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Gesprochenes Portugiesisch aus sprachpragmatischer Perspektive

2018
978-3-8233-9186-9
Gunter Narr Verlag 
Bernd Sieberg

Diese Einführung in die Grundprinzipien des gesprochenen Portugiesisch richtet sich an Dozenten, die im Bereich der kontrastiven Sprachforschung und Didaktik des Portugiesischen als Fremdsprache forschen und arbeiten. Auch Lehrer und Studenten gehören zur Zielgruppe dieses Buches. Sie sollten bereits über Grundkenntnisse des Portugiesischen (mindestens A 2) verfügen, um die zahlreichen Textbeispiele zu verstehen. Neben einem klaren methodischen Konzept, das aufzeigt, welche sprachlichen Mittel notwendig sind, um sich auf Portugiesisch unterhalten zu können, wird den Lesern zusätzlich ein umfangreiches Inventar von Redemitteln angeboten.

Diese Einführung ins gesprochene Portugiesisch richtet sich an alle, die im Bereich der kontrastiven Sprachforschung und Didaktik des Portugiesischen als Fremdsprache forschen und arbeiten. Auch Lehrer und Studenten gehören zur Zielgruppe dieses Buches. Sie sollten bereits über Grundkenntnisse des Portugiesischen (mindestens A 2) verfügen, um die zahlreichen Textbeispiele zu verstehen. Neben einem klaren methodischen Konzept, das aufzeigt, welche sprachlichen Mittel notwendig sind, um sich auf Portugiesisch unterhalten zu können, wird den Lesern zusätzlich ein umfangreiches Inventar von Redemitteln angeboten. Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung 11 RFU 11 Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung 11 ISBN 978-3-8233-8186-0 Sieberg Gesprochenes Portugiesisch Bernd Sieberg Gesprochenes Portugiesisch aus sprachpragmatischer Perspektive Gesprochenes Portugiesisch Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung Herausgegeben von Daniel Reimann (Duisburg-Essen) und Andrea Rössler (Hannover) Band 11 Bernd Sieberg Gesprochenes Portugiesisch aus sprachpragmatischer Perspektive © 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: pagina GmbH, Tübingen Printed in Germany ISSN 2197-6384 ISBN 978-3-8233- 9 186- 9 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. 9 10 11 1. 19 2. 33 3. 49 4. 58 5. 73 5.1 76 5.1.1 79 5.1.2 84 5.1.3 85 5.2 87 5.2.1 89 5.2.2 91 5.2.3 93 5.3 93 5.3.1 95 5.3.2 104 5.3.3 112 5.3.4 117 Inhalt Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Agradecimentos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorworte von Herausgeber und Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Situation der Gesprochenen-Sprache-Forschung in Portugal und Brasilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Benutzte Korpora, Transkriptionen, Abkürzungen und weitere Hinweise zur Erleichterung der Lektüre des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theoretisch-methodischer Rahmen der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sequenzierung der Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rederechtssignale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adjazente Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Engführung der Orientierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachliche und tonale Zeichen zur Engführung . . . . . Adjazente Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aggregative Rezeptionssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operatoren in ‚Operator-Skopus-Strukturen‘ . . . . . . . . Tópicos Marcados . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Construções de Clivagem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. 120 6.1 122 6.1.1 136 6.2 137 6.2.1 138 6.2.2 150 6.3 152 6.3.1 154 6.3.2 164 7. 167 7.1 169 7.1.1 171 7.1.2 186 8. 189 8.1 190 8.1.1 191 8.1.2 202 9. 205 9.1 208 9.1.1 211 9.1.2 215 10. 216 11. 224 229 247 Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aggregative Strukturierung des Informationsflusses . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfache Verfahren der Einheitenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . Reaktive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitgewinn zur Überwindung von Pausen und Formulierungsschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überbrückungsphänomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung im Parameter ‚Situation‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahren zur Markierung von Direktheit in Redewiedergabe Direkte und indirekte Redewiedergabe und die Formen ihres Zusammenspiels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung im Parameter ‚Code‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Informationsübermittlung durch Einbeziehung von Zeichen unterschiedlicher semiotischer Beschaffenheit . . . . . . . . . . . . . Nonverbale Mittel und graphostilistische Zeichen zur Emotionalisierung des Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung im Parameter ‚Medium‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildung von Sprecheinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phonische Worte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendung der Erkenntnisse für den ‚Portugiesisch als Fremdsprachenunterricht‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographische Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen aus dem Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt 254 Glossar - Zentrale Begriffe aus der germanistischen GSF und ihre Erklärung auf Portugiesisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt Danksagung Zunächst einmal möchte ich dem ‚Conselho Científico‘ der ‚Faculdade de Letras‘ der ‚Universidade de Lisboa‘ danken, der mir das Sabbatjahr zugestanden hat, in dem ich mein Buch schreiben konnte. Dieser Dank schließt auch den dama‐ ligen Direktor unserer Abteilung, Herrn Professor Gerd Hammer ein, der sich in diesem Sinn für mich eingesetzt hatte. Sehr wichtig für meine Arbeit war auch die Unterstützung des ‚Centro de Linguística da Universidade de Lisboa‘ ( CLUL ). Hier danke ich speziell Frau Professorin Amália Mendes, die mir den Zugang zum ‚C- ORAL - ROM -Korpus‘ ermöglicht hat und mir bei einigen Zweifeln mit ergänzenden Informationen zur Seite gestanden hat. Ein weiteres „Dankeschön“ gilt Herrn Prof. Hardarik Blühdorn vom IDS Mannheim, ohne dessen Insiderwissen es mir nicht möglich gewesen wäre, das ‚Kapitel 2‘ „Zur Situation der Gesprochenen-Sprache-Forschung in Portugal und Brasilien“ in dieser Ausführlichkeit zu schreiben. Mein ganz besonderer Dank aber gilt Herrn Conrad Schwarzrock. In einer ganz entscheidenden Phase meiner Arbeit, in der sich die Probleme dermaßen anhäuften, dass ich - auch aus gesundheitlichen Erwägungen - nahe daran war, von meinem Projekt Abstand zu nehmen, hat Herr Schwarzrock es verstanden, mir Mut zu machen und mir neue Motivation für die Weiterführung meiner Arbeit verliehen. Außerdem hat Herr Conrad Schwarzrock meine Texte gegen‐ gelesen und sie von sprachlichen Fehlern und stilistischen Unebenheiten befreit. Ohne seine Hilfe würde der Text in der Form, wie er jetzt vorliegt, nicht exis‐ tieren. Zum Schluss richtet sich mein Dank noch an Prof. José Pinto de Lima von der Germanistischen Abteilung der ‚Faculdade de Letras de Lisboa‘, der mir mit Ratschlägen und Korrekturen bei der Ausarbeitung des Glossars behilflich war. Agradecimentos Em primeiro lugar, gostaria de agradecer ao Conselho Científico da Faculdade de Letras da Universidade de Lisboa por me ter concedido a licença sabática anual, que me permitiu escrever o meu livro. Agradeço também ao Prof. Doutor Gerd Hammer, Diretor do nosso Departamento de Estudos Germanísticos, pelo seu apoio institucional. Agradeço ainda o apoio do ‚Centro de Linguística da Universidade de Lisboa‘ ( CLUL ), que foi decisivo para a realizaç-o do meu trabalho. Agradeço em especial à Prof.ª Doutora Amália Mendes, que possibilitou o acesso ao Corpus ‚C- ORAL - ROM ‘ e me ajudou com as suas informações. Agradeço ainda ao Prof. Doutor Hardarik Blühdorn do IDS de Mannheim; sem o seu contributo de especialista n-o me teria sido possível escrever com tanto detalhe o ‚capítulo 2‘ „Sobre a situaç-o do estudo da língua falada em Portugal e no Brasil“. Ao Dr. Conrad Schwarzrock cabe um agradecimento muito especial. Numa fase decisiva do meu trabalho, em que os problemas se acumularam de tal forma que, também por razões de saúde, estive perto de abandonar o meu projeto, o Dr. Schwarzrock soube dar-me coragem e uma nova motivaç-o para continuar o meu trabalho. Além disso, o Dr. Schwarzrock reviu os meus textos, eliminando falhas na grafia e no estilo. Sem a sua ajuda, o texto n-o teria a forma final, que agora apresenta. Agradeço ainda ao Prof. Doutor José Pinto de Lima do Departamento de Es‐ tudos Germanísticos da ‚Faculdade de Letras da Universidade de Lisboa, que me ajudou na elaboraç-o e revis-o do ‚glossário‘. Vorworte von Herausgeber und Autor War die linguistische Pragmatik für die „kommunikative Methode“ des Fremd‐ sprachenunterrichts der 1970er Jahre eine zentrale Bezugsdisziplin, so verlor sie in den folgenden Jahrzehnten nicht nur innerhalb der linguistischen Forschung, sondern auch in der Fremdsprachenforschung zunächst an Bedeutung. Trotz grundlegender Beibehaltung des kommunikativen Grundanliegens, das freilich nicht mit letzter Konsequenz verfolgt wurde, wurden andere Handlungs- und Forschungsfelder wie Lernerorientierung und Interkulturalität zentral für die Theoriebildung und Erforschung fremdsprachlicher Lehr-/ Lernprozesse der 1980er und 1990er Jahre. Erst in den vergangenen fünfzehn Jahren wurde der Fremdsprachenunter‐ richt, man mag ihn in einem Versuch der Historisierung als neokommunikativ bezeichnen, in der Folge der Veröffentlichung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, unter den Vorzeichen von Bildungsstandards und „Mündlichkeit“ wieder gezielt und beinahe vorrangig an den funktionalen kommunikativen Kompetenzen ausgerichtet. Der linguistischen Pragmatik kommt daher als wesentlicher Bezugsdisziplin der Fremdsprachendidaktik seit etwa der Jahrtausendwende in zunehmendem Maße wieder an neuerlicher Be‐ deutung zu. Dieser Bedarf wird indes derzeit weder von der Linguistik in aus‐ reichendem Maße bedient noch von der Fremdsprachenforschung in dem ei‐ gentlich wünschenswerten Maße nachgefragt. Die portugiesische Sprache scheint ihrerseits in den deutschsprachigen Bil‐ dungssystemen eine vollkommen vernachlässigte Größe zu sein: Portugiesisch spielt an den Schulen nur eine marginale Rolle - die Zahl der Schulen, an denen Portugiesisch als Fremdsprache als Leistungskurs belegt werden kann, beläuft sich in der gesamten Bundesrepublik Deutschland auf unter zehn. An den Uni‐ versitäten gestaltet sich die Situation nicht merklich besser, hier wurde das Ausbildungsangebot seit den 1990er Jahren, als es nicht zuletzt in der Folge des EU -Beitritts Portugals zunächst eine Ausweitung erfahren hatte, tendenziell eher reduziert. Unabhängig von der kulturellen Bedeutung Portugals für Europa, Brasiliens, Angolas und weiterer lusophoner Regionen müssten gerade auch heute so häufig angeführte ökonomische Argumente eigentlich eine stärkere Berücksichtigung des Portugiesischen im deutsch(sprachig)en Bildungswesen anregen: zwar ist das Spanische als Weltsprache unumstritten, das Französische scheint als bevorzugte Partnersprache innerhalb Europas gerade angesichts der Krise(n) Europas unbedingt auch politisch wieder zu stärken, und das Italieni‐ sche als Landessprache eines der bedeutendsten Wirtschaftspartners Deutsch‐ lands (wiederum ungeachtet der essentiellen kulturellen Bedeutung Italiens für Europa) verdient ebenfalls mehr Beachtung als es derzeit erhält. Dennoch: Por‐ tugiesisch ist mit Abstand die am zweit meisten gesprochene romanische Sprache - deutlich vor dem Französischen und Italienischen -, Brasilien ist bei‐ nahe hälftig am deutschen Außenhandelsvolumen mit Lateinamerika beteiligt, Angola ist eine schillernde, aber unübersehbare Größe innerhalb Afrikas. Bei allem Respekt für das Französische, Spanische und Italienische: Das Portugie‐ sische sollte im deutschsprachigen Raum auf jeden Fall mehr Augenmerk er‐ fahren, mehr erlernt und beforscht werden, als dies im Moment der Fall ist. Vor diesem Hintergrund ist es äußerst begrüßenswert, dass sich mit Bernd Sieberg ein seit über drei Jahrzehnten an der Universität Lissabon tätiger ger‐ manistischer Linguist der Aufgabe verschrieben hat, beide aufgezeigte Deside‐ rata miteinander zu verbinden: das vorliegende Werk stellt letztlich den Entwurf einer linguistischen Pragmatik am Beispiel des Sprachenpaars Deutsch und Portugiesisch mit einer Perspektivierung auch auf die Sprachvermittlung dar. Es bereichert die Pragmatik des Portugiesischen und den Portugiesischunter‐ richt um ein beeindruckendes Kompendium. Dass Bernd Sieberg sein Werk der Reihe Romanistische Fremdsprachenfor‐ schung und Unterrichtsentwicklung zur Verfügung gestellt hat, freut mich sehr. Ich wünsche dem Band die breite Rezeption innerhalb der linguistischen Prag‐ matik, der Lusitanistik und der Fremdsprachenforschung, die er verdient! Essen, im Januar 2018 Daniel Reimann 12 Vorworte von Herausgeber und Autor 1 Das Projekt wurde in den 1970er Jahren an der Universität Bonn in Zusammenarbeit mit dem ‚Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande‘ unter Leitung von Prof. Werner Besch - dem Betreuer meiner späteren Dissertation - durchgeführt. Hierfür wurden zwischen 1972-1974 in dem rheinischen Dorf Erp (heute ‚Erft‐ stadt-Erp‘) Sprachaufnahmen mit 142 Bewohnern durchgeführt, um ihr Sprachverhal‐ tens sowohl in ihrem dörflichen als auch in ihrem beruflichen Umfeld in Köln, wo diese Gewährpersonen arbeiteten, zu untersuchen. 2 Cf. die Liste meiner Veröffentlichungen unter: https: / / sites.google.com/ site/ berndsieberg/ veroeffentlichungen (18. 4. 2017). Das Interesse an der gesprochenen Sprache und ihrer Erforschung begann zur Zeit meiner akademischen Ausbildung als Germanist mit dem Schwerpunkt Sprachwissenschaft, die ich in Deutschland an der Universität Bonn in den Jahren von 1973 bis 1983 erfahren habe. Dort nahm ich bereits in den späten 70er Jahren an einem Projekt zur Erforschung der gesprochenen deutschen Sprache teil 1 . Sowohl die schriftliche Arbeit zu meinem Ersten Staatsexamen von 1980 als auch meine Dissertation von 1983 hatten die gesprochene Sprache und den Gebrauch der Vergangenheitstempora ‚Perfekt und Imperfekt‘ zum Thema. Dann begann ich 1984 meine Arbeit als DAAD -Lektor an der Germa‐ nistischen Abteilung der ‚Faculdade de Letras da Universidade de Lisboa‘ ( FLUL ). In diesen Jahren hat mich mein Interesse an der ‚Gesprochenen Sprache Forschung‘ ( GSF ) immer begleitet und mich auch in den fast zwei Jahrzehnten meiner Tätigkeit als Lektor - die ersten fünf Jahre als DAAD -Lektor - immer wieder zu kleineren Arbeiten in diesem Forschungsbereich veranlasst, obwohl ich in Lissabon meine Zeit und Energie überwiegend dem Unterricht der deut‐ schen Sprache widmete. Das Interesse an vergleichenden Arbeiten ‚Deutsch-Portugiesisch‘ erwachte erst relativ spät Anfang der 2000er Jahre, zu einer Zeit, als sich mit der Aner‐ kennung meines deutschen Doktorexamens mein akademischer Status in Por‐ tugal änderte. Damit ergab sich auch die Möglichkeit, erneut mehr in meine Forschungstätigkeit zu investieren. Die Ausgangslage eines Dozenten zwischen zwei unterschiedlichen Sprachkulturen und Wissenschaftstraditionen führten dann auch wie selbstverständlich zu einer Reihe von Studien im kontrastiven Bereich ‚Deutsch-Portugiesisch‘ 2 . Meiner persönlichen Überzeugung zufolge handelt es sich bei diesem Schritt in Richtung vergleichende Sprachforschungen nahezu um eine Pflicht für Akademiker, die das Privileg genießen, parallel an zwei verschiedenen Sprach- und Wissenskulturen teilhaben zu dürfen. In derselben Phase meiner beruflichen Laufbahn ergab es sich durch persön‐ liche und eher zufällige Kontakte, dass ich das Modell des Nähe- und Distanz‐ sprechens von Ágel / Hennig kennenlernte, das sich wiederum an dem der 13 Vorworte von Herausgeber und Autor 3 Cf. Koch / Oesterreicher (1985, 1990 und 1994) 4 Nach einer Anmeldung können interessierte Forscher aus In- und Ausland diese her‐ vorragend organisierten und ständig im Wachstum begriffenen Korpora einsehen und benutzen: http: / / dgd.ids-mannheim.de/ dgd/ pragdb.dgd_extern.welcome (18. 4. 2017). Romanisten Koch / Oesterreicher ausrichtet und sich m. E. aktuell als herausra‐ gendes ‚Werkzeug‘ zur systematischen Beschreibung gesprochener Sprache ge‐ rade und besonders auch für kontrastive Studien erweist 3 . Dieses Modell und seine Vorstellungen sollten von diesem Zeitpunkt an einen Großteil meiner weiteren Arbeit im Bereich der Sprachwissenschaft und auch im Bereich kon‐ trastiver Studien orientieren. Auch für die vorliegende Arbeit bildet es die me‐ thodisch-konzeptuelle Basis. Bei der Beschäftigung mit der GSF des Portugiesischen wurde relativ schnell deutlich, dass es unterschiedliche geopolitische Ausgangssituationen und For‐ schungstraditionen sind, die einen entscheidenden Einfluss auf die GSF aus‐ üben. Die Bundesrepublik der 70er Jahre war auch im akademischen Bereich wesentlich geprägt durch die Nachwehen der Aufbruchsstimmung der 68er Ge‐ neration und die sozialliberale Koalition zwischen SPD und FDP der frühen 70er Jahre, die sich an Ideen wie ‚Mitbestimmung‘, ‚Bildungsreform‘ und ‚sozi‐ aler Gerechtigkeit‘ ausrichtete. Die Auswirkungen einer entsprechenden Bil‐ dungs- und Hochschulpolitik sowie die zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel rückten auch in der Germanistik und Linguistik - von nun an gebrauchte man statt des antiquierten Begriffs der ‚Sprachwissenschaft‘ bevorzugt den der ‚Linguistik‘ - neue Forschungsschwerpunkte und Projekte in den Vordergrund von Lehre und Forschung, zu denen neben der Soziolinguistik auch die Dialek‐ tologie sowie die gesprochene Sprache gehörten. Darum kann es nicht verwun‐ dern, dass die GSF in den folgenden 80er Jahren und bis heute enorme Fort‐ schritte gemacht hat und sozusagen als ein Aushängeschild germanistischer Forschungen angesehen werden darf. Mit dem ‚Institut für Deutsche Sprache‘ ( IDS ) in Mannheim und seinen in den letzten Jahren aufgebauten Korpora zur gesprochenen Sprache 4 besteht zudem eine ideale Ausgangsposition für Korpus basierte Forschungen auf dem Gebiet der germanistischen GSF . Bedingt durch die unterschiedlichen politischen und soziogeographischen Rahmenbedingungen - die portugiesische Nelkenrevolution von 1974 lag erst gerade einmal zehn Jahre zurück - befand sich die Erforschung des gespro‐ chenen Portugiesisch Mitte der 80er Jahre in einer gänzlich anderen Situation, die sich kurz folgendermaßen beschreiben lässt. Linguistische Ansätze zur So‐ ziolinguistik, die mittel- oder unmittelbar auch die gesprochenen Sprache ( GS ) in den Aufmerksamkeitsfokus gerückt hätten, waren in Teilen der älteren aber immer noch einflussreichen Generation portugiesischer Philologen auch noch 14 Vorworte von Herausgeber und Autor 5 Dass diese Vermutung nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, wird deutlich, wenn man z. B. den Beitrag von Seruya (1995) zur Situation der portugiesischen Germanistik in der fraglichen Zeit liest und sich die ideologische Nähe einiger der bedeutendsten por‐ tugiesischen Philologen zu nationalkonservativen Strömungen und Werten vergegen‐ wärtigt. Jahre nach der Revolution verpönt, wie eine Formulierung von Scott-Rosin (1984, 259) verdeutlicht: Zudem verstellte lange Zeit die Vorstellung von einer diastratisch relativ homogenen portugiesischen Sprache, die vor 1974 aus ideologischen Gründen gefördert wurde, den Blick auf die tatsächlichen sprachlichen Varianten und verhinderte damit die not‐ wendige Diskussion um die Sprachnorm. Einer Öffnung für eine Beschäftigung mit dem aktuellen mündlichen Sprach‐ gebrauch schien auch das Selbstverständnis vieler portugiesischer Philologen skeptisch gegenüberzustehen, wie bereits Boléo 1954 beklagte (Boléo 1974, 269): „O estudo da linguagem viva, actual, tem sido impedido, nalguns países, de‐ signadamente Portugal, por um lamentável preconceito: o de que o filólogo se deve debruçar principalmente sobre assuntos antigos“. Trotzdem begann 1970 relativ früh die Arbeit an einem ersten Korpus des gesprochenen Portugiesisch, deren Ergebnisse vom ‚Centro de Linguística da Universidade de Lisboa‘ ( CLUL ) unter dem Titel ‚Português Fundamental. Métodos e Documentos‘ 1987 publiziert wurden. Die Erstellung weiterer Korpora und Studien auch zur gesprochenen Sprache folgten in Portugal aber besonders auch in Brasilien (siehe auch Kapitel 2). Dass es trotzdem immer noch an Erkennt‐ nissen zum gesprochenen Portugiesisch mangelt und bestimmte Aspekte dieses Forschungsbereichs unberücksichtigt blieben bzw. unter einem metho‐ disch-konzeptionellen Ansatz erfolgen, der wenig zur ihrer Erhellung beiträgt, hat m. E. verschiedene Gründe. Zu ihnen zählen, dass die entsprechenden Kor‐ pora vorrangig Studien zur Phonetik und Geolexikologie dienen. Dieser von der portugiesischen Forschung eingeschlagene Weg wird allerdings vor dem Hin‐ tergrund der historischen Entwicklung und geographischen Situation Portugals mit seiner Vielzahl von diatropischen Varianten außerhalb des Kontinentalpor‐ tugiesischen durchaus verständlich. Den Hauptgrund für das Desiderat aber sehe ich in der Vergangenheit einer Forschungstradition, die sich in den letzten Jahrzenten recht einseitig formal-strukturalistischen Konzepten der Sprachbeschreibung - unter den ge‐ gebenen politischen Umständen jener Zeit aus Gründen ihrer ideologischen Unverfänglichkeit vielleicht auch verständlich 5 - verschrieben hatte, die in an‐ gloamerikanischen Vorbildern ihre historischen Wurzeln haben, wobei ein Blick 15 Vorworte von Herausgeber und Autor 6 Cf. „Gramática da Língua Portuguesa“ von Mateus et al. (2006); die ersten beiden Bände der „Gramática do Português“ von Raposo et al. (2013); die „Portugiesische Grammatik“ von Hundertmark-Santos Martins (2014); oder die „Nova Gramática do Português Con‐ temporânea“ von Cunha / Cintra (2015). in die bis dato herausgegebenen Referenzgrammatiken zur portugiesischen Sprache 6 genügt, um diesen Eindruck zu bestätigen. Andere Perspektiven auf ‚Sprache‘ hingegen werden vernachlässigt. Dazu gehört die mit der Pragmatik verbundene Sicht, die eine Einbindung von Sprechen in reale Situationen und die hieraus erwachsenen sprachlichen Beschränkungen und Möglichkeiten zum Ziel ihrer Untersuchungen machen würde. Genauso bleibt die Beschreibung derjenigen sprachlichen Mittel weitgehend unbeachtet, die der Herstellung und der Regelung von sozialen Beziehungen zwischen den Gesprächspartnern und ihren Interessen dienen, bzw. sie findet keinen Einlass in die entsprechenden Grammatiken. Trotz dieser Umstande bin ich mir der Außergewöhnlichkeit und vielleicht auch des Risikos bewusst, ein methodisches Konzept samt seiner Grundbegriffe und Terminologie, das seinen Ursprung in der germanistischen Sprachwissen‐ schaft hat und bisher vornehmlich auf die Erscheinungen der deutschen Sprache angewandt wurde, auf das Portugiesische zu übertragen. Die oben beschrie‐ benen Desiderate, die Universalität des von mir benutzten Erklärungsmodells sowie die Überzeugung, dass Forschungstätigkeit eine ihrer wichtigsten Auf‐ gaben darin sehen sollte, die Grenzen zwischen unterschiedlichen Ländern, Sprachen und Wissenschaftstraditionen zu überwinden, verleihen mir jedoch die Überzeugung richtig zu handeln. Hinzu kommt, dass ich meine Arbeit in erster Linie als Vorschlag verstehe, die bereits gewonnenen Erkenntnisse, die inzwischen durch portugiesisch-brasilianische Forschungen zur gesprochenen Sprache zusammengekommen sind, auf der Basis eines zusätzlichen Konzepts systematisch zu ordnen und ihnen eine zusätzliche Ausgangsposition für zu‐ künftige Arbeit zur Seite zu stellen. Damit verbinde ich die Hoffnung, dass es auf diesem Weg gelingen könnte, gesprochenem Portugiesisch zukünftig die Einschätzung und den Stellenwert zukommen zu lassen, die dieser Variante verbaler Verständigung wirklich angemessen ist. Interessierte portugiesische Leser werden sich zudem, falls sie nicht über ge‐ nügend Deutschkenntnisse für eine entsprechende Lektüre dieses Buches ver‐ fügen, mit Fug und Recht die Frage stellen, warum ich dieses Buch nicht auf Portugiesisch geschrieben habe und somit einem weitaus größeren Leserkreis zugänglich hätte machen können. Tatsächlich war dieses auch mein ursprüng‐ liches Ziel. Ein portugiesischer Text wäre tatsächlich sinnvoller gewesen: Dieses Vorgehen kann ich nur so rechtfertigen, dass ich auch bereits viel Aufwand und 16 Vorworte von Herausgeber und Autor 7 An dieser Stelle schwingt die Hoffnung auf eine zukünftige Übersetzung ins Portugie‐ sische mit. Den ersten Schritt zur Realisierung einer solchen Option gehe ich und biete im ‚Glossar‘ am Ende des Buches Übersetzungsvorschläge für einige Begriffe und Ter‐ mini an, die für das an dieser Stelle dargestellte Konzept eine Schlüsselrolle einnehmen. 8 Cf. Diltheys Begriff von „Verstehen“ im Kapitel „Das Erleben, Ausdruck und Verstehen“ seines Werks „Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften“ (1992, 191 sqq.). Energie in eine portugiesische Version meiner Arbeit gesteckt hatte. Diese Ar‐ beit war gekennzeichnet durch zeitraubendes und teilweise problematisches Übersetzen von zahlreichen Vorstellungen, Begriffen und Termini, die ihren Ursprung in der germanistischen GSF haben. Die ersten Kapitel hatte ich trotzdem bereits auf Portugiesisch geschrieben, bis zu dem Zeitpunkt, an dem meine zweisprachige Assistentin und potentielle Mitautorin aus dem Projekt ausstieg. Angesichts der bereits vorangeschrittenen Zeit - ich musste mein Sab‐ batjahr zur Arbeit am Buch nutzen und hatte im Bemühen um eine portugiesi‐ sche Version meines Buches bereits viel Zeit verloren und Energie eingebüßt - blieb mir keine andere Wahl, als im Widerspruch zu meinem ursprünglichen Plan das Buch auf Deutsch weiterzuschreiben 7 . Natürlich schränkt ein Buch, das auf Deutsch sprachliche Erscheinungen des Portugiesischen beschreibt, den potentiellen Leserkreis erheblich ein. Als mög‐ liche Nutznießer für ein Buch, das auf Deutsch (Metasprache) sprachliche Aus‐ drücke und Strukturen des Portugiesischen (Objektsprache) analysiert, ver‐ bleiben aber immerhin noch Lehrende und Lernende aus dem Bereich der Romanistik und komparatistischen Linguistik an deutschen, portugiesischen, brasilianischen sowie anderen ausländischen Universitäten. Dabei wird aller‐ dings vorausgesetzt, dass diese potentiellen Leser über hinreichende Sprach‐ kompetenz in beiden Sprachen verfügen. Zum Schluss dieses Vorwortes sei mir noch folgende kritische Bemerkung er‐ laubt, die im Zusammenhang mit dem in diesem Beitrag angestrebten Ziel einer Wissensvermittlung zwischen unterschiedlichen Wissenschaftstraditionen steht. Es ist unbestritten, dass inzwischen Englisch als ‚Lingua Franca‘ bei in‐ ternationalen Konferenzen und anderen Formen wissenschaftlicher Zusam‐ menkünfte die Rolle zukommt, als ‚Vehikel‘ das Verständnis zwischen Teilneh‐ mern unterschiedlicher Länder und Sprachen zu ermöglichen. Diese Leistung betrachte ich allerdings mit einem gewissen Vorbehalt. Wenn man von einem Begriff des ‚Verstehens‘ ausgeht, wie es Diltheys 8 für den Begriff der Geistes‐ wissenschaften definiert, setzt ein solches Verstehen voraus, dass dieser Wis‐ senstransfer von Wissenschaftlern - im hier vorliegendem Fall sind speziell Sprachwissenschaftler gemeint - vorgenommen wird, die ihre Erkenntnisse auf 17 Vorworte von Herausgeber und Autor der Grundlage von Begriffen vermitteln, die sich bei ihnen selber als Ergebnis ihres sinnlichen Nacherlebens und kognitiven Nachvollziehens der zu thema‐ tisierenden sprachlichen Phänomene herausgebildet haben. Diese Vorausset‐ zung gilt für den Bereich beider Sprachen und Wissenschaftstraditionen, zwi‐ schen denen ein solcher Transfer vorgenommen werden soll. Um ein Beispiel zu nennen: Wenn ein Linguist, der wie ich in der germanistischen GSF ‚groß geworden ist‘ sich das Ziel setzt, den Begriff ‚Überbrückungsphänomene‘ mittels des Begriffs ‚hesitações‘ ins Portugiesische zu übersetzen, sollte er in der Lage sein, diesen Begriff in beiden Sprachen und Wissenschaftstraditionen sowohl ‚kognitiv‘ als auch ‚sinnlich‘ nachzuvollziehen. Nur so kann es ihm gelingen, wirklich passende Begriffe einander zuzuordnen. Dazu gehört die Kenntnis der theoretischen Kontexte (Sekundärliteratur), in denen diese Begriffe jeweils ge‐ braucht werden. Bedingung für ein solches ‚Verstehen‘ im Sinne Diltheys ist es aber auch ‚nachzuempfinden‘ zu können, welche Assoziationen Begriffe und Termini der Sprachwissenschaft auslösen, wenn sie von deutschen bzw. portu‐ giesischen Muttersprachlern gebraucht werden. Der oberflächliche Wissens‐ transfers durch einen dritten vermittelnden Begriff wie den des engli‐ schen ,hedges words‘ stellt m. E. dabei nur eine Ausflucht und Scheinlösung dar. Er garantiert keineswegs, dass portugiesische Sprecher wirklich verstehen, was nun mit dem deutschen Begriff ‚Zögerungssignal‘ gemeint ist, wenn sie ihn über den Umweg des Begriffs ‚hedges words‘ kennenlernen. Auch aus dieser Per‐ spektive gewinnt die vorliegende Arbeit an Bedeutung und rechtfertigt die viele Mühe und Zeit, die ich in sie investiert habe. 18 Vorworte von Herausgeber und Autor 1 Dabei gehe ich von einer detaillierten Bestimmung des Begriffs ‚sprachpragmatische Perspektive‘ unter Einbeziehung der Faktoren situativ, diskursiv, interaktional, kontex‐ tintern, kontextextern und präsuppositional aus. 1. Einleitung Sprache und Schrift sind zwei verschiedene Systeme von Zeichen; das letztere besteht nur zu dem Zweck, um das erstere darzu‐ stellen. Nicht die Verknüpfung von geschrie‐ benem und gesprochenem Worte ist Gegen‐ stand der Sprachwissenschaft, sondern nur das letztere, das gesprochene Wort allein ist ihr Objekt. (De Saussure [1916] 1967, 28) Das Sprechen ist nicht von der Sprache her zu erklären, sondern umgekehrt die Sprache nur vom Sprechen. Das deswegen, weil Sprache konkret nur Sprechen, Tätigkeit ist und weil das Sprechen weiter als die Sprache reicht. Denn während die Sprache ganz im Sprechen steckt, geht das Sprechen nicht ganz in der Sprache auf. (Coseriu [1975] 2007, 58) Ziel dieser Untersuchung ist es, sprachliche Merkmale der mündlichen portu‐ giesischen Kommunikation aus sprachpragmatischer Perspektive 1 zu be‐ schreiben. Die onomasiologische Vorgehensweise - von Funktionen zu sprach‐ lichen Merkmalen zur Wahrung dieser Funktionen - nimmt dabei ihren Ausgang von Aufgaben, die sich daraus ergeben, dass Sprechen in konkreten Situationen und in Anwesenheit von Gesprächsteilnehmern und ihren Inte‐ ressen erfolgt. Aus diesen Umständen erwachsen Beschränkungen und Mög‐ lichkeiten, die wesentlich die Art und Weise prägen, wie die beteiligten Personen unter diesen Bedingungen vom verbalen Code Gebrauch machen. Die weitere detaillierte Bestimmung und Gliederung entsprechender sprachlicher Aus‐ drücke und Strukturen im Zusammenhang mit den Faktoren ‚Situation‘ und 2 Mit annähernd 270 Millionen Sprechern ist das Portugiesische weltweit die am fünf häufigsten gesprochene Sprache, auf der westlichen Hemisphäre die am dritthäufigsten und im südlichen Bereichen das am häufigsten verwendete Idiom. Portugiesisch und die zahlreichen abgeleiteten Kreolsprachen findet man auf allen Kontinenten: http: / / observalinguaportuguesa.org/ a-nossa-magna-lingua-portuguesa/ (21. 08. 2017). Eine ausführlichere Dokumentation über die Relevanz der portugiesischen Sprache in der Welt finden Interessierte in dem 2016 erschienenen und von Reto et al. herausgegebenen Novo Atlas da Língua Portuguesa. Dieser widmet sich der Erfassung der portugiesischen Sprache in den Bereichen Kultur, Bildung, Wirtschaft etc. in Vergangenheit und Ge‐ genwart und will Tendenzen für die Bedeutung der Sprache in der Zukunft aufzeigen. Aus den oben genannten Zahlen dürfte deutlich werden, dass eine phonetische und lexikographische Beschreibung all dieser Varianten und mit zu den dringlichsten Auf‐ gaben gehört, der sich die luso-brasilianische Sprachwissenschaft zu stellen hat. 3 Siehe die ausführlichen bibliographischen Angaben zum Begriff „Referenzgrammatiken des Kontinentalportugiesisch“. Ich fasse sie in ‚Kapitel 3‘ zu einer Gruppe zusammen. So ist es nicht notwendig, diese Angaben künftig bei jeder neuen Erwähnung dieses Begriffs erneut explizit in den Text einzuführen. ‚Anwesenheit von Gesprächspartnern‘ erfolgt dabei im Rahmen des Modells des Nähe- und Distanzsprechens (Ágel / Hennig 2006 a , 2006b, 2007), seines Axioms, seiner universalen Diskursverfahren, seiner Begriffe und seiner Terminologie. Die entsprechenden Grundannahmen, die dieses Konzept prägen, werden in ‚Kapitel 4‘ vorgestellt. Zusammen mit Erkenntnissen der „Interaktionalen Lin‐ guistik“, der zufolge es beim dialogischen Sprechen immer auch darum geht, „intersubjektiv Bedeutung herzustellen und soziale Beziehungen zu gestalten“ (Imo 2015, 3), werden in den Kapiteln dieses Buches charakteristische Erschei‐ nungen des mündlichen Portugiesisch - der Begriff ‚mündlich‘ wird im Fol‐ genden durch den umfassenderen Begriff ‚nähesprachlich‘ (siehe ‚Kapitel 4‘) ersetzt - erläutert und in einem systematisch und hierarchisch geordneten Zu‐ sammenhang erklärt. Untersuchungen zum gesprochenen Portugiesisch findet man in den letzten Jahren immer häufiger (siehe auch ‚Kapitel 2‘). Dazu zählen insbesondere Stu‐ dien, die phonetische oder lexikalisch-geographische Aspekte 2 der ‚Gespro‐ chenen-Sprache-Forschung‘ thematisieren. Pragmatische Gesichtspunkte werden hingegen relativ selten erörtert, und wenn, fehlt es den entsprechenden Beiträgen meiner Einschätzung nach oft an einer durchdachten konzeptionellen Grundlage. Entsprechend zusammenhangslos werden die entsprechenden Er‐ kenntnisse präsentiert, was wiederum zur Folge hat, dass sie nicht angemessen wahrgenommen werden und infolgedessen in den Referenzgrammatiken 3 - zu‐ mindest zum Kontinentalportugiesisch - bis jetzt keine angemessene Beachtung gefunden haben. 20 1. Einleitung 4 In diesem Zusammenhang sei an das vielen portugiesischen Lesern vertraute und oft zitierte Wort von Fernando Pessoa „A minha pátria é a língua Portuguesa“ erinnert, wobei man davon ausgehen darf, dass sich Pessoa als Schriftsteller damit auf das ge‐ schriebene Wort bezieht und nicht auf irgendwelche von ihm geführten Alltagsge‐ spräche. Zur Vermeidung bestimmter Vorurteile, die sich leider nur allzu schnell mit dem Begriff der gesprochenen Sprache verbinden: Es geht in diesem Buch weder um Dialekte, Soziolekte oder Gruppensprachen - wie z. B. der Jugend‐ sprache -, sondern um Formen und Ausdrucksweisen, die allgemein und vari‐ antenübergreifend erforderlich sind, um mündliches oder schriftlich basiertes Nähesprechen überhaupt erst zu ermöglichen. Die einleitenden Zitate von zwei der renommiertesten Sprachwissenschaftler des 20. Jahrhunderts heben die besondere genealogische und methodologische Vorrangigkeit gesprochener Sprache im Vergleich zum schriftlichen Ausdruck hervor und bieten somit einen geeigneten Ausgangspunkt für das Thema des Buches. Nun wird sich der Leser vielleicht zweifelnd fragen, ob es denn nicht im Gegenteil der schriftliche Ausdruck und die auf seiner Basis entstandenen Werke der Literatur und Wissenschaft sind, die Kultur und den Stolz einer Sprachgemeinschaft prägen und die kulturelle Identifikation von Individuen ermöglichen? 4 Dieser Meinung kann man nur zustimmen, und auch an dieser Stelle soll die überragende kulturelle Bedeutung des geschriebenen Wortes nicht geleugnet werden. Der schriftliche Ausdruck bildet einen ausschlaggebenden Faktor bei der Entwicklung hochzivilisierter Sprachgemeinschaften, an der li‐ terarische und wissenschaftliche Werke ihren wesentlichen Anteil haben. Diese Herausstellung des Primats der Schriftlichkeit trifft auch für den Bereich der Sprachwissenschaft zu. Ohne die Möglichkeit schriftlicher Dokumentation wäre die Möglichkeit einer systematischen Erforschung der gesprochenen Sprache, ihrer Weiterentwicklung, Verbreitung und Überlieferung in Form von Gram‐ matiken, Wörterbüchern und Beiträgen zur Fachliteratur ausgeschlossen. Fol‐ gende Zitate der Linguisten Coulmas und Ágel verdeutlichen diese Überzeu‐ gung: Schrift fixiert Sprache nicht nur im visuellen Sinn, sondern auch, indem sie sie stabi‐ lisiert. Mit anderen Worten, Schrift ist das Mittel der Sprachstandardisierungen (Coulmas 1985, 98). Die Ablösung der oralen und die Herausbildung der literalen Kultur bedeuten, dass der Mensch nunmehr nicht nur Sprechhandlungen vollzieht, sondern auch Sprach‐ werke schafft [Heraushebung durch den Autor des Zitats], und dass diese Sprachwerke 21 1. Einleitung 5 Mit ‚Regularitäten des Sprachgebrauchs‘ sind Ausdrücke und Strukturen gemeint, die Sprecher einer bestimmten Sprachgemeinschaft in einer bestimmten Situation übli‐ cherweise gebrauchen, während das Sprachsystem ein „System von Möglichkeiten hin‐ sichtlich der Norm“ darstellt (Coseriu 2007, 277). 6 Auf der Suche nach Erklärungen für das Phänomen der Modalpartikeln (1988 a , 1988 b , 1989) geht A. Franco zurück bis zu dem brasilianischen Sprachwissenschaftler Ali Said und dem seiner Zeit weit vorauseilenden Artikel „Meios de Express-o e Alterações Se‐ mânticas“ (Said Ali 1930). Bereits dieser Beitrag verweist auf eine Einbeziehung von Kontext und pragmatischen Aspekten der Sprache und führt den Gelehrten zu folgender Definition: „O aprender de outras funções dessas expressões no âmbito da interrelaç-o entre locutor e alocutário, e que tem incidências n-o só sobre os juízes ou a apreciaç-o que o falante faz sobre si próprio mas também do seu interlocutor, sobre as normas que regem as relações de cortesia entre os falantes, como, finalmente, sobre o decurso da conver‐ saç-o“ (Said Ali 1930, 51 sq.). 7 Dieselbe Annahme gilt auch für die germanistische Sprachwissenschaft, die bis Ende der 60er Jahre eine konservative Haltung pflegte, und der die Beschäftigung mit dem ‚Gesprochenen Wort‘ genauso fern lag wie ihren portugiesischen Kollegen. über grammatische (und sonstige sprachliche) Merkmale verfügen, über die Sprech‐ handlungen nicht verfügen (und umgekehrt). (Ágel 1999, 211) Diese von allen Sprachgemeinschaften geteilte Hochachtung der Schrift führte dann allerdings in der Folgezeit zu einem wachsenden Verlust der Wertschät‐ zung der gesprochenen Sprache. Diese ist durch eine fast vollkommende Ver‐ nachlässigung bzw. durch eine Form wissenschaftlicher Thematisierung ge‐ kennzeichnet, die auf verzerrenden und fehlerhaften theoretischen Voraussetzungen beruht. Zu diesen zählen (a) eine Beschreibung von Merk‐ malen der gesprochenen Sprache im latenten, wenn auch oft unbewussten Ver‐ gleich mit der Grammatik der geschriebenen Standardsprache, die sozusagen den geltenden Maßstab für alle Formen sprachlicher Verständigung darstellt, (b) eine einseitige Fokussierung auf ihre lautliche Realisierung, (c) die Ausklam‐ merung der Eigenständigkeit von Regularitäten des Sprachgebrauchs 5 auf der Ebene der Morphosyntax sowie (d) die Nichtbeachtung bzw. Unterbewertung von sprachlichen Ausdrücken und Strukturen, deren Bedeutung für das Funk‐ tionieren mündlicher Kommunikation sich aus sprachpragmatischer Perspek‐ tive eröffnet. Obwohl sich auch in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Hinweise in der portugiesischen Sekundärliteratur finden, die den oben genannten Ten‐ denzen widersprechen und dem lebendigen, gesprochenen Wort ihre Aufmerk‐ samkeit zuwenden 6 , überwog lange Zeit die Rückwendung auf die Vergangen‐ heit und eine Dominanz präskriptiver Formen der Sprachbeschreibung 7 . Zusammen mit der einseitigen Wertschätzung der Schriftkultur ergab sich da‐ raus eine Haltung, die in der angelsächsischen und germanistischen Wissen‐ 22 1. Einleitung 8 Der Begriff „Skriptizismus“ stammt von Harris (1980). Man findet ihn aber auch bei De Saussure, der die „Tyrannei des Buchstaben“ (De Saussure [1916]1967, 37) verurteilt. schaftsliteratur als „Skriptizismus“ 8 bezeichnet wird. Aus der Sicht der brasilia‐ nischen Linguistin Quadros Leite stammt dieses Vorurteil, das in der Annahme einer minderwertigen Mündlichkeit gegenüber dem überlegenen schriftlichen Ausdruck ausgeht, aus der Epoche der Renaissance, als sich eine Grammatika‐ lisierung der Sprachen vollzog: „A partir desde momento a língua é entendida como uma entidade monolítica, cuja única forma é aquela descrita nos manuais de gramática tradicional e nos dicionários; as divergências s-o erros crassos“ (Quadros Leite 2000, 135). Auf ironische Weise äußert sich der germanistische Sprach‐ wissenschaftler Ludger Hoffmann (1998, 3) darüber, wie sich die Haltung des ‚Skriptizismus‘ in den Köpfen und dem Denken seiner Verfechter widerspiegelt: Kein Wunder, dass Lehrstuhl-Grammatiker die Mündlichkeit für chaotisch und irre‐ gulär halten und als bloße ‚Performanz‘ aus dem Gegenstandsbereich verbannen. Sie befassen sich lieber mit dem in den Köpfen ‚internalisierten‘ Sprachsystem, d. h. mit dem, was sie selbst über Grammatik wissen. Bei allem Verständnis für diese Kritik scheint es allerdings nicht angebracht, beide Anwendungsvarianten verbaler Verständigung gegeneinander auszu‐ spielen. Angemessener lässt sich das Verhältnis zwischen Sprechen und Schrift als eins der gegenseitigen Abhängigkeit und Beeinflussung bestimmen, das wie der deutsche Sprachwissenschaftler Wolfgang Raible (1994, 2) anmerkt, das Merkmal einer dialektischen Beziehung aufweist: „There´s no slave or servant without a master, no leisure time without work, no nature without culture; in the same way literacy cannot be conceived of without orality, and orality not without literacy“. Doch war es nicht ausschließlich die Haltung des ‚Skriptizismus‘ - und diese Aussage gilt sowohl für die brasilianisch-portugiesische als auch die germanis‐ tische Gesprochene-Sprache-Forschung -, die lange Zeit eine angemessene wis‐ senschaftliche Auseinandersetzung mit der gesprochenen Sprache verhinderte oder zumindest verzögerte. So fehlten bis zur Mitte der 60er Jahre die techni‐ schen Voraussetzungen (tragbare Tonbandgeräte), die es ermöglicht hätten, ge‐ sprochene Sprache in spontanen Kommunikationssituationen aufzunehmen und für weitere Analysen zu archivieren. Mindestens genauso schwer wiegt aber das methodologische Dilemma, das der Erforschung gesprochener Sprache un‐ ausweichlich anhaftet. So ist man zur Erfassung des flüchtigen gesprochenen Wortes zunächst einmal auf die Schrift in Formen von Transkriptionen ange‐ wiesen, um den zu untersuchenden Gegenstand überhaupt festhalten, be‐ 23 1. Einleitung 9 Zur detaillierten Darstellung ‚suprasegmentaler Merkmale der Prosodie‘ und ‚nicht‐ verbaler Anteile der Kommunikation‘ cf. den letzten Paragraphen in ‚Kapitel 4‘. 10 Für diesen Textausschnitt habe ich folgende Quelle benutzt: https: / / www.passeidireto. com/ arquivo/ 24703138/ saramago-jose---folhas-politicas/ 50 (7. 5. 2017). 11 Bei beiden hier zur Analyse gelangten Textexemplaren handelt es sich um prototypische Textexemplare, deren Verortung sehr nahe am ‚Nähebzw. am Distanzpol‘ verbaler Kommunikation erfolgt. Eine ausführliche Darstellung der entsprechenden konzepti‐ onellen und terminologischen Voraussetzungen dieser Kennzeichnung erfolgt in ‚Ka‐ pitel 4‘. 12 An dieser Stelle möchte ich den Professorinnen Sandra Antunes und Amália Mendes des CLUL danken, die so freundlich waren, mir die für meine Arbeit erforderlichen Transkriptionen des ‚C-ORAL-ROM-Korpus‘ unentgeltlich zu Verfügung zu stellen. schreiben und erzielte Erkenntnisse weiterverbreiten zu können. Darüber hi‐ naus stellt jedes Transskript einen Kompromiss dar, weil es nicht in der Lage ist, alle Faktoren angemessen zu beschreiben, die bei einem gesprochenen All‐ tagsdialog von Bedeutung sind 9 . Dazu zählt die Gesamtheit der von den Sprech‐ teilnehmern hervorgebrachten Lautsequenzen, zu denen auch solche gehören, die nicht Teil des eigentlichen verbalen Codes sind. Hinzu kommen die ständig wechselnde Mimik, die Gestik und die Gebärden der Gesprächsteilnehmer sowie alle nichtsprachlichen Handlungen, die den verbalen Teil der Kommunikation begleiten. Auch die räumliche Distanz, die Gesprächsteilnehmer zwischen sich einnehmen (Proxemik), und die Prosodie (Dynamik, Wort- und Satzakzente, Rhythmus, Satzmelodie, Stimmfärbung, Länge der Aussprache von Lauten und Pausen) tragen mit zur Informationsübermittlung in einem Alltagsdialog bei. Um das Ziel der vorliegenden Studie anschaulicher und verständlicher zu machen und um bereits im Vorfeld der späteren, ins Detail gehenden Erläute‐ rungen das Interesse und die Neugier der Leser zu wecken, möchte ich einleitend zwei kurze Textausschnitte vorstellen. Der erste Text von José Saramago, bei dem es sich um einen Ausschnitt aus den „Folhas Políticas“ (Saramago 1999, 178) 10 handelt, steht dabei stellvertretend für einen prototypischen Text der ‚Distanzsprache‘ 11 . Der zweite Ausschnitt hingegen, der einen prototypischen Text der ‚Nähesprache‘ repräsentiert, stammt aus dem ‚C- ORAL - ROM -Korpus‘ des ‚Centro Linguístico da Universidade de Lisboa‘ (= CLUL )‘ 12 . ‚Text 1‘ - Beispiel für einen prototypischen Text des ‚Distanzsprechens‘. Poucas vezes como neste caso terei sentido t-o fortemente a necessidade de me manter num certo ângulo de observaç-o que me é peculiar, o duma aguda e quase obsessiva consciência da absoluta relatividade de todas as coisas - com perd-o da incompatibilidade lógica entre relativo e absoluto, que, sendo indesculpável em qualquer texto que se apresentasse com alguma pretens-o científica, espera desta 24 1. Einleitung 13 Der Ausschnitt ist dem ‚C-ORAL-ROM-Korpus‘ (ppubdl01.txt) entnommen. vez uma absolviç-o completa, por ser, obviamente, nesta circunstância, um abuso mais da liberdade de express-o. Literária, claro está. Propor, ou discernir, ou in‐ ventariar uma vis-o (Invenç-o) europeia da América, sempre terá de tomar em conta os fatores de tempo e de lugar, sob pena de nos vermos precipitados pela imperiosa realidade naquele profundo abismo em que costumam naufragar as in‐ teligências desprevenidas, ingênuas ou otimistas - o tópico. Em primeiro lugar, se o passado considerarmos, desde que Colombo, em 1492, tocou terra americana, jul‐ gando ter chegado à índia, e que Álvares Cabral, em 1500, por casualidade ou de caso pensado, encontrou o Brasil - foram diversas mas nunca contraditórias, as imagens que a Europa recebeu de um mundo novo, em muitos aspectos incom‐ preensível, mas, como a história veio a demonstrar, bastante dúctil e moldável, ora pela violência das armas ora pela persuas-o religiosa, aos interesses materiais e ideológicos dos que, tendo começado por ser descobridores, imediatamente pas‐ saram a exploradores. Bereits bei einer ersten und oberflächlichen Durchsicht des Textes von Saramago werden folgende Charakteristika deutlich: (a) Es handelt sich um einen aus 221 Wörtern und nur vier Sätzen bestehenden Text. Das einzige kurze Syntagma, das nur aus den drei Wörtern Literária, claro está besteht, ist kein eigenständiger Satz, sondern ein syntaktisch und logisch vom Vorsatz abhän‐ giger ‚Zusatz‘ (Apposition). Nehmen wir ihn heraus, besteht der gesamte Aus‐ schnitt nur aus drei Sätzen mit durchschnittlich 72,7 Wörtern. (b) Die drei ver‐ bliebenen Sätze bilden ein dichtes Geflecht ineinander verwobener syntaktischer Strukturen aus Hypotaxen und Parataxen. Besonders komplex sind die Satzgefüge mit mehreren Nebensätzen, die unterschiedliche Grade der Unterordnung aufweisen. Die syntaktischen und inhaltlich-logischen Relati‐ onen, die zwischen den verschiedenen Teilen des Gesamttextes bestehen, sind durch entsprechende Konnektoren bzw. Junktoren explizit gekennzeichnet. (c) Die im Text gebrauchten Lexeme wie dúctil oder moldável oder eine Sequenz wie com perd-o da incompatibilidade lógica entre relativo e absoluto stehen für einen elaborierten und von Saramago mit Bedacht gewählten subtilen sprach‐ lichen Duktus. ‚Text 2‘ - Beispiel für einen prototypischen Text des ‚Nähesprechens‘ 13 . Cha‐ rakteristische Merkmale, dieser Art und Weise vom verbalen Code Gebrauch zu machen sind durch Unterstreichung markiert. A: o que é que acha da moda deste ano? 25 1. Einleitung B: ah / eu acho / olhe / a moda deste ano acho engraçada / / acho / porque é / é / tem muita coisa por onde se escolher / / é calças curtas e / ah / e compridas / o / hot-pants e / e saias e / midis e maxis e tudo / de modo que / acho uma variedade muito / extraordinária / agrada a toda a gente / / toda a gente tem por onde escolher / / nós agora até / tivemos / dois dias / em passagens de modelos / a semana passada / / com manequins profissionais e / e algumas / ah / raparigas curiosas / mas uma rapariga de lá da loja que se portou muitíssimo bem / / e / e agora vou / voltar a ter lá uma passagem / no dia vinte e três / / com seis manequins / / e parece-me que v-o também por alguns números de variedades / isso é que eu ainda n-o sei o que é que eles v-o fazer / / já ouvi falar numas bailarinas / / eh / n-o sei que relaç-o o possa ter uma coisa com a outra / / mas / eh / de qualquer / eh / forma / e / e / e respondendo / aquilo que o senhor perguntou / acho que / a moda / está interessante / este ano / / eu gosto / / A: gosta? B: / acho que sim / / n-o para mim mas / para as raparigas magras que têm / pos‐ sibilidades de por tudo e tudo lhes fica bem / / acho que sim / / temos lá a Maria / a Ana Maria Lucas / que tem uma vontade / uma classe realmente extraordinária / / além de bonita / / bem / é muito antipática / para já / / […] Eine erste vorläufige Analyse dieses Textausschnitts, der zu einem großen Teil aus einer monologischen Sequenz von ‚Sprecher B‘ besteht, führt zu folgenden Einsichten: (a) Der Text weist 308 Wörter auf, wobei der in Fragmente, einzelne Wörter und Wortformeln ‚zerstückelte‘ Diskurverlauf (Häppchenstil) es im Ge‐ gensatz zum Distanztext problematisch gestaltet, die exakte Anzahl von Ein‐ heiten, die man als Sätze definieren könnte, festzustellen - ein Problem auf das ich an dieser Stelle nicht weiter einzugehen gedenke. Auf jeden Fall handelt es sich bei den Fragmenten, die diese Sprechsequenz des Nähesprechens bilden, um wesentlich kürzere Einheiten als die, aus denen sich typischerweise Dis‐ tanztexte zusammensetzen. (b) Für eine nur indirekt erschließbare syntaktisch und logisch-semantische Kohäsionsstiftung zwischen den aufeinanderfol‐ genden Teilen der Sprechsequenz ist der folgende Ausschnitt charakteristisch acho uma variedade muito / extraordinária / agrada a toda a gente / toda a gente tem por onde escolher. Nähesprachliche Texte scheinen eine Organisation der zu übermittelnden Informationen in Form einer additiven Aneinanderreihung der Bestandteile dieser Information vorzuziehen. Es bleibt der Eindruck einer Frag‐ mentierung der Teile einer Sprechsequenz, die sowohl ihre syntaktische als auch logisch-inhaltliche Ordnung betrifft. (c) Einzelne aus dem Zusammenhang der inhaltlichen Darstellung herausgerissene Ausdrücke wie olhe (2. Zeile ‚Spre‐ cher B‘), bem, para já (letzte Zeile ‚Sprecher B‘) dienen weniger der inhaltlichen Information (dem propositionalen Anteil des Sprechakts) als vielmehr anderen 26 1. Einleitung Aufgaben wie der Regelung des Rederechts oder der Graduierung des illokutiven Gehaltes des entsprechenden Sprechaktes. Die Aufgaben, die sie als ‚Rede‐ rechtsmittel‘ oder besondere ‚Ausprägungen von Diskursmarkern‘ (Operatoren) erfüllen, werde ich weiter unten erläutern. (d) Die häufig vorkommenden und zunächst funktionslos erscheinenden Wiederholungen einzelner ‚Laute‘ - aus schriftsprachlich orientierter Sicht einzelner ‚Wörter‘ - wie é é / e e oder „tonaler Zeichen“ (Henne / Rehbock 1982, 80 sq.), die in den Transkriptionen bevorzugt mittels der Grapheme ah und he wiedergegeben werden, lässt auf Probleme bei der zeitgerechten Ausführung der Sprechsequenz schließen, die unten im ent‐ sprechenden Kapitel 6.3.1 als ‚Überbrückungsphänomene‘ im Zeitparameter thematisiert werden. (e) Hinzu kommt der Gebrauch von Ausdrücken und Wortverbindungen wie e tudo, coisa oder de qualquer forma, die ein breites se‐ mantisches Spektrum abzudecken in der Lage sind und unter den ‚beengten‘ zeitlichen Bedingungen eines Präsenzdialogs den Gesprächspartnern als Ersatz passender und genauerer Bezeichnungen äußert gelegen kommen. Unten werden sie in ‚Kapitel 6.3‘ als „Passe-partout Wörter“ (Schwitalla 2012, 161) be‐ schrieben. (f) Auch die Funktion von Strukturen wie isso é que, o que é que (frases clivadas) bieten sich für eine Interpretation aus pragmatischer Perspektive an, weil sie in der Lage sind, einen Teil des Informationsflusses hervorzuheben und in den Aufmerksamkeitsfokus des Gesprächspartners zu rücken. (g) Eine ähn‐ liche Einschätzung erlaubt der Gebrauch von direkt nach dem ‚turn-taking‘ vom Gesprächspartner hervorgebrachten Wörtern oder formelhaften Wortverbin‐ dungen - ich werde sie in Kapitel 6.2.1 als ‚Reaktive‘ definieren und ihre Leis‐ tungen bestimmen -, wie acho que sim, nem pensar, ai é etc., die erst unter den besonderen situativen Bedingungen prototypischen Nähesprechens eine Inter‐ pretation erlauben, die ihren Funktionen gerecht wird. (h) Eine bereits seit der Antike als rhetorisches Mittel bekannte Stilfigur wie das ‚Apokoinu‘ lässt sich im Kontext des Nähesprechens dem entsprechenden Interpretationsparameter ‚Zeit‘ sowie dem universalen Diskursverfahren einer ‚aggregativen Strukturie‐ rung des Informationsflusses‘ (vgl. ‚Kapitel 4‘) zuordnen und erlaubt unter diesem Aspekt ebenfalls eine sinnvolle Interpretation. Die Strukturierung der Sprechsequenz eu acho / olhe / a moda deste ano acho engraçada, in der das kon‐ jugierte Verb acho dasselbe Satzglied a moda deste ano sozusagen ‚umarmt‘ und beidseitig und räumlich aufeinanderfolgend doppelt regiert, favorisiert ebenso eine Fragmentierung der Sprechsequenz und fördert den für das Nähesprechen vorteilhaften Häppchenstil‘. (i) Auch eine Technik, die darin besteht, dass Spre‐ cher, die an einem Dialog beteiligt sind und ihre Aufmerksamkeit und ihr Ver‐ stehen durch ‚Wiederholung‘ von einzelnen Wörtern oder größere Teilen der Sprechsequenz des Gegenübers (adjazente Strukturen) zum Ausdruck bringen, 27 1. Einleitung 14 In Übereinstimmung mit der von (Liedke / Hundsnurscher 2001) so genannten Methode einer „pragmatischen Syntax“, die Auswirkungen der pragmatischen Ebene auf Regel‐ mäßigkeiten im Bereich der Morphosyntax untersucht. gehört zum Repertoire von Dialogpartnern: Entsprechend wiederholt ‚Spre‐ cher B‘ zu Beginn des Dialogs nach dem Sprecherwechsel den Ausdruck (d)a moda deste ano seines Gesprächspartners. Auch die von ‚Sprecher A‘ gestellte Frage gosta? wiederholt die direkt vorher von ‚Sprecher B‘ getroffene Aussage eu gosto. In Texten mit einer höheren Frequenz von Sprechwechseln wird dieses Mittel zur Verständigungsabsicherung durch Wiederholung von einzelnen Wör‐ tern oder verbalen Strukturen entsprechend öfter eingesetzt und gewinnt da‐ durch an zusätzlicher Bedeutung. Die Aufgabe in den nächsten Kapiteln wird nun darin bestehen, die oben nur kurz und vorläufig angedeuteten Charakteristika des prototypischen Nähespre‐ chens, zu denen sowohl sprachliche Ausdrücke, aber auch spezifische Gestal‐ tungen der Sprechsequenz gehören, in ihren formalen und funktionalen Details ausführlich zu beschreiben. Dazu bleibt festzuhalten, dass diese Merkmale, die Textexemplare aus dem Bereich der ‚kommunikativen Praktiken‘ des Nähe‐ sprechens prägen, keine Aufgaben für die eigentliche Informationsübermittlung (den propositionalen Anteil des Sprechaktes) übernehmen. Auch lassen sie sich nicht als Elemente der langue im Sinne einer formal-strukturalistischen Sprach‐ beschreibung bestimmen. Entsprechend entziehen sie sich Bestimmungen, die sich z. B. die Generative Transformationsgrammatik in der Nachfolge Chomskys oder die Varianten der Verbvalenzgrammatik für die Bestimmung sprachlicher Elemente zum Ziel setzen. Wenn man diese Perspektiven einnimmt, könnte man sogar provokativ anmerken, dass die vorliegende Studie ausschließlich die ‚Reste‘ thematisiert, die für formal-strukturalistische Sprachbeschreibungen keine Rolle spielen. Letztere lassen sie ausdrücklich unberücksichtigt, weil sie aus der Perspektive ihrer Zielsetzung keine Rolle spielen, wie aus dem folgenden Zitat Chomskys (Chomsky 1965, 3) deutlich wird: Linguistic theory is concerned primarily with an ideal speaker-listener, in a complete homogeneous speech-community, who knows its language perfectly and is unaffected by such grammatically irrelevant conditions as memory limitations, distractions, shifts of attention and interest, and errors (random or characteristic) in applying his knowledge of the language in actual performance. Eine angemessene und ihrer Bedeutung entsprechende Beschreibung der Aus‐ drücke und Strukturen, die oben in ‚Text 2‘ skizzenhaft vorgestellt wurden, wird aber unter der Perspektive der Sprachpragmatik 14 zwingend notwendig. In ihrer 28 1. Einleitung 15 Für Imo (2015, 3) sind „Reflexivität zwischen Sprache und Kontext“, „Sequentialität als strukturierendes Prinzip“, „kollaboratives Erzeugen von Sinn und Struktur“ und die „Aufhebung von Sprache in Kontexten“ Grundprinzipien der ‚Interaktionalen Lingu‐ istik‘. Im Unterschied zur formalen und statischen Auffassung wie etwa bei Chomsky definiert die ‚Interaktionale Linguistik‘ Sprache nicht als Ergebnis des Befolgens von abstrakten Regeln der ‚langue‘, sondern wie folgt „Grammar is not only a resource for interaction and not only an outcome of interaction, it is part of the essence of interaction itself. Or, to put it another way, grammar is inherently interactional. In this perspective, grammar is imbued with subjectivity and sociability: grammar is viewed as lived be‐ havior, whose form and meaning unfold in experienced interactional and historical time“ (Schegloff / Ochs / Thompson 1996, 38). 16 In Lissabon würde man allerdings eher sagen: uma bica, pingada se faz favor. umfassenden Bedeutung schließt diese pragmatische Sichtweise Funktionen mit ein, die Aspekte der situativen (räumlich / zeitlichen) Einbindung, des diskur‐ siven Verlaufs, der inner- und außersprachlichen Kontexte - einschließlich der sich aus ihnen ableitbaren Präsuppositionen - sowie der sozialen Interaktion des sprechsprachlichen Handelns betreffen. 15 Sprachliche Kommunikation findet aus dieser Sicht nicht zwischen idealen Sprechern im Vakuum eines ab‐ strakten Raums und zeitlicher Ungebundenheit statt. Stattdessen spielt sie sich zwischen real existierenden Gesprächspartnern mit ihren aufeinander stoß‐ enden und möglicherweise auch unterschiedlichen Interessen, Gefühlslagen, allgemeinem Welt- und spezifischem Vorwissen, Sympathien etc. ab. Zudem ist sie in konkrete Situationen eingebunden und raumzeitlichen Bedingungen aus‐ geliefert, die Auswirkung auf die sprachlichen Ausdrücke und Strukturen nehmen, die Sprecher unter diesen Bedingungen benutzen, bzw. deren Gebrauch Sprecher diesen Bedingungen anpassen. Um ein Beispiel zu geben: Wer in Por‐ tugal einen Kaffee mit einigen Tropfen kalter Milch möchte, wird in der ent‐ sprechenden Situation, vielleicht an der Theke einer pastelaria gelehnt, einen café, pingado se faz favor!   16 bestellen. Die Möglichkeit, seinen Wunsch in dieser elliptischen Form vorzutragen und die spezifische Bedeutung von ‚mit einigen Tropfen kalter Milch‘ des Zusatzes pingada ergibt sich als Folge einer zur Kon‐ vention gewordenen Formulierung, die sich genau für diesen Bezeichnungs‐ zweck und diese Situation bei kompetenten portugiesischen Sprechern in (viel‐ leicht) Jahrzehnten herausgebildet hat. Diese Form einer „Handlungsellipse“, d. h. von „Aufforderungen zu Handlungen in stark vorstrukturierten Situati‐ onen“ (Ágel / Hennig 2007, 201) entspricht in der Sprachwissenschaft Bühlers „empraktischen Nennungen“ ([1934]1982, 155 sqq.). Im Rahmen des Modells des Nähe- und Distanzsprechens werden entsprechende Ausdrücke als ‚Handlungs‐ ellipsen‘ unter dem Beschreibungsparameter ‚Situation‘ erläutert. Das bedeutet, es sind sprachliche Mittel, in denen sich das universale Diskursverfahren ‚Ver‐ 29 1. Einleitung flechtung von Sprechen und non-verbalem Handeln‘ manifestiert (cf. ‚Ka‐ pitel 4‘). Für das Ziel dieser Arbeit, aus sprachpragmatischem Blickwinkel die oben er‐ wähnten sprachlichen Mittel und Strukturen in ihrer formalen und funktionalen Vielfalt in einer systematischen, nachvollziehbaren und verständlichen Art und Weise zu Gruppen zusammenzufassen (Stichwort Operationalisierbarkeit), er‐ weist sich das Modell des „Nähe- und Distanzsprechens“ in seiner von Ágel / Hennig optimierten Variante, die seine konzeptionellen Voraussetzungen, Be‐ griffe, Definitionen und seine Terminologie mit einschließt, als geeigneter Rahmen. Die Gliederung dieses Buches in Kapitel und Unterkapitel orientiert sich infolgedessen an den im Modell des Distanz- und Nähesprechens postu‐ lierten Beschreibungsparametern ‚Rolle‘, ‚Zeit‘, ‚Situation‘, ‚Code‘ und ‚Me‐ dium‘, den ‚Universalen Diskursverfahren‘, die sich diesen Parametern zuordnen lassen sowie den sprachlichen Mitteln, in denen sich diese Verfahren in einer Sprache manifestieren. Alle im Buch vorgenommenen Analysen und kategorialen Bestimmungen von Nähemerkmalen folgen hierbei genau vorgeschriebenen Schritten, die ich am Beispiel der „Reaktive“ (Sieberg 2016, 101 sqq.) folgendermaßen verdeutliche: Erster Schritt: Ausgehend vom Studium und der vorläufigen Analyse einiger Transkriptionen aus dem ‚ CLUL -Korpus‘ sowie ersten Hinweisen aus der Se‐ kundärliteratur fallen sprachliche Ausdrücke auf, die direkt nach dem Spreche‐ rwechsel gebraucht werden, und deren Funktion darin zu bestehen scheint, spontan und effizient auf die vorhergehende Äußerung des Gesprächspartners zu reagieren. Zweiter Schritt: Im Modell - siehe seine vereinfachte und sche‐ matische Darstellung in ‚Kapitel 4‘ - findet man unter dem Beschreibungspa‐ rameter ‚Zeit‘ das universale Diskursverfahren ‚Einfache Verfahren der Einhei‐ tenbildung‘, dem sich diese Gruppe von ‚Reaktiven‘ zuordnen lässt, weil der Gebrauch von Ausdrücken wie claro, certo, exatamente, ai é, nem pensar, acho que sim, etc. auf den Einfluss dieses Verfahrens zurückgeführt werden kann, bzw. weil sich dieses Diskursverfahren in diesen sprachlichen Mitteln manifes‐ tiert. Dritter Schritt: Durch eine vertiefende Lektüre entsprechender Sekundär‐ literatur sowie eine weitere Suche im empirischen Material, die zu einer Ver‐ größerung des Repertoires von passenden tonalen Zeichen, Wörtern und Wortverbindungen führt, gelangt man schließlich zu einer Definition dieser Gruppe von Nähemerkmalen, die formale und funktionale Charakteristika der ‚Reaktive‘ so treffend und umfassend wie möglich bestimmt: „Sprecher gebrau‐ chen Reaktive direkt nach dem Sprecherwechsel und verfügen mit ihnen über ein sprachliches Mittel, das es ihnen erlaubt, spontan Stellung zu den voran‐ gehenden Äußerungen der Gesprächspartner und den mit ihnen verbundenen 30 1. Einleitung Geltungsansprüchen (illokutive Bestandteile der Sprechakte) zu nehmen“ (cf. Kapitel 6.2.1). Angesichts des von mir gesteckten Ziels - man beachte nur die Vielzahl und Heterogenität der zu beschreibenden sprachlichen Erscheinungen - sollte es den Leser nicht verwundern, dass meine Recherchen keinen umfassenden Über‐ blick über die entsprechende Sekundärliteratur liefern, die es zu den jeweiligen Phänomenen im Bereich der germanistischen und luso-brasilianischen Sekun‐ därliteratur gibt. In Orientierung an dem Ziel, das bereits im Vorwort formuliert wurde, geht es in dieser Arbeit vielmehr darum, durch die Übernahme eines Konzepts der germanistischen GSF portugiesisches Nähesprechen angemessen und durch nachvollziehbare Operationen beschreiben zu können. Folglich liegt auch der Schwerpunkt und der Ausgangspunkt dieser Recherche vornehmlich im Bereich der germanistischen Sekundärliteratur zur GSF . Letztendlich stelle ich mir diese Arbeit als Anregung und als zusätzliche Orien‐ tierungshilfe für weitere Forschungen zum gesprochenen Portugiesisch vor. Dabei wäre auch eine Anwendung auf andere romanische Sprachen durchaus denkbar. Dieser Optimismus beruht auf der besonderen Eignung des an dieser Stelle benutzten Konzepts und Modells, seiner Operationalisierbarkeit, seiner streng systematischen und hierarchischen Gliederung sowie auf der universalen Geltung seines Axioms und seiner Diskursverfahren. Neben der bereits erwähnten Operationalisierbarkeit sowie Universalität seiner Parameter und Diskursverfahren bietet das Modell des ‚Nähe- und Distanzspre‐ chens‘ den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass sich auch der Sprachge‐ brauch von kommunikativen Praktiken der ‚Neuen Medien‘ - im Folgenden möchte ich für die Bezeichnung dieser Kommunikationsform den Terminus „keyboard-to-screen communication“ (Imo 2015) verwenden - im Rahmen dieses Modells systematisch erklären lässt. Ins Zentrum meiner Untersuchung stelle ich allerdings den Bereich des prototypischen Nähesprechens (Alltags‐ dialoge). Die Vorstellung und Interpretation einiger portugiesischer Tweets aus dem Bereich des peripheren Nähesprechens beschränke ich hingegen auf Ka‐ pitel und sprachliche Erscheinungen, für die sich eine solche Erörterung anbietet und besonders relevant ist - z. B. innerhalb der Beschreibungsparameter ‚Code‘ und ‚Medium‘. Prinzipiell ließen sich auch die Nähesprachlichkeit anderer kommunikativer Praktiken der „keyboard-to-screen communication“ wie Einträge in Weblogs, Internetforen oder den Chats in sozialen Netzwerken wie Facebook etc. mit Hilfe des hier angewendeten Konzepts untersuchen. Alle diese kommunikativen Praktiken fallen durch einen Sprachgebrauch auf, der den Formen medial münd‐ 31 1. Einleitung 17 Als Beispiele für die Aktualität dieser Bestrebungen verweise ich auf das Projekt „Lexik des gesprochenen Deutsch: Forschungsstand, Erwartungen und Anforderungen an die Entwicklung einer innovativen lexikographischen Ressource“, das zurzeit am IDS gest‐ artet wird und als Hilfe für die Vermittlung des ‚Gesprochenen Deutsch als Fremd‐ sprache‘ gedacht ist. Cf. http: / / www1.ids-mannheim.de/ lexik/ lexik-des-gesprochenendeutsch.html (21. 5. 2017). Wahrscheinlich wird es mit Ergebnissen aufwarten, die auch für den Bereich der Vermittlung des ‚Gesprochenen Portugiesisch als Fremdsprache‘ relevant sein können. lichen Nähesprechens teilweise ähnelt und analoge Ausdrucksformen und Strukturen aufweist. Zudem handelt es sich um Formen, die zunehmend einen großen Teil unserer kommunikativen Wirklichkeit bestimmen und dabei radi‐ kale Veränderungen unserer zwischenmenschlichen Umgangsformen nach sich ziehen. Zum Anlass der Verleihung des ‚Konrad-Duden-Preises‘ äußerte sich Peter Schlobinski, Professor an der Universität Hannover, folgendermaßen zur Radikalität dieses Wandels (Schlobinski 2012, 18): Die digitale Revolution integriert alle Errungenschaften vorangegangener Medienre‐ volutionen unter einem Dach. Multimedialität und -modalität, Medienkonvergenz und Transmedialität sind die Schlüsselbegriffe dieses Prozesses. Doch im Kern führt diese Mediamorphose zu einem integrierten, allumfassenden Kommunikationssystem, einem Unimedium, in dem reale, imaginär-fiktionale und virtuelle Welt aufeinander bezogen sind. Und das Unimedium globalisiert Sprache und Kommunikation in einer neuen Qualität. Es macht Kommunikation frei konvertierbar und die Währung sind Bits und Bytes. Für den Sinn der vorliegenden Studie spricht zudem, dass die Forderung nach Beschäftigung mit der gesprochenen Sprache aus der Perspektive angewandter Linguistik zunehmend lauter wird 17 . Gerade in jüngster Zeit widmet sich die Didaktik der Fremdsprachenvermittlung gezielt der gesprochenen Sprache und ihrer Einbeziehung in den Fremdsprachenunterricht. Die Kenntnis zentraler Merkmale und das Beherrschen der spezifischen Ausdrucksmittel mündlicher Kommunikation werden zum integralen Bestandteil einer entsprechenden „in‐ teraktionalen Kompetenz“ (siehe auch ‚Kapitel 10‘). Ohne sie sind die Lerner einer Fremdsprache entsprechenden Situationen mündlicher Kommunikation relativ hilflos ausgeliefert. Das Wissen darüber, wie mündliche bzw. nähe‐ sprachliche Kommunikation funktioniert, und welche spezifischen Ausdruck‐ formen und Strukturen vermittelt werden müssen, um bei den Lernern entspre‐ chende Kompetenzen zu fördern, sollte folglich auch zum obligatorischen Bestandteil des ‚Portugiesisch als Fremdspracheunterricht‘ gehören. Der vor‐ liegende Beitrag liefert das hierfür notwenige linguistische Grundwissen. 32 1. Einleitung 1 Cf. http: / / www.clul.ulisboa.pt/ pt/ . Die letzte Einsicht dieser leider etwas unübersicht‐ lichen Webseite der Institution erfolgte am 10. 5. 2017. 2. Zur Situation der Gesprochenen-Sprache- Forschung in Portugal und Brasilien Im Folgenden skizziere ich meine Einschätzung der Forschungslage zur gespro‐ chenen Sprache in Portugal und Brasilien. Dazu gehört die Darstellung von zentralen Forschungszentren und Projekten in Portugal und Brasilien, sowie eine Beschreibung von Tendenzen, Schwerpunkten und Desideraten, die sich in der mir bekannten Forschungsliteratur zum Thema benennen lassen. Gemessen an diesem hohen Anspruch - eine entsprechende umfassende Recherche und Beschreibung bedürfte eines eigenen Projekts und Veröffentlichung - möchte ich den zusammenfassenden und vorläufigen Charakter der folgenden Ausfüh‐ rungen herausstellen. In Relation zu den die übrigen Teilen dieses Buches handelt es sich bei diesem Kapitel um einen ‚Exkurs‘. In ihm wird ein Thema erörtert, das eigentlich au‐ ßerhalb des restlichen, ‚systematischen‘ Teil dieses Buches steht. In Portugal ist das Centro de Línguas da Universidade de Lisboa  1 ( CLUL ) die wichtigste Institution, die sich u. a. mit der Erforschung der gesprochenen Sprache beschäftigt. Besonders hinsichtlich der Zurverfügungstellung von ge‐ eigneten Korpora und Transkriptionen bietet dieses Zentrum eine gute Aus‐ gangsposition für weiterführende Forschungen zum gesprochenen Portugie‐ sisch. Die Korpora, von denen ich im Folgenden einige vorstelle, zeichnen sich durch ihren Umfang und durch ihre teilweise ‚On-line‘ Verfügbarkeit aus: 2 Cf. http: / / www.clul.ulisboa.pt/ pt/ 24-recursos/ 324-corpus-portugues-fundamentalpfortográficas (10. 5. 2017). 3 Cf. die Beschreibung des Korpus auf der ‚CLUL-Homepage‘: http: / / www.clul.ulisboa. pt/ pt/ 24-recursos/ 324-corpus-portugues-fundamental-pf (11. 5. 2017). In der germanis‐ tischen GSF und Forschungen zur Gesprächsanalyse und der dort überwiegend ange‐ wandten ‚GAT 2 Norm‘ entspricht diese Form der Transkription dem „Minimaltrans‐ skript“ (Selting et al. 2009, 359 sqq.). Im Unterschied zu dieser Norm werden bei den Português Fundamental Transkriptionen idiolektale, dialektale oder umgangssprach‐ liche Abweichungen von der Standardorthographie nicht berücksichtigt, sondern dieser angepasst. Das bedeutet, aus diesen Transskripten wird nicht ersichtlich, ob Sprecher häufig vorkommende und für umgangssprachliches Sprechen fast schon ‚nor‐ male‘ Formen wie tou, tá bem, pra etc. statt der regelhaften Aussprache gemäß als estou, está bem, para etc. realisieren. Um diese zu erkennen, muss man sich schon die Mühe machen, die entsprechenden - wenn vorhandenen - Audiofiles zu analysieren und für den weiteren Schritt einer solchen Analyse gegebenenfalls in Form phonetischer oder zumindest einer erweiterten „literarischer Umschrift“ (siehe GAT oder GAT2) zu tran‐ skribieren. 4 Cf. http: / / catalog.elra.info/ product_info.php? products_id=1173 (10. 5. 2017). 5 Cf. http: / / www.clul.ulisboa.pt/ pt/ 24-recursos/ 323-portugues-falado-variedadesgeograficas-e-sociais (10. 5. 2017). (a) (b) 1987 wurde das Korpus „Português Fundamental. Métodos e Documentos“ veröffentlicht, das insgesamt 140 transkribierte Interviews enthält. Das zugrunde liegende Projekt datiert zurück auf 1970, in einer Zeit, in der es der Leitung des renommierten Sprachwissenschaftlers Luís Filipe Lindley Cintra unterstand. Es hatte sich zum Ziel gesetzt, spontan gesprochene Alltagsgespräche aufzunehmen und zu transkribieren. Im Zuge dieses Pro‐ jekts wurden zwischen 1971 und 1974 insgesamt 1800 Gespräche aufge‐ nommen. Von diesen wurden schließlich 1400 ausgewählt und transkri‐ biert. Sie bilden das genannten ‚Corpus Português Fundamental = PF ‘. Als Grundlage für alle Interviews diente eine Reihe von Standardfragen, die allen Gewährspersonen gestellt wurden. Bacelar do Nascimento et al. ver‐ öffentlichten aus diesem Material 1987 schließlich ein Buch mit 140 trans‐ kribierten Interviews, zu dem auch ein ‚On-line‘ Zugang besteht 2 . Es han‐ delt sich um „transcrições “ 3 mit einigen Zusatzinformationen zu den beteiligten Gewährpersonen wie ‚Geschlecht‘ und ‚Herkunft‘. Eine neue Version des Korpus steht unentgeltlich im Catálogo da ELRA   4 zur Verfü‐ gung. Sie umfasst Audiofiles im WAV -Format und einfache orthographi‐ sche Transkriptionen im TXT - und HTML -Format. 2001 erschien auf CD - ROM das Korpus „Português Falado - Documentos Autênticos: Gravações Áudio em transcrições alinhadas (Instituto Camões 1995 bis 1997) 5 . Es waren die portugiesischen Sprachwissenschaftler Malaca Casteleiro und Maria F. Bacelar do Nascimento, unter deren Lei‐ 34 2. Zur Situation der Gesprochenen-Sprache-Forschung in Portugal und Brasilien 6 Cf. http: / / catalog.elra.info/ product_info.php? products_id=1173 (10. 5. 2017). 7 Zur Planung und Ausführung des Projekts siehe auch den Online-Artikel „Corpus de Diálogo CORAL“ von Trancoso et al. Cf. http: / / www.inesc-id.pt/ pt/ indicadores/ Ficheiros/ 3260.pdf (10. 10. 2017). (c) tung dieses Projekt organisiert wurde. Das Ziel bestand darin, einen kleinen aber repräsentativen Korpus zusammenzustellen, um eine Grund‐ lage für weitere Studien zum gesprochenen Portugiesisch in allen Re‐ gionen der Welt, in denen Portugiesisch gesprochen wird, zu erhalten. Aus den ursprünglich im Laufe dieses Projektes unter Beteiligung von 94 Ge‐ währspersonen gesammelten Daten wurde eine Reihe von Transskripten ausgewählt, die das gesprochene Portugiesisch in Portugal, Brasilien und den ehemaligen portugiesischen Kolonien in Afrika (Angola, die Kap‐ verden, S-o Tomé, Príncipe und Mozambique) repräsentiert. Auch Sprach‐ proben aus Goa, Macau und Osttimor wurden nachträglich diesem Korpus hinzugefügt. Die Kennzeichnung dieses Korpus mittels des Attributs trans‐ crições alinhadas besagt, dass dieses Korpus Angaben zu Pausen, Unter‐ brechungen wie Räuspern, unverständlichen Wiederholungen und außer‐ halb des eigentlichen sprachlichen Codes liegenden Lauten etc. mit einschließt. Aber wie bereits bei den ‚ PF -Transkriptionen‘ wurden um‐ gangssprachliche oder phonetisch bedingte Varianten und Abweichungen ‚geglättet‘ und der Standardorthographie angepasst. Um diese Varianten identifizieren zu können, ist eine zusätzliche Konsultation der vorhan‐ denen Audiofiles notwendig. Wie bereits beim ‚ PF -Korpus‘ steht auch eine neue Version dieses Korpus unentgeltlich im Catálogo da ELRA   6 zur Ver‐ fügung. Sie umfasst Audiofiles im WAV -Format und einfache orthogra‐ phische Transkriptionen im TXT - und HTML -Format. Die Phase der Datenerhebung und Auswertung und zum „Corpus de diálogo etiquetado de Português Europeu“ (Coral), die von Isabel Trancoso et al. geplant und durchgeführt wurde 7 , fällt in die Jahre von 1997 bis 1999. Es wurden 32 Dialoge unter Beteiligung von 16 Gesprächspersonen aufge‐ nommen. Das entsprechende Korpus kann in Form von fünf ‚ CD - ROM ‘ erworben werden. Das vorrangige Ziel bestand wie so oft bei portugiesi‐ schen Forschungsprojekten zur gesprochenen Sprache in einer Untersu‐ chung ihrer phonetischen und phonologischen Besonderheiten: „A tarefa de especificaç-o dos elementos do mapa teve em conta, fundamentalmente, aspectos da fonética e fonologia cujo estudo é prioritário no contexto da fala espontânea em Português Europeu“ (cf. Seite 1 der in der ‚Fußnote 31‘ an‐ gegebenen Quelle). Worauf diese Priorität beruht, wird allerdings weder näher begründet noch vorab in einer Phase epistemologischer Reflexion 35 2. Zur Situation der Gesprochenen-Sprache-Forschung in Portugal und Brasilien 8 Zu einer näheren Beschreibung des Korpus gelangt man über: http: / / www.clul.ulisboa. pt/ pt/ 23-investigacao/ 726-c-oral-rom-integrated-reference-corpora-for-spokenromance-languages (10. 