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Kognitive Linguistik

2018
978-3-8233-9198-2
Gunter Narr Verlag 
Moiken Jessen
Johan Blomberg
Jörg Roche

Die kognitive Linguistik behandelt linguistische Phänomene - wie die Grammatik - nicht nur unter formalen Aspekten, sondern im Hinblick auf allgemeine kognitive, perzeptive und körperliche Fähigkeiten des Menschen. Das macht sie als - relativ neuen - theoretischen Ansatz besonders für alle Fragen des Erwerbs und alle Ziele der Vermittlung von Sprachen hoch attraktiv. Dieser Band stellt wie in einem Archipel mit verschiedenen Inseln die wichtigsten Erkenntnisse der kognitiven Linguistik in den Themenfeldern Gestik, Kognition und Sprache, Semantik / Lexik / Morphologie, Konstruktionsgrammatik / Syntax, Metaphorik, Sprachliche Vielfalt / Linguistische Relativität, Textlinguistik und Spracherwerb umfassend, verständlich und anhand zahlreicher Beispiele aus unterschiedlichen Sprachen dar. Zu anderen linguistischen Ansätzen werden, wie auch zu den Themenbereichen untereinander, ständig Bezüge hergestellt.

Die kognitive Linguistik behandelt linguistische Phänomene - wie die Grammatik - nicht nur unter formalen Aspekten, sondern im Hinblick auf allgemeine kognitive, perzeptive und körperliche Fähigkeiten des Menschen. Das macht sie als - relativ neuen - theoretischen Ansatz besonders für alle Fragen des Erwerbs und alle Ziele der Vermittlung von Sprachen hoch attraktiv. Dieser Band stellt wie in einem Archipel mit verschiedenen Inseln die wichtigsten Erkenntnisse der kognitiven Linguistik in den Themenfeldern Gestik, Kognition und Sprache, Semantik / Lexik / Morphologie, Konstruktionsgrammatik / Syntax, Metaphorik, Sprachliche Vielfalt / Linguistische Relativität, Textlinguistik und Spracherwerb umfassend, verständlich und anhand zahlreicher Beispiele aus unterschiedlichen Sprachen dar. Zu anderen linguistischen Ansätzen werden, wie auch zu den Themenbereichen untereinander, ständig Bezüge hergestellt. 2 2 Kompendium DaF/ DaZ DaF/ DaZ 2 Kompendium DaF/ DaZ ISBN 978-3-8233-8198-3 Jessen / Blomberg / Roche (Hg.) Kognitive Linguistik Moiken Jessen / Johan Blomberg / Jörg Roche (Hg.) Kognitive Linguistik Kognitive Linguistik Kompendium DaF / DaZ Herausgegeben von Jörg Roche (München) Band 2 Moiken Jessen / Johan Blomberg / Jörg Roche (Hg.) Kognitive Linguistik Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH-+ Co. KG. · Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: pagina GmbH, Tübingen Printed in Germany ISSN 2512-8043 ISBN 978-3-8233-9198-2 5 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ (Jörg Roche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Einführung in die kognitive Linguistik (Johan Blomberg & Moiken Jessen) . . . . . . . . . 17 1.1 Kognitive Linguistik: Eine Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.2 Repräsentation von Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1.3 Theoretische Säulen der kognitiven Linguistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2.1 Semantik und Wortbildung (Marina Foschi & Marianne Hepp) . . . . . . . . . . . . 54 2.2 Komposition und Derivation (Marianne Hepp) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2.3 Wortbildung und grammatische Morpheme (Marina Foschi) . . . . . . . . . . . . . . 78 3. Sprachliche Bildhaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3.1 Sprachliche Bildhaftigkeit und konzeptuelle Metapher (Natalia Furaschowa, unter Mitarbeit von Moiken Jessen & Katsiaryna EL-Bouz) . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3.2 Bildhaftigkeit in der Kognition: Konzeptuelle Metapher, Verkörperlichung, Prototypensemantik (Katsiaryna EL-Bouz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3.3 Bildhaftigkeit im Wissenserwerb: Mentale Modelle (Katsiaryna EL-Bouz) . . . 120 4. Grammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 4.1 Die verschiedenen Grammatikansätze (Anne-Katharina Harr) . . . . . . . . . . . . 130 4.2 Konstruktionsgrammatik (Nikolas Koch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 4.3 Konstruktionsgrammatik und Konzeptualisierung (Katharina Scholtz) . . . . . 150 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik (Johan Blomberg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 5.1 Sprachliche Diversität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 5.2 Linguistische Relativität und Typologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 5.3 Sprachliche Diversität, Relativität und kognitive Linguistik . . . . . . . . . . . . . . . 190 6. Textlinguistik (Katrin Lindner, Patricia Heilig & Nicole Weidinger) . . . . . . . . . . . . . . . 203 6.1 Grundlagen der Textlinguistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 6.2 Quaestio-Typen im Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 6.3 Sprachvergleichende Untersuchungen: Eine Analyse deutscher und englischer Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb (Helen Engemann) . . . . . . . . . . . 245 7.1 Wie kommt das Kind zur Sprache? Die ersten Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 7.2 Wie Kinder Konstruktionen aufbauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 7.3 Frühkindliche Mehrsprachigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 6 Inhalt 8. Gesten, Sprache und Kognition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 8.1 Gesten als Teil von Sprache-- Die moderne Gestikforschung (Silva Ladewig) 284 8.2 Gesten und ihre Bedeutung (Silva Ladewig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 8.3 Gesten im Fremdsprachenunterricht: Verstehen, Memorieren, Problemlösen (Lena Hotze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 9. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 10. Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 11. Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 7 Vorwort Vorwort Trotz vieler neuerer Bemühungen um Kompetenz-, Aufgaben- und Handlungsorientierung kommen in der Praxis der Sprachvermittlung weiterhin verbreitet traditionelle Verfahren zur Anwendung, beispielsweise bei der Festlegung der Lehrprogression, den Niveaustufen, der Fehlerkorrektur und der Leistungsmessung. Mit der Weiterentwicklung der kognitiven Linguistik und weiterer kognitiv ausgerichteter Nachbardisziplinen beginnt sich nun aber auch in der Sprachvermittlung in vieler Hinsicht ein Paradigmenwechsel zu vollziehen. Die kognitionslinguistischen Grundlagen dieses Paradigmenwechsels werden in dieser Reihe systematisiert und anhand zahlreicher Materialien und weiterführender Aufgaben für den Transfer in die Praxis aufbereitet. Die Reihe Kompendium DaF / DaZ verfolgt das Ziel einer Vertiefung, Aktualisierung und Professionalisierung der Fremdsprachenlehrerausbildung. Der Fokus der Reihe liegt daher auf der Vermittlung von Erkenntnissen aus der Spracherwerbs-, Sprachlehr- und Sprachlernforschung sowie auf deren Anwendung auf die Sprach- und Kulturvermittlungspraxis. Die weiteren Bände behandeln die Themen Sprachenlernen und Kognition, Sprachenlehren, Berufs-, Fach- und Wissenschaftssprachen, Unterrichtsmanagement, Medien, Kultur, Mehrsprachigkeitsforschung, Propädeutik. Durch die thematisch klar abgegrenzten Einzelbände bietet die Reihe ein umfangreiches, strukturiertes Angebot an Inhalten der aktuellen DaF / DaZ-Ausbildung, die über die Reichweite eines Handbuchs weit hinausgehen und daher sowohl in der akademischen Lehre als auch im Rahmen von Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen behandelt werden können. Die Reihe wird daher von (fakultativen) flexibel einsetzbaren Online-Modulen für eine moderne Aus- und Weiterbildung begleitet. Diese Online-Module ergänzen den Stoff der Bücher und enthalten Zusatzlektüre und Zusatzaufgaben (www.multilingua-akademie.de). Das Digitale Lexikon Fremdsprachendidaktik (www.lexikon-mla.de) bietet darüber hinaus Erklärungen der wichtigsten Fachbegriffe und damit einen leichten Zugang zu allen aktuellen Themen der Fremdsprachendidaktik und der Sprachlehr- und -lernforschung. Möglich gemacht wurde die Entwicklung der Inhalte und der Online-Module durch die Förderung des EU Tempus-Projektes Consortium for Modern Language Teacher Education. Neben den hier verzeichneten Autorinnen und Autoren haben eine Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an der Fertigstellung des Manuskriptes dieses Buches mitgewirkt: Svenja Uth, Julia Bode, Katsiaryna EL -Bouz, Eduard Arnhold, Katharina Hogrefe, Daniel Echter, Patricia Boos, Blanka Stolz (Lektorat), Kathrin Heyng (Gunter Narr Verlag) und Corina Popp (Gunter Narr Verlag). Ihnen allen gebührt großer Dank für die geduldige und professionelle Mitarbeit. Die von manchen Autoren eingereichten englischsprachigen Manuskripte wurden von Simone Lackerbauer übersetzt und von Moiken Jessen, Katsiaryna EL -Bouz und Svenja Uth bearbeitet. 9 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ Jörg Roche Der Bedarf an solider Aus-, Fort- und Weiterbildung im Bereich der Sprachvermittlung nimmt ständig zu. Immer stärker treten dabei spezialisierte Anforderungen zum Beispiel in Bezug auf Fach- und Berufssprachen, Kompetenzen oder Zielgruppen in den Vordergrund. Theoretisch fundiert sollten die entsprechenden Angebote sein, aber gleichzeitig praxistauglich und praxiserprobt. Genau diese Ziele verfolgen die Buchreihe Kompendium DaF / DaZ und die begleitenden Online-Module. In mehreren Modulen und Bänden soll hiermit eine umfassende Einführung in die Wissenschaft und in die Kunst des Sprachenlernens und Sprachenlehrens gegeben werden, weit weg von fernen Theorie- oder Praxiskonstruktionen und Lehr-Dogmen. Im Mittelpunkt des hier verfolgten Ansatzes steht das, was in den Köpfen der Lerner geschieht oder geschehen sollte. Sachlich, nüchtern, effizient und nachhaltig. Buchreihe und Online-Module sind eine Einladung zur Professionalität eines Bereichs, der die natürlichste Sache der Welt behandelt: den Sprachenerwerb. In diesen Materialien und Kursen werden daher Forschungsergebnisse aus verschiedenen Forschungsrichtungen zusammengetragen und der Nutzen ihrer Synthese für die Optimierung des Sprachenerwerbs und Sprachunterrichts aufgezeigt. Warum Aus-, Weiter- und Fortbildung heute so wichtig ist Wer sich etwas eingehender darum bemüht zu verstehen, welche Rolle die Sprache im weiten Feld des Kontaktes von Kulturen spielt-- oder spielen konnte--, muss von den Gegensätzen, Widersprüchen und Pauschalisierungen, die die Diskussion in Gesellschaft, Politik und Fach bestimmen, vollkommen irritiert sein. Vielleicht lässt sich aus dieser Irritation auch erklären, warum dieser Bereich von so vielen resistenten Mythen, Dogmen und Praktiken dominiert wird, dass das eigentlich notwendige Bemühen um theoretisch fundierte Innovationen kaum zur Geltung kommt. Mangelndes Sprach- und Sprachenbewusstsein besonders in Öffentlichkeit und Politik führen ihrerseits zu einem ganzen Spektrum gegensätzlicher Positionen, die sich schließlich auch bis in die lehrpraktische Ebene massiv auswirken. Dieses Spektrum ist gekennzeichnet durch eine Verkennung der Bedeutung von Sprache im Umgang der Kulturen auf der einen und durch reduktionistische Rezepte für ihre Vermittlung auf der anderen Seite: Die Vorstellung etwa, die Wissenschaften, die Wirtschaft oder der Alltag kämen mit einer Universalsprache wie dem Englischen aus, verkennt die-- übrigens auch empirisch über jeden Zweifel erhabenen-- Realitäten genauso wie die Annahme, durch strukturbasierten Sprachunterricht ließen sich kulturpragmatische Kompetenzen (wie sie etwa für die Integration in eine fremde Gesellschaft nötig waren) einfach vermitteln. Als ineffizient haben sich inzwischen auch solche Verfahren erwiesen, die Mehrsprachigkeit als Sonderfall-- und nicht als Regelfall-- betrachten und daher Methoden empfehlen, die den Spracherwerb vom restlichen Wissen und Leben zu trennen versuchen, also abstrakt und formbasiert zu vermitteln. Der schulische Fremdsprachenunterricht und der Förderunterricht überall auf der Welt tendieren (trotz rühmlicher unterrichtspraktischer, didaktischer, struktureller, konzeptueller und bildungs- 10 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ politischer Ausnahmen und Initiativen) nach wie vor stark zu einer solchen Absonderung: weder werden bisher die natürliche Mehrsprachigkeit des Menschen, die Sprachenökologie, Sprachenorganik und Sprachendynamik noch die Handlungs- und Aufgabenorientierung des Lernens systematisch im Fremdsprachenunterricht genutzt. Stattdessen wird Fremdsprachenunterricht in vielen Gesellschaften auf eine (internationale) Fremdsprache reduziert, zeitlich stark limitiert und nach unterschiedlich kompetenten Standards kanalisiert. Interkulturelle Kommunikation im Zeitalter der Globalisierung In unserer zunehmend globalisierten Welt gehört die Kommunikation zwischen verschiedenen Kulturen zu einem der wichtigsten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Aufgabenbereiche. Die Globalisierung findet dabei auf verschiedenen Ebenen statt: lokal innerhalb multikultureller oder multikulturell werdender Gesellschaften, regional in multinationalen Institutionen und international in transkontinentalen Verbunden, Weltorganisationen (unter anderem für Wirtschaft, Gesundheit, Bildung, Sport, Banken) und im Cyberspace. Dabei sind all diese Globalisierungsbestrebungen gleichzeitig Teil einer wachsenden Paradoxie. Der Notwendigkeit, die großen sozialen und wirtschaftlichen Probleme wegen der globalen Vernetzung der Ursachen auch global zu lösen, stehen andererseits geradezu reaktionäre Bestrebungen entgegen, der Gefahr des Verlustes der »kulturellen Identität« vorzubauen. Einerseits verlangt oder erzwingt also eine Reduktion wirklicher und relativer Entfernungen und ein Überschreiten von Grenzen ein Zusammenleben und Kommunizieren von Menschen verschiedener Herkunft in bisher nicht gekannter Intensität, andererseits stehen dem Ideal einer multikulturellen Gesellschaft die gleichen Widerstände entgegen, die mit der Schaffung solcher Gesellschaften als überkommen geglaubt galten (Huntington 1997). Erzwungene, oft mit großer militärischer Anstrengung zusammengehaltene multikulturelle Gesellschaften haben ohne Druck keinen Bestand und neigen als Folge des Drucks vielmehr dazu, verschärfte kulturelle Spannungen zu generieren. Auch demokratisch geschaffene multikulturelle Gesellschaften benötigen meist viel Zeit und Energie, um sich aus der Phase der multi-kulturellen Duldung zu inter-kultureller Toleranz und interkulturellem Miteinander zu entwickeln. Die rechtspopulistischen Bewegungen in Europa und die ethnischen Auseinandersetzungen in Afrika und Asien zeigen, dass es zuweilen gewaltig unter der Oberfläche gesellschaftlicher Toleranz- und Internationalisierungspostulate rumort. Ethnozentrismus, Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit, Rechtspopulismus, Rassismus, Diskriminierung, Terrorismus, Bürgerkrieg, Massen- und Völkermord sind durch politisch und wirtschaftlich bewirkten Multikulturalismus nicht verschwunden. Das verbreitete Scheitern von Multikulturalismus-Modellen zeigt, dass ein verordnetes oder aufgezwungenes Nebeneinander von Kulturen ohne Mediationsbemühungen eher Spannungen verstärkt, als nachhaltig Toleranz zu bewirken. Es mangelt an effizienten Verfahren der Vermittlung (Mediation) zwischen Kulturen. Den Sprachen kommt in dem Prozess der Mediation deswegen eine besondere Rolle zu, weil er mit der Kommunikation über kulturelle Grenzen hinweg anfängt und auch nur durch diese am Laufen gehalten wird. Die Sprache kann nicht alle Probleme lösen, aber sie hat eine Schlüsselposition beim Zustandekommen interkulturellen Austauschs, die weit 11 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ über die Beherrschung von Strukturen sprachlicher Systeme hinausgeht. Diese Funktion hat mehr mit Kulturvermittlung als mit strukturellen Eigenschaften sprachlicher Systeme zu tun und sie kann kaum durch eine einzige Lingua Franca erfüllt werden. Das Lernen und Lehren von Sprachen ist in Wirklichkeit eines der wichtigsten politischen Instrumente im Zeitalter der Globalisierung und Internationalisierung. Sprachunterricht und Sprachenlernen werden aber von Lehrkräften und Lernern gleichermaßen oft noch als die Domäne des Grammatikerwerbs und nicht als Zugangsvermittler zu anderen Kulturen behandelt. Wenn kulturelle Aspekte im Fremdsprachenerwerb aber auf die Faktenvermittlung reduziert werden und ansonsten vor allem strukturelle Aspekte der Sprachen in den Vordergrund treten, bleiben wichtige Lern- und Kommunikationspotenziale ungenutzt. Dabei bleibt nicht nur der Bereich des landeskundlichen Wissens unterentwickelt, sondern es wird in erster Linie der Erwerb semantischer, pragmatischer und semiotischer Kompetenzen erheblich eingeschränkt, die für die interkulturelle Kommunikation essentiell sind. Wenn in der heutigen Zeit vordringlich interkulturelle Kompetenzen verlangt werden, dann müssen in Sprachunterricht und Spracherwerb im weiteren Sinne also bevorzugt kulturelle Aspekte der Sprachen und Kommunikation berücksichtigt werden. Dazu bedarf es aber einer größeren Bewusstheit für die kulturelle Bedingtheit von Sprachen und die sprachliche Bedingtheit von Kulturen. Diese müssen sich schließlich in kultursensitiven Lern- und Lehrverfahren manifestieren, die Mehrsprachigkeit nicht nur künstlich rekonstruieren und archivieren wollen, sondern die in Fülle vorhandenen natürlichen Ressourcen der Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität organisch, dynamisch und effizient zu nutzen wissen. Das Augenmerk der künftigen Lern- und Lehrforschung ist daher verstärkt auf Aspekte der Ökologie und Ökonomie des Sprachenerwerbs und Sprachenmanagements zu richten. Das bedeutet aber, dass die Spracherwerbs- und die Mehrsprachigkeitsforschung sich nicht nur eklektisch wie bisher, sondern systematisch an kognitiven und kultursensitiven Aspekten des Sprachenerwerbs und Sprachenmanagements ausrichten müssen. Diesen Aufgabenbereich zu skizzieren, indem wichtige, dafür geleistete Vorarbeiten vorgestellt werden, ist Ziel dieser Reihe. Interkultureller Fremdsprachenunterricht Als die Forschung begann, sich mit interkulturellen Aspekten in Spracherwerb und Sprachunterricht zu beschäftigen, geschah dies auf der Grundlage bildungspolitischer Zielsetzungen und hermeneutischer Überlegungen. Literarische Gattungen sollten den kommunikativen Trend zur Alltagssprache ausgleichen helfen und damit gleichzeitig frische, auf rezeptionsästhetischen Theorien basierende Impulse für das Fremdverstehen und die Fremdsprachendidaktik liefern (vergleiche Hunfeld 1997; Wierlacher 1987; Krusche & Krechel 1984; Weinrich 1971). Die anfängliche Affinität zu lyrischen Texten weitete sich auf andere Gattungen aus und verjüngte mit dieser Wiederentdeckung der Literatur im Fremdsprachenunterricht gleichzeitig das in den 1980er Jahren bereits zum Establishment gerinnende kommunikative Didaktikparadigma. Man vergleiche die Forderung nach einem expliziten interkulturellen Ansatz von Wylie, Bégué & Bégué (1970) und die bereits frühe Formulierung der konfrontativen Semantik durch Müller-Jacquier (1981). Für die auf Zyklen sozialisierte Zunft der Sprachlehre 12 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ stand fest: das ist eine neue, die vierte Generation der Fremdsprachendidaktik, die interkulturelle, oder zumindest die Version 3.5, die kommunikativ-interkulturelle. Allerdings hat diese Euphorie nicht überall zu einer intensiveren, systematischen Reflexion interkultureller Aspekte in Bezug auf ein besseres Verstehen des Sprachenlernens und eine effizientere Ausrichtung des Sprachenlehrens geführt. Selbst in der Lehrwerksproduktion, deren Halbwertzeitzyklen seitdem immer kürzer werden, ist die Anfangseuphorie vergleichsweise schnell verflogen. Infolge des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen ( GER )-- und bereits seines Vorgängers, des Schwellen-Projektes (threshold level project) des Europarates-- scheinen sich aufgrund der (oft falsch verstandenen) Standardisierungen die starken Vereinheitlichungstendenzen zu einer Didaktik der Generation 3 oder gar 2.5 zurück zu verdichten. Die Aufnahme der Fremdperspektive in Lehrwerken beschränkte und beschränkt sich oft auf oberflächlich vergleichende Beschreibungen fremder kultureller Artefakte, und die Behandlung der Landeskunde unterliegt nach wie vor dem Stigma der vermeintlich mangelnden Unterrichtszeit. Ein kleiner historischer Rückblick auf die Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts Der Fremdsprachenunterricht ist traditionellerweise vor allem von den bildungspolitischen, pädagogischen, psychologischen und soziologischen Vorstellungen der entsprechenden Epoche und ihren gesellschaftlichen Trends beeinflusst worden. Diese Aspekte überschreiben im Endeffekt auch alle sporadischen Versuche, den Fremdsprachenunterricht an sprachwissenschaftlichen oder erwerbslinguistischen Erkenntnissen auszurichten. So verdankt die Grammatik-Übersetzungsmethode ihre Langlebigkeit den verbreiteten, aber empirisch nicht begründeten Vorstellungen von der Steuerbarkeit des Lerners, der Autorität des Inputs und der Bedeutung elitärer Bildungsziele. Mit den audiolingualen und audiovisuellen Methoden setzt eine Ent-Elitarisierung und Veralltäglichung des Sprachenlernens ein. Die vorwiegend mit Alltagssprache operierenden Methoden sind direkte, wenn auch reduzierte Abbildungen behavioristischer Lernmodelle und militärischer Bedürfnisse ihrer Zeit. Der kommunikative Ansatz schließlich ist von den Demokratisierungsbestrebungen der Gesellschaften bestimmt. Sein wichtigstes Lernziel, die kommunikative Kompetenz, ist dem soziologischen Ansatz der Frankfurter Schule entlehnt (Habermas 1981). Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen stellt zwar keinen neuen didaktischen Ansatz dar, bildet aber über seine Ausrichtung auf den pragmatischen und utilitaristischen Bedarf eines zusammenwachsenden und mobilen europäischen Arbeitsmarktes den Zeitgeist des politisch und wirtschaftlich gewollten Einigungsprozesses in Europa ab und wirkt daher paradigmenbildend und auf den Unterricht stärker standardsetzend als alle didaktischen Ansätze zuvor. Er weist deutliche Parallelen zu den Proficiency-Guidelines des American Council of Teachers of Foreign Languages ( ACTFL ) auf, die ihrerseits-- wie bereits die audiolinguale Methode-- stark von den Bedürfnissen der Sprachschulen des US -Militärs beeinflusst wurden. Eine erwerbslinguistische oder stringente sprachwissenschaftliche Basis weist er nicht auf. Typisch für die zeitlichen Strömungen sind konsequenterweise auch all die Methoden, die in der Beliebigkeit 13 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ des Mainstreams keine oder nur geringe Berücksichtigung finden können. Diese alternativen Methoden oder Randmethoden wie die Suggestopädie, Total Physical Response, Silent Way oder Community (Language Learning) Approach reflektieren die Suche des Sprachunterrichts nach zeitgemäßen Verfahren, die vor allem die vernachlässigte Innerlichkeit der Gesellschaft ansprechen oder die Kritik an ihrem Fortschrittsglauben ausdrücken sollen. Die gefühlte Wahrheit der Methoden bei gleichzeitigem Mangel an wissenschaftlich-kritischer Überprüfung der Annahmen ergibt ein inkohärentes Bild der Fremdsprachendidaktik und -methodik, das zwangsläufig zu vielen Widersprüchen, Rückschritten und Frustrationen führen muss. Die rasante Abkehr von der Sprachlerntechnologie der 60er und 70er Jahre, das Austrocknen der alternativen Methoden, die Rückentwicklung der kommunikativen Didaktik oder die neo-behavioristischen Erscheinungen der kommerziellen Sprachsoftware gehören zu den Symptomen dieses Dilemmas. Die anhaltende unreflektierte Verbreitung eklektischer Übungsformen der Grammatik-Übersetzungsmethode oder des Pattern Drills in Unterricht und Lehrmaterial illustriert, wie wenig nachhaltig offenbar die Bemühungen um eine theoretisch fundierte und empirisch abgesicherte kommunikative Didaktik waren. Mit dem Auftauchen der interkulturellen Sprachdidaktik und der »vierten Generation von Lehrwerken« (Neuner & Hunfeld 1993) schien sich eine Veränderung gegenüber den Referenzdisziplinen anzubahnen. Zunehmende Migration und Globalisierungstendenzen machten eine entsprechende Öffnung nötig. Aber auch diese anfänglichen Bestrebungen haben sich in der Breite des Lehrmaterials und des Sprachunterrichts genauso wenig durchgesetzt wie wissenschaftlich fundierte Modelle von Grammatik und Sprache. Stattdessen beschäftigt sich die Unterrichtsmethodik geradezu aktionistisch mit temporären Neuerungen (wie den neuen Medien, dem Referenzrahmen, der farbigen Darstellung grammatischer Phänomene) oder Wiedererfindungen bekannter Aspekte (wie dem Inhaltsbezug oder der Diskussion der Bedeutung mündlicher Texte), ohne sich ernsthaft mit den wissenschaftlichen Grundlagen der Didaktik zu beschäftigen. Ein kurzer Rückblick auf die Vorschläge von Comenius zum inhaltsbezogenen Lernen aus dem 17. Jahrhundert etwa oder der Sprachreformer früherer Jahrhunderte sowie die Modelle aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts würde der neueren Diskussion des Content and Language Integrated Learning ( CLIL ) eine erhellende Perspektive bieten. Comenius hält unter Bezug auf einen christlichen Gelehrten bereits 1623 fest: Die Kenntnis einer Sprache mache noch keinen Weisen, sie diene lediglich dazu, uns mit den anderen Bewohnern der Erdoberfläche, lebenden und toten, zu verständigen; und darum sei auch derjenige, welcher viele Sprachen spreche, noch kein Gelehrter, wenn er nicht zugleich auch andere nützliche Dinge erlernt habe. (Comenius 1970: 269) Dabei verbindet Comenius bereits die Prozesse des Spracherwerbs und der allgemeinen Maturation (der Vision und des Intellekts des Kindes) und nimmt damit Jean Piagets Modell der kognitiven Entwicklung sowie die in der Spracherwerbsforschung etablierten, kognitive Entwicklungsphasen repräsentierenden Konzepte der Erwerbssequenzen vorweg. Darüber hinaus produzierte er bereits ein Lehrbuch (Orbis sensualium pictus), in dem er systematisch die Verwendung visueller Materialien beim Sprachenlernen und -lehren bedachte (Comenius 1981). Auch die Mitte des 19. Jahrhunderts im Kontext der industriellen und sozialen Umwäl- 14 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ zungen entstandene, bildungspolitisch und methodisch motivierte Reformbewegung des Fremdsprachenunterrichts bildet zwar eine didaktische Brücke zwischen den Arbeiten von Comenius und den Elementen des inhaltsbezogenen und handlungsorientierten Lernens moderner didaktischer Ansätze, verfolgt jedoch keine wissenschaftlichen Ziele. Ihr geht es vielmehr darum: Fremdsprachen jedem zugänglich zu machen, anstatt sie einer exklusiven Elite vorzubehalten, den Fremdsprachenunterricht weit über den Unterricht klassischer Literatur hinaus zu erweitern, indem Inhalte des Alltags- und Berufslebens sowie schulischer Fächer in den Fremdsprachenunterricht aufgenommen werden sollten, zum Beispiel in verschiedenen Verfahren des immersiven Lernens. Mitbegründer oder Anhänger dieser Bewegung wie Jesperson (1922), Passy (1899), Sweet (1899), Gouin (1892), Berlitz (1887), Viëtor (1882) prägten die Reformbewegung mit unterschiedlichen auf die Praxis ausgerichteten Ideen, Modellen und Unterrichtsverfahren. In seiner einflussreichen Einführung benennt Stern (1983) diese Phase wie folgt: The last decades of the nineteenth century witnessed a determined effort in many countries of the Western world (a) to bring modern foreign languages into the school and university curriculum on their own terms, (b) to emancipate modern languages more and more from the comparison with the classics, and (c) to reform the methods of language teaching in a decisive way. (Stern 1983: 98) Verschiedene Methoden sind in den 20er Jahren (bis in die 40er Jahre) des 20. Jahrhunderts als »praktische Antworten« auf die vorangehende Diskussion entwickelt worden: darunter die vermittelnde Methode (England), die Lesemethode (England) und BASIC English (British/ American / Scientific / International / Commercial), ein Versuch, das Sprachenlernen zu vereinfachen und zu rationalisieren. Mit diesen Methoden beginnen die ersten Ansätze, das Unterrichtsgeschehen, die sprachliche Basis, das Testen von Fertigkeiten und das Lern- und Lehrverhalten mittels verschiedener Pilotstudien systematisch zu untersuchen (unter anderem die Modern Foreign Language Study der American and Canadian Committees on Modern Languages 1924-1928, siehe Bagster-Collins, Werner & Woody 1930). Dieser Trend wurde in den 40er und 50er Jahren mit der Profilierung der Linguistik noch intensiviert. Hierzu gehören Schlüsselereignisse wie die Veröffentlichung von Psycholinguistics: A Survey of Theory and Research Problems, herausgegeben von Osgood, Sebeok, Gardner, Carroll, Newmark, Ervin, Saporta, Greenberg, Walker, Jenkins, Wilson & Lounsbury (1954), Verbal Behavior von Skinner (1957) und Lados erste systematische Erfassung der kontrastiven Linguistik Linguistics across Cultures: Applied Linguistics for Language Teachers (1957). The American Army Method, deren Errungenschaften später heiß umstritten waren, versuchte nachzuweisen, dass Sprachunterricht auch ohne die traditionellen schulartigen Methoden und mit wesentlich größeren Gruppen und in kürzerer Zeit effizient durchgeführt werden kann. Als Folge der behavioristischen Ideologie wurden besonders in den USA die audiolingualen und in Frankreich die audiovisuellen Lehrverfahren entwickelt, die lange Zeit den Sprachunterricht dominierten und unter anderem auch dem Vormarsch der Sprachlabortechnologie Vorschub leisteten und-- trotz gegenteiliger empirischer Evidenz-- bis heute dem konditionierenden Einsatz elektronischer Medien zugrunde liegen (zum Beispiel in Programmen wie Rosetta Stone oder Tell me more). 15 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ Die stetige Zunahme von linguistischen Studien und die Begründung der Psycholinguistik als ein interdisziplinäres Forschungsgebiet leisteten später einen wesentlichen Beitrag zur Identifizierung der aus den Methoden der behavioristischen Verhaltensformung entstehenden Probleme des Spracherwerbs (zum Beispiel Rivers einflussreiches Buch The Psychologist and the Foreign Language Teacher 1964). Als Folge der zunehmenden Kritik an den intuitiven Methoden gewann schließlich das kognitive Lernen-- bis heute weitgehend als das regelgeleitete, systematische Lernen missverstanden-- in der Diskussion um angemessene Ansätze an Gewicht. Chomskys nativistische Theorie auf der einen Seite und soziolinguistische und pragmalinguistische Strömungen auf der anderen haben im Anschluss daran vor allem die Erwerbsforschung und die Entwicklung neuer methodischer Verfahren geprägt. Chomskys Ausgangshypothese zufolge haben Kinder eine angeborene Fähigkeit der Sprachbildung (in der Muttersprache, L1). Wenn Kinder zum ersten Mal die Sprache hören, setzten allgemeine Prinzipien der Spracherkennung und Sprachproduktion ein, die zusammen das ergäben, was Chomsky den Language Acquisition Device ( LAD ) nennt. Der LAD steuere die Wahrnehmung der gehörten Sprache und stelle sicher, dass das Kind die entsprechenden Regeln ableite, die die Grammatik der gehörten Sprache bildeten. Dabei bestimmten Verallgemeinerungen, wie die Sätze in der entsprechenden Sprache zu bilden seien. Im Zweitsprachenerwerb werde die Reichweite des LAD einfach auf die neue Sprache ausgedehnt. Nativistische Theorien des Spracherwerbs haben jedoch wenig Einfluss auf die Entwicklung von Erwerbs- und Unterrichtskonzepten für Fremdsprachen gehabt. Den stärksten Einfluss haben sie in der Erforschung und Formulierung von Erwerbssequenzen ausgeübt. In deutlichem Kontrast dazu haben sich seit den 1970er Jahren parallel verschiedene Forschungsrichtungen ausgebildet, die sich an die Valenzgrammatik, die Pragmalinguistik (Sprechakttheorie, Diskursanalyse), die funktionale Linguistik, die Textlinguistik und die Psycholinguistik und andere Kognitionswissenschaften anlehnen. Mit wenigen Ausnahmen ist es aber auch dieser Forschung nicht gelungen, nachhaltig auf die Lehr- und Lernpraxis einzuwirken. Unter den Versuchen einer systematischen Nutzung wissenschaftlicher Ergebnisse für die Entwicklung von Lehrmaterial und Lehrverfahren sind die folgenden zu nennen: ▶ ein kurzlebiger Versuch, die Valenzgrammatik als Grundlage einer didaktischen Grammatik einzuführen (zum Beispiel das DaF-Lehrwerk Deutsch Aktiv) ▶ die eklektische Nutzung von Elementen der pragmatischen Erwerbsforschung in der Lehrwerksproduktion (siehe die DaF-Lehrwerke Tangram, Schritte international) ▶ die Berücksichtigung von Aspekten der Interkomprehensionsdidaktik in Lehransätzen ( EUROCOMM ) ▶ die Gestaltung des Sprachunterrichts nach handlungstheoretischen und konstruktivistischen Prinzipien (Szenariendidaktik, fallbasiertes Lernen, Fachsprachenunterricht). Fremdsprachenunterricht wird verbreitet noch als Domäne des Einzelerwerbs betrachtet. Die systematische Nutzung von Kenntnissen der Vorsprachen beim Erwerb weiterer Sprachen wird bisher nur ansatzweise bedacht und bearbeitet. In Begriffen wie Mehrsprachigkeitsdidaktik, Deutsch nach Englisch oder Interkomprehensionsdidaktik zeigen sich die Vorboten 16 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ einer neuen Generation der Fremdsprachendidaktik, deren Grundlagen jedoch noch zu erarbeiten sind, wenn sie nicht bei kontrastiven Vergleichen verharren will. Zur kognitiven Ausrichtung Um zu verstehen, wie die Sprache überhaupt in den Köpfen der Lerner entsteht und sich weiter verändert-- und darum geht es in dieser Buchreihe-- sind Erkenntnisse aus verschiedenen Nachbardisziplinen der Sprachlehrforschung erforderlich. Die Neurolinguistik kann zum Beispiel darüber Aufschluss geben, welche Gehirnareale wahrend der Sprachverarbeitung aktiviert werden und inwiefern sich die Gehirnaktivität von L1-Sprechern und L2-Sprechern voneinander unterscheidet. Durch die Nutzung bildgebender Verfahren lässt sich die sprachrelevante neuronale Aktivität sichtbar und damit auch greifbarer machen. Was können wir aber daraus für die Praxis lernen? Sollen Lehrer ab jetzt die Gehirnaktivität der Lerner im Klassenraum regelmäßig überprüfen und auf dieser Basis die Unterrichtsinteraktion und die Lernprogression optimieren? Dabei wird schnell klar, dass eine ganze Sprachdidaktik sich nicht allein auf der Basis solcher Erkenntnisse formulieren lässt. Dennoch können die Daten über die neuronale Aktivität bei sprachrelevanten Prozessen unter anderem die Modelle der Sprachverarbeitung und des mehrsprachigen mentalen Lexikons besser begründen, die sonst nur auf der Basis von behavioralen Daten überprüft werden. Ähnlich wie die Neurolinguistik stellt die kognitive Linguistik eine Referenzdisziplin dar, deren Erkenntnisse zwar für die Unterrichtspraxis sehr relevant und wertvoll sind, sich aber unter anderem aufgrund des introspektiven Charakters ihrer Methoden nicht direkt übertragen lassen. Die kognitive Linguistik erklärt nämlich die Sprache und den Spracherwerb so, dass sie mit den Erkenntnissen aus anderen kognitiv ausgerichteten Disziplinen vereinbar sind. So dienen kognitive Prinzipien wie die Metaphorisierung oder die Prototypeneffekte der Beschreibung bestimmter Sprachphänomene. Der Spracherwerb wird seinerseits durch allgemeine Lernmechanismen wie die Analogiebildung oder die Schematisierung erklärt. Die kognitive Linguistik, die Psycholinguistik, die Neurolinguistik, die kognitiv ausgerichteten Kulturwissenschaften sind also Bezugsdisziplinen, die als Grundlage einer kognitiv ausgerichteten Sprachdidaktik fungieren. Sie sollen in den Bänden dieser Reihe soweit zum Tragen kommen, wie das nur möglich ist. Bei jedem Band stehen daher die Prozesse in den Köpfen der Lerner im Mittelpunkt der Betrachtung. 17 Zur kognitiven Ausrichtung 1. Einführung in die kognitive Linguistik Dieses Modul ist eine Einführung in die kognitive Linguistik. Wie bei allen theoretischen Perspektiven in der Linguistik, geht es auch in der kognitiven Linguistik um die Frage, was natürliche Sprache ist und wie sie funktioniert. Im Gegensatz zu vielen anderen Ansätzen in der Linguistik ist die kognitive Linguistik weniger ein gebrauchsfertiges Paradigma, sondern eher eine spezielle Auffassung von und ein besonderer Zugang zur Sprache. Wir könnten sogar eines ihrer bekanntesten Konzepte verwenden und sagen, dass die kognitive Linguistik polysem ist. Wie wir sehen werden, existieren verschiedene Modelle und Darstellungen, die mit unterschiedlichen Methoden assoziiert werden und sich mit verschiedenen Aspekten der Sprache befassen. Aus diesem Grund wird die kognitive Linguistik auch als movement oder enterprise beschrieben (Evans & Green 2006: 3). Um bereits im ersten Paragrafen noch ein weiteres wichtiges Konzept der kognitiven Linguistik vorzustellen, könnten wir metaphorisch sagen, kognitive Linguistik ist ein Archipel (Abbildung 1.1). Es besteht aus verschiedenen Theorie-Inseln, die sich mit unterschiedlichen Forschungsgebieten befassen, aber trotzdem bestimmte Vorstellungen und Grundannahmen teilen (Geeraerts 2006: 3). Ihre Zugehörigkeit zu demselben Archipel schulden die einzelnen Inseln einigen wichtigen Grundannahmen, die sie alle gemeinsam haben. Die vielleicht wichtigste zeigt sich in dem Versuch, linguistische Phänomene-- wie die Grammatik-- nicht nur im Hinblick auf die Sprache, sondern auf allgemeine kognitive, perzeptive und körperliche Fähigkeiten zu erklären. Wir werden uns in dem gesamten Einführungskapitel hauptsächlich mit dieser Verbindung zwischen Sprache und Kognition beschäftigen. Da viele dieser Ideen recht abstrakt bleiben, wenn sie nicht zu konkreten Alltagssituationen und zur Sprachverwendung in Bezug gesetzt werden, zeigen wir in diesem Kapitel anhand von zahlreichen Beispielen, wie kognitive Linguistik Sprache versteht und wie sie sich darin von anderen Ansätzen der Linguistik unterscheidet. Sie werden viel über linguistische Theorien lernen, was Sie hoffentlich dazu inspiriert, Sprache und ihre Verwendung mit Bezug auf eine kognitiv-linguistische Perspektive zu untersuchen. 18 1. Einführung in die kognitive Linguistik 1.1 Kognitive Linguistik: Eine Einleitung Johan Blomberg & Moiken Jessen (übersetzt von Simone Lackerbauer) Wir verstehen diesen Text als eine Reise durch das facettenreiche Archipel der kognitiven Linguistik. Wir besuchen nicht alle Orte auf jeder der Inseln, aber wir hoffen, ein umfassendes Bild der verschiedenen Perspektiven in der kognitiven Linguistik zeichnen zu können. In diesem Kapitel stellen wir einen Teil der Ausrüstung zur Verfügung, die unserer Ansicht nach im Gepäck sein sollte, wenn man sich auf eine solche Reise begibt. Vor dem Hintergrund anderer Ansätze in der Linguistik zeigen wir einige der wichtigsten Konzepte und theoretischen Annahmen der kognitiven Linguistik. Lerneinheit 1.1 zeigt einige grundlegende Merkmale von Sprache auf und illustriert, wie diese Merkmale dazu beitragen, dass wir aus sprachlichen Äußerungen Bedeutung ableiten können. Darauf folgt ein kurzer Überblick zu den nachfolgenden Kapiteln. In Lerneinheit 1.2 führen wir Sie in einige der grundsätzlichen Konzepte der kognitiven Linguistik ein und machen Sie mit einflussreichen kognitiv-linguistischen Analysen vertraut. In Lerneinheit 1.3 besprechen wir einige der wesentlichen theoretischen Konzepte in der kognitiven Linguistik. Dazu gehört etwa die Annahme, dass Sprachwissen und Bedeutung von grundlegenden perzeptiven und körperlichen Fähigkeiten abgeleitet sind, die alle Menschen gemeinsam haben. Außerdem stellen wir die Verbindung zwischen diesen Ansätzen und aktueller Forschung her. Abbildung 1.1: Kognitive Linguistik umfasst viele verschiedene Forschungsgebiete, die grundlegende Annahmen über das Wesen der Sprache teilen Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ grundlegende Vorstellungen und Konzepte der kognitiven Linguistik kennenlernen; ▶ verstehen, wie diese Konzepte und Vorstellungen angewandt werden, um einige der klassischen Fragen in der Linguistik zu beantworten; ▶ sich einen ersten Eindruck davon machen können, was Sie in diesem Band erwartet. 19 1.1 Kognitive Linguistik: Eine Einleitung 1.1.1 Die Entwicklung der kognitiven Linguistik Die kognitive Linguistik kam Anfang der 1980er Jahre mit den Arbeiten der überwiegend amerikanischen Linguisten und Philosophen wie George Lakoff, Mark Johnson, Ronald Langacker und Leonard Talmy auf. Ihre Arbeiten waren von Grundannahmen bestimmt, die nicht den damals vorherrschenden Auffassungen in der linguistischen Theorie entsprachen. Um dies zu verdeutlichen, können wir uns zum Beispiel mit der generativen Linguistik befassen. Laut Chomsky, dem Begründer der generativen Linguistik, werden Menschen mit der Fähigkeit zum Sprachenlernen geboren. Diese Fähigkeit wurde als ein kognitiv isoliertes Phänomen aufgefasst, ein mentales Modul und mithin die Existenz eines Spracherwerbsmechanismus (language acquisition device, kurz LAD ) angenommen. Chomsky ging davon aus, dass der Spracherwerbsmechanismus unabhängig war von anderen kognitiven Fähigkeiten, wie etwa Wahrnehmung, Vorstellung oder Logik. Das wichtigste Merkmal des Spracherwerbsmechanismus ist, dass durch ihn einer Sprache ein spezifisches Setting der Universalgrammatik verliehen wird. Die Grundannahme der Universalgrammatik besagt, dass aus einer endlichen Anzahl von Regeln eine unendliche Anzahl sprachlicher Äußerungen generiert werden kann. Da sie sich auf die linguistischen Regeln konzentriert, beschäftigt sich die generative Linguistik hauptsächlich mit den syntaktischen Regelmäßigkeiten von Sprachen. Man geht davon aus, dass die Grundlage für den scheinbar mühelosen und schnellen Spracherwerb bei Kindern die Universalgrammatik ist, da Kinder „nur“ noch die sprachspezifischen Settings ihrer Muttersprache erwerben müssen (Chomsky 1965, siehe auch Kapitel 7 für eine kognitiv linguistische Perspektive auf die Sprachentwicklung). Bei Chomskys Herangehensweise liegt der Fokus auf sprachlicher Form, wohingegen der Aspekt der sprachlichen Bedeutung vernachlässigt wird. Die kognitive Linguistik widerspricht einigen Grundpfeilern der generativen Linguistik, denn im Gegensatz zur generativen Linguistik geht sie nicht davon aus, dass Sprache ein angeborenes mentales Modul ist, das relativ unabhängig von anderen kognitiven Fähigkeiten funktioniert, sondern dass Sprache und ihre Entwicklung eng mit anderen kognitiven Fähigkeiten verbunden ist. Aus diesem Grund kann es keine rein syntaktische Verarbeitung unabhängig von der Bedeutung geben. In anderen Worten: Sprache ist in übergreifende kognitive Fähigkeiten eingebettet und Bedeutung unterliegt nicht der Form der Sprache. Zentral für das Feld der kognitiven Linguistik ist also die Auseinandersetzung mit Bedeutung und die Frage, wie Bedeutung auf der Basis unserer Erfahrungen und Interaktion mit der uns umgebenden Welt entsteht und dadurch, wie wir die Welt wahrnehmen und konzeptualisieren (vergleiche Ungerer & Schmid 1996). Da kognitive Linguistik Sprache als integrierten Bestandteil allgemeiner kognitiver Prozesse betrachtet (Ungerer & Schmid 1996), verfolgt sie spezifische Zielsetzungen und Zwecke, die sich von anderen Ansätzen und Paradigmen in der Linguistik unterscheiden (etwa von der strukturellen oder der generativen Linguistik). Dazu gehören unter anderem die folgenden Fragen: ▶ Wie erschaffen wir Bedeutung? ▶ Was ist die kognitive Grundlage von Sprache? 20 1. Einführung in die kognitive Linguistik ▶ Wie können wir abstrakte Konzepte wie Liebe oder Wirtschaft verstehen? ▶ Welche Rolle spielt die Grammatik bei der Erzeugung von Bedeutung? ▶ Kann die von uns gesprochene Sprache Einfluss darauf nehmen, wie wir die Welt verstehen? ▶ Wie können wir Bedeutung erzeugen, die über die Wort- und Satzebene hinausgeht, also wie verstehen wir Texte? ▶ Wie ist es möglich, dass kleine Kinder eine Sprache so schnell und scheinbar mühelos erlernen? ▶ In welchem Verhältnis steht Sprache zu Gesten und zu Körpersprache? In diesem Band zeigen wir, wie kognitive Linguistik an diese Fragen herangeht. Dabei spielt bei der Beantwortung die Annahme, dass allgemeine kognitive Prozesse an allen Ebenen der Sprachverarbeitung beteiligt sind, eine entscheidende Rolle. 1.1.2 Kategorisierung: Wie können wir Bedeutung erzeugen? Sobald wir über unsere Erfahrungen sprechen, geschieht dies mithilfe von sprachlichen Kategorien. Wie wir in Kapitel 3 sehen werden, können sprachliche Kategorien viele verschiedene Formen annehmen. Nehmen wir dafür ein einfaches Beispiel: das Wort Katze. Es ist ein Substantiv, das eine Kategorie von in der Realität existierenden Entitäten beschreibt, die gewisse Eigenschaften teilen. Bei Sprachnutzern wird all das Wissen, das sie über Mitglieder dieser Kategorie durch Erfahrung gelernt haben, aktiviert. Katzen sehen oftmals aus wie diejenige in Abbildung 1.2. Sie haben normalerweise ein weiches Fell und die Fähigkeit zu schnurren, bei manchen Menschen erzeugen sie allergische Reaktionen, manche Menschen lieben Katzen, manche Menschen hassen sie. Wenn wir das Wort Katze hören oder verwenden, kann man davon ausgehen, dass ein Teil unseres Wissens über Katzen darin eingeschlossen ist. Unser Wissen über und die Erfahrungen mit Katzen kommen in der allgemeinen Kategorie Katze zusammen. Abbildung 1.2: Katze (Pixabay 2018) 21 1.1 Kognitive Linguistik: Eine Einleitung Man geht davon aus, dass die Fähigkeit zur Kategorisierung von Erfahrungen nicht nur eine allgemeine grundlegende Fähigkeit der menschlichen Wahrnehmung ist, sondern dass sie unerlässlich für den Spracherwerb ist (siehe beispielsweise Rosch 1975 oder Lakoff 1987). Aufgrund der Annahme, dass Bedeutung und Sprache aus anderen kognitiven Fähigkeiten erwachsen, betrachtet die kognitive Linguistik Wörter als Ausdrücke von Kategorisierungen der erlebten Welt. Das bedeutet, dass beim Verständnis von Sprache nicht nur das „begrenzte“ lexikalische Wissen von der Bedeutung der Wörter eine Rolle spielt, sondern auch das „breitere“ enzyklopädische Wissen, in das zum Beispiel unsere Alltagserfahrungen mit einfließen. Die Bedeutung eines Wortes zu kennen, heißt also nicht nur es definieren zu können (zum Beispiel ist eine Tasse ein ‚Behältnis für Flüssigkeiten‘), sondern schließt auch Wissen über den Zweck, die Art der Nutzung und persönliche Erfahrungen ein (zum Beispiel warum man Flüssigkeiten in Behältnisse gießt, welche Flüssigkeiten trinkbar sind etc.). Experiment Führen Sie die folgende Aufgabe durch: Wählen Sie fünf zufällige Objekte, egal welche, etwa einen Stift, Radiergummi, Kopfhörer, Kaffeetassen und ähnliche Gegenstände, die Sie griffbereit haben. Ordnen Sie diese Gegenstände nun in Haufen an. Wenn Sie damit fertig sind, überlegen Sie, nach welchen Kriterien Sie die Dinge sortiert haben und schreiben Sie dies auf. Führen Sie dasselbe Experiment mit einem Freund durch, aber sagen Sie ihm nicht, nach welchen Kriterien Sie die Gegenstände sortiert haben. Wenn er fertig ist, fragen Sie Ihren Freund nach seinen Aufteilungskriterien. Nun können Sie die unterschiedlichen Prinzipien der Kategorisierung bestimmen, die zur Bildung der Haufen führten: Einige wurden nach Farbe sortiert, andere nach Material und wieder andere vielleicht nach der Größe. Finden Sie heraus, inwieweit sich das auf die Kategorisierung in der Sprache bezieht. Wenn wir uns Kategorien so vorstellen, müssen sie weder exakt definiert noch genau voneinander getrennt sein. Die Grenzen für jede einzelne Kategorie können daher durchaus unscharf sein. Das heißt, dass die Elemente einer Kategorie sich darin unterscheiden, wie prototypisch sie für die jeweilige Kategorie sind. Darüber hinaus können sich Kategorien auch überschneiden und ein Element kann gleichzeitig zu verschiedenen Kategorien gehören. Wie würden Sie die Gruppe der Gegenstände in Abbildung 1.3 nennen? Wir könnten die Gegenstände mit einem Oberbegriff wie Möbelstücke bezeichnen. In dieser Kategorie Möbelstücke gibt es Elemente wie Stuhl und Bett als recht prototypische Beispiele. Im Gegensatz dazu sind Dinge wie Fernseher oder E-Gitarrenverstärker weniger repräsentativ für Möbelstücke, dafür aber jeweils sehr repräsentativ für die Kategorien Heimunterhaltungssysteme und Musikinstrumente. Da es in Kategorien generell immer mehr oder weniger prototypische Elemente gibt, bezeichnen kognitive Linguisten Kategorien manchmal als radial (Lakoff 1987; vergleiche auch die Prototypentheorie in Lerneinheit 3.2 in diesem Band). 22 1. Einführung in die kognitive Linguistik Abbildung 1.3: Objekte, die typischerweise als Möbelstücke bezeichnet werden (ClipartPanda 2017) Mit der Kategorisierung ist auch die Polysemie verbunden. Polysemie bezeichnet das Phänomen, dass ein Wort mehrere ähnliche Bedeutungen hat, zum Beispiel das englische Wort mole, das für ‚Maulwurf ‘ steht und für eine dunkle Wucherung der Haut (‚Muttermal‘). Dieses Phänomen wird von der Homonymie unterschieden, bei der zwei Wörter gleich aussehen, aber unterschiedliche nicht miteinander in Beziehung stehende Bedeutungen haben, wie zum Beispiel das englische Wort bank für ‚finanzielle Institution‘ und ‚Böschung, Flussufer‘. Abbildung 1.4: Ein Comic, der die unterschiedlichen Bedeutungen von cookie veranschaulicht. („Cookies löschen? ! “) (Fernandez 2017) 23 1.1 Kognitive Linguistik: Eine Einleitung In der kognitiven Linguistik beschränkt sich die Polysemie nicht auf Substantive, sondern ist ein organisatorisches Prinzip, das es erlaubt, dass linguistische Elemente in verschiedenen Kategorien mit verwandten Bedeutungen vorkommen. Ein sehr bekanntes Beispiel zur Erläuterung von Polysemie in der kognitiven Linguistik ist das englische Wort over (Brugman 1988). Lesen Sie sich die folgenden Beispiele (1a-c) durch: (1) a. the painting is over the mantel. (Bedeutung: ‘above the mantel’/ ‚über dem Kaminsims‘) b. the plane is flying over the hill. (Bedeutung: ‘across or above the hill’/ ‚über den Berg‘ oder ‚über den Berg hinweg‘) c. Sam lives over the hill. (Bedeutung: ‘behind the hill’/ ‚hinter dem Hügel‘) (Brugman & Lakoff 2006: 112) Die Beispiele (1a-c) zeigen einige der Bedeutungen des Wortes over. Obwohl sich alle unterschiedlichen Verwendungen von over in ihren Details unterscheiden, stellen Brugman (1988) sowie Brugman und Lakoff (2006) fest, dass all diese unterschiedlichen Bedeutungen von over von seiner Grundbedeutung ‚über‘ abgeleitet sind (vergleiche Tyler & Evans 2001 für eine andere Analyse des Wortes over). In der kognitiven Linguistik beschränkt sich Polysemie auch nicht auf lexikalische Einheiten, sondern kann zum Beispiel auf die morphosyntaktiktische Ebene übertragen werden. Lesen Sie sich die Beispiele (2a-c) für das englische oder auch deutsche Morphem {-er} durch: (2) a. teacher / Lehrer (‘human agent’/ ‚menschlicher Agens‘) b. villager / Dorfbewohner (‘human living in a particular place’/ ‚an einem bestimmten Ort lebender Mensch‘) c. toaster / Toaster (‘thing that can do what the verb says’/ ‚ein Gegenstand, der das tun kann, was das Verb aussagt‘) (Evans & Green 2006: 36) In allen drei Fällen verleiht das Morphem {-er} dem Wort, dem es beigefügt wird, eine etwas andere Bedeutung. Wir können daher sagen, dass {-er} polysem ist. In Kapitel 3 erfahren Sie mehr darüber, wie Polysemie und Metaphern funktionieren und wie sie zur Erweiterung von Bedeutung beitragen. 1.1.3 Metaphern: Wie verstehen wir abstrakte Konzepte? Haben Sie sich jemals gefragt, warum wir Ausdrücke verwenden wie im Geld schwimmen, oder wie flüssig den Zustand des Flüssigseins beschreibt, aber auch die Tatsache, dass jemand genug Geld hat? Natürlich ist Geld nicht wirklich flüssig und schwimmen kann man darin auch nicht. Eine Antwort auf diese Frage finden wir in einer anderen wesentlichen Theorie der kognitiven Linguistik: die sogenannte Theorie der konzeptuellen Metapher (siehe beispielsweise Lakoff & Johnson 1980; Johnson 1987). Nehmen wir ein paar weitere Beispiele. Wissen Sie, was Zeit ist? Können Sie den Begriff jemandem erklären, der nicht weiß, was das ist? Obwohl 24 1. Einführung in die kognitive Linguistik Zeit schwer zu definieren ist, können wir auf viele unterschiedliche Weisen darüber sprechen. Wir können Zeit verbringen, Zeit teilen, Zeit verschwenden und viele weitere (ziemlich konkrete) Dinge mit der Zeit tun, obwohl Zeit ein abstraktes Konzept ist. In der Theorie der konzeptuellen Metapher (vergleiche auch Lerneinheit 3.2 und 3.3) wird davon ausgegangen, dass unser Denken von solchen metaphorischen Mustern motiviert und geleitet wird. Deshalb argumentieren einige kognitive Linguisten dafür, dass sprachliche Bedeutung aus mappings entstehen kann. Mapping bedeutet, dass Elemente aus konkreten Domänen, zum Beispiel Raum, benutzt werden um abstrakte Domänen sprachlich beschreiben zu können, zum Beispiel Zeit (vergleiche zum Beispiel Lakoff & Johnson 1980, 1999; Johnson 1987; Lakoff 1987). Wie solche Mappings funktionieren, zeigt sich in (3), wenn die räumliche Präposition at den Zeitpunkt beschreibt, an dem etwas geschehen wird, wohingegen das Bewegungsverb fall in (4) zum Ausdruck eines emotionalen Prozesses verwendet wird und nicht für einen eigentlichen Fall: (3) The meeting is at noon. (‚Das Treffen findet am Mittag statt.‘) (4) To fall in love. (‚sich verlieben‘) Laut Lakoff und Johnson haben die Präposition at und das Verb fall eigentlich eine räumliche Bedeutung, werden jedoch auf andere Bereiche wie Zeit und Emotionen übertragen. Diese Mappings zwischen den Kategorien werden konzeptuelle Metaphern genannt (Lakoff & Johnson 1980; Grady 1997). In diesem Sinne ist eine Metapher kein Stilmittel, wie im klassischen Sinne, sondern ein kognitives Phänomen, das für systematische konzeptuelle Verbindungen zwischen verschiedenen Domänen steht. In anderen Worten sind linguistische Metaphern oft sprachlich manifestierte Darstellungen der zugrundeliegenden kognitiven Strukturen. Aus demselben Grund können wir daher erwarten, dass Metaphern auch in nichtsprachlichen Repräsentationen verwendet werden, etwa in visuellen Medien und in der Kunst (zum Beispiel Forceville 2012). Wir kommen in den Lerneinheiten 1.2 und 1.3 sowie in Kapitel 3 noch einmal auf konzeptuelle Metaphern zurück. Abbildung 1.5: Ein Comic, der die metaphorischen Wurzeln einiger gängiger Redewendungen illustriert (Scott & Borgman 2011; © King Features Syndicate, Inc./ Distr. Bulls) 25 1.1 Kognitive Linguistik: Eine Einleitung Im Sprachenunterricht kann das Prinzip der konzeptuellen Metapher Wegbereiter für viele neue Möglichkeiten der Vermittlung von Sprache und insbesondere von Grammatik sein. Das Wissen über die Funktionsweise von Metaphern kann den Lernern dabei helfen, komplexe grammatikalische Strukturen konkreter zu verstehen. Ein interessantes Beispiel für die Anwendung von Metaphern im Grammatikunterricht finden Sie unter anderem im Kapitel 3 dieses Bandes und 7.3 im Band »Sprachenlernen und Kognition«; siehe auch Roche & Suñer 2014). 1.1.4 Grammatik in der kognitiven Linguistik: Die Funktion der Grammatik für die Bedeutung Grammatik macht vielen Sprachenlernern manchmal Angst. Im Allgemeinen versteht man unter Grammatik Unterrichtsmaterial wie Konjugations- oder Deklinationstabellen (Abbildung 1.6). Abbildung 1.6: Deklinationstabelle für griechische Substantive, die auf den Vokal o enden (Deklination für Maskulinum und Neutrum) (Harris 2009) Auf diese Weise wurde Grammatik oft in der Schule gelehrt und wird es mancherorts immer noch. In Kapitel 4 besprechen wir Grammatik aus der Perspektive der kognitiven Linguistik und erläutern den Ansatz der Konstruktionsgrammatik. Wie Sie erleichtert sehen werden, 26 1. Einführung in die kognitive Linguistik müssen Sprachenlerner eigentliche keine Konjugationstabellen mehr lernen, sondern nur noch eines: Konstruktionen. Sie werden verstehen, wie Konstruktionen funktionieren und wie das Konzept einer Konstruktion als Brücke zwischen Wortschatz und Grammatik dient. Anhand der Konstruktion in (5) können Sie sich eine erste Vorstellung davon machen, was auf Sie zukommt: (5) The more, the merrier. (‚Je mehr, desto besser.‘; diese Wendung wird im Englischen häufig als Antwort auf die Frage verwendet, ob man eine weitere Person zu einer Verabredung mitbringen könne, um Zustimmung zu signalisieren, dass ein Beisammensein umso schöner ist, je mehr Personen kommen.) Man kann eine solche Redewendung zum Beispiel als eine Einheit betrachten, die im mentalen Lexikon abgespeichert ist. Die Konstruktionsgrammatik jedoch stellt dieses Verständnis von Redewendungen infrage. Eine Konstruktion wie The more, the merrier verfügt über mehrere Leerstellen, die produktiv besetzt werden können, um andere ähnliche Konstruktionen wie The bigger, the better (‚Je größer, desto besser‘) zu erzeugen. Mit der Konstruktionsgrammatik arbeitende Linguisten und Linguistinnen gehen davon aus, dass ein allgemeines Schema zur Erzeugung strukturell identischer Ausdrücke existiert, das in Form der The X-er, the Y-er‘-Konstruktion (Fillmore, Kay & O’Connor 1988) dargestellt werden kann. Diese Konstruktion ist nur ein Beispiel dafür, wie Konstruktionen zur Erzeugung von Bedeutung beitragen. In den Lerneinheiten 4.2 und 4.3 erhalten Sie einen detaillierten Überblick über die Konstruktionsgrammatik. Außerdem erfahren Sie auch, wie die mentale Repräsentation von Konstruktionen bei bilingualen Sprechern funktioniert. 1.1.5 Sprachliche Diversität, Relativität und kognitive Linguistik: Sprache und Denken Sehen Sie sich die nachfolgende Illustration des japanischen Begriffs tsundoku an: Abbildung 1.7: Dieses Bild illustriert die Bedeutung des japanischen Wortes tsundoku (Sanders 2014: 87) 27 1.1 Kognitive Linguistik: Eine Einleitung Wenn Ihre Sprache der englischen Sprache ähnelt, kann die japanische Vorstellung von tsundoku nicht in einem einzigen Wort erfasst werden. Die Idee oder das zugrundeliegende Konzept ist jedoch recht einfach zu verstehen. In Kapitel 5 beschäftigen wir uns mit der Frage, wie sich Sprachen im Ausdruck von Bedeutung unterscheiden und warum dies für kognitive Linguisten interessant ist. Wie wir bereits anhand des Beispiels tsundoku gesehen haben, unterscheiden sich Sprachen darin, welche Bedeutungen ausgedrückt werden können und wie diese Bedeutungen ausgedrückt werden. In Lerneinheit 5.1 untersuchen wir, wie grundlegende Bereiche der menschlichen Erfahrung, unter anderem Raum und Körperteile, in den Sprachen der Welt unterschiedlich ausgedrückt werden. Obwohl diese Bereiche gemeinsame Aspekte menschlichen Erfahrens umfassen, werden wir sehen, dass Sprachen sie trotzdem ganz unterschiedlich kodieren. Zum Beispiel gibt es in manchen Sprachen keine Wörter für Begriffe wie links und rechts. Stattdessen greifen diese Sprachen auf Wörter zurück, die sich auf Himmelsrichtungen beziehen, wie Osten und Süden für räumliche Angaben jeder Art. Vor dem Hintergrund solcher Unterschiede werfen wir in Lerneinheit 5.2 die Frage auf, inwieweit diese Variation Einfluss auf nichtsprachliche Wahrnehmung nehmen kann. Dafür befassen wir uns mit der Idee der linguistischen Relativität, also der Annahme, dass Unterschiede in einzelnen Sprachen zu entsprechenden Unterschieden in der Wahrnehmung der Sprecher der jeweiligen Sprache führen. Nach einer kurzen Erörterung des philosophischen Hintergrunds der linguistischen Relativität fassen wir aktuelle Forschung zu möglichen sprachlichen Effekten auf das Denken und die Kognition zusammen. In Lerneinheit 5.3 führen wir die übereinzelsprachlichen Variationen und deren mögliche Effekte wieder mit Modellen und Theorien der kognitiven Linguistik zusammen. 1.1.6 Textlinguistik: Bedeutung jenseits von Wörtern und Sätzen Bisher haben wir uns mit Sprache in Form von grammatikalischen Elementen, einzelnen Wörtern oder kurzen Aussagen beschäftigt. In der Kommunikation bilden wir mit der Sprache jedoch längere Einheiten und erschaffen Diskurse. Deshalb ist ein Verständnis von Diskurs wichtig, um zu verstehen wie Bedeutung in längeren Text- und Kommunikationsabschnitten entsteht und zur menschlichen Kommunikation beiträgt. Kapitel 6 zeigt, wie Bestandteile des linguistischen Diskurses- - geschrieben oder gesprochen- - zur Erzeugung von Bedeutung beitragen. Man kann je nach der Form oder dem Ziel des Textes zwischen verschiedenen Texttypen unterscheiden. Ein kurzer Comic kann ebenso ein Text sein wie ein Roman. Auch in der alltäglichen Kommunikation erzählen wir (Weißt Du, was mir gestern passiert ist? Ich war beim Zahnarzt und dann kam diese ältere Dame mit ihrem Hund dazu und sie-…), beschreiben wir (Der Strand war bezaubernd, weißer Sand und türkisfarbenes Wasser-…) oder geben wir Anweisungen (Du musst zuerst den Deckel abschrauben-…). Dabei sind unsere Erzählungen, Beschreibungen und Anweisungen stets nach bestimmten Prinzipien strukturiert. Man kann sich das ganz einfach vorstellen: Normalerweise kommen in einer Erzählung Ereignisse in chronologischer Reihenfolge vor und es wird erwähnt, was zuerst passiert ist. Eine Beschreibung folgt einer anderen Struktur: Wenn wir ein Objekt beschreiben, gibt es dazu 28 1. Einführung in die kognitive Linguistik keine Chronologie. Üblicherweise gibt man dem zu beschreibenden Objekt einen Namen und folgt dann einem organisatorischen Pfad, zum Beispiel beschreibt man es von oben nach unten. Schließlich beziehen wir bei Erzählungen, Beschreibungen oder Anweisungen immer das uns bekannte Wissen der anderen Person mit ein und gehen von einer gemeinsamen Wissensbasis aus. Wie das funktioniert, wird in Kapitel 6 thematisiert. Insbesondere behandeln wir dort ein Modell zur Kategorisierung von Texten namens Quaestio-Modell (von Stutterheim 1997a; von Stutterheim & Klein 2008). Dieses Modell dient innerhalb einer Sprache und sprachübergreifend zur Beschreibung von Unterschieden zwischen Textarten. Das Quaestio-Modell berücksichtigt dabei sowohl formale Aspekte als auch kognitive Planungsprozesse. Es kann für Sprachenlerner sehr nützlich sein, die, zusätzlich zu Grammatik und Vokabeln, lernen sollen, wie sie Texte in der zu erlernenden Sprache strukturieren müssen. 1.1.7 Wie lernen Kinder Sprache(n)? Wie erlernen Kinder die verschiedenen Aspekte von Sprache? Was befähigt ein Baby dazu, Bedeutung zu erzeugen? Wie können Kinder komplexe Konstruktionen bilden und Erwachsene schließlich eine Sprache vollständig beherrschen? Während des Spracherwerbs laufen linguistische, kognitive und soziale Entwicklungsprozesse parallel ab. In Kapitel 7 untersuchen wir, wie diese Faktoren zusammenwirken, um den Spracherwerb bei Kindern zu lenken. Einige wichtige erste Schritte dafür werden in Lerneinheit 7.1 behandelt. Dort untersuchen wir die Wahrnehmungsfähigkeiten, über die bereits der Fötus verfügt (ja, Kinder fangen früh an! ) und wie diese den Lernprozess beeinflussen. Wir erörtern wichtige Meilensteine in der Entwicklung, die das erste Lebensjahr markieren und sehen uns die frühe Wortverwendung bei Kindern genauer an. In Lerneinheit 7.2 befassen wir uns mit der Mehrwortphase und fragen uns, wie Kinder lernen, Konstruktionen zu verwenden. Sogar bei Sprachen mit scheinbar komplexen Mustern der Verbpositionierung (wie etwa der deutschen Sprache) zeigen die Forschungsergebnisse, dass Kinder die vorherrschenden Konstruktionsmuster ihrer Erstsprache im Alter von drei Jahren beherrschen. Wir sehen uns an, wie verschiedene theoretische Ansätze zur Sprachentwicklung diese beeindruckende Leistung erklären wollen. Zuletzt wenden wir uns in Lerneinheit 7.3 den unterschiedlichen Kontexten zu, in denen Kinder im Laufe ihrer Kindheit mehr als eine Sprache erwerben. Wir erarbeiten die Besonderheiten des zweisprachigen Sprachenerwerbs und untersuchen einige Phänomene, die kennzeichnend für die Sprachverwendung zweisprachiger Kinder sind, darunter das Mischen von Sprachen. 1.1.8 Multimodalität: Gehören Gesten zur Sprache? In Kapitel 8 erörtern wir Sprache als Bestandteil eines multimodalen Pakets. Wenn wir sprechen, verwenden wir auch andere Körperteile zur Kommunikation, wie die Hände und das Gesicht. Trotzdem werden Gesten üblicherweise nicht als ein Teil der Sprache wahrgenommen. Die aktuelle Forschung zeigt jedoch, dass die gesprochene Sprache nicht nur oft von Gesten begleitet wird, sondern dass diese auch erheblich zum Ausdruck von Bedeutung 29 1.1 Kognitive Linguistik: Eine Einleitung beitragen können. Aber warum ist das so und wie hängen Sprache und Gesten zusammen? Wir stellen das Thema Gestik und Gestenforschung in Lerneinheit 8.1 vor. Wir zeigen, was Gesten sind und wie sie systematisch in verschiedene Typen unterteilt und als integraler Bestandteil der sprachlichen Kommunikation analysiert werden können. Wir fahren dann in Lerneinheit 8.2 mit einer Untersuchung der möglichen Zusammenhänge zwischen Sprache und Gesten fort. Das Kapitel mündet in Lerneinheit 8.3, in der wir die Rolle und die Wichtigkeit von Gesten aus der Perspektive des Zweitsprachenerwerbs erörtern. Insbesondere erkunden wir, wie Gesten das Verstehen erleichtern und Gedächtnissowie Problemlöseprozesse unterstützen können. Vor dem Hintergrund der Bedeutung dieser Merkmale für den Sprachenerwerb erörtern wir kurz die Rolle, die Gesten beim Zweitsprachenerwerb spielen können. 1.1.9 Überblick Nach dem Einführungskapitel fassen wir in Kapitel 2 die Methoden der Analyse von Sprache in der traditionellen Grammatik zusammen und erklären dabei einige relevante linguistische Begriffe genauer. Danach wird aufgezeigt, wie die traditionellen Analysen von Sprache sich von den Analysen unterscheiden, wie sie in der kognitiven Linguistik gemacht werden. In Kapitel 3 erfahren Sie, dass Sie den Begriff Einsicht verwenden können, auf einer abstrakten Ebene, die eigentlich nichts mit Ihrem visuellen Sinn zu tun hat, das heißt Sie lernen, wie abstrakte Konzepte durch die Verwendung konkreter Sprache ausgedrückt werden können. Wir werden erklären, wie diese sogenannten Metaphern unser Denken bestimmen. In Kapitel 4 beleuchten wir die Bedeutung von Grammatik, indem wir das Konzept und den Nutzen von Konstruktionen untersuchen. In Kapitel 5 erörtern wir, ob die Sprache, die wir sprechen, Einfluss auf unser Denken nimmt. Dies wäre die logische Schlussfolgerung daraus, dass Sprache auf allgemeinen kognitiven Prinzipien basiert. Kapitel 6 zeigt, wie Sprache über die Wort- und Satzebene hinaus zu komplexeren Einheiten oder Texten zusammengesetzt wird. Kapitel 7 wirft Licht auf die Frage, wie wir eine Sprache erlernen. Mit diesem Wissen werden Sie viele der Aspekte aus den anderen Bänden in dieser Reihe verstehen, die sich auf die Kognition des Lerners konzentrieren. Zum Schluss bietet Kapitel 8 neue Einblicke in die Bedeutung und inwieweit Bedeutung nicht nur durch gesprochene Sprache übertragen wird, sondern ein multimodales Phänomen ist, das auch Gesten umfasst. 30 1. Einführung in die kognitive Linguistik 1. 1. 10 Zusammenfassung ▶ Die kognitive Linguistik untersucht, was natürliche Sprache ist, wie sie funktioniert und wie sie verwendet und verstanden wird. ▶ Die kognitive Linguistik ist weniger ein gebrauchsfertiges Paradigma, sondern eher eine spezielle Auffassung von und ein besonderer Zugang zu Sprache. ▶ Die wichtigste Gemeinsamkeit unterschiedlicher Ansätze in der kognitiven Linguistik ist die Erklärung sprachlicher Phänomene vor dem Hintergrund allgemeiner kognitiver Fähigkeiten. ▶ Wir wenden unser Wissen von der Welt an, um Kategorien zu bilden. ▶ Die Kategorisierung ist ein wichtiger kognitiver Aspekt von Sprache. ▶ Kategorien sind eher radial als strikt voneinander getrennt. ▶ Kategorien existieren auf allen Ebenen von Sprache. ▶ Ein wichtiger Aspekt der linguistischen Bedeutung sind konzeptuelle Metaphern. ▶ Konzeptuelle Metaphern helfen uns dabei, abstrakte Zustände mit Ausdrücken zu konkreten Dingen zu erklären. ▶ Grammatik kann in Form von Konstruktionen analysiert werden. ▶ Grammatik ist nicht das Gegenstück zur Bedeutung, sondern Teil der linguistischen Bedeutung. ▶ Die Kategorien und grammatischen Konstruktionen einer bestimmten Sprache nehmen bis zu einem gewissen Grad Einfluss darauf, wie ihre Sprecher und Sprecherinnen über die sie umgebende Welt sprechen. ▶ Die Struktur von Textarten kann sich zwischen den Sprachen unterscheiden. Diese Unterschiede können mit Modellen festgehalten und beschrieben werden. ▶ Das Erlernen einer Erstsprache aktiviert sprachliche, kognitive und soziale Entwicklung. ▶ Gesprochene Sprache wird von Gesten begleitet. 1. 1. 11 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Warum ist kognitive Linguistik keine eigenständige Theorie? 2. Wie lässt sich der Unterschied zwischen Polysemie und Homonymie erklären? 3. Erklären Sie, inwieweit Kategorisierung ein allgemeiner kognitiver Prozess zur Strukturierung von Sprache ist. Auf welchen Sprachebenen können wir Kategorisierung beobachten? 4. Erklären Sie in Ihren eigenen Worten, warum eine Metapher in der kognitiven Linguistik mehr ist als nur ein Stilmittel. 31 1.2 Repräsentation von Bedeutung 1.2 Repräsentation von Bedeutung Johan Blomberg & Moiken Jessen (übersetzt von Simone Lackerbauer) In Lerneinheit 1.1 haben wir uns einen ersten Überblick zu einigen zentralen Annahmen, Konzepten und Theorien der kognitiven Linguistik verschafft. Damit sich die kognitive Linguistik als ein eigenständiger Bereich der Linguistik etablieren kann, muss ihr spezieller Zugang zu Sprache auch in der Analyse von Sprache Anwendung finden. Die Vorgehensweise muss sich dabei deutlich von anderen Ansätzen unterscheiden und ihnen gegenüber wesentliche Vorteile bieten. In dieser Lerneinheit untersuchen wir, wie Sprache aus der Perspektive der kognitiven Linguistik analysiert wird und welcher Beitrag damit für die linguistische Analyse geleistet wird. In Lerneinheit 1.1 haben wir gesehen, dass die verschiedenen Ansätze der kognitiven Linguistik die Annahme teilen, dass Sprache per se bedeutungsvoll ist. Dies zeigt sich einerseits im Gebrauch von einzelnen Wörtern und andererseits darin, wie Wörter zu größeren bedeutungstragenden Einheiten verbunden werden. Aber wie können wir Sprache auf allen Ebenen als etwas Bedeutungstragendes auffassen, das aus allgemeinen kognitiven Fähigkeiten resultiert? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns intensiver mit den aktuellen Ansätzen der kognitiven Linguistik befassen. An dieser Stelle können wir aber festhalten, dass die kognitive Linguistik allgemeine Strukturen linguistischer Bedeutung bestimmt. Diese Strukturen müssen einen systematischen Charakter haben und in allen Sprachen vorhanden sein, denn sonst könnten sie nicht auf vorsprachlichen kognitiven Verarbeitungsprozessen beruhen. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die grundlegenden Konzepte der kognitiven Linguistik kennenlernen; ▶ beschreiben können, wie Sprache in der kognitiven Linguistik analysiert wird; ▶ diese analytischen Werkzeuge auf konkrete linguistische Beispiele anwenden können. 1.2.1 Prädikation und visuelle Wahrnehmung Ein wichtiges Thema in der Linguistik ist die Prädikation, worunter die Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Verb verstanden wird. Die Prädikation ist ein grammatisches Phänomen, das alle Sprachen der Welt in der ein oder anderen Form gemeinsam haben. Die Beispielsätze (1a-c) illustrieren im klassischen Sinne, was Prädikation ist: etwas wird über etwas anderes gesagt. Ganz unabhängig von den individuellen Unterschieden dieser drei Sätze, haben sie auch einige Gemeinsamkeiten. Sie besitzen ein Subjekt, ein Prädikat und ein Objekt. Dies wäre eine ganz simple traditionelle Analyse der Satzkonstituenten, der Wortklassen und der syntaktischen Funktionen, die die einzelnen Elemente erfüllen. (1) a. The lamp is on the table. (‚Die Lampe ist auf dem Tisch.‘) 32 1. Einführung in die kognitive Linguistik b. The road runs through the forest. (‚Die Straße geht durch den Wald.‘) c. The man over there is a real shark. (‚Der Mann dort drüben ist ein echter Gauner.‘) Auch wenn solche Beschreibungen für eine linguistische Analyse wichtig sind, hätte ein kognitiver Linguist oder eine kognitive Linguistin dennoch den Eindruck, dass bei dieser Aufstellung etwas fehlt: Nämlich die der Sprache innewohnende Bedeutung. Man könnte fragen, warum Prädikation so oft im Verb ausgedrückt wird oder sogar, warum es eigentlich Verben und Prädikation in den Sprachen der Welt gibt. Das ist die Frage nach der Bedeutung in der Grammatik. Ein recht einfaches, aber markantes Beispiel für die Bedeutung in der Grammatik ist die Satzstellung in der englischen Sprache. Die zwei Sätze aus (2a-b) bestehen aus denselben Wörtern, aber das Subjekt und das indirekte Objekt (oder die thematischen Rollen Agens und Patiens) sind jeweils vertauscht. Obwohl sie dieselbe Art des Bezuges ausdrücken, dieselbe Prädikation, unterscheidet sich die jeweilige Bedeutung dennoch aufgrund der Positionen der Konstituenten. (2) a. Nigel gave Donald some advice. (‚Nigel gab Donald einen Rat.‘) b. Donald gave Nigel some advice. (‚Donald gab Nigel einen Rat.‘) In den Beispielen ist Nigel der Agens in (2a) und der Patiens in (2b). In der englischen Sprache werden diese Rollen je nach der Reihenfolge der Konstituenten innerhalb des Satzes vergeben. Andere Sprachen haben eine freiere Satzstellung und Rollen können zum Beispiel über Kasusmarkierung vergeben werden. In der englischen Sprache tragen Grammatik und Satzstellung also zur Bedeutung eines Satzes bei. Anhand dieses kurzen und einfachen Beispiels dafür, wie eine grammatikalische Eigenschaft wie die Satzstellung Bedeutung erzeugen kann, sehen wir uns nun an, wie die kognitive Linguistik die Prädikation auffasst. Wir nehmen zunächst den einfachsten Satz (1a), der etwas zu einer statischen räumlichen Situation aussagt. Aus der Perspektive einer formalen grammatischen Analyse könnte dieser Satz, vereinfacht gesagt, hinsichtlich seiner unterschiedlichen Wortarten untersucht werden, wie nachfolgend in (3) dargestellt. Abbildung 1.8: Statische räumliche Situation Die Lampe ist auf dem Tisch 33 1.2 Repräsentation von Bedeutung (3) The lamp is on the table Die Lampe ist auf dem Tisch (Artikel Substantiv Kopulaverb Präposition Artikel Substantiv) Wörter unterschiedlicher Wortarten werden zur Bildung eines Satzes kombiniert, z. B. Verben und Adjektive, dabei erfüllen die unterschiedlichen Wortarten verschiedene syntaktische Funktionen, wie in (4) ersichtlich ist: (4) The-+ lamp is on+the+table Artikel+Substantiv Kopulaverb Präposition+Artikel+Substantiv Wortklasse Subjekt Prädikat präpositionale prädikative Phrase syntak. Funktion Anhand einer solchen formalen Darstellung können wir ein wichtiges bedeutungsvolles Merkmal erkennen. Die Anordnung unterschiedlicher Wortarten ist nicht nur eine Frage der Befolgung grammatikalischer Regeln, sondern diese Regeln enthüllen auch eine Asymmetrie zwischen den beiden Substantiven, die in diesem Satz verwendet werden: Eines steht mehr im Fokus, während das andere weniger salient ist. Wir können dies verdeutlichen, indem wir ihr Verhältnis zueinander wie in (5) umdrehen: (5) The table is below the lamp. (‚Der Tisch ist unter der Lampe.‘) Hier wird dieselbe räumliche Beziehung zwischen einem Tisch und einer Lampe beschrieben, aber das Substantiv im Fokus hat sich geändert. Kognitive Linguisten und Linguistinnen argumentieren, dass dieser Spielraum beim Ausdruck räumlicher Beziehungen zeigt, wie der Sprecher oder die Sprecherin die Situation wahrnimmt. Was ist in diesem speziellen Kontext relevanter-- die Lampe oder der Tisch? Denn obwohl (1a) und (5) referentiell gesehen gleich sind (wenn wir davon ausgehen, dass es jeweils um dieselbe Lampe und denselben Tisch geht), unterscheiden sie sich trotzdem voneinander. Der Unterschied besteht nicht darin, worüber wir sprechen, sondern wie wir darüber sprechen. Die Art, wie wir Sprache zur unterschiedlichen Darstellung einer Situation verwenden, wird in der kognitiven Linguistik Construal genannt (Langacker 1987). Langacker beschreibt solche Unterschiede im Konstruieren, im Construal, also darüber, wie über dieselbe Szene auf unterschiedliche Weise (wie in 1a und 5) gesprochen werden kann, wie folgt: […] truth-conditionally equivalent, describing precisely the same objective situation. Yet they clearly differ conceptually, and since the differences are determined by their form, they must be accepted as aspects of linguistic meaning. (Langacker 2001: 9f) 34 1. Einführung in die kognitive Linguistik Wenn die sprachliche Form also widerspiegelt, wie jemand eine Situation erfasst, dann sollte dies ein Bereich systematischer sprachwissenschaftlicher Analysen sein. Um die unterschiedlichen Möglichkeiten der Versprachlichung ein- und derselben Situation untersuchen zu können, nehmen kognitive Linguisten und Linguistinnen an, dass die Basis zu dieser Variation in grundlegenden, nicht auf Sprache beschränkten, Diskriminierungsprozessen zu finden ist, die mit Prozessen der visuellen Wahrnehmung geteilt werden. Um diese Parallele sehen zu können, beleuchten wir nun einige Organisationsmerkmale der visuellen Wahrnehmung. Wenn wir also unsere Umwelt betrachten, schenken wir nicht allen Dingen in unserem physischen Blickfeld denselben Grad an Aufmerksamkeit. Vielmehr befinden sich einige Dinge im Vordergrund, wohingegen andere im Hintergrund verbleiben. Dies lässt sich sehr gut mithilfe von optischen Täuschungen illustrieren, wie der Rubin‘schen Vase (Abbildung 1.9). Dieses Bild kann entweder als Vase (weiß) oder als Konturen zweier menschlicher Gesichter (schwarz) wahrgenommen werden, je nachdem, was wir im Vordergrund beziehungsweise im Hintergrund sehen. Unsere Wahrnehmung alterniert zwischen diesen beiden Bildern. Zu keinem Zeitpunkt wird das Bild gleichzeitig sowohl als eine Vase als auch als zwei menschliche Gesichter wahrgenommen. Abbildung 1.9: Rubin‘sche Vase: Unsere Wahrnehmung des Bildes alterniert zwischen einer Vase (weiß) und zwei Gesichtern, die einander ansehen (schwarz) (Wikimedia 2017) Mit dem Beispiel der Rubin‘schen Vase können wir sagen, dass visuelle Wahrnehmung Dinge in Bezug zu anderen Dingen setzt, allerdings auf eine asymmetrische Weise: Nicht alle Dinge im Blickfeld sind gleichermaßen im Vordergrund. Was zentral wahrgenommen wird, hängt davon ab, worauf die Aufmerksamkeit gerichtet ist. Das kann sich im Verlauf der Zeit ändern. Die räumlichen Beschreibungen (1a) und (5) können ähnlich analysiert werden: Ein Objekt ist im Fokus, das andere tritt als Bezugspunkt in den Hintergrund zurück. Um dies zu beschreiben, schlägt die Literatur verschiedene Begriffe vor, die jeweils auf das Objekt im Vordergrund und das Objekt im Hintergrund verweisen. Dazu gehören Figure und Ground 35 1.2 Repräsentation von Bedeutung (Talmy 1978, 2000). Der Einfachheit halber verwenden wir die Begriffe Trajector und Landmark. Diese Termini wurden von Ronald Langacker eingeführt (1982, 1987, 1991). Trajector und Landmark sind nicht nur auf primär räumliche Beschreibungen beschränkt (im Gegensatz zu Figure und Ground). Wir bezeichnen also die Einheit im Fokus als den Trajector und die Referenzeinheit als Landmark. 1.2.2 Construal Wie wir bereits in Abschnitt 1.2.1 gesehen haben, kann Sprache als Werkzeug dienen, um verschiedene Grade der Fokussierung zwischen zwei Entitäten auszudrücken. Die Etablierung von Vordergrund und Hintergrund ist ein mentaler Prozess, der uns dabei hilft, den Input der visuellen Modalität zu strukturieren. Auf der Grundlage dieses einfachen Wahrnehmungs- und Raummodells können wir uns nun etwas komplexeren Beispielen zuwenden. Das ist unter anderem aufgrund der asymmetrischen Beziehung zwischen dem Trajector und der Landmark möglich: „a trajector as the figure in a relational profile; other salient entities are identified as landmarks“ (Langacker 1987: 231). Langacker fügt hinzu, dass prädikative Strukturen diese Asymmetrie widerspiegeln. With a few if any exceptions, relational predications display an inherent asymmetry in the presentation of their participants. This asymmetry is not reducible to semantic roles, i.e. the nature of participants’ involvement in the profiled relationship.-[…] it is observable even for predications that designate symmetrical relationships: X equals Y is not precisely equivalent semantically to Y equals X, nor is X resembles Y equivalent to Y resembles X.-[…] In the expression X equals Y-[…], X is referred to as a trajector, and Y as a landmark. This terminology reflects the intuitive judgment that Y provides a reference point with respect to which X is evaluated or situated. (Langacker 1987: 231) Das asymmetrische Verhältnis zwischen einem Trajector und einer Landmark existiert nicht in einem Vakuum. Ausgehend von der Asymmetrie zwischen Trajector und Landmark könnten wir einen Schritt weitergehen und sagen, dass eine Prädikation einem allgemeineren Bereich möglicher zu kommunizierender Bedeutungen gegenübergestellt wird. Ein Sprecher oder eine Sprecherin kann eine Situation auf unterschiedliche Weise sprachlich beschreiben. Dabei spiegelt die gewählte Art, das tatsächliche Construal, die vom Sprecher beziehungsweise von der Sprecherin eingenommene Perspektive wider. Langacker nimmt an, dass sich diese perspektivierende Natur der Sprache in den verschiedenen Möglichkeiten zur Versprachlichung zeigt, also in der Tatsache, dass es verschiedene Construals gibt. Dabei entstehen die einzelsprachlich abhängigen Gestaltungsmöglichkeiten. So können Dinge etwa unterschiedlich detailliert beschrieben werden. Spezifizität in der Versprachlichung ist daher ein Aspekt des Construals. Das wird anhand der Sätze (6)-- (8) deutlich, in denen dieselbe Situation mit steigender Spezifizierung beschrieben wird: (6) Someone does something. (‚Jemand macht etwas.‘) (7) A person bites an animal. (‚Ein Mensch beißt ein Tier.‘) (8) The small blonde man with a mustache bites the big furry dog in the tail. (‚Der kleine blonde Mann mit dem Schnurrbart beißt den großen pelzigen Hund in den Schwanz.‘) 36 1. Einführung in die kognitive Linguistik Diese Variationen könnten wir einerseits als das Ergebnis der für den Sprecher oder die Sprecherin wahrnehmbaren Informationen deuten. Andererseits könnte man davon ausgehen, dass damit unterschiedliche kommunikative Absichten verfolgt werden, etwa um in (8) ein größeres Maß an Aufmerksamkeit auf die kennzeichnenden Merkmale des Agens und des Patiens zu lenken als in (6) und (7). Wie genau eine bestimmte Situation beschrieben wird, mit welchem Grad an Detailgenauigkeit, ist deshalb eine weitere Dimension des Construal. Ein weiterer Aspekt des Construal ist, neben der Detailgenauigkeit, die Wahl der Perspektive in der Versprachlichung. Dieselbe Situation kann, je nachdem, welche Perspektive der Sprecher oder die Sprecherin einnimmt, sprachlich unterschiedlich konstruiert werden. Zum Beispiel wird in Verben wie come und go im Englischen die Perspektive des Sprechers mit ausgedrückt; come hat die Bedeutungskomponente zum Sprecher hin, go vom Sprecher weg. Ein und dieselbe Situation kann daher in Abhängigkeit von der räumlichen Position des Sprechers unterschiedlich beschrieben werden. Stellen Sie sich hierzu auch zwei Personen vor, die herausfinden wollen, wo sich etwas befindet (vergleiche Beispiel 9a-b): (9) a. The ball is here. (‚Der Ball ist hier.‘) b. No, it’s not here, it’s there. (‚Nein, er ist nicht hier, er ist dort.‘) Construal ist nicht auf solche explizit sprecherrelativen (oder deiktischen) Referenzen beschränkt, sondern spielt eine Rolle in jeder bedeutungsschaffenden Aktivität. Wann immer Bedeutung ausgedrückt wird, gibt es jemanden, der Bedeutung konstruiert, indem er auswählt, welchen Aspekt einer Situation er wie ausdrückt. So gesehen können wir Construal als Aspekt von Sprache und als Bestandteil der Handlungen von Sprechern und Sprecherinnen verstehen. Dazu können wir auch die kognitiven Voraussetzungen für die Durchführung verschiedener Construals zählen (vergleiche Möttönnen 2016). Wir konnten zeigen, dass sprachliche Ausdrücke, die ähnliche oder identische Situationen beschreiben, das Ergebnis unterschiedlicher Construals sein und somit unterschiedliche Bedeutungen haben können. Eine Erklärung für das Vorkommen von Construals können verschiedene kognitive Prozesse sein, die nicht sprachspezifisch sind. Da Construals sowohl grammatisch (etwa die Zuordnung von Subjekt- und Objektrollen) als auch semantisch (etwa die Verwendung spezifischer anstelle allgemeinerer Verben) versprachlicht sein können, sollten sie, zusammen mit den dazugehörigen kognitiven Prozessen, Gegenstand linguistischer Analyse sein. Aber wie gehen wir bei der Identifizierung, Analyse und Darstellung solcher Phänomene vor? In Abschnitt 1.2.1 haben wir die Verbindung zwischen Prädikation und visueller Wahrnehmung als allgemeinen kognitiven Prozess erwähnt. Auf diese Weise könnte die Analyse für die Darstellung sprachlicher Bedeutung vollzogen werden. Wir zeigen es nochmal und kehren dafür zum Tisch und der Lampe aus den Beispielen (1a) und (5) zurück. Der Unterschied zwischen (1a) und (5) besteht darin, dass einmal die Lampe und einmal der Tisch in den Vordergrund rückt. Ist es möglich, den Unterschied zwischen diesen beiden Versprachlichungen der gleichen Situation aus einer kognitiv-linguistischen Perspektive zu erklären und systematisch darzustellen? Ja, und zwar mithilfe von schematischen Bildern. Schematische Bilder können verwendet werden, um den jeweiligen Bedeutungstyp in der 37 1.2 Repräsentation von Bedeutung jeweiligen Situation darzustellen. Abbildung 1.10 ist ein Beispiel für die Darstellung der unterschiedlichen Bedeutungen von on aus (1a) und below aus (5). Abbildung 1.10: Diagramme zur schematischen Bedeutung für above und below (Langacker 2008: 71) Wahrscheinlich haben Sie bereits erkannt, welches der beiden Bilder aus Abbildung 1.10 für above oder für below steht. Der Unterschied zwischen ihnen ist, dass der Fokus entweder auf X (Lampe) oder Y (Tisch) liegt. X im Fokus ist der Trajector, der in Relation zur Landmark Y gedeutet wird. Das Bild auf der linken Seite zeigt diese Situation und steht für eine Relation im Sinne von über. Die Zuordnung des Fokus ist auf dem rechten Bild umgekehrt: Y ist die Einheit im Fokus, der Trajector, der nun vor der Landmark X gedeutet wird, die unter repräsentiert. Die Diagramme sollen die gestaltartige Beschaffenheit von Bedeutung im Allgemeinen darstellen, gleichzeitig aber abstrakt genug sein, um ein breites Spektrum möglicher Bedeutungen abzudecken. Ein Beispiel für diese Allgemeingültigkeit wird in der Analyse einer Konstruktion wie etwa Verb-+ out deutlich (vergleiche Kapitel 4). Diese Konstruktion kann mit mindestens drei unterschiedlichen out-Schemata analysiert werden (vergleiche nachfolgend Abbildung 1.11). Während (10a) einen einzigen Vektor für den Trajector ausdrückt, steht out in (10b) für eine etwas andere Bedeutung des Trajectors, nämlich eine bogenförmige Ausbreitung. In (10c) erhält aus die wiederum andere Bedeutung eines geraden Verlaufs ohne Bewegung aus dem Zustand physischer Gebundenheit heraus. Da dasselbe Wort-- in diesem Falle out-- sich auf unterschiedliche räumliche Situationen beziehen kann, ist es üblich, es als polysem zu analysieren. Wir kommen darauf in Abschnitt 1.2.4 noch einmal kurz zurück. (10) a. Mary went out of the room. (‚Mary ging aus dem Raum.‘) b. Roll out the red carpet. (‚Roll den roten Teppich aus.‘) c. The train started out for Chicago. (‚Der Zug bricht nach Chicago auf.‘) 38 1. Einführung in die kognitive Linguistik Abbildung 1.11: Diagramme für drei unterschiedliche out-Schemata (Johnson 1987: 32) Zusammenfassend können wir sagen: Die allgemein als wesentlich erachteten Merkmale der Bedeutung in der kognitiven Linguistik sind ihre analoge (im Gegensatz zur digitalen oder binären) und ihre gestaltartige Form. Damit kann sprachliche Bedeutung analysiert und anhand von Diagrammen wie in Abbildung 1.10 und 1.11 dargestellt werden. 1.2.3 Die Systematik hinter der Bedeutungsübertragung in Sprache Wir haben gesehen, wie Bildschemata in der kognitiven Linguistik zur Abbildung räumlicher Verhältnisse verwendet werden. Wir wenden uns nun einer Erweiterung dieses Konzepts zu. Ein wichtiges Merkmal solcher Analysen ist, dass sie auch auf nicht-räumliche Bedeutungen (die Beispiele waren ausschließlich aus dem Bereich der räumlichen Sprache) und auch auf übertragene Bedeutungen angewendet werden können. Damit kann man zeigen, dass dieselben kognitiven und perzeptuellen Strukturen, die der wortwörtlichen Sprache Bedeutung verleihen, auch den Ursprung für Bedeutung in uneigentlicher Sprache bilden, also auch 39 1.2 Repräsentation von Bedeutung übertragenden Bedeutungen zugrunde liegen. In diesem Abschnitt untersuchen wir einige Beispiele für die Verwendung uneigentlicher Sprache und sehen, inwiefern dies eine wichtige Rolle für die Theorie von konzeptuellen Metaphern spielt. Wir haben in Lerneinheit 1.1 festgestellt, dass konzeptuelle Metaphern auf Mappings von der konkreten Domäne basieren. Wir haben auch gesehen, dass konkrete räumliche Ausdrücke in Form von Bildschemata wie in Abbildung 1.10 und 1.11 analysiert werden können. Während das ziemlich leicht zu verstehen ist, solange wir uns im Bereich der wörtlichen und räumlichen Bedeutung bewegen, wird es bei übertragener Bedeutung etwas schwieriger. Sehen Sie sich die in (10a-c) verwendeten Konstruktionen an: Bewegungsverb+out. Anstatt nur in physischen Situationen, kann dieselbe Konstruktion auch wie in (11) verwendet werden, um die Veränderung eines Geisteszustands auszudrücken: (11) I went out of my mind. (‚Ich habe den Verstand verloren.‘) Im Rahmen der Theorie der konzeptuellen Metapher wird dieser Satz als Ausdruck des Mappings eines räumlichen Bildschemas (go+out of) auf eine andere Domäne analysiert, in diesem Fall auf einen Geisteszustand. Dies ist in der kognitiven Linguistik die konzeptuelle Metapher: Ein Mapping zwischen unterschiedlichen kognitiven Domänen, von einer erfahrungsbedingt konkreten Domäne auf eine abstraktere, nicht erfahrbare Domäne. Ein wichtiges Grundprinzip der kognitiven Linguistik ist nicht nur das Identifizieren solcher metaphorischen Ausdrücke, sondern auch die Erforschung ihrer systematischen Eigenschaften. Wir können (11) als einen Fall analysieren, in dem mind (‚der Verstand‘) metaphorisch als Container-Landmark beschrieben wird. Wenn eine Person goes out of their mind, heißt das, dass sie nicht mehr sie selbst ist. Aufgrund ihrer systematischen Eigenschaften werden Metaphern als allgemeine kognitive Mechanismen betrachtet, nicht als rein auf die Sprachebene beschränkte Stilmittel (Lakoff 1987). Es gibt beispielsweise viele Möglichkeiten, wie Zeit mit räumlichen Begriffen ausgedrückt werden kann, wie in (12a-c), aber das umgekehrte Muster unterliegt größeren Einschränkungen. (12) a. Christmas is ahead of us. (‚Weihnachten liegt vor uns.‘) b. Time stands still. (‚Die Zeit steht still.‘) c. It took a long time to finish the book. (‚Es hat eine lange Zeit gedauert, das Buch zu beenden.‘) Wenn Wörter und Konstruktionen sowohl konkrete als auch abstrakte Bedeutung erhalten können, kann man sagen, dass sie mehrere unterschiedliche, aber dennoch miteinander verwandte Bedeutungen haben. Wie bereits in Lerneinheit 1.1 erwähnt, heißt dieses Phänomen Polysemie. Viele kognitive Linguisten haben versucht, Polysemie mittels sogenannter polysemischer Netzwerke zu charakterisieren (Abbildung 1.12). Diese stellen genau dar, wie verwandte Bedeutungen eines bestimmten Wortes, ausgehend von einer zentralen oder prototypischen Bedeutung, zusammengehören. Abbildung 1.12 zeigt einen Vorschlag für die Präposition over, die, wie wir in Lerneinheit 1.1 besprochen haben und die, wie wir in (13a-d) sehen können, mehrere verschiedene, aber verwandte Bedeutungen hat. 40 1. Einführung in die kognitive Linguistik Abbildung 1.12: Ein Polysemie-Netzwerk für over (Tyler & Evans 2001: 746) (13) a. The helicopter hovers over the bridge. (‚Der Hubschrauber schwebt über der Brücke.‘) b. The dog runs over the bridge. (‚Der Hund rennt über die Brücke.‘) c. They live over the mountains. (‚Sie leben hinter den Bergen.‘) d. The picture hangs over the wall. (‚Das Bild hängt über der Wand.‘) Wenngleich diese vier Sätze allesamt räumliche Verhältnisse beschreiben, beziehen sie sich auf recht unterschiedliche Situationen. In (13a) lokalisiert over den Trajector oberhalb der Landmark, aber in (13b) bewegt sich der Trajector über die Landmark hinüber. Im Gegensatz dazu unterscheidet sich (13c) von beiden, indem dort implizit auf das räumliche Verhältnis zwischen dem Sprecher beziehungsweise der Sprecherin und der Landmark Bezug genommen wird. Schlussendlich existiert in (13d) keine vertikale Beziehung zwischen Trajector und Landmark (wie in 13a-c). In diesem Satz könnte über im Sinne von ‚abdecken‘ analysiert werden (das heißt Bedeutung 3 in Abbildung 1.12). Angesichts der Bandbreite der Situationen, auf die eine Präposition wie over angewendet werden kann, können wir die polyseme Natur von Sprache belegen. Viele konventionelle Ausdrücke sind polysem und haben eine metaphorische Komponente. Aus dieser metaphorischen Organisation von Sprache kann man ableiten, dass diese in Wahrnehmung, Vorstellung und körperlicher Integration verankert ist, also verknüpft mit allgemeinen kognitiven Prozessen ist. Daraus lässt sich wiederum ableiten, dass Bedeutung 41 1.2 Repräsentation von Bedeutung in der Sprache ganzheitlich betrachtet werden muss, nicht als unabhängig. Insbesondere die kognitiven Linguisten befassen sich damit, wie Bedeutung dieses berücksichtigen kann, und wie man Bedeutung nicht hauptsächlich als Gegenstand von logischen und formalen Bezügen analysieren kann. Das heißt: Eine Analyse von Sprache sollte primär daran ausgerichtet sein, wie Menschen die Welt erkennen, begreifen und verstehen. 1.2.4 Zusammenfassung ▶ Alle Ebenen von Sprache tragen Bedeutung, sowohl die morphologische und lexikalische als auch die grammatikalische Ebene. ▶ Wie Bedeutung auf allen linguistischen Ebenen dargestellt wird, ist Gegenstand der Analyse in der kognitiven Linguistik. ▶ Linguistische Prädikationen folgen den Organisationsprinzipien der visuellen Wahrnehmung darin, dass nichtsprachliche Informationen bei der Verprachlichung in den Vordergrund (foregrounding) oder in den Hintergrund (backgrounding) gesetzt werden können. ▶ Bedeutungen sind daher analoge, gestaltartige Phänomene, die von allgemeinen kognitiven Prinzipien abgeleitet sind, wie das backgrounding und foregrounding von Informationen in der visuellen Wahrnehmung. ▶ Das ist das Prinzip des linguistischen Construal - im Vergleich: Die Lampe ist auf dem Tisch im Gegensatz zu: Der Tisch ist unter der Lampe. ▶ Da sich die allgemeinen kognitiven Prozesse und die Prozesse der Versprachlichung ähneln, kann Sprache so beschrieben werden, dass ihre Verbindung zu diesen kognitiven Prinzipien sichtbar wird. ▶ Diagramme, Mappings, Netzwerke und Konzepte wie Trajector und Landmark sind dafür geeignete Mittel. ▶ Trajector und Landmark bezeichnen die Rollen, die Personen und Dingen aus der außersprachlichen Wirklichkeit in einer sprachlichen Äußerung zugewiesen werden. ▶ Es gibt domänenübergreifende Mappings, die abstrakte Dinge mit konkreten Begriffen verbinden, sogenannte konzeptuelle Metaphern. ▶ Das spiegelt sich in der Tatsache wider, dass Wörter und Sätze über konkrete und abstrakte Bedeutungsinhalte verfügen können und dass somit Polysemie in der Sprache existiert. 1.2.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Nennen Sie je ein Beispiel für Bedeutung auf der morphologischen und der grammatikalischen Ebene. 2. Was ist ein Construal? 3. Erklären Sie den Unterschied zwischen einer konzeptuellen und einer traditionellen Metapher. 4. Analysieren Sie den folgenden Satz: The cat is on the mat. Verwenden Sie dafür die Begriffe Trajector, Landmark und Construal. 42 1. Einführung in die kognitive Linguistik 1.3 Theoretische Säulen der kognitiven Linguistik Johan Blomberg & Moiken Jessen (übersetzt von Simone Lackerbauer) In Lerneinheit 1.1 haben wir bereits erwähnt, dass unterschiedliche Forschungsstränge in der kognitiven Linguistik durch ein gemeinsames Ziel vereint werden, nämlich die Grundlage für Sprache in den kognitiven Fähigkeiten der Menschen zur Erschaffung von Bedeutung zu finden. Wir haben darüber gesprochen, dass Sprache in der kognitiven Linguistik im Großen und Ganzen als ein kognitives Phänomen betrachtet wird, das perzeptuelle und körperliche Fähigkeiten einschließt. Daher lehnt kognitive Linguistik die Vorstellung ab, dass Sprache unabhängig davon ist, wie wir die Welt erfahren können. Wir gehen davon aus, dass allgemeine kognitive Prinzipien Sprache formen; aus diesem Grund sagen kognitive Linguisten manchmal, dass die Erforschung der Sprache generell ein eigener Bereich der menschlichen Psychologie ist (Langacker 1986: 3). Jetzt da wir aus Lerneinheit 1.2 mehr darüber wissen, wie kognitive Linguisten und Linguistinnen Bedeutung in Bezug auf Merkmale wie visuelle Wahrnehmung, Construal und konzeptuelle Metaphern untersuchen und darstellen, müssen diese Analysen wieder auf die wesentlichen Fragen zurückgeführt werden: Was ist Bedeutung und was ist Sprache? Dafür werden wir die in Lerneinheit 1.2 besprochenen Analysen weiter ausführen. Insbesondere gehen wir näher darauf ein, warum kognitive Linguisten und Linguistinnen Sprache so analysieren und warum Sprache als ein Bestandteil allgemeiner kognitiver Fähigkeiten wahrgenommen wird. Fachsprachlich ausgedrückt befasst sich diese Lerneinheit mit einigen Aspekten der Ontologie der kognitiven Linguistik. Das heißt, dass wir aus der Perspektive der kognitiven Linguistik die grundlegenden Merkmale der Sprache erfassen. Dazu gehört vorrangig die Untersuchung dreier zentraler Behauptungen zur Beschaffenheit der Sprache, die als wesentlich abhängig von mentalen und kognitiven Fähigkeiten gilt (vergleiche Langacker 1986; Tyler & Evans 2001; Croft & Cruse 2004). Diese Behauptungen lauten wie folgt: ▶ Sprache muss anhand der Funktion verstanden werden, die sie erfüllt; ▶ Sprache basiert auf mentaler Konzeptualisierung; ▶ Sprache ist untrennbar mit der menschlichen Körperlichkeit verbunden, (auf Englisch embodied). In dieser Lerneinheit diskutieren wir diese Behauptungen und erläutern daran einige der wichtigsten theoretischen Säulen der kognitiven Linguistik. Einerseits können Sie sich dadurch eine bessere Vorstellung von der Verbindung zwischen Theorie und Methode in der kognitiven Linguistik machen. Andererseits machen Sie sich so mit einigen der theoretischen Begriffe und Konzepte aus der kognitiven Linguistik vertraut. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ einige der grundlegenden theoretischen Konzepte der kognitiven Linguistik kennenlernen; ▶ das benötigte konzeptuelle und theoretische Vokabular für diesen Band erhalten; ▶ ein größeres Verständnis für die Verbindung zwischen linguistischer Analyse und theoretischen Überlegungen in der kognitiven Linguistik erhalten. 43 1.3 Theoretische Säulen der kognitiven Linguistik 1.3.1 Sprache muss anhand der Funktion verstanden werden, die sie erfüllt In der Linguistik gibt es verschiedene Ansätze zur Sprache. Wir können allgemein zwischen zwei Möglichkeiten der Annäherung an Sprache unterscheiden: Es gibt, sehr vereinfacht, eine formalistische und eine funktionalistische Auffassung von Sprache. Ein Beispiel für den erstgenannten Ansatz ist die Vorstellung, dass Sprache am besten anhand der Regeln zur Bildung syntaktisch gültiger Sätze analysiert und beschrieben wird. Eine formalistische Analyse befasst sich nur mit den syntaktischen Regeln einer Sprache, die von ihrer Bedeutung und Verwendung weitestgehend unabhängig sind. Einer der einflussreichsten Vertreter einer solchen Vorgehensweise ist Noam Chomsky. Chomsky argumentierte, der formale Ansatz sei der einzig wissenschaftlich gültige Ansatz in der Linguistik (unter anderem Chomsky 1965, 1981, 1995), wie im nachfolgenden Zitat deutlich wird: [T]he study of meaning and reference and of the use of language should be excluded from the field of linguistics.-[…] [G]iven a linguistic theory, the concepts of grammar are constructed (so it seems) on the basis of primitive notions that are not semantic (where the grammar contains the phonology and syntax), but that the linguistic theory itself must be chosen so as to provide the best possible explanation of semantic phenomena, as well as others. (Chomsky 1977: 139) Wir können dem formalen Ansatz einen funktionalen Ansatz gegenüberstellen. Laut einer solchen Lesart gehört zur Untersuchung von Sprache zwingend die Berücksichtigung der sozialen und kognitiven Funktionen, denen Sprache dient. Da Sprache zur Kommunikation mit anderen Menschen (und mit sich selbst) verwendet wird, geht ein funktionaler Ansatz davon aus, dass bei der Erforschung von Sprache diese Funktion immer mitberücksichtigt werden muss. Im weitesten Sinne ist die kognitive Linguistik eine Version des Funktionalismus. Erinnern wir uns daran, dass die kognitive Linguistik Bedeutung als das zentrale Merkmal der Sprache betrachtet, und somit auch der Linguistik. Wir müssen also erst wissen, was Bedeutung tatsächlich ist. Die Definition von Bedeutung ist zweifellos eine komplexe Angelegenheit, aber wir können dafür ein Zitat von dem kognitiven Linguisten Ronald Langacker, den Sie bereits aus Lerneinheit 1.1 kennen, näher ausführen. Er liefert die folgende Charakterisierung von Bedeutung und wie sie sich zur Linguistik verhält: [M]eaning is equated with conceptualization. Linguistic semantics must therefore attempt the structural analysis and explicit description of abstract entities like thoughts and concepts.