gleichermaßen für [u] stehen, würde aber in jedem Fall zu kurz greifen: Die autographes verraten nämlich auch, dass beim Großteil der Graphien die Verteilung derjenigen von heute entspricht, d. h. <ou> für [u] und <eu / u> für [y]. Wie sind also Fälle wie <iouque> neben <iuesques> und <resuldre> neben <resouldre> zu interpretieren? Es kann vermutet werden, dass in Fällen wie <iouque> die Graphie <ou> auch tatsächlich der Lautung [u] entspricht. Dies ist deshalb anzunehmen, weil nicht nur in der Mehrheit der Lexeme, in denen auch heute [u] <ou> vorzufinden ist (z. B. jour ), sondern auch in Wörtern wie côté und chose bisweilen <ou> erscheint 112 , für die die Aussprache [u] statt [o] im 16. und 17. Jahrhundert weit verbreitet war. Die Varianten <coute> und <chouse> (beide mit [u]) beispielsweise werden, wie in Kapitel 4.2.3.1.1 dargelegt wurde, von zahlreichen Sprachbeobachtern der Frühen Neuzeit, so z. B. auch von Estienne (1578), kritisiert. Offenbar entspricht <ou> in den autographes von Catherine de Médicis also in der Regel [u]. Formen wie <iouque> könnten so durch die eingangs besprochene Interferenz (Ersatz von [y] durch [u]) erklärt werden, die durch die Schreibung <ou> für [u] reflektiert wird. Dass analog zu <ou> für [u] der Schreibung <u> immer [y] entsprechen muss, ist hingegen wenig plausibel. In diesem Fall müsste <resuldre> als hyperkorrekte Form ([y] statt [u]) interpretiert werden, was angesichts weiterer Formen wie <u> ‘ou’ und ‘où’ und <beaucup> 113 allerdings problematisch ist. Hyperkorrektismen in hochfrequenten Wörtern vorzufinden, ist bekanntermaßen eher unwahrscheinlich. Vermutlich entspricht der Schreibung <u> hier der Lautwert [u]. Möglicherweise kann in solchen Fällen von einer Interferenz ausgegangen werden, die nicht die Lautung, sondern lediglich graphische Traditionen (also it. <u> statt fr. <ou> für it. und fr. [u]) betrifft (vgl. etwa auch it. <gl(i)> statt fr. <(i)ll> für [ʎ] in z.B. fr. <figle>). Verkompliziert wird die Situation dadurch, dass es sich bei den Schreibungen <u> und <eu> - anders als bisher mehr oder weniger suggeriert worden ist - unter Umständen gar nicht um gleichberechtigte Varianten zur Wiedergabe von [y] (z. B. <iusques> neben <ieusques>) handelt 114 . Auf den ersten Blick scheint 112 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 194): Brief von Anfang Mai 1561, Briefe CM (Bd. 1: 290-293): Brief vom 10. April 1562. 113 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 10: 5): Brief vom Oktober 1551, Briefe CM (Bd. 3: 13-14): Brief vom 27. Februar 1567, Briefe CM (Bd. 1: 76-77): Brief von Ende Juli 1553. 114 Diese Annahme gilt natürlich nur für die Briefe von Catherine de Médicis. Im Französischen der Renaissance waren, wie Huchon (1988: 88-89) betont, <u> und <eu> gleichberechtigte Schreibungen für [y]. eigentlich nur <eu> tatsächlich immer für [y] zu stehen, wohingegen bei <u> ja auch die soeben erwähnten Schreibungen wie z. B. <resuldre> ([u]) begegnen. Noch schwieriger sind in diesem Zusammenhang die bisher noch nicht erwähnten Schreibungen wie z. B. <teurjeurs> ‘toujours’ und <teutte> ‘toutes’ 115 zu bewerten. Dass <eu> hier für [u] steht, ist mehr als unwahrscheinlich. Wie sollte hier eine Interferenz mit italienischen Konventionen (wie bei <resuldre>, in dem [u] durch it. <u> für [u] wiedergegeben wird) erklärt werden? Bei <eu> handelt es sich nicht um eine im Italienischen etablierte Graphie. Dass hyperkorrekte Formen mit [y] vorliegen, ist denkbar, allerdings gehören beide Wörter wohl gleichermaßen zum hochfrequenten Wortschatz. Angesichts der bisher diskutierten Fälle stellt sich die Frage, ob die eingangs als zu einfach zurückgewiesene Vermutung, im françois italianizé von Catherine de Médicis würden die Laute [u] und [y] zugunsten von [u] nicht wirklich auseinandergehalten, so dass <ou> und <u / eu> als mehr oder weniger austauschbare Schreibungen für [u] zu betrachten sind, möglicherweise doch richtiger ist, als zunächst angenommen wurde. Ein Blick auf die Verteilung der besonders auffälligen Schreibungen <teurjeurs> ‘toujours’ und <teutte> ‘toutes’ zeigt, dass diese im Gegensatz zu Graphien wie <iouque> neben <iuesques> und <resuldre> neben <resouldre> gehäuft in frühen Briefen erscheinen, ab den 1560er Jahren äußerst selten werden und schließlich ganz verschwinden. Denkbar wäre also, dass in den ersten Jahrzehnten tatsächlich eine große Unsicherheit im Umgang mit <ou> und <u / eu> als Konsequenz der offenbar schwierigen Unterscheidung von [u] und [y] zu beobachten war, dass sich die Lage aber allmählich stabilisierte und die beiden Laute zunehmend auseinandergehalten wurden. Zumindest hyperkorrekte Formen wie <teutte>, in denen [y] zu vermuten ist, sind nicht mehr anzutreffen. Die Fälle wie <iouque> neben <iuesques> und <resuldre> neben <resouldre>, die ihrerseits auch langsam seltener zu werden scheinen, könnten als Überreste der einstigen Unsicherheit gedeutet werden. Während Schreibungen wie <iouque> den nach Auskunft zeitgenössischer Sprachbeobachter auch im françois italianizé anderer Immigranten verbreiteten Ersatz von [y] durch [u] widerspiegeln würden, würde es sich bei <resuldre> statt <resouldre> lediglich um Interferenzen auf graphischer Ebene handeln (it. <u> für it. und fr. [u]). Aus dem bisher Gesagten dürfte zweierlei deutlich geworden sein: Zum einen bedurfte das Verhältnis von <ou> und <u / eu> (und in der Folge auch von [u] und [y]) in den Briefen von Catherine de Médicis einer genauen quantitativen und qualitativen Analyse, die insbesondere Unterschiede zwischen den einzel- 115 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 42-43): Brief von Ende Juni 1551, Briefe CM (Bd. 1: 77-78): Brief von Ende Juli 1553. 490 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 491 nen Jahrzehnten berücksichtigt, zum anderen ist die Situation weitaus komplizierter als im Falle der im vorhergehenden Kapitel besprochenen Schreibungen <oi / oy> vs. <e>. Sowohl bei <ou> vs. <u / eu> als auch bei <oi / oy> vs. <e> handelt es sich auf den ersten Blick in beiden Fällen um unterschiedliche Schreibungen, die unterschiedlichen Lautwerten zugeordnet werden können (<oi / oy> [wɛ] oder [wa] vs. <e> [ɛ] und <ou> [u] vs. <u / eu> [y]). Während angenommen werden kann, dass <ou> immer für [u] steht, so wie <e> immer auf [ɛ] verweist, muss bei der Analyse von <ou> allerdings auch unterschieden werden, ob der Lautwert [u] im entsprechenden Beleg lautgesetzlich als erbwörtlich (z. B. in <jour>) oder aber als italianisierend (z. B. in <iouque>) betrachtet werden muss. Bei <u / eu> verhält es sich noch komplizierter: Von <oi / oy> unterscheidet es sich nämlich in mehrfacher Hinsicht. Während <oi> und <oy>, wie in der Forschung üblich, als gleichberechtigte Varianten für die Wiedergabe desselben Lautwerts ([wɛ] oder [wa] 116 ) gelten, kann dies bei <u> und <eu> - in den Briefen von Catherine de Médicis - nicht vorausgesetzt werden. Möglicherweise ist nur <eu> ein eindeutiges Indiz für [y], wohingegen <u> gleichmäßig auf [u] und [y] verteilt sein könnte. Beide Schreibungen mussten daher getrennt voneinander betrachtet werden. Im Falle von <u> musste geklärt werden, ob sich hinter <u> [u] (z. B. <resuldre>), d. h. eine erbwörtliche Lautung mit italianisierender Graphie, oder [y] (z. B. <suget>) verbirgt. Die Schreibung <eu> hingegen verweist zwar vermutlich auf [y], allerdings musste bestimmt werden, ob es sich dabei um eine erbwörtliche (z. B. <ieusque>) oder hyperkorrekte (z. B. <teutte>) Lautung handelt. Anders als bei <oi / oy> ([wɛ] oder [wa]) musste hier also sowohl für <u> als auch für <eu> der vermutliche Lautwert ermittelt werden. Wie im Falle von <oi / oy> vs. <e> mussten auch die Daten für <ou>, <u> und <eu> 117 vorselektiert werden. Nicht aufgenommen wurden etwa Belege, in 116 Die unterschiedlichen Lautungen ([wɛ] oder [wa]) hängen nicht von den Graphien <oi> vs. <oy>, sondern vom Schreiber (Sprecher) und dem jeweiligen Einzelwort ab. Die Schreibung <oi / oy> steht bei einem bestimmten Schreiber in einem bestimmten Wort also entweder für [wɛ] oder [wa]. 117 In den Briefen begegnen häufig auch Schreibungen wie z. B. <povoir> und <voloir>. Dass insbesondere bei den Fortsetzern von vlat. [o], [ɔ] unter dem Nebenton bis ins 17. Jahrhundert Schwankungen in der Lautung und Schreibung (<o> und <ou>) zu beobachten waren, ist hinreichend bekannt (vgl. u. a. Thurot Bd. 1, 1881: 240-266, Brunot HLF II 1906: 251-254, Rheinfelder Bd. 1, 1963: 43-46, Huchon 1988: 90-91). Da aber <o> als phonetische Schreibung in diesen Fällen nicht für [u] stehen dürfte (vgl. z. B. auch Vachon 2010: 75) und diesbezüglich auch nicht von einer Interferenz mit dem Italienischen auszugehen ist - Schreibungen mit <o> finden sich auch in den diktierten Briefen (vgl. z. B. Briefe CM Bd. 5: 5-6: Brief vom 03. Juni 1574 [Anonym]) - blieben solche Graphien unberücksichtigt. Auch relatinisierte Schreibungen mit <au>, wie etwa in <chause> (vgl. dazu schon Darmesteter / Hatzfeld 1878: 196), wurden nicht berücksichtigt. Schreibungen wie z. B. <chause> statt <chouse> oder <aublier> statt <oublier> deuten schließlich darauf hin, denen <eu> damals wie heute für [œ] oder [ø] steht (z. B. <fleur>, <feu>) 118 . Wie eingangs bereits erwähnt, lassen sich hinsichtlich der graphischen Realisierung dieser Vokale kaum Auffälligkeiten in den Briefen feststellen. Ebenfalls unberücksichtigt blieben aufgrund der bereits im vorhergehenden Kapitel erwähnten retardierenden Wirkung von Nasalkonsonanten alle Okkurrenzen, in denen ein Nasal auf <ou>, <u> oder <eu> folgt. Davon sind zum Großteil ohnehin nur Formen des unbestimmten Artikels (<eun>, <heune>) betroffen. Die wenigen Belege aus dem vorangegangenen Kapitel, in denen <ou> als Teil von <oui / ouy> möglicherweise für [wa] steht, z. B. <souyr>, wurden nicht gezählt. Schreibungen wie <ui / uy>, die auf [ɥi] verweisen, wurden ebenfalls berücksichtigt und - besonders gekennzeichnet - zur Gruppe <eu> gezählt. Wie bei dieser handelt es sich auch bei <ui / uy> um eine Schreibung, die verlässlich einem bestimmten Lautwert [ɥi] zugeordnet werden kann (vs. <u>, das ja sowohl für [u] als auch für [y] stehen kann). Auch wenn die neuere Forschung davon ausgeht, dass [ɥ] nicht (mehr) als Allophon von / y/ betrachtet werden sollte 119 , sind sich die Laute phonetisch doch sehr ähnlich und dürften für einen Muttersprachler eines italoromanischen Idioms, in dessen Lautinventar beide Laute fehlen, wohl vergleichbare artikulatorische Schwierigkeiten darstellen. Da [ɥi] nach labialen Konsonanten zu [i] reduziert wurde, wurden Schreibungen wie <vuide> ‘vide’ nicht gezählt. Okkurrenzen, in denen [ɥi] vermutlich schon zu [y] geworden war (z. B. <charcuitier> ‘charcutier’) 120 bereiten hingegen natürlich keine Probleme. Graphien wie <seuys> ‘suis’ wurden wie <eu> behandelt und nur dieser Gruppe zugeteilt. Eigennamen (z. B. <Humyeres>, <Angoulesme>, <Ruffiac>) blieben grundsätzlich unberücksichtigt; ebenso Abkürzungen (z. B. <po ~ > für <pour>), die in der Edition ohne Kommentar aufgelöst wurden (also <pour>) 121 . Selbst wenn die Auflösung in vielen Fällen - etwa wenn im selben Brief auch tatsächlich ausgeschriebene Formen (<pour>) neben den Abkürzungen existieren 122 - gedass für ein Lexem zwei Lautungen ([o] und [u]) existierten, nicht darauf, dass <au> und <ou> austauschbare Schreibungen für [u] waren. 118 In Kapitel 6.2.2.4 wurde bereits darauf hingewiesen, dass bei lautgesetzlich regelmäßig entstandenem [ø] vor [r] im 16. Jahrhundert auch noch von [ø] ausgegangen werden kann. 119 Vgl. dazu z. B. die knappe Diskussion in Pustka (2011: 104-105). 120 Für eine knappe Übersicht zur Entwicklung von [ɥi] im Frühneufranzösischen vgl. Huchon (1988: 88). 121 Abkürzungen für hochfrequente Wörter sind in rinascimentalen Handschriften häufig anzutreffen (vgl. dazu z. B. Baddeley 1993: 37-38). 122 Von der Wortart abhängige Unterschiede bezüglich der Häufigkeit der Abkürzungen konnten nicht festgestellt werden. Pour kann sowohl als Präposition als auch als Subjunktion in abgekürzter Form erscheinen. 492 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 493 rechtfertigt erscheint, wurden für die Untersuchung nur solche Schreibungen berücksichtigt, die in den Manuskripten auch tatsächlich als <ou>, <u> und <eu> anzutreffen sind. Durch den Verzicht auf die Aufnahme dieser aufgelösten Formen - fast immer sind Formen von pour betroffen - wurde im Übrigen auch vermieden, dass die Anzahl an Belegen für hochfrequente Funktionswörter in den Daten für <ou> noch weiter ansteigt. In der Tat machen Formen für <pour> und <vous> den Großteil der Okkurrenzen aus. Diese aber einfach von der Analyse auszuschließen, erscheint mir angesichts der Tatsache, dass zahlreiche auffällige Schreibungen in den autographes von Catherine de Médicis mitunter auch in häufig gebrauchten Wörtern begegnen (z. B. <tu dus> ‘tous les deux’) 123 , nicht gerechtfertigt. Ganz offensichtlich lassen auch diese eine gewisse Variation und Interferenzen in der Schreibung zu. Wie die folgende Tabelle zeigt, wurden nur in der Kategorie autographes die Graphien <u> und <eu> getrennt voneinander betrachtet. Dies ist insofern legitim, als in den Briefen der Sekretäre weder hyperkorrekte Formen wie <teutte> noch italianisierende Schreibungen wie <resuldre> zu finden sind; <u> und <eu> stehen gleichermaßen für [y]. Innerhalb der Gruppen <ou>, <u> und <eu> wurde danach unterschieden, ob die Belege heute noch dieselbe Graphie aufweisen würden (z. B. <jour> [u]) oder nicht (z. B. <souget> vs. heute <u> [y]). Da die wenigen Belege des Typs <chouse> heute zwar einer anderen Schreibung und Lautung (<o/ ô> [o]) entsprechen, aber im 16. Jahrhundert auch [u] aufwiesen, werden diese dank ihrer gewissermaßen ‘korrekten’ Graphie und Lautung der gleichen Gruppe wie <jour> (heute <ou>) zugeordnet. Sie werden aber anschließend als eigene Gruppe besprochen. Im Falle von <eu> ist die moderne äquivalente Schreibung natürlich <u/ û>. Die Zahlen in eckigen Klammern in der Gruppe <eu> verweisen auf die Okkurrenzen von <ui / uy>, diejenigen in Gruppe <ou> auf Belege des Typs <chouse>. Ob <ou> innerhalb der Gruppe <ou> für [u] oder für [w] steht, wurde nicht kenntlich gemacht. 123 Vgl. Briefe CM (Bd. 3: 202): Ergänzung zum Brief vom 11. November 1568. Sekretäre autographes <ou> <eu / u> <ou> <u> <eu> heute <ou> <u> <u> <ou> <ou> jour <u> sujet <u> sûr <ou> résoudre <u> sûr <ou> toute 1530er 1540er 49 0 12 [3] 0 21 [0] 0 2 1 9 [2] 3 49 / 49 <ou> 100 % 12 / 12 <u> 100 % 21 / 21 <ou> 100 % 0 / 21 <u> 0 % 2 / 3 <u> 67 % 1 / 3 <ou> 33 % 9 / 12 <u> 75 % 3 / 12 <ou> 25 % 1550er 158 [1] 0 49 [28] 0 131 [6] 5 19 2 53 [23] 7 158 / 158 <ou> 100 % 49 / 49 <u> 100 % 131 / 136 <ou> 96 % 5 / 136 <u> 4 % 19 / 21 <u> 90 % 2 / 21 <ou> 10 % 53 / 60 <u> 88 % 7 / 60 <ou> 12 % 1560er 175 0 72 [21] 0 226 [7] 12 43 9 89 [54] 3 175 / 175 <ou> 100 % 72 / 72 <u> 100 % 226 / 238 <ou> 95 % 12 / 238 <u> 5 % 43 / 52 <u> 83 % 9 / 52 <ou> 17 % 89 / 92 <u> 97 % 3 / 92 <ou> 3 % 1570er 241 0 154 [42] 0 187 [2] 2 37 2 49 [34] 0 241 / 241 <ou> 100 % 154 / 154 <u> 100 % 187 / 189 <ou> 99 % 2 / 189 <u> 1 % 37 / 39 <u> 95 % 2 / 39 <ou> 5 % 49 / 49 <u> 100 % 0 / 49 <ou> 0 % 1580er 237 0 105 [51] 0 143 [1] 2 42 2 46 [40] 0 237 / 237 <ou> 100 % 105 / 105 <u> 100 % 143 / 145 <ou> 99 % 2 / 145 <u> 1 % 42 / 44 <u> 95 % 2 / 44 <ou> 5 % 46 / 46 <u> 100 % 0 / 46 <ou> 0 % Gesamt 860 [1] 0 392 [145] 0 708 [16] 21 143 16 246 [153] 13 860 / 860 <ou> 100 % 392 / 392 <u> 100 % 708 / 729 <ou> 97 % 21 / 729 <u> 3 % 143 / 159 <u> 90 % 16 / 159 <ou> 10 % 246 / 259 <u> 95 % 13 / 259 <ou> 5 % Tab. 28: Übersicht zu <u>, <eu> und <ou> in den Briefen von Catherine de Médicis 494 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 495 Wie aus der Übersicht hervorgeht, sind Auffälligkeiten hinsichtlich der Wiedergabe von [u] und [y] ausschließlich in den autographes von Catherine de Médicis zu beobachten. Alle 860 in den Briefen der Sekretäre ermittelten Okkurrenzen, in denen <ou> erscheint, würden auch heute die Schreibung <ou> aufweisen. Eine Ausnahme stellt die nicht zu den 860 Belegen gezählte Form <proufictent> 124 dar, in der sich <ou> aber leicht durch die Schwankungen zwischen [o], [ɔ] und [u] im Französischen der Renaissance (vgl. Anmerkung 117 weiter oben) erklären lässt. Auch in den 392 Belegen mit der Graphie <u / eu> sowie in den 145 Vorkommen, in denen <ui / uy> begegnet, wäre heute - von Akzenten und dem Ersatz von <y> durch <i> abgesehen - keine andere Schreibung zu erwarten. Anzunehmen ist also, dass die damaligen Schreibungen jeweils dem gleichen Lautwert wie heute entsprachen (<ou> [u], <u / eu> [y], <ui / uy> [y~ɥ]). Eine Unsicherheit bezüglich der graphischen Wiedergabe von [u] und [y] kann also zumindest bei gebildeten Schreibern offenbar nicht angenommen werden. Anders verhält es sich in den autographes von Catherine de Médicis. Nur hier finden sich die weiter oben diskutierten Schreibungen des Typs <iouque>, <resuldre>, <teurjeur>, für deren Erklärung auch schon Vermutungen angestellt wurden. Die Annahme, dass Catherine de Médicis [u] und [y] grundsätzlich auseinander halten konnte und <ou>, <u> und <eu> daher keine austauschbaren Schreibungen für [u] waren, wird durch die Ergebnisse der Korpusanalyse gestützt. Lässt man die besondere Verteilung in den frühen Briefen aus den 1530er und 1540er Jahren vorerst außer Acht, ist erkennbar, dass der Großteil der Belege auch heute die entsprechenden Graphien aufweisen würde. Von den insgesamt 729 Fällen, in denen <ou> erscheint (die 16 Okkurrenzen des Typs <chouse> sind darin nicht enthalten), würde auch heute in 708 Fällen (97 %) <ou> geschrieben werden. Ähnliches gilt für <u>: In 90 % aller Fälle (143 von 159) würde auch heute <u> begegnen; bei <eu> würden sogar 95 % (246 von 259) die heute äquivalente Graphie <u / û> aufweisen. Es kann also angenommen werden, dass Catherine de Médicis - wie ihre Sekretäre - mit den französischen Schreibkonventionen für die Wiedergabe von fr. [u] und [y] vertraut war und dass sie die Laute auch unterscheiden konnte. Wie sind vor diesem Hintergrund Schreibungen wie <iouque>, <resuldre>, <teurjeur> zu verstehen? Für <ou> in den 21 Belegen des Typs <iouque> wurde vorgeschlagen, dass es sich dabei um eine Schreibung handelt, die auf den von mehreren Sprachbeobachtern konstatierten Ersatz von [y] durch [u] im françois italianizé bestimmter Immigranten zurückgeführt werden kann. In diesem Fall wäre <ou> als phonetische Schreibung zu verstehen. Dafür spricht nicht nur, 124 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 53-54): Brief vom 01. Mai 1552 [Anonym]. dass <ou> in allen anderen Belegen (97 % der Gesamtzahl) für [u] steht, sondern auch, dass die insgesamt 16 bisher noch nicht gezählten Okkurrenzen von <ou> des Typs <chouse> (z. B. <cou(s)te> ‘côté’, <pouvre / poure> ‘pauvre’, <chouse>, <ourdinayre>, <dournavant>) 125 vermuten lassen, dass <ou> auf [u] verweist. Im Hinblick auf die 16 Formen wie <resuldre> wurde vermutet, dass die korrekte erbwörtliche Lautung [u] angenommen werden kann und lediglich eine Interferenz auf graphischer Ebene, d. h. mit italienischen Schreibkonventionen (it. <u> für it. und fr. [u]), vorliegt. Schreibungen wie <teurjeur> (insgesamt 13) hingegen wurden als Reflex hyperkorrekter Lautungen ([y] statt erbwörtlich [u]) betrachtet. Wie lässt sich diese unterschiedliche Behandlung aber rechtfertigen? Würde man annehmen, dass es sich dabei um das gleiche Phänomen handelt - die Schreibungen <u> und <eu> stehen im 16. Jahrhundert schließlich gleichermaßen für [y] -, müsste man davon ausgehen, dass es sich um hyperkorrekte Lautungen mit [y] handelt. Wie eingangs erwähnt wurde, kann für <eu>, das im Italienischen ja nicht vorhanden ist, nicht wahrscheinlich gemacht werden, dass in Formen wie <teurjeur> eine Interferenz mit italienischen Schreibkonventionen vorliegt. Das Argument, hyperkorrekte Lautungen seien in hochfrequenten Wörtern nicht zu erwarten, so dass z. B. in <tu> ‘tout’ nicht von einer hyperkorrekten Aussprache mit [y], sondern von einer graphischen Interferenz auszugehen sei, hat sich ohnehin als eher schwach erwiesen. Schließlich sind ja auch die Wörter, für die [y] statt [u] vermutet wird ( toujours <teurjeur>, toutes <teutte>), nicht weniger häufig. Im Falle von tout handelt es sich nur um verschieden Formen desselben Wortes. Besonders deutlich wird dies anhand der Konkurrenz von <heu> 126 und <u> 127 beide ‘où’: In beiden Fällen könnte also hyperkorrektes [y] vermutet werden, das durch austauschbare Schreibungen für [y] wiedergegeben wird. In diesem Fall würde es sich wie bei <ou> in <iouque> also auch um eine phonetische Schreibung handeln. Auch in das bisher gewonnene Gesamtbild würde sich ein solcher Befund gut einfügen. Catherine de Médicis beherrscht die Unterscheidung von <ou> und <u / eu>. 125 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 71-72): Brief vom Oktober 1552, Briefe CM (Bd. 1: 77-78): Brief von Ende Juli 1553, Briefe CM (Bd. 1: 99): Brief vom Juni 1555, Briefe CM (Bd. 1: 116-117): Brief von Ende Februar 1558, Briefe CM (Bd. 1: 128-129): Brief von Ende November 1559, Briefe CM (Bd. 1: 130-131): Brief vom 03. Januar 1560, Briefe CM (Bd. 1: 290-293): Brief vom 10. April 1562, Briefe CM (Bd. 1: 194): Brief von Anfang Mai 1561, Briefe CM (Bd. 1: 536): Ergänzung zum Brief vom 20. März 1563, Briefe CM (Bd. 2: 328): Ergänzung zum Brief vom 30. November 1565, Briefe CM (Bd. 2: 383): Brief vom September 1566, Briefe CM (Bd. 4: 183): Brief vom 17. März 1573, Briefe CM (Bd. 6: 37-39): Brief vom 18. September 1578, Briefe CM (Bd. 7: 328): Ergänzung zum Brief vom 20. Januar 1581. 126 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 77-78): Brief von Ende Juli 1553. 127 Vgl. Briefe CM (Bd. 3: 13-14): Brief vom 27. Februar 1567. 496 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 497 Formen wie <iouque> [u] und <resuldre>/ <teurjeur> [y] würden so als phonetische Schreibungen interpretiert werden, die lediglich Interferenzen bzw. Hyperkorrektismen in der Aussprache widerspiegelten, bezüglich der französischen Schreibtraditionen aber auf keinerlei Auffälligkeiten hindeuten würden. Nun aber wurde weiter oben schon erwähnt, dass Schreibungen des Typs <teurjeur> insbesondere in den frühen Briefen, ab den 1560er Jahren nur noch vereinzelt und ab dem folgenden Jahrzehnt überhaupt nicht mehr anzutreffen sind. Formen wie <resuldre>, die ihrerseits erst ab den 1570er Jahren seltener werden, sind in den 1560er Jahren aber noch verbreitet (neun der 16 Okkurrenzen stammen aus dem Zeitraum 1560-1569). Die soeben zitierten Beispiele <heu> (1553) und <u> (1567) verhalten sich diesbezüglich also erwartungsgemäß. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang das Verhältnis der Schreibungen <u> und <eu> im Allgemeinen. Wie aus der Übersichtstabelle hervorgeht, ist <eu> in allen Jahrzehnten die häufigere Schreibung für [y]. In 246 von insgesamt 389 Fällen (63 %), in denen auch heute <u / û> vorzufinden wäre, erscheint <eu>, nicht <u> (1530er / 1540er: 9 / 11 ~ 82 %, 1550er: 53 / 72 ~ 74 %, 1560er: 89 / 132 ~ 67 %, 1570er: 49 / 86 ~ 57 %, 1580er: 46 / 88 ~ 52 %). Insbesondere in den ersten Jahrzehnten ist <eu> die dominante Variante, <u> scheint zudem anfangs auf bestimmte Wörter beschränkt zu sein (z. B. plus ). Wenn man davon ausgeht, dass sowohl Formen wie <resuldre> als auch Formen wie <teurjeur> auf [y] verweisen, wird nicht verständlich, warum die Verteilung von <u> und <eu> in diesen vermeintlich gleichermaßen hyperkorrekten Formen ab den 1560er Jahren erheblich vom allgemeinen Verhältnis zwischen <u> und <eu> abweicht (1530er / 1540er: 3 / 4 mit <eu> ~ 75 %, 1550er: 7 / 9 mit <eu> ~ 78 %, 1560er: 3 / 12 ~25 %, 1570er: 0 / 2 ~ 0 %, 1580er: 0 / 2 ~ 0 %). Oder in anderen Worten: Warum sollten entgegen dem allgemeinen Trend schon ab den 1560er Jahren hyperkorrekte Formen mit [y] plötzlich vermehrt <u> statt <eu> aufweisen? Viel wahrscheinlicher ist, dass es sich um zwei verschiedene Phänomene handelt. Schreibungen wie <teurjeur> verweisen wie die Schreibung <eu> im Allgemeinen auf [y]. Solche hyperkorrekten Lautungen sind v. a. in den ersten Jahrzehnten zu erwarten, in denen die Unterscheidung von [u] und [y] offenbar noch größere Schwierigkeiten bereitet hat. Darauf deutet auch <ou> in z. B. <iouque> hin. Diese phonetischen Schreibungen, die auf den Ersatz von [y] durch [u] zurückzuführen sind, sind im gleichen Zeitraum besonders frequent (1550er: 4 % aller Okkurrenzen mit <ou> gehören dem Typ <iouque> an, 1560er: 5 %, 1570er: 1 %, 1580er: 1 %). Formen wie <resuldre> hingegen erklären sich dadurch, dass italienische Schreibkonventionen auf das Französische übertragen werden. Diese werden zwar allmählich auch seltener, bleiben aber bis in die 1580er Jahre erhalten. Ein Vergleich der von diesen Erscheinungen betroffenen Formen zeigt auch, dass - anders als es das Beispiel <heu> und <u> auf den ersten Blick suggeriert - <u> wie in <resuldre> und <eu> wie in <teurjeur> mit Ausnahme von tout , souhaiter und où auch nicht in den gleichen Wörtern vorzufinden sind, was ebenfalls dafür spricht, dass es sich nicht um dasselbe Phänomen handelt. Im Folgenden werden alle Belege des Typs <resuldre>, <teurjeur> und - der Vollständigkeit halber - <iouque> aufgelistet. <u> [u] statt heute <ou> [u], Typ <resuldre> <accuchee>, <u> ‘ou’, <beocup>, <resuldre>, <supeson>, <buger>, <fule>, <duble>, <tu> ‘tous’, <tustes>, <surtut>, <securs>, <adusir>, <sudeinement>, <suayste>, <returner> 128 <eu> [y] statt heute <ou> [u], Typ <teurjeur> <heuy>, <ieur>, <teut>, <teurjeur>, <teutte>, <teus>, <teut>, <heu> ‘où’, <teutte>, <seuayteres>, <teut>, <heuy>, <teut> 129 <ou> [u] statt heute <u> [y] bzw. [ɥ], Typ <iouque> <proudanse>, <iouque>, <recoule>, <procouratyon>, <iouques>, <rouyner>, <rouyner>, <rouyne>, <rouine>, <souget>, <rouyne>, <dificoulte>, <aysecoute>, <rouyne>, <dificoulte>, <dificoulte>, <rouyne>, <ioustice>, <ioustice>, <ioustise>, <ioustement> 130 128 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 3): Brief vom August 1536, Briefe CM (Bd. 10: 5): Brief vom Oktober 1551, Briefe CM (Bd. 1: 77-78): Brief von Ende Juli 1553, Briefe CM (Bd. 1: 130-131): Brief vom 03. Januar 1560, Briefe CM (Bd. 1: 536): Ergänzung zum Brief vom 20. März 1563, Briefe CM (Bd. 2: 328): Ergänzung zum Brief vom 30. November 1565, Briefe CM (Bd. 2: 383): Brief vom September 1566, Briefe CM (Bd. 3: 202): Ergänzung zum Brief vom 11. November 1568, Briefe CM (Bd. 3: 202-203): Brief vom 12. November 1568, Briefe CM (Bd. 6: 37-39): Brief vom 18. September 1578, Briefe CM (Bd. 8: 13): Brief vom 15. März 1582, Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. 129 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 3): Brief vom August 1536, Briefe CM (Bd. 1: 6): Brief vom Juni 1543, Briefe CM (Bd. 1: 42-43): Brief von Ende Juni 1551, Briefe CM (Bd. 1: 67): 2. Brief vom 20./ 23. Juni 1552, Briefe CM (Bd. 1: 71-72): Brief vom Oktober 1552, Briefe CM (Bd. 1: 77-78): Brief von Ende Juli 1553, Briefe CM (Bd. 1: 128-129): Brief von Ende November 1559, Briefe CM (Bd. 1: 219-220): Brief von Ende Juli 1561, Briefe CM (Bd. 1: 290-293): Brief vom 10. April 1562, Briefe CM (Bd. 3: 202-203): Brief vom 12. November 1568. 130 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 71-72): Brief vom Oktober 1552, Briefe CM (Bd. 1: 99): Brief vom Juni 1555, Briefe CM (Bd. 1: 82-83): Brief vom 03./ 08. September 1553, Briefe CM (Bd. 1: 128-129): Brief von Ende November 1559, Briefe CM (Bd. 1: 130-131): Brief vom 03. Januar 1560, Briefe CM (Bd. 1: 290-293): Brief vom 10. April 1562, Briefe CM (Bd. 1: 536): Ergänzung zum Brief vom 20. März 1563, Briefe CM (Bd. 4: 167): Brief vom 13. Februar 1573, Briefe CM (Bd. 7: 328): Ergänzung zum Brief vom 20. Januar 1581, Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. 498 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 499 Wie anhand der Belege ersichtlich ist, verteilen sich <u> [u] und <eu> [y] bis auf die o. g. Ausnahmen auf unterschiedliche Wörter. Der Eindruck, dass insbesondere die Schreibungen des Typs <iouque> und <teurjeur> auf wenige Einzelwörter beschränkt sind (z. B. <rouyne> und Formen von <teut>), ist nur zum Teil richtig. Zwar sind die Beispiele diesbezüglich insofern repräsentativ, als in den entsprechenden Wörtern die jeweilige Schreibung tatsächlich häufig erscheint, jedoch konnten aufgrund des begrenzten Umfangs des Korpus (Gruppe B: 87 Briefe) auch zahlreiche Belege, auf die ich in anderen Briefen gestoßen bin, nicht aufgeführt werden. Zum einen handelt es sich dabei um Briefe, die aus den in Kapitel 7.2 dargelegten Gründen nicht in das Korpus aufgenommen wurden, zum anderen auch um Belege aus den Briefen der Gruppe A, für die in vielen Fällen ja auch die Manuskripte konsultiert wurden. Das weiter oben besprochene Beispiel <u> ‘où’ 131 entstammt etwa einem Brief der Gruppe A und taucht deshalb in der Übersicht gar nicht auf. Dort findet sich nur die Form <u> ‘ou’. Die Schreibungen sind also in mehr Kontexten anzutreffen, als es zunächst den Anschein haben könnte. Bisher wurde im Hinblick auf die eigentümlichen Schreibungen für [u] und [y] in den Briefen von Catherine de Médicis angenommen, dass diese auf den Einfluss des Italienischen zurückzuführen sind. Während für Fälle wie <resuldre> Interferenzen mit italienischen Schreibtraditionen und für <iouque> der vereinzelte, durch das Italienische bedingte Ersatz von [y] durch [u] verantwortlich gemacht wurde, lassen sich hyperkorrekte Formen wie <teutte> auch nur dadurch erklären, dass die Unterscheidung von [y] und [u] für Sprecher, deren Muttersprache kein [y] kennt, Probleme bereitete. Wie in Kapitel 7.2 betont wurde, müssen bestimmte als italianisierend betrachtete Erscheinungen aber auch immer dahingehend überprüft werden, ob sie sich nicht auch durch die Variation im Französischen des 16. Jahrhunderts erklären lassen. Eine Suche nach den o. g. Formen in HUG , FRANTEXT (1500-1600) und im GRAND CORPUS erzielte keine Treffer 132 . Ein Blick in Thurot Bd. 1 (1881: 131 Vgl. Briefe CM (Bd. 3: 13-14): Brief vom 27. Februar 1567. 132 Im Hinblick auf die konkurrierenden Schreibungen <u>/ <eu> vs. <ou> im Französischen der Renaissance ist eine Suche im DMF sowie in GDF wenig sinnvoll. Sowohl ersteres als auch letzteres widmet sich v. a. dem Alt- und Mittelfranzösischen, so dass u. a. regional bedingte Schreibungen des Typs <u> für [u] zu erwarten sind. Nach <tu> ‘tout’ wurde nicht gesucht, da die Anzahl der Treffer zu umfangreich ausgefallen wäre (z. B. tu ‘tu’). Während in HUG und im GRAND CORPUS eine Suche nach flektierten Formen (z. B. für accoucher , tout ) nicht möglich ist und solche unter Umständen nur in den entsprechenden Einträgen anzutreffen sind, konnten in FRANTEXT (1500-1600) zumindest für Verben auch flexion et variantes XVI e -XVII e berücksichtigt werden. Für Nomina sowie für où empfiehlt es sich angesichts einer zu hohen Zahl an Okkurrenzen (z. B. Varianten und flektierte Formen für tout : 43 518), in vielen Fällen nach einzelnen Formen (z. B. <teut>, 275-278) zeigt jedoch, dass im 16. Jahrhundert tatsächlich Schwankungen zwischen <u> und <ou> zu beobachten waren, wobei diese insbesondere in „mots qui, pour la plupart, ne sont pas anciens“ begegneten. Konkurrierende Formen fanden sich, wie es z. B. die Schreibungen <poulpe / pulpe> nahelegen, in der Tonsilbe, aber auch anderswo (z. B. <submettre> vs. <soubmettre>). Unter den Beispielen befindet sich in der Tat auch eine der in den Briefen von Catherine de Médicis ermittelten Formen (Thurot: <subiect> vs. <soubiect>, Briefe CM : <suget> vs. <souget>). In solchen Fällen könnte davon ausgegangen werden, dass <u> dem Lautwert [y], <ou> hingegen [u] entspricht. Möglicherweise handelt es sich bei <u> [y] um eine latinisierende Aussprache (Leseaussprache), wohingegen Formen mit <ou> [u] als volkstümlichere Varianten der Latinismen gewertet werden könnten. Laut TLF i (s.v. sujet 2) ist fr. sujet bereits seit ca. 1370 belegt. Ohne die Belege aus den autographes im Einzelnen diskutieren zu wollen, lässt sich das Schwanken zwischen <ou> und <u> in vielen Fällen aber nicht dadurch erklären, dass ein mehr oder weniger gelehrtes Wort nebst volkstümlicheren Varianten vorliegt. Während sich unter Umständen auch <aysecouter>, <procouratyon> und <dificoulte> wie <souget> verhalten könnten - in allen Fällen handelt es sich weder um rezente Latinismen im Französischen des 16. Jahrhunderts noch um klassische Erbwörter (vgl. u. a. die Erstbelege laut TLF i s.v. exécuter : 1351, s.v. procuration : 1271, s.v. difficulté : 1239 ‘opposition, objection’, 1422 ‘caractère de ce qui est difficile’) -, können Fälle wie <touer> ‘tuer’ (in einem Brief der Gruppe A 133 ) nur schwer mit den konkurrienden Formen des Typs <suget> vs. <souget> in Verbindung gebracht werden (vgl. den Erstbeleg im TLF i s.v. tuer : 1140). Bei tuer handelt es sich um ein Erbwort, das lautgesetzlich [ɥ] (nicht [u]) aufweisen müsste 134 . Dass die Aussprache [u] verbreitet und <teus>, <teute / teutes>, <teutte / teuttes> oder <ioustice / joustice>, <ioustise / joustise>) zu suchen. Okkurrenzen für <teut> sind immer Verbalformen von taire , solche für <heu> von avoir . Es findet sich ein einziger Beleg für <tustes> in einem aus Genf stammenden Text. Aufgrund der unzureichenden Annotation in FRANTEXT befinden sich unter den Okkurrenzen für flektierte Formen und Varianten der Verben immer auch einige Belege, die nichts mit dem jeweiligen Verb zu tun haben. Unter den 875 Okkurrenzen für ruiner z. B. begegnen auch flektierte Formen des Substantivs ruine . Dass einige Treffer unbrauchbar sind, stellt an dieser Stelle aber kein wirkliches Problem dar. Für ruiner lassen sich schließlich keine Formen mit <ou> nachweisen. In HUG (s.v. couler ) finden sich Belege für recouler , allerdings handelt es sich dabei um Derivate von couler , nicht um Formen von reculer mit <ou>. 133 Vgl. Briefe CM (Bd. 2: 378): Ergänzung zum Brief vom 07. August 1566. 134 Schwankungen zwischen <ui> und <oui> und folglich auch in der Aussprache sind in Einzelwörtern (z. B. buis <buis> und <bouis>) für das 16. und 17. Jahrhundert belegt (vgl. Thurot Bd. 1, 1881: 423-424, 551-553). Fr. ruine , das seit 1155 (vgl. TLFi s.v. ruine ) belegt ist und [ɥ] aufweisen müsste, wird in diesem Zusammenhang aber nicht genannt; ebensowenig tuer . 500 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 501 jene mit [y] (bzw. [ɥ]) nur latinisierend war, ist insofern unwahrscheinlich, als das lateinische Etymon von tuer - lat. tutari , vlat. * tutare - nicht so präsent gewesen sein dürfte, als dass eine latinisierende Aussprache zur Durchsetzung von [y] (bzw. [ɥ]) geführt haben könnte. Was die Schreibungen mit <u>, z.B. in <resuldre>, anbelangt, lässt sich Ähnliches feststellen: Während z. B. <supeson> ( TLF i s.v. soupçon : ca. 1145 aus lat. suspectionem ) als - in diesem Fall auf rein graphischer Ebene <u> [u] - latinisierend erklärt werden könnte, ist eine solche Annahme für <beocup> ( TLF i s.v. beaucoup : ca. XII e siècle ) oder <accucher> ( TLF i s.v. accoucher : ca. 1160 ‘se coucher’, als erbwörtliches Derivat aus coucher < lat. collocare ) wohl weniger überzeugend. Abgesehen von latinisierenden Einflüssen kann selbstverständlich immer auch die diatopische Variation eine Rolle spielen. Würde man lange genug suchen, würde man vermutlich auf Belege für die eine oder andere der in den autographes ermittelten Schreibungen stoßen. So finden sich z. B. im FEW (s.v. usque ) in der Tat Belege für jusque mit <ou>, die vermutlich auch für [u] stehen. Allerdings stellt sich diesbezüglich die Frage, inwiefern es sinnvoll ist, in den Briefen von Catherine de Médicis Formen aus anderen nordgalloromanischen Varietäten, die zudem meist auch archaisierend sind, anzunehmen, wenn gleichzeitig auch italienische Einflüsse für die betroffenen Erscheinungen verantwortlich sein können 135 . Problematisch erscheint mir hinsichtlich der Annahme regionaler Varianten insbesondere die Erklärung der Kontaktsituation. Selbst wenn Höflinge aus den entsprechenden Gebieten am Hofe zugegen waren, kam Catherine de Médicis mit geschriebenem Französisch in erster Linie in den schier unzählbaren Briefen ihrer Sekretäre in Kontakt, die sie, wie in Kapitel 7.2 dargelegt wurde, offenbar auch aufmerksam las. In diesen aber begegnen, wie die Korpusanalyse nahelegt, keine Auffälligkeiten im Hinblick auf die Wiedergabe von [u] und [y]. Selbst wenn die eigentümlichen Graphien als phonetische Schreibungen für die möglicherweise durch bestimmte Höflinge vermittelte regionale Aussprache einzelner Lexeme verstanden werden könnten, ließen sich so nur die Schreibungen des Typs <iouque>, <joustice> usw., nicht aber solche des Typs <resuldre> erklären, da in letzteren ja nur von graphischen Besonderheiten ausgegangen werden kann. 135 Auch archaisierende Schreibungen in den Briefen von Catherine de Médicis sind wenig wahrscheinlich. Aus diesem Grund wurde schließlich auch auf eine Suche nach entsprechenden Schreibungen im DMF und in GDF verzichtet. In GDF etwa sind Graphien wie <duble> tatsächlich nachweisbar. In den Briefen der Italienerin, die trotz ihrer beachtlichen Bibliothek wohl in erster Linie nicht mit altfranzösischen, sondern mit in zeitgenössischem Französisch verfassten Texten in Kontakt kam (z. B. in ihrer Korrespondenz), erscheint es mir nicht wirklich sinnvoll, von archaisierenden Schreibungen auszugehen. Schließlich stellt die Interpretation der hyperkorrekten Schreibungen des Typs <teurjeurs> ein Problem dar, da sich diese Graphien weder durch latinisierende noch durch regionale Einflüsse überzeugend erklären lassen. Zum einen ist für toujours keine monolexematische Entsprechung im Lateinischen vorhanden, die als Modell dienen könnte, zum anderen wäre in Anlehnung an die lateinische Schreibung - zumindest in <-jeur> - auch <u>, nicht <eu> zu erwarten. Von der ohnehin fraglichen Plausibilität regionaler Varianten im Allgemeinen einmal abgesehen sind für z. B. tout Formen, in denen [y] bzw. [ɥ] erscheint und folglich ein Reflex in der Graphie (<u/ eu>) zu erwarten ist, auch kaum bekannt 136 . Was die Texte der anderen Immigranten betrifft, die ja vorrangig dazu dienen sollten, weitere Beispiele für im françois italianizé von Catherine de Médicis beobachtbare Phänomene zu liefern, lässt sich Folgendes feststellen: Obschon eine durchaus beträchtliche Anzahl an Belegen, in denen [y] bzw. [u] graphisch realisiert werden muss, vorhanden ist, konnten kaum Besonderheiten ausfindig gemacht werden. Möglicherweise erklärt sich das Fehlen eigentümlicher Graphien, wie schon im Zusammenhang mit dem Fehlen von phonetischen Schreibungen <e> [ɛ] statt <oi / oy> [wɛ] oder [wa] vermutet wurde, dadurch, dass die Texte alle einen mehr oder weniger hohen Elaborationsgrad aufweisen und zumeist in einem distanzsprachlichen Kontext entstanden sind. Die einzigen nennenswerten, aber seltenen Schreibungen sind <demura[n]t> und <demures> (2. Person Plural) in den Briefen von Zametti 137 . Welche Art der Interferenz in diesen Fällen vorliegt, hängt davon ab, welchen Lautwert man für demeurant und demeurez im 16. Jahrhundert annimmt. Wenn man davon ausgeht, dass in Analogie zu den stammbetonten Formen bereits [œ~ø] geläufig war, könnte man - wenn man dialektalen Einfluss <u> [y] statt [œ~ø] ausschließt - vermuten, dass Zametti die für ihn möglicherweise gleichermaßen schwierig zu artikulierenden Laute [y] und [œ~ø] verwechselt und daher auch <u> für [y] und nicht <eu> für [œ~ø] schreibt. Auch denkbar wäre der Ersatz durch [u]. Dann allerdings würde gleichzeitig eine Interferenz auf graphischer Ebene vor- 136 Im ALF (Karte 929: toute la nuit ) ist für toute an nur sechs Erhebungspunkten (601, 703, 801, 805, 806, 812) [y] ausgewiesen. Ob im 16. Jahrhundert mehr Mundarten existierten, in denen [y] oder [ɥ] statt [u] z. B. in tout vorkam, konnte ich mittels der mir verfügbaren Hilfsmittel nicht klären. Im FEW (s.v. tōtus ) finden sich keine Hinweise darauf. Thurot Bd. 1 (1881: 275-278) nennt keine Beispiele, die den Ersatz von [u] durch [y] oder [ɥ] in Wörtern des Typs tout nahelegen. Dass einige Formen mit [y] oder [ɥ] auf alte Rektus-Formen (afr. <tuit>, vgl. Rheinfelder Bd. 1, 1963: 95-96; Bd. 2, 1967: 180) zurückgehen, scheint mir wenig plausibel zu sein und würde überdies nicht alle Vorkommen von <eu> [y] oder [ɥ] statt <ou> [u] in den Briefen erklären. 137 Vgl. Brief von Zametti vom August 1582 (BNF FF 15 906 (2) [723]), vom 20. Juni 1592 (BNF FF 15 575 [27]). 502 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 503 liegen (it. <u> für it. und fr. [u]). Dass es sich dabei um eine solche Interferenz mit italienischen Schreibtraditionen handelt, ist m. E. durchaus vorstellbar. Ein dieser Interferenz vorausgehender Ersatz von [ø] durch [u] braucht jedoch nicht stattgefunden zu haben. Viel wahrscheinlicher ist, dass in den obigen Formen noch nicht [œ~ø], sondern lautgesetzlich regelmäßig entstandenes [u] verbreitet war, wie es auch die Belege für <demourant> in den Briefen der Sekretäre von Catherine de Médicis nahelegen 138 . Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich die in den von linguistischen Laien verfassten Texten des 16. Jahrhunderts konstatierten Auffälligkeiten bezüglich der Wiedergabe von gerundeten Palatalvokalen im françois italianizé der italienischen Einwanderer auch tatsächlich in den analysierten Produktionsdaten nachweisen lassen. Während Besonderheiten bei Schreibungen für [œ] und [ø] im Allgemeinen eher selten zu beobachten waren, konnten in den autographes von Catherine de Médicis eigentümliche Graphien für die Wiedergabe von [y] und [u] ausfindig gemacht werden, die in den Briefen ihrer Sekretäre nicht vorzufinden sind. Sowohl Schreibungen wie <iouque>, die auf [u] statt [y] verweisen, als auch hyperkorrekte Formen wie <teurjeur> und <teutte>, die [y] statt [u] nahelegen, deuten darauf hin, dass die Unterscheidung von [u] und [y] zunächst Schwierigkeiten bereitete, was insofern verständlich ist, als im Italienischen von Catherine de Médicis / y/ nicht vorhanden war. Die soeben genannten Schreibungen reflektieren diese Schwankungen und können mithin als phonetische Schreibungen betrachtet werden. Vorkommen wie <resuldre>, <beocup> lassen indessen vermuten, dass es auch ausschließlich auf graphischer Ebene zu Interferenzen kam. Es wurde vorgeschlagen, dass in Fällen wie <resuldre> davon ausgegangen werden muss, dass durchaus die erbwörtliche Lautung [u] wiedergegeben wird, aber dabei italienische Schreibtraditionen auf das Französische übertragen werden (it. <u> statt fr. <ou> für it. und fr. [u]). Anhand ausgewählter Beispiele wurde gezeigt, dass sich alle drei Erscheinungen (<iouque>, <teurjeur>, <resuldre>) überzeugender durch den Einfluss des Italienischen als durch die diatopische Variation im Frühneufranzösischen oder Latinisierungstendenzen erklären lassen. Auch im Hinblick auf die Vitalität des Italienischen in der France italienne bzw. Petite Italie sind diese Befunde aufschlussreich. Zum einen lässt der Umstand, dass im Französischen der Immigranten auch noch nach Jahrzehnten lautliche Interferenzen mit ihrer Muttersprache festzustellen sind, den Schluss zu, dass 138 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 32): Brief vom 04. März 1550 [Anonym], Briefe CM (Bd. 1: 54): Brief vom 05. Mai 1552 [Anonym], Briefe CM (Bd. 1: 91): Brief vom 17. Juli 1554 [Anonym / CM], Briefe CM (Bd. 1: 491): Brief vom 31. Januar 1563 [Anonym]. Zur Konkurrenz von <ou> und <eu> bei Verben wie demeurer vgl. auch Vachon (2010: 148-150), der zufolge sich <eu> gegen Ende des 16. Jahrhunderts durchsetzt. letztere noch präsent war und gesprochen wurde, zum anderen legen insbesondere die graphischen Interferenzen (<u> statt <ou> für it. und fr. [u]) nahe, dass das Italienische auch noch vermehrt in der Schriftlichkeit Verwendung fand. Wie in Kapitel 6.3.3.1.1 dargelegt wurde, sind umgekehrt in Texten bestimmter italienischer Einwanderer - Briefe von Catherine de Médicis konnten leider nicht untersucht werden - auch nach langer Zeit in der neuen Heimat keinerlei Interferenzen mit dem Französischen bezüglich der graphischen Wiedergabe von it. [u] (kein <ou> statt <u>) festzustellen. 7.3.3.3 Prothese vs. s impurum Wie in Kapitel 4.2.3.1.2 und 5.5.2.3.4 dargelegt wurde, kritisiert Estienne mehrfach Italianismen, die mit s impurum anlauten (z. B. scorte ). Obwohl im Französischen des 16. Jahrhunderts auch zahlreiche Latinismen einen solchen Onset aufweisen, scheint der Purist darin einen besonders markierten, italianisierenden Anlaut zu sehen. Auch die Analyse der häufig kritisierten Hapax-Belege in den Deux Dialogues legt diese Vermutung nahe: Etwa die Hälfte der nicht außerhalb der Werke Estiennes belegten Italianismen weist <sC-> auf (z. B. strane , straque , spurquesse ). Es wurde dafür argumentiert, dass es sich dabei nicht - wie in der Forschung meist angenommen wird - um willkürlich, zum Zwecke der Satire erfundene Phantasiekreationen des Puristen handelt, sondern dass Estienne anhand dieser fingierten Beispiele ganz bewusst auf diesen in seinen Augen fremden, insbesondere in Italianismen anzutreffenden Anlaut aufmerksam zu machen versucht. Formen mit s impurum statt Prothese ( scorte vs. escorte < it. scorta ) scheinen insbesondere im françois italianizé der italienischen Immigranten verbreitet und mithin ein Schibboleth für deren Lernervarietät gewesen zu sein, was auch durch weitere metasprachliche Daten aus Texten des 17. Jahrhunderts bestätigt wird. In den Memoiren von Bassompière erscheint z. B. strette statt estrette (< it. stretta ), um das Französische von Concini zu karikieren (vgl. Kapitel 6.2.2.4). Auffällig ist, dass Formen mit <sC-> tatsächlich immer Italianismen sind. An keiner Stelle, d. h. weder bei Estienne (1578) noch bei anderen Sprachbeobachtern, wird ein etwaiges Fehlen der Prothese in französischen Erbwörtern beklagt. Offensichtlich liegt also keine systematische Interferenz auf phonotaktischer Ebene vor, die zur allgemeinen Revitalisierung von s impurum im Französischen der Einwanderer führt (z.B. fr. * scrire , spérer statt écrire , espérer ). Daher kann vermutet werden, dass es sich bei den Italianismen mit <sC-> um AS-produzenteninduzierte Entlehnungen durch die Italiener handelt. Anders als bei den durch die Franzosen entlehnten Italianismen ( ZS -rezipienteninduzierte Entlehnungen) weisen die Entlehnungen durch die Immigranten eine größere Nähe zum italienischen Etymon auf, sind also weniger gut integriert. Durch 504 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 505 diese Annahme wurde in Kapitel 5.6 bereits ein wichtiger Kritikpunkt von Sampson (2003, 2004) widerlegt. Laut Sampson seien die Beispiele in den Deux Dialogues unrealistisch, weil eine Vielzahl der rinascimentalen Italianismen über das Okzitanische vermittelt wurde und daher einen prothetischen Vokal aufweisen müsste. Wenn man aber, wie es Estienne schließlich auch betont, annimmt, dass die Italianismen - zumindest in der Petite Italie - den Italienern geschuldet sind, ist natürlich kein okzitanischer Filter vorhanden. Da aber laut Sampson (2003, 2004) auch in frühneuzeitlichen Varietäten des Italienischen (insbesondere in Nord- und Mittelitalien) prothetische Vokale verbreiteter gewesen seien, als es bisweilen den Anschein habe, musste schließlich noch ausgeschlossen werden, dass die Prothese im Italienischen der France italienne anzutreffen war: Die Analyse italienischer Produktionsdaten in Kapitel 6.3.3.1.4 hat eindeutig gezeigt dass sowohl im Italienischen von vorübergehend in Frankreich verweilenden Gästen aus Italien als auch in jenem der dauerhaft dort lebenden Immigranten prothetische Vokale äußerst selten sind, die Prothese also keinesfalls als produktiv betrachtet werden kann. Dass im françois italianizé der Immigranten daher Italianismen mit s impurum begegneten, ist also durchaus nicht unwahrscheinlich. Um zu überprüfen, ob und ggf. in welchem Umfang nun Formen mit s impurum im Französischen der Einwanderer nachweisbar sind, wurden die 87 Briefe der Gruppe B sowie die autographes von Cavriana, Lodovico und Carlo Gonzaga, Filippo Strozzi, Zametti, Sardini usw. analysiert. Wie in den vorherigen Kapiteln waren insbesondere Unterschiede zwischen den autographes der Immigranten und den Briefen, die sie ihren Sekretären diktierten, von Interesse. In der folgenden Übersichtstabelle werden nur die Ergebnisse der Auszählung in den 87 Briefen der Gruppe B erfasst. Bei der Interpretation der Ergebnisse wird an den entsprechenden Stellen aber auch auf die Befunde aus den Briefen der übrigen Immigranten verwiesen. Wie die folgende Tabelle zeigt, wurden innerhalb beider Gruppen (Sekretäre und autographes ) alle Formen mit s impurum bzw. mit prothetischem Vokal erfasst, wobei zugleich zwischen Erbwörtern einerseits und Italianismen / Latinismen andererseits unterschieden wurde. Während die Bestimmung der Italianismen erwartungsgemäß keine größeren Umstände bereitete, musste bei der Unterscheidung von Erbwörtern und Latinismen in einigen Fällen auf etymologische Wörterbücher zurückgegriffen werden, um zu überprüfen, ob die betreffenden Lexeme dort als mots savants ausgewiesen werden oder nicht. Was gelehrte Wörter angeht, ist aber die Anzahl an types recht überschaubar (z. B. scandal ). Bei den meisten Erbwörtern ist der Status Erbwort unstrittig (z. B. étoile ). Halbgelehrte Wörter, wie z. B. esprit , die zwar einen prothetischen Vokal aufweisen, in denen aber noch [s] artikuliert wird, werden wie z. B. auch espérer und Formen von estimer als erbwörtlich betrachtet 139 . Bei der Datenerfassung wurde, um etwaige satzphonetische Besonderheiten nicht zu übersehen, auch die lautliche Umgebung berücksichtigt: nach Vokal vs. nach Konsonant / Pause. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird in der folgenden Tabelle aber diesbezüglich keine Gruppierung der Belege vorgenommen. Bei der Interpretation der Ergebnisse wird auf die äußerst seltenen Fälle, in denen dies eine Rolle spielt, hingewiesen. Ebenfalls nicht ersichtlich ist, welche Schreibung - dies ist nur für die autographes von Catherine de Médicis relevant - für den prothetischen Vokal erscheint (<e>, <et>, <ay>). Unterschiede wurden diesbezüglich nicht quantitativ ausgewertet (zu den Gründen vgl. weiter unten). In der folgenden Tabelle werden die Belege auch nicht nach Formen, in denen <es/ ays> erscheint (z. B. <escrire>), und solchen, die kein <s> aufweisen (z. B. <ecrit>), unterteilt. Angenommen werden kann, dass die Schreibung ohne <s> phonetisch, jene mit <s> etymologisch oder relatinisiert ist. Die Artikulation von [s] ist in beiden Fällen - wenn beide Schreibungen für das betreffende Lexem existieren (z. B. <escrire> und <ecrire> beide ohne [s] vs. <esperer> ohne <eperer> also mit [s]) - unwahrscheinlich 140 . Formen von nicht aus dem Italienischen entlehnten französischen Lexemen, deren lateinisches Etymon exaufweist (z. B. lat. extrēmus ), wurden - mit Ausnahme von fr. extraordinaire - nicht gezählt 141 . Sie werden in Kapitel 7.3.3.4.3 gesondert besprochen. Eigennamen blieben wie bei der Analyse der Erscheinungen in den vorhergehenden Kapiteln grundsätzlich unberücksichtigt; ebenso sämtliche Formen von être . Formelhaft 139 Zur Entwicklung von lat. s impurum im Französischen sei auf Rheinfelder Bd. 1 (1963: 182-186) und Sampson (2003, 2010: 112-135) verwiesen. Bei estimer handelt es sich zwar um eine réfection , die afr. esmer ersetzt, allerdings schon im 13. Jahrhundert. Strenggenommen liegt hier auch keine Prothese vor. 140 Vgl. auch Vachon (2010: 119-122) zur Konkurrenz von <esC-> und <eC->. 141 Die Formen von fr. extraordinaire wurden hier deshalb berücksichtigt, weil die italienische Entsprechung dieses Lexems, also it. straordinario , im Gegensatz etwa zu it. estremo (vgl. fr. extrême ) s impurum aufweist (zur Entwicklung von lat. ex-/ extraim Italienischen vgl. Rohlfs Bd. 3, 1954: 238-242). Formen von fr. excuser und expédier (vgl. it. scusare und (i)spedire ) werden aufgrund der Datenlage in Kapitel 7.3.3.4.3 besprochen. Im Korpus sind keine Formen mit <sC-> vorhanden. Schreibungen für fr. estimer wurden aufgrund von it. stimare berücksichtigt, obwohl strenggenommen keine Prothese durch französischen Lautwandel vorliegt. Die einzige Okkurrenz für fr. étonner (< vlat. * extonare ) wurde nicht untersucht, da it. stonare ‘confondere, stordire’ als Lehnwort aus fr. étonner erst im 18. Jahrhundert (vgl. ZING s.v . stonare 2) bzw. 19. Jahrhundert (vgl. DELI s.v. stonare 1) belegt ist und daher keine Interferenzen zu erwarten sind. Das Vorkommen <aylognee> wurde gezählt, da im Italienischen des 16. Jahrhunderts slontanare offenbar belegt ist (vgl. ZING s.v. slontanare ). 506 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 507 verwendetes <escript a …> am Ende der Briefe wurde, wenn es nicht durch damals konventionalisierte Kürzel erscheint, gezählt. Was die Gesamtzahl der Okkurrenzen betrifft, machen Formen von écrire erwartungsgemäß einen beträchtlichen Anteil aus. Jahrzehnt Sekretäre autographes Erbwörter Latinismen Italianismen Erbwörter Latinismen Italianismen sCesCsCesCsCesCsCesC- 1530er 1540er 0 4 0 0 0 5 0 0 4 von 4 100 % esC- 0 5 von 5 100 % esC- 0 1550er 0 22 0 0 0 9 2 0 22 von 22 100 % esC- 0 9 von 9 100 % esC- It.: 100 % sC- 1560er 0 20 2 3 1 13 1 0 20 von 20 100 % esC- It.: 100 % esC- Lat.: 100 % sC- 13 von 14 93 % esC- Lat.: 100 % sC- 1570er 0 39 1 2 2 11 0 0 39 von 39 100 % esC- It.: 100 % esC- Lat.: 100 % esC- 11 von 13 85 % esC- 0 1580er 0 37 1 0 0 20 0 0 37 von 37 100 % esC- Lat.: 100 % sC- 20 von 20 100 % esC- 0 1530er- 1580er 0 122 4 5 3 58 3 0 122 von 122 100 % esC- It.: 100 % esC- Lat.: 100 % sC- 58 von 61 95 % esC- It. 100 % sC- Lat: 100 % sC- Tab. 29: Übersicht zu <sC-> und <esC-> in den Briefen von Catherine de Médicis Wie aus der Tabelle hervorgeht, entspricht die Verteilung der Schreibungen in den Briefen der Sekretäre genau den von Sampson (2003, 2010) skizzierten Tendenzen. Französische Erbwörter erscheinen immer mit prothetischem Vokal, Latinismen wie <scandal>, <scandaleux>, <speciallement> und <stipendie> ‘stipendié’ 142 aus einem Brief der Gruppe A hingegen zeigen, dass s impurum in Wörtern gelehrter Herkunft vorkommen kann. Auch im Hinblick auf die Graphie der Italianismen sind keine Auffälligkeiten festzustellen. Die drei Vorkommen des im 16. Jahrhundert entlehnten escorte (< it. scorta , TLF i s.v. escorte : Erstbeleg 1520) weisen unabhängig von der lautlichen Umgebung (<a lescorte>, <donner escorte>, <toute escorte>) 143 einen prothetischen Vokal auf. In einem Brief der Gruppe A erscheint <les escortera> 144 , in zwei weiteren, nicht zum Korpus gehörigen Briefen zudem <faire escorte>, <dautre escorte> und <lescorte> 145 . Beide Schreibungen (<este estroppie>, <et estroppie>) 146 des vermutlich bereits im 15. Jahrhundert ins Französische gelangten Italianismus estrop(p)ier < it. stroppiare (Hope 1971: 39: Erstbeleg 15. Jahrhundert vs. TLF i s.v. estropier : Erstbeleg 1529) erscheinen mit <e>. In zwei Briefen der Gruppe A - die Manuskripte konnte ich nicht sichten - begegnet das laut Hope (1971: 224) seit 1548 / 1563 belegte estrette < it. stretta in den Schreibungen <lextrecte> und <bonne estraicte> 147 . Interessanterweise handelt es sich in allen Fällen um Begriffe aus dem militärischen Gedankenkreis. Möglicherweise erklärt sich die Prothese also in der Tat dadurch, dass diese Italianismen, wie Sampson (2003, 2004) annimmt, über das Okzitanische vermittelt wurden. Anders verhält es sich nun aber in den autographes von Catherine de Médicis. Wie der folgende Passus zeigt, finden sich auch in ihren Briefen Vorkommen des bei Hofe offenbar häufig gebrauchten Lexems escorte . Diese aber erscheinen genau in der Form, wie sie bei Estienne ([1578] 1980: 38) in der Rede Philausones anzutreffen sind. madame de nevers afayst tant de peur ateutte se fammes [,] car aydyst que nous niront pas seuremāt san scorte dartel amesieres que set heun pasetamps de le voyr [,] quant amoy ie delybere dy aystre vanderdy ausoyr [,] si me fault scorte que le chemin ne souit seur ie panse que man anvoyres. (Briefe CM Bd. 1: 67: 2. Brief vom 20./ 23. Juni 142 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 358): Brief vom 17. Juli 1562 [Bourdin], Briefe CM (Bd. 7: 416-417): Brief vom 18. November 1581 [Anonym], Briefe CM (Bd. 10: 502-504): Instruction à Monsieur de Matignon vom 16. Juni 1574. 143 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 515): Brief vom 22. Februar 1563 [Anonym], Briefe CM (Bd. 3: 104): Brief vom 19. Januar 1568 [Anonym], Briefe CM (Bd. 3: 222): Brief vom 23. Januar 1569 [Anonym / CM]. 144 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 263-265): Brief vom 25. April 1585 [Anonym / CM]. 145 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 371-372): Brief vom 07. August 1562 [De L’Aubespine], Briefe CM (Bd. 2: 13-14): Brief vom 15. April 1563 [Bourdin]. Nur im ersten Brief konnte ich die Graphie im Manuskript (BNF FF 3219, [77]) überprüfen. 146 Vgl. Briefe CM (Bd. 4: 228): Brief vom 03. Juni 1573 [Chantereau]. 147 Vgl. Briefe CM (Bd. 9: 24-25): Brief vom 03. August 1586 [Pinart], Briefe CM (Bd. 1: 503-505): Brief vom 12. Februar 1563 [De L’Aubespine]. Die Formen strette und estraicte sind etwas früher im 16. Jahrhundert belegt (vgl. TLFi s.v. strette ). 508 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 509 1552 an Monsieur le Deuc de Monmoransi, BNF FF 3140 [10], Hervorhebungen im Fettdruck und Zusätze in eckigen Klammern T. S.) Ganz offensichtlich waren also die von Estienne kritisierten Formen mit s impurum tatsächlich bei Hofe zu hören. Nun könnte man einwenden, dass - und dies gilt nicht für lexikalische Italianismen im Allgemeinen - in den autographes nur wenige Italianismen, deren Etymon s impurum aufweist, anzutreffen sind. Es konnten nur zwei Vorkommen ermittelt werden. Beide Okkurrenzen - für dasselbe Lexem - kommen zudem im selben Brief vor, so dass gar keine Verallgemeinerungen gemacht werden können. Umgekehrt ließe sich aber auch betonen, dass schon in den einzigen zwei potentiellen Kontexten s impurum begegnet. In einem Brief von Cavriana ist metaphorisch gebrauchtes <sert d escorte> 148 anzutreffen, im Brief des unbekannten Sekretärs aus Armagnac erscheint neben <spediant> und <speranse> auch <escorte> 149 . Auch wenn diese Belege zeigen, dass im françois italianizé der Immigranten sowohl Formen mit als auch ohne Prothese nachweisbar sind, könnte s impurum im Französischen der Einwanderer dennoch häufiger zu beobachten gewesen sein als in jenem der Franzosen. Sowohl die Schreibungen in den Briefen der Sekretäre (vgl. weiter oben) als auch die Belege in FRANTEXT (1500-1600) legen dies nahe. Während in letzterem für <escorte> 27 Okkurrenzen nachweisbar sind, finden sich nur drei für <scorte>, wobei eine in einem italienischen Gedicht von Du Bellay, eine weitere beim Français italianisant Maurice Scève begegnet. Dass der Erstbeleg von 1520 ohne Prothese erscheint, braucht im Übrigen nicht zu verwundern. Er entstammt einer Übersetzung (vgl. TLF i s.v. escorte ). Dass Formen mit s impurum nicht auf das françois italianizé der Italiener beschränkt sind (vgl. auch HUG s.v. escorte ), könnte mit Estienne (1578) dadurch erklärt werden, dass bestimmte Franzosen die AS -produzenteninduzierten Entlehnungen der Immigranten nachahmten (vgl. Kapitel 4.2.2). Inwiefern die Satzphonetik eine Rolle spielt, kann angesichts der wenigen Belege in den autographes nicht geklärt werden. In beiden Fällen erscheint s impurum nach einsilbigen, auf Vokal auslautenden Wörtern (<san scorte> 150 und 148 Vgl. Brief von Cavriana vom 05. November 1585 (BNF FF 3374 [8-11]). 149 Vgl. Briefe CM (Bd. 6: 409-412): Relation du cardinal d’Armagnac touchant l’accomodement qu’il a faict avec le mareschal Damville, pour le remettre aux bonnes graces de sa Majesté vom Dezember 1578 [Kopie]. 150 Das ‘fehlende’ <s> in <sans> darf im Übrigen nicht zur Annahme verleiten, dass unter Umständen <sans corte> ‘sans cour’ zu lesen wäre. Die Worttrennung im Manuskript ist diesbezüglich ausnahmsweise recht eindeutig. Auch der Kontext, die zweite Okkurrenz von <scorte>, zeigt, dass scorte gemeint ist. Schließlich begegnet sans in den autographes sehr häufig als <san> (vgl. auch <dan> ‘dans’), auch wenn kein Wort folgt, das <s> am <fault scorte>), in einem Kontext, in dem die Silbifizierung auch ohne prothetischen Vokal keine Probleme bereitet. Ob die Italiener in anderen Umgebungen, d. h. nach Pause oder Konsonant, möglicherweise einen prothetischen Vokal artikulierten (vgl. it. per iscritto ), lässt sich nicht sagen. In jedem Fall klar ersichtlich ist, dass die Prothese in den Briefen der Sekretäre völlig unabhängig vom lautlichen Kontext auftritt (<lescorte> statt <la scorte>). Auch manche Schreibungen für Latinismen und französische Erbwörter weisen Besonderheiten auf, die sich durch den Einfluss des Italienischen erklären lassen. Selbst wenn sich die von Estienne kritisierten Lexeme strane und straque nicht in den Briefen nachweisen lassen - in einem autographe ist sogar <aystranche> 151 anzutreffen -, begegnet eine Schreibung, die darauf hindeutet, dass manche Wörter im françois italianizé von Catherine de Médicis tatsächlich mit [stra-] anlauteten, dieser Anlaut also grundsätzlich möglich war 152 . Anders als in einem Brief eines Sekretärs, in dem <extraordinairement> 153 zu lesen ist, findet sich in einem autographe der Königin <compagnye strasordynere> 154 (vgl. auch Anhang 5). Zu vermuten ist, dass hier eine Interferenz mit it. straordinario vorliegt. Zwar ist s impurum laut Sampson (2003) in zahlreichen Latinismen völlig unmarkiert, für diese Form aber lassen sich keine weiteren Belege in Texten des 16. Jahrhunderts nachweisen (vgl. z. B. HUG s.v. extraordinaire sowie FRANTEXT 1500-1600 <extraordinaire> flexion et variantes XVI e -XVII e ). Dass es sich dabei um eine Interferenz handelt, die nur über einen gewissen Zeitraum zu beobachten war, legt die Schreibung <etstrahordinere> 155 in einem späteren Brief nahe. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang auch die hyperkorrekte Graphie <ayxtimee>, die zusammen mit weniger auffälligem <aystimee> 156 im selben Brief auftritt. Dabei könnte es sich gewiss um eine hyperkorrekte Schrei- Anfang aufweist (z. B. <san le conge des medesins>). Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 194): Brief von Anfang Mai 1561, Briefe CM (Bd. 4: 266-267): Brief vom 23. November 1573. 151 Vgl. Briefe CM (Bd. 3: 202-203): Brief vom 12. November 1568. 152 Im Übrigen, und dies wird in der Estienne-Forschung oft nicht berücksichtigt, waren im Französischen des 16. Jahrhunderts in der Tat Italianismen mit [stra-] anzutreffen. Bis heute erhalten ist etwa strapontin (vgl. Hope 1971: 223-224). 153 Vgl. Briefe CM (Bd. 10: 502-504): Instruction à Monsieur de Matignon vom 16. Juni 1574 [Pinart]. 154 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 194): Brief von Anfang Mai 1561. 