10. 2017). 9 Näherer Informationen zum Projekt cf. http: / / www.iltec.pt/ handler.php? action= concord (11. 5. 2017). 10 Zum ‚Mike-Davies-Korpus‘ cf. http: / / www.corpusdoportugues.org/ xp.asp (19. 3. 2017). (d) (e) (f) diskutiert. Erwähnenswert ist die Zusammenarbeit verschiedener Institu‐ tionen bei diesem Projekt, zu denen das CLUL (Centro de Linguística da Universidade de Lisboa), die FLUL (Faculdade de Letras de Lisboa), die FCSH - UNL (Faculdade de Ciências Sociais e Humanas da Universidade Nova de Lisboa) sowie das INESC (Instituto de Engenharia de Sistemas e Computadores) gehörten. Angesichts der in dieser Studie vorgegebenen Untersuchungsziele scheint es im Kontext der vorliegenden Arbeit aller‐ dings nicht erforderlich, dieses Projekt eingehender zu beschreiben. Das nächste Projekt und das auf seiner Grundlage zusammengestellte Korpus ist das ‚C- ORAL - ROM -Korpus‘, mit der ausführlichen Bezeich‐ nung „Integrated Reference Corpora for Spoken Romance Languages“ 8 . Das Material zu diesem Projekt, das Aufnahmen und Transkriptionen des Portugiesischen, Französischen, Spanischen und Italienischen enthält und sich zum Ziel die Untersuchung der gesprochenen Alltagssprache roman‐ ischer Sprachen gesetzt hat, ist mitsamt der erzielten Ergebnisse über den Handel als Buch und in Form von acht DVD (‚ DVD 5 und 6‘ zum Portu‐ giesischen) zu beziehen. Weil eine detailliertere Beschreibung dieses Korpus, dem ich die in diesem Buch benutzten Beispielsäußerungen ent‐ nommen habe, im folgenden ‚Kapitel 3‘ folgt, verzichte ich an dieser Stelle auf die Angabe weiterer Einzelheiten. Beim Korpus ‚ REDIP ‘ (Rede de Difus-o Internacional do Português: rádio, televis-o e imprensa) handelt es sich um eine dem Sprachgebrauch in por‐ tugiesischen Medien gewidmete Sammlung von Transkriptionen sowohl des mündlichen als auch schriftlichen Portugiesisch. Das zugrunde lie‐ gende Projekt geht auf eine Initiative des „Instituto de Linguística Teórica e Computacional ( ILTEC )“ in Zusammenarbeit mit der “Universidade Aberta“ zurück, und das resultierende Korpus umfasst 330 000 Wörter aus sechs Themenbereichen: Aktuelle Nachrichten, Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und spontane Meinungskundgebung 9 . Das Korpus mit den der weitaus größten Zahl von Einträgen ist das soge‐ nannte ‚Mike-Davies-Korpus‘ 10 mit der genauen Bezeichnung O corpus do Português, das über die vergleichsweise gigantische Zahl von 450 Millionen Wörtern aus verschiedenen Textsorten und historischen Epochen verfügt. 36 2. Zur Situation der Gesprochenen-Sprache-Forschung in Portugal und Brasilien 11 Über die Webseite ‚http: / / www.clul.ulisboa.pt/ pt/ research-pt‘ (11. 5. 2017) gelangt man zur Beschreibung zahlreicher laufender und bereits abgeschlossener Projekte des CLUL. Hinzu kommt rund eine Billionen Belege (! ) aus dem Bereich der ‚Neuen Medien‘ mit Varianten des gesprochenen kontinentalen und brasiliani‐ schen Portugiesisch. Dieses ‚Online-Korpus‘ erlaubt es, im Zusammen‐ hang mit den erfragten Begriffen auch die zugehörigen Kontexte einzu‐ sehen. Was die Projekte anbelangt, die auf der Grundlage der oben genannten Korpora durchgeführt wurden, noch laufen bzw. sich zurzeit in ihren Anfangsphasen befinden, scheint mir das Zitat oben unter Gliederungspunkt (c) sehr aufschluss‐ reich zu sein. Es macht deutlich, was portugiesische Sprachwissenschaftler fast wie selbstverständlich als Ziel einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit ihrer gesprochenen Sprache verstehen. Nach einer Recherche zu abgeschlos‐ senen bzw. noch aktuellen Forschungsprojekten in Zusammenhang mit dem gesprochenen Portugiesischen verdichtet sich zwar der Eindruck, dass Studien zur Phonetik, Phonologie, Prosodie und Lexikographie immer noch vorherr‐ schen, doch wäre es ungerecht und ergäbe ein ‚verzerrtes Bild‘, nicht auch auf andere Studien mit unterschiedlichen Untersuchungszielen aufmerksam zu ma‐ chen. Ohne an dieser Stelle einen kompletten Überblick geben zu können, folgt die Darstellung einer kleinen Auswahl solcher Projekte und Ziele 11 . Die Projekte sind dabei thematisch in folgende Sektoren unterteilt, bzw. unterschiedlichen Forschungszentren zugeordnet: (I) ANAGRAMA - Análise Gramatical e Cor‐ pora, ( II ) CLG - Grupo de Computaç-o do Conhecimento Léxico-Gramatical, ( III ) Dialectologia e Diacronia, ( IV ) LabFon - Laboratório de Fonética, (V) Laboratório de Psicolinguística und ( VI ) Filologia. Was momentan laufendende und noch nicht abgeschlossene Projekte im Themenbereich des gesprochenen Portugiesisch betrifft, möchte ich als Bei‐ spiele das Projekt ‚ COPAS ‘ hervorheben, das darauf abzielt zu erforschen, wie Intonation und syntaktische Mittel beim Sprechen zur Hervorhebung des ‚Topiks‘ einer Äußerung beitragen; ‚Le CIEPLE ‘ aus dem Bereich des ‚Portugie‐ sisch als Fremd- und Zweitsprachenerwerbs‘ mit der Erstellung eines eigenen Lernkorpus; das Projekt ‚ VAPOR ‘, das sich um die Zusammenstellung von Kor‐ pora mit in Afrika gesprochenen Varianten des Portugiesisch bemüht; das Pro‐ jekt ‚ LETRADU ‘, das sich der Entwicklung Computer gestützter Übersetzungs‐ programme sowie der Erstellung verschiedener Wortatlasse widmet, die auch das gesprochene Portugiesisch in Afrika, Brasilien, Europa, Galizien und auf den Azoren mit einschließen. 37 2. Zur Situation der Gesprochenen-Sprache-Forschung in Portugal und Brasilien 12 „Koch / Oesterreichers Gesprochene Sprache in der Romania: Französisch, Italienisch und Spanisch, 1990 in Deutschland erschienen, war mir dabei Modell“ (Viegas Brauer-Figueiredo 1999, 9). 13 Das eingeschränkte Verständnis Viegas Brauer-Figueiredos zeigt sich, wenn sie z. B. die sprachlichen Mittel zur „Engführung“ (Feilke 1994), eines für das Nähesprechen zent‐ ralen Merkmals, folgendermaßen definiert: „Natürlich kann die Engführung ein von vorneherein bei der Formulierung beabsichtigtes expressives Mittel sein, sie wird aber sicher oftmals auch semantische Nachbesserung sein oder durch den Überlegungszeit‐ gewinn als Formulierungshilfe für den weiteren Diskurs dienen“ (1999, 183). Cf. die Erläuterungen zur ‚Engführung‘ in diesem Buch in ‚Kapitel 5.2.1‘. 14 Leider werden in den entsprechenden Transkriptionen dieses Korpus, das immerhin aus 154 584 Wörtern besteht, nicht die dialogischen Abläufe von Dialogen dargestellt, ein Umstand, der ihre Verwendbarkeit für die an dieser Stelle verfolgten Untersu‐ chungsziele entscheidend einschränkt. 15 Zur Methode einer „pragmatischen Syntax“ siehe Liedke / Hundsnurscher (2001). (g) Eine weitere mir bekannte und bereits abgeschlossene Arbeit, deren Pla‐ nung und Realisierung aber außerhalb Portugals erfolgte, ist die auf Deutsch verfasste Arbeit von Viegas Brauer-Figueiredo (1999), die m. E. in Portugal bis jetzt nicht die ihr gebührende Beachtung gefunden hat. Wie die Autorin selber ausführt, wurde sie zu ihrer Arbeit durch Koch / Oes‐ terreicher (1999, 9) angeregt, was als Folge hatte, dass sie sich bei ihrer Arbeit um eine Orientierung an dem Modell dieser Autoren 12 bemühte, allerdings ohne dieses Konzept konsequent einzuhalten. Jedenfalls folgt die Arbeit dem für ihre Zeit neuartigen Konzept, morphologisch-syntak‐ tische Erscheinungen der GS - u. a. Kontaktsignale, Überbrückungsphäno‐ mene, sprachliche Mittel zur Engführung  13 , polyfunktionales que, frases cli‐ vadas, passe-partout Konstruktionen (Viegas Brauer-Figueiredo 1999, 5 sqq.) - auf der Basis eines entsprechenden Korpus 14 und teilweise auch unter pragmatisch-funktionaler Perspektive 15 zu beschreiben. Das be‐ deutet, der Gebrauch sprechsprachlicher Erscheinungen wird auch als Konsequenz ihrer Einbindung in Situationen und in Abhängigkeit von an‐ deren Faktoren der pragmatischen Sprachdimension interpretiert. Das Korpus des Buches, das zwischen 1984 und 1994 zusammengestellt wurde und insgesamt 154 584 Wörter erfasst, besteht aus (a) Interviews mit por‐ tugiesischen Immigranten, (b) Gesprächen und Interviews mit Studenten, (c) weiteren Interviews, die auf dem portugiesischen Festland, auf den Azoren und den Kapverden durchgeführten wurden, (d) Auszügen aus Diskussionen und Gesprächen mit portugiesischen Schriftstellern, die Vor‐ träge an der Universität in Hamburg hielten, (e) Auszügen aus Vorle‐ sungen, Seminaren und Kolloquien sowie (f) Mitschnitten aus portugiesi‐ schen Fernsehsendungen. 38 2. Zur Situation der Gesprochenen-Sprache-Forschung in Portugal und Brasilien Positiv bleibt festzuhalten, dass es der Untersuchung gelingt, die Funktionen von Ausdrücken und Strukturen, die aus einer formal-strukturalistischen Per‐ spektive aus gesehen irrelevant sind, für das Gelingen mündlicher Kommuni‐ kation herauszustellen und zu begründen. Für die Bestimmung von Erschei‐ nungen des gesprochenen Portugiesisch, die sich aus der dialogischen Struktur gesprochener Sprache ergeben, ist das (ansonsten sehr umfangreiche) Korpus allerdings nicht geeignet, weil die Transkriptionen keine Visualisierung dieser Strukturen und der entsprechenden Sprecherwechsel ermöglichen. Trotz des großen Fortschritts, den Viegas Brauer-Figueiredo dadurch erzielt, dass sie Erscheinungen des gesprochenen Portugiesisch durch die Einnahme einer neuen Perspektive untersucht, gelingt es ihr nicht, die von ihr erzielten Untersuchungsergebnisse im Rahmen eines homogenen und systematischen Konzepts zu interpretieren. Darum stellen sie sich dem Leser in vielen Zusam‐ menhängen als zusammenhangslose Phänomene dar, die relativ heterogenen Kategorien - unterschiedlichen Wortklassen und Untersuchungsbereichen einer konventionellen Grammatik wie Morphologie, Wortbildung und Syntax - angehören. Ihre gewonnenen Erkenntnisse verfehlen somit den Effekt, Impulse für nachfolgende Untersuchungen zum gesprochenen Portugiesisch auszulösen. Aus der Sicht der in Portugal üblichen formal-strukturalistischen Grammatik‐ beschreibung werden ihr Konzept, ihre Methode und die von ihr gewonnenen Erkenntnisse m. E. kaum angemessen wahrgenommen. Nach der Lektüre einiger Beiträge der portugiesischen GSF ergibt sich für mich abschließend der Eindruck, dass sich viele der in ihnen gewonnenen Erkennt‐ nisse mit den an dieser Stelle formulierten Einsichten decken. Allerdings folgen sie unterschiedlichen, oft nicht explizit dargestellten Konzepten, und es mangelt ihnen an einer umfassenden Gesamtdarstellung. Dieser Umstand schmälert er‐ heblich ihren Wert und Einfluss auf weitere Untersuchungen zur portugiesi‐ schen gesprochenen Sprache. Außerdem fehlt m. E. die vorausgehende Phase einer epistemologischen Reflexion oder ‚Grundlagenforschung‘, wie sie in den Naturwissenschaften gang und gäbe ist, an der es aber zugebenerweise auch in der germanistischen GSF lange Zeit gemangelt hat, bzw. die auch in weiten Bereichen der germanistischen Philologie und ihrer Einstellung zur GS immer noch fehlt. Zu diesen Ausgangsüberlegungen würde eine vorausgehende Re‐ flexion über die prinzipielle Beziehung zwischen Mündlichkeit und Schriftlich‐ keit gehören, die Einsicht, dass sich nicht alle sprachlichen Erscheinungen im Rahmen einer formal-strukturalistischen Sprachtheorie deuten lassen sowie die Infragestellung der unreflektiert unterstellten Priorität der Schriftgrammatik und ihrer Regeln, die als Untersuchungsmaßstab und als Kriterien zur Bewer‐ tung von Erscheinungen der Mündlichkeit ungeeignet sind. Weiterhin wäre es 39 2. Zur Situation der Gesprochenen-Sprache-Forschung in Portugal und Brasilien einer Überlegung wert, Regelmäßigkeiten und Gebrauchsregularitäten, die sich als Ergebnis von Korpus basierten Untersuchungen der portugiesischen GS herausstellen, einer neuen Bewertung zu unterziehen: Von zentraler Bedeutung wäre es hierbei, die hergebrachte saussurianische Dichotomie ‚parole vs. langue‘ durch die Einführung eines vermittelnden Begriffs der ‚Norm‘, wie ihn Coseriu vorschlägt, neu zu überdenken. Schließlich mangelt es an Überlegungen, ob und welche sprechsprachlichen Erscheinungen bereits zum jetzigen Zeitpunkt mehr als bloße Gebrauchsregularitäten eines ‚normalen‘ Sprechens darstellen und die Erstellung einer entsprechenden Grammatik des gesprochenen Portugiesisch einfordern. Momentan erkenne ich allerdings noch keine Öffnung für ein solch alternatives Konzept zur angemessenen Untersuchung von Erscheinungen des gesprochenen Kontinentalportugiesisch. Dieses würde m. E. einer konse‐ quenten pragmatischen Sicht auf die Ausdrucksweisen und Strukturen des ge‐ sprochenen Portugiesisch bedürfen. Hinzu käme die Anwendung von neuen linguistischen Konzepten, wie sie z. B. die ‚Interaktionale Grammatik‘, die ‚Construction Grammar‘ oder auch das ‚Modell des Nähe- und Distanzspre‐ chens‘ bereitzustellen. Als ein Schritt auf diesem Weg sollen die Überlegungen und Ergebnisse mit beitragen, die ich in der vorliegenden Arbeit zur Verfügung stelle. In Brasilien könnte die Lage hinsichtlich der Erforschung des gesprochenen Portugiesisch kaum unterschiedlicher sein. Bereits ein kleiner Streifzug durch die Bibliotheken der FLUL oder eine Recherche im Internet führen zu dem Schluss, dass es an vielen brasilianischen Universitäten und Forschungszentren in den letzten Jahren eine große Zahl von Projekten mit einer entsprechend hohen Zahl von Veröffentlichungen gibt, die sich der Erforschung der brasilia‐ nischen Variante des gesprochenen Portugiesisch widmen. Entsprechende For‐ schungen scheinen auch in den letzten Jahren nichts von ihrer Attraktivität eingebüßt zu haben. Im Zentrum dieser Forschungen zur gesprochenen Sprache steht das Projekt NURC (Estudo da Norma Urbana Culta), das sich seit Beginn der Forschungen als Ziel die Beschreibung des brasilianischen Portugiesisch in den urbanen Zentren Brasiliens S-o Paulo, Rio de Janeiro, Recife, Porto Alegre und Salvador 40 2. Zur Situation der Gesprochenen-Sprache-Forschung in Portugal und Brasilien 16 An dieser Stelle möchte ich Professor Hardarik Blühdorn vom IDS Mannheim danken, der sich von 1994 bis 2000 in Brasilien an der USP aufhielt und viele der hier erwähnten brasilianischen Sprachwissenschaftler persönlich kennenlernte und auch noch wei‐ terhin mit ihnen Kontakte pflegt. Ataliba Castilho war Präsident seiner Habilitations‐ kommission, der auch andere renommierte Forscher auf dem Gebiet der brasilianischen GSF wie Luiz A. Marcuschi oder Helena M. Moura Neves angehörten. Den Gesprächen mit Professor Blühdorn verdanke ich viele wichtige Informationen zur Situation der GSF in Brasilien. Ohne seine Hilfe wäre die Verfassung dieses Kapitels in seiner vor‐ liegenden ausführlichen Form nicht möglich gewesen. 17 Offiziellen Zahlen zufolge betrug 1980 die Analphabetenrate in Brasilien noch rund 25 % der Gesamtbevölkerung. Cf. https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 171355/ umfrage/ alphabetiserung-in-brasilien/ (10. 10. 2017). 18 Weitere Informationen zur Geschichte Brasiliens bei Rinke / Schulze (2013). gesetzt hatte 16 . Um sich der Bedeutung und der historischen Voraussetzungen dieses Ziels bewusst zu werden, sollte sich der Leser daran erinnern, dass es noch Mitte der 60er Jahre in Brasilien an allen Voraussetzungen für ein solches Projekt kultureller Identitätsfindung mangelte. Zudem sollte man bedenken, dass dieses ‚Riesenland‘ noch bis in die 80er Jahre durch einen sehr hohen Anteil von Analphabeten geprägt 17 war, und die strengen Vorlagen des damals herrsch‐ enden Militärregimes das akademische Leben an den Universitäten in seinen Möglichkeiten erheblich einschränkten 18 . Nicht zuletzt weil die Darstellung einer eigenen Nationalsprache aus Gründen des Nationalprestiges auch im In‐ teresse der herrschenden Klasse des Militärs lag, konnte dieses Projekt aber schließlich auf den Weg gebracht werden. Die ersten Impulse entsprangen der Teilnahme brasilianischer Philologen an Tagungen in den USA (Bloomington 1964) sowie Mexiko (1968). Von dort aus ‚importierte‘ Nelson Rossi, Professor an der staatlichen Universität von Bahia, das Projekt mit dem ursprünglichen Titel „Proyecto de Estudio Coordinado de la Norma Linguistica Culta de las Prin‐ cipales Ciudades de Iberoamerica y la Peninsula Iberica“ nach Brasilien und stellte es 1969 in einer Tagung in S-o Paulo seinen brasilianischen Kollegen vor. Schnell war man sich einig, dass man das Projekt übernehmen, aber im Gegensatz zum ursprünglichen Konzept auf alle urbanen Zentren Brasiliens von Süden bis Norden ausdehnen wollte: von Porto Alegre ( NURC / RS ), über S-o Paulo ( NURC / PS ), nach Rio de Janeiro ( NURC - RJ ), Salvador ( NURC -Salvador) und Recife ( NURC / RE ). Im Zentrum dieser Initiative stand zu Beginn Isaac Nicolau Salum von der USP in S-o Paulo. Er wurde 1981 von Dino Preti sowie Ataliba Teixeira de Castilho, einem früheren Doktoranten Salums, abgelöst. Die erste Phase dieses Projektes wurde mit einer Datenerhebung, die von 1970 bis 1978 währte, in allen fünf genannten urbanen Zentren Brasiliens eingeleitet. Obwohl es sich dabei um Aufnahmen der gesprochenen Sprache handelte, ging es den Verantwortlichen in erster Hinsicht nicht ausschließlich um eine Gram‐ 41 2. Zur Situation der Gesprochenen-Sprache-Forschung in Portugal und Brasilien 19 Eine Liste der Städte und der für die Organisation der Transkriptionen verantwortlichen Linguisten findet man bei Castilho in der Einführung „Apresentaç-o da Coleç-o“ (2015, 12) des ersten Bandes seiner neuen Grammatik, in der er das Projekt der von ihm be‐ treuten Gramática do Português Culto Falado no Brasil beschreibt: S-o Paulo - Castilho und Preti (1986, 1987), Preti und Urbano (1988); Rio de Janeiro - Callou (1991), Callou und Lopes (1993, 1994); Salvador - Motta und Rollemberg (1994, 2006); Recife - Sá, Cunha, Lima und Oliveira (1996, 2005); Porto Alegre - Hilgert (1997). Interessant fand ich den in einem Gespräch mit Blühdorn erhaltenen Hinweis, dem zufolge der Leiter der ehemaligen Zweigstelle des IDS für GS in Freiburg, Hugo Steger, sich mehrmals und jeweils für längere Zeit in Brasilien - besonders S-o Paulo - aufgehalten hat. Durch seine Kontakte, u. a. mit Dino Preti, dürfte er einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Gestaltung dieser Korpora genommen haben. matik der gesprochenen Variante des brasilianischen Portugiesisch. Was man beabsichtigte, war hingegen ein „Estudo da Norma Linguística Culta de algumas das principais capitais brasileiras“, so der Name einer Schrift von Castilho (1972 / 1973). Ziel war die Beschreibung und Entwicklung einer ‚Sprechen und Schreiben‘ erfassenden Grammatik des standardsprachlichen brasilianischen Portugiesisch, so wie es auch der Projekttitel Norma Linguística Culta nahelegt. Dabei sollte man sich vor Augen führen, dass dieses Projekt die Anfangsphase systematisch betriebener Sprachwissenschaft in Brasilien einleitete. Zu dieser Zeit mangelte es ihm aber sowohl an geeigneten Korpora der geschriebenen und gesprochenen Sprache als auch an entsprechenden Methoden und Konzepten, die eine systematische Erfassung und Beschreibung erlaubt hätten. Unter diesen Bedingungen war es ein naheliegender und verständlicher Schritt, die Beschrei‐ bung des brasilianischen Portugiesisch mit einem Plan zur Erstellung von Kor‐ pora der GS einzuleiten. Die Aufnahmen zu diesen Korpora 19 erfolgten in allen oben genannten Städten zwischen 1970 und 1978 und erfassten einen für diese Zeit und ihre technischen Möglichkeiten gigantischen Korpus von 1.870 Interviews. An seinem Zustandekommen waren 2.356 weibliche und männliche Gewährsper‐ sonen beteiligt. Insgesamt kamen so 1.570 Stunden Sprachaufnahmen zu‐ sammen (Castilho 2015,12). Als Bedingung für die Datenerfassung - man denke an den Namen des Projekts Norma Linguística Culta - wurde vorgegeben, dass es sich um Gewährspersonen verschiedenen Alters (davon 30 % zwischen 25 und 35, 45 % zwischen 36 und 55, und 25 % mit mehr als 56 Jahren) mit einer höheren Schulausbildung (nível superior de escolaridade) handeln musste. Die Aufnahmen setzten sich aus verborgen aufgenommen ‚spontanen Dialogen‘ (10 %), Gesprä‐ chen zwischen zwei Gewährspersonen (40 %), Interviews mit einer Reihe vorher festgelegter Fragen (40 %) sowie aus monologischen Texten für den phoneti‐ schen Teil der Untersuchung (10 %) zusammen (Silva 1996, 85). 42 2. Zur Situation der Gesprochenen-Sprache-Forschung in Portugal und Brasilien 20 Siehe die entsprechende Beschreibung des ‚Rio-Korpus‘ unter: http: / / www.letras.ufrj. br/ nurc-rj/ (18. 5. 2017). Für später aufgenommene Gespräche existieren auch entspre‐ chende ‚Audiofiles‘. 21 Vielleicht ist es aufschlussreich, in diesem Zusammenhang zu betonen, dass sich Mar‐ cuschi Ende der 90er Jahre einige Jahre in Berlin aufhielt und wahrscheinlich auch von den zu dieser Zeit aktuellen Forschungen zur deutschen GS (z. B. durch Koch / Oester‐ reicher) beeinflusst wurde. Der rege Austausch zwischen deutschen und brasilianischen Linguisten hatte bereits viel früher begonnen, als Hugo Steger, einer der wichtigsten Linguisten der ersten Phase der GSF in Deutschland, zahlreiche Reisen nach S-o Paulo unternahm und dabei auch regelmäßig den Kontakt zu seinen brasilianischen Kollegen suchte. Die Transkriptionen der Korpora bildeten den folgenden Schritt zur Erstel‐ lung des Gesamtkorpus. Sieht man sich als Beispiel für die vorhandenen Trans‐ kriptionen das Korpus von Rio de Janeiro an, fällt auf, dass es sich um ‚literari‐ sche Transkriptionen‘ handelt, die allerdings von der Standardorthographie abweichende Aussprachen zumindest teilweise in ihren alternativen Formen (einschließlich der entsprechenden Graphemik) transkribieren, wie z. B. den Satz Também n-o dá pra ter em apartamento (Inquérito 0120 / tema ‚animais e rebanhas‘ / ano da gravaç-o 1972) 20 . In dieser Hinsicht besteht ein wichtiger Unterschied zu den in Portugal vom CLUL bereitgestellten ‚literarische Trans‐ kriptionen‘ wie denen des ‚C- ORAL - ROM -Korpus‘, die phonetische Abwei‐ chungen ignorieren und den Regeln der Standardorthographie anpassen. Un‐ gefähr zeitgleich mit der Datenerhebung und Anfertigung der Korpora zwischen 1970 und 1978 - je nach Stadt dauerte die Erstellung der Transkriptionen un‐ terschiedlich lange - erschien eine Reihe von Untersuchungen zum brasiliani‐ schen Portugiesisch (Castilho 2007, 100). Aber erst seit Mitte der 80er Jahre setzte eine wahre Flut von Veröffentlichungen ein, die sich zu einem erheblichen An‐ teil - wenn auch nicht ausschließlich - der gesprochenen Variante des brasili‐ anischen Portugiesisch widmete. Entsprechend äußert sich ein anderer bedeu‐ tender brasilianischer Sprachwissenschaftler, Luiz A. Marcuschi 21 (2001, 345): „Até ent-o quase inexistentes estudos sistemáticos sobre a fala, a escrita e as relações de ambas no Brasil. Hoje esse campo conta com algumas centenas de trabalhos nas mais diversas linhas teóricas sobre os mais variados aspectos“. Die zweite Phase des NURC Projekts begann mit einer systematischen Auswer‐ tung des Korpus unter Berücksichtigung der bis dato neu veröffentlichten Li‐ teratur zum Thema, wobei die Gruppe um Castilho in dieser Phase auf mehr als 50 Mitarbeiter aus 15 brasilianischen und ausländischen Universitäten zählen konnte. Der Titel dieses Projekts Projeto de Gramática do Português Falado ( PGPF ) ist allerdings irreführend, weil im Zentrum des Projekts nicht aus‐ 43 2. Zur Situation der Gesprochenen-Sprache-Forschung in Portugal und Brasilien 22 Es sei denn, man unterstellt den brasilianischen Sprachwissenschaftlern, dass sie be‐ wusst vom umfassenden Sprachbegriff Begriff Coserius ausgingen: „Die übliche Ein‐ teilung in […] „Sprache“ und „Rede“, „Sprache“ und „Sprechen“ ist weder objektiv zu begründen noch bei den Sprechern beim Sprechen oder bei der Bewertung von Ge‐ sprochenem intuitiv bekannt“ (Coseriu 2007, 58). 23 Cf. die entsprechenden bibliographischen Angaben im Literaturverzeichnis. schließlich - wie das Attribut ‚falado‘  22 vermuten lässt - die GS , sondern eine Beschreibung des standardsprachlichen oder ‚hochsprachlichen‘ brasiliani‐ schen Portugiesisch stand, wenn man diesen letzteren zumindest in der euro‐ päischen Forschungstradition archaisch anmutenden und für die deskriptive Linguistik negativ konnotierten Begriff verwenden will. Das Team um Castilho, zu dem unter anderen Margarida Basílio, Rodolfo Ilari, Mary Kato, Ingedore Villaça Koch, Maria Helena Moura Neves, Maria Bernadete Marques Abaurre und Ângela Rodrigues gehörten - um nur eine der wichtigsten Namen zu nennen -, begann ab 1990 mit der ersten Ausgabe der insgesamt acht Bänden der Gramática do Português Falado, die zunächst beim Verlag ‚Unicamp‘ der Universität von Campinas im Staat S-o Paulo erschien 23 . Dabei handelte es sich im Grunde genommen nicht um eine Grammatik im engeren Sinn dieses Begriffs, sondern zunächst um eine Sammlung lose miteinander verbundener Artikel zu den verschiedenen Bereichen einer Grammatik. Dazu gehören sowohl Beiträge zur Schriftsprache als auch solche, die sich spezifischen Erscheinungen der Mündlichkeit widmen. Dieser Mangel und eine weitere Flut von Veröffentlichungen führte ab 2004 zu einer Phase der „Consolidaç-o“ (Castilho 2007, 100). Neben einer Aktualisierung bedeutete die Umgestaltung insbesondere, dass man thematisch zusammenge‐ hörige Beiträge zu Gruppen zusammenfasste. Am Ende dieses Prozesses stand die Veröffentlichung einer ‚runderneuerten‘ Grammatik, der man den Titel Gramática do Português Culto Falado no Brasil verlieh. Diese Reihe bestand zu‐ nächst aus fünf Bänden, wurde dann aber umorganisiert und auf insgesamt sieben Bände verteilt, wobei die originalen Beiträge der fünfbändigen Ausgabe wortgetreu erhalten blieben. Diese Umverteilung war sinnvoll, weil der ur‐ sprünglich zweite Band dieser Version der Grammatik mit weit über 1000 Seiten zu umfassend ausgefallen war - für die neue Herausgabe wurde ‚Band II ‘ in drei Einzelbände aufgeteilt - und preislich so hoch lag, dass sich sein Verkauf als schwierig erwiesen hatte. Die (vorläufig) neueste Ausgabe der aus sieben Bänden bestehenden Gramática do Português Culto Falado no Brasil erschien zwischen 2013 und 2016, nun bei dem Verlag ‚Editora Contexto‘ in S-o Paulo, und setzt sich folgendermaßen zu‐ 44 2. Zur Situation der Gesprochenen-Sprache-Forschung in Portugal und Brasilien 24 Speziell denke ich in diesem Zusammenhang an die Untersuchung von Marcuschi zu ‚hesitações‘ in Band VII, (1999, 159 sqq.), auf deren Erkenntnisse ich mich in Ka‐ pitel 6.3.1 stütze. sammen: Band I wurde 2015 von Clécila Spinardi Jubran unter dem Titel A Construç-o do Texto Falado herausgebracht. Ihm folgte noch im selben Jahr 2015 Band II von Mary Kato und Milton do Nascimento mit dem Titel A Construç-o da Sentença. Band III von Rodolfo Ilari mit dem Titel Palavras de Classe Aberta war bereits 2014 erschienen, und ebenfalls von Ilari wurde dann 2015 Band IV mit dem Thema Palavras de Classe Fechada herausgegeben. 2016 folgte Band V mit dem Titel A Construç-o de Orações Complexas von Neves, Helena Maria de Moura. Ângela Rodrigues und Ieda Maria Alves organisierten Band VI A Const‐ ruç-o Morfológica da Palavra, der 2015 veröffentlicht wurde, und die Herausgabe des bereits 2013 erschienenen Bands VII A Construç-o Fonológica da Palavra leitete schließlich Maria Bernadete Abaurre. Obwohl auch bereits die sieben Bände dieser Grammatik zahlreiche Bei‐ träge 24 zur GS des brasilianischen Portugiesisch enthalten - man erinnere sich an den ursprünglichen Plan, dem zufolge das Projekt sowohl Sprechen als auch Schreiben erfassen sollte -, sind die Artikel, die Dino Preti zusammen mit an‐ deren Autoren in den zehn Bänden seines ‚Projetos Paralelos‘ veröffentlicht hat, spezifisch auf den Forschungsbereich der GSF zugeschnitten und folglich für die hier vorliegende Arbeit von größerer Bedeutung. Dino Preti ist Initiator und einer der verantwortlichen Organisatoren dieser Reihe Projetos Paralelos, die beim Verlag ‚Humanitas‘ erschienen ist. Zusammen mit anderen Autoren, zu denen u. a. Antônio Marcuschi, Hudinilson Urbano, Gaston Hilgert oder Marli Quadros Leite gehören - um nur einige wenige der wichtigsten Namen zu nennen -, hat Preti in den zehn Bänden dieser Reihe Projeto Paralelo zahlreiche Artikel zur GSF verfasst bzw. herausgebracht. Die mir bekannte letzte Ausgabe dieser Reihe datiert auf 2009. Zu ihr gehören im Einzelnen: Volume 1 - Análise de textos orais von 1993 / Volume 2 - O discurso oral culto von 1997 / Volume 3 - Variações e confrontos von 1998 / Volume 4 - Fala e escrita em quest-o von 2001 / Volume 5 - Interaç-o na fala e na escrita von 2002 / Volume 6 - Léxico na língua oral e na escrita von 2003 / Volume 7 - Diálogos na fala e na escrita von 2005 / Volume 8 - Oralidade em diferentes discursos von 2006 / Volume 9 - Cortesia verbal von 2008 / Volume 10 - Oralidade em textos escritos von 2009. Wie sehr sich diese Veröffentlichungen und die von ihnen fokussierten Themen mitsamt der Vielfalt und Aktualität der dabei zur Geltung gebrachten Konzepte und Methoden von den wenigen portugiesischen Untersuchungen unterscheiden, wird bereits bei einem Blick auf einige der Artikel deutlich, die ich an dieser Stelle nur exemplarisch vorstellen kann: Aus der vierten Ausgabe 45 2. Zur Situation der Gesprochenen-Sprache-Forschung in Portugal und Brasilien von 1999, Análise de Textos Orais (Vol. I des ‚Projeto Paralelo‘), ist u. a. der Aufsatz Marcadores conversacionais von H. Urbano (Seite 81-103) hervorzuheben oder der Beitrag Procedimentos de reformulaç-o: a paráfrase von G. Hilgert (Seite 103-129). Im gleichen Band erschien ebenfalls ein Artikel mit dem Titel A sintaxe na língua falada (Seite 169-189) von Corrêa Dias de Moraes und o processo interacional (189-215) von Beth Brait. Obwohl man im Zusammenhang dieses Projeto Paralelo noch zahllose weitere Forschungsarbeiten nennen könnte, sei wenigstens noch auf den Beitrag Hilgerts A construç-o do texto falado por escrito na Internet in Band IV Fala e Escrita em Quest-o (2001) hingewiesen, in dem der Autor die Nähe kommunikativer Praktiken der ‚keyboard-to-screen communication‘ zur medial mündlichen Kommunikation ins Spiel bringt. Schließlich handelt es sich dabei um eine Analogie, die auch in der vorliegenden Arbeit thematisiert wird. Wenn man sich dazu noch die zahlreichen Arbeiten zum Bereich der GSF an‐ schaut, die außerhalb des ‚Projeto Paralelo‘ an brasilianischen Universitäten - besonders der USP in S-o Paulo - erschienenen sind, bekommt man einen Ein‐ druck von der Quantität und Qualität der entsprechenden Forschungsarbeiten, deren noch ausführlichere Beschreibung aber an dieser Stelle nicht meine Auf‐ gabe sein kann. Hervorzuheben wäre an dieser Stelle die besondere Situation, aus der heraus die bemerkenswerte Geschwindigkeit und Dynamik der Ent‐ wicklung entstehen konnte. Ich beziehe mich dabei auf den glücklichen Um‐ stand, dass das NURC Projekt in den 70er Jahren bei seinen Forschungen zum brasilianischen Portugiesischen sozusagen bei Null anfangen musste, aus der Not eine Tugend machte, und der Erforschung des gesprochenen Brasilianisch von Beginn an eine gleichwertige Stellung einräumte. Zur germanistischen GSF weist die brasilianische GSF - im Unterschied zu der eigentlich kaum in Erscheinung tretenden portugiesischen GSF - durchaus Ähnlichkeiten und Überschneidungen auf. Zu diesem Schluss gelangt man, wenn man sich die Quantität und Qualität sowie die zur Anwendung gelangte Vielfalt von Forschungskonzepten und Themen vor Augen hält, die die brasi‐ lianische GSF seit Mitte der 80er Jahre im Umfeld des NURC Projekts und des Projeto Paralelo charakterisiert. Im Zusammenhang mit den bereits oben vorgestellten Fakten möchte ich ei‐ nige der Grundpositionen, die beide Forschungstraditionen der GSF mitei‐ nander verbinden, wie folgend zusammenfassen: (a) Priorität deskriptiver Me‐ thoden und Korpus basierter Forschungen sowie der damit verbundenen Abkehr von normativ-präskriptiven Vorstellungen bei der Sprachbeschreibung, (b) ein Konzept von ‚Sprache‘, das neben dem schriftlichen Gebrauch des verbalen Codes dem ‚Sprechen‘ eine zumindest ebenbürtige Rolle zuerkennt: „a língua é 46 2. Zur Situation der Gesprochenen-Sprache-Forschung in Portugal und Brasilien 25 „Each constituent action, contribution or sequence gets significant parts of its meaning from the position in a sequence“ (Linell 1998, 85). 26 Die zahlreichen Zusammenkünfte der für das ‚NURC-Projekt‘ und seine Folgeprojekte verantwortlichen Kollegen aus weiten Teilen Brasiliens beschreibt Castilho in seiner apresentaç-o da coleç-o (2015). um somatório de usos concretos“ (Castilho 2007, 101), (c) die Einbeziehung der sozialen Dimension sprechsprachlichen Handels: a língua como uma atividade social, […]e agimos sobre o outro (Castilho 2007, 101), (d) die Diskursbezogenheit der Untersuchungen zur GS , ohne die viele Erscheinungen der GS nicht erklärt werden könnten: „A língua se manifesta através da conversaç-o, considerada como a articulaç-o discursiva fundamental“ (Castilho 2007, 102), (e) die situative und damit raumzeitliche Gebundenheit sprechsprachlichen Agierens und ihre Aus‐ wirkung auf sprachliche Ausdrücke und Strukturen, (f) die Abhängigkeit der Bedeutung und der Funktionen sprechsprachlicher Einheiten von ihrem (selbst geschaffenen) textinternen Kontexten, aber auch von textexternen Kontexten und Präsuppositionen, (g) die Vorstellung eines dynamischen Dialogverlaufs in Analogie zu den Erkenntnissen der ‚Interaktionalen Linguistik‘ 25 , durch den sich Bedeutungen und Funktionen der beteiligten Elemente erst im Diskursverlauf konstituieren, (h) die Einbeziehung von kommunikativen Praktiken konzepti‐ oneller Mündlichkeit aus dem Bereich peripheren Nähesprechens, wie sie u. a. Hilgert mit seinem Begriff „texto falado por escrito na Internet“ (2000) vorschlägt etc. Um die Grenzen möglicher Aussagen über die GS möglichst weit auszu‐ dehnen, verzichteten die beteiligten brasilianischen Linguisten in der Phase epistemologischer Reflexionen bewusst 26 auf die Anwendung einer einzigen Methode und wählten einen ‚Methodenpluralismus‘, der u. a. die ‚Gesprächs‐ analyse‘, eine Beschreibung von Vorgängen der ‚Grammatikalisierung‘, ‚Freges Bedeutungstheorie‘, die ‚kognitive Linguistik‘, ‚den Funktionalismus der Prager Schule‘ sowie Labovs Erkenntnisse zur Soziolinguistik‘ mit einschließt (Castilho 2007, 102). Esses pesquisadores deixaram deliberadamente de aderir à aplicaç-o de uma teoria única, operando com princípios de variada ordem, num leque em que se incluem a Análise da Conversaç-o, as idéias gramaticais de Halliday, Dik e Givón, a Semântica de Frege e a Semântica Cognitiva. Ohne den Verdienst schmälern zu wollen, den sich die brasilianische GSF in einem relativ kurzem Zeitraum erworben hat, und zu dem besonders die Öff‐ nung zur konzeptueller und methodischer Vielfalt beigetragen hat, scheint es m. E. durchaus sinnvoll, noch zusätzlich ein anderes Konzept wie das des Mo‐ 47 2. Zur Situation der Gesprochenen-Sprache-Forschung in Portugal und Brasilien dells des ‚Nähe- und Distanzsprechens‘ mit in die Forschung hineinzunehmen. Dieses würde es erlauben, viele Einzelerkenntnisse, deren Zusammenhang und übergreifende Bedeutung sich durch die Heterogenität der angewendeten Un‐ tersuchungsmethoden dem Betrachter verschließt, aus der Sicht dieses Modells im Zusammenhang zu erschließen. Beispiel: die in eine gleiche Richtung ziel‐ ende funktionale Bedeutung von sprachlichen Erscheinungen wie ‚tópicos mar‐ cados, ‚construções de clivagem‘ und ‚Operatoren in Operator-Skopus-Struk‐ turen‘ wird erst wirklich verständlich, wenn man sie aus einer gemeinsamen Perspektive betrachtet, die verdeutlicht, dass sich in all diesen sprachlichen Merkmalen das universale Diskursverfahren einer ‚aggregativen Rezeptions‐ steuerung‘ (cf. Kapitel 5.3) manifestiert. Das bedeutet, mittels dieser Ausdrücke und Strukturen gelingt Sprechern eine Beeinflussung der Dekodierung und damit der möglichen Folgehandlungen ihrer Gesprächspartner, an die sie ihre Äußerungen richten. 48 2. Zur Situation der Gesprochenen-Sprache-Forschung in Portugal und Brasilien 1 Mein besonderer Dank gilt dabei den Professorinnen des CLUL, Sandra Antunes und Amália Mendes. 2 Man kann diese Arbeit (Cresti / Moneglia 2005) in konventioneller Buchform mit bei‐ gefügter DVD aber auch als E-Book über das Portal des Benjamin Verlags erwerben: http: / / www.jbe-platform.com/ content/ books/ 9789027294579 (9. 3. 2017). 3 Zu den Artikeln - in derselben Reihenfolge ihrer Erwähnung im Text oben - gelangt man über: http: / / www.clul.ulisboa.pt/ equipa/ fbacelar/ LREC2002.pdf (20. 3. 2017) und http: / / www.clul.ulisboa.pt/ equipa/ fbacelar/ tasha2003.pdf (20. 3. 2017). 3. Benutzte Korpora, Transkriptionen, Abkürzungen und weitere Hinweise zur Erleichterung der Lektüre des Buches Der weitaus überwiegende Teil der Transkriptionen, die in der vorliegenden Studie als Beispiele herangezogen werden, wurde mir freundlicherweise von Mitarbeitern des CLUL kostenfrei zur Verfügung gestellt 1 . Sie entstammen dem ‚C- ORAL - ROM -Korpus‘ (Integrated Reference Corpora for Spoken Romance) des CLUL . Bei den Beispielen handelt es sich um 152 Gespräche mit rund 300 000 Wörtern, die in den Jahren 1970 und 1998, aber zum überwiegenden Teil im Jahr 2001 aufgenommen wurden. Die spontan geführten Gespräche finden zwischen zwei oder mehr Gewährspersonen statt, die sich über verschiedene alltägliche Themen unterhalten. Das abschließende Korpus wurde im Jahre 2001 von einer Arbeitsgruppe der CLUL bearbeitet und transkribiert 2 . Nähere Informationen zum Korpus und seiner Entstehung sowie der für die Transkription verwendeten Transkriptionszeichen findet man in den online einsehbaren Aufsätzen von Cresti et al. (2002) und Mendes et al. (2003) 3 . Die in der vorliegenden Untersu‐ chung benutzten Beispiele stützen sich unter Ausrichtung am Untersuchungs‐ ziel dieser Arbeit ausschließlich auf die literarischen Transkriptionen des Korpus, die im ‚txt-Format‘ vorliegen. Beispiele aus diesem Korpus werden in folgender Form gekennzeichnet: (1) C- ORAL - ROM ‚pnatco02.txt‘ - Reli‐ gion und Persönlichkeitsentwicklung. Durch die in Klammern stehenden Nummern werden die Beispiele zu einem Themenbereich durchnummeriert, während nach dem Gedankenstrich am Ende das im Gespräch fokussierte Thema genannt wird. In den folgenden Paragraphen werden die Transkriptionszeichen, die ich aus den Originaltranskriptionen übernommen habe, aufgelistet und erklärt. Im Hin‐ 4 Es ist enttäuschend zu sehen, dass es für die Aufzeichnung von Sprachdaten in den europäischen Sprachwissenschaften keine grenzüberschreitenden Normen zu geben scheint, zumindest was das „Tagging“ (Annotation) von Daten angeht, das nicht pho‐ netische Merkmale transkribierter Sprechsequenzen betrifft. Die ‚CLUL-Transkripti‐ onen‘ richten sich in diesem Bereich nach den unvollständigen und nicht für alle Er‐ scheinungen relevanten Konventionen von Brill (1993). Vollständiger und aussagestärker wäre m. E. die Nutzung des gesprächsanalytischen Transkriptionssys‐ tems, das in der GSF unter dem Namen ‚GAT‘ bereits in den späten 90er Jahren ent‐ wickelt wurde (cf. Selting et al. 1998). 5 „Tone units with a non terminal contour, reported every time a non terminal prosodic break can be perceived in a word sequence by a competent speaker: / (single slash)“. Cresti et al.: http: / / www.clul.ulisboa.pt/ equipa/ fbacelar/ LREC2002.pdf (20. 3. 2017). blick auf die pragmatische Ausrichtung des Konzepts des Buches und die Ein‐ teilung der thematisierten sprachlichen Merkmale auf der Basis unterschiedli‐ cher universaler Diskursverfahren des Nähe- und Distanzmodells von Ágel / Hennig wurden die Originaltranskriptionen der Beispielsätze des ‚C- ORAL - ROM -Korpus‘ so weit wie möglich vereinfacht und alle gemessen an dieser Zielsetzung überflüssigen Symbole und Transkriptionszeichen 4 weggelassen, um die Leserlichkeit der Textbeispiele zu erhöhen: L, T, S, … etc.: Mittels von Großbuchstaben abgekürzte Namen der Personen - künftig auch als ‚Gewährspersonen‘ bezeichnet, die an einem Ge‐ spräch teilgenommen haben. L entspricht Luís, T steht für Teresa, S für Sara etc. Zusätzliche Informati‐ onen: Ergänzende Informationen zu den Aufnahmesituationen, den Ge‐ währspersonen und behandelten Themen, füge ich in Form von Ab‐ kürzungen den Transkriptionen hinzu. Zum Beispiel bedeutet die Buchstabenfolge ‚ptelpv11.txt‘ ‚Dialog am Telefon‘, ‚ppubdl10.txt‘ steht für ‚Dialog‘ und ‚ppubmn07.txt‘ kennzeichnet eine ‚monologi‐ sche Gesprächssequenz‘. Zusätzlich habe ich noch in Stichworten angemerkt, worüber sich die Personen jeweils unterhalten und alle Informationen wie im folgenden Beispiel annotiert: (13) C-ORAL-ROM ‚pfamcv02.txt‘ - Anwälte und Kleiderordnung. / : Ein Schrägstrich markiert eine kurze Pause in einer Intonations‐ einheit, die aber noch nicht an ihr Ende gelangt ist 5 . Die Länge einer solchen Pause wird nicht objektiv (z. B. in Sekunden oder Sekunden‐ bruchteilen) angegeben. Stattdessen dient als Kriterium dieser Defi‐ nition das subjektive Empfinden eines kompetenten Sprechers des Portugiesischen. / / : Zwei nebeneinander stehende Schrägstriche bedeuten, dass ein Sprecher seine Intonationseinheit beendet hat. Außerdem weisen sie auf eine zeitlich ausgedehntere Pause zwischen Äußerungen, wobei aber exakte, objektiv nachvollziehbare Aussagen über die Länge der jeweiligen Pausen fehlen. 50 3. Benutzte Korpora, Transkriptionen, Abkürzungen und weitere Hinweise 6 Das Sprichwort in seiner vollständigen Version lautet: águas passadas n-o movem mo‐ inhos. 7 Cf. Hennig (2006, 160 sqq.). 8 Cf. http: / / www.corpusdoportugues.org/ xp.asp (19. 3. 2017). … : Drei hintereinander gestellte Punkte stehen für eine vom Spre‐ cher nicht zu Ende geführte Äußerung. Einen möglichen Grund dieses Abbruchs sehen die Autorinnen des CLUL z. B. darin, dass es sich bei der begonnenen Äußerung um ein Sprichwort handelt, das darum nicht beendet wird, weil jedem kompetenten Sprecher des Portugiesischen das passende Ende bereits bekannt sein dürfte, wie águas passadas n-o… 6 . Man sollte aber ausdrücklich hinzufügen, dass es sich nicht um Anakoluthe handelt, deren Erscheinen in einer dis‐ kursiven Sequenz auf andere Gründe verweist 7 . […] : Diese in eckige Klammern gesetzten Punkte ersetzen Textstellen, die aus den Originaltranskriptionen herausgenommen werden. Ich lasse sie weg, wenn sie für die Veranschaulichung und Interpretation der thematisierten sprachlichen Erscheinung unerheblich sind. < > : Eckige Klammern bedeuten, dass die sich zwischen ihnen befind‐ lichen Teile der Sprechsequenz teilweise oder gänzlich mit Teilen der Äußerungen des Gesprächspartners überschneiden. [<] < > : Dieses Zeichen verweist darauf, dass ein Sprecher die Äußerung seines Gegenübers weiterführt - es handelt sich also um eine Form der Adjazenz -, wobei diese Weiterführung parallel zur Äußerung des Gesprächspartners verläuft. Im Laufe meiner Arbeit hat das ‚Mike-Davies-Korpus‘ 8 mit der Bezeichnung O Corpus do Português, das über die vergleichsweise riesige Zahl von 450 Millionen (Género / Histórico) bzw. 1 Billionen (Web / Dialetos) Wörtern verfügt, zuneh‐ mend an Bedeutung gewonnen. Bei der ersten Variante dieses Korpus handelt es sich um ein ‚kleineres‘ Korpus, das durch Sprachwandel verursachte Verän‐ derungen der Wörter erfasst und sich mit Wörtern aus dem 13. bis hin zum 20. Jahrhundert besonders für die historische Erforschung der portugiesischen Sprache anbietet. Das zweite wesentlich umfangreichere Korpus hingegen, dessen Einträge in den Jahren 2013 und 2014 gesammelt und aufgearbeitet wurden, berücksichtigt sprachgeographische Varianten des Portugiesischen aus Brasilien, Angola und Mozambique und eignet sich darum besonders für syn‐ chrone Studien. Weil diese Korpora aber keine Visualisierung dialogischer Strukturen ermöglichen, sondern ausschließlich monologische Passagen als je‐ weilige Kontexte eines Lemma angegeben sind, habe ich diese Korpora nur zur Ergänzung und zur Analyse sprachlicher Ausdrücke und Erscheinungen be‐ nutzt, deren Interpretation ohne die Berücksichtigung dialogischer Kontexte 51 3. Benutzte Korpora, Transkriptionen, Abkürzungen und weitere Hinweise auskommt. Im Text werden Übernahmen aus diesem Korpus mittels der Ab‐ kürzung MD gekennzeichnet. Einige Beispiele aus monologischen Diskurssequenzen stammen aus dem Korpus von Maria de Fátima Viegas Brauer-Figueiredo. Dabei handelt es sich um Transkriptionen mit insgesamt 154 584 Wörtern als Ergebnis von Interviews, die in den Jahren von 1984 bis 1994 stattgefunden haben. Die Autorin hat dieses Material und ihre auf Deutsch verfassten Interpretationen in dem Buch „Ge‐ sprochenes Portugiesisch“ (1999) veröffentlicht. Ursprünglich handelte es sich um den Versuch, die Zweisprachigkeit portugiesischer Immigranten der zweiten Generation in Hamburg zu analysieren. Dabei gelangte die Autorin aber schließ‐ lich zu der Erkenntnis, dass die erzielten Ergebnisse generelle Aufschlüsse über Charakteristika des gesprochenen Portugiesisch ermöglichen. Mit der Veröf‐ fentlichung „Gesprochene Sprache in der Romania: Französisch, Italienisch, Spanisch“ von Koch / Oesterreicher im Jahre 1990 und vor dem Hintergrund der Ergebnisse und der benutzen Methode dieser Arbeit änderte Viegas Brauer-Fi‐ gueiredo schließlich das Untersuchungsziel ihrer Arbeit und wertete sie als Ver‐ such, das von Koch / Oesterreicher benutzte Konzept auf die Untersuchung des gesprochenen Portugiesisch anzuwenden. So erfasst das Korpus nach Aussagen der Autorin insgesamt 3.459 Ausdrücke und Strukturen, die charakteristisch für diese Variante sind. Entsprechend vergrößerte Viegas Brauer-Figueiredo auch den vom Korpus erfassten Kreis der interviewten Personen sowie der berück‐ sichtigten kommunikativen Praktiken. Dazu gehören: (a) Interviews und Ge‐ spräche mit portugiesischen Immigranten der zweiten Generation in Hamburg, (b) Gruppengespräche und Interviews mit Studierenden von drei verschiedenen portugiesischen Universitäten, (c) Interviews von Personen unterschiedlicher Sozialschichten, Berufen und Altersgruppen, die auf dem portugiesischen Fest‐ land, auf den Azoren sowie auf den Kapverden durchgeführt wurden, (d) Aus‐ züge aus Vorträgen, Diskussionen und Gesprächen zwischen Schriftstellern, Moderatoren und Personen aus dem Publikum in Hamburg, (e) Auszüge aus Vorlesungen, Seminaren und Kolloquien von portugiesischen Gastprofessoren an der Universität Hamburg und (f) Mitschnitte aus portugiesischen Fernseh‐ sendungen. Die resultierende Heterogenität dieses Korpus sowie der Umstand, dass die dialogischen Abläufe von Dialogen nicht visualisiert werden, wie es z. B. das gesprächsanalytische Transkriptionssystem GAT mit seiner „Textnotation“ (üb‐ lich bei Transkriptionen des IDS ) ermöglicht, schränkt die Benutzung dieses Korpus für die in dieser Studie definierten Ziele entscheidend ein. Diese Trans‐ kriptionen werden an dieser Stelle darum ausschließlich zur Erklärung von sprachlichen Erscheinungen benutzt, die sich auch aus den monologischen 52 3. Benutzte Korpora, Transkriptionen, Abkürzungen und weitere Hinweise 9 Cf. https: / / www.mediensprache.net/ en/ (19. 3. 2017). „This website provides you with information concerning language and media - it principally informs about language in media. Besides the so-called "new media", other rather classical media forms as radio and television are concerned in this context. At present, this website offers information about the topics internet, portable / mobile terminals (particularly cell phones), and the language of advertising (mainly concerning the German language). Moreover, infor‐ mation is given on online publishing, quoting of internet sources, and media analysis“ (cf. die oben genannte Quelle). Strukturen der erfassten Diskurssequenzen erschließen. In der vorliegenden Arbeit sind die wenigen Beispiele aus diesem Korpus mittels der Kürzel VBF . Zusätzlich hinzugefügte Zahlen geben jeweils die Seite des Buches an, aus dem das Beispiel stammt. Die Beispiele aus dem Bereich „keyboard-to-screen communication“ ( Jucker / Dürrscheid 2012, 40) stammen aus einer von mir verfassten Studie aus dem Jahre 2013 zur Kommunikationsplattform ‚Twitter‘ (Sieberg 2013 b ). Es handelte sich um das internationale Forschungsprojekt „Microblogs global“, das an der Uni‐ versität Hannover und mittels des Internetportals „mediensprache.net“ 9 unter Leitung von Siever und Schlobinski durchgeführt wurde. Damals wurden die kommunikative Praktik des Twitterns sowie die Rahmenbedingungen und sprachlichen Besonderheiten ihrer Nutzung aus der Perspektive von zehn Spra‐ chen und elf Ländern - Chinesisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Japanisch, Niederländisch, Portugiesisch, Russisch, und Spanisch - untersucht. Dabei fiel mir die Rolle zu, die Funktionsweise dieser Kommunikationsplattform und die beim Twittern benutzte Sprache für Portugal zu analysieren. Das Er‐ gebnis dieser Arbeit liegt in Form des Artikels „Microblogs global: Portugie‐ sisch“ des oben erwähnten Buches (Siever / Schlobinski 2013, 231-253) vor. Die Datenerhebung, Zusammenstellung und Auswertung der Tweets erfolgte in den Jahren 2010 und 2011 und umfasst insgesamt 640 Tweets in portugiesischer Sprache, mit insgesamt 8156 Wörtern aus 64 Accounts. Bei den Twitterern han‐ delte es sich zur Hälfte um weibliche und bei der anderen Hälfte um männliche ‚User‘. Im Gegensatz zum ‚C- ORAL - ROM -Korpus‘ wurden die vorgefundenen sprachlichen Ausdrücke in ihrer ursprünglichen Form belassen. Unberücksich‐ tigt blieb dabei, dass die von den Twitterern benutzen Formen oft von der Stan‐ dardorthographie und den graphostilistischen Normen der portugiesischen Schriftsprache abwichen. Die am Projekt beteiligten Forscher waren sich des Umstandes bewusst, dass es insbesondere diese ‚Fehler‘ sind, die Aufschlüsse darüber liefern, wie ‚User‘ den verbalen Code unter Ausnützung der spezifischen Möglichkeiten der Kommunikationsplattform Twitter zur Informationsüber‐ mittlung einsetzen. 53 3. Benutzte Korpora, Transkriptionen, Abkürzungen und weitere Hinweise 10 Zum näheren Kennenlernen der entsprechenden Regeln und der teilweise veränderten Rechtschreibung empfehle ich als Ausgangsportal für weitere Recherchen die Inter‐ netseite „iltec“: http: / / www.portaldalinguaportuguesa.org/ acordo.php (20. 3. 2017). Die entsprechenden Quellen für die analysierten Beispiele zum Portugiesi‐ schen werden im Text folgendermaßen gekennzeichnet: (5) Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch. Einige wenige Beispiele wurden, wenn erforderlich, auch dem von mir aufgestellten Korpus zum Sprachgebrauch in portugiesischen Weblogs (Sieberg 2006 b ) entnommen. Die entsprechende Kennzeichnung erfolgt mittels der Markierung Korpus Sieberg (2006b) - Weblogs in Portugal. Der Grund, warum diese Computer vermittelten Kommunikationsformen mit in die vorliegende Untersuchung einbezogen werden, liegt hauptsächlich an der oft dialogischen Form der sequentiellen Abläufe dieser peripheren Formen des Nähesprechens, die sprachliche Ausdrücke und Strukturen hervorbringen, die denen der prototypischen Formen des Nähesprechens - Alltagsdialoge in all ihren Varianten - ähneln. Ich denke in diesem Zusammenhang u. a. an das Vor‐ kommen von ‚Reaktiven‘, von Varianten einer ‚aggregativen Rezeptionssteue‐ rung‘ sowie von ‚adjazenten Strukturen‘ und die aus ihnen resultierenden ‚el‐ liptischen Ausdrucksweisen‘ etc. Die relativ beschränkte Zahl von Korpora und Transkriptionen, die bei der vor‐ liegenden Studie als Beispiele genannt werden, lässt sich dadurch rechtfertigen, dass ich mit dieser Arbeit nicht die Intention verbinde, statistisch erhärtete Nachweise für die Gültigkeit von Hypothesen hinsichtlich des Vorkommens bestimmter sprachlicher Phänomene aufzustellen. Im Fokus des Interesses stehen vielmehr generelle Aussagen zum mündlichen / nähesprachlichen Ge‐ brauch des verbalen Codes im Portugiesischen sowie der Veranschaulichung und Erläuterung von sprachlichen Erscheinungen, die diese Verwendungsweise charakterisieren bzw. erst ermöglichen. • Bei Zweifeln hinsichtlich der im Text verwendeten Begriffe wird den Le‐ sern empfohlen, das Glossar, das sich am Ende des Buches befindet, als Verständnishilfe heranzuziehen. • Für die Zitate - ausgenommen diejenigen, in denen die ursprüngliche Schreibweise nicht verändert wurde - übernehme ich bei Sätzen auf Por‐ tugiesisch die Regeln der Orthographiereform - Acordo Ortográfico da Língua Portuguesa -, die in Portugal seit 2009 offiziell gelten 10 . • Wenn in den folgenden Kapiteln wiederholt von ‚Referenzgramma‐ tiken des Portugiesischen‘ die Sprache ist, sind folgende Grammatiken gemeint: (a) „Gramática da Língua Portuguesa“ von Mateus et al. ( 7 2006); 54 3. Benutzte Korpora, Transkriptionen, Abkürzungen und weitere Hinweise (b) „Gramática do Português“ (Vol. I und II ) von Raposo et al. (2013), (c) die „Portugiesische Grammatik“ von Hundertmark-Santos Martins ( 3 2014) und (d) die „Nova Gramática do Português Contemporânea“ von Celso Cunha und Lindley Cintra ( 17 2002). Die bibliographischen Angaben werden nicht bei jeder Erwähnung dieser Referenz explizit aufgeführt, finden sich aber noch einmal ausführlich in den „Bibliographischen Hin‐ weisen“ am Ende des Buches. • Einfache deutsche Anführungszeichen ‚ ‘ werden zur Hervorhebung be‐ stimmter Schlüsselworte der vorliegenden Arbeit benutzt, wie z. B. des Begriffs ‚O- SK - ST ‘ oder bei aufeinanderfolgenden Wörtern, die sich da‐ durch von ihrem Umgebungstext unterscheiden, dass sie eine begriffliche Einheit darstellen, wie z. B. ‚Sprecher 4‘. Solche Ausdrücke kann man als zusammengehörige Wortgruppen auffassen, ohne dass es sich hierbei um Zitate im engeren Sinne des Wortes handelt. Auch sehr oft wiederholte Fachtermini und Begriffe, deren Quelle bereits vorher angegeben wurde, stehen in einfachen Anführungstrichen. • Kursivschrift wird ausschließlich zur Kennzeichnung portugiesischer Texte genutzt - also zur Kennzeichnung der Objektsprache der Ar‐ beit -, die in Beispielen und Zitaten vorkommen. • Für die Gliederung des Textes werden arabische Zahlen in der Form 1. 2. 3. 3.1 (ohne Punkt hinter der letzten Zahl) benutzt; im Fließtext dienen hingegen in Klammern gesetzte Buchstaben (a), (b), (c), etc. einer erfor‐ derlichen Textgliederung. • Durch Unterstreichungen werden nur Wörter oder Wortgruppen aus den Beispielsätzen (Transkriptionen) hervorgehoben, die bei den anschließ‐ enden Interpretationen thematisiert werden. • Wenn ein Zitat mindestens drei oder mehr Zeilen umfasst, wird es aus dem Fließtext hervorgehoben und durch einen größeren Abstand zu beiden Seitenrändern sowie einen engerem Zeilenabstand gekenn‐ zeichnet. In diesem Falle werden die Zitate nicht in Anführungszeichen gesetzt. • Abkürzungen oder grobe orthographische (authentische) Schnitzer, die insbesondere in den kommunikativen Praktiken der ‚keyboard-to-screen communication‘ das Verständnis erschweren, wurden nur in den Fällen verbessert, in denen die entsprechenden Ausdrücke unleserlich oder zweideutig sind. Ansonsten werden Wortspielereien und graphostilisti‐ sche Abweichungen von den üblich geltenden Normen des schriftsprach‐ lichen Ausdrucks in ihrer originalen Form belassen. 55 3. Benutzte Korpora, Transkriptionen, Abkürzungen und weitere Hinweise • Die Namen der Gesprächsteilnehmer an kommunikativen Praktiken der ‚keyboard-to-screen communication‘ werden durch die ‚groß‘ und in ‚Fettdruck‘ geschriebenen Anfangsbuchstaben dieser ‚User-Namen‘ ab‐ gekürzt, um ihre Anonymität zu gewährleisten. • Um die Leserlichkeit des Fließtextes nicht durch die Angaben umfang‐ reicher Quellen aus dem Internet zu beeinträchtigen, werden die ent‐ sprechenden URL jeweils in Fußnoten angegeben. Im Fließtext verbleiben als Referenz nur passende Schlüsselwörter - z. B. mediensprache.net -, die dem Leser einen ersten Hinweis auf die Quelle liefern. • Den Regeln der CLUL zufolge werden alle Wörter sowie ihre entsprech‐ enden Varianten transkribiert, wenn sie als Lemmata in einem portugie‐ sischen Wörterbuch registriert sind (z. B. mostrar/ amostrar, louça/ loiça, cacatua/ catatua). • Den Regeln der CLUL zufolge werden Eigennamen in den Transkripti‐ onen groß geschrieben. • Den Regeln der CLUL zufolge werden Namen von Filmen, Büchern, Zei‐ tungen und Zeitschriften, Fernseh- und Radioprogrammen, Musikbands, Musiktitel etc. klein geschrieben und in Anführungsstriche gesetzt, wie z. B. „crónica dos bons malandros“, „pixote“, „requiem“, „expresso“, „feira franca“, „big brother“ etc. • Den Regeln der CLUL zufolge werden Fremdwörter den orthographi‐ schen Regeln ihrer Herkunftssprachen entsprechend wiedergegeben. Diese Regelung betrifft allerdings nur die Fälle, in denen ihre Aussprache der Originalaussprache annähernd entspricht (ex. cachet, feeling, free-lancer, stress, voyeurs, workshop). Wenn es sich hingegen um Lehn‐ wörter handelt, die sich weitgehend der portugiesischen Aussprache an‐ gepasst haben, werden diese Wörter so geschrieben, wie sie in den ein‐ schlägigen portugiesischen Wörterbüchern verzeichnet sind, wie z. B. shortezinho, stressado, videozinho etc. • Den Regeln der CLUL zufolge werden sowohl die zunächst falsch ausge‐ sprochenen als auch die nachträglich korrigierten Wörter transkribiert, wie z. B. lugal/ lugar, sau / céu etc. In den Fällen hingegen, in denen ein Sprecher ein falsch ausgesprochenes Wort nicht nachträglich verbessert und seine Äußerung fortsetzt, wird ausschließlich die korrekte Form transkribiert. • Den Regeln der CLUL zufolge werden Onomatopoeia und parasprach‐ liche Elemente, die sich nicht in einem Wörterbuch finden, in den Trans‐ kriptionen so wiedergegeben, dass sie sich so weit wie möglich der Aus‐ 56 3. Benutzte Korpora, Transkriptionen, Abkürzungen und weitere Hinweise sprache der Sprachaufnahmen annähern, wie z. B. pac-pac-pac, pffff, tanana, tatata, uuu etc. • Den Regeln der CLUL zufolge werden Interjektionen den gültigen lexi‐ kographischen Regeln entsprechend transkribiert. • Den Regeln der CLUL zufolge werden Akronyme und Abkürzungen in Großbuchstaben und ohne zwischengestellte Punkte wiedergegeben (z. B. TAP statt T. A. P.). Wenn aber die entsprechenden Akronyme bereits in einem portugiesischen Wörterbuch registriert sind, werden sie kleinge‐ schrieben, wie z. B. sida oder radar. • Den Regeln der CLUL zufolge werden alle nicht standardsprachlichen oder von der Gewährsperson erfundenen Ausdrücke so transkribiert, dass sie sich so weit wie möglich der Aussprache dieser Gewährspersonen an‐ passen. Für die Leser dieses Buches habe ich entsprechende Verständnis‐ hilfen in Fußnoten beigefügt, sollte zu erwarten sein, dass Leser diese Ausdrücke nicht verstehen. • Den Regeln der CLUL zufolge werden durch die Gewährspersonen ab‐ gekürzte Wörter in dieser Form beibehalten, wie z. B. Prof. • Den Regeln der CLUL zufolge werden alle Zahlen einschließlich Kalen‐ derdaten und in Prozentangaben enthaltene Zahlen bis einschließlich der Zahl ‚zwölf ‘ ausgeschrieben. Im Buch benutzte Abkürzungen: GSF Gesprochene-Sprache-Forschung: Gemeint ist die in den 70er Jahren in der germanistischen Sprachwissenschaft entstandene Forschungsrich‐ tung, die zusammen und in gegenseitiger Ergänzung mit der ‚Gesprächs‐ analyse‘ der ‚Interaktionalen Linguistik‘ und der ‚Construction Grammar‘ Erscheinungen des mündlichen Gebrauchs des verbalen Codes bzw. des Nähesprechens untersucht. GS Gesprochene Sprache GSFP Diese Abkürzung bezeichnet die Gesprochene-Sprache-Forschung des Portugiesischen. IDS Abkürzung für Institut für Deutsche Sprache m. E. meines Erachtens O-SK-ST Operator -Skopus-Struktur FLUL Faculdade de Letras de Lisboa UL Universidade de Lisboa CLUL Centro de Linguística da Universidade de Lisboa 57 3. Benutzte Korpora, Transkriptionen, Abkürzungen und weitere Hinweise 1 Der brasilianische Linguist Hilgert erläutert diesen Begriff wie folgend: „A noç-o de concepç-o […] é definida com base (a) nas condições de comunicaç-o do texto e (b) nas estratégias adoptadas para a sua formulaç-o“ (Hilgert 2000, 19). 2 Wer sich für die Geschichte der germanistischen GSF und ihre wichtigsten Erkenntnisse interessiert, dem sei das Standardwerk von Schwitalla „Gesprochenes Deutsch“ (2012) empfohlen. 3 Dem Terminus „Textsorte“ wird in diesem Buch der Begriff „kommunikativen Praktik" vorgezogen, weil er sowohl schriftlich als auch mündlich basierte Kommunikations‐ formen erfasst: „Bei kommunikativen Praktiken handelt es sich um abgrenzbare, ei‐ genständige kommunikative Formen, für die ihre Zweckbezogenheit und Vorgeformt‐ heit konstitutiv sind und für die es alltägliche Bezeichnungen gibt. Jedes Sprechen und Schreiben geschieht und ist Bestandteil von kommunikativen Praktiken" (Fiehler im Duden 2016, 1186). Zur ersten Gruppe gehören medial schriftlich übermittelte Praktiken (graphischer Code), wie ‚Gebrauchsanweisungen‘, ‚Gesetzestexte‘, ‚Protokolle‘ etc., während medial mündlich (phonischer Code) basierte Praktiken wie ‚Gespräche mit Freunden‘, ‚Small-Talks‘, ‚Feiertagsreden‘ etc. der zweiten Gruppe zugeordnet werden. 4. Theoretisch-methodischer Rahmen der Untersuchung Um die konzeptionell-methodischen Grundlagen, ihre Begriffe und die benutzte Terminologie zu verdeutlichen, die aus der germanistischen GSF stammen und als Basis dieses Buches und seines Ziels einer Beschreibung der portugiesischen gesprochenen Sprache aus der Sicht der Sprachpragmatik dienen, setzt dieses Kapitels mit einer Erläuterung des Begriffs der „konzeptionellen Mündlich‐ keit“ 1 ein. Diesen hat der Romanist Ludwig Söll (1985) Mitte der 80er Jahre in die GSF eingeführt und dadurch ihren weiteren Weg entscheidend beeinflusst 2 , weil dieser Begriff es erlaubt, die Einseitigkeit der Dichotomie ‚medial mündlich‘ versus ‚medial schriftlich‘ aufzuzeigen. Die ursprüngliche Unterscheidung in ‚gesprochen versus geschrieben‘ entspricht zwar dem ‚gesunden Menschenver‐ stand‘ und erlaubt zudem eine eindeutige Unterscheidung zwischen zwei Gruppen von Textsorten - bzw. meiner Terminologie folgend von „kommuni‐ kativen Praktiken“ 3 -, doch bekommen Sprachwissenschaftler mit dieser Un‐ terscheidung Probleme, wenn sie erklären sollen, warum viele Praktiken medi‐ aler Schriftlichkeit wie ‚Einträge in Tagebücher‘, ‚Grußkarten‘ oder insbesondere die aktuellen Praktiken der ‚keyboard-to-screen communication‘ von ihren sprachlichen Merkmalen her große Ähnlichkeiten mit medial münd‐ lichen Praktiken aufweisen, und es umgekehrt medial mündlich basierte Kom‐ munikationsformen wie ‚Predigten‘ oder ‚Begrüßungsansprachen‘ gibt, die von 4 Mit „Textexemplar“ ist ein konkret zur Analyse vorliegender Text gemeint, während es sich bei einer „kommunikativen Praktik“ bereits um eine Kategorie auf einer abstrak‐ teren Bezeichnungsebene handelt, die Textexemplare mit spezifischen Charakteristika zu Gruppen zusammengefasst. Cf. die ursprüngliche Unterscheidung in der GSF zwi‐ schen „Textexemplar" und „Textsorte" bei Steger et al. (1974) sowie die Definition des Begriffs „kommunikative Praktik“ bei Fiehler (Duden 2016, 1186). 5 Die Darstellungsweise dieser Skizze entstammt einem ‚Online-Aufsatz‘ von Siebenhaar, die sich wiederum an Dürscheid (2006, 45) und Koch / Oesterreicher (1994, 588) orien‐ tiert. Cf. http: / / home.unileipzig.de/ siebenh/ kurse/ SS08/ v_sprachliche_variation_08/ 07_sprachliche_variation.pdf (6. 8. 2017). 6 Untersuchungen mit dem Ziel quantitativ nachweisbarer Unterscheidungen zwischen unterschiedlichen Textexemplaren und kommunikativen Praktiken findet man bei Hennig (2007, 203 sqq.). ihren sprachlichen Charakteristika eher der Gruppe schriftlich vermittelter Texte zuzuordnen sind. Die Auflösung dieses Dilemmas leistet Sölls Begriff der „konzeptionellen Mündlichkeit“ (Söll 1985). Er stellt nicht die Medialität einer kommunikativen Praktik in den Vordergrund, sondern geht zum Zweck ihrer kategorialen Be‐ stimmung von einem Bündel von Kriterien aus. Zu ihnen zählen ‚Dialogizität, ‚Spontanität‘, ‚Situationseinbindung‘, ‚Grad der Expressivität‘ etc. Aus der An‐ wendung dieser Kriterien resultiert die Vorstellung eines Kontinuums zwischen dem Pol einer extrem ‚konzeptionellen Mündlichkeit‘ und dem einer extrem ‚konzeptionellen Schriftlichkeit‘, in das sich Textexemplare 4 bzw. kommunika‐ tive Praktiken entsprechend ihrer jeweiligen sprachlichen Charakteristika ein‐ ordnen lassen. Auf dieser graduell verlaufenden Skala nehmen sowohl medial mündlich als auch medial schriftlich basierte Kommunikationsformen ihren Platz ein, wie die folgende Skizze 5 verdeutlicht. Auf der folgenden Skala, die ausschließlich einer idealisierten, exemplarischen Veranschaulichung dient, findet der Leser allerdings nur einige wenige Praktiken, weil sie nicht mit dem Anspruch entworfen wurde, die Ergebnisse tatsächlich durchgeführter Ana‐ lysen zu verdeutlichen 6 : 59 4. Theoretisch-methodischer Rahmen der Untersuchung Konzeption Nähepol ←-------------------→ Distanzpol konzeptionell mündlich konzeptionell schriftlich medial schriftlich Chatbeitrag Tweet Eintrag in ein Tagebuch Liebesbrief medial mündlich Alltagsdialog mit Freunden Interview in öffentlichen Medien Festtagsrede Zu dieser Skala ist noch anzumerken, dass der dem Nähepol zugewandte Bereich überwiegend von medial mündlich basierten kommunikativen Praktiken des prototypischen Nähesprechens, wie z. B. von Alltagsdialogen, eingenommen wird, während periphere und schriftlich basierte Praktiken der Nähekommuni‐ kation eine Verortung näher hin zum ,Distanzpol‘ nahelegen. Koch / Oesterreicher (1985 und 1994) nutzen dieses Konzept Sölls. Sie führen zusätzlich zur terminologischen Bezeichnung dieses Gegensatzpaares die Be‐ griffe „Sprache der Nähe“ und „Sprache der Distanz“ ein, verfeinern darüber hinaus das Raster der Kriterien zur Verortung eines Textes bzw. einer kommu‐ nikativen Praktik im Kontinuum der Skala zwischen Nähe und Distanz - den Autoren folgend gehören diese Kriterien entweder den „Kommunikationsbe‐ dingungen“ oder den „Versprachlichungsstrategien“ an - und gelangen so zu ihrem über die Grenzen der Romanistik und germanistischen GSF bekannt ge‐ wordenen Modell des ‚Nähe- und Distanzsprechens‘. Das an dieser Stelle benutzte Modell des Nähe- und Distanzsprechens von Ágel / Hennig greift zwar das Basiskonzept des ursprünglichen Modells auf, entwickelt es aber im Sinne einer Homogenisierung und strengen Hierarchi‐ sierung weiter. Diese Optimierung betrifft in erster Linie eine Korrektur der Kriterien, die Koch / Oesterreicher ursprünglich zur Bestimmung der Nähe‐ sprachlichkeit eines Textes im Kontinuum der Skala zwischen Nähe- und Dis‐ tanzpol benutzt hatten. Dabei werden in der neuen Version des Modells alle von Koch / Oesterreicher benutzten Kriterien weggelassen, die sich nicht direkt aus dem Axiom „Zeit und Raum der Produktion = Zeit und Raum der Rezeption einer Äußerung“ ableiten lassen. So haben nach Meinung von Ágel / Hennig Kriterien wie „Vertrautheit der Partner“, „Spontanität“, „Grad der Öffentlichkeit“ (cf. Koch / Oesterreicher 1985 und 1994) keinen Platz in dem von ihnen vorge‐ schlagenen Modell, weil diese Kriterien sich nicht direkt aus dem Axiom ihres Modells ableiten lassen. Sie würden eine operationalisierbare Anwendung für 60 4. Theoretisch-methodischer Rahmen der Untersuchung die Analyse von Texten sowie die Objektivität der resultierenden Ergebnisse gefährden. Für eine quantitative und qualitative Bestimmung von Textexem‐ plaren und kommunikativen Praktiken sowie ihrer hieraus resultierenden Ver‐ ortung auf der Skala zwischen Nähe und Distanz bleiben folglich ausschließlich die unten in der schematischen Darstellung dieses Modells (fünf Schemata) dar‐ gestellten Kriterien in Form von ‚Universalen Diskursverfahren‘ und ‚einzel‐ sprachlichen Merkmalen‘ übrig. Um eine entsprechende Analyse an einem Beispiel zu veranschaulichen: Findet man in einem portugiesischen Alltagsgespräch am Ende eines Sprechbeitrags wiederholt die Form n-o é, oder zwischen den ‚turns‘ der an einem Dialog be‐ teiligten Gesprächsteilnehmer die häufig eingestreute Form pois, lassen sich diese Ausdrücke im Rahmen des Modells dem universalen Diskursverfahren „Engführung der Orientierung“ zuordnen. Dieses Verfahren wiederum kann auf den Umstand zurückgeführt werden, dass Zeit und Raum der Produktion von Äußerungen mit der Zeit und dem Raum der Rezeption dieser Äußerungen zu‐ sammenfallen (cf. Axiom des Modells). Dass es unter diesen situativen Um‐ ständen prototypischen Nähesprechens für Sprecher und Hörer fast zwingend naheliegt, ein gegenseitiges Verständnis ihrer Äußerungen durch den häufigen Gebrauch entsprechender sprachlicher Formeln - im Portugiesischen u. a. durch die oben erwähnten sprachlichen Ausdrücke pois oder n-o é - anzustreben, ist logisch und ergibt sich als universal gültige Konsequenz aus dem Axiom des Modells. Anders würde es sich verhalten, wenn es nachzuweisen gelte, welcher „Grad der Vertrautheit“ zwischen Sprecher und Hörer besteht - bei Koch / Oesterrei‐ cher (2011, 7) eines der ursprünglich vorgeschlagenen Kriterien aus der Gruppe der „Kommunikationsbedingungen“ -, weil es sich hierbei um ein Kriterium handelt, das sich objektiv kaum nachweisen lässt und somit einer operationali‐ sierbaren Anwendung des Modells im Wege stünde. Universale Geltung kann das Modell beanspruchen, weil man für alle Spra‐ chen und für die in ihnen stattfindenden Dialoge annehmen darf, dass sie auf gegenseitiges Verständnis ausgerichtet sind und sich am gleichen Diskursver‐ fahren einer ‚Engführung der Orientierung‘ orientieren, auch wenn dabei die sprachlichen Mittel jeweils unterschiedlich ausfallen, durch die sich dieses Dis‐ kursverfahren in den unterschiedlichen Sprachen manifestiert. Bei der folgenden schematischen Darstellung des Modells von Ágel / Hennig gilt es einige von mir eingeführte Vereinfachungen bzw. Veränderungen zu be‐ achten. Dabei gehe ich davon aus, dass sie die ursprüngliche Form des Models weder sinnwidrig verzerren, noch im Widerspruch zu seinen Grundvorausset‐ zungen stehen: (a) So handelt es sich um eine vereinfachende Darstellung, die 61 4. Theoretisch-methodischer Rahmen der Untersuchung 7 Der Terminologie Ágel / Hennigs folgend handelt es sich bei diesen einzelsprachlichen Merkmalen um „Universale Diskursmerkmale“ (2007, 185). Diesen Terminus vermeide ich, handelt es sich doch bei diesen einzelsprachlichen Merkmalen gerade um Merk‐ male, die für jede Sprache unterschiedlich aussehen. zwei höhere Abstraktionsstufen, die Ágel / Hennig bei der Darstellung ihres Models benutzen (2007, 179), außer Acht lässt. Damit beziehe ich mich auf die in der Hierarchie des Models oberhalb der „Universalen Verfahren der Diskurs‐ gestaltung“ angeordneten Ebenen „Universale Parameter der Diskursgestal‐ tung“ sowie „Universale Parameter der Kommunikation“ (Ágel / Hennig 2007, 184 sq.). In einem zusätzlichen Schritt verkürze ich mit dem Ziel einer verbes‐ serten Lesbarkeit den Terminus „Universale Verfahren der Diskursgestaltung“ zu ‚Universale Diskursverfahren‘. Dabei bleibe ich bei der ursprünglichen Be‐ stimmung, die Ágel / Hennig für diesen Begriff vorsehen: „Um einen Diskurs bspw. interaktiv zu gestalten, wenden Kommunikationsteilnehmer bestimmte Verfahren an (wie bspw. das Verfahren der Rezeptionssteuerung), die wir des‐ halb ‚Universale Verfahren der Diskursgestaltung‘ nennen“ (Ágel / Hennig 2007, 185). Diese Definition bleibt auch an dieser Stelle gültig, mit der Einschränkung, dass der Terminus „Universale Verfahren der Diskurgestaltung“ im folgenden Text durch ‚Universale Diskursverfahren‘ ersetzt wird, und dass ich in den fol‐ genden Kapiteln den Ausdruck im Fließtext zudem kleinschreiben und ohne Anführungsstriche darstellen werde. (b) Die Schemata weiter unten, die das ‚Universale Axiom‘ des Models, seine ‚Universalen Diskursverfahren‘ sowie die ihnen entsprechenden ‚einzelsprachlichen Merkmale‘ der portugiesischen Sprache 7 zuordnen, bilden die Grundlage für die Gliederung dieser Arbeit und spiegeln sich ebenfalls im Inhaltverzeichnis des Buches wider. (c) Die Bezeich‐ nungen für die verschiedenen universalen Diskursverfahren - wenn man von dem an dieser Stelle vereinfachten Terminus ausgeht - übernehme ich weitge‐ hend und zum Teil wörtlich von Ágel / Hennig (2007, 189 sqq.). Die Benen‐ nungen der einzelsprachlichen Merkmale hingegen, die in den Schemata jeweils den universalen Diskursverfahren zugeordnet sind, richten sich nach den the‐ matisierten sprachlichen Phänomenen sowie den Begriffen und Termini, die auch in der portugiesischen Fachliteratur zur ihrer Kennzeichnung benutzt werden. Im Inhaltsverzeichnis dieser Arbeit erscheinen universale Diskursver‐ fahren und sprachliche Merkmale als Titel und Untertitel der Kapitel, in denen sie erörtert werden. Für ein angemessenes Verständnis bei der Lektüre des Bu‐ ches sollte der Leser also sein Augenmerk auf die Übereinstimmungen richten, die zwischen den in den folgenden Schemata des Modells genannten universalen Diskursverfahren und sprachlichen Ausdrucksmitteln einerseits, und der In‐ haltsgabe und den in den Kapiteln des Buches thematisierten Inhalten anderer‐ 62 4. Theoretisch-methodischer Rahmen der Untersuchung seits, bestehen. (d) Im Zusammenhang mit der Analyse von kommunikativen Praktiken der ‚keyboard-to-screen communication‘ interpretiere ich das Axiom des Modells in dem Sinn, dass sich ihm auch der Begriff eines ‚virtuellen Raums‘ (Internet) sowie einer ‚subjektiv empfundenen Zeit‘ zuordnen lassen - letztere ist als empfundener Zeitmangel kennzeichnend für im Internet kommunizie‐ rende ‚User‘ und charakterisiert ihre rasch ablaufenden Routinehandlungen am Computer. Auch andere Faktoren, die als spezifische Rahmenbedingungen das Funktionieren einer ‚keyboard-to-screen communication‘ steuern, wie z. B. die Möglichkeit des Postens von Retweets oder zitierten Tweets beim Twittern, lassen sich m. E. in dieses erweiterte Modell integrieren und helfen, den Ge‐ brauch bestimmter sprachlicher Ausdrucksmittel des Nähesprechens zu ver‐ stehen. Die folgenden fünf Schemata veranschaulichen den Zusammenhang zwischen dem „Universalen Axiom“ des Modells des Nähe- und Distanzsprechens ‚Zeit / Raum der Produktion = Zeit / Raum der Rezeption einer Äuße‐ rung‘ und den Analyseparametern ‚Rolle‘, ‚Zeit‘, ‚Situation‘, ‚Code‘ und ‚Medium‘, im Rahmen derer sich die Interpretation der jeweiligen ‚Univer‐ salen Diskursverfahren‘ anbietet. Darüber hinaus listen diese Schemata die ‚sprachlichen Merkmale‘ des Portugiesischen auf, in denen sich diese Ver‐ fahren manifestieren. 