- […] [C]onceptualization resides in cognitive processing, our ultimate objective must be to characterize the types of cognitive events whose occurrence constitutes a given mental experience. (Langacker 1986: 3) In diesem Zitat verrät Langacker zwei theoretische Merkmale, die für die kognitive Linguistik wichtig sind. Erstens betont die Aussage „meaning is equated with conceptualization“ die Wichtigkeit des Denkens und der konzeptuellen Aktivität für Sprache. Zweitens-- und infolge des ersten Merkmals-- liegt die Basis für Sprache in der Kognition. Die Betonung auf die Verbindung der Funktion von Sprache mit den Abläufen im menschlichen Verstand und damit, dass sie zwischen Menschen passiert, ist eine der wichtigen Säulen der kognitiven Linguistik. In diesem Buch stellen wir viele verschiedene sprachliche Phänomene vor, die die kognitive 44 1. Einführung in die kognitive Linguistik Linguistik analysiert und zu erklären versucht. In den nachfolgenden beiden Abschnitten werfen wir einen kurzen Blick auf zwei dieser wesentlichen Merkmale. Wir beginnen mit der Rolle, die unser Wissen von der Welt für Sprache spielt. 1.3.2 Sprache basiert auf mentaler Konzeptualisierung Die kognitive Linguistik argumentiert, dass die Funktion der Sprache bei einer adäquaten linguistischen Theorie in den Mittelpunkt gerückt werden muss. Sprache dient dazu, Bedeutung zu vermitteln. Außerdem gehören die allgemeinen kognitiven und konzeptionellen Fähigkeiten der Menschen maßgeblich zur Funktion von Sprache dazu. Am besten wird das anhand eines Beispiels deutlich, das wir bereits angesprochen haben und auf das wir in den nachfolgenden Kapiteln häufig zurückkommen werden: Die weit verbreitete Nutzung von Sprache mit übertragener Bedeutung. Ein Beispiel dafür ist die Beschreibung von statischen räumlichen Situationen mithilfe von Bewegungsverben- - die eigentlich das genaue Gegenteil von statischen Situationen ausdrücken. In den Beispielen (1) und (2) wird dies deutlich, wenn die Konfiguration unbeweglicher Einheiten mithilfe von Bewegungsverben beschrieben wird. (1) The mountain range goes all the way from Mexico to Canada. (Talmy 2000: 104) (2) Det sammetmörka diket krälar vid min sida. (Tranströmer 1996: 2-3) (‘The dark velvet ditch creeps by my side.’/ ‚Der seidenschwarze Graben kriecht an meiner Seite.‘) Abbildung 1.13: Ist die Bergkette statisch, oder bewegt sie sich? (Woelber 2016) Warum können Wörter mit dynamischer Bedeutung zur Beschreibung von statischen Situationen verwendet werden? Kognitive Linguisten und Linguistinnen behaupten, dass eine solche Verbnutzung nicht aufgrund der Wahrheit der betreffenden Behauptung erklärt werden kann-- natürlich können sich Berge und Wassergräben nicht bewegen. Stattdessen verlangen Sätze wie (1) und (2) eine Darstellung, wie Sprecher und Sprecherinnen ihre räumliche Umgebung begreifen und wahrnehmen, was Talmy (2000) als fictive motion (fiktive Bewegung), beschreibt. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Beschreibung dessen, was der Sprecher oder die Sprecherin in einer räumlichen Situation sieht, sondern auch wie er 45 1.3 Theoretische Säulen der kognitiven Linguistik oder sie die Situation konzeptualisiert. Die Nutzung von Bewegungsverben zur Beschreibung von statischen Situationen ist auch in anderen Sprachen als der englischen Sprache belegt (zum Beispiel Matsumoto 1996; Blomberg 2015). Wir können hier die Rolle der menschlichen Kognition für die sprachliche Bedeutung genauer untersuchen. Dafür kehren wir zum Begriff Construal aus Lerneinheit 1.2 zurück. Wir erinnern uns, dass Construal ein Fachbegriff ist, der die sprachliche Profilierung einer Situation genau bezeichnet. Betrachten wir nun damit zwei Sätze, die fiktive Bewegung ausdrücken und in denen die Reihenfolge der zwei Referenzpunkte in (3) und (4) umgedreht wird: Abbildung 1.14: Erstreckt sich die Narbe vom Ellbogen oder vom Handgelenk aus? (3) An ugly scar extends from his elbow to his wrist. (4) An ugly scar {extends, goes, runs, reaches, stretches} from his wrist to his elbow. (Langacker 2001: 9) Bedeuten die Sätze dasselbe oder werden unterschiedliche Bedeutungen ausgedrückt? Einerseits beschreiben sie die gleiche Situation-- eine Narbe auf einem Unterarm. Andererseits unterscheiden sie sich genau darin, wie die Situation profiliert wird. Eine kognitiv linguistische Analyse besagt, dass der Unterschied im Construal zwischen (3) und (4) Unterschiede in der kognitiven Verarbeitung der Situation widerspiegeln. Satz (3) signalisiert, dass der Prozess am Ellbogen seinen Anfang nimmt und am Handgelenk endet. Dieses Verhältnis wird in (4) umgekehrt. Wir können die zugrundeliegende Differenz in der Deutung zwischen (3) und (4) als Abbild eines dynamischen Prozesses des mentalen Scannens beschreiben. Wenn wir (3) statt (4) verwenden, geschieht eine Art „uneigentliche“ oder fiktive Bewegung als ein „Verlauf “ der eigenen Aufmerksamkeit über eine tatsächliche oder vorgestellte Situation. In anderen Worten können wir die Sätze (3) und (4) als Darstellungen der dynamischen kognitiven Prozesse einer sich graduell verschiebenden Aufmerksamkeit analysieren. Langackers Erklärung hinsichtlich des mentalen Scannens ist nur ein Beispiel dafür, wie kognitive Linguistik die Grundlage für sprachliche Bedeutung in mentaler Konzeptualisierung sieht und in allgemeinen kognitiven Fähigkeiten, die nicht auf Sprache beschränkt sind. Im Verlauf dieses Buches werden wir immer wieder auf solche Beispiele zurückkommen. 46 1. Einführung in die kognitive Linguistik 1.3.3 Sprache hängt vom verkörperten Geist ab Die kognitive Linguistik geht davon aus, dass unsere Vorstellung und unser Weltwissen im Wesentlichen die Sprache speist. Begründet wird dies mit den kognitiven Fähigkeiten des Menschen. Ein besonders wichtiger Aspekt in der kognitiven Linguistik ist die Rolle der sensomotorischen Fähigkeiten, über die der menschliche Körper verfügt. Um ein besseres Verständnis für die Sichtweise der kognitiven Linguistik darauf zu bekommen, können wir einen kurzen Abstecher in die Ideengeschichte machen und das Leib-Seele-Problem anschneiden. Was ist der (menschliche) Körper? In der modernen Philosophie wird dem Philosophen René Descartes aus dem 17. Jahrhundert oft die Aussage zugeschrieben, dass der Körper ein Gefäß für den menschlichen Geist ist. Der Körper erhält Input von der externen Welt, die mit der Erkenntnisfähigkeit des Geistes begriffen wird, der wiederum den Körper nach seinem eigenen Willen handeln lassen kann. Für Descartes ist das der Unterschied zwischen Menschen und Tieren: Letztere sind lediglich Automaten (Singular: Automaton), denen es an Verstand fehlt. Wenn man jedoch auf einer deutlichen Unterscheidung zwischen dem physischen Körper und dem immateriellen Geist besteht, entsteht ein großes Problem: Wie kann etwas Immaterielles mit etwas Materiellem verbunden sein? Abbildung 1.15: Rene Descartes’ Abbildung von Körper und Geist (Descartes 1664) Die Sichtweise von Descartes aus dem 17. Jahrhundert ist natürlich vom Christentum inspiriert. Trotzdem hallt sein Verständnis von Körper und Geist noch in den gegenwärtigen Debatten der Geisteswissenschaften nach. Um es kurz zu machen, es gibt noch eine andere 47 1.3 Theoretische Säulen der kognitiven Linguistik Sichtweise, die den menschlichen Geist als untrennbar mit dem Körper verbunden betrachtet. Diese Sicht auf den Körper als wesentlicher Bestandteil der Kognition wird als Embodiment (‚verkörperte Kognition‘ oder ‚Verkörperlichung‘) bezeichnet und ist eine wichtige Säule in der kognitiven Linguistik. Varela, Thompson und Rosch (1991) fassen das Embodiment-Konzept wie folgt zusammen: By using the term ‘embodied’ we mean to highlight two points: first that cognition depends upon the kinds of experience that come from having a body with various sensorimotor capacities, and second, that these individual sensorimotor capacities are themselves embedded in a more encompassing biological, psychological and cultural context. (Varela, Thompson & Rosch 1991: 172f) Wie wir aus diesem Zitat herauslesen können, ist der Körper nicht nur eine physische Einheit, die von biologischen Prozessen reguliert und erhalten wird, sondern auch eine Perspektive der körperlichen Erfahrungen. Denken Sie an ein so simples Beispiel wie das Greifen nach einer Wasserflasche, die auf dem Tisch neben Ihnen steht. Auch wenn wir uns dessen normalerweise nicht bewusst sind, setzt diese Aktion eine komplexe Koordination zwischen verschiedenen sensorischen und motorischen Fähigkeiten des Körpers voraus. Der Abstand zur Flasche muss mit den Augen erfasst werden, und diese Informationen müssen an die Hand übermittelt werden, damit sie die Flasche greifen kann. Auch wenn wir also unseren Körper nicht aktiv bedienen, ist er bei allen Aktivitäten ein konstanter Begleiter. Was wir tun ist in gewisser Weise abhängig von und eingeschränkt durch die Fähigkeiten unseres Körpers. Der Körper hat unter anderem die folgenden Aufgaben in der menschlichen Kognition, um nur ein paar Beispiele zu nennen (nach Wilson & Foglia 2017): ▶ Wenn wir sprechen, unterstreichen unsere Gesten nicht nur das Gesagte, sondern erleichtern tatsächlich die Sprachverarbeitung (McNeill 1992; Kendon 2004, vergleiche auch Kapitel 8 in diesem Band) ▶ Das Sehen wird von unseren Handlungen, Zielen und Absichten beeinflusst und körperliches Feedback ist in die visuelle Verarbeitung integriert (O’Regan & Noë 2001) ▶ Sogenannte Spiegelneuronen werden nicht nur dann aktiviert, wenn wir eine Handlung durchführen, sondern auch wenn wir sehen, wie andere dieselbe Handlung durchführen (Rizzolatti & Craighero 2004) ▶ Kognitive Aufgaben wie das Erinnern werden effizienter ausgeführt, wenn wir unseren Körper verwenden und sogar die Umgebung in die kognitive Verarbeitung mit einbeziehen (Donald 1991). 48 1. Einführung in die kognitive Linguistik Abbildung 1.16: Eine Zeichnung, die den metaphorischen Aspekt des Begriffs Spiegelneuron illustriert (Ufer 2018) 1.3.4 Wie verhält sich Embodiment zur Sprache? Wie hängt Embodiment mit Sprache zusammen? Wenn unser Körper uns einschränkt und uns gleichzeitig ermöglicht, die Welt zu erfahren, können wir davon ausgehen, dass unsere Sprache von diesen Einschränkungen und Möglichkeiten beeinflusst wird. Als soziale Wesen möchten wir mit anderen teilen, was wir wissen und was wir erlebt haben. Unser Werkzeug dafür ist die Sprache. Evans und Green fassen diese Idee wie folgt zusammen: [O]ur experience is embodied, that is, structured by the nature of the bodies we have and by our neurological organization-[…] the concepts we have access to and the nature of the ‘reality’ we think and talk about are a function of our embodiment: we can only talk about what we can perceive and conceive, and the things we can perceive and conceive derive from embodied experience. (Evans & Green 2006: 46) So gesehen haben wir hauptsächlich durch unseren Körper Zugriff auf die Welt. Er befähigt uns zur Erfahrung und schränkt sie gleichzeitig ein. Auf diese Weise beeinflusst unser Körper auch, was sprachlich ausgedrückt werden kann, und wie es ausgedrückt wird. Die Mehrzahl mehr oder weniger konventionalisierter Ausdrücke in Sprache wird auf der Grundlage von systematischen Konnotationen und Assoziationen mittels verkörperter sensomotorischer Interaktion gebildet. Um die Verbindung zur Sprache genauer auszuarbeiten, können wir zu den konzeptuellen Metaphern aus den Lerneinheiten 1.1 und 1.2 zurückkehren. Nach diesem Modell basieren sprachliche Bedeutungen in hohem Maße auf grundlegenden Kategorien oder Domänen des körperlichen Raums. Diese werden dann als Vorlagen oder Schemata zur Strukturierung und Gliederung komplexer und abstrakterer Bedeutungen sowohl in Sprache als auch im Denken verwendet. Deshalb sagen Lakoff und Johnson, dass Sprache Mappings von konkreten konzeptuellen Domänen wie Raum auf abstrakte Domänen wie Zeit ermöglicht (vergleiche zum Beispiel Lakoff & Johnson 1980, 1999; Johnson 1987; Lakoff 1987). 49 1.3 Theoretische Säulen der kognitiven Linguistik Wie wir bereits in Lerneinheit 1.1 erwähnt haben, argumentieren Lakoff und Johnson, dass räumliche Bedeutung auf andere Domänen übertragen wird, etwa auf Zeit und auf Emotionen. Aufgrund unserer körperlichen Interaktion mit der Welt bilden sich grundlegende Bedeutungen heraus, die als Vorlagen oder Schemata zur Strukturierung weniger greifbarer Bedeutungen dienen. Das ist eine der Möglichkeiten, wie die Untersuchung von Sprache zum Verständnis des menschlichen Geistes beitragen kann. 1.3.5 Empirische Studien zum Konzept des Embodiments Jetzt kennen wir das Leib-Seele-Problem und wissen, was Embodiment mit Sprache zu tun hat. Aber wie genau funktioniert diese Verbindung und wie kommen wir von diesem Punkt zur Erschaffung von Bedeutung in der Sprache? Bei dieser Frage sind sich die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nicht ganz einig. Trotzdem möchten wir Ihnen gerne ein Konzept dazu vorstellen: Bergen (2012) geht davon aus, dass die von ihm sogenannte verkörperte Simulation (embodied simulation) eine Art des Weltverständnisses ist. Verkörperte Simulation bezieht sich auf die Möglichkeit, dass wir die an uns sprachlich herangetragene Bedeutung verstehen, indem wir mental die Erfahrung simulieren, die mit der Sprache ausgedrückt wird. Wir können simulieren, da wir über Erinnerungen aus unserer eigenen Erfahrung zu ähnlichen Ereignissen verfügen. Das Ergebnis ist, dass wir andauernd simulieren. Doch im Gegensatz zur bewussten Rückbesinnung auf Gesichter von Bekannten oder Verwandten, auf Geräusche, Musik, Geschmäcker, Gerüche und Handlungen, geschieht eine verkörperte Simulation, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Verkörperte Simulationen ereignen sich dann, wenn unser Verstand mentale Erfahrungen von Sinneswahrnehmungen und Handlungen erzeugt, ohne dass diese präsent sind. Dieselben Prozesse, die wir bewusst zur Durchführung von Handlungen aktivieren, sind tatsächlich auch aktiv, wenn wir Sprache verarbeiten. In einer sehr allgemein gehaltenen Interpretation würde das Folgendes bedeuten: Wenn wir Handlungsverben verwenden oder verstehen, sind unsere tieferliegenden motorischen und perzeptiven Gehirnstrukturen aufgrund der Vorstellung dieser Handlung aktiv, weil die Gehirnaktivität in diesen Arealen gemessen werden kann. Das stützt die Auffassung, dass Bedeutung und Gedanken in der Sprachverarbeitung fest in den Erfahrungen verankert sind, die Individuen aufgrund ihrer Interaktion mit ihrer Umwelt gemacht haben. Ausgehend von der Vorstellung, dass sich das Gehirn die Erzeugung von Bildern aus bereits vergangenen Ereignissen zunutze macht, um sprachlichen Input zu verstehen, befassen wir uns nun mit den verfügbaren Optionen, wie dies tatsächlich empirisch gezeigt werden kann. Eines der einflussreicheren Modelle hierfür zeigt die enge Verbindung zwischen der Wortbedeutung und der Gehirnaktivität. Die drei Aktionsverben im Englischen kick, pick und lick (treten, aufheben und lecken) beziehen sich auf Handlungen, die mit unterschiedlichen Körperteilen durchgeführt werden: mit den Beinen, den Händen und der Zunge. Die verkörperte Kognition deutet darauf hin, dass die Sprachverarbeitung nicht auf die üblichen Sprachregionen im Gehirn beschränkt ist, sondern auch jene Areale umfasst, die für körperliche und perzeptuelle Prozesse verantwortlich sind. Wir können daher davon ausgehen, dass beim Hören oder Aussprechen dieser drei Verben auch die entsprechenden Areale in 50 1. Einführung in die kognitive Linguistik der motorischen Rinde aktiviert werden (die Beine für treten, die Hände für aufheben und der Mund für lecken). Eine Untersuchung der Aktivität in der motorischen Rinde hat diese Hypothese bestätigt: Die Wörter aktivieren dieselben Areale im Gehirn, die auch bei der Durchführung der Handlungen aktiviert werden (Pulvermüller 2005): Abbildung 1.17: Aktivität in den Gehirnarealen, die Bewegungen der Füße, Finger und Zunge kontrollieren - in Reaktion auf bein-, arm- und gesichtsbezogene Wörter (Pulvermüller 2005: 576) In einem anderen Experiment haben Stanfield und Zwaan (2001) Belege dafür gefunden, dass das Sprachwissen auf Erfahrung basiert beziehungsweise darin verankert ist. Den Probanden und Probandinnen wurden Sätze wie diese gezeigt: (5) The carpenter hammered the nail into the floor. (‚Der Schreiner klopfte den Nagel in den Boden.‘) (6) The carpenter hammered the nail into the wall. (‚Der Schreiner klopfte den Nagel in die Wand.‘) Direkt nach jedem Satz zeigte man den Probanden und Probandinnen Bilder von Objekten, etwa Elefanten oder Nägel, und sie mussten so schnell wie möglich entscheiden, ob die Objekte auf den Bildern in den gerade gehörten Sätzen vorkamen oder nicht. Die entscheidenden Gegenstände-- die Bilder mit einem Nagel-- wiesen zwei Zustände auf. Auf einigen Bildern wurde der Nagel in einer horizontalen Position gezeigt, als sei er „in die Wand gehauen“ 51 1.3 Theoretische Säulen der kognitiven Linguistik worden. Auf den anderen Bildern war der Nagel in einer vertikalen Position, als sei er „in den Boden gehauen“ worden. Immer wenn die Position des Nagels auf dem Bild der impliziten Position des Nagels in dem Satz entsprach, antworteten die Probanden und Probandinnen schneller als wenn die Positionen nicht übereinstimmten. Die Erklärung dafür lautet, wie Sie bestimmt schon ahnen: Wenn das von den Stimuli-Sätzen ausgelöste mentale Bild eher einem der beiden Zustände auf den Bildern entsprach, fiel es den Probanden und Probandinnen leichter, das Objekt zu erkennen. Abbildung 1.18: Stimuli ähnlich jener, die in dem Orientierungsexperiment von Stanfield und Zwan 2001 verwendet wurden (Bergen 2012: 55) 1.3.6 Zusammenfassung ▶ Unterschiedliche Ansätze in der Linguistik fokussieren verschiedene sprachliche Aspekte. ▶ Formalismus und Funktionalismus sind zwei solche unterschiedlichen Ansätze in der Linguistik. Während der Formalismus die Regeln zur Bildung valider sprachlicher Ausdrücke erforscht, untersucht der Funktionalismus die Funktionen, die Sprache erfüllt. ▶ Kognitive Linguistik ist eine Version des Funktionalismus. Sie geht davon aus, dass Sprache auf den menschlichen kognitiven Fähigkeiten basiert, wie Wahrnehmung, Motorik, Logik und Vorstellung. ▶ Unter Embodiment versteht man, dass die menschliche Kognition untrennbar von den körperlichen Fähigkeiten ist. ▶ Das Verständnis der menschlichen Kognition in der kognitiven Linguistik ist weitgehend von Embodiment geprägt. ▶ Wir haben durch unseren Körper Zugang zur Welt. Das wirkt sich darauf aus, was sprachlich ausgedrückt werden kann und wie es ausgedrückt werden kann. ▶ Grundlegende semantische Kategorien für räumliche Bedeutung entstehen in der körperlichen Interaktion mit der Umwelt. ▶ Linguistische Metaphern können als Oberflächenerscheinungen einer tiefliegenden Struktur menschlicher Kognition aufgefasst werden, die Verbindungen zwischen konzeptuell unterschiedlichen Domänen herstellen. ▶ Mentales Scanning gilt als ein für Sprache wichtiger Prozess. ▶ Neue Studien in der kognitiven Psychologie unterstützen die Embodiment-Hypothese. 52 1. Einführung in die kognitive Linguistik 1.3.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was ist der Unterschied zwischen einem formalistischen und einem funktionalistischen Ansatz der Linguistik? 2. Nennen Sie eine allgemeine kognitive und konzeptuelle Fähigkeit des Menschen, die in der Sprache abgebildet ist. Veranschaulichen Sie diese anhand eines Beispiels. 3. Wiederholung: Was ist das Leib-Seele-Problem? 4. Wie will Embodiment das Leib-Seele-Problem lösen? 5. Was ist mentales Scannen? 53 1.3 Theoretische Säulen der kognitiven Linguistik 2. Morphologie Unter Morphologie versteht man die sprachwissenschaftliche Beobachtung aller Erscheinungs- und Bauformen von Wörtern, insbesondere die Formveränderungen ihrer Stammformen. Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes, ‚Lehre von den Formen‘ ist in der modernen Sprachwissenschaft zur ‚Lehre vom Wort‘, präziser zur ‚Lehre von den formalen Ausprägungen der Wörter einer Sprache‘ geworden. August Schleicher verwendete 1859 als erster den Terminus Morphologie für die vergleichende Betrachtung sprachlicher Formen, womit er eine Parallele zur Morphologie in den Naturwissenschaften ziehen wollte. Innerhalb der Sprachbetrachtung wurde der Terminus im Laufe der Zeit für unterschiedliche Bereiche der Grammatik verwendet: teils nur für Flexion, teils für Flexion und Wortbildung, manchmal für Satz- und Wortlehre zusammen. Im vorliegenden Kapitel wird die Morphologie als Wortlehre gefasst, das heißt als ‚Lehre von der Beschaffenheit und Struktur der Wörter‘. Das beinhaltet auch die Beschreibung der Verfahren, durch welche neue Wörter gebaut werden, das heißt die Wortbildung. Morphologische Phänomene werden dabei nicht vorwiegend unter klassifikatorischen Aspekten, als vielmehr aus der Sicht der kognitiven Linguistik behandelt. Sie werden hier zur Hervorhebung und Beschreibung von Mustern kognitiver Repräsentationen von Bedeutungen berücksichtigt und dienen als Beispiel für die in der kognitiven Linguistik dominante Sicht auf das Verhältnis von Konzeptualisierungsprozessen und sprachlichen Strukturen (vergleiche Janda 2007: 632f). In den drei Lerneinheiten werden folgende Aspekte der Morphologie der deutschen Sprache fokussiert: In Lerneinheit 2.1 die Bedeutungsaspekte in der Morphologie, in Lerneinheit 2.2 Wortbildungsprozesse in Bezug auf ganz neue Wörter, in Lerneinheit 2.3 Wortbildungsprozesse in Bezug auf veränderte Wörter. 54 2. Morphologie 2.1 Semantik und Wortbildung Marina Foschi & Marianne Hepp In den folgenden Einheiten lernen wir die klassischen Bereiche der Morphologie kennen. Die Sichtweise der kognitiven Linguistik auf die gleichen Phänomene eröffnet sich dabei in den jeweiligen Kapiteln durch geeignete „Fenster“. Das heißt, wir werden die klassische Betrachtungsweise an geeigneten Stellen der neuen Interpretation der kognitiven Linguistik gegenüberstellen. Auf diese Weise erhalten Sie einen ersten Einblick in die neue linguistische Theorie. In dieser Lerneinheit werden wir uns mit der Bedeutung von Wörtern, sowohl von einfachen als auch von zusammengesetzten Formen, beschäftigen. Dabei muss zwischen der lexikalischen und der kontextuellen Bedeutung unterschieden werden. Nach einer Definition des Wort-Begriffs werden wir uns dem Prozess der Wortbildung annähern und Ihnen zeigen, wie Wörter in ihre Bestandteile zerlegt werden können. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ den Zusammenhang zwischen Semantik und Morphologie erklären können; ▶ ein Wort definieren können; ▶ erkennen, wie Wortbedeutung funktioniert; ▶ lernen, wie neue Wörter gebildet werden können. 2.1.1 Was bedeutet Semantik und in welcher Verbindung steht sie mit der Wortlehre? Woher wissen wir eigentlich, was zum Beispiel das Wort Papier bedeutet? Semantik ist die Theorie der Bedeutung und Bedeutungsforschung. Dieser sprachwissenschaftliche Zweig ist mit anderen Disziplinen, unter anderem der Logik und Psychologie, eng verbunden. Wie stehen aber Wort und Bedeutung miteinander in Beziehung? Oftmals wird angenommen, dass die Beziehung zwischen Bedeutung und Wort eine 1: 1-Beziehung ist. Dass dies aber nicht der Fall ist, kann man schon bei einer raschen Einsicht in Wörterbücher erkennen. So werden beispielsweise im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache dem Wort Papier nicht nur eine, sondern vier Hauptbedeutungen zugeschrieben: (1) besonders durch Verfilzung und Verleimung von Pflanzenfasern gewonnenes dünnes, flächiges Material, das vorwiegend zum Beschreiben, Bedrucken und Verpacken dient (2) Schriftstück, Dokument, Aufzeichnung (3) amtlich beglaubigtes Dokument, das der Legitimation dient (nur im Plural) (4) (Börse) Wertpapier, Wechsel. ( DWDS 2017a) Die jeweilige Bedeutung des Wortes Papier ergibt sich aus dem Kontext, wie die jeweiligen Beispiele zeigen: 55 2.1 Semantik und Wortbildung zu: (1) etwas in Papier (ein)packen (2) das Papier enthielt ein Verzeichnis der mitgeführten Bücher (3) der Spion hatte falsche Papiere (4) ein gutes, schlechtes, wertloses Papier Wie kann man nun wissen, welcher Bedeutungsaspekt gemeint ist? Das Verstehen von Wörtern in Kontexten wird unter anderem durch Kollokationen ermöglicht. Kollokationen sind semantisch verwandte Wörter, die häufig in einem gemeinsamen Kontext erscheinen und daher zusammen gespeichert werden (Lipka 2002: 181). Beispielsweise listet das Wörterbuch Duden online (www.duden.de) unter Papier die folgenden häufig vorkommenden, inhaltlich kombinierbaren sprachlichen Einheiten auf: ▶ Adjektive falsch, gültig, intern, handgeschöpft, vertraulich, weiß ▶ Verben blättern, bringen, drucken, reißen, kaufen, rascheln, unterschreiben ▶ Substantive Bleistift, Druck, Glas, Karton, Leinwand, Pappe, Stift, Tinte Die mentale Speicherung der prototypischen Bedeutung gängiger Syntagmen als eine große Einheit (usueller Wortverbindungen) ermöglicht das Verstehen von Bedeutungsvariationen wie solche, die in metaphorischen Verwendungen vorkommen, zum Beispiel diejenige des Verbs werfen im Ausdruck Gedanken aufs Papier werfen (vergleiche auch Lerneinheit 5.3). Wie Wörter in Kontexten semantisch kombiniert werden, ist also keine rein syntaktische Frage. Das Verstehen von Bedeutungsbeziehungen hängt vielmehr von den jeweiligen semantischen Implikationen ab, die die Wörter in sich selbst tragen. Zum Beispiel enthält das Verb führen das syntagmatische Merkmal eines Agens, der „veranlasst, dass sich etwas bewegt“ ( DWDS 2017b). Das Wissen über den Zusammenhang zwischen Semantik und Morphologie ist für angehende Lehrer wichtig, weil es ihnen hilft, sprachliche Elemente zu identifizieren, die selbständig Bedeutung tragen. Nach alltäglicher Auffassung nämlich scheint die kleinste bedeutungstragende Spracheinheit das Wort zu sein. Wörter können aber aus kleineren Elementen bestehen, wie der Vergleich der Komponenten einer beliebigen Wortfamilie zeigt, zum Beispiel: ▶ Haus, Hausboot, Hausbesetzer, Schneckenhaus, Behausung, Häuslichkeit, hausen, häuslich etc. Diese Wörter lassen sich in kleinere Segmente teilen. Beim Segmentieren bemerkt man die strukturellen Unterschiede zwischen den einzelnen Vertretern der Wortfamilie: ▶ Haus ▶ Haus{-besetz}{-er} ▶ {Schnecke-}{n-}haus ▶ {be-}haus{-ung} ▶ häus{-lich}{-keit} 56 2. Morphologie ▶ haus{-en} ▶ häus{-lich} So kann man vergleichend feststellen, dass Wörter zwar durchaus selbstständige bedeutungstragende Einheiten sind, gleichzeitig aber aus kleineren Einheiten bestehen, den sogenannten Morphemen. Morpheme werden allgemein als die kleinsten bedeutungstragenden sprachlichen Einheiten definiert. Sie haben also eine erkennbare Bedeutung. In der kognitiven Linguistik hat eine grammatische Funktion auch Bedeutung. Der Begriff der Bedeutung ist also nicht mehr auf lexikalische Wortklassen wie Nomen oder Verben beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf die Morpheme, die grammatische Funktionen tragen. Dabei können dieselben Morpheme verschiedene Bedeutungen ausdrücken. Zum Beispiel vermittelt das Morphem {-er} im Wort Hausbesetzer die Bedeutung des Agens, im Wort Mitglieder dagegen hat es die grammatische Funktion eines Pluralmarkers. Ein weiterer vergleichender Blick zeigt, dass durch unterschiedliche morphologische Mechanismen unterschiedliche Wortbedeutungen entstehen. Die folgenden Beispiele zeigen für das Wort Haus, auf welche Weise Bilder für mögliche mentale Repräsentationen der entsprechenden Wörter stehen können: (1) Haus Abbildung 2.1: Haus (2) Haus{-besetz}{-er} Abbildung 2.2: Hausbesetzer (Wikipedia 2017a) (3) {Schnecke-}{n-}haus Abbildung 2.3: Schneckenhaus (Pixabay 2018) 57 2.1 Semantik und Wortbildung (4) {Be-}haus{-ung} Abbildung 2.4: Behausung Die Bilder machen anschaulich, dass die mentale Speicherung der prototypischen Bedeutung eines Wortes, zum Beispiel Haus (1), im Kontext der jeweiligen Wortbildung variiert. Die syntaktische Rolle desselben Wortes innerhalb der Zusammensetzung Hausbesetzer (2) führt gegebenenfalls zu einer mentalen Repräsentation der Besetzerin oder des Besetzers als Hauptreferenten beziehungsweise als Hauptreferentin (wobei {-er} als Zeichen eines menschlichen Agens dient). Das Haus steht dagegen (wie das Bild zeigt) im Hintergrund. Umgekehrt führt das Kompositum Schneckenhaus (3) zu einer ganz bestimmten Vorstellung von Haus, nämlich dem aus Kalk bestehenden Gehäuse der Schnecke, in dessen Innern sie Unterkunft findet. Als abgeleitete Form von Haus erweckt das Wort Behausung (4) eine abstraktere Vorstellung, die bildlich schwer zu fassen ist. Die abgebildete Behausung einer Eule stellt hier nur ein Beispiel der vielen Möglichkeiten dar, mit denen dieser abstrakte Begriff bildlich repräsentiert werden kann. Im Folgenden werden wir uns eingehender mit Wörtern und ihrer Konstitution beschäftigen. Dabei wird nur auf diejenigen Wortelemente (Morpheme) eingegangen, die neue Wörter aus alten ableiten und dabei die Wortart der neuen Wörter determinieren. Als Wortbildungsmorpheme werden sie von den grammatischen Morphemen unterschieden, die den Wörtern grammatische Merkmale verleihen, nicht aber die Wortklasse ändern. Im Abschnitt 2.1.2 werden Wörter als potenziell segmentierbare Elemente (Worttrennung) thematisiert. Abschnitt 2.1.3 ist der lexikalen und kontextuellen Bedeutung gewidmet. In Abschnitt 2.1.4 beschäftigen wir uns mit der Wortbildung, in Abschnitt 2.1.5 mit der Segmentierung von Wörtern in Morpheme. 2.1.2 Was ist ein Wort? In der alten Schreibpraxis der scriptio continua, das heißt der Schreibweise ohne Worttrennung, die bis zum 9. bis 10. Jahrhundert nach Christus in alten Manuskripten und Inschriften verwendet wurde, folgten die Buchstaben der Wörter ohne Leer- und Satzzeichen und ohne alternierenden Gebrauch von Groß- und Kleinbuchstaben aufeinander. Die folgende Abbildung zeigt dies anschaulich: 58 2. Morphologie Abbildung 2.5: Scriptio continua (ca. 70 v. Chr.) (Wikipedia 2017b) Die Worttrennung wurde erst im Mittelalter eingeführt. Die Erfahrung der scriptio continua zeigt im Vergleich des folgenden Textbeispiels mit der regelgerechten Druckversion sehr anschaulich, wie die Worttrennung das Lesen und Verstehen eines beliebigen Textes zu erleichtern vermag: Eswareinmaleinförsterderginginden waldaufdiejagdundwieerindenwaldkam hörteerschreienalsobeseinkleines kindwäreergingdemschreiennachund kamendlichzueinemhohenbaumundoben draufsaßeinkleineskinddiemutterdes kindeswarunterdembaumeingeschlafen undeinraubvogelhattedaskindinihrem schoßegesehenerwarhinzugeflogenund hatteesmitseinemschnabelweggenommen undaufdenhohenbaumgesetzt. Es war einmal ein Förster, der ging in den Wald auf die Jagd und, wie er in den Wald kam, hörte er Schreien, als ob es ein kleines Kind wäre. Er ging dem Schreien nach und kam endlich zu einem hohen Baum und oben drauf saß ein kleines Kind. Die Mutter des Kindes war unter dem Baum eingeschlafen und ein Raubvogel hatte das Kind in ihrem Schoße gesehen: er war hinzugeflogen und hatte es mit seinem Schnabel weggenommen und auf den hohen Baum gesetzt. (Der Fundevogel-- ein Märchen der Brüder Grimm 1812) Tabelle 2.1: Worttrennung am Beispiel der scriptio continua 59 2.1 Semantik und Wortbildung Das Beispiel macht deutlich, dass Wörter in der schriftlichen Medialität durch Leerzeichen begrenzt werden und dadurch als solche, das heißt als selbständige sprachliche Einheiten, definiert werden können. Aus semantischer Sicht ist das Phänomen Wort allerdings schwieriger zu fassen: Wort wird generell als Einheit mit eigenständiger Bedeutung definiert. Was schriftlich als Wort erscheint, deckt sich aber nicht immer mit dem sprachlichen Element, das einen semantischen Kern vermittelt. Das ist zum Beispiel bei den Phrasemen der Fall, das heißt bei sprachlichen Elementen, die aus mehreren Wörtern bestehen, deren Bedeutung aber aus der syntagmatischen Einheit en bloc entsteht. Beispiele: ▶ in der Nähe von ▶ der rote Faden Im Abschnitt 2.1.3 werden wir uns auf die Grundäquivalenz, Schriftwort-= Wort begrenzen. 2.1.3 Lexikale und kontextuelle Wortbedeutung: Was steckt in einem Wort? Die lexikale Bedeutung eines Wortes entspricht nach Harald Weinrich (1993: 21) grundsätzlich der Definition, die das Wort im Wörterbuch erhält. Die Wörterbuchdefinition stellt eine Abstraktion der jeweils unterschiedlichen Bedeutungen dar, die ein bestimmtes Wort in unterschiedlichen Texten einnehmen kann. Diese werden als kontextuelle Wortbedeutungen bezeichnet (siehe unten). Nehmen wir als Beispiel das Wort General. Gemäß dem Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache des Langenscheidt-Verlags, vermittelt das Substantiv General den folgenden Sinn: „der höchste Offizier in einer Armee” (Götz 2003: 412). Das Wort General an sich bezeichnet eine Person mit einer bestimmten Eigenschaft. Die Bezeichnung kann allerdings auch auf eine Person ohne Dienstgrad, die die vermutlichen Eigenschaften eines Generals zeigt, übertragen werden. Wie kann man nun wissen, welche Verwendung des Wortes General gemeint ist? Substantive können nur im Text in syntagmatischer Verknüpfung mit anderen sprachlichen Mitteln auf eine bestimmte konzeptuelle Entität hinweisen. Um das zu zeigen, beobachten wir das Vorkommen von General in authentischen Textbeispielen (Foschi 2012: 30): (1) Der General verkörpert Kontinuität (Titel) 18. 07. 2011 / John Allen hat das Kommando über die Internationale Schutztruppe für Afghanistan (Isaf) übernommen (Untertitel) (2) General Winter schlägt in den USA zu. Der Ausdruck der General im Titel vom Beispiel (1) verweist auf eine Person männlichen Geschlechts, die im Untertitel beim Namen genannt wird, John Allen. Aus dem Kontext kann man ohne Weiteres verstehen, dass in diesem Fall General die Bezeichnung für einen militärischen Grad beinhaltet, gemäß der Information, die jedes Individuum über das allgemeine Wissen über die Welt gespeichert hat, und die zum prototypischen Repräsentationsmodell des Wortes führt. Im Beispiel (2) (aus einem Wetterbericht) wird das Wort General im übertragenen Sinn verwendet, indem es als vergleichendes Attribut dem wirkungsmächtigen amerikanischen Winter zugeordnet wird. Das Beispiel zeigt, dass General auch als Attribut einer Entität gebraucht wer- 60 2. Morphologie den kann, die keine Person ist. Die im Wörterbuch verzeichnete Bedeutung von General weist auf die häufigste Verwendung des Wortes hin. Die allgemeine Bedeutung von General, die den einzelnen kontextuellen Realisierungen des Wortes zu entnehmen ist, entspricht einem Sammelkonzept von Attributen, die an prototypischen menschlichen Generälen beobachtet worden sind. In diesem Fall ist die gemeinsame Vorstellung: Generäle sind mächtig, wirkungsstark. 2.1.4 Wortbildung Unter Wortbildung versteht man die Bildung neuer komplexer Wörter auf der Basis schon vorhandener sprachlicher Mittel. Dies kann anhand von unterschiedlichen sprachlichen Elementen geschehen und unterschiedliche Wortarten produzieren. Aus unterschiedlichen Wortbildungsverfahren ergeben sich unterschiedliche Wortklassen, die auf unterschiedliche Konzeptualisierungsformen zurückgeführt werden können. Beispielsweise können auf der Basis eines Simplexwortes wie Glück die folgenden Wörter gebildet werden: Wortbildungen (Basis: Glück) Glücksfall glücklich glücklicherweise beglückwünschen Beglückung glückbringend unglücklicherweise glücken Substantive Adjektive Adverbien Verben Tabelle 2.2: Wortbildung des Wortes Glück Einige dieser Beispiele entstehen aus zwei Konstituenten (glück{-lich}; glück{-selig}, glück{en}), andere aus drei ({Be-}glück{-ung}, {be-}glück{-wünschen}). Die Bildung Glück{-s}{-fall} besteht aus zwei Konstituenten und einer verbindenden Einheit, der S-Fuge. Glück{-lich} {-er}{-weise} weist drei Konstituenten sowie ein Fugenelement er auf. {Un-}glück{-lich}{-er} {-weise} ist aus vier Konstituenten und dem Fugenelement er aufgebaut. Ein faszinierender Aspekt der Wortbildung liegt darin, dass komplexe Wörter eine komplexe Gesamtbedeutung vermitteln. Diese wird teilweise durch die semantischen Merkmale, die das enzyklopädische Wissen den einzelnen Wortelementen zuschreibt, teilweise durch die möglichen Bedeutungen, die der jeweilige Wortbildungsprozess in sich trägt, vermittelt. Beispiel: Nominalkomposition, Kompositum Apfelsaft nach Ungerer und Schmid (1998): Attribute des Wortbildungsprozesses Apfelsaft Attribute des Wortes Apfel Attribute des Wortes Saft aus Äpfeln rund aus Früchten, Gemüsen Getränk, flüssig Frucht Getränk, flüssig süß, süß-sauer sauer, säuerlich, süß süß, sauer in Tüten, Flaschen wächst auf Bäumen Flasche, Karton, Tüte gelb-grün, braun grün, rot, gelb ohne Alkohol … … … Tabelle 2.3: Nominalkomposition, Kompositum Apfelsaft (nach Ungerer & Schmid 1998: 81) 61 2.1 Semantik und Wortbildung Wortbildungsverfahren versehen das neue Wort mit einer jeweils spezifischen Bedeutung, die als semantische Relation zwischen den Wortelementen fungiert. Bei dem Wortbildungsverfahren der Komposition kann die semantische Beziehung zwischen Grund- und Bestimmungswort von unterschiedlicher Art sein. Beispiele: ▶ Autotür (‚Tür eines Autos‘): Teil-Ganzes-Relation ▶ Kellertür (‚Tür zum Keller‘): Relation zur Angabe eines lokalen Ziels ▶ Winterfell (‚Fell, das im Winter getragen wird‘): Relation zur Angabe eines Zeitraums, zu dem die Beschaffenheit des Objektes passt. Die Kompositionsbedeutung wird also erschlossen, indem eine passende Relation zwischen den Bedeutungen der „unmittelbaren Konstituenten“ (Fleischer & Barz 2012: 69) gefunden wird. Diese Relationserstellung bei der Interpretation des Kompositums funktioniert also zu einem großen Teil über unser Weltwissen. Dieses Wissen hilft uns aber nicht bei potenziell mehrdeutigen Komposita (beispielsweise Silbertopf: Topf aus Silber? Topf zum Aufbewahren von Silber). In diesen Fällen entscheidet allein der Kontext (Schwarz & Chur 2007: 112). Auch Affixe sind Träger von Bedeutungen und drücken bestimmte Relationen aus. Beispielsweise das Konzept Fehlen beim Suffix {-los} (bartlos, schuldlos, hoffnungslos). Auch bei Affixen stehen Bedeutungen in keiner 1: 1 Beziehung. Eine Relation, zum Beispiel das Konzept der Negation, kann durch mehrere Präfixe ausgedrückt werden: ▶ {A-}sozial, {il-}legal, {miss-}vergnügt, {Un-}recht Umgekehrt kann ein Suffix, zum Beispiel {-lich}, mehrere Konzepte und Ideen ausdrücken, unter anderem Intensivierung (elendiglich, gänzlich), Möglichkeit (löslich, dienlich), Vergleich (kindlich, königlich) (Grammis 2017). 2.1.5 Wortbestandteile Wörter, die im schriftlichen Text durch Leerzeichen begrenzt sind, stellen also nicht immer die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten dar. Viele Wörter lassen sich in kleinere bedeutungshaltige Konstituenten zerlegen. Einige dieser Bestandteile können selbst als Wörter (Lexeme) verwendet werden, andere kommen nur als unselbständige Teile von Wörtern (Affixe) vor. Die Affixe (Präfixe und Suffixe) sind in der folgenden Tabelle durch Unterstreichung hervorgehoben. Glück{-s}{-fall} glück{-lich} glück{-lich}{-er}{-weise} {be-}glück{-wünsch}{-en} {Be-}glück{-ung} glück{-selig} {un-}glück{-lich}{-er}{-weise} glück{-en} Substantive Adjektive Adverbien Verben Tabelle 2.4: Wortbestandteile des Wortes Glück Die Wortbildung führt gleichzeitig mit den formalen Erweiterungen zu semantischen Veränderungen des Kernlexems. In unserem Beispiel wird die lexikalische Bedeutung für das 62 2. Morphologie Basiswort Glück als „etwas, was Ergebnis des Zusammentreffens besonders günstiger Umstände ist“ im Großen Wörterbuch der deutschen Sprache (Dudenredaktion 1999: 1543) angegeben. Durch die Verbindungen mit den unterschiedlichen Wortbildungselementen ergeben sich neue Wörter, die zum Teil auch zu einer anderen Wortart gehören. Wie aus Tabelle 2.4 ersichtlich wird, werden durch Wortbildung beim ausgehenden Substantiv Glück sowohl neue Substantive (1. Spalte), Adjektive (2. Spalte) als auch Adverbien und Verben (3. und 4. Spalte) erzeugt. Die Bildung neuer Wörter dient in erster Linie kommunikativen Zwecken und kann zur Erweiterung des Wortschatzes einer bestehenden Sprache führen. Die bisher angeführten Beispiele von Bildungen mit Glück gehören alle dem Standardwortschatz der deutschen Sprache an, es sind sogenannte lexikalisierte Bildungen. Gleichzeitig ermöglicht eine lebendige Sprache auch, jederzeit neue Wortbildungen zu leisten, die sogenannten Spontan- oder Ad-hoc-Bildungen. Ad-hoc-Bildungen werden für unmittelbar anstehende kommunikative Zwecke oder zum Füllen von Benennungslücken produziert. Wenn sie nach der ersten Benennung nicht nur gelegentlich verwendet, sondern von den Sprachteilhabern und -teilhaberinnen zunehmend usuell gebraucht werden, übernehmen sie den Status von lexikalisierten Ausdrücken. Diese gehen in das kollektive Gedächtnis der Sprachteilnehmer und -teilnehmerinnen ein und werden teilweise in Wörterbücher aufgenommen. Ein Beispiel für eine Spontanbildung mit Glück ist Glücksarchiv. Das Wort gilt als Bezeichnung für die Webseite eines privaten Non-profit-Projektes. Auf der Übersichtsseite wird die Frage „Was ist Glück? “ folgendermaßen beantwortet: Glück ist ein Jahrtausende altes Thema, das in den letzten Jahren einen ungeheuren Aufschwung erfahren hat. Und so versucht das Glücksarchiv den Bogen zu schlagen von den alten Philosophen bis hin zu den neuesten Strömungen der Positiven Psychologie. (Glücksarchiv 2017, Hervorhebung im Original) Um die Bedeutung einer Spontanbildung wie Glücksarchiv zu erschließen, stehen weder die sprachliche Alltagserfahrung noch ein Wörterbuch zur Verfügung. Es müssen deshalb besondere Verstehensstrategien angewendet werden. Die erste Strategie lautet, den Kontext zu berücksichtigen (vergleiche Hepp 2012: 38ff). In unserem besonderen Fall stellt sich eine Webseite als Archiv vor, was gut nachvollziehbar ist. Das Wort Archiv kann nämlich für eine „geordnete Sammlung von [historisch, rechtlich, politisch belangvollen] Schriftstücken, Dokumenten, Urkunden, Akten“ (Dudenredaktion 1999: 286) stehen. In diesem Glücksarchiv wird anscheinend Glück gesammelt. Was man dabei unter Glück genau verstehen soll, erklären die Autoren und Autorinnen an späterer Stelle: In der deutschen Sprache ist „Glück“ als Begriff sehr unscharf, er hat mindestens drei verschiedene Bedeutungen, nämlich „Zufallsglück“, „Wohlfühlglück“ und „dauerhaftes Glück“. Wenn man über Glück redet ist es daher ratsam, mit den Gesprächspartnern eine Einigung darüber herzustellen, was man mit dem Begriff meint. 63 2.1 Semantik und Wortbildung Daneben kommt es noch darauf an, aus welcher Richtung man sich dem Begriff „Glück“annähert. Die Psychologen haben ein anderes Verständnis von „Glück“ als die Philosophen, und auch die Pädagogen, Theologen und Volkswirtschaftler definieren den Begriff „Glück“ auf ihre Weise. Ein Glück, dass hier im Glücksarchiv alle Sichtweisen dargestellt werden. (Glücksarchiv 2017) Was unter Glücksarchiv zu verstehen ist, erschließen Lesende aus dem Kontext, indem sie gleichzeitig ihr Welt- und (lexikalisiertes) Sprachwissen mit einbeziehen. Bei der zweiten Strategie geht es um die Beobachtung der einzelnen Konstituenten des neuen Wortes, sowie der Art und Weise, wie diese miteinander in Verbindung gesetzt sind. Die einzelnen Konstituenten können, wie schon erwähnt, als selbständige Wörter verwendet werden, das ist bei unserem Beispiel Glücksarchiv der Fall. Bei Verbindungen durch selbständige Wörter ist die Bedeutung des neu gebildeten Wortes im Allgemeinen nicht schwer zu erfassen. Beim Vorkommen von Affixen ist die Erkennung des Wortbildungsverfahrens eine entscheidende Stütze zur Bedeutungserfassung des neuen Wortes. So werden zum Beispiel anhand des Suffixes {-lich} aus Substantiven Adjektive gebildet, in diesem Fall glück{-lich}, die als Zuschreibung (‚mit Glück behaftet‘) oder in anderen Fällen als Eigenschaftsbezeichnung (menschlich-- ‚wie ein Mensch‘). Um noch ein Beispiel zu nennen: Aus Adjektiven können Adverbien gebildet werden (Beispiel: glücklich-- glücklicherweise) und so weiter. Je nach Art der Bausteine, die in den deutschen komplexen Wörtern vorliegen, unterscheidet man zwischen morphologischen Wortbildungsprodukten. Mit den verschiedenen Wortbildungsverfahren werden wir uns in der nächsten Einheit näher befassen. 2.1.6 Zusammenfassung ▶ Morphologische Phänomene werden traditionsgemäß unter klassifikatorischen Aspekten (‚Lehre von der Struktur und formalen Ausprägung der Wörter einer Sprache‘) behandelt. ▶ Unter dem Blickwinkel der kognitiven Linguistik wird der Zusammenhang zwischen Morphologie und Semantik, das Verhältnis von sprachlichen Strukturen und Konzeptualisierungsprozessen aufgedeckt. ▶ Die in den Phänomenen der Morphologie enthaltenen Bedeutungsaspekte können besonders anschaulich bei wortgebildeten Wörtern (Wortneubildungen wie Wortveränderungen) aufgezeigt werden, aber auch bei einfachen Wörtern (Simplexformen). ▶ Was schriftlich als Wort erscheint, deckt sich nicht immer mit dem sprachlichen Element, das einen semantischen Kern vermittelt. Es gibt sprachliche Elemente, die aus mehreren Wörtern bestehen, deren Bedeutung aber aus der syntagmatischen Einheit en bloc entsteht (Phraseme). ▶ In Kontexten können die Bedeutungsaspekte von Wörtern insbesondere auch durch Kollokationen, semantisch verwandte Wörter, aufgedeckt werden. ▶ Das Wissen über den Zusammenhang zwischen Semantik und Morphologie ist für angehende Lehrkräfte wichtig, weil es ihnen hilft, sprachliche Elemente zu identifizieren, die selbstständig Bedeutung tragen. 64 2. Morphologie 2.1.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was versteht man unter Morphologie? 2. Was bedeutet Semantik und in welcher Verbindung steht sie mit der Wortlehre? 3. Warum helfen Kollokationen bei der Entschlüsselung der richtigen Wortbedeutung? 4. Was kennzeichnet Wörter in der Schriftsprache? 5. In welche kleineren Bestandteile können wortgebildete Wörter zerlegt werden? 6. Was wissen Sie über die Bedeutung von Affixen? 7. Wozu dienen Spontan- oder Ad-hoc-Bildungen? 65 2.2 Komposition und Derivation 2.2 Komposition und Derivation Marianne Hepp In der ersten Lerneinheit dieses Kapitels konnten wir feststellen, dass im klassischen Verständnis Wörter nicht in jedem Fall die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten einer Sprache sind, sondern vielmehr aus kleineren Konstituenten bestehen, die ebenfalls bedeutungstragend sind und ihrerseits teilweise auch wieder in noch kleinere Konstituenten zerlegt werden können. Wir haben auch gesehen, dass Bedeutung in der kognitiven Linguistik nicht nur auf der lexikalischen Ebene, sondern auch auf der grammatikalischen Ebene beschreibt, wie zum Beispiel das Konzept fehlen durch das Morphem {-los} ausgedrückt werden kann. Gleichzeitig war zu beobachten, dass in einer lebendigen Sprache die Möglichkeit besteht und auch laufend genutzt wird, neue Wörter aus bestehendem Sprachmaterial zu bilden und dadurch das Lexikon zu erweitern. Die Bedeutung solcher Ad-hoc-Bildungen - wie überhaupt aller Wörter im klassischen Verständnis - kann dabei von Seiten des Rezipienten beziehungsweise der Rezipientin anhand von zwei Hauptstrategien erschlossen werden: 1. durch den Einbezug des Kontextes, in dem das Wort auftritt; 2. (bei den wortgebildeten Lexemen) durch Betrachtung ihrer einzelnen Konstituenten und durch Analyse des jeweiligen Wortbildungsverfahrens. Ähnlich betrachtet auch die kognitive Linguistik den Bereich Wortbildung unter der Lupe der Dekodifizierung komplexer Lexeme durch den Hörer oder die Hörerin und den Leser oder die Leserin beziehungsweise der Kreativität des Sprechers oder der Sprecherin und des Schreibers oder der Schreiberin bei der Bildung neuer Lexeme zur Kodifizierung neuer Konzepte oder zur Bezeichnung neuer Referenten beziehungsweise Referentinnen (Lipka 2002: 95, 108). Wir nutzen dieses Kapitel als Fenster, um erste Unterschiede in der Betrachtungsweise der klassischen Linguistik und derjenigen der kognitiven Linguistik aufzuzeigen und Ihnen einen ersten Eindruck über Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Ansätzen zu vermitteln. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die wichtigsten Wortbildungsprozesse kennen lernen; ▶ lernen, was Derivation und Komposition zu den wichtigsten Wortbildungsprozessen des Deutschen macht; ▶ erklären können, wie neugebildeten Wörtern Bedeutung zugeschrieben wird. 2.2.1 Wortbildung In der vorliegenden Lerneinheit wird der ständige Ausbau des Wortschatzes durch Wortbildung behandelt. Wortbildung unterscheidet sich von Wortschöpfung, der Erfindung von völlig neuen Wortstämmen. Viele Beispiele zu Wortschöpfung werden im Portal Wörterbuch der Jetztsprache Sprachnudel (http: / / www.sprachnudel.de) gesammelt. Wir geben hier zwei Beispiele aus dieser Quelle an: 66 2. Morphologie ▶ Gova: „hat eine ähnliche Bedeutung wie das Wort Homie und steht für Bruder, Freund oder auch Kumpel.“ Beispiel: Bist du noch mein Gova? (Sprachnudel 2008) ▶ Xylakant: „bedeutet Holzkopf bzw. Dummkopf und leitet sich aus dem Lateinischen ab.“ Beispiel: Ich bin kein Xylakant (Sprachnudel 2009). Im Gegensatz zur Wortschöpfung nutzt Wortbildung bestehendes lexikalisches Material, um neue Wörter zu erschaffen (Fleischer & Barz 2012: 18-19). Wie wir sehen werden, bestehen in der Betrachtungsweise der Wortbildung zwischen der klassischen und der kognitiven Linguistik Unterschiede. So wird in der klassischen Linguistik Wortbildung von der sogenannten Bedeutungsübertragung oder Metaphorisierung abgegrenzt. In der kognitiven Linguistik ist diese Abgrenzung nicht gegeben. Wie diese Abgrenzung in der kognitiven Linguistik aufgehoben wird, illustrieren wir am Prozess der Konversion im Abschnitt 2.2.2. Bei Wortbildung geht es vorrangig um den Zusammenbau von bereits zur Verfügung stehenden Wortbausteinen-- den Konstituenten-- zu neuen Wörtern, mit dem Hauptziel der Erweiterung des Lexikons. Konstituenten der Wortbildungen können folgende Einheiten sein: ▶ selbständige Wörter ▶ Wortbildungsaffixe (Präfixe, Suffixe und Zirkumfixe) ▶ Konfixe, die nur in Kombination mit anderen Morphemen auftreten (beispielsweise geographisch, esterophil) ▶ Buchstaben (beispielsweise I-Tüpfelchen) ▶ unikale Einheiten (beispielsweise Him-beere) ▶ Phrasen (beispielsweise der Grüne-Bohnen-Eintopf) ▶ Fugenelemente ({-n-}, {-e-}, {-er-}, {-s-} und so weiter). Der Ausbau des Wortschatzes erfolgt durch unterschiedliche Verfahren, deren wichtigste in einem folgenden kurzen Überblick präsentiert werden, bevor die beiden für die deutsche Sprache bedeutendsten, darunter die Komposition und Derivation, näher beleuchtet werden. 2.2.2 Die wichtigsten Wortbildungsverfahren im Überblick Die folgenden Wortbildungsverfahren der deutschen Sprache, die die klassische Linguistik unterscheidet, werden besonders häufig genutzt und ermöglichen neue Bildungen nach bestimmten Mustern (Hepp 2012: 15). Es sind diese im Einzelnen: ▶ Komposition ▶ Derivation ▶ Kurzwortbildung ▶ Wortbildung lexikalklammerfähiger Verben ▶ Konversion ▶ Zusammenrückung 67 2.2 Komposition und Derivation Komposition Komposition (Zusammensetzung) wird die Bildung eines komplexen Wortes genannt, das aus mindestens zwei, häufig auch mehr Lexemen besteht. Komposition kann unter anderem beim Substantiv, Adjektiv, Verb, Adverb und bei Präpositionen vorkommen, dient aber vor allem dem Ausbau der Wortarten Substantiv und Adjektiv. Das Kompositum besteht aus einer Grundform, die als Basis dient und zu determinieren ist, und einer Bestimmungsform, von der die Determination ausgeht. Beide sind durch eine Fuge verbunden. Beispiel: Wissenschaft s sprache hilf s bedürftig Bestimmungsform Fuge Grundform Tabelle 2.5: Grundform und Bestimmungsform von Komposita Bei komplexen Komposita sind die Bestimmungsform beziehungsweise die Grundform schon selbst zusammengesetzt (Wissen-schaft-s-sprache). Solche Bildungen finden sich besonders in den Fachsprachen und stellen bezüglich ihres möglichen Umfangs und der Häufigkeit ihres Vorkommens ein Charakteristikum der deutschen Wortbildung dar. Je umfangreicher das Kompositum ist, desto stärker wird die Bedeutung des Nomens eingegrenzt. Ein Beispiel dafür: Gesetz ‚irgendein Gesetz’ Arzneimittelgesetz ‚ein Gesetz, das Arzneimittel betrifft’ Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetz ‚ein Gesetz, das die Begrenzung der Ausgaben für Arzneimittel betrifft’ Tabelle 2.6: Eingrenzung der Bedeutung des Nomens Derivation Bei der Derivation (Ableitung) wird ein neues Wort, das Derivat, aus einem Lexem und einem Morphem gebildet, wobei das Lexem als Grundform (Basislexem) und das Morphem als Ableitungsform des Derivats gilt. Die Ableitungsform kann ein Präfix oder ein Suffix sein. Beispiel: Gestein → Gestein unsicher → unsicher versprechen → versprechen Präfix Grundform Techniker → Techniker lesbar → lesbar radeln → Radeln Grundform Suffix Tabelle 2.7: Derivation 68 2. Morphologie Auch Zirkumfixe treten auf: {Ge-}mäld{-e}, {ge-}füg{-ig}, {er-}kund{-ig}{-en}. Die Derivation betrifft alle Hauptwortarten: Nomen, Adjektiv, Verb und Adverb. Die deutsche Sprache verfügt über ein relativ begrenztes Inventar an Ableitungsmorphemen, das jedoch auf vielfältige Weise kombinierbar ist. Es ist umstritten, welche Rolle die Analyse der morphologischen Struktur abgeleiteter Wörter im kognitiven Prozess der Bedeutungskonstruktion spielt. Wie könnte diese semantische Konstruktion funktionieren? Wie bekommt ein Wort Bedeutung aus seiner morphologischen Struktur? Aus kognitiv-linguistischer Sicht tragen zur Bedeutungserschließung lexikalische und grammatische Elemente gleichermaßen bei (Deppermann 2002). Sprachelemente können eine kognitive Struktur (figure oder Profil) nur auf dem Hintergrund eines konzeptuellen Hintergrunds (ground oder Basis) bilden. Das klassische Beispiel stellt dabei der mathematische Begriff der Hypotenuse dar. Eine Hypotenuse ist die längste Seite eines rechtwinkligen Dreiecks. Ohne die konzeptuelle Basis des rechtwinkligen Dreiecks könnte die Hypotenuse kein kognitives Profil gewinnen, demnach nicht definiert werden. Ohne ein Konzept oder eine Idee zu haben, was ein Dreieck eigentlich ist, kann man auch das Konzept der Hypotenuse nicht verstehen. Abbildung 2.6: Konzept der Hypotenuse (Thoma 2015) Bedeutung ergibt sich aus dem Kontrast zwischen dem profilierten Element und dem konzeptuellen Hintergrund, der für die Situation Relevanz hat (Langacker 1987: 163). Der figurebeziehungsweise ground-Kontrast kann an Wörtern in ihrer syntaktischen Interaktion mit anderen Wörtern sowie auch an Wortbildungen angewandt werden. Wir können davon ausgehen, dass im kognitiven Prozess von Wortableitungen wie Politiker, Lehrer, Hörer, das Suffix {-er} in seiner semantischen Wirkung als Agens in Interaktion mit Politik- Profil gewinnt. Die Integration des Agens-Konzepts mit dem lexikalischen Konzept, das hinter dem Wort Politik steht, führt zur Konzeptualisierung des Wortes Politiker. Das scheint bei Wörtern wie Politiker plausibel zu sein. Die Kompositionalität von Wörtern wie Computer, Korkenzieher wird dagegen normalerweise nicht erkannt (Ungerer 2007: 654). Aus kognitiver Sicht sind nicht alle komplexen Wörter gleich: Es gibt vielmehr Bildungen, die einen starken Prozess der Lexikalisierung durchgemacht haben, der ihre konstitutiven Elemente zu einer neuen semantischen Einheit verschmelzen ließ. Je fortgeschrittener der Lexikalisierungsprozess, desto weniger relevant ist die morphologische Analyse der Wortbildung bei der Bedeutungskonstruktion. Das Verstehen komplexer Wörter funktioniert so wie das Verstehen simpler 69 2.2 Komposition und Derivation Wörter: es ist ein kontrastierender Prozess einer Bedeutungskonstruktion, die als semantische Extension prototypischer Muster betrachtet werden kann. So ist zum Beispiel das Verstehen von Politiker dadurch bedingt, welche semantischen Hintergründe Politik und {-er} prototypisch hervorrufen. Die Distanz vom Prototypen, wie die folgende Tabelle 2.8 zeigt (frei nach Ungerer 2007: 653), stimmt nicht immer mit der Komplexität der Wortstruktur überein. Lorbeer und Apfelbaum sind beispielsweise Komposita, wobei das erstere (latein laurus-+ beer) schon lexikalisiert ist. Der Lorbeer und der Apfelbaum sind Baumarten, die unterschiedliche Distanzen vom Prototyp aufweisen-- wie die Bilder in der Tabelle ikonographisch zeigen. Es gibt auch Simplexwörter, die eine größere Distanz vom Prototypen aufweisen als komplexe Wörter. Das ist der Fall beim Wort Baum als Kurzbezeichnung des mathematischen Baumdiagramms (siehe Abbildung 2.10 in Tabelle 2.8). Der mathematische Baum ist eine graphische Darstellung und hat mit dem Holzgewächs eigentlich nichts Gemeinsames, bis auf die darin enthaltenen Verbindungslinien zwischen Elementen, welche an die Äste und Zweige des Holzgewächses erinnern. Die Distanz vom Prototyp Baum im Sinne von Holzgewächs ist kleiner im Fall des zusammengesetzten Verbs aufbaumen {auf}- + {baum}. Ähnliches gilt für das durch Zusammensetzung {baum}-+ {art} und Ableitung {-ig} gebildete Adjektiv baumartig. Kognitiver Prototyp Baum „Holzgewächs mit festem Stamm, aus dem Äste wachsen, die sich in Laub oder Nadeln tragende Zweige teilen“ (Dudenredaktion 2017a) Abbildung 2.7: Baum (ClipProject 2017) Semantische Extensionen Baum Apfelbaum-= „rötlich weiß blühender Obstbaum mit Äpfeln als Früchten“ (Dudenredaktion 2017b) Abbildung 2.8: Apfelbaum (ClipProject 2017) Baum Lorbeer-= „immergrüner Baum mit ledrigen (getrocknet als Gewürz dienenden) Blättern, gelblich weißen Blüten und blauschwarzen Steinfrüchten“ (Dudenredaktion 2017c) Abbildung 2.9: Lorbeer (Wikipedia 2018) Baum aufbaumen-= „(von kletternden Wildtieren und Vögeln) auf einem Baum sitzen“ (Dudenredaktion 2017d) Baum baumartig-= „einem Baum ähnlich, wie ein Baum aussehend, wirkend“ (Dudenredaktion 2017e) Baum Baum-= „mathematischer Graph mit Knoten und Kanten“ (Dudenredaktion 2017a) Abbildung 2.10: Baumdiagramm ⇨ ⇨ ⇨ ⇨ ⇨ 70 2. Morphologie Tabelle 2.8: Distanz vom Prototyp (nach Ungerer 2007: 653) Mehr zur Bedeutungserschließung und der Idee der mentalen Konstruktion erfahren Sie in der Lerneinheit 7.3. Kurzwortbildung Kurzwörter entstehen durch Reduktion einer längeren Vollform. Sie lassen sich in drei Hauptgruppen einteilen: (1) multisegmentale Kurzwörter; (2) unisegmentale Kurzwörter, die aus dem Anfangs- oder dem Endsegment der Vollform bestehen; (3) partielle Kurzwörter, die aus einem gekürzten und einem unveränderten Teil bestehen (Fleischer & Barz 2012: 277-279). Vergleiche dazu die tabellarische Darstellung: Art der Kurzwortbildung Beispiele Vollwort (1) Multisegmentale Kurzwörter Buchstabenwörter Akronyme DAX Deutscher Aktienindex Silbenwörter KiTA Kindertagesstätte Mischkurzwörter AzuBi Auszubildender (2) Unisegmentale Kurzwörter EuRo Europäische Währungseinheit CELLo Violoncello (3) Partielle Kurzwörter ARD-SEnDunG Tabelle 2.9: Arten der Kurzwortbildung (nach Hepp 2012: 21) Kognitiver Prototyp Baum „Holzgewächs mit festem Stamm, aus dem Äste wachsen, die sich in Laub oder Nadeln tragende Zweige teilen“ (Dudenredaktion 2017a) Abbildung 2.7: Baum (ClipProject 2017) Semantische Extensionen Baum Apfelbaum-= „rötlich weiß blühender Obstbaum mit Äpfeln als Früchten“ (Dudenredaktion 2017b) Abbildung 2.8: Apfelbaum (ClipProject 2017) Baum Lorbeer-= „immergrüner Baum mit ledrigen (getrocknet als Gewürz dienenden) Blättern, gelblich weißen Blüten und blauschwarzen Steinfrüchten“ (Dudenredaktion 2017c) Abbildung 2.9: Lorbeer (Wikipedia 2018) Baum aufbaumen-= „(von kletternden Wildtieren und Vögeln) auf einem Baum sitzen“ (Dudenredaktion 2017d) Baum baumartig-= „einem Baum ähnlich, wie ein Baum aussehend, wirkend“ (Dudenredaktion 2017e) Baum Baum-= „mathematischer Graph mit Knoten und Kanten“ (Dudenredaktion 2017a) Abbildung 2.10: Baumdiagramm ⇨ ⇨ ⇨ ⇨ ⇨ 71 2.2 Komposition und Derivation Durch Kurzwortbildung entstehen keine neuen Wörter, sondern gleichwertige Wortvarianten. Für das Verstehen von unbekannten Kurzformen bilden die Abkürzungslisten verschiedener Wörterbücher eine mögliche Entschlüsselungsgrundlage. Hilfreich ist aber vor allem der Kontext, durch den neue Kurzwortbildungen aufgelöst, das heißt erklärt werden, indem entweder ihre Vollformen oder Paraphrasierungen davon vorkommen (Fleischer & Barz 2012: 277). Auf sprachkultureller Ebene kommt hinzu, dass der Gebrauch der Kurzwörter heute nicht nur parallel zur erhöhten Komplexität der Fachsprachen und Erweiterung der Fachterminologien in den einzelnen Sprachen verläuft, vielmehr zunehmend globale Dimensionen einnimmt, was vor allem auch dem Sprachinstrument Internet zu verdanken ist. Wortbildung lexikalklammerfähiger Verben Im Zentrum der verbalen Wortbildung des Deutschen steht ein Verfahren, das es erlaubt, eine einfache Verbform mit einem weiteren Lexem zu einem zweiteiligen Verb zu verbinden, so dass es mit diesem eine lexikalische Verbalklammer bilden kann (zum Beispiel stehe-… auf). Die verbale Grundform kann dabei durch eine Präposition, ein Adverb, ein Verb in der Infinitivform oder ein Adjektiv semantisch determiniert werden. Je blasser und bedeutungsoffener das Verb ist (zum Beispiel geben, legen, liegen, machen, nehmen, setzen, sitzen, stellen, stehen, treten), desto höher ist die Anzahl der Möglichkeiten für den Determinationsprozess in der Verbalklammer (Weinrich 1993: 1032ff). Beispiele: stelle-- ab / an / auf / aus / ein / fest / vor / sicher / in Rechnung / in Aussicht Welcher Arzt stellt das notwendige Attest für Berufssportler aus? verbale Grundform Präposition Zwischen den Bedeutungen eines einfachen Verbs wie stellen und den durch Präpositionen zusammengesetzten Formen bestehen oft erhebliche Bedeutungsunterschiede (Blühdorn & Foschi 2012: 127). Die Bedeutungen der neuen Verben sind nicht immer transparent: Die Bedeutungen von Partikeln und Verbbasen gehen nämlich auf unterschiedliche und schwer vorhersagbare Weise in die Gesamtbedeutungen ein. Dies zeigt sich, wenn man das einfache Verb stellen mit einigen Partikeln kombiniert und die Ergebnisse im Wörterbuch (Duden Online jeweils erste Definitionen) nachschlägt: ▶ stellen ‚sich an einen bestimmten Platz, eine bestimmte Stelle begeben und dort für eine gewisse Zeit stehen bleiben‘ ▶ abstellen ‚(etwas, was jemand trägt, in der Hand hält) niedersetzen, an einen sich gerade anbietenden Platz stellen‘ ▶ anstellen ‚etwas an etwas stellen, lehnen‘ 72 2. Morphologie ▶ aufstellen ‚in einer bestimmten Ordnung o. Ä., an einen vorgesehenen Platz stellen, hinstellen‘ Verben, die durch andere Wortarten gebildet sind, wie zum Beispiel sicherstellen durch das Adjektiv sicher, weisen eine höhere Transparenz auf. Die Bedeutung des neuen Verbs entsteht aus den leicht zu erschließenden Bedeutungen seiner Teile: ▶ sicher stellen ‚in behördlichem Auftrag beschlagnahmen, vor unrechtmäßigem Zugriff oder die Allgemeinheit gefährdender Nutzung sichern.‘ In Verbindung mit bestimmten Substantiven, zum Beispiel in Rechnung stellen vermittelt das Verb stellen eine verblasste Bedeutung. Zur Gesamtbedeutung der Verbindung (berechnen) trägt vor allem das Substantiv (Rechnung) bei. Konversion Mit dem Terminus Konversion wird traditionell die Neubildung von Wörtern durch Transposition in eine andere Wortart bezeichnet. Bei der sogenannten reinen Konversion (in Abgrenzung zur Präfixkonversion, die hier der Derivation zugeordnet wird) handelt es sich um einen Wortartwechsel, der ohne Affigierung, das heißt ohne Ableitungsmorphem, vollzogen wird. Die produktivste Gruppe stellt die Konversion zum Substantiv dar. Als Konversionsbasis liegen bei der substantivischen Konversion vor allem Verben vor, wodurch ein Wechsel von der Infinitivform des Verbs zum Substantiv in der Nominalgruppe erfolgt (Weinrich 1993: 981). Beispiele: ▶ schreiben → das Schreiben ▶ veruntreuen → das Veruntreuen Die Substantivierung kann ebenso durch ein Adjektiv (blau → das Blau, golden → das Goldene erfolgen, wie auch durch Adverbien (das Jetzt, das Hier und Heute), Präpositionen (das Für und Wider), Konjunktionen (das Wenn und Aber) und so weiter. Die kognitive Linguistik interpretiert Konversion nicht als Wortbildungsverfahren, weil es sich dabei um ein Verfahren handelt, das die phonologische Form der Wörter unverändert lässt (Ungerer 2007: 651). Sie betrachtet es vielmehr als einen reinen semantischen Prozess der Metaphorisierung beziehungsweise Metonymisierung. Metaphorisierung wird in der Norm als Prozess der Übertragung einer Bedeutungsebene auf eine andere interpretiert. So dient zum Beispiel die Bedeutung von jetzt im Satz Jetzt kommt das Wirtschaftswunder zur Festlegung des zeitlichen Punkts, in dem das Wirtschaftswunder einsetzt (Gegenwart beziehungsweise historisches Präsens). In der Nominalphrase Das Jetzt der Lektüre wird dagegen die Bedeutung ‚begrenzter Zeitraum in der Gegenwart‘ verabsolutiert und wird zu einem Synonym für Gegenwart. 73 2.2 Komposition und Derivation Im Text bedeuten Konversionen eine höhere Abstraktionsebene, die oft mit einer Bedeutungserweiterung verbunden ist. Konversionen finden sich aus diesem Grund oft in literarischen Texten, besonders in der Lyrik. Experiment Im folgenden Beispiel, dem Gedicht Rondel von Georg Trakl ([1913] 1972: 14), ist das Farbadjektiv gold(en) durch das Wortbildungsverfahren der Konversion vom Attribut zum eigenständigen Begriff geworden. Welche möglichen Bedeutungen kann das Gold im Gedicht einnehmen? Wie sind diese möglichen Bedeutungen aus kognitiv-linguistischer Perspektive zu erklären? Verflossen ist das Gold der Tage, Des Abends braun und blaue Farben: Des Hirten sanfte Flöten starben Des Abends blau und braune Farben Verflossen ist das Gold der Tage. Zusammenrückung In der deutschen Sprache liegt die Möglichkeit vor, Wortgruppen, die in einer syntagmatischen Relation zueinanderstehen, zusammenrücken zu lassen, um neue Wörter zu schaffen (Eichinger 2000: 31). Zusammenrückung kann als Sonderfall der Zusammensetzung angesehen werden, da hier eine syntaktische Gruppe-- unter Beibehaltung der Wortfolge und eventueller flektivischer Relationsmorpheme-- zu einem Wort beziehungsweise zum Kompositionsglied eines neuen Wortes zusammenrückt. Obwohl deutsche Zusammenrückungen insgesamt gesehen eher selten vorkommen, scheint dieses Verfahren gegenwärtig Entfaltungspotenzialität aufzuweisen (Foschi & Hepp 2012: 111ff). Besonders auffällig ist das Phänomen etwa bei Benennungen von Webseiten und -portalen. Beispiel: einestages heißt das neue Zeitgeschichte-Portal von Spiegel Online Aus okkasionellen zusammengerückten Wortgruppen dieser Art können neue Komposita entstehen (Beispiel: einestages-Zeitgeschichte, http: / / einestages.spiegel.de). 2.2.3 Die zentralen Wortbildungsprozesse des Deutschen: Komposition und Derivation Die beiden zentralen Wortbildungsverfahren des Deutschen, Komposition und (explizite) Derivation haben gemeinsam, dass sie kombinierende Verfahren sind. Die deutsche Sprache ist überhaupt eine kompositionsfreundliche Sprache, deren Kreativität vor allem im Unterschied zu anderen, kompositionsschüchternen Sprachen (zum Beispiel den romanischen) ins Auge fällt (Donalies 2011: 37). Diese Kompositonsfreude, die man ja auch eindrucksvoll an 74 2. Morphologie den beiden Wörtern kompositionsfreundlich und kompositionsschüchtern wahrnehmen kann, liegt in den unterschiedlichsten Textsorten vor. Komposition im Deutschen Im folgenden fachsprachlichen Text geht es um ein Gesetz, durch das die Kosten für Arzneimittel begrenzt werden (Hepp 2012: 17ff). Das komplexe Kompositum wurde aus dem Präpositionalsyntagma Ausgaben für Arzneimittel gebildet. Der gesamte zugrunde liegende Satz, auch als Paraphrasierung des Kompositums zu bezeichnen, lautet: Gesetz, das die Ausgaben für Arzneimittel begrenzt. Die synthetisierende Kraft und Verdichtungsmöglichkeit der Komposita tritt am ausgeprägtesten in der Bildung von Substantiven zutage: ihre dominante Rolle, Vielfalt und Produktivität in der Wortbildung wird von anderen Wortarten nicht erreicht (Fleischer & Barz 2012: 117). Substantive werden auch in Adjektivkomposita häufig genutzt, sie bilden hier die Bestimmungsform, während das Adjektiv die Grundform bildet. Beispielsweise himmelblau, flaschengrün, geheimnisvoll. Die Substantiv-Adjektiv-Komposition ist weitgehend unbeschränkt und lässt, wie die Substantivkomposition, zahlreiche Ad-hoc-Bildungen zu. Eine Spontanbildung wie nusstortenbraun ist problemlos möglich, weil es schon eine entsprechende Reihenbildung gibt, in die sie sich einfügen kann (vergleiche Tabelle 2.10): (1) steinalt ‚alt wie ein Stein‘, ‚sehr alt‘ (2) lammfromm ‚fromm wie ein Lamm‘, ‚sehr fromm‘ (3) aschgrau ‚grau wie Asche‘, ‚intensiv grau‘ (4) rubinrot ‚rot wie ein Rubin‘, ‚intensiv rot‘ (5) strohblond ‚blond wie Stroh‘, ‚sehr blond‘ (6) haselnussbraun ‚braun wie eine Haselnuss‘, ‚intensiv braun‘ Tabelle 2.10: Substantiv-Adjektiv-Komposition Die Substantiv-Adjektiv-Kompositionen in der Tabelle enthalten eine semantische Übertragung, die zu einer einheitlichen Typologie zusammengefasst werden kann: das Adjektiv (zum Beispiel steinalt) verweist auf eine Qualität (alt), die durch eine prototypische semantische Eigenschaft des Substantivs näher erklärt, beziehungsweise intensiviert wird. In diesem Fall bedeutet es ‚sehr alt‘, ‚uralt‘, da Steine nach allgemeinen Vorstellungen schon sehr lange Zeit existieren und keinen biologischen Tod erfahren. Wie wir in der vorangehenden Lerneinheit in Abschnitt 2.1.4 am Beispiel der mit Glücksarchiv benannten Webseite gesehen haben, werden die sogenannten Spontan- oder Adhoc-Bildungen für unmittelbar anstehende kommunikative Zwecke oder zum Füllen von Benennungslücken produziert. Im Falle literarischer Texte werden damit ganz besondere stilistische Anforderungen erfüllt. 75 2.2 Komposition und Derivation Derivation im Deutschen Bei der expliziten Derivation werden vor allem Wörter und Konfixe mit Wortbildungsaffixen kombiniert. Die Derivation betrifft alle Hauptwortarten: Nomen, Adjektiv, Verb und Adverb. Wie die Komposita, werden Derivate grundsätzlich als binär aufgebaut angesehen: die rechte Einheit legt dabei die grammatischen Merkmale fest, die linke bestimmt das Wort semantisch näher. Im Vergleich: Komposition Derivation Hoch Haus freundlich keit Adjektiv Substantiv, Singular, Neutrum Adjektiv Substantiv, Singular, Fem. haus Hoch freund lich Substantiv Adjektiv Substantiv Adjektiv Tabelle 2.11: Derivation Das am meisten verbreitete deutsche Negationspräfix ist {-un}; die Derivation beim Nomen führt damit zu Bildungen wie Unwetter, Unkraut, Unsummen; diejenige beim Adjektiv zu solchen wie unwichtig, unschön, unrein. Verbale Präfixderivate, wie zum Beispiel bemalen, erblühen, verleihen, zerreißen und so weiter werden traditionell als untrennbare zusammengesetzte Verben bezeichnet, ein Ausdruck, in dem das komponierende Element der Derivation (Lexem und Morphem) mitschwingt. Im Gegensatz zu den Verbwortbildungen durch Lexikalklammern (Beispiel: komme-… an) können verbale Präfixderivate sich im Satz aber nicht vom Basislexem lösen. Die Unterscheidung der beiden Gruppen kommt auch auf der Akzentebene zum Tragen: Diese Verbpräfixe werden nicht betont (vergleiche ent KOM men-- AN kommen). Bei der Suffigierung steht umgekehrt das Basislexem beziehungsweise die Grundform vor dem Ableitungsmorphem (hier ein Suffix). Durch diese Regel gehören beispielsweise alle Nomina auf {-ung} (die Zeitung, Anerkennung, Wohnung), auf {-er} und {-erei} (die Druckerei, Eulenspiegelei, Rechthaberei), auf {-heit}, {-keit} und {-igkeit} (die Nachtblindheit, Heiterkeit, Glaubhaftigkeit) zur Gruppe der Feminina, während alle von Verben abgeleiteten Nomina auf {-er} zu den Maskulina gehören (verlegen-- der Verleger, denken-- der Denker, dichten-- der Dichter). Durch Movierung mit dem Suffix {-in} werden letztere in die feminine Gruppe eingereiht (die Verlegerin, Kanzlerin, Musikantin und so weiter). Bei den Wortbildungsvorkommen- - isoliert oder im Text- - sind die einzelnen Wortbildungsbestandteile in der Regel gut sichtbar, die Bedeutung der Wortbildung hat sich in vielen Fällen aber abgelöst von der Summe der Bedeutung ihrer Bestandteile. In einem Derivat wie Voll-jähr-ig-keit kann zwar die formale Struktur leicht erkannt werden, sie ist aber in ihrer Gesamtbedeutung nur noch teilweise in eine sinnvolle Verbindung mit der Ausgangsbedeutung der Bestandteile zu bringen. 76 2. Morphologie Die kognitive Perspektive kann dabei stufenweise eingesetzt werden. Es gilt zuerst einmal zu wissen, dass das Suffix {-keit} zur Bildung von Substantivabstrakta dient. In diesem Fall haben wir somit also mit dem ‚Zustand des Volljährigseins‘ zu tun. Bei volljährig hilft es zu wissen, dass das Suffix {-ig} Adjektive bildet. Das Adjektiv kann also auf die besondere Qualität einer Person verweisen, deren Jahre „voll“ sind. Hier hört die Transparenz aber auf, weil voll mit dem Konzept Reife zu tun hat. Um diesen Zusammenhang zu verstehen, muss das Weltwissen eingeschaltet werden. Zudem gilt, dass-- wie bei der Komposition-- auch bei der Derivation der Kontext dabei hilft, die Bedeutung zu erschließen. 2.2.4 Zusammenfassung ▶ Lebendige Sprachen sind keine statischen Entitäten, sie ändern sich vielmehr laufend, indem veraltende Wörter nicht mehr gebraucht werden und gleichzeitig bestehende Wörter mit neuen Bedeutungen versehen, sowie - vor allem - neue Wörter für den ständig benötigten Ausbau des Lexikons gebildet werden. ▶ Im Gegensatz zu den Verfahren der Metaphorisierung und der Wortschöpfung (der viel seltener vorkommenden Bildung von völlig neuen Wortstämmen) nutzt die Wortbildung bestehendes lexikalisches Material, um aus schon vorliegenden Bausteinen neue Wörter zu schaffen. ▶ Die Bedeutung von Wortbildungen kann einerseits durch die Analyse des jeweiligen Wortbildungsverfahrens samt der einzelnen Wortbildungskomponenten (Motivierung und Transparenz), andererseits durch den Einbezug des Kontextes erschlossen werden. Die Verbindung der beiden Betrachtungsansätze präzisiert die Bedeutungsfestlegung. ▶ Die kognitive Linguistik betrachtet den Bereich Wortbildung unter der Lupe der Dekodifizierung komplexer Lexeme durch den Hörer oder die Hörerin und den Leser oder die Leserin beziehungsweise der Kreativität des Sprechers oder der Sprecherin und des Schreibers oder der Schreiberin bei der Bildung neuer Lexeme zur Kodifizierung neuer Konzepte und Bezeichnung neuer Referenten. ▶ Aus kognitiv-linguistischer Sicht tragen zur Bedeutungserschließung lexikalische und grammatische Elemente gleichermaßen bei. Sprachelemente können eine kognitive Struktur (figure beziehungsweise Profil) nur auf dem Hintergrund eines konzeptuellen Hintergrunds (ground beziehungsweise Basis) bilden. ▶ Bedeutung ergibt sich aus dem Kontrast zwischen dem profilierten Element und dem konzeptuellen Hintergrund, der für die Situation Relevanz hat. ▶ Das Verstehen komplexer Wörter ist, wie das Verstehen simpler Wörter, ein kontrastierender Prozess einer Bedeutungskonstruktion, die als semantische Extension prototypischer Muster betrachtet werden kann. Es ist dadurch bedingt, welche semantischen Hintergründe das einzelne Wort, beziehungsweise die Wortbildungsteile prototypisch hervorrufen. 77 2.2 Komposition und Derivation 2.2.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Worin liegt der Unterschied zwischen Wortbildung und Wortschöpfung? 2. Welche Verfahren der Wortbildung kennen Sie? 3. Aus welchen Bestandteilen setzt sich ein Kompositum zusammen? 4. Wie kann man den kognitiven Prozess der Bedeutungskonstruktion in einem Derivat wie Politik{-er} erklären? 5. Welche Hauptgruppen der Kurzwortbildung unterscheidet man? Nennen Sie jeweils ein Beispiel. 6. Wie interpretiert die kognitive Linguistik das Wortbildungsverfahren der Konversion? 7. Was sind verbale Präfixderivate und wodurch unterscheiden sie sich von lexikalklammerfähigen Verben? 78 2. Morphologie 2.3 Wortbildung und grammatische Morpheme Marina Foschi In den ersten beiden Lerneinheiten dieses Kapitels haben wir erfahren, wie Wörter im Text als sinntragende Einheiten erkannt werden können. Wir konnten dabei gleichzeitig auch feststellen, dass es Wörter gibt, die einfach strukturiert sind, und solche, die aus unterschiedlichen Verfahren der Wortbildung heraus entstehen und aus diesem Grund eine komplexere Struktur aufweisen. Thema der vorliegenden Einheit bilden erneut Wörter - einfache wie komplexe - aber im besonderen Hinblick auf die Formstruktur, die sie als konkrete Ausdrücke im Text annehmen. Unser spezielles Augenmerk gilt dabei: der Einheit Wort, der Flexion, den flektierbaren versus unflektierbaren Wörtern der deutschen Sprache, den grammatischen Morphemen, den flexiven Morphemen, der Transparenz der Morpheme und den andersartigen Indikatoren der Flexion. Wie das Morpheminventar der deutschen Sprache aus kognitions-linguistischer Perspektive betrachtet wird, zeigen wir Ihnen jeweils am Ende eines Abschnitts. Die Analyse der Morphologie aus dieser Perspektive kann auch dazu dienen, die Wirkung lexikaler Elemente als Bausteine zur Konstruktion semantischer Einheiten zu verstehen (Janda 2007: 637). Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ zwischen Wortbildung und Flexion als Teilbereichen der Morphologie unterscheiden können; ▶ die Systematik der deutschen Flexionsmorphologie beschreiben können; ▶ das Inventar der grammatischen Morpheme benennen können; ▶ neue Erkenntnisse der kognitiven Linguistik zur Morphologie benennen und zum Zweck des Textverstehens anwenden können. 2.3.1 Lexeme Wörter als Lexeme zu betrachten bedeutet, sie ohne Bezugnahme auf die morphologische Struktur und die syntaktische Funktion, die sie im Satz einnehmen, anzusehen. Die Auffassung des Wortes als Lexem ist typisch für die beiden klassischen linguistischen Ausrichtungen Semantik und Lexikographie: Erstere befasst sich mit der Bedeutung der Wörter, letztere mit dem Erstellen von Wörterbüchern. In beiden Disziplinen wird das Wort vor allem als eine eingrenzbare bedeutungstragende Spracheinheit angesehen, das heißt als lexikale Einheit oder Lexem. Die lexikale Bedeutung eines Wortes entspricht grundsätzlich der Wörterbuchdefinition. So ist zum Beispiel im folgenden Lexikoneintrag, dem Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache ( DWDS 2017c), das Wort Löwe in der Überschrift ein Lexem. Die erste Wortdefinition (lexikale Wortbedeutung) wird unter 1 eingetragen. Eine weitere lexikalisierte Bedeutung erfolgt unter 2: 79 2.3 Wortbildung und grammatische Morpheme Löwe mask., -n, -n 1 ‚gelbbraunes, in seinen männlichen Vertretern durch eine mächtige Mähne ausgezeichnetes, großes, katzenartiges Raubtier Afrikas, das seiner Kraft und Kühnheit wegen als Sinnbild der Stärke und des Mutes gilt‘ einen Löwen jagen, erlegen bildlich der große Löwe übertragen sich in die Höhle des Löwen begeben, wagen (‚beherzt, unerschrocken eine gefürchtete Person aufsuchen‘) 2 scherzhaft, veraltend‚ Mensch, der (für kurze Zeit) im Mittelpunkt gesellschaftlicher Aufmerksamkeit steht‘ er war der (unumstrittene) Löwe des Abends, Salons, der Gesellschaft (‚Held‘) Tabelle 2.12: Definition des Wortes Löwe (nach DWDS 2017c) Es besteht eine gewisse Analogie zwischen den ersten Definitionen, die Wörterbucheinträge angeben, und den Prototypen in der kognitiven Linguistik. Nach der Prototypentheorie der Psychologin Eleanor Rosch (1973a) sind Prototypen konzeptuelle Konfigurationen von idealtypischen Merkmalen, die als repräsentativ für bestimmte Klassen von Entitäten im Gedächtnis gespeichert sind. So ist zum Beispiel ein Rotkehlchen ein Prototyp der Klasse Vögel, weil es die meisten Merkmale hat, die der Klasse Vogel zugeschrieben werden (‚kann fliegen, legt Eier, singt‘ und so weiter) (vergleiche Lipka 2002: 66f; siehe auch Kapitel 3 in diesem Band). Prototypen dienen im Verstehensprozess als mentale Kategorien und Vergleichsinstanz bei der Kategorisierung von dem, was wir erleben und versprachlichen wollen. Sie sind zentrale Repräsentanten einer Kategorie. Andere Entitäten zählen zur gleichen Kategorie, wenn sie einige Merkmale mit dem jeweiligen Prototypen teilen, wie wir in Lerneinheit 2.2 am Beispiel Baum beobachtet haben. Wortbildungselemente dienen ihrerseits ebenfalls als Merkmale für eine semantische Klasse, wobei sie sich gegebenenfalls mehr oder weniger dem idealtypischen Charakter derselben annähern. Eine Wortbildungsklasse kann beispielsweise mit Bezug auf das semantische Merkmal femininum gebildet werden, welches das Suffix {-in} trägt, wenn es in Wörtern wie Löwin, Lehrerin, Ministerin vorkommt. Der Verweis auf das biologische Geschlecht ist typischerweise in jedem Wort dieser Reihe vorhanden, obwohl nicht jedes Wort, das auf {-in} endet als Mitglied dieser Klasse erkannt werden soll: vergleiche etwa das Wort arabischer Herkunft Magazin. Das Suffix {-in} deutet darauf hin, dass der Referent von der prototypischen Vorstellung mehr oder weniger abweicht. So weicht beispielsweise die Löwin von der prototypischen mentalen Repräsentation eines Löwen ab, da sie keine mächtige Mähne trägt. Beim Suffix {-er} (wie wir in Lerneinheit 2.2 gesehen haben) gilt, dass es in einigen Wortableitungen-- zum Beispiel Politiker, Lehrer, Hörer-- in seiner prototypischen Funktion als semantisches Merkmal Agens dient. In anderen Ableitungen- - zum Beispiel Lyriker, Aka- 80 2. Morphologie demiker, Berliner, Staubsauger-- ist seine semantische Wirkung unterschiedlich weit von der prototypischen Vorstellung Agens entfernt. Bei Zusammensetzungen bildet die Art der Relation zwischen Grundwort und Bestimmungswort unterschiedliche semantische Klassen mit jeweils prototypischen Merkmalen. Beobachten wir die unterschiedlichen Beispiele von zusammengesetzten Wörtern mit Löwe als Erstglied, die im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache ( DWDS 2017c) aufgelistet sind: Kompositum Paraphrase Semantische Relation (1) Löwenanteil ‚der Anteil eines Löwen‘ Vergleich (2) Löwenbändiger ‚Bändiger von Löwen‘ Determination (3) Löwenfreigehege ‚Freigehege für Löwen‘ Zweckbestimmtheit (4) Löwengebrüll ‚das Gebrüll des / eines / von Löwen‘ Zugehörigkeit, Determination (5) Löwenjagd ‚die Jagd auf Löwen‘ Handlungsziel (6) Löwenkraft ‚die Kraft des / eines Löwen‘ Zugehörigkeit (7) Löwenkäfig ‚Käfig für Löwen‘ Zweckbestimmtheit (8) Löwenmaul ‚das Maul des / eines Löwen‘ Zugehörigkeit (9) Löwenmut ‚der Mut eines Löwen‘ Vergleich (10) Löwenmutter ‚Löwin, die Mutter ist / Mutter von Löwen‘ Paraphrase, Determination (11) Löwenmähne ‚Mähne des / eines Löwen‘ Zugehörigkeit (12) Löwenpranke ‚die Pranke des / eines Löwen‘ Zugehörigkeit (13) Löwenstimme ‚die Stimme des / eines Löwen‘ Zugehörigkeit (14) Löwenstärke ‚die Stärke des / eines Löwen‘ Zugehörigkeit (15) Löwenzwinger ‚Zwinger für Löwen‘ Zweckbestimmtheit Tabelle 2.13: Komposita mit Löwe als Erstglied In dieser Aufstellung sind sechs Klassen erkennbar, je nach Art der semantischen Relation zwischen den beiden Wortbildungselementen, die durch Komposition hergestellt wird: (a) Vergleich; (b) Determination; (c) Zweckbestimmtheit; (d) Zugehörigkeit; (e) Handlungsziel; (f) Paraphrase. Abgesehen von ihrer lexikalen Bedeutung, ist die jeweils spezifische Bedeutung von Wörtern-- wie wir in den vorherigen Einheiten gesehen haben-- von ihrem jeweiligen Kontext beeinflusst. Der Kontext und in diesem Falle auch das Weltwissen, in Kombination mit guter Allgemeinbildung, machen beispielsweise ersichtlich, dass es im folgenden Satz nicht um ein ‚großes, katzenartiges Raubtier‘ geht, sondern um einen Mann namens Achilles, der die Eigenschaften eines solchen Tieres besitzt: Achilles war ein Löwe in der Schlacht. Kontexte-- syntagmatische Kontexte-- sind für das Textverstehen äußerst wichtig, auch weil sie syntagmatische Relationen durchschaubar machen. 81 2.3 Wortbildung und grammatische Morpheme Im oben angeführten Lexikoneintrag werden außer den erwähnten Definitionen mehrere syntagmatische Verwendungsbeispiele gezeigt, die dazu dienen, weitere jeweils unterschiedliche Bedeutungsnuancierungen (oder kontextuelle Bedeutungen), die das Wort im Text annehmen kann, darzulegen. Ein Beispiel davon ist: einen Löwen jagen. Es wird ersichtlich, dass das Wort in dieser Wortgruppe eine besondere lexikale Bedeutung erhält. Die Veränderung seiner Form Löwe → Löwen ist ihrerseits das Zeichen dafür, dass das Wort eine bestimmte syntaktische Funktion übernommen hat. Dies hat Konsequenzen für das Textverstehen. Die formale Veränderung des Wortes-- seine jeweilige morphologische Form-- wird durch die Flexion bedingt. 2.3.2 Flexion Wie wir in den ersten zwei Lerneinheiten dieses Kapitels gesehen haben, nennt man die Bildung neuer Wörter Wortbildung. Die Bildung der einzelnen morphologischen Formen, die ein Wort annehmen kann, wird dagegen Flexion genannt. Unter Flexion versteht man in der Grammatik traditionell die Art und Weise, wie Wörter der flektierenden Wortarten ihre Gestalt ändern, um eine grammatische Funktion im Satz zu erfüllen. Kenntnisse darüber, nach welchen Regelmäßigkeiten dies geschieht, helfen den Sinn bestimmter Textstellen zu erschließen. Die Gesamtheit der Formen, die ein Wort im Text annehmen kann (zum Beispiel Haus: Hauses, Hause, Häuser, Häusern), wird Paradigma genannt. Die formale Zusammenstellung von Flexionsparadigmen ist Aufgabe der Morphologie. Hier ein tabellarisch dargestelltes Beispiel: Singular Plural Nominativ der Löwe die Löwen Genitiv des Löwen der Löwen Dativ dem Löwen den Löwen Akkusativ den Löwen die Löwen Tabelle 2.14: Deklinationsparadigma des Substantivs Löwe Solche Paradigmen zeigen, welch unterschiedliche Gestalt Wörter in einer bestimmten syntaktischen Einbettung in Texten einnehmen. Paradigmen werden bei flektierenden Wortarten durch Flexionsmittel gebildet. Flektierende Wortarten sind Nomen, Adjektiv, Verb, Artikel und Pronomen. Flektierende Mittel der deutschen Sprache sind unter anderem die grammatischen Morpheme. In der deutschen Gegenwartssprache markieren grammatische Morpheme wichtige semantische Relationen, beispielsweise Tempus, Modus, Aspekt beim Verb und Numerus, Genus, sowie Kasus beim Nomen. Bei der Beschreibung der Funktion flektierter Wörter sind unter anderem die semantischen Rollen Agens und Patiens wichtige Größen. In der Semantik beinhaltet Agens die Rolle des Urhebers beziehungsweise Verursachers einer Handlung (vergleiche Bußmann 2008: 14). Diese Rolle wird im Deutschen normalerweise durch das Subjekt bezeichnet, zum Beispiel: 82 2. Morphologie (1) Achilles jagt den Löwen. In Passivsätzen wird das Agens durch eine Präpositionalphrase ausgedrückt: (2) Der Löwe wird von Achilles gejagt. Unter Patiens wird die Rolle des von der Verbhandlung betroffenen Elementes verstanden. Im Deutschen wird das Patiens durch das direkte Objekt formuliert: (3) Achilles jagt den Löwen. In deutschen Passivsätzen wird die Patiens-Rolle vom Subjekt übernommen (vergleiche Bußmann 2008: 512): (4) Der Löwe wird von Achilles gejagt. Der Vorteil der Zuordnung semantischer Rollen ist, dass man eine semantische Analyse vornehmen kann, und diese dann ins Verhältnis zur Morphologie setzen kann. So kann beispielsweise die angegebene Wortgruppe einen Löwen jagen in einem authentischen Satzbeispiel nur als Objekt auftauchen: (5) Mutig wollte er einen Löwen jagen, wenn Aton nicht am Himmel stand. Ein wahrer Sohn eines großen Herrschers. (Remy 2010) Geht man davon aus-- obwohl dies nicht immer der Fall ist--, dass Subjekte die Agens-, Objekte dagegen die Patiens-Rolle ausüben, kann man tendenziell erschließen, dass im obigen Kontext der Referent beziehungsweise die Referentin des Wortes Löwe die semantische Rolle des Patiens ausübt. Durch Flexion können Wörter ihre lexikalische Form verändern. Dabei erhalten sie im Deutschen Flexionsendungen, die als grammatische Indikatoren wirken. In unserem Beispiel wird die Wortveränderung durch einen besonderen Wortbestandteil signalisiert {-n), der eine syntaktische und semantische Funktion erfüllt. So verändert das Lexem Löwe seine Form zu Löwen im Kasus Akkusativ wie auch im Kasus Genitiv. Als grammatischer Indikator gilt dabei das {-n}. Es signalisiert den Kasus Akkusativ beziehungsweise Genitiv (siehe Tabelle 2.14). Der Kasus Akkusativ, wie bereits erwähnt, steht im Deutschen oft als Markierung der semantischen Rolle Patiens. Im Genitiv übernimmt ein Wort normalerweise attributive und zugleich determinative Funktion, wie beispielsweise aus dem Lexikoneintrag in die Höhle des Löwen ersichtlich wird. 2.3.3 Unflektierbare und flektierbare Wortarten Wortkonstituenten, die als grammatische Indikatoren dienen, werden grammatische Morpheme genannt. Die traditionelle Wortartenlehre kennt zehn Wortarten: Verb, Substantiv, Adjektiv, Artikel, Pronomen, Numerale, Adverb, Präposition, Konjunktion und Interjektion. Darunter unterscheidet man diejenigen, die ihre morphologische Form nicht ändern (unflektierbare Wortarten), von anderen, die je nach syntaktischer Position unterschiedliche 83 2.3 Wortbildung und grammatische Morpheme Formen annehmen (flektierbare Wortarten). Je nach den grammatischen Merkmalen, die in der Wortveränderbarkeit (Flexion) eine Rolle spielen, wird ein Wort einer bestimmten Wortart zugeordnet. Damit ist gemeint, dass zum Beispiel nur Nomen nach Kasus und nur Verben nach Tempus flektiert werden können. Flexionen tragen in diesem Sinne auch Bedeutung. Die entsprechende Klassifizierung ist in der folgenden Tabelle zusammengestellt: Wörter Unflektierbare Wortarten Flektierbare Wortarten Adverb Präposition Konjunktion Interjektion Verb Substantiv Adjektiv Artikel Pronomen Numerale Tabelle 2.15: Unflektierbare und flektierbare Wortarten des Deutschen Wie wir schon gesehen haben (vergleiche Tabelle 2.14) können Artikel wie der und Substantive wie Löwe als verschiedene Wortformen je nach den Kategorien Numerus, Genus, Kasus realisiert werden. Das ist auch bei der Wortart Verb der Fall, das nach den Kategorien Numerus, Person, Tempus, Modus und Genus flektiert wird. Das folgende Beispiel zeigt zwei verschiedene Formen des Verbs gehen. Es wird dabei ersichtlich, dass-- vor allem bei Verben-- Flexion auch durch Veränderung des Stammes realisiert werden kann: Ich bin der Meinung, dass alles besser gehen würde, wenn man mehr ginge. (Seume [1805] 1962: 4) Wörter der unflektierbaren Wortarten, zum Beispiel ein Adverb wie immer, eine Präposition wie aus, eine Konjunktion wie und, verändern ihre Form nicht, unabhängig von der syntaktischen Position, die sie einnehmen. Experiment Analysieren Sie den Märchentext. Unterstreichen Sie dabei alle flektierbaren Wörter. Bei Zweifelsfällen besprechen Sie im Forum, warum diese nicht eindeutig einer Kategorie zugeordnet werden können: Heute will ich euch von einem merkwürdigen Land berichten. Dort war der Schnee aus Zucker und es regnete Bonbons. Ich erzähle: Das Märchen vom Schlaraffenland. Hört zu, ich will euch von einem guten Land erzählen. Dieses schöne Land heißt Schlaraffenland. Der Weg dahin ist weit. Aber er lohnt sich. Da sind die Häuser gedeckt mit Eierkuchen, die Türen und Wände wurden aus Lebkuchen gebaut und die Balken sind leckere Braten. Um jedes Haus ist ein Zaun aufgestellt aus lauter Bratwürsten, frisch vom Grill. An den Bäumen im Garten wachsen süße Brötchen, in einem Bach fließt frische Milch. Die Fische schwimmen oben auf dem Wasser, fertig gebraten oder gekocht. Du musst nur rufen: „Bst! Bst! “, dann hüpfen sie dir in die Hand. Das Märchen vom Schlaraffenland <http: / / www.fruehe-chancen.de/ fileadmin/ PDF/ maerchen_vom_schlaraffenland_(vorlesetext).pdf> (Stand: 05. 07. 2016) 84 2. Morphologie Die obenstehende Übung kann man leicht ausführen, wenn man genügend Grundkenntnisse der deutschen Schulgrammatik hat. Wenn dies der Fall ist, wird man 84 bis 91 Wörter unterstrichen haben. Das schwankende Ergebnis hängt davon ab, ob man als flektierbare Wörter im Text auch Zweifelsfälle mitgezählt hat. Diese sind in der folgenden Auflistung durch Unterstreichung markiert: Will / ich / euch / einem / merkwürdigen / Land / berichten / war / der / Schnee / Zucker/ es/ regnete / Bonbons / Ich / erzähle / Das / Märchen/ vom/ Schlaraffenland / Hört/ zu/ ich / will / euch / einem / guten / Land / erzählen / Dieses / schöne / Land / heißt / Schlaraffenland / Der / Weg / ist / weit / Er / lohnt/ sich/ sind / die / Häuser / gedeckt / Eierkuchen / gie / Türen / Wände / wurden / Lebkuchen / gebaut / die / Balken / sind / leckere / Braten / jedes / Haus / ist / ein / Zaun / aufgestellt / Bratwürsten / frisch/ vom/ Grill / den / Bäumen/ im/ Garten / wachsen / süße / Brötchen / einem / Bach / fließt / frische / Milch / Fische / schwimmen / dem / Wasser/ fertig/ gebraten / gekocht / Du / musst / rufen / hüpfen / sie / dir / die / Hand. Wir analysieren diese Fälle im Einzelnen: ▶ es: normalerweise wird das Wort es als Pronomen (flektierbares Wort) klassifiziert. In diesem Fall dagegen übt es eine rein formale syntaktische Funktion als Satzsubjekt aus, wobei keine morphologischen Veränderungen möglich sind ▶ vom (zwei Vorkommen im Text) und im als Kurzformen (von-+ dem beziehungsweise in-+ dem) beinhalten jeweils ein unflektierbares sowie ein flektierbares Wort ▶ Hört zu: da zu Bestandteil der zusammengesetzten lexikalischen Verbform ist, kann es nicht als autonomes (unflektierbares) Wort betrachtet werden ▶ lohnt sich: das Reflexivpronomen sich ist als Bestandteil der Verbform anzusehen, die aus zwei Wortelementen besteht ▶ fertig: das Wort wird normalerweise als Adjektiv (flektierbare Wortart) klassifiziert. Angesichts der Funktion, die es in diesem Kontext erfüllt, kann man es als Adverb beziehungsweise als Bestandteil von gebildeten Verbformen (fertig gebraten, fertig gekocht) betrachten. Die Übung zielt darauf ab zu zeigen, dass die grammatische Analyse-- die Einordnung der Wörter in bestimmte Wortklassen-- keine mechanische Tätigkeit sein muss. Sie ist vielmehr eine sinnvolle Aufgabe, die dazu führt, über die jeweils spezifische Form, die Wörter im Text annehmen, sowie über die von ihnen jeweils ausgeübte syntaktische und semantische Rolle zu reflektieren. Wie oben gesehen, gibt es Zweifelsfälle bei der Zuweisung bestimmter Wortformen oder lexikalischer Items zu bestimmten Wortklassen. Die Vorstellung, dass Wörter einfach so in verschiedene Klassen eingeteilt werden können, ist nicht unkontrovers. Eine Alternative zu der traditionellen Klassifizierung von sprachlichen Äußerungen nach formellen und distributiven Eigenschaften ist die Kategorisierung nach gemeinsamen konzeptuellen Eigenschaften. Roland Langacker hat eine kognitive Grammatik entwickelt, die nicht auf Klassifizierungssystemen von Formen beruht, sondern sich von Eigenschaften der 85 2.3 Wortbildung und grammatische Morpheme sprachlichen Äußerungen ableitet, die bestimmten kognitiven Verarbeitungsprozessen zugeschrieben werden können (Langacker 1987). Diese Verarbeitungsprozesse lassen sich aus der Embodiment Theorie ableiten, die Sie bereits in Lerneinheit 1.3 kennengelernt haben. Sie werden mehr zu Langackers kognitiver Grammatik in Kapitel 4 in diesem Band lesen. An dieser Stelle sei aber schon kurz erwähnt, wie Wortklassen in der kognitiven Grammatik nicht nach formellen Kriterien gebildet werden, sondern basierend auf schematischen Systemen zum Strukturieren von Wahrnehmung und Erlebnissen, (embodied experience vergleiche Lerneinheit 1.3, zum Beispiel attentional scheme) kategorisiert werden. Sprachliche Ausdrücke können in zwei Hauptklassen eingeteilt werden: nominale Prädikation Dinge (things) und relationale Prädikationen Prozesse und Zustände (processes und states). Die konzeptuelle Kategorie Dinge entsteht unter anderem aufgrund der Tatsache, dass wir Teile unsere Umwelt als Entitäten im Raum wahrnehmen, die von anderen Entitäten abgrenzbar sind. So gibt es zum Beispiel die Unterscheidung zwischen Landmark und Trajector. Das bedeutet, dass wir Dingen, bei denen es möglich ist, eine Art Rolle zuweisen, die sich dann in der Beschreibung der Wirklichkeit niederschlägt. So sagen wir zum Beispiel in keiner Sprache der Tisch ist unter dem Glas: Dieses Ordnungsprinzip wird auf Dinge angewendet. Dinge sind also Entitäten, die aufgrund des space-Schemas abgrenzbar sind. Relationale Prädikation umfasst zwei Subklassen: Temporale Relationen und atemporale Relationen. Unter die temporale Relation fallen vor allem Verben, da ihnen die Eigenschaft von Prozess zugeschrieben werden kann. Das heißt, den temporalen Relationen liegt die konzeptuelle Domäne Zeit zugrunde. Als Prozess wird klassifiziert, was als sich über einen Zeitraum erstreckend wahrgenommen wird. Unter atemporale Relationen zählt Langacker verschiedene klassische Wortklassen, wie Adjektive, Adverbien oder nicht finite Verbformen, da diese die Eigenschaft besitzen, als Zustand charakterisiert werden zu können. Um aber weiterhin die Unterschiede zwischen den neuen Ansätzen zu Wortklassen und Grammatik deutlich zu machen, werden wir uns im nächsten Abschnitt auf die wichtigsten flektierbaren Wortarten konzentrieren (Verb, Substantiv, Adjektiv, Artikelwort beziehungsweise Pronomen), um dabei auf die grammatischen Merkmale einzugehen, die diese durch Flexion erhalten. Dabei soll zugleich anhand der flektierbaren Wortarten des Deutschen ein erster Ausblick auf das mögliche Zusammenspiel von Form und Bedeutung gegeben werden. 2.3.4 Grammatische Morpheme Wie Sie in Lerneinheit 2.1 schon gesehen haben, sind Morpheme die kleinsten Spracheinheiten, die eine Bedeutung tragen oder eine grammatische Funktion erfüllen. Sie sind die elementaren Einheiten der Wortstruktur (vergleiche Heidolph, Flämig, Motsch et al. 1981: 464). Ein Wort kann aus einem einzigen Morphem bestehen: Das ist bei vielen unflektierbaren Wörtern der Fall, zum Beispiel die Wörter aus, ja, wenn, schon. Zerlegbare Wörter bestehen aus mehreren Morphemen. Dabei können lexikalische und grammatische Morpheme unterschieden werden. 86 2. Morphologie Unter lexikalischen Morphemen versteht man unzerlegbare bedeutungstragende Elemente der Sprache, die auf Referenten der außensprachlichen Welt hinweisen (Fleischer & Barz 2012: 53). Wortelemente wie {-luft-} stellen die Basis für die Bildung von abgeleiteten (Beispiel: auslüften, Belüftung) und zusammengesetzten (Beispiel: Lufthansa, luftleer) Wörtern dar. Sie stellen außerdem die Basis unterschiedlicher Wortformen dar (Beispiel: Luft, Lüfte, Lüften). Grammatische Morpheme sind diejenigen Wortteile, die die morphologische Form flektierbarer Wörter bedingen. Dabei geben sie grammatische und semantische Informationen wieder. Grammatische Morpheme werden in derivative und flexive Morpheme unterteilt. Derivative Morpheme leiten neue Wörter ab und bestimmen dabei für sie die Wortart. Zum Beispiel signalisiert das Suffix {-chen} in Lüftchen den Derivationsprozess, durch den auf der Basis des Substantivs Luft das neue Substantiv entstanden ist, in der Bedeutung ‚kleine Luft‘. Flexive Morpheme statten Wortstämme mit grammatischen Merkmalen aus. Das flexivische Morphem {-e} in Lüfte verweist grammatisch (zusammen mit der Veränderung des Wortstammes durch Umlaut) auf den Numerus (Plural), semantisch auf Luftpluralität (Heidolph et al. 1981: 465-466). Das Morpheminventar des Deutschen ist quantitativ begrenzt. Das insgesamt recht kleine Inventar dient dazu, zahlreiche Relationen zu markieren. Manche Morpheme können Indikatoren sowohl für Ableitung als auch für Flexion sein, zum Beispiel markiert {-er} in (1) Ableitung, in (2) Plural, in (3) Komparation; das Morphem {-s} ist in (4) Genitiv-, in (5) Plural-Indikator. (1) der Maler; (2) die Leiber; (3) genauer; (4) Wortes; (5) Bars Grammatische Morpheme sind also meistens polyvalent und dabei gleichzeitig semantisch unterdeterminiert. Sie können nur im Zusammenspiel mit der gesamten lexikalen Einheit und ihrem Umfeld semantisch aussagekräftig sein (Janda 2007: 639). Die semantische Wirkung der Morpheme ist aber für die gesamte Sinnkonstruktion schwer abzugrenzen und zu ermitteln. Für die kognitive Linguistik ist genau diese semantische Interaktion von Interesse. Im Folgenden werden wir unsere Aufmerksamkeit auf die Flexionsmorpheme lenken, indem insbesondere die von ihnen ausgehenden Hinweise zum Textverstehen berücksichtigt werden sollen. 2.3.5 Flexive Morpheme Flexive Morpheme verleihen Wörtern je nach Wortart unterschiedliche Flexionsformen. Im Folgenden wird das Vorkommen von flexiven Merkmalen in den unterschiedlichen Wortarten tabellarisch zusammengefasst: 87 2.3 Wortbildung und grammatische Morpheme Wortart Art der Flexion Konjugation (beim Verb) --- Deklination (bei den anderen Wortarten) Person Numerus Tempus Modus Genus Kasus Komparation Verb X X X X Substantiv X lexikalisch festgelegt X Adjektiv X X X X Artikelwort/ Pronomen X X X X Tabelle 2.16: Inhärente Kategorien der flektierbaren Wortarten Als Indikatoren von Flexion fungieren die unterschiedlichen Flexionsmorpheme. So ist beispielsweise die Verbform betrachtete (Wortstamm: betracht-) nach Person und Numerus durch das {-e-}, nach Tempus und Modus durch das {-te} (mit Fugenelement {-e-}) bezeichnet. Da die deutsche Sprache über ein recht kleines Inventar von Flexionsmorphemen verfügt, sind die meisten von ihnen multifunktional. 