155 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 114): Brief vom 21. Juli 1583. Zwar lag mir die Handschrift dieses nicht zum Korpus gehörenden Briefs nicht im Original vor, allerdings ist anzunehmen, dass die Herausgeber diese doch außergewöhnliche Schreibung aufmerksam transkribiert haben. Selbst wenn die Schreibung im Detail ungenau transkribiert worden sein sollte (z. B. <ettsra> im Manuskript), scheint es mir in jedem Fall ausgeschlossen, dass eigentlich s impurum vorliegen könnte. 156 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. 510 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 511 bung handeln, die darauf zurückzuführen ist, dass fr. [ɛks] bzw. [ɛgz] (zumeist <ex->) in den Briefen von Catherine de Médicis häufig mit <ays-> oder <es-> (z. B. <aysample>, <estreme>) wiedergegeben wird, was auf [ɛs] bzw. [ɛz] hindeutet (vgl. Kapitel 7.3.3.4.3). Andererseits liegt im Gegensatz zu fr. extrême und exemple für estimer in der italienischen Entsprechung s impurum vor (vgl. it. estremo , esempio , stimare ). Möglicherweise könnte der Hyperkorrektismus also nicht (allein) der Unsicherheit bezüglich [ɛks] vs. [ɛs], sondern der Tatsache geschuldet sein, dass sie fälschlicherweise annimmt, die französische Entsprechung von it. stimare weise wie jene von it. straordinaro ex- auf, was ein Indiz dafür sein könnte, dass sich in ihrem Französisch nicht nur <strasordynere>, sondern auch <stimer> neben <ay(x)stimer> findet. Ein autographe , das unglücklicherweise nicht im Original vorlag, legt dies nahe: <aymer et stimer> 157 . Formen von estimer sind im Französischen des 16. Jahrhunderts normalerweise nicht ohne <es-> vorzufinden. Weder im DMF (s.v. estimer ) oder in HUG (s.v. estimer ) noch unter den 2421 Okkurrenzen von estimer in FRANTEXT (1500-1600 flexion et variantes XVI e - XVII e ) lassen sich Formen mit s impurum ausmachen. In den Briefen der Sekretäre erscheint es unabhängig von der Umgebung immer mit <es-> 158 . Der Beleg aus dem o. g. Brief von Catherine de Médicis konnte nicht im Manuskript überprüft werden und ist daher problematisch. In einem nicht edierten Brief von Scipione Sardini findet sich jedoch <ie stime> 159 , was bestätigt, das estimer im françois italianizé tatsächlich mit s impurum vorkommen konnte. Wie in der Originalhandschrift leicht überprüft werden kann, ist <ie stime> nicht, wie es in rinascimentalen Handschriften ansonsten häufig der Fall ist, als <j’estime> zu interpretieren. Die Worttrennungen in diesem Manuskript sind im Allgemeinen sehr modern (<ie desire>); <ie> und <stime> erscheinen zudem in zwei verschiedenen Zeilen. Wenn man davon ausgeht, dass <ayxtimee> nicht allein mit dem Schwanken zwischen [ɛks] <ex> vs. [ɛs] <es> (z. B. in <extrême> vs. <estreme>) in Verbindung zu bringen ist, sondern annimmt, dass <ayxtimee> statt <stimee> in Analogie zu <strasordynere> neben <extraordinaire> erscheint, könnten auch die bereits kurz in Kapitel 4.2.3.3 besprochenen Formen wie <extrade> statt <strade>, die Estienne ([1578] 1980: 88) als korrumpierte Italianismen verurteilt, aus einer anderen Perspektive betrachtet werden. Bisher wurde vermutet, dass es sich dabei um ZS -rezipienteninduzierte Entlehnungen von Italianismen durch Franzosen handelt. Denkbar ist aber auch, dass die italienischen Höflinge aufgrund der Tatsache, dass it. s impurum in französischen Entsprechungen, die 157 Vgl. Briefe CM (Bd. 4: 34-35): Brief vom 18. März 1571. 158 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 491): Brief vom 31. Januar 1563 [Anonym], Briefe CM (Bd. 5: 5-6): Brief vom 03. Juni 1574 [Anonym]. 159 Vgl. Brief von Sardini vom 07. September 1562 (BNF FF 3219 [91]). nicht aus dem Italienischen entlehnt sind (vgl. it. sperare und fr. espérer sowie it. straordinario und fr. extraordinaire ), sowohl <ex-> [ɛks] als auch <es-> [ɛs] aufweisen können, beim Versuch, ihre eigenen Italianismen besser zu integrieren, unsicher waren, welche Lautung und Schreibung angemessen war, zumal die Unterscheidung von [ɛks] <ex> vs. [ɛs] <es> (z. B. in <extrême> vs. <estreme>) offenbar im Allgemeinen schwierig war. Formen wie <extrade> (< it. strada ) könnten so auch den Italienern geschuldet sein. In diesem Fall lägen dann aber keine klassischen AS -produzenteninduzierten Entlehnungen mehr vor. Statt der Nähe zum Etymon der AS wäre eine bewusst herbeigeführte vermeintliche Nähe zur ZS gegeben. Von vergleichbarem Interesse wie <ayxtimee> erweist sich <tous escropule> 160 , wie es in einem Brief der Gruppe A erscheint. Bisher konnte anhand der unintegrierten Formen von <scorte>, der vermutlich auf Interferenzen mit dem Italienischen zurückzuführenden Graphie <strasordynere> sowie anhand der hyperkorrekten Schreibung <ayxtimee>, die möglicherweise mit it. stimare (und folglich mit fr. <stimer > ) in Verbindung gebracht werden kann, wahrscheinlich gemacht werden, dass im françois italianizé der Immigranten in der Tat s impurum anzutreffen war. Die Form <escropule> ist nun insofern interessant, als sie wie alle soeben genannten Fälle erneut den Tendenzen im Französischen des 16. Jahrhunderts widersprechen zu scheint. In Latinismen wie scrupule , das seit 1375 / 1404 belegt ist (vgl. TLF i s.v. scrupule 2), wäre eigentlich kein prothetischer Vokal zu erwarten. Zu vermuten ist daher, dass hier eine hyperkorrekte Lautung vorliegt, die in der Graphie <escropule> zum Ausdruck kommt. Auch wenn, wie Sampson (2003, 2004, 2010) betont, im 16. Jahrhundert zahlreiche Latinismen sowohl mit als auch ohne Prothese erscheinen (darunter z. B. auch escrupule ), kann die Schreibung im Brief von Catherine de Médicis dennoch als Indiz dafür gewertet werden, dass in ihrem Französisch Formen mit s impurum häufig anzutreffen waren. Denn anders als in den Texten von z. B. Monluc oder Brantôme, die beide aus dem okzitanischen Sprachraum stammen, kann im Falle von Catherine de Médicis wohl nur schwer behauptet werden, die Prothese erkläre sich durch den Einfluss des Okzitanischen. Im Prinzip verhält es sich hier genau umgekehrt wie bei südfranzösischen Schreibern: Während bei letzteren Latinismen mit Prothese (z. B. escrupule ) ihrer Muttersprache geschuldet sind und sich französische Erbwörter mit s impurm (z. B. spérance ) als hyperkorrekte Formen erklären lassen, sind im Französischen von Catherine de Médicis Formen mit <sc-> auf Interferenzen mit dem Italienischen zurückzuführen und gelehrte Wörter mit <esc-> als hyperkorrekt zu betrachten. Durch die diatopische Variation im Französischen der Renaissance kann das Nebeneinander von 160 Vgl. Briefe CM (Bd. 2: 320): Brief vom 09. Oktober 1565. 512 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 513 Formen mit und ohne Prothese in den autographes von Catherine de Médicis jedenfalls nur schwer erklärt werden. In den Briefen der gebildeten Sekretäre finden sich solche Graphien im Übrigen nicht: <scrupule> 161 . Was die Schreibung erbwörtlicher Lexeme mit prothetischem Vokal anbelangt, kann festgestellt werden, dass in den autographes von Catherine de Médicis nur wenige Auffälligkeiten zu beobachten sind und dass diese auch nicht zwingend als Interferenzen mit dem Italienischen betrachtet werden müssen. Auch wenn eigentümliche Graphien wie z. B. <maves et crypte, ne mes e cripvye> 162 aus den ersten Briefen vermuten lassen, dass prothetische Vokale nicht nur in der Schreibung einen gewissen Aufwand erforderten, erscheint in beinahe allen potentiellen Kontexten (58 von 61) eindeutig <e> oder <ay> (und äußerst selten <et>). Beide Schreibungen werden abwechselnd im selben Wort (z. B. <esperanse> neben <aysperanse>) - mitunter nebeneinander im selben Brief 163 - verwendet und können daher als gleichberechtigte Varianten angesehen werden. Auffällig sind drei Schreibungen, die in der Übersichtstabelle als Erbwörter mit s impurum behandelt wurden: <etsperons>, <iesperanse> und <etspere> 164 . Dass Graphien wie <iespere> 165 wie heutiges <j’espère> zu lesen sind, versteht sich von selbst. Anders verhält es sich aber mit <iesperanse> ‘j’ai espérance’, <etsperons> ‘et [nous] espérons’, <etspere> ‘et [j’] espère’. Dass in allen Fällen auch tatsächlich j’ai und et vorliegt, kann dem jeweiligen Kontext eindeutig entnommen werden. Gleichzeitig begegnen auch Schreibungen wie <etayspere> und <ie aysperanse> 166 . Interessanterweise sind Graphien wie <etespere>, <etesperons> und <ieesperanse> nicht anzutreffen 167 . Wie ist das fehlende <e> in den drei Schreibungen also zu erklären? Die ohnehin seltene, v. a. in den frühen Briefen zu beobachtende Variante <et> kann in <iesperanse> nicht vorliegen, in <etspere> und <etsperons> aber ebenso wenig. Andernfalls müsste man annehmen, et werde graphisch nicht wiedergegeben, was das o. g. Beispiel <etayspere>, aber 161 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 10: 95-96): Brief vom 20. März 1563 [Anonym]. Der Brief gehört nicht zum Korpus. Die Originalhandschrift (BNF FF 3194 [135]) kann online konsultiert werden. 162 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 3, Fn. 3): Brief vom August 1536. 163 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 6): Brief vom Juni 1543. 164 Vgl. Briefe CM (Bd. 3: 63-64, 71): Brief vom (Oktober) November 1567, Briefe CM (Bd. 5: 143): Brief vom 28. September 1575, Briefe CM (Bd. 6: 292-293): Brief vom 03. März 1579. 165 Vgl. Briefe CM (Bd. 3: 13-14): Brief vom 27. Februar 1567. 166 Vgl. Briefe CM (Bd. 3: 279): Brief vom 10. Oktober 1569, Briefe CM (Bd. 4: 215): Brief vom 16. Mai 1573, Briefe CM (Bd. 1: 71-72): Brief vom Oktober 1552. 167 Auch in weiteren Manuskripten von Briefen der Gruppe A ist ausschließlich entweder <et ayspere> oder <etspere>, nicht jedoch <etespere> anzutreffen. Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 2: 320): Brief vom 09. Oktober 1565, Briefe CM (Bd. 3: 272): Ergänzung zum Brief vom 08. September 1569. auch z. B. <etpeut estre> 168 nicht gerade nahelegen. Die Konjunktion et wird, soweit ich anhand der untersuchten Briefe sehen konnte, immer geschrieben. Zu vermuten ist, dass hier phonetische Schreibungen vorliegen, die auf den Ausfall des prothetischen Vokals hindeuten. Im Hinblick auf die Silbifizierung entstehen dadurch keine Probleme. Im Gegenteil: Es wird sogar ein Hiat vermieden. Um zu überprüfen, ob nun die Tilgung von [e]/ [ɛ] durch Interferenzen mit dem Italienischen (vgl. e spero ) oder einfach durch eine Kontraktion der zwei Vokale zur Verbesserung der Silbenstruktur zu erklären ist, müssten natürlich weitere Belege ausfindig gemacht werden, in denen <ie> ‘j’ai’ und <et> vor <e> [e]/ [ɛ] erscheinen, das nicht auf einen prothetischen Vokal zurückgeht (z. B. j’ai élu , et élaboré ). Wenn auch in solchen Fällen nur ein <e> anzutreffen wäre, spräche dies gegen italienischen Einfluss. Dass - wenn auch äußerst selten - französische Erbwörter im françois italianizé ihren prothetischen Vokal verlieren können, legt <sous telle speranse> 169 im Brief des anonymen Sekretärs aus Armagnac nahe. Ebenfalls auffällig ist <mscrire> ‘m’écrire’ in einem autographe von Zametti, in dessen Briefen ansonsten aber keinerlei Besonderheiten im Hinblick auf die Wiedergabe prothetischer Vokale zu beobachten sind 170 . Anzeichen für eine Revitalisierung von [s] unter Beibehaltung des prothetischen Vokals, d. h. [ɛs] statt [e], in Lexemen wie fr. écrire , wie man sie möglicherweise unter italienischem Einfluss (vgl. it. scrivere ) erwarten könnte, finden sich nicht. In den Briefen von Catherine de Médicis sind sowohl <ayscrypre> als auch <ecrivent> 171 anzutreffen. Was die Präsenz von s impurum im françois italianizé der Immigranten angeht, lässt sich zusammenfassend Folgendes festhalten: Auch wenn insgesamt nur wenige Belege für Italianismen ausgemacht werden konnten, deren Etymon s impurum aufweist, lassen sich Tendenzen zeigen, die die Beobachtungen Estiennes bestätigen. Während die Lehnwörter in den Briefen der französischen Sekretäre regelmäßig mit <e> geschrieben werden (z. B. <escorte>), begegnen in den autographes von Catherine de Médicis Formen mit s impurum (<scorte>). Auch italianisierende Schreibungen einzelner Latinismen wie <strasordynere> sowie Graphien, die auf hyperkorrekte Lautungen hindeuten (z. B. <escropule>), geben Grund zur Annahme, dass im Französischen der Immigranten vermehrt Formen mit fehlender Prothese begegneten. Vereinzelte Schreibungen wie <mscrire>, <telle speranse> und <etspere> könnten Indizien dafür sein, dass in seltenen Fäl- 168 Vgl. Briefe CM (Bd. 10: 320): Brief vom Juni 1573. 169 Vgl. Briefe CM (Bd. 6: 409-412): Relation du cardinal d’Armagnac touchant l’accomodement qu’il a faict avec le mareschal Damville, pour le remettre aux bonnes graces de sa Majesté vom Dezember 1578 [Kopie]. 170 Vgl. z. B. Brief von Zametti vom 20. Juni 1592 (BNF FF 15 575 [27]). 171 Vgl. Briefe CM (B Bd. 1: 6): Brief vom Juni 1543, Briefe CM (Bd. 10: 320): Brief vom Juni 1573. 514 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 515 len auch französische (Erb)Wörter ihren prothetischen Vokal unter italienischem Einfluss verlieren. In der Mehrheit der Fälle sind diesbezüglich aber weder in den autographes von Catherine de Médicis noch in jenen der anderen Einwanderer Auffälligkeiten festzustellen. Dieser Befund deckt sich ebenfalls mit dem Zeugnis der zeitgenössischen Sprachbeobachter. Von einer systematischen Interferenz, die zur Restitution von s impurum in allen potentiellen Kontexten (z.B. fr. * scrire statt écrire ) oder unter Beibehaltung des prothetischen Vokals zumindest zur Wiederbelebung von [s] (z.B. fr. escrire [ɛsk-]) führt, kann nicht die Rede sein. Die Tatsache, dass sich im françois italianizé <sC-> auf Lehnwörter aus dem Italienischen beschränkt, spricht dafür, dass AS -produzenteninduzierte Entlehnungen vorliegen. Die Einflüsse sind also in erster Linie lexikalischer Natur. In diesen Fällen entlehnen die Migranten direkt aus ihrer Muttersprache, in der, wie in Kapitel 6.3.3.1.4 dargelegt wurde, kaum prothetische Vokale anzutreffen sind. 7.3.3.4 Konsonantismus 7.3.3.4.1 Doppelkonsonanz in preposizioni articolate Wie in Kapitel 2.3.2.2 erwähnt, kann für die allgemein steigende Frequenz von graphisch realisierter Doppelkonsonanz im Französischen des 16. Jahrhunderts nicht nur lateinischer, sondern in geringerem Maße auch italienischer Einfluss verantwortlich gemacht werden (vgl. z. B. Catach u. a. 1995: 1156). Diese von Estienne (1578) nicht explizit thematisierte Erscheinung manifestiert sich nicht nur in aus dem Italienischen stammenden Lehnwörtern (z.B. fr. appartement < it. appartamento , fr. inganner < it. ingannare ) 172 , sondern bisweilen auch in französischen Erbwörtern, die ausdrucksseitig an ihre italienischen Kognaten 173 angepasst werden (z. B. mfr. alaigre > nfr. allègre unter dem Einfluss von it. allegro , vgl. FEW s.v. alăcer ). In den 87 Briefen der Gruppe B sowie den 13 von anderen italienischen Immigranten verfassten Texten konnten in der Tat zahlreiche Okkurrenzen ermittelt werden, in denen < CC > erscheint. Die Vorkommen sind nicht auf lexikalische 172 Für Serianni (2008: 27, Fn. 25) stellt graphisch erhaltene Doppelkonsonanz einen „sicuro indizio di italianismo“ dar. In der Schreibung erhaltene Geminaten werden auch in der etymologischen Forschung nicht selten als Anzeichen für italienische Herkunft gewertet. So weist z. B. Hope (1971: 151) darauf hin, dass neben [-st-] auch <cc> in fr. accoster auf italienischen Einfluss hindeutet. Die Etymologie von fr. accoster ist jedoch komplex. Für eine genauere Diskussion vgl. Hope (1971: 151-152), der im Gegensatz zu anderen Etymologen der Schreibung <cc> hier nur eine sekundäre Bedeutung beimisst. 173 In der vorliegenden Arbeit wird in Anlehnung an das LEI (s.v. alacer ) davon ausgegangen, dass es sich bei fr. allègre und it. allegro um Kognaten handelt. Traditionellerweise wird in it. allegro ein früher Gallizismus gesehen, so dass die Verwendung des Etiketts Kognat strenggenommen unzulässig wäre (vgl. auch Kapitel 5.5.2.3.3.3). Italianismen beschränkt. Im Gegenteil: In der Mehrheit der Fälle findet sich die Doppelkonsonanz in französischen Erbwörtern sowie in mehr oder weniger etablierten Latinismen 174 . Besonders auffällig sind die vereinzelten Graphien in den Texten Cavrianas (z. B. <sagge>, <personagge>) 175 . Die Formen lassen sich weder im DMF noch in GDF , HUG , FRANTEXT (1500-1600) oder den Briefen von Catherine de Médicis ( autographes und diktierte Briefe) 176 nachweisen und können als italianisierend betrachtet werden. Offenbar wird in diesen Fällen die Schreibung der italienischen Entsprechungen (<saggio>, <personaggio>) auf die französischen Lexeme übertragen. Letztere erscheinen in denselben Texten auch mit <C>, was dafür spricht, dass es sich bei den Schreibungen mit < CC > um ungewollte Interferenzen mit dem Italienischen handelt. Umgekehrt finden sich in den italienischen Texten Cavrianas keine <C>-Schreibungen bei den entsprechenden Lexemen. Was die Briefe von Catherine de Médicis anbelangt, kann festgestellt werden, dass die graphisch realisierte Doppelkonsonanz in bestimmten Einzelwörtern weder auffällig häufig noch ausschließlich auf ihre autographes beschränkt ist. So könnte die durchaus frequente Schreibung <toutte> 177 , die im Übrigen auch in Briefen von Cavriana, Lodovico Gonzaga und Filippo Strozzi 178 begegnet, zunächst italianisierend wirken (vgl. it. tutta ). Angesichts der Tatsache, dass sie vereinzelt auch in den Briefen der französischen Sekretäre 179 erscheint, ist dies 174 Bezeichnend ist, dass alle Schreibungen für den Italianismus attaquer in den Briefen von Catherine de Médicis, selbst in den autographes , <t> statt <tt> aufweisen (vgl. Sekretäre: Briefe CM Bd. 10: 349-351: Brief vom 15. Juni 1574 [Pinart], Briefe CM Bd. 8: 326: Brief vom 23. Juni 1585 [Anonym], autographes : Briefe CM Bd. 10: 308-309: Brief von Ende März 1573, Briefe CM Bd. 7: 314: Ergänzung zum Brief vom 04. Januar 1581). Beim autographe von Ende März 1573 lag mir das Manuskript allerdings nicht vor (Gruppe A). 175 Vgl. Brief von Cavriana: Propos tenus par le Sr Cabriani vom 16. November [1585] vor Monsieur d’Espernon und „beaucoup de monde“ (BNF FF 3374 [6-7]), vom 05. November 1585 (BNF FF 3374 [8-11]), vom 26. Juli 1586 (BNF FF 3374 [12]), vom 22. Dezember 1585 (BNF FF 3374 [40-41]). 176 Für <personnage> vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 2: 374-375): Brief vom 15. Juli 1566 [Robertet], Briefe CM (Bd. 7: 416-417): Brief vom 18. November 1581 [Anonym]. 177 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 116-117): Brief von Ende Februar 1558, Briefe CM (Bd. 1: 219-220): Brief von Ende Juli 1561, Briefe CM (Bd. 1: 290-293): Brief vom 10. April 1562, Briefe CM (Bd. 2: 383): Brief vom September 1566. 178 Vgl. Brief von Cavriana vom 19. Oktober 1585 (BNF FF 3374 [112]), Brief von Lodovico Gonzaga vom Juli 1582 (BNF FF 15 906 (2) [711]), Briefe CM (Bd. 8: 384-385): Ergänzung zum Brief vom 17. April 1582 [Anonym / PS]. 179 Vgl. Briefe CM (Bd. 5: 22): Brief vom 17. Juni 1574 [Pinart], Briefe CM (Bd. 7: 416-417): Brief vom 18. November 1581 [Anonym]. Graphische Doppelkonsonanz kam im Französischen auch als italianisierende Modeerscheinung vor (vgl. Vachon 2010: 108, Fn. 104, die dazu auf Catach u. a. 1995: 1156 verweist). Allerdings lässt sich nicht ausschließen, dass in Fällen wie <toutte> auch andere Gründe für <CC> verantwortlich sind. Zu wei- 516 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 517 aber wenig plausibel. In GDF , HUG und FRANTEXT (1500-1600) sind ebenfalls Belege für <toutte> in von Franzosen verfassten Texten zu finden. Ein wesentlicher Unterschied zwischen autographes und diktierten Briefen im Hinblick auf graphisch realisierte Geminaten lässt sich jedoch bei sog. preposizioni articolate feststellen: Während in den Briefen der Sekretäre in diesen Fällen entweder amalgamierte Formen wie <des> (< de + les ) oder getrennte Schreibungen wie <a / à la> 180 , <de la> erscheinen, finden sich in den Briefen von Catherine de Médicis sowie von anderen Immigranten neben den französischen Varianten u. a. Graphien wie <della> und <alla>, die als italianisierend gelten können. Wie in Kapitel 6.3.3.1.5 gezeigt wurde, sind diese Formen in den italienischen Texten der Einwanderer weit verbreitet. Für die Untersuchung der 87 Briefe der Gruppe B wurden alle Vorkommen der Präpositionen à und de mit bestimmtem Artikel ausgezählt. Wie die folgende Tabelle zeigt, wurden die Ergebnisse innerhalb der zwei Kategorien (Sekretäre und autographes ) in zwei große Gruppen eingeteilt: Der Typ <au / à la> umfasst die für das Französische erwartbaren Formen, wohingegen unter dem Typ <al / alla> all diejenigen Schreibungen zusammengefasst werden, die vermutlich auf Interferenzen mit dem Italienischen zurückgeführt werden können. Innerhalb dieser Typen wurde eine weitere Unterteilung in amalgamierte Formen wie <au / du> (bzw. <al / del>) und getrennt geschriebene wie <à la / de la> (bzw. <alla / della>) vorgenommen. Auch wenn das Kriterium der Getrenntschreibung strenggenommen nur für die französischen Formen gilt, erschien es sinnvoll, diese Unterteilung auch für die italianisierenden Graphien vorzunehmen, da in Schreibungen wie <al/ del> unter Umständen eine andere Art der Interferenz zu beobachten ist als in Fällen wie <alla/ della>. Während in ersteren in jedem Fall auch eine Beeinflussung auf morphologischer Ebene vorliegt, kann es sich bei letzteren lediglich um graphische und / oder lautliche Interferenzen handeln. Formen wie <a lair> bzw. <all assault> wurden dem Typ <à la> bzw. <alla> zugeordnet. Auch Formen, die als Teilungsartikel fungieren, sowie Vorkommen des Typs <de laquelle> bzw. <della quelle> und <audist/ a ladite> wurden berücksichtigt. Seltene Schreibungen des Typs <aul> 181 , wie sie auch in von Franzosen verfassten Texten aus dem 16. Jahrhundert begegnen, müssten, da <l> als etymologische Schreibung betrachtet werden kann, dem Typ <au / à la> zugeordnet werden, kamen in den Briefen der Gruppe B aber nicht vor. Verbinteren Ursachen für <CC> im Französischen vgl. Catach u. a. (1995: 1149-1157) sowie Vachon (2010: 108). 180 Akzente sind - wie im Übrigen auch Apostrophe - erst ab den 1580er Jahren und fast ausschließlich in von Sekretären verfassten Briefen anzutreffen. 181 Vgl z. B. das Vorkommen in einem Brief der Gruppe A (Briefe CM Bd. 1: 532-533: Ergänzung zum Brief vom 19. März 1563). dungen mit Eigennamen wurden nur dann gezählt, wenn die Präposition nicht Teil des Namens ist: Während z. B. <ceux della Rochella> ‘ceux de La Rochelle’ in die Übersicht aufgenommen wurde, blieb <le sieur du Parq> unberücksichtigt. Jahrzehnt Sekretäre autographes Typ au / à la (französisch) Typ al / alla (italianisierend) Typ au / à la (französisch) Typ al / alla (italianisierend) au à la al alla au à la al alla 1530er 1540er 3 2 0 0 0 0 0 0 5 von 5 100 % 0 von 5 0 % 0 0 1550er 23 15 0 0 17 7 1 (dal) 7 38 von 38 100 % 0 von 38 0 % 24 von 32 75 % 8 von 32 25 % 1560er 54 14 0 0 32 18 0 3 68 von 68 100 % 0 von 68 0 % 50 von 53 94 % 3 von 53 6 % 1570er 100 37 0 0 18 8 0 7 137 von 137 100 % 0 von 137 0 % 26 von 33 79 % 7 von 33 21 % 1580er 51 31 0 0 23 17 0 2 82 von 82 100 % 0 von 82 0 % 40 von 42 95 % 2 von 42 5 % 1530er- 1580er 231 99 0 0 90 50 72 % 1 19 28 % 330 von 330 100 % 0 von 330 0 % 140 von 160 87,5 % 20 von 160 12,5 % Tab. 30: Frequenz von < CC > in preposizioni articolate in den Briefen von Catherine de Médicis Wie aus der Übersichtstabelle hervorgeht, sind die Schreibungen des Typs <al / alla> ausschließlich in den autographes von Catherine de Médicis zu finden. In 330 von 330 Vorkommen, in denen in den Briefen der Sekretäre der bestimmte Artikel auf die Präposition à oder de folgt, begegnen solche Formen, die für das Französische zu erwarten sind. Anders als bei <CC> in z. B. <toutte> scheint 518 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 519 die graphisch realisierte Doppelkonsonanz im Falle der preposizioni articolate also tatsächlich auf Interferenzen mit dem Italienischen zurückzuführen zu sein. Ebenfalls klar ersichtlich ist, dass es sich dabei nicht um eine Erscheinung handelt, die auf die frühen Briefe von Catherine de Médicis beschränkt ist. Entsprechende Belege finden sich von den 1550er bis in die 1580er Jahre. In den vier Manuskripten aus den 1530 / 1540er Jahren sind unglücklicherweise keine Kontexte vorhanden, in denen ein bestimmter Artikel auf à oder de folgt. Ob die Häufigkeit der italianisierenden Formen im Laufe der Zeit abnimmt, wie es die Prozentwerte (1550er: 25 % <al / alla> vs. 75 % <au / à la> und 1580er: 5 % <al / alla> vs. 95 % <au / à la>) auf den ersten Blick nahelegen, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Die unterschiedlichen Zahlen könnten letztlich auch durch die Auswahl der Briefe bedingt sein. Auffällig ist z. B., dass in den 1560er Jahren nur in 6 % aller potentiellen Kontexte <al / alla> erscheint und die Häufigkeit im darauffolgenden Jahrzehnt wieder deutlich ansteigt (1570er: 21 % <al / alla> vs. 79 % <au / à la>). Um statistisch verlässliche Aussagen machen zu können, müsste ein größeres Korpus, im Idealfall mit einer vergleichbaren Anzahl an tokens für jedes Jahrzehnt und jede Gruppe (Sekretäre vs. autographes ), als Datengrundlage herangezogen werden. Festhalten lässt sich dennoch, dass es sich bei den Graphien <al / alla> um besonders eigentümliche Interferenzen mit dem Italienischen handelt, die auch noch Jahrzehnte nach der Immigration zu beobachten sind. Dass es sich dabei nicht um Interferenzen auf morphologischer Ebene handeln kann, ist anhand der Verteilung der Belege auf die eingangs definierten Subkategorien (<al / del> und <alla / della>) ersichtlich. Bis auf einen außergewöhnlichen Fall, in dem <dal> ‘par le / du’ (vgl. it. dal ) erscheint 182 und der mithin als code-switching betrachtet werden könnte, gehören alle Vorkommen (19 von 20) dem Typ <alla / all> oder <della / dell> an. In den 90 Kontexten (91- <dal>), in denen die amalgamierten Formen <au / du / des> erscheinen müssen, sind auch ausschließlich diese vorzufinden 183 . Vor diesem Hintergrund lohnt ein erneuter Blick auf das Verhältnis von französischen und italianisierenden Formen in den autographes . Da letztere als graphische / lautliche Interferenz zu bewerten sind, können sie auch nur zu Formen wie <à la / de la> in Konkurrenz stehen. Während italianisierende Schreibungen in den autographes von Catherine de Médicis (1530er-1580er) in 12,5 % (20 von 160) der Okkurrenzen von à / de 182 Vgl. Briefe CM (Bd. 10: 5): Brief vom Oktober 1551. 183 In einem Brief aus der Gruppe A findet sich <de novelles delle guerre> (vgl. Briefe CM Bd. 1: 48: Brief von Ende Oktober 1551). Die Überprüfung des Manuskripts ergab, dass es sich tatsächlich um <delle>, nicht, wie man annehmen könnte, um <della> handelt. Möglicherweise liegt in diesem Fall also auch eine morphologische Interferenz (<delle> statt <des>) vor. In allen anderen Fällen begegnet aber ausschließlich <des / de> ‘des’. plus bestimmter Artikel auftauchen, machen sie 28 % der Gruppe <à la / de la> aus. In den 1550er (7 Vorkommen für <alla / della> vs. 7 Vorkommen für <à la / de la>) und 1570er Jahren (7 Vorkommen für <alla / della> vs. 8 Vorkommen für <à la / de la>) finden sich in der Gruppe <à la / de la> fast ebenso viele italianisierende wie französische Schreibungen. Insgesamt handelt es sich dabei also um eine durchaus häufige Interferenzerscheinung. Weitere Besonderheiten in den autographes von Catherine de Médicis, die für die quantitative Analyse nicht berücksichtigt wurden, sind z. B.: <de avoyr ayde alle [‘à le’ = le royaume] rouyner> 184 sowie <au la mesme aystat> 185 . Während letzteres als Genusfehler bewertet werden kann, zeigt ersteres, dass in seltenen Fällen auch in Verbindungen von Präposition plus Objektpronomen eine graphische Doppelkonsonanz realisiert werden kann. Möglicherweise lässt sich dieser besondere Fall aber einfach dadurch erklären, dass in diesem Brief im gleichen Satz auch <alla> ‘à la [Artikel]’ erscheint: <Lese cete belle memoyre alla posterite et non de avoyr ayde alle rouyner>. Ebenfalls interessant sind die Graphien <enlla personne de mon fils> und <enlla cretiente> 186 , die stark an it. nella erinnern. Ein Blick auf französische Produktionsdaten anderer italienischer Immigranten zeigt, dass es sich bei < CC > in preposizioni articolate nicht um eine Eigentümlichkeit von Catherine de Médicis handelt, sondern dass die Erscheinung auch im françois italianizé anderer Italiener nachweisbar ist. Als besonders ergiebig erweisen sich in dieser Hinsicht die drei Briefe des toskanischen Bankiers Sebastiano Zametti 187 : In vier von fünf Kontexten, in denen ein bestimmter Artikel auf die Präposition à oder de folgt, erscheint eine italianisierende Schreibung <alla / della>. In allen Fällen handelt es sich um Okkurrenzen des Typs <à la / de la>. Im stark italianisierenden Brief des unbekannten Sekretärs aus Armagnac tritt in 19 von 19 Fällen des Typs <à la / de la> Doppelkonsonanz auf, während in den 32 Kontexten, die eine amalgamierte Form verlangen, eine solche zu finden ist. Wie ist dieser Befund nun zu interpretieren? Statistisch relevante Aussagen lassen sich angesichts der geringen Zahl an Belegen freilich nicht machen. Dennoch scheint es sich bei den Formen <alla / della> um ein verbreitetes Merkmal des (geschriebenen) françois italianizé zu handeln, das auch noch in späten Briefen der Einwanderer zu finden ist. Bedenkt man, dass die Briefe 184 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 130-131): Brief vom 03. Januar 1560. 185 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. 186 Vgl. Briefe CM (Bd. 10: 320): Brief vom Juni 1573, Briefe CM (Bd. 7: 314): Ergänzung zum Brief vom 04. Januar 1581. 187 Vgl. Brief von Zametti vom August 1582 (BNF FF 15 906 (2) [723]), vom Januar 1592 (BNF FF 15 575 [20]), vom 20. Juni 1592 (BNF FF 15 575 [27]). 520 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 521 von Zametti - über den anonymen Sekretär kann diesbezüglich keine Aussage gemacht werden -, der möglicherweise schon in den 1560er Jahren an den französischen Hof kam (vgl. z. B. Picot [1918] 1995: 140-142), aus den 1580er und 1590er Jahren stammen, ist die hohe Frequenz solcher Formen bemerkenswert. Wie bei Catherine de Médicis bleibt diese Interferenz also offenbar über einen langen Zeitraum hinweg erhalten. Umgekehrt konnte in Kapitel 6.3.3.1.5 - u. a. anhand eines italienischen Briefs von Zametti - gezeigt werden, dass im Italienischen der Immigranten die Doppelkonsonanz in <alla / della> stabil bleibt und nicht durch französischeres <C> ersetzt wird. Der Umstand, dass sich Formen mit < CC > sowohl in französischen als auch in italienischen Texten einer gewissen Vitalität erfreuen, legt erneut nahe, dass das Italienische zumindest für bestimmte Einwanderer die dominante Sprache blieb und in der Folge für Interferenzen in deren Französisch verantwortlich war. Die Frage, ob aus der graphisch realisierten Doppelkonsonanz gefolgert werden kann, dass auch im gesprochenen françois italianizé bestimmter Immigranten Geminaten zu beobachten waren, lässt sich nur schwer beantworten. Gewiss sind insbesondere bei Catherine de Médicis zahlreiche Schreibungen als phonetische Schreibungen zu interpretieren (z. B. <fo fere> ‘faut faire’), allerdings gibt sie à / de plus bestimmter Artikel in den meisten Fällen auch mit <C> wieder. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf französische Texte weiterer Italiener. Dass in den Texten von Filippo Strozzi und Carlo Gonzaga - ersterer kam in jungen Jahren nach Frankreich, letzterer wurde schon in Paris geboren - keine Formen <alla / della> zu finden sind, braucht nicht zu verwundern. Schließlich können beide als Franzosen gelten 188 . Dass aber in den Texten von Lodovico Gonzaga keine und im Falle von Cavriana nur eine (vgl. weiter unten) solche italianisierende Form erscheint, ist angesichts der Tatsache, dass in den italienischen Texten Cavrianas regelmäßig <alla / della> anzutreffen ist, erstaunlich und kann unterschiedlich interpretiert werden. Die Vermutung, sowohl Gonzaga als auch Cavriana hätten das Französische einfach besser erlernt, liegt auf der Hand. In diesem Falle bedürfte es an dieser Stelle keiner weiteren Erklärung. Andererseits könnte aber auch die unterschiedliche 188 Besonders deutlich wird dies auch anhand der Unterschrift in ihren Briefen. Im Gegensatz zu ihren Vätern, Pietro Strozzi und Lodovico Gonzaga, unterschreiben sie mit französischem Namen (<Strosse / Stroße> bzw. <Gonzague>). Pietro Strozzi und Lodovico Gonzaga unterschreiben sowohl französische als auch italienische Briefe mit <Strozi / Strosi> bzw. <Gonzaga>. Bei Gonzaga findet sich die italienische Unterschrift auch in französischen autographes . Von Strozzi sind mir ohnehin nur italienische autographes bekannt. Alle seiner für die vorliegende Arbeit gesichteten auf Französisch verfassten Briefe entstammen der Feder eines Sekretärs (vgl. auch Kapitel 7.2). Auf den engen Zusammenhang zwischen italienischer Unterschrift und italienischer Identität bei italienischen Immigranten in der France italienne hat bereits Boucher ([1981] 2007: 764) hingewiesen. Herkunft der Immigranten eine Rolle gespielt haben. Wie Catherine de Médicis stammt auch Zametti aus aus der Toskana, wohingegen Cavriana und Gonzaga aus Mantova kommen. Denkbar wäre, dass letztere - wie z.T. auch heutige Norditaliener - in ihrem geschriebenen Italienisch in Anlehnung an das zeitgenössische italiano letterario zwar regelmäßig Formen mit < CC > produzierten, aber in der Mündlichkeit keine Geminaten artikulierten. Im gesprochenen Italienisch von Catherine de Médicis sowie von Zametti hingegen wären solche zu erwarten. Wenn also die aus Zentralitalien stammenden Einwanderer < CC > sowohl in ihren französischen als auch in ihren italienischen Texten realisieren, solche aus Norditalien aber ausschließlich in italienischen, könnte dies ein Indiz dafür sein, dass < CC > in französischen Briefen in erster Linie für die lautliche Realisierung der Doppelkonsonanz steht und mithin von einer Interferenz auf lautlicher Ebene auszugehen ist, die erst sekundär auch in der Graphie zum Ausdruck kommt. Diese Annahme würde erklären, warum in den französischen Texten von Gonzaga und Cavriana anders als in den am italiano letterario orientierten italienischen Briefen keine < CC >-Schreibungen begegnen. Da sie im gesprochenen Italienisch keine Geminaten produzieren, kann es auch zu keiner Interferenz auf lautlicher und in der Folge auf graphischer Ebene im Französischen kommen. Würde man annehmen, dass es sich bei < CC > in französischen Briefen um eine rein graphische Interferenz handelt, könnten die Unterschiede zwischen Catherine de Médicis / Zametti und Cavriana / Gonzaga - in deren geschriebenem Italienisch ja < CC > erscheint - nur durch eine unterschiedlich gut ausgeprägte Schreibkompetenz im Französischen erklärt werden. Selbst in diesem Fall können die Formen <alla / della> in den französischen Texten von Catherine de Médicis und Zametti aber als Anzeichen dafür gewertet werden, dass das Italienische die dominante Sprache der Einwanderer bleibt, da ganz offensichtlich an spezifisch italienischen Schreibungen festgehalten wird, die für Interferenzen im françois italianizé der Immigranten sorgen. Abschließend soll noch kurz auf die einzige italianisierende Form <all’improviste> in einem Brief 189 Cavrianas eingegangen werden. Auffallend ist, dass - wie weiter oben bereits angedeutet - in den Texten Cavrianas in allen anderen 42 Kontexten, in denen à / de plus bestimmter Artikel erscheint, französische Formen (z. B. <auquel>, <de la>) anzutreffen sind 190 . Wie erklärt sich also die Schreibung <all’>, wenn man wie im Falle Cavrianas zudem annehmen kann, 189 Vgl. Brief von Cavriana vom 19. Oktober 1585 (BNF FF 3374 [112]). 190 Zwei Okkurrenzen <al advantaige> und <a le recouvrement> ‘au recouvrement’ (vgl. Brief von Cavriana vom 05. November 1585 BNF FF 3374 [8-11]) blieben unberücksichtigt. Letztere kann als Fehler gelten, der für eine mangelnde Kompetenz des Französischen und mithin vielleicht für eine Lernervarietät spricht, aber nicht spezifisch italianisierend ist. Die Form <al advantaige>, die in der Edition Spigarolos (1999: 232) als <à 522 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 523 dass es sich nicht um eine Interferenz auf lautlicher Ebene handelt? Meines Erachtens muss hier davon ausgegangen werden, dass die preposizione articolata selbst nicht die eigentliche Interferenz darstellt, sondern nur Teil der vollständig aus dem damaligen Italienischen entlehnten Präpositionalphrase all’improviste (vgl. it. all’improvvista ) ist, wie sie etwa auch von Estienne ([1578] 1980: 416-417) kritisiert wird 191 . Offenbar liegt hier also eine AS-produzenteninduzierte Entlehnung des lexikalischen Italianismus à l’improviste vor (vgl. dazu ausführlich Kapitel 7.3.5.4.3). 7.3.3.4.2 Ausfall von [k] und [p] vor [t] Wie in Kapitel 4.2.3.1.2 dargelegt wurde, macht Henri Estienne (1578) für den - in seinen Augen systematischen - Ausfall von vorkonsonantischem [k] und [p] wie z. B. in affetté statt affecté und accetter statt accepter italienischen Einfluss verantwortlich. Auch wenn wie im Falle von [ɛ] statt [wɛ] davon auszugehen ist, dass diese ‘Innovation’ nicht den italienischen Immigranten geschuldet, sondern grundsätzlich als - anhaltender - erbwörtlicher Lautwandel im Französischen zu verstehen ist 192 , wäre es durchaus denkbar, dass Formen ohne [kt] bzw. [pt] im françois italianizé der italienischen Höflinge gehäuft vorzufinden waren. Schließlich sind solche Konsonantenabfolgen, wie schon Estienne ([1578] 1980: 404) richtig feststellt, der Phonotaktik des Italienischen - im Übrigen bis heute - fremd. Dass die Italiener also Varianten wählten, die aus ihrer Perspektive nicht nur weniger markiert wirken, sondern auch einfacher zu artikulieren sein mussten (vgl. fr. accetter und it. accettare ), erscheint durchaus plausibel. Dass eine große Auswahl an Varianten im Französischen des 16. Jahrhunderts gewährleistet war, wurde ebenfalls bereits erwähnt. Die zahlreichen in Thurot Bd. 2 (1883: 331-336, 362) gesammelten metasprachlichen Kommentare der Sprachbeobachter des 16. Jahrhunderts bestätigen sowohl im Hinblick auf die graphische (<pt> vs. <t> und <ct> vs. <t>) als auch auf die lautliche ([pt] neben [t] und [kt] neben [t]) Realisierung die allgemeine Aussage von Huchon (1988: 93) zu consonnes implosives im Französischen der Renaissance, der zufolge der „usage […] panaché“ war 193 . l’advantage> wiedergegeben wird, muss wohl einfach als Schreibfehler (<al> statt <à l’>) betrachtet werden. Läge italienischer Einfluss vor, wäre <all’> zu erwarten. 191 Dass es sich bei fr. à l’improviste um einen Italianismus aus dem 16. Jahrhundert handelt, gilt als gesichert (vgl. z. B. Hope 1971: 202 und TLFi s.v. improviste ). 192 Der Schwund von vorkonsonantischen Plosiven lässt sich u. a. anhand von phonetischen Schreibungen schließlich schon in altfranzösischer Zeit beobachten (vgl. die Ausführungen in Kapitel 4.2.3.1.2). 193 Vachon (2010: 112-114) kommt in ihrer umfangreichen empirischen Untersuchung literarischer Texte des 16. Jahrhunderts zu einem ähnlichen Ergebnis (<ct> ca. 44 %, <t> ca. 56 %). Ein Blick auf die 87 Briefe der Gruppe B sowie auf die Texte der anderen italienischen Immigranten (z. B. Cavriana, Gonzaga, Sardini, Strozzi, Zametti) bestätigt die in der Forschung vertretene Meinung. Sowohl in den autographes von Catherine de Médicis als auch in den Briefen ihrer Sekretäre finden sich - meist abhängig vom Einzelwort - verschiedene Schreibungen (<ct> neben <t>) in ein und demselben Brief nebeneinander. So erscheinen z. B. in einem autographe von Catherine de Médicis <ayfectuer>, <efectuer>, <doucter> ‘douter’, <ynstruitte>, <fest>/ <fayst>/ <fest>/ <fayst> ‘fait’ und <saynte> 194 , deren Etyma - mit Ausnahme von <doucter> (< lat. dubitare ) - alle <ct> aufweisen. Während zumindest für die Schreibungen <ynstruitte>, <fest>/ <fayst>/ <fest>/ <fayst> ‘fait’ und <saynte> vermutet werden kann, dass es sich dabei um phonetische Schreibungen handelt und etymologisches [kt] in den entsprechenden Wörtern nicht artikuliert wird, fallen Aussagen zu <ayfectuer> und <efectuer> deutlich schwerer. Denn im Gegensatz zu phonetischen Schreibungen lassen etymologisch ‘korrekte’ Schreibungen nicht immer zwangsläufig Rückschlüsse auf die Aussprache zu. Oder in anderen Worten: Nur weil ein Konsonant - meist in Anlehnung an das lateinische Etymon - graphisch realisiert wird, heißt das nicht, dass er auch gesprochen wird ( silent letters ). Besonders deutlich wird dies an der etymologisch betrachtet ‘falschen’ Schreibung von <doucter>, in der eigentlich <b> (vgl. lat. dubitare ) zu erwarten wäre. Dass in diesem Fall [kt] artikuliert wurde - oder [bt] in etymologisch korrektem <doubter>, wie es in zahlreichen diktierten Briefen erscheint 195 -, ist äußerst unwahrscheinlich. Verkompliziert wird die Situation dadurch, dass auch ein und dasselbe Lexem manchmal mit <ct> manchmal mit <t> wiedergegeben wird, so dass - anders als es die Verteilung der Formen im obigen Beispiel (zweimal <ct> in effectuer und viermal <t> in fait ) nahelegen könnte - auch keine auf Formen eines Einzellexems basierten Aussagen (z. B. effectuer [kt], weil immer <ct>) formuliert werden können. So begegnet neben <seuspes> ‘suspects’ und <ayfest> in anderen autographes etwa auch <suspects> und <ayfect> 196 . Bisweilen finden sich auch innerhalb ein und desselben Briefes unterschiedliche Schreibungen (<asoleu> und <asoblu[! ]>) 197 für das gleiche Wort. In solchen Fällen anzunehmen, dass nicht zwei Aussprachen existieren, sondern nur eine, d. h. die, die durch die 194 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 130-131): Brief vom 03. Januar 1560. 195 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 5: 5-6): Brief vom 03. Juni 1574 [Anonym], Briefe CM (Bd. 8: 469-470): Mémoire de Catherine de Médicis au Duc de Montmorency vom Mai 1585 [Anonym] z.T. mit (de)chiffrierten Passagen. 196 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 194): Brief von Anfang Mai 1561, Briefe CM (Bd. 6: 37-39): Brief vom 18. September 1578, Briefe CM (Bd. 6: 292-293): Brief vom 03. März 1579. 197 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. 524 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 525 vermeintlich phonetische Schreibung (<asoleu>) ausgedrückt wird, erscheint mir zwar durchaus sinnvoll, bleibt aber spekulativ. Was die Briefe der Sekretäre angeht, lässt sich Ähnliches feststellen: Insgesamt scheinen etymologische Schreibungen zwar häufiger zu sein als in den autographes , aber auch hier trifft man - bisweilen in ein und demselben Brief - auf verschiedene Schreibungen für ein und dasselbe Wort. In einem von einem anonymen Sekretär verfassten Brief aus dem Jahre 1574 etwa erscheint sowohl <regret> als auch - etymologisch nicht korrektes - <regrect> 198 . Problematisch ist auch, dass zahlreiche Okkurrenzen für <ct> in den Briefen der Sekretäre auf formelhafte Wendungen entfallen (z. B. <saincte garde>, <ledict>, <mesdictes>, <escript a [lieu]>), die kaum echte Variation zulassen 199 . In den Briefen der anderen italienischen Immigranten ist die Situation, auch wenn insgesamt nur wenige Okkurrenzen für <ct> vs. <t> und <pt> vs. <t> vorhanden sind, in etwa mit der in den Briefen von Catherine de Médicis vergleichbar. So begegnet z. B. in einem Brief von Scipione Sardini die italianisierend anmutende Form <settembre>, allerdings finden sich auch latinisierende Schreibungen wie <faict> 200 . Allein in den stark italianisierenden Briefen des unbekannten Sekretärs aus Armagnac sind vermeintlich italianisierende Formen, d. h. solche ohne <c> bzw. <p>, deutlich häufiger als solche mit <ct> oder <pt>: z. B. <tratter>, <affessione> ‘affectionné’, <leditt>, <saditte>, <laditte> (daneben aber auch <ledict>), <effes> ‘effects’, <protesion>, <effetuer>, <avittouaglie>, <prontemant> 201 . Inwiefern lässt sich anhand dieser Befunde nun aber das Zeugnis Estiennes beurteilen? Wie soeben erwähnt, enthalten die Texte der italienischen Immigranten zu wenige Vorkommen von <ct> vs. <c> bzw. <pt> vs. <t>, als dass eine quantitative Analyse ergiebig wäre. Anders als in den vorhergehenden Kapiteln wurde aber aus verschiedenen Gründen auch auf eine Auszählung in den Briefen der Gruppe B verzichtet. Selbst wenn man formelhaft verwendete Lexeme wie escript a , saincte , ledict / ladicte / mesdictz usw. sowie etymologisch offenkundig falsche Graphien wie <doucter> von der Analyse ausschließt, würde man zunächst lediglich die Schreibkompetenz der Sekretäre mit der von Catherine de Médicis vergleichen, aber keinerlei Aussagen über eine etwaige 198 Vgl. Briefe CM (Bd. 5: 5-6): Brief vom 03. Juni 1574 [Anonym]. 199 Eine große Schwäche der Edition von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) ist im Übrigen darin zu sehen, dass im Normalfall nicht angegeben wird, ob solche formelhaften Wendungen in den Manuskripten tatsächlich ausgeschrieben werden (z. B. <ledict>) oder ob, was häufig der Fall ist, gängige Abkürzungen (z. B. <led.>) vorliegen. 200 Vgl. Brief von Sardini vom 07. September 1562 (BNF FF 3219 [91]). 201 Vgl. Briefe CM (Bd. 6: 409-412): Relation du cardinal d’Armagnac touchant l’accomodement qu’il a faict avec le mareschal Damville, pour le remettre aux bonnes graces de sa Majesté vom Dezember 1578 [Kopie]. italianisierende Aussprache machen können. Schließlich sagen Schreibungen wie <poinct>, <fruict>, <endroict>, wie sie alle in den Briefen der Sekretäre zu finden sind 202 , zwar etwas über die jeweiligen Schreiber aus - z. B. über deren Lateinkenntnisse -, allerdings kann nicht angenommen werden, dass in den soeben genannten Wörtern tatsächlich [kt] artikuliert wurde. Denn etymologisch richtige Schreibungen sagen, wie bereits erwähnt, nicht zwangsläufig etwas über die Lautung aus. Auch wenn man - mit einigem Aufwand - versuchen würde, relatinisierte Schreibungen von Erbwörtern wie z. B. <poinct> und <faict> von vermutlich nicht relatinisierten (aber latinisierenden) Graphien, etwa in rezenteren Latinismen wie <direct>, zu trennen und nur letztere zu untersuchen, stünde man immer noch vor dem Problem, dass nicht mit Bestimmtheit gesagt werden kann, ob für diese Latinismen trotz ihrer latinisierenden Schreibung nicht doch zumindest vorübergehend eine volkstümlichere Aussprache existierte. In Kapitel 4.2.3.1.2 wurde darauf aufmerksam gemacht, dass im Mittelfranzösischen angesichts bestimmter Reime auch für rezentere Latinismen davon ausgegangen werden kann, dass vermutlich ‘erbwörtlichere’ Aussprachen (z. B. <Neptune> ohne [p]) verbreitet waren (vgl. Marchello-Nizia 1997: 105). Aus diesem Grund ist es auch wenig sinnvoll, vom Neufranzösischen auszugehen, d. h. nur solche Lexeme zu berücksichtigen, die heute [pt] und [kt] aufweisen. Vom heutigen Lautstand, der zumindest in bestimmten Lexemen auf eine spelling pronunciation zurückgeführt werden könnte, kann nicht unmittelbar auf den des 16. Jahrhunderts geschlossen werden. Schließlich müssten m. E. neben Formen mit etymologischem [pt] <pt> und [kt] <ct> auch andere vorkonsonantische Plosive, wie z. B. die stimmhaften Entsprechungen [g] und [b], untersucht werden. Des Weiteren müssten auch andere Kontexte, also das Verhalten von Plosiven vor anderen Konsonanten als [t], berücksichtigt werden. Zwar werden solche Erscheinungen von Estienne - mit Ausnahme von [k] bzw. [g] vor [s] bzw. [z] (vgl. Kapitel 7.3.3.4.3) - nicht besprochen, aber nur durch den Vergleich mit verwandten Phänomenen ließe sich ein Gesamtbild zeichnen. Auffällig ist z. B., dass in Briefen von Catherine de Médicis <seustanse> 203 , in den diktierten Briefen aber <substance> 204 erscheint. Gewiss sind Schreibungen für substance ohne <b> schon in französischen Texten vor dem 16. Jahrhundert 202 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 22-23): Brief vom 07. April 1548 [Bertauld], Briefe CM (Bd. 1: 57-58): Brief vom 23. Mai 1552 [Duthier], Briefe CM (Bd. 4: 228): Brief vom 03. Juni 1573 [Chantereau], Briefe CM (Bd. 5: 308-309): Brief vom 02. Dezember 1575 [Anonym], Briefe CM (Bd. 7: 406-407): Brief vom 23. Oktober 1581 [Anonym], Briefe CM (Bd. 1: 25): Brief vom 17. Juni 1548 [Anonym]. 203 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. 204 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 2: 378): Brief vom 07. August 1566 [Anonym / CM], Briefe CM (Bd. 5: 261-262): Brief vom 02. Juli 1577 [Anonym]. 526 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 527 belegt und mithin als erbwörtlich zu betrachten (vgl. z. B. TLF i s.v. substance ), jedoch könnten von den Italienern auch in solchen Fällen Varianten ohne <b> bzw. [b] (vgl. it. sostanza ) bevorzugt worden sein. Auch wenn aufgrund der soeben diskutierten Probleme keine wirkliche Analyse der Konkurrenz zwischen den Formen <ct> vs. <t> bzw. <pt> vs. <t> vorgenommen werden kann, soll abschließend anhand einzelner Beispiele aus den untersuchten Briefen kurz auf die Beobachtungen Estiennes eingegangen werden. Zu diesem Zweck wurden die Schreibungen der von Estienne in diesem Zusammenhang kritisierten Einzellexeme wie accepter , affecter , affection , affectionner untersucht. Offenbar war der Ausfall von [p] und [k] vor [t] für zeitgenössische Sprachbeobachter in diesen Fällen - wie die Erstbelege in runden Klammern zeigen, handelt es sich dabei zwar nicht um wirklich rezente Latinismen des 16. Jahrhunderts, aber auch nicht um klassische Erbwörter: accepter (ca. 1250), affecter (1327), affection (fin XII e siècle ), affectionner ( XIV e siècle ) - besonders auffällig 205 . Während für das Verb affecter weder in den Briefen der Gruppe B noch in den Texten der anderen italienischen Immigranten Okkurrenzen ausfindig gemacht werden konnten, handelt es sich sowohl bei affection als auch bei affectionner um Lexeme, die im 16. Jahrhundert im höfischen Französisch in der Tat weit verbreitet waren 206 . Auffällig ist, dass sowohl in den Briefen der Sekretäre 207 als 205 Für die Erstbelege vgl. TLFi (s.v. accepter , affecter 3, affection 2, affectionner ). 206 Analog zu affecter auch für affection und affectionner [kt] und nicht etwa [ks] anzunehmen, bedarf einer kurzen Erklärung: Im Französischen des 16. Jahrhunderts dürfte in affection und affectionner von [ksj], nicht von [ktsj] auszugehen sein (vgl. z. B. Rheinfelder Bd. 1, 1963: 205-209). Allerdings kann nicht mit Gewissheit gesagt werden, welche Aussprache Estienne bei affection und affectionner vor Augen hatte ([ktsj] oder [ksj]). Die Ausführungen Estiennes ([1578] 1980: 403-414) legen nahe, dass er die Aussprache von affection und affectionner im françois italianizé eher mit affecter ([kt] > [(t)t]) als mit ebenfalls kritisiertem Alexandre ([ks] > [(s)s]) in Verbindung bringt, die im nächsten Kapitel besprochen wird. Gewiss könnte ihn die Zugehörigkeit zur Wortfamilie oder auch einfach nur die Schreibung <ct> zu dieser Gruppierung bewogen haben. Dennoch zeigen seine Beispiele <affettion>, dass er nicht [ks] > [(s)s] wie in Alexandre <Alessandre> kritisiert, sondern vermutlich [tsj]. Im Italienischen begegnet ja auch regelmäßig [-ttsjone]. Angeprangert wird in jedem Fall der Ersatz bzw. Ausfall von [k]. Ob er nun das Schwinden von [k] vor [t] ([ktsj] > [tsj]) oder den Ersatz von [k] vor [s] durch [t] ([ksj] > [tsj]) kritisiert, lässt sich nicht zweifelsfrei feststellen. In der vorliegenden Arbeit wird affection und affectionner in Anlehnung an Estienne im gleichen Kapitel wie affecter (Schwund vor [t]) behandelt. 207 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 32): Brief vom 04. März 1550 [Anonym], Briefe CM (Bd. 1: 515): Brief vom 22. Februar 1563 [Anonym], Briefe CM (Bd. 3: 222): Brief vom 23. Januar 1569 [Anonym / CM], Briefe CM (Bd. 5: 5-6): Brief vom 03. Juni 1574 [Anonym], Briefe CM (Bd. 10: 502-504): Instruction à Monsieur de Matignon vom 16. Juni 1574 [Pinart], Briefe CM (Bd. 5: 213): Brief vom 15. August 1576 [Anonym / CM], Briefe CM (Bd. 7, S. 109): Brief vom 28. August 1579 [Anonym], Briefe CM (Bd. 7: 373-374): Brief vom 29. April 1581 [Anonym / CM], Briefe CM (Bd. 7: 406-407): Brief vom 23. Oktober 1581 [Anonym], auch in den autographes von Catherine de Médicis 208 ausnahmslos Schreibungen mit <ct> begegnen. Im DMF (s.v. affectionner ) sowie in GDF (s.v. affectionner ), HUG (s.v. affectionner ) und FRANTEXT (1500-1600 <affectionner> flexion et variantes XVI e -XVII e ) konnten ebenfalls keine Okkurrenzen ohne <ct> ausgemacht werden. Zu bedenken ist allerdings, dass sich affectionné häufig in formelhaften Wendungen, zumeist in den Grußformeln am Ende eines Briefes (z. B. <vostre très affectionné…>), findet und daher möglicherweise auch wenig Variation zulässt. In den Briefen der anderen Einwanderer, wie Cavriana und Zametti 209 , erscheinen affection und affectionner ebenfalls mit <ct>. Im stark italianisierenden Brief des anonymen Sekretärs aus Armagnac 210 findet sich neben <affection> auch <affessione>. Die einzige Ausnahme stellen die Briefe von Filippo Strozzi dar, in denen nur in einem Fall 211 <ct> erscheint, in allen anderen 212 aber Varianten ohne <c>. Kurios ist, dass im durch einen unbekannten Sekretär verfassten Teil des Briefes, in dem in der handschriftlichen Ergänzung durch Strozzi <ct> begegnet, <affetion> und <affetueusement> anzutreffen sind. Im Hinblick auf die Formen von affection und affectionner kann also festgehalten werden, dass Estiennes Beobachtungen insofern richtig sind, als angesichts der Schreibungen ohne <ct> Varianten ohne [k] existiert haben müssen. Dass diese aber vermehrt bei italienischen Immigranten zu finden waren bzw. dass sich in deren françois italianizé ausschließlich solche Formen wiederfanden, kann durch die o. g. Befunde nicht bestätigt werden. Andererseits lässt sich allerdings auch nicht gänzlich ausschließen, dass es sich bei den beobachteten Graphien (<ct>) lediglich um etymologische Schreibungen handelt, im gesprochen françois italianizé der Einwanderer aber vorwiegend Formen ohne [k] Verwendung fanden. Briefe CM (Bd. 8: 469-470): Mémoire de Catherine de Médicis au Duc de Montmorency vom Mai 1585 [Anonym] z.T. mit (de)chiffrierten Passagen, Briefe CM (Bd. 9: 116-117): Brief vom 15. Dezember 1586 [Anonym]. 208 Vgl. Briefe CM (Bd. 10: 320): Brief vom Juni 1573, Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585, Briefe CM (Bd. 9: 350): Ergänzung zum Brief vom 24. Mai 1588. Zahlreiche weitere Belege finden sich in von Sekretären verfassten Briefen, die Catherine de Médicis mit <vostre tresaffectione(e)…> unterschreibt. 209 Vgl. Brief von Cavriana vom 05. November 1585 (BNF FF 3374 [8-11]), vom 22. Dezember 1585 (BNF FF 3374 [40-41]), Brief von Zametti vom Januar 1592 (BNF FF 15 575 [20]). 210 Vgl. Briefe CM (Bd. 6: 409-412): Relation du cardinal d’Armagnac touchant l’accomodement qu’il a faict avec le mareschal Damville, pour le remettre aux bonnes graces de sa Majesté vom Dezember 1578 [Kopie]. 211 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 385-386): Ergänzung zum Brief vom 06. Dezember 1582 [Anonym / PS]. 212 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 384): Ergänzung zum Brief vom 30. Januar 1582 [Anonym / PS], Briefe CM (Bd. 8: 384-385): Ergänzung zum Brief vom 17. April 1582 [Anonym / PS], Briefe CM (Bd. 8: 386): Ergänzung zum Brief vom 16. Juni 1582 [Anonym / PS]. 528 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 529 Was accepter anbelangt, konnten insgesamt nur drei Vorkommen ermittelt werden, die sich aber als äußerst interessant erweisen: Während in einem Brief eines Sekretärs <accepter> und <accepte> 213 erscheinen, findet sich in einem recht hastig verfassten autographe von Catherine de Médicis, für dessen Sprache sie sich im Übrigen auch explizit entschuldigt (vgl. das folgende Kapitel), die Schreibung <asetent> ‘acceptent’ 214 . Diese bestätigt nun aber die Aussagen Estiennes in mehr als einer Hinsicht. Neben fehlendem <pt> ist insbesondere <s> statt <cc> von Interesse, da diese Graphie nahelegt, dass der Purist mit seiner Behauptung, im françois italianizé der Immigranten werde [ks] bzw. [gz] (<x>, <cc>) durch [s] bzw. [z] (<s>, <c>) ersetzt, möglicherweise richtigliegen könnte. 7.3.3.4.3 Ausfall von [k] vor [s] In Kapitel 4.2.3.1.2 wurde gezeigt, dass Estienne neben dem Schwund von [p] und [k] vor [t] auch im Ausfall von [k] bzw. [g] vor [s] bzw. [z] italienischen Einfluss zu erkennen glaubt. In beiden Fällen, die er zusammen bespricht, ohne aber einen lautgesetzlichen Zusammenhang ([k] vor [t] oder [s], also beide vorkonsonantisch) zu erkennen, sei es der Phonotaktik des Italienischen geschuldet, dass auch im Französischen die Konsonaten in dieser Position - oder mit Estienne besser: in diesen Wörtern - reduziert würden. Bei dieser Erscheinung handele es sich in jedem Fall um eine Interferenz im françois italianizé der Einwanderer, die von den französischen Höflingen übernommen worden sein soll. Eine erbwörtliche Entwicklung wird zwar nicht explizit ausgeschlossen, aber auch keineswegs in Erwägung gezogen. Dass sich die erbwörtliche Entwicklung von [k] vor [s] von derjenigen von [k] vor [t] nicht wesentlich unterscheidet und die Italiener daher wohl nicht für den Schwund des Plosivs verantwortlich gemacht werden können, wurde in Kapitel 4.2.3.1.2 bereits erläutert. Gleichzeitig wurde auch darauf hingewiesen, dass der Schwund aber in mehr oder weniger rezenten Latinismen im Französischen besonders auffällig gewesen sein könnte und dass die italienischen Einwanderer möglicherweise tatsächlich Varianten ohne [k] bzw. [g] bevorzugten. Anders als im vorhergehenden Kapitel wurde versucht, die Konkurrenz zwischen Formen wie <x/ cc> ([ks] bzw. [gz]) und <s/ c> ([s] bzw. [z]) genauer zu untersuchen. Zum einen scheinen sich anders als bei <pt> vs. <t> und <ct> vs. <t> in der Tat deutliche Unterschiede zwischen den autographes von Catherine de Médicis und den Briefen der Sekretäre abzuzeichnen, zum anderen legen auch die zeitgenössischen metasprachlichen Zeugnisse in Thurot Bd. 2 (1883: 336-338) nahe, dass hinsichtlich der Konkurrenz von [ks] <x/ cc> vs. [s] <s/ c> 213 Vgl. Briefe CM (Bd. 5: 5-6): Brief vom 03. Juni 1574 [Anonym]. 214 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. weniger Variation toleriert wurde. Dass dennoch verschiedene Varianten verbreitet waren, versteht sich von selbst. Nur so erklärt sich, weshalb viele Sprachbeobachter das Bedürfnis empfanden, sich diesbezüglich zu äußern. Grundsätzlich sind mit der Analyse dieser Schreibungen die gleichen Probleme verbunden, die schon im Hinblick auf die konkurrierenden Graphien <pt> vs. <t> und <ct> vs. <t> erläutert wurden. Die Ergebnisse der Auszählung lassen zunächst nur Aussagen über die unterschiedliche ‘etymologisch-orthographische’ Kompetenz der Schreiber zu. Denn auch wenn sich in den Briefen der Sekretäre - anders als in den autographes von Catherine de Médicis - keine phonetischen (<s/ c>), sondern überwiegend latinisierende Schreibungen <x/ cc> finden, kann daraus noch nicht gefolgert werden, dass nicht auch die gebildeteren Sekretäre trotz ihrer latinisierenden Graphien in der Mündlichkeit [s] oder [z] statt [ks] oder [gz] artikulierten. Dennoch lässt sich zumindest eines anhand einer solchen Auszählung sehr gut zeigen: Wenn phonetische Schreibungen in den autographes deutlich überwiegen, dann legt dies nahe, dass die von Estienne kritisierten Varianten auch tatsächlich im françois italianizé der Immigranten verbreitet waren. Auch wenn die Italiener nicht für den Lautwandel an sich verantwortlich gemacht werden können, könnte so zumindest wahrscheinlich gemacht werden, dass sie bei der Verbreitung der Aussprache in der Tat eine gewisse Rolle gespielt haben. Die folgende Tabelle fasst die Ergebnisse der Korpusanalyse (87 Briefe der Gruppe B) zusammen. Gezählt wurden Okkurrenzen, die <x> oder <cc> aufweisen bzw. aufweisen müssten (phonetische Schreibungen: <s/ c>). Abgesehen von einigen wenigen Belegen ( accepter , prétexte , succeder ) handelt es sich dabei um Lexeme, deren lat. Etymon exaufweist. Vorkommen von <-ction> vs. <-sion/ -tion> blieben unberücksichtigt 215 . Jahrzehnt Sekretäre autographes <x/ cc> <s/ c> <x/ cc> <s/ c> 1530er / 1540er 0 0 0 0 1550er 2 0 0 2 1560er 2 0 0 10 1570er 14 0 0 2 1580er 7 0 7 3 Gesamt 25 von 25 0 von 25 7 von 24 17 von 24 Tab. 31: Übersicht zu <x/ cc> vs. <s/ c> in den Briefen von Catherine de Médicis 215 In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Okkurrenzen von affection sowie um flektierte Formen des Verbs affectionner . 530 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 531 Auch wenn die Zahl der Vorkommen überschaubar ist, lässt sich anhand der Ergebnisse eine deutliche Tendenz erkennen: Phonetische Schreibungen sind ausschließlich in den autographes von Catherine de Médicis vorzufinden, wohingegen in den diktierten Briefen ausnahmslos die Graphien <x>, wie z. B. in <extrememant>, und <cc>, wie z. B. in <successeur> und <accepter>, begegnen 216 . Wie weiter oben bereits angedeutet, kann anhand der etymologisch korrekten Schreibungen <x> und <cc> in den Briefen der Sekretäre lediglich vermutet werden, dass diese auch [ks] bzw. [gz] artikulierten. Dass sie in der Mündlichkeit womöglich auch volkstümlichere Varianten der entsprechenden Lexeme verwendeten, lässt sich zumindest nicht gänzlich ausschließen. Umgekehrt legen aber die zahlreichen Vorkommen von <s>, wie z. B. in <seusedere> ‘succèdera’, <aysample>, <ayspres>, <aystreme> und <estremement> 217 , in den autographes nahe, dass [s] bzw. [z] statt [ks] bzw. [gz] im françois italianizé von Catherine de Médicis der unmarkierte Fall war. Abgesehen von einer einzigen Okkurrenz in den 1560er Jahren (<exanple>) 218 sind Graphien mit <x/ cc> überhaupt erst ab den 1580er Jahren nachweisbar. Wie anhand der Schreibungen für exécution (1581: <execution>, 1585: <esecutyon>) 219 erkennbar ist, scheinen die Schreibungen mit <x> aber lediglich graphische Varianten zu sein, da phonetische Schreibungen - insbesondere in hastig verfassten Briefen - weiterhin zu beobachten sind. Der soeben erwähnte Brief (<esecutyon>) aus dem Jahre 1585 an ihren Sohn, Henri III , aus dem im Übrigen vier der sieben Belege für <x> aus den 1580er Jahren stammen, ist in dieser Hinsicht äußerst interessant: Dass in ihm zahlreiche phonetische Schreibungen sowie etwaige Interferenzen mit dem Italienischen zu erwarten sind, legen schon die Aussagen von Catherine de Médicis selbst nahe. Sowohl in diesem als auch in einem wenig später verfassten Brief entschuldigt sie sich ausdrücklich für die mangelnde Sorgfalt, mit der sie - offenbar aus Zeitgründen - den Brief an ihren Sohn verfasst hat. Ie peur que nantantres pas si byen cete ysi [cette lettre, T. S.] car ie me suys hastee et enbarasee mes cet le mesme que cet que vous aycript par la chapele des orsins. 216 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 43-44): Brief vom 26. September 1551 [Anonym], Briefe CM (Bd. 4: 312-313): Brief vom 31. Mai 1574 [Pinart], Briefe CM (Bd. 5: 5-6): Brief vom 03. Juni 1574 [Anonym]. 217 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 194): Brief von Anfang Mai 1561, Briefe CM (Bd. 1: 290-293): Brief vom 10. April 1562, Briefe CM (Bd. 1: 536): Ergänzung zum Brief vom 20. März 1563, Briefe CM (Bd. 5: 89): Brief vom 28. September 1574. 