63 4. Theoretisch-methodischer Rahmen der Untersuchung Schema zum Parameter ‚Rolle‘ Universale Diskurs‐ verfahren Sprachliche Entsprechungen im Portugiesischen Kontaktherstellung zwischen P und R a) Ausdrücke und Gesten zur Kontaktherstellung b) Anrede-/ Begrüßungs- und Verabschiedungsformeln Sequenzierung der Rede a) Organisation des ‚turn-taking‘ durch Einsatz von Rede‐ rechtsmitteln b) Verschiedene Formen der Adjazenz, die oft elliptische Strukturen zur Folge haben, Wiederaufnahme oder Fortset‐ zung von Teilen der vorausgehenden Äußerung des Ge‐ sprächspartners bzw. elliptische Paarformelen in Frage-Ant‐ wort Sequenzen. Engführung der Ori‐ entierung a) Sprachliche und tonale Zeichen zur Engführung, die nach Aufmerksamkeit suchen, Aufmerksamkeit anzeigen oder Verständnis bzw. Nichtverstehen signalisieren. b) Adjazente Strukturen der Wiederholung und Fortführung von Teilen der Äußerung des Gesprächspartners. Formen aggregativer Rezeptionssteuerung a) Operatoren in ‚O-SK-ST‘: Sie leisten eine zusätzliche Ver‐ stehensanleitung zu der Aussage, die im ‚Skopus‘ der jewei‐ ligen Aussage steht, auf die sie sich beziehen; sie explizieren die gemeinte Sprechhandlung; sie geben die subjektive Ein‐ schätzung des Sprechers zum Ausgesagten wieder und nu‐ ancieren auf diese Weise die Kraft der im Skopus übermit‐ telten Illokution; sie verdeutlichen die formale Gliederung der Elemente in einer Sprechsequenz. b) Tópicos Marcados heben im Portugiesischen Teile der Sprechsequenz hervor und rücken sie in den Aufmerksam‐ keitsfokus des Hörers. c) Construções de Clivagem heben ebenfalls Teile der Sprech‐ sequenz hervor und rücken sie in den Aufmerksamkeits‐ fokus des Hörers. P mit Bezug auf R Illokutionsnuancie‐ rung a) Im Deutschen übernehmen ‚Modalpartikeln‘ diese Auf‐ gabe, im Portugiesischen normalerweise ‚O-SK-ST‘. Bei direktem physi‐ schen und psychi‐ schen Kontakt zwi‐ schen Produzent und Rezipient Tendenz zu gefühlsbetonter Sprechweise a) Spezielle usuelle Wortverbindungen und Ausdrücke der Hyperbolik dienen im Portugiesischen der Emotionalisie‐ rung des Diskurses. Sie versuchen, den Gesprächspartner zu beindrucken und zu überreden. 64 4. Theoretisch-methodischer Rahmen der Untersuchung 8 Zum Gebrauch dieses Begriffs cf. Ágel (2011, 37). Schema zum Parameter ‚Zeit‘ Universale Diskurs‐ verfahren Sprachliche Entsprechungen im Portugiesischen Aggregative Struktu‐ rierung des Informa‐ tionsflusses a) Anakoluthe b) Apokoinu c) constructio ad sensum d) Parenthesen e) Verschiedene Formen, um bestimmte Elemente einer Sprechsequenz aus dem Rest der Äußerung hervorzuheben, wie frases clivadas, tópicos pendentes, formas de adiamento etc. f) Vereinfachte Relativsätze, die eine aggregative Gliede‐ rung erlauben. Orações relativas cortadoras und orações re‐ lativas resumptivas u. a. vermeiden komplexe hypotaktische Strukturen und bevorzugen mehrdeutige interpropositio‐ nale Relationsstiftungen. g) Operatoren in ‚O-SK-ST‘ h) Abhängige Hauptsätze i) Zusätzliche Indikatoren für eine Integration von Nebenin Hauptsätze. j) ‚Fehlende oder eingeschränkte semantisch-syntaktische Kohäsionsmarkierung zwischen den Teilen einer Äußer‐ ungssequenz durch additives Aneinanderreihen der Teilse‐ quenzen einer Äußerung‘: durch justaposiç-o  8 , bzw. durch polyvalente Konnektoren wie agora, portanto etc. k) Fehlende Integration von Verb und Pronomen, in Bild‐ ungen wie ajudar ela statt ajudá-la etc. l) Ausdrücke mit redundanten Elementen grammatischer Werte wie há umas semanas atrás m) Formen doppelter Negation (Concordância Negativa) Einfache Verfahren der Einheitenbildung a) ‚Reaktive‘ als spontane ‚Kurzreaktionen‘ auf die Äuße‐ rungen des Gesprächspartners b) kurze Äußerungseinheiten c) Parataxen d) Verdichtung von Hypotaxen e) Fehlende bzw. eingeschränkte ‚syntaktische Kohäsions‐ markierung‘ zwischen den Propositionen einer Äußerung f) Parenthesen g) Vereinfachte Relativsätze h) Abhängige Hauptsätze i) Unabhängige Nebensätze j) Abkürzungen von Worten oder Syntagmen in kommuni‐ kativen Praktiken der ‚keyboard-to-screen communication‘ k) Aposiopese Zeitgewinn zur Über‐ windung von Pausen „Überbrückungsphänomene“ (Ágel / Hennig 2007, 200): a) Pausen b) Dehnung einzelner Laute, Silben und Wörter 65 4. Theoretisch-methodischer Rahmen der Untersuchung Universale Diskurs‐ verfahren Sprachliche Entsprechungen im Portugiesischen oder Formulierungs‐ schwierigkeiten c) Verzögerungssignale in Form tonaler Zeichen d) Wiederholung von Wörtern, Syntagmen und ganzen Äu‐ ßerungen seiner eigenen oder der vorgängigen Äußerungs‐ sequenz des Gesprächspartners. e) „Passe-partout-Wörter“ (Schwitalla 2012, 161), d. h. Er‐ setzung exakt passender durch allgemeinere, semantisch ‚schwammige‘ Bezeichnungen. f) „Et Cetera-Formeln“ (König / Stoltenburg 2013) ein‐ schließlich der Wiederholung von Pünktchen am Ende einer Sprechsequenz, insbesondere in Praktiken der ‚keyboard-to-screen communication‘. g) Bestimmte ‚Diskursmarker, die auch in der Funktion von Überbrückungsphänomenen gebraucht werden, wie por‐ tanto, agora, de qualquer das maneiras, ent-o etc. ‚Online-Korrekturen‘ a) durch besondere Ausdrücke und ‚usuelle Wortverbin‐ dungen‘. b) Wiederholungen einzelner Worte oder Ausdrücke in kor‐ rigierter Form. c) Korrigierende Präzisierungen durch entsprechende ver‐ bale Ausdrücke oder Ergänzungen am Rande von Sprech‐ sequenzen. Schema zum Parameter ‚Situation‘ Universale Diskurs‐ verfahren Sprachliche Entsprechungen im Portugiesischen Möglichkeit direkter grammatischer Ver‐ fahren a) Ausdrücke temporaler, lokaler und personaler Deixis. b) Freie Tempuswahl und historisches Präsens. c) Deiktische Verknüpfung des Gesagten mit der Erzählwelt (Deixis am Phantasma). Verflechtung von Sprechen und non-verbalem Han‐ deln durch die Einbe‐ ziehung von ge‐ meinsam zugänglichen Ob‐ jekten im gleichen physikalischen oder virtuellen Raum a) Empraktische Nennungen (Bühler 1982[1934], 155 sq.): Elliptische Ausdrücke in stark vorstrukturierten Situati‐ onen, wenn z. B. jemand am Fahrkartenschalter sagt Coimbra ida e volta, se faz favor. b) Pragmatische Ellipsen Verfahren zur Mar‐ kierung von Direkt‐ heit in Redewieder‐ gabe a) Direkte und indirekte Rede und die Formen ihres Zusam‐ menspiels, in Ausrichtung an den interaktional-pragmati‐ schen Zielen des Sprechers, der ‚Rede wiederherstellt‘. 66 4. Theoretisch-methodischer Rahmen der Untersuchung Schema zum Parameter ‚Code‘ Universale Diskurs‐ verfahren Sprachliche Entsprechungen im Portugiesischen Informationsüber‐ mittlung durch Ein‐ beziehung von Zei‐ chen unterschiedlicher se‐ miotischer Beschaf‐ fenheit a) Kommunikatives Handeln durch Zeichen, die nicht zum verbalen Code gehören. b) Mittel zur Emotionalisierung des Diskurses durch Gestik, Mimik, Einnahme einer gewissen Distanz zwischen den Sprechern etc., bzw. Kompensation dieser Mittel durch Smi‐ leys, Emoticons, Akronyme, Iteration von Worten oder Satz‐ zeichen bei der ‚keyboard-to-screen communication‘. Auf Grund des physischen und psychischen Zusammentreffens werden kommunikative Mittel wichtig, die eine ‚Emotiona‐ lisierung‘ des Diskurses ermöglichen: mittels tonaler Zei‐ chen und außerhalb des verbalen Codes liegender Mitteln der Lautmalerei. Parameter ‚Medium‘ Universale Diskurs‐ verfahren Sprachliche Entsprechungen im Portugiesischen Bildung von Sprech‐ einheiten a) Bildung von ‚phonischen Worten‘ statt ‚graphematischer Einheiten‘, d. h. Orientierung am akustischen Gedächtnis bei der Hervorbringung lautlicher Zeichen und nicht am vi‐ suellen Eindruck durch entsprechende graphische Zeichen der Schriftsprache: daraus resultierende Formen wie tás statt estás, tou statt estou, tava statt estava, pra statt para etc. Ausnutzung prosodi‐ scher Mittel zur In‐ formationsgestal‐ tung a) Akzentuierung von Silben, Wörtern oder Teilen der Sprechsequenz. b) Schaffung rhythmischer Gruppen c) Dynamik im Sprechen durch den Unterschied von ‚laut und leise‘. d) Klangliche Veränderung der Stimme. e) Mittel der Kompensation bei der ‚keyboard-to-screen communication‘, z. B. durch graphositilistische Mittel in Form von Zeichen- oder Buchstabenwiederholung, Farbän‐ derung der Buchstaben, Großschreibungen etc. Wie oben ausgeführt, beschreibt dieses Buch charakteristische sprachliche Aus‐ drücke und Strukturen des portugiesischen Nähesprechens im Rahmen des Mo‐ dells des Nähe- und Distanzsprechens in seiner Ausprägung bei Ágel / Hennig. Damit verbinde ich die Hoffnung, dass dieses Konzept auf Grund der Univer‐ salität seiner Analyseparameter, seiner klar und hierarchisch gegliederten Struktur sowie der Operationalisierbarkeit seiner Kriterien sich auch für wei‐ tergehende Studien zum gesprochenen Portugiesisch als geeignet erweist. 67 4. Theoretisch-methodischer Rahmen der Untersuchung 9 Dieses Versagen hat m. E. seinen Grund in der mangelnden Ausrichtung an den Prin‐ zipien einer ‚deskriptiven‘ Sprachbeschreibung. Der umgekehrte Weg, sich bei der Be‐ schreibung sprachlicher Erscheinungen bereits zu Beginn der Beobachtungen an Regeln zu orientieren, die schon seit langem in der Grammatik - und zudem in der Grammatik der geschriebenen Sprache - festgehalten sind, wird von vorne herein alle Ergebnisse, die von diesen Regeln abweichen, als zufällige und unwichtige Erscheinungen der ‚Per‐ formanz‘ oder eines abweichenden idiolektalen Sprachgebrauchs abtun. Oder man wird versuchen, sie durch formale Erweiterungen des als gültig erachteten Regelsystems in dasselbe zu integrieren. Diese Methode, an der sich viele portugiesische Sprachbe‐ schreibungen orientieren, hat negative Konsequenzen: Entweder verkennt ein solches ‚präskriptives‘ Vorgehen die tatsächliche Bedeutung bestimmter Regelhaftigkeiten für die zukünftige Entwicklung der portugiesischen Sprache, oder es führt zu einer unver‐ hältnismäßigen Aufblähung des bereits bestehenden Regelapparats, in den die fragli‐ chen Erscheinungen als Sonderfälle zusätzlich ‚hineingezwängt‘ werden. Um dieses Ziel zu erreichen, gilt es zunächst einmal zu beachten, dass Un‐ tersuchungen zu gesprochenen bzw. nähesprachlichen Varianten einer Sprache nur dann zu verwertbaren Ergebnissen gelangen können, wenn sie sich auf eine Beschreibung des empirisch belegbaren Gebrauchs sprachlicher Ausdrucks‐ formen und Strukturen dieser Sprache stützen - mit anderen Worten, wenn sie auf der Untersuchung von geeigneten Korpora der GS basieren. Nur durch sys‐ tematische Korpus basierte Arbeit, zusammen mit der Berücksichtigung von Hinweisen aus Grammatiken und relevanten Beiträgen aus der Sekundärlite‐ ratur, kann es gelingen, formal so unterschiedliche Erscheinungen wie Opera‐ toren in ‚O- SK - ST ‘, Tópicos Marcados und Construções de Clivagem als sprach‐ liche Merkmale zu identifizieren, in denen sich das gleiche universale Diskursverfahren einer ‚Aggregativen Rezeptionssteuerung‘ (cf. Kapitel 5.3) manifestiert. Sie alle dienen dem Versuch, auf die Dekodierung einer Äußerung des Gesprächspartners Einfluss zu nehmen und lassen sich unter diesem Funk‐ tionsaspekt zu einer Kategorie zusammenfassen. Einen entsprechenden Hin‐ weis auf die funktionale Zusammengehörigkeit dieser drei Gruppen sucht man in portugiesischen Grammatiken oder portugiesischer Fachliteratur 9 aber ver‐ geblich. Bei der empirischen Arbeit an Korpora ist es entscheidend, nach Gewich‐ tungen und Gebrauchsregularitäten Ausschau zu halten, die sich zu Gruppen zusammenfassen und funktional bestimmen lassen. Auch wenn diese Gruppen verbaler Ausdrücke oder Strukturen zum Zeitpunkt einer solchen Untersuchung noch nicht durch die Grammatik einer Sprache beschrieben oder in ihren Re‐ gelbestand übernommen wurden, und sich folglich auch nicht als Teil des Sprachsystems der fraglichen Sprache bestimmen lassen, ist nicht auszu‐ schließen, dass sie im Moment ihrer Erforschung bereits von funktionaler Be‐ 68 4. Theoretisch-methodischer Rahmen der Untersuchung 10 Beide Beispiele entstammen dem Buch von Viegas Brauer-Figueiredo (1999, 446). 11 In Hinblick auf ‚Sprachwandel‘ und das mit ihm auch im Text angesprochene Verhältnis zwischen (noch) ungewöhnlich anmutenden Erscheinungen der Norm und den gültigen Regeln einer präskriptiven Grammatik, sei an das Zitat von Keller erinnert: „Die sys‐ tematischen Fehler von heute sind jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit die neuen Re‐ geln von morgen“ (2004, 5). 12 „Muitos gramáticos consideram que a frase […] é uma redundância e, por isso, deve ser rejeitada“. Cf. ‚Ciberdúvidas‘: https: / / ciberduvidas.iscte-iul.pt/ artigos/ rubricas/ idioma/ ha-anos-atras/ 2346 ( 27. 3. 2017). deutung sind, und zu einem späteren Zeitpunkt eine solche Integration erfor‐ derlich wird. An dieser Stelle gewinnt der Begriff ‚Norm‘, wie Coseriu ihn interpretiert, für die vorliegende Arbeit eine entscheidende Bedeutung. Coseriu versteht unter „Norm“ die sprachlichen Verwendungsweisen, die auf den „gewöhnlichen Ge‐ brauch“ in einer Sprachgemeinschaft deuten. Es handelt sich bei diesem Norm‐ begriff somit um eine vermittelnde Größe zwischen der „parole“ als dem indi‐ viduell zufälligen Sprachgebrauch eines Individuums und der „langue“ als dem abstrakten Regelsystem der Sprache. (Coseriu 1974, 47 sqq.). Diesem Verständnis zufolge entwickeln sich Normen als Folge eines häufigen Gebrauchs von be‐ stimmten sprachlichen Ausdrucksweisen und Strukturen, auf die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft regelmäßig zurückgreifen, um wiederholt auftre‐ tende kommunikative Aufgaben zu lösen. Ein Beispiel für eine ‚Norm‘ im Bereich syntaktischer Strukturen betrifft den Gebrauch von Relativsätzen im kontinentalen und brasilianischen Portugie‐ sisch. Gemeint sind die sogenannten „orações relativas cortadoras“ und „orações relativas resumptivas“ (Arim et al. 2005, 67 sqq.) in Äußerungen wie estou dentro da área que gostaria de estar oder Sô´tor uma outra quest-o que enfim me parece que um Presidente da República deverá ter alguma opini-o sobre ela  10 , die sich mittlerweile zu ‚Gebrauchsregularitäten‘ oder ‚Normen‘ im oben erläuterten Sinn Coserius herausgebildet haben. Diese Norm gewinnt im Hinblick auf möglich bevorstehende Prozesse des Sprachwandels 11 an Bedeutung, wenn man sich im Zusammenhang mit den re‐ gelabweichenden Relativsätzen eine Reihe anderer sprachlicher Phänomene vor Augen führt, selbst wenn diese von Verfechtern einer konservativen Vorstellung der portugiesischen Grammatik und von Sprachpuristen als ‚nicht akzeptabel‘ oder als nur ‚eingeschränkt gültig‘ abgewertet werden. Bei diesen zusätzlichen Erscheinungen handelt es sich u. a. (a) um Ausdrücke wie há uns dias atrás  12 , bei denen durch die Präposition atrás nachträglich eine redundante Markierung des Geschehens als ‚vergangen‘ erfolgt, (b) um diskursive Sequenzen wie e essas ervas chinesas, como é que o paciente ocidental tem acesso a elas? , bei denen eine 69 4. Theoretisch-methodischer Rahmen der Untersuchung 13 Cf. ‚Kapitel 6.1‘, das sich explizit dem Diskursverfahren ‚Aggregative Strukturierung des Informationsflusses‘ widmet. Trennung des vorangestellten Topik essas ervas chineses vom Rest der Äußerung vorliegt: eine Erscheinung, die in der Grammatik als tópico pendente bezeichnet wird, (c) um grammatisch nicht den Regeln entsprechende Formen wie voltei para ajudar ele statt der ‚korrekten‘ Bildung voltei para ajudá-lo, (d) um Sprech‐ sequenzen wie mas realmente há peixe de muito boa qualidade, agora muitos restaurantes defendem-se, n-o é, com peixe congelado, in der agora als polyva‐ lenter Konnektor dazu beiträgt, eine exakte Markierung der inhaltlichen und grammatischen Relationen zwischen den Sequenzen mas realmente há peixe de muito boa qualidade und muitos restaurantes defendem-se, n-o é, com peixe con‐ gelado zu vermeiden: Diese charakteristische Erscheinungsform des Nähespre‐ chens wird im Schema oben auch als ‚Fehlende oder eingeschränkte seman‐ tisch-syntaktische Kohäsionsmarkierung zwischen den Teilen einer Äußerungssequenz‘ bezeichnet. Die Gemeinsamkeit dieser vier erläuterten Ausdrücke und Strukturen ergibt sich unter dem Aspekt, dass sich in ihnen das universale Diskursverfahren ‚Be‐ vorzugung einer aggregativen statt integrativen Strukturierung des Informati‐ onsflusses‘ 13 (innerhalb des Beschreibungsparameters ‚Zeit‘) manifestiert. Dieses Verfahren lässt sich u. a. durch folgende Kriterien charakterisieren: ad‐ ditive statt integrative Organisation der inhaltlichen Elemente einer Diskurs‐ sequenz; statt Planung der gesamten syntaktischen Struktur einer Äußerung von einer zentral ordnenden Perspektive aus, erfolgt eine stückchenweise Or‐ ganisation von relativ kurzen und einfachen Syntagmen; Redundanz der Infor‐ mationsübermittlung; Vermeidung expliziter Formen der Kohäsionsmarkierung zwischen benachbarten Teilsequenzen des Diskurses durch den Gebrauch ent‐ sprechend flexibler und mehrdeutiger Konnektoren etc. Ohne die Einbeziehung einer übergeordneten Perspektive, die sprachliche Erscheinungen zusammenführt, die in Grammatiken der Schriftsprache in ge‐ trennten Kapiteln und unzusammenhängend thematisiert werden, träten - spe‐ ziell auf das Portugiesische bezogen - die ‚regelwidrigen‘ Erscheinungen im Bereich der Bildung von Relativsätzen als isolierte Phänomene auf. Folglich könnte man ihnen nicht die Bedeutung und das Potential zugestehen, sich als auslösender Faktor für zukünftige Prozesse des Sprachwandels zu erweisen. Diese Bedeutung gewinnen die regelabweichenden Relativsätze nur im Zusam‐ menhang und durch die Zusammenschau mit den anderen oben erläuterten Ge‐ brauchsregularitäten von (a) bis (d), die in portugiesischen Grammatiken aller‐ dings vernachlässigt werden. 70 4. Theoretisch-methodischer Rahmen der Untersuchung 14 Die Informationen, die zu den Aussagen in diesem Paragraphen führen, stammen aus zwei Quellen: erstens aus dem „kleinen linguistischen Wörterbuch“ des Internetportals „mediensprache.net“ der Universität Hannover: http: / / www.mediensprache.net/ de/ basix/ lexikon/ (25. 11. 2017), und zweitens aus dem Portal „Grundbegriffe der Lingu‐ istik“, das von C. Lehmann ins Netz gestellt wird. Cf. http: / / www.christianlehmann.eu/ ling/ elements/ index.html (25. 11. 2017). Andere Linguisten mögen die Qualität dieser Quellen anzweifeln und traditionelle Wörterbücher der Linguistik wie das von Buß‐ mann (2008) oder Lewandowski (1994) bevorzugen. Für die von mir benutzten Quellen sprechen allerdings ihre herausragende, institutionell abgesicherte Qualität sowie der Umstand, dass ihre Inhalte regelmäßig aktualisiert werden. Eine andere von Coseriu vertretene Haltung, die als grundlegende Einsicht auch die im vorliegenden Buch aufgestellten Thesen prägt, betrifft das von Coseriu postulierte ,Primat des Gesprochenen‘. Damit meint er die Priorität des Spre‐ chens aus genealogischer und methodischer Sicht sowie die vorrangige Bedeu‐ tung mündlicher Verständigung für sprachliche Entwicklungsprozesse. ‚Spre‐ chen‘ bedeutet folglich für Coseriu einen Prozess, der - so paradox es zunächst auch scheinen mag - mündliche und schriftliche Kommunikation gleicher‐ maßen umfasst (Coseriu 2007, 58 [1975]): Das Sprechen ist nicht von der Sprache her zu erklären, sondern umgekehrt die Sprache nur vom Sprechen. Das deswegen, weil Sprache konkret nur Sprechen, Tä‐ tigkeit ist und weil das Sprechen weiter als die Sprache reicht. Denn während die Sprache ganz im Sprechen steckt, geht das Sprechen nicht ganz in der Sprache auf. Daher muss unsere Meinung nach Saussures bekannte Forderung umgekehrt werden: statt auf den Boden der Sprache‚ muss man sich von Anfang an auf den des Sprechens stellen und dieses zu Norm aller anderen sprachlichen Dinge nehmen. Dieses Zitat und die Argumente Coserius liefern zusammen mit dem oben dar‐ gestellten Modell des Nähe- und Distanzsprechens hinreichende Gründe dafür, in den folgenden Kapiteln die Begriffe ‚Nähesprechen‘ bzw. ‚Nähekommunika‐ tion‘ zu gebrauchen, auch wenn vereinzelt damit kommunikative Praktiken ge‐ meint sind, die medial auf einer schriftlichen Basis beruhen. Zur Bestimmung zusätzlicher, nonverbaler Anteile der Kommunikation, von denen im weiteren Verlauf des Buches immer wieder die Rede sein wird: Unter Merkmalen der ‚Prosodie‘ verstehe ich die Gesamtheit lautlicher Strukturen, zu denen ‚Betonung‘ (Wort- und Satzakzent), ‚Rhythmus‘ (intendierter, regel‐ mäßig-systematischer Wechsel zwischen betonten und unbetonten Silben), ‚In‐ tonation‘ (Verlauf, Richtung und Modulation der Sprechmelodie innerhalb einer Sprechsequenz), ‚Intensität und Lautstärke‘, ‚Sprechgeschwindigkeit‘ sowie ‚Pausen‘ gehören 14 . Diese Merkmale besitzen die Charakteristika ‚supraseg‐ 71 4. Theoretisch-methodischer Rahmen der Untersuchung 15 Cf. https: / / www.christianlehmann.eu/ ling/ elements/ index.html? https: / / www. christianlehmann.eu/ ling/ elements/ parasprache.html (24. 11. 2017). mentaler‘ Elemente, weil sie nicht mit einzelnen Segmenten der Lautkette (Laute, Silben, Worten, Phrasen) zusammenfallen, sondern erst im Zusammen‐ hang umfassender, segmentübergreifender Sprechsequenzen beschrieben und verstanden werden können. Von diesen suprasegmentalen Merkmalen der Pro‐ sodie, die in gewissen Kontexten sprachsystemische Relevanz besitzen - hin‐ sichtlich der Kodierung der illokutiven Kraft eines Sprechakts und hinsichtlich der Informationsstruktur einer Äußerung -, lassen sich andere Elemente „parasprachlicher Kommunikation“ (cf. Lehmann 2013 15 ) unterscheiden, die sprachsystemisch irrelevant sind. Zu ihnen gehören lautliche Manifestationen wie ‚Räuspern‘, ‚Seufzen‘, ‚Grunzen‘, ‚Schluchzen‘ etc. (ibid.). Letztere sind m. E. aber durchaus in der Lage - und dieser Zusatz ist gerade aus der Sicht der hier vorliegenden Arbeit erwähnenswert -, kommunikative Aufgaben zu über‐ nehmen, die aus pragmatischer Sicht von Bedeutung sein können: ein ‚Seufzen‘ als Ausdruck von Liebe, Kummer, Schmerz etc. Zur „nichtsprachlichen Kommunikation“ zählen „Mimik“, „Gestik“, „Hal‐ tung“ und „Proxemik“. Unter letzteren Begriff, der allgemein weniger bekannt sein dürfte, versteht Lehmann ein „bedeutungsvolles Gestalten des Raums in einer Kommunikationssituation“ (ibid.). In den folgenden Ausführungen des Buches verwende ich vereinfachend die Ausdrücke ‚suprasegmentale Merkmale der Prosodie‘ und ‚nichtverbale Anteile der Kommunikation‘, wobei ich implizit die obigen Bestimmungen meine. 72 4. Theoretisch-methodischer Rahmen der Untersuchung 1 „Interactional, spoken language is designed to cope with meaning-making in specific situations, and in real time and space. It has its home base in talk-in interaction, which is a complex social interplay between actors“. Cf. Linell (2005, 21). 2 Eine aktuelle Einführung, die verschiedenen Formen, Möglichkeiten und Regeln des ‚Twitterns‘ vorstellt, findet der Leser unter: http: / / www.mr-gadget.de/ howto/ 2016-03-18/ twitter-fuer-einsteiger-tipps-und-tricks-fuer-den-microblogging-dienst-1 (23. 3. 2017). 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ „Der Rollenparameter beschreibt die Möglichkeiten, die sich aus der P-R-Rol‐ lendynamik, d. h. dem ständigen Wechseln der Rollen der Kommunikationsteil‐ nehmer als Produzent (P) oder Rezipient (R) ergeben“, so definieren Ágel / Hennig (2007, 193) ihren Beschreibungsparameter ‚Rolle‘. Im selben Aufsatz be‐ stimmen sie ‚Interaktion‘ in Abgrenzung von der „Interaktionalen Linguistik“, die diesen Begriff in einem weiter gefassten Sinn als Form sozialen Mit‐ einander-Handelns begreift 1 , ihrerseits in einer eingeschränkten Bedeutung als sprachliche Kooperation bei der Gestaltung von Redeeinheiten. Sie verstehen mithin ‚Interaktion‘ als ein „gemeinsames Agieren der Kommunikationsteil‐ nehmer bei der sprachlichen Gestaltung des Kommunikationsprozesses“ (Ágel / Hennig 2007, 194). Bei ‚Rolle‘ handelt es sich um einen Beschreibungsparameter, dem in ihrem Modell des Nähe- und Distanzsprechens ausschließlich Ausdrücke und Struk‐ turen von kommunikativen Praktiken zugeordnet werden, die im Zusammen‐ hang mit dialogischen Diskursabläufen vorkommen. Zu dieser Gruppe zählen sowohl kommunikative Praktiken aus dem prototypischen Bereich des Nähe‐ sprechens - d. h. alle möglichen Formen von Alltagsdialogen - aber mit Ein‐ schränkungen und in graduellen Abstufungen auch Formen des peripheren Nä‐ hesprechens der ‚keyboard-to-screen communication‘, wie Twitter, SMS , Einträge in Weblogs und Internetforen sowie die verschiedenen Varianten des Chattens. Die dialogähnlichen Strukturen dieser kommunikativen Praktiken sind Folge von Mechanismen zur Herausbildung virtueller Verständigungs‐ netze, die als integrale Bestandteile das Funktionieren der entsprechenden In‐ ternetplattformen steuern. Beim Twittern z. B. gehören zu diesen Mechanismen die Funktionen ‚reply‘ sowie das Posten von ‚retweets‘ und ‚zitierten tweets‘ 2 . 3 Die theoretischen Grundüberlegungen zu diesem Diskursverfahren erläutert Feilke (1994). (a) (b) (c) (d) Vor dem Hintergrund dieser Bestimmungen möchte ich in Anlehnung an Ágel / Hennig dem Beschreibungsparameter ‚Rolle‘ in paraphrasierter und verein‐ fachter Form (cf. Kapitel 4) folgende universale Diskursverfahren‘ zuordnen: ‚Kontaktherstellung zwischen dem Produzenten und Rezipienten einer Äußerung‘: Wie jede andere Sprache verfügt auch das Portugiesische über spezifische Anrede- und Verabschiedungsformeln, Anredenominative, etc., die im Dienste dieses Verfahrens der Diskursgestaltung gebraucht werden. ‚Sequenzierung der Rede‘: Dieses Verfahren betrifft den Umstand, dass bei spontanen Dialogen nicht vorab geplant wird, wer wann die Rolle des Sprechers bzw. die des Hörers einnimmt. Die entsprechende Organisation des Rederechts müssen Sprecher während des Gesprächsablaufs perma‐ nent mit ihren Dialogpartnern abstimmen. Diese Anstrengung geschieht parallel zum übrigen Austausch von Informationen. Zu ihnen zählen ins‐ besondere ‚suprasegmentale Merkmale der Prosodie‘ und ‚nichtverbale Anteile der Kommunikation‘ (cf. die ausführliche Erläuterung dieser Kom‐ munikationsanteile in ‚Kapitel 4‘). ‚Engführung der Orientierung‘: Von zentraler Bedeutung für das Funk‐ tionieren nähesprachlicher Kommunikation ist es zudem, dass sowohl Sprecher als auch Hörer über Signale, Wörter und Wortformeln verfügen, die es ihnen ermöglichen, sich ständig zu vergewissern, dass man ver‐ standen wird und dieses Verständnis auch mittels entsprechender sprach‐ licher Mittel absichert (Sprecher); bzw. man zeigt, dass man den Ausfüh‐ rungen seines Gegenübers zu folgen in der Lage ist (Hörer) 3 . ‚Aggregative Rezeptionssteuerung‘: Im Dienste dieses Diskursverfahrens können Sprecher auf verschiedene Mittel zurückgreifen, die es ihnen er‐ lauben, parallel zur eigentlichen Informationsübermittlung zusätzlich noch Einfluss darauf zu nehmen, wie ihre Gesprächspartner ihre Äuße‐ rungen dekodieren. Dieses ‚wie‘ betrifft die Gewichtung der Informati‐ onsanteile der Propositionen in einer Aussage und die Abstufung des illo‐ kutiven Gehaltes, den man einer Aussage zumisst. Mit anderen Worten, Sprecher verfügen über Mittel, um z. B. auszudrücken, wie ernst sie ein Versprechen meinen, wie sie selber den Wahrheitsgehalt ihrer Aussage einschätzen oder wie weit ihre möglichen Sanktionen reichen würden, um einer geäußerten Drohung Nachdruck zu verleihen. 74 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ 4 Siehe A. Franco (1988 a , 1988 b , 1989 und 1991). 5 Die schematische Darstellung dieses Modells findet der Leser in ‚Kapitel 4‘ zum me‐ thodischen Rahmen der Arbeit. (e) (f) ‚Produzent (P) mit Bezug auf Rezipient (R) Illokutionsnuancierung‘: Meinem Dafürhalten folgend ist dieses Diskursverfahren bereits im vorher erläuterten Verfahren einer ‚aggregativen Rezeptionssteuerung‘ enthalten. Die Zusammenlegung dieser beiden Verfahren scheint insbesondere für das Portugiesische möglich, weil es im Unterschied zur deutschen Sprache relative wenige Modalpartikeln gibt, die eine graduelle Abstufung der illokutiven Wirkung von Äußerungen auf den Gesprächspartner über‐ nehmen könnten 4 . Im Portugiesischen treten Operatoren in ‚O- SK - ST ‘ an die Stelle von Modalpartikeln, um die Aufgabe einer Illokutionsnuancie‐ rung zu übernehmen. Als weiteres Argument für eine Zusammenlegung beider Diskursverfahren lässt sich anführen, dass es sich auch bei ‚P-mit-Bezug auf R-Illokutionsnuancierung‘ um eine Strategie handelt, die ebenfalls darauf abzielt, den Hörer bei seiner Informationsdekodierung zu beeinflussen, und es sich somit letztlich auch um ein Verfahren der Re‐ zeptionssteuerung handelt. ‚Bei einem direkten physischen und psychischen Kontakt zwischen Pro‐ duzenten und Rezipienten Tendenz zu einer gefühlsbetonten Sprechweise‘: Dieses universale Diskursverfahren erlaubt ebenfalls eine Bestimmung in‐ nerhalb des Beschreibungsparameters ‚Rolle‘ 5 : Aus dem gemeinsamen Agieren der Gesprächspartner in unmittelbarer psychischer und physi‐ scher Nähe ergibt sich eine spezifische Konstellation, die Gesprächsteil‐ nehmer schneller zu einem emphatisch aufgeladenen Sprachduktus ver‐ anlasst. Dieser legt den Gebrauch von sprachlichen Mitteln des Gefühlsausdrucks und der Übertreibung nahe. Weil entsprechende sprach‐ liche Ausdrücke wie Interjektionen und hyperbolische Ausdrücke - bei der Computer vermittelten Kommunikation kommen noch graphostilistische Ausdrucksmittel wie Smileys, Emoticons etc. hinzu - sich aber häufig in einem semiotischen Grenzbereich zwischen verbalem und nicht verbalem Code befinden, möchte ich diese Zeichen im Rahmen des Beschreibungs‐ parameters ‚Code‘ (siehe Kapitel 8.1.1) thematisieren. Im Rahmen der vorliegenden Studie ist es mir nicht möglich, die universalen Diskursverfahren in ihrer Gesamtheit zu erörtern, die sich aus dem Parameter ‚Rolle‘ ableiten lassen. Darum beschränke ich mich auf die Verfahren ‚Sequen‐ zierung der Rede‘, ‚Engführung der Orientierung‘ und ‚Aggregative Rezept‐ 75 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ ionssteuerung‘ sowie die sprachlichen Mittel und Strukturen, in denen sich diese Verfahren manifestieren (cf. Tabelle in ‚Kapitel 4‘). 5.1 Sequenzierung der Rede In den Ausführungen des vorangehenden ‚Abschnitts 5‘ ‚Rolle‘ wurde bereits erwähnt, dass bei spontanen Dialogen nicht vorab geplant werden kann, wer wann und wie die Rolle des Sprechers bzw. die des Hörers einnimmt. In einem offenen, dynamischen und nicht geplanten Gesprächsablauf muss darum die Regelung des Rederechts ständig von neuem und unter Beteiligung aller Ge‐ sprächsteilnehmer organisiert werden. Nichtmuttersprachler, die in einer ihnen fremden Sprachkultur leben, stellt dieser Umstand gerade in der ersten Phase ihrer sprachlichen Integration vor große Herausforderungen. Auch wenn sie bereits in der Lage sind, den syntak‐ tischen Regeln der Zielsprache gemäß korrekte Sätze zu bilden, über ein ent‐ sprechend großes Vokabular verfügen und die Aussprache dieser Sprache an‐ nähernd beherrschen, bedeutet das noch nicht, dass es ihnen gelingt, sich in einem Kreis von Muttersprachlern angemessen an einem spontanen Alltagsge‐ spräch zu beteiligen. Auch meine eigenen Erfahrungen als Nichtmuttersprachler in Portugal zeigen, dass die größten Barrieren in solchen Situationen darin be‐ stehen, im richtigen Moment und relativ schnell den richtigen Ausdruck zu finden, der es einem erlaubt, in ein Gespräch normengerecht ‚einzusteigen‘. Und wenn das einmal geschafft ist, wird man merken, dass weitere sprachliche Mittel zur Verfügungen stehen sollten, die es ermöglichen, einen einmal begonnenen Sprechbeitrag ohne Unterbrechung durch die anderen beteiligten Gesprächs‐ partner weiterzuführen und bei Bedarf auch normgerecht abzuschließen. Erst wer in der Lage ist, diese kritischen Momente eines Alltagsdialogs unter An‐ wendung der entsprechenden sprachlichen Mittel zu meistern, verhält sich wie ein kompetenter Sprecher, wird auch als ein solcher akzeptiert und gewinnt das notwendige Selbstvertrauen zur Bewältigung künftiger Situationen des Nähe‐ sprechens. Zu den Mitteln, die es ermöglichen, als kompetenter Sprecher an Alltagsge‐ sprächen teilnehmen zu können, gehören der Argumentation oben folgend die Rederechtsmittel. Für die weitere Erläuterung und Gliederung dieser sprachli‐ 76 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ 6 Für die deutsche Sprache erfolgt eine solche Untergliederung in sehr detaillierter Form bei Weinrich im Kapitel „Syntax des Dialogs“ (2003, 819 sqq.). Dabei handelt es sich m. E. um Bestimmungen mit universalem Charakter, die auch auf andere Sprachen an‐ wendbar sind. 7 Diesen Begriff für die Bezeichnung von „rekurrenten Sprachgebrauchsmustern“, die es in allen Sprachen gibt, habe ich der Homepage des IDS entnommen. Gemeint sind feste Verbindungen von Wörtern, die bei Bedarf als Einheit aus dem Lexikon einer Sprache entnommen werden und im Gegensatz zu freien Wortverbindungen nicht vom Sprecher aus einzelnen Elementen zusammengesetzt werden müssen. Cf. http: / / www1. ids-mannheim.de/ lexik/ uwv.html (13. 4. 2017). 8 Eine Auflistung von ‚Verba dicendi‘ findet der Leser bei „Scribd“: https: / / pt.scribd.com/ doc/ 77282143/ Lista-de-Verbo-Dicendi (13. 4. 2017). chen Ausdrücke im Portugiesischen 6 berücksichtige ich sowohl ihre Funktionen als auch die Positionen, die sie typischerweise in einer Sprechsequenz ein‐ nehmen: (a) ‚Anfangssignale‘ (marcadores conversacionais iniciais) gebraucht ein Sprecher zu Beginn seines Sprechbeitrags und gibt so den Gesprächsteilneh‐ mern zu erkennen, dass er seinen ‚turn‘ beginnen möchte. Genauer betrachtet besteht die Funktion entsprechender Marker oft darin, seinen Gesprächspartner zu unterbrechen und ihm den ‚turn‘ wegzunehmen, um so den eigenen Spre‐ cherbeitrag einleiten zu können. In diesem Fall kann man auch von (b) ‚Signalen zur Übernahme des Rederechts‘ sprechen. Ob nun Rederechtsmittel als An‐ fangssignale oder Signale zur Übernahme des Rederechts bestimmt werden können, entscheidet der jeweilige Kontext ihres Vorkommens. (c) ‚Fortfüh‐ rungssignale‘ (marcadores conversacionais mediais) sind hingegen Ausdrücke, auf die Gesprächsteilnehmer zurückgreifen, während sie bereits sprechen. Sie stehen also oft eingebettet in der Mittel einer Sprechsequenz und machen deut‐ lich, dass man beabsichtig weiterzusprechen. Sprecher gebrauchen sie auch dann, wenn sie die Turnübernahme durch einen Gesprächspartner verhindern möchten. (d) Schließlich verfügen kompetente Gesprächsteilnehmer zur Orga‐ nisation des Rederechts noch über eine Reihe von ‚Beendigungssignalen‘ (mar‐ cadores conversacionais finais), die sie am Ende ihrer Sprechsequenzen einsetzen, bzw. durch die sie das Ende ihrer Äußerungen einleiten. Andere Rederechts‐ mittel, die Sprecher oft in Form „usueller Wortverbindungen“ 7 wie diga-me be‐ reits zu Beginn ihrer Sequenz formulieren, fordern den Gesprächspartner ex‐ plizit dazu auf, das Wort erst etwas später nach Beendigung des eigenen Beitrags zu ergreifen. Der Gebrauch solcher Ausdrücke wie z. B. diga-me uma coisa oder responde-me  8 muss allerdings nicht immer bedeuten, dass ein Sprecher tatsäch‐ lich die Intention verfolgt, seinen ‚turn‘ unmittelbar nach Aussprechen dieser Formel dem Gesprächspartner zu überlassen. In vielen Fällen handelt es sich vielmehr um eine Markierung zur Einleitung einer eigenen, längeren Sprech‐ 77 5.1 Sequenzierung der Rede 9 Der Ausdruck geht auf das englische adjacency pairs (Schegloff / Sacks 1973) zurück und beschreibt, wie direkt hintereinander folgende Sprechbeiträge syntaktisch und pragmatisch zusammenhängen. Ferner deutet der Begriff auf die notwendige Koope‐ ration der Gesprächsteilnehmer eines Dialogs bei der Erstellung von Sprechsequenzen. sequenz. (e) Trotzdem scheint es gerechtfertigt, zur Bezeichnung entsprech‐ ender Ausdrücke den Terminus ‚Redeaufforderungssignale‘ zu benutzen. Der Sequenzierung der Rede - Organisation der Aufteilung in Sprecher- und Hörerrolle - dienen neben den Rederechtsmitteln auch verschiedene Varianten der Adjazenz 9 , die man in die folgenden Gruppen untergliedern kann: (a) Bei einer ‚adjazenten Fortführung‘ führt ein Sprecher die Sprechsequenz seines Ge‐ sprächspartners fort, wobei er Teile dieser Sequenz für seine eigene Äußerung übernimmt. (b) In speziellen Fällen, auf die der Terminus ‚adjazente Paarfor‐ meln‘ zutrifft, geschieht diese Kooperation zwischen Sprecher und Hörer in Form von sich einander ergänzenden Wortformeln. Das sind sich paarig ergän‐ zende Teile von Dialogsequenzen, die sich im Laufe der Sprachgeschichte als Konventionen oder „Normen“ im Sinne Coserius (2007, 52 sqq.) entwickelt haben. Eine solche paarige Wortformel gebraucht z. B. ein Kunde beim Ein‐ kaufen, wenn er auf die Frage des Verkäufers mais uma coisa seinerseits mit dem Ausdruck é tudo reagiert, oder wenn am Fahrkartenschalter der Kunde beim Kauf seiner Fahrkarte auf die Frage des Bahnangestellten ida e volta antwortet só ida. (c) ‚Turn-taking‘ durch Adjazenz kann aber auch dadurch erfolgen, dass ein Sprecher ein einzelnes Wort, einen Teil, eine vollständige syntaktische Se‐ quenz oder sogar eine komplette Äußerung des Gesprächspartners aufgreift und sie dazu benutzt, seinen folgenden eigenen Sprechbeitrag einzuleiten. Für die Bezeichnung dieser Ausprägung von Adjazenz wird im Folgenden der Terminus ‚adjazente Wiederaufnahme‘ benutzt. Schema zur Veranschaulichung der Funktionen, Formen und Positionen von Rederechtsmitteln im Portugiesischen Funktion und Form Position in der Sprech‐ sequenz Einnahme oder Eroberung der Sprecherrolle → Anfangs- oder Redeübernahmesignale → Formen adjazenter Fortführung und Wiederaufnahme Beginn einer Sprechse‐ quenz Abwehr der Redeübernahme → Fortführungssignale In der Mitte einer Sprechsequenz 78 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ Funktion und Form Position in der Sprech‐ sequenz Abbruch des eigenen Beitrags als Sprecher → Beendigungssignale Am Ende der Sprechse‐ quenz Explizite Übergabe des Rederechts an den Gesprächspartner → Redeaufforderungssignale, oft in Form ‚usueller Wort‐ verbindungen‘ oder ‚verbos declarativos‘ wie dizer, falar, res‐ ponder, perguntar etc. Am Anfang oder Ende des ‚turns‘ 5.1.1 Rederechtssignale Das folgende Korpus umfasst acht Beispiele zur Organisation des Rederechts mit Hilfe von sprachlichen Ausdrücken, über die portugiesische Sprecher eigens für diesen Zweck verfügen sowie acht weiterer Beispiele, in denen diese Aufgabe durch adjazente Strukturen übernommen werden. Die entsprechenden Inter‐ pretationen werden nach diesen beiden Gruppen untergliedert vorgenommen. (1) C- ORAL - ROM ‚pfamdl17.txt‘ - Erfahrungen an der Universität R/ de antigos alunos / / que se realizou uma vez / hum / na / no Parque das Nações / / <n-o sei> N [<] <ah> / / R / bem / / um ano ou dois depois do curso / / já n-o me recordo bem / / e / eu fiquei na mesa dele / / precisamente / / […] (2) C- ORAL - ROM ‚pfamdl04.txt‘ - Brasilienreise J olhe / a / a / <a sua viagem> R [<] <hhh> J / ao Brasil / como é que correu? (3) C- ORAL - ROM ‚pfamdl04.txt‘ - Brasilienreise R / por assim dizer / / ah / há de haver / eh / o / nós / n-o estamos a olhar para aquilo a que se assemelham / mas sim para <aquilo em> / J [<] <hum hum> / / R / em que / <em que divergem> / / J [<] <e diga-me uma> coisa / / as pessoas / ah / as opiniões sobre os brasileiros / divergem muito / / há os que acham que os brasileiros / que n-o têm piada <nen‐ huma> / / [nach kurzer Unterbrechung durch das Engführungssignal hum hum seines Gesprächspartners setzt R seine Äußerung fort] há os que acham que / os brasileiros s-o o máximo / / com que opini-o é que ficou ? 79 5.1 Sequenzierung der Rede (4) C- ORAL - ROM ‚pfamcv12.txt‘ - bekannte Persönlichkeiten L / [<] <e nós assim> / / F já agora diz lá o que é que respondeste / / L <eu disse que sim> / (5) C- ORAL - ROM ‚pfamdl09.txt‘ - Studentische Abschlussreise in die Domini‐ kanische Republik O / ah / mas isto vinha a propósito ah / eu ia-te contar / / eu acho que nunca tinha visto ninguém com um sono t-o pesado como ele / / N <ent-o> ? O / [<] <houve uma> / houve uma tarde / que nós estávamos na praia / / depois (6) C- ORAL - ROM ‚pfamdl17.txt‘ - Erfahrungen an der Universität R / e pensa / / que estupidez / / que ar / mesmo de ursa / que eu fiz aqui / <hhh> / / N [<] <hhh> R / tipo / só para dizer / / em frente / / vira à direita / / sai uma coisa completamente idiota / / misturada com inglês / e espanhol / <italiano / se for preciso> / / N [<] <hhh> R / mas pronto / / (7) C- ORAL - ROM ‚pfamcv05.txt‘ - Musik, Besuch von Livekonzerten P / foi um bocado <decepcionante> / / A [<] <muito intimista / / S [<] <hhh> P [<] <muito intimista / / exactamente> / / mas / mas enfim / / (8) C- ORAL - ROM ‚pfamcv08.txt‘ - Gespräche über Erziehung) S / e que as prendas / ah / enfim / ah / seria uma / das facetas / / mas n-o é a prin‐ cipal / / n-o é / / portanto / seria muito mais / outro tipo de situaç-o / / e eles / com‐ preenderam / / acharam bem / / é claro que sim / / sim senhora / / que compreendem que / se / se dá uma prenda / de cinco contos a / a que / a que nos dá / a que nos deem uma prenda de trezentos / tome / leva uma de duzentos / / <pronto> / / In den ‚Beispielsätzen 1 und 2‘ sind es die charakteristischen Anfangssignale bem und olhe, die portugiesische Sprecher zu Beginn ihrer Äußerung gebrau‐ chen, wenn sie vorhaben, eine eigene Äußerung einzuleiten, die auch in eine längere Sprechsequenz münden kann. Je nach Kontext können beide Ausdrücke allerdings auch als Signale zur Übernahme des Rederechts eingesetzt werden, wenn sie darauf abzielen, eine noch im Ablauf begriffene und nicht abgeschlos‐ sene Sprechsequenz des Gesprächspartners zu unterbrechen. Beim komplexen Ausdruck e diga-me uma coisa handelt es sich im Gegensatz zu den Wörtern bem und olhe um einen vollständigen Satz. Diese Wörter sowie 80 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ 10 Das IDS benutzt diesen Terminus bei der Bezeichnung eines Forschungsprojekts auf seiner Homepage: http: / / www1.ids-mannheim.de/ lexik/ uwv/ uwv.html. (18. 4. 2017). aus mehreren Elementen bestehende „usuelle Wortverbindungen“ 10 - oft in Form vollständiger Sätze unter Einbeziehung von ‚verba dicendi‘ - haben sich im Laufe der Zeit in einer Sprachgemeinschaft herausgebildet und werden von Sprechern in Dialogen zur Organisation des Rederechts benutzt. Im vorlie‐ genden Kontext kann man diga-me uma coisa entweder als Angangs- Redeauf‐ forderungs- oder Beendigungssignal auffassen, je nachdem welche Perspektive man zur Interpretation seiner Funktion anlegt. ‚Sprecher J‘ benutzt ihn zur Ein‐ leitung seines Sprecherbeitrags, fordert gleichzeitig aber auch seinen ‚Ge‐ sprächspartner R‘ auf, zu einem späteren Zeitpunkt zu antworten, d. h. selber seine eigenen Redebeitrag zu starten und leitet somit bereits auch das Ende seines eben begonnenen Beitrags ein. Der Kontext des ‚Beispiels 4‘, genauer gesagt die Kürze des Redebeitrags von ‚Sprecher F‘, weist den Ausdruck diz lá als Redeaufforderungssignal aus, wäh‐ rend derselbe Sprecher grade vorher seinen ‚turn‘ noch mittels des Ausdrucks já agora eingeleitet hatte. Durch das Fortführungssignal ent-o in ‚Beispiel 5‘ gibt ‚Sprecher N‘ direkt nach dem Sprecherwechsel zu verstehen, dass er möchte, dass ‚Sprecher O‘ seine vorher begonnene Äußerung weiterführt. Gleichzeitig erreicht ‚N‘ durch das Aussprechen von ent-o - zusammen mit der für eine Frage charakteristischen Intonation -, dass ‚Sprecher O‘ der Eindruck vermittelt wird, dass ‚N‘ zuhört und versteht. Man könnte es auch so ausdrücken, dass ‚Sprecher N‘ zu erkennen gibt, dass er sich ‚online‘ befindet. Diese Interpretation würde ent-o in diesem Kontext zusätzlich als Engführungssignal charakterisieren, eine Zuordnung, die der latent vorhandenen Polyfunktionalität und Flexibilität von Diskursmarkern wie ent-o, pois, agora, portanto etc. entspricht. In den ‚Beispielen 6 und 7‘ kann man die Ausdrücke mas pronto und enfim am Ende der jeweiligen Sprechsequenz eindeutig als Rederechtsmittel zur Be‐ endigung eines Sprechbeitrags bestimmen. Durch sie verweisen ‚Sprecher R‘ und ‚Sprecher P‘ darauf, dass sie ihre Sprechbeiträge mittels dieser Ausrücke unmittelbar zu beenden beabsichtigen. In ‚Beispiel 8‘ gebraucht der Sprecher in der ersten Zeile auch den Diskursmarker enfim. Doch nutzt er ihn in diesem Kontext zwischen zwei Zögerungssignalen m. E. als weiteres Zögerungssignal zur Überbrückung einer Denkpause und nicht als Rederechtsmittel. Eine ähn‐ liche Interpretation legt der Ausdruck portanto in der zweiten Zeile dieser Äu‐ ßerung nahe. Für diese Sichtweise spricht auch die durch die Doppelbalken / / markierte vorausgehende längere Pause sowie der Ausdruck n-o é. Man kann 81 5.1 Sequenzierung der Rede 11 Die Funktion ambivalenter Konnektoren zur interpropositionalen Kohärenzstiftung wird explizit in Kapitel 6.1 thematisiert. Die Markierung einer konklusiven oder kon‐ sekutiven Relationsstiftung zwischen vorhergängiger und folgender Proposition würde ich dem Ausdruck portanto im obigen Kontext allerdings nur mit Bedenken zugestehen. Wahrscheinlicher scheint in diesem Kontext seine Bestimmung als ‚Überbrückungs‐ phänomen‘ (cf. Kapitel 6.3.1). 12 Die drei zitierten Tweets wurden in ihren Originalformen belassen, d. h. mit allen or‐ thographischen Fehlern und sprachspielerisch bedingten Veränderungen. Beim Aus‐ druck at-o cave-mene, tá tudo? in ‚Beispiel 1‘ könnte man annehmen, dass mit cave-mene ‚cave-man‘, also engl. ‚Höhlenmensch‘ gemeint ist, als ironischer Ausdruck für je‐ manden, der den ganzen Tag vor dem Computer hockt. At-o steht für ent-o und tá tudo für está tudo, als abkürzende Frage nach dem Wohlergehen des Kommunikationspart‐ ners. Die ‚Beispiele 2 und 3‘ würden ins Standardportugiesisch übersetzt bem foi só uma reflex-o und ent-o vá, às férias lauten. sich vorstellen, dass ‚Sprecher S‘ bereits durch ihn seinen ‚turn‘ bei gleichzei‐ tiger Wahrung des Diskursverfahrens ‚Engführung‘ abschließen wollte, sich aber dann in einer folgenden Phase seiner Planung entschloss, seine Sprechse‐ quenz mittels des überbrückenden Ausdrucks portanto fortzusetzen. Wie man in dieser etwas längeren monologischen Sprechsequenz von ‚Bei‐ spiel 8‘ erkennt, ist es schwierig zu unterscheiden, welche Funktion enfim und portanto  11 letztendlich bei der Organisierung der Sprechsequenz übernehmen. Weil wir nicht in die Köpfe der Gesprächsteilnehmer hineinblicken können, ist es ausgeschlossen, mit absoluter Sicherheit festzulegen, ob es sich um Signale handelt, mittels derer ‚Sprecher S‘ dem Gesprächspartner anzuzeigen gedenkt, dass er weitersprechen möchte, ob es Ausdrücke sind, die er lediglich dazu ein‐ setzt, Zeit zu gewinnen (Zögerungssignale), oder ob diese Diskursmarker beide Aufgaben simultan übernehmen. Der Kontext sowie der polyfunktionale Cha‐ rakter von Diskursmarken lässt die Annahme zu, dass sie beide Funktionen zu übernehmen in der Lage sind. Der Ausdruck pronto am Schluss der Sprechse‐ quenz lässt sich hingegen relativ eindeutig als Beendigungsmerkmal identifi‐ zieren. Auch in Praktiken der ‚keyboard-to-screen communication‘ werden vereinzelt Ausdrücke gebraucht, die scheinbar dem Inventar der Rederechtsmittel zuge‐ ordnet werden können. So findet man in den Tweets des ‚Hannover-Korpus‘ (Sieberg 2013 b ) Beispiele wie (1) @meehehe (acrescentando uns ehehehehs…), at-o cave-mene, tá tudo? , (2) bem foi so uma reflexao antes de me deitar, senti necessidade de o dizer oder (3) t-o vá, às férias  12 . Doch halte ich es nicht für angemessen, den hier gebrauchten Diskurmarkern ent-o und bem die Funktion von Rederechtsmitteln zuzuordnen. Das Kommu‐ nizieren auf der Internetplattform ‚Twitter‘ erfordert es nämlich nicht, eine Ge‐ 82 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ 13 Besonders zur Einleitung der Schlussphase portugiesischer Telefongespräche. Siehe auch den Beitrag zur Sprache portugiesischer Telefonkommunikation bei Sieberg 2003 a . 14 Unter anderem Blickwinkel und den Vorrausetzungen eines anderen methodischen Konzepts könnte man eine Form wie para começar auch als Operator in einer ‚O-SK-ST‘ bestimmen (cf. Kapitel 5.3.1). (a) (b) (c) sprächsübernahme mittels eines Rederechtssignals einzuleiten. Genauso sind Rederechtssignale in der Funktion von Fortführungssignalen obsolet. Wahr‐ scheinlicher scheint eine Interpretation, die davon ausgeht, dass ‚User‘ ihr Kom‐ munizieren per Twitter subjektiv mit dialogischem Sprechen assoziieren und folglich Sprachmittel gebrauchen, die sie auch bei prototypischen Formen des Nähesprechens (Alltagsdialoge) einsetzen würden. Etwas anders liegt der Fall bei der dritten Äußerung t-o vá, às férias. Durch den Ausdruck (en)t-o vá deutet der ‚User‘ in der Tat an, dass er seine virtuelle Kommunikation abzubrechen gedenkt. Zusammen mit às ferias kann man den Gesamtausdruck allerdings auch als Verabschiedungsformel interpretieren. Trotzdem scheint es mir in diesem Fall gerechtfertigt, eine Parallele zur Funktion (Beendigungssignal) des gleichlautenden Rederechtsmittels ent-o vá zu ziehen, wie Sprecher sie im Kontext von prototypischen kommunikativen Praktiken des Nähesprechens - hinsichtlich dieses Diskursmarkers speziell beim Telefo‐ nieren - gebrauchen würden 13 . Als vorläufiges Inventar von Ausdrücken zur Organisation des Rederechts lassen sich folgende drei Gruppen zusammenstellen: Anfangssignale bzw. Signale zur Übernahme des Rederechts (marcadores conversacionais iniciais): acabou? , (e) agora, anda lá, bem (mas), bom (mas), depois, desculpe (mas), diga-me (uma coisa), é assim, e depois, (e)ent-o, enfim, já agora, oiça, olha, olhe, ora, ora bem, ora ent-o, ouve (lá), mas, mas oiça, para começar  14 , pois, pois é, por acaso, portanto, quer dizer, se me d-o licença, se me permite, vamos lá ver (uma coisa) etc. Fortführungssignale bzw. Signale zur Abwehr der Redeübernahme (mar‐ cadores conversacionais mediais): agora, bem (mas), bom (mas), deixa-me acabar, depois, e, (e)depois, deixa-me acabar, (e)ent-o, enfim, espera (aí), já agora, momento só, pois, portanto etc. Beendigungssignale bzw. Signale zur Aufforderung bzw. Fortführung der Turnübernahme an den Gesprächspartner (marcadores conversacionais fi‐ nais): acabei, ainda n-o acabei (acabei), acabou, acabou-se, diga, diga-lá, diga-me uma coisa, diz lá, (e) é assim, e ent-o, ent-o vá (oft am Telefon), 83 5.1 Sequenzierung der Rede enfim, n-o é, fala-lá, (e) mais nada, n-o é assim, n-o é, n-o foi, n-o é verdade, pergunto-te, (e) pronto, sim senhora etc. 5.1.2 Adjazente Strukturen (9) C- ORAL - ROM ‚pfamcv11.txt‘ - Rauchen in den USA N [<] <e os> putos / aqueles / eh / miúdos dos / dos / quinze aos / ao / aos vinte anos / n-o fumam de todo / / M e até porque n-o podem / eles próprios / n-o podem comprar <tabaco> / / (10) C- ORAL - ROM ‚ppubcv01.txt‘ - Die Arbeit der Linguisten des CLUL bei der Zusammenstellung eines Korpus T [<] <eh> / estamos a ver os clíticos / também / C / mas ainda <tudo muito / muito superficial> / / (11) C- ORAL - ROM ‚pfammn14.txt‘ - Erinnerungen austauschen J / a andarem de bicicleta na cidade / / <espectáculo> / / N [<] <dum lado para o outro> / / (12) C- ORAL - ROM ‚pfamcv09.txt‘ - Napoleon N estivemos a falar disso hoje / <a cultura> / / C [<] <pois> / / mas o / a mania dele pela Península Ibérica / / <às tantas a quest-o> R [<] <mas ele / a quest-o> aí é diferente / porque ele em / em / na / na Espanha / n / n-o sei / mas se calhar / é pelo / talvez por uma coisa de estatuto / / […] (13) C- ORAL - ROM ‚pfamcv09.txt‘ - Napoleon C [<] <sim / mas isso / isso / essa> coisa das redes anti-aéreas / tem uma longa história / / N longa e recente / / (14) C- ORAL - ROM ‚pfamcv05.txt‘ - Musik, Besuch von Live Konzerten P n-o há assim nenhum / que / que me desperte assim uma grande curiosidade para ir ver um concerto / / há um / mas eu agora esqueci-me do nome da <banda> / / A [<] <"cowboy> junkies" / / P exactamente / / esse quero ir ver / / A queres ir ver / / e <porquê> ? (15) C- ORAL - ROM ‚pfamcv05.txt‘ - Musik, Besuch von Livekonzerten N / até ser mais caro / acho que o espectáculo … A pode ser mais <interessante> / / N [<] <pode ser> mais interessante / / por ser um / uma sala mais pequena / / mais a / aconchegante / / 84 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ (16) C- ORAL - ROM ‚pfamcv08.txt‘ - Erziehung P [<] / pois foi na segunda-feira / que tu estavas a tirar <fotocópias / para> … S [<] <estava / / estava> / / e depois vou eu tirar as fotocó / / enfim / / ah / s-o as delícias da / da / do nosso ensino em Portugal "] Adjazente Strukturen in ihren unterschiedlichen Ausprägungen und mithin das Prinzip gegenseitiger Ergänzung und Kooperation erweisen sich auch hinsicht‐ lich der Organisation des Rederechts als zentrales Mittel zur Wahrung dieser Aufgaben des Nähesprechens. In ‚Beispiel 9‘ ermöglicht es eine adjazente Fort‐ führung, dass ‚Sprecher M‘ den ‚turn‘ von ‚Sprecher P‘ übernimmt. ‚M‘ nutzt eine kleine Pause, die ‚N‘ in seiner Sprechsequenz in direktem Anschluss an die syntaktische Struktur der vorher von ‚N‘ begonnenen Äußerung einlegt, um dessen Äußerung weiterzuführen. Die sozusagen in ‚Kooperation‘ geschaffene Gesamtkonstruktion weist dann folgende Form auf: (Sprecher N + M) [<] <e os> putos / aqueles / eh / miúdos dos / dos / quinze aos / ao / aos vinte anos / n-o fumam de todo / / -> e até porque n-o podem / eles próprios / n-o podem comprar <ta‐ baco> / / . Dasselbe Prinzip einer adjazenten Fortführung benutzen in den ‚Bei‐ spielen 10 und 11‘ auch ‚Sprecher C und N‘, um das Rederecht zu erhalten und ihren eigenen Sprechbeitrag einzuleiten. In ‚Beispiel 12‘ erreicht ‚Sprecher R‘ das gleiche Ziel durch eine adjazente Wiederaufnahme. Er greift den Begriff quest-o aus der Sprechsequenz von ‚Sprecher C‘ heraus und macht ihn zum Topik seiner eigenen folgenden Äuße‐ rung. Die gleiche ‚Technik‘ benutzt ‚Sprecher N‘ in ‚Beispiel 13‘, indem er das at‐ tributive Adjektiv longa história seines Vorsprechers aufgreift und um das Ele‐ ment recente erweitert, so dass die Attribuierung longa e recente entsteht. Auch in ‚Beispiel 14‘ gelangt ‚Sprecher A‘ durch die adjazente Wiederauf‐ nahme des vollständigen Satzes quero ir ver das Rederecht. Er macht aus der Aussage von ‚Sprecher P‘ eine Frage, verändert entsprechend das Prädikat und gelangt auf diesem Weg zu einem eigenen ‚turn‘ und zu dem Gesprächsbeitrag queres ir ver / / e <porquê> ? Adjazente Wiederaufnahme von Sprechsequenzen unterschiedlichen Um‐ fangs und Komplexität benutzen die ‚Sprecher N und S‘ auch in den ‚Bei‐ spielen 15 und 16‘, um jeweils das Rederecht zu bekommen. 5.1.3 Zusammenfassung Unter pragmatischen Gesichtspunkten gehört die Organisation des Rederechts mit zu einer der wichtigsten Aufgaben, die erfüllt werden muss, um das Funk‐ tionieren prototypischer Formen des Nähesprechens wie das von Alltagsdia‐ 85 5.1 Sequenzierung der Rede 15 In diesem Zusammenhang sei an die in der Literatur geführte Diskussion „Grammati‐ kalisierung vs. Pragmatikalisierung“ (Siehe Günthner / Mutz 2004; Hopper / Traugott 2006 und Rojek 2013) erinnert, wobei ich an dieser Stelle nicht auf eine Diskussion über das Verhältnis beider Prozesse, das in der Literatur unterschiedlich bestimmt wird, ein‐ gehen kann. In Übertragung auf die portugiesischen Diskursmarker zur Organisierung des Rederechts wie agora, bem, ent-o, pronto, pois etc. scheint mir aber die These ein‐ leuchtend, der zufolge sie einen Prozess der Pragmatikalisierung durchlaufen haben. Schließlich handelt es sich bei ihnen „nicht um die Entwicklung eines grammatischen Mittels zu einem anderen ebenso grammatischen, sondern um eine Umfunktionierung zu den Zwecken der Gesprächssteuerung und des Einstellungsausdrucks“ (Günthner / Mutz 2004, zitiert nach Molnár 2008, 183-284). 16 Zur Erläuterung dieser erwähnten Begriffe im Kontext ihrer Anwendung siehe Ka‐ pitel 5.2.1 (Engführung), 6.2.1 (Reaktive) und 6.3.1 (Überbrückungsphänomene). logen zu gewährleisten. Die vorgenommene Analyse der Beispiele aus dem ‚ CLUL -Korpus‘ zeigt, dass es zwei Formen der Rederechtsmittel sind, die diese Aufgabe übernehmen: Eine bestimmte Gruppe von Diskursmarkern sowie Formen einer adjazenten Strukturierung des dialogischen Verlaufs von Alltags‐ gesprächen. Bei den Diskursmarkern in der Funktion von Rederechtsmitteln handelt es sich um eine Gruppe von Partikeln wie agora, bem, ent-o, portanto, enfim, pois, pronto etc., zu der aber auch ‚usuelle Wortverbindungen‘ unterschiedlicher Ex‐ tension und syntaktischer Integration hinzukommen. Im Extremfall bestehen sie aus syntaktisch vollständigen Sätzen wie vamos lá ver uma coisa oder deixa-me acabar etc. Die Untergliederung der Diskursmarker in verschiedene Funktionsklassen, zu denen Anfangssignale, Signale zur Übernahme des Rederechts, Fortfüh‐ rungssignale, Beendigungs- und Aufforderungssignale gehören, lässt sich re‐ lativ unproblematisch am Beispielmaterial veranschaulichen ebenso die ent‐ sprechenden Positionen, die sie dabei in den Sprechsequenzen einzunehmen pflegen. Der hohe Grad ihrer Grammatikalisierung bzw. Pragmatikalisierung 15 führt allerdings dazu, dass Diskursmarker wie den oben genannten nicht ausschließ‐ lich Aufgaben im Bereich der Rederechtsorganisation übernehmen. Sie werden auch als Ausdrücke zur ‚Engführung‘ sowie als ‚Überbrückungsphänomene‘ und ‚Reaktive‘ gebraucht 16 . Es handelt sich um eine Gruppe sehr flexibel ein‐ setzbarer und polyfunktionaler Sprachzeichen, deren eindeutige Zuordnung zu einer der genannten Funktionen aus dem Kontext heraus und unter Einbezie‐ hung von ‚suprasegmentalen Merkmalen der Prosodie‘ und ‚nichtverbalen An‐ teile der Kommunikation‘ (cf. Kapitel 4) erfolgen müsste; Informationen, die das hier benutzte ‚ CLUL -Korpus‘ leider nicht bereitstellt. 86 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ Der dynamische Ablauf dialogischen Sprechens, die miteinander verketteten Sprechsequenzen und die kooperative Herausbildung von Sprechsequenzen sind der Grund dafür, dass es neben den Diskursmarkern ebenso häufig Formen der Adjazenz sind, die zur Organisation des Rederechts beitragen. Ihre Leistung beschränkt sich allerdings auf die Initiierung eigener Redebeiträge, was ihre Position logischerweise auf den Anfang der jeweiligen Sprechsequenz ein‐ schränkt. In kommunikativen Praktiken der ‚keyboard-to-screen communication‘ ( Ju‐ cker / Dürscheid 2012) sind Rederechtsmittel eigentlich kaum zu erwarten, weil man in den meisten dieser kommunikativen Praktiken der Computer vermit‐ telten Kommunikation davon ausgehen kann, dass die kommunikativen Abläufe und somit auch die Momente, in denen ‚User‘ die Rolle des Sprechers bzw. des Hörers einnehmen, vorab geklärt sind. Wenn ‚User‘ trotzdem zu entsprechenden Rederechtsmitteln greifen, ist dieses nicht objektiv erforderlich, sondern bedingt durch ihr Gefühl, dem zufolge sie Teil eines kommunikativen Ablaufs sind, der Ähnlichkeiten mit prototypischen Formen des Nähesprechens aufweist. Diese Ähnlichkeit besteht insbesondere hinsichtlich der Schnelligkeit der kommuni‐ kativen Abläufe. Darum überrascht es nicht, wenn sich ‚User‘ sozusagen intuitiv derselben sprachlichen Ausdrucksmittel bedienen wie die Teilnehmer an einem Alltagsdialog. Innerhalb des Bereiches der ‚keyboard-to-screen communication‘ beschränkt sich die an dieser Stelle vorgenommene Untersuchung auf die kom‐ munikative Praktik des Twitterns. Man darf aber davon ausgehen, dass andere Formen der Computer basierten Kommunikation wie z. B. die über die Inter‐ netplattform Skype ablaufenden ‚Online-Gespräche‘ im gleichen Ausmaß wie Alltagsdialoge vom Gebrauch der Rederechtsmittel abhängen und geprägt werden. 5.2 Engführung der Orientierungen Der Begriff der „Engführung“ wurde von Feilke im Zusammenhang seiner „Common sense-Kompetenz“ Theorie eingeführt und beschreibt Grundvoraus‐ setzungen einer an gegenseitiger Verständigung orientierten Kommunikation (Feilke 1994, 364 sq.). Bei Mitteln zur Engführung handelt es sich dabei um sprachliche Ausdrücke, mittels derer Sprecher / Hörer versuchen, parallel zum Austausch von Informationen dafür zu sorgen, das, was sie meinen (Sprecher) bzw. das, was sie verstehen (Hörer), ständig miteinander abzugleichen oder ab‐ zustimmen und somit alles Mögliche zu tun, um zu vermeiden, aneinander ‚vor‐ beizureden‘. Angestrebt wird somit, trotz unterschiedlicher individueller Aus‐ 87 5.2 Engführung der Orientierungen gangspositionen, eventuell voneinander abweichender Meinungen und Werte zu einer echten Kooperation und gegenseitigem Verstehen zumindest auf kom‐ munikativer Ebene zu gelangen. Diese Überlegung geht davon aus, dass Menschen, die miteinander kommu‐ nizieren, jeweils über unterschiedliche Ausgangspositionen hinsichtlich ihres Sachwissens, ihrer kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten, ihrer emotionellen Befindlichkeiten und Interessen, etc. verfügen. Feilke gebraucht zur Bezeich‐ nung dieses Umstandes den Begriff unterschiedliche „Orientierungen“ (1994, 365). Folglich ist eigentlich zu erwarten und zu befürchten, dass Miteinander‐ sprechen auch von Momenten gegenseitigen Nichtverstehens und von Miss‐ verständnissen geprägt ist. Um diesem Problem auszuweichen, verfügen Sprecher und Hörer als Korrektiv über die Möglichkeit diesem ‚Anei‐ nander-vorbei-Sprechen‘ entgegenzusteuern und ihre unterschiedlichen Orien‐ tierungen zumindest auf der Ebene eines gegenseitigen Verstehens ‚engzu‐ führen‘. Um einem Missverständnis vorzubeugen: ‚Engführung‘ zielt nicht darauf ab, gegenseitige Übereinstimmung hinsichtlich unterschiedlicher Meinungen oder Geltungsansprüche zu erzielen oder einen Konsens orientierten Diskurs zu führen. Mittel der Engführung - Ágel / Hennig sprechen auch von „Kontakt‐ signalen“ (2007, 195) - werden vielmehr von Seiten des Sprechers dazu genutzt, sicherzustellen, dass das, was der Hörer versteht, möglichst mit dem überein‐ stimmt, was der Sprecher mit seinen Aussagen meint. Der Hörer seinerseits versucht dem Sprecher zu vermitteln, dass er, der Sprecher, dieses Ziel auch erreicht hat, bzw. dass es eventuell einer Wiederholung oder einer Umformu‐ lierung bedarf, um diesem Ziel näher zu kommen. Feilke beschreibt diesen Pro‐ zess der Engführung im folgenden Zitat (Feilke 1994, 142): Jedes Verhalten A’s unter den Bedingungen wechselseitiger Wahrnehmung ist, wenn auch eine eindeutige Intention zugrunde liegen mag, sozial [Hervorhebung durch den Autor] mehrdeutig. Es bietet immer mehrere Möglichkeiten der Interpretation gleich‐ zeitig. Dass die von B vollzogene Interpretation mit der von A intendierten überein‐ stimmt, ist unwahrscheinlich. Das gleiche gilt dann auch für B´s Reaktion. Die Effekte der Kommunikation verändern die Bedingungen für Intentionen. Über die wechsel‐ seitige Orientierung an Effekten kann dabei Mehrdeutigkeiten in dem Maße reduziert werden bzw. kommt es in dem Maße zu einer Engführung der Orientierungen von A und B, wie sie auf Resultate ihrer Kommunikation als voraussetzbares intersubjektives Wissen zurückgreifen können. So bildet sich ein Common sense. Gleichzeitig erlangt dieses Wissen über die Verständigungsbasis einen erhöhten Grad von sozialer Ver‐ bindlichkeit, denn es ist die Vorrausetzung für die Anschließbarkeit von Kommuni‐ kation an Kommunikation. 88 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ 17 Cf. http: / / www1.ids-mannheim.de/ lexik/ uwv/ uwv.html. (18. 4. 2017). 5.2.1 Sprachliche und tonale Zeichen zur Engführung Engführung kann im Portugiesischen in Form spezifischer Engführungs- oder Kontaktsignale erfolgen. Diese kommen als „tonale Zeichen“ (Henne / Rehbock 1982, 80), als einzelne Wörter und feste sprachliche Formeln vor, die an anderer Stelle dieses Buches bereits als „usuelle Wortverbindungen“ (cf. die Homepage des IDS 17 ) bezeichnet wurden. Unter pragmatischem Gesichtspunkt und in Er‐ füllung unterschiedlicher Verfahren der Diskursgestaltung besitzen Letztere eine zentrale Bedeutung. Auffallend ist hierbei die Redundanz, mit der Sprecher häufig Engführungs- oder Kontaktsignale im Zusammenwirken mit Mitteln der Adjazenz zur Absicherung des gegenseitigen Verständnisses zwischen Spre‐ chern und Hörer einsetzen. (1) C- ORAL - ROM ‚pfamdl08.txt‘ - Essen in der Algarve V / porque muitas vezes / tem mais movimento naquela linha jovem / do que na outra / <n-o é> / / J [<] <pois> / / V / ent-o vê-se mesas grandes / de jovens a beberem coca-cola / e a comerem / ah / hamburguers e coisas assim / / ah / mas os restaurantes n-o deixam de / <de servir> / J [<] <pois> / / V / e essas coisas / / <mas> / J [<] <pois> / / V / é frequente isso / / ver-se pessoas duma certa idade a apreciar os bons pratos / da cozinha <algarvia> / / J [<] <hum hum> / / (2) C- ORAL - ROM ‚pfamcv02.txt‘ - Anwälte und Kleiderordnung Z / manei / há maneiras mais subtis / n-o é logo / carregar logo no primeiro ano / / percebes ? J pois / / mas / ah / vocês / preparar para o futuro / / vocês acham que no futuro / um advogado terá de / usar (3) C- ORAL - ROM ‚pfamdl14.txt‘ - Das Lissabon vergangener Tage N: / em termos de / de / de promiss-o / / n-o é / / futura / / e / e achei que aquilo tem / tem montes de potencialidades / / que é a parte mais bonita de Lisboa / realmente / / <n-o tem sentido> J [<] <é realmente> a parte <mais> N [<] <n-o> tem sentido aquilo estar / aos caídos / / n-o é ? J pois n-o / / de maneira <nenhuma> / / 89 5.2 Engführung der Orientierungen 18 Korrekt geschrieben ‚Quimbundo‘ Einer der in Angola - Region ‚Luanda-Malanje‘ - gesprochenen einheimischen Sprachen. Cf. https: / / ciberduvidas.iscte-iul.pt/ consultorio/ perguntas/ quimbundo-no-portugues/ 5362 (19. 4. 2017). (4) C- ORAL - ROM ‚pfamcv05.txt‘ - Musik, Besuch von Livekonzerten P [<] <muito intimista / / exactamente> / / mas / mas enfim / / ah A mas é estranho / / dizermos exactamente o mesmo / / ah / demos exactamente a mesma raz-o para n-o irmos ver os <tindersticks / / que é> […] . N [<] <os tindersticks / / pois é> / / (5) C- ORAL - ROM ‚pfamdl19.txt‘ - Erinnerungen an Afrika E / / […] e a criança / portanto / eh / ia / para um mundo / que começava a abrir / para ele / diferente / / portanto / ia começar a saber / dizer / por exemplo / uma pa‐ lavra / em português / e outra no seu quibundo  18 / / nós tínhamos que explicar também / / saber / qualquer coisa deles / H sei / / E / para sabermos adaptar / ao nosso / ao nosso esquema / de vida / / e a nossa / maneira de ser / e aquilo que nós tínhamos para lhes transmitir / / e eles portanto / eram / mara / era uma descoberta / / estavam sempre a descobrir / coisas / / e depois queriam saber os porquês / / o <porquê> / / H [<] <sim sim> / / E / e o a vontade deles / eh / porque eles depois […] In ‚Beispiel 1‘ wird ‚Sprecher V‘ in seiner Sprechsequenz nur durch vier kurze Einwürfe seines Gesprächspartners, die selber keine referenzielle Bedeutung tragen, unterbrochen oder besser gesagt unterstützt. Die Engführsignale pois und das reduplizierte hum hum helfen nämlich ‚Sprecher V‘, weil sie ihm zu verstehen geben, dass ‚Sprecher J‘ sich online befindet, das bedeutet, dass er zuhört und die Äußerungen von ‚V‘ zu verstehen glaubt. In diesem Sinn stärken diese Signale ‚Sprecher V‘ in seiner Absicht weiterzusprechen, weil er davon ausgehen kann, dass sein Gegenüber ihm zuhört und seine Äußerungen scheinbar zu verstehen scheint. Diesen Eindruck muss ‚Sprecher V‘ nach dem ersten von ihm übermittelten Sprechersignal n-o é gewinnen, durch das er ab‐ sichert, dass er mit seiner monologisch angelegten Sprechsequenz, die unter syntaktischen Gesichtspunkt eine Einheit bildet, fortfahren kann. In der Lite‐ ratur findet sich für einen solchen vom Sprecher ausgesandten Ausdruck zur Engführung auch die treffende Bezeichnung „Rückversicherungssignal“ (Schwi‐ talla 2012, 95). Als weitere Ausdrücke zur Engführung finden sich in den ‚Beispielen 2 bis 5‘ die Sprechersignale percebes und n-o é (jedes von ihnen wird zwei Mal ge‐ braucht). Engführung durch vom Hörer übermittelte tonale Zeichen bzw. 90 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ 19 Name einer zur damaligen Zeit auch in Portugal bekannten britischen Popgruppe. 20 CF. Lehman auf seiner Webseite zu Grundbegriffen der Linguistik: http: / / www. christianlehmann.eu/ ling/ elements/ parasprache.html (19. 4. 2017). sprachliche Ausdrücke finden sich in Form von hum hum, pois (ein Mal) sowie pois n-o, pois é, sei und sim in reduplizierter Form. In ‚Beispiel 4‘ trägt zusätzlich zum Ausdruck pois é die adjazente Wiederauf‐ nahme des Ausdrucks os tindersticks  19 durch ‚Sprecher N‘ zur Engführung bei. Bei Diskursmarkern ist es in vielen Fällen schwierig, genau zwischen den Funktionen zu unterscheiden, die von ihnen übernommenen werden. Als zu‐ sätzliche Hilfe für eine solche Differenzierung sollte man die prosodischen und nichtsprachlichen Elemente - zu Letzteren gehören Gestik, Mimik, Haltung und Proxemik (cf. Lehmann 2013 20 ) - kennen, die eine Äußerung begleiten. Dass eine eindeutige Funktionszuordnung trotzdem nicht immer einfach ist, zeigt ‚Beispiel 3‘. Wenn ‚Sprecher N‘ davon überzeugt ist, dass einer der schönsten Stadtteile Lissabons nicht dem Verfall ausgesetzt werden dürfte und für seine Meinung Verständnis und Unterstützung mittels des n-o é zu be‐ kommen sucht, lässt sich der bestätigende Ausdruck pois n-o, der von ‚Spre‐ cher J‘ geäußert wird, eher als ‚Reaktiv‘ (cf. die Erläuterung zu Reaktiven in Kapitel 6.2.1) denn als Mittel zur Engführung auffassen, bzw. man kann davon ausgehen, dass durch den Einsatz dieses Verbalausdrucks beide Aufgaben si‐ multan erfüllt werden. Als typische Sprechersignale zur Engführung dienen im Portugiesischen u. a. die Ausdrücke entendeu, entendeste, n-o, n-o é, ou n-o é, percebe(s), percebeste, percebeu, compreendes, compreende, compreendeu, faço-me compreender/ en‐ tender? , esta(s) a ver, est-o a ver, viste, viu, etc. sowie die Hörersignale hm, hem, hum, hum hum, claro, exatamente, exato, ora, ora nem mais, pois, pois pois, pois é, pois n-o, sim, sim sim, etc. 5.2.2 Adjazente Strukturen (6) C- ORAL - ROM ‚pfamcv11.txt‘ - Rauchen in den USA M / e tens que mostrar / < BI > R [<] <o BI > / / M / e tudo (7) C- ORAL - ROM ‚pfamcv11.txt‘ - Rauchen in den USA M até porque n-o podem / eles próprios / n-o podem comprar <tabaco> / / N [<] <comprar tabaco> / / M / nem tabaco / nem bebidas alcoólicas / / 91 5.2 Engführung der Orientierungen (8) C- ORAL - ROM ‚pfamdl17.txt‘ - Erfahrungen an der Universität R / e com o professor Gabriel Queiró / <ah / como assistente> / / N [<] <ah / como assistente / pois> / / (9) C- ORAL - ROM ‚pfamdl17.txt‘ - Erfahrungen an der Universität N e administrativo / tiveste <com o professor Marcelo> ? R [<] <e> / tive com o professor <Marcelo> / / (10) C- ORAL - ROM ‚pfamdl19.txt‘ - Erinnerungen an Afrika E […] nós ali éramos muito ajudados / / muito ajudados / / tínhamos muita / eh / tínhamos muitos inspectores / que nos andavam sempre na aula / sempre em cima de nós a / a / a / preocupados com o nosso trabalho / / sempre em constante vigi‐ lância / e / e a / e a ajudarem-nos / / uma coisa que eu aqui / notei sempre / que a inspecc-o era assim uma espécie de / pronto / eh / vamos lá / uma pessoa que vai ali para / para ver o nosso trabalho / mas que / para inspeccionar / / H controlar <mesmo >/ / E [<] <controlar> / / e lá n-o / / lá eles eram / <colaboradores> / / H <colaboradores> / / Das Problem für eine korrekte Interpretation dieser Form der Absicherung von Meinen und Verstehen besteht darin, die zu diesem Zweck eingesetzten Formen adjazenter Wiederaufnahme oder adjazenter Fortführung von den Funktionen zu unterscheiden, die dieselben sprachlichen Mittel in anderen Kontexten zur Übernahme des ‚Rederechts‘ ausüben. Die Kontexte der hier benutzten Bei‐ spiele, in denen adjazente Strukturen eingesetzt werden, verweisen allerdings sehr eindeutig auf ihre Funktion als Mittel der Engführung. So kann man die kurze Wiederholung des Begriffes BI (Bilhete de Identidade = Personalausweis) in ‚Beispiel 6‘ als Mittel der Engführung interpretieren, weil ‚Sprecher M‘ seinen Satz in der Folge zu Ende führt, ohne dass ‚Sprecher R‘ die Gelegenheit zur Formulierung eines eigenen Sprecherbeitrags ausnutzt. Durch die Wiederholung gibt ‚Sprecher R‘ seinem Gesprächspartner tatsächlich nur zu verstehen, dass er zuhört und die Äußerung seines Gegenüber verstanden hat. Eine analoge Funktion erfüllt die adjazente Wiederaufnahme des Ausdrucks comprar tabaco durch ‚Sprecher N‘ in ‚Beispiel 7‘, oder in ‚Beispiel 9‘ die Wie‐ derholung des Präpositionalausdrucks com o professor Marcelo. In ‚Beispiel 8‘ erfolgt eine doppelte Absicherung des gegenseitigen Verstehens, indem ‚Spre‐ cher N‘ außer der adjazenten Wiederaufnahme zusätzlich den Ausdruck pois zur Engführung benutzt. ‚Beispiel 10‘ wurde ausgewählt, weil es eindrucksvoll ver‐ anschaulicht, wie wichtig Signale zur Engführung für einen Gesprächsablauf sind, bei dem die beteiligten Sprecher sich tatsächlich an einer Verständnisab‐ sicherung orientieren. Sprecher und Gesprächspartner ergänzen bzw. verbes‐ 92 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ sern sich para inspeccionar -> controlar mesmo, nehmen den Ausdruck des Ge‐ sprächspartners erneut wieder auf controlar mesmo -> controlar, um sich am Ende dieser Dialogsequenz noch einmal durch die Wiederholung des Wortes colaboradores zu versichern, dass man sich auch tatsächlich verstanden hat, und während dieser Dialogsequenz kein Missverständnis aufkommen konnte. 5.2.3 Zusammenfassung Eine relativ geringe Zahl von Mitteln zur Engführung, zu denen ‚tonale Zeichen‘, einige wenige sprachliche Ausdrücke und ‚usuelle Wortverbindungen‘ gehören, sorgen im Portugiesischen dafür, dass in Alltagsdialogen die Gesprächsteil‐ nehmer nicht aneinander vorbei reden, sondern eine verständnisorientierte Kommunikation führen können. Trotzdem gehören diese sprachlichen Aus‐ drücke zu den hervorstechenden Merkmalen dialogischer Formen des Nähe‐ sprechens. Ihr häufiger und oft durch Redundanz geprägter Gebrauch dient neben Gesten und einer entsprechenden Mimik der Erreichung dieses Ziels ge‐ genseitiger Verständnisabsicherung. In einigen Kontexten erlaubt die Polyfunk‐ tionalität der zur Engführung benutzten Ausdrücke allerdings keine eindeutige Beantwortung der Frage, ob sie der Engführung, der Organisierung des Rede‐ rechts oder beiden Aufgaben zugleich dienen. Selbst nach der Durchsicht aller von mir untersuchten 640 Tweets von ins‐ gesamt 64 ‚Usern‘ (cf. Sieberg 2013 b ) finden sich keine Hinweise darauf, dass Mittel zur Engführung in dieser kommunikativen Praktik der ‚keyboardto-screen communication‘ eine entscheidende Rolle spielen. Die wenigen vor‐ kommenden pois oder adjazenten Strukturen erlauben es m. E. nicht, sie als Mittel zur Engführung in diesem Bereich elektronischer Kommunikation zu in‐ terpretieren. 