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Sprachliche Verfestigung

2018
978-3-8233-9216-3
Gunter Narr Verlag 
Kathrin Steyer

Dieser Band befasst sich aus unterschiedlichen theoretischen und empirischen Perspektiven mit sprachlicher Verfestigung an der Schnittstelle von Phraseologie und Konstruktionsgrammatik, wobei primär lexikalische Musterhaftigkeit im Mittelpunkt steht. Kennzeichnend für alle Beiträge ist eine starke korpusempirische Ausrichtung, die es ermöglicht, funktional verfestigte Sprachmuster und Phrasem-Konstruktionen auf der Basis sprachlicher Massendaten zu rekonstruieren und zu beschreiben. Die Untersuchungen liefern sowohl Impulse für eine neue musterbasierte Phraseologie- und Lexikontheorie als auch für die Weiterentwicklung gebrauchsbasierter konstruktionsgrammatischer Ansätze. Anhand zahlreicher Fallstudien werden darüber hinaus Vorschläge unterbreitet, wie diese Forschungen für den Sprachvergleich und die Fremdsprachenperspektive fruchtbar gemacht werden können.

STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE FORSCHUNGEN DES INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE Wortverbindungen, Muster, Phrasem-Konstruktionen Sprachliche Verfestigung Kathrin Steyer (Hrsg.) STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE 79 STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE FORSCHUNGEN DES INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE Herausgegeben von Arnulf Deppermann, Stefan Engelberg und Angelika Wöllstein Band 79 Wortverbindungen, Muster, Phrasem-Konstruktionen Sprachliche Verfestigung Kathrin Steyer (Hrsg.) © 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: Carolin Häberle Printed in Germany ISSN 0949-409X ISBN 978-3-8233-8216-4 Redaktion: Melanie Steinle und Kathrin Steyer Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Inhalt Vorwort ..................................................................................................................... 7 I. SPRaChlIChE VERFEStIGUnG ZWISChEn PhRaSEMEn UnD KOnStRUKtIOnEn. thEOREtISChE UnD EMPIRISChE ZUGÄnGE Dmitrij Dobrovol’skij Sind Idiome Konstruktionen? .............................................................................. 11 Alexander Ziem Tag für Tag Arbeit über Arbeit: konstruktionsgrammatische Zugänge zu Reduplikationsstrukturen im Deutschen...................................................... 25 Arne Zeschel Musterbasierte Lexikografie und das Konstruktikon. Probleme und Perspektiven am Beispiel des deutschen in-Prädikativs ........ 49 Katrin Hein Heile-Welt-Gerede und »Im-fremden-Bett-schlaf-ich-immer-schlecht-Sensibelchen« - Phrasenkomposita als konstruktionsgrammatisch erfassbarer Fall sprachlicher Verfestigung ..................................................................................... 73 Fabio Mollica/ Elmar Schafroth Der Ausdruck der Intensivierung in komparativen Phrasem-Konstruktionen im Deutschen und im Italienischen: eine konstruktionsgrammatische Untersuchung ............................................ 103 Sven Staffeldt ‘es in der Hand haben, zu ...’ Bemerkungen zu auch, aber nicht mehr nur semantisch zu erfassenden Bedeutungsaspekten verfestigter sprachlicher Einheiten................................................................................................................ 137 Martine Dalmas Verfestigungsebenen und Fremdsprachenlexikografie: Wege aus dem Teufelskreis der Synonymie..................................................... 171 Inhalt 6 Nely M. Iglesias Iglesias „Man muss sich schon ganz schön ins Zeug legen ...! “ Plädoyer für eine gebrauchsbasierte phraseografische Praxis ...................... 183 Ana Mansilla Das Wörterbuch „Idiomatik Deutsch-Spanisch“ (2013) aus der Sicht muster- und formelhaften Sprachgebrauchs ................................................... 203 II. PREPCOn. PRÄPOSItIOn-nOMEn-VERbInDUnGEn IM KOntExt. EIn blICK In DIE PROJEKtWERKStatt Einleitung .............................................................................................................. 225 Kathrin Steyer Lexikalisch geprägte Muster - Modell, Methoden und Formen der Onlinepräsentation............................... 227 Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer Auf der Suche nach Äquivalenz. Lexikalisch geprägte Muster kontrastiv: Deutsch - Spanisch .............................................................................................. 265 Peter Ďurčo Faktoren der konvergenten und divergenten Äquivalenz von präpositionalen Wortverbindungen: Deutsch - Slowakisch ................. 285 Katrin Hein/ Peter Ďurčo/ Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer Am Anfang - na začiatku - al principio. Eine musterbasierte Fallstudie im Sprachvergleich .............................................................................................. 307 Abkürzungsverzeichnis ...................................................................................... 341 Teil II: Literatur..................................................................................................... 343 Vorwort Sprachgebrauch konstituiert sich in erheblichem Maße über vorgefertigte lexikalische Chunks, kookkurrierende Ausdrücke und verfestigte Mehrwortlexeme. Solche Einheiten werden als „Bausteine“ abgerufen und eingesetzt, weil sie effizient zum Lösen kommunikativer Aufgaben beitragen. Sie weisen dabei ein ungleich größeres Spektrum an Typen, Merkmalen und Varianten auf, als dies früher in der Phraseologie auch nur annähernd beschrieben werden konnte. Gleichzeitig unterliegen verfestigte Wortgruppen ihrerseits immer Vorprägungen. Dies gilt nicht nur für rekurrente Vorkommen, sondern auch für okkasionelle Ad-hoc-Bildungen. Es ist daher von Mehrfacheinträgen von Wortverbindungen im Lexikon auszugehen, sowohl als lexikalisierte Exemplare (zumindest im Falle ausgeprägter Rekurrenz) als auch als Realisierungen abstrakterer Konstruktionsmuster. Die Natur der Ausfüllungen derartiger Muster ist primär funktional restringiert und regelbasiert kaum vorhersagbar. Korpuslinguistische Methoden ermöglichen es nun, sprachliche Massendaten systematisch auszuwerten und so Verfestigungsprozesse und Musterbildungen zu rekonstruieren. Gleichzeitig erwachsen aus einer solchen konsequent gebrauchsbasierten Sicht auf Sprache neue Herausforderungen, z.B. in Hinblick auf die qualitative Interpretation der zu beobachtenden Massendaten. Im Lichte aktueller Forschungen zu vorgefertigten sprachlichen Einheiten, Mustern und Konstruktionen müssen daher auch tradierte Konzepte wie ‘Kompositionalität’, ‘Holismus’, ‘Idiomatizität’, ‘Lexikalisierung’, ‘Prototypikalität’ oder - in einem ganz generellen Sinne - das Verhältnis von ‘Form’ und ‘Funktion’ neu diskutiert werden. Darüber hinaus ist ebenso über die Folgen nachzudenken, die neue Verfestigungskonzepte für die Fremdsprachenlexikografie und -didaktik haben. Wir stehen auch hier vor einem Paradigmenwechsel, da die lexikalischen, primär funktional motivierten Musterbildungsprozesse zumindest ebenso ins Zentrum der Beschreibung und Vermittlung rücken müssen wie der usuelle Gebrauch einzelner Lexeme (Wörter, Phraseme usw.) und/ oder grammatische Regeln. Der Sammelband ist aus einer Tagung hervorgegangen, die 2015 unter dem Titel „Sprachliche Verfestigung. Chunks, Muster, Phrasem-Konstruktionen“ am Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim stattfand (mit finanzieller Unterstützung der DFG). Die Beiträge des Buchs befassen sich aus unterschiedlichen theoretischen und empirischen Perspektiven mit sprachlicher Verfestigung an der Schnittstelle von Phraseologie und Konstruktionsgrammatik, wobei primär lexikalische Musterhaftigkeit im Mittelpunkt steht. Kennzeichnend für alle Beiträge ist eine starke korpusempirische Ausrichtung, die es ermöglicht, funktional verfestigte Sprachmuster und Phrasem-Konstruktionen Vorwort 8 auf der Basis sprachlicher Massendaten bottom-up zu rekonstruieren und zu beschreiben. Für das Deutsche wurde primär das am IDS beheimatete Deutsche Referenzkorpus (DeReKo) als empirische Basis zugrunde gelegt (des Weiteren die DWDS-Korpora), für andere Sprachen vorrangig Webkorpora in Sketch Engine. Die Untersuchungen liefern sowohl Impulse für eine neue musterbasierte Phraseologie- und Lexikontheorie als auch für die Weiterentwicklung gebrauchsbasierter konstruktionsgrammatischer Ansätze. Anhand zahlreicher Fallstudien werden darüber hinaus Vorschläge unterbreitet, wie diese Forschungen für den Sprachvergleich und die Fremdsprachenperspektive fruchtbar gemacht werden können. Teil I beinhaltet Beiträge renommierter Forscherinnen und Forscher, die sich anhand verschiedener exemplarischer Studien dem Phänomen der sprachlichen Verfestigung nähern: a) zu phraseologisch-konstruktionsgrammatischen Aspekten sprachlicher Verfestigung die Beiträge von Dobrovol’skij (konstruktioneller Status von Idiomen), Ziem (Reduplikationsstrukturen im Deutschen), Zeschel (in-Prädikativ im Deutschen), Hein (Phrasenkomposita im Deutschen) sowie Mollica/ Schafroth (komparative Phrasem-Konstruktionen im Sprachvergleich); b) zu semantischen (Muster-)Perspektiven sowie zu lexikografischen Fragen (sowohl monoals auch bilingual) die Beiträge von Staffeldt (Semantik und Pragmatik von Hand-Phrasemen), Dalmas (Adjektivsemantik und Fremdsprachenlexikogafie), Iglesias Iglesias (gebrauchsbasierte Mehrwortlexikografie) und Mansilla (Musterperspektive im zweisprachigen Idiom-Wörterbuch). Teil II gewährt einen Einblick in die Werkstatt des trilingualen Projekts „PREP- CON. Präposition-Nomen-Verbindungen im Kontext“, das ein Kooperationsvorhaben von Kolleginnen und Kollegen aus Mannheim, Trnava und Santiago de Compostela darstellt (siehe die Beiträge von Steyer; Mellado Blanco/ Steyer; Ďurčo und Hein et al.). Erstmals werden das musterbasierte Modell der usuellen Wortverbindungen und die entsprechenden korpusempirischen Methoden auf andere Sprachen angewendet. Neue Perspektiven eröffnen sich insbesondere für Äquivalenztheorien, die kontrastive Lexikografie und die Fremdsprachendidaktik. Nähere Informationen zu diesem Teil liefert die entsprechende Einleitung dort. Der gesamte Band soll schließlich zu einer Diskussion über die Frage anregen, inwieweit eine neue schulen- und disziplinübergreifende, gebrauchsbasierte „Theorie der sprachlichen Verfestigung“ auszuarbeiten ist. Ich danke Katrin Hein für die große und wertvolle Unterstützung beim Lektorieren; Oxana Bogatyrenko und Teemu Arola für die Hilfe bei der formalen Anpassungen der Manuskripte. Mannheim im September 2018 Kathrin Steyer I. SprachlIche VerfeStIgung zwISchen phraSemen und KonStruKtIonen. theoretISche und empIrISche zugänge Dmitrij Dobrovol’skij Sind idiome KonStruKtionen? 