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Der einfache Satz

2020
978-3-8233-9206-4
Gunter Narr Verlag 
Jochen Geilfuß-Wolfgang
Sandra Ponitka

Dass Sätze aus Wörtern bestehen, ist für die meisten Sprecherinnen und Sprecher einer Sprache offensichtlich, doch sie tun sich sehr schwer damit, den Aufbau der Sätze zu durchschauen, ihre Struktur zu erkennen. Diese Einführung will zeigen, wie man ausgehend von den Wörtern den Aufbau der einfachen Sätze des Deutschen auf einem Basisniveau beschreiben kann und wie diese Art der Beschreibung im schulischen Grammatikunterricht vermittelt werden kann. So können Schülerinnen und Schüler einen exemplarischen Einblick in den Bau der Sprache bekommen.

LinguS 5 Der einfache Satz LINGUISTIK UND SCHULE Von der Sprachtheorie zur Unterrichtspraxis JOCHEN GEILFUSS-WOLFGANG SANDRA PONITKA LinguS 5 LINGUISTIK UND SCHULE Von der Sprachtheorie zur Unterrichtspraxis Herausgegeben von Sandra Döring und Peter Gallmann Jochen Geilfuß-Wolfgang / Sandra Ponitka Der einfache Satz LinguS 5 LINGUISTIK UND SCHULE Von der Sprachtheorie zur Unterrichtspraxis Herausgegeben von Sandra Döring und Peter Gallmann Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 2566-8293 ISBN 978-3-8233-8206-5 (Print) ISBN 978-3-8233-9206-4 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0247-6 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.1 Warum man sich mit Grammatik beschäftigen soll . . . . . . . . . . . 7 1.2 Um welche Art von Sätzen soll es gehen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.3 Was sind einfache Sätze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2 Wörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.1 Lexikalische und syntaktische Wörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.2 Wortartwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.3 Eigenschaften syntaktischer Wörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.4 Wortarten haben unscharfe Ränder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.5 „Das Nomen ist mehr als ein Dingwort“ - Ausbildung von syntaktischen bzw. morphologischen Begriffen . . . . . . . . . . . . . 25 2.6 „Groß oder klein? “ - Arbeit mit Pseudoworttexten am Beispiel der Großschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.7 Kurze Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2.8 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3 Phrasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.1 Wie kommt die Bedeutung von Sätzen zustande? . . . . . . . . . . . 31 3.2 Zwei Arten von syntaktischen Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3.3 Wie sind Phrasen aufgebaut? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3.4 Syntaktische Bäume: Mütter, Töchter, Schwestern . . . . . . . . . . . 38 3.5 Was hält die Wörter in einer Phrase zusammen? . . . . . . . . . . . . 41 3.6 Eine Beispielanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3.7 Ambiguitäten und ihre Analyse als Potenzial für den Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.8 „Artikel und Nomen“ - fertig ist die Nominalphrase! . . . . . . . . 50 3.9 „Einen Blick über den Tellerrand unserer Sprache, bitte! “ - Sprachvergleiche am Beispiel der Nominalphrase . . . . . . . . . . . 53 3.10 Kurze Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3.11 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 4 Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 4.1 Wo die Verben im Deutschen stehen können . . . . . . . . . . . . . . 59 4.2 Das Modell der topologischen Felder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 6 Inhalt 4.3 Satzarten (Satztypen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4.4 Satzstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 4.5 „Alle auf ihre Plätze! “ - das topologische Feldermodell als Analyseinstrument im Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 4.6 „Zunge raus, kleiner Ameisenbär! “ - die Umstellprobe als Gegenstand des Deutschunterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 4.7 Kurze Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 4.8 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 5 Satzglieder und Satzgliedteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 5.1 Warum bestimmt man Satzglieder? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 5.2 Form ist nicht gleich Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 5.3 Wie kann man Satzglieder ermitteln und bestimmen? . . . . . . . 92 5.4 „Unterstreiche das Subjekt blau“ - Bestimmungs- und Markierungsübungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 5.5 „Sicherheit vor Vagheit? “ - Einbezug von Zweifelsfällen und Problemen in den Grammatikunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 5.6 „Das ist, glaub ich, das Adverbialobjekt“ - Problemfelder von Schülerinnen und Schülern sowie Studentinnen und Studenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 5.7 Kurze Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 5.8 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Lösungshinweise zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1 Einleitung 1.1 Warum man sich mit Grammatik beschäftigen soll Warum soll man sich mit der Struktur deutscher Sätze beschäftigen und sich- vertiefteres Wissen darüber aneignen? Diese Frage sollte nicht nur die Sprachwissenschaft, sondern auch die Sprachdidaktik beantworten können, um der Aneignung grammatischen Wissens in der Schule auch jenseits der Lehrplananforderungen einen Sinn geben zu können. 1 Eine weit verbreitete Sicht formuliert Funke (2005, 307): „Wenn es überhaupt zu den Aufgaben des- Deutschunterrichts gehört, die Ausbildung grammatischen Wissens zu fördern, dann - das ist vermutlich konsensfähig - so weit, als es sich um ein solches Wissen in Funktion handelt“. Der Wert des grammatischen Wissens, das sich die Schülerinnen und Schüler aneignen sollen, wird in seiner Funktion gesehen, sprachliche Leistungen ganz unterschiedlicher Art zu verbessern. Die Grammatik ist dann eine Art ‚Hilfswissenschaft‘, die ihr Wissen und ihre Methoden für praxisrelevante sprachliche Bereiche wie die Textproduktion oder die Orthographie zur Verfügung stellt. Eine andere Sicht auf die Ziele und Zwecke des Grammatikunterrichts findet sich in Menzel (1999, 16): „Als Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer sollten wir daher nicht ständig die Ziele unseres Grammatikunterrichts defensiv vertreten: Einblick in den Bau der Sprache ist unser vorrangiges Ziel. Und das ist so selbstverständlich zu vertreten wie die Ziele des Physik- oder Biologielehrers zum Beispiel! “ Wir teilen diese Sicht und möchten mit diesem Buch einen Einblick in den Bau der deutschen Sprache vermitteln, der sich nicht an einer bestimmten Grammatiktheorie orientiert, sondern sprachdidaktische Überlegungen und die schulische Praxis mit einbezieht. Nehmen wir als ein illustratives Beispiel die Beschäftigung mit dem Auge, die Teil der Biophysik ist. Wenn Schülerinnen und Schüler das Auge im Detail untersuchen, dann nicht mit dem Ziel, dass sie nach der Unterrichtseinheit besser sehen können. Sie sollen vielmehr verstehen, wie es uns die Augen ermöglichen, unsere Umgebung wahrzunehmen, und wie Beeinträchtigungen 1 Diese Frage ist schon sehr oft gestellt und sehr unterschiedlich beantwortet worden, s.- Dürscheid (2007), Schlipphack (2012, 64-71) und Christ (2017, 174 f.), neben vielen anderen. 8 1 Einleitung beim Sehen wie etwa Kurz- oder Weitsichtigkeit zu erklären sind. Einen Gutteil des Unterrichts nimmt entsprechend der Aufbau des Auges ein, in seiner ganzen Komplexität. Mithilfe der Sprache ist es uns möglich, die Gedanken, Vorstellungen, Wünsche oder auch Träume anderer Menschen zu verstehen, und es sollte eines der Ziele des Deutschunterrichts sein, dass die Schülerinnen und Schüler verstehen, wie die Sprache das ermöglicht, wie also die Sprache funktioniert. Das kann aber nur gelingen, wenn sie sich genauer mit dem Aufbau der Sprache beschäftigen, der auf eine andere Art ebenso komplex ist wie der Aufbau des Auges (eigentlich sogar noch deutlich komplexer). Genau das ist der Gegenstand der Grammatik: der Aufbau der Sprache. 2 1.2 Um welche Art von Sätzen soll es gehen? Es ist eine Alltagserfahrung, dass man oft die Funktionsweise von Dingen erst-dann richtig verstehen lernt, wenn sie nicht (mehr) richtig funktionieren. Solange sie funktionieren, wie sie sollen, erfüllen sie ihren Zweck und man beschäftigt sich gewöhnlich nicht genauer mit ihnen; so gut wie niemand denkt, wenn er eine Tür mit der Türklinke öffnet, über die Funktionsweise der Türklinke nach. Das ändert sich, wenn die Türklinke wackelt oder sogar abfällt oder sich nicht mehr bewegen lässt. Dann wird man neugierig und untersucht die Türklinke genauer, um das Problem zu beheben. Das gilt genauso für die Sprache, Köller (1997, 9) spricht hier von grammatischer Neugier: „Sie setzt ein, wenn die im praktischen Umgang vertrauten Phänomene zu Problemen werden und zum Staunen Anlaß geben“. Damit der Grammatikunterricht überhaupt gelingen kann, gilt es bei den Schülerinnen und Schülern diese grammatische Neugier zu wecken. Man benötigt dann für die Beschäftigung mit dem Aufbau von Sätzen in der Schule Sätze, die nicht vertraut, sondern seltsam, merkwürdig, staunenswert, abweichend, irregulär sind, Sätze, die auf irgendeine Weise nicht richtig funktionieren (s. Dürscheid 2007, 60-62). Für die sprachwissenschaftliche Forschung haben sich solche Sätze als höchst aufschlussreich erwiesen, in Schullehrwerken sind sie allerdings nur selten zu finden. 3 Eines unserer Ziele ist unter anderem zu zeigen, welche 2 Schlipphack (2012, 66) unterscheidet sehr treffend zwischen „Grammatik als Wert an- sich“ und „Grammatik als Mittel für andere Zwecke“. Wir möchten, wie sie, dafür plädieren, Grammatik auch in der Schule als Wert an sich zu verstehen. 3 Eine schon etwas ältere Ausnahme bildet der Grammatik-Kurs von Kluge und Sennlaub (1996), neuer und voller interessanter Beispiele ist Boettcher und Spinner (2018). 9 1.3 Was sind einfache Sätze? Erkenntnisse sich aus ungrammatischen Sätzen 4 wie *Das Schiff untergeht, Versprechern wie Ein Sommer macht noch keine Schwalbe und mehrdeutigen Sätzen wie Bitte verlassen Sie die Toilette immer in sauberem Zustand ziehen lassen. Man kann- aber auch Sätze aus anderen Sprachen als dem Deutschen oder sogenannte Nonsenssätze verwenden, die keine Bedeutung haben. In all diesen Fällen kann auch im schulischen Unterricht die sprachwissenschaftliche Vorgehensweise angewendet werden, die darin besteht, die auf irgendeine Weise abweichenden Sätze systematisch zu untersuchen und dabei unter anderem nach dem Grund für die Abweichung zu suchen. Vergleicht man zum Beispiel den ungrammatischen Satz *Das Schiff untergeht mit dem grammatischen Satz Das Schiff geht unter, erkennt man, dass der Grund für die Ungrammatikalität in der nichtgetrennten Verbform untergeht liegen muss. 1.3 Was sind einfache Sätze? Man kann den Begriff des einfachen Satzes auf zweierlei Weisen verstehen, und zwar zum einen auf Nebensätze und zum anderen auf Satzglieder bezogen. Im einen Fall ist ein einfacher Satz ein Satz, der keinen Nebensatz enthält (Der Bundestrainer muss eine neue Taktik finden), im anderen Fall ist der Satz minimal und besteht nur aus einem Subjekt und einem einfachen Prädikat (Die- Sonne scheint). Wir verwenden den Begriff so, dass einfache Sätze keine Nebensätze enthalten, unter anderem deshalb, weil sich bei genauerer Untersuchung herausstellt, dass die Struktur vermeintlich einfacher Sätze wie Die Sonne scheint in Wirklichkeit ziemlich komplex ist. Das hat unter sprachdidaktischer Perspektive schon Haueis (1999) gezeigt, wir gehen darauf in Kap.-4 genauer ein. * * * Dieses Buch zu schreiben hat deutlich länger gedauert, als wir eigentlich geplant hatten. Wir danken Sandra Döring, Peter Gallmann und dem Verlag sehr für ihre große Geduld und hoffen, dass sich das Warten gelohnt hat. Unser Dank gilt aber auch Franz d’Avis, Sandra Döring, Peter Gallmann und-Anja Müller für ihre Kommentare, Hinweise und Verbesserungsvorschläge, die sehr hilfreich 4 Dass der Satz gegen die Regeln der Grammatik verstößt und deshalb ungrammatisch ist, wird mit * markiert. 10 1 Einleitung waren, und den Studierenden verschiedener Veranstaltungen zur deutschen Grammatik an den Universitäten Leipzig und-Mainz für ihre Fragen und Antworten. 2 Wörter Wörter sind die Grundbausteine, aus denen Sätze zusammengesetzt sind, und die Beschreibung der Sätze beginnt gewöhnlich mit einer genaueren Beschreibung dieser Grundbausteine. Wir gehen in diesem Kapitel zuerst auf den grundlegenden Unterschied zwischen lexikalischen und syntaktischen Wörtern ein und diskutieren dann, welche Eigenschaften die verschiedenen syntaktischen Wortarten auszeichnen. Ein wichtiges Erkenntnisziel wird dabei sein,-dass die Wörter einer Wortart keine homogene Klasse bilden und deshalb schematische Verfahren für die Wortartbestimmung nur mit einer gewissen Vorsicht verwendet werden sollten. 2.1 Lexikalische und syntaktische Wörter Eines der sprachlichen Alltagsphänomene, die für das Verständnis der Sprachproduktion eine sehr große Rolle spielen, sind Versprecher. Wenn wir Sätze äußern, gelingt es-uns nicht immer, sie so äußern, wie wir es eigentlich wollen und wie es den Regeln unserer Sprache entspricht, weil uns alle möglichen Arten von sprachlichen Fehlleistungen unterlaufen können. Eine Art von Versprechern sind Ersetzungen wie in (1), bei denen das eigentlich gemeinte Wort durch ein anderes Wort ersetzt worden ist (aus Leuninger 1998, das richtige Wort ist wo nötig in Klammern hinzugefügt). (1) a. Morgen haben wir noch einen anstrengenden Tag hinter (vor) uns. b. Ich soll am Montag zu mir (ihm) kommen. c. Die Bewerber müssen Schweizer sein, katholisch, unverändert, unverheiratet. d. Ich frage mich, was die ältere Dame damit alles anfällt (anstellt). e. Heute geht es um Gewalt im Studio, äh Stadion. Eine Beobachtung zu solchen Ersetzungen ist, dass die an dem Versprecher beteiligten Wörter so gut wie immer zur selben Wortart gehören. Das zeigen auch diese Beispiele: In-(1a) handelt es sich bei hinter und vor um Präpositionen, in (1b) wird das Pronomen ihm durch das Pronomen mir ersetzt, in (1c) ist unverändert wie unverheiratet ein Adjektiv, in (1d) sind mit anfällt und anstellt zwei Verben am Versprecher beteiligt und in (1e) mit Studio und Stadion zwei Nomen. Gleiches wird also durch Gleiches ersetzt. 12 2 Wörter Ein Teil des Sprachproduktionsprozesses besteht im Zugriff auf unser inneres Lexikon, in dem wir die Wörter unserer Sprache gespeichert haben, und eine Eigenschaft, die-wir bei jedem Wort gespeichert haben, ist seine Wortart, also die größere Klasse von Wörtern, zu der das gespeicherte Wort gehört. In (1a) hat der Sprecher oder die Sprecherin im Lexikon auf die Präposition vor zugreifen wollen, aber versehentlich die bedeutungsähnliche Präposition hinter erwischt. Der Fehler ist also nicht in der Syntax entstanden, bei der Konstruktion des Satzes, sondern im Lexikon, und betroffen sind die lexikalischen Wörter, die Lexeme. Wenn man für die Notation der im Lexikon gespeicherten Wörter Kapitälchen verwendet, ist in (1a) das lexikalische Wort vor durch das lexikalische Wort hinter ersetzt worden; vor und hinter sind Präpositionen, was durch das tiefergestellte P markiert ist. Kap. 2 (1) a. Morgen haben wir noch einen anstrengenden Tag hinter uns. g vor P , hinter P (3) Ein Sommer macht noch keine Schwalbe . g g sommer N schwalbe N z--------------m (4) *Eine Sommer macht noch keinen Schwalbe . z---------------m (5) Wortform morphosyntaktische Merkmale ! "#"$ ! """"#""""$ Schwalbe [ N , Fem , Nom , Sg ] %""""""""""&"""""""""""' syntaktisches Wort (6) Die Größeren N dürfen länger aufbleiben. g gross A (7) Die singenden A Fans sollen das Singen N üben, dann singen V sie besser. g g g singen V singen V singen V 1 Eine solche Beobachtung lässt sich auch bei anderen Arten von Versprechern machen, denn auch „bei Wortvertauschungen werden vornehmlich Wörter derselben Wortart miteinander vertauscht“, so Leuninger (1996, 86). Man vergleiche den folgenden Versprecher: (2) Ein Sommer macht noch keine Schwalbe. Das Interessante an dieser Vertauschung ist, dass der aus dem Versprecher resultierende Satz trotz der Vertauschung grammatisch korrekt ist und nur eine falsche Bedeutung hat, aber nicht eine falsche Form. Das ist so zu erklären, dass es sich auch hierbei um einen Versprecher handelt, bei dem lexikalische Wörter betroffen sind. Kap. 2 (1) a. Morgen haben wir noch einen anstrengenden Tag hinter uns. g vor P , hinter P (3) Ein Sommer macht noch keine Schwalbe . g g sommer N schwalbe N z--------------m (4) *Eine Sommer macht noch keinen Schwalbe . z---------------m (5) Wortform morphosyntaktische Merkmale ! "#"$ ! """"#""""$ Schwalbe [ N , Fem , Nom , Sg ] %""""""""""&"""""""""""' syntaktisches Wort (6) Die Größeren N dürfen länger aufbleiben. g gross A (7) Die singenden A Fans sollen das Singen N üben, dann singen V sie besser. g g g singen V singen V singen V 1 Woran erkennt man, dass hier tatsächlich zwei Wörter im Lexikon und nicht zwei Wörter im Satz vertauscht worden sind? An der Form der Artikel ein und keine. Wenn die beiden syntaktischen Wörter Sommer und Schwalbe vertauscht 13 2.1 Lexikalische und syntaktische Wörter worden wären, hätte das Resultat folgender Satz sein müssen, in dem die Artikel eine und keinen lauten: Kap. 2 (1) a. Morgen haben wir noch einen anstrengenden Tag hinter uns. g vor P , hinter P (3) Ein Sommer macht noch keine Schwalbe . g g sommer N schwalbe N z--------------m (4) *Eine Sommer macht noch keinen Schwalbe . z---------------m (5) Wortform morphosyntaktische Merkmale ! "#"$ ! """"#""""$ Schwalbe [ N , Fem , Nom , Sg ] %""""""""""&"""""""""""' syntaktisches Wort (6) Die Größeren N dürfen länger aufbleiben. g gross A (7) Die singenden A Fans sollen das Singen N üben, dann singen V sie besser. g g g singen V singen V singen V 1 Wir müssen also bei der Beschreibung von Versprechern sorgfältig zwischen lexikalischen und syntaktischen Wörtern unterscheiden. Die lexikalischen Wörter sind in unserem Lexikon gespeichert und werden durch die syntaktischen Wörter realisiert; größere syntaktische Einheiten wie die ältere Dame oder Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer bestehen nicht aus lexikalischen Wörtern, sondern aus syntaktischen Wörtern (vgl. Fuß und Geipel [2018, 18]): 5 Lexikalisches Wort: Ein lexikalisches Wort ist eine abstrakte lexikalische Einheit, die Informationen über grundlegende Eigenschaften wie Lautgestalt, Kernbedeutung, Wortart und invariante morphosyntaktische Merkmale enthält. Syntaktisches Wort: Syntaktische Wörter sind konkret auftretende Wörter, wie sie in tatsächlichen Sätzen bzw. syntaktischen Strukturen vorkommen. Ein syntaktisches Wort besteht aus einer Wortform und Angaben zu den morphosyntaktischen Merkmalen, für die die Wortform steht. Das lexikalische Wort schwalbe hat die Lautform / ʃvalbə/ und die Bedeutung ‚Singvogel‘, gehört zur Wortart der Nomen (N) und hat das invariante, feste Genusmerkmal Femininum (Fem). Das syntaktische Wort Schwalbe in dem Satz Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, mit dem das lexikalische Wort schwalbe realisiert wird, ist wie das- lexikalische Wort ein Nomen und hat neben dem Merkmal Femininum zusätzlich die Flexionsmerkmale Nominativ (Nom) und Singular (Sg). 5 Vieles von dem, was wir in diesem Kapitel besprechen, wird auch von Fuß und Geipel (2018, Kap. 3) in vergleichbarer Weise besprochen; das ist auch so beabsichtigt. Man beachte aber, dass es in dem ein oder anderen Punkt, etwa bei der Einordnung der Pronomen, auch Unterschiede gibt. 14 2 Wörter Kap. 2 (1) a. Morgen haben wir noch einen anstrengenden Tag hinter uns. g vor P , hinter P (3) Ein Sommer macht noch keine Schwalbe . g g sommer N schwalbe N z--------------m (4) *Eine Sommer macht noch keinen Schwalbe . z---------------m (5) Wortform morphosyntaktische Merkmale ! "#"$ ! """"#""""$ Schwalbe [ N , Fem , Nom , Sg ] %""""""""""&"""""""""""' syntaktisches Wort (6) Die Größeren N dürfen länger aufbleiben. g gross A (7) Die singenden A Fans sollen das Singen N üben, dann singen V sie besser. g g g singen V singen V singen V 1 In formal genauen Darstellungen der Syntax werden die syntaktischen Wörter immer komplett mit ihren morphosyntaktischen Merkmalen notiert. Da das aber sehr aufwändig ist und zu sehr komplexen Darstellungen führt, folgen wir in diesem Buch der gängigen Praxis und notieren die morphosyntaktischen Merkmale nur dort, wo es erforderlich ist. 2.2 Wortartwechsel Gewöhnlich wird in Schulbüchern nicht zwischen lexikalischen und syntaktischen Wörtern und somit auch nicht zwischen lexikalischen und syntaktischen Wortarten unterschieden. Der Grund dafür ist, dass die Wortart eines lexikalischen Wortes normalerweise mit der Wortart des syntaktischen Wortes übereinstimmt, mit dem das-lexikalische Wort realisiert wird. Das lexikalische Wort schwalbe ist ein Nomen und das syntaktische Wort Schwalbe ist ebenso ein Nomen. Es gibt aber, worauf unter anderem die Duden-Grammatik (2016, 141) hinweist, systematische Ausnahmen, die dann zu Unsicherheiten in der Wortartbestimmung führen: „Zu manchen Lexemen können nämlich Formen gebildet werden, die sich hinsichtlich ihres syntaktischen Gebrauchs und ihrer Flexionsmerkmale wie die Flexionsformen anderer Lexemklassen verhalten“. Nehmen wir als ein Beispiel dafür das Wort Größeren im folgenden Satz: (6) Die Größeren dürfen länger aufbleiben. Dieses Wort ist gemäß seinen Flexionsmerkmalen ein Adjektiv, was unter anderem daran zu erkennen ist, dass es ohne den Artikel die stark flektiert wird (Größere dürfen länger aufbleiben) und kompariert ist. In Satz (6) ist es trotz seiner adjektivischen Flexionsmerkmale ein Nomen und wird deshalb auch großgeschrieben. Das heißt, das syntaktische Wort Größeren ist ein Nomen, auch wenn das zugehörige lexikalische Wort ein Adjektiv ist. 6 6 Traditionell spricht man in solchen Fällen von substantivierten Adjektiven oder substantivischem Gebrauch. 15 2.3 Eigenschaften syntaktischer Wörter Kap. 2 (1) a. Morgen haben wir noch einen anstrengenden Tag hinter uns. g vor P , hinter P (3) Ein Sommer macht noch keine Schwalbe . g g sommer N schwalbe N z--------------m (4) *Eine Sommer macht noch keinen Schwalbe . z---------------m (5) Wortform morphosyntaktische Merkmale ! "#"$ ! """"#""""$ Schwalbe [ N , Fem , Nom , Sg ] %""""""""""&"""""""""""' syntaktisches Wort (6) Die Größeren N dürfen länger aufbleiben. g gross A (7) Die singenden A Fans sollen das Singen N üben, dann singen V sie besser. g g g singen V singen V singen V 1 Für die satzinterne Großschreibung ist nicht die Wortart der lexikalischen Wörter von Belang, sondern die Wortart der syntaktischen Wörter. Andere Fälle von systematischem syntaktischem Wortartwechsel betreffen die Partizipien und die einfachen Infinitive; die Partizipien können in der Syntax zu Adjektiven werden und die einfachen Infinitive zu Nomen. Die drei syntaktischen Wörter singenden, Singen und singen gehören in (7) zwar zu unterschiedlichen syntaktischen Wortarten, realisieren aber ein und dasselbe lexikalische Verb singen. Kap. 2 (1) a. Morgen haben wir noch einen anstrengenden Tag hinter uns. g vor P , hinter P (3) Ein Sommer macht noch keine Schwalbe . g g sommer N schwalbe N z--------------m (4) *Eine Sommer macht noch keinen Schwalbe . z---------------m (5) Wortform morphosyntaktische Merkmale ! "#"$ ! """"#""""$ Schwalbe [ N , Fem , Nom , Sg ] %""""""""""&"""""""""""' syntaktisches Wort (6) Die Größeren N dürfen länger aufbleiben. g gross A (7) Die singenden A Fans sollen das Singen N üben, dann singen V sie besser. g g g singen V singen V singen V 1 Wenn man Sätze beschreibt, spricht man über syntaktische Wörter und nicht über lexikalische Wörter. Daher geht es im Folgenden auch um die syntaktischen Wortarten und nicht um die lexikalischen Wortarten. Statt von syntaktischen Wortarten spricht man oft auch von syntaktischen Kategorien. 2.3 Eigenschaften syntaktischer Wörter Machen wir ein kleines Experiment, das aus einem Grammatik-Kurs für Klasse 4 stammt (Kluge und Sennlaub 1996, 3). Die Aufgabe besteht darin, den folgenden Text in normaler Schreibschrift mit der richtigen Großund-Kleinschreibung abzuschreiben; lesen Sie bitte erst weiter, wenn Sie das getan haben. (8) DER TUCK TACKTE ÜBER DAS TICK. WIE ER SO ÜBER DAS TICK TACKTE, TOCKELTEN DIE TOCKE: „WAS TACKST DU SO, DU TUCK? “ Wir gehen davon aus, dass Sie die Wörter tackte, tockelten und tackst kleingeschrieben haben, doch warum? Für die Groß- und Kleinschreibung gilt es, die syntaktische Wortart eines Wortes zu bestimmen. Dafür kann man verschiedene Arten von Erkennungsmerkmalen nutzen. Bei Fantasiewörtern kann die Be- 16 2 Wörter deutung für die Bestimmung der Wortart nicht genutzt werden, aber stattdessen kann man zwei andere Arten von Erkennungsmerkmalen nutzen, und zwar die morphologischen Eigenschaften der Wörter und ihr syntaktisches Verhalten. Bei den morphologischen Eigenschaften ist zwischen Wortbildung und Flexion zu unterscheiden; typische Wortbildungssuffixe sind -ung und -heit bei Nomen (Lösung, Dunkelheit), -bar und- -lich bei Adjektiven (brauchbar, löslich), -ier bei Verben (plakatieren) und -s bei Adverbien (nachts). In den drei Wörtern tackte, tockelten und tackst können die drei Verbflexionsendungen -te, -ten und -st identifiziert werden. Das heißt, die drei Wörter tackte, tockelten und tackst werden wie finite Verben flektiert und sie kongruieren auch, wie es im Deutschen erforderlich ist, mit den drei Subjekten der Tuck, die Tocke und du. Sie werden aber nicht nur wie finite Verben flektiert, sondern sie stehen auch dort, wo finite Verben in solchen Sätzen zu stehen haben, und zwar in der zweiten Satzposition; die erste Satzposition, das Vorfeld (dazu mehr in Kap. 4), wird von den Wortfolgen der Tuck, wie er so über das Tick tackte und was besetzt. 7 2.3.1 Morphologische Eigenschaften Oft ist es möglich, die syntaktischen Wörter mithilfe ihrer Flexionsmerkmale zu bestimmen. Nomen, Pronomen, Artikelwörter und Verben treten in Sätzen immer flektiert auf, wobei es zu beachten gilt, dass auch infinite Verben wie gelacht, lachen oder zu lachen als flektiert zählen. Nomen, Pronomen und Artikelwörter sind nach Kasus, Numerus und Genus flektiert (wobei das Genus bei Nomen kein Flexionsmerkmal ist, sondern fest), finite Verben nach Person, Numerus, Tempus und Modus (wobei Imperativformen kein Tempusmerkmal haben) und infinite Verben zeichnen sich durch eine Art verbalen Kasus aus, den man Bech (1983) folgend als Status bezeichnen kann. Kasus — Nominativ (Nom), Genitiv (Gen), Dativ (Dat), Akkusativ (Akk) Numerus — Singular (Sg), Plural (Pl) Genus — Femininum (Fem), Maskulinum (Mask), Neutrum (Neut) 7 Man hört oder liest öfter den Einwand, dass die morphologischen und syntaktischen Eigenschaften der Wörter schwerer erkennbar seien als ihre Bedeutung. Die Ergebnisse von Funke (2005, 212) sprechen dagegen: „Dieser Befund spricht dafür, dass Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 5-7 syntaktische Informationen völlig unabhängig von semantischer zu erfassen vermögen. Auch die Annahme, syntaktische Information sei schwerer zugänglich als semantische, wird durch ihn nicht gestützt.“ 17 2.3 Eigenschaften syntaktischer Wörter Person — 1, 2, 3 Tempus — Präsens (Präs), Präteritum (Prät) Modus — Indikativ (Ind), Konjunktiv (Konj), Imperativ (Imp) Status — Infinitiv (Inf), zu-Infinitiv (zu-Inf), Partizip 2 (Pt2) 8 Adjektive sind im Deutschen hinsichtlich ihrer Flexion ein etwas schwierigerer Fall. Sie treten in Sätzen oft flektiert auf wie in (9a), aber auch unflektiert wie in (9b-c). Deshalb ist es bei Adjektiven wichtig, zwischen flektiert und flektierbar und zwischen syntaktischem und lexikalischem Wort zu unterscheiden: Das syntaktische Wort langsam in-(9b-c) ist nicht flektiert, das dazugehörige lexikalische Wort langsam ist aber flektierbar. Die drei Verwendungsweisen der Adjektive in (9) werden nach der syntaktischen Funktion unterschieden (Genaueres dazu in Kap. 5). (9) a. Das war ein langsamer Zug. [attributiv] b. Der Zug war langsam. [prädikativ] c. Der Zug fuhr langsam durch den Tunnel. [adverbial] Die Adjektive werden im Deutschen nur flektiert, wenn sie als Attribute fungieren, als Prädikative und Adverbiale werden sie nicht flektiert. Von den drei Flexionsmerkmalen Kasus, Genus und Numerus zu unterscheiden ist zum einen die Komparation der Adjektive, da die Adjektive auch bei prädikativem und adverbialem Gebrauch immer ein Komparationsmerkmal haben (Positiv als Grundform, Komparativ oder Superlativ) 9 , und zum anderen die Eigenschaft, dass die Flexion der attributiven Adjektive von der syntaktischen Umgebung abhängt. Geht dem attributiven Adjektiv ein Artikelwort mit einer Flexionsendung voran wie alle oder diese, wird es schwach flektiert, sonst stark. (10) a. alle langsamen Autos [schwach] b. diese langsamen Autos [schwach] c. Karls langsame Autos [stark] d. kein langsames Auto [stark] 8 Das entspricht dem 1., 2. und 3. Status der 1. Stufe bei Bech (1983). 9 Was für eine Art Flexionsmerkmal die Komparation ist, ist nicht wirklich klar. Es-gibt eine kleine Zahl von Adverbien, die ebenfalls kompariert werden können (oft, öfter, am häufigsten; gern, lieber, am liebsten), und Komparativformen treten innerhalb von Wortbildungen auf (verkleinern, vergrößern, verbessern; schnellstmöglich). Beides spricht dafür, die Komparation bei den Adjektiven nicht zur Flexion im engeren Sinne-zu zählen. 