2.3.6 Transparenz der Morpheme Die meisten grammatischen Morpheme des Deutschen können die syntaktischen und semantischen Merkmale, für die sie stehen, nicht eindeutig anzeigen. Die genaue Festlegung sämtlicher grammatischer Merkmale einer Wortform ist nur im jeweiligen syntagmatischen Kontext möglich. So kann zum Beispiel die Wortform frische in Kontexten wie frische Fische oder die frische Luft vorkommen. Im ersten Fall trägt das Adjektiv das Numerus-Merkmal Plural, im zweiten Fall die Merkmale Singular Femininum. Wenn wir die Auflistung der flektierbaren Wörter, die sich aus unserer Übung ergab, wieder ins Auge fassen, können wir bemerken, dass viele Substantive keine grammatischen Morpheme enthalten. Beispiele: ▶ Land, Schnee, Zucker, Milch, Weg, Schlaraffenland, Eierkuchen, Lebkuchen Wäre kein Kontext vorhanden, könnte man beispielweise das folgende Dilemma (siehe Tabelle 2.17) nicht lösen: Verbformen Person Numerus Tempus Modus berichten (? ) 1., 3. (? ) Plural Präsens Indikativ - - - Infinitiv Tabelle 2.17: Multifunktionalität von Verbformen 88 2. Morphologie Es lässt sich ohne Kontext nicht bestimmen, ob die Form berichten der 1. oder der 3. Person Plural Indikativ zuzuordnen ist, oder es sich um den Infinitiv handelt, ist es also wir berichten oder sie berichten oder Wir baten sie zu berichten? Wie die {-en}-Endung der Verbform berichten, sind viele grammatische Morpheme des Deutschen multifunktional. In älteren Phasen der Geschichte der deutschen Sprache gab es eine viel reichhaltigere Varietät an grammatischen Morphemen. Man vergleiche das gegenwärtige Paradigma des Verbs helfen (Präsens, Indikativ) (rechte Spalte der Tabelle 2.18) mit demjenigen des Althochdeutschen hëlfan (ca. 9. Jahrhundert; linke Spalte) (Schmidt 2000: 211): hilfu / hilfo helfe hilfis / hilfist / hilfest hilfst hilft / hilfet hilft hëlfumês / hëlfamês / hëlfêm / hëlfên helfen hëlfat / hëlfet helft hëlfant / hëlfent helfen Tabelle 2.18: Das Verb helfen im Althochdeutschen und Neuhochdeutschen Das alte Paradigma zeigt, dass ursprünglich das grammatische Morphem {-en-} (als eine der dokumentierten Varianten) die (1.) Person und den Numerus (Plural) eindeutig zu verzeichnen vermochte. Die verschiedenen Formen in der Tabelle (links) bilden dabei unterschiedliche althochdeutsche Varianten für die jeweils entsprechende neuhochdeutsche Form (rechts) ab. Dasselbe Morphem {-en} charakterisiert heute zwei verschiedene Personenformen (1. Plural und 3. Plural) sowie die Infinitivform des Verbs (hier helfen). Aufgrund des sprachlichen Wandels hin zur Uneindeutigkeit der Verbformen hat sich bei heutigen deutschen Verbformen der Einsatz von Personalpronomen als nötig erwiesen, um unter anderem das grammatische Merkmal Person anzuzeigen. Bei Nominalgruppen sind die grammatischen Merkmale Genus, Kasus und Numerus oft durch die Form der Artikelwörter bestimmt. 2.3.7 Andersartige Indikatoren der Flexion Flexion beim Verb kann allerdings nicht nur durch grammatische Morpheme, sondern auch andersartig markiert werden, unter anderem durch besondere Paradigmenbildung (Beispiel: ist, sind, war) oder komplexe (analytische) Formen (Beispiel: sind gedeckt, wurden gebaut) (Dudenredaktion 2009: 130; vergleiche Heidolph et al. 1981: 484). Bei manchen Substantiven ist der Numerus Plural durch besondere Endungen sowie durch Umlaut bestimmt (Dudenredaktion 2009: 136): ▶ Wände, Türen, Häuser 89 2.3 Wortbildung und grammatische Morpheme Bei Artikelwörtern wie dieses (Stammwort: dies-) und einem (Stammwort: ein-) tragen die jeweiligen Morpheme {-es-} beziehungsweise {-em-} dazu bei, die Merkmale Numerus, Genus und Kasus anzuführen (Dudenredaktion 2009: 363). Diese grammatischen Merkmale werden bei Personalpronomen wie ich, euch, er, sie, dir durch besondere lexikalische Formen vermittelt. Wörter können schließlich grammatische Merkmale aus ihrem jeweiligen syntagmatischen Kontext übernehmen (Janda 2007: 637). In den folgenden Beispielen tauchen Substantive auf, die keine grammatischen Morpheme aufweisen (Land, Schnee, Eierkuchen), deren grammatische Merkmale aber kontextuell erschlossen werden können: ▶ Heute will ich euch von einem merkwürdigen Land berichten. ▶ Dort war der Schnee aus Zucker. ▶ Da sind die Häuser gedeckt mit Eierkuchen. Die Wortform Land gehört einer Nominalgruppe (einem merkwürdigen Land) an. Informationen über Genus (Maskulin oder Neutrum), Numerus (Singular) und Kasus (Dativ) werden durch das Artikelwort vermittelt. Schnee ist Bestandteil der Nominalgruppe der Schnee. Das Artikelwort vermittelt genaue grammatische Hinweise über Genus (Maskulin), Numerus (Singular) und Kasus (Nominativ). Die Wortform Eierkuchen erscheint im Text als Bestandteil der Präpositionalgruppe mit Eierkuchen und dabei ohne begleitende Artikelwörter. Genaue Aussagen über ihre grammatischen Merkmale können mit Bezug auf den von der Präposition mit regierten Kasus (Dativ) gemacht werden. Der Numerus (Plural) kann aus dem semantischen Kontext inferiert werden. Aus Platzgründen können wir hier nicht alle Phänomene der deutschen Flexion im Einzelnen systematisch beobachten. Wichtig ist uns vor allem hervorzuheben, dass morphologische Phänomene dienliche Kategorien für die Erschaffung von Strategien der Sinnkonstitution und des Textverstehens sind. Zum einen helfen sie, syntagmatische Relationen unter Wortgruppen festzulegen, die kompatible Merkmale tragen. Zum anderen dienen sie als Festlegung der syntagmatischen Einheiten, die im jeweiligen Satz beziehungsweise Textteil ein und dieselbe syntaktische Funktion ausüben (Langacker 2007: 436). Auch in semantischer Hinsicht müssen syntaktische Einheiten als sprachliche Blöcke betrachtet werden, die zusammen verstanden werden. Nehmen wir das obige Beispiel wieder auf: ▶ Heute will ich euch von einem merkwürdigen Land berichten. Die bereits beobachtete Nominalgruppe einem merkwürdigen Land ist Bestandteil einer durch von eingeleiteten Präpositionalgruppe (erkennbar durch die grammatische Tatsache, dass die Präposition von den Dativ regiert). Präpositionalgruppen können als Ergänzung für ein Verb oder ein Substantiv dienen. Hier fungiert die Präpositionalgruppe von einem merkwürdigen Land als Ergänzung der Verbform will- … berichten. Diese Verbform trägt unter anderem die Merkmale Person (1.) und Numerus (Singular). Dieselben Merkmale hat das Pronomen ich. So kann man erschließen, dass die Wortgruppen ich-+ will-… berichten eine syntaktische Einheit als Subjekt-Verb bilden. Die semantische Information, die daraus erschlossen werden kann, ist die, dass ich die Agens-Rolle in einer Handlung einnimmt, auf 90 2. Morphologie die das Verb berichten verweist. Die vorhandene Verbform trägt unter anderem das Merkmal Modalität (Dudenredaktion 2009: 1114). In diesem Fall vermittelt die Modalverbform will eine weitere Information, die in affirmativem Sinn auf die Intentionalität der Handlung verweist. Morphologie, also die Wortgrammatik, ist ein großes Kapitel der Grammatik, das wir hier nur ansatzweise behandeln konnten. Dabei haben wir beobachtet, wie Wörter erscheinen, beschaffen und strukturiert sind, sowohl die einfachen als die komplexen Wörter. Gemäß dem Konzept dieses Moduls haben wir versucht, aus der innovativen Perspektive der kognitiven Linguistik morphologische Phänomene nicht als Gegenstand einer sterilen Formenlehre zu sehen. Wir haben vielmehr morphologische Phänomene als dienliche Kategorien für die Erschaffung von Strategien der Sinnkonstitution und des Textverstehens betrachtet. Aus Platzgründen konnten wir dabei nur kleine Fenster öffnen, durch die nur wenige ausgewählte Aspekte der kognitions-linguistischen Perspektiven Zugang fanden. Wir hoffen dennoch, durch diesen kurzen Überblick eine neue Einstellung zur manchmal als langweilig empfundenen Morphologie vermittelt zu haben. 2.3.8 Zusammenfassung ▶ Die beiden klassischen linguistischen Ausrichtungen Semantik und Lexikographie betrachten das Wort vor allem als eine eingrenzbare bedeutungstragende Spracheinheit, das heißt als lexikalische Einheit oder Lexem. ▶ Ein Lexem ist eine abstrakte, gemeinsame Grundbedeutung eines Wortparadigmas und somit unter anderem auch ein Lexikonwort, das heißt, es entspricht normalerweise der Zitierform in einem Lexikon. ▶ Dabei besteht eine gewisse Analogie zwischen den ersten Definitionen, die Wörterbucheinträge angeben, und den sogenannten Prototypen: Prototypen sind zentrale Repräsentanten einer Kategorie, das heißt konzeptuelle Konfigurationen von idealtypischen Merkmalen, die als repräsentativ für bestimmte Klassen von Entitäten im Gedächtnis gespeichert sind (Rosch 1973a). ▶ Aber nicht nur Lexeme, beziehungsweise lexikalische Morpheme (Wortstämme) tragen Bedeutungsmerkmale in sich. Dies gilt vielmehr auch für grammatische Morpheme. So unterscheiden beispielsweise Flexionsmorpheme das Vorkommen eines Plural von dem eines Singulars oder eines Dativs von einem Nominativ und legen damit unterschiedliche Relationen fest. ▶ Die traditionelle Vorstellung der Grammatikschreibung, die Gestaltveränderung eines Wortes durch grammatische Morpheme diene (allein) dazu, eine grammatische Funktion im Satz zu erfüllen, wird durch den Ansatz der kognitiven Linguistik auf die Bedeutung ausgeweitet, die neben den lexikalischen auch die grammatischen Morpheme in sich tragen. ▶ Unter demselben Bedeutungsaspekt werden auch Wortbildungselemente betrachtet: sie dienen ebenfalls als semantische Merkmale und bezeichnen nicht nur die Wortart, vielmehr eine Klasse und Kategorie. Dies gilt nicht nur für freie, sondern auch für gebundene Wortbildungsteile (so trägt zum Beispiel {-er} als Wortbildungselement die Bedeutung des Nomen Agentis in sich). 91 2.3 Wortbildung und grammatische Morpheme 2.3.9 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was ist ein Lexem und welcher Zusammenhang besteht zwischen den ersten Wörterbuchdefinitionen und den sogenannten Prototypen? 2. Was bedeutet Flexion und wie kann sie beim Erschließen bestimmter Textstellen helfen? 3. Welche Wortarten werden in der traditionellen Wortartenlehre unterschieden? Welche davon sind flektierbar, welche unflektierbar? 4. Was sind grammatische Morpheme und was wissen Sie über ihre Semantik? 5. Abgesehen von grammatischen Morphemen, welche anderen Indikatoren der Flexion kennen Sie? 93 2.3 Wortbildung und grammatische Morpheme 3. Sprachliche Bildhaftigkeit Es ist erstaunlich, welche wichtige Rolle Bilder in unseren Köpfen spielen. Nicht nur in den modernen Medien (visual turn), sondern auch in der Sprache. Die Bildlichkeit der Sprache ist uns aber nicht immer unmittelbar bewusst, weil sie so alltäglich und enorm verbreitet ist. In diesem Kapitel beschäftigen wir uns daher vordringlich mit dieser Bildlichkeit der Sprache, mit ihrer besonderen Rolle in der Kognition und damit einhergehend auch im Wissenserwerb. Nehmen wir zur Illustration den Ausdruck ein Problem lösen. Das ist eine Metapher, genau wie jemandem das Herz brechen. Wieso wir in diesen Beispielen verstehen, dass ein Problem verschwindet, dass niemand ein chemisches Experiment gemacht hat und dass auch niemand zum Herzchirurgen muss, werden Sie in diesem Kapitel lernen. Zunächst wird anschaulich anhand vieler Beispiele beschrieben, wie Metaphern und Metonymien funktionieren und wie die traditionelle Linguistik diese Phänomene beschreibt und erklärt. Daran anschließend werden kognitive Mechanismen behandelt, die der bildhaften Verwendung der Sprache zugrunde liegen und ihre allgegenwärtige Präsenz motivieren. Im Mittelpunkt steht dabei die konzeptuelle Metapher (Lakoff & Johnson 1980) und ihre Realisierungen in der Sprache. Außerdem wird auch auf die Metonymie eingegangen, die der Metapher recht ähnlich ist. Die Theorie der konzeptuellen Metapher wird mit der traditionellen (literarischen) Sichtweise auf Metaphern verglichen, die Eigenschaften der konzeptuellen Metapher werden beschrieben und erklärt. Außerdem wird die Abbildungsfunktion der konzeptuellen Metapher in Bezug auf die Kultur thematisiert. Anschließend wird auf die Rolle der Bildhaftigkeit in unserem Denken näher eingegangen. Es werden Mechanismen beschrieben, wie wir mit Bildern abstrakte Konzepte für uns greifbar machen und die Welt um uns herum anhand unserer körperlichen Erfahrungen erfassen, strukturieren und kategorisieren. Zuletzt wird dargestellt, welche Rolle der Bildhaftigkeit im Prozess der Wissenskonstruktion zukommt und in welcher Form neues Wissen beim Lerner repräsentiert und abgespeichert wird. Dieses Kapitel ergänzt die Ausführungen in Band 1 »Sprachenlernen und Kognition«. 94 3. Sprachliche Bildhaftigkeit 3.1 Sprachliche Bildhaftigkeit und konzeptuelle Metapher Natalia Furaschowa, unter Mitarbeit von Moiken Jessen & Katsiaryna EL -Bouz (übersetzt von Simone Lackerbauer) Menschen sagen nicht immer direkt das, was sie meinen, das heißt sie verwenden Wörter nicht immer in ihrer direkten, eigentlichen Bedeutung. Wir können zum Beispiel über eine Person sagen Er ist ja listig oder schlau, sagen aber stattdessen Er ist ein Fuchs. Wir könnten über eine Frau sagen Sie hat rote Haare, sagen aber oft Sie ist ein Fuchs. Dies bedeutet, dass wir bestimmte mentale Bilder haben (beispielsweise das mentale Bild des Fuchses) und diese Bilder verwenden, um über verschiedene Sachen zu sprechen. Dies hat einen besonderen Effekt, der aus der sprachlichen Bildhaftigkeit entsteht. Sprachliche Bildhaftigkeit wird hauptsächlich durch Metaphern und Metonymien erreicht. Früher wurden beide primär als rhetorische Tropen betrachtet und waren deshalb eher für die Rhetorik und Literatur als für die linguistische Forschung von Bedeutung. Außerdem wurden sie als rein sprachliche Phänomene betrachtet. Diese Lerneinheit beschäftigt sich näher mit Metaphern und erweitert das traditionelle Verständnis durch Forschungsergebnisse aus der kognitiven Linguistik, denen zu Folge Metaphern Ausdruck unserer gedanklichen Fähigkeiten sind und somit die kognitive Grundlage der Sprache bilden. Sie haben einen regulären systemhaften Charakter und stellen einen kognitiven Konzeptualisierungsmechanismus, ein Denkmuster, dar. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die wichtigsten Arten der figurativen Sprache erklären können; ▶ verschiedene Aspekte der Bedeutungsübertragung erkennen können; ▶ den Unterschied zwischen Metapher und Metonymie aus traditionell linguistischer Perspektive nachvollziehen können; ▶ einen ersten Eindruck von der Metapher als kognitivem, Sprache strukturierendem Konzeptualisierungsmechanismus gewinnen können. 3.1.1 Grundlagen: Arten der bildhaften Sprache Die Verwendung von Wörtern in einer ihnen uneigentlichen Bedeutung gehörte in der Antike zur Kunst der Rede. So hat man besonders im alten Griechenland die Rede verschönert, ihr eine Bildkraft verliehen, um einen besonderen Effekt zu erreichen, das Publikum zu beeindrucken und den Aussagen größere Wirkung zu verleihen. Denn kunstvoll zu reden bedeutete damals wirkungsvoll reden. So konnte man die wahlberechtigten freien Männer in der Volksversammlung für bestimmte politische Entscheidungen und Gerichtsurteile gewinnen, sie dafür abstimmen lassen. Der geschulte Redner hatte damals Einfluss, Macht und Reichtum. Ein anderer Bereich, in dem sich bildhafte Ausdrucksweisen auch heute noch finden, ist Dichtung und Literatur. Hier sind sie Ausdruck des Strebens der Dichter „nach Innovation, Originalität und nach Einzigartigkeit im sprachlichen Ausdruck“ (Schwarz & Chur 2007: 108). 95 3.1 Sprachliche Bildhaftigkeit und konzeptuelle Metapher Aus diesen Gründen war die figurative, bildhafte Verwendung der Wörter in einer ihnen nicht eigentlichen Bedeutung in erster Linie zunächst für die Rhetorik und Literatur interessant. Die Bewertung von Metaphern in der Linguistik wiederum beschreiben Schwarz und Chur folgendermaßen: In frühen Semantiktheorien wurden Metaphern als semantische Abweichungen (sogenannte Anomalien) erklärt. Metaphern kommen demnach dadurch zustande, dass Wörter, die aufgrund ihrer semantischen Merkmale nicht kompatibel sind, unter Verletzung der Selektionsregeln miteinander zu Phrasen oder Sätzen kombiniert werden. So ist Abgrund ein Konkretum und Verzweiflung ein Abstraktum. Von den sprachlichen Selektionsregeln her betrachtet, ist die unmittelbare Verbindung von abstrakten und konkreten Referenzbereichen (Sie stürzte in einen Abgrund der Verzweiflung) aber nicht möglich. (Schwarz & Chur 2007: 1087) Der Fokus des Forschungsinteresses verlagerte sich also zunächst von der Rede auf das sprachliche System. Man hat erkannt, dass die Anwendung von Namen beziehungsweise Wörtern auf scheinbar ungleiche Sachverhalte sehr häufig ist und eine reguläre Systematik aufweist. Diese Art der Anwendung durchdringt unsere Sprachen und wurde daher für die linguistische Forschung interessant. Man begann, die Regelmäßigkeiten der „uneigentlichen“ Benutzung von Wörtern für zwei Bereiche zu erforschen: die Metapher und die Metonymie. Metaphern als Übertragung der Benennungen Unter dem Begriff Metapher verstand man traditionell die aufgrund einer (meist äußeren) Ähnlichkeit vorgenommene Übertragung des Namens, das heißt des Wortes, von einem Denotat auf ein anderes. Das Denotat ist ein vom Sprecher oder der Sprecherin bezeichneter Gegenstand oder Sachverhalt in der außersprachlichen Wirklichkeit. Das können die folgenden Beispiele veranschaulichen: (1) Ähnlichkeit der Farbe Fuchs Abbildung 3.1: Ähnlichkeit der Farbe (Pixabay 2017) (2) Ähnlichkeit der Form Schüssel Abbildung 3.2: Ähnlichkeit der Form (Pixabay 2017) (3) Ähnlichkeit der Form Beine Abbildung 3.3: Ähnlichkeit der Funktion (4) Innere Ähnlichkeit Fuchs schlauer Mensch Abbildung 3.4: Innere Ähnlichkeit (Pixabay 2017) ⇨ ⇨ ⇨ ⇨ 96 3. Sprachliche Bildhaftigkeit (1) Ähnlichkeit der Farbe Fuchs Abbildung 3.1: Ähnlichkeit der Farbe (Pixabay 2017) (2) Ähnlichkeit der Form Schüssel Abbildung 3.2: Ähnlichkeit der Form (Pixabay 2017) (3) Ähnlichkeit der Form Beine Abbildung 3.3: Ähnlichkeit der Funktion (4) Innere Ähnlichkeit Fuchs schlauer Mensch Abbildung 3.4: Innere Ähnlichkeit (Pixabay 2017) ⇨ ⇨ ⇨ ⇨ Solche Übertragungen führen dazu, dass Wörter neue Bedeutungen bekommen und mehrdeutig beziehungsweise vieldeutig werden. Deshalb wurde die Metapher hauptsächlich im Zusammenhang mit der Polysemie erforscht. Dabei ist man davon ausgegangen, dass Ähnlichkeiten in der Natur der Dinge gegeben sind und die jeweilige Sprache bestimmte Aspekte fixiert. Diese Annahme wurde durch die Gemeinsamkeiten bei der metaphorischen Übertragung der Namen in verschiedenen Sprachen gestützt. So sind übertragene Bedeutungen der Wörter (2), (3) und (4) der Abbildungen oben für Deutsch, Englisch und Russisch typisch (für einige andere Sprachen wahrscheinlich auch). Es finden sich aber auch Unterschiede zwischen den Sprachen bei solchen Übertragungen der Namen. Als Beispiel hierfür kann man die metaphorischen Übertragungen des Wortes Birne im Deutschen von der Frucht auf die Glühbirne und (salopp) auf den menschlichen Körperteil Kopf anführen. Für das Englische und das Russische gilt dies aber zum Beispiel nicht. Auch diese Übertragungen wurden in der traditionellen Theorie der Metapher thematisiert. 97 3.1 Sprachliche Bildhaftigkeit und konzeptuelle Metapher (1) Birne (Pixabay 2018) (2) Glühbirne (Wikipedia 2018) (3) Kopf (salopp) Abbildung 3.5: Ähnlichkeit zwischen der Frucht Birne und anderen Objekten, die zur Polysemie des Substantivs Birne im Deutschen führen ⇨ ⇨ Da es zwischen den Sprachen Unterschiede darin gibt, welche Bezeichnungen auf welche Denotate übertragen werden, haben Linguisten und Linguistinnen sich die Frage gestellt, ob Sprecher und Sprecherinnen unterschiedlicher Sprachen tatsächlich auch verschiedene Ähnlichkeiten zwischen den Gegenständen sehen. Das kann man am Beispiel des menschlichen Körperteils Kopf im Deutschen und im Russischen veranschaulichen. Im Folgenden wird gezeigt, mit welchen Gegenständen er in beiden Sprachen verglichen und mit welchen entsprechenden Wörtern er folglich benannt wird. Kopf Deutsch Russisch ▶ Kürbis ▶ Rübe ▶ Erbse ▶ Ballon ▶ Melone ▶ Kanne ▶ Vogelhaus ▶ Schüssel Tabelle 3.1: Metaphorische Ausdrücke für das Wort Kopf in der deutschen und russischen Sprache Wie die Tabelle zeigt, assoziieren Sprecher und Sprecherinnen den Körperteil Kopf mit einer ganzen Reihe von Objekten. Beiden Sprachen ist gemeinsam, dass in erster Linie die runde Form vom Kopf und von anderen Gegenständen diesen Assoziationen zugrunde liegt. Interessant ist aber die Wahl der runden Gegenstände aus deren Vielfalt in der Welt. Und darin unterscheiden sich eben die Sprachen. Natürlich kam auch in der traditionellen Theorie der Metapher die Frage auf, woher solche Unterschiede zwischen den Sprachen kommen und wie sie zu erklären sind. Eine der Antworten auf diese Frage war: verschiedene Weltansichten, die in den jeweiligen Sprachen Ausdruck finden (von Humboldt 1910). Der Einfluss von Sprache auf das Denken und ähn- 98 3. Sprachliche Bildhaftigkeit liche Ideen werden ausführlich in Kapitel 6 in diesem Band behandelt (siehe auch den Band »Kultur- und Literaturwissenschaften«). Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Sprachen zeigen sich deutlich auch beim metaphorischen Gebrauch von Tierbezeichnungen. So wird im Deutschen wie im Russischen ein listiger Mensch Fuchs genannt, ein eitler Mensch Pfau, jemand, der als verachtenswert betrachtet wird oder unordentlich ist, Schwein. Aber die Metapher Pute im Sinne ‚eine dumme, eingebildete (weibliche) Person‘ ist im Russischen nicht bekannt. Und umgekehrt: das Substantiv Hahn bezeichnet im Russischen eine freche streitsüchtige männliche Person. Im Deutschen hat diese Übertragung nicht stattgefunden. Ein anderer wichtiger Aspekt diesbezüglich ist, dass von den Sprechern und Sprecherinnen verschiedener Sprachgemeinschaften Tieren unterschiedliche Eigenschaften zugewiesen werden, die dann zu anderen Bedeutungsübertragungen führen. Im Russischen und im Deutschen lässt sich die Bezeichnung Kuh auf Frauen übertragen. Aber im Deutschen nennt man so eine Frau, über die man sich ärgert, im Russischen bezeichnet man damit eine dicke, plumpe Frau. Die Sprachen fixieren also, wie das mentale Auge, „das Auge des Volkes“ (Grimm & Grimm 1854-1961) die Welt sieht, das heißt eine bestimmte Interpretation der Sachverhalte der Realität (vergleiche Kapitel 2 im Band »Sprachenlernen und Kognition«). Warum aber nutzen Sprecher und Sprecherinnen verschiedener Sprachen die Möglichkeit der metaphorischen Übertragung der Benennungen? In der traditionellen Linguistik hat man in erster Linie die Sprachökonomie als einen Grund angenommen (Baron 2014). Gegenstände oder Sachverhalte entstehen permanent neu. Denken Sie an all die Innovationen, die das Internet mit sich gebracht hat. Diese neuen Gegebenheiten erfordern Begriffe, mit denen man über sie sprechen kann. Würde man immer eine neue Benennung schaffen, würde der Wortschatz einer Sprache sehr umfangreich. Stattdessen dient ein Wort als Benennung für zwei bis über zwanzig andere Sachverhalte, zum Beispiel hat das Wort Käse zwei Bedeutungen, während schneiden 22 hat (Dudenredaktion 2017f, 2017g). Wie die Benennung eines neu entstandenen Phänomens funktioniert, illustrieren wir an einem relativ „frischen“ Beispiel. Als das kommunikative Bedürfnis nach einer Benennung für das Zeichen ✓ (swoosh) in Abbildung 3.6 entstand, haben die Sprecher und Sprecherinnen in verschiedenen Sprachgemeinschaften verschiedene existierende Wörter (Bildspender, Quellendomänen) benutzt, um es metaphorisch zu benennen. 99 3.1 Sprachliche Bildhaftigkeit und konzeptuelle Metapher Abbildung 3.6: Häkchen (Wikipedia 2017) Deutsch Russisch Dänisch Abbildung 3.7: Haken (Waagenshop 2017) Abbildung 3.8: Vogel (Fb 2017) Abbildung 3.9: Fliege (Dreamstime 2017) Gegen eine Annahme der Sprachökonomie als Grund für metaphorische Bedeutungsübertragungsprozesse spricht die Tatsache, dass man auch das entgegengesetzte Phänomen beobachten kann. Eine Sache hat viele Bezeichnungen. Denken Sie an die Benennungen für den menschlichen Körperteil Kopf (Tabelle 3.1). In solchen Fällen dient der Gebrauch von Metaphern dem Ziel, Emotionen und Einstellungen des Sprechers oder der Sprecherin zum Sachverhalt auszudrücken. Deshalb haben sie meist bestimmte Konnotationen und Stilfärbungen wie derb, grob, salopp, abwertend, ironisch, gehoben und stehen im Dienste der bildhaften Darstellung der Welt. Metonymie als Übertragung der Benennungen Die zweite Art, Sprache eine Bildkraft zu verleihen, ist die Metonymie- - die Übertragung des Namens von einem Denotat auf ein anderes aufgrund einer räumlichen oder zeitlichen Kontiguität. Um den Unterschied zwischen Metapher und Metonymie zu verdeutlichen, ist zu betonen, dass es bei der Metapher um die Übertragung der Benennungen aus einem in einen absolut anderen Bereich geht (cross domain mapping), zum Beispiel: ▶ Tierwelt → Gegenstände: ▷ Pferd 1. Turngerät, 2. Schachfigur mit Pferdekopf, Springer; ▷ Hund (Bergmannsprache) kleiner kastenförmiger Förderwagen; ▷ Katzenauge Kontrolllämpchen 100 3. Sprachliche Bildhaftigkeit ▶ menschliche Körperteile → Gegenstände: ▷ Arm des Hebels, ▷ Bein des Stuhls oder Tisches; ▷ Kopf des Briefes oder des Nagels etc. Bei der Metonymie jedoch geht es um einen und denselben Bereich, in dem sich zwei Denotate befinden. Die Denotate berühren sich, grenzen aneinander an oder sie stehen zueinander in einem zeitlichen Kontakt beziehungsweise Zusammenhang. Dabei wird ein Name für zwei unterschiedliche Denotate verwendet. Eine Unterart der Metonymie ist die Verwendung der Benennung eines Teils für die Benennung des Ganzen (pars pro toto). Die Autorin dieses Kapitels hat in der Zeit nach dem Zerfall der Sowjetunion für viele Konsumgüter lange anstehen müssen. Es gab jedoch keine typischen Menschenschlangen vor Geschäften, so wie sie heute an Supermarktkassen manchmal zu erleben sind, sondern ein Menschenmeer. Da man schon viele Stunden vor der Öffnungszeit da war, um bei Einlass unter den Ersten zu sein (die Ware war sehr knapp und reichte nicht für alle), musste man die Schlange ab und zu verlassen, um auf die Toilette zu gehen oder sich im Winter ein bisschen zu wärmen. Um sich danach in diesem Menschenmeer zurechtzufinden, merkte man sich die Person vor und hinter sich selbst immer anhand eines auffälligen Merkmals: Ich stehe hinter dem roten Mantel, hinter der blauen Mütze statt Ich stehe hinter der Dame im roten Mantel, mit der blauen Mütze etc. Hier werden das Wesen der Metonymie und ihre pragmatische Funktion deutlich-- sie erleichtern die Identifikation der Objekte. Andere Beispiele für Metonymie: Wir brauchen ein paar Muskeln für unser Team (statt: Wir brauchen ein paar körperlich starke Männer) oder Ich brauche für das Projekt kluge Köpfe, statt Ich brauche für das Projekt kluge Menschen. Metonymie macht es möglich, einen besonders wichtigen Aspekt, eine aktuelle Eigenschaft am Denotat hervorzuheben. Solche Übertragungen wurden von Linguisten und Linguistinnen systematisiert und klassifiziert (siehe zum Beispiel Schippan 2002: 164). An dieser Stelle sind zur Veranschaulichung nur einige Arten der metonymischen Übertragungen aufgeführt: ▶ Stoff → Produkt aus diesem Stoff (Seide: Sie trägt gern Seide statt Sie trägt gern Kleider aus Seide) ▶ Gefäß → sein Inhalt (Flasche-- Bier: Er hat die ganze Flasche getrunken statt Er hat das ganze Bier aus der Flasche getrunken) ▶ Autor → sein Werk (Er liest gern Kafka statt Er liest gern Romane von Kafka) ▶ Ort → Menschen an diesem Ort (Die ganze Stadt spricht nur über den Terroranschlag statt Die Menschen in der ganzen Stadt sprechen nur über den Terroranschlag) etc. Metonymie ist genauso wie die Metapher eine systematische und reguläre Übertragung der Benennungen. Häufig ist diese Übertragung in der Sprache fixiert und führt zur Polysemie der Wörter. Das lässt sich auch am Beispiel Birne illustrieren: Birne- - 1. Frucht des Birnbaumes (Die Birnen sind noch nicht reif), 2. Obstbaum (Die Birnen blühen schon), 3. [als Material verwendetes] Holz des Birnbaums (ein Schrank aus afrikanischer Birne). Alle drei Denotate-- Frucht, Baum und Holz des Baumes-- gehören zu einem Bereich, berühren sich 101 3.1 Sprachliche Bildhaftigkeit und konzeptuelle Metapher wie die Frucht und der Baum, stehen zueinander in Beziehung Teil-- Ganzes oder in einem zeitlichen Zusammenhang-- das Holz bekommt man aus dem Baum, nachdem er gefällt und entsprechend bearbeitet wurde. Abbildung 3.10 veranschaulicht, wie sich metonymische Bedeutungen des Substantivs Küche ergeben, und dient als Beweis dafür, dass auch die Metonymie regulär und produktiv ist. Abbildung 3.10: Metonymische Bedeutungen des Substantivs Küche (Pixabay 2018) Dieses Bild veranschaulicht das Wesen der Metonymie: Vier Sachverhalte (Raum, Einrichtung, Menschen / Beruf und die Tätigkeit in diesem Raum) werden mit einem Wort benannt. Die Grundlage dafür ist der räumliche Kontakt, Berührung. Die Elemente befinden sich in ein und demselben Bereich und stehen somit in der Beziehung der Kontiguität zueinander. Dieses Beispiel legt auch nahe, dass die Metonymie ebenso wie die Metapher dem Ziel der Sprachökonomie dient. Aber lange Zeit galt das linguistische Forschungsinteresse in erster Linie der Metapher, so dass die Metonymie, bildhaft ausgedrückt, ein Aschenputteldasein führen musste. Konventionalisierung von Metaphern und Metonymien Metaphern und Metonymien haben einen systemhaften und regulären Charakter. Sie durchdringen unsere Sprachen in allen Bereichen. Auch in den Wissenschafts- und Fachsprachen sind sie zu finden. Zum Beispiel: ▶ Sport (Schwalbe: Vogel → geschicktes Sich-fallen-Lassen im Kampf um den Ball in der Absicht, einen Frei- oder Strafstoß zugesprochen zu bekommen) ▶ Politik (Falke: Vogel → Vertreter eines harten politischen Kurses [gegenüber dem Gegner, besonders in der Außenpolitik]) 102 3. Sprachliche Bildhaftigkeit ▶ Linguistik (Spender: Organ-, Blutspender → Bildspender). Die Ursprünge vieler solcher übertragenen bildhaften Bedeutungen sind schon verblasst und für den Sprecher oder die Sprecherin nicht mehr transparent. Die Begriffe sind konventionalisiert und lexikalisiert, ihre Bedeutung ist im mentalen Lexikon als Einheit gespeichert. So wissen wohl nur wenige von uns, dass das Verb begreifen im Sinne von verstehen eine Metapher ist. Ursprünglich bedeutete es ‚leibliches begreifen, berühren, betasten, befühlen‘. Ebenso wenig denken wir daran, wieso die unten in Abbildung 3.11-3.16 dargestellten Teile bestimmter Gegenstände alle eine und dieselbe Benennung haben und warum sie sie haben. Denotate des Substantivs Griff im Deutschen: Abbildung 3.11: Griff a Abbildung 3.12: Griff b Abbildung 3.13: Griff c Abbildung 3.14: Griff d Abbildung 3.15: Griff e Abbildung 3.16: Griff f Denotate des Substantivs Griff im Deutschen: Abbildung 3.11: Griff a Abbildung 3.12: Griff b Abbildung 3.13: Griff c Abbildung 3.14: Griff d Abbildung 3.15: Griff e Abbildung 3.16: Griff f 103 3.1 Sprachliche Bildhaftigkeit und konzeptuelle Metapher Der Grund dafür ist, dass wir mit der Hand danach greifen, so dass die Hand diese Gegenstände berührt, wie das auf Abbildung 3.17 dargestellt ist. Dass dies eine Bedeutungsübertragung ist, ist den Sprechern oder den Sprecherinnen häufig nicht mehr bewusst. Abbildung 3.17: Die Grundlage für die metonymische Benennung der Gegenstände in Abbildung 3.11-3.16 Auch hier existieren Unterschiede zwischen den Sprachen. Im Russischen geht die Bezeichnung für Griff auf das Wort рука ‚Hand‘ zurück, spezifisch auf ein Diminutivum davon- - ручка ‚Händchen‘. Der Mechanismus für die Benennung ist derselbe-- Gleichzeitigkeit beziehungsweise Parallelität im Raum und in der Zeit: Berührung des Gegenstands mit der Hand. Während die einen Lexeme ihre Bildkraft verlieren, weil sie im Laufe der Zeit konventionalisiert werden, werden ständig neue bildhafte Äußerungen gebildet- - nicht nur von Dichtern, sondern auch in der alltäglichen und der politischen Kommunikation sowie in anderen Bereichen. Die Bildkraft dieser Äußerungen ist deutlich und wird von uns ohne Probleme verstanden. Sehen Sie sich zum Beispiel folgende Schlagzeilen aus der Presse an: ▶ Angela Merkel- - die allround-Spielerin / Schachgroßmeisterin / Hochleistungssportlerin (Welt 2013) ▶ Angela Merkel-- die Architektin der Europäischen Union (Spiegel 2014) Wie ist es möglich, dass wir solche bildhaften Ausdrücke sowohl produzieren als auch verstehen können? Die Antwort auf diese Frage wird in Lerneinheit 3.2 dargestellt. 3.1.2 Metapher als Konzeptualisierungsmechanismus Die traditionelle Sichtweise auf Metaphern, wie wir sie oben erläutert haben, wird in der kognitiven Linguistik erweitert. Metaphern stellen nicht mehr nur eine stilistische Finesse, sondern einen kognitiven Prozess dar. Es ist sogar die Rede davon, dass die kognitive Wende in der Linguistik mit der Erforschung der Metapher und ihrer Rolle in der menschlichen Kognition begann. In der kognitiven Linguistik werden sprachliche Metaphern inzwischen nicht mehr isoliert auf der sprachlichen Ebene, sondern als Ausdruck der kognitiven Tätigkeit 104 3. Sprachliche Bildhaftigkeit betrachtet. Sprache im Allgemeinen wird nicht mehr als selbständiges, autonomes, isoliertes Modul unabhängig von anderen kognitiven Fähigkeiten betrachtet, sondern als Ausdruck der menschlichen Kognition. Es wird angenommen, dass es ein enges Zusammenwirken zwischen „language-- mind-- culture“ (Gibbs 2008: 5) gibt (vergleiche Lerneinheiten 1.1 und 5.1, vergleiche auch the cognitive commitment im Band »Sprachenlernen und Kognition«, Kapitel 1). Die kognitive Linguistik stellt sich diese Fragen: Wie kann man über Sprache auf die menschliche Kognition im Allgemeinen schließen? Was verrät sie über die Kognition? Der Erforschung der Metapher wird in der kognitiven Linguistik gerade deshalb so viel Bedeutung beigemessen, weil sie diesen Zusammenhang gut veranschaulicht. Das bedingt die Verschiebung des Forschungsinteresses von der Frage, wie wir übertragene Äußerungen verstehen, zu der Frage, wie sie überhaupt entstehen beziehungsweise zustande kommen. Die konzeptuelle Metapher nach Lakoff und Johnson In der kognitiven Linguistik entstand somit ein neues Verständnis der Metapher, das jedoch bereits vorher, etwa bei Weinrich (1963), expliziert wurde. Lakoff und Johnson entwickelten dann in den 1980er Jahren eine kognitive Metapherntheorie, in welcher Metaphern als integralem Bestandteil der Alltagssprache eine grundlegende Bedeutung für menschliche Denkprozesse zugeschrieben wird (Lakoff & Johnson 2011: 14). Ihrer Annahme nach werden Wahrnehmung, Denken und damit auch Handeln durch konzeptuelle Metaphern beeinflusst und determiniert. Ausgehend von diesem Metaphernverständnis wird die alltägliche Wahrnehmung des Menschen sowie das Handeln durch ein konzeptuelles metaphorisches System strukturiert: Unser alltägliches Konzeptsystem, nach dem wir sowohl denken als auch handeln, ist im Kern und grundsätzlich metaphorisch.- […] Unsere Konzepte strukturieren das, was wir wahrnehmen, wie wir uns in der Welt bewegen und wie wir uns auf andere Menschen beziehen. Folglich spielt unser Konzeptsystem bei der Definition unserer Alltagsrealitäten eine zentrale Rolle. Wenn, wie wir annehmen, unser Konzeptsystem zum größten Teil metaphorisch angelegt ist, dann ist unsere Art zu denken, unser Erleben und unser Alltagshandeln weitgehend eine Sache der Metapher. (Lakoff & Johnson 2011: 11) In der kognitiven Linguistik geht es also nicht mehr um einzelne Übertragungen der Benennungen von einem Denotat auf ein anderes aufgrund einer Ähnlichkeit, sondern um das Denken an etwas Abstraktes oder die Vorstellung von etwas Abstraktem, Nichtlebendigem als etwas Konkretes, Lebendiges. Deshalb stehen grundlegende Denkweisen und Mechanismen der Konzeptualisierung von bestimmten Wahrnehmungen oder Inhalten im Mittelpunkt. Bei diesen Prozessen spielen unsere Erfahrungen mit dem eigenen Körper und der unmittelbaren Umgebung die wichtigste Rolle. Sie liefern uns Quellendomänen (source domains), sie spenden uns konzeptuelle Bilder, die wir dann auf abstrakte Bereiche, Zieldomänen (target domains), projizieren, dank derer wir uns diese vorstellen können. Mentale und psychische Vorgänge werden wie konkrete Objekte oder Sachverhalte dargestellt, zum Bei- 105 3.1 Sprachliche Bildhaftigkeit und konzeptuelle Metapher spiel: tiefe, reine, große, helle Freude; jemandem die Freude verderben, versalzen. Die Beispiele zeigen, dass die Emotion Freude mal als Gegenstand erfasst wird (groß), mal als Stoff (rein), mal als ein Gericht (versalzen) etc. Die Metapher ist ein Mittel, sich etwas nicht Wahrnehmbares vorzustellen, anschaulich zu machen und darüber zu sprechen. Die Bilder und Vorstellungen von konkreten Objekten oder Tätigkeiten, die unser Gehirn gespeichert hat, sind dabei eine Grundlage für die Konzeptualisierung von Abstraktem oder Neuem. So wurde zum Beispiel das körperliche Erlebnis sich [ins eigene Fleisch] schneiden (‚sich eine Schnittwunde beibringen; sich mit, an etwas Scharfem verletzen‘) für die Konzeptualisierung eines mentalen Zustandes benutzt und bekam die Bedeutung ‚sich täuschen, verrechnen‘ (www. duden.de) und später noch abstrakter ‚sich irren, sich täuschen‘ (vergleiche Lerneinheit 1.3 in diesem Band). Verschiedene Sprachen - verschiedene Metaphern? Oben wurde das enge Zusammenwirken zwischen language, mind und culture erwähnt, das sich sehr deutlich bei der Metaphorisierung zeigt. Oft ist es so, dass die Sprecher und Sprecherinnen von zwei verschiedenen Sprachen gemeinsame praktische Erfahrungen haben, aber in der einen Sprache werden bestimmte Erfahrungsstrukturen bei der metaphorischen Konzeptualisierung der abstrakten Bereiche genutzt, in der anderen jedoch nicht. So wird zum Beispiel die deutsche Metapher sich [ins eigene Fleisch] schneiden im Russischen nicht so umgedeutet. Sehr anschaulich sind in diesem Zusammenhang neue Phraseologismen, wie der Drops ist gelutscht (Steffens & Nikitina 2014; Steffens & al-Waldi 2015) (‚die Entscheidung ist gefallen, etwas ist unwiderruflich geschehen‘) oder etwas in die Tonne treten (‚etwas aufgeben, zunichtemachen, auf etwas verzichten‘). Diese praktischen Erfahrungen, den Drops gelutscht zu haben oder den Müll in die Mülltonne zu treten, machen heute auch andere Sprachgemeinschaften. Aber für die weitere metaphorische Konzeptualisierung werden sie dort nicht benutzt. Andererseits können sich praktische Erfahrungsstrukturen unterscheiden, die in zwei Sprach- und Kulturgemeinschaften als Grundlage für die metaphorische Konzeptualisierung benutzt werden. So heißt es zum Beispiel im Deutschen alle Brücken hinter sich abbrechen oder abreißen (‚sich endgültig lösen; jeden Kontakt abbrechen‘), während die Russischsprachigen die Brücken abbrennen lassen. 106 3. Sprachliche Bildhaftigkeit 3.1.3 Zusammenfassung ▶ Die wichtigsten Arten der bildhaften Sprache sind die Metapher und die Metonymie. ▶ Die Betrachtungsweise der Metapher ist in der kognitiven Linguistik eine andere als in der traditionellen Linguistik und Literaturwissenschaft. ▶ Die Metapher wird in der traditionellen Linguistik als ein sprachliches Phänomen betrachtet, als Übertragung der Benennung von einem Denotat auf ein anderes aufgrund einer Ähnlichkeit, die in der Natur gegeben ist. Trotzdem unterscheiden sich die Sprachen darin, welche Denotate sie als ähnlich darstellen. ▶ Die Metonymie wird in der traditionellen Linguistik als Übertragung der Benennung von einem Denotat auf ein anderes aufgrund von Kontiguität verstanden. ▶ Metapher und Metonymie bewirken, dass der Bedeutungsumfang von den Wörtern, die übertragen werden, erweitert wird und sie polysem werden. ▶ Als wichtigste Funktion der Metapher und Metonymie galt früher die Befriedigung des Bedürfnisses nach Bezeichnungen für neue Denotate. ▶ Metapher und Metonymie sind systemhafte und reguläre sprachliche Erscheinungen. Viele von ihnen werden nicht mehr als bildhafte oder übertragene Benennungen empfunden. Sie sind lexikalisiert und konventionalisiert. ▶ In der kognitiven Linguistik veränderte sich das Verständnis der Metapher, sie wird als kognitiver Konzeptualisierungsmechanismus betrachtet, als Ergebnis eines cross-domain mappings. Dabei dienen konkrete Erlebnisse und Erfahrungsstrukturen als Quelle der Bilder (source domains), die der Konzeptualisierung von abstrakten Domänen (target domains) zugrunde liegen. ▶ Bei der metaphorischen Konzeptualisierung spielt die Kultur der Sprachgemeinschaft eine wichtige Rolle. Das kann zwischen den Sprachen zu Unterschieden in den semantischen Strukturen der polysemen Wörter und in den phraseologischen Wendungen führen. ▶ Um Metaphern zu verstehen, ist nicht nur Sprachwissen, sondern auch Weltwissen (Kultur, Geschichte, Traditionen etc.) nötig. 3.1.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Wie hat sich das Verständnis der bildhaften Sprache im Laufe der Zeit verändert? 2. Erklären Sie, wie die metaphorische Übertragung der Benennungen stattfindet. Veranschaulichen Sie das mit Beispielen. 3. Wie lassen sich Unterschiede in den metaphorischen Bedeutungen in verschiedenen Sprachen erklären? Führen Sie Beispiele an. 4. Worin sahen die Linguisten die Funktion der Metapher als Übertragung der Benennungen? 5. Erklären Sie, wie die metonymische Übertragung der Benennungen stattfindet. Veranschaulichen Sie das mit Beispielen. 6. Erklären Sie, was das Verständnis der Metapher als kognitiven Konzeptualisierungsmechanismus von einem Verständnis als rein sprachlicher Erscheinung unterscheidet. 107 3.2 Bildhaftigkeit in der Kognition: Konzeptuelle Metapher, Verkörperlichung, Prototypensemantik 3.2 Bildhaftigkeit in der Kognition: Konzeptuelle Metapher, Verkörperlichung, Prototypensemantik Katsiaryna EL -Bouz In der ersten Lerneinheit haben Sie die wichtigsten Arten der figurativen Sprache sowie den Unterschied zwischen der Metapher im traditionellen Sinne und der konzeptuellen Metapher kennengelernt, einem Konzept in der kognitiven Linguistik. In dieser Lerneinheit möchten wir nun mehr in die Tiefe gehen und den folgenden Fragen nachgehen: Wie machen wir abstrakte Konzepte greifbar? Welche Rolle spielt unser Körper bei unserem Denken? Wie organisieren wir mental die Welt um uns herum? Um diese Fragen beantworten zu können, werden wir einige Aspekte der konzeptuellen Metapher detaillierter diskutieren. Wir erfahren, wie das konzeptuelle Mapping funktioniert und wie es mit unseren körperlichen Erfahrungen verbunden ist. Danach wenden wir uns dem Phänomen der Verkörperlichung (embodiment) zu und betrachten, wie tiefgehend unser Körper und unsere Kognition verbunden sind. Anschließend werden wir herausfinden, nach welchen Prinzipien wir Kategorien bilden und der Welt um uns herum Struktur verleihen. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ erklären können, wie das konzeptuelle Mapping funktioniert; ▶ den Zusammenhang zwischen unseren körperlichen Erfahrungen und unserer Kognition verstehen und erklären können; ▶ die wichtigsten Prinzipien der Kategorienbildung ausarbeiten können. 3.2.1 Struktur und Eigenschaften der konzeptuellen Metapher Wie Sie bereits in Lerneinheit 3.1 erfahren haben, stellt die konzeptuelle Metapher einen fundamentalen kognitiven Mechanismus dar, durch den wir Abstraktes konzeptualisieren und versprachlichen. Dabei ist sie im nicht-metaphorischen Verstehen der Welt und in unseren körperlichen Erfahrungen verankert. Die Natur der konzeptuellen Metapher liegt im Erfassen einer abstrakten Entität (Zieldomäne) in den Begriffen einer konkreten erlebbaren Entität (Quellendomäne); dieser Prozess der Merkmalsübertragung wird als konzeptuelles Mapping (Projektion beziehungsweise Zuordnung) bezeichnet. Dabei werden Bildschemata konkreter sensomotorischer Erfahrungsbereiche durch imaginative Prozesse auf abstrakte Erfahrungsbereiche projiziert und verwendet, um diese zu verstehen, zu strukturieren und zu versprachlichen (ausführlich siehe dazu Lerneinheit 1.2 in diesem Band und Lerneinheit 2.1 im Band »Sprachenlernen und Kognition«). 108 3. Sprachliche Bildhaftigkeit Bildschemata sind elaborierte konzeptuelle Konfigurationen, die sich aus den kognitiven Grunddomänen ergeben. Darunter werden dynamische, wiederkehrende und universale Muster unserer sensomotorischen Erfahrung beziehungsweise unserer Interaktion mit der Umwelt verstanden, mit deren Hilfe wir den Sinn dieser Erfahrungen und Interaktionen erzeugen und darüber logisch nachdenken können. Somit helfen Bildschemata bei der Lösung verschiedener Adaptationsprobleme in komplexen physikalischen Umgebungen: Sie ermöglichen es, viele einzelne perzeptuelle Erfahrungen zu vereinigen und zusammenhängend zu strukturieren. Daher stellen Bildschemata eine inhärente Basis für unser erfolgreiches Funktionieren in der Welt dar (Gibbs 2005: 69; Johnson 1987: 29f; Johnson 2005: 18f; Langacker 2008: 33; Radden 1994: 75). (Kanaplianik 2016: 33f) Der Grund für die metaphorische Projektion der Bildschemata ist, dass abstrakte Domänen für unsere Sinneswahrnehmung nicht unmittelbar zugänglich und daher vage und schwer zu erfassen sind. Der Bezug auf konkrete, nicht-metaphorische Erfahrungsbereiche (Bildschemata) ermöglicht dem Konzeptualisator, abstrakten Begriffen eine nachvollziehbare interne Struktur zu verleihen, sie mit alltäglichen Erfahrungen zu verknüpfen und daher leichter „handzuhaben“, indem ein Denkmodell mit einer explanatorischen Funktion geschaffen wird (Beissner 2002: 63; Gibbs 2005: 74; Kövecses 2002: 6; Lakoff & Johnson 2003: 112; Lampert & Lampert 2000: 250; Mortelmans & Meex 2002: 53). In den Medien kann man öfter beobachten, dass über den Verlauf einer Diskussion oft in Kriegstermini gesprochen wird (ein Gespräch gefährden, seine Argumente verteidigen, in die Defensive geraten). Das ist der Ausdruck der konzeptuellen Metapher ARGUMENTIEREN IST KRIEG (Lakoff & Johnson 2003: 5): Um ein abstraktes Konzept wie Diskussion beziehungsweise Argumentieren für uns greifbar zu machen, beziehen wir sie auf eine konkrete Erfahrung-- die Kriegsführung. Dabei übertragen wir die Merkmale eines Kampfes (die Beteiligten sind in Opposition zueinander, verteidigen ihre eigenen Positionen und greifen Fremde an) auf eine Diskussion und verleihen ihr dadurch eine entsprechende interne Struktur und die entsprechende Rollenverteilung. Dabei ist die Richtung des konzeptuellen Mappings asymmetrisch und unidirektional: Die Projizierung der Merkmale ist von der Quellendomäne auf die Zieldomäne ausgerichtet, weil die Quellendomäne stärker an unsere physikalische Erfahrung gebunden ist (Lakoff 2006: 232f; Roche 2012: 35) (siehe dazu die Diskussion in Lerneinheit 2.1 im Band »Sprachenlernen und Kognition«). Darüber hinaus erfolgt das Mapping nur partiell und nicht arbiträr: Auf die Zieldomäne werden nicht alle Eigenschaften der Quellendomäne übertragen, sondern nur diejenigen Teile ihrer bildschematischen Struktur, die mit der inhärenten Struktur der Zieldomäne kompatibel sind (Lakoff 2006: 232f; vergleiche Kövecses 2000a; Pelyvás 2000; Turner 1993). Eine wichtige Einschränkung ist dabei, dass die bildschematische Struktur der Zieldomäne in diesem Prozess nicht verletzt werden darf (Turner 1993: 291f). So finden wir beispielsweise in der Beschreibung einer Diskussion nicht das Konzept des Schützengrabens, das für den Krieg dagegen sehr typisch ist. Der Grund dafür könnte sein, dass als Versteck gedachte Schützengräben keine Entsprechung im Diskussionsverlauf finden, in dem alle Beteiligten offen sichtbar sind. Ein weiteres anschauliches Beispiel für das konzeptuelle Mapping ist die Metapher ‚Zeit ist Geld‘ (Lakoff & Johnson 1980, 2003). Sie demonstriert, dass wir die Zieldomäne (Zeit) in 109 3.2 Bildhaftigkeit in der Kognition: Konzeptuelle Metapher, Verkörperlichung, Prototypensemantik den Begriffen der Quellendomäne (Geld) konzeptualisieren, versprachlichen und uns auch dementsprechend verhalten. Die Zeit wird als ein wertvolles Gut, als ein Besitz oder als eine begrenze Ressource betrachtet; daher verstehen und erfahren wir die Zeit als „etwas, was ausgegeben, verschwendet, kalkuliert, klug oder schlecht investiert, erspart oder vergeudet werden kann“ (Lakoff & Johnson 2011: 16). Diese Metapher wird in der Klassifikation von Lakoff und Johnson als strukturell bezeichnet: Dabei wird ein abstraktes Konzept durch ein konkretes Konzept strukturiert, wobei manche Aspekte der Zieldomäne dadurch hervorgehoben und manche ausgeblendet werden („highlighting and hiding“ (Lakoff & Johnson 2003)). Darüber hinaus unterscheiden Lakoff und Johnson zwei weitere Arten konzeptueller Metaphern: Orientierungsmetaphern und ontologische Metaphern. Bei den Orientierungsmetaphern wird ein ganzes System von Konzepten organisiert, in der Regel nach den Prinzipien der körperlichen Orientierung innerhalb eines Raumes (zum Beispiel Glücklich sein ist oben-- traurig sein ist unten: Heute bin ich gut drauf, Ich bin sehr niedergeschlagen). Als eine ontologische Metapher wird die Konzeptualisierung eines abstrakten Konzeptes einer Entität oder einer Materie bezeichnet, wodurch abstrakte Sachverhalte physisch quantifiziert werden (zum Beispiel Inflation ist eine Entität und davon abgeleitete Aussagen wie Die Inflation steigt) (Lakoff & Johnson 1980, 2003, 2011; vergleiche Weininger 2013: 23f) (mehr zur Klassifikation der konzeptuellen Metaphern finden Sie in Lerneinheit 2.1 im Band »Sprachenlernen und Kognition«). Häufig wird ein Konzept nicht mit einer einzigen konzeptuellen Metapher erfasst, sondern mit einem ganzen metaphorischen Komplex: In diesem Fall wird ein Metaphernsystem gebildet, dessen Elemente kohärent aufeinander bezogen sind (Brünner 1987: 100). Ein Beispiel dafür ist die conduit metaphor (‚Leitung‘ beziehungsweise ‚Kanal‘) (Reddy 1979), in deren System der Mensch in der Sprecherbeziehungsweise Hörer-Rolle als ein übergeordneter größerer Behälter konzeptualisiert wird, zum Beispiel: Ich bin voll von Ideen. Sprachliche Aussagen sind Behälter für Objekte-- Gedanken und Ideen, zum Beispiel: hohle Phrasen, leeres Geschwätz (Wortbehälter ohne Inhalte beziehungsweise Sinn). Die Kommunikation wird als das Senden solcher Behälter verstanden (siehe Brünner 1987), zum Beispiel: Kommunikationsbarriere (Hindernis auf dem Weg der Botschaft). Nach der CONDUIT -Metapher besteht die Leistung eines Sprechers darin, geeignete Wortbehälter auszuwählen, in die er Gedankenobjekte aus seinem Geistbehälter verpackt, um diese an den Hörer zu verschicken, z. B. über eine Röhre. Der Hörer öffnet die ihm zugesandten Worthülsen, entnimmt den objektiven Inhalt und steckt diesen in seinen eigenen Geistbehälter, so dass er die Gedanken des Sprechers 1: 1 aufnehmen und verstehen kann. (Drewer 2003: 128) Metaphorische Zuordnungen variieren in ihrer Universalität: Einige sind universell, andere weit verbreitet und einige kultur- und sprachspezifisch (Lakoff 2006: 232f), wobei alle drei Arten eng verbunden sind. So ist die oben angeführte Metapher Zeit ist Geld eher für westliche Gesellschaften charakteristisch. Ein weiteres Beispiel ist die Liebe, die in der englischen Sprache als Reise, Feuer, Krieg, Wahnsinn, Magie physische Kraft oder Patient konzeptualisiert wird. Hier sind einige Beispiele: 110 3. Sprachliche Bildhaftigkeit Liebe ist … Englisch (Lakoff & Johnson 2003: 49; vergleiche Lakoff 1993) Deutsch (Lakoff & Johnson 2011: 62f; Strietz & Kopchuk 2009: 84) eine Reise ▶ Look how far we’ve come. ▶ it’s been a long, bumpy road. ▶ We can’t turn back now. ▶ We’re at a crossroads. We may have to go our separate ways. ▶ The relationship isn’t going anywhere. ▶ We’re spinning our wheels. ▶ our relationship is off the track. ▶ The marriage is on the rocks. ▶ We may have to bail out of this relationship. physische Kraft ▶ i could feel the electricity between us. ▶ There were sparks. ▶ i was magnetically drawn to her. ▶ They are uncontrollably attracted to each other. ▶ Ich konnte die elektrischen Schwingungen zwischen uns fühlen. ▶ Zwischen den beiden hat es gefunkt. ▶ Sie zog mich an wie ein Magnet. ▶ Sie fühlen sich sehr stark zueinander hingezogen. Wahnsinn ▶ i'm crazy about her. ▶ He constantly raves about her. ▶ He's gone mad over her. ▶ i'm insane about her. ▶ Sie gefällt mir wahnsinnig. ▶ Er kommt ständig ins Phantasieren, wenn er von ihr redet. ▶ Er ist völlig verrückt nach ihr. ▶ Ich bin krank nach ihr. Magie ▶ She cast her spell over me. ▶ The magic is gone. ▶ i was spellbound. ▶ She had me hypnotized. ▶ Sie verfluchte mich. ▶ Der Zauber unserer Beziehung ist verflogen. ▶ Ich war wie gebannt. ▶ Sie hat mich hypnotisiert. Krieg ▶ He is known for his many rapid conquests. ▶ He won her hand in marriage. ▶ He overpowered her. ▶ He made an ally of her mother. ▶ Theirs is a misalliance if i've ever seen one. ▶ Er ist bekannt für seine unzähligen Eroberungen. ▶ Er gewann sie durch die Ehe. ▶ Sie war von ihm überwältigt. ▶ Er machte ihre Mutter zur Verbündeten. ▶ Ihre Beziehung ist eine Misallianz, wie ich sie noch nie gesehen habe. ein Patient ▶ This is a sick relationship. ▶ They have a strong, healthy marriage. ▶ The marriage is dead - it can't be revived. ▶ We're getting back on our feet. ▶ Ihre Beziehung krankt an etwas. ▶ Sie führen eine starke und gesunde Ehe. ▶ Ihre Ehe ist tot - sie kann nicht wieder zum Leben erweckt werden. ▶ Wir kommen schon wieder auf die Beine. Feuer ▶ Ich verbrenne vor Sehnsucht nach dir. ▶ Das ist seine neueste Flamme. ▶ Zärtliche Liebe flackerte auf. Tabelle 3.2: Konzeptuelle Metaphern zu Liebe Auf die kulturelle Spezifik der konzeptuellen Metaphern und ihre Rolle im Fremdsprachenunterricht wird näher in den Lerneinheiten 8.1 und 8.3 im Band »Sprachenlernen und Kognition« eingegangen. Die konzeptuelle Metapher stellt einen integralen Bestandteil unseres Denkens dar und bringt die bildhafte Basis der Begriffsbildung und die wichtige Rolle der Vorstellungskraft 111 3.2 Bildhaftigkeit in der Kognition: Konzeptuelle Metapher, Verkörperlichung, Prototypensemantik bei unseren Denkvorgängen zum Vorschein (Bellavia 2007: 25f; Littlemore 2009: 97; Littlemore & Low 2006: 13). Unser konzeptuelles System, in dem wir denken und handeln, ist in seinem Wesen metaphorisch (Lakoff & Johnson 2003: 3). Von diesem Standpunkt aus wird die metaphorische Sprache als automatische und natürliche Widerspiegelung der menschlichen Denkweise und der Kultur gesehen: Metaphor is not merely an instance of language, a special rhetorical device used for communication and persuasion. Instead metaphor is a fundamental mental capacity by which people understand themselves and the world through the conceptual mapping of knowledge from one domain onto another. The overwhelming ubiquity of metaphor in language, thought, science, law, art, myth, and culture illustrates that metaphor is an integral part of human life. (Gibbs 1994: 207) Wie wir in mehreren Beispielen in diesem Abschnitt gesehen haben, zählen zu den konkreten Erfahrungsbereichen, die als Quellendomänen für das metaphorische Mapping dienen, meistens körperliche Aktivitäten, Wahrnehmungen und Gegenstände aus der täglichen Erfahrungswelt wie Halten, Berühren, Essen, Geben, Körperteile, Gebäude, Tiere und Pflanzen, Farben etc. (Kövecses 2002: 25; Radden 1994: 79; Weininger 2013: 23). Diese Tatsache hebt die Rolle der Verkörperlichung (Embodiment) bei der Prägung unseres Denkens hervor, mit der wir uns im nächsten Abschnitt detaillierter auseinandersetzen. 3.2.2 Verkörperlichung Dank unserer Haut, die relativ weich und mit Nervenendungen versehen ist, können wir Temperaturänderungen gut spüren. Deswegen haben wir in unserer Sprache solche Begriffe wie heiß, warm und kalt. Stellen Sie sich aber ein Wesen mit einer Steinhaut vor, das keinen Unterschied zwischen -30 Grad und-+40 Grad empfindet. In seinem Denken und in seiner Sprache würden solche Konzepte wie heiß oder kalt wohl gar nicht existieren. Dieses Beispiel veranschaulicht die Rolle unseres Körpers in Denken und Sprache und führt uns zur Theorie der Verkörperlichung. Der Begriff der Verkörperlichung (Embodiment) bezieht sich auf Interaktionen zwischen Gehirn, Körper und physikalischer Umgebung (Gibbs 2005: 66f). Der Kern der Theorie der Verkörperlichung liegt in der Annahme, dass unsere konzeptuelle Struktur aus der sensomotorischen Erfahrung und ihr zugrundeliegenden neuralen Strukturen entsteht. Auf diese Weise sind konzeptuelle Strukturen durch ihre Verbindung zu unserem Körper und zu unserer physischen Erfahrung intrinsisch motiviert (Lakoff & Johnson 1999: 77f; siehe auch Lerneinheit 1.3 in diesem Band). In dieser Hinsicht erweitert und vertieft die Theorie der Verkörperlichung die der konzeptuellen Metapher und hilft uns, sie besser zu verstehen. Laut dem Ansatz der Verkörperlichung findet sich die Basis unserer Konzepte in multimodalen Darstellungen, die durch unsere physische Interaktion mit der Umwelt entstehen. Dabei stellen diese Darstellungen die Reaktivierungen von Hirnzuständen dar, die während dieser Interaktionen aufgezeichnet werden. Zu solchen Interaktionen gehören sensomotorische und propriozeptive Erfahrungen sowie Zustände, die sich aus der subjektiven Erfahrung unserer internen (körperlichen) Umwelt ergeben, zum Beispiel Emotionen oder Zeitemp- 112 3. Sprachliche Bildhaftigkeit finden (vergleiche Bellavia 2007; Evans 2012; Holme 2009). Auf diese Weise werden unsere Erfahrungen von der Form und den Bewegungen unseres Körpers strukturiert: Die Repräsentation von dem, was wir als ‚dreidimensionalen Raum‘ bezeichnen, wird also im Gehirn auf der Basis unserer biologischen Ausstattung und unserer Interaktion mit der Umwelt konstruiert. Alles, was wir über die äußere Wirklichkeit wissen, kommt zu unserem Bewusstsein über die Aktivität des Körpers. (Bellavia 2007: 238) Weitere anschauliche Beispiele für das Phänomen der Verkörperlichung stellen die Farbkonzepte und die Raumorientierung dar. Unsere Farbenwahrnehmung entsteht aus der Interaktion zwischen unseren Sehorganen, unserem Gehirn, den Reflexionseigenschaften der Objekte und der elektromagnetischen Strahlung. Auf dieser Basis entstehen unsere Farbkonzepte. Viele Tierarten (wie Katzen, Hunde oder Fledermäuse) sehen die Farben anders als wir, weil ihre Sinnesorgane anders gebaut sind. Die Begriffe Vorderseite und Hinterseite (zum Beispiel von einem Auto) basieren auf einer Projektion des menschlichen Körpers, der auch eine Vorder- und eine Rückseite hat. Wäre der menschliche Körper aus irgendwelchen Gründen anders gebaut (zum Beispiel gleich von allen Seiten), wären wir wahrscheinlich nicht imstande, vorne und hinten zu unterscheiden (vergleiche Lakoff & Johnson 1999, Evans 2012). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass unsere körperlichen Erfahrungen als Grundlage für unsere Wahrnehmung, Konzeptualisierung und Versprachlichung von unserer Umwelt und uns selbst dienen und sie diese Prozesse auch (teilweise) vorgeben (vergleiche Lerneinheit 1.3 in diesem Band für eine Darstellung einiger empirischen Studien zum Phänomen der Verkörperlichung). Auf diese Weise ist uns die Realität nicht objektiv gegeben, sondern sie stellt eine Funktion unserer für die Menschengattung spezifischen und individuellen Verkörperlichung dar (vergleiche Lakoff & Johnson 1999, Evans 2012). Demzufolge kann auch unsere ganze Kognition als verkörperlicht bezeichnet werden: Sie kann vom Körper nicht getrennt werden und wird von der Struktur des Körpers (wie dem Aufbau des Gehirns und unserer Sinnesorgane) vorgegeben (Bellavia 2007: 238; Holme 2009: 36; vergleiche Evans 2012). Dieses Phänomen fasst Radden bildhaft zusammen: Wir würden die Welt anders erfahren und mit ihr anders interagieren, wenn wir einen anderen Körper hätten: wenn wir drei Millimeter groß wären oder auf allen Vieren kröchen, die Nase eines Hundes oder das Sonarsystem einer Fledermaus hätten. Die Art und Natur unserer Wahrnehmungen und Erfahrungen ist jedoch nicht nur begrenzt durch unsere Körperlichkeit, sondern auch durch sie motiviert. (Radden 1994: 75) Da Sprache und Kognition unzertrennlich sind (vergleiche Lerneinheit 1.1 im Band »Sprachenlernen und Kognition«), erweist sich die Verkörperlichung auch als eine essenzielle Basis für unsere Sprache (Gibbs 2005: 88). Auf das Zusammenwirken der Verkörperlichung und der konzeptuellen Metaphorisierung gehen wir im nächsten Abschnitt ein. 113 3.2 Bildhaftigkeit in der Kognition: Konzeptuelle Metapher, Verkörperlichung, Prototypensemantik 3.2.3 Konzeptuelle Metaphorisierung und Verkörperlichung Wie im ersten Abschnitt dieser Lerneinheit erläutert, benutzen die Menschen ihre phänomenalen (konkreten) Körpererfahrungen systematisch zur Strukturierung abstrakter Wissensdomänen. Dementsprechend liegt die Verkörperlichung auch dem Prozess der konzeptuellen Metaphorisierung zugrunde. Allgemeine Aspekte dieser Verbindung haben wir im Abschnitt 3.2.1 diskutiert. Hier möchten wir auf das Phänomen der primären Metapher eingehen. Im Postulieren der Wichtigkeit der konzeptuellen Metaphern in unserer Kognition gehen einige Autoren (Narayanan 1997, Lakoff & Johnson 1999) einen Schritt weiter und sagen, dass das Basisniveau der metaphorischen Zuordnung nicht die konzeptuelle Metapher, sondern die primäre Metapher darstellt. Sie entsteht auch durch unsere körperliche Interaktion mit der Umwelt, ist allerdings eher fundamental (Grady 1997; Grady & Johnson 2003). So betrachten Lakoff und Johnson die primäre Metapher sowohl aus konzeptueller als auch aus neuronaler Sicht. Aus konzeptueller Sicht funktionieren primäre Metaphern nach den Prinzipien, die uns aus der Theorie der konzeptuellen Metaphern (Lakoff & Johnson 1980, 1999, 2003) bereits bekannt sind. Darüber hinaus behaupten Lakoff und Johnson, dass dieses Mapping eine tiefgehende neuronale Basis hat: Primary metaphors, from a neural perspective, are neural connections learned by coactivation. They extend across parts of the brain between areas dedicated to sensorimotor experience and areas dedicated to subjective experience. The greater inferential complexity of the sensory and motor domains gives the metaphors an asymmetric character, with inferences flowing in one direction only. (Lakoff & Johnson 1999: 57f) Auf diese Weise sind primäre Metaphern kein Ergebnis eines bewussten mehrstufigen Interpretationsprozesses, sondern eine Folge des unmittelbaren konzeptionellen Mappings über neuronale Verbindungen (Lakoff & Johnson 1999: 57f). Zu den primären Metaphern gehören beispielsweise solche Basiskonzepte wie Veränderung ist Bewegung, Hilfe ist Unterstützung und Ursachen sind physikalische Quellen. Sie verfügen über eine Minimalstruktur, entstehen natürlich, automatisch und unbewusst aus unserer Alltagserfahrung durch Verschmelzung von domänenübergreifenden Assoziationen und sind in neuronalen Verbindungen in unserem Gehirn verankert (Narayanan 1997). Ihrerseits bilden die primären Metaphern die Grundlage für komplexere Metaphern, die im Prozess des konzeptuellen Blendings in einem besonderen gemischten mentalen Raum als Verschmelzung von Merkmalen der Quellen- und Zieldomäne entstehen (vergleiche Lakoff & Johnson 1999: 46f; Littlemore 2009: 100; Fauconnier & Turner 1995, 1998, 2008; detailliert zum konzeptuellen Blending siehe Lerneinheit 2.1 im Band »Sprachenlernen und Kognition«). Wir erwerben ein großes System von primären Metaphern automatisch und unbewusst, indem wir von Kindheit an einfach in der Alltagswelt agieren; in diesem Prozess werden für die metaphorischen Zuordnungen neuronale Verbindungen gebildet. Im Endergebnis basiere unser Denkprozess ganz natürlich und unbewusst auf Hunderten von primären Metaphern (Lakoff & Johnson 1999: 47, 57): 114 3. Sprachliche Bildhaftigkeit We have a system of primary metaphors simply because we have the bodies and brains we have and because we live in the world we live in, where intimacy does tend to correlate significantly with proximity, affection with warmth, and achieving purposes with reaching destinations. (Lakoff & Johnson 1999: 59) Im Großen und Ganzen weist die Theorie der primären Metapher viele Parallelen mit der Theorie der konzeptuellen Metapher auf, hebt allerdings deutlicher die Rolle der Verkörperlichung in unserer Kognition hervor, indem sie besagt, dass die Basis für metaphorische Zuordnungen in der Koaktivierung von neuronalen Verbindungen liegt. Die konzeptuelle Metapher wird dabei als ein Phänomen gesehen, das erst in einem nächsten Schritt als Ergebnis von Prozessen des konzeptuellen Blendings und der Differenzierung stufenweise entsteht (Lakoff & Johnson 1999: 49). Ob das Wesen der konzeptuellen (beziehungsweise primären Metapher) tatsächlich auf neuronale Verbindungen bezogen werden kann, bleibt allerdings noch eine offene Frage (vergleiche Hutchinson & Louwerse 2013; Ortiz 2011). Wie wir bisher erfahren haben, erschafft der Mensch auf der Basis seiner kognitiven Fähigkeiten und seiner Körperlichkeit sein eigenes subjektives Bild der Welt. Dabei tendiert er dazu, diesem Bild Struktur zu verleihen und es zu organisieren, was unter anderem durch den Prozess der Kategorisierung geschieht. Wie das funktioniert, lernen wir im nächsten Abschnitt kennen. 3.2.4 Prototypensemantik Auch die Kategorisierung und Kategorisierungsprozesse helfen uns, Bedeutung zu erschaffen, indem unsere Umwelt in bestimmte Bezugsgrößen eingeteilt wird. Diese Bezugsgrößen sind miteinander verbunden, durch die Kategorien und die horizontalen und vertikalen Bedeutungsbeziehungen zwischen ihnen. Wir sprechen über Kategorien, wenn wir mindestens zwei verschiedene Entitäten als ein Ganzes konzeptualisieren und unterschiedlichen Sachverhalten denselben Namen geben. Jedes Wort, mit Ausnahme von Eigennamen, kann mehr als ein Objekt bezeichnen und repräsentiert damit potenziell eine ganze Kategorie. So bezieht sich das Wort Vogel auf eine Kategorie, ebenso wie das Wort Spatz, weil es viele Spatzen in der Welt gibt. Dabei ist die Kategorie Spatz der Kategorie Vogel untergeordnet. Die Einteilung von Sachverhalten in Kategorien wird als Kategorisierung bezeichnet (vergleiche Lerneinheit 1.3 in diesem Band). Die klassische Theorie der Kategorisierung, die auf Aristoteles zurückgeht, beruht auf den folgenden Grundsätzen: ▶ Eine Kategorie ist als Zusammensetzung von notwendigen und ausreichenden Eigenschaften definiert. ▶ Diese Eigenschaften sind binär: Sie sind entweder vorhanden oder nicht. ▶ Kategorien haben klare Grenzen (entweder gehört ein Element zu einer Kategorie oder nicht). ▶ Alle Mitglieder einer Kategorie haben den gleichen Status (Cletiu 1997, Taylor 1989). 115 3.2 Bildhaftigkeit in der Kognition: Konzeptuelle Metapher, Verkörperlichung, Prototypensemantik Experiment Nennen Sie bitte einen (beliebigen) Vogel, ein Tier, eine Blume, eine Beere, eine Obstsorte und eine Gemüsesorte. Bitten Sie möglichst viele Ihrer Bekannten, Kommilitonen oder Kommilitoninnen etc., das auch zu machen, und vergleichen Sie die Ergebnisse. Fällt Ihnen etwas bei den Antworten auf? Nach diesem kleinen Experiment werden Sie vermutlich festgestellt haben, dass die Antworten unterschiedlicher Personen oft ähnlich sind: beispielsweise Spatz, Adler oder Taube als ‚Vogel‘, Apfel, Banane oder Orange als ‚Obst‘, Kartoffeln, Tomate oder Kohl als ‚Gemüse‘, Erdbeere oder Himbeere als ‚Beere‘. Hat jemand aber den Pinguin oder die Melone genannt? Wenn ja, sind diese Personen äußerst kreativ. Wir vermuten allerdings stark, dass Pinguin und Melone eher nicht vorkommen- - obwohl sie biologisch zweifellos zu den genannten Gattungen gehören. Wie kann dieses Phänomen nun erklärt werden? Eine andere Perspektive auf die Kategorisierung wurde von der Psychologin Eleanor Rosch (Rosch 1973b, 1975) vorgeschlagen. In ihren Forschungen begründete sie eine neue Theorie, die auf dem Konzept des Prototyps basiert. Laut dieser Theorie besitzen die Vertreter einer Kategorie nicht den gleichen Status, und einige von ihnen repräsentieren die Kategorie besser als die anderen. Der Prototyp ist der beste Vertreter einer Kategorie, den die meisten Menschen mit dieser Kategorie verbinden. Die interne Struktur vieler Kategorien ist also hierarchisch organisiert: Im Zentrum ist der Prototyp (oder einige Prototypen), die restlichen Vertreter sind von den besten (nahe zum Zentrum) zu den schlechtesten (an der Peripherie) organisiert. Diese Struktur ist in Abbildung 3.18 veranschaulicht. 116 3. Sprachliche Bildhaftigkeit Abbildung 3.18: Die Kategorie Vögel (in Anlehnung an Wildgen o. J.) Mehrere Experimente und Tests im Bereich der Kategorisierung führten zu folgenden Schlussfolgerungen (Kleiber 1993): ▶ Prototypische Vertreter einer Kategorie werden schneller als nicht-prototypische erkannt. ▶ Kinder lernen zuerst prototypische Vertreter. ▶ Prototypen dienen als kognitive Bezugspunkte für weitere Denkprozesse. ▶ Prototypen werden in der Regel zuerst genannt, wenn eine Person gebeten wird, Vertreter einer Kategorie aufzulisten. Die Annahme, dass Kategorien um einen Prototypen herum organisiert sind, führt dazu, dass die Grenzen der Kategorien nicht mehr scharf, sondern vage sind. Eine und dieselbe Entität kann zu mehr als einer Kategorie gehören, Kategorien können ineinander übergehen. Die Frage der Zugehörigkeit eines Elementes zu einer Kategorie kann somit nicht immer eindeutig beantwortet werden mit Ja, es gehört dazu oder Nein, es gehört nicht dazu (Lakoff 1972; Kortmann 1999). Dies kann am Beispiel der Kategorie Vögel veranschaulicht werden. 117 3.2 Bildhaftigkeit in der Kognition: Konzeptuelle Metapher, Verkörperlichung, Prototypensemantik Experiment Ordnen Sie die folgenden Aussagen (Lakoff 1972) von 1 bis 5 ein, wobei 1 wahr und 5 absolut falsch ist. Wonach richten Sie sich dabei? Das Küken ist ein Vogel. Die Kuh ist ein Vogel. Der Spatz ist ein Vogel. Der Pinguin ist ein Vogel. Die Fledermaus ist ein Vogel. Die meisten dieser Aussagen können nicht eindeutig als wahr oder falsch interpretiert werden und stellen eine Art Skala dar: (1) Der Spatz ist ein Vogel (wahr). (2) Das Küken ist ein Vogel (weniger wahr als 1). (3) Der Pinguin ist ein Vogel (weniger wahr als 2). (4) Die Fledermaus ist ein Vogel (falsch oder weit entfernt von wahr). (5) Die Kuh ist ein Vogel (absolut falsch). (Lakoff 1972) Diese Vagheit entsteht dadurch, dass die Eigenschaft die Fähigkeit zu fliegen auch für die Fledermaus gilt und sie dadurch den Vögeln näherbringt. Andererseits fehlen dem Pinguin, der biologisch ein Vogel ist, solche wichtigen Merkmale wie Vorhandensein von (klar sichtbaren) Federn und Fähigkeit zu fliegen, was ihn vom Bild eines typischen Vogels entfremdet. Daher ist es schwierig, die Grenzen der Kategorien klar zu definieren; vielmehr ist es möglich, Bereiche zu identifizieren, wo eine Kategorie in eine andere übergeht (Lakoff 1972). Die Kategorisierung gibt uns zwei Möglichkeiten, einen Sachverhalt (beispielsweise X) zu benennen. Die erste Möglichkeit ist, die Frage zu beantworten: Warum ist X ein Hund und nicht eine Katze oder ein Fahrrad? Bei der Antwort müssen wir alle Begriffe ausschließen, die X nicht benennen können. Dazu listen wir die Merkmale von X auf, die für die Kategorie Hund charakteristisch sind und bei den Kategorien Katze und Fahrrad nicht gegeben sind, und umgekehrt. Bei diesem Verfahren agieren wir auf der horizontalen Dimension der Kategorisierung, deren Hauptmerkmale bereits oben diskutiert wurden. Die zweite Möglichkeit ist, auf die Frage zu antworten: Warum ist X ein Hund und nicht ein Tier oder ein Säugetier? Dabei müssen wir zwischen den Kategorien wählen, zu welchen X tatsächlich auch gehört. Bei der Antwort identifizieren wir über- und untergeordnete Konzepte und bestimmen, welches dieser Konzepte die größte Konzentration von Informationen aufweist und am häufigsten in der Kommunikation vorkommt (vergleiche Kortmann 1999). Das nennt man die vertikale Dimension der Kategorisierung; sie wird im Folgenden näher erläutert. Der Ausgangspunkt für die Kategorisierung in der vertikalen Dimension ist die Beobachtung, dass ein und dasselbe Objekt gleichzeitig zu unterschiedlichen Kategorien gehören 118 3. Sprachliche Bildhaftigkeit kann. So ist der Hund auf dem Rasen vor dem Haus nicht nur ein Hund, sondern auch ein Boxer, ein Säugetier und ein Lebewesen. Hier sprechen wir aber nicht von Synonymen-- diese vier Kategorien gehören zu unterschiedlichen Ebenen. Das Lebewesen und das Säugetier gehören in Bezug auf den Hund zu übergeordneten Kategorien, und der Boxer zu den untergeordneten. Auf diese Weise wird eine Hierarchie gebildet, die nach dem Prinzip der Einbeziehung funktioniert (Kleiber 1993). Zum Beispiel: Alle Spatzen sind Vögel, alle Vögel sind Lebewesen. Rosch (1975) schlägt die folgende Unterteilung der vertikalen Dimension der Kategorisierung vor: ▶ Die übergeordnete Ebene (superordinate level): Tier, Möbel ▶ Die Basisebene (basic level): Vogel, Stuhl ▶ Die untergeordnete Ebene (subordinate level): Adler, Schaukelstuhl Kategorien unterschiedlicher Ebenen sind nicht äquivalent in der Kommunikation: Wenn man in der oben angeführten Situation eine Person fragen würde, wen er oder sie auf dem Rasen vor dem Haus sieht, würde er oder sie höchstwahrscheinlich sagen: Einen Hund, und nicht: Ein Lebewesen, Ein Säugetier oder Einen Boxer. Also sind die Kategorien der Basisebene in der alltäglichen Kommunikation am meisten gebräuchlich. Dafür gibt es folgende Gründe (Kleiber 1993; Kortmann 1999; Lakoff 1987): (1) Vertreter der Basisebene haben mehrere gemeinsame Eigenschaften und werden als ähnlich wahrgenommen. So haben wir beispielsweise kein mentales Bild für ein Tier, dagegen aber für einen Hund oder einen Boxer. Ebenso können wir sehr wohl einen Hund oder einen Dackel zeichnen, aber nicht ein Tier. Also ist die Basisebene die höchste abstrakte Ebene, auf der die Vertreter der Kategorien noch eine allgemeine, globale Form haben, die als Ganzes wahrgenommen wird und als ein Bild oder Diagramm veranschaulicht werden kann. (2) Für Vertreter bestimmter Klassen der Basisebene besitzt der Mensch ein Handlungsschema beziehungsweise ein motorisches Programm. Wenn wir vor einem Stuhl oder einem Schaukelstuhl stehen, wissen wir genau, was wir tun müssen: uns darauf setzen und, wenn es um einen Schaukelstuhl geht, schaukeln. Für die übergeordnete Kategorie Möbel haben wir allerdings keinen einheitlichen Aktionsplan, weil dieses Konzept zu breit und abstrakt ist. Wir können nur annehmen, dass man sich darauf setzen kann oder dass man darauf etwas legen kann. Aber auch diese Annahmen richten sich nach unseren Vorstellungen von Kategorien der Basisebene Stuhl, Tisch etc. (3) Kategorien der Basisebene werden schneller identifiziert. Wenn man einer Person ein Bild mit einem Gimpel zeigt, erkennt sie ihn wahrscheinlich am schnellsten als einen Vogel, als einen Gimpel oder ein Lebewesen. (4) Kategorien der Basisebene sind meistens stilistisch neutral. Oft sind das kürzere Wörter mit wenigen Silben (Tier, Tisch); auf den untergeordneten Ebenen werden häufiger komplexe Wörter und Begriffe gebraucht (der deutsche Boxer, Küchentisch). Durch diese Komplexität wird die größere Spezifizität ausgedrückt. 119 3.2 Bildhaftigkeit in der Kognition: Konzeptuelle Metapher, Verkörperlichung, Prototypensemantik (5) Begriffe der Basisebene werden beim Spracherwerb und Sprachlernen am schnellsten erworben. Rosch hat Experimente mit dreijährigen Kindern durchgeführt und festgestellt, dass sie sich Basiskategorien am einfachsten merken, allerdings Probleme mit über- und untergeordneten Kategorien haben (Rosch 1978; Rosch & Mervis 1975, Rosch, Mervis, Gray, Johnson & Boyes-Bream 1976). 3.2.5 Zusammenfassung ▶ Die konzeptuelle Metapher ist ein fundamentaler kognitiver Mechanismus, durch den wir abstrakte Konzepte anhand unserer konkreten Erfahrungen strukturieren. Das geschieht im Prozess des konzeptuellen Mappings, in dem die Eigenschaften einer konkreten Entität (Quellendomäne) auf eine abstrakte Entität (Zieldomäne) übertragen werden. Das Phänomen der konzeptuellen Metapher bringt die bildhafte Basis der Begriffsentstehung und die ausschlaggebende Rolle der Vorstellungskraft bei unseren Denkvorgängen zum Vorschein. ▶ Unsere Wahrnehmung, Konzeptualisierung und Versprachlichung der Umwelt kann auf unsere körperlichen Erfahrungen und den Bau unseres Körpers zurückgeführt werden. Somit kann unsere Kognition als verkörperlicht bezeichnet werden. Unser Bild der Realität ist nicht objektiv gegeben, sondern es stellt eine Funktion unserer für die Menschengattung spezifischen und individuellen Verkörperlichung dar. ▶ Laut der Prototypensemantik haben Kategorien eine hierarchische, interne Struktur, die von den besten prototypischen Vertretern (Zentrum der Kategorie) zu den schlechtesten nicht-prototypischen Vertretern (Peripherie) organisiert ist. Auf diese Weise kann die Zugehörigkeit eines Elementes zu einer Kategorie graduell eingeschätzt werden. ▶ Über die höchste Salienz verfügen die Kategorien der Basisebene (in der vertikalen Dimension der Kategorisierung): Sie werden von Menschen als ein ähnliches, einfacheres mentales Bild wahrgenommen und abgespeichert und auf dieser Grundlage schneller identifiziert. 3.2.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Erklären Sie bitte, wie das konzeptuelle Mapping funktioniert. 2. Wie sind unsere Kognition und unser Körper verbunden? 3. Erklären Sie den Unterschied zwischen der Theorie der konzeptuellen Metapher und der Theorie der primären Metapher. 4. Wie sind die Kategorien laut der Prototypensemantik organisiert? 120 3. Sprachliche Bildhaftigkeit 3.3 Bildhaftigkeit im Wissenserwerb: Mentale Modelle Katsiaryna EL -Bouz In den Lerneinheiten 3.1 und 3.2 haben Sie gesehen, dass unsere Denkprozesse und unsere Sprache unzertrennlich mit dem Phänomen der Bildhaftigkeit verbunden sind. In dieser Lerneinheit finden wir nun heraus, welche Rolle die Bildhaftigkeit bei Prozessen des Wissenserwerbs spielt. Wenn man neue Informationen an Sprachlerner vermittelt, sollte das Ergebnis dabei sein, dass diese neuen Kenntnisse zu einem Teil ihres Wissensbestandes werden. Wir zeigen, dass das Wissen, auch Sprachwissen, dynamisch auf der Grundlage von neuen Erfahrungen konstruiert wird, die eine Person sammelt, oder von ihren Denkprozessen, die auf den bereits bestehenden Wissensstrukturen basieren (Seel 1991: 10; Seel 2003: 250). In dieser Lerneinheit erfahren Sie, wie neue Kenntnisse mit bestehenden verknüpft werden und wie neues Wissen in Form von bildhaften mentalen Modellen repräsentiert wird. Des Weiteren lernen Sie, wie die Bildung mentaler Modelle im Lernprozess unterstützt werden kann und wie sich die mentalen Modelle der Lerner entwickeln können. Diese Lerneinheit orientiert sich im Wesentlichen an Kanaplianik ( EL -Bouz) 2016, S. 104-115. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ Prozesse des Wissenserwerbs erklären können; ▶ die Rolle der Bildhaftigkeit bei der Konstruktion neuen Wissens verstehen; ▶ Lernprozesse der Lernenden besser verstehen und im Unterricht unterstützen können. 3.3.1 Die Bildung mentaler Modelle Im Alltag werden Menschen ständig mit neuen Informationen konfrontiert, die sie in ihre bereits bestehenden Wissensstrukturen integrieren müssen. Außerdem begegnen Menschen ebenfalls ständig neuen Problemen, die eine Lösung brauchen. Das Ergebnis dieser Integrations- und Problemlösungsprozesse sollte ein Gleichgewicht des kognitiven Systems (Äquilibration (Piaget 1975)) sein. Dieses Ergebnis kann auf zwei komplementäre Arten erreicht werden: durch Assimilation (Top-down-Verarbeitung) oder durch Akkomodation (Bottom-up-Verarbeitung) (Piaget 1975, siehe auch Lerneinheit 7.1 im Band »Sprachenlernen und Kognition«). Bei beiden Prozessen spielt das individuelle Vorwissen der Person die entscheidende Rolle. Wenn sich das neue Wissen auf der Basis bisheriger Erfahrungen interpretieren lässt und keine konzeptuellen Veränderungen erforderlich sind, wird es in die vorhandenen Wissensstrukturen ohne Widerstand integriert. Wenn die Person für die Lösung des vor ihr stehenden Problems bereits über ein funktionierendes Schema verfügt, wird dieses angewendet. In beiden Fällen geschieht der Prozess der Assimilation. Es kann aber auch sein, dass es der Person nicht gelingt, das neue Wissen in Einklang mit ihren bestehenden Wissensstrukturen zu bringen. Auch ein vorhandenes Schema kann für die Problemlösung nicht funktionieren, beziehungsweise die Person verfügt über kein solches 121 3.3 Bildhaftigkeit im Wissenserwerb: Mentale Modelle Schema. In diesen Fällen müssen die Wissensstrukturen selbst anhand der neuen Informationen beziehungsweise in Übereinstimmung mit dem Problem verändert, restrukturiert und erweitert werden. Das ist der Prozess der Akkommodation. Bei der Akkomodation sind ebenfalls zwei Varianten möglich, abhängig von ihrem Ergebnis. Die erste Möglichkeit ist, dass ein bereits bestehendes Schema erweitert (accretion) oder angepasst (tuning) wird. Sollten diese Prozesse aber nicht gelingen, gibt es nun eine zweite Möglichkeit: Im Arbeitsgedächtnis wird durch Reorganisationsprozesse ein subjektives mentales Modell gebildet (Hanke 2006: 10ff; Ifenthaler 2010: 82; Kanaplianik 2016: 105f; Roche 2013: 260f; Scheller 2009: 18f; Seel 1991: 14, 44; Seel 2003: 58, 250). In einem weiteren Schritt wird das neu gebildete mentale Modell mit der Außenwelt abgeglichen: Erzeugt die neue Information Plausibilität, wenn sie mit diesem Modell dargestellt wird? Kann das Problem mithilfe des Modells erfolgreich gelöst werden? Wenn die Fragen positiv beantwortet werden können, wird die Modellbildung vorläufig abgeschlossen. Wird das mentale Modell in neuen Situationen immer wieder bestätigt, wird es als ein Schema im Langzeitgedächtnis abgespeichert. Wenn allerdings das Problem mit diesem mentalen Modell nicht gelöst werden kann, wird die Modellbildung fortgesetzt, bis ein wirkendes Modell gebildet wird oder bis die Person die Problemlösung ganz aufgibt (Hanke 2006: 52f). 3.3.2 Das Konzept des mentalen Modells Aus der Perspektive der Kognitionswissenschaften ist ein mentales Modell eine Sonderform der mentalen Repräsentation, eine konzeptuelle Struktur. Diese Struktur wird von einer Person zur Problemlösung gebildet, beinhaltet die für das spezifische Problem relevanten Merkmale und ist daher subjektiv plausibel (Ifenthaler 2010: 82; Moser 2003: 188; Rieber 1991: 326; Seel 2003: 258). Dabei sind die mentalen Modelle keine stabilen und im Langzeitgedächtnis fixierten Strukturen-- sie werden nach Bedarf im Arbeitsgedächtnis konstruiert, um eine Situation mit ihren spezifischen Anforderungen zu meistern (Seel 2003: 258). Die Bildung mentaler Modelle basiert auf einer Interaktion von menschlicher Wahrnehmung und Gedächtnis (Ifenthaler 2006: 7) sowie auf solchen kognitiven Prozessen, wie Berechnen, Simulieren und Vorhersagen, und stellt die tiefste Form des Verstehens dar (Jonassen & Cho 2008: 146; Seel 1999: 155). Außerdem setzt die Bildung mentaler Modelle die „Lernfähigkeit des modellschaffenden Systems (als Kompetenz des Erwerbs und Aufbaus von Weltwissen)“ (Seel 1991: 28) voraus. Ihrerseits ist die Lernfähigkeit des Systems mit den kognitiven Prozessen der Aufnahme von Informationen, ihrer Weiterverarbeitung, Speicherung und Anwendung verknüpft (Seel 1991: 28). Während Einigkeit darüber besteht, dass die zur Modellbildung notwendigen Informationen über verschiedene Sinnesmodalitäten erworben werden, wird das Wesen eines mentalen Modells selbst unterschiedlich beschrieben. Schnotz und Bannert (1999) sowie Schnotz (2001) betrachten mentale Modelle als Formen der rein depiktionalen (bildlichen) Repräsentation (basierend auf der Theorie von Johnson-Laird 1983). Jonassen und Cho (2008) bezeichnen sie dagegen als komplexe dynamische Konstruktionen, die gleichzeitig multidimensional und multimodal sind (das heißt, sie beinhalten textliche, auditive und visuelle Elemente). 122 3. Sprachliche Bildhaftigkeit Engelkamp und Zimmer (2006) weisen auch darauf hin, dass mentale Modelle multimodal aufgebaut sind: Ergebnisse eines logischen Denkprozesses werden in Form von textuellen Repräsentationen widergespiegelt, während dynamische Prozesse, beispielsweise Bewegungsabläufe, bildhaft modelliert werden. Generell sind mentale Modelle nicht ausschließlich auf das bildhafte Denken angewiesen, obwohl sie damit eng verbunden sind (Scheller 2009: 19-20). Grundsätzlich entspricht ein mentales Modell dem Originalsachverhalt, ist allerdings kein einfaches Replikat davon (Seel 1991: 19f). Bei der Bildung mentaler Modelle spielen strukturelle Analogien eine zentrale Rolle; die inhaltliche Korrespondenz mit dem Original ist dabei nicht notwendig (Hanke 2006: 40f; vergleiche Ifenthaler 2006; Johnson-Laird 1983, 2004, 2013; Seel 1991). Daher spiegeln die mentalen Modelle nicht die vollständige Struktur des Originals wider, sondern sie stellen „kognitive Approximationen an Phänomene der wahrnehmbaren oder vermittelten Welt“ (Seel 1991: 59) dar. Da es ihre Hauptfunktion ist, subjektive Plausibilität der neuen Information zu erzeugen und zur Problemlösung beizutragen, sind sie auf die Absichten und Ziele des Modellschaffenden abgestimmt und schließen daher nur diejenigen Aspekte des Sachverhaltes ein, die für die Lösung des Problems relevant sind, während andere Aspekte außer Acht gelassen werden (Johnson-Laird 2004: 203; Johnson- Laird 2013: 131). Aus diesem Grund sind mentale Modelle flexibel, unvollständig, vereinfacht, instabil und in ihrer Anwendbarkeit eingeschränkt (Hanke 2006: 14f; Ifenthaler 2006: 12; Moser 2003: 188; Seel 1991: 27, 96). Trotzdem erlauben es mentale Modelle, ohne vollständige Informationen richtige Schlussfolgerungen zu ziehen; das wird durch Einsatz vorhandenen Wissens sowie durch deduktive Inferenzen und Simulationsprozesse ermöglicht (Ifenthaler & Seel 2013: 132). 3.3.3 Lernabhängige Progression der mentalen Modelle Wie wir bereits gesehen haben, ist die Bildung mentaler Modelle ein wichtiger Bestandteil von Prozessen des Wissenserwerbs, unter denen auch die Lernprozesse einzuordnen sind. In diesem Abschnitt erfahren wir, wie die Lernprozesse anhand des Konzepts der mentalen Modelle beschrieben werden können und wie diese Prozesse im Unterricht sinnvoll unterstützt werden können. Die Bildung eines mentalen Modells im Lernprozess kann als ein komplexer Vorgang beschrieben werden. Solange die Informationsverarbeitung noch nicht abgeschlossen ist, befindet sich das interne Modell eines Lerners im Aufbau und weist Wissenslücken auf. Aufgrund dieser Lücken erwartet der Lerner zielgerichtet die fehlenden Informationen und sucht aktiv danach, was zur Vervollständigung und zur Veränderung seines mentalen Modells führt (Moser 2003: 184; vergleiche Collins, Brown & Larkin 1980). Solange solche Veränderungen auftreten und sich das Wissen verändert, operiert der Lerner immer noch mit einem mentalen Modell. Im Idealfall kommt das System allmählich in einen stabilen Zustand: Die bestehende Wissensstruktur wird durch neue Informationen nicht mehr modifiziert, sondern immer wieder bestätigt und erzeugt Plausibilität. Dadurch etabliert sich das mentale Modell und wird als ein Schema im Langzeitgedächtnis abgespeichert (Ifenthaler, Masduki & Seel 2011; 123 3.3 Bildhaftigkeit im Wissenserwerb: Mentale Modelle Ifenthaler & Seel 2011; Ifenthaler & Seel 2013; Hanke 2006; Seel 1991). Also ist das Ziel des Lernprozesses die Entwicklung und Abspeicherung eines Schemas zur Problemlösung im Langzeitgedächtnis. Da die Bildung von mentalen Modellen vom bereits vorhandenen Wissen abhängig ist, sind die mentalen Modelle von Novizen und Novizinnen sowie Experten und Expertinnen zu einem Thema unterschiedlich (Ifenthaler 2006: 2). Den Experten und Expertinnen gelingt es viel besser, den Aufgabenanforderungen entsprechend das notwendige Wissen zu extrahieren, zu interpretieren und auf dieser Basis korrekte Analogien zu bilden. Die Novizen und Novizinnen hingegen haben in der Regel mehr Probleme damit, die relevanten Informationen zu erkennen, und fokussieren sich oft auf oberflächlichen Merkmalen eines Sachverhalts (Scheller 2009: 20; Seel 2003: 258). Daher vollzieht sich die Entwicklung eines mentalen Modells (auch im Idealfall) von einem Novizenmodell bis zu einem Expertenmodell (Johnson-Laird 1989; Ifenthaler 2006; Seel 2003), wobei „Novizenmodelle ausdifferenziert, verbessert und Expertenmodellen immer ähnlicher werden“ (Ifenthaler 2006: 19f). Dieser Prozess kann durch eine pädagogische Einflussnahme unterstützt werden. Bei der externen Einflussnahme auf die Bildung mentaler Modelle werden drei Ebenen unterschieden (Ifenthaler 2006: 19f; Seel 1991: 193f): ▶ deklarative Ebene, die mit einer ständigen Restrukturierung von Umfang und Qualität des relevanten Wissens verbunden ist; ▶ prozedurale Ebene, die auf eine Verbesserung der kognitiven Prozesse und Heuristiken bezogen ist; ▶ semiotische Ebene, auf der die Kompetenz des modellschaffenden Systems gefördert wird, das Weltwissen mittels Symbolsysteme zu repräsentieren. Dementsprechend sind die folgenden Formen von instruktionalen Maßnahmen zur Unterstützung der Modellbildung möglich: ▶ auf der deklarativen Ebene: Bereitstellung von notwendigem Wissen zu einem Thema, welches in den nächsten Schritten für die Bildung eines mentalen Modells verwendet werden kann; ▶ auf der prozeduralen Ebene: Veranschaulichung struktureller Zusammenhänge eines Sachverhaltes mit Visualisierungen, um Analogien herzustellen und Inferenzbildung zu unterstützen; ▶ auf der semiotischen Ebene: Bereitstellung von entsprechenden Repräsentationshilfen zur „Vergegenwärtigung“ des Wissens (Seel 1991: 210). 3.3.4 Mentale Modelle und bildhafte Lernmittel Da die mentalen Modelle eng mit dem bildhaften Denken verknüpft sind, kann ihre Bildung unter bestimmten Bedingungen durch verschiedenartige bildhafte Lernmittel (Visualisierungen) effizient unterstützt werden (Seel 2003: 262; Scheller 2009: 21). Im Folgenden werden zwei Möglichkeiten diskutiert: Verwendung von instruktionalen Modellen und Einsatz von Animationen. 124 3. Sprachliche Bildhaftigkeit Instruktionale Modelle sind visuelle Darstellungen (Bilder, Schemata etc.), die einen komplexen Sachverhalt anschaulich erklären. Abbildung 3.19: Beispiel eines Schemas zum Thema Fotosynthese (Bauersachs o. J.) Das sind „didaktisch aufbereitete Repräsentationen-[…], die in Bezug auf das Vorwissen der Lerner und die spezielle Anforderungssituation (Problemlösen im Unterricht oder in einer Alltagssituation) die Konstruktion mentaler Modelle unterstützen sollen“ (Ifenthaler 2006: 14). Die genaue Struktur mentaler Modelle kann durch die Form der Visualisierung beeinflusst werden (Schnotz & Bannert 1999: 232; siehe auch Schnotz & Bannert 2003). Daher werden dynamische Lerninhalte (Prozesse, Bewegungen etc.) am besten mit dynamischen Visualisierungen veranschaulicht, damit ein dynamisches mentales Modell mit der korrekten Darstellung aller Abläufe gebildet werden kann. Zu solchen dynamischen Visualisierungen gehören Animationen. Unter einer Animation wird ein simuliertes Laufbild verstanden, das Bewegung von gezeichneten Objekten darstellt und daher die Wahrnehmung einer kontinuierlichen Änderung auslöst (Mayer & Moreno 2002: 88; Schnotz & Lowe 2008: 304). Animationen sind besonders für die Vermittlung dynamischer Sachverhalte geeignet, die Veränderungen in Raum und Zeit darstellen und daher die Konstruktion dynamischer mentaler Modelle erfordern (Betrancourt 2005: 293; Grass 2013: 101; Schnotz & Rasch 2009: 412; Roche 2013: 69; Roche & Scheller 2008: 208). Wenn dynamische Sachverhalte mit Ani- 125 3.3 Bildhaftigkeit im Wissenserwerb: Mentale Modelle mationen vermittelt werden, besteht eine Strukturanalogie zwischen dem Sachverhalt und der Visualisierung im Vergleich zu statischen Bildern. Daher ist der Aufwand zur Entnahme der aufgabenrelevanten Informationen geringer (Scheller 2009: 116f). Schnotz und Rasch weisen auf zwei positive Funktionen hin, die die Animationen bei der Konstruktion mentaler Modelle erfüllen: ermöglichende (enabling) und erleichternde (facilitating). Wenn die Lerner über keine Vorkenntnisse zum Thema verfügen oder Schwierigkeiten mit der Bildung der Visualisierungen haben, ermöglichen ihnen Animationen die Situation mental zu simulieren. Darin besteht ihre ermöglichende Funktion. Wenn die Lerner zu solchen Visualisierungen selbst imstande sind, können die Animationen durch Aktivierung von Schemata kognitive Kosten für mentale Simulationen verringern und daher die limitierten kognitiven Ressourcen für das Lernen sparen. Darin besteht ihre erleichternde Funktion (Schnotz & Rasch 2005: 57; Schnotz & Rasch 2008: 111; siehe auch Ainsworth 1999; Schnotz 2003). Darüber hinaus bieten die Animationen im Unterrichtskontext solche Visualisierungen verschiedenartiger Phänomene an, die in einer Lernsituation nicht reproduzierbar sind (zum Beispiel ein Vulkanausbruch) oder für visuelle Wahrnehmung nicht unmittelbar zugänglich sind (zum Beispiel Elektrizität) und durch textuelle Beschreibungen nur mit großem Aufwand vermittelt werden können (Betrancourt 2005: 288; Roche 2009: 399). Da die Bewegung eine starke aufmerksamkeitssteuernde Wirkung hat, kann in den Animationen die Aufmerksamkeit der Lerner außerdem gezielt auf die wichtigsten Elemente fokussiert werden. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit erfolgreichen Lernens erhöht (Lowe 2003: 175; Scheller 2009: 114). 3.3.5 Vorhandene Misskonzepte der Lerner und der konzeptuelle Konflikt Die Lerner, die zu Ihnen in den Unterricht kommen, sind keine „weißen Tafeln“. Sie bringen ihre subjektiven Einstellungen, Motivation und vor allem ihr Vorwissen mit. Daher kann es oft der Fall sein, dass die Kenntnisse, die Sie im Unterricht vermitteln, mit dem Vorwissen und den bereits bestehenden mentalen Modellen der Lerner konfrontiert werden. Dabei können diese bestehenden mentalen Modelle manchmal lückenhaft, inkonsistent und sogar fehlerhaft sein, aber trotzdem eine hohe Veränderungsresistenz aufweisen (Ifenthaler 2006: 22; Seel 1999: 158f). Wie im Abschnitt 3.3.2 diskutiert wurde, erlaubt es die subjektive Plausibilität eines mentalen Modells einer Person, ein Problem zu lösen, ohne über vollständige Informationen darüber zu verfügen. In diesem praktischen Vorteil verbirgt sich allerdings eine Gefahr: Es kann sein, dass ein mentales Modell, obwohl es zur Problemlösung führt, falsch ist, und die Lerner daher über ein Misskonzept verfügen (Shute & Zapata-Rivera 2008: 25). Lerner können relativ feste Vorstellungen über Phänomene der Realität haben, die sich durch ihre Alltagserfahrungen etabliert haben. Damit treten sie in den Unterricht ein, wo ihnen das wissenschaftliche Modell vermittelt wird. Die neuen Kenntnisse sind allerdings meistens abstrakter und komplexer als das vorhandene mentale Modell, das im konzeptuellen System verankert ist und dessen subjektive Plausibilität bereits erfolgreich bestätigt wurde. Daher stoßen sie auf Widerstand. In solchen Fällen ist es nicht leicht, die Lerner zur Veränderung ihrer Misskonzepte zu bringen. Allerdings ist das durch einen gezielten externen Einfluss möglich (Ifenthaler 2006: 19f; Seel 1991: 8f; Seel 1999: 158f). 126 3. Sprachliche Bildhaftigkeit Was ist nun zu machen, wenn die Lerner bereits über ein Misskonzept zu einem Sachverhalt verfügen? Zum einen sind nicht alle Misskonzepte unbedingt stabil und veränderungsresistent: Manche von ihnen bestehen nur deswegen, weil es bisher keine plausiblen Alternativen gab, und können zu einer schnellen und tiefgehenden konzeptuellen Veränderung innerhalb einer kurzen Periode führen (Smith, Di Sessa & Roschelle 1993: 152). Zum anderen gibt es Wege, auch mit festen Misskonzepten umzugehen. In dieser Hinsicht besteht allerdings unter den Autoren und Autorinnen keine einheitliche Meinung. Eine Lösung ist, die Lerner direkt dazu zu bringen, ihre Misskonzepte zu externalisieren (als Mindmaps, Schemata und so weiter) und mit richtigen Konzepten zu vergleichen. Dadurch sollten die Lerner Anomalien und Inkonsistenzen in ihren Konzepten erkennen und zu ihrer Überarbeitung und Neustrukturierung angeregt werden (Jonassen, Strobel & Gottdenker 2005: 20f). Solch eine explizite Konfrontation könnte aber die individuelle Bedeutung von Misskonzepten nur noch mehr hervorheben und sie weiter befestigen. Daher sollte man eher nicht versuchen, diese direkt zu bekämpfen oder durch richtige Modelle zu ersetzen (Smith, Di Sessa & Roschelle 1993: 154). Ein konstruktiverer Weg ist dagegen, den Lernern eine Erfahrungsbasis für einen komplexen und graduellen Prozess der Konzeptänderung zur Verfügung zu stellen, indem man bei ihnen einen konzeptuellen Konflikt erzeugt (Hewson & Hewson 1984; Jonassen, Strobel & Gottdenker 2005: 30; Seel 1991: 211; Smith, Di Sessa & Roschelle 1993: 154). Der konzeptuelle Konflikt wird durch eine Diskrepanz zwischen den erfahrenen Ereignissen und den Erwartungen der Lerner evoziert; sein Wesen kann folgenderweise erklärt werden: Dieses Konzept ist eng mit der Idee verbunden, ‚lieb gewordene‘ Erklärungsansätze in Frage zu stellen und die Notwendigkeit konzeptueller Veränderungen deutlich zu machen. Mit anderen Worten: Der ‚konzeptuelle Konflikt‘ zielt auf eine Restrukturierung des Weltwissens ab. (Seel 1991: 211) Der konzeptuelle Konflikt ist nicht ein Vorgang, der einfach zum Ersetzen des eigenen Modells durch ein Expertenmodell führt, sondern ein komplexes Muster von Veränderungen auf der Systemebene, die zusammen viele miteinander verbundene Wissenselemente einbeziehen (Smith, Di Sessa & Roschelle 1993: 154). Das ist der erste Schritt auf dem Weg zur Reorganisation und Restrukturierung der mentalen Modelle, der seinerseits auch stufenweise abläuft. Zuerst soll dem Lerner der Widerspruch zwischen der Umwelt und dem eigenen konzeptuellen System bewusst werden, was anschließend von einem Änderungsbedürfnis gefolgt werden soll (Jonassen, Strobel & Gottdenker 2005: 30). Um diesen Zustand zu erreichen, soll den Lernern zusätzliches (faktisches und funktionales) Wissen bereitgestellt werden, das für sie subjektiv begründbar, konsistent, plausibel und fruchtbar sein soll (Seel 1991: 212f). 3.3.6 Diagnose der mentalen Modelle Vor dem oben diskutierten Hintergrund stellt sich nun die Frage, wie man die Bildung mentaler Modelle verfolgen und erforschen kann. Die Diagnose der mentalen Modelle bietet aussichtsreiche Möglichkeiten an einen Einblick in das kognitive System der Lerner zu bekommen, welcher bei klassischen Evaluationen 127 3.3 Bildhaftigkeit im Wissenserwerb: Mentale Modelle (zum Beispiel diversen Tests) nicht immer möglich ist (Schütze, Streule & Läge 2011). Dabei sollte beachtet werden, dass die internen mentalen Modelle als dynamische multimodale Repräsentationen für eine Analyse nicht direkt zugänglich sind. Um analysiert zu werden, müssen sie in eine externe Repräsentationsform übertragen werden (Engelkamp & Pechmann 1993: 14; Hanke 2006: 58; Ifenthaler 2006: 23; Seel 1991: 162). Dabei geschieht beim Externalisieren eines mentalen Modells ihre Transformierung und Anpassung an vorhandene externe Zeichensysteme; insofern sollte man beachten, dass das externalisierte Modell dem zugrundeliegenden mentalen Modell nicht eins-zu-eins entspricht (Jonassen, Strobel & Gottdenker 2005). Aus diesem Grund ist eine passende Form des Externalisierens höchst relevant, die eine möglichst adäquate und genaue Darstellung eines mentalen Modells ermöglicht (Hanke 2006: 142; Ifenthaler 2008: 57; Ifenthaler 2010: 83). Zu den Verfahren und Instrumenten, die dazu eingesetzt werden können, gehören lautes Denken, Struktur-Lege-Techniken, Concept-Mapping-Tools, der Test für Kausalmodelle und der Oberflächen-Struktur- Vergleich (Ifenthaler 2006: 23). Die aussichtsreichsten Methoden zur Diagnose der mentalen Modelle stellen computerbasierte Instrumente dar (Jonassen & Cho 2008), von denen einige nun näher erläutert werden. Ein Versuch, ein Instrument zur Erhebung der mentalen Modelle zu entwickeln, wurde von Hanke (2006) unternommen; allerdings hat die entwickelte Lernumgebung einige Nachteile aufgewiesen (zum Beispiel Nicht-Berücksichtigung von synonymen Begriffen) (Hanke 2006: 142ff). Einen weiteren Entwicklungsschritt stellt die kombinierte HIMATT -Software (Highly Integrated Model Assessment Technology and Tools) dar, die einige qualitative und quantitative methodologische Ansätze zur Diagnose der mentalen Modelle in einer Umgebung vereinigt und Analyse von ihrer Struktur, Komplexität, Integriertheit, Semantik und propositionaler Zusammensetzung ermöglicht (Ifenthaler 2006, 2010; Pirnay-Dummer 2006; Pirnay-Dummer, Ifenthaler & Spector 2010). Eine aktuelle Weiterentwicklung des Tools HIMATT stellt die AKOVIA -Software (Automated Knowledge Visualization and Assessment) dar, die zur Visualisierung von mentalen Modellen anhand schriftlicher Texte bestimmt ist (Pirnay-Dummer 2011; Pirnay-Dummer & Ifenthaler 2010, 2011). Beide Instrumente wurden empirisch getestet (siehe zum Beispiel Grass 2013 für HIMATT ; Mistree, Ifenthaler & Siddique 2013 für AKOVIA ) und konnten Veränderungen der mentalen Modelle der jeweiligen Probanden und Probandinnen festlegen. In der folgenden Abbildung ist das Ergebnis einer computerbasierten Diagnose der mentalen Modelle nach Grass (2013) dargestellt. Links ist das Modell, das ein Schüler vor dem Lernen mit Grammatikanimationen zum Thema Wechselpräpositionen hatte. Rechts ist das Modell nach dem Lernen. Hier tritt die bildhafte Basis der mentalen Modelle besonders klar zum Vorschein, die eine unmittelbare Entsprechung im Diagnoseverfahren findet. Die mentalen Modelle der Lerner werden in Form von visuellen Diagrammen mit klar erkennbaren Zusammenhängen zwischen den einzelnen Konzepten repräsentiert. 