218 Dabei handelt es sich um ein Vorkommen in einem Brief der Gruppe A (vgl. Briefe CM Bd. 2: 378: Ergänzung zum Brief vom 07. August 1566), so dass die Okkurrenz nicht in die Übersichtstabelle aufgenommen wurde. Dass tatsächlich die Schreibung <x> vorliegt, konnte anhand des Manuskripts bestätigt werden. 219 Vgl. Briefe CM (Bd. 7: 328): Ergänzung zum Brief vom 20. Januar 1581, Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. (Briefe CM Bd. 8: 275-277: Brief vom 05. Mai 1585 an Le Roy Monsieur Mon Filz, BNF FF 3370 [1]) Je vous prye dyre au roy qu’il escuse cet je me suys enbarasee en ma letre […]. (Briefe CM Bd. 8: 277: Brief vom 05. Mai 1585 an Monsieur Brulart, BNF FF 3369 [13]) In diesem in der Tat nicht immer leicht zu lesenden Brief 220 begegnen z. B. <ayxersise>, <seuxeseur>, <pretexte>, <ayspediant>, <aystimee>, <ayxtimee>, <pretexte>, <asetent> sowie <esecutyon>. Wie die Beispiele <seuxeseur> (<x> anstelle von <cc>) und das hyperkorrekte <ayxtimee> ‘estimée’ (vgl. Kapitel 7.3.3.3) zeigen, bestand offenbar auch noch 40 Jahre nach der Ankunft in Frankreich eine gewisse Unsicherheit im Umgang mit <x/ cc>, was vermuten lässt, dass [ks] bzw. [gz] nicht zu den fest verankerten Aussprachegepflogenheiten von Catherine de Médicis gehörten. Die bereits gegen Ende des vorherigen Kapitels erwähnte Form <asetent> ist in zweifacher Hinsicht von Interesse: Zum einen bestätigt sie Estiennes Kritik, dass im françois italianizé der Immigranten [ks] zu [s] und [pt] zu [t] reduziert wird, zum anderen ist eine solche Schreibung bisher auch noch kaum belegt 221 : In GDF und HUG konnte weder unter dem Lemma accepter noch im digitalisierten Gesamtdokument eine vergleichbare Schreibung ausfindig gemacht werden. Es wird nur auf die Stelle aus Estienne (1578) verwiesen. Okkurrenzen fehlen auch in FRANTEXT (1500-1600 <accepter> flexion et variantes XVI e - XVII e ) 222 . Im DMF (s.v. accepter ) erscheint zumindest <aceter> und <aceteroit>, beide im selben Text aus dem 15. Jahrhundert. Fingierte Belege aus metasprachlichen Texten sind abgesehen von Estienne für das 16. Jahrhundert meines Wissens nicht bekannt. Thurot Bd. 2 (1883: 331) nennt als ersten Sprachbeobachter, der 220 Vgl. dazu auch die Anmerkungen von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 8 (1897: 277, Fn. 1): „Catherine de Médicis avait raison de s’excuser de la hâte avec laquelle elle avait écrit sa lettre au roi du 5 mai, qui est, en effet, bien incorrecte et dont il faut souvent deviner le sens.“ 221 Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 8 (1897: 275) geben in ihrer Edition des Briefes <asetent> im Kursivdruck wieder, möglicherweise um anzuzeigen, dass sie sich nicht sicher sind, ob tatsächlich von einer Form des Verbs accepter ausgegangen werden kann. Meines Erachtens lässt die Handschrift an dieser Stelle aber keine größeren Zweifel zu. Des Weiteren konnte ich ähnliche Formen (<aseter> und <si n’asete> ‘s’ils n’acceptent’), die in diesen Fällen auch nicht kursiv erscheinen, in zwei weiteren Briefen der Edition entdecken, die aufgrund der in Kapitel 7.2 genannten Kriterien (Aufbewahrungsort) aber nicht in das Korpus (weder in Gruppe A noch in Gruppe B) aufgenommen werden konnten (vgl. Briefe CM Bd. 1: 527: Ergänzung zum Brief vom 12. März 1563, Briefe CM Bd. 1: 263: Brief von Anfang Januar 1562). 222 Unter den 242 Treffern begegnet aber zweimal <assepter> in den Registres du Consistoire de Genève au temps de Calvin (1542-1544). Möglicherweise hat Estienne eine solche Aussprache also auch oder sogar insbesondere in Genf gehört. 532 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 533 sich explizit zur Aussprache von <cc> z. B. in accepter äußert, Maupas (1618: 19) (vgl. die entsprechenden Stellen im GRAND CORPUS 223 ). Estienne, der von Thurot Bd. 2 (1883: 336-338) an anderen Stellen, etwa im Zusammenhang mit <x>, häufig zitiert wird, blieb offenbar unberücksichtigt. Im GRAND CORPUS findet sich noch ein weiterer expliziter Hinweis zur Aussprache von accepter aus dem 16. Jahrhundert, allerdings geht es dabei nur um die Artikulation von [p] (vgl. GRAND CORPUS Serreius 1598: 25). Anders als angesichts der in Kapitel 7.3.3.3 besprochenen Form <strasordynere> zu erwarten wäre, lassen sich für excuser und expédier (vgl. it. scusare und (i)spedire ) - mit Ausnahme von zwei Okkurrenzen von <spediant> im Brief des unbekannten Sekretärs aus Armagnac 224 - keine Belege finden, die auf s impurum hindeuten 225 . Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass im françois italianizé von Catherine de Médicis 226 überwiegend phonetische Schreibungen anzutreffen sind und dass dies nahelegt, dass sie in Lexemen wie succeder und exemple nicht [ks] bzw. [gz], sondern [s] bzw. [z] artikulierte. Auch wenn es sich dabei nicht um durch den Kontakt mit dem Italienischen induzierte Lautungen handelt, fällt ihre Wahl offenbar auf solche Varianten, die der Phonotaktik ihrer Muttersprache näherstehen 227 . Die Frage, ob im Französischen von Catherine de Médicis möglicherweise Sequenzen wie [ks] und [gz] grundsätzlich inexistent waren, was wiederum für eine systematische Interferenz sprechen würde, kann angesichts der geringen Zahl an Belegen nicht mit Gewissheit beantwortet werden. Die Behauptungen Estiennes hinsichtlich der Verbreitung von [s] bzw. [z] statt [ks] bzw. [gz] im italianisierenden Französisch des Hofes entbehren aber in jedem Fall nicht jeglicher Grundlage. 223 Der Passus aus Maupas wird auch in Vachon (2010: 112) zitiert. 224 Vgl. Briefe CM (Bd. 6: 409-412): Relation du cardinal d’Armagnac touchant l’accomodement qu’il a faict avec le mareschal Damville, pour le remettre aux bonnes graces de sa Majesté vom Dezember 1578 [Kopie]. 225 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 71-72): Brief vom Oktober 1552, Briefe CM (Bd. 1: 77-78): Brief von Ende Juli 1553, Briefe CM (Bd. 3: 202): Ergänzung zum Brief vom 11. November 1568, Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. 226 Die Analyse der Texte der anderen Immigranten war diesbezüglich wenig ergiebig. Nur in den Briefen Cavrianas findet sich eine gewisse Zahl an Belegen. Auffällig ist, dass in allen sieben Fällen <x/ cc> erscheint. Dies passt aber auch zu den Ergebnissen aus seinen italienischen Texten. Wie in diesen sind solche Schreibungen auch in seinen auf Französisch verfassten Briefen als etymologisierende Formen zu werten. Welchem Lautwert <x> in seinem Italienisch und Französisch tatsächlich entsprach, lässt sich jedoch nicht mit Bestimmtheit sagen. 227 Dass es sich bei [s] bzw. [z] statt [ks] bzw. [gz] um eine Lautung handelt, die im Französischen zumindest noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts existiert haben muss, legt u. a. das Zeugnis von Palsgrave (1530) nahe (vgl. Thurot Bd. 2, 1883: 336). 7.3.4 Ausdrucksseitige Anpassung am Einzelwort Im Folgenden werden zwei Erscheinungen beschrieben (<menencolyque> und <par vanteure>), die aller Wahrscheinlichkeit nach auf Interferenzen mit dem Italienischen zurückzuführen sind. Da es sich dabei aber weder um wirklich lexikalische noch um systematische Interferenzen auf lautlicher / graphischer Ebene handelt - die Ausdrucksseite einzelner Lexeme erfährt Veränderungen in Anpassung an die italienischen Entsprechungen -, wird diesen Phänomenen ein eigenes Kapitel gewidmet. Angesichts der Tatsache, dass für <menencolyque> nur eine Okkurrenz, für <par vanteure> nur zwei ausfindig gemacht werden konnten, mag der Eindruck entstehen, dass sie auch in Kapitel 7.3.2 behandelt hätten werden können. Allerdings handelt es sich in beiden Fällen nicht um Varianten, die später durch andere, d. h. französischere wie z. B. <possible> statt <posibyle>, ersetzt würden. Während für <menencolyque> überhaupt nur diese eine Form ermittelt werden konnte, sind für <par vanteure> abgesehen von den zwei Okkurrenzen im Korpus auch noch in zwei weiteren Briefen, die aus den in Kapitel 7.2 genannten Gründen nicht in das Korpus aufgenommen wurden, Belege zu finden. Die konkurrierende, französischere Form <a(d)venteure> hingegen erscheint nur in diktierten Briefen. Schließlich handelt es sich insbesondere im Falle von <menencolyque> (1586) auch nicht um eine Interferenz in frühen Briefen. Inwiefern ist nun <menencolyque> ‘mélancolique’, das in einer relativ kurzen handschriftlichen Ergänzung von Catherine de Médicis zu einem von einem Sekretär verfassten Brief aus dem Jahre 1586 228 erscheint, auf eine Interferenz mit dem Italienischen zurückzuführen? Zu erwarten wäre eigentlich eine Form, die <l>, nicht <n> aufweist. Weder im DMF noch in GDF , HUG und FRAN- TEXT (1500-1600 <mélancolique> flexion et variantes XVI e - XVII e ) 229 lassen sich Graphien mit <n> für den seit ca. 1270 im Französischen belegten, über das Lateinische vermittelten Gräzismus, der zunächst der medizinischen Fachsprache angehörte (vgl. FEW s.v. melancholia ), nachweisen 230 . Lediglich Formen mit <r>, also etwa <merencolique>, scheinen im Französischen des 16. Jahrhunderts verbreitet gewesen zu sein 231 . Im FEW (s.v. melancholia ) finden sich vereinzelte Formen mit <n> nur für das Substantiv mélancolie . Die eigentümliche Schreibung mit <n> bei Catherine de Médicis könnte auf einer Interferenz mit it. 228 Vgl. Briefe CM (Bd. 9: 103): Ergänzung zum Brief vom 04. Dezember 1586. 229 Trotz zahlreicher Varianten findet sich unter den 110 Okkurrenzen keine einzige Schreibung mit <n>. 230 Vgl. auch den Eintrag im TLFi (s.v. mélancolique ). 231 Vgl. dazu z. B. Smith (1980a: 158, Fn. 414), die in diesem Zusammenhang auch auf Thurot Bd. 2 (1883: 274-276) verweist. 534 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 535 maninconico beruhen, einer Form, die in italoromanischen Texten gut belegt ist (vgl. GDLI s.v. malinconico ). Dass die Form maninconico im rinascimentalen Italienisch häufig gewesen sein könnte, legen im Übrigen auch die Ausführungen Henri Estiennes in den Deux Dialogues nahe. Als Gräzist kritisiert er an manchen Stellen die volkstümliche - in seinen Augen korrumpierte - Aussprache gewisser Gräzismen im zeitgenössischen Französischen und Italienischen, wobei er auch fr. merancolique und it. maninconico näher bespricht. Die Form menencolyque , wie sie bei Catherine de Médicis zu beobachten ist, wird aber - ebenso wie eine Beeinflussung des Französischen durch das Italienische - nicht diskutiert. Wie der folgende Ausschnitt veranschaulicht, sieht Estienne in it. maninconico erwartungsgemäß eine korrumpiertere Abweichung vom griechischen Etymon als in fr. merancolique 232 . PHIL .: […] Quant à ceux qui disent «merancholie» et «merancholique» pour «melancholie» et «melancholique», encore ne depravent-ils pas si vilainement les mots grecs melancholia et melancholixos que nous les voyons estre corrompus par les Italiens qui disent maninconia , et maninconico. (Estienne [1578] 1980: 158, Hervorhebungen im Original) Auch die Form <par vanteure> ‘par a(d)venture’, die sich nicht nur in zwei Briefen des Korpus 233 , sondern auch in zwei weiteren Briefen 234 der Sammlung von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) nachweisen lässt, scheint auf eine Interferenz mit der Muttersprache von Catherine de Médicis zurückzuführen zu sein. Auffällig ist, dass in den autographes der Königin ausschließlich die Schreibungen ohne <a(d)> begegnen, wohingegen bei den Sekretären nur Formen ohne Aphärese vorzufinden sind 235 . Das FEW (s.v. * advěntūra ) erkennt zwar, dass Formen ohne <a> ab dem 16. Jahrhundert im Französischen beobachtet werden können, macht aber weder Angaben zu einem etwaigen Erstbeleg 232 Dass gewisse Humanisten - allen voran Henri Estienne in seiner Conformité du langage françois avec le grec (1565) - im nicht zuletzt auch nationalistisch motivierten Diskurs um die Volkssprache nicht selten versuchten, wahrscheinlich zu machen, dass das Französische vom Griechischen abstamme, ist hinreichend bekannt. Zur Bewertung des Französischen als Nationalsprache im metasprachlichen Diskurs des 16. Jahrhunderts vgl. immer noch die Abeit von Gerighausen (1963). Für weitere Stellen, an denen it. maninconico kritisiert wird, vgl. Estienne ([1578] 1980: 90, 440). 233 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 82-83): Brief vom 03./ 08. September 1553, Briefe CM (Bd. 1: 99): Brief vom Juni 1555. 234 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 215): Brief vom 14. Juli 1561, Briefe CM (Bd. 3: 253-254): Brief vom 20. Juni 1569. 235 Vgl. neben dem zum Korpus gehörigen Brief (Briefe CM Bd. 8: 344: Brief vom 06. August 1585]) auch Briefe CM (Bd. 10: 238-239): Brief vom 08. August 1568 [Fisez], Briefe CM (Bd. 6: 1): Brief vom 07. Januar 1578 [Anonym]. („mitte 16. jh.“) noch zu einem möglichen Ursprung dieser bedeutungsgleichen Varianten ( par venture neben par aventure ). In FRANTEXT (1500-1600) erzielt eine Suche nach <venture>, <vanture>, <venteure> oder <vanteure> keine Treffer. Allein die Suche nach <aventure> hingegen liefert 241 Okkurrenzen ( flexion et variantes XVI e - XVII e : 892). In HUG (s.v. venture ) finden sich vereinzelte Belege aus Monluc und Brantôme. Es wird als Lehnwort aus it. oder sp. ventura ausgewiesen. Im DMF (s.v. venture ) und in GDF (nur: recherche simple ) kann jeweils ein Beleg ermittelt werden. Beide stammen aus dem 15. Jahrhundert. Im DMF begegnet der Beleg in einem Text aus dem okzitanischen Sprachgebiet. Um eine etablierte Variante zu fr. aventure kann es sich im 16. Jahrhundert also nicht handeln. Im Hinblick auf die Form venture in der Wendung pour venture ‘par venture’, wie sie in Brantôme zu finden ist, verweist das FEW auf Wind (1928), der zufolge es sich dabei um einen Hispanismus handeln könnte, spricht sich aber letztlich für eine Herkunft aus dem Okzitanischen aus. Dass das FEW nicht - wie es zunächst den Anschein haben könnte - für die Wendung pour venture , sondern allein für die Form venture eine fremdsprachliche Herkunft annimmt, wird in den weiteren Ausführungen (insbesondere in Anmerkung 6) klar. Ein Blick in Wind (1928: 111) bestätigt überdies, dass sich die Autorin auch nur zur Form venture , nicht aber explizit zur Redewendung pour venture äußert. Im Ersatz von par durch pour fremdsprachlichen Einfluss anzunehmen, wäre schließlich auch insofern wenig sinnvoll, als par und pour im Französischen des 16. Jahrhunderts zwar nicht gänzlich austauschbar sind, aber dennoch häufig alternieren (vgl. z. B. par exemple neben pour exemple , parce que neben pource que in einem beliebigen Text aus dem 16. Jahrhundert) 236 . Wie lässt sich die spanische bzw. okzitanische Herkunft für die einhellig als fremdsprachlich ausgewiesene Form venture nun begründen? Wind (1928: 111), die auch die Möglichkeit eines italienischen Ursprungs diskutiert, geht letztlich nur aufgrund der Affinität Brantômes zum Spanischen davon aus, dass eine Herkunft aus eben dieser Sprache wahrscheinlicher sein muss. Das FEW verzichtet hingegen ganz auf eine Begründung. Dass kulturhistorische Gründe sowie der Überlieferungskontext v. a. dann äußerst wichtig sind, wenn gängige Kriterien wie das phonetische, das bei innerromanischen Sprachkontakten häufig unzureichend ist, oder das chronologische - im 16. Jahrhundert ist sowohl im Spanischen als auch im Okzitanischen ein mögliches Etymon vorhanden - nicht weiterhelfen, wurde in Kapitel 2.3.3.3 ausführlich erklärt und bereits an mehreren Stellen der vorliegenden Arbeit deutlich. Was das phonetische sowie 236 Die Alternation von par / pour lässt sich z. B. auch in den Deux Dialogues (1578) bei Celtophile beobachten. 536 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 537 das chronologische Kriterium betrifft, kann im Hinblick auf fr. venture - wie es die Diskussion in Wind (1928) auch nahelegt - natürlich auch das Italienische als Gebersprache in Frage kommen. Im 16. Jahrhundert ist auch dort ein potentielles Etymon (it. ventura , in per ventura ) vorhanden. Ganz gleich, ob man für das seit dem Mittelalter belegte it. ventura eine erbwörtliche Bildung oder aber eine aphäretische Form aus fr. aventure annimmt (vgl. TLIO s.v. avventura ), ist die Form ventura in jedem Fall als eigenständige italienische Innovation zu betrachten. Wie ist vor diesem Hintergrund also fr. venture zu bewerten? Handelt es sich um einen Okzitanismus, Hispanismus oder möglicherweise doch um einen Italianismus? Die vom FEW vertretene Auffassung, es handele sich dabei um eine vom Okzitanischen beeinflusste Form, wird nicht hinreichend begründet. Dass in Brantôme zahlreiche Okzitanismen begegnen, ist mit Gewissheit richtig, allerdings gilt er auch als eine der bedeutendsten Quellen für Italianismen und Hispanismen im Frühneufranzösischen 237 . Aus diesem Grund ist auch die Behauptung Winds (1928) kritisch zu hinterfragen. Ohne die Anzahl der in seinen Werken belegten Italianismen und Hispanismen miteinander zu vergleichen - was anhand einer Auszählung unter Zuhilfenahme des von Lalanne (1882) besorgten Index nicht gänzlich unmöglich wäre -, darf man davon ausgehen, dass in seinen Werken, wenn man von in spanischer Sprache verfassten Teilen absieht, nicht erheblich weniger Italianismen als Hispanismen vorzufinden sind. In jedem Fall ist Brantôme auch als Français italianisant zu betrachten 238 . Wenn man zur Klärung der Herkunft von fr. venture also den Überlieferungskontext berücksichtigt, ist ein Verweis auf Brantôme - zumindest hinsichtlich der Unterscheidung von italienischen und spanischen Lehnwörtern - eher unbrauchbar. Die vier Okkurrenzen in den Briefen von Catherine de Médicis (1553, 1555, 1561, 1569) gehen dem Beleg in Brantôme chronologisch gesehen voraus 239 und können zumindest als zeitgleich zum vom FEW angegebenen Zeitpunkt des Aufkommens der aphäretischen Form par venture („mitte 16. jh.“) im Französischen betrachtet werden. Für diese offenbar nicht erbwörtlichen Formen in den Briefen von Catherine de Médicis okzitanischen oder spanischen Einfluss 237 Für gewisse von Estienne (1578) kritisierte Italianismen (z. B. cattif und discoste ) finden sich außerhalb der Deux Dialogues zumeist nur in seinen Werken weitere Belege. 238 Zu Hispanismen, Italianismen und Okzitanismen in Brantôme vgl. auch Price (1967). 239 Dass die Belege jenem in Brantôme vorausgehen, erklärt sich im Übrigen nicht durch eine etwaige späte Publikation der Werke Brantômes (* 1537, † 1614). Zum Zeitpunkt des Erstbelegs in den Briefen von Catherine de Médicis war dieser vermutlich erst 16 Jahre alt. anzunehmen, scheint mir wenig sinnvoll zu sein. Viel wahrscheinlicher ist, dass es sich dabei um eine Interferenz mit it. per ventura handelt 240 . 7.3.5 Italianismen im Wortschatz 7.3.5.1 Vorbemerkungen Wie in Kapitel 4.2.3.3 gezeigt wurde, manifestiert sich der Einfluss des Italienischen laut Henri Estienne (1578) insbesondere im Wortschatz. Als Hauptmerkmal des françois italianizé identifiziert er eindeutig dessen Durchdringung mit lexikalischen Italianismen. In den Deux Dialogues werden insgesamt nicht weniger als 231 Fälle diskutiert, in denen Estienne diesbezüglich italienischen Einfluss vermutet. Es wurde ebenfalls darauf hingewiesen, dass der Purist unterschiedliche Arten von Lehngut erkennt, die auch in der heutigen Sprachkontaktforschung mit eigenen Etiketten versehen werden würden. Neben indirektem Lehngut (Lehnbedeutung und Lehnübersetzung) bespricht er v. a. Lehnwörter (d. h. direktes Lehngut), wobei er Wert darauf legt, zwischen Fällen, die heute als Luxuslehnwörter gelten, und solchen, die als Bedürfnislehnwörter bezeichnet werden würden, zu unterscheiden. Von besonderem Interesse für die vorliegende Arbeit waren seine Beobachtungen bezüglich des Aufkommens sowie der Verbreitung der lexikalischen Italianismen im françois italianizé. Entgegen der seit Wind (1928) in der Forschung etablierten Meinung, die Italianismen im Französischen der Renaissance seien mehrheitlich den Français italianisants und nicht den italienischen Einwanderern geschuldet, ist aus den Ausführungen Estiennes klar ersichtlich, dass die italienischen Höflinge eine wichtige Rolle bei der lexikalischen Beeinflussung des Französischen gespielt haben müssen. Nachdem in den vorhergehenden Teilkapiteln bereits Estiennes Behauptungen hinsichtlich lautlicher Besonderheiten des françois italianizé anhand von Produktionsdaten überprüft und z.T. auch bestätigt wurden, widmen sich die drei folgenden Kapitel lexikalischen Einflüssen im Französischen von Catherine de Médicis, wobei - wie bei der Analyse der Graphien - auch die 13 Texte der anderen italienischen Immigranten berücksichtigt werden. Das Interesse gilt zunächst indirektem (Kapitel 7.3.5.2) und direktem (Kapitel 7.3.5.3) Lehngut. Im Hinblick auf letzteres wird insbesondere überprüft, welchen Denotatsbereichen die Lehnwörter angehören und ob es sich dabei eher um Bedürfnis- oder Luxuslehnwörter handelt. In diesem Zusammenhang soll auch geklärt werden, ob in den Briefen Vorkommen für die Hapax-Formen aus den Deux Dialogues nachweisbar sind. Da diese laut Estienne am Hofe verbreitet waren, können auch sie 240 Vgl. auch die Anmerkungen von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 1 (1880: 82-83), denen zufolge <par vanteure> von it. ventura beeinflusst sei. 538 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 539 als direktes Lehngut aufgefasst werden. Neben direktem und indirektem Lehngut sind aber auch lexikalische und semantische Auffälligkeiten von Interesse, die nicht im Französischen der Renaissance, sondern nur im françois italianizé von Catherine de Médicis zu finden sind und mithin als einmalige Interferenzen betrachtet werden müssen. Kapitel 7.3.5.4 geht schließlich der Frage nach, ob in den Texten der Italiener auch AS -produzenteninduzierte Entlehnungen anzutreffen sind. Neben formalen Kriterien (z. B. geringerer Integrationsgrad) spielt auch die Chronologie eine gewisse Rolle. Wenn Estienne Recht hat, sollten sich schließlich zumindest für einige Italianismen unter Umständen auch neue Erstbelege finden lassen. Im Hinblick auf die Ausdrucksseite der Italianismen verspricht der Vergleich zwischen den diktierten Briefen und den autographes besonders aufschlussreich zu sein. 7.3.5.2 Indirektes Lehngut Vorkommen von indirektem Lehngut begegneten in den untersuchten Briefen selten. Insgesamt konnten drei types ( baiser la / les main(s) à qn , fermer ‘arrêter’ und sentir ‘entendre’) ermittelt werden, wobei im Falle von sentir unter Umständen auch keine semantische Beeinflussung durch das Italienische vorliegt. Dass für die in jedem Fall dem höfischen Jargon angehörige und von Estienne ([1578] 1980: 39) mehrfach als affektiert kritisierte Wendung baiser la / les main(s) grundsätzlich sowohl eine Herkunft aus dem Italienischen als auch aus dem Spanischen möglich ist, wurde anhand der Ausführungen von Brunot HLF II (1906: 208) sowie von Svennung (1958: 35-37) bereits in Kapitel 5.5.1.4 dargelegt. Allerdings wurde dafür argumentiert, dass die Wendung, die als Lehnübersetzung klassifiziert werden kann, auch wenn sie im Italienischen meist als Hispanismus betrachtet wird, im Italienischen des 16. Jahrhunderts bereits so etabliert war, dass eine Vermittlung durch das Italienische wahrscheinlicher ist als durch das Spanische. Die Analyse der italienischen Produktionsdaten in Kapitel 6.3.3.2 hat gezeigt, dass baciare la / le mano / i in den Briefen der italienischen Immigranten in der Tat häufig anzutreffen ist. Da es bereits in den frühen Briefen der Einwanderer sowie in Briefen von nur kurz in Frankreich verweilenden Gästen aus Italien erscheint, ist eine etwaige Beeinflussung durch das Französische mehr als unwahrscheinlich. Schließlich zeugen auch die zahlreichen von Croce (1895) gesammelten metasprachlichen Kommentare davon, dass die Wendung in Italien weit verbreitet war. Wie die unten zur Veranschaulichung abgedruckten Passagen aus den untersuchten Briefen zeigen, fand die affektierte Formel im françois italianizé der Immigranten häufig Verwendung. Okkurrenzen finden sich sowohl in den autographes von Catherine de Médicis 241 , Cavriana 242 , Lodovico Gonzaga 243 , Strozzi 244 und Zametti 245 als auch in den Briefen, die Catherine de Médicis ihren Sekretären diktierte 246 : […] ie ne vous hannuire de plus longue letre et vous bese le mains […]. (Briefe CM , Bd. 4: 266-267: Brief vom 23. November 1573 an Le Roy Monsieur Mon Fils, BNF Fonds Dupuy 211 [23]) Je vous baiseray doncques en toutte reverense les mains pour fin de ma letre. (Brief von Cavriana vom 26. Juli 1586 an Madame la Duchesse de Nevers, BNF FF 3374 [12]) Dass die Wendung oft, aber nicht ausschließlich formelhaft gebraucht wurde, belegen Verwendungen wie z. B. „[…] yl ne fault plus que vostre presense, et que veniez beser les mayns du Roy, avent qu’il parte, […]“ in einem autographe von Catherine de Médicis 247 . Wie der folgende Textausschnitt aus den Deux Dialogues zeigt, soll sich laut Estienne ab den späten 1570er Jahren der Singular ( baiser la main statt les mains ) durchgesetzt haben. PHIL .: Je sçaves bien que j’aves encore quelque chouse à vous dire à propos du baiser, mais je n’ay peu m’en souvenir jusques à maintenant. C’est que le «baise-main» est fort commun en France, non pas de faict, mais de parole. Car quand on prend congé de quelcun, c’est l’ordinaire de dire: Je vous baise la main ; ou, Je baise la main de Vostre Seigneurie , pour sentir doublement son italianisme. Et ceci a commancé des long temps. Car je voy que mesmement Joachim Du Bellay en la fin de l’epistre dedicataire qu’il met devant son traité intitulé La deffense et illustration de la langue françoise , dit au cardinal Du Bellay: Reçoy donc avec ceste accoustumée bonté les premiers fruicts, ou, 241 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. Auch in einem nicht in das Korpus aufgenommenen Brief findet sich baiser les mains (vgl. Briefe CM Bd. 1: 140-141: Brief von Ende Juni 1560). 242 Vgl. Brief von Cavriana vom 05. November 1585 (BNF FF 3374 [8-11]), vom 22. Dezember 1585 (BNF FF 3374 [40-41]). 243 Vgl. Briefe CM (Bd. 9: 398-399): Brief vom 13. Februar 1586 [Kopie]. 244 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 385-386): Ergänzung zum Brief vom 06. Dezember 1582 [Anonym / PS]. In diesem Fall findet sich die Wendung in dem Teil des Briefes, der dem Sekretär diktiert wurde. 245 Vgl. Brief von Zametti vom August 1582 (BNF FF 15 906 (2) [723]), vom 22. Januar 1592 (BNF FF 15 575 [25]), vom 20. Juni 1592 (BNF FF 15 575 [27]). 246 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 469-470): Mémoire de Catherine de Médicis au Duc de Montmorency vom Mai 1585 [Anonym] z.T. mit (de)chiffrierten Passagen. 247 Vgl. Briefe CM (Bd. 9: 20): 1. Brief vom 12. Juli 1586. 540 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 541 pour mieux dire, les premieres fleurs du primtemps de celuy qui en toute reverence et humilité baise les mains de ta R. S. CEL .: Il use ici du pluriel et non pas du singulier: n’est-ce point pource qu’il parle à un cardinal? PHIL .: Je croy que non, mais depuis on a trouvé le singulier plus plaisant. Et au commancement on n’uset pas de ceste façon de parler qu’à l’endret des bien grans. CEL .: Si donc aujourd’huy je me veux accommoder, il me faudra dire: «Je vous baise la main» plustost que: «Je vous baise les mains.» PHIL.: Cela est certain. (Estienne [1578] 1980: 320-321, Hervorhebungen im Original) Diese Tendenz konnte in den analysierten Briefen nicht nachgewiesen werden. Im Gegenteil: Mit Ausnahme eines Vorkommens von baiser la main in einem autographe von Catherine de Médicis 248 sind in allen bisher genannten Okkurrenzen, die alle aus den 1580er und 1590er Jahren stammen, wie auch in der letzten in den Briefen von Catherine de Médicis (1588) 249 nur Formen mit les mains zu finden. Auch in einem autographe von Henri III aus dem Jahre 1579 250 , der dem Italienischen bekanntlich sehr zugetan war, ist noch baiser les mains anzutreffen. Neben baiser les mains kritisiert Estienne ([1578] 1980: 323) auch das noch serviler anmutende baiser l’escarpe à qn , dessen Gebrauch laut Smith (1980a: 323, Fn. 188) auch von anderen zeitgenössischen Sprachbeobachtern bestätigt wird. In den Briefen konnten keine Vorkommen für diese Wendung ausfindig gemacht werden. Jedoch ist in einem Brief von Catherine de Médicis an den Papst eine vergleichbare Formel zu finden: Très Seynt Pere, envoyent le Roy mon fils le sieur de Gondy, presant porteur, vers Vostre Seynteté, je [n’]aie voleu fallyr par la presante luy beser lé pyez, comme luy ay pryé de fayre de ma part, et supplier Vostre Seynteté de le voulouyr ouyr de set que ly é donné charge luy dire de ma part, […]. (Briefe CM Bd. 9: 388: Brief vom 15. November 1588 an Très Sainct Pere le Pape, Archives du Vatican [ohne Angabe], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) 251 Davon abgesehen, dass sich in den Briefen keine höhere Frequenz von Formen, in denen der Singular, also la main , erscheint, nachweisen lässt, bestätigen die Befunde Henri Estiennes Beobachtungen im Hinblick auf die Verbreitung dieser Wendung. Zu betonen ist, dass diese nicht nur sehr etabliert gewesen zu sein 248 Vgl. Briefe CM (Bd. 5: 67-68): Brief vom August 1574. 249 Vgl. Briefe CM (Bd. 9: 378): Ergänzung zum Brief vom 29. Juli 1588. 250 Vgl. Briefe CM (Bd. 7: 425): Brief vom 16. Juni 1579. 251 In einem nicht in das Korpus aufgenommenen autographe ist z. B. auch <baiser les pieds de Sa Sainteté> zu lesen (vgl. Briefe CM Bd. 3: 314-315: Brief vom 20. Mai 1570). scheint - schließlich fanden sich schon in den wenigen Briefen der Einwanderer zahlreiche Okkurrenzen -, sondern ganz offensichtlich auch von italienischen Höflingen, nicht nur von französischen verwendet wurde. […] comme je fery bientost, où ilz debveront marcher, baillant au collonel Freulich les lettres que je luy en escriptz à ce qu’il ferme et arreste là ses gens, et pourveoye à les faire bien vivre, tant qu’il ayt autres nouvelles de moy; […]. (Briefe CM Bd. 1: 343-344: Brief vom 30. Juni 1562 an Monsieur de Tavannes [De L’Aubespine] BNF FF 4632 [99], Hervohebungen im Fettdruck T. S.) Einen besonders interessanten Fall stellt der vereinzelte Beleg für fermer ‘arrêter’ in einem dem Sekretär De L’Aubespine diktierten Brief aus dem Jahre 1562 dar (vgl. den obigen Passus). Wie in Kapitel 5.5.2.2 gezeigt wurde, sieht Estienne ([1578] 1980: 74) in se fermer ‘s’arrêter’ eine Lehnbedeutung unter dem Einfluss von it. fermarsi , die von Trescases (1978b) den Hapax-Formen, d. h. den Phantasie-Kreationen des Puristen, in den Deux Dialogues zugeordnet wird. In der Tat findet sich in Hope (1971) kein Eintrag zu (se) fermer ‘(s’)arrêter’ in der Liste der Italianismen des 16. Jahrhunderts. Wie anhand des Wortindex leicht überprüft werden kann, wird fermer in dieser Bedeutung auch für kein anderes Jahrhundert als indirektes Lehngut aufgeführt. Dies ist insofern erstaunlich, als Hope (1971: 648) in seinem theoretischen Teil in Band 2 u. a. fermer ‘arrêter’ < it. fermare als Beispiel zur Veranschaulichung von Lehnbedeutungen nennt. Diese wenig konsequente Behandlung von fermer ‘arrêter’ in Hope (1971) 252 könnte möglicherweise damit zusammenhängen, dass im Altfranzösischen für polysemes fermer auch Bedeutungen wie z. B. ‘fixer’ belegt sind, sich ‘arrêter’ also auch erbwörtlich entwickelt haben könnte. Eine Meinung, die z. B. Tracconaglia (1907: 94, 141) vertritt, der se fermer ‘s’arrêter’ in den Deux Dialogues daher nicht als italianisierend anerkennen will und es zur Gruppe der „parole cadute in disuso rinforzate o risuscitate dalle sinonime italiane“ zählt. Selbst wenn aber die Bedeutung im Altfranzösischen möglicherweise existiert hat, belegen weitere metasprachliche Zeugnisse (vgl. Smith 1980a: 74, Fn. 49), dass fermer ‘arrêter’ im 16. Jahrhundert einer Glossierung bedurfte, also offenbar nicht mehr verstanden und auch als Italianismus empfunden wurde. Auch das FEW (s.v. fĭrmare ) geht 252 Ähnliches kann für den Umgang mit den von Estienne ([1578] 1980: 37, 90) kritisierten Lehnbedeutungen fatigue ‘travail pénible’ (vgl. it. fatica ) und amasser ‘tuer’ (vgl. it. ammazzare ) konstatiert werden, die von Hope (1971: 648) zusammen mit fermer besprochen werden, aber ebenfalls keinen eigenen Eintrag erhalten (vgl. Kapitel 5.5.2.2 und 5.5.2.3.3.2). Dass Lehnbedeutungen aber grundsätzlich mit einem eigenen Eintrag berücksichtigt werden, zeigt z. B. der Fall von académie ‘société de gens de lettres’ (vgl. it. accademia ) (vgl. Hope 1971: 150-151). 542 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 543 für fermer ‘arrêter’ davon aus, dass es sich um einen ephemeren Italianismus des 16. Jahrhunderts handelt 253 . Der Beleg im Brief von Catherine de Médicis legt ebenfalls nahe, dass die Bedeutung ‘arrêter’ nicht ohne Weiteres verständlich war 254 . Vielmehr erscheint fermer zusammen mit seinem Synonym arrêter und erinnert somit stark an das u. a. für noch wenig etablierte Lehnwörter typische redoublement des Typs unbekanntes Lehnwort + bedeutungsgleiches Erbwort, wie es z. B. auch von Estienne ([1578] 1980: 149-150) explizit in Texten gewisser Français italianisants kritisiert wird (vgl. Kapitel 4.2.3.3). Angesichts der Tatsache, dass der Brief von einem Sekretär verfasst wurde, könnte es sich hier in der Tat um eine Art Glossierung handeln, mit der der Schreiber sicherstellen wollte, dass die von Catherine de Médicis intendierte Bedeutung auch wirklich verstanden wird. Unglücklicherweise konnten weder in anderen diktierten Briefen noch in den autographes weitere Okkurrenzen für fermer aufgespürt werden. Besonders plausibel wäre die Annahme, dass es sich um eine Glossierung handelt, wenn sich z. B. in den autographes von Catherine de Médicis Vorkommen von fermer ‘arrêter’ ohne das entsprechende erbwörtliche Synonym nachweisen ließen 255 . Festgehalten werden kann, dass bei fermer ‘arrêter’ mit höchster Wahrscheinlichkeit von einer Lehnbedeutung (oder einer semantischen Interferenz) im françois italianizé von Catherine de Médicis ausgegangen werden muss. Der Beleg in den Briefen ist in jedem Fall als wertvoll zu erachten: Zum einen bestätigt er eine Detailbeobachtung Estiennes (1578) bezüglich semantischer Einflüsse des Italienischen im françois italianizé , zum anderen gibt es meines Wissens auch nur wenige Belege für fermer ‘arrêter’ in französischen Texten aus dem 16. Jahrhundert. Während im FEW (s.v. fĭrmare ) keinerlei Belege genannt werden, findet sich sowohl bei Tracconaglia (1907: 141) als auch bei Smith (1980a: 74, Fn. 49) - vom Beleg in Estienne (1578) abgesehen - lediglich ein Hinweis auf ein Vorkommen in Ronsard sowie die Kommentare zu eben diesem von Muret (1553). Letzterer nennt als weiteres Beispiel fermer le pas , das z. B. in den Werken Brantômes Bd. 3 (1867: 54) anzutreffen ist. Auch Wind (1928: 12, 17, 193), die fermer ‘arrêter’ als Lehnbedeutung aus dem Italienischen anerkennt, ordnet es der als „mots isolés“ bezeichneten Kategorie selten belegter Italianismen zu und ergänzt: „Ce sens ne se trouve pas dans les dictionnaires [de l’époque, T. S.].“ Es 253 Im Italienischen ist fermare in der heutigen Bedeutung ‘trattenere qc o qn arrestandone il movimento’ schon seit etwa 1292 durchgängig belegt (vgl. u. a. DELI s.v. fermo ). 254 Auch Baguenault de Puchesse / de La Ferriére Bd. 1 (1880: 344, Fn. 2) vermuten in ferme ‘arrête’ eine semantische Beeinflussung durch das Italienische. 255 In zwei autographes , in denen fermer ‘arrêter’ erscheinen könnte, findet sich jedoch arrêter (vgl. Briefe CM Bd. 1: 130-131: Brief vom 03. Januar 1560, Briefe CM Bd. 6: 292-293: Brief vom 03. März 1579). finden sich auch dort keine weiteren Belege. Allein in HUG (s.v. fermer ) lässt sich noch eine - allerdings überschaubare - Zahl an weiteren Belegen finden. Als etwas komplizierter erweist sich die Beurteilung von sentir ‘entendre’, wie es z. B. im folgenden Textbeleg erscheint: […] et pour ceste cause je vous prie aussi d’y veiller et faire en sorte que le puissiez descouvrir de delà, et comme je m’asseure que vous en sçaurez très bien trouver les moiens, et croy que du Millord Robert l’on en pourroit bien apprendre et sentir quelque chose, car est accoustumé de parler franchement, quand il est tenu accortement, ainsi que sçavez très bien faire, sans qu’il se doubte de l’occazion pour quoy vous l’en mettrez en propos. (Briefe CM Bd. 4: 17-18: Brief vom 21. November 1570 an Monsieur de La Mothe-Fénelon [Pinart / CM ], Arch. nat. Musée, AE 11 [695], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Wie bei fermer liegt auch hier ein redoublement vor. Dass dieses die umgekehrte Reihenfolge aufweist, ist nicht von Belang. Dem als unverständlich erachteten Begriff kann die Glosse auch vorausgehen. Ein Blick in die Referenzwerke zeigt, dass für sentir ‘entendre’ keine Herkunft aus dem Italienischen in Erwägung gezogen wird. Weder in Kohlmann (1901), Sarauw (1920), Deschermeier (1923), Wind (1928), Kandler (1940) noch in Hope (1971) wird sentir besprochen. In HUG (s.v. sentir ) finden sich zahlreiche Belege für sentir ‘entendre’, in denen es bisweilen auch mit dem Synonym entendre gedoppelt wird. Schließlich geht auch das FEW (s.v. sĕntīre ) davon aus, dass die noch in Brantôme und Cotgrave (1611) belegte Bedeutung aus der Grundbedeutung des schon im Lateinischen stark polysemen Verbs sĕntīre ‘mit den Sinnen empfinden’ erklärbar ist. Ein italienischer Ursprung für sentir ‘entendre’ wird zwar nicht explizit ausgeschlossen, aber auch nicht in Erwägung gezogen. Warum also könnte diesbezüglich in den Briefen von Catherine de Médicis unter Umständen dennoch italienischer Einfluss vermutet werden? Dass Lalanne Bd. 8 (1875: 124) in der von ihm besorgten Edition der Werke Brantômes das auch vom FEW genannte Vorkommen von sentir ‘entendre’ als italianisierend ausweist, rechtfertigt eine solche Vermutung gewiss noch nicht. Aus der Perspektive eines Herausgebers aus dem späten 19. Jahrhundert mag diese Bedeutung von sentir zwar fremd erscheinen, dass diese aber dazu neigen können, v. a. das moderne Französische mit dem modernen Italienischen zu vergleichen und dabei bisweilen noch im 16. Jahrhundert existierende Gemeinsamkeiten der beiden Sprachen zu übersehen, wurde schon anhand des Umgangs mit neveu ‘petit-fils’ in der Edition der Briefe von Catherine de Médicis von Bauguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 9 (1905: 17) deutlich (vgl. Kapitel 7.2). Sowohl bei Catherine de Médicis als auch bei Brantôme liegt es verständlicherweise auch nahe, sprachliche Besonderheiten durch italienischen Einfluss zu erklären. Vertrauenswürdiger als das Urteil der 544 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 545 modernen Herausgeber sind manchmal jedoch metasprachliche Zeugnisse aus dem 16. Jahrhundert. Wie in Kapitel 5.5.1.5 gezeigt wurde, nennt Estienne an manchen Stellen seines Pamphlets - oft mit ironischem Unterton - auch mögliche Italianismen, die (noch) nicht im Französischen zu beobachten seien. Dabei handelt es sich nicht nur um potentielle Lehnwörter und -wendungen, von denen einige von der Forschung undifferenziert und zu Unrecht als Hapax-Belege in den Deux Dialogues ausgewiesen werden, sondern auch um Lehnbedeutungen. Wie die folgende Textstelle, die im Übrigen eine der wenigen ist, die von Smith (1980a: 361) in ihrer Edition nicht näher kommentiert wird, zeigt, ist davon auch sentir ‘entendre’ betroffen: CEL .: II pourroit bien estre, sinon qu’on trouvast qu’autres aussi parlassent de la mesme façon. Quant à sentir la musica, je sçay que cela est ordinaire, et pense bien qu’à la fin on voudra italianizer en ceste façon de parler, comme en un si grand nombre d’autres, tellement que quelque matin on orra dire sentir la musique, pour «ouir la musique». (Estienne [1578] 1980: 361, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Dass Estienne mit seinen Vermutungen in manchen Fällen auch im Hinblick auf potentielle Italianismen Recht hat, zeigt carguer . Obschon Estienne ([1578] 1980: 121) dieses nur als mögliche ausdrucksseitige Variante von charger betrachtet, ist es in der Tat sogar mit einer spezifischen Bedeutug belegt (vgl. Kapitel 5.5.1.5) 256 . In jedem Fall offensichtlich ist, dass der Purist in sentir ‘entendre’ keine für das Französische des 16. Jahrhunderts gängige Lesart 257 sieht. Der Umstand, dass das Verb in dieser Bedeutung nicht nur in vielen Belegen in HUG (s.v. sentir ), sondern auch im Brief von Catherine de Médicis, der wie im Falle von fermer von einem Sekretär verfasst wurde, gedoppelt wird, scheint Estiennes Ansicht zu bestätigen. Auffällig ist, dass sentir ‘entendre’ in den Briefen von Catherine de Médicis offenbar recht häufig Verwendung fand. Auch in nicht zum Korpus gehörigen Briefen (weder Gruppe A noch Gruppe B) konnten noch weitere Okkurrenzen gefunden werden. Während in den Briefen der Sekretäre sentir ‘entendre’ entweder mit apprendre oder auch allein anzutreffen ist 258 , erscheint es im einzigen autographe , in dem es begegnet, allein: 256 Das Verb carguer wurde bereits von Smith (1980a: 121, Fn. 260, 261) in Cotgrave (1611) nachgewiesen und wird auch heute noch, etwa im TLFi (s.v. carguer ), als Italianismus des 16. Jahrhunderts behandelt. 257 Eine Suchanfrage nach <sentir> im GRAND CORPUS erzielte diesbezüglich keine wirklichen Treffer. Aussagen zu sentir ‘entendre’ von anderen zeitgenössischen Sprachbeobachtern sind mir nicht bekannt. Interessanterweise wird aber der Passus aus den Deux Dialogues zu sentir in der 1690 erschienenen Ausgabe der Nouvelles remarques de M. de Vaugelas (1690: 561) abgedruckt. 258 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 59-60): Brief vom 26. Mai 1552 [Anonym], Briefe CM (Bd. 1: 179-180): Minute 27. März 1561 [Anonym], Briefe CM (Bd. 1: 447-451): Brief vom 15. De- […] et vous prie pour l’amour de moy santir de Sa Sainteté s’il aura agréable qu’i lui alle cet fayre conestre pour tel qu’il est, et non pour tel que l’on luy a dépint […]. (Briefe CM Bd. 3: 314-315: Brief vom 20. Mai 1570 an Monsieur le Duc de Florence, Arch. des Médicis à Florence, dalla filza 4730 [109], Hervorhebung im Fettdruck T. S.) Möglicherweise liegt hier in der Tat eine Lehnbedeutung oder zumindest die Revitalisierung einer im rinascimentalen Französisch bereits ungebräuchlich gewordenen Lesart von sentir unter dem Einfluss des Italienischen vor. Ob diese Erscheinung als Lehnbedeutung bzw. Revitalisierung oder aber nur als semantische Interferenz zu betrachten ist, hängt davon ab, wie verbreitet diese war. Würde sie sich nur auf die wenigen Okkurrenzen in den Briefen von Catherine de Médicis beschränken, könnte sie als Interferenz bezeichnet werden. Die Belege in HUG zeigen aber, dass sentir ‘entendre’ auch in anderen Texten auftrat. Wenn man also italienischen Einfluss und nicht eine erbwörtliche Semantik annimmt, würde hier wohl eher eine Lehnbedeutung bzw. Revitalisierung vorliegen. Die Analyse der 168 Briefe des Korpus hat gezeigt, dass im françois italianizé von Catherine de Médicis nur wenig indirektes Lehngut und - unter Umständen mit Ausnahme von sentir ‘entendre’ - offenbar keine bisher nicht dokumentierten semantischen Einflüsse des Italienischen zu beobachten sind. In den Texten der übrigen Einwanderer (z. B. Cavriana, Lodovico Gonzaga, Strozzi und Zametti) konnten mehrere Belege für baiser les mains ausfindig gemacht, aber ansonsten keine weiteren Besonderheiten festgestellt werden. Während im Falle von sentir ‘entendre’ möglicherweise eine erbwörtliche Lesart vorliegt, kann für die Lehnwendung bzw. -übersetzung baiser la / les main / s sowie für die Lehnbedeutung fermer ‘arrêter’ italienischer Einfluss angenommen werden. Anhand zahlreicher Belege konnte bestätigt werden, dass die von Estienne kritisierte Lehnwendung in der Tat auch - und dies häufig - von italienischen Höflingen verwendet wurde. 7.3.5.3 Direktes Lehngut 7.3.5.3.1 Hapax-Formen Belege für die Hapax-Formen in den Deux Dialogues konnten nicht ausfindig gemacht werden. Sowohl für einige derjenigen, die Estienne selbst implizit oder explizit als solche ausweist (z. B. sbigottit , imprese ), als auch für einige der exotischen Italianismen, die nach Auskunft von Estienne angeblich tatsächlich existierten (z. B. la noye ), ließen sich sogar die französischen Entsprechungen nachweisen. Potentielle Kontexte für deren Verwendung wären also vorhanden zember 1562 [Bourdin], Briefe CM (Bd. 4: 218-219): Brief vom 28. Mai 1573 [Pinart]. 546 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 547 gewesen. Statt imprese begegnet in diktierten Briefen 259 , aber auch in den autographes 260 mehrfach entreprise . Auch Filippo Strozzi verwendet entreprise 261 . Statt la noye ist insbesondere in den autographes ennui anzutreffen. Die erste Okkurrenz von ennui in einem Brief aus den frühen 1550er Jahren ist jedoch trotz der oft eigentümlichen Worttrennungen bei Catherine de Médicis auffällig. Die Schreibung <la nuys> 262 könnte auf eine Interferenz mit it. la noia , das seinerseits wohl als früher Gallizismus im Italienischen betrachtet werden muss (vgl. FEW s.v. ĭnǒdiare sowie DELI s.v. noia ), hindeuten. Auch wenn der vermeintliche Genuswechsel kein wirklich brauchbares Indiz darstellt - im 16. Jahrhundert schwankt das Genus zahlreicher Substantive 263 und schon im Altfranzösischen ist feminines ennui ‘chagrin’ belegt (vgl. FEW s.v. ĭnǒdiare ) -, könnte die aphäretische Form dem Italienischen geschuldet sein. Weder im FEW (s.v. ĭnǒdiare ) und DMF (s.v. ennui ) noch in GDF (s.v. ennui ) oder HUG (s.v. annoi ) sind Belege für solche Formen zu finden. In FRANTEXT (1500-1600 <ennui> flexion et variantes XVI e - XVII e ) lässt sich unter den 853 Treffern keine aphäretische Form nachweisen. In allen späteren autographes sind bezüglich der Schreibung (z. B. <toutes mes aultres ennuys> und <un tel anuy>) 264 hingegen keine Auffälligkeiten mehr festzustellen. Gewiss lässt sich <la nuys> auch durch Reanalyse erklären: [lɑ̃nɥi] kann als la nuys interpretiert worden sein. Dabei kann aber auch it. la noia mitgewirkt haben. Statt bugie erscheint z. B. <menterie> 265 . Dass auch das von Estienne ([1578] 1980: 118) kritisierte serviciale ‘clystère’ (< it. serviziale ) offenbar nicht im Sprachgebrauch von Catherine de Médicis vorhanden war, zeigt die folgende Stelle aus einem ihrer späten autographes an ihren Sohn Henri III : Et pour ce qu’il estoit six heures passées, voullant prendre ung clistere pour me préparer à prendre ceste nuict des pillules, affin d’achever de me purger du tout, nous avons remis a demain après disner, pour nous assembler de rechef et continuer encores, […]. (Briefe CM Bd. 9: 211-214: Brief vom 29./ 30. Mai 1587 an Le Roy Monsieur Mon Filz [Pinart / CM ], BNF FF 4734 [196], Hervorhebung im Fettdruck T. S.) 259 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 343-344): Brief vom 30. Juni 1562 [De L’Aubespine], Briefe CM (Bd. 1: 515): Brief vom 22. Februar 1563 [Anonym], Briefe CM (Bd. 10: 349-351): Brief vom 15. Juni 1574 [Pinart]. 260 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 78): Brief von Anfang August 1553, Briefe CM (Bd. 1: 290-293): Brief vom 10. April 1562, Briefe CM (Bd. 1: 536): Ergänzung zum Brief vom 20. März 1563. 261 Vgl. Briefe CM (Bd. 7: 500): Brief vom 14. August 1581. 262 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 48): Brief von Ende Oktober 1551. 263 Zu Schwankungen im Genus und Numerus von Substantiven im Französischen des 16. Jahrhunderts vgl. z. B. Darmesteter / Hatzfeld (1878: 245-251), Lardon / Thomine (2009: 30-34) sowie die dort genannte Literatur. 264 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 48): Brief von Ende Oktober 1551, Briefe CM (Bd. 9: 368): Brief vom 02. Juni 1588. 265 Vgl. Briefe CM (Bd. 3: 82-83): Brief vom Dezember 1567. Ähnliches lässt sich im Hinblick auf seltene Italianismen, die in der Forschung häufig zu Unrecht als Hapax-Belege in den Deux Dialogues klassifiziert werden, feststellen: Statt z. B. inganner 266 oder ferite erscheinen in den autographes Formen von tromper sowie von plaie oder blessure 267 . Der Mediziner Cavriana benutzt ebenfalls plaie , nicht ferite 268 . Auch Schreibungen, die auf die von Estienne ([1578] 1980: 411, 73) kritisierten, ausdrucksseitig vom jeweiligen italienischen Kognaten beeinflussten Formen wie piasir (statt plaisir , vgl. it. piacere ) oder ringracier (statt remercier , vgl. it. ringraziare ) verweisen würden, finden sich nicht. In den autographes erscheinen immer Schreibungen (z. B. <plesir>, <remersier>) 269 , die offenbar nicht vom Italienischen beeinflusst sind. Auch Belege für erbwörtliche Lexeme wie allégresse , für die, da sie von Estienne fälschlicherweise als Italianismen betrachtet werden ( attraction cognatique ), vermutet werden könnte, dass sie im françois italianizé gehäuft Verwendung fanden, konnten nicht ermittelt werden. In mehreren autographes sind Formen von joie anzutreffen 270 . In einem autographe von Catherine de Médicis begegnet jedoch eine Form, bei der es sich unter Umständen tatsächlich um einen vereinzelten, bisher noch nicht dokumentierten Italianismus und mithin um eine lexikalische Interferenz handeln könnte. Die Herausgeber Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 4 (1891: 266-267) geben die betreffende Stelle im Manuskript aus dem Jahre 1573 ohne jeglichen Kommentar wie folgt wieder: <encet pendent je vous suplie ne vous trop traballer ni prendre leyr san le conge des medesins> 271 . Die Schreibung <traballer> deutet darauf hin, dass ein Verb traballer existiert haben könnte, das den einschlägigen Referenzwerken ( DMF , DHLF , FEW , GDF , GREIMAS , GR , HUG , OIM ) offenbar nicht bekannt ist. Formal und unter Umständen auch semantisch könnte eine Herkunft aus it. traballare wahrscheinlich gemacht werden. Das seit ca. 1484 im Italienischen belegte traballare konnte nicht nur - wie noch heute - ‘non riuscire a reggersi bene, bracollare, vacillare’ (vgl. DELI s.v. 266 Dass dieser Italianismus entgegen den Angaben von Hope (1971: 148-149) und Trescases (1978b) durchaus belegt ist, wurde in Kapitel 2.3.4 und 5.5.1.3 dargelegt. Im Übrigen konnte bereits Smith (1980a: 38, Fn. 25) in Du Tronchet Okkurrenzen für inganner nachweisen. Darüber hinaus wurde ein Beleg aus Brantôme schon in HUG aufgenommen. 267 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 130-131): Brief vom 03. Januar 1560, Briefe CM (Bd. 10: 308-309): Brief von Ende März 1573, Briefe CM (Bd. 8: 232): Brief vom 12. Januar 1585, Briefe CM (Bd. 1: 116-117): Brief von Ende Februar 1558, Briefe CM (Bd. 3: 279): Brief vom 10. Oktober 1569. 268 Vgl. Brief von Cavriana vom 05. November 1585 (BNF FF 3374 [8-11]). 269 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 194): Brief von Anfang Mai 1561, Briefe CM (Bd. 1: 290-293): Brief vom 10. April 1562, Briefe CM (Bd. 3: 202-203): Brief vom 12. November 1568. 270 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 99): Brief vom Juni 1555, Briefe CM (Bd. 5: 89): Brief vom 28. September 1574, Briefe CM (Bd. 9: 103): Ergänzung zum Brief vom 04. Dezember 1586. 271 Vgl. Briefe CM (Bd. 4: 266-267): Brief vom 23. November 1573. 548 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 549 traballare ), sondern auch ‘ballare di continuo, fino alla stanchezza’ (vgl. LEI s.v. ballare , GDLI , ZING s.v. traballare ) bedeuten. Wenn Catherine de Médicis ihrem Sohn für dessen Genesung also rät, sich nicht zu viel zu bewegen, könnte traballer in der Tat diese zweite Bedeutung, die im Gegensatz zur ersten eine gewisse Vorsätzlichkeit impliziert, gehabt haben. Diese scheint im Italienischen aber selten gewesen zu sein. Belege für reflexives traballare scheint es ebenfalls nicht zu geben (vgl. GDLI s.v. traballare ). Ein Blick in das Manuskript lässt zudem erhebliche Zweifel aufkommen: Meines Erachtens ist in der Handschrift ( BNF Fonds Dupuy 211 [23]) an der entsprechenden Stelle <travaller> zu lesen, so dass wohl eher von se travailler auszugehen ist. Sowohl in semantischer als auch in formaler Hinsicht ist dies überzeugend: Für [ʎ] begegnet im 16. Jahrhundert im Allgemeinen oft, in den für die vorliegende Arbeit untersuchten autographes von Catherine de Médicis sogar ausschließlich <ll> statt <ill> (z. B. <mylleur>, <alle> ‘aille’, <travalle>, <batalle>, <barbuller> ‘barbouiller’, <ballant> ‘baillant’, <traval>, falle ‘faille’ 272 ). Belege für se travailler ‘se donner de la peine’ in HUG (s.v. travailler ) fehlen auch nicht. Dass weder die von Estienne kritisierten Hapax-Formen noch weitere bisher nicht dokumentierte Italianismen und auch keine vereinzelten lexikalischen Interferenzen zu beobachten sind, könnte verschiedene Gründe haben. Zum einen sind nur wenige Briefe aus den ersten Jahren erhalten, in denen im Allgemeinen mehr Interferenzen mit dem Italienischen zu vermuten sind als in den späteren Briefen, zum anderen sind Wortfindungsschwierigkeiten - diese sind schließlich oft für lexikalische Interferenzen verantwortlich - eher in gesprochener Sprache, nicht in mehr oder weniger elaborierten Briefen zu erwarten. Wie erklärt sich aber die Absenz der laut Estienne durchaus verbreiteten Lexeme wie la noye , die folglich nicht als einmalige Interferenzen, sondern zumindest als vorübergehend vorhandenes Lehngut im Französischen des 16. Jahrhunderts betrachtet werden müssten? Für diese sollten Okkurrenzen nachweisbar sein. Werden diese von der Forschung also zu Recht als Hapax-Belege in den Deux Dialogues und mithin als Phantasie-Kreationen gewertet? Die Klärung dieser Fragen ist schwierig. Denkbar ist, dass solche Italianismen in der Tat auf die Mündlichkeit beschränkt waren (vgl. Kapitel 5.4). Wie u. a. in Kapitel 2.3.4 und 5.5.2.2 gezeigt wurde, werden aber immer neue Italianismen sowie Belege für vermeintliche Hapax-Formen (z. B. inganner ) entdeckt. Nicht auszuschließen ist 272 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 6, Fn. 1): Brief vom Juni 1543, Briefe CM (Bd. 1: 42-43): Brief von Ende Juni 1551, Briefe CM (Bd. 1: 67): 2. Brief vom 20./ 23. Juni 1552, Briefe CM (Bd. 1: 71-72): Brief vom Oktober 1552, Briefe CM (Bd. 1: 82-83): Brief vom 03./ 08. September 1553, Briefe CM (Bd. 3: 82-83): Brief vom Dezember 1567, Briefe CM (Bd. 4: 167): Brief vom 13. Februar 1573, Briefe CM (Bd. 6: 37-39): Brief vom 18. September 1578, Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. also, dass in künftigen Untersuchungen noch Belege für den ein oder anderen exotischen Italianismus aus den Deux Dialogues zutage gefördert werden. So interessant diese - nur 26 - offenbar nach wie vor ‘einmaligen’ Italianismen in den Deux Dialogues auch sein mögen, man sollte nicht vergessen, dass sie - von ihrem exemplarischen Wert bezüglich der italianisierenden Ausdrucksseite einmal abgesehen (vgl. Kapitel 5.5.2.3.4) - im Pamphlet des Puristen eigentlich von eher geringer Bedeutung sind. Es wurde gezeigt, dass Estienne in ca. 170 von mindestens 231 Fällen lexikalische Italianismen kritisiert, die auch in der Tat im Französischen des 16. Jahrhunderts anzutreffen waren. Viele sind sogar bis heute erhalten. Auch diese seien - zumindest teilweise - den Italienern geschuldet. In der Tat finden sich neben zahlreichen anderen lexikalischen Italianismen auch einige der von Estienne besprochenen Lexeme und Wendungen in den Briefen von Catherine de Médicis, die im Folgenden genauer betrachtet werden. 7.3.5.3.2 Denotatsbereiche Wie soeben erwähnt, lassen sich zahlreiche Italianismen, die von der Forschung als solche anerkannt werden, in den Briefen nachweisen. Was die Denotatsbereiche anbelangt, lässt sich feststellen, dass sowohl in den autographes als auch in den diktierten Briefen die meisten Italianismen aus solchen Bereichen stammen, in denen Lehnwörter aus dem Italienischen im 16. Jahrhundert im Allgemeinen häufig begegnen. […] ce neantmoings ne voulant qu’ilz feissent bravade de l’approcher de si près, sans estre bien recueilliz, envoya le Sr Strossy avec douze cens harquebuziers, lesquelz atacherent contre lesdicts ennemys la plus belle et furieuse escarmouche que fut oncques veue […]. […] aucuns des cappitaines qui commandoient à la trouppe passèrent avec quelques ungs de leurs soldatz si avant à la suicte desdicts ennemys, qu’ilz se trouvèrent auprès de leur grande troupe de cavallerye, de laquelle ilz furent incontinant enveloppez; de sorte qu’il y est demeuré environ quatrevingtz ou cent soldatz, avec neuf ou dix cappitaines, et ledict Strossy qui a esté faict prisonnier, […]. (Briefe CM Bd. 10: 256-257: Brief vom 29. Juni 1569 an Monsieur de Bellievre [Brulart], BNF FF 16 021 [123], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Wie die oben zitierte Stelle zeigt, begegnen in den Briefen gehäuft Italianismen aus dem Heereswesen. Neben den auch von Estienne ([1578] 1980: 105, 60, 301) implizit oder explizit kritisierten Lexemen bravade , cavallerye und soldat - die 550 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 551 beiden letzteren können auch in weiteren Briefen 273 , u. a. in autographes 274 , beobachtet werden - erscheint das allgemein als Italianismus gewertete, aber von Estienne ([1578] 1980: 372) vermutlich nicht erkannte escarmouche . Für harquebuzier muss u. a. aufgrund des erbwörtlichen Suffixes angenommen werden, dass es sich wohl um ein französisches Derivat handelt (vgl. TLF i s.v. harquebuzier ). In anderen Briefen der Sekretäre ist aber <harquebuzade> 275 , das in der vorliegenden Arbeit als lexikalischer Italianismus behandelt wird 276 , anzutreffen. In den autographes von Catherine de Médicis findet sich neben der auch von Estienne ([1578] 1980: 260) kritisierten, italianisierenden Variante des Simplex <arquebouse> 277 ebenfalls <arquebusades> 278 . Interessant ist auch die Form <atacherent>, da trotz der militärischen Bedeutung ‘attaquer’, die im 16. Jahrhundert zunehmend vom ins Französische entlehnten italienischen Kognaten attaccare > fr. attaquer übernommen wird, die erbwörtliche Graphie erscheint und auch noch [∫] zu vermuten ist. Laut Hope (1971: 158) könne insbesondere die Wendung attaquer une escarmouche als Italianismus gesehen werden (vgl. attaccare una scaramuccia ). Möglicherweise handelt es sich daher zunächst um eine Lehnwendung, deren verbaler Bestandteil aber als Lehnbedeutung oder Lehnübersetzung, d. h. als indirektes Lehngut, betrachtet werden muss. Allerdings finden sich in späteren Briefen der Sekretäre auch Schreibungen mit <qu> 279 , in den autographes hingegen sogar nur mit <qu> 280 . Weitere Begriffe aus der Heeresterminologie sind neben alarme 281 273 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 549): Brief vom 29. März 1563 [De L’Aubespine], Briefe CM (Bd. 1: 515): Brief vom 22. Februar 1563 [Anonym], Briefe CM (Bd. 1: 503-505): Brief vom 12. Februar 1563 [De L’Aubespine], Briefe CM (Bd. 10: 349-351): Brief vom 15. Juni 1574 [Pinart]. 274 Vgl. Briefe CM (Bd. 4: 215): Brief vom 16. Mai 1573, Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. 275 Vgl. Briefe CM (Bd. 4: 235): Brief vom 18. Juni 1573 [Brulart]. 276 Für die Begründung, weshalb harquebousade entgegen den Angaben des TLFi als Italianismus betrachtet werden könnte, vgl. Kapitel 5.5.1.4. 277 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 76-77): Brief von Ende Juli 1553. 278 Vgl. Briefe CM (Bd. 10: 320): Brief vom Juni 1573. Welchen Lautwert <u> hier hat, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Angesichts der Form <arquebouse> aus dem anderen autographe wäre auch [u] denkbar. In Kapitel 7.3.3.2.2 wurde <arquebouse> <ou> [u], <arquebusades> hingegen regulär <u> [y] zugewiesen. 279 Vgl. Briefe CM (Bd. 10: 349-351): Brief vom 15. Juni 1574 [Pinart], Briefe CM (Bd. 8: 326): Brief vom 23. Juni 1585 [Anonym]. 280 Vgl. Briefe CM (Bd. 10: 308-309): Brief von Ende März 1573, Briefe CM (Bd. 7: 314): Ergänzung zum Brief vom 04. Januar 1581. Nur bei letzterem lag mir das Manuskript vor (Gruppe B). 281 Vgl. Briefe CM (Bd. 10: 320): Brief vom Juni 1573, Briefe CM (Bd. 7: 204): Brief vom 05. Dezember 1579. und citadelle 282 die auch von Estienne ([1578] 1980: 58, 285, 38, 256) erwähnten Italianismen canon , colonel , escorte und sentinelle 283 , die bis auf letzteres alle mehrfach erscheinen; des Weiteren auch saccager 284 , in zwei autographes von Catherine de Médicis sogar salve und partisans 285 . Wie die folgenden Passagen veranschaulichen, kommen die Italianismen - im Falle von brigander und escorter könnte es sich auch um französische Derivate auf italienischer Basis handeln 286 - nicht selten auch miteinander oder im gleichen Brief mehrfach vor. […] soubs la conduicte du prévost et de quelques archers du maréchal de Retz, qui les escortera, affin qu’il n’en advienne poinct d’inconvénient par les chemins, où il passe infiniz canailles, qui commencent jà fort à brigander; […] (Briefe CM Bd. 8: 263-265: Brief vom 25. April 1585 an Le Roy Monsieur Mon Filz [Anonym / CM ], BNF FF 3371 [48], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) […] esquelles il a este estroppie, […] il est demeure impotent et estroppie dune jambe […] (Briefe CM Bd. 4: 228: Brief vom 03. Juni 1573 an La Duchesse de Ferrare [Chantereau], BNF FF 3235 [6], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Von besonderem Interesse sind zwei Vorkommen des heute nicht mehr gebräuchlichen extrette , für das in den einschlägigen Referenzwerken die Zahl an Belegen überschaubar ist. Das aus it. stretta ‘momento critico (vor 1492), situazione difficile, stato di estremo bisogno (seit Ende des 15. Jahrhunderts)’ (vgl. DELI s.v. stretto ) stammende Substantiv bedeutet im Französischen etwa 282 Vgl. Briefe CM (Bd. 2: 374-375): Brief vom 15. Juli 1566 [Robertet]. 283 Für die Briefe der Sekretäre vgl. Briefe CM (Bd. 1: 515): Brief vom 22. Februar 1563 [Anonym], Briefe CM (Bd. 3: 90-91): Brief vom 10. Dezember 1567 [Anonym / CM], Briefe CM (Bd. 3: 104): Brief vom 19. Januar 1568 [Anonym], Briefe CM (Bd. 3: 222): Brief vom 23. Januar 1569 [Anonym / CM], Briefe CM (Bd. 1: 343-344): Brief vom 30. Juni 1562 [De L’Aubespine], Briefe CM (Bd. 9: 211-214): Brief vom 29./ 30. Mai 1587 [Pinart / CM]; für die autographes vgl. Briefe CM (Bd. 1: 67): 2. Brief vom 20./ 23. Juni 1552, Briefe CM (Bd. 3: 92): Ergänzung zum Brief vom 12. Dezember 1567, Briefe CM (Bd. 10: 308-309): Brief von Ende März 1573. 284 Vgl. Briefe CM (Bd. 7: 413-414): Instruction pour le Duc de Montmorency vom 10. November 1581 [Anonym / CM]; autographe : Briefe CM (Bd. 7: 359): Ergänzung zum Brief vom 19. Februar 1581. 285 Vgl. Briefe CM (Bd. 3: 92): Ergänzung zum Brief vom 12. Dezember 1567, Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. 286 Eine französische Bildung auf der Basis des ursprünglich italienischen Simplex ist insbesondere für fr. brigander anzunehmen. Im Gegensatz zu it. scortare , das seit dem 14. Jahrhundert belegt ist (vgl. z. B. DELI s.v. scorta , ZING s.v. scortare ) und demnach als Etymon infrage kommt, scheint it. brigantare nicht wirklich verbreitet gewesen zu sein (vgl. z. B. LEI s.v. * brig- ). 