5.3 Aggregative Rezeptionssteuerung Im Mittelpunkt dieses fünften Kapitels stehen sprachliche Ausdrücke und Struk‐ turen, die es Sprechern ermöglichen, ihre Gesprächspartner bei der Dekodie‐ rung ihrer Äußerungen zu beeinflussen oder mit anderen Worten, sie bei der Rezeption einer Äußerung zu steuern und sie bei der Kodierung der Information so zu lenken, dass ihre Interpretation mit der angestrebten Intention des Spre‐ chers übereinstimmt. Als Gesprächspartner im direkten Miteinander eines Dialogs haben wir wahrscheinlich bereits alle die Erfahrung gemacht, dass der Teil der Aussage, 93 5.3 Aggregative Rezeptionssteuerung 21 Cf. Kapitel 4 ‚Theoretisch-methodischer Rahmen‘. dem wir eine zentrale Bedeutung zumessen, beim Hörer nicht die gebührende Beachtung findet, die wir ihm eigentlich zumessen. Er gelangt nicht in den Auf‐ merksamkeitsfokus des Zuhörers und verliert im weiteren Diskursverlauf die zentrale Position, die wir ihm eigentlich zugedacht hatten. Und wir wissen, dass eine nachträgliche Korrektur, die das für den Sprecher zentrale Moment der Aussage zurück in den Fokus des Hörers bringen würde, sich bei der Geschwin‐ digkeit eines ablaufenden Dialogs sowie den ständigen Sprecher- und Themen‐ wechseln schwierig gestaltet. Aber nicht alleine die Aussage selber, also der Referenz stiftende oder pro‐ positionale Gehalt, kann die zentrale Position einbüßen, die wir ihr als Sprecher in einem Dialog zugedacht hatten. Wenn wir uns an einige der von uns geführten Gespräche erinnern, misslingen diese viel öfter, weil die von uns beabsichtigte Wirkung, die unsere Äußerung auf den Gesprächspartner ausüben sollte - man spricht dabei von ihrer illokutiven Funktion - nicht zustande kommt, weil un‐ sere Äußerung hinsichtlich dieses Aspektes vom Gesprächspartner nicht so verstanden wird, wie sie ursprünglich von uns gemeint war: Eine als Lob ge‐ dachte Aussage wird als versteckte Kritik verstanden, eine Aussage, die wir ei‐ gentlich als Vermutung verstanden haben wollten, fasst der Hörer als Behaup‐ tung auf, usw. Und gerade aus diesen Missverständnissen, die den illokutiven Gehalt unserer Äußerung betreffen, können Verstimmungen entstehen, die un‐ sere Beziehung zum Gegenüber belasten, oder im schlimmsten Fall sogar irre‐ parable Schäden für die zukünftige Beziehung zwischen uns und unseren Ge‐ sprächspartnern verursachen. Darum ist es nicht erstaunlich, dass es in allen Sprachen Mechanismen und Verfahren gibt, die helfen, entsprechende kommunikative Fehlleistungen aus‐ zuräumen. In meiner relativ freien Übernahme und Anwendung des Modells des Nähe- und Distanzsprechens von Ágel und Hennig 21 gehe ich vom universalen Diskurverfahren einer „aggregativen Rezeptionssteuerung“ (2007, 188) aus, dem sich bestimmte sprachliche Mittel zuordnen lassen, oder anschaulicher ausge‐ drückt, in denen sich dieses Diskursverfahren realisiert, um die oben angespro‐ chenen kommunikativen Fehlleistungen zu vermeiden. Drei von diesen Mitteln, nämlich Operatoren in ‚Operator-Skopus-Strukturen‘ (O- SK - ST ), tópicos mar‐ cados und expressões de clivagem, möchte ich in den nächsten drei Kapiteln als ‚Erfüllungsgehilfen‘ des oben genannten Verfahrens vorstellen. Zur Funktion dieser Ausdrücke bzw. Strukturen nur so viel vorweg: ‚Opera‐ toren‘ in ‚O- SK - ST ‘ beeinflussen die Dekodierung der illokutiven Bestandteile von Äußerungen. Dabei werden eine Reihe sprachlicher Formeln (Operatoren) 94 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ gebraucht, die der eigentlichen Aussage - im Skopus der Äußerung - voraus‐ gehen oder ihr in einigen Fällen auch folgen. Tópicos marcados erreichen diese Beeinflussung durch die besondere Position, in die sie das Element der propo‐ sitionalen Aussage bringen, das in den Fokus des Hörers gelangen soll, während expressões de clivagem diese Wirkung durch ein spezifisches Anordnungsmuster von sprachlichen Elementen im sequentiellen Diskursverlauf erreichen. Der Umstand, dass Ágel / Hennig im Zusammenhang mit der Rezeptions‐ steuerung das Attribut ‚aggregativ‘ benutzen, ist darauf zurückzuführen, dass alle drei Techniken eine Organisation des Informationsflusses ermöglichen, die dafür sorgt, dass die informationsvermittelnden Elemente einer diskursiven Se‐ quenz - es handelt sich hierbei um Anteile sowohl des propositionalen als auch des illokutiven Gehalts - in einer zeitlich sukzessiv aufeinander folgenden Rei‐ henfolge ins Bewusstsein der Gesprächspartner treten und nicht in Form von integrativen, komplexeren sprachlichen Ausdrücken, deren Dekodierung hö‐ here Ansprüche an den Gesprächspartner, seine Konzentration und sein Ge‐ dächtnis stellen würde. 5.3.1 Operatoren in ‚Operator-Skopus-Strukturen‘ Begriff, Terminus und Bestimmungen dieser Grundeinheit der gesprochenen Sprache stammen aus der germanistischen GSF und werden von Fiehler / Barden / Elstermann / Kraft in ihrem Buch „Eigenschaften gesprochener Sprache“ (2004) eingeführt und mit vielen Definitionen und Beispielen auf mehr als 500 Seiten sehr detailliert dargestellt. Aber auch in neueren und aktuellen Beiträgen zur gesprochenen Sprache und der Gesprächsanalyse werden Ope‐ ratoren in ‚O- SK - ST ‘ immer wieder genannt und haben sich inzwischen zu einem zentralen Begriff der Forschung entwickelt. Für diese Annahme spricht u. a. ihre ausführliche Erwähnung in der neusten Ausgabe der Dudengrammatik (2016, 1201 sqq.). Bei diesen Ausdrücken handelt es sich um binäre Strukturen, die sich aus einem ‚Operator‘ - bestehend aus Zeichen bzw. Zeichenfolgen unterschiedlicher semiotischer Qualität, Quantität und Komplexität - sowie einem Ausdruck im folgenden ‚Skopus‘ der Diskurssequenz zusammensetzen. Man kann es auch so ausdrücken: Die zwei Teile einer ‚O- SK - ST ‘ sind jeweils für unterschiedliche Elemente der zu übermittelnden Gesamtinformation zuständig. Während im Skopus vorrangig die Vermittlung der eigentlichen Aussage einschließlich der Herstellung der hierfür notwendigen referentiellen Bezüge erfolgt (propositio‐ nale Anteil der Äußerung), sind es die ‚Operatoren‘, die für eine zusätzliche ergänzende Modellierung des illokutiven Bestandteils der Äußerung zuständig 95 5.3 Aggregative Rezeptionssteuerung 22 Der brasilianische Linguist Hilgert interpretiert Elemente, Ausdrücke und Strukturen, die parallel zur eigentlichen Informationsvermittlung (Proposition) zusätzliche Anlei‐ tungen zum Verständnis dieser Aussagen bieten, als elementos metadiscursivos da fala, d. h. als metasprachliche Elemente der Kommunikation (2006). Für ihn handelt es sich bei diesen binären Strukturen, die Inhalte und Zusatzinformationen zu diesen Inhalten getrennt bzw. parallel übermitteln, um eine generelle Charakteristik dialogischen Spre‐ chens. sind 22 . Die Aussage im Skopus und der ergänzender Operator stehen dabei in einem komplementären Verhältnis und erreichen ihre Wirkung, die sie auf den Gesprächspartner ausüben (Perlokution), im Zusammenspiel mit zusätzlichen Mitteln der ‚suprasegmentalen Merkmalen der Prosodie‘ sowie ‚nichtverbalen Anteilen der Kommunikation‘ (cf. Kapitel 4). Nicht selten kann der Operator auch direkt auf die im Skopus gemachte Äu‐ ßerung folgen. Fiehler et al. (2004, 243) streiten den Operatoren in dieser Position allerdings die Funktion einer Verstehensanweisung ab (ibid.). Dieser Meinung schließe ich mich nicht an. Der Umstand, dass in dieser Konstellation die Aus‐ sage im Skopus, und der mit einer Zusatzinformation ausgestattete, folgende Operator fast zeitgleich beim Gesprächspartner eintreffen, erlauben es m. E., beide Bestandteile als komplementär zusammengehörige Bestandteile ein und derselben Informationseinheit zu begreifen, die vom Hörer auch sinngemäß, d. h. den Intentionen des Sprechers entsprechend, entschlüsselt werden kann. Operatoren in ‚O- SK - ST ‘ kommen hauptsächlich zwischen aufeinander fol‐ genden Sprechbeiträgen in den monologischen Passagen der Diskurssequenz ein und desselben Sprechers und durchaus auch in medial schriftlich basierten kommunikativen Praktiken des Distanzsprechens vor. In letzteren kann man ihnen allerdings nicht die gleiche Bedeutung zumessen, die sie in Situationen einer ‚face-to-face‘ Kommunikation besitzen. Im direkten Miteinander von Spre‐ cher und Hörer nehmen Worte einen unmittelbaren Einfluss auf den Gesprächs‐ partner. Er ist ihnen direkt ausgesetzt, ohne über den zeitlichen Puffer zu ver‐ fügen, die es Teilnehmern einer kommunikativen Praktik des Distanzsprechens oder auch einer ‚keyboard-to-screen communication‘ erlaubt, eine Äußerung nachträglich und in zeitlicher und psychischer Distanz auf ihren propositionalen und illokutiven Gehalt abzuwägen und ihnen damit ihren unmittelbarer Effekt zu nehmen. In Diskurssequenzen, in denen sich ein Sprecher mittels eines Operators rückbezüglich auf den Skopus einer vorhergehenden Äußerung des Gesprächs‐ partners bezieht, leisten die ‚O- SK - ST ‘ eine ‚Turn übergreifende‘ und ‚Turn ver‐ bindende‘ Funktion. Für diesen speziellen Fall führen Fiehler et al. die Bezeich‐ 96 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ 23 „Wir nennen diese beidseitige Gerichtetheit der Operatoren ihre Gelenkfunktion“ (Fiehler et al. 2004, 243). Rudolf gebraucht in demselben Zusammenhang im Titel ihres Aufsatzes den anschaulichen Begriff „Beobachtungen zu Scharnierfunktion von Kon‐ nektoren in Presse, Rundfunk und Fernsehen“ (2002). nung „Gelenkfunktion“ein (2004, 243) 23 . Allerdings übernehmen Operatoren in dieser Konstellation keine zusätzliche Verstehensanweisung, weil es sich in diesem Fall beim ‚Operator‘ und der Aussage im Skopus um Bestandteile von Redebeiträgen unterschiedlicher Sprecher, die verschiedene kommunikative In‐ teressen verfolgen, handelt. Bei ihrer detaillierten Beschreibung der durch die Operatoren geleisteten „Verstehensanweisungen“ gelangen Fiehler und seine Mitautorinnen zu vier Funktionsklassen. Weil die Unterscheidung zwischen einer Beeinflussung des ‚mentalen‘ und ‚kommunikativem Status‘ der Äußerung im Skopus durch un‐ terschiedliche Klassen von Operatoren, wie Fiehler et al. sie vorschlägt, m. E. nicht nachvollziehbar ist, habe ich es mir erlaubt, diese zwei Gruppen von Ope‐ ratoren zu einer einzigen Funktionsklasse zusammenzufassen und gelange somit im Gegensatz zu Fiehlers vier insgesamt nur zu drei Klassen von Opera‐ toren. Hieraus leitet sich abschließend die folgenden Klassifizierung der Ope‐ ratoren ab, für deren Definitionen ich mich sinngemäß und teilweise auch wort‐ wörtlich auf Fiehler et al (2004, 261 sqq.) stütze: (a) Operatoren verdeutlichen den Handlungstyps der Äußerung im Skopus. Zu dieser ‚Funktionsklasse 1‘ ge‐ hören Operatoren wie pergunto (eu), prometo, garanto, … .(b) Andere Operatoren geben die subjektive Einschätzung des Sprechers zum Ausgesagten wieder und nuancieren auf diese Weise die Wirkung der im Skopus übermittelten Illokution. Zu dieser ‚Funktionsklasse 2‘ zählen Operatoren wie creio eu, de facto, desde que eu saiba … etc. (c) Schließlich kann man Operatoren identifizieren, deren Auf‐ gabe darin besteht, die Relation(en) der Äußerung im Skopus zu anderen Äu‐ ßerungen des vorangehenden und nachfolgenden Diskurses deutlich zu ma‐ chen. Anders ausgedrückt: Die Leistung dieser Operatoren besteht darin, dem Gesprächspartner zu vermitteln, durch welche formale Organisation der Ab‐ laufs einer Sprechsequenz bestimmt ist. Sie hilft ihm, die Abfolge der verschie‐ denen Aussagen einer Diskursequenz und ihre Relationen zueinander besser zu verstehen. Zu dieser ‚Funktionsklasse 3‘ gehören im Portugiesischen Opera‐ toren wie antes de mais, ao contrário, ao fim, ao fim e ao cabo … etc. Was ihre Form betrifft, handelt es sich im Portugiesischen bei den Operatoren um eine relativ heterogene Gruppe sprachlicher Ausdrücke. Neben einzelnen Wörtern pergunto, juro, julgo, acho, resumindo etc., die hauptsächlich zur Wort‐ klasse der Verben gehören und überwiegend die Personalform der 1. Person Singular aufweisen - wobei den performativen Verben eine besondere Rolle 97 5.3 Aggregative Rezeptionssteuerung 24 Beide Termini verwendet das IDS auf seiner Homepage zur Bestimmung fester Wort‐ verbindungen der deutschen Sprache: http: / / www1.ids-mannheim.de/ lexik/ uwv.html (15. 3. 2017). 25 In Abgrenzung von „System“ bestimmt Coseriu „Norm“ als ein „System verbindlicher Realisierungen […], die sozial und kulturell festgelegt sind: sie entspricht nicht dem, was man sagen kann, sondern dem, was bereits gesagt worden ist, und was man tradi‐ tionellerweise in der jeweiligen Gemeinschaft sagt“ (Coseriu 1974, 47). Anmerkung: Die zahlreichen Anführungsstriche, die Coseriu innerhalb des Zitats zur Hervorhebung einzelner Begriffe verwendet, habe ich weggelassen, um die Lesbarkeit des Zitats zu gewährleisten. zukommt - sind es vorrangig ‚usuelle Wortverbindungen‘ oder „rekurrente Sprachgebrauchsmuster“ 24 , die unter Beteiligung von Elementen verschiedener Wortarten und bei unterschiedlicher Anzahl der an diesen Bildungen beteiligten Elementen, sowie unterschiedlicher Komplexität ihrer Bildungen, in der Funk‐ tion von Operatoren gebraucht werden. Hierzu zählen u. a. die Ausdrücke por acaso, a sério, em breve, salvo erro, a propósito de, vê lá, é assim, digamos assim, um homem uma palavra, brincadeira a parte, ao fim e ao cabo etc. Die Charakterisierung von Operatoren als ‚Usuelle Wortverbindungen‘ ver‐ weist auf den Umstand, dass es sich im Unterschied zu freien Wortverbindungen um relativ feste Wortverbindungen handelt, die ein Sprecher nicht erst im Mo‐ ment ihres Gebrauchs aus einzelnen Elementen zusammenfügen muss, sondern als „präformierte Konstruktionseinheiten“ (Schmale 2011, 188) aus dem Ge‐ dächtnis abrufen kann. Man könnte auch sagen, dass es sich bei Operatoren um sprachliche Ausdrücke handelt, die sich im Laufe der Sprachgeschichte einer bestimmten Sprachgemeinschaft zu „Normen“ des Sprachgebrauchs im Sinne Coserius (1974, 74) 25 herausgebildet haben. Diese Charakteristiken teilen sie mit anderen sprachlichen Ausdrücken, die für dialogisches Sprechen von zentraler Bedeutung sind. Dazu gehören bestimmte ‚Reaktive‘ und ‚Rederechtssignale‘, ein Teil der ‚Ausdrücke zur Engführung‘ sowie der ‚Überbrückungsphänomene‘, aber auch zahlreiche feste Wortformeln aus der Gruppe der ‚pragmatischen El‐ lipsen‘. Darum ist es nicht zufällig, dass diese Ausdrücke und Strukturen im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen. Wie auch in den anderen Kapiteln meines Buches halte ich es auch hinsicht‐ lich der Operatoren in ‚O- SK - ST ‘ für sinnvoll, die oben erläuterten Funktions‐ klassen dieser Diskurseinheiten an Hand von transkribierten Beispielsäuße‐ rungen zu beschreiben: (1) C- ORAL - ROM ‚pmedsp03.txt‘ - eine Gruppe von Personen spricht über Fußballspiel L / e pergunto / quem acompanha / o ataque / do Brasil / e o ataque de Portugal ? 98 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ G eu acompanho o ataque de Portugal / nesta primeira parte / / (2) C- ORAL - ROM ‚pfamdl23.txt‘ - 2 Sprecher äußern sich zum Thema Musik‐ journalismus J [<] <e achas> que as pessoas / nas freguesias / veem / eh / programas de televis-o de f / eh / estrangeira? T ah / como novidade / / eu suponho / eu tenho passado / quando passo assim pelas freguesias / e olho para as casas do povo / vejo sempre uma antena parabólica / / logo / suponho que sim/ (3) C- ORAL - ROM ‚pfamcv04.txt‘ - 3 Sprecher unterhalten sich über ‚Big Bro‐ ther‘ N / ah / desculpa lá / / mas / eh / isso vem / vem encaixar / aquilo que estás a dizer dos / das mulheres serem predominantes / eh / pá / talvez a loira / e a / e a outra / / P <hum hum> / / N / [<] <que é cortejada> lá pelo resto / / P a / Liliana ? N <salvo erro> / / (4) C- ORAL - ROM ‚pfamcv02.txt‘ - 4 Personen sprechen über das Aussehen von Anwälten A / mas a história é assim / / se calhar / como / vocês s-o quinhentos / é uma maneira de / el / eliti / elitizar / / (5) C- ORAL - ROM ‚pfamcv04.txt‘ - 3 Sprecher unterhalten sich über ‚Big Bro‐ ther‘ N […] eu para mim / os vencedores do big brother s-o / decididos a priori / / (6) C- ORAL - ROM ‚pfamcv04.txt‘ - 3 Sprecher unterhalten sich über ‚Big Bro‐ ther‘ P / eh pá / é assim meia passada / / porque há montes de coisas que n-o v-o para o ar / que é mesmo ela a passar-se / / é assim / / ela está muito bem / / e de repente / passa-se / e começa a dançar / assim toda a abanar a cabeça / <e toda esquizo> (7) C- ORAL - ROM ‚pfamcv03.txt‘ - 3 Sprecher über sich und ihr Zuhause G / género papagaios / / L sim / / G / bem / / eh / a propósito de papagaios / / como é que se diz / / catatua / ou cacatua ? (8) C- ORAL - ROM ‚Pfamcv10.txt‘ - 3 Personen über Bücher, Science Fiktion und Fernsehen 99 5.3 Aggregative Rezeptionssteuerung 26 António Feio war ein portugiesischer Schauspieler und Komiker. 27 Erleichtert wird diese Aufgabe beim Verb perguntar dadurch, dass es sich um ein per‐ formatives Verb handelt, „das dazu verwendet werden kann, den von ihm bezeichneten Sprechakt auszuführen“. Cf. Lehmanns (2013) Definition der performativen Verben auf seiner Internetseite zu Grundbegriffen der Pragmatik: http: / / www.christianlehmann. eu/ ling/ pragmatics/ index.html? http: / / www.christianlehmann.eu/ ling/ pragmatics/ performative.html (15. 3. 2017). A mas esse do Feio  26 / por exemplo / / eles faziam uma piada um bocado ao / aos meios / das produções portuguesas / / que n-o estava completamente mau / / <aquela abordagem do tubar-o / e> . (9) Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch @ MHM a minha nova turma é uma porcaria, a sério, agora uma amiga mha mandou-me uma sms a falar doutra pérola que lá foi parar -.- … (10) Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch @ BG até te pago o cinema, vê lá! tenho saudades tuas amorzinho : ) (11) Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch @ MC bem vi, bem vi. Vejo sempre o que me enviam. Estranhava a sua resposta a um outro mail, por acaso. Devo responder-lhe ainda hoje. (12) Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch @L Em breve, teremos - se isto já ñ estiver ocorrendo - mtos perfis no FB de usuários da Cidade de Deus ( RJ ), COHAB s e BNH s de todo o BR . In den ‚Beispielen 1 und 2‘ dienen die Operatoren in ‚O- SK - ST ‘ e pergunto, eu suponho und suponho que sim der Verdeutlichung des Sprechhandlungstyps, einer Aufgabe, die im einleitenden Text als ‚Funktionsklasse 1‘ der Operatoren gekennzeichnet wurde. Die vorangestellte Form pergunto in ‚Beispiel 1‘ cha‐ rakterisiert entsprechend die im Skopus der Folgeäußerung gemachte Aussage quem acompanha / o ataque / do Brasil / e o ataque de Portugal? ausdrücklich als ‚Frage‘ 27 . Operatoren wie pergunto, pergunto eu, suponho, suponho que sim, juro, etc., die durch kurze Pausen von der Restäußerung abgesetzt sind, konstituieren eigenständige intonatorische Einheiten. Sie gehören nicht zur syntaktischen Struktur der diskursiven Sequenz im Skopus der Äußerung, auf die sie sich be‐ ziehen, sondern übernehmen die Aufgabe zu verdeutlichen, dass es sich z. B. bei ‚Beispiel 1‘ um eine Frage und in ‚Beispiel 2‘ um eine Vermutung handelt. Diese Interpretationshilfen in Form von Operatoren rücken in den Aufmerksamkeits‐ fokus des Gesprächspartners und erleichtern dadurch eine der Intention des Sprechers angemessene Dekodierung der jeweiligen Äußerung. 100 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ 28 Der Sprecher wollte wahrscheinlich in der Äußerung aus ‚elite‘ das passend scheinende Verb ‚elitizar‘ im Sinne von tornar numa elite ableiten, das allerdings in dieser Form im „Dicionário da Língua Portuguesa Contemporânea“ (2001) nicht erwähnt wird. Die Besonderheit des zweiten Beispiels besteht darin, dass der erste Operator eu suponho in adjazentaler Rückwendung einen Teil der vorangehenden Frage e achas> que as pessoas / nas freguesias / veem / eh / programas de televis-o de / eh / estrangeira? des Gesprächspartners als Referenzäußerung mit einbezieht und sie durch den Ausdruck como novidade weiterführt und inhaltlich erweitert. Der Operator eu suponho bezieht sich infolgedessen auf die vorhergehende, in adjazenter Kooperation geschaffene Aussage, die dann durch den Operator eu suponho den ursprünglichen Charakter einer Frage verliert und stattdessen durch ‚Sprecher T‘ als Vermutung gekennzeichnet wird. Diese von Sprecher und Dialogpartner gemeinsam hervorgebrachte Gesamtaussage und ihre nachträg‐ liche Markierung als Vermutung erfahren dann am Ende noch einmal durch den angehängten Operator suponho que sim eine zusätzliche Bekräftigung. Zur ‚Funktionsklasse 2‘ von Operatoren in ‚O- SK - ST ‘, bei der es um die sub‐ jektive Einschätzung des Sprechers hinsichtlich seiner Äußerung oder / und um eine Nuancierung des illokutiven Gehalts derselben geht: Die den Skopen der ‚Äußerungen 3 und 4‘ voranbzw. nachgestellten Operatoren salvo erro und se calhar übernehmen die Aufgabe, die jeweils im Skopus der entsprechenden Äu‐ ßerungen erfolgten Behauptungen talvez a loira / e a / e a outra que é cortejada> lá pelo resto / (Beispiel 3) bzw. como / vocês s-o quinhentos / é uma maneira de / el / eliti / elitizar / / 28 (Beispiel 4) in ihrem Geltungsanspruch einzuschränken. Sie haben eine Funktion, die in der germanistischen GSF auch als „Vagheitsaus‐ druck“ (Schwitalla 2012, 155) bekannt ist. Ich selber habe diese Funktion von deutschen Vagheitsausdrücken umgangssprachlich folgendermaßen paraphra‐ siert (Sieberg 2013 c , 105): Wenn du sie beim Sprechen gebrauchst, klingt es nicht mehr so unverschämt sicher, was du sagst, behauptest oder forderst. Folge: Du sorgst dafür, dass es mit deiner Verständigung klappt und du blamierst dich auch nicht, wenn das, was du sagt, manchmal Quatsch ist. Dem Operator eu para mim in ‚Beispiel 5‘ gelingt es, dem Gesprächspartner deutlich zu machen, dass es sich bei der Behauptung im Skopus der Folgeäuße‐ rung os vencedores do big brother s-o / decididos a priori um eine subjektive Ein‐ schätzung des Sprechers in Bezug auf den Wahrheitsgehalt seiner eigenen Aus‐ sage handelt. Bei vielen Behauptungen in mündlichen Dialogen scheinen Sprecher Wert darauf zu legen, diese mit einem Zusatz zu versehen, der zwar die Geltungsansprüche dieser Behauptungen grundsätzlich aufrechterhält, aber 101 5.3 Aggregative Rezeptionssteuerung sozusagen im gleichen Atemzug auch relativiert oder einschränkt. Durch diesen ‚Trick‘ wappnen sich Sprecher gegen mögliche Widersprüche seitens ihrer Ge‐ sprächspartner, die dann bereits vorab ihren konfrontativen Charakter ein‐ büßen, schützen sich vor möglichem Gesichtsverlust und halten darüber hinaus den Weg für eine weitere Erörterungen ihrer aufgestellten Behauptungen offen. Auch die Operatoren aus den Textsorten der „keyboard-to-screen communi‐ cation“ ( Jucker / Dürrscheid 2012, 40) in den ‚Beispielen 9, 10 und 11‘ gehören zur gleichen ‚Klasse 2‘ der Operatoren in ‚O- SK - ST ‘. Der Operator a sério (Bei‐ spiel 9) bringt die subjektive Einstellung des Sprechers zu seiner Aussage zum Ausdruck, indem durch ihn hervorgehoben wird, dass seine Feststellung im Skopus der Aussage a minha nova turma é uma porcaria nicht willkürlich aus der Luft gegriffen ist, während der nachgestellte Operator vê lá in ‚Beispiel 10‘ die Außergewöhnlichkeit des vorher abgegebenen Versprechens emphatisch hervorhebt, seinem Kommunikationspartner sogar eine Eintrittskarte ins Kino zu spendieren. In ‚Beispiel 11‘ mildert der nachgestellte Operator por acaso die illokutive Kraft, die der Gesprächspartner eventuell aus der vorangehenden Aussage im Skopus Estranhava a sua resposta a um outro mail herauslesen könnte. Aus einer Äußerung, die der Gesprächspartner möglichweise als Vor‐ wurf interpretierten könnte, wird so eine Bagatelle oder ein Missverständnis, das Sprecher und Hörer im weiteren Diskursverlauf miteinander abklären können. Zur ‚Funktionsklasse 3‘ zähle ich alle Operatoren in ‚O- SK - ST ‘, die dem Ge‐ sprächspartner verdeutlichen, in welcher Relation die Äußerung im Bezugs‐ skopus zu vorangehenden oder nachfolgender Teilen des Diskurses stehen. Dabei sind logisch-semantische Beziehungen aber auch Informationen hin‐ sichtlich der Reihenfolge des Diskursablaufs betroffen. So bereitet in ‚Beispiel‐ satz 6‘ der Operator é assim den Gesprächspartner darauf vor, dass ihm in der Folgesequenz des Diskurses exemplarisch deutlich gemacht werden soll, wo‐ durch sich denn dieser Zustand ela está meia passada auszeichnet, bzw. wie dieser Zustand sich dem Beobachter offenbart, nämlich durch einen unmoti‐ vierten Stimmungs- und Verhaltenswechsel oder beginnendes wildes Tanzen und Kopfschütteln. In ‚Beispiel 7‘ besteht die Leistung des Operators - an dieser Stelle in Form des Präpositionalausdrucks a propósito de - darin, dass ‚Spre‐ cher G‘ seinem ‚Gesprächspartner L‘ darauf vorbereitet, dass er in Assoziation zum vorherigen Wort papagaios in der Folgesequenz des Dialogs zum Thema ‚Papageien‘ wechseln möchte. Genauer gesagt wird es um die Frage gehen, ob es sich bei dem Wort catatua oder cacatua um die korrekte Bezeichnung für 102 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ 29 Beide Bezeichnungen sind korrekt, wie eine Recherche im „Dicionário da Língua Por‐ tuguesa Contemporânea“ der „Academia das Ciências de Lisboa“ (2001, 734) zeigt. 30 Ich bin mir bewusst, dass diese Sammlung von möglichen Operatoren nur eine kleine exemplarische Sammlung von entsprechenden Ausdrücken erfasst. Exemplare aus der Familie der Kakadus handelt 29 . Auch der Ausdruck por exemplo in ‚Beispiel 8‘ gehört zur gleichen ‚Funktionsklasse 3‘ der Operatoren. Es wird dem Gesprächspartner deutlich, dass die im Skopus der Folgesequenz kurz charakterisierte Komikserie, in deren Mittelpunkt der portugiesische Schauspieler und Komiker António Feio stand, nur als ein Beispiel für eine Reihe ähnlicher Fernsehserien des gleichen Genres vorgestellt wird. Wie aus dem Kontext dieser Äußerung deutlich wird, thematisieren die am Gespräch betei‐ ligten Personen im vorhergehenden und folgenden Diskursverlauf tatsächlich vergleichbare Unterhaltungssendungen des portugiesischen Radios und Fern‐ sehens. Der vorangestellte Operator Em breve in ‚Äußerung 12‘ schließlich gibt dem Gesprächspartner zu verstehen, dass sich der Sprecher bei der folgenden Aus‐ sage zum Thema ‚soziale Herkunft der Nutzer von Facebook in Brasilien‘ auf ein Minimum von Informationen zu beschränken gedenkt. Beispiele zum Inventar entsprechender Operatoren zur Klärung der Sprech‐ handlung 30 : pergunta, pergunto (eu), prometo, garanto, está garantido, faço qu‐ est-o, palavra (de honra), vou-te dizer, afirmo, confirmo, nego categoricamente, garanto, peço desculpas, um homem uma palavra, julgo (eu), … etc. Beispiele zum Inventar entsprechender Operatoren zur subjektiven Einschät‐ zung und Illokutionsnuancierung: acho, (falando) a sério, brincadeira a parte, com toda a honestidade, com todo o prazer, creio eu, de facto, deixa-me dizer, desde que eu saiba, digamos (assim), digo eu, eu cá, eu ia-te contar, eu para mim, estou con‐ vencido, modéstia a parte, n-o, n-o é assim, n-o é verdade? , para assim dizer, parece-me, penso (eu), pergunto (eu), por acaso, queres que eu diga, salvo erro, se calhar, sem brincar, sem dúvida, sei lá, sim, (eu) suponho, suponho eu, suponho que sim, tu lá, vê lá (tu), … etc. Beispiele zum Inventar entsprechender Operatoren zur Klärung der Organisa‐ tion des Diskursverlaufes: a propósito de, além disso, antes de mais, ao contrário, ao fim, ao fim e ao cabo, com outras palavras, de resto, e porquê, é assim, em breve, em primeiro lugar, em soma, finalmente, fora disso, mesmo assim, ou seja, para acabar, para terminar, pelo contrário, por exemplo, primeiro, resumindo conc‐ luindo, seja como for, sem mais palavras, sendo assim, …etc. 103 5.3 Aggregative Rezeptionssteuerung 31 Man könnte als Kritik einwenden, warum ich als Ausgangspunkt meiner Ausführungen nicht die neue ‚Gulbenkian Grammatik‘ (2013) benutzt habe. Die Antwort ist, dass (a) diese Grammatik sich von ihrem methodisch und konzeptionellen Rahmen nicht oder nur unwesentlich von der älteren Grammatik von Mateus et al. unterscheidet, (b) hin‐ sichtlich der hier behandelten Aspekte keine wesentlichen neuen Erkenntnisse hinzu‐ kommen, (c) und dass der für die vorliegende Studie entscheidende Band III zur Prag‐ matik bis dato (März 2017) noch nicht erschienen ist. 5.3.2 Tópicos Marcados Eine Beeinflussung der Art und Weise, wie der Gesprächspartner eine Äußerung zur Kenntnis nimmt und sie dekodiert, kann auch dadurch erfolgen, dass ein Sprecher ein bestimmtes Element seiner Diskurssequenz in eine Position seiner Sprechsequenz bringt, die von der regelhaften Anordnung der Elemente eines Satzes der Schriftgrammatik abweicht. Die mit dieser Form der Diskursgestal‐ tung einhergehenden Folgen ähneln dann denen von Operatoren in ‚O- SK - ST ‘, d. h. dem Sprecher gelingt es, den Aufmerksamkeitsfokus des Gesprächspartners auf einen bestimmten Teil der zu dekodierenden Gesprächssequenz zu lenken und auf subtile Art und Weise das weitere kommunikative Verhalten seines Ge‐ sprächsteilnehmer zu steuern. In ihrer Grammatik (Mateus et al. 2006, 433-548) beschreiben die Autorinnen in ‚Kapitel 12‘ die Syntax der geschriebenen portugiesischen Standardsprache. Dabei erwähnen sie auch die tópicos marcados (Mateus et al. 2006, 489 sqq.) in ihren formalen Varianten und möglichen Funktionen 31 . Sie definieren den Un‐ terschied zwischen tópicos n-o marcados und tópicos marcados dadurch, dass für ein nicht markiertes Topik (tópico n-o marcado) gilt, dass seine diskursive Her‐ vorhebung es in derselben syntaktischen Position belässt, die es auch ohne Her‐ vorhebung einnimmt. Die Autorinnen nennen als Beispiele die Sätze „Todos os miúdos foram à festa“ und „As baleias s-o mamíferos“(Mateus et al. 2006, 491), bei denen ein Sprecher zur Topikalisierung der Elemente Todos os miúdos bzw. As baleias auf entsprechende Mittel der Prosodie zurückgreife, den hervorzu‐ hebenden Ausdruck aber in seiner ursprünglichen Position belasse. Bei einem markierten Topik (tópico marcado) hingegen versetzt der Sprecher das Element, das er hervorzuheben gedenkt, in eine Position, die außerhalb der syntaktischen Struktur liegt, in der es normalerweise seine Funktion als Satz‐ glied ausüben würde. Innerhalb der entsprechenden Äußerung wird in diesen Fällen seine Funktion als Satzglied durch eine passende Pro-Form ausgeübt. Als Beispiele nennen die Autorinnen u. a. Sätze wie „Fruta … adoro mel-o“ oder „O Pedro … os miúdos vieram com ele da escola“ (Mateus et al. 2006, 490). Als Kriterium der Unterscheidung und Klassifizierung der tópicos marcados benutzen die Autoren unterschiedliche Grade syntaktischer „Kohäsion“ bzw. 104 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ 32 Zum Unterschied zwischen „Kohäsion“ und „Kohärenz“ siehe die Dissertation von Wim Seong Woo (2004). Online unter: https: / / opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de/ files/ 908/ Diss_LIM_Seong_Woo.pdf (16. 3. 2017). logisch-semantischer „Kohärenz“ (Lim Seong Woo 2004) 32 , die zwischen dem außerhalb des eigentlichen Satzes stehenden tópico marcado und dem Element innerhalb der Folgeäußerung, auf das es sich bezieht (Pro-Form), bestehen. Diese liegen in Form einer Kongruenz zwischen grammatischen Werten wie Numerus, Genus und Kasus (Kohäsion) vor, bzw. als referentieller Bezug auf Inhalte, die tópicos marcados und Pro-Formen gemeinsam aufweisen (Kohärenz). Demnach zählen für die Autorinnen Äußerungen wie „Quanto ao debate de ontem à noite, é reforço reconhecer que há políticos que falam sobre um país que n-o conhecem“ (Mateus et al. 2006, 492) zur Untergruppe der „tópicos pendentes“. Diese charak‐ terisieren sie dadurch, dass die diskursiv hervorgehobene Sequenz Quanto ao debate de ontem à noite innerhalb der Folgeäußerung, auf die sie Bezug nimmt, keine Pro-Form aufweist, zu der in irgendeiner Weise eine syntaktische Kohä‐ sion bestünde. Für einen solchen Fall gehen die Autorinnen davon aus, dass sich diese Beziehung zwischen herausgehobenem Element und zugehöriger Folge‐ äußerung ausschließlich als inhaltlich-referentieller Zusammenhang - man könnte in diesem Fall auch von einer Relation der Kohärenz im Gegensatz zu einer der Kohäsion sprechen - charakterisieren lässt: „a relaç-o tópico-comen‐ tário obedece à Condiç-o de Relevância“ (ibid.). Bei einer anderen Äußerung „ … os gerentes, trata-os como se fossem míseros contínuos“ (Mateus et al. 2006, 494) bestehe hingegen ein hoher Grad syntak‐ tischer Kohäsion und inhaltlicher Kohärenz zwischen den Elementen os gerentes und dem Pronomen os der Folgeäußerung. Es gibt sowohl eine Übereinstim‐ mung zwischen Genus, Numerus und Kasus als auch eine gemeinsame inhalt‐ liche Referenz. Folglich ordnen die Autorinnen diese und ähnliche Äußerungen der Klasse der Deslocaç-o à Esquerda Clítica (ibid.) zu. Während die oben erwähnten Formen der Heraushebung und Einflussnahme auf den Dekodierungsprozess des Gesprächspartners sich ausschließlich auf Ausdrücke beziehen, die vor der Folgeäußerung ausgesprochen werden, auf die sie sich beziehen - in graphischer Darstellung links von ihr stehen -, gibt es im Portugiesischen auch Formen der Herausstellung, die den entsprechenden Skopen zeitlich folgen, graphisch also recht von ihnen stehen, wie in dem Bei‐ spiel mas eles s-o hipócritas / <mesmo> / / (C- ORAL - ROM - ‚pfamcv11.txt‘). Auch in diesen Fällen kann man davon ausgehen, dass bestimmte Elemente der Dis‐ kurssequenz - in diesem Beispiel das Wort mesmo -, die in einem vom normalen Sprachgebrauch abweichenden Moment ausgesprochen werden, vom Ge‐ 105 5.3 Aggregative Rezeptionssteuerung 33 Die Bedeutung des ‚Satzrahmens‘ als zentrales Strukturprinzip deutscher Sätze ist seit Drach (1963) oder Admoni (1971, 6) bekannt. 34 Zur Veranschaulichung: Beginnt im Deutschen ein Satz mit Verbzweitstellung, z. B. mit dem ersten Element eines Trennverbs wie ‚an‘ von ‚ankommen‘ oder mit der konju‐ gierten Form eines Hilfsverbs, das im Perfekt nach seiner Ergänzung durch ein pas‐ sendes Partizip II verlangt, entsteht gleich zu Beginn eines Satzes eine Erwartungshal‐ tung von Seiten des Hörers. Bei einer regelwidrigen Ausführung der Folgeäußerung, z. B. verursacht durch ein fehlendes Element, das eigentlich innerhalb des Rahmen stehen müsste, wird die ursprüngliche Erwartung des Hörers enttäuscht und löst eine entsprechend gesteigerte Aufmerksamkeit auf Seiten des Hörers aus. 35 Eine entsprechende, für die deutsche Sprache passende Unterscheidung von Formen links- und rechtsherausgestellter Hervorhebungen in „Freie Themen“, „Linksheraus‐ stellungen“, „Ausklammerungen“, „Nachträgen“ und „Rechtsversetzungen“ findet sich bei Hennig (2006, 166 sqq.). sprächspartner besonders stark wahrgenommen werden. Die Heraushebung geschieht in diesem Fall dadurch, dass das rechts herausgestellte Element nicht so wie üblich in die vorangehende syntaktische Struktur integriert wird und von dieser durch eine kurze Pause und mittels des Intonationsverlaufs getrennt wird. Zum Vergleich: Im Deutschen besitzen diese Hervorhebungen eine im Vergleich zum Portugiesischen stärkere Wirkung, weil es das Prinzip des „Satzrahmens“ 33 ist, das durch das ausgeklammerte oder rechtsversetzte Element durchbrochen wird. Entsprechend werden aus diesem Rahmen herausgenommene Ausdrücke im Deutschen vom Hörer bewusster wahrgenommen. Weil aber im Portugie‐ sischen dieses Strukturprinzip nicht existiert, sondern nur ein Verstoß gegen die ‚übliche‘ Abfolge der Satzglieder vorliegt, darf man annehmen, dass entspre‐ chende Rechtsherausstellungen im Portugiesischen das herausgestellte Element nicht in demselben Maß in den Fokus des Hörers rücken wie im Deutschen 34 . Ohne an dieser Stelle die unterschiedlichen Bestimmungen aller Gruppen von tópicos marcados im Einzelnen vorstellen zu müssen, weil sie für uns ausschließ‐ lich unter dem Aspekt ihrer Relevanz zur Realisierung des universalen Diskurs‐ verfahrens einer ‚aggregativen Rezeptionssteuerung‘ von Bedeutung sind, komme ich ohne weitere Umschweife zur abschließenden Kategorisierung dieses Strukturprinzips. Mateus et al. (2006, 492 sqq.) 35 gelangen unter Anwen‐ dung der oben genannten Kriterien bezüglich der „Linksherausstellungen“ zur Untergliederung in tópico pendente, deslocaç-o à esquerda de tópico pendente, deslocaç-o à esquerda clítica, topicalizaç-o und topicalizaç-o selvagem. Für die vorliegende Untersuchung ist es dabei erwähnenswert, welche Schlüsse die Au‐ torinnen hinsichtlich der Funktionen dieses sprachlichen Ausdrucksmittels und ihrer Bedeutung für die verbale Verständigung ziehen. Und dabei gelangen sie zu einer Bewertung, die sich von der an dieser Stelle vertretenden Einschätzung grundsätzlich unterscheidet. Während eine pragmatische Sichtweise den tópicos 106 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ marcados zentrale Aufgaben für das Funktionieren und die Effizienz eines ab‐ laufenden Dialogs zuweist, wertet die portugiesische Grammatik dieselbe Er‐ scheinung vornehmlich unter dem Aspekt, wie sich tópicos marcados auf die regelhafte Anordnung portugiesischer Sätze auswirken, d. h. wie sich struktu‐ relle Abweichungen formal durch distributionelle und quantitative Verfahren bestimmen lassen, und in welchen Fällen sie sich noch als grammatisch ‚akzep‐ tabel‘ bzw. als ‚nicht mehr akzeptabel‘ einstufen lassen. Diese formalistisch-nor‐ mative Sichtweise zeigt sich bei der Bewertung einer Reihe von Beispielsätzen wie „O Jo-o, conversei na festa“ oder „Paris, aterrei às dez horas“ (Mateus et al. 2006, 501). Der Auffassung der Autorinnen zufolge werden diese und andere entsprechende Äußerungen nur von Sprechern einer „norma culta no modo oral informal“ (ibid.) akzeptiert, und auch nur mit der Einschränkung, dass aus‐ schließlich die Auslassung von Elementen zugelassen werden könne, die für den Inhalt einer Äußerung ohne Bedeutung seien. Als Messlatte für Akzeptabilität dienen aus dieser Sicht letztendlich die Regeln des kanonischen Satzes der Schriftgrammatik. Diese außer Kraft zu setzen, sei einem ‚informalen‘ Sprechen vorbehalten, das sich aber gleichzeitig im Rahmen ‚kultivierter Formen der mündlicher Kommunikation‘ zu halten habe; „é aceite pelos falantes da norma culta no modo oral informal […]“ (ibid.). Bei einer solch normativen Sichtweise geraten die eigentlichen Leistungen und Möglichkeiten abweichender Ausdrucksweisen der mündlichen Kommu‐ nikation aus dem Blickwinkel. Bei einer Orientierung an einer sogenannten norma culta - was dabei als „culta“ gilt oder nicht, hängt letztlich vom Grad der Übereinstimmung einer Äußerung mit die Regeln der Schriftgrammatik ab - werden m. E. an manchen Stellen die Grenzen zu einer objektiven Sprachbe‐ schreibung überschritten. Unbewusst und unreflektiert werden Spuren eines gewissen Sprachchauvinismus deutlich, der unter einigen portugiesischen Phi‐ lologen bezüglich ihrer Einstellung zur brasilianischen Variante der portugie‐ 107 5.3 Aggregative Rezeptionssteuerung 36 Dieser Eindruck latent existierender Vorurteile gegenüber dem brasilianischen Portu‐ giesisch deckt sich im Übrigen mit persönlichen Eindrücken, die ich in zahlreichen Situationen und Gesprächen mit portugiesischen Gesprächspartnern außerhalb und innerhalb des akademischen Umfelds gewonnen habe. Auch die ausgesprochen emo‐ tionell geführte Diskussion über die aktuelle Orthographiereform, die von vielen Phi‐ lologen und weiten Teilen der portugiesischen Öffentlichkeit abgelehnt wird, trägt zum Eindruck des Unbehagens und bestehender Vorurteile bei, die Portugiesen gegenüber der brasilianischen Variante des Portugiesischen hegen. Zu dieser Auffassung passt, dass viele E-Mails im Schriftverkehr innerhalb der FLUL mit dem Vermerk „Em defesa da Língua Portuguesa, a remetente desta mensagem n-o adopta o Acordo Ortográfico da Língua Portuguesa (1990), por o considerar um instrumento ao serviço da iliteracia, n-o respeitar a Constituiç-o da República Portuguesa e n-o ser o resultado de uma reflex-o intelectualmente séria“ versehen sind. 37 Eine ähnliche Einstellung schien auch in Brasilien bei der Bezeichnung ihres Projekts zur Erforschung der gesprochenen Sprache durch die Abkürzung NURC (Projeto de Estudos da Norma Linguística Urbana Culta [Hervorhebung durch den Autor]) das Denken der Linguisten beeinflusst zu haben. Dass diese Bezeichnung aber auf dem Hintergrund einer unterschiedlichen Forschungslage - zusätzlich zu den spezifischen historischen Voraussetzungen - entstand, die es sich mit diesem Projekt zum Ziel ge‐ setzt hatte, eine sowohl Sprechen als auch Schreiben umfassende Datenbasis zu schaffen, lässt diese auf den ersten Blick ‚anti-deskriptive‘ Bezeichnung in einem an‐ deren Licht erscheinen. Cf. Kapitel 2: ‚Zur Situation der Gesprochenen-Sprache- Forschung in Portugal und Brasilien‘. sischen Sprache verbreitet zu sein scheint 36 . Entsprechend führen die Auto‐ rinnen aus: „Em certas variedades do português, particularmente no português brasileiro oral, os falantes aceitam como gramaticais …“ Sätze wie „Linguistas a gente n-o pode conversar mais […] n-o“ (ibid.). Wenn für eine solche Behauptung wie die oben zitierte keine entsprechenden statistischen Belege oder weiteren Argumente geliefert werden, entsteht beim Leser der Eindruck, dass es sich bei ihr weniger um eine wissenschaftlich fundierte These als vielmehr um ein bloßes Vorurteil handelt. Warum sollte es Brasilianern leichter fallen, gewisse Äuße‐ rungen noch als ‚grammatisch akzeptabel‘ zu tolerieren als Portugiesen, die diese Äußerungen im gleichen Kontext prinzipiell als ‚ungrammatisch‘ ein‐ schätzen, es sei denn, man unterstellt diesen Brasilianern im Vergleich zu den Portugiesen, dass ihre „normas cultas no modo informal oral“ auf einem qualitativ minderwertigeren Sprachniveau angesiedelt seien. Aus der Perspektive einer deskriptiven Grammatik scheint die Einbeziehung eines Kriteriums wie norma culta zur Beurteilung der Akzeptabilität von Äußerungen 37 jedenfalls sehr frag‐ lich. Als Erklärung für diesen Umstand mag sich vielleicht das von portugiesi‐ schen Kollegen oft vorgebrachte Argument anbieten, dass sich die portugiesi‐ sche Forschungstradition sowie die in der Öffentlichkeit vorherrschende Meinung eher an einer auf Normen und Regeln basierten Auffassung von 108 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ 38 Dass viele Portugiesen die wichtigste Aufgabe für die Sprachwissenschaft bis heute darin sehen, dafür zu sorgen, dass die Menschen sich strikt an die Regeln von Gram‐ matik und Orthographie halten, hat sicherlich auch damit zu tun, dass - laut der re‐ nommierten Wochenzeitschrift „Expresso“ vom 3. 9. 2016 - die Analphabetenrate in den 70er Jahren in Portugal noch bei rund 25 % lag. Zur Zeit scheint sie auf weniger als auf 5 % zurückgegangen zu sein: http: / / expresso.sapo.pt/ sociedade/ 2016-09-03-Taxa-deanalfabetismo-em-Portugal-ainda-e-das-maiores-na-Europa (16. 3. 2017). Sprache orientieren als das im Umfeld der germanistischen Sprachwissenschaft der Fall ist 38 . Eine detaillierte Erörterung der Hervorhebung durch tópicos marcados aus sprachpragmatischem Blickwinkel erfolgt auf der Grundlage der folgenden Bei‐ spiele: (1) C- ORAL - ROM ‚pfamcv11.txt‘ - Familiäres N [<] <e os> putos / aqueles / eh / miúdos dos / dos / quinze aos / ao / aos vinte anos / n-o fumam de todo / / (2) C- ORAL - ROM ‚pfamdl05.txt‘ - Familiäres J e essas <ervas> I / [<] <na China> / / J / chinesas / como é que o / paciente ocidental / tem acesso a elas ? (3) C- ORAL - ROM ‚Pfamcv10.txt‘ - Bücher, Science Fiktion und Fernsehen R sim / / mas ele é <inglês / / o capataz> (4) C- ORAL - ROM ‚pfamcv11.txt‘ - Familiäres M <hhh / é / já / já começa a> / a instalar-se um bocadinho cá / / sim / esse espírito / / (5) Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch Grande filme. Tás a ver isso onde? RT @amcnpinho: off to watch Hitchcock's Not‐ orious. (6) Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch Grandes mistérios do universo. Como é que a autarquia que mais factura no país com sisas e licenças de construç-o tem dívida de 104 milhões? Bei der Linksversetzung in ‚Beispiel 1‘ besteht ein hoher Grad syntaktischer Kohäsion in Form einer referentiellen Identität zwischen Kasus, Genus und Nu‐ merus des links herausgestellten Topik os putos und dem Bezugsausdruck aqueles miúdos innerhalb der Fortführung der Äußerung aqueles miúdos dos quinze aos vinte anos. Darum kann man der portugiesischen Klassifizierung folgen und diese Konstruktion als deslocaç-o à esquerda clítica bezeichnen (Mateus et al. 2006, 494). 109 5.3 Aggregative Rezeptionssteuerung 39 In der vorausgehenden Diskurssequenz zeigt sich ‚Sprecher J‘ bereits sehr interessiert an den Ausführungen seines Gesprächspartners über chinesische Medizin. Darum überrascht es nicht, dass ‚J‘ in der Fortführung des Dialogs weiterhin auf diesem Thema beharrt. 40 Wie der Leser wahrscheinlich weiß, handelt es sich beim Portugiesischen um eine Nullsubjektsprache. Das bedeutet, dass das Subjekt in bestimmten syntaktischen Posi‐ tionen nicht explizit realisiert werden muss, weil es als integraler Bestanteil im konju‐ gierten Verb enthalten ist - also im vorliegenden Fall in der Form começa. Auch im zweiten Beispielsatz besteht eine relativ starke Kohäsion in Form einer teilweise referentiellen Identität (Numerus und Genus) zwischen dem vorher ausgesprochenen Topik e essas ervas chinesas des Satzes und seinem Äquivalent in der weiteren Diskurssequenz a elas. Bei diesem Beispiel wird aus dem weiteren Kontext - an dieser Stelle nicht angegeben - 39 ersichtlich, dass in diesem Falle die Aufgabe des vorangestellten Topik des Dialogs darin besteht, ein vom Gesprächspartner einmal begonnenes Thema weiterzuführen, weil ‚Sprecher J‘ an ihm scheinbar gesteigertes Interesse zeigt und gerne bei diesem Thema verweilen möchte. In ‚Beispiel 3‘ handelt es sich um eine Rechtsversetzung, weil ‚Sprecher R‘ die übrige Diskurssequenz sim / / mas ele é <inglês zunächst einmal mit einer Pause und entsprechendem Intonationsverlauf abschließt (symbolisch dargestellt durch die / / ), um dann nachträglich die bereits im Bezugssatz vorhandene Pro-Form ele, o inglês, die auch das Subjekt dieses Satzes bildet, in seiner aus‐ differenzierten Form o capataz am Schluss seiner Äußerung zu wiederholen. In ‚Beispiel 4‘ folgt dem syntaktisch vollständigen Satz 40 já começa a in‐ stalar-se um bocadinho cá / / sim / nach kurzer Verzögerung ebenfalls eine ge‐ nauere semantische Ausdifferenzierung des Subjekts mittels des Ausdrucks esse espírito. Dadurch gewinnt das herausgestellte Element zusätzlich an Gewicht und wird vom Gesprächspartner als zentraler Teil der ihm übermittelten Infor‐ mation aufgefasst und dekodiert. Auch in den kommunikativen Praktiken konzeptioneller Mündlichkeit der „key‐ board-to-screen communication“ ( Jucker / Dürrscheid 2012, 40), kommen im Portugiesischen tópicos marcados häufig vor. Entsprechend kann man in ‚Bei‐ spiel 5‘ den links herausgestellten Ausdruck Grande filme als tópico marcado und in ‚Beispiel 6‘ den Ausdruck Grandes mistérios do universo als Elemente dieser Klasse klassifizieren. Beide Varianten der tópicos marcados weisen allerdings unterschiedlich Grade grammatischer Kohäsion bzw. inhaltlicher Kohärenz zwischen herausgestelltem Ausdruck und der jeweiligen Pro-Form im Bezugs‐ satz auf. Der Klassifizierung bei Mateus et al. (2006, 489 sqq.) zufolge gehört ‚Äußerung 5‘ zur Gruppe Deslocaç-o à Esquerda de Tópico Pendente. ‚Äuße‐ 110 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ 41 In Stichworten zusammengefasst findet man dort die Untergliederung: „Freies Thema“ (Ausdruck, der nicht zur syntaktischen Struktur des Folgesatzes gehört), „Linksheraus‐ stellung“ (im Folgesatz nicht durch eine Pro-Form vertreten), „Ausklammerung“ (nach der Äußerung geäußerter Ausdruck, der eigentlich zur syntaktischen Struktur der vor‐ hergehenden Äußerung gehört, dort aber fehlt), „Nachtrag“ (nachträgliche Erweiterung eines strukturellen Gliedes des vorhergehenden Satzes) und „Rechtsherausstellung“ (Wiederholung eines bereits im vorausgehenden Satz stehenden Satzglieds). Cf. Hennig (2006, 166 sqq.). rung 6‘ hingegen, in der zwischen herausgestelltem Ausdruck und diskursiver Folgesequenz keine Relation syntaktischer Kohäsion, sondern allenfalls nur eine schwache inhaltliche Kohärenz besteht, lässt sich der Gruppe der tópicos pendentes zuordnen. Die deutsche GSF würde in diesen Fällen eine Klassifizie‐ rung als „Linksherausstellung“ (Beispiel 5) bzw. als „Freies Thema“ (Beispiel 6) vorschlagen 41 . Tópicos marcados gehören zur kommunikativen Struktur von portugiesischen Alltagsgesprächen, bilden aber auch in analogen Varianten einen konstituie‐ renden Bestandteil der Internetplattform Twitter. Unter analogen Ausfor‐ mungen verstehe ich Informationseinheiten, die selber nicht auf dem verbalen Code beruhen - Links zu Musiktiteln, YouTube Clips oder Texten von ‚On‐ line-Artikeln‘ in Zeitschriften usw. -, die aber in den Diskursverlauf eines Tweet integriert sind und rechts oder links von der jeweils dazugehörigen verbalen Äußerung stehen können. Man nimmt auf diese ‚Links‘ oder besser gesagt auf die mit ihnen in Zusammenhang stehenden Texte, Fotos, Bilder, Filmclips und Audiofiles, die durch entsprechendes Anklicken dem ‚User‘ sichtbar werden, in ähnlicher Weise sprachlichen Bezug, wie man es zu auch zum Topik einer ver‐ balen Diskurssequenz tun würde. Nehmen wir als Beispiel den Tweet „Está pre‐ parado para ouvir? : http: / / wp.me/ p8JH0-8o“ (Korpus Sieberg 2013 b ). Das durch entsprechendes Anklicken erreichbare Topik dieser Äußerung - wenn ich an dieser Stelle von ‚Topik‘ spreche, dann nur in Form einer Analogie - besteht aus dem ‚Posting‘ eines zur fraglichen Zeit der Datensammlung (2009) aktuellen Weblogs, für den auf diese Art und Weise mittels des Tweet geworben wird. Führt man den Vergleich fort, handelt es sich bei dieser durch den Link im Aus‐ gangstext des Tweet vertretenden Informationseinheit um ein Element, das in diesem Text die Stelle eines Satzgliedes, eines complemento diretos, einnehmen würde. Wer sich Postings portugiesischer Tweets genauer anschaut, wird von der Häufigkeit überrascht sein, mit der portugiesische ‚User‘ diese ‚Pseudo-To‐ pikalisierung‘ nutzen (Sieberg 2013 b , 231 sqq.). 111 5.3 Aggregative Rezeptionssteuerung 42 Cf. https: / / ciberduvidas.iscte-iul.pt/ consultorio/ perguntas/ construcao-clivada/ 21944 (16. 3. 2017). 5.3.3 Construções de Clivagem Im Gegensatz zu anderen romanischen Sprachen finden sich im Portugiesischen häufig und in großer Variantenvielfalt Formen der Satzspaltung oder um den portugiesischen Terminus zu benutzen construções de clivagem (Mateus et al. 2006, 685-694). Durch diese Gestaltungsform von Äußerungen, an der das Verb ser und das Relativpronomen que beteiligt sind, ergibt sich die Möglichkeit der Hervorhebung der meisten Elemente einer Äußerung, wie auch ein Zitat aus den „Ciberdúvidas da Língua Portuguesa“ 42 verdeutlicht: „Aparentada com as orações relativas, trata-se de uma construç-o em que participa o verbo ser com pronomes relativos ou a express-o é que e que permite pôr em destaque a maior parte dos constituintes de uma frase, a saber, sujeito, complementos e adjuntos do verbo …“ [Hervorhebungen in bold durch die Autoren dieser Internetseite]. Als Beispiel für mögliche Hervorhebungen durch construções de clivagem nennen die Autorinnen der oben genannten Grammatik das Beispiel „o corvo comeu o queijo“ (Mateus et al. 2006, 685). Durch den Gebrauch des konjugierten Verbs ser wird der Sprecher in die Lage versetzt, einem Element der Diskursse‐ quenz dadurch ein besonderes Gewicht zu verleihen, dass er es vor oder nach den übrigen Teilen der zugehörigen Äußerung ausspricht, wie im Beispiel von Mateus et al. „Foi o queijo o que o corvo comeu“ (2006, 685). Bei einer entsprechend rechtsseitigen Herausstellung müsste dann der Satz so lauten „O que o corvo comeu foi o queijo [Hervorhebungen in den vorausgehenden Beispielen mittels Unterstreichungen durch den Autor des vorliegenden Buches]. Als zusätzliche strukturelle Varianten mit derselben Wirkung der Hervorhebung nennen die Autorinnen die Äußerungen „Foi o queijo que o corvo comeu“, „O queijo foi o que o corvo comeu“, „O queijo é que o corvo comeu“ und „O corvo comeu foi o queijo“ (ibid.). Alle oben genannten Gestaltungsweisen besitzen, wie auch Mateus et al. er‐ kennen, den Vorteil ein Element einer Äußerung aus dem Kontext der übrigen Äußerung hervorheben zu können - in den obigen Beispielen des Ausdrucks o queijo -, und es somit in den Aufmerksamkeitsfokus des Gesprächspartners zu lenken. Was Mateus et al. aber nicht erkennen, ist der Umstand, dass sie diese Fähigkeit mit den oben beschriebenen tópicos marcados und Operatoren in ‚O- SK - ST ‘ teilen. Sie alle sind gleichermaßen in der Lage, die Art und Weise zu beeinflussen, wie in einem Dialog bestimmte Elemente einer Sprechsequenz in den Fokus des Gesprächspartners rücken und somit auch die Dekodierung dieser Elemente durch den Hörer beeinflussen. Aus der Sicht des Modells des Nähe- 112 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ und Distanzsprechens manifestiert sich in diesen Formen der Diskursgestaltung das universale Diskursverfahren einer ‚aggregativen Rezeptionssteuerung‘. Sie weisen somit all die spezifischen Vorteile auf, die eine solche Form additiver Informationsvermittlung unter den spezifischen situativen Bedingungen pro‐ totypisch nähesprachlicher Kommunikation besitzt. In ihrer Grammatik unterscheiden Mateus et al. in Kapitel 16.5.1 „Tipologia das construções de clivagem“ (2006, 687 sqq.) sechs weitere Unterklassen der Construções de Clivagem. Dabei handelt es sich um Clivadas-Q, Pseudo-Clicadas Básicas, Pseudo-Clivadas Invertidas, Pseudo-Clivadas Invertidas de é que, Semi-Pseudo-Clivadas Básicas und Semi-Pseudo-Clivadas (ibid.). Ohne die Ange‐ messenheit und Bedeutung dieser Kategorisierung für eine formal-struktura‐ listische Analyse von Sätzen des geschriebenen Portugiesisch anzweifeln zu wollen, bleibt nur festzustellen, dass diese Unterscheidungen für die hier ange‐ wandte Untersuchung weitgehend bedeutungslos sind, weil sie ohne Berück‐ sichtigung einer pragmatischen Perspektive und somit ohne Einbeziehung der besonderen Bedürfnisse mündlicher Kommunikation auskommen. Ähnlich zur Vorgehensweise in den übrigen Teilen des Kapitels folgt auch für diesen Themenkomplex die konkrete Analyse einiger Beispielsätze: (1) C- ORAL - ROM ‚pfamdl03.txt‘ - Mutter und Großmutter im Gespräch über Vergangenes F só iam as mulheres lavar a <roupa> ? E [<] <só> as mulheres é que iam lavar a roupa / / os homens só iam para o baile / / quando / quando <lá iam ter> / / (2) C- ORAL - ROM ‚pfamcv04.txt‘ - Big Brother P já viste como é que ele dança? A [<] <xxx / hhh> / / P n-o sei / / é / é um bocado cromo / / mas n-o o acho assim t-o carismático / quanto isso / / n-o (3) C- ORAL - ROM ‚pfamcv05.txt‘ - Studenten sprechen über ‚Live Musik‘ P / e o mais engraçado é que quem nos assaltou o carro foi o gang do multibanco / / (4) C- ORAL - ROM ‚pfamdl09.txt‘ - Studenten sprechen über ihre Abschlussreise in die Dominikanische Republik O pois / / muito espectáculo / / isso é que se quer / / é / / ele continua igual a si próprio / / ent-o / / ai / ai / / <até é porreiro> / / (5) Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch RT @M: Sabe quando é que as mulheres s-o mais atraentes? 113 5.3 Aggregative Rezeptionssteuerung (6) Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch @ ROH V-o ver o Contraluz, mazé! : P Ou o Toy Story 3. Ou até mesmo The Ex‐ pendables. Bei der Interpretation der oben aufgeführten Beispiele stellt sich die Frage, welche Elemente der diskursiven Sequenz durch eine construç-o de frase clivada hervorgehoben werden. Die in ‚Beispiel 1‘ aus dem Kontext erkennbare Gegen‐ überstellung mulheres iam lavar a roupa gegenüber os homens iam para o baile stützt die Interpretation, der zufolge ‚Sprecher E‘ in seiner Entgegnung auf die Frage von ‚Sprecher F‘ den Umstand betonen möchte, dass es die Frauen waren, die Wäsche wuschen und nicht die Männer. Es wird also das Element betont, das unter syntaktischen Gesichtspunkten das Subjekt des Satzes bildet. Durch seine Einbindung in eine construç-o de clivagem rückt es bei seiner Dekodierung in den Aufmerksamkeitsfokus des Gesprächspartners. Verstärkt wird dieser Eindruck der Hervorhebung zusätzlich durch den Umstand, dass zwischen dem Plural des Satzsubjekts as mulheres und dem Ausdruck é que keine grammatische Kongruenz besteht. In ‚Beispiel 2‘ gelingt es dem Sprecher mittels der Satzspaltung seine Bemer‐ kung so zu formulieren, dass der Gesprächspartner dazu gebracht wird, sie als Hinweis darauf zu verstehen, dass im weiteren Diskursverlauf die besondere Art des Tanzens - das como (wie) - als Thema ansteht, die den Tanzstil der besprochenen Person bei besagtem Anlass auszeichnete. Construções de cli‐ vagem scheinen demnach auch ein geeignetes Mittel, um in einem laufenden Dialog einen Themawechsel zu provozieren bzw. dasselbe Thema weiter im Zentrum des Gespräches zu belassen. In ‚Beispiel 3‘ erfährt die prädikative Ergänzung o mais engraçado zum Ko‐ pulativverb é im Hauptsatz eine Hervorhebung, wodurch die Aufmerksamkeit des Gesprächspartners auf den besonderen Umstand gelenkt wird, dass es aus‐ gerechnet die durch die Medien bekannt gewordene und berüchtigte Verbre‐ cherbande gang do multibanco war, die am besagten Tag des Open-Air Konzertes das Auto des Sprechers ausgeraubt hatte. ‚Beispiel 4‘ scheint darum interessant, weil hier zwei Techniken angewandt werden, nämlich der Spaltsatz isso é que se quer zusammen mit der Topikalisie‐ rung in Form der Linksherausstellung des Elements muito espectáculo, die eine Hervorhebung eines Teils der Diskurssequenz bewirken. In diesem Beispiel handelt es sich um die Variante eines markierten Topiks in Form einer deslocaç-o à esquerda clítica, die sich dadurch auszeichnet, dass zwischen dem heraus ge‐ stellten Element muito espectáculo und der Pro-Form des Bezugssatzes isso, zu‐ gleich eine Beziehung inhaltlicher Kohärenz und syntaktisch-grammatischer Kohäsion (Genus, Kasus, Numerus) besteht. Unter pragmatischen Gesichts‐ 114 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ 43 Im „Dicionário da Língua Portuguesa Contemporânea“ (Vol. 2) der „Academia das Ciên‐ cias de Lisboa“ von 2001 finden sich keine entsprechenden Lemmata ‚mas é‘ oder ‚mazé‘. Beim ‚Googeln‘ stößt man allerdings auf entsprechende Formen. punkt bewirkt eine solche redundant markierte Hervorhebung eine besonders deutliche Emphase, die der Sprecher dem Ausdruck espectáculo verleihen möchte. Entsprechend wirkungsvoll fällt auch die Wirkung auf den Gesprächs‐ partner aus. Von den beiden ‚Beispielen 5 und 6‘ aus dem peripheren Bereich medial schriftlich basierter Formen des Nähesprechens - in diesem Fall der kommuni‐ kativen Praktik Twitter - verdient besonders ‚Äußerung 6‘ Aufmerksamkeit. Der Ausdruck mazé  43 als orthographisch nicht regelkonforme Variante der Form mas é hat meinem Dafürhalten zufolge seine Wurzeln in der portugiesischen Umgangs- und Jugendsprache und findet sich entsprechend häufig auch in ‚Postings‘ der Computer basierten Kommunikation. Auch die nachgestellte Va‐ riante von mas é / mazé in ‚Beispiel 6‘ scheint auf diesen Ursprung zurückzu‐ gehen. Meinem Sprachgefühl vertrauend handelt es sich bei dieser nachge‐ stellten Variante um eine gruppensprachlich markierte Form, die eine noch stärkere emphatische Funktion besitzt als ihre vorangestellte Variante. Exkurs In der Geschichte der portugiesischen Sprachwissenschaft wurden Aus‐ drücke, die zu den oben vorgestellten Gruppen von Operatoren in ‚O-SK-ST‘, tópicos marcados und expressões de clivagem gehören, bereits in der Vergangenheit wiederholt unter sprachpragmatischen Gesichtspunkten, die weit über syntaktische und distri‐ butionelle Aspekte hinausgehen, analysiert. Franco (1988, 1988 b , 1989 und 1991) the‐ matisiert sie in seinen kontrastiven Untersuchungen zu Modalpartikeln im Deutschen und ihren (raren) Entsprechungen im Portugiesischen, weil es im Portugiesischen genau diese drei sprachlichen Mittel sind, die ähnliche Aufgaben wie die deutschen Modalpartikeln übernehmen. Die entsprechenden Aufsätze Francos bieten dem Leser folglich einen guten Überblick darüber, wer wann und mittels welcher Termini und funktionaler Bestimmungen die entsprechenden Ausdrücke analysiert hat. Darüber hinaus wird deutlich, dass die Einbeziehung einer pragmatischen Perspektive zur Be‐ stimmung bestimmter Elemente des Portugiesischen in Teilen der portugiesischen und brasilianischen Forschung bereits seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert üblich war. Im Folgenden stelle ich in Stichworten und chronologisch geordnet einige dieser Be‐ griffe, Termini und funktionalen Bestimmungen vor. Die Hinweise auf ihre jeweiligen Ursprünge entstammen größtenteils den Aufsätzen von Franco: (a) Ribeiro (1899, 322) erwähnt in seiner Grammatik die in den Ausdrücken eu cá julgo, tu lá sabes enthaltenen Elemente cá und lá als besondere Klasse von Adverbien, deren jeweilige 115 5.3 Aggregative Rezeptionssteuerung 44 Gemäß der aktuellen Form und Rechtschreibung ‚sobressair‘. 45 Gemeint ist die online gestellte Arbeit von 1988: http: / / ler.letras.up.pt/ uploads/ ficheiros/ 2570.pdf (16. 3. 2017). Funktion darin bestünde, die Personen hervorzuheben, die mit diesen Ausdrücken zusammenstehen; (b) Martins (1899, 54 sq.) bezeichnet im gleichen Jahr die fase clivada ‚é que‘, als einen Ausdruck „sem significaç-o gramatical“, dessen ausschließliche Funk‐ tion darin liege, das Subjekt oder eines der Satzteile in besonderer Weise zu betonen „servem unicamente para fazer sobresahir  44 o sujeito ou um complemento“. Er bezeichnet entsprechende Ausdrücke als „partículas de realce“; (c) Vasconcélloz (1909, 219 sq.) bezieht sich auf Ausdrücke wie „que belle que é, isto é que é felicidade“, etc., die er als „palavras ou locuções expletivas“ bezeichnet, die zwar für die Bedeutung einer Aussage unwichtig seien, aber ihrer Hervorhebung (realce) dienten; (d) Azevedo (1901, 17) er‐ wähnt é que, n-o, eu cá, tu lá, é, era, foi, foste (letztere Verben als Bestandteile von Satzspaltungen) und nennt sie „partículas de realce“, die der Hervorhebung dienen. (e) Seiner Zeit am weitesten voraus und sehr nahe an den Vorstellungen aktueller prag‐ matischer Untersuchungen lag der brasilianische Sprachwissenschaftler Said Ali (1930, 51 sq.), der Ausdrücke wie mas, ent-o, sempre, afinal, felizmente, infelizmente in bestimmten Distributionen als „expressões de situaç-o“ einstufte, die viel mehr als bloß dekorativ oder bloß verstärkend wirkten, sondern der Regelung zwischen Sprecher und seiner Aussage in Bezug auf seine Wirkung dem Gesprächspartner gegenüber sowie der Organisierung des Diskursverlaufs dienten, „como elementos empregados espontaneamente e com frequência no falar corrente de todos os dias, sobretudo nos diá‐ logos “. (f) Cunha / Sintra (1984, 548 sq.) erwähnen als Beispiele Äußerungen wie eu cá tenho mais medo do sol que dos leões / afinal, ela n-o tem culpa de ser filha de ministro / ent-o conheces o meu irm-o / desculpe-me … mas sente-se mal und nennen sie „palavras denotativas“. Sie definieren die fraglichen Elemente cá, afinal, ent-o und mas folgen‐ dermaßen: „ […] n-o devem ser incluídas entre os advérbios. N-o modificam o verbo, nem o adjectivo, nem outro advérbio. S-o por vezes de classificaç-o extremamente difícil. Por isso, na análise, convém dizer apenas: “palavra ou locuç-o denotadora de exclus-o, de realce, de rectificaç-o, etc.“ (1984, 549). (g) Schließlich ist es Franco (1988 a , 1988 b , 1989 und 1991), der bei der Interpretation sprachlicher Elemente des Portugiesischen aus sprachpragmatischer Perspektive Pionierarbeit leistet. Er klassifiziert die Ele‐ mente acaso, afinal, bem, cá, e, ent-o, é que, já, lá, mas, n-o, se calhar, sempre, als konstituierende Bestandteile von Äußerungen wie Afinal ele pôs o cargo à disposiç-o / O José sempre comprou um carro / Também dizes cada uma / O F. C. Porto sempre venceu o Bayern / O José é que comprou o carro / Isto é que o teu filho cresceu! und verwendet dabei den Terminus „partículas modais“ (1988, 146 sqq.) 45 . Außerdem verweist er auf die Situations- und Kontextabhängigkeit dieser Ausdrücke. Francos Auffassung zu‐ folge dienen sie der Hervorhebung des Themas oder Rhemas einer Aussage, wenden 116 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ 46 Die Hervorhebungen von bem, logo, sempre, lá erfolgen in den Originalzitaten durch Kursivschrift, im vorliegenden Text aber durch Unterstreichungen der bereits in Kur‐ sivschrift dargestellten Äußerungen in portugiesischer Sprache. sich als Appell der Dringlichkeit an die Gesprächspartner oder aber besitzen eine „funç-o de atenuaç-o“(1988 a , 53). Umso überraschender ist es, dass alle diese erwähnten Ergebnisse noch keinen sys‐ tematischen und ihrer Bedeutung angemessenen Platz in einer der Referenzgramma‐ tiken des Portugiesischen gefunden haben. Wie weit diese Lücke durch Band III der ‚Gulbenkian Grammatik‘ geschlossen wird, ist mir nicht bekannt, weil dieser Band bis dato (März 2017) noch nicht erschienen ist. Gegenüber Mateus et al. und ihrer Gram‐ matik (2006) scheint es mir jedenfalls auf den ersten Blick kein Fortschritt, wenn in dem bei Gulbenkian erschienene Band II der „Gramática do Português“ z. B. der Ter‐ minus „advérbios enfatizadores“ (Raposo et al. 2013, 2258) zur Kennzeichnung von Partikeln wie bem oder lá gebraucht wird und die Funktionen dieser Partikeln in Äu‐ ßerungen wie Ele bem o quis animar mas n-o conseguiu oder Depois lá se lembra da desfeita que lhe fizeram e, por descargo de consciência, uiva. (Raposo et al. 2013, 2259) folgendermaßen gekennzeichnet wird: „Nestes exemplos, bem n-o tem valor de modo […], logo e sempre apresentam-se esvaziados de conteúdo temporal ou aspetual, e lá, esvaziado de referencia locativa“  46 (Raposo et al. 2013, 2258). Solchen Kennzeich‐ nungen, die den methodischen Ansatz der Grammatik von Mateus et al. fortsetzen und sich ausschließlich auf die Perspektive einer formal-strukturalistischen Gram‐ matikbeschreibung beschränken, gelingt es m. E. nicht, die spezifischen Bedingungen, Restriktionen, Aufgaben und Möglichkeiten zu bestimmen, die sich aus der Einbettung von verbaler Kommunikation in Situationen - einschließlich ihrer zeitlich-räumlichen Bedingungen - sowie dem dynamischen Ablauf miteinander handelnder Gesprächs‐ partner ergeben. Unter sprachpragmatischen Gesichtspunkten stellen Bestimmungen wie die oben sogar einen Rückschritt in Beziehung auf die Erkenntnisse dar, die por‐ tugiesische Grammatiker bereits in der Vergangenheit zu den entsprechenden Parti‐ keln und Ausdrucksweisen gewinnen konnten, die in diesem Kapitel thematisiert wurden. 5.3.4 Zusammenfassung In ‚Kapitel 5‘ wurde eine Reihe sprachlicher Ausdrücke und Strukturen vorge‐ stellt, die einem portugiesischen Sprecher helfen, ein Gespräch seinen Zielen und kommunikativen Interessen gemäß zu gestalten. Bei dieser Aufgabe unter‐ stützen ihn Operatoren in ‚O- SK - ST ‘, tópicos marcados und construções de cli‐ vagem, die alle drei dem gleichen universalen Diskursverfahren einer ‚aggre‐ 117 5.3 Aggregative Rezeptionssteuerung gativen Rezeptionssteuerung‘ Vorschub leisten. Was so abstrakt klingen mag und Lesern, die nicht mit dieser Terminologie und der angewandten Perspektive der Sprachpragmatik vertraut sind, wahrscheinlich zunächst unverständlich und nicht besonders einleuchtend erscheint, bedeutet aber nichts anderes, als dass die drei genannten sprachlichen Ausdruckmitteln eine gemeinsame Stra‐ tegie verfolgen, die dem Sprecher dabei unterstützen, seine kommunikativen Interessen in einem Alltagsgespräch zu wahren. Sie erlauben es ihm, Einfluss auf den Diskursverlauf und die Art und Weise zu nehmen, wie Gesprächspartner Äußerungen aufnehmen und interpretieren. ‚Verfahren 2 und 3‘, also tópicos marcados und construções de clivagem, erfüllen im Portugiesischen diese Auf‐ gabe, indem sie bestimmte Elemente der Information, die der Sprecher über‐ mitteln möchte, hervorheben bzw. ihnen zusätzlichen Nachdruck verleihen. Operatoren hingegen verfügen über eine ganze Reihe subtiler Mittel zur Beein‐ flussung des Hörers. Sie stellen richtig, wie eine Aussage wirklich gemeint ist, nuancieren den Grad der Wirkung der eigenen Aussage auf den Gesprächs‐ partner und, ganz wichtig, schützen vor möglicher Blamage und Gesichtsver‐ lust, wenn ein Sprecher sich z. B. bei einer vorschnell aufgestellten Behaup‐ tung‚ ‚zu weit aus dem Fenster lehnt‘ und in der Folge auf einen Operator (Vagheitsanzeiger) zurückgreifen muss, der ihm den Weg für eine folgende Rechtfertigung oder Zurücknahme dieser Behauptung ebnet. Operatoren erleichtern unkonzentrierten Gesprächsteilnehmern in der Hö‐ rerrolle die Beteiligung am Dialog. Sie geben ihnen u. a. bereits zu Beginn einer Sprechsequenz zu verstehen, wie sich ihr Gegenüber den weiteren Diskursver‐ lauf vorstellt und in welcher Reihenfolge die weiteren Elemente seiner Sprech‐ sequenz folgen. So lässt der Operator ‚para já‘ vermuten, dass ein Sprecher be‐ absichtigt, diesem einleitenden Ausdruck noch eine Reihe von weiteren Äußerungen folgen zu lassen, während ‚em primeiro lugar‘ eine Aufzählung er‐ warten lässt. Auch in der portugiesischen Sekundärliteratur gibt es seit geraumer Zeit immer wieder Hinweise darauf, dass man sich dieser pragmatischen Funktion verbaler Verständigung durchaus bewusst war und ist. Darum fehlt es in der Geschichte der Erforschung der portugiesischen Sprache auch nicht an ent‐ sprechenden Forschungsbeiträgen und Ergebnissen. Vielleicht aber war es die Faszination, die vom amerikanischen Strukturalismus und seinen Vorstellungen eines streng hierarchischen Aufbaus sprachlicher Strukturen und der schein‐ baren Objektivität und Operationalisierbarkeit seiner Methoden ausging zu übermächtig. Sie bereitete den Weg für eine Forschungstradition, die für lange Zeit eine Art von ‚Alleinvertretungsanspruch‘ ausübte und die portugiesische Vorstellung von Sprache und Sprachwissenschaft recht einseitig gestaltete. Die 118 5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘ Folge war, dass eine Orientierung an alternativen Konzepten zur Sprachbe‐ schreibung weitgehend vernachlässigt wurde. Auch die pragmatische Seite sprachlicher Kommunikation blieb relativ unbeachtet. Dadurch wurde der Weg für Forschungen blockiert, die sprechsprachliche Ausdrücke und Strukturen aus der Situationsgebundenheit und der Dynamik von Abläufen interaktionaler Kommunikationsabläufe erklären. 119 5.3 Aggregative Rezeptionssteuerung 1 Um sich die noch größere Bedeutung des Faktors ‚Zeit‘ im Zusammenhang mit der Sprachdidaktik des Fremdsprachenlernens deutlich zu machen, sollte sich der Leser vorstellen, in welchem Maß sich dieser Stress erhöht, wenn es sich um eine Unter‐ richtssituation handeln sollte, in der ein Lerner zusätzlich Leistung und Noten erbringen muss und unter der Beobachtung von Lehrer und Mitschülern steht. 2 Leser, die mit der Terminologie der Pragmatik und dem als Basis dieser Untersuchung dienendem Modell und seiner Begrifflichkeit nicht vertraut sind, finden einige stich‐ wortartige Erklärungen sowie entsprechende Übersetzungen ins Portugiesische im Glossar am Schluss dieses Buches. 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ Innerhalb des Parameters ‚Zeit‘ gelingt es, die universalen Diskursverfahren zu beschreiben, die sich aus der Zeitgebundenheit der Produktion und Rezeption von Einheiten der gesprochenen Sprache ableiten lassen, oder um es mit den Worten von Ágel / Hennig auszudrücken: „Das Zeitparameter beschreibt die nähebzw. distanzsprachlichen Verfahren, die sich aus der Zeitgebundenheit vs. Zeitfreiheit der Produktion und Rezeption ergeben“ (Ágel / Hennig 2007, 197). Um diese Aussage und die aus ihr ergebenden Konsequenzen zu verstehen, empfiehlt es sich, zunächst einmal zu analysieren, wie diese zeitlichen Bedin‐ gungen einer solchen „On line-Syntax“ (Auer 2000) aussehen. Dazu sollte man sich vor Augen führen, dass ein Sprecher in einer Situation des Nähesprechens die Planung und Ausführung seiner Äußerungen zeitlich fast synchron durch‐ führt. Zusätzlich wird seine Aufmerksamkeit dadurch in Anspruch genommen, dass er sich in dieser kritischen Phase bereits im Gespräch befindet und folglich auch die sprachlichen Einwürfe, die prosodische Gestaltung, die Gesten und die Mimik seines Gegenübers beachten muss, um diese mit seinem eigenen verbalen und nicht verbalen Handeln abzustimmen. Dieses komplexe Geflecht parallel ablaufender kommunikativer Handlungen strapaziert notgedrungen die Auf‐ merksamkeit und das Gedächtnis 1 eines Sprechers aufs Äußerste und beeinflusst die Form der Äußerungen, die er unter diesen Umständen hervorzubringen im‐ stande ist. Wie sich eine solche Situation konkret auf die Form sprachlicher Einheiten auswirken kann, wird am Beispiel der folgenden Äußerung aus dem Kapitel ‚Einführung‘ und dem exemplarischen Text für ‚Nähesprechen‘ deutlich: acho uma variedade muito extraordinária / agrada a toda a gente / / toda a gente tem por onde escolher / / nós agora até / tivemos / dois dias / em passagens de modelos a semana passada. Die aufeinander folgenden Propositionen 2 (Informationsan‐ 3 In der Linguistik gebraucht man zur Bezeichnung dieses Phänomens den Terminus fehlende oder eingeschränkte „syntaktischer Kohäsionsmarkierung“ (Ágel / Hennig 2007, 199). teile) dieser Sprechsequenz werden wie Perlen auf einer Kette hintereinander aufgereiht, ohne dass sie durch entsprechende Verbindungselemente syntak‐ tisch und logisch miteinander verbunden wären. Diese Verbindungen indirekt herzustellen bleibt folglich dem zuhörenden Gesprächspartner überlassen. An der obigen Anordnung der Elemente des diskursiven Verlaufs wird der zeitbe‐ dingte Stress ersichtlich, der in einer Situation prototypischen Nähesprechens auf Sprecher einwirkt und sie in ihren Möglichkeiten beschränkt, den Bestand‐ teilen ihrer Diskurse einen höheren Grad syntaktischer Komplexität und lo‐ gisch-semantischer Kohäsion zu verleihen. Mit anderen Worten: Unter den zeitlichen Bedingungen, innerhalb derer Sprecher ihre Diskurseinheiten gestalten, neigen sie dazu, spezifische sprach‐ liche Ausdrucksweisen zu bevorzugen, in denen sich universale Diskursver‐ fahren manifestieren, die einer solchen Situation angemessen sind. Diese Ver‐ fahren besitzen universalen Charakter, weil Sprecher aller Sprachen in einer ähnlichen Situation analoge Verfahren auswählen, auch wenn die konkreten einzelsprachlichen Realisierungen, in denen sich diese Verfahren manifestieren, von Sprache zu Sprache unterschiedlich ausfallen. Auf das vorliegende Beispiel angewandt: Auch ein Sprecher der ungarischen, italienischen, französischen, englischen oder deutschen Sprache etc. wird unter denselben situativen Um‐ ständen wahrscheinlich eine Organisation seines Diskursverlaufs wählen, die seine Elemente syntaktisch und logisch-semantisch relativ unverbunden 3 ne‐ beneinander bzw. nacheinander anordnet. Zusätzlich spielt natürlich auch der individuell unterschiedliche Grad der Vorbereitung eines Sprechers auf eine solche Kommunikationssituation sowie seine Bildung, Eloquenz und seine Erfahrung mit Formen des freien Sprechens eine Rolle bei dieser Diskursgestaltung und führt konsequenterweise zu Sprech‐ sequenzen unterschiedlicher Komplexität. Aber die latente vorhandene Ten‐ denz, Diskurseinheiten in einer aneinanderreihenden, in Fragmente unterteilten Form vorzubringen, existiert unabhängig von den oben genannten Faktoren und der Sprache, in der sich jemand nähesprachlich ausdrückt. 121 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ 4 Cf. Lehmann zur sprachlichen, parasprachlichen und nichtsprachlichen Kommunika‐ tion. Zu den entsprechenden Bestimmungen gelangt man über das ‚Online-Portal‘ „Grundbegriffe der Linguistik“: http: / / www.christianlehmann.eu/ ling/ elements/ index. html (24. 3. 2017). 6.1 Aggregative Strukturierung des Informationsflusses Bei der Opposition ‚Aggregation versus Integration‘ handelt es sich um ein Ge‐ gensatzpaar, das unterschiedliche Formen der Gliederung und Vermittlung von Inhalten in einer Diskurssequenz beschreibt. Eine aggregative Gliederung und Vermittlung liegt vor, wenn die Inhalte einer Äußerungssequenz hintereinander aufgereiht werden - zeitlich gesehen aufeinander folgend ausgesprochen werden -, ohne dass die Integration der verschiedenen Elemente dieser Infor‐ mation durch das Anlegen einer übergeordneten Perspektive zu einer Gesamt‐ information erfolgt. Eine solche sukzessive Form der Informationsübermittlung, die verschiedene Elemente der zu übermittelnden Information ‚häppchenweise‘ hintereinander aufreiht, kann man an einem sehr einfachen Beispiel deutlich machen. In der Sequenz O Pedro quer comprar um carro. Quer um carro novo wird der Hörer zeitlich versetzt mit den verschiedenen Anteilen dieser Information - seinen propositionalen Gehalten - konfrontiert. Zuerst empfängt er die Infor‐ mation O Pedro quer comprar carro und danach, Sekundenbruchteile später, den Informationsanteil O carro tem que ser novo. Entsprechend vereinfacht wird der Dekodierungsprozess einer solch aggregativ organisierten Diskurssequenz aus der Sicht des Hörers. Für den Sprecher hat dieser ‚Häppchenstil‘ den Vorteil, dass er die verschiedenen inhaltlichen Anteile seiner Information mitsamt der passenden syntaktischen Struktur nacheinander planen kann. Eine solche Form der Informationsvermittlung entlastet den Sprecher, der sich beim Sprechen mit der Notwendigkeit konfrontiert sieht, die Planung und Ausführung seiner Äu‐ ßerungen zeitlich fast simultan vorzunehmen. Zu den verbalen Anteilen seiner Äußerungen treten weitere ‚suprasegmentale Merkmale der Prosodie‘ und ‚nichtverbale Anteile der Kommunikation‘ (cf. Kapitel 4), die ein Sprecher im Laufe seiner kommunikativen Intervention mit denen seines Gesprächspartners in Übereinstimmung bringen muss 4 . Eine integrative Gliederung hingegen verknüpft die inhaltlichen Kompo‐ nenten einer Aussage, die zur Übermittlung anstehen, aus einer übergeordneten Perspektive und erlaubt dem Sprecher dadurch einen ‚Überblick‘ über die Ge‐ samtheit der zu übermittelnden Elemente. Um diese ‚integrative‘ im Gegensatz zur ‚aggregativen‘ (additiven) Form der Informationsübermittlung zu veran‐ schaulichen, bedarf es nur einer kleinen Änderung der oben als Beispiel ge‐ nannten Äußerung. Aus der Sequenz O Pedro quer comprar um carro. Quer um 122 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ 5 Ágel, der in seiner Heimat Ungarn auch Romanistik und Portugiesisch studiert hat, hielt 2009 in Lissabon an der UCP (Universidade Católica Portuguesa) seinen Vortrag mit dem Titel „Proximidade e distância na gramática“, der im Rahmen des internationalen Kolloquiums „Proximidade e Distância“ stattfand, auf Portugiesisch. 