128 3. Sprachliche Bildhaftigkeit Abbildung 3.20: Schüler 1: Modelle vor und nach dem Lernen mit den Grammatikanimationen (Grass 2013: 104) 3.3.7 Zusammenfassung ▶ Mentale Modelle stellen flexible, dynamische Wissensstrukturen dar, die eng mit dem bildhaften Denken verknüpft sind. Sie werden im Arbeitsgedächtnis dann konstruiert, wenn neue Informationen nicht in die bestehenden kognitiven Strukturen assimiliert werden können. ▶ Mentale Modelle sind für Problemlösungen bestimmt; daher erzeugen sie subjektive Plausibilität und dienen zur Veranschaulichung und Vereinfachung von Sachverhalten in der Außenwelt sowie zur Analogiebildung und zur gedanklichen Simulation von Prozessen. ▶ Mentale Modelle können durch Lernprozesse entwickelt und verändert werden, wobei sich beim Lerner im Idealfall die Veränderung vom Novizenmodell bis hin zum Expertenmodell vollziehen sollte. Im Endergebnis stabilisiert sich das mentale Modell und wird als ein Schema im Langzeitgedächtnis abgespeichert. ▶ Die Bildung von mentalen Modellen kann von außen durch instruktionale Maßnahmen beeinflusst werden, indem man das konzeptuelle System auf verschiedenen Ebenen unterstützt, verschiedene Lernformen und adäquate Visualisierungsarten anbietet sowie instruktionale Modelle und Animationen verwendet. ▶ Sollten die Lerner bereits über fehlerhafte Präkonzepte verfügen, können diese durch Auslösen vom konzeptuellen Konflikt bei ihnen verändert werden. ▶ Die Analyse der mentalen Modelle anhand computerbasierter Instrumente bietet eine aussichtsreiche Möglichkeit an, die Veränderung des Wissenssystems der Lerner nachzuverfolgen und zu bewerten. 3.3.8 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Erklären Sie den Prozess der Bildung mentaler Modelle. 2. Beschreiben Sie die wichtigsten Eigenschaften mentaler Modelle. 3. Wie wird ein mentales Modell im Lernprozess aufgebaut? 4. Wie unterstützen Animationen die Bildung mentaler Modelle? 5. Wie kann mit Misskonzepten der Lerner umgegangen werden? 129 3.3 Bildhaftigkeit im Wissenserwerb: Mentale Modelle 4. Grammatik Schon seit Jahrtausenden beschäftigen sich die Menschen mit dem Phänomen der Sprache und ihrem Aufbau. Dieses Kapitel setzt sich mit dem Begriff und dem Konzept der Grammatik auseinander. Der Begriff selbst hat seine Ursprünge in der Antike. Zu jener Zeit wurde er jedoch eher im Sinne von Philologie gebraucht. Bedingt durch neue Erkenntnisse aus unterschiedlichen linguistischen Teildisziplinen, wie zum Beispiel der Neurolinguistik, der Spracherwerbsforschung, der Forschung zu Phänomenen des Sprachwandels oder der Sprachenkontaktforschung, entstehen im Bereich der Grammatik immer wieder neue Fragestellungen. So ist es beispielsweise ein Desiderat der Spracherwerbsforschung, Grammatik so zu definieren, dass das, was man beim Erwerb der Erst- und Zweitsprache beobachtet, auch erklärt werden kann. Bisherige Theorien konnten zwar die Sprachproduktionen meist beschreiben, waren jedoch nicht erklärungsadäquat, das heißt sie konnten den Erwerbsprozess nicht erläutern (vergleiche Kapitel 7 in diesem Band). Darüber hinaus wird immer wieder der Einfluss der Einzelsprachgrammatik auf das menschliche Denken untersucht (Annahme der sprachlichen Relativität), ein Gedanke, der auf Wilhelm von Humboldt zurückgeht (vergleiche Lerneinheit 5.2). Auch in diesem Kontext setzen Forscher innovative Methoden wie zum Beispiel Eye-tracking ein, um so zu immer neuen Erkenntnissen zu gelangen. Dies kann wiederum Konsequenzen für die zugrundeliegende Grammatiktheorie haben. In der ersten Lerneinheit dieses Kapitels (4.1) wird zunächst erörtert, was man unter Grammatik im Allgemeinen versteht und was für Annahmen über Sprache (und Sprachproduktion) ausgewählten Grammatiktheorien zugrunde liegen. Der Fokus soll hierbei auf den Unterschieden zwischen den verschiedenen Ansätzen liegen, wobei am Ende die Thesen der Konstruktionsgrammatik thematisiert werden. Lerneinheit 4.2 schließt mit einer näheren Betrachtung der Konstruktionsgrammatik an, in der verschiedene Strömungen der Konstruktionsgrammatik vorgestellt, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet und der Konstruktionsbegriff erläutert wird. Die Lerneinheit 4.3 setzt sich mit der mentalen Repräsentation von Konstruktionen auseinander und berücksichtigt dabei den Aspekt der Mehrsprachigkeit. 130 4. Grammatik 4.1 Die verschiedenen Grammatikansätze Anne-Katharina Harr Die erste Lerneinheit des Kapitels beschäftigt sich, wie bereits erwähnt, mit dem Begriff Grammatik. Nach einer theorieneutralen Definition des Begriffs werden drei Grammatiktheorien näher erläutert. Den Ausgangspunkt bildet de Saussures Annahme von Sprache als einem geordneten Zeichensystem, in dem die Grammatik die Regeln zur Verknüpfung der Zeichen festlegt. Es folgt ein Blick auf die generative Grammatik von Chomsky, der davon ausgeht, dass Menschen eine sogenannte Universalgrammatik angeboren ist. Diese beinhaltet ein Regelsystem, das Transformationsregeln umfasst, mithilfe derer Sprecher und Sprecherinnen Sätze produzieren. Diese Konzepte sowie Chomskys Dichotomie zwischen i-/ E-language werden dargestellt und kritisch betrachtet. Den Abschluss bildet die Vorstellung der Konstruktionsgrammatik unter besonderer Berücksichtigung des gebrauchsbasierten Ansatzes. Ein Hauptvertreter des gebrauchsbasierten Ansatzes ist Michael Tomasello, der annimmt, dass Grammatik durch die Konventionalisierung sprachlicher Strukturen entsteht und es keine angeborene sprachspezifische Disposition für Sprache gibt. Diese Ansicht wird schließlich mit den konstruktionsgrammatischen Annahmen zusammengeführt, die in Lerneinheit 5.2. weiter vertieft werden. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ den Begriff Grammatik differenziert definieren können; ▶ die Ansichten von de Saussure, Chomsky und der funktionalen sowie der Konstruktionsgrammatik einordnen und erklären können; ▶ die unterschiedlichen Ansätze kritisch beurteilen und ihre Grenzen identifizieren können. 4.1.1 Der Begriff Grammatik Der Begriff Grammatik leitet sich vom griechischen Substantiv γραμματική (grammatikē-- ,Schriftkenntnis‘) ab, das wiederum eine Derivation zu γράμμα (grámma- - ,Buchstabe, Schrift, Brief ‘) darstellt (Bußmann 2008: 241-242). Bezeichnete der Terminus in der Antike alle Künste, die sich dem Abfassen und Interpretieren von Texten widmeten, so wurde im Mittelalter darunter nur noch die Sprach- und Stillehre der alten Sprachen, insbesondere des Lateinischen, verstanden. Grammatik stellte neben Rhetorik und Dialektik einen Bereich des triviums, das heißt der ersten drei der insgesamt sieben freien Künste an mittelalterlichen Universitäten, dar, mit dem sich alle Studenten zu Beginn ihres Studiums beschäftigen mussten (vergleiche Tavoni 2000). Schon im Humanismus wird der Terminus nicht mehr ausschließlich mit den klassischen Sprachen in Verbindung gebracht, was zeigt, dass man auch anderen Sprache (neben den Nationalsprachen wie Deutsch, Russisch etc. zum Beispiel indigenen Sprachen wie Nahuatl in Mexiko oder Nyulnyulan in Australien) grammatische Strukturen zuerkannte, die beschreibenswert erschienen (vergleiche Stangl 2010: 86). In der 131 4.1 Die verschiedenen Grammatikansätze neueren Sprachwissenschaft wird der Begriff Grammatik zur Bezeichnung unterschiedlicher Gegenstandsbereiche verwendet (vergleiche Bußmann 2008: 241-242): (1) Traditionell bezeichnet Grammatik das Wissen beziehungsweise die Lehre von den morphologischen und syntaktischen Regularitäten einer natürlichen Sprache. Linguistische Teilbereiche wie Phonetik und Semantik werden hierbei meist ausgeklammert (vergleiche Helbig 2001). (2) Grammatik wird als strukturelles Regelsystem verstanden, das den sprachlichen Produktions- und Verstehensprozessen zugrunde liegt (vergleiche de Saussures Ansatz in Abschnitt 4.1.2). (3) In der Theorie von Chomsky wird Grammatik, wie in Abschnitt 4.1.3 näher erläutert, als Sprachtheorie gesehen, das heißt als Modell zur Abbildung der Sprachkompetenz (Chomsky 1965: 40). (4) Durch den Prozess der Metonymie wird das Wort Grammatik auch für Nachschlagewerke verwendet, in denen man eine systematische Beschreibung der formalen Regularitäten einer Sprache findet. In den einschlägigen sprachwissenschaftlichen Nachschlagewerken (wie zum Beispiel Bußmann 2008 oder Glück 2010) wird die Auffassung von Grammatik, welche der Konstruktionsgrammatik zugrunde liegt und welche in Abschnitt 4.1.5 näher erläutert wird, nicht berücksichtigt. Zu den Unterscheidungen kommen bei der Beschreibung von Grammatik(en) weitere Aspekte hinzu (deskriptive / normative / didaktische Grammatik, Kompetenzgrammatik / Korpusgrammatik etc.), auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann (vergleiche hierzu Glück 2010 und Helbig 2001). Wenn wir von einer engen Definition des Begriffs ausgehen, die unter Grammatik die morphosyntaktischen Aspekte einer Sprache subsumiert, stellt sich die Frage, wozu wir Grammatik überhaupt brauchen. Dass wir die Einträge des Lexikons benötigen, um Bedeutungen in Worte zu fassen, scheint offensichtlich. Warum natürliche Sprachen jedoch über Regularitäten zum Beispiel im Bereich der Flexion oder der Satzgliedreihenfolge verfügen, ist weit weniger ersichtlich. Der Grund hierfür ist die Tatsache, dass wir erst durch die Verwendung der Grammatik in die Lage versetzt werden, komplexe Sachverhalte, die sich nicht nur auf das Hier und Jetzt beziehen, unmissverständlich auszudrücken und auf diese Weise ökonomisch mit anderen zu kommunizieren. Darüber hinaus wird angenommen, dass der Mensch nur durch den Gebrauch von Sprache zu höheren kognitiven Leistungen in der Lage ist, da wir Sprache nutzen, um Probleme zu lösen (vergleiche Baldo, Dronkers, Wilkins, Ludy, Raskin & Kim 2005; Gentner 2003). Dies muss nicht immer geschehen, indem wir unsere Gedanken laut aussprechen, sondern oft verbalisieren wir unser Denken lautlos in unserem Kopf, ein Prozess der von Vygotsky ([1986] 1992: 224ff) inner speech genannt wird. Wichtig ist für die folgenden Ausführungen die Differenzierung des Begriffs je nach zugrundeliegender Sprachauffassung, das heißt die Unterscheidung des Begriffs Grammatik anhand der Sprachtheorie, welche die Basis der jeweiligen linguistischen Strömung bildet. Die 132 4. Grammatik Berücksichtigung dieses Aspektes ist insbesondere bei der Verwendung von Lehrer- und Lernergrammatiken relevant, da hiervon der Aufbau und die Präsentation des Stoffes abhängen. 4.1.2 Die de Saussure’sche Sichtweise Wenn man sich mit Grammatik beschäftigt, ist es unausweichlich den Namen Ferdinand de Saussure (1857-1913) zu erwähnen, dessen posthum veröffentlichter Cours de linguistique générale (1916, im Deutschen 1969) den Ausgangspunkt für den europäischen Strukturalismus bildete. Um sein Verständnis von Grammatik zu verstehen, soll zunächst auf de Saussures Definition von Sprache eingegangen werden. De Saussure unterscheidet zwischen faculté du langage, langue und parole. Unter faculté du langage versteht er die menschliche Fähigkeit, Sprache zu produzieren, bei der neurophysiologische Prozesse involviert sind. Der Begriff langue bezeichnet hingegen ein konventionalisiertes Zeichensystem, bei dem Lautbilder (signifiants) arbiträr Bedeutungen (signifiés) zugeordnet sind wie in Abbildung 4.1 am Beispiel Baum dargestellt. Abbildung 4.1: De Saussures Zeichenbegriff (nach de Saussure [1916] 1969: 99) Das abstrakte Gebilde der langue, das Laute, Wörter und Phrasen umfasst, ist ein soziales Produkt, das ausschließlich im Kopf der Sprecher und Sprecherinnen existiert und durch eine Art stillschweigendes Einvernehmen zwischen den Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft weitergegeben wird (Konventionalisierung). Im Gegensatz dazu wird parole als die sprachspezifische Ausführung der langue definiert, die vom Sprecher oder der Sprecherin individuell erfolgt (de Saussure [1916] 1969: 13). Syntaktische Prozesse, das heißt die Anordnung von Wörtern und Satzgliedern innerhalb eines Satzes, sind strenggenommen in der langue nicht festgeschrieben, sondern sind ein Phänomen der parole. Ausgenommen sind jedoch Syntagmen, also eine Folge sprachlicher Ausdrücke, „construits sur des formes régulières. En effet, comme il n’y a rien d’abstrait dans la langue, ces types n’existent que si elle en a enregistré des spécismes suffisamment nombreux“ (de Saussure [1916] 1987: 173). 133 4.1 Die verschiedenen Grammatikansätze […] der Sprache und nicht dem Sprechen sind all diejenigen Anreihungen zuzuerkennen, die nach feststehenden Regeln gebildet sind. Denn da es in der Sprache nichts Abstraktes gibt, so existieren diese Typen in der Tat nur, wenn die Sprache eine genügende Anzahl an Beispielen davon aufgespeichert hat. (de Saussure 2001: 149) Wann ein Syntagma nun als regelhafte Form zu analysieren ist, das heißt wie häufig es in der Sprache vorkommen muss, wird bei de Saussure nicht erörtert und stellt auch nicht den Fokus seines Interesses dar. De Saussure zufolge sollte Sprache unabhängig vom Sprachgebrauch untersucht werden, auch wenn er sich einer gegenseitigen Abhängigkeit der beiden Systeme bewusst ist: Die parole ist zugleich Instrument und Produkt der langue (de Saussure [1916] 1969: 37). Aus diesem Grund kann sprachlicher Wandel auch nur durch die parole entstehen. Sprecher und Sprecherinnen ändern spezifische Konventionen in ihrer Alltagssprache und im Laufe der Zeit gelangen diese Änderungen in die langue und werden auf diese Weise zur Norm. Aus diesen Ausführungen wird ersichtlich, dass de Saussure wie auch diejenigen Strukturalisten, die seine Ansätze aufnahmen, Sprache in erster Linie als geordnetes System sieht. Das Ziel ist es demzufolge, den Aufbau dieses Systems anhand eines Korpus synchroner Sprachdaten durch Segmentierung einer linearen Abfolge von Einheiten und Klassifizierung dieser Einheiten aufgrund von paradigmatischen Relationen, das heißt Elementen der gleichen Kategorie, zu beschreiben. Sprache, genauer gesagt die langue, wird folglich als die Gesamtheit der Mittel angesehen, welche den Aufbau individueller Sprechakte bestimmen (vergleiche Bierwisch 1966: 105). De Saussures langue ist daher mit einer der Bedeutungen gleichzusetzen, mit denen Grammatik definiert wird: Sie ist ein „exakt formulierbares System von Regeln, die bei wiederholter Anwendung alle Sätze der Sprache erzeugen“ (Bierwisch 1966: 107). 4.1.3 Chomskys Verständnis von Grammatik Auch bei Noam Chomsky müssen wir zunächst die Definition von Sprache betrachten, um davon ausgehend sein Verständnis von Grammatik zu verstehen. Die Auffassung von Sprache, im Sinne Chomskys, unterscheidet sich auf den ersten Blick grundlegend von der de Saussures, auch wenn beide den Fokus auf das Sprachsystem richten. Chomsky definiert Sprache „as a set (finite or infinite) of sentences, each finite in length and constructed out of a finite set of elements“ (Chomsky & Lightfood [1957] 2002: 13; vergleiche Chomsky [1980] 1989: 220). Aus diesem Zitat lässt sich bereits eine der grundlegenden Annahmen Chomskys über Sprache herauslesen: Sprache liegt das Prinzip der Rekursion zugrunde, das besagt, dass sich aus einer begrenzten Anzahl von Einheiten eine unbegrenzte Anzahl an Ausdrücken produzieren lässt, was sich sowohl auf Wörter als auch auf Sätze beziehen kann. So nehmen neuere generative Arbeiten an, die angeborene Prädisposition für den Spracherwerb beschränke sich auf das Prinzip der Rekursion (vergleiche Hauser, Chomsky & Fitch 2002). Die oben angeführte Definition von Sprache ist sehr global und kann daher auch auf andere formalisierte Systeme wie zum Beispiel die Mathematik angewandt werden. Ein sprachliches System, bestehend aus Lauten und Bedeutungen, beinhaltet Chomsky zufolge drei verschiedene Kategorien von Einheiten (vergleiche Chomsky [2000] 2007: 10): 134 4. Grammatik (1) Features: die Eigenschaften von Lauten und Bedeutungen (2) Lexical items bezeichnen diejenigen Items, die sich aus features zusammensetzen (3) Complex expressions, Einheiten, die aus lexical items bestehen Features und lexical items stellen die begrenzten Mittel dar, aus denen-- durch Kombination-- eine unendliche Anzahl an complex expressions generiert werden kann, ein Begriff, der mit Sätzen gleichgesetzt werden kann. Chomsky begrenzt Grammatik folglich auf die Syntax. In seinen frühen Werken unterscheidet Chomsky zwischen Kompetenz und Performanz, eine Dichotomie, die später durch das Begriffspaar internalized-language (I-language) und externalized-language (E-language) bezeichnet wird. Diese Unterscheidung weist verschiedene Parallelen zu de Saussures Konzepten von langue und parole auf. Sprachkompetenz (genau wie die langue) liegt dem Sprachgebrauch zugrunde, „[but] is not realized in any direct or simple way in behaviour“ (Chomsky 1972: 4). Performanz, die auf der anderen Seite an de Saussures Konzept der parole erinnert, wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst wie „memory, time, and organization of perceptual strategies that are not matters of grammar“ (Chomsky 1972: 117). I-language wird, ganz ähnlich wie Kompetenz, als das mental repräsentierte Sprachwissen eines idealen Sprechers oder einer idealen Sprecherin gesehen (Chomsky 1986: 22). Folglich ist eine spezifische Grammatik die Theorie der jeweiligen I-language (Chomsky 1986: 29). Demgegenüber betrachtet man zur Beschreibung der E-language empirische Sprachdaten und beschreibt im Anschluss deren Eigenschaften (Cook & Newson [1991] 1998: 36). Da Chomsky E-language als ein „construct independently of the properties of the mind / brain“ (Chomsky 1986: 20) versteht, ist dieses Konzept nicht mit dem der Performanz gleichzusetzen. „Im Mittelpunkt steht die Formulierung allgemeiner Gesetze, die sprachlichen Daten dienen dazu, diese gegebenenfalls zu modifizieren“ (Dürscheid 2012: 126). Chomskys Interesse besteht daher lediglich in der Beschreibung der I-language, denn ihm zufolge spielt die E-Language, die der Strukturalismus im Fokus hatte, nur eine untergeordnete Rolle bei der Etablierung einer Sprachtheorie (vergleiche Chomsky 1986: 24-26). Lange Zeit wurde in der generativen Grammatik angenommen, dass jeder Mensch mit einer Universalgrammatik geboren wird, die ihn dazu befähigt, jede beliebige Sprache der Welt zu erwerben. Diese Universalgrammatik besteht aus allgemeinen Prinzipien und sprachspezifischen Parametern, die je nach Input gesetzt werden (vergleiche hierzu Lerneinheit 7.1 dieses Bandes). Ziel der generativen Grammatik ist es nun nicht, die Grammatik der Einzelsprache zu beschreiben, sondern die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten aufzudecken, die die Basis aller Sprachen bilden. Diese sogenannte Tiefenstruktur ist die abstrakte Ebene, die der Oberflächenstruktur, der konkreten Realisierung von sprachlichen Formen mit ihren Unterschieden in Wort- und Satzgliedreihenfolge, zugrunde liegt. Seit der Jahrtausendwende haben auch Vertreter der generativen Grammatik selbst die dargelegten Annahmen immer häufiger in Frage gestellt. Insbesondere die „aufgabenspezifisch angeborene[n] Universalgrammatik“ (Fanselow 2002: 233) ist mit heutigen Erkenntnissen aus der Spracherwerbsforschung kaum noch vereinbar. Daher wird, wie oben bereits erwähnt, von Chomsky selbst nur noch das Prinzip der Rekursion als angeboren betrachtet. 135 4.1 Die verschiedenen Grammatikansätze Die generativen Ansätze sind jedoch nicht an diesem Punkt stehengeblieben, sondern haben sich zum Großteil weiterentwickelt. Viele der Vertreter der generativen Grammatik wandten sich in den letzten Jahren der Optimalitätstheorie zu, welche eine Meta-Theorie darstellt und aus verschiedenen Komponenten und Prinzipien besteht. Dieser Ansatz wird sowohl zur Erklärung des Erst-, Zweitals auch Fremdsprachenerwerbs herangezogen, wobei der Fokus meist auf der Phonologie liegt (vergleiche Bhatt & Bolonyai 2011; Fikkert & de Hoop 2009; Hancin-Bhatt 2008). 4.1.4 Die funktionale Grammatik Die allgemeinen Charakteristika der funktionalen Grammatik, wie sie im Folgenden dargestellt werden, gelten ebenfalls für die Konstruktionsgrammatik, auf die in Abschnitt 4.1.5 und vertieft in Abschnitt 4.2.3 eingegangen wird. Als funktionale Grammatiken werden meist diejenigen Strömungen zusammengefasst, die sich explizit von formalen Grammatiktheorien wie der generativen Grammatik abgrenzen. Alle funktionalen Ansätze sind der Ansicht, man könne Sprache „nicht isoliert, sondern nur in Beziehung zu ihrer Rolle in der zwischenmenschlichen Kommunikation“ (Smirnova & Mortelmans 2010: 13) erforschen. Der Sprachgebrauch wird folglich nicht ausgeklammert, sondern man versucht gerade durch die Analyse der kommunikativen und kognitiven Funktionen von Sprache auf die zugrundeliegenden Strukturen zu schließen, wobei-- nicht wie bei Chomsky-- auch andere Bereiche als die Syntax im Fokus stehen. In the functional paradigm, on the other hand, a language is in the first place conceptualized as an instrument of social interaction among human beings, used with the intention of establishing communicative relationships. Within this paradigm one attempts to reveal the instrumentality of language with respect to what people do and achieve with it in social interaction. (Dik 1997: 3) In Abgrenzung zur Konstruktionsgrammatik, die in den folgenden Lerneinheiten näher behandelt wird, ist das Ziel der funktionalen Grammatik, wie sie von Dik (1997) begründet wurde, mithilfe von Generalisierungen und deren Ausdruck in grammatischen Regeln, alle möglichen sprachlichen Ausdrücke zu spezifizieren (Jungen & Lohnstein 2006: 101). Die Grenzen der generativen Grammatik, welche die Funktionalisten oft anführen, sollen an einem Beispiel verdeutlicht werden, das zeigt, warum es nötig ist, Äußerungen in ihrem diskursiven Kontext zu betrachten (Welke 1994: 16; vergleiche auch Welke 2005): (1) Die Mensa ist neben der Bibliothek. (2) Die Bibliothek ist neben der Mensa. In Satz (1) wird die Lokalisierung der Mensa von der Bibliothek aus betrachtet, während die Perspektivierung in Satz (2) umgekehrt ist. Beide Sätze sind grammatikalisch korrekt, sie unterscheiden sich jedoch bezüglich ihrer Diskursfunktion. So ist Satz (1) eine Antwort auf die Frage Wo ist die Mensa? , nicht aber Satz (2). Der Perspektivwechsel bedingt folglich die Besetzung der Subjektposition, was rein syntaktisch nicht zu erklären ist. Nur die Betrachtung aus einer funktional-pragmatischen Perspektive kann Aufschluss darüber geben, warum die 136 4. Grammatik beiden Sätze nicht äquivalent sind (Dürscheid 2012: 174). Die Funktionalisten plädieren dafür, neben den Regeln zur Bildung von sprachlichen Ausdrücken (auf den Ebenen der Semantik, Syntax, Morphologie und Phonologie) auch die pragmatischen Regeln zu berücksichtigen, welche die Bedingungen für die Verwendung von Äußerungen vorgeben. In Beispiel (1) und (2) wäre das die Perspektive, die der Sprecher oder die Sprecherin einnimmt. Dik unterstreicht, dass erst eine Erklärung der sprachlichen Regeln durch ihre Funktionalität innerhalb des Diskurses zielführend sei (1997: 4). Grammatische Regeln sollen folglich auf die Regeln und Prinzipien der sozialen und kommunikativen Interaktion zurückgeführt werden (Jungen & Lohnstein 2006: 102). Vertreter einer formalen Strömung entgegnen den Funktionalisten, dass ihr Ansatz wiederum bestimmte Phänomene wie zum Beispiel die inkorrekte Verbletztstellung im Hauptsatz nicht erklären kann. Es wird an dieser Stelle nicht näher auf die theoretischen Auseinandersetzungen zwischen Verfechtern der beiden Positionen eingegangen, es sollte jedoch deutlich geworden sein, „dass es zwei Positionen gibt, die sich grundsätzlich darin unterscheiden, welchen Stellenwert sie kommunikativ-funktionalen Aspekten einräumen“ (Dürscheid 2012: 175). 4.1.5 Die Konstruktionsgrammatik Der Ansatz der Konstruktionsgrammatik, der in diesem Kapitel dargestellt wird und der den Übergang zu den folgenden beiden Lerneinheiten darstellt, unterscheidet sich hinsichtlich verschiedener Aspekte von der funktionalen Grammatik, insbesondere in Bezug auf die zentrale Rolle der Konstruktion und ihrer Definition. Die Konstruktionsgrammatik betrachtet Sprache als ein Netzwerk von Form-Bedeutungspaaren, die Konstruktionen genannt werden. Eine Konstruktion ist hierbei eine konventionalisierte symbolische Einheit, wobei „all levels of grammatical description involve such conventionalized form-meaning pairings“ (Hoffmann & Trousdale 2013: 1). Dem Begriff Konstruktion liegt folglich eine erweiterte Definition des de Saussure’schen Zeichenbegriffs zugrunde, der Morpheme, Wörter, Idiome und abstrakte Satzmuster umfasst, wie die Beispiele (1) und (2) verdeutlichen. (1) Pluralmorphem {-e}: {N-e}/ Plural wie in Teil-e oder Tisch-e (2) Lexikalisch vollspezifizierte idiomatische Wendungen: auf großem Fuß leben, ins Schwarze treffen Hieraus wird bereits ersichtlich, dass es keine Dichotomie mehr zwischen Lexikon und Grammatik gibt, sondern man von einem Kontinuum ausgeht. Wie in Lerneinheit 4.2 erläutert wird, ist die Konstruktionsgrammatik jedoch kein uniformes Modell, sondern fasst verschiedene theoretische Strömungen zusammen, die alle davon ausgehen, „dass die menschliche Sprache auf allen Ebenen aus Zeichen-[…] besteht“ (Fischer & Stefanowitsch 2008: 3). An dieser Stelle muss die kognitive Grammatik (cognitive grammar) erwähnt werden, die Langacker in seinem Grundlagenwerk 1987 begründete. Hierbei ging es ihm vor allem darum, sich von den generativen Modellen abzugrenzen und Sprache nicht durch angeborene Regeln zu erklären, sondern den kognitiven Aspekt in den Vordergrund zu stellen. Wenn ein 137 4.1 Die verschiedenen Grammatikansätze Sprecher oder eine Sprecherin ein Konzept versprachlichen möchte, stehen ihm oder ihr dafür eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung. Welche Formulierung er wählt, hängt nun zum einen von dem Konzept selbst, zum anderen aber auch vom Situationskontext und den konventionalisierten Einheiten (von Morphemen bis hin zu spezifischen Verknüpfungsmustern) ab. Kleinere Einheiten wie Morpheme können nun Teile von größeren Einheiten (Wörtern) sein und diese wiederum Teile von Sätzen. Die Einheiten überlappen sich folglich. Daher unterscheidet sich Langackers Definition von Grammatik grundlegend von der Chomskys: „The grammar of a language is thus a vast inventory of units structured in hierarchies that overlap and intersect on a massive scale“ (1987: 73). Wie in Abschnitt 4.2.3 ausgeführt werden wird, unterscheidet sich die kognitive Grammatik nach Langacker (1987) in bestimmten Aspekten deutlich von der Konstruktionsgrammatik. Dennoch teilen die beiden Strömungen entscheidende Charakteristika, wie zum Beispiel die Annahme eines Lexikon-Grammatik-Kontinuums, und so wurden die Ideen von Langacker vor allem von kognitiv-gebrauchsbasierten Ansätzen innerhalb der Konstruktionsgrammatik aufgegriffen und weiterentwickelt (vergleiche Fischer & Stefanowitsch 2008: 2). Bisher wurden bereits drei Grundannahmen der Konstruktionsgrammatik angeführt: (1) Die Konstruktion stellt die einzig relevante Beschreibungskategorie für Sprache dar. (2) Die Struktur von Sprache lässt sich allein durch Konstruktionen unterschiedlichen Abstraktionsgrades beschreiben. (3) Es liegt folglich ein Kontinuum zwischen Lexikon und Grammatik vor. Im Folgenden wird nun auf zwei weitere Punkte eingegangen, bei denen sich die Annahmen der Konstruktionsgrammatik und der formalen Ansätze unterscheiden: der Spracherwerb und das Konzept der Sprachkompetenz. Konstruktionsgrammatische Ansätze, vor allem diejenigen, die sich gebrauchsbasiert nennen, haben das Ziel, die mathematische Sicht auf Sprache, wie sie in der generativen Grammatik vorherrscht, durch einen psychologischen Fokus zu ersetzen (vergleiche Tomasello 2000a, 2003, 2009). Vertreter dieses Ansatzes kritisieren die klassische Vorstellung von Sprache als einem Zeichensystem, das durch grammatische Regeln charakterisiert ist, und sprechen lieber von sprachlichen Mustern und Regularitäten. Sprache beinhaltet folglich „more cognitively sophisticated learning and abstraction processes“ (Tomasello 2000a: 247), das heißt es sind zum Spracherwerb eine Reihe von rein kognitiven Fähigkeiten nötig, wie beispielsweise Analogiebildung oder Abstraktionsvermögen. Kinder werden nicht mit einer Universalgrammatik geboren, sondern nutzen sowohl ihre allgemein kognitiven als auch sozial-pragmatischen Fähigkeiten, um Sprache zu erwerben. Sie beobachten wie Erwachsene bestimmte Konstruktionen nutzen und bringen diese mit ihrer Bedeutungsabsicht in Verbindung (Tomasello 2009: 79). Nach und nach abstrahieren sie aus konkreten Äußerungen immer abstraktere Schemata und können diese zunehmend kreativer füllen beziehungsweise produktiv kombinieren (vergleiche Lieven, Behrens, Spearers & Tomasello 2003, Lieven & Tomasello 2008). Auf diesen Prozess wird in den Lerneinheiten 4.2 und 7.1 genauer eingegangen. Das Hauptcharakteristikum von Sprache ist folglich ihre Eigenschaft als Kommunikationssystem innerhalb einer Sprachgemeinschaft (vergleiche Lyons 1970: 7), das von Generation 138 4. Grammatik zu Generation weitergegeben wird. Grammatik ist nur ein Derivat, das dazu dient, die funktionalen Anforderungen zu bewältigen, welche das „Verpacken“ einer Nachricht erfordert. The grammatical dimension of human linguistic communication consists in the conventionalization of and cultural transmission of linguistic constructions-- based on general cognitive skills, as well as of shared intentionality and imitation- - in order to meet the functional demands of the three basic communicative motives, leading to a grammar of requesting, a grammar of informing, and a grammar of sharing and narrating. (Tomasello 2008: 326) Sprachkompetenz bedeutet daher im funktionalen Sinne das Beherrschen aller Einheiten und Muster einer spezifischen Sprache, die durch allgemeine kognitive Fähigkeiten aus dem Input abstrahiert werden. Sprachliche Muster werden dabei als etwas im Fluss Befindliches gesehen, denn die Sprecher und Sprecherinnen analysieren ständig unbewusst ihren Input und passen ihr sprachliches Wissen dementsprechend an. Das Sprachwissen in konstruktionsgrammatischen Ansätzen ist folglich viel umfangreicher und komplexer als die einer I-language zugrundeliegende Kerngrammatik der formalen Forschungsrichtungen. Die Beschreibung von Grammatik gelingt nicht durch das Formulieren von Regularitäten, da Sprache als etwas Dynamisches verstanden wird, das sich ständig verändert und dessen Verwendung beziehungsweise Bedeutung maßgeblich vom Kontext abhängt. Grammatik ist folglich „nicht modular und nicht derivationell“ (Fischer & Stefanowitsch 2008: 5), sondern sie wird von kognitiven Faktoren beeinflusst und beruht nicht auf der Anwendung von Transformationsregeln zur Generierung von Sätzen. Dennoch braucht es eine breitere empirische Basis auch von Seiten der Neurolinguistik und der Arbeit durch Computersimulationen, um zu sehen, wie die Konstruktionsgrammatik neurokognitiv modelliert werden kann und so die Argumente formaler Linguisten zu entkräften (Rostila 2011). 139 4.1 Die verschiedenen Grammatikansätze 4.1.6 Zusammenfassung ▶ Der Begriff Grammatik hat verschiedene Bedeutungen, von denen einige eng mit bestimmten Grammatikbeziehungsweise Sprachtheorien in Verbindung stehen. ▶ Der Strukturalist de Saussure und der Hauptvertreter der generativen Grammatik, Chomsky, die beide vor allem die abstrakten Eigenschaften des Sprachsystems, die Einheiten von Sprache und deren Beziehung zueinander untersuchen, betrachten Sprache als etwas Statisches. ▶ An den Auffassungen de Saussures und Chomskys wurde kritisiert, dass sie der parole beziehungsweise der E-language keine Beachtung schenken, obwohl der Sprachgebrauch seine eigenen Regelhaftigkeiten besitzt. De Saussure konzentriert sich in seinen Arbeiten primär auf das Zeichen, das heißt das Lexikon; bei Chomsky steht die Syntax im Vordergrund. Beide Ansätze stellen aus diesem Grund keine umfassende Grammatiktheorie dar. ▶ Vertreter der funktionalen Grammatik und der Konstruktionsgrammatik richten den Fokus auf den Sprachgebrauch und verstehen Sprache daher als ein dynamisches, sich im Wandel befindliches System. ▶ Insbesondere die gebrauchsbasierten Ansätze der Konstruktionsgrammatik können bestimmte Phänomene des Spracherwerbs (zum Beispiel verschiedene Erwerbsmuster) einfacher und ökonomischer erklären als generative Modelle. 4.1.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Wozu brauchen wir Grammatik im engeren Sinne? 2. Was versteht de Saussure unter den Begriffen langue und parole? 3. Wie definieren Vertreter des generativen Ansatzes Grammatik? 4. Welche Kritik üben die Funktionalisten an der generativen Grammatik? 5. Was sind die neuen Aspekte, die durch die Konstruktionsgrammatik ins Spiel gebracht wurden? 6. Wie sieht das menschliche Sprachwissen Vertretern der Konstruktionsgrammatik zufolge aus? 7. Durch was unterscheiden sich die funktionalen Ansätze von den formalen? 140 4. Grammatik 4.2 Konstruktionsgrammatik Nikolas Koch In dieser sowie der nächsten Lerneinheit werden die grundlegenden Kriterien konstruktionsgrammatischer Ansätze erarbeitet. Bei der Konstruktionsgrammatik handelt es sich nicht um eine einheitliche Theorie, sondern um eine Reihe von grammatik-theoretischen Ansätzen. Diesen liegen gemeinsame fundamentale Aspekte über sprachliches Wissen zugrunde. Sie teilen das Verständnis, dass es das Ziel einer Sprach- und Grammatiktheorie sein muss, sprachliches Wissen in einem einzigen Modell beschreiben und erklären zu können. Grundlage hierfür ist die Ansicht, dass sich dieses Wissen mittels des Formats der Konstruktion erfassen lässt. Diese Überzeugung wird von allen unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Konstruktionsgrammatik geteilt. Nachfolgend werden zunächst die zentralen gemeinsamen Charakteristika konstruktionsgrammatischer Ansätze vorgestellt. Anschließend wird der Konstruktionsbegriff erläutert und Beispiele unterschiedlicher Konstruktionstypen dargestellt. Hieran schließt sich eine Vorstellung der von Goldberg (1995) begründeten Argumentstrukturkonstruktionen an. Diese stellen ein grundlegend neues Verständnis von sprachlichen Strukturen dar. Abschließend findet eine Einführung in die wichtigsten theoretischen Strömungen der Konstruktionsgrammatik statt. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die Grundlagen konstruktionsgrammatischer Ansätze benennen und erklären können; ▶ Unterschiede und Gemeinsamkeiten unterschiedlicher konstruktionsgrammatischer Ansätze erfassen können; ▶ den Konstruktionsbegriff und das daraus resultierende Verhältnis von Syntax und Lexikon erklären können; ▶ Konstruktionen hinsichtlich ihrer formalen und inhaltlichen Merkmale einordnen können; ▶ die Besonderheit von Argumentstrukturkonstruktionen erläutern können. 4.2.1 Einführung in die Konstruktionsgrammatik Innerhalb der letzten dreißig Jahre hat sich die Konstruktionsgrammatik mit ihren unterschiedlichen Strömungen als eine ernstzunehmende Alternative zu bis dahin vorherrschenden generativen Ansätzen (siehe Lerneinheit 4.1) zur Beschreibung und Erklärung von Sprache etabliert. Mit dem Begriff Konstruktionsgrammatik wird allerdings nicht nur eine einzige Grammatiktheorie bezeichnet, sondern auf eine Gruppe von theoretischen Ansätzen verwiesen. Die meisten dieser Ansätze teilen zentrale Annahmen der kognitiven Linguistik, insbesondere im Bereich der Grammatik. Als gemeinsame Grundannahmen dienen die folgenden fünf Kernpunkte (vergleiche Koch in Vorbereitung; Goldberg 2013: 15f; Smirnova & Mortelmans 2010: 135). 141 4.2 Konstruktionsgrammatik (1) Grammatische Konstruktionen: Jede Äußerung einer Sprache, egal wie abstrakt oder komplex, stellt immer eine Verbindung aus Form und Bedeutung dar. Dies gilt beispielsweise für traditionelle lexikalische Einheiten (Wörter) genauso wie für größere zusammenhängende Konstituenten, etwa Passivkonstruktionen (siehe Abschnitt 4.2.4). Hierdurch wird die in generativen Ansätzen bestehende strikte Trennung zwischen Lexikon und Grammatik aufgehoben. Die Konstruktion ist somit die grundlegende sprachliche Einheit. (2) Oberflächenstruktur: Unterschiedliche Beschreibungsebenen der Grammatik, wie etwa in Chomskys Generativer Grammatik, werden abgelehnt (siehe Abschnitt 4.1.4). (3) Konstruktikon: Konstruktionen unterschiedlicher Komplexität und Abstraktheit konstituieren als ein zusammenhängendes Netzwerk die Grammatik einer Sprache. Dabei sind Konstruktionen innerhalb dieses Netzwerkes über unterschiedliche Vererbungsbeziehungen miteinander verknüpft (siehe Lerneinheit 4.3). Für diese gemeinsame Beschreibungsebene wird der Begriff des Konstruktikons verwendet, der eine Kombination der Wörter Konstruktion und Lexikon ist. (4) Erlernbarkeit: Eine sprachspezifische genetische Veranlagung wird nicht angenommen. Grammatik wird auf der Grundlage des sprachlichen Inputs sowie allgemeiner kognitiver Prinzipien erlernt und ist damit nicht angeboren. (5) Gebrauchsbasiertheit: Hiermit ist gemeint, dass sich sprachliches Wissen sowohl aus lexikalisch spezifischen Einheiten als auch aus Generalisierungen unterschiedlicher Spezifität zusammensetzt. Diese Annahme wird nicht gleichermaßen von allen Ansätzen geteilt, stellt aber eine zentrale Schnittstelle zu Theorien des Sprachenerwerbs, der Sprachproduktion sowie des Sprachwandels dar (vergleiche Goldberg 2013: 16). Nicht alle dieser Annahmen werden gleichbedeutend von den unterschiedlichen Ansätzen berücksichtigt. Dennoch stellen sie die charakteristischen Kernpunkte konstruktionsgrammatischer Theorien dar. Neben diesen genannten Kernpunkten existiert auch eine Vielzahl von theoretischen Prämissen, in denen sich die unterschiedlichen Ansätze der Konstruktionsgrammatik einteilen lassen. Diese sind nicht nur theoretischer Natur, sondern betreffen auch den Untersuchungsgegenstand an sich (vergleiche Fischer & Stefanowitsch 2008: 8-14). 4.2.2 Der Konstruktionsbegriff Die Definition des Konstruktionsbegriffes variiert zwischen den unterschiedlichen theoretischen Strömungen der Konstruktionsgrammatik (siehe Abschnitt 4.2.4). Im Folgenden wird dieser aus der Sicht der cognitive construction grammar ( CC xG) erläutert, die zurzeit den meist rezipierten Ansatz darstellt. Einer der wichtigsten Grundsätze konstruktionsgrammatischer Theorien ist die Überzeugung, dass alle Bereiche des sprachlichen Wissens eines Sprechers oder einer Sprecherin mithilfe einer linguistischen Beschreibungsebene erfasst und erklärt werden können. Die Konstruktion stellt den zentralen Baustein hierzu dar. Goldberg definiert Konstruktionen wie folgt: 142 4. Grammatik Any linguistic pattern is recognized as a construction as long as some aspect of its form or function is not strictly predictable from its component parts or from other constructions recognized to exist. In addition, patterns are stored as constructions even if they are fully predictable as long as they occur with sufficient frequency. (2006: 5) Eine Konstruktion stellt demnach immer eine Verbindung aus Form und Bedeutung dar. Darüber hinaus führt Goldberg zwei weitere Kriterien an. So muss entweder ein Aspekt der Form- oder Bedeutungsseite nicht-kompositionell bestimmbar sein. Damit ist gemeint, dass etwa die Bedeutung einer Konstruktion mehr ist als die Summe der Teilbedeutungen, aus denen sich eine Konstruktion zusammensetzt. Dies gilt dann, wenn Teile der Konstruktion bereits mental vorliegen (erstes Kriterium) (vergleiche Ziem & Lasch 2013: 11). Das erste Kriterium gilt allerdings nicht mehr, wenn eine Konstruktion mit einer hinreichenden Frequenz auftritt (zweites Kriterium). Wie Abbildung 4.2 verdeutlicht, kann die Formseite einer Konstruktion mit unterschiedlichen linguistisch relevanten Informationen verbunden sein. Hierzu zählen syntaktische, morphologische oder phonologische Eigenschaften (vergleiche Boas 2013: 234). Die Bedeutungsseite enthält neben den semantischen Informationen auch alle konventionalisierten Aspekte, die mit der Funktion einer Konstruktion assoziiert sind. Ein Beispiel hierfür ist das Wissen über Diskurseigenschaften, das es ermöglichen kann, obligatorische Argumente von Äußerungen zu tilgen wie etwa in dem Satz The tiger killed again (Goldberg 2006: 190). Hier fehlt die eigentlich obligatorische Akkusativergänzung (wen oder was tötete der Tiger erneut), und dennoch gelingt eine problemlose Interpretation der Aussage. Die Form- und Bedeutungsseite von Konstruktionen sind über eine symbolische Beziehung untrennbar miteinander verknüpft. An dieser Stelle lässt sich eine Parallele zu de Saussures Zeichenbegriff erkennen (siehe Abschnitt 4.1.2; vergleiche Taylor 2002: 38-44). Auch in der Konstruktionsgrammatik wird von einer arbiträren Zuordnung von Form und Bedeutung ausgegangen. Dieses Verständnis von Konstruktionen als konventionalisierte Form-Bedeutungspaare hat weitreichende Auswirkungen auf den Aufbau der Grammatik (vergleiche Boas 2013: 234). Da sprachliches Wissen somit immer eine Verbindung aus Form und Bedeutung darstellt, wird in der Konstruktionsgrammatik eine direkte Verknüpfung von Syntax und Semantik angenommen (vergleiche Goldberg 1995: 7). Eine Unterteilung in getrennte mentale Module wird somit abgelehnt: „Each construction will be a form-meaning pair (F,M) where F is a set of conditions on syntactic and phonological form and M is a set of conditions on meaning and use“ (Lakoff 1987: 467). Die Definition Lakoffs lässt sich graphisch wie folgt festhalten: 143 4.2 Konstruktionsgrammatik Abbildung 4.2: Die Struktur einer Konstruktion nach Croft (2001: 18) 4.2.3 Konstruktionstypen Mit der vorangegangenen Definition vom Aufbau einer Konstruktion geht einher, dass diese nicht hinsichtlich ihrer Abstraktheit oder Komplexität beschränkt ist. Alle sprachlichen Ebenen von Morphemen über Wörter und Phrasen bis hin zu Sätzen gelten als Form-Bedeutungspaare und damit als Konstruktionen (vergleiche Boas 2014: 44f; Goldberg 2006: 5). In diesem Punkt unterscheidet sich der Konstruktionsbegriff zentral vom Zeichenbegriff de Saussures. Es werden keine Beschränkungen hinsichtlich des Grades an Abstraktheit und Komplexität angenommen. Lexikalische Morpheme wie die Wörter Hund oder schön gelten beispielsweise als syntaktisch einfache und inhaltlich konkrete Konstruktionen. Anders verhält es sich etwa mit dem Idiom Ein Auge auf jemanden werfen. Dieses ist ebenfalls konkret, aber syntaktisch komplex. Konstruktionen können jedoch auch vollständig abstrakt mental hinterlegt sein wie etwa die Ditransitivkonstruktion [[ NP NOM ] [ VP ] [ NP DAT ] [ NP AKK ]]. Zwischen den Polen der vollständigen Abstraktheit versus Spezifität sowie Komplexität versus Einfachheit existiert ein Kontinuum, in das sich sämtliche Konstruktionen einer Sprache einordnen lassen. Ziem und Lasch (2013: 19) geben einen Überblick über Konstruktionen verschiedenen Abstraktionsgrades im Deutschen. Sie weisen darauf hin, dass dieser zwangsläufig unvollständig sein muss, da sich Sprache erschöpfend in Konstruktionen beschreiben lässt: 144 4. Grammatik ▶ Konstruktionen ▶ Beispiele ▶ Derivations-/ Flexionsmorpheme ▶ {-er} (groß{-er}; {-ung} (Trau{-ung}) ▶ Wörter ▶ groß, Knecht ▶ Komplexe Wörter ▶ Weberknecht ▶ Feste Mehrwort-Ausdrücke ▶ Guten Tag! ▶ Grammatische Phraseme ▶ geschweige denn ▶ Sprichwörter ▶ Morgenstund hat Gold im Mund ▶ Idiome ▶ jmdm. auf die Finger schauen ▶ Schematische Idiome ▶ Was macht X Y? [Was macht die Fliege in meiner Suppe? ] ▶ Vergleichssätze ▶ je X-er desto Y-er [Je mehr desto besser] ▶ Ditransitiv (mit teilweise offenen Slots) ▶ [[ NP NOM ] [gibt] [ NP DAT ] [ NP AKK ]] ▶ Ditransitiv (mit offenen Slots) ▶ [[ NP NOM ] [ VP ] [ NP DAT ] [ NP AKK ]] ▶ Wortarten und grammatische Relationen ▶ [ NOMEN ]; [ SUBJEKT ] Tabelle 4.1: Auswahl an Konstruktionen des Deutschen mit unterschiedlicher Komplexität (nach Ziem & Lasch 2013: 19) Die Tabelle verdeutlicht, dass die formalen Eigenschaften von Konstruktionen, ihre Größe und Komplexität, nicht zwangsläufig mit ihren inhaltlichen Merkmalen, Abstraktheit und Spezifität, übereinstimmen müssen. Kleine oder atomistische und wenig komplexe Konstruktionen können sowohl spezifisch sein wie das Wort Hund, aber durchaus auch einen höheren Abstraktheitsgrad aufweisen wie das Morphem {-er}. Genauso können komplexe Konstruktionen spezifisch sein, wie man am Beispiel des Sprichwortes Morgenstund hat Gold im Mund sehen kann. Im Gegensatz dazu ist die Ditransitivkonstruktion zwar ebenfalls eine komplexe Konstruktion, die sich allerdings durch einen hohen Grad an Abstraktheit auszeichnet. Das letzte Beispiel verdeutlicht, dass Konstruktionen auch miteinander kombiniert werden können, um sprachliche Äußerungen zu erzeugen. So ist es vorstellbar, dass die konkreten Wörter Maria, schenken, Peter, ein Buch in die Ditransitivkonstruktion [[ NP NOM ] [ VP ] [ NP DAT ] [ NP AKK ]] eingesetzt werden. Demnach lassen sich damit innerhalb von gebrauchsbasierten, kognitiven Ansätzen drei Dimensionen sprachlichen Wissens unterscheiden (vergleiche Koch in Vorbereitung): ▶ Spezifische Konstruktionen: vollständig lexikalisierte Konstruktionen wie (komplexe) Wörter, feste Mehrwortäußerungen, grammatische Phraseme und Sprichwörter. ▶ Teilspezifische Konstruktionen: teilweise lexikalisierte Konstruktionen wie Derivations- und Flexionsmorpheme, schematische Idiome oder schematische Konstruktionen mit lexikalisch spezifischen Elementen ([[ NP NOM ] [gibt] [ NP DAT ] [ NP AKK ]]). ▶ Abstrakte Konstruktionen: schematische Konstruktionen wie die Argumentstrukturkonstruktionen. 145 4.2 Konstruktionsgrammatik Innerhalb des Ansatzes der cognitive construction grammar ( CC xG) (siehe Abschnitt 4.2.4) wird mit Argumentstrukturkonstruktionen wie Ditransitivkonstruktionen ein spezieller Konstruktionstyp angenommen, der nachfolgend genauer erläutert wird. Hieran kann noch einmal die zentrale Definition sprachlicher Strukturen als Form-Bedeutungspaare verdeutlicht werden. In den meisten Grammatiktheorien wird davon ausgegangen, dass es das Verb ist, welches die Argumentstruktur einer Aussage bestimmt. Diese sogenannten projektionistischen Ansätze sehen damit syntaktische Strukturen als das Ergebnis lexikalischer Bedingungen. Demnach ließe sich die Äußerung Maria schlägt Peter so erklären, dass das Verb schlagen zwei weitere Argumente fordert. Die Valenz des Verbs bestimmt somit die Argumentstruktur der Äußerung (vergleiche Goldberg 1995: 11). Allerdings stellte Goldberg (1995) fest, dass ein und dasselbe Verb in einer Vielzahl unterschiedlicher Argumentstrukturen auftreten kann und sich dabei seine Bedeutung verändert. So kann das prototypisch intransitive Verb schlagen nicht nur in der oben dargestellten transitiven Verwendung realisiert werden, sondern auch in folgender Weise: Maria schlägt die Vase vom Tisch. Hier wird schlagen als ein Vorgang konzeptualisiert, durch den die Bewegung eines Gegenstandes verursacht wird. Diese Bedeutung findet sich im ersten Beispiel nicht. Analog hierzu lassen sich weitere Beispiele finden, in denen Verben in Äußerungen auftreten, die nicht ihren prototypischen Valenzeigenschaften entsprechen: (1) Maria schlägt die Vase vom Tisch. Er hustet die Serviette vom Tisch. Peter zittert den Schaum vom Cappuccino. Rex hechelt die Wurst vom Teller. Sie tritt den Ball auf die Wiese. Trotz der unterschiedlichen Verben zeigt sich hier eine Ähnlichkeit in der semantischen Bedeutung der Äußerungen. Wie bereits oben erwähnt, kodieren alle Beispielsätze die Verursachung von Bewegung durch einen Vorgang. Goldberg (1995) führt dies auf eine gemeinsame Argumentstruktur zurück, die allen Sätzen zugrunde liegt. Innerhalb ihres Ansatzes wird diese als caused-motion-Konstruktion bezeichnet. Hierbei handelt es sich um eine Konstruktion, da deren Form [Subj V Obj Obl] mit der Bedeutung [X CAUSES Y TO MOVE Z] verbunden ist. Dass die Bedeutung der jeweiligen Äußerungen wenig miteinander gemeinsam haben muss, wenn ein und dasselbe Verb in unterschiedlichen Satzstrukturen (in Klammern) vorkommt, verdeutlicht Stefanowitsch (2008: 248f) anhand des Verbs rollen: (2) Der Ball rollte. (Subjekt-Prädikat-Konstruktion) Der Ball rollte unter den Tisch. (Intransitive-motion-Konstruktion) Maria rollte den Ball unter den Tisch. (Caused-motion-Konstruktion) Josef rollte eine Wurst. (Transitive Konstruktion) Kaspar rollte die Wurst rund. (Resultative Konstruktion) Demnach sind es nicht (allein) Verben, die die Argumentstruktur einer Äußerung vorgeben, sondern Konstruktionen selbst: 146 4. Grammatik Even basic sentence patterns of a language can be understood to involve constructions. That is, the main verb can be understood to combine with an argument structure construction (e.g. transitive, intransitive, ditransitive, etc.). (Goldberg 2006: 6) Goldbergs bahnbrechender Vorschlag hierbei ist, dass diesen Strukturen immer auch ein semantischer Gehalt zugrunde liegt. Für das Englische hat sie folgende Argumentstrukturkonstruktionen formuliert, die die Grundaussage auf der Ebene der Äußerung determinieren: Konstruktion Semantischer Gehalt Form Beispiel ▶ Ditransitiv ▶ X CAUSES Y to RECEIVE Z ▶ Subj V Obj 1 Obj 2 ▶ Pat faxed Bill the letter. ▶ Caused motion ▶ X CAUSES Y to MOVE Z ▶ Sub V Obj Obl ▶ Pat sneezed the napkin of the table. ▶ Resultativ ▶ X CAUSES Y to BECOME Z ▶ Subj V Obj Xcomp ▶ She kissed him unconscious. ▶ intransitive motion ▶ X MOVES Y ▶ Subj V Obl ▶ The fly buzzed into the room. ▶ Conative ▶ X DIRECTS ACTION at Y ▶ Subj V Obl at ▶ Sam kicked at Bill. Tabelle 4.2: Argumentstrukturkonstruktionen des Englischen (nach Goldberg 1995: 3f) Anhand der Argumentstrukturkonstruktionen der kognitiven Konstruktionsgrammatik lässt sich noch einmal klar der Unterschied zwischen dem Konstruktionsbegriff innerhalb der Konstruktionsgrammatik und dem Zeichenbegriff de Saussures erkennen. Komplexen syntagmatischen Strukturen wie der caused-motion-Konstruktion liegt als Form-Bedeutungspaar ein semantischer Gehalt zugrunde (X CAUSES Y to MOVE Z). Wichtig ist hierbei, dass die Bedeutung an eine abstrakte Konstruktion gebunden ist und nicht nur an konkrete lexikalische Einheiten. Dieser Aspekt geht über den Zeichenbegriff de Saussures hinaus, in dem alle sprachlichen Ebenen aus Form-Bedeutungspaaren bestehen (vergleiche Koch in Vorbereitung). 4.2.4 Konstruktionsgrammatische Ansätze Nachfolgend wird ein Überblick über die aktuell bestehenden Strömungen innerhalb der Konstruktionsgrammatik geliefert, die sich in zwei übergeordnete Bereiche differenzieren lassen (vergleiche Smirnova & Mortelmanns 2010: 135f; Ziem & Lasch 2013: 38-66): Kognitiv, gebrauchsbasierte Ansätze und formal ausgerichtete Ansätze. Einen detaillierten Einblick in die verschiedenen theoretischen Ansätze bieten die Aufsätze in Hoffmann und Trousdale (2013). Da zurzeit die kognitiv, gebrauchsbasiert ausgerichteten Ansätzen im Fokus des Interesses stehen, werden diese differenzierter betrachtet. Kognitive, gebrauchsbasierte Ansätze Hierunter fallen die Forschungsrichtungen der cognitive construction grammar ( CC xG), der cognitive grammar ( CG ) sowie der radical construction grammar ( RC xG). Die durch Lakoff 147 4.2 Konstruktionsgrammatik (1987) begründete CC xG zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie nicht nur in der Lage ist, alle sprachlichen Strukturen mithilfe desselben theoretischen Gerüsts der Konstruktion erfassen zu können, sondern auch diese Strukturen psychologisch plausibel erklären zu können. Damit berücksichtigt die kognitive Konstruktionsgrammatik vor allem Überlegungen der Kognitionssowie Neurowissenschaften. Seit den 1990er Jahren hat vor allem Goldberg in zahlreichen Arbeiten die theoretische Ausrichtung des Ansatzes maßgeblich geprägt (unter anderem 1995, 2006, 2013; Boas 2013). Im Vergleich zu früheren Arbeiten von Lakoff, Fillmore und Kay unterscheidet sich Goldbergs Vorgehen dahingehend, dass nicht mehr grammatische Phänomene der Peripherie sowie Einzelphänomene wie die there-Konstruktion (Lakoff 1987) oder die let alone-Konstruktion (Fillmore, Kay & O‘Connor 1988) im Fokus des Interesses stehen, sondern mit den Argumentstrukturen Kernbereiche der traditionellen Syntax (vergleiche Ziem & Lasch 2013: 40). Thematisch sind mit dem Erwerb von Konstruktionen und deren mentalen Repräsentation zwei Schwerpunkte gesetzt. Methodische Grundlage der Untersuchungen bilden zunehmend experimentelle und neurowissenschaftliche Verfahren (Boyd & Goldberg 2011; Allen, Pereira, Botvinik & Goldberg 2012). Die kognitive Grammatik wird oft neben der Konstruktionsgrammatik als eigenständige Theorie verortet, da ihre Entwicklung relativ unabhängig von anderen konstruktionsgrammatischen Ansätzen erfolgte. Der auf Langacker (1982, 1987, 1995, 2008) zurückgehende Ansatz der kognitiven Grammatik teilt dennoch entscheidende Grundannahmen mit Goldbergs kognitiver Konstruktionsgrammatik (Langacker 2005). Beide Theorien schlagen einen kognitiv-semantischen Erklärungszugang zur Beschreibung syntaktischer Strukturen und Funktionen vor (vergleiche Ziem & Lasch 2013: 41). Ein Unterschied besteht in der Definition des Konstruktionsbegriffs selbst. Im Gegensatz zu Goldberg differenziert Langacker hierbei zwischen morphologisch und syntaktisch komplexen Einheiten etwa Komposita, flektierte Wörter oder auch Mehrworteinheiten, die den Status der Konstruktion besitzen. Daneben werden nicht-komplexe sprachliche Einheiten wie grammatische Morpheme oder Lexeme (Simplizia) als symbolische Einheiten (symbolic unit) bezeichnet (vergleiche Ziem 2014: 28). Eine ausführliche Diskussion der Unterschiede zwischen der kognitiven Grammatik und der kognitiven Konstruktionsgrammatik findet sich bei Goldberg (2006) sowie Langacker (2009). Dem Anspruch einer eigenständigen Grammatiktheorie wird die kognitive Grammatik im Gegensatz zur kognitiven Konstruktionsgrammatik empirisch gerecht, da bereits eine Vielzahl unterschiedlicher sprachlicher Phänomene erfasst und analysiert wurde und nicht nur einzelne linguistische Teilbereiche. Die radikale Konstruktionsgrammatik geht auf die Arbeiten Crofts zurück (2001, 2013) und berücksichtigt in weiten Teilen Grundsätze der kognitive Grammatik Langackers. Allerdings fließen in der radikalen Konstruktionsgrammatik stärker typologische und diachrone Untersuchungen in die Theoriebildung ein, als es bei den anderen kognitiv, gebrauchsbasierten Ansätzen der Fall ist. Radikal ist der Ansatz insofern, als dass Croft die Existenz syntaktischer Relationen wie Subjekt oder Objekt anzweifelt. Wortarten wie Nomen, Adjektiv, Verb etc. sieht er nicht als abstrakte sprachübergreifende Kategorien, sondern als Bestandteile von Konstruktionen. Hierin stimmt er mit Goldberg und Langacker überein, begründet dies aber vor allem typologisch sowie diachron. Alle drei Ansätze teilen darüber hinaus die Überzeugung, 148 4. Grammatik dass sich sprachliche Strukturen gebrauchsbasiert entwickeln und damit das Ergebnis des Sprachgebrauchs sind. Formal ausgerichtete Ansätze Zu den formal ausgerichteten Strömungen innerhalb der Konstruktionsgrammatik gehören die Berkeley construction grammar ( BC xG), die sign-based construction grammar ( SBC xG) sowie die fluid construction grammar ( FC xG) und die embodied construction grammar ( EC xG). Alle Ansätze gründen sich (mehr oder weniger) auf ausgeprägten Formalisierungen und ähneln in ihrer Notationsweise kopfgesteuerten Phrasenstruktur-Grammatiken ( HPSG ). Im Falle der fluid construction grammar sowie der embodied construction grammar dient diese Notationsweise nicht nur dem Zweck der Illustration, wie in den kognitiv gebrauchsbasierten Ansätzen, sondern zu einer systematischen Implementierung von Konstruktionen in Computersysteme. Primäres Ziel ist es, Sprachverarbeitungsprozesse zu modellieren und nicht Sprachwissen an sich zu erfassen und zu beschreiben (Bergen & Chang 2013; Steels 2013). Hierbei findet eine Orientierung am tatsächlichen Sprachgebrauch statt. Beide Strömungen verfolgen eine interdisziplinäre Anwendungsorientierung in der Computerwissenschaft, künstlichen Intelligenzforschung sowie Robotik. Insbesondere für die embodied construction grammar ist anzumerken, dass hierzu allerdings bis jetzt nur wenige Untersuchungen vorliegen. Die Berkeley construction grammar sowie die sign-based construction grammar gründen sich demgegenüber stärker auf grammatiktheoretischen Fragestellungen. Übereinstimmend mit kognitiv gebrauchsbasierten Ansätzen wird mit der Konstruktion ein einheitliches Repräsentationsformat für sprachliche Einheiten gewählt. Modularisiertes (teil-)autonomes Sprachwissen in Form von syntaktischem, semantischem, morphologischem und phonologischem Wissen wie in Ansätzen der generativen Grammatik (siehe Abschnitt 4.1.4) wird abgelehnt. Allerdings werden generative Regeln sowie eine Trennung von Semantik und Pragmatik zugelassen. Anders als etwa die kognitive Konstruktionsgrammatik lehnt die Berkeley construction grammar Redundanzen auf der mentalen Ebene ab. Damit ist gemeint, dass sprachliche Strukturen nicht mehrfach gespeichert werden, wenn sie durch Generalisierungen zusammengefasst werden können. Als Beispiel kann hier die Ditransitivkonstruktion dienen. Hierbei handelt es sich um eine Argumentstruktur mit drei semantischen Rollen, einem Agens, Patiens sowie Rezipienten. Auf diese Weise entsteht die folgende schematische Struktur: [[ NP NOM ] [ VP ] [ NP DAT ] [ NP AKK ]]. Diese lässt sich nun mithilfe eines Verbs und drei Nominalphrasen sprachlich realisieren, wie etwa in Maria schenkt Peter ein Buch. Anders als die Berkeley construction grammar wird in der kognitiven Konstruktionsgrammatik nun vermutet, dass auch teilspezifische Formen der Ditransitivkonstruktion mental gespeichert vorliegen. Dies wird mit dem Faktor der Frequenz, also die Häufigkeit, mit der sprachliche Strukturen verwendet werden, erklärt. Demnach könnte neben dieser schematischen Form auch die Variante [[ NP NOM ] [gibt] [ NP DAT ] [ NP AKK ]] im mentalen Konstruktikon eines Sprechers oder einer Sprecherin hinterlegt sein, da die Ditransitivkonstruktion prototypisch mit dem Verb geben gebildet wird (siehe Lerneinheit 4.3). 149 4.2 Konstruktionsgrammatik 4.2.5 Zusammenfassung ▶ Die Konstruktionsgrammatik unterscheidet sich von anderen Theorien durch fundamental andere Grundannahmen über die Struktur und Organisation sprachlichen Wissens. ▶ Die Konstruktionsgrammatik gilt nicht als eine einheitliche monolithische Theorie. Dies wurde durch wichtige Unterschiede, die zwischen den einzelnen Forschungsansätzen bestehen, deutlich. Gemeinsam ist den unterschiedlichen Strömungen vor allem die Überzeugung, dass sich sämtliche sprachliche Strukturen mithilfe des Formats der Konstruktion erfassen lassen. ▶ Grundlegend für die Definition von Konstruktionen ist ihr Aufbau als Form-Bedeutungspaar. Dieses zeichnet sich durch zum Teil deutlich unterschiedliche Realisierungen der Aspekte Komplexität und Spezifität aus. Hierdurch entsteht ein revolutionär neues Verständnis des Verhältnisses von Syntax und Lexikon. ▶ Mit den Argumentstrukturkonstruktionen wurde ein besonderer Typ von Konstruktionen vorgestellt, der diesen Aspekt verdeutlicht. Goldberg bricht mithilfe dieses Konstruktionstyps, einem Kernbereich syntaktischer Strukturen, die starre Trennung zwischen Syntax und Lexikon auf, indem sie zeigt, dass auch Argumentstrukturkonstruktionen immer ein semantischer Gehalt inhärent ist. Dies verdeutlicht noch einmal die Ausgangsdefinition von Konstruktionen als Form-Bedeutungspaare. 4.2.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Nennen und erläutern Sie fünf zentrale Grundannahmen konstruktionsgrammatischer Ansätze. 2. Erläutern Sie, inwiefern sich der Konstruktionsbegriff vom Zeichenbegriff de Saussures unterscheidet. 3. Erklären Sie die Grundidee von Argumentstrukturkonstruktionen. Warum ist diese Sicht auf Sprache revolutionär? 4. Erläutern Sie die Vorstellung der drei Dimensionen sprachlichen Wissens in gebrauchsbasierten, kognitiven Ansätzen anhand von Beispielen. 150 4. Grammatik 4.3 Konstruktionsgrammatik und Konzeptualisierung Katharina Scholtz Nachdem der Begriff der Konstruktion und einige konstruktionsgrammatische Ansätze in der Theorie vorgestellt worden sind, befasst sich die folgende Lerneinheit mit der Organisation des Sprachwissens auf konzeptueller Ebene, das heißt der mentalen Repräsentation von Konstruktionen. Wie werden also Konstruktionen erlernt, gespeichert und genutzt? Alle Ansätze der Konstruktionsgrammatik (construction grammar, CxG) gehen davon aus, dass die sprachlichen Äußerungen und das ihnen zugrundeliegende konzeptualisierte Wissen durch ein und dasselbe Format, nämlich das der Konstruktion, repräsentiert werden. Im Gegensatz zur Generativen Grammatik schließt die Konstruktionsgrammatik Veränderung zwischen Tiefen- und Oberflächenstruktur aus (vergleiche Lerneinheit 4.1). Das Sprachwissen, das heißt das Wissen über Konstruktionen und ihren Gebrauch, wird in einem Netzwerk an Konstruktionen abgebildet, dem sogenannten Konstruktikon. Dieser Ausdruck setzt sich aus den Begriffen Konstruktion und Lexikon zusammen und bezeichnet das Kontinuum von Lexikon (Bedeutung) und Grammatik (Form). Wie aber entstehen die mentalen Repräsentationen von Konstruktionen eigentlich? Und wie entsteht zwischen ihnen ein Netzwerk? Im Folgenden wird beschrieben, durch welche Prozesse Konstruktionen aus dem Gebrauch entstehen, welche Informationen über die Konstruktion mental gespeichert werden und wie Konstruktionen in Beziehung zueinander stehen. Zuletzt wirft diese Lerneinheit noch einen Blick auf die Besonderheit der Konzeptualisierung von Konstruktionen bei Bilingualen: Wie werden Konstruktionen aus mehreren Sprachsystemen im Konstruktikon repräsentiert? Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ ein Verständnis für die mentale Repräsentation von Konstruktionen entwickeln; ▶ nachvollziehen können, auf welchem Wege Konstruktionen gespeichert werden; ▶ die Relationen zwischen Konstruktionen im Konstruktikon erklären können; ▶ die Besonderheit bei bilingualen Sprechern und Sprecherinnen erkennen und beschreiben können. 4.3.1 Konzeptualisierung von Konstruktionen aus kognitiv gebrauchsbasierter Perspektive Wie werden nun Konstruktionen verarbeitet, gespeichert und im Konstruktikon vernetzt, das heißt konzeptualisiert? Und wie entstehen sie überhaupt? Vertreterinnen und Vertretern der kognitiv gebrauchsbasierten Ansätze zufolge resultieren Konstruktionen aus dem Sprachgebrauch- - daher auch der Name usage-based oder deutsch ‚gebrauchsbasiert‘ (vergleiche Langacker 1987; Goldberg 1995; Croft 2001). Sprache beziehungsweise Grammatik wird also als dynamisches System betrachtet, das sich in Abhängigkeit von kognitiven Prozessen ständig verändert. In dieser dynamischen Entwicklung spielen verschiedene Phänomene eine Rolle. 151 4.3 Konstruktionsgrammatik und Konzeptualisierung Zunächst wird hier die Rolle der Frequenz (Häufigkeit des Auftretens) beim Entstehen von mentalen Repräsentationen in Form von Konstruktionen im Konstruktikon und ihrer Verfestigung (entrenchment) deutlich gemacht. Anschließend wird darauf eingegangen, welche Informationen über die Konstruktionen die jeweiligen mentalen Repräsentationen enthalten. An dieser Stelle sei erwähnt, dass es sich bei der CxG nur um einen möglichen Erklärungsansatz für die mentale Repräsentation von Sprache handelt. Da mentale Strukturen und deren Aufbau nicht konkret nachweisbar sind, muss hier betont werden, dass es sich allein um einen theoretischen Ansatz handelt. Herausbildung und Verfestigung von Konstruktionen als mentale Repräsentationen Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit der Frage, wie es dazu kommt, dass Konstruktionen mental repräsentiert werden. Welche Prozesse tragen dazu bei, dass Sprecher und Sprecherinnen aus dem Sprachgebrauch heraus Konstruktionen auf konzeptueller Ebene speichern, das heißt sie lernen beziehungsweise erwerben? Eine wichtige Rolle spielen dabei entrenchments. Der Begriff entrenchment umfasst auf der einen Seite diverse Prozesse, die zur Verfestigung mentaler Repräsentationen beitragen und zu unterschiedlichen Graden an Verfestigung führen (degrees of entrenchment). Zu den Prozessen gehören laut Schmid (2014: 3) „memory consolidation, chunking and automatization“. Auf der anderen Seite wird mit entrenchment auch das Ergebnis dieser Prozesse bezeichnet, man spricht von verfestigten linguistischen Strukturen (entrenched linguistic structures) (vergleiche Langacker 2005: 105; Schmid 2014: 3). Alle Konstruktionen, die im Sprachgebrauch eines Sprechers oder einer Sprecherin vorkommen, werden im Konstruktikon- - einer Art Lexikon aller Konstruktionen- - gespeichert und gefestigt und gelten somit als entrenched. Konstruktionen, die häufig vorkommen, sind dabei mehr entrenched, als Konstruktionen, die weniger oft vorkommen. Analog zum Trampelpfad handelt es sich hierbei um einen Prozess, der stark an die Häufigkeit der Verwendung der Konstruktion, das heißt die Frequenz, gebunden ist. Hierbei wird zwischen der Type- und der Token-Frequenz unterschieden. Um zunächst den Unterschied zwischen Type und Token in der Sprachwissenschaft zu erklären, nehmen wir ein kurzes Beispiel (siehe Beispiel 1). Jedes einzelne Auftreten eines Elementes beziehungsweise jede einzelne sprachliche Äußerung zählt als Token, somit enthält unser Beispielsatz 19 Tokens. Unter Type wird eine Klasse verstanden, in die alle Wörter fallen, die den gleichen zugrundenliegenden abstrakten Einheiten entsprechen (vergleiche Bußmann 2008: 757). Definiert man zum Beispiel die Kategorie Wortform als Type, hätten wir in unserem Satz 16 Types. Mädchen kommt zum Beispiel zweimal vor und gehört daher einem Type an, da es sich um das gleiche Wort handelt. Die Kategorie beziehungsweise der Type muss nicht zwangsläufig, wie gerade dargestellt, den Wortformen entsprechen. Würden wir als Type Nominalphrasen festlegen, so würden dazu alle Nomen dieses Satzes zählen, unter anderem das Mädchen und einen Apfel gehörten dann dem gleichen Type an. (1) Das Mädchen geht in den Supermarkt und kauft einen Apfel und eine Banane, während ein anderes Mädchen draußen wartet. 152 4. Grammatik Kommen wir nun auf die Konstruktionen zurück. Im Beispiel haben wir Wörter als einzelne Tokens angesehen. Ähnlich wie Tokens sind auch Idiome, ein Phänomen, das die Konstruktionsgrammatik seit ihren Anfängen untersucht hat; Idiome sind Kombinationen von Wörtern, die gemeinsam einen spezifischen Sinn ergeben, der sich nicht von den Einzelbedeutungen der Wörter ableiten lässt. Eine hohe Token-Frequenz bedeutet, dass ein und dieselbe Konstruktion sehr häufig unverändert als Token vorkommt, zum Beispiel die Idiome unter aller Kanone und zum Wohl. Bei Idiomen lässt sich keine weitere Abstraktion vornehmen, da sie einmalige Informationen auf Form- und Bedeutungsseite enthalten. Diese Tokens an sich werden als Einheit mental gespeichert, in der Form unter aller Kanone oder zum Wohl. Eine hohe Token-Frequenz führt demnach dazu, dass die Idiome als Einheit gespeichert, das heißt entrenched werden. Diese Art der Konstruktion, die nicht weiter abstrahiert werden kann und bei der alle Elemente lexikalisch festgelegt sind nennt man spezifische Konstruktionen. Weitere häufig vorkommende Konstruktionen im Deutschen sind zum Beispiel typisch ___; je ___, desto __. Diese Konstruktionen nennt man teilspezifisch, der Unterstrich repräsentiert den nicht spezifizierten Teil. Teilspezifisch bedeutet, dass die Konstruktion zum Teil mit lexikalischem Material mental gespeichert wird, aber Variation an einer bestimmten Stelle zulässt (siehe Lerneinheit 4.2). Für das Beispiel typisch fallen Ihnen sicherlich viele Beispiele ein (typisch Mann, typisch deutsch etc.). Treten nun spezifische und teilspezifische Konstruktionen häufig im Input auf, das heißt die Frequenz der Token ist hoch, beginnen Sprecher und Sprecherinnen eine mentale Repräsentation dieser Konstruktionen zu speichern. Wie bereits beschrieben, werden diese Konstruktionen nicht weiter abstrahiert. Eine hohe Type-Frequenz, das heißt ein hohes Auftreten von Strukturen, die einem abstrakteren Konstruktions-Type entsprechen, führt zur Herausbildung und Speicherung abstrakter, schematischer mentaler Repräsentationen (auch Schemata genannt). Bei Schemata handelt es sich um Einheiten, die durch strukturelle und funktionale Ähnlichkeiten von vielen sprachlichen Äußerungen entstehen (vergleiche Ziem 2014: 22). Ein klassisches Beispiel für ein Schema ist die caused-motion-Konstruktion. Unter caused motion, verursachter Bewegung, versteht man das Phänomen, wenn ein Gegenstand oder eine Person durch Einwirkung eines anderen Gegenstandes oder einer anderen Person bewegt wird. Abbildung 4.3 zeigt einige Beispiele von Äußerungen, die eine caused-motion-Konstruktion enthalten. Die caused-motion-Konstruktion kann mit unterschiedlichen sprachlichen Elementen gefüllt werden, wodurch jedes Mal unterschiedliche Instanzen der Konstruktion entstehen (vergleiche Ziem & Lasch 2013: 197). Diese Instanzen sind strukturell ähnlich: Sie haben alle ein Subjekt, ein Verb, ein Objekt und eine lokative Angabe. Aufgrund dieser Gemeinsamkeiten ist es möglich durch Abstraktionsprozesse eine mentale schematische Konstruktion, beziehungsweise ein mentales Schema abzuleiten, wenn dieser Typ der Konstruktion häufig im Input vorkommt. Jedes Mal, wenn ein Sprecher oder eine Sprecherin in seinem alltäglichen Sprachgebrauch dieser Struktur begegnet, wird die mentale Repräsentation gestärkt. 153 4.3 Konstruktionsgrammatik und Konzeptualisierung Abbildung 4.3: Zusammenspiel von unterschiedlichen Äußerungen (Instanzen) und abstrakter mentaler Repräsentation (Schemata) Abbildung 4.4 veranschaulicht, wie sowohl eine hohe Token-Frequenz als auch eine hohe Type-Frequenz zur Ausbildung mentaler Repräsentationen führen kann, wie also häufiges Auftreten von sprachlichem Input derselben Art zu mehr oder weniger abstrakten mentalen Repräsentationen führen kann. Auf der linken Seite sieht man eine schematische Konstruktion, die eine hohe Type-Frequenz, das heißt viele Instanzen mit struktureller und funktionaler Ähnlichkeit aufweist. Auf der rechten Seite bildet ein einzelnes hochfrequentes nicht weiter abstrahierbares und daher immer formgleich auftretendes Token die entrenchedte Konstruktion. Abbildung 4.4: Entrenchedte schematische Konstruktion (links) versus entrenchedtes Token (rechts) (nach Barðdal 2001: 32) 154 4. Grammatik Relevant bei der Entstehung mentaler Repräsentationen von Konstruktionen, das heißt bei der Konzeptualisierung, ist ebenfalls die Produktivität. Diese erfasst, inwiefern die Leerstellen einer Konstruktion gefüllt werden können. Eine Konstruktion ist demnach produktiv, wenn viele lexikalische Elemente in die Leerstellen eingesetzt werden können. Die Argumentstrukturkonstruktion caused motion (vergleiche Abbildung 4.3) ist sehr produktiv, weil sie mit vielen lexikalischen Elementen gefüllt werden kann. Ein weiteres Beispiel ist die Verbendung {-ed} als Vergangenheitsform im Englischen, welche sehr produktiv ist, da sie mit vielen Verbinstanzen vorkommt (walked, danced, talked etc.). Die Endung für unregelmäßige Verben [ʌŋg / k ] (sang, rung etc.) (Bybee 1995) ist weniger produktiv, weil sie bei weniger Verben eingesetzt wird. Die Produktivität gilt als hinreichender Indikator für den Verfestigungsgrad einer Konstruktion, nicht aber als notwendiges Kriterium, denn eine niedrige Produktivität geht nicht zwingend mit geringem entrenchment einher (Ziem 2014: 21). Die Konstruktion [-ʌŋg / k] ist zwar weniger produktiv, dennoch durch hohe Token-Frequenz genauso stark entrenched wie die Verbendung {-ed} (Verben wie sang, rung kommen ebenfalls sehr häufig im Sprachgebrauch vor). Speicherungsformen: Instanzen und Schemata Einige Vertreter der Konstruktionsgrammatik nehmen an, dass durch eine hohe Type- und Token-Frequenz sowohl item-spezifisches Wissen (spezifische Konstruktionen) als auch abstrakte Konstruktionen (Schemata) im Konstruktikon gespeichert werden (vergleiche Goldberg 2006, 2009). Dass diese Sichtweise nicht ganz unproblematisch ist, zeigen einige empirische Studien. Daher finden sich in der Literatur unterschiedliche Meinungen darüber, ob und in welchem Ausmaß tatsächlich Abstraktionen und Generalisierungen der Konstruktionen, durch einen Sprecher oder eine Sprecherin vorgenommen und als Schemata abgespeichert werden (vergleiche Barðdal 2008: 45; vergleiche auch Croft 2001: 51ff). Die empirischen Studien zeigen, dass Sprecher und Sprecherinnen unter Umständen nicht das abstrakte schematische Wissen, sondern vielmehr eine Vielzahl an konkreten Instanzen, speichern und anwenden (Bybee 2010; vergleiche auch Hilpert 2014: 66). Hochfrequent vorkommende konkrete Äußerungen sind gut entrenched und können demnach einfach abgerufen werden, ohne dass auf das Schema zurückgegriffen werden muss. In diesem Fall ist auch die Rede von lexical prefabs, das heißt vorgefertigte Wortreihen, die hochfrequent vorkommen und als Ganze verarbeitet und abgerufen werden, so zum Beispiel Wie geht’s? (vergleiche Diessel 2016: 212; Wray & Perkins 2000: 1). Außerdem stellt die Verwendung von Schemata hohe Verarbeitungsansprüche an den Sprecher und die Sprecherin, welche während des Sprachproduktionsprozesses sehr schnell Entscheidungen bezüglich der einzusetzenden Elemente treffen müssen (vergleiche Diessel 2004: 21). Schemata werden daher eher als zweitrangig betrachtet, „serving more of an organizing function than an active computational one“ (Langacker 1991: 265). Sie werden nur dann aktiviert, wenn konkrete Instanzen nicht zur Verfügung stehen, das heißt, wenn 155 4.3 Konstruktionsgrammatik und Konzeptualisierung eine neue oder wenig frequente Äußerung gebildet werden soll (vergleiche Diessel 2004: 23; Dabrowska 2010). Zudem ist allein das Wissen über Schemata laut Boas (2005) aus zwei Gründen nicht ausreichend: Zunächst fehlen dem Sprecher oder der Sprecherin, welche sich allein auf ein abstraktes Schema berufen, Informationen über die Verben, die in einer Konstruktion zugelassen werden. Obwohl die Verben reden und sprechen oft als Synonyme angesehen werden, kann im folgenden Beispiel (2) nur reden eingesetzt werden, sprechen ist nicht zugelassen. (2) Er redet sich dumm und dämlich. *Er spricht sich dumm und dämlich. (Übersetzt aus Boas 2003: 106) Ein weiterer Grund ist, dass nicht alle Verben dieselben Kategorien von postverbalen Konstituenten zulassen, wie in den folgenden Beispielen deutlich wird. Bei den Beispielen (3) und (4) handelt es sich um Restultativkonstruktionen. Das Verb dance erfordert hier to- + Nominalphrase, das Verb talk jedoch nicht. Auch diese Informationen sind im Schema nicht enthalten, sie hängen vom Verb ab. Demnach muss der Sprecher oder die Sprecherin Wissen über konkrete Instanzen abspeichern, nämlich unter welchen Bedingungen das Verb in einer bestimmten Konstruktion verwendet werden kann, um korrekte Äußerungen zu produzieren. (3) Jerry danced himself to exhaustion versus *Jerry danced himself exhausted. (4) *Nancy talked herself to hoarsness versus Nancy talked herself hoarse. (Boas 2005: 449) Zuletzt muss jedoch erwähnt werden, dass abstrakte Schemata für die Produktion von neuen Äußerungen gebraucht werden (Langacker 2000; Diessel 2004). Wenn wir zum Beispiel ein neues Verb im Englischen verwenden, stützen wir uns bei der Bildung der Vergangenheit auf eine abstrakte Konstruktion, beziehungsweise auf das Schema {-ed}. Hier besteht ein enger Zusammenhang mit Produktivität und entrenchment (siehe im vorhergehenden Abschnitt): Da das Schema {-ed} produktiver und stärker entrenched ist, wird eher auf dieses zurückgegriffen als auf [-- ʌŋg / k ] (vergleiche Diessel 2004: 31). Speicherungsebenen Auch wenn die Existenz von Schemata und deren Verwendung im Sprachgebrauch umstritten sind, wird von einer Hierarchie an überbeziehungsweise untergeordneten Konstruktionen ausgegangen. Übergeordnete Konstruktionen sind die abstrakteren Konstruktionen, wie [Subjekt] [Verb] [Objekt] [Lokale Angabe] für die caused-motion-Konstruktion (Abbildung 4.3) oder [Verb-+ Endung -st] (Abbildung 4.5), denen Instanzen untergeordnet sind. 156 4. Grammatik Abbildung 4.5: Übergeordnete Präsens-Konstruktion und ihre Instanzen Vertreter formal ausgerichteter Ansätze und kognitiv gebrauchsbasierter Ansätze haben unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Informationen über die Konstruktionen auf welchen Ebenen gespeichert werden (siehe 4.3.1.), beziehungsweise wie häufig die Information gespeichert wird. Kay und Fillmore (1999, Berkeley construction grammar) gehen davon aus, dass die Information einmalig in der übergeordneten Konstruktion gespeichert ist und nicht in der untergeordneten Konstruktion wiederholt wird. Redundanzen werden somit vermieden. Zum Beispiel bestimmt die übergeordnete PRÄSENS -Konstruktion, dass Verben in der zweiten Person Singular auf {-st} enden (vergleiche Hilpert 2014: 66). Für den Sprecher oder die Sprecherin ist Wissen über das Schema beziehungsweise die übergeordnete Konstruktion ausreichend, um die Endung produktiv bei Verben zu verwenden. Die untergeordneten Konstruktionen sind dann die Instanziierung malst und gehst, die nicht einzeln gespeichert werden müssen, sondern durch das Schema entstehen. Diese Lösung kann als ökonomisch betrachtet werden, da Informationen nur einmalig gespeichert werden müssen. Im Gegensatz dazu gehen gebrauchsbasierte kognitive Theorien (Croft 2001; Goldberg 1995) von redundanten Repräsentationen aus, da diese psychologisch plausibler sind. Wie in 4.3.1. beschrieben wurde, ist anzunehmen, dass sich Sprecher und Sprecherinnen eher an konkreten sprachlichen Instanzen orientieren als an abstrakten Schemata, solange diese Formen mit ausreichender Frequenz auftreten. Sollte ein seltenes Verb verwendet werden, dessen konkrete Instanz aufgrund zu geringer Häufigkeit nicht präsent ist, muss auf das Schema zurückgegriffen werden. Demnach werden Informationen nicht allein in übergeordneten Schemata gespeichert, sondern müssen auch in konkreten Instanzen enthalten sein. Vererbungsbeziehungen zwischen Konstruktionen Wie kann man sich nun die Form des gespeicherten Sprachwissens vorstellen? Wie sind die Konstruktionen, abstrakte oder spezifische, im Konstruktikon miteinander verbunden? Im Konstruktikon bilden Konstruktionen ein netzwerkartig-strukturiertes Inventar von dem Wissen, welches ein Sprecher oder eine Sprecherin über die Konventionen von Sprache besitzt (vergleiche Langacker 1987: 63ff). Wie wir bereits gesehen haben, ist das Netzwerk an Konstruktionen taxonomisch strukturiert, das heißt es besteht eine Hierarchie bezüglich 157 4.3 Konstruktionsgrammatik und Konzeptualisierung des Abstraktionsgrades von Konstruktionen. Zwischen den Konstruktionen besteht jedoch mehr als eine rein hierarchische Anordnung, da auch Beziehungen zwischen Konstruktionen desselben Abstraktionsgrades bestehen (vergleiche Ziem & Lasch 2013: 96). Die Beziehungen zwischen Konstruktionen sind motiviert, das heißt eine Konstruktion A ist ausgehend von einer Konstruktion B teilweise oder vollständig erschließbar, B motiviert demnach A. Dabei erbt beziehungsweise erhält die spezifische Konstruktion formale und funktionale Eigenschaften der übergeordneten, abstrakteren Konstruktion (Hilpert 2014: 60). Abbildung 4.6: Verschiedene Ebenen taxonomischer Hierarchien (in Anlehnung an Croft & Cruse 2004: 263) Die Vertreter und Vertreterinnen der verschiedenen Strömungen haben unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Art der Vererbung und der Beziehung zwischen Konstruktionen. Die sign-based construction grammar ( SBC xG) und die Berkeley construction grammar ( BC xG) gehen von einer vollständigen Vererbungsbeziehung zwischen Konstruktionen aus (vergleiche Kay & Fillmore 1999). Diesem Ansatz zufolge vererbt eine Konstruktion entweder alle ihre Merkmale an die Tochter-Konstruktion oder gar keine. Im Gegensatz dazu behaupten Goldberg (1995) und Langacker (1987), eine Konstruktion könne einzelne Form- und / oder Bedeutungsinformationen von mehreren übergeordneten Konstruktionen erben, wie zum Beispiel I didn‘t sleep sowohl von der Konstruktion [Subjekt Verb INTRANSITIV ] erbt als auch von [Subjekt Auxiliar-n’t Verb] (Croft & Cruse 2004: 264). Im Folgenden werden Modelle zur Strukturierung der Formsowie der Inhaltsseite des Konstruktikons vorgestellt. [ NP NOM ] Taxonomische Hierarchien Croft beschreibt taxonomische Beziehungen zwischen Konstruktionen (Croft & Cruse 2004: 262). Jede Konstruktion mit einzigartigen morphologischen, syntaktischen, lexikalischen, 158 4. Grammatik semantischen oder diskurs-pragmatischen Eigenschaften stellt einen sogenannten Knoten (node) dar (Croft 2001: 25). Nehmen wir das Beispiel der idiomatischen Konstruktion Er beißt in den sauren Apfel, die in Abbildung 4.7 dargestellt wird. Diese idiomatische Konstruktion hat zwar einen eigenen Knoten, da sie eine eigene Bedeutung hat, sie steht jedoch in Verbindung zu anderen Konstruktionen. Die schematischere, jedoch verbspezifische Konstruktion [ NP NOMINATIV beißen PP AKKUSATIV / NP AKKUSATIV ] stellt einen übergeordneten Knoten dar. Darüber steht die vollständig schematische Konstruktion [ NP NOMINATIV Verb TRANSITIV NP AKKUSATIV / PP AKKUSATIV ]. Der Grad an Abstraktheit und Schematizität nimmt dabei zu, jede untergeordnete Konstruktion bildet folglich eine Instanz der schematischeren Konstruktion (vergleiche auch Abbildung 4.6). Es bleibt festzuhalten, dass die höhere Konstruktion Information über die Form an eine niedrigere Konstruktion vererbt und dass Konstruktionen Informationen von mehreren schematischen Konstruktionen erben können. Abbildung 4.7: Darstellung von taxonomischen Vererbungsbeziehungen (in Anlehnung an Croft 2001: 26) 159 4.3 Konstruktionsgrammatik und Konzeptualisierung Inheritance Links - Welche Arten der Vererbungsbeziehungen zwischen Konstruktionen gibt es? Ein ausführliches Modell zur Strukturierung des Konstruktikons wird von Goldberg (1995: 74ff) vorgeschlagen. Sie postuliert vier Vererbungsbeziehungen (sogenannte inheritance links) zwischen Argumentstrukturkonstruktionen, die im Folgenden erläutert werden. Polysemie-Relationen (polysemy links) Anhand der Ditransitiv-Konstruktion und der caused-motion-Konstruktion illustriert Goldberg (1995) die Mehrdeutigkeit, durch die einige Konstruktionen verbunden sind (Polysemie). Die zentrale, prototypische Bedeutung der Ditransitiv-Konstruktion ist der Transfer eines Gegenstandes von Z zu Y. Allerdings kann in Abhängigkeit der verwendeten lexikalischen Elemente, in diesem Falle durch die Verwendung des Verbs, die Bedeutung der Konstruktion erweitert werden. Tabelle 4.3 stellt die verschiedenen Bedeutungen der Ditransitiv-Konstruktion dar. Die prototypische Konstruktion übergibt dabei sowohl die semantische Grundbedeutung als auch die syntaktischen Informationen an die polysemen Konstruktionen. Bedeutung Beispiele X verursacht, dass Y Z erhält Paul gibt Marie eine Blume. X verursacht, dass Y Z erhält - Gelingungsbedingung Paul verspricht Marie einen Ausflug. X ermöglicht Y, Z zu erhalten Paul erlaubt Marie eine Bootsfahrt. X verursacht, dass Y Z nicht erhält Paul verwehrt Marie ein Stück Kuchen. X beabsichtigt zu verursachen, dass Y Z erhält Paul baut Marie ein Haus. Tabelle 4.3: Polysemie der Ditransitiv-Konstruktion (in Anlehnung an Ziem & Lasch 2013: 99) Teil-Ganzes Relationen (subpart links) Ist eine Konstruktion A exakter Bestandteil einer Konstruktion B, kann aber auch unabhängig von ihr existieren, spricht Goldberg von einer Teil-Ganzes-Relation. Eine solche Relation besteht zum Beispiel zwischen der Resultativ- und Intransitiv-Konstruktion (vergleiche Beispiel 5) sowie zwischen der intransitive-motion-Konstruktion und der caused-motion- Konstruktion (vergleiche Beispiel 6). Als Teil einer Konstruktion B vererbt Konstruktion B ihre Eigenschaften auf Konstruktion A. Zur Veranschaulichung ist die vererbte Information, welche der Nominalphrase, der Verbalphrase, der Präpositionalphrase (vergleiche Beispiel 5 und 6) entspricht, in den nachfolgenden Beispielen unterstrichen. Daraus folgt, dass jede komplexe syntaktische Konstruktion in einer Teil-Ganzes-Relation zu weiteren einfacheren Konstruktionen steht. Argumentstrukturkonstruktionen zum Beispiel beinhalten immer Nominalphrasen-Konstruktionen sowie Verbalphrasen-Konstruktionen. 160 4. Grammatik (5) a. Paul rennt. (Intransitiv) b. Paul rennt das Mädchen um. (Resultativ) (6) a. Paul fährt nach Hause. (Intransitiv Motion) b. Paul fährt Lisa nach Hause. (Caused Motion) Instanz-Relationen (instance links) Instanz-Relationen zwischen zwei Konstruktionen bestehen, wenn eine Konstruktion einen Einzelfall der anderen Konstruktion darstellt. Konstruktion A ist dabei eine „more fully specified version“ (Goldberg 1995: 79) von Konstruktion B. Dies ist oft der Fall bei idiomatischen Äußerungen. In Beispiel (7) handelt es sich um eine Instanz einer Resultativ-Konstruktion. Die semantischen und syntaktischen Informationen der Resultativ-Konstruktionen werden dabei auf die Instanz vererbt. Ein lexikalisches Element, wie zum Beispiel bringen, erhält nur in dieser bestimmten Resultativ-Konstruktion mit der Präpositionalphrase auf die Palme diese Bedeutung (‚verrückt machen‘). (7) Julia bringt Maria auf die Palme. (Instanz einer Resultativ-Konstruktion) Metaphorische Erweiterung (metaphorical extension links) Die metaphorische Erweiterung der Inhaltsseite einer Konstruktion macht Goldberg anhand der Resultativ-Konstruktion deutlich, indem diese zu einer caused-motion-Konstruktion erweitert wird. In den folgenden Beispielen (8) und (9) werden Ziele beschrieben: Die caused-motion-Konstruktion enkodiert dabei in der Präpositionalphrase in die Schüssel ein konkretes Ziel, durch die Tätigkeit findet eine Ortsveränderung statt. In der Resultativ-Konstruktion beschreibt in Stückchen allerdings kein konkretes Ziel, vielmehr wird metaphorisch beschrieben, wie sich der Zustand durch die Tätigkeit verändert (von einem ganzen Apfel zu Stückchen). Laut Goldberg (1995: 81) wird hier die metaphorische Erweiterung der Zustandsveränderung als Ortsveränderung verstanden („change of state as change of location“ Goldberg 1995: 89). Die Konstruktionsbedeutung der Resultativkonstruktion in Beispiel (9) ergibt sich demnach durch eine metaphorische Erweiterung der caused-motion-Konstruktion. Die Resultativ-Konstruktion erbt hierbei syntaktische Informationen der caused-motion-Konstruktion, die als dominant gilt. (8) Paul schneidet den Apfel in die Schüssel. (Caused Motion) (9) Paul schneidet den Apfel in Stückchen. (Resultativ) 4.3.2 Konzeptualisierung von Konstruktionen im multilingualen Kontext Bisher hat sich die Forschung auf dem Gebiet der Konstruktionsgrammatik hauptsächlich auf den monolingualen Sprachgebrauch gerichtet und dabei vorwiegend das Englische fokussiert. In den 1990er Jahren beschäftigten sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zunehmetaphorische Erweiterung Ort → Zustand 161 4.3 Konstruktionsgrammatik und Konzeptualisierung mend auch mit anderen Sprachen, indem die für das Englische etablierten Grundlagen auf diese übertragen wurden (für einen Überblick siehe Boas 2010: 4). Der konstruktionsgrammatische Ansatz lässt sich problemlos auf jede Sprache anwenden (Fried & Östman 2004). Nun beschäftigen sich die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit der spannenden Frage, wie sich ihr Wissen über Sprache und Konstruktionen bei Menschen anwenden lässt, die mehrsprachig sind. Im weiteren Verlauf soll ein Einblick in die Grundlagen der Konstruktionsgrammatik im multilingualen Kontext gegeben werden. Sprachspezifizität von Konstruktionen Die erste Frage, die sich bei der Betrachtung verschiedener Sprachen und den ihnen zugrundeliegenden Konstruktionen stellt, ist, ob verschiedene Sprachen unterschiedliche Konstruktionen haben oder ob es sprachübergreifende Konstruktionen gibt. Das ist die Frage nach der Sprachspezifizität. Diesbezüglich nehmen die verschiedenen konstruktionsgrammatischen Strömungen unterschiedliche Positionen ein. Kay und Fillmore (1999: 1) gehen von einem Set an sprachübergreifenden abstrakten Konstruktionen aus, die auf andere sprachspezifische Konstruktionen vererbt werden (1999: 19). Croft (2001) und Goldberg (2013) wiederum nehmen an, dass Konstruktionen grundsätzlich sprachspezifisch sind. Sprachübergreifende Phänomene werden nicht ausgeschlossen, können jedoch, so Goldberg (2013: 25), durch allgemeine kognitive Prozesse erklärt werden. Zu diesem Aspekt gibt es aktuell mehr Fragen als Antworten. Geht man davon aus, dass Konstruktionen sprachspezifisch sind, stellt sich die Frage nach dem Aufbau des Konstruktikons bei Bilingualen. Dieses könnte folgendermaßen aussehen: ▶ Ist es plausibel, dass Bilinguale für jede Sprache jeweils ein separates Konstruktikon besitzen? Sprache A Sprache B ▶ In der Bilingualismusforschung wird nicht von strikt getrennten Sprachsystemen ausgegangen, sondern man stellt sich vielmehr ein Netzwerk vor, in dem Elemente aus beiden Sprachen miteinander verbunden sind (Paradis 2004; de Bot 2004; Riehl 2014). Könnte, basierend auf dieser Annahme, geschlussfolgert werden, dass auch Konstruktika untereinander verbunden sind und interagieren? Sprache A Sprache B ▶ Oder können Bilinguale cross-linguistische Konstruktionen entwickeln, das heißt übergeordnete sprachunspezifische Konstruktionen, sodass Information über Form und Bedeutung einmalig für alle Sprachen gespeichert wird? Diese Idee wird von Höder (2012, 2014) verfolgt. Demnach bilden strukturell und funktionell gleiche Konstruktionen in 162 4. Grammatik zwei Sprachen eine sprachübergreifende Dia-Konstruktion (Höder 2012: 247ff) und sind über einen diasystematischen Link miteinander verbunden. Sprache A Sprache B Sprachübergreifende Konstruktion Sollte es Konstruktionen geben, die in beiden Sprachen identisch sind, ist anzunehmen, dass diese durch die Sprecher und Sprecherinnen häufiger verwendet werden: sie sind aufgrund ihrer hohen Frequenz, nämlich dem Auftreten in den beiden Sprachen, mehr entrenched. Ob sich dann tatsächlich aus der in beiden Sprachen gleichen Konstruktion eine sprachübergreifende Konstruktion entwickelt, bleibt an dieser Stelle unbeantwortet. Es könnte zumindest ein Hinweis dafür sein, dass auch die Konstruktika interagieren und nicht vollständig getrennt sind. Wasserscheidt (2014) geht davon aus, dass bilinguale Sprecher und Sprecherinnen keine sprachübergreifenden Konstruktionen entwickeln, sondern allein semantische Generalisierungen bilden. Die Form ist für die Konstruktion der jeweiligen Sprache spezifisch. Bilinguale Phänomene In einem letzten Abschnitt sollen cross-linguistische Einflüsse mithilfe der Konstruktionsgrammatik erklärt werden. Cross-linguistische Einflüsse beschreiben „the influence of a person’s knowledge of one language on that person’s knowledge or use of another language“ (Jarvis & Pavlenko 2008: 1). Zahlreiche Studien belegen die Existenz eines Einflusses einer Sprache auf die andere (vergleiche auch den Band »Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb«). Im Hinblick auf das Zusammenspiel verschiedener Sprachen stellt sich die Frage, wie Konstruktionen über die Sprachen hinweg miteinander interagieren. Vorweg muss erwähnt werden, dass nach Wasserscheidt (2015: 251ff) die Verwendung des Begriffs Transfer in Frage gestellt werden sollte. Da in der Konstruktionsgrammatik nicht von Trennung zwischen Form und Bedeutung ausgegangen wird, kann auch kein alleiniger syntaktischer oder semantischer Transfer vorkommen. An Stelle dessen spricht Wasserscheidt (2015: 161ff) von Querverweisen, das heißt, „dass er [der Sprecher oder die Sprecherin] bei der Produktion von Formen in der LA in einer gewissen Weise auf Zeichen in der Sprache LB verweist“ (Wasserscheid 2015: 161ff), wobei LA einer Sprache A entspricht, und LB einer Sprache B. Dieser Sprecher oder diese Sprecherin kann auf verschiedene Elemente der Konstruktion aus Sprache B verweisen oder zurückgreifen. Dazu beschreibt Wasserscheidt (2015) vier Strategien, von denen im Folgenden zwei genauer erläutert werden: Insertion und Imitation. Häufig kann man in der bilingualen Sprachproduktion beobachten, dass die Bedeutung sowie die Form eines Lexems von Sprache B in die Leerstelle einer Konstruktion von Sprache A übertragen wird (vergleiche Beispiel 10). Wasserscheidt beschreibt diese Strategie als 163 4.3 Konstruktionsgrammatik und Konzeptualisierung Insertion: Der Sprecher oder die Sprecherin verweist hierbei auf die Konstruktion als Ganzes (Wasserscheidt 2015: 161). (10) Can you give me the Brot? Eine weitere Form von cross-linguistischen Einflüssen, so Wasserscheidt (2015), besteht in der Imitation einer Konstruktion aus einer anderen Sprache. Ein Einfluss der L2 ist erkennbar, ohne dass Morpheme in einer zweiten Sprache realisiert werden. Der Sprecher oder die Sprecherin verweist allein auf die semantische Struktur der Konstruktion der anderen Sprache. Als Beispiel für Imitation kann Klavier spielen angeführt werden, im Türkischen (piyano calmak-- ‘piano to.sound’) und im Niederländischen (piano spelen-- ‘piano to.play’) (in Anlehnung an Backus & Dorleijn 2010: 77). Das Konzept ist in beiden Sprachen das Gleiche (‘to produce music with an instrument or to master an instrument’). Die Bedeutung der semantischen Komponenten der Konstruktion ist jedoch verschieden (to.play und to.sound), was zu der phonologischen Struktur [X spelen] im Niederländischen und [X çalmak] im Türkischen führt. Verwendet ein türkisch-niederländischer Sprecher oder eine türkisch-niederländische Sprecherin auf Türkisch piano oynamak-- ‘piano to.play’, realisiert er die Bedeutung aus der Sprache A mit der Form, also der phonologischen Struktur aus Sprache B. Wasserscheidt (2014) betont, dass cross-linguistische Phänomene keinen Transfer von Konstruktionen von einer Sprache in die andere darstellen. Vielmehr können sie durch kognitive Strategien erklärt werden, zum Beispiel, dass der Sprecher oder die Sprecherin einen Teil der semantischen Struktur der Konstruktion imitiert. Weitere Experimente und Korpusarbeiten sind notwendig, um zu untersuchen, inwiefern cross-linguistischer Transfer Rückschlüsse über den Aufbau der Konstruktika beziehungsweise des Konstruktikons bei Bilingualen zulässt. 164 4. Grammatik 4.3.3 Zusammenfassung ▶ Konstruktionen werden durch Generalisierungs- und Abstraktionsprozesse auf konzeptueller Ebene verfestigt. ▶ Eine bedeutende Rolle dabei spielen Auftretensfrequenzen (Type- und Token-Frequenz) und Produktivität. ▶ Es werden sowohl item-spezifisches Wissen als auch abstrakte Schemata im Konstruktikon gespeichert - während der Verarbeitung stützen sich Sprecher und Sprecherinnen eher auf itemspezifisches Wissen. ▶ Konstruktionen werden strukturiert im Konstruktikon gespeichert. ▶ Zwischen Konstruktionen liegen Vererbungsbeziehungen, indem übergeordnete Konstruktionen Informationen an untergeordnete weitergeben. Über die Art der Vererbung (vollständig oder partiell) besteht kein Konsens. ▶ Goldberg definiert folgende Vererbungsbeziehungen zwischen Argumentstrukturkonstruktionen: Polysemie-Relationen, Teil-Ganzes-Relation, Metaphorische Erweiterung, Instanz-Relationen. ▶ Bisher existieren wenige Erkenntnisse über Konstruktionen bei Bilingualen. Es wird davon ausgegangen, dass Bilinguale wie Monolinguale Abstraktionen bilden. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sie sprachübergreifende Konstruktionen bilden können, zumindest nicht auf Formebene. ▶ Cross-linguistische Einflüsse können in der Konstruktionsgrammatik durch die Prozesse der Insertion und Imitation erklärt werden. 4.3.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was ist das Konstruktikon und wie ist es aufgebaut? 2. Werden eher abstrakte Schemata oder konkrete Instanzen zur Sprachverarbeitung verwendet? 3. Welche Vererbungsbeziehungen zwischen Konstruktionen beschreibt Goldberg? 4. Überlegen Sie sich ein Beispiel für eine Argumentstrukturkonstruktion, die im Deutschen und in einer Sprache Ihrer Wahl gleich ist. 165 4.3 Konstruktionsgrammatik und Konzeptualisierung 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik In diesem Kapitel lernen wir sprachliche Diversität aus der Perspektive der kognitiven Linguistik kennen. Wir beschäftigen uns vor allem damit, wie sehr sich Sprachen im Ausdruck von Bedeutung unterscheiden. Kognitive Linguistik geht von der Annahme aus, dass Sprache auf allgemeine kognitive Mechanismen des Menschen zurückzuführen ist. Aus dieser Perspektive wäre zu erwarten, dass Sprachen einander ähneln. In Lerneinheit 5.1 untersuchen wir die Diversität der Sprachen weltweit, indem wir uns konkret mit einigen Domänen menschlichen Erfahrens befassen, wie Raum, Bewegung und Körperteile. So erkennen wir, dass Sprachen sich tatsächlich darin unterscheiden, wie sie Bedeutung ausdrücken und welche Bedeutung sie ausdrücken können. Auf Basis der systematischen Unterschiede zwischen Sprachen, die wir in Lerneinheit 5.1 erläutern, wenden wir uns in Lerneinheit 5.2 der Theorie zu, dass sprachliche Unterschiede mit Unterschieden in der Denkweise einhergehen; dieses kontroverse Konzept heißt linguistische Relativität. Wir erläutern dieses Konzept kurz und diskutieren die Argumente dafür und dagegen. In Lerneinheit 5.3 geht es um die Bedeutung der sprachlichen Diversität für die kognitive Linguistik. Insbesondere fragen wir, ob sprachliche Diversität aus einer kognitiven Perspektive begründet und erklärt werden kann. Das führt uns zu der Frage, ob es sogenannte Sprachuniversalien gibt: ausnahmslose und sprachübergreifende Muster. 166 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik 5.1 Sprachliche Diversität Johan Blomberg (übersetzt von Simone Lackerbauer) Keine zwei Sprachen sind genau gleich. Aber wie sehr unterscheiden sich die Sprachen der Welt voneinander? Diese Frage hat in der Forschung bereits hitzige Debatten ausgelöst. Die beiden extremsten Standpunkte dazu sind Universalismus versus Relativität. Unter dem ersten Begriff versteht man, dass sprachliche Vielfalt lediglich aus oberflächlichen Unterschieden in den Benennungskonventionen bestehen. Dog auf Englisch bedeutet ‚Hund‘ auf Deutsch, wobei beide Wörter dieselbe Tierart meinen. Aus der Perspektive des zweiten Begriffes - der relativistischen - unterscheiden sich Sprachen radikal und verfügen über ihre eigenen internen Prinzipien, wie sie über die Welt sprechen. Die semantische Typologie interessiert sich dafür, wie sich Sprachen im Ausdruck von Bedeutung unterscheiden. Sie befasst sich mit dem Ausdruck verschiedener Erfahrungsdomänen wie Raum und Zeit. Die semantische Typologie erforscht und beschreibt sprachliche Variationen in solchen Domänen, indem sie darstellt, worin die Unterschiede in der Beschreibung der Welt liegen. Wo es möglich ist, zeigt die semantische Typologie Grenzen der einzelnen Sprachtypen auf Basis von empirischen Beobachtungen auf. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ einige Beispiele für sprachliche Diversität erklären können; ▶ den Unterschied zwischen lexikalischer und grammatischer Diversität erkennen können; ▶ die Grundmerkmale der semantischen Typologie beschreiben können; ▶ den Unterschied zwischen einer universalistischen und einer relativistischen Auffassung von sprachlicher Vielfalt erläutern können. 