552 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 553 ‘défaite, échec’ 287 (vgl. FEW s.v. strictus ). Daneben sind auch semantisch leicht verschiedene Formen ohne Prothese belegt, etwa strette u. a. ‘difficulté’ (vgl. auch Wind 1928: 176, 205, Hope 1971: 224 sowie TLF i s.v. strette ), wie sie auch in den Memoiren von Bassompière erscheinen, um das Französische von Concini zu karikieren (vgl. Kapitel 6.2.2.4). Il est vray que cependant nostre armée n’a pas perdu temps, ayant forcé le portereau d’Orléans qu’ilz avoient forfiffié, et pris la tour du bout du pont, sur lequel nos gens commencent à combattre ceulx du dedans, lesquelz sont fort empeschez et en danger d’avoir une bonne estraicte. (Briefe CM Bd. 1: 503-505: Brief vom 12. Februar 1563 an Monsieur de Rennes [De L’Aubespine], BNF Cinq cents Colbert n o 390 [149], Hervorhebung im Fettdruck T. S.) Cependant, je vous mercye de l’advis que m’avez donné de l’extrecte qu’ont eu ceulz de la nouvelle oppinion [‘die Protestanten’, T. S.] où sont demeurez ceulz que m’escripvez qui sont de leurs meilleurs hommes, qui n’est pas petite perte pour eulz et peu de bien au service du Roy mondict Sr et filz, […]. (Briefe CM Bd. 9: 24-25: Brief vom 03. August 1586 an Monsieur de Villeroy [Pinart], BNF FF 15 573 [3], Hervorhebung im Fettdruck T. S.) Um Italianismen des 16. Jahrhunderts handelt es sich auch bei zwei Okkurrenzen, die in der Edition mit <récolte> (Erstbeleg laut TLF i: 1550 < it. ricolta ) wiedergegeben werden. Sie werden vermutlich in der Bedeutung ‘pillage, fourrage’ verwendet, so dass sie wie die bisher besprochenen Lexeme als zum militärischen Wortschatz gehörig betrachtet werden müssen. […] Cependant je vous prie regarder à conserver les places et donner ordre qu’ilz ne puissent faire récolte, ce que je m’asseure que vous scaurez très bien faire. (Briefe CM Bd. 3: 319: Minute vom 28. Juni 1570 an Monsieur de Puygaillard [Anonym], BNF FF 15 552 [84]) 288 287 Schon Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 1 (1880: 504, Fn. 1) und Bd. 9 (1905: 25, Fn. 1), die auch die Bedeutung ‘défaite, échec’ annehmen, weisen darauf hin, dass das Wort auch in Monluc und Brantôme zu finden ist, ohne aber eine italienische Herkunft zu erwähnen. 288 Vgl. auch Briefe CM (Bd. 10: 349-351): Brief vom 15. Juni 1574 [Pinart], in dem <empescher la recolte aux ennemis> erscheint. Laut Wind (1928: 150) und Hope (1971: 219) ist faire récolte ‘aller au fourrage, pillage’ erst in Cotgrave (1611) belegt. Hier könnte also sogar ein neuer Erstbeleg vorliegen. Andererseits könnte récolte hier auch in der für it. raccolta seit 1598 in Florio belegten Bedeutung ‘segnale dato un tempo con le trombe o con i tamburi per fare riunire i soldati’ (vgl. DELI s.v. raccogliere ) gebraucht worden sein. Bei Florio (s.v. raccolta ) hat raccolta wie raccoglienza im Übrigen auch noch die viel allgemeinere Bedeutung ‘gathering’. Im Gegensatz zu kriegerischen und militärischen Themen, die eine Vielzahl von Briefen zum Inhalt hat, wird über Vergnügungen wie etwa die Reit-, Tanz- oder Kochkunst nur selten geschrieben. Entsprechend gering nimmt sich die Zahl der Belege für Italianismen aus diesen Bereichen aus. Es konnten zwei Belege für carrière (< it. carriera , vgl. DELI s.v. carro : ‘luogo dove si svolgevano le giostre a cavallo e dove si armeggiava’ seit 1294) und ein Vorkommen von cavalcadour (< it. cavalcatore , vgl. DELI s.v. cavallo : ‘chi cavalca’ seit 1304-1305) ausfindig gemacht werden 289 . Diese Lexeme werden zwar nicht einhellig, aber mehrheitlich als Italianismen des 16. Jahrhunderts betrachtet 290 . Monsieur le trésorier, le Roy monsieur mon filz a remis Alexandre Diferart, nepveu de l’escuyer Morel, en son estat et place de cavalcadour de son escurye et pour ce, en suivant son vouloir et intention, vous regarderez de le paier et satisfaire de ses gaiges tant de l’année passée que de la présente […]. (Briefe CM Bd. 2: 52: Brief vom 08. Juni 1563 an Le Trésorier et Recepveur [Anonym], BNF FF 20 459 [9]) Des Weiteren findet sich ein Beleg für masque in einem autographe von Catherine de Médicis, wobei dieses aber metaphorisch gebraucht wird ( lever le masque ‘enttarnen’) 291 . Im weitesten Sinne mit Kulinarischem befasst sich nur ein einziger Brief. Wie der folgende Ausschnitt zeigt, ist dieser Brief nicht nur in sprachlicher Hinsicht von Interesse. […] je désire, quant nous sommes du couté de Paris, avoyr quelque bien au povoyr paser mon temps aveques plesirs honnestes, come ayst d’avoyr une maison à ma fason et y an y ayent fayst fayre une qui s’apelle Saint-Mort-dé-Fusés, je y veulx dreser une casine au je désire avoyr de toutes sortes de jeans qui sachent fayre toutes fasons de formages, létages, confiteures, saleures, salades, fruys; et sachant que pour aystre d’un mesme sanc vous avés aussi fayst une semblable chause, je vous veulx prier de me faire recouvryr des personnes que vous panseré aystre propre à cet ayfayst; […]. (Briefe CM Bd. 4: 78: Brief vom 28. Oktober 1571 an M. le Grand-Duc de Toscane Arch. des Médicis à Florence, filza 4727 [144], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Abgesehen davon, dass Catherine de Médicis ganz selbstverständlich die Italianismen casine und salade verwendet 292 , ist auch die Bitte an den Gran Duca, 289 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 6): Brief vom 28. Januar 1582 [Anonym], Briefe CM (Bd. 9: 110): Ergänzung zum Brief vom 10. Dezember 1586. 290 Vgl. dazu die Diskussion im TLFi (s.v. carrière , cavalcadour ) sowie im GR (s.v. carrière 2, cavalcadour ). 291 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. 292 Da mir das Manuskript nicht vorlag (Gruppe A), konnte nicht überprüft werden, ob die fehlende Metathese in <formage>, die möglicherweise einer Interferenz mit dem Italie- 554 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 555 ihr geeignete Personen für die Bewirtschaftung ihres Anwesens zu schicken, interessant. Sie bestätigt die in Kapitel 6.2.2.2 gemachten Aussagen zur Präsenz der Italiener im Frankreich des 16. Jahrhunderts: Zum einen besteht die France italienne ganz offensichtlich auch aus weniger eminenten Persönlichkeiten, zum anderen scheinen die Behauptungen des venezianischen Botschafters Lippomano, dem zufolge die Feinkostproduktion im rinascimentalen Frankreich fest in italienischer Hand war, nicht unbegründet zu sein. Weitere Italianismen, die im Zusammenhang mit der Errichtung - manchmal nach italienischem Vorbild und durch italienische Architekten - bestimmter Gebäude gebraucht werden, sind plan , das im selben autographe sowohl <plan> als auch <plant> geschrieben wird - insbesondere die Graphie <plant> lässt die Verbindung zum it. Etymon pianta erkennen (vgl. Stefenelli 1981: 199) -, sowie möglicherweise galerie 293 . In einem nicht zum Korpus gehörigen Brief erscheint auch ein Beleg für den vermutlich über das Italienische vermittelten Latinismus architecte 294 (vgl. Hope 1971: 155-156 und Stefenelli 1981: 189, Fn. 49). Als mehr oder weniger durch die höfische Diplomatie vermittelte Italianismen könnten le nonce 295 sowie die vier Okkurrenzen von messer bzw. messire gelten 296 , wobei letztere wie in der Renaissance üblich (vgl. Hope 1971: 210) insbesondere für Italiener wie z. B. in messer Cavalcanti gebraucht werden. Angesichts der bisher besprochenen Beispiele lässt sich festhalten, dass in den Briefen von Catherine de Médicis zahlreiche Italianismen erscheinen und keine wesentliche Unterschiede hinsichtlich der Frequenz derselben zwischen den diktierten Briefen und den autographes zu beobachten sind. Die Lehnwörter nischen geschuldet sein könnte, unter Umständen nur auf Ungenauigkeiten der Edition zurückzuführen ist. Andere Okkurrenzen von formage / fromage begegneten in den untersuchten Briefen nicht. FENNIS Bd. 1 (1995: 110) schließt für <formage> in einer Übersetzung aus dem 17. Jahrhundert italienischen Einfluss nicht gänzlich aus. In FRANTEXT (1500-1600) sind allerdings Belege für formage in von Franzosen verfassten Texten aus dem 16. Jahrhundert nachweisbar. 293 Vgl. Briefe CM (Bd. 5: 272-273): Brief vom 15. August 1577. Laut TLFi (s.v. plan 3) ist plant ‘dessin directeur de l’implantation d’une construction, ou d’un ouvrage à réalisier’ seit 1538, ‘dessin, tracé représentant en projection sur une surface horizontale, la disposition d’ensemble d’un édifice, d’une ville, d’une région’ seit 1545 in einer Übersetzung aus dem Italienischen belegt. Für die Etymologie wird lediglich auf TLFi (s.v. plan , plane ) verwiesen. Das Adjektiv sei aus dem Lateinischen entlehnt. Auch in Hope (1971) fehlt ein Eintrag zu plan . Mit Stefenelli (1981) wird für das Substantiv in der vorliegenden Arbeit von italienischer Herkunft ausgegangen. Für die Etymologie von galerie vgl. Hope (1971: 40) sowie TLFi (s.v. galerie ): „Empr. du latin médiév. du domaine ital.“. 294 Vgl. Briefe CM (Bd. 9: 28-30): Brief vom 10. August 1586 [Pinart]. 295 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 356-357): Brief vom September 1585, Briefe CM (Bd. 9: 350): Ergänzung zum Brief vom 24. Mai 1588. 296 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 66): Brief vom 15./ 20. Juni 1552 [Bochetel], Briefe CM (Bd. 1: 123): Brief vom 22. August 1559 [Anonym]. kommen aus Bereichen, in denen der Einfluss des Italienischen im 16. Jahrhundert im Allgemeinen sehr stark war. Dass in den untersuchten Briefen v. a. Termini aus dem Militärwesen erscheinen und solche aus den in der Renaissance ebenfalls stark mit Italianismen durchdrungenen Bereichen der Reit- und Kochkunst eher selten sind, erklärt sich dadurch, dass in den meisten Briefen vom Krieg die Rede ist. In jedem Fall wird bereits an dieser Stelle ersichtlich, dass im françois italianizé von Catherine de Médicis dieselben lexikalischen Italianismen anzutreffen sind wie in jenem der Français italianisants . Schwieriger zu klassifizieren sind accortement , brigue , dessein ‘projet’, désastre , intrigue , à l’improviste und poste 297 . Während dessein mit Militärischem (<le dessaing des ennemis>) und brigue sowie intrigue und acortement mit der Diplomatie bei Hofe in Verbindung gebracht werden könnten, ist das - von einem Hapax in Marco Polo 1298 abgesehen - bereits seit 1480 belegte poste (f.) (vgl. TLF i s.v. poste f.) so etabliert, dass es keinem spezifischen Bereich mehr zugeordnet werden kann. Die bereits von Estienne ([1578] 1980: 416, 340-341) kritisierten Italianismen à l’improviste und désastre jedoch lassen sich nur schwer einem Bereich zuweisen. Als poetischer Begriff, wie es laut Hope (1971: 185) v. a. zu Beginn des 16. Jahrhunderts verwendet wurde, kann désastre in den Briefen von Catherine de Médicis jedenfalls nicht verstanden werden (vgl. den folgenden Passus). Mon cousin, jay receu vostre let[tre] par ce porteur et entendu le desastre advenu aux pouldres dont je suis incroiablement ennuyée vous pryant de mectre toute la peyne que vous pourrez pour averer dou il est venu et pourveoir au demourant que le mal qui est en la bastille et au cabinet du roy monsieur mon filz soit promptement repare. (Briefe CM Bd. 1: 491: Brief vom 31. Januar 1563 an Le Sieur de Montmorency [Anonym], BNF FF 3194 [21], Hervorhebung im Fettdruck T. S.) Monsieur de Gonnord, par les nouvelles qui nous viennent continuellement d’Allemagne confirmées d’infiniz lieux et mesmes de noz principaulx serviteurs, l’entreprise que l’Empire veult faire pour le recouvrement de Metz, Thoul et Verdun est toujours en termes et semble que sourdement on la trouve preste, estans les gens advertiz, lesquelz en peu d’heure on verroyt fondre de ce costé là à l’improviste; (Briefe CM 297 Vgl. Briefe CM (Bd. 4: 17-18): Brief vom 21. November 1570 [Pinart / CM], Briefe CM (Bd. 5: 261-262): Brief vom 02. Juli 1577 [Anonym], Briefe CM (Bd. 10: 256-257): Brief vom 29. Juni 1569 [Brulart], Briefe CM (Bd. 4: 312-313): Brief vom 31. Mai 1574 [Pinart], Briefe CM (Bd. 1: 66): Brief vom 15./ 20. Juni 1552 [Bochetel], Briefe CM (Bd. 9: 368): Brief vom 02. Juni 1588, Briefe CM (Bd. 10: 343-344): Brief vom 01. Juni 1574 [Pinart]. Bei accortement könnte es sich, wie in Kapitel 5.5.1.3 erläutert, auch um ein französisches Derivat auf der Basis von fr. accort < it accorto handeln. In jedem Fall kann accortement aber mit Estienne ([1578] 1980: 120) als italianisierend betrachtet werden. 556 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 557 Bd. 1: 549: Brief vom 29. März 1563 an Monsieur de Gonnord [De L’Aubespine], BNF Cinq cents Colbert, vol. 24 [64], Hervorhebung im Fettdruck T. S.) Neben diesen mehr oder weniger allgemein gebräuchlichen Begriffen finden sich auch zahlreiche Okkurrenzen für das von Estienne ([1578] 1980: 50) explizit als höfisches Luxuslehnwort ausgewiesene signalé ‘notable, remarquable’, das in der Tat bisweilen mit seinem Synonym notable oder aber grand gedoppelt wird (<notable et signalé>) 298 . Von besonderem Interesse sind schließlich die Vorkommen von réussir , importer und manquer , die mit Ausnahme von letzterem erstaunlich häufig begegnen. Allen drei Verben gemeinsam ist, dass sie Lehnwörter des 16. Jahrhunderts und heute fester Bestandteil des französischen Kernwortschatzes sind. Während für importer bisweilen vermutet wird, dass es möglicherweise über den Handel vermittelt wurde (it. importare ‘sich belaufen auf ’), bereitet die Zuweisung eines „Übernahmemilieu[s]“ bei manquer und réussir bis heute Probleme (vgl. Stefenelli 1981: 198-199). Weder im FEW (s.v. mancus , exire ) noch im TLF i (s.v. manquer , réussir ) finden sich ausführliche Informationen zu den Wegen, über die diese rinascimentalen Italianismen vermittelt worden sein könnten. Auch bei Hope (1971: 208, 219-220) bleiben konkrete Hinweise aus. Er betont jedoch, dass sie vermutlich von bilingualen Sprechern in das Französische gebracht wurden (vgl. Kapitel 2.3.3.2). Im Gegensatz zu Begriffen, die dem Bereich des Heereswesens, der Schifffahrt oder der Reit-, Tanz- und Kochkunst angehören, kann für die heute hochfrequenten Verben keine Herkunft aus einem Fachwortschatz angenommen werden. Auch die ersten Belege (vgl. FEW s.v. mancus , exire , TLF i s.v. manquer , réussir , für réussir auch Souyris 1959) lassen diesbezüglich keine Spekulationen zu. Äußerst interessant ist daher die Vermutung von Wise (1997: 66), der zufolge sich die Verben insbesondere im höfischen Kontext verbreitet haben könnten 299 . Nicht nur die häufigen Vorkommen von réussir , sondern v. a. auch die Bedeutungen und Konstruktionen, in denen beide Verben in den Briefen verwendet werden, könnten diese Annahme bestätigen. Gewiss sind die Verben auch außerhalb der höfischen Korrespondenz belegt (vgl. z. B. die Beispiele in HUG ), allerdings kann der häufige Gebrauch bei Hofe durchaus einen Beitrag zu ihrer Etablierung geleistet haben. 298 Vgl. Briefe CM (Bd. 10: 223): Brief von 1567 / 1568, Briefe CM (Bd. 3: 157): Brief vom 21. Juli 1568 [De Neufville], Briefe CM (Bd. 3: 90-91): Brief vom 10. Dezember 1567 [Anonym / CM], Briefe CM (Bd. 5: 5-6): Brief vom 03. Juni 1574 [Anonym], Briefe CM (Bd. 7: 406-407): Brief vom 23. Oktober 1581 [Anonym]. 299 Seltsamerweise bezieht sich Wise (1997: 66) dazu auf Chaurand (1977: 75-76), der an keiner Stelle über manquer spricht und für réussir nicht explizit auf eine Verbreitung im höfischen Kontext verweist. Neben zwei Okkurrenzen für manquer à ce qu’il avait promis (1585) 300 und einem Vorkommen der nach Tahureau (1562) als zu den mots à la mode gehörigen Wendung il n’y manquera rien 301 (vgl. Hope 1971: 208) begegnet in einem autographe auch manquer à faire qc , das nicht nur aufgrund seiner Schreibung <mancet a fayre> 302 nahelegt, dass es sich dabei um eine AS -produzenteninduzierte Entlehnung handelt (vgl. Kapitel 7.3.5.4.3). Was die Vorkommen von réussir angeht, kann festgestellt werden, dass diese nicht nur zahlreich sind, sondern dass das Verb auch in allen für das 16. Jahrhundert belegten Bedeutungen und Konstruktionen vorkommt. Der TLF i (s.v. réussir ), der sich für die Belege insbesondere auf Souyris (1959) stützt, sammelt zu réussir : 1531: réussir de ‘résulter de’, 1537: réussir à ‘aboutir à’, 1540: réussir intr. ‘aboutir à un résultat positif ’, 1579: réussir ‘aboutir’. Das Subjekt ist immer nichtmenschlich. Erst ab 1595 kann das Subjekt auch eine Person sein. Auch wenn Belege für ‘aboutir à un résultat positif ’, die heutige Bedeutung, schon früh erscheinen, waren - wie im Italienischen (vgl. DELI s.v. riuscire : ‘avere esito, andare a finire, risultare, avere successo’) - insbesondere die weniger spezifischen Lesarten bis ins 17. Jahrhundert verbreitet (vgl. v. a. Souyris 1959). Wie die folgenden Ausschnitte aus ausgewählten Briefen zeigen, finden sich Beispiele für alle o. g. Verwendungen: […] que je lui feisse entendre quelle utilité j’espéroys qu’il peust réussir [‘résulter de’] de ladicte entreveue au bien et repoz de la chrestienté, ou à ce qui est de l’establissement de la religion; […] 303 . […] que la conferance reuscira [‘aboutir à’] au bien que nous desirons et qui est tant requis et necessaire pour le bien de ce royaume 304 . Je vous prie prendre cet fayst en mayn, et bien solisiter et vous y employer de tous vos moyens, afin que je le voy réusir [‘aboutir’], come je lay désire, et je reconstré en set que aurés moyen ver vous et les vostres le plésir que, en set faysent, m’aurés fest 305 . 300 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 232): Brief vom 12. Januar 1585, Briefe CM (Bd. 8: 300-302): Brief vom 29. Mai 1585 [Anonym]. 301 Vgl. Briefe CM (Bd. 7: 249-250): Brief vom 19. April 1580 [Pinart]. 302 Vgl. Briefe CM (Bd. 6: 166-167): Ergänzung zum Brief vom 12. Dezember 1578. 303 Vgl. Briefe CM (Bd. 2: 151-155): Brief vom 28. Februar 1564 [Bourdin]. 304 Vgl. Briefe CM (Bd. 7: 291): Brief vom 07. November 1580 [Pinart]. 305 Vgl. Briefe CM (Bd. 7: 219): Ergänzung zum Brief vom 11. Januar 1580. Vgl. auch Briefe CM (Bd. 5: 198-199 und 315-316): Brief vom 16. Mai 1576 [Anonym]. 558 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 559 […] et y mectant pour leur seuretté des gardes, j’aurois quelque doubte qu’ils s’en voulussent saisir, si les choses ne réussissoient [‘aboutir’] comme désirons par la fin de nostre conférence, ou bien s’il advenoit encore quelque désordre […] 306 . Monsieur de Belièvre, dernièrement que vous estiés en Flandres, envoyant le sieur du Luart vers mon fils pour obtenir l’abayé de Jouy, je vous priois de luy ayder à cet efect; lequel n’estant réuscy [‘aboutir à un résultat positif ’], il eut promese d’une pension de douze cens livres […] 307 . Wie die Beispiele veranschaulichen, kann réussir nicht nur aufgrund der zahlreichen Vorkommen und Vielfalt an Lesarten als etabliert gelten. Auch die Tatsache, dass es in verschiedenen Tempora 308 erscheinen kann, zeigt, dass es offenbar nicht weniger integriert war als ein erbwörtliches Verb, wie etwa finir . Die Schreibung <sc> erinnert noch vereinzelt an die italienische Herkunft; ebenso das Hilfsverb être statt avoir im letzten Beispiel (vgl. it . essere riuscito ). Laut Souyris (1959: 208) habe sich avoir im Französischen erst im 17. Jahrhundert allmählich durchsetzen können 309 . Im Hinblick auf importer lässt schon der Umstand, dass, wie in Kapitel 7.1 dargelegt wurde, der Erstbeleg für importer à aus einem Brief von Catherine de Médicis stammt, vermuten, dass das Verb früh und auch häufig auftritt. In der Tat finden sich sowohl in den autographes 310 als auch in den Briefen der Sekretäre 311 zahlreiche Okkurrenzen ( importer , importer à , importer de ). Auch important (Erstbeleg nach TLFi s.v. important : [1476] 1528) und importance (Erstbeleg nach 306 Vgl. Briefe CM (Bd. 6: 216-218): Brief vom 13. Januar 1579 [Anonym]. Vgl. auch Briefe CM (Bd. 9: 60-61): Brief vom 05. Oktober 1586 [Pinart]. 307 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 95): Brief vom 28. März 1583. Vgl. auch Briefe CM (Bd. 6: 37-39): Brief vom 18. September 1578, Briefe CM (Bd. 10: 244-245): Brief vom 22. Oktober 1568 [De L’Aubespine], Briefe CM (Bd. 7: 358-359): Brief vom 19. Februar 1581 [Pinart / CM], Briefe CM (Bd. 10: 502-504): Instruction à Monsieur de Matignon vom 16. Juni 1574 [Pinart]. 308 Die Mehrheit der für die vorliegende Arbeit ermittelten Belege bestätigt im Übrigen auch die Aussagen von Souyris (1959: 208), dem zufolge réussir aufgrund seiner perfektiven Semantik insbesondere im Präsens, Futur und passé composé verwendet worden sei. 309 Ähnliches lässt sich auch für manquer beobachten (vgl. FEW s.v. mancus ). 310 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 76): Brief von Ende Juli 1553, Briefe CM (Bd. 1: 290-293): Brief vom 10. April 1562, Briefe CM (Bd. 6: 166-167): Ergänzung zum Brief vom 12. Dezember 1578, Briefe CM (Bd. 4: 183): Brief vom 17. März 1573, Briefe CM (Bd. 8: 155-156): Brief vom 21. November 1583. 311 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 55-56): Brief vom 13. Mai 1552 [Duthier], Briefe CM (Bd. 3: 90-91): Brief vom 10. Dezember 1567 [Anonym / CM], Briefe CM (Bd. 5: 308-309): Brief vom 02. Dezember 1575 [Anonym]. TLF i s.v. importance : Ende des 15. Jahrhunderts) begegnen oft 312 . Interessanterweise entsprechen bestimmte Okkurrenzen fast wörtlich dem von Estienne (1578) getadelten höfischen Jargon. Auch wenn er importer - zum Zeitpunkt des Verfassens der Deux Dialogues - vermutlich noch nicht als Italianismus erkannt hatte (vgl. Kapitel 5.5.1.5), ähnelt sich die Wortwahl in den folgenden Passagen doch in auffälliger Weise. PHIL .: Notez qu’il faut que vos façons de parler s’accordent bien les unes avec les autres pour donner à entendre que tout est honnorable en vostre endret. Et pourtant il ne faut pas dire: «J’ay des affaires» ou «des faciendes», mais: J’ay à negotier avec un tel seigneur ; item, J’ay à traitter avec un tel d’affaires urgentes, et qui importent du service de Leurs Majestez . (Estienne [1578] 1980: 385, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Monsieur de Tavannes il importe infiniement au bien du service du roy monsieur mon filz que mon cousin le duc de nemours soit secouru de la quantite darttillerye, pouldres et boulletz que le roy mondict filz vous escript et aussy des eschelles […]. (Briefe CM Bd. 1: 493: Brief vom 03. Februar 1563 an Monsieur de Tavannes [De L’Aubespine], BNF FF 4632 [90], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Ein Blick auf die Briefe der anderen Immigranten zeigt, dass auch in ihrem françois italianizé lexikalische Italianismen anzutreffen sind. In allen Fällen handelt es sich dabei - wie in den Briefen von Catherine de Médicis - um Lehnwörter, die der Forschung bekannt sind. Hapax-Formen aus den Deux Dialogues finden sich nicht. Was die Denotatsbereiche betrifft, lassen sich keine wesentlichen Unterschiede zu den Briefen von Catherine de Médicis feststellen. In den Briefen von Filippo Strozzi, die meist dessen militärische Operationen zum Inhalt haben, erscheint z. B. neben manquer auch das von Estienne ([1578] 1980: 272) kritisierte galiotte 313 . Auch in einem der Briefe des unbekannten Sekretärs aus Armagnac - die Wortwahl ist im Gegensatz zu den Schreibungen aber nicht zwangsläufig dem Sekretär geschuldet - finden sich neben important , importance , faciliter , réussir ‘résulter de’ gehäuft Lehnwörter aus dem Heereswesen, z. B. soldat , dessein , attaquer , canon sowie escorte 314 . Ebenfalls militärische Termini begegnen bei Carlo Gonzaga ( alarme , citadelle , aber auch manquer und nonce ) 315 . 312 Vgl. Briefe CM (Bd. 9: 211-214): Brief vom 29./ 30. Mai 1587 [Pinart / CM], Briefe CM (Bd. 10: 502-504): Instruction à Monsieur de Matignon vom 16. Juni 1574 [Pinart], Briefe CM (Bd. 6: 216-218): Brief vom 13. Januar 1579 [Anonym], Briefe CM (Bd. 3: 296): Brief vom 07. Februar 1570, Briefe CM (Bd. 1: 515): Brief vom 22. Februar 1563 [Anonym]. 313 Vgl. Briefe CM (Bd. 7: 500): Brief vom 14. August 1581. 314 Vgl. Briefe CM (Bd. 6: 409-412): Relation du cardinal d’Armagnac touchant l’accomodement qu’il a faict avec le mareschal Damville, pour le remettre aux bonnes graces de sa Majesté vom Dezember 1578 [Kopie]. 315 Vgl. Brief von Carlo Gonzaga vom 10. Mai 1598 (BNF FF 3321 [127]). 560 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 561 Beim Bankier Zametti sind zwar wider Erwarten keine auffälligen Italianismen aus dem Bankwesen nachweisbar, aber zumindest manquer und la poste 316 . Bei Cavriana findet sich neben dem bereits im Kapitel zur Doppelkonsonanz erwähnten <all’improviste> 317 auch brusque 318 , das wie ersteres wohl am ehesten als zum höfischen Wortschatz gehörig betrachtet werden könnte, sowie im gleichen Brief escorte in metaphorischer Verwendung. An der folgenden Stelle aus einem nicht edierten autographe von Lodovico Gonzaga erscheint <racolte> ‘récolte’ sowie auch das in den Deux Dialogues besprochene casanier in der damals rezenten Bedeutung ‘qn qui aime rester à la maison’ (vgl. Kapitel 5.5.2.2). […] et croy que […] le sieur de R[…] seroit fort a propos, car il est confidant de Monsieur […] ce mien amy, dont je pense que nul aultre pouroit faire mieux cest affaire que luy, Mais il est sy casanier et empeche en son visnaige et racolte, et aussi sy paresseux que sy leurs M[ajestes] troveront bon de lenvoier il fauldra [que] leurs M[ajeste]s le luy comandent et lors il nausera les desobeir […]. (Brief von Lodovico Gonzaga vom Juli 1582 an Monsieur de Bellièvre [autographe], BNF FF 15 906 (2) [704], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Was lässt sich abschließend bezüglich der Italianismen im Französischen der Immigranten und den Denotatsbereichen, denen sie angehören, festhalten? Offensichtlich ist, dass in ihrem françois italianizé die gleichen lexikalischen Italianismen vorhanden sind wie in jenem der Français italianisants. Unter den Lexemen, von denen nur wenige schon in früheren Jahrhunderten ins Französische gelangt sind (z. B. alarme , importance , soldat ) und daher schon als mehr oder weniger integriert gelten können, befinden sich auch viele derjenigen, die in den Deux Dialogues angeprangert werden. Neben Begriffen aus Milieus, in denen Lehnwörter aus dem Italienischen im 16. Jahrhundert gehäuft auftreten (z. B. Heereswesen), lassen sich auch Vorkommen für die heute zum französischen Kernwortschatz gehörenden Verben importer , manquer und réussir nachweisen. Insbesondere im Französischen von Catherine de Médicis können diese als etabliert gelten. Möglicherweise wurden sie in der Tat vornehmlich im höfischen Kontext verbreitet. Dass auch die Italiener als Sprecher (und Schreiber) des Französischen grundsätzlich an der Diffusion von Italianismen im 16. Jahrhundert beteiligt waren, bestätigen die Produktionsdaten in jedem Fall. 316 Vgl. Brief von Zametti vom 20. Juni 1592 (BNF FF 15 575 [27]). 317 Vgl. Brief von Cavriana vom 19. Oktober 1585 (BNF FF 3374 [112]). 318 Vgl. Brief von Cavriana vom 05. November 1585 (BNF FF 3374 [8-11]). 7.3.5.3.3 Luxus- und Bedürfnislehnwörter Im Laufe der vorliegenden Arbeit kam bereits mehrfach die Frage auf, ob es sich bei den rinascimentalen Italianismen mehrheitlich um Bedürfnis- oder Luxuslehnwörter handelt (vgl. z. B. Kapitel 5.6). Insbesondere Estienne steht im Verdacht, als Purist grundsätzlich davon auszugehen, dass die entlehnten Wörter überflüssig sind. Gewiss kann im Folgenden nicht auf alle der im vorhergehenden Kapitel ermittelten Lehnwörter eingegangen werden. Dennoch soll anhand weniger ausgewählter Beispiele gezeigt werden, dass Estienne in einigen Fällen möglicherweise richtigliegt, sich also ‘zu Recht’ beklagt 319 . Auf den ersten Blick lassen einige der in den Deux Dialogues als Luxuslehnwörter kritisierten Italianismen in der Tat Zweifel an ihrer Notwendigkeit aufkommen. Die Wendung à l’improviste z. B. tritt in Konkurrenz zu fr. à l’impourveu , das noch bis in das 17. Jahrhundert erhalten bleibt (vgl. Hope 1971: 202). Wie Wind (1928: 173-174) anhand zeitgenössischer metasprachlicher Aussagen zeigt, war die Wendung lange Zeit umstritten, und noch im 17. Jahrhundert sprachen sich gewisse Autoren sogar explizit für französischeres à l’impourveu aus. Den Ausführungen von Vaugelas (1647), der offenbar das ‘Bedürfnis’ verspürte, sich zur Konkurrenz von à l’improviste und à l’impourveu zu äußern, kann entnommen werden, dass im Hinblick auf das Denotat keinerlei Unterschiede festzustellen gewesen sein dürften: Tous deux sont bons, & signifient la mesme chose, mais à l’improviste , quoy que pris de l’Italien, est tellement naturalisé François, qu’il est plus elegant qu’ à l’impourveu . (Vaugelas 1647: 192) Sowohl à l’improviste bei Catherine de Médicis 320 als auch bei Cavriana 321 können wie canaille (Entlehnung der Ausdrucksseite zu fr. chienaille , das im 15. und 16. Jahrhundert verdrängt wird, vgl. Hope 1971: 32, TLF i s.v. canaille ), das ebenfalls in den Briefen von Catherine de Médicis 322 erscheint, als Luxuslehnwörter betrachtet werden. Derart gut dokumentiert sind, wenn man von den Deux Dialogues als Quelle einmal absieht, nun aber nicht alle Italianismen des 16. Jahrhunderts. Wie lässt sich also nachweisen, dass für sie bereits erbwörtliche Synonyme existierten, wenn metasprachliche Kommentare fehlen oder 319 Wie in Kapitel 3.3.2 erläutert, werden die Begriffe hier völlig neutral verwendet. Ausschlaggebend für die Klassifizierung als Luxuslehnwort ist lediglich, dass aus synchroner Perspektive, d. h. zum Zeitpunkt der Entlehnung, eigentlich bereits erbwörtliche Bezeichnungen für ein bestimmtes Konzept vorhanden waren und mithin zumindest vorübergehend Synonyme (Erbwort und Lehnwort) existierten. 320 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 549): Brief vom 29. März 1563 [De L’Aubespine]. 321 Vgl. Brief von Cavriana vom 19. Oktober 1585 (BNF FF 3374 [112]). 322 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 253-254): Brief vom 16. April 1585 [Anonym / CM]. 562 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 563 nicht bekannt sind? Ein Hinweis findet sich bei Estienne ([1578] 1980: 149-150) selbst. Da er bei einigen Autoren des 16. Jahrhunderts die Praxis des redoublement (Lehnwort + glossierendes Erbwort) kritisiert, könnten solche Vorkommen in den Briefen auch Indizien dafür sein, dass eigentlich französische Bezeichnungen vorhanden waren. An mehreren Stellen in den Deux Dialogues sind solche Doppelungen auch in der Sprache Philausones versteckt, die nicht weiter kommentiert werden und die - wie im vorhergehenden Kapitel für importer bereits gezeigt - in ähnlicher Form im françois italianizé von Catherine de Médicis nachweisbar sind. PHIL .: Nous avions bien corporal qui tenet encore bon, et avet opinion qu’il ne seret point chassé, estimant que celuy qu’on nommet «corps de garde», luy porteret faveur, mais un je ne sçay quel caporal vint, portant des lettres de recommandation de Monsieur Capo , par le moyen desquelles il fut bien receu, voire cheri et caressé, et peu de temps apres, la place de ce «corporal», qui estet natif du pays, fut baillée à cest estranger «caporal». (Estienne [1578] 1980: 243, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) […] ie metere pouine de launorer et careser de teut set que ie poure. (Briefe CM Bd. 1: 60-61: Brief von Ende Mai 1552 an Le Roy Monseigneur [autographe], BNF FF 3140 [1]) Au reste je vous diray que mon filz est en Angleterre treshonore et caresse de la royne dud[it] pays. (Briefe CM Bd. 7: 416-417: Brief vom 18. November 1581 an Monsieur de Bellièvre [Anonym], BNF FF 15 906 [554]) Auch einige der im vorhergehenden Kapitel besprochenen Italianismen erscheinen gedoppelt: neben sentinelles et gardes auch notable et signalé . In beiden Fällen werden die von Estienne ([1578] 1980: 114-115, 255-256) als Luxuslehnwörter getadelten Lexeme sogar durch die von Estienne genannten Synonyme ( garde , notable ) glossiert. Diese erwähnt der Purist gewissermaßen als geeigneten Ersatz; davon, dass die Lexeme üblicherweise gedoppelt vorkommen würden, ist in den Deux Dialogues nicht einmal Rede. In den Briefen der übrigen Immigranten können trotz der insgesamt wenigen Okkurrenzen ebenfalls solche redoublements ausfindig gemacht werden. Während im Falle von visnaige et racolte bei Lodovico Gonzaga nicht mit Gewissheit davon ausgegangen werden kann, dass tatsächlich Synonymie vorliegt - visnaige bezieht sich nur auf die Weinernte (vgl. FEW s.v. vīnum ), wohingegen racolte ‘récolte’ weniger spezifisch sein könnte -, kann lettres brusques et aigres 323 bei 323 Das Adjektiv brusque < it. brusco ist zwar schon im 14. Jahrhundert mit der konkreten Bedeutung ‘aigre âpre (du vin)’ belegt, bei der Verwendung in der übertragenen Bedeutung Cavriana durchaus als Synonymendoppelung betrachtet werden. Besonders auffällig ist auch manquer ny faillir jammes de chose in einem Brief Zamettis. Ganz offensichtlich sind also für einige der Italianismen, die sich im françois italianizé der Immigranten wiederfinden, französische Entsprechungen vorhanden, die die Schreiber auch kennen. Der Umstand, dass sich solche Doppelungen nicht nur in den Briefen der Sekretäre, in denen sie unter Umständen einer Glossierung durch den jeweiligen Sekretär geschuldet sein könnten, sondern auch in den autographes der Italiener nachweisen lassen, lässt vermuten, dass die Immigranten - ganz wie die Français italianisants - zumindest in manchen Fällen ganz bewusst ‘italianisierten’. Wie in Kapitel 3.3.4 erläutert wurde, bleibt der Verarbeitungsaufwand bei AS -produzenteninduzierten Entlehnungen in der vorliegenden Arbeit unberücksichtigt. Ob die Einwanderer also Italianismen verwendeten, weil ihnen das französische Wort fehlte oder nicht, ist nicht von Belang. Beides führt gleichermaßen zu AS -produzenteninduzierten Entlehnungen und mithin zu Italianismen im Französischen. Angesichts der Tatsache, dass Estienne ([1578] 1980: 439) aber explizit darauf hinweist, dass zahlreiche Lehnwörter der anfänglich mangelnden Französisch-Kompetenz der Italiener geschuldet seien („par nécessité, non pas pour plaisir“, vgl. Kapitel 4.2.2), scheint mir der Hinweis auf die m. E. absichtlich gebrauchten Italianismen durchaus von Bedeutung zu sein. Wenn die italienischen Einwanderer bewusst italianisierten, was die Verwendung der Doppelungen schließlich nahelegt, dann spricht dies dafür, dass die Italiener auch ganz bewusst an der Verbreitung von Italianismen beteiligt waren. 7.3.5.4 AS -produzenteninduzierte Entlehnungen 7.3.5.4.1 Vorbemerkungen In den vorhergehenden Kapiteln wurde gezeigt, dass im françois italianizé der Einwanderer sowohl indirektes als direktes Lehngut aus dem Italienischen anzutreffen ist. Gemäß den in Kapitel 3.3.1 dargelegten Kriterien wurden nur Okkurrenzen für solche Erscheinungen besprochen, die zumindest vorübergehend im Französischen als etabliert, also als zu dessen Traditionen gehörig betrachtet werden können. Neben von der Forschung anerkanntem innerem (z. B. baiser la / les main / s ) und äußerem Lehngut (z. B. réussir , manquer ) wurden auch die Hapax-Belege aus den Deux Dialogues als äußeres Lehngut aufgefasst. Diese seien laut Estienne schließlich ebenfalls verbreitet gewesen (z. B. strane wie réussir oder manquer ). In allen Fällen ging es also nicht um einmalige Interferenzen im françois italianizé eines Individuums. Nur am Rande wurde im Kapitel zu den Hapax-Belegen (vgl. Kapitel 7.3.5.2) bereits erwähnt, dass - unter Umständen kann aber von einer vom Italienischen beeinflussten Innovation des 16. Jahrhunderts ausgegangen werden (vgl. TLFi s.v. brusque ). 564 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 565 mit Ausnahme von traballer - keine einmaligen lexikalischen Interferenzen, die von der Forschung folglich noch nicht dokumentiert worden sein können, festzustellen sind. Auch wenn die Präsenz der Lehnwörter (z. B. réussir ) sowie der Lehnbedeutungen (z. B. fermer ) und -übersetzungen (z. B. baiser la / les main / s ) in den Briefen der Einwanderer die Annahme bestätigt, dass die Immigranten an der Diffusion von Italianismen im Französischen des 16. Jahrhunderts beteiligt waren, können anhand der Daten noch keine Aussagen darüber gemacht werden, ob und inwiefern sie auch eine Rolle bezüglich des Aufkommens der Italianismen gespielt haben (Innovation). Die zukünftigen Lehnwörter könnten zunächst in der Tat von den Français italianisants verwendet und von den Italienern dankbar übernommen worden sein. Dass sich im françois italianizé der Immigranten zahlreiche Italianismen finden, heißt noch nicht, dass sie diese auch einführten. Besonders deutlich wird dies an Lehnwörtern wie z. B. alarme (subst. f.) (Erstbeleg laut TLF i s.v. alarme : 1470) und saccager (Erstbeleg laut TLF i s.v. saccager : 1464), die beide schon im 15. Jahrhundert belegt sind. Wenn sich Okkurrenzen im Französischen von Catherine de Médicis nachweisen lassen, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass sie diese Wörter bewusst (Prestige des Italienischen) oder unbewusst (Wortfindungsschwierigkeiten) aus ihrer Muttersprache geschöpft hat. Das Wort könnte im Französischen des 16. Jahrhunderts bereits etabliert gewesen sein. Der Umstand, dass im Französischen der Immigranten keine einmaligen lexikalischen Interferenzen beobachtet werden können, spricht eher dafür, dass sie nicht besonders innovativ waren. Andererseits wurde anhand der redoublements gezeigt, dass sie möglicherweise auch bewusst italianisierten. Um zu klären, inwiefern die Italiener auch für das Aufkommen von Italianismen verantwortlich waren ( AS -produzenteninduzierte Entlehnung), wurde zunächst ermittelt, ob es sich bei den Okkurrenzen, die in den Texten der Immigranten (diktierte Briefe und autographes ) begegnen, möglicherweise um neue Erstbelege für die entsprechenden Italianismen handelt. Wenn die Aussagen Estiennes ernst genommen werden können, müssten sich zumindest in manchen Fällen neue Erstbelege nachweisen lassen. Auch Vorkommen, die zeitnah zu den bisher bekannten Erstbelegen aus von Franzosen verfassten Texten erscheinen, legen nahe, dass die Italianismen noch nicht etabliert gewesen sind, dass also eine Innovation von Seiten der Italiener vorliegt. Des Weiteren wurden die Italianismen in den autographes der Immigranten mit denjenigen in den Briefen der Sekretäre im Hinblick auf ausdrucksseitige Unterschiede verglichen. Laut Winter-Froemel (2011) zeichnen sich AS -produzenteninduzierte Entlehnungen (hier: durch die Italiener) im Gegensatz zu ZS -rezipienteninduzierten Entlehnungen (hier: durch die Franzosen) dadurch aus, dass in ersteren aufgrund der Kenntnis der AS des Entlehnenden weniger formale oder semantische - unter Umständen durch Reanalyse bedingte - Veränderungen als in letzteren zu erwarten sind. Wenn also Catherine de Médicis <mancet> (vgl. it. <mancare>), einer der Sekretäre aber <manquait> schreibt, kann - in formaler Hinsicht - im ersten Fall von einer AS -produzenteninduzierten Entlehnung, im zweiten Fall von einer ZS -rezipienteninduzierten Entlehnung ausgegangen werden 324 . Während neue Erstbelege verständlicherweise nur bei Italianismen des 16. Jahrhunderts zu erwarten sind, sind ausdrucksseitige Besonderheiten auch bei Okkurrenzen von bereits etablierten Lehnwörtern von Interesse. Dass solche von den französischen Sekretären in einer französischen Graphie wiedergegeben werden (z. B. <sacaiger>), ist angesichts der Tatsache, dass es sich dabei nicht um lexikalische Innovationen handelt, nicht verwunderlich und bedarf keiner weiteren Erklärung. Wenn aber umgekehrt in den autographes der Italiener Schreibungen erscheinen, die stark an das italienische Etymon erinnern (z. B. <sachager>), wirft dies Fragen auf. Vieles spricht dafür, dass auch in solchen Fällen von AS -produzenteninduzierten Entlehnungen (nicht von etablierten Lehnwörtern) auszugehen ist, dass also eine Innovation vorliegt. 7.3.5.4.2 Erstbelege Wie in Kapitel 7.1 dargelegt wurde, sind der etymologischen Forschung einzelne Briefe von Catherine de Médicis bekannt. Neben dem von Barbier (1925-1947), der die Briefe bisher als einziger in einem größeren Umfang untersucht zu haben scheint, ermittelten Erstbeleg für importer à (vgl. TLF i s.v. importer ) deuten auch die trouvailles im Hinblick auf pointille und tavaïolle (vgl. TLF i s.v. pointille und tavaïolle ) darauf hin, dass in den Briefen mit weiteren AS -produzenteninduzierten Entlehnungen zu rechnen ist. Wie der folgende Ausschnitt zeigt, findet sich in diesem von einem unbekannten Sekretär von Catherine de Médicis verfassten Brief aus dem Jahre 1558 eine Okkurrenz für bicoque . […] la belle desfaicte qu’à faict monsieur de Gonnor, de quoy j’ay esté bien ayse, tant pour le service du Roy que pour l’amour de luy et de vous et de voir que Dieu vous continue tousjours vostre bonheur et, qu’encores que n’ayez guères de gens, vous ne laissez pas de battre les ennemys, et s’ilz ont prins des bicquoques, vous les avez battus en la campaigne pour récompense. (Briefe CM Bd. 1: 119: Brief vom 15. Oktober 324 Angesichts der Tatsache, dass die Wortwahl auch in diktierten Briefen diejenige von Catherine de Médicis ist, handelt es sich strenggenommen in beiden Fällen um AS-produzenteninduzierte Entlehnungen. Allerdings obliegt die graphische Wiedergabe dem Sekretär, so dass etwaige Unterschiede bezüglich der Schreibung bestimmter Italianismen in autographes und diktierten Briefen in formaler Hinsicht als Folge von AS-produzenteninduzierter bzw. ZS-rezipienteninduzierter Entlehnung erklärt werden können. 566 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 567 1558 an Monsieur le Maréchal de Brissac [Anonym], BNF FF 20 526 [89], Hervorhebung im Fettdruck T. S.) Für fr. bicoque ‘petite ville ou place mal fortifiée’ (< it. bicocca ‘piccola rocca o castello alla sommità di un monte’ seit 1457 laut DELI s.v. bicocca ) wird einhellig von italienischem Ursprung ausgegangen (vgl. Wind 1928: 39, 125, 196, Hope 1971: 165 sowie DHLF , GREIMAS , GR , TLF i s.v. bicoque ). Uneinigkeit besteht jedoch bezüglich des Erstbelegs. Sowohl Wind (1928) als auch Hope (1971) nehmen an, dass sich fr. bicoque ausgehend vom in den Memoiren von Martin Du Bellay erwähnten Toponym La Bicocca (bei Mailand) im Französischen verbreitet hat. Dort fand im Jahre 1522 eine erbitterte Schlacht statt, in der die Franzosen von den Truppen Karls V. geschlagen wurden. Die Gegner verschanzten sich in der Festung bei La Bicocca . In den Memoiren findet sich folgender Passus: „allèrent loger à la bicoque sur le chemin de Laude à Milan et estoit ladite bicoque la maison d’un gentilhomme circuite de grands fossez“ (zitiert nach Wind 1928: 125). Der TLF i hingegen verweist zwar auf Wind (1928) und Hope (1971), gibt als Erstbeleg für ‘petite ville ou place mal fortifiée’ aber - wie auch noch der GR - den Eintrag in Cotgrave (1611) an 325 . Dass der TLF i den Erstbeleg (1522) aus Du Bellay offenbar nicht anerkennt, kann verschiedene Gründe haben. Die Memoiren wurden erst 1569 publiziert (Martin Du Bellay stirbt 1559, vgl. Hope 1971: 219). In einem Zeitraum von 37 Jahren können natürlich vom Autor selbst, in den 10 Jahren bis zur Publikation auch vom Herausgeber Veränderungen am Originalmanuskript vorgenommen worden sein. Auf diesen Umstand könnte man aber hinweisen, wie es der TLF i (s.v. réussir ) an anderer Stelle auch tut. Warum wird also nicht 1569 als Datum gewählt? Wahrscheinlich hängt dies mit der vermuteten Herkunft zusammen. Als mögliche Etymologie nennt der TLF i zwar wie Wind (1928) und Hope (1971) den Beleg in Du Bellay, gleichzeitig wird aber auch darauf hingewiesen, dass im Italienischen seit 1457 bicocca ‘piccola rocca o castello alla sommità di un monte’ als common noun belegt ist. Aus den Memoiren wird, wie dem oben zitierten Passus entnommen werden kann, auch nicht wirklich deutlich, dass mit bicoque ‘petite ville ou place mal fortifiée’ gemeint ist. Die pejorative Nuance ist unter Umständen eher aus it. bicocca übernommen, das seit 1543 in dieser Bedeutung auch belegt ist (vgl. DELI s.v. bicocca ). Im Brief aus dem Jahre 1558 wird <bicquoques> 326 vermutlich schon in der Bedeutung ‘petite ville ou place mal fortifiée’ verwendet. Für die etymologische 325 Im Hinblick auf den Erstbeleg für die Bedeutung ‘coquille d’huître’ (seit 1576) herrscht jedoch Einigkeit. 326 Obschon der Brief von einem Sekretär verfasst wurde, ist die Schreibung <bicquoques> eigentümlich. Zwar konnte ich das Manuskript nicht sichten - der Brief gehört zu Grup- Forschung ist der Beleg in jedem Fall von Bedeutung. Er geht jenem in Cotgrave (1611) und jenem in Du Bellay (1569) voraus. Selbst wenn man im Gegensatz zum TLF i - der DHLF (s.v. bicoque ) sowie GREIMAS (s.v. bicoque ) machen keine präzisen Angaben - 1522 als Datum für den Erstbeleg ansieht, zeigt die Okkurrenz, die nach dem Beleg in Du Bellay anscheinend die einzige bisher bekannte vor 1611 darstellt, dass im françois italianizé offenbar weniger gebräuchliche Italianismen vorzufinden waren. Angesichts der Tatsache, dass sich zahlreiche Lehnwörter aus dem Heereswesen in den Briefen von Catherine de Médicis nachweisen lassen, muss davon ausgegangen werden, dass nicht nur die aus Italien heimkehrenden Soldaten das Französische durch Entlehnungen aus dem Italienischen bereicherten, sondern auch die Immigranten für italienische Einflüsse in diesen Denotatsbereichen verantwortlich waren. […] ayant advisé de vous envoyer une liste où ilz sont tous nommez, laquelle vous communiquerez aux Légatz et Pères dudict concille et leur direz que mondict cousin mène davantaige en sa compaignie jusques à douze docteurs en théologie des plus sçavans de ce royaulme, nommez par la Faculté de Paris, […]. Ayant fait veoyr ladicte liste, vous ferez demander logis pour vous, lesdictz prélatz et princi-palement pour mondict cousin, que vous requerrez estre en cela traicté avec tout le respect qui appartient à la grandeur du lieu dont il est issu, […]. (Briefe CM Bd. 1: 379-381: Minute vom 17. August 1562 an Monsieur de Lansac [Anonym], BNF FF 15 410 [59], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Weitaus weniger Uneinigkeit als im Hinblick auf bicoque besteht bei fr. liste ‘série ou suite de noms, de mots’, das sowohl vom FEW (s.v. lîsta ) und DHLF (s.v. liste ) als auch vom TLF i (s.v. liste 2) und GR (s.v. liste 2) als Italianismus anerkannt wird. Als Erstbeleg wird das Jahr 1567 angegeben. In den Briefen von Catherine de Médicis erscheint es, wie dem oben abgedruckten Ausschnitt entnommen werden kann, bereits 1562. Neben diesen Okkurrenzen konnten noch zwei weitere in einer nicht zum Korpus gehörigen minute aus dem gleichen Jahr 327 sowie eine in einem Brief aus dem Jahre 1570 328 ausfindig gemacht werden. Bei Hope (1971) 329 fehlt ein Eintrag zu liste , was Trescases (1978b) verpe A -, allerdings ist anzunehmen, dass die Herausgeber bei der Transkription einer derart auffälligen Schreibung wohl nichts erfunden oder vergessen haben. Zu Ungenauigkeiten kommt es leichter, wenn die Graphien weniger bemerkenswert sind, z. B. bei <alassault> statt <allassault>. Insofern könnte auch die Schreibung ein Indiz dafür sein, dass das Wort noch nicht besonders geläufig, also eine lexikalische Innovation war, die der Sekretär möglicherweise zum ersten Mal schreiben musste. 327 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 393-395): Minute vom 04. September 1562 [Anonym]. 328 Vgl. Briefe CM (Bd. 3: 319): Minute vom 28. Juni 1570 [Anonym]. 329 Zwar fehlt ein entsprechender Eintrag auch in Wind (1928), allerdings weist schon Kandler (1944: 18) darauf hin, dass es sich dabei möglicherweise um einen Italianismus handelt. 568 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 569 mutlich dazu bewogen hat, das Lexem fälschlicherweise in die Gruppe der nicht belegten Italianismen in den Deux Dialogues einzuordnen 330 . Wie die insgesamt vier neuen Erstbelege (alle aus dem Jahr 1562) zeigen, war der Italianismus liste im françois italianizé am Hofe also ganz offensichtlich verbreitet. Je trouve bon que vous aiez baillé au doyen de la Rotte ung bassin et boccal 331 d’argent […], Quant à ce que m’escripvez que l’agent de la dicte duchesse [de Parme] vous a parlé de venir à accord, je vous ay escript par la dernière dépesche que vous a esté faicte suivre mon intencion qu’est que […]. (Briefe CM Bd. 1: 113-114: Minute vom [15. Dezember 1557] an Monsieur de Saint Ferme [Anonym], BNF FF 3898 [22], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) […] mais d’aultant que l’exécution de cela gist à luy [le conte Scipion de Fiesque] faire arrester le lieu où sa cause sera commise, je désire que vous saichez de son agent quel lieu il désireroyt avoir non suspect, affin que, selon l’instruction qu’il vous en donnera, vous en faictes requeste à mon dict bon frère; […]. (Briefe CM Bd. 1: 278-280: Brief vom 03. März 1562 an Monsieur de Rennes [Bourdin], BNF Cinq cents Colbert n o 390 [91], Hervorhebung im Fettdruck T. S.) Wie anhand der oben abgedruckten Stellen aus den Briefen von Catherine de Médicis ersichtlich ist, war agent ‘chargé de mission, diplomate’ bei Hofe schon früher geläufig, als bisher angenommen wurde (1578). Während das FEW (s.v. agěre ) für fr. agent in dieser Bedeutung offenbar noch von einer eigenständigen Entwicklung ausgeht - zumindest finden sich keinerlei Hinweise auf italienischen Einfluss -, wird heute die Ansicht vertreten, dass die Bedeutung ‘chargé de mission, diplomate’ des seit dem 14. Jahrhundert belegten Latinismus ‘qui est une force agissante, un principe d’action’ im 16. Jahrhundert unter dem Einfluss von it. agente entstanden ist und mithin eine Lehnbedeutung vorliegt (vgl. TLF i, DHLF sowie GR s.v. agent ) 332 . Als Erstbeleg gilt die Okkurrenz in Estienne (1578), der, wie im folgenden Passus zu sehen ist, agent eindeutig als einen über die 330 Estienne ([1578] 1980: 112) kritisiert fr. liste sowohl in der Bedeutung ‘bande, troupeau’ als auch in der Bedeutung ‘série de noms ou de choses inscrits les uns à la suite des autres’. Vgl. dazu auch das FEW (s.v. lîsta ), das im Zusammenhang mit den Deux Dialogues allerdings nur die erste Bedeutung nennt. 331 Auch bei fr. boccal handelt es sich um einen Italianismus, der im Französischen seit dem 16. Jarhundert belegt ist (vgl. TLFi s.v. bocal ). 332 Die Informationen im TLFi (s.v. agent ) bezüglich des Erstbelegs von it. agente sind veraltet. In der Bedeutung ‘chi è tramite delle relazioni internazionali tra lo Stato di appartenenza e uno Stato straniero’ ist es nicht erst seit Ende des 16. Jahrhunderts, sondern, wie dem LEI (s.v. agēns ) zu entnehmen ist, schon seit 1527 nachweisbar. höfische Diplomatie vermittelten Italianismus betrachtet. Wie liste fehlt in Hope (1971) 333 auch agent . In Trescases (1978b) wird agent nicht einmal besprochen. PHIL : […] Il y a aussi un autre mot, nouvellement venu d’Italie, touchant celuy auquel on ne veut faire qu’à demi l’honneur d’ambassadeur. Car on l’appelle agent , et principalement quand il est envoyé à un prince qui est moins que roy. Aussi, à propos d’ambassadeur, celuy du pape, qui soulet estre nommé legat , est par aucuns appelé le nonce , en italianizant. (Estienne [1578] 1980: 239, Hervorhebungen im Original) Wie bereits weiter oben dargelegt wurde, finden sich in den Briefen von Catherine de Médicis auch Okkurrenzen für nonce . Offenbar sind beide Begriffe im höfischen Kontext vermittelt worden. Die neuen Erstbelege ([1557], 1562, 1572) 334 für agent sowie die Häufigkeit der Vorkommen in den Briefen (auch 1579, 1586, 1586) 335 lassen vermuten, dass die italienischen Höflinge nicht nur an der Verbreitung, sondern in der Tat auch am Aufkommen von diesem Italianismus beteiligt waren. In Kapitel 7.3.5.3.2 wurde bei der Besprechung der Vorkommen von manquer schon angedeutet, dass diese in mehrfacher Hinsicht interessant sind. Neben der Schreibung <mancet> im folgenden Ausschnitt sowie der Tatsache, dass es sich bei diesem Verb um eines der Lexeme handelt, für die bisher kein wirkliches „Übernahmemilieu“ (Stefenelli 1981: 199) bestimmt werden konnte, sind auch die Verwendungen von manquer in den Briefen von Catherine de Médicis besonders. In drei von vier Fällen können neue Erstbelege, d. h. innovative Verwendungen, ausgemacht werden. Et ne trovere plus personne qui le veulle servir en cete aystat si le mancet a fayre. Vous saves coment cela ynporte. (Briefe CM Bd. 6: 166-167: Ergänzung zum Brief vom 12. Dezember 1578 an Monsieur de Bellièvre, BNF FF 15 905 [209]) Auch wenn das Manuskript zugegebenermaßen schwer lesbar ist, erscheint mir die Interpretation der Herausgeber <si le mancet a fayre> überzeugend zu 333 Kandler (1944: 51) hingegen behandelt agent mit Verweis auf Estienne (1578) bereits als Italianismus. 334 Das Jahr 1557 kann nicht als sicher gelten, weil in der entsprechenden Handschrift kein Datum erscheint. Die Datierung durch die Herausgeber Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 1 (1880: 113) ist aufgrund inhaltlicher Aspekte zwar überzeugend, aber dennoch rekonstruiert. Im Falle der Okkurrenz von 1562 weist die Handschrift nach Angaben der Herausgeber das Jahr 1562 auf, das Manuskript aus dem Jahre 1572 konnte ich selbst im Original sichten (vgl. Briefe CM Bd. 4: 130-132: Minute vom 01. Oktober 1572 [Anonym]). 335 Für weitere Okkurrenzen vgl. Briefe CM (Bd. 7: 109): Brief vom 28. August 1579 [Anonym] sowie nicht zum Korpus gehörig: Briefe CM (Bd. 9: 19-20): Brief vom 10. Juli 1586 [Brulart], Briefe CM (Bd. 9: 220-222): Brief vom 16. Juni 1586 [De L’Aubespine]. 570 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 571 sein. Somit läge ein Beleg für manquer à faire ‘se soustraire, négliger, s’abstenir’, evtl. ‘ne pas réussir’, aus dem Jahre 1578 vor, der den bisher bekannten ersten Belegen um mehrere Jahrzehnte vorausgeht. Laut TLFi und DHLF (s.v. manquer ) ist manquer à faire mit dieser Bedeutung erst um 1645, laut FEW (s.v. mancus ) ‘ne pas réussir’ sogar erst ab 1666 belegt. In einem nicht zum Korpus gehörigen Brief aus dem Jahre 1561 findet sich ebenfalls bereits <je ne manqueray aucunement a respondre> 336 . Auch wenn die o. g. Okkurrenz aufgrund der schlechten Lesbarkeit strittig sein könnte, existieren also weitere Vorkommen von manquer in dieser Bedeutung. In einem Brief von Carlo Gonzaga aus dem Jahre 1598 begegnet <je ne veux menquer avous donner advis> 337 . Die Verwendung erinnert im Übrigen stark an it. non ho volsuto mancare di scrivere , wie sie in den italienischen Briefen der Immigranten und Gäste aus Italien in Kapitel 6.3.3.2 häufig nachgewiesen wurde. Sowohl das FEW (s.v. mancus ) als auch der TLF i (s.v. manquer ) betonen, dass im Italienischen alle Bedeutungen früher vorhanden waren als im Französischen. Laut DELI (s.v. manca ) ist ‘omettere, tralasciare’ vor 1529 nachweisbar. Gewiss kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich - wie schließlich auch im Italienischen zuvor - die verwandten Bedeutungen, d. h. die Polysemie, aus dem seit 1546 belegten manquer ‘faire défaut‘ < it. mancare ‘far difetto’ (laut DELI s.v. manca seit 1300 / 1313) im Französischen unabhängig von der Gebersprache entwickelten. Nicht alle Bedeutungen müssen aus dem Italienischen entlehnt worden sein. Allerdings wurde schon in Kapitel 7.1 darauf hingewiesen, dass zwar nicht für importer , aber für importer à der Erstbeleg aus den Briefen von Catherine de Médicis stammt (vgl. die Angaben im TLF i s.v. importer ). Denkbar ist also, dass auch im Falle von manquer à faire in den Briefen von Catherine de Médicis eine AS -produzenteninduzierte Entlehnung vorliegt, da anders als bei ZS -rezipienteninduzierten Entlehnungen keine semantischen und in diesem Fall sogar auch weniger formale Veränderungen zu konstatieren sind. Die Sprecherin verwendet oder erweitert den möglicherweise bereits vorhandenen Italianismus nach italienischem Vorbild 338 . Auch im Hinblick auf die zwei Vorkommen von manquer à ce qu’il avait promis aus dem Jahre 1585 339 scheint es sich um Belege für die Konstruktion manquer à qc ‘se soustraire à qc’ zu handeln, die denjenigen in den einschlägigen Referenzwerken vorausgehen. Auch wenn manquer de sa promesse schon 336 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 166): Brief vom 24. Januar 1561. 337 Vgl. Brief von Carlo Gonzaga vom 10. Mai 1598 (BNF FF 3321 [127]). 338 Als Vorbild könnte sogar it. mancare a fare qc gedient haben. Auch wenn die Präposition heute seltsam anmuten mag, sind Belege für mancare a fare aus dem 16. Jahrhundert z. B. in den Briefen Alamannis vorhanden (vgl. Kapitel 6.3.3.2). 339 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 232): Brief vom 12. Januar 1585, Briefe CM (Bd. 8: 300-302): Brief vom 29. Mai 1585 [Anonym]. seit 1579 nachweisbar ist (vgl. Hope 1971: 208), nennt der TLF i für manquer à qc ‘se soustraire à qc’ das Jahr 1604. In einem nicht zum Korpus gehörigen Brief aus dem Jahre 1583 erscheint im Übrigen auch <manquer au devoir> 340 . Dass manquer à qc / à faire qc schon tatsächlich früher, als vom TLF i und FEW angenommen wird, in der Bedeutung ‘se soustraire à (faire) qc’ verbreitet war, legt auch das Substantiv manquement nahe, das ebenfalls von Estienne ([1578] 1980: 119, 265) als unnötiger Italianismus neben fr. défaut kritisiert wird und möglicherweise sogar direkt aus dem Italienischen entlehnt ist (vgl. TLF i s.v. manquement ). Laut den Angaben des TLF i ist es in der Bedeutung ‘défaut, manque’ seit 1573, in der Bedeutung ‘action de manquer à un devoir, une règle, une loi’ seit ca. 1590 belegt 341 . Wenn das Substantiv also bereits ab 1590 in einer solchen Bedeutung gebraucht wurde, ist es auch nicht unwahrscheinlich, dass das Verb ebenfalls früher so verwendet werden konnte. Auch im Hinblick auf die veränderte Semantik des Substantivs ist italienischer Einfluss nicht auszuschließen. Wie an ausgewählten Beispielen illustriert wurde, muss davon ausgegangen werden, dass die italienischen Einwanderer als Sprecher des Französischen nicht nur für die Verbreitung, sondern auch für das Aufkommen von manchen Italianismen mit verantwortlich gewesen sein könnten. Die neuen Erstbelege für die der Forschung bereits bekannten Italianismen tragen auch zum besseren Verständnis von deren étymologie-histoire bei. Wie in Kapitel 7.1 erwähnt wurde, kann das Auftreten gewisser Lexeme in den Briefen aber auch wertvolle Hinweise im Hinblick auf die étymologie-origine einzelner Wörter liefern. Immer dann, wenn anhand chronologischer oder phonetischer Kriterien die Herkunft nicht zweifelsfrei bestimmt werden kann, ist der Überlieferungskontext von besonderem Interesse. In Kapitel 7.1 wurde dies am Beispiel von bonifier illustriert: Für dieses Verb, das auch ein Latinismus - oder unter Umständen sogar ein erbwörtliches Derivat - sein könnte, wird v. a. deshalb angenommen, dass es sich um einen Italianismus handelt, weil frühe Belege in den Briefen von Catherine de Médicis erscheinen (vgl. TLFi s.v. bonifier 2). Im Folgenden werden zwei solcher Fälle besprochen: salve und panade . Ersteres wird in den Deux Dialogues explizit als Italianismus ausgewiesen. Ganz offensichtlich erkennt Estienne darin einen dem militärischen Wortschatz zugehörigen Begriff. Das Lexem fehlt in Hope (1971) 342 ; Trescases (1978b) rechnet es vermutlich daher - zu Unrecht - zu den Phantasiekreationen in den Deux Dialogues . 340 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 146-147): Brief vom 30. September 1583 [Anonym / CM]. 341 Laut GR (s.v. manquement ) ist das Substantiv mit der ersten Bedeutung seit 1575, mit der zweiten seit 1588 belegt. 342 Kandler (1944: 124-125) hingegen schließt für fr. salve italienischen Ursprung nicht aus. 572 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 573 PHIL .: Je ne m’en esbahi pas, car je croy qu’il soit venu en usage long temps apres vostre depart. Une salve, c’est comme si vous disiez une «salutation», laquelle se fait en harquebouzades, à la façon des gens de guerre (les harquebouzes le plus souvent n’estans chargées que de papier) comme si vous disiez «faire une bienvenue» à quelcun. (Estienne [1578] 1980: 260, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Die etymologische Forschung ist sich, obschon das Zeugnis Estiennes bekannt ist (vgl. z. B. TLF i s.v. salve ), bis heute uneinig. Sowohl das FEW (s.v. salvēre ) als auch der DHLF (s.v. salve ), FENNIS (s.v. salve ) und der GR (s.v. salve 2) gehen davon aus, dass es sich um ein gelehrtes Wort handelt. Als Erstbeleg gilt die Okkurrenz in einem Brief von Granvelle aus dem Jahre 1559. Das FEW vermutet sogar, dass it. und sp. salva aus dem Französischen kommen. Im Italienischen sei salva erst im 17. Jahrhundert belegt. Problematisch ist also insbesondere die Chronologie. Jedoch kann der TLF i zeigen, dass auch im Italienischen salva nicht im 17., sondern schon im 16. Jahrhundert belegt ist (1566) 343 , und spricht sich daher für eine italienische Herkunft aus. Empr. à l’ital. salva , qui n’est pas att. dep. le XVII e s., comme le croient Bl.-W et FEW t. 11, p. 132a, mais déjà au XVI e s. (1566, salva di archibusi ) […]; cf. 1578 H. Estienne […] où salve est cité comme un italianisme. TLF i (s.v. salve , Hervorhebungen im Original) Die Okkurrenz in den Briefen von Catherine de Médicis entstammt einem autographe aus dem Jahre 1567 344 . Angesichts der Tatsache, dass der Beleg nur wenige Jahre nach jenem in Granvelle erscheint, könnte salve als eine vom sporadisch belegten fr. salve unabhängige AS -produzenteninduzierte Entlehnung verstanden werden. Die italienische Herkunft von fr. salve kann im Übrigen auch deshalb als wahrscheinlich gelten, weil während der Recherchen für die vorliegende Arbeit auch für it. salva ein neuer Erstbeleg ermittelt werden konnte, der sowohl demjenigen im TLF i ( salva di archibusi 1566) als auch dem für fr. salve (1559) vorausgeht. In einem Brief des florentinischen Botschafters Bernardo de’ Medici 345 erscheint salva schon 1545. Gewiss verweilt dieser gerade in Frankreich, allerdings hält es 343 In italienischen Referenzwerken wird für it. salva als Erstbeleg bisweilen immer noch auf das 17. Jahrhundert verwiesen (vgl. z. B. DELI, NOCENTINI sowie ZING s.v. salva ) und sogar ein französischer Ursprung angenommen. Laut GDLI (s.v. salva ) sei das Wort aus dem Spanischen ins Italienische gelangt. Diese Herkunft ist m. E. viel plausibler. 344 Vgl. Briefe CM (Bd. 3: 92): Ergänzung zum Brief vom 12. Dezember 1567. 