1 Die Beantwortung der im Beitragstitel formulierten Frage scheint einfach zu sein. In Fillmore/ Kay/ O’Connor (1988, S. 504) wurden Konstruktionen als „things that are larger than words, which are like words in that they have to be learned separately as individual whole facts“ beschrieben. Dieser Begriffsbestimmung zufolge, die auf alle Idiome zutrifft, sind Idiome Konstruktionen „per definitionem“. Einerseits gehört die gesamte Phraseologie zum Gegenstandsbereich der Konstruktionsgrammatik (KxG). Andererseits ist der theoretische und besonders der praktische Nutzen eines solchen Zusammenschlusses der beiden linguistischen Konzeptionen (Theorie der Phraseologie und Konstruktionsgrammatik) fraglich. Bestimmte Instrumente und Herangehensweisen der KxG sind für jene Bereiche am besten geeignet, die mit Mitteln der traditionellen Phraseologie nicht befriedigend erfasst werden können. Hierzu gehören vor allem Phrasem-Konstruktionen, d.h. syntaktische Formen, die als Ganzes eine lexikalische Bedeutung haben. Dabei sind bestimmte Positionen in ihrer Struktur lexikalisch besetzt, während andere Positionen Slots darstellen, die gefüllt werden müssen: ihre Besetzung ist lexikalisch frei, unterliegt jedoch bestimmten semantischen Restriktionen. Als Beispiele der Phrasem-Konstruktionen können Strukturen dienen wie [N1 hin, N1 her]: Krise hin, Krise her; [anVAdj kommen]: angetanzt kommen; [DET N in Person]: die Blödheit in Person. (Siehe ausführlicher Dobrovol’skij 2011). 2 Aber auch im Bereich der Idiome gibt es Phänomene, die die Hinwendung zu konstruktionsgrammatischen Analyseverfahren erforderlich machen. Erscheinungen dieser Art stehen im Mittelpunkt des vorliegenden Artikels. Das Ziel dieses Beitrags ist es, Antwort auf die eingangs gestellte Frage zu geben, und zwar anhand von Korpusanalysen. Dabei beschränke ich mich auf 1 Die Arbeit ist z.T. im Rahmen des RGNF-Projekts 16-04-00291 zu Typen lexikografischer Information entstanden. Für ihre wertvollen Kommentare bin ich meiner kürzlich verstorbenen Kollegin Elisabeth Piirainen zu Dank verpflichtet. 2 Auf die Existenz von Phrasemen dieses Typs in verschiedenen Sprachen wurde mehrmals hingewiesen, allerdings wurden sie im Rahmen der Phraseologie immer als eine Randerscheinung behandelt. Für die Bezeichnung dieser Phänomene wurden verschiedene Termini verwendet, darunter: Phraseoschablonen (Fleischer 1997, S. 130-134), modellierte Bildungen (Černyševa 1980, S. 35, 130f., 1986, S. 213-217), syntactic idioms (Nunberg/ Sag/ Wasow 1994; Jackendoff 1997), constructional idioms (Booij 2002; Taylor 2002), schematic idioms (Croft/ Cruse 2004, S. 248) etc. Dmitrij Dobrovol’skij 12 die umfassende Analyse eines Idioms, anhand dessen die Problematik aus unterschiedlicher Perspektive aufgezeigt werden kann. 1. idiomsemantik und konstruktionelle Anpassung: Fragestellung und datenquelle Bei bestimmten Idiomen wirkt sich die konstruktionelle Einbettung auf ihre semantischen und/ oder pragmatischen Besonderheiten aus. Solche Idiome variieren ihr semantisch-pragmatisches Potenzial je nach der Matrixkonstruktion. So unterscheidet sich die Semantik (und infolgedessen auch die Pragmatik) des deutschen Idioms etw. ist (nicht) jmds. Bier je nachdem, in welcher Person es gebraucht wird; siehe dazu auch Dobrovol’skij (2011, S. 121): 3 (1) das/ etw. ist (nicht) mein/ dein/ sein/ unser/ euer/ … Bier Es handelt sich um ein Satzidiom bzw. um eine propositionale Struktur mit einer offenen Subjekt-Valenz. Das Idiom zeichnet sich durch zwei Besonderheiten aus, die es in die Nähe von Konstruktionen rücken, die im Rahmen der KxG untersucht werden: Zum einen ist es das nahezu gleichwertige Vorkommen des Idioms mit und ohne Negation, zum anderen ist es das variable Possessivpronomen. Es mag als trivial gelten, dass Idiome mit einem Possessivpronomen dieses Pronomen in Genus, Person und Numerus dem Kontext anpassen, z.B. beim Fußball ist sie ganz in ihrem Element; du kannst mir dein Herz ausschütten; wir sollten uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen; die Verlierer lecken sich jetzt ihre Wunden oder auch adverbial: sie sagt, das passiere nur über ihre Leiche. Aufgrund dieser Variationsmöglichkeiten von Idiom (1) (mit/ ohne Negation, Anpassung des Possessivpronomens) wirkt es jedoch wie eine „Konstruktion“, ein syntaktisch vorgegebenes Pattern, dessen Slots lexikalisch unterschiedlich gefüllt werden und das deshalb im Rahmen der KxG analysiert werden könnte. In Fillmores Termini handelt es sich dabei also um ein lexically open idiom. Das Besondere daran ist, dass die Verwendung des Idioms in den drei Personalformen (1., 2. und 3. Person sowie im Singular und/ oder Plural) unterschiedliche pragmatische Funktionen zur Folge hat. Die illokutive Kraft eines in der 2. (oder 3.) Person verwendeten Ausdrucks wirkt in der Weise in die Semantik und Pragmatik des Idioms hinein, dass es mit unterschiedlichen Bedeutungsexplikationen versehen werden müsste. Dies gilt es im Folgenden anhand von Korpus-Texten zu verifizieren. 3 Auch die russischen Idiome mit der Bedeutung ‘es geht jmdn. nichts an’ weisen je nachdem, in welcher Person sie gebraucht werden, deutliche semantisch-pragmatische Unterschiede auf; vgl. dazu in einem anderen theoretischen Zusammenhang auch Dobrovol’skij/ Padučeva (2010, S. 116-119). Sind Idiome Konstruktionen? 13 Als Materialbasis wähle ich die Texte des Deutschen Referenzkorpus (DeReKo). Dieses Korpus stellt zugleich die Frequenz-Daten der verschiedenen Vorkommensweisen zur Verfügung, vgl. dazu die Tabellen weiter unten. Das Idiom gehört einem umgangssprachlich-saloppen Register an. Daher finden sich die meisten Texte als sprechsprachliche Äußerungen einer Person, in mündlichsprachigen Situationen oder in Kontexten konzeptioneller Mündlichkeit. In DeReKo gibt es eine Häufung in den Teilkorpora der Parlamentsdebatten und von Diskussionen von Wikipedia-Autoren. In literarischen Texten kommt das Idiom selten vor. 2. ergebnisse Die Äußerung das ist nicht mein Bier (1. Person) wird normalerweise in dem Sinn verstanden, dass der Sprecher für den betreffenden Sachverhalt keine Verantwortung übernehmen will. Ähnlich fungieren auch die nicht-idiomatischen Ausdrücke das geht mich nichts an, ich kümmere mich lieber um meine eigenen Angelegenheiten u.Ä. Es handelt sich also um die Illokution des „Nichtinvolviert-werden-wollens“. Der Sprecher will nicht in die Umstände der betreffenden Situation hineingezogen werden. Manchmal hat die Äußerung mit nicht mein Bier einen konzessiven Charakter, etwas wie das geht mich zwar nichts an, aber… Vgl. Kontexte erster Person mit Negation in (2) und (3). 4 (2) a. Das Regieren bleibt aber, wie schon gesagt, sowieso eine Aufgabe des Stadtrats; das ist wirklich nicht mein Bier. (St. Galler Tagblatt, 1.10.2010, S. 41) b. Wie das alles finanziert werden soll? „Das ist jetzt erst mal nicht unser Bier“, erklärte Fritz. (Mannheimer Morgen, 7.3.2001) (3) Das mag sein - ist ja auch nicht unbedingt mein Bier. Aber wenn jede Sendung relevant genug ist um hier extra aufgeführt zu werden, dann sollte es doch ein bisschen mehr Infos geben. (Diskussion: Club 2, in: Wikipedia) Äußerungen mit diesem Idiom ohne Negation zeichnen sich durch eine andere Semantik und Pragmatik aus. Die betreffenden semantischen Unterschiede lassen sich nicht auf die Negationskomponente reduzieren, sind folglich nicht trivial. Normalerweise lässt sich die Einführung der Negation nach der Formel beschreiben: ES IST NICHT WAHR, DASS P(X) → X nicht P. Die Beispiele (2-4) zeigen, dass die betreffenden semantisch-pragmatischen Unterschiede sich hier nicht auf die Komponente ‘es ist nicht wahr, dass’ reduzieren lassen. 