6 Erwin Panofsky (1892-1968) gilt als einer der bedeutendsten Kunsthistoriker des 20. Jahrhunderts. Cf. https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Erwin_Panofsky (24. 3. 2017). 7 Der Hinweis auf diese Quellenangaben stammt aus Ágel / Hennig (2007, 197 sq.). carro novo wird O Pedro quer comprar um carro novo. Diese Sequenz weist durch den leicht erhöhten Grad der Integration ihrer Bestandteile eine etwas komple‐ xere Informationsstruktur auf als die zwei vergleichbaren, hintereinander her‐ vorgebrachten Äußerungen. Entsprechend steigen - wenn auch bei dem obigen Beispiel nur in sehr geringem Umfang - die Anforderungen an das Gedächtnis, die Konzentrations- und Multitaskfähigkeit, sowohl aufseiten des kodierenden Produzenten als auch aufseiten des dekodierenden Rezipienten: „Em suma, a presença de estruturas agregativas é um índice gramatical fulcral de um enunciado do “falar de proximidade“, sendo que a vigência de estruturas integrativas indicia, pelo contrário, um enunciado do falar de distância“ (Ágel 2011, 36) 5 . Zunächst ist es interessant, darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Aggrega‐ tion“ bzw. „aggregativer Raum“ ursprünglich aus der Ästhetik Erwin Pa‐ nofskys 6 stammt. Mit Hilfe dieses Begriffes bestimmte er ursprüngliche Formen der Malerei vor der (Wieder)Entdeckung der Zentralperspektive in der Renais‐ sance. Zu diesen Formen zählen die altägyptische und mittelalterliche Malerei, oder in der Gegenwart, Bilder der naiven Malerei und des Kubismus. Aber auch Zeichnungen von Kleinkindern weisen dieses Merkmal auf, dem zufolge die Gemälde bzw. Zeichnungen nicht aus einer einzigen, ordnenden Perspektive, sondern von mehreren Betrachtungswinkeln aus organisiert werden (Ágel 2003, 19 sqq.). Die resultierenden Objekte erscheinen dem Betrachter flächig und per‐ spektivlos, als ob sie planlos nebeneinander zusammengestellt worden wären. Bei Gemälden hingegen, bei deren Erstellung die Zentralperspektive als Orga‐ nisationprinzip angewendet wird, erscheinen die Elemente eines Bildes ihrer Verteilung im Raum gemäß in unterschiedlicher Größe und vermitteln dem Be‐ trachter den visuellen Eindruck von Räumlichkeit der dargestellten Objekte. Später wurde der Begriff „Aggregation“ bzw. „aggregativer Raum“ von den Linguisten Koch / Oesterreicher (1990), Raible (1992), Köller (1993) und Ágel (2003) 7 entdeckt, und die Dichotomie ‚Aggregatraum vs. Zentralperspektive‘ als Opposition ‚Aggregation vs. Integration‘ auch auf sprachliche Erscheinungen und ihre grammatische Beschreibung übertragen. Auf den Bereich der Syntax gemünzt, bedeutet es z. B., dass Strukturen der Parataxe denen einer aggrega‐ tiven Gliederung, und Hypotaxen einer integrativen Gliederung entsprechen. 123 6.1 Aggregative Strukturierung des Informationsflusses 8 Auch das folgende Zitat deutet auf ein mangelndes Verständnis des Funktionierens von Nähesprache sowie auf das regelverhaftete Verständnis von Sprache, das überwiegend die Meinung der portugiesischen Öffentlichkeit, und selbst die vieler ‚Experten‘, prägt: „quando se utiliza o verbo haver com expressões de tempo, n-o deverá incluir-se o advérbio atrás“. Cf. https: / / ciberduvidas.iscte-iul.pt/ artigos/ rubricas/ idioma/ ha-anos-atras/ 2346 (27. 3. 2017). Im folgenden Teil dieses Kapitels werde ich an Hand von Beispielen einige dieser sprachlichen Ausdrucksweisen erörtern, in denen sich im Portugiesischen dieses Prinzip einer aggregativen Strukturierung des Informationsflusses ma‐ nifestiert, und die folglich als Aggregationsindikatoren auf die Nähesprachlich‐ keit des entsprechenden Sprachgebrauchs verweisen. Wer in Alltagsgesprächen Portugiesen aufmerksam zuhört, wird immer mal wieder Ausdrücke wie há uns dias atrás hören, wenn es um die Darstellung von vergangenen Ereignissen geht. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Einschätzung „Muitos gramáticos consideram que a frase […] é uma redundância e, por isso, deve ser rejeitada“ (Ciberdúvidas 8 ). Aus der Sicht der oben geschil‐ derten Dichotomie zwischen Aggregation und Integration aber deutet diese re‐ dundante Form auf den Versuch des Sprechers, die implizit im Ausdruck há uns dias enthaltene Information, die das Bezeichnete bereits als ‚vergangen‘ in Re‐ lation zum Sprechmoment kennzeichnet, nachträglich und in redundanter Er‐ gänzung durch das Adverb atrás zusätzlich, und dieses Mal in einer expliziten Ausdrucksweise, durch dieses Adverb als „vergangen“ zu markieren. Dieser Ausdruck ist m. E. nicht auf mangelnde Grammatikkenntnisse des Sprechers zurückzuführen, sondern deutet auf die Wirksamkeit des universalen Diskurs‐ verfahrens einer ‚aggregativen Strukturierung des Informationsflusses‘ (cf. Schema in ‚Kapitel 4‘), das sich in Form dieser sprachlichen Ausdrucksweise auf morphologischer Ebene manifestiert. Und es ist durchaus vorstellbar, dass sich diese Ausdrucksweise zukünftig auch als neue ‚Norm‘ des Sprechens heraus‐ bilden und irgendwann als offizielle Regel der portugiesischen Grammatik etab‐ lieren könnte. Als redundante Ausdrucksform besäße sie in der Grammatik des Portugiesischen bereits analoge Ausdrucksweisen, wenn man z. B. an die im Portugiesischen durchaus übliche und regelkonforme ‚doppelte Negation‘ denkt. Dass man aber in Kreisen portugiesischer Grammatiker diesem Phä‐ nomen mit einem gewissen Vorbehalt gegenübertritt, wird aus der folgenden Interpretation ersichtlich. Sie deutet auf eine bereits an anderer Stelle kritisierte Haltung einer präskriptiven Sprachbeschreibung, der zur Folge sprachliche Strukturen einer bereits im ‚Kopf ‘ von Grammatikern zurechtgelegten Logik zu folgen haben, während die Beobachtung der sich ständig wandelnden Sprech‐ wirklichkeit sekundär zu sein scheint: “Designa-se por Concordância Negativa a 124 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ propriedade que algumas línguas têm que permitirem, em certas circunstância […] passe a ser interpretada como positiva“ (Mateus et al. 2006, 789). Konservativen Philologen und Sprachpflegern, die den Wert einer Sprache an der Unveränderlichkeit ihrer Regeln messen, wird es auch nicht gefallen, wenn Sprecher in Konkurrenz zu den regelhaften Formen voltei para ajuda-lo oder atribuir-lhe die Ausdrücke voltei para ajudar ele oder atribuir a ele gebrau‐ chen, wobei diese konkurrierenden Formen durch eine fehlende Integration von Verb und Pronomen, bzw. von Verb und Präposition, gekennzeichnet sind. Auch diese Erscheinung deutet m. E. auf eine aggregative Strukturierung sprachlicher Ausdrücke auf morphologischer Ebene. Allerdings dürften diese Bildungen, die bei brasilianischen Muttersprachlern üblicher als bei kontinentalportugiesi‐ schen sind, meiner Einschätzung zufolge von den meisten Portugiesen (noch) als ‚grammatisch unakzeptabel‘ eingeschätzt werden und als brasileirismo ab‐ getan werden. Diese Bildungen widersprechen meiner Einschätzung nach viel stärker dem Regelverständnis portugiesischer Philologen, Grammatiker und Laien als die oben beschriebenen Erscheinungen sprachlicher Redundanz. Als weiteres Beispiel der Wirksamkeit des Prinzips ‚Aggregation‘, das als In‐ dikator für Nähesprache verstanden werden kann, lässt sich die rhetorische Stilfigur eines ‚Apokoinu‘ bestimmen, wie im folgenden Beispiel aus dem ‚C- ORAL - ROM -Korpus‘ (pfamdl12.txt): e ent-o / já tinha lá / havido muitos bom‐ bardeamentos / já tinha. Beim Apokoinu handelt es sich um eine syntaktische Struktur, bei der ein Wort oder ein Teil des Satzes, das ‚Koinon‘, das in einer Mittelstellung steht - im vorliegenden Beispiel durch den Ausdruck havido muitos bombardeamentos gebildet - sich gleichermaßen auf die Elemente des vorgehenden und des folgenden Textes bezieht, also im obigen Beispiel sowohl auf das vorhergehende já tinha (lá) als auch auf das nachfolgende já tinha. Auslöser für eine solche Strukturbildung der Sprechsequenz ist eine vorausge‐ hende Planung, bei der ein Sprecher die einzelnen sprachlichen Ausdrücke dieser Sequenz nacheinander organisiert und ausspricht, statt sie in ein syntak‐ tisches Gesamtgefüge zu integrieren. Ähnlich geht ein Maler vor, der sein ‚naives‘ Gemälde mosaikähnlich aus einzelnen Stücken zusammensetzt und nicht einer Integration schaffenden Zentralperspektive unterordnet. Ein wei‐ terer Vorteil einer solchen additiven Strukturierung mittels der spiegelbildähn‐ lichen Konstruktion eines „Drehsatzes“ (Schwitalla 2012, 127) besteht darin, nacheinander zwei unterschiedliche Informationseinheiten derselben Sprech‐ sequenz topikalisieren zu können (Schwitalla 2012, 128). Im Beispiel sind es die Ausdrücke muitos bombardeamentos und das folgende já tinha (lá). Das gleiche Prinzip einer aggregativen Planung und Ausführung der Dis‐ kurssequenzen zeigt sich auch beim Gebrauch von ‚Parenthesen‘. Wie die 125 6.1 Aggregative Strukturierung des Informationsflusses 9 Schwitalla gebraucht zur Kennzeichnung entsprechender Sprechsequenzen auch den Ausdruck „abperlende Folgen" (Schwitalla 2008, 14). 10 Cf. ‚Merkmal j‘ in der schematische Darstellung des Modells in ‚Kapitel 4‘. meisten Ausprägungen des „Häppchenstils“ 9 sind Parenthesen nicht ausschließ‐ lich auf kommunikative Praktiken der Nähesprache beschränkt, sondern werden auch - wenn auch nicht so häufig - ebenfalls in kommunikativen Prak‐ tiken des Distanzsprechens verwendet. Ihre Vorteile aber kommen erst unter den situativen Bedingungen prototypischer Formen des Nähesprechens voll zum Tragen. Zur Veranschaulichung dient das folgende Beispiel aus dem ‚C- ORAL - ROM -Korpus‘ und der Transkription ‚pfamdl14.txt‘: […] e também morei / ah / depois / muito tempo / mas isso já mais crescidinha / na Jo-o Vinte. Bei der Planung dieser Äußerung formuliert der Sprecher zunächst die Sequenz e também morei / ah / depois / muito tempo / na Jo-o Vinte. In einer etwas weiter fortgeschrittenen Phase der Planung und Ausführung seiner Äußerung fällt ihm dann noch nachträglich ein, seine Äußerung durch die Information mas isso já mais crescidinha zu erweitern. Doch ist es bereits zu spät, und dem Sprecher gelingt es nicht mehr, diese Information regelgerecht mittels eines temporalen Nebensatzes in die syntaktische Struktur des Kernsatzes einzufügen. Eine dem Prinzip ‚Integration‘ folgende Sprechsequenz sähe hingegen wie folgend aus: […] e também morei / ah / depois / muito tempo / quando era já mais crescidinha / na Jo-o Vinte. Auch die in ‚Kapitel 5.3.‘ des Buches ‚Aggregative Rezeptions‐ steuerung‘ analysierten Operatoren in ‚O- SK - ST ‘, ‚tópicos marcados‘ und ‚const‐ ruções de clivagem‘ basieren, wie es bereits der Name des Kapitels verrät, auf einer ‚aggregativen Strukturierung des Informationsflusses‘ und müssen darum an dieser Stelle nicht noch einmal ausdrücklich thematisiert werden. Weil es nicht dem Anliegen der vorliegenden Arbeit entspricht, die Gesamtheit sprachlichen Erscheinungen des portugiesischen Nähesprechens zu erörtern, in denen sich jeweils die entsprechenden Diskursverfahren manifestieren, sondern weil das Ziel des Buches vorrangig darin besteht, ein Konzept (Modell) mit seinen Parametern, passenden Begriffen und Termini für künftige Analysen des portugiesischen Nähesprechens vorzustellen, werde ich in den folgenden Para‐ graphen dieses Kapitels nur noch drei weitere Phänomene ausführlicher erläu‐ tern, in denen sich das Verfahren einer ‚aggregativen Strukturierung des Infor‐ mationsflusses‘ manifestiert: Bei dem ersten Merkmal handelt es sich um ‚Fehlende oder eingeschränkte semantisch-syntaktische Kohäsionsmarkierung zwischen den Teilen einer Äu‐ ßerungssequenz‘ 10 . Zur Verdeutlichung werde ich im Folgenden zwei Sprech‐ 126 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ 11 In Bezug auf die romanischen Sprachen unterscheidet Raible (1992) acht unterschied‐ liche grammatische Techniken dieser interpropositionalen „Sachverhaltsdarstel‐ lungen“, die er hierarchisch gegliedert auf einer Skala ansiedelt. Dabei steht jede Stufe für einen unterschiedlichen Grad aggregativer Kohäsion und repräsentiert somit auch einen unterschiedlichen Grad der Nähesprachlichkeit einer Äußerung. Aggregative Kohäsion liegt in ihrer prägnantesten Form dann vor, wenn überhaupt keine gramma‐ tischen Mittel zur Kohäsionsstiftung eingesetzt werden (maximale Nähesprachlichkeit), während der niedrigste Grad dieser Form der Strukturierung eine Sprechsequenz einem Maximum an kohäsionsstiftenden grammatischen Mitteln entspricht (maximale Dis‐ tanzsprachlichkeit). sequenzen analysieren, die dieses Verfahren einer ‚aggregativen Strukturierung des Informationsflusses‘ veranschaulichen: (1) C- ORAL - ROM ‚pmedin01.txt‘ - beliebte Spiele A olhe / eh / tem havido uma grande aproximaç-o / entre o norte de por / de Por‐ tugal / e a Galiza / / aproximaç-o essa / que data / sobretudo / de / dos tempos / pos‐ teriores ao vinte cinco de abril / / houve mais liberdade de atravessar no meio das fronteiras (2) Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch (Bei der folgenden Äußerung handelt es sich um einen zitierten Tweet) Pedra da Anicha ao Portinho: ideal para o mergulho. É proibido mergulhar no Portinho e na Anicha. @JornalExpresso Beide Beispiele repräsentieren Fälle extrem aggregativer Kohäsionsmarkie‐ rungen per „Juxtaposition“ - Ágel (2011, 37) übersetzt den Begriff mittels des Terminus „justaposiç-o“ ins Portugiesische -, die ohne weitere sprachliche Mittel zur „interpropositionalen Sachverhaltsdarstellung“ (Raible 1992) 11 aus‐ kommen. So folgt in ‚Beispiel 1‘ einer ersten Gruppe von Propositionen „tem havido uma grande aproximaç-o / entre o norte de por / de Portugal / e a Galiza / / aproximaç-o essa / que data / sobretudo / de / dos tempos / posteriores ao vinte cinco de abril“ eine zweite Proposition „houve mais liberdade de atravessar no meio das fronteiras“, und es bleibt dem Hörer überlassen, entsprechende syntaktische-lo‐ gische Zusammenhänge zwischen beiden Aussagen zu schaffen. In ‚Äuße‐ rung 1‘ ließe sich dieser Zusammenhang als ‚konsekutiv‘ deuten, in dem Sinn, dass die erleichterte Grenzüberschreitung zwischen Galizien und Nordportugal die Folge der gut nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen beiden geogra‐ phischen Bereichen war. Genauso denkbar wäre aber auch die Herstellung eines ‚kausalen‘ Zusammenhangs, wie sie aus der folgenden (möglichen) Übersetzung deutlich wird: ‚Weil es vor dem 25. April so gute nachbarschaftliche Beziehungen 127 6.1 Aggregative Strukturierung des Informationsflusses 12 Diese Feststellung bezieht sich auf die zur Zeit der Studie gültigen Regeln des Twitterns. Zum aktuellen Zeitpunkt im Jahre 2017 haben sich die Regeln ein wenig verändert. Nutzernamen oder ‚Bilder-Links‘ werden nicht als Zeichen mitgezählt. Außerdem darf ein Twitterer sich nach den neuen Bestimmungen selbst retweeten. 13 Hinsichtlich des Gebrauchs der oben genannten Konnektoren im universitären Unter‐ richtsgespräch gelangen Cabarr-o et al. (2016) in einer Studie zu dem Schluss, dass es sich bei portanto um den am häufigsten vorkommenden Konnektor handelt (34 %), ge‐ folgt von agora (10 %) und (e)ent-o (8 %). zwischen Nordportugal und Galizien gab, konnte man die Grenze leichter über‐ queren‘. Auch in ‚Beispiel 2‘ fehlen explizite grammatische Mittel zur logisch-seman‐ tischen Verknüpfung zwischen den Ellipsen Pedra da Anicha ao Portinho: ideal para o mergulho sowie der Aussage É proibido mergulhar no Portinho e na Anicha. Das implizit mögliche Verständnis dieses Zusammenhangs als ‚adversativ‘, wie sie mittels des Konnektors mas explizit markiert werden könnte, bleibt aus, bzw. wird dem Leser überlassen. Sie ergibt sich für ihn aus dem widersprüchlichen Inhalten der Aussagen, mit denen er in diesem Tweet konfrontiert wird. Bei der Durchsicht der Tweets des ‚Hannover Korpus‘ gewinnt man generell den Eindruck, dass die Kohäsionsmarkierung mittels ‚Juxtaposition / justapo‐ siç-o‘ eher die Regel als die Ausnahme darstellt, mit der Folge, dass diese kom‐ munikative Praktik im Kontinuum zwischen Nähe- und Distanzpol relativ nahe am Nähepol verortet werden kann. Erklären kann man diesen Umstand durch zwei Faktoren: Erstens führt die begrenzte Anzahl von Zeichen (140), die ein Twitterer zur Verfügung hat 12 , zu diesem Telegrammstil. Somit übernehmen die beim Twittern beteiligten ‚User‘ selber eine zentrale Rolle bei der Aufgabe, die fehlenden semantisch-logischen Verknüpfungen zwischen den Aussagen inner‐ halb ihrer Tweets mit Hilfe der jeweiligen Kontexte selber zu übernehmen. Zweitens sind Twitterer bei der Planung und Ausführung ihrer Botschaften ähnlichen zeitlichen Beschränkungen ausgesetzt wie Teilnehmer an prototypi‐ schen Formen des Nähesprechens. Der Unterschied liegt allerdings darin, dass Teilnehmer an Alltagsgesprächen der zeitliche Stresssituation objektiv ausge‐ setzt sind, während Teilnehmer an Praktiken der ‚keyboard-to-screen commu‐ nication‘ in die Dynamik von routinemäßig ablaufenden kommunikativen Proz‐ essen eingebunden sind, die ihnen diesen Zeitmangel subjektiv suggerieren. Auch den Gebrauch einiger ‚Konnektoren‘, von denen im gesprochenen Konti‐ nentalportugiesisch besonders häufig portanto, (e) ent-o und agora vor‐ kommen 13 - ergänzend könnte man noch den brasilianischen Konnektor aí nennen -, werte ich als Indiz für eine aggregative Strukturierung des Informa‐ tionsflusses, und somit für Nähesprechen. Um diese These zu untermauern, 128 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ 14 Die zum Teil bei älteren Untersuchungen sehr polemisch und abwertend geführte Dis‐ kussion zu portanto findet man u. a. bei Estrela (1991) oder Praça (1995). Die sprach‐ normativen Vorstellungen dieser Autoren werten den Gebrauch von portanto als „tique“, „irritante“ „muleta“ oder überflüssiges „bord-o“ ab (cf. Estrela 1991 oder Praça 1995). Freitas / Ramilo (2005, 81 sqq.) hingegen gelangen zu einer weitaus differenzierteren Analyse, die dem Ausdruck portanto auch andere Funktionen zuordnet, hauptsächlich die eines „marcador conversacional“. 15 Ein Beispiel für portanto als Zögerungs- oder Überbrückungsphänomen findet sich im C-ORAL-ROM-Korpus ‚pfamdl05.txt‘ und der Äußerung e isso / eh / tem implicações a todos os níveis / / desde / desde o / portanto / do método diagnóstico / . möchte ich im folgenden Beispiel etwas näher auf die Funktion von portanto  14 eingehen: (3) C- ORAL - ROM ‚pfamdl05.txt‘ - Chinesische Medizin I é mais uma eh / ou / ou / na sua essência / ela pretende ser / mais preventiva / do que / propriamente / terapêutica / / J hum hum / / I / portanto / que as pessoas n-o cheguem a adoecer / / Paraphrasierungen für mögliche Übersetzungen des Konnektors portanto deuten u. a. auf eine Interpretation der inhaltlichen Verknüpfung im Sinne einer der ‚finalen‘ Relation 15 . Wie eine Übersetzung zeigt, ist in der mittels portanto eingeleiteten Fortsetzung seiner Sprechsequenz durch ‚Sprecher I‘ die Rede von den positiven Konsequenzen der chinesischen Medizin, die verhindern, dass Menschen krank werden. Aber auch eine der weiteren Ausdifferenzierung der Aussage dienende ‚explikative‘ Relationsstiftung ist vorstellbar, aus der sich die folgende paraphrasierende Übersetzung der aufeinanderfolgenden Dialogbei‐ träge von ‚Sprecher I‘ ergeben würde: ‚Sie sieht sich weniger als Therapie, son‐ dern eher als Prävention, was bedeutet, dass sie verhindern möchte, dass Men‐ schen krank werden. Die folgende Übersetzung legt hingegen eine ‚konklusive‘ Verknüpfung nahe: ‚Sie sieht sich weniger als Therapie, sondern eher als Prä‐ vention, was zur Folge hat, dass die Menschen erst gar nicht krank werden‘. Dies nächste Äußerung in ‚Beispiel 4‘ hingegen legt m. E. eine logische Be‐ stimmung der Beziehung zwischen den Propositionen (1) n-o sabia und (2) o meu deve ter / <deve ter ficado bem tonificado / im Sinne einer ‚Kausalbeziehung‘ nahe. Während im vorausgehenden Kontext die ‚Gesprächspartnerin I‘ betont, dass ein bestimmter chinesischer Tee sehr bitter sei, will ‚Gewährsperson J‘ diesen bitteren Geschmack nicht verspürt haben, obwohl sie den Tee bereits häufig getrunken habe. Als Grund für diesen Eindruck nennt sie die besondere Wirkung des besagten Tees, die sie als sehr positiv und stärkend empfunden habe. 129 6.1 Aggregative Strukturierung des Informationsflusses 16 Der brasilianische Sprachwissenschaftler Said Ali (1930) beschritt bereits sehr früh einen alternativen Weg, um die Funktion von agora zu charakterisieren. Als marcador discursivo bestünde die Aufgabe von agora darin, unterschiedliche Perspektiven anzu‐ zeigen, die Sprecher gegenüber einem Sachverhalt ausdrücken. Aus der heutigen Sicht der Pragmatik kann man es so ausdrücken, dass eine Opposition zwischen Wider‐ spruch / Gegensatz ausdrückenden Illokutionen markiert wird. (übersetzt und zitiert nach Ciberdúvidas: https: / / ciberduvidas.iscte-iul.pt/ consultorio/ perguntas/ marcadordiscursivo-o-caso-de-agora/ 18037 (31. 3. 2017). (4) C- ORAL - ROM ‚pfamdl05.txt‘ - Chinesische Medizin J ah bom / / hhh / n-o sabia / / portanto / o meu deve ter / <deve ter ficado bem to‐ nificado / […] Vielfältige und flexible Einsatzmöglichkeiten zur Bestimmung interpropositio‐ naler Semantik ergeben sich für portugiesische Sprecher auch durch den Ge‐ brauch des Konnektors agora. Diese Aussage werden die nächsten Beispiele verdeutlichen. (5) C- ORAL - ROM ‚pfamdl08.txt‘ - Essen in der Algarve V / […] mas realmente / há peixe de muito boa qualidade / / agora / ah / muitos restaurantes / defendem-se / <n-o é / com peixe congelado> / / Das Ergebnis der oben erwähnten Studie, der zufolge agora nach portanto der in Unterrichtsstunden an portugiesischen Universitäten am zweithäufigsten be‐ nutzte marcador discursivo ist (Cabarr-o et al. 2016), steht in Einklang mit der an dieser Stelle vertretenden Ansicht, die auf die vielfältigen Einsatzmöglichkeit zur Bestimmung interpropositionaler Semantik dieses Konnektors verweist. Je ungenauer und semantisch weiter gefasst ein Verbindungselement die seman‐ tisch-logische Kohäsion zwischen den Informationseinheiten einer Diskursse‐ quenz bestimmt, umso flexibler kann er eingesetzt werden, und umso häufiger benutzen ihn auch die Sprecher. Letztlich entbindet er sie von der mentalen Anstrengung, den gemeinten Zusammenhang ihrer Aussagen bereits beim ersten Planen der Sprechsequenz exakt vorauszudenken und entlastet sie in dieser problematischen Phase ihres dialogischen Sprechens. Konkret auf ‚Bei‐ spiel 5‘ angewendet eignet sich agora (ursprünglich ein Temporaladverb) dazu, um vielfältige semantische Facetten eines Zusammenhangs zwischen zwei Aus‐ sagen abzudecken: Dazu zählt ein zeitlicher Zusammenhang zwischen ‚Propo‐ sition 1‘ mas realmente / há peixe de muito boa qualidade und Proposition 2‘ / muitos restaurantes / defendem-se / <n-o é / com peixe congelado> / / . Zusätzlich eröffnet sich mit dem Gebrauch des Konnektors agora  16 aber auch die Möglich‐ keit, einen adversativen oder konzessiven Zusammenhang zwischen beiden Propositionen zu evozieren. Für eine Bestimmung des zeitlichen Zusammen‐ 130 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ 17 Blühdorn, der sich in seinen Untersuchungen auch der portugiesischen Sprache widmet, beschreibt neben den verschiedenen Funktionen von assim und aí und auch die des Konnektors ent-o und gelangt zu dem Schluss: „Em determinados casos, os três advérbios podem ser intercambiados sem alterar o sentido da conex-o, mais notavelmente quando se trata de conexões condicionais com condiç-o suficiente, nos domínios epistêmico e deôntico.“ (Blühdorn 2011, 23). hangs böten sich als Alternative der temporale Subjunktor enquanto an und für eine adversative bzw. konzessive Bestimmung u. a. mas, porém oder embora. Letzterer Ausdruck würde sich allerdings in einer entsprechen veränderten syntaktischen Struktur (Konjunktiv) niederschlagen, um die Grammatikalität des Ausdrucks zu gewährleisten. (6) C- ORAL - ROM ‚pfamdl31.txt‘ - Gespräch über Tennis T ah / ela andava sempre a pular / de / de desporto para desporto / / e ent-o / ah / um deles / foi pelo / que / por onde ela passou / foi o ténis / / In der Sprechsequenz von ‚Beispiel 6‘ übernimmt (e)ent-o vor allem die Funktion einer kopulativen Bestimmung des semantischen Zusammenhangs der an der Sprechsequenz beteiligten Propositionen 17 . Dieser Kennzeichnung entspricht die folgende Paraphrase dieser Sprechsequenz mittels der Konjunktion e. Diese Paraphrase ist möglich, ohne dass durch sie irgendeine semantische Kompo‐ nente der zu übermittelnden interpropositionalen Beziehung verlorene ginge: ah / ela andava sempre a pular / de / de desporto para desporto / e / um deles / foi pelo / que / por onde ela passou / foi o ténis / / . Zusammenfassend kann man zu polyvalenten Konnektoren wie portanto, agora, (e)ent-o u. a. festhalten, dass sich Sprecher durch ihren Gebrauch die Option offenhalten, die Planung ihrer Sprechsequenz und der durch sie zu übermit‐ telnden Aussagen relativ flexibel zu gestalten. Mit der Formulierung einer dieser Verbindungselemente bleibt ihnen eine breite Palette möglicher Fortsetzungen ihrer Sprechsequenz erhalten. Eingeschlossen wird auch die Möglichkeit, ent-o als bloßes Gliederungssignal zur Beibehaltung des Rederechts zu nutzen. Den Sprechern bleibt es somit erspart, bereits in der ersten Planungsphase ihrer Sprechsequenz mehrere Propositionen in eine einzige syntaktische und infor‐ mative Einheit zu integrieren. Das befreit sie auch von einem entsprechend komplexen Planungsprozess. Stattdessen verläuft diese Planung parallel zur Formulierung der Aussagen in zeitlich aufeinander folgenden Phasen. Mit der zusätzlichen Möglichkeit, die logisch-semantische Kohäsionsstiftung zwischen den Inhalten einer Sprechsequenz relativ offen und flexibel zu gestalten, bieten sich den Sprechern mit diesen Konnektoren sprachliche Mittel an, in denen sich geradezu beispielshaft das universale Diskursverfahren einer ‚aggregativen 131 6.1 Aggregative Strukturierung des Informationsflusses 18 Zusammenziehung der Formen seu doutor zu sô´tor. Strukturierung des Informationsflusses‘ manifestiert - und sich ihnen somit die Vorrausetzung für nähesprachliche Kommunikation eröffnet. Ein weiterer Bereich des portugiesischen Nähesprechens, der auf den Einfluss des Prinzips ‚Aggregation‘ verweist, und in dem sich darüber hinaus Indizien für Veränderungen der Normen des Sprachgebrauchs andeuten, betrifft die por‐ tugiesischen Relativsätze, oder genauer gesagt, die sie einleitenden Ausdrücke. Im Einzelnen erläutert werden sollen diese veränderten Gebrauchsregularitäten im Bereich der Syntax an den sogenannten „orações relativas cortadoras“ und „orações relativas resumptivas“ (Arim et al. 2005, 67 sqq / Viegas Brauer-Figuei‐ redo 1999, 445 sqq.). Hinzu kommt der ‚polyfunktionale‘ Gebrauch des Relativ‐ pronomens que, den Viegas Brauer-Figueiredo (1999, 255 sqq.) beschreibt. Die entsprechenden Thesen möchte ich an Hand der folgenden Beispiele über‐ prüfen: (7) VBF - 446 eh estou dentro da área que gostaria de estar (8) VBF - 450 eh gosto embora n-o seja assim o trabalho que eu teria sonhado mas […] (9) VBF - 450 a língua que gosto mais? (10) VBF - 450 eh portanto nós subimos eh de acordo com as vagas que existem nos quadros que pertencemos […] (11) VBF - 451 Sô´tor  18 uma outra quest-o que enfim me parece que um Presidente da República deverá ter alguma opini-o sobre ela (12) VBF - 453 […] eu tenho lá um colega meu assim um senhor já de cinquenta anos que trabalhei com ele uma vez (13) VBF - 258 porque eu vou a todo o lado que me chamam (14) VBF - 259 mesmo sem acordo Sr. Prof. n-o é preciso mudar que a gente lê com todas as faci‐ lidades 132 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ 19 Cf. ‚Tabelle 5‘ auf Seite 75 dieses Beitrags (Arim et al. 2005). 20 Cf. Viegas Brauer-Figueiredo (1999, 453 sqq.). Bei den ‚Äußerungen 7 bis 10‘ werden in den untergeordneten Relativsätzen die zu den Relativpronomen zugehörigen Präpositionen weggelassen. Den Regeln der Syntax der portugiesischen Schriftgrammatik folgend, müssten die Relativ‐ pronomen eigentlich von den Präpositionen begleitet werden, die vom Refe‐ renzausdruck im Hauptsatz zusammen mit der Valenz des zugehörigen Verbes im Nebensatz gefordert werden. Bei Einhaltung dieser Regeln ergäben sich die folgenden Sätze: (7a) eh estou dentro da área em que gostaria de estar, (8a) eh gosto embora n-o seja assim o trabalho com que eu teria sonhado mas […], (9a) a língua de que gosto mais? , (10a) eh portanto nós subimos eh de acordo com as vagas que existem nos quadros aos quais que pertencemos [….]. Im Zusammenhang mit diesen Beispielen stellt Viegas Brauer-Figueiredo (1999, 446) fest: Dementsprechend häufig sind Beispiele zu registrieren, in denen die dazugehörige Präposition weggelassen ist. Besonders häufig ist dies im Corpus zu registrieren, wo in Relativsätzen, die inhaltlich der Lokal- oder der Temporalbestimmung dienen, die Präposition em nach der Norm notwendig wäre. Arim et al. benutzen für dieselbe Erscheinung den Begriff orações relativas cor‐ tadoras (Arim et al 2005, 68 sqq.). Es handelt sich dabei um Ausdrücke, die den Regeln der Schriftgrammatik entsprechend ungrammatisch seien, aber im Kon‐ tinentalportugiesisch und in kommunikativen Praktiken der Mündlichkeit be‐ reits in 41 % aller Fälle gebraucht werden 19 . Am häufigsten ist dieses Weglassen der zugehörigen Präpositionen bei den Verben falar de, gostar de, chamar de und precisar de belegt. Die Autoren stellen darüber hinaus die Hypothese auf - nicht statistisch belegt, aber ihrem Sprachgefühl entsprechend -, dass inzwischen (mit ‚inzwischen‘ beziehen sich die Autoren auf das Jahr 2005) Äußerungen wie a rapariga de que eu gosto faz-me rir von portugiesischen Muttersprachlern als „estranhas e pouco naturais“ empfunden würden, obwohl sie regelkonform ge‐ bildet sind (Arim et al. 2005, 73). Als Begründung dafür, dass relativas cortadoras allmählich auch im Kontinentalportugiesisch an Akzeptabilität gewinnen, ma‐ chen Arim et al. zwei Faktoren verantwortlich. Einer ist systembedingt und wertet die allmähliche Ausbreitung der relativas cortadoras als indirekte Folge des Verschwindens des Relativpronomens cujo  20 , wobei sich mir allerdings die genauen Zusammenhänge dieses Prozesses nicht erschließen. Der andere macht, wie so oft, wenn es um neue regelwidrige Erscheinungen geht, den Ein‐ fluss des Brasilianischen für diese Tendenz verantwortlich: „As hipóteses apon‐ tadas para justificar esta tendência s-o, entre outros factores, a influência do Por‐ 133 6.1 Aggregative Strukturierung des Informationsflusses tuguês do Brasil, que usa preferencialmente a estratégia cortadora e a crescente diminuiç-o do uso do pronome cujo“ (Arim et al. 2005, 79). Aus der Perspektive der an dieser Stelle angewandten Methode ergibt sich hingegen eine andere und systeminterne Erklärung, die kurz an ‚Beispiel 7‘ eh estou dentro da área que gostaria de estar verdeutlicht werden soll: Bei einer Planung gemäß den Möglichkeiten des Distanzsprechens und der entsprechend regelkonformen Äußerung eh estou dentro da área em que gostaria de estar wird die Idee (das kognitive Konzept) estar dentro de uma área (ich bin / arbeite in einem bestimmten Bereich), die durch die Präposition dentro dieser Proposition hervorgerufen wird, auch auf die zweite Proposition gosto de estar nesta área (ich bin / arbeite gerne in diesem Bereich) übertragen. Mit anderen Worten: Bei der Planung der gesamten Sprechsequenz kommt eine Perspektive zur Geltung, die beide Propositionen und somit Informationsanteile der Gesamtinformation ins Bewusstsein des Sprechers rückt. Als Folge wird die zum Verb estar und der Lokalangabe dentro da área passende Raumpräposition em dem Relativsatz hin‐ zugefügt. Man könnte auch sagen, dass beide Propositionen aus ein und der‐ selben Perspektive geplant und ausgeführt werden und ihre sprachliche Aus‐ gestaltung entsprechend komplex ausfällt. Im Gegensatz zur aggregativen Version erfordert diese Variante vom Sprecher einen geringfügig höheren Grad an Konzentration und einen Hauch mehr an Zeit für die Planung und Ausfüh‐ rung seiner Sprechsequenz. Unter den situativen Umständen, die eine distanz‐ sprachliche kommunikative Praktik charakterisieren - hinreichend Zeit für Formulierungen und nachträgliche Korrekturen -, ist eine solche Form der Pla‐ nung und Ausführung einer komplexen Sprechsequenz wahrscheinlich, die unter den situativen Voraussetzungen einer nähesprachlichen Praktik nur ein‐ geschränkt vorstellbar wäre. Bei der nähesprachlichen Variante eh estou dentro da área que gostaria de estar gelingt es dem Sprecher nicht, beide Sachverhaltsdarstellungen, nämlich das ‚ich arbeite in einem bestimmten Bereich‘ zusammen mit dem ‚ich bin / arbeite gerne in diesem Bereich‘, parallel und aus einer gemeinsamen Perspektive heraus vo‐ rausschauend zu planen und auszuführen. Entsprechend misslingt die regel‐ konforme syntaktische Subordination und macht einer Formgebung Platz, die sich als Manifestation des universalen Diskursverfahrens einer aggregativen Strukturierung des Informationsflusses erweist - genau so, wie Ágel / Hennig es in ihrem Modell beschreiben. Bezüglich der in den ‚Beispielen 11 und 12‘ gebrauchten ‚regelwidrigen‘ Formen, die Arim et al. als orações relativas resumptivas bezeichnen (2005, 68), gelangen die Autoren auf der Basis der statistischen Auswertung ihres Korpus zu dem Schluss, dass sich im Kontinentalportugiesisch kaum Belege für diese 134 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ 21 Man darf allerdings Zweifel an der Aussagekraft dieser Zahlen hegen, wenn man be‐ rücksichtigt, dass es nur 265 Gesamtbelege für das Kontinentalportugiesisch sind, die von den Autoren als Basis für ihre Aussagen herangezogen werden. Einen Hinweis auf den Umfang des brasilianischen Korpus findet man im Artikel nicht, sondern nur ent‐ sprechende prozentuale Angaben. Bildungen finden, während entsprechende Formen im Brasilianischen häufiger belegt seien (2005, 71). So stehen in ihrem Korpus den brasilianischen 6 % rela‐ tivas resumptivas im Kontinentalportugiesisch nur 1 % dieser strukturellen Va‐ riante entgegen 21 . Treffender und begrifflich exakter erfasst m. E. Viegas Brauer-Figueiredo dasselbe sprachliche Phänomen „Relativsubordination ohne bzw. mit nachträglicher Kasus-Markierung“ (1999, 451): Außer dem Wegfall der Präpositionen beim Relativum war noch ein weiteres Cha‐ rakteristikum für Relativkonstruktionen des GP im Corpus festzustellen: Kasus Mark‐ ierungen, die nach der distanzsprachlichen Norm beim Relativpronomen anzubringen wären, um die syntaktische Funktion der Leerstellen sicherzustellen, werden erst an späterer Stelle angebracht und teils ausgelassen. Noch deutlicher als in den Fällen einer bloßen Weglassung der zum Relativum gehörigen Präpositionen in den ‚Beispielen 7 bis 10‘ scheint mir in den ‚Bei‐ spielen 11 und 12‘, dass Planung und Ausführung der Sprechsequenz zeitlich sukzessiv aufeinander folgen und die Elemente der zu vermittelnden Informa‐ tionen in eine additive Reihenfolge bringen. Die zur regelhaften Struktur geh‐ örigen Elemente der Relativa sobre que und com quem werden nicht an der ihnen ursprünglich zugewiesenen Stelle ausgesprochen, sondern sozusagen erst als nachträgliche Korrektur hinzugefügt. Wiederum kann man erkennen, wie die Sprecher auf eine Strukturierung ihrer Sprechfrequenzen zurückgreifen, die sich augenscheinlich dem Verfahren einer aggregativen Informationsvermittlung unterordnet. Die ‚Beispiele 13 und 14‘ verdeutlichen eine zusätzliche und von den Regeln der Standardgrammatik abweichende Funktion des Ausdrucks que. In beiden Äußerungen leitet der Ausdruck que zwar genau wie das Relativpronomen que Nebensätze ein, doch in Abweichung von den Regeln kanonischer Sätze der portugiesischen Schriftgrammatik übernehmen sie dabei Aufgaben einer Kenn‐ zeichnung der logisch-semantischen Relation zwischen den Propositionen dieser Haupt- und Nebensätze, die normalerweise von Konjunktionen über‐ nommen werden. Den Regeln der Schriftgrammatik gehorchend müsste in ‚Satz 13‘ die temporale Konjunktion quando im korrekten Satz porque eu vou a todo o lado quando me chamam stehen, und in ‚Beispiel 14‘ die Konjunktion porque die kausale Relation zwischen Haupt- und Nebensatz markieren mesmo 135 6.1 Aggregative Strukturierung des Informationsflusses sem acordo Sr. Prof. n-o é preciso mudar porque a gente lê com todas as facilidades. Das ist der Grund, warum Viegas Brauer-Figueiredo dieses que mit Recht als „polyfunktionales que“ bezeichnet (1999, 255). Auch diese Erscheinung deutet erneut auf den Einfluss des Prinzips einer aggregativen Strukturierung des Informationsflusses beim Nähesprechen. Ein polyfunktionales sprachliches Element wie que zur Markierung der logischen Kohärenz zwischen den Propositionen von Haupt- und Nebensatz entlastet den Sprecher in der Phase seiner Planung einer entsprechenden Redesequenz. Es erspart ihm, nach dem logisch angemessenen und exakt passenden Element für diese Kohäsionsstiftung zu suchen. Stattdessen wählt er mit que einen Ausdruck, der als ‚Allroundsubjunktor‘ unterschiedliche Funktionen auszudrücken ver‐ mag, obwohl eigentlich ein differenziertes System von Subjunktoren zur Ver‐ fügung stünde. Eine logisch explizit markierte Form der Unterordnung (kausal, temporal, konzessiv, konsekutiv, etc.) wird durch die Form einer inhaltlichen Aneinanderreihung ersetzt, die es dem Hörer überlässt, die inhaltlich-logische Bestimmung zwischen den Propositionen der benachbarten Diskurssequenzen vorzunehmen. Syntaktisch zwar als Relation einer Unterordnung gekenn‐ zeichnet, behält eine entsprechend durch que zusammengefügte Sequenz den‐ noch den Charakter einer additiven Aneinanderreihung. 6.1.1 Zusammenfassung Das universale Diskursverfahren einer ‚aggregative Strukturierung des Infor‐ mationsflusses‘ erweist sich als geeignet, um zahlreiche einzelsprachliche Merk‐ male des portugiesischen Nähesprechens zu einer Gruppe zusammenzufassen. Das gemeinsame Merkmal dieser sprachlichen Ausdrücke und Strukturen be‐ steht darin, dass sich in ihnen das oben genannte Verfahren des Nähesprechens manifestiert. Zu diesen sprachlichen Merkmalen, von denen an dieser Stelle ei‐ nige thematisiert wurden, zählen: (a) eine redundante Markierung von Vergan‐ genheit, (b) fehlende Integration von Verbformen und Pronomen bzw. Präposi‐ tionen auf der morphosyntaktischer Ebene, (c) Apokoinu (Drehsätze), (d) Parenthesen, (e) die bereits in Kapitel 5.3. thematisierten Operatoren in ‚O- SK - ST ‘, tópicos marcados und construções de clivagem, (f) fehlende bzw. einge‐ schränkte interpropositionale Kohäsionsmarkierungen zwischen benachbarten Teilen einer Sprechsequenz durch justaposiç-o oder den Gebrauch einer Gruppe von Konnektoren, zu denen u. a. portanto, agora, e(ent-o), aí gehören. Diese tragen zu einer relativ offenen und mehrdeutigen Bestimmung der Sachver‐ haltsdarstellungen bei, die zwischen den Propositionen einer Sprechsequenz bestehen, (h) die ‚Aggregation‘ bewirkenden Formen von Relativsätzen, zu 136 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ denen orações relativas cortadoras, orações resumptivas sowie der Gebrauch des polyvalenten Relativpronomens que gehören. Die genannten sprachlichen Erscheinungen sind sowohl für den prototy‐ pischen als auch für den peripheren Bereich der ‚keyboard-to-screen commu‐ nication‘ charakteristisch und können als Aggregationsindikatoren und somit als Indizien für nähesprachlichen Sprachgebrauch bestimmt werden. Sie entsprechen nicht, oder nur teilweise, den Regeln kanonischer Sätze der portugiesischen Grammatik. Aus der Sicht von Sprachpuristen und Regelfana‐ tikern würde man sie unter dem Begriff ‚Fragmentierung‘ der Formen mündli‐ cher Kommunikation abwerten. Unter sprachpragmatischem Gesichtspunkt tragen sie aber zur Effizienz nähesprachlichher Kommunikation bei oder / und bilden sich inzwischen zu eigenständigen Normen des mündlichen Sprachge‐ brauchs heraus. Im Falle der ‚regelwidrigen‘ Relativsätze haben Sprachwandel‐ prozesse nachweislich bereits zur Akzeptanz einiger dieser Varianten geführt. Die im obigen Kapitel beschriebene Tendenz zu einer aggregativen Gestal‐ tung des Informationsflusses und ihre Auswirkungen auf sprachliche Aus‐ drücke erfährt je nach Perspektive eine völlig unterschiedliche Einschätzung. Während die hier vertretene Auffassung davon ausgeht, dass es sich bei der ‚aggregativen Gliederung‘ um ein zentrales Prinzip zeitgebundenen Sprechens handelt, dem sich Sprechern unterordnen, um sich eine geeignete Grundlage für ihr Nähesprechen zu schaffen - sprich Zeitgewinn für die Planung und Aus‐ führung ihrer Äußerungen -, werden regelorientierte Grammatiker diese frag‐ mentierenden Formen der Informationsvermittlung als minderwertige Normabweichungen interpretieren - oder eventuell sogar als Folge einge‐ schränkter Sprachkompetenz disqualifizieren. 6.2 Einfache Verfahren der Einheitenbildung Im Darstellungsschema in ‚Kapitel 4‘ findet sich eine Auflistung von sprachli‐ chen Merkmalen, die sich diesem universalen Diskursverfahren zuordnen lassen. Zu ihnen zählen außer den an dieser Stelle thematisierten ‚Reaktiven‘ auch andere sprachliche Erscheinungen, die bereits im letzten ‚Kapitel 6.1‘ er‐ örtert wurden. Hinzu kommen ‚kurze Äußerungseinheiten‘, ‚Verdichtung von Hypotaxen‘, abhängige Hauptsätze‘, ‚unabhängige Nebensätze‘, ‚Parataxen‘, ‚Aposiopese‘ etc. 137 6.2 Einfache Verfahren der Einheitenbildung 22 So drückt z. B. das tonale Zeichen ah- bei gleichzeitiger Anhebung der Stimme auf der zweiten Silbe Überraschung aus. Ah reagiert im Zusammenwirken mit sim -> ah sim als Ausdruck plötzlicher Erkenntnis, der auch mit Zweifel durchsetzt sein kann etc. 23 Kurzfristig, d. h. in einem Intervall, das von Sekundenbruchteilen bis hin zu maximal 20 Sekunden reicht, scheint unserer Kurzzeitgedächtnis in der Lage zu sein, sich an bis zu sieben ‚Items‘ (mit einem Spielraum von bis zu zwei ‚Items‘ mehr oder weniger) zu erinnern. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich bei diesen ‚Items‘ um einzelne Silben, Wörter oder zu Wortgruppen zusammengefasste ‚Items‘ handelt. Unter diesem Aspekt ist darum das Zusammenballung von Wörtern zu größeren Einheiten - in der Lern‐ psychologie spricht man dabei von „chunking“ (Lefrancois 1986, 166) - für das syn‐ chrone Planen und Hervorbringen von sprechsprachlichen Äußerungen ein nicht zu unterschätzender Vorteil. 6.2.1 Reaktive In diesem Kapitel werden die besondere Funktionen der „Reaktive“ (Sieberg 2016) im Rahmen des Modells des Nähe- und Distanzsprechens und dort inner‐ halb des Parameters ‚Zeit‘ erklärt. In ihrem Gebrauch manifestiert sich das uni‐ versale Diskursverfahren ‚Einfache Verfahren der Einheitenbildung‘, oder an‐ ders ausgedrückt: Reaktive erfüllen Funktionen, die man als Folge des Einflusses dieser Strategie erklären kann. Unter formalem Aspekt handelt es sich bei den Reaktiven um „tonale Zei‐ chen“ 22 (Henne / Rehbock 1982, 80), die ihre Funktion im Zusammenwirken mit Elementen der Prosodie und bzw. oder mit einem zusätzlichen Wort ausüben. Hinzu kommen einzelne Wörter aus unterschiedlichen Wortklassen und zu‐ sammengesetzte komplexe Ausdrücke, die aus einigen Wörtern oder maximal einem kurzen Satz bestehen. Reaktive, die sich aus einer Gruppe von Wörtern zusammensetzen, besitzen als „Gesprächsformeln“ (Burger 2015, 46) den Vorteil, dass Sprecher sie schnell aus ihrem Wortschatz abrufen können, weil sie die Elemente dieser Verbindungen im Gegensatz zu freien Wortverbindungen nicht einzeln aus dem Lexikon zusammensuchen und zu einem Syntagma zusam‐ mensetzen müssen. Sie können diese „präformierten Konstruktionseinheiten" (Schmale 2011, 188) relativ schnell aus dem Gedächtnis aktivieren, ohne dieses dabei übermäßig zu strapazieren 23 . Die Universalität dieser ‚Vereinfachungs‐ technik‘ ist darauf zurückzuführen, dass interaktionales sprachliches Handeln, unabhängig in welcher Sprache es geschieht, von den gleichen situativen Merk‐ malen beeinflusst wird, und Sprecher sich folglich an der gleichen Diskursstra‐ tegie orientieren und zu analogen sprachlichen Strukturen und Ausdrucksmit‐ teln greifen. Die Entscheidung, aus den zahlreichen sprachlichen Erscheinungen, die sich ebenfalls aus derselben universalen Diskursstrategie ‚Einfache Verfahren der Einheitenbildung‘ ableiten, als erstes die Kategorie ‚Reaktive‘ für eine nähere 138 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ 24 Über das Portal zur Lexik des IDS gelangt man auch zur Rubrik „Usuelle Wortverbin‐ dungen - Korpusanalytische Erforschung und Beschreibung rekurrenter Sprachge‐ brauchsmuster“: http: / / www1.ids-mannheim.de/ lexik/ uwv/ uwv.html. (9. 12. 2016). 25 Vorgestellt hat Sieberg den Begriff im Februar 2015 in einem Vortrag, der im Rahmen der Veranstaltung „Gesprochene Fremdsprache Deutsch. Forschung und Vermittlung" an der FLUL stattfand und von der DEG zusammen mit der Humboldt Universität zu Berlin geplant wurde. Erörterung auszuwählen, ergibt sich aus der besonderen Bedeutung, die ‚Reak‐ tive‘ in Gesprächssequenzen für die Regelung der unterschiedlichen kommuni‐ kativen Interessen der Gesprächsteilnehmer besitzen. Sie wirken wie ‚Kataly‐ satoren‘, die im Gespräch den Prozess gemeinsamer Bedeutungsherstellung und intersubjektiver Beziehung wesentlich beeinflussen und beschleunigen. Für eine genaue Bestimmung und Abgrenzung der ‚Reaktive‘ von anderen Gruppen „usueller Wortverbindungen“ ( IDS 2016 24 ) sei an Burgers Begriff der „Routineformeln“ bzw. der entsprechenden Subkategorie „Gesprächsformeln“ (2015, 45 sq.) erinnert. Dieser Definition zufolge handelt es sich bei den letzteren um Einheiten: […] die vorwiegend in mündlicher Kommunikation eine Rolle spielen und deren Funktionen z. B. im Bereich der Gesprächssteuerung liegen. Die Variabilität dieser Formeln ist sehr groß. Ihre Festigkeit lässt sich vorwiegend dadurch bestimmen, dass sie den Sprechern als abrufbare Einheiten zur Bewältigung wiederkehrender kom‐ munikativer Aufgaben, insbesondere in exponierten bzw. kritischen Phasen der Kom‐ munikation zur Verfügung stehen. Diese Ausdrücke werden als „gesprächsspezifi‐ sche Formeln“ oder „Gesprächsformeln“ [Heraushebungen des Autors] bezeichnet. Diese Kriterien, die Burger in seiner Definition benutzt, treffen auf einen Groß‐ teil der hier thematisierten Reaktive zu. Diese stehen im sequentiellen Ablauf eines Dialogs an exponierter bzw. kritischer Stelle und erfüllen immer wieder‐ kehrende kommunikative Aufgaben. Somit liefert Burgers Definition hinrei‐ chende Gründe, die es nahelegen, einen Großteil der Reaktive - die Reaktive, die aus mehr als einem Wort bestehen - zur Kategorie der „Routineformeln“, bzw. noch spezifischer, zur Gruppe der „Gesprächsformeln“ (Burger 2015, 46 sq.) zu zählen. Der Terminus „Reaktiv“ stammt von Sieberg (2016) und basiert ursprünglich auf einem Konzept von Hoffmann und dessen Begriff „Responsive“ (1997, 63). Dabei übernimmt Sieberg weitgehend die Definition von Hoffmann, wobei er sie mo‐ difiziert, die Kategorie extensional erweitert sowie den Terminus Responsive durch den Begriff Reaktive ersetzt 25 . Zur weiteren Klärung der Bedeutung der 139 6.2 Einfache Verfahren der Einheitenbildung 26 Cf. die programmatischen Aufsätze zum Thema von Couper-Kuhlen / Selting (2000, 2001 a und 2001 b ), Imo (2013 und 2014), Psathas (1995), Sidnell (2010) und Linell (2005). 27 Die Aufzählung möglicher Aufgaben, die Reaktive in realen Sprechsequenzen über‐ nehmen, lässt sich nicht einmal annähernd vervollständigen, genauso wenig wie man zur einer erschöpfenden Beschreibung aller Varianten zwischenmenschlichen Handels gelangen kann. In dieser Unvollständigkeit zeigt sich m. E. ein prinzipielles Problem des Ausgehens von einem onomasiologischen Standpunkt zur Beschreibung sprachlicher Kategorien. Reaktive berufe ich mich auf eine Grundannahme der „Interaktionalen Lingu‐ istik“ 26 . Sie dient als Orientierung, um zu verdeutlichen, wie komplex sich eine annähernd angemessene Beschreibung der Form und der Funktionen der Re‐ aktive gestaltet und beruht auf der Überzeugung, „dass der Hauptzweck inter‐ aktionaler Sprache - und damit auch ihrer Struktur - darauf ausgelegt ist, in‐ tersubjektive Bedeutung herzustellen und soziale Beziehungen zu gestalten“ (Imo 2015, 3). Aus einer anderen Perspektive kann man es auch so ausdrücken, dass die Herstellung von Bedeutung nicht von einem einzelnen Kommunikati‐ onsteilnehmer abhängt, sondern „rather with the interactional past, current, and projected next moment“ (Psathas 1995, 3). Doch wie lässt sich diese doch relativ abstrakte Annahme weiter verdeutli‐ chen? Zunächst einmal beruht sie auf einer Grundvoraussetzung der Pragmatik, der zufolge Sprechen mehr als den bloßen Austausch von lexikalischen Ein‐ heiten, die in eine grammatische Form gebracht werden, bedeutet. Vielmehr stellt es eine Form des sozialen Handelns dar, mit der sich bestimmte Absichten und Interessen verbinden, die für die Gesprächsteilnehmer konkrete Konse‐ quenzen nach sich zieht. Beim Sprechen verteidigt man Ansichten, stellt Be‐ hauptungen auf, geht Verpflichtungen ein oder versucht Handlungen zu initi‐ ieren bzw. abzulehnen. Eventuell dringt man auf Übereinstimmung mit dem Gegenüber oder sucht den Konflikt mit ihm. Man legt sich auf die Einhaltung oder Nichteinhaltung künftiger Handlungen fest, sucht sich selbst in einem ge‐ wissen Licht darzustellen, provoziert oder vermeidet Konflikte und achtet da‐ rauf, eigenen Gesichtsverlust zu verhindern. Mit sprachlichen Handlungen können sich ebenfalls Manipulation und Täuschung verbinden oder die Absicht einer ironischen Abwertung oder Bloßstellung des Gesprächspartners. Sprach‐ liche Interaktion kann Überlegenheit anstreben bzw. durch Gesten sprachlicher Unterwerfung mögliche Sanktionen vonseiten des Gegenübers vermeiden helfen etc. 27 . Die Regelung dieser Ansprüche spielt sich in Sequenzen sprachlicher Inter‐ aktion ab, die von Versuchen der Einflussnahme, des Nachgebens oder Insistie‐ rens geprägt sind. Am Ende dieses Prozesses steht in den meisten Fällen ein Ergebnis, das sich vom Ausgangspunkt der sprachlichen Interaktion (des Ge‐ 140 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ sprächs) und den dort vertretenen Meinungen, Überzeugungen sowie dem ur‐ sprünglich gezeigten Verhalten oder eingegangenen Verpflichtungen der Ge‐ sprächsteilnehmer zumindest in einigen Punkten unterscheidet oder zumindest unterscheiden sollte. Manchmal kann das Ergebnis einer solchen Interaktion zu radikalen Kehrtwendungen führen, z. B. indem sich ein oder mehrere Ge‐ sprächsteilnehmer zu einer Verhaltensveränderung verpflichten, ihre vorher vertretenden Meinungen revidieren usw. Im Zusammenhang mit diesem sprachlichen Spiel eines gegenseitigen Aus‐ handelns der thematisierten Geltungsansprüche, das als Prozess verläuft und sich oft über längere Perioden einer Sprechsequenz erstreckt, kommt dem ‚Spre‐ cherwechsel‘ und mit diesem Moment auch den Reaktiven eine besondere Be‐ deutung zu. Die Analyse ihres Gebrauchs hilft zu verstehen, in welche Richtung der entsprechende Interessensabgleich verläuft und mit welchem Ergebnis am Ende der Sprechsequenz wahrscheinlich zu rechnen ist. Eine Eigenart der Reaktive besteht in ihrer Kontextabhängigkeit. Darum ziehe ich es vor, ihre Analyse von Fall zu Fall und direkt im Kontext der vor‐ hergehenden Sprechsequenz vorzunehmen: (1) C- ORAL - ROM ‚ptelpv11.txt‘ - Hilfe beim Kaufen eines Schmuckstücks T: [<] <eu se> fosse ao Porto / arranjava-te / / porque isso eu arranjo / / J: hum <hum> / / T: / [<] <percebes> ? mas / <mas é> J: [<] <sabes uma> coisa ? isto / eu só vou lá / em / fevereiro / / T: ah / está bem / / J: / mas tu sabes como é que eu sou / / gosto de ir planeando / <hhh> / / T: [<] <ah sim / / claro> / / mas é evidente / / Im Gespräch zwischen der ‚Expertin T‘ und ihrem Bekannten und potentiellen ‚Käufer J‘ macht ‚T‘ den Vorschlag mit dem Kauf eines Schmuckstücks bis Feb‐ ruar zu warten, um zu diesem Zeitpunkt in Porto das Goldarmband / die goldene Halskette preiswert für ‚J‘ zu erwerben. Weil ‚J‘ sich im Februar sowieso in Porto aufhält, greift er diesen Vorschlag auf und äußert seine Absicht, tatsächlich diese Gelegenheit zu ergreifen und im Februar in Porto zusammen mit ‚T‘ das ersehnte Schmuckstück zu kaufen. ‚Sprecherin T‘ zeigt ihr zunächst oberflächlich be‐ kundetes Einverständnis mit diesem Plan durch das Reaktiv está bem. Diese Bekundung des Einverständnisses reicht ‚J‘ aber nicht aus, ihn von der Ernst‐ haftigkeit der versprochenen Hilfeleistung seitens ‚T‘ vorbehaltslos zu über‐ zeugen. Diese Einschätzung der an dieser Stelle angestellten Interpretation hängt damit zusammen, dass das Reaktiv está bem in anderen Kontexten oft als eine relativ bedeutungslose Floskel verwendet wird. Verunsichert durch die 141 6.2 Einfache Verfahren der Einheitenbildung Vagheit dieses Versprechens weist ‚J‘ darauf hin, dass er diese Reise nach Porto tatsächlich plant. Als Reaktion auf seine Aussage erwartet ‚J‘ wahrscheinlich einen weiteren Hinweis seitens ‚T‘, der seine Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihres Versprechens beseitigen könnte. Zunächst scheint ‚T‘ ein wenig überrascht durch dieses Insistieren und reagiert mit dem Reaktiv ah sim, das eine gewisse Überraschung und ein gewisses Zögern ausdrückt. Nach einer kurzen Pause bekundet ‚T‘ dann aber durch die direkt nacheinander ausgesprochenen Reak‐ tive claro, mas é evidente, dass sie die Notwendigkeit einer solchen Planung ihrer gemeinsamen Reise nach Porto einsieht. Indirekt bekräftigt sie auf diese Weise, dass sie es mit ihrem Versprechen wirklich ernst meint und vermittelt ‚J‘ die Zuversicht, ihre Worte tatsächlich als eine ernsthafte Verpflichtung zu deuten. Welcher Schluss lässt sich als Resultat aus diesem interaktionalen Sprach‐ austausches ziehen? Für den potentiellen Käufer ‚J‘ ergibt sich eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, auf die Hilfe und den Rat von ‚T‘ zu zählen. ‚Sprecherin T‘ ihrerseits verwandelt ihr Hilfsangebot, das zu Beginn des Dialogs recht ober‐ flächlich gemeint war, in ein ‚Fast-Versprechen‘. (2) C- ORAL - ROM ‚ptelpv11.txt‘ - Hilfe beim Kaufen eines Schmuckstücks T: / agora / há umas lojas / J: <sim> / / T: / [<] <muito> boas / / por / por exemplo / ali no / no centro / do Saldanha / / há / há uma ao pé da casa das sopas / / J: <sei> / / T: / [<] <que tem> coisas muito bonitas / em segunda m-o / / J: ai é ? T: é / / Das sei in dieser Redesequenz von ‚Beispiel 2‘ lässt sich als Reaktiv interpre‐ tieren, durch das ‚J‘ bestätigt, dass die Aussage von ‚Sprecherin T‘ zutrifft - Funktion Zustimmung - und ausdrückt, dass auch er von der Existenz dieses Ladens weiß. Auch den folgenden Ausdruck ai é werten wir als Reaktiv. Es deutet die Überraschung und den Zweifel von ‚J‘ an, der scheinbar nicht wusste, dass der von ‚Sprecherin T‘ angesprochene Laden in Lissabon tatsächlich wertvolle Schmuckstücke aus zweiter Hand anbietet. Die letzten Zweifel daran, dass ihre Behauptung auch wirklich zutrifft, versucht ‚Sprecherin T‘ durch das geäußerte é am Ende dieser Sequenz zu beseitigen, wobei dieser Ausdruck vorrangig die Funktion eines ‚Engführungssignals‘ erfüllt (siehe auch Kapitel 5.2). Durch den aufeinanderfolgenden Gebrauch der Ausdrücke ai é und é vergewissern ‚Spre‐ cherin T‘ und ‚Sprecher J‘ sich gegenseitig, dass sie am Ende und als Folge des vorausgehenden Dialogs davon ausgehen können, dass der von ‚Sprecherin T‘ 142 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ 28 ‚StSa‘ sollten nach Kauffer (2013) dabei folgende Kriterien erfüllen: (a) „Idiomatizität“, d. h. die Bedeutung der Wortverbindung darf nicht vollständig aus der Bedeutung der Komponenten der Wortverbindung abgeleitet werden können. Sie sollten (b) „Äußer‐ ungswertigkeit“ besitzen, d. h. sie müssen in der Lage sein, eine autonome Äußerung zu konstituieren, und sie sollten (c) eine „pragmatische Funktion“ aufweisen. 29 Cf. http: / / www.linguistik-online.de/ 62_13/ kauffer.html (15. 8. 2017). angesprochene Laden wirklich existiert und auch preiswerte Angebote in seinem Sortiment aufweist. Im Zusammenhang mit dem Reaktiv ai é stellt sich die Frage, ob es sich recht‐ fertigen lässt, diese und ähnliche Gesprächsformeln im Sinne von Kauffer als „stereotype Sprechakte“ (Abkürzung StSa) zu bestimmen 28 . Kauffer verweist mit der folgenden Definition auf die offensichtlichen Parallelen zwischen Reaktiven und dem vom ihm eingeführten Begriff „stereotyper Sprechakt“ 29 : Der StSa hat zwar eine Referenzfunktion aber hauptsächlich eine pragmatische Funk‐ tion. Durch den StSa wird ein Sprechakt vollzogen. Der StSa hat also eine illokutionäre Kraft. In der Regel drückt der StSa eine Reaktion des Sprechers auf eine Aussage oder auf einen Sachverhalt aus. Deswegen kommen stereotype Sprechakte sehr oft in Ge‐ sprächen bzw. in Dialogen vor. (3) C- ORAL - ROM ‚ppubdl09.txt‘ - Gespräch über Arbeit P: / na Covilh- / / temos a universidade católica do Porto / e / a universidade do Porto / / a universidade de Aveiro / / e a universidade do Minho / / <ainda é bas‐ tante> / / J: [<] <todas Portugal> / continental / / P: exactamente / / ainda nunca visitámos / nem a universidade da Madeira / nem a universidade dos Açores / / Durch das Reaktiv exactamente bestätigt ‚Sprecher P‘, dass die Universitäten, die er bereits besucht hat, über ganz Portugal verstreut liegen. In diesem Fall erfüllt ein einzelnes Wort (Adverb) die Funktion eines Reaktivs. Nach der Durchsicht aller 152 Transkriptionen des ‚C- ORAL - ROM -Korpus‘ und der entsprechend hohen Zahl von Sprecherwechseln gewinnt man den Eindruck - eine genaue statistische Auswertung hinsichtlich der genauen Zahl der Sprecherwechsel in den Dialogen dieses Korpus war im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich -, dass es überwiegend Einzelwörter sind, die in diesen Dialogen als Reaktive gebraucht werden. Mehrgliedrige Wortverbindungen oder sogar satzwertige pragmatische Phraseologismen in der Funktion von Reaktiven kommen zwar auch häufig, aber lange nicht in derselben Frequenz vor, in der man sie in den anderen Trans‐ 143 6.2 Einfache Verfahren der Einheitenbildung 30 Ich denke in diesem Zusammenhang an die zahlreichen Beispiele aus dem Buch von Viegas Brauer-Figueiredo (1999). Allerdings werden diese für die an dieser Stelle vor‐ genommene Analyse nicht berücksichtigt, weil sie ohne eine Einbeziehung der jewei‐ ligen dialogischen Kontexte auskommen und folglich keine geeignete Basis für eine Interpretation von Reaktiven bilden. 31 „The aim of linguistic research in the community must be to find out how people talk when they are not being systematically observed; yet we can only obtain this data by systematic observation“ (Labov 1972, 209). kriptionen findet, die an dieser Stelle untersucht wurden 30 . Dieses Ergebnis lässt sich auf den Umstand zurückführen, dass die Dialoge des ‚C- ORAL - ROM - Korpus‘ einen relativ geringen Grad von ‚Konfliktpotential‘ und somit auch kaum Bedarf an der Klärung von Missverständnissen bzw. am Aushandeln un‐ terschiedlicher Meinungen und Interessen aufweisen. Diese Charakteristik kann man auf die Eigenart der kommunikativen Praktiken zurückführen, die im Korpus dominieren. So handelt es sich bei den an dieser Stelle analysierten Di‐ alogen größtenteils um eine Art ‚Interview‘ bei Anwesenheit vom Lehrpersonal der Universität. In den entsprechenden Sprechsequenzen ist es daher kaum zu erwarten, dass häufig unterschiedliche Meinungen, Interessen oder Konflikte ausgetragen werden. Hier setzt also der von Labov als „Observer`s Paradox“ (Labov 1972, 209) 31 bezeichnete Effekt ein, dem zufolge Sprecher, die sich be‐ obachtet fühlen, auf andere sprachliche Strategien und sprachliche Mittel zu‐ rückgreifen als sie es in wirklich authentischen Dialogen tun würden. Das Be‐ wusstsein, dass ein Dritter zuhört, der selber nicht am Gespräch teilnimmt, bzw. dass ein Gespräch letztlich einem anderen Zweck als dem des inhaltlichen Aus‐ tausches dient, kann die Sprache solcher Dialoge verfälschen und ihrer Authen‐ tizität berauben. Diese Faktoren führen zu relativ statischen und Sprechsequenzen ohne Kon‐ fliktpotential, die darüber hinaus über längere Perioden und oft monologisch ablaufen. Wenn ein ‚fragender‘ Sprecher in den Dialog mit einem ‚erzählenden‘ Gesprächspartner eintritt, beschränkt sich die Rolle des ersteren oft auf kurze Einwürfe und Zeichen zur Absicherung der Engführung. In den hier analy‐ sierten Dialogen des ‚ CLUL -Korpus‘ offenbaren sich die Konsequenzen einer solchen Gesprächskonstellation im unverhältnismäßig häufigen Gebrauch der Ausdrücke zur Engführung pois in einfacher oder reduplizierter Form pois pois bzw. des tonalen Zeichens hm hm. Durch diese Zeichen bekundet der fragende Gesprächspartner seine bloße Anwesenheit und Gesprächsteilnahme, ohne dabei aber in eine wirkliche inhaltliche Auseinandersetzung mit seinem Ge‐ sprächsteilnehmer zu treten. (4) C- ORAL - ROM ‚ppubdl10.text‘ - Interview mit einer Verkäuferin 144 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ J: e é / é sobretudo uma clientela feminina / / isso nem é <preciso perguntar> / / N: [<] <sim / / n-o / sim> / / nós temos uma gama também para / para homem / Hier handelt es sich um ein interessantes Beispiel, bei dem sich das erste sim als Reaktiv auf die vorhergehende Äußerung é sobretudo uma clientela feminina interpretieren lässt. Durch das Reaktiv bestätigt ‚Sprecher N‘, dass die von ‚Sprecherin J‘ geäußerte Vermutung é sobretudo uma clientela feminina zutrifft. Das folgende Reaktiv n-o bezieht sich hingegen auf die Bemerkung isso nem é preciso perguntar und stützt den ‚Interviewer J‘ in seiner Unterstellung, dass weitere Fragen, die darauf abzielen, durch entsprechende Antworten von ‚N‘ in seiner Vermutung zusätzlich gestützt zu werden, überflüssig seien. Der Aus‐ druck sim wiederum, der die erste Teilsequenz der Äußerung von ‚Sprecher N‘ abschließt, legt eine Interpretation nicht als Reaktiv sondern als Operator in einer ‚O- SK - ST ‘ nahe (siehe Kapitel 5.3.1). Das bedeutet, es handelt sich um eine zusätzliche „Verstehensanweisung“ (Fiehler et al. 2004, 242) zu der im folgenden Skopus der Äußerung stehenden Aussage nós temos uma gama também para / para homem. Diese zusätzliche Anweisung besteht in diesem Fall darin, hervor‐ zuheben, dass die im Skopus stehende Aussage tatsächlich zutrifft. Sie entspricht somit der Intention der Sprecherin, den Umstand, dass es in ihrem Angebot auch Kosmetikartikel für Männer gibt, bevorzugt ins Bewusstsein ihres Gesprächs‐ partners zu rücken. Die Bedeutung dieser Hervorhebung ergibt sich aus dem Kontext, in dem der Interviewer mit seinem Einwurf nem é preciso perguntar unterstellt, dass im Portugal des ausgehenden 20. Jahrhunderts - die Aufnahme ist von 1996 - der Umgang mit Kosmetika in erster Linie noch Frauen vorbe‐ halten gewesen sei. (5) C- ORAL - ROM ‚ppubdl05.txt‘ - Interview über Freizeitverhalten M: n-o / n-o faço / / durante a semana n-o o faço / / faço / só ao fim-de-semana / / como n-o trabalho ao fim-de-semana / <aproveito> J: [<] <ah> M: / para / para fazer isso / / n-o dá para estar a conciliar as duas &coi / / n-o dá para viver vinte e quatro horas por dia / / Der Interpretation an dieser Stelle zufolge bildet das tonale Zeichen ah eine eigene selbstständige kommunikative Einheit und gehört zur Gruppe der Re‐ aktive. Im Zusammenhang mit einer bestimmten Geste - vielleicht ein leichtes Heben des Kopfes - und einer bestimmten Klangkurve, drückt es das Ver‐ ständnis des Zuhörers darüber aus, dass sein Gegenüber unter der Woche nicht ausgehen und sich vergnügen kann. Trotzdem reicht dieses tonale Zeichen im Zusammenwirken mit den oben genannten nonverbalen und prosodischen Mit‐ 145 6.2 Einfache Verfahren der Einheitenbildung 32 Der Begriff „turn construction unit“, der dieser Bestimmung entspricht, geht auf Un‐ tersuchungen der Gesprächsanalyse (Sacks, Schegloff / Jefferson 1974) zurück, wird aber auch in aktuellen Studien der GSF zur Diskussion für eine Unterscheidung von Einheiten der GS benutzt. Selting definiert diese Einheit wie folgt: „[…] the TCU is defined as the smallest interactionally relevant complete linguistic unit, in a given con‐ text, that is constructed with syntactic and prosodic resources within their semantic, pragmatic, activity-type-specific, and sequential conversational context.“ (Selting 2000 [abstract]) teln normalerweise aus, einen eigenen kommunikativen Beitrag zu leisten, der von Sprechern der gleichen Sprachkultur korrekt interpretiert wird. (6) C- ORAL - ROM ‚ppubdl06.txt‘ - Interview über die Arbeit des Gesprächs‐ partners J: / […] e eu pensei que / sei que trabalha / em relações internacionais / é ? T: eh / mais ou menos / / eh / quer dizer trabalho / estudos / eh / sobre ciência e tec‐ nologia / Das Reaktiv mais ou menos verweist auf eine eingeschränkte Zustimmung von ‚Sprecher T‘ mit der vom Interviewer vorgebrachten Vermutung. Es erfüllt alle die von Kauffer (2013) genannten Kriterien, die erlauben, es als „stereotypen Sprechakt“ zu kategorisieren. Seine „Idiomatizität“, der zufolge die Bedeutung der Wortverbindung nicht vollständig aus der Bedeutung der Komponenten dieser Verbindung abgeleitet werden kann, lässt sich durch einen Test verdeut‐ lichen: Man setzt die Formel mais ou menos, genau wie es mit einer adverbialen Bestimmung möglich wäre, in die vorangehende Bezugsäußerung ein sei que trabalha mais ou menos em relações internacionais*. Die resultierende Äußerung verliert dadurch ihre Akzeptabilität, weil es sich bei der Gesprächsformel (Re‐ aktiv) mais ou menos und der adverbialen Bestimmung mais ou menos um Wort‐ gruppen mit jeweils unterschiedlichem Zeichencharakter handelt, die ihre Funktionen auf verschiedenen Zeichenebenen erfüllen. Während die adverbiale Bestimmung der Kennzeichnung des propositionalen Anteils der Äußerung dient, verdeutlicht das Reaktiv die mit der Äußerung übermittele Illokution. Die „Äußerungswertigkeit“, die Kauffer als zweites Kriterium für die Definition seiner stereotypen Sprechakte bestimmt, folgt aus dem Umstand, dass man den Sprecherbeitrag von ‚T‘ mit auch mit dieser Wortverbindung mais ou menos abschließen könnte, ohne damit die Erwartung einer notwendigen Weiterfüh‐ rung dieses Sprecherbeitrags zu evozieren 32 . Das dritte Kriterium Kauffers „pragmatische Funktion“ erschließt sich daraus, dass ‚Sprecher T‘ durch den Gebrauch des Reaktivs nicht ausdrücken möchte, dass er nur ‚ein wenig‘ im 146 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ 33 Bei den „Relações Internacionais“ handelt es sich um einen portugiesischen Universi‐ täten angebotenen Studiengang, mit dessen Abschluss sich den Hochschulabsolventen berufliche Karrieren im Bereich von Politik und Diplomatie erschließen sollen. Bereich „relações internacionais“ 33 arbeitet (in Beeinflussung der Proposition der Äußerung seines Gesprächspartners), sondern dass es ihn darum geht, die mit der Äußerung seines Gegenüber vermittelte Feststellung (Illokution) als nicht zutreffend zurückzuweisen. (7) C- ORAL - ROM ‚pmedts02.txt‘ - Ethik in der Medizin C: professor / Luís Archer / / o senhor é o presidente do conselho / nacional de ética para as ciências da vida / / no seu entender / acha que / eh / nesta altura / no nosso país / a ética está ao serviço da medicina ? L: eh / eu acho que sim / / e cada vez mais / / note que / foram os médicos / que / pediram / e insistiram / para que / surgisse uma bioética / / […] Die Funktion des Reaktivs eu acho que sim besteht darin, dass ‚Sprecher L‘ die von ‚Sprecherin C‘ gestellte Frage bejaht. Dabei ist es grade die zurückhaltende Form der Zustimmung durch dieses Reaktiv - sie erschließt sich wiederum erst aus dem Kontext -, die zur Steigerung der Überzeugungskraft der Antwort von ‚Sprecher L‘ beiträgt. Hinsichtlich der Möglichkeit, diese Gesprächsformel eu acho que sim auch als ‚StSa‘ zu bewerten, gelangt man zu dem gleichen positiven Ergebnis wie bei der Interpretation des Reaktivs in ‚Beispiel 6‘. (8) C- ORAL - ROM ‚pmedts02.txt‘ - Ethik in der Medizin C: [<] <n-o nos vamos> distanciar da ética / / <ética é ética mas / já agora merece uma resposta> / / D: [<] <ai n-o n-o / n-o / minha senhora / / […] Das Reaktiv ai n-o besteht aus dem tonalen Zeichen ai plus dem Negationspar‐ tikel n-o. Im „Dicionário da Língua Portuguesa Contemporânea“ (2001, 39) wird ai als Interjektion gekennzeichnet, „que exprime dor, afliç-o, alegria, espanto, desagrado […]“. Sie bildet im obigen Kontext zusammen mit dem Negationspar‐ tikel n-o eine Gesprächsformel und lässt sich aus sprachpragmatischer Per‐ spektive im Sinne Kauffers (2013) ebenfalls als „stereotyper Sprechakt“ be‐ stimmen. Diese Zuordnung ergibt sich wiederum aus der Anwendung der bereits oben genannten Kriterien „Idiomatizität“, „Äußerungswertigkeit“ und „pragmatische Funktion“. Im Folgenden geht es um Reaktive in den kommunikativen Praktiken der ‚key‐ board-to-screen communication‘. In diesem Zusammenhang interessieren be‐ sonders die Praktiken, bei denen dialogische Strukturen den kommunikativen 147 6.2 Einfache Verfahren der Einheitenbildung 34 Bei einer entsprechenden Recherche auf ‚googel.pt‘ wird schnell deutlich, dass viele portugiesische Beiträge sich darauf beschränken, die „netspeak“ (Crystal 2004) als gruppensprachliche Variante ( Jugendsprache) zu beschreiben oder ihre graphostilisti‐ schen Besonderheiten hervorzuheben. Weil die Autoren dieser Beiträge dabei als Maß‐ stab vom „korrekten Portugiesisch“ der geschriebenen Standardsprache ausgehen und Formen der ‚keyboard-to-screen communication‘ vordringlich als Abweichungen und letztlich als nicht korrekt ansehen, verwehrt ihnen diese einengende Perspektive den Blick auf die eigentliche semiotische Eigenart und die funktionalen Leistungen dieser Kommunikationsformen. Ebenfalls verschlossen bleibt ihnen auch ihre Nähe zu pro‐ totypischen, medial mündlich basierten Formen des Nähesprechens, wie Alltagsdia‐ logen. 35 Portugiesischen Lesern ohne Deutschkenntnisse werden die folgenden Literaturhin‐ weise nur bedingt nützlich sein. Trotzdem sollen sie der Vollständigkeit halber ange‐ geben werden: Sieberg zu portugiesischen Weblogs (2006 und 2007), allgemein zur ‚keyboard-to-screen communication‘ (2009 und 2013), und zum Gebrauch von Twitter in Portugal (2012 und 2013 b ). Ablauf bestimmen und folglich auch den Gebrauch von Reaktiven nahelegen. Zu ihnen gehören Kurzbotschaften und Chats in ihren verschiedenen Ausprä‐ gungen auf der Basis unterschiedlicher Kommunikationsplattformen: SMS , Skype, Messenger oder WhatsApp, das Posten von Beiträgen in sozialen Netz‐ werken wie Weblogs, Facebook, Twitter, Linkedin, Tumble, sowie die Bot‐ schaften in Internetforen 34 . Und schließlich zählen auch ‚E-Mails‘ zu dieser Gruppe (Franco, 2008). In der zuletzt genannten kommunikativen Praktik ent‐ stehen dialogische Strukturen, wenn Nutzer auf eine Mail antworten und dabei ihre Antworten direkt zwischen die Zeilen des Ursprungstextes des Absenders einfügen, auf die sie mit ihren Kommentaren Bezug nehmen. Oft markieren die Schreiber solcher Mails ihre eigenen Beiträge im Kontrast zu den E-Mails, auf die sie in ihrer Antwort Bezug nehmen, zusätzlich durch abweichende Farben. An dieser Stelle ist es nicht möglich, näher auf die vielfältigen Gründe ein‐ zugehen, die den dialogischen und somit auch nähesprachlichen Charakter dieser Kommunikationsformen erklären. Im Zusammenhang mit der Thematik ‚Computer vermittelter Kommunikation‘ gibt es, wie zu erwarten, zahlreiche Beiträge auch zur portugiesischen „netspeak“ (Crystal 2004) 35 . Wegen seines treffenden Titels „A construç-o do texto falado por escrito na Internet“ (Hilgert 2000), der die Parallelen zwischen Texten im Internet und primären Formen des Nähesprechens sehr anschaulich verdeutlicht, soll an dieser Stelle diese Arbeit des brasilianischen Sprachwissenschaftlers nicht unerwähnt bleiben. Für die folgende Analyse der ‚keyboard-to-screen communication‘ mittels vernetzter Computer dienen die folgenden Beispiele: (9) Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch 148 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ 36 Um die Anonymität der ‚User‘ zu wahren, wurden ihre Namen oder Nicknamen durch entsprechende Abkürzungen ersetzt. 37 Diese relativ neue kommunikative Praktik der ‚keyboard-to-screen communication‘ verlangt nach Übersetzungen der englischen Termini (teilweise Neologismen), die in ihrem Zusammenhang gebraucht werden, ins Portugiesische. Dabei entstehen Un‐ sicherheiten, die die Form ihrer orthographischen Wiedergabe im Portugiesischen betreffen. Zur Orientierung sind folgende Internetseiten hilfreich. Zur brasilianischen Terminologie: http: / / twitter-brasil.hleranafesta.com.br/ dicionario-do-twitter. htm, und zur portugiesischen der ‚Online-Artikel‘ von Branco et al. 2016: „A Língua Portuguesa na Era Digital“: http: / / www.clul.ul.pt/ files/ amalia_mendes/ portuguese.pdf (19. 11. 2016). Certo, daí o azedume RT @J: O objectivo de um plebiscito n-o foi alcançado, O Júdice e o Marcelo nisso foram mais subtis a perceber  36 (10) Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch Sem dúvida. RT @J: O objectivo que era o de um plebiscito n-o foi alcançado, O Júdice e o Marcelo nisso foram mais subtis a perceber (11) Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch Acredito que sim embora o termo certo n-o seja conspiraç-o @M: ideia de conspi‐ raç-o governamental é mais sensata? (12) Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch @M Pois é : ) precisamos urgentemente de um lateral direito e esquerdo. Se vamos lutar pela Champions como diz o Mourinho, é essencial. Für Leser, die mit dieser kommunikativen Praktik weniger vertraut sind, soll an Hand von ‚Beispiel 9‘ darstellt werden, wie in den Textsequenzen des Twit‐ terns 37 dialogische Strukturen entstehen. Ein Twitterer kopiert den Text des ini‐ tialen Tweets eines anderen Twitterers (inklusive Accountnamen) @J O objec‐ tivo de um plebiscito n-o foi alcançado, O Júdice e o Marcelo nisso foram mais subtis a perceber, stellt ihm ein RT (ReTweet) voran und versieht ihn zusätzlich mit einem eigenen Kommentar Certo, daí o azedume. Dann leitet er das Ganze an seine eigenen ‚follower‘ weiter und verhilft auf diese Weise dem ursprüngli‐ chen Tweet wie in einem Schneeballsystem zu einer größeren und schnelleren Verbreitung. Der Dialog entsteht also aus dem wiederholten Tweet und dem Kommentar, mittels dessen der ‚User‘ zum Inhalt des zitierten Tweets Stellung bezieht. Diese Option des Posten eines Retweets, die einen integralen Bestandteil der Kommunikationsform des Twitterns bildet, schafft dialogische Strukturen und mit ihnen die Voraussetzungen für den Gebrauch von Reaktiven wie certo, sem dúvida und acredito que sim in den ‚Beispielen 9, 10 und 11‘. Sie alle erlauben 149 6.2 Einfache Verfahren der Einheitenbildung (a) (b) (c) (d) eine analoge Interpretation im Vergleich mit denen, die oben bei den ‚Bei‐ spielen 1 bis 8‘ hinsichtlich des Vorkommens von Reaktiven in Alltagsdialogen vorgenommen wurden. Aus sprachpragmatischer Sicht handelt es sich auch hier um Reaktive, Gesprächsformeln und stereotype Sprechakte - allerdings im Be‐ reich des peripheren Nähesprechens. Das Reaktiv pois é in ‚Beispiel 12‘ hingegen ist integraler Bestandteil der Äu‐ ßerung, oder genauer gesagt des initialen Tweet precisamos urgentemente de um lateral direito e esquerdo. Se vamos lutar pela Champions como diz o Mourinho, é essencial, die bzw. das sich als Reaktion direkt an @M. richtet. In diesem Fall kann man davon ausgehen, dass dieser Tweet eine Reaktion auf einen vorher‐ gehenden Tweet von M. darstellt. Charakteristisch für die ‚keyboard-to-screen communication‘ ist bei diesem Tweet die hybride Form einer Mischung aus sprachlichem Zeichen pois é und angefügtem graphostilistischen Element, näm‐ lich dem Smiley : ). 