345 Bernardo de’ Medici hielt sich weniger als ein Jahr am französischen Hof auf (1544-1545). Für weitere biographische Angaben vgl. Desjardins Bd. 3 (1865: 138) sowie den Arikel MEDICI, Bernardo de’ von Vanni Bramanti (2009) im DBI. Die Originalhandschriften befinden sich laut Desjardins in den Medici-Archiven in Florenz (Legazione di Francia, filza 1a). der Botschafter nicht für nötig, dem Adressaten, Cosimo de’ Medici, den Begriff zu erklären. Vorausgesetzt werden kann, dass dieser it. salva verstand 346 . Vom Überlieferungskontext einmal ganz abgesehen zeigt der neue Erstbeleg, dass das Lexem im Italienischen früher anzutreffen ist als im Französischen. Da es offensichtlich in militärischen Kreisen (Flotte) gebraucht wurde, in denen auch viele Italiener tätig waren, könnte es durch diese in Frankreich ins Französische gelangt sein. In diesem Fall wären also nicht die heimkehrenden Soldaten für das Aufkommen bestimmter Italianismen aus dem militärischen Gedankenkreis verantwortlich, sondern die Italiener, wie es bereits Vidos (1960) vermutete 347 . Sua Maestà, udito il caso, lo sopportò prudentissimamente, e ordinò che, nonostante questo accidente, l’armata facessi vela; la quale nondimeno, per rispetto della perdita di molte robe e cavalli del signor ammiraglio, che erono in quel Caraccone [nave più grande della flotta francese]; soprastette al dar de’ remi in acqua e far vela insino alli XVIII in verso la sera; nel qual giorno si partì du Havre-de-Grâce, fatta che ebbe la salva al signor admiraglio, che era sopra la nave Matressa; e fece circa trenta miglia italiane in verso il porto di Antona [Southampton], per impadronirsi dell’isola di Wight; […] Scrissi che Piero Strozzi era ito con un’altra galera, per dar lingua dell’armata inglese. Ho avuto di poi nuova che si riscontrò in una nave inglese, con la quale combatte; e di sorte che aveva maltrattato quella nave, e, se non era soccorsa da certe altre navi, andava in fondo; per il soccorso, Piero si ritiro imperò con tre cannonate d’importanza nella poppa della sua galera. (Desjardins Bd. 3, 1865: 167-169: Brief von Bernardo de’ Medici vom 31. Juli 1545) Im Falle von panade handelt es sich bei der Okkurrenz in den Briefen von Catherine de Médicis um einen Erstbeleg. […] le roy et moy sommes d’advis que l’on luy donne de la pannade plustoust que autre chose, car elle luy est plus seine que la boullye […]. (Briefe CM Bd. 1: 23-24: Brief vom 04. Mai 1548 an Monsieur de Humyères [Anonym], BNF FF 3120 [18]) 346 Laut Winter-Froemel (2011: 37-38) ist das Fehlen von metasprachlichen Hinweisen ein Zeichen dafür, dass ein Lexem sowohl im Repertoire des Produzenten als auch in jenem des Rezipienten vorhanden ist. Würde es sich bei it. salva tatsächlich um einen rezenten Gallizismus im Italienischen handeln, wäre zumindest eine Paraphrasierung zu erwarten. Ein weiterer Beleg für salva aus dem Jahre 1586 (vgl. Castellani 1983) legt nahe, dass das Wort im 16. Jahrhundert in der Tat verbreitet war. 347 Migliorini (1961) hält es für möglich, dass fr. salve aus dem Spanischen stammt. Eine parallele Vermittlung lässt sich natürlich nicht ausschließen. Angesichts der intensiven Kontakte zwischen Frankreich und Italien scheint mir eine Vermittlung des Hispanismus durch das Italienische aber wahrscheinlicher zu sein. Um ein gelehrtes Wort handelt es sich im Französischen aber gewiss nicht. Dies legt schon der Erstbeleg nahe. Granvelle hielt sich für längere Zeit sowohl in Spanien als auch in Italien auf. 574 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 575 Dieser ist der etymologischen Forschung auch bekannt und gilt bis heute als erstes dokumentiertes Vorkommen dieses Lexems im Französischen (vgl. z. B. GR , TLF i s.v. panade ). Aufgrund des Überlieferungskontexts eine Herkunft aus dem Italienischen anzunehmen, ist auch nicht neu: Schon Barbier (1925-1947), dessen Forschung dieser Beleg zu verdanken ist, vermutet einen italienischen Ursprung. Bis heute bleibt er damit aber allein. Das FEW (s.v. panis , insbes. Anm. 9) spricht sich sogar explizit gegen die Etymologie von Barbier aus und sieht in panade einen Okzitanismus. Begründet wird dies im Wesentlichen dadurch, dass panade im Okzitanischen schon früh belegt ist und dass das Wort schon früh in den Wörterbüchern erscheint (z. B. in Robert Estienne 1549). „Das wort ist also wohl schon vor der zeit der Medizäerin aus dem occit. ins fr. gelangt.“ ( FEW s.v. panis , Anm. 9). Diese Argumente sind nun aber nicht ohne Weiteres nachvollziehbar: Belege für panata und sogar panada lassen sich auch im Italoromanischen finden 348 : Dem GDLI (s.v. panata ), das für Belege, in denen die Schreibung <d> die Sonorisierung des Plosivs andeutet, explizit darauf hinweist, dass es sich um norditalienische Formen handelt, können Okkurrenzen in Texten, die im 16. Jahrhundert entstanden sind, entnommen werden: In einem Text des aus dem Veneto stammenden Giovan Battista Ramusio (*1485, †1557) begegnet panata ‘panata di pane’, in einem lateinischen Text von Teofilo Folengo (*1491, †1544), ebenfalls aus dem Veneto, panada 349 . Der ZING (s.v. panata ) nennt als Datum für den Erstbeleg sogar „av. 1389“. Da dieser nicht als historisches Wörterbuch konzipiert ist, fehlt unglücklicherweise die Quelle. Festgehalten werden kann, dass nicht nur im Okzitanischen, sondern auch im Italienischen ein potentielles Etymon vorhanden gewesen wäre. Dass panade schon 1549, also ein Jahr nach dem besagten Beleg in den Briefen, Eingang in die zeitgenössischen Wörterbücher findet, mag in der Tat vermuten lassen, dass es bereits früher vebreitet gewesen sein könnte. Warum es aber deshalb okzitanischen Ursprungs sein muss, ist nicht auf Anhieb verständlich. Schließlich kommt Catherine de Médicis bereits 1533 nach Frankreich. Das Wort könnte bei Hofe also 1549 schon etabliert gewesen sein. Als gesichert gilt, dass die Kochkunst zu den Bereichen zählt, in denen der italienische Einfluss auch in sprachlicher Hinsicht besonders spürbar war (vgl. u. a. Vollenweider 1963a, b). Als Zwischenfazit lässt sich Folgendes festhalten: Im Hinblick auf die Chronologie der Belege kommt auch das Italienische als Gebersprache in Frage. Das 348 Im DELI sind keine entsprechende Einträge zu finden. Laut DEI (s.v. panada ) sei es erst im 18. Jahrhundert belegt. 349 In Sallach (1993) wird panada nicht besprochen. In CORTELAZZO (s.v. panà ) begegnet unter den zahlreichen Belegen für panà ‘panada’ auch einer für panada . Sie alle legen nahe, dass das Gericht im Venezien des 16. Jahrhunderts weit verbreitet war. Lexem kann in italoromanischen Texten des 16. Jahrhunderts nachgewiesen werden. Formal sowie semantisch könnte die Herkunft von fr. panade aus it. panata wahrscheinlich gemacht werden. Selbst ohne Formen wie it. panada wäre dies möglich: Im 16. Jahrhundert ist fr. {-ade} so frequent, dass es als Entsprechung für it. {-ata} angesehen wird (vgl. Kapitel 2.3.2.4). Bezüglich des Denotatsbereichs, dem das Lexem angehört, bereitet die Annahme eines italienischen Ursprungs keine Probleme. Im Gegenteil: panade könnte genau wie das belegte und als Italianismus anerkannte menestre der italienischen Kochkunst zu verdanken sein ( étymologie organique ). Der Überlieferungskontext legt, wie schon Barbier (1925-1947) vermutet hat, ebenfalls nahe, dass es sich um ein Lehnwort aus dem Italienischen handelt. Anders als bei agent und salve scheinen der Forschung die Hinweise in Estienne (1578) für panade entgangen zu sein. Weder der TLFi (s.v. panade ) noch das FEW (s.v. panis ) erwähnen in diesem Zusammenhang das Zeugnis des Puristen. Auch im DHLF und in GREIMAS finden sich dazu keine Angaben. Bei Colombo Timelli (2008: 56-58), die sich in ihrem Beitrag vorwiegend mit Estiennes Kritik an ‘kulinarischen’ Italianismen befasst und dabei brode und menestre diskutiert, wird das Lexem ebenfalls nicht kommentiert. In Smith (1980a: 262), in deren Edition der Deux Dialogues mehr als 1000 Fußnoten erscheinen, werden keine Anmerkungen zu panade gemacht 350 . Dass Estienne darin aber mit Gewissheit einen Italianismus erkannt zu haben glaubt, zeigt die folgende Textstelle, die, wie in Kapitel 4.2.3.4 bereits angemerkt, eine der wenigen ist, in denen Fälle von ‘wirklichem’ intrasentential code-switching beobachtet werden können. CEL.: Ce ne sera pas sans un pocotin di finocchio, pour mieux italianizer. N’y aura-il point aussi un peu de menestre? PHIL .: Je ne suis pas menestrier le soir, c’est-à-dire menestrophague. CEL .: N’y aura-il point un peu de panade? PHIL .: Non. CEL .: Et sera-ce aussi senza maccharoni ? Car j’ay desir de sçavoir si vous italianizez point en vostre traittement, aussi bien qu’en vostre langage. (Estienne [1578] 1980: 262, Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Angesichts der o. g. Gründe, die eine Herkunft aus dem Italienischen nahelegen, sowie der Aussagen Estiennes, der, wie nicht zuletzt die Diskussion von agent und salve gezeigt hat, als Etymologe ernst genommen werden muss, scheint mir - wie schon Barbier (1925-1947) vermutet hat - im Falle von panade also 350 Allein von Tracconaglia (1907: 91, 159) wird panade , ohne zu zögern, der Gruppe „parole passate dall’italiano in francese integralmente, con forma e significato” zugewiesen. Eine genauere Erklärung wird dafür aber nicht gegeben. 576 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 577 tatsächlich ein Italianismus des 16. Jahrhunderts vorzuliegen. Wie bereits im Kapitel zu s impurum (hyperkorrekte Formen), den Schreibungen für [u] und [y] sowie bei der Diskussion von <par vanteure> betont wurde, ist es nicht immer sinnvoll, bestimmte Erscheinungen im Französischen von Catherine de Médicis durch dialektalen, okzitanischen oder sonstigen fremdsprachlichen Einfluss zu erklären, wenn diese ebenso gut durch eine Beeinflussung durch das Italienische zustande gekommen sein könnten. Dies gilt natürlich gleichermaßen für den Wortschatz. Wenn also fr. panade - und darin stimmen schließlich alle überein - im Französischen nicht erbwörtlich und ab dem 16. Jahrhundert belegt ist und das erste Vorkommen in den Briefen von Catherine de Médicis anzutreffen ist, scheint mir die Annahme, dass es sich dabei um einen Italianismus handelt, durchaus gerechtfertigt. 7.3.5.4.3 Ausdrucksseitige Besonderheiten Wie bereits angedeutet wurde, können nicht nur neue Erstbelege, sondern auch ausdrucksseitige Besonderheiten bei von Italienern gebrauchten Italianismen - unabhängig von der Datierung - wichtige Indizien dafür sein, dass eine AS -produzenteninduzierte Entlehnung vorliegt. Als eine solche wurde z. B. <all’improviste> in einem Brief Cavrianas aus dem Jahre 1585 bezeichnet (vgl. Kapitel 7.3.3.4.1). Nun aber ist à l’improviste schon seit 1528 belegt (vgl. TLF i s.v. improviste ). Glaubt man zudem den Ausführungen Estiennes ([1578] 1980: 416-417), dem zufolge Philausone nicht einmal mehr erkennt, dass es sich um einen Italianismus handelt, kann man davon ausgehen, dass à l’improviste gegen Ende des 16. Jahrhunderts im Französischen verbreitet war. Dies legen auch die Kommentare von Vaugelas und anderen Sprachbeobachtern nahe, die bezeugen, dass es Mitte des 17. Jahrhunderts bereits im Begriff war, fr. à l’impourveu zu verdrängen (vgl. Kapitel 7.3.5.3.3). In einem Brief von Catherine de Médicis begegnet es schon 1563 351 . Warum also sollte es sich im Brief Cavrianas dabei um eine AS -produzenteninduzierte Entlehnung handeln? Zunächst muss dazu in Erinnerung gerufen werden, dass unter Entlehnung immer die konkrete erstmalige Verwendung eines Wortes aus der AS durch ein Individuum (hier: Sprecher der AS ) in einer bestimmten Situation in der ZS zu verstehen ist. Ob also eine Innovation vorliegt oder nicht, hängt in erster Linie davon ab, ob die Verwendung in der Sprache des Individuums als neu gelten muss oder nicht. In der ZS kann das entsprechende Wort schon als etabliertes Lehnwort vorhanden sein. Wenn z. B. ein Tourist aus einem englischsprachigen Land, nachdem er eine gewisse Zeit in München verbracht und ein paar Floskeln gelernt hat, um auf Deutsch zu kommunizieren, das in seinem Repertoire 351 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 549): Brief vom 29. März 1563 [De L’Aubespine]. vorhandene Das ist ja … ( schön , toll ) spontan mit cool verwendet, muss er nicht zwangsläufig wissen, dass das Wort seiner Muttersprache im Deutschen bestens etabliert ist. Betrachtet man nur das Deutsche des Touristen, nicht die historische Sprache Deutsch, in der cool Teil des englischen Lehnguts ist, handelt es sich um eine Innovation, die der AS , d. h. der Muttersprache des Sprechers, geschuldet ist. Solche Fälle, in denen gewiss nicht mehr von einem Erstbeleg in der historischen Einzelsprache ausgegangen werden kann, zeigen exemplarisch, dass AS -produzenteninduzierte Entlehnungen vorkommen können. Überträgt man diese Überlegung nun auf die France italienne , können Belege für solche Entlehnungen ein Indiz dafür sein, dass auch im Französischen der Immigranten grundsätzlich AS -produzenteninduzierte Entlehnungen anzutreffen waren, sie also als Sprecher des Französischen - entgegen der Annahme Winds (1928) - grundsätzlich an der lexikalischen Beeinflussung (Potential für Innovation) desselben beteiligt waren. Bisher mag der Eindruck entstanden sein, dass solche AS -produzenteninduzierten Entlehnungen als lexikalische Interferenzen betrachtet werden müssen, die z. B. aufgrund von Wortfindungsschwierigkeiten und der mangelnden Kenntnis der ZS eher unfreiwillig passieren. In der Tat kann darin ein Grund für AS -produzenteninduzierte Entlehnungen gesehen werden. Andererseits sind aber auch absichtlich durch die Sprecher der AS herbeigeführte Entlehnungen in der ZS als AS -produzenteninduzierte Entlehnungen aufzufassen (vgl. Kapitel 3.3.4). In beiden Fällen liegen gleichermaßen Innovationen in der ZS (hier: Französisch) der AS -Sprecher (hier: Italiener) vor. In beiden Fällen steht das Italienische Modell, ist es präsent. Nur so - wie weiter unten noch zu zeigen ist - lässt sich die formale Nähe zum italienischen Etymon erklären. In vielen Fällen kann auch gar nicht mit Bestimmtheit festgestellt werden, ob der Sprecher der AS die Entlehnung in der ZS zufällig / unbewusst oder absichtlich herbeiführt. Im Hinblick auf <all’improviste> bei Cavriana etwa sind zwei Interpretationen möglich. Erstens (1): Cavriana könnte aufgrund einer unzureichenden Kenntnis des Französischen nicht auf à l’impourveu gekommen sein oder nicht einmal gewusst haben, dass es existierte. In diesem Fall wäre also eine klassische lexikalische Interferenz anzunehmen. Die formale Nähe zum italienischen Etymon erklärt sich durch die Präsenz des Italienischen und ist unbeabsichtigt. Die AS produzenteninduzierte Entlehnung wird ‘unabsichtlich vollzogen’. Zweitens (2): Cavriana, der möglicherweise fr. à l’impourveu kennt, sich aber des Prestiges des Italienischen im rinascimentalen Frankreich sowie der Tatsache, dass zahlreiche lexikalische Italianismen verwendet werden, bewusst ist, entscheidet absichtlich einen Italianismus zu verwenden. In diesem Fall läge eine klassische Entlehnung vor. Die formale Nähe zum italienischen Etymon 578 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 579 erklärt sich erneut durch die Präsenz des Italienischen und kann beabsichtigt oder unbeabsichtigt sein. Wie in (1) kann das Italienische allein deshalb, weil es als Quelle für die Entlehnung dient, für ausdrucksseitige Besonderheiten im Italianismus verantwortlich sein. Andererseits kann die auffällig italianisierende Schreibung auch intendiert worden sein, um das Wort als Italianismus zu kennzeichnen. Wie bereits in Kapitel 2.3.2.2 gezeigt wurde, finden sich in den Texten mancher Français italianisants auch reitalianisierte Schreibungen wie z. B. <squadron> statt <esquadron>. Welches der beiden Szenarien nun für die konkrete Verwendung von à l’improviste im Brief von 1585 zutrifft, lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Angesichts der Tatsache, dass Cavriana - wie aus seinen Briefen hervorgeht - zu diesem Zeitpunkt das Französische bereits sehr gut beherrschte, könnte vermutet werden, dass eher (2) in Frage kommt. Das in (1) beschriebene Szenario hingegen scheint insbesondere für Immigranten, die erst seit Kurzem in Frankreich lebten, überzeugend zu sein. Letztlich lässt sich aber nie gänzlich ausschließen, dass auch bei Individuen wie Cavriana, die beide Sprachen offenbar täglich verwendeten, auch nach Jahrzehnten noch unbeabsichtigte Interferenzen (v. a. im Französischen) zu beobachten waren. Weiter oben wurde betont, dass die ausdrucksseitigen Besonderheiten - egal ob sie beabsichtigt sind oder nicht - als ein wichtiges Erkennungsmerkmal für AS-produzenteninduzierte Entlehnungen und mithin als Beweis für das Innovationspotential der Immigranten betrachtet werden können. Die Nähe zum italienischen Etymon lässt sich schließlich in allen Fällen nur dadurch überzeugend erklären, dass das Italienische als Modell präsent war. Wenn aber nun die Nähe zum italienischen Etymon als Beweis für das lexikalische Innovationspotential gelten soll, muss gezeigt werden, dass sich die Besonderheiten nicht auf eine andere Art der Interferenz (mit dem Italienischen) zurückführen lassen, sondern eindeutig lexikalischer Natur sind. Im Falle von <all’improviste> bei Cavriana könnte man ohne Weiteres auch annehmen, dass er - fr. à l’improviste ist seit 1528 belegt - überhaupt nicht erkennt, dass à l’improviste ein Italianismus ist, dass er es also nicht absichtlich verwendet. Auch muss keine lexikalische Interferenz aufgrund von Wortfindungsschwierigkeiten vorliegen. Für ihn könnte es sich wie bei fr. parler und it. parlare um Kognaten handeln. Er könnte ein in seinen Augen völlig unmarkiertes französisches Wort verwenden. Die Schreibung <all’improviste> bedarf dann aber immer noch einer Erklärung. Diese könnte auch durchaus als Interferenz mit dem Italienischen betrachtet werden, allerdings nicht auf lexikalischer Ebene. Wie bei Zametti und Catherine de Médicis könnte lediglich die Schreibung der preposizione articolata mit < CC > betroffen sein (vgl. Kapitel 7.3.3.4.1). Bei Catherine de Médicis findet sich diese z. B. in <alla fyn> 352 , bei Zametti etwa auch in <della quelle> 353 . In beiden Fällen tritt diese Interferenz ganz offensichtlich mit französischen Erbwörtern auf und kann daher nicht lexikalisch motiviert sein. Ganz anders verhält es sich aber bei Cavriana. Wenn für <all’> in <all’improviste> keine lexikalische Interferenz, also nicht die Präsenz von it. improvvista , verantwortlich ist, wie erklärt sich dann, dass in den anderen 42 Kontexten, in denen ein bestimmter Artikel auf die Präpostion à oder de folgt, die für das Französische erwartbaren amalgamierten Formen au / aux , du / des oder à la / à l’ , de la / de l’ erscheinen? In allen Fällen handelt es sich um französische Erbwörter oder etablierte Latinismen, nicht um Italianismen. Auch die Formen <a la fin>, <de la quelle> 354 sind anzutreffen. Auch ist es nicht so, dass keine sonstigen Kontexte vorhanden wären, in denen à l’ erscheinen müsste (vgl. <a l opinion> 355 ). Wirklich überzeugend erklären lässt sich <all’> m. E. nur, wenn man annimmt, dass es sich dabei nicht in erster Linie um eine Interferenz auf der Ebene der Lautung oder graphischen Wiedergabe von preposizioni articolate handelt, sondern dass eine lexikalische Interferenz oder die bewusste Entlehnung der gesamten Präpositionalphrase it. all’improvvista und mithin eine AS -produzenteninduzierte Entlehnung vorliegt. Die Nähe zur italienischen Form (<all’>) ist nicht auf eine systematische Interferenz zurückführbar, sondern einzig und allein von der Präsenz von it. all’improvvista abhängig. Ob die Schreibung zufällig (graphische Interferenz, die auf das Einzelwort beschränkt ist und der lexikalischen Interferenz folgt, also sekundär ist) oder absichtlich italianisierend ist, lässt sich nicht feststellen. Sicher ist aber, dass das Italienische hier auf lexikalischer Ebene Modell gestanden haben muss. Die Verwendung von <all’improviste> im Brief Cavrianas zeigt deutlich, dass auch im françois italianizé der Immigranten Entlehnungen aus dem Italienischen zu beobachten gewesen sein müssen. Auch sie können für lexikalische Innovationen grundsätzlich verantwortlich gewesen sein. Auch im Falle von <racolte> 356 ‘récolte’ in einem Brief von Lodovico Gonzaga (1582) kann eine AS -produzenteninduzierte Entlehnung angenommen werden. Zwar ist das Substantiv fr. récolte bereits seit 1550 belegt (vgl. TLF i s.v. récolte ), aber <a> statt <e / é> begegnet ansonsten in Texten des 16. Jahrhunderts (vgl. HUG . s.v. ricolte und FRANTEXT <récolte> flexion et variantes XVI e - XVII e ) nicht. 352 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 39-40): Brief vom 18. April 1551. 353 Vgl. Brief von Zametti vom 20. Juni 1592 (BNF FF 15 575 [27]). 354 Vgl. Brief von Cavriana vom 05. November 1585 (BNF FF 3374 [8-11]), Propos tenus par le Sr Cabriani vom 16. November [1585] vor Monsieur d’Espernon und „beaucoup de monde“ (BNF FF 3374 [6-7]). 355 Vgl. Brief von Cavriana vom 05. November 1585 (BNF FF 3374 [8-11]). 356 Vgl. Brief von Lodovico Gonzaga vom Juli 1582 (BNF FF 15 906 (2) [704]). 580 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 581 Offenbar verwendet Gonzaga hier nicht das französische Wort récolte , sondern it. raccolta , das leicht angepasst ist. Natürlich könnte man vermuten, dass er sich gar nicht darüber im Klaren war, dass récolte ein Italianismus war, dass er ein in seinen Augen französisches Wort benutzte. In diesem Fall müsste es sich um eine systematische Interferenz (Ersatz von <re-/ ré-> durch <ra->) handeln, die die partielle Angleichung französischer Kognaten zur Folge hat (vgl. <racomander> und <recommander> in den frühen Briefen von Catherine de Médicis 357 ). Unglücklicherweise sind in keinem seiner für die vorliegende Arbeit untersuchten Briefe französische Erbwörter mit re-/ réanzutreffen, so dass nicht überprüft werden konnte, ob auch diese <ra-> aufweisen. In Kapitel 7.3.5.3.3 wurde allerdings schon die Vermutung angestellt, dass es sich hier sogar um eine bewusste Verwendung des Italianismus récolte und mithin um ein Luxuslehnwort handelt. Es hat den Anschein, als werde es in einem redoublement verwendet (<visnaige et racolte>), auch wenn, wie bereits angemerkt, nicht auszuschließen ist, dass <racolte> hier nicht völlig gleichbedeutend mit <visnaige> ist, da sich letzteres nur auf die Weinernte bezieht. Wenn man davon ausgeht, dass <racolte> eine AS -produzenteninduzierte Entlehnung ist, könnte dieser Beleg indirekt auch eine Detailbeobachtung in den Deux Dialogues bestätigen. In Kapitel 5.5.2.2 wurde das von Estienne ([1578] 1980: 140) kritisierte ricolte als belegter Italianismus gewertet und nicht wie in Trescases (1978b) als Phantasiekreation abgetan. Da récolte an keiner Stelle der Deux Dialogues in einer anderen Form erscheint (vs. <scorte> neben <escorte>), wurde es als Variante für récolte ( type ) gewertet. Problematisch bleibt, dass das Lexem in dieser Form nicht belegt ist. Es wurde aber dafür argumentiert, dass die Form ricolte durchaus existiert haben könnte, da riin einigen Italianismen (z. B. riposte ) tatsächlich bis heute erhalten ist. Im Italienischen ist ricolta neben raccolta belegt (vgl. z. B. TB s.v. ricolta ), so dass es sich nicht um eine Phantasiekreation handeln muss 358 . Es wurde vorgeschlagen, dass Estienne mit fr. ricolte exemplarisch auf eine AS -produzenteninduzierte Entlehnung verweist. Die Form <racolte> in den Briefen bestätigt, dass neben 357 Die Frage, ob bei Catherine de Médicis diesbezüglich tatsächlich von einer systematischen Interferenz auszugehen ist, lässt sich aufgrund der Datenlage eigentlich nicht eindeutig beantworten. In ihren frühen Briefen finden sich weder weitere Lexeme mit re-/ rénoch Italianismen, deren Etymon mit rabeginnt. 358 Als Etymon für fr. récolte wird in allen einschlägigen Referenzwerken auch ricolta , nicht raccolta angenommen (vgl. z. B. TLFi s.v. récolte sowie FEW s.v. cŏllĭgěre ). Schließlich ist raccolta laut DELI (s.v. raccogliere ) auch erst ab 1572 belegt. It. ricolta hingegen findet sich schon bei Boccaccio (vgl. TB s.v. ricolta ). Im zeitgenössischen zweisprachigen Wörterbuch von Florio (1598 s.v. ricolta und raccolta ) wird raccolta definiert als „the time of harvest, the harvest or gathering in the fruttes of the earth“, für ricolta wird lediglich auf raccolta verwiesen. Auffällige Bedeutungsunterschiede waren offenbar nicht vorhanden. Varianten mit <e / é> [e] zumindest auch solche mit <a> [a] anzutreffen waren. Möglicherweise waren also in der Tat auch Formen mit <i> [i] verbreitet. Die Aufnahme von fr. récolte < it. ricolta lässt sich nur schwer erklären. Laut Hope (1971: 219) spricht sich Voltaire noch 1762 zumindest gegen récolter statt erbwörtlichem cueillir aus, das im 18. Jahrhundert offenbar noch neben récolter verwendet werden konnte. In FRANTEXT (1500-1600) können auch unter Berücksichtigung flektierter Formen nur drei Okkurrenzen für récolte , immerhin zehn für cueillette ausgemacht werden. Das FEW (s.v. cŏllĭgěre ) aüßert sich wie folgt: „Welches der grund war zur aufnahme von d [ récolte , T. S.] aus it. ricolta , ist nur schwer zu sagen.“ Möglicherweise könnte seine Verbreitung mit den italienischen Immigranten zusammenhängen. Dass viele von ihnen in der Landwirtschaft (Seidenproduktion, Käseherstellung) tätig waren, wurde schon mehrfach erwähnt. In den Briefen von Catherine de Médicis waren ausdrucksseitige Besonderheiten von besonderem Interesse, weil sie direkt mit den jeweiligen Graphien der Sekretäre verglichen werden konnten. Insgesamt konnten vier Schreibungen für Italianismen ermittelt werden, die darauf hindeuten, dass eine AS -produzenteninduzierte Entlehnung vorliegt. it. Etymon autographes Sekretäre Erstbeleg im Fr. ( TLF i) scorta scorte (1552) escorte (1563) (1520) segnalato segnale (1567/ -) signale (1568/ -) (1557 / 1569) mancare mancet (1574 / 1578) manquer (-/ 1585) (1546 / 1645) saccheggiare sachager (1580) sacaiger (1581) (vor 1464) Wie aus der Übersicht hervorgeht, weisen die Italianismen in den autographes von Catherine de Médicis eine größere formale Nähe zum italienischen Etymon auf als jene in den Briefen der Sekretäre. Um Erstbelege 359 handelt es sich dabei aber mit Ausnahme von manquer à faire (1578) nicht. Der geringe Integrationsgrad erklärt sich also nicht etwa dadurch, dass noch keine französischeren Graphien für die entsprechenden Lexeme vorhanden gewesen wären. Schließlich zeigen auch die Schreibungen in den Briefen der Sekretäre, dass solche existierten. Alle Formen in den autographes könnten als AS -produzenteninduzierte Entlehnungen verstanden werden. 359 Das Datum in Klammern hinter den jeweiligen Belegen in den autographes sowie in den Briefen der Sekretäre verweist auf den ‘Erstbeleg’ (auch einzelner Bedeutungen) in den Briefen. Viele der Lexeme erscheinen natürlich mehrfach. 582 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 583 Die Konkurrenz zwischen scorte und escorte wurde bereits ausführlich in Kapitel 7.3.3.3 diskutiert und braucht an dieser Stelle nicht in Gänze wiederholt zu werden. Auffällig war, dass s impurum in den autographes nicht grundsätzlich, also etwa auch in französischen Erbwörtern (z. B. *scrire statt écrire ), restituiert wird. Um eine systematische Interferenz handelt es sich also nicht; <sC-> findet sich in erster Linie in Italianismen. Für Catherine de Médicis scheint also beim Verfassen des Briefs it. scorta präsent gewesen zu sein. Ob sie absichtlich entlehnte, ob gar die Schreibung beabsichtigt war, lässt sich nicht feststellen. Was das Nebeneinander von segnalé und signalé betrifft, wurde schon erwähnt, dass Estienne ([1578] 1980: 115) beide Formen gleichermaßen kritisiert und dass Philausone als brave italianizateur die Variante segnalé bevorzugt. Dass es sich bei segnalé um eine Entlehnung aus it. segnalato handelt, steht außer Zweifel. Schwieriger zu beurteilen hingegen ist signalé . Einerseits könnte natürlich eine besser integrierte Form des Lehnworts segnalé vorliegen - also weiterhin direktes Lehngut -, andererseits könnte es sich aber bei signalé auch um eine Lehnübersetzung aus it. segnalato und mithin um indirektes Lehngut handeln. In Kapitel 3.3.2 wurde darauf hingewiesen, dass bei eng verwandten Sprachen in manchen Fällen eine klare Trennung zwischen gut integriertem direkten Lehngut und indirektem Lehngut schwierig ist. Wind (1928: 189) behandelt beide Formen gleich. Der TLF i (s.v. signalé ) erwähnt nur signalé und scheint von direktem Lehngut auszugehen. Hope (1971: 221), der sowohl segnalé als auch signalé diskutiert, stellt immerhin fest: „ Signalé is remodelled on Fr. signal. “ In der Tat ist signal als latinisierende réfection zu afr. seignal seit dem 14. Jahrhundert belegt (vgl. TLF i s.v. signal ). Ganz gleich, ob man nun in signalé direktes oder indirektes Lehngut sehen will, fest steht, dass segnalé weniger gut integriert ist als signalé , die Ähnlichkeit mit dem italienischen Etymon also sichtbarer ist. Wenn Catherine de Médicis in ihren autographes <segnale> 360 verwendet, die Sekretäre jedoch ausnahmslos <signal(l)e> 361 schreiben, bedarf dies einer Erklärung. Vermutet werden könnte, dass Catherine de Médicis an it. segnalato denkt und daher <e> schreibt. Dass sie in der Tat [e] statt [i] gesprochen hat, scheint mir angesichts der Tatsache, dass die meisten ihrer Schreibungen phonetisch sind, sehr wahrscheinlich zu sein. Weitere Hinweise auf eine AS -produzenteninduzierte Entlehnung finden sich nicht. Wie aus dem Datum 360 Vgl. Briefe CM (Bd. 10: 223): Brief von 1567 / 1568. Die Form erscheint auch ein weiteres Mal in einem nicht zum Korpus gehörigen Brief (vgl. Briefe CM Bd. 5: 141-142: Brief vom 26. September 1575). 361 Vgl. Briefe CM (Bd. 3: 157): Brief vom 21. Juli 1568 [De Neufville], Briefe CM (Bd. 3: 90-91): Brief vom 10. Dezember 1567 [Anonym / CM], Briefe CM (Bd. 5: 5-6): Brief vom 03. Juni 1574 [Anonym], Briefe CM (Bd. 7: 406-407): Brief vom 23. Oktober 1581 [Anonym]. für die Erstbelege in der Übersicht hervorgeht (1557 / 1569), wird signalé im Französischen zunächst mit unbelebten Referenten verwendet (z. B. un service signalé ), mit belebten erst ab 1569 (z. B. un personnage segnalé ). In den Briefen finden sich keine (früheren) Belege für Verwendungen mit Personen, die auf AS-produzenteninduzierte Entlehnungen hindeuten könnten. In jedem Fall sind im Französischen der Renaissance beide Formen belegt; segnalé ist auch in von Franzosen verfassten Texten zu finden (vgl. Hope 1971: 221 sowie Smith 1980a: 50, Fn. 2). Dass Catherine de Médicis also ein in ihren Augen französisches Wort verwendet, ohne dabei an das Italienische zu denken, lässt sich nicht gänzlich ausschließen. Allerdings bevorzugt sie offensichtlich die Variante, die mehr Gemeinsamkeiten mit dem italienischen Etymon aufweist - und das, obwohl ihr beim Lesen der diktierten Briefe offenbar immer signalé begegnet. Im Hinblick auf manquer wurde bereits festgestellt, dass das Vorkommen <le mancet [‘manquait’] a fayre> 362 (1578) dem im TLF i (s.v. manquer ) aufgeführten Erstbeleg für die Konstruktion manquer à faire qc ‘se soustraire à, négliger’ (1645) um mehrere Jahrzehnte vorausgeht. Es wurde dafür argumentiert, dass es sich dabei um eine AS-produzenteninduzierte Entlehnung handelt, da - wie z. B. auch bei importer à - das italienische Verb mancare gewissermaßen vollständiger, d. h. ohne syntaktische und semantische Einschränkungen, entlehnt wird. In französischen Texten ist zunächst nur manquer ‘faire défaut’ belegt (1546). Anders als <je ne veux menquer avous donner advis> 363 im Brief (1598) des bereits in Frankreich geborenen Carlo Gonzaga legt auch die Graphie <mancet> nahe, dass Catherine de Médicis it. mancare vor Augen hatte, als sie manquer verwendete. Um eine mögliche Schreibung im Französischen des 16. Jahrhunderts handelt es sich wohl eher nicht. Weder in HUG (s.v. manquer ) noch in FRANTEXT (1500-1600 <manquer> flexion et variantes XVI e - XVII e ) lassen sich Graphien mit <c> statt <qu> nachweisen 364 . Die Schreibung muss in jedem Fall auf eine lexikalische Interferenz zurückgehen und kann nur schwer anders überzeugend erklärt werden. Um eine etwaige systematische Übertragung einer italienischen Schreibkonvention kann es sich nicht handeln. Im Italienischen steht <c> vor <e> und <i> für [t∫]. Es müsste <ch> für [k] erscheinen. Auch eine etwaige Hypergeneralisierung einer französischen Konvention (z. B. *<c> vor <e> [k]) liegt nicht vor. Im Französischen steht <c> vor <e> und <i> für [s]. In der Tat schreibt Catherine de Médicis auch immer <c> oder <s> vor <e> und <i> für [s]. In keinem der untersuchten autographes konnten weitere Schreibungen 362 Vgl. Briefe CM (Bd. 6: 166-167): Ergänzung zum Brief vom 12. Dezember 1578. 363 Vgl. Brief von Carlo Gonzaga vom 10. Mai 1598 (BNF FF 3321 [127]). 364 Eine Ausnahme stellen natürlich die italienischen Formen wie manca dar, wie sie in italienischen Gedichten von Du Bellay erscheinen. 584 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 585 beobachtet werden, in denen <c> vor <e> oder <i> für [k] stünde 365 . Auffälligkeiten im Hinblick auf Graphien für [s] (immer <s> oder <ce>, <ci>) oder [k] (immer <qu> oder <ca>, <co>, <cu>) sind nicht festzustellen. Nun könnte man annehmen, dass französische Wörter systematisch an ihre italienischen Entsprechungen angepasst werden. Allerdings erscheint z. B. <revoquer> 366 und nicht - wie in Anlehnung an it. revocare vermutet werden könnte - <revocer>. Selbst der Italianismus fr. attaquer < it. attaccare wird in den autographes <ataquer> 367 , also nicht einmal mit <tt>, geschrieben. Alles deutet darauf hin, dass im konkreten Fall von <mancet> it. mancare Modell gestanden haben muss. Ob sich Catherine de Médicis bewusst war, dass sie einen Italianismus verwendete oder ob sie nur zufällig an it. mancare gedacht hat, lässt sich nicht feststellen. Die Graphie <mancet> zeigt aber, dass das Italienische als lexikalische Quelle präsent gewesen sein muss. Dass sie nicht nur in späteren Briefen 368 , sondern auch schon in früheren Briefen <manquer> 369 (1561 / 1570) schreibt, widerspricht dieser Annahme nicht. Im Gegenteil: Offenbar konnte im Einzelfall, also bei der konkreten Verwendung eines Lexems zu einem bestimmten Zeitpunkt, der Einfluss des Italienischen wirksam werden. Ähnlich verhält es sich mit <sachager> 370 in einem autographe von Catherine de Médicis. Fr. saccager < it. saccheggiare ist seit dem 15. Jahrhundert belegt. Wie <sacaige> 371 ‘saccagé’ im Brief eines Sekretärs vermuten lässt, ist <ch> keine gängige Schreibung. Weder in HUG (s.v. saccager ) noch innerhalb der 147 Okkurrenzen in FRANTEXT (1500-1600 <saccager> flexion et variantes XVI e - XVII e ) sind Schreibungen mit <ch> anzutreffen. Wie erklärt sich also <sachager> bei Catherine de Médicis, das zumindest graphisch (vs. [e] <ai> im Brief des Sekretärs) deutlich näher an it. saccheggiare ist? Auch hier muss eine lexikalische Interferenz vorliegen, die erst sekundär zur italienischen Graphie führt. In den Briefen finden sich weder Anzeichen für eine systematische noch für eine vereinzelt zu beobachtende Übertragung der italienischen Konvention <ch> für 365 Die Schreibungen für [k] wurden nicht gesondert ausgezählt. Es wären insgesamt wohl an die 1000 Vorkommen. In nur einem Fall erscheint <c> vor <e> für [k] (<ceour> ‘cœur’, vgl. Briefe CM Bd. 7: 314: Ergänzung zum Brief vom 04. Januar 1581). Diese ist allerdings auf Probleme bei der graphischen Wiedergabe des gerundeten Palatalvokals [œ] zurückzuführen und darf nicht mit Schreibungen für [k] in Verbindung gebracht werden. 366 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. 367 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 7: 314): Ergänzung zum Brief vom 04. Januar 1581. 368 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 232): Brief vom 12. Januar 1585. 369 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 166): Brief vom 24. Januar 1561, Briefe CM (Bd. 3: 296): Brief vom 07. Februar 1570. Beide Briefe gehören zur Gruppe A. Die Manuskripte waren nicht zugänglich. 370 Vgl. Briefe CM (Bd. 7: 359): Ergänzung zum Brief vom 19. Februar 1581 [Pinart / CM]. 371 Vgl. Briefe CM (Bd. 7: 413-414): Instruction pour le Duc de Montmorency vom 10. November 1581 [Anonym / CM]. [k], das im 16. Jahrhundert - und das wäre im Hinblick auf <sachager> von Bedeutung - nicht nur wie heute vor <e> oder <i>, sondern auch vor <a>, <o> und <u> erscheinen konnte. Schreibungen für [k] in den autographes von Catherine de Médicis sind immer <c> vor <a>, <o>, <u> oder <qu>, wohingegen <ch> ganz regelmäßig für [∫] erscheint 372 . Die Schreibung <sachager> muss m. E. darauf zurückgeführt werden, dass Catherine de Médicis an it. saccheggiare dachte. Auch ist es nicht so, dass manche Kognaten, die die gleichen Voraussetzungen erfüllen, angepasst werden würden (z. B. nicht <chi>, <che> statt <qui>, <que> für fr. qui , que neben it. chi , che ) 373 . Selbst bei Italianismen wie masque , das aber auch Estienne ([1578] 1980: 170) nicht als Lehnwort erkennt, findet sich bei Catherine de Médicis <qu>, nicht <ch> 374 wie in it. maschera . Die italianisierende Graphie ist auf den Italianismus saccager beschränkt. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sowohl bei <all’improviste> als auch bei <racolte>, <scorte>, <segnale>, <mancet> und <sachager> Schreibungen vorliegen, die stark an das jeweilige italienische Etymon erinnern. Abgesehen von <scorte> und <segnale> lassen sich diese Graphien in anderen Texten des 16. Jahrhunderts nicht nachweisen. Auffällig ist, dass diese Schreibungen in Texten anzutreffen sind, die von Italienern verfasst wurden. Auch wenn es sich dabei nicht um Erstbelege für die jeweiligen Italianismen in der historischen Einzelsprache Französisch handelt, scheinen in allen Fällen - unter Umständen mit Ausnahme von scorte und segnalé - AS -produzenteninduzierte Entlehnungen vorzuliegen. Die Sprecher der AS (hier: Italienisch) denken während einer Äußerung in der ZS (hier: Französisch) an lexikalisches Material aus der AS . Die Verwendung desselben kann mit dem Wissen, dass es sich um einen Italianismus handelt, erfolgen oder nicht. Die ausdrucksseitige Nähe zum italienischen Etymon kann im ersten Fall beabsichtigt sein, im zweiten Fall nicht. Sie ist aber immer sekundär und vom Einzellexem abhängig. Sie kann nicht durch systematische Interferenzen auf anderen Ebenen, z. B. durch die Übertragung von italienischen Schreibkonventionen, erklärt werden. Alle 372 Wie bereits erwähnt, wurden die Schreibungen für [k] nicht gesondert ausgezählt. Auch die Schreibungen für [∫] wurden aufgrund zu vieler Vorkommen nicht quantitativ erfasst. In nur einem Fall erscheint <ch> für [k] (<choucher> ‘coucher’, vgl. Briefe CM Bd. 5: 143: Brief vom 28. September 1575). Hierbei handelt es sich aber lediglich um einen Flüchtigkeitsfehler. Dass <choucher> auf [∫] im Anlaut hindeutet oder dass in diesem Lexem durchgängig <ch> für [k] Verwendung findet, ist angesichts von Okkurrenzen wie <coucher> in anderen autographes (vgl. z. B. Briefe CM Bd. 1: 39-40: Brief vom 18. April 1551) mehr als unwahrscheinlich. 373 Gewiss lassen sich im rinascimentalen Italienisch bisweilen auch die latinisierenden Graphien <que> ‘che’ und <qui> ‘chi’ beobachten. Die Analyse der italienischen Briefe in Kapitel 6.3.3.1.3 zeigt aber, dass <che> und <chi> die häufigeren Schreibungen waren. 374 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. 586 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 587 Beispiele zeigen exemplarisch, dass im Französischen der Italiener also auch durch das Italienische bedingte Innovationen erscheinen können. Selbst wenn die Italianismen bereits alle belegt sind, legen die ausdrucksseitigen Besonderheiten nahe, dass nicht ursprünglich aus dem Italienischen stammender, aber schon etablierter und zum Französischen gehöriger Wortschatz verwendet wird, sondern italienischer. Das Italienische ist als lexikalische Quelle präsent. In den Fällen, in denen absichtlich entlehnt wird, ist dies natürlich evident. Aber auch wenn klassische lexikalische Interferenzen als Ursache angenommen werden, steht das Italienische unbeabsichtigt Modell. Dass in beiden Fällen eine lexikalische Innovation durch Rückgriff auf das Italienische vorliegt und nicht bereits als französisch empfundener Wortschatz Verwendung findet und dabei möglicherweise italianisiert wird, legt auch der Umstand nahe, dass Kognaten oder sonstiger gemeinsamer Wortschatz (z. B. in beiden Sprachen etablierte Latinismen) nicht die gleichen ausdrucksseitigen Besonderheiten aufweisen, also nicht italianisiert werden. Wenn z. B. neben <mancet> auch <revocet> ‘révoquait’ (fr. révoquer < lat. revocāre seit ca. 1200, vgl. TLFI s.v. révoquer ) anzutreffen wäre, könnte die Nähe von <mancet> zu it. <mancare> nicht als Indiz dafür gewertet werden, dass in diesem Fall eine Entlehnung aus dem Italienischen stattfindet. Sowohl fr. manquer als auch fr. révoquer könnten als französische Wörter bekannt sein und aufgrund der durch die Zweisprachigkeit bedingten Präsenz des Italienischen an it. mancare und it. revocare (< lat. revocāre seit 1306 / 1348, vgl. DELI s.v. revocare ) angenähert werden. Auch dann läge zwar eine Interferenz mit dem Italienischen vor, aber dies würde nicht heißen, dass die Schreibung auf eine AS -produzenteninduzierte Entlehnung hindeutet. Lexeme, die das Französische und das Italienische gemeinsam haben, würden aufgrund der Tatsache, dass das Italienische die dominante Sprache ist, auch im Französischen italianisiert. Allerdings müsste dabei nicht einmal klar sein, dass fr. manquer ein Italianismus ist. Es verhielte sich wie fr. révoquer . Wenn jedoch nur Italianismen (<mancet>) eine deutliche Nähe zum it. Etymon (it. mancare ) aufweisen und Kognaten sowie gemeinsame Latinismen (fr. révoquer und it. revocare ), die die gleichen ausdrucksseitigen Voraussetzungen erfüllen, nicht italianisiert erscheinen (<mancet>, aber nicht <revocet>), legt dies nahe, dass die Italianismen nicht als französischer Wortschatz verwendet, sondern direkt aus dem Italienischen geschöpft werden und mithin als lexikalische Innovationen gelten müssen. 7.3.6 Code-switching und Anredeformen Wie in Kapitel 4.2.3.4 dargelegt wurde, scheint laut Estienne (1578) code-switching nicht in bemerkenswertem Ausmaß verbreitet gewesen zu sein. In den Deux Dialogues finden sich nur wenige Passagen, in denen intrasentential codeswitching zu beobachten ist (z. B. „ce sera senza maccharoni “). Auch die wenigen anderen Belege, die unter Umständen als Erscheinungen des code-switching betrachtet werden könnten (z. B. le prime del monde , in ogni mode ), lassen sich alternativ als komplexe Lehnwörter klassifizieren, deren einzelne Elemente in unterschiedlichem Maße integriert sind. Die Verwendung italienischer Sprichwörter ( intersentential code-switching ), die als eigene Texte verstanden werden können und auch bei zeitgenössischen französischen Autoren zu beobachten sind, werden wie Zitate verwendet und erinnern an den A-la-mode -Stil (vgl. Kapitel 3.3.5), weniger an unbeabsichtigtes code-switching in spontaner Rede eines zweisprachigen Individuums. Die in Kapitel 6.2.2.4 untersuchten, von linguistischen Laien verfassten Texte des 16. und 17. Jahrhunderts enthalten zwar Beispiele für code-switching, allerdings scheint es sich dabei nicht um eine besonders prominente Erscheinung des françois italianizé zu handeln. Es beschränkt sich auf die Verwendung zumeist einzelner italienischer Lexeme in französischen Äußerungen ( one-word code-switching ), die auch als lexikalische Interferenzen bzw. Entlehnungen aufgefasst werden können. Die Analyse der italienischen Produktionsdaten in Kapitel 6.3.3.3 hat gezeigt, dass im Italienischen der France italienne bzw. Petite Italie kein spontanes code-switching beobachtet werden kann. Die Vorkommen in den Briefen Cavrianas sind zitierte Beiträge von seinen Gesprächspartnern, die auch in direkter Rede wiedergegeben werden. Alles scheint also darauf hinzudeuten, dass das Italienische und Französische zwar nebeneinander verwendet wurden und auch keine strikte Trennung der Funktionsbereiche angenommen werden kann, dass aber die zweisprachigen - zum Großteil sehr gebildeten - Individuen das Italienische noch so gut beherrschten, dass der Wechsel zum Französischen innerhalb italienischer Äußerungen offenbar nie erforderlich war. Auch zu Interferenzen mit dem Französischen, etwa im Lexikon oder in der Schreibung, kam es nicht. Im françois italianizé der Einwanderer können zwar Interferenzen mit dem Italienischen nachgewiesen werden (v. a. Lautung und Wortschatz), Phänomene, die als code-switching bezeichnet werden können, sind, wie es die bisherigen Ausführungen schon nahegelegt haben mögen, aber auch hier äußerst selten. In den Briefen von Catherine de Médicis sind Vorkommen von code-switching nur in den autographes anzutreffen. In Kapitel 7.3.3.4.1 wurde bereits auf die Okkurrenz <ynsi que ylyaete aurdo[nne] dal signeur pyetre et deu pryeur> 588 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 589 in einem Brief aus den frühen 1550er Jahren 375 aufmerksam gemacht, die die einzige preposizione articolata darstellt, in der nicht nur graphischer und / oder lautlicher Einfluss aus dem Italienischen anzunehmen ist (z. B. <alla fyn>). In allen anderen Fällen (90 von 91 Okkurrenzen), in denen der bestimmte Artikel le / les auf die Präpositionen à oder de folgt, erscheinen die amalgamierten Formen des Französischen ( au , aux , du , des ). Um eine systematische Interferenz auf morphologischer Ebene kann es sich nicht handeln. Wie ist also das Vorkommen von dal zu erklären? Im Hinblick auf die für die vorliegende Arbeit untersuchten Briefe liegt mit Gewissheit ein Einzelfall vor 376 . Beabsichtigt scheint die Verwendung von dal nicht zu sein. Vielmehr handelt es sich hier um einen Fall von unbewusstem code-switching 377 , welches durch den italienischen Kontext getriggert wird. Sowohl signeur pyetre , Pietro Strozzi, als auch der pryeur , sein Bruder Leone Strozzi, waren enge Vertraute von Catherine de Médicis. Wie in Kapitel 6.2.2.3 gezeigt wurde, schrieben ihr beide auf Italienisch, von Pietro Strozzi muss zudem angenommen werden, dass er das Französische nie wirklich gut erlernt hat. Dass sie beide mit Catherine de Médicis auch auf Italienisch sprachen, ist mehr als wahrscheinlich. Im Brief, der auch ansonsten italianisierende Elemente enthält (z. B. <solemant>), tauchen im Zusammenhang mit Pietro und Leone Strozzi auch weitere Besonderheiten auf, die auf Interferenzen mit dem Italienischen hindeuten: <pour le sygneur pyetre u [‘ou’] son frere>. Ein ähnliches Phänomen lässt sich in einem Brief aus dem Jahre 1573 378 beobachten: <ceux della Rochella>. Anders als in Fällen, in denen lediglich die preposizione articolata beeinflusst ist (z. B. auch <ceux della ville> 379 ), legt die Schreibung <Rochella> nahe, dass die gesamte Präpositionalphrase italienisch und in den französischen Kontext eingebettet ist, so dass auch hier von codeswitching gesprochen werden könnte. Allerdings kann man annehmen, dass <ch> auf eine Interferenz mit dem Französischen zurückzuführen ist, da wohl kaum [k] (it. <ch> für [k]), sondern [tt∫] wiedergegeben werden soll. Wie die 375 Vgl. Briefe CM (Bd. 10: 5): Brief vom Oktober 1551. Ein etwaiger, durch italienischen Einfluss bedingter Ersatz von par durch de (vgl. <deu>) darf nicht angenommen werden. Der Gebrauch von par setzte sich im 16. Jahrhundert erst allmählich durch (vgl. z. B. Lardon / Thomine 2009: 395-396). Dass das Manuskript leicht beschädigt ist (vgl. <aurdo[nne] dal>), spielt m. E. keine Rolle, da sich <dal> in der nächsten Zeile befindet und eine andere Interpretation als <aurdo[nne]> wohl keinen Sinn ergäbe. 376 Allein bei Cavriana erscheint, wie in Kapitel 7.3.3.4.1 bereits angemerkt, auch einmal <al advantaige> (vgl. Brief von Cavriana vom 05. November 1585 BNF FF 3374 [8-11]), allerdings handelt es sich dabei vermutlich nur um einen Schreibfehler (<al> statt <à l’>). 377 Alternativ ließe sich dal natürlich auch als einmalige Interferenz auf der Ebene der Morphosyntax fassen. 378 Vgl. Briefe CM (Bd. 10: 320): Brief vom Juni 1573. 379 Vgl. Briefe CM (Bd. 4: 215): Brief vom 16. Mai 1573. Briefe von Guadagni aus dem Jahre 1572, der dort für die französische Krone kämpfte, zeigen, wäre im Italienischen die Graphie <la Roccella> 380 zu erwarten. In den Briefen von Guadagni liegt möglicherweise auch die Erklärung für das code-switching in den Briefen von Catherine de Médicis. Angesichts des Umstands, dass sie zahlreiche Briefe aus La Rochelle erhielt, die von nur vorübergehend in Frankreich ansässigen Italienern aus dem Heer auf Italienisch verfasst wurden, begegneten ihr Schreibungen wie <della Roccella> zu dieser Zeit häufig (vgl. die Briefe von Guadagni in Kapitel 6.3). Beim Schreiben des Briefs kann sie also an Inhalte aus den italienischen Briefen gedacht haben. Die italienischen Briefe lagen vielleicht sogar gerade auf ihrem Schreibtisch. Um eine beabsichtigte Schreibung handelt es sich vermutlich nicht. Wie in Kapitel 6.3.3.3 gezeigt wurde, finden sich in den italienischen Texten Cavrianas bisweilen französische Passagen. In allen Fällen handelt es sich dabei nicht um unbeabsichtigtes code-switching , sondern um die Wiedergabe bestimmter Äußerungen seiner Gesprächspartner, die alle in wörtlicher Rede erscheinen, also zitiert werden. Auch in seinen französischen Texten sind Vorkommen von solch funktionalem code-switching zu entdecken. In einem Briefentwurf - der Adressat ist Lodovico Gonzaga (Duc de Nevers) -, der auch eine von ihm selbst besorgten Niederschrift eines Vortrags, den er vor Monsieur d’Espernon und „beaucoup de monde“ gehalten haben will, enthält, erscheint gegen Ende ein italienisches Sprichwort. Voyla la somme de mon discours; Au quel ie ne scay, q[ue] vous soyes offensé, Je croy q[ue] vous [= Duc de Nevers, T.S.] ou Madame, pourries (sens preiudice aulcung de vostre autoritè), sur mon advis, luy escrir ung mot; car sta bene di donare quello che non si puo vendere et sapere vivere col mondo. Vous estes sagge (Brief von Cavriana: Propos tenus par le Sr Cabriani vom 16. November [1585] 381 vor Monsieur d’Espernon und „beaucoup de monde“ [autographe], BNF FF 3374 [6-7], Unterstreichungen im Original, Zusätze in Klammern T. S.) Dass anders als in den übrigen Briefen an diesen Adressaten (vgl. Kapitel 6.2.2.3) hier durchgänging das Französische gebraucht wird, mag zunächst verwundern, erklärt sich m. E. aber dadurch, dass die Rede sowie die Reaktionen des Publikums - alles wird im französischen Original wiedergegeben - den Großteil des Briefs ausmachen und daher ein Wechsel ins Italienische wohl überflüssig gewesen wäre. Die Verwendung der italienischen Redeweisheit erinnert hier 380 Vgl. Brief von Guadagni vom 06. Dezember 1572 (BNF FF 15 555 [204-205]), vom 07. Dezember 1572 (BNF FF 15 555 [209]). 381 Zumindest werden alle weiteren Dokumente in BNF FF 3374 auf 1585 / 1586 datiert. In der Handschrift wird kein Datum angegeben. Auch Spigarolo (1999: 243-245) nennt kein Datum. 590 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 591 stark an den auch in den Deux Dialogues kritisierten A-la-mode- Stil und weniger an spontanes code-switching . Zu behaupten, dass Cavriana auf ein italienisches Sprichwort zurückgriff, weil ihm kein geeignetes französisches einfiel, wäre sicherlich zu weit hergeholt. Immerhin war er, wie seine französische Briefe beweisen, des Französischen mächtig. Auch handelt es sich um einen elaborierten Text, so dass ausreichend Zeit gewesen wäre, um französische Formulierungen zu wählen. Die Verwendung war mit Gewissheit beabsichtigt. Das Vorkommen kann also nicht auf eine etwaige unzureichende Kenntnis des Französischen zurückgeführt werden. Es zeigt vielmehr, dass die italienischen Immigranten auch noch nach über 20 Jahren in Frankreich durchaus das Italienische verwendeten und dass sie sich - ganz wie die Français italianisants - offenbar nicht davor scheuten, manchmal Sentenzen aus ihrer Muttersprache in französischen Diskursen zum Besten zu geben 382 . Vermutlich weniger beabsichtigt sind hingegen sprachliche Besonderheiten in der Aufstellung der Vermögenswerte und Besitztümer der Medici in Mittelitalien von 1572, die im Rahmen der Jahrzehnte andauernden Erbschaftsstreitigkeiten zwischen Catherine de Médicis und der Duchesse de Parme von ersterer in Auftrag gegeben wurde. Über den Verfasser, einen gewissen Boromi, ist nur wenig bekannt. Sowohl der Name als auch sprachliche Auffälligkeiten im Text lassen aber vermuten, dass er italienischer Abstammung war (vgl. Kapitel 7.2) 383 . Wie der folgende Ausschnitt zeigt, finden sich im französischen Text zahlreiche unintegrierte italienische Elemente. Der darunter abgedruckte Passus entstammt einem ähnlichen Dokument, das, da das Manuskript in den Medici-Archiven in Florenz aufbewahrt wird, vermutlich nach Italien gesandt wurde, um die Ansprüche geltend zu machen. Auch dieses lag nur in der von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943) besorgten Edition vor. Es trägt den Titel Mémoire des biens possédés par Madame la Duchesse de Parme dont la Reine est héritière 384 . Ein Vergleich der zwei Textstellen, die inhaltlich, aber nicht sprachlich nahezu identisch sind, lässt Spekulationen im Hinblick auf die Verwendung der Nationalsprache Französisch in der diplomatischen Korrespondenz mit Italien zu. 382 Dass bisweilen auch Spruchweisheiten aus einer prestigereichen Kontaktsprache entlehnt werden können, zeigt z.B. dt. Nobody is perfect . 383 Der Text - die Handschrift wird in den Archiven der BNF aufbewahrt - lag nur in edierter Version vor, wurde aber auch nur im Hinblick auf die Lexik bzw. code-switching untersucht. 384 Das Manuskript ist laut Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 9 (1905: 447-448) wie folgt katalogisiert: Archives de Florence, Miscellanea Medicea filza II, Pretensioni della Regina Caterina di Francia sopra l’Eredita di Cossimo de’ Medici il Magnifico , ohne Datum. […] Poggio Acaiano, avec le pallais, terres, bois, vignes et aultres appartenances, soubz la fattorie de Michele Castelli, ensemble la cascine près ledit Poggio, avec tout ce qui en deppend, soubz la fattorie de Girolamo, déduites les charges, prisées, les deux, ducati … […] Soit noté que, oultre les susdicts biens qui furent monstrez, restent encores à priser les biens qui s’ensuivent, appartenants à Sa Majesté. A sçavoir: Tous les biens assis nelle chiane d’Arezzo, que possedoit le duc Alexandre, lesquelz sont nommément comprins en l’affitto faict par la duchesse de Parme au feu grand duc dès l’an 1537, pour sept mille cinq cens ducatz, par an; Une vigne et biens assiz in Cazentino, lieu dict Filletto, aussi mentionné par ledict affito; Tous les biens et bestiames que ledict duc Alexandre avoit es maremmes de Pise et esdictes cascines, dont debvoit estre faict inventaire par ledict affitto, et Son Altesse en estoit chargée, laquelle m’a recogneu qu il y en pouvoit avoir pour quinze mil escus; […]. (Briefe CM Bd. 9: 444-445: La prisée des biens que la Royne, mere du Roy, ha en Toscane, envoyée par Monsieur Boromi (1572), Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Les biens possédez par Madame d’Aultriche, Duchesse de Parme, des biens et succession de la Maison de Medicis, de laquelle la Royne est heritiere, concistent en ce qui s’ensuict: Premièrement, tous les biens assis en la ville et duché de Florence, lesquelz le Duc de Florence a prins à ferme de ladicte Duchesse pour viijm vc escus d’or chacun an; […] Item , le palais, possessions, prez et biens qui s’appellent vulgairement il Poggio à Cavano, où il y a plusieurs pascaiges et bestail, assis au lieu susdict de Valle Pesé. […] Item , tous les biens que le feu Duc tenoit et participoit aux Chianes d’Arece; Item , une vigne et biens assis en la contrée Casentin, appellée vulgairement Filleto, avec toutes deux estendues; Item , tous les droicts, biens et bestail, que le feu Duc Laurens avoit et possedoit es maremmes de Pize, avec toutes les compaignies et choses contenues au contract de location faict sur ce et passé entre ladicte Dame d’Aultriche et Duc Cosmo. (Briefe CM Bd. 9: 447-448: Mémoire des biens possédés par Madame la Duchesse de Parme dont la Reine est héritière (ohne Datum), Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Besonders auffällig im Text Boromis sind die zahlreichen unintegrierten italienischen Elemente. Neben Einzellexemen ( ducati , affit(t)o ), Fällen von one-word code-switching , die auch als AS -produzenteninduzierte Entlehnungen oder als Spontanentlehnungen bezeichnet werden könnten, erscheinen auch größere Einheiten völlig unintegriert (z. B. nelle chiane d’Arezzo sowie in Cazentino ), so dass insgesamt von code-switching gesprochen werden kann. Das ebenfalls spontan aus dem Italienischen entlehnte und bisher nicht als sporadischer Ita- 592 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 593 lianismus dokumentierte 385 Substantiv fattorie < it. fattoria ‘amministrazione di più poderi o di più beni di campagna’ (seit dem 14. Jahrhundert, vgl. DELI s.v. fattoria ) ist nur oberflächlich integriert (immer noch <tt>, aber <-e> statt <-a>). Von den im Französischen tatsächlich belegten Italianismen ducatz und cascines (vgl. z. B. Hope 1971: 37, 178-179) erinnert letzteres aufgrund von <sc> noch an die italienische Herkunft. Interessant ist auch, dass ducatz und die weniger integrierte oder gänzlich italienische Form ducati nebeneinander erscheinen. Die Tatsache, dass genau wie ducatz / ducati auch alle anderen italienischen Wörter auf sog. réalités italiennes verweisen 386 , wirft natürlich die Frage auf, ob die italienischen Elemente in diesem Dokument absichtlich verwendet wurden oder nicht. Der Umstand, dass neben ducatz auch ducati anzutreffen ist, könnte zunächst vermuten lassen, dass italienische Wörter ohne wirkliche Notwendigkeit gebraucht wurden. Zumindest der integrierte, seit dem Mittelalter etablierte Italianismus ducatz hätte nicht durch ducati ersetzt zu werden brauchen. Ansonsten jedoch bezeichnen die italienischen Wörter in der Tat réalités italiennes , für die es vermutlich auch keine Entsprechungen in der Lebenswirklichkeit der Franzosen gab. Das Lehnwort cassine / ( cascine ) kann, auch wenn es im Französischen verschiedene Bedeutungen entwickelte, als Bedürfnislehnwort betrachtet werden und wurde über einen gewissen Zeitraum hinweg auch als Exotismus verwendet (vgl. Hope 1971: 178-179). Pachtverträge in Italien und Frankreich könnten sich möglicherweise stark voneinander unterschieden haben, was unter Umständen den Gebrauch von affitto rechtfertigte. Wie die weiter oben dem DELI entnommene Definition von fattoria veranschaulicht, war damit in der Tat eine ganz spezielle Verwaltungseinheit gemeint, die den Franzosen in dieser Form vielleicht unbekannt war. Zudem könnten la fattorie de Michele Castelli und la fattorie de Girolamo genau so wie Cazentino , Arezzo und alle weiteren Toponyme mehr oder weniger als Eigennamen verstanden worden sein. Die Präsenz all dieser italienischen Elemente braucht also keinesfalls durch eine mangelnde Kenntnis des Französischen erklärt zu werden. Welche Gründe genau für die Aufnahme der italienischen Formen verantwortlich waren, lässt sich letztlich nicht mehr zweifelsfrei feststellen. In jedem Fall zeigt dieses Dokument, dass Italiener im Dienste von Catherine de Médicis - ob es sich um einen Immigranten handelt, der dauerhaft in Frankreich lebte, ist nicht bekannt - durchaus italienische Elemente im Französischen verwendeten. 385 Ein entsprechender Eintrag fehlt in: Kohlmann (1901), Sarauw (1920), Wind (1928), Vidos (1939), Hope (1971), DHLF, DMF, FEW (s.v. factor ), HUG, GREIMAS, GR, OIM und TLFi. 386 Laut Hope (1971: 37) handelte es sich bei ducati zunächst um eine venezianische Währung. Offenbar war sie im 16. Jahrhundert aber auch als Zahlungsmittel in anderen Gegenden auf der Apenninhalbinsel verbreitet. Dies legt auch der Artikel im DELI (s.v. duca ) nahe: „ducato: moneta d’oro italiana coniata dapprima a Venezia, poi altrove“. Nun aber ist anhand des zweiten Dokuments klar ersichtlich, dass derselbe Inhalt auch wesentlich französischer ausgedrückt werden kann. Bis auf wenige Ortsnamen, deren italienischer Charakter durch vorangestellte Floskeln wie appellé vulgairement gewissermaßen gerechtfertigt wird, finden sich keinerlei Italianismen. Weder die Währung ( escus d’or statt ducati / ducatz ) noch bekannte Ortsnamen ( Florence , Pize ) sind italienisch. Auch vermutlich weniger gebräuchliche Toponyme wie Arece und Casentin erscheinen französiert und sind morphosyntaktisch vollständig integriert: aux Chianes d’Arece statt nelle chiane d’Arezzo sowie en la contrée Casentin statt in Cazentino . Affitto / affito wird durch contract de location wiedergegeben, während cascine und fattorie entweder unübersetzt bleiben oder mit compaignies umschrieben werden. Wie lassen sich diese Unterschiede erklären? Vermutet werden könnte, dass der von Boromi erstellte Text als Vorlage für den zweiten gedient hat. Problematisch ist, dass dieser nicht datiert ist und sich die Erbstreitigkeiten über mehrere Jahrzehnte erstreckten - eine Einigung konnte erst 1586 mit dem Tod der Duchesse de Parme, Marguerite d’Autriche, erzielt werden (vgl. Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 9, 1905: 338, Fn. 4) -, so dass zwischen der Entstehung des einen und des anderen Textes mehrere Jahre vergangen sein könnten. Allerdings legen die verblüffenden Ähnlichkeiten m. E. nahe, dass eine gewisse Beziehung zwischen den Texten besteht. Denkbar wäre, dass Boromis Text gar nicht für die offizielle Korrespondenz mit Florenz bestimmt war, sondern in seiner Eigenschaft als Inventarliste den Sekretären von Catherine de Médicis zur Orientierung diente. Auf seiner Grundlage könnte dann das nach Florenz versandte Manuskript entstanden sein. Die unterschiedlichen Aufbewahrungsorte der beiden Handschriften könnten diese Annahme untermauern. Das Dokument von 1572 scheint offenbar in Frankreich verblieben zu sein. Natürlich könnte das Schriftstück kopiert worden sein oder gar als Original den Weg nach Paris zurückgefunden haben, was in einem Zeitraum von - zur Zeit der Edition - mehr als 300 Jahren nicht völlig undenkbar ist. Mir scheint es aber plausibler zu sein, dass es Paris nicht verlassen hat. Dass der in Florenz aufbewahrte Text tatsächlich verschickt wurde, dürfte hingegen unstrittig sein. Möglicherweise war das Dokument von 1572 zu italienisch oder zu italianisierend, um verschickt zu werden. Wie aus zahlreichen zeitgenössischen Memoiren hervorgeht, war die Nationalsprache und in der Folge deren Verwendung in der diplomatischen Korrespondenz im 16. und 17. Jahrhundert nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa ein Politikum: Die europäischen Großmächte versuchten stets die eigene Sprache als Verhandlungssprache durchzusetzen; gelang dies nicht, wurde im Notfall auch noch im 17. Jahrhundert auf das Lateinische ausgewichen. 