4 Hier werden DeReKo-Daten ausgewertet (Stand: 5/ 2016). Vgl. Institut für Deutsche Sprache (2015). Für die Hilfe bei der Bearbeitung der Korpusdaten danke ich Elena B. Krotova. Dmitrij Dobrovol’skij 14 (4) a. Zwar bestreitet niemand, daß Rauchen der Gesundheit schadet - wie ja überhaupt das Leben bekanntlich lebensgefährlich ist. aber ob ich gesund lebe oder nicht, das, so ließe sich einwenden, ist mein Bier. ( DIE ZEIT , 25.1.1985, S. 39) b. Doch, ganz ehrlich jetzt, ich war so ein halber Hippie […] Das geht doch keinen was an! Ist alleine mein Bier! (Nordkurier, 8.10.2014, S. 15) c. Was genau willst du mir damit jetzt sagen? Wo ich schreibe oder nicht schreibe ist immer noch mein Bier, wenn du was persönlich gegen mich hast, kannst du es mir auch auf meiner Diskussionsseite mitteilen. (Diskussion: Gemeinschaft Sant&#8217; Egidio/ Archiv/ 2007, in: Wikipedia) d. Es kann zum Beispiel auch sein, daß ich meine Verwandtschaft überhaupt nicht mehr wiedersehen möchte. Dann ist das mein Bier, und es geht diesen Staat überhaupt nichts an. (Protokoll der Sitzung des Parlaments Landtag Schleswig-Holstein am 18.2.1998) Hier meint der Sprecher vor allem, dass die betreffende Angelegenheit die anderen nichts angeht. Der Sprecher spricht anderen die Berechtigung ab, sein Verhalten bewerten bzw. beeinflussen zu wollen. Die Einführung der Negation (wie in Kontexten 2 und 3) modifiziert diesen Äußerungsinhalt nicht im Sinne ‘X lässt zu, dass sich die anderen einmischen’, wie man erwarten könnte, sondern erzeugt eine andere Bedeutung und eine grundsätzlich andere Illokution. Folglich handelt es sich hier um coercion, eine Modifikation der lexikalischen Bedeutung unter dem Einfluss der Konstruktion. In der Form der 1. Person Plural finden sich auch Kontexte mit einer wieder anderen Illokution; vgl. (5). Der Sprecher signalisiert, dass er verhindern will, dass er von bestimmten Handlungen und Vorgängen ausgeschlossen wird und mahnt Beteiligtsein an. (5) a. In politischen Ämtern braucht es mehr Frauen, meint das Frauennetz Gossau. Darum lanciert es die Aktion „Politik ist auch unser Bier“. Und hofft so, ihr Ziel zu erreichen. (St. Galler Tagblatt, 21.8.2012, S. 41) b. Unter dem Motto „Die Zukunft von Wiener Neustadt ist unser Bier“ sollen Zukunftsfragen der Stadt besprochen werden. (Niederösterreichische Nachrichten, 24.7.2014) Die DeReKo-Recherche hat ergeben, dass es frequenzmäßig keine statistisch relevanten Unterschiede zwischen den beiden Formen der 1. Person - mit und ohne Negation - gibt; vgl. Tabelle 1. Sind Idiome Konstruktionen? 15 1. Person ohne Negation 1. Person mit Negation etw. ist mein Bier 143 etw. ist nicht mein Bier 104 etw. ist unser Bier 140 etw. ist nicht unser Bier 87 Total 283 Total 191 tab. 1: D e R e K o - Häufigkeit: (nicht) mein/ unser Bier In den Formen der 2. Person wird der Inhaltsplan des negierten Idioms unter Umständen modifiziert. Es wird nicht die Idee profiliert, dass der Adressat (als Referent des Possessivpronomens) für den betreffenden Sachverhalt keine Verantwortung übernehmen will/ soll bzw. dass sich der Adressat aus der Sache herauszuhalten will, sondern der Hinweis des Sprechers darauf, dass er den Adressaten für nicht zuständig hält oder dieser nicht beachtet zu werden braucht, z.B. weil er zu unbedeutend ist, o.Ä. Es handelt sich hier also um eine andere semantisch-pragmatische Implikatur: das ist nicht dein Bier kann (muss aber nicht) in dem Sinn verstanden werden, dass sich der Betreffende lieber um seine eigenen Angelegenheiten kümmern soll, statt sich in die gemeinte Situation einzumischen. Vgl. (6). (6) a. Nochmals ganz langsam zum Mitschreiben: Artikel in WP gehören keinen. Dieser Artikel hier ist nicht Deine Privatveranstaltung. Jeder hier darf und soll an diesem Artikel mitwirken, ihn ergänzen, ändern, erweitern, kondensieren usw., solange es auch nur einigermaßen sinnvoll erscheint. Und das ohne Deine Zustimmung zu bekommen. Damit ist es nicht mehr Dein Bier, wie dieser Artikel sich entwickelt. (Diskussion: Nahrungstabu/ Archiv/ 2, in: Wikipedia) b. Die Grünen haben sich einmauern lassen, auch von den Sozialdemokraten, die sagten: ‘Ihr könnt doch nicht mit den Rechten, mit den Schwarzen. Wir müssen, denn wir machen das aus Staatsräson. Aber das ist ja nicht euer Bier.’ (die tageszeitung, 10.2.2007, S. I-III) c. Wenn Sie sagen, es ist nicht Ihr Bier, hier Vorschläge zu machen, dann können wir uns groß herausreden und sagen: Das ist Bundesrecht und darüber hat der Landtag gar nicht zu diskutieren. (Protokoll der Sitzung des Parlaments Sächsischer Landtag am 18.3.2004) Andererseits finden sich auch solche Kontexte, in denen die Implikatur des „Nicht-verantwortlich-seins“, die für die 1. Person typisch ist, auch in der 2. erhalten bleibt. Gemeint sind Kontexte wie Was regst du dich so auf, es ist doch nicht dein Bier. In den entsprechenden Konstruktionen handelt es sich also um zwei verschiedene Varianten der Idiombedeutung. Vgl. Belege (6) und (7). Dmitrij Dobrovol’skij 16 (7) Stelle als Businessman Personal ein, das nicht die geringste Ahnung vom Multifunktions-TV-Megaset im Schaufenster hat, aber dem Käufer zuverlässig „Viel Spaß damit“ hinterherruft, wenn er mit dem Kasten abzieht; es ist nicht dein Bier, dass er ihn niemals wird bedienen können. (Süddeutsche Zeitung, 1.9.2001, S. 1) Im Korpus begegnen uns auch Kontexte, in denen beide Interpretationen potenziell möglich sind. (8) Vieles ist nicht Dein Bier. Dann lass eben Finger davon - ganz. (Diskussion: Freitagsgebet, in: Wikipedia) Die Form das ist dein/ euer Bier (d.h. das hier diskutierte Idiom ohne Negation) kommt meistens in Kontexten vor, in denen der Hinweis des Sprechers profiliert wird, dass die betreffende Angelegenheit nicht sein Problem ist und explizit an andere verwiesen wird, oft als Zurückweisung (in bestimmten Kontexten sogar als Aufforderung oder auch Kritik); vgl. (9). (9) a. Immerwährende Neutralität hingegen heißt: „Wir halten uns da raus! Ist Euer Bier! Macht das unter Euch aus! Wir haben Besseres zu tun.“ (Die Presse, 18.10.2005, S. 30) b. Wie du das hier regelst, ist dein Bier. (Imbsweiler, Marcus: Schlussakt, [Kriminalroman]. Meßkirch, 25.3.2011) c. „Das ist dein Bier. Ich bin nur für Ideen zuständig.“ ( DIE ZEIT , 8.10.1993, S. 4) d. Natürlich ist es „dein Bier“ wie und wo du schreibst … dass du aber nur zu Sant’ Egidio schreibst, weil du (nur) davon etwas verstehst, das habe ich nun wirklich nicht ahnen können. (Diskussion: Gemeinschaft Sant&#8217; Egidio/ Archiv/ 2007, in: Wikipedia) In diesem Sinne sind die negierten Formen der 1. Person mit den nichtnegierten Formen der 2. Person quasisynonym. Dies kommt besonders deutlich in den Kontexten zur Geltung, in denen die beiden Formen explizit kontrastiert werden; vgl. (10). (10) a. Benutzernamen vorsätzlich zu manipulieren ist übrigens ganz schlechter Stil, ich bin nicht Uka sondern PUdK. Dass du, wie mit so vielen anderen auch, mit Benutzer Uka ebenfalls deine Probleme hast, ist dein Bier, nicht meins. (Diskussion: Kunstgriffe/ Archiv, in: Wikipedia) b. wikiquette: diese mit massiven verstößen gegen selbige zu verteidigen finde ich witzig. das ist euer bier, nicht meins. (Diskussion: Ölpreis/ Archiv/ 1, in: Wikipedia) Sind Idiome Konstruktionen? 17 c. Bundeskanzler Gerhard Schröder, der das Bündnis in seiner Rede nur am Rande streifte, hielt sich raus. Zwar plädierte er indirekt für moderate Lohnabschlüsse, fügte aber postwendend hinzu: „Aber das ist euer Bier, nicht meines.“ (Nürnberger Nachrichten, 2.11.1998, S. 3) Im Unterschied zu den Formen der 1. Person dominieren in der 2. Person frequenzmäßig die nichtnegierten Formen; vgl. Tabelle 2. Das besagt jedoch nicht, dass das auf den Gebrauch des Idioms im Allgemeinen zutrifft, denn es handelt sich nur um die Korpusdaten im DeReKo. 2. Person ohne Negation 2. Person mit Negation etw. ist dein Bier 36 etw. ist nicht dein Bier 3 etw. ist Ihr Bier 46 etw. ist nicht Ihr Bier 5 etw. ist euer Bier 21 etw. ist nicht euer Bier 2 Total 103 Total 10 tab. 2: D e R e K o - Häufigkeit: (nicht) dein/ Ihr/ euer Bier In der 3. Person wird das negierte Idiom meistens in dem Sinn verstanden, dass sich der Betreffende für die besprochenen Angelegenheiten nicht interessiert. Es handelt sich hier also weder um die Intention des „Nicht-verantwortlich-seins“ noch um den Hinweis des Sprechers auf den niedrigen Status der betreffenden Person. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das semantischpragmatische Profil des Idioms in der 3. Person von seinen Formen der 1. und 2. Person. Vgl. typische Korpusbelege in (11). (11) a. Eine Brotfabrik mit Massenware - das ist nicht sein Bier. Bei ihm stehen Handarbeit und erstklassige Zutaten hoch im Kurs. (Mannheimer Morgen, 27.4.1999) b. Alles, was jetzt kommt an diesem langen Nachmittag, ist sozusagen nicht mehr sein Bier. Es ist das Bier des Reporters, der leider erst beim Abhören des Gesprächs merkt, dass auch er versucht, was Plattenmanager, Konzertveranstalter und viele Musiker auch versuchen: Withers wieder zum Aufnehmen zu bewegen. (Süddeutsche Zeitung, 15.9.2012, S. 3) c. Nein, Autoren sprächen naturgemäß wirklich besser über das Verlagswesen, Textverarbeitungsprogramme, Schreibkrisen, Frankfurter Bordelle und Bleistiftanspitzer. Alles andere ist schlicht nicht ihr Bier. (die tageszeitung, 8.4.2011, S. 28) d. Nicht nur die alte Liebe zu Ski und Schnee hat Luc nach Are gezogen, vielmehr tanzt er im hohen Norden auf einigen Sponsoren- Dmitrij Dobrovol’skij 18 Hochzeiten. Normal ist Rennfahrerei nicht mehr sein Bier, wenn es aber darum geht, dass er und andere Legenden von gestern mit den WM-Berichterstattern von heute in der Carlsberg-Trophy um die Wette fahren, ist Alphand ebenso am Start […]. (Die Presse, 14.2.2007, S. 8) e. Die Schuhfabrikanten […] haben ja einen Teil der Fertigung „nach draußen“, an den Subunternehmer, gegeben. Wie der mit seiner Sache klarkommt, ist nicht ihr Bier. So wird die Kinderarbeit erfolgreich versteckt. (Nürnberger Nachrichten, 8.10.1999, S. 3) In einigen Kontexten wird eine andere Idee profiliert, und zwar weist der Sprecher darauf hin, dass der Betreffende für den gegebenen Sachverhalt keine Verantwortung trägt und sich folglich nicht einmischen sollte; vgl. (12). Diese Verwendungsweise des Idioms korreliert mit der für die Formen der 2. Person typischen Illokution und kann paraphrasiert werden als ‘Er soll sich lieber um seine eigenen Angelegenheiten kümmern’. (12) Nur 20 Profis stehen ihm zur Verfügung: „Wenn die ersten Verletzungen kommen und die Transferperiode Ende August ausläuft, brennt es hier lichterloh.