6.2.2 Zusammenfassung Die an dieser Stelle angewandte Definition der Kategorie ‚Reaktive‘ beruht auf Hoffmanns Begriff „Responsive“ (1997, 63), den ich intensional modi‐ fiziert und extensional erweitert habe. Reaktive können im Zusammenspiel mit einer entsprechender Intonation als ‚tonale Zeichen‘ auftreten bzw. aus einer Verbindung zwischen tonalem Zeichen und einem zusätzlichen Wort bestehen: ah-, ha sim, ai é, …. Es kann sich bei ihnen aber auch um einzelne Wörter mit verschiedener Wortklassenzugehörigkeit claro, de acordo, exato, … handeln oder um usu‐ elle Wortverbindungen, auf die im Falle der Reaktive auch die Bestimmung „Gesprächsformeln“ (Burger 2015, 46) está bem, nem pensar, n-o me digas … etc. zutrifft. In den beiden letzteren Fällen ist ihre Abgrenzung von freien Wortverbindungen relativ fließend und eine eindeutige Unterscheidung nicht möglich. Sprecher gebrauchen Reaktive direkt nach dem Sprecherwechsel und ver‐ fügen mit ihnen über sprachliche Mittel, die es ihnen erlauben, spontan Stellung zu den vorangehenden Äußerungen der Gesprächspartner und den mit ihnen verbundenen Geltungsansprüchen (illokutive Bestandteile der Sprechakte) zu nehmen. Aber auch Verflechtungen von verbalem und nicht verbalem Handeln, die u. a. aus gemeinsamem Arbeiten, Spielen oder Basteln bestehen können, fordern Reaktive. Sie versetzen Sprecher in die Lage, auch auf die nicht‐ 150 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ (e) (f) (g) (h) (i) (j) verbalen Handlungen eines Gesprächspartners zu reagieren, bzw. selber Handlungen zu initiieren. Diese Aushandlung unterschiedlicher Interessen, Überzeugungen und An‐ sprüche hat prozessualen Charakter und kann sich über längere Sprech‐ sequenzen erstrecken. Um die Wirkung von Reaktiven angemessen zu verstehen, ist es darum in vielen Fällen notwendig, für ihre Interpretation den Kontext bzw. in manchen Fällen auch außersprachlich bedingte Prä‐ suppositionen mit zu berücksichtigen. Aus der Perspektive des Modells des Nähe- und Distanzsprechens erklärt sich die Bedeutung der Reaktive im ‚Zeitparameter‘ und im Zusammen‐ hang mit dem universalen Diskursverfahren ‚Einfache Verfahren der Ein‐ heitenbildung‘. Die überwiegend pragmatische Funktion derjenigen Reaktive, die in Form usueller Wortverbindungen auftreten, rechtfertigt ihre Charakterisierung als „Gesprächsformeln“ (Burger 2015, 46). Darüber hinaus treffen die Kri‐ terien „Idiomatizität“ „Äußerungswertigkeit“ und „pragmatische Funk‐ tion“ auf die Reaktive zu und gestatten ihre weitere Klassifizierung als „stereotype Sprechakte“ (Kauffer 2013). An dieser Stelle wäre eine Beschreibung der paralinguistischen bzw. sup‐ rasegmentalen Charakteristika - Mimik und Gestik sowie die Form der prosodischen Ausführung - sinnvoll, die beim Gebrauch von Reaktiven ebenfalls wesentlich zu ihrer Wirkung, bzw. zur Differenzierung ihrer Funktionen, beitragen. Leider muss eine solche Bestimmung aufgrund der fehlenden audiovisuellen Basis des an dieser Stelle benutzten Korpus aus‐ bleiben. Die Häufigkeit des Gebrauchs von Reaktiven hängt vom Typ der kommu‐ nikativen Praktik ab, im Rahmen dessen sie gebraucht werden. Spontane Dialoge in einer Diskussionsrunde mit relativ hohem Konfliktpotential lassen einen häufigeren Gebrauch von Reaktiven vermuten als z. B. mo‐ nologisch ablaufende Interviews oder Gespräche, die möglicherweise unter Einfluss des „Observer`s Paradox“ (Labov 1972, 209) stehen. Die Möglichkeit einer solchen Einflussnahme erklärt die relativ undifferen‐ zierten Erscheinungsformen der Reaktive (viele einzelne Wörter und we‐ nige Gesprächsformeln) in den Beispielen des ‚ CLUL -Korpus‘. In kommunikativen Praktiken der ‚keyboard-to-screen communication‘ vernetzter Computer, die dialogische Strukturen aufweisen, gebrauchen ‚User‘ häufig Zeichen, die in ihrer Wirkung der von Reaktiven vergleichbar sind, aber unter semiotischen Gesichtspunkt abweichende Erscheinungs‐ formen aufweisen können. Sie bringen Zeichen des verbalen und nicht 151 6.2 Einfache Verfahren der Einheitenbildung (k) (l) verbalen Codes zusammen pois é : ), bestehen ausschließlich aus Akro‐ nymen, die vorwiegend aus dem Englischen stammen, oder aber aus einer Mischung von Smileys und Akronymen: lol, IDK (I don’t know), , … etc. Aus der Perspektive der Gedächtnispsychologie haben Gesprächsformeln, die einen Großteil der Reaktive ausmachen, als „präformierte Konstrukti‐ onseinheiten" (Schmale 2011, 188) den Vorteil, dass Sprecher sie schneller aus dem Kurzzeitgedächtnis abrufen können. Eine vorläufige Sammlung von portugiesischen Reaktiven, die natürlich unvollständig ist und einer ständigen Erweiterung bedarf, umfasst fol‐ gende Ausdrücke: acha(s), acho que sim, ah, ah sim, ai é, ai n-o, ai está, ainda bem, assim é que é, assim mesmo, certamente, certeza? chega, claro, claro que sim, com certeza, como pode, como assim, concordo, deixa me, deixa estar, duvidas? , duvido, e ent-o, é, é assim mesmo, ent-o, é evidente, é isso, é mesmo, é óbvio, é que tu pensas, é assim mesmo, está a brincar, eu acho que sim, está bem, exatamente, experimenta, força, incrível, isso mesmo, mas é (mit Endstellung) mais ou menos, mas é evidente, n-o, n-o acredito, n-o fazia ideia, n-o me digas, n-o me faces rir, n-o posso crer, n-o sei bem, nem morto, nem pensar, nem penses, o quê! , ora essa, oxalá que seja, ora nem mais, pa‐ ciência, precisamente, quem diria, sei, sim, será, será mesmo, sem duvidas, sem sombra de dúvidas, sem duvida, também acho, tu também, vai lá dar uma volta, vamos ent-o, vamos lá ver, veja lá, será, será mesmo? tal e qual, vá lá, …. 6.3 Zeitgewinn zur Überwindung von Pausen und Formulierungsschwierigkeiten Wir alle gelangen in einem Dialog oder in der längeren Passage eines spontan gesprochenen Monologs manchmal an eine Stelle, an der wir plötzlich ‚festste‐ cken‘, weil wir dringend nach einem passenden Ausdruck suchen, der uns grade nicht einfällt oder nicht wissen, wie wir eine bereits begonnene Äußerung ver‐ ständlich und grammatisch korrekt beenden können. Wenn wir uns in einer solchen ‚Klemme‘ befinden - im direkten Gespräch kann es durchaus auch peinlich werden, wenn es öfter vorkommt -, gilt es sich neu zu orientieren, um normal weitersprechen zu können. Die erste sozusagen natürliche Reaktion eines Sprechers, der sich in einer solchen Situation befindet, besteht darin, Pausen einzulegen. Eventuell kann er diese aber auch durch Laute wie hm, ah, eh, hum ausfüllen oder die Silbe des zuletzt ausgesprochenen Wortes in die Länge ziehen. Vielleicht wiederholt er aber auch Wörter oder Teile seiner eigenen Äu‐ 152 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ ßerung, bzw. in einem Dialog Teile der vorhergehenden Äußerung seines Ge‐ sprächspartners. Diese Lösung bietet sich besonders in dem Moment an, in dem er grade seinen Gesprächsbeitrag begonnen hat. ‚Zwangspausen‘ entstehen aber auch dadurch, dass ein Sprecher sich im Moment der Realisierung seiner Äu‐ ßerung nicht genau an die passende Bezeichnung oder den passenden Begriff zur Bezeichnung eines Objekts, Vorgangs oder einer Idee erinnern kann. In diesem Fall greift ein Sprecher gerne zu einer sprachlichen Ausflucht wie in dem folgenden Beispiel havia lá muitos, muitas … há … aquelas coisas onde ficam as abelhas und verbindet durch dieses Umgehen des exakt passenden Begriffs die Hoffnung, dass ihn der Gesprächspartner im Kontext der übrigen Äußerung versteht und ihm gegebenenfalls sogar mit der fehlenden genauen Bezeichnung colmeia (Bienenstock) aushilft. Und auch für das Ende seiner Gesprächsbeiträge verfügen kompetente Sprecher des Portugiesischen über eine Reihe von for‐ melhaften Ausdrücken, die es ihnen ermöglichen, ihre Sprechbeiträge ohne Ge‐ sichtsverlust angemessen zu Ende zu bringen. Ob portugiesische Sprecher zu einer der ‚Techniken‘ wie den oben erwähnten greifen, weil sie ihren Gesprächs‐ faden verloren haben, oder weil ihnen einfach nicht mehr einfällt, was sie ei‐ gentlich noch sagen wollten, kann man jeweils nur aus dem entsprechenden Kontext entnehmen. Und dann gibt es noch bestimmte Worte oder Wortgruppen, die Sprecher in ihre Sprechbeiträge einbauen können, um dadurch die Zeit zu gewinnen, die es ihnen erlaubt, entsprechende Pausen zu überbrücken und ihre Äußerungen sinnvoll weiterzuführen oder zumindest so zu beenden, dass die übrigen Ge‐ sprächsteilnehmer in ihren Erwartungen nicht zu sehr enttäuscht werden. Wer sich einmal etwas genauer die Transkriptionen authentischer gespro‐ chener Dialoge des Portugiesischen ansieht oder auch nur bewusst den Gesprä‐ chen zwischen seinen Freunden zuhört, dem wird bewusst, wie häufig solche Situationen, die oben beschrieben werden, in der kommunikativen Wirklichkeit alltäglicher Unterhaltungen auch tatsächlich eintreten, und wie oft Sprecher entsprechende verbale Mittel zu ihrer Lösung einsetzen. Auch in kommunikativen Praktiken konzeptioneller Mündlichkeit wie denen der ‚keyboard-to-screen communication‘ (Chatten, Posten von Beiträgen in Twitter, Weblogs, sozialen Netzwerken oder Internetforen, etc.) scheint das kommunikative Verhalten der ‚User‘ oft von einer gewissen Hast und Flüchtig‐ keit gekennzeichnet zu sein, die sie zu ähnlichen Lösungen der hieraus entste‐ henden Probleme greifen lassen wie die Teilnehmer an einem Alltagsdialog. Im Unterschied zu sprechsprachlich basierten Formen des Nähesprechens kann man in der elektronisch übermittelten Kommunikation diesen Zeitdruck und die resultierende Flüchtigkeit der Diskursgestaltung allerdings nur einge‐ 153 6.3 Zeitgewinn zur Überwindung von Pausen und Formulierungsschwierigkeiten 38 Als alternativer Terminus zur übergreifende Bezeichnung dieser sprachlichen Erschei‐ nungen hätte man auch den Ausdruck „Zeitgewinnungsverfahren“ nehmen können, der auf den Begriff „flow monitoring devices“ (Chafe 1985,112 sq.) zurückgeht. 39 In der brasilianischen Literatur werden diese Mittel unter dem Begriff „hesitações“ zu‐ sammengefasst (Marcuschi 1999, 159 sqq.). 40 Pausen, die Sprecher als rhetorische Mittel dazu nutzen, um einer bereits erfolgten Äußerung zusätzlichen Nachdruck zu verleihen, bzw. um Spannung zu erzeugen, werte ich nicht als Überbrückungsphänomene. schränkt objektiv begründen. Wer z. B. auf einen Tweet durch einen Retweet reagiert, hat im Prinzip hinreichend Zeit für seine Antwort, weil kleine Verzö‐ gerungen den kommunikativen Ablauf seines ‚On-line‘ Diskurses prinzipiell nicht gefährden. Durch die dialogische Struktur entsprechender ‚Gesprächs‐ verlaufe‘ und die Schnelligkeit elektronisch ablaufender Kommunikation sehen ‚User‘ sich aber in der Regel ebenfalls zur Eile gedrängt. Entsprechende Trans‐ kriptionen zeigen, dass sie darum die gleichen oder ähnliche Techniken zur Lö‐ sung entstehender Verzögerungen anwenden wie die Teilnehmer in Situationen mündlich vermittelter, prototypischer Formen des Nähesprechens. 6.3.1 Überbrückungsphänomene Im Folgenden möchte ich das Inventar verbaler und suprasegmentaler Zeichen bzw. bestimmte Formen der Anordnung der Teile eines Diskurses vorstellen, die Ágel / Hennig in ihrem Beitrag zum Nähe- und Distanzmodell der übergeord‐ neten Kategorie der „Überbrückungsphänomene“ 38 (2007, 200) zuordnen. Sie tragen nach Meinung dieser Autoren dazu bei, in kommunikativen Praktiken des Nähesprechens die notwendige Zeit dafür zu gewinnen, um diejenigen Pro‐ bleme, die im obigen einleitenden Teil dieses Kapitels umgangssprachlich be‐ schrieben wurden, zu lösen 39 . Dabei sollte der Leser nicht den Umstand aus den Augen verlieren, dass es sich beim dialogischen Sprechen um dynamisch ablaufende Prozesse perma‐ nenter Selbstkorrektur und Ausrichtung am Gegenüber und dessen sprachli‐ chen Beiträgen handelt. Die Einsicht in dieses komplexe Geflecht auf der Basis der benutzten Transkriptionen klärt nicht immer mit 100 %iger Sicherheit, mit welcher Absicht ein Sprecher in einem gegebenen Kontext einen bestimmten sprachlichen Ausdruck verwendet. Schließlich bleibt uns ein Blick in die Köpfe der Sprecher verwehrt, und entsprechende Aussagen hätten spekulativen Cha‐ rakter. ‚Pausen‘ stellen eine zentrale Technik zur Überwindung von Formulierungs‐ engpässen dar, werden aber in diesem Kapitel nicht explizit analysiert 40 . In den 154 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ 41 Die genaue Bedeutung der in den Transkriptionen benutzten Symbole findet man bei Bacelar do Nascimento et al. (2005, 163-207). Die Zeichen, die ich in diesem Buch bei der Übernahme der Beispiele aus dem ‚C-ORAL-ROM-Korpus‘ übernehme, werden in ‚Kapitel 3‘ genauer beschrieben. Transkriptionen sind sie durch einfache Balken / (kurze Pause) und Doppel‐ balken / / (längere Pause und Beendung einer Intonationseinheit) graphisch ge‐ kennzeichnet 41 . So bekommt man bei Durchsicht der Transkriptionen zwar einen Eindruck davon, wie häufig portugiesische Sprecher kurze und längere Pausen benötigen, um ihrer Redesequenz Rhythmus und Verständlichkeit zu verleihen, leider aber enthalten diese Symbole keine quantitativ exakten Hin‐ weise auf die absolute Länge der Pausen, die den Redefluss der Sprecher durch‐ brechen. Also verzichte ich an dieser Stelle auf eine explizite Bestimmung dieser Gruppe von Überbrückungsphänomenen. Aus demselben Grund einer feh‐ lenden graphischen Kennzeichnung werden auch lautliche Dehnungen ein‐ zelner Silben, Wörter oder Syntagmen an dieser Stelle nicht thematisiert. Bei den folgenden Beispielen werden die sprachlichen Erscheinungen derje‐ nigen Subkategorien der ‚Überbrückungsphänomene‘, die ich danach und im direkten Zusammenhang dieser Transkriptionen erläutere durch Unterstrei‐ chung hervorgehoben. Beispiele für Überbrückungsphänomene anderer Sub‐ klassen von Überbrückungsphänomenen werden jeweils im Kontext der fol‐ genden, für sie relevanten Beispielsäußerungen erläutert. (1) C- ORAL - ROM ‚pfamdl22‘ - Feminismus J: / ah / ah / posso / mesmo que se comecem a envolver / vem a parte / racional / um bocado / a abafar / / pode abafar / / como pode n-o abafar / n-o é / / depende / das circunstâncias / / mas acho que / ah / há cada vez mais um peso / do ambiente / da / da envolvência / exterior / a / ao relacionamento / ah / a condicionar / eh / o amor / / digamos / / e daí / a quantidade de divórcios que / cada vez é maior / / acho que / n-o é por / n-o é por / ah / quer / por / por as pessoas terem mudado / / também poderá ser / / ah / a adaptaç-o a um / a uma nova sociedade / eh / com mais / eh / com mais problemas / com mais / eh / eh / sei lá / a exigir / m / cada vez mais das pessoas / / eh / mas depois as pessoas podem n-o aguentar / o ritmo / / <n-o sei> / (2) C- ORAL - ROM ‚ppubmn07.txt‘ - Teilnahme und Thema eines Kolloquiums L: […] enfim na altura da cidade já / eh / e que constituiu digamos / um dos pri‐ meiros / eh / locais civis / eh / de / eh / gest-o / eh / da coisa pública / […] (a) Überbrückungsphänomene in der Form tonaler Zeichen: Der Begriff „tonale Zeichen“ (Henne / Rehbock 1982, 80 sqq.) erscheint mir besonders geeignet zur Kennzeichnung der in den obigen Beispielen gebrauchten Überbrückungsphä‐ 155 6.3 Zeitgewinn zur Überwindung von Pausen und Formulierungsschwierigkeiten 42 Marcuschi zählt diese Gruppe von Überbrückungsphänomenen ebenfalls zu den „hesi‐ tações“ (1999, 165 sq.). 43 Die Interpretation als „Kompensationsstrategie“ stammt von (Runkehl / Schlobinski / Siever 1998, 99). nomene. Er trägt dem besonderen semiotischen Charakter dieser Laute Rech‐ nung, die am Rande des verbalen Codes angesiedelt sind und im Unterschied zu den übrigen Überbrückungsphänomenen keinen außersprachlichen Referenz‐ bezug aufweisen 42 . Trotzdem erfüllen diese ‚Nicht-Lexeme‘ unter pragmati‐ schem Gesichtspunkt eine ähnlich wichtige Rolle für das Funktionieren diskur‐ siver Abläufe wie die anderen Varianten aus der Gruppe der ‚Überbrückungsphänomene‘. Sehr anschaulich verdeutlicht ‚Beispiel 1‘ mit insgesamt zwölf Belegen (sechsmal ha und sechsmal he) die Funktion von tonalen Zeichen als Überbrü‐ ckungsphänomene. Bei insgesamt 184 Wörtern dieser Äußerung zählt fast jedes elfte Wort zu dieser Gruppe. In ‚Beispiel 2‘ sind es sogar sechs tonale Zeichen bei insgesamt nur 35 Wörtern in der Funktion von Überbrückungsphänomenen. Mit Recht bezeichnet darum Marcuschi diese „sinais sonoros“ als „matéria-prima das pausas preenchidas" (1999, 166). Diese Annahme trifft allerdings nicht auf die Sprache konzeptioneller Münd‐ lichkeit zu, weil das Hervorbringen tonaler Zeichen durch die Organe des Sprechapparates erfolgt und darum bei der ‚keyboard-to-screen communica‐ tion‘ von der Kommunikation ausgeschlossen ist. Sollten doch einmal in einem Tweet, Chat oder der geposteten Nachricht eines sozialen Netzwerks etc. Gra‐ pheme gebraucht werden, die man als tonale Zeichen und Überbrückungsphä‐ nomene interpretieren könnte, so handelt es sich bei diesen um eine (spieler‐ ische) Kompensation der Möglichkeiten, über die normalerweise nur medial mündliches Nähesprechens verfügt 43 . (3) C- ORAL - ROM ‚ppubdl08.txt‘ - Arbeit als Friseur C: / mas / mas é / mesmo assim / isso é difícil / / porque as pessoas s-o de facto t-o / monopolizadoras da nossa / da nossa / maneira de ser / e da &no / e do nosso / da nossa pessoa / (4) C- ORAL - ROM ‚ppubmn07.txt‘ - Sprechen im Rahmen eines Kolloquiums. L: […] temos aqui hoje / eh / este tema / que se aproxima / que aproxima / eh / vá‐ rias / contribuições / eh / nomeadamente / e a partir / eh / da / do motivo inspi‐ rador / eh / que constituiu / para nós / eh / que vemos Bragança e / […] (b) Wiederholung von sprachlichen Ausdrücken: Die Wiederholung von Wör‐ tern, Syntagmen und ganzen Äußerungen seiner eigenen oder der vorgängigen 156 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ 44 Eine statistisch genau belegte Auswertung hinsichtlich der Wortklassen, deren Ele‐ mente in seinem von ihm ausgewerteten Korpus am häufigsten wiederholt werden, findet man bei Marcuschi (1999, 171). 45 Außerdem bietet sich den Sprechern die zusätzliche Möglichkeit, in adjazenter Rück‐ wendung auch Wörter, Syntagmen oder ganze Sätze ihrer Gesprächspartner zu wie‐ derholen, um auf diese Art und Weise Zeit zu gewinnen. 46 Das universale Diskursverfahren ‚Online-Korrekturen‘ erlaubt im Modell des Nähe- und Distanzsprechens - Siehe ‚Kapitel 4‘ - seine Verortung ebenfalls im Zeitparameter. Äußerungssequenz eines Gesprächspartners, die ein Sprecher benutzt, um Zeit zu gewinnen 44 , findet man sehr häufig in den kommunikativen Praktiken des mündlichen Nähesprechens. So verweisen die Sequenzen mas / mas é und da nossa / da nossa in ‚Beispiel 3‘ auf diese Variante der Überbrückungsphänomene. Nach Durchsicht von Hunderten von Transkriptionen scheint viel dafür zu sprechen, dass diese Technik zur Pausenüberbrückung für die kommunikativen Praktiken in mündlichen Dialogen von zentraler Bedeutung ist. Einen Grund hierfür liefert m. E. der Umstand, dass Sprecher Wiederholungen auch dafür nutzen können, um in einem zweiten Anlauf eine bereits begonnene Sprechse‐ quenz nachträglich durch die Wiederholung eines Wortes oder einer Wort‐ gruppe zu korrigieren 45 . So plant der Sprecher beim Aussprechen von do nosso in ‚Beispiel 3‘ ursprünglich wahrscheinlich die Fortsetzung dieser Sequenz mit‐ tels eines passenden maskulinen Bezugsworts. Mit der Planungsänderung, die das maskuline durch das feminine Bezugswort pessoa ersetzt, gelingt ihm durch die korrigierte Wiederholung die von den Regeln der Deklination geforderte Einhaltung der Kongruenz zwischen der Präpositionalphrase da nossa und dem Bezugswort pessoa. Als ‚On-Line-Korrektur‘ 46 lässt sich entsprechend auch in ‚Beispiel 4‘ die Ersetzung der reflexiven Verbs aproximar-se durch eine Form des transitiven Verbs aproximar werten. Sie ermöglicht eine Fortsetzung des Satzes durch das direktes Objekt que aproxima / eh / várias / contribuições. ‚Zeitgewinn‘ und parallel erfolgende ‚On-line Korrekturen‘ gehen so Hand in Hand. Auf der Basis meiner langjährigen Erfahrung mit Transkriptionen aus Web‐ logs, Twitter und Internetforen schließe ich, dass bei diesen Praktiken der ‚key‐ board-to-screen communication‘ die Technik der Wiederholung von Wörtern oder Wortgruppen zur Überwindung von Pausen keine erwähnenswerte Rolle spielt. Wenn ein ‚User‘ z. B. einen Tweet verfasst und seinen Beitrag in einen Weblog oder einem Forum postet, drängt ihn sein Gefühl der Geschwindigkeit, mit der solche Kommunikationsprozesse ablaufen, zur Eile. Weiß er dann bei der Planung seines kommunikativen Beitrags für einen kurzen Augenblick nicht mehr weiter, setzt er meistens ein paar Pünktchen - im Portugiesischen mit ‚reticências‘ übersetzt. So gelingt ihm eine provisorische Fortführung seine Dis‐ kurssequenz, die er später bei Bedarf immer noch durch die fehlenden sprach‐ 157 6.3 Zeitgewinn zur Überwindung von Pausen und Formulierungsschwierigkeiten lichen Ausdrücke ergänzen kann. Auf den Gebrauch von Wiederholungen ver‐ zichten ‚User‘ hierbei allerdings normalerweise. (5) C- ORAL - ROM ‚ppubdl08.txt‘ - Arbeit als Friseur C: / eh / corre-se muitas vezes o risco de entrar em choque / J: hum <hum> / / C: / [<] <com> / com coisas muito / muito pequeninas / que <n-o valem a pena> (6) C- ORAL - ROM ‚pfamdl22.txt‘ - Feminismus J: / a pessoa tem que estar predisposta / / tem que / tem que / encontrar / a pessoa que / que a faça / reagir / / ao estímulo / / eh / e pronto / / tudo isso acho que / […] (7) Korpus Sieberg (2006b) - Weblogs in Portugal Digam qualquer coisa, n-o sei o que estará a tornar t-o lento o blog, logo no ar‐ ranque … ainda se fossem as fotos a demorar, tudo bem … mas é mesmo a aparecer qualquer coisa … . (c) Passe-partout-Wörter: Zu den weiteren sprachlichen Mitteln in der Funktion von Überbrückungsphänomen zähle ich die Ersetzung genau passender durch semantisch schwammige, ambivalente Ausrücke. Diese ‚Technik‘ definiert Schwitalla in seinem Standardwerk zur GSF (2012, 161) wie folgend: Beim Sprechen müssen wir uns nur so präzise ausdrücken, dass der Hörer versteht, was wir meinen. Manchmal fällt uns nicht auf Anhieb das treffende Wort ein und wir begnügen uns mit dem Allerweltswort (Passe-partout Wort) ding [Heraushebung vom Autor] Ich übernehme diese Definition Schwitallas, ergänze sie aber noch um einige Merkmale. Bei ‚Passe-partout-Wörtern‘ handelt es sich um relativ ungenaue und ambivalente Wörter und Ausdrücke, die einen semantisch sehr weit gefassten Bereich von Bedeutungen umfassen. Sie erfüllen die Aufgabe, einen exakten Begriff durch einen allgemeineren zu ersetzen, wenn die situativen Umstände prototypischer Formen des Nähesprechens es Sprechern nicht gestatten, sich die Zeit für die Suche nach dem wirklich passenden Ausdruck zu nehmen. Zu dieser Gruppe gehören u. a. Ausdrücke wie coisa mit entsprechenden Erweite‐ rungen des Ausdrucks durch qualquer coisa, coisa qualquer, oder den vor einigen Jahren in der Jugendsprache sehr oft benutzten Ausdruck coiso. Hinzu kommen Ausdrücke wie quest-o, algo, aquilo, tipo de, do género, etc. oder dem im Brasi‐ lianischen beliebten negócio. Wie viele umgangssprachliche oder auch jugend‐ sprachliche Ausdrücke können sie sich relativ schnell ändern, und werden durch alternative Ausdrücke ersetzt. Dieser Ausdruckswandel, den ‚Passe-par‐ tout-Wörter‘ durchlaufen, ändert aber nichts an ihrer prinzipiellen Bedeutung 158 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ 47 Cf. http: / / aindanaocomecamos.blogspot.com/ 2008/ 10/ cincia-oculta-doprojeccionismo.html (18. 8. 2017). 48 Cf. http: / / www.universojatoba.com.br/ bem-estar/ espiritualidade/ e-mc (18. 8. 2017). unter sprachpragmatischem Gesichtspunkt, und es wäre m. E. verfehlt, sie allzu voreilig und einseitig als Ausdrücke eines „restringierten Codes“ (Bernstein 1971) abzutun. In den transkribierten Beispielsätzen findet man in den ‚Beispielen 5 bis 7‘ den Ausdruck coisa, zusammen mit einigen Erweiterungen, wie qualquer coisa bzw. tudo isso in ‚Beispiel 6‘. Wie ‚Beispiel 7‘ verdeutlicht, gebrauchen ‚User‘ auch in kommunikativen Praktiken der ‚keyboard-to-screen communication‘ ‚Passe-partout-Wörter‘. Dieser Umstand lässt sich so erklären, dass die Geduld der ‚User‘ nicht auszu‐ reichen scheint, um in ihrem Gedächtnis oder in einem Wörterbuch nach einem passenderen Ausdruck zu suchen. Wenn sie an einem Diskurs teilnehmen, der über vernetzte Computer abläuft, wähnen sie sich als Akteur eines Prozesses, der rasch und spontan abläuft und ihnen kaum Zeit zum Nachdenken und Um‐ formulieren lässt. Folglich fühlen sie sich zu einem flüchtigen Schreibstil ge‐ drängt, der auf Kosten von Genauigkeit und sachlicher Angemessenheit ihrer Beiträge geht. (8) C- ORAL - ROM ‚ppubdl10.txt‘ - kosmetische Produkte für Männer J: n-o / n-o se costuma dizer / que os homens querem-se feios / / como é que <é> ? N: [<] <n-o> / isso / hhh / o homem n-o se quer bonito / para n-o ser J: sim / / mas que se querem feios / sujos e n-o sei quê / / (9) Korpus Sieberg (2006b) - Weblogs in Portugal Vimos ainda parte de um strip feminino, feito pela tal da Vivian, que dizem ser uma grande artista do meio … OK , tinha uns implantes, que todas podem ar‐ ranjar … e tinha mais: celulite na pernoca e na barriguita … Lembro-me de pensar … "O quê. É só isto? Please … celulite também tenho". Posso garantir-vos que fez muito bem à auto-estima ter ido a esta coisa. (10) ‚Korpus- MD ‘ 47 […] N-o sei se será o caso, mas é facto que existem profissões onde os ditos profis‐ sionais veteranos se queixam de que fazem ` uma arte esquecida' e etcetera e que ninguém quer saber … (11) ‚Korpus- MD ‘ 48 Ocorre que eu já tinha o livro. Aí é que entra a relatividade de Einstein, a minha, a de os chinese etcetera e tal. 159 6.3 Zeitgewinn zur Überwindung von Pausen und Formulierungsschwierigkeiten 49 Einen ansprechenden Aufsatz zu dieser Form von Überbrückungsphänomenen findet man bei König / Stoltenburg (2013): http: / / noam.uni-muenster.de/ gidi/ arbeitspapiere/ arbeitspapier48.pdf (18. 8. 2017). 50 Gemeint ist eine erfolgreich beendete „turn construction unit“ (TCU). Selting definiert eine solche TCU im „abstract“ eines ihrer Artikel (2000) wie folgt: „[…] the TCU is defined as the smallest interactionally relevant complete linguistic unit, in a given con‐ text, that is constructed with syntactic and prosodic resources within their semantic, pragmatic, activity-type-specific, and sequential conversational context“. (d) Etcetera-Formeln 49 : Sie erlauben es Sprechern, ihren Redefluss in dem Mo‐ ment zu unterbrechen, in dem sie einen Teil ihrer Sprechsequenz zwar erfolg‐ reich beenden konnten 50 , dann aber daran scheitern, sie durch zusätzliche In‐ formationen zu erweitern und fortzuführen. Die Aufgabe, diese Blockade möglichst gesichtsschonend zu umgehen, erfüllen im portugiesischen Nähe‐ sprechen einzelne Wörter oder Formeln. Dabei handelt es sich, analog zu vielen an anderen Stellen dieser Arbeit thematisierten Merkmalen des Nähesprechens, um „usuelle Wortverbindungen“ ( IDS 2016), oder noch spezifischer, um „Ge‐ sprächsformeln“ (Burger 2015, 46). Sie ähneln denen, die bereits im Kapitel über die ‚Reaktive‘ (cf. Kapitel 6.2.1) beschrieben wurden. Es handelt sich dabei um formelhafte Ausdrücke, deren Elemente Sprecher nicht erst im Moment ihrer Planung und Produktion zu einem Syntagma zusammensetzen sondern sozu‐ sagen als ‚vorgefertigte Module‘ aus ihrem Wortschatz abrufen. Sie helfen Spre‐ chern dabei, ihre Diskursequenzen nicht allzu abrupt und normgerecht zu be‐ enden. ‚Normgerecht‘ bedeutet, wie auch an einigen anderen Stellen dieser Arbeit erläutert wird, dass es sich um sprachliche Ausdrucksmittel handelt, auf die auch andere kompetente Sprecher derselben Sprachgemeinschaft in einer ähnlichen Situation zur Erfüllung der gleichen Funktion zurückgreifen würden. Im Unterschied zu ‚Passe-partout-Wörtern‘ werden ‚Etcetera-Formeln‘ be‐ vorzugt in solchen Momenten geäußert, in denen Sprecher bereits ans Ende einer Teilsequenz ihrer ‚Sprechbeiträge‘ angelangt zu sein scheinen. Oft be‐ finden sie sich in diesem Moment in dem Zwiespalt, ihre Rede zwar fortführen und durch zusätzliche Informationen erweitern zu wollen, wobei es ihnen je‐ doch an der notwenigen Zeit für die Planung einer solchen Fortsetzung fehlt. In vielen Fällen ist dieser Bruch der Sprechsequenz darauf zurückzuführen, dass den Sprechern der passende Ausdruck fehlt, der ihre Äußerung sinnvoll wei‐ terführen könnte. Also greifen sie, eventuell auch unter Aufgabe ihres ursprün‐ glichen kommunikativen Ziels, zu einer Notlösung. Sie benutzen eine ‚Etce‐ tera-Formel‘, um ihren Redebeitrag zu beenden. In diesem Sinn interpretiere ich in ‚Beispiel 8‘ den Ausdruck e n-o sei quê und die Formeln etcetera (e tal) in den ‚Beispielen 10 und 11‘, wobei die zuletzt ge‐ nannten zwei Beispiele aus dem Bereich des peripheren Nähesprechens des 160 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ 51 Als Indiz für die Vermutung, dass entsprechende Ausdrucksweisen von portugiesischen Grammatikern nicht als funktionale Merkmale mündlicher Kommunikation wahrge‐ nommen werden, deuten die Aussagen auf der Webseite „Ciberdúvidas Da Língua Por‐ tuguesa“, auf der ausschließlich die korrekte Schreibung des Ausdrucks etcétera disku‐ tiert wird. Auf Aufgaben, die diese Formeln für das Funktionieren mündlicher Kommunikation übernehmen, wird nicht hingewiesen. Wie auch in anderen Medien zu beobachten, interessiert die portugiesische Öffentlichkeit - und meinem Eindruck zufolge auch viele Philologen - bei der Beobachtung ihrer Sprache in erster Linie die korrekte Anwendung ihrer Regeln auf den Ebenen von Orthographie und Schriftgram‐ matik: https: / / ciberduvidas.iscte-iul.pt/ consultorio/ perguntas/ a-expressao-latina-etceteraet-caetera-etc/ 33106 (10. 11. 2016). Postens von Einträgen in Weblogs stammen. Der subjektiv empfundene Zeit‐ mangel beim Kommunizieren im Bereich der ‚keyboard-to-screen communica‐ tion‘ spiegelt sich also auch an dieser Stelle und den Gebrauch von ‚Etce‐ tera-Formeln‘ wieder. Beim Twittern allerdings fehlen diese Formeln, weil ‚User‘ bei der Nutzung dieser Kommunikationsplattform versuchen, die wenigen ihnen zur Verfügung stehenden Zeichen sinnvoller zur Informationsübermitt‐ lung einzusetzen. Meiner Beobachtung zufolge nutzen sie beim Posten von Ein‐ trägen in Weblogs und Internetforen stattdessen umso häufiger mehrere aufei‐ nander folgende ‚Pünktchen‘ - im Portugiesischen mit ‚reticências‘ übersetzt - als probates Mittel, das der Flüchtigkeit ihrer sprachlichen Gestaltung ent‐ spricht. Veranschaulicht wird diese ‚Technik‘ in ‚Beispiel 9‘ oben. Diese Ver‐ wendung der ‚reticências‘ deutet meiner Einschätzung nach auf eine gewisse Hast und den fehlenden Willen der Nutzer, ihre einmal angefangenen Informa‐ tionssequenzen nach den Regeln der Schriftgrammatik in Form komplexer Sätze weiterzuführen. Hierzu scheint es den ‚Usern‘ an der erforderlichen Zeit und Geduld zu fehlen. Hinzu kommt das Bewusstsein der hohen Geschwindigkeit des ablaufenden Kommunikationsprozesses im Bereich der elektronischen Me‐ dien sowie der Umstand, dass sich ‚User‘ beim Blick auf den Bildschirm mit parallel erscheinenden Beiträgen zu verschiedenen Themenkomplexen - Stich‐ wort ‚pop-ups‘ - konfrontiert sehen und zusätzlich ablenken lassen. Darum folgen ‚User‘ dem bequemeren Weg einer additiven Aneinanderreihung der In‐ formationen, die sie zu übermitteln gedenken, in Form relativ unzusammen‐ hängender Gedankenfetzen. Neben den wenigen Beispielen in den obigen Textexemplaren bin ich bei der Suche nach weiteren ‚Etcetera-Formeln‘ auf die Ausdrücke wie n-o sei ou quê, e aí fora, e assim fora, e assim por diante, assim ou assado, nem assim nem assado etc. gestoßen. Auch an dieser Stelle eröffnen sich, wie bereits an einigen Stellen dieser Arbeit angemerkt, Desiderate für künftige korpusbasierte Untersu‐ chungen des portugiesischen Nähesprechens 51 . 161 6.3 Zeitgewinn zur Überwindung von Pausen und Formulierungsschwierigkeiten (e) Diskursmarker in der Funktion von Überbrückungsphänomenen: Im Fol‐ genden gelange ich bei der Beschreibung der ‚Überbrückungsphänomen‘ zu einer weiteren Gruppe von Ausdrücken, die sich keiner der bisher vorgestellten Subkategorien dieser Kategorie eindeutig zuordnen lässt. Es handelt sich um polyvalente Diskursmarker, die auch in der Funktion von Überbrückungsphä‐ nomenen gebraucht werden. Ich bestimme sie in Übereinstimmung mit Marcu‐ schi und seinem Begriff „marcadores conversacionais acumuladas" (1999, 164, 166) als ‚Diskursmarker in zusätzlicher Funktion von Überbrückungsphäno‐ menen‘. (12) C- ORAL - ROM ‚ppubmn04.txt‘ - Die aktuelle politische Situation A […] parece-me que / à primeira vista / a coisa pode ser interpretada como um reforço / eh / vá lá / dos partidos de esquerda (13) C- ORAL - ROM ‚ppubdl10.txt‘ - Kosmetische Produkte für Männer N [<] <sim / / n-o / sim> / / nós temos uma gama também para / para homem / / eh / e já tivemos essa gama / portanto / muito mais completa / / mas / de qualquer das maneiras / temos / uma gama / pronto / de creme hidratante para a pele / In den ‚Beispielsätzen 12 und 13‘ sind es die Formeln vá lá, portanto, de qualquer das maneiras und pronto, die man als Elemente dieser weiteren Gruppe von ‚Überbrückungsphänomenen‘ interpretieren kann. Am eindeutigsten scheint die Zuordnung des Ausdrucks vá lá in der Äußerungssequenz parece-me que / à primeira vista / a coisa pode ser interpretada como um reforço / eh / vá lá / dos partidos de esquerda zur Gruppe der ‚Überbrückungsphänomene‘. In diesem Zu‐ sammenhang sei auf die Definition Marcuschis hinweisen, der hesitações (Über‐ brückungsphänomene) folgendermaßen charakterisiert: „um fenómeno sistemá‐ tico na organizaç-o sintagmática, mas n-o faz parte da estrutura dessa organizaç-o" (Marcuschi 1999, 163). Dass dieses Kriterium zutrifft, wird deutlich, wenn man durch eine Weglassprobe vá lá aus der vorliegenden Äußerung eli‐ miniert parece-me que / à primeira vista / a coisa pode ser interpretada como um reforço / eh / vá lá / dos partidos de esquerda. Dieser Test zeigt, dass der Satz ohne vá lá weder an Grammatikalität noch an Informationsgehalt einbüßt. Was bleibt, ist die mögliche Deutung, dass der Sprecher nach Aussprache des Präpositio‐ nalausdrucks como um reforço nach einer zusätzlichen inhaltlichen Kennzeich‐ nung dieses Ausdrucks sucht, die er aber erst nach einem kleinen Zögern und Nachdenken (siehe auch das Symbol des Balkens, das eine kurze Pause anzeigt) in Gestalt eines weiteren Präpositionalausdrucks, in der syntaktischen Funktion des nachgestellten Genitivattributs dos partidos de esquerda, findet. Diese in‐ haltliche Erweiterung verbindet er durch vá lá mit seiner vorausgehenden Sprechsequenz. Wie dieses Zögern letzthin zu erklären ist, ob es als Nachdenken 162 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ 52 Ich habe den Satz aus den „Ciberdúvidas da Língua Portuguesa“, wo der Aufsatz am 12. März 1998 ins Netz gestellt wurde: https: / / ciberduvidas.iscte-iul.pt/ outros/ antologia/ portanto/ 573 (30. 11. 2016). 53 An dieser Stelle online zitiert: http: / / www.iltec.pt/ pdf/ wpapers/ 2003-redip-portanto. pdf (17. 6. 2017). Der gleiche Aufsatz wurde später auch als Aufsatz in einem Buch pub‐ liziert (Freitas / Ramilo 2005). über einen ergänzenden Ausdruck oder möglicherweise auch als Konsequenz einer gewissen Unsicherheit den Inhalt seiner Aussage betreffend verstanden werden kann, bleibt spekulativ und ändert nichts an der Zuordnung dieses Aus‐ drucks zur Kategorie der ‚Überbrückungsphänomene‘. Auch für ‚Beispiel 12‘ zeigt die Weglassprobe, dass portanto keinen Einfluss auf die Semantik oder den logischen Zusammenhang der Sequenz nós temos uma gama também para / para homem / / eh / e já tivemos essa gama / portanto / muito mais completa / / ausübt. Folgerichtig sind Freitas / Ramilo (2003) davon überzeugt, dass sich in vielen Kontexten wie dem vorliegenden - die Autoren verweisen in diesem Zusam‐ menhang auf die kommunikativen Praktiken des Internet, die von dieser Er‐ scheinung besonders betroffen seien - die Funktion von portanto im Unterschied zu prototypisch distanzsprachlichen Texten nicht als „conjunç-o conclusiva“ be‐ stimmen lässt. Sie grenzen sich mit dieser Meinung von vielen portugiesischen Kollegen ab, die in Unkenntnis der Funktionsweise nähesprachlicher Kommu‐ nikation und ohne Hinzuziehung sprachpragmatischer Gesichtspunkte zu dem Schluss kommen, dass es sich bei portanto um ein funktionsloses und für die sprachliche Verständigung wertloses Element handele. Zur Charakterisierung dieser abwertenden und von Unkenntnis geprägten, aber für viele portugiesi‐ sche Philologen wahrscheinlich kennzeichnenden Haltung, zitiere ich den Jour‐ nalisten und Schriftsteller Afonso Praça mit einem Satz aus einem Aufsatz des Sammelband „Um Momento de Ternura e Nada Mais“ (1995), der auch in einem Betrag zu portanto in den „Ciberdúvidas da Língua Portuguesa“ veröffentlicht wurde: „Acrescenta alguma coisa àquilo que se diz? É claro que n-o. Facilita a compreens-o da mensagem que se pretende transmitir? De modo nenhum. Fornece algum contributo estético à linguagem? Pelo contrário“ 52 . Die an dieser Stelle vertretende Sichtweise, portanto aus sprachpragmatischer Perspektive als wichtiges Merkmal der Organisation von Sprechsequenzen - als Überbrückungsphänomen und somit als Mittel der Zeitverzögerung und Pau‐ senüberbrückung - zu werten, übernehmen Freitas / Ramilo bei der folgenden Charakterisierung „tem a mesma funç-o que as pausas e hesitações, mas servindo para assegurar que o discurso prossegue em continuo“ (Freitas / Ramilo 2003) 53 . 163 6.3 Zeitgewinn zur Überwindung von Pausen und Formulierungsschwierigkeiten 54 Zu weiteren Diskursmarkern in der Funktion von ‚hesitações‘ zählt Marcuschi (1999, 164 sqq.) u. a. folgende Ausdrücke: sei lá, quer dizer, sabe, ent-o, né, áh" von denen die letzteren zwei im Kontinentalportugiesisch kaum vorkommen. (a) (b) (c) (d) Im Sinne eines sinnentleerten aber für das Funktionieren des diskursiven Verlaufs wichtigen Elements lassen sich zusätzlich zu portanto der Ausdruck pronto und die Formel de qualquer das maneiras in ‚Beispiel 13‘ bestimmen. Weitere polyvalente Diskursmarker, die in der Funktion von Überbrückungs‐ phänomenen gebraucht werden, sind agora, bem, enfim, pronto(s), quer dizer, como vou dizer, deixa me pensar, sei lá, n-o sei, n-o sei o quê, ent-o  54 etc. 6.3.2 Zusammenfassung In diesem Kapitel wurden ‚Pausen‘, ‚lautliche Dehnungen‘ - beide Ver‐ fahren konnte ich aufgrund fehlenden Datenmaterials im Kontext dieser Arbeit nicht explizit erläutern -, ‚tonale Zeichen‘, ‚Wiederholungen‘, ‚Passe-partout-Wörter‘, ‚Etcetera-Formeln‘, sowie eine Reihe von ‚polyva‐ lenten Diskursmarkern‘, als Subkategorien der ‚Überbrückungsphäno‐ mene‘ identifiziert und beschrieben. Obwohl sie nicht zur formalen Struktur der portugiesischen Sprache gehören und Äußerungen auch ohne sie nichts an ihrer grammatischen Korrektheit und ihrem Informations‐ gehalt einbüßen, handelt es sich um zentrale Merkmale des Nähespre‐ chens, auf die z. B. normale Alltagsdialoge nicht verzichten können. Das für Schriftgrammatiker naheliegende Urteil, dem zufolge es sich bei den ‚Überbrückungsphänomenen‘ um Elemente sekundärer Bedeutung, um subjektive Ausprägung der ‚parole‘ oder sogar um Fehler handele, die auf mangelnde Konzentration der Sprecher zurückzuführen seien, ver‐ kennt die Bedeutung dieser Merkmale des Nähesprechens. Sie betrifft so‐ wohl die kommunikativen Praktiken prototypischen Nähesprechens als auch die der peripheren Formen der ‚keyboard-to-screen communication‘. Bei den Überbrückungsphänomenen handelt es sich vielmehr um unver‐ zichtbare Merkmale einer pragmatischen Kompetenz, die in Situation pro‐ totypischen und teilweise auch peripheren Nähesprechens gefordert sind. Ohne sie sind flüssig und effizient ablaufende Diskurse undenkbar: „pode-se dizer, que ela desempenha papéis importantes na fala: papéis for‐ mais, cognitivos e internacionais“ (Marcuschi 1999, 159). Eine funktionale Erklärung der Bedeutung der Überbrückungsphänomene bietet sich aus sprachpragmatischer Perspektive im Rahmen des ‚Modells des Nähe- und Distanzsprechens‘ im Parameter ‚Zeit‘ an. In den sprachli‐ 164 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ 55 Cf. die Definition dieses Begriffs in ‚Kapitel 4‘. 56 Diese Definition und ihre Erklärung findet man auf: http: / / www1.ids-mannheim.de/ lexik/ uwv/ uwv.html des Instituts für Deutsche Sprache (11. 11. 2016). 57 Zur Unterscheidung dieser Anteile der Kommunikation cf. das ‚Online-Portal‘ von Lehmann zu „Grundbegriffen der Linguistik“: http: / / www.christianlehmann.eu/ ling/ elements/ index.html (20. 11. 2017). (e) (f) (g) (h) (i) chen Erscheinungen, die sich der Kategorie ‚Überbrückungsphänomene‘ zuordnen lassen, manifestiert sich das universale Diskursverfahren ‚Zeit‐ gewinn zur Überwindung von Pausen oder Formulierungsschwierig‐ keiten‘. Die Wahl der Überbrückungsphänomene, die Sprecher in ihre Sprechse‐ quenzen einfügen, um Zeit zur Überwindung von Formulierungsschwie‐ rigkeiten zu gewinnen, ist nicht zufällig. Vielmehr handelt es sich um to‐ nale Zeichen, Wörter und Wortverbindungen, die sich im Laufe der Zeit zu Gebrauchsnormen im Sinne Coserius 55 herausgebildet haben und sich zukünftig zu regelhaften Ausdrucksweisen des portugiesischen Sprach‐ systems weiterentwickeln können. Einige ‚Überbrückungsphänomene‘ besitzen den Charakter „usueller Wortverbindungen“ 56 . Das bedeutet, sie werden im Moment ihrer Aktivie‐ rung nicht aus einzelnen Elementen des Wortschatzes zusammengesetzt, sondern wie vorfabrizierte Module als Ganzes aus dem Lexikon ent‐ nommen. Das erhöht ihre Flexibilität und die Schnelligkeit ihrer ‚Einsatz‐ bereitschaft‘. Im Unterschied zu den ‚Reaktiven‘, die im ‚Kapitel 6.2.1‘ er‐ örtert wurden, handelt es sich bei ‚Überbrückungsphänomenen‘ in Form „usueller Wortverbindungen“ zwar auch um „Gesprächsformeln“ (Burger 2015, 46), aber nicht um „stereotype Sprechakte“ im Sinne Kauffers (2013). Überbrückungsphänomenen sind homonyme Lexeme, bzw. sie setzen sich in ihren mehrteiligen Wortverbindungen aus homonymen Lexemen zu‐ sammen und sind darum polyfunktional einsetzbar. Das erhöht ihre Fle‐ xibilität und beschränkt die Zahl der Elemente, die notwendig sind, um aus ihnen entsprechende Gesprächsformeln zu bilden. Zu einem umfassenden Verständnis der Funktionen und Möglichkeiten der Überbrückungsphänomene gelangt man erst durch eine Beobachtung im Kontext ihres Zusammenwirkens mit „prosodischen“, „parasprachlichen“ sowie „nichtsprachlichen“ Elementen 57 ihres Gebrauchs. Um an nähesprachlichen Diskursen teilnehmen zu können, sind Ge‐ sprächsteilnehmer auf ‚Überbrückungsphänomene‘ angewiesen. Sie ge‐ hören zur „interaktionalen Kompetenz“ (Oksaar 1979, 395) von Sprechern 165 6.3 Zeitgewinn zur Überwindung von Pausen und Formulierungsschwierigkeiten und sollten darum sowohl im normalen als auch im ‚Portugiesisch als Fremdsprache‘ Unterricht thematisiert werden. 166 6. Beschreibung im Parameter ‚Zeit‘ 7. Beschreibung im Parameter ‚Situation‘ Zur Charakterisierung des Situationsparameters führen Ágel / Hennig aus, dass es sich bei ‚Situation‘ um einen Parameter handelt, der Merkmale der Nähe‐ kommunikation aus ihrer „Situationsverschränkung“ heraus erklärt. Auf der gleichen Seite weiter unten fügen die Autoren erklärend hinzu: „Wir modellieren im Situationsparameter also auf Näheseite die Möglichkeit der Bezugnahme auf den gemeinsamen Raum- und Zeitkontext […]“(Ágel / Hennig 2007, 200). Es sind sprachliche Erscheinungen wie die folgenden, die sich aus dieser Be‐ stimmung ableiten lassen: (a) Ein Gesprächsteilnehmer vermag mittels eines deiktischen Temporaladverbial wie ontem den Bezug zur real-physischen Zeit herzustellen. Wenn dieses Adverbial in einem Gespräch vorkommt, das am Dienstag den 30. Mai stattfindet, werden alle am Gespräch beteiligten und in derselben Kommunikationssituation befindlichen Gesprächsteilnehmer ver‐ stehen, dass mit ontem der 29. Mai desselben Monats und Jahres gemeint ist. Für diesen Fall ist es folglich das im Erklärungsschema unter ‚Situation‘ genannte universale Diskursverfahren ‚Möglichkeit direkter grammatischer Verfahren‘, innerhalb dessen sich die Möglichkeit des Gebrauchs deiktischer Ausdrücke wie dem oben genannten ontem begründen lässt. (b) Dasselbe Verfahren stellt auch eine Erklärung dafür bereit, dass beim Dekodieren der in einem Erzählkontext geäußerten Äußerungssequenz Depois de um fim de semana muito cansativo, o Jo-o veio do Porto, chegou à casa bastante tarde, por volta da meia noite. Muito cansado abriu a porta e, de repente, que susto, há um barulho. Será que alguém está a assaltar a sua casa? Mas finalmente, que alívio, quem lhe abraça, é a amiga da sua filha, a Joana … den Gesprächsteilnehmern bewusst ist, dass die Ver‐ wendung der Präsensformen há / está a assaltar / abraça / é / sich trotz der im‐ manenten Semantik dieses Tempus auf ein gegenüber dem Sprechmoment ver‐ gangenes Geschehen bezieht. Im Kontext des laufenden Gesprächs dient dieser Gebrauch des Präsens der Steigerung von Spannung und dem Interesses der anwesenden Gesprächsteilnehmer am Dargestellten. In diesem Fall handelt es sich um die Erscheinung einer ‚Deixis am Phantasma‘, die den Sprecher und mit ihm den deiktischen Bezugsrahmen des Sprechmoments in die Situation des in der Vergangenheit handelnden Protagonisten zurückversetzt. (c) Die Frage eines Gesprächspartners nach dem Verbleib seines Schlüssels e as minhas chaves, onde est-o? kann der Angesprochene mittels des deiktischen Lokaladverbial und in Form des elliptischen Ausdrucks lá atrás beantworten. Zusätzlich unterstützt 1 Ein Kaffee in einer Tasse, die kurz vor dem Servieren durch den heißen Dampf der Kaffeemaschine zusätzlich aufgewärmt wird, um den Kaffee möglichst heiß servieren zu können. wird dieser Hinweis mit Hilfe eines Blickes und einer entsprechenden Geste des Gefragten, die sich auf den gesuchten Gegenstand richten. Außerdem wird der antwortende Sprecher das Possessivpronomen minhas problemlos der pas‐ senden Person im Raum zuordnen können. Aus der Perspektive des Modells des Nähe- und Distanzsprechens ist es das universale Diskursverfahren ‚Verflech‐ tung von Sprechen und non-verbalem Handeln durch die Einbeziehung von gemeinsam zugänglichen Objekten im gleichen physikalischen oder virtuellen Raum‘ (cf. die schematische Darstellung in ‚Kapitel 4‘), das die Möglichkeit einer solchen verbalen Handlung in Form eines elliptischen Ausdrucks erklärt. Das Verfahren manifestiert sich auch in der folgenden Situation: (d) Der Kellner in einer Pastelaria in Lissabon wird problemlos einen Dialog mit dem Gast ver‐ stehen, in dem dieser einen Kaffee mit den Worten uma bica, se faz favor bestellt und auf die Folgefrage des bedienenden Kellners normal ou curto noch den Aus‐ druck normal, mas escalado  1 hinzufügt. Bei diesem Beispiel handelt es sich um eine „Handlungsellipse“ (Ágel / Hennig 2007, 201) oder, um einen anderen Ter‐ minus zu gebrauchen, um eine „empraktische Nennung“ (Bühler 1982[1934], 155 sqq.). Eine solche Kurzform wird von kompetenten Teilnehmern in einer solchen Situation verstanden, weil sie in einer stark vorstrukturierten Situation geäußert wird, die sowohl Kellner als auch Gast beim Bestellen einer bica bereits zigmal durchlebt haben. Teilnehmer an einer solchen Gesprächssituation lösen eine solche kommunikative Herausforderung durch stereotyp ablaufende ‚Frage-Antwort-Sequenzen‘, die sich für diese und ähnliche Situationen bereits zu kommunikativen Konventionen verfestigt haben. Diese stellen in einer sol‐ chen Situation die ‚Norm‘ des Sprachgebrauchs dar. Sie einzuhalten, löst bei den beteiligten Muttersprachlern ‚Akzeptanz‘ und gesteigerte Bereitschaft für eine Fortführung von Gesprächen mit ‚Nicht-Muttersprachlern‘ aus. Überdies er‐ leichtert ihre „relief function“ (Entlastungsfunktion) (Coulmas 1985, 64) Nicht-Muttersprachlern den „Einstieg in die Sprachgemeinschaft“ (Coulmas 1985, 55). Von diesen Normen abzuweichen, erschwert hingegen die Rahmen‐ bedingungen (Vertrauensverlust in die sprachlichen Kenntnisse des Nichtmut‐ tersprachlers) für eine weitergehende Kommunikation im Kreise der anwe‐ senden portugiesischen Gesprächspartner. 168 7. Beschreibung im Parameter ‚Situation‘ 2 Wie bereits an anderen Stellen dieses Buches muss ich auch beim Thema ‚Ellipsen‘ auf eine weitergehende Erörterung verzichten und verweise an dieser Stelle auf die Mo‐ nographie von Hennig zum Thema ‚Ellipsen‘ (2013). Zusätzlich zu diesen Ausprägungen sprachlicher Kurzformen 2 nennen Ágel / Hennig eine weitere Gruppe von Ausdrücken, für die sie den Terminus „prag‐ matische Ellipsen“ benutzen. Dabei handelt es sich um Ausdrücke, die durch ähnlich situative Umstände ausgelöst werden, aber im Unterschied zur obigen ‚Frage-Antwort-Sequenz‘ keine Appellfunktion aufweisen (Ágel / Hennig 2007, 201). Zu dieser Gruppe von Ellipsen zählt die oben erwähnte Antwort auf den Verbleib des Schlüssels oder, um ein weiteres Beispiel (e) zu nennen, der Ausruf cores maravilhosas eines verzückten Betrachters beim Anblick eines erlebten Sonnenuntergangs. Die im Deutschen noch hinzukommenden „Topik-Ellipsen“ (ibid.) sind für die vorliegende Untersuchung grammatischer Erscheinungen irrelevant, weil es sich beim Portugiesischen um eine Null-Subjektsprache“ (Endruschat / Schmidt-Radefeldt 2014, 117) handelt, für die eine Verwendung dieser Kurz‐ formen keine Rolle spielt. 7.1 Verfahren zur Markierung von Direktheit in Redewiedergabe Die an dieser Stelle benutzten Transkriptionen des ‚C- ORAL - ROM -Korpus‘ be‐ ziehen sich auf Äußerungen, die in Situationen erfolgen, die weder eine ‚Ver‐ flechtung von Sprechen und Handeln‘ mit gemeinsam verfügbaren Objekten im selben Raum noch ‚Frage-Antwort-Sequenzen‘ in konventionell stark vorstruk‐ turierten Situationen aufweisen. Darum fehlen in diesem Korpus die für eine entsprechende Veranschaulichung und Interpretation passenden Beispielsätze. Auch das zum Situationsparameter gehörende universale Diskursverfahren ‚Möglichkeit direkter grammatischer Verfahren‘, das sich in ‚Ausdrücken tem‐ poraler, lokaler und personaler Deixis‘, ‚freier Tempuswahl‘, ‚historischem Prä‐ sens‘ sowie ‚Deixis am Phantasma‘ manifestiert, lasse ich unberücksichtigt und konzentriere mich bei meinen weiteren Ausführungen auf das Verfahren ‚Mar‐ kierung von Direktheit in Redewiedergabe‘ (im Schema unter dem Parameter ‚Situation‘ als drittes universale Diskursverfahren in ‚Kapitel 4‘ aufgelistet). Das Zusammenspiel bzw. die Überlappung direkter und indirekter Verfahren schafft dem Sprecher die Möglichkeit für eine Beeinflussung des Diskurses, deren Be‐ deutung sich unter kommunikativ-pragmatischer Perspektive eröffnet und zu ihrer Verdeutlichung eine weiterführende Analyse fordert. Auch darf man 169 7.1 Verfahren zur Markierung von Direktheit in Redewiedergabe 3 Natürlich bin ich mir bewusst, dass ich mich bei einer solchen Behauptung ‚sehr weit vorwage‘, denn es wäre anmaßend zu behaupten, dass ich auf der Suche nach ent‐ sprechenden Hinweisen den gesamten oder auch nur einen Großteil der portugiesi‐ schen, brasilianischen oder sonstigen Sekundärliteratur aus dem Bereich romanisti‐ scher Forschungen hätte konsultieren können. Ein solches Unterfangen würde die Möglichkeiten und den Rahmen der vorliegenden Arbeit weit überschreiten. Trotzdem meine ich, diese Aussage mit einiger Berechtigung vertreten zu können, weil in den mir bekannten ‚Referenzgrammatiken des Kontinentalportugiesisch‘ (zum Ausdruck ‚Re‐ ferenzgrammatiken‘ siehe ‚Kapitel 3‘) eine entsprechende Thematisierung des Phäno‐ mens ‚discurso direto vs. discurso indireto fehlt. In älteren Grammatiken wie der von Celso / Cintra (2002, 629) wird diese grammatische Erscheinung vornehmlich unter formalen Aspekten „no plano formal“ thematisiert: d. h. die Regeln für eine Umwandlung der direkten in die indirekte Rede werden vorgestellt. Die spärlichen Bemerkungen zu pragmatisch relevanten Funktionen beschränken sich hingegen auf den „plano expres‐ sivo“ und den ästhetisch-literarischen Bereich. Hier beschreiben die Autoren - immer auf der Basis von literarischen Beispielsätzen - insbesondere in Hinblick auf den dis‐ curso indireto livre (Celso / Cunha 2002, 635 sqq.) einige dieser Funktionen wie „ … o discurso indireto livre permite uma narrativa mais fluente, de ritmo e tom mais artistica‐ mente elaborados“ (Celso / Cunha 2002, 637). Wie mir Professorin Amália Mendes, einer der Autorinnen und Mitherausgeberinnen der neuen ‚Gulbenkian-Grammatik‘ per Mail im Juli 2017 mitteilte, soll der dritte und letzte Band dieser neuen Grammatik allerdings eine explizite Erörterung des Phänomens discurso direto vs. discurso indireto enthalten. 4 Als wertvolle Hilfe zum Verständnis des Begriffs ‚Deixis‘ dient mir, wie bereits einige Male zuvor zur Erklärung anderer grammatischer Phänomene, die anspruchsvolle Internetseite „Grundbegriffe der Linguistik“ von Lehmann. Cf. http: / / www. christianlehmann.eu/ ling/ elements/ index.html (20. 11. 2017). davon ausgehen, dass die an dieser Stelle beschriebenen Aspekte und Erkennt‐ nisse, die im Zusammenhang mit Redewiedergabe erörtert werden, einem Groß‐ teil des potentiellen Leserkreises dieses Buches kaum, oder in der vorgestellten ausführlichen Form vielleicht auch gar nicht, bekannt sind 3 . Die Beschreibung von Formen der Redewiedergabe des Portugiesischen im Rahmen des ‚Situationsparameters‘ scheint mir logisch. Schließlich ist es die situative Verankerung der benutzten deiktischen Elemente eines Alltagsge‐ sprächs - Personal- und Possessivpronomina, adverbiale Ausdrücke von Raum und Zeit, konjugierte Verbalformen und Modus 4 - im „Ich-Hier-Jetzt-Origo“ (Bühler 1934, 102 sqq.) der Sprechsituation, die Gesprächsteilnehmern die sprachliche Rekonstruktion von Sprechereignissen gestatten, die außerhalb ihres originären deiktischen Bezugsfeld erfolgen, ohne dass ihnen dabei die Möglichkeit einer korrekten referentiellen Zuordnung sprachlicher Formen zu gemeinten Personen, Objekten und Geschehen verloren ginge. 170 7. Beschreibung im Parameter ‚Situation‘ 5 Eine ähnliche Form der Thematisierung überwiegt auch auf portugiesischen und brasilianischen Internetseiten, die sich dem schulischen Anwendungsbereich zuwenden: so z. B. als ‚Power-Point-Vortrag‘ in infantiler Darstellungswiese auf https: / / pt.slideshare.net/ professoraIsabel/ discurso-direto-e-indireto-7894270 oder auf der brasilianischen Seite: https: / / www.normaculta.com.br/ discurso-direto-e-indireto/ (25. 7. 2017). 6 Die passenden Regeln, die sich durch eine ‚Übertragung‘ der direkten in die indirekte Rede ergeben, findet man bei u. a. bei Cunha / Sintra (2002, 632 sqq.), für den schulischen Gebrauch bei Castro Pinto et al. (2006, 228) oder Oliveira / Sardinha (2005, 155 sqq.). Außerdem verweise ich in diesem Zusammenhang erneut auf die entsprechende Seite der „Ciberdúvidas“: https: / / ciberduvidas.iscte-iul.pt/ consultorio/ perguntas/ apassagem-do-discurso-directo-para-o-discurso-indirecto/ 16346 (25. 7. 2017). 7.1.1 Direkte und indirekte Redewiedergabe und die Formen ihres Zusammenspiels Zur Erörterung der ‚Verfahren zur Markierung von Direktheit in Redewieder‐ gabe‘ im folgenden Kapitel gehört unausweichlich auch die ergänzende Erläu‐ terung von Verfahren zur ‚Indirektheit der Redewiedergabe‘. Einer Bestimmung der Möglichkeiten auf interaktional-pragmatischer Funktionsebene, die sich Sprechern in Alltagsdialogen durch den Gebrauch direkter Redewiedergabe er‐ schließen, bleibt ohne die Einbeziehung und Erörterung von Formen ‚indirekter Redewiedergabe‘ unvollständig, weil sowohl die direkten als auch die indirekten Verfahren die Pole eines Kontinuums sprachlicher Anwendungen bilden, die sich in gegenseitiger Abhängigkeit ergänzen, funktional aufeinander ange‐ wiesen sind, und wie eine Analyse der Beispielsätze deutlich machen wird, in vielen sprachlichen Anwendungen zur Herausbildung hybrider Formen führen. Zur Beschreibung der grammatischen Erscheinung des discurso direto und des discurso indireto bieten sich prinzipiell zwei Möglichkeiten an. Der erste Weg, den die Grammatiken des Portugiesischen für eine Erörterung dieser gramma‐ tischen Erscheinungen einschlagen 5 , zielt auf eine Bestimmung der Regeln, die aus Sicht einer formalen Beschreibung der Schriftgrammatik für eine Umwand‐ lung der direkten in die indirekte Rede gelten. Als Ergebnis solcher Bestim‐ mungen werden Regeln formuliert 6 , die diesen Umwandlungsprozess als System einer starren Dichotomie zwischen zwei Gruppen syntaktischer Strukturen be‐ stimmen. Insbesondere im Zusammenhang mit dem Erlernen der portugiesi‐ schen Sprache - Portugiesisch als Mutter- und Fremdsprache - charakterisiert diese Sicht die didaktischen Konzepte zur Unterrichtsgestaltung. Von der Um‐ wandlung betroffen sind Tempus und Modus der konjugierten Verbalformen, Personal- Possessiv- und Demonstrativpronomen sowie die in der Deixis der 171 7.1 Verfahren zur Markierung von Direktheit in Redewiedergabe Figurenwelt verankerten Adverbialien von Zeit und Raum. Zur Verdeutlichung stelle ich im folgenden Schema einige dieser Regeln vor: Discurso Direto Discurso Indireto Amanh- compro um carro novo (Tempo‐ raladverb ‚amanha‘ / 1. Person Singular / Tempus ‚presente‘) Ela disse que, no dia seguinte, ia comprar um carro novo (Temporaladverb ‚no dia seguinte‘ / 3. Person Singular / Tempus ‚pretérito imperfeito‘) Já foste ontem ao novo museu dos coches em Belém? (Temporaladverb ‚ontem‘ / 2. Person / Tempus ‚pretérito perfeito‘) Perguntei-lhe se na véspera já tinha ido ao novo museu dos coches em Belém (Tempo‐ raladverb ‚na véspera‘ / 3. Person / Tempus ‚pretérito mais-que-perfeito com‐ posto) N-o me perguntes agora! (2. Person / Modus ‚Imperativ‘ / Temporaladverb ‚agora‘) Ela insistiu que n-o lhe perguntasse naquele momento (1. Person / Modus ‚Kon‐ junktiv‘ / Adverbial ‚naquele momento‘) etc. etc. Als Ausgangspunkt der entsprechenden Regeln stützen sich portugiesische Grammatiken wie im Schema oben auf literarische und selbst konstruierte kon‐ textlose Beispiele. In der Folge gelangen sie zu Ergebnissen, die mit der Realität des tatsächlichen Verhaltens von Sprechern in Alltagsdialogen wenig zu tun haben. Weitaus schwerer aber wiegt der Umstand, dass viele Grammatiker und Lehrer innerhalb dieses scheinbaren Chaos ‚fehlerhafter‘ und sich vermisch‐ ender Formen direkter und indirekter Redewiedergabe kein System erkennen, sondern nur mangelnde Sprechkompetenz herauslesen. Sie sind daher nicht in der Lage, zu erkennen, welche Möglichkeiten sich Sprechern zur Realisierung ihrer kommunikativen Intentionen aus dem Gebrauch von Formen direkter und indirekter Rede sowie ihrer gegenseitigen Annäherung und Vermischung er‐ geben. Genau diesen Weg der Beschreibung aber folgen die Interpretationen der Beispielsätze in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels. Diese Sichtweise geht davon aus, dass die ‚zitierenden‘ Sprecher / Spreche‐ rinnen durch die unterschiedlichen Formen des Zusammenspiels der direkten und indirekten Redewiedergabe die Realisierung unterschiedlicher, pragmatisch relevanter Funktionen anstreben. Die entsprechend zur Analyse herangezo‐ genen Beispielsätze basieren zudem nicht auf literarischen, selbst konstruierten und aus ihren Kontexten herausgelösten Äußerungen, sondern auf den Trans‐ kriptionen des ‚C- ORAL - ROM -Korpus‘. 172 7. Beschreibung im Parameter ‚Situation‘ Als Grundlage meiner weiteren Ausführungen dienen die Ergebnisse einer Un‐ tersuchung von Günthner (1997) mit dem Titel „Direkte und indirekte Rede in Alltagsgesprächen. Zur Interaktion von Syntax und Prosodie in der Redewie‐ dergabe“. Obwohl es sich um einen relativ frühen Beitrag zum Thema handelt, orientiere ich mich an ihm, weil die von Günthner gewonnenen Einsichten und Erkenntnisse m. E. auch 2017 noch gültig sind. Zusammen mit der stringenten Argumentation und Begrifflichkeit bietet ihr Beitrag eine gute Ausgangsposi‐ tion auch für eine Beschreibung des gleichen Phänomens in portugiesischen Alltagsgesprächen und erlaubt darüber hinaus eine Verortung im Modell des Nähe- und Distanzsprechens. Im Folgenden stelle ich darum die wichtigsten Ergebnisse ihrer Arbeit vor: (1) Zunächst einmal führt die Autorin aus, dass es sich bei der direkten und indirekten Rekonstruktion von Äußerungen, die au‐ ßerhalb der aktuellen Gesprächssituation erfolgen, nicht um eine zentrale sprachliche Tätigkeit, sondern um eine „metapragmatische Aktivität“ (Günthner 1997, 227) handelt, wobei sich Günthner mit dieser Bestimmung auf Silverstein (1993) und Jakobson (1971) beruft. (2) Im Vordergrund von Günthners Beschreibung stehen nicht die formalen Regeln der Umwandlung der direkten in indirekte Redewiedergabe, sondern - ganz der Vorstellung des an dieser Stelle zugrunde liegenden Konzepts entsprechend - die funktionalen Leistungen der unterschiedlichen Formen der Redewiedergabe „als rhetorische Verfahren zur konkreten, lebendigen Illustration vergangener, prospektiver, hypothetischer und fingierter Äußerungen und Dialoge“ (Günthner 1997, 257). (3) Der Umstand, dass die Autorin im Zusammenhang mit der Leistung von rekonstruierter Rede u. a. auch die „Möglichkeit zum Ausdruck expressiver Momente“ und „kontext‐ spezifische(r) Funktionen“ erwähnt sowie auf die Möglichkeit einer Einfluss‐ nahme der Perspektive des zitierenden Sprechers auf die zitierte Äußerung ver‐ weist (Günthner 1997, 228), rechtfertigt die Annahme, dass im Zusammenhang mit Redewiedergabe Sprecher auch Funktionen wahrnehmen, die aus pragma‐ tisch-kommunikativer Perspektive Relevanz besitzen und sich nicht ausschließ‐ lich auf eine stilistisch-rhetorische Funktionsebene beschränken. (4) Ferner un‐ terscheidet Günthner zwei „Diskurswelten“, die bei der Rekonstruktion direkter und indirekter Redewiedergabe aufeinandertreffen. Bei der „Erzählwelt“ handelt es sich um die aktuelle Interaktionssituation, aus der heraus die zitierte Äuße‐ rung direkt oder indirekt „(re)konstruiert, (re)kontextualisiert und funktionali‐ siert wird“ (Günthner 1997, 227). Die „Figurenwelt“ hingegen bildet den Inter‐ aktionskontext, dem die zitierten Äußerungen zugehören. (5) Erzähl- und Figurenwelt weisen prinzipielle Unterschiede auf, die niemals vollkommen zur Deckung gebracht werden können. Sie betreffen die Gesprächsteilnehmer mit ihren jeweils unterschiedlichen Erfahrungen, Gefühls- und Wertewelten, 173 7.1 Verfahren zur Markierung von Direktheit in Redewiedergabe sprachlichen Hintergründen sowie ihrem unterschiedlichen Weltwissen. Hinzu kommen die unterschiedlichen räumlich-zeitlichen und soziokulturellen Kon‐ texte beider Interaktionssituationen sowie verschiedene Ziele, die zitierte und zitierende Sprecher im Gespräch verfolgen. (6) Aus dieser grundsätzlich beste‐ henden Interferenz zwischen Erzähl- und Figurenwelt schließt Günthner, dass eine wortwörtliche, völlig originaltreue und objektive Wiedergabe von Form und Inhalt der Originaläußerung durch den zitierenden Sprecher bei seiner di‐ rekten Redewiedergabe grundsätzlich ausgeschlossen werden kann: „faithfully rendering form and content of what the original speaker said“ (Coulmas 1985, 42, zitiert nach Günthner 1997, 228). (7) Entgegen einiger Ansichten, die in der Se‐ kundärliteratur vertreten werden, verteidigt Günthner die Auffassung, dass auch die indirekte Rede nicht ausschließlich zur objektiven Wiedergabe wie‐ dergegebener Inhalte genutzt wird. Auch sie kann durch die einleitenden Aus‐ drücke oder durch Übertragung von prosodischen Elementen aus der Figuren‐ welt in die Erzählwelt bzw. durch die Manipulation dieser Elemente im Sinne der Intentionen des zitierenden Sprechers expressiv-emotive Elemente vermit‐ teln bzw. Einfluss auf die vermittelnden Inhalte und ihre Wirkung auf den Zu‐ hörer nehmen. (8) Für Günthner handelt es sich bei der Dichotomie ‚discurso direto versus discurso indireto‘ um eine Idealisierung, die empirisch beobachtbare Beispiele des tatsächlichen Sprechhandels nur mangelhaft berücksichtigt und fordert darum, diese Dichotomie durch die „Annahme eines Kontinuums von Direktheit zu Indirektheit mit zahlreichen Möglichkeiten der Hybridbildung“ (Günthner 1997, 241) zu ersetzen. (9) Das tatsächlich beobachtbare Verhalten von Sprechern in Alltagsdialogen zeigt, dass sich Sprecher beim Gebrauch di‐ rekter oder indirekter Formen der Redewiedergabe weniger an syntaktischen Regeln orientieren, die von der Grammatik der Schriftgrammatik eingefordert werden, sondern das Zusammenspiel von Direktheit und Indirektheit der Re‐ dewiedergabe dazu nutzen, um Funktionen zu erfüllen, die aus kommuni‐ kativ-pragmatischer Perspektive Sinn ergeben. Das Ergebnis sind sich überla‐ gernde und vermischende Formen der Redewiedergabe, die nicht nur als ästhetisch-stilistische Variante des Sprachgebrauchs in literarischen Werken - wie z. B. dem inneren Dialog - bestimmt werden können, sondern auch den normalen Sprachgebrauch in Alltagsdialogen charakterisieren. (10) Beim Ge‐ brauch dieser hybriden Formen kann es durchaus vorkommen, dass die proso‐ disch-stimmliche Verankerung der Redewiedergabe in der Figurenwelt relativ unabhängig von einer parallelen Situierung ihrer syntaktischen Elemente in der Deixis der Erzählwelt erfolgt. Die für die vorliegende Untersuchung zentrale Annahme, der zufolge Sprecher in Alltagsdialogen die Wiedergabe von Rede zur Wahrung kommunikativ-prag‐ 174 7. Beschreibung im Parameter ‚Situation‘ 7 In der portugiesischen Grammatikbeschreibung findet man zur Bezeichnung dieser Verbgruppe den Begriff „verbos declarativos“ (Cunha / Cintra 2002, 632) und bei Castro Pinto et al. (2006, 229) folgenden Terminus und folgende Definition „Verbos introdutores de relato de discurso s-o os que fazem a interligaç-o sintáctica entre o discurso do relator e o discurso relatado. Além de operarem a ligaç-o, esses verbos fornecem também instruções ao ouvinte / leitor sobre a interpretaç-o do que é reproduzido“. 8 Dass den Autoren nicht immer eine deutliche und nachvollziehbare Unterscheidung gelingt, wird deutlich, wenn man z. B. die Gruppen (a) und (g) miteinander vergleicht, die m. E. zu einer Kategorie zusammengefasst werden müssten. 9 In ihrer Ausgabe von 2006 orientieren sich die Autoren (bedauerlicherweise) noch nicht an den inzwischen üblichen Formen der reformierten Rechtschreibung, schreiben also immer noch interactiva statt interativa, actos statt der aktuell gültigen Form atos etc. matischer Aufgaben nutzen, ergibt sich aus den folgenden Faktoren. Aus der Wahl des die direkte oder indirekte Redewiedergabe einleitenden ‚verbum di‐ cendi‘ 7 . Hinzu kommen noch einige andere stereotype Verbalausdrücke, die durch ihre semantischen Werte im denotativen und konnotativen Bereich die auf sie folgenden Redewiedergaben charakterisieren. Bemerkenswert ist für diese Einsicht folgender Umstand: Wie auch schon bei anderen im Zusammen‐ hang mit der Pragmatik an dieser Stelle beschriebenen Erscheinungen ist es ein bereits etwas betagtes portugiesisches Lehrbuch zum Grammatikunterricht an Sekundarschulen (Castro Pinto et al. 2006, 225 sqq.), dessen Beschreibungen und Definitionen passende Antworten auf die hier erörterte Frage nach den Funk‐ tionen redeeinleitender Verbalausdrücke liefern. So unterscheiden die Autoren dieses Schulbuches auf der Basis semantischer und pragmatischer Kriterien 8 innerhalb der „verbos introdutores de relato de discurso“ sieben Untergruppen: (a) Verben, die dazu beitragen, den ‚Sprechaktstatus‘ der zitierten Rede zu mar‐ kieren, wie declarar, afirmar, proferir, comunicar …. (b) Ausdrücke, die fonetische Eigenarten der wiedergegebenen Rede kennzeichnen, wie sussurrar, balbuciar, murmurar, berrar, … . (c) Verben, die uns über die Haltung aufklären (verbos de opini-o), die Sprecher bezüglich der wiedergegebenen Rede einnehmen, wie crer, julgar, considerar … . (d) Verben, die ein bestimmtes Gefühl des Sprechers zum Inhalt des Wiedergegebenen ausdrücken (verbos de sentimentos), wie desabafar, lamentar, lastimar, queixar-se … . (e) Verben, durch die Sprecher deutlich machen, an welcher Stelle der verbalen Interaktion man sich befindet (dimensões inter‐ activas), wie começar, continuar, acrescentar, atalhar, refutar … . (f) Verben, die der wiedergegebenen Rede konnotative Elemente beisteuern (exprimem valores conotativos do acto de dizer), wie gorjear, rosnar, …. (g) Verben, die den illokutiven Akt, der sich mit ihrem Gebrauch verbindet, zum Ausdruck bringen (verbos que explicitam a força ilocutória dos actos  9 de fala relatados), wie afirmar, garantir, 175 7.1 Verfahren zur Markierung von Direktheit in Redewiedergabe 10 Cf. https: / / pt.scribd.com/ doc/ 77282143/ Lista-de-Verbo-Dicendi (25. 7. 2017). 11 Im Brasilianischen oft durch das Verb ‚falar‘ ersetzt. Statt der Äußerung ela me disse que vinha de Berlim würde es also im umgangssprachlichen brasilianischen Portugie‐ sisch wahrscheinlich heißen ela me falou que vinha de Berlim. Diesen Unterschied zu deuten, kann ich nur meinem Sprachgefühl überlassen, das als Kriterium der Unter‐ scheidung auf eine größere gefühlte Distanz und somit auf ein höheres Maß an Objek‐ tivität der portugiesischen Sprechweise und dem Gebrauch von dizer deutet. prometer, ordenar, felicitar, … (Castro Pinto / Vieira Lopes / Nascimento 2006, 229 sq.). Hilfreich ist in diesem Zusammenhang ein Beitrag der brasilianischen Lin‐ guistin J. M. de Ataíde auf SCRIBD 10 . In ihm stellt die Autorin eine umfangreiche Liste von „verbos declarando ou dicendi“ und „verbos sentiendi ou de sentir“ vor, die sich ihrer Meinung nach zu einer Kategorie zusammenfassen ließen: „Esses verbos s-o vicários ou variações dos verbos de elocuç-o, pois fazem as vezes destes. Ou seja: do ponto de vista lógico-sintático presumem a existência de um legítimo dicendi oculto“. Beide Gruppen, die zusammen mehr als 300 Einträge umfassen, enthalten Verben, wie dizer  11 , falar, perguntar, responder, contestar, confirmar, gritar, exprimir, concordar, exclamar, confessar, ordenar, afirmar, avisar, insistir, gritar, mandar, aconselhar, replicar, argumentar, acrescentar, resmungar, sussurrar, berrar, garantir, replicar, lamentar, aconselhar, queixar-se etc. Die wichtigste Methode zur Beeinflussung von Inhalten und illokutiven As‐ pekten der zitierten direkten und auch indirekten Rede (siehe die Ausführungen oben) steht den zitierenden Sprechern durch eine Manipulation der aus der Fi‐ gurenin die Erzählwelt überführten Elemente der ‚Prosodie‘ zur Verfügung: Sie können der Steigerung von Expressivität und Emotionalität des sprachlichen Duktus dienen, rekonstruierte Inhalte und mit ihnen die zitierten Sprecher auf- und abwerten, diskreditieren, karikieren, lächerlich machen, etc. Ein zusätzli‐ cher Weg zur Beeinflussung der Gesprächspartner steht Sprechern durch Aus‐ lassung der einleitenden Verbalausdrücke ihrer Redewiedergabe (verbi dicendi / verbi sentiendi) und Nichtanpassung von syntaktischen und deiktischen Ele‐ menten der Figurenwelt an die der Erzählwelt - im Widerspruch zu den Regeln, die von der Schriftgrammatik gefordert werden (cf. die Ausführungen oben) - zur Verfügung. In Befolgung dieser Strategie können zitierende Sprecher die Distanz zwischen Figuren- und Erzählwelt verringern und als Konsequenz das Gefühl von Nähe und Intimität gegenüber dem Erzählten und den Personen der Figurenwelt erhöhen, wobei gilt: Je mehr es dem Sprecher gelingt, die formalen Elemente wegzulassen, die zur Überführung von direkter in indirekte Rede not‐ wendig sind und ihre Verankerung in der Deixis der Erzählwelt mit sich bringen, 176 7. Beschreibung im Parameter ‚Situation‘ um so mehr vermischen sich Figuren- und Erzählwelt, und um so mehr gewinnt die wiedergegebene Rede an expressiv-emotiven Momenten. Eine strenge formale Befolgung der Regeln zur Umwandlung der direkten in die indirekte Rede - besonders hinsichtlich des Gebrauchs von Konjunktivformen der indirekten Rede - kann aber auch den gegenteiligen Effekt erzielen: Zuhö‐ rende Sprecher bauen eine innere Distanz zum Gehörten auf oder zweifeln sogar dessen Wahrheitswert an. Zusammenfassend kann man festhalten, dass jedes authentische Beispiel einer kontexteingebetteten Redewiedergabe einer gesonderten Interpretation bedarf. Für eine solche Interpretation erweist sich die Einbeziehung der oben erläu‐ ternden Faktoren als Basis entsprechender funktionaler Bestimmungen als sinn‐ voll. Als zusätzliche Hilfe für solche Interpretationen listet Günthner auf der Grundlage einer Interpretation von Beispielsätzen aus deutschen Alltagsge‐ sprächen entsprechende „Verwendungsweisen“ im Zusammenhang mit „Di‐ rekter Rede im Diskurs“ auf. (Günthner 1997, 228 sqq.) Zu diesen Verwendungs‐ weisen zählen u. a. „Zitierte Figuren sprechen ‚im Chor‘“, „Redewiedergabe zur Illustration wiederkehrender Äußerungen“, „Vage Referenzen und explizite Dis‐ tanzierungen der Sprechenden“ oder „Inszenierung fiktiver Äußerungen“ etc. Darüber hinaus folgt eine Darstellung möglicher Funktionen „Indirekte(r) Rede“ in Alltagsgesprächen (Günthner 1997, 240 sqq.). Die Übernahme von Funktionen im Zusammenhang mit unterschiedlichen Mustern der Redewiedergabe kann sich auch daraus ergeben, dass Sprecher in‐ nerhalb ein und derselben Diskurssequenz je nach zitierter Figur zwischen di‐ rekter und indirekter Redewiedergabe wechseln. Dieses Phänomen nennt Günthner „Figurenspezifischer Wechsel des Wiedergabemusters“. Ein anderes Muster, das sich für eine Interpretation anbietet, liegt vor, wenn in ein und der‐ selben Diskurssequenz dieselbe Figur einen Wechsel zwischen Direktheit und Indirektheit vornimmt. Günthner beschreibt dieses Phänomen als „Wechsel des einer Figur zugeordneten Wiedergabemusters innerhalb einer Episode“ (Günthner 1997, 246 sqq.). Mit der Einschränkung, dass die interpretierten Beispiele aus dem C- ORAL - ROM -Korpus‘ stammen und ihre Deutung folglich ohne Einbeziehung ent‐ sprechender Kennzeichnungen prosodischer Charakteristika auskommen muss, werde ich bei den folgenden Interpretationen versuchen, die Relevanz der von Günthner herausgefundenen Bestimmungen und oben erläuterten Hypothesen nachzuweisen. (1) C- ORAL - ROM ‚pnatco02.txt‘ - Religion und Persönlichkeitsentwicklung 177 7.1 Verfahren zur Markierung von Direktheit in Redewiedergabe M: ontem mesmo uma colega minha me dizia / / eu n-o sei o que é que me está a acontecer / uma / uma amiga / / n-o sei o que é que me está a acontecer / mas eu cada vez / tenho mais / medos / sinto que cada vez tenho mais medos / / eu antes n-o tinha medo de andar de avi-o / eh / ela / ela vive na Madeira e aconteceu agora … . Nach einer einleitenden Sequenz durch ‚Sprecherin M‘, deren deiktische Ele‐ mente ontem / minha / me in der Erzählwelt verankert sind, folgt eine direkte Redewiedergabe durch die Worte eu n-o sei o que é que me está a acontecer, die mittels des ‚verbum dicendi‘ dizia eingeleitet wird. Dann kommt es zur einer direkten Überleitung in die Figurenwelt, deren Protagonistin im einleitenden Teil durch uma colega minha bereits als Kollegin der Erzählerin charakterisiert wurde, nun aber zusätzlich als Freundin uma amiga gekennzeichnet wird. Die Wiederholung ihrer Worte n-o sei o que é que me está a acontecer wird in der Folge direkt in den Mund der Kollegin und Freundin gelegt und rückt damit Figuren- und Erzählwelt näher zusammen. Auch der weitere Ausdruck von empfundener Angst der Kollegin / Freundin, die dann als Furcht vor Flugreisen nach Madeira spezifiziert wird, scheint direkt aus dem Mund dieser Protago‐ nistin und somit aus der Figurenwelt zu stammen. Erst im abschließenden Teil der Sprechsequenz kommt es mittels des Ausdrucks ela vive na Madeira wieder zu einem Eintauchen in die Erzählwelt. Die Erzählerin und mit ihr die Erzählwelt rücken erneut in die Perspektive des Zuhörers, wobei diese Rückkehr durch das Personalpronomen ela sowie den temporaldeiktischen Ausdruck e aconteceu agora vollzogen wird. Hierdurch wird dem Hörer noch einmal die Referenzher‐ stellung der Elemente der zitierten Rede in Relation zum Erzählkontext ermög‐ licht. Wie gesehen, ist es auch die syntaktische Unabhängigkeit der wiedergege‐ benen Rede, die dazu beiträgt, dass die Figurenwelt näher an die Erzählwelt heranrückt. Dabei erfährt die expressiv-emotive Komponente des sprachlichen Duktus in Form von Überraschung eu n-o sei o que é que me está a acontecer und Angst mas eu cada vez / tenho mais / medos eine zusätzliche Verstärkung. Obwohl es gut vorstellbar ist, wird aus dem Transskript nicht ersichtlich, ob oder wie eine Verstärkung dieser Gefühle von Überraschung und Angst auch durch suprasegmentale Elemente der Lautgestaltung bzw. nichtverbale Anteile der Kommunikation hervorgerufen werden konnte (cf. Kapitel 4). Eine lauter werdende oder gepresste Stimme, ein durch ‚Stakkato‘ markierter Rhythmus, oder eine Überführung der Tonlage in eine höhere, könnten der zitierten Rede ein eigenes prosodisches Profil verleihen und sie vom sprachlichen Duktus der Erzählerin abgrenzen. Parallel hierzu würde sich den Gesprächspartnern in der Erzählsituation die Möglichkeit eines verstärkten Nachempfindens der Überra‐ 178 7. Beschreibung im Parameter ‚Situation‘ schung und Angst eröffnen, die die zitierte Sprecherin aus Madeira im Gespräch empfunden haben mag. (2) C- ORAL - ROM ‚pfamcv01.txt‘ - Lebensunterhaltskosten B mas / ah / a m-e depois insistiu / / duas lições / meu filho / / bem / de maneira que / aceitei / a tal liç-o / / a senhora insistiu / em que o miúdo viesse / a casa / / com certeza / por um problema / de dinheiro / / F pois / / B / vindo a casa é mais barato / / levei setenta e cinco / / F e ela / <como reagiu> ? B [<] <eh / hum> / reagiu muito bem / / F [<] <hhh> B / reagiu muito bem / / começa na segunda-feira / / entretanto / eu disse-lhe que / A <ent-o e as férias> ? B / [<] <que n-o sabia> se / eu podia na segunda-feira / por ter os conselhos / / … . Die Einleitung durch ‚Sprecherin B‘ aus der Perspektive der Erzählwelt, d. h. dem Moment der im Transskript festgehaltenen Unterhaltung mit ‚Sprecherin F‘ und ‚Sprecher A‘ über ihren Plan, einem Schüler Nachhilfestunden zu geben, wird unvermittelt durch die direkt wiedergebende Äußerung der Mutter des Nachhilfekandidaten duas lições / meu filho unterbrochen. Dabei lässt die direkte Anrede meu filho vermuten, dass ihr Sohn, der unterrichtet werden soll, bei dem rekonstruierten Gespräch anwesend war. Die ‚Rückkehr‘ zur Erzählwelt wird für alle am Gespräch Beteiligten durch den Diskursmarker bem (Rederechts‐ mittel) eingeleitet und deutlich markiert. Der bestimmende ‚Ton der Aufforde‐ rung‘, der keinen Widerspruch zu erlauben scheint, wird durch die Semantik der einleitenden Verbalform insistiu, die Direktheit der Redewiedergabe, zu‐ sammen mit der elliptischen Formulierung der Aufforderung duas lições sowie dem abschließenden Ausdruck meu filho, der die natürliche Autorität der ‚Mutter-Sohn-Beziehung‘ unterstreicht, noch verstärkt. Man darf vermuten, dass die zitierte Rede wortwörtlich so nicht stattgefunden hat, sondern dass es sich um eine zusätzliche ‚Inszenierung‘ dieser Äußerung durch die erzählende ‚Sprecherin B‘ handelt. Die von der Mutter benutzte Ausdrucksweise erlangt somit den prototypischen Charakter von vielen ähnlichen Situationen, die eine ähnliche autoritätsbestimmte Relation zwischen den Gesprächspartnern auf‐ weisen. Günthner würde eine solche Nutzung der Redewiedergabe als „Rede‐ wiedergabe zur Illustration wiederkehrender Äußerungen“ interpretieren (Günthner 1997, 230). Als direkt konstruierte Redewiedergabe einer Äußerung der Mutter inter‐ pretiere ich auch die Sequenz / reagiu muito bem / / começa na segunda-feira / / . 