18 2 Wörter e. dessen langsame Autos [stark] f. langsame Autos [stark] Dass die Adjektive beim adverbialen Gebrauch nicht flektiert sind, führt bei der Wortartbestimmung zu Unsicherheiten, da schwer zu erkennen ist, ob es sich um ein Adjektiv handelt oder um ein Adverb. Denn in derselben syntaktischen Position können auch Adverbien wie jetzt stehen: Der Zug fährt jetzt durch den Tunnel. Ein Argument dafür, langsam in (9c) als Adjektiv zu kategorisieren, ist die Komparation, das Adjektiv könnte auch im Komparativ oder Superlativ stehen: Der Zug fuhr langsamer durch den Tunnel als geplant. Große Probleme wirft stets auch die Unterscheidung zwischen Nomen, Pronomen und Artikelwörtern auf. Der Unterschied zwischen Artikelwörtern und Pronomen wird traditionell so beschrieben, dass Artikelwörter Begleiter von Nomen sind und Pronomen Stellvertreter von Nomen, doch es wird nur selten genauer gesagt, was darunter zu verstehen sein soll. Begleiter verstehen wir so, dass das Artikelwort immer mit einem Nomen auftritt, mit-dem es in Kasus, Numerus und Genus übereinstimmt; solche Merkmalsübereinstimmungen nennt man Kongruenz. In (11a) kongruiert dieses mit Brot, doch im ungrammatischen Satz (11b) kongruiert diese nicht mit Brot, weil diese das Genus Femininum hat, aber Brot das Genus Neutrum. Das Wort dessen kann im grammatischen Satz (11c) daher auch kein Artikelwort sein, sondern ist ein Pronomen, es steht im Genitiv und nicht wie das Nomen Brot im Nominativ. (11) a. Dieses[Nom, Sg, Neut] Brot[Nom, Sg, Neut] sieht lecker aus. b. *Diese[Nom, Sg, Fem] Brot[Nom, Sg, Neut] sieht lecker aus. c. Dessen[Gen, Sg, Mask] Brot [Nom, Sg, Neut] sieht lecker aus. Diese enge Verbindung zwischen dem Artikelwort und dem zugehörigen Nomen führt dazu, dass sie eine größere syntaktische Einheit bilden, eine Phrase, und die Artikelwörter bilden den linken Rand dieser Phrasen (auf die Phrasen kommen wir noch ausführlicher in Kap. 3 zu sprechen). Aufgrund ihrer Position am linken Rand stehen sie oft nicht direkt vor dem zugehörigen Nomen, sondern sind durch Attribute von ihm getrennt. So stehen in (12a-b) zwischen den kursiv markierten Artikelwörtern und Nomen die Attribute beschädigte und auf dem Dachboden versteckte. 19 2.3 Eigenschaften syntaktischer Wörter (12) a. das beschädigte Kabel b. der auf dem Dachboden versteckte Schatz Beispiele wie (13a), in denen ein Artikelwort scheinbar ohne Nomen auftritt, lassen sich so beschreiben, dass syntaktisch gesehen durchaus ein Nomen vorhanden ist, dieses Nomen aber bei der Äußerung des Satzes weggelassen wird; diese Ellipsen kann man wie in (13b) markieren. 10 (13) a. Der Weihnachtsmann hat einen großen Schlitten und einen kleinen. b. Der Weihnachtsmann hat einen großen Schlitten und einen kleinen Schlitten. Wir fassen hier die Klasse der Artikelwörter sehr weit und zählen nicht nur Artikel wie die und ein, sondern auch Wörter wie jedes, alle, keine, manche, diese, welchen und irgendein dazu, wenn sie denn mit einem Nomen kombiniert sind. Anders als bei den Adjektiven gibt es bei ihnen keinen Unterschied zwischen starker und schwacher Flexion und es kann, von gewissen Ausnahmen abgesehen, nur ein Artikelwort pro Nominalphrase auftreten (kleine, süße, verfressene Pinguine, aber *diesen welchen irgendeinen Pinguin). Die Pronomen klassifizieren wir wie viele andere Grammatiken auch als eigene Wortart. Pronomen können aber wie Nomen den Kopf einer Nominalphrase bilden. Deshalb können sie anstelle von Nomen auftreten und sie gewissermaßen vertreten. Wenn man zwischen Artikelwörtern als Begleiter von Nomen und Pronomen als Vertreter von Nomen unterscheidet, muss man prüfen, ob das betreffende Wort mit einem Nomen kombiniert ist oder nicht. In (14a-b) sind das und jeder nicht mit einem Nomen kombiniert und als Pronomen zu klassifizieren. In (14c-d) hingegen ist das mit dem Nomen Argument und jeder mit dem Nomen Mensch kombiniert, sie sind deshalb Artikelwörter. (14) a. Das hat Eva sofort überzeugt. [Pronomen] b. Jeder hat ein Recht auf Bildung. [Pronomen] c. Das Argument hat Eva sofort überzeugt. [Artikelwort] d. Jeder Mensch hat ein Recht auf Bildung. [Artikelwort] 10 Solche Beispiele finden sich oft in Diktaten zur Groß- und Kleinschreibung, weil das Adjektiv vor dem weggelassenen Nomen kleingeschrieben werden muss. 20 2 Wörter 2.3.2 Syntaktisches Verhalten Lässt sich ein syntaktisches Wort nicht anhand morphosyntaktischer Merkmale wie Kasus, Numerus oder Tempus einer Wortart zuordnen, kann sein syntaktisches Verhalten untersucht werden. Die fundamentale Beobachtung für die syntaktische Bestimmung der Wörter ist, dass sich die Wörter darin unterscheiden, in welchen syntaktischen Umgebungen sie auftreten können und in welchen nicht, und dass die Wörter, die in den gleichen syntaktischen Umgebungen auftreten können, zusammen eine Klasse bilden, eine Wortart. Darin liegt der-Nutzen jeder Klassifizierung: Man ordnet ein Objekt, egal ob Tier, Wort, Elementarteilchen oder etwas anderes, einer Klasse zu, um festzuhalten, dass es sich so verhält wie die anderen Objekte dieser Klasse. So lassen sich in den syntaktischen Rahmen Leopold kennt … nur Nomen einsetzen, in den syntaktischen Rahmen ein … Buch nur Adjektive und in den syntaktischen Rahmen Leopold … ein Buch nur Verben (s. Fuß und Geipel 2018, 41 f.). Und von den nicht-flektierbaren Wörtern können nur die Adverbien alleine die erste Satzposition vor dem finiten Verb, das Vorfeld besetzen, also in dem syntaktischen Rahmen … liest Leopold ein Buch stehen. 11 (15) a. Leopold kennt … Eva / *schönes / *auf / *liest / *dort b. ein … Buch schönes / *Eva / *auf / *liest / *dort c. Leopold … ein Buch liest / *Eva / *schönes / *auf / *dort d. … liest Leopold ein Buch dort / *Eva / *schönes / *auf / *liest Beim Einsatz solcher Lückenproben gilt es allerdings einiges zu beachten: Es kann vorkommen, dass Wörter aus unterschiedlichen Wortarten in ein und dieselbe Lücke passen. So passen in die Lücke … schönes Buch nicht nur Artikelwörter, sondern auch Pronomen und Eigennamen (dessen schönes Buch, Evas schönes Buch) und in die Lücke … liest Leopold ein Buch nicht nur Adverbien, sondern auch Adjektive (Konzentriert liest Leopold ein Buch). Und diese Lückenproben lassen sich manchmal nur schwer auf die syntaktischen Wörter anwenden. Das Adverb dort steht im folgenden Satz (16) nicht allein im Vorfeld, 11 Wie man solche syntaktischen Lücken didaktisch nutzen kann, zeigen die Wörtersortiermaschine aus dem Sprachbuch „Die Sprachstarken 4“ (Lötscher et al. 2007, 72 f.) und die Pass-Wörter, Quietschwörter und Quatschwörter aus dem „Lernbuch Sprache untersuchen 3+4“ (Riegler et al. 2015, 29 ff.). 21 2.3 Eigenschaften syntaktischer Wörter sondern zusammen mit das Klavier und ist ein Attribut zu Klavier. Es ist aber dennoch ein Adverb und nicht etwa ein Adjektiv. (16) Das Klavier dort ist verstimmt. Man kann in solchen Fällen das betreffende Wort etwas genauer untersuchen. Das Wort dort hat keine Flexionsmerkmale und es kann auch keine Flexionsmerkmale haben, es ist nicht flektierbar. Es modifiziert alleine das vorangehende Nomen Klavier und kann deswegen keine Präposition, keine koordinierende oder subordinierende Konjunktion und auch keine Partikel sein. Wenn man nur fünf nicht-flektierbare Wortarten ansetzt, muss es sich also um ein Adverb handeln. Das ist der Witz vieler Verfahren zur Wortartbestimmung: Man ermittelt die passende Wortart, indem man die Wortarten, die nicht passen, ausschließt. Insgesamt setzen wir wie Fuß und Geipel (2018) für die syntaktischen Wörter zehn Wortarten an, die sich wie folgt charakterisieren lassen: Nomen (N) — hat Kasus und Numerus und ein festes Genus, ist-oft mit einem Artikelwort oder einem vorangehenden flektierten Adjektiv kombiniert. Pronomen (Pro) — hat Kasus und Numerus und oft ein festes Genus, ist nicht mit einem Nomen kombiniert. Artikelwort (D) — ist mit einem Nomen kombiniert, mit dem es in Kasus, Numerus und Genus übereinstimmt, steht am linken Rand einer Nominalphrase. 12 Verb (V) — ist finit oder infinit, steht in bestimmten Satzpositionen. 13 Adjektiv (A) — kann Kasus, Numerus und Genus haben, bildet Komparationsformen und starke und schwache Flexionsformen, kann zwischen einem Artikelwort und einem Nomen stehen. Adverb (Adv) — hat keine Flexionsmerkmale, bildet normalerweise allein eine Phrase. Präposition (P) — hat keine Flexionsmerkmale, ist fast immer mit einer nachfolgenden Nominalphrase kombiniert, deren Kasus von der Präposition bestimmt wird. 12 Wohl nirgendwo sonst ist die Konfusion so groß wie bei der Bezeichnung der Artikelwörter, die- unter anderem auch Determinierer, Determinanten, Determinative oder Determinatoren genannt werden. 13 Genaueres zu den Satzpositionen der Verben und auch zu den satzeinleitenden Konjunktionen in Kap. 4. 22 2 Wörter Satzeinleitende Konjunktion (Subjunktion, C) — hat keine Flexionsmerkmale, ist immer mit einer Verbalphrase kombiniert und steht am linken Rand von Sätzen, in-denen ein finites Verb in der Endposition steht. 14 Nebenordnende Konjunktion (Konjunktion, K) — hat keine Flexionsmerkmale, verbindet Ausdrücke mit anderen Ausdrücken derselben Art. Partikel (Part) — hat keine Flexionsmerkmale und kann anders als die anderen nicht-flektierbaren Wörter auch nicht allein Phrasen bilden, kommt also nur als Wort vor und nicht als Phrase, steht fast immer im Mittelfeld und ist fast immer unbetont. Wenn man die Wörter daraufhin untersucht, ob sie alleine Phrasen bilden können, stellt man fest, dass es zwei Gruppen gibt: Die Wörter der einen Gruppe (Nomen, Pronomen, Verben, Adjektive, Adverbien) können allein Phrasen bilden, die Wörter der anderen Gruppe (Artikelwörter, Präpositionen, satzeinleitende und koordinierende Konjunktionen, Partikeln) können nur zusammen mit anderen Wörtern Phrasen bilden, aber nicht alleine. 15 Wir haben in dieser Übersicht keine Wörter als Beispiele hinzugefügt, weil-es uns hier um die syntaktischen Wörter und nicht um die lexikalischen Wörter geht. Die syntaktischen Wörter sind mit anderen syntaktischen Wörtern kombiniert und haben eine syntaktische Umgebung, die man für ihre Klassifizierung nutzen kann; für die lexikalischen Wörter gilt das nicht. Wenn man das Klassifizieren der syntaktischen Wörter üben möchte, muss man entsprechend größere syntaktische Ausdrücke wie das im Keller befindliche und leider beschädigte Kabel dafür verwenden und nicht isolierte Wörter wie das oder Kabel. 14 In der Schule wird gewöhnlich nur von Konjunktionen gesprochen und nicht zwischen satzeinleitenden und koordinierenden Konjunktionen unterschieden; die zwei Arten von Konjunktionen funktionieren syntaktisch aber sehr unterschiedlich. Man beachte, dass die satzeinleitenden Konjunktionen nicht immer Nebensätze einleiten, sondern manchmal auch Hauptsätze (Ob es heute wohl noch regnet? ). Wir bezeichnen im Folgenden die satzeinleitenden Konjunktionen auch kurz als Subjunktionen. 15 Diese Beobachtung wird auch so formuliert, dass nur bestimmte Wörter satzgliedfähig sind, also alleine eine syntaktische Funktion wie Subjekt, Objekt oder Adverbial übernehmen können. Das trifft auf die Verben nur dann zu, wenn man auch Prädikate zu den Satzgliedern zählt, doch wir argumentieren in Kap. 5.9 dafür, dass Prädikate keine Satzglieder sind. 23 2.4 Wortarten haben unscharfe Ränder 2.4 Wortarten haben unscharfe Ränder In jeder Sprache gibt es viele Wörter, die sich einer Zuordnung zu einer Wortart widersetzen und zu keiner Wortart wirklich gut passen. Das spricht nicht gegen die Annahme, dass die Wörter Klassen bilden und sich je nach Klasse syntaktisch unterschiedlich verhalten, sondern zeigt nur, dass die Wortarten keine homogenen Klassen bilden, deren Mitglieder sich alle gleich verhalten. Es ist daher sinnvoll, wie Crystal (1993, 92) zwischen Kern und Rändern zu unterscheiden: „Jede Klasse besitzt einen Kern von Wörtern, die sich in grammatikalischer Hinsicht identisch verhalten. Doch an den ‚Rändern‘ jeder Klasse finden sich unregelmäßige Wörter, von denen sich manche so verhalten können wie Wörter aus anderen Klassen.“ Das lässt sich im Deutschen wie im Englischen gut an den Adjektiven demonstrieren. Wenn wir annehmen, dass zu den oben genannten Eigenschaften der Adjektive noch der Gebrauch als Prädikativ hinzukommt, zeichnen sich die typischen Adjektive durch folgende Eigenschaften aus (das folgt mehr oder weniger der Einteilung von Crystal 1993, 92): a. prädikativ mit dem Kopulaverb sein b. attributiv zwischen einem Artikelwort und einem Nomen c. starke und schwache Flexionsformen d. Komparativ- und Superlativformen e. adverbial mit Verben Wir können jetzt Wörter daraufhin testen, ob sie diese Eigenschaften haben oder nicht. Das typische Adjektiv langsam hat tatsächlich all diese Eigenschaften, wie oben gezeigt. Nimmt man die Wörter hässlich, heilbar, rosa und schade mit hinzu, stellt man fest, dass sie nicht all diese Eigenschaften haben, obwohl zumindest hässlich und heilbar von jeder Grammatik als Adjektiv klassifiziert werden. Das Wort, das die meisten Probleme bereitet, ist schade, das nur unflektiert als Prädikativ auftreten kann und von manchen Grammatiken auch gar nicht als Adjektiv angesehen wird. 24 2 Wörter a. b. c. d. e. langsam hässlich heilbar rosa schade +++++ ++++- +++-- ++--- +---- Spannend wird das Verhältnis zwischen Kern und Rand dadurch, dass sich manche Wörter vom Rand langsam auf den Kern zubewegen und mehr und mehr Eigenschaften der Wortart übernehmen. So gelten Formen wie rosanes zwar standardsprachlich immer noch als falsch, umgangssprachlich treten sie aber durchaus auf. Und in der Süddeutschen Zeitung findet man Belege wie in (17), in denen super flektiert ist und egal eine Komparativform bildet. (17) a. […] schließlich hatte ich ja auch ziemlich supere Zeugnisse. 16 b. In diesem Weimarer „Tatort“ ist die Handlung noch egaler als sonst. 17 Es ist in der Grammatik also wie im wirklichen Leben: Nicht alle Mitglieder passen gleich gut in eine Klasse. Fledermäuse und Wale sind zwar Säugetiere, aber sicher keine typischen, und auch die Pinguine sind eher Außenseiter in der Klasse der Vögel. Wörter wie schade, egal oder pleite sind gewissermaßen die Fledermäuse oder die Pinguine unter den Adjektiven. Diese Übertragung aus der Tierwelt verlangt von den Schülerinnen und Schülern im Bereich der Grammatik allerdings ein höheres Abstraktionsvermögen. So sind die Zuordnungsmerkmale wie z.- B. das Gebärverhalten der Pinguine oder Wale für eine Schülerin oder einen Schüler leichter zu verstehen als das morphosyntaktische Verhalten von schade oder egal. Zur besseren Verständlichkeit bietet sich die Arbeit mit einer Farbskala bzw. einer Farbschablone an. Alle Schülerinnen und Schüler erhalten hierfür eine Vorlage wie abgebildet. 16 www.sueddeutsche.de/ bildung/ jahreszeugnisse-das-verhaeltnis-zur-lehrkraft-war-stoe rungsfrei-1.2589223-2 (abgerufen am 6.6.2018). 17 www.sueddeutsche.de/ medien/ tatort-aus-weimar-in-diesem-weimarer-tatort-ist-diehandlung-noch-egaler-als-sonst-1.3856016 (abgerufen am 6.8.2018). 25 2.5 Ausbildung von syntaktischen bzw. morphologischen Begriffen Abbildung 1: Farbskala zur Visualisierung von prototypischen und nicht prototypischen Vertretern einer Wortart am Beispiel des Adjektivs Die Schülerinnen und Schüler können zuvor gefertigte Zettel mit Vertretern einer Wortart in diese Farbskala einordnen. Die Vertreter der zu betrachtenden Wortart sollten dabei stets hervorgehoben und in einen Satz eingebettet sein, um die Analyse des syntaktischen Kontextes zu ermöglichen. Nur auf diese Weise kann eine Arbeit mit syntaktischen und nicht lexikalischen Wörtern durch die Schülerinnen und Schüler stattfinden. Bei der Übung mit der Farbskala sollten prototypische Vertreter stets mittig eingeordnet werden. Je mehr ein Wort als Außenseiter seiner Wortart klassifiziert wird, desto mehr ist der betreffende Zettel mit diesem Wort an den Rändern der Farbskala zu platzieren. Diese Aufgabe kann zudem noch durch die Lehrkraft erweitert werden, indem zwei Farbskalen nebeneinander platziert werden. Beispielhaft wäre dies mit dem Adjektiv und dem Adverb möglich. Wichtig ist hierbei, dass die Zuordnung der Schülerinnen und Schüler im Anschluss besprochen und reflektiert wird. Dies könnte auch prozessbegleitend gestaltet sein. 2.5 „Das Nomen ist mehr als ein Dingwort“ - Ausbildung von syntaktischen bzw. morphologischen Begriffen Der Einstieg in die Arbeit mit Wortarten erfolgt in der Grundschule zumeist semantisch. In Lehrplänen, Curricula oder Lehrwerken finden sich Termini wie „Dingwort“ oder „Gegenstandswort“ wieder. Den Schülerinnen und Schülern soll durch die Eindeutschung des Terminus Nomen der Zugang zu der Wortartenklassifikation erleichtert werden. 18 Eine Wortartenklassifikation allein auf der Grundlage eines semantischen Begriffs ist jedoch unzureichend und führt 18 Begriff und Terminus sollten stets unterschieden werden. Hierfür empfiehlt sich Bredel (2013, 245 f.). nicht prototypische Adjektive nicht prototypische Adjektive prototypische Adjektive 26 2 Wörter zu Zuordnungsfehlern bei den Schülerinnen und Schülern. Diese zeigen sich häufig im Bereich der Nominalisierungen. (18) a. Das Schöne bereitet den Kindern Freude. [Nomen] b. Das Gelb der Sonne strahlt kräftig. [Nomen] In Beispielsätzen wie (18a-b) werden Nominalisierungen in Formaten wie Übungsdiktaten zumeist nicht erkannt, weil sich die Schülerinnen und Schüler auf ihre semantische Begriffsausbildung stützen. Schöne sowie Gelb werden an dieser Stelle häufig als „Eigenschaftswörter“ - folglich als Adjektive benannt, was wiederum zu Problemen bei der Groß- und Kleinschreibung führt. Zur Identifizierung eines Nomens bietet sich die Artikelprobe an. Wichtig ist jedoch, dass die Schülerinnen und Schüler zweiteilige Einheiten wie das Gelb oder der Fuchs bilden. Dreiteilige Einheiten wie das helle Gelb oder der kleine Fuchs sollten im ersten Schritt vermieden werden. Hier würde die Gefahr bestehen, dass die Lernerinnen und Lerner die Artikelprobe übergeneralisieren. Schülerinnen und Schüler sollten von Beginn an mit syntaktischen Termini arbeiten. Der Versuch, in den weiterführenden Klassenstufen (Sekundarstufe I und II) den semantischen Begriff durch einen syntaktischen oder morphologischen vollständig abzulösen bzw. zu erweitern, schlägt in vielen Fällen fehl. Es- zeigt sich, dass es den Schülerinnen und Schülern schwerfällt, das einmal Erlernte (semantischer Begriff) zu verwerfen oder zu erweitern. So ist auch bei Studierenden zum Teil noch zu beobachten, dass sie an dem erlernten semantischen Begriff vor allem bei Unsicherheiten in Bestimmungsübungen festhalten. Problematisch ist auch der Pronomenterminus in der Schule, dem nicht einheitlich und transparent ein syntaktischer oder morphologischer Begriff zugrunde liegt. Als Pro-Nomen, das stellvertretend für ein Nomen bzw. eine komplexe Nominalphrase steht, kann z.-B. das Personalpronomen (ich, du, er usw.) bezeichnet werden. (19) a. Der kleine Fuchs wohnt im Wald. → Er wohnt im Wald. b. Die Frau sah mich. → Sie sah mich. c. Die Frau sah mich. → Die Frau sah eine Nachbarin. d. Die Frau sah eine Nachbarin. → Die Frau sah ihre Nachbarin. e. Die Frau sah eine Nachbarin. → *Die Frau sah ihre. f. Die Frau sah ihre Nachbarin. → Die Frau sah sie. g. Die Frau sah ihre Nachbarin. → *Die Frau sah sie Nachbarin. 27 2.6 „Groß oder klein? “ - Arbeit mit Pseudoworttexten am Beispiel der Großschreibung Wie die Beispiele unter (19a-c) zeigen, können die Personalpronomen er, sie- und mich eine Phrase mit einem Nomen ersetzen oder durch eine solche ersetzt werden. Anders verhält es sich jedoch zum Beispiel mit den Possessivpronomen wie mein, dein, sein, unser. Sie treten meistens wie ihre in- (19d-g) in- der Syntax als Artikel auf. Es ist lediglich die Semantik, die das „besitzanzeigende Fürwort“ als solches definiert. Der Pronomenbegriff aus der Schulgrammatik muss demnach dringend überarbeitet werden. Die Lehrkraft sollte hierbei eine differenziertere Aufbereitung vornehmen, als sie aktuell in den meisten gängigen Lehrmaterialien zu finden ist. 2.6 „Groß oder klein? “ - Arbeit mit Pseudoworttexten am Beispiel der Großschreibung Anlehnend an das Experiment der Klasse 4 stellt die Arbeit mit Fantasiewort- oder Pseudowortdiktaten ein großes Potenzial für den Grammatikunterricht dar. Hierfür lässt sich auch das Pseudowortdiktat von Nünke und Günther (2005, 7 ff.) als Beispiel anführen. Dem Pseudowortdiktat liegt ein echter Text zugrunde. Die Inhaltswörter wurden mehrheitlich durch Pseudowörter ersetzt. Die Funktionswörter wurden fast vollständig beibehalten. Nur so ist es möglich, die syntaktische Struktur des Satzes bzw. der einzelnen Phrasen zu identifizieren. Das Pseudowortdiktat ist an dieser Stelle vollständig in der Kleinschreibung wiedergegeben. Zudem sind einige Pseudowörter wie dippige an die morphologische Struktur eines prototypischen Adjektivs angepasst. tom, der dippige jonki tom ist ein bilker, tilsiger jonki. die dalledi, bei der er uckelt, wohnt in einem mill in einer droppelbull, zu dieser dalledi gehören: bakullen, kullen, lisa und ihr masen. da tom ein schuckeliger, tulliger jonki ist, hat er tecken in allen dolpen und talsen. leider hat das billebo ein malles droll: seine dippidell. häufig dippelt tom seinen muck oder kann sich nicht mehr an dolsen mit tecken erinnern. an einem ralken lullemull ockselt der jonki einen sappeldill. plötzlich dippelt er, wo sein damill ist. da findet lisa zusammen mit teckanen das dilpige billebo und dackt es zurück. Beim Lesen wird durch den geübten Leser automatisch eine Großschreibung am Satzanfang sowie die satzinterne Großschreibung gedanklich hergestellt. Trotz der Pseudowörter können Adjektive wie bilker oder tilsiger, Verben wie uckelt oder dippelt und Nomen wie jonki, dolpen oder talsen identifiziert werden. Dies ist möglich, weil die Wörter die gleichen syntaktischen oder 28 2 Wörter morphologischen Merkmale zeigen wie prototypische Vertreter der jeweiligen Wortartenklasse. Anregungen für den Unterricht Im Unterricht können dieses oder weitere Pseudowortdiktate bzw. -sätze in unterschiedlicher Weise genutzt werden: ▶ Die Schülerinnen und Schüler können die Wortarten einzelner Pseudowörter bestimmen und begründen. Die erkannten Merkmale sollten diskutiert und reflektiert werden. ▶ Denkbar wäre zudem, dass Schülerinnen und Schüler aus echten Texten eigene Pseudoworttexte erstellen. Hierbei muss ihnen allerdings eine grundlegende Anleitung gegeben werden. Im Anschluss können Bestimmungs- und Kategorisierungsübungen mit ihren Mitschülerinnen und Mitschülern erfolgen. Auch bei dieser Variante ist eine begleitende und abschließende Diskussion und Reflexion wichtig. ▶ Darüber hinaus bietet es sich an, das Pseudowortdiktat klassisch als Übungsdiktat 19 zu nutzen. Im Anschluss kann die Großschreibung - vor allem die satzinterne Großschreibung - durch Partnerarbeit oder im Plenum verglichen werden. Hierbei wird sich voraussichtlich zeigen, dass Pseudowörter wie jonki, dalledi oder droppelbull mithilfe der Großschreibung als Nomen im Text durch die Schülerinnen und Schüler identifiziert werden können. Auf diese Weise wird den Schülerinnen und Schülern durch selbstentdeckendes und erforschendes Lernen gezeigt, dass die Großschreibung von Nomen eben nicht auf einem semantischen Begriff beruht, sondern syntaktisch motiviert ist. 2.7 Kurze Zusammenfassung Das Wortmaterial, das zur Anfangsarbeit im Grammatikunterricht genutzt wird, sollte lediglich prototypische Vertreter einer Wortart beinhalten. Ist es den Schülerinnen und Schülern gelungen, Kategorien auszubilden, kann damit begonnen werden, die Außenseiter bzw. Grenzgänger einer Wortart zu untersuchen. Die Lehrkräfte sollten zudem grundsätzlich bemüht sein, sich 19 Diese Übung sollte keinesfalls Gegenstand einer Leistungsmessung sein. Diktate, die als Format der Leistungsmessung dienen, sind grundsätzlich kritisch zu sehen. 29 2.8 Aufgaben in der Vermittlung der Wortarten auf syntaktische und morphologische Begriffe zu stützen. Hierfür ist es notwendig, zu betrachtende Wörter jeweils in einen syntaktischen Kontext einzubetten, um Ambiguitäten zu vermeiden und syntaktisches sowie morphologisches Verhalten aufzuzeigen. Auf diese Weise ist die Bestimmung eines syntaktischen Wortes möglich, die im Fokus einer Wortartenbestimmung in der Schule stehen sollte. Ein großes Potenzial bietet die Arbeit mit Pseudoworttexten, die es ermöglichen, semantische Begriffe auszublenden. 2.8 Aufgaben 1. Die Lehrkraft notiert die folgenden Wörter an der Tafel: leben, spielen, Ball, dass, seit. Die Schülerinnen und Schüler erhalten die Aufgabe, die jeweiligen Wortarten zu bestimmen. Bei dem Wort seit kommt es zu einer Diskussion im Klassenraum. Schülerin 1 spricht sich für die Wortart Präposition aus, Schüler 2 identifiziert seit als Subjunktion. In der Klasse finden sich jeweils Fürsprecher für die Schüler. Erklären Sie den Konflikt im Klassenzimmer und dessen Ursachen. Wie können Sie vorgehen, um das Problem gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern aufzulösen? 2. „Voller Stolz betrachtet ein Mann seinen Bogen, der ihm beim jagen stets große dienste erwiesen hat. Er schoss besonders weit und die Pfeile flogen gerade und mit selten gesehener schnelligkeit. Beim betrachten seines geliebten Bogens fiel ihm jedoch etwas unschönes auf. Das Jagdwerkzeug sah sehr einfach aus. Das einzige ansehnliche war die glätte des Holzes. Dagegen war aber leicht etwas zu machen. Der Mann suchte den besten Künstler des Landes und ließ ihn fantastische Bilder in den Bogen schnitzen.“ 20 Korrigieren Sie den vorliegenden Text und erläutern Sie das Problem der Schülerin sowie Ihr Vorgehen für die Berichtigung mit der Schülerin. 20 Frei nach Lessings Fabel Der Besitzer des Bogens (www.diktat-truhe.de/ diktate/ der-ein fache-bogen.html, abgerufen am 20.12.2018; Text bearbeitet). 3 Phrasen Sätze sind nicht einfach Ketten aufeinander folgender Wörter, sondern die Wörter sind auf eine bestimmte Art und Weise miteinander verbunden und bilden Einheiten, die als Wortgruppen oder Phrasen bezeichnet werden. Aus der Bedeutung der Wörter und der Art und Weise, wie die Wörter Phrasen bilden, ergibt sich die Bedeutung der Sätze. Deshalb ist es wichtig, sich ein wenig ausführlicher mit Phrasen zu beschäftigen. Wir werden in diesem Kapitel genauer auf die verschiedenen Typen von Phrasen eingehen, die in deutschen Sätzen auftreten; unser Augenmerk wird dabei auf dem Bauprinzip liegen, das sich in all diesen verschiedenen Typen wiederfindet. Es-wird sich zeigen, dass die Wörter, die zusammen eine Phrase bilden, das nicht zufällig tun, sondern durch bestimmte Beziehungen miteinander verbunden sind. Diese Beziehungen sind ein wichtiger Teil der deutschen Grammatik. 3.1 Wie kommt die Bedeutung von Sätzen zustande? Beginnen wir mit einem Beispiel aus der Mathematik. Überlegen Sie, wie die Lösung für die folgende Rechnung lautet: (1) 2 + 3 · 4 = Grundsätzlich gibt es mehrere Lösungswege. Man kann zum einen zuerst 2 und 3 addieren und dann die Summe 5 mit 4 multiplizieren. Das ergibt 20. Zum anderen kann man zuerst 3 mit 4 multiplizieren und dann zu dem Produkt daraus 2 addieren. Das Ergebnis lautet dann 14. In der Mathematik werden in solchen Fällen, in denen man auf verschiedene Weise rechnen kann, oft runde Klammern verwendet, um anzuzeigen, welche Zahlen enger zusammengehören und welche nicht: (2) a. (2 + 3) · 4 = 20 b. 2 + (3 · 4) = 14 Da dieser Fall so häufig vorkommt, gibt es aber auch eine Art Vorfahrtsregel: Punktrechnung vor Strichrechnung. Wenn wie in (1) keine Klammern anzeigen, wie gerechnet werden soll, wird nach dieser Regel wie in (2b) zuerst multipliziert und dann addiert. 32 3 Phrasen Interessanterweise gibt es auch in der Sprache derartige Mehrdeutigkeiten, die zu komischen Missverständnissen führen können: 21 (3) a. Automat mit Zigaretten aufgebrochen (Hohlspiegel 36/ 2017) b. Mutwillig geparkte Autos beschädigt (Hohlspiegel 6/ 2015) In der richtigen, beabsichtigten Lesart von (3a) bezieht sich der Ausdruck mit Zigaretten auf das Nomen Automat. Nach dieser Lesart ist ein Automat, der Zigaretten enthielt, aufgebrochen worden. In der komischen, nichtbeabsichtigten Lesart bezieht sich mit Zigaretten auf das Verb aufgebrochen. Nach dieser Lesart ist ein Automat aufgebrochen worden, und zwar mithilfe von Zigaretten. In (3b) ist es umgedreht, mutwillig soll sich auf beschädigt beziehen und nicht auf geparkte. Wir können wie in dem Beispiel aus der Mathematik oben Klammern verwenden, um die Lesarten zu unterscheiden, allerdings werden in der Sprachwissenschaft nicht runde Klammern benutzt, sondern eckige. Die eckigen Klammern zeigen an, ob- Wörter zusammengehören und eine syntaktische Einheit bilden oder nicht. (#-markiert die semantisch merkwürdige Lesart.) (4) a. √ [Automat mit Zigaretten] aufgebrochen # [Automat] [mit Zigaretten] aufgebrochen b. # [Mutwillig geparkte Autos] beschädigt √ [Mutwillig] [geparkte Autos] beschädigt Vergleichbare strukturelle Mehrdeutigkeiten treten auch in komplexen Wörtern auf.-So hat das Kompositum Touristenblutwurst (eine ostdeutsche Wurstspezialität) neben der richtigen, beabsichtigten Lesart ‚Blutwurst für Touristen‘ auch eine komische, nichtbeabsichtigte Lesart, die man mit ‚Wurst aus Touristenblut‘ umschreiben kann. Auch diese beiden Lesarten kann man mit eckigen Klammern auseinanderhalten: (5) √ Touristen[blutwurst] # [Touristenblut]wurst Es gilt somit nicht nur für komplexe Ausdrücke aus mehreren Wörtern, sondern auch für- komplexe Wörter, dass für ihr Verständnis nicht nur die Bedeutung ihrer Bestandteile relevant ist, sondern auch die Art und Weise, wie die Bestand- 21 Zu dieser Analogie zwischen Mathematik und Sprache s. auch Zimmermann und Sternefeld (2013, 25 ff.), die eine Reihe englischer Beispiele besprechen. 33 3.2 Zwei Arten von syntaktischen Einheiten teile miteinander verbunden sind, das heißt ihr Aufbau oder ihre Struktur. Das zugrundeliegende Prinzip wird als Kompositionalitätsprinzip bezeichnet oder auch, nach dem Philosophen Gottlob Frege, als Frege-Prinzip. Kompositionalitätsprinzip: Die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks ergibt sich aus der Bedeutung seiner Bestandteile und der Art und Weise, wie die Bestandteile miteinander verbunden sind. Wie wir Sätze verstehen, wird also mit durch die Struktur der Sätze festgelegt: „Darin besteht im Wesentlichen die Funktion der Grammatik: die Interpretation komplexer Ausdrücke zu steuern“ (Löbner 2002, 17). 