“ Bertram kontert: „Das ist eine Geldfrage - und somit nicht sein Bier.“ (die tageszeitung, 28.7.2003, S. 27) Wenn das Idiom in der 3. Person ohne Negation gebraucht wird, zeichnet es sich durch eine wieder andere illokutive Funktion aus. Der Sprecher betont, dass der Betreffende seine Probleme selbst lösen muss. In diesem Sinne korreliert die Form es ist sein Bier mit der negierten Form der 1. Person es ist nicht mein Bier. Vgl. (13). (13) a. Gefragt, ob nun die CSU auf den drogenpolitischen Zug der SPD springe, mochte sich die CSU-Politikerin Nagel an eine Tisch-Initiative von Schulte-Sasse nicht erinnern und meinte lapidar: „Was der tut, ist sein Bier.“ (Süddeutsche Zeitung, 2.9.1993, S. 46) b. ZDF-Moderatorin Nina Ruge hat die Kritik an ihrem Interview mit Daimler-Chef Jürgen Schrempp in der Sendung Leute heute entschieden zurückgewiesen. Zum Vorwurf von Chefredakteur Klaus Bresser, sie habe den Manager nicht kritisch genug befragt, sagte sie in einem Interview der Bunten: „Das ist sein Bier …“ Wir sind eine Boulevard-Sendung.“ (Süddeutsche Zeitung, 24.4.1997, S. 22) In Kontexten (14), in denen dieses Idiom auch in der 3. Person ohne Negation gebraucht wird, besteht seine illokutive Rolle im Hinweis auf die Entscheidungsfreiheit des Referenten des Possessivpronomens sein. Das ist sein Bier bedeutet hier ‘es ist sein Recht, so und nicht anders zu handeln’. Sind Idiome Konstruktionen? 19 (14) a. Wir leben in einer freien Gesellschaft und jeder kann an das glauben, was er will. Wenn dadurch ein anderer auf Kondome verzichtet, dann ist das sein Bier und seine Entscheidung. (Diskussion: AIDS- Leugnung/ Archiv/ 2010, in: Wikipedia) b. Kein Grund zur Panik, lautet die Parole: Verantwortlich für den Austausch sei nicht etwa die Abrechnungsfirma, sondern der Vermieter. Kues: „Wenn der Hauseigentümer die Geräte nicht ersetzen will, ist das sein Bier.“ ( DIE ZEIT , 26.5.1989, S. 28) Das zahlenmäßige Verhältnis der beiden Formen der 3. Person - mit oder ohne Negation - wird in Tabelle 3 vorgestellt. Die Ergebnisse der DeReKo- Recherche sind hier dem frequenzmäßigen Verhältnis der Formen der 2. Person ähnlich (vgl. Tabelle 2) und unterscheiden sich von den Ergebnissen in Bezug auf die 1. Person (vgl. Tabelle 1). Während der Vergleich der negierten und nichtnegierten Formen der 1. Person keine statistisch relevanten Unterschiede ergeben hat, dominieren hier zahlenmäßig die nichtnegierten Formen. 3. Person ohne Negation 3. Person mit Negation etw. ist sein Bier 50 etw. ist nicht sein Bier 12 etw. ist ihr Bier 34 etw. ist nicht ihr Bier 8 Total 84 Total 20 tab. 3: D e R e K o - Häufigkeit: (nicht) sein/ ihr Bier Im Ganzen zeigen die frequenzmäßigen Angaben eine deutliche Asymmetrie. Am häufigsten wird das analysierte Idiom in der 1. Person gebraucht (474 Treffer im DeReKo). Die Formen der 2. und 3. Person kommen viel seltener vor (113 Treffer in der 2. und 104 Treffer in der 3. Person). Wenn man davon ausgeht, dass hinter dem Lemma etw. ist (nicht) mein/ dein/ sein Bier ein Cluster von konkreten Konstruktionen steht, muss der Grad ihrer Salienz berücksichtigt werden. In diesem Sinne ist der Eintrag in Duden (2013, S. 115) das ist [nicht] mein Bier eine gute lexikografische Lösung, 5 denn es handelt sich hier primär um die Konstruktion etw. ist (nicht) mein/ unser Bier. 3. diskussion Wie soll in diesem und ähnlichen Fällen ein solches Cluster von Konstruktionen theoretisch erfasst und lexikografisch beschrieben werden? Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder wird jede Form mit ihren Bedeutungen 5 Allerdings fehlt in Duden (2013) jeder Hinweis auf die Existenz anderer Formen, geschweige denn auf ihre semantisch-pragmatischen Besonderheiten. Dmitrij Dobrovol’skij 20 und pragmatischen Besonderheiten als eine selbstständige Einheit erfasst, oder es wird ein formal und semantisch unterspezifizierter Ausdruck als Ausgangsform postuliert, auf deren Grundlage die betreffenden Formen erzeugt werden. Beide Möglichkeiten sind vor dem Hintergrund konstruktionsgrammatischer Postulate theoretisch akzeptabel. Im ersteren Fall stützt man sich auf die These, dass jede Veränderung der Form und/ oder der Bedeutung zur Entstehung einer neuen Konstruktion führt, denn die Konstruktion stellt per definitionem eine Einheit von Form und Bedeutung dar. Im letzteren Fall liefert das coercion-Prinzip (d.h. das Prinzip der konstruktionellen Anpassung) die theoretische Grundlage für die konstruktionsgrammatische Behandlung formaler und semantischer Variation dieser Art. Diese Beschreibungsart ist eindeutig vorzuziehen, schon aus dem Grund, dass die explizite Auflistung aller relevanten Formen mit den jeweiligen Bedeutungen und illokutiven Funktionen unökonomisch und kaum elegant ist. 6 Die Interpretation, die auf dem coercion-Prinzip basiert, hat auch aus der Sicht der Theorie der Phraseologie mehr Vorteile, weil sie nicht nur das Funktionieren konkreter Form-Bedeutungseinheiten beschreibt, sondern auch die Mechanismen des semantisch-pragmatischen Shifts aufdeckt. Das coercion- Prinzip beruht auf der Annahme, dass es sich in solchen Fällen nicht um eine jeweils neue Bedeutung, sondern um konstruktionsbedingte semantische Regeln handelt, d.h. um verhältnismäßig reguläre Bedeutungsmodifikationen, die auf die jeweilige Einbettung zurückzuführen sind. Es stellt sich die Frage nach der Natur solcher Regeln. In der Moskauer Semantischen Schule werden Mechanismen, die ähnliche Bedeutungsshifts regeln, als „syntagmatische semantische Regeln“ bezeichnet und als Regeln des Zusammenwirkens der betreffenden Einheit mit anderen Spracheinheiten im Text definiert (vgl. Apresjan 2010, S. 217). Bei der konstruktionellen Anpassung des Idioms etw. ist (nicht) mein/ dein/ sein Bier handelt es sich auch um ein pragmatisches Phänomen. Die pragmatischen Mechanismen, die den betreffenden konstruktionsbedingten illokutionären Shift regeln, sind (zumindest teilweise) klar. In der Konstruktion der 1. Person bestimme ich selbst die Grenzen meines Zuständigkeitsbereichs; deshalb ist es logisch, dass die Äußerung das ist nicht mein Bier normalerweise in dem Sinn verstanden wird, dass der Sprecher für den betreffenden Sachverhalt keine Verantwortung übernehmen will. Der Sprecher entscheidet selbst, was er will und was nicht. Die nichtnegierte Äuße- 6 Andererseits wäre eine solche Beschreibung in einem digitalen Wörterbuch durchaus denkbar und möglicherweise sogar benutzerfreundlicher als traditionelle Wörterbucheinträge, die dem Leser allgemeine, unterspezifizierte Informationen geben. Sind Idiome Konstruktionen? 21 rung das ist mein Bier wird meistens als Hinweis des Sprechers verstanden, dass die betreffende Angelegenheit die anderen nichts angehe. Dies ist auch logisch, weil der Sprecher über den relevanten Zuständigkeitsbereich aus seiner Sicht selbst entscheiden kann. In den Konstruktionen der 2. Person entscheidet der Sprecher nicht über seinen eigenen Zuständigkeitsbereich, sondern über die Kompetenzgrenzen des Adressaten. Dies wird in der Regel als beleidigend empfunden. Aus diesem Grund werden Äußerungen des Typs das ist nicht dein Bier oft als die Einmischung des Sprechers in die persönliche Sphäre des Adressaten verstanden. Auch die nichtnegierte Form das ist dein Bier, die als Hinweis des Sprechers darauf verstanden wird, dass die betreffende Angelegenheit nicht sein Problem ist und dass die Verantwortung auf dem Adressaten liegt, zeichnet sich durch ein bestimmtes aggressives Potenzial aus. Hier, wie auch in den negierten Formen, bestimmt der Sprecher über die Kompetenzen des Adressaten. Die Formen der 3. Person (ob negiert oder nicht) setzen auch oft voraus, dass sich der Sprecher in den Kompetenzbereich anderer Menschen einmischt. Indem er sagt das ist sein Bier oder das ist nicht sein Bier, entscheidet er für den anderen, was ihm zusteht oder wofür er sich interessiert. Es scheint, dass man Phänomene dieser Art in den Termini regulärer und vorhersagbarer pragmatischer Implikaturen beschreiben könnte. In diesem Fall wäre die Hinwendung zur KxG bei der Beschreibung der Idiombedeutung - zumindest aus traditioneller Sicht - überflüssig. Diese einfache Lösung würde aber nicht alle Facetten der betreffenden Erscheinung abdecken. Es handelt sich dabei weder um konversationelle Implikaturen im Sinne von Grice (1975) noch um konventionelle Implikaturen, wie sie von Levinson (1983) definiert werden. Konversationelle Implikaturen sind universelle, durch die Situation bedingte Interpretationsregeln der Äußerungen und ihrer Elemente im Diskurs. Die analysierten Beispiele zeigen aber, dass die Interpretation des diskutierten Idioms auch von der jeweiligen Konstruktion abhängt. Die Auffüllung des Possessivpronomen-Slots ändert die Interpretationsrichtung. Es handelt sich dabei auch nicht um konventionelle Implikaturen, weil die jeweilige illokutive Rolle der entsprechenden Äußerung in bestimmten Kontexten aufgehoben werden kann. Lexikalisierte Implikaturen (Talmy 1991) sind es auch nicht, denn sie sind nicht an dieses konkrete Idiom gebunden. Ähnliche Interpretationsregeln sind grundsätzlich auch auf quasisynonymische nicht-idiomatische Ausdrücke applizierbar wie das geht mich/ dich/ ihn nichts an, kümmere dich lieber um deine eigenen Angelegenheiten u.