5.1.1 Sprachübergreifende semantische Variation In dieser Einheit befassen wir uns mit der semantischen Typologie. Zunächst werden einige interessante Fälle der sprachübergreifenden Bedeutungsdiversität erläutert, einschließlich der Diversität in den grundlegenden Domänen Raum und Bewegung. Welche Variationen und Unterschiede gibt es zwischen den Sprachen? Sprachen haben zum Beispiel unterschiedliche Phoneminventare, Aussprache und Orthographie. Wir interessieren uns hier jedoch für die Untersuchung der möglichen Variation der Bedeutung in den Sprachen. Grundsätzlich können sich Sprachen auf zwei Arten unterscheiden: ▶ Welche Bedeutungen können ausgedrückt werden? ▶ Wie werden dieselben Bedeutungen ausgedrückt? Unter die erste Kategorie fallen die zahlreichen Beispiele für sogenannte „unübersetzbare“ Wörter. Das japanische Wort tsundoku bedeutet zum Beispiel: ‚ein Buch ungelesen liegen 167 5.1 Sprachliche Diversität lassen, nachdem man es gekauft hat; typischerweise auf einem Stapel zusammen mit anderen solchen ungelesenen Büchern‘. Im Tschechischen gibt es das Wort prozvonit (in etwa ‚anklingeln lassen‘), das die Handlung beschreibt, wenn man ein Mobiltelefon anruft und es einmal klingeln lässt, so dass der Angerufene zurückruft und der ursprüngliche Anrufer somit kein Geld für das Telefonat ausgeben muss. Es gibt viele Beispiele für solche individuellen Wörter, die man schwer oder sogar überhaupt nicht von einer Sprache in eine andere übersetzen kann. Wenngleich diese Unterschiede an sich spannend sind, interessiert sich die Forschung zur semantischen Diversität mehr für sprachübergreifende, systematische Unterschiede. Eine dieser Domänen, in der Forscher und Forscherinnen systematische Unterschiede zu finden versuchen, ist die Domäne menschlicher Körper und wie man sich auf die verschiedenen Körperteile in unterschiedlichen Sprachen bezieht. Denn obwohl alle Menschen recht ähnliche Körper besitzen, wird in den Sprachen der Welt sehr unterschiedlich darauf referiert. Ein Beispiel dafür sind die Begriffe für Körperteile in der austroasiatischen Mon-Khmer-Sprache Jamai, in der es keine Wörter gibt, die den englischen Wörtern für arm, leg und limb entsprechen (Burenhult 2006). Stattdessen nehmen die Jahai-Sprecher und Sprecherinnen mit einem einzigen Begriff Bezug auf diese Körperteile, der keinen Unterschied zwischen den Extremitäten macht (vergleiche Lerneinheit 5.2). Begriffe für Verwandtschaft sind ein weiterer Bereich, in dem sprachübergreifende Unterschiede untersucht wurden. Im Vergleich mit der englischen Sprache hat die Sprache Kayardild aus der Sprachfamilie Tangkic der indigenen Sprachen Australiens ein sehr kompliziertes System für Verwandtschaftsbezeichnungen, in denen Informationen über den Sprecher beziehungsweise die Sprecherin und das genannte Geschwisterteil kombiniert werden, wie etwa dessen jeweiliges Alter und ob sie dasselbe oder das andere Geschlecht haben. Abbildung 5.1 stellt dieses System dar. Abbildung 5.1: Verwandtschaftsbezeichnungen auf Kayardild (Evans 1985: 484) 168 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik Wenn sich zum Beispiel eine Sprecherin auf einen jüngeren, gleichgeschlechtlichen Geschwisterteil bezieht, würde sie yakukathu verwenden. Das Wort auf Kayardild trägt eine sehr spezifische Bedeutung, die nicht einfach ins Englische übertragen werden kann. Damit wird ein Sinn ausgedrückt, der genauso wenig von den deutschen Begriffen für Bruder und Schwester direkt versprachlicht werden kann, da diese sich nur auf das Geschlecht des Geschwisterteils beziehen. Im Gegensatz dazu lexikalisiert yakukathu Informationen wie ‚älterer Geschwisterteil desselben Geschlechts, gesagt von einer weiblichen Person‘. Wie kann der gleiche Sinn unterschiedlich ausgedrückt werden? Ein einfaches Beispiel dafür sind Fälle, in denen eine Sprache über ein Wort verfügt, wohingegen eine andere zwei kennt. Betrachten wir noch einmal die Verwandtschaftsbezeichnungen, aber in diesem Fall für die Großeltern. Das deutsche Wort Großmutter macht keinen Unterschied zwischen dem weiblichen Großelternteil väterlicher- oder mütterlicherseits. Im Gegensatz dazu zeigen die schwedischen Wörter mormor (‚Mutters Mutter‘) und farmor (‚Vaters Mutter‘) an, zu welcher Elternseite die Großmutter gehört. Das deutsche Wort bleibt semantisch allgemein in Bezug auf die Elternseite, wohingegen auf Schwedisch ein Unterschied besteht und in dieser Hinsicht semantisch genauere Informationen ausgedrückt werden. Die aufgeführten Beispiele haben uns gezeigt, wofür es Wörter gibt und ob diese Wörter zwischen verwandten Bedeutungen unterscheiden. Wir verstehen darunter lexikalische Diversität. Aber Sprachen können sich auch darin unterscheiden, was zwingend durch Grammatik und linguistische Struktur ausgedrückt wird, die sogenannte grammatische Diversität. Einige Sprachen markieren mit grammatischen Mitteln, zum Beispiel die Beschaffenheit der Informationsquelle in einer Äußerung. Wir nennen das Evidentialität. Im Allgemeinen differenzieren Sprachen mit Evidentialität zwischen zwei unterschiedlichen Evidenzmarkern, so wie beobachtet (vom Sprecher beziehungsweise von der Sprecherin) versus nicht-beobachtet oder berichtet versus alles andere. So ist es zum Beispiel in der türkischen Sprache. Hier wird der Unterschied zwischen beobachtet und nicht-beobachtet am Verb markiert, wie nachfolgend in (1a) und (1b) dargestellt ist. In (1a) wird die Aussage indirekt berichtet und kann deshalb vom Hörensagen stammen oder ist anderweitig indirekt bekannt. (1b) besagt, dass der Sprecher oder die Sprecherin die Lage direkt kennt, etwa weil er darüber direkt von Ahmet oder seiner Frau erfahren hat: (1) a. Duydun mu, Ahmet ile karısı boşanmış? Did you hear that Ahmet and his wife are divorced? (‚Hast du gehört, dass Ahmet und seine Frau geschieden sind? ‘) b. Duydun mu Ahmet ile karısı boşandı? Did you hear that Ahmet and his wife are divorced? (‚Hast du gehört, dass Ahmet und seine Frau geschieden sind? ‘) Die Art der Evidentialität markiert auf Türkisch nur, ob es eine bestimmte Informationsquelle gibt, nennt diese aber nicht genauer. Manche Sprachen verfügen über Systeme mit anderen Evidenzmarkern, die eine Quelle explizit anzeigen. So ist es zum Beispiel in der Neuguinea-Sprache Fasu, die zwischen den folgenden sechs Arten von Evidentialität unterscheidet: visuell-sensorisch, nichtvisuell-sensorisch, folgernd, berichtet, von einer bekannten 169 5.1 Sprachliche Diversität Quelle gehört und direkte Teilnahme. Obwohl in der englischen Sprache Evidentialität nicht grammatisch ausgedrückt wird, kann sie dennoch lexikalisch durch die Wahl des Verbs zum Ausdruck gebracht werden. Während (2) eine Aussage ist, kommen in (3)-- (5) auch die Evidenztypen vor, die der Sprecher oder die Sprecherin für die betreffende Aussage verwendet. (2) Danilo is tired. (‚Danilo ist müde.‘) (3) Danilo looks tired. (‚Danilo sieht müde aus.‘) (4) Danilo seems tired. (‚Danilo scheint müde zu sein.‘) (5) Danilo would be tired by now. (‚Danilo wäre mittlerweile müde.‘) Solche strukturellen Merkmale in verbindlichen Informationen sind hauptsächlich Objekte von typologischem Interesse. Im folgenden Abschnitt sehen wir uns drei Beispiele für semantische Vielfalt genauer an. 5.1.2 Raumreferenz Geht man von den universellen Eigenschaften der physischen Natur und der menschlichen Konstitution aus, würde die Annahme Sinn machen, dass Sprachen weltweit Raumreferenz auf relativ ähnliche Weise behandeln. Zum Beispiel wurde lange angenommen, dass Blickwinkel-relative Ausdrücke wie links und rechts vorrangig in der kognitiven Entwicklung verankert sind, woraus man schlussfolgern könnte, dass sie sprachübergreifend weltweit grundsätzlich dafür verwendet werden, um Entitäten im Raum zu verorten. Diese Annahme wurde aufgrund sprachübergreifender Forschung zu Raumreferenz angefochten. Sprachen, die in verschiedenen Teilen der Welt gesprochen werden-- wie Tzeltal, Dene, Arrernte und Guugu Yumuthirr-- bevorzugen räumliche Referenzrahmen unter Verwendung von Begriffen, die den Himmelsrichtungen entsprechen, wie Westen und Süden (Levinson & Wilkins 2006). In einigen Sprachen fehlen sogar Wörter für Blickwinkel-relative Angaben. Es ist natürlich möglich, Himmelsrichtungen in vielen Sprachen zu verwenden, aber diese Nutzung ist normalerweise auf weiträumige geografische Beschreibungen beschränkt, so wie München liegt südlich von Berlin. Eine Veranschaulichung dazu stellt Abbildung 5.2 dar, in der eine kleinmaßstäbige räumliche Situation mit absoluten Begriffen ausgedrückt wird; gefolgt von einem Beispiel, wie diese Situation auf Tzeltal beschrieben wird. 170 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik Abbildung 5.2: Stimuli, die einen räumlichen Bezug darstellen, der mit unterschiedlichen räumlichen Referenzrahmen beschrieben werden kann waxal ta y-ajk'ol xila te limite stand-of-vertical-cylinder (‘the bottle is standing uphill of the chair’) (‚die Flasche steht bergauf vom Stuhl‘) at its-uphill chair the bottle (Levinson 2003: 148) Die Verwendung von Blickwinkel-relativen oder absoluten Begriffen sind zwei fundamental unterschiedliche Möglichkeiten, wie räumliche Verhältnisse beschrieben werden können, man kann auch sagen, verschiedene Construals von Raum (vergleiche Lerneinheit 1.2 dieses Bandes). Jede dieser Möglichkeiten ist ein Rahmen, um die Verhältnisse zwischen Entitäten im Raum zu bewerten. Levinson 2003 nennt dieses Phänomen Frame of Reference, Referenzrahmen. Ein Blickwinkel-relativer Referenzrahmen des Sprechers beziehungsweise der Sprecherin wird relativ genannt (die Unterscheidung zwischen links und rechts); und einer auf Basis der Himmelsrichtungen (die Unterscheidung zwischen Norden und Süden) wird absolut genannt. Abgesehen von diesen beiden Referenzrahmentypen ist es auch möglich, räumliche Zusammenhänge hinsichtlich der räumlichen oder funktionalen Eigenschaften der Entitäten zu beschreiben, wie etwa mit vor, auf der Rückseite, und so weiter. Wir nennen das den intrinsischen Referenzrahmen. Insgesamt gibt es damit drei unterschiedliche Möglichkeiten, um das Verhältnis zwischen zwei verschiedenen Objekten im Raum zu bestimmen. Wie sich diese drei Referenzrahmen in ihrer Perspektive auf Lokalisierung unterscheiden, sehen wir in Abbildung 5.3): (6) Der Mann ist vor dem Haus. [Intrinsisch] (7) Der Mann ist links von dem Haus. [Relativ] (8) Der Mann ist nördlich von dem Haus. [Absolut] 171 5.1 Sprachliche Diversität Abbildung 5.3: Eine Darstellung der drei unterschiedlichen räumlichen Referenzrahmen (Levinson 2003: 40) (6) Der Mann ist vor dem Haus. (6a) Das Haus ist rechts von dem Mann. (7) Der Mann ist links von dem Haus. (7a) Das Haus ist vor dem Mann. (8) Der Mann ist nördlich von dem Haus. (8a) Das Haus ist südlich von dem Mann. Sprachliche Referenzrahmen sind ein gutes Beispiel für eine semantische Typologie: Sie weisen deutliche Beschränkungen der Variation auf, und die Eigenschaften der unterschiedlichen Referenzrahmen werden unabhängig von ihrer sprachlichen Erscheinungsform definiert. Außerdem sind diese drei Typen unterschiedlich in verschiedenen Sprachen verteilt. 5.1.3 Bewegungsereignisse Oben haben wir uns damit befasst, wie sich Sprachen in einer statischen Beschreibung räumlicher Verhältnisse unterscheiden können. Es bestehen allerdings auch Unterschiede darin, wie dynamische Ereignisse, insbesondere Bewegungsereignisse, in verschiedenen Sprachen beschrieben werden. Grob können wir davon ausgehen, dass Bewegung sich mit mindestens zwei verschiedenen Aspekten befasst. Auf der einen Seite gibt es saliente wahrnehmbare Informationen darüber, auf welche Art und Weise etwas oder jemand sich bewegt, etwa springen, laufen, tanzen und drehen. Auf der anderen Seite kann die Bewegung zu einer Veränderung der Position führen, etwa vom Äußeren ins Innere eines Gebäudes. Wenn wir uns die Ausdrücke für Bewegung (und sogar allgemeiner für Ereignisse) ansehen, gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen romanischen und germanischen Sprachen. Entweder drückt das Verb die Änderung des Standorts aus, wie im spanischen Beispiel (9), 172 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik oder das Verb drückt aus, wie sich das Objekt bewegt hat und überlässt den Ausdruck der Standortänderung einem Verbzusatz, so wie im schwedischen Satz (10). (9) La botella entró a la cueva. Det.def.f (‘the bottle entered the cave’) (‚die Flasche trat in die Höhle ein‘) bottle enter.pst to det.def.f cave (10) Flaska-n flöt in i grotta-n. Bottle-det.def (‘the bottle floated into the cave’) (‚die Flasche schwamm in die Höhle hinein‘) float.pst in in cave-det. def Auf Spanisch wird der räumliche Übergang von oder an einen Ort, genannt path (‚Pfad‘) in der Bewegungssemantik, im Stamm des Hauptverbs ausgedrückt. Im Schwedischen gibt es eine andere Möglichkeit, um dieselbe Szene auszudrücken. Wie sich die Flasche bewegt hat, manner (‚Art und Weise‘), wird im Stamm des Hauptverbs ausgedrückt. Damit wird Path außerhalb des Verbstamms in einem Verbzusatz lexikalisiert, der Satellit genannt wird. Indem Path im Verbstamm lexikalisiert wird, kann die spanische Sprache Manner weglassen, oder diese in einem optionalen Gerundiv ausdrücken, hier flotando für ‚schwimmend‘. Verben, die die semantische Information Bewegung ausdrücken, verknüpfen Bewegung üblicherweise mit semantischen Informationen zum Positionswechsel und zur Art der Bewegung: Sie verknüpfen die Tatsache der Bewegung mit zusätzlichen semantischen Kategorien. Talmy (2000) weist darauf hin, dass vier unterschiedliche semantische Kategorien mit Bewegung verbunden werden können: MANNER (rollen, drehen), CAUSE (werfen, schlagen), FIGURE (regnen, spucken), und PATH (betreten, verlassen). Diese semantische Analyse der Komponenten, die zusammen mit Bewegung ausgedrückt werden, bildet die Basis für eine semantische Typologie, die zwei Arten von Sprachen unterscheidet. Es ist wichtig, dabei nicht zu vergessen, dass die Typologie nicht beabsichtigt, alle Arten der Bewegung zu umfassen, sondern nur solche Arten, bei denen ein Objekt seine Position ändert. In anderen Worten handelt es sich dabei um eine Typologie des Ausdrucks von Path: Entweder im Stamm des Hauptverbs oder mit einem Satelliten. Das sprachübergreifende Muster für die Präferenz der einen oder der anderen Ausdrucksstrategie hat zu einer Unterscheidung zwischen verbframed und satellite-framed languages, kurz V- und S-Sprachen geführt. Bei Sprachen wird also Path entweder typischerweise im Hauptverb (V-Sprachen) kodiert oder im Satelliten (S-Sprachen). 173 5.1 Sprachliche Diversität Abbildung 5.4: Satellite- und Verb-Framing auf Englisch und auf Spanisch (Blomberg 2014: 49) Die folgenden Merkmale werden S- und V-Sprachen zugeschrieben: ▶ S-Sprachen verfügen oft über Verben, die zwischen relativ ähnlichen Bewegungsarten differenzieren, etwa gehen, spazieren, flanieren, wandern, schlendern und so weiter. ▶ S-Sprachen können mehr als ein Grundelement oder Landmark (cave beziehungsweise Höhle in Abbildung 5.4) pro Satz ausdrücken, wohingegen V-Sprachen normalerweise nur ein Grundelement pro Satz angeben. ▶ V-Sprachen verwenden mehr statische Szenenbeschreibungen als S-Sprachen in der Konsequenz. Das wird in Beispiel (11) deutlich, in dem zwei statische Beschreibungen die umgebende Szenerie darstellen, bevor die Bewegungsbeschreibung im dritten Satz genannt wird. (11) Nous sommes à l’interieur d’une grotte pron.1.pl be.pl.prs at det.def.inside of.det.def.f cave un escalier en pierre en sort vers det.def.m stair in stone exit.3sg.prs toward le fond et une femme l’emprunte det.def.m back conj det.def.f woman it.take pour sortir de la grotte. for exit.inf from det.def.f cave (‘We are inside a cave / a stair in stone exits toward the bottom / and a woman makes use of it to exit the cave’) (‚Wir sind in einer Höhle / Es gibt eine steinerne Treppe, die nach unten führt / und eine Frau benutzt sie, um die Höhle zu verlassen‘) (Blomberg 2014: 132) 174 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik ▶ In V-Sprachen werden Manner-Verben nicht ohne Weiteres mit Ausdrücken für Ortswechsel im selben Satz kombiniert. Wenn das Hauptverb die Art und Weise (Manner) ausdrückt, wird die Präposition normalerweise als Ausdruck des Ortes anstatt des Ortswechsels interpretiert (12). Um dann den Sinn des Ortswechsels sowohl mit Mannerals auch mit Path-Elementen zu versprachlichen, drücken V-Sprachen Path im Hauptverb aus und Manner mit einer optionalen Satzkomponente, wie das Gerundiv auf Spanisch (13). Man bezeichnet das als boundary-crossing constraint der V-Sprachen (Einschränkung der V-Sprachen bezogen auf die Lexikalisierung von Grenzüberschreitungen) (Slobin & Hoiting 1994). (12) La niña corrió dentro de-l jardin DET . DEF .F girl run. PST in/ *into det.def.m garden (‘The girl ran in the garden’) (‚Das Mädchen rennt im Garten‘) (13) La niña entró corriendo en el jardin DET . DEF .F girl enter. PST run.ptcp in det.def.m garden (‘The girl entered the garden running’) (‚Das Mädchen rennt in den Garten‘; wortwörtlich: ‚Das Mädchen betritt den Garten rennend‘) Diese Typologie basiert auf einer Asymmetrie in der Arbeitsteilung zwischen den Stämmen der Hauptverben und den umgebenden Formklassen. Neben den S- und V-Sprachen, gibt es Sprachen, die Verben in Form von einer Verbreihe verknüpfen können. Diese Sprachen müssen sich nicht dafür entscheiden, ob sie lieber entweder Path oder Manner im Verb lexikalisieren: Sie haben beide Optionen. Beispielsweise können auf Thai bis zu drei semantisch unterschiedliche Bewegungsverben in einem einzigen Satz verknüpft werden, wie in (14) dargestellt ist. Die Verben wing (‚rennen‘), khâw (‚betreten‘) und paj (‚gehen‘) drücken alle Bewegung aus und sie alle nehmen einen gleichberechtigten syntaktischen Status ein. Aus diesem Grund könnte eine Erweiterung für die binäre Unterteilung in die zwei Sprachentypen S- und V-Sprache notwendig sein, um zusätzliche Sprachtypen zu erfassen. Ein Vorschlag für den dritten Sprachentyp ist die Bezeichnung als equipollently-framed languages, in denen Path und Manner in einer Konstruktion mit einer Verbserie ausgedrückt werden (Slobin 2004). (14) Phuchai wîng khâw paj nai umong. Man run enter go inside cave. Mann rennen betreten gehen in die Höhle. (‘The man runs inside a cave.’) (‚Der Mann rennt ins Innere der Höhle.‘) Die Typologie der Bewegungsereignisse zeigt, dass Belege aus zusätzlichen Sprachen zu einer Überarbeitung der Typologien führen können. Forschung zum verbalen Ausdruck von 175 5.1 Sprachliche Diversität Bewegung hat ergeben, dass viele Sprachen sich nicht nahtlos in diese binäre Unterteilung einfügen. Die Frage, wie viele verschiedene Typen es gibt, wird immer noch in der Forschung debattiert. Da Sprachen über verschiedene Strategien zum Ausdruck von Bewegung verfügen, ist dies auch relevant für den Zweitsprachenerwerb. Was in der einen Sprache auf eine Weise ausgedrückt wird, kann in einer anderen Sprache eine andere „Verpackung“ benötigen. Wie wir bereits beim boundary-crossing constraint in (11) weiter oben festgestellt haben, werden Manner-Verben auf Spanisch nicht benutzt, um einen Positionswechsel auszudrücken, im Gegensatz zum Deutschen, wo dies typischerweise gemacht wird. 5.1.4 Körperteile Wenden wir uns nun wieder unserem Lernziel zu, die Unterschiede zwischen Universalismus und Relativismus bestimmen zu können. Dafür befassen wir uns noch einmal mit den Bezeichnungen für Körperteile. Der menschliche Körper ist ein Teil des Selbst und ein Teil der Welt. Das trifft für jeden Menschen überall auf der Welt zu. Mein Körper gehört mir, aber er ist auch eine physische Entität, die wahrgenommen werden kann. Mittels des Körpers kommen wir herum und lernen die Welt kennen. Aus der Wahrnehmungsperspektive kann der Körper leicht aufgrund von visually discernible discontinuities (‚visuell erkennbaren Diskontinuitäten‘ nach Enfield, Majid & van Staden 2006: 141) segmentiert werden. Vom Rumpf unterscheiden wir die Beine, die wiederum weiter in Oberschenkel, Unterschenkel, Knöchel und so weiter unterteilt werden können. Wie wir bereits in den Kapiteln 3 und 4 erfahren haben, ist der Körper auch für die semantische Organisation von Bedeutung wichtig, etwa bei Metaphern. Außerdem haben sich viele Wörter für räumliche Positionen und topologische Beziehungen historisch aus Begriffen für Körperteile entwickelt (zum Beispiel räumliche Lagen wie in front ‚auf der Vorderseite‘ und in the back ‚auf der Hinterseite‘, oder river mouth ‚Flussmündung‘, vergleiche Heine 1997). All das spricht dafür, dass der Körper ein erstklassiger Anwärter für die universale sprachübergreifende Kategorisierung ist (siehe auch Abschnitt 5.1.1). Sind die Kategorisierung und die Unterteilung des Körpers sprachübergreifend universal, oder handelt es sich dabei um einen Bereich mit sprachübergreifender Diversität? Die Antwort ist in gewisser Weise kontraintuitiv: Obwohl alle Menschen über dieselbe Art von Körper verfügen, benennen die Sprachen seine Teile nicht gleich. Ein erstes Indiz für Variation ist, dass es mehrere Sprachen gibt, die über kein Wort verfügen, das Körper entspricht (etwa in den Sprachen Tidore und Kuuk Thayorre). Auf Lavukavele gibt es kein Wort für Arm und auf Jahai fehlt ein Wort für Mund (Enfield 2006). Einige Sprachen bevorzugen eine feinere Unterteilung. Ein anderer interessanter Aspekt der Unterteilung in Körperteile ist die Definition eines Körperteils. So beziehen einige Sprachen Teile mit ein, die in der Wahrnehmung nicht unterscheidbar sind. Auf Pandschabi bedeutet kɔ DD i etwa ‚Organ im Brustraum, das als verantwortlich für Krankheiten erachtet wird‘ (Majid 2006). In ähnlicher Weise wird die Seele oder die Lebenskraft auf Jahain und auf Yélî Dnye als Teil des Körpers verstanden. Beispiele 176 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik wie diese stellen sogar infrage, ob es ein sprachübergreifend geteiltes Konzept des Körpers gibt (Sinha & Jensen de Lopez 2000). Es ist demnach schwierig, Körperteile in einer kohärenten Typologie zu systematisieren. Es gibt umfangreiche Variationen ohne deutliche Grenzen und Einschränkungen dafür, wie der Körper sprachübergreifend unterteilt wird. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, ist dieser Bereich ein wertvoller Beitrag zur Erforschung sprachlicher Diversität. 5.1.5 Zur Untersuchung von semantischer Diversität Ein wichtiger Bereich der semantischen Typologie ist die Erhebung von Daten aus Sprachen, die in verschiedenen geografischen Regionen gesprochen werden und zu unterschiedlichen genealogischen Sprachfamilien gehören. Eine Einschränkung hinsichtlich des Datensatzes kann Gemeinsamkeiten und Unterschiede in typologischen Untersuchungen verzerren und ausgeprägter erscheinen lassen, da Ähnlichkeiten aufgrund von Sprachenkontakt und aufgrund von vorhanden Merkmalen aus einer gemeinsamen Ursprungssprache bestehen können. Deshalb sollten typologische Vergleiche vorzugsweise eine geografisch und genealogisch ausgewogene Stichprobe heranziehen. Auch wenn die genaue Anzahl von Sprachen, die für typologische Vergleiche benötigt wird, nicht genau definiert ist, versuchen Typologen, eine ausgewogene Stichprobe der weltweiten Sprachen zu verwenden. Indem sie sich Sprachen aus unterschiedlichen Sprachfamilien mit Variation in ihrer Struktur ansehen, können sie ein repräsentativeres Bild der sprachübergreifenden Einschränkungen und Variationen zeichnen. Obwohl es möglich ist, Wörterbücher als Basis für typologische Vergleiche zu verwenden, ist dies aus zwei Gründen nicht zielführend. Erstens existieren nicht für alle Sprachen Wörterbücher und es kann sein, dass nicht alle Wörter in einem Wörterbuch verzeichnet sind. Zweitens ist es mit Wörterbüchern nicht möglich, eine entsprechende Forschungsfrage und Methode zur Untersuchung semantischer Vielfalt zu formulieren. Daten für typologische Vergleiche werden daher eher oft gesammelt, indem man L1-Sprecher und -sprecherinnen bittet, ein spezielles Phänomen wie Bewegung oder Raum zu beschreiben. Das kann mittels Fragebögen erfolgen. Eine alternative Methode ist die Erhebung mit Bildern oder Videos, welche die jeweils untersuchten Situationstypen darstellen. Die zwei Methoden-- Fragebögen und Erhebung-- können kombiniert werden. Wenn die Begriffe für Körperteile untersucht werden, verwendet man üblicherweise vereinfachte Darstellungen des menschlichen Körpers. Jede Zeichnung ergibt den Begriff für einen Körperteil in der Erstsprache des Probanden oder der Probandin, indem die Probanden beziehungsweise Probandinnen gebeten werden, den genannten Körperteil auf der Zeichnung zu kennzeichnen. Diese sogenannte Körperfärbungsaufgabe ist in Abbildung 5.5 dargestellt. Jemand, der das deutsche Wort Bein hört, wird zum Beispiel den Teil von der Hüfte bis zum Fuß einfärben. Im Vergleich mit anderen Sprachen kann man dann die sprachübergreifenden Unterschiede bei den Bezeichnungen von Körperteilen untersuchen. 177 5.1 Sprachliche Diversität Abbildung 5.5: Die Körperfärbungsaufgabe (van Staden & Majid 2006: 160) 5.1.6 Zusammenfassung ▶ Eine systematische Beschreibung einer Domäne wie Bewegung oder Raum bildet eine semantische Typologie. In Einklang mit dieser Typologie werden die Sprachen nach dem Prinzip klassifiziert, ob sie in den meisten oder in allen Fällen eine bestimmte Art und Weise nutzen, um die untersuchte Domäne zu beschreiben. ▶ In manchen Bereichen ist es schwieriger, eine semantische Typologie zu entwickeln. Das lässt sich teilweise mit der Beschaffenheit der Domäne erklären: Die unterschiedlichen Möglichkeiten zur Aufteilung des menschlichen Körpers sind nicht anhand einer festgelegten Anzahl von Typen generalisierbar. ▶ Deshalb ist sprachübergreifende Variation unumstritten. ▶ Die Variation ist begrenzt, aber wie dies zu erklären ist, wird in der Forschung diskutiert: Entweder mit universalen Merkmalen, die von allen Sprachen geteilt werden, oder ohne solche Merkmale (Evans & Levinson 2009). 5.1.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was ist der Unterschied zwischen lexikalischer und grammatischer Diversität? 2. Ist Englisch eine S- oder V-Sprache? 3. Verfügen alle Sprachen über ein Wort für Körper? 4. Kategorisieren Sie die folgenden Bewegungsverben entweder als Path- oder als Manner- Verben: betreten-- gehen-- laufen-- rollen-- überqueren. 178 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik 5.2 Linguistische Relativität und Typologie Johan Blomberg (übersetzt von Simone Lackerbauer) In der Lerneinheit 5.1 haben wir gesehen, dass Sprachen unterschiedliche Bedeutungen ausdrücken können. Die systematischen Muster der sprachlichen Diversität in den Sprachen aus aller Welt führten zu einer Reihe anderer Fragen. Eine prominente Frage lautet, inwieweit Unterschiede zwischen den Sprachen mit möglichen Unterschieden in der Denkweise von Sprechern und Sprecherinnen dieser Sprachen einhergehen. In dieser Lerneinheit untersuchen wir die Idee, dass Sprache die Gedanken formt, und dass sprachliche Unterschiede zu entsprechenden Unterschieden in der Denkweise führen. Diese Position bezeichnet man als sprachliche oder linguistische Relativität. Wir erläutern diese Position zunächst mit Blick auf einige Kontroversen und Debatten um linguistische Relativität. Danach erläutern wir, wie sich die Diskussion in der Forschung in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Dafür sprechen wir einige der wichtigsten Argumente für und gegen linguistische Relativität an. Am Ende dieser Lerneinheit betrachten wir einige wichtige empirische Studien, in denen der Zusammenhang zwischen Sprache und Denken untersucht wurde. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ linguistische Relativität erklären können; ▶ einige Argumente für und gegen linguistische Relativität nennen können; ▶ einschätzen können, welche Art von linguistischen Unterschieden möglicherweise Einfluss auf das Denken nehmen könnten. 5.2.1 Was ist linguistische Relativität? Stellen Sie sich vor, dass Sie die Zeitung lesen. Auf einer Seite ist ein Artikel über einen aktuellen politischen Konflikt, der als ungerechtfertigter Krieg zwischen Freiheitskämpfern und einem repressiven Regime beschrieben wird. Stellen Sie sich jetzt vor, dass die Erstgenannten nun Terroristen heißen und die Letztgenannten eine demokratisch gewählte Regierung. Würde sich Ihr Eindruck von dem Konflikt dadurch ändern? Dieses Beispiel zeigt auf, was eine lexikalische Entscheidung ist: die Wahl der Wörter, die wir verwenden, um dieselbe außersprachliche Sachlage zu beschreiben (oder zu konstruieren) hat einen Einfluss darauf, wie wir eine bestimmte Sachlage verstehen. Wenn eine politische Gruppe als Terroristen bezeichnet wird, stellt das eine radikal andere Interpretation dar als wenn dieselbe Gruppe Freiheitskämpfer genannt würde. Wie wir jedoch in Lerneinheit 5.1 gesehen haben, unterscheiden sich Sprachen hinsichtlich ihrer verfügbaren Ressourcen, um auf dasselbe Phänomen zu verweisen. Wenn ein Sprecher oder eine Sprecherin der Maya-Sprache Tzeltal (die im Bundesstaat Chiapas in Mexiko gesprochen wird) den Weg beschreibt, würde es auf Deutsch dieser Formulierung entsprechen: Wenn Sie das Ende der 179 5.2 Linguistische Relativität und Typologie Straße erreichen, biegen Sie nach Westen ab. Deutsch- und Englisch-Sprecher und -Sprecherinnen würden normalerweise räumliche Bezüge aus Sicht des Sprechers beziehungsweise der Sprecherin (deiktisch verankert) verwenden: links und rechts. Solche deiktischen Ausdrücke gibt es jedoch auf Tzeltal nicht. Stattdessen machen die Sprecher und Sprecherinnen Ortsangaben grob auf Basis der Himmelsrichtungen wie Osten und Westen. Sie verwenden diese Raumperspektive, um räumliche Lagen in allen unterschiedlichen Dimensionen zu beschreiben; sowohl für lange Strecken als auch für die unmittelbare Umgebung. Ein Tzeltal- Sprecher beziehungsweise eine -Sprecherin würde deshalb sagen: Die Tasse befindet sich östlich vom Teller. Da es keine Möglichkeit gibt, aus der für das Tzeltal in die für das Englische typische Referenzweise für räumliche Verhältnisse zu übersetzen, stellt sich die Frage: Kann der Unterschied in der Versprachlichung von Raum mit Unterschieden im räumlichen Denken korrelieren? Diese Frage kann in folgender Hinsicht verallgemeinert werden: Korrelieren substantielle und systematische Unterschiede zwischen den Sprachen mit den entsprechenden Unterschieden in der Denkweise? Wenn man diese Frage mit „Ja“ beantwortet, nimmt man eine kontroverse Position ein, nämlich die der linguistischen Relativität. Vereinfacht kann linguistische Relativität in Form von zwei Annahmen und einer daraus abgeleiteten Schlussfolgerung definiert werden (Gentner & Goldin-Meadow 2003): (1) Sprachen unterscheiden sich wesentlich in ihrer semantischen Struktur. Das heißt, dass sie verschiedene Wörter für verschiedene Dinge verwenden und die Realität auf verschiedene Weise unterteilen. (2) Die Wörter und die grammatikalischen Kategorien einer Sprache nehmen Einfluss darauf, wie wir die Welt verstehen. Das weist darauf hin, dass die semantischen Strukturen die Kategorisierung von Erlebtem beeinflussen. (3) Daher wenden Sprecher und Sprecherinnen verschiedener Sprachen auch verschiedene Kategorisierungen für ihre Erfahrung der Realität an und verstehen die Welt somit auf verschiedene Weisen. Die erste Annahme sagt aus, dass sprachliche Unterschiede eher tiefgreifend als oberflächlich sind. Außerdem deutet sie darauf hin, dass die Bedeutung in Sprache eingebettet ist und nicht nur ein Werkzeug, um Gedanken auszudrücken. Nehmen wir zum Beispiel die Raumbeschreibungen auf Englisch und auf Tzeltal. Beide Sprachen können räumliche Verhältnisse gleichermaßen gut beschreiben, tun dies aber auf sehr unterschiedliche Weise. Auf Tzeltal wird Räumlichkeit in Himmelsrichtungen festgeschrieben, die von der Perspektive des Sprechers oder der Sprecherin und des Zuhörers oder der Zuhörerin in der konkreten Situation unabhängig sind. Wie aus der zweiten Annahme hervorgeht, wird die Struktur der Bedeutung in einer bestimmten Sprache dazu verwendet, um die Realität zu verstehen und zu interpretieren. Ein Tzeltal-Sprecher oder eine -Sprecherin muss daher immer im Blick behalten können, wo er oder sie sich in Relation zu den Himmelsrichtungen befindet, wohingegen ein Englisch- Sprecher beziehungsweise eine -Sprecherin keinen aktiven mentalen Kompass haben muss. Die relativistische Vorstellung besagt, dass die Abhängigkeit von sprachspezifischen Mustern 180 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik unweigerlich zu einer bestimmten Denkweise und Kategorisierung des entsprechend Erlebten führt. Sehen wir uns nun an, wie sich die Vorstellung der linguistischen Relativität historisch entwickelt hat. Historischer Überblick Die Vorstellung, dass unterschiedliche Gedanken zu unterschiedlichen Denkweisen führen, blickt auf eine lange Geschichte zurück. Aus heutiger Sicht kann sie bis zu den Denkern der Romantik und der Aufklärung zurückverfolgt werden, beispielsweise zu Wilhelm von Humboldt (1767-1835) und Johann Gottfried Herder (1744-1803). Beide haben hervorgehoben, auf welche Weise verschiedene Sprachen und kulturelle Traditionen dazu beitragen, wie Menschen zu einer Nation zusammengebracht werden. Laut Humboldt weist jede Sprache eine ihr eigene Weltansicht auf. Herder und Humboldt sind wichtige Vorläufer des modernen Verständnisses der linguistischen Relativität. Diese wird jedoch hauptsächlich mit den nordamerikanischen Linguisten Edward Sapir und Benjamin Lee Whorf in Verbindung gebracht. Sie waren der Ansicht, dass Sprache eine Interpretation der Realität bieten kann. So kann man sagen, dass ein Tempussystem, das zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterscheidet (so wie im Englischen oder im Deutschen), Zeit in drei deutliche Kategorien einteilt. Sie kontrastierten dies mit Sprachen wie jener der Hopi-Indianer, von der sie behaupteten, dass ihr ein Tempussystem fehle und dass sie stattdessen zeitliche Bezüge einzig durch Aspektmarkierung beschreiben. Deshalb nahmen Sapir und Whorf an, dass Sprecher und Sprecherinnen unterschiedlicher Sprachen beim Verstehen und der Auslegung des Erlebten von unterschiedlichen sprachlichen Hinweisen geleitet werden. Bei ausreichend großen Unterschieden zwischen den Sprachen gäbe es korrespondierende Unterschiede zwischen den Sprechern und Sprecherinnen bei der Kategorisierung ihrer Realität (Carroll 1956). Sapir und Whorf wird manchmal vorgeworfen, sie hätten keine beweiskräftigen und zudem fehlerhafte Vergleiche zwischen Sprachen durchgeführt (vergleiche Malotki 1983). Vereinfacht gesagt, besteht die Annahme, die Unterschiede zwischen Sprachen wie Englisch und Hopi könnten übertrieben gewesen sein. Außerdem scheint ihre Interpretation zu der Schlussfolgerung zu führen, dass sprachliche Unterschiede entsprechende kognitive Differenzen bestimmen. Das führt zu einem Zirkelschluss: Die sprachlichen Unterschiede sind sowohl Voraussetzung als auch Ergebnis. Die Karikatur in Abbildung 5.6 verdeutlicht diese Debatte, indem sie einen anderen Blickwinkel als die westliche Perspektive einnimmt. 181 5.2 Linguistische Relativität und Typologie Abbildung 5.6: Eine Illustration als Kommentar auf die Debatte zur linguistischen Relativität (Speed Bump 2009, abgedruckt mit der Erlaubnis von Dave Coverly) Ein wichtiger Schwerpunkt der linguistischen Forschung liegt auf den Ähnlichkeiten zwischen Sprachen und den Voraussetzungen für Sprachenerwerb. Da alle Menschen (unter normalen Umständen) Sprachen lernen, geht man davon aus, dass die Fähigkeit dazu universell ist. Wenn die Fähigkeit zum Erwerb einer Sprache von allen Menschen geteilt wird, dann wären die Effekte der sprachlichen Unterschiede zu klein, um als überzeugende Argumente für linguistische Relativität herzuhalten. Steven Pinker kritisiert die Sapir-Whorf Hypothese deutlich: [T]he Sapir-Whorf hypothesis of linguistic determinism states that people’s thoughts are determined by the categories made available by their language, and its weaker version, linguistic relativity, that differences among languages cause differences in the thoughts of their speakers-[…] [it] is wrong, all wrong. (Pinker 1994: 57) Aus dieser Perspektive begegnete man der Möglichkeit der linguistischen Relativität lange mit Skepsis und sie wurde daher lange Zeit in der Forschung vernachlässigt. Allerdings wird deutlich, wenn man Pinkers Zitat aufmerksam liest, dass er Sapir und Whorf vielmehr mit der Idee des linguistischen Determinismus in Verbindung bringt als mit linguistischer Relativität. Während die erstgenannte Position besagt, dass die Sprache die möglichen Gedanken festlegt und bestimmt, besagt die zweitgenannte und eher moderate Position, dass Sprache Gedanken formt. Nach einer langen Periode des Misstrauens gegenüber Linguistik und Kognitionswissenschaft wurde die linguistische Relativität in den letzten Jahrzehnten konzeptuell klarer aus- 182 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik formuliert, um die Fallstricke des linguistischen Determinismus zu vermeiden. Gleichzeitig wurde sie methodologisch rehabilitiert, um den Standards der empirischen Forschung besser gerecht zu werden. Dabei wurden teilweise die Beispiele der semantischen Vielfalt aus Lerneinheit 5.1 verwendet. Im weiteren Verlauf dieser Lerneinheit werden einige der wichtigsten Forschungsstränge zur linguistischen Relativität besprochen und evaluiert. 5.2.2 Für und wider die Relativität Die relativistische Position wird kontrovers betrachtet und häufig für fehlerhafte Argumentation kritisiert, die zu absurden Positionen führt. Wenn Menschen wortwörtlich genommen in natürlicher Sprache denken, scheint daraus zu folgen, dass all jene ohne Sprache, etwa Tiere und Kinder in der vorsprachlichen Phase, nicht zum Denken in der Lage wären. Die kognitiven Kapazitäten von Tieren und Säuglingen sind aber in der Forschung weitgehend belegt worden (vergleiche zum Beispiel Tomasello & Call 1997). Tomasello und Call zeigen, dass Tiere in der Lage sind, sich gemäß komplexer Denkprozesse zu verhalten. Sie können beispielsweise bewusste Entscheidungen treffen, für die Zukunft planen oder die Absichten anderer verstehen. Ein zweiter Einwand betrifft die Möglichkeit des Erwerbs einer Zweitsprache. Viele Menschen sprechen mehr als eine Sprache-- sogar Sprachen, die sich radikal voneinander unterscheiden-- und das erscheint nicht möglich, wenn die Erstsprache unsere Gedanken bestimmen würde. Einwände wie diese haben dazu geführt, dass zwischen verschiedenen Formen der relativistischen Effekte unterschieden wird. Einerseits gibt es eine starke Version der linguistischen Relativität, die besagt, dass die Sprache die Art der möglichen Gedanken festlegt. Eine Metapher zur Veranschaulichung wäre, dass die Sprache wie ein Gefängnis für den Geist ist, in dem wir alle gefangen gehalten werden. Auf der anderen Seite gibt es eine schwache Version der linguistischen Relativität. Diese Interpretation geht davon aus, dass Sprache das Denken eher beeinflusst, anstatt zu bestimmen. Das bedeutet, dass wir nicht in unserer Sprache gefangen sind, sondern dass das Denken mit der Sprache Hand in Hand geht. Die starke Version wird öfter kritisiert, während die schwache Version häufiger von Relativisten vertreten wird. Es ist jedoch möglich, linguistische Relativität ohne die Implikation, dass alle Gedanken von der Sprache durchdrungen sind, zu beschreiben. Obwohl sich die Interpretationen unterscheiden, ist die eher zurückhaltende Interpretation einleuchtender, der zufolge Sprache beeinflussen kann, zu welchem Denken Menschen neigen- - und nicht, welche Gedanken grundsätzlich möglich sind. Mit anderen Worten: Bloß weil eine Sprache wie Pirah- (gesprochen in den brasilianischen Amazonas-Gebieten) keine Wörter für Ziffern jenseits von drei hat, heißt das nicht, das Pirah--Sprecher und Sprecherinnen nicht bis vier zählen können (Everett 2005). Um die Grenzen und die Gültigkeit der relativistischen Position zu ermitteln, wurde in den vergangenen 25 Jahren eine stetig wachsende Anzahl empirischer Studien zu vielen verschiedenen Sprachen und zu vielen verschiedenen Phänomenen zusammengetragen. Im folgenden Abschnitt erläutern wir einige Studien. Damit gehen wir auch auf einige in- 183 5.2 Linguistische Relativität und Typologie teressante Unterschiede zwischen den Sprachen ein. Am Ende dieses Abschnitts evaluieren wir, was diese Studien über das Verhältnis zwischen Sprache und Denken aussagen können. Aufgaben zur Farbbezeichnung Die erste empirische Forschung zum Verhältnis zwischen sprachlichen Unterschieden und entsprechenden Unterschieden im Denken befasste sich mit Farbkategorisierung. Wie man nun weiß, kategorisieren Sprachen das Farbspektrum auf verschiedene Weise. In der russischen Sprache gibt es beispielsweise einen Unterschied zwischen helleren und dunkleren Blautönungen (goluboy und siniy). Wenn die linguistische Kategorisierung das Denken beeinflusst, könnte man erwarten, dass die unterschiedlichen Farbkategorisierungen die Farberkennung beeinflussen. Diese Hypothese wurde in den 1950er Jahren experimentell getestet und man fand einen geringen bis keinen linguistischen Effekt auf die Gedächtnisleistung und die Farberkennung in verschiedenen Sprachen mit unterschiedlichen Farbbezeichnungen (bei den untersuchten Sprachen handelte es sich um Englisch und Zuni-- eine indigene amerikanische Sprache, die in New Mexico und Arizona gesprochen wird, vergleiche Brown & Lenneberg 1954). Eine der bekanntesten Untersuchungen war die Erhebung von Farbbenennungen in einer breiten Palette von Sprachen, die in den 1960er Jahren von Brent Berlin und Paul Kay durchgeführt wurde (Berlin & Kay 1969). Sie stellten fest, dass Farbbenennung sprach- und kulturübergreifend universellen Mustern folgt, anstatt zufälligen Unterteilungen und willkürlichen Lexikalisierungen-- den sogenannten basic color terms (Grundfarbwörter). Sie definieren ein solches Grundfarbwort anhand mehrerer Kriterien: (1) Ein basic color term ist keine Wortverbindung (Blau, aber nicht Dunkelblau) (2) Ihre Bedeutung ist nicht Teil einer anderen Farbbezeichnung (Kastanie ist ein Rotton, aber nicht umgekehrt). (3) Uneingeschränkte Nutzung (4) Psychologisch salient (taucht beim Elizitieren tendenziell früh auf) Obwohl Sprachen sich darin unterscheiden können, wie das Farbspektrum unterteilt ist und wie viele Wörter es für Farben gibt, existiert doch eine starke sprachübergreifende Übereinstimmung darüber, welche Töne als zentral gelten. In einer Sprache mit weniger Wörtern für Farben sind die gewählten Töne vorhersehbar. Wenn eine Sprache beispielsweise über nur zwei Wörter für Farben verfügt, entsprechen diese hell und dunkel. Verfügen sie über drei Farbwörter, ist das dritte Wort mit hoher Wahrscheinlichkeit rot. Besitzt eine Sprache ein Wort für braun, dann ist es wahrscheinlich, dass sie auch Wörter für blau, gelb, grün, rot und hell und dunkel hat. Abbildung 5.7 zeigt die vorgeschlagene typologische Hierarchie der Farbbezeichnungen. 184 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik Abbildung 5.7: Eine Typologie der Grundfarbbezeichnungen, in Anlehnung an die von Berlin, Brent und Kay (1964: 4) vorgeschlagene Typologie Der Stellenwert der Farbbenennung ist in jüngster Vergangenheit durch neue Studien wieder bedeutender worden. Ergebnis einiger Studien ist, dass sprachspezifische Farbbenennung beim Erkennen von unterschiedlichen Farben hilfreich sein können (Roberson, Davies & Davidoff 2002; Lupyan 2012) und andere behaupten, dass die Schlussfolgerungen von Berlin & Kay auf fehlerhaften Annahmen über Sprache basieren (Saunders 2000; Levinson 2000). Experiment Bitten Sie drei Personen um die Nennung von Farbbezeichnungen. Welche waren die ersten zehn? Wie viele von ihnen entsprechen den Grundfarbbezeichnungen gemäß den oben aufgeführten Kriterien? Sehen Sie sich die Seite http: / / wals.info/ feature/ 133A#2/ 32.5/ 151.7 an, um herauszufinden, an welcher Stelle der untersuchten Sprachen sich Ihre Sprache einfügt. Dieses Experiment zeigt Ihnen, inwieweit Ihre Probanden und Probandinnen die basic color terms verwendeten. Wenn Sie Ihre Ergebnisse mit den umfangreichen, sprachübergreifenden Studien zu dieser Thematik vergleichen, können Sie die Variation zu diesem Thema über Sprachen hinweg beobachten. Räumliche Orientierung So wie bei den Farbbezeichnungen haben Sprachen auch unterschiedliche Arten zur Raumkategorisierung. Wir haben bereits über den Unterschied dabei zwischen Tzeltal und Englisch gesprochen. Zur Erinnerung: Tzeltal verwendet für die räumliche Orientierung Begriffe, die Osten und Westen entsprechen. Englisch verwendet hingegen entweder deiktische (oder relative) Spezifikationen, so wie links oder rechts, oder Bezüge auf andere räumliche Entitäten, so wie vor. Diese drei unterschiedlichen Möglichkeiten zur Beschreibung derselben räumlichen Situation werden in Abbildung 5.3 in Lerneinheit 5.1 erläutert. Um zu überprüfen, ob diese unterschiedlichen linguistischen Präferenzen Einfluss auf die nichtsprachliche Kategorisierung nehmen, wurden einige unterschiedliche Experimente und Studien durchgeführt (zusammengefasst bei Levinson 2003 und bei Majid, Bowerman, 185 5.2 Linguistische Relativität und Typologie Kita, Haun & Levinson 2004). In einem Experiment wurden die Sprecher und Sprecherinnen gebeten, sich die Reihenfolge von drei Objekten auf einem Tisch zu merken (in Form eines Rechtecks, eines schwarzen Punktes und eines weißen Kreises, siehe Abbildung 5.8). Nachdem sich die Probanden und Probandinnen um 180° gedreht hatten, bat man sie, sich an die Reihenfolge der Objekte zu erinnern und die Objekte wieder aufzubauen. Die Aufgabe kann entweder mittels eines relativen Referenzrahmens in der Reihenfolge von links nach rechts gelöst werden, oder mit einem absoluten Referenzrahmen, bei dem die Himmelsrichtungen erhalten bleiben. Abbildung 5.8 zeigt den Versuchsaufbau: Abbildung 5.8: Der Versuchsaufbau mit relativen und absoluten Lösungen (Majid et al. 2004: 110) Wenn die sprachspezifischen Muster die Erinnerung beeinflussen, würde man erwarten, dass die Tzeltal-Sprecher und -Sprecherinnen Himmelsrichtungen verwenden, um die Objektreihenfolge zu bestimmen, während die Niederländisch-Sprecher und -Sprecherinnen die Links-Rechts-Reihenfolge relativ zum Sprecher beziehungsweise der Sprecherin vorziehen würden. Die Studie unterstützte die relativistische Hypothese: Tzeltal- und Niederländisch- Sprecher beziehungsweise -Sprecherinnen haben die Aufgabe typischerweise unterschiedlich gemäß den sprachspezifischen Mustern zum Ausdruck räumlicher Bezüge gelöst. Eine mehr auf alltägliche Situationen ausgerichtete Studie prüfte, ob absolute und relative Referenzrahmen die Orientierung in unbekanntem Gelände beeinflussen. Die relativistische Hypothese ist, dass Sprecher beziehungsweise Sprecherinnen, die den absoluten Referenzrahmen verwenden, die Himmelsrichtungen (oder entsprechende Ausdrücke) im Hinterkopf behalten und sich folglich besser orientieren können als Sprecher oder Sprecherinnen des Niederländischen oder des Englischen. Es stellte sich heraus, dass Tzeltal- und Guugu Yimithirr-Sprecher und -Sprecherinnen (eine Sprache der Aborigines, die sich häufig auf den absoluten Referenzrahmen bezieht) sehr viel besser als Niederländisch-Sprecher und 186 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik -Sprecherinnen waren, selbst in unbekanntem Gelände die Übersicht darüber zu behalten, wo sich gewisse Dinge befanden (Levinson 2003). Experiment 2 Führen Sie das in Abbildung 5.8 beschriebene Experiment mit mindestens drei Personen durch. Sie können drei kleine Objekte von ähnlicher Größe verwenden und dann die Personen bitten, sich um 180° zu drehen und sie dann neu arrangieren. Haben Ihre Probanden und Probandinnen die Erwartungen gemäß der räumlichen Orientierung in ihrer Sprache erfüllt? Mithilfe dieses Experimentes sehen Sie, ob Ihre Probanden und Probandinnen sich ähnlich verhalten, wie es die Ergebnisse der Studien von Levinson und Kollegen beziehungsweise Kolleginnen erwarten lassen. Raum-Zeit-Metaphern Im Kapitel 3 haben wir erläutert, dass Metaphern als systematische Mappings zwischen Domänen dienen. Ein besonders wichtiges Mapping ist das von Raum (Quelldomäne) auf Zeit (Zieldomäne). Auch wenn viele Sprachen über dieses Mapping verfügen, kann es im Detail feine Unterschiede geben. Sprecher und Sprecherinnen des Englischen übertragen Zeit üblicherweise auf die horizontale Achse, wie in den Sätzen (1) und (2). (1) Christmas is ahead of us. (‚Weihnachten liegt vor uns.‘) (2) The deadline was pushed back. (‚Die Frist wurde nach hinten geschoben.‘) Mandarin-Sprecher und -Sprecherinnen verwenden häufig die vertikale Achse als Basis für zeitliche Ausdrücke. Obwohl man das auf Englisch auch tun kann (wie the meeting is coming up), argumentiert Boroditsky (2001), dass dies auf Mandarin viel konventionalisierter sei. Beispiele dieses Mappings vom vertikalen Raum auf Zeit sind die Sätze (3) und (4). Wie man sehen kann, können die Verben für klettern / heruntersteigen im zeitlichen Sinne zur Beschreibung von vergangenen und zukünftigen Ereignissen verwendet werden. (3) a. māo shàng shù Raum cats climb trees b. shàng ge yuè Zeit last month (4) a. tāo xià le shān mèi yŏu Raum has she descended the mountain or not? b. xià ge yuè Zeit next month (Boroditsky 2001: 6) 187 5.2 Linguistische Relativität und Typologie In mehreren Experimenten hat Boroditsky zusammen mit Kollegen und Kolleginnen den möglichen Einfluss räumlicher Metaphern auf zeitliche Repräsentationen untersucht (Boroditsky 2001; Boroditsky, Fuhrmann & McCormick 2010). Sie behaupten: Wenn Sprache das Denken beeinflusst, dann finden wir diesbezügliche Unterschiede zwischen Mandarin- Sprechern und -Sprecherinnen beziehungsweise Englisch-Sprechern und -Sprecherinnen. Die Experimente wurden mit unterschiedlichen Aufgaben durchgeführt, umfassen aber typischerweise eine Beurteilung der Zeit, etwa indem zwei Bilder von derselben Person angesehen werden, um dann zu beurteilen, auf welchem Bild die Person älter ist. In anderen Studien bestand die Aufgabe darin, auf eine Aussage zu Zeit zu antworten (wie März kommt vor April). Um zu untersuchen, ob die Lösung dieser Aufgaben von sprachspezifischen räumlichen Metaphern beeinflusst wird, gibt es in diesen Experimenten oft einen zusätzlichen räumlichen Parameter. Das wird beispielsweise durch Priming erreicht. Beim Priming wird der Proband oder die Probandin einem Stimulus ausgesetzt, der die Reaktion auf einen anderen Stimulus beeinflusst. In dieser speziellen Aufgabe bestand der Prime aus einer räumlichen Information, die mit der folgenden zeitlichen Information entweder übereinstimmt oder nicht. Zum Beispiel sind die Probanden beziehungsweise die Probandinnen vor der Beantwortung der zeitlichen Aufgabe bestimmten räumlichen Informationen ausgesetzt, die mit dem metaphorischen Mapping der eigenen Sprache kongruent sind oder nicht. Wenn dies zur unterschiedlichen Lösung der Aufgaben führt, kann man davon ausgehen, dass der Prime die Leistung beeinflusst. Die Ergebnisse von Studien zur Raum-Zeit sind jedoch nicht schlüssig und scheinen sich je nach Studie zu unterscheiden (Chen 2007). Zu einem besonders interessanten Ergebnis kamen Casasanto, Boroditsky, Phillips, Greene, Goswami, Bocanegra et al. (2004). Sie verglichen Englisch- und Griechisch-Sprecher und -Sprecherinnen bei einer ähnlichen Priming-Aufgabe. Während die englische Sprache längenbasierte räumliche Metaphern verwendet, um Dauer auszudrücken (wie a long / short time), greift die griechische Sprache auf volumenbasierte Wörter wie megalos (‚groß‘) für eine Zeitspanne zurück. Casasanto und seine Kollegen und Kolleginnen fanden heraus, dass es Sprechern und Sprecherinnen der einen Sprache nach einer kurzen Trainingsphase gelang, die Metapher der jeweils anderen Sprache anzunehmen und produktiv zu nutzen, um die Aufgabe zu lösen. Das heißt, dass die Sprecher und Sprecherinnen des Englischen die griechische Metapher für die Antworten auf zeitbezogene Fragen verwenden konnten. Eine abschließende Erklärung steht noch aus, aber es deutet trotzdem (a) auf die Bedeutung der Sprache bei der Lösung nichtsprachlicher Aufgaben hin und (b) auf die Flexibilität dieser linguistischen Muster. Genus Viele Sprachen besitzen die grammatische Kategorie Genus, was auf den ersten Blick kein bedeutungsvoller Unterschied und nicht unbedingt systematisch sein mag. Um zu überprüfen, ob Genus trotzdem Einfluss auf die Sprecher und Sprecherinnen verschiedener Sprachen nimmt, haben Boroditsky und Schmidt (2002) dazu Sprecher und Sprecherinnen des Deutschen und des Spanischen (beide Sprachen verfügen über Genus) untersucht. Als 188 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik man sie bat, einige Adjektive niederzuschreiben, die ihnen für unterschiedliche Substantive in den Sinn kamen, unterschieden sich die Assoziationen der Deutsch- und Spanisch-Sprecher und -Sprecherinnen jeweils nach dem Genus der Substantive. Beispielsweise ist Schlüssel auf Deutsch maskulinum; in der Studie führte dies zu Assoziationen wie hart, schwer, zackig und nützlich. Die spanischsprachigen Probanden und Probandinnen assoziierten das Wort llave, das im Spanischen feminin ist, hingegen mit golden, komplex und lieblich. Bei Wörtern mit dem gegensätzlichen Genus (wie Brücke, f. und puente, m.) waren die Assoziationen umgekehrt. Abbildung 5.9: Brücke (Brignola 2017) Abbildung 5.10: Schlüssel (Pixabay 2018) Sprache Spanisch Deutsch Spanisch Deutsch Genus männlich weiblich weiblich männlich Assoziation hart, schwer, gezackt und nützlich golden, komplex und lieblich golden, komplex und lieblich hart, schwer, gezackt und nützlich Tabelle 5.1: Assoziationen auf Basis des Genus auf Spanisch und auf Deutsch (nach Boroditsky & Schmidt 2002) Experiment Führen Sie das eben beschriebene Experiment durch. Verwenden Sie zehn Substantive, fünf mit maskulinem Genus und fünf mit femininem Genus. Bitten Sie die Probanden und Probandinnen, fünf Adjektive niederzuschreiben, die sie mit jedem Substantiv verbinden. Folgen Ihre Teilnehmer und Teilnehmerinnen demselben Muster wie diejenigen in der Studie von Boroditsky und Schmidt (2002)? Evaluation Studien zu verschiedenen Aspekten und Formen der menschlichen Kognition und ihrem Verhältnis zur Sprache haben zu unterschiedlichen und scheinbar widersprüchlichen Ergebnissen geführt. Studien zur Kategorisierung von Phänomenen der Wahrnehmung wie das der Farbwahrnehmung, unterstützen weniger die Hypothese, dass Sprache eine Rolle für unsere Denkweise spielt, als Studien zum Gedächtnis, zur Aufmerksamkeit und zur räumlichen Orientierung. Diese Variation weist darauf hin, dass die Art der Aufgabe und der Kontext 189 5.2 Linguistische Relativität und Typologie ebenso eine Rolle spielen. Obwohl es sprachliche Unterschiede bei der Benennung von Farben gibt, ist die Wahrnehmung von Farbe trotzdem aufgrund der Physiologie des Auges fest verankert, und unterliegt daher starken Einschränkungen. Es lässt sich sagen, dass linguistische Relativität nicht nur eine Frage der Verlaufsskala von kein Einfluss bis vollständige Bestimmung ist. Es kann auch unterschiedliche Formen relativistischer Effekte geben, die von der Situation und von der Form des Denkens abhängen. Diese Sicht auf Relativität wird beispielsweise von Wolff und Holmes (2010) und Zlatev und Blomberg (2015) vertreten. 5.2.3 Zusammenfassung ▶ In dieser Lerneinheit haben Sie einen Überblick darüber erhalten, was das Konzept Sprache formt das Denken bedeuten kann und insbesondere, dass Unterschiede zwischen den Sprachen mit Unterschieden in der Denkweise korrespondieren können. ▶ Die Frage „Formt Sprache das Denken? “ ist unpräzise und deshalb schwer mit einem eindeutigen „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten. ▶ Es kommt in hohem Maße auf die Auslegung von Konzepten wie Sprache, Denken und Formen an. ▶ Genau wie Sprache, kann auch Denken unterschiedlich ausgelegt werden. Dazu gehören auch vage Konzepte, die genauer bestimmt werden müssen, um entsprechende Untersuchungen zu ermöglichen. ▶ Wir haben einige unterschiedliche Wege erläutert, wie diese Frage näher definiert werden kann und wie zu überprüfen ist, ob - und wenn ja, in welchem Ausmaß - spezifische Aspekte der Sprache (wie das System für räumliche Orientierung oder das grammatische Genus) spezifische Aspekte der Kognition beeinflussen (wie das deklarative Gedächtnis oder die Kategorisierung). 5.2.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was ist der Unterschied zwischen starken und schwachen Formen der Relativität? 2. Wie hat sich die Forschung zur linguistischen Relativität im Verlauf der letzten Jahrzehnte verändert? 3. Wie wurde der räumliche Referenzrahmen verwendet, um mögliche linguistische Effekte zu untersuchen? 190 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik 5.3 Sprachliche Diversität, Relativität und kognitive Linguistik Johan Blomberg (übersetzt von Simone Lackerbauer) Zu Beginn von Kapitel 5 haben wir die Frage gestellt, in welchem Umfang Sprachen wesentliche Eigenschaften für den Ausdruck von Bedeutung teilen. Nach der Auseinandersetzung mit semantischer Vielfalt in Lerneinheit 5.1 und mit linguistischer Relativität in Lerneinheit 5.2 wenden wir uns in dieser Lerneinheit möglichen kognitiven Erklärungen für Vielfalt zu. Aus der kognitivlinguistischen Perspektive ist zu erwarten, dass sich Sprachen insofern ähneln, als dass sie alle über die Möglichkeit zur Beschreibung von kognitiven Basisdomänen, wie Raum, verfügen. Wir haben erfahren, dass Sprachen sich in der Beschreibung solcher Domänen unterscheiden und haben auch empirische Anhaltspunkte dafür gesammelt, dass diese Art der Variation mit kognitiven Unterschieden korreliert. Die kognitive Linguistik interessiert sich in erster Linie für die Erforschung von Prinzipien, die als essenziell für konzeptuelle und linguistische Fähigkeiten gelten. Um die Gültigkeit dieser Behauptungen zu untersuchen, ist es umso wichtiger, sie mit tatsächlichen linguistischen Daten aus repräsentativen Stichproben der Sprachen der Welt abzugleichen (van der Auwera & Nuyts 2007). Mit den Erkenntnissen aus Studien zu sprachübergreifenden Unterschieden und ihrem möglichen Zusammenhang mit kognitiven Unterschieden sind wir nun in der Lage, den Rückbezug zur kognitiven Linguistik herzustellen. Daher befassen wir uns in dieser Lerneinheit mit den Fragen, welche Auswirkungen semantische Variation für die kognitiven Sprachtheorien hat, wie diese Variation aus der kognitiven Perspektive erklärt werden kann und ob es Sprachuniversalien, das heißt Aspekte, die in allen Sprachen auftauchen, gibt und wenn ja, welche Typen von Universalien diese sind. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die Mechanismen und Beschränkungen der Variation erklären können; ▶ Beispiele für Variation nennen und deren Bedeutung für die kognitiven Theorien erläutern können; ▶ zwischen unterschiedlichen Arten von Universalien unterscheiden können. 5.3.1 Semantische Variation und kognitive Linguistik In Kapitel 3 haben wir Metaphern als systematische und asymmetrische Mappings zwischen unterschiedlichen Domänen wie Zeit und Raum erläutert. Die Tendenz, zeitliche Bezüge mit räumlichen Begriffen auszudrücken, ist ein Beispiel für eine primäre Metapher. Man behauptet von ihnen, dass sie über alle Sprachen hinweg universal verwendet werden (Grady 1997; Kövecses 2000b). Inwieweit diese Behauptung sprachübergreifend wahr ist, wurde in aktuellen Studien infrage gestellt. Nachfolgend betrachten wir zwei dieser Studien; bitte bedenken Sie, dass zur Bestätigung der Befunde aus diesen Studien in der Zukunft zusätzliche Forschung vonnöten sein könnte. 191 5.3 Sprachliche Diversität, Relativität und kognitive Linguistik In einer Studie der in Brasilien gesprochenen Amazonas-Sprache Amondawa wurde festgestellt, dass diese Sprache über kein Wort mit der Bedeutung Zeit verfügt und keine Wörter für zeitliche Einheiten wie Monate, Wochen und Jahre kennt. Zeitliche Bezüge werden über die Namen von Jahreszeiten und über Teile der Jahreszeiten, über den Tag, die Nacht und über Tageszeiträume, wie Morgen und Nacht hergestellt (Sinha, da Silva Sinha, Zinken & Sampaio 2011). Abgesehen von diesem eingeschränkten Vokabular für Zeit, halten Sinha et al. fest, dass Amondawa keine räumlichen Bezüge verwendet, um Zeit zu beschreiben. Das heißt, dass Wörter für räumliche Bezüge nicht in die zeitliche Domäne übernommen werden. Damit können Verben wie gehen oder Präpositionen wie bei, auf und in nicht verwendet werden, um Zeitwahrnehmung auszudrücken, wie etwa in den englischen Beispielen (1) und (2). In (1) wird die Zukunft mittels eines Verbs der Bewegung erläutert und (2) konzeptualisiert einen Zeitabschnitt des Tages als einen Container. Im Gegensatz zu solchen Mappings zwischen Raum und Zeit werden zeitliche Zusammenhänge auf Amondawa mittels Adverbialpartikeln und abhängigen Morphemen ausgedrückt, die normalerweise deiktisch im unmittelbaren Kontext verankert sind. Satz (3) zeigt beispielhaft, wie auf Amondawa zeitlicher Bezug ohne Verwendung der Ressourcen für räumliche Zusammenhänge ausgedrückt wird. Mit anderen Worten: Man geht davon aus, dass in der Sprache Amondawa die Art von Raum-Zeit-Metapher fehlt, die wir in Lerneinheit 5.2 besprochen haben. (1) It is going to rain tomorrow. (‚Es wird morgen regnen.‘) (2) We met in the morning. (‚Wir haben uns morgens getroffen.‘) (3) T-aho koro ´i ga nehe. REL -3 SG .gehen now. INTENS he FUT ‘He will go out (from here) just now.’ (‚Er wird weggehen (von hier) gerade jetzt.‘) (Sinha et al. 2011: 157) Ein weiteres Beispiel für die Variation bei Raum-Zeit-Metaphern für kognitive Grunddomänen stammt aus der südamerikanischen Sprache Aymara, die in der Anden-Region von Bolivien, Peru und Chile gesprochen wird. Aymara stellt die universalistische Behauptung jedoch nur eingeschränkt infrage. Auf Englisch sowie in vielen anderen Sprachen wird die Zukunft mit ahead (‚vor‘) und die Vergangenheit mit behind (‚hinter‘, ‚zurück‘) ausgedrückt, wenn es zum Beispiel heißt, Christmas is ahead of us oder three years back in time. Dieses Mapping zwischen Zeit und räumlicher Richtung wurde als universale Form des Mappings bezeichnet. Aymara verwendet jedoch ein umgekehrtes Mapping. Hier ist die Vergangenheit etwas, das vor uns liegt und die Zukunft hinter uns (Nuñez & Sweetser 2006). Die nachfolgenden Sätze (4)-- (6) sind Beispiele dafür, wie die Bedeutung der Vergangenheit mit der Bezeichnung für vorne ausgedrückt wird. In anderen Worten: In Bezügen zu zeitlichen Ereignissen werden Wörter wie front (‚vor‘) für Vergangenes verwendet und Wörter wie back (‚hinter‘, ‚zurück‘), um über die Zukunft zu sprechen. 192 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik (4) nayra mara (‘last year’) wörtliche Übersetzung: nayra mara eye / sight / front year (5) ancha nayra pachana (‘a long time ago’) wörtliche Übersetzung: ancha nayra pacha-na A lot eye / sight / front time in / on / at (6) nayra pacha / timpu (‘past time’) wörtliche Übersetzung: nayra pacha / timpu* eye / sight / front time (Nuñez & Sweetser 2006: 415) Während diese Mappings so verankert sein können, dass die Sprecher und Sprecherinnen sich der Übertragung (des Mappings) von Raum zu Zeit nicht länger bewusst sind, zeigen Nuñez und Sweetser, dass die redebegleitenden Gesten der Aymara-Sprecher und -Sprecherinnen auf eine räumliche Konzeptualisierung der Zeit hinweisen. Wenn sie über die Vergangenheit sprechen, deuten Aymara-Sprecher und -Sprecherinnen eine Vorwärtsbewegung ihres Körpers an und in die Gegenrichtung, wenn sie über die Vergangenheit sprechen. Ein Beispiel dafür zeigt Abbildung 5.11, in der das Wort antiguo (‚alt‘) mit einer vorwärts gerichteten Handbewegung einhergeht. Abbildung 5.11: Ein Beispiel für eine Geste, die auf ein Vergangenheit-ist-vorne-Mapping hinweist (Nuñez & Sweetser 2006: 428) Eine mögliche Erklärung für dieses umgekehrte Muster auf Aymara könnte das Verhältnis zwischen visueller Wahrnehmung und Wissen sein. Englisch und viele andere Sprachen verwenden Wahrnehmungsverben zum Ausdruck erkenntnisbezogener Standpunkte. Das englische I see bedeutet zum Beispiel ‚ich verstehe‘. Aus dieser Sicht könnte die Vergangenheit insofern als etwas begriffen werden, das man kennt, das man erlebt und erfahren hat. Im Gegensatz dazu muss die Zukunft erst noch erlebt werden und ist deshalb-- genau wie das, was hinter unserem Rücken geschieht-- noch nicht unmittelbar bekannt. Eine solche Dar- 193 5.3 Sprachliche Diversität, Relativität und kognitive Linguistik stellung liefert einen Grund dafür, die Vergangenheit als vor uns liegend zu begreifen und die Zukunft als hinter uns liegend. Experiment Bitten Sie zwei Personen, kurz Ereignisse aus der Vergangenheit und der Zukunft zu beschreiben. Dazu zählen (1) eine Erinnerung aus der Kindheit, (2) was sie letzte Woche gemacht haben, (3) was sie nächste Woche tun werden und (4) was sie in 20 Jahren machen möchten. Achten Sie darauf, wie sie über Vergangenheit und Zukunft sprechen und welche Gesten sie dabei verwenden: Folgen sie den Mustern VERGANGENHEIT IST HINTEN und ZUKUNFT IST VOR- NE? Beschreiben Sie die Ergebnisse Ihres Experiments kurz mithilfe von Beispielen. Nehmen Sie für Ihre Analyse die oben genannten Erklärungen für die linguistischen Beispiele aus (1) - (6) zu Hilfe. In der Studie von Nuñez und Sweetser wird die Gestik als ein Einblick in die Art und Weise genutzt, wie Menschen die Zeit konzeptualisieren. Passen Sie also in Ihrem Experiment auch darauf auf, welche Gesten Ihre Probanden und Probandinnen verwenden. Derartige Unterschiede stellen die stärkste Form des Universalismus infrage. Sie hinterfragen die Vorstellung, dass alle Sprachen dieselben domänenübergreifenden Mappings verwenden. Sie müssen jedoch nicht im Widerspruch zu einer kognitiven Perspektive stehen. Denken Sie zum Beispiel an grundlegende kognitive Kategorien wie den Container in der kognitiven linguistischen Analyse. Es wäre nicht überraschend, wenn solche Konzepte durch die verschiedenen Lebensbedingungen in Häusern unterschiedlicher Architekturstile und die Inneneinrichtung dieser Häuser geformt und bedingt würden (Palmer 2007). Dass solche kulturellen und umweltbedingten Faktoren sogar grundlegende Kategorien beeinflussen, steht nicht im Widerspruch mit einer eher gemäßigten These, die Interaktion zwischen Kategorien und der Umwelt vorwegnimmt. Geeraerts und Grondelaers schreiben dazu: „if cognitive models are cultural models, they are also cultural institutions“ (1995: 177). In anderen Worten: Sprache ist kein kognitiv isoliertes Phänomen und genauso wenig sind Sprache und Kognition strikt von Kultur und Umgebung zu trennen. 5.3.2 Kognitive Mechanismen und Erklärungen für semantische Vielfalt Wir haben uns mit den Unterschieden zwischen den Sprachen befasst und sind nun mit unterschiedlichen Möglichkeiten vertraut, um diese zu beschreiben. Derartige deskriptive Bemühungen liefern uns weder Grund und Erklärung für linguistische Vielfalt, noch ist es uns dadurch möglich, Beschränkungen der Variation zu benennen. Das liegt teilweise daran, dass die Variation in der Bedeutung interpretiert werden muss und deshalb mehr auf einen theoretischen Rahmen zurückgreifen muss. In diesem Abschnitt befassen wir uns näher mit den Versuchen die Variation aus der Perspektive der kognitiven Linguistik zu erklären. 194 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik Ein typisches Merkmal dieser Erklärungen ist ihre Funktionalität. Das heißt, dass nach Erklärungen linguistischer Phänomene im Verhältnis zwischen linguistischer Struktur und der Funktion dieser Strukturen in der Kommunikation gesucht werden sollte. Aus einer kognitiv-funktionalen Perspektive erfüllen Sprachen Funktionen, die allgemein von kognitiven Prinzipien reguliert werden. Beispielsweise ist die Funktion einer Wortart wie Substantive die Klassifizierung von Dingen, oder genauer gesagt, etwas als ein Ding zu konstruieren. Die Suche nach funktionalen Gründen für grammatikalische Kategorien und typologische Muster ist ein typisches Merkmal von kognitiven Ansätzen zur semantischen Vielfalt. Ein Beispiel für eine derartige Erklärung betrifft die sprachübergreifend übliche Strategie, Besitz mit lokativen Konstruktionen wie ‚Y ist bei X‘ (Heine 1997) auszudrücken. Anstatt ein Verb zu verwenden, das dem englischen have oder dem deutschen haben entspricht, drücken Sprachen wie Russisch Besitz durch lokative Konstruktionen aus. Beispiel (7) zeigt eine solche Possessivkonstruktion: (7) U menja kniga. at me book bei mir Buch (‚Ich habe ein Buch.‘) Eine kognitiv-linguistische Erklärung für die Possessivbedeutung greift auf ein sogenanntes Ereignisschema zurück, demzufolge der physische Zusammenhang zwischen zwei Entitäten so gedeutet werden kann, dass eine von ihnen die andere besitzt. Das Ereignisschema ist wiederum Teil des universalen Inventars kognitiver Optionen für Menschen, die scheinbar nur eine Manifestation eines allgemeineren kognitiven Mechanismus sind, der für das Verständnis und die Übermittlung von Erfahrungen herangezogen wird (vergleiche Heine 1997: 222ff). Semantische Karten Wenn sprachliche Variation im Sinne der speziellen Funktionen verstanden werden kann, die von sprachlichen Formen erfüllt werden, und wenn diese Funktionen im Großen und Ganzen von kognitiven Prinzipien bestimmt werden, dann kann sich Variation daraus ergeben, wie diese Funktionen zu den grammatikalischen Komponenten zugeordnet werden. Semantische Karten (semantic maps) stellen einen Versuch dar, den Zusammenhang zwischen Form und Funktion zu beschreiben (Haspelmath 1997). Damit kann veranschaulicht werden, dass ein bestimmtes Wort (typischerweise Wörter mit einer grammatikalischen Funktion wie Präpositionen) unterschiedliche Funktionen ausdrückt. Die englische Präposition to kann beispielsweise zum Ausdruck verschiedener Funktionen verwendet werden, wie in (8a-d) zu sehen ist. (8) a. Goethe went to Leipzig as a student. (direction) b. Eve gave the apple to Adam. (recipient) c. This seems outrageous to me. (experiencer) d. I left the party early to get home in time. (purpose) (Beispiele von Haspelmath 2003: 211) 195 5.3 Sprachliche Diversität, Relativität und kognitive Linguistik Auf Basis von sprachübergreifenden Generalisierungen können die mit Adpositionen und Fällen wie to ausgedrückten Funktionsweisen (hier neutral verwendeter Begriff in Bezug auf unterschiedliche Gebrauchsmuster oder Bedeutungen verwendet), als semantische Karten dargestellt werden. Die Funktionen von to können dargestellt werden und mit den Funktionen anderer grammatikalischer Morpheme in derselben Sprache verglichen werden. Danach kann man das Ergebnis mit dem Verhältnis zwischen Formen und Funktionen in anderen Sprachen vergleichen, wie etwa im Französischen. Generell hat Haspelmath (2003) eine semantische Karte der Funktionen des Dativs (im Englischen mit to ausgedrückt) wie in Abbildung 5.12 vorgeschlagen. Abbildung 5.12: Semantische Karte typischer Dativfunktionen (angepasst und übersetzt nach Haspelmath 2003: 213) In dieser Abbildung wird der Raum möglicher Bedeutungen im Englischen dargestellt, die mit einer bestimmten Funktion-- in diesem Fall mit der Dativfunktion-- ausgedrückt werden können. Es muss nicht sein, dass in ein und derselben Sprache all diese Bedeutungen mit derselben Funktion ausgedrückt werden. Ein Beispiel dafür ist der Iudicantis, der Dativ der Einschätzung oder der des Beurteilens. Er wird verwendet, wenn ein Sprecher oder eine Sprecherin eine Bewertung über eine Situation zum Ausdruck bringt. Auf Englisch wird dafür nicht to verwendet, sondern for (vergleiche (9a-b). Im Gegensatz wird im Deutschen dafür die Dativfunktion (dativus iudicantis) verwendet. (9) a. That is too warm for me. b. Mir ist das zu warm. (Beispiele aus Haspelmath 2003: 213) So können sprachübergreifende Unterschiede dargestellt werden, in denen Funktionen in ähnlichen beziehungsweise unterschiedlichen Formen ausgedrückt werden. Der genaue Status der semantischen Karten ist jedoch nicht ganz klar. Es haben sich darauf zwei unterschiedliche Sichtweisen entwickelt: Einerseits wird eine semantische Karte als sprachübergreifende Darstellung von Form-Funktion-Mappings verstanden. Diese Ansicht vertritt Haspelmath (1997). Andererseits werden semantische Karten als tatsächliche „Karte“ verstanden, die 196 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik primär die kognitive Organisation der dargestellten Domäne widerspiegelt sowie an zweiter Stelle die Verteilung über verschiedene Sprachen hinweg darstellt (Croft 2003). Grammatikalisierung: Vom Gebrauch zur Grammatik Wir haben erläutert, dass konventionelle sprachliche Formen bestimmten Funktionen dienen, und dass sich der Zusammenhang zwischen einzelnen Formen und ihrer Funktion sprachübergreifend unterscheidet. Das beantwortet jedoch nicht die Frage, wie es stabile sprachliche Formen geben kann und Regeln dafür, wie sie kombiniert werden. Anders gefragt: Warum gibt es Grammatik? Eine mögliche Antwort darauf ist, dass Sprache aus Autosemantika wie Substantiven, Verben und Adjektiven besteht, die flektiert und mit Synsemantika und Morphemen zu komplexeren Ausdrücken zusammengefügt werden. Aus einer funktionalen Perspektive unterliegt dieses Verständnis jedoch gewissen Einschränkungen, da man damit nicht erklären kann, wie diese Regelmäßigkeiten und Regeln entstanden sind. Eine mögliche kognitiv-funktionale Erklärung besagt, dass grammatikalische Regelmäßigkeiten sich aus der wiederkehrenden Verwendung bestimmter Konstruktionen ergeben. Da einige Konstruktionen häufiger vorkommen als andere, führt das dazu, dass sie besser im Gedächtnis bleiben. Ein direktes Beispiel dafür ist die phonetische Reduktion hochfrequenter Konstruktionen. Sie können dieses Phänomen beobachten, wenn etwa das englische Verb gonna aus going to gebildet wird. Das ist die Sichtweise eines gebrauchsbasierten Ansatzes. Ein wichtiger Aspekt eines gebrauchsbasierten Ansatzes der Grammatik ist die Rolle der Konstruktionen. Wir haben Konstruktionen in Kapitel 4 als systematische Paarung zwischen einer Form und ihrer Funktion besprochen. Bybee (2006) behauptet, dass ein Großteil der Sprache in verschiedenartigen Mehrwortkonstruktionen konventionalisiert ist, darunter feste Redewendungen (beat around the bush-- ‚um den heißen Brei herumreden‘) und vorhersehbare (teilidiomatische) Wortpaarungen (beyond repair-- ‚jenseits von Gut und Böse‘), sowie schematischere Darstellungen wie Verb-+ off-+ Substantiv (etwa blow the napkin off the table-- ‚die Serviette vom Tisch pusten‘). Wir können Sprache als etwas verstehen, das zum Großteil aus solchen Verbunden besteht. Wenn wir das mit der Vorstellung eines Frequenzeffekts verbinden, können wir den Prozess genau beschreiben, wie sich Grammatik aus der Verwendung von Sprache entwickelt. Dieser Prozess, in dem sich grammatikalische Wörter und Morpheme aus lexikalischen Einheiten entwickeln, wird Grammatikalisierung genannt. Das bedeutet, dass eine lexikalische Einheit mehr verallgemeinerte Funktionen ausdrücken kann. Einige Grammatikalisierungsmuster kommen sprachübergreifend recht häufig vor, sodass sie weitere Rückschlüsse auf mögliche kognitive Mechanismen ermöglichen. Das altenglische Verb willan (‚wollen / wünschen‘) ist ein typisches Beispiel: Ein Verb, das eine Absicht ausdrückt, entwickelt sich zu einem Hilfsverb und Marker für eine Zukunftsform, wie in dem Satz I will go to the movies tonight. Dasselbe Muster kann auch in anderen Sprachen nachgewiesen werden und die Grammatikalisierung reicht sogar noch weiter. Das altkirchenslawische Verb xъtěti ähnelt dem altenglischen willan. Im modernen Serbokroatisch ist es heute eine vollständig verschmolzene Flexionsform für das Futur. Wenn Sprachen vorhersagbaren Mustern der 197 5.3 Sprachliche Diversität, Relativität und kognitive Linguistik Grammatikalisierung folgen, kann man Erwartungen für die künftige Entwicklung in einer bestimmten Sprache formulieren. Wenn das englische will dem Kurs weiterhin folgt, können wir davon ausgehen, dass es sich zu einem Flexionsaffix für das Futur entwickelt. Weitere Informationen zu diesem Grammatikalisierungsprozess finden Sie bei Heine (1997). Wir sehen starke Tendenzen in den Grammatikalisierungsprozessen in den Sprachen der Welt. Wir haben bereits über die typische Tendenz gesprochen, dass zeitliche Bezüge mit räumlichen Begriffen ausgedrückt werden. Es gibt historische Belege dafür, dass räumliche Marker oft einen abstrakteren Sinn entwickeln. Viel interessanter ist jedoch, dass räumliche Marker sich zunächst aus Begriffen für Körperteile entwickeln. Aus einer kognitiven Perspektive können wir vom Grammatikalisierungsprozess als andauerndem Prozess des Ausbleichens und der Erweiterung von Grundbedeutungen ausgehen. Um über abstraktere Bedeutungen nachzudenken und zu sprechen, sind wir auf konkrete Bedeutungen angewiesen (vergleiche hierzu Kapitel 3 in diesem Band). Aus der wiederholten Nutzung zum Ausdruck zunehmend allgemeinerer Bedeutungen ergibt sich, dass das verwendete Wort die Verbindung zu einer speziellen Bedeutung verliert und sich, ein Nebeneffekt des häufigen Gebrauchs, zu einer grammatikalischen Einheit entwickelt. Abbildung 5.13 zeigt an einem Beispiel, wie dieser Prozess ablaufen kann. In diesem Beispiel sehen wir, wie sich das englische Wort back von der Bezeichnung eines Körperteils über eine allgemeinere räumliche Bedeutung hin zur zeitlichen Bedeutung eines Vergangenheitsbezugs entwickelt. Abbildung 5.13: Der Grammatikalisierungsprozess von back - ‚zurück‘ (Zeman 2011: 4) 5.3.3 Unterschiedliche Typen von Universalien Sprachliche Variation hängt eng mit der Frage nach Universalien zusammen. Die Existenz von Universalien ist eine Eigenschaft, die hypothetisch alle Sprachen der Welt teilen. Wenn Sprachwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen von Universalien sprechen, denken sie nicht notwendigerweise an genau dieselben Merkmalstypen. In der Literatur existieren verschiedene Ansätze für Typen von Universalien und Unterscheidungen zwischen ihnen. In diesem Abschnitt besprechen wir einige der entwickelten Konzepte für Universalien, jedoch ohne Anspruch auf Vollständigkeit dieser Liste. Den ersten Universalientyp können wir als essenzielle Universalien bezeichnen. Solche Universalien sind begriffsbestimmend, weil sie auf Merkmale hinweisen, die etwas zu einer 198 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik Sprache und zu nichts sonst werden lassen. Ein Beispiel für ein essenzielles Universal ist die Tatsache, dass alle Sprachen über Ressourcen verfügen, um etwas in Bezug auf etwas anderes zu beschreiben. Im Englischen ist die Minimalausführung davon die Verwendung eines Subjekts und eines nur aus einem Verb bestehenden Prädikats (etwa she dances). Formaler gesprochen könnte ein solches Universal mit alle Sprachen haben Prädikation beschrieben werden. Es scheint unmöglich, sich eine Sprache ohne Ressourcen für Aussagen vorzustellen, also ohne die Möglichkeit, etwas von etwas zu behaupten. Wenn solche Ressourcen fehlen, würden wir das wohl keine Sprache nennen. Essenzielle Universalien sind in etwa vergleichbar mit den von Hockett (1960) beschriebenen Konstruktionsmerkmalen von Sprache (design features of language). Da essenzielle Universalien per Definition universal sind, wurden sie nicht aus sprachübergreifender Perspektive untersucht. Ein ähnlicher Universalientyp kann als formale Universalien bezeichnet werden. In der Tradition der generativen Grammatik bestimmen sie Beschränkungen der Grammatik einer Sprache. Dazu zählen bestimmte Einschränkungen der allgemeinen Organisation der Grammatik wie der Unterschied zwischen Oberflächen- und Tiefenstruktur (Chomsky 1965). Diese Einschränkungen werden oft abstrakt formuliert und sollen erklären, warum manche Muster grammatikalisch sind und andere nicht. Chomsky stellt den formalen Universalien substanzielle Universalien gegenüber. Man kann diese generell als spezifische Kategorien bezeichnen, die in allen Sprachen vorkommen sollten, etwa Wortklassen oder distinktive Merkmale in der Phonologie. Man kann nicht davon ausgehen, dass eine einzelne Sprache alle substantiven Universalien verwendet. Deshalb sagt man, dass sie den allgemeinen Raum der grammatikalischen Eigenschaften, wie etwa die Wortfolge, abbilden. Aus einer sprachübergreifenden Perspektive ist es schwer, die Existenz von formalen Universalien zu bestätigen oder zu widerlegen. Sie werden größtenteils innerhalb eines bestimmten theoretischen Rahmens formuliert und sind deshalb möglicherweise außerhalb der generativen Grammatik schwer vergleichbar. Typologen interessieren sich daher traditionell mehr dafür, unterschiedliche Universalientypen zu finden. Eine einflussreiche Unterscheidung zwischen Universalientypen stammt von Greenberg (1963). Sie ist in nachfolgender Tabelle dargestellt. 199 5.3 Sprachliche Diversität, Relativität und kognitive Linguistik Abbildung 5.14: Die vier von Greenberg (1963) vorgeschlagenen Universalientypen, angepasst von Evans und Levinson (2009: 450); Type 1 unrestricted absolute universals (‚uneingeschränkte absolute Universalien‘), Type 2 unrestricted tendencies (‚uneingeschränkte Tendenzen‘), Type 3 exceptionless implicational universals (‚ausnahmslose universale Implikationen‘), Type 4 statistical implicational universals (‚statistische universale Implikationen‘) Typ-1-Universalien ähneln den essenziellen Universalien, da man davon ausgeht, dass sie auf alle Sprachen zutreffen. Sie unterscheiden sich insofern, als sie nicht per Definition wahr sind, sondern aufgrund von empirisch belegten Ergebnissen. Auch wenn sie die typischen Universalien sind, gibt es unter Sprachwissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen keine anerkannten Typ-1-Universalien. Die vorgeschlagenen Typen und Gegenbeispiele sind zu umfangreich, als dass wir sie hier im Detail beschreiben könnten, aber mögliche Kandidaten sind: Alle Sprachen unterscheiden zwischen Substantiven und Verben und Alle Sprachen haben Vokale. Das erste Universal wurde angefochten und könnte davon abhängen, wie die Kategorien Substantiv und Verb definiert werden. Der zweite Kandidat ist in gewissem Sinne eher begriffsbestimmend, da Sprache ohne Vokale nicht verständlich wäre. Außerdem scheint dieses Universal Zeichensprachen auszuschließen. Aufgrund der Schwierigkeiten bei der Ermittlung von Typ-1-Universalien wurde viel typologische Arbeit den Typ-3-Universalien gewidmet. Diese betreffen Implikationen zwischen logisch unabhängigen Parametern in der Form: WENN eine Sprache X hat, DANN hat sie auch Y. Das heißt, dass Merkmale einer Sprache so in Zusammenhang stehen, dass das Vorhandensein einer Eigenschaft dazu führt, dass die andere Eigenschaft wahrscheinlich auch vorkommt. Ein Beispiel für Typ-3-Universalien ist: WENN eine Sprache einen trialen Numerus hat, DANN hat sie auch einen dualen. Das Vorhandensein eines spezifischen grammatikalischen Markers zur Klassifizierung von drei Objekten ist logisch unabhängig von dem Vorhandensein eines grammatikalischen Markers zur Klassifizierung von zwei Objekten. Anders formuliert: Es ist theoretisch möglich, dass eine Sprache mit einem trialen Numerus nicht über einen dualen Numerus verfügt. Sprachübergreifende linguistische Forschung hat jedoch 200 5. Sprachliche Diversität, linguistische Relativität und kognitive Linguistik ergeben, dass es ein regelmäßiges Muster mit diesen beiden Eigenschaften gibt. Das wiederum macht es zu einem Kandidaten für eine Implikation (eine umfassende Liste der Universale finden Sie unter: http: / / typo.uni-konstanz.de/ archive/ intro). Die abgeleitete Hierarchie für den Numerus haben wir nachfolgend dargestellt. Man kann sie von rechts nach links lesen: WENN eine Sprache über einen Dual verfügt, DANN hat sie auch einen Plural. ▶ Numerus: Singular < Plural < Dual < Trial Wie auch bei der Suche nach Typ-1-Universalien, scheinen viele universale Implikationen eher eine Sache starker sprachübergreifender Regelmäßigkeiten zu sein (Evans & Levinson 2009). Wenn es Universalien gibt, geht es insgesamt mehr um Typ 2 und Typ 4. Experiment Gehen Sie auf wals.info / feature. Dort finden Sie eine Liste unterschiedlicher Merkmale, die die Sprachen der Welt gemeinsam haben. Wählen Sie eines davon, beispielsweise Hand und Arm bei Area: Lexicon, 129A. Lesen Sie sich die Merkmalsbeschreibung durch. Beschreiben Sie die Eigenschaften des Objektes, das Sie ausgewählt haben, sowie die möglichen Bereiche für Variation. Sehen Sie sich die Karte an, wie Sprachen nach diesem Merkmal verteilt sind (denken Sie daran, dass die Karte nicht alle Sprachen der Welt repräsentiert, sondern nur diejenigen, die untersucht worden sind). Verfassen Sie einen kurzen Beitrag dazu, wie dieses Merkmal in den Sprachen der Welt ausgedrückt wird. Welche Variationstypen haben Sie gefunden? Was bedeutet das für universale sprachübergreifende Merkmale? Wenn Sie die Verteilung betrachten, mit der es in den verschiedenen Sprachen der Welt ein oder zwei Bezeichnungen für Hand und Arm gibt, können Sie nicht nur die Unterschiede zwischen den vielen Sprachen erkennen, sondern auch beobachten, dass es laut dieser Stichprobe üblicher ist, zwischen Hand und Arm zu unterscheiden. 201 5.3 Sprachliche Diversität, Relativität und kognitive Linguistik 5.3.4 Zusammenfassung ▶ Typologische Forschung und kognitive Linguistik eint eine funktionale Perspektive auf Sprache. Man geht also gemeinsam davon aus, dass Formen gewisse kommunikative Funktionen erfüllen. ▶ Die Unterschiede zwischen Sprachen können als Variation dessen verstanden werden, wie Funktionen den Formen auf unterschiedliche Weise zugeordnet werden. Eine Funktion, die in einer Sprache grammatikalisch ausgedrückt wird, könnte in einer anderen Sprache lexikalisch ausgedrückt werden. ▶ Die Untersuchung der Sprachen der Welt kann Hypothesen testen, die als Prinzipien formuliert wurden. So wurde die Behauptung, dass Sprachen räumliche Begriffe zum Ausdruck von zeitlichen Bezügen verwenden, durch Untersuchungen von Sprachen wie Amondawa und Aymara infrage gestellt. ▶ Typologische Forschung hat ergeben, dass Variation Regelmäßigkeiten und Einschränkungen unterliegt. Um diese Muster nachzuweisen, können aus der kognitiven Linguistik abgeleitete Prinzipien als Erklärung für diese Regelmäßigkeiten verwendet werden. Ein Beispiel dafür ist die starke Tendenz, dass sich Bezeichnungen für Körperteile zu räumlichen Markern weiterentwickeln, was wiederum von der Allgegenwärtigkeit des Primats des Embodiments (Verkörperlichung, siehe Lerneinheit 3.2) abgeleitet werden kann. 5.3.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was ist ein essenzielles Sprachuniversal? Warum interessieren sich Typologen üblicherweise nicht für solche Universalien? 2. Was bedeutet Grammatikalisierung? Verwenden Sie ein Beispiel, um den Prozess zu beschreiben. 3. Nennen Sie einen kognitiven Mechanismus, um diachronischen Wandel zu erklären. 4. Semantische Karten können auf zwei unterschiedliche Weisen verstanden werden. Was ist der Unterschied zwischen den beiden? 203 5.3 Sprachliche Diversität, Relativität und kognitive Linguistik 6. Textlinguistik Mehrfach war in dieser Einführung davon die Rede, dass Sprache in ihrer Verwendung im Sprachgebrauch zu beschreiben sei. In Kapitel 4 wurden Äußerungen als Form-Funktions- Paare vorgestellt, als Konstruktionen, die die Sprachbenutzer in der Interaktion gelernt, die sie sich eingeprägt (entrenchment) und gespeichert haben und die sie, wenn sie häufig auftreten, gut abrufen können. Ob Sprachnutzer aufgrund häufiger Verwendung Schemata von Konstruktionen bilden oder ob sie sich eher an einzelnen Instanzen orientieren (vergleiche Kapitel 4), sei dahingestellt. Das vorliegende Kapitel über die Textlinguistik baut auf dem Gedanken des gebrauchsbasierten Ansatzes auf. Auch Textmuster des Geschichtenerzählens, des Instruierens oder der Gegenstandsbeschreibung werden in der Interaktion gelernt. Sie werden als Schemata oder als einzelne Instanzen gespeichert und aufgrund eines bestimmten Redeanlasses, formuliert in der Textfrage, der Quaestio, wieder abgerufen. Dieses Kapitel baut aber auch auf Kapitel 5 auf. Dort wurde gezeigt, dass Sprachnutzer in ihrem Sprachgebrauch die Wirklichkeit in jeweils perspektivierter Weise abbilden, nämlich, dass sie aufgrund der jeweiligen sprachspezifischen Mittel sprachspezifische Perspektiven auf die Realität eröffnen und dass damit die Sprache das Denken über die wahrgenommenen Sachverhalte beeinflusst (vergleiche Slobin 1996). Es ist also zu erwarten, dass Texte sprachspezifische Perspektiven auf ein Ereignis oder ein Objekt liefern. Darin wird sich ein deutscher etwa von einem englischen Text zum gleichen Thema unterscheiden. Das vorliegende Kapitel ist folgendermaßen gegliedert: Die erste Lerneinheit (6.1) führt in die Grundbegriffe der Textlinguistik ein. Von den bekannten textlinguistischen Ansätzen wird der Quaestio-Ansatz, ein kognitiv ausgerichteter Ansatz, in Grundzügen dargestellt. Denn er erlaubt es nachzuweisen, wie ein Text-- durch die Quaestio oder Textfrage-- in eine Interaktion eingebettet ist, welche typischen Merkmale ihn auszeichnen (Quaestio-Typ) und wie seine Realisierung durch sprachspezifische Mittel bestimmt wird. In Lerneinheit 6.2 werden anhand von deutschen Beispielen die einzelnen Quaestio-Typen vorgestellt und gezeigt, wie sich diese Quaestio-Typen bei Kindern entwickeln. In Lerneinheit 6.3 werden sprachspezifische Realisierungen von Quaestio-Typen bei deutschen und englischen Sprechern und Sprecherinnen verglichen. 204 6. Textlinguistik 6.1 Grundlagen der Textlinguistik Katrin Lindner, Patricia Heilig & Nicole Weidinger Wir gehen von der Annahme aus, dass Sprachnutzer nicht isolierte Einheiten verwenden, etwa Wörter oder Sätze, sondern dass sie sprachlich in umfassenderen interaktiven Zusammenhängen agieren, die sich wiederum in den Strukturen der Äußerungen und der Art ihrer Verknüpfungen niederschlagen. Der Ort, an dem sprachliche Analysen ansetzen sollten, ist daher der Text. Hartmann (1968) formulierte dies folgendermaßen: Sämtliche Sprecher, Dichter usw., als Träger, Benutzer und participants von Sprachen sind Produzenten natürlicher Sprache; sie sprechen nur in Texten, nicht in Worten, auch nicht in Sätzen, sondern höchstens mit Sätzen aus Worten in Texten. (Hartmann 1968: 211f) Die Wissenschaft, die sich mit der Beschaffenheit von Texten auseinandersetzt, ist die Textlinguistik. In der ersten Lerneinheit werden Grundbegriffe der Textlinguistik geklärt. Dann wird die Textlinguistik von anderen Wissenschaften abgegrenzt. Im dritten Teil wird der Quaestio-Ansatz vorgestellt, ein Textproduktionsmodell, das versucht, die Produktion eines Textes ausgehend von einer Frage des Interaktionspartners nachzuzeichnen. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ den Begriff Text und seine charakteristischen Eigenschaften bestimmen können; ▶ die Textlinguistik von anderen Disziplinen abgrenzen können; ▶ die wesentlichen Grundbegriffe des Quaestio-Ansatzes und die Bedeutung der Quaestio für die Produktion von Texten erläutern können. 6.1.1 Definition: Was ist ein Text? Im Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (Klappenbach & Steinitz 1980 Band 5: 3724) findet sich folgender Eintrag zu Text: […] (schriftlich) fixierte, thematisch zusammenhängende Folge von Aussagen-[…] Menge von (fortlaufend) Geschriebenem, Gedrucktem. Die beiden Kriterien-- schriftliches Medium und eine Folge von Aussagen-- geben sicherlich das Alltagsverständnis von Text wieder. Sie erfassen zum Beispiel einen Zeitungsbericht, ein Kochrezept oder einen Brief. Sie treffen aber nicht auf alle Texte zu, etwa nicht auf diejenigen in (1) und (2). (1) Morgenstund’ hat Gold im Mund. (2) A: Ich will Spaghetti. B: Ich auch. 205 6.1 Grundlagen der Textlinguistik (1) enthält keine Folge von Aussagen, sondern nur eine einzige Aussage. Trotzdem bildet diese einen Text (vergleiche Vater 2001: 12ff). Das Quantitätskriterium ist also nicht ausreichend. In (2) ist ein kurzes Gespräch wiedergegeben, das die Frage, was es zum Abendbrot gibt, klärt. Es ist kein geschriebener, sondern ein mündlicher Text. Denn auch Gespräche sind Texte (vergleiche Brown & Yule 1983). Sie sind dann nicht monologisch, sondern dialogisch und werden von zwei Sprachnutzern hergestellt. Texte können also aus einem oder mehreren Sätzen oder Äußerungen bestehen, sie können sowohl schriftlich als auch mündlich sein und sie können von einer Person oder mehrerer Personen produziert werden. Aber auch diese Kriterien reichen noch nicht aus, um den Textbegriff zu definieren. Vergleiche dazu die Beispiele (3) und (4). (3) Es gibt niemanden, den ihr Gesang nicht fortreißt. Unsere Sängerin heißt Josefine. Gesang ist ein Wort mit fünf Buchstaben. Sängerinnen machen viele Worte. (Bierwisch 1965, zitiert nach Wawrzyniak 1980: 54, zitiert nach Vater 2001: 16) (4) Er fuhr mit dem Nachtzug (S1). Die sind bequem (S2). Am nächsten Morgen war Peter ausgeruht an seinem Urlaubsort (S3). Es schneite (S4). Das Hotel lag am Rande des Dorfes (S5). Es gab eine gute Aussicht auf die Berge (S6). Er fühlte sich von Anfang an wohl (S7)-[…]. (aus van Dijk 1980: 32, Beispiel 27) In (3)-- einem offensichtlich oft zitierten Beispiel-- werden wiederholt miteinander verwandte Wörter verwendet, Gesang und Sängerin. Jeder einzelne Satz ist verständlich. Aber in der gegebenen Abfolge haben sie inhaltlich kaum oder nichts miteinander zu tun. Die Wiederholung von Wörtern, die Rekurrenz (lateinisch recurrere-- ‚zurücklaufen‘, ‚wiederkehren‘), scheint also nicht auszureichen, um aus einer Menge von Aussagen einen Text zu schaffen. Anders ist die Situation in (4). Obwohl erst in (S 3 ) der Protagonist dieser Reise als Peter identifiziert wird, kommen die Leser allmählich zu dem Schluss, dass es sich um Peters Urlaubsreise in die Berge handelt. (S 1 ) bis (S 7 ) werden auf verschiedene Weise miteinander verknüpft: (S 1 ) und (S 2 ) durch das Demonstrativpronomen die in (S 2 ), das sich generalisierend auf die „Gattung“ Nachtzug in (S 1 ) bezieht; (S 1 ) und (S 3 ) durch Weltwissen bei Nacht(zug)-- nächster Morgen, oder (S 1 ) bis (S 3 ) Nachtzug-- bequem-- ausgeruht, ferner Urlaubsort-- Hotel-- gute Aussicht; schließlich wird in (S 7 ) die vorhergehende Information noch einmal zusammengefasst und gefolgert, dass sich der Protagonist an seinem Urlaubsort wohlfühle. In (4) lässt sich ein „roter Faden“ erkennen, der die einzelnen Äußerungen beziehungsweise ihre Propositionen zusammenhält; das heißt der Text ist kohärent. Kohärenz (lateinisch cohaerere-- ‚zusammenhängen‘) ist ein wesentliches, ein inhaltliches Kriterium für einen Text (vergleiche dazu auch Vater 2001: 37ff). Kohärenz wird auf verschiedene Weise hergestellt: zum einen durch geteiltes Weltwissen, zum anderen durch unmittelbare Nebeneinanderstellung von Äußerungen, die mithilfe der Maxime der Relevanz (vergleiche Grice 1975) interpretiert werden können (zu einer Erläuterung siehe Lindner 2014: 243ff). So wird zu Beginn von (4) dem Sprecher unterstellt, dass er aufgrund der Abfolge der Informationen schließen kann, dass die nachfolgenden Sätze für die vorangegangenen relevant sind, etwa Peter als Referent für das Pronomen im ersten Satz. Oft wird Kohärenz auch durch Kohäsion (lateinisch cohäsum Partizip II von lateinisch cohaerere) verdeutlicht. Kohäsive Mittel markieren 206 6. Textlinguistik den morpho-syntaktischen Zusammenhalt eines Textes, etwa durch textdeiktische Ausdrücke (wie Demonstrativa-- die in (4)--, Personalpronomina-- er in (4)-- und Proadverbien-- wie dann und dort--), durch Junktoren (wie und) oder auch durch Rekurrenz. Ein weiteres Mittel zur Verknüpfung von Aussagen sind Ellipsen (griechisch élleipsis-- ‚Auslassung‘), bei denen der Sprecher voraussetzt, dass der Hörer die ausgelassenen Teile einer Äußerung rekonstruieren kann-- etwa das ausgelassene Subjekt in Beispiel (5) in der Äußerung (002) und (003). (5) (001) Sylvester steht vor den Mülltonnen. (002) und greift sich den ein oder anderen Gegenstand eben aus den Müllltonnen heraus. (003) riecht dann mal dran. (004) und es scheint nicht so gut zu riechen. (Hogrefe, unveröffentlichte Daten) Der formale Zusammenhalt, allein aufgrund kohäsiver Mittel, macht jedoch aus einer Abfolge von Äußerungen noch keinen Text (vergleiche (3)). Es muss einen inhaltlichen Zusammenhang, den erwähnten „roten Faden“, geben. Kohärenz kann von Äußerung zu Äußerung (Mikrostrukturen) und global über den gesamten Text (Makrostrukturen) geschaffen werden. Die Makrostruktur in (4) wird greifbar in Zusammenfassungen wie Peters Urlaubsreise; sie umreißt das globale Thema einer Geschichte oder einer Passage (vergleiche van Dijk 1980: 41ff). Makrostrukturen liefern also übergreifende Sinnzusammenhänge und sind semantischer Art (vergleiche van Dijk 1980: 41). Die Kohärenz in Mikrostrukturen wird von Äußerung zu Äußerung verdeutlicht: durch ein gleich bleibendes Topik oder durch kohäsive Mittel. Diese Kohärenzbeziehungen werden in Abschnitt 6.1.3 und Lerneinheit 6.2 ausführlicher besprochen. Wie die meisten linguistischen Disziplinen, hat auch die Textlinguistik eine pragmatische Wende erlebt. Zu den semantischen (Kohärenz) und den morpho-syntaktischen Kriterien (Kohäsion) kommt eine bestimmte kommunikative Absicht, mit der ein Text geäußert wird, hinzu. Seit den 70er Jahren werden Texte im Sinne der Sprechakttheorie als komplexe Sprechakte (Schmidt 1973) gesehen. Brown und Yule (1983: 6) definieren den Text als Produkt von Prozessen; das heißt ein Text ist kein statisches Gebilde, sondern er entsteht allmählich und seine Organisation orientiert sich an den Verstehensmöglichkeiten seines Rezipienten. We shall consider words, phrases, and sentences which appear in the textual record of a discourse to be evidence of an attempt by a producer (speaker / writer) to communicate his message to a recipient (hearer / reader). We shall be particularly interested in discussing how a recipient might come to comprehend the producer’s intended message on a particular occasion, and how the requirements of the particular recipient(s), in definable circumstances, influence the organisation of the producer’s discourse. (Brown & Yule 1983: 24) Ob ein Text sinnvoll ist, entscheidet also (auch) der Rezipient. Während Brown und Yule sich in ihrem Ansatz insbesondere für den Verstehensprozess und dessen Einfluss auf die Textproduktion interessieren, legen andere den Schwerpunkt auf die Aktivitäten der Produzenten. Ein Ansatz mit diesem Schwerpunkt ist der Quaestio-Ansatz, der in Abschnitt 6.1.3 vorgestellt wird. 207 6.1 Grundlagen der Textlinguistik 6.1.2 Textlinguistik und ihre Nachbarwissenschaften Die Textlinguistik gehört zur Textwissenschaft. Diese umfasst alle Disziplinen, die sich mit Texten beschäftigen, etwa die Geschichtswissenschaften, die Archäologie, die Jurisprudenz, die Philologien, die Literaturwissenschaft, die Poetik, die Rhetorik und eben die Textlinguistik. Die Textlinguistik befasst sich- - nach den Ausführungen im vorangegangenen Abschnitt- - mit der Konstituierung von Texten, den Prozessen, die einem Text zugrunde liegen, der Gesamtvorstellung, die in einem Text entwickelt wird, und den verschiedenen Typen von Textmustern. Sie nutzt dazu linguistische Beschreibungskriterien, wie prosodische, morpho-syntaktische, semantische und pragmatische Mittel. Eine Abgrenzung von der Pragmatik-- soweit diese sich nicht auf einzelne Sätze als Sprechakte beschränkt-- fällt schwer. Sie fällt auch deshalb schwer, weil beide Disziplinen eine kognitive Wende erleben. Während die Pragmatik sich mit Scripts und Schemata für den Ablauf von Gesprächen in bestimmten Situationen beschäftigt, befasst sich die Textlinguistik ebenfalls mit Text als Prozess, mit geteilten Wissensstrukturen und ihrer Folge für den Detaillierungs- und Explizitheitsgrad für den Textaufbau; ferner bestimmt sie Textmuster wie Erzählungen, Objektbeschreibungen etc. anhand von Schemata, die die Sprachnutzer im Laufe ihrer Sozialisation erwerben (vergleiche dazu auch das Kapitel zur Textlinguistik in der Duden Grammatik (Dudenredaktion 2009) und in Linke, Nussbaumer & Portmann 1996; ferner die Beispiele in Lerneinheit in 6.2). Aufgabe der Textlinguistik ist es darüber hinaus, Modelle des Textverstehens und der Textproduktion zu entwickeln (zum Beispiel die Modelle von Flower & Hayes 1981; Kintsch & van Dijk 1978; Stein & Glenn 1979; von Stutterheim & Klein 2008). Diese wiederum bauen auf Verarbeitungsmodellen aus der Psycholinguistik und aus der Kognitionswissenschaft auf. Die Textlinguistik benötigt damit für den Aufbau ihrer Modelle und entsprechenden Textanalysen nicht nur die Linguistik mit allen ihren Teilbereichen, sondern auch Nachbarwissenschaften wie die beiden genannten. Ein Textproduktionsmodell, der Quaestio-Ansatz, soll im Folgenden vorgestellt werden. 