594 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 595 Bisweilen verzögerte der Streit um die Sprache sogar das Zustandekommen wichtiger Verträge 387 . Der folgende Ausschnitt aus einem Brief von Catherine de Médicis an den Papst (1585) ist in zweifacher Hinsicht interessant. Zum einen lassen sich in ihm, was ansonsten selten ist, zwei Fälle von one-word code-switching in einem einzigen Satz nachweisen, zum anderen finden sich darin auch bestimmte Anredeformen, die, da sie von Estienne (1578) ebenfalls kritisiert wurden, im Anschluss besprochen werden. Der Brief gehört zur Gruppe A, das Manuskript befindet sich laut Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 8 (1901: 356) in den Vatikanischen Archiven. Dass es sich, wie die Herausgeber der Edition angeben, um ein autographe handelt, legen auch bestimmte Graphien nahe, die m. E. als typisch für die Handschriften von Catherine de Médicis gelten können. Très Sainct Père, s’ann alant l’évesque de Paris [Pierre Gondi] de la part du Roy mon fils, ver Vostre Saincteté, n’é voleu fallir par la présante remercier Vostre Béatitude de l’amore letre que son nontio m’a donné de sa part, et la suplyer qu’insin qu’ele me promect de avoyr ayguard auls requêtes que par le même luy ay festes, qu’il pleyse hà Vostre Saincteté que je an voye quelque bon efect; ausi né veus obmetre à la supleyer de croyre que yl n’y a prinsese en la Crétyenté plus désireuse de voyr l’aucmantation de nostre relygion catolique. (Briefe CM Bd. 8: 356-357: Brief vom September 1585 an Très Saint Père [Sixtus V], Archives du Vatican, Nunziatura di Francia 19 [348], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Auffällig ist zunächst de l’amore letre que son nontio . Schon Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 8 (1901: 356, Fn. 2) merken dazu an: „On voit que la reine avait encore dans l’esprit des tournures, et des mots italiens: « dell’amorevole lettera che il suo Nunzio… »“. In diesem Fall erscheinen gleich zwei italienische Lexeme, nicht nur eines, mehr oder weniger unintegriert in einem französischen Satz. Dass amore und nontio hier beabsichtigt sind, ist nur schwer vorstellbar. Wahrscheinlicher ist, dass, wie schon die Herausgeber vermuten, Catherine de Médicis aufgrund des italienischen Settings an das Italienische dachte. Der nontio dürfte mit ihr im Allgemeinen Italienisch gesprochen haben. Dass die Briefe des Papstes im Normalfall in italienischer Sprache verfasst 387 Zur politischen Dimension der ‘Nationalsprache(n)’ im Europa der Frühen Neuzeit vgl. die Aussagen zahlreicher französischer Diplomaten und Staatsmänner (z. B. Brantôme Bd. 7, 1873: 374-375; Petitot / Monmerqué Série 1, Bd. 16, 1826: 166, 172, 365, Memoiren La Marck; Série 1, Bd. 25, 1823: 140, Memoiren Tavannes; Série 2, Bd. 12, 1821: 285, 454, 465-466, Memoiren Jeannin; Série 2, Bd. 24, 1823: 366 und Bd. 25, 1823: 176, Memoiren Richelieu; Série 2, Bd. 42, 1825: 508, Memoiren Mademoiselle de Montpensier; Série 2, Bd. 62, 1827: 401, Memoiren Talon). Vgl. auch die Beiträge in Ortola / Roig Miranda (2005). wurden, legt ein Brief von Gregor XIII . 388 nahe. Des Weiteren spricht auch der Umstand, dass die französischen Briefe von Catherine de Médicis im Vatikan ins Italienische übersetzt wurden 389 , dafür, dass das Französische dort keine gängige Verkehrssprache war. Obschon nonce < it. nonzio / nunzio ein tatsächlich im 16. Jahrhundert verbreitetes Lehnwort ist, das auch von Estienne ([1578] 1980: 239) kritisiert wird, scheint hier aufgrund der völligen Unintegriertheit eine AS-produzenteninduzierte Entlehnung ( one-word code-switching ), also eine Innovation vorzuliegen (vgl. auch <sachager> und <mancet> in Kapitel 7.3.5.4.3, die jedoch besser integriert sind). Bei amore < it. amorevole handelt es sich sogar um eine Entlehnung ( one-word code-switching ), für die bisher keine weiteren Vorkommen dokumentiert sind 390 . Wenn man annimmt, dass bisweilen auch amore / amorevole im françois italianizé zu hören war, lässt dies auch Estiennes Aussagen ([1578] 1980: 265) bezüglich des zumeist als Hapax-Beleg betrachteten amorevolesse in einem neuen Licht erscheinen. In der vorliegenden Arbeit wurde das Lexem ohnehin zu den belegten Italianismen gezählt, weil zumindest Anfang des 17. Jahrhunderts (1612) eine Okkurrenz in Béroalde de Verville nachgewiesen werden kann. Von diesem wird es aber bewusst als Italianismus verwendet und explizit als solcher ausgewiesen, so dass das Vorkommen, das vielleicht aus den Deux Dialogues kopiert ist - Béroalde de Verville könnte das Werk gelesen haben -, unter Umständen nicht als Beleg dafür betrachtet werden kann, dass es tatsächlich außerhalb der Werke Estiennes verbreitet war. Die vermutlich unbewusste Verwendung von amore < it. amorevole in den Briefen von Catherine de Médicis lässt jedoch vermuten, dass es im françois italianizé begegnen konnte. Ebenfalls auffällig sind die Pronomina und Verbalformen in der 3. Person in Verbindung mit den Anredeformen Vostre Saincteté und Vostre Béatitude. Wie in Kapitel 4.2.3.4 dargelegt, sieht Estienne (1578) sowohl in der Verbreitung solcher nominaler Anredeformen selbst als auch in der damit verbundenen Verwendung der 3. Person Singular italienischen Einfluss. Es wurde festgehalten, dass die Stärkung der indirekten Anrede im rinascimentalen Französisch zwar sowohl durch spanische als auch durch italienische Vorbilder bedingt sein könnte, dass aber aufgrund der Tatsache, dass der Kontakt mit dem Italienischen viel in- 388 Vgl. Briefe CM (Bd. 10: 499): Brief vom 15. Juni 1574. 389 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 7: 204-205): Brief vom 09. Dezember 1579 [Anonym], Briefe CM (Bd. 8: 370-371): Brief vom 30. November 1585. Dass die Briefe dort u. a. von den Gesandten von Catherine de Médicis übersetzt wurden, wird auch explizit in einem Brief eines Bischofs an die Königin erwähnt (vgl. Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 3, 1887: 306-307, Fn. 1). 390 Ein entsprechender Hinweis fehlt in: Kohlmann (1901), Sarauw (1920), Wind (1928), Vidos (1939), Hope (1971), DHLF, DMF, FEW, HUG, GREIMAS, GR, OIM, TLFi. 596 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 597 tensiver war als mit dem Spanischen, eine Beeinflussung der sprachlichen Höflichkeit durch das Italienische wahrscheinlicher ist. Wie zudem in Kapitel 6.3.3.3 gezeigt wurde, war die 3. Person in der höflichen Anrede im Italienischen der Immigranten bereits etabliert. Was die Anrede in den Briefen von Catherine de Médicis angeht, lässt sich Folgendes feststellen: Im unmarkierten Fall, also mit Monsieur , Madame , Mon cousin , Mon fils usw., erscheint immer vous / vostre / vos in Verbindung mit Verbalformen in der 2. Person Plural. Dieser Befund deckt sich auch mit den Aussagen von Clément ([1898] 1967: 320), dem zufolge sich die 3. Person im Französischen des 16. Jahrhunderts jenseits der nominalen Anredeformen des Typs Possessivum in der 2. Person Plural + ehrendes Abstraktum nicht durchsetzen konnte (vgl. den folgenden Passus). Monsieur mon fils, afin qu’il vous soviegne plus sovent de moy, je vous envoy une bourse que m’a donnée Madame de Saincte Croys que je trove asés belle, me sanblent que vous serviré à mestre vostre argent que portés en vostre poche et voldrès bien que vous portât si bonheur que eusié aultent de milion qu’il i pouré d’écus. Sela vous serviroyt à vous fayre Roy asoleu san contredist. (Briefe CM Bd. 5: 166: Brief vom 28. November 1575 an Roy Monsieur Mon Fils [Henri III ], BNF FF 6625 [39], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Wie der weiter oben zitierte Ausschnitt aus dem Brief an den Papst zeigt, wird bisweilen in der Tat die 3. Person Singular verwendet, diese ist aber immer abhängig von Formen wie Vostre Béatitude , Vostre Saincteté . Belege für Vostre Seigneurie konnten nicht ausfindig gemacht werden. Die Verwendung der 3. Person Singular begegnet des Weiteren häufig in Verbindung mit der Anredeform Vostre Majesté , etwa in Briefen an Monarchen aus anderen europäischen Ländern. Monsieur mon fils, je né voleu fallir par tel porteur faire cet mot à Votre Majesté et me ramentevoyr en sa bonne grase, désirent y estre contineuée pour un de plus gros contentemens que en ma vyellesse je puisse resevoyr, mestent tousjours pouyne par mes ayfayst lui témoygner l’amour et affayction que lui porte; et pour se que le Roy vostre frère mende si au long à son enbasadeur cet qu’il désire que Votre Majesté entende come celui à qui il ne veult céler l’estast de ses affayres, et chause tent ynportente comme cele qui s’y présante, s’asurant que, pour la démostration que Vostre Majesté lui a fayst au securs qu’ele lui ha donnés qu’ele désire son repos et de son royaume, […]. (Briefe CM Bd. 3: 296: Brief vom 07. Februar 1570 an MR Mon Fils le Roy Catolique, Arch. nat. collect. Simancas, K 1515 [24], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Besonders interessant in diesem Ausschnitt ist auch, dass trotz Votre Majesté der Gebrauch der Possessiva bisweilen schwanken kann. Neben sa begegnet noch vostre . Die Verbalformen sowie die Subjekt- und Objektpronomina sind aber, wenn kein Madame / Monsieur im Brief erscheint, immer in der 3. Person. Wie in Kapitel 6.3.3.3 gezeigt wurde, sind solche Schwankungen auch in italienischen Briefen aus dem 16. Jahrhundert zu beobachten. Dass die 3. Person dennoch einen besonders markierten Fall darstellt, legen die zahlreichen Stellen nahe, in denen im selben Brief sowohl Vostre Majesté mit der 3. Person Singular als auch Madame / Monsieur mit der 2. Person Plural gebraucht wird. Beide erscheinen nebeneinander. So in den folgenden Briefen von Lodovico Gonzaga an Catherine de Médicis: Madame, parceque je ne vouldrois tumber en ce malheur que Vostre Majesté pensast je ne desirasse de l’obeyr en tout ce qui sera en mon pouvoir, et de donner occasion au Roy vostre filz de croire que je voulusse differer de luy rendre le debvoir que je luy doibz […] je n’ay voulu differer d’escrire à Sa Majesté la lettre qu’il vous a pleu me commander […]. (Briefe CM Bd. 9: 399-400: Minute vom 05. März 1586 an Catherine de Médicis, BNF FF 3974 [144], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) […] obligé à vous faire très humble service, comme l’un des plus obligez serviteurs que Vostre Majesté ayt, lequel pour fin luy baise très humblement les mains et supplie le Createur vous donner, Madame, en parfaicte santé très heureuse et longue vye. (Briefe CM Bd. 9: 398-399: Brief vom 13. Februar 1586 an Catherine de Médicis [Kopie], BNF FF 3974 [111], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Wie im ersten Ausschnitt zu sehen ist, finden sich auch die von Estienne kritisierten Formen wie Sa Majesté , um auf Dritte, hier Henri III , zu referieren. In Kapitel 7.2 wurde bereits angedeutet, dass im Hinblick auf die Morphologie und die Syntax keine Besonderheiten festgestellt werden konnten. Gewiss galt das Hauptaugenmerk der Schreibung und Lautung sowie der Lexik, allerdings dürfte zumindest anhand der in Kapitel 7.3 zitierten und abgedruckten Stellen deutlich geworden sein, dass diesbezüglich in der Tat keine wirklichen Auffälligkeiten zu beobachten sind. Lediglich die häufige Verwendung von que statt qui als Relativpronomen im Brief des unbekannten Sekretärs aus Armagnac (z. B. <aus soldas que estoient dans laditte ville> 391 ) bedarf einer Erklärung. Natürlich könnte man an italienischen Einfluss denken, jedoch ist que statt qui im 16. Jahrhundert laut Huguet ([1894] 1967: 116-119) „trop fréquent encore 391 Vgl. Briefe CM (Bd. 6: 409-412): Relation du cardinal d’Armagnac touchant l’accomodement qu’il a faict avec le mareschal Damville, pour le remettre aux bonnes graces de sa Majesté vom Dezember 1578 [Kopie]. 598 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 599 pour que nous puissions le considérer comme une particularité de la syntaxe de Rabelais“ 392 . Wie die Analyse gezeigt hat, lassen sich im françois italianizé der Immigranten kaum Vorkommen von code-switching beobachten. In einigen Fällen sind nur vereinzelte Lexeme aus dem Italienischen anzutreffen (z. B. nontio , amore < it. amorevole ), die auch als unbewusste AS -produzenteninduzierte Entlehnungen bezeichnet werden könnten. Manchmal könnte es sich dabei aber auch um absichtliche AS -produzenteninduzierte Entlehnungen handeln ( affitto , fattorie ), die als Exotismen zur Bezeichnung sog. réalités italiennes dienen. Andere Erscheinungen, die als code-switching betrachtet werden könnten, sind äußerst rar (z. B. dal , della Rochella ). Sie zeigen aber, dass es manchmal zur Beeinflussung des Französischen durch die Muttersprache der Migranten kommen konnte. Die bewusste Verwendung italienischer Sentenzen bei Cavriana legt nahe, dass sich die Immigranten des Prestiges des Italienischen bewusst waren und manchmal, auch wenn sie das Französische gut beherrschten, Spruchweisheiten aus ihrer Muttersprache zum Besten gaben. Sie unterscheiden sich diesbezüglich also nicht von den Français italianisants. Die Befunde legen nahe, dass die beiden Sprachen, obschon eine strikte Trennung der Funktionsbereiche nicht immer gegeben war, auseinander gehalten wurden. Während im Italienischen auch keine Interferenzen mit dem Französischen festzustellen sind, lassen sich in ihrem Französisch aber Einflüsse ihrer Muttersprache nachweisen. Dass code-switching in der Mündlichkeit verbreiteter war, ist natürlich denkbar. Ebenso kann es insbesondere bei Immigranten zu beobachten gewesen sein, die erst seit kurzer Zeit in Frankreich ansässig waren. Die Mehrheit der für die vorliegende Arbeit untersuchten Texte wurde zu einem Zeitpunkt verfasst, als die jeweiligen Autoren mitunter schon seit Jahrzehnten in Frankreich lebten. Im Hinblick auf die höfliche Anrede lässt sich Folgendes festhalten: Okkurrenzen für die Anredeform Vostre Seigneurie konnten nicht nachgewiesen werden. Allerdings ist zu bedenken, dass die meisten Briefe solche sind, die von der Königin verfasst wurden oder an diese adressiert waren, und daher andere Anredeformen zu erwarten sind. In künftigen Studien müsste man sich verstärkt der Korrespondenz von Höflingen widmen. Diese könnten im Briefwechsel untereinander, d. h. mit Gleichgestellten, durchaus vermehrt Vostre Seigneurie verwendet haben. Dass die 3. Person Singular im Allgemeinen besonders gebräuchlich war, lässt sich anhand der untersuchten Briefe nicht belegen. Die kontinuierliche Verwendung der 2. Person Plural mit französischen Anredeformen wie Madame , Monsieur usw. (vs. it. Signore oder Signora mit der 3. Person 392 Der Passus aus Huguet ([1894] 1967) ist nach Lardon / Thomine (2009: 167) zitiert. Zur Konkurrenz von que und qui als Relativpronomina vgl. Lardon / Thomine (2009: 166-167). Singular) scheint - mehr als die auch im zeitgenössischen Italienisch zu beobachtenden Schwankungen bei den Possessiva in Verbindung mit den nominalen Anredeformen des Typs Vostre Majesté - dagegen zu sprechen. Anredeformen des Typs Vostre Majesté sind zwar häufig anzutreffen, ob deren Frequenz im françois italianizé der Immigranten aber wirklich höher war als in jenem der Franzosen, die Italiener also für eine vorübergehende Blüte der indirekten Anrede verantwortlich waren, müsste durch weitere Korpusstudien überprüft werden. In diesem Zusammenhang wäre auch zu klären, ob und ggf. inwiefern man für solche Formen im Französischen von einer Kontinuität seit dem Mittellateinischen ausgehen kann. Insgesamt lassen sich die Aussagen Estiennes an dieser Stelle also weder bestätigen noch widerlegen. Die von ihm kritisierten Formen sind mit Ausnahme von Vostre Seigneurie aber nachweisbar, ebenso die Verwendung der 3. Person Singular. Gleiches gilt für die Wendung baiser les mains , für die eine Vermittlung durch das Italienische mehr als wahrscheinlich ist (vgl. Kapitel 5.5.1.4 und 7.3.5.2). Dass seine Aussagen zur sprachlichen Höflichkeit im françois italianizé der Immigranten unter Umständen ernstzunehmen sind, lässt sich anhand der Ergebnisse in jedem Fall nicht ausschließen. 7.3.7 François autrement desguizé In Kapitel 4.2.4 wurde dargelegt, dass Estienne als Sprachbeobachter auch Erscheinungen kritisiert, die er als zum langage courtisanesque gehörig betrachtet und als françois autrement desguizé bezeichnet. Italienischer Einfluss wird dafür an keiner Stelle in den Deux Dialogues verantwortlich gemacht. Auch wenn einige dieser Phänomene schon im Französischen des 15. Jahrhunderts zu beobachten waren, gibt ihm die Forschung heute zumindest insofern Recht, als diese im 16. Jahrhundert in der Tat weit verbreitet waren. Aus synchroner Perspektive erweist sich sein Zeugnis somit als wertvolle Bestandsaufnahme der Variation im Frühneufranzösischen. Im Hinblick auf den Sprachwandel sind seine Beobachtungen dennoch von Bedeutung. Viele der Merkmale des françois autrement desguizé sind nämlich ursprünglich diastratisch niedrig markierte Varianten, die durch die Sprache des Hofes offenbar salonfähig wurden (vgl. auch [ɛ] <e> statt [wɛ] <oi / oy>). Angesichts der Tatsache, dass sowohl Catherine de Médicis, der bestimmte Zeitgenossen wie Brantôme - zumindest ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts - eine gute Kenntnis des Französischen attestieren (vgl. Kapitel 6.2.2.3), als auch Persönlichkeiten wie Cavriana, Lodovico Gonzaga, Filippo Strozzi und Zametti durchaus als Vertreter des Hofes betrachtet werden können, lag es nahe, in ihren Texten nicht nur nach italianisierenden Phänomenen, sondern auch nach Spuren des françois autrement desguizé zu suchen. 600 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 601 Die von Estienne in Übereinstimmung mit anderen Zeitgenossen kritisierte Aussprache von ainsi als [ɛ̃(n)sɛ̃(n)], die sich in der Schreibung <ainsin> widerspiegelt 393 , muss im Französischen von Catherine de Médicis zu hören gewesen sein. In zahlreichen Briefen begegnet neben <ynsi> auch <ynsin> 394 . Zur Vermeidung eines Hiats (z. B. in ainsin au combat ), laut Smith (1980a: 271, Fn. 29) einer der Hauptgründe für diese Variante, dient sie aber in den seltensten Fällen (z. B. <ynsin que>) 395 . Schreibungen, die auf die Öffnung von [ɛ] zu [a] vor [r], wie z. B. in sarment statt serment 396 , hindeuten, finden sich nicht. Im Gegenteil: In einem autographe von Catherine de Médicis ist <serma[n]t> 397 anzutreffen. Allerdings gibt es zahlreiche Graphien, die auf die umgekehrte Entwicklung verweisen. Anders als in den Briefen der Sekretäre, in denen durchgängig <Navarre> und <charge> 398 anzutreffen ist, begegnen in den autographes neben <Navarre> und <Naverre> auch <Nerbonne> sowie <cherge> 399 . Laut Thurot Bd. 1 (1881: 3-4) und Smith (1980a: 47, Fn. 10) sehen Tory (1529) und Estienne in den Hypomneses (1582) in der Hebung von [a] zu [ɛ] vor [r] eine Erscheinung, die v. a. bei gebildeten Frauen der Pariser Oberschicht zu beobachten gewesen sei 400 . Graphien, wie z. B. <oa>, die auf den Wandel von [wɛ] zu [wa] hindeuten könnten, finden sich - unter Umständen mit Ausnahme von <ouy / oui> in <povouyr> (vgl. Kapitel 7.3.3.2.1) - in den Briefen nicht. Was die Verbalmorphologie betrifft, konnten Vorkommen für die von Estienne ([1578] 1980: 162) getadelten Formen des Typs je demandis ausfindig gemacht werden. In den autographes sind neben <me manda> auch <ie aryvys>, <ie de- 393 Für entsprechende Textstellen vgl. Estienne ([1578] 1980: 271, 437). Zur Verbreitung dieser Variante vgl. die in Kapitel 4.2.4 genannte Literatur. 394 Vgl. neben vielen anderen z. B. Briefe CM (Bd. 10: 5): Brief vom Oktober 1551, Briefe CM (Bd. 1: 48): Brief von Ende Oktober 1551, Briefe CM (Bd. 5: 213): Ergänzung zum Brief vom 15. August 1576. 395 Vgl. Briefe CM (Bd. 5: 272-273): Brief vom 15. August 1577, Briefe CM (Bd. 1: 90): Brief vom 10./ 15. Juli 1554, Briefe CM (Bd. 1: 290-293): Brief vom 10. April 1562. 396 Für entsprechende Textstellen vgl. Estienne ([1578] 1980: 47, 163-164, 263). Zum Status und zur Verbreitung der Formen mit [a] statt [ɛ] im 16. Jahrhundert sei auf die bereits in Kapitel 4.2.4 zitierte Literatur verwiesen. 397 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 275-277): Brief vom 05. Mai 1585. 398 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 5: 5-6): Brief vom 03. Juni 1574 [Anonym], Briefe CM (Bd. 8: 469-470): Mémoire de Catherine de Médicis au Duc de Montmorency vom Mai 1585 [Anonym] z.T. mit (de)chiffrierten Passagen, Briefe CM (Bd. 1: 57-58): Brief vom 23. Mai 1552 [Duthier]. 399 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 290-293): Brief vom 10. April 1562, Briefe CM (Bd. 4: 86-87): Brief vom 28. Dezember 1571, Briefe CM (Bd. 6: 37-39): Brief vom 18. September 1578, Briefe CM (Bd. 8: 13): Brief vom 15. März 1582, Briefe CM (Bd. 3: 13-14): Brief vom 27. Februar 1567, Briefe CM (Bd. 1: 128-129): Brief von Ende November 1559. 400 Zur Konkurrenz zwischen [ɛ] und [a] vor [r] vgl. auch Vachon (2010: 150-153). mandis>, <ie trovis>, aber auch <qui tonbit> ‘qu’il tomba’ 401 vorzufinden. Auch bei Cavriana begegnet einmal <poussis> 402 ‘je poussai’. Dass es sich, wie schon Estienne richtig erkennt, nicht um ein italianisierendes Phänomen handelt, legt auch die Okkurrenz <jarriviz> 403 in einem Brief eines Sekretärs nahe. Würde man für diese schon vor dem 16. Jahrhundert beobachtbare Erscheinung (vgl. Brunot HLF II 1906: 336-337 und Buridant 2000: 207) tatsächlich italienischen Einfluss vermuten, würde sich auch die Frage stellen, inwiefern das Italienische für solche Formen überhaupt Modell gestanden haben hätte können. Wenn man den Immigranten dennoch eine Beteiligung bei der Verbreitung dieser Varianten unterstellen möchte, könnte man unter Umständen eine Art Hypergeneralisierung verantwortlich machen, die aber durch eine beliebige Lernervarietät erklärt werden könnte und mit dem Italienischen an sich nichts zu tun hat. Auch im Hinblick auf den Wortschatz können Estiennes Aussagen bestätigt werden. Zahlreiche der in den Deux Dialogues angeprangerten Lexeme und Wendungen des langage courtisanesque lassen sich tatsächlich in den Briefen nachweisen. Was den noch im 17. Jahrhundert von z. B. Molière und Somaize kritisierten abus des adverbes (vgl. Smith 1980a: 126, Fn. 284) anbelangt, treffen Estiennes Aussagen über die Sprache des Hofes voll zu. Sowohl in den autographes 404 als auch in den Briefen der Sekretäre 405 begegnet regelmäßig infiniment ; in einem autographe von Catherine de Médicis sogar dreimal: <remersie ynfiniment>, <suys ynfiniment en pouyne>, <desire ynfiniment de savoyr> 406 . Inwiefern die erhöhte Frequenz von infiniment möglicherweise doch vom Italienischen beeinflusst ist, lässt sich auf Anhieb nicht sagen. Auffällig ist, dass infinitamente auch in italienischen Texten des 16. Jahrhunderts ‘unendlich’ häufig Verwendung findet (vgl. Kapitel 6.3.3.2). Dazu müssten quantitative Korpusstudien sowohl für das Italienische als auch für das Französische durchgeführt werden. Würde sich zeigen, dass die Frequenz von it. infinitamente bereits im 15. und frühen 401 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 77-78): Brief von Ende Juli 1553, Briefe CM (Bd. 1: 125): Brief vom September 1559, Briefe CM (Bd. 1: 290-293): Brief vom 10. April 1562, Briefe CM (Bd. 1: 3): Brief vom August 1536. 402 Vgl. Brief von Cavriana: Propos tenus par le Sr Cabriani vom 16. November [1585] vor Monsieur d’Espernon und „beaucoup de monde“ (BNF FF 3374 [6-7]). 403 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 75-76): Brief vom 06. Mai 1553 [Anonym]. 404 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 290-293): Brief vom 10. April 1562, Briefe CM (Bd. 3: 13-14): Brief vom 27. Februar 1567, Briefe CM (Bd. 3: 296): Brief vom 07. Februar 1570, Briefe CM (Bd. 5: 67-68): Brief vom August 1574. 405 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 493): Brief vom 03. Februar 1563 [De L’Aubespine], Briefe CM (Bd. 5: 5-6): Brief vom 03. Juni 1574 [Anonym], Briefe CM (Bd. 5: 22): Brief vom 17. Juni 1574 [Pinart]. 406 Vgl. Briefe CM (Bd. 8: 155-156): Brief vom 21. November 1583. 602 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.3 Korpusauswertung 603 16. Jahrhundert steigt, im Französischen hingegen erst später, könnte dies ein Indiz dafür sein, dass die Zunahme im Französischen vielleicht doch kontaktinduziert ist. Auch für office ‘service’, das, obwohl es Estienne ([1578] 1980: 116-118) explizit als Latinismus ausweist, von Trescases (1978b) fälschlicherweise zu den Phantasiekreationen gezählt wird, finden sich sowohl in den Briefen von Catherine de Médicis ( autographes 407 und diktierte Briefe 408 ) als auch in den Briefen der anderen Immigranten 409 zahlreiche Belege: z. B. <le bon aufise quy la fayst> 410 . Offenbar war es in der Tat sehr verbreitet. Auch der Gebrauch des von Estienne beobachteten en vostre endroit muss im höfischen Jargon beliebt gewesen sein. PHIL .: […] Vous orrez dire aussi: Il en a usé ainsi en mon endret ; et quelquesfois: Je ne penses pas que vous en deussiez user ainsi en mon endret, au lieu qu’on diset: «Je ne penses pas que vous me deussiez traiter ainsi»; ou, «que deussiez vous porter ainsi envers moy». (Estienne [1578] 1980: 126, Hervorhebungen im Original) Die Wendung findet sich sowohl in den autographes von Catherine de Médicis 411 als auch in jenen von Lodovico Gonzaga 412 . Et pour ce, monsieur de Lymoges, que vous sçavez que par mes dernières je vous escrivis pour sentir du Roy mon filz s’il vouloit que je fisse quelque bon office à l’endroict du Grand Seigneur pour faire quelque pacifficacion entre eulx, […]. (Briefe CM Bd. 1: 179-180: Minute vom 27. März 1561 an Monsieur de Limoges [Anonym], BNF FF 15 874 [174], Hervorhebungen im Fettdruck T. S.) Beispiele für die von Estienne als „flatterie“ bezeichneten Wendungen, die insbesondere auch in der höfischen Korrespondenz anzutreffen gewesen seien, finden sich in den Briefen ebenfalls. 407 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 135-136): Brief vom Mai 1560, Briefe CM (Bd. 8: 342-343): Brief vom 31. Juli 1585. 408 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 101): Brief vom 16. Juli 1555 [Bourdin], Briefe CM (Bd. 10: 502-504): Instruction à Monsieur de Matignon vom 16. Juni 1574 [Pinart], Briefe CM (Bd. 8: 469-470): Mémoire de Catherine de Médicis au Duc de Montmorency vom Mai 1585 [Anonym] z.T. mit (de)chiffrierten Passagen. 409 Vgl. Brief von Filippo Strozzi vom 05. Juni 1563 (BNF FF 3243 [60]), Brief von Cavriana: Propos tenus par le Sr Cabriani vom 16. November [1585] vor Monsieur d’Espernon und „beaucoup de monde“ (BNF FF 3374 [6-7]). 410 Vgl. Briefe CM (Bd. 1: 90): Brief vom 10./ 15. Juli 1554. 411 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 130-131): Brief vom 03. Januar 1560. 412 Vgl. z. B. Brief von Lodovico Gonzaga vom Juli 1582 (BNF FF 15 906 (2) [711]), Briefe CM (Bd. 9: 398-399): Brief vom 13. Februar 1586 [Kopie]. PHIL .: Aussi (pour vous dire la verité) il est rare, mais ceste proteste est assez commune: Monsieur, je me sentiray bienheureux quand il vous plaira m’honorer de vos commandemens . Et ceste-ci n’est pas moins frequente: Monsieur, je m’estimeres bienheureux de pouvoir mourir à vos pieds en vous faisant treshumble service ; ou bien en m’aquittant de la devotion que j’ay à vostre service. Voire il y en a qui n’ont point honte de parler ainsi: Monsieur, je vous prie faire estat de moy comme de celuy des biens duquel, du corps et de l’ame, vous pouvez disposer. Mais aucuns disans la mesme chouse usent d’autres paroles. (Estienne [1578] 1980: 330, Hervorhebungen im Original) Catherine de Médicis schreibt etwa: je le desire infiniment et y voldres mestre ma vie pour voyr tout en tel repos que le desyre et prie dieu vous donner 413 , Zametti hingegen am Ende eines Briefes: et suis pour jammes et jusques alla mort votre bien humble […] 414 . Wie der folgende Ausschnitt aus einem Brief von Jean d’Arces, Baron de Livarot 415 , an Catherine de Médicis zeigt, sind die Formulierungen in authentischen Briefen bisweilen den von Estienne genannten Beispielen sehr ähnlich 416 . […] n’aiant austre désir que de sacrifier ma vie pour vostre servisce et vous demourer pour jamès, Très humble et très fidelle serviteur et subject […] (Briefe CM Bd. 7: 474-475: Brief vom 01. Juli 1580 an La Reine Mère [autographe], BNF FF 15 563 [83] 417 ) Wie die besprochenen Beispiele zeigen, sind in den Briefen in der Tat gewisse Erscheinungen des françois autrement desguizé nachweisbar. Wie im Falle des françois italianizé manifestieren sich die Besonderheiten v. a. in der Lautung und im Wortschatz. Was letzteren betrifft, könnte in bestimmten Fällen (z. B. erhöhte Gebrauchshäufigkeit von infiniment sowie einzelne Grußformeln) der Einfluss des Italienischen unter Umständen sogar eine Rolle gespielt haben. Auch wenn insbesondere hinsichtlich der Lexik nur ausgewählte Phänomene diskutiert werden konnten, zeigen die Ergebnisse, dass die Beobachtungen Estiennes im Hinblick auf den langagae courtisanesque ernst zu nehmen sind. Offenbar zeichnet er ein weit authentischeres Bild des höfischen Französisch ( françois italianizé et autrement desguizé ), als bisher angenommen wurde. 413 Vgl. z. B. Briefe CM (Bd. 1: 290-293): Brief vom 10. April 1562. 414 Vgl. Brief von Zametti vom 20. Juni 1592 (BNF FF 15 575 [27]). 415 Der Brief gehört nicht zum Korpus (weder Gruppe A noch B). Das Manuskript ist aber online konsultierbar. 416 Laut Cavallini (2005) seien bestimmte Grußformeln und Wendungen in der französischen Korrespondenz des 16. Jahrhunderts in der Tat auf italienische Vorbilder zurückzuführen. Briefsteller für Sekretäre seien in Italien deutlich früher als in Frankreich entstanden. Leider nennt Cavallini in ihrem Beitrag aber nur wenige konkrete Beispiele. 417 Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 7 (1899: 474) geben fälschlicherweise BNF FF 15 563 [53] an. 604 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.4 Zusammenfassung 605 7.4 Zusammenfassung Kapitel 7 war der Analyse von 168 Briefen von Catherine de Médicis sowie von 13 Texten anderer italienischer Immigranten aus dem 16. Jahrhundert gewidmet. Letztere gehörten zum Großteil der Entourage von Catherine de Médicis an. Nachdem in Kapitel 6 gezeigt wurde, dass sich das Italienische in der France italienne nicht zuletzt aufgrund seines internationalen Prestiges einer für eine Migrantensprache außergewöhnlichen Vitalität erfreute und im Italienischen der Einwanderer auch nach Jahrzehnten keine Interferenzen mit dem Französischen festzustellen sind, sollten in Kapitel 7 schließlich französische Produktionsdaten der Italiener untersucht werden. Es wurde insbesondere überprüft, ob und ggf. in welchem Ausmaß die in Kapitel 4.2.3 ermittelten Züge des françois italianizé nachweisbar sind. Das Interesse galt aber auch italianisierenden Phänomenen, die in den Deux Dialogues nicht besprochen werden. Die in Kapitel 6.2.2.4 präsentierten Daten aus weiteren Texten des 16. und 17. Jahrhunderts wurden gleichermaßen berücksichtigt. Da nicht nur Catherine de Médicis, sondern auch die meisten der anderen Verfasser als Höflinge im weitesten Sinne betrachtet werden können, wurde in allen Texten auch nach Spuren des von Estienne ebenfalls kritisierten françois autrement desguizé gesucht. Von besonderem Vorteil war, dass die Hälfte der Briefe von Catherine de Médicis ihren Sekretären diktiert, die andere Hälfte von ihr selbst geschrieben wurde ( autographes ). Da auch die meisten Briefe der anderen Immigranten autographes sind, konnten die Schreibungen der Italiener mit jenen der französischen Sekretäre verglichen werden. Die Analyse hat gezeigt, dass in den Briefen und Texten der italienischen Immigranten viele der von Estienne in den Deux Dialogues genannten Züge des françois italianizé ( et autrement desguizé ) nachweisbar sind. Auch andere, von zeitgenössischen linguistischen Laien als italianisierend empfundene Auffälligkeiten sind zu beobachten. In den meisten Fällen handelt es sich tatsächlich um Phänomene, die nicht oder nur schwer durch die Variation im Frühneufranzösischen erklärbar sind und auf Interferenzen mit dem Italienischen zurückgeführt werden können. Der Einfluss des Italienischen manifestiert sich insbesondere im Wortschatz sowie in der Schreibung und Lautung. Was letztere betrifft, wurde vorausgesetzt, dass bestimmte Schreibungen als phonetisch betrachtet werden können. In den 13 Texten der Höflinge aus der Entourage von Catherine de Médicis können neben ausdrucksseitigen Veränderungen in Einzelwörtern (z. B. <entierament>, vgl. it. interamente ), die eine andere Lautung andeuten, vereinzelt 418 auch Interferenzen durch die Übertragung italienischer Schreibkonventionen auf das Französische (z. B. <baglia> für fr. bailla ) beobachtet werden. Zumeist ist die graphische Realisierung von im Lateinischen nicht vorhandenen palatalen Konsonanten (z.B. <gl(i)> für [ʎ], <gi> für [(d)ʒ] und <c> vor <e> und <i> für [(t)∫]) betroffen. Diese Schreibungen können wie auch <ch> für [k], das ebenfalls im françois italianizé begegnet, als italienische Spezifika gelten. In keinem dieser Fälle - auch nicht bei <ce> [(t)∫], im françois italianizé steht <ce> vermutlich für [∫ɛ] oder [∫e] - braucht eine veränderte Lautung angenommen zu werden. Im Allgemeinen sind diese Interferenzen nicht auf die frühen Briefe der Einwanderer beschränkt. Sie können vereinzelt auch noch nach Jahrzehnten in Frankreich begegnen. Dass Interferenzen mit italienischen Schreibtraditionen zu beobachten sind, ist ein Indiz dafür, dass das Italienische auch in der Schriftlichkeit noch neben dem Französischen verwendet wurde. Bezeichnend ist, dass diese Schreibungen umgekehrt im Italienischen der France italienne stabil blieben, d. h. nicht vom Französischen beeinflusst wurden. In den Briefen von Catherine de Médicis konnten bestimmte Schreibungen quantitativ erfasst und analysiert sowie etwaigen konkurrierenden Schreibungen der Sekretäre gegenübergestellt werden. Auffälligkeiten und Unterschiede ließen sich sowohl im Bereich des Vokalismus und Konsonantismus als auch im Hinblick auf s impurum feststellen. Was die Konkurrenz [ɛ] <e> vs. [wɛ] <oi / oy> anbelangt, konnte die Analyse Estiennes Aussagen bestätigen, dem zufolge in Verbalendungen ( imparfait , conditionnel , plus-que-parfait , conditionnel passé ) [ɛ] statt [wɛ] anzutreffen gewesen sein soll. Während in den Briefen der Sekretäre durchgängig <oi / oy> erscheint, finden sich in den autographes von Catherine de Médicis mehrheitlich (76 %) phonetische Schreibungen mit <e>. Auch wenn die Italiener nicht für das Aufkommen dieser Lautung verantwortlich gemacht werden können, waren sie als Sprecher des Französischen vermutlich an deren Verbreitung beteiligt. Tatsächlich auf den Einfluss des Italienischen können hingegen Schwankungen zwischen [u] und [y] zurückgeführt werden, wie sie von zeitgenössischen Sprachbeobachtern - nicht von Estienne - auch als Merkmal des françois italianizé erwähnt werden. Sowohl phonetische Schreibungen wie <iouque> ‘jusque’ ([u] statt [y]) als auch hyperkorrekte Graphien wie <teutte> ‘toutes’, die ebenfalls 418 Während im Hinblick auf lexikalische Italianismen jeder einzelne Brief von Bedeutung ist (z. B. für Erstbelege), können Aussagen zu systematischen Interferenzen in der Schreibung und Lautung nur auf der Grundlage einer gewissen Menge an entsprechenden Okkurrenzen gemacht werden. Verglichen mit den 168 Briefen von Catherine de Médicis ist die Anzahl an Briefen der anderen Immigranten gering. Wenn Besonderheiten in ihrem Französisch als vereinzelte Interferenzen betrachtet werden, dann ist dies in erster Linie der Datenlage geschuldet. 606 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.4 Zusammenfassung 607 als phonetisch betrachtet werden müssen ([y] statt [u]), legen nahe, dass die Unterscheidung von [u] und [y] Catherine de Médicis, in deren Italienisch kein / y/ vorhanden war, anfänglich Schwierigkeiten bereitete. Vorkommen wie <beocup> lassen indessen vermuten, dass es daneben auch ausschließlich auf graphischer Ebene zu Interferenzen kam. Bei der Wiedergabe der erbwörtlichen Lautung [u] wurden, wie z. B. bei <gl(i)> statt <(i)ll> für [ʎ], italienische Schreibtraditionen auf das Französische übertragen (it. <u> statt fr. <ou> für it. und fr. [u]). Im Hinblick auf s impurum , eines der prominentesten Merkmale des françois italianizé , lieferte die Analyse trotz einer geringen Zahl an Okkurrenzen interessante Ergebnisse. Eine systematische Wiederbelebung von s impurum in französischen Erbwörtern (z.B. fr. * scrire statt écrire , vgl. it. scrivere ) konnte in den autographes der Immigranten nicht festgestellt werden. Auffällig ist aber, dass Italianismen anders als in den Briefen der Sekretäre durchaus mit s impurum erscheinen (<scorte> statt <escorte>). Zudem sprechen auch hyperkorrekte Formen wie <escropule> sowie offensichtlich italianisierende Schreibungen wie z. B. <strasordynere> in den Briefen von Catherine de Médicis dafür, dass s impurum im françois italianizé außerhalb von französischen Erbwörtern keine Randerscheinung war. Dennoch ist es auf einzelne Lexeme beschränkt. Was den Konsonantismus betrifft, wurden drei Phänomene genauer untersucht, von denen eines, die graphische Doppelkonsonanz in sog. preposizioni articolate , mit Gewissheit als durch den Kontakt mit dem Italienischen induziert betrachtet werden muss. Während in Kontexten, in denen der bestimmte Artikel auf die Präpositionen à oder de folgt, in den von den Sekretären verfassten Briefen ausnahmslos die für das Französische erwartbaren Formen au / aux und du / des oder à la / à l’ und de la / de l’ anzutreffen sind, finden sich in den autographes von Catherine de Médicis sowie von Sebastiano Zametti vermehrt italianisierende Graphien wie <alla> und <della>. Amalgamierte Formen des Typs al oder del sind - bis auf wenige Ausnahmen - hingegen nicht vorhanden. Eine Interferenz auf morphologischer Ebene liegt hier nicht vor. Die Frage, ob es sich lediglich um eine Beeinflussung der Graphie nach italienischem Vorbild handelt oder aber auch Geminaten in der Lautung anzunehmen sind, kann nicht geklärt werden. Angesichts der Tatsache, dass sowohl Catherine de Médicis als auch Zametti aus der Toskana kommen, ist nicht auszuschließen, dass die Schreibungen der Reflex einer auch in der Aussprache zu beobachtenden Doppelkonsonanz sind. Im Hinblick auf den Ausfall der Plosive [k] und [p] vor [t], in dem Estienne eine besonders charakteristische Eigenschaft des italianisierenden Französisch zu erkennen glaubt, wurde keine quantitative Analyse durchgeführt. Um einen durch italienischen Einfluss angestoßenen Lautwandel handelt es sich dabei nicht. Die Entwicklung ist grundsätzlich erbwörtlich. Zudem könnten aufgrund der zahlreichen relatinisierten Schreibungen (wie z. B. <faict>) zunächst auch nur Aussagen über Unterschiede bezüglich der etymologischen Kenntnisse der Schreiber, nicht über Unterschiede in der Aussprache gemacht werden. Dass die Italiener möglicherweise Varianten ohne [kt] bzw. [pt] bevorzugten, ist angesichts der größeren Nähe zur Phonotaktik ihrer Muttersprache nicht auszuschließen. Ähnlich verhält es sich mit [s] bzw. [z] statt [ks] bzw. [gz] in z. B. succéder und exemple , wie es in den Deux Dialogues kritisiert wird. Der Ausfall von [k] bzw. [g] vor [s] bzw. [z] kann analog zum Ausfall vor [t] als erbwörtlich betrachtet werden. Auch wenn die Italiener nicht für den Wandel an sich verantwortlich gemacht werden können, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie von zwei konkurrierenden Varianten diejenige wählten, die im Hinblick auf die Phonotaktik des Italienischen als unmarkierter empfunden worden sein könnte und unter Umständen auch leichter zu artikulieren war. Ein Vergleich zwischen den autographes von Catherine de Médicis und den Briefen der Sekretäre konnte zeigen, dass in letzteren regelmäßig die Graphien <x> und <cc> begegnen, wohingegen in ersteren überwiegend <s> (z. B. <asetent> ‘acceptent’) erscheint. Die phonetischen Schreibungen in den autographes legen nahe, dass im françois italianizé bei Hofe in der Tat [s] bzw. [z] statt [ks] bzw. [gz] anzutreffen war. Neben den bisher besprochenen Erscheinungen, die mit Ausnahme von s impurum , das auf Einzellexeme beschränkt ist, systematischer Natur sind und einzelne Segmente oder die Phonotaktik betreffen, finden sich in den autographes von Catherine de Médicis auch Graphien, die auf die ausdrucksseitige Anpassung bestimmter Wörter an ihre italienischen Entsprechungen hindeuten: <par vanteure> statt <par a(d)venture> (vgl. it. per ventura ) und <menencolyque> statt <mélancolique> (vgl. it. maninconico ). Wertvolle Erkenntnisse konnten auch im Hinblick auf den Wortschatz gewonnen werden. In den Briefen der Italiener begegnet sowohl indirektes als auch direktes Lehngut aus dem Italienischen, wobei letzteres deutlich öfter anzutreffen und vielfältiger ist. Vorkommen für die Hapax-Belege in den Deux Dialogues (z. B. strane und straque ) konnten nicht aufgespürt werden. Sowohl in den Briefen von Catherine de Médicis als auch in den Briefen der anderen Immigranten erscheint die v. a. im höfischen Kontext verbreitete Lehnwendung baiser la / les main / s häufig. In einem Brief, den Catherine de Médicis einem ihrer Sekretäre diktierte, konnte sogar ein Beleg für fermer in der Lehnbedeutung ‘arrêter’ (vgl. it. fermare ) nachgewiesen werden. Was das direkte Lehngut betrifft, hat die Untersuchung gezeigt, dass im françois italianizé der Immigranten die gleichen Italianismen vorzufinden sind wie in den Texten der sog. Français italianisants . Besonders interessant ist, dass neben zahlreichen Lehnwörtern aus dem militärischen Bereich (z. B. canon , colonel , estrette ) auch solche Italianismen häufig zu sein scheinen, für die bis heute kein 608 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 7.4 Zusammenfassung 609 wirkliches „Übernahmemilieu“ (Stefenelli 1981) ermittelt werden konnte. Es sind dies v. a. die heute zum Kernwortschatz gehörenden Verben importer sowie réussir und manquer , wobei für die beiden letzteren bereits vereinzelt, so z. B. von Wise (1997), eine Übernahme im höfischen Kontext vermutet worden ist. Im Hinblick auf die Qualität der Lehnwörter kann festgestellt werden, dass neben sog. Bedürfnislehnwörtern auch Luxuslehnwörter (z. B. à l’improviste ) Verwendung finden. In manchen Fällen erscheinen diese zusammen mit den französischen Synonymen in redoublements (z. B. notable et signalé ). Die Präsenz der Lehnwörter in den Briefen der Einwanderer ist ein Beleg dafür, dass die Immigranten als Schreiber (und Sprecher) des Französischen an der Diffusion von lexikalischen Italianismen in jedem Fall - bewusst oder unbewusst - beteiligt waren. Dass sie darüber hinaus mitunter auch hinsichtlich des Aufkommens bestimmter Lehnwörter eine gewisse Rolle spielen mussten, legen neue Erstbelege für einige Italianismen nahe. Für agent ‘chargé de mission, diplomate’ konnten in den Briefen drei Belege ermittelt werden ([1557] 1562, 1572), die dem bisher bekannten von 1578 (vgl. TLF i s.v. agent ) - im Übrigen aus Estienne - vorausgehen. Auch für fr. liste (Erstbeleg nach TLF i s.v. liste 2: 1567) konnten vier Okkurrenzen ausfindig gemacht werden, die neue Erstbelege darstellen (1562). Abgesehen von den neuen Erstbelegen konnte auch für einige Okkurrenzen bereits verbreiteter Italianismen in den Briefen von Catherine de Médicis aufgrund ausdrucksseitiger Besonderheiten (<sachager>) wahrscheinlich gemacht werden, dass es sich dabei um AS-produzenteninduzierte Entlehnungen handelt und die Königin diese aus dem Italienischen schöpft, also im konkreten Fall eine Innovation vorliegt. Code-switching lässt sich sowohl in den Briefen von Catherine de Médicis als auch in den Texten der anderen Immigranten kaum beobachten. Bis auf wenige Einzelfälle (z.B . aurdonné dal signeur pyetre ) und dem bewussten Gebrauch italienischer Spruchweisheiten (funktionales intersentential code-switching ), die aber als Zitat isoliert sind, finden sich v. a. Fälle von sog. one-word code-switching , die alle auch als AS -produzenteninduzierte Entlehnungen klassifiziert werden könnten. Die möglicherweise unter italienischem Einfluss gestärkten Anredeformen des Typs Vostre Majesté in Verbindung mir der 3. Person Singular lassen sich in den Briefen nachweisen. Der Gebrauch der 3. Person in der Anrede ist aber immer von solchen abstrakten nominalen Anredeformen abhängig. Sie wird nie zusammen mit Madame oder Monsieur verwendet. Ob tatsächlich von einer durch die italienischen Einwanderer bedingten vorübergehenden Blüte der indirekten Anrede im rinascimentalen Französisch ausgegangen werden kann, ist durch weitere Studien zu überprüfen. Dass die Einwanderer für eine gewisse Vitalität nominaler Anredeformen (+ 3. Person Singular) im Französischen der France italienne verantwortlich gewesen sein könnten, lässt sich nicht grundsätzlich ausschließen. Insgesamt hat die Analyse französischer Produktionsdaten italienischer Immigranten also gezeigt, dass in ihrem françois italianizé sowohl Interferenzen in der Schreibung und in der Lautung als auch auf der Ebene des Wortschatzes beobachtet werden können. Während diese Befunde die Annahme Winds (1928) widerlegen, bestätigen sie in nicht wenigen Fällen die von Estienne (1578) gemachten Aussagen zur Rolle der italienischen Höflinge und ihrem françois italianizé . Wie die sog. Français italianisants waren auch sie an der sprachlichen Beeinflussung des Französischen beteiligt. 610 7 François italianizé in den Briefen von Catherine de Médicis 8 Zusammenfassung der Ergebnisse 611 8 Zusammenfassung der Ergebnisse Ziel der Dissertation war es, bestimmte Aspekte des italienisch-französischen Sprachkontakts im 16. Jahrhundert näher zu beleuchten, die in der Forschung bis heute vernachlässigt worden sind. Das Hauptaugenmerk galt der Frage, ob die zahlreichen italienischen Immigranten im rinascimentalen Frankreich aufgrund des Prestiges und der Vitalität ihrer Muttersprache entgegen der von Wind (1928) und in der Folge Balsamo (1992) vertretenen Ansicht an der sprachlichen Beeinflussung des Französischen beteiligt gewesen sein könnten. Obwohl der Forschung das Zeugnis des zeitgenössischen Sprachbeobachters Henri Estienne, dem zufolge die Einwanderer ein françois italianizé , ein von Italianismen durchdrungenes Französisch, gesprochen haben und somit auch für das Aufkommen von Italianismen verantwortlich gewesen sein sollen, seit Langem bekannt ist, wurden weder zur tatsächlichen Reichweite und funktionalen Vitalität des Italienischen als Migrantensprache im Frankreich des 16. Jahrhunderts noch zur Qualität des Italienischen und Französischen der Einwanderer Studien vorgelegt. Das Hauptanliegen der Arbeit bestand daher darin, die Vitalität des Italienischen aus soziolinguistischer Perspektive zu rekonstruieren und anhand italienischer Briefe ausgewählter Immigranten zu zeigen, dass ihre Muttersprache auch nach Jahrzehnten in Frankreich vital, d. h. frei von französischen Einflüssen blieb. Zudem wurden auch französische Briefe italienischer Einwanderer analysiert, um zu überprüfen, ob Spuren des von Estienne kritisierten françois italianizé nachweisbar sind. Die Ergebnisse sollten somit nicht nur zur Erhellung bisher unerforschter Facetten des komplexen italienisch-französischen Sprachkontakts im 16. Jahrhundert beitragen, sondern auch eine Neubewertung der Beobachtungen Henri Estiennes erlauben. Insbesondere die Aussagen in seinem bekanntesten Pamphlet, den Deux Dialogues (1578), werden bis heute zu Unrecht als wenig glaubwürdig erachtet. Ein weiteres Anliegen der Arbeit war daher auch, die in den letzten 100 Jahren vorgebrachte Kritik am Werk Estiennes zu hinterfragen. Die soeben dargelegten Schwerpunkte spiegeln sich auch im Aufbau der Arbeit wider: Ihnen wurde jeweils ein umfangreiches Analysekapitel gewidmet. Während sich Kapitel 5 mit der Kritik an Estienne auseinandersetzte, wurde in Kapitel 6 die Vitalität des Italienischen in der France italienne rekonstruiert. Das Interesse in Kapitel 7 galt schließlich dem françois italianizé ausgewählter italienischer Immigranten. 612 8 Zusammenfassung der Ergebnisse In Kapitel 5 wurde festgestellt, dass die Forschung v. a. aus zwei Gründen an der Glaubwürdigkeit Estiennes zweifelt: Zum einen habe er aufgrund seiner Abwesenheit vom französischen Hof keine verlässlichen Aussagen zum dort gesprochenen Französisch machen können, zum anderen lege die hohe Anzahl an lexikalischen Italianismen, die sich angeblich nicht außerhalb seiner Werke nachweisen ließen und daher als Hapax-Belege zu betrachten seien, nahe, dass er diese in der Mehrheit zum Zwecke der Satire frei erfunden hat. Gegen den ersten Kritikpunkt wurde eingewendet, dass der Purist seinen durch die Abwesenheit vom Hof bedingten Mangel an direkter Erfahrung in vielerlei Hinsicht kompensiert haben könnte: So könnte er durch reisende Höflinge oder durch die Korrespondenz mit Freunden am Hofe über den sprachlichen Alltag in der Petite Italie sowie über das dort verbreitete françois italianizé informiert worden sein. Des Weiteren hätte er während seiner Italienaufenthalte ein von französischen Botschaftern und Italienern produziertes françois italianizé hören können. Auch wenn er sich vor dem Erscheinen der Deux Dialogues seit über 20 Jahren nicht mehr am französischen Hof aufgehalten hatte, könnte er in Lyon und Genf mit einem authentischen françois italianizé in Kontakt gekommen sein. Im 16. Jahrhundert war die Anzahl an Italienern in beiden Städten beträchtlich. Ein Ausblick auf die Vitalität des Italienischen in der colonie italienne in Lyon wurde an mehreren Stellen der Arbeit gegeben (vgl. v. a. Kapitel 6). Sprachwissenschaftliche Studien zur Präsenz des Italienischen in Genf liegen - mit Ausnahme der Arbeiten Piernos (2004) - meines Wissens noch nicht vor. Wie in Kapitel 5.2 unter Berufung auf geschichtswissenschaftliche Arbeiten gezeigt wurde, wären interessante Dokumente (Briefe italienischer Immigranten, notarielle Dokumente usw.) aber in ausreichender Zahl vorhanden. Das Italienische im Genf des 16. und 17. Jahrhunderts stellt m. E. einen interessanten Untersuchungsgegenstand für die künftige Forschung zum italiano fuori d’Italia dar. Im Hinblick auf den zweiten Kritikpunkt konnte eine umfangreiche lexikologische Analyse der Deux Dialogues die Ergebnisse der bis heute gern zitierten Studie von Trescases (1978b) widerlegen. Laut Trescases seien nur 71 der 206 in den Deux Dialogues kritisierten Italianismen als verbreitete Lehnwörter aus dem 16. Jahrhundert zu betrachten. Zunächst wurde gezeigt, dass nicht 206, sondern mindestens 231 Lexeme und Wendungen von Estienne als Italianismen im Französischen ausgewiesen werden: Insgesamt 88 von Estienne als Italianismen kritisierte Einheiten waren der Liste von Trescases (1978b) hinzuzufügen, nicht weniger als 63 Lexeme und Wendungen waren hingegen aus seiner Liste zu streichen. Bei letzteren handelt es sich u. a. um Latinismen oder um französische Erbwörter, für die Estienne an keiner Stelle eine italienische Herkunft postuliert. Des Weiteren waren auch 8 Zusammenfassung der Ergebnisse 613 einige wenige Lexeme aus der Liste zu tilgen, die Estienne selbst als Hapax- Formen kennzeichnet. Abgesehen von der von Trescases (1978b) ermittelten Gesamtzahl an kritisierten Lexemen und Wendungen musste auch die Zahl der Fälle korrigiert werden, in denen Estienne mit seiner Annahme, es handele sich um tatsächlich verbreitete Italianismen, Recht hat. Unter Berücksichtigung einschlägiger Referenzwerke (z. B. FEW , TLF -Étym) konnte gezeigt werden, dass Estienne - vorausgesetzt, man berücksichtigt auch Lehngut aus dem 14. und 15. Jahrhundert - nicht nur in 71 (von 206), sondern in 170 (von 231) Fällen richtigliegt: Mindestens 170 der 231 in den Deux Dialogues als Lehnwörter oder -wendungen ausgewiesenen Einheiten sind italienischer Herkunft und in weiteren Texten des 16. Jahrhunderts belegt. Schließlich war auch die Zahl der angeblichen Hapax-Belege zu korrigieren. Statt der laut Trescases (1978b) 127 (von 206) Phantasie-Kreationen können lediglich 61 (von 231) Fälle gezählt werden, in denen tatsächlich keine Italianismen vorliegen. Diese ‘Fehler’ Estiennes wurden in der Forschung noch nicht genauer betrachtet. Die Analyse hat gezeigt, dass es sich in weniger als der Hälfte der Fälle (26 von 61) um Hapax-Belege potentieller Italianismen (z.B. fr. bugie < it. bugia ) handelt, wohingegen 30 der 61 Lexeme und Wendungen Lehngut aus anderen romanischen Sprachen sowie dem Lateinischen oder lexikalische bzw. semantische Innovationen des Französischen sind. Sie alle sind außerhalb der Werke Estiennes nachweisbar, also keine Hapax-Belege. Auch wenn diese Etymologien Estiennes nach dem heutigen Stand der Forschung wohl als falsch gelten müssen, sind seine Überlegungen mehr als nachvollziehbar. In beinahe allen Fällen liegen Innovationen des 16. Jahrhunderts vor; sie lassen sich Denotatsbereichen zuordnen, die im 16. Jahrhundert besonders offen für Italianismen waren; im zeitgenössischen Italienisch existierten auch die potentiellen Etyma. Für einige der von Estienne besprochenen Lexeme ist die Etymologie zudem bis heute nicht zweifelsfrei geklärt, wobei eine italienische Herkunft nicht ausgeschlossen wird. In fünf Fällen (5 von 61) werden französische Erbwörter (z.B. fr. baller *[<] it. ballare ) fälschlicherweise als Italianismen stigmatisiert. Um wirkliche Innovationen, die Estienne zu erklären versucht, scheint es sich dabei im Gegensatz zu den 30 soeben besprochenen Einheiten nicht zu handeln. Es wurde dafür argumentiert, dass in solchen Fällen ein kontaktinduzierter Sonderfall volksetymologischer Umdeutung ( attraction cognatique ) angenommen werden kann. Im Hinblick auf die 26 tatsächlichen Hapax-Belege wurde festgestellt, dass es sich dabei nicht um Allogenismen wie z.B. dt. alles paletti , sondern um potentielle Italianismen handelt, für die im Italienischen auch die entsprechenden Etyma vorhanden gewesen wären (z.B. fr. bugie < it. bugia ). Sie könnten zumindest im gesprochenen françois italianizé 614 8 Zusammenfassung der Ergebnisse der Höflinge anzutreffen gewesen sein. Ausdrucksseitige Besonderheiten dieser potentiellen Italianismen sprechen zudem dafür, dass Estienne diese nicht willkürlich gewählt hat. Eine Vielzahl der Formen weist etwa s impurum auf. Es wurde dafür argumentiert, dass die Hapax-Formen stellvertretend für schlecht integrierte Lehnwörter aus dem Italienischen bzw. für AS-produzenteninduzierte Entlehnungen der Immigranten stehen. Insgesamt konnte gezeigt werden, dass Estienne nicht nur als ernstzunehmender Etymologe, sondern auch als aufmerksamer Sprachbeobachter zu betrachten ist, der italienische Einflüsse auf das Französische seiner Zeit sehr differenziert beschreibt. Dass die Studie von Trescases (1978b) heute nicht mehr zur Beurteilung von Estiennes Leistung herangezogen werden kann, wurde in jedem Fall deutlich. Die Auseinandersetzung mit der jüngeren Estienne-Kritik (Sampson 2003, 2004, Cowling 2007) zeigte, dass der Zeugniswert der Deux Dialogues v. a. durch die Analyse französischer und italienischer Produktionsdaten bestätigt werden muss. In Kapitel 6 wurde überprüft, inwiefern die Aussagen Estiennes zur Vitalität des Italienischen in der France italienne zutreffend sind. Zunächst wurde die Vitalität aus soziolinguistischer Sicht rekonstruiert. Als Datengrundlage dienten bisher noch nicht für die Sprachgeschichte fruchtbar gemachte Ergebnisse aus soziohistorischen Arbeiten (v. a. Boucher 1994, [1981] 2007 und Dubost 1997) sowie über www.gallica.bnf.fr zugängliches Quellenmaterial aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Es wurden vorwiegend Texte ausgewählt, die keinen polemischen Charakter haben, um die Aussagen Estiennes solchen ‘neutralerer’ Zeitgenossen gegenüberzustellen. Neben Texten von Immigranten fanden u. a. auch Dokumente aus der Verwaltungsschriftlichkeit Berücksichtigung. Anhand demographischer und anderer soziolinguistisch relevanter Daten wurde auf der Basis des Modells von Conklin / Lourie (1983) ermittelt, dass in der France italienne alle Voraussetzungen erfüllt waren, die für die Vitalität einer Migrantensprache förderlich sind: Die Tatsache, dass die Immigranten v. a. am französischen Hof, in Paris sowie in Lyon nicht nur in größeren Gemeinschaften ( Petite Italie ) organisiert, sondern häufig auch in ähnlichen Berufen tätig waren, begünstigte die kontinuierliche Verwendung ihrer Muttersprache. Des Weiteren hielten viele der Einwanderer engen Kontakt mit Verwandten in Italien und kehrten biweilen für längere Zeit in ihre alte Heimat zurück. Der Umstand, dass während des gesamten 16. Jahrhunderts ständig neue Einwanderer aus Italien die bereits bestehende Migrantengemeinschaft verjüngten, trug ebenfalls zur Vitalität des Italienischen bei. Belege in Briefen italienischer Immigranten zeigen, dass die emotionale Bindung zur Muttersprache aufgrund deren identitätsstiftender Funktion stark war und dass sich die Italiener nicht immer problemlos integrierten. Schließlich hatte auch die Tatsache, dass die bedeutendste Gruppe 8 Zusammenfassung der Ergebnisse 615 der Einwanderer aus der Toskana stammte, positive Folgen für die Vitalität des Italienischen. Sprecher einer Standardvarietät, die sich deren Prestiges bewusst sind, halten im Migrationskontext stärker an ihrer Muttersprache fest als Sprecher nicht-verschriftlichter Varietäten. Es wurde auch gezeigt, dass das Italienische nicht - wie bei einer Migrantensprache zu erwarten wäre - auf die kommunikative Nähe, etwa innerhalb von Einwandererfamilien, beschränkt blieb, sondern manchmal, insbesondere am Hof, auch in distanzsprachlichen Kontexten verwendet werden konnte. Diese außergwöhnliche kommunikative Reichweite erklärt sich einerseits durch die hohe soziale Stellung vieler Migranten, andererseits dadurch, dass zahlreiche Franzosen des prestigreichen Italienischen mächtig waren. In diesem Zusammenhang wurden aus französischer Perspektive, d. h. anhand französischer Quellen, auch die Ergebnisse der Forschung zum italiano fuori d’Italia bestätigt, die immer wieder die besondere Rolle des Italienischen als internationale Kultur- und Verkehrssprache in der Frühen Neuzeit betont. Zahlreiche Franzosen bedienten sich u. a. während ihrer Reisen in der Levante, aber auch in Frankreich selbst, etwa bei Verhandlungen mit Gesandten aus Polen und dem Osmanischen Reich, des Italienischen. Es wurde vorgeschlagen, in Anlehnung an den in der französischen Sprachgeschichtsschreibung etablierten Terminus universalité du français von einer universalité des Italienischen während der Renaissance auszugehen. Schließlich konnten metasprachliche Zeugnisse ausfindig gemacht werden, die die Aussagen Estiennes zur Französisch-Kompetenz der Migranten weitestgehend bestätigen bzw. arrondieren. Karikaturen des françois italianizé deuten darauf hin, dass die Italiener - vermutlich aufgrund der Vitalität ihrer Muttersprache - zunächst in der Tat Probleme beim Erlernen des Französischen hatten. Aus soziolinguistischer Perspektive ist die France italienne damit freilich noch nicht erschöpfend beschrieben. In den Archiven der BNF finden sich noch unzählige Dokumente, die bis heute unerforscht sind. Der glückliche Umstand, dass die Bestände kontinuierlich digitalisiert werden und dank der modernen Technik elektronisch nach Schlagwörtern durchsucht werden können, erlaubt, interessante Einzelbeobachtungen zum mehrsprachigen Alltag in der France italienne aus einer schier unüberschaubaren Datenmenge zu filtern. Die in der vorliegenden Arbeit angewandte Methode könnte auch für die Beschreibung anderer Mehrsprachigkeitskonstellationen in der Vergangenheit - nicht nur in Frankreich - von Nutzen sein. Um zu überprüfen, ob die Muttersprache der Italiener auch in sprachlicher Hinsicht vital blieb, wurden in einem zweiten Schritt italienische Produktionsdaten von ausgewählten Einwanderern analysiert. Als Datengrundlage dienten insgesamt 35 Briefe von 15 Personen (der Großteil war toskanischer Herkunft), 616 8 Zusammenfassung der Ergebnisse die in zwei Gruppen eingeteilt werden können: Gruppe A umfasst Briefe von Immigranten, die nur vorübergehend oder erst seit Kurzem in Frankreich ansässig waren, Gruppe B hingegen Briefe, die von Einwanderern 10 oder 20 Jahre nach ihrer Ankunft in Frankreich verfasst wurden. Das Interesse galt etwaigen Vorkommen von code-switching , Schreibungen, Anredeformen und dem Wortschatz. Es konnte gezeigt werden, dass entgegen der von Wind (1928) vertretenen Meinung in der Muttersprache der Immigranten keine Anzeichen für Attrition, d. h. Interferenzen mit dem Französischen, zu beobachten sind. Im Hinblick auf die untersuchten Phänomene konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen Gruppe B und A - letztere diente als Vergleichsgrundlage - festgestellt werden. Die Darstellung dieser negativen Evidenz war eine Herausforderung, ist es doch deutlich leichter, Interferenzen aufzuspüren und diese zu beschreiben, als deren Ausbleiben zu illustrieren. Aus diesem Grund wurde zunächst nach anderen Sprachkontaktsituationen zwischen dem Französischen und Italienischen und dort beobachtbaren Interferenzen gesucht. Cremona (1996, 2003) konnte anhand italienischer Texte aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die in nordafrikanischen Kanzleien entstanden sind, zeigen, dass insbesondere spezifisch italienische Schreibkonventionen (z. B. <gli> für [ʎ]) durch französische (z. B. <ill>) ersetzt werden können. In den Briefen wurde daraufhin die Stabilität ausgewählter Schreibungen (z. B. <u> vs. <ou> für [u], die Wiedergabe von [k] und [g] vor palatalen Vokalen) überprüft. Die Analyse hat ergeben, dass kaum Interferenzen mit dem Französischen festzustellen sind. Auch die Schreibungen Cavrianas, der das Französische muttersprachlich beherrschte und dessen Briefe entstanden sind, als er bereits seit 20 Jahren in Frankreich lebte, zeigen keinerlei Auffälligkeiten. Die gleiche Stabilität konnte im Allgemeinen für die graphische Doppelkonsonanz in sog. preposizioni articolate (z.B. it. <alla> vs. fr. <à la>) konstatiert werden. Dass spezifisch italienische Schreibungen eine solche Stabilität zeigen, legt nahe, dass das Italienische regelmäßig in der Schriftlichkeit Verwendung fand. Die Untersuchung von <sC-> vs. <isC-> hat gezeigt, dass prothetische Vokale sowohl in Gruppe A als auch in Gruppe B kaum anzutreffen sind. Wenn Henri Estiennes in [sC-] ein typisches Merkmal des françois italianizé sieht und annimmt, dass dieses den italienischen Einwanderern geschuldet sei, so könnte er damit durchaus Recht haben. In der Tat könnten die Einwanderer in ihrer Lernervarietät des Französischen, insbesondere in Italianismen, vermehrt s impurum produziert haben. Im Hinblick auf den Wortschatz ließen sich keine Einflüsse des Französischen nachweisen. Dies ist insofern bemerkenswert, als die Lexik nach den Erkenntnissen der Attritionsforschung besonders anfällig für eine Beeinflussung durch die neue Mehrheitssprache ist. Mit Ausnahme einiger weniger lexikalischer 8 Zusammenfassung der Ergebnisse 617 Übernahmen, die, da sie Bezeichnungen für spezifisch französische Konzepte sind, als Bedürfnisentlehnungen gelten können, findet sich ausschließlich italienischer Wortschatz. Semantische Interferenzen mit dem Französischen sind ebenfalls nicht zu beobachten. Diese Ergebnisse legen nahe, dass das Italienische regelmäßig verwendet wurde. Dass aufgrund von Wortfindungsschwierigkeiten vermehrt auf französische Lexeme zurückgegriffen werden musste, scheint nicht der Fall gewesen zu sein. Was die höfliche Anrede anbelangt, lässt sich die gleiche Stabilität wie für die Schreibungen und das Lexikon konstatieren. In Verbindung mit respektvollen nominalen Anredeformen wie Vostra Maestà wird durchgängig die 3. Person Singular verwendet. Schwankungen zwischen der 3. Person Singular und der 2. Person Plural begegnen nur vereinzelt und ausschließlich bei den Possessiva. Solche Schwankungen sind aber auch im rinascimentalen Italien zu beobachten, also nicht auf einen etwaigen Einfluss des Französischen zurückzuführen. Auch dieser Befund ist aussagekräftig, geht die Attritionsforschung doch davon aus, dass Erosionserscheinungen in der pragmatic address besonders rasch auftreten. Code-switching ist nur in den Briefen Cavrianas anzutreffen. Um unbeabsichtigtes code-switching , das unter Umständen auf eine mangelnde Kompetenz des Italienischen hindeuten könnte, handelt es sich dabei aber nicht. Cavriana greift nur dann auf das Französische zurück, wenn er Aussagen von Dritten zitiert. Die französischen Passagen erscheinen als eigenständige Einheiten in den italienischen Briefen. Zu einer Mischung beider Sprachen kommt es nicht. Die Analyse hat also gezeigt, dass das Italienische in jeglicher Hinsicht vital bieb. Gewiss konnten insgesamt nur wenige Briefe untersucht werden, allerdings lassen die Befunde durchaus den Schluss zu, dass die Muttersprache der Immigranten - auch solcher, die das Französische sehr gut beherrschten - wohl kaum französische Einflüsse aufwies. Zahlreiche Briefe in den Handschriftensammlungen der BNF sowie in italienischen Archiven warten noch darauf, entdeckt zu werden. Die Arbeit mit rinascimentalen Handschriften ist sicherlich zeitaufwändig, allerdings stellen sie als authentische Produktionsdaten besonders wertvolle Quellen dar. Wie in der vorliegenden Arbeit deutlich wurde, erlauben sie aufgrund metasprachlicher Kommentare manchmal sogar Einblicke in den mehrsprachigen Alltag (vgl. etwa die Briefe Cavrianas sowie der Nazione Fiorentina ). In künftigen Studien müsste man sich aus italianistischer Perspektive noch verstärkt der Frage widmen, welche Besonderheiten das Italienische der France italienne aufwies. Nicht auszuschließen ist, dass sich unter den Immigranten unterschiedlicher Herkunft eine - mit Bestimmtheit stark toskanisierende - Koiné herausgebildet hat. Dazu sollten vermehrt Texte und Dokumente von Einwanderern untersucht werden, die nicht aus der Toskana stammten. Des Weiteren müssten Texte von Immigranten der zweiten, dritten oder vierten 618 8 Zusammenfassung der Ergebnisse Generation berücksichtigt werden, um zu prüfen, ob sich deren Italienisch von jenem der Immigranten der ersten Generation unterscheidet. Die vorliegende Arbeit konnte nur einen Ausblick auf letzteres geben. Das Hauptaugenmerk galt den von Estienne ins Visier genommenen Einwanderern der ersten Generation und deren françois italianizé - und in der Folge deren Italienisch. Um zu klären, ob und ggf. in welchem Ausmaß die in Kapitel 4.2.3 und 6.2.2.4 beschriebenen Züge dieses françois italianizé tatsächlich im Französischen der Einwanderer anzutreffen waren, wurden in Kapitel 7 schließlich französische Produktionsdaten italienischer Immigranten untersucht. Neben 168 Briefen von Catherine de Médicis wurden auch 13 Texte anderer Italiener als Datengrundlage herangezogen. Da Catherine de Médicis sowie die meisten der anderen Verfasser als zum Hof gehörig betrachtet werden können, galt das Interesse auch Merkmalen des von Estienne ebenfalls kritisierten françois autrement desguizé . Als besonders vorteilhaft erwies sich der Umstand, dass Catherine de Médicis ihren Sekretären auch zahlreiche Briefe diktierte. Das Briefkorpus umfasst sowohl diktierte Briefe als auch solche, die von ihr selbst geschrieben wurden ( autographes ), so dass es möglich war, die Schreibungen der Italienerin mit jenen der französischen Sekretäre zu vergleichen. Die Analyse hat gezeigt, dass in den Briefen der Einwanderer einige der von Estienne und anderen Sprachbeobachtern genannten Züge des françois italianizé ( et autrement desguizé ) tatsächlich nachweisbar sind. Die meisten dieser Phänomene lassen sich nicht durch die Variation im Frühneufranzösischen, sondern nur durch Interferenzen mit dem Italienischen erklären. Betroffen sind insbesondere der Wortschatz, die Schreibung und die Lautung. Im Hinblick auf letztere muss natürlich vorausgesetzt werden, dass bestimmte Schreibungen phonetisch sind. In den 13 Texten der Immigranten sind neben auffälligen Schreibungen bei bestimmten Einzelwörtern (z. B. <entierament>, vgl. it. interamente ) bisweilen auch Interferenzen durch die Übertragung spezifisch italienischer Schreibkonventionen auf das Französische (z. B. <gl(i)> für [ʎ]) zu beobachten. Auf die frühen Briefe der Einwanderer scheinen letztere nicht beschränkt zu sein. Manchmal - wie etwa im Falle von Cavriana - sind sie noch anzutreffen, nachdem der Schreiber bereits seit 20 Jahren in Frankreich ansässig ist. Diese Befunde legen erneut nahe, dass das Italienische auch weiterhin in der Schriftlichkeit verwendet wurde und möglicherweise die domiante Sprache der Einwanderer blieb. In Kapitel 6 wurde gezeigt, dass diese Schreibungen umgekehrt im Italienischen der France italienne äußerst stabil waren. Problematisch ist, dass nur eine geringe Anzahl von Texten untersucht werden konnte. Ob es sich bei diesen Schreibungen unter Umständen um durchgängig beobachtbare systematische Interferenzen handelt, lässt sich nicht feststellen. In den Briefen 8 Zusammenfassung der Ergebnisse 619 von Catherine de Médicis erscheinen solche Schreibungen nur in den ersten Briefen aus den 1530er und 1540er Jahren. Leider sind nur vier französische autographes aus diesem Zeitraum bekannt. Danach werden die französischen Konventionen eingehalten. Zu vermuten ist, dass das Französische der Einwanderer insbesondere während der ersten Jahre nach ihrer Ankunft in Frankreich vermehrt Interferenzen mit ihrer vitaleren Muttersprache aufwies. In den späteren Briefen von Catherine de Médicis konnten bestimmte Schreibungen quantitativ erfasst und mit den Schreibungen der Sekretäre verglichen werden. Unterschiede sind sowohl im Bereich des Vokalismus und Konsonantismus als auch im Hinblick auf s impurum zu beobachten. Was den Vokalismus betrifft, konnten Estiennes Aussagen zum Ersatz von [wɛ] <oi / oy> durch [ɛ] <e> in bestimmten Endungen, etwa jenen des imparfait , sowie in bestimmten Einzelwörtern (z. B. <vela> ‘voilà’) bestätigt werden. Anders als in den Briefen der Sekretäre, in denen ausnahmslos <oi / oy> erscheint, finden sich in den autographes von Catherine de Médicis größtenteils phonetische Schreibungen mit <e>. Selbst wenn die Italiener nicht für diese ‘Innovation’ verantwortlich waren, könnten sie als Sprecher des Französischen zumindest zur Verbreitung dieser Aussprache beigetragen haben. Die Beobachtungen Estiennes zu lautlichen Besonderheiten im françois italianizé am französischen Hof werden in jedem Fall bestätigt. Eindeutig dem Einfluss des Italienischen geschuldet sind Unsicherheiten bei der Unterscheidung zwischen [u] und [y], wie sie phonetische Schreibungen (z. B. <iouque> ‘jusque’ [u] statt [y]) sowie hyperkorrekte Graphien (z. B. <teutte> ‘toute(s)’ [y] statt [u]) in den autographes von Catherine de Médicis nahelegen. Dass gerundete Palatalvokale Sprechern, in deren Muttersprache solche nicht existierten, Probleme bereiteten, ist durchaus plausibel und wurde von zeitgenössischen Sprachbeobachtern auch als Merkmal des françois italianizé wahrgenommen. Okkurrenzen wie <beocup> hingegen zeigen, dass es auch nur auf graphischer Ebene zu Interferenzen kommen konnte. In diesen Fällen wurden italienische Schreibkonventionen auf das Französische übertragen (it. <u> statt fr. <ou> für [u]). Bezüglich der Konkurrenz von <esC-> und <sC-> konnten trotz einer äußerst geringen Zahl an Okkurrenzen interessante Beobachtungen gemacht werden. Eine Revitalisierung von <sC-> bzw. [sC-] in französischen Erbwörtern ließ sich nicht nachweisen. Eine solche wird von Estienne aber auch nicht beklagt. Vielmehr sieht er in diesem in seinen Augen markierten Onset ein typisches Merkmal für Italianismen, die von Italienern stammen ( AS -produzenteninduzierte Entlehnungen). Die Analyse zeigt, dass Italianismen, deren Etyma s impurum aufweisen, in den Briefen der Sekretäre immer mit <esC-> geschrieben werden. In den autographes von Catherine de Médicis kommt zwar nur zweimal ein entsprechender Italianismus vor, in beiden Fällen aber erscheint <scorte>. 