Ä. Für die Beschreibung der hier diskutierten Erscheinung wäre der Begriff der konstruktionellen Implikatur adäquat. Das bedeutet, dass bei der Interpretation der Idiombedeutung der Einfluss der Konstruktionen, in die dieses Idiom eingebettet werden kann, zu berücksichtigen ist. Dmitrij Dobrovol’skij 22 4. Fazit Grundsätzlich gehören alle Phraseme zum Gegenstandsbereich der KxG, dennoch sind manche Phrasemklassen (Idiome, Kollokationen, Sprichwörter u.a.) zum größten Teil auch im Rahmen der traditionellen Phraseologie, die sich als Bestandteil der Lexikonforschung versteht, beschreibbar. Es finden sich hingegen Phraseologiebereiche, die KxG-orientierter Analyseinstrumentarien und Herangehensweisen bedürfen. Dazu zählen vor allem Phraseme, die eigentlich syntaktische Patterns darstellen, die gleichzeitig als Lexikoneinheiten zu behandeln sind. Eine aus der Sicht der KxG besonders relevante Klasse bilden die sog. Phrasem-Konstruktionen, die in der traditionellen Phraseologieforschung eher vernachlässigt werden. Aber auch im Bereich der Idiome gibt es Phänomene, die die Hinwendung zu konstruktionsgrammatischen Analyseverfahren erforderlich machen. 7 In dem vorliegenden Artikel wurde eine Erscheinung dieser Art besprochen. Es handelt sich um die Anpassung semantischer und pragmatischer Elemente des Inhaltsplans des Idioms an die Konstruktion, in die dieses Idiom eingebettet ist. Eine derartige Modifikation der lexikalischen Bedeutung unter dem Einfluss der Konstruktion wird in der KxG als coercion bezeichnet. Hier wurde ein Fall ausführlich diskutiert, in dem die Einbettung des Idioms in Kontexte der 1., 2. und 3. Person zu deutlichen semantisch-pragmatischen Verschiebungen führt. In solchen Fällen geht es vordergründig nicht darum, die betreffenden Phraseme selbst als Konstruktionen aufzufassen, sondern darum, die entsprechenden Matrixkonstruktionen zu erfassen und die durch die konstruktionelle Einbettung verursachten Shifts systematisch zu beschreiben. Diese Aufgabe macht die Hinwendung zu großen Textkorpora erforderlich, was für die KxG-Methoden grundsätzlich typisch ist. Die relevanten Bedeutungsverschiebungen erklären sich in manchen Fällen auf der Grundlage produktiver semantischer Regeln, die auch im Bereich der freien Wortverbindungen ähnliche kontextuell gesteuerte syntaktisch-semantische Phänomene erzeugen. Auf diese Regularitäten weisen u.a. Kay und Michaelis (i. Ersch.) hin. 8 Oft können solche Shifts in Termini der linguistischen Pragmatik erklärt werden. Für diese Zwecke wurde hier der Begriff der konstruktionellen Implikatur eingeführt. 7 Ein weiteres Argument für den konstruktionellen Status des Idioms jmds. Bier (nicht) sein ist, dass diesem Idiom auch eine abstraktere Konstruktion zugrunde liegt, nämlich: (nicht) jmnds. X sein mit X-Füller Baustelle/ Angelegenheit/ Fach/ Gebiet/ Terrain u.a. 8 „Finally, at a more general level, many multiword expressions are much like transparently interpreted word strings: they display the structures they do because of the combinatorial affordances of their lexical members; their phrasal properties are determined by the independently motivated and generally available phrasal constructions of the grammar.“ (Kay/ Michaelis i.Ersch., S. 1). Sind Idiome Konstruktionen? 23 Literatur Apresjan, Jurij D. (2010): Principy leksikografičeskogo opisanija mnogoznačnych slov. In: Nikolaeva, Tat’jana M. (Hg.): Issledovanija po lingvistike i semiotike. Sb. statej k jubileju Vjač. Vs. Ivanova. Moskau, S. 217-233. Booij, Geert (2002): Constructional idioms, morphology, and the Dutch lexicon. In: Journal of Germanic Linguistics 14, 4, S. 301-329. Černyševa, Irina I. (1980): Feste Wortkomplexe des Deutschen in Sprache und Rede. Moskau. Černyševa, Irina I. (1986): Phraseologie. 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Wenngleich die Liste einschlägiger Beispiele in der Literatur beträchtlich variiert (vgl. etwa Burger 2015; Fleischer 1997; Häusermann 1977), gelten als prototypische Vertreterinnen insbesondere nominale Reduplikationen mit einer Präposition des Typs [[NP I ][Präp][NP I ]], exemplifiziert in (1), lexikalische Reduplikationen mit einer Kopula wie in (2), nominale Reduplikationen in Genitivphrasen des Typs [[NP I,sg ][der][NP I,pl ]] wie in (3), so genannte Incredulity Response-Konstruktionen (Fillmore/ Kay/ O’Connor 1988; Lambrecht 1990; vgl. (4)) und andere satzwertige Ausdrücke mit offenen Leerstellen, etwa des Typs [[Was Du immer][VP]], [[NP][haben fin gut][V inf ]] oder [[Es ist zum][V inf ]]. (1) a. Seite an Seite b. Zelt an Zelt (2) sicher ist sicher (3) Meister der Meister (4) Ich und Golf spielen? (5) a. Was du immer meckerst! b. Was für ein Tag! (6) Es ist zum Mäusemelken. Mit besonderem Fokus auf syntaktische Muster mit nominaler Reduplikation konzentriere ich mich in diesem Beitrag auf zwei Fragenkomplexe, die mir von übergreifender Relevanz zu sein scheinen: Inwiefern variieren Phraseoschablonen hinsichtlich ihrer semantischen Transparenz bzw. Idiomatizität? Und welchen semantischen und/ oder syntaktischen Restriktionen sind sie Alexander Ziem 26 dabei unterworfen? Ich werde argumentieren, dass Fragen dieser Art zu beantworten sind, um Phraseoschablonen als produktive grammatische Muster angemessen beschreiben zu können. Konkret wird sich zeigen, dass dazu ein konstruktionsgrammatischer Zugang besonders geeignet ist, weil es eines Schema-Begriffes (wie dem der Konstruktion) bedarf, der es erlaubt, (a) im Übergangsbereich zwischen Grammatik, Phraseologie und Lexikon/ Semantik idiomatische und nicht-idiomatische Einheiten gleichermaßen zu erfassen, (b) graduelle Abstufungen sprachlicher Verfestigungen (entrenchment) zu modellieren, (c) die Produktivität eines Schemas zu berücksichtigen sowie (d) semantische und/ oder syntaktische Mechanismen der Leerstellen-Füllung (constraints) auszuweisen. Inwiefern ein konstruktionsgrammatischer Beschreibungsapparat dies zu leisten imstande ist, soll am Beispiel von Präpositionen mit nominaler Reduplikation in Grundzügen gezeigt werden (methodologisch komplementär dazu vgl. Steyer/ Hein 2016). Der verbleibende Teil des Beitrages gliedert sich in drei Teile. In Abschnitt 2 führe ich zunächst den Begriff der Phraseoschablone ein und erläutere, inwiefern diese Untergruppe der Phraseologismen Eigenschaften von grammatischen Konstruktionen aufweist, deren konzise Erfassung eine notwendige Voraussetzung dafür ist, Beschränkungen bei der Produktivität und der semantischen Variabilität der Phraseologismen zu erklären. Daran anschließend werden in Abschnitt 3 Ergebnisse einer korpuslinguistischen Fallstudie nominaler Reduplikationen mit den Präpositionen an, in und über dargelegt und erörtert. Abschnitt 4 fasst schließlich die erzielten Ergebnisse im übergeordneten Zusammenhang zusammen und gibt einen Ausblick auf weitere Forschungsfragen. 2. phraseoschablonen als konstruktionen: annäherungen an reduplikationsstrukturen 2.1 Phraseoschablonen aus phraseologischer Perspektive Unter einer Phraseoschablone wird gemeinhin eine schematische, syntagmatisch komplexe, mithin mehrgliedrige Einheit mit einer (mehr oder weniger) festen Bedeutung verstanden. Von anderen Phraseologismen unterscheiden sich Phraseoschablonen dadurch, dass „bestimmte Positionen in ihrer syntaktischen Struktur lexikalisch besetzt sind, während andere Slots darstellen, die gefüllt werden müssen“ (Dobrovol’skij 2011, S. 114). Diese inhärente strukturelle Schematizität stellt hohe Anforderungen an ihre (semantische und syntaktische) Beschreibung; in semantischer Hinsicht können sie nicht einfach wie Lexeme behandelt werden, in syntaktischer Hinsicht ist es notwendig, ihre (Phrasen-)Struktur wie auch Beschränkungen der Füllung ihrer Slots mit zu erfassen. Konstruktionsgrammatische Zugänge zu Reduplikationsstrukturen 27 Dies dürfte dazu beigetragen haben, dass Phraseoschablonen in der Phraseologie bislang eher als Randphänomene behandelt wurden. Ohne Phraseoschablonen ausdrücklich mit grammatischen Konstruktionen (im Sinne der Konstruktionsgrammatik) in Verbindung zu bringen, stellt Fleischer bereits Ende der 1990er Jahre fest: Es handelt sich um syntaktische Strukturen - und zwar sowohl nicht-prädikative Wortverbindungen als auch Satzstrukturen -, deren lexikalische Füllung variabel ist, die aber eine Art syntaktischer Idiomatizität aufweisen. Das syntaktische Konstruktionsmodell hat eine vom entsprechenden nichtidiomatischen Modell abweichende, irreguläre Bedeutung. (Fleischer 1997, S. 131) Zehn Jahre später stellt Feilke explizit einen Bezug zwischen Konstruktionen und Phraseoschablonen her: In der Regel ist hier die syntaktische Konstruktion oberflächlich an ein spezifisches lexikogrammatisches Element mit Fügungspotential (z.B. Konjunktion, Präposition) gebunden, das allerdings jeweils erst wieder synsemantisch durch die jeweilige Konstruktionsbedeutung interpretiert wird. (Feilke 2007, S. 67) Phraseoschablonen können, wie in (7), phrasaler Natur und lexikalisch spezifiziert sein; dies schließt nicht aus, dass sie externe Leerstellen aufweisen. Phraseoschablonen können aber auch, wie in (8), in Sätzen oder satzwertigen Ausdrücken realisiert werden. (7) a. Wie kommt’s, dass …? b. Ganz gleich … c. Wie dem auch sei … d. Weg mit … e. … geschweige denn … f. ein [Mann] von [Format] g. ein [Idiot] von [Lehrer] h. von [Kopf] bis [Fuß] (8) a. [Ich] und [Golf spielen]? ! b. Je mehr […], desto […] c. Was macht [mein Buch] [in deinem Regal]? d. Was [du] immer [meckerst]! e. Was