6.1.3 Textproduktionsmodell: Quaestio-Ansatz Im Quaestio-Ansatz, entwickelt von Wolfgang Klein und Christiane von Stutterheim, wird die Produktion mündlicher Texte untersucht. Eine Möglichkeit, Textproduktion zu beschreiben, ist, dort anzusetzen, wo ein Text entsteht: beim Sprecher. Dieser verfügt über verschiedene Arten von Wissen: Sachverhaltswissen, Wissen über den Sprachgebrauch, Wissen über die Gesprächssituation, Annahmen über das Wissen der Adressaten etc. Auf diese Wissenskomponenten greift er in den Textplanungsprozessen zu, wenn er eine bestimmte kommunikative Aufgabe zu lösen hat, etwa jemandem über eine Reise nach Berlin zu erzählen oder jemandem das neue Fahrrad zu beschreiben. Zentral für den Quaestio-Ansatz ist, dass eine einleitende oder „strittige Frage“, die Quaestio, den Aufbau des Textes, die Antwort auf die einleitende Frage, steuert. In diesem Ansatz gibt die Quaestio eine Perspektive auf den Sachverhalt vor, zum Beispiel, dass ein Sachverhalt beschrieben (Wie sieht dein neues Fahrrad aus? ) oder eine Kette von Ereignissen erzählt 208 6. Textlinguistik werden soll (Was ist damals in Berlin passiert? ). Der Sprecher wird der Quaestio entsprechend die Informationen auswählen und den Detaillierungsgrad festlegen. Darüber hinaus wird er die Informationen linearisieren, also in eine zeitliche Abfolge bringen. Alle vier Prozesse-- die Selektion, die Festlegung des Detaillierungsgrades, die Linearisierung und die Perspektivierung-- führen zu einer temporären konzeptuellen Struktur, der Diskursrepräsentation, die der späteren sprachlichen Umsetzung zugrunde liegt. Im Einzelnen hat man sich den Prozess folgendermaßen vorzustellen (vergleiche Abbildung 6.1): Ausgangspunkt ist ein Sachverhalt, etwa ein Ereignis, das der Textproduzent wahrgenommen hat. Von diesem Sachverhalt hat er eine Repräsentation gebildet und im Gedächtnis gespeichert. Da sowohl unsere Wahrnehmung als auch unsere Speicherung selektiv arbeiten, wird die Repräsentation bereits selektiv verändert sein. Sie wird von von Stutterheim (1997a: 5) als Sachverhaltsrepräsentation bezeichnet, die sich im Laufe der Zeit weiter verändern kann. Wird nun dem Produzenten eine kommunikative Aufgabe gestellt, dann bildet er aufgrund dieses Redeanlasses eine temporäre Diskursrepräsentation aus, die zwischen dem gespeicherten Wissen um den Sachverhalt- - mit seinen Entitäten, Ort(en) und Zeitpunkten- - und den sprachlichen Strukturen vermittelt. Es handelt sich um „eine konzeptuelle Struktur, die mit dem Ziel der Versprachlichung erzeugt wird“ (von Stutterheim 1997a: 5 Fußnote 5). Diese Diskursrepräsentation enthält einen Ausschnitt der für die Quaestio relevanten Informationen über den Sachverhalt, eventuell auch Informationen aus anderen Wissensbereichen, die für die Darstellung des Sachverhalts wichtig sind. Sie enthält ferner bereits eine lineare Abfolge von Informationseinheiten (Propositionen). Diese werden im letzten Schritt sprachlich als Text realisiert werden. Den Ablauf hat von Stutterheim in Abbildung 6.1 noch einmal festgehalten: 209 6.1 Grundlagen der Textlinguistik Abbildung 6.1: Kommunikationsschema (aus von Stutterheim 1997a: 7) 210 6. Textlinguistik Experiment Der beste Weg zu erfahren, welchen Einfluss die Quaestio auf die Textproduktion hat, ist, wenn Sie in einem Experiment Texte mit unterschiedlichen Quaestiones erheben und diese analysieren. Verwenden Sie dazu die Bildergeschichte in Abbildung 6.2 aus dem Multilingual Assessment instrument for narratives (Gagarina, Klop, Kunnari, Tantele, Välimaa, Bal č i ū nien ė , Bohnacker, & Walters 2012: 45) und stellen drei Versuchspersonen aus Ihrem Umfeld jeweils eine der drei folgenden Quaestiones: (1) Was sehen Sie auf diesen Bildern? (2) Erzählen Sie mir, was in der Geschichte passiert? (3) Was denken Sie, wie sich der Hund in der Geschichte fühlt? Zeichnen Sie die Texte auf einem Tonträger auf, damit Sie sie anschließend verschriften und analysieren können. Welche Unterschiede und Übereinstimmungen erkennen Sie? Achten Sie insbesondere auf die Auswahl der Informationen (Selektion) und die Verknüpfung der einzelnen Äußerungen im Text. Abbildung 6.2: Multilingual Assessment Instrument for Narratives (aus Gagarina et al. 2012: 45) Ein Text wird also als Antwort auf eine Quaestio konzipiert und realisiert. Die Quaestio kann auf unterschiedliche Weise explizit gestellt werden. Beispiele sind die folgenden: 211 6.1 Grundlagen der Textlinguistik (6) a. Was ist Peter damals in Berlin passiert? versus Erzähl mir, was Peter damals in Berlin passiert ist. b. Wie sieht Dein neues Fahrrad aus? versus Beschreib mir, wie dein neues Fahrrad aussieht. c. Wie back ich einen Mandelkuchen? versus Weis mich an, wie ich einen Mandelkuchen backen soll. In (6) wird deutlich, dass im übergeordneten Prädikat der expliziten Quaestio der Quaestio- Typ genannt wird: eine Erzählung (Erzähl mir), eine Beschreibung (Beschreib mir), eine Anweisung oder Instruktion (Weis mich an). Mit der jeweiligen Quaestio sind inhaltliche und strukturelle Vorgaben verbunden. Zu den inhaltlichen Vorgaben zählen die Angaben zu bestimmten konzeptuellen Bereichen in der Quaestio (vergleiche von Stutterheim 1997a: 21ff): zu den Entitäten, zum Raum, zu Zeitpunkten oder -abschnitten, zur Modalität, zu Eigenschaften und Handlungen (Prädikatsbereich). Von diesen Referenzbereichen sind in der Quaestio bereits einige belegt. In (6) a. sind es bei den Entitäten die Person Peter, der Ort Berlin, Zeitpunkte t i -… t n vor dem Sprechzeitpunkt (damals); die Modalität ist faktisch. Eine alternative Festlegung der Modalität zu faktisch wäre hypothetisch (vergleiche Was würdest Du auf dem Mond tun? ). Diese Besetzungen bleiben in der Antwort, also im Text, erhalten. Vorgegeben ist ferner in der Quaestio eine Lücke, die im Text gefüllt werden muss. In (6) a. handelt es sich um Ereignisse, die aufgrund von passieren erwartbar sind. In (6) b. wird mit der Frage Wie sieht Dein neues Fahrrad aus? zum Beispiel auf einen Zeitraum referiert, der den Sprechzeitpunkt umfasst; die räumliche Verankerung ist nicht spezifiziert (aber erschließbar), die Modalität wird als faktisch angegeben. Festgelegt ist ferner das Objekt als Ganzes, das Fahrrad. Die vorgegebene Lücke in der Quaestio sind die Eigenschaften des Objektes. Diese werden in der Antwort spezifiziert und fokussiert. Welche Eigenschaften ausgewählt und in welchem Detaillierungsgrad dargestellt werden, bestimmt unter anderem das Wissen des Sprechers über das Objekt und seine Annahmen über das Vorwissen des Adressaten. Durch die Nennung des Fahrrads ist jedoch die Art der Attribute bereits eingeschränkt. So wird zum Beispiel kein Lenkrad oder Kofferraum erwartet, wohl aber Lenker und Klingel. Die festgelegten Informationen schränken also auch die Auswahl der noch zu spezifizierenden Informationen ein. (7) A: Wie sieht Dein neues Fahrrad aus? (001) B: es ist ein 'P* -Rad. (002) das is total 'schwarz, (003) der 'Lenker (004) der 'Rahmen (005) nur die 'Klingel ist 'silbern (006) und ein 'bisschen silbern ist auch die 'Lampe. (007) die 'Reifen haben einen kleinen weißen 'Streifen. (008) der 'Sattel ist ziemlich 'schmal 212 6. Textlinguistik (009) aber 'bequem. (010) und 'leicht ist es, (011) so dass ich’s gut 'tragen kann (012) weißt schon-- an der S-Bahn funktioniert ja nicht immer der 'Aufzug. (013) macht 'richtig Spaß zu fahren. (Lindner, unveröffentlichte Daten) Neben den inhaltlichen sind auch strukturelle Vorgaben mit der Quaestio gegeben (vergleiche von Stutterheim 1997a: 26ff): Sie betreffen die Differenzierung von Äußerungen im Text; es wird zwischen Haupt- und Nebenstrukturen unterschieden. Zu den Hauptstrukturen zählen die Äußerungen, die unmittelbar auf die Quaestio antworten. In Textbeispiel (7) sind es die Äußerungen (001) bis (010), denn für viele Sprachnutzer des Deutschen scheinen zum Aussehen eines Fahrrads auch Eigenschaften wie die Bequemlichkeit des Sattels und das Gewicht des gesamten Fahrrads zu zählen (wie eine kleine Umfrage ergab). (010) bis (013) hingegen spezifizieren nicht das Aussehen, sondern kommentieren die Eigenschaften oder liefern Begründungen für die Auswahl des Objektes und bewerten es. Diese Äußerungen weichen von den Vorgaben ab; sie gehören daher zu den Nebenstrukturen. Die Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenstrukturen sollte nicht verwechselt werden mit relevanter und irrelevanter oder wichtiger und unwichtiger Information. Nebenstrukturen zeigen an, dass Textproduzenten jederzeit auch aus dem mit den Vorgaben verbundenen Muster aussteigen und zum Beispiel die Informationen kommentieren können. Betrachtet man die Nebenstrukturen in (7) im Detail, so lassen sie sich noch einmal unterscheiden, etwa in solche, die die Interaktion mit den Rezipienten organisieren, zum Beispiel Appelle an Adressaten wie weißt schon in (012), oder die Steigerungspartikel richtig (vergleiche (013)), oder Begründungen für Zusammenhänge (vergleiche (011-012)). Die Äußerungen der Hauptstrukturen folgen Mustern von Kohärenz. Dabei werden zwei Typen von Kohärenz unterschieden: globale versus lokale Kohärenz und statische versus dynamische Kohärenz. Die Unterscheidung von globaler und lokaler Kohärenz nimmt die Unterscheidung von Makro- und Mikrostrukturen aus Abschnitt 6.1.2 wieder auf. Erstere betrifft die Kohärenz des gesamten Textes, letztere die Kohärenz zwischen aufeinanderfolgenden Äußerungen. Die Unterscheidung von statischer und dynamischer Kohärenz greift die vorgegebene oder noch offene Belegung der Referenzbereiche auf: Die statische Kohärenz bezieht sich auf die bereits in der Quaestio belegten konzeptuellen Bereiche, deren Belegungen durch den gesamten Text beibehalten werden und die auf diese Weise für Zusammenhalt sorgen. So bleiben im Textbeispiel (7) der Bereich Zeit, Raum und Modalität erhalten. Die dynamische Kohärenz bezieht sich auf das Linearisierungsprinzip (Levelt 1981), „nach dem aus einer komplexen Wissensstruktur Teile aufgerufen werden, um in eine lineare Folge von Äußerungen umgesetzt werden [zu] können“ (von Stutterheim 1997a: 31). Eine der bekanntesten Linearisierungskriterien ist die chronologische Folge. Und was geschah dann? Diese Anordnung ist charakteristisch für Geschichten, in denen es Verschiebungen im Bereich der Zeit entlang der Zeitachse gibt; sie findet sich jedoch auch in Instruktionen. Gelegentlich ist 213 6.1 Grundlagen der Textlinguistik sie auch in Beschreibungen zu beobachten, zum Beispiel in imaginären Wanderungen durch einen Raum (etwa in Raumbeschreibungen-- und dann kommt rechts der Tisch und dahinter der Schrank; vergleiche dazu Ullmer-Ehrich 1979). Ein weiteres Linearisierungskriterium kann räumlicher Art sein: x befindet sich an Ort y. Über / neben / links von y ist z etc. (vergleiche die Objektbeschreibungen in Abschnitt 6.2.2). Die jeweils gewählte Linearisierung liefert den „roten Faden“ in einem Text und zeigt eine Möglichkeit an, wie der Sprecher die kommunikative Aufgabe löst. Die Art der Linearisierung beeinflusst ebenfalls die Verknüpfung von Äußerung zu Äußerung, genauer die informationsstrukturelle Gliederung der einzelnen Äußerungen (zu einer Erläuterung siehe Lindner 2014: 205ff). Diese Entfaltung der Information in den Referenzbereichen von Äußerung zu Äußerung nennen Klein und von Stutterheim referentielle Bewegung (vergleiche von Stutterheim 1997a; Klein & von Stutterheim 1987, 1992). In Tabelle 6.1 wird die referentielle Bewegung, also die Verteilung von neuer, erhaltener, wieder aufgenommener Information in den ersten drei Äußerungen von Textbeispiel (7) dargestellt. Erhalten bleibt die Information in den belegten konzeptuellen Bereichen; neu im Text ist hingegen die Information über die Teilobjekte des Fahrrads,-- der Lenker, Rahmen etc.-- und ihre Eigenschaften. Äußerung Referenzbereich Person / Objekt / Teilobjekt Referenzbereich Prädikation Eigenschaft Referenzbereich Raum Referenzbereich Zeit Referenzbereich Modalität (001) erhalten neu erhalten erhalten erhalten (002) erhalten neu erhalten erhalten erhalten (003) erhalt / neu erhalten erhalten erhalten erhalten Tabelle 6.1: Referentielle Bewegung in Textbeispiel (7) Äußerung (001) bis (003) Mit der referentiellen Bewegung ist zugleich auch die informationsstrukturelle Gliederung von Topik- und Fokuselementen (zu einer Erläuterung siehe Lindner 2014: 208f, von Stutterheim 1997a: 33ff), auf der Ebene der einzelnen Äußerungen gegeben; sie werden jetzt umgesetzt als Topik mit dem entsprechenden Topikausdruck beziehungsweise Fokus und dem entsprechenden Fokusausdruck (zum Beispiel mit den relevanten prosodischen Eigenschaften). Diese informationsstrukturelle Gliederung hat Auswirkungen auf der sprachlichen Ebene, zum Beispiel auf die Wortstellung (mit der Abfolge von bekannter-- neuer Information) oder auf die Wahl der Nominalphrase (mit unbestimmtem oder bestimmtem Artikel). 214 6. Textlinguistik 6.1.4 Zusammenfassung Diese Lerneinheit behandelte das Konzept Text im Rahmen der Textlinguistik und führte weitere themenspezifische Grundbegriffe ein. Ein Textproduktionsmodell, der Quaestio-Ansatz, wurde in Grundzügen erläutert. Dabei sollten Sie sich folgende Grundkonzepte angeeignet haben: ▶ Ein Text ist eine kommunikative Handlung, die aus einer oder mehreren Äußerungen oder Sätzen besteht. Sie kann mündlich oder schriftlich realisiert und von einem oder mehreren Sprechern produziert werden. Ein Text muss kohärent sein. ▶ Die Textlinguistik gehört zur Textwissenschaft. Sie beschäftigt sich mit den Verstehens- und Produktionsprozessen, die einem Text zugrunde liegen sowie verschiedenen Typen von Textmustern (zum Beispiel Quaestio-Typen). Überschneidungen gibt es zur Pragmatik und zur Kognitionswissenschaft. ▶ Zentral für den Quaestio-Ansatz ist die Quaestio, auf die der Text eine Antwort gibt. Diese Frage steuert den Aufbau des Textes. Mit der Quaestio sind inhaltliche und strukturelle Vorgaben verbunden. 6.1.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was versteht man unter Quaestio? 2. Welchen Einfluss hat die Quaestio auf den Text? 3. Was versteht man unter Haupt- und Nebenstrukturen? 6.1.6 Danksagung Wir danken dem C. H. Beck-Verlag für die Genehmigung, die Lerneinheiten 6.1 und 6.2 sowie den Abschnitt 6.3.1 weitestgehend aus dem Kapitel 6 in Katrin Lindner (2014), Einführung in die Germanistische Linguistik übernehmen zu dürfen. Katharina Hogrefe danken wir für das Textbeispiel (5) in Abschnitt 6.1.2 und Christiane von Stutterheim für die Abbildung 6.3 in Abschnitt 6.2.2. Katharina Bremer und Ute Kohlmann danken wir für ihre kritischen Kommentare. 215 6.2 Quaestio-Typen im Deutschen 6.2 Quaestio-Typen im Deutschen Katrin Lindner, Patricia Heilig & Nicole Weidinger Das im Abschnitt 6.1.3 vorgestellte Textproduktionsmodell, der Quaestio-Ansatz, ist in einer Reihe von empirischen Untersuchungen zu Texten von Erwachsenen und Kindern überprüft worden (etwa von von Stutterheim 1997a; Kohlmann 1997; Halm 2010; Bremer 2013; Heilig in Vorbereitung). Auf einige dieser Studien mit deutschen Probanden und Probandinnen werden wir im Folgenden genauer eingehen und grundlegende Muster von Erzählungen, Beschreibungen und Instruktionen besprechen. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die spezifischen Eigenschaften folgender Quaestio-Typen bestimmen können: Erzählung, Beschreibung und Instruktion; ▶ Erzählungen, Beschreibungen und Instruktionen von Kindern und Erwachsenen vergleichen und anhand konkreter Textbeispiele herausarbeiten können, wie sich diese Quaestio-Typen bei Kindern und Erwachsenen unterscheiden. 6.2.1 Erzählung Typische Quaestiones für Erzählungen sind: Was passierte der Person P (in dem Ort L) zum Zeitpunkt t 1 - (…- t n )? In den inhaltlichen Vorgaben der Quaestio wird der Protagonist (P) erwähnt; der Bereich Person / Objekt ist also bereits belegt. Die Modalität wird als faktisch oder hypothetisch festgelegt; der Raum kann unspezifiziert oder spezifiziert (in L) sein. In Bezug auf die Zeit kann der Zeitraum oder der Beginn der Ereignisse bereits bestimmt sein. Erwartet wird bei den strukturellen Vorgaben als Linearisierungskriterium die chronologische Abfolge von Ereignissen (zum Beispiel als ... und dann geschah-… und danach-….). Ein Kind, das in seiner Geschichte auf diese Weise Ereignisse miteinander verbindet, hat also bereits sehr viel von der grundlegenden Struktur von Erzählungen verstanden. Ein Beispiel für eine Erzählung ist Textbeispiel 1. Textbeispiel 1: Erzählung eines fünfjährigen Kindes. Situation: B, 5 Jahre alt, hat einen Cartoon mit Sylvester und Tweetie gesehen und wird von A, der Versuchsleiterin, aufgefordert, die Geschichte C, einer weiteren Person, die die Geschichte nicht kennt, zu erzählen. (001) C: Erzähl mir, was in der Geschichte passiert ist. (002) B: ja da [/ ](0.5) da is(t) ein [/ ] (0.8) ein wolf oder so. (003) hat sich aus den mülltonnen essen [emotional betont] geholt. (004) und ei(n)mal hat der eine fischgräte geholt. (005) hat gedaran gerochen. 216 6. Textlinguistik (006) weggeworfen! (007) dann issa [: ist er] [/ / ] er is(t) zu ein [: einem] [* m: c] schiff gegang(en). (008) ähm (0.9) und dann war da ein vogel drin in diesen [* diesem] schiff. (009) und da hatta [: hat er] seine hände gerieb(e)n. (010) und dann hatta [: hat er] e(i)n klasfenster [: glasfenster] aufgemacht. (011) und is(t) reingegangen. (012) aber der vogel is(t) hingeflogen. (013) hat die ähm <die &klas> [/ / ] des [: das] klasfenster [: glasfenster] <vor den [: dem] wolf &zu> [/ / ] vor der nase zugeschlagen. (014) dann issa [: ist er] ins wasser geflogen [=! lacht]. (015) bei der röhre wieder raufgeklettert. (016) <und &je> [/ / ] und dann war aus. (017) und dann hatta [: hat er] (et)was runtergeworfen. (018) <und jetzt &wa> [/ / ] und dann wei(ss) ich nich(t) mehr. (019) weil dann &ha hasch [: hast] du aufge^hört. Legende: Die Daten wurden nach der Notation von CHILDES (vergleiche MacWhinney 2000) transliteriert.-[…] oder-(…) enthalten die standardsprachlichen Wortformen, Kommentare oder Pausen. ‘/ ’: Wiederholung. ‘/ / ’: Selbstunterbrechungen mit einer Wiederholung der gleichen Idee, aber in einer anderen (meist syntaktischen) Verpackung. ‘<>’ unterbrochene Äußerung. [: ]: Längung des Vokals oder Konsonanten. ‘*’: Fehler mit nachfolgender Spezifizierung, zum Beispiel m: c-= Kasusfehler. ‘&’: Stottern. In Bezug auf die inhaltlichen Vorgaben der Quaestio in Textbeispiel 1, die referentielle Besetzung der entsprechenden konzeptuellen Bereiche, wird weder Person beziehungsweise Objekt noch Raum und Zeit belegt. Aufgrund der Verbform passiert lässt sich schließen, dass die Modalität als faktisch festgelegt ist. Die vorgegebene inhaltliche Lücke in der Quaestio soll durch eine Reihe von Ereignissen, an denen Protagonisten beteiligt sind, gefüllt werden. Die strukturelle Vorgabe für Geschichten, die chronologische Abfolge in der Zeit, ist charakteristisch für Erzählungen. Erwarten lässt sich darüber hinaus, dass sich mit den Verschiebungen auf der Zeitachse auch Verschiebungen in den Räumen oder Teilräumen ergeben. Ehe jedoch die referentielle Bewegung mit neuer und erhaltener Information detaillierter angesprochen wird, soll von den strukturellen Vorgaben weiterhin die Verteilung von Haupt- und Nebenstrukturen geklärt werden: In Textbeispiel 1 überwiegen die Hauptstrukturen. Zu den Nebenstrukturen zählt die Einführung des Wolfes in (002). Schwieriger fällt die Einordnung der Äußerung (012), die Einführung des Vogels in (008) und die Klassifizierung des metakommunikativen Kommentars in (016) und (018) mit der Begründung in (019). In Bezug auf die referentielle Bewegung und die informationsstrukturelle Gliederung von Äußerung zu Äußerung ist festzustellen: Im Bereich der Zeit kommt es zu Verschiebungen auf der Zeitachse. Die Protagonisten werden in (002) und in (008)-- jeweils mit einem unbestimmten Artikel-- als neu eingeführt. Der Wolf (Sylvester) und später der Vogel (Tweetie) bleiben durch den gesamten Text erhalten; damit sind sie als Topikelemente etabliert. Beide 217 6.2 Quaestio-Typen im Deutschen werden jedoch nur selten explizit erwähnt-- der Wolf in (002), (004) und (013), der Vogel in (008) und (012). Nur der Wolf wird mit einer Proform (Personalpronomen oder Demonstrativpronomen) im Text wieder aufgenommen; in den meisten Fällen wird jedoch das Pronomen mit dem finiten Verb assimiliert (in (007), (009), (010), (014) und (017)). Häufig werden die Protagonisten nicht wieder erwähnt (sogenannter topic drop), eine im Deutschen beliebte Art der lokalen Verknüpfung von Äußerung zu Äußerung (siehe auch Abschnitt 6.3.1). Topikelemente sind darüber hinaus auch die jeweiligen Zeitpunkte (dann-… und dann), denen jeweils ein Ereignis zugeordnet wird. Diese Zeitpunkte werden im Deutschen häufig in der Vorfeldposition genannt; sie bilden gewissermaßen das „Rückgrat“ (oder einen Teil des „roten Fadens“) der Geschichte. Das Muster der referentiellen Bewegung mit seiner Verteilung von erhaltener (Topikelement) und neuer Information (Fokussierung) schlägt sich also in der informationsstrukturellen Gliederung der einzelnen Äußerungen nieder. Sie zeigt sich in deren sprachlichen Form, etwa im Wortstellungsmuster der Hauptstruktur. Für Textbeispiel 1 sieht dieses Grundmuster für den Quaestio-Typ Erzählung (vergleiche von Stutterheim 1997a: 99) wie folgt aus: ▶ Zeit Prädikat fin Person (Raum) Prädikat infin ▶ (Person) Prädikat fin (Zeit) (Raum) Textbeispiel 1 enthält die Geschichte eines fünfjährigen Kindes. Das nächste Textbeispiel liefert eine Geschichte eines neunjährigen Kindes, das in der gleichen Situation mit der gleichen Quaestio wie der Fünfjährige aufgenommen wurde. Textbeispiel 2: Situation wie Textbeispiel 1, Proband ist ein neunjähriges Kind. (001) C: Erzähl mir, was in der Geschichte passiert ist. (002) B: also da war ein kater. (003) das war wahrscheinlich (ei)n streunender. (004) der hatte einen (1.5) mülltonnendeckel auf der hand. (005) und hat in den mülltonnen gesucht. (006) in einer hat er so (eine)n knödel gefunden. (007) den hat er sich dann (0.6) auf den mültonnendeckel gehauen. (008) dann hat er in noch einer mülltonne noch (ei)nen [/ / ] so (ei)nen klumpen, nur viel kleiner, gefunden. (009) und ihn auch auf den mülltonnendeckel gehauen. (010) und dann hat er <in einer> [/ / ] nochmal in einer anderen mülltonne (ei)n fischskelett gefunden. (011) und auch auf den mülltonnendeckel getan. (012) dann hat er dran gerochen. (013) und weil (e)s so ekelhaft gerochen hat. (014) schnell wieder weggeschmissen. (015) (1.3) dann is(t) er einfach so am hafen hin und her gegangen. (016) und &h hat sich auf einen (2.9) &ähm ankerpfosten sozusagen (0.8) gesetzt. 218 6. Textlinguistik (017) das hat dann hin und her geschaukelt, also nach oben und nach unten. (018) dann hat er so (ei)ne luke in (ei)nem schiff gesehen. (019) das neben ihm war. (020) (1.2) und da hat er so (ein)en käfig mit (ei)nem (0.7) huhn drin gesehen. (021) da hat er sich dann die pfoten gerieben. (022) (1.3) dann is(t) er da rein in die lupe [/ / ] luke gesprungen. (023) (1.4) und wollte reinkriechen. (024) aber der vogel der war gar nich(t) gefangen. (025) und hat dann schnell die luke zu^gehauen (0.6) sozusagen. (026) (1.4) und dann ist der kater runtergefallen. (027) und ins wasser. (028) (1.0) und musste dann wieder hochklettern. (029) (1.9) ende. Legende: siehe Textbeispiel 1 Bei der Analyse dieses Textes soll die Verteilung von Haupt- und Nebenstrukturen im Vordergrund stehen (vergleiche Halm 2010). In der Erzählung des neunjährigen Kindes überwiegen Antworten auf die einleitende Frage was ist passiert? (005-012, 014-018, 020-023, 025-027). Auch das ältere Kind produziert also vornehmlich Äußerungen, die der Hauptstruktur zuzuordnen sind. Werden jedoch die Texte der beiden Kinder im Hinblick auf Äußerungen, die keine Antwort auf die Quaestio bilden, verglichen, dann fällt auf, dass die Anzahl der Nebenstrukturen in der Erzählung des neunjährigen Kindes zunimmt: Neben (002) als Einführung des Protagonisten, der Situationsbeschreibung in (004), einer Lokalisierung des Schiffes in (019), wird die Handlung des Protagonisten begründet (013) und sein Verhalten kommentiert (003, 024). Wie das fünfjährige Kind in (016)-(…-und dann war aus) beendet der Neunjährige seine Geschichte mit einer Formel in (029)-(…-ende). Allerdings scheint die Formel für das fünfjährige Kind noch nicht als Schlusssignal auszureichen, sodass es in (018) und (019) noch eine komplexe Begründung hinzufügt. Diese qualitativen Beobachtungen zur Entwicklung von Erzählfähigkeiten, über die in diesem Abschnitt anhand eines Vergleiches von Daten zweier Kinder berichtet wurde, werden in einer Studie von Halm (2010) mit einer größeren Stichprobe bestätigt. Sie zeigt in ihrer Untersuchung narrativer Texte von Kindern im Alter von sieben bis 14 Jahren und Erwachsenen, dass mit zunehmendem Alter die Anzahl der Nebenstrukturen steigt und sich deren Art verändert. 219 6.2 Quaestio-Typen im Deutschen Experiment Vergleichen Sie die Geschichten des Fünfjährigen (Textbeispiel 1) und des Neunjährigen (Textbeispiel 2) mit den folgenden Texten von Erwachsenen, die mit demselben Videoclip und derselben Quaestio aufgenommen wurden. Achten Sie dabei nur auf die Gliederung in Haupt- und Nebenstrukturen und bestimmen Sie die Arten der Nebenstrukturen. Welche Unterschiede finden Sie in der Verteilung der Haupt- und Nebenstrukturen bei den verschiedenen Probanden und welche Entwicklung zeichnet sich ab (vergleiche dazu auch Halm 2010)? Versuchsperson 1: Erzählung eines neurologisch gesunden Erwachsenen (001) also der kater silvester hat hunger (002) und sucht sich äh delikatessen aus verschiedenen mülltonnen (003) serviert sie so auf einem tablett (004) und holt schließlich ne zunächst vermeintlich leckere fischgräte raus (005) und dann schnuppert er dran. (006) und die riecht aber ganz furchtbar (007) und er schmeißt dann alles weg (008) und geht ganz frustriert zu seinem hafen (009) und setzt sich an den kai. (010) und ähm ähm neben ihm ist ein schiff (011) und das schiff bewegt sich hoch und runter (012) und immer wenn das schiff sich runter bewegt ähm. (013) erscheint im bullauge (014) sieht man durch ein bullauge ein vogel tweety im käfig (015) und ja und dann denkt er sich uh der vogel (016) und will grad durch das bullauge (017) in dem moment (018) in dem das schiff wieder herunter kommt (019) durch das bullauge zu dem vogel in in in das schiff (020) und dann knallt der vogel schnell des bullauge zu (021) und. der kater fällt in das wasser. (022) klettert aber wieder die eine eine mole eine bowle eine mole eine bowle xxx pfahl hoch (023) muss noch n krebs abschütteln (024) und dann ja Versuchsperson 2: Erzählung einer Person mit einer linkshirnigen Schädigung (Broca-Aphasie) (001) ja äh kater[/ ]* (002) ich weiß ich nich(t) (003) interessiert mich nicht 220 6. Textlinguistik (004) aber ich muss nä (lacht) (005) und ähm …[/ ] fisch (006) aber [\]sch-sch-stinken (007) boa nein (008) ähm aber vogl [/ ] (009) und zwar ähm.. ähm. und zwar ähm (010) vogel ähm und zwar käfig*[/ ] (011) und zwar schaukeln [/ ]* (012) und hm ähm.. halloo [Der Proband äußert zunächst das hm mit sanft steigend-fallendem Tohöhenverlauf und imitiert dann Sylvesters’ [he'lou]] (lacht) (013) aber. ähm. klappen[\]* (014) also ähm.. fitsch[/ ]kutter [\] (015) nein ähm äh klappe [\]* (016) und dann rumps [\]* (017) ja und dann krebs [\] (018) ähm.* (019) ja. Also …ähm kschater [/ ] (020) äh und zwar äh ähm … krebs [\] VL genau. Anmerkung: die Segmentierung erfolgte aufgrund der prosodischen Eigenschaften (insbesondere des Tonhöhenverlaufs) und aufgrund der Zuhörsignale des Adressaten ( VL , gekennzeichnet durch *). Versuchsperson 3: Erzählung einer Person mit einer rechtshirnigen Läsion (001) so in diesem film geht es also um silvester und tweety (002) silvester ist also ein zeichentrickkater (003) der im prinzip immer unterliegt. (004) tweety ist so ein kleiner kanarienvogel (005) ein ganz lieb lieber kleiner gelber kanarienvogel (006) meistens hängt er in irgendeinem käfig (007) und wird natürlich von silvester immer wieder geärgert. (008) der ihm angst machen möchte. (009) ich weiß nicht (010) ob es bei der angst normal bleiben würde. (011) in diesem teil gleich am anfang sieht man also (012) wie der kater (013) anscheinend hat er recht hunger (014) hat nichts gekriegt (015) er ist in irgendeinem hinterhof (016) und dort durchsucht er gerade mülltonnen nach irgendetwas essbarem (017) man sieht dann auch dass er bloß so einen abgekaberten fischgräten herausholt 221 6.2 Quaestio-Typen im Deutschen (018) findet halt nichts richtiges (019) und der tweety hängt in einem schiff in einer kajüte. (020) wieder mal in seinem käfig (021) ist halt dem kater mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. (022) ich weiß nicht (023) der kater hat das also irgendwie mitgekriegt (024) oder irgendwoher weiß er (025) dass da der tweety im käfig ist. (026) und er schaut natürlich dann durch dieses runde fenster hinein. (027) und begrüßt ihn hallo (028) macht ihm eigentlich damit schon angst. (029) oder so will er wahrscheinlich eher (030) ob er ihm wirklich angst macht (031) da habe ich eher den eindruck nein (032) . denn der tweety ist ja. ist ein schlauer vogel (033) der haut ihm vor der nase natürlich das fenster noch dann. zu (034) und damit fliegt dann der silvester von der leiter herunter. (035) wie man sich wie das halt in solchen cartoons einfach ist (036) kriegt die das fenster voll an den in das gesicht. (037) und danach kann er sich nicht mehr halten (038) auch er hat also sein ziel nicht erreicht (039) denn ich bin mir sicher (040) sein ziel war eigentlich den tweety herauszuholen für (041) und nachdem er eh hunger hat (042) weiß man ja (043) was er machen wollte. (044) und das war es. (045) er fiel also herunter (046) mehr kann ich jetzt dazu leider nicht sagen. (047) damit hat eher tweety sein ziel erreicht. (048) der hat sich wieder einmal geschützt 6.2.2 Beschreibung Mit Beschreibungen werden sehr unterschiedliche kommunikative Aufgaben bezeichnet. Sie reichen von Objekt-, Bild- oder Raumbeschreibung bis hin zur Vorgangs- und zur Wegbeschreibung. Nicht alle diese Beschreibungen sind jedoch tatsächlich Beschreibungen. Sehr problematisch ist dies bei der Wegbeschreibung, in der der Adressat angewiesen wird, wie er von A nach B kommt (vergleiche Klein 1979). Umstritten ist der Quaestio-Typ auch bei Vorgangsbeschreibungen mit einleitenden Fragen wie Wie topfe ich Blumen um? oder Wie bereite ich meine Tasse Kaffe mit einer Kaffeemaschine zu? Bei beiden Quaestiones handelt 222 6. Textlinguistik es sich um Instruktionen. Anders scheint es bei der Beschreibung habitueller Vorgänge zu sein mit einleitenden Fragen wie Wie verbringst Du typischerweise Deinen Sonntagmorgen? Bei der Objekt-, Bild- und Raumbeschreibung wird ein statischer Sachverhalt aufgerufen. Eine typische Quaestio nennt das zu beschreibende Objekt und fragt: Wie sieht X aus? Bei dem Referenzrahmen ist die Modalität als faktisch belegt, die Zeit umfasst den Sprechzeitpunkt; auch das Objekt ist häufig als Ganzes genannt. Eine typische Quaestio für eine Objektbeschreibung ist: Beschreibe mir das Objekt O oder Beschreibe mir, wie O aussieht. Wird bei der referentiellen Besetzung das Objekt nicht identifiziert, dann erfordert es eine genauere Bezeichnung im Text. Die Zeit ist nicht spezifiziert, wird aber den Sprechzeitpunkt umfassen. Die Modalität ist in der Quaestio als faktisch festgelegt. Erfragt werden die Bestandteile und Eigenschaften des Objektes, die es zu spezifizieren und zu fokussieren gilt. Als Beispiel dient Textbeispiel 3, die Beschreibung einer Puppe. Abbildung 6.3: Russische Matrioschkapuppe (vergleiche Kohlmann, Speck, Scharnhorst & von Stutterheim 1989; von Stutterheim 1997a) Textbeispiel 3: Situation: Der Versuchsleiter A sitzt mit J, einem Erwachsenen, an einem Tisch. Auf diesem steht eine russische Matrioschkapuppe (vergleiche Abbildung 6.3). Die Quaestio lautet: Bitte beschreib mir diesen Gegenstand (von Stutterheim 1997a: 315). (006) J: mhm-(…) also das ist eine Puppe (007) offensichtlich aus Holz (008) und lackiert. (009) ziemlich folkloristische Sache (010) so wie ich das sehe (011) ist die (.) eine russische Kreation (012) hat wohl viel mit diesen russischen Püppchen zu tun 223 6.2 Quaestio-Typen im Deutschen (013) in denen dann gewöhnlich-(…) als Überraschung noch mal eine ganze Reihe von gleichen Püppchen drinsteckt. (014) soll ich da noch mehr dazu erzählen (015) A: ja was du SIEHST (016) J: ja ich sehe (.) eine die eine (.) bemalte PUPPE (017) (im? ) schönen KOPF tuch (018) bunt gemacht (019) buntes Kleid mit ROSEN (020) ein roter Sockel (021) die Puppe hat KEINE Arme (022) aber ein lustiges Gesicht. ((schneller)) (aus Kohlmann et al. 1989: 147) Legende: Betonte Einheiten in Großbuchstaben. Angabe von Pausen in Sekunden ebenso wie Kommentare zur Sprechart in Klammern (vergleiche das Original). Bei den strukturellen Vorgaben der Quaestio ist zunächst die Unterscheidung in Haupt- und Nebenstrukturen zu nennen. In Textbeispiel 3 lassen sich die Kommentare in (009) bis (013), die gesprächsorganisierende Äußerung in (014) (soll ich da noch mehr erzählen? ) als Nebenstrukturen einordnen. Die Abweichung vom Puppenschema (021) und die Bewertung des Puppengesichts (021) (hat ein lustiges Gesicht, vergleiche X sieht lustig aus) bezieht sich auf das subjektiv bewertete Aussehen der Puppe und lässt sich wohl noch zur Antwort auf die Quaestio, also zu den Hauptstrukturen, rechnen. Bei der referentiellen Bewegung bleiben Modalität und Zeit durch den Text erhalten. Der Raum wird unspezifisch über das Objekt eingeführt. In Textbeispiel 3 wird ab (017) bis (020) die Puppe in einem Schema von oben nach unten gegliedert, um die einzelnen Attribute zu lokalisieren. Mit der referentiellen Bewegung eng verbunden ist die informationsstrukturelle Gliederung in den Äußerungen. In der Quaestio fehlt die genaue Bezeichnung des Objektes. Also spezifiziert es J zu Beginn seiner Beschreibung in (006). Ein solcher Anfang scheint für erwachsene Sprecher oder Sprecherinnen bei Objektbeschreibungen üblich zu sein (Kohlmann et al. 1989: 155). Mit der Einordnung des Objektes ist das von Sprecher und Adressat geteilte Schema für Puppen mit ihren Eigenschaften aufgerufen; auf diese Weise sind die Bestandteile der Puppe zwar konzeptuell nicht neu, müssen jedoch als neue Information (im Gegensatz zu erhaltener oder wiederaufgenommener Information) im Text eingeführt werden. Der Sprecher bleibt in (007) und (008) zunächst bei seinem Gesamteindruck, indem er das Material, aus dem die Puppe hergestellt wurde, und ihre Machart beschreibt. Ab (016) beschreibt er dann das Objekt detaillierter. Dabei geht er schrittweise von oben (vom Kopftuch) nach unten (zum Sockel) vor. Das Topikelement, die Puppe, wird in (017) bis (020) nicht erwähnt (Ellipse). Erst in (021) nennt der Sprecher die Puppe wieder, als er eine Auffälligkeit, eine Abweichung vom Puppenschema, beschreibt: die Puppe hat keine Arme. Abschließend-- quasi als positive Eigenschaft gegenüber dem zuvor genannten Manko-- bewertet er ihr Gesicht als lustig in 224 6. Textlinguistik (022). Kohlmann et al. (1989: 148) nennen Texte mit dieser Linearisierung, bei der die Teilinformationen in ihrer Stellung relativ ungebunden aneinandergereiht sind und die erst zum Schluss ein vollständigeres Bild des Sachverhalts ergeben, einen additiv organisierten Text. Dem steht ein hierarchisch organisierter Text gegenüber, bei dem die Teilinformationen sehr viel detaillierter und ineinander eingebettet sind; vergleiche dazu die eingebetteten Relativsätze in Textbeispiel 4. Textbeispiel 4: Situation wie Textbeispiel 3, Proband ist ein Erwachsener (vergleiche Abbildung 6.3) (025) M: Die Frau hat ein-(…) GEL bes Kopf TUCH (026) das den ganzen Holzkopf umspannt-(…) (027) das Kopftuch ist mit schwarzen-(…) Spiralen bemalt (028) die-(…) nicht in einer Linie gezogen sind (029) sondern-(…) aus-(…) lauter kleinen Strichen bestehen.-[…] (aus Kohlmann et al. 1989: 149) Die informationsstrukturelle Gliederung typischer Beschreibungstexte schlägt sich in der sprachlichen Form, etwa in der Wortstellung nieder. Die Information in Klammern ist wieder fakultativ. (ich sehe/ da(s) ist) Gesamtobjekt (Gesamtobjekt-+ dummy haben) Bestandteile mit Attributen Für Erzählungen ist die dominante Linearisierungsstrategie die chronologische Abfolge der Ereignisse. Bei Beschreibungen geht es um die Wahl einer Strategie, die Informationen über einen statischen Sachverhalt dem Adressaten oder der Adressatin in zeitlicher Abfolge anbietet. Beispiele sind die Strategien der additiven und der hierarchischen Textstruktur in den Textbeispielen 3 und 4. Diese Strategie stellt allerdings nur zwei von vielen dar, die auch in Kombination auftreten können (vergleiche Kohlmann et al. 1989; von Stutterheim & Carroll 1993). Die bisherigen Analysen bezogen sich auf die Objektbeschreibungen von Erwachsenen. Eine vergleichbare Puppe wie die Matrioschka in Textbeispiel 3 und 4 wurde auch von Grundschulkindern beschrieben (vergleiche Bremer 2013: 151ff). Wie gehen, im Vergleich zum Erwachsenen, die beiden siebenjährigen Kinder in Textbeispiel 5 und 6 vor? Textbeispiel 5: Situation: Die Versuchsleiterin I hat Dipsy mitgebracht, eine Puppe der Teletubbies. Das siebenjährige Kind L unterhält sich mit der Versuchsleiterin über die Welt der Teletubbies. Es verbindet dann Dipsy die Augen. Aus einer Schatzkiste wird dem Kind unter anderem eine Puppe vorgelegt und es wird gebeten, sie Dipsy so gut zu beschreiben, dass er sie sich vorstellen kann. In der Quaestio wird das Objekt nicht spezifiziert (Bremer 2013: 101, 104). (001) L: mm .. eine frau/ * mit ^m kleid/ (002) und mit vielen Blumen drauf* 225 6.2 Quaestio-Typen im Deutschen (003) und mit ner Kapuze\ I ja du darfsts ruhig n bissl umdrehn wenn du wenn du^s hinten auch sehn willst (004) L: und hinten ne blume / ne schöne/ I mhm (005) L Und * ganz dicke arme I <lacht > mhm (006) L: und die hält so^n blumenstrauss^glaub ich^in der hand/ I: s könnte man so sehen ja mhm (007) L: Und in der anderen hand hält se *gar nix\ (008) L: *und*** ich seh nix mehr (aus Bremer 2013: 156) Legende: '*', '**(*)', kürzere, längere Pause; ' / ' ' \' Intonationsverlauf; ^prosodisch eng verbunden; <> Kommentar. Textbeispiel 6: Situation wie Textbeispiel 5, Proband ist ein siebenjähriges Kind (001) B: des kann man aufmachen (002) E da seh ich blumen/ (003) und *E schnecken/ also schneckenhäuser sieht so a\ so ne form/ (004) und dann noch **blätter/ (005) E und * (koosen) und * also des sind kringelchen/ (006) und dann noch n gesicht (007) mhm I: ein gesicht aha (008) B: mit augen und mi\ ja\ (009) fertig\ (aus Bremer 2013: 153) Legende: vergleiche Textbeispiel 5; E-= Vereinfachte Notation für Verzögerungsphänomene. I-= Versuchsleiter; B-= Kind Wie in der Quaestio in Textbeispiel 3 und 4 vemeidet der Versuchsleiter bei der Formulierung der Aufgabe in Textbeispiel 5 und 6 den Gegenstand zu benennen. Die Erwachsenen stellen diese Information bereit und rufen damit zugleich das entsprechende Schema auf, hier das Puppenschema, das sie im Folgenden- - wie in Textbeispiel 3- - von oben nach unten abarbeiten (vergleiche dazu auch Friederici 1989). Bei den Siebenjährigen scheint ein solches Schema zu fehlen. In Textbeispiel 5 nennt das Kind das Objekt eine Frau und assoziiert mit ihr ein Kleid mit einer Kapuze, erwähnt ihre dicken Arme und einen Blumenstrauß. Es erwähnt aber nicht das Gesicht, das heißt das Schema wird nicht von oben nach unten abgearbeitet. In Textbeispiel 6 verweist das andere Kind mit dem Demonstrativum des in (001) auf das vor ihm stehende Objekt und nennt ausschließlich am Schluss das Gesicht. Beide Kinder 226 6. Textlinguistik fokussieren vornehmlich die dekorativen Details der Kleidung der Puppe. Mit zunehmendem Alter werden die entsprechenden Schemata abgerufen (vergleiche auch die Beschreibungen von Sieben- und Neunjährigen in Bremer 2013: 155ff, insbesondere die Auswertung der Objektbenennungen in Bremer 2013: 162). 6.2.3 Instruktion Der dritte Quaestio-Typ ist die Instruktion. Dieser Typ findet sich in verschiedenen Arten von Anweisungen wieder, etwa bei Kochrezepten oder auch bei Bauanweisungen. Eine typische Quaestio lautet: Wie backt eine Person P einen Mandelkuchen? Oder Wie baut eine Person P ein Objekt O zusammen? Bei der referentiellen Besetzung in der Quaestio wird häufig ein Agens genannt, aber es wird nicht immer individualisiert (vergleiche man). Das Endprodukt wird ebenfalls festgelegt. Der Bereich Zeit umfasst einen Zeitraum, in den der Sprechzeitpunkt eingeschlossen ist. Der Bereich Raum ist in der Quaestio nicht spezifiziert, wird aber dann im Text gegebenenfalls in Teilräumen ausdifferenziert. Die Modalität ist durch die Quaestio meistens als faktisch festgelegt; sie kann aber auch hypothetisch sein, etwa im Fall von Wenn ich einen Apfelkuchen backen möchte, was müsste ich dann tun? Die in der Quaestio vorgegebene Lücke lässt für den Text erwarten, dass eine Reihe von Handlungsschritten genannt wird, es also bei den strukturellen Vorgaben ein chronologisches Linearisierungskriterium gibt (und dann-… und dann in Topikposition). In Bezug auf den Bereich Raum ist zu erwarten, dass es entweder Verschiebungen im Einklang mit den Verschiebungen auf der Zeitachse gibt oder dass Teile des Objektes spezifiziert werden, in denen die Einzelteile in das Ganze eingefügt werden. Die Modalität bleibt erhalten. Die neue Information wird vor allem also wieder im Referenzbereich des Objektes oder seiner Teile und des Prädikats liegen. In Textbeispiel 7 und 8 sind zwei Bauanweisungen für das gleiche Objekt, einen Roboter, enthalten (vergleiche die Abbildung in von Stutterheim 1997a: 363). Textbeispiel 7: Situation: Vor dem Probanden B, einem Erwachsenen, liegen zehn Bauteile, die zu einer Holzkonstruktion, dem Roboter, zusammengebaut werden sollen. Die Aufgabe wurde unter verschiedenen Bedingungen gestellt (vergleiche von Stutterheim 1997a: 316ff). In dieser Bedingung hat der Proband B zuerst einen Videofilm gesehen, der den Zusammenbau der Konstruktion vorführt; ferner wurde ihm das Objekt als Spielroboter vorgestellt. Nun soll er den Versuchsleiter A instruieren, wie man diesen Roboter zusammenbaut. A: Kannst du jetzt bitte eine erwachsene Person anweisen, wie man diesen Roboter zusammenbaut? (001) B: hm* 1* man nimmt zuerst den grünen äh bauklotz** einen grünen bauklotz* (002) äh tut die grüne * schraube * durch n loch (003) und diese * dieses mutterstück * hintendran * 5* 227 6.2 Quaestio-Typen im Deutschen (004) und äh: diese schraube wird dann in der / mit dem gelben bauklotz verbunden * 2* (005) dann nimmt man den anderen grünen bauklotz (006) der übrig bleibt** (007) und die andere grüne schraube** (008) tut zuerst die mutter** (009) weiß nicht (010) ob des ne mutter is* (011) die mutter über die schraube stülpen* (012) dann dieses * ehm **rechteckige * teil * 1* durch die schraube (013) und dann in den grünen bauklotz** (014) und dann* in den gelben ( LACHT ) (015) und dann noch die roten schrauben in den ersten grünen **an die Seite in den ersten grünen bauklotz reinschrauben. (aus von Stutterheim 1997a: 321, zur Quaestio siehe Seite 318 Bedingung 5). Differenziert man die Äußerungen nach Haupt- und Nebenstrukturen, so finden sich Nebenstrukturen in Textbeispiel 7 in (006) sowie in (009 bis 010). Im ersten Fall wird der Bauklotz näher beschrieben, im zweiten Fall handelt es sich um einen metasprachlichen Kommentar. In Bezug auf die referentielle Bewegung bleibt das Agens- - man- - ab (002) für den gesamten Text erhalten, allerdings ist es oft elliptisch- - eine Folge des globalen Erhalts von Information. Wie erwartet gibt es eine Verschiebung auf der Zeitachse. Neue Information findet sich sowohl im Prädikat als auch bei den einzelnen Bauteilen und deren Lokalisierung in den Teilräumen (zu Details siehe von Stutterheim 1997a: 95ff). Der Proband in Textbeispiel 7 löst die Aufgabe auf der Äußerungsebene, indem er auf eine Darstellung zurückgreift, die in Rezepten häufig zu beobachten ist: Er teilt die neuen Informationen auf zwei Äußerungen auf: man nehme das neue Bauteil und tue es in den neuen Teilraum / …stülpen; vergleiche (001), (002), (005), (008) und (011). Die verwendeten Verben sind unspezifisch: nehmen, tun oder wird verbunden. Präzisiert werden die Handlungen - wenn sie nicht elliptisch sind - oft in den Infinitiven am Ende der Äußerung. Diese Struktur wird jedoch nur im ersten Teil des Textbeispiels umgesetzt; danach folgt die Nebeneinanderstellung von neuem Bauteil und seiner Lokalisation. Nur einmal wird in diesem Text eine Passivkonstruktion verwendet, um diese schraube aus (002) wieder aufzunehmen. Einen anderen Weg wählt der Proband in Textbeispiel 8. Die Bauteile sind bekannt; sie befinden sich, wie in Textbeispiel 7, vor dem Probanden. Dennoch sind sie neu im Text. Durchgängig realisiert dieser Proband Passivkonstruktionen mit dem Bauteil als Subjekt. Damit behandelt er die Bauteile als Topikelemente auf der Äußerungsebene. 228 6. Textlinguistik Textbeispiel 8: Situation wie Textbeispiel 7; Proband ist ein Erwachsener A: Kannst du bitte jemanden genau anweisen, wie man dieses Teil (ein kleines Holzobjekt aus Bauklötzen) zusammenbauen muss? (001) B: gut also * 1* die: * 2*grüne / * 1* äh * 1* schraube mit dem: sechskantigen kopf wird durch EIN en grünen würfel geschoben durch das loch OHNE gewinde. (002) ne lil / die * dicke *lila unterlegscheibe wird *darauf* plaziert / * 1* (003) also auch durch hm hm draufgeschoben * 2* (004) und * 1* die: schraube wird anschließend IN * 1* den gelben würfel **eingedreht * 2* (005) die: grüne schraube mit dem schlitz * 1* wird * 2* auf die kommt *die * die dünne holz* 1* unterlagschreibe* 1* das brett * 1* mit den drei löchern * 1* (006) und wird au: ch * 1* durch ** denn a / wird durch den **Andern grünen würfel geschoben äh durch das LOCH *ohne gewinde * 1* (007) und wird ***im rechten winkel dazu * 1* äh: *im * 2* gelben würfel ** festgedreht * 2* (008) die: beiden kurzen *roten schrauben werden beim *ersten grünen würfel * 1* an dem **acht/ *äh mit dem sechseckigen * 1* mit der sechseckigen Schraube ** festgedreht.* 4* (009) so wenn des jemand kapiert hat von (mir). (aus von Stutterheim 1997a: 307 Materialband zur Habilitationsschrift) Legende: *-= Pause von einer Sekunde; * Zahl *-= Pausenlänge in Sekunden Die Abfolge von Informationen aus den Bereichen in den Hauptstrukturen ergibt folgendes Grundmuster in der Wortstellung auf der Äußerungsebene (vergleiche auch von Stutterheim 1997a: 99): Zeit Prädikat fin Person Objekt affiziert Raum Prädikat inf. Objekt affiziert Prädikat fin, (Zeit) Raum Prädikat inf. Wie bei den Quaestio-Typen Erzählung und Beschreibung soll auch bei der Instruktion das Vorgehen der Erwachsenen mit denen der Kinder verglichen werden. Textbeispiel 9 gibt eine Instruktion eines siebenjährigen Kindes wieder. Textbeispiel 9: Situation: Versuchsleiter I und Proband N, ein siebenjähriges Kind, unterhalten sich darüber, was Teletubbies-- und damit der anwesende Dipsy-- essen und dass sie am liebsten Süßes essen. Daher ist es von Nutzen, wenn Dipsy lernt, sich die Zähne zu putzen. N wird aufgefordert, Dipsy zu instruieren, wie man sich die Zähne putzt. (001) N: o-kay (002) dann braucht man so^ne zahnbürste (003) dann steckt man die in den mund 229 6.2 Quaestio-Typen im Deutschen (004) und dann tut man so * mit der zahnbürste so wackel an (jedem) zähnen I: mhm (005) N: und dann macht man irgendwo n wechsel. oben / * (006) Und da man * vorne so zähne putzen ** (007) aber bevor man des ganze macht (008) muss man noch zahncreme draufmachen I: genau ja zahncreme is ganz wichtig (009) N: und danach tut man des dann meistens ausspülen.\ I: richtig (010) N: mit m zahnputzbecher.\ (aus Bremer 2013: 123) Legende: siehe Textbeispiel 5. Der Vorgang des Zähneputzens ist eine komplexe Handlung, die sich in drei Teile gliedern lässt (Bremer 2013: 111). Das Kind folgt diesen Schritten mit kleineren Abweichungen. Im ersten Teil der Instruktion wird in (002) auf das zu verwendende Instrument, die Zahnbürste, eingegangen. Danach erläutert es seinen ersten Handlungsschritt in (003). Daran schließt sich in (004 bis 006) die Spezifizierung der Kernhandlung, also das eigentliche Putzen, an. Im Hinblick auf die Chronologie der Einzelschritte fällt auf, dass das Kind die Vorbereitung des Zähneputzens erst im Anschluss an die Kernhandlung in (007) bis (008) anspricht. Durch die Konjunktion aber markiert es einen Bruch in der Abfolge der Handlungsschritte und signalisiert mit der durch die Subjunktion bevor eingeleiteten Äußerung in (007), dass es noch eine weitere Vorbereitung der Handlungsfolge gibt, und zwar das Auftragen der Zahncreme. Danach wird in (009) bis (010) der letzte Handlungsschritt genannt. 6.2.4 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit wurden die drei Quaestio-Typen - Erzählung, Beschreibung und Instruktion - anhand von Textbeispielen von Erwachsenen und Kindern untersucht. ▶ Erzählungen, Beschreibungen und Instruktionen weisen spezifische Eigenschaften auf: Sie werden teils durch die Quaestio festgelegt (zum Beispiel referentielle Besetzung oder Bestimmung der Hauptstruktur), teils durch den Produzenten gewählt. Zu Letzterem zählen die Linearisierungsstrategien. Der Produzent kann sich für dominante Strategien entscheiden (zum Beispiel die chronologische Abfolge der Ereignisse bei Erzählungen) oder Strategien kombinieren (beispielsweise die additive und die hierarchische Strategie bei der Beschreibung). ▶ Erzählungen, Beschreibungen und Instruktionen von Kindern unterscheiden sich von denen der Erwachsenen. Bei den Erzählungen zeigen sich Unterschiede in der Verwendung von Haupt- und Nebenstrukturen. Mit zunehmendem Alter steigt die Anzahl und Art der Nebenstrukturen an. Ebenso können die Kinder bei Beschreibungen Objektschemata erst mit zunehmendem Alter für die Textproduktion nutzen. Schließlich stehen ihnen auch komplexe Handlungsmuster in Instruktionen erst mit zunehmendem Alter in ihrer Gesamtheit für die sprachliche Darstellung zur Verfügung. 230 6. Textlinguistik 6.2.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Definieren Sie Linearisierung. 2. Benennen Sie die sich aus den Äußerungen von Erwachsenen ergebenden Grundmuster in den Hauptstrukturen von Erzählung und Instruktion und illustrieren Sie diese Muster an je einem ausformulierten konkreten Beispiel. 3. Wodurch unterscheiden sich die Beschreibungstexte von Erwachsenen und Kindern? Gehen Sie bei Ihren Erläuterungen auch und vor allem darauf ein, welche Rolle die Formulierung der Quaestio einnimmt. Illustrieren Sie Ihre Antwort anhand konkreter Beispiele aus dieser Lerneinheit. 231 6.3 Sprachvergleichende Untersuchungen: Eine Analyse deutscher und englischer Texte 6.3 Sprachvergleichende Untersuchungen: Eine Analyse deutscher und englischer Texte Katrin Lindner, Patricia Heilig & Nicole Weidinger In der ersten Lerneinheit wurde gezeigt, wie die Quaestio durch die Auswahl des Quaestio-Typs sowie durch inhaltliche und strukturelle Vorgaben den Textaufbau steuert. In der zweiten Lerneinheit wurde dieser Prozess anhand von Beispielen für drei Quaestio-Typen illustriert und die Selektion der Informationen, die Festlegung des Detaillierungsgrades in der Darstellung und die Art der sequentiellen Anordnung der Informationen, der Linearisierung, erläutert. In der ersten Lerneinheit wurde auch festgestellt, dass der Produzent in seiner Antwort eine Perspektive auf den Sachverhalt einnimmt. Eine erste Art dieser Perspektivierung ist bereits durch die Quaestio festgelegt, denn sie bestimmt ja, welcher Quaestio-Typ vom Produzenten in seiner Antwort realisiert wird. Er kann seine Perspektive auch durch lexikalische Mittel, beispielweise durch die Verwendung bedeutungsähnlicher Ausdrücke mit unterschiedlichen Konnotationen (etwa überreichen statt geben) oder durch die Wortstellung verdeutlichen - um zwei weitere Arten der Perspektivierung zu nennen. Perspektivierung heißt hier: Eine Sichtweise auf einen Sachverhalt wird aus möglichen anderen Sichtweisen ausgewählt (vergleiche dazu Klein & von Stutterheim 2002). Die Auswahl wird vom Adressaten (Quaestio-Typ) und vom Sprecher vorgenommen. In den letzten 20 Jahren wurde der Analysebereich des Quaestio-Ansatzes in vielfacher Weise erweitert: Unter anderem wurde untersucht, ob auch das grammatische System der jeweiligen Einzelsprache die Wahlmöglichkeiten der Sichtweisen einschränkt. Unterscheidet sich bei derselben kommunikativen Aufgabe der Textaufbau im Deutschen von demjenigen in anderen Sprachen durch die jeweiligen grammatischen Möglichkeiten? Dies ist die Fragestellung der dritten Lerneinheit (vergleiche dazu auch Kapitel 5 dieses Bandes). Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ einige durch die grammatischen Strukturen bedingte Besonderheiten im Textaufbau von deutschen und englischen Texten identifizieren können; ▶ den Begriff der Perspektive und einige ihrer Ausprägungen sowie ihren Einfluss auf den Textaufbau in englischen und deutschen Texten kennen lernen. 232 6. Textlinguistik 6.3.1 Verhältnis von Topik und Subjekt in deutschen und englischen Erzählungen In diesem Abschnitt geht es um Nacherzählungen von Filmen von Erwachsenen mit Deutsch oder Englisch als Erstsprache. Diese werden verglichen mit entsprechenden Texten von Erwachsenen mit den gleichen Sprachen als Zweitsprache. Im Mittelpunkt der Analyse steht der Zusammenhang von Topik und Subjekt. In deutschen Erzählungen ist für Topikelemente die Vorfeldposition die präferierte Position. Topikelement kann dabei die Zeitangabe sein-- aufgrund des chronologischen Linearisierungskriteriums (vergleiche Abschnitt 6.2.1)-- oder der Protagonist, verpackt im Subjekt. Beides zeigt Textbeispiel 1 aus der Studie von Stutterheim und Carroll (2005) mit 20 Studenten mit Deutsch oder Englisch als Erstsprache. Sie wurden gebeten, einen animierten Trickfilm mit dem Titel Quest (Stellmach 1996) nachzuerzählen. Der Film handelt von den Abenteuern eines Protagonisten, einer animierten Lehmfigur, die in der Wüste erwacht und sich auf die Suche nach Wasser macht. Die Reise führt die Lehmfigur durch vier verschiedene Landschaften aus Sand, Papier und Stein und schließlich durch ein futurisches Szenario. In diesen Landschaften beziehungsweise Szenarien begegnet die Figur Antagonisten, etwa Naturgewalten. Textbeispiel 1: Ausschnitt aus einer Filmerzählung eines deutschen Muttersprachlers (010) und dann geht er eben seinen weg (011) und Ø stößt plötzlich auf eine Fläche (012) die ein bisschen mit wasser bedeckt ist (013) die da rumliegen (014) und Ø geht da hin (015) und Ø nimmt so wasser in die hand (016) Ø hält es in die höhe (017) und Ø freut sich schon (018) dass er Wasser gefunden hat (019) aber das ist so wenig (020) das zerrinnt gleich zwischen seinen fingern (021) äh und äh Ø fängt dann an eben an dieser stelle auch das papier aufzureißen (022) und da in der erde praktisch rumzugraben (023) um mehr wasser zu bekommen (024) und genau dort fällt er eben dann wieder durch dieses loch / durch dieses papierloch (025) was er in diesen / in die erde gerissen hat (026) hin / hindurch (aus von Stutterheim & Carroll 2005: 14f) Legende: Ø-= Ellipse 233 6.3 Sprachvergleichende Untersuchungen: Eine Analyse deutscher und englischer Texte Begonnen wird die Sequenz in Textbeispiel 1 mit einer temporalen Angabe als Topikelement im Vorfeld (und dann). In den folgenden Äußerungen (011), (014) bis (017) ist es jedoch das Subjekt, das global kohärenzstiftend ist. In (010), (018), (024) und (025) wird es als Personalpronomen (er) realisiert, in allen anderen Äußerungen ist es elliptisch-- ein Zeichen für den globalen Erhalt dieser Information. Anders ist die Situation im Englischen. Im Englischen ist mit dem Subjekt keine globale Topikvorgabe verbunden. Textbeispiel 2 belegt, dass sehr verschiedene Entitäten Subjekt sein können, die lokal als Topikelement erhalten bleiben: der Protagonist in den Äußerungen (010), (011) und (017) versus the rocks in (012) bis (016). Textbeispiel 2: Ausschnitt aus einer Filmerzählung eines englischen Muttersprachlers (010) so he takes a very sharp rock this time (011) and Ø starts to hit the ground with the sharp end of this rock (012) and the rocks on the ground splinter (013) and Ø begin to fall through (014) like the sand did (015) through a / almost through a hole (016) and they’re just kind of sucked down (017) and he is again sucked down with them. (aus von Stutterheim & Carroll 2005: 17) Legende: Ø Ellipse Im Englischen ist das Subjekt allerdings aufgrund einer syntaktischen Beschränkung auf die präverbale Position festgelegt. Kohärenz wird in den englischen Erzählungen daher, so von Stutterheim und Carroll (2005: 16f), nicht durch den Protagonisten als Topik, sondern, extern, durch den Erzähler gestiftet. Die Geschichte wird aus seinem Blickwinkel erzählt (vergleiche in Textbeispiel 3 die Äußerungen (010) und (015)). Textbeispiel 3: Ausschnitt aus einer englischen Filmerzählung eines Erwachsenen (010) and you see (Referenz auf den Erzähler) (011) he is eh like a clay man (012) he’s made out of brown clay (013) and he’s just got eyes (014) and that’s all really (015) you can see like big hands (016) like a sort of plasticene man (017) or something. (018) and he wakes up (019) and he reaches out (020) and he can feel a bottle (021) and he picks it up 234 6. Textlinguistik (022) but there’s nothing in there (023) and he stands up (024) and he can hear thunder (aus von Stutterheim & Carroll 2005: 17) Eine entsprechende Quaestio lautetet daher für die englischen Erzählungen: What did oder do you see in the film? , während sie für die deutschen- - wie bereits in den Lerneinheiten 6.1 und 6.2 aufgeführt- - formuliert werden kann als: Was passiert x oder dem Männchen? (vergleiche von Stutterheim & Carroll 2005: 16). Die englische Quaestio enthält also keine Vorgaben für den Protagonisten. Ein Vergleich der Kodierungen des Subjekts in deutschen und englischen Texten zeigt, dass im Deutschen der Protagonist zu 75,5 Prozent, andere Charaktere hingegen nur zu 24,5 Prozent als Subjekt genannt werden; im Englischen ist das Verhältnis 65,5 zu 34,5 Prozent. Im Deutschen ist das Subjekt zu 54,2 Prozent, im Englischen aber nur in 16,4 Prozent der Fälle elliptisch (von Stutterheim & Carroll 2005: 19). Die gleiche Aufgabe, einen Ausschnitt aus einem Film nachzuerzählen, wird also in beiden Sprachen unterschiedlich konzeptualisiert. Bedingt ist diese Konzeptualisierung (auch) durch das jeweilige grammatische System. Interessant ist nun, wie Sprecher mit Deutsch oder Englisch als Erstsprache und der jeweils anderen Sprache als Zweitsprache die gleichen Filmausschnitte nacherzählen (vergleiche von Stutterheim & Carroll 2005). Die Probanden sind fortgeschrittene Lerner der jeweiligen Zweitsprache. Die Deutschlerner beherrschen bereits die Verbstellung sowie die Verbal- und Nominalmorphologie. Die Englischlerner verfügen über die morpho-syntaktischen Regeln des Englischen und über ein Vokabular, das in Bezug auf die kommunikative Aufgabe mit einem Muttersprachler vergleichbar ist. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass die Probanden und Probandinnen keine Schwierigkeiten mit den grundlegenden grammatischen und lexikalischen Strukturen der jeweiligen Sprache hatten. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass bei den englischen Sprechern mit Deutsch als Zweitsprache der globale Topikstatus des Protagonisten noch nicht erfasst wurde (elliptischer Erhalt der Referenz auf den Protagonisten zu 35,9 Prozent im Vergleich zu 54,2 Prozent bei den Sprechern mit Deutsch als Erstsprache beziehungsweise 16,4 Prozent bei den Sprechern mit Englisch als Erstsprache). Auch die temporale Angabe als kohärenzstiftend im Vorfeld wird seltener eingesetzt; vergleiche in Textbeispiel 4 Äußerung (046). Dann steht eher im Mittelfeld wie bei Textbeispiel 4 in Äußerungen (045), (047) und (050) (von Stutterheim & Carroll 2005: 21f). Textbeispiel 4 illustriert die Vorgehensweise eines Sprechers mit Deutsch als Zweitsprache: Textbeispiel 4: Ausschnitt aus einer deutschen Filmerzählung eines Sprechers mit Erstsprache Englisch und Zweitsprache Deutsch (045) der ist dann oben / äh ganz oben von diesen drei steinen (046) dann hört er / (047) der hört dann diese / (048) der hört das tropfen wieder 235 6.3 Sprachvergleichende Untersuchungen: Eine Analyse deutscher und englischer Texte (049) und der lächelt sogar (050) und der sucht dann jetzt (052) wo / woher das tropfen jetzt wieder herkommt (053) der sieht eine fläche (054) wo das wasser runtertropft (aus von Stutterheim & Carroll 2005: 21) Bei den deutschen Sprechern mit Englisch als Zweitsprache findet sich mit 67,7 Prozent immer noch der Protagonist eher als andere Charaktere in der Subjektposition (24,3 Prozent), aber die Ellipse des Subjekts ist seltener als in den deutschen Texten (30,7 Prozent) geworden; das heißt, hier scheinen sich die Lerner dem englischen Muster anzunähern (von Stutterheim & Carroll 2005: 23). Dennoch greifen beide Gruppen trotz guter grammatischer Kenntnisse in der Zweitsprache beim Textaufbau noch auf Verfahrensweisen aus ihrer Erstsprache zurück. Experiment Die folgenden beiden Texte stammen von einer Sprecherin mit Deutsch als Muttersprache und Englisch als Zweitsprache. Bei der Probandin handelt es sich um eine fortgeschrittene Lernerin des Englischen. Sie wurde gebeten, den von von Stutterheim und Carroll (2005) verwendeten Trickfilm Quest (Stellmach 1996) zuerst auf Englisch und einen Tag später auf Deutsch zu erzählen. Analysieren Sie die beiden Erzählungen in Hinblick auf deutsche und englische Textmuster. Achten Sie auf die Füllung des Vorfeldes, die Verwendung von Ellipsen und die Position temporaler Angaben. Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse mit den Nacherzählungen deutscher und englischer Muttersprachler in den Textbeispielen 1, 2 und 3 sowie den Ergebnissen der deutschen Lerner mit Englisch als Zweitsprache in Abschnitt 6.3.1 (vergleiche von Stutterheim & Carroll 2005). Beispiel A: Englische Erzählung; Quaestio: Tell me what happened in the story? (001) this is a story about a sandman (002) the story begins in the desert (003) where a man out of sand lies in the desert (004) a empty bottle lies next to him (005) and the sandman seems to be thirsty (006) and starts digging (007) and the sand starts to run through the hole (008) so that the man falls through the hole into the paper world (009) in the paper world he starts digging again (010) and falls into another hole in the paper (011) he falls into a world made of many stones (012) ähm even more stones are growing out of the ground (013) and the sandman sees some drops of water at one of the stones 236 6. Textlinguistik (014) and then begins digging at the spot (015) where the drops came from (016) and then he falls through a hole again (017) and lands with his head first (018) and also he lost some toes (019) and he is in another world (020) made of different machines (021) a world with a lot of machines (022) and he jumps though a hole (023) where many other machines are working (024) and one of the machines is digging (025) and the sandman sees some water in the hole (026) but the hole is very very small (027) so that the sandman tries to make the hole a little bigger (028) but then some other machines are coming nearer and nearer (029) and the sandman becomes very very scared (030) and doesn’t know what to do (031) so he ähm he tries to escape (032) then you see (033) how the sand of the sandman runs through the little hole into the water (034) out of the water into the sky (035) and then the sand rains into the desert again (036) and a new sandman comes out of the sand (037) so a new life is born (038) the end (Heilig & Weidinger, unveröffentlichte Daten) Beispiel B: Deutsche Erzählung; Quaestio: Erzähl mir, was in dieser Geschichte passiert ist? (001) also es ist eine Geschichte über ein Männchen (002) was aus Sand gemacht ist (003) nennen wir ihn Sandmann (004) der Sandmann wacht in der Wüste auf (005) er scheint sehr durstig zu sein (006) und beginnt im Sand zu graben (007) der Sand allerdings beginnt ähm durch das Loch (008) was er gräbt (009) zu rinnen (010) und der Sandmann wird dann sogar vom Sand verschlungen (011) so dass er durch das Loch hindurchfällt (012) und in einer Welt landet 237 6.3 Sprachvergleichende Untersuchungen: Eine Analyse deutscher und englischer Texte (013) die aus Papier gemacht ist (014) auch dort wieder beginnt er zu graben (015) und ist auf der Suche nach Wasser (016) und fällt durch ein äh neues Loch (017) fällt sozusagen in eine andere Welt (018) die aus Steinen gemacht ist (019) also ganz viele Steine liegen da rum (020) und dann sieht der Sandmann aber an einer Stelle einige Tropfen Wasser (021) läuft natürlich sofort hin (022) und beginnt genau an dieser Stelle zu graben (023) und auch jetzt fällt er wieder durch ein Loch hindurch in eine neue Welt (024) und diese Welt ist aus Maschinen (025) also ganz viele Maschinen gibt es dort (026) und er hüpft in ein Loch hindurch in die neue Welt (027) da sind noch ganz viele andere Maschinen (028) und eine der Maschinen gräbt (029) und an einer Stelle sieht er ein bisschen Wasser hindurchscheinen (030) aber das Loch ist zu klein (031) als dass er an das Wasser herankommt (032) also versucht er an der Stelle noch etwas weiter zu graben (033) aber ähm es klappt nicht so richtig (034) und dann kommen plötzlich äh Maschinen auf ihn zu von allen Seiten (035) und er weiß gar nicht (036) wie er entkommen soll (037) versucht an einer Maschine hochzuklettern (038) aber es klappt nicht (039) und dann rinnt der Sand vom Sandmann ähm durch dieses Loch in das Wasser (040) und von dem Wasser in den Himmel (041) und dann aus dem Himmel fällt der Sand in die Wüste (042) und dann entsteht aus der Wüste ein neuer Sandmann (043) also ist ein neuer Sandmann geboren (044) ein neues Leben ist entstanden (045) fertig (Heilig & Weidinger, unveröffentlichte Daten) Im Deutschen gibt es offensichtlich-- aufgrund der (relativ) freien Wortstellung-- die Präferenz, die globale Kohärenz über die Topikelemente im Vorfeld zu stiften. In Textbeispiel 1 waren diese Elemente die temporalen Angaben, die Verschiebung auf der Zeitachse (und dann), und die Hauptfigur, die die Ereignisse durchlebt. In deutschen Texten werden Geschichten üblicherweise aus der Perspektive der Hauptfigur erzählt, in Quest (Stellmach 1996) also aus der Sichtweise des Lehmmännchens (vergleiche Carroll, Rossdeutscher, Lambert & 238 6. Textlinguistik von Stutterheim 2008). Menschliche oder menschenähnliche Figuren bekommen dabei einen höheren Status zugewiesen als nicht-menschliche oder unbelebte Figuren, etwa die Naturgewalten, denen sich das Lehmmännchen entgegenstellen muss. Wird eine Geschichte aus der Perspektive der Hauptfigur erzählt, dann nimmt diese häufig die Stelle des Subjekts ein. Im Verlauf der Erzählung kommt es jedoch vor, dass andere Charaktere, im genannten Beispiel die nicht-menschlichen Kräfte, um die Rolle des Subjekts konkurrieren. In Textbeispiel 5 löst der Textproduzent mit Deutsch als Erstsprache diese Schwierigkeit dadurch, dass er die Hauptfigur als Subjekt beibehält, aber ins Passiv (016) wechselt. Auf diese Weise bewahrt der Sprecher den Topikstatus der belebten Figur und erhält damit die thematische Kontinuität. In der erwähnten Studie lag die Häufigkeit der Wahl einer Passivkonstruktion bei 72,2 Prozent (Carroll et al. 2008: 163). Textbeispiel 5: Ausschnitt aus einer deutschen Filmerzählung (012) das Männchen fällt runter in eine Papierwüste mit lauter einzelnen quadratischen Blättern (013) und in diesem Raum weht ein starker Wind (014) und wirbelt die Papierblätter durch die Gegend (015) und das Männchen muss dauernd ausweichen (016) und wird dann schließlich von einem Blatt getroffen (017) und fällt zu Boden (018) dann steht es wieder auf (019) und findet eine nasse Stelle im Papierboden (020) fängt an nach dem Wasser zu graben (aus Carroll et al. 2008: 163f) Textbeispiel 6 zeigt, dass auch in englischen Texten Passivkonstruktionen verwendet werden (vergleiche Äußerung (011)). Textbeispiel 6: Ausschnitt aus einer englischen Filmerzählung (009) ok the man arrives in a paper world (010) and eh everywhere is covered with paper (011) and he gets hit by the flying piece of paper (012) and then he walks / he hustles around (013) and he finds a damp piece of paper (014) and he pushes the paper (015) and then he falls through the paper (aus Carroll et al. 2008: 164) Allerdings zeigen Carroll et al. (2008: 165), dass englische Sprecher nur bei 15 Prozent ihrer Äußerungen innerhalb ihrer Nacherzählung ins Passiv wechseln. Der Wunsch, das Geschehen aus der Perspektive des Protagonisten zu erzählen und diesen somit als Subjekt erhalten zu wollen, scheint also im Englischen sehr viel weniger ausgeprägt zu sein. In englischen Texten 239 6.3 Sprachvergleichende Untersuchungen: Eine Analyse deutscher und englischer Texte kann derselbe syntaktische Status, nämlich Subjekt des Hauptsatzes zu sein, sowohl den belebten als auch den unbelebten Figuren zukommen; vergleiche im folgenden Textbeispiel 7 (041), (042) und (044) für unbelebte Subjekte und in (037) bis (038) und (045) bis (053) für ein belebtes Subjekt. Englische Sprecher besetzen zu 61,1 Prozent die Subjektposition mit einer unbelebten Figur (vergleiche Carroll et al. 2008: 166). Textbeispiel 7: Ausschnitt aus einer englischen Filmerzählung (034) then you see the sand man (035) falling from the sky onto this surface (036) and apparently falling through another world from the world of sand (037) and he gets up (038) and walks around (039) trying to figure out where he is (040) and it’s windy (041) and those papers are blowing (042) there is a little sort of tornado going by him (043) as he is walking (044) a piece of paper flies in his face (045) and he falls down (046) and he gets up (047) and he takes the paper away from his face (048) and he / in front of him sees water drip onto the surface onto the part of the surface (049) which is wet (050) and he goes over to it (051) and he kneels / gets down on his hands and his knees in front of it (052) and he feels the paper (053) he feels that it’s wet (aus Carroll et al. 2008: 165f) 6.3.2 Perspektivenwahl bei der Lokalisierung von Objekten Bei Beschreibungen räumlicher Konstellationen werden die Objekte innerhalb einer größeren Gruppe von Objekten verortet. Ein bestimmtes Objekt innerhalb einer Gesamtkonstellation wird relativ zu einem anderen Objekt lokalisiert. Der Sprecher muss also bestimmen, welches das zu beschreibende Objekt, das Thema, und welches das Relatum, das Bezugsobjekt, sein soll (vergleiche Klein 1991: 78). Thema und Relatum sind keine absoluten Größen; sie sind abhängig von der räumlichen Perspektive, die der Sprecher für seine Beschreibung wählt. Die Perspektive der räumlichen Verankerung, also der Referenzrahmen, kann im Englischen und im Deutschen entweder nach intrinsischen oder nach deiktischen Kriterien gesetzt werden. Bei einer intrinsischen Perspektive liegt der Ankerpunkt in einem Objekt, das durch seinen Gebrauch eine be- 240 6. Textlinguistik stimmte Wahl der Perspektive nahelegt. Zum Beispiel haben ein Schrank oder ein Auto eine ausgezeichnete Vorder- und Rückseite. Der Ball liegt vor dem Auto heißt aus intrinsischer Perspektive, dass der Ball vor der vorderen Stoßstange liegt (siehe Abbildung 6.4). Abbildung 6.4: Der Ball liegt vor dem Auto aus intrinsischer Perspektive Wählt der Sprecher eine deiktische Perspektive, bildet seine Ausrichtung den Ankerpunkt für die Lokalisierung von Objekten. In Abhängigkeit von der Position des Sprechers könnte der Ball liegt vor dem Auto bedeuten, dass der Ball zwischen dem Auto und dem Sprecher liegt (siehe Abbildung 6.5), wenn der Sprecher sich hinter dem Auto befindet. Abbildung 6.5: Der Ball liegt vor dem Auto aus deiktischer Perspektive Im Rahmen sprachvergleichender Untersuchungen wird auch der Quaestio-Typ Raumbeschreibung betrachtet (zum Beispiel Carroll 1993; Klein & von Stutterheim 2002; Carroll et al. 2008). Von Stutterheim (1997b) untersucht Beschreibungen eines Dorfmodells von 241 6.3 Sprachvergleichende Untersuchungen: Eine Analyse deutscher und englischer Texte Studenten und Studentinnen mit englischer oder deutscher Muttersprache. Die Probanden werden gebeten, die Einzelobjekte, aus denen das Dorfmodell besteht, zu benennen und zu lokalisieren. Die Aufgabe besteht also darin, die Einzelobjekte räumlich in der Gesamtkonstellation zu verankern. Von Stutterheim (1997b) analysiert, wie Raumangaben und Objektreferenzen verwendet werden, um Textkohärenz herzustellen, und wie der Bezugsrahmen die Wahl sprachlicher Ausdrucksformen bestimmt. Die folgenden Textbeispiele zeigen, wie Sprecher Einzelobjekte in einer Gesamtkonstellation lokalisieren (vergleiche von Stutterheim 1997b: 153ff). Textbeispiel 8: Ausschnitt aus einer deutschen Beschreibung eines Dorfmodells von einem Erwachsenen mit Deutsch als Erstsprache (001) hinten in der Mitte ist eine Kirche (002) links daneben ist ein Brunnen. (aus von Stutterheim 1997b: 154) In Textbeispiel 8 lässt sich-- nach von Stutterheim (1997b)-- die typische Strukturierung einer deutschen Beschreibung erkennen. Der Sprecher wählt für seine Beschreibung die deiktische Perspektive, der Ankerpunkt des Referenzrahmens befindet sich also im Sprecher. Aus seinem Blickwinkel unterscheidet er hinten in (001) (versus vorne beziehungsweise bei ihm). In der Folgeäußerung nimmt der Sprecher die deiktische Perspektive durch links im Vorfeld wieder auf und stellt durch die Anapher daneben Kohärenz mit der Vorgängeräußerung her. Denn das anaphorisch verwendete Pronominaladverb daneben weist zurück auf den Raum, den die Kirche einnimmt. Die Kirche war in (001) Thema und wird in (002) zum Relatum, während das neue Thema in (002) der Brunnen ist. Bemerkenswert ist, dass in (002) nicht das Objekt, die Kirche, pronominal aufgenommen wird-- etwa als neben ihr--, sondern die Region, in der sich die Kirche befindet. Die Kohärenz der Beschreibung wird also nicht über die Objekte, sondern über die Räume, die die Objekte besetzen, entwickelt. In Textbeispiel 9 zeigt sich, wie ein englischer Sprecher den gleichen Ausschnitt des Dorfmodells beschreibt. Textbeispiel 9: Ausschnitt aus einer englischen Beschreibung eines Dorfmodells von einem Erwachsenen mit Englisch als Erstsprache (001) on the north side of the village there is a church (002) in front of that is a fountain (aus von Stutterheim 1997b: 154) In (002) des Textbeispiels 9 bildet fountain das Thema, das Relatum ist die in (001) lokalisierte church. Der Brunnen wird hier jedoch durch in front of that verortet. Der englische Sprecher nutzt also die räumlichen Eigenschaften der Kirche, die eine Vorder- und Rückseite hat, und lokalisiert das zu beschreibende Objekt, den Brunnen, vor dem Objekt Kirche. Der englische Sprecher verwendet eine intrinsisch verankerte Perspektive. Ein weiterer Unterschied zum deutschen Text zeigt sich in der Herstellung der Textkohärenz. Das Demonstrativpronomen 242 6. Textlinguistik that in (002) bezieht sich auf das Objekt in (001). Die anaphorische Anbindung erfolgt in Textbeispiel 9 also über die Objekte und nicht- - wie im Deutschen- - über die Räume, die die Objekte besetzen. Ein solches Vorgehen ist typisch für englische Texte, in denen die lokalisierten Objekte mit ihren intrinsischen Eigenschaften verortet werden und auf diese Weise den Textaufbau bestimmen (vergleiche von Stutterheim 1997b: 154). Eine Erklärung für diesen inhaltlichen Unterschied der englischen Texte zu den deutschen findet von Stutterheim (1997b: 154f) in der präverbal festgelegten Position des Subjekts. Das syntaktische Subjekt erhält beim Textaufbau die Funktion der Kohärenzbildung. Der Textproduzent muss daher Kategorien finden, die sowohl Topik als auch Subjekt sein können. Dies ist bei Referenzen auf Objekte möglich, nicht aber bei Raumreferenzen. Im Deutschen ist hingegen die Wortstellung freier und daher finden sich keine derartigen Beschränkungen. Die Besetzung der Topikposition im Vorfeld ist flexibel. Das hat zur Folge, dass auch Hinweise auf Raumreferenzen, zum Beispiel anaphorische Raumausdrücke, in Topikposition stehen und zur Herstellung der Textkohärenz herangezogen werden können. 6.3.3 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit wurde anhand von deutschen und englischen Textbeispielen dargestellt, wie sprachspezifische grammatische Eigenschaften den Aufbau von Texten beeinflussen können. Dadurch sollten Sie einen ersten Eindruck von Perspektivierungen im Deutschen und Englischen bekommen haben: ▶ Aufgrund der freieren Wortstellung im Deutschen lässt sich die globale Kohärenz in Erzählungen über Topikelemente wie temporale Angaben oder den Protagonisten als Subjekt im Vorfeld realisieren. Präferiert wird dabei als Subjekt eine menschliche oder menschenähnliche Figur. Zum globalen Erhalt dieser Information werden Ellipsen oder Passivkonstruktionen eingesetzt. ▶ In englischen Erzählungen ist das Subjekt in präverbaler Stellung fest, als Subjekt können auch nichtmenschliche Figuren fungieren. Globale Textkohärenz wird nicht, wie im Deutschen, durch die chronologische Abfolge der Ereignisse oder den Protagonisten, sondern textextern durch den Erzähler gestiftet. ▶ In englischen Raumbeschreibungen wird - ebenfalls aufgrund sprachspezifischer Eigenheiten der präverbalen Position - die globale Textkohärenz über intrinsische Eigenschaften der Objekte geleistet, weil diese die Subjektposition ausfüllen können. Im Deutschen hingegen können in der Topikposition auch Raumreferenzen, die deiktisch verankert sind, eingesetzt werden. ▶ Die Perspektivierung ist ein wichtiger Begriff im Quaestio-Ansatz. Es handelt sich dabei um eine Sichtweise auf den zu verhandelnden Sachverhalt, die aus einer Menge von Sichtweisen ausgewählt ist. Eine Art der Perspektivierung wurde bereits durch die Quaestio vorgegeben: die Wahl des Quaestio-Typs. In dieser Lerneinheit wurde gezeigt, wie die sprachspezifischen grammatischen Eigenschaften Perspektiven auf den Sachverhalt und damit den Textaufbau bestimmen. 243 6.3 Sprachvergleichende Untersuchungen: Eine Analyse deutscher und englischer Texte 6.3.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Beschreiben Sie, wie Lerner mit Deutsch als Zweitsprache beziehungsweise des Englischen bei der Realisierung des Topiks in Erzählungen vorgehen. 2. Wie unterscheiden sich Raumbeschreibungen englischer und deutscher Muttersprachler bezüglich der gewählten Perspektive? 3. Wie lassen sich die sprachstrukturellen Unterschiede von Raumreferenzen des Deutschen und Englischen erklären? 245 6.3 Sprachvergleichende Untersuchungen: Eine Analyse deutscher und englischer Texte 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb Wie kommt es eigentlich, dass Kinder sich ihre Umgebungssprache innerhalb weniger Jahre so erfolgreich aneignen? Unterscheidet sich der Spracherwerbsprozess bei Kindern vom Lernen einer Fremd- oder Zweitsprache im Erwachsenenalter? Auf welchen Kenntnissen, Fähigkeiten und Mechanismen basiert der kindliche Sprachlernprozess? Ist dieser Lernprozess derselbe wie für andere Fähigkeiten, die sich das Kind im Laufe seiner Entwicklung aneignet, oder ist von einer Sonderstellung der Sprachentwicklung auszugehen? Können auch mehrere Sprachen gleichzeitig problemlos in der Kindheit erlernt werden oder stellt der Erwerb von Zwei- oder Mehrsprachigkeit Kinder vor besondere Anforderungen? In diesem Kapitel widmen wir uns diesen grundlegenden Fragen der Spracherwerbsforschung, um einen geschärften Blick für die Anforderungen und Lernmechanismen des Sprachenlerners im Unterricht zu erarbeiten. Das Kapitel ist folgendermaßen aufgebaut: In der ersten Lerneinheit (7.1) stehen die wichtigsten Entwicklungsschritte in den allerersten Phasen, vom Mutterleib bis zum zweiten Lebensjahr, im Mittelpunkt. Wir zeigen anhand der Lautentwicklung und des Wortschatzerwerbs, wie sich Kinder ihre Umgebungssprache erschließen und welche erstaunlichen kognitiven, sozialen und perzeptiven Fähigkeiten ihnen bei dieser Aufgabe zur Seite stehen. In Lerneinheit 7.2 steht zunächst die Frage nach dem Warum im Vordergrund. Wie kann der erfolgreiche Erwerb von grammatischen Strukturen erklärt werden? Durch eine Gegenüberstellung von traditionellen theoretischen Erklärungsansätzen und neueren wissenschaftlichen Lösungsansätzen möchten wir aufzeigen, welchen Beitrag die Kognitive Linguistik in dieser Theoriedebatte leistet. Anschließend stellen wir den Lösungsvorschlag der Gebrauchsbasierten Grammatik genauer vor und zeigen auf, wie diese Theorie den Erwerb syntaktischer Konstruktionen mit dem Einsatz allgemeiner kognitiver Fähigkeiten erklären kann. Abschließend befassen wir uns in Lerneinheit 7.3 mit dem Erstsprachenerwerb im mehrsprachigen Kontext. Wir machen Sie mit einigen typischen Phänomenen im Entwicklungsverlauf simultan bilingualer Kinder vertraut und diskutieren verschiedene Erklärungsansätze. Dieses Kapitel ergänzt die Ausführungen zum Sprachenerwerb in Band 4 »Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb«. 246 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb 7.1 Wie kommt das Kind zur Sprache? Die ersten Jahre Helen Engemann In den vorangehenden Kapiteln haben Sie einen Eindruck davon bekommen, was alles zur Sprache aus Sicht der kognitiven Linguistik gehört. In dieser Lerneinheit befassen wir uns mit der Frage, wie Kinder diese verschiedenen Aspekte von Sprache entschlüsseln, und welche Fähigkeiten sie sich dabei zunutze machen. Im ersten Teil der Lerneinheit zeigen wir anhand der Lautentwicklung, wie empfänglich die Wahrnehmung von Säuglingen schon in den frühesten Phasen für die Eigenschaften der Umgebungssprache ist. Im zweiten Teil beschäftigen wir uns damit, wie Kinder beginnen, den Formen ihrer Muttersprache bestimmte Inhalte zuzuordnen und wie sie sich damit Wortbedeutung erschließen. Aus den typischen Entwicklungsphänomenen und -stadien, die wir Ihnen in dieser Lerneinheit vorstellen, wird hervorgehen, dass Kinder schon im jüngsten Alter Meister der Mustererkennung sind. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ für Unterschiede und Gemeinsamkeiten des Lernprozesses im Zweit- und Erstsprachenerwerb sensibilisiert sind; ▶ wichtige Meilensteine und Phänomene des Erstsprachenerwerbs in der Laut- und Wortschatzentwicklung beschreiben können; ▶ den Zusammenhang zwischen kognitiven, sozialen und sprachlichen Fähigkeiten verstehen und artikulieren können; ▶ Testverfahren zur Erforschung von kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten bei kleinen Kindern erklären können. 7.1.1 Terminologie-Wirrwarr: „Erwirbt“ oder „lernt“ das Kind Sprachen? Bestimmt ist Ihnen schon aufgefallen, dass in der Fachliteratur viele verschiedene Begriffe verwendet werden, um sich auf das Aneignen der Muttersprache zu beziehen: Oft ist vom Spracherwerb, genauer vom Erstspracherwerb die Rede, aber auch der Begriff Sprachentwicklung taucht häufig auf, dann wieder fällt die allgemeine Bezeichnung Sprachlernprozess. Kennzeichnen diese Begriffe unterschiedliche Aspekte des Erwerbs oder womit hängt dieses augenscheinliche „Terminologie-Wirrwarr“ zusammen? Oft hängt die Wahl der Bezeichnung von der theoretischen Ausrichtung ab. Wie wir im vorliegenden Kapitel noch genauer beleuchten werden, gehen Anhänger nativistischer Orientierung davon aus, dass die Sprachentwicklung angeborenen Prinzipien folgt, der sogenannten Universalgrammatik, die laut Noam Chomsky genetisch kodiert und ein Alleinstellungsmerkmal des Menschen ist (Chomsky 1959). Die Prinzipien der Universalgrammatik sind jedoch nur bis zu einem bestimmten Alter zugänglich. Für das muttersprachliche Erlernen grammatischer Regeln wird beispielsweise eine Grenze im Alter von drei bis vier Jahren angenommen. Nur bis zu diesem kritischen 247 7.1 Wie kommt das Kind zur Sprache? Die ersten Jahre Zeitpunkt kann laut Anhängern dieser Theorie Sprache erworben werden, während danach allgemeine Lernmechanismen herangezogen werden müssen. Dies erklärt aus nativistischer Sicht die schwer überbrückbaren Schwierigkeiten im Satzbau, die bei Lernern einer Zweitsprache zu beobachten sind. Die klare Unterscheidung zwischen Lernen und Erwerben ist in nativistischen Ausrichtungen daher eine bewusste theoriebasierte Wahl. In kognitiven Theorieansätzen wird hingegen keine prinzipielle Unterscheidung der Lernmechanismen nach biologischem Alter getroffen, wie wir in Lerneinheit 7.2 noch erfahren werden. Eine weitere Unterscheidung, die mit der Wahl der Begriffe Lernen und Erwerb oft implizit gemeint ist, ist die zwischen gesteuertem (Fremd)sprachenlernen im Unterrichtskontext und dem spontanen ungesteuerten Erwerb, der in einem natürlichen Umfeld und weitgehend ohne explizite Anleitung stattfindet. Nicht zuletzt deswegen wird im Kontext der Muttersprache häufiger von Erwerb als von Lernen gesprochen. Allerdings ist auch diese intuitiv offensichtliche Unterscheidung nicht ohne Tücken, da der Sprachlernprozess oft beide Komponenten umfasst, die ineinandergreifen. Ein Kind, das seine Muttersprache erst auf natürlichem Wege ungesteuert und spontan erlernt, wird im Laufe seines Lebens im schulischen Kontext auch explizites Wissen zur Sprache aufbauen, wenn es beispielsweise im Deutschunterricht die Schriftsprache und Grammatikregeln der Muttersprache lernt. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die Alphabetisierung und das Aneignen der Schriftsprache auch Rückkopplungseffekte auf die Sprachprozesse in der mündlichen Modalität haben (vergleiche unter anderem Olson 2002; Ravid & Tolchinsky 2002). Umgekehrt kann eine im Unterricht erlernte Fremdsprache auch auf natürlichem Wege unterstützt werden, wenn der Lerner beispielsweise im Urlaub oder auf einer Sprachreise mit Muttersprachlern oder Muttersprachlerinnen der Zielsprache in Kontakt kommt. Eine klare Trennung zwischen Lernen und Erwerb wäre daher aus kognitionslinguistischer Sicht willkürlich. Die verschiedenen Begriffe, die Sie in diesem Kapitel für die Sprachentwicklung finden, werden daher theorieneutral und austauschbar verwendet. 7.1.2 Wann fängt der Erstsprachenerwerb an? Das erste Lebensjahr Im Folgenden möchten wir dem auf die Spur kommen, was genau eigentlich den Erstsprachenerwerb ausmacht. Der offensichtlichste Unterschied zum Zweitsprachenerwerb ist ganz trivial: Der Erstsprachenerwerb beginnt viel früher, und zwar nicht erst ab Geburt, sondern schon im Mutterleib. Sie sehen, dass der Begriff Muttersprache vielleicht nicht ganz unbegründet wäre. In der Tat ist der Fötus schon im letzten Drittel der Schwangerschaft (ab der 27. Schwangerschaftswoche) für auditive Reize sehr empfänglich und kann Geräusche aus der Außenwelt wahrnehmen (auch die des Vaters und anderer Bezugspersonen), wenn auch gedämpft durch das Fruchtwasser (siehe Hennon, Hirsh-Pasek & Golinkoff 2000). Die Geräuschkulisse, die der Fötus wahrnimmt, dürfen Sie sich ungefähr so vorstellen, wie wenn Sie im Schwimmbad im Wasser abtauchen. Dass der Fötus schon früh hören kann, ist zwar erstaunlich, aber ist er auch schon in der Lage, sprachlich relevante Merkmale des Lautstroms zu verarbeiten? Einige sehr raffinierte experimentelle Methoden, die Reaktionen des Fötus auf verschiedene auditive Reize anhand seiner Herzschlagfrequenz oder seiner Trittrate 248 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb messen können, legen genau das nahe. Demnach können Föten schon im Mutterleib prosodische Eigenschaften, das heißt typische Betonungsmuster der Muttersprache (wie Tonhöhe und -länge), wahrnehmen. Zu diesem überraschenden Ergebnis kam unter anderem eine Studie (DeCasper, Lecanuet, Busnel, Granier-Deferre & Maugais 1994), die feststellte, dass Föten einen Reim, der ihnen einen Monat lang täglich von ihrer Mutter vorgelesen worden war, von einem neuen Reim unterscheiden konnten, und das schon ab der 33. Schwangerschaftswoche. Dass Föten und Säuglinge wahre Sprachgenies sind, wird auch von einer Reihe anderer Befunde gestützt: So fanden Moon, Cooper und Fifer (1993) heraus, dass schon Neugeborene die eigene Muttersprache von anderen Sprachen unterscheiden können, wenn diese unterschiedliche prosodische Muster aufweisen, wie beispielsweise Englisch und Spanisch. Auf die unbekannte Sprache reagierten die Säuglinge im Experiment mit einer erhöhten Saugrate (das heißt mit intensiverem Nuckeln) an einem speziell präparierten Schnuller (siehe Abbildung 7.1). Unterschiede im Saugverhalten als Reaktion auf einen visuellen oder auditiven Reiz liefern Forscherinnen und Forschern den Hinweis dafür, dass der Säugling etwas Neues oder Unbekanntes wahrnimmt. Wie ein solcher Experimentaufbau aussieht, ist in Abbildung 7.1 dargestellt. Sobald sich der Säugling an den neuen Reiz gewöhnt, nimmt die Saugrate wieder ab (vergleiche auch Kauschke 2012: 18-22). Abbildung 7.1: Veranschaulichung eines Experiments zur Saugratenmessung (high amplitude sucking) (UoH Herald 2018) 249 7.1 Wie kommt das Kind zur Sprache? Die ersten Jahre Schon kurz nach der Geburt sind Säuglinge in der Lage, zusätzlich zu prosodischen Eigenschaften weitere Lautmerkmale wahrzunehmen. Experimentelle Befunde zeigen, dass Säuglinge schon ab dem ersten Monat zur sogenannten kategorialen Wahrnehmung fähig sind. Das bedeutet, dass sie lautliche Kontraste, die Phoneme unterscheiden, wie zum Beispiel / t/ und / d/ (stimmloser und stimmhafter Plosiv), wahrnehmen können. Diese Wahrnehmungsfähigkeit ist anfangs sehr breit angelegt: Im Alter zwischen sechs und acht Monaten können Kinder Lautkontraste aller Sprachen unterscheiden. So zeigte beispielsweise eine Studie von Werker und Tees (1983), dass Säuglinge, die mit Englisch aufwuchsen, Lautkontraste der indischen Sprache Hindi, die sie nie gehört hatten, unterscheiden konnten. Diese Fähigkeit nimmt jedoch in den Folgemonaten drastisch ab, je mehr sich der Säugling auf die phonetischen Kontraste fokussiert, die in der Muttersprache relevant sind. Schon mit zehn bis zwölf Monaten erkennen Säuglinge phonemische Unterschiede von Fremdsprachen nicht mehr, genau wie Erwachsene. Es scheint also, dass zunehmende Erfahrung mit der Umgebungssprache einen Filterprozess mit sich bringt, der das sprachenlernende Kind auf genau die Eigenschaften und Kontraste spezialisiert, die in der Erstsprache relevant sind. Gleichzeitig hat der Filterprozess eine Desensibilisierung für Unterscheidungen zur Folge, die in der sprachlichen Umgebung nicht vorkommen. Wir halten also fest: Ausgehend von einer zunächst generell angelegten Lautsensibilität wird die Sprachwahrnehmung des Kindes innerhalb des ersten Lebensjahres sprachspezifisch, indem es sich zunehmend an die spezifischen Eigenschaften der Umgebungssprache anpasst. Dies zeigt zum einen, über welche enormen Anpassungsfähigkeiten das Kind (sogar schon vorgeburtlich) verfügt, und welche wichtige Rolle die Interaktion mit der sprachlichen Umgebung von Anfang an im Erwerb spielt. Zum anderen erklärt es, warum Sprachenlerner oft große Schwierigkeiten haben, eine Zweitsprache akzentfrei zu erlernen, was im Erstsprachenerwerb so problemlos klappt. Für viele der Lautkontraste der Zweitsprache ist der erwachsene Lerner nur noch sehr eingeschränkt sensibel. Das heißt, er kann viele der kritischen Lautunterscheidungen der Fremdsprache einfach nicht mehr erkennen und folglich auch nur schwer erzeugen. Die Wahrnehmung des Kindes hingegen wird schon im Mutterleib auf die wichtigen lautlichen Merkmale der Muttersprache „eingestimmt“. Sie sehen, dass im Spracherwerb nicht nur die Sprachproduktion gelernt sein will, also das Erzeugen von Lauten, Wörtern, Sätzen und Sprachakten, sondern auch die Rezeption, sprich die Wahrnehmung und das Verstehen. Im Vergleich zu diesen erstaunlich frühen, teilweise schon vorgeburtlich vorhandenen Fähigkeiten in der Lautwahrnehmung tut sich seitens der Sprachproduktion in den ersten Monaten vergleichsweise wenig. In den ersten Lebenswochen sind die Lautproduktionen des Neugeborenen zum einen vegetative Laute, wie Niesen oder Schlucken, und zum anderen das Schreien, das sich- - zum Leidwesen vieler Eltern- - auch noch weit bis über das erste Lebensjahr hinaus fortsetzt. Welche Funktion hat das Schreien aber für die Sprachentwicklung? Ist das Schreien ein rein biologischer angeborener Reflex des Säuglings, oder liegen hier die ersten Bausteine für kommunikative Interaktion? Wer schon einmal in der Nähe eines schreienden Säuglings war, weiß, dass die lautstarken Klagen der Kleinen nur schwer zu ignorieren sind. Offensichtlich zieht der Säugling also mit dem Schreien sehr erfolgreich 250 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb die Aufmerksamkeit der Eltern auf sich und kann somit effektiv auf Bedürfnisse wie Hunger, aber auch Unwohlsein oder Verlangen nach Zuwendung hinweisen. Somit ist das Schreien nicht nur ein überlebenssicherndes Alarmsystem für den Säugling (Klann-Delius 2008: 23ff), sondern stellt die erste vorsprachliche Form von Kommunikation dar. Darüber hinaus haben aber Studien von Wermke (2008) ergeben, dass dem Schreien strukturierte Grundmuster zugrunde liegen (Rhythmusvariationen und Melodiebögen), die mit zunehmendem Alter komplexer werden und systematisch verschiedenen Mitteilungsfunktionen zugeordnet werden können. Von einigen Forschern und Forscherinnen wird daher das Schreien als wichtiger Wegbereiter für die Sprachproduktion und die Sprachentwicklung allgemein gewertet. Noch erstaunlicher erscheinen weitere Ergebnisse des Forscherteams um Wermke und Kolleginnen (Mampe, Friederici, Christophe & Wermke 2009), das die Schreie von 60 Neugeborenen mit deutscher und französischer Umgebungssprache untersuchte. Schon drei bis fünf Tage nach der Geburt konnte nachgewiesen werden, dass die Schreie den typischen Intonationsmustern der jeweiligen Muttersprache folgten. Die Säuglinge, die mit Deutsch aufwuchsen, produzierten bevorzugt Schreie mit abfallender Intonation (das heißt mit Anfangsbetonung), während die französischen Neugeborenen häufiger mit ansteigender Melodie schrien (Betonung am Ende). Säuglinge verfügen also nicht nur schon sehr früh über die Gabe, Muster der Umgebungssprache zu erkennen, sondern reproduzieren diese quasi ab dem ersten Schrei auch in ihren eigenen Lautäußerungen. Im Laufe des ersten Lebensjahres durchlaufen Kinder außerdem verschiedene Phasen der Lautproduktion (siehe Klann-Delius 2008). Ein wichtiger Meilenstein ist dabei die Babbel- oder Lallphase: Ab ungefähr sechs Monaten fangen Säuglinge an, Konsonant-Vokal-Abfolgen zu produzieren. Typische Beispiele dafür, die Sie bestimmt schon bei Babies gehört haben, sind dada oder gaga. Dies wird als kanonisches oder reduplizierendes Lallen bezeichnet, da hier dieselbe Silbe (da oder ba) mehrmals wiederholt wird. Ab ungefähr dem neunten Monat werden Kinder etwas experimentierfreudiger und produzieren zunehmend auch variierende Silbenabfolgen wie taba oder gaguda, die daher als variierendes Lallen bezeichnet werden. In dieser Phase werden die Silbenketten auch zunehmend länger und klingen oft schon in der Melodie wie ein echter Satz. Sie haben vielleicht schon erlebt, wie Kinder in dieser Phase ganze Proto-Konversationen mit ihren Eltern führen können: Hier findet ein dyadischer Dialog zwischen Kind und Eltern statt, wobei Eltern auf die satzähnlich klingenden Babbelsequenzen des Kindes antworten, ohne dass die Interaktion zwischen den beiden Bedeutungsgehalt hat. Welche Funktion kommt dem Babbeln also zu? Zum einen übt sich das Kind damit im Einsatz der noch nicht ausgewachsenen Artikulationswerkzeuge, zu denen die Zungen, die Lippen, und etwas später auch die Zähne gehören. Zum anderen findet auch hier wieder eine Annäherung an die typischen Lautmerkmale der Umgebungssprache statt. Wie das Schreien zeigt nämlich auch das Babbeln schon sehr früh Übereinstimmungen mit den vorherrschenden Lautmustern der Zielsprache. So bevorzugen Kinder, die mit Deutsch aufwachsen, beispielsweise Laute, die in der Muttersprache häufig vorkommen, wie / t/ und labiale Laute wie / m/ (Lleó, El Mogharbel & Prinz 1994). Genau wie die Lautwahrnehmung zeigt also die Lautproduktion schon erstaunlich früh sprachspezifische Anpassungsprozesse. 251 7.1 Wie kommt das Kind zur Sprache? Die ersten Jahre Nun haben wir also eine erste Antwort darauf, warum Zweitsprachenlerner nicht zum selben Ergebnis im Spracherwerb kommen wie Erstsprachenlerner und oft ihr Leben lang einen Akzent bewahren. Die sprachlichen Erfahrungen, die wir als Säugling und sogar vor unserer Geburt gesammelt haben, sind prägend für die weitere Sprachentwicklung und passen unsere Wahrnehmung an die Eigenschaften an, die in der Zielsprache wichtig sind. Wie wir sehen werden, beschränkt sich dieser Anpassungsprozess nicht auf die phonetische Ebene, sondern schließt Form-Funktions-Einheiten aller Abstraktionsebenen ein, die Sie schon in diesem Modul kennengelernt haben. Allerdings bedeutet dies nicht, dass ein Weiter- oder Umlernen mit fortschreitendem Alter grundsätzlich unmöglich wäre (vergleiche hierzu auch den Band »Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb«). 7.1.3 Wie es weitergeht: Der Wortschatzerwerb Im vorhergehenden Abschnitt haben wir gesehen, dass der Säugling im ersten Lebensjahr in seiner Sprachentwicklung vor allem mit der Wahrnehmung und Produktion von zielsprachlich relevanten Lauten der Muttersprache beschäftigt ist. Wann fängt ein Kind aber an, Form und Funktion einander zuzuordnen und somit erste Bedeutungseinheiten zu konstruieren? Mit der Fähigkeit, den Lautstrom zu segmentieren und phonetische Regelmäßigkeiten der Umgebungssprache zu erkennen, liegt schon eine wichtige Grundvoraussetzung für das Erkennen und Herausfiltern von Formen mit Bedeutungsgehalt, wie Wörtern, vor. Wie gelingt nun die Verbindung mit der Bedeutung? Dies wollen wir in diesem Abschnitt genauer betrachten. Experiment Quines Kaninchen oder die „unerforschlichkeit der Referenz“ In den vorangehenden Kapiteln dieses Moduls haben Sie gelernt, dass Sprache aus Form-Funktionseinheiten auf verschiedenen Ebenen besteht. Aber haben Sie sich schon einmal überlegt, wie es überhaupt möglich ist, dass Kinder bestimmten sprachlichen Formen die richtige Bedeutung zuordnen können? In anderen Worten, wie erschließt sich das Kind Konzepte und einen Wortschatz? Dazu laden wir Sie zu folgendem berühmten Gedankenexperiment ein, das auch als das Quine‘sche Problem bezeichnet wird, nach dem amerikanischen Philosophen Willard V. O. Quine: Stellen Sie sich vor, Sie sind Sprachforscher oder Sprachforscherin und für ein Feldforschungsprojekt auf eine ferne Insel geschickt worden mit dem Auftrag, die Sprache der einheimischen Bevölkerung zu lernen und zu dokumentieren. Auf Ihrer Expedition sind Sie gerade mit Ihrem Sprachinformanten unterwegs, als plötzlich ein seltsames Wesen, das einem grünen Kaninchen gleicht, aus dem Gebüsch springt. Ihr Begleiter wendet sich in dem Moment zu Ihnen und sagt gavagai. Sie stehen nun vor der Aufgabe, die Bedeutung des Wortes zu erschließen. Stellen Sie zusammen mit Ihren Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmern Hypothesen auf und begründen Sie diese. Überlegen Sie nun für sich, wie Sie als Feldforscher oder Feldforscherin vorgehen würden, um die Bedeutung des Wortes festzustellen. 