3.2 Zwei Arten von syntaktischen Einheiten Wenn wir das, was wir an den Beispielen (3a-b) beobachtet haben, verallgemeinern, sind Sätze nicht einfach kompakte Einheiten, die man nicht weiter zergliedern kann, sondern bestehen aus Teilen, aus Konstituenten. Die Konstituenten kann man wie gesehen durch [ ] markieren. In der Syntax lassen sich zwei Arten von Konstituenten unterscheiden, und zwar zum einen einfache Konstituenten, die syntaktischen Wörter, und zum anderen Konstituenten, die aus den syntaktischen Wörtern gebildet werden und als Phrasen oder Wortgruppen bezeichnet werden. Von einigen Komplikationen abgesehen sind die einfachen Konstituenten, die Wörter, zumindest in der geschriebenen Sprache gut an den Leerzeichen zu erkennen, die sie abgrenzen. So bestehen die beiden Sätze (6a-b) aus sechs bzw. fünf einfachen Konstituenten. (6) a. Oft sind Kiwis aus China hart. b. Eigentlich stammen Kiwis aus China. (7) Einfache Konstituenten (Wörter): a. [Oft] [sind] [Kiwis] [aus] [China] [hart]. b. [Eigentlich] [stammen] [Kiwis] [aus] [China]. Sehr viel schwieriger ist es, herauszufinden, welche Wörter zusammen Phrasen bilden. In- der Praxis werden dafür oft eine Reihe von Tests verwendet, die sogenannten Konstituententests. Bei dem bekanntesten dieser Tests, der 34 3 Phrasen als Umstell- oder Verschiebeprobe bekannt ist, nutzt man die Eigenschaft des Deutschen, dass die Wortstellung variabel ist und Konstituenten ihre Position im Satz tauschen können. Umstelltest: Wenn eine Wortfolge an den Satzanfang, in die Satzmitte oder ans Satzende umgestellt werden kann, ist sie eine Phrase. Wenn wir diesen Test auf die Wortfolge Kiwis aus China in (6a-b) anwenden, können wir einen Unterschied beobachten: Die Wortfolge kann in (6a) an den Satzanfang umgestellt werden, vgl. (8a), aber in (6b) nicht, vgl. (8c). 22 (8) a. Kiwis aus China sind oft hart. → Kiwis aus China ist eine Phrase b. *Aus China sind Kiwis oft hart. c. *Kiwis aus China stammen eigentlich. d. Aus China stammen Kiwis eigentlich. → aus China ist eine Phrase Man muss den Umstelltest aber mit Bedacht anwenden, weil es vorkommen kann, dass eine Wortfolge zwar eine Phrase bildet, aber dennoch nicht umgestellt werden kann. So- bildet aus China sowohl in (6a) als auch in (6b) eine Phrase, doch die Umstellung in (8b) ist ungrammatisch, weil aus China nur zusammen mit Kiwis umgestellt werden kann. Ein negatives Ergebnis des Umstelltests wie in (8b-c) erlaubt also nicht die verlässliche Schlussfolgerung, dass keine Phrase vorliegt. Nützlich ist das Umstellen nicht nur für das Ermitteln von Phrasen, sondern auch für- praktische Zwecke. Denn viele strukturelle Mehrdeutigkeiten lassen sich durch das Umstellen der Ausdrücke, die die Mehrdeutigkeit verursachen, auflösen. So lassen sich zum Beispiel die mehrdeutigen Ausdrücke in (3a-b) dadurch auflösen, dass die Phrasen vor dem Partizip ihre Plätze tauschen. Dieser Tausch führt bei (3b) zur erwünschten Bedeutung, bei (3a) hingegen zur komischen Bedeutung. (9) a. # Mit Zigaretten Automat aufgebrochen b. √ Geparkte Autos mutwillig beschädigt 22 Man beachte, dass bei der Umstellung an den Satzanfang zwei Konstituenten ihren Platz tauschen. In (8a) ist nicht nur Kiwis aus China an den Satzanfang umgestellt worden, sondern auch oft in die Satzmitte. 35 3.2 Zwei Arten von syntaktischen Einheiten Ein anderer Phrasentest nutzt die Eigenschaft, dass Wortfolgen, die zusammen eine Phrase bilden, oft komplett durch ein Wort ersetzt werden können. Ersetzungstest: Wenn eine Wortfolge durch ein Wort ersetzt werden kann, ist sie eine Phrase. Man kann die Wortfolge Kiwis aus China in (6a) durch das Pronomen sie ersetzen, aber nicht in (6b): (10) a. Oft sind sie hart. → Kiwis aus China ist eine Phrase b. *Eigentlich stammen sie. Für diesen Ersetzungstest kann man nicht nur Pronomen verwenden, sondern auch andere geeignete Wörter wie Adverbien oder Adjektive. So lässt sich die Wortfolge in-der Ecke in (11a) durch das Adverb dort ersetzen und die Wortfolge die Zähne fletschender in (11b) durch solcher.: (11) a. Der Stuhl [in der Ecke] muss repariert werden. Der Stuhl [dort] muss repariert werden. b. ein [die Zähne fletschender] Hund ein [solcher] Hund Oft wird neben dem Umstelltest und dem Ersetzungstest noch der Fragetest als ein dritter Test angeführt, doch der Fragetest ist eigentlich nur eine Kombination aus Ersetzungstest und Umstelltest: Eine Wortfolge wird durch ein Fragewort ersetzt und das Fragewort wird dann an den Satzanfang umgestellt. Nach Anwendung all dieser Tests können wir jetzt ein wenig mehr über die Struktur der beiden Sätze (6a-b) sagen: (12) a. [Oft] [sind] [Kiwis [[aus] [China]]] [hart]. b. [Eigentlich] [stammen] [Kiwis] [[aus] [China]]. Viele, die den Umgang mit Konstituentenstrukturen noch nicht gewohnt sind, finden Notationen wie in (12) sehr unübersichtlich; man kann sie aber vereinfachen, indem man die Klammern um die einfachen Konstituenten so weit wie möglich tilgt. Das Ergebnis sieht dann so aus: 36 3 Phrasen (13) a. Oft sind [Kiwis [aus China]] hart. b. Eigentlich stammen [Kiwis] [aus China]. Der entscheidende Unterschied ist nun besser erkennbar: In (13a) bilden die Wörter Kiwis aus China zusammen eine Phrase und in (13b) nicht. 3.3 Wie sind Phrasen aufgebaut? Wir haben in Kap. 2 besprochen, wie man die Wörter nach ihren Merkmalen in Klassen oder Kategorien einteilen kann. Nach dieser Einteilung sind Kiwis und China Nomen und aus ist eine Präposition. Es lässt sich leicht zeigen, dass auch die Phrasen unterschiedliche Merkmale haben und deshalb ebenso wie die Wörter in Klassen oder Kategorien eingeteilt werden können. Machen wir uns das an einem Beispiel klar. In-die-Lücke im folgenden Ausdruck können nur Phrasen wie schwarze, sehr dünne, besonders lange oder aus Kupfer bestehende eingefügt werden, aber-nicht Phrasen wie- der Musikanlage, dort oder für den neuen Fernseher. (14) Ich suche das … Kabel. (15) a. Ich suche das [schwarze] Kabel. b. Ich suche das [sehr dünne] Kabel. c. Ich suche das [besonders lange] Kabel. d. Ich suche das [aus Kupfer bestehende] Kabel. e. *Ich suche das [der Musikanlage] Kabel. f. *Ich suche das [dort] Kabel. g. *Ich suche das [für den neuen Fernseher] Kabel. Das gemeinsame Merkmal der passenden Phrasen schwarze, sehr dünne, besonders lange und aus Kupfer bestehende ist, dass sie aus einem Adjektiv bestehen oder ein Adjektiv enthalten, und zwar schwarze, dünne, lange und bestehende. Allerdings enthält auch die nicht passende Phrase für den neuen Fernseher ein Adjektiv, nämlich neuen. Der für die Syntax außerordentlich wichtige Unterschied besteht darin, dass in den passenden Phrasen das Adjektiv der Kopf oder Kern der Phrase ist und als Kopf die Merkmale der Phrase bestimmt. Die Phrasen schwarze, sehr dünne, besonders lange und aus Kupfer bestehende sind deshalb Adjektivphrasen. Die Phrase für den neuen Fernseher in (15 g) enthält 37 3.3 Wie sind Phrasen aufgebaut? zwar das Adjektiv neuen, doch der Kopf der Phrase ist nicht dieses Adjektiv, sondern die Präposition für. Diese Phrase ist daher eine Präpositionalphrase, die nicht zwischen dem Artikelwort das und dem Nomen Kabel stehen kann. Das können wir-zu einem Bauprinzip für Phrasen verallgemeinern, nach dem die Köpfe nicht nur die-innere Struktur der Phrasen festlegen, sondern auch, wie sich die gesamte Phrase verhält (s.-Schäfer 2018, 342): 23 Phrasen und Köpfe: Eine Phrase ist eine syntaktische Konstituente, in der genau ein Wort der Kopf ist. Innerhalb der Phrase sind die anderen Wörter und Phrasen vom Kopf abhängig. Die grammatischen Merkmale der Phrase und ihre Kategorie werden durch die Merkmale des Kopfes bestimmt. Welche grammatischen Merkmale der Phrase kann ihr Kopf bestimmen? Er kann bestimmen, ▶ welche morphosyntaktischen Merkmale die Phrase hat, ▶ in welchen syntaktischen Positionen die Phrase stehen und mit welchen Wörtern sie-kombiniert werden kann und ▶ welche syntaktische Funktion die Phrase übernehmen kann. So legt das Adjektiv dünne in der Adjektivphrase sehr dünne in (15b) fest, dass die Phrase die Merkmale [Akk, Sg, Neut] hat, zwischen dem Artikelwort das und dem Nomen Kabel stehen und mit Kabel kombiniert werden kann und die Funktion eines Attributs zu Kabel übernehmen kann. Es herrscht Einigkeit darüber, dass Nomen, Pronomen, Adjektive, Verben, Adverbien und Präpositionen Köpfe von Phrasen sein können, doch es ist umstritten, inwieweit das auch für die anderen Wörter gilt. 24 Wenn man die Konstituentenstruktur mit eckigen Klammern notiert, wird die Kategorie der Phrase der linken Klammer angefügt, dabei werden die folgenden Abkürzungen verwendet: 23 Ob Phrasen auch aus nur einem Wort bestehen können, ist eine schwierige Frage, die in den Grammatiken unterschiedlich beantwortet wird. Wir nehmen hier an, dass Nomen, Pronomen, Verben, Adjektive und Adverbien alleine Phrasen bilden können. 24 Wir gehen hier davon aus, dass Artikelwörter, koordinierende Konjunktionen und Partikeln keine Köpfe von Phrasen sein können. Auf die Subjunktionen und auf die Sätze als Phrasen werden wir erst in Kap. 4 genauer zu sprechen kommen. 38 3 Phrasen Phrasenkategorie Kopf Abkürzung Adjektivphrase Adverbialphrase Nominalphrase Präpositionalphrase Verbalphrase Adjektiv (A) Adverb (Adv) Nomen (N), Pronomen (Pro) Präposition (P) Verb (V) AP AdvP NP PP VP Hier sind einige Beispiele für die verschiedenen Phrasenkategorien, die aus der Duden-Grammatik (2016, 785) stammen und in denen der Kopf jeweils fett markiert ist: (16) a. Otto liebt [ NP süße Schleckereien]. b. Otto liebt [ NP Süßes]. c. Otto liebt [ NP das]. d. Das ist [ AP ein ganz besonders aufmerksamer] Kellner. e. Die junge Frau [ AdvP ganz vorn] ist Anna. f. [ PP Direkt über uns] war eine Wolke. g. obwohl [ VP heute wieder die Sonne scheint] Die Wortfolge direkt über uns zum Beispiel ist also eine Präpositionalphrase mit der Präposition über als Kopf. 3.4 Syntaktische Bäume: Mütter, Töchter, Schwestern Wie schon oben angemerkt, ist die Notation mit den eckigen Klammern nicht sehr leserfreundlich. Insbesondere bei komplexeren Ausdrücken verliert man leicht den Überblick. Die in (17a) angegebene Struktur von Kiwis aus China ist noch leicht zu durchschauen, die Struktur für der Grund für die Nachfrage nach Kiwis aus China in-(17b) nicht mehr wirklich. (17) a. [ NP Kiwis [ PP aus [ NP China]]] b. [ NP der Grund [ PP für [ NP die Nachfrage [ PP nach [ NP Kiwis [ PP -aus-[ NP -China]]]]]]] 39 3.4 Syntaktische Bäume: Mütter, Töchter, Schwestern Oft wird deshalb eine andere Form der Beschreibung gewählt, und zwar ein syntaktischer Baum, der aus Knoten und Zweigen besteht. Wenn zwei Konstituenten B und C Teil einer größeren Konstituente A sind, lässt sich das wie in (18) festhalten: A, B und C bilden Knoten, die durch Zweige miteinander verbunden sind, wobei die größere, übergeordnete Konstituente A oben steht und die beiden kleineren, untergeordneten Konstituenten B und C unten. Die Konstituente A dominiert die Konstituenten B und C, und zwar unmittelbar, direkt. Um die umständliche Redeweise von unmittelbar dominierenden oder dominierten Konstituenten vermeiden zu-können, hat es-sich eingebürgert, von Müttern, Töchtern und Schwestern zu sprechen: In (18) ist A- die Mutter von B und C, und B und C sind entsprechend die Töchter von A und Schwestern. 25 Kap. 3 (18) A 3 B C (19) NP 3 N PP Kiwis aus China (20) NP 3 N PP Kiwis 3 P NP aus g N China (21) NP eƒo D N PP der Grund 3 P NP für wƒo D N PP die Nachfrage 2 P NP nach 2 N PP Kiwis 2 P NP aus g N China Die Struktur (17a) lässt sich in einen Baum übertragen, indem man den gesamten Ausdruck in seine Teile zerlegt. Der gesamte Ausdruck ist eine NP, die aus dem Nomen Kiwis und der PP aus China besteht: Kap. 3 (18) A 3 B C (19) NP 3 N PP Kiwis aus China (20) NP 3 N PP Kiwis 3 P NP aus g N China (21) NP eƒo D N PP der Grund 3 P NP für wƒo D N PP die Nachfrage 2 P NP nach 2 N PP Kiwis 2 P NP aus g N China Die PP aus China besteht aus der Präposition aus und der NP China, und die NP China besteht nur aus dem Nomen China. Das ergibt dann diese Struktur: 25 Es herrscht keine Einigkeit darüber, wie viele Töchter eine Mutter maximal haben kann. Wir lassen hier, auch aus didaktischen Gründen, mehr als zwei Töchter zu. Das heißt, von einem Knoten können mehr als zwei Zweige ausgehen. 40 3 Phrasen Kap. 3 (18) A 3 B C (19) NP 3 N PP Kiwis aus China (20) NP 3 N PP Kiwis 3 P NP aus g N China (21) NP eƒo D N PP der Grund 3 P NP für wƒo D N PP die Nachfrage 2 P NP nach 2 N PP Kiwis 2 P NP aus g N China Die Struktur für die deutlich komplexere NP der Grund für die Nachfrage nach Kiwis aus China lässt sich auf vergleichbare Weise herleiten und das Ergebnis sieht dann folgendermaßen aus: Kap. 3 (18) A 3 B C (19) NP 3 N PP Kiwis aus China (20) NP 3 N PP Kiwis 3 P NP aus g N China (21) NP eƒo D N PP der Grund 3 P NP für wƒo D N PP die Nachfrage 2 P NP nach 2 N PP Kiwis 2 P NP aus g N China Man mag einwenden, dass diese Baumstruktur nicht sehr viel übersichtlicher ist als die Struktur in (17b), doch dank der räumlichen Darstellung lässt sich leichter erkennen, wie die ganzen Konstituenten einander über- und untergeordnet sind und dass zum Beispiel die PP nach Kiwis aus China eine unmittelbare Konstituente der NP die Nachfrage nach Kiwis aus China ist. 41 3.5 Was hält die Wörter in einer Phrase zusammen? 3.5 Was hält die Wörter in einer Phrase zusammen? Wer ein tieferes Wissen über die Grammatik hat, kann die größeren syntaktischen Konstituenten, die Phrasen, ohne Hilfsmittel wie Tests ermitteln. Für ein solches tieferes Wissen muss man sich mit dem syntaktischen ‚Klebstoff ‘ beschäftigen, der die Wörter einer Phrase zusammenhält. Denn die Wörter, die eine Phrase bilden, stehen nicht zufällig zusammen. Wir haben oben festgehalten, dass innerhalb einer Phrase die anderen Wörter und Phrasen vom Kopf abhängig sind und die Phrase der ‚Herrschaftsbereich‘ des Kopfes ist, seine Domäne. Den syntaktischen ‚Klebstoff ‘ bilden also Abhängigkeitsbeziehungen zwischen dem Kopf einer Phrase und den anderen Bestandteilen, die sehr eng oder lokal sind. Durchschaut man diese Abhängigkeitsbeziehungen, kann man daraus die Konstituentenstruktur herleiten. Wir besprechen Kasusrektion, Kongruenz, Valenz, semantische Rollen und syntaktische Funktionen etwas detaillierter. a) Kasusrektion Wenn ein Nomen als syntaktisches Wort auftritt, muss es einen bestimmten Kasus haben; kein Nomen ohne Kasus und entsprechend auch keine NP ohne Kasus. Der Kasus wird der NP in den meisten Fällen durch ein anderes Wort zugewiesen. 26 Man sagt auch, dass dieses Wort den Kasus der NP regiert. Hier einige Beispiele (die kasusregierenden Köpfe sind fett markiert): (22) a. [ PP Für [ NP[Akk] diesen Waffelteig]] benötigt man zwei Eier. z-m b. Er bleibt [ AP [ NP[Dat] seinem Vorbild] sehr treu ]. z---------------m c. Mir fällt [ NP der genaue Titel [ NP[Gen] dieses Buches]] nicht ein. z-m a-----------------l d. da [ VP [ NP[Nom] ich] [ NP[Akk] die Brille] schon wieder suche ] z-------------------------m a--------------------l (23) a. mit [ NP der[ Dat , Sg , Fem ] alten[ Dat , Sg , Fem ] Brille [ Dat , Sg , Fem ]] z--------m b. weil [ VP ich[ 1Ps , Sg ] gestern meine Brille gesucht habe [ 1Ps , Sg ]] z----------------------m (24) a. Ich kenne einen Hausmeister [ Sg , Mask ], der[ Sg , Mask ] nett ist. z----------m Attr a-----l (29) a. weil [ VP [ NP die [ AP kleine] Katze ] gerade schläft ] z------------------m Subj 3 26 Zu den Fällen, in denen die NP nicht kasusregiert ist, zählen freie Akkusative, freie Genitive und freie Dative wie in den Sätzen Jeden Morgen sitzt die Katze auf dem Tisch, Eines Tages gewinne ich im Lotto und Schlaf mir nicht ein. 42 3 Phrasen Wie man sieht, sind die kasusregierenden Köpfe (die Präposition für, das Adjektiv treu, das Nomen Titel und das Verb suche) und die kasusregierten NPs Schwestern in derselben Phrase. Das heißt, Kasusrektion ist eine enge syntaktische Beziehung, eine Beziehung zwischen zwei Schwestern. 27 b) Kongruenz Wenn zwei Ausdrücke miteinander kongruieren, stimmen sie in bestimmten grammatischen Merkmalen überein. In NPs stimmen die Artikelwörter und Adjektive mit dem Nomen in Kasus, Genus und Numerus überein und in finiten Sätzen stimmt das Subjekt in Numerus und gegebenenfalls Person mit dem Verb überein: (22) a. [ PP Für [ NP[Akk] diesen Waffelteig]] benötigt man zwei Eier. z-m b. Er bleibt [ AP [ NP[Dat] seinem Vorbild] sehr treu ]. z---------------m c. Mir fällt [ NP der genaue Titel [ NP[Gen] dieses Buches]] nicht ein. z-m a-----------------l d. da [ VP [ NP[Nom] ich] [ NP[Akk] die Brille] schon wieder suche ] z-------------------------m a--------------------l (23) a. mit [ NP der[ Dat , Sg , Fem ] alten[ Dat , Sg , Fem ] Brille [ Dat , Sg , Fem ]] z--------m b. weil [ VP ich[ 1Ps , Sg ] gestern meine Brille gesucht habe [ 1Ps , Sg ]] z----------------------m (24) a. Ich kenne einen Hausmeister [ Sg , Mask ], der[ Sg , Mask ] nett ist. z----------m Attr a-----l (29) a. weil [ VP [ NP die [ AP kleine] Katze ] gerade schläft ] z------------------m Subj 3 Auch hier sind die kongruierenden Ausdrücke Schwestern. Nicht alle Kongruenzbeziehungen sind aber so eng, weshalb man in der Syntax zwischen lokalen und nicht lokalen Beziehungen unterscheidet; die nicht lokalen Beziehungen sind gewissermaßen Fernbeziehungen. Für Relativpronomen gilt zum Beispiel, dass sie in Numerus und Genus mit ihrem Bezugsnomen übereinstimmen müssen, doch die Relativpronomen und ihre Bezugsnomen sind keine Schwestern. Weil in (24) das Bezugsnomen Hausmeister ein Maskulinum ist und im Singular steht, muss auch das Relativpronomen im Maskulinum und im Singular stehen. 28 27 Diese enge Schwesternbeziehung kann allerdings syntaktisch auch gelöst werden, wenn eine der Schwestern syntaktisch ‚umzieht‘ und in eine andere Position umgestellt wird. So ist in dem Satz Den Berg wollen wir besteigen die NP den Berg keine Schwester (mehr) des Verbs besteigen, das ihr den Akkusativ zuweist. Diese Einschränkung gilt auch für die anderen hier besprochenen Abhängigkeitsbeziehungen. 28 Man beachte, dass es bei den Relativpronomen keine Kasuskongruenz gibt. Hausmeister steht im Akkusativ, doch der steht im-Nominativ, der vom finiten Verb ist zugewiesen wird. 43 3.5 Was hält die Wörter in einer Phrase zusammen? (22) a. [ PP Für [ NP[Akk] diesen Waffelteig]] benötigt man zwei Eier. z-m b. Er bleibt [ AP [ NP[Dat] seinem Vorbild] sehr treu ]. z---------------m c. Mir fällt [ NP der genaue Titel [ NP[Gen] dieses Buches]] nicht ein. z-m a-----------------l d. da [ VP [ NP[Nom] ich] [ NP[Akk] die Brille] schon wieder suche ] z-------------------------m a--------------------l (23) a. mit [ NP der[ Dat , Sg , Fem ] alten[ Dat , Sg , Fem ] Brille [ Dat , Sg , Fem ]] z--------m b. weil [ VP ich[ 1Ps , Sg ] gestern meine Brille gesucht habe [ 1Ps , Sg ]] z----------------------m (24) Ich kenne einen Hausmeister [ Sg , Mask ], der[ Sg , Mask ] nett ist. z----------m Attr a-----l (29) a. weil [ VP [ NP die [ AP kleine] Katze ] gerade schläft ] z------------------m Subj 3 c) Valenz Mit Valenz ist die Fähigkeit vieler Wörter gemeint, festzulegen, mit was für Ausdrücken sie kombiniert werden können. Nehmen wir als ein Beispiel die vier Nomen Liebe, Zorn, Angst und Empörung, die Gefühle oder Emotionen bezeichnen. (25) a. [ AP sehr große] Liebe [ PP zu Pinguinen] b. [ AP sehr großer] Zorn [ PP auf die Lehrerin] c. [ AP sehr großer] Ekel [ PP vor Blutwurst] d. [ AP sehr große] Empörung [ PP über das Ergebnis] Alle vier Nomen können mit einer PP kombiniert werden, doch die Präposition ist jeweils eine andere: zu bei Liebe, auf bei Zorn, vor bei Ekel und über bei Empörung. Welche Präposition vom Nomen gewählt wird, lässt sich nicht mit einer grammatischen Regel vorhersagen, sondern ist ein Merkmal des jeweiligen Nomens. Mit den APs sehr große und sehr großer vor den Nomen verhält es sich anders. Denn dass sie in dieser Position und in dieser Form auftreten, hängt nicht vom jeweiligen Nomen ab, sondern folgt grammatischen Regeln. Es handelt sich also um zwei verschiedene Arten von Phrasen: Die Phrasen, deren Auftreten und Form von einem bestimmten anderen Wort gesteuert wird, sind Ergänzungen dieses Wortes (Komplemente) und die anderen Phrasen Angaben (Supplemente oder Adjunkte). Eine Frage, mit der sich die Valenzforschung sehr lang und intensiv beschäftigt hat, ist, anhand welcher Kriterien oder Tests man entscheiden kann, ob es sich bei einer Phrase um eine Ergänzung oder eine Angabe handelt. Ein beliebter Test ist die sogenannte Weglassprobe, bei der man, wie der Name sagt, die betreffende Phrase weglässt und überprüft, ob das Ergebnis grammatisch ist oder nicht. Eine sehr wichtige Einschränkung beim Weglasstest ist jedoch, dass die Weglassbarkeit kein hinreichendes Merkmal für Angaben ist: Weglassbare, fakultative Phrasen können auch Ergänzungen sein und sind nicht notwendigerweise Angaben. Das Verb schenken zum Beispiel hat drei Ergänzungen, doch nur zwei dieser Ergänzungen sind obligatorisch, die dritte Ergänzung, die NP im Dativ, ist fakultativ. 44 3 Phrasen (26) a. [Karin] schenkt [ihren Geschwistern] gerne [Bücher]. b. [Karin] schenkt gerne [Bücher]. c. *[Karin] schenkt [ihren Geschwistern]. Ein zweite sehr wichtige Einschränkung beim Weglasstest ist, dass man prüfen muss, ob-die Phrase möglicherweise aus Gründen fehlt, die nichts mit der Valenz zu tun haben. In infiniten Sätzen und in Imperativsätzen fehlt das Subjekt ganz systematisch und auch beim sogenannten Topik-Drop wie in (27c) kann eine Phrase weggelassen werden, wenn es sich um ein Pronomen am Satzanfang handelt. (27) a. Noch einmal Paris sehen! [infiniter Satz] b. Stell dich nicht so an. [Imperativsatz] c. Das hab ich schon gesehen. [Topik-Drop] Beide Einschränkungen sorgen dafür, dass der Weglasstest sehr viel weniger aussagekräftig ist, als oft angenommen wird, und nur dann eine Schlussfolgerung erlaubt, wenn die Phrase nicht weggelassen werden kann, also obligatorisch ist: Weglasstest: Wenn eine Phrase nicht weglassbar ist, handelt es sich um eine Ergänzung. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass eine Angabe fakultativ sein muss (wäre sie obligatorisch, wäre sie eine Ergänzung). Wendet man den Test in dieser Form auf die Beispiele in (25) an, stellt man fest, dass bei allen Nomen sowohl die PP als auch die AP weglassbar ist (zum Beispiel sehr großer Ekel und Ekel vor Blutwurst). Er hilft uns bei diesen Beispielen also nicht wirklich weiter. Ein zweites Kriterium für Ergänzungen stellt die Formabhängigkeit dar: Wenn die Form eines Ausdrucks A durch einen anderen Ausdruck B bestimmt wird, ist A eine Ergänzung von B. Eine Art von Formabhängigkeit haben wir oben schon kennengelernt, und zwar die Kasusrektion. Eine andere Art von Formabhängigkeit lässt sich in- (25) beobachten, denn die Nomen legen fest, welche Präposition in der PP auftritt und welche Form die PP somit hat. Und eine dritte Art von Formabhängigkeit tritt bei den Hilfsverben und Modalverben auf. Die Hilfsverben und Modalverben verbinden sich mit Vollverben und legen dabei die Form der Vollverben fest. Die beiden Perfekthilfsverben haben und sein verbinden sich mit einem Partizip 2 (Er hat das Buch noch nicht-gelesen, 45 3.5 Was hält die Wörter in einer Phrase zusammen? Das Baby ist endlich eingeschlafen), das Futurhilfsverb werden hingegen verbindet sich wie die Modalverben mit einem einfachen Infinitiv (Das wird schon klappen, Du sollst das nicht essen). Man kann unter dieser Formabhängigkeit bei den Hilfsverben und Modalverben einen verbalen Kasus verstehen (s. Kap. 2); die Vollverben werden dann von den Hilfsverben und Modalverben regiert. Kombiniert man beide Kriterien, gelangt man zu folgender Bestimmung: Ergänzungen: Wenn das Auftreten einer Phrase A oder ihre Form von einem bestimmten Wort B abhängt, ist A eine Ergänzung von B. Eine Ergänzung muss nicht beide Kriterien erfüllen. Es kann vorkommen, dass eine Ergänzung obligatorisch ist, aber in ihrer Form mehr oder weniger frei oder dass eine Ergänzung fakultativ ist, aber eine bestimmte Form haben muss. Mit dieser Bestimmung kann man nicht alle Fälle entscheiden, wie ein Blick in die Forschungsliteratur zur Valenz schnell zeigt, aber man erfasst zumindest die typischen Fälle. 29 Die Paradebeispiele für Wörter mit Valenz sind die Verben, es gibt kein Verb ohne Valenz; da Präpositionen immer mit einer anderen Phrase kombiniert werden müssen und in der Regel diese Phrase kasusregieren, haben aber auch sie eine obligatorische Ergänzung. Vergleichbares gilt für Nomen wie Liebe, Zorn, Ekel und Empörung, die eine bestimmte Präposition verlangen, und auch für Adjektive wie etwa treu oder befindlich (treu regiert den Dativ, befindlich muss mit einer PP kombiniert werden). Notieren kann man die Valenz als eine Liste von Wörtern und Phrasen, wobei die runden Klammern fakultative Ergänzungen markieren: (28) schenken: NP[Nom], (NP[Dat]), NP[Akk] Liebe: (PP[zu]) sollen: V[Inf] treu: (NP[Dat]) befindlich: PP 29 Für eine sehr viel gründlichere, differenziertere Diskussion s. vor allem Jacobs (1994, 2003), zur Valenz ingesamt Ágel et al. (2003/ 2006). 46 3 Phrasen d) Semantische Rollen Zwischen den Verben und ihren Ergänzungen gibt es noch eine andere Art von Abhängigkeit, und zwar eine semantische. Verben bezeichnen typischerweise Ereignisse (in einem sehr weiten Sinn) und weisen den an diesem Ereignis Beteiligten unterschiedliche Rollen zu. So-ist an Ereignissen, die man mit dem Verb schenken beschreiben kann, a)- jemand, der schenkt, b) etwas, das verschenkt wird, das Geschenk, und c)-jemand, der beschenkt wird, der Empfänger des Geschenks, beteiligt. Vergleicht man viele Verben miteinander, stellt man fest, dass sich die semantischen Rollen, die von den Verben vergeben werden, in bestimmter Hinsicht gleichen. Es gibt zum Beispiel oft einen Gegenstand, der sich im Laufe des Ereignisses verändert, mit dem im Laufe des Ereignisses etwas passiert, aber oft auch jemanden, der das Ereignis in Gang setzt, und zwar mit Absicht. Es gibt also Typen von semantischen Rollen. Über die Anzahl der Typen wie auch über ihre Bezeichnung wird immer noch intensiv diskutiert, die folgenden Rollen sind aber gut etabliert (s. Meibauer et al. 2015, 153): Agens — Das Agens macht etwas, es verursacht etwas wie Arno in Arno isst ein Eis oder von Valentine in Arno wird von Valentine geärgert. Patiens — Mit dem Patiens passiert etwas, es ist betroffen, wechselt seinen Platz oder-seinen Zustand wie ein Brot in Valentine isst ein Brot, Valentine in Arno hat-Valentine geweckt oder sie in Sie geht jetzt. Oft wird statt Patiens auch die Bezeichnung Thema verwendet. Experiencer — Der Experiencer befindet sich in einem psychischen Zustand wie Valentine in Valentine hasst Ausdauerläufe oder mich in Das beunruhigt mich sehr. Stimulus — Der Stimulus löst einen psychischen Zustand aus wie Ausdauerläufe in-Valentine hasst Ausdauerläufe oder der Wein in Der Wein schmeckt lecker. Rezipient — Der Rezipient erhält etwas wie Axel in Axel hat eine Reise in die Karibik gewonnen oder ihren Geschwistern in Karin schenkt ihren Geschwistern gerne Bücher. Verben können nur ihren Ergänzungen eine semantische Rolle zuweisen und deshalb ist auch die Zuweisung der semantischen Rollen eine lokale Beziehung. e) Syntaktische Funktionen Auf die syntaktischen Funktionen wie Subjekt, Objekt, Adverbial oder Attribut gehen wir erst im übernächsten Kapitel genauer ein, doch auch diese syntaktischen Funktionen kann man als Abhängigkeitsbeziehungen beschreiben. Denn 47 3.6 Eine Beispielanalyse die Phrase, die eine syntaktische Funktion hat, ist immer auf eine andere Konstituente bezogen und somit von dieser Konstituente abhängig. So ist in dem folgenden Satz das Subjekt die kleine Katze auf das Verb schläft bezogen und das Attribut kleine auf das Nomen Katze; das Subjekt ist Teil der VP seines Bezugsverbs und das Attribut ist Teil der NP seines Bezugsnomens (Subj steht für Subjekt und Attr für Attribut, s. Kap. 5). (22) a. [ PP Für [ NP[Akk] diesen Waffelteig]] benötigt man zwei Eier. z-m b. Er bleibt [ AP [ NP[Dat] seinem Vorbild] sehr treu ]. z---------------m c. Mir fällt [ NP der genaue Titel [ NP[Gen] dieses Buches]] nicht ein. z-m a-----------------l d. da [ VP [ NP[Nom] ich] [ NP[Akk] die Brille] schon wieder suche ] z-------------------------m a--------------------l (23) a. mit [ NP der[ Dat , Sg , Fem ] alten[ Dat , Sg , Fem ] Brille [ Dat , Sg , Fem ]] z--------m b. weil [ VP ich[ 1Ps , Sg ] gestern meine Brille gesucht habe [ 1Ps , Sg ]] z----------------------m (24) a. Ich kenne einen Hausmeister [ Sg , Mask ], der[ Sg , Mask ] nett ist. z----------m Attr a-----l (29) weil [ VP [ NP die [ AP kleine] Katze ] gerade schläft ] z------------------m Subj 3 Ziehen wir ein kurzes Fazit: Zwischen den Bestandteilen einer Phrase, ihren Konstituenten, gibt es eine ganze Reihe von Beziehungen, bei denen der eine Bestandteil vom anderen Bestandteil abhängt. Wenn man überlegt, ob zwei Bestandteile eines größeren syntaktischen Ausdrucks zusammen eine Phrase bilden, muss man daher überlegen, ob es eine Abhängigkeitsbeziehung zwischen ihnen gibt. Gibt es keine derartige Beziehung, dann bilden sie auch keine Phrase. Wie im wirklichen Leben läuft also auch in der Syntax sehr vieles über Abhängigkeitsbeziehungen. 3.6 Eine Beispielanalyse Eine Konstituentenstruktur lässt sich am besten schrittweise erstellen. Dabei ist es nützlich, sich an zwei Prinzipien zu halten (Schäfer 2018, 376): „Erstens wird der Aufbau der syntaktischen Struktur durch die Wortklassen der Wörter bestimmt. Zweitens bestimmen Valenz und Rektion in großem Maß die syntaktische Struktur.“ Daraus lässt-sich die folgende Vorgehensweise ableiten (s. auch Fabb 2005, 40 ff.): 1. Legen Sie für jedes Wort die syntaktische Kategorie fest. 2. Überlegen Sie, welche Konstituenten auf welche Weise voneinander abhängen. Untersuchen Sie dafür, welche Konstituenten einen Kasus regieren (→-Kasusrektion), ob Konstituenten miteinander kongruieren (→ Kongruenz), welche Konstituenten nach Ergänzungen verlangen (→ Valenz) und ob Konstituenten in- einer syntaktischen Beziehung wie Subjekt, Objekt, 48 3 Phrasen Adverbial oder Attribut zueinander stehen (→ syntaktische Funktionen, dazu in Kap. 5 mehr). 3. Versuchen Sie, aus den Konstituenten, die voneinander abhängen, Phrasen zu-bilden. 