für [ein Tag]! f. [Der] ist unter [die Phraseologen] gegangen. g. Du hast gut [reden]. h. Es ist zum [Mäusemelken]. Sowohl auf der phrasalen Ebene als auch auf der Ebene des Satzes bzw. satzwertiger Ausdrücke können Phraseoschablonen lexikalische Reduplikationen Alexander Ziem 28 aufweisen. Diese Untergruppe der Phraseoschablonen scheint, wie in (9) illustriert, variationsreich und im Deutschen durchaus produktiv zu sein. (9) a. [Seite] an [Seite] b. [Hand] in [Hand] c. [Stein] auf [Stein] d. [Phraseologismus] hin, [Phraseologismus] her e. [sicher] ist [sicher] f. [Freund ] bleibt [Freund] g. [Meister] der [Meister] h. [Jahr] für [Jahr] i. von [Mann] zu [Mann] j. raus aus [den Klamotten], rein in [die Klamotten] k. Lass [Idiome] mal [Idiome] sein! Phraseoschablonen mit lexikalischer Reduplikation teilen mit anderen Phraseologismen alle Eigenschaften, die üblicherweise als charakteristisch angesehen werden (vgl. etwa Feilke 2007; Burger 2015; Dobrovol’skij 2011; Bücker 2012; Staffeldt 2018): Sie erfüllen das Kriterium der Variabilität (aufgrund ihrer Schematizität), sie weisen eine gewisse (syntaktische und semantische) Stabilität und Festigkeit auf, sie gelten weiterhin als modellhaft, lassen sich als schematische Ganzheiten reproduzieren, und trotz ihrer Polylexikalität und ihrer (semantischen und/ oder syntaktischen) Irregularität sind sie in hohem Maße lexikalisiert. Es sind insbesondere phraseologische und konstruktionsgrammatisch orientierte Ansätze, die sich bislang ausführlich der Untersuchung von Phraseoschablonen gewidmet haben. Während sich das phraseologische Erkenntnisinteresse insbesondere auf die Erfassung, Dokumentation und Systematisierung der Ausprägungsvarianten von Phraseoschablonen richtet (Fleischer 1997; Dobrovol’skij 2011), liegt der Schwerpunkt konstruktionsgrammatischer Analysen stärker auf der Struktur und den Beschränkungen, denen die Bildung unterliegt (vgl. exemplarisch Jackendoff 2008; Finkbeiner 2017). So sehr sich zweifelsohne das phraseologische und das konstruktionsgrammatische Interesse an Phraseoschablonen im Detail unterscheiden mag, so sehr verhalten sich beide Zugänge in einem gewissen Sinne komplementär zueinander: Während die Konstruktionsgrammatik sich mit dem Nachweis beschäftigt, dass freie Einheiten gar nicht so frei sind, wird in der Phraseologie gerade gezeigt, dass phraseologische Einheiten gar nicht so phraseologisch sind. Zugespitzt könnte man sagen: Während es die Grundannahme der Konstruktionsgrammatik ist, dass sich viele freie Einheiten in bestimmter Weise phraseologisch verhalten, entdeckt die Phraseologie gerade, dass viele phraseologische Einheiten freier sind als angenommen. (Staffeldt 2018, Kap. 1.8.1) Konstruktionsgrammatische Zugänge zu Reduplikationsstrukturen 29 Auch wenn die Konstruktionsgrammatik aus der Perspektive der Syntax auf das grammatisch scheinbar Irreguläre schaut, während sich die Phraseologie von der genau anderen Seite nähert und allmählich auch den Übergangsbereich zwischen phraseologischen und vollständig kompositionellen Einheiten in den Blick nimmt, ist der analytische Fokus derselbe; er liegt in dem analytischen Interesse, das Reguläre im Irregulären zu erfassen: Welche Ausprägungsformen von Phraseoschablonen lassen sich innerhalb einer Sprache feststellen? Wie groß ist der Variationsbereich? Was unterscheidet Phraseoschablonen von anderen Phraseologismen? Inwiefern sind Bedeutungen von Phraseologismen motiviert? Welchen Beschränkungen ist die Füllung syntaktischer Leerstellen unterworfen? 2.2 Herausforderungen bei der Analyse von Phraseoschablonen Geht das linguistische Interesse an Phraseoschablonen über die dokumentierende Erfassung ihres Auftretens in einer Einzelsprache hinaus und richtet sich das Interesse auch auf die erklärende Erfassung ihres Funktionierens innerhalb einer Einzelsprache, so reicht ein nur lexikografisch orientierter Zugriff nicht aus. Die Frage nach der Bedeutung (und der Bedeutungsvariation) von Phraseoschablonen lässt sich zwar weitgehend unabhängig von strukturellen Eigenschaften dieser Mehrworteinheiten beantworten; dies hat nicht zuletzt die einschlägige phraseologische Forschung gezeigt, in der trotz des schematischen Charakters von Phraseoschablonen die Tendenz besteht, diese sprachlichen Einheiten als Einheiten des Lexikons zu behandeln. 1 Offen bleibt damit aber die Frage, inwiefern die Leerstelle(n) einer Phraseoschablone tatsächlich „lexikalisch (mehr oder weniger frei) besetzbar“ (Burger 2015, S. 44) ist/ sind. Wie frei - oder wie beschränkt - ist die Besetzung der Leerstellen? Welchen Bedingungen ist die Besetzung der Leerstellen unterworfen? Inwiefern variiert mit der Füllung der Leerstelle(n) die Bedeutung einer Phraseoschablone (auch hinsichtlich ihres Grades an Idiomatizität)? Angesichts derartiger Fragestellungen steht ein erklärender Zugriff auf die Möglichkeiten und Grenzen regulärer - also der in einer Sprache lizenzierten - Verwendungen von Phraseoschablonen vor mindestens vier Herausforderungen: a) Verhältnis von Lexikon und Grammatik: Zunächst stellt sich die Frage nach der Grenzziehung zwischen Lexikon und Grammatik. Üblicherweise wird der Bereich der Grammatik jenen sprachlichen Phänomenen vorbehalten, die in der Domäne der sprachlichen Strukturbildung (Syntax, Mor- 1 Nicht ignoriert wird dabei freilich, dass Irregularitäten insbesondere die Syntax und allenfalls in zweiter Linie die Semantik betreffen; vgl. etwa Fleischer (1997, S. 131). Definition von Phraseoschablonen: „Es handelt sich um syntaktische Strukturen […], deren lexikalische Füllung variabel ist, die aber eine Art syntaktischer Idiomatizität aufweisen.“ Alexander Ziem 30 phologie) regelhafter Natur sind. Aus dieser Sicht umfasst das Lexikon über das Inventar lexikalischer Einheiten hinaus ebenso jene syntagmatisch komplexen Gebilde, die sich nicht durch die Anwendung grammatischer Regeln erklären lassen und mithin als Ausnahmen gelten müssen. Phraseologismen müssten demnach generell, sei es aus Gründen ihrer semantischen oder syntaktischen Irregularität, ins Lexikon delegiert werden. Hier können sie sich aber auch nicht richtig zu Hause fühlen, denn von lexikalischen Einheiten unterscheiden sie sich wesentlich dadurch, dass sie Leerstellen aufweisen und mithin stärker grammatischen Strukturen ähneln. b) Grammatische und semantische Beschränkungen: Die Füllung der Leerstellen ist variabel, aber keineswegs frei und keineswegs willkürlich; sie gehorcht vielmehr spezifischen Beschränkungen. Solche Beschränkungen (constraints) können sowohl semantischer als auch grammatischer Natur sein. So lassen sich beispielsweise bisweilen lexikalische Instanzen in Reduplikationskonstruktionen modifizieren (z.B. [dicker] Freund ist [dicker] Freund; [ungelöste] Fragen über [ungelöste] Fragen), in anderen Fällen hingegen nicht (grau in grau, *dunkelgrau in dunkelgrau). Auch kann es eine Vielzahl weiterer Restriktionen geben, z.B. hinsichtlich Numerus (Tage über Tage, *Tag über Tag; Nacht für Nacht, *Nächte für Nächte). Semantisch kann sich die Füllung der Leerstellen auf bestimmte semantische Domänen beschränken, in der Reduplikationskonstruktion [x] in [x] etwa auf die Domäne „Farbe“ (Ton in Ton, blau in blau; *Tisch in Tisch, ‚*laut in laut). c) Abgestufte Idiomatizität und Produktivität: Um systematische Bedeutungsvariationen identifizieren und erklären zu können, ist es nötig, in Betracht zu ziehen, dass Idiomatizität in Abhängigkeit von den Instanzen, die die Leerstelle(n) besetzen, variieren kann (vgl. Seite an Seite vs. Mann an Mann, es ist zum Kotzen vs. es ist zum Gähnen); die Variation ist vielfach semantisch motiviert und gehorcht genau zu beschreibenden Prinzipien. Eng damit verbunden ist die Frage der Produktivität einer Phraseoschablone: Wie hoch ist die Tokenfrequenz, also die Anzahl an verschiedenen Instanzen, die die Slots besetzen können? Gibt es Instanzen, die eine besonders hohe Bindung an eine bestimmte Leerstelle einer Phraseoschablone aufweisen (im Sinne des Konzeptes der Kollostruktion, vgl. Stefanowitsch/ Gries 2003)? Antworten auf derartige Fragen können Aufschluss über Abstufungen der Idiomatizität (und damit einhergehender Bedeutungsvariationen) geben; diese lassen sich nicht aus den Phraseoschablonen selbst ableiten, sondern sind vielmehr durch die Besetzung ihrer Leerstelle(n) motiviert. d) Schematizität und Grade an Abstraktheit: Schematizität ist eine generelle - und konstitutive - Eigenschaft von Phraseoschablonen. Um diese Konstruktionsgrammatische Zugänge zu Reduplikationsstrukturen 31 Eigenschaft genau zu beschreiben, ist es erforderlich, zwischen Graden an Schematizität und Abstraktheit zu differenzieren. Auch hier ist dies nur im Rückgriff auf Instanzen der Leerstellen möglich. Es scheint einen direkten Zusammenhang zwischen Idiomatizität und Abstraktheit zu geben, dergestalt, dass in dem Maße, wie der Grad an Idiomatizität zunimmt, auch der Grad an Abstraktheit steigt (vgl. Seite an Seite vs. Haus an Haus). Diese Aspekte sollen bei der genaueren Betrachtung von (Subtypen von) Reduplikationskonstruktionen in Abschnitt 3 leitend sein. 2.3 Konstruktionsgrammatische Zugänge Idiome und Kollokationen stellen - wie zuletzt deutlich geworden sein dürfte - hohe Anforderungen an eine nicht-reduktionistische Grammatiktheorie. Sollen Phraseoschablonen nicht vorbehaltlos ins Lexikon delegiert werden (was schon deswegen problematisch wäre, weil sie aufgrund ihres syntagmatisch komplexen und schematischen Charakters nicht als Wort-Bedeutungs-Paare abgespeichert und gelernt werden können), müssen die Mechanismen und Beschränkungen ihrer Bildung so in den grammatischen Beschreibungsapparat implementiert werden, dass genau jene Menge an Instanzen generiert wird, die in einer Sprache zu einem gegebenen Zeitpunkt lizenziert sind. Dies gelingt nur, wenn idiomatischen und (vermeintlich) idiosynkratischen Einheiten einer Sprache, wie Phraseoschablonen, ein zentraler Stellenwert in der „Architektur“ einer Grammatik eingeräumt wird. Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten. Eine besteht darin, einen Kernbereich der Grammatik zu definieren, für den Regeln (z.B. zum Aufbau von regulären Phrasenstrukturen) ausnahmslos gelten, und alle Irregularitäten (welcher Art auch immer) als Ausnahmen zu verstehen, die wie Einheiten des Lexikons individuell gelernt werden müssen. Diese Position ist etwa kennzeichnend für Chomskys universalgrammatischen Ansatz (vgl. Chomsky 1981, S. 1-151; Lasnik/ Freidin 1981). Ein solcher Ansatz muss sich der großen Herausforderung des wuchernden Bereiches des semantisch und/ oder syntaktisch Irregulären stellen, beschreibungsadäquat bleibt er allein für den Kernbereich; der Randbereich, der lange in seinem quantitativen Umfang unterschätzt wurde, entzieht sich eines erklärenden Zugriffs. Die Alternative kann deshalb nur darin bestehen, das Irreguläre zum Prüfstein eines grammatischen Beschreibungsansatzes zu erklären und sich allmählich gleichsam vom „Rand“ dem „Kern“ zu nähern. Einen ganz ähnlichen Vorschlag hat Charles Fillmore bereits in einer frühen Pionierstudie vertreten. Fillmore mutmaßt, dass Untersuchungen peripherer Phänomene dazu beitragen könnten, Prinzipien, die im grammatischen Kernbereich gelten, besser zu verstehen. Alexander Ziem 32 Our reasons for concerning ourselves with otherwise neglected domains of grammar are not so that we can be left alone, by claiming territory that nobody else wants, but specifically because we believe that insights into the mechanics of the grammar as a whole can brought out most clearly by the work of factoring out the constituent elements of the most complex constructions. (Fillmore 1988, S. 36) Mit anderen Worten: Indem das Konzept der grammatischen Konstruktion (im technischen Sinne) ins Zentrum der linguistischen Analyse rückt, versucht die Konstruktionsgrammatik, peripheren, also intransparenten bzw. idiomatischen grammatischen Einheiten und regulären semantischen und grammatischen Strukturen gleichermaßen Rechnung zu tragen (vgl. hierzu auch Michaelis 2012). Knapp drei Jahrzehnte nach Fillmores weitsichtiger Vision sind wir zwar immer noch weit davon entfernt, die Mehrzahl der Konstruktionen, die die Grammatik einer Sprache konstituieren, identifiziert und deskriptiv erfasst zu haben, jedoch hat sich eine international stetig wachsende Forschungsgemeinschaft gebildet, die sich genau dieser Aufgabe widmet (vgl. den Überblick in Hoffmann/ Trousdale (Hg.) 2013; für das Deutsche auch Ziem/ Lasch 2013, S. 153-164). Leitend war und ist dabei die Maxime, im Rahmen eines konstruktionsbasierten Frameworks möglichst viele - idealiter alle - sprachlichen Phänomene einheitlich und konsistent zu beschreiben. Aus diesem Grund sprechen Fried/ Östman (2004, S. 24) auch von einem maximalistischen Ansatz. Ihre Wurzeln reichen zurück bis Mitte der 1980er Jahre; als bahnbrechend dürfen Lakoffs Studie zu there-Konstruktionen (Lakoff 1987, S. 462-585) und die Analyse des grammatischen Phrasems let alone (‘geschweige denn’) von Fillmore/ Kay/ O’Connor (1988) gelten. Für die Analyse von Phraseoschablonen - und für schematische Einheiten generell - hat es sich als notwendig erwiesen, den Begriff der Konstruktion nicht auf (semantisch und/ oder syntaktisch) idiomatische Einheiten zu reduzieren, sondern vielmehr auch solche sprachlichen Größen einzubeziehen, die zwar vollständig regulär, aber so rekurrent auftreten, dass sie sich zu einer (mehr oder weniger) festen Mehrworteinheit verfestigt haben. Diesem gebrauchsbedingten Umstand der Musterbildung trägt auch Goldberg in ihrer erweiterten Definition von Konstruktionen Rechnung, wenn sie schreibt: „In addition, patterns are stored as constructions even if they are fully predictable as long as they occur with sufficient frequency“(Goldberg 2006, S. 5). Solche sprachgebrauchsbedingten Verfestigungsprozesse können sprachliche Strukturen verschiedener Komplexität, auch ganze Sätze (etwa im Fall von Sprichwörtern) und satzwertige Ausdrücke, betreffen; gängige Beispiele sind Kookkurrenzen (blöder Zufall, schöne Scheiße, Schulter an Schulter) und Begrüßungs- oder Abschiedsformeln (auf Wiedersehen, viele Grüße). Obwohl der Grad an Fixiertheit Konstruktionsgrammatische Zugänge zu Reduplikationsstrukturen 33 der lexikalischen Bestandteile variieren kann (Schulter an Schulter vs. Auto an Auto), bleiben die komplexen Einheiten als Ganzheiten abrufbar. Es bedarf also keiner kompositionellen Zerlegung in (semantische und/ oder formale) Bestandteile, um die Ausdrücke zu verstehen oder zu verwenden. Für die vorliegende Studie sind zwei Eigenschaften von Reduplikationsstrukturen von zentraler Wichtigkeit (vgl. hierzu ausführlich: Ziem/ Boas 2017): (a) Reduplikationsstrukturen sind im Übergangsbereich zwischen Lexikon und Grammatik zu verorten; (b) Reduplikationsstrukturen lassen sich hinsichtlich ihrer Produktivität und semantischen Schematizität näher bestimmen und voneinander systematisch unterscheiden. Beide seien im Folgenden kurz erläutert; an ihnen wird sich auch die Beispielanalyse in Abschnitt 3 maßgeblich orientieren. Ad (a): Hinsichtlich ihres Stellenwertes im (grammatischen) System einer Sprache ist von zentraler Bedeutung, dass Phraseoschablonen aus konstruktionsgrammatischer Perspektive nicht als Ausnahmen gelten, sondern mit demselben Beschreibungsinventar bzw. denselben Analysekategorien erfasst werden wie andere, vollkommen reguläre grammatische Strukturen auch. Grammatik und Lexikon bilden demnach keine voneinander kategorial abtrennbaren Einheiten, sondern vielmehr die Pole eines Kontinuums. In diesem Kontinuum sind Phraseoschablonen im Übergangsbereich angesiedelt (vgl. hierzu die wegweisende Pilotstudie zu let alone [‘geschweige denn’] (Fillmore/ Kay/ O’Connor 1988). An ihnen wird deutlich, dass Wörter (und feste Wortverbindungen) einerseits und syntaktische Strukturen andererseits nicht kategorial unterschieden sind und folglich nicht entweder als Einheiten des Lexikons, also als Gegenstand semantischer Analysen, oder als grammatische Größen, also als Gegenstand syntaktischer und morphologischer Analysen, behandelt werden können; vielmehr müssen beide Zugriffe Hand in Hand gehen, um die Gebrauchsbedingungen von diesen Konstruktionen erfassen zu können. Auf allen Ebenen besteht die zentrale Aufgabe darin, die Beschränkungen (constraints), denen die Bildung lizenzierter Ausdrücke unterliegt, zu beschreiben. So bedarf es beispielsweise einer Vielzahl an Konstruktionen, die einen Satz wie Die Kinder schlafen gut lizenzieren. Einige sind eher am grammatischen Pol, einige eher am lexikalischen Pol des Kontinuums anzusiedeln. Tabelle 1 illustriert an dem erwähnten Beispielsatz den Übergang zwischen Argumentstruktur-Konstruktionen (Intransitiv-Konstruktion) und lexikalischen Konstruktionen. Die Intransitiv-Konstruktion - hier lizenziert durch das einwertige Prädikat schlafen - liefert den Bauplan für die Satzstruktur und umfasst eine NP- und eine VP-Konstruktion, wobei erstere sich aus einem Demonstrativpronomen und einem Nomen zusammensetzt. Lexikalische Konstruktionen fungieren als Alexander Ziem 34 lexikalische Bausteine, die zu Phrasen kombiniert werden. Sie können ihrerseits ebenfalls einfach (die, gut) oder, in flektierter Form, komplex sein (Kinder, schlafen). Zur Formung Letzterer bedarf es morphologischer Konstruktionen, wie etwa Plural-Konstruktionen (hier: Kinder) und Flexions-Konstruktionen (hier: schlafen), die Numerus, Tempus und Modus festlegen. Typen von Konstruktionen Instanzen Grammatik Intransitiv-Konstruktion [[X]] NP [Y] V ] [[Die Kinder] NP [schlafen] V ] VP-Konstruktion [[ X ] V {[Y] NP } {[Z] PP }] schlafen AdvP-Konstruktion [[x] Verb [y] Adv ] gut NP-Konstruktion [[die] def-Pr. [Kinder] N ] Lexikon Plural-Konstruktion [[X] N-Wurzel-Morph [-y] Flex-Morph ]] [[Kind-] root-morph [-er] infl-morph ] Verb-Flexions-Konstruktion 2 [[ X ] V-Wurzel-Morph [ Y ] Flex ] [schlaf-] [-en]] Lexikalische Konstruktionen [schlafen], [die], [Kinder], [gut] Tab. 1: Grammatik lexikon - Kontinuum am Beispiel von Konstruktionen, die den Satz Die Kinder schlafen gut lizenzieren Ad (b): Dass sich Reduplikationsstrukturen hinsichtlich ihrer Produktivität und semantischen Schematizität wesentlich unterscheiden, zeitigt Konsequenzen für ihre grammatische und semantische Beschreibung. Schematizität betrifft den Grad an lexikalischer Spezifizierung einer Konstruktion. So lassen sich Reduplikationsstrukturen sowohl als schematische Größen (z.B. N 1 +Präp+ N 1 oder etwas weniger schematisch N 1 +in+N 1 ) oder als vollspezifizierte Einheiten (z.B. Hand in Hand) erfassen. Anders als in phraseologischen Zugängen besteht das konstruktionsgrammatische Erkenntnisinteresse zunächst darin, korpusbasiert zu ermitteln, welchen Beschränkungen die Füllung von Leerstellen einer schematischen Konstruktion unterliegt (Barðdal 2008; Boas 2008). Konkret gilt es anzugeben, welchen formund/ oder bedeutungsbezogenen Anforderungen eine (lexikalische) Füllung einer Leerstelle Rechnung zu tragen hat (vgl. hierzu die konkreten Beispiele in Abschn. 3). 