252 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb Die Gavagai-Situation kann man sich sehr vereinfacht als Analogie zur Situation des kindlichen Sprachenlerners vorstellen. Das Kind ist von Objekten und Sachverhalten umgeben und hört gleichzeitig eine Vielzahl von Lauten und Worten. Das Problem, auf das Quine anspielt, ist das der sogenannten Unerforschlichkeit der Referenz. In anderen Worten, woher kann das Kind, oder die Sprachforscherin beziehungsweise der Sprachforscher wissen, worauf sich das Wort bezieht? Natürlich könnte der Informant schlicht und ergreifend den Begriff für diese Tiersorte im Sinne gehabt haben. Er könnte sich aber auch auf eine bestimmte Eigenschaft des Wesens bezogen haben, wie zum Beispiel die Farbe oder die Beschaffenheit seines Fells, oder wiederum eine bestimmte Verhaltensart, wie das Hoppeln. Der Begriff könnte ebenfalls ein Warnruf sein, um Sie auf eine Gefahr, die möglicherweise vom Tier ausgeht, hinzuweisen. Er könnte sich sogar gar nicht auf das Tier beziehen, sondern auf einen völlig anderen Aspekt der Situation, der Ihnen gar nicht aufgefallen ist, weil Ihre Aufmerksamkeit völlig auf das für Sie sehr ungewöhnliche Tier gelenkt war. Wie gelingt es dem Kind aber trotzdem, ab ungefähr dem Ende des ersten Lebensjahres die ersten Wörter zu produzieren, und schon einige Monate früher, mehrere Wörter zu verstehen? Um Wortbedeutung zu erschließen, müssen mehrere Voraussetzungen gegeben sein. Erstens muss das Kind entdecken, dass sprachliche Äußerungen intentional sind, das heißt, dass hinter ihnen die Absicht steckt, auf etwas zu referieren. Die zweite Voraussetzung haben Sie im vorhergehenden Abschnitt schon kennengelernt: Das Kind muss in der Lage sein, den Lautstrom in sprachliche Einheiten zu segmentieren und in einem zweiten Schritt, diesen identifizierten Lauteinheiten Bedeutungen zuzuweisen, also diese mit Personen, Objekten und Ereignissen in Verbindung setzen. In diesem Lernprozess bekommt das Kind aber deutlich mehr Hilfe als unsere bemitleidenswerte Sprachforscherin beziehungsweise der Sprachforscher im Gavagai-Experiment. Ganz realistisch ist die von Quine konstruierte Situation nämlich gewiss nicht. Denn Wörter tauchen nicht etwa in dem von ihm suggerierten Vakuum auf, sondern in einem bestimmten sozialen Interaktionskontext, der wichtige Hinweise auf den Bedeutungsinhalt liefert. Dazu gehören visuelle Hinweise wie Gestik, Gesichtsausdruck und Augenbewegungen des Gesprächspartners beziehungsweise der Gesprächspartnerin ebenso wie geteiltes Hintergrundwissen, das den sogenannten common ground (gemeinsame Basis) für die Erschließung von Bedeutung bildet. In den ersten Monaten und Jahren entwickelt das Kind wichtige Fähigkeiten der sozialen Kognition, die es ihm ermöglichen, die Hinweise aus dem Kontext der sozialen Interaktion wahrzunehmen und zu nutzen. Diese sozial-kognitiven Fähigkeiten spielen eine ganz erhebliche Rolle beim Wortschatzerwerb. Ein wichtiger Meilenstein stellt dabei die Fähigkeit zur geteilten Aufmerksamkeit, der sogenannten joint attention dar: Im Alter von ungefähr acht bis zwölf Monaten entwickelt das Kind die Fähigkeit, gezielt der Blickrichtung und den Zeigegesten von Gesprächspartnern beziehungsweise Gesprächspartnerinnen zu folgen (Tomasello & Carpenter 2011). Damit ist es in der Lage, seine Aufmerksamkeit auf dieselben Objekte zu lenken wie der Kommunikationspartner beziehungsweise die Kommunikationspartnerin. Zwei Aspekte der Joint Attention sind dabei wichtig: Zum einen, dass derselbe Aufmerksamkeitsfokus geteilt wird, zum anderen, dass sich beide Beteiligten bewusst sind, dass der andere gerade dieselbe Information geistig abbildet. Laut Tomasello (2001) bilden solche 253 7.1 Wie kommt das Kind zur Sprache? Die ersten Jahre triadischen Interaktionen zwischen Kind, Erwachsenem und einem Objekt, auf das die geteilte Aufmerksamkeit gerichtet wird, den Grundbaustein für den Bedeutungserwerb. Eine typische Situation ist das gemeinsame Anschauen von Bilderbüchern: Die Aufmerksamkeit des vorlesenden Interaktionspartners beziehungsweise der vorlesenden Interaktionspartnerin und des Kindes ist dabei auf das Buch gerichtet und das Kind versteht gleichzeitig, dass sich die Äußerungen des Vorlesers auf im Buch dargestellte Sachverhalte und Objekte beziehen. Somit kann es Bezüge zwischen dem Gesagten und dem Objekt im Fokus der Aufmerksamkeit herstellen und erste Zuordnungen zwischen Form und Inhalt bewerkstelligen. Hier zeigt sich, warum diese soziale Interaktionsfähigkeit eine wichtige Voraussetzung zum Wortschatzerwerb darstellt. Abbildung 7.2: Beispiel triadischer Interaktion In den ersten Lebensjahren entwickeln Kinder noch eine weitere wichtige sozial-kognitive Fähigkeit, die das Lernen für Wortbedeutung begünstigt. Sie lernen, die Absichten anderer Interaktionspartner beziehungsweise Interaktionspartnerinnen zu „lesen“, weswegen diese Kompetenz als intention reading bezeichnet wird. Kinder können im zweiten-- spätestens bis zum dritten Lebensjahr-- erkennen, welche Absicht hinter den Handlungen einer Person steckt. Warum ist das Erkennen von Intentionalität aber so wichtig für das Wortlernen? Eine Studie von Tomasello und Barton (1994) veranschaulicht eindrücklich den Zusammenhang: In einem Versuch bekommen Kinder die Anweisung, ein Objekt, das mit dem Kunstwort toma bezeichnet wurde, zusammen mit einer Versuchsleiterin zu finden. Die Versuchsleiterin schaut daraufhin in fünf Behälter, die jeweils ein Objekt enthalten. Bei vier der insgesamt fünf Objekte macht sie einen enttäuschten Gesichtsausdruck, bei einem reagiert sie begeistert und bricht die Suche ab. Die Kinder konnten daraufhin den Begriff dem korrekten Bezugsobjekt zuordnen, obwohl ihnen Objekt und Wort nie in direktem Zusammenhang vorgestellt worden waren. Sie müssen also andere Hinweise, nämlich die emotionale Reaktion und das 254 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb Verhalten der Versuchsleiterin genutzt haben, um abzuleiten, dass ihre Handlungsabsicht, den toma zu finden, erreicht war. Das Erkennen der Intentionalität von Gesprächspartnern und -partnerinnen hilft Kindern, Form-Funktionsbezüge herzustellen. Mit der Fähigkeit zum Intention Reading verstehen kleine Kinder auch, dass sprachliche Äußerungen eines Kommunikationspartners oder einer Kommunikationspartnerin darauf abzielen können, auf etwas im Fokus der gemeinsamen Aufmerksamkeit zu referieren. Wie kommen Kinder dazu, ihre ersten Wörter zu produzieren? Deb Roy und sein Team haben das in einem sehr ungewöhnlichen Forschungsprojekt, dem Human Speechome Project (Roy 2009; Roy, Frank & Roy 2012) untersucht. In dieser höchst innovativen Studie stattete der werdende Vater sein gesamtes Zuhause mit Kameras und Aufnahmegeräten an den Decken aller Zimmer aus, um die ersten drei Jahre seines Sohnes lückenlos zu erfassen. Im Dienste der Spracherwerbsforschung haben sich Deb Roy und seine Familie also drei Jahre lang einer Big-Brother-Situation unterworfen. Aufbauend auf diesen sehr reichhaltigen Aufnahmen erstellten er und sein Team aufwändige Sprach- und Bewegungsanalysen, um zu untersuchen, inwiefern die sprachliche Entwicklung seines Sohnes mit verschiedenen räumlichen und zeitlichen Umgebungsfaktoren in Zusammenhang stand. Die Ergebnisse zeigen, dass der Erwerb von Wortbedeutung tatsächlich stark kontextgebunden ist und unmittelbar mit bestimmten sozialen Handlungsroutinen (sogenannten scripts) zusammenhängt, wie dem Anziehen, dem Waschen oder dem gemeinsamen Essen. Das bedeutet, dass Kinder durch Assoziationen mit den Abläufen und verschiedenen Komponenten, die zu diesen Handlungsroutinen gehören, gleichzeitig auch konzeptuelles Wissen aufbauen, das über die Wortbedeutung selbst hinausgeht. Ein weiterer wichtiger Befund ist, dass die erste Produktion eines Wortes vom Kind durch vorhergehende sprachliche Äußerungen der Erwachsenen unterstützt wird. So tauchte das Wort vor der ersten Verwendung durch das Kind gehäuft im Input der Erwachsenen auf, oft in sehr kurzen Sätzen. Durch diese Eigenschaften der kindgerichteten Sprache ( KGS ), die wir in Lerneinheit 7.2 noch näher kennenlernen werden, erleichtern Eltern ihren Kindern die Erwerbsaufgabe und fördern so optimal „Wortgeburten“. Wissen Sie, was Ihr erstes Wort war? Der Äußerung des ersten Wortes wird in vielen Kulturen große Bedeutung beigemessen. Eltern erwarten diese ersten Äußerungen ihrer Kleinen mit Hochspannung und dokumentieren sie oft stolz. Sind diese ersten Wörter völlig individuell bestimmt oder gibt es allgemeine Tendenzen? Vergleichende Sprachstudien, die erste Äußerungen von Kindern mit verschiedenen Zielsprachen untersuchten, zeigen, dass Kinder unabhängig vom Kulturkreis anfangs über sehr ähnliche Dinge sprechen. Die häufigsten ersten Wörter spiegeln-- nicht sehr überraschend-- genau die Dinge wider, die im Alltag eines Säuglings eben am wichtigsten sind: Sie bezeichnen die unmittelbaren Bezugspersonen (Mama, Papa) oder Objekte wie bestimmte Spielzeuge, die für das Baby besonders interessant sind (Ball, Teddy). Viele Wörter sind sozial-pragmatischer Natur (nein, ja, danke, hallo, tschüß) oder drücken Aktivitäten und damit verbundene Aufforderungen in Verben und Partikeln aus, wie essen, hoch, runter. Auch hinter häufig auftauchenden Wörtern wie mehr, nochmal stehen häufig Forderungen des Kindes, mehr von etwas haben, oder eine Tätigkeit wiederholen zu wollen. Die Motivation, einerseits mit der Umwelt sozial zu inter- 255 7.1 Wie kommt das Kind zur Sprache? Die ersten Jahre agieren und andererseits eigene Bedürfnisse zu bekunden und durchzusetzen, kommt mit diesen ersten Äußerungen unmissverständlich zum Ausdruck. Nach Erwerb der ersten 50 Wörter erfährt die lexikalische Entwicklung bei vielen Kindern ungefähr zur Mitte des zweiten Lebensjahres eine rasante Beschleunigung. Der produktive Wortschatz wächst hierbei täglich um mehrere Wörter, weswegen diese Phase als Wortschatzspurt bezeichnet wird. In den allerersten Jahren ist die Wortverwendung von Kindern typischerweise noch stark von Unter- und Übergeneralisierungen geprägt. Untergeneralisierungen liegen vor, wenn ein Kind ein Wort nur für eine Unterklasse oder nur einen bestimmten Vertreter der bezeichneten Referentenklasse verwendet. Beispielsweise akzeptiert ein Kind den Begriff Hose nur für Jeanshosen, protestiert aber, wenn das Wort für eine Cordhose verwendet wird. Oder Teller darf nur für den eigenen rosa Lieblingsteller verwendet werden und hat so quasi die Funktion eines Eigennamens. Übergeneralisierungen treten auf, wenn der eigentliche Bedeutungsbereich eines Begriffs vom Kind überdehnt wird. Das geschieht oft auf Grundlage eines bestimmten perzeptuellen Merkmals, welches das Kind offensichtlich als besonders charakteristisch wahrnimmt. Beispielsweise hat ein Kind das Wort Ball gelernt und verwendet es auf Grundlage seiner Form für alles, was mehr oder weniger rund ist (Salamischeibe, Tomate, Ei, Auge, Mond). Das Kind hat also eine Ähnlichkeit zwischen Objekten auf Basis einer bestimmten Dimension wahrgenommen. Es müssen dabei nicht visuelle Merkmale im Vordergrund stehen. Ebenso kann ein Kind zum Beispiel einen Staubsauger aufgrund der Geräuschähnlichkeit mit dem Wort Zug bezeichnen (vergleiche Szagun 2013). Welche Rückschlüsse erlauben uns Über- und Untergeneralisierungen über Lernprozesse des Bedeutungserwerbs? Tatsächlich ist in der Forschung umstritten, wie Wortverwendungen dieser Art interpretiert werden sollen. Einerseits könnten sie ein nicht vollständig ausdifferenziertes Konzept widerspiegeln, welches das Kind zum Zeitpunkt der Äußerung konstruiert hat und das noch nicht mit dem der Erwachsenen übereinstimmt. Das würde bedeuten, dass das Wort Ball zum Zeitpunkt der Übergeneralisierung für das Kind die Bedeutung ‚Objekt mit mehr oder weniger runder Form‘ hat. Andererseits könnte dahinter auch einfach eine Behelfsstrategie stecken: In dem Fall weiß das Kind sehr wohl, dass ein Ei kein Ball ist, aber da das Wort für Ei noch nicht Teil seines produktiven Wortschatzes ist, benutzt es den Begriff Ball symbolisch als kommunikativen Lückenfüller. In jedem Fall legen die obigen Beispiele nahe, dass sich die Begriffsbildung bei Kindern an der prototypischen Bedeutungsstruktur orientiert, die Sie schon in Lerneinheit 3.2 kennengelernt haben. Einzelne Eigenschaften eines Objektes oder bestimmte Referenten einer Klasse werden als zentral wahrgenommen und bilden die Ausgangsbasis für eine Kategorie (vergleiche Bowerman 1977). Je mehr die Erfahrung des Kindes angereichert wird durch Vergleiche mit ähnlichen und andersartigen Objekten und mit weiteren Repräsentanten derselben Kategorie, desto mehr differenziert sich das mit dem Wort verbundene Konzept aus. Ebenso zeigt sich in den Übergeneralisierungen früher Wortverwendungen die Fähigkeit von Kindern, Ähnlichkeiten zu erkennen und durch Analogie Kategorien zu bilden. Diese Fähigkeiten spielen auch beim Aufbau der Grammatik eine tragende Rolle, wie wir in der folgenden Lerneinheit sehen werden. 256 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb 7.1.4 Zusammenfassung ▶ Säuglinge kommunizieren schon vorsprachlich, beispielsweise durch Schreien, und sind sogar schon vorgeburtlich sensibel für akustische Merkmale der Umgebungssprache. ▶ Frühe Fähigkeiten der Sprachwahrnehmung erlauben Säuglingen, Muster der Muttersprache zu erkennen und selbst zu reproduzieren. Das zeigt sich darin, dass sogar schon erste Lautäußerungen wie das Schreien und Babbeln muttersprachlich geprägt sind. ▶ Wichtige Entwicklungen der sozial-kognitiven Fähigkeiten in den ersten beiden Lebensjahren erlauben Kindern Rückschlüsse auf die Bedeutung von sprachlichen Formen und sind wegweisend für den Wortschatzerwerb. ▶ Die ersten Worte von Kindern tauchen in stark kontextgebundenen Handlungsroutinen auf und werden von den sprachlichen Äußerungen der Eltern unterstützt. ▶ Die Wortverwendung von Kindern in den ersten Lebensjahren weist bestimmte typische Besonderheiten auf, die uns Einsicht in Fähigkeiten zur Analogie- und Kategoriebildung im Sprachenlernprozess geben. 7.1.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Wann fängt der Spracherwerb an und wie kann man frühe sprachliche Wahrnehmungsfähigkeiten testen? 2. Welchen Einfluss haben sprachspezifische Muster der Umgebungssprache auf den Erwerb? 3. Welche Phasen der Lautproduktion lassen sich im ersten Jahr unterscheiden? Was zeichnet die jeweiligen Phasen aus? 4. Welche Entwicklungen in der der sozialen Kognition durchläuft das Kind in den ersten Lebensjahren? In welchem Zusammenhang stehen diese mit dem Wortschatzerwerb? 5. Was zeichnet die Verwendung von Wörtern in den ersten Jahren aus? Nennen Sie selbstgewählte Beispiele. 257 7.2 Wie Kinder Konstruktionen aufbauen 7.2 Wie Kinder Konstruktionen aufbauen Helen Engemann In der letzten Lerneinheit haben Sie sich mit den Anfängen des Spracherwerbs bis hin zu den ersten Wörtern vertraut gemacht. Damit haben Kinder sich erste wichtige Bausteine sprachlicher Fähigkeiten angeeignet. Wie lernen Kinder nun aber diese Bausteine nach zielsprachlichen Satzbaumustern zu kombinieren? Wie lässt sich der erfolgreiche Erwerb komplexer Konstruktionen, wie beispielsweise des Passivs oder von Relativsätzen, erklären? Ausgehend von diesen zentralen Fragen der Spracherwerbsforschung beginnen wir diese Lerneinheit mit einer Darstellung der Fähigkeiten, die sich Kinder für den Einstieg in grammatische Strukturen zunutze machen. Anhand von Beispielen typischer Mehrwortäußerungen aus dem Deutschen skizzieren wir anschließend charakteristische Entwicklungsstadien des Konstruktionserwerbs für den deutschen Erstspracherwerb. Darauf aufbauend steht im zweiten Teil der Lerneinheit die Frage nach dem Warum im Mittelpunkt. Wir stellen die verschiedenen Erklärungsansätze der fundamentalen Spracherwerbstheorien gegenüber, die bis heute die moderne Spracherwerbsforschung prägen: Nativismus und Konstruktivismus (vergleiche Lerneinheit 4.1 für einen Überblick). Leitend sind bei dieser Gegenüberstellung folgende Fragen: Welche Rolle spielt die sprachliche Umwelt, der das Kind ausgesetzt ist? Welche Fähigkeiten und Voraussetzungen bringt das Kind zur Erwerbsaufgabe mit? Welche Lernmechanismen greifen in der Sprachentwicklung? Zum Abschluss der Lerneinheit gehen wir auf ein aktuelles konstruktivistisches Erklärungsmodell ein, das verschiedene Aspekte der grundlegenden Strömungen vereint: Die sogenannte Gebrauchsbasierte Linguistik, die sich in den letzten Jahren als sehr erfolgreiches Gegenmodell zu traditionellen Ansätzen etabliert hat. Anhand von Erwerbsdaten verschiedener grammatischer Konstruktionen zeigen wir auf, welchen Beitrag der gebrauchsbasierte Ansatz zur Erklärung des Grammatikerwerbs leisten kann. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ charakteristische Erwerbsschritte des Konstruktionserwerbs skizzieren können; ▶ sich kritisch mit den verschiedenen Erklärungsansätzen der Spracherwerbsforschung auseinandersetzen und fundamentale theoretische Strömungen voneinander abgrenzen können; ▶ die unterschiedlichen Rollen der sprachlichen Umwelt (Input) sowie von Veranlagung für die grundlegenden Erwerbstheorien darstellen können; ▶ Lernmechanismen des gebrauchsbasierten Ansatzes anhand des Konstruktionserwerbs erklären können. 258 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb 7.2.1 Einstieg in die Syntax: rezeptive Fähigkeiten Der Konstruktionserwerb der Erstsprache gilt nicht umsonst als eine der erstaunlichsten Errungenschaften der kindlichen Entwicklung. Die Aufmerksamkeit, die der Syntaxerwerb in der Spracherwerbsforschung erfährt, verwundert deshalb nicht: Trotz der vielfältigen Satzbaumuster, die das Deutsche zu bieten hat, schaffen es kleine Kinder in der Regel bis zum vierten Lebensjahr, die grundlegenden Konstruktionen der Muttersprache weitgehend zielsprachlich zu produzieren. Dabei wird oft hervorgehoben, wie mühelos, fehlerfrei und völlig ohne Instruktion dies geschieht. Inwieweit mühelos und fehlerfrei tatsächlich zutreffen, werden wir im Laufe dieser Lerneinheit noch genauer beleuchten. Sicher ist, dass Kinder im Erstspracherwerb nicht durch explizite Bewusstmachung syntaktische Regeln lernen wie der klassische Fremdsprachenlerner. Eltern würden gewiss nicht auf die Idee kommen, ihren Kleinen Grammatikunterricht zu erteilen. Nicht zielsprachliche kindliche Äußerungen werden selten oder nur unsystematisch explizit korrigiert. Selbst wenn Korrekturen durch erwachsene Bezugspersonen stattfinden, so ist unklar, ob und inwiefern Kinder diese aufnehmen und für den Spracherwerb nutzen können, wie Abbildung 7.3 veranschaulicht. Abbildung 7.3: Explizite Korrekturen (Lightbown & Spada 2013: 18) Eine Spracherwerbstheorie muss also erklären können, wie Kinder trotz der Komplexität der Aufgabe und trotz mangelnder expliziter Unterweisung zum Ziel kommen und mit vier Jahren schon komplexe Satzmuster aktiv und weitgehend zielsprachlich beherrschen. Aber fangen wir von vorn an. Um überhaupt Fuß zu fassen, besteht die Aufgabe für das Kind zuallererst darin, im kontinuierlichen Sprachstrom die Elemente zu erkennen, die syntaktische Einheiten bilden (beispielsweise Konstituenten wie Nominal- und Verbalphrasen: [Der kleine dicke Hund] NP [hat den Knochen gefressen] VP ) und die grammatische Informationen liefern, wie Funktionswörter (Artikel, Konjunktionen, Flexionsendungen). Dabei machen sich Kinder beim Einstieg in die Syntax wichtige Wahrnehmungsfähigkeiten sowie typische 259 7.2 Wie Kinder Konstruktionen aufbauen Eigenschaften der kindgerichteten Sprache zunutze (vergleiche Lerneinheit 7.1). Forschungsergebnisse zeigen, dass Kinder lange bevor sie selbst Zweiwortäußerungen produzieren, syntaktische Einheiten des Inputs herausfiltern können (siehe Schröder & Höhle 2011; Weissenborn 2000). Ermöglicht wird dies durch die teilweise schon vorgeburtlich vorhandene Sensibilität für prosodische Merkmale des Lautstroms (siehe Lerneinheit 7.1), wie den Sprachrhythmus, die Betonung und Sprechpausen, die mit syntaktischen Informationen korrelieren. So markieren Veränderungen prosodischer Muster oft auch Grenzen syntaktischer Einheiten im Lautstrom. Beispielsweise treten sehr kurze, aber akustisch messbare Pausen vor einer Verbalphrase oder an einem Satzende auf. Befunde von Jusczyk, Hirsh-Pasek, Kemler, Kennedy, Woodward & Piwoz (1992) zeigen, dass Kinder schon ab neun Monaten diese Hinweisreize zur Markierung von syntaktischen Phrasengrenzen (zum Beispiel: [Did she] # [drink the milk]? mit einer Pause (#) zwischen Subjekt und Verb) im Sprachstrom erkennen und nutzen können, um den Sprachstrom in syntaktisch relevante Einheiten wie Wörter, Phrasen und Sätze zu zerlegen. Das Erschließen von syntaktischem Wissen mithilfe prosodischer Hinweisreize wird auch prosodisches Bootstrapping genannt (Höhle 2005). Unterstützung erfährt das Kind außerdem durch die unbewusste elterliche Anpassung der kindgerichteten Sprache, in der die oben genannten prosodischen Hinweisreize besonders deutlich hervortreten: So sind Pausen besonders lang und Betonungen ausgeprägter, wenn Eltern mit ihren Kindern kommunizieren. Die Wahrnehmung von syntaktisch relevanten Phrasen- und Wortgrenzen wird somit zusätzlich durch das adaptierte Sprachangebot der Bezugspersonen unterstützt (Kauschke 2012; Szagun 2013). Neben der frühen Sensibilität für prosodische Hinweisreize bringen Kinder außerdem soziale und kognitive Fähigkeiten zur Mustererkennung und Analogiebildung mit, die wichtige Voraussetzungen für den Syntaxaufbau sind. Diese werden im Rahmen des konstruktionsgrammatischen Erklärungsansatzes in dieser Lerneinheit näher beleuchtet. 7.2.2 Die wichtigsten Erwerbsschritte Wie gestaltet sich der Konstruktionserwerb beim Kind nun seitens der Produktion? Was kennzeichnet erste Mehrwortäußerungen? Studien in verschiedenen Sprachen deuten auf einen engen Zusammenhang zwischen der Größe des Wortschatzes und der Produktion erster Zweiwortäußerungen hin (Bates & Goodman [1997] 2001). Erst wenn eine „kritische Masse“ von mindestens 50 Wörtern erworben ist, fangen Kinder typischerweise an, Wörter erstmals zu kleinen Zweiwortäußerungen zu kombinieren und erste syntaktische Strukturen, insbesondere auch Flexionsendungen, zu bilden. Beispielsweise zeigten Befunde von Marchman und Bates (1994), dass englische Kinder sich erst mit dem Erwerb einer bestimmten Masse an Vokabular die Vergangenheitsform von Verben erschließen. Dies wird darauf zurückgeführt, dass Kinder erst anfangen können, zu verallgemeinern und dadurch eine Regel zu bilden, wenn eine kritische Masse an Verben vorhanden ist, unter denen Vergleiche angestellt werden können. Erste Wortkombinationen von Kindern zeigen mehrere typische Eigenschaften, die sich in vielen untersuchten Spracherwerbsdaten aus unterschiedlichen Kulturen wiederfinden. 260 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb Meist werden Inhaltswörter nebeneinandergereiht, deren Beziehung zueinander oft nur im Kontext durch den Gesprächspartner oder die Gespächpartnerin erschlossen werden kann. So könnte die kindliche Äußerung Mama Teddy als Aufforderung an die Mutter (‚Bring mir den Teddy‘), als Kommentar (‚Sieh mal, ein Teddy! ‘) oder als Frage (‚Wo ist der Teddy? ‘) interpretiert werden. Funktionswörter wie Artikel oder Konjunktionen fehlen meist noch gänzlich (Ball haben), oft auch das Subjekt oder Verb (da Ball). Was die Wortstellung und insbesondere die Verbposition angeht, so zeigen sich in deutschen Erwerbsdaten einige Tendenzen und Entwicklungsstadien, die sich trotz großer individueller Variation hinsichtlich des Beginns und der Geschwindigkeit des Erwerbs (siehe Szagun 2013) als empirisch sehr robust bestätigt haben (Szagun 2013; Tracy 2008). Eine Herausforderung im Erwerb resultiert aus der Asymmetrie der Verbstellung im Deutschen in Hauptversus Nebensätzen. Während das flektierte Verb in Hauptsätzen in Verbzweitstellung, beziehungsweise in Entscheidungsfragen auch in Verberststellung steht (Ist der Papa da? ), taucht es in Nebensätzen in Verbletztstellung auf. Zudem ist zu berücksichtigen, dass bei mehrteiligen Verbformen, wie den im Deutschen sehr häufig vorkommenden Kombinationen aus Modal- und Vollverb (er will Kekse essen) oder der Perfektkonstruktion (er hat Kekse gegessen), das inhaltstragende Vollverb in infiniter Form am Satzende erscheint (als Partizip oder Infinitiv). Die Position des Verbs steht also in engem Zusammenhang mit seiner Form. Schlagen sich diese Korrelation und die Asymmetrie der Satzarten nun in kindlichen Äußerungen nieder? In frühen Mehrwortäußerungen zwischen ungefähr eineinhalb bis zwei Jahren wurde vielfach beobachtet, dass Verben anfangs oft in unflektierter Form (als Infinitiv oder Partizipform) in Satzendstellung verwendet werden. Folgende Beispiele des knapp zweijährigen Kindes Simone (vergleiche Behrens & Pfänder 2013: 329) veranschaulichen diese charakteristische nicht-finite Phase: (1) Teller ham (2) (ka)putt dedange (=-gegangen) Schaukel Wie lässt sich diese nicht-finite Phase im Spracherwerb nun erklären? Zum einen könnten Äußerungen dieser Art die oben erwähnten häufig vorkommenden mehrteiligen Verbformen (Kannst du das nehmen? ) des Inputs widerspiegeln, die Kindern reichlich Evidenz für unflektierte Verben in Satzendposition liefern (Behrens 2011). Auch perzeptuelle Faktoren werden als Erklärung für die anfänglich infinite Verwendung von Kindern herangezogen: Durch die satzfinale Position des Vollverbs in Sätzen wie Er will den Keks essen oder häufig an Kinder gerichtete Fragen wie Willst du mit dem Ball spielen? erfährt das inhaltstragende Verb eine stärkere Betonung als das unbetont am Anfang stehende finite Hilfsverb (Behrens 2003). Begünstigt wird die Wahrnehmung der Vollverben zudem durch die finale Position im Satz, auf die Kinder tendenziell mehr Aufmerksamkeit richten (Slobin 1985). Als zuletzt gehörte Information im Satz werden Vollverben somit eher vom noch eingeschränkten Verarbeitungsvermögen des kindlichen Arbeitsgedächtnisses aufgenommen (siehe Freudenthal, Pine, Aguado-Orea & Gobet 2007). Tomasello (2000b) geht dabei einen Schritt weiter und wertet den frühkindlichen Gebrauch von infiniten Verbformen wie in open it als verkürzte Imitation von Äußerungen aus dem Input der Erwachsenen (let me open it) und somit als 261 7.2 Wie Kinder Konstruktionen aufbauen Konsequenz einer noch eingeschränkten Aufnahme- und Verarbeitungsfähigkeit. Ähnlich interpretiert Szagun (2013) derartige kindliche Infinitive als Verkürzung mehrteiliger Verbformen mit fehlendem Hilfs- oder Modalverb aus dem erwachsenen Input. Zwischen 18 und 28 Monaten durchlaufen Kinder einen weiteren wichtigen Erwerbsschritt. Wie in (3) und (4) dargestellt, fangen Kinder in dieser Zeitspanne an, erstmals auch flektierte Verben zu produzieren. Beachtlich ist dabei, dass die typische Verbposition von deutschen Hauptsätzen in Verbzweitstellung fast immer von Anfang an von Kindern berücksichtigt wird (Tracy 2008). Der Erwerb von Verbflexion und der für Hauptsätze erforderlichen Verbzweitstellung erfolgen also in diesem Entwicklungsschritt charakteristisch gemeinsam. (3) der beißt (4) Die baden (Szagun 2013: 82) Die erstaunliche Berücksichtigung der zielsprachlichen Verbstellung wird auch schon bei der Produktion erster Nebensätze beobachtet, die meist zwischen zweieinhalb und drei Jahren auftreten. Dabei setzen Kinder mit großer Treffsicherheit das flektierte Verb meist an die für Nebensätze zu erwartende Satzendstellung. (5) die puppe lacht immer, wenn de hilde kommt (6) das bewegt sich heute so, weil’s kaputt ist (Stern & Stern [1928] 1987) Eine Besonderheit in frühkindlichen Nebensatzstrukturen betrifft das häufige Auslassen von nebensatzeinleitenden Elementen (Konjunktionen wie weil oder Relativpronomen), wie in Äußerung (7) von einem dreijährigen Kind veranschaulicht. (7) Du solls die mama sang ich immer einen unfall mach (Rothweiler 2002) Der Erwerb der gängigsten Satzstrukturen des Deutschen kann mit circa drei bis vier Jahren mit Beherrschen von Nebensätzen als abgeschlossen gelten. Die vielfältigen Wortstellungsmuster des Deutschen, müssen sich Kinder allerdings noch Schritt für Schritt aneignen. Das gilt für die Regelhaftigkeiten, die beispielweise hinter einer Objektvoranstellung wie in Den Keks hat er gegessen stecken und die feinen stilistischen und semantischen Veränderungen, die damit einhergehen. Was sich in den Mehrwortäußerungen zwischen eineinhalb und dreieinhalb Jahren zeigt, ist, dass es Kindern gelingt, in relativ kurzer Zeit die wesentlichen Wortstellungsmuster und deren Regelhaftigkeiten im sprachlichen Angebot zu erkennen und selbst zu produzieren. Zentral ist hierbei die Beobachtung, dass uns Abweichungen von der erwachsenen Zielsprache, viel darüber verraten, welche Regelhaftigkeiten Kinder schon erkannt haben. 7.2.3 Erklärungsansätze Der Erwerbsverlauf der verschiedenen Satzmuster ist sehr gut belegt. Aber wie kann dieser schnelle, robuste und weitgehend fehlerfreie Erwerb eigentlich theoretisch erklärt werden? Welche Lernmechanismen stecken hinter den Erwerbssequenzen von infiniter zu einer finiten Phase? Wie kommt es, dass bei Nebensätzen die Verbstellung oft von Anfang an schon der 262 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb Zielsprache entspricht? An genau dieser kontroversen Frage scheiden sich die Geister in der Spracherwerbsforschung. Bis heute gibt es keinen Konsens zwischen den verschiedenen theoretischen Schulen und Strömungen. Wir stellen Ihnen zwei der am heißesten diskutiertesten Theorieansätze und deren Perspektiven auf den Erwerb vor. Wir beginnen mit Chomskys nativistischem Ansatz, der aus einer traditionell strukturalistisch geprägten Auffassung von Sprache hervorgeht und sich ursprünglich als Gegenposition zum Behaviorismus (siehe unten) verstand. Im Anschluss lernen Sie ein noch relativ junges konstruktivistisches Gegenmodell kennen, mit Michael Tomasellos Ansatz der gebrauchsbasierten Grammatik (Tomasello 2000a, 2003) als dem gegenwärtig stärksten Vertreter. Ein grundlegender Unterschied zwischen diesen beiden Ansätzen besteht in der Frage, ob abstraktes Wissen über syntaktische Regelhaftigkeiten Kindern „in die Wiege“ gelegt, also als angeborene Veranlagung gehandelt wird (Nativismus), oder ob diese Regelhaftigkeiten erst nach und nach durch Interaktion mit dem Sprachangebot der Umwelt in einem Generalisierungsprozess aufgebaut werden (Konstruktivismus). Die Ihnen sicherlich aus vielen anderen Bereichen bekannte Debatte über den Einfluss von Anlage und Umwelt (nature-- nurture) hält also auch in der Sprachwissenschaft Einzug (siehe auch Lerneinheit 1.2 im Band »Sprachenlehren«). Nativismus: Spracherwerb als logisches Problem Ausgangspunkt für Noam Chomskys nativistischen (statt Nativismus wird auch häufig der Begriff Generativismus verwendet) Theorieansatz war ein Werk des Psychologen Burrhus F. Skinner (1957), der den Spracherwerb rein behavioristisch als Reiz-Reaktion-Kette erklärte: Sprache wird als konditioniertes Verhalten gesehen, welches Kinder allein durch Imitation der elterlichen Äußerungen mithilfe positiver und negativer Verstärkung erlernen. Demnach wird das Kind durch die Reaktionen der Umwelt auf seine korrekten sprachlichen Äußerungen (positiv verstärkend) oder Fehler (Korrektur: negativ hemmend) dazu konditioniert, sich Stück für Stück dem Modell der Umweltsprache anzunähern. So gesehen ist der Lernprozess, der dem Erwerb zugrunde liegt, eine Reiz-Reaktion-Kette: Das Kind hört einen sprachlichen Reiz in der Umgebungssprache und reagiert darauf, indem es den angebotenen Reiz imitiert. Die Umwelt reagiert wiederum positiv verstärkend oder negativ hemmend auf die kindlichen Äußerungen. Auch syntaktische Fähigkeiten werden so als assoziative Verknüpfungsmuster von Wörtern erklärt, die durch verstärkendes Feedback aus der Umwelt zu Sprechgewohnheiten gefestigt werden. Ließe sich der Spracherwerb tatsächlich auf den simplen Konditionierungsmechanismus zurückführen, wäre die erfolgreiche Sprachentwicklung nicht anders zu erklären als der konditionierte Sabber-Reflex des Pawlow‘schen Hundes (siehe Abbildung 7.4), der das Läuten einer Glocke freudig mit Futter assoziiert. 263 7.2 Wie Kinder Konstruktionen aufbauen Abbildung 7.4: Klassische Konditionierung am Beispiel des Pawlow'schen Hundes (Wikimedia 2014) Gegen diese Ansicht wehrte sich Noam Chomsky in seiner Antwortschrift auf Skinner (Chomsky 1959) auf das heftigste. Das sprachliche Angebot der Umwelt, der Input, ist nach Chomsky nicht ausreichend, um zu erklären, wie Kinder Sprache eigenständig und kreativ verwenden können. Mit Kreativität ist gemeint, dass die notwendigerweise endlichen Regeln einer Sprache verwendet werden können, um theoretisch unendlich viele Äußerungen zu produzieren. Dass bloße Imitation des Sprachangebots nicht alles sein kann, zeigt sich laut Chomsky schon darin, dass die Äußerungen von Kindern oft stark abweichen von dem, was im Erwachseneninput dargeboten wird. Wenn Kinder beispielsweise typische Übergeneralisierungen wie Ich bin geschwimmt äußern, so können diese nicht auf Nachahmung erwachsener Sprecher und Sprecherinnen zurückgeführt werden. Kindliche Äußerungen gehen also über den Input der Umgebungssprache hinaus. Laut Chomsky und anderen Anhängern des Nativismus stellt uns daher der schnelle Syntaxerwerb in Anbetracht des dem Kind verfügbaren Inputs vor ein logisches Problem: Der Input sei quantitativ und qualitativ zu unterdeterminiert (nicht ausreichend), als dass ein Kind auf dessen Grundlage allein syntaktisches Regelwissen aufbauen könne. Zusammengefasst ist das antibehavioristische Argument heute unter dem Begriff Armut des Stimulus (poverty of the stimulus) bekannt und umfasst mehrere Teilaspekte: Erstens ist das Sprachangebot notwendigerweise endlich, das heißt, es umfasst immer nur einen Teilausschnitt aller prinzipiell möglichen Äußerungen. Vertreter des Nativismus werten den Input zweitens als qualitativ stark eingeschränkt, da die mündliche Sprache-- auch von Erwachsenen-- oft voller Fehler, Versprecher und unvollständiger Sätze ist. Auf Grundlage dieses qualitativen und quantitativen Defizits der Sprachdaten, 264 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb die das Kind in der Umgebung hört, dürfte es ihm-- so folgern Nativisten-- nicht möglich sein, sprachliches Regelwissen abzuleiten. Welche Lösung des logischen Problems des Spracherwerbs schlagen Nativisten nun vor? Die Lösung besteht nach Chomsky und Vertretern beziehungsweise Vertreterinnen des Nativismus in einer angeborenen sprachspezifischen Veranlagung, über die Kinder verfügen, die ihnen von Anfang an den Bauplan für den Syntaxerwerb vorgibt. Dies erklärt nach nativistischer Sicht, warum Kinder nicht alle Fehler machen, die sie rein theoretisch machen könnten. Beispielsweise tauchen Verben in kindlichen Äußerungen nicht an jeder möglichen Position im Satz auf, sondern zeigen klare Tendenzen (siehe oben). Dies ergibt sich aus nativistischer Perspektive aus den Beschränkungen der Universalgrammatik (siehe Lerneinheit 7.1). Demnach sind die Grenzen der möglichen Strukturen des Sprachsystems von den angeborenen Prinzipien der Universalgrammatik vorgegeben und schränken so von Anfang an stark den Hypothesenraum ein. Dies wäre wiederum eine Erklärung dafür, warum der Erwerb so zügig und mit sprachübergreifend ähnlichen Entwicklungsschritten verläuft. Denn die genetische Ausstattung reift-- genau wie jedes andere Organ des menschlichen Körpers-- gemäß eines genetisch vorprogrammierten Plans heran: „Language acquisition seems much like the growth of organs generally; it is something that happens to the child, not that the child does” (Chomsky 2000: 7). Abweichungen in kindlichen Äußerungen ergeben sich zum einen durch den biologischen Reifungsprozess, dem sprachliche Kompetenzen unterliegen, zum anderen durch einen komplexen Aktivierungsprozess: So werden verschiedene Bereiche der Grammatik in hierarchischen Schritten und bestimmten Zeitfenstern aktiviert. Der sprachliche Input, den das Kind hört, spielt dabei die untergeordnete Rolle eines Auslösers (Trigger): Wenn das Kind bestimmte Merkmale der Zielsprache, wie beispielsweise die Verbposition, im Input erkennt, so löst dies die Spezifizierung eines Parameters aus (parameter setting). Dieser streng nativistische Ansatz ist heute als Prinzipien & Parameter-Modell des Spracherwerbs bekannt (principles and parameters): Angeboren sind die sogenannten Prinzipien, also diejenigen Eigenschaften, die allen Sprachen gemein sind, und die vom Kind folglich nicht mehr erworben werden müssen. Die sogenannten Parameter sind hingegen sprachspezifische Eigenschaften, die mögliche Realisierungsmöglichkeiten eines sprachübergreifenden Prinzips darstellen und die in der Sprachentwicklung erst spezifiziert werden müssen. Ein Beispiel für ein sprachübergreifendes Prinzip wäre das Wissen, dass Wörter mit anderen Wörtern kombiniert werden können und damit neue strukturelle Einheiten bilden (zum Beispiel Pauls blauer Ball). Sprachspezifische Parameter legen fest, an welcher Position die Elemente stehen dürfen. So würden im Französischen die modifizierenden Elemente an anderer Stelle auftauchen (le ballon bleu de Paul-- ‚Pauls blauer Ball‘) als im Englischen (Paul’s blue ball). Der Mechanismus, der laut Nativismus dem Sprachenerwerb zugrunde liegt, ist also ein biologisch gesteuertes stufenweises Festlegen der Regularitäten der Zielsprache, deren Variationsbreite von der Universalgrammatik vorgegeben ist. Innerhalb des Nativismus gibt es heute jedoch vielfältige theoretische Strömungen. Diese unterscheiden sich vor allem darin, welche Fähigkeiten als angeboren betrachtet werden. Während das traditionelle Prinzipien & Parameter-Modell den Fokus auf angeborenes grammatisches Strukturwissen setzt, stellen 265 7.2 Wie Kinder Konstruktionen aufbauen andere Vertreter und Vertreterinnen eher angeborene Mechanismen und Prozesse in den Vordergrund, die es dem Kind ermöglichen, Sprache effizient zu verarbeiten und gezielt im Input nach den entscheidenden Informationen zu suchen (vergleiche Hirsh-Pasek & Golinkoff 1996). Gemeinsam ist allen nativistischen Ansätzen, dass der Erwerbsprozess top-down verläuft: Damit ist gemeint, dass sich Kinder ausgehend von dem ihnen schon verfügbaren abstrakten Wissen (ob in Form von Strukturwissen oder Lernbarkeitsbeschränkungen) die Regelhaftigkeiten der Zielsprache erschließen. Der Vorgang ist somit deduktiv: wegweisend ist angeborenes Regelwissen, das das Herangehen an sprachliche Daten ganz gezielt steuert. Kinder nutzen den Input, um dessen Strukturen mit den ihnen verfügbaren strukturellen Hypothesen abzugleichen und durch die entsprechenden Parameterfestlegungen auf die Zielgrammatik „einzustellen“ (vergleiche Lerneinheit 4.1). Paradigmenwechsel Wie sieht nun die empirische Befundlage für nativistische Annahmen aus? Gibt es tatsächlich Hinweise für eine genetische Veranlagung sprachlicher Fähigkeiten? Insbesondere die Entdeckung des sogenannten FOXP 2-Gens (Lai, Fisher, Hurst, Vargha-Khadem & Monaco 2001) sorgte vor einigen Jahren für Furore unter Sprachwissenschaftlern und Sprachwissenschaftlerinnen. Ausgeprägte Sprachstörungen, die sich bei Mitgliedern aus drei Generationen einer Familie zeigten, wurden mit einer Genmutation in Verbindung gesetzt, die bei allen Betroffenen vorlag. Die Entdeckung wurde etwas vorschnell als Beweis für ein „Sprachgen“ gehandelt, das die Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten steuert. Weiterführende Studien ließen jedoch Zweifel an dieser Auslegung aufkommen, da dasselbe Gen auch bei Singvögeln und Primaten festgestellt werden konnte. Zudem stellte sich heraus, dass FOXP 2 nicht nur spezifisch sprachliche Fähigkeiten beeinträchtigt, sondern sich ebenfalls in Auffälligkeiten der nicht-verbalen Intelligenz und der Kontrolle motorischer Abläufe äußerte (Watkins, Dronkers & Vargha-Khadem 2002). Syntaktische Fähigkeiten und deren Störungen lassen sich somit nicht ohne weiteres direkt auf das FOXP 2-Gen zurückführen. Auch die von nativistischer Seite vorgebrachten Argumente gerieten in den letzten zwei Jahrzehnten theoretisch aber auch auf der Grundlage empirischer Befunde zunehmend unter Beschuss. Insbesondere das Argument der Stimulusarmut konnte empirisch nicht bestätigt werden: Zahlreiche Erwerbsstudien, die den Input systematisch durch Korpusanalysen unter die Lupe nahmen (vergleiche Behrens 2006; MacWhinney 2004; Tomasello 2003), konnten zeigen, dass der sprachliche Input bei weitem nicht so „arm“ ist wie von Chomsky und Kollegen und Kolleginnen angenommen. So konnten statistische Korpusanalysen kindgerichteter Sprache zeigen, dass der Input eine sowohl quantitativ wie auch qualitativ äußerst reichhaltige Datenquelle für den Erwerb darstellt. Eine computerlinguistische Studie von Sagae, MacWhinney und Lavie (2004) untersuchte Eltern-Kind-Interaktionen in mehreren Sprachkorpora mit dem Ergebnis, dass sich der elterliche kindgerichtete Input- - ganz entgegen Chomskys Annahme- - durch eine hohe Fehlerfreiheit auszeichnet, die mit Korpora des Wall Street Journal vergleichbar ist. Auch auf quantitativer Seite lässt sich eine unterstellte „Armut“ des Inputs nicht bestätigen: Behrens’ (2006) Analysen kindgerichteter Sprache 266 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb ergaben, dass Kinder pro Tag im Durchschnitt mehrere tausend größtenteils wohlgeformte Äußerungen hören. Das aus nativistischer Sicht dargestellte „logische“ Problem ist somit empirisch hinfällig: Die schiere Anzahl an größtenteils wohlgeformten sprachlichen Äußerungen und grammatischen Strukturen, die Kinder im Laufe der ersten Jahre hören, liefern mehr als genügend Anhaltspunkte für den effektiven Lernprozess, auch ohne die Annahme sprachlichen Vorwissens. Auch von theoretischer Seite wurden zunehmend Einwände gegen nativistische Argumente laut: Ein zentraler Einwand betrifft die Tatsache, dass nativistische Erklärungsmodelle sich allein auf hochabstraktes grammatisches Regelwissen beschränken. Wissen über sprachspezifische Konstruktionen und Kollokationen, die ebenfalls einen großen Anteil sprachlichen Wissens ausmachen, kann damit jedoch nicht erklärt werden. Diese werden in nativistischen Theorien oft als lexikalisches Wissen ausgeklammert, das unabhängig von der Kerngrammatik mit anderen Lernmechanismen erworben werden muss. Dies bedeutet jedoch, dass damit ein zweiteiliger Lernprozess benötigt wird, um sprachliche Kompetenz hinreichend zu erklären. Somit löst die Annahme angeborenen Sprachwissens nur einen Teil des zu erklärenden Problems und führt zudem zu einer möglicherweise unnötig komplizierten zweiteiligen Theorie. Aus theoretischer Sicht wäre ein Lernmodell, das sowohl grammatisches als auch lexikalisches Wissen durch ein und denselben Prozess erklären könnte, vorzuziehen: Wenn aber das Kind sowieso ‚traditionelle‘, konservative Lernmechanismen braucht, um alle Details und Unregelmäßigkeiten eines Sprachsystems zu erlernen, könnten diese natürlich auch für den Gebrauch der-- regelhaften-- Kerngrammatik eingesetzt werden. (Behrens 2011: 265) In den letzten 15 Jahren hat sich eine Reihe alternativer Erklärungsmodelle zum nativistischen Ansatz herausgebildet, die empirisch zeigen können, wie der Sprachenerwerb und insbesondere der Erwerb syntaktisch komplexer Strukturen, auch ohne Rückgriff auf angeborenes Wissen funktionieren kann. Eine starke konstruktivistische Gegenposition zum nativistischen Modell-- die sogenannte gebrauchsbasierte Grammatik-- stellen wir Ihnen im nächsten Abschnitt vor. Diese baut auf den Grundsätzen der Konstruktionsgrammatik auf, die Sie bereits in Kapitel 4 kennengelernt haben (zum gebrauchsbasierten Ansatz siehe auch Kapitel 2 im Band »Sprachenlehren«). Konstruktivismus: Gebrauchsbasierte Spracherwerbstheorien Ausgangspunkt gebrauchsbasierter Theorien des Spracherwerbs (usage-based theories, siehe Behrens 2011; Tomasello 2003) ist eine konstruktionsgrammatische Betrachtungsweise von Sprache (siehe Kapitel 4). Damit reduziert sich das zu erklärende Phänomen im Sprachenerwerb nicht allein auf kerngrammatische Kompetenzen, sondern umfasst alle Konstruktionen, das heißt Form-Funktionseinheiten aller Abstraktions- und Komplexitätsebenen. Zentrale Schlüsselrolle für den Erwerb spielt, wie der Name schon besagt, der Sprachgebrauch, das heißt der sprachliche Input, der Kindern zur Verfügung steht. Laut Vertretern des konstruktionsgrammatischen Ansatzes ist es möglich, syntaktisches Wissen auf Grundlage des reichhaltigen Inputs vom Kind induktiv, also ausgehend von den einzelnen sprachlichen 267 7.2 Wie Kinder Konstruktionen aufbauen Äußerungen, zu lernen. Dabei gehen Kinder von keinerlei abstraktem Vorwissen aus, sondern nehmen als Anhaltspunkt ganz konkrete Äußerungen des Inputs, auf deren Grundlage sie Konstruktionswissen erst Stück für Stück aufbauen müssen: […] children do not experience constructions but only utterances; they must (re-)construct for themselves the constructions of their language from the individual utterances they experience. (Ibbotson & Tomasello 2009: 60) Regelwissen über Sprache ist hier also nicht angeboren, sondern wird aus dem Sprachgebrauch des Inputs in einem allmählichen Generalisierungsprozess abgeleitet. Als Werkzeug ist dafür keinerlei sprachspezifisches abstraktes Vorwissen nötig. Das Kind nutzt stattdessen eine Reihe von allgemeinen kognitiven und sozialen Fähigkeiten, die Sie schon in der vorhergehenden Lerneinheit 7.1 kennengelernt haben: Zentral ist die kognitive Fähigkeit zur Mustererkennung (pattern finding) und Analogiebildung, die auch den in 7.1 dargestellten typischen Übergeneralisierungen früher Wortverwendung zugrunde liegen. Kinder sind schon früh in der Lage, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erkennen, Kategorien zu bilden und Verallgemeinerungen herzustellen. So sind beispielsweise typische kindliche Übergeneralisierungsfehler von schwachen Verbendungen auf starke (er ist genehmt statt genommen), ein Indikator dafür, dass die vielen Partizipien gemeinsame Endung {-t} (gekauft etc.) als grammatische Markierung vom Kind als Muster erkannt, abstrahiert und aktiv auf neue Kontexte übertragen wurde. In der zurückliegenden Lerneinheit haben wir auch festgestellt, dass Kinder außerordentlich früh über statistische Sensibilitäten über die Verteilung und Häufigkeiten von Lauten, Wörtern und Strukturen im Input verfügen. Wie geht der Lernprozess aus gebrauchsbasierter Sicht genau vonstatten? Um vom Input zur abstrakten Konstruktion zu gelangen müssen Kinder drei wichtige Schritte durchlaufen (vergleiche Madlener & Behrens 2015). Zunächst analysieren Kinder unbewusst den Input nach dessen Häufigkeitsverteilungen. Form-Funktions-Einheiten, die besonders oft im Input vorkommen, werden vom Kind als unanalysierte formelhafte Versatzstücke, sogenannte chunks (Lieven et al. 2003, siehe auch in den Bänden »Sprachenlernen und Kognition«, »Sprachenlehren« und »Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb«), herausgefiltert und im Gedächtnis holistisch abgespeichert, das heißt als Ganzes ohne Analyse der einzelnen Elemente dieser Konstruktion. Beispielsweise könnte ein solcher Chunk die Mehrwortabfolge Was ist das? sein, die das Kind möglicherweise beim Bilderbuchanschauen in triadischen Interaktionen (vergleiche Lerneinheit 7.1) wiederholt gehört hat. Kinder imitieren die aus dem Lautstrom herausgefilterten Form-Funktions-Einheiten in ihren eigenen Äußerungen und festigen sie somit zusätzlich. Die so im Gedächtnis abgespeicherten Chunks sind nun leicht abrufbar und bilden den Ausgangspunkt für den nun einsetzenden Generalisierungsprozess. Wichtig ist, dass Chunks anfangs keinerlei abstrakten Status haben. Sie sind die ersten kindlichen Vertreter von Konstruktionen und werden auch als item-based constructions bezeichnet, was bedeutet, dass sie direkt aus ganz konkreten Äußerungen des Inputs übernommen werden und im anfänglichen Gebrauch vom Kind auch nur in der gehörten festen Abfolge verwendet werden. So kann auch erklärt werden, warum die Wortfolge oft schon in den ersten kindlichen Äußerungen zielsprachlich ist, da diese direkte Übernahmen des gehörten Inputs darstellen. 268 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb Die anfangs item-basierten Konstruktionen werden erst später von Kindern auf ihre einzelnen Bestandteile analysiert. Hierzu ist ein zweiter Schritt der Schemabildung nötig. Man kann sich diese Entwicklung als allmähliches Loslösen vom konkreten Einzelexemplar vorstellen, die dann einsetzt, wenn das Kind schon eine kritische Menge an Chunks abgespeichert hat. Durch einen Abgleich zwischen den verschiedenen Form-Funktions-Einheiten erkennt es Ähnlichkeiten und Unterschiede und kann somit erste Muster abstrahieren, die Schemata genannt werden. Zentral ist hier die von Tomasello (2003) geprägte Metapher der Verbinsel (verb island hypothesis). Dahinter steckt die Annahme, dass die vom Kind erkannten Muster sich meist ausgehend von Verben und deren Argumentstruktur herum herausbilden. Verben stellen also den Ankerpunkt dar und anfängliche Verwendungen von Konstruktionen sind eng an inselhafte Verben gekoppelt. Beispielsweise hat ein Kind ausgehend vom Chunk Was ist das das Schema X ist Y aufgebaut. Damit hat die anfänglich feststehende Einheit einen höheren Abstraktionsgrad erreicht. Das Kind hat erkannt, dass um das Verb ist auch variabel andere Wörter stehen können, wie Was ist ein Kamel? oder Wer ist Peter? . Allerdings sind diese ersten Verwendungen von Konstruktionsmustern noch unmittelbar an das Verb der gehörten Äußerung gebunden, werden also vom Kind zunächst noch nicht auf andere Verben übertragen. Das Schema X ist Y gilt also nur für das spezifische Verb ist und auch nur in dieser morphologischen Form (dritte Person Singular). Übertragung auf andere Formen wie Was sind Kekse, Wer bist du? sind noch nicht möglich. Anders gesagt: Sprünge von der einen auf die andere Verbinsel sind zu Beginn des Erwerbs noch nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. Diese Verbindungen Stück für Stück um jede Insel herum aufzubauen, ist die Aufgabe, die den dritten Schritt im Prozess des Konstruktionsaufbaus darstellt. Dieser dritte Schritt besteht in der Generalisierung, das heißt der weiteren Verallgemeinerung der bisher aufgebauten Schemata, deren zugrundeliegende Regelhaftigkeiten Kinder nun erkannt haben. Damit haben Schemata den Status abstrakten syntaktischen Wissens erlangt. Kinder können somit die erworbene Konstruktion nun flexibel in verschiedenen Kontexten und mit verschiedenen lexikalischen Elementen anwenden. Genau das macht die sogenannte Produktivität einer Konstruktion aus. Sie kann jetzt, anders als Chunks, losgelöst vom ursprünglichen Kontext von Kindern auch auf andere Verben und lexikalische Einheiten angewandt werden. Bezogen auf unser Beispiel wäre die nun im dritten Schritt abstrahierte Konstruktion X Kopula Y, die es dem Kind nun ermöglichen würde, auch Äußerungen wie Das Essen wird kalt oder Mein Name ist Hase zu produzieren, die also weit über den anfänglich gespeicherten Chunk hinausgehen. Empirische Unterstützung der Verbinselhypothese kommt aus einer Reihe von experimentellen Studien zur Verwendung von Kunstverben. Tomasello und Kollegen und Kolleginnen (Tomasello & Brooks 1998) präsentierten Kindern in einem Spielkontext Kunstverben entweder in transitiven oder intransitiven Konstruktionsschemata (Der Hund tammt den Apfel versus Der Hund tammt). Eine anschließende Fragephase zielte darauf ab, die Verwendung dieser neuen Verben bei den Kindern zu elizitieren. Dabei stellte sich heraus, dass Kinder unter drei Jahren die neuen Verben fast ausschließlich in genau dem Satzmuster verwendeten, in dem sie es zuvor kennengelernt hatten. Transitiv präsentierte Verben wurden auch von Kindern transitiv übernommen und wurden kaum intransitiv verwendet. Mit zunehmendem 269 7.2 Wie Kinder Konstruktionen aufbauen Alter verallgemeinerten Kinder die neuen Verben aber auch auf andere Konstruktionstypen. Mit fünf Jahren konnten 90 Prozent der Kinder die neuen Verben auf beide Konstruktionsschemata übertragen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Konstruktionen anfangs stark an die konkreten lexikalischen Einheiten gebunden sind, in denen sie im Input erscheinen, aber durch mangelnde Abstraktion noch nicht auf andere Verben übertragen werden. Erst allmählich löst sich die anfangs inselhafte Konstruktion von ihrem konkreten lexikalischen Verbkontext und wird auf andere lexikalische Kontexte in einem schrittweisen Verallgemeinerungsprozess ausgeweitet. Zentral ist der Befund, dass dem kindlichen Gebrauch von Konstruktionen aber nicht von Anfang an abstraktes Regelwissen zugrunde liegt, da man sonst eine Übertragung auf andere lexikalische Kontexte erwarten würde. Der Prozess des Syntaxerwerbs vollzieht sich folglich-- im Gegensatz zum nativistischen Ansatz-- bottom-up: Auf Grundlage von konkreten Einzeläußerungen des Sprachangebots wird Regelwissen in einem graduellen Verallgemeinerungsprozess aufgebaut. Abstraktes Wissen ist erst das Endprodukt dieses Generalisierungsprozesses. Ein theoretischer Vorteil des gebrauchsbasierten Erklärungsansatzes besteht darin, dass er nicht von unterschiedlichen Lernmechanismen bei Kindern und Erwachsenen ausgeht. Erst- und Zweitsprachenerwerb basieren auf denselben kognitiven Fähigkeiten der Mustererkennung und Generalisierung. Unterschiede im Erwerbsverlauf und -ergebnis ergeben sich aus den unterschiedlichen Voraussetzungen hinsichtlich der Verarbeitungskapazität und des Gedächtnisspeichers, die bei Kindern noch eingeschränkt sind. 7.2.4 Zusammenfassung ▶ Eine früh vorhandene Sensibilität für prosodische Hinweisreize wird von Kindern zum Einstieg in den Konstruktionserwerb genutzt. Das Erkennen von Pausen im Sprachstrom erleichtert das Herausfiltern von syntaktisch zusammengehörigen Einheiten. ▶ Im Erstsprachenerwerb durchlaufen Kinder empirische robuste Erwerbsschritte, wobei Verben nach einer anfänglichen nicht-finiten Phase mit Platzierung am Satzende mit ungefähr zwei Jahren in korrekter Position und finiter Form verwendet werden. ▶ Nativistische Erwerbstheorien erklären den Syntaxerwerb als top-down-Prozess durch die Annahme angeborenen sprachspezifischen Wissens, das durch biologische Reifungsprozesse und in Interaktion mit dem Input aktiviert wird. ▶ Nach gebrauchsbasierten konstruktivistischen Ansätzen wird syntaktisches Wissen vom Kind erst nach und nach konstruiert. Dies geschieht in einem bottom-up-Prozess auf Grundlage des Inputs und durch allgemeine kognitive Fähigkeiten (Mustererkennung, Analogiebildung, Generalisierung). 7.2.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welches sind die wichtigsten Etappen im Erstsprachenerwerb der grundlegenden deutschen Satzstrukturen? 2. Wie erklärt der nativistische Theorieansatz den Erwerb grammatischer Kompetenzen? 270 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb 3. Welche Argumente sprechen gegen den nativistischen Ansatz? 4. Was sind zentrale Konzepte, auf denen der gebrauchsbasierte Erklärungsansatz fußt? 5. Welcher Lernmechanismus liegt dem Spracherwerb aus gebrauchsbasierter Perspektive zugrunde? 271 7.3 Frühkindliche Mehrsprachigkeit 7.3 Frühkindliche Mehrsprachigkeit Helen Engemann In den vorhergehenden Lerneinheiten haben Sie sich mit Erwerbsverläufen im Erstspracherwerb von den Lauten bis hin zu Satzmustern vertraut gemacht. Wir sind dabei immer von einem Szenario ausgegangen, in dem Kinder einsprachig (monolingual) aufwachsen. Dies ist aber bei weitem nicht der Normalfall. Obwohl Einsprachigkeit in vielen Fachbüchern oft als Norm präsentiert wird, trifft dies für den Großteil der Bevölkerung der Welt nicht zu; viele Menschen wachsen mit einer oder sogar mehreren weiteren Sprachen auf (vergleiche auch Lerneinheit 1.3 im Band »Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb«). Mehrsprachigkeit ist somit quantitativ gesehen weitaus mehr die „Norm“ als Einsprachigkeit. Da mit dem Thema des mehrsprachigen Aufwachsens immer noch Missverständnisse verbunden sind, widmen wir uns in diesem abschließenden Teil des Kapitels diesem für die Praxis überaus wichtigen Thema. Wir beginnen die Lerneinheit mit einer kritischen Reflexion der verschiedenen Definitionen von Bilingualismus. Wir betrachten dann Kriterien zur Differenzierung verschiedener Formen von Mehrsprachigkeit in der Kindheit. Im Anschluss stellen wir Ihnen einige typische Phänomene des Sprach(en)gebrauchs bei bilingualen Kindern vor und befassen uns kritisch mit einigen Erklärungsversuchen. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ verschiedene mehrsprachige Erwerbstypen definieren, voneinander abgrenzen und zuordnen können; ▶ theoretische Erklärungsansätze für Unterschiede in mehrsprachigen Erwerbsverläufen nennen können; ▶ typische Phänomene im Sprachgebrauch von mehrsprachigen Kindern erkennen und zuordnen können. 7.3.1 Wer ist eigentlich mehrsprachig? Halten Sie sich selbst für mehrsprachig? Als Sprachenlehrer oder Sprachenlehrerin beherrschen Sie sicherlich mindestens eine weitere Sprache. Jedoch wird Ihre Antwort auch davon abhängen, welche Bedeutung Sie Kriterien wie Ihrem Erwerbsalter oder Ihrer sprachlichen Kompetenz beimessen. Viele würden sich einfach nicht als mehrsprachig bezeichnen, weil sie dies mit der perfekten Beherrschung zweier Sprachen gleichsetzen. Es ist gar nicht so einfach, sich auf eine klare Definition für Mehrsprachigkeit zu einigen. Das geht auch den Sprachwissenschaftlern und Sprachwissenschaftlerinnen nicht anders. Im Band »Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb« wird behandelt, wie bilinguale Personen (auch innerhalb einer Äußerung) zwischen Sprachen hin- und herwechseln. Für so ein Code-Switching müssen die Sprecher und Sprecherinnen, die switchen, ein gewisses Maß der Kenntnis beider Sprachen haben, also mehrsprachig sein. Die Meinungen darüber, 272 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb was „mehrsprachige“ Sprecher und Sprecherinnen aber genau ausmacht, gehen hier-- schon seit Anfang der Mehrsprachigkeitsforschung-- stark auseinander. Während der Strukturalist Bloomfield die extrem idealistische Position einer „native-like control of two languages“ (Bloomfield 1935: 56) vertrat, beschränkt sich der Schweizer Mehrsprachigkeitsforscher Grosjean auf eine Definition, die den Gebrauch der beiden Sprachen-- nicht die Kompetenz-- in den Vordergrund rückt: „Bilinguals are those who use two or more languages (or dialects) in their everyday lives“ (Grosjean 2010: 4). Perfekte oder perfekt ausbalancierte Kenntnisse sind nach Grosjean keine Voraussetzung, um als bilingualer Sprecher oder bilinguale Sprecherin zu gelten. Von vielen Mehrsprachigkeitsforscherinnen und -forschern wird aktuell eine ähnlich moderate Position bezogen. Die Spracherwerbsforscherinnen Tracy und Gawlitzek-Maiwald (2000) schlagen beispielsweise folgende Definition von Bilingualismus vor: Ein bilinguales Individuum beherrscht zwei sprachliche Kenntnissysteme in einem Ausmaß, das es ihm gestattet, mit monolingualen Sprechern der einen oder anderen Sprache in einem ‚monolingualen Modus‘, d. h. in der Sprache des Gesprächspartners zu kommunizieren. (Tracy & Gawlitzek- Maiwald 2000: 497) Deutlich wird aus dieser Definition, dass sich die Mehrsprachigkeitsforschung heute bei weitem nicht nur für Sprecher und Sprecherinnen interessiert, die dem Bloomfieldschen Ideal entsprechen, sondern ein relativ breites Spektrum an mehrsprachigen Sprachbiografien anvisiert. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass Sprachkompetenz und der Sprachenerwerb in der Forschung nicht mehr als starre unveränderbare Kategorien, mit klarem Ausgangs- und Endzustand, gehandelt werden. Wie alle kognitiven Fähigkeiten unterliegt unsere Sprachkompetenz vielfältigen Einflussfaktoren: Je nachdem, wie oft wir unsere Sprache(n) gebrauchen, in welchem sprachlichen Umfeld (sind wir von Sprechern und Sprecherinnen der einen oder anderen Sprache in unserem Alltag umgeben? ) und in welchen sozialen Kontexten (Arbeit oder Familie), können sich Gleichgewichtsverschiebungen zwischen den Sprachen ergeben. Sicherlich geht es Ihnen auch so, dass Sie nach einem Aufenthalt oder längeren Urlaub in einem Land, in dem Ihre Zweitsprache gesprochen wird, flüssiger im Sprechen sind und schnelleren Zugriff auf Wörter und Konstruktionen haben. Dieser Effekt verschwindet dann aber auch relativ schnell wieder, wenn die Sprache etwas länger wieder nicht verwendet wird. Ähnlich geht es auch Kindern, die mehrsprachig aufwachsen. Eltern berichten dann oft, dass ein Ferienaufenthalt, beispielweise bei den Großeltern, die nur eine der beiden Sprachen beherrschen, zur Folge hat, dass Kinder innerhalb kurzer Zeit riesige sprachliche Fortschritte in der sonst weniger verwendeten Sprache machen. Unser Sprachverhalten und insbesondere der Einsatz unserer Sprachen verändert sich auch situationsabhängig, je nachdem, wer unsere Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen sind und was das Thema eines Gesprächs ist. Ebenso haben inzwischen viele Studien gezeigt, dass die früher verbreitete Ansicht, unsere Muttersprache bleibe das ganze Leben lang stabil, nicht richtig ist. So beschäftigt sich ein relativ junger Zweig der Mehrsprachigkeitsforschung seit den 1990er Jahren mit dem Phänomen der sogenannten Sprachattrition (language attrition, siehe auch Lerneinheit 4.3 im Band »Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb«). Sprachattrition tritt typischerweise bei Sprechern und Sprecherinnen auf, die über lange Zeit in einem Zweitsprachkontext leben, ihre Erstspra- 273 7.3 Frühkindliche Mehrsprachigkeit che kaum noch verwenden, und infolgedessen Veränderungen in ihrer Erstsprache aufweisen (vergleiche Schmid, Köpke, Keijzer & Weilemar 2004). Insbesondere in Situationen, in denen die Erstsprache an Lebensrelevanz verloren hat, zeigen Sprecher und Sprecherinnen dann oft ausgeprägte Schwierigkeiten, Wörter und Konstruktionen ihrer Erstsprache abzurufen. Es scheint, dass Teilaspekte ihrer Sprachkompetenz gänzlich in Vergessenheit geraten sind. Viele Faktoren spielen in der Ausgeprägtheit der Attritionsphänomene eine Rolle, beispielsweise die Aufenthaltsdauer im Zweitsprachenkontext, das Alter der Sprecher und Sprecherinnen, aber auch deren Zugehörigkeitsgefühl zur Kultur der Erst- und Zweitsprache und sogar das Bildungsniveau. Der grundsätzlich dynamische Charakter von Sprache und mehrsprachigem Erwerb wird heute gezielt wissenschaftlich untersucht: de Bot, Lowie und Verspoor (2007) erforschen Sprache und Spracherwerb als komplexes, dynamisches, sich kontinuierlich veränderndes System (dynamic system theory). Sie beleuchten dabei mithilfe von Computersimulationen das Zusammenspiel verschiedener Variablen (real-life messy facts, de Bot, Lowie & Verspoor 2007: 7), denen bisher nur unzureichend Beachtung geschenkt wurde und deren Interaktion individuell oft sehr unterschiedlich ausfallende Spracherwerbsverläufe erklären können. Dazu gehören zum einen den Sprecher oder die Sprecherin betreffende (interne) kognitive und soziale Faktoren, zum anderen externe Variablen, wie der Input und die Interaktion zwischen den beiden (oder mehreren) Sprachsystemen (vergleiche Kapitel 4 im Band »Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb«). Das zunehmende Interesse an verschiedenen Mehrsprachigkeitsprofilen-- fernab des „idealen“ Bilingualen- - hängt außerdem auch damit zusammen, dass das Konzept von Muttersprachlichkeit (native-likeness) und der damit oft assoziierten „perfekten“ Sprachkompetenz in den letzten Jahren zunehmend als problematisch kritisiert wurde. Wenn man bedenkt, dass sich auch einsprachige Muttersprachler und Muttersprachlerinnen stark in ihren sprachlichen Profilen unterscheiden, beispielsweise im Umfang ihres passiven und aktiven Wortschatzes, wie sehr sie sich zwischen verschiedenen stilistischen Registern oder regionalen Dialekten bewegen, dann wird klar, dass Muttersprachlichkeit keinem einheitlichen Kompetenzschema entspricht, das einen Normstatus dieser Kategorie rechtfertigen würde. Dass Zweisprachige zudem nicht einfach die Summe zweier einsprachiger Sprecher oder Sprecherinnen sind, zeigt sich darin, dass Zweisprachige kaum über einen exakt äquivalenten Wortschatz in beiden Sprachen verfügen. Stattdessen liegt meist eine komplementäre Arbeitsteilung zwischen den beiden Sprachen vor, die sich mit den Alltagskontexten und Funktionen deckt, in denen die jeweiligen Sprachen zum Einsatz kommen. Oft ist die Beteiligung der verschiedenen Sprachen an bestimmte Personen oder Kontexte (Schule, Arbeit, Familie) gebunden; dementsprechend finden es viele Zweisprachige auch einfacher, über bestimmte Themen in der einen als in der anderen Sprache zu reden. Perfekte Kompetenz (sofern es diese überhaupt gibt) in beiden Sprachen wird folglich nicht mehr als notwendige oder gar realistische Voraussetzung angesehen, um als zweisprachig zu gelten. Dennoch heißt das natürlich nicht, dass man mehrsprachige Sprecher und Sprecherinnen nicht anhand verschiedener Kriterien voneinander abgrenzen kann. Im Kontext des kindlichen Sprachenerwerbs ist für uns in dieser Lerneinheit relevant, welche Erwerbsszenarien unterschieden werden. Diese stellen wir Ihnen im kommenden Abschnitt vor. 274 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb 7.3.2 Mehrsprachige Erwerbstypen Wie werden Kinder eigentlich zwei- oder mehrsprachig? (Wir verwenden die Begriffe mehrsprachig und ‚zweisprachig‘ gleichbedeutend mit den Fachbegriffen aus dem Englischen multilingual und bilingual.) In der kindlichen Mehrsprachigkeitsforschung unterscheidet man für gewöhnlich drei verschiedene Erwerbskonstellationen, die anhand des Kriteriums des Erwerbsalters (age of onset of acquisition, abgekürzt als AoA) voneinander abgegrenzt werden. Ein Erwerbstyp, der seit den späten 1980er Jahren intensiv erforscht wurde, ist der sogenannte simultane bilinguale Spracherwerb oder auch doppelter Erstsprachenerwerb. In diesem Erwerbskontext wächst das Kind von Anfang an simultan mit beiden Sprachen auf. Wann genau der Anfang sein sollte ist jedoch strittig. Eine sehr strenge Grenze setzt die Erwerbsforscherin de Houwer (2006), die für den simultanen bilingualen Erwerb ein sehr regelmäßiges, das heißt (fast) tägliches Angebot beider Sprachen innerhalb der ersten Woche nach der Geburt voraussetzt. Andere Forscher und Forscherinnen würden hingegen auch noch von simultanem Erwerb ausgehen, wenn die zweite Sprache bis zum dritten oder spätestens bis zum vierten Lebensjahr hinzukommt (Meisel 2010). Begründet durch die syntaktischen Entwicklungsschritte der ersten Lebensjahre legen sich viele Forscher und Forscherinnen heute (siehe Tracy & Gawlitzek-Mailand 2000) auf den Zeitraum vor dem zweiten Geburtstag fest. Klassischerweise tritt der doppelte Erstsprachenerwerb auf, wenn bei den Eltern verschiedene Erstsprachen vorliegen und jeder Elternteil in der Erstsprache mit dem Kind kommuniziert. Dieses Prinzip der familiären Sprachpolitik wird auch als eine Person-- eine Sprache (one parent- - one language) oder Partnerprinzip bezeichnet. Der simultane bilinguale Erwerbstyp wurde vor allem in der nativistischen Forschung stark erforscht, mit der Annahme, dass sich der Syntaxerwerb nicht grundsätzlich von dem einsprachig aufwachsender Kinder unterscheidet (vergleiche Meisel 2004). Tatsächlich wurden bezüglich der syntaktischen Erwerbsschritte, die Sie in der zurückliegenden Lerneinheit 7.2 kennengelernt haben, für verschiedene Sprachkombinationen im simultanen Erstspracherwerb ähnliche Verläufe wie bei einsprachigen Kindern in der jeweiligen Sprache festgestellt (Chilla 2011). Der simultane bilinguale Sprachenerwerb wird abgegrenzt vom sukzessiven bilingualen Sprachenerwerb, auch kindlicher Zweitsprachenerwerb genannt. Dieser Fall liegt vor, wenn der Erwerb der beiden Sprachen zeitversetzt auftritt: Die Erstsprache ist daher mindestens teilweise schon erworben, wenn der Kontakt mit der Zweitsprache einsetzt (Rothweiler 2007). Der sukzessive bilinguale Sprachenerwerb ist weitaus häufiger anzutreffen als der simultane Erstsprachenerwerb und tritt klassischerweise in Migrationskontexten auf. Hier erwirbt das Kind zunächst die Herkunftssprache innerhalb der Familie und kommt mit der Zweitsprache erstmals regelmäßig mit Eintritt in den Kindergarten oder die Schule in Kontakt. In dieser Konstellation ist die Arbeitsteilung der beiden Sprachen oft recht klar: Eine Sprache wird zuhause mit der Familie gesprochen, die andere in der Schule, mit Freunden und Freundinnen, Lehrern und Lehrerinnen, beim Einkaufen und so weiter. Innerhalb des sukzessiven bilingualen Sprachenerwerbs wird oft eine weitere Unterscheidung zwischen dem frühen und dem späten kindlichen Zweitsprachenerwerb vorgenommen. Die Altersgrenze ist auch hier wieder variabel und abhängig von den Altersgrenzen, die für den doppelten 275 7.3 Frühkindliche Mehrsprachigkeit Erstsprachenerwerb angenommen werden. Dementsprechend geht man bei einem AoA der Zweitsprache im Alter zwischen zwei und vier, aber allerspätestens bis sechs Jahren vom frühen kindlichen Zweitsprachenerwerb aus. Tritt die Zweitsprache hingegen zwischen dem sechsten und zehnten Lebensjahr hinzu, spricht man üblicherweise vom späten kindlichen Zweitsprachenerwerb. Grundsätzlich wird bei allen drei genannten Erwerbskonstellationen davon ausgegangen, dass der Erwerb beider Sprachen ungesteuert, das heißt ohne explizite Unterweisung oder Unterricht stattfindet. Komplizierter wird es natürlich, wenn nicht nur zwei, sondern gleich drei Sprachen ungesteuert in der frühen oder späten Kindheit erworben werden. Obwohl dieses spannende Thema zunehmend Beachtung im Feld der Dreisprachigkeitsforschung erfährt, können wir in dieser Lerneinheit leider nicht näher darauf eingehen. 7.3.3 Erklärungsansätze: Ist das Alter „kritisch“? Warum wird eine Unterscheidung zwischen diesen drei Erwerbstypen im Kindesalter überhaupt getroffen? Spielt das Alter des Erwerbsbeginns wirklich eine so große Rolle? Die Unterscheidung basiert auf einer Reihe von Studien, die sich vor allem auf den Syntaxerwerb konzentrieren und darauf hindeuten, dass Kinder, die simultan mehrsprachig aufwachsen, dieselben Erwerbsschritte in der Syntaxentwicklung durchlaufen wie einsprachige Kinder in der jeweiligen Sprache und sich nicht grundlegend von einsprachigen Kindern in der Schnelligkeit und im Verlauf des Erwerbsprozesses unterscheiden (vergleiche Tracy 1996). Auch in der phonologischen Entwicklung von mehrsprachig aufwachsenden Kindern haben experimentelle Studien gezeigt, dass Babys, die simultan mit den Lautsystemen beider Sprachen aufwachsen, die typischen Entwicklungsstadien der Lallphasen, die Sie in Lerneinheit 7.1 kennengelernt haben, analog zu einsprachigen Kindern durchlaufen (Oller, Eilers, Urbano & Cobo-Lewis 1997). Im frühen sukzessiven bilingualen Erwerb wurden bezüglich des Erwerbs der Satzmuster und der Verbposition starke Ähnlichkeiten zum einsprachigen Erwerbsprozess festgestellt (Dimroth & Haberzettl 2008), wenngleich die jeweiligen Erwerbsschritte teils zeitversetzt zum (bilingualen) Erstspracherwerb auftreten können. Interessanterweise muss dies nicht immer zugunsten des simultanen oder einsprachigen Erwerbstyps ausfallen. Dimroth und Haberzettl (2008) stellen in einer Studie zum Erwerb der Verbflexion fest, dass Kinder mit Deutsch als früher Zweitsprache bestimmte Entwicklungsmeilensteine sogar noch schneller durchliefen als im Erstsprachenerwerb, da sie sich offenbar auf schon vorhandenes Wissen und den schon erreichten kognitiven Entwicklungsstand stützen konnten. Verallgemeinernd lässt sich festhalten, dass zumindest im Bereich der Phonologie und der Syntax ein früherer Erwerbsbeginn mit stärkeren Ähnlichkeiten mit den Verlaufsmustern des Erstsprachenerwerbs einhergeht. Die Erklärung für die Unterschiede zwischen simultan und sukzessiv bilingual aufwachsenden Kindern hängt stark von der angenommenen Erwerbstheorie ab. Hier kommt Ihr Wissen aus der vorhergehenden Lerneinheit 7.2 zum Einsatz. Aus nativistischer Perspektive werden unterschiedliche Erwerbsverläufe darauf zurückgeführt, dass angeborenes Sprachwissen nur bis zu einem bestimmten kritischen Alter noch zugänglich ist. Bestimmte Aspekte der Sprache können demnach nur innerhalb biologisch festgelegter Zeitfenster (sogenannter sensibler Phasen) noch auf muttersprachlichem Niveau erworben werden (siehe unter anderem Meisel 276 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb 2013). Wenn eine weitere Sprache nach Ablauf dieser kritischen Altersgrenze hinzutritt, so müssen Kinder demnach auf andere, bewusste Lernmechanismen zurückgreifen und können die Sprache folglich nicht mehr mühelos erwerben. Von dieser theoretischen Annahme ausgehend wäre die Erwartung, dass Erwerbsszenarien ganz grundlegende Unterschiede aufweisen, wenn das age of onset of acquisition vor oder nach dem kritischen Zeitpunkt liegt. Problematisch ist hierbei nicht nur, dass keine Einigkeit über die Grenzziehung dieser Zeitfenster und das Konzept von Muttersprachlichkeit besteht, sondern auch die Tatsache, dass die vorgeschlagenen Altersgrenzen empirisch nicht eindeutig qualitativ unterschiedlichen Erwerbsdaten zuzuordnen sind. Obwohl es unumstritten ist, dass das Alter den Erwerbsprozess beeinflusst, so fallen die mit dem Alter korrelierenden Unterschiede eher graduell als kategorisch aus. Vielleicht kennen Sie auch jemanden, der eine Sprache weit nach dem sechsten Lebensjahr gelernt hat und trotzdem kaum von sogenannten Muttersprachlern oder Muttersprachlerinnen zu unterscheiden ist. Umgekehrt zeigt die Forschung zur Sprachattrition auch, dass frühkindlicher Spracherwerb kein Garant für lebenslange muttersprachliche Kompetenz sein muss. Wenn Einwanderer und Einwanderinnen- - auch im Erwachsenenalter-- ihre Erstsprache nicht mehr verwenden, so hat dies starke Auswirkungen auf deren Erstsprachenkompetenzen, auch in syntaktischen Bereichen. Vieles deutet also darauf hin, dass unser kontinuierlicher Sprachgebrauch über das Kindesalter hinaus eine für die Sprachkompetenz entscheidendere Rolle als das Erwerbsalter per se spielt. Gebrauchsbasierte Theorieansätze würden daher die unterschiedlichen Erwerbsverläufe darauf zurückführen, dass mit dem age of onset of acquisition zum einen Erfahrungsunterschiede im Gebrauch mit den beiden Sprachen einhergehen, zum anderen auch Unterschiede in der kognitiven Entwicklung zu berücksichtigen sind, die kindliche Lernprozesse beeinflussen. Die Unterschiede werden jedoch hier als kontinuierlich angesehen: Je später ein Kind in eine Zweitsprache einsteigt, desto mehr gebrauchsbasiertes Wissen hat es schon in der Erstsprache aufgebaut. Es ist daher auch zu erwarten, dass die Zweitsprache durch die schon stärker automatisierten Form-Funktions-Einheiten der Erstsprache beeinflusst wird. Aus der Perspektive des Inputs und dessen Häufigkeiten ergibt sich zudem für die mehrsprachige Erwerbssituation, dass sich der sprachliche Gesamtinput notwendigerweise auf die jeweiligen Sprachen quantitativ aufteilen muss. Ganz konkret heißt das, dass ein simultan bilingual aufwachsendes Kind jede Sprache im Vergleich zu einem einsprachigen Kind auch weniger hört. Im Gegensatz zu nativistischen Ansätzen würden gebrauchsbasierte Theorien also durchaus auch im simultanen Erstspracherwerb subtile, aber messbare Unterschiede zu einsprachigen Kindern erwarten, die sich aus den unterschiedlichen Inputhäufigkeiten in der jeweiligen Sprache ergeben (Gathercole & Hoff 2007; Paradis, Nicoladis, Crago & Genesee 2011). Zu berücksichtigen ist außerdem für den sukzessiven Erwerb, dass sich Kognition, Verarbeitungsmechanismen und das Arbeitsgedächtnis fortlaufend bei Kindern neben den sprachlichen Fähigkeiten weiterentwickeln, sodass davon auszugehen ist, dass zu einem späteren Entwicklungsstand sprachliche Daten im Input auch anders verarbeitet werden. Dass kognitive Einschränkungen wie das begrenzte Arbeitsgedächtnis sogar Voraussetzung für den zielsprachlichen Erwerb von komplexen Konstruktionen sein könnten, legt eine Reihe von sehr erstaunlichen Computersimulationen nahe. Elman (1993) zeigte anhand eines Modells 277 7.3 Frühkindliche Mehrsprachigkeit neuronaler Netzwerke, dass der simulierte Lernprozess von komplexen Konstruktionen wie Relativsätzen nur dann möglich war, wenn das Modell anfangs mit sehr eingeschränkter Verarbeitungsspanne arbeitete, die sich erst allmählich erweiterte. Das anfängliche Verarbeiten von nur kleinen Teilen des Inputs-- wie es im kindlichen Erwerb der Fall ist-- scheint also die spätere Sprachverarbeitung von komplexeren Mustern zu erleichtern. Dieses paradox erscheinende Erwerbsphänomen wird mit dem Begriff starting small (etwa ‚klein anfangen‘) bezeichnet. Es ist also aus der Perspektive gebrauchsbasierter Ansätze nicht verwunderlich, dass Erwerbsverläufe sich nach Lebensalter unterscheiden sollten. Jedoch setzt dies keine angeborene scharf definierte Grenze voraus. Schließlich lernen wir viele andere Fertigkeiten ganz anders als Kind, als im Jugend- oder Erwachsenenalter: Jeder, der als Erwachsener versucht, ein Musikinstrument zu lernen, zu schwimmen oder fahrradzufahren, weiß, wie mühsam es ist. Daraus folgt aber nicht, dass es eine angeborene Grenze für allein diese Fähigkeit gibt. In konstruktionsgrammatischen Ansätzen wird daher keine kategorische Unterscheidung zwischen den oben genannten Erwerbstypen getroffen. Es wird angenommen, dass der Mechanismus des Sprachenerwerbsprozesses grundsätzlich derselbe ist, ganz gleich, ob die Sprache von Geburt an, in früher, später Kindheit, im Jugend- oder Erwachsenenalter erworben wird. Was sich ändert sind die kognitiven Voraussetzungen (siehe oben), die Inputverteilung auf die jeweiligen Sprachen und das sprachliche Wissen aus der Erstsprache, das wir mitbringen, und das unsere Annahmen-- gleich einem Filter-- lenkt. Dennoch stellen die eingangs dargestellten Unterscheidungen theorieunabhängig wichtige Kategorien und Fachbegriffe der bilingualen Erwerbsforschung dar. 7.3.4 Mehrsprachige Phänomene: Sprachmischungen Der Sprachgebrauch von mehrsprachig aufwachsenden Kindern zeichnet sich durch bestimmte Besonderheiten aus, die auf Wechselwirkungen zwischen den beiden erworbenen Sprachen zurückzuführen sind. Diese spezifisch mehrsprachigen Phänomene werden oft als Sprachmischungen bezeichnet. In der englischsprachigen Fachliteratur ist der Begriff crosslinguistic influence (‚wechselseitiger Spracheneinfluss‘) gängig. Sprachmischungen haben schon sehr früh in der Mehrsprachigkeitsforschung das Interesse von Sprachwissenschaftlern und Sprachwissenschaftlerinnen, aber auch die Besorgnis von Eltern sowie von Erziehern und Erzieherinnen geweckt, die in Mischäußerungen wie beispielsweise Cleanst du dein teeth? (aus Tracy 2008: 114) Anzeichen für ein babylonisches Sprach-Wirrwarr im Kinderkopf sahen. In den 1970er Jahren wurde in der Erwerbsforschung die Annahme vertreten, dass zweisprachige Kinder anfangs über ein undifferenziertes „verschmolzenes“ Sprachsystem (fusion hypothesis, Volterra & Taeschner 1978) verfügen, das sich erst nach mehreren Phasen der lexikalischen und syntaktischen Trennung zu zwei vollständig differenzierten Sprachsystemen entwickelt. So gesehen wären also zweisprachig aufwachsende Kinder streng genommen gar nicht bilingual, da das Kind selbst von nur einer Sprache ausgeht. Inzwischen gilt es durch zahlreiche Studien jedoch als gesichert, dass mehrsprachig aufwachsende Kinder ganz entgegen diesen Befürchtungen schon sehr früh über die Fähigkeit verfügen, ihre Sprachen zu trennen und sehr kompetent kontextangepasst einzusetzen. Schon vor dem zweiten Geburtstag sind 278 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb zweisprachige Kinder in der Lage, die jeweiligen Sprachen gezielt personengebunden und kontextangepasst zu verwenden, noch bevor sie anfangen, Wörter in Zweiwortäußerungen zu kombinieren (Köppe 1997; Lanza 1997). Beispielsweise wurde vielfach beobachtet, dass mehrsprachige Kinder ihre Sprachwahl selbst korrigieren, wenn Sie nicht den sprachlichen Kompetenzen oder Präferenzen des Kommunikationspartners beziehungsweise der Kommunikationspartnerin entsprechen. Dies zeigt also, dass schon überaus früh ein Bewusstsein für unterschiedliche Sprachen besteht und diese selektiv unter Berücksichtigung des Kontexts von Kindern eingesetzt werden. Studien zur Lautwahrnehmung im bilingualen Sprachenerwerb setzen sogar noch früher an: Bosch und Sebastián-Gallés (2001) untersuchten Säuglinge, die mit Katalanisch und Spanisch simultan aufwuchsen. Schon mit vier Monaten gelang es den Säuglingen, die Lautinventare der beiden angebotenen Sprachen zu unterscheiden, und das trotz der großen rhythmischen Ähnlichkeit zwischen den beiden Sprachen. Aufgrund dieser und zahlreicher weiterer Befunde wurde die fusion hypothesis zugunsten der differentiation hypothesis (‚Differenzierungshypothese‘, siehe Meisel 2001) verworfen. So wird heute in der Spracherwerbsforschung davon ausgegangen, dass mehrsprachiger Input ganz und gar nicht zu kognitiver Verwirrung führt, sondern dass Kinder weitaus früher als vermutet in der Lage sind, die beiden Sprachen zu differenzieren, sowohl anhand sprachspezifischer Kontraste, aber auch durch die verschiedenen Kontexte und Funktionen, in denen die Sprachen auftauchen. Sprachmischungen sind kein Anzeichen dafür, dass Kinder ihre Sprachen nicht auseinanderhalten können. Aber was genau sind nun die Sprachmischungen, die in der mehrsprachigen Entwicklung typischerweise auftreten? Hier lassen sich dieselben Formen von Spracheneinfluss unterscheiden, die Ihnen auch schon aus der Zweitsprachforschung bei Erwachsenen geläufig sind: code-switching, borrowing und transfer. Zu den auffälligsten und am intensivsten untersuchten Phänomenen gehört das Code-Switching (auch Code-Mixing genannt): Hier findet ein Sprachwechsel innerhalb eines Diskurses oder sogar innerhalb desselben Satzes (siehe Beispiel (1)) oder Konstituente (wie in (2) und (3)) statt (Gardner- Chloros 2009; Poplack 1980). (1) Shall we go to the pool oder würdest du lieber ins Kino? (2) Reich mir doch bitte das große black book, the one with the leather cover. (3) Ich hab versucht, ihn noch aufzucatchen, but was unable to. Auffällig ist das Code-Switching vor allem, weil hier lexikalische Elemente der einen Sprache in eine Äußerung in der anderen Sprache eingefügt werden. Zahlreiche Studien zum Code- Switching zeigen, dass derartige Sprachwechsel nicht willkürlich stattfinden, sondern dass meist eine Sprache als Matrix agiert und den Rahmen für einsetzbare Elemente der anderen Sprache vorgibt. Je nachdem, wie sehr sich die beiden Sprachen syntaktisch ähneln, ist es oft aber gar nicht so einfach zuzuordnen, auf welche Sprache der Konstruktionsrahmen zurückgeht. Code-Switching tritt meist in Gesprächen zwischen bilingualen Sprechern und Sprecherinnen mit sehr hoher Kompetenz in beiden Sprachen auf und ist an situative und soziale Faktoren gebunden. Auslöser für einen Sprachwechsel können beispielsweise ein Thema- oder Umgebungswechsel sein. Genau wie bei kompetenten erwachsenen bilingualen 279 7.3 Frühkindliche Mehrsprachigkeit Sprecherinnen und Sprechern gehört Code-Switching zum sprachlichen Repertoire von mehrsprachig aufwachsenden Kindern, das nicht von sprachlicher Verwirrung, sondern von hoher sprachlicher Kompetenz zeugt. Das zeigen detaillierte Analysen von kindlichen Code-Switches, die darauf hindeuten, dass Kinder die beiden Sprachen auch gezielt als kommunikative Ressource einsetzen können. So setzt die mit Englisch und Deutsch bilingual aufwachsende Hanna ihre beiden Sprachen in Beispiel (4) aus Tracy (2008) für einen bestimmten kommunikativen Effekt ein: (4) Mutter: You are reading the newspaper, are you? H. (2; 8): Don‘t stör mich, nich mich stören, in English or German. (Tracy 2008: 114) Das nicht einmal dreijährige Kind in (4) zeigt mit der expliziten Bezeichnung der beiden Sprachen nicht nur fortgeschrittenes metasprachliches Bewusstsein, sondern macht sich die Verneinungsformen beider Sprachen zunutze, um ihrer Bitte, nicht gestört zu werden, verstärkten Ausdruck zu verleihen. Code-Switching kann von Kindern auch ad hoc zum Einsatz kommen, um eine Lücke in der anderen Sprache zu schließen. Da wir von einer funktionalen Arbeitsteilung der beiden Sprachen ausgehen (siehe oben), ist es natürlich, dass sich der Wortschatz in den beiden Sprachen nicht vollständig symmetrisch entwickelt. So können einige Wörter in bestimmten Kontexten in der einen, aber noch nicht in der anderen Sprache verfügbar sein. Häufig führt dies zu einem bestimmten Subtyp von Code-Switching, dem sogenannten Borrowing (wörtlich die ‚Ausleihe‘): Ein Wort wird der anderen Sprache „entliehen“. Auch diese Form der Sprachmischung ist Ihnen sicherlich aus erwachsenen Zweitsprachkontexten bekannt. Es muss nicht immer eine Kompensierungsstrategie hinter dem Borrowing stecken. Bei Erwachsenen tritt dies häufig auch auf, wenn es um bestimmte kulturspezifische Konzepte geht, die kein direktes Äquivalent in der anderen Sprache haben (zum Beispiel auf Lehramt studieren). Einfacher und präziser als eine Umschreibung ist es dann, das Wort der Herkunftssprache zu entlehnen. Im Erwerbskontext von mehrsprachigen Kindern ist die Funktion von Borrowing jedoch weitaus häufiger das Schließen von erwerbsbedingten lexikalischen Lücken in einer der beiden Sprachen. Auch dies zeigt wiederum, dass mehrsprachige Kinder schon sehr früh in der Lage sind, geschickt die Ressourcen der einen Sprache für erwerbsbedingte Lücken im Repertoire der anderen zu nutzen. Mischungen treten also nicht willkürlich auf, sondern sind an bestimmte kommunikative und soziale Funktionen gekoppelt. Von einigen Forschern und Forscherinnen wird die Richtung, in der entlehnt wird, als Hinweis für eine Dominanz der Herkunftssprache der entlehnten Lexeme gesehen (vergleiche dominant language hypothesis, Bernardini & Schlyter 2004). Da bilinguale Kinder selten über perfekt ausgeglichene Sprachkompetenzen verfügen, ist eine der beiden Sprachen häufig präferiert oder dominant und wird folglich auch häufiger als Lückenfüller (gap filling) in Äußerungen in der schwächeren Sprache eingesetzt. Demnach sollten Mischungen dieser Art vor allem unidirektional auftreten und die stärkere Sprache nicht betreffen. Allerdings ist Borrowing nicht zwingend ein Indiz für Sprachdominanz: Erstens kommen Mischungen auch bei relativ 280 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb ausgeglichenen Kenntnisständen in den beiden Sprachen vor. Zweitens kann auch in Fällen von Sprachdominanz aus der schwächeren Sprache entlehnt werden (Kupisch 2006). Eine weitaus subtilere Spielart von Sprachmischungen betrifft eine Reihe von Phänomenen, die unter dem Begriff Transfereffekte zusammengefasst werden. Es handelt sich hierbei um Übertragungen aus der einen in die andere Sprache, die jegliche sprachliche Ebene betreffen können. Beispielweise kann eine phonologische Übertragung stattfinden, wenn einzelne Wörter oder ganze Äußerungen gemäß der anderen Sprache ausgesprochen werden. Transfereffekte wurden im Kontext des bilingualen Spracherwerbs vor allem im Bereich von sprachspezifischen Konstruktions- und Kollokationsmustern, wie in (5), untersucht. Übertragen werden können aber auch morphologische Muster, wie in (6) ersichtlich: Hier überträgt ein zweijähriges bilingual deutsch-französisches Kind eine häufige Pluralendung aus dem Deutschen (-en) und hängt diese an einen französischen Nominalstamm (aus Köppe & Meisel 1995). (5) Kannst du bitte ein Foto von uns nehmen? (Englisch: take a picture) (6) die poussetten (Französisch: poussette-- ‚Kinderwagen‘) Obwohl bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern die Annahme nahe liegt, sprachliche Abweichungen auf den Einfluss der anderen Sprache zurückzuführen, ist Vorsicht geboten. Denn auch bei einsprachigen Kindern treten Abweichungen von der Zielsprache auf, die durch den Erwerbsprozess bedingt sind. Beispielsweise sind abweichende Pluralendungen auch für den monolingualen Spracherwerb des Deutschen sehr charakteristisch: Insbesondere bei nullmarkierter Pluralisierung wie Hamster hängen deutschsprachige Kinder anfangs oft die Endung {-s} an (Kauschke 2012). In einem bilingual englisch-deutschen Erwerbskontext könnte man daher versucht sein, eine Abweichung wie Hamsters fälschlicherweise dem im Englischen gängigen und hochfrequenten s-Plural anzulasten. Wie Sie sehen, ist es also methodisch gar nicht so einfach, Transfereffekte im kindlichen Spracherwerb eindeutig zuzuordnen. Für eine Abgrenzung ist es daher sehr wichtig, vergleichbare Daten von einsprachigen Kindern desselben Untersuchungsalters zur Hand zu haben. Wenn bestimmte Abweichungen in den bilingualen Daten bei monolingualen Kindern nicht oder seltener vorkommen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Einfluss der anderen Sprache vorliegt, größer. Zusätzlich zu den oben genannten Sprachmischungen gibt es auch sehr gut erforschte Abweichungen in den sprachlichen Produktionen von bilingualen Kindern, die sich nicht direkt auf Strukturen oder Wörter einer bestimmten Sprache zurückführen lassen. Dies betrifft quantitative Unterschiede im Sprachgebrauch: Hier geht es um Abweichungen in der Häufigkeit, mit der bestimmte Konstruktionen im Vergleich zu einsprachigen Kindern verwendet werden. Quantitative Unterschiede ergeben sich typischerweise, wenn die erworbene Sprachkombination strukturelle Ähnlichkeiten oder Überlappungen aufweist, beispielsweise in den gängigen Satzmustern oder bestimmten Konstruktionstypen. Kinder scheinen diese sprachübergreifend ähnlichen Muster zu erkennen und in ihren eigenen Äußerungen vorzuziehen, indem sie diese Struktur in beiden Sprachen häufiger verwenden als monolinguale Kinder der jeweiligen Sprache. Beispielsweise zeigt eine Studie zum Ausdruck von Bewegung im simultan bilingualen Erwerb, dass englisch-französische Kinder sich in ihren französischen Äuße- 281 7.3 Frühkindliche Mehrsprachigkeit rungen sehr verstärkt eines Lexikalisierungsmusters bedienen, das deckungsgleich mit dem typisch englischen Muster ist, aber im selben Kontext von einsprachig französischen Kindern eher selten verwendet wird (Engemann, Harr & Hickmann 2012). So ziehen bilinguale Kinder beim Ausdruck von Bewegungsereignissen (zum Beispiel he rolls the ball across the street) ein Muster vor, bei dem-- analog zum Englischen-- die Ursache und die Art der Bewegung im Verb selbst ausgedrückt werden (rouler-- ‚rollen‘) und die Bewegungsrichtung außerhalb des Verbs, beispielsweise in Gerundia (en traversant la rue-- ‚durch Überqueren der Straße‘) oder präpositionalen Ausdrücken (de l’autre côté de la rue- - ‚auf die andere Straßenseite‘). Interessant ist hier, dass dieselben Äußerungen auch bei einsprachigen Kindern auftauchen, aber nicht mit derselben Häufigkeit. Es scheint, dass die spezifischen sprachlichen Merkmale und der Grad ihrer Überlappung in der erworbenen Sprachkombination bei dieser Form von Spracheinfluss eine große Rolle spielen. Was bedeuten diese verschiedenen Formen von Spracheneinfluss, die im bilingualen Spracherwerb auftreten? In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der psycholinguistischen und neurolinguistischen Studien stark gewachsen, die sich mit den verschiedenen Faktoren beschäftigt, die Sprachmischungen bedingen und begünstigen. Sicher ist, dass eine Vielzahl an sowohl innersprachlichen als auch außersprachlichen Faktoren beteiligt sind: Zu innersprachlichen Faktoren zählen die sprachspezifischen Unterschiede und Ähnlichkeiten, die zweisprachige Kindern offensichtlich erkennen. Zu außersprachlichen Faktoren zählen beispielsweise kontextuelle und situative Faktoren, wie die Anwesenheit eines bilingualen Gesprächspartners beziehungsweise einer Gesprächspartnerin. Eine wichtige Erkenntnis aus der bisherigen Forschung zum Spracheneinfluss ist, dass beide Sprachsysteme immer zu einem gewissen Grad aktiviert sind (siehe Grosjean 2010) und dynamisch interagieren. Die andere Sprache ist also nie ganz „ausgeschaltet“, selbst wenn gerade nur eine der Sprachen aktiv zum Einsatz kommt (Dijkstra, Grainger & van Heuven 1999). Sprachmischungen sind auch deswegen spannend, weil sie uns Einblick darin gewähren, wie die beiden Sprachen kognitiv von Kindern im Erwerb „verwaltet“ werden, das heißt, welche psycholinguistischen Prozesse vor sich gehen, um die beiden in der Produktion konkurrierenden Sprachen zu kontrollieren. Grundsätzlich ist diese Koaktivierung der beiden Sprachsysteme auch bei erwachsenen bilingualen Sprechern und Sprecherinnen gegeben. Allerdings kommen bei mehrsprachigen Kindern weitere entwicklungsspezifische kognitive Faktoren hinzu, die ebenfalls das Auftreten von Sprachmischungen beeinflussen. So muss sich die Fähigkeit der sogenannten exekutiven Kontrolle, die für das Hemmen von nicht relevanten Informationen verantwortlich ist, bei Kindern erst entwickeln. Denn die exekutive Kontrolle beinhaltet auch die Fähigkeit, die in einem bestimmten Kontext nicht angebrachte Sprache zu deaktivieren. 282 7. Wie alles begann: Der kindliche Sprach(en)erwerb 7.3.5 Zusammenfassung ▶ Mehrsprachigkeit entspricht keinem einheitlichen Profil, da sprachliche Kompetenz das ganze Leben hinweg dynamisch Veränderungen unterworfen ist. ▶ Im bilingualen Spracherwerb bei Kindern werden verschiedene Szenarien anhand des Kriteriums des Alters bei Erwerbsbeginn (AoA) unterschieden (simultan versus sukzessiv bilingualer Spracherwerb). ▶ Das Alter als kritischer Faktor ist in Erwerbstheorien umstritten. Unterschiede zwischen kindlichen und erwachsenen bilingualen Lernern können auch auf gebrauchsbasierte Faktoren (Input) zurückgeführt werden. ▶ Typischerweise treten im bilingualen Spracherwerb verschiedene Formen von Spracheinfluss auf, die sowohl als qualitative Abweichung als auch als quantitative Unterschiede zum einsprachigen Erwerb in Erscheinung treten. ▶ Sprachmischungen sind kein Hinweis für mangelnde Sprachendifferenzierung bei mehrsprachigen Kindern. 7.3.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welche Erwerbstypen lassen sich im bilingualen Spracherwerb unterscheiden und auf welchen Kriterien basiert die Unterscheidung? 2. Wie können Unterschiede zwischen den verschiedenen Erwerbstypen erklärt werden? Nennen Sie zwei theoretische Ansätze. 3. Welche Hinweise sprechen dafür, dass bilinguale Kinder früh fähig sind, ihre Sprachen zu trennen? 4. Was sind Sprachmischungen und welche Formen treten im bilingualen Spracherwerb typischerweise auf ? 283 7.3 Frühkindliche Mehrsprachigkeit 8. Gesten, Sprache und Kognition Wenn man Menschen beim Sprechen beobachtet, so kann man feststellen, dass sie an bestimmten Punkten ihrer Rede ihre Hände und Arme bewegen. Mit diesen manualen Bewegungen können Sprecher und Sprecherinnen unter anderem auf Objekte zeigen oder diese repräsentieren, Eigenschaften von Objekten darstellen oder Handlungen nachahmen. Ferner können diese Bewegungen dazu verwendet werden, eine Antwort auf eine Frage zu erbitten oder eine Person aufzufordern, eine Handlung auszuführen. Diese kommunikativen Bewegungen der Hände und Arme werden als Gesten bezeichnet. Redebegleitende Gesten können nicht nur die menschliche Interaktion organisieren. Als Fenster im Geist sind sie in der Lage, Einblicke in kognitive Prozesse wie beispielsweise das bildliche Denken zu geben, die uns verwehrt bleiben, wenn wir allein Sprache fokussieren. Zudem unterstützen sie kognitive Prozesse wie das Memorieren oder Problemlösen. Ziel dieses Kapitels ist es, in Lerneinheit 8.1 in das Medium Geste einzuführen. Dabei werden wir zunächst den theoretischen Rahmen beschreiben, in dem Gesten in Zusammenhang mit der Lautsprache betrachtet werden-- die moderne Gestikforschung. In der Lerneinheit 8.2 stehen Gesten als eigenständiges Medium, aber auch in ihrer Relation zur Sprache im Vordergrund. Hier werden wir zunächst in die Prinzipien der gestischen Darstellung einführen, um sodann Fragen zu adressieren, wie multimodale Bedeutung kreiert wird und welche Funktionen Gesten dabei erfüllen können. Darauf aufbauend stellen wir eine funktionale Typologie von Gesten vor. Die Lerneinheit 8.3 beschäftigt sich mit der Rolle von Gesten im Fremdsprachenunterricht. Dabei wird sowohl auf die interaktive Situation im Klassenzimmer eingegangen als auch auf die Relevanz von Gesten im Hinblick auf bestimmte kognitive Prozesse wie Verstehen, Memorieren und Problemlösen. 284 8. Gesten, Sprache und Kognition 8.1 Gesten als Teil von Sprache - Die moderne Gestikforschung Silva Ladewig Gesten sind kommunikative Bewegungen der Hände und Arme, die wie Sprache dazu benutzt werden, Gedanken und Gefühle eines Sprechers oder einer Sprecherin zu übermitteln oder soziale Ordnung herzustellen (Müller 1998: 13). Diese Perspektive auf Gesten scheint zunächst einmal sehr einleuchtend, ist aber mit einem bestimmten Ansatz auf Sprache und Gesten verbunden, der sich erst in den 1970er Jahren begründete. Dieser integrative Ansatz auf Sprache und Gesten grenzt sich stark von dem Feld der nonverbalen Kommunikation ab, welches besonders unsere Perspektive auf Gesten im öffentlichen, nicht-wissenschaftlichen Diskurs prägt. Leider aber reduziert diese Perspektive das volle Bedeutungs- und Funktionspotenzial von gestischen Bewegungen auf soziale oder interpersonelle Funktionen. Aus diesem Grund wollen wir im Folgenden in das Medium Geste einführen und uns verstärkt dem integrativen Ansatz auf Sprache und Gesten widmen, der wesentlich von David McNeill und Adam Kendon beeinflusst wurde. Im Anschluss daran, soll die Rolle von Gesten in der Verkörperung kognitiver Prozesse beleuchtet werden. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die moderne Gestenforschung vom Feld der nonverbalen Kommunikation abgrenzen können; ▶ Gesten neben der Lautsprache als gleichwertigen Bestandteil der menschlichen Kommunikation verstehen, der eng mit der Rede verzahnt ist begreifen; ▶ Gesten als Teil der Äußerungsformulierung kennenlernen; ▶ kognitive Prozesse der gestischen Bedeutungsherstellung erfassen. 8.1.1 Gesten und Sprache Gesten als Teil gesprochener Sprache anzusehen geht zurück auf die Rhetoriklehre Quintilians, der Gesten als Begleiter von Sprache betrachtete und sie unter anderem als Ausdruck von Sprechakten, Einstellungen und Emotionen beschrieb, aber auch ihre Funktion im Hinblick auf einzelne Diskursabschnitte oder die Struktur sprachlicher Äußerungen diskutierte (Müller 1998: 33ff). Quintilian war davon überzeugt, dass Gesten die natürliche Sprache von Menschen seien und dass sie sprachliche Eigenschaften aufwiesen. Der Gedanke, Gesten als universelle Sprache zu verstehen, wurde in der Renaissance (Bacon, Bulwer), der Aufklärung (Condillac, Diderot) aber auch in der Romantik (Vico, Herder) diskutiert und weiterentwickelt (Müller, Ladewig & Bressem 2013). Mit der Etablierung der Sprachwissenschaft als eigenständige Disziplin verloren Gesten jedoch zunehmend an Relevanz in der Beschreibung menschlicher Kommunikation. Lautsprache sollte den alleinigen Untersuchungsgegenstand darstellen, was zur Folge hatte, dass Gesten allenfalls als Teil der parole, das heißt des Sprachgebrauchs, angesehen wurden. Aber auch in dieser Konzeption wurde ihnen lediglich der 285 8.1 Gesten als Teil von Sprache - Die moderne Gestikforschung Ausdruck von Emotionen oder eine dekorative Funktion zur gesprochenen Sprache zugeschrieben. Diese Perspektive auf gestische Kommunikation verstärkte sich mit der Begründung des Forschungsfeldes der nonverbalen Kommunikation (Ruesch & Kees 1969), in dem Gesten als ein von der Rede abgetrennter Kanal konzipiert wurden. Seither wurde die Interrelation von Gesten und Sprache weitestgehend außer Acht gelassen und Gesten als Ausdruck von Macht, sozialem Status, Emotion oder Geschlecht beschrieben. Die ersten Mikroanalysen zur Korrelation von Sprache und Körperbewegungen (Condon & Ogston 1966, 1967; Kendon 1972), markierten den Beginn des Forschungsfeldes der modernen Gestikforschung. Pike (1967) und Birdwhistell (1970) integrierten Konzepte struktureller Linguistik in die Beschreibung körperlich-gestischer Kommunikation und formulierten erste Gedanken zu einer Theorie, die Sprache und Gesten vereinte. Inspiriert von diesen Arbeiten und basierend auf eigenen empirischen Studien zur strukturellen Organisation des Gestikulierens (gesticulation, siehe Kendon 1980) und ihrer engen Koordination mit Sprache formulierte Adam Kendon einen einflussreichen Satz. Hiernach sollen Sprache und Gesten als Manifestationen ein und desselben Äußerungsprozesses angesehen werden: „[s]peech and movement appear together, as manifestations of the same process of utterance“ (Kendon 1980: 208). Damit schaffte er die theoretischen wie methodischen Voraussetzungen für eine integrative Perspektive auf Sprache und Gesten, in der beide Ausdrucksmodi als gleichberechtigt verstanden wurden. Mit dem wegweisenden Aufsatz McNeills So you think gestures are nonverbal (1985) wurde die Dichotomie verbaler und nonverbaler Kommunikation endgültig überwunden. In the idiom of my title, such gestures are verbal. They are the overt products of the same internal processes that produce the other overt product, speech. (McNeill 1985: 350) Sprache und Gesten sind daher Produkte eines mentalen Prozesses, der die Produktion beider Modalitäten steuert. McNeill (1992) unterfütterte seine Hypothese mit folgenden empirisch belegten Befunden: ▶ Gesten werden überwiegend mit der Rede produziert, ▶ Gesten sind mit sprachlichen Einheiten synchronisiert, ▶ in Fällen von Aphasie ist die Produktion von Gesten ähnlich wie die der Sprache beeinträchtigt, ▶ Gesten entwickeln sich parallel zum kindlichen Erstspracherwerb und ▶ Gesten führen parallel zur Rede semantische und pragmatische Funktionen aus. McNeills bahnbrechender Aufsatz entfachte eine enthusiastische Kontroverse über die treibende Kraft von Gesten. Entweder wurden Gesten und Sprache als zwei semiotisch unterschiedliche, jedoch gleichberechtigte Teile des Äußerungsprozesses betrachtet (McNeill 1985, 1992) oder Gesten wurde eine unterstützende Funktion beim Lexemabruf und bei kognitiven Planungsprozessen zugeschrieben (Butterworth & Hadar 1989; Feyereisen 1987). Diese Debatte führte zu einem Anstieg von Untersuchungen von Phänomenen multimodaler Kommunikation. 286 8. Gesten, Sprache und Kognition In ihrer Forschung widmeten sich sowohl David McNeill als auch Adam Kendon seither der Ko-expressivität von Rede und Geste und beschrieben multimodale Äußerungen als Ausdrucksformen, in der Rede und Geste zusammenwirken. Beide Forscher werden demnach als Gründungsväter der modernen Gestikforschung betrachtet. Dennoch müssen wir festhalten, dass David McNeill und Adam Kendon unterschiedliche Theorien der Rede-Geste- Integration postulierten, aus denen unterschiedliche Schulen innerhalb des Forschungsfeldes hervorgingen. Während David McNeill an einer psychologischen Theorie von Sprache und Geste arbeitete, entwickelte Adam Kendon einen interaktionalen Ansatz auf multimodale Kommunikation, in dem Geste und Sprache als forms of action (Kendon 2004: 161, 174) beschrieben wurden. Mit ihrem linguistischen Ansatz auf Gesten verbindet Cornelia Müller das Interesse Kendons an formalen und strukturellen Eigenschaften von Gesten mit dem Interesse an der Deskription kognitiver Grundlagen sprachlich-gestischer Bedeutungskonstitution. Beide Foki untersucht sie im Kontext von Alltagsgesprächen, rückt dabei aber den Fokus auf das Medium Geste selbst. Basierend auf Kendons Idee der features of manifest deliberate expressiveness (Kendon 2004: 13f), bildet die Form von Gesten den Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen und Beschreibungen. Die verschiedenen Konfigurationen, Orientierungen der Handinnenfläche, Bewegungen und Positionen im Gestenraum, die eine Hand zeigen kann, werden als potenziell bedeutungstragende kinesische Einheiten von Körperbewegungen verstanden. In Anlehnung an Kendon bezeichnet sie diesen artikulatorischen Aufwand als kommunikativen Aufwand (Müller 2014a). Gestische Bedeutung ist motiviert (vergleiche Calbris 1990; Mittelberg 2006) und leitet sich weitestgehend aus alltagspraktischen Bewegungen der Hände und Arme ab (vergleiche Streeck 1994, 2009). Wie wir in der weiteren Diskussion noch sehen werden, vertritt Müller überdies die These, Gesten hätten ein Sprachpotenzial (Müller 2013) siehe auch (Armstrong & Wilcox 2007). Diese Annahme leitet sie aus ihrer funktionalen Klassifikation her, die zeigt, dass Gesten die Bühlerschen Sprachfunktionen (1934) von Ausdruck, Appell und Darstellung erfüllen (zu Bühler siehe auch Kapitel 2 im Band »Sprachenlehren«). Damit werden Gesten nun auch in das Zentrum sprachwissenschaftlicher Beschreibungen gestellt. Mit diesen drei Ansätzen haben wir drei theoretische Zugänge auf das Medium Geste und ihre Relation zur Sprache vorgestellt. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass diese kurze Einführung nicht als vollständig anzusehen ist, denn das Feld der modernen Gestikforschung ist ein interdisziplinäres Forschungsfeld, in dem unterschiedliche disziplinäre Perspektiven auf Sprache und Gesten unterschiedliche theoretische und methodische Zugänge formulieren. Im Folgenden sollen jedoch die eben skizzierten Ansätze im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. 8.1.2 Gesten und Äußerungsformulierung Wie bereits eingeführt stellt die Erforschung des Zusammenspiels von Rede und Geste auf der Ebene der Äußerungsformulierung den Fokus der modernen Gestikforschung dar. Untersuchungsgegenstände bildeten unter anderem die Korrelation von Körperbewegungen und Mustern des Redestroms, die Distribution semantischer Information über die verschiedenen 287 8.1 Gesten als Teil von Sprache - Die moderne Gestikforschung Ausdrucksmodi oder die syntaktische Integration von Gesten in die Äußerung. Diese Aspekte wollen wir im Folgenden etwas näher beleuchten. Basierend auf Beobachtungen, wonach die Bewegungen des Körpers mit Einheiten des Redestroms synchronisiert sind (Condon & Ogston 1967), widmeten sich Gestenforscher und -forscherinnen von Beginn an der zeitlichen Abstimmung von gestischen und sprachlichen Einheiten. Als Ausgangspunkt solcher Untersuchungen dient die von Kendon (1972) aufgestellte Hierarchie gestischer Einheiten, die eine interne Strukturierung gestischer Bewegungen postuliert (lineare Strukturen, Müller, Ladewig & Bressem 2013). Erste Überlegungen wurden bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgestellt, wonach Gesten im Hinblick auf eine dreigliedrige sequenzielle Struktur, bestehend aus einer Vorbereitungsphase, einer bedeutungstragenden Phase und einer Rückzugsphase, beschrieben wurden (Mosher 1916; Ott 1902). Diese als Gestenphasen titulierten Einheiten beschreibt auch Kendon (1972) und fügt weitere Phasen hinzu (siehe Abbildung 8.1). So beschreibt er mehrere Phasen des Haltens, die vor oder nach dem bedeutungstragenden stroke ausgeführt werden können (pre-, post stroke hold). Die daraus entstehende Einheit bezeichnet er als Nukleus. Vorbereitungsphase (preparation) und bedeutungstragende Phase (stroke) werden unter dem Begriff der Gestenphrase (gesture phrase) zusammengefasst. Eine Gestenphrase und eine Rückzugsphase (retraction) ergeben nach Kendon eine Gesteneinheit (gesture unit). Wichtig anzumerken ist, dass nicht jede Geste aus diesen Phasen bestehen muss. Einzelne Phasen können fallen gelassen oder miteinander verbunden werden (siehe dazu Bressem & Ladewig 2011). Eine Geste besteht aber stets aus einem stroke, also einer bedeutungstragenden Phase. Ist diese nicht vorhanden, gibt es keine Geste. Abbildung 8.1: Lineare Struktur von Gesten (nach Kendon 2004) Mithilfe dieses Vokabulars zur Bestimmung von Bewegungsphasen ist es möglich, verschiedene Formen der Rede-Geste-Integration zu beleuchten. Dabei bilden sowohl der stroke als auch die verschiedenen Haltephasen den Bezugspunkt zur Sprache. So konnten Studien beispielsweise zeigen, 288 8. Gesten, Sprache und Kognition ▶ dass Akzentuierungen des strokes mit Sprachakzenten korrelieren (Loehr 2004; McClave 1991; Tuite 1993); ▶ dass Körperbewegungen mit der Intonation der Sprache einhergehen (Birdwhistell 1970; Bolinger 1983); ▶ dass in einigen Fällen Sprecher beziehungsweise Sprecherinnen mit der Ausführung des strokes warten, bis dieser mit einem sprachlichen Bezugselement synchronisiert werden kann (Kendon 2004; Seyfeddinipur 2006). Wir können also festhalten, dass Gesten und Rede stark aufeinander abgestimmt sind und eine Einheit bilden (gesture speech ensemble, Kendon 2004: 127). Dies lässt die Vermutung nahe, dass Geste und Sprache denselben Äußerungsplanungsprozess durchlaufen, damit sie synchron zueinander produziert werden können. „The way in which gesture and speech are employed together-[…] can only be understood if it is agreed that they are planned for together“ (Kendon 2004: 116). Das enge Zusammenspiel von Rede und Geste in der Äußerungsproduktion zeigt sich auch in Fällen, in denen Gesten obligatorisch verwendet werden (müssen), wie beispielsweise bei Lokaldeiktika. Schauen wir uns die deiktischen Ausdrücke so, hier oder dort an, so stellen wir fest, dass diese ohne gestische Begleitung nicht hinreichend sind. Worauf sie sich beziehen, wird nur mithilfe von Zeigegesten deutlich (Fricke 2007; Stukenbrock 2015). Das heißt, hier liegt eine sehr enge Verbindung von Gesten und Rede vor, da die Lokaldeiktika ohne Gesten nur bedingt verständlich wären. Diese enge Verbindung wird auch sichtbar, wenn wir uns die Form von Gesten und das dazugehörige sprachliche Referenzobjekt anschauen. Studien zeigten, dass Gesten andere Formaspekte zeigen, wenn sich das Referenzobjekt des deiktischen Ausdrucks ändert. Bezieht sich ein Sprecher beziehungsweise eine Sprecherin verbal auf einen Raumpunkt wie etwa in der Äußerung Mein Auto steht dort, dann wird die Geste mit dem gestreckten Zeigefinger ausgeführt (Raumpunktdeixis nach Fricke 2007; siehe auch Kendon 2004). Beziehen sich Sprecher oder Sprecherinnen verbal auf eine Richtung wie in dem Beispiel und dann gehst Du hier geradeaus, so wird in der Regel mit der flachen Hand gezeigt (Richtungsdeixis nach Fricke 2007). Die Interaktion von Geste und Rede zeigt sich auch auf den Ebenen der Syntax und Semantik. Bereits sehr früh wurden Beobachtungen angestellt, wonach Gesten häufig mit Wörtern der geschlossenen Klasse wie Nomen, Verben und Adjektiven einhergehen (Krauss & Uri 1999) oder Gesten in syntaktische Lücken integriert werden (Slama-Cazacu 1976). Jüngere systematische Analysen der Rede-Geste-Integration auf syntaktisch-semantischer Ebene konnten zeigen, dass Gesten hauptsächlich Nomen und Verben (Ladewig 2012, 2014a), aber auch Adverbien und Adjektive (Bressem 2012, 2014; Fricke 2012) ersetzen können. Sie können demnach das semantische Zentrum einer Äußerung bilden oder qualitative Informationen zu einer sprachlichen Einheit hinzufügen. Auf Basis dieser empirischen Befunde plädierten Forscher und Forscherinnen für die Erweiterung funktionaler oder kognitiver Grammatiken um das gestische Ausdrucksmedium (Bressem 2012; Fricke 2012; Ladewig 2012, 2014a). Der Verschränkung von Gesten und Rede auf den Beschreibungsebenen der Syntax und Semantik widmen wir uns ausführlicher in der Lerneinheit 8.2. 289 8.1 Gesten als Teil von Sprache - Die moderne Gestikforschung 8.1.3 Gesten und Kognition Gesten und Sprache aus einer kognitiv-linguistischen Perspektive zu untersuchen ist mit dem Erkenntnisinteresse verbunden, kognitive Prozesse, mentale Wissensstrukturen sowie die Verbindung von Körper und Geist zu ergründen. Das Interesse an einer Untersuchung der kognitiven Grundierung von Gesten wurde mit David McNeills These geweckt, wonach Gesten ein Fenster zum Geist bildeten (McNeill & Duncan 2000). Sein Buch Hand and mind: What gestures reveal about thought (McNeill 1992) hatte große Auswirkungen auf eine psychologische Perspektive auf Gesten. Zudem brachten die darin formulierten Beobachtungen metaphorischer Gesten im Sprachgebrauch erstmals den Untersuchungsgegenstand verkörperter Metaphern in den Blick, der viele Gestikforscher und -forscherinnen seither inspirierte. Gründe dafür liegen nicht nur in der Erweiterung des Bedeutungsspektrums von Gesten, sondern auch in der damit verbundenen Schlussfolgerung, dass figurative Prozesse nicht nur sprachlich, sondern auch gestisch ausgedrückt werden können, um die Welt zu veranschaulichen und (be)greifbar zu machen. Nun ist es gewissermaßen nicht verwunderlich, dass auch Metaphern in anderen Ausdrucksmodi gebraucht werden, gelten sie doch wie die Metonymie als allgemeine Prozesse menschlicher Kognition, die körperliche Erfahrungen als Basis zur Bildung von Wissensstrukturen mit einschließen. Lange Zeit wurden Gesten jedoch von der Analyse metaphorischer und metonymischer Prozesse ausgeschlossen. Im Folgenden widmen wir uns Metonymien und Metaphern und stellen sie als kognitive Prozesse vor, die der Bildung sprachlicher, gestischer und sprachlich-gestischer Einheiten zugrunde liegen. Metonymische Prozesse in Gesten Sowohl bei Metaphern als auch bei Metonymien findet ein Übertragungsprozess von Bedeutung innerhalb von konzeptuellen Wissensstrukturen (Evans 2007; vergleichen Sie hierzu auch den Domänen-Begriff aus Lerneinheit 3.2 in diesem Band) statt. Im Gegensatz zu konzeptuellen Metaphern vollzieht sich dieser bei Metonymien innerhalb einer Domäne (siehe Kapitel 3 in diesem Band sowie Kapitel 2 im Band »Sprachenlernen und Kognition«). So ist in einer prototypischen metonymischen Relation die Quelldomäne nicht verwischt, sondern sie ist konzeptuell präsent und salient. Die Zieldomäne stellt die Elaborierung der Quelldomäne dar, wobei die Quelldomäne eine Komponente der Zieldomäne darstellt (vergleiche Panther 2005: 358). Typisch für eine metonymische Relation ist der Ausdruck „X steht für Y“, folglich eine Entität steht für eine andere. Ein häufig in der Literatur zitiertes Beispiel ist der Satz Ich habe den ganzen Goethe gelesen, bei dem der Name des Autors für das von ihm verfasste Werk steht. In der Gestikforschung rückten metonymische Prozesse immer wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit (Calbris 2011; Ishino 2008, 2001; Müller 1998, 2004). Eine umfassende und systematische Beschreibung metonymischer Prozesse in Gesten lieferte aber erst Mittelberg (2006), die Metonymie als Prozess der gestischen Zeichenherstellung beschrieb. Ausgehend von der Perspektive des Rezipienten beziehungsweise der Rezipientin argumentierte sie, dass der Rezipient oder die Rezipientin einer Geste einem metonymischen Pfad folgt, der eine Verbindung zwischen Geste und inferiertem Referenzobjekt eröffnet. Mittelbergs Annahme 290 8. Gesten, Sprache und Kognition zufolge, bildet die gestische Form den Ausgangspunkt für diesen Interpretationsprozess wonach Gesten etwa als Nachahmung einer Handlung oder als Repräsentation eines Objektes interpretiert werden. Abbildung 8.2: Nachahmung einer Handlung mit Objekt Nehmen wir das Beispiel der in Abbildung 8.2 dargestellte Geste, so sehen wir einen Sprecher, der seine linke Hand zu einer nach unten gerichteten Faust geballt hat. Die Geste ist im zentralen Gestenraum positioniert. Die Hand wird in leicht gebogener Form zum Körper des Sprechers bewegt (zur Beschreibung gestischer Formen siehe Bressem 2013). Die Form der Geste lässt auf eine Handlungsnachahmung schließen, bei der ein Objekt mit der Hand umschlossen und in Richtung des Sprechers bewegt wird. Zwei metonymische Prozesse bilden die Grundlage für diese Interpretation, wie sie Mittelberg (2010) beschrieben hat: (1) interne Metonymie: Der in der Geste sichtbare Bewegungsablauf reflektiert den Ablauf der ursprünglichen Handlung. Dabei wird die gestische Darstellung auf saliente Eigenschaften reduziert. Das heißt, es wird nicht der gesamte Bewegungsablauf dargestellt, der beispielsweise einen bestimmten Kraftaufwand oder eine bestimmte Spannung der Hand verlangt, sondern einzelne bedeutungstragende Teile eines Handlungsschemas werden herausgegriffen und gestisch verkörpert. (2) externe Metonymie: Form und Größe des gestisch dargestellten Objektes müssen über die Handform rekonstruiert werden. Passt das Objekt in den Handteller und kann von der Hand umschlossen werden wie in dem dargestellten Beispiel (siehe Abbildung 8.2), so können wir schlussfolgern, dass dieses Objekt von kleiner Größe ist. Müssen wir zwei Hände zur Handlungsdarstellung gebrauchen, so können wir herleiten, dass das dargestellte Objekt größer ist. Die mittels der Hände dargestellten 291 8.1 Gesten als Teil von Sprache - Die moderne Gestikforschung Objekte befinden sich extern zur Hand und grenzen an diese an. Halte ich beispielsweise eine Kiste, so grenzt diese auch an meine Hand an und ist nicht Teil dieser. Bei der gestischen Darstellung jedoch sind diese Objekte nicht sichtbar. Wir müssen sie mitdenken, inferieren. Da sich die realen Objekte im tatsächlichen Handlungsablauf sowie die „mitgedachten“, inferierten Objekte in der gestischen Darstellung außerhalb der Hand befinden, wird dieser Inferierungsprozess externe Metonymie genannt. Basale Informationen wie Größe oder Form eines Objektes können über die Gesten rekonstruiert werden. Welche Handlung und welches Objekt eine Geste jedoch genau darstellt, kann nur über die Relation zur Sprache erschlossen werden (siehe Lerneinheit 8.2). Hier können metaphorische Prozesse eine Rolle spielen. Metaphorische Prozesse in Gesten Stellen wir uns vor, ein Sprecher beziehungsweise eine Sprecherin benutzt die in Abbildung 8.2 dargestellte Geste, begleitet sie mit der Äußerung Das hat mir viele Türen geöffnet und bezieht sich damit auf Etappen seines oder ihres Karriereweges. Die gesamte multimodale Äußerung referiert somit auf einen abstrakten Sachverhalt-- den Karriereweg-- und nicht auf die konkrete Handlung des Türöffnens beispielsweise zu einem Büro. Aus diesem Wechselspiel zwischen Rede und Geste können wir rekonstruieren, dass die dargestellte Geste metaphorisch verwendet wird, da sie sich auf einen abstrakten Sachverhalt bezieht. Wie Sie aus Lerneinheit 3.2 wissen, zeichnen sich Metaphern dadurch aus, dass ein Übertragungsprozess (Mapping) zwischen zwei Domänen, das heißt einer Quell- und einer Zieldomäne, stattfindet. Ein oft zitiertes Beispiel in der kognitiven Linguistik ist die Metapher LOVE IS A JOURNEY , in der Liebe als Reise konzeptualisiert wird (Lakoff & Johnson 1980). Die metaphorische Äußerung Wir sind in einer Sackgasse gelandet instanziiere diese Metapher, so die Argumentation. Dabei würden die Reisenden mit den Liebenden gleichgesetzt, die Liebesbeziehung mit der Reise und das Ende der Beziehung mit dem Ende der Reise. Sprachliche Äußerungen wie diese werden als Ausdruck kognitiver, metaphorischer Prozesse gefasst. Wie wir bereits anmerkten, weckten Metaphern in Gesten sowie in multimodalen Äußerungen das Untersuchungsinteresse von Gestikforschern und -forscherinnen seit McNeills (1992) Publikation seiner Gestentypologie, in der er unter anderem zwischen ikonischen und metaphorischen Gesten unterschied. Bereits in den 1980er Jahren wiesen McNeill und Levy (1982) darauf hin, dass sich konzeptuelle Repräsentationen nicht nur in der Sprache, sondern auch in Gesten zeigten: Like an iconic gesture, a metaphoric gesture is formed but this form does not depict aspects of the situation being described. Rather, the form depicts the vehicle of a metaphor. The gesture is iconically related to this vehicle, not to the meaning, or tenor of the metaphor (Richards, 1936). Like a verbal metaphor, a gestural metaphor conveys meaning indirectly. (McNeill & Levy 1982: 274) Studien zur Relation von Rede und Geste haben seither argumentiert, dass Gesten in Begleitung mit der Rede multimodale Metaphern bilden können. Dabei verkörpern Gesten häufig die Quelldomäne einer verbalisierten Metapher (Cienki 1998). Interessant dabei ist die 292 8. Gesten, Sprache und Kognition flexible Beziehung zwischen Geste und Rede. Metaphorizität kann monomodal, das heißt in Sprache oder Geste, oder multimodal, also in Sprache und Geste, ausgedrückt werden (Cienki 1998; Cienki & Müller 2008; Müller & Cienki 2009). Bei dem in Abbildung 8.2 dargestellten Beispiel handelt es sich um eine multimodale Metapher. Die Handlung des Türöffnens, bei der das Festhalten und Ziehen eines Griffes gestisch nachgeahmt wird, stellt die Quelldomäne der Metapher dar. Über den sprachlichen Kontext Das hat mir viele Türen geöffnet können wir rekonstruieren, dass es sich nicht um das Öffnen konkreter Türen handelt, sondern um berufliche Chancen, die sich für den Sprecher ergeben haben. Mit dem Öffnen abstrakter Türen werden neue berufliche Räume eröffnet. Es lassen sich aber auch multimodale Metaphern finden, in denen unterschiedliche metaphorische Konzepte in Sprache und Geste übermittelt werden. Abbildung 8.3: „In zehn oder zwanzig Jahren, da sieht die Sache ganz anders aus.“ Gestische Verkörperung von Zeit-Metaphern (Müller 2010a: 170) Wie das Beispiel in Abbildung 8.3 zeigt, bezieht sich die Sprecherin verbal auf zeitliche Abschnitte, die in der Zukunft verortet werden. Sprachlich ist eine Metapher zu finden, die wir als solche nicht mehr wahrnehmen und als „tote Metapher“ (Black 1962) bezeichnen würden. Die Sprecherin konzipiert die Zeitabschnitte als Container, was über die Verwendung der Präposition in deutlich wird. Es scheint als würde sie die Zeitabschnitte so konzeptualisieren als könne man sich in sie hineinbegeben. Schauen wir auf ihre Gesten, so stellen wir fest, 293 8.1 Gesten als Teil von Sprache - Die moderne Gestikforschung dass der Container hier aufgegriffen wird. Beide Hände stellen die Seitenbegrenzung eines Objektes-- eines Containers-- dar. Folgen wir Müllers (2008) Argumentation, so wird diese tote Metapher gestisch aktiviert und sollte somit nicht mehr als tot, sondern als „lebendig“ betrachtet werden. Die Metapher ZEITABSCHNITTE SIND CONTAINER kann also in beiden Modalitäten rekonstruiert werden. Anders ist es mit der zweiten Metapher, die rein gestisch und somit monomodal ausgedrückt wird. Die Hände der Sprecherin bewegen sich nämlich auf einer Achse von links nach rechts. Der linke Pol dieser Achse stellt die Vergangenheit, der rechte Pol die Zukunft dar. Diese Achse wird nicht verbalisiert, ist aber häufig zu beobachten, wenn Sprecher beziehungsweise Sprecherinnen Zeitabschnitte konzeptualisieren (Calbris 1990; Casasanto & Jasmin 2012; Cienki 1998). Betrachten wir die beiden kognitiven Prozesse Metonymie und Metapher, so stellen wir fest, dass metonymische Prozesse bei annähernd jeder gestischen Zeichenkonstitution zum Tragen kommen. Ausnahmen bilden lediglich Gesten, deren Ausführung Handlungsvollzüge darstellen. Beispiele sind das Winken oder Segnen. Metaphern sind nicht in jeder gestischen Bedeutungskonstitution aktiviert. Ferner bleibt festzuhalten, dass im Prozess der Gesteninterpretation und Zeichenkonstitution zunächst metonymische Inferenzprozesse aktiviert werden. Metaphorische Prozesse sind dem nachgeschaltet. Kommen wir nochmals auf das Beispiel aus Abbildung 8.3 zurück, so ist davon auszugehen, dass der Rezipient oder die Rezipientin dieser Geste zunächst das Objekt eines Containers über die gestische Form rekonstruiert. In einem zweiten Schritt wird dieser Container metaphorisch als Zeitabschnitt konzeptualisiert. Dieser Zweischritt im Interpretationsprozess wurde unter dem Begriff metonymy first, metaphor second gefasst (Mittelberg & Waugh 2009). 8.1.4 Zusammenfassung ▶ Gesten werden überwiegend mit der Rede produziert. Dabei sind beide Ausdrucksmodi auf der interaktiven und kognitiven Ebene eng miteinander verzahnt. ▶ Gesten sind in Phasen aufteilbar und können größere Gesteneinheiten bilden. Diese Segmentierung ist wichtig für die Beschreibung der Integration von Gesten in die Lautsprache. ▶ Das Erschließen multimodaler Bedeutung ist sehr komplex. Gesten können sowohl konkrete als auch abstrakte Sachverhalte darstellen. Bei der gestischen Zeichenbildung spielen immer metonymische Prozesse eine Rolle. Metaphorische Prozesse kommen zum Einsatz, wenn Gesten sich auf abstrakte Sachverhalte beziehen. Dabei können Gesten auch „tote Metaphern“ verkörpern und somit aktivieren. ▶ Aufgrund der genannten Erkenntnisse werden Gesten als integrativer Bestandteil der Rede verstanden. Diese Annahme bildet das Forschungsparadigma der modernen Gestikforschung, welches sich stark von dem Feld der nonverbalen Kommunikation abgrenzt. 294 8. Gesten, Sprache und Kognition 8.1.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Nennen Sie drei theoretische Zugänge, auf das Medium Geste und ihre Relation zur Sprache. 2. Nennen Sie die potenziell bedeutungstragenden kinesischen Einheiten von Körperbewegungen. 3. Welchen Fokus setzt die moderne Gestikfoschung? Nennen Sie die hierdurch resultierenden Untersuchungsgegenstände. 4. Was versteht man unter „toter Metapher“? Nennen Sie den Einfluss, welchen Gesten auf diese „toten Metaphern“ haben können. 5. Was wird unter dem Begriff metonymy first, metaphor second gefasst? Erklären Sie dies an dem Beispiel aus dem Text, bei welchem gestisch Container metaphorisch als Zeitabschnitt konzeptualisiert wird. 295 8.2 Gesten und ihre Bedeutung 8.2 Gesten und ihre Bedeutung Silva Ladewig In der vorherigen Lerneinheit haben wir gelernt, dass das Medium Geste als gleichberechtigt zur Sprache angesehen werden sollte, da es eng verzahnt mit ihr Informationen übermittelt. Wir haben zudem erfahren, dass Gesten eine interne Struktur aufweisen, die an proto-sprachliche Strukturen erinnern. Sie sind in einzelne Phasen aufteilbar, welche wiederum größere Einheiten bilden können. Außerdem haben wir einen ersten Eindruck davon bekommen, wie komplex der Prozess der gestischen Zeichenherstellung und -interpretation ist. Die Bedeutung einer Geste erschließt sich einerseits mittels metonymischer Prozesse über die gestische Form, andererseits über ihre Relation zur Rede. Dabei tritt die Ikonizität der gestischen Form in einen interaktiven Prozess mit der Symbolhaftigkeit der Rede. Diesen Interaktionsprozess wollen wir in diesem Kapitel näher beleuchten. Zunächst widmen wir uns der Beschreibung von Gesten als eigenständigem Medium. Im Anschluss daran, diskutieren wir Funktionen, die Gesten in Bezug auf die Rede ausführen und leiten daraus eine Typologie von Gesten ab. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ sich mit Aspekten der Medialität von Gesten und somit mit dem ikonischen Potenzial kommunikativer Handbewegungen auseinandersetzen; ▶ die Interaktion von Sprache und Gesten auf den Beschreibungsebenen der Semantik, der Syntax und der Pragmatik kennenlernen; ▶ mit einigen theoretischen Annahmen der modernen Gestikforschung und einer Typologie von Gesten vertraut gemacht werden. 8.2.1 Gesten als Zeichen Wenn wir die Bedeutung von Gesten erklären möchten, sollten wir uns zunächst dem Medium Geste widmen, das seine ganz eigenen Aspekte der Medialität aufweist. Aus diesem Grund umreißen wir zunächst kurz, wie Gesten als Zeichen zu verstehen sind. Form ist Bedeutung „If we explain the meaning of a gesture we explain the form“ (McNeill 1992: 23). Die Form einer Geste ist der Ausgangspunkt jedes gestischen Bedeutungsherstellungsprozesses, denn die Bedeutung einer Geste manifestiert sich in ihrer Form. Eine Geste, die mit beiden Händen eine runde Form in die Luft zeichnet, wird sich auf etwas Rundliches, Abgeschlossenes beziehen wie etwa einen Ball, einen (runden) Spiegel, eine Einheit, eine Gruppe oder die Eigenschaft ‚rund‘. Objekte, die eckige, gerade Charakteristika zeigen oder etwas Offenes aufweisen, werden höchstwahrscheinlich nicht mit dieser Geste dargestellt werden. 296 8. Gesten, Sprache und Kognition Die Bedeutung einer Geste spiegelt sich also in ihrer Form wider. Aus diesem Grund wird sie als motiviert betrachtet. Im Medium Geste sind ferner keine Formstandards zu beobachten. Gestische Form- und Bedeutungseinheiten entstehen in der Regel spontan und im Moment des Sprechens. Sie sind eingebettet in den propositionalen Gehalt einer Äußerung und nehmen Bezug darauf. Eine Ausnahme bilden konventionalisierte Gesten (siehe Abbildung 8.5). Somit unterscheiden sich Gesten stark von Prozessen der Bedeutungsherstellung in der Sprache. Hier finden wir zwei Systeme, die mittels Konvention verbunden werden. Die Verbindung zwischen Form (Lauten) und Bedeutung eines Lexems ist willkürlich und arbiträr. Sie ist intransparent und nicht motiviert (de Saussure 2001). Die Lautkette [bal] hat beispielsweise wenig mit dem Objekt gemein auf das sie sich bezieht. Eine kreisförmige Geste jedoch schon, da sich Eigenschaften des Objektes, auf das mit der Lautkette [bal] referiert wird, in der gestischen Form widerspiegeln. In der Gestenforschung finden sich verschiedene Ansätze, die die Bedeutungsherstellung von Gesten in den Blick nehmen. Einer der einflussreichsten Ansätze ist der von David McNeill (1992). Er betrachtet Gesten als holistische Gestalten, bei denen sich gestische Bedeutung global-synthetisch übermittelt. Das heißt, Gesten bilden eine ganzheitliche Gestalt, in der sich die Bedeutung ihrer einzelnen Teile wie etwa Handform, Bewegung oder Position, über die Bedeutung der gesamten Gestalt vermittelt und nicht analytische aus der Summe der einzelnen Teile. McNeill nennt das global. Zudem können sich mehr als ein Bedeutungsaspekt in einer einzigen Geste vereinen. Dieser Aspekt wird unter dem Begriff synthetisch gefasst. Als Beispiel nennt McNeill das Wackeln der Finger, das eine Person darstellt, die eine Leitung entlangläuft. This gesture-symbol is global in that the whole is not composed out of separately meaningful parts. Rather, the parts gain meaning because of the meaning of the whole. The wiggling fingers mean running only because we know that the gesture, as a whole, depicts someone running. It’s not that a gesture depicting someone running was composed out of separately meaningful parts: wiggling-+ motion, for instance. The gesture also is synthetic. It combines different meaning elements. The segments of the utterance, “he- + running- + along the wire,” were combined in the gesture into a single depiction of Sylvester-runningalong-the-wire. (McNeill 1992: 20f) McNeill nimmt an, dass Rede und Geste von demselben mentalen Prozess geleitet werden: „Gestures share with speech a computational stage; they are, accordingly, parts of the same psychological structure“ (McNeill 1985: 350). Dieser mentale Entstehungsprozess nimmt seinen Ausgangspunkt in einer gedanklichen Einheit, dem sogenannten growth point. In ihm vereinen sich gestalthafte Elemente beider Seiten des Produktionsprozesses. Ferner geht McNeill davon aus, dass im Entstehungsprozess multimodaler Äußerungen unterschiedliche Formen des Denkens miteinander interagieren, die ihren Ausdruck in unterschiedlichen Modalitäten finden. So werden Gesten als visueller Teil des Denkens verstanden, in denen ikonische Abbildungsprozesse gestalthaft erzeugt werden. Sie vereinen mehrere Bedeutungsaspekte in sich. Die Rede reflektiere sprachliches, analytisches Denken, bei dem sich die Gesamtbedeutung aus einzelnen bedeutungstragenden Elementen speist, die miteinander linear in der Zeit kombiniert werden. Zudem kann Sprache unterschiedliche komplexe Ein- 297 8.2 Gesten und ihre Bedeutung heiten bilden und damit hierarchisch aufgebaut sein-- eine Eigenschaft, die laut McNeill in Gesten nicht zu beobachten ist. Neben den Ansätzen, die Gesten als Handlungen sehen beziehungsweise als interaktionale Züge, die motiviert sind durch ein rhetorisches Ziel (visible actions, Kendon 2004), oder die Gesten als Techniken ansehen, mittels derer wir in der Lage sind, mit der außersprachlichen Welt „umzugehen“ (Streeck 2009), gibt es Perspektiven, die das sprachliche Potenzial von Gesten ausarbeiten. Diesem linguistisch-semiotisch geprägte Ansatz (Müller 1998, 2013; Müller, Bressem & Ladewig 2013; Müller, Ladewig & Bressem 2013) widmen wir uns im Folgenden und stellen Techniken der Gestenherstellung sowie gestische Funktionen mit und ohne Bezug zur Rede vor. Gestische Darstellungsweisen Gesten und Sprache erfüllen laut Müller (1998, 2013) ein ähnliches Funktions- und Ausdruckspektrum. Gleichwohl unterscheiden sie sich in ihren semiotischen Eigenschaften. Ein linguistisch-semiotischer Ansatz nimmt die medialen Eigenheiten von Gesten, das heißt ihre spezifischen semiotischen Charakteristika, in den Blick. Dies ist ein wichtiger Schritt, denn wie wir bereits gesehen haben, spielt die Form, die sich über die medialen Eigenschaften einer Geste vermitteln, eine große Rolle in der gestischen Bedeutungsherstellung. Um die mediale Verfasstheit von Gesten zu erfassen, werden Techniken der Gestenherstellung, sogenannte gestische Darstellungsweisen (Müller 1998, 2014a, b), sowie simultane und lineare Strukturen (Müller, Bressem & Ladewig 2013) beschrieben. Zu den Strukturen von Gesten gehören die interne Struktur von Gesten, die mittels einzelner Formparameter beschrieben werden können (simultane Strukturen, Müller, Bressem & Ladewig 2013; Bressem 2013; Ladewig & Bressem 2013) oder die Kombinierbarkeit von Gesten, die wir bereits in Lerneinheit 8.1 unter dem Begriff Gestenphasen angesprochen haben (lineare Strukturen, Bressem & Ladewig 2011). Aus Platzgründen können wir im Folgenden nur auf die gestischen Darstellungsweisen eingehen. Mit den gestischen Darstellungsweisen arbeitet Müller (1998, 2010a, 2014b) einen Aspekt des Darstellungsspektrums von Gesten heraus und versucht zu erfassen, wie Bewegungen der Hände und Arme zu kommunikativen Zeichen werden. Sie unterscheidet vier Techniken der Gestenherstellung, also vier Darstellungsweisen: Agieren, Modellieren, Zeichnen und Repräsentieren (siehe Abbildung 8.4). 298 8. Gesten, Sprache und Kognition Abbildung 8.4: Gestische Darstellungsweisen (nach Müller 1998, 2014b) Wenn die Hand agiert, tut sie so, als würde sie eine Alltagshandlung ausführen. Die nachgeahmte Handlung involviert in den meisten Fällen ein Objekt, das Rezipienten beziehungsweise Rezipientinnen imaginieren müssen. Schauen wir uns das erste Beispiel in Abbildung 8.4 einmal genauer an, so sehen wir einen Sprecher, der seine rechte Hand zu einer Faust formt und sie in Richtung seines Oberkörpers bewegt. Die Geste wird simultan zum letzten Teil der Äußerung Dass man ein Fenster aufmachen, eben auch öffnen kann ausgeführt. Synchron zur Verbalphrase öffnen kann benutzt der Sprecher die beschriebene Geste und imitiert das Halten und Ziehen eines Objektes. Über die Verbalsprache wird deutlich, dass es sich bei dem Objekt um einen Fenstergriff handelt, an dem gezogen wird. Beide Aspekte werden vom Rezipienten beziehungsweise der Rezipientin über metonymische Prozesse inferiert, wie wir später noch genauer erklären werden (siehe auch Lerneinheit 8.1). Im zweiten Beispiel (von links gezählt in Abbildung 8.4) tut die Hand so, als würde sie ein dreidimensionales Objekt modellieren. Der Sprecher spricht über die Figur Pinocchio und sagt Wenn er gelogen hat, ist dem kleinen Holzjungen die Nase lang und länger und länger gewachsen. Während sie die Phrase die Nase lang und länger und länger gewachsen formuliert, bewegt sie ihre Hand beginnend bei ihrer Nase nach vorn und vom Körper weg. Ihre Hand zeigt eine Konfiguration in der alle fünf Finger zusammengeführt werden und sich fast berühren. Über diese Konfiguration 299 8.2 Gesten und ihre Bedeutung und Bewegung erschließen wir uns, dass der Sprecher ein längliches Objekt modelliert, das in Nasenhöhe lokalisiert wird. Auch hier müssen wir uns das Objekt vorstellen und über metonymische Prozesse rekonstruieren. Über die Rede wird deutlich, dass es sich bei dem Objekt um eine sehr lang gewachsene Nase handelt. Das dritte Beispiel (von links gezählt in Abbildung 8.4) zeigt einen Sprecher, der eine zeichnende Geste ausführt. Dabei spricht er von einer Person, die 20 km zu sich nach Hause fährt. Während der Formulierung der Phrase zwanzig Kilometer zu sich nach Hause zeichnet der Sprecher den Wegverlauf nach, allerdings nicht mit einem Stift, sondern mit seinem Zeigefinger in der Luft. Der Zeigefinger seiner linken Hand führt dabei eine gebogene Bewegung aus. Es entsteht eine zweidimensionale, gebogene, flüchtige und imaginierte Linie, die den Wegverlauf darstellen soll, den eine Person zurücklegt. Diese spezifische Bedeutung wird abermals über die gesprochene Sprache deutlich. Die eben beschriebenen Fälle basieren auf Handlungsnachahmungen: Wir können mit den Händen konkrete und reale Objekte handhaben, eine konkrete, existierende Skulptur modellieren oder mit dem Zeigefinger die Gestalt eines Objektes in den Sand zeichnen. Aus diesem Grund werden Modellieren und Zeichnen in der neusten Klassifikation Müllers (2014b) der Darstellungsweise Agieren zugeordnet. Im letzten Beispiel (ganz rechts in Abbildung 8.4) ist ein anderer Prozess aktiv, denn die Hand wird hier zu einem Objekt transformiert. Der Sprecher streckt Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger seiner rechten Hand und schließt und öffnet Zeige- und Mittelfinger alternierend. Dabei führt er die rechte Hand, deren Innenfläche zum Körper des Sprechers gerichtet ist, in einer geraden Bewegung in Richtung seines linken Armes. Die Geste wird zeitgleich zur Äußerung müssen wir rausschneiden ausgeführt, woraus wir schlussfolgern können, dass es sich bei dem Objekt um eine Schere handelt. Die Hand verkörpert einzelne Elemente einer Schere: Zeigefinger und Mittelfinger ahmen die Scherenblätter des Objektes nach. Die gestische Bewegung stellt die Bewegung der Schere selbst dar. Sie ist nicht gleichzusetzen mit der Bewegung der Hand, die die Schere hält und sie im Schneidevorgang führt. Die verschiedenen Darstellungsweisen reflektieren die Perspektive, die eine Sprecherin beziehungsweise ein Sprecher im Moment des Sprechens und / oder Gestikulierens auf ein Gesprächsobjekt einnimmt. Sie geht einher mit unterschiedlichen Formen der Konzeptualisierung und Abstrahierung, bei denen die Metonymie eine wichtige Rolle spielt. Metonymie bezeichnet den Prozess der Bedeutungsherstellung, bei dem etwas für etwas anderes steht (X steht für Y). Wie wir festgestellt haben, kann sich dieser Prozess sprachlich, aber auch gestisch ausdrücken (vergleiche Lerneinheit 8.1). Je nach Darstellungsweise sind andere metonymische Prozesse aktiviert, durch die jeweils unterschiedliche Aspekte in der gestischen Darstellung fokussiert werden. Alle vier Darstellungsweisen haben jedoch gemein, dass saliente Eigenschaften von Objekten, Handlungen oder Prozesse herausgegriffen und gestisch verkörpert werden. Bei Handlungsnachahmungen (Agieren) beispielsweise selektiert der Sprecher oder die Sprecherin beziehungsweise der oder die Gestikulierende bedeutungstragende Elemente eines Handlungsschemas heraus, wobei die Hand und der Arm immer als Teil der nachgeahmten Handlung fungieren. Das erste Beispiel in Abbildung 8.4 verdeutlicht dies: Hand und Arm des Sprechers sind Teil der tatsächlichen Handlung, die nachgeahmt 300 8. Gesten, Sprache und Kognition wird, da wir ein Fenster durch Betätigen eines Griffs mit eben diesen öffnen. Wie wir bereits in der vorherigen Lerneinheit gezeigt haben, wird die Rolle der Hände und Arme im Prozess der Bedeutungsherstellung bei gestisch nachgeahmten Handlungen über interne Metonymie erschlossen. Die in die Handlung involvierten Objekte werden über externe Metonymie inferiert, da diese extern zur Hand zu finden sind (siehe Lerneinheit 8.1). Ähnlich ist es bei den Darstellungsmodi Modellieren und Zeichnen. Bedeutungstragende Elemente einer Oberflächengestalt (Modellieren) beziehungsweise einer Form oder Linie (Zeichnen) werden selektiert und mittels der Hände und Arme verkörpert. In beiden Fällen ist die Hand Teil der Handlungsnachahmung (interne Metonymie) und das modellierte Objekt oder die gezeichnete Form sind außerhalb, aber angrenzend zur Hand zu finden (externe Metonymie). Externe Metonymie ist im Fall von repräsentierenden Gesten nicht aktiv, da die Hand gewissermaßen zum Objekt wird. Auch hier werden einzelne bedeutungstragende Elemente herausgegriffen und gestisch verkörpert. Die dargestellten Objekte sind aber nicht außerhalb der Hand zu rekonstruieren, sondern die Hände selbst werden zu Objekten transformiert. Im dargestellten Fall sind es Charakteristika einer Schere, wie die sich bewegenden Scherenblätter, die mittels Zeige- und Mittelfinger verkörpert werden. Wie bereits angesprochen wird über die Darstellungsweise sichtbar, wie ein Sprecher beziehungsweise eine Sprecherin ein Gesprächsobjekt konzeptualisiert. Diese Beobachtung folgt McNeills (1992) These, wonach Gesten ein Fenster zum Geist eröffneten. Natürlich ist konzeptuelle Bedeutung nicht allein über Gesten, sondern auch über die gesprochene Äußerung rekonstruierbar. Dennoch ist häufig zu beobachten, dass semantische Aspekte mittels Geste präzisiert werden. Schauen wir uns noch einmal zwei Beispiele aus Abbildung 8.4 an. Das erste Beispiel zeigt eine Frau, die in ihrer multimodalen Äußerung auf die Tätigkeit des Öffnens referiert. Wie dieser Prozess allerdings konzeptualisiert wurde, das heißt auf welche Art und Weise etwas geöffnet wurde, wird allein über die Geste sichtbar. So könnte man ein Fenster beispielsweise auch nach vorne aufklappen oder nach oben schieben. Im letzten Beispiel der Abbildung referiert der Sprecher auf die Handlung des Herausschneidens. Hier könnten wir argumentieren, dass er diese Tätigkeit auch mittels einer agierenden Geste hätte darstellen können, in der die Hand gleichsam die Schere hält und die Finger die alternierende Bewegung des Auseinander- und Zusammenführens der Scherengriffe ausführen. Er entscheidet sich aber für eine andere Darstellungsweise und fokussiert damit andere Aspekte der Handlung des Herausschneidens, nämlich das Objekt, mit dem die Handlung des Herausschneidens ausgeführt wird. Damit steht das Objekt und nicht die Handlung mit dem Instrument im Vordergrund und das sowohl für den Sprecher beziehungsweise die Sprecherin als auch für den Rezipienten beziehungsweise die Rezipientin. 8.2.2 Gesten und ihre Relation zur Sprache Gesten erlangen ihre vollständige Bedeutung in der Interaktion mit der Rede. Dabei spezifizieren sich Gesten und Sprache gleichermaßen wie wir bereits im ersten Beispiel in Abbildung 8.4 gesehen haben: Das Verb öffnen kann sich auf verschiedene Handlungsvorgänge beziehen, die ein Öffnen und somit das Eröffnen eines Raumes nach sich ziehen. Über die 301 8.2 Gesten und ihre Bedeutung Geste können wir aber rekonstruieren, dass sich der Sprecher hier auf die Handhabung eines Griffs bezieht und das Ziehen an eben diesem. Dieser Griff wiederum kann einem Fenster oder einer Tür zugehören. Diese Spezifikation der gestischen Bedeutung kann jedoch über den sprachlichen Kontext erschlossen werden. Im eben besprochenen Fall können wir über die sprachliche Information rekonstruieren, dass sich der Sprecher auf ein Fenster bezieht. Mit diesen Beobachtungen begeben wir uns auf die Ebene der Rede-Geste-Interaktion. Das heißt, das Bedeutungspotenzial des Mediums Geste allein steht nicht mehr im Vordergrund unserer Beschreibungen, sondern die enge Wechselbeziehung beider Medien rückt in den Fokus. Semantische, syntaktische und pragmatische Beziehung von Rede und Geste Um diese wechselseitige Beziehung in der Konstitution von Bedeutung beschreiben zu können, gehen wir zunächst auf das Konzept der Koexpressivität ein, das McNeill (1992, 2005) beschrieben hat: Gesture and speech express the same underlying idea unit but express it in their own ways-- their own aspects of it, and when they express overlapping aspects do so in distinctive ways. (McNeill 2005: 22) Beide Einheiten- - sowohl gestisch als auch sprachlich- - sollten sich auf dasselbe Diskursobjekt beziehen (siehe auch Engle 2000: 26), um als koexpressiv angesehen zu werden. Sie müssen aber nicht notwendigerweise simultan ausgedrückt werden, sondern können auch in temporaler Distanz zueinanderstehen. Dieser Definition entsprechend unterscheiden wir zwischen folgenden Okkurrenzen: (1) der Prä- und Postpositionierung und damit der sequentiellen oder linearen Kombination sprachlicher und gestischer Einheiten, (2) dem parallelen Gebrauch, das heißt dem simultanen Vorkommen und Überlappen von Rede und Geste und (3) dem alleinigen Gebrauch von Gesten. Im letztgenannten Fall haben Gesten kein sprachliches Pendant im Moment ihrer Produktion. Basierend auf dieser temporalen Relation von Rede und Geste können wir die Beziehung zwischen den beiden Ausdrucksmodi spezifizieren und nehmen dabei die Beschreibungsebenen Semantik, Syntax und Pragmatik in den Blick. Eine genauere Ausarbeitung der Wechselbeziehung von Reden und Gesten auf diesen Ebenen im Hinblick auf Aspekte der Annotation von Reden und Gesten findet sich in (Bressem, Ladewig & Müller 2013). 302 8. Gesten, Sprache und Kognition Tabelle 8.1: Semantische Relation von Rede und Geste (nach Bressem, Ladewig & Müller 2013: 1111-1112) Schauen wir uns zunächst die semantische Beziehung von Rede und Geste an, so können wir folgende Relationen festhalten: komplementär, konträr und ersetzend. Stehen sie in einem komplementären Verhältnis zueinander, teilen beide Ausdrucksmodi semantische Merkmale, die Geste fügt aber Informationen zur Sprache hinzu und modifiziert dabei sprachliche Inhalte. Stehen sie in einem konträren Verhältnis zueinander, übermitteln beide unterschiedliche Informationen. Die Geste ergänzt folglich Informationen. Wenn Gesten die Rede ersetzen, substituieren sie sprachliche Informationen. Modifikation ist die am häufigsten zu beobachtende semantische Funktion. Die Beispiele, die wir in diesem und im vorigen Kapitel aufgeführt haben, bewegen sich alle in diesem Funktionsbereich. In der Forschungsliteratur ist häufig auch von einem redundanten Verhältnis von Rede und Geste zu lesen. In diesem Fall gehen Forscher beziehungsweise Forscherinnen davon aus, dass beide Ausdrucksmodi mehr oder weniger identische Informationen übermitteln. Da ein redundantes Verhältnis jedoch relativ selten bis gar nicht zu beobachten ist, haben wir diese Relation nicht mit aufgeführt und folgen damit McNeills Konzept der Koexpressivität, denn er hebt hervor: Two core features of gestures are that they carry meaning, and that they and the synchronous speech are co-expressive. Co-expressive, but not redundant-[…]. (McNeill 2007: 23) Betrachtet man die beiden Medien Sprache und Geste genauer, so ist es höchst unwahrscheinlich, dass beide Ausdrucksmodi redundant sind. Aufgrund ihrer Medialität drücken Gesten Konzepte bildlich-visuell aus und können auf diese Weise Bedeutungsaspekte hinzufügen oder spezifizieren. Gesten sind nicht nur auf semantischer Ebene in die Rede integriert, sondern auch auf syntaktischer Ebene. Sie tun dies, indem sie syntaktische Positionen wie etwa von Nomen oder Verben übernehmen und dabei die Rede ersetzen wie in dem Beispiel Er hatte vorne drauf diesen seltsamen [Gesten] (Ladewig 2012, 2014a; siehe Tabelle 8.2) oder simultan mit Nomen oder Verben gebraucht werden (Bressem 2012, 2014; siehe Tabelle 8.2). Gesten können aber auch kataphorisch über den Gebrauch verbaler Deiktika wie so, hier oder diese(r) in die Rede integriert sein (Fricke 2012; Streeck 2002). Das heißt also, Gesten können selbst als Nomen 303 8.2 Gesten und ihre Bedeutung oder Verben fungieren oder sie spezifizieren verbal ausgedrückte Nomen oder Verben und übernehmen die Funktion von Adverbien oder Attributen. Tabelle 8.2: Syntaktische Relation von Rede und Geste (nach Bressem, Ladewig & Müller 2013: 1109-1110) Geste und Rede können auch auf pragmatischer Ebene integriert sein und somit eine pragmatische Funktion ausführen. Tun sie dies, können sie sich auf den Sprecher beziehungsweise die Sprecherin oder auf den Adressaten beziehungsweise die Adressatin beziehen und so auf der Ebene der Interaktion oder des Diskurses operieren (siehe Tabelle 8.3). Regulieren oder strukturieren sie das Verhalten des Sprechers beziehungsweise der Sprecherin, um beispielsweise anzuzeigen, dass er oder sie das Rederecht behalten möchte oder drückt eine Geste eine negative Einstellung zum Gesagten aus, wie es beispielsweise bei der sogenannten „Wegwischgeste“ zu beobachten ist (Bressem & Müller 2014a; Teßendorf 2014), operieren sie auf der Ebene der Interaktion und führen eine modale Funktion aus. Gesten mit Adressatenbeziehungsweise Adressatinnenbezug regulieren das Verhalten anderer und erfüllen eine performative Funktion (Müller 1998). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn mittels Gesten Argumente eines anderen Sprechers beziehungsweise einer anderen Sprecherin abgewehrt oder der Redefluss eines Gegenübers unterbrochen wird. Operieren Gesten auf der Ebene des Diskurses, erfüllen sie eine diskursive Funktion (Müller 1998). Dies ist häufig im Fall von repetitiven, akzentuierten Gesten zu beobachten, die oft irrtümlicherweise als inhaltsleere Taktstockgesten bezeichnet werden (Efron [1941] 1972; Ekman & Friesen 1969; McNeill 1992; für eine Diskussion siehe Bressem 2012) die Elemente einer Rede hervorheben und somit salient setzen. 304 8. Gesten, Sprache und Kognition Tabelle 8.3: Pragmatische Relation von Rede und Geste (nach Bressem, Ladewig & Müller 2013: 1113) Noch eine nicht unwesentliche Anmerkung am Ende dieses Abschnitts: Gesten sind wie Sprache multifunktional. Das heißt, eine Geste kann beispielsweise sowohl semantische und syntaktische Funktionen übernehmen wie in dem ersten Beispiel in Abbildung 8.4 gezeigt. Hier spezifiziert die Geste die Handlung des Öffnens und übernimmt damit die Funktion eines Adverbs. Welche Funktionen eine Geste übernehmen kann und welche der Funktionen dominant ist, ist gleichwohl abhängig von ihrem Gebrauchskontext und ihrem Typ. So haben Gestikforscher und -forscherinnen festgestellt, dass sich bestimmte Gestentypen für gewisse kommunikative Zwecke eignen. Mit dieser Beobachtung setzt sich der nächste Abschnitt auseinander und diskutiert eine Typologie von Gesten aus linguistischer Perspektive. Typologie von Gesten Die Bandbreite gestischer Ausdrucksmöglichkeiten wurde bereits in der Antike beschrieben. So betont Qunitilian die Fülle gestischer Funktionen, die derjenigen der Lautsprache sehr nahekommt und die Bühlerschen Sprachfunktionen Darstellung, Appell und Ausdruck (Bühler 1934) umfasst. Er unterscheidet sonach Gesten, die sich auf einzelne Teile der Rede beziehen wie etwa den Redebeginn, eine Erzählung oder Argumentation, von Gesten, die Sprechakte ausführen, Emotionen und Einstellungen übermitteln oder aber sich auf die Struktur der Rede beziehen (Aufzählungen, Hervorheben von Elementen der Rede) (Quintilian 1969: 92ff; Müller 1998: 31ff; Müller, Ladewig & Bressem 2013: 55f) Im Folgenden wollen wir uns einer Kategorie widmen, die den Konventionalisierungsgrad von Gesten in den Blick nimmt und basierend darauf eine Gestentypologie mit funktional determinierten Unterkategorien beschreiben. Schauen wir uns den Grad der Konventionalisierung von Gesten an, so können wir zwischen singulären, rekurrenten und emblematischen Gesten unterscheiden (Müller 2010b, 2017). Singuläre Gesten sind nicht konventionalisiert und verkörpern Bedeutung, die sich auf den referentiellen Gebrauch beziehungsweise der Proposition einer Äußerung beziehen. Sie werden spontan erzeugt und sind indexikalisch mit dem Gesprächskontext, in dem sie gebraucht werden, verbunden. Im Gegensatz dazu zeigen emblematische Gesten (Ekman & Friesen 1969) eine feste Form- und Bedeutungsbeziehung. 305 8.2 Gesten und ihre Bedeutung Der nach oben gerichtete Daumen beispielsweise trägt häufig die Bedeutung von ‚ok‘, ‚alles in Ordnung‘, ‚sehr gut‘. Diese Gesten können die Rede ersetzen und anstelle von Wörtern, Wortgruppen oder Sätzen verwendet werden. Neben singulären und emblematischen Gesten können wir auch Gesten beobachten, die zwar eine stabile Form- und Bedeutungsbeziehung zeigen, allerdings keinen Wortstatus aufweisen. Diese Gesten tragen eher eine schematische Bedeutung, die nicht in ein bestimmtes Wort oder eine Wortgruppe übersetzbar ist. Sie kehren in bestimmten Kontexten sprecherübergreifend wieder, wobei ihre Form- und Bedeutungskerne stabil bleiben. Aus diesem Grund werden sie als rekurrente Gesten bezeichnet. Abbildung 8.5: Repertoire rekurrenter Gesten (nach Bressem & Müller 2014b: 1580-1584) Beispiele für rekurrente Gesten sind die nach oben gerichtete, geöffnete Hand (palm up open hand, Kendon 2004; Müller 2004), die Wegfegegeste (brushing aside gesture, Teßendorf 2014) oder die Kreisbewegungsgeste (cyclic gesture, Ladewig 2010, 2014b) (siehe Abbildung 8.5). In umfangreichen und systematischen Studien haben Gestikforscher und -forscherinnen sogar ein ganzes Repertoire rekurrenter Gesten für das Deutsche ermittelt, das 16 Gesten umfasst (Bressem & Müller 2014b, siehe Abbildung 8.5). 306 8. Gesten, Sprache und Kognition Nun können singuläre, rekurrente und emblematische Gesten unterschiedliche Funktionen ausführen. Hier implementieren wir Bühlers Organonmodell, welches die drei Funktionen von Sprache beschreibt (Bühler 1934), welche auch von Gesten ausgeführt werden können. Diese gestische Ausdrucksfülle wurde unter dem Begriff des sprachlichen Potenzials von Gesten diskutiert, das als wesentliche Voraussetzung dafür gilt, dass sich Handgesten zu Gebärden entwickeln können (Müller 2013). Bühlers Modell umfasst die Funktionen Darstellung, Ausdruck und Appell. Stellen Gesten etwas dar, so stellen sie Bezüge zur außersprachlichen Wirklichkeit her. Über die Ausdrucksfunktion werden Emotionen, Gefühle oder Einstellungen des Sprechers beziehungsweise der Sprecherin übermittelt. Der Adressatenbeziehungsweise Adressatinnenbezug einer Geste wird mittels der Appellfunktion gefasst. Grundsätzlich können alle drei Funktionen von allen drei Gestentypen ausgeführt werden. Jedoch ist häufig mindestens eine der Funktionen dominant, wie wir es schon bei den gestischen Funktionen in Bezug auf die Rede gesehen haben. Bei den singulären Gesten steht die Darstellungsfunktion im Vordergrund. So ahmen sie Eigenschaften von Objekten oder Handlungen nach oder bilden räumliche Relationen oder Größenverhältnisse ab. Sie stellen daher Sachverhalte aus der außersprachlichen Welt dar, die entweder konkret oder abstrakt sein können (siehe Lerneinheit 8.1 sowie Tabelle 8.1). Als solches sind sie auch Teil des propositionalen Gehalts einer multimodalen Äußerung und interagieren häufig auf der Ebene der Semantik und der Syntax mit der Rede. Bei rekurrenten Gesten steht die Appellfunktion im Vordergrund, da diese Gesten auf der Ebene der Interaktion angesiedelt sind und häufig einen Adressatenbeziehungsweise Adressatinnenbezug herstellen. Sie können unter anderem dazu verwendet werden, Teile einer Äußerung zu markieren und für den Adressaten beziehungsweise die Adressatin relevant zu setzen (diskursive Funktion) oder selbst eine kommunikative Handlung (performative Funktion) auszuführen. Somit interagieren sie auf der pragmatischen Ebene mit der Rede. Bei Emblemen ist keine eindeutige Zuordnung einer der drei Funktionen gegeben. So können sie alle drei Funktionen als dominante Funktion ausführen. Das Zeigen auf die Uhr kann beispielsweise die Äußerung Es ist schon spät oder Ich bin spät dran ersetzen und damit einen propositionalen Gehalt einer gesprochenen Äußerung verkörpern. Dieselbe Geste kann aber auch eine dominante Appellfunktion ausdrücken und etwa Beeil dich bedeuten. Ferner können Embleme als evaluative Beschreibung dienen und so die Ausdrucksfunktion ausführen. Als Beispiel sei hier etwa die rotierende Geste in Höhe des Kopfes genannt, die mit einem bestimmten Gesichtsausdruck einhergeht und ‚verrückt‘ bedeuten kann (Kendon 2004: 339). Embleme können auch eine Funktion ausführen, die im Organonmodell nicht inkludiert ist, aber für sprachliche Äußerungen angenommen wird, nämlich die Funktion, Sprechakte ausführen zu können. Diese Gesten fungieren wie performative Verben. Beispiele sind die Gesten des Segnens oder Schwörens mittels derer der Akt des Segnens oder Schwörens durchgeführt wird (Austin 1962). In diesen Fällen stellen die Gesten nicht performative Akte wie Segnen oder Schwören dar, sondern sie vollziehen diese selbst. Auf diese Weise verkörpern sie die illokutive Kraft einer Äußerung und gehen dabei häufig mit performativen Verben einher. 307 8.2 Gesten und ihre Bedeutung 8.2.3 Zusammenfassung ▶ Im analytischen Prozess der Bedeutungsrekonstruktion von Gesten, sollte zunächst immer von der Form einer Geste ausgegangen werden, da die gestische Form bereits Bedeutungsaspekte übermittelt, die mittels der sprachlichen Äußerung konkretisiert und spezifiziert werden. ▶ Manuale Bewegungen werden zu Gesten, wenn sie eine kommunikative Funktion ausführen. In der Gestenherstellung können vier Darstellungsweisen angewandt werden: Agieren, Modellieren, Zeichnen und Repräsentieren. ▶ Gesten können spontan, ad-hoc, im Moment des Sprechens gebildet werden (singuläre Gesten). Diese Gesten übermitteln häufig semantische Informationen wie Formen, Größenangaben, räumliche Beziehungen oder Bewegungsabläufe. Gesten können aber auch konventionalisiert sein (rekurrente Gesten und Embleme). Diese Gesten weisen eine stabile Form- und Bedeutungsbeziehung auf und erfüllen oft pragmatische Funktionen. ▶ Gesten können verschiedene Relationen zur Rede aufweisen. Die temporale Relation beschreibt die zeitliche Ko-Okkurrenz von sprachlichen und gestischen Einheiten. Die funktionale Relation umfasst die Funktion von Gesten auf der Ebene der Semantik, Syntax und Pragmatik. 8.2.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was versteht man unter dem Begriff kommunikative Bewegungen? 2. Weshalb werden Gesten als motiviert betrachtet? 3. Zwischen welchen möglichen Okkurrenzen kann, wenn man sich den gestischen und sprachlichen Bezug auf dasselbe Diskursobjekt anschaut, unterschieden werden? 4. Was wird unter der pragmatischen Funktion von Gesten verstanden? Geben Sie ein Beispiel. 5. Was versteht man unter dem Konventionalisierungsgrad von Gesten? Welche Gestentypen lassen sich basierend auf diesem Merkmal unterscheiden? 308 8. Gesten, Sprache und Kognition 8.3 Gesten im Fremdsprachenunterricht: Verstehen, Memorieren, Problemlösen Lena Hotze In den vorhergegangenen Lerneinheiten haben wir erfahren, inwieweit Gesten einen wichtigen Bestandteil der menschlichen Kommunikation darstellen. Fragen, wie Was zeichnet eine multimodale Äußerung aus und wie können wir sie kategorisieren? , wurden geklärt und von Ihnen praktisch umgesetzt. In der abschließenden Lerneinheit dieses Kapitels möchten wir auf die direkte Verwendung der Gesten im Fremdsprachenunterricht eingehen. Hierbei soll vor allem der Nutzen des multimodalen Einsatzes im Klassenzimmer deutlich gemacht werden. Dabei fokussieren wir nicht nur Lerner, sondern ebenso Lehrkräfte und zeigen durch die Vorstellung von Fallstudien und Beispielen, wie Gesten in Hinblick auf die kognitiven Prozesse Verstehen, Memorieren und Problemlösen verwendet werden und somit eine wesentliche Rolle in der Lehrsituation einnehmen. Die Lerneinheit verdeutlicht, dass der multimodale Einsatz, das heißt sowohl lautsprachlich als auch körperlich und / oder gestisch, Vorteile im Vorgang des Lernens und Lehrens für die Schüler- und Lehrerschaft mit sich bringt. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ multimodale Äußerungen als Lehrhilfe gezielt einsetzen und den Unterricht aktiv gestalten; ▶ Gesten als eine redebegleitende Ausdrucksform Ihrer Lerner beachten; ▶ Verstehensprozesse gestisch unterstützen und fördern können; ▶ multimodale Äußerungen hinsichtlich der Erinnerung lexikalischer und grammatikalischer Einheiten anwenden können; ▶ Probleme bezüglich Begriffs- und Sprachlücken beheben können. 8.3.1 Gesten und L2-Erwerb Betrachten wir den Erwerb einer Sprache aus einer kognitiv-linguistischen Sicht, dann muss er aus zweierlei Perspektiven untersucht werden, nämlich aus einer verbalen als auch aus einer gestischen. Generell kann gesagt werden, dass die Verwendung von Gesten im Kontext des Lehrens und Lernens eine immer größere Rolle innerhalb der L2-Forschung einnimmt. Nun können wir uns fragen: Warum? Gullberg gibt dazu eine passende und eindeutige Antwort: Cross-cutting these broad areas, gesture analysis can shed new light on issues such as the effect of the other language (transfer or crosslinguistic influence), general effects found in all learners (learner varieties), communication strategies, the role of collaborative processes, classroom practices and assessment, the role of vision, and motor actions for acquisition-[…]. (Gullberg 2014: 1869) Gesten verschaffen uns die Möglichkeit, einen Einblick in die Gedankenwelt des Sprechers beziehungsweise der Sprecherin und dessen beziehungsweise deren Sprachstandes zu erhalten 309 8.3 Gesten im Fremdsprachenunterricht: Verstehen, Memorieren, Problemlösen und somit eine Unterstützung zur Förderung oder zum Ausbau weiterer Lehrschwerpunkte zu geben. Des Weiteren zeigen Studien, dass L2-Lerner verhältnismäßig häufiger in einer Fremdsprache gestikulieren als in ihrer eigenen Muttersprache (siehe unter anderem Gullberg 1998; Hadar, Dar & Teitelmann 2001; Stam & McCafferty 2008). Dabei gleichen sie jedoch nicht ausschließlich ein lexikalisches Defizit aus, sondern ergänzen die sprachliche Äußerung und unterstützen die Konzeptualisierung des Gesagten (vergleiche Cristilli 2014; siehe unter anderem Gullberg 1998; Alibali, Kita & Young 2000; Goldin-Meadow 2003). Überdies können uns Gesten zeigen, ob und inwieweit Lehrkräfte bei sprachlichen Defiziten ihrer Lerner behilflich sein können. So haben Graziano und Gullberg (2013) herausgefunden, dass eine mehrheitliche Produktion von (pragmatischen und darstellenden) Gesten (siehe Lerneinheit 8.2) mit dem Zweitspracherwerb einhergeht, jedoch vor allem während Pausen beziehungsweise Unterbrechungen, da eine mögliche Hilfe hinsichtlich der Lexik vom Gegenüber erwartet wird. Im Allgemeinen gehen Gesten mit einer produktiven Lernatmosphäre einher. Lerner werden durch die Verwendung von manuellen Instruktionen seitens der Lehrkraft zu einer gesteigerten Nutzung von multimodalen Äußerungen angeregt und übernehmen diese zum Teil in das eigene Sprachrepertoire (vergleiche Gullberg, de Bot & Volterra 2008; Stam & McCafferty 2008). Des Weiteren unterstützen sie in klassischen Unterrichtssituationen, zum Beispiel während der Nutzung von Hörbeispielen, den Verstehensprozess. Bereits 1992 betont Kellerman, dass sich Audiobeispiele leichter elaborieren lassen, wenn Bewegungsabläufe hinzugefügt und somit Mängel im Erfassen und Verstehen beseitigt werden. Auch Stam und McCafferty unterstreichen diese Aussage mit dem Punkt: […] the effective use of gesture (and other nonverbal features) by an instructor in a L2 classroom is thought both to create a positive atmosphere and to enhance the possibility of comprehension on the part of students. (Stam & McCafferty 2008: 17) Hier möchten wir gerne ansetzen und in den kommenden Abschnitten unter Verwendung bestehender Literatur und anschaulicher Beispiele aufzeigen, wie das Verstehen und Erinnern mithilfe von sprachlichen und gestischen Äußerungen gefördert und Probleme vermindert werden können. Zum einen soll der positive Gebrauch von multimodalen Verwendungen seitens der Schülerschaft herausgearbeitet werden, zum anderen erfolgt eine Sensibilisierung hinsichtlich eigengenutzter Gesten der Lehrkräfte. 8.3.2 Verstehen Sprechen wir von Verstehen, dann gehen wir von einem der grundlegendsten Schritte innerhalb des Klassenzimmers aus. Das korrekte Wahrnehmen und Verarbeiten von Informationen führt die Lerner zu einem Verständnis der neu erworbenen Sprache. In den vergangenen 20 Jahren konnten verschiedene Forschungen aufzeigen, dass durch den Einsatz von multimodalen Äußerungen Vorgänge des Erkennens und Begreifens besser verarbeitet werden. 310 8. Gesten, Sprache und Kognition Bereits 2006 ermittelte Tellier in ihrer Untersuchung sogenannte teaching gestures, Gesten welche spontan von der Lehrkraft als Hilfestellung für die Schülerschaft eingesetzt werden. Hierbei wirkt die lehrende Person mithilfe von Gestik, Mimik und Körperposition regelnd, bewertend oder erklärend. Primär durch den Gebrauch von singulären Gesten (siehe Lerneinheit 8.2) wird beispielsweise das Verständnis von Bewegungsverben unterstützt, so dass Lerner Zugehörigkeiten bezüglich des gesprochenen Wortes oder der Gesamtäußerung ziehen können. Eine übliche Aufgabe, um das Hörverständnis von Lernern zu trainieren, ist der Einsatz von Audiobeispielen. Die Lerner konzentrieren sich allein auf den auditiven Kanal und blenden visuelle Informationen aus. Hier jedoch stellt sich die Frage, ob dieses Format an die alltägliche Kommunikation anzubinden ist, denn mit Ausnahme von Telefonaten, befinden sich Interaktanten in der Regel in einem audiovisuellen Kommunikationsaustausch. Des Weiteren kann der Einsatz von visuellen Mitteilungen, das heißt redebegleitenden Gesten und Gesichtsmimik, das Verständnis bei Hörbeispielen unterstützen. So zeigten Sueyoshi und Hardison (2005) basierend auf der Untersuchung von 42 Personen, die sich jeweils kurze Beschreibungsvideos in unterschiedlichen Konditionen ansahen, heißt ohne jegliche manuelle oder mimische Stimulation und nur unter Einsatz von Gesichtsmimik oder mithilfe von Hand- und Gesichtsgesten, dass sich das Verständnis verbesserte, wenn der Anteil visueller Informationen erhöht wurde. Zudem betonten sie: Because note taking was not permitted, gestures, as visual images, likely facilitated memory encoding and subsequent recall of information when participants answered the comprehension questions. (Sueyoshi & Hardison 2005: 677) Diese Beobachtungen machen deutlich, dass nicht nur das Verständnis, sondern auch das Memorieren und Abrufen von Informationen gefördert wurde. Diese Erkenntnis wird von Simes (2006) Ergebnissen unterstützt, wonach Gesten und jegliche Einbeziehung von Körperhaltung, Kopfgesten etc. positive Auswirkungen auf das Erlernen von Fremdsprachen haben. In ihrer Studie sahen 22 Lerner einen kurzen Videoausschnitt ihrer eigenen Lerneinheit und bewerteten anschließend die körperlich-kommunikativen Handlungen der lehrenden Person. So sollte untersucht werden, inwieweit manuelle und körperliche Bewegungen des Lehrkörpers bedeutungstragend für den Unterricht sind. Neben dem mentalen Prozess der Informationsaufnahme sowie -verarbeitung, wurden ebenfalls emotionale und zwischenmenschliche Faktoren wahrgenommen (vergleiche Simes 2006: 217). Das heißt, dass neben dem Klären, Betonen und Korrigieren von Vokabeln, die Lerner gleichwohl erkannten, dass eine engagierte und aktive Rolle, beispielsweise durch den Einsatz von Körperhaltung, Kopf- und Handgesten sowie Augenkontakt seitens der Lehrkraft, das Verständnis der Lerner steigerte. Gleichzeitig entwickelte sich durch die Verwendung von rekurrenten Gesten (siehe Lerneinheit 8.2) eine soziale Organisation, zum Beispiel hinsichtlich der Zuweisung des Rederechts, die eine wichtige Voraussetzung für die aktive Teilnahme innerhalb des Klassenverbands darstellt. 311 8.3 Gesten im Fremdsprachenunterricht: Verstehen, Memorieren, Problemlösen Gestures are thus seen as having the property of supporting comprehension-[…]. Learners perceive the two systems of communication as supporting each other and use both channels of communication to infer meanings. (Sime 2006: 220) Sime präzisiert 2008 ihre Ergebnisse, wonach Gesten vor allem das Verständnis, den Lernprozess sowie die Rückmeldung innerhalb des Klassenraums unterstützen. Dabei zeigt sie deutlich auf, welche manuellen Äußerungen in der Regel während der Lehrsituation genutzt werden. Insbesondere wurden folgende Gesten ermittelt (2008: 265ff): ▶ Darstellung von Worten und Ideen durch die Verwendung von abstrakt und konkret referierenden Gesten ▶ Betonung von wichtigen Äußerungen, Oppositionsmarken und Vergleichen durch rekurrente Gesten ▶ Angaben von Zeit und Ort durch deiktisch manuelle Verwendungen Diese redebegleitenden Äußerungen werden gewöhnlich im Gestenraum des Sprechers beziehungsweise der Sprecherin ausgeführt und befinden sich im direkten Blickfeld der Klasse beziehungsweise des Publikums. Ist der Sinn des sprachlichen Ausdrucks beim Lerner vorhanden, werden Gesten häufig als Bestätigung wahrgenommen. Sind bestimme Kenntnisse jedoch noch nicht gegenwärtig, können redebegleitende Aussagen des Lehrkörpers, zum Beispiel durch die Nachahmung einer Handlung, Anhaltspunkte zum korrekten Verständnis liefern. Für Lehrkräfte bedeutet dies, besondere Aufmerksamkeit den Gesten zu widmen, da diese den Wissensstand von Lernern gut nachvollziehbar machen. Erinnerungsschwächen können somit sichtbar und erneut behandelt werden. Des Weiteren ist die Möglichkeit gegeben, den Sinngehalt eines Wortes mithilfe von Gesten zu vermitteln, wenn ein verbaler Abbruch bei dem Schüler oder bei der Schülerin besteht. In diesem Fall dient die manuelle Ausführung als Input für den Schüler beziehungsweise die Schülerin und kann zum sprachlichen Pendant führen. Hierbei wird indirekt ein wichtiger Faktor benannt, auf den wir hinweisen wollen: die Herstellung eines common ground oder von Intersubjektivität, mithilfe deren eine gemeinsame soziale aber auch kognitive Basis geschaffen wird, um beispielswiese neue Sachverhalte zu kommunizieren. Nathan und Alibali (2011) heben hervor, dass: [f]or the student, common ground is necessary in order to comprehend the teacher´s actions and statements. For the teacher, common ground is necessary in order to connect to students’ prior knowledge and experiences, as well as to interpret and assess students’ actions and comments, and to appropriately respond to students’ questions. (Nathan & Alibali 2011: 257) In ihrer Studie führen sie weiterhin aus, dass diese gemeinsame Grundlage vor allem durch den Einsatz von Gesten hervorgerufen wird. Dabei wirken Gesten besonders unterstützend bei: ▶ der Identifikation und Annahme von Missverständnissen, ▶ der Präsentation von neuen Erklärungen und Darstellungen (Nathan & Alibali 2011: 257). 312 8. Gesten, Sprache und Kognition Das heißt, Gesten werden zum einen als Reparaturmöglichkeit angesehen und zum anderen als visuelle Verbindung zwischen altem und neuem Wissen. Besonders rekurrente Gestentypen mit deiktischer oder performativer Funktion, wie zum Beispiel der Zeigefinger (Nathan & Alibali 2011: 263) oder die palm up open hand, spielen hierbei eine gesonderte Rolle, da sie sowohl aufmerksamkeitslenkend als auch konzeptuell verbindend zwischen bekannten und ungewohnten Inhalten oder Worten agieren. Hierbei möchten wir nachdrücklich bemerken, dass der Zeigefinger keine „primitive“ oder „simple“ Geste darstellt, wie es so häufig scheint, sondern als komplexes multimodales Szenario genutzt werden kann, um Instruktionen sowie Interaktionen konstruktiv zu leiten. Durch die verbale und gestische Verwendung des Zeigens, beispielsweise durch das Adverb Hier! und dem Verweis auf die Tafel (siehe Abbildung 8.6), wird nicht nur ein gemeinsamer Referenzpunkt geschaffen, sondern dieser zugleich elaboriert. Mondada (2014) präzisiert in ihrem Artikel Pointing, talk, and bodies, dass die Zeigegeste sich innerhalb einer complex multimodal gestalt beteiligt, welche sich dadurch definiert, dass es sowohl systematische als auch dynamische Ressourcen inmitten der Interaktion gebraucht. Das heißt, dass neben Sprache und Geste ebenfalls Blick und Körperhaltung in die Lehrkommunikation integriert werden sollte, um auf Dinge zu referieren oder sie zu betonen. Abbildung 8.6: Redebegleitender, deiktischer Verweis auf Tafel 8.3.3 Memorieren Betrachten wir einmal die Seite der Schüler beziehungsweise Schülerinnen und deren Verwendung von redebegleitenden Äußerungen, dann spielt vor allem der gestische Einsatz während des Memorierens eine signifikante Rolle. Bereits 2001 betonen Goldin-Meadow, Nusbaum, Kelly und Wagner (2001) in ihrer Studie, dass Gesten einen wesentlichen Faktor 313 8.3 Gesten im Fremdsprachenunterricht: Verstehen, Memorieren, Problemlösen hinsichtlich des Erinnerns einnehmen. Sowohl Kinder als auch Erwachsene profitieren von dem manuellen Einsatz und aktivieren mehr Worte, was die Vermutung nahelegt, dass das Gestikulieren während der lautsprachlichen Wiedergabe die kognitive Belastung des Sprechers beziehungsweise der Sprecherin erleichtert. In diesem Fall reflektieren multimodale Verwendungen nicht nur den aktuellen Wissensstand des Lerners, sondern teilen gleichzeitig dessen kognitive Ressourcen produktiv auf und formen diese um (siehe auch Goldin-Meadow 2007: 230). Dabei ist nicht ausschließlich die Perzeption von Gesten wichtig, sondern auch die Produktion durch die Lerner selbst, wie es Morett, Gibbs und MacWhinney (2012: 778) in ihrer Studie deutlich machen: „[…] but is consistent with work showing that gesture enactment enhances L2 word learning more effectively than gesture viewing-[…]“. Jeglicher Einsatz von manuellen Äußerungen, das heißt sowohl deiktischer, diskursiver als auch referentieller Natur, beeinflussen den Erinnerungsprozess innerhalb des Fremdsprachenerwerbs positiv. Eine aktuelle Studie von Hupp und Gingras (2016) bestätigt, dass der Einsatz von ikonischen Gesten das Erlernen von Vokabeln begünstigt. Die Verwendung von multimodalen Äußerungen ist folglich nicht ausschließlich für die lehrende, sondern ebenso für die lernende Person von Notwendigkeit. Ob Handlung oder Gegenstand, wesentlich ist die Häufigkeit der multimodalen Anwendung. Durch den regelmäßigen Gebrauch von semantisch identischen Gesten zur Sprache, sowohl bei der Lehrerals auch bei der Schülerschaft, wird das Erlernen sowie Erinnern von Vokabeln gesteigert (Hupp & Gingras 2016: 354). Die Gesten der Lehrkraft stellen eine Gedächtnisstütze für die Lerner dar, da die Kombination aus sprachlicher und gestischer Äußerung Worte oder sogar ganze Ideen expliziter veranschaulicht und somit einen Zusammenhang zwischen einer körperlichen Ausführung, beispielsweise dem Positionieren von Zeitformen links und rechts im Gestenraum (siehe Abbildung 8.7), und einem lexikalischen oder grammatikalischen Fakt, nämlich Präteritum und Präsens, herstellt. Abbildung 8.7: Redebegleitendes Positionieren von lexikalischen und / oder grammatikalischen Einheiten im Gestenraum 314 8. Gesten, Sprache und Kognition 8.3.4 Problemerkennung und -lösung Neben dem Verstehen und Erinnern, ist auch das Erkennen und Lösen von Problemen eine entscheidende Komponente während des Fremdsprachenerwerbs. Sowohl Lehrkräfte als auch Lerner können vom Gebrauch multimodaler Äußerungen profitieren und Schwierigkeiten entschlüsseln sowie vorbeugen. Gullberg (1998, 2006) deutet an, dass der Einsatz von Gesten sprachliche Lücken während des Erzählens kompensieren und somit mindern kann. Im Gegensatz zur Muttersprache steigt beim L2-Gebrauch die Verwendung von Gesten und kann zunehmende Schwierigkeiten innerhalb der Unterhaltung reflektieren (siehe auch Gullberg 1998). Zum Teil werden dadurch Unterbrechungen im Redefluss überbrückt, beispielsweise bei der Wortsuche, des Weiteren treten kognitive Erleichterungen bei Zeitangaben auf, etwa durch die deiktische Verortung auf einer imaginären horizontalen Zeitlinie inmitten des vorliegenden Gestenraumes, um vergangene, aktuelle oder zukünftige Gegebenheit zu präsentieren (Gullberg 2006: 111f). Um Schwierigkeiten bezüglich des Lernstoffs zu minimieren, nutzen Lehrkräfte Visualisierungen, um Lehrinhalte leichter und anschaulicher zu vermitteln. Sie wechseln in einen sogenannten Lehrersprachstil, der sich durch die vereinfachte Form des Gesagten, aber durch die erhöhte Nutzung von Gesten auszeichnet. Gullberg (2006) formuliert dieses didkatische Vorgehen wie folgt: Learners are not alone in using gestures as scaffolding. A number of studies have shown that the simplified registers used by NS s [Native Speakers-- Anmerkung des Verfasserin] and teachers, known as Foreigner Talk-[…] and Teacher Talk-[…], are characterised by an increased use of representational gestures (iconics and deictic gestures), but also of more rhythmic, beat-like movements-[…]. This last feature may be typical of a ‘didactic’ mode. (Gullberg 2006: 112) Ein weiteres Phänomen, welches einen Einblick in das Verständnis und in den kognitiven Stand des Lerners gewährt, sind gesture-speech mismatches (für genauere Betrachtungen siehe beispielsweise Goldin-Meadow 2006, 2007). Vor allem bei Erläuterungen und Erzählungen können unterschiedliche Information in Sprache und Geste dargelegt werden. Stellen Sie sich vor, dass ein Lerner über das Ereignis des unhöflichen Anrempelns im Bus berichtet. Sprachlich erwähnt er oder sie einen Schubs, doch gestisch wird deutlich, dass er oder sie heftig zur Seite gestoßen wurde. In diesem Beispiel zeigt sich eine inkorrekte Darstellung der Situation. Was körperlich präzise ausgeführt wurde, wird sprachlich verharmlost und unzutreffend dargelegt, in etwa durch das Fehlen der benötigten Vokabel. Diese gesture-speech mismatches treten regelmäßig in Klassenzimmern auf und verdeutlichen, inwieweit divergente (und zum Teil fehlerhafte) Informationen in zwei Modalitäten vermittelt werden. Wir können unterschiedlichste Strategien zur Lösung von Problemen oder Erklärungsgängen erkennen, doch müssen dabei sowohl auf die verbale sowie auf die manuelle Form der Äußerung achten. Hier können Sie ansetzen und mit Aufgaben und Anweisungen primär die Lerner unterstützen, welche Probleme haben, sich fließend und zutreffend auszudrücken (siehe Abbildung 8.8). Goldin-Meadow (2007: 229) betont gleichwohl, dass manuelle Anweisungen den Anstoß zur 315 8.3 Gesten im Fremdsprachenunterricht: Verstehen, Memorieren, Problemlösen Lösung bieten können und eventuell den Rahmen zur Realisierung bilden, um letztendlich zum Erfolg der Aufgabe zu führen. Betrachtet man Nachbardisziplinen, wie beispielsweise die Mathematik, so ist der Einsatz von redebegleitenden Gesten zur Problemlösung ebenfalls erkennbar und gleichzeitig für den Fremdsprachenerwerb heranzuziehen. So schreibt Gerofsky (2011) in ihrem Artikel, dass es das Ziel sein sollte, Unterricht aktiv zu gestalten und nicht ausschließlich verbal zu erläutern. Des Weiteren soll sich durch den multimodalen Einsatz das Lehren und Lernen verbessern, indem Gesten grundlegend zur Analyse sowie Diagnose genutzt werden und schlussendlich das Wissen auf positivem Wege beeinflussen (Gerofsky 2011: 247). Dabei macht sie deutlich, dass auch die Größe und Ausprägung der Gesten eine wesentliche Rolle spielen und formuliert es wie folgt: Rather, these more traditional methods ought to be supplemented by elicited large, close-up gestures, especially in the initial stages of teaching mathematical functions. Gestural work is not sufficient on its own, but when accompanied by focused teaching that helps make salient feature of graphs visual, kinesthetic and audible, gesture can play an important role as both a mode of expression and an experiential learning resource. (Gerofsky 2011: 254) Obwohl lediglich aus der mathematischen Sichtweise argumentiert wird, können diese Punkte darüber hinaus auf den Sprachunterricht übertragen werden. Auch hier müssen Lehrkräfte bestehende Lehrmethoden überdenken und modifizieren. Der Unterricht sollte stets aktiv gestaltet werden, heißt, dass Kopf, Oberkörper und Hände ebenfalls einen wichtigen Bestandteil innerhalb der Kommunikation einnehmen, um zum Beispiel Verständnisprobleme zu verdeutlichen sowie zu beseitigen. Abbildung 8.8: Im kooperativen und aktiven Austausch mit Lernern 316 8. Gesten, Sprache und Kognition Experiment Machen wir nun ein Experiment zur Verdeutlichung der oben genannten kognitiven Vorgänge. Wählen Sie ein umfangreiches Gespräch (beispielsweise ein Video auf YouTube) von circa 5 Minuten Länge und spielen Sie es zuerst rein auditiv und anschließend audiovisuell ab. Überprüfen Sie durch einen kurzen Test, inwieweit das Verstehen und Memorieren in den jeweiligen Konditionen gegeben ist. Überlegen Sie sich hierfür Aufgaben zur Überprüfung des Verstehenssowie des Erinnerungsprozesses. 8.3.5 Zusammenfassung ▶ Gesten sollten als Ausdrucksform der Lerner betrachtet werden, da sie einen Einblick in die Gedankenwelt der Sprecher beziehungsweise Sprecherinnen und deren Sprachständen gewähren und somit einen Hinweis zur Förderung des Lehrinhaltes bieten. ▶ Nicht nur lexikalische Defizite, auch Ergänzungen sprachlicher Äußerungen als auch Konzeptualisierungen werden visuell ersichtlich. ▶ Durch den redebegleitenden Einsatz von Gesten können Verstehensprozesse besser nachvollzogen, das Memorieren gefördert und Probleme innerhalb der Verständigung und Äußerung behoben werden. ▶ Gestische Rückmeldung innerhalb des Klassenraums unterstützt den Lernprozess. Sprache, Geste, Blick sowie Körperhaltung sollten in die Lehrkommunikation integriert werden, um auf Dinge zu referieren und / oder sie zu betonen. Neben Reparaturmöglichkeit bieten multimodale Äußerungen eine visuelle Verbindung zwischen altem und neuem Wissen. ▶ Lerner profitieren innerhalb des Erinnerungsprozesses durch den zusätzlichen Einsatz von manuellen Äußerungen und aktivieren mehr Worte, da das Gestikulieren während der lautsprachlichen Wiedergabe die kognitive Belastung der Lerner erleichtert, so dass Ressourcen produktiv aufgeteilt und umgeformt werden. 8.3.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Nennen Sie mindestens 5 Argumente, die für Gesten im Unterricht sprechen. 2. Inwieweit beeinflussen Gesten die Lernatmosphäre? 3. Welche Problematik besteht beim Einsatz von Audiobeispielen und wie kann sie behoben werden? 4. Während der Lehrsituation werden referentielle, rekurrente und deiktische Gesten benutzt. In welchen Kontexten werden sie jeweils gebraucht? 5. Wo spielt die Verwendung von manuellen Äußerungen auf Seiten der Schüler und Schülerinnen eine wichtige Rolle? 6. Warum erfolgt und hilft ein erhöhter Gestengebrauch bei der Benutzung der L2? 7. Inwieweit können Gesten der Problemlösung im Unterricht dienen? 317 9. Literaturverzeichnis 9. Literaturverzeichnis Ainsworth, Shaaron (1999), The functions of multiple representations. Computers & Education 33, 131-152. Alibali, Martha W.; Kita, Sotaro & Young, Amanda J. (2000), Gesture and the process of speech production: We think, therefore, we gesture. Language and Cognitive Processes 15, 593-613. Allen, Kachina; Pereira, Fancesco; Botvinick, Matthew & Goldberg, Adele E. (2012), Distinguishing grammatical constructions with f MRI pattern analysis. Brain and Language 123: 3, 174-182. Armstrong, David F. & Wilcox, Sherman (2007), The Gestural Origin of Language. Oxford, New York: Oxford University Press. Austin, John L. (1962), How To Do Things With Words. Oxford: Clarendon University Press. Backus, Ad & Dorleijn, Margreet (2010), Loan translations versus code-switching. 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Abbildung 1.3: Objekte, die typischerweise als Möbelstücke bezeichnet werden; Monitor http: / / images.clipartpanda.com/ screen-clipart-monitor.svg; Stuhl: http: / / images.clipartpanda.com/ chairclipart-wooden-chair.svg; Bett http: / / images.clipartpanda.com/ bed-clipart-double_Bed_blue.png. Abbildung 1.4: Ein Comic, der die unterschiedlichen Bedeutungen von cookie veranschaulicht. („Cookies löschen? ! “) (Fernandez 2017; https: / / laughingsquid.com/ cookie-monster-no-want-todelete-cookies/ ) Abbildung 1.5: Ein Comic, der die metaphorischen Wurzeln einiger gängiger Redewendungen illustriert (Scott & Borgman 2011; http: / / zitscomics.com/ comics/ february-25-2011/ ; © King Features Syndicate, Inc./ Distr. Bulls.) Abbildung 1.6: Deklinationstabelle für griechische Substantive, die auf den Vokal o enden (Deklination für Maskulinum und Neutrum / Noun Classes, Class II : Masculine and Neuter); http: / / community.middlebury.edu/ ~harris/ GreekGrammar.html. Abbildung 1.7: Dieses Bild illustriert die Bedeutung des japanischen Wortes tsundoku; Sanders, Ella Frances (2014), Lost in Translation: An Illustrated Compendium of Untranslatable Words from Around the World. New York: Penguin Random House, 87. Abbildung 1.8: Statische räumliche Situation Die Lampe ist auf dem Tisch; Eigene Abbildung. Abbildung 1.9: Rubin‘sche Vase: Unsere Wahrnehmung des Bildes alterniert zwischen einer Vase (weiß) und zwei Gesichtern, die einander ansehen (schwarz); https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Two_silhouette_profile_or_a_white_vase.jpg. Abbildung 1.10: Diagramme zur schematischen Bedeutung für above und below; Langacker, Ronald W. (2008), Cognitive Grammar: A Basic Introduction. Oxford, New York: Oxford University Press, 71. Abbildung 1.11: Diagramme für drei unterschiedliche out-Schemata; Johnson, Mark (1987), The Body in the Mind: The Bodily Basis of Meaning, Imagination, and Reason. Chicago, London: University of Chicago Press, 32. Abbildung 1.12: Ein Polysemie-Netzwerk für over; Tyler, Andrea & Evans, Vyvyan (2001), Reconsidering prepositional polysemy networks: The case of over. Language 77: 4, 746. Abbildung 1.13: Ist die Bergkette statisch, oder bewegt sie sich? ; https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Mt._Hayes_and_the_eastern_Alaska_Range_mountains.jpg. Abbildung 1.14: Erstreckt sich die Narbe vom Ellbogen oder vom Handgelenk aus? ; Eigene Abbildung. Abbildung 1.15 Rene Descartes’ Abbildung von Körper und Geist; https: / / instantkaamos.wordpress. com/ tag/ rene-descartes. Abbildung 1.16: Eine Zeichnung, die den metaphorischen Aspekt des Begriffs Spiegelneuron illustriert; Abbildung von Meike Ufer. Abbildung 1.17: Aktivität in den Gehirnarealen, die Bewegungen der Füße, Finger und Zunge kontrollieren-- in Reaktion auf bein-, arm- und gesichtsbezogene Wörter; Pulvermüller, Friedemann (2005), Brain mechanisms linking language and action. Nature Reviews Neuroscience 6: 7, 576. Abbildung 1.18: Stimuli ähnlich jener, die in dem Orientierungsexperiment von Stanfield und Zwan 2001 verwendet wurden; Bergen, Benjamin K. (2012), Louder than Words: The New Science of How the Mind Makes Meaning. New York: Basic Books, 55. 346 10. Abbildungsverzeichnis Abbildung 2.1: Haus; erstellt für den Band von Katsiaryna EL -Bouz. Abbildung 2.2 Hausbesetzer; https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Hausbesetzung#/ media/ File: Instandbesetzer_Berlin_Kreuzberg_1981.jpg. Abbildung 2.3: Schneckenhaus; https: / / pixabay.com/ de/ schneckenhaus-strand-1496269/ . Abbildung 2.4: Behausung; erstellt für den Band von Katsiaryna EL -Bouz. Abbildung 2.5: Scriptio continua (ca. 70 v. Chr.); https: / / it.wikipedia.org/ wiki/ Scriptio_continua. Abbildung 2.6: Konzept der Hypotenuse; https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File%3ARight-triangle.svg. Abbildung 2.7: Baum; http: / / www.clipartsfree.de/ clipart-bilder-galerie/ cartoon-cliparts-kostenlos/ cartoon-baum-clip-art-3169.html. Abbildung 2.8: Apfelbaum; http: / / www.clipartsfree.de/ clipart-bilder-galerie/ pflanzen-bilder-clipart/ apfelbaum-clipart-bild-3165.html. Abbildung 2.9: Lorbeer; https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Echter_Lorbeer#/ media/ File: Laurus_nobilis_- _K%C3%B6hler%E2%80%93s_Medizinal-Pflanzen-086.jpg. Abbildung 2.10: Baumdiagramm; erstellt für den Band von Katsiaryna EL -Bouz. Abbildung 3.1: Ähnlichkeit der Farbe; links: http: / / bit.ly/ 2AzynUP; rechts: https: / / pixabay.com/ de/ schmetterlinge-tags%C3%BCber-insekt-natur-3050620/ . Abbildung 3.2: Ähnlichkeit der Form; links: https: / / pixabay.com/ de/ suppe-cremesuppesch%C3%BCssel-570922/ ; rechts: https: / / pixabay.com/ de/ luft-antenne-kommunikation-digital-15669/ . Abbildung 3.3: Ähnlichkeit der Funktion; Eigene Abbildung. Abbildung 3.4: Innere Ähnlichkeit; https: / / cdn.pixabay.com/ photo/ 2016/ 04/ 06/ 01/ 26/ fuchs-1310815_1280.jpg. Abbildung 3.5: Ähnlichkeit zwischen der Frucht Birne und anderen Objekten, die zur Polysemie des Substantivs Birne im Deutschen führen: links: https: / / pixabay.com/ de/ birne-gr%C3%BCne-birneobst-2533194/ ; rechts oben: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Gl%C3%BChlampe#/ media/ File: Gluehlampe_01_KMJ.png; rechts unten: erstellt für den Band von Katsiaryna EL -Bouz. Abbildung 3.6: Häkchen; https: / / ru.wikipedia.org/ wiki/ %D0%93%D0%B0%D0%BB%D0%BE%D1%8 7%D0%BA%D0%B0. Abbildung 3.7: Haken; http: / / www.waagenshop.biz/ bilder/ produkte/ gross/ Haken-fuer-Federwaagenfuer-Modelle-300g-2500g.jpg. Abbildung 3.8: Vogel; http: / / fb.ru/ misc/ i/ gallery/ 32075/ 721544.jpg. Abbildung 3.9: Fliege; https: / / de.dreamstime.com/ lizenzfreie-stockfotos-fliege-image20415258. Abbildung 3.10: Metonymische Bedeutungen des Substantivs Küche; https: / / pixabay.com/ de/ restaurant-k%C3%BCche-k%C3%B6che-lebensmittel-2623071/ . Abbildung 3.11: Griff a; erstellt für den Band von Katsiaryna EL -Bouz. Abbildung 3.12: Griff b; erstellt für den Band von Katsiaryna EL -Bouz. Abbildung 3.13: Griff c; erstellt für den Band von Katsiaryna EL -Bouz. Abbildung 3.14: Griff d; erstellt für den Band von Katsiaryna EL -Bouz. Abbildung 3.15: Griff e; erstellt für den Band von Katsiaryna EL -Bouz. Abbildung 3.16: Griff f; erstellt für den Band von Katsiaryna EL -Bouz. Abbildung 3.17: Die Grundlage für die metonymische Benennung der Gegenstände in Abbildung 3.11-3.16; erstellt für den Band von Katsiaryna EL -Bouz. Abbildung 3.18: Die Kategorie Vögel; Eigene Abbildung in Anlehnung an Wildgen, Wolfgang (o. J.), Einführung in die germanistische Linguistik. Bremen, Universität Bremen; http: / / slideplayer.org/ slide/ 653047. 347 10. Abbildungsverzeichnis Quellen für die benutzten Bilder: Rotkehlchen: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Rotkehlchen#/ media/ File: Rotkehlchenportrait_aus_ ca._1_Meter_Entfernung.jpg Taube: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Tauben#/ media/ File: Collared_Dove.jpg Spatz: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Sperlinge#/ media/ File: Haussperling_092-2.jpg Tukan: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Tukane#/ media/ File: Ramphastos_swainsonii_-Jacksonville_ Zoo-8a.jpg Fasan: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Fasan#/ media/ File: Common_Pheasant_Phasianus_Colchicus_ flipped.jpg Eule: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Eulen#/ media/ File: Strix-varia-005.jpg Papagei-: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Papageien#/ media/ File: Hellroter.jpg Pfau-: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Asiatische_Pfauen#/ media/ File: Pfau_imponierend.jpg Ente: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Entenv%C3%B6gel#/ media/ File: Ducks_in_plymouth,_massachusetts.jpg Flamingo: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Flamingos#/ media/ File: Flamingos_Laguna_Colorada.jpg Pinguin: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Pinguine#/ media/ File: Falkland_Islands_Penguins_36.jpg Fledermaus: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Flederm%C3%A4use#/ media/ File: Big-eared-townsendfledermaus.jpg Strauß: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Afrikanischer_Strau%C3%9F#/ media/ File: Ostriches_cape_ point.jpg Abbildung 3.19: Beispiel eines Schemas zum Thema Fotosynthese; http: / / www.guidobauersachs.de/ bc/ fotozus.jpg. Abbildung 3.20: Schüler 1: Modelle vor und nach dem Lernen mit den Grammatikanimationen; Grass, Anja (2013), Zur Veränderung mentaler Modelle beim Lernen mit Grammatikanimationen. Ziele, Methoden und Ergebnisse einer Pilotstudie. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 18: 1, 104. Abbildung 4.1: De Saussures Zeichenbegriff; nach de Saussure, Ferdinand ([1916] 1969), Cours de Linguistique Générale (16th ed.). Paris: Payot, 99. Abbildung 4.2: Die Struktur einer Konstruktion nach Croft; Croft, William (2001), Radical Construction Grammar: Syntactic Theory in Typological Perspective. Oxford, New York: Oxford University Press, 18. Abbildung 4.3: Zusammenspiel von unterschiedlichen Äußerungen (Instanzen) und abstrakter mentaler Repräsentation (Schemata); Eigene Abbildung. Abbildung 4.4: Entrenchedte schematische Konstruktion (links) versus entrenchedtes Token (rechts) nach Barðdal; Barðdal, Jóhanna (2001), Case in Icelandic: A Synchronic, Diachronic and Comparative Approach. Lund: Lund University, 32. Abbildung 4.5: Übergeordnete Präsens-Konstruktion und ihre Instanzen; Eigene Abbildung. Abbildung 4.6: Verschiedene Ebenen taxonomischer Hierarchien; in Anlehnung an Croft, William & Cruse, D. Alan (2004), Cognitive Linguistics. Cambridge, New York: Cambridge University Press, 263. Abbildung 4.7: Darstellung von taxonomischen Vererbungsbeziehungen; in Anlehnung an Croft, William (2001), Radical Construction Grammar: Syntactic Theory in Typological Perspective. Oxford, New York: Oxford University Press, 26. Abbildung 5.1: Verwandtschaftsbezeichnungen auf Kayardild; Evans, Nicholas (1985), Kayardild: The language of the Bentinck Islanders of North West Queensland. PhD Thesis. Canberra, Australian National University, 484. 348 10. Abbildungsverzeichnis Abbildung 5.2: Stimuli, die einen räumlichen Bezug darstellen, der mit unterschiedlichen räumlichen Referenzrahmen beschrieben werden kann; erstellt für den Band von Katsiaryna EL -Bouz. Abbildung 5.3: Eine Darstellung der drei unterschiedlichen räumlichen Referenzrahmen; Levinson, Stephen C. (2003), Space in Language and Cognition. Cambridge: Cambridge University Press, 40. Abbildung 5.4: Satellite- und Verb-Framing auf Englisch und auf Spanisch; Blomberg, Johan (2014), Motion in Language and Experience: Actual and Non-actual Motion in Swedish, French, and Thai. PhD Thesis. Lund: Media-Tryck, 49. Abbildung 5.5: Die Körperfärbungsaufgabe; van Staden, Miriam & Majid, Asifa (2006), Body coloring task. Language Sciences 28, 160. Abbildung 5.6: Eine Illustration als Kommentar auf die Debatte zur linguistischen Relativität; (Speed Bump 2006, abgedruckt mit der Erlaubnis von Dave Coverly) Abbildung 5.7: Eine Typologie der Grundfarbbezeichnungen; Eigene Abbildung in Anlehnung an die vorgeschlagene Typologie von Berlin, Brent & Kay (1969), Basic Color Terms: Their Universality and Evolution. Berkeley, Los Angeles: University of California Press, 4. Abbildung 5.8: Der Versuchsaufbau mit relativen und absoluten Lösungen; Majid, Asifa; Bowerman, Melissa; Kita, Sotaro; Haun, Daniel B. M. & Levinson, Stephen C. (2004), Can language restructure cognition? The case for space. Trends in Cognitive Sciences 8: 3, 110. Abbildung 5.9: Brücke; https: / / unsplash.com/ photos/ n7n-nkadHRM. Abbildung 5.10: Schlüssel; https: / / pixabay.com/ de/ schl%C3%BCssel-antik-alt-abschlie%C3%9Fen-3083811/ . Abbildung 5.11: Ein Beispiel für eine Geste, die auf ein Vergangenheit-ist-vorne-Mapping hinweist; Nuñez, Rafael & Sweetser, Eve (2006), With the future behind them: Convergent evidence from Aymara language and gesture in the crosslinguistic comparison of spatial construals of time. Cognitive Science 30, 428. Abbildung 5.12: Semantische Karte typischer Dativfunktionen; Eigene Abbildung, angepasst und übersetzt nach Haspelmath, Martin (2003), The geometry of grammatical meaning: Semantic maps and cross-linguistic comparison. In: Tomasello, Michael (Ed.), The New Psychology of Language: Cognitive and Functional Approaches to Language Structure, Vol. 2. Mahwah, NJ : Lawrence Erlbaum, 213. Abbildung 5.13: Der Grammatikalisierungsprozess von back-- ‚zurück‘; https: / / www.researchgate.net/ publication/ 263660058_'Grammaticalization'_within_pictorial_art_Searching_for_diachronic_ principles_of_change_in_picture_and_language. Abbildung 5.14: Die vier von Greenberg (1963) vorgeschlagenen Universalientypen; Greenberg, Joseph (1963), Universals of Language. Cambridge, MA : MIT Press; angepasst von Evans, Nicholas & Levinson, Stephen C. (2009), The myth of language universals. Behavioral and Brain Sciences 32, 450. Abbildung 6.1: Kommunikationsschema; von Stutterheim, Christiane (1997a), Einige Prinzipien des Textaufbaus. Empirische Untersuchungen zur Produktion mündlicher Texte. Tübingen: Niemeyer, 7. Abbildung 6.2: Multilingual Assessment Instrument for Narratives; Gagarina, Natalia; Klop, Daleen; Kunnari, Sari; Tantele, Koula; Välimaa, Taina; Balčiūnienė, Ingrida; Bohnacker, Ute & Walters, Joel (2012), MAIN : Multilingual Assessment Instrument for Narratives. ZASP iL 56 [Online unter http: / / www.zas.gwz-berlin.de/ zaspil56.html. 4. Januar 2017, 45]. Abbildung 6.3: Russische Matrioschkapuppe; Eigene Abbildung, vergleiche Kohlmann, Ute; Speck, Agnes; Scharnhorst, Ulrich & von Stutterheim, Christiane (1989), Textstruktur und sprachliche Form in Objektbeschreibungen. Deutsche Sprache 17, 137-169; von Stutterheim, Christiane (1997a), 349 10. Abbildungsverzeichnis Einige Prinzipien des Textaufbaus. Empirische Untersuchungen zur Produktion mündlicher Texte. Tübingen: Niemeyer. Abbildung 6.4: Der Ball liegt vor dem Auto aus intrinsischer Perspektive; Eigene Abbildung. Abbildung 6.5 Der Ball liegt links neben dem Auto und Der Ball liegt vor dem Auto aus deiktischer Perspektive; Eigene Abbildung. Abbildung 7.1: Veranschaulichung eines Experiments zur Saugratenmessung (high amplitude sucking); http: / / uohherald.commuoh.in/ wp-content/ uploads/ 2014/ 05/ HASP1.jpg. Abbildung 7.2: Beispiel triadischer Interaktion; erstellt für den Band von Katsiaryna EL -Bouz. Abbildung 7.3: Explizite Korrekturen; Lightbown, Patsy M. & Spada, Nina (2013), How Languages are Learned. Oxford: Oxford University Press, 18. Abbildung 7.4: Klassische Konditionierung am Beispiel des Pawlow'schen Hundes; https: / / upload. wikimedia.org/ wikipedia/ commons/ d/ d7/ Pavlov%27s_dog.svg. Abbildung 8.1: Lineare Struktur von Gesten; Eigene Abbildung nach Kendon, Adam (2004), Gesture: Visible Action as Utterance. Cambridge: Cambridge University Press. Abbildung 8.2: Nachahmung einer Handlung mit Objekt; Eigene Abbildung. Abbildung 8.3: „In zehn oder zwanzig Jahren, da sieht die Sache ganz anders aus.“ Gestische Verkörperung von Zeit-Metaphern; Müller, Cornelia (2010a), Mimesis und Gestik. In: Koch, Gertrud; Vöhler, Martin & Voss, Christiane (Hrsg.), Die Mimesis und ihre Künste. Paderborn, München: Fink, 170. Abbildung 8.4: Gestische Darstellungsweisen; Eigene Abbildung nach Müller, Cornelia (1998), Redebegleitende Gesten: Kulturgeschichte, Theorie, Sprachvergleich. Berlin: Arno Spitz; Müller, Cornelia (2014a), Gesture as “deliberate expressive movement”. In: Seyfeddinipur, Mandana & Gullberg, Marianne (Eds.), From Gesture in Conversation to Visible Action as Utterance: Essays in Honor of Adam Kendon. Amsterdam, Philadelphia: John Benjamins, 127-152. Abbildung 8.5: Repertoire rekurrenter Gesten, ermittelt von Bressem & Müller 2014b; Eigene Abbildung nach Bressem, Jana & Müller, Cornelia (2014b), A repertoire of German recurrent gestures with pragmatic functions. In: Müller, Cornelia; Cienki, Alan; Fricke, Ellen; Ladewig, Silva H.; McNeill, David & Bressem, Jana (Eds.), Body-- Language-- Communication: An International Handbook on Multimodality in Human Interaction (Vol. 2). Berlin, Boston: De Gruyter Mouton, 1580-1584.. Abbildung 8.6: Redebegleitender, deiktischer Verweis auf Tafel; Eigene Abbildung. Abbildung 8.7: Redebegleitendes Positionieren von lexikalischen und / oder grammatikalischen Einheiten im Gestenraum; Eigene Abbildung. Abbildung 8.8: Im kooperativen und aktiven Austausch mit Lernern; Eigene Abbildung. 351 11. Register 11. Register absolut 170 abstrakte Konstruktionen 144 Abstraktionsprozesse 152 Ad-hoc-Bildung 62 Affix 61 age of onset of acquisition (AoA) (Erwerbsalter) 274 Analogiebildung 267 Animation 124 Äquilibration 120 Armut des Stimulus (poverty of the stimulus) 263 Bbasic color terms (Grundfarbwörter) 183 Behaviorismus 262 Beschreibung 221 borrowing 278 bottom-up 269 boundary-crossing constraint 174 Ccode-switching 278 common ground 252 complex multimodal gestalt 312 Construal 33 cross-domain mapping 99 cross-linguistic influence (Sprachmischungen) 277 Ddeiktische Perspektive 240 Denotat 95 Derivation 67 derivative Morpheme 86 Domäne 39 doppelter Erstspracherwerb (simulatener bilingualer Spracherwerb) 274 EE-language 134 Embodiment (Verkörperung) 47 entrenchement (Verfestigung) 151 enzyklopädisches Wissen 21 equipollently-framed language 174 Ereignisschema 194 Erzählung 215 essenzielle Universalien 197 Evidentialität 168 Externalisieren 127 Ffictive motion (fiktive Bewegung) 44 Figure 34 flektierbare Wortarten 83 Flexion 81 flexive Morpheme 86 formale Universalien 198 Formalismus 43 Form-Bedeutungspaare 142 früher kindlicher Zweitsprachenerwerb 274 funktionale Grammatik 135 Funktionalismus 43 Ggebrauchsbasierte Grammatik 262 Gebrauchsbasiertheit 141 Generalisierung 268 generative Grammatik 134 gestische Darstellungsweisen 297 gesture-speech mismatches 314 global-synthetische Bedeutungsvermittlung 296 Grammatik 130 Grammatikalisierung 196 grammatische Diversität 168 grammatische Morpheme 82 Ground 34 HHauptstrukturen 216 II-language 134 Instruktion 226 instruktionale Modelle 123 intention reading 253 Intersubjektivität 311 intrinsisch 170 intrinsische Perspektive 239 Jjoint attention 252 Kkategoriale Wahrnehmung 249 Kategorie 114 Kategorisierung 114 352 11. Register kindlicher Zweitspracherwerb (sukzessiver bilingualer Sprachenerwerb) 274 Kohärenz 205 Kohäsion 205 Kollokation 55 Komposition 67 Konstruktikon 150 Konstruktionen 136 Konstruktionsgrammatik 25 Konstruktivismus 262 Konversion 72 konzeptuelle Metapher 24 konzeptueller Konflikt 126 konzeptuelles Mapping 107 Kurzwortbildung 71 LLandmark 35 langue 132 Leib-Seele-Problem 46 Lexem 61 lexikalische Diversität 168 lexikalische Morpheme 86 lineare Strukturen 287 Linearisierung 224 Linearisierungsstrategie 224 linguistischer Determinismus 182 linguistische Relativität 27 MMakrostruktur 206 manner 172 mentales Modell 121 mentales Scannen 45 Metapher 95 Metaphorisierung 105 Metonymie 99 Mikrostruktur 206 moderne Gestikforschung 286 monomodal 292 Motiviertheit 157 Mustererkennung (pattern finding) 267 NNativismus 262 Nebenstrukturen 216 OOntologie 42 P parameter setting 264 parole 132 path 172 Perspektivierung 231 Phrasem 59 polysem 23 Polysemie 22 Prädikation 31 Präfix 61 primäre Metapher 113 Prinzipien & Parameter-Modell 264 Produktivität 154 prosodisches Bootstrapping 259 Proto-Konversationen 250 Prototyp 115 QQuaestio 207 Quaestio-Ansatz 207 Quaestio-Modell 28 Quellendomäne (source domain) 104 Quine‘sches Problem 251 Rradiale Kategorien 21 Rede-Geste-Integration 286 reduplizierendes Lallen 250 rekurrente Gesten 305 Rekursion 133 relativ 170 Relativismus 175 Relatum 239 SSatellit 172 satellite-framed language (S-Sprache) 172 Schema 120 Schemabildung 268 schwache Version der linguistischen Relativität 182 semantische Karten 194 semantische Typologie 166 Simulationsprozess 122 simultaner bilingualer Spracherwerb (doppelter Erspracherwerb) 274 singuläre Gesten 304 später kindlicher Zweitsprachenerwerb 274 spezifische Konstruktionen 144 Spontan-Bildung 62 353 11. Register sprachliches Potenzial von Gesten 306 Sprachmischungen (cross-linguistic influence) 277 starke Version der linguistischen Relativität 182 substanzielle Universalien 198 Suffix 61 sukzessiver bilingualer Spracherwerb (kindlicher Zweitsprachenerwerb) 274 Tteaching gesture 310 teilspezifische Konstruktionen 144 Text 204 Textlinguistik 207 Thema 239 Token-Frequenz 152 top-down 265 Trajector 35 transfer 278 Transfereffekte 280 triadische Interaktion 253 Type-Frequenz 152 UÜbergeneralisierungen 255 unflektierbare Wortarten 82 Universalismus 175 Untergeneralisierungen 255 Vvariierendes Lallen 250 verb-framed language (V-Sprache) 172 Verbinsel (verb island hypothesis) 268 Verkörperlichung (embodiment) 47 verkörperte Simulation (embodied simulation) 49 WWort 55 Wortbildung 60 Wortschatzspurt 255 ZZieldomäne (target domain) 104 Zusammenrückung 73 Die kognitive Linguistik behandelt linguistische Phänomene - wie die Grammatik - nicht nur unter formalen Aspekten, sondern im Hinblick auf allgemeine kognitive, perzeptive und körperliche Fähigkeiten des Menschen. Das macht sie als - relativ neuen - theoretischen Ansatz besonders für alle Fragen des Erwerbs und alle Ziele der Vermittlung von Sprachen hoch attraktiv. Dieser Band stellt wie in einem Archipel mit verschiedenen Inseln die wichtigsten Erkenntnisse der kognitiven Linguistik in den Themenfeldern Gestik, Kognition und Sprache, Semantik / Lexik / Morphologie, Konstruktionsgrammatik / Syntax, Metaphorik, Sprachliche Vielfalt / Linguistische Relativität, Textlinguistik und Spracherwerb umfassend, verständlich und anhand zahlreicher Beispiele aus unterschiedlichen Sprachen dar. Zu anderen linguistischen Ansätzen werden, wie auch zu den Themenbereichen untereinander, ständig Bezüge hergestellt. 2 2 Kompendium DaF/ DaZ DaF/ DaZ 2 Kompendium DaF/ DaZ ISBN 978-3-8233-8198-3 Jessen / Blomberg / Roche (Hg.) Kognitive Linguistik Moiken Jessen / Johan Blomberg / Jörg Roche (Hg.) Kognitive Linguistik