179 7.1 Verfahren zur Markierung von Direktheit in Redewiedergabe 12 Anstelle des se eu podia (pretérito imperfeito do indicativo) könnte auch die (eigentlich) korrekte Form se eu poderia (condicional) treten, die allerdings nach und nach und immer häufiger durch den pretérito imperfeito do indicativo - ganz im Sinne der hier vertretenden Vorstellung einer ‚Norm‘ - ersetzt wird: „No dia a dia, muitas destas formas reduzem-se a um conhecimento passivo, efetuando o falante, sobretudo na oralidade, uma simplificaç-o dos tempos verbais, observável, nomeadamente, na substituiç-o do condi‐ cional presente (falaria) pelo pretérito imperfeito do indicativo (falava) …“ (Montenegro 2015, 51). Wie bereits im ersten Fall einer direkten Redewiedergabe belässt ‚Sprecherin B‘ auch hier die rekonstruierte Rede der Mutter ganz ohne einleitenden Ausdruck und schließt sie mittels des Ausdrucks entretanto ab, der die Rückkehr zu Er‐ zählwelt einleitet. Es ist aber vermutlich so, dass ‚Sprecherin B‘ es prosodischen Elementen überlässt - laute, burschikose, schnörkellose Sprechweise - die Worte der Mutter começa na segunda-feira aus der Figurenwelt von dem Sprach‐ gebrauch abzugrenzen, der im unmittelbaren Kontext der Erzählwelt zuzu‐ rechnen ist. Eine andere Interpretation bietet sich für die zweite am Schluss dieser Ge‐ sprächssequenz vorkommende Form einer indirekten Redewiedergabe an. Dem einleitenden Ausdruck eu disse-lhe folgt eine indirekte Redewiedergabe in Form eines durch die Konjunktion que eingeleiteten Nebensatzes, wobei Tempus und Modus des konjugierten Verbes dieser indirekt wiedergegebenen Rede den in der Grammatik für einen solchen Fall vorgesehenen Regeln folgen: Aus dem presente des discurso direto wird im discurso indireto ein pretérito imperfeito der konjugierten Verbalformen sabia und podia  12 . Außerdem bleibt die 1. Person Singular unverändert, weil es sich sowohl in der Erzählals auch in der Figu‐ renwelt um die gleiche Sprecherin handelt. Allein die objektive Referenzzuordnung des Temporaladverbial segunda-feira zu einem konkreten Datum ist vor dem Hintergrund der hier zitierten Kontexte, in denen er gebraucht wird, nicht möglich. Sie ergibt sich weder aus der direkten Wiedergabe começa na segunda-feira der Figurenwelt noch aus der zweiten Er‐ wähnung se / eu podia na segunda-feira, bei der dieser deiktische Ausdruck ebenfalls dem Kontext des rekonstruierten Gesprächs zugeordnet ist. Der Reiz des Zusammenspiels beider Formen der Redewiedergabe in diesem Gesprächsausschnitt ergibt sich daraus, dass die referierende Sprecherin durch die Zuordnung von direkter Redewiedergabe (Mutter) und indirekter Redewie‐ dergabe (sie selber als Sprecherin in Erzähl- und Figurenwelt) erreicht, dass beide Personen in einem gewissen Kontrast zueinander geraten. Der resolut und autoritär auftretenden Mutter steht die sprachlich korrekt und differenziert agierende ‚Ich-Sprecherin‘ gegenüber. Die Ausschöpfung der Möglichkeiten, den Wiedergabemodus zur Übernahme kommunikativ-pragmatischer Funkti‐ 180 7. Beschreibung im Parameter ‚Situation‘ 13 Entsprechend des im Beschreibungsparameter ‚Zeit‘ wirksamen universalen Diskurs‐ verfahrens ‚Online-Reparaturen‘ (cf. auch das Schema des Modells in ‚Kapitel 4‘). onen zu nutzen, erfolgt im oben angegebenen Gespräch in Form des von Günthner beschriebenen „figurenspezifischen Wechsels des Wiedergabe‐ muster(s)“ (1997, 246). (3) C- ORAL - ROM ‚pfammn16.txt‘ - Einführung des Euros A: / e eu por exemplo / eu disse / que ele a partir de dia um de dezembro / pode ir a / ao banco / fazer um levantamento de um kit / de duzentos e cinquenta euros / em notas e moedas / / para funcionar como fundo de maneio / da sua actividade / / N: pois / / A: / ele diz / que ia / levantar o dinheiro lá para / lá para janeiro / / e eu disse / / se o senhor se estivesse um ano / um mês / à espera / de fazer o levantamento desse kit / que ia / que / para além de estar a perder / tempo / ah / estar a perder tempo / por uma quest-o do dinheiro / In einem Gespräch, in dem ‚Sprecher A‘ einen Schuster nach der Einführung des Euros über die Begleiterscheinungen dieses Wechsel aufzuklären versucht, lässt das redeeinleitende, sinnneutrale ‚verbum dicendi‘ disse gefolgt von der Kon‐ junktion que erwarten, dass indirekte Rede in Form eines Nebensatzes folgt, in dem das finite Verb die regelgerechte Form podia aufweist: que ele a partir de dia um de dezembro / podia ir a / ao banco. Dass ‚Sprecher A‘ stattdessen die Form pode gebraucht, könnte man einfach als grammatischen Fehler werten, den ‚Sprecher A‘ begeht. Es könnte sich aber auch um einen Wechsel in der Rede‐ strategie des Sprechers handeln, der von einem auf den anderen Moment - wie es gängigen Verfahren einer „On line-Syntax“ (Auer 2000) entspricht - eine Pla‐ nungsänderung beschließt 13 . Der Sprecher schaltet vom Modus eines discurso indireto in den eines discurso direto um und setzt entsprechend statt der Form podia des pretérito imperfeito do indicativo einer indirekten Redewiedergabe die einfache Präsensform einer direkten Redewiedergabe pode des presente do indi‐ cativo ein. Durch diese Direktheit verleiht ‚Sprecher A‘ seiner Äußerungsse‐ quenz ein zusätzliches Maß an Emphase und Eindringlichkeit. Verstärkt wird diese Wirkung noch dadurch, dass er seine Redesequenz durch die relativ um‐ fangreiche in Fragmente unterteilte Sprechsequenz ir a / ao banco / fazer um levantamento de um kit / de duzentos e cinquenta euros / em notas e moedas / / para funcionar como fundo de maneio / da sua actividade fortsetzt, ohne sie entsprech‐ enden Regeln der Syntax folgend regelgerecht zu strukturieren. Für eine solche Interpretation, der zufolge der Erzähler (Sprecher A) es vorzieht, seine Worte, die er damals an seinen Gesprächspartner, den Schneider, richtete, direkt wie‐ 181 7.1 Verfahren zur Markierung von Direktheit in Redewiedergabe derzugeben, spricht auch, dass ‚Sprecher A‘ im folgenden ‚Turn‘ bei der Rekon‐ struktion einer weiteren Äußerung aus der Figurenwelt erneut auf eine Form der direkten Redekonstruktion zurückgreift se o senhor se estivesse um ano … . Und wiederum leitet er seine Redewiedergabe durch den neutralen Ausdruck e eu disse ein und verleiht seinen Worten durch das ‚Sich-selbst-Zitieren‘ zusätz‐ liche Eindringlichkeit und Überzeugungskraft. In Abgrenzung hiervon benutzt er zur Rekonstruktion der Rede seines da‐ maligen Gesprächspartners den Modus einer indirekten Wiedergabe ele diz / que ia / levantar o dinheiro lá para / lá para janeiro in regelangepasster Form. Formal wird dieser Umstand dadurch deutlich, dass ‚Sprecher A‘ das vou der direkten Rede in die von der Umformungsregel verlangte Verbalform ‚ia‘ des pretérito imperfeito indicativo umändert. Wie bereits in ‚Beispiel 2‘ erfolgt die Rekon‐ struierung der Redebeiträge des zitierten Gesprächsteilnehmers in indirekter Form, während er seine eigenen Äußerungen direkt wiedergibt. Für die zuhör‐ enden Gesprächspartner ergibt sich somit der Eindruck von Direktheit, Ent‐ schlossenheit und Wissen. Diese Eigenschaften assoziieren sie auf konnotativer Bedeutungsebene mit den Redebeiträgen des Erzählers (Sprecher A), während sich bei ihnen im Zusammenhang mit den indirekt wiedergegebenen Äuße‐ rungen des Schneiders tendenziell der Eindruck von Zögern und Unwissen ein‐ stellt. (4) C- ORAL - ROM ‚pfammn22.txt‘ - Erziehung J: e depois para consolidar aquilo tudo / eu n-o podia dar aulas / mas tinha que vir para aqui / / porque eu disse / mas ent-o o que é que vou fazer eu? disse-lhes eu a eles na / na junta médica / / ent-o eu estou / estou uma mulher nova / / tinha quar‐ enta e poucos anos / na altura / / quarenta e quatro quando me aconteceu aquilo / / n-o tenho filhos / / sou solteira / / vivo com a minha m-e / / depois entre‐ tanto / m / a minha m-e morreu / / fiquei com uma criada antiga lá do Alentejo / / que ficou comigo vários anos / / até que depois foi para casa das filhas para … vora / / e / e eu disse / eu tenho que me ocupar / / n-o é só a quest-o do dinheiro / / primeiro / para já / tinha um / desconto e muito grande naqueles três anos / dois anos e meio / tive / só recebi um sexto do vencimento / e depois / quando me dis‐ seram / quando me contaram o tempo de serviço / que houve uma lei / que / que disse <que contavam> / o tempo de serviço / que houve uma lei / que / que disse <que contavam> / ‚Sprecherin J‘ berichtet von der schwierigen Situation, als sie nach einem Unfall ihren Beruf als Lehrerin im Alentejo zeitweise aufgeben musste und durch den folgenden Verdienstausfall in eine Notsituation geriet. Schließlich wird sie nach Lissabon zu einer Untersuchung und Bewertung ihres Falls durch eine Gruppe 182 7. Beschreibung im Parameter ‚Situation‘ 14 Bei dem Ausschnitt dieser Diskurssequenz in seiner Gesamtheit eu disse / mas ent-o o que é que vou fazer eu? disse-lhes handelt es sich um die für Nähesprechen charakteris‐ tische Figur eines ‚Apokoinu‘, die dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Teil der Sprech‐ sequenz durch Verbformen ‚eingerahmt‘ werden, die sich sozusagen in doppelter Weise auf die gerahmte Sequenz beziehen. Im System des Nähe- und Distanzsprechens ma‐ nifestiert sich im Gebrauch dieser Stilfigur das universale Diskursverfahren einer ‚aggregativen Strukturierung des Informationsflusses‘ (cf. Kapitel 6.1). 15 Entsprechend stellt Günthner einige Formen und Funktion „inszenierter Äußerungen“ vor (Günthner 1997, 234 sqq.). von Ärzten eingeladen. Davon berichtet sie im obigen Textausschnitt. Das Lo‐ kaladverb para aqui deutet auf den Umstand, dass sie sich im Moment der Un‐ terhaltung in Lissabon (Erzählwelt) befindet. In der zweiten Zeile ihrer mono‐ logisch angelegten Erzählpassage beginnt sie mit der Rekonstruktion einer ihrer Äußerungen, die auf die Zeit ihres Auftretens vor dem Ärztegremium - also auf die Figurenwelt - datiert. Diese hatte sie durch den Ausdruck eu disse eingeleitet, um sie aber dann in der Form ‚direkter Redewiedergabe‘ weiterzuführen mas ent-o o que é que vou fazer eu? Nach einer Wiederholung der Einleitungsformel disse-lhes eu a eles  14 taucht die Sprecherin in der Folge sofort wieder in die Fi‐ gurenwelt. Dieser ‚Sprung‘ in die Direktheit der Redewiedergabe wird durch den Ausdruck ent-o markiert und durch die Folgesequenz der Äußerung ent-o eu estou / estou uma mulher nova / / durch die Präsensformen estou, weitergeführt. Gleich darauf wird diese ‚Stimme aus der Vergangenheit‘ allerdings ohne ex‐ plizite Markierung dieses Übergangs von der Stimme der Sprecherin aus der Erzählwelt mittels des Zusatzes tinha quarenta e poucos anos / na altura / / quar‐ enta e quatro quando me aconteceu aquilo überlagert. Vieles deutet auf eine pro‐ sodische Markierung des Unterschieds dieser Perspektivenverlagerung - lau‐ tere, angehobene, rhythmisch akzentuierte Rekonstruierung der an die Ärzte gerichteten Worte gegenüber einer neutralen und emphatisch weniger aufge‐ ladenen Sprechmelodie der in der Erzählzeit angesiedelten Äußerung -, die an dieser Stelle aber leider nicht objektiv belegt werden kann. Die gefühlsmäßige Aufladung der Rekonstruktion der direkten Redewiedergabe wird m. E. in der grammatisch nicht korrekten Form eu estou uma mulher nova als Reflex des Versuchs einer Dramatisierung der vergangenen Szene und der mit ihr verbun‐ denen inneren Aufregung sichtbar, in die sich die Sprecherin bei diesem Versuch selbst versetzt, und die sie wahrscheinlich auch zu einem solch eklatanten Fehler verleitet. Bei der Wiedergabe ihrer Worte, die sie damals an die Ärzte richtete, scheint es der Sprecherin weniger um eine wortgetreue Wiederholung zu gehen als vielmehr um den Versuch einer „Inszenierung“ 15 einer ‚möglichen‘ Redewie‐ dergabe. Wahrscheinlich möchte ‚Sprecherin J‘ ihren Gesprächsteilnehmern zeigen, dass sie weiß, wie sie damals gegenüber den ‚arroganten‘ Ärzten verbal 183 7.1 Verfahren zur Markierung von Direktheit in Redewiedergabe hätte auftreten müssen. Die Bestimmtheit und Resolutheit ihrer wiedergege‐ benen Rede scheint mir mehr dem Wunsch nach nachträglicher Korrektur zu entsprechen als den Gesprächsverlauf wiederzugeben, wie er damals wirklich stattgefunden hat. Die für das vorliegende Textexemplar typische Mischung aus direkter und indirekter Rede und die übergangslose Überlagerung der Stimme der Erzählerin aus der Erzähl- und Figurenwelt setzt sich auch in der weiteren Sprechsequenz fort. Dabei gibt es Stellen, an denen die Überschneidung dessen, was die Spre‐ cherin gegenüber den Ärzten geäußert haben will und dem, was sie aus der Sicht der Erzählwelt den Zuhörerinnen als Informationen mitteilt, fast übergangslos erfolgt. Damit löst sich für die Leser dieses Textes, die nicht über die zusätzlichen prosodischen Momente für eine solche Differenzierung verfügen, der Unter‐ schied zwischen Direktheit und Indirektheit fast bis zur Unkenntlichkeit auf, wie es in der folgenden Sequenz geschieht: / e eu disse / eu tenho que me ocupar / / n-o é só a quest-o do dinheiro / / primeiro / para já / tinha um / desconto e muito grande naqueles três anos / … . Der Übergang zwischen Indirektheit und Direktheit der Redewiedergabe erfolgt hier m. E. nach den Ausdrücken primeiro und para já, obwohl die Folgeäußerung tinha um / desconto e muito grande na‐ queles três anos / sowohl aus der Perspektive der Figurenals auch der Erzählwelt möglich wäre. Für den Bereich der ‚keyboard-to-screen communication‘ und somit den peri‐ pheren kommunikativen Praktiken des Nähesprechens möchte ich auf der Grundlage der folgenden zwei Beispielen eine Analogie zur Redewiedergabe in diesem Bereich vorstellen: (5) Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch Na bela voz de Ana Moura esta letra soberba! Ana Moura/ **Até ao fim do Fim**/ http: / / youtu.be/ EFxzFLO2OtY Bei dieser Kurzbotschaft des ‚Beispiels 5‘ handelt es sich um einen Tweet, der außerhalb einer Kette von bereits kommunizierten Inhalten, geposteten ‚Ret‐ weets‘ und zitierten Kurzbotschaften steht. Quantitativ befinden sich diese aus‐ lösenden Tweets in der Minderzahl. Sie dienen als Auslöser neuer Informati‐ onsketten oder, um es bildlich auszudrücken, bilden die ersten Maschen eines Netzes für die folgende Verbreitung weiterer Informationen auf dieser Kom‐ munikationsplattform. Inhaltlich handelt es sich in diesem Fall um das ‚Lob‘ auf ein Lied der portugiesischen Fado-Sängerin Ana Moura, zu dem die ‚Follower‘ der Twitterin durch Anklicken des am Ende stehenden Links gelangen. Die deiktische Verortung der rekonstruierten Aussage gelingt den Followern über die dem Tweet angefügte Information há cerca de 6 horas. 184 7. Beschreibung im Parameter ‚Situation‘ (6) Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch Chavez tiene que cuidar su imagen! ! ! Ridiculo aquele "diz q é um fato treino" c as cores da Venezuela! ! ! LOOOOL Auch in diesem Beispiel handelt es sich um einen auslösenden Tweet und um den selten vorkommenden Fall einer im konventionellen Sinn ‚direkt wieder‐ gegebenen Rede‘ „diz q é um fato treino“. Der Kategorisierung Günthners fol‐ gend, die sich allerdings auf konventionelle Alltagsgespräche bezieht, liegt eine „Redewiedergabe aus zweiter Hand“ vor. Durch sie rekonstruieren „Er‐ zähler / innen auch Dialoge, an denen sie gar nicht beteiligt waren, sondern le‐ diglich vom Hörensagen kennen“ (Günthner 1997, 233). Im Falle dieses virtu‐ ellen Dialogs innerhalb der Kommunikationsstruktur der Internetplattform Twitter müsste man diese Definition neu vornehmen und von der ‚Rekonstruk‐ tion einer Nachricht‘ sprechen. Von dieser erfährt die Twitterin mittels einer anderen Quelle im Netz, oder was noch wahrscheinlicher ist, durch den Tweet einer ihrer Follower auf der ‚Timeline‘ ihres Twitter-Accounts. Dabei handelt es sich um eine spezifische Form einer direkten Redewieder‐ gabe. Der Ausdruck aquele “diz q(ue) é um fato (de) traino“, der in einer für die Sprache der elektronischen Medien typisch abgekürzten Form gepostet wird, wird von der substantivierten Form aquele diz des ‚verbum dicendi‘ dizer ein‐ geleitet und würde im Deutschen wahrscheinlich mit Dieses Gerede vom Trai‐ ningsanzug … übersetzt werden. Ein weiteres Indiz dafür, diesen Ausdruck als analoge Form für direkte Redewiedergabe, wie sie im Bereich virtueller Kom‐ munikation vorkommt, zu interpretieren, stellen die Anführungszeichen dar, zwischen die die Twitterin den zitierten Begriff setzt. (7) Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch Conheço algumas pessoas q devem estar mto doentes! “@itwitting: Exame ao hálito pode detectar tipos de cancro http: / / www.ionline.pt/ / c73530“ (8) Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch Nem penses! ! ! : D “@Lmalopes: Olha o que encontrei à hora de almoço … http: / / yfrog.com/ 6bxpzdj“ ‚Tweet 7‘ steht für die am häufigsten anzutreffende Form der Informationsver‐ breitung per Twitter: Durch die Funktionen des ‚Zitierens‘ und ‚Retweetens‘ werden bereits ins Netz gestellte Informationen im Schneeballsystem mit Hin‐ weisen und oft witzigen oder provozierenden Kommentaren versehen und sehr schnell weiterverbreitet. In ‚Beispiel 7‘ handelt es sich dabei um die wortwört‐ liche Übernahme und Verbreitung einer Überschrift Exame ao hálito pode de‐ tectar tipos de cancro aus dem Diskussionsforum des ‚Twitter-Accounts‘ 185 7.1 Verfahren zur Markierung von Direktheit in Redewiedergabe @itwittinng der portugiesischen Tageszeitung ‚Jornal-i‘, die von der Twitterin mit einem zusätzlichen witzig-provozierenden Kommentar versehen wurde. Auch im ‚Beispiel 8‘ wird der Tweet Olha o que encontrei à hora de almoço der Followerin @Lmalopes wortwörtlich weitergeleitet und mit einem kritisch-hu‐ morvollen Kommentar in einer Mischung aus sprachlichem Ausdruck und Smiley Nem penses! ! ! : D versehen. Den referierten Inhalt können ausschließlich die ‚Follower‘ verstehen, die auf den angefügten Link des Tweets klicken und mit dem Satz You never have looked better konfrontiert werden. Dieser verweist wiederum auf die bei Facebook verbreitete Möglichkeit, durch die Nutzung einer entsprechenden Webseite Fotos in optimaler Qualität in einer ‚Wolke‘ zu spei‐ chern. Bei der Kommunikation auf Twitter gehören Formen der Rekonstruktion von Äußerungen Dritter zu den zentralen Funktionsweisen dieser Kommunikati‐ onsplattform. Auf Grund der Abhängigkeit von spezifischen Kommunikations‐ mechanismen und Abläufen, wie dem Posten von Retweets oder dem Zitieren von Tweets, lassen sich Redewiedergaben des Twitterns mit denen realer All‐ tagsgespräche allerdings nur indirekt und in Form von Analogien vergleichen. Festzuhalten bleibt aber, dass wie bei anderen sozialen Netzwerken neben der Informationsverbreitung auch die Informationsrekonstruierung zu den zent‐ ralen Funktionen dieser Kommunikationsplattform zählt und wesentlich zur ihrer Beliebtheit bei Millionen von ‚Usern‘ auf der ganzen Welt beiträgt. 7.1.2 Zusammenfassung Aus der Möglichkeit einer Bezugnahme auf einen gemeinsamen Zeit- und Raumkontext, die ein Postulat für Nähesprechen im Rahmen des Nähe- und Distanzmodells darstellt, ergibt sich folgendes: Sprecher, die außerhalb des Sprechmoments erfolgte Äußerungen direkt oder indirekt rekonstruieren, ris‐ kieren nicht, dass die an einem Gespräch beteiligten Teilnehmer ihre Orientie‐ rung und die Möglichkeit einer eindeutigen Referenzzuordnung zwischen Sprache und außersprachlicher, physischer Realität verlieren. Dies gilt für die gemeinte Zeit, den gemeinten Raum und die sich in ihm befindlichen Objekte sowie für die bei der rekonstruierten Redewiedergabe bezeichneten Personen und die von ihnen ausgeführten Handlungen. Eine einseitig formale Bestimmung der Regeln, die für die Umsetzung der direkt rekonstruierten Rede in indirekte Rede gelten, und die bis dato im Vor‐ dergrund der Betrachtungen portugiesischer Grammatiken stehen, reicht nicht aus, die Funktionen hinreichend zu beschreiben, die sich aus kommuni‐ kativ-pragmatischer Perspektive für Sprecher beim Vollzug unterschiedlicher 186 7. Beschreibung im Parameter ‚Situation‘ Formen von ‚Redewiedergabe‘ ergeben. Diese Regeln basieren oft nicht auf einer Beobachtung des realen Sprachgebrauchs, sondern sind Ergebnis einer Ideali‐ sierung, die von der Annahme eines starren Gegensatzes zwischen direkter und indirekter Redewiedergabe ausgeht. Beobachtungen am Korpus und dem tat‐ sächlichen Sprachgebrauch widerlegen diese Dichotomie zwischen ‚direkt und indirekt‘ und führen dazu, sie durch die Annahme eines Kontinuums zwischen beiden Polen zu ersetzen. Dabei nutzen Sprecher direkte und indirekte Rede‐ wiedergabe bzw. hybride Formen ihrer Vermischung und Überlappung zur Re‐ alisierung ihrer kommunikativ-pragmatischen Ziele. Zu diesen gehören: (a) Die Wahl von Direktheit statt Indirektheit der Rede‐ wiedergabe sowie das Auslassen von Regeln zur Umformung von direkter in indirekte Rede erhöhen den expressiv-emotiven Anteil von Äußerungen und verringern entsprechend die Distanz zwischen ‚Erzähl- und Figurenwelt‘, die Gesprächsteilnehmer, die an der Erzählsituation beteiligt sind, empfinden. (b) Durch die Zuordnung von Direktheit bzw. Indirektheit zu Äußerungen und Sprechern der ‚Figurenwelt‘ werden bei den Teilnehmern der ‚Erzählwelt‘ As‐ soziationen geweckt, die diese Äußerungen bzw. ihre Protagonisten in ein be‐ stimmtes Licht rücken, das den Intentionen der Rede wiedergebenden Sprecher entspricht und die Gefühle der Gesprächsteilnehmer entsprechend beeinflussen kann. (c) Der Gebrauch von prosodischen Mittel und nonverbalen Zeichen (Gestik, Mimik, Proxemik, sprachbegleitendes Handeln) bei der Rekonstruktion von Rede kann die Äußerungen der zitierten Protagonisten prototypisch-kari‐ kativ verzerren. (d) Inszenierungen von Redewiedergaben dienen nicht der ob‐ jektiven Wiedergabe des Gesagten, sondern stehen im Dienst der Interessen der die Rede wiedergebenden Sprecher. Oft wollen diese etwas, was sie selbst oder andere geäußert haben, nicht so darstellen, wie es wirklich geäußert wurde, sondern so, wie sie selber es gerne geäußert hätten, oder wie sie es gerne von den zitierten Sprechern gehört hätten. Bezüglich der „keyboard-to-screen communication“ ( Jucker / Dürscheid 2012) und speziell des Twitterns erfolgt die Wahrnehmung pragmatisch-kommuni‐ kativer Interessen der beteiligten ‚User‘ durch kurze, meist stichwortartige Kommentare und Anmerkungen, die den geposteten Retweets oder zitierten Tweets vorangestellt werden. Das Einbringen einer eigenen Perspektive durch den redewiedergebenden Twitterer wird sozusagen ‚nach außen‘ verlagert und findet syntaktisch unabhängig und zeitlich getrennt von den ‚zitierten Äuße‐ rungen‘ statt. Zu erwähnen bleibt außerdem, dass es sich bei den ‚Redewieder‐ gaben‘ in Form von geposteten Retweets, zitierten Tweets oder den indirekten Verweisen im Regelfall um die wortwörtliche Übernahme der Äußerungen Dritter handelt. Im Falle von Inhalten, zu denen man durch das Anklicken von 187 7.1 Verfahren zur Markierung von Direktheit in Redewiedergabe übernommenen Links Dritter gelangt, sollte man von Verweisen auf kontex‐ texterne Kommunikationsbeiträge sprechen, die diese ‚Mit-Twitterer‘ zusätzli‐ chen Quellen im Netz entnommen haben. Im Rahmen der Überzeugungen, an denen sich dieses Buch orientiert, handelt es sich bei den in portugiesischen Grammatiken gängigen Beschreibungen, Er‐ läuterungen und Regelinventaren zum Phänomen der Umwandlung des discurso indireto in den discurso direto um ein Musterbeispiel für eine einseitige und ver‐ kürzte Sprachbeschreibung. Diese hält starr an bereits bekannten und kanonisch abgesicherten Betrachtungsweisen fest, statt den Blick dafür zu öffnen, wie Menschen tatsächlich in ihrer Alltagskommunikation mit den verschiedenen Varianten des verbalen Codes - mit besonderer Betonung auf die bis dato ver‐ zerrt eingeschätzten Praktiken nähesprachlicher Kommunikation - umgehen und diese für ihre kommunikativen Interessen einsetzen. Eine solche Haltung, die sich an der Empirie des Sprachgebrauchs orientieren würde und der Krea‐ tivität und dem Wert des alltäglichen ‚Sprechens‘ Vertrauen entgegenbrächte, würde schnell offenlegen, dass und in welcher Form sich Sprecher das Zusam‐ menspiels zwischen direkter und indirekter Redewiedergabe für das Einbringen ihrer Perspektiven und kommunikativen Ziele zunutze machen. 188 7. Beschreibung im Parameter ‚Situation‘ 8. Beschreibung im Parameter ‚Code‘ Das folgende Zitat von Ágel / Hennig trägt dazu bei, verständlich zu machen, was die Autoren im Rahmen ihres Modells unter dem Beschreibungsparameter „Code“ verstehen (2007, 201). Mit dem Parameter des Codes soll die Tatsache erfasst werden, dass Distanzkommu‐ nikation insofern eine partielle, spezialisierte Kommunikation darstellt, als ihr nur der verbale Code zur Verfügung steht, während in Nähekommunikation der verbale Code durch Nonverbales begleitet ist: Der ganze Körper ist an der Kommunikation beteiligt. Dieser Definition des Beschreibungsparameters ‚Code‘ lässt sich das universale Diskursverfahren ‚Informationsübermittlung durch die Einbeziehung von Zei‐ chen unterschiedlicher semiotischer Beschaffenheit‘ - so meine Paraphrasie‐ rung dieses Verfahrens - zuordnen. Wer mit seinem Gesprächspartner im glei‐ chen Raum und zeitlich simultan kommuniziert, dem stehen neben den eigentlichen Mitteln der sprachlichen Vermittlung zusätzlich sein ganzer Körper und sein Verhalten zur Verfügung, um deutlich zu machen, was er von seinem Kommunikationspartner will und welche Informationen er zu übermitteln ge‐ denkt. Diesen Umstand trifft sehr anschaulich der umgangssprachliche Aus‐ druck ‚sich mit Händen und Füßen verständlich machen‘, wobei entsprechende Gesten, Gebärden usw. normalerweise parallel zum eigentlichen Sprechen ver‐ laufen und es zusätzlich unterstützen. Eine besondere Bedeutung gewinnen diese nonverbalen Mittel der Kommunikation in Situationen, in dem man sich im Ausland verständigen möchte, aber kaum ein Wort der entsprechenden Lan‐ dessprache beherrscht, und auch nicht aufs Englische oder eine andere Ver‐ mittlersprache als ‚Lingua Franca‘ zurückgreifen kann. 1 Ágel / Hennig sprechen in seinem Zusammenhang auch von „holistischer Informati‐ onsstrukturierung“ (2007, 202), wobei ich die Kennzeichnung „holistisch“ im Sinne von „ganzheitlich gebildet“ (cf. Bußmann 2002, 282) verstehe. Dabei werden zur Informati‐ onsübermittlung neben dem verbalen auch andere Codes unterschiedlich semiotischer Qualität genutzt. 2 Als Deutscher in Portugal wird man sich dieser Tatsache schnell bewusst, wenn Por‐ tugiesen z. B. beim Aufzählen mit Hilfe der Finger, nicht mit dem Daumen wie in Deutschland beginnen, sondern mit dem kleinen Finger der rechten Hand. 3 CF. Escola Virtual LGP : http: / / www.lgpescolavirtual.pt (27. 4. 2017). 4 Lehmann zählt auf seiner Internetseite „Grundbegriffe der Linguistik“ Mimik, Gestik, Proxemik und Haltung zu den Elementen nichtsprachlicher Kommunikation: http: / / www.christianlehmann.eu/ ling/ elements/ index.html? http: / / www.christianlehmann. eu/ ling/ elements/ parasprache.html (26. 4. 2017). 8.1 Informationsübermittlung durch Einbeziehung von Zeichen unterschiedlicher semiotischer Beschaffenheit Für den Bereich der prototypischen Nähekommunikation entsprechen diesem Diskursverfahren 1 neben (a) dem verbalen Code, zu dem die suprasegmentalen Möglichkeiten der Prosodie treten - d. h. Elemente der Betonung, des Rhythmus und der Intonation (cf. Kapitel 4) -, folgende nichtsprachliche Mittel der Infor‐ mationsübermittlung: (b) Mimik und Gestik, wie z. B. ‚die Stirn in Falten legen‘, ‚die Nase rümpfen‘ oder der ‚nach oben gestreckte Daumen‘ im Brasilianischen. Mimik und Gestik umfassen dabei ein Inventar von Zeichen, das in Abhängigkeit von der Kulturzugehörigkeit eines Sprechers unterschiedliche Formen an‐ nehmen kann 2 . Beim ‚Googeln‘ auf ‚google.pt‘ findet man zahlreiche Internet‐ seiten, die deutlich machen, dass sich die Beschäftigung mit der Gebärden‐ sprache (língua gestual) bei den Portugiesen in den letzten Jahren großer Beliebtheit zu erfreuen scheint. So gibt es Institutionen, die online entspre‐ chende Kurse anbieten, aber auch zahlreiche andere Darstellungen und Literatur zu diesem Thema. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang die ‚Escola Virtual LGP ‘  3 , oder das von Almeida / Sousa (Faculdade de Ciências der Universidade de Lisboa) 2012 veröffentlichte Buch „Interpretaç-o da Língua Gestual Portuguesa“, das auf mehr als 200 Seiten einen guten Überblick über diesen Bereich der Zei‐ chenübermittlung gestattet. Eine subtilerer und objektiv kaum zu fassende Form der Informationsübermittlung besteht durch die Möglichkeit einer Vermittlung von Gefühlen und Einstellungen durch bestimmte ‚Blicke‘, die man dem Ge‐ genüber zuwirft. (c) Informationen werden ebenfalls durch unterschiedliche ‚Haltungen‘ übermittelt. Durch sie vermag ein Gesprächspartner, Drohungen, Vertrautheit, Angst, Gelassenheit etc. auszudrücken. (d) Hinzu kommt die stark kulturabhängige „Proxemik“ 4 , die durch die räumliche Distanz, die man zum Gesprächspartner einnimmt, dem Gegenüber sein Denken und Fühlen verrät. 190 8. Beschreibung im Parameter ‚Code‘ 5 Cf. die Arbeiten von Sieberg (2006, 2008, 2009, 2012, 2013 b 2014) zur ‚keyboard-to-screen communication‘. Über das Internetportal ‚mediensprache.net‘ kann sich der Leser da‐ rüber hinaus schnell einen Überblick zu Forschungen über die ‚Neuen Medien‘ und der in ihnen gebrauchten Zeichen verschaffen. Auf diesem Weg gelangt er zu allgemein gültigen Informationen und Erkenntnisse, die auch für das Portugiesische von Belang sind: http: / / www.mediensprache.net/ en/ (27. 4. 2017). (d) Auch parallel zum Sprechen ausgeführtes ‚Handeln‘ ist zur Übermittlung kommunikativer Anteile einer Diskurssequenz geeignet. Ein bewusst als Pro‐ vokation geplanter Beginn mit dem Abwasch oder ein ‚Es-sich-vor-dem-Fern‐ sehen-bequem-Machen‘ können so den zeitgleich vom Partner geäußerten Wunsch um eine klärende Aussprache erschweren oder sogar bereits im Kern ersticken und bedürfen zum Ausdruck dieser Ablehnung kaum weiterer Worte. Im peripheren Bereich der ‚keyboard-to-screen communication‘, dessen Be‐ schreibung ich in diesem Buch auf die kommunikative Praktik des ‚Twitterns‘ beschränke, sind die Mittel der Informationsübertragung begrenzt. ‚User‘ können hier nicht auf die oben dargestellten ‚suprasegmentalen Merkmale der Prosodie und ‚nichtverbalen Anteile der Kommunikation‘ (cf. Kapitel 4) zurück‐ greifen, sondern müssen sich zu ihrer Kompensation oder Imitation auf andere Mittel der Informationsübermittlung verlassen 5 . Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt dabei auch der spielerische Umgang mit dem unterschiedlichen Zei‐ chenmaterial. Eine detaillierte Erläuterung der Mittel, die ‚User‘ hierfür ein‐ setzen, folgt im nächsten Unterkapitel. 8.1.1 Nonverbale Mittel und graphostilistische Zeichen zur Emotionalisierung des Diskurses Von den insgesamt 640 Tweets des ‚Hannover-Korpus‘ (Sieberg 2013 b ) habe ich stichprobenartig 32 Tweets für eine Analyse ausgewählt, die das beim Twittern portugiesischer ‚User‘ benutzte Zeicheninventar zur Informationsübermittlung repräsentieren. Durch diese Beschränkung wird allerdings nicht nur annähernd ein vollständiges oder repräsentatives Inventar der auf Twitter zu findenden Smileys, Emojis, Emoticons, Akronyme, Lautzeichen etc. erstellt. Eine solch er‐ schöpfende Analyse stellt aber auch nicht das Ziel dieses Kapitels dar, weil sie viel zu viel Zeit beansprucht und Raum im Buch eingenommen hätte. Gemessen am Untersuchungsziel dieses Buches wäre sie auch nicht sinnvoll gewesen. Die an dieser Stelle zu Gruppen zusammengefassten Zeichentypen gestatten jedoch einen Einblick in die grundsätzlichen Möglichkeiten der Informationsübermitt‐ lung per Twitter. Insbesondere zeigt sich die Tendenz, beim Twittern die Infor‐ mationsübermittlung im Sinne des an dieser Stelle relevanten universalen Dis‐ 191 8.1 Informationsübermittlung durch Einbeziehung von Zeichen … kursverfahrens einer ‚Informationsübermittlung durch Einbeziehung von Zeichen unterschiedlicher semiotischer Beschaffenheit‘ zu gestalten. Beispiele 1 bis 7 aus dem Korpus Sieberg (2013 b ) - Microblogs global: Portugie‐ sisch (1) @ TUGA Oi azulinho para o qual eu tenho resposta a uma pergunta que me foi feita há muito! : -) (2) @ KULL oh, teve piada : ( (3) Os estalidos na boca ^^ (4) ainda n-o almocei……………. bolas, vontade de fazer o almoço = 0 (5) @Vito: e eu ainda tenho ali litro e meio no frigorífico que n-o é para desperdiçar x) (6) @Tsinha faz um bolo de esparregado o.o (7) Obrigada. Café de qualidade Beijinhos p / o Algarve : ) @Car67 Bom dia ~/ ° *é um Delta! ; )* M. E. deutet der Gebrauch von Smileys in erster Linie auf den Spieltrieb ihrer Nutzer, die mit viel Phantasie, Geschick und Spaß die graphostilistischen Mittel ihrer elektronischen Geräte - genauer genommen des ASCII -Zeichen Codes ihrer Tastaturen - dafür einsetzen, ‚Bilder‘ für die Informationsübermittlung zu kreieren. Die entstehenden visuellen Eindrücke nutzen sie zur Nachahmung und Kompensation von Aufgaben, die in medial mündlichen vermittelten Formen prototypischer Nähekommunikation Mimik und Gestik übernehmen. Die relativ einfachen und immer wieder von portugiesischen ‚Usern‘ benutzten Smileys aus den ‚Beispielen 1 bis 6‘, die auch außerhalb der Grenzen Europas bekannt sein dürften, bereiten auch nicht versierten ‚Usern‘ der ‚keyboard-to-screen com‐ munication‘ keine Verständnisprobleme. Zu dieser Gruppe gehören die Smileys, die in den Beispielen 1 und 2 ‚Lachen‘ bzw. ‚traurig sein‘ darstellen. In ‚Bei‐ spiel 3‘ lässt sich das Smiley ^^ als Ausdruck von Zufriedenheit deuten, in ‚Bei‐ spiel 4‘ das Smiley = 0 als Ausdruck des Erstaunens und in ‚Beispiel 5‘ das Zei‐ chen x) als ikonische Darstellung für ‚Freude‘. Dabei soll vermeintlich das x (geschlossener Mund) ironisch ausdrücken‚ dass man Schweigen hinsichtlich der Existenz des angesprochenen wertvollen Getränkes zu wahren gedenkt (? ). Bei solchen Interpretationen sollte man jedoch beachten, dass die jeweiligen Kontexte und unterschiedlichen Gestaltungsabsichten der ‚User‘ viel Raum für Dekodierungen lassen und manchmal durchaus mehrdeutig und ‚kryptisch‘ sein können. Im Kontext von ‚Beispiel 6‘ - der Twitterer fordert ‚Tsinha‘ auf einen 192 8. Beschreibung im Parameter ‚Code‘ 6 Im Netz finden sich zahlreiche und ständig aktualisierte Listen mit international be‐ nutzten ASCII- Zeichen wie z. B. auf der „List of Emoticons“ bei Wikipedia. Cf. https: / / en.wikipedia.org/ wiki/ List_of_emoticons (28. 4. 2017). 7 Wer hofft, mittels entsprechender portugiesischer oder deutsche Webseiten schnell eindeutige Hinweise auf eine ‚korrekte‘ Deutung von Smileys zu finden, wird in dieser Erwartung enttäuscht, weil das Angebot entsprechender Seiten viel zu unübersichtlich ist, und die Interpretationen der Smileys sich teilweise widersprechen. 8 Als eins unter vielen Beispielen die Liste der Smileys auf: https: / / www.google.pt/ search? q=uma+lista+de+smileys&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ved= 0ahUKEwivgc7e-8vTAhXH1RoKHeA6BzUQsAQIIQ&biw=1234&bih=1027 (30. 4. 2017). Spinatkuchen zu backen - ließe sich m. E. das Ikon o.o als Ausdruck für ein gewisses Befremden verstehen. Vielleicht meint der ‚User‘, dass sein Wunsch nach einem Spinatkuchen bei ‚Tsinha‘ Erstaunen (o.o als Ausdruck für zwei er‐ staunt dreinblickende Augen) auslösen könnte. Noch komplizierter und viel‐ deutig 6 wirkt auf mich, als einem unerfahrenen ‚User‘ in der Chat- und Tweet-Kommunikation, in ‚Beispiel 7‘ die Kombination der visuellen Zeichen ~/ ° *. Im Kontext von ‚Ferien in der Algarve‘ assoziiere zumindest ich mit diesem Konstrukt die Vorstellung von Meereswellen, Surfen und Sonne. Am Ende wird diesem Werbe-Tweet (Reklame für die Kaffeemarke ‚Delta‘) ein Küsschen * als Abschiedsgruß hinzugefügt 7 . Eine Recherche im Netz wird die Leser mit einer schier unglaublichen Fülle von auf ASCII -Zeichenbasis kreierten ‚visuellen Zeichen‘ konfrontieren, 8 wobei sich diese Zahl täglich zu erhöhen scheint. Auf entsprechenden Websites wird darüber hinaus unterstellt, dass es einen Zusammenhang zwischen sozialem Netzwerk und den dort gebrauchten Smileys gibt. Entsprechend gebrauchen z. B. ‚User‘ von ‚Facebook‘ andere Smileys als die von ‚WhatsApp‘ oder ‚Twitter‘. Sollte sich diese Behauptung als richtig erweisen und einer entsprechenden Überprüfung standhalten, gäbe es neben der Kulturabhängigkeit dieser Zeichen eine weitere Barriere für eine eindeutige Zuordnung von Zeichen und Bedeu‐ tung. Eine andere, wahrscheinlich zumindest teilweise zutreffende Interpreta‐ tion geht davon, dass die Nutzer dieses Zeicheninventars eine solche Eindeu‐ tigkeit gar nicht anstreben, sondern dass für sie der besondere Reiz des Gebrauchs dieser Zeichen gerade in ihrer latenten Mehrdeutigkeit und ihrem ‚rätselhaften‘ Charakter besteht. Anders sieht es bei einer neuen Generation ikonischen Darstellungen aus, die ‚User‘ in den letzten Jahren auf ihren elektronischen Geräten - neben Compu‐ tern sind es besonders Smartphones und Pads - für ihre Chatkommunikation auf Kommunikationsplattformen wie ‚WhatsApp‘, ‚iMessage‘, ‚Messenger‘ etc. nutzen. Dabei handelt es sich um Hunderte von komplex gestalteten ‚Emojis‘. 193 8.1 Informationsübermittlung durch Einbeziehung von Zeichen … 9 Scott F. Fahlman, der ‚Erfinder‘ (? ) der ursprünglichen Smileys, die Nutzer auf der Basis der ASCII-Zeichen ihren Computertastaturen noch selber per Hand erschaffen mussten - man spricht auch bei besonders einfallsreichen Konstruktionen von ‚ASCII-Art‘ -, zeigt sich von den neuen ‚Emojis‘ nicht begeistert. Entsprechend äußert er sich in einem ins Portugiesische übersetzten Interview „Acho que s-o feios e que n-o s-o muito criativos. Simplesmente n-o gosto muito deles“. Cf. http: / / observador.pt/ 2015/ 09/ 19/ scott-f-fahlman-o-homem-que-inventou-o-smiley-diz-que-os-emojis-saoum-bocado-feios/ (28. 4. 2017). 10 Cf. http: / / www.chip.de/ news/ 69-Neue-Emojis-Langerwartete-neue-Smileys-kommen_ 111342083.html (28. 4. 2017). Im Unterschied zu den älteren Smileys bauen die ‚User‘ diese Zeichenkom‐ plexe - die sich zum Teil auch bewegen und wie Figuren aus Zeichentrickfilmen kurze Handlungssequenzen ausführen können - nicht mehr selber mittels der Tastaturen ihrer ‚keyboards‘ zusammen, sondern laden sie als vorgefertigte Zeichengengebilde aus dem Netz herunter 9 . Anders als die Smileys der älteren Generation, die in ihren komplexen Ausführungen oft kryptischen und mehr‐ deutigen Charakter aufweisen, und zu ihrer Entschlüsselung erfahrene Nutzer oder viel Phantasie voraussetzen, werden die ‚präfabrizierten‘ Emojis der neuen Genration zumindest von Teilhabern der Kulturkreise, in deren Bereich sie ge‐ schaffen werden, auf Anhieb erkannt. Natürlich macht sich in diesem, wie auch in den meisten Bereichen der ‚Neuen Medien‘, Profitstreben bemerkbar. So können viele Emojis der neuen Generationen inzwischen nur gegen Bezahlung heruntergeladen werden. Dazu meint die kommerzielle Webseite ‚Chip‘ 10 : Tagtäglich verwenden wir Emojis. Mit Ihnen können wir uns nahezu wortlos ver‐ ständigen, egal ob wir Emotionen zeigen oder unser Handeln zum Ausdruck bringen wollen. Zudem können wir mit Lebensmitteln, Tieren und sämtlichen Gegenständen unsere Worte unterstreichen und verbildlichen. Doch trotz der großen Bandbreite an unterschiedlichsten Symbolen, die bereits existieren, fehlen nach wie vor einige Bild‐ chen, die das Repertoire vervollständigen würden. Deshalb kommen immer wieder neue Symbole zur Liste hinzu. ‚Beispiele 8 bis 11‘ aus dem Korpus Sieberg (2013 b ) - Microblogs global: Portu‐ giesisch (8) bem, vou ao site do e4 ver a nova geraç-o do skins *medo* (9) QUANDO É QUE VAI TER SHOW DO BRANDON FLOWERS EM BARCE‐ LONA ? ? ? ? *olhos brilhando* 194 8. Beschreibung im Parameter ‚Code‘ 11 Auf „mediensprache.net“ findet man zahlreiche Artikel und Hinweise zum Thema: https: / / www.mediensprache.net/ de/ websprache/ chat/ inflektive/ index.aspx (2. 5. 2017). 12 Zur Herkunft und den Ausdrucksformen der Inflektive siehe Sievers Beitrag „Inflektive und Inflektivkonstruktionen“: https: / / www.mediensprache.net/ de/ websprache/ chat/ inflektive/ index.aspx (30. 4. 2017). (10) Gosto! =D RT @ IV 5: @tiagos: olá dentinhos mai lindos do universo! ! *coff coff* (11) trânsito cortado no IP 4 junto a Amarante por causa do incêndio.. Grrrrrrrrrrrrr Die ‚Beispiele 8 bis 11‘ verdeutlichen eine andere Gruppe von Zeichen, deren (ungefähre) Entsprechungen in der deutschen „netspeak“ (Crystal 2004 und 2006) unter dem Begriff „Inflektive“ (Teuber 1998, und Schlobinski 2001) 11 be‐ kannt geworden sind. In Erfüllung ähnlicher Funktionen aber in formal unter‐ schiedlichen Ausprägungen findet sich dieser Zeichentyp auch im Portugiesi‐ schen und wird in dieser Sprache von ‚Usern‘ der ‚keyboard-to-screen communication‘ und speziell auch von Twitterern genutzt. In Anlehnung an die funktionale Ähnlichkeit, bei gleichzeitiger Abgrenzung von der formalen Definition, die Siever 12 auf ‚mediensprache.net‘ vornimmt, definiere ich an dieser Stelle die portugiesischen Äquivalente der Inflektive als metasprachliche Situationsbeschreibungen, für den ich den Begriff „Situations‐ marker“ einführe: Bei ihnen handelt es sich um charakteristische Phänomene der ‚Online-Kommunikation‘, die aus einzelnen zwischen *Asterisken* ste‐ henden Wörtern oder Wortgruppen ohne syntaktische Anbindung an die Rest‐ äußerung des ‚Users‘ bestehen, ihren Ursprung in der Comicsprache haben, und parallel zur verbalen Kommunikation ablaufende Handlungen bzw. die Kom‐ munikationssituation charakterisierende Zustände beschreiben. Wie auch im Deutschen dienen ‚Situationsmarker‘ in der portugiesischen Com‐ puter und Internet basierten Kommunikation als Kompensation oder Imitation nicht verbaler Anteile der Informationsübermittlung. Im Unterschied zu Smi‐ leys, die Mimik und Gestik nachahmen, verweisen ‚Situationsmarker‘ auf Hand‐ lungen, Geschehnisse und Zustände, die den Vorstellungen der ‚Twitterer‘ ent‐ sprechend parallel zur verbalen Interaktion ablaufen (Handlungen) bzw. die Situationen beschreiben (Geschehnisse und Zustände), in die verbale Aktionen eingebettet sind. Handlungen, die sich im Bereich realer, nähesprachlicher Kom‐ munikation bei physischer Kopräsenz der Gesprächspartner parallel zur ver‐ balen Kommunikation abspielen können - man umarmt sich, sieht sich freund‐ lich an, wendet sich ab, kommt angelaufen oder winkt zum Abschied etc. -, 195 8.1 Informationsübermittlung durch Einbeziehung von Zeichen … 13 Piripaque: Ein umgangssprachlicher portugiesischer Ausdruck für einen plötzlichen Anfall von Schwäche oder unbekannter Krankheit. werden in diesem Bereich des virtuellen Nähesprechens durch ‚Situations‐ marker‘ ausgedrückt. In ‚Beispiel 8‘ verleiht der Sprecher seiner Angst - ob es sich wirklich um Angst oder um Ironie handelt, wird aus dem isolierten Tweet nicht erkennbar - vor Skinheads Ausdruck, während er auf einer Webseite namens ‚e4‘ mit Ab‐ bildern und Informationen zu dieser neuen Generation von Skins surft. Die glänzenden Augen *olhos brilhando* von ‚Beispiel 9‘ verweisen auf die Vor‐ freude des Sprechers auf den Konzertbesuch der Band ‚Brandon Flowers‘. Bei dem *coff coff* (Hundebellen) des ‚Beispiels 10‘ und der Iteration Grrrrrrrrrrrrr (Hundeknurren in diesem Fall ohne die zusätzliche Kennzeichnung durch As‐ terisken) in ‚Beispiel 11‘ handelt es sich um ‚Situationsmarker‘ in Form von Lautmalereien, die der Comicsprache entlehnt sind. Zwar beziehen sich ‚Situa‐ tionsmarker‘ in vielen Fällen nicht auf menschliches, sondern auf tierisches Verhalten, zu dem ‚User‘ mittels dieser Zeichen assoziative Bezüge herstellen, trotzdem lassen sie sich als sinnbildliche Ausdrücke für die Stimmungslagen deuten, in denen sich die Sprecher parallel zu ihren verbalen Äußerungen be‐ finden. ‚Beispiele 12 bis 16‘ aus dem Korpus Sieberg (2013 b ) - Microblogs global: Por‐ tugiesisch (12) @ WHITING beijoooooooooooooooooooooooooooo (13) @tiagos Aiiii homem q até se me dava um piripáque  13 se me mandasses um grito com o meu nome TIAGOOOOOOOOOOOOOOOO (14) @Anjos ÓÓ óóóhhh… Artuuuuuuuuur tás bom pá? mas tu ainda acreditas nesses gajos? ! (15) @ MRP N-o consegui responder o bom dia, mas vai aqui um boa tarde tooooodo carinhoso : -) (16) @tiagos: achei demasiado ENORME : D In diesen Beispielen dient das graphostilistische Mittel der ‚Iteration‘, das be‐ deutet die Wiederholung von Buchstaben oder anderen Zeichen der Informati‐ onsvermittlung. Bei genauerer Hinsicht erfolgt in diesen Fällen die Kompensa‐ tion eines Ausdrucksmittels der Prosodie. Sprecher, die beim realen Sprechen durch ‚lauteres Sprechen‘ dem Gesprächspartner deutlich machen, dass sie er‐ regt sind, weil sie sich besonders über etwas freuen bzw. ärgern, oder einen 196 8. Beschreibung im Parameter ‚Code‘ 14 ‚ena pá‘ drückt in diesem Kontext Freude und Bewunderung aus. Informationsanteil aus ihrer Äußerung als besonders wichtig hervorheben möchten, erreichen beim Twittern eine Übermittlung dieser Stimmungen durch eine aufeinander folgende Reihung eines Buchstabens, einer Buchstabense‐ quenz oder eins anderen Zeichens der Tastatur ihres elektronischen Endgerätes. Dieser Effekt wird noch zusätzlich verstärkt, wenn wie in den ‚Beispielen 13, 14 und 16‘ Großbuchstaben aneinandergereiht werden: Die Heftigkeit des Kusses in ‚Beispiel 12‘ (man kann sich fast das Geräusch eines entsprechend lauten Kusses vorstellen), der laute und anhaltende Ruf des Namens Tiago in ‚Bei‐ spiel 13‘ oder Artur in ‚Beispiel 14‘, das Maß der Zärtlichkeit, mit dem Gewährs‐ person MRP ihren zu sich eingeladenen Gast zu verwöhnen beabsichtigt in ‚Beispiel 15‘ oder in ‚Beispiel 16‘ die enorme Größe des Gegenstandes, über den man sich online unterhält. Auch farbliche Hervorhebungen - in der Mehrzahl der Fälle durch rote Farbe -, die in den obigen Beispielen allerdings nicht vor‐ kommen, dienen insbesondere beim Chatten demselben Zweck einer Hervor‐ hebung und Kompensation des prosodischen Merkmals ‚Lautsprechen‘. ‚Beispiele 17 bis 28‘ aus dem Korpus Sieberg (2013 b ) - Microblogs global: Por‐ tugiesisch (17) @Costa eu no relax? ? ? opa os vizinhos acordaram-me com big chinfrim, já consegui fazer o registo no portal das escolas e pedir a … (18) @ PALHO eh pá, eu compraria o galaxy S. Mas entendo a opç-o. =) #android (19) ena  14 , "somos" o mesmo: )) RT @Jsun: @Marta E eu sou tecnico.; ) (20) Porreiro… para variar estamos a dia 2 e tenho a conta do banco cheia…. DE AR ! (21) @ PLOSINHA Ahhhhh… Gosto? aqui n-o temos! Ora bolas, bem que podia ter… vou fazer a sugest-o ao twitas… (22) @Rudolfo Fogo, aquilo era de chorar por mais… Os estalidos na boca ^^ (23) IRRA … N-o csg mm dormir! Devia ter chá p dormir melhor… (24) @tiagos Aiiii homem q até se me dava um piripáque se me mandasses um grito com o meu nome TIAGOOOOOOOOOOOOOOOO (25) @ TUGA ui, ent-o bou-me por na alheta assim a correr muito: )) (26) @ QUADO Upssss ! Bom dia Sr. Conde-Bar-o : ): ) 197 8.1 Informationsübermittlung durch Einbeziehung von Zeichen … 15 Zum Online-Wörterbuch „Priberam“: https: / / www.priberam.pt/ dlpo/ opa (2. 5. 2017). 16 Im Weblog „Divulgando Banda Desenhada“ findet man noch im Jahre 2008 unter der Überschrift ‚Língua Portuguesa em mau estado‘ einen Kommentar, der Vorurteilen, wie sie (zu) viele portugiesische Intellektuelle und Philologen gegenüber dem Brasiliani‐ schen hegen, Ausdruck verleiht und in diesem Fall sehr kleinlich eine so nebensächliche Erscheinung wie die Ersetzung des traditionellen kontinentalportugiesischen eh pá durch die brasilianische Schreibweise epá kritisiert: „O que n-o posso concordar […], é que se usem - na banda desenhada ou no cartune - expressões de variante portuguesa do Brasil quando haja expressões ou formas ortográficas correspondentes no português do Portugal“. Etwas später heißt es auf derselben Seite und im gleichen Kontext: „Mais uma vez esclareço que apenas corrijo os erros ou meras incorrecções (como é o caso presente) com repetiç-o sistemática, que se percebe estarem a espalhar-se, tipo vírus […]“: http: / / divulgandobd.blogspot.pt/ 2008/ 12/ ep-brasileirismo-eh-p-forma-correcta.html (2. 5. 2017). 17 Ciberdúvidas (2010): https: / / ciberduvidas.iscte-iul.pt/ consultorio/ perguntas/ o-uso-depa-vocativo-e-interjeicao-em-portugal/ 28469 (2. 5. 2017). (27) @tiago yep, já cá mora! (28) Ora porra.. Estou a correr esse risco também! =D RT @Bispo: De tanto sorrir fiquei com varizes na cara! Die in den ‚Beispielssätzen von 17 bis 28‘ vorkommenden Ausdrücke pá, eh pá, opa, ena pá, porreiro, bolas, fogo, irra, ai, ui, ups, yep, etc., die meiner Erfahrung nach gesprochenes umgangssprachliches Portugiesisch charakterisieren, und die man sogar - den Fäkalausdruck porra ausgenommen - ab und zu in Privat‐ gesprächen eines akademischen Umfelds hören kann, werden in den Wörter‐ büchern des Kontinentalportugiesisch recht stiefmütterlich behandelt. Im Re‐ ferenzwörterbuch der portugiesischen Sprache, dem vom ‚Instituto Camões‘ herausgegebenen „Dicionário da Língua Portuguesa Contemporânea“ (2001) wird z. B. der Interjektion opá kein eigenes Lemma zugeordnet. Allerdings findet man online bei „priberam“ 15 den Hinweis, dass es sich bei diesem Ausdruck um eine „interjeiç-o“ und „express-o usada para exprimir espanto ou admiraç-o“ handele. Auch die Interjektionen eh pá, die man in Schrifttexten auch in der Form epá  16 findet, oder das ena als verkürzte Form von ena pá in ‚Beispiel 19‘, bleiben im ‚Gulbenkian Wörterbuch‘ unerwähnt. Wieder hilft uns eine Webseite, dieses Mal „Ciberdúvidas da Língua Portuguesa“ 17 , auf der man zu den Ausdrücken pá, eh pá, ena pá folgende Ausführungen findet, wobei sich diese Anmerkungen wiederum auf das „Dicionário da Língua Portuguesa“ (Porta Editora 2008) stützen: O vocativo pá usa-se em conversa informal, geralmente entre amigos […]Utiliza-se em frases simples, como „Estás bom, pá? “, „Ent-o, pá, como vais de saúde? “, „Isto vai muito mal, pá! “ etc. Usa-se também como bord-o („… os Romanos, pá, conquistaram 198 8. Beschreibung im Parameter ‚Code‘ 18 Pá und verwandte Ausdrücke haben die ursprüngliche Bedeutung ‚Schaufel‘; die Be‐ deutung von irra wird mit ‚zum Kuckuck‘ angegeben; porreiro bedeutet ‚prima‘; (ora) bolas ‚von wegen‘ und fogo ursprünglich ‚Feuer‘, etc. (cf. Gulbenkian Wörterbuch von 2001). Die Möglichkeit der Herstellung eines logischen Zusammenhangs dieser Wort‐ bedeutungen mit den Funktionen der entsprechenden Interjektionen im Kontext von Äußerungen gesprochener Sprache variieren von Interjektion zu Interjektion. a Península Ibérica…“) e interjeiç-o („eh, pá, que sorte! “, „ena, pá! “). A palavra pá em geral é um nome (substantivo), e trata-se de „utensílio de ferro ou madeira para meter ou tirar o p-o do forno, apanhar lixo, estender e alisar argamassa, apanhar e deslocar terra, etc.“ Também pode ser uma interjeiç-o, „de origem onom[atopeica]“, que „ex‐ prime o ruído da queda de um corpo ou do choque entre dois corpos“ [Hervorhebung durch bold und Anführungszeichen wie auf der Webseite]. Bei dem Gebrauch dieser Ausdrücke, die häufig im peripheren Bereich der Nä‐ hesprache des Twitterns anzutreffen sind, handelt es sich um keine Kompensa‐ tionsstrategien, weil sie auch beim ‚normalen‘ medial mündlichen basierten Sprechen gebraucht werden, wenn Sprecher in einen entsprechenden umgangs‐ sprachlichen und durch Emphase gekennzeichneten sprachlichen Duktus ver‐ fallen. Sie sind somit für beide Bereiche nähesprachlicher Kommunikation wichtig. Ähnlich verhält es sich mit den bekannten und in breiten Schichten der Umgangssprache benutzen Interjektionen porreiro, bolas, fogo, und irra in den ‚Beispielsätzen 20 bis 23‘. Ob diese Interjektionen Freude ausdrücken wie por‐ reiro in ‚Beispiel 20‘, Ärger wie bolas in ‚Beispiel 21‘ bzw. IRRA in ‚Beispiel 23‘, oder ob es sich nur um Mittel zur Erzielung von mehr Emphase handelt, wie sie durch Fogo in ‚Beispiel 22‘ erzielt wird, bleibt relativ offen und hängt von der Stimmung in der jeweiligen Situation sowie vom jeweiligen Kontext ab. Das der Emotionalisierung dienende tonale Zeichen aiiii (regulär ai) als Ausdruck des Schmerzes in ‚Beispiel 24‘, das einer Steigerung der Emphase bzw. als Ausdruck für Überraschung dienende ui in ‚Beispiel 25‘, das nach einem Missgeschick ausgerufene ups in ‚Beispiel 26‘, sowie die jugendsprachliche Interjektion yep (amerikanischer Ursprung) aus ‚Beispiel 27‘, verwenden Portugiesen sowohl in prototypischen als auch peripheren Bereichen ihres Nähesprechens. Alle diese Zeichen werden an dieser Stelle im Rahmen des Beschreibungspara‐ meters „Code“ erörtert, weil die Funktionen von Interjektionen wie pá, eh pá, epá, opa, ena pá oder von porreiro, bolas, fogo, irra etc. aufgrund fehlender Mo‐ tivierung kaum noch Rückschlüsse auf die Semantik der Lexeme zulassen, von denen sie ursprünglich abstammen 18 . Tonale, lautmalerische und jugendsprachliche Zeichen wie ai, ui, ups, yep lassen einen solchen Ursprung erst gar nicht erkennen. Weil sie am Rande des 199 8.1 Informationsübermittlung durch Einbeziehung von Zeichen … 19 Der Definition des „Dicionário aberto de cal-o e expressões idiomáticas“ zufolge „órg-o sexual masculino“ (Almeida 2017, 138): http: / / natura.di.uminho.pt/ ~jj/ pln/ calao/ dicionario.pdf (3. 5. 2017). 20 Der Twitterer in ‚Beispiel 30‘ vermeidet durch die an ein Smiley erinnernde Kenn‐ zeichnung den Ausdruck foda-se, dem im angloamerikanischen Sprachraum der Aus‐ druck fuck entspricht. Dieses Umgehen des eigentlich gemeinten Ausdrucks deutet be‐ reits darauf, dass es dem ‚User‘ peinlich zu sein scheint, den fraglichen Ausdruck in einem öffentlichen Medium zu benutzen. Etwas verharmlosend definiert die Webseite „priberam“ den Ausdruck als „interjeiç-o designativa de admiraç-o, surpresa, espanto, indignaç-o etc.“. Cf. https: / / www.priberam.pt/ dlpo/ foda-se (4. 5. 2017). Als Schimpfwort mit einigen phonetischen Varianten passt zu diesem Niveau der Ausdruck caralho, der aus der Sexualsprache stammt und in ordinärer Ausdrucksweise das männliche Ge‐ schlechtsglied bezeichnet. Bei einer nicht unerheblichen Zahl von männlichen und weiblichen Jugendlichen scheint dieser Ausdruck so beliebt zu sein, dass sie ihn (leider) allzu oft und ohne Rücksicht auf die Situation, in der sie sich befinden, verwenden. verbalen Codes angesiedelt sind, verfügen sie über einen semiotischen Sonder‐ status, der m. E. ihre Erörterung in diesem Kapitel ‚Code‘ nahelegt. Bei dem Ausdruck porra  19 hingegen handelt es sich um einen Begriff, der dem untersten Niveau der Umgangssprache entstammt (Bezeichnungen aus dem Se‐ xualbereich), und den man in der Öffentlichkeit darum auch besser vermeiden sollte. Auf mehr Akzeptanz dürfte seine Ersetzung durch die Formen puxa oder puxa vida stoßen. Mehr Interjektionen werde ich unten in der Liste des Inventars zur Erzielung eines emotionellen Sprechduktus vorstellen. ‚Beispiele 29 und 30‘ aus dem Korpus Sieberg (2013 b ) - Microblogs global: Por‐ tugiesisch (29) lolol é sim sr, msm nos dias de inundaç-o : D RT @Fernando: @Arma; a nossa @ LIAWHITING 1 e uma alegria todos os dias : ) ehehehe (30) @Pirinho f***-** eu a pensar que te dava uma grande coisa… afinal num gosta, esquisito pah; )) Bei diesen zwei Beispielen handelt es sich um ‚Akronyme‘, die „aus den An‐ fangsbuchstaben mehrerer Wörter“ als „Kurzwörter“ (Wahrig 2004, 38) gebildet werden. So leitet sich der Sprach- und Kulturgrenzen überschreitende Gebrauch des Akronyms lol in ‚Beispiel 29‘ und seiner entsprechenden Variationen (meist reduplizierend) lolol etc. aus dem Satz laughing out loud ab. Er besitzt m. E. fast visuellen Charakter, weil die Abkürzung vom ‚User‘ als bildliches Ereignis auf‐ genommen und mit ‚Lachen‘ assoziiert wird. ‚Beispiel 30‘ konfrontiert den Leser mit einem Ausdruck aus dem Bereich der Sexualsprache des untersten Stil- und Kulturniveaus. Trotzdem ist dieser Ausdrucks f***-**, der dem angloamerikani‐ schen f*** Wort 20 entspricht, bei Gesprächen unter portugiesischen Jugendli‐ 200 8. Beschreibung im Parameter ‚Code‘ 21 Die Webseite „infopédia“ des Verlags Porta Editora definiert do caraças als umgangs‐ sprachlichen Ausdruck zur Bezeichnung von etwas, das „muito grande, importante, im‐ pressionante, excelente“ sei: https: / / www.infopedia.pt/ dicionarios/ lingua-portuguesa/ caraças (4. 5. 2017). chen eines bestimmten Alters (leider) äußert beliebt. Ob man will oder nicht, muss man ihn akustisch miterleben und ‚miterleiden‘, wenn man sich im öf‐ fentlichen Raum portugiesischer Städte oder z. B. am Strand aufhält. ‚Beispiele 31 und 32‘ aus dem Korpus Sieberg (2013 b ) - Microblogs global: Por‐ tugiesisch (31) Fiz algo bué mas bué esperto hein… a t-shirt que vou vestir agora está no fundo do saco … . (32) está um calor do caraças! vou tomar banho Der Vollständigkeit halber möchte ich mittels der ‚Beispiele 31 und 31‘ noch auf zwei weitere sprachliche Erscheinungen hinweisen, die im Bereich der portu‐ giesischen Umgangssprache zu einem gefühlsbetonten und hyperbolischen Sprachduktus beitragen. In ‚Beispiel 31‘ ist es das bei portugiesischen Jugend‐ lichen sehr beliebte Allerweltswort bué, das in den letzten Jahren eine geradezu inflationäre Ausbreitung gefunden hat (Almeida 2008). Es wird sowohl in attri‐ butiver als auch prädikativer Stellung als Adjektiv, aber auch als Adverb ge‐ braucht. Dabei handelt es sich nicht ausschließlich um ein Signal zur Kenn‐ zeichnung von Gruppenzugehörigkeit. Zusätzlich hat es als hyperbolisches Ausdrucksmittel die Funktion, bezeichnete Sachverhalte übertrieben darzu‐ stellen, bzw. mit zusätzlicher ‚Emphase‘ zu versehen. Den gleichen Effekt erfüllt die Erweiterung eines Nominalausdrucks mittels eine angefügten ____do ca‐ raças  21 , wie in ‚Beispiel 32‘. Beim Versuch ein möglichst umfassendes Inventar portugiesischer Interjekti‐ onen zusammenzustellen, wurde ich zunächst bei der älteren Grammatik von Cunha / Sintra (2002, 587) fündig. Hier gibt es im „Índice onomástico“ einen Hin‐ weis auf die Wortklasse „interjeições“ und auf Seite 587 eine entsprechende De‐ finition: „ INTERJEIÇÃO [Hervorhebung durch die Autoren] é uma espécie de grito com que traduzimos de modo vivo as nossas emoções“. In der Grammatik von Hundertmark-Santos Martins (2014, 333 sqq.) widmet sich der ‚Paragraph 12‘ dem ‚Ausruf ‘ und stellt eine bemerkenswerte umfassende Sammlung von In‐ terjektionen zusammen, die dem Ausdruck einer Empfindung (ai, ui etc.), von Freude (oh, ótimo, magnífico etc.), Erstaunen (eia, ena, ah etc.), von Überraschung (hem, viva, ora essa etc.), von Unzufriedenheit und Missbilligung (mau, bolas, 201 8.1 Informationsübermittlung durch Einbeziehung von Zeichen … 22 Wie mir Frau Prof. Sandra Antunes, eine der Autorinnen der Grammatik auf Anfrage freundlicherweise schriftlich mitteilte, wird der dritte Band (möglichweise) Ende 2017 erscheinen. Ein Extrakapitel für Interjektionen wird es nach Aussage von Frau Antunes aber nicht geben. Stattdessen werden einige Interjektionen im Zusammenhang mit ‚frases exclamativas‘ erörtert werden. 23 Cf. http: / / natura.di.uminho.pt/ ~jj/ pln/ calao/ dicionario.pdf (3. 5. 2017). que chatice etc.), sowie von Ungeduld und Entrüstung (apre, irra etc.) dienen. Dazu liefert die Verfasserin der Grammatik selbst erfundene Kontexte - das ist zu vermuten, weil entsprechende Quellenangaben fehlen - und Übersetzungen der Beispielsätze ins Deutsche. Bei der neuen, bei Gulbenkian herausgegebenen Gramática do Português (Ra‐ poso et al. 2013), von der bis dato (Mai 2017) zwei von drei geplanten Bänden erschienen sind, ist es mir in dem unübersichtlichen gestalteten Inhaltver‐ zeichnis (37 Seiten in ‚Kleinstschrift‘ nur für die ersten zwei Bände) nicht ge‐ lungen, ein Kapitel zu finden, das sich den Interjektionen widmen würde 22 . Viel‐ leicht bleibt dieses Thema ja auch dem 3. Band vorbehalten, das sich der ‚Pragmatik‘ widmet und im Herbst 2017 erscheinen soll. Auch in der Gramática da Língua Portuguesa (Mateus et al. 2006) finden sich weder am Ende im „índice remissivo“ (2003, 1111 sqq.) noch im Inhaltverzeichnis zu Beginn der Grammatik Hinweise auf die Wortklasse der Interjektionen. Ein solcher Hinweis oder ein entsprechendes Kapitel fehlt ebenfalls in der „Introduç-o à Linguística Geral e Portuguesa“ (Hub Faria et al. 2005). Als hilfreich für meine Suche erweisen sich hingegen Lehrbücher für den Schulunterricht. Zu ihnen gehört die „Gramática do Português Moderno“ (Castro Pinto et al. 2006). Hinzu kommen einzelne in der Literatur verstreut vorhandene Artikel zum Thema, sowie online das Dicionário aberto de cal-o e expressões idiomáticas“ von J. J. Almeida (2017) 23 . Aus diesem Grund fällt mein Inventar portugiesischer Interjektionen, die auf der folgenden Liste alphabetisch geordnet sind, auch sehr spärlich aus und be‐ darf zweifellos einer künftigen Erweiterung: ai, ai de nós, ai Jesus, alto, arre, arreda, bem haja, bis, boa, bolas, caramba, céus, chi, chica, credo, Cruzes, Deus queira, Diabo, diacho, Droga, gente, eia, ena pá, fogo, homessa, irra, Meu Deus, nossa, ó, oh, oi, ora bolas, puxa, puxa vida, oxalá, quem dera, ufa, ui, upa, valeu, viva, … . 8.1.2 Zusammenfassung Beim Twittern handelt es sich, wie bereits die Analyse des ‚Hannover-Korpus‘ portugiesischer Tweet (Sieberg 2013 b ) zeigen konnte, um eine Kommunikati‐ 202 8. Beschreibung im Parameter ‚Code‘ 24 Umso erstaunlicher ist es, dass portugiesischen Referenzgrammatiken diese Interjekti‐ onen, wie bereits andere Phänomene der Pragmatik, nicht angemessen erörtern. onsform konzeptioneller Mündlichkeit, der es vornehmlich um Kontaktauf‐ nahme und Kontaktpflege sowie den Ausdruck von Gefühlen geht. Weil sie me‐ dial schriftlich basiert ist, und die Teilnehmer an einer solchen Kommunikation im virtuellen und nicht im physischen Raum zusammenkommen, steht ihnen im Unterschied zu den Teilnehmern an Präsenzdialogen nicht derselbe Reichtum und dieselbe Vielfalt von prosodischen Ausdrucksmitteln und körpergebun‐ denen Zeichen zur Verfügung. Folglich schöpfen ‚User‘ den ganzen Reichtum konventioneller Interjektionen, die der portugiesischen Sprache zur Verfügung stehen 24 , bis zur Neige aus. Trotzdem scheinen diese Ausdruckmittel in vielen Fällen nicht für eine befriedigende Emotionalisierung des sprachlichen Duktus auszureichen. Folglich kompensieren portugiesische ‚User‘ das Fehlen prosodi‐ scher und körpergebundener Zeichen (cf. Kapitel 4) durch graphostilistische Ausdrucksmittel wie Smileys und Iterationen (Kompensation von Mimik, Gestik und Prosodie), durch präfabrizierte ‚Emojis‘ (Kompensation von Handlungen und Proxemik), sowie Akronyme und ‚Situationsmarker‘ (Zeichen zur Kom‐ pensation von Handlungen und Gesten). Letztere haben ihren Ursprung in der Sprache der Comics. Hinzu kommen Wortverbindungen mit hyperbolischer Ausdruckskraft, die Sprecher auch in prototypischen Formen des medial münd‐ lich basierten Nähesprechens verwenden. Es wäre m. E. allerdings zu kurz gegriffen, würde man den Gebrauch der in diesem Kapitel dargestellten Zeichen ausschließlich unter dem Aspekt von ‚Kompensationsstrategien‘ interpretieren. Die Phantasie und die Geduld, mit der ‚User‘ aller möglichen Sprachkulturen (cf. Siever / Schlobinski 2013) ihre visuellen Darstellungen zusammenfügen bzw. auswählen, sowie die Kreativität, die sie bei der Ausschöpfung aller vom verbalen Code zur Verfügung stehenden Mittel beweisen, deuten vielmehr auf eine Kommunikationsform ‚sui generis‘, deren Gebrauch gerade auf jüngere User einen unwiderstehlichen Reiz auszu‐ üben scheint und zu hybriden Formen ikonisch-visueller Informationsgestal‐ tung führt, die bereits weite Bereich der Computer und Internet basierten Kom‐ munikation charakterisieren, und die m. E. letztlich auf den menschlichen Spieltrieb zurückzuführen sind. Trotz der in diesem Kapitel gewonnenen Erkenntnisse wurde auch deutlich, dass die eigentlichen Aufgaben, die sich im Rahmen des Beschreibungsparameters ‚Code‘ und des universalen Diskursverfahrens ‚Informationsübermittlung durch Einbeziehung von Zeichen unterschiedlicher semiotischer Beschaffenheit‘ für 203 8.1 Informationsübermittlung durch Einbeziehung von Zeichen … eine erschöpfende und befriedigende Analyse des portugiesischen Nähespre‐ chens stellen, weiterführendere Untersuchungen fordern, als es meine Erläute‐ rungen an dieser Stelle leisten können. Eine dieser Aufgaben bestünde z. B. in einer Erforschung „der Zusammenhänge zwischen nonverbaler und verbaler Kommunikation, d. h. der Art und Weise, wie Verbales Nonverbales begleitet und umgekehrt […]“ (Ágel / Hennig 2007, 201). Als weiteres Desiderat kommen kontrastive Untersuchungen - Deutsch vs. Portugiesisch - hinzu, die sich spe‐ ziell dieser Frage widmen. Aus hoffentlich verständlichen Gründen, die sich auf das Fehlen geeigneter Korpora - Stichwort Multimedialität - zurückführen lassen, konnte ich an dieser Stelle nur einen geeigneten konzeptionell-methodischen Rahmen für weitere künftige Untersuchungen bereitstellen und sein Funktionieren anhand einiger Beispiele verdeutlichen. 204 8. Beschreibung im Parameter ‚Code‘ 1 Für die Übersetzung der Ausdrücke „Nähesprache“ und „Distanzsprache“ benutze ich auf Anraten meiner portugiesischen Kollegen die Übersetzungen „fala de proximidade“ und „fala de distância“. Cf. ‚Glossar‘ am Ende des Buches. 9. Beschreibung im Parameter ‚Medium‘ Der Parameter mediale Mündlichkeit nimmt einen besonderen Platz ein, weil die „mediale Dimension von höherer Relevanz ist als die anderen Parameter des Nähe- und Distanzsprechens“ (Ágel / Hennig 2007, 202). Darauf verweist auch der folgende Hinweis von Ágel (2011, 35): „Para evitar mal-entendidos, n-o quer‐ emos negar o papel importante do meio. Parece, portanto, óbvio considerar a ‚fala‘ como meio primário do ‚falar de proximidade‘ e a escrita como meio dominante do ‚falar de distância‘  1 . Dasselbe gilt mithin auch für die Parameter, die sich diesem universalen Dis‐ kursverfahren zuordnen lassen: Auf die besondere Bedeutung des medialen Pa‐ rameters verweist die „Affinität des Nähepols zu medialer Mündlichkeit bzw. des Distanzpols zu medialer Schriftlichkeit“ (ibid.) sowie der Umstand, dass me‐ diale Schriftlichkeit und hundertprozentige Nähesprachlichkeit, bzw. umge‐ kehrt mediale Mündlichkeit und hundertprozentige Distanzsprachlichkeit, ei‐ nander ausschließen. So ist es zwar denkbar, dass kommunikative Praktiken der „konzeptionellen Mündlichkeit“ (Söll 1985), wie z. B. eine Chatkommunikation oder auch die hier analysierten Tweets, einen Sprachgebrauch aufweisen, der in der Nähe des Nähepols angesiedelt ist - niemals aber zum engsten Kreis pro‐ totypischer Formen des Nähesprechens zählen. Wenn sich der Leser die Schemata zum Modell des ‚Nähe- und Distanzsprechens‘ (Kapitel 4) anschaut, wird er bemerken, dass es zwei universale Diskursver‐ fahren sind, die ich dort dem Parameter „Medium“ zugeordnet habe. Das an zweiter Stelle genannte Verfahren nenne ich an Anlehnung, aber nicht in di‐ rekter Übernahme der Terminologie Ágel / Hennigs, ‚Ausnutzung prosodischer Mittel zur Informationsgestaltung‘. Im Folgenden möchte ich dazu kurz auf zwei sprachliche Erscheinungen eingehen, in denen sich dieses Diskursverfahren im Portugiesischen - in Analogie zu anderen Sprachen - manifestiert: Erstens ist die Möglichkeit der ‚Akzentuierung‘ von zentralen Begriffen einer Sprechsequenz zu erwähnen, die diese aus dem umgebenden Kontext der Äu‐ ßerung hervorheben und in den Aufmerksamkeitsfokus des Rezipienten rücken. 2 Die Baixa Lissabons (auf Deutsch auch ‚Unterstadt‘) ist eines der ältesten Stadtviertel und bildet das Zentrum Lissabons. Wenn z. B. ein Sprecher den Besuch der ‚Baixa‘  2 Lissabons als ein besonderes Kindheitserlebnis erwähnt, und in seiner Äußerung / n-o é / / mais tarde achei / que de facto aquilo é ridículo ao pé duma Broadway / / mas / mas na altura para mim / era / era aquele / era o espectáculo / / que eram as luzinhas / <acesas> / / (C- ORAL - ROM pfamdl14.txt) die Worte luzinhas und acesas durch Wortakzen‐ tuierung vom Rest der vorangegangenen Äußerung hervorhebt, wird sein Ge‐ sprächspartner wahrscheinlich verstehen, dass es die ‚Beleuchtung‘ dieses Stadtviertels Lissabons war, die den Sprecher in seiner Kindheit so beeindrucken konnte. Eine zweite Möglichkeit, die sich im Rahmen des Diskursverfahrens ‚Aus‐ nutzung prosodischer Mittel zur Informationsgestaltung‘ ergibt, betrifft die Di‐ sambiguierung mehrdeutiger Aussagen. In der Situation eines spontan ablauf‐ enden Dialogs kann der Sprecher einer mehrdeutigen Äußerung wie o Paulo conversou com o seu amigo de voz alta unter Einsatz von Mitteln der Prosodie - kleine Pause nach amigo sowie Anhebung der Stimme am Ende der Äußerung - Eindeutigkeit verleihen. Der Hörer wird nun verstehen, dass Pedro nicht über eine laute Stimme verfügt, sondern dass er bei einer bestimmten Gelegenheit und aus irgendwelchen Gründen gezwungen war, in einem Gespräch mit einem Freund ungewöhnlich laut zu sprechen. Anregungen für Analysen weiterer sprachlicher Erscheinungen im Rahmen des Parameters ‚Medium‘ sowie des universalen Diskursverfahrens ‚Ausnut‐ zung prosodischer Mittel zur Informationsgestaltung‘, findet der Leser im Schema des Modells in ‚Kapitel 4‘. Sie werden dort als Unterpunkte dieses Ver‐ fahrens aufgeführt. Entsprechende Untersuchungen wären allerdings auf Trans‐ kriptionen angewiesen, die über Audiofiles verfügen. Im Parameter ‚Medium‘ werde ich an dieser Stelle darum ausschließlich das universale Diskursverfahren der ‚Bildung von Sprecheinheiten‘ - im Schema des vierten Kapitels an erster Stelle genannt - eingehend erläutern. Ihm lässt sich das sprachliche Mittel der ‚Bildung von phonischen Worten‘, zuordnen, in dem sich dieses Verfahren ma‐ nifestiert. In Übereinstimmung mit dem Konzept des Nähesprechens gehe ich davon aus, dass sich muttersprachliche Sprecher bei der Bildung der Sprecheinheiten ihrer Redesequenzen nicht an den graphischen (Vor-)Bildern der geschriebenen Sprache ausrichten - also nicht an ihrem visuellen Gedächtnis. Stattdessen ori‐ entieren sie sich vorrangig an den ihnen bekannten Lautbildern (an ihrem akus‐ tisches Gedächtnis), über die sie seit dem Erlernen ihrer Muttersprache ver‐ 206 9. Beschreibung im Parameter ‚Medium‘ 3 Ágel / Kehrein prägen in diesem Zusammenhang den Begriff „literale Idee von Wort“ (2002, 4). fügen. Hinzu kommen die physiologischen Gegebenheiten des Sprechapparates, die bei der Bildung von Lauten beteiligt sind. Diese Auffassung steht im Ge‐ gensatz zum vorwissenschaftlichen - und leider auch oft zum wissenschaftli‐ chen - nicht hinreichend reflektiertem Verständnis, dem zufolge eine Sprech‐ sequenz aus einer Reihe aufeinander folgender Zeichen besteht, die denen der graphematischen Einheiten (Wörtern) eins schriftsprachlichen Textes ähneln, und sozusagen als (Vor-)Bilder vor unserem geistigen Auge stehen, während wir eine entsprechende Äußerung formulieren. Dieser Vorstellung entspricht auf metasprachlicher Diskursebene das Primat der Schriftlichkeit. Unreflektiert geht man davon aus, dass graphische durch ‚Spatien‘ getrennte Einheiten (Wörter) auch als Bausteine für die Bildung gesprochener Diskursequenzen dienen 3 . Formen der Aussprache, die offensichtlich nicht mit diesen ‚visuellen Vorbildern‘ übereinstimmen, werden als Verletzungen dieses Systems und Re‐ gelverletzungen (ab)gewertet werden. Unter ‚Text‘ - im Zusammenhang mit dieser Erörterung sind mit ‚Text‘ Sprechsequenzen gemeint - wird mithin eine Aneinanderreihung von Graphemen verstanden, die durch Zwischenräume voneinander getrennt sind. Aussprachevarianten des Portugiesischen wie támos (estamos) oder pra (para) werden aus einer solchen Perspektive am Ideal ihrer schriftsprachlichen Realisierungen durch Grapheme gemessen und folglich als Regelverstöße eingestuft. In einem weiteren Schritt gelangt man dann durch die Anwendung einer Reihe von phonetischen Kriterien zur Definition bestimmter Untergruppen dieser Abweichungen, zu denen u. a. ‚Tilgungen‘, ‚Assimilati‐ onen‘, ,Kontaminationen‘ etc. gehören. Unter der Annahme einer genealogischen und methodologischen Vorrangig‐ keit des Sprechens, wie man sie bei Coseriu findet (2007, 58), ist allerdings auch eine andere Sichtweise und Bewertung möglich. Dieser Vorstellung zufolge führten Versuche, das gesprochene Wort gleichsam ‚festzuhalten‘, im Laufe der Zeit zu seiner Materialisierung in Form eines idealtypischen Systems von Gra‐ phemen. In der Folge - zusätzlich gestärkt durch die kulturelle Übermacht klas‐ sischer Werke der Literatur - führte dieses System in Umkehrung der realen Bedeutung beider Typen von Sprachzeichen sowohl im vorwissenschaftlichen Denken als auch im ‚Mainstream‘ sprachwissenschaftlicher Diskurse zur selbst‐ verständlichen, aber irrigen Annahme der Vorrangigkeit und des ‚Alleinvertre‐ tungsanspruchs‘ des schriftsprachlichen Ausdrucks. Ágel / Kehrein (2002, 9) be‐ greifen diese Auffassung als eine weitere Ausprägung des Skriptizismus, der zufolge: 207 9. Beschreibung im Parameter ‚Medium‘ man (als deklarierter Logozentriker) der Auffassung ist, dass die etwa in den Wörter‐ büchern präsentierte ausdrucksseitige Diskretheit und Konstanz der ‚Sprachzeichen‘ auf der phonologischen Analyse von Sprechzeichen beruhe, dass aber in Wirklichkeit das Konzept des ‚Sprachzeichens‘ zumindest teilweise schriftinduziert ist und sich nicht nur an die Sprechzeichen, sondern auch an die Schreibzeichen anlehnt. 