4. Legen Sie für jede Phrase die Kategorie fest. Überlegen Sie dafür, welche Konstituente der Kopf ist. Wir gehen jetzt ein Beispiel durch, um zu sehen, wie diese Methode funktioniert (s. Schäfer 2016, 398 f. für die Analyse eines Satzes). Als Beispiel wählen wir eine Phrase aus (15d). (30) das aus Kupfer bestehende Kabel Im ersten Schritt legen wir die syntaktische Kategorie der Wörter fest: (31) das D aus P Kupfer N bestehende A Kabel N Im zweiten Schritt untersuchen wir die Abhängigkeitsbeziehungen und versuchen im dritten und vierten Schritt daraus Schlussfolgerungen für die Struktur zu ziehen. Das Wort aus ist eine Präposition und die Präpositionen nehmen-von wenigen Ausnahmen abgesehen eine Ergänzung zu sich und weisen ihr einen bestimmten Kasus zu. In (30) bildet Kupfer die Ergänzung zu-aus und erhält den Dativ von aus. Kupfer bildet also alleine eine NP. Da keine weiteren Konstituenten von aus abhängen, bildet aus mit der NP Kupfer zusammen eine PP. (32) das D [ PP aus P [ NP Kupfer N ]] bestehende A Kabel N Das Artikelwort das und das Adjektiv bestehende kongruieren mit Kabel und hängen von Kabel ab; da Kabel die Merkmale [Akk, Sg, Neut] hat, haben auch das und bestehende diese Merkmale. Daher sind das und bestehende Bestandteile der NP von Kabel. (33) [ NP das D [ PP aus P [ NP Kupfer N ]] bestehende A Kabel N ] Wir wissen aus den Beispielen in (14) oben, dass eine PP, die von einem Nomen abhängt, in der Regel nur hinter dem Nomen stehen kann und nicht davor. Das heißt, die PP aus Kupfer kann nicht vom Nomen Kabel abhängen. Von das kann sie auch nicht abhängen, also bleibt nur das Adjektiv bestehende. Dieses Adjektiv 49 3.7 Ambiguitäten und ihre Analyse als Potenzial für den Unterricht hat eine Valenz, und zwar verlangt es wie das Verb bestehen obligatorisch eine aus-PP als Ergänzung: (34) *das bestehende Kabel Die PP aus Kupfer hängt also vom Adjektiv bestehende ab und bildet mit ihm eine AP. Diese AP ist ein Attribut zum Nomen Kabel. (35) [ NP das D [ AP [ PP aus P [ NP Kupfer N ]] bestehende A ] Kabel N ] Diese doch wieder recht unübersichtliche Konstituentenstruktur können wir natürlich auch als Baum darstellen: (36) NP qƒo D AP N das 3 Kabel PP A 2 bestehende P NP aus g N Kupfer 3.7 Ambiguitäten und ihre Analyse als Potenzial für den Unterricht Es sind vor allem Sprachwitze und Sprachspiele, die bereits früh die Neugier und das Interesse der Schülerinnen und Schüler an der Sprache sowie deren Betrachtung wecken. Meist ist es möglich, dies durch ambige (mehrdeutige) Sätze oder Phrasen in den Unterricht einzubinden: 50 3 Phrasen (37) a. Darf ich den Mantel im Schaufenster anprobieren? b. Kann ich den Reis auf dem Tisch essen? In beiden Verbalphrasen findet sich eine Ambiguität. Soll der Mantel, der im Schaufenster hängt, anprobiert werden oder will der Sprecher den Mantel nicht in der Umkleidekabine, sondern im Schaufenster anprobieren? In der ersten Lesart handelt es sich bei im Schaufenster um ein Attribut zu Mantel. In der zweiten Lesart bildet im Schaufenster eine lokale Adverbialbestimmung in dem Satz. Analog dazu verhält sich der Beispielsatz (37b). Kann ich den Reis, der sich auf dem Tisch befindet, essen oder kann ich mich auf den Tisch setzen, um den Reis zu essen? (38) a. Darf ich [ NP den Mantel [ PP im Schaufenster]] anprobieren? b. Darf ich [ NP den Mantel] [ PP im Schaufenster] anprobieren? c. Kann ich [ NP den Reis [ PP auf dem Tisch]] essen? d. Kann ich [ NP den Reis] [ PP auf dem Tisch essen]? Die Gestaltung einer solchen Analyse kann vielfältig im Unterricht aufgegriffen werden. Hierbei ist es denkbar, mit den Konstituentenstrukturbäumen oder mit der Klammerung zu arbeiten. Solche ambigen Sätze können zudem auch selbst erstellt werden. Es ist nur wichtig, dass zum einen der Kontext genügend Spielraum für die Ambiguitäten bietet. Ist dies nicht der Fall und der Kontext nimmt dem Beispiel die Mehrdeutigkeit, sprechen wir von Disambiguierung. Zum anderen darf die zu untersuchende Phrase bzw. Phrasen nicht am Satzanfang stehen und als Einheit das Vorfeld besetzen. 3.8 „Artikel und Nomen“ - fertig ist die Nominalphrase! Eine typische Nominalphrase besteht aus einem Artikel und einem nominalen Phrasenkopf, sie kann durch weitere Bestandteile (Attribute) ergänzt werden. Wird das Nomen als Phrasenkopf der Nominalphrase durch die Schülerinnen und Schüler erkannt, können sie es-großschreiben. Die Nominalphrase ist somit zentral für den Erwerb der Groß- und Kleinschreibung und auch für den Leseprozess, da in der „Nominalgruppe […] meistens die Nomen als inhaltstragende[] Einheiten im Mittelpunkt“ (Granzow-Emden 2019, 213) stehen. Zudem haben Pronomen und Artikel […] neben der „Hilfsfunktion in der 51 3.8 „Artikel und Nomen“ - fertig ist die Nominalphrase! Sprache“ (Granzow-Emden 2019, 213) auch eine Orientierungsfunktion für Hörer bzw. Leser. Es bietet sich an, das topologische Feldermodell auf die Nominalphrase anzuwenden (s. auch Pafel 2011, 115-129 und unter didaktischer Perspektive Hübl und Steinbach 2015). Mithilfe dieser Feldergliederung gelingt es, neben einfachen Nominalphrasen auch volle, komplexe Nominalphrasen zu analysieren. Das Feldermodell besteht hierbei aus: linkem Nominalfeld (DF wie Determiniererfeld), nominalem Mittelfeld (AF wie Adjektivfeld), rechtem Nominalfeld (NK wie nominaler Kopf) und nominalem Nachfeld (NNF). (39) DF AF NK NNF der Mantel In das linke Nominalfeld tritt der Artikel und in das rechte Nominalfeld der Phrasenkopf, der hier fett markiert ist. Das linke Nominalfeld kann auch unbesetzt bleiben. Dies ist beispielsweise bei Eigennamen, Mengenbezeichnungen oder Pluralen der Fall. Durch die Erweiterungsprobe können die Nominalphrasen um Attribute ergänzt werden. (40) DF AF NK NNF der der schöne schöne, gefütterte Mantel Mantel In das nominale Mittelfeld können lediglich Adjektivattribute treten, sie werden an dieser Stelle stets flektiert. In das nominale Nachfeld treten diejenigen Attribute, die unflektiert und nachgestellt sind. Dazu zählen Präpositionalattribute, Adverbattribute sowie Attributsätze (oft Relativsätze). Im nominalen Nachfeld stehen aber auch die allermeisten Genitivattribute. 52 3 Phrasen (41) DF AF NK NNF a. b. c. d. e. f. g. der der der der der der der schöne, gefütterte schöne, gefütterte schöne, gefütterte, mit Handstickereien geschmückte Mantel Mantel Mantel Mantel, Mantel Mantel, Mantel, der Frau im Schaufenster dort der im Schaufenster hängt der im Schaufenster hängt der im Schaufenster des Ladens in der Goethestraße hängt In diesen Beispielen zeigt sich, dass mehrere Attribute zu einem nominalen Bezugswort treten können. Es ist auch denkbar, dass das nominale Nachfeld von mehreren Attributen besetzt wird. In (41 g) treten im nominalen Nachfeld die Attribute des Ladens und in der Goethestraße dazu, deren Bezugswort nicht Mantel, sondern Schaufenster ist. In der schulischen Praxis zeigt sich, dass nach der Einführung der Artikelprobe und der Nominalisierungen häufig eine Übergeneralisierung der Schülerinnen und Schüler hinsichtlich der Großschreibung stattfindet. Es kann wie in (42-c) passieren, dass nicht Mantel und somit der nominale Kern großgeschrieben wird, sondern das Adjektivattribut schöne, denn vor ihm steht der Artikel. Um dem entgegenzuwirken, bietet sich die Arbeit mit der Feldergliederung der Nominalphrase sowie der Erweiterungsprobe an. (42) a. der schöne Mantel b. *der Schöne Mantel c. *der Schöne mantel Die Nominalphrasen können auch durch Präpositionen ergänzt werden, wie z. B. an dem schönen Mantel oder zu dem warmen Reis. Diese Präpositionen stehen in einem eigenen Präpositionsfeld und regieren die Nominalphrase. Dies zeigt sich an der Flexion des Artikels und des Adjektivs. Wegen der Präposition und der damit einhergehenden Rektion wird dann nicht mehr von einer Nominalphrase (NP), sondern von einer Präpositionalphrase (PP) gesprochen. 53 3.9 Sprachvergleiche am Beispiel der Nominalphrase Bei der Gestaltung einer Unterrichtseinheit, die die Feldergliederung auf diese Weise aufgreift, kann das Modell unterschiedlich eingebunden werden: ▶ Die Schülerinnen und Schüler können durch Legekarten die Nominalphrase erstellen und in eine vorgefertigte Tabelle einfügen. ▶ Die Schülerinnen und Schüler können zudem eine Tabelle bekommen, in der sie versuchen, den Nominalphrasenkopf möglichst umfangreich und sinnvoll zu erweitern. ▶ Die Schülerinnen und Schüler können auf der Grundlage der Tabelle Nominalphrasen sprachvergleichend betrachten. Hier sind die erste sowie zweite Fremdsprache wie auch die Erarbeitung einer den Schülerinnen und Schülern fremden Sprache denkbar. 3.9 „Einen Blick über den Tellerrand unserer Sprache, bitte! “ - Sprachvergleiche am Beispiel der Nominalphrase Aufbauend auf der Feldergliederung der Nominalphrase bietet sich im Schulkontext ein sprachvergleichendes Arbeiten an. Dass der Grammatikunterricht zunehmend den Sprachvergleich miteinbeziehen soll, ist kein neues Thema. So finden sich Verweise zu anderen Sprachen wie z.-B. den slawischen Sprachen bereits in Lehrplänen und Curricula (Klasse 9, Sächsischer Lehrplan). Allerdings zeigt sich, dass die Lehrkräfte diesen Inhalten gegenüber häufig Vorbehalte haben. Es kommt dann in Einzelfällen dazu, dass die Fremdsprachen zwar kurz thematisiert wird, aber der Sprachvergleich zum Deutschen leider übergangen wird. Bereits in den unteren Klassenstufen bietet es sich an, die Vermittlung der deutschen Grammatik an die Sprachkenntnisse der ersten und zweiten Fremdsprache und an die Herkunftssprachen der Schülerinnen und Schüler zu knüpfen. In den weiterführenden Klassenstufen ist der Einbezug weiterer Sprachen möglich 30 . 30 Um sich als Lehrkraft ein gewisses Basiswissen zu den unterschiedlichen Sprachen anzueignen, empfiehlt sich „Das mehrsprachige Klassenzimmer“ (Krifka et al. 2014). 54 3 Phrasen (43) DF AF NK NNF ein aun un Hund dog chien pierro Deutsch Englisch Französisch Spanisch In das Feldermodell wurden an dieser Stelle einfache Nominalphrasen bestehend aus Artikel und Nomen eingetragen. Bei den jüngeren Schülerinnen und Schülern ist es empfehlenswert, mit einer einfachen Gegenüberstellung von Deutsch und Englisch zu beginnen. Dies kann dann durch die zweite Fremdsprache erweitert werden. In den höheren Klassenstufen kann jedoch ein Vergleich mit mehreren Sprachen am Anfang der Grammatikeinheit stehen. Auf der Grundlage der Tabelle unter (43) kann zum einem die unterschiedliche Groß- und Kleinschreibung der Sprachen sowie die Stellung der einzelnen Wörter thematisiert werden. Weiterhin fällt die gleiche Schreibung des französischen und spanischen Artikels auf. Hier kann die nahe Verwandtschaft beider Sprachen thematisiert werden. (44) DF AF NK NNF ein aun un kleiner little petit Hund dog chien pierro pequeño Deutsch Englisch Französisch Spanisch Durch die Erweiterung der Adjektivattribute zeigen sich zusätzliche Unterschiede hinsichtlich der Flexion und der Stellung. So lässt sich feststellen, dass der Aufbau der englischen und französischen Nominalphrase der deutschen NP sehr ähnlich ist. In den Beispielphrasen unter (44) lässt sich für das Spanische feststellen, dass das Adjektivattribut nachgestellt wird. Es ist sicherlich schwierig, aus nur einer Beispielphrase Rückschlüsse auf die Stellungsregularitäten der verschiedenen Sprachen abzuleiten. Die Schülerinnen und Schüler müssen deshalb einen Pool von unterschiedlichen Nominalphrasen der jeweiligen Sprachen erhalten, um so entdeckend mit dem Sprachmaterial arbeiten zu können. Dies könnte wie folgt gestaltet sein: 55 (45) DF AF NK NNF a. b. c. d. e. f. g. h. i. j. k. der die der die die die das das die die der kleine kleine schöne schöne drei braune braune weiße gefährliche glückliche laute Hund Katze Papagei Giraffe Frösche Schildkröte Pferd Schaf Biene Grille Löwe In der deutschen Nominalphrase tritt das flektierte Adjektivattribut zwischen Artikel und Nomen. 31 Das Genus des Nominalphrasenkopfes ist wie im Französischen und Spanischen fest, und zwar entweder Maskulinum, Femininum oder Neutrum. Die Artikelwörter und Adjektive kongruieren in Kasus, Numerus und Genus mit dem Kopf der Nominalphrase. (46) DF AF NK NNF a. b. c. d. e. f. g. h. i. j. k. the the the the the the the the the the the little little beautiful beautiful three brown brown white dangerous happy loud dog cat parrot giraffe frogs turtle horse sheep bee cricket lion 31 Nur in Sonderfällen ist ein nachgestelltes Adjektivattribut akzeptabel, das nicht flektiert. Beispiele sind Forelle blau, Spaß total oder Röslein rot. 3.9 Sprachvergleiche am Beispiel der Nominalphrase 56 3 Phrasen Die Nominalphrase im Englischen ist hinsichtlich ihrer Stellung der deutschen Nominalphrase sehr ähnlich. Zwischen Artikel und Nomen tritt auch hier das Adjektivattribut, welches allerdings im Vergleich zum Deutschen nicht flektiert ist. Im Englischen wird zudem nicht nach dem Genus unterschieden. Der definite Artikel the wie auch der indefinite Artikel a sind somit nicht nach Genus spezifiziert. (47) DF AF NK NNF a. b. c. d. e. f. g. h. i. j. k. le la le la les la le le l’ le le petit petite joli jolie trois chien chatte perroquet girafe grenouilles tortue cheval mouton abeille grillon lion brune brun blanc dangereuse heureux fort Das Adjektivattribut im Französischen tritt zumeist in der Regel anders als im Deutschen und Englischen hinter das Nomen. Nur kurze und häufig gebrauchte Adjektive wie petit, grand, joli stehen im nominalen Mittelfeld. Im Französischen wird zudem zwischen dem maskulinen und femininen Nomen unterschieden. Das Genus ist hierbei wie im Deutschen fest. In Abhängigkeit vom Genus und Numerus flektiert das Adjektiv in der vorgestellten wie auch in der nachgestellten Position. Der definite Artikel le und der indefinite Artikel un treten mit den Maskulina auf, der definite Artikel la und der indefinite Artikel une mit den Feminina. Im Plural wird im Französischen wie auch im Deutschen und Spanischen nur jeweils eine Artikelform unabhängig vom Genus gebraucht. Die Mengenadjektive trois (Französisch), drei (Deutsch) sowie tres (Spanisch) flektieren nicht. Zahlenadjektiven wie auch Farbadjektiven kommt in einigen Sprachen eine Sonderstellung zu. 57 3.10 Kurze Zusammenfassung (48) DF AF NK NNF a. b. c. d. e. f. g. h. i. j. k. el el el la las la el la la el el tres perro gato loro jirafa ranas tortuga caballo oveja abeja grillo leon pequeño pequeño bonito bonita marrón marrón blanca peligrosa feliz agudo In der spanischen Nominalphrase wird das Adjektivattribut wie im Französischen nachgestellt und tritt somit ins nominale Nachfeld. Im Spanischen gibt es jedoch wie im Französischen einige Ausnahmen. So werden Mengenadjektive wie tres dem nominalen Phrasenkopf vorgestellt. Die nachgestellten Adjektive werden stets nach Genus und Numerus flektiert. Im Spanischen existieren die definiten Artikel el (Singular, Maskulinum), la (Singular, Femininum), los (Plural, Maskulinum) und las (Plural, Femininum). Die Genusunterscheidung der Artikel findet sich im Spanischen also auch im Plural. Das stellt einen Unterschied zum Französischen dar. Das Adjektiv marrón stellt hinsichtlich der Flexion entsprechend des Genus eine Ausnahme dar. Anhand dieses Beispielpools ist es den Schülerinnen und Schülern möglich, Nominalphrasen zu systematisieren und zu vergleichen. Dies sollte mithilfe des entdeckenden Lernens gestaltet werden. Die Art der methodischen Aufarbeitung kann vielfältig gestaltet werden. 32 3.10 Kurze Zusammenfassung Die Arbeit mit Phrasen im Unterricht bietet ein großes Lernpotenzial. Durch Ambiguitäten ist es möglich, die Neugier und das Interesse der Schülerinnen und Schüler für die Sprache zu wecken. Zudem lässt sich mithilfe solcher Beispiele der Phrasenbegriff für die Schule aufarbeiten. 32 Für weitere Beispiele zum Sprachvergleich im Unterricht empfiehlt sich die Praxis Deutsch 278 (2019). 58 3 Phrasen Um die Struktur der Nominalphrase im Deutschen zu erarbeiten und zu visualisieren, bietet es sich an, das topologische Feldermodell auf die Nominalphrase zu übertragen. So kann ein sprachvergleichender Grammatikunterricht gestaltet werden, für den auch die Fremdsprachen der Schülerinnen und Schüler genutzt werden können. Somit kann sich ein positiver Lerneffekt nicht nur im Fach Deutsch, sondern auch in der jeweiligen Fremdsprache einstellen. Ein großes Potenzial stellt das sprachvergleichende Arbeiten auch für die Schülerinnen und Schüler mit Migrationsgeschichte durch den Einbezug ihrer Herkunftssprachen dar. 33 3.11 Aufgaben 1. Erstellen Sie zwei ambige Sätze und fertigen Sie eine Analyse mithilfe der Klammerung an. 2. Betrachten Sie die drei Beispielphrasen aus dem Arabischen. Vergleichen Sie ihre Syntax mit der der Nominalphrase im Deutschen; benutzen Sie dafür das oben eingeführte Feldermodell (ART zeigt den Artikel alan, NOM steht für den Nominativmarker -u). a. al-bayt-u ART-Haus-NOM ‚das Haus‘ b. al-bayt-u al-ğamil-u ART-Haus-NOM ART-schön ‚das schöne Haus‘ c. al-bayt-u al-kabiyr-u ART-Haus-NOM ART-groß ‚das große Haus‘ 33 Es ist hierfür nicht zwingend notwendig, dass die Lehrkraft fundierte Sprachkenntnisse zu den einzelnen Sprachen besitzt und sie mündlich und schriftlich beherrscht. Das „mehrsprachige Klassenzimmer“ (Krifka et al. 2014) stellt eine Möglichkeit dar, sich über die Morphologie und Syntax sowie weitere Besonderheiten der ihnen fremden Sprachen zu informieren und auf dieser Grundlage diese Sprachen in den Unterricht miteinzubeziehen. 4 Sätze Was genau unter einem Satz zu verstehen ist, ist sehr schwer zu bestimmen, weshalb wir auch erst jetzt auf die Sätze zu sprechen kommen. Grundlegend für den Aufbau der deutschen Sätze ist die Unterscheidung zwischen finiten und infiniten Verben, mit der wir beginnen. Daran anschließend stellen wir das Modell der topologischen Felder vor, mit dem die lineare Struktur deutscher Sätze auf eine vergleichsweise einfache Weise analysiert werden kann. Der Nutzen dieses Modells liegt nicht nur darin, dass man mit ihm die Wortstellung in deutschen Sätzen beschreiben kann, sondern im Rahmen dieses Modells lässt sich auch klären, was unter Satzarten zu verstehen ist, einem weiteren zentralen Begriff der Schulgrammatik. Im vierten Teil des Kapitels gehen wir schließlich genauer auf die hierarchische Struktur der deutschen Sätze ein, auf ihre Phrasenstruktur. Dabei werden wir auch zeigen, warum das Deutsche eine SOV-Sprache ist, mit der Grundposition des Verbs am Satzende. 4.1 Wo die Verben im Deutschen stehen können Wir beginnen mit einem kleinen Rätsel: Warum sind die Sätze (1e-f) ungrammatisch? (1) a. Zum Schluss vermischt er die Soße mit den Nudeln. b. Jetzt ist sie nicht mehr traurig. c. Zum Schluss die Soße mit den Nudeln vermischen. d. Jetzt nicht mehr traurig sein. e *Zum Schluss vermischen die Soße mit den Nudeln. f. *Jetzt sein nicht mehr traurig. In der ersten Satzposition stehen in diesen Sätzen die Phrasen zum Schluss und jetzt. In-der-zweiten Satzposition dahinter können zwar Verben stehen, wie die Sätze (1a-b) zeigen, doch nur finite Verben. Das zeigen die ungrammatischen Sätze (1e-f). Der Unterschied zwischen den Verben vermischt und sind einerseits und den Verben vermischen und sein andererseits besteht darin, dass die einen Verben finit sind und die anderen Verben infinit. Das erkennt man am Satz (1d), in dem sein kein finites Verb sein kann. Dass die Sätze (1e-f) ungrammatisch sind, liegt daran, dass infinite Verben wie in (1c-d) in der Position am Ende des Satzes stehen können, aber nicht in der zweiten Satzposition. Dass 60 4 Sätze infinite Verben anders als finite Verben auch nicht in der ersten Satzposition stehen können, zeigen die folgenden Sätze (zu Sätzen wie Essen würde ich das nicht kommen wir noch). (2) a. Vermischt er zum Schluss die Soße mit den Nudeln? b. Bist du jetzt nicht mehr traurig? c. Vermisch zum Schluss die Soße mit den Nudeln. d. Sei jetzt nicht mehr traurig. e. *Vermischen zum Schluss die Soße mit den Nudeln. f. *Sein jetzt nicht mehr traurig. Die Position der Verben im Deutschen (wie auch in anderen westgermanischen Sprachen wie dem Niederländischen) hängt also von der Finitheit ab. Wenn wir die deutschen Sätze beschreiben wollen, benötigen wir ein Modell, in dem sich dieser Unterschied klar darstellen lässt. Da Sätze oft mehr als ein Verb enthalten, ist es nützlich, das Verb, von dem die anderen Verben eines Satzes abhängen, besonders zu kennzeichnen; wir markieren es-fett. Dieses Verb wird auch als das unabhängige oder das strukturell höchste Verb bezeichnet. Wenn ein Satz ein finites Verb enthält, ist-immer dieses finite Verb das unabhängige Verb. Enthält der Satz hingegen nur infinite Verben, dann zählt das Verb, dessen Status nicht von einem anderen Verb im Satz festgelegt wird, als das unabhängige Verb (zum Status s.-o. S. 16 f.). In (3d) legt zu- haben den Status von vermischt fest, denn zu haben muss mit einem Partizip 2 kombiniert werden. Ein anderes Verb, das den Status von zu haben festlegt, gibt es nicht. Je nachdem, ob das unabhängige, finite Verb in der zweiten Satzposition, der ersten Satzposition oder der Satzendposition steht, unterscheidet man zwischen Verbzweit-Sätzen (V2-Sätzen), Verberst-Sätzen (V1-Sätzen) und Verbletzt-Sätzen (VL-Sätzen). (3) a. Ich habe die Soße mit den Nudeln vermischt. [V2-Satz] b. Hast du die Soße mit den Nudeln vermischt? [V1-Satz] c. Wie toll ich die Soße mit den Nudeln vermischt habe. [VL-Satz] d. ohne die Soße mit den Nudeln vermischt zu haben [VL-Satz] Da in der ersten und zweiten Satzposition nur finite Verben stehen können, können wir als-eine erste Regel festhalten, dass alle V2- und V1-Sätze im Deutschen finit sind und alle infiniten Sätze im Deutschen VL-Sätze sind. Infinite V2-Sätze und V1-Sätze wie (1e-f) und (2e-f) sind ungrammatisch. 61 4.2 Das Modell der topologischen Felder 4.2 Das Modell der topologischen Felder Der Grundgedanke des topologischen Feldermodells ist, dass man die deutschen Sätze in-aufeinanderfolgende Abschnitte oder Felder einteilen kann, für deren Besetzung unterschiedliche Regeln gelten; es handelt sich also um eine lineare Betrachtung. Eine dafür äußerst wichtige und folgenreiche Beobachtung ist, dass es in allen Sätzen, egal ob V2-, V1- oder VL-Satz, bestimmte Abschnitte gibt, die sich gleichen und denselben Regeln folgen. 34 Wir haben schon in Kap. 2 bei den Wortarten das Prinzip eingeführt, dass das, was sich syntaktisch gleich verhält, auch mit der gleichen Bezeichnung versehen wird. Dieses Prinzip gilt auch für die Abschnitte im Feldermodell. 4.2.1 V2- und V1-Sätze Wenn es einen Abschnitt in einem V2-Satz gibt, der einem Abschnitt in einem V1-Satz gleicht, dann sollten sie nach dem, was wir gerade gesagt haben, auch gleich bezeichnet werden. Die Positionen der-finiten Verben in V2- und V1-Sätzen gleichen sich darin, dass-sie nur von finiten Verben besetzt werden können und nicht von infiniten Verben; daraus kann man schlussfolgern, dass es sich um ein und dieselbe Position handelt. Wir-übernehmen für diese Position von Höhle (1986) die Bezeichnung FINIT (so auch Pafel 2011, Eisenberg 2013 und andere mehr). Im Deutschen gibt es also insgesamt gar nicht drei Positionen für die unabhängigen Verben, sondern nur zwei Positionen, eine-linke Position und eine rechte. Die rechte Position bezeichnen wir ebenfalls Höhle (1986) folgend als VK: V, weil dort nur Verben stehen können, K, weil dort auch mehrere Verben stehen und zusammen einen Verbalkomplex bilden können. 35 Der Abschnitt vor FINIT in V2-Sätzen bildet das Vorfeld, VF, der Abschnitt zwischen FINIT und VK das Mittelfeld, MF, und der Abschnitt hinter VK das Nachfeld, NF. V2-Sätze unterscheiden sich dann von V1-Sätzen nur darin, dass 34 Diese Beobachtung ist schon in Herling (1821, §§ 40, 45) zu finden; ausführlicher auf die Forschungsgeschichte geht Höhle (1983 [2018], Kap. 5) ein. 35 Die üblichen Bezeichnungen LK für ‚linke Klammer‘ und RK für ‚rechte Klammer‘ oder LSK für ‚linke Satzklammer‘ und RSK für ‚rechte Satzklammer‘ sind vielleicht anschaulicher, leichter zu merken und zu verwenden. An diesen Bezeichnungen lässt sich aber nicht erkennen, dass in V2- und V1-Sätzen in der linken Klammer immer ein- finites Verb steht und V2- und V1-Sätze immer finit sind und dass in der rechten Klammer nur Verben stehen können. Die Bezeichnungen FINIT und VK drücken genau das aus. 62 4 Sätze V2-Sätze ein Vorfeld haben und V1-Sätze nicht. 36 Die-Sätze (3a-b) lassen sich damit so beschreiben: (4) a. VF FINIT MF VK NF ich habe die Soße mit den Nudeln vermischt b. FINIT MF VK NF hast du die Soße mit den Nudeln vermischt Dass für die Ausdrücke im Mittelfeld in allen Sätzen dieselben Abfolgeregeln gelten, lässt sich leicht zeigen, wir führen das für V2- und V1-Sätze exemplarisch vor. Ein Beispiel dafür sind direktionale Adverbiale wie in den Schuppen, die am rechten Rand des Mittelfelds stehen wollen. Die Sätze (5c-d) zeigen, dass das für V2- und V1-Sätze gleichermaßen gilt. Ein anderes Beispiel sind Prädikative wie betrunken in (5e-f), die im Mittelfeld nur sehr ungern vor ihrem Bezugsausdruck stehen. Auch darin unterscheidet sich das Mittelfeld in V2-Sätzen nicht vom Mittelfeld in V1-Sätzen. (5) a. Karl hat das Fahrrad in den Schuppen gestellt. b. Hat Karl das Fahrrad in den Schuppen gestellt? c. *Karl hat in den Schuppen das Fahrrad gestellt. d. *Hat Karl in den Schuppen das Fahrrad gestellt? e. Gestern ist Karl betrunken Fahrrad gefahren. f. Ist Karl gestern betrunken Fahrrad gefahren? g. *Gestern ist betrunken Karl Fahrrad gefahren. h. *Ist betrunken Karl gestern Fahrrad gefahren? 36 Oft werden V1-Sätze und auch bestimmte VL-Sätze als Sätze mit leerem Vorfeld beschrieben. Das-ermöglicht es zwar, ein einziges topologisches Schema mit den Feldern VF, LK, MF, RK, NF für alle Sätze anzusetzen und so eine Vereinfachung vorzunehmen. Der Preis dafür besteht jedoch unter anderem darin, dass man nicht wie hier nur-zwei Arten von Feldern benötigt (Felder, die besetzt sein müssen, und Felder, die besetzt sein können), sondern drei Arten von Feldern (Felder, die besetzt sein müssen, Felder, die besetzt sein können, und Felder, die nicht besetzt sein dürfen). Gegen die Annahme obligatorisch leerer Felder sprechen theoretische und didaktische Gründe (s.- Christ 2015, 44 und d’Avis und Geilfuß-Wolfgang 2018, 126). 63 4.2 Das Modell der topologischen Felder Manchmal ist es schwierig zu erkennen, ob ein Ausdruck im Mittelfeld oder im Nachfeld steht, und zwar vor allem dann, wenn VK leer ist. (6) ist ein solches Beispiel, in dem die PP für diesen Notfall im Mittelfeld stehen könnte, aber auch im Nachfeld: (6) Eva stellt sicher ihr Auto zur Verfügung für diesen Notfall. In solchen Fällen kann man sich dadurch behelfen, dass man die einfache Verbform durch eine zusammengesetzte Tempusform ersetzt, etwa durch eine Perfektform oder eine Futurform. Die zusammengesetzten Tempusformen bestehen jeweils aus einer finiten Verbform und einer infiniten Verbform, weshalb sie in V2- und V1-Sätzen getrennt werden: Die finiten Verbformen stehen in FINIT und die infiniten Verbformen in VK. Wendet man diese Probe auf Satz (6) an, stellt man fest, dass die Variante (7a), in der für diesen Notfall vor stellen im Mittelfeld steht, ungrammatisch ist und die Variante (7b), in der-für diesen Notfall hinter stellen im Nachfeld steht, grammatisch ist. (7) a. *Eva wird sicher ihr Auto zur Verfügung für diesen Notfall stellen. b. Eva wird sicher ihr Auto zur Verfügung stellen für diesen Notfall. Daraus kann man schlussfolgern, dass für diesen Notfall auch in (6) im Nachfeld steht. 4.2.2 Das Vorfeld Das Vorfeld ist insbesondere für didaktische Zwecke eine sehr wichtige Position, weil es-oft-für die Ermittlung der Satzglieder genutzt wird (s. Menzel 1999, 72-77 und viele, viele andere). Bei der Umstellprobe, die wir schon oben als Umstelltest eingeführt haben und die auch Verschiebeprobe oder Vorfeldprobe genannt wird, werden Wortfolgen hinter dem finiten Verb nach vorne ins Vorfeld umgestellt. Gelingt die Probe, so die oft zu findende Annahme, handelt es-sich um ein Satzglied. So lässt sich in den folgenden Sätzen das Subjekt ich im Vorfeld durch das Objekt eine Schokolade oder durch das Adverbial jeden Tag ersetzen. 37 37 Auf einige Punkte, die bei der Anwendung der Umstellprobe zu beachten sind, gehen wir ausführlicher in Kap. 5 ein. 64 4 Sätze (8) a. [Ich] könnte jeden Tag eine Schokolade essen. [Subjekt] b. [Eine Schokolade] könnte ich jeden Tag essen. [Objekt] c. [Jeden Tag] könnte ich eine Schokolade essen. [Adverbial] Die Umstellprobe ist jedoch eigentlich gar keine Satzgliedprobe, sondern eine Konstituentenprobe: Im Vorfeld kann nur eine Konstituente stehen. Mit der Umstellprobe lässt sich daher nur ermitteln, ob eine Wortfolge eine Konstituente ist oder nicht. Etwas vereinfacht gesagt können alle möglichen Arten von Konstituenten im Vorfeld stehen, sogar infinite Verben wie in (9a) oder Verbteile wie in (9b). Systematisch im Vorfeld ausgeschlossen sind nur Partikeln, s. (9d). (9) a. [Essen] würde ich das lieber nicht. b. [Hinzu] kommt noch, dass Fahrradfahren viel gesünder ist. c. [Wer das glaubt], ist ja verrückt. d. *[Ja] verrückt ist, wer das glaubt. Das Vorfeld ist aber auch für die sogenannte Informationsstruktur sehr wichtig, also die Art und Weise, wie die Information, die mit einem Satz mitgeteilt wird, verpackt ist. 38 Oft ist das Vorfeld eines V2-Satzes mit dem Topik besetzt. Das Topik gibt an, worüber geredet und mit dem Restsatz, dem Kommentar, etwas ausgesagt wird. Man kann es mit Reinhart (1981) als einen Hinweis darauf verstehen, wo der Hörer oder Leser die Information, die mitgeteilt wird, im Gedächtnis abspeichern soll, also als eine Art Hashtag für- das Gedächtnis. So liefert der Satz In Mainz ist die erste gedruckte Bibel entstanden eine Information über die Stadt Mainz, während es in dem Satz Die erste gedruckte Bibel ist in Mainz entstanden um die erste gedruckte Bibel geht. Diese Art Hervorhebung der Topiks ist aber nur eine von vielen Funktionen der Vorfeldbesetzung, weitere Funktionen, die vor allem für die Organisation der Texte oder Diskurse relevant sind, besprechen Zifonun et al. (1997, 1639-1644), neben vielen anderen. 38 Eine schöne Einführung zur Informationsstruktur ist Musan (2017), unter didaktischer Perspektive ist Menzel (1999, 140-155) sehr instruktiv. 