620 8 Zusammenfassung der Ergebnisse Daneben legen auch hyperkorrekte Formen wie <escropule> sowie eindeutig italianisierende Schreibungen wie <strasordynere> nahe, dass s impurum im françois italianizé der Migranten tatsächlich zu hören war. Im Bereich des Konsonantismus fallen v. a. Schreibungen wie <alla> und <della> in den preposizioni articolate auf. In den Briefen von Catherine de Médicis und Zametti begegnen solche Graphien regelmäßig, wohingegen sie sich in den Briefen der Sekretäre nicht nachweisen lassen. Um eine Interferenz auf morphologischer Ebene kann es sich dabei nicht handeln, da keine amalgamierten Formen des Typs al oder del vorkommen. Ob neben der Schreibung auch die Lautung (fr. [ll]) betroffen ist, lässt sich nicht mit Gewissheit feststellen, wäre aber in Anbetracht des Umstands, dass sowohl Zametti als auch Catherine de Médicis toskanischer Herkunft sind, vorstellbar. Auch im Wortschatz sind italienische Einflüsse nachweisbar. Belege für die Hapax-Formen aus den Deux Dialogues konnten nicht aufgespürt werden. Die Okkurrenzen für indirektes und direktes Lehngut aus dem Italienischen sind jedoch zahlreich. Neben der im höfischen Kontext weitverbreiteten Lehnwendung baiser la / les main / s begegnet in einem Brief sogar ein Beleg für fermer in der Lehnbedeutung ‘arrêter’ (vgl. it. fermare ). Was das direkte Lehngut betrifft, konnte festgestellt werden, dass im françois italianizé der Immigranten die gleichen Italianismen anzutreffen sind wie in den Texten der Français italianisants . Auffällig ist die hohe Frequenz von heute zum Kernwortschatz gehörenden Verben wie réussir , für die bis heute kein wirkliches „Übernahmemilieu“ (Stefenelli 1981) ermittelt werden konnte. Der Befund untermauert die Vermutung von Wise (1997), solche Lexeme seien im höfischen Kontext vermittelt worden. Als core borrowings setzen sie die Existenz bilingualer Sprecher voraus. Auch viele andere Italianismen in den Briefen können als Luxuslehnwörter oder core borrowings (z. B. à l’improviste ) betrachtet werden. Manchmal erscheinen diese zusammen mit den erbwörtlichen Synonymen in redoublements (z. B. brusque et aigre ). Die Präsenz der Lehnwörter in den Briefen der Einwanderer spricht dafür, dass auch sie als zweisprachige Individuen an der lexikalischen Bereicherung des Französischen beteiligt waren. Während das Vorhandensein bereits belegter Lehnwörter lediglich den Schluss zulässt, dass die Immigranten an der Diffusion von Italianismen beteiligt waren, können neue Erstbelege für bestimmte Italianismen als Indiz dafür gelten, dass sie auch für lexikalische Innovationen verantwortlich waren. In den Briefen konnten in der Tat neue Erstbelege, z. B. für agent ‘conseiller d’un prince’ und liste , ermittelt werden. Zudem legen auch auffällige Schreibungen einzelner Italianismen (z. B. <sachager>) in den autographes der Italiener nahe, dass dabei aus dem Italienischen geschöpfte 8 Zusammenfassung der Ergebnisse 621 Innovationen vorliegen, auch wenn es sich nicht um wirkliche Erstbelege im Französischen handelt. Vorkommen von code-switching waren wie schon in den italienischen Briefen selten, was aber natürlich auch der Textsorte geschuldet sein kann. Unbeabsichtigtes code-switching ist in z.T. sehr elaborierten Briefen natürlich nicht im gleichen Umfang zu erwarten wie in spontaner Rede. Respektvolle nominale Anredeformen des Typs Vostre Majesté (+ 3. Person Singular) begegnen in den Briefen häufig. Jenseits solcher Formen ist die Verwendung der 3. Person Singular in der höflichen Anrede aber nicht nachweisbar. Inwieweit die Immigranten tatsächlich Einfluss auf die sprachliche Höflichkeit ausübten, muss in künftigen Untersuchungen geklärt werden. Die Analyse der französischen Produktionsdaten hat also zweierlei gezeigt: Zum einen sind im Französischen der Einwanderer sowohl vereinzelte als auch systematische Interferenzen mit ihrer Muttersprache zu beobachten, zum anderen spricht die Präsenz italienischen Lehnguts sowie insbesondere neuer Erstbelege dafür, dass die Italiener entgegen der Annahme Winds (1928) am Aufkommen und an der Diffusion von Italianismen im Französischen des 16. Jahrhunderts beteiligt waren. Gewiss wären unter Umständen mehr Interferenzerscheinungen und Vorkommen von unbewusstem code-switching zu erwarten gewesen. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass nur wenige Briefe untersucht werden konnten, die von Immigranten verfasst wurden, die erst seit geringer Zeit in Frankreich ansässig waren. In frühen Briefen sind im Allgemeinen noch mehr Einflüsse der Muttersprache zu erwarten als in solchen, die Jahrzehnte nach der Immigration entstanden sind. Schließlich konnten auch nicht alle 6000 überlieferten Briefe von Catherine de Médicis analysiert werden. Zu vermuten ist, dass sich noch so mancher Erstbeleg oder Beleg für einen bisher noch nicht dokumentierten Italianismus in ihren Briefen sowie in Texten anderer Immigranten verbirgt. Die Ergebnisse der lexikologischen Analyse haben in jedem Fall gezeigt, dass die Briefe der Einwanderer zur Erhellung der Geschichte der Italianismen im Französischen der Renaissance beitragen können. Für die etymologische Forschung sind sie eine Quelle von unschätzbarem Wert. Nicht nur die Ergebnisse aus Kapitel 5, sondern auch jene aus Kapitel 6 und 7 zeigen, dass das Zeugnis Henri Estiennes doch ernster genommen werden muss, als es bis heute zumeist der Fall ist. Das Italienische im Frankreich des 16. Jahrhunderts erfreute sich auch jenseits der Literatur einer bemerkenswerten Vitalität. Spuren des françois italianizé - darunter auch lexikalische Innovationen - sind in französischen Briefen italienischer Immigranten tatsächlich nachweisbar. Quellen- und Literaturverzeichnis 1 Primärquellen aus dem 16. und 17. Jahrhundert 1.1 Wörterbücher Académie française (1694): Le Dictionnaire de l’Académie françoise […] . Paris: Coignard. Anonyme I (1650): Dictionnaire François et Italien […] . Genf: Chouet. Anonyme II (1677): Nuovo Dizzionario Italiano Francese, e Francese Italiano, aggiuntovi un terzo Dizzionario Latino, Francese e Italiano […] . Genf: Widerhold. Canal, Pierre (1598): Dictionaire François et Italien : recueilli premierement par J. Antoine Phenice […]. Genf: Chouet. Canal, Pierre (1603): Dictionaire Francois et Italien. Seconde édition […] . Paris: Langlois. Corneille, Thomas (1694): Le Dictionnaire des Arts et des Sciences. […] . Paris: Coignard. Cotgrave, Randle (1611): A dictionnarie of the French and English tongues . London: Flip. 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Vaugelas, Claude Favre de (1647): Remarques sur la langue française, utiles à ceux qui veulent bien parler et bien écrire. Paris: Camusat & le Petit. Quellen- und Literaturverzeichnis 625 1.3 Vorwiegend nichtmetasprachliche Texte 1.3.1 Private und administrative Korrespondenz 1.3.1.1 Handschriften BNF FF 3053 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3062 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3117 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3119 = Recueil de lettres et de pièces originales. 1501-1600 . BNF FF 3125 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3129 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3133 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3139 = Recueil de lettres originales. 1501-1600 . BNF FF 3140 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600 . BNF FF 3142 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3147 = Recueil de lettres et de pièces originales. 1501-1600 . BNF FF 3149 = Recueil de lettres originales. 1501-1600 . BNF FF 3152 = Recueil de lettres et de pièces originales. 1501-1600. BNF FF 3157 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3158 = Recueil de lettres et de pièces originales. 1501-1600. BNF FF 3159 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3178 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3179 = Recueil de lettres et de pièces originales. 1501-1600 . BNF FF 3181 = Recueil de lettres originales. 1501-1600 . BNF FF 3184 = Recueil de lettres originales. 1501-1600 . BNF FF 3185 = Recueil de lettres et de pièces originales. 1501-1600 . BNF FF 3190 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3193 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3194 = Recueil de lettres et de pièces originales. 1501-1600. BNF FF 3201 = Recueil de lettres et de pièces originales. 1501-1600. BNF FF 3203 = Recueil de lettres originales. 1501-1600. 626 Quellen- und Literaturverzeichnis BNF FF 3206 = Recueil de lettres originales, et d’une copie de pièce indiquée comme telle dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3207 = Recueil de lettres et de pièces originales. 1501-1600. BNF FF 3208 = Recueil de lettres et de pièces originales. 1501-1600. BNF FF 3211= Recueil de lettres et de pièces originales. 1501-1600. BNF FF 3212 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3217 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3218 = Recueil de lettres originales. 1501-1600. BNF FF 3219= Recueil de lettres originales et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3221 = Recueil de lettres originales. 1501-1600. BNF FF 3223 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3225 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3227 = Recueil de lettres originales. 1501-1600 . BNF FF 3228 = Recueil de lettres originales. 1501-1600 . BNF FF 3235 = Recueil de lettres originales et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3239 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3243 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600 . BNF FF 3255 = Recueil de lettres et de pièces originales. 1501-1600. BNF FF 3256 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1700 . BNF FF 3291 = Recueil de lettres originales et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3292 = Recueil de lettres originales. 1501-1600 . BNF FF 3293 = Recueil de lettres originales, et d’une copie de pièce indiquée comme telle dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3294 = Recueil de lettres originales. 1501-1600. BNF FF 3300 = Registre des depeches de la reine Catherine de Médicis pendant les differens voyages qu’elle fit dans plusieurs provinces du royaume pour le bien de l’Etat, en 1578, 1579 et 1580. 1501-1600. BNF FF 3315 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600 . BNF FF 3318 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600. BNF FF 3320 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600 . Quellen- und Literaturverzeichnis 627 BNF FF 3321 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600 . BNF FF 3323 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600 . BNF FF 3370 = Recueil de lettres et de pièces originales. 1501-1600. BNF FF 3371 = Recueil de lettres et de pièces originales. 1501-1600. BNF FF 3374 = Recueil de lettres et de pièces originales. 1501-1600. BNF FF 3411 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600 . BNF FF 3898 = Recueil de lettres et de pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600 . BNF FF 3974 = Collection Mémoires de la Ligue. Recueil de lettres et pièces originales, et de copies de pièces indiquées comme telles dans le dépouillement qui suit. 1501-1600 . BNF FF 4632 = Recueil de pièces concernant l’histoire de France, de 1560 à 1576 . BNF FF 15 552 = Recueil de lettres, pour la plupart originales, et autres pièces, relatives à l’histoire de France, principalement sous les règnes de Charles IX , Henri III , Henri IV et Louis XIII (1477-1657). XIII . Règne de Charles IX (1570, juin-décembre). 1401-1700. BNF FF 15 555 = Recueil de lettres, pour la plupart originales, et autres pièces, relatives à l’histoire de France, principalement sous les règnes de Charles IX , Henri III , Henri IV et Louis XIII (1477-1657). XVI . Règne de Charles IX (1572, juillet-décembre). 1401-1700. BNF FF 15 560 = Recueil de lettres, pour la plupart originales, et autres pièces, relatives à l’histoire de France, principalement sous les règnes de Charles IX , Henri III , Henri IV et Louis XIII (1477-1657). XXI . Règne de Henri III (1575-1578). 1401-1700. BNF FF 15 562 = Recueil de lettres, pour la plupart originales, et autres pièces, relatives à l’histoire de France, principalement sous les règnes de Charles IX , Henri III , Henri IV et Louis XIII (1477-1657). XXIII . Règne de Henri III (1580, janvier-avril). 1401-1700. BNF FF 15 563 = Recueil de lettres, pour la plupart originales, et autres pièces, relatives à l’histoire de France, principalement sous les règnes de Charles IX , Henri III , Henri IV et Louis XIII (1477-1657). XXIV . Règne de Henri III (1580, mai-décembre). 1401-1700. BNF FF 15 564 = Recueil de lettres, pour la plupart originales, et autres pièces, relatives à l’histoire de France, principalement sous les règnes de Charles IX , Henri III , Henri IV et Louis XIII (1477-1657). XXV . Règne de Henri III (1581, janvier-juin). 1401-1700. BNF FF 15 565 = Recueil de lettres, pour la plupart originales, et autres pièces, relatives à l’histoire de France, principalement sous les règnes de Charles IX , Henri III , Henri IV et Louis XIII (1477-1657). XXVI . Règne de Henri III (1581, juillet-décembre). 1401-1700. BNF FF 15 573 = Recueil de lettres, pour la plupart originales, et autres pièces, relatives à l’histoire de France, principalement sous les règnes de Charles IX , Henri III , Henri IV et Louis XIII (1477-1657). XXXIV . Règne de Henri III (1586, août-décembre). 1401-1700. BNF FF 15 574 = Recueil de lettres, pour la plupart originales, et autres pièces, relatives à l’histoire de France, principalement sous les règnes de Charles IX , Henri III , Henri IV et Louis XIII (1477-1657). XXXV . Règne de Henri IV (1590-1594). 1401-1700. 628 Quellen- und Literaturverzeichnis BNF FF 15 575 = Recueil de lettres, pour la plupart originales, et autres pièces, relatives à l’histoire de France, principalement sous les règnes de Charles IX , Henri III , Henri IV et Louis XIII (1477-1657). XXXVI . Règne de Henri III (1587-1589). 1401-1700. BNF FF 15 903 (1 und 2) = Papiers et correspondance de Pompone Ier de Bellièvre (1566-4607) [sic] . XIV . Lettres adressées pour la plupart à Bellièvre, principalement pendant les années 1574 et 1575, et relatives notamment aux affaires de Suisse et de Pologne et aux finances ; en outre, quelques pièces diverses (1571-1579). 1501-1700. BNF FF 15 904 = Papiers et correspondance de Pompone Ier de Bellièvre (1566-4607) [sic] . XV . Lettres, pour la plupart orig., adressées principalement à Bellièvre, pièces diverses, orig. et copies ; affaire du prince de Condé et du duc Jean-Casimir (1576-1577). 1501-1700. BNF FF 15 905 (1 und 2) = Papiers et correspondance de Pompone Ier de Bellièvre (1566-4607) [sic]. XVI . Lettres, pour la plupart orig., adressées principalement à Bellièvre, et pièces diverses, orig. et copies ; pièces relatives à la tentative du duc d’Anjou sur les Pays-Bas, en 1578, etc. (1578-1589). 1501-1700. BNF FF 15 906 (1 und 2) = Papiers et correspondance de Pompone Ier de Bellièvre (1566-4607) [sic] . XVII . Lettres, pour la plupart orig., adressées principalement à Bellièvre (1581-1582). 1501-1700. BNF FF 16 108 = Ambassades et missions en Espagne de Jean de Vivonne, sr de Saint Gouard, marquis de Pisani (1572-1574 et 1578-1582), de Mr de Longlée (1582-1588), et de Samuel Brunault (1601-1603) ; nombreuses dépêches originales adressées par eux à la Cour ; minutes de lettres de la Cour ; pièces diverses, relatives principalement à l’affaire de la succession de Portugal et à celle des Tercères (1572-1603 et 1632). V Années 1581 et 1582. 1501-1700. BNF FF 20 457 = Recueil de lettres originales, de minutes et de pièces réunies par Gaignières, pour servir à l’histoire de France depuis le règne de Charles VII jusqu’à celui de Louis XIV . XXXIII Pièces relatives particulièrement à l’Écosse et aux années 1543-1556. 1401-1800. BNF Fonds Clairambault 341 = Documents originaux et copies, mémoires et extraits tirés de la Bibliothèque du Roi, fonds de Béthune, Brienne, etc., pour servir aux études d’histoire du Dauphin sous la direction de Bossuet, et concernant les règnes de François Ier à Henri III , avec une suite de Henri IV à Louis XIV (1610-1710). XXXI Règne de Henri II . 1547, mars-1548, juillet. Correspondance des Guise, etc. 1501-1800. BNF Fonds Clairambault 347 = Documents originaux et copies, mémoires et extraits tirés de la Bibliothèque du Roi, fonds de Béthune, Brienne, etc., pour servir aux études d’histoire du Dauphin sous la direction de Bossuet, et concernant les règnes de François Ier à Henri III , avec une suite de Henri IV à Louis XIV (1610-1710). XXXVII Règne de Henri II . 1553, juillet 1554.1501-1800. BNF Fonds Clairambault 349 = Documents originaux et copies, mémoires et extraits tirés de la Bibliothèque du Roi, fonds de Béthune, Brienne, etc., pour servir aux études d’histoire du Dauphin sous la direction de Bossuet, et concernant les règnes de François Ier à Henri III , avec une suite de Henri IV à Louis XIV (1610-1710). XXXIX Règne de Henri II . Année 1556. Correspondance des Guise, etc. 1501-1800 . Quellen- und Literaturverzeichnis 629 BNF Fonds Clairambault 350 = Documents originaux et copies, mémoires et extraits tirés de la Bibliothèque du Roi, fonds de Béthune, Brienne, etc., pour servir aux études d’histoire du Dauphin sous la direction de Bossuet, et concernant les règnes de François Ier à Henri III , avec une suite de Henri IV à Louis XIV (1610-1710). XL Règne de Henri II . 1557, janvier-juillet. Correspondance des Guise; lettres orig. signées. 1501-1800. BNF Fonds Dupuy 211 = Recueil de lettres, la plupart autographes, de rois et reines de France, et autres grands personnages français des XVI e et XVII e siècles. 1501-1700. 1.3.1.2 Editionen Avenel, Denis (Hrsg.) (1853-1877): Lettres, instructions diplomatiques et papiers d’État du Cardinal de Richelieu . 8 Bände. Paris: Imprimerie Impériale. Baguenault de Puchesse, Gustave / La Ferrière, Hector de (Hrsg.) (1880-1943): Lettres de Catherine de Médicis . 10 Bände und Index (= Band 11). Paris: Imprimerie Nationale. Berger de Xivrey, M. (Hrsg.) (1843-1858): Recueil des lettres missives de Henri IV […] . 9 Bände. Paris: Imprimerie Nationale. Charrière, Ernest (Hrsg.) (1848-1860): Négociations de la France dans le Levant, ou Correspondances, mémoires et actes diplomatiques des ambassadeurs de France à Constantinople et des ambassadeurs, envoyés ou résidents à divers titres à Venise, Raguse, Rome, Malte et Jérusalem, en Turquie, Perse, Géorgie, Crimée, Syrie, Égypte, etc. et dans les États de Tunis, d’Alger et de Maroc . 4 Bände. Paris: Imprimerie Nationale. Chéruel, Adolphe (Hrsg.) (1872-1906): Lettres du cardinal Mazarin pendant son ministère . 9 Bände. Paris: Imprimerie Nationale. Cosentino, Paola / De Los Santos, Lucie (Hrsg.) (2001): „Un nuovo documento sul fuoriuscitismo fiorentino: undici lettere inedite di Luigi Alamanni a Filippo Strozzi (aprile 1536-febbraio 1537).“ Laboratoire italien 1 ( ENS Éditions): 141-167. Coste, Pierre (Hrsg.) (1920-1970): Saint Vincent de Paul. Correspondance, Entretiens, Documents. Édition publiée et annotée par Pierre Coste . 14 Bände. Paris: Lecoffre & Gabalda. Desjardins, Abel (Hrsg.) (1859-1886): Négociations diplomatiques de la France avec la Toscane. Documents recueillis par Giuseppe Canestrini . 6 Bände. Paris: Imprimerie Impériale. Piccolomini, Bandini (Hrsg.) (1877): Lettere autografe di Pietro Strozzi. Maresciallo di Francia. Siena: ohne Verlag. Spigarolo, Bruno (1999): Filippo Cavriana. Mantovano del XVI secolo, letterato tacitista, storico e politico . Mantua: Sometti. Tommaseo, M. N. (Hrsg.) (1838): Relations des ambassadeurs vénitiens sur les affaires de France au XVI e siècle. Recueillies et traduites par M. N. Tommaseo . 2 Bände. Paris: Imprimerie Royale. 1.3.2 Memoiren Brantôme, Pierre de Bourdeille (1864-1882): Œuvres complètes , hrsg. von Ludovic Lalanne. 11 Bände. Paris: Renouard. 630 Quellen- und Literaturverzeichnis Fliche, Paul (Hrsg.) (1877): Mémoires sur la vie, les malheurs, les vertus de très haute et très illustre princesse Marie-Félicie Des Ursins, épouse et veuve du duc Henri II de Montmorency […] . 2 Bände. Poitiers / Paris: Oudin. Goulas, Nicolas (1879-1882): Mémoires de Nicolas Goulas, gentilhomme ordinaire de la chambre du duc d’Orléans, hrsg. von Charles Constant. 3 Bände. Paris: Renouard. Petitot, Claude-Bernard / Monmerqué, Louis (Hrsg.) (1819-1829): Collection complète des mémoires relatifs à l’histoire de France , Série 1: depuis le règne de Philippe-Auguste jusqu’au commencement du XVII e siècle , 52 Bände, Série 2: depuis l’avènement de Henri IV jusqu’à la paix de Paris conclue en 1763 , 79 Bände. Paris: Foucault. Souvigny, Jean de Gangnières, Comte de (1906-1909): Mémoires du Comte de Souvigny, lieutenant général des armées du roi. Publiés d’après le manuscrit original pour la Société de l’Histoire de France […] , hrsg. von Ludovic de Contenson. 3 Bände. Paris: Renouard. 1.3.3 Reiseberichte Anonyme (1680): Relation des missions et des voyages des evesques vicaires apostoliques, et de leurs ecclésiastiques és années 1672, 1673, 1674 et 1675 . Paris: Angot. Coulon, Louis (1644): Les rivières de France, ou Description géographique et historique du cours et débordement des fleuves, rivières, fontaines, lacs et estangs qui arrousent les provinces du royaume […], par le sieur Coulon . 2 Bände. Paris: Clouzier. Deseine, François-Jacques (1699): Nouveau voyage d’Italie : contenant une description exacte de toutes ses provinces, villes et lieux considérables […] . 2 Bände. Lyon: Thioly. Duval, Pierre (1656): Relation du voyage fait à Rome par Monsieur le Duc de Buillon, prince souverain de Sedan […] . Paris: Clouzier. Evelyn, John (1890): The Diary of John Evelyn […], from 1641 to 1705-6, with Memoir, edited by William Bray . London: Gibbings. Fermanel, Gilles u. a. (1670): Le voyage d’Italie et du Levant : contenant la description des royaumes, provinces, gouvernemens, villes, bourgs villages, églises, palais, mosquées, édifices anciens et modernes ; vies, moeurs, actions tant des italiens que des turcs, juifs, grecs, arabes, arméniens, mores, nègres, […]. Rouen: Herault. Gontaut Biron, Thédore de (Hrsg.) (1888): Ambassade en Turquie de Jean de Gontaut Biron, baron de Salignac : 1605 à 1610. Relation inédite [par Julien Bordier]. Précédée de La Vie du Baron de Salignac, par le Comte Théodore de Gontaut Biron . Paris: Honoré Champion. Grangier de Liverdis, Balthazar (1667): Journal d’un voyage de France et d’Italie, fait par un gentilhomme françois, commencé le quatorzième septembre 1660, et achevé le trente-unième may 1661 . Paris: Vaugon. Huguetan, Jean (1681): Voyage d’Italie curieux et nouveau : enrichi de deux listes, l’une de tous les curieux et de toutes les principales curiositez de Rome, et l’autre de la pluspart des sçavans, curieux et ouvriers excellens de toute l’Italie à présent vivans […]. Lyon: Aumalier. La Boullaye-le-Gouze, François de (1653): Les voyages et observations du sieur de La Boullaye Le Gouze, […] où sont décrites les religions, gourvernemens et situations des Quellen- und Literaturverzeichnis 631 Estats et royaumes d’Italie, Grèce, Natolie, Syrie, Palestine, Karaménie, Kaldée, Assyrie, Grand Mogol, Bijapour, Indes orientales des Portugais, Arabie, Égypte, Hollande, […]. Paris: Clouzier. Locatelli, Sebastiano (1905): Voyage de France, moeurs et coutumes françaises (1664-1665). Relation de Sébastien Locatelli […] traduite sur les manuscrits autographes et publiée, avec une introduction et des notes […] , hrsg. von Adolphe Vautier. Paris: Picard. Münster, Sebastian (1575): La cosmographie universelle de tout le monde : en laquelle, suivant les auteurs plus dignes de foy, sont au vray descriptes toutes les parties habitables, et non habitables de la terre, et de la mer […] . Paris: Sonnius. Tavernier, Jean-Baptiste (1676). Les six voyages de Jean-Baptiste Tavernier […] qu’il a fait en Turquie, en Perse, et aux Indes […]. Paris: Clouzier & Barbin. Villamont, Jacques de (1595): Les voyages du seigneur de Villamont, divisez en trois livres […] Plus un abrégé de la description de toute la France . Paris: Monstr’oeil & Richer. Vologer Fontenay (1643): Voyage faict en Italie par Monsieur le marquis de Fontenay- Mareuil, ambassadeur du Roy près de Sa Saincteté en l’année 1641, où est compris tout ce qui se voit de remarquable, de Paris jusqu’à Rome, les noms des villes, des chasteaux, […], le tout recueilly par le sieur de Vologer Fontenay . Paris: Boulanger. 1.3.4 Verwaltungsschriftlichkeit Bernard, Auguste (Hrsg.) (1842): Procès-verbaux des États généraux de 1593 . Paris: Imprimerie Royale. Bigot de Monville, Alexandre (1905): Recueil des présidents, conseillers et autres officiers de l’Echiquier et du Parlement de Normandie, par Bigot de Monville, 1499 à 1550 , hrsg. von G.-A. Prevost. Rouen / Paris: Lestringant / Picard. Floquet, Amable (1840-1842): Histoire du Parlement de Normandie . 7 Bände. Rouen: Périaux. Registres = Bonnardot, François / Guérin, Paul / Le Grand, Léon u. a. (Hrsg.) (1883-1921): Registres des délibérations du bureau de la ville de Paris . Bände 1-16 [1499-1616]. Paris: Imprimerie Nationale. 1.3.5 Verschiedenes Bacci, Orazio (Hrsg.) (1901): Vita di Benvenuto Cellini. Testo critico, con introduzione e note storiche per cura di Orazio Bacci . Florenz: Sansoni. Cavalcabò, Girolamo ([1597] 1609): Traité ou instruction pour tirer des armes, de l’excellent Scrimeur Hyeronime Cavalcabo, Bolognois. Avec un discours pour tirer de l’espee seule, fait par le deffunt Patenostrier de Rome. Traduit d’Italien en François par le Seigneur de Villamont […] . Rouen: le Villain. Chantelauze, Régis de ([1878-1879] 1978): Le cardinal de Retz et l’affaire du chapeau. Étude historique suivie des correspondances inédites de Retz, Mazarin […] . Reprint. Genf: Slatkine. 632 Quellen- und Literaturverzeichnis Chantelauze, Régis de (1882): Saint Vincent de Paul et les Gondi, d’après de nouveaux documents . Paris: Plon. Cimber, Louis u. a. (Hrsg.) (1834-1837): Archives Curieuses de l’Histoire de France, depuis Louis XI jusqu’à Louis XVIII ou collection de pièces rares et intéressantes, telles que chroniques, mémoires, pamphlets, lettres, vies, procès, testaments, exécutions, sièges, batailles, massacres, entrevues, fêtes, cérémonies funèbres, etc., etc., etc., publiées d’après les textes conservés à la Bibliothèque Royale, et accompagnées de notices et éclaircissements. 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Anhang Anhang 1: Liste rinascimentaler Italianismen ohne Eintrag im OIM und neuer Erstbelege Im Folgenden werden Lehnwörter, -bedeutungen und -wendungen aus dem Italienischen aufgeführt, die nicht im OIM verzeichnet sind (= kein Eintrag im OIM ). Daneben finden sich auch neue Erstbelege für bereits bekannte Italianismen (= neuer Erstbeleg). Die Seitenangaben in eckigen Klammern verweisen auf die Stellen der vorliegenden Arbeit, an denen die jeweiligen Italianismen besprochen werden. 1 fr. agent ‘Agent / Gesandter (eines Aristokraten)’ < it. agente Lehnbedeutung seit 1578 (vgl. OIM s.v. agente , TLF i s.v. agent ) neue Erstbelege: (1557)/ 1562 in Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 1 (1880: 113-114, 278-280) [S. 569-570] 2 fr. baiser les mains à qn < it. baciare le mani a qn Lehnwendung seit dem 16. Jh. (vgl. Brunot HLF II 1906: 208, Fn. 2) kein Eintrag im OIM Belege u. a. in Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 4 (1891: 266-267) [u.a. S. 539-542] 3 fr. bicoque < it. bicocca Lehnwort seit (1576)/ 1611 (vgl. OIM s.v. bicocca , TLF i s.v. bicoque ) neuer Erstbeleg: 1558 in Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 1 (1880: 118) [S. 566-568] 4 fr. fermer ‘anhalten’ < it. fermare Lehnbedeutung im 16. Jh. (vgl. FEW s.v. fĭrmare ) im OIM (s.v. fermare ): se fermer Beleg: 1562 in Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 1 (1880: 343-344) [S. 542-544] 5 fr. inganner < it. ingannare Lehnwort im 16. Jh. (vgl. FEW s.v. * ingannare ) im OIM (s.v. ingannarsi ): s’inganner Beleg in Cavalcabò ([1597] 1609: 5) [S. 95-96] 6 fr. inganne < it. inganno sporadisches Lehnwort im 17. Jh. (bisher nicht dokumentiert) kein Eintrag im OIM (s.v. inganno ): nur inganno (mus.) Belege in Goulas Bd. 2 ([1644-1648] 1879: 53, 121, 150, 342, 387) [S. 234, Fn. 111] 664 Anhang 7 fr. liste ‘Liste’ < it. lista Lehnwort seit 1567 (vgl. OIM s.v. lista , TLF i s.v. liste 2) neuer Erstbeleg: 1562 in Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 1 (1880: 379-381) [S. 568-569] 8 fr. manquer à faire qc < it. mancare (a)/ di fare qc Lehnwort manquer à faire seit 1645 (vgl. TLF i s.v. manquer ) neuer Erstbeleg: [1561]/ 1578 in Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 6 (1897: 166-167) [S. 570-572] 9 fr. piatte < it. piatta Lehnwort im 17. Jh.: ein Beleg 1667 (vgl. Vidos 1939: 239-240, Fn. 1) kein Eintrag im OIM neuer Erstbeleg: 1574 in Arnoul du Ferrier in Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 5 (1895: XXIII - XXV ) [S. 191] 10 fr. pif(f)re ‘Pfeifenspieler’ < it. piffero möglicherweise it. Lehnwort im 16. Jh. (vgl. Wind 1928: 119) kein Eintrag im OIM (s.v. piffero ): nur piffaro (18. Jh.) Beleg in Arnoul du Ferrier in Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 5 (1895: XXIII - XXV ) [S. 189-191] 11 fr. saltarin < it. * saltarino seltenes Lehnwort im 16. Jh., z. B. in D’Aubigné (vgl. FEW s.v. saltare ) kein Eintrag im OIM Beleg in Tuccaro (1599: 3) [S. 349-350] 12 fr. (e)scalque ‘Diener’ < it. scalco Lehnwort im 16. Jh. (vgl. FEW s.v. skalks ) kein Eintrag im OIM (s.v. scalco ) Beleg in Arnoul du Ferrier in Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 5 (1895: XXIII - XXV ) [S. 191-192] 13 fr. soprefin < it. soprafino seltenes Lehnwort im 16. Jh. (vgl. Vidos 1931: 474) kein Eintrag im OIM Beleg in Smith (1980a: 193, Fn. 558) [S. 242-244] 14 fr. spolin < it. ? spolino möglicherweise Lehnwort im 16. Jh. (vgl. Smith 1980a: 193, Fn. 558) kein Eintrag im OIM Beleg in Smith (1980a: 193, Fn. 558) [S. 242-244] 15 it. salva (1545) > fr. salve (1559) neuer Erstbeleg für it. salva und daher Etymon für fr. salve neuer Erstbeleg: 1545 in Bernardo de’ Medici in Desjardins Bd. 3 (1865: 167-169) (vs. 1566 im OIM s.v. salva , TLF i s.v. salve ) [S. 572-574] Anhang 665 Anhang 2: Tatsächliche und vermeintliche Italianismen in Estiennes Deux Dialogues (1578) auf Basis von Trescases (1978b) In der folgenden Tabelle werden die laut Trescases (1978b) in den Deux Dialogues (1578) als Italianismen kritisierten Lexeme und Wendungen aufgeführt. Seine Liste wird mit wenigen Änderungen reproduziert: Zum einen wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit eine alphabetische Reihenfolge gewählt, zum anderen wurden falsche Schreibungen - ganz gleich, ob diese auf die Edition von Ristelhuber (1885) zurückzuführen sind oder nicht - berichtigt. Des Weiteren wurden sämtliche in Trescases (1978b) unberücksichtigt gebliebene Lexeme, Lehnbedeutungen und Redewendungen addiert, die von Estienne (1578) als Lehngut aus dem Italienischen ausgewiesen werden. Die Angaben in der zweiten Spalte geben Auskunft darüber, wie die betroffenen Elemente von Trescases (1978b) bewertet wurden: 16. Jh. Italianismus des 16. Jh. mit Eintrag in Hope (1971) MA Italianismus des Mittelalters mit Eintrag in Hope (1971) Hapax Phantasiekreation ohne Eintrag in Hope (1971) fehlt fehlt in Trescases (1978b) Die Zahlen in eckigen Klammern zeigen an, ob die entsprechende Form aufgrund der in Kapitel 5.5 dargelegten Gründe weiterhin als getadelter Italianismus ([206+0]) gelten kann, aus der Liste getilgt ([206-1]) oder zusätzlich in diese aufgenommen werden muss ([206+1]). Bisweilen finden sich auch Formen, die bereits bei Trescases fehlen und auch in meiner Analyse der Deux Dialogues nicht als von Estienne kritisierte Lehnwörter betrachtet werden können ([206+0]), deren Nicht-Beachtung m. E. aber einer kurzen Rechtfertigung bedarf. Ferner ist auch ersichtlich, ob es sich bei den entsprechenden Lexemen und Wendungen nach dem heutigem Stand der Forschung tatsächlich um Italianismen handelt oder nicht und ob diese ggf. der von Trescases erstellten Liste der von Estienne ‘richtig’ erkannten Italianismen hinzugefügt werden müssen ([71+1]) oder nicht ([71+0]). In einigen wenigen Fällen müssen Formen auch getilgt werden ([71-1]). Der dritten Spalte lässt sich schließlich der genaue Nachweis der Textstelle in der Edition von Smith (1980) entnehmen. Kommt ein Wort oder eine Wendung an mehreren Stellen in den Deux Dialogues vor, werden die verschiedenen Stellen nur dann alle aufgeführt, wenn sie für die Analyse relevant sind. Mit Ausnahme derjenigen Fälle, in denen bereits Trescases (1978b) unter Berufung auf Hope (1971) eine italienische Herkunft feststellt, enthält diese Spalte auch 666 Anhang Kommentare und Anmerkungen zur Etymologie, die die Bewertung der jeweiligen Formen in meiner Analyse erklären: Handelt es sich um Italianismen, die bei Trescases (1978b) fehlen, aber schon von Hope (1971) besprochen wurden und bis heute als solche gelten (etwa im OIM ), beschränke ich mich darauf, mit Smith (1980) auf letzteren zu verweisen. In allen anderen Fällen finden sich nach Möglichkeit Angaben dazu, wie die jeweiligen Lexeme und Wendungen im FEW (auch Publication de la lettre B ), in HUG oder im TLF i bzw. TLF -Étym behandelt werden. Schließlich werden diese Angaben vereinzelt auch um Beobachtungen Smiths (1980) sowie um aus meiner Forschung gewonnene Einsichten ergänzt. Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen académie fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 381, Fn. 347) mit Hope (1971: 150): indirektes Lehngut, Italianismus 16. Jh. accolt Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 140, Fn. 346) -Variante von accort (vgl. garbe / galbe ) s’accomoder Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 125, Fn. 281): belegt -Estienne: kein Italianismus, langage courtisanesque acconche 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 87, Fn. 107) acconché 16. Jh. [206-1], [71-1] -Smith (1980: 74, Fn. 53) -Derivat (neben acconche ) accort MA [206+0], [71+1] -Smith (1980: 85, Fn. 103) accortement Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 120, Fn. 254): belegt -Derivat (neben accort ) accortesse Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 120-121, Fn. 256): belegt -{-esse} und it. Basis: Lehnwort (vgl. pédantesque ) accortise Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 120, Fn. 255): belegt -Variante von accortesse (vgl. garbe / galbe ) accortiser Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 121, Fn. 257) -Estienne: als Hapax erkannt -Derivat (neben accort ) Anhang 667 Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen accoster fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 241, Fn. 704) mit Hope (1971: 151-152): Italianismus 16. Jh. agent fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 239, Fn. 700) - TLF i (s.v. agent ): it. Einfluss im 16. Jh., Lehnbedeutung s’allégrer Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 65): unkommentiert attraction cognatique (vgl. baller ) allégresse ‘joie’ fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 65): unkommentiert -neben s’allégrer , weil {-esse} attraction cognatique (vgl. baller ) faire alte Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 256, Fn. 769) - FEW (s.v. halt ), TLF i (s.v. halte ): Italianismus 16. Jh. altesse fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 226-227, Fn. 659, 660) mit Hope (1971: 153): Italianismus 16. Jh. amasser ‘tuer’ Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 90, Fn. 119), Ristelhuber Bd. 1 (1885: 76, Fn. 2): Belege in D’Auton, Marot und Trippault -Hope (1971: 648): indirektes Lehngut möglich (vgl. fermer ) - FEW : (s.v. * mattea ): it. Einfluss, aber schon altwallon. amassir ‘assommer avec une masse’ ambassadeur fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 239, Fn. 699) mit Hope (1971: 27): Italianismus MA -Estienne: nicht erkannt amorevolesse Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 265, Fn. 4): Hapax, aber Anfang des 17. Jh. in Béroalde de Verville amourachement fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 285, Fn. 80) mit Hope (1971: 153): Italianismus 16. Jh. -Derivat (neben s’amouracher ) s’amouracher fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 285, Fn. 80) mit Hope (1971: 153): Italianismus 16. Jh. ander fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 439): unkommentiert -Estienne: als Hapax erkannt (vgl. sbigottit ) 668 Anhang Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen arabesque fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 204, Fn. 583) mit Hope (1971: 155): Italianismus 16. Jh. armet Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 248, Fn. 729) - TLF i (s.v. armet ): it. Einfluss im 16. Jh. wahrscheinlicher als Vermittlung durch das Sp. (vs. FEW s.v. * helm ) artisan fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 420, Fn. 441) mit Hope (1971: 157): Italianismus 16. Jh. assassin 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 101, Fn. 167) assassinement fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 103, Fn. 170): Belege in Rabelais -Derivat (neben assassin ) assassinateur 16. Jh. [206-1], [71-1] -Smith (1980: 100, Fn. 165): Belege in Rabelais -Derivat (neben assassin ) assassiner fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 102, Fn. 168) -Derivat (neben assassin ) attaquer 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 121-122, Fn. 262) attilé Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 185, Fn. 527) - FEW (s.v.* aptĭcŭlare , * tipfôn ), TLF i (s.v. attifer ): kein Hinweis auf it. Einfluss avoir le diable au / à dos fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 360, Fn. 307) und Ristelhuber Bd. 2 (1885: 173, Fn. 1): Italianismus - FEW (s.v. diabolus , dorsum ), TLF i (s.v. diable und dos ): kein Hinweis auf it. Einfluss baiser les mains fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 39, Fn. 33) - HUG (s.v. baiser ), Brunot HLF II (1906: 208): sp./ it. Einfluss bal Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 198, Fn. 570) -Chauveau (2006): kein Italianismus attraction cognatique (vgl. baller ) Anhang 669 Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen balladin Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 198, Fn. 570) -Chauveau (2006): kein Italianismus - TLF i (s.v. baladin ): Okzitanismus des 16. Jh. oder fr. Derivat baller Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 198, Fn. 570) -Chauveau (2006): kein Italianismus attraction cognatique balorderie 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 36, Fn. 15) mit Hope (1971: 160): Italianismus 16. Jh. (vgl. TLF i s.v. balourderie ) -Derivat gezählt, da kein Simplex in den Deux Dialogues (vgl. villaquerie ) bandiere fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 258, Fn. 776) - TLF i (s.v. bandière ): entweder direkt aus dem Okz. oder indirekt über das It. bannerole fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 258, Fn. 777) mit Hope (1971: 28): Italianismus MA banquet fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 198, 281): unkommentiert -Hope (1971: 28): Italianismus MA -Estienne: nicht erkannt banquier fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 264, Fn. 793) mit Hope (1971: 29): Italianismus MA -Estienne: nicht erkannt barbaresque fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 80, Fn. 82) mit Hope (1971: 161): Italianismus 16. Jh. -{esque} und it. Basis: Lehnwort (vgl. pédantesque ) bardash 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 207, Fn. 599) a bastance 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 72, Fn. 33) -gezählt neben baster , da Wendung a bastance aus dem It. bastant 16. Jh. [206-1], [71-1] -Smith (1980: 37, Fn. 18) -Derivat (neben baster ) baster fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 263): unkommentiert -Hope (1971: 162): Italianismus 16. Jh. 670 Anhang Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen baster l’anime Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 73, Fn. 45): Beleg in Monluc -gezählt neben baster , da Wendung baster l’anime aus dem It. bastonnade fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 78, Fn. 75) mit Hope (1971: 30): Italianismus MA bellissime Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 209, Fn. 609): belegt -nur exemplarisch für {-issime} bizarre 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 145, Fn. 363) bonissime Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 209, Fn. 609) -nur exemplarisch für {-issime} bouccon MA [206+0], [71+0] -Smith (1980: 262, Fn. 790) bouffon 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 93, Fn. 133) bouffonnerie fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 94, Fn. 136) -Derivat (neben bouffon ) bravade fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 105, Fn. 176) mit Hope (1971: 167): Italianismus 16. J h . -{-ade} und it. Basis: Lehnwort (vgl. pédantesque ) brave fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 56, Fn. 13bis) mit Hope (1971: 166-167): Italianismus 16. Jh. braverie fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 42): unkommentiert -Derivat (neben brave ) brigade MA [206+0], [71+1] -Smith (1980: 76, Fn. 63) brigantin fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 272): unkommentiert -Hope (1971: 31): Italianismus MA brocart fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 193, Fn. 558) mit Hope (1971: 168): Italianismus 16. Jh. Anhang 671 Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen brode Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 87) -Colombo-Timelli (2008: 57-58), FEW (s.v. * brot ): vorübergehend im 16. Jh. aus dem It. bugiarder Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 427, Fn. 454): Hapax -gezählt neben bugie , da Basis: bugiardbugie Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 427, Fn. 454): Hapax se burler 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 37, Fn. 21) busque 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 188-189, Fn. 540) buste 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 188-189, Fn. 540) cadene 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 122, Fn. 266) caleçons 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 172, Fn. 480) callizelle Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 75, Fn. 55): Hapax, aber Simplex calle bei Du Tronchet camisade 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 246, Fn. 722) camisole fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 247, Fn. 726) - TLF i (s.v. camisole ): okz. Ursprung wahrscheinlicher als nordit. Etymon Luy vienne le cancre! fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 438, Fn. 483) - FEW (s.v. cancer , Anm. 3): laut Estienne (1566) von it. Ti venga il cancro! canon (milit.) fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 58, Fn. 26) mit Hope (1971: 33): Italianismus MA capita(i)nesse fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 269, Fn. 24) mit Vidos (1939: 285): fr. Derivat zu capitane (vgl. auch TLF i s.v. capitane ) 672 Anhang Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen capité Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 39, Fn. 31): in Du Tronchet capiter ‘arriver’ caporal fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 243, Fn. 709) mit Hope (1971: 173-174): Italianismus 16. Jh. capricieux fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 211, Fn. 615) mit Hope (1971: 174): Italianismus 16. Jh. -Derivat (neben caprice ) caprice 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 141, Fn. 349) carat fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 369, Fn. 326bis) mit Hope (1971: 33): Italianismus MA caresser fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 316): unkommentiert -Hope (1971: 33): Italianismus MA caresses fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 313, Fn. 172) mit Hope (1971: 175): Italianismus 16. Jh. -Derivat (neben caresser ) cargue fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 121, Fn. 260, 261) - TLF i (s.v. cargue ): it. Einfluss im 16. Jh. carguer fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 121, Fn. 260, 261) - TLF i (s.v. carguer ): it. Einfluss im 16. Jh. -Estienne: nicht erkannt carrière fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 334): unkommentiert - TLF i (s.v. carrière 1): Italianismus 16. Jh. -Estienne: nicht erkannt cartel fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 62, Fn. 34) mit Hope (1971: 176-177): Italianismus 16. Jh. casanier fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 147, Fn. 368) -Hope (1971: 31): Italianismus MA - TLF i (s.v. casanier ): entgegen FEW (s.v. casa ) it. Einfluss, verstärkt auch im 16. Jh. casemate 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 246, Fn. 720) case Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 74, Fn. 47): belegt - FEW (s.v. casa ): Revitalisierung im 16. Jh. durch it. Einfluss Anhang 673 Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen cattive Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 69): unkommentiert -ausdrucksseitige Adaption von chétif , Beleg in Brantôme (vs. FEW s.v. captivus : it. Lehngut) cavalereux Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 60, Fn. 31): Hapax -ausdrucksseitige Adaption von chevalereux -Derivat (neben cavalier ) cavalerie 16. Jh. [206-1], [71-1] -Smith (1980: 60, Fn. 30) -Hope (1971: 179), TLF i (s.v. cavalerie ): Lehngut aus dem It. -Derivat (neben cavalier ) cavalier 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 45, Fn. 6; 121, Fn. 258) caver Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 37, Fn. 17) mit Hope (1971: 280): Hapax in der Bedeutung ‘entfernen’ cervelat fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 262, Fn. 789) mit Hope (1971: 180): Italianismus 16. Jh. charlatan 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 93, Fn. 132) chère ‘visage’ Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 119, Fn. 249): belegt - FEW (s.v. cara ): Gallizismus im It. citadins fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 75, Fn. 58) mit Hope (1971: 34): Italianismus MA comedianti Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 156, Fn. 406) -Zitatwort, exemplarisches CSW concet Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 56, Fn. 16) mit Hope (1971: 359): „à distinguer du latinisme concept (1404), Christine de Pisan“ (vgl. auch FEW s.v. concipere , HUG s.v. concept ) -ausdrucksseitige Adaption des Latinismus concept (vs. FEW , HUG ) conche 16. Jh. [206-1], [71-1] -Smith (1980: 87, Fn. 107) mit Hope (1971: 182): Italianismus 16. Jh. -Estienne: nicht erkannt (Variante zu acconche wie garbe / galbe ) 674 Anhang Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen contrade Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 74, Fn. 51): Hapax contrescarpe 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 245, Fn. 717) coronel fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 285, Fn. 81) mit Hope (1971: 181-182): Italianismus 16. Jh. courradour Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 245, Fn. 718): okz. Lehngut, aber courridour in D’Aubigné als Kreuzung aus it. corridore und okz. courradour - FEW (s.v. cŭrrĕre , Anm. 57): courradour wird im 16. Jh. ersetzt durch corridor < it. corridore courtesie Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 72, Fn. 32): lediglich Aussprache und Graphie <e> [ɛ] statt <oi> [wɛ] (vgl. endroit / endret ) courtisane 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 107, Fn. 180) courtisaner 16. Jh. [206-1], [71-1] -Smith (1980: 202, Fn. 579) mit Hope (1971: 185): fr. Derivat (neben courtisane ) -Estienne: kein Italianismus courtisanesque fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 36, Fn. 8): Italianismus 16. Jh. -{-esque} und it. Basis: Lehnwort (vgl. pédantesque ) courtiser fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 202, Fn. 579) mit Hope (1971: 185): Italianismus 16. Jh. coyon fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 369, Fn. 326bis) mit Hope (1971: 181): Italianismus 16. Jh. cramoisi fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 348, Fn. 273): unkommentiert - TLF i (s.v. cramoisi ): Vermittlung über das It. im 14. Jh. wahrscheinlich (vgl. auch FEW s.v. qirmiz ) créature 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 325, Fn. 202; 326, Fn. 205) Anhang 675 Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen délicatesse fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 177, 374): unkommentiert -Hope (1971: 185): it. Einfluss 16. Jh. désastre fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 340-341, Fn. 245) mit Hope (1971: 185): Italianismus 16. Jh. désastrer (désastrément) fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 341, Fn. 246-248): Belege im 16. Jh. -Derivate (neben désastre ) desturbe (disturbe) Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 76, Fn. 67): nur formaler Einfluss - FEW (s.v. disturbare ): kein it. Einfluss für desturbe -ausdrucksseitige Adaption, Aussprache [i] und [-st-] dévotion fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 307, Fn. 150): être à la devotion de qn könnte it. aver devozione in qn nachempfunden sein -Clément ([1898] 1967: 355): evtl. it. Einfluss discortesie MA [206+0], [71+1] -Smith (1980: 74, Fn. 50) discoste 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 73, Fn. 46) disgrace 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 148, Fn. 371) disgratié 16. Jh. [206-1], [71-1] -Smith (1980: 148, Fn. 370) -Derivat (neben disgrace ) (di)smentiguer Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 113, Fn. 212): Hapax -Estienne: als Hapax erkannt (vgl. sbigottit ) doctissime Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 209, Fn. 609) - HUG (s.v. doctissime ): Belege im 16. Jh. -nur exemplarisch für {-issime} domestichesse Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 37, Fn. 23): Hapax, aber Simplex domestiquer bei Du Tronchet 676 Anhang Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen drapeau Hapax [206+1], [71+1] -Smith (1980: 257, Fn. 770) -fehlt in Hope (1971) - FEW (s.v. drappus , Anm. 4): „Diese bed. ist vielleicht angeregt durch it. drapello , das schon etwas früher die […] bed. entwickelt.“ - TLF i (s.v. drapeau ): it. Einfluss embuscade MA [206+0], [71+1] -Smith (1980: 247, Fn. 724) à mon endret Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 126): unkommentiert - FEW (s.v. directus ), TLF i (s.v. endroit ): kein Hinweis auf it. Einfluss endret : Aussprache und Graphie <e> [ɛ] statt <oi> [wɛ] en mon endret : langage courtisanesque envoyer au bordel fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 56, 438) - FEW (s.v. bord ), HUG (s.v. bordel ), TLF i (s.v. bordel ): kein Hinweis auf die Redensart bzw. it. Einfluss escalade Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 246, Fn. 723) mit Hope (1971: 37-38): Italianismus MA s’escarmoucher fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 372): unkommentiert -Hope (1971: 38): escarmouche Italianismus MA - TLF i (s.v. escarmouche ): Substantiv evtl. aus dem It., Verb entweder fr. Derivat oder aus it. scaramucciare -Estienne: nicht erkannt escarpe (milit.) 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 245, Fn. 717) (e)scarpe ‘Schuh’ 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 322, Fn. 188) escorce Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 128, Fn. 292) -Variante zu escorte - ZS -rez. ind. Entlehnung (vgl. galbe / garbe ) Anhang 677 Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen escorne 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 128, Fn. 194) (e)scorte 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 38, Fn. 24; 128) escort 16. Jh. [206-1], [71-1] -Smith (1980: 86, Fn. 104, 106) mit Hope (1971: 190): Italianismus 16. Jh. -Sampson (2004: 340): Estienne erkennt die Etymologie von fr. escort < it. scorto nicht (vgl. conche / acconche ) escrime fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 216, Fn. 632) mit Hope (1971: 38): Italianismus MA - TLF i (s.v. escrime ): réfection nach it. Vorbild, und Bedeutung ‘manier l’épée’ seit 16. Jh. aus dem It. à l’esgarée Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 84): unkommentiert - FEW (s.v. * warôn ): kein Hinweis auf it. Einfluss -Estienne: kein Italianismus estochade fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 242, Fn. 706) mit Hope (1971: 193): trotz Unsicherheit bei Nicot (1606), ob it. oder sp. Einfluss, Italianismus 16. Jh. esventail Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 175, Fn. 495) mit Hope (1971: 264): esventail nicht als Italianismus kritisiert, sondern ventaglio als Gallizismus klassifiziert explanader Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 247, Fn. 725): belegt, Variante zu explaner (vgl. auch HUG s.v. esplanader ) -Hope (1971: 38): esplanade Italianismus MA -Derivat gezählt, da kein Simplex in den Deux Dialogues (vgl. villaquerie ) 678 Anhang Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen faction Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 255, Fn. 765, 766) - TLF i (s.v. faction ): „2. 1616 faction «fonction d’un soldat armé qui surveille les abords d’un poste» […] semble avoir été empr. à l’ital. fazione “ -Estienne: als Latinismus klassifiziert fantachin 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 244, Fn. 713) faquin Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 114, Fn. 215): Etymologie unklar, Verweis auf Hope (1971: 99-100) - FEW (s.v. fac ): it. facchino < fr. faquin - TLF i (s.v. faquin ): kein it. Einfluss fasciende 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 385, Fn. 364) fastide Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 73, Fn. 40): Verweis auf Wind (1928: 173): bereits im 14. Jh., dann wieder im 16. Jh. durch it. Einfluss fatigue fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 37, Fn. 16) -Hope (1971: 648): indirektes Lehngut möglich (vgl. fermer ) - FEW (s.v. fatigare ), TLF i (s.v. fatigue ): kein Hinweis auf it. Einfluss favoregger fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 38, Fn. 26): Hapax -ausdrucksseitige Adaption von favoriser (vgl. ragionner ) ferites Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 67, Fn. 16): Belege in Du Tronchet, Le Plessis fermer ‘arrêter’ Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 74, Fn. 49): Beleg in Ronsard, Hinweise in Muret 1553 -Hope (1971: 648): indirektes Lehngut möglich - FEW (s.v. fĭrmare ): vorübergehender it. Einfluss festin fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 125): unkommentiert -Hope (1971: 195): Italianismus 16. Jh. -Estienne: nicht erkannt Anhang 679 Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen fogge Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 82, Fn. 94): Hapax forestier 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 90, Fn. 121) forfant 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 108, Fn. 125) forfanterie fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 109, Fn. 189) mit Hope (1971: 196): Italianismus 16. Jh. -Derivat (neben forfant ) forussit 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 150, Fn. 376) en frette fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 387, Fn. 366bis): Hapax -Estienne: als Hapax ausgewiesen (vgl. sbigottit ) furibunde Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 358, Fn. 301) -Estienne: als Latinismus kritisiert furibunder Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 358, Fn. 301): Hapax -Estienne: als Latinismus kritisiert -Derivat (neben furibunde ) galanterie Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 180, Fn. 510) - FEW (s.v. wala ): Bedeutungsentwicklung „entsteht zur zeit des it. einflusses auf die höfischen Lebensformen im 16. jh., und erreicht seine stärkste vitalität im 17. jh.