9.1 Bildung von Sprecheinheiten Bei der Auswahl der Beispiele, die sich aus dem universalen Diskursverfahren ‚Bildung von phonischen Worten‘ für die Gestaltung der Sprechsequenzen ab‐ leiten lassen, ergibt sich ein Problem. Die Transkriptionen des ‚C- ORAL - ROM -Korpus‘, die an dieser Stelle vorrangig benutzt werden, sind in Form literarischer Umschriften verfasst. Diese orientieren sich nicht an der ‚wirklichen‘ Aussprache der Gewährspersonen und ihren charakteristischen Varianten, sondern am System des zur Zeit der Aufnahmen gültigen orthogra‐ phischen Regelsystems der portugiesischen Schriftsprache. Eventuell, oder besser gesagt wahrscheinlich vorkommende phonetische Abweichungen, werden nicht berücksichtigt, sondern der zurzeit der Datenerhebungen gültigen Standardaussprache bzw. Standardorthographie des Portugiesischen angepasst. Hier wird eine Haltung deutlich, die bereits oben als schriftsprachlich induzierte Beeinflussung bei der Beschreibung von Sprecheinheiten charakterisiert wird. Man darf annehmen, dass dieses Konzept auch zu der irrigen Annahme führt, Sprechzeichen könnten in Analogie zu den Wörtern der Schriftsprache ange‐ messen durch graphematische Einheiten wiedergegeben werden. Letztlich wird auch hier, wie in weiten Bereichen der Beschreibung der portugiesischen Mor‐ phosyntax, das Bestreben deutlich, Erscheinungen des gesprochenen Portugie‐ sisch möglichst auf die sogenannte ‚norma culta‘ zu beschränken. Diese Ein‐ stellung führt dazu, dass in den ‚C- ORAL - ROM - Transskripten‘ genau die Erscheinungen nicht erfasst werden, die in der vorliegenden Untersuchung Ziel der Analyse sind. Die ist bedauerlich, weil es m. E. ohne größeren Aufwand möglich gewesen wäre, Aussprachevarianten im ‚C- ORAL - ROM -Korpus‘ durch 208 9. Beschreibung im Parameter ‚Medium‘ 4 Das „Gesprächsanalytische Transkriptionssystem“ GAT (inzwischen GAT 2) stellt hierbei ein geeignetes Instrumentarium zur Verfügung. Es wird inzwischen im ge‐ samten deutschsprachigen Raum benutzt und bietet auch die Grundlage für die Trans‐ kriptionen, die für die Datenerhebung der Korpora des IDS benutzt werden. Eine Be‐ schreibung dieses Verfahrens (Hagemann, Jörg / Henle, Julia 2014) findet man unter: https: / / www.ph-freiburg.de/ fileadmin/ dateien/ mitarbeiter/ hagemannfr/ Transkribieren_nach_GAT_2.pdf (23. 8. 2017). 5 Hier könnte die Arbeit von Phonetikern ansetzen, um die Rolle der lautlichen Realisie‐ rungen von Sprecherbeiträgen für das gesprochene Portugiesisch genauer zu untersu‐ chen. In der vorliegenden Arbeit geht es hingegen weder um eine detaillierte Beschrei‐ bung individueller phonetischer Realisierungen von Äußerungen noch um eine auch nur ansatzweise vollständige oder statistisch untermauerte Beschreibung der Phonetik des gesprochenen Portugiesisch. eine leicht modifizierte Form literarischer Transkriptionen zu beschreiben 4 , die auch Nichtexperten auf dem Gebiet der Phonetik die Möglichkeit eröffnet hätte, Hinweise auf die Eigentümlichkeiten alltäglicher, umgangssprachlicher Aus‐ sprache von portugiesischen Wörtern und Syntagmen zu liefern. Zwar werden vom CLUL für einige Korpora auch ‚Audiofiles‘ angeboten, auf deren Basis eine exakte phonetische Analyse der portugiesischen Aussprache möglich gewesen wäre. Im Rahmen dieser Arbeit aber hätte eine solche Be‐ schreibung viel zu viel Aufwand und Zeit erfordern, weil der erste Schritt einer solchen Bestimmung darin bestanden hätte, eigene Transkriptionen dieser Au‐ diofiles durchzuführen 5 . Darum habe ich einen anderen gangbaren Weg gewählt, der m. E. zum glei‐ chen Ziel führt, deutlich zu machen, dass sich portugiesische Gewährpersonen bei der Bildung ihrer ‚Sprecheinheiten‘ vom universalen Verfahren der Dis‐ kursgestaltung ‚Bildung von phonischen Worten‘ und nicht von idealtypischen Mustern der graphemischen Einheiten der Schriftsprache leiten lassen. Dem bisherigen Konzept meines Buches folgend, die Quellen für meine Beispiel mög‐ lichst auf Beispiele aus dem ‚C- ORAL - ROM -Korpus‘ (prototypische Formen des Nähesprechen) und auf solche aus meinen eigenen Korpora zur ‚key‐ board-to-screen communication‘ (periphere Formen des Nähesprechens) zu be‐ schränken, stütze ich mich bei der Beschreibung ‚phonischer Worte‘ im Fol‐ genden auf Beispiele aus meinem ‚Twitter-Korpus‘. Als zusätzlicher Vorteil dieser Vorgehensweise ergibt sich die Möglichkeit nachzuweisen, dass es sich beim Twittern tatsächlich um eine ‚kommunikative Praktik‘ handelt, die im en‐ geren Bereich des Nähepol verortet werden kann. Zur Veranschaulichung trägt der Umstand bei, dass einige der in den Tweets nachgewiesenen lautlichen Realisierungen sehr deutlich von den Normen por‐ tugiesischer Standardaussprache abweichen. Auch wenn man den Einfluss ju‐ gendsprachlicher und spielerischer Elemente nicht außer Acht lassen sollte, ge‐ 209 9.1 Bildung von Sprecheinheiten 6 Ihren Aufsatz nennen die Autorinnen entsprechend „Getippte Dialoge in Neuen Me‐ dien“ (Dürscheid / Brommer 2009). winnen die hier angeführten Beispiele gerade darum an Aussagekraft, weil es sich ja realiter um schriftsprachlich basierte Äußerungen handelt. Man darf also davon ausgehen, dass ‚User‘ diese Sprachsequenzen in Assoziation mit der Pla‐ nung und Ausführung von Sprechsequenzen gestalten, die auch mündlich in prototypischen kommunikativen Praktiken ihres Nähesprechens so oder ähn‐ lich ablaufen würden. Darum meine ich, dass es gerechtfertigt und zutreffend ist, in Übereinstimmung mit dem Titel eines Aufsatzes von Dürscheid / Brommer (2009) die Kommunikation mittels Twitter in Analogie zur verwandten SMS -Kommunikation als „getippte Dialoge“ 6 zu bezeichnen. Um ein Beispiel zu geben: Stoße ich in einem Tweet auf den Satz com este calor a minha galinha tá a pôr os ovos já cozidos …, lässt sich die regelwidrige Realisierung von tá statt está - ‚regelwidrig‘ im Hinblick auf die Realisierung der äquivalenten graphematischen Einheit der Schriftsprache - als Hinweis da‐ rauf werten, dass der Sprecher dieses Wort auch beim ‚realen‘ Sprechen pho‐ netisch nicht als [ɨ ʃ t á], sondern als [t á] realisieren würde. In diesem Fall könnte es sich m. E. um ein Phänomen handeln, das auf die Wirkung von physiologi‐ schen Ursachen (Tilgung eines Lautes als Konsequenz des Funktionierens des Sprechapparates), oder / und auf soziale Bedingungen des Sprachgebrauchs (Ein‐ fluss der Jugendsprache? ) zurückzuführen ist. Eventuell ist es nicht auszuschließen, dass solche Gebrauchsregularitäten sich im Laufe der Zeit als Resultat von Sprachwandelprozessen auch auf die Stan‐ dardaussprache des Portugiesischen auswirken. In diesem Sinn urteilen die Au‐ toren der für den Unterricht an Schulen vorgesehenen Gramática do Português Moderno: „A evoluç-o das palavras, dentro da língua portuguesa, resulta, muitas vezes, dos processos fonológicos de inserç-o, supress-o ou alteraç-o de segmentos“ (Castro Pinto et al. 2006, 44). Um ihre Vermutung zu untermauern, greifen die Autoren auf Erkenntnisse der Etymologie zurück und führen eine Reihe von entsprechenden Änderungen vor, die Worte mit lateinischen Ursprung in ihrer Entwicklung bis hin zum aktuellen Portugiesisch durchgemacht haben, wie z. B. arena -> areia oder thunu -> atum (45 sq.). Man darf davon ausgehen, dass häufig vorkommende lautliche Abwei‐ chungen in den 640 registrierten Tweets des ‚Hannover-Korpus‘, die einem er‐ kennbaren Muster folgen, bereits als erster Anhaltspunkt für den beginnenden Prozess eines systematischen Sprachwandels angesehen werden können. Fest steht darüber hinaus, dass Sprecher, die solche Aussprachevarianten ge‐ brauchen, sich am Diskursverfahren ‚Bildung von Sprecheinheiten‘ in Form von 210 9. Beschreibung im Parameter ‚Medium‘ 7 Die unterschiedlichen, an verschiedenen Stellen benutzten Begriffe zur Charakterisie‐ rung der Korrelation zwischen ‚sprachlichen Merkmalen‘ und ‚Verfahren der Diskurs‐ gestaltung‘, wie ‚manifestiert sich in‘, ‚richtet sich nach‘, ‚orientiert sich an‘ ‚lässt sich ableiten aus‘, sind darauf zurückzuführen, dass es sich wie bei allen kulturellen Phä‐ nomen bei diesem Zusammenhang nicht um einen ‚kausalen‘ - im Sinn der Naturwis‐ senschaft - handelt, sondern die Korrelation allenfalls als ‚Beeinflussung‘ oder ‚Ein‐ wirkung‘ bestimmt werden kann. Hat ein Sprecher z. B. die Wahl zwischen einem komplexen hypotaktischen Gefüge und einer parataktischen Satzreihe, wird er unter den zeitlich beengten Bedingungen der typischen Situation des Nähesprechens nicht notwendigerweise, aber wahrscheinlich die weniger komplexe syntaktische Gestaltung seiner Sprechsequenz vorziehen. ‚phonischen Worten‘ 7 orientieren. Ihr ‚Sprechverhalten‘ repräsentiert einen wahrscheinlich nicht unbeträchtlichen Anteil portugiesischer Muttersprachler. 9.1.1 Phonische Worte Die anschließende Analyse stützt sich auf die insgesamt 640 registrierten Tweets des ‚Hannover-Korpus‘, aus denen nach Durchsicht aller insgesamt 25 Tweets mit entsprechend passenden und anschaulichen Erscheinungen ausgewählt wurden. Weil es sich dabei um Äußerungen aus einer kommunikativen Praktik des peripheren Bereichs des Nähesprechens handelt, die auf schriftlicher Basis übermittelt werden, haben die entsprechenden Interpretationen und Schluss‐ folgerungen streng genommen spekulativen Charakter. Beim Gebrauch der ‚phonischen Worte‘, die in diesen Tweets vorkommen, könnte es sich eventuell auch nur um ‚Nachahmungen‘ einer nähesprachlichen Ausdrucksweise mit zum Teil spielerischem Charakter handeln, die keinen Aufschluss über die tatsäch‐ lichen Aussagegepflogenheiten der Gewährpersonen zulassen. Trotzdem meine ich, dass der Rückgriff auf diese Formen für die an dieser Stelle vertretene These Aussagekraft besitzt. Die Wahl der graphematisch angedeuteten Aussprache‐ varianten ist wohl kaum zufällig, sondern deutet m. E. auf ein Bewusstsein der ‚User‘, die sich beim ‚Twittern‘ so ähnlich zu fühlen scheinen wie in Situation medial mündlich basierten Nähesprechens - und entsprechend auch auf vor‐ kommende Aussprachevarianten außerhalb des virtuellen Bereichs der ‚key‐ board-to-screen communication‘. Die folgenden Beispiele aus dem ‚Hannover-Korpus‘ werden mitsamt allen Nachlässigkeitsfehlern, Sprachspielereien, in manchen Fällen auch bewusstem Auslassen von Akzenten, orthographischen Willkürlichkeiten usw., in ihren Originalformen übernommen. Die zur Analyse berücksichtigten Formen sind jeweils durch Unterstreichung gekennzeichnet. Beispiele 1 bis 5 aus Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch 211 9.1 Bildung von Sprecheinheiten (1) @Louco: já me apanhaste ou tás quase? (2) Record ? ! ? Tá bem… RT @ApQu: Ramires no Chelsea por 22 milhões http: / / goo.gl/ b/ tUJh (3) Alguém tem alfaces para a troca e uma galinha nova para mim? Com este calor a minha galinha tá a pôr os ovos já cozidos … (4) N-o gosto destas recomendações do Twitter web… a maior parte já tou careca de os conhecer, e se n-o os sigo, é porque n-o quero (5) @Linha Tava pensando em ir na tua casa e a gente encher a cara na tarde : p Im vergleichbar kleinen Korpus der an dieser Stelle ausgewerteten ‚Tweets‘ zeigt sich am häufigsten die Tilgung eines Lautes am Anfang des Verbes estar in ver‐ schiedenen Ausprägungen sowohl im Präsens als auch in der Vergangenheit, hier in Form des pretérito imperfeito ‚tava‘ (estava). Dieser Gebrauch deutet m. E. darauf, dass die entsprechenden Gewährspersonen diese Formen häufig auch beim ‚normalen‘ Sprechen in nicht virtuellen Kontexten gebrauchen. Beispiele 6 bis 9 aus Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch (6) @ LMF 18 … exagerado! Tarde amigo que largas o Benfas pa falar ao pessoal da cozinha! (7) Sem House pra ver, vou regressar a Nip / Tuck. 1x10. (8) ainda da pra mandar perguntas pros rapazes pra entrevista de hoje? só agora e q me lembrei dumas. (9) UI ! ! ! Oh Joel, aproveita e traz um ipad pó miudo! ! Auch die Verkürzung des Präposition para scheint, wie die ‚Beispiele 6 bis 9‘ zeigen, einer Tendenz zu entsprechen, die sowohl beim Sprechen als auch bei entsprechenden kommunikativen Praktiken der ‚keyboard-to-screen commu‐ nication‘ beobachtet werden kann. Die Form pa_(para) kann man als Ergebnis einer Tilgung der nichtbetonten Endsilbe para auffassen. Häufiger aber erfolgt - so der Eindruck nach der Durchsicht aller Tweets, aber insbesondere auch auf der Grundlage meiner jahrelangen persönlichen Erfahrung durch Teilnahme an Gesprächen mit portugiesischen Muttersprachlern - diese Verkürzung durch Synkopierung und der damit verbundenen Tilgung eines Lautes in der Wort‐ mitte, entsprechend wie para > pra in den ‚Beispielen 7 und 8‘. Bei der Form pros in ‚Beispiel 8‘ handelt es sich hingegen um eine Kontraktion der Formen para + os, der eine Synkopierung von para > pra vorausgeht. 212 9. Beschreibung im Parameter ‚Medium‘ Die Form pó in ‚Beispiel 9‘ folgt aus einer Zusammenziehung der Wörter para o (miúdo), im Zusammenwirken mit einer Assimilierung des offenen Vokals [a] durch den Einfluss des nachfolgenden Lautes [u] des Artikels ‚o‘ sowie der Vo‐ kale des Wortes miúdo / miúdu/ . Das Zusammenwirken dieser Faktoren führt zum offenen ausgesprochenen Laut [ɔ] im Wort pó des Tweets. Beispiele 10 und 11 aus Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugie‐ sisch (10) @ JS andra sim. Tens razao. Mas foste o 1º a reagir, e como és dos mais doentes … (quirido) (11) tenho de parar de dizer "at-o" Auf Assimilation durch den Folgevokal ist es zurückzuführen, dass im ‚Bei‐ spiel 10‘ aus querido > quirido wird. Die Verkürzung von ent-o > at-o in ‚Bei‐ spiel 11‘ entspricht m. E. dem (nachvollziehbaren) Sprachgefühl portugiesischer ‚User‘, dem zufolge durch die Abschwächung der nasalierten und abgeschw‐ ächten Vorsilbe ‚en-‘ - zusätzlich verstärkt durch die nachfolgende betonte na‐ salierten Silbe - das Wort ent-o nicht wie es die orthographisch korrekte Schreibweise nahelegt, beim Sprechen als ent-o realisiert wird, sondern viel‐ mehr in der orthographisch irregulären aber phonetisch angemesseneren Schreibweise at-o. An dieser Stelle bewahrheitet sich die oben dargestellte These von der Vorrangigkeit des ‚akustischen Vorbildes‘ in einem scheinbar wider‐ sprüchlichen Zusammenhang, weil es doch das Medium der Schrift ist, in dem der Twitterer seine ‚Aussprache‘ realisiert. Beispiele 12 bis 14 Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch (12) @ TRUCK alooou… 'ssoa q n pára sossegada! ! toma lá bjokas fresquinhas fres‐ quinhas… (13) LOL ! RT @Suspiro: Agora eu dizia uma coisa realmente interessante e nin‐ guém ligava nenhuma… por isso vou continuar a dizer ´esparates! (14) @Zavy BOM DIA xô outor … Auch bei den ‚Beispielen 12 bis 14‘ werden unbetonte Vorsilben getilgt, nämlich pessoa > ‘ssoa, disparates > esparates. Beim Ausdruck senhor doutor > xô doutor werden nach der Silbentilgungen die zwei Wörter zu einer Einheit xôtour zu‐ sammengezogen. Das Graphem ‹x›, so lässt sich vermuten, wird dabei von ‚Usern‘ sowohl zur lautlichen Kennzeichnung des stimmlosen Lautes / s/ als auch des stimmlosen Frikativs / ʃ/ verwendet. Den entsprechenden Laut findet man in Wörtern wie dem englischen she oder short. Gerade bei der Kontraktion von 213 9.1 Bildung von Sprecheinheiten 8 Sehr oft als ironisch oder satirisch gemeinter Begriff verwendet. 9 „In der Wortbildung Vorgang und Ergebnis der Kreuzung bzw. Verschmelzung zweiter Ausdrücke zu einem neuen Ausdruck“ (Bussmann 2002, 373), in diesem Fall aus abraço und beijos. senhor doutor > xôtor  8 , die im schulischen und universitären Kontext sehr häufig zu hören ist, scheint der Twitterer durch den Gebrauch dieser Form eine sprach‐ spielerische und karikative Komponente mit in seinen Tweet einzubeziehen. Indem dem Sprecher eine Aussprache unterstellt wird, bei der er den stimm‐ losen / s/ Laut durch das entsprechende Frikativ / ʃ/ ersetzt (repräsentiert durch das Graphem ‹x›), entsteht bei den Hörern die Assoziation eines unbeholfen und unterwürfig lispelnden Schülers bzw. Studenten. Beispiele 15 bis 20 Korpus Sieberg (2013b) - Microblogs global: Portugiesisch (15) Comassim o #tweetaporsms acabou? (16) @ WHITIMNG olha'mesta… agora (17) ? ? ? 28 graus a esta hora? ? ? Masoquéisto (18) O milagre da multiplicaç-o… RT @De5ertico 140 caracteres bastan para re‐ mover tus paradigmas (19) @ CAIOSIL Caio: )) dá de comer aos peixes faxavor: )) (20) Até amanh- linda : ) RT @Repolha: Bem hora d tentar nanar sem contar car‐ neirinhos : ) abreijos #turnonoite Bei den Formen von ‚Beispiel 15 bis 19‘ handelt es sich um Kontraktionen mit gleichzeitiger Tilgung von Lauten bzw. Silben: como é assim > comassim; olha-me esta > olha'mesta; mas o quê é isto > Masoquéisto; teus > tus; faça o favor > faxavor. Als zusätzliche Motivation, statt der komplett ausgeschriebenen Ausdrücke die abkürzenden kontrahierten Formen zu benutzen, dürfte neben der angestrebten Nähe zu einer sprechsprachlichen Realisierung der Schreibweise auch ein an‐ deres Motiv eine Rolle spielen - gemeint ist der spielerische Umgang mit Sprache, zusammen mit dem Bemühen um eine Zeichen einsparende Aus‐ drucksweise. Im Zusammenhang mit dem letzten Motiv sei noch einmal daran erinnert, dass Tweets auf 140 Zeichen begrenzt sind und darum einen sparsamen Umgang mit der Anzahl von Zeichen einfordert, die den Twitterern zur Verfü‐ gung steht. Der besondere Fall einer „Kontamination“ 9 von zwei Wörtern liegt bei der Bildung abreijos in ‚Beispiel 20‘ vor, in der die Wörter ‚abraço‘ und ‚beijos‘ zu einem Wort zusammengezogen werden - wieder Ausdruck des spielerischen Elements, das beim Twittern eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. 214 9. Beschreibung im Parameter ‚Medium‘ 9.1.2 Zusammenfassung Der Erkenntniswert, dem zufolge portugiesische ‚User‘ beim Twittern bei ei‐ nigen oft gebrauchten Wörtern schwach betonte Nebensilben und Laute weg‐ lassen, bestimmte Wörter und Wortgruppen mit aufeinander folgenden Vokalen zu größeren Einheiten zusammenziehen oder zu neuen Formen verschmelzen, ist gering und für eine Analyse der Phonetik des gesprochenen Portugiesisch belanglos. Eine solche Beschreibung, die von entsprechend ausgebildeten Pho‐ netikern viel besser und erschöpfender geleistet wird, bildet allerdings auch nicht das Ziel der vorliegenden Arbeit. Jedoch bedarf es einer Interpretation, dass ‚User‘ diese Prozesse auch im Me‐ dium der Schrift vollziehen bzw. versuchen, sie ‚nachzuahmen‘. Dabei gelange ich zu zwei Schlüssen: (a)Hinsichtlich der ‚keyboard-to-screen communication‘ wird deutlich, dass es sich bei dieser Tendenz zur Nachahmung sprechsprach‐ licher Formen nicht ausschließlich um ein spielerisches Element oder um eine Auswirkung des oft jugendlichen Alters der Twitterer (Nähe zur Jugendsprache) handelt. Sie deutet vielmehr auf das Bewusstsein der ‚User‘, dem zufolge sie selber - wenn auch unbewusst - von einer Nähe zwischen dieser peripheren Form des Nähesprechens zu Formen mündlich basierter Kommunikation (All‐ tagsdialoge) ausgehen. (b) Darüber hinaus zeigt sich, wie sich kompetente por‐ tugiesische Muttersprachler authentisches Sprechen einschließlich der Fak‐ toren, die es prägen, vorstellen. Wenn man diesen Konzepten, die sich in ihrem Sprachgebrauch manifestieren, folgt, richten sich die Sprecher nicht nach im Gedächtnis vorhandenen (Vor-)Bildern graphemischer Zeichenfolgen - durch Spatien voneinander getrennte Wörter -, sondern sie orientieren sich bei ihrem Sprachgebrauch nach erlernten akustischen Mustern und Variationen. Diese wiederum hängen vom Sprechapparat und seinen physiologischen Möglich‐ keiten ab. Als weitere beeinflussende Faktoren kommen gängige Muster und Tendenzen hinzu, die sich im Portugiesischen bereits als ‚Normen‘ der Aus‐ sprache herausgebildet haben, bzw. sich herausbilden. In der Begrifflichkeit des Modells des ‚Nähe- und Distanzsprechens‘ ausgedrückt, könnte man es so zu‐ sammenfassen, dass sich in der spielerischen und am Sprechen orientierten Schreibweise der Twitterer und ihrer Bildung von phonischen Worten das uni‐ versale Diskursverfahren ‚Bildung von Sprecheinheiten‘ manifestiert. 215 9.1 Bildung von Sprecheinheiten 10. Anwendung der Erkenntnisse für den ‚Portugiesisch als Fremdsprachenunterricht‘ Im Zentrum dieses Kapitels steht die Frage, was das vorliegende Buch unter dem Aspekt einer möglichen Anwendungen auf den Bereich ‚Portugiesisch als Fremdsprache‘ leistet, und welche Vorteile Lehrer aus seiner Lektüre ziehen können. Als Antwort auf diese Frage gelangt man zunächst einmal zu dem er‐ nüchternden Schluss, dass direkte Hinweise auf eine Anwendung in ihm nicht vorkommen. Es enthält weder didaktisch aufbereitete Texte noch Übungen, die für eine Anwendung geeignet wären. Wahrscheinlich aber schärft es das Be‐ wusstsein der Leser dafür, dass es sich bei den thematisierten sprachlichen Er‐ scheinungen um solche handelt, die entscheidend für die Entwicklung von ‚Sprechkompetenz‘ sind - ohne sie ist ein effizientes und authentisches dialog‐ isches Sprechen kaum vorstellbar. Darüber hinaus erfolgen zahlreiche konkrete Hinweise auf Ausdrucksweisen und Strukturen, über die ein Lerner der portu‐ giesischen Sprache verfügen sollte, um dialogische Alltagsdialoge kommuni‐ kativ zu bewältigen. Fachleuten auf dem Gebiet der Entwicklung von Lehrma‐ terial im Bereich ‚Portugiesisch als Fremdsprache‘ bekommen darüber hinaus auch Anregungen für die Entwicklung von didaktischem Material zur Förde‐ rung von Sprechkompetenz. Die Lektüre dieses Buches kann dazu beitragen, Fehler und Missverständnisse zu vermeiden, die lange Zeit die Praxis eines gesteuerten Fremdsprachenunter‐ richts und einer effiziente Ausbildung von Sprechkompetenz blockiert haben -, und wie ich fürchte noch immer blockieren. Mit dieser Aussage beziehe ich mich zunächst einmal auf den DaF-Unterricht, in dem ich durch meine lange Jahre währende Tätigkeit als DAAD -Lektor an der FLUL reichliche Erfahrungen gewonnen habe und darum auch um das bis dato nur sporadisch vorhandene und in meinen Augen mangelhafte Lehrmaterial zur Ausbildung von Sprech‐ kompetenz weiß. Mittlerweile liegt aber auch in diesem Bereich eine wachsende Zahl von Publikationen vor, die dem Phänomen der ‚Gesprochenen Fremd‐ sprache Deutsch‘ Rechnung trägt. Dieser Umstand nährt die Hoffnung, dass die Erkenntnisse der GSF bei den Verantwortlichen des DaF-Bereichs (Lehrer, Lek‐ toren, Verlage) in den nächsten Jahren nach und nach zur Kenntnis genommen und unterrichtspraktische Relevanz erlangen werden. Dem Leser wird bei den folgenden Ausführungen deutlich werden, dass ich hingegen im Bereich ‚Portugiesisch als Fremdsprache‘, für den die Lektüre 1 ‚Authentisch‘ bedeutet nicht, dass es sich bei diesen Texten um Transkriptionen wirk‐ lich stattgefundener Gespräche, Erzählungen, Interviews oder real geposteter Tweets - um nur einige Beispiele zu nennen - handeln sollte, die mit ihren oft unverständlichen Transkriptionssymbolen, Satzabbrüchen, parallelen Sprechpassagen, orthographischen Fehlern etc. Lehrer und Lerner wahrscheinlich mehr verunsichern, als dass sie zum Verständnis der entsprechenden Ausdrucksweisen beitragen. Unter authentischen Texten verstehe ich hingegen leserliche Texte, denen Sprechanlässe in unserer kom‐ munikativen Wirklichkeit vorkommen, und die entsprechend aufgearbeitet jeweils ei‐ nige der sprachlichen Merkmale der Nähesprachlichkeit aufweisen, die dann im Un‐ terricht thematisiert werden können. meines Buches ja eigentlich relevant ist, weder über hinreichendes theoretisches noch praktisches Wissen verfüge. Dieser Umstand zwingt mich dazu, bei der Formulierung meiner folgenden Thesen von einer Analogie zwischen den Be‐ reichen ‚Deutsch und Portugiesisch als Fremdsprache‘ auszugehen, ein Um‐ stand, der den Erkenntniswert dieser Thesen natürlich erheblich einschränkt. Trotzdem verfüge ich über Hinweise zu der Annahme, dass beide Bereiche wahrscheinlich gewisse Tendenzen und Mängel teilen. Einer der größten Mängel betrifft die Auswahl von geeigneten authenti‐ schen 1 Texten. Lehrer, die im Sprachunterricht von Texten ausgehen, in denen zentrale Ausdrucksweisen und Strukturen des Nähesprechens fehlen, werden niemals in der Lage sein, zur wirklichen Entwicklung der Sprechfähigkeit ihrer Lerner beizutragen, selbst wenn im Zusammenhang mit diesen Texten im Un‐ terricht viel ‚gesprochen‘ werden sollte. Diese Fehlentwicklung betrifft auch Lehrer, die auf methodischem Gebiet (Förderung der Motivation der Lerner, Einsatz von Medien, etc.) gut informiert und ausgebildet sind. Ein typischer Fehler besteht oft darin, dass Lehrende Texte als Grundlage benutzen, um sie dann im Unterricht - oft auch im Anschluss an entsprechende Hausaufgaben - ‚mündlich‘ weiter zu bearbeiten: man stellt Fragen zu den Texten, sie dienen als Vorlage für eigenes Erzählen über die ‚Ferien‘, das ‚vergangene Wochenende‘, ‚den typischen Tagesablauf eines Lerners‘ oder im günstigsten Falle als Grund‐ lage für ‚Rollenspiele‘. Selten wird dabei danach gefragt, ob die gestellten Auf‐ gaben in der außerschulischen Wirklichkeit der Lerner analoge Sprechanlässe und kommunikative Praktiken aufweisen, oder ob sie überhaupt außerhalb des Klassenzimmers existieren. Eine Ausnahme von diesen Gepflogenheiten stellen authentische Sprechanlässe dar, die sich aus dem ‚Classroom Discourse‘ er‐ geben, falls der Lehrer diese auch wirklich konsequent ausnutzt und nicht aus Bequemlichkeit und aus Gründen der Zeitersparnis doch wieder auf die Mut‐ tersprache der Lerner zurückgreift, wenn Lerner z. B. ihr Zuspätkommen ent‐ 217 10. Anwendung der Erkenntnisse für den ‚Portugiesisch als Fremdsprachenunterricht‘ 2 Im positiven Sinn vorbildlich für eine Praxis der Unterrichtsgestaltung, die authentische Sprechanlässe berücksichtigt und ernst nimmt, ist Butzkamms Lehrbuch „Lust zum Lehren, Lust zum Lernen - Fremdsprachenunterricht von Anfang an anders unter‐ richten“ (Butzkamm 2012). 3 Einen neuen Weg geht mein eigenes Lehrbuch „Sprechen lehren, lernen und verstehen. Grammatik und Übungen zu Ausdrucksweisen und Strukturen mündlicher Kommuni‐ kation. Stufenübergreifendes Studien- und Übungsbuch für den DaF-Bereich“ (Sieberg 2013 c ). In ihm werden sprachliche Erscheinungen wie ‚Rederechtsmittel‘, ‚adjazente Strukturen‘, ‚Operatoren in O-SK-ST‘, ‚Vagheitsausdrücke‘ etc. thematisiert und geübt, wobei als Grundlage des Lehrbuchs das gleiche Konzept dient, an dem sich auch die hier vorliegende Untersuchung zum gesprochenen Portugiesisch orientiert. Trotz po‐ sitiver Rezensionen, u. a. von Kretschmer in „Deutsch als Fremdsprache“ (2014), zeigen die Verkaufszahlen, dass dieses Buch in der Praxis des DaF-Unterrichts noch weitge‐ hend unbekannt ist, bzw. erst allmählich wahrgenommen wird. 4 Diese Aussage bleibt hinsichtlich portugiesischer Lehrbücher solange spekulativ, bis konkrete Lehrbuchanalysen den Nachweis für die Richtigkeit dieser Behauptungen führen, bzw. bis sie das Gegenteil beweisen - meiner Meinung ein weiteres Desiderat auf dem Gebiet der Didaktik des Portugiesisch als Fremdsprache. schuldigen oder um Erlaubnis bitten, den Unterrichtsraum ein paar Minuten früher als üblich verlassen zu dürfen etc. 2 . Erschwerend kommt noch hinzu, dass zumindest in den mir bekannten Lehr‐ büchern des DaF-Bereichs Ausdrücke und Strukturen des Nähesprechens, wenn sie in den entsprechenden Texten überhaupt vorkommen, kaum oder nur sehr oberflächlich und unsystematisch erklärt werden 3 . Natürlich bewege ich mich, wie bereits oben angedeutet, im Bereich der Spekulation, wenn ich vermute, dass im Bereich der Lehrmaterialien zum Portugiesisch als ‚Fremdsprache-Un‐ terricht‘ die Situation vergleichbar ist 4 . Um die Kritik noch einmal zusammenzufassen, die Bolton bereits vor 20 Jahren hinsichtlich des DaF-Unterrichts sehr treffend beschrieben hat: Viele Lehrer scheinen (oft unbewusst) Sprechen als „Vehikel“ zur Ausbildung einer „sekundären Mündlichkeit“ (Bolton 1996) zu nutzen, üben dabei aber in Wirk‐ lichkeit durch ‚Auswendiglernen‘ nur das Gedächtnis der Lerner und bei ent‐ sprechender Hilfestellung im Idealfall vielleicht auch ihre Aussprache. Im Un‐ terricht hingegen fehlt es meist an angemessenen Übungen und damit an der Ausbildung der Sprechfertigkeit als „Zielfertigkeit“. Im schlimmsten Fall über‐ nehmen die Lerner typische Strukturen der Schriftsprache, weil sie aufgrund der im Unterricht ausgeführten Übungen davon ausgehen müssen, dass pho‐ nisch hervorgebrachte Texte auch Mündlichkeit repräsentieren. Entsprechend geschockt und blockiert reagieren diese Lerner, wenn sie sich außerhalb des geschützten Raums einer Unterrichtssituation mündlich verständigen sollen. Hier wird eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einer effizienten Förderung der Sprechfähigkeit im gesteuerten Sprachunterricht deutlich. Viele 218 10. Anwendung der Erkenntnisse für den ‚Portugiesisch als Fremdsprachenunterricht‘ 5 In diesem Zusammenhang ist mir die Auseinandersetzung mit einer Expertin im ‚DaF-Bereich‘ in Erinnerung. Sie lehnte es kategorisch ab, dass Lerner auf die Frage Woher kommst du? mittels der elliptischen Struktur aus Porto antworten dürften. Sie bestand hingegen für alle denkbaren Kontexte auf der ihrer Meinung nach angemes‐ senen Form Ich komme aus Porto. Lehrwerke wie „Menschen“ (Hueber) scheinen er‐ freulicherweise einen neuen Weg zu gehen, der den Erkenntnissen der GSF entspricht. Lehrer verbleiben in dem Bewusstsein, durch ihren Unterricht, der auf man‐ gelnden oder irreführenden theoretischen Voraussetzungen beruht, zur Ausbil‐ dung der kommunikativen Grundfertigkeit ‚Sprechen‘ ihre Lerner beizutragen - sie bewirken aber wie im obigen Beispiel angedeutet oft das Gegenteil 5 . Provo‐ kativ formuliert, sie unterrichten etwas, von dem sie im Grunde nicht wissen wie es funktioniert. Das Hauptproblem besteht bei vielen Verantwortlichen im gesteuerten Fremdsprachenunterricht darin - so kann man mit Fug und Recht folgern -, dass sie oft über kein bzw. nur über mangelndes Wissen hinsichtlich der Ausdrucksweisen und Strukturen mündlicher Kommunikation verfügen, die ‚Sprechen‘ in seiner normalen und effizienten Form erst ermöglichen. Zu diesen Ausdrücken und Strukturen zählen die folgenden Erscheinungen, wobei ich ohne Anspruch auf Vollständigkeit die in diesem Buch thematisierten Phäno‐ mene zur Erinnerung noch einmal aufzähle: (a) Rederechtssignale und adjazente Strukturen zur Organisation des Rederechts; (b) sprachliche Ausdrücke und to‐ nale Zeichen zur Sicherung eines an gegenseitigem Verständnis (Engführung) orientierten Diskursverlaufs; (c) Operatoren in ‚O- SK - ST ‘, Tópicos Marcados und Construções de Clivagem zur Nuancierung der illokutiven Gehalte von Sprech‐ akten und zur Beeinflussung des Gesprächspartners; (d) die Möglichkeit, auf Äußerungen des Gesprächspartners durch ‚Reaktive‘ spontan und effizient zu reagieren; (e) der Gebrauch elliptischer Formen in ihren verschiedenen Aus‐ prägungen; (f) Überbrückungsphänomene zur Vermeidung von Pausen und Formulierungsschwierigkeiten; (g) eine additive statt integrative Strukturierung des Informationsflusses (Häppchenstil), um Zeit für die sich überlagernde Pla‐ nung und Ausführung von Äußerungen zu gewinnen; (h) das Ausnutzen des Zusammenspiels von indirekter und direkter Rede zur Verwirklichung pragma‐ tisch relevanter Funktionen; (i) die Ausrichtung an akustischen Mustern zur Bildung von ‚Phonischen Worten‘ statt an visuellen Erinnerungen und ‚graphe‐ matischen Einheiten‘; (j) der Gebrauch nonverbaler und graphostilistischer Mittel zur Emotionalisierung des sprachlichen Duktus in der ‚keyboard-toscreen communication‘. Kenntnisse hinsichtlich der Bedeutung dieser Strukturen sind meines Wissen und meiner Erfahrung nach bis heute unter vielen Verantwortlichen des ge‐ steuerten Fremdsprachenunterrichts nicht bekannt und stoßen kaum auf Inte‐ 219 10. Anwendung der Erkenntnisse für den ‚Portugiesisch als Fremdsprachenunterricht‘ 6 Wenn man im deutschsprachigen Kulturraum Urteile über die gesprochene Sprache fällt, sind diese meist pejorativ konnotiert. Im Zusammenhang mit ‚Sprechen‘ werden Assoziationen zu ‚plappern‘,‚schnattern‘, ‚schwätzen‘ etc. geweckt, aber kaum Vorstel‐ lungen einer vollwertigen Variante des verbalen Codes. In diesem Zusammenhang wird man an eine Äußerung von Ernst Moritz Arndt erinnert: „[…] der Franzose ist ein spre‐ chendes, der Deutsche ein denkendes Volk“ (Arndt 1845, 405). 7 An dieser Stelle ergibt sich ein weiteres Desiderat: Eine genaue Analyse und Bestands‐ aufnahme portugiesischer Lehrbücher im Bereich ‚Portugiesisch als Fremdsprache‘. 8 Auf dem Gebiet der Idiomatik ist besonders Coulmas zu erwähnen, der bei seiner Ana‐ lyse der Idiomatik unter pragmatischen Aspekt auf die Bedeutung von „Routine- und Gesprächssteuerungsformeln“ für das sprachliche Handeln stößt und ihre Funktionen beschreibt (Coulmas 1981, 69 sqq. sowie 1985). resse. Oft lösen sie bei den Verantwortlichen einer älteren Lehrergeneration sogar Widerwillen aus, weil diese davon überzeugt sind, dass sie mit dem Hand‐ werkszeug der ‚kommunikativen Methode“ der 80er und frühen 90er Jahre, den abstrakten Formulierungen des ‚Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen‘ zusammen mit den Fortschritten auf dem Gebiet didaktischer ‚Methoden‘ (im Sinn von Unterrichtstechniken, Motivierung der Lerner, dem Einsatz verschiedener Medien, etc.) hinreichend für die Ausbildung der Sprech‐ kompetenz ihrer Lerner ausgerüstet seien. Zudem orientieren sich einige Lehrer wahrscheinlich unbewusst immer wieder an den vermeintlich ‚überlegenen‘ Regeln der Schriftgrammatik 6 . Wenn ich mir im Zusammenhang mit diesen Be‐ hauptungen Grammatiken zur portugiesischen Sprache ansehe, ergeben sich m. E. einige Anhaltspunkte, die darauf deuten, dass die an dieser Stelle von mir unterstellte Analogie zwischen ‚Deutsch als Fremdsprache‘ und ‚Portugiesisch als Fremdsprache‘ wahrscheinlich zutrifft 7 . Dabei hat die Sprachwissenschaft - ich beziehe mich dabei wieder auf die germanistische GSF - in den letzten Jahrzenten hinreichende Erkenntnisse zu‐ sammengetragen, die für eine ausreichende Wende im Bereich des Unterrichts der GS hätten beitragen können. Dies ist m. E. aber bis heute nicht geschehen, auch wenn einzelne Didaktiker immer wieder versucht haben, dieses Wissen auch für eine Anwendung im gesteuerten Fremdsprachenunterricht zu nutzen. Wie weit diese Erkenntnisse um die Charakteristika dialogischen Sprechens bereits seit langem gediehen sind 8 , wird an den folgen Begriffen und Zitaten ersichtlich: So prägte bereits Ende der 70er Jahre die estnisch-schwedische Lin‐ guistin Els Oksaar den Begriff einer „interaktionalen Kompetenz“, worunter sie „die Fähigkeit einer Person, in Interaktionssituationen verbale und nonverbale kommunikative Handlungen in zwei Rollen zu vollziehen“ (Oksaar 1979, 395), versteht. Alle in diesem Buch erläuterten sprachlichen Merkmale des portugie‐ sischen Nähesprechens, die auf den letzten beiden Seiten detailliert aufgeführt 220 10. Anwendung der Erkenntnisse für den ‚Portugiesisch als Fremdsprachenunterricht‘ werden, lassen sich als Voraussetzungen für den Erwerb einer solchen Kompe‐ tenz begreifen und gehören somit zu den wesentlichen sprachlichen Merkmalen einer interaktionalen Kompetenz im Sinne Oksaars. Ein aktuellerer Begriff, der sich an die Vorstellungen Oksaar anschließt, ist der einer „interaktiven Kontextualisierungskompetenz", den Hennig in den 2000er Jahren als Schlüsselbegriff für einen Aufsatz zum Thema geplant hatte. Der entsprechende Aufsatz wurde dann leider nicht veröffentlicht - das Manu‐ skript aber hat mir die Autorin freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Beide Begriffe, sowohl der von Oksaar als auch der von Hennig, teilen die Überzeu‐ gung, dass eine systematische Bestimmung und Einbeziehung der Ausdrücke und Strukturen dialogischen Nähesprechens unbedingt mit in den gesteuerten Fremdsprachenunterricht gehört. Zur ‚interaktionalen Kompetenz‘ gehören au‐ ßerdem der angemessene Gebrauch suprasegmentaler Merkmale der Prosodie sowie von nichtverbalen Anteilen der Kommunikation (cf. Kapitel 4). Auch diese Mittel sollte ein Sprecher ‚gekonnt‘ einsetzen, wenn er in einem Dialog seine Interessen effizient verteidigen möchte. Nicht erwähnt wurde bisher ein weiteres Problem, das aus dem dynamischen Charakter nähesprachlicher Dialoge erwächst. Gemeint ist die kontextabhän‐ gige Bedeutung bzw. Funktion von Ausdrücken, deren ‚Verstehen‘ sich erst aus dem Kontext des dialogischen Verlaufs und der in ihm bereits vorher geäußerten Beiträge der beteiligten Gesprächsteilnehmer ergibt. Als Beispiel für die Not‐ wendigkeit einer Einbeziehung von ‚Kontext‘ für ein angemessenes Verständnis eines Ausdrucks prototypischen Nähesprechens verweise ich noch einmal auf die letzte Zeile des bereits in Kapitel 6.2.1. analysierten Dialogs: T [<] <ah sim / / claro> / / mas é evidente / / . In diesem Dialog verwandelt ‚Sprecherin T‘ mittels der Reaktive claro und é evidente ihr zunächst oberflächliches und kaum ernst‐ zunehmendes Versprechen, ihrem Gesprächspartner beim Kauf eines Schmuck‐ stücks zu helfen - auf die Richtigkeit dieser Vermutung verweist das vorher, wie beiläufig ins Gespräch eingeworfene está bem -, erst am Schluss des Dialogs in eine ernsthafte Verpflichtung. In Unterrichtssituationen aber bieten Lehrbücher meistens Dialoge an, die den Lernern in Form kompletter Texte vorgegeben werden, so dass ihnen das eigentliche Problem erspart bleibt, spontan und im richtigen Moment auf eine angemessene sprachliche Ausdrucksweise oder Struktur zurückzugreifen, so wie es im obigen Beispiel veranschaulicht wird. Bei der Ausführung von Übungen, die solche Dialoge normalerweise begleiten, hat der Lerner in den meisten Fällen den vollständigen Dialog bereits gelesen bzw. gehört, so dass sein eingefordertes verbales Handeln auf anderen Voraus‐ setzungen beruht als auf solchen, die in der kommunikativen Wirklichkeit vor‐ kommen. Aus diesem Auseinanderklaffen zwischen kommunikativer Wirklich‐ 221 10. Anwendung der Erkenntnisse für den ‚Portugiesisch als Fremdsprachenunterricht‘ 9 Entsprechend der Kategorisierung in Kapitel 5.3.1 handelt es sich bei one more thing um den Operator in einer ‚Operator-Skopus-Struktur‘, dessen Leistung darin besteht, die Relation(en) der Mitteilung im folgenden Skopus zu den anderen Teilen der vorangeh‐ enden Äußerung zu bestimmen - sozusagen die Anordnung der Elemente im Verlauf einer Diskursequenz anzuzeigen. Diese Definition trifft sowohl auf die Situationen zu, in denen Jobs den Ausdruck one more thing als Operator - und mithin als rhetorisches Mittel zur Erzeugung einer gespannten Erwartungshaltung seitens seiner Hörer - zu verwenden pflegte, als auch auf seinen analogen Gebrauch in ähnlicher Funktion durch Inspektor Colombo. keit und Unterrichtssituation ergeben sich besondere Probleme für die Konzipierung zukünftiger Lehrbücher, die neuartige Lösungen sowie den Ein‐ satz multimedialer Materialien erfordern. Im Unterricht noch schwieriger zu bewältigen sind Texte, für deren Verstehen von den Lernern ein Wissen von Sachverhalten eingefordert wird, das außerhalb des eigentlichen Unterrichts liegt. Als Beispiele für solche ‚Präsuppositionen‘ möchte ich auf zwei Ausdrücke der englischen Sprache und ihren Gebrauch in den entsprechenden Kontexten verweisen. Zunächst einmal beziehe ich mich auf Steve Jobs Ausdruck „just one more thing“, den er zu Lebzeiten nach der (scheinbar) letzten Phase seiner Produkt‐ vorstellungen wirksam dazu einzusetzen wusste, um das eigentlich interessante, neue ‚Objekt der Begierde‘ der Öffentlichkeit zu präsentieren, die diesem Mo‐ ment und diesen Worten bereits im Vorfeld gespannt entgegensah. Die beson‐ dere Bedeutung, die Jobs durch diesen einführenden Operator just one more thing  9 seine nachfolgenden Ausführung (Skopus) verlieh, entstand durch einen Widerspruch: Operatoren wie just one more thing - oder ihre Entsprechungen in anderen Sprachen - verweisen normalerweise auf eine nebensächliche In‐ formation, die sozusagen als Nachspann dem vorausgehenden Hauptdiskurs folgt und eine nebensächliche Information zu enthalten pflegt, die der Sprecher vielleicht vorher zu erwähnen vergessen hatte. Im Fall von Jobs Diskurs aber enthielt dieser nachfolgende Teil des Diskurses die eigentlich zentrale und wichtige Neuigkeit. Das Publikum, das bei solchen Präsentationen zum wieder‐ holten Mal mit diesem rhetorischen Trick konfrontiert wurde, fieberte diesem Nachspann und den Worten, die ihn einzuleiten pflegten, bereits im Vorfeld jeder dieser Präsentationen mit Hochspannung entgegen. Entsprechend gelang es Jobs, die Aufmerksamkeit des Publikums genau auf diesen Moment und somit auch auf das entsprechende Produkt zu fokussieren. Eines ähnlichen ‚Tricks‘, einen Operator für seine kommunikativen Intentionen zu nutzen, bediente sich der amerikanische Inspektor Colombo in den Folgen seiner gleichnamigen Fernsehserie, wenn er am Ende eines scheinbar belanglosen Gesprächs mit 222 10. Anwendung der Erkenntnisse für den ‚Portugiesisch als Fremdsprachenunterricht‘ 10 Cf. https: / / www.youtube.com/ watch? v=eNvzRnotGsY (4. 9. 2017). einem der Verdächtigen sich beim Verlassen des Raums, sozusagen zwischen Tür und Angel, noch einmal umdrehte und sein Gespräch mit den Worten one more thing (before I forget it) beendete 10 . Angesicht der augenscheinlichen Relevanz der Erkenntnisse für den gesteuerten Fremdsprachenunterricht, die ich in den vorherigen Kapitel darstellen konnte, verstehe ich dieses Buch auch als Impuls für die Fremdsprachendidaktik des Portugiesischen: Für eine Entwicklung von Lehrbüchern und anderen Formen didaktischen Lehrmaterials, die sich auf die hier formulierten Erkenntnisse und insbesondere auf das an dieser Stelle genutzte Konzept des Nähe- und Distanz‐ sprechens stützen. Natürlich ist mir klar, dass es aufgrund der Sprachbarriere nur relativ wenige Fachleute - vielleicht aus dem Bereich der Romanistik oder der vergleichenden Sprachwissenschaften - sein werden, die auf der Grundlage des vorliegenden Buches von dieser Möglichkeit Gebrauch machen können. Trotzdem wäre ein Lehrbuch denkbar und wünschenswert, das sich eines sprachpragmatischen Konzepts bedient, sich an den an dieser Stelle erörterten universalen Diskursverfahren und sprachlichen Merkmalen orientiert, eine Sammlung passender authentischer kommunikativer Praktiken aus den ver‐ schiedenen Bereichen des prototypischen und peripheren portugiesischen Nä‐ hesprechens zusammenstellt (wenn möglich auf multimedialer Basis) und pas‐ sende theoretische Erklärungen und praktische Übungen zu diesen Texten ausarbeitet. Als Hilfe und zusätzlichen Anreiz steht das Glossar am Ende dieses Buches zur Verfügung. Es übersetzt Begriffe und Termini, die aus der germanistischen GSF stammen, ins Portugiesische und enthält zusätzlich einige Definitionen. 223 10. Anwendung der Erkenntnisse für den ‚Portugiesisch als Fremdsprachenunterricht‘ 1 GER = Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen. 11. Schlussbemerkungen Das Buch richtet sich an Kollegen, die im Bereich der Romanistik, der kontras‐ tiven Sprachforschung und angewandten Linguistik (Didaktik der portugiesi‐ schen Sprache) an deutschen und ausländischen Universitäten und Bildungs‐ einrichtungen arbeiten und forschen. Auch Lehrer und Studenten, die an solchen Einrichtungen Portugiesisch lehren und lernen, gehören zur Zielgruppe dieses Buches. Hinzu kommen deutschsprachige Übersetzer und Dolmetscher, für deren Arbeit das vorliegende Buch eine Hilfestellung für den Gebrauch au‐ thentischer verbaler Mittel des portugiesischen Nähesprechens anbietet. Alle diese angesprochenen Zielgruppen sollten allerdings bereits über einige Grund‐ kenntnisse der portugiesischen Sprache (mindestens Niveaustufe ‚A 2‘ nach dem GER 1 ) verfügen, um die 131 Beispielsätze, portugiesischen Termini und Begriffe zu verstehen, mit denen sie sich im vorliegenden Text auseinandersetzen müssen. Neben einem klar gegliederten methodischen Konzept, das ihnen auf theoretischer Ebene hilft, zu begreifen, welche spezifischen sprachlichen Mittel notwendig sind, um sich auf Portugiesisch unterhalten zu können, wird ihnen zusätzlich ein umfangreiches Inventar von Redemitteln und Strukturen zur Be‐ wältigung typischer Situationen dialogischen Sprechens angeboten, das in vielen portugiesischen Grammatiken und Lehrbüchern nicht angemessen be‐ rücksichtigt wird. Auf jeden Fall dürfte den Lesern bei der Lektüre dieses Buches deutlich werden, dass eine pragmatische Sicht auf die Erscheinungen der gesprochenen portu‐ giesischen Sprache unumgänglich ist, wenn man erfahren möchte, wie diese funktioniert. Eine Methode hingegen, die sich auf formal-strukturalistische Ge‐ sichtspunkte einer Sprachbetrachtung beschränkt und darüber hinaus von starren Regeln der Schriftgrammatik ausgeht, muss dieses Ziel verfehlen. Die in der vorliegenden Arbeit gewonnenen Erkenntnisse sind darum nicht nur für Lehrende der portugiesischen Sprache von Bedeutung, sondern betreffen alle im Bereich der Didaktik des Fremdsprachenunterrichts Verantwortlichen, die an der Weiterentwicklung ihrer Konzepte für einen gesteuerten Fremdspra‐ chenunterricht arbeiten. Den wirklichen Stellenwert einzelner sprachlicher Erscheinungen für das Funktionieren mündlicher bzw. ‚nähesprachlicher‘ Verständigung - letzterer Ausdruck entspricht dem hier vertretenden Konzept von Mündlichkeit, das auch Varianten konzeptioneller Mündlichkeit mit einbezieht - erkennt der Be‐ obachter erst durch das Anlegen übergeordneter Maßstäbe, die viele einzelne und scheinbar unzusammenhängende sprachlichen Merkmale zu Gruppen zu‐ sammenfassen. Solche Maßstäbe bietet das an dieser Stelle angewandte Modell des Nähe- und Distanzsprechens in seiner Version von Ágel / Hennig. In seiner streng systematisierten und hierarchisierten Form postuliert es ein allgemein geltendes Axiom (Zeit / Raum der Produktion = Zeit / Raum der Rezeption einer Äußerung) und stellt die Analyseparameter von ‚Rolle‘, ‚Zeit‘, ‚Situation‘, ‚Code‘ und ‚Medium‘ sowie eine Reihe von universal geltenden Diskursverfahren zur Verfügung, die sich jeweils aus diesen Parametern ableiten lassen. Jedem dieser Diskursverfahren entsprechen wiederum Bündel von sprachlichen Ausdrücken und Strukturen, in denen sich die jeweiligen Verfahren manifestieren. Um dieses Konzept durch ein Beispiel zu veranschaulichen: Scheinbar so heterogene sprachliche Phänomene wie (a) ‚doppelte Negationen‘, (b) ‚Parenthese‘, (c) ‚re‐ dundante Markierung des Tempus‘, (d) ‚Construções de Clivagem‘, (e) ‚fehlende oder nur schwach ausgeprägte syntaktische und logische Kohäsionsmarkie‐ rungen zwischen Teilen einer Diskurssequenz‘, (f) ‚ambivalente Konnektoren wie portanto oder agora etc.‘, (g) ‚Reaktive‘, die als spontane Reaktion auf vo‐ rangehende Sprechbeiträge und die mit ihnen verbundenen Geltungsansprüche reagieren, (h) ‚orações relativas cortadoras‘ und ‚orações resumptivas‘, verfügen doch über einen gemeinsamen Nenner: Sie ermöglichen eine additive Reihung des Informationsflusses (Häppchenstil), oder um es in der Begrifflichkeit des an dieser Stelle benutzten theoretischen Konzepts auszudrücken, in ihnen mani‐ festiert sich das universale Diskursverfahren einer ‚aggregativen Strukturierung des Informationsflusses‘. Der Grund hierfür: Unter den situativen Bedingungen, im Rahmen derer Sprecher die Planung und Realisierung ihrer Äußerungen fast zeitgleich vollziehen müssen (Parameter ‚Zeit‘), erweist sich diese Form der Strukturierung der Diskurssequenzen von entscheidendem Vorteil für effizi‐ entes Nähesprechen. Die Lektüre des Buches dürfte weiterhin deutlich machen, dass es sich bei vielen sprachlichen Ausdrücken, die konstituierend zum Funktionieren nähe‐ sprachlicher Kommunikation beitragen, um „Routineformeln“ (Burger 2015, 32) handelt, die nicht erst im Moment ihrer Formulierung zusammengefügt werden müssen, sondern wie ‚vorgefertigte Module‘ den Sprechern zur Verfü‐ gung stehen und somit ihr Kurzzeitgedächtnis in einem geringeren Maß be‐ lasten. Von zentraler Bedeutung für die an dieser Stelle vertretende Einschätzung der sprachlichen Ausdrücke und Strukturen, die Nähesprechen konstituieren, 225 11. Schlussbemerkungen erweist sich Coserius Begriff der ‚Norm‘ (cf. Kapitel 4). Bei vielen der hier be‐ schriebenen sprachlichen Merkmalen handelt es sich um ‚Gebrauchsregulari‐ täten‘ oder ‚übliche Verwendungsformen‘. Das bedeutet, Sprecher wählen sie aus einem Angebot von möglichen Varianten, wobei sie sogar in manchen Fällen gegen aktuell geltende Regeln der portugiesischen Schriftgrammatik verstoßen. Die Gründe für diese Wahl werden dann deutlich, wenn man sie aus der Per‐ spektive des Modells des Nähe- und Distanzmodells analysiert. So erfährt der häufig zu beobachtende Umstand, dem zufolge Sprecher in einem Dialog Teile der Sprechsequenz ihrer Gesprächspartner übernehmen oder sie fortführen (Adjazenz) und als Folge syntaktisch unvollständige Sätze (Ellipsen) hervor‐ bringen, seine Erklärung dadurch, dass sich in diesen Formen der Kollaboration zwischen Gesprächsteilnehmern die universalen Diskursverfahren ‚Sequenzie‐ rung der Rede‘ bzw. ‚Engführung der Orientierung‘ manifestieren. Die Erfüllung dieser Norm des nähesprachlichen Sprachgebrauchs erweist sich stärker als das Bemühen um die Vollständigkeit regelhafter syntaktischer Strukturen der Schriftgrammatik. Doch ergibt sich aus den Erkenntnissen, die im Buch erläutert werden, eine Reihe von weiterführenden Fragen und Problemstellungen für zukünftige Un‐ tersuchungen. Zu ihnen gehört - um nur ein Beispiel zu nennen - eine aus‐ führlichere Beschreibung der kommunikativen Praktiken konzeptioneller Mündlichkeit aus dem Bereich der ‚keyboard-to-screen communication‘, die ich an dieser Stelle auf die Praktik des ‚Twitterns‘ beschränken musste. Viele der im vorliegenden Buch nur am Rande und entsprechend oberfläch‐ lich thematisierten sprachlichen Ausdrücke und Strukturen - hierzu gehören u. a. auch ‚usuelle Wortverbindungen‘, die im Zusammenwirken von verbalem und nonverbalem Handeln häufig in Form von Ellipsen auftreten - bedürfen vertiefender, Korpus gestützter Untersuchungen. Es wäre aber unangebracht, bereits an dieser Stelle zu versuchen, eine Auflistung von sprachlichen Merk‐ malen portugiesischen Nähesprechens vorzunehmen, die ergänzender Unter‐ suchungen bedürfen. Als Hilfe und Ausgangspunkt für entsprechende Vorü‐ berlegungen kann ich auf die schematische Darstellung des Modells in ‚Kapitel 4‘ verweisen, die bereits eine ganze Reihe von Anregungen für zukünf‐ tige Forschungen zum gesprochenen Portugiesisch enthält. Eine andere zentrale Frage, die ins Vorfeld epistemologischer Reflexionen gehört, betrifft das grundsätzliche Verhältnis zwischen den konventionellen Re‐ geln der Schriftgrammatik und den Gebrauchsregularitäten, die sich im Bereich des mündlichen Sprachgebrauchs als ‚Norm‘ erweisen und auf Sprachwandel‐ prozesse und künftige Varianten des portugiesischen Sprachsystems deuten. Eine solche Diskussion kann allerdings nur dann zu aufschlussreichen Erkennt‐ 226 11. Schlussbemerkungen nissen führen, wenn sie von ‚Offenheit‘ gegenüber den Erscheinungen nähe‐ sprachlicher Ausdrucksweisen geprägt ist und von einer grundsätzlichen Durchlässigkeit zwischen zufälligem subjektiven Sprachgebrauch, Gebrauchs‐ regularitäten (Normen) und den bestehenden, aber nicht auf ewig festgeschrie‐ benen Regeln des Sprachsystems ausgeht. Mit der Hoffnung auf erheblichen Erkenntniszuwachs verbinden sich weiterhin Forschungen, die verbales Agieren im Zusammenhang mit suprasegmentalen Merkmalen der Prosodie und nichtverbalen Anteilen der Kommunikation empirisch gestützt - d. h. auf der Basis multimedial annotierter Korpora - untersuchen. Zum Schluss möchte ich noch auf einen weiteren Aspekt für weiterführende Arbeiten verweisen. Es wäre wichtig zu untersuchen, inwieweit charakteristi‐ sche Ausdrücke und Strukturen des portugiesischen Nähesprechens ihren Ur‐ sprung in diatropischen, sozialen und gruppenspezifischen Varianten haben. Dabei denke ich insbesondere an Ausdrucksweisen des außereuropäischen Por‐ tugiesisch, aber auch an solche der Jugendsprache. Bereits ‚Kapitel 10‘ (Anwendung) sollte dem Leser deutlich gemacht haben, dass die in diesem Buch gewonnenen Erkenntnisse auch für die Anwendung im gesteuerten Portugiesisch-Unterricht wichtig sind. Diese betrifft die Bereiche ‚Portugiesisch als Fremdsprache und Zweitsprache‘, gilt aber auch allgemein für den Portugiesisch-Unterricht für Muttersprachler. Hieraus leitet sich die Not‐ wendigkeit für eine Entwicklung passender didaktischer Materialien sowie für die Vermittlung entsprechender Kenntnisse hinsichtlich des gesprochenen Por‐ tugiesisch ab. Für die Erfüllung der letzten Forderungen kommt der Lehreraus‐ bildung eine zentrale Bedeutung zu. Ich habe dieses Buch geschrieben und konnte einen Teil der sprachlichen Phä‐ nomene des gesprochenen Portugiesisch erläutern, der von konventionellen Grammatiken der portugiesischen Schriftsprache häufig unter irreführenden methodischen Voraussetzungen thematisiert wird oder aus Gründen eines fal‐ schen Verständnisses mündlicher Kommunikation erst gar nicht ins Blickfeld von Grammatikern und Philologen gelangt. Genauso wichtig aber war es für mich, in diesem Buch exemplarisch nachzuweisen, wie das an dieser Stelle be‐ nutzte Modell des Nähe- und Distanzsprechens - einschließlich seines Axioms, seiner Parameter und der benutzten Terminologie - einen geeigneten Ansatz bietet, um viele der noch fehlenden Elemente des komplexen Zusammenwirkens mündlicher Verständigung im Portugiesischen aus einem übergeordneten Zu‐ sammenhang systematisch zu erklären und dem Leser verständlich zu machen. Ich hoffe, dass ich dieses Ziel erreicht habe. Falls dies so wäre, hätte ich ein wenig dazu beigetragen, meiner Aufgabe als Vermittler zwischen zwei Wissenskul‐ 227 11. Schlussbemerkungen turen gerecht zu werden, so wie ich es im Vorwort zu diesem Buch angekündigt habe. 228 11. Schlussbemerkungen Bibliographische Hinweise Abaurre, Maria Bernadete M. (org.). 2013. „A Construç-o Fonológica da Palavra“, in: Gramática do Português Culto Falado no Brasil (Vol. VII). S-o Paulo: Editora Contexto. Admoni, Wladimir. 1971. Grundlagen der Grammatiktheorie. Heidelberg: Quelle / Meyer. Ágel, Vilmos / Kehrein, Roland. 2002. „Das Wort - Sprech- und / oder Schreibzeichen? Ein empirischer Beitrag zum latenten Gegenstand der Linguistik“, in: Ágel, Vilmos / Gardt, Andreas / Haß-Zumkehr, Ulrike / Roelcke, Thorsten (eds.): Das Wort. Seine strukturelle und kulturelle Dimension. (Festschrift für Oskar Reichmann zum 65. Ge‐ burtstag). Tübingen: Niemeyer, 3-28. 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Für sie übersetze und erläutere ich im folgenden Glossar einige dieser zentralen Begriffe und Termini in knapper Form und erfülle somit auch einen Teil des im Vorwort gemachten Versprechens. Gemeint ist der Versuch eines Brückenschlags zwischen unterschiedlichen Sprachen und Wis‐ senschaftstraditionen. Übersetzungen von Termini und Begriffen, die im Kon‐ tinentalportugiesisch nicht vorkommen, sich aber in der brasilianischen Sekun‐ därliteratur finden, werden in Klammern angegeben. Die Übersetzungen / Erläuterungen des Glossars sind alphabetisch aufgelistet, wobei komplementäre Begriffe wie ‚Nähesprechen vs. Distanzsprechen‘ als Einheit zusammen über‐ setzt und erläutert werden. Dasselbe gilt für Begriffe, die unmittelbar in einem konzeptuell-logischen Zusammenhang stehen, wie z. B. verschiedene universale Diskursverfahren innerhalb des gleichen Parameters. Einige Begriffe und Ter‐ mini, deren Definitionen vom allgemeinsprachlichen Verständnis bzw. von Ver‐ wendungsweisen abweichen, die sie in anderen linguistischen Kontexten auf‐ weisen, und die darum den Lesern eventuell nicht vertraut sind, werden zusätzlich übersetzt und erklärt. Um den Text dieser zusätzlichen Verständnis‐ hilfen nicht zu umfangreich und unübersichtlich zu gestalten, fehlen bei einigen Begriffen und Termini die entsprechenden bibliographischen Hinweise. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen entsprechende Referenzen bereits im vo‐ rausgehenden Text vorkommen. Axiom des Modells - o axioma do modelo: local e tempo da produç-o de uma enunciaç-o = local e tempo da recepç-o da mesma. Adjazente Strukturen - estruturas adjacentes: estruturas que caracterizam a comunicaç-o dialogal. Aparecem como consequência de uma continuaç-o da sequência discursiva do ouvinte por parte do falante, na forma de uma repetiç-o total ou parcial da sequência coloquial do interlocutor ou, no seguimento de uma sequência tipo ‚pergunta -> resposta‘ (dois bilhetes para Coimbra - ida e volta? - só ida). Estruturas adjacentes acabam regularmente em estruturas elípticas. Diskursmarker - marcadores discursivos (marcadores conversacionais): uma categoria de elementos linguísticos, relativamente flexível e aberta, que essencialmente contribui para o funcionamento da fala de proximidade (imedi‐ atez). Marcadores discursivos como ,bem‘, ‚pois‘, ‚n-o é‘ s-o polifuncionais, aliás polivalentes. Conforme o contexto, em que ficam inseridos, desempenham fun‐ ções distintas. Na abordagem deste livro s-o classificados em vários grupos, de acordo com as funções específicas, que desempenham. Assim diferenciamos, por exemplo entre „expressões de hesitaç-o“ ou „marcadores da alternância de vez“ (Rederechtsmittel) etc. Engführung der Orientierung - estreitamento da orientaç-o (fazer con‐ vergir o significado da mensagem emitida pelo falante com a sua interpretaç-o pelo ouvinte): Trata-se de uma estratégia discursiva fulcral para a comunicaç-o dialogal, que se manifesta por meio de vários sinais sonoros, expressões verbais e estruturas adjacentes. Tem como objetivo assegurar a compreens-o mútua entre os interlocutores. Engführungssignale - expressões de estreitamento da orientaç-o: sinais sonoros, além de expressões e estruturas adjacentes, que s-o consequência de uma colaboraç-o entre falante e ouvinte. Têm como objetivo evitar mal-enten‐ didos e garantir a compreens-o mútua entre os interlocutores. Gesprochene Sprache - fala (língua oral) Interaktionale Kompetenz - competência interacional: Essa competência resume-se na capacidade dos interlocutores de desempenharem ações verbais e n-o-verbais, a fim de garantir a compreens-o mútua entre os participantes do diálogo (Oksaar 1979, 395). Para agir ao nível desta competência interacional, os interlocutores devem utilizar expressões e estruturas verbais em que se mani‐ festam as estratégicas discursivas universais que apresentei no âmbito da desc‐ riç-o do modelo da fala de proximidade e distância. A título de exemplo devem dispor de uma competência linguística que permita (a) criar unidades simplifi‐ cadas, curtas e concisas, (b) numa comunicaç-o caraterizada por entrelaça‐ mentos entre ações verbais e n-o verbais, utilizar adequadas formas elípticas, (c) sincronizar a própria contextualizaç-o dos elementos da situaç-o com a do interlocutor, (d) além do próprio código verbal, recorrer a todos os códigos aces‐ síveis a fim de passar a informaç-o pretendida, (e) influenciar a descodificaç-o da mensagem pelo ouvinte, por meio de operadores em estruturas ‚O- SK - ST ‘, por meio de tópicos pendentes etc. 255 Glossar - Zentrale Begriffe aus der germanistischen GSF und Erklärung auf Portugiesisch Interaktionale Linguistik - linguística interacional: Para Imo (2015, 3) a reflexividade entre língua e contexto, a sequencialidade como princípio estru‐ tural, a criaç-o colaborativa de sentido e estrutura, e a consideraç-o do contexto e pressuposições extra-contextuais, s-o princípios fundamentais da linguística interacional. Em delimitaç-o da interpretaç-o formal e estática de Chomsky, a linguística interacional define a língua da seguinte forma: „Grammar is not only a resource for interaction and not only an outcome of interaction, it is part of the essence of interaction itself. Or, to put it another way, grammar is inherently interactional. In this perspective, grammar is imbued with subjectivity and so‐ ciability: grammar is viewed as lived behavior, whose form and meaning unfold in experienced interactional and historical time“. (Schegloff / Ochs / Thompson 1996, 38, apud Imo 2015, 5) ‚Keyboard-to-screen communication‘ - comunicaç-o ‚keyboard-toscreen‘: conceito proveniente de Jucker / Dürrscheid (2012, 40). No vasto leque de denominações e termos para designar a comunicaç-o eletrónica, optei pelo termo ‚keyboard-to-screen communication‘. Como termos alternativos existe um vasto leque de designações. Na literatura brasileira, o linguista J. Gaston Hilgert criou o conceito „texto falado por escrito na internet“ (Hilgert 2000). Kommunikative Praktiken - práticas comunicativas: Traduç-o do termo alem-o „kommunikative Praktik“ (Fiehler im Duden 2016, 1186 sq.) que, em contraste com o termo „tipos de textos“, engloba formas tanto escritas como orais da comunicaç-o verbal. Konzeptionelle Mündlichkeit - oralidade conceptiva: Conceito e termo oriundos do romanista Ludwig Söll (1985). Este autor explica a contradiç-o apa‐ rente, segundo a qual muitas das caraterísticas prototípicas da fala também existem em certos tipos de textos que têm a escrita como meio para a transmiss-o da mensagem, como por exemplo, certos textos ritualizados, cartas particulares, diários etc., mas sobretudo tipos de texto mais recentes, como chats, postings em weblogues ou tweets. Merkmale des Nähesprechens - marcas de uma fala de proximidade (imediatez): Pertencem a este grupo apenas aquelas características verbais que permitem uma classificaç-o subjacente a uma das estratégias discursivas uni‐ versais do modelo e que, consequentemente, também s-o deriváveis do axioma máximo do modelo ‚local e tempo da produç-o de uma enunciaç-o = local e tempo da recepç-o da mesma enunciaç-o‘. Para melhor ilustrar este princípio, citaremos como exemplo os ‚marcadores conversacionais mediais‘ (Rederechts‐ signale), sendo que as suas formas variam naturalmente de uma língua para 256 Glossar - Zentrale Begriffe aus der germanistischen GSF und Erklärung auf Portugiesisch outra. Para iniciar uma fala pode usar-se em alem-o a palavra ‚also‘, sendo que em português será talvez a palavra ‚ent-o‘ a cumprir essa mesma funç-o. Methode einer ‚pragmatischen-Syntax‘ (Liedke / Hundsnurscher 2001) - método de uma ‚sintaxe-pragmática‘: expressões verbais e estruturas mor‐ fossintáticas encontram a explicaç-o por fatores da situaç-o, que caracterizam a situaç-o, em que elas foram utilizadas. A título de exemplo: A forma curta e concisa da express-o „nem pensar“ (Reaktiv) deve-se ao facto de o falante, no momento do planeamento e realizaç-o do seu enunciado, ter de reagir espon‐ taneamente, sem dispor do tempo necessário para realizar uma resposta mais complexa. Modell des Nähe- und Distanzsprechens - modelo da fala de proximidade (imediatez) e distância: conceito oriundo de Koch / Oesterreicher (1985). No estudo presente foi aplicado na sua vertente mais recente e aperfeiçoada por Ágel / Hennig (2006 a , 2006 b , 2007). Nähesprechen - fala de proximidade (imediatez): a dicotomia ‚comunicaç-o oral vs. comunicaç-o escrita‘ foi substituída pela dicotomia ‚proximidade (ime‐ diatez) vs. distância‘, considerando que n-o é apenas a forma mediática de trans‐ miss-o de uma mensagem que define o essencial da fala, aliás da escrita. Con‐ soante essa definiç-o, ‚falar‘ abrange praticas comunicativas com base na transmiss-o oral, bem como certas prática comunicativas da escrita. O conceito parte igualmente do princípio de que existem apenas diferenças graduais entre determinadas práticas comunicativas, dispostas numa escala balizada por dois polos: o da proximidade (imediatez) e o da distância. No entanto parece óbvio que uma maioria das práticas com base na transmiss-o mediática oral junta-se ao polo da proximidade - s-o práticas prototípicas da fala - ao contrário de textos escritos, dos quais apenas uma minoria, sobretudo práticas comunicativas da comunicaç-o ‚keyboard-to-screen‘ - chega à periferia deste polo de proxi‐ midade. Devido a esta circunstância chamo a tais práticas ‚periféricas‘ (n-o pro‐ totípicas) da fala de proximidade (imediatez). Nähesprechen vs. Distanzsprechen - fala de proximidade (imediatez) vs. fala de distância: Na literatura anglo-americana a dicotomia é traduzida por ‚language of immediacy and language of distance‘. Norm (auch Gebrauchsregularität) - norma: conceito e termo introduzido por Coseriu (1974, 46 sqq. e 2007, 266 sqq.) como crítica à dicotomia saussureana ‚langue versus parole‘, sendo que este conceito constitui um intermediário entre ‚langue = sistema‘, por um lado, e ‚parole = uso individual‘, por outro. Para Coseriu ‚langue‘, ‚norma‘ e ‚parole‘ s-o entendidas como entidades dinâmicas 257 Glossar - Zentrale Begriffe aus der germanistischen GSF und Erklärung auf Portugiesisch que est-o entrosadas entre si e se influenciam mutuamente de forma constante. O ponto de partida para a pesquisa linguística deve ser sempre o uso linguístico em situações de comunicaç-o individual e concreta. Online-Korrekturen - correções on-line: repetições, construções de redupli‐ caç-o, expressões específicas, possibilitam que o falante, depois de ter já come‐ çado a sua sequência discursiva, altere o percurso e o siga, com base num plano alternativo para a sua continuaç-o Operatoren in ‚Operator-Skopus-Strukturen‘ - operadores em estruturas ‚operador + escopo‘: trata-se de estruturas binárias, compostas pelo ‚operador‘ seguido pelo ‚escopo‘ do enunciado. Os operadores conferem uma instruç-o adicional para a descodificaç-o do conteúdo do escopo do enunciado, por parte do ouvinte. Isto é, os operadores‘ (a) desambiguam o ‚ato da fala‘, (b) elucidam sobre o ‚atitude mental‘ do falante em relaç-o à proposiç-o proferida no escopo do enunciado e (c) facilitam a compreens-o da ‚organizaç-o formal‘ dos ele‐ mentos do enunciado. Exemplo: ‚e pergunto quem acompanha o ataque do Brasil? ‘ (o operador ‚pergunto‘ torna inequívoco o tipo de ato da fala, que segue no escopo do enunciado). Pragmatische Perspektive - perspetiva pragmática: a base conceptual-me‐ todológica do presente trabalho. Para a descriç-o e interpretaç-o de fenómenos verbais, recorre a fatores situacionais, contextuais e extratextuais, além de con‐ siderar o processo dinâmico da interaç-o entre os interlocutores de um diálogo. Reaktive - reativos: um conceito / termo criado por Sieberg (2016). Fazem parte desta categoria sinais sonoros, palavras e expressões idiomáticas, que os falantes utilizam logo a seguir à vez do interlocutor, a fim de proporcionar uma resposta espontânea, concisa e de forte impacto. S-o exemplos deste grupo de expressões: ‚exato‘, ‚certo‘, ‚claro‘ (que sim), ‚duvido‘, ‚com certeza‘, ‚ai é‘, ‚nem pensar‘, ‚n-o me digas‘, ‚deixa estar‘ etc. Situationsmarker - marcador de situaç-o: termo criado por Sieberg, em adaptaç-o do termo „Inflektive“ de Schlobinski (2001). Trata-se de formas ver‐ bais oriundas de bandas desenhadas, postas entre asteriscos * *, como *medo*, *coff coff*. Na comunicaç-o ‚keyboard-to-screen‘ denominam ações extra-ver‐ bais que, simultaneamente com a comunicaç-o verbal, reforçam a faceta empá‐ tica da comunicaç-o. Skriptizismus - traduç-o pelo neologismo, esporadicamente usado em portu‐ guês ‚escritismo‘: O conceito e o termo s-o oriundos da literatura anglo-ame‐ ricana (Harris 1980) e denominam uma opini-o / postura preconceituosa, que 258 Glossar - Zentrale Begriffe aus der germanistischen GSF und Erklärung auf Portugiesisch defende a escrita e a sua descriç-o gramatical convencional como única vertente válida do código verbal. Esta óptica leva os linguistas - muitas vezes subcons‐ cientemente - a uma desvalorizaç-o e afirmações erradas relativamente à co‐ municaç-o oral. Essa opini-o n-o prevalece apenas nas gramáticas portuguesas mas também estava patente durante tempo na filologia germânica, onde ainda em 2001 (Helbig / Busch 2001, 17) definem as estruturas da fala como „verkürzte Sprache“ (língua encurtada). Sprechen - falar: como consequência da sua prioridade sistémica e genealógica (Coseriu 2007, 57), conceito supremo para todas as manifestações da língua, independentemente do meio em que o código verbal se manifesta, seja na escrita ou na fala. Sprecherwechsel - alternância de vez: turn-taking Tonale Zeichen - sinais sonoros: conceito e denominaç-o proveniente de Henne / Rehbock (1982). Um grupo de sinais n-o segmentáveis com estatuto semiótico especial de elementos à margem do código verbal. Os sinais sonoros n-o dispõem de referências a objetos extralinguísticos. Überbrückungsphänomene - fenómenos de superaç-o e hesitaç-o: O con‐ ceito, em que se manifesta a estratégica discursiva universal ‚uso de meios est‐ ratégicos para ganhar tempo ou ultrapassar pausas‘ engloba (a) pausas, (b) pro‐ longações ou repetições de silabas, palavras e sintagmas‘ (c) sinais sonoros como he / ha, (d) palavras passe-partout‘, (e) expressões ‚et cétera‘ e (f) certas marca‐ dores discursivos conversacionais. Universale Diskursverfahren - estratégicas discursivas universais: Cada ‚parâmetro de descriç-o‘ do modelo da fala de proximidade e de distância - a dizer ‚Rolle‘ (interaç-o direta dos interlocutores) ‚Zeit‘ (tempo) ‚Situation‘ (si‐ tuaç-o), ‚Code‘ (código) e ‚Medium‘ (meio) - fica associado com uma série de ‚estratégicas discursivas universais‘ que, por seu lado, se manifestam em ex‐ pressões e estruturas concretas de uma determinada língua. A título de exemplo: na utilizaç-o de uma ‚express-o de clivagem‘ manifesta-se a estratégica discur‐ siva universal ‚ influenciar a percepç-o e descodificaç-o da mensagem pelo ou‐ vinte‘ ou, para facultar mais um exemplo, na utilizaç-o de uma palavra ‚passe-partout‘ manifesta-se a estratégica discursiva universal ‚uso de meios estratégicos para ganhar tempo ou ultrapassar pausas‘. 259 Glossar - Zentrale Begriffe aus der germanistischen GSF und Erklärung auf Portugiesisch Universale Diskursverfahren im Parameter ‚Rolle‘ - estratégicas discur‐ sivas universais no parâmetro ‚interaç-o direta dos interlocutores‘: esta‐ belecer e manter contato entre os interlocutores / sequenciar o discurso / fazer convergir o significado da mensagem emitida pelo falante com a sua interpre‐ taç-o pelo ouvinte / influenciar a percepç-o e descodificaç-o da mensagem pelo ouvinte / graduaç-o da força ilocutória da mensagem / enfatizar o discurso na presença física e psíquica dos intervenientes do diálogo. Universale Diskursverfahren im Parameter ‚Zeit‘ - estratégicas discur‐ sivas universais no parâmetro ‚tempo‘: estruturar o fluxo informacional do discurso numa forma agregativa e n-o integrativa / formaç-o simplificada das unidades discursivas / uso de meios estratégicos para ganhar tempo ou ultra‐ passar pausas / correções online Universale Diskursverfahren im Parameter ‚Situation‘ - estratégicas discursivas universais no parâmetro ‚situaç-o‘: estratégicas gramaticais di‐ retas / entrelaçamento de ações verbais e n-o-verbais entre os interlocutores, a recorrer objetos no espaço físico e virtual comum entre os interlocutores / a interaç-o de formas diretas e indiretas para a reproduç-o de palavras de ter‐ ceiros. Universale Diskursverfahren im Parameter ‚Code‘ - estratégicas discur‐ sivas universais no parâmetro ‚código‘: recurso a um vasto leque de signos além do próprio código verbal (gestos, mímica, expressões faciais, distância etc.), a fim de fazer passar a mensagem. Universale Diskursverfahren im Parameter ‚Medium‘ - estratégicas dis‐ cursivas universais no parâmetro ‚meio‘: comunicaç-o com base em uni‐ dades da fala (palavras fônicas em vez de palavras gráficas) / aproveitamento de meios prosódicos. Usuelle Wortverbindungen - unidades polilexicais: Trata-se de unidades complexas compostas por vários elementos, que se caraterizam pelos seguintes critérios: (a) idiomaticidade, (b) polilexicalidade (as unidades s-o formadas por mais de uma palavra), (c) restrições a nível morfossintático, que apontam para a lexicalizaç-o dos complexos verbais que, no momento do seu uso, s-o retirados do léxico, como de uma palavra só se tratasse (cf. Burger 2015). 260 Glossar - Zentrale Begriffe aus der germanistischen GSF und Erklärung auf Portugiesisch Diese Einführung ins gesprochene Portugiesisch richtet sich an alle, die im Bereich der kontrastiven Sprachforschung und Didaktik des Portugiesischen als Fremdsprache forschen und arbeiten. Auch Lehrer und Studenten gehören zur Zielgruppe dieses Buches. Sie sollten bereits über Grundkenntnisse des Portugiesischen (mindestens A 2) verfügen, um die zahlreichen Textbeispiele zu verstehen. Neben einem klaren methodischen Konzept, das aufzeigt, welche sprachlichen Mittel notwendig sind, um sich auf Portugiesisch unterhalten zu können, wird den Lesern zusätzlich ein umfangreiches Inventar von Redemitteln angeboten. Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung 11 RFU 11 Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung 11 ISBN 978-3-8233-8186-0 Sieberg Gesprochenes Portugiesisch Bernd Sieberg Gesprochenes Portugiesisch aus sprachpragmatischer Perspektive