65 4.2 Das Modell der topologischen Felder 4.2.3 VL-Sätze In Sprachbüchern für die Schule wird oft der Eindruck erweckt, als seien alle Hauptsätze, also alle selbständigen Sätze, die von keinem anderen Ausdruck abhängen, V2- oder V1-Sätze. Auf sehr viele Hauptsätze trifft das auch zu. Es gibt aber im Deutschen auch VL-Hauptsätze wie die folgenden (s. Oppenrieder 1989 und Truckenbrodt 2013 für einen Überblick): (10) a. Dass du ja nicht an den Kuchen gehst. b. Ob sie immer noch mit diesem merkwürdigen Mann zusammen ist? c. Wenn du mir bloß glauben würdest! d. Wie viel das wohl kostet? e. Warum wir ohne Vielfalt nicht leben können f. Was für eine wundervolle Stimme sie hat. Es liegt nahe, solche finiten VL-Sätze als Nebensätze zu analysieren, bei denen der übergeordnete Ausdruck getilgt worden ist. Man könnte dann etwa (10d) auf den Satz Ich frage mich, wie-viel das wohl kostet zurückführen und (10 f) auf den Satz Es-ist erstaunlich, was für eine wundervolle Stimme sie hat. Doch es gibt gute Argumente gegen eine solche Tilgungsanalyse, und zwar unter anderem Modalpartikeln wie bloß in (10c). Diese Modalpartikel kann nicht in einem abhängigen wenn-Satz stehen (*Ich würde mich freuen, wenn du mir bloß glauben würdest, s. Oppenrieder 1989, 167 f. zu-doch und nur). Das spricht dafür, dass die Sätze in (10) tatsächlich Hauptsätze sind und keine-Nebensätze. Auch VL-Hauptsätze lassen sich mit dem topologischen Feldermodell beschreiben. Anders als in finiten V2- und V1-Sätzen ist die Position vor dem Mittelfeld, die linke Satzposition, nicht mit einem finiten Verb besetzt, sondern mit einer satzeinleitenden Konjunktion (dass, ob, wenn), einer w-Phrase (wie viel, warum, was für eine wundervolle Stimme, wie) oder einer Relativphrase (der, mit dem, deren schlaue Bemerkungen). Wir bezeichnen diese Position als SK (für ‚satzeinleitende Konstituente‘). 39 Exemplarisch lassen sich dann (10c) und (10 f) folgendermaßen in topologische Felder zerlegen: 39 Bezeichnungen wie SUB für ‚subordinierende Wörter‘ in Eisenberg (2013, 380 f.) sind insofern irreführend, als die Sätze in (10) gerade nicht subordiniert sind. Eine alternative Analyse wäre, zwei Typen von finiten VL-Sätzen zu unterscheiden (s. d’Avis 2019): Beim einen Typ stünde eine satzeinleitende Konjunktion am Satzanfang, beim anderen Typ eine w-Phrase oder Relativphrase. 66 4 Sätze (11) a. SK MF VK NF wenn du mir bloß glauben würdest b. SK MF VK NF was für eine wundervolle Stimme sie hat Bis jetzt haben wir nur finite Sätze besprochen, das heißt, Sätze, in denen das unabhängige Verb finit ist. Das steht in Einklang mit einer traditionellen Forderung, nach der Sätze ein finites Verb enthalten müssen. Oft gibt es noch den Zusatz, dass Sätze nicht nur ein finites Verb, sondern auch ein Subjekt enthalten müssen, doch damit sind schon Imperativsätze wie Geh zur Seite! oder Blas dich nicht so auf ! nicht vereinbar. Enthalten aber wirklich alle Sätze ein finites Verb? Sätze wie in (12) sprechen dagegen (Reis 2003, 155): (12) a. Wohin sich wenden? b. Wo eine Bleibe finden? c. Wie die andern für diesen Vorschlag gewinnen? Die drei Verbformen wenden, finden und gewinnen sind einfache Infinitive und stehen in VK; dass diese Sätze kein Subjekt enthalten, kann darauf zurückgeführt werden. Davon abgesehen spricht, wie Reis (2003) demonstriert, alles dafür, dass es sich um Hauptsätze handelt. Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass die w-Phrasen in solchen infiniten w-VL-Sätzen im Vorfeld stehen und die linke Satzposition, FINIT, unbesetzt ist (die infiniten Verben können ja dort nicht stehen), doch wir analysieren die Sätze in (12) wie-die Sätze in-(9), um die Darstellung des topologischen Feldermodells hier nicht zu- komplex werden zu lassen. (13) SK MF VK NF wie die andern für diesen Vorschlag gewinnen Sehr viel schwieriger zu klären ist, ob es sich auch bei Ausdrücken wie in (14), die nicht von einer satzeinleitenden Konjunktion oder einer w-Phrase eingeleitet werden, um infinite VL-Sätze handelt. 67 4.2 Das Modell der topologischen Felder (14) a. Nun aber aufgepasst. [Part2] b. Jetzt die Soße mit den Nudeln vermischen. [Inf] c. Wegen so einer Kleinigkeit so einen Wirbel zu machen! [zu-Inf] Die Bezeichnungen für solche Ausdrücke in den Grammatiken sind sehr vielfältig, es ist unter anderem von satzwertigen Infinitiven, infiniten Hauptsatzstrukturen oder infiniten Verbalphrasen die Rede (s. Gärtner 2013 für einen Überblick). Wir schließen uns hier der Redeweise von infiniten Sätzen an, nehmen aber mit Reis (2003, 168 f.) und anderen an, dass diese infiniten Sätze sich von infiniten w-VL-Sätzen und allen finiten Sätzen darin unterscheiden, dass sie weder ein Vorfeld noch eine linke Satzposition aufweisen. Das heißt, sie bestehen nur aus Mittelfeld, VK und Nachfeld. 40 (15) MF VK NF jetzt die Soße mit den Nudeln vermischen 4.2.4 V2-, V1- und VL-Sätze zusammen Insgesamt können wir nun vier topologische Schemata unterscheiden, und zwar ein Schema für V2-Sätze, ein Schema für V1-Sätze und zwei Schemata für VL-Sätze (die weiß markierten Felder müssen besetzt sein, die grau markierten Felder können unbesetzt sein). 41 40 Man beachte aber, dass es auch infinite Sätze wie um die Katze zu füttern oder ohne es zu verstehen gibt, die von einer satzeinleitenden Konjunktion eingeleitet werden (um, ohne). Diese Sätze können aber nur als Nebensätze auftreten, nicht als Hauptsätze. 41 Wir folgen hier, von kleinen Unterschieden abgesehen, Höhle (1986) und d’Avis (2019) und beschränken uns auf selbständige Sätze. Wir können hier nicht genauer auf die Felder vor dem Vorfeld und hinter dem Nachfeld eingehen, die in gewisser Weise nicht Teil des Satzes sind und in der geschriebenen Sprache durch ein Komma abgegrenzt werden. Das betrifft Sätze wie Aber den Karl, den mag ich oder Ich mag ihn sehr, den Karl. Genaueres dazu findet man in allen ausführlicheren Darstellungen des topologischen Feldermodells, wobei die Bezeichnungen leider stark divergieren. 68 4 Sätze VF FINIT MF VK NF V2-Sätze FINIT MF VK NF V1-Sätze SK MF VK NF VL-Sätze MF VK NF VL-Sätze VF = eine Konstituente FINIT = ein finites Verb MF, NF = beliebig viele Konstituenten oder unbesetzt VK = finite oder infinite Verben oder unbesetzt SK = satzeinleitende Konjunktion, w-Phrase oder Relativphrase Aus der Art und Weise, wie die Felder dieser Schemata besetzt sind, lassen sich Beobachtungen formulieren, die hilfreich sind, wenn man einen Satz in topologische Felder zerlegen möchte (Höhle 1986, Meibauer et al. 2015, 126): a. Jeder Satz enthält ein Verb, das in-V2- und V1-Sätzen in FINIT steht und in VL-Sätzen in VK. b. Infinite Verben können nicht in FINIT stehen. Deshalb sind alle V2- und V1-Sätze finit und alle infiniten Sätze VL-Sätze. c. In allen finiten VL-Sätzen ist SK besetzt, das heißt, alle finiten VL-Sätze werden durch einen Ausdruck bestimmter Art eingeleitet (in Hauptsätzen eine satzeinleitende Konjunktion oder eine w-Phrase). d. Alle Satztypen, egal ob V2-, V1- oder VL-Satz, haben einen gemeinsamen Kern, nämlich die Felder MF, VK und NF. Sie unterscheiden sich nur in den Feldern vor MF. Wie man sieht, ist die Position der Verben der Schlüssel für die richtige topologische Analyse, und die Ermittlung dieser Position ist der Ausgangspunkt, wenn man bei der topologischen Analyse schrittweise vorgehen möchte. 1. Untersuchen Sie, ob der Ausdruck ein unabhängiges finites Verb enthält. 2. Wenn ja, steht es in FINIT oder VK. Steht es in VK, muss auch SK-besetzt sein. 3. Wenn der Ausdruck kein finites Verb enthält, untersuchen Sie, ob der Ausdruck ein unabhängiges infinites Verb enthält. 4. Wenn ja, steht es in VK. 69 4.2 Das Modell der topologischen Felder Sehr nützlich für die topologische Analyse sind auch die trennbaren Verben wie anmelden, ausleihen oder herauskommen. Sind sie getrennt wie in (16a-b), steht der eine Teil des Verbs in FINIT und der andere Teil in VK oder im Vorfeld. Sind sie nicht getrennt wie in (16c-d), stehen sie komplett in VK oder im Vorfeld. (16) a. Kam bei dem Experiment etwas heraus? b. Heraus kam bei dem Experiment leider nichts. c. Leider ist bei dem Experiment nichts herausgekommen. d. Herausgekommen ist bei dem Experiment leider nichts. Das kann man für Fälle nutzen, in denen auf den ersten Blick nicht leicht zu entscheiden ist, ob ein finites Verb in FINIT oder in VK steht. (17) [Wer bremst], verliert. Der Nebensatz wer bremst steht im Vorfeld des V2-Satzes Wer bremst, verliert. Wie steht es aber mit dem Nebensatz selbst? Ist er ein V2-Satz oder ein VL- Satz? Um das herauszufinden, ersetzen wir das Verb bremst durch das trennbare Verb abbremst. Für solche trennbaren Verben wie abbremst gibt es zwei Möglichkeiten: Sie- sind entweder wie in (18a) getrennt oder sie sind wie in (18b) ungetrennt. Ist das trennbare Verb getrennt wie in (18a), handelt es sich um einen V1- oder V2-Satz, ist es ungetrennt wie in (18b), handelt es sich um einen VL-Satz. (18) a. *[Wer bremst ab], verliert. b. [Wer abbremst], verliert. Daraus, dass (18b) grammatisch ist und (18a) nicht, können wir dann den Schluss ziehen, dass wer bremst in (17) wie wer abbremst in (18b) ein VL-Satz ist, in dem bremst in VK steht. Mithilfe des topologischen Feldermodells lässt sich nun eine syntaktische Definition für den Begriff ‚Satz‘ angeben. Die Duden-Grammatik (2016, 776 f.) diskutiert verschiedene Arten der Definition, Definition I lautet so: „Ein Satz ist eine Einheit, die aus einem Prädikat mit finitem Verb und den zugehörigen Ergänzungen und Angaben besteht“. Die dieser Definition zugrundeliegende Beobachtung ist, dass das Prädikat zusammen mit den zugehörigen Ergänzungen und Angaben eine syntaktische Einheit bildet, allerdings ist diese syntaktische Einheit nicht immer ein Satz. 70 4 Sätze Die kursiv markierten Wörter in (19a) bilden eine Verbalphrase (VP), und-diese Verbalphrase enthält das Prädikat (vorliest) und die zugehörigen Ergänzungen (er, den Kindern, ein Buch) und Angaben (nachher). Sie bildet aber in (19a) nicht den Satz, denn zu dem Satz gehört auch ob mit dazu. Ähnliches gilt für die Sätze in (19b-c), in denen die Ausdrücke es und was- im Vorfeld weder Ergänzungen noch Angaben zum Prädikat sind, aber dennoch Teil des Satzes. Auch in solchen Fällen muss man verhindern, dass die kursiv markierten Wortfolgen als Satz zählen. (19) a. Ob er nachher den Kindern ein Buch vorliest? b. Es lebte einmal in einer großen Höhle ein alter Drache. c. Was siehst du blöd aus! Weiter kommt man mit Definition II: „Ein Satz ist eine abgeschlossene Einheit, die nach bestimmten Regeln (den syntaktischen Regeln) gebildet worden ist“. Wenn wir annehmen, dass die syntaktischen Regeln, um die es geht, topologischer Art sind, können wir den Begriff ‚Satz‘ so definieren (s. auch d’Avis 2019): Satz: Eine grammatische Wortfolge, die einem der vier topologischen Schemata entspricht. Wie man sich überzeugen kann, trifft das auf alle Beispiele in (19) zu. 4.3 Satzarten (Satztypen) Wie die Wortarten gehören auch die Satzarten zu den zentralen Gegenständen des schulischen Grammatikunterrichts. Wir haben in Kap. 2 und Kap. 3 besprochen, wie man Wörter und Phrasen aufgrund ihrer Gemeinsamkeiten in Klassen einteilen kann. Einer der-wichtigen Punkte dabei war, die formalen Eigenschaften eines Ausdrucks und seine Funktion auseinanderzuhalten. Nehmen wir die Sätze in (20): (20) a. Karl ist sehr müde. b. Karl ist Polizist. c. Ich weiß, dass es diesmal geklappt hat. d. Mich überrascht, dass es diesmal geklappt hat. 71 4.3 Satzarten (Satztypen) Die beiden Ausdrücke sehr müde und Polizist übernehmen in den Sätzen (20a-b) dieselbe syntaktische Funktion. Sie sind Prädikative zum Subjekt Karl und geben eine Eigenschaft an, die Karl hat. In ihrer Form unterscheiden sie sich aber deutlich, denn sehr müde ist eine AP mit dem Adjektiv müde als Kopf und Polizist ist eine NP mit dem Nomen Polizist als Kopf. Sprachliche Ausdrücke können also dieselbe Funktion haben, aber dennoch eine unterschiedliche Form. Dass auch umgedreht sprachliche Ausdrücke dieselbe Form, aber eine unterschiedliche Funktion haben können, zeigen die Sätze (20c-d). Der Nebensatz dass es diesmal geklappt hat ist in (20c) ein Akkusativobjekt, aber in (20d) das Subjekt. Es ist also wichtig, die Form sprachlicher Ausdrücke nicht mit ihrer Funktion zu verwechseln (mehr zu den syntaktischen Funktionen in Kap. 5). Beide Punkte lassen sich auf die Satzarten übertragen. Satzarten dienen dazu, Sätze aufgrund ihrer Gemeinsamkeiten zu Klassen zusammenzufassen. Die Schwierigkeit bei den Satzarten ist, die relevanten Gemeinsamkeiten zu bestimmen und dabei Form und Funktion nicht miteinander zu verwechseln. Nehmen wir zur Illustration die Darstellung der Satzarten auf der Online- Nachhilfeplattform der Westermann Gruppe. Dort werden die vier Satzarten Aussagesatz, Aufforderungssatz, Ausrufesatz und Fragesatz unterschieden und folgendermaßen charakterisiert: 42 Aussagesatz — Der Aussagesatz enthält Aussagen oder Feststellungen. Der Satz endet mit einem Punkt. Die Stimme wird zum Ende des Satzes hin gesenkt. Das finite Verb steht an zweiter Stelle. Aufforderungssatz — Mit Hilfe eines Aufforderungssatzes wird man aufgefordert oder gebeten, etwas zu tun. Das Satzschlusszeichen des Aufforderungssatzes ist das Ausrufezeichen. Die Stimmführung ist fallend. Das finite Verb steht an erster Stelle. Ausrufesatz — Mit Hilfe des Ausrufesatzes werden Gefühle oder Wünsche ausgedrückt. Am Ende eines Ausrufesatzes steht ein Ausrufezeichen. Die Stimme fällt gegen Ende des Satzes ab. Die Stellung des finiten Verbs ist unterschiedlich. Fragesatz — Einen Fragesatz benutzt man, wenn man etwas wissen möchte. Der Fragesatz endet immer mit einem Fragezeichen. Die Stimme hebt sich am Satzende. Entscheidungsfragen werden mit Ja oder Nein beantwortet. Die finite Verbform steht an erster Stelle. Ergänzungsfragen werden genutzt, wenn man Informationen zu einem Sachverhalt erfahren möchte. Das finite Verb steht an zweiter Stelle. 42 www.kapiert.de/ deutsch/ klasse-5-6/ sprache-untersuchen/ saetze/ satzarten-unterscheiden (abgerufen am 23.8.2018). 72 4 Sätze Für die formale Bestimmung der Satzarten werden hier die Position des finiten Verbs, die Satzschlusszeichen und die Intonation herangezogen, für die funktionale Bestimmung die kommunikativen Zwecke, die der Sprecher mit der Äußerung des Satzes verfolgt. Die Bezeichnung der Satzarten ergibt sich bei dieser Darstellung, die so oder- so ähnlich in vielen Sprachlehrwerken zu finden ist, aus dem kommunikativen Zweck: Mit einem Aussagesatz wird etwas ausgesagt, mit einem Aufforderungssatz wird jemand aufgefordert, mit einem Fragesatz wird nach etwas gefragt. Man kann leicht zeigen, dass eine solche Darstellung problematisch ist. Die Probleme beginnen schon mit dem Einbezug der Satzschlusszeichen, die für die Bestimmung der Satzarten weit weniger verlässlich sind, als oft angenommen wird. Mit den beiden Sätzen (21a-b) wird sicherlich ein Gefühl und ein Wunsch ausgedrückt, dennoch können sie mit einem Punkt versehen werden, und zwar dann, wenn sie ohne Nachdruck geäußert werden. Und sie können auch mit guten Gründen als Aussagesätze klassifiziert werden. (21) a. Mir ist schlecht. b. Ich hätte gerne eine Kugel Vanille in der Waffel. Das Ausrufezeichen markiert nicht bestimmte Satzarten, sondern Sätze, die mit Nachdruck geäußert werden (so jedenfalls besagt es die amtliche Regelung), und für den Punkt gilt ebenfalls, dass er nicht auf eine bestimmte Satzart festgelegt ist. Man sollte daher bei der Bestimmung der Satzarten zumindest den-Punkt und das Ausrufezeichen außen vor lassen. Das weitaus gravierendere Problem an der Darstellung oben ist aber, dass sie „eine perfekte Isomorphie zwischen Formen und Funktionen [suggeriert], die es in dieser Art-in der Sprache nicht gibt“ (Näf 1995, 56). Das lässt sich an vielen Beispielen zeigen (ein Gutteil dieser Beispiele stammt aus Altmann 1987 und Näf 1995): (22) a. Bist du aufgeregt? [Frage] b. Könntest du das Radio etwas leiser machen? [Bitte] c. Wer zahlt schon gerne Steuern? [Behauptung] (23) a. Räum endlich auf! [Aufforderung] b. Melde dich besser erst nächste Woche an. [Rat] c. Bleib gesund! [Wunsch] 73 4.3 Satzarten (Satztypen) Zwar wird nur mit (22a) eine Frage gestellt und nur mit (23a) jemand aufgefordert, dennoch sind alle Sätze in (22) Fragesätze und alle Sätze in (23) Aufforderungssätze. Näf (1995, 56) zieht daraus folgenden Schluss: „So sind etwa Interrogativsätze zweifellos ein sehr geeignetes, ja das prototypische Mittel, um Fragen auszudrücken. Aber: weder drücken alle Interrogativsätze eine Frage […] aus, noch werden alle Fragen mit Hilfe von Fragesätzen ausgedrückt. Dies gilt mutatis mutandis auch für die übrigen Satzarten.“ Wie kann man es besser machen? Der erste Schritt besteht darin, Form und Funktion sauber auseinanderzuhalten. Wir verstehen mit Altmann (1987) und vielen anderen unter Satzarten Klassen von Sätzen, die bestimmte formale Eigenschaften teilen. Unter Satzarten sind also Formtypen zu verstehen, weshalb man auch besser von Satztypen und nicht von Satzarten reden sollte. Frage, Bitte, Vorwurf, Rat, Behauptung oder Aufforderung hingegen sind Bezeichnungen für Handlungen, die-mit der Äußerung bestimmter Sätze vollzogen werden. Mit der Äußerung des Satzes Nimm dir ruhig noch ein Eis etwa erteilt der Sprecher eine Erlaubnis. Man kann sie als Sprechakttypen den Satztypen gegenüberstellen. 43 „Um [der] Verwechslung von Form und Funktion terminologisch vorzubeugen“, schlägt Meibauer (1999, 70) vor, für die Satztypen lateinische Namen zu verwenden und für die Sprechakttypen deutsche. Dem schließen wir uns an und reden von Deklarativsätzen statt von Aussagesätzen, von Interrogativsätzen statt von Fragesätzen, von Imperativsätzen statt von Aufforderungssätzen, von Exklamativsätzen statt von Ausrufesätzen und von Optativsätzen statt von Wunschsätzen. Die Sätze in (22) sind also Interrogativsätze und die Sätze in (23) Imperativsätze. Im zweiten Schritt gilt es, die formalen Eigenschaften zu bestimmen, die einen bestimmten Satztyp ausmachen. Welche Merkmale teilen zum Beispiel die Interrogativsätze in (22) und worin unterscheiden sie sich von den Imperativsätzen in (23)? Welche Arten von Merkmalen für die Bestimmung der Satztypen relevant sind, ist zum Teil in der Forschung umstritten, wir berücksichtigen hier a) die Verbstellung (V1, V2 oder VL), b)- den Verbmodus (Imperativ, Indikativ oder Konjunktiv II), c) das Vorhandensein einer w-Phrase und ihre Position, d) den Intonationsverlauf (fallend oder steigend) und e) das 43 Der Zusammenhang zwischen der Intention eines Satztyps und dem Sprechakt, der mit der Äußerung des Satzes in einer konkreten Situation vollzogen wird, ist Sache der Pragmatik, s. dazu Meibauer (1999, Kap. 6.4), d’Avis (2019) und die dort diskutierte Literatur. 74 4 Sätze Vorhandensein eines Exklamativakzents, der sich in seiner Form und Position vom normalen Satzakzent unterscheidet. 44 Mithilfe dieser Merkmale lassen sich die folgenden sieben Grundtypen unterscheiden (s.-Altmann 1987, 47 f.): V2-Deklarativsatz — V2-Stellung, kein Imperativ, keine w-Phrase im Vorfeld, fallende Intonation (Karl ist müde, Ich würde das nicht tun) V1-Interrogativsatz — V1-Stellung, kein Imperativ, steigende oder auch fallende Intonation (Bist du aufgeregt? ) w-V2-Interrogativsatz — V2-Stellung, kein Imperativ, w-Phrase im Vorfeld, fallende Intonation (Mit welchem Zug fährst du? ) V1-Imperativsatz — V1-Stellung, Imperativ, fallende Intonation (Komm endlich! ) V1-Optativsatz — V1-Stellung, Konjunktiv II, fallende Intonation (Hätte ich doch länger gewartet! ) V1-, V2-Exklamativsatz — V1- oder V2-Stellung, Indikativ, fallende Intonation, Exklamativakzent (Hat DER einen tollen Pullover an! , DER hat einen tollen Pullover an! ) w-V2-, w-VL-Exklamativsatz — V2-Stellung, Indikativ, w-Phrase im Vorfeld, fallende Intonation, Exklamativakzent (Was für einen tollen PulLOver hat der an! ,-Was für einen tollen PulLOver der anhat! ) Von diesen Grundtypen zu unterscheiden sind die Mischtypen, die die formalen Merkmale unterschiedlicher Grundtypen aufweisen. So weist der Satz Sie wohnen hier schon lange? die Merkmale V2-Stellung, kein Imperativ, keine w-Phrase im Vorfeld auf, die V2-Deklarativsätze kennzeichnen, aber auch das Merkmal steigende Intonation, das V1-Interrogativsätze aufweisen. Er ist also eine Mischung aus Deklarativsatz und Interrogativsatz. Wir wissen nun, dass es keine eindeutige Zuordnung gibt zwischen der-Form eines Satzes und seiner Funktion, zwischen dem Satztyp und dem Sprechakttyp, doch warum sind etwa Interrogativsätze ein sehr geeignetes, ja das prototypische Mittel, um Fragen auszudrücken, wie es Näf (1995) formuliert? Eine Antwort ist, dass mit jedem Satztyp eine Grundintention des Sprechers verbunden ist, die man auch als Bedeutung des Satztyps verstehen kann. Diese Grundintention kann in einer konkreten Äußerungssituation so realisiert werden, wie der Satztyp es vorgibt; dann stellt der Sprecher eine Frage. Es kann aber auch vorkommen, dass die Grundintention anders realisiert wird als vorgegeben 44 Ob Intonationsverlauf und Exklamativakzent wirklich konstitutive Merkmale der Satztypen sind, ist umstritten; das gilt auch für die Modalpartikeln (s. dazu Altmann 1987, Reis 1999, Müller 2014 und andere mehr). 75 4.4 Satzstrukturen und der Sprecher-wie in (22c) mit einem Interrogativsatz etwas behauptet (das sind rhetorische Fragen). Die Grundintentionen drücken auf abstrakte Weise aus, was der Sprecher mit der Äußerung des Satzes erreichen möchte. Sie sind bei-den Deklarativsätzen, den Interrogativsätzen und den Imperativsätzen auf den Adressaten der Äußerung bezogen, bei den Optativsätzen und den Exklamativsätzen nicht (p steht stark vereinfacht gesagt für den Inhalt des Satzes, S steht für den Sprecher und A für den Adressaten). Deklarativsatz — S möchte, dass A glaubt, dass p der Fall ist. V1-Interrogativsatz — S möchte von A wissen, ob p der Fall ist. w-Interrogativsatz — S möchte von A wissen, welches p der Fall ist. Imperativsatz — S möchte, dass A p tut. Optativsatz — S wünscht, dass p der Fall ist. Exklamativsatz — S ist erstaunt, dass p der Fall ist. w-Exklamativsatz — S ist erstaunt, in welchem Maße p der Fall ist. 4.4 Satzstrukturen Die topologischen Felder sind ein ausgezeichnetes Beschreibungsmodell für die deutschen Sätze und jede grammatische Beschreibung des Deutschen fußt auf ihnen. Sie haben aber ihre Grenzen, denn sie können nur die lineare Struktur der deutschen Sätze beschreiben und nicht ihre hierarchische Struktur. Mit ihnen lassen sich Beschränkungen für die Wortfolge erfassen, aber nicht Abhängigkeitsbeziehungen zwischen den Bestandteilen der Sätze. Glücklicherweise lässt sich aber die Art und Weise, wie wir in-Kap. 3 die Struktur der Phrasen beschrieben haben, auf die Sätze übertragen. Denn-auch Sätze haben Köpfe, die ihre Eigenschaften festlegen. 4.4.1 VL-Sätze Wir haben in Kap. 3 Sätze wie (24), die von obwohl eingeleitet werden, so beschrieben, dass die Wortfolge hinter obwohl eine VP bildet. (24) obwohl [ VP ich meine Brille geputzt habe] Nun gilt es zu klären, wie das Verhältnis zwischen diesen beiden Teilen ist und welcher Teil der Kopf des Satzes ist und die Eigenschaften des Satzes festlegt. Dazu hat schon Herling (1821, 318) die wesentliche Beobachtung gemacht: „Aller Unterschied unter den Nebensätzen wird also einzig durch die Conjunctionen 76 4 Sätze […] bezeichnet“. Dass der Satz (24) nur die Funktion eines Adverbials und nicht die Funktion eines Subjekts, Objekts oder Attributs übernehmen kann, liegt an der satzeinleitenden Konjunktion obwohl und-nicht an einem der Wörter in der VP. Wird obwohl durch ob ersetzt, ändert sich die syntaktische Funktion, die der Satz übernehmen kann, der Satz ob ich meine Brille geputzt habe kann als Subjekt, Objekt oder auch Attribut fungieren. (25) a. Niemanden interessiert, ob ich meine Brille geputzt habe. [Subjekt] b. Ich überprüfe schnell, ob ich meine Brille geputzt habe. [Objekt] c. Die Frage, ob ich meine Brille geputzt habe, stelle ich mir sehr oft. [Attribut] Die satzeinleitende Konjunktion (kurz C) macht also den entscheidenden Unterschied und sie ist der Kopf des Satzes. Verfährt man nach der Regel, dass die Kategorie des Kopfes die Kategorie seiner Phrase festlegt, sind Sätze wie (24) als CPs zu analysieren, als Subjunktionalphrasen. Wir vereinfachen allerdings die Sache etwas und bezeichnen sie als Subjunktionalsätze, kurz C-S. Die Phrasenstruktur von Satz (24) lässt sich dann so darstellen, zusammen mit den topologischen Feldern: Kap. 4 (26) C-S wo C VP obwohl q†p NP NP V g 2 2 Pro D N V V ich meine Brille geputzt habe %&' %"""&"""' %""&""' SK MF VK (27) w -S qp AP VP 2 q†u AdvP A NP — V g müde g ist Adv Pro wie der %""&""' %""&""' %&' SK MF VK (33) F1-S qp V VP schläft qgp NP NP — 2 2 D N D N das Kind eine Stunde %&' %""""""&""""""' %&' FINIT MF VK 5 In w-VL-Sätzen wie Wie müde der ist! wird die Position vor der VP durch die-Voranstellung der w-Phrase besetzt. In dem Satz Wie müde der ist! ist wie müde ein Prädikativ zum Subjekt der und solche Prädikative können, wie wir oben gesehen haben, im Mittelfeld ihrem Bezugsausdruck nicht vorangehen. Das heißt, innerhalb der VP muss das Prädikativ wie müde dem Subjekt der folgen (vgl. Dass der so müde ist! mit *Dass so müde der ist! ). Das Prädikativ kann jedoch in eine Position außerhalb der VP umgestellt werden und dadurch dem Subjekt vorangehen; zurück bleibt dann in der VP eine Lücke, die hier mit 77 4.4 Satzstrukturen — markiert ist. Da auch in diesen w-VL-Sätzen die satzeinleitende w-Phrase der Kopf des Satzes ist, bezeichnen wir sie als w-S. Kap. 4 (26) C-S wo C VP obwohl q†p NP NP V g 2 2 Pro D N V V ich meine Brille geputzt habe %&' %"""&"""' %""&""' SK MF VK (27) w -S qp AP VP 2 q†u AdvP A NP — V g müde g ist Adv Pro wie der %""&""' %""&""' %&' SK MF VK (33) F1-S qp V VP schläft qgp NP NP — 2 2 D N D N das Kind eine Stunde %&' %""""""&""""""' %&' FINIT MF VK 5 4.4.2 V1-Sätze und V2-Sätze Die meisten, wenn auch nicht alle selbständigen Sätze im Deutschen sind V2- und V1-Sätze, in denen das finite Verb in der linken Verbposition steht, in FINIT. Aufgrund der- Häufigkeit wird oft angenommen, dass die linke Verbposition auch die Grundposition der Verben ist und das Deutsche zu den SVO- Sprachen zählt, in denen in der Grundwortstellung das Verb seinen Objekten vorangeht. Dass diese Annahme falsch ist und das Deutsche nicht als SVO- Sprache, sondern als SOV-Sprache zu klassifizieren ist, hat schon Becker (1870) sehr klar gesehen. Er stellt V2-Sätze mit einer zusammengesetzten Verbform V2-Sätzen mit einer einfachen Verbform gegenüber: (28) a. Heute hat das Kind eine Stunde geschlafen. b. Heute schläft das Kind eine Stunde — . Der Witz dieser Gegenüberstellung besteht in der Markierung —, denn sie kennzeichnet, dass auch in (28b) nicht nur eine, sondern zwei Verbpositionen vorhanden sind, von denen die rechte Verbposition jedoch leer ist. Der Vorteil einer solchen Analyse besteht nach Becker darin, dass so die Wortstellungsverhältnisse in allen deutschen Sätzen einheitlich beschrieben werden können: „Dadurch, daß wir auch in dem hier bezeichneten Falle eine, obgleich nicht ausgefüllte Stelle des [Prädikats] unterscheiden, sind wir im Stande, die top[olog] 78 4 Sätze ischen Gesetze des prädikativen Satzverhältnisses in einer gleichförmigen und sehr einfachen Fassung darzustellen.“ 45 Schauen wir uns ein Beispiel an, das Beckers Punkt illustriert. Es gibt im Deutschen Verbindungen wie in (29), die aus einer PP oder einem Nomen und einem Verb bestehen, die syntaktisch eng verbunden und als Funktionsverbgefüge bekannt sind. 46 (29) a. zu Rate ziehen, in Betracht kommen, zur Verfügung stehen b. Folge leisten, Rücksicht nehmen, Kritik üben, Stellung nehmen Die syntaktisch enge Verbindung zeigt sich unter anderem darin, dass zwischen dem nicht-verbalen Teil des Funktionsverbgefüges und dem Verb keine Negation stehen kann (Helbig und Buscha 2001, 91): (30) a. Er sagte, dass dies nicht in Betracht kommt. b. *Er sagte, dass dies in Betracht nicht kommt. c. Er sagte, dass er der Aufforderung nicht Folge leistet. d. *Er sagte, dass er der Aufforderung Folge nicht leistet. In V2- und V1-Sätzen kann nun das Verb eines Funktionsverbgefüges sehr weit vor dem nicht-verbalen Teil stehen, wie die folgenden Sätze zeigen: (31) a. Kommt dies nicht in Betracht? b. Er leistet der Aufforderung offenbar nicht Folge. Heißt das, dass die Verbindung doch nicht so eng ist wie angenommen? Nein, denn der-nicht-verbale Teil des Funktionsverbgefüges ist in diesen Sätzen nicht auf die linke Verbposition bezogen, auf FINIT, sondern auf die leere rechte Verbposition, auf VK. Er-steht direkt vor dieser leeren Position. (32) a. Kommt dies nicht in Betracht — . b. Er leistet der Aufforderung offenbar nicht Folge — . 45 S. Höhle (1983 [2018], Kap. 5). Ein sehr starkes Argument dafür, dass die Grundposition der Verben im Deutschen satzfinal ist, ist auch in Höhle (1991, 153 f.) zu finden. 46 S. dazu Helbig und Buscha (2001, Kap. 1.4.3) und Winhart (2005) neben viele anderen. 79 4.4 Satzstrukturen In der Phrasenstruktur lässt sich das so abbilden, dass das finite Verb in V1- Sätzen vorangestellt ist und in der VP eine Lücke des finiten Verbs steht. Da das finite Verb der-Kopf des Satzes ist, etikettieren wir diese V1-Sätze als F1-S: Kap. 4 (26) C-S wo C VP obwohl q†p NP NP V g 2 2 Pro D N V V ich meine Brille geputzt habe %&' %"""&"""' %""&""' SK MF VK (27) w -S qp AP VP 2 q†u AdvP A NP — V g müde g ist Adv Pro wie der %""&""' %""&""' %&' SK MF VK (33) F1-S qp V VP schläft qgp NP NP — 2 2 D N D N das Kind eine Stunde %&' %""""""&""""""' %&' FINIT MF VK 5 In V2-Sätzen ist nicht nur das finite Verb aus der VP heraus vorangestellt, sondern noch eine weitere Konstituente, die das Vorfeld besetzt. Die VP weist in diesen Sätzen daher nicht nur eine Lücke auf, sondern zwei: (34) F2-S qƒp NP V VP 2 schläft rƒo D N — NP — das Kind 2 D N eine Stunde %"&"' %&' %"""&""' %&' VF FINIT MF VK (35) F2-S qƒp NP V VP 2 schläft 3 D N — — das Kind %"&"' %&' %&' %&' VF FINIT MF VK Es ist auf den ersten Blick sicher gewöhnungsbedürftig, dass sich hinter dem scheinbar sehr simplen V2-Satz Das Kind schläft die doch recht komplexe Struktur (35) verbirgt; diese Struktur folgt aber aus dem bisher Gesagten und zeigt, dass man dem ersten syntaktischen Augenschein nur bedingt trauen kann. Manche Sätze verhalten sich wie Eisberge, bei denen nur ein Teil an der Oberfläche sichtbar ist. 80 4 Sätze (34) F2-S qƒp NP V VP 2 schläft rƒo D N — NP — das Kind 2 D N eine Stunde %"&"' %&' %"""&""' %&' VF FINIT MF VK (35) F2-S qƒp NP V VP 2 schläft 3 D N — — das Kind %"&"' %&' %&' %&' VF FINIT MF VK 4.5 „Alle auf ihre Plätze! “ - das topologische Feldermodell als Analyseinstrument im Unterricht Das Modell der topologischen Felder ist innerhalb der Sprachwissenschaft nicht neu, doch findet es erst seit Kurzem Einzug in die Lehrpläne und in die Lehrbücher. Das Modell bietet den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, Sätze grundlegend in ihrer Struktur zu analysieren und dem Verb hierbei die ihm zustehende Bedeutung zuzuschreiben. Das Verb ist, wie Granzow- Emden (2019, 80) anmerkt, kein Unterrichtsgegenstand, der sich innerhalb eines Lernbereiches bzw. einer Klassenstufe abhandeln lässt. Es ist vielmehr ein Teil eines spiralcurricular aufgebauten Lehrplans. Auch wenn das Verb als solches sich nicht explizit in den Lehrplänen und Curricula jeder Klassenstufe wiederfinden lässt, spielt es immer eine wichtige Rolle, etwa für den zusammengesetzten Satz oder Satzarten, aber auch für die Textanalyse. Dem wird das Feldermodell als Analyseinstrument gerecht, denn es lässt sich für einfach strukturierte Sätze bereits in den primären Klassenstufen einführen und anwenden. Der Progression folgend werden die zu analysierenden Sätze mit Verlauf der Klassenstufen komplexer. In den weiterführenden Klassenstufen lassen sich neben Satzanalysen auch Grenzen sowie Vor- und Nachteile diskutieren. Insgesamt erhalten die Schülerinnen und Schüler mit dem Feldermodell eine „klare Vorstellungs-, Orientierungs- und Lesehilfe“ (Metzger 2017, S. 17). 