“ -it. Herkunft nicht gesichert galbe 16. Jh. [206-1], [71+0] -Smith (1980: 66-67, 140) -Variante von garbe galere (galée) fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 271-272, Fn. 30) - FEW (s.v. galea 2), TLF i (s.v. galère , galée ): kein it. Einfluss galerie fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 214, Fn. 627bis) mit Hope (1971: 40): evtl. Italianismus MA - TLF i (s.v. galerie ): „Empr. du latin médiév. du domaine ital.“ 680 Anhang Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen galion fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 272, Fn. 31) - TLF i (s.v. galion ): eher sp. Einfluss galiote fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 272, Fn. 31) - TLF i (s.v. galiote ): it. Einfluss im MA garbe 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 36, Fn. 10) gayoffe fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 80, Fn. 86): Hapax -aber als Eigenname eines Riesen in Rabelais (vgl. Sainéan Bd. 2, 1923: 482): fr. gayoffe < it. gaglioffo gayoffement Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 80, Fn. 86): Hapax -Derivat (neben gayoffe ) gentil-donne Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 182-183, Fn. 520): Belege in Brantôme gentillesse Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 180, Fn. 509) -it. Einfluss nicht gesichert goffe fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 68, Fn. 19) mit Hope (1971: 160): Italianismus 16. Jh. gofferie 16. Jh. [206-1], [71+0] -Smith (1980: 36, Fn. 14) -Derivat (neben goffe ) de grace fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 69, Fn. 24) -it. Einfluss nicht gesichert grade fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 122, Fn. 267) - FEW (s.v. gradus , u. a. Anm. 18), TLF i (s.v. grade ): Latinismus grandissime 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 209, Fn. 609) -{-issime}, exemplarisch gezählt (vs. doctissime ) Anhang 681 Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen guidon fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 258, Fn. 775) mit Hope (1971: 41): Italianismus MA - FEW (s.v. * witan , insbes. Anm. 16): kein it. Ursprung - TLF i (s.v. guidon ): fr. Derivat aus guider wahrscheinlicher als it. Einfluss, da it. guidone erst später als im Fr. belegt (1547) harquebouzade fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 260): unkommentiert -Hope (1971: 156): Italianismus 16. Jh. - TLF i (s.v. arquebusade ): fr. Derivat -{-ade} und it. Basis: Lehnwort (vgl. pédantesque ) harquebouze fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 260): unkommentiert -Hope (1971: 156): Italianismus 16. Jh. aufgrund von <ou> [u] hongresque fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 204): unkommentiert -Belege u. a. in Brantôme Bd. 1 (1864: 167), Registres du bureau de la ville de Paris Bd. 6 ([1571] 1892: 310) -nur exemplarisch für {-esque} humeur Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 144, Fn. 356) - FEW (s.v. hūmor , insbes. Anm. 2), TLF i (s.v. humeur ): für humeur ‘caprice’ kein Hinweis auf it. Einfluss humoriste fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 211, Fn. 614) mit Hope (1971: 201-202): Italianismus 16. Jh. il m’incresce Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 75, Fn. 56): Hapax imbattu Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 65, Fn. 4): auch bei Belleforest -Variante <in-> statt <en-> (vgl. inamouré statt enamouré ) imbratter Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 81, Fn. 87): Hapax 682 Anhang Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen imparer Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 67, Fn. 14): Hapax importance fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: u.a. 388): unkommentiert Estienne: nicht erkannt importer (à qn / de qc) fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: u. a. 69, 106, 385) -Estienne: nicht erkannt imprese fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 118): unkommentiert -Estienne: indirekt als Hapax ausgewiesen (vgl. sbigottit ) à l’improviste 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 77-78, Fn. 74) in Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: u. a. 35, 117) -Variante <in> statt <en> -nur innerhalb fester Wendungen, wie martel in teste , in ogni mode und in case (vgl. voglie ) in ogni mode Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 117, 124): Hapax -Goulas Bd. 1 (1879: 72): it. Zitat in ogni modo inamouré Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 74-75, Fn. 54): Hapax-Form -Variante <in-> statt <en-> - FEW (s.v. amōr ): inamouré in Palsgrave (1530) -ausdrucksseitige Adaption von enamouré (vgl. ragionner ) inamourement fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 291, Fn. 104): Hapax, aber enamourement in Übersetzung von Premierfaict -Derivat (neben enamourer ) indugier Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 39, Fn. 32): Hapax infanterie 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 244, Fn. 712) Anhang 683 Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen s’inganner Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 38, Fn. 25): kein Hapax: inganné in Brantôme, inganner , ingannateur in Du Tronchet -Belege im 17. Jh.: inganner in Villamont (1609), inganne ‘Betrug’ in Goulas Bd. 2 (1879: 53, 121) - FEW (s.v. * ingannare ): im 16. Jh. gelegentlich ins Fr. entlehnt intrigue fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 38, Fn. 30) mit Hope (1971: 203): Italianismus 16. Jh. jalousie 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 171, Fn. 477) lancepessade 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 244-245, Fn. 715) leggiadre 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 78, Fn. 76) leggiadrement Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 113, Fn. 213) -Hope (1971: 206): sowohl leggiadre als auch leggiadrement aus it. leggiadro und it. leggiadramente -Derivat (neben leggiadre ) leggiadresse fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 409): unkommentiert - FEW (s.v. * leviarius ): leggiadresse ‘gentillesse’ nur bei Estienne (1578) -fr. Derivat zwar nicht ausgeschlossen, aber it. leggiadrezza existierte neben it. leggiadria -{-esse} und it. Basis: Lehnwort (vgl. pédantesque ) leste 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 78, Fn. 77) 684 Anhang Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen lever Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 37, Fn. 19): ‘ôter’ mit Abstrakta im 16. Jh. bei vielen Français italianisants - FEW (s.v. lěvāre ), TLF i (s.v. lever ): kein Hinweis auf it. Einfluss - HUG (s.v. lever ): zahlreiche Belege, Verweis auf it. Herkunft laut Estienne lista Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 112): unkommentiert -lediglich als Etymon für fr. liste , Zitatwort listato Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 112): unkommentiert -lediglich Zitatwort liste Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 112, Fn. 204) -fehlt in Hope (1971) - FEW (s.v. lîsta ), TLF i (s.v. liste 2): Italianismus 16. Jh. lustre fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 40, Fn. 3) mit Hope (1971: 43): Italianismus MA maistresse Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 327, Fn. 209) -Estienne: kein Italianismus malvoisie fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 66, Fn. 9) mit Hope (1971: 43): Italianismus MA manquement fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 265, Fn. 9) -Derivat (neben manquer ) manquer fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 37, Fn. 22) mit Hope (1971: 208): Italianismus 16. Jh. mariol 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 114, Fn. 218) martel in teste 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 35, Fn. 1) -vgl. auch Schweickard (2012) masque fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 170): unkommentiert -Hope (1971: 209): Italianismus 16. Jh. -Estienne: nicht erkannt Anhang 685 Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen mat fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 369, Fn. 326bis) mit Hope (1971: 209): indirektes Lehngut, Italianismus 16. Jh. matachins fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 246, Fn. 721) -fehlt in Hope (1971) - TLF i (s.v. matassin ): Italianismus 16. Jh. (vgl. auch FEW s.v. mattus ) menestre 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 87, Fn. 108) mercadans 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 75, Fn. 59) mescoler 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 66, Fn. 11) messer 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 135, Fn. 323; 308, Fn. 154) militie Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 243): unkommentiert -Estienne: als Latinismus kritisiert (vgl. faction ) ministre du roy fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 239, Fn. 698): it. Einfluss nicht sicher, aber laut Clément ([1898] 1967: 341) möglich - FEW (s.v. minister ), HUG (s.v. ministre ), TLF i (s.v. ministre ): kein Hinweis auf it. Einfluss morion Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 248, Fn. 730; 249, Fn. 736) - TLF i (s.v. morion 1): Hispanismus 16. Jh. moustache fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 191, Fn. 549) mit Hope (1971: 211-212): Italianismus 16. Jh. négotier ‘verhandeln’ fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 239, Fn. 697) - FEW (s.v. něgōtium ): négocier vermutlich aus it. negoziare ‘verhandeln’ - TLF i (s.v. négocier ): kein Hinweis auf it. Einfluss -Estienne: kein Italianismus, nur höhere Frequenz 686 Anhang Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen nonce 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 239, Fn. 701) noye Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 76, Fn. 66): Hapax office ‘service’ Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 116-117, Fn. 228) -Estienne: als Latinismus kritisiert oimé fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 55, Fn. 11) -it. Herkunft nicht gesichert page Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 389): unkommentiert - FEW (s.v. paidion ), TLF i (s.v. page 1): Etymologie unklar, it. Herkunft problematisch, weil frühere Belege im Fr. panade fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 262): unkommentiert - FEW (s.v. panis ): okz. Herkunft, gegen These Barbiers (1925-1947) (vgl. auch TLF i s.v. panade ) parapet 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 245-246, Fn. 719) passefillone (passefillon) Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 165, Fn. 467) -Estienne: kein Italianismus past Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 35, Fn. 3) mit Huguet ([1935] 1967: 320): Revitalisierung von mfr. past -Brunot HLF II (1906: 208): Aussprache beeinflusst [st] attraction cognatique (vgl. baller ) pat(r)ouille Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 245, Fn. 716) -Hope (1971: 336): Gallizismus im It. des 17. Jh. - FEW (s.v. patt- , Anm. 71): kein it. Einfluss pavois fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 251, Fn. 749) mit Hope (1971: 47): Italianismus MA -Estienne: nicht erkannt Anhang 687 Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen pavoisade (pavigeade) fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 268, Fn. 20) mit Hope (1971: 215): Italianismus 16. Jh. -{-ade} und it. Basis: Lehnwort (vgl. pédantesque ) pécore ‘Idiot’ fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 429): unkommentiert -Hope (1971: 215): Italianismus 16. Jh. pédant 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 48, Fn. 14) pédanterie fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 44, Fn. 2) -Derivat (neben pédant ) pédantesque fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 76, Fn. 65) -{-esque} und it. Basis: Lehnwort peregriner Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 72, Fn. 35) mit Verweis auf Wind (1928: 98): möglicherweise gleichzeitig aus dem Lat. und It. -Estienne: kein Italianismus faire perfection de Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 75, Fn. 57) -Estienne: kein Italianismus perruque fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 190, Fn. 543) mit Hope (1971: 47): Italianismus MA piaffer Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 40, Fn. 2) - TLF i (s.v. piaffer ): Etymologie unklar, evtl. onomatopoetischer Ursprung (vgl. auch FEW s.v. piaff- ) -Estienne: kein Italianismus, langage courtisanesque piller (patience) Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 66, Fn. 5): zahlreiche Belege in HUG , Verweis auf Wind (1928: 174): it. Einfluss -fehlt in Hope (1971) -Buron / Cernogora (2007: 233): z. B. in Du Bellay piller ‘prendre’ - FEW (s.v. * pīliare ): it. Einfluss 688 Anhang Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen planure Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 139, Fn. 341) mit Verweis auf Wind (1928: 149): unklar, ob it. oder lat. Einfluss - FEW (s.v. plānus ): „höchstens im 16. jh. vom it. lautlich beeinflusst und neu belebt“ (vgl. auch TLF i s.v. planure 2) -Variante zu mfr. plenure pocotin Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 140, Fn. 344): Hapax poignelade 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 67, Fn. 17) police MA [206+0], [71+1] -Smith (1980: 111, Fn. 197) poltron 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 108, Fn. 184) poltronerie Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 109, Fn. 188): belegt -Derivat neben ( poltron ) poltronesquement Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 109, Fn. 191): Belege für poltronesque im 16. Jh. -Derivat (neben poltron , poltronesque ) poltronizer Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 109, Fn. 190): Belege im 16. Jh. -Derivat (neben poltron ) ohne potentielles it. Etymon (vgl. accortiser ) populasse fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 157, 409) mit Hope (1971: 217): Italianismus 16. Jh. à sa poste Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 90, Fn. 118) mit Verweis auf Wind (1928: 99): weitere Belege im 16. Jh. -Ristelhuber Bd. 1 (1885: 75, Fn. 2): it. Einfluss la poste fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 124, Fn. 278bis) mit Hope (1971: 48): Italianismus MA postillon fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 124, Fn. 279) mit Hope (1971: 217): Italianismus 16. Jh. Anhang 689 Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen poulonnesque fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 204): unkommentiert - FEW (s.v. polánin ): keine Belege - HUG (s.v. poulonnesque ): nur Estienne (1578) -Estienne ([1578] 1980: 204): „à la Poulonnesque (ou à la Poulonnese)“ -nur exemplarisch für {-esque} pouppe fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 270, Fn. 26bis) mit Hope (1971: 48): Italianismus MA le prime del monde Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 117, Fn. 234): Beleg bei Rabelais ragasch 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 74, Fn. 48) ragionnement Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 37, Fn. 20): Hapax -Brunot HLF II (1906: 208) nur ausdrucksseitige Adaption von fr. raisonnement -Derivat (neben ragionner ) ragionner Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 36, Fn. 12): Hapax -Brunot HLF II (1906: 208): nur ausdrucksseitige Adaption von fr. raisonner recamé fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 299, Fn. 128) mit Hope (1971: 219): Italianismus 16. Jh. être recors de Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 139): unkommentiert -Estienne: kein Italianismus rester / demeurer avec autant de nez fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 363, Fn. 317): Lehnwendung aus it. rimanere con tanto di naso , Belege im 16. Jh. -Ristelhuber Bd. 2 (1885: 177, Fn. 1): it. Einfluss réussir 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 144, Fn. 358) ricolte Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 140, Fn. 348) mit (Hope 1971: 219): récolte Italianismus 16. Jh. -Variante von récolte - AS -prod. ind. Entlehnung 690 Anhang Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen rinfresquant Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 38, Fn. 28): Hapax ringratier Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 73, Fn. 43): Hapax - FEW (s.v. gratia ): Hapax bei Estienne, im Afr./ Mfr. regracier ‘danken’ -ausdrucksseitige Adaption von regracier , <in> statt <e> (vgl. inamouré statt enamouré ) riposte 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 72, Fn. 36bis) risque 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 144, Fn. 359) robbe 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 183, Fn. 524) rondache Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 250-251, Fn. 742) - FEW (s.v. rǒtŭndus , Anm. 18): kein it. Einfluss ronde (milit.) Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 256, Fn. 768) - TLF i (s.v. ronde ): französisch sadement Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 80): unkommentiert -Estienne: kein Italianismus salade ‘Helm’ MA [206+0], [71+1] -Smith (1980: 248-249, Fn. 732) salade ‘Salat’ fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 249, Fn. 736bis) mit Hope (1971: 50): Italianismus MA salvatichesse Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 38, Fn. 27): Hapax, aber im 16. Jh. sp. salvatiqueza < it. salvatichezza salve Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 260, Fn. 786) -fehlt in Hope (1971) - TLF i (s.v. salve ): Italianismus 16. Jh. (vs. FEW s.v. salvēre ) sbigottit Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 36, Fn. 7): Hapax -Estienne: als Hapax erkannt (vgl. Sampson 2004: 331, Fn. 12) Anhang 691 Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen sgarbatement Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 36, Fn. 11; 421) -Estienne: als Hapax erkannt (vgl. Sampson 2004: 332, Fn. 15) (vgl. sbigottit ) schiave Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 330, Fn. 216): Hapax sciochesse Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 149, Fn. 374): Hapax Le Grand Seigneur fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 272, 302) - FEW (s.v. sĕnior ), TLF i (s.v. seigneur ): kein Hinweis auf it. Einfluss -evtl. Lehnübersetzung aus dem It. sentinelle 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 256, Fn. 767) sentir la musique fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 361): unkommentiert -Estienne: nur potentieller Italianismus (vgl. carguer ) serrail fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 131, Fn. 303bis) mit Hope (1971: 50): Italianismus MA service Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 327, Fn. 212; 329, Fn. 215) -Estienne: kein Italianismus faire un service Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 117, Fn. 235): Hapax -Estienne: als Hapax ausgewiesen, potentieller Italianismus serviciale fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 118, Fn. 237): Hapax (vs. FEW s.v. servitium ) serviteur Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 327, Fn. 211) -Estienne: kein Italianismus, langage courtisanesque sgomentée Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 127, Fn. 286): Hapax -Estienne: als Hapax erkannt (vgl. sbigottit ) signalé (segnalé) 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 50, Fn. 2) 692 Anhang Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen aller à solaz Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 77, Fn. 70): Hapax -Estienne (1579: 214-215): solaz wie enamourer : Lexeme, die it. Entsprechungen formal zu ähnlich sind à la soldate (soldat) fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 301, Fn. 138) mit Hope (1971: 50, 222): soldat Italianismus MA , ab 16. Jh. häufiger sonnet fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 349, Fn. 278) -Hope (1971: 222): Italianismus 16. Jh. soprefin fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 193, Fn. 558) mit Vidos (1931: 474): Italianismus 16. Jh. - FEW (s.v. fīnis ): it. Einfluss, aber nur „ephemere Existenz“ a space Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 73, Fn. 37): Hapax (vgl. aber spaceger ) spaceger Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 35, Fn. 4): neben passeger auch spacier , in Du Tronchet -Hope (1971: 215): Existenz denkbar -Variante von passeger (vgl. ricolte / récolte ) spadachin 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 76, Fn. 61) spolin fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 193, Fn. 558): Beleg im 16. Jh. (vgl. Sampson 2004: 335) spurque Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 81, Fn. 88): Beleg in D’Aubigné spurquesse Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 81, Fn. 88): Hapax -{-esse} und it. Basis: Lehnwort squadron Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 244-245, Fn. 714) -Variante von escadron (vgl. ricolte / récolte ) stanse 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 35, Fn. 2) Anhang 693 Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen staphier Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 76, Fn. 62) mit Hope (1971: 192): Italianismus 16. Jh. -Variante von estafier (vgl. ricolte / récolte ) staphilades 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 418, Fn. 439) stenter fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 145, Fn. 366) und Sampson (2004: 332): Hapax (vs. Hope 1971: 223) strade Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 36, Fn. 5) mit Hope (1971: 38-39): Italianismus MA -Variante von estrade (vgl. ricolte / récolte ) strane Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 36, Fn. 13): Hapax straque Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 73, Fn. 42): Hapax stropiez Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 347, Fn. 353) mit Hope (1971: 39): Italianismus MA - TLFI (s.v. estropier ): Italianismus 16. Jh. -Variante von estropié (vgl. ricolte / récolte ) superchérie 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 104, Fn. 171) surgir ‘prendre terre’ fehlt [206+1], [71+0] -Smith (1980: 268, Fn. 22) - FEW (s.v. sŭrgĕre ), TLF i (s.v. surgir ): kat. Ursprung tenir qn en cervelle Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 124, Fn. 278) -fehlt in Hope (1971) - FEW (s.v. cerebellum ): it. Einfluss tollache Hapax [206+0], [71+0] -Smith (1980: 251, Fn. 743) -Etymologie unklar traffique fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 92): unkommentiert -Hope (1971: 51): Italianismus MA (vgl. auch TLF i s.v. trafic 1) tudesque fehlt [206+1], [71+1] -Smith (1980: 204, Fn. 582bis) mit Hope (1971: 226): Italianismus 16. Jh. -{-esque} und it. Basis: Lehnwort 694 Anhang Lexem / Wendung Trescases (1978b) Anmerkungen turquesque fehlt [206+0], [71+0] -Smith (1980: 204) -nur exemplarisch für {-esque} villaquerie Hapax [206+0], [71+1] -Smith (1980: 77, Fn. 72): v(i)eillaquerie in Du Tronchet, veillaque Italianismus 16. Jh. in Hope (1971: 227) -Derivat gezählt, da kein Simplex in den Deux Dialogues (vgl. balorderie ) voglie Hapax [206-1], [71+0] -Smith (1980: 38) -nicht als Einzelwort neben de bone voglie (vgl. in ) de bone voglie 16. Jh. [206+0], [71+0] -Smith (1980: 38, Fn. 29) volte MA [206+0], [71+1] -Smith (1980: 69, Fn. 22) Anhang 3: Übersicht zu analysierten Briefen italienischer Immigranten (Italienisch) Luigi Alamanni (* 1495 Florenz, † 1556 Amboise) Cosentino, Paola / De Los Santos, Lucie (Hrsg.) (2001): „Un nuovo documento sul fuoriuscitismo fiorentino: undici lettere inedite di Luigi Alamanni a Filippo Strozzi (aprile 1536-febbraio 1537).“ Laboratoire italien 1 (ENS Éditions): 141-167. [http: / / laboratoireitalien.revues.org/ 406] • S. 149-150: Brief vom 15. April 1536 an Filippo Strozzi [autographe] (C. Strozz., V, 1207, ins. III , n. 216 [c. 2]) Gruppe A • S. 150: Brief vom 07. Mai 1536 an Filippo Strozzi [autographe] (C. Strozz., V, 1207, ins. III , n. 216 [c. 1]) Gruppe A • S. 150-151: Brief vom 21. Mai 1536 an Filippo Strozzi [autographe] (C. Strozz., V, 1207, ins. III , n. 238, 256 [c. 2]) Gruppe A • S. 152: Brief vom 10. Juni 1536 an Filippo Strozzi [autographe] (C. Strozz., V, 1207, ins. III , n. 238 [c. 2]) Gruppe A • S. 152-153: Brief vom 30. Juni 1536 an Filippo Strozzi [autographe] (C. Strozz., V, 1207, ins. III , n. 304 [c. 2]) Gruppe A • S. 153-154: Brief vom 28. Juli 1536 an Filippo Strozzi [autographe] (C. Strozz., V, 1209, ins. IX , n. 38, 47 [c. 2]) Gruppe A • S. 155: Brief vom 11. August 1536 an Filippo Strozzi [autographe] Anhang 695 (C. Strozz., V, 1209, ins. IX , n. 51 [c. 2]) Gruppe A • S. 155-156: Brief vom 17. September 1536 an Filippo Strozzi [autographe] (C. Strozz., V, 1209, ins. IX , n. 97 [c. 2]) Gruppe A • S. 157: Brief vom 27. November 1536 an Filippo Strozzi [Anonym] (C. Strozz., V, 1208, ins. IV , n. 91 [c. 1]) Gruppe A • S. 157-158: Brief vom 23. Februar 1537 an Filippo Strozzi [autographe] (C. Strozz., V, 1207, ins. III , n. 122 [c. 1]) Gruppe A • S. 158-159: Brief vom 25. Februar 1537 an Filippo Strozzi [autographe] (C. Strozz., V, 1207, ins. III , n. 128 [c. 2]) Gruppe A Filippo Cavriana (* 1536 Mantova, † 1606 Pisa) • Brief vom 22. November 1585 an Le Duc de Nevers, Lodovico Gonzaga [autographe] ( BNF FF 3374 [21], online) Gruppe B (Nur die ersten zwei Seiten wurden analysiert.) • Brief von il di della Candellorie del 1586 an Le Duc de Nevers, Lodovico Gonzaga [autographe] ( BNF FF 3374 [48], online) Gruppe B (Nur die erste Seite wurde berücksichtigt.) • Brief vom 13. März 1586 an Le Duc de Nevers, Lodovico Gonzaga [autographe] ( BNF FF 3374 [53], online) Gruppe B (Nur die erste Seite wurde berücksichtigt.) • Brief vom 25. Juli 1586 an Le Duc de Nevers, Lodovico Gonzaga [autographe] ( BNF FF 3374 [70], online) Gruppe B (Nur die erste Seite wurde berücksichtigt.) • Brief vom 26. Juli 1586 an Le Duc de Nevers, Lodovico Gonzaga [autographe] ( BNF FF 3374 [76], online) Gruppe B (Nur die ersten zwei Seiten wurden berücksichtigt.) Lodovico Gonzaga, Duc de Nevers (* 1539 Mantova, † 1595 Nesle) • Brief vom 20. Dezember 1553 an den Vater [autographe] (BNF Fonds Clairambault 347 [149], online) Gruppe B Gio Batista Guadagni (* 1542 Lyon, † 1591 Langres) • Brief vom November 1572 an Catherine de Médicis [autographe] ( BNF FF 15 555 [187-188], online) Gruppe A • Brief vom 06. Dezember 1572 an Catherine de Médicis [autographe] ( BNF FF 15 555 [204-205], online) Gruppe A • Brief vom 07. Dezember 1572 an Catherine de Médicis [autographe] ( BNF FF 15 555 [209], online) Gruppe A 696 Anhang Il Conte della Mirandola (im 16 . Jahrhundert am französischen Hof) • Brief vom 20. Juni 1554 an [den französischen Hof] [autographe] ( BNF Fonds Clairambault 347 [231], online) Gruppe B La Nazione Fiorentina e Lucchese di Lione • Brief vom August 1559 an Catherine de Médicis [Anonym] (BNF FF 3898 [41], online) Gruppe B • Brief vom 10. Juli 1560 an Catherine de Médicis [Anonym] ( BNF FF 3898 [79], online) Gruppe B Leone Strozzi (* 1515 Florenz, † 1554 bei Piombino) • Brief vom 02. Juli 1551 an Monsignor il Duca di Guisa [autographe] ( BNF FF 3129 [16], online) Gruppe B • Brief vom 04. September 1551 an Catherine de Médicis [autographe] ( BNF FF 3129 [25-27], online) Gruppe B • Brief vom 16. September 1551 al Re [Henri II ] [Anonym] ( BNF FF 3129 [22-23], online) Gruppe B Pietro Strozzi (*ca. 1510 Florenz, † 1558 bei Thionville) • Brief vom 15. Januar 1556 an il Duca di Momoransi [Anonym] ( BNF FF 3117 [24], online) Gruppe A • Brief vom 12. August 1556 an Henri II [autographe] ( BNF FF 3117 [28-30], online) Gruppe B • Brief vom November 1556 an Henri II [Anonym] ( BNF FF 3117 [36], online) Gruppe A • Brief vom 31. Dezember 1556 an Henri II [autographe] ( BNF FF 3117 [33-34], online) Gruppe B • Brief vom 10. März 1558 an il Duca di [? ] [autographe] ( BNF Fonds Clairambault 349 [53], online) Gruppe B Lorenzo Strozzi (* 1523 Florenz, † 1571 Avignon) • Brief vom 09. November 1559 an Catherine de Médicis [autographe] ( BNF FF 3898 [48-49], online) Gruppe B • Brief vom 01. Januar 1560 an Catherine de Médicis [Anonym / LS ] ( BNF FF 3898 [2], online) Gruppe A Anhang 697 Pandolpho della Stupha (* 1500 Florenz, † 1568 Florenz) • Brief vom 30. Mai 1560 an Catherine de Médicis [Anonym] ( BNF FF 3898 [12], online) Gruppe A Sebastiano Zametti (* 1549 Lucca, † 1614 Paris) • Brief vom August 1582 an [einen italienischen Bankier] über Monsieur de Bellièvre [Anonym / SZ ] ( BNF FF 15 906 (2) [721], online) Gruppe A / B Anhang 4: Übersicht zu analysierten Briefen italienischer Immigranten (Französisch) Briefe von Catherine de Médicis Baguenault de Puchesse, Gustave / La Ferrière, Hector de (Hrsg.) (1880-1943): Lettres de Catherine de Médicis . 10 Bände und Index (= Bd. 11). Paris: Imprimerie Nationale. Autographes Jahre 1536 - 1549 [ 4 ] • Bd. 1, S. 3, Fn. 3: Brief vom August 1536 an Monsyeur le Gran Mestre ( BNF FF 3292 [72], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 3: Brief vom August 1536 an Monsieur le Gran Mestre ( BNF FF 3140 [37], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 6: Brief vom Juni 1543 an Connétable de Montmorency ( BNF FF 3119 [28], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 6, Fn. 1: Brief vom Juni 1543 an Connétable de Montmorency ( BNF FF 3292 [58], online) Gruppe B Jahre 1550 - 1559 [ 20 ] • Bd. 1, S. 39-40: Brief vom 18. April 1551 an Madame la Duchesse de Guyse ( BNF FF 3294 [78], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 42-43: Brief von Ende Juni 1551 an Madame la Duchesse de Guise ( BNF FF 3294 [74], online) Gruppe B • Bd. 10, S. 5: Brief vom Oktober 1551 an Monsyeur le Conestable ( BNF FF 3119 [34], online) Gruppe B 698 Anhang • Bd. 1, S. 48: Brief von Ende Oktober 1551 an Ma Cousine Madame de Guyse ( BNF FF 3294 [16], online) Gruppe A • Bd. 1, S. 52-53: Brief von Ende April 1552 an Monsieur le Conestable ( BNF FF 3125 [9], online) Gruppe A • Bd. 1, S. 60-61: Brief von Ende Mai 1552 an Le Roy Monseigneur (BNF FF 3140 [1], online) Gruppe A • Bd. 1, S. 67: 2. Brief vom 20./ 23. Juni 1552 an Monsieur le Deuc de Monmoransi ( BNF FF 3140 [10] 1 , online) Gruppe B • Bd. 1, S. 71-72: Brief vom Oktober 1552 an Monsieur le Deuc de Momoransy ( BNF FF 3139 [30], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 76: Brief von Ende Juli 1553 an Madame la D SSE de Montmorancy (BNF FF 3179 [7], online) Gruppe A • Bd. 1, S. 76-77: Brief von Ende Juli 1553 an Monsieur le Conestable de Montmoransi ( BNF FF 3147 [3], online) Gruppe A • Bd. 1, S. 77-78: Brief von Ende Juli 1553 an Monsieur le Deuc de Montmoransi ( BNF FF 3119 [6], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 78: Brief von Anfang August 1553 an Monsieur le Connestable ( BNF FF 3147 [7], online) Gruppe A • Bd. 1, S. 82-83: Brief vom 03./ 08. September 1553 an Madame la Deuchesse de Guise ( BNF FF 3294 [20], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 90: Brief vom 10./ 15. Juli 1554 an Roy Monseigneur [Henri II] (BNF FF 3129 [36], online) Gruppe A • Bd. 1, S. 91: Ergänzung zum Brief vom 17. Juli 1554 an Monseigneur le Duc de Guise ( BNF Fonds Clairambault 347 [1735], online) Gruppe A • Bd. 1, S. 99: Brief vom Juni 1555 an Monsieur le Conestable ( BNF FF 3140 [4], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 107: Brief von Ende August 1557 an Monsieur le Conestable ( BNF FF 3140 [6], online) Gruppe A • Bd. 1, S. 116-117: Brief von Ende Februar 1558 an Monsieur le Conestable ( BNF FF 3119 [32], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 125: Brief vom September 1559 an Monsieur le Conestable ( BNF FF 3292 [41], online) Gruppe A • Bd. 1, S. 128-129: Brief von Ende November 1559 an Monsieur le Conestable ( BNF FF 3157 [98], online) Gruppe B 1 Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 1 (1880: 67) geben fälschlicherweise BNF FF 3140 [8] an. Anhang 699 Jahre 1560 - 1569 [ 20 ] • Bd. 1, S. 130-131: Brief vom 03. Januar 1560 an Monsieur le Maréchal de Montmorency ( BNF FF 3158 [8], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 135-136: Brief vom Mai 1560 an Monsieur le Conestable (BNF FF 3292 [39], online) Gruppe A • Bd. 1, S. 194: Brief von Anfang Mai 1561 an Monsieur le Conestable ( BNF FF 3184 [1], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 219-220: Brief von Ende Juli 1561 an Madame la Duchesse de Guise ( BNF FF 3294 [62], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 290-293: Brief vom 10. April 1562 an M R le Cardinal de Chastillon ( BNF FF 3193 [7], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 532-533: Ergänzung zum Brief vom 19. März 1563 an Monsieur de Gonnor ( BNF FF 3193 [1], online) Gruppe A • Bd. 1, S. 536: Ergänzung zum Brief vom 20. März 1563 an Monsieur de Gonnort ( BNF FF 3185 [34], online) Gruppe B • Bd. 2, S. 320: Brief vom 09. Oktober 1565 an Madame la Duchesse de Guise ( BNF FF 3293 [61], online) Gruppe A • Bd. 2, S. 328: Ergänzung zum Brief vom 30. November 1565 an Le Mareschal de Montmorency ( BNF FF 3194 [78], online) Gruppe B • Bd. 2, S. 378: Ergänzung zum Brief vom 07. August 1566 an Monsieur le Conestable ( BNF FF 3207 [3], online) Gruppe A • Bd. 2, S. 383: Brief vom September 1566 an Monsieur le Conestable ( BNF FF 3292 [7], online) Gruppe B • Bd. 3, S. 13-14: Brief vom 27. Februar 1567 an Le Conestable de Montmorency ( BNF FF 3292 [29], online) Gruppe A • Bd. 3, S. 63-64, 71: Brief vom (Oktober) November 1567 an Monsieur le Duc de Nevers 2 ( BNF FF 3221 [78], online) Gruppe B • Bd. 3, S. 82-83: Brief vom Dezember 1567 an Monsieur le Duc de Nemours ( BNF FF 3293 [11], online) Gruppe A • Bd. 3, S. 92: Ergänzung zum Brief vom 12. Dezember 1567 an Monsieur le Duc d’Anjou (Bibl. imp. de Saint-Pétersbourg, vol. XX [10]) Gruppe A • Bd. 10, S. 223: Brief von 1567 / 1568 an Monsieur de Monmorensis ( BNF FF 3243 [1], online) Gruppe A • Bd. 3, S. 202: Ergänzung zum Brief vom 11. November 1568 an Monsieur le Duc de Nemours ( BNF FF 3225 [80], online) Gruppe B • Bd. 3, S. 202-203: Brief vom 12. November 1568 an Madame la Duchesse de Nemours ( BNF FF 3225 [83], online) Gruppe B 2 In Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 3 (1887: 63-64, 71) findet sich dieser Brief mit jeweils anderem Datum an zwei unterschiedlichen Stellen. 700 Anhang • Bd. 3, S. 272: Ergänzung zum Brief vom 08. September 1569 an Le Duc de Nevers ( BNF FF 3159 [197], online) Gruppe A • Bd. 3, S. 279: Brief vom 10. Oktober 1569 an Madame la Duchesse de Nemours ( BNF FF 3227 [58], online) Gruppe A Jahre 1570 - 1579 [ 20 ] • Bd. 3, S. 296: Brief vom 07. Februar 1570 an M R Mon Fils le Roy Catolique (Arch. nat. collect. Simancas, K 1515 [24]) Gruppe A • Bd. 4, S. 78: Brief vom 28. Oktober 1571 an M. le Grand-Duc de Toscane (Arch. des Médicis à Florence, filza 4727 [144]) Gruppe A • Bd. 4, S. 86-87: Brief vom 28. Dezember 1571 an Madame La Duchesse de Nemours ( BNF FF 3228 [17], online) Gruppe B • Bd. 4, S. 167: Brief vom 13. Februar 1573 an Monsieur le Duc de Montpensier ( BNF FF 3193 [88], online) Gruppe B • Bd. 4, S. 183: Brief vom 17. März 1573 an Monsieur le Duc de Montpensier ( BNF FF 3193 [114], online) Gruppe B • Bd. 4, S. 215: Brief vom 16. Mai 1573 an Monsieur le Duc de Nevers ( BNF FF 3193 [104], online) Gruppe B • Bd. 10, S. 308-309: Brief von Ende März 1573 an Monsieur de Nemours ( BNF FF 10 240 [130]) Gruppe A • Bd. 10, S. 320: Brief vom Juni 1573 an Mon Cousin … 3 ( BNF FF 3193 [139], online) Gruppe B • Bd. 4, S. 266-267: Brief vom 23. November 1573 an Le Roy Monsieur Mon Fils ( BNF Fonds Dupuy 211 [23], online) Gruppe A • Bd. 5, S. 67-68: Brief vom August 1574 an Le Roy Mon Fils ( BNF FF 6625 [48]) Gruppe A • Bd. 5, S. 89: Brief vom 28. September 1574 an Monsieur le Duc de Nevers ( BNF FF 3315 [20], online) Gruppe B • Bd. 5, S. 143: Brief vom 28. September 1575 an Monsieur le Duc de Nevers ( BNF FF 3323 [63] 4 , online) Gruppe B • Bd. 5, S. 166: Brief vom 28. November 1575 an Roy Monsieur Mon Fils ( BNF FF 6625 [39]) Gruppe A • Bd. 5, S. 213: Ergänzung zum Brief vom 15. August 1576 an Monsieur de Bellièvre ( BNF FF 15 904 [290], online) Gruppe B 3 Laut Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 10 (1909: 320, Fn. 2) muss der Adressat ein italienischer Fürst (le Grand Duc de Toscane, le Duc de Ferrare oder le Duc de Mantoue) gewesen sein. 4 Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 5 (1895: 143) geben fälschlicherweise BNF FF 8323 [63] an. Anhang 701 • Bd. 5, S. 272-273: Brief vom 15. August 1577 an Abé de Bellebrache ( BNF FF 3149 [14], online) Gruppe A • Bd. 6, S. 37-39: Brief vom 18. September 1578 an Monsieur de Bellièvre ( BNF FF 15 905 [139], online) Gruppe B • Bd. 6, S. 166-167: Ergänzung zum Brief vom 12. Dezember 1578 an Monsieur de Bellièvre ( BNF FF 15 905 [209], online) Gruppe A • Bd. 6, S. 292-293: Brief vom 03. März 1579 an Madame la Maréchalle de Dampville ( BNF FF 3203 [70], online) Gruppe B • Bd. 6, S. 306-307: Ergänzung zum Brief vom 17. März 1579 an Le Maréchal de Damville ( BNF FF 3203 [44], online) Gruppe A • Bd. 7, S. 204: Brief vom 05. Dezember 1579 an Madame la Duchesse de Nevers ( BNF FF 3323 [85], online) Gruppe A Jahre 1580 - 1588 [ 20 ] • Bd. 7, S. 219: Ergänzung zum Brief vom 11. Januar 1580 an Monsieur d’Abin ( BNF FF 23 614 [105]) Gruppe A • Bd. 7, S. 314: Ergänzung zum Brief vom 04. Januar 1581 an Messieurs de Bellièvre et de Villeroy ( BNF FF 15 906 [15], online) Gruppe B • Bd. 7, S. 328: Ergänzung zum Brief vom 20. Januar 1581 an Messieurs de Belièvre et de Villeroy ( BNF FF 15 906 [52], online) Gruppe B • Bd. 7, S. 359: Ergänzung zum Brief vom 19. Februar 1581 an Messieurs de Belièvre et de Villeroy [Pinart / CM ] ( BNF FF 15 906 [172], online) Gruppe B • Bd. 8, S. 13: Brief vom 15. März 1582 an Madame de Nemours ( BNF FF 3294 [72], online) Gruppe B • Bd. 8, S. 95: Brief vom 28. März 1583 an Monsieur de Bellièvre ( BNF FF 15 907 [40]) Gruppe A • Bd. 8, S. 155-156: Brief vom 21. November 1583 an Monsieur de Belièvre (BNF FF 15 907 [287]) Gruppe A • Bd. 8, S. 232: Brief vom 12. Januar 1585 an Madame de Nemours ( BNF FF 3367 [4]) Gruppe A • Bd. 8, S. 238-239: Brief vom Februar 1585 an Madame la Duchesse de Nemours ( BNF FF 3294 [39], online) Gruppe B • Bd. 8, S. 275-277: Brief vom 05. Mai 1585 an Le Roy Monsieur Mon Filz ( BNF FF 3370 [1], online) Gruppe B • Bd. 8, S. 342-343: Brief vom 31. Juli 1585 an Madame de Nevers ( BNF FF 3364 [32]) Gruppe A • Bd. 8, S. 356-357: Brief vom September 1585 an Très Saint Père (Archives du Vatican, Nunziatura di Francia 19 [348]) Gruppe A 702 Anhang • Bd. 9, S. 20: 1. Brief vom 12. Juli 1586 an Monsieur le Duc de Nevers ( BNF FF 3372 [29]) Gruppe A • Bd. 9, S. 27: Brief von August 1586 an Monsieur de Bellièvre ( BNF FF 15 906 [592], online) Gruppe B • Bd. 9, S. 103: Ergänzung zum Brief vom 04. Dezember 1586 an Monsieur de Villeroy ( BNF FF 15 573 [279], online) Gruppe B • Bd. 9, S. 110: Ergänzung zum Brief vom 10. Dezember 1586 an Monsieur de Villeroy (Bibl. imp. de Saint-Pétersbourg, vol. 9 [61]) Gruppe A • Bd. 9, S. 350: Ergänzung zum Brief vom 24. Mai 1588 an Le Roy Monsieur Mon Filz ( BNF FF 15 574 [195], online) Gruppe B • Bd. 9, S. 368: Brief vom 02. Juni 1588 an Monsieur de Belyevre ( BNF FF 15 909 [47]) Gruppe A • Bd. 9, S. 378: Ergänzung zum Brief vom 29. Juli 1588 an Monsieur de Villeroy ( BNF FF 15 574 [294], online) Gruppe B • Bd. 9, S. 388: Brief vom 15. November 1588 an Très Sainct Pere le Pappe (Archives du Vatican [ohne Angabe]) Gruppe A Briefe der Sekretäre Jahre 1547 - 1549 [ 4 ] • Bd. 1, S. 20: Brief vom 13. August 1547 an Monsieur de Humyères [Anonym] ( BNF FF 3208 [113], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 22-23: Brief vom 07. April 1548 an L’Évesque de Conserans [Bertauld] ( BNF FF 3212 [7], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 23-24: Brief vom 04. Mai 1548 an Monsieur de Humyères [Anonym] ( BNF FF 3120 [18]) Gruppe A • Bd. 1, S. 25: Brief vom 17. Juni 1548 an Monsieur de Humyères [Anonym] ( BNF FF 3178 [201], online) Gruppe B Jahre 1550 - 1559 [ 20 ] • Bd. 1, S. 32: Brief vom 04. März 1550 an Monsieur d’Humyères [Anonym] 5 ( BNF FF 3062 [52], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 43-44: Brief vom 26. September 1551 an Monsieur le Connestable [Anonym] ( BNF FF 3129 [42], online) Gruppe B 5 Entgegen den Angaben von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 1 (1880: 32) trägt die Handschrift neben der Unterschrift von Catherine de Médicis auch die eines - offenbar unbekannten - Sekretärs. Anhang 703 • Bd. 1, S. 49: Brief vom 22. Februar 1552 an Madame d’Humyères [Anonym] ( BNF FF 3133 [18], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 53-54: Brief vom 01. Mai 1552 an Madame d’Humyères [Anonym] 6 ( BNF FF 3133 [12], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 54: Brief vom 05. Mai 1552 an Madame d’Humyères [Anonym] 7 ( BNF FF 3133 [14], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 55-56: Brief vom 13. Mai 1552 an Les Gens de la Cour du Parlement [Duthier] (British Museum, collect. Egerton Lettres des rois et reines de France, vol. V) Gruppe A • Bd. 1, S. 57-58: Brief vom 23. Mai 1552 an Madame de Humyères [Duthier] ( BNF FF 3133 [7], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 62: Brief vom 01. Juni 1552 an Madame de Humyères [Duthier] ( BNF FF 3133 [8], online) Gruppe A • Bd. 1, S. 66: Brief vom 15./ 20. Juni 1552 an Madame d’Humyères [Bochetel] ( BNF FF 3133 [4], online) Gruppe A • Bd. 1, S. 68: Brief vom 01. Juli 1552 an Madame de Humyères [Lory] ( BNF FF 3133 [15], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 73-74: Brief vom 14. Januar 1553 an Madame la Connestable [Anonym] ( BNF FF 3206 [72], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 74-75: Brief vom 05. Februar 1553 an Monseigneur le Duc de Florence [Anonym] (Arch. des Médicis, filza 4726 [120]) Gruppe A • Bd. 1, S. 75-76: Brief vom 06. Mai 1553 an Monsieur le Duc de Montmorancy [Anonym] ( BNF FF 3203 [8], online) Gruppe A • Bd. 1, S. 84-85: Brief vom 23. September 1553 an Monsieur le Connestable [Anonym] ( BNF FF 3201 [1], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 91: Brief vom 17. Juli 1554 an Monseigneur le Duc de Guise [Anonym / CM ] ( BNF Fonds Clairambault 347 [1735], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 101: Brief vom 16. Juli 1555 an Monsieur de St Laurens [Bourdin] (BNF Cinq cents Colbert n o 393 [33]) Gruppe A • Bd. 1, S. 113-114: Minute vom 15. Dezember 1557 an Monsieur de Saint Ferme [Anonym] ( BNF FF 3898 [22], online) Gruppe A • Bd. 1, S. 119: Brief vom 15. Oktober 1558 an Monsieur le Maréchal de Brissac [Anonym] ( BNF FF 20 526 [89]) Gruppe A • Bd. 1, S. 123: Brief vom 22. August 1559 an Le Duc de Florence [Anonym] (Arch. des Médicis, filza 4726 [144]) Gruppe A 6 Entgegen den Angaben von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 1 (1880: 54) findet sich in der Handschrift neben der Unterschrift von Catherine de Médicis auch die eines Sekretärs. 7 Entgegen den Angaben von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 1 (1880: 54) trägt die Handschrift neben der Unterschrift von Catherine de Médicis auch jene von Duthier. 704 Anhang • Bd. 1, S. 125-126: Brief vom 11. September 1559 an Très Haute et Excellente Princesse (Elisabeth I. von England) [Anonym] (Record office, State papers, France) Gruppe A Jahre 1560 - 1569 [ 20 ] • Bd. 1, S. 278-280: Brief vom 03. März 1562 an Monsieur de Rennes [Bourdin] ( BNF Cinq cents Colbert n o 390 [91]) Gruppe A • Bd. 1, S. 343-344: Brief vom 30. Juni 1562 an Monsieur de Tavannes [De L’Aubespine] ( BNF FF 4632 [99], online) Gruppe A • Bd. 1, S. 358: Brief vom 17. Juli 1562 an Monsieur d’Humières [Bourdin] ( BNF FF 3178 [17], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 379-381: Minute vom 17. August 1562 an Monsieur de Lansac [Anonym] ( BNF FF 15 410 [59]) Gruppe A • Bd. 1, S. 491: Brief vom 31. Januar 1563 an Le Sieur de Montmorency [Anonym] ( BNF FF 3194 [21], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 493: Brief vom 03. Februar 1563 an Monsieur de Tavannes [De L’Aubespine] ( BNF FF 4632 [90], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 503-505: Brief vom 12. Februar 1563 an Monsieur de Rennes [De L’Aubespine] ( BNF Cinq cents Colbert n o 390 [149]) Gruppe A • Bd. 1, S. 515: Brief vom 22. Februar 1563 an M R le Mareschal de Montmorency [Anonym] ( BNF FF 3194 [18], online) Gruppe B • Bd. 1, S. 549: Brief vom 29. März 1563 an Monsieur de Gonnord [De L’Aubespine] ( BNF Cinq cents Colbert, vol. 24 [64]) Gruppe A • Bd. 2, S. 52: Brief vom 08. Juni 1563 an Le Trésorier et Recepveur [Anonym] ( BNF FF 20 459 [9]) Gruppe A • Bd. 2, S. 151-155: Brief vom 28. Februar 1564 an Monsieur de Rennes [Bourdin] ( BNF Cinq cents Colbert n o 390 [296]) Gruppe A • Bd. 2, S. 374-375: Brief vom 15. Juli 1566 an Monsieur le Duc de Nemours [Robertet] ( BNF FF 3211 [97], online) Gruppe B • Bd. 2, S. 378: Brief vom 07. August 1566 an Monsieur le Conestable [Anonym / CM ] ( BNF FF 3207 [3], online) Gruppe B • Bd. 3, S. 90-91: Brief vom 10. Dezember 1567 an Monsieur le Duc de Nevers [Anonym / CM ] ( BNF FF 3221 [101], online) Gruppe A • Bd. 3, S. 104: Brief vom 19. Januar 1568 an Madame la Duchesse de Ferrare [Anonym] ( BNF FF 3218 [68], online) Gruppe B • Bd. 3, S. 157: Brief vom 21. Juli 1568 an Monsieur d’Humières [De Neufville] ( BNF FF 3178 [115], online) Gruppe B • Bd. 10, S. 244-245: Brief vom 22. Oktober 1568 an Monsieur de Bellièvre [De L’Aubespine] ( BNF FF 16 019 [169]) Gruppe A Anhang 705 • Bd. 3, S. 222: Brief vom 23. Januar 1569 an Monsieur de Monluc [Anonym / CM ] 8 ( BNF FF 3239 [118], online) Gruppe B • Bd. 10, S. 256-257: Brief vom 29. Juni 1569 an Monsieur de Bellievre [Brulart] ( BNF FF 16 021 [123]) Gruppe A • Bd. 10, S. 546: Brief aus den 1560er Jahren an Madame la Connestable [Anonym] 9 ( BNF FF 3152 [3], online) Gruppe B Jahre 1570 - 1579 [ 20 ] • Bd. 3, S. 319: Minute vom 28. Juni 1570 an Monsieur de Puygaillard [Anonym] ( BNF FF 15 552 [84], online) Gruppe A • Bd. 4, S. 17-18: Brief vom 21. November 1570 an Monsieur de La Mothe-Fénelon [Pinart / CM ] (Arch. nat. Musée, AE 11 [695]) Gruppe A • Bd. 4, S. 130-132: Minute vom 01. Oktober 1572 an Monsieur du Ferrier [Anonym] ( BNF FF 15 555 [112], online) Gruppe A • Bd. 4, S. 228: Brief vom 03. Juni 1573 an La Duchesse de Ferrare [Chantereau] ( BNF FF 3235 [6], online) Gruppe B • Bd. 4, S. 235: Brief vom 18. Juni 1573 an Monsieur de Matignon [Brulart] ( BNF FF 3193 [133], online) Gruppe B • Bd. 4, S. 312-313: Brief vom 31. Mai 1574 an Monsieur de Matignon [Pinart] ( BNF FF 3256 [94], online) Gruppe A • Bd. 10, S. 343-344: Brief vom 01. Juni 1574 an Monsieur de Matignon [Pinart] ( BNF FF 3255 [17], online) Gruppe A • Bd. 5, S. 5-6: Brief vom 03. Juni 1574 an Monsieur de Damville [Anonym] ( BNF FF 3194 [129], online) Gruppe B • Bd. 10, S. 349-351: Brief vom 15. Juni 1574 an Monsieur de Mattignon [Pinart] ( BNF FF 3255 [39], online) Gruppe A • Bd. 10, S. 353-354: Brief vom 18. Juni 1574 an Monsieur de Matignon [Pinart] ( BNF FF 3255 [45], online) Gruppe A • Bd. 10, S. 502-504: Instruction à Monsieur de Matignon vom 16. Juni 1574 [Pinart] ( BNF FF 3321 [1], online) Gruppe B • Bd. 5, S. 22: Brief vom 17. Juni 1574 an Monsieur de Matignon [Pinart] ( BNF FF 3255 [42], online) Gruppe B 8 Entgegen den Angaben von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 3 (1887: 222) trägt die Handschrift neben der Unterschrift von Catherine de Médicis auch die eines offenbar weniger bekannten Sekretärs. 9 Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 10 (1909: 546) nennen kein genaues Datum, ordnen den Brief aber indirekt der Korrespondenz aus den 1560er Jahren zu. Der Originalhandschrift kann kein Datum entnommen werden. 706 Anhang • Bd. 5, S. 157: Brief vom 22. Oktober 1575 an Monsieur de Brulart [Chantereau] ( BNF FF 3318 [13], online) Gruppe B • Bd. 5, S. 308-309: Brief vom 02. Dezember 1575 an Monsieur de Bellievre [Anonym] ( BNF FF 15 903 [351], online) Gruppe B • Bd. 5, S. 312: Brief vom 30. Januar 1576 an Messieurs de Bellièvre et de Missery [Brulart] ( BNF FF 15 904 [59], online) Gruppe B • Bd. 5, S. 198-199 (und 315-316): Brief vom 16. Mai 1576 an Monsieur de Bellièvre [Anonym] ( BNF FF 15 904 [91], online) Gruppe A • Bd. 5, S. 213: Brief vom 15. August 1576 an Monsieur de Bellièvre [Anonym / CM ] ( BNF FF 15 904 [290], online) Gruppe B • Bd. 5, S. 261-262: Brief vom 02. Juli 1577 an Monsieur de Villeroy [Anonym] ( BNF FF 15 560 [112], online) Gruppe A • Bd. 6, S. 216-218: Brief vom 13. Januar 1579 an Le Roy Monsieur Mon Fils [Anonym] ( BNF FF 3300 [138], online) Gruppe A • Bd. 7, S. 109: Brief vom 28. August 1579 an Le Roy Monsieur Mon Filz [Anonym] ( BNF FF 15 561 [84], online) Gruppe B Jahre 1580 - 1587 [ 20 ] • Bd. 7, S. 249-250: Brief vom 19. April 1580 an Monsieur de Villeroy [Pinart] ( BNF FF 15 562 [280], online) Gruppe A • Bd. 7, S. 291: Brief vom 07. November 1580 an Monsieur de Villeroy [Pinart] ( BNF FF 15 563 [200], online) Gruppe B • Bd. 7, S. 358-359: Brief vom 19. Februar 1581 an Messieurs de Belièvre et de Villeroy [Pinart / CM ] ( BNF FF 15 906 [172], online) Gruppe A • Bd. 7, S. 373-374: Brief vom 29. April 1581 an Monsieur de Bellièvre [Anonym / CM ] ( BNF FF 15 906 [402], online) Gruppe B • Bd. 7, S. 406-407: Brief vom 23. Oktober 1581 an Monsieur de Bellièvre [Anonym] ( BNF FF 15 906 [518], online) Gruppe B • Bd. 7, S. 413-414: Instruction pour le Duc de Montmorency vom 10. November 1581 [Anonym / CM ] ( BNF FF 3320 [30], online) Gruppe A • Bd. 7, S. 416-417: Brief vom 18. November 1581 an Monsieur de Bellièvre [Anonym] ( BNF FF 15 906 [554], online) Gruppe B • Bd. 8, S. 4: Brief vom 15. Januar 1582 an Monsieur de Bellièvre [Anonym] (BNF FF 15 906 [599], online) Gruppe B • Bd. 8, S. 6: Brief vom 28. Januar 1582 an Le Sieur de Matignon [Anonym] (BNF FF 10 240 [65]) Gruppe A • Bd. 8, S. 258-259: Brief vom 19. April 1585 an Le Roy Monsieur Mon Fils [Anonym / CM ] ( BNF FF 3371 [34], online) Gruppe B Anhang 707 • Bd. 8, S. 262: Brief vom 25. April 1585 an Monsieur Brulart [Anonym] ( BNF FF 3371 [50], online) Gruppe B • Bd. 8, S. 263-265: Brief vom 25. April 1585 an Le Roy Monsieur Mon Filz [Anonym / CM ] ( BNF FF 3371 [48], online) Gruppe A • Bd. 8, S. 300-302: Brief vom 29. Mai 1585 an Le Roy Monsieur Mon Fils [Anonym] ( BNF FF 3369 [46]) Gruppe A • Bd. 8, S. 326: Brief vom 23. Juni 1585 an Monsieur Bruslart [Anonym] 10 ( BNF FF 3370 [12], online) Gruppe A • Bd. 8, S. 344: Brief vom 06. August 1585 an Le Duc de Nivernois [Anonym / CM] ( BNF FF 3217 [49], online) Gruppe B • Bd. 8, S. 469-470: Mémoire de Catherine de Médicis au Duc de Montmorency vom Mai 1585 [Anonym] z.T. mit (de)chiffrierten Passagen ( BNF FF 3321 [102], online) Gruppe B • Bd. 9, S. 24-25: Brief vom 03. August 1586 an Monsieur de Villeroy [Pinart] ( BNF FF 15 573 [3], online) Gruppe A • Bd. 9, S. 60-61: Brief vom 05. Oktober 1586 an Monsieur de Villeroy [Pinart] ( BNF FF 15 573 [142], online) Gruppe A • Bd. 9, S. 116-117: Brief vom 15. Dezember 1586 an Le Roy Monsieur Mon Fils [Anonym] ( BNF FF 15 573 [163], online) Gruppe B • Bd. 9, S. 211-214: Brief vom 29./ 30. Mai 1587 an Le Roy Monsieur Mon Filz [Pinart / CM ] ( BNF FF 4734 [196]) Gruppe A Briefe weiterer italienischer Immigranten Italienischer Sekretär des Kardinals von Armagnac • Bd. 6, S. 409-412: Relation du cardinal d’Armagnac touchant l’accomodement qu’il a faict avec le mareschal Damville, pour le remettre aux bonnes graces de sa Majesté vom Dezember 1578 [Kopie] ( BNF FF 15 560 [141], online) • Bd. 6, S. 221-222, Fn. 1: Mémoire du cardinal d’Armagnac, légat d’Avignon, touchant les offres que le mareschal Damville faict pour rentrer aux bonnes grâces de Sa Majesté vom 01. Dezember 1578 [Kopie] ( BNF FF 15 560 [139], online) Filippo Cavriana (* 1536 Mantova, † 1606 Pisa) • Brief vom 19. Oktober 1585 an la Duchesse de Nevers [autographe] ( BNF FF 3374 [112], online) 10 Entgegen den Angaben von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière Bd. 8 (1901: 326) trägt die Handschrift neben der Unterschrift von Catherine de Médicis auch jene von Pinart. 708 Anhang • Brief vom 05. November 1585 an Madame la Duchesse de Nevers [autographe] ( BNF FF 3374 [8-11], online) • Propos tenus par le Sr Cabriani vom 16. November [1585 / 1586] 11 vor Monsieur d’Espernon und „beaucoup de monde“ [autographe] ( BNF FF 3374 [6-7], online) • Brief vom 22. Dezember 1585 an Madame la Duchesse de Nevers [autographe] ( BNF FF 3374 [40-41], online) • Brief vom 26. Juli 1586 an Madame la Duchesse de Nevers [autographe] ( BNF FF 3374 [12], online) Lodovico Gonzaga (* 1539 Mantova, † 1595 Nesle) • Brief vom Juli 1582 an Monsieur de Bellièvre [autographe] ( BNF FF 15 906 (2) [704], online) • Brief vom Juli 1582 an Monsieur de Bellièvre [autographe] ( BNF FF 15 906 (2) [711], online) • Bd. 9, S. 398-399: Brief vom 13. Februar 1586 an Catherine de Médicis [Kopie] ( BNF FF 3974 [111], online) • Bd. 9, S. 399-400: Minute vom 05. März 1586 an Catherine de Médicis ( BNF FF 3974 [144], online) Carlo Gonzaga (* 1580 Paris, † 1637 Mantova) • Brief vom 10. Mai 1598 an Madame la Duchesse de Nevers [autographe] ( BNF FF 3321 [127], online) Scipione Sardini (* 1526 Lucca, † 1609 Paris) • Brief vom 07. September 1562 an Monsieur de Gonnort [autographe] ( BNF FF 3219 [91], online) Filippo Strozzi (* 1541 Florenz, † 1582 Azoren) • Brief vom 05. Juni 1563 an Monsieur le Mareschal de Montmorency [autographe] ( BNF FF 3243 [60], online) • Bd. 7, S. 499-500: Brief vom 06. April 1581 an La Reine Mère du Roy [autographe] ( BNF FF 15 564 [69], online) • Bd. 7, S. 500: Brief vom 14. August 1581 an La Reine Mère du Roy [autographe] ( BNF FF 15 565 [45], online) 11 Zumindest werden zahlreiche weitere Dokumente in BNF FF 3374 auf 1585 / 1586 datiert. Anhang 709 • Bd. 8, S. 384: Ergänzung zum Brief vom 30. Januar 1582 an Maréchal de Matignon [Anonym / PS ] ( BNF FF 3291 [169], online) • Bd. 8, S. 384-385: Ergänzung zum Brief vom 17. April 1582 an Maréchal de Matignon [Anonym / PS ] ( BNF FF 3291 [170], online) • Bd. 8, S. 386: Ergänzung zum Brief vom 16. Juni 1582 an Maréchal de Matignon [Anonym / PS ] ( BNF FF 3291 [174], online) • Bd. 8, S. 385-386: Ergänzung zum Brief vom 06. Dezember 1582 an Maréchal de Matignon [Anonym / PS ] ( BNF FF 3291 [172], online) Sebastiano Zametti (* 1549 Lucca, † 1614 Paris) • Brief vom August 1582 an Monsieur de Bellièvre [autographe] ( BNF FF 15 906 (2) [723], online) • Brief vom Januar 1592 an Monsieur de Villeroy [autographe] ( BNF FF 15 575 [20], online) • Brief vom 20. Juni 1592 an Monsieur de Villeroy [autographe] ( BNF FF 15 575 [27], online) 710 Anhang Anhang 5: Italienische und französische Handschriften Brief der Nazione Fiorentina vom August 1559 an Catherine de Médicis [Anonym] ( BNF FF 3898 [41]) (http: / / www.gallica.bnf.fr) BnF <la nation vra>, <de nri> Anhang 711 Brief von Filippo Cavriana von il di della Candellorie del 1586 an Le Duc de Nevers, Lodovico Gonzaga [autographe] ( BNF FF 3374 [48]) (http: / / www.gallica.bnf.fr) BnF <egli è anchor sdegnato> 712 Anhang Briefe CM (Bd. 1: 531-532): 2. Teil des Briefs vom 19. März 1563 an Monsieur de Gonnor [Anonym / CM ] ( BNF FF 3193 [1]) (http: / / www.gallica.bnf.fr) BnF <difficulte>, <dificoulte> Anhang 713 Briefe CM (Bd. 1: 194): Brief von Anfang Mai 1561 an Monsieur le Conestable [autographe] ( BNF FF 3184 [1]) (http: / / www.gallica.bnf.fr) BnF <compagnye strasordynere> Anhang 715 Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Übersicht zum italienischen Einfluss auf verschiedenen sprachlichen Ebenen................................................................................... 73 Abb. 2: Auszug aus Cavalcabò (1609: 5), Übersetzung durch Villamont (http: / / www.gallica.bnf.fr)......................................................................... 95 Abb. 3: Auszug aus La Brouë Bd. 1 ([1593-1594] 4 1646: 10) (http: / / www.gallica.bnf.fr)......................................................................... 97 Abb. 4: Klassifikation von Lehngut in Anlehnung an Betz (1974) ............... 114 Abb. 5: autographe von Catherine de Médicis vom August 1536 ( BNF FF 3292 [72]) ..................................................................................... 456 Brief der Nazione Fiorentina vom August 1559 an Catherine de Médicis [Anonym] ( BNF FF 3898 [41])................................................................................ 710 Brief von Filippo Cavriana von il di della Candellorie del 1586 an Le Duc de Nevers, Lodovico Gonzaga [autographe] ( BNF FF 3374 [48])................... 711 Briefe CM (Bd. 1: 531-532): 2. Teil des Briefs vom 19. März 1563 an Monsieur de Gonnor [Anonym / CM ] ( BNF FF 3193 [1])................................. 712 Briefe CM (Bd. 1: 194): Brief von Anfang Mai 1561 an Monsieur le Conestable [autographe] ( BNF FF 3184 [1]) ....................................................... 713 Anhang 717 Tabellenverzeichnis Tab. 1: Schichtung der Italianismen im Dt., Engl. und Fr. nach Stammerjohann / Seymer (2007: 49) ....................................................... 51 Tab. 2: Im Nfr. fortlebende Lehnwörter nach Gebhardt (1974: 274, 293) und Stefenelli (1981: 164).......................................................................... 81 Tab. 3: Getilgte Formen aus Trescases (1978b) ............................................... 239 Tab. 4: Addierte Formen zu Trescases (1978b)................................................ 247 Tab. 5: Belegte Italianismen in den Deux Dialogues vs. Trescases (1978b)...................................................................................... 260 Tab. 6: Unterschiedliche Frequenz von gemeinsamen Lexemen im Französischen und Italienischen .......................................................... 275 Tab. 7: Gemeinsamkeiten zwischen Kognaten und Luxuslehnwörtern ... 276 Tab. 8: Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Kognaten und Lehngut .............................................................................................. 279 Tab. 9: Verteilung von baller & danser in FRANTEXT ( Ancien français - 1600) .......................................................................... 283 Tab. 10: Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen attraction paronymique und attraction cognatique ............................................... 289 Tab. 11: Okkurrenzen von baller & danser in FRANTEXT ( Ancien français - 20. Jh.)........................................................................ 290 Tab. 12: Relative Häufigkeit von baller & danser und baste & suffit in FRANTEXT ( Ancien français - 20. Jh.) ............................................ 294 718 Anhang Tab. 13: Hapax-Belege und falsche Etymologien in den Deux Dialogues vs. Trescases (1978b)................................................................................ 308 Tab. 14: Anzahl italienischer Immigranten im 16. Jh. nach Dubost (1997: 30) .................................................................................................... 341 Tab. 15: Anteil italienischer Höflinge in der Entourage von Henri III nach Boucher ([1981] 2007: 412)........................................................... 345 Tab. 16: Anteil italienischer Höflinge in der Entourage der reine mère nach Boucher ([1981] 2007: 413)........................................................... 346 Tab. 17: Präsenz italienischer Künstler am französischen Hof 1570-1590 nach Boucher ([1981] 2007: 432)........................................................... 349 Tab. 18: Regionale Herkunft der italienischen Immigranten im 16. Jh. nach Dubost (1997: 34) ............................................................................ 355 Tab. 19: Schreibungen für [u] in den it. Briefen der Immigranten .............. 388 Tab. 20: Schreibungen für [ʎ] in den it. Briefen der Immigranten............... 390 Tab. 21: Schreibungen für [k], [g], [t∫], [dʒ] und [∫] in den it. Briefen der Immigranten....................................................................................... 394 Tab. 22: Frequenz von <isC-> in toskanischen Texten des 14.-16. Jh. nach Sampson (2010: 88)......................................................................... 400 Tab. 23: Frequenz von <isC-> vs. <sC-> in den it. Briefen der Immigranten.............................................................................................. 405 Tab. 24: Frequenz von <C> vs. < CC > in preposizioni articolate in den it. Briefen der Immigranten ................................................................... 411 Tab. 25: Übersicht zur Edition der Briefe von Catherine de Médicis von Baguenault de Puchesse / de La Ferrière (1880-1943).............. 441 Tab. 26: Zusammensetzung des Briefkorpus (Catherine de Médicis) ......... 459 Anhang 719 Tab. 27: Übersicht zu <e> vs. <oi / oy> in den Briefen von Catherine de Médicis........................................................................................................ 484 Tab. 28: Übersicht zu <u>, <eu> und <ou> in den Briefen von Catherine de Médicis............................................................................... 494 Tab. 29: Übersicht zu <sC-> und <esC-> in den Briefen von Catherine de Médicis............................................................................... 507 Tab. 30: Frequenz von < CC > in preposizioni articolate in den Briefen von Catherine de Médicis............................................................................... 518 Tab. 31: Übersicht zu <x/ cc> vs. <s/ c> in den Briefen von Catherine de Médicis............................................................................... 530 Der Band beschäftigt sich mit der Präsenz des Italienischen im frühneuzeitlichen Frankreich. Anders als in bisherigen Studien gilt das Interesse nicht der Verbreitung des Italienischen als Literatursprache, sondern seiner Vitalität als Muttersprache italienischer Immigranten. Dabei wird auch untersucht, ob unter den Einwanderern das von damaligen französischen Sprachbeobachtern kritisierte françois italianizé, ein vom Italienischen beeinflusstes Französisch, tatsächlich existierte. Das Werk versteht sich somit als Beitrag sowohl zur französischen als auch zur italienischen Sprachgeschichte. ISBN 978-3-8233-8160-0 Scharinger Mehrsprachigkeit im Frankreich der Frühen Neuzeit Anna Marcos Nickol Mehrsprachigkeit im Frankreich der Frühen Neuzeit Thomas Scharinger Zur Präsenz des Italienischen, seinem Einfluss auf das Französische und zur Diskussion um das françois italianizé 52,7 18160_Umschlag.indd Alle Seiten 14.11.2018 09: 43: 30