47 Neben Bredel (2011), Wöllstein (2015) und Christ (2015) spricht sich 47 Das gilt auch für den Bereich der Interpunktion: Das Modell fördert unter anderem ein Verständnis dafür, an welchen Stellen Kommas gesetzt bzw. nicht gesetzt werden können, und damit auch den Schreib- und den Leseprozess. 81 4.5 Das topologische Feldermodell als Analyseinstrument im Unterricht auch Granzow-Emden (2019) nachdrücklich für eine Einbindung des Feldermodells in den Unterricht aus. Schönenberg (2011) visualisiert die tabellarische Darstellung des Modells mithilfe des Klammermanns, dessen bewegliche Arme die Verbklammer realisieren. Diese Art der Darstellung bietet sich bereits ab der Klassenstufe 3 an. 48 Abbildung 2: Klammermann nach Schönenberg (2011) Daneben hat Metzger (2017) das Modell des Busses entwickelt. Beide Visualisierungsmöglichkeiten besitzen das Potenzial, spiralcurricular in den Unterricht eingebunden zu werden. Abbildung 3: Feldermodell-Bus nach Metzger (2017) Bei beiden Visualisierungsmöglichkeiten ergibt sich allerdings das Problem, dass das Vorfeld in V1- und VL-Sätzen nicht unbesetzt, sondern gar nicht vorhanden ist. Deshalb schlagen wir eine andere Visualisierungsmöglichkeit vor, und zwar den Ameisenbären. Die Feldergliederung ist hierbei gut durch die unterschiedlichen Fellfarben darstellbar. Das Vorfeld wird durch die Zunge des 48 Das Klammermann-Modell und das Bus-Modell haben wir schematisch von Schönenberg (2011) und Metzger (2017) übernommen, die Termini jedoch angepasst. 82 4 Sätze Ameisenbären symbolisiert. In den V2-Sätzen, in denen das Vorfeld vorhanden und besetzt ist, zeigt der Ameisenbär seine Zunge. In den V1- und VL-Sätzen hingegen ist die-Zunge des Ameisenbären nicht sichtbar. Hierfür kann die Zunge in der Darstellung umgeklappt werden. Der Kopf des Ameisenbären bildet das Feld FINIT oder SK. Das finite Verb im V2-Satz und V1-Satz wird also durch den Kopf des Tieres symbolisiert. Auf diese Weise wird dem Feld FINIT seine eigentliche Bedeutung im Satz eingeräumt. Zudem sind die Felder FINIT und VK farblich identisch gestaltet. Dadurch ergibt sich die Verbklammerung in der Visualisierung. Der Ameisenbär als Möglichkeit der Darstellung des Feldermodells ist vorrangig für die unteren Klassenstufen geeignet. Abbildung 4: Ameisenbär als Visualisierungshilfe des Feldermodells 4.6 „Zunge raus, kleiner Ameisenbär! “ - die Umstellprobe als Gegenstand des Deutschunterrichts Die Umstellprobe wird in Unterrichtsstunden, Lehrbüchern und Lehrplänen vor allem dafür verwendet, Satzglieder zu ermitteln. Wie bereits oben gezeigt, hat diese Probe aber ihre Grenzen; sie schlägt vor allem in Sätzen ohne Vorfeld fehl. Es bietet sich deshalb an, sie mit der Ersetzungsprobe zu kombinieren. Mögliche Probleme bei der Umstellprobe sollten durch die Unterrichtsvorbereitung der Lehrkraft in den kleineren Klassenstufen umgangen werden. Erst in den weiterführenden Klassenstufen sollten die Grenzen der Umstellprobe aufgezeigt und diskutiert werden. Die Umstellprobe gibt an, welche Wörter sich gemeinsam ins Vorfeld umstellen lassen. Da das Vorfeld nur durch eine Konstituente besetzt werden 83 4.6 Die Umstellprobe als Gegenstand des Deutschunterrichts kann, kommt man zu dem Schluss, dass die ins Vorfeld umgestellten Wörter ein Satzglied bilden, eine Phrase mit einer bestimmten syntaktischen Funktion. Man muss aber aufpassen: Der Ausdruck im Vorfeld, egal ob Wort oder Wortfolge, ist zwar oft ein Satzglied, aber nicht immer. Die Eigenschaft, eine Phrase zu sein, und die Eigenschaft, ein Satzglied zu sein, fallen nicht immer zusammen. (36) a. Er kennt einige Bücher. b. Einige Bücher kennt er. c. Bücher kennt er einige. d. *Einige kennt er Bücher. Wir finden in diesen Beispielen neben dem Prädikat kennt die Satzglieder einige Bücher und er. Beide Konstituenten können im Vorfeld stehen. Der Satz (36c), in dem Bücher ohne einige umgestellt ist, ist überraschenderweise ebenfalls grammatisch, doch die Gegenprobe in (36d), in der einige ohne Bücher umgestellt ist, nicht. Ist einige Bücher nun ein Satzglied oder nicht? Hier hilft ergänzend die Ersetzungsprobe weiter. 49 (37) a. Er kennt einige Bücher. b. Er kennt sie. c. *Er kennt sie Bücher. d. *Er kennt einige sie. Es zeigt sich, dass die Konstituente einige Bücher ein Satzglied ist. Die Sätze (37c-d) sind ungrammatisch. Folglich handelt es sich weder bei einige noch bei Bücher um ein eigenständiges Satzglied. Ein zusätzliches Problem, das sich bei der Arbeit mit der Umstellprobe ergibt, bilden wie schon erwähnt V1- und VL-Sätze. In ihnen steht das finite Verb nicht an der zweiten Stelle im Satz. Für die Verwendung der Umstellprobe im Unterricht ist es- auch hier wichtig, dass im ersten Schritt die finite Verbform im Satz erkannt wird. 50 49 Die Frageproben für Satzglieder klammern wir hier aus, wir besprechen sie in Kap. 5 genauer. 50 Das Vorfeld wird durch die Klammern [ ] begrenzt, das finite Verb ist fett markiert. Die Kombinationen, die durch die Schülerinnen und Schüler erstellt werden können, sind in (38) nicht vollständig wiedergegeben. (38) dient nur als exemplarische Darstellung. 84 4 Sätze (38) a. [Ein Schüler] gibt der Lehrerin einen Stift. b. [der Lehrerin] gibt ein Schüler einen Stift. c. [Einen Stift] gibt ein Schüler der Lehrerin. d. *[Ein] gibt Schüler der Lehrerin einen Stift. e. *[Schüler] gibt ein der Lehrerin einen Stift. f. *[Ein Schüler einen Stift] gibt der Lehrerin. g. *[Der Lehrerin einen Stift] gibt ein Schüler. Im Satz (38a) muss im ersten Analyseschritt das finite Verb gibt erkannt und als zweite Stelle im Satz identifiziert werden. Dadurch ist die Abgrenzung der ersten Stelle im Satz bzw. des Vorfelds möglich, die von ein Schüler besetzt wird. Im nächsten Schritt sollen die Schülerinnen und Schüler untersuchen, welche Phrasen außer ein Schüler die Position vor dem finiten Verb einnehmen können. Hierbei zeigt sich, wie in den Beispielen (38d-e) zu sehen ist, dass ein oder Schüler nicht allein ins Vorfeld rücken können. Aber auch durch Beispiele wie (38b-c) und (38f-g) erkennen die Schülerinnen und Schüler, dass der Lehrerin und einen Stift nicht gemeinsam ein Satzglied bilden können. Mithilfe dieser Übung können sie ein Schüler, der Lehrerin und einen Stift als Satzglieder identifizieren. Die Sätze in (38) können durch Erweiterung der vorhandenen Satzglieder und Hinzufügung neuer Satzglieder umgeformt werden: (39) a. [Ein Schüler, der die 6. Klasse besucht], gibt der Lehrerin in der Mathestunde einen Stift. b. [*Ein Schüler] gibt, der die 6. Klasse besucht, der Lehrerin in der Mathestunde einen Stift. c. [*Der die 6. Klasse besucht], gibt ein Schüler der Lehrerin in der Mathestunde einen Stift. d. [Der Lehrerin] gibt ein Schüler, der die 6. Klasse besucht, in der Mathestunde einen Stift. e. [Einen Stift] gibt ein Schüler, der die 6. Klasse besucht, der Lehrerin in der Mathestunde. f. [In der Mathestunde] gibt ein Schüler, der die 6. Klasse besucht, der Lehrerin einen Stift. g. *[Ein Schüler, der die 6. Klasse besucht, einen Stift] gibt der Lehrerin in der Mathestunde. h. *[Der Lehrerin einen Stift] gibt ein Schüler, der die 6. Klasse besucht, in der Mathestunde. 85 Das Vorgehen für die Schülerinnen und Schüler bleibt dasselbe. Sie lernen aber, dass Satzglieder auch komplexer (ein Schüler, der die 6. Klasse besucht) sein können und dass man Sätze mithilfe weiterer Satzglieder bzw. Satzgliedteile erweitern kann. Auf diese Weise ist es auch möglich, satzförmige Satzglieder einzuführen. In dieser ersten Phase der Satzgliedbestimmung stehen die Zerlegung und das Erkennen und Entdecken der Satzglieder im Vordergrund, ohne sie schon an dieser Stelle mit den entsprechenden Termini wie z.-B. Subjekt oder Objekt zu benennen; so erhalten die Schülerinnen und Schüler einen grundlegenden Satzgliedbegriff. Zum Einstieg in die Thematik sollten strukturell einfache Sätze gewählt werden, mit dem Verb an zweiter Stelle (V2-Sätze). An Beispielen kann so die-lineare Struktur von Sätzen erforscht und entdeckt werden, so dass eine Ausbildung eines konkreten Satzgliedbegriffes, wie er in der Schule verlangt wird, möglich wird. Im weiteren Kompetenzerwerb der Schülerinnen und Schüler ist dann die Einbindung von eingebetteten Sätzen (Nebensätzen) denkbar. Die Einbindung von V1- und VL-Sätzen lässt sich im Unterricht gut realisieren, wenn die Sätze zuvor in V2-Sätze umgeformt werden, in denen die Umstellprobe angewendet werden kann. Die einzelnen Satzglieder können dann im ursprünglichen V1- oder VL-Satz wie im umgeformten V2-Satz markiert werden. (40) a. Gibt ein Schüler der Lehrerin einen Stift? [V1-Satz] → Ein Schüler gibt der Lehrerin einen Stift. [V2-Satz] b. Gibt der Schüler, der die 6. Klasse besucht, der Lehrerin einen Stift in der Mathestunde? [V1-Satz] → Ein Schüler, der die 6. Klasse besucht, gibt der Lehrerin einen Stift in der Mathestunde. [V2-Satz] c. Ob ein Schüler der Lehrerin einen Stift gibt? [VL-Satz] → Ein Schüler gibt der Lehrerin einen Stift. [V2-Satz] d. Ob ein Schüler, der die 6. Klasse besucht, der Lehrerin einen Stift gibt? [VL- Satz] → Ein Schüler, der die 6. Klasse besucht, gibt der Lehrerin einen Stift. [V2-Satz] Auf diese Weise ergibt sich eine schülergerechte Möglichkeit, Satzglieder zuverlässig und auf einer syntaktischen Grundlage zu bestimmen. 4.6 Die Umstellprobe als Gegenstand des Deutschunterrichts 86 4 Sätze Anregungen für den Unterricht Die Art der Einbindung des Feldermodells bzw. der Umstellprobe im Unterricht ist mit einem unterschiedlichen methodisch-didaktischen Vorgehen möglich: ▶ Die Analyse kann wie oben gezeigt durch Tabellenformate oder eine der Visualisierungsmöglichkeiten (Klammermann, Bus, Ameisenbär) erfolgen. Diese können medial durch Arbeitsblätter oder auch gemeinsam an der Tafel realisiert werden. ▶ Es ist aber auch denkbar, Legekarten mit den Wörtern zu erstellen und die Schülerinnen und Schüler in Einzelarbeit, Partnerarbeit oder Gruppenarbeit so die syntaktische Struktur des Satzes entdecken zu lassen. Dabei ist es wichtig, dass die Lernerinnen und Lerner ihre Arbeitsergebnisse, also grammatische und ungrammatische Sätze, visuell für eine spätere Ergebnissicherung fixieren. 51 ▶ Darüber hinaus ist es auch möglich, das Entdecken der Satzglieder im Plenum zu erarbeiten. Hierfür bekommen einzelne Schülerinnen und Schüler verschiedene Moderationskarten in die Hand, auf denen die einzelnen Wörter des Satzes notiert sind. Sie müssen sich an der Tafel und-gut sichtbar für ihre Mitschülerinnen und Mitschüler aufstellen. Die-Mitschülerinnen und Mitschüler haben dann die Aufgabe, die Moderationskarten und somit auch ihre stehenden Mitschülerinnen und Mitschüler zu ordnen. Zur visuellen Unterstützung können die Schülerinnen und Schüler, die ein Satzglied bilden, ihre Zusammengehörigkeit durch ein Anfassen oder näheres Zusammenrücken darstellen. 52 51 Da die Grundlage ihrer Kommunikation und Sprachbetrachtung in erster Linie ihr implizites Sprachkönnen ist, fällt es Schülerinnen und Schülern oft schwer, ungrammatische Sätze zu bilden. Das muss die Lehrkraft berücksichtigen. 52 So ähnlich macht es zum Beispiel das Lehrbuch „Blickfeld Deutsch 1, Schülerband Sachsen“ (S. 130). Mithilfe der Überlegungen zu den Punkten 2 und 3 ist es auch sehr gut im Unterricht umsetzbar, dass die Schülerinnen und Schüler durch diesen methodischen Zugang jeweils die feste Position des finiten Verbs erkennen. Durch die verschiedenen Varianten, die gebildet werden, zeigt sich, dass das finite Verb stets an seiner Position verbleibt und die Satzglieder sich in unterschiedlicher Art und Weise um das finite Verb positionieren. 87 4.7 Kurze Zusammenfassung 4.7 Kurze Zusammenfassung Das Feldermodell ist ein geeignetes Analyseinstrument für den Unterricht, das in allen Klassenstufen seine Anwendung finden kann. Für die visuelle Aufbereitung bietet sich neben anderen der Klammermann (Schönenberg 2011), der Felderbus (Metzger 2017) oder der Ameisenbär an. Mithilfe des Modells können verschiedene Satzarten betrachtet und beschrieben werden. Auch Ausdrucks- und Variantenübungen sind durch das Verschieben der einzelnen Konstituenten in den Feldern im Unterricht umsetzbar. Großes Potenzial bietet zudem die Umstellprobe, die auf dem topologischen Feldermodell fußt. Trotz ihrer Grenzen ist die Umstellprobe als syntaktische Möglichkeit, Phrasen und Satzglieder zu ermitteln, ein nützliches Werkzeug, wenn sie mit der Ersetzungsprobe ergänzt wird. 4.8 Aufgaben 1. Die Schülerinnen und Schüler erhalten die folgende Aufgabe: Bestimme die Satzglieder in den Sätzen. Nutze dazu die Umstellprobe. a. Der Hund beißt den Postboten in den Arm. b. Lass den Postboten los. c. Der Postbote geht, weil er vom Hund gebissen wurde. 2. Während der Übung zeigt sich, dass die Lernerinnen und Lerner Probleme haben, die Aufgabe zu bewältigen. Erklären Sie, wo die Ursachen liegen könnten. Wie könnten Sie vorgehen, um Ihren Schülerinnen und Schülern Hilfestellungen in dieser Situation zu geben? 5 Satzglieder und Satzgliedteile In vielen Schulbüchern und Grammatiken für die Schule sind Satzglieder und Satzgliedteile neben den Wörtern die grundlegenden Einheiten, aus denen Sätze bestehen. Deshalb spielt bei der Beschäftigung mit der Struktur der Sätze im Schulunterricht die Bestimmung der Satzglieder und Satzgliedteile oft eine zentrale Rolle, ohne dass immer geklärt wird, was eigentlich unter einem Satzglied oder einem Satzgliedteil zu verstehen ist. Wir werden in diesem Kapitel zuerst an einem Beispiel demonstrieren, warum es sinnvoll ist, Satzglieder zu-bestimmen. Anschließend werden wir auf die verschiedenen Arten von Satzgliedern genauer eingehen und besprechen, an welchen Eigenschaften sie zu erkennen sind. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Fällen, die im Schulunterricht oft Schwierigkeiten bereiten, und auf dem Nutzen der traditionellen Tests für die Satzgliedbestimmung. 5.1 Warum bestimmt man Satzglieder? Beginnen wir mit zwei Beispielen: (1) a. Ich esse Bananen nie mit Schale. b. Ich esse Bananen nie mit Stäbchen. Wie wir im vorangehenden Kapitel gesehen haben, bilden die Wortfolgen mit Schale und-mit Stäbchen Präpositionalphrasen, kurz PPs, weil die Präposition mit der Kopf der Phrasen ist und der Kopf die Art der Phrase festlegt. Phrasen mit einer Präposition als Kopf sind PPs. Formal gesehen gehören die Wortfolgen mit Schale und mit Stäbchen also zur selben Art. (2) a. Ich esse Bananen nie [ PP mit Schale]. b. Ich esse Bananen nie [ PP mit Stäbchen]. Wenn man nun Bananen durch Brötchen ersetzt, zeigt sich jedoch ein Unterschied: (3) a. Ich esse Brötchen nie mit Schale. b. Ich esse Brötchen nie mit Stäbchen. 90 5 Satzglieder und Satzgliedteile So, wie Brötchen gewöhnlich beschaffen sind, kann man den Satz (3b) gut äußern, denn Brötchen mit Stäbchen zu essen ist sehr umständlich. Der Satz (3a) hingegen ist zwar nicht ungrammatisch, da er gegen keine syntaktische Regel verstößt, doch man würde den Satz nicht äußern, weil Brötchen keine Schale haben. Ersetzt man esse durch püriere, ergibt sich ein umgedrehter Effekt. Nun ist es der Satz (4b), den man nicht äußern würde, weil man mit Stäbchen etwas essen kann, aber nicht pürieren. (4) a. Ich püriere Bananen nie mit Schale. b. Ich püriere Bananen nie mit Stäbchen. Worauf ist dieser Unterschied zurückzuführen, wenn es doch keinen formalen Unterschied zwischen den beiden Phrasen mit Schale und mit Stäbchen gibt? Der Unterschied besteht im-Bezug der Phrasen: Die PP mit Schale bezieht sich auf Bananen, die PP mit Stäbchen hingegen bezieht sich auf esse. Deshalb muss die Bedeutung von mit Schale zur Bedeutung von Bananen passen und die Bedeutung von mit Stäbchen zur Bedeutung von esse. Das ist in (1a-b) auch der Fall: Bananen haben eine Schale und Stäbchen kann man verwenden, um etwas zu essen. In (3a) und (4b) passen die Bedeutungen nicht zueinander und das ist der Grund, warum die Sätze so seltsam sind. Mit der Satzgliedbestimmung kann man diesen Unterschied so beschreiben, dass in (1a) mit Schale ein Prädikativ zum Objekt Bananen ist, während in (1b) mit Stäbchen eine Adverbialbestimmung (abgekürzt Adverbial) zum Prädikat esse ist. Graphisch lässt sich das folgendermaßen darstellen, wobei Präd für Prädikativ steht und AdvB für Adverbial: Kap. 5 (5) a. Ich esse Bananen nie [ PP mit Schale]. z----m Präd b. Ich esse Bananen nie [ PP mit Stäbchen]. z--------m AdvB (38) Karl ist [ AP sehr müde]. z--m Präd 7 Mit Satzgliedbegriffen wie Prädikativ und Adverbial beschreibt man also keine formalen Eigenschaften von Phrasen, sondern eine Beziehung, in der diese Phrasen zu anderen Ausdrücken im Satz stehen. So, wie Tochter und Vorgesetzte Beziehungen oder Relationen zwischen Menschen bezeichnen, bezeichnen 91 5.2 Form ist nicht gleich Funktion Prädikativ und Adverbial Beziehungen oder Relationen zwischen Bestandteilen von Sätzen. Macheiner (2005, 24 f.) formuliert das so (s.-auch Helbig und Buscha 2001, 446): „Wörter-und Wortgruppen sind an-sich noch keine Satzglieder, sie können nur unter bestimmten Bedingungen die Funktion von Satzgliedern erfüllen. Für sich allein genommen ist z.- B. die Erde nichts anderes als eine Wortgruppe aus einem Artikel und einem Substantiv. Zum Satzglied wird sie erst durch ihr Verhältnis zu den anderen Konstituenten eines Satzes.“ Für sich allein genommen sind mit Schale und mit Stäbchen in- (1a-b) nichts anderes als Phrasen aus einer Präposition und einer NP. Zum Prädikativ und zum Adverbial werden sie erst durch ihren Bezug zu Bananen und esse. Statt von syntaktischen Beziehungen oder Relationen wird oft auch von syntaktischen Funktionen gesprochen: mit Schale übernimmt in (1a) dann die syntaktische Funktion eines Prädikativs und mit Stäbchen in (1b) die syntaktische Funktion eines Adverbials. 5.2 Form ist nicht gleich Funktion Wir haben schon betont, dass man bei der Beschreibung von Sätzen zwischen Form und Funktion unterscheiden muss, da sich aus der Form einer Phrase nicht automatisch ihre Funktion ergibt. Man neigt dazu, das, was häufig vorkommt, was der Normalfall ist, überzubewerten und die Sonderfälle zu übersehen. Es stimmt zwar, dass sehr oft eine NP im Akkusativ wie in (6a) ein Akkusativobjekt ist, doch sie kann auch ein Adverbial wie in (6b) oder ein Attribut wie in (6c) sein (die Sätze stammen aus Meibauer et al. 2015, 154). Eine NP im Akkusativ fungiert also nicht immer als Akkusativobjekt. (6) a. Ich genieße wirklich jeden Tag. b. Ich genieße wirklich jeden Tag das Frühstück. c. Das Frühstück jeden Tag genieße ich wirklich. Vergleichbares lässt sich auch bei den anderen Satzgliedern beobachten. So ist eine NP im Nominativ sehr oft ein Subjekt wie in (7a), sie kann aber auch ein Prädikativ sein wie in (7b). (7) a. Ein Dummkopf kommt selten allein. b. Paul ist ein Dummkopf. 92 5 Satzglieder und Satzgliedteile Der Umkehrschluss gilt ebenso wenig: Aus der Funktion einer Phrase ergibt sich nicht automatisch ihre Form. Ein Adverbial hat oft die Form einer AdvP wie in (8a), doch es-kann auch, wie-in (8b-e) zu sehen, in vielen anderen Formen auftreten (die Sätze stammen aus Risel 2007, 111). Ein Adverbial ist nicht immer eine AdvP, weshalb man auch Adverbial und Adverb nicht miteinander verwechseln darf. (8) a. Die Reisegruppe besichtigte morgens den Eiffelturm. [AdvP] b. Die Reisegruppe besichtigte am frühen Morgen den Eiffelturm. [PP] c. Die Reisegruppe besichtigte letzten Monat den Eiffelturm. [NP] d. Die Reisegruppe besichtigte eines Tages den Eiffelturm. [NP] e. Die Reisegruppe besichtigte hektisch den Eiffelturm. [AP] f. Die Reisegruppe besichtigte den Eiffelturm, nachdem sie sich beim Frühstück-gestärkt hatte. [S] Man muss also, wie schon oben betont, die Form und die Funktion von Phrasen unterscheiden. Phrasen mit derselben Form können unterschiedliche Funktionen haben, und Phrasen unterschiedlicher Form können dieselbe Funktion haben. 5.3 Wie kann man Satzglieder ermitteln und bestimmen? Die Schülerinnen und Schüler sollten Satzglieder, wie bereits gesagt, zuallererst als Ganzes erkennen und erforschen, bevor sich die Betrachtung der einzelnen Satzglieder anschließt. Versteht man unter einem Satzglied ein Glied oder Teil eines Satzes, ist für die Schülerinnen und Schüler allerdings völlig unklar, welcher Teil bzw. welches Glied im Satz gemeint ist: Wörter, Phrasen, eingebettete Sätze? Letztlich sind dies alles Teile des Satzes. Es ist deshalb nicht ratsam, die jeweiligen Satzglieder Schritt für Schritt zu behandeln, ohne den Schülerinnen und Schülern zuvor ein profundes Grundwissen über das Satzglied als solches vermittelt zu haben. Dieses Wissen können sie mit dem topologischen Feldermodell erwerben. Einer der populärsten und am häufigsten verwendeten Tests für die Ermittlung der Satzglieder ist die Umstellprobe, die auch als Vertauschungsprobe, Verschiebeprobe oder Vorfeldprobe bekannt ist und die wir schon für die Ermittlung der Phrasen verwendet haben. Bei diesem Test nutzt man die Eigenschaft der deutschen V2-Sätze aus, dass im Vorfeld nur eine syntaktische Einheit, 93 5.3 Wie kann man Satzglieder ermitteln und bestimmen? eine Konstituente stehen kann. Stehen mehrere Wörter zusammen im Vorfeld, bilden sie nach diesem Test ein Satzglied. Die Duden-Grammatik (2016, 789) formuliert die Vorfeldprobe so: Vorfeldprobe: Wenn eine Phrase das Vorfeld allein besetzen kann, handelt es sich um ein Satzglied. Wendet man diese Vorfeldprobe auf den Satz (1a) an, erhält man ich, Bananen, nie und mit Schale als Satzglieder (das Vorfeld ist wieder mit [ ] und das finite Verb fett markiert): (9) a. [Ich] esse Bananen nie mit Schale. b. [Bananen] esse ich nie mit Schale. c. [Nie] esse ich Bananen mit Schale. d. [Mit Schale] esse ich Bananen nie. Der Test ist allerdings nur bedingt als Satzgliedtest tauglich, wie die Duden- Grammatik betont. So kann ein infinites Verb wie in (10a) mit einem anderen Ausdruck eine Phrase im Vorfeld bilden, ohne dass diese Phrase ein Satzglied ist, und auch die Phrase von diesem Autor in (10b) ist kein Satzglied, sondern ein Satzgliedteil, und zwar ein Attribut zu Romane. (10) a. [In ein Schließfach stellen] wollte der Reisende den Koffer. b. [Von diesem Autor] habe ich schon diverse Romane gelesen. Damit man den Test überhaupt anwenden kann, muss es vor dem finiten Verb ein Vorfeld geben; ohne Vorfeld keine Vorfeldprobe. Doch im Deutschen gibt es, worüber wir schon oben gesprochen haben, neben sehr vielen V2-Sätzen wie in (1), (9) und (10), in denen das finite Verb in der zweiten Position hinter dem Vorfeld steht, auch V1-Sätze wie (11) und VL-Sätze wie (12), in denen das finite Verb in der ersten oder letzten Position steht und kein Vorfeld vorhanden ist. (11) Isst du etwa die Banane mit Schale? (12) Dass du die Banane ja nicht mit Schale isst! Auch wenn sich die Vorfeldprobe nicht anwenden lässt, sind du, die Banane und mit Schale dennoch Satzglieder in diesen Sätzen, und zwar Subjekt, Objekt und Prädikativ. Was wir schon in Kap. 1 zu grammatischen Tests angemerkt 94 5 Satzglieder und Satzgliedteile haben, bestätigt sich somit auch hier bei der Vorfeldprobe: Ein Test kann in bestimmten Fällen sehr hilfreich sein, aber er erklärt nichts und ersetzt auch keine Definition. 53 Das eigentliche Problem bei der Vorfeldprobe ist aber ein anderes: Mit der Vorfeldprobe kann man ermitteln, ob eine Wortfolge eine Konstituente bildet, also eine formale Einheit, Satzglieder aber sind funktionale Einheiten (darauf weist, neben vielen anderen, sehr deutlich Christ 2017, 193 f. hin). Dieser Unterschied ist sehr wichtig, weil man Form und Funktion sorgfältig unterscheiden muss. Nicht alle Bestandteile eines Satzes zählen als Satzglieder, sondern nur bestimmte Bestandteile, und zwar die Phrasen, die eine bestimmte syntaktische Funktion erfüllen. Satzglied: Ein Satzglied ist eine Phrase, die die Funktion eines Subjekts, Objekts, Adverbials oder Prädikativs hat. Diese Definition schließt zum einen alle Bestandteile eines Satzes aus, die keine Phrasen sind. Deshalb sind in einem Satz wie Dass du die Banane ja nicht mit Schale isst! die Subjunktion dass und die Partikeln ja und nicht keine Satzglieder. Zum anderen sind aber auch all die Phrasen keine Satzglieder, die in keiner syntaktischen Beziehung wie Subjekt, Objekt, Adverbial oder Prädikativ zu einem anderen Ausdruck stehen und keine syntaktische Funktion haben. In dem Satz Ich esse Bananen nie mit Schale ist Schale zwar eine Phrase, eine NP, aber sie ist nur die Ergänzung der Präposition mit und kein Satzglied. Für die Ermittlung der Satzglieder eines Satzes folgt aus dieser Definition, dass es zuerst herauszufinden gilt, welche Wörter zusammen eine syntaktische Einheit, eine Phrase bilden, und man dann überlegen muss, welche syntaktische Funktion diese Einheit im Satz hat. 53 Dieses Problem lässt sich manchmal lösen, indem man auch Umstellungen im Mittelfeld oder ins Nachfeld probiert. Oder man formt, wie in Kap. 4 vorgeschlagen, die V1- und VL-Sätze in V2-Sätze um und zieht daraus seine Schlüsse. 95 5.3 Wie kann man Satzglieder ermitteln und bestimmen? 5.3.1 Subjekte a) Grundlegendes Das Subjekt ist wohl die meistdiskutierte syntaktische Funktion, wenn es um- Satzglieder geht, was unter anderem daran liegt, dass sehr viele Sätze im Deutschen ein Subjekt enthalten. Eine weitverbreitete Methode für die Identifizierung des Subjekts ist die- Frage mit Wer oder was …? , die schon in der Grundschule eingesetzt wird; diese Methode gehört oft zu dem Wenigen, was-aus-dem schulischen Grammatikunterricht in Erinnerung bleibt. 54 (13) Meine Oma backt gerne Plätzchen. Wer oder was backt gerne Plätzchen? Meine Oma. → Meine Oma ist das Subjekt des Satzes. Dass diese Methode aber in vielen Fällen zu falschen Ergebnissen führt und die Schülerinnen und Schüler überfordert, ist hinlänglich bekannt (s. Menzel 1999, Granzow-Emden 2019 und viele andere). So sind etwa in dem folgenden Unterrichtsausschnitt aus einer 3. Grundschulklasse die Kinder nicht in der Lage, mit dieser Frageprobe in dem einfachen Satz Du kennst Aquanauten das Subjekt du zu-identifizieren (Brünner 1982, 145 f., das Transkript ist leicht gekürzt und vereinfacht, S steht für Schüler oder Schülerin, L für Lehrkraft): 55 S: Du kennst Aquanauten. L: Prima. Phantastisch. Und daraus können wir jetzt das Subjekt raussuchen. Wie-machen wir das? Der Holger hat uns gerade schon nen Tip gegeben. Ja? S: Wer oder was. Sind Aquanauten. L: Wer oder was? Sag noch mal. S: Wer oder was sind Aquanauten. L: Nein. Wer oder was. Andreas, ja? S: Wer oder was kennst du? L: Ja. Und was ist jetzt da die/ was ist jetzt das Subjekt? 54 Man beachte, dass man in vielen Sätzen mit was sowohl nach dem Subjekt (Was stört dich? Der Lärm) als auch nach dem Akkusativobjekt (Was hörst du? Den Lärm) fragen kann. 55 Welchen Nutzen solche Unterrichtstranskripte für die Beschäftigung mit der Grammatik und speziell den Satzgliedern haben können, zeigen auch Funke (2005, 84-97) und Kleinbub (2014) und die dort angeführte Literatur nachdrücklich. 96 5 Satzglieder und Satzgliedteile S: Aquanauten. L: Was ist das Subjekt? Noch mal genau. S: Du kennst. L: Du kennst? Das ist ja/ überleg noch mal, wie haste denn da gefragt? … Der Satz heißt also Du kennst Aquanauten. Und jetzt frag noch mal. Du hast ja grad ne Antwort gegeben. Wie hast du danach gefragt? S: Kennst du Aquanauten? L: Wir wollen das Subjekt haben. Und wir fragen da mit wer oder was. Wer fragt denn mal mit wer oder was? Ja, Bianca? S: Wer oder was kennst du? Aquanauten. L: Nein … Antonia? S: Du kennst Aquanauten. L: Streichen wir das Aquanauten mal ganz weg. Beachten wir jetzt überhaupt nicht mehr. Wie könnte es besser funktionieren? Eine Reihe von Eigenschaften, die dem Subjekt oft zugeschrieben werden, treffen nicht auf alle Subjekte zu (s. dazu ausführlicher Reis 1982, 1986): Es-steht oft, aber nicht immer am Satzanfang, es ist oft, aber nicht immer das Agens, der Handelnde, der Täter, es ist oft, aber nicht immer belebt und es ist oft, aber nicht immer das, worüber mit dem restlichen Satz etwas ausgesagt wird. Im folgenden Satz hat die Phrase das Fahrrad keine dieser Eigenschaften, sie ist aber dennoch das Subjekt. (14) Eva ist gestern in der Schule das Fahrrad geklaut worden. Das Unterlaufen unserer Erwartungen an das Subjekt führt manchmal zu komischen Effekten, und zwar wenn die Phrase am Anfang des Satzes der Form nach ein Subjekt sein könnte, es aber nicht ist. Wir werden dann auf einen Holzweg geführt und verstehen die Phrase fälschlicherweise als Subjekt. Die folgenden Beispiele aus dem Hohlspiegel zeigen diesen Effekt: (15) a. Das Osnabrücker Marienhospital wollte eine Frau anzünden, die sich nun-vor dem-Landgericht Osnabrück verantworten muss. (Hohlspiegel 17/ 2017) b. Vorwitzige Fotografen bewarfen die Tiere gerne mit Sand, und das war für die Kameras gar nicht so gut. (Hohlspiegel 19/ 2014) 97 5.3 Wie kann man Satzglieder ermitteln und bestimmen? Das am besten geeignete Erkennungsmerkmal des Subjekts ist ein formales: Das Subjekt steht im Nominativ. 56 Deshalb funktioniert die Frage mit Wer oder was-…? überhaupt, denn das Interrogativpronomen wer steht im Nominativ. Man sucht also mit der Frage die Phrase, die im Nominativ steht. Der Grund für die Verwechslung in (15) ist, dass im Deutschen die Formen im Nominativ und Akkusativ sehr oft identisch sind. Ob die beiden Phrasen das Osnabrücker Marienhospital und vorwitzige Fotografen im-Nominativ oder im Akkusativ stehen, ist an ihrer Form nicht zu erkennen. Da das Subjekt oft am Anfang des Satzes steht, denken wir, dass-sie im Nominativ stehen, tatsächlich stehen sie aber im Akkusativ. Eindeutig zu erkennen ist der Kasus bei den Formen der Artikel im Maskulinum Singular (der[Nom], des[Gen], dem[Dat], den[Akk]), und daraus kann man eine bessere Probe für das Subjekt machen, die Maskulinumprobe (s. Schülerduden-Grammatik 2017, 158, dort heißt sie-Maskulinprobe). Maskulinumprobe: Man ersetzt die Phrase, deren syntaktische Funktion man herausfinden möchte, durch ein maskulines Nomen im Singular mit Artikel. Steht diese Form im Nominativ, handelt es sich um das Subjekt. Machen wir die Probe bei Satz (14) und überlegen wir, in welchem Kasus die NP das Fahrrad steht. Das Genus von Fahrrad ist Neutrum, das Fahrrad kann deshalb im Nominativ stehen oder im Akkusativ. Wenn wir Fahrrad durch ein Maskulinum im Singular mit Artikel wie der Mantel oder den Mantel ersetzen, stellen wir fest, dass nur die Ersetzung durch der Mantel grammatisch ist, also nur durch die Nominativform. Daraus können wir schlussfolgern, dass das Fahrrad in Satz (14) im Nominativ steht und das Subjekt des Satzes ist. (16) Eva ist gestern in der Schule das Fahrrad geklaut worden. Eva ist gestern in der Schule der Mantel geklaut worden. *Eva ist gestern in der Schule den Mantel geklaut worden. → Das Fahrrad ist das Subjekt. 56 Zu beachten ist allerdings, dass auch Prädikative im Nominativ stehen können. In dem Satz Herr Schmidt ist der neue Schulleiter steht die Phrase der neue Schulleiter ganz klar im Nominativ (der), aber sie ist ein Prädikativ zum Subjekt Herr Schmidt. Hier hilft die Koordination mit einer Adjektivphrase, die beim Prädikativ möglich ist, aber nicht beim Subjekt (Herr Schmidt ist der neue Schulleiter und sehr nett vs. *Herr Schmidt und sehr nett ist der neue Schulleiter). 98 5 Satzglieder und Satzgliedteile Infinite Verbformen können den Nominativ nicht zuweisen, die infiniten Sätze enthalten deshalb kein Subjekt. In Imperativsätzen ist das-Subjekt identisch mit dem Adressaten der Äußerung, auch sie enthalten deshalb normalerweise kein Subjekt. Und in einer besonderen Form des Passivs, dem unpersönlichen Passiv, fehlt das Subjekt ebenfalls ganz systematisch. All die Sätze in (16) zeigen, dass die Behauptung, dass es im Deutschen von wenigen Ausnahmen abgesehen keine Sätze ohne Subjekt gebe, nicht stimmt. Die deutsche Grammatik erlaubt ganz systematisch solche subjektlosen Sätze und sie sind in bestimmten Textsorten wie etwa Rezepten auch häufig zu finden (s.-Granzow-Emden 2019, 292 ff.). (17) a. Den Kuchen nach dem Auskühlen verzieren. [infiniter Satz] b. Nun aber stillgestanden! [infiniter Satz] c. Ärgert nicht immer die Katze! [Imperativsatz] d. Heute wird gefeiert bis zum Umfallen. [unpersönliches Passiv] Die Maskulinumprobe bewährt sich auch bei Subjektsätzen. Nach traditioneller Meinung haben Sätze keinen Kasus, die kursiven Sätze in (18) stehen also weder im Nominativ noch in einem anderen Kasus. Dennoch werden diese Sätze als Subjekt klassifiziert. (18) a. Dass wir nicht mitmachen dürfen, ärgert mich. [dass-Satz] b. Wen interessiert, ob die Bayern wieder gewonnen haben? [ob-Satz] c. Mir ist nicht klar, warum er das getan hat. [w-Satz] d. Handschuhe anzuziehen fällt ihr nicht im Traum ein. [infiniter Satz] e. Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. [Relativsatz] Hier können wir gut die Maskulinumprobe anwenden. Der Satz Dass wir nicht mitmachen dürfen zum Beispiel lässt sich durch die eindeutige Nominativform dieser Vorschlag ersetzen (Dieser Vorschlag ärgert mich) und daraus können wir schließen, dass dieser Satz wie ein Subjekt funktioniert. Subjekte haben aber neben der Eigenschaft, dass sie im Nominativ stehen oder, wie bei den Subjektsätzen, durch eine NP im Nominativ ersetzt werden können, noch eine andere Eigenschaft. Wir haben in Kap. 3 zwischen Ergänzungen und Angaben unterschieden. Ergänzungen sind Teil der Valenz eines Wortes; die Valenz legt fest, mit welchen Phrasen ein Wort kombiniert werden kann oder muss. Ein einstelliges Verb wie schlafen verlangt eine NP im Nominativ als Ergänzung (Karl schläft), während ein dreistelliges Verb wie leihen 99 5.3 Wie kann man Satzglieder ermitteln und bestimmen? neben einer NP im Nominativ eine NP im Dativ und eine NP-im Akkusativ zu sich-nimmt (Valentine leiht ihrer Kollegin einen Stift). (19) schlafen: NP[Nom] leihen: NP[Nom], NP[Dat], NP[Akk] Der Zusammenhang zwischen der Valenz und den Satzgliedern ist nicht ganz leicht zu-durchschauen. Klar ist, dass Subjekte und Objekte immer Ergänzungen sind und Angaben nie Subjekte oder Objekte sind. Wir können dann Subjekt folgendermaßen bestimmen: Subjekt: Eine NP-Ergänzung eines Verbs im Nominativ oder ein Satz, der durch eine solche NP ersetzt werden kann. b) Schwierigere Fälle Die Maskulinumprobe funktioniert besser als die Frageprobe, ganz problemlos funktioniert aber auch sie nicht. Denn ein Problem auch für die Maskulinumprobe ist das expletive Subjekt es, das auch formales oder unpersönliches Subjekt genannt wird und unter anderem bei Wetterverben wie schneien auftritt. Das expletive es ist durch keinen anderen Ausdruck ersetzbar, weder durch wer oder was noch durch ein maskulines Nomen im Singular mit Artikel. 57 Mit den Wetterverben lassen sich schlecht Imperativsätze Jetzt schnei endlich! bilden, doch es finden sich infinite Sätze wie ohne zu schneien in (20d), in denen das Subjekt es fehlt. Das zeigt, dass es das Subjekt ist. (20) a. Heute hat es den ganzen Tag geschneit. b. *Wer oder was hat heute den ganzen Tag geschneit? c. *Heute hat der Himmel den ganzen Tag geschneit. d. Es friert, ohne zu schneien. 57 Das Pronomen es tritt in vielen Varianten auf und weist verschiedene Besonderheiten auf, was seine syntaktische Beschreibung sehr erschwert. Genaueres zu es findet sich unter anderem in Schäfer (2018, 432 ff.). 100 5 Satzglieder und Satzgliedteile 5.3.2 Objekte a) Grundlegendes Wie Subjekte werden auch Objekte im Deutschen anhand ihrer Form klassifiziert. Man unterscheidet nach ihrem Kasus Akkusativobjekte, Dativobjekte, Genitivobjekte und daneben noch Präpositionalobjekte. Genitivobjekte sind sehr selten und werden von vielen Sprechern durch Dativobjekte ersetzt (wie in Wir gedenken den Toten statt Wir gedenken der Toten), wir gehen daher nicht näher auf sie ein. Welche Form das Objekt jeweils hat, wird durch das Verb festgelegt, zu-dem das Objekt als Ergänzung gehört (s. Kap. 3.5). Das Verb helfen verbindet sich mit einem Dativobjekt, das Verb unterstützen mit einem Akkusativobjekt und das Verb warten mit einem Präpositionalobjekt. (21) a. Hilf mal deiner Schwester! [Dativobjekt] b. Nicht alle Kinder unterstützen ihre alten Eltern. [Akkusativobjekt] c. Otto wartet auf das Klingeln. [Präpositionalobjekt] Bei den Präpositionalobjekten legt das Verb die Präposition fest, man kann also die Präposition in solchen Fällen als eine besondere Art von Kasus verstehen. Welche Präposition das ist, wechselt von Verb zu Verb, und man muss sich im Deutschen wie im Französischen oder Englischen die Präposition merken. Es heißt warten auf und vertrauen auf, aber abhängen von und träumen von und nachdenken über. Präpositionalobjekte lassen sich dadurch von Adverbialen unterscheiden, dass a) die Präposition nicht austauschbar ist, b) die Präposition auftreten muss, wenn man nach dem Präpositionalobjekt fragt oder es-durch eine Proform ersetzt, und c)-die Präposition keine lokale, temporale oder sonstige Art von Bedeutung hat. (22) a. Otto wartet auf das Klingeln. [Präpositionalobjekt] b. *Otto wartet von das Klingeln. [Präpositionalobjekt] c. Auf was wartet Otto? [Präpositionalobjekt] d. Otto wartet darauf. [Präpositionalobjekt] e. Otto wartet vor der Schule. [Adverbial] f. Otto wartet hinter der Schule. [Adverbial] g. Wo wartet Otto? [Adverbial] h. Otto wartet dort. [Adverbial] 101 5.3 Wie kann man Satzglieder ermitteln und bestimmen? Man muss aber nicht nur vermeiden, Präpositionalobjekte und Adverbiale zu- verwechseln, sondern man darf auch die Präpositionen nicht übersehen. Der Satz (23a) enthält nicht ein Dativobjekt namens einem solchen Erfolg, sondern ein Präpositionalobjekt namens von einem solchen Erfolg. Die Dativ-NP einem solchen Erfolg ist keine Ergänzung des Verbs geträumt, sondern eine Ergänzung der Präposition von und daher auch kein Satzglied. Denn (23b) ist ungrammatisch. (23) a. Ich habe [ PP von [ NP[ Dat ] einem solchen Erfolg]] geträumt. b. *Ich habe [ NP[ Dat ] einem solchen Erfolg] geträumt. Wir können somit die verschiedenen Arten von Objekten so bestimmen: Akkusativobjekt, Dativobjekt, Genitivobjekt: Eine NP-Ergänzung eines Verbs im Akkusativ, Dativ oder Genitiv oder ein Satz, der durch eine solche NP ersetzt werden kann. Präpositionalobjekt: Eine PP-Ergänzung eines Verbs, deren Präposition vom Verb festgelegt wird, oder ein Satz, der durch eine solche PP ersetzt werden kann. Neben den Bezeichnungen Akkusativobjekt und Dativobjekt werden auch die Bezeichnungen direktes und indirektes Objekt verwendet. Diese Bezeichnungen erleichtern den Vergleich mit den Objekten in anderen Sprachen wie dem Französischen und dem Englischen und beruhen auf der Art der Beteiligung an dem vom Verb bezeichneten Ereignis. In dem Satz Valentine schenkt ihrer Oma einen Kalender hat das Akkusativobjekt einen Kalender die Rolle des Patiens, der den Besitzer wechselt und der vom Geschehen direkt betroffene Gegenstand ist. Das Dativobjekt ihrer Oma hingegen hat die Rolle des Rezipienten, der nicht direkt vom Geschehen betroffen ist (mit der Oma geschieht ja nichts), aber indirekt davon profitiert. b) Schwierigere Fälle Bei den sogenannten freien Dativen ist umstritten, ob es sich um Objekte handelt oder nicht; es hängt davon ab, ob sie als Ergänzungen eines Verbs zählen oder nicht. Der Zugehörigkeitsdativ bezeichnet eine Person, zu der etwas gehört, die etwas besitzt; gewöhnlich handelt es sich dabei um ein Körperteil wie in (24a-b). Mit dem Nutznießerdativ hingegen bezieht man sich auf die Person, die einen Nutzen aus einem Geschehen zieht oder die den Schaden hat; da es 102 5 Satzglieder und Satzgliedteile beim Nutznießerdativ oft auch ein Besitzverhältnis gibt, ist er-nicht immer gut vom Zugehörigkeitsdativ zu unterscheiden. Der Bewertungsdativ hängt von Gradpartikeln wie zu, allzu oder genug ab und gibt eine Person an, die-den Grad einer Eigenschaft bewertet. In (24d) ist-der Gast derjenige, der die Temperatur des Kaffees bewertet. (24) a. Ich habe mir den kleinen Zeh gestoßen. [Zugehörigkeitsdativ] b. Der Pfleger klebt ihr ein Pflaster auf die Hand. [Zugehörigkeitsdativ] c. Der Kellner hält den Gästen die Tür auf. [Nutznießerdativ] d. Der Kaffee ist dem Gast nicht heiß genug. [Bewertungsdativ] 5.3.3 Adverbiale a) Grundlegendes Adverbiale unterscheiden sich von Subjekten und Objekten grundsätzlich in zweierlei Hinsicht: Zum einen sind Adverbiale typischerweise Angaben und nicht Ergänzungen (auf Ausnahmen kommen wir noch zu sprechen), zum anderen werden sie nicht anhand ihrer Form klassifiziert, sondern anhand ihrer Bedeutung, anhand dessen, was sie zur Bedeutung des Satzes beitragen. Dass sie schlecht anhand ihrer Form zu klassifizieren sind, liegt unter anderem daran, dass alle Arten von Phrasen als Adverbiale auftreten können. Das zeigen schon die Sätze in (8) oben. Oft wird der Bedeutungsbeitrag der Adverbiale so beschrieben, dass sie Eigenschaften des Geschehens angeben und den Hörer darüber informieren, wo, wann, wie-und warum etwas passiert. Wenn man zum Beispiel bei der Polizei eine Zeugenaussage zu einem Unfall machen muss, ist die Polizei nicht nur daran interessiert, wer an dem Unfall beteiligt war (das sind die Ergänzungen, Subjekte und Objekte), sondern sie will auch wissen, wo und wann der Unfall stattgefunden hat, wie die Unfallbeteiligten sich verhalten haben und warum es überhaupt zu dem Unfall gekommen ist. Daraus ergeben sich dann die traditionellen vier Adverbialklassen Adverbiale des Ortes (lokale Adverbiale), Adverbiale der Zeit (temporale Adverbiale), Adverbiale der- Art und Weise (modale Adverbiale) und Adverbiale des Grundes oder Zwecks (kausale Adverbiale). 103 5.3 Wie kann man Satzglieder ermitteln und bestimmen? (25) a. Hier kommt die Maus. [Ort] b. Als sie ankam, war es schon dunkel. [Zeit] c. Öffne das Geschenk bitte vorsichtig. [Art und Weise] d. Er ist aus purem Trotz zu Hause geblieben. [Grund] b) Schwierigere Fälle Für eine vereinfachte syntaktische Beschreibung genügt es eigentlich, Adverbiale von Subjekten und Objekten unterscheiden zu können. Dafür kann man in den meisten Fällen auf die Unterscheidung zwischen Ergänzungen und Angaben zurückgreifen, da- die meisten Adverbiale Angaben sind. Doch es gibt auch Adverbiale, die zu den Ergänzungen zählen. So-gehören die PPs bei Verben der Ortsveränderung wie hängen und legen zur Valenz der Verben, sind aber dennoch Adverbiale und auch das Verb umgehen verlangt ein Adverbial als Ergänzung. (26) a. Der Hausmeister stellt auf dem Hof Fahrradständer auf. [Angabe] b. Eva ist heute anders als sonst zur Schule gefahren. [Angabe] c. Der Hausmeister hängt das Plakat an die Tür. [Ergänzung] d. Eva geht mit der Vase sehr vorsichtig um. [Ergänzung] Woran erkennt man, dass an die Tür ein Adverbial ist und kein Präpositionalobjekt? Die Präposition an ist austauschbar (Der Hausmeister hängt das Plakat neben die Tür), sie muss nicht auftreten, wenn man nach der Phrase fragt (Wohin hängt der Hausmeister das Plakat? ), und sie hat eine lokale Bedeutung. Man findet in vielen Schulgrammatiken und Schulbüchern als Test für die-Unterscheidung zwischen Subjekten, Objekten und Adverbialen die Weglassprobe, die in ihrer einfachen, aber falschen Form sagt, dass Adverbiale weglassbar sind, Subjekte und Objekte hingegen nicht. Dass auch Objekte weglassbar sind, lässt sich leicht zeigen: (27) a. Wer überreicht denn den Athleten heute die Medaillen? b. Wer überreicht denn heute die Medaillen? c. Der Hausmeister hilft den Schülern, wo er kann. d. Der Hausmeister hilft, wo er kann. 104 5 Satzglieder und Satzgliedteile In (27a, c) treten die Dativobjekte auf, in (27b, d) fehlen sie, ohne dass die Sätze ungrammatisch werden; das heißt, sie sind weglassbar. Dass eine weglassbare Phrase immer ein Adverbial ist, trifft also nicht zu. Glücklicherweise gilt aber, dass eine Phrase eine Ergänzung ist, wenn man sie nicht weglassen kann, und deshalb sind die beiden nicht-weglassbaren Phrasen an die Tür und sehr vorsichtig in (26c-d) Ergänzungen. Befasst man sich etwas genauer mit den Adverbialen, stellt man schnell fest, dass die oben genannten vier Adverbialklassen nicht genügen. So lässt sich das Adverb gerne in (28) in keiner der vier Klassen gut unterbringen, auch nicht in der Klasse der modalen Adverbiale. Man kann auf verschiedene Arten lesen, schnell oder langsam, leise oder laut oder auch sorgfältig, doch gerne bezeichnet keine dieser Arten. Bei gerne handelt es sich um ein Adverbial der Haltung, das die Haltung desjenigen zur Verbhandlung angibt, den das Subjekt bezeichnet (‚Norberts Haltung zum Lesen ist sehr positiv‘). 58 (28) Norbert liest gerne. Wir können hier nicht auf alle semantischen Adverbialklassen genauer eingehen, auf jeden Fall ist aber die Unterscheidung zwischen satzbezogenen und verbbezogenen Adverbialen sinnvoll. Denn entgegen ihrer Bezeichnung sind nicht alle Adverbiale auf das Verb bezogen. Da mit Wörtern wie gemeinerweise, möglicherweise oder leider ein Kommentar oder eine Einschätzung zu einem Sachverhalt abgegeben wird, spricht man auch von Kommentaradverbialen. (29) a. Peter hat gemeinerweise gepetzt. b. Möglicherweise liegt die Lampe im Schuppen. c. Paul ist leider nicht pünktlich gekommen. Zu den verbbezogenen Adverbialen gehören auf jeden Fall Adverbiale der Art und Weise und Gradadverbiale, aber auch gerne. (30) a. Der Schüler hat die Frage schlau beantwortet. [Art und Weise] b. Der Klempner rüttelt heftig am Abflussrohr. [Grad] Adverbiale, die ein Werkzeug bezeichnen (Eva schneidet das Papier mit der Zickzackschere), oder jemanden, der einen begleitet (Ich fahre mit Angelika nach 58 Dass sich gerne tatsächlich anders verhält als die modalen Adverbiale, zeigen die Imperativsätze (Lies langsam! vs. *Lies gerne! ). 105 5.3 Wie kann man Satzglieder ermitteln und bestimmen? Heidelberg), sind weder satznoch verbbezogen. Sie führen weitere Gegenstände oder Personen ein, die am Geschehen beteiligt sind. 5.3.4 Prädikative Wie bei den Adverbialen können auch bei den Prädikativen eigentlich so gut wie alle Arten von Phrasen auftreten (die Sätze stammen leicht verändert aus Meibauer et al. 2015, 159): (31) a Valentine ist schrecklich müde. [AP] b. Arno wird mal König von Polynesien. [NP] c. Wir haben Carmen gleich zur Schatzmeisterin gemacht. [PP] d. Liebe heißt, einander bedingungslos zu vertrauen. [Inf-S] e. Eva ist betrunken Auto gefahren. [AP] f. Ich esse Bananen nie mit Schale. [PP] g. Paul ist barfuß zum Bäcker gegangen. [AdvP] Prädikative beziehen sich entweder auf ein Subjekt oder ein Objekt und sprechen dem, worauf ihr Bezugsausdruck referiert, eine Eigenschaft zu. 59 In (31e) zum Beispiel ist das Subjekt Eva die Bezugsphrase des Prädikativs betrunken und der Satz sagt aus, dass Eva beim Autofahren betrunken gewesen ist. 5.3.5 Attribute a) Grundlegendes Unter Attributen versteht man traditionell Phrasen, die in einer NP enthalten sind und sich auf den Kopf dieser NP beziehen. Ihre typische Funktion besteht darin, das von ihrem Bezugsnomen Bezeichnete näher zu bestimmen, einzugrenzen. Wie die Adverbiale können auch die Attribute unterschiedliche Formen haben (die Beispiele (32a-d) stammen aus Risel 2007, 117, das Bezugsnomen ist fett markiert) und die Attribute werden dann oft noch genauer nach ihrer Form unterteilt in Präpositionalattribute, Relativsatzattribute, Adjektivattribute, Genitivattribute usw. Artikelwörter wie ein in ein-Wein aus Frankreich sind keine Attribute. 59 Weil sie darin Attributen gleichen, werden sie manchmal auch als prädikative Attribute bezeichnet. 106 5 Satzglieder und Satzgliedteile (32) a. [Ein Wein aus Frankreich] muss nicht teuer sein. [PP] b. [Ein Wein, der aus Frankreich kommt], muss nicht teuer sein. [Rel-S] c. [Ein französischer Wein] muss nicht teuer sein. [AP] d. [Ein Wein französischer Herkunft] muss nicht teuer sein. [NP[Gen]] e. [Der Wein dort] muss sehr teuer sein. [AdvP] f. [Der Verdacht, dass dieser Wein sehr teuer ist], ist richtig. [dass-S] Je nach Position unterscheidet man pränominale Attribute, die vor ihrem Bezugsnomen stehen, von postnominalen Attributen, die ihrem Bezugsnomen folgen; von gewissen Ausnahmen abgesehen können im heutigen Deutsch nur APs und Eigennamen pränominal stehen (vgl. das Feldermodell für Nominalphrasen in Kap. 3.8). Attribute werden oft auch Satzgliedteile genannt, um sie von den Satzgliedern zu unterscheiden und zu betonen, dass sie Teile von Phrasen sind und eine Funktion innerhalb dieser Phrasen haben. Es ist deshalb insbesondere bei den postnominalen Attributen außerordentlich wichtig, dass man nicht alle Wörter vor dem Attribut zusammen für den Bezugsausdruck hält. Im Satz (32a) ist das Präpositionalattribut aus Frankreich ein Teil des Subjekts ein Wein aus Frankreich, das heißt, das Subjekt ein Wein aus Frankreich enthält das Präpositionalattribut aus Frankreich, das sich auf das Nomen Wein bezieht; aus Frankreich ist kein Attribut zu ein Wein. Dass das Attribut wirklich ein Teil des Subjekts ist, erkennt man unter anderem daran, dass die drei Teile der NP, der Artikel ein, das Nomen Wein und die PP aus Frankreich, zusammen im Vorfeld stehen. Der Name Satzgliedteil ist allerdings insofern etwas irreführend, als die-NPs, zu denen die Attribute gehören, nicht immer Satzglieder sind. So ist in dem folgenden Satz die NP einem stumpfen Messer zwar kein Satzglied (nur die PP mit einem stumpfen Messer ist ein Satzglied), dennoch ist stumpfen ein Attribut zu Messer. (33) [ PP Mit [ NP einem stumpfen Messer]] kann man kein Brot schneiden. Wenn einem Nomen mehrere Phrasen folgen, gilt es zwei Fälle zu unterscheiden. Es kann vorkommen, dass-die Phrasen Attribute zum selben Nomen sind und unabhängig voneinander; es kann aber auch vorkommen, dass die Phrasen Attribute zu unterschiedlichen Nomen sind und ineinander verschachtelt. 107 5.3 Wie kann man Satzglieder ermitteln und bestimmen? (34) a. ein Wein [aus Frankreich], [der nicht viel kostet] b. ein Wein [aus dem Lokal, [das meinem Onkel gehört]] In (34a) beziehen sich die Attribute aus Frankreich und der nicht viel kostet beide auf das Nomen Wein. In (34b) hingegen bezieht sich das Attribut das meinem Onkel gehört auf das Nomen Lokal und das Attribut aus dem Lokal, das meinem Onkel gehört auf das Nomen Wein. In (34b) ist also das eine Attribut ein Teil des anderen Attributs. b) Schwierigere Fälle Wenn man sich an das traditionelle enge Verständnis der Attribute hält, sind alle Attribute auf Nomen bezogen. Es gibt aber auch ein anderes weites Verständnis der Attribute, nach dem Attribute nicht nur auf Nomen, sondern auch auf Adjektive, Präpositionen oder Adverbien bezogen sein können. Man kann diese beiden Auffassungen etwas vereinfacht so einander gegenüberstellen: Attribut (enge Bestimmung): Phrasen, die Teil einer NP sind und vom Kopf dieser NP abhängen. Attribut (weite Bestimmung): Phrasen, die Teil einer nichtverbalen Phrase sind und vom Kopf dieser Phrase abhängen. Nach der engen Bestimmung ist nur in (35a) die kursiv markierte Phrase ein Attribut, während nach der weiten Bestimmung auch die kursiv markierten Phrasen in (35b-d) Attribute sind. (35) a. [ NP ein schönes Bild] b. [ AP schön angemalt] c. [ PP zwei Meter hinter der Grenze] d. [ AdvP dort, wo die Eichen stehen] Weniger ein theoretisches Problem als ein praktisches Problem stellen hingegen Sätze wie-(36) dar. Wenn ein Ausdruck ein Attribut zu einem Wort ist, sollte er Teil der Phrase sein, deren Kopf dieses Wort ist. So gehört das Attribut schönes in (35a) zu der NP, deren Kopf das Nomen Bild ist. Das führt dazu, dass die Attribute typischerweise neben ihrem Bezugswort stehen. Bestimmte Attribute können aber auch in Distanzstellung zu-ihren Bezugswörtern stehen 108 5 Satzglieder und Satzgliedteile wie in (36) und dann wird oft bei der Bestimmung der Satzglieder übersehen, dass das Attribut trotz dieser Distanzstellung mit zum Satzglied gehört. Das Akkusativobjekt in (36a) lautet nicht den Wein (ohne Attribut), sondern den Wein, der uns am besten schmeckt (mit Attribut). Um das zu verdeutlichen, kann man wie in (36) die Position, in der das Attribut ‚eigentlich‘ stehen sollte, wie in 4.4.1 mit — markieren. (36) a. Wir haben [den Wein —] gekauft, der uns am besten geschmeckt hat. b. Hast du schon von [dem Plan —] gehört, die alte Schule abzureißen? c. Über Pinguine hat Paul schon [viele Bücher —] gelesen. Zu den Attributen, die sehr gerne in Distanzstellung zu ihrem Bezugswort stehen, gehören vor allem die satzförmigen Attribute wie Relativsätze und infinite Sätze. Gerade bei den infiniten Sätzen ist es sehr wichtig, dass man erkennt, ob es sich um ein Attribut handelt. Denn infinite Sätze, die von einem Nomen abhängen und ein Attribut zu diesem Nomen sind, müssen wie in (36b) mit einem Komma abgetrennt werden. Oft wird das nicht erkannt und das Komma nicht gesetzt. 5.3.6 Prädikate Es lässt sich leicht zeigen, dass das Prädikat eines Satzes kein Satzglied ist. Denn das Prädikat ist nicht auf einen anderen Ausdruck im Satz bezogen, sondern dient umgekehrt als Bezugspunkt für die anderen Ausdrücke. In dem Satz Die Katze läuft schnell über die Straße sind das-Subjekt die Katze und die beiden Adverbiale schnell und über die Straße auf-das Prädikat läuft bezogen. Das Prädikat hat keinen Bezugsausdruck, wenn überhaupt, bezieht es sich auf den Satz, läuft ist dann das Prädikat des Satzes. Granzow-Emden (2014, 280 ff.) und Christ (2017) plädieren nachdrücklich dafür, bei der schulischen Satzgliedanalyse ganz auf den Begriff des Prädikats zu verzichten, doch er ist gut geeignet für Sätze wie (37a-c), in denen das Subjekt auf Hilfsverb und Vollverb zusammen bezogen ist; Hilfsverb und Vollverb bilden jeweils zusammen das Prädikat. (37) a. Gestern haben drei Schüler gefehlt. b. Die Hausaufgabe wird nicht gewertet. c. Gleich wird der Projektor wieder angehen. 109 5.3 Wie kann man Satzglieder ermitteln und bestimmen? Was genau unter dem Prädikat zu verstehen ist, ist umstritten. Das liegt unter anderem daran, dass die Kopulaverben sein, bleiben und werden mal allein als Prädikat klassifiziert werden und mal zusammen mit dem Prädikativ, das sie ergänzt. In dem einen Fall ist dann das Prädikativ ein Satzglied, in dem anderen Fall ist es ein Teil des Prädikats. Da das Prädikativ eine Phrase ist und auf das Subjekt oder das Objekt des Satzes bezogen ist, ist es-für uns ein Satzglied und wir bevorzugen deshalb einen engen Prädikatbegriff, nach dem nur Verben das Prädikat bilden können. In- (38) ist entsprechend nur das Kopulaverb ist das Prädikat, ohne das Prädikativ sehr müde. Kap. 5 (5) a. Ich esse Bananen nie [ PP mit Schale]. z----m Präd b. Ich esse Bananen nie [ PP mit Stäbchen]. z--------m AdvB (38) Karl ist [ AP sehr müde]. z--m Präd 7 Nach diesem engen Prädikatbegriff bildet das Verb das Prädikat, eventuell zusammen mit weiteren infiniten Verben, die von diesem Verb abhängen. Dass die Verben, die zusammen das Prädikat bilden, voneinander abhängen, lässt sich daran erkennen, dass das eine Verb die Form des anderen Verbs bestimmt (s. Kap. 3.5). So verlangen die Hilfsverben haben und sein, mit denen das Perfekt gebildet wird, und das Hilfsverb werden, mit dem das Passiv gebildet wird, wie in (37a-b) ein Partizip als-Ergänzung, während das Hilfsverb werden, mit dem das Futur gebildet wird, wie in (37c) mit einem einfachen Infinitiv kombiniert wird. Eine solche Abhängigkeit gibt es nicht nur bei den Hilfsverben, sondern auch bei den Modalverben und anderen vergleichbaren Verben. Wird zum Beispiel sein wie in (39a) als Modalverb verwendet, muss das infinite Verb ein zu-Infinitiv sein, während die Modalverben sich wie in (39b) mit einem einfachen Infinitiv verbinden. (39) a. Diese Aufgabe ist bis morgen zu lösen. b. Du sollst nicht immer in der Nase bohren! Wichtig ist hier, Sätze wie in (37) und (39), in denen die Verben ein Prädikat bilden, von Sätzen wie in- (40) zu unterscheiden, in denen die Verben durch eine Satzgrenze getrennt sind, und zwar durch die Grenze eines infiniten Satzes. Die beiden Verben versucht und auffordert nehmen in-(40) einen infiniten Satz als Ergänzung zu sich. Daher bilden weder versucht und zu reparieren in (40a) noch auffordert und aufzuhören in (40b) zusammen ein Prädikat. Vielmehr sind versucht und auffordert die Prädikate der Hauptsätze und zu reparieren und aufzuhören die Prädikate der infiniten Nebensätze. 110 5 Satzglieder und Satzgliedteile (40) a. weil Eva versucht, [ Inf-S den Toaster zu reparieren] b. obwohl die Lehrerin ihn auffordert, [ Inf-S sofort aufzuhören] Dieser Unterschied ist unter anderem für die Kommasetzung relevant: Zwischen ein Verb und einen davon abhängigen infiniten Satz wie in (40) kann man ein Komma setzen, zwischen die Verben eines Prädikats darf man-kein Komma setzen. Deshalb ist das Komma in (41a-b) falsch gesetzt. Auch der Satz (41c), den so der Jedi-Meister Yoda aus Star Wars äußern könnte und der von einem Plakat der Fachschaft Geschichte der Universität Mainz stammt, ist falsch geschrieben, da zu lernen und hast zusammen das Prädikat bilden. (41) a. Den Hund füttern, werde ich lieber nicht. b. obwohl die Hausaufgabe nicht gewertet, werden soll c. Viel zu lernen, du noch hast. 5.4 „Unterstreiche das Subjekt blau“ - Bestimmungs- und Markierungsübungen Häufig setzt sich der gegenwärtige Grammatikunterricht aus reinen Bestimmungs- und Markierungsübungen während der Erarbeitung der einzelnen Satzglieder zusammen. Dieses Vorgehen ist meist deduktiv gestaltet. (42) a. Bestimme die Subjekte im vorliegenden Text und unterstreiche sie blau. b. Unterstreiche alle Objekte im Text gelb und bestimme sie genauer. c. Unterstreiche die Adverbiale im Text grün und ordne sie ihren Bedeutungsklassen zu. Ähnlich formulierte Übungsaufgaben sind überall in Deutschstunden und Lehrbüchern sehr oft anzutreffen. Es geht uns hier nicht darum, diesen Aufgabentyp zu verwerfen, aber man sollte ihn erweitern. Neben der reinen Bestimmung der Satzglieder sollten auch Begründungen der Zuordnung sowie deren Diskussion und Reflexion Gegenstand des Grammatikunterrichts sein. Im Rahmen dessen können weitere vergleichbare, passende Phrasen in Beispielsätzen produziert werden (vgl. 43), so dass Satzglieder wie das Subjekt nicht nur markiert, sondern auch selbst kreiert werden. Die jeweilige Benennung der Satzglieder kann hier je nach Aufgabenformat unter Umständen vorgegeben werden. 111 5.4 „Unterstreiche das Subjekt blau“ - Bestimmungs- und Markierungsübungen (43) a. Der Postbote betritt das Haus. b. Der Vater betritt das Haus. c. Der Kater betritt das Haus. d. Die Frau fragt die Verkäuferin lieber nicht. e. Den Mann fragt die Verkäuferin lieber nicht. In den Sätzen (43a-c) findet sich eine identische syntaktische Struktur wieder. Ausgehend von diesen Beispielen ist es möglich, den Schülerinnen und Schülern die Aufgabe zu geben, weitere syntaktisch gleiche Sätze zu bilden. Es kann aber auch mit Lückensätzen gearbeitet werden: (44) a. … betritt das Haus. b. … fragt die Verkäuferin lieber nicht. Auf der Grundlage ihres impliziten Wissens über die Sprache sind die Schülerinnen und Schüler fähig, diese Lücken auszufüllen. Im weiteren Unterrichtsschritt werden die eingesetzten Satzglieder verglichen und analysiert. Eine weitere Übungsform haben wir bereits in Kap. 4 eingeführt: die Erweiterung von Satzgliedern durch Attribute. Bei dieser Übungsform werden im Satz vorhandene Satzglieder nicht markiert oder ersetzt, sondern durch geeignete Attribute ausgebaut. Wichtig dabei ist zu betonen, dass die Satzglieder durch die hinzukommenden Attribute vergrößert werden und die Attribute, die hinzukommen, Satzgliedteile sind. Das Subjekt in (45b-c) ist nicht der dicke Kater, sondern der dicke Kater mit dem schwarzen Fell und der dicke Kater, der nicht gern Mäuse fängt. (45) a. [Der dicke Kater] betritt das Haus. b. [Der dicke Kater mit dem schwarzen Fell] betritt das Haus. c. [Der dicke Kater, der nicht gern Mäuse fängt], betritt das Haus. Für die Identifizierung der Satzglieder ist, wie wir oben ausgeführt haben, oft-der Kasus relevant: Subjekte stehen im Nominativ, Akkusativobjekte im Akkusativ, Dativobjekte im Dativ und Genitivobjekte und Genitivattribute stehen im Genitiv. Das führt in vielen Fällen zu Schwierigkeiten, weil im Deutschen der Kasus an den Nomen selbst oft nicht zu erkennen ist und auch die Artikel und Adjektivattribute, die mit dem Nomen kombiniert sind, nicht immer weiterhelfen. Diese Schwierigkeit ergibt sich unter anderem bei den Eigennamen, die gewöhnlich ohne Artikel und Adjektivattribut auftreten (Eva kann Nominativ, 112 5 Satzglieder und Satzgliedteile Akkusativ, Dativ oder Genitiv sein), aber auch bei den Feminina (die Burg und die Burgen kann Nominativ oder Akkusativ sein, Burgen allein kann Nominativ, Akkusativ, Dativ oder Genitiv 60 sein). In solchen Fällen wie auch bei ambigen Sätzen wie (43d) hilft die oben eingeführte Maskulinumprobe, die verschiedenen Lesarten zu erkennen. (46) a. Die Frau fragt die Verkäuferin lieber nicht. b. Den Mann fragt die Verkäuferin lieber nicht. → den Mann steht im Akkusativ und ist das Akkusativobjekt c. Der Mann fragt die Verkäuferin lieber nicht. → der Mann steht im Nominativ und ist das Subjekt 5.5 „Sicherheit vor Vagheit? “ - Einbezug von Zweifelsfällen und Problemen in den Grammatikunterricht Wir haben in Kap. 1.2 dafür plädiert, auch solche Sätze in die Sprachbetrachtung miteinzubeziehen, die auf die ein oder andere Weise problematisch sind und nicht ‚richtig funktionieren‘, und wir haben in den Übungen in diesem Kapitel derartige Sätze auch schon genutzt. Auch bei den Satzgliedern bietet es sich an, nachdem den Schülerinnen und Schülern systematisches Wissen und Können vermittelt wurde und sie dieses verinnerlicht haben, Grauzonen innerhalb der Satzgliedbestimmung und generell der Grammatik in den Unterricht miteinzubeziehen, um die Reflexionsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler weiter zu fördern. Bekannt ist in diesem Zusammenhang der ‚Ketchup-Satz‘ (47a) von Wolfgang Menzel (s. Menzel 1999, 75 ff.). (47) a. Viele Kinder essen auf Partys am liebsten Bratwurst mit Ketchup. b. Bratwurst essen viele Kinder auf Partys am liebsten mit Ketchup. c. Mit Ketchup essen viele Kinder auf Partys am liebsten Bratwurst. d. Bratwurst mit Ketchup essen viele Kinder auf Partys am liebsten. 60 Die Reihenfolge der Nennung der Kasus aus der Schule (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ) wird hier bewusst verändert, da so die Häufigkeit der auftretenden Kasus berücksichtigt werden kann. Der Nominativ ist am häufigsten vor dem Akkusativ, Dativ und dann dem Genitiv in der deutschen Sprache zu finden. Zum- anderen können so besser Formübereinstimmungen in der Kasusmarkierung aufgezeigt werden. 113 5.5 Einbezug von Zweifelsfällen und Problemen in den Grammatikunterricht Der Satz (47a) weist eine Ambiguität auf: Es ist für die Leserinnen und Leser nicht eindeutig, worauf sich mit Ketchup bezieht. In (47d) wird mit Ketchup als Präpositionalattribut zum Bezugswort Bratwurst gebraucht und bildet mit ihm zusammen das Akkusativobjekt. Der Ketchup befindet sich also direkt auf der Bratwurst und beides wird gemeinsam von den Kindern gegessen. Da das Attribut ein Satzgliedteil ist, lässt es sich nur mit seinem Bezugswort ins Vorfeld verschieben. In den Beispielen (47b-d) hingegen ist Ketchup ein Modaladverbial und kann getrennt vom Akkusativobjekt Bratwurst stehen. Der Ketchup wird folglich von den Kindern zur Bratwurst gegessen. Schülerinnen und Schülern sollte im Grammatikunterricht Raum zur Auseinandersetzung mit Problemen und Zweifelsfällen und zur Diskussion darüber eingeräumt werden, da sie „Sprachwissen, Sprachbewusstheit und ‚Variantenaufmerksamkeit‘“ (Müller und Szczepaniak 2017, 7) auf diese Weise entwickeln können. Das Zweifeln kann als „Ressource zum aktiven Lernen“ (Bredel, 2006, 13) begriffen werden. Die Voraussetzung für die erfolgreiche Behandlung von Zweifelsfällen im Unterricht ist allerdings „die aktive, handelnde Auseinandersetzung mit sprachlichen Phänomenen, so dass Lernende die Grammatik(en) ihrer Sprache(n) nicht als starres Korsett, sondern in ihrer Dynamik und Variabilität erleben“ (Müller und Szczepaniak 2017, 4). Es bietet sich innerhalb der Thematik nicht nur das entdeckende Lernen und das induktive Arbeiten an, noch mehr zeigt authentisches Sprachmaterial den Lernerinnen und Lernern einen starken Lebensweltbezug auf, der eine motivationale Wirkung besitzt. Aus den Einschätzungen der Lehramtsstudierenden ihres selbst erfahrenen Grammatikunterrichts geht häufig hervor, dass „Stolpersteine“ oder auch Irritationen selten bzw. nie Gegenstand der Stunden waren. 61 a. „Zudem haben wir recht selten Satzglieder bestimmt und die Texte / Sätze, die dazu verwendet wurden, waren auch nicht allzu schwer … Stolpersteine gab es also nicht wirklich.“ (Studentin 1) b. „[…] hier hatte ich kaum / keine Probleme. Da meine Lehrerin konstruierte Sätze verwendete, in denen man jedes Satzglied eindeutig zuordnen konnte, gab es kaum Spielraum für Antwortmöglichkeiten. Das Prädikat wurde als Satzglied 61 Im Rahmen eines Grammatikseminars an der Universität Leipzig wurden im Sommersemester 2018 Studentinnen und Studenten zu ihren Erfahrungen und Einstellungen zum Grammatikunterricht befragt. Die Befragung wurde anonymisiert; die Rechtschreibung der Probandinnen und Probanden wurde nicht verändert. 114 5 Satzglieder und Satzgliedteile behandelt, Prädikative wurden nicht thematisiert, dafür adverbiale Bestimmungen umso mehr.“ (Student 5) c. „In der Schulzeit haben wir hauptsächlich einfache Beispielsätze behandelt, die immer ‚aufgingen‘.“ (Student 13) Eine Ursache für die marginale Behandlung von Zweifelsfällen ist wahrscheinlich, dass der Grammatikunterricht hauptsächlich in den unteren Klassen stattfindet und ab der 8./ 9. Klasse fast bundesweit aus den Lehrplänen und Curricula verschwindet. Die Schülerinnen und Schüler erreichen jedoch erst mit 12 bis 15 Jahren die Phase der formalen Operationen (nach Jean Piaget). Wenn also die Schülerinnen und Schüler (zwar auf unterschiedlichen Niveaus) dazu fähig werden, Probleme auf einer hypothetischen Stufe zu lösen und logische Schlussfolgerungen abzuleiten, sehen die Lehrpläne nicht vor, dieses analytische Denken noch an grammatischen Gegenständen zu erproben und fördern. Die Behandlung von Grauzonen sollte dringend Eingang in den Unterricht der höheren Klassenstufen finden. Es ist dafür nötig, eine gewisse Souveränität in diesem Bereich zu haben und das Zweifeln für alle Beteiligten zuzulassen. Die Schülerinnen und Schüler müssen sich dabei von der Grundannahme lösen, dass es in der Grammatik und damit auch in der Bestimmung der Satzglieder stets ein Richtig und ein Falsch gibt. Damit das gelingt, darf die Lehrkraft in der Auswahl und Aufbereitung ihrer Unterrichtsgegenstände nicht stets im Sinne von „Sicherheit vor Vagheit“ (Müller und Szczepaniak 2017, 8) entscheiden. 5.6 „Das ist, glaub ich, das Adverbialobjekt“ - Problemfelder von Schülerinnen und Schülern sowie Studentinnen und Studenten Innerhalb der Schule werden oft Begriffe und Konzepte zum Teil nur unzureichend ausgebaut. Hinsichtlich der Satzgliedbestimmung sind es zumeist die Frageproben, die sich fest im Grammatikwissen der Schülerinnen und Schüler verankern. Das Hinterfragen und die Reflexion dieser Verfahren sollte allerdings ebenfalls Bestandteil des Deutschunterrichts sein, denn nur so lassen sich die Grenzen (s. Kap. 4) und die damit verbundenen Schwierigkeiten der Proben (Bredel 2013, 258) aufzeigen. Als weiteres Problem beschreiben die Studierenden die bereits genannte fehlende Kontinuität der Behandlung grammatischer Themen in der Schule und auch in der Universität, es falle schwer, „nachdem man sich einige Zeit nicht mehr mit GU beschäftigt hat, alles wieder aufzufrischen“ (Studentin 1). 115 5.6 Problemfelder von Schülerinnen und Schülern sowie Studentinnen und Studenten In der Schule sollte deshalb in den Klassenstufen, in denen es der Lehrplan nicht mehr explizit vorsieht, der Grammatikunterricht wenigstens situativ und punktuell erfolgen. Nach der Selbsteinschätzung der Studierenden sind es zumeist Verwechslungen zwischen der Bestimmung von Satzgliedern und Wortarten, der generelle Umgang mit Fachtermini, die Unterscheidung von Adverbialen und Objekten sowie der Umgang mit dem Prädikat, die ihnen Probleme bereiten. a. „Derzeitige Probleme bei der Satzgliedbestimmung sehe ich bei mir v. a. bei adverbialen Bestimmungen und den Objekten. Ich habe ab und zu Probleme die Zuordnung zu erkennen und ob nun ein oder mehrere Satzglieder vorliegen (Attribute). Auch die Frage, ob das Prädikat ein Satzglied ist, hat mich zum Zweifeln gebracht. Ich habe es als solches kennengelernt, und finde es nun schwierig, es im eigenen Unterricht anders darzustellen.“ (Studentin 1) b. „Selten verwechsele ich Adverbialbestimmung und Präpositionalobjekt. Lustigerweise habe ich in der SPÜ bei einem Kommilitonen zu diesem Thema hospitiert und erst da habe ich gemerkt, dass ich diese Schwäche habe.“ (Studentin 11) c. „Heute ertappe ich mich dabei, wie ich Satzglieder und Wortarten gelegentlich verwechsle (Verb, Prädikat, Substantiv, Subjekt etc.).“ (Student 13) 5.6.1 „Welches Satzglied, Hans? “ - „Verb.“ - Verwechslung von Wortarten und Satzgliedern Wortarten und Satzglieder werden häufig verwechselt. Die Ursachen hierfür sind: ▶ Die Lernerinnen und Lerner haben nicht wirklich verinnerlicht, dass beide Systeme als Ordnungssysteme nebeneinander existieren und die Form / syntaktischen Kategorien (Wortarten) und die Funktion / syntaktischen Funktionen (Satzglieder) getrennt voneinander zu betrachten sind. ▶ Es findet im Unterricht oft nur bedingt eine Systematisierung statt. Grammatische Phänomene werden einzeln und ohne Bezug zueinander behandelt. Dies ist zum Beispiel zu beobachten, wenn die Lehrkraft die Satzglieder Schritt für Schritt und losgelöst voneinander behandelt, ohne den Bezug zum allgemeinen Satzgliedbegriff herzustellen, und dieses didaktisch-methodische Vorgehen bei der Behandlung der Wortarten wie- 116 5 Satzglieder und Satzgliedteile derholt. Auch Querverweise zu bereits behandelten Satzgliedern und die Arbeit mit Sprachvergleichen sind zumeist zu selten. ▶ Das Prädikat markiert in gewisser Weise einen Dreh- und Angelpunkt, da-das Prädikat als Satzglied - so wie es zumeist in der Schule behandelt wird - nur der Wortart des Verbs zugeordnet werden kann. An der Form- und Funktionstabelle in Meibauer et al. (2015, 159 f.) wird ersichtlich, welche Arten von Phrasen die jeweiligen syntaktischen Funktionen im Satz übernehmen und Satzglieder sein können. Dass das Adverb bzw. die Adverbphrase oft auch die syntaktische Funktion des Adverbials übernimmt, verstärkt diese Vermutung. Häufig finden sich auch Verwechslungen von Wortarten und Satzgliedern am Beispiel des Adverbs und des Adverbials. Das Adverb bzw. die Adverbphrase kann allerdings auch die syntaktischen Funktionen des Objekts, des Attributs, des Prädikativs übernehmen, was in-Bestimmungsübungen durch die Lernerinnen und Lerner übergangen wird. Das Adverb bzw. die Adverbphrase werden dann zum Teil fälschlicherweise als Adverbial bestimmt. ▶ Die didaktisch-methodische Herangehensweise der Markierungsübungen trägt ebenfalls dazu bei. Die Behandlung beider Ordnungssysteme zeigt somit ein meist identisches methodisches Vorgehen. Darüber hinaus werden zumeist die gleichen Farben wieder benutzt und das Prädikat sowie das Verb aufgrund ihrer Verbindung zueinander beispielsweise mit grün markiert. Anregungen für den Unterricht Es muss stets eine Einbettung des grammatischen Phänomens in die jeweiligen Systeme erfolgen. Hierfür bieten sich Übersichtsplakate für den Klassenraum an. Diese können in kleineren Formaten für die Hefter der Schülerinnen und Schüler erstellt werden. Die Lehrkraft sollte darauf verzichten, das Übersichtsblatt als- fertige Lernübersicht in die Klasse zu geben. Vielmehr sollten die Lernerinnen und Lerner diese Übersicht im Verlauf der Behandlung der Satzglieder bzw. Wortarten prozessbegleitend selbst erstellen. Des Weiteren könnten Satzglieder und Wortarten durch Farbsymboliken oder Zeichen unterschieden werden, die stetig bei der Erarbeitung im Unterricht im Lehrergespräch und auch an der Tafel sowie in den Heftern der Schülerinnen und Schüler auftauchen. Dies setzt allerdings eine Kontinuität voraus. Symbole oder Farben sollten über die Jahrgangsstufen hinweg beibehalten 117 werden und nicht durch einen möglichen Lehrerwechsel oder eine Änderung der eigenen Lerninhalte modifiziert werden. 5.6.2 „Ich warte auf dem Bahnsteig auf den Freund“ - Unterscheidung von Adverbialen und Objekten Eine große Schwierigkeit stellt die Unterscheidung von Präpositionalphrasen dar, die als Adverbial oder als Präpositionalobjekt fungieren. (48) a. Ich warte auf dem Bahnsteig. [Adverbial] b. Ich warte auf den Freund. [Präpositionalobjekt] c. Ich warte auf Bus in die Stadt. [Präpositionalattribut] Im Beispiel (48a) handelt es sich um ein lokales Adverbial. Dies ist zum einen an der Ersetzbarkeit der Präposition erkennbar. Zum anderen verfügt die Präposition auf über eine semantische Bedeutung. Des Weiteren ist das Lokaladverbial durch Wo? erfragbar und die Präposition findet sich folglich nicht in der Frage wieder. Anders verhält es sich mit dem Beispiel (48b). Die Frage lässt sich mit Auf wen? stellen. Die Präposition auf wird in der Frage somit realisiert und zeichnet sich zudem durch eine semantische Leere aus. Im Vergleich zu (48a) hat die Präposition in (48b) keine lokale Bedeutung. Obendrein kann die Präposition nicht durch eine andere Präposition ersetzt werden. Die Gründe für die häufig beschriebenen Schwierigkeiten in der Bestimmung sind das Festhalten an der Form und die damit verbundene Vernachlässigung der Funktion. Die Schülerinnen und Schüler wie auch Studentinnen und Studenten sind zumeist in der Bestimmung der Adverbiale recht sicher, bis ihnen neben den Dativ- und Akkusativobjekten das Präpositionalobjekt vermittelt wird. Die häufig identische Form der PP führt bei den Schülerinnen und Schülern an dieser Stelle zumeist zu Übergeneralisierungen (s.-Meibauer et al. 2015, S. 159f.). Des Weiteren ist stets eine Fixierung auf die Semantik innerhalb der Satzgliedbestimmung zu beobachten. So werden häufig Phrasen wie eine Woche in (49a) fälschlicherweise als Temporaladverbial statt als Akkusativobjekt bestimmt. In (49b) wird das Subjekt starker Regen aufgrund der Satzsemantik unter Umständen als Kausaladverbial bestimmt. 5.6 Problemfelder von Schülerinnen und Schülern sowie Studentinnen und Studenten 118 5 Satzglieder und Satzgliedteile (49) a. Er verbringt eine Woche in Tokyo. b. Den Abbruch des Länderspiels verursachte starker Regen. Derartige Beispielsätze (49) sollten im Grammatikunterricht thematisiert und- diskutiert werden. Die Problematik muss den Lernerinnen und Lernern erfahrbar gemacht werden, indem Argumente für die jeweilige Bestimmung gesammelt und hinterfragt werden. Dazu ist es notwendig, mit den zugehörigen Indikatoren der Satzgliedbestimmung zu arbeiten. Ein ähnliches Problem lässt sich bei der Behandlung von Attributen feststellen. Das Adjektivattribut und auch das Genitivattribut werden von Schülerinnen und Schülern verhältnismäßig sicher erkannt. Dies liegt beim Genitivattribut zum Teil daran, dass das Genitivobjekt den Schülerinnen und-Schülern wie auch den Studierenden relativ selten begegnet und die Deckungsgleichheit der Form ihnen zumeist nicht bewusst ist. Anders verhält es sich bei Präpositionalattributen (vgl. 48c) und bei Adverbattributen, die unter Missachtung ihres Satzgliedteilstatus auch als Präpositionalobjekte oder Adverbiale identifiziert werden. Zur Unterscheidung ist die Arbeit mit der Vorfeldprobe zu empfehlen. Lässt sich die zu betrachtende Phrase allein ins Vorfeld verschieben, handelt es sich wahrscheinlich um ein eigenständiges Satzglied. Lässt sich die jeweilige Phrase hingegen nur mit einem Bezugswort verschieben, besitzt die Phrase den Status eines Satzgliedteils. (50) a. Heute fällt die Veranstaltung aus. b. Die Veranstaltung fällt heute aus. c. Die Veranstaltung heute fällt aus. e. Im Audimax fällt die Veranstaltung aus. f. Die Veranstaltung fällt im Audimax aus. g. Die Veranstaltung im Audimax fällt aus. In den Sätzen in (50) zeigt sich, dass die AdvP heute (48a-b) und auch die PP im Audimax (50e-f) jeweils ein eigenständiges Satzglied bilden und somit die syntaktische Funktion eines Adverbials im Satz übernehmen. Zieht man die Sätze (50c-g) vergleichend mit hinzu, wird deutlich, dass in diesen Fällen die AdvP und die PP nur Satzgliedteile bilden und somit als Attribute zu identifizieren sind. 119 5.6.3 „Das war doch schon immer ein Satzglied! “ - Umgang mit dem Prädikat im Rahmen der Satzgliedbestimmung Die Erfahrungen, die man als Lernerin bzw. als Lerner im Grammatikunterricht gemacht hat, sind trotz Studium meist handlungsführend für den eigenen Unterricht als Lehrkraft (Fuß und Geipel, 2018, 7 f.). Dies wird auch in der Aufbereitung des Prädikats als Satzglied für den Unterricht häufig deutlich. Das Prädikat wird im Schulkontext fast einheitlich als Satzglied definiert. Nach der Erarbeitung der Argumente für und gegen die Bezeichnung des Prädikats als Satzglied, für die man zum Beispiel die Gegenüberstellung in der folgenden Tabelle (Granzow-Emden 2019, 291, leicht verändert) nutzen kann, folgt in Seminaren statt inhaltlicher Nachfragen meist die Frage „Wie mache ich das denn jetzt im Unterricht? “. Es bietet sich an, die einzelnen Satzglieder nach der Aufbereitung des Satzgliedbegriffes beginnend mit dem Prädikat zu behandeln, so dass hierbei vor allem valenzbezogen die Bedeutung des Prädikats für den Satz herausgearbeitet werden kann. Auf diese Weise können die Schülerinnen und Schüler das Prädikat als Kern des Satz begreifen. Von diesem Satzkern hängen entsprechend dem valenzbezogenen Ansatz die einzelnen Satzglieder ab und werden oft auch von diesem gefordert. Hier steht die Vermittlung der jeweiligen Kasus des Subjekts sowie der Objekte in einem engen Zusammenhang. Darüber hinaus ist die Arbeit mit dem Feldermodell hierfür zentral, denn der finite Verbteil des Prädikats ist nicht ins Vorfeld verschiebbar; ein finites Verb kann nur in FINIT oder in VK stehen, aber nicht im Vorfeld. Was wir in Grammatiken und Schulbüchern über Satzglieder erfahren: … aber: ▶ Satzglieder sind verschiebbar ▶ Satzglieder können ins Vorfeld verschoben werden, und zwar normalerweise nur komplett ▶ Satzglieder können komplex sein und aus mehreren Phrasen bestehen, die zusammengehören und meist nebeneinander stehen ▶ Satzglieder sind Mitspieler und tragen semantische Rolle wie Agens, Patiens und Rezipient ▶ Satzglieder sind erfragbar ▶ Prädikat sind nicht verschiebbar ▶ nur infinite Verben als Teile von Prädikaten können ins Vorfeld verschoben werden, finite Verben als Prädikate nicht ▶ Prädikate können komplex sein, sind dann aber zumindest in V2-Sätzen getrennt ▶ Prädikate sind keine Mitspieler und tragen auch keine semantischen Rollen, sondern vergeben semantische Rollen ▶ Prädikate sind nicht erfragbar 5.6 Problemfelder von Schülerinnen und Schülern sowie Studentinnen und Studenten 120 5 Satzglieder und Satzgliedteile 5.7 Kurze Zusammenfassung Die Bestimmung von Satzgliedern ist eines der Hauptthemen des Grammatikunterrichtes. Für die Behandlung ist es wichtig, über den Satzgliedbegriff einzusteigen. Die Lernerinnen und Lerner sollten im ersten Schritt den Begriff Satzglied erforschen, bevor sie mit der Lehrkraft die einzelnen Satzglieder separat behandeln. Die Erforschung des Satzgliedbegriffes sollte über die Vorfeldprobe und ergänzend durch die Ersetzungsprobe erfolgen. Dabei ist es zudem empfehlenswert, mit dem Prädikat einzusteigen. Somit ist es auf Grundlage des valenzbezogenen Ansatzes möglich, die Sonderrolle des Prädikates mit den Lernerinnen und Lernern herauszuarbeiten und es von den Satzgliedern zu unterscheiden. Grundsätzlich sollte bei der Behandlung der Satzglieder im Unterricht bedacht werden, dass ein vermitteltes Regelwissen kein sofortiges Regelkönnen nach sich zieht. Es ist notwendig, der Grammatik möglichst induktiv zu begegnen und durch ein abwechslungsreiches didaktisch-methodisches Vorgehen den Unterrichtsgegenstand anschaulich und interessant aufzuarbeiten. Hierfür bietet sich auch die Arbeit mit Zweifelsfällen und Irritationen an. Trotz der Lehrplanvorgaben sollten Exkursstunden zur Grammatik auch in den höheren Klassenstufen erfolgen. 5.8 Aufgaben 1. Entscheiden Sie, ob es sich in den folgenden Beispielen bei den kursiv markierten Ausdrücken um ein Präpositionalobjekt oder um ein Adverbial handelt. Begründen Sie Ihre Entscheidung. a. Ich arbeite an meiner letzten Hausarbeit. b. Er freut sich auf das nächste Schulfest. c. Sie besucht ab nächster Woche den Klavierunterricht. Überlegen Sie, welche Probleme in der Bestimmung bei Schülerinnen und Schülern auftreten können. 1. Im Unterricht wird das Satzglied Subjekt behandelt. Bei der Besprechung des Beispielsatzes Die Frau fragt der Mann treten Probleme in der Bestimmung auf. Die Schülerinnen und Schüler benennen zumeist die Phrase die-Frau als Subjekt des Satzes. Geben Sie die Gründe für die auftretenden 121 5.8 Aufgaben Probleme bei den Schülerinnen und Schülern an und erläutern Sie Möglichkeiten für die Aufarbeitung im Unterricht. 2. „Das ist ein Adverbialobjekt“, antwortet der Schüler seiner Lehrerin. Stellen Sie begründete Überlegungen zu der Ursache dieses Problems an.-Wie können Sie ihm im Unterricht begegnen? Literatur Ágel, Vilmos et al. (Hgg.). 2003/ 2006. Dependenz und Valenz. Berlin: de-Gruyter. Aleker, Wolfgang et al. (Hgg.). 2006. Blickfeld Deutsch 1 (Klasse 5). Schülerband Sachsen. Paderborn: Schöningh. Altmann, Hans. 1987. Zur Problematik der Konstitution von Satzmodi als Formtypen. In Jörg Meibauer (Hg.), Satzmodus zwischen Grammatik und Pragmatik, 22-56. Tübingen: Niemeyer. Altmann, Hans. 1993. Satzmodus. In Joachim Jacobs, Arnim von Stechow, Wolfgang Sternefeld und Theo Vennemann (Hgg.), Syntax. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. Band 1, 1006-1029. Berlin: de-Gruyter. d’Avis, Franz. 2019. Satztyp und Illokution. Der Deutschunterricht 1/ 2019. 24-35. d’Avis, Franz und Jochen Geilfuß-Wolfgang. 2018. Topologische Felder in Grammatiktheorie und Grammatikographie - Topologische Modelle und leere Stellen. In Eric Fuß und Angelika Wöllstein (Hgg.), Grammatiktheorie und Grammatikographie, 121-138. Tübingen: Narr. Bech, Gunnar. 1983. Studien über das deutsche verbum infinitum. 2. Auflage. Tübingen: Niemeyer. Becker, Karl Ferdinand. 1870. Ausführliche deutsche Grammatik als Kommentar der Schulgrammatik. Zweiter Band. 2. Ausgabe. Prag: Verlag von Friedrich Tempsky. Boettcher, Wolfgang und Kaspar H. Spinner. 2018. Von sprachlichen Pannen zum grammatischen Nachdenken. Seelze: Klett Kallmeyer. Brünner, Gisela. 1982. Wer oder was kennst du? Probleme des Grammatikunterrichts. In-Karl Detering, Jürgen Schmidt-Radefeldt und Wolfgang Sucharowski (Hgg.), Akten des 16. linguistischen Kolloquiums Kiel 1981. Band 1, 136-146. Tübingen. Bredel, Ursula. 2006. Orthographische Zweifelsfälle. 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Jagen, Dienste, Schnelligkeit, Betrachten, Unschönes, Ansehnliche, Glätte Wie an diesen korrigierten Wörtern zu erkennen ist, hat die Schülerin Schwierigkeiten mit der Großschreibung der satzinternen Nomen. Sie orientiert sich offenbar an der Semantik der Wörter und schreibt Nomen, die keine Personen oder Dinge bezeichnen, klein. In diesem Text handelt es sich dabei vor allem um Nomen, die aus Verben oder Adjektiven gebildet worden sind, also um Nominalisierungen. Eine Ursache hierfür könnte sein, dass die Schülerin die Wortartenbestimmung mithilfe des semantischen Ansatzes gelernt hat und diesen auch bei dieser Aufgabe anwendet; Personen oder Dinge werden demnach großgeschrieben, Eigenschafts- Wörter (Adjektive) und Tu-Wörter (Verben) hingegen klein. Bei der-Berichtigung kommt es darauf an, dass die Schülerin lernt, sich an den syntaktischen Eigenschaften der Nomen zu orientieren. Wichtig sind dafür die morphologischen Eigenschaften der Nomen (Kasus, Numerus, festes Genus), aber auch Wörter wie Artikel (Artikelfähigkeit) und flektierte Adjektive, die vom Nomen abhängen. Kapitel 3 1. a. Ich habe [das Bild] [mit der Axt] zerstört. (Ich habe das Bild zerstört, und zwar mit der Axt.) b. Ich habe [das Bild [mit der Axt]] zerstört. (Ich habe das Bild zerstört, und zwar das Bild mit der Axt.) 128 Lösungshinweise zu den Aufgaben c. Ich mache eine Reise [mit vier Übernachtungen] [in einem Jeep]. (Ich mache eine Reise in einem Jeep und übernachte dabei vier Mal.) d. Ich mache eine Reise [mit [vier Übernachtungen [in einem Jeep]]]. (Ich mache eine Reise und übernachte dabei vier Mal in einem Jeep.) 2 2. DF AF NK NNF alalalbayt-u bayt-u bayt-u al-ğamil-u al-kabiyr-u Im Arabischen tritt ein Kasusmarker zum Kopf der Nominalphrase. Auch ist wie im Deutschen der Artikel vorgestellt. Im Gegensatz zum Deutschen wird das Adjektiv dem Nomen allerdings nachgestellt. Ein weiterer Unterschied zum Deutschen ist, dass der Artikel alnicht nur vor dem Nomen, sondern auch zusätzlich vor dem Adjektiv steht. Der Kasusmarker -u zeigt sich am Nomen sowie am Adjektiv. Kapitel 4 1. Die Sätze enthalten die folgenden Satzglieder: a. der Hund, den Postboten, in den Arm b. den Postboten c. der Postbote, weil er vom Hund gebissen wurde (1. Ebene) er, vom Hund (2. Ebene) 2. In der Übung könnten sich die Grenzen der Umstellprobe zeigen. In Satz (a) werden die Schülerinnen und Schüler keine großen Probleme bei der Bewältigung der Aufgabe haben. Satz (b) ist ein V1-Satz. Es ist somit kein Vorfeld vorhanden und die Umstellprobe ist ohne eine vorherige Bearbeitung nicht anwendbar. Der Satz (b) ist in einen V2-Satz umformbar: Lass den Postboten los → Er lässt den Postboten los. Durch die Umformung ist es-den Schülerinnen und Schülern nun möglich, die Umstellprobe anzuwenden. Gleiches gilt für den Satz (c), der auf zwei Ebenen betrachtet werden muss: 1. Ebene: Der Postbote geht, weil er vom Hund gebissen wurde → Der Postbote geht deswegen. 2. Ebene: weil er vom Hund gebissen wurde → Er wurde vom Hund gebissen. 129 Lösungshinweise zu den Aufgaben Kapitel 5 1. Bei den Phrasen an meiner letzten Hausarbeit und auf das nächste Schulfest handelt es sich um Präpositionalobjekte, die Präpositionen an und auf hängen von den Verben arbeite und freut ab und haben in dieser Kombination keine Bedeutung. Die Phrase ab nächster Woche hingegen ist ein temporales Adverbial, die Präposition ab hängt nicht von besucht ab und hat eine temporale Bedeutung. Den Schülerinnen und Schülern begegnet im schulischen Kontext zumeist erst das Adverbial mit seinen semantischen Unterklassen. Mit der-späteren Einführung des Präpositionalobjekts kommt es häufig zu Übergeneralisierungen. Präpositionalphrasen werden dann meist flächendeckend den Präpositionalobjekten zugeordnet. Die Schülerinnen und Schüler nehmen in diesem Fall zumeist die Präposition als allumfassendes Entscheidungskriterium. 2. Die Schülerinnen und Schüler könnten die Frau fälschlicherweise als Subjekt bestimmen, da die Frau eine Nominativ- oder eine Akkusativform sein kann. Im Deutschen steht das Subjekt oft (aber nicht immer) am Satzanfang im Vorfeld. Die Schülerinnen und Schüler gehen deshalb zum Teil davon aus, dass die Frau das Subjekt bildet und übersehen das Subjekt der Mann im Mittelfeld, obwohl der Mann eindeutig im Nominativ steht. Für die Arbeit im Unterricht bietet es sich an, mit Umstellungen zu arbeiten und die unterschiedliche Wirkung der Sätze zu vergleichen und zu diskutieren. Beispielhaft sind hierfür Sätze wie: Der Mann isst das Stück Kuchen → Das Stück Kuchen isst der Mann, Der Vater ermahnt die Tochter. → Die Tochter ermahnt der Vater. Zudem sind auch Vorleseübungen denkbar. 3. Bei dem Schüler sind die Kategorien der einzelnen Satzglieder unzureichend ausgebildet. Es könnte sein, dass der Schüler alles außerhalb der Kategorien Subjekt und Prädikat als Restklasse begreift und aus diesem Grund keine klare Trennung vornimmt. Möglich wäre es auch, dass der Schüler aufgrund der Semantik des Satzglieds die Phrase einer semantischen Subklasse der Adverbiale zuordnet, aber dennoch den Objektstatus der Phrase erkennt. Beispielhaft ist hierfür der Satz: Er verbringt eine Woche [Akkusativobjekt] in Tokio. Aufgrund der Semantik der Phrase und unter Missachtung der Valenz sowie der weiteren syntaktischen Merkmale entscheiden sich bei der Bestimmung eventuell fälschlicherweise vermehrt Schülerinnen und Schüler für das Temporaladverial. Ein weiterer Grund könnte sein, dass die Termini nicht sicher beherrscht und verinnerlicht 130 Lösungshinweise zu den Aufgaben wurden. Adverbialbestimmung könnte somit mit der Wortneuschöpfung Adverbialobjekt gleichgesetzt werden. Der Fokus liegt für den Schüler hierbei auf Adverbial, der zweite Bestandteil des Kompositums ist für ihn somit semantisch leer. Die Termini sollten im Unterricht syntaktisch erarbeitet werden. Zudem sollte die Einführung der Satzglieder schrittweise erfolgen. Im Unterricht wäre es auch denkbar, dass eine Bestimmung auf zwei Ebenen von den Schülerinnen und Schülern erarbeitet wird. Auf der ersten Ebene sollten sie die Hauptkategorien Subjekt, Prädikat, Objekt und Adverbial identifizieren. Auf der zweiten Ebene müssen dann semantische Subklassen der Adverbiale oder die Kasusbestimmung der Objekte erfolgen. Diese Zweischrittigkeit sollte durchgängig bei Übungen im Unterricht und auch bei Aufgaben in Leistungsmessungen beibehalten werden. ISBN 978-3-8233-8206-5 www.narr.de Dass Sätze aus Wörtern bestehen, ist für die meisten Sprecherinnen und Sprecher einer Sprache offensichtlich, doch sie tun sich sehr schwer damit, den Aufbau der Sätze zu durchschauen, ihre Struktur zu erkennen. Diese Einführung will zeigen, wie man ausgehend von den Wörtern den Aufbau der einfachen Sätze des Deutschen auf einem Basisniveau beschreiben kann und wie diese Art der Beschreibung im schulischen Grammatikunterricht vermittelt werden kann. So können Schülerinnen und Schüler einen exemplarischen Einblick in den Bau der Sprache bekommen. Der einfache Satz