2 Die Verb-Flexions-Konstruktion greift ihrerseits auf eine Subjekt-Prädikat-Konstruktion zurück, die lizenziert, dass das Verb in der vorliegenden Form flektiert wird. Konstruktionsgrammatische Zugänge zu Reduplikationsstrukturen 35 Neben der Bestimmung der Beschränkungen (constraints) richtet sich der Fokus konstruktionsgrammatischer Analysen auf die Produktivität einer Konstruktion. Die Produktivität einer Konstruktion betrifft die Menge an Variationen, die durch eine Konstruktion realisiert werden können. Ist beispielsweise in einer Reduplikationsstruktur die Menge der potenziell reduplizierbaren Elemente sehr groß - im Fall von N 1 +in+N 1 etwa eine große Vielzahl an unterschiedlichen Nomen, die die Leerstellen besetzen können -, so handelt es sich um eine produktive Konstruktion. Das andere Extrem wäre der Fall, wenn es nur eine einzige Instanz (etwa nur ein Nomen) gäbe, die in die Leerstelle eintreten könnte. Wie sich bereits angedeutet hat, besteht zwischen Beschränkungen der Leerstellen-Füllung und der Produktivität einer Konstruktion ein direkter Zusammenhang, und zwar derart, dass in dem Maße, in dem weniger Beschränkungen auftreten, die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Konstruktion an Produktivität gewinnt. 3 Ein direkter Zusammenhang besteht nach Barðdal auch zwischen dem Grad an Schematizität und dem Grad an Produktivität einer Konstruktion. [The] level of schematicity, i.e. a construction’s highest level, also determines the construction’s productivity. The higher the degree of schematicity, the more productive the construction is, and, conversely, the lower the degree of schematicity, the less productive the construction is. (Barðdal 2008, S. 45) Produktivität ist mithin ein Gradphänomen; eine Konstruktion kann mehr oder weniger produktiv sein (und sie ist nicht entweder produktiv oder unproduktiv). construction construction instance instance ... instance instance instance (a) Produktive Konstruktion (b) Semi-produktive K. (c) Unprodukti ve K. Abb. 1: Produktivität von Konstruktionen in Anlehnung an Clausner/ Croft (1997, S. 271) Ein wichtiger Indikator für (den Grad an) Produktivität sind Type- und Token- Frequenz. Folgt man Clausner/ Croft (1997, S. 271), so lässt sich zwischen Leerstellen-Instantiierung und Produktivität der in Abbildung 1 skizzierte Zusammenhang herstellen: (a) Eine Konstruktion ist produktiv unter der Bedingung, dass eine Vielzahl an verschiedenen Instanzen die Konstruktion realisieren; (b) eine Konstruktion ist semi-produktiv, wenn nur eine begrenzte Menge an 3 Allerdings wird die Produktivität durch eine Reihe von Faktoren kodeterminiert; syntaktische, semantische und pragmatische Beschränkungen bilden nur eine Determinante (Barðdal 2008). Alexander Ziem 36 Instanzen die Konstruktion realisieren; (c) eine Konstruktion gilt schließlich als unproduktiv, wenn keine Varianz festzustellen ist, also die Menge an Instanzen sehr beschränkt bzw. auf eine Instanz reduziert ist. Clausner und Croft bringen dabei Produktivität mit verschiedenen sprachlich-kognitiven Verfestigungsprozessen („entrenchment“) in Verbindung. So führt eine hohe Produktivität dazu, dass sich die schematische Konstruktion als Ganze konsolidiert (und mithin ein Eigenleben entwickelt). Treten dagegen bestimmte Instanzen rekurrent auf, wie es bei semi- und unproduktiven Konstruktionen der Fall ist, hat dies eine Verfestigung der Instanz(en) in der Konstruktion zur Folge (vgl. hierzu ausführlich Ziem 2008, S. 339-356). Im konkreten Fall von Phraseoschablonen ist zu erwarten, dass die Auftretensfrequenz einer Instanz in einer Leerstelle der Phraseoschablone ein Indikator für Idiomatizität ist. Konkret: Je höher die Auftretensfrequenz der Instanz, desto höher der Grad an semantischer Idiomatizität der entsprechend lexikalisch (teil-)spezifizierten Phraseoschablone. In Abbildung 1 deutet die Stärke der Linien diesen Verfestigungsprozess an. Im folgenden Abschnitt wird sich die Produktivität und, damit zusammenhängend, die (Art der) Verfestigung von Konstruktionen als sehr hilfreich für die empirische Beschreibung von Reduplikationsstrukturen erweisen. 3. präpositionen mit nominaler reduplikation: drei Fallstudien Empirischer Gegenstand folgender Fallstudien sind Präpositionen mit nominaler Reduplikation. Sie bilden einen prominenten Subtyp von Reduplikationsstrukturen. Im Deutschen kann potenziell jede Präposition als Kern einer Reduplikationskonstruktion fungieren, in manchen Fällen lassen sich allerdings nur wenige authentische Beispiele finden. Gängig sind beispielsweise Reduplikationen mit für (Tag für Tag), über (Arbeit über Arbeit), in (rot in rot), an (Tür an Tür) und zu (Mann zu Mann). Während Reduplikationsstrukturen fürs Englische vergleichbar gut dokumentiert sind (vgl. den Überblick in Jackendoff 2008), sind sie fürs Deutsche bislang nur rudimentär erfasst (vgl. aber Finkbeiner 2014, 2017). Als Reduplikationselemente kommen prinzipiell Nomen und Adjektive, in seltenen Fällen auch andere Wortarten in Frage; stark dominant sind Nomen. Um die erhobenen Daten besser vergleichen zu können, beschränke ich mich im Folgenden auf nominale Reduplikationselemente. Wodurch zeichnen sich Reduplikationsstrukturen im Deutschen aus? Sprachvergleichende Studien legen nahe, dass es sich bei Reduplikationsstrukturen um ein universales sprachliches Phänomen handelt (Stolz 2006), das auf verschiedenen syntagmatischen Komplexitätsstufen vorzufinden ist. (10) a. Niie! b. rot-rot Konstruktionsgrammatische Zugänge zu Reduplikationsstrukturen 37 c. Stein auf Stein d. Freund bleibt Freund. Während in (10a) die Dopplung des Vokals als Mittel zur Emphase dient, erfüllt die lexikalische Reduplikation in (10b) die semantische Funktion, anzuzeigen, dass es sich um einen prototypischen roten Farbton handelt. (10c-d) überschreiten die lexikalische Ebene; als phrasale Einheit evoziert (10c) eine kontinuative Lesart, während die satzwertige Kopula-Konstruktion (10d) eine intensivierende Funktion erfüllt (hier als implikaturbedingter Effekt der Auflösung der vermeintlichen Tautologie). Es scheint einiges dafür zu sprechen, dass auch abstrakte Reduplikationsstrukturen als eigenständige Konstruktionen zu behandeln sind; ein wichtiges Indiz dafür ist, dass sie trotz ihres schematischen Charakters offenbar Bedeutungen tragen und mithin als sprachliche Zeichen anzusehen sind. Diese Hypothese wird im Folgenden zu prüfen sein. Für das Englische stellen jedenfalls Quirk et al. (1985) fest, dass Reduplikationsstrukturen unabhängig von ihrer konkreten Ausprägung entweder eine kontinuative, eine quantifizierende oder eine intensivierende Funktion erfüllen können (vgl. hierzu auch Stefanowitsch 2007). Dies scheint auch auf das Deutsche zuzutreffen: Wie erwähnt, exemplifiziert Stein auf Stein die kontinuative Lesart (‘Stein auf Stein auf Stein …’), Freund bleibt Freund dagegen die intensivierende Lesart, insofern die Kopula einen emphatischen Begriff von Freund nahelegt. Auch die dritte, die quantifizierende Funktion von Reduplikationen, ist im Deutschen belegt, so etwa bei Reduplikationen mit über wie in Zahlen über Zahlen (im Sinne von ‘[besonders] viele Zahlen’), wie sich in Abschnitt 3.3 zeigen wird. Welche auch phraseologisch relevanten Perspektiven eine konstruktionsgrammatische Untersuchung von Phraseoschablonen eröffnet, sollen im Folgenden vergleichende Korpusanalysen von Reduplikationsstrukturen mit den Präpositionen an, in und über illustrieren. Die Studie basiert auf dem „Tagged T“-Korpus, einem teilannotierten Sub-Korpus des Deutschen Referenzkorpus (vgl. Institut für Deutsche Sprache 2010). Für alle drei Präpositionen wurde mithilfe von lexpan („Lexical Pattern Analyzer“) 4 die quantitative Verteilung der Nomen ermittelt, die als Reduplikationselemente fungieren. Grundlage dieser Analyse war jeweils eine Zufallsauswahl von 100.000 Okkurrenzen; dies ist die maximale Menge an Belegstellen (KWICs), die COSMAS II zu exportieren erlaubt. 4 lexpan ist ein korpuslinguistisches Werkzeug für quantitative Analysen von Mehrwortverbindungen (vgl. lexpan). Das Programm wurde entwickelt im Rahmen des von Kathrin Steyer am IDS geleiteten Forschungsprojektes „Usuelle Wortverbindungen“ (vgl. auch Steyer 2013). Ich danke Kathrin Steyer und ihrem Team herzlich für die Möglichkeit der Nutzung von lexpan sowie die Bereitstellung von aufbereiteten Korpusdaten. Alexander Ziem 38 An drei Leitfragen orientieren sich die Analysen der zu jeder Präposition erhobenen Korpusdaten: (a) Inwiefern lässt die Produktivität der Reduplikationsstruktur Rückschlüsse auf idiomatische Verfestigungsprozesse zu? (b) Welchen (semantischen, syntaktischen und pragmatischen) Beschränkungen unterliegen die drei Reduplikationsstrukturen? (c) Wie groß ist jeweils ihr Bedeutungspotenzial - genauer: ihre semantische Varianz - in Abhängigkeit von den möglichen Reduplikationselementen? 3.1 Nominale Reduplikationen mit an (a) Produktivität und idiomatische Verfestigung: Tabelle 2 fasst die quantitative Verteilung der Nomen zusammen, die als Instanzen in Reduplikationsstrukturen mit der Präposition an auftreten. Festzustellen ist zunächst eine sehr hohe Variabilität bei der Besetzung der Leerstellen; belegt sind insgesamt 343 verschiedene nominale Reduplikationselemente. Bei der Reduplikationsstruktur mit an handelt es sich demnach um eine sehr produktive Konstruktion. Type-Entrenchment, d.h. die hohe Anzahl an verschiedenen Instanzen, führt zu einer Verfestigung der schematischen Konstruktion [N 1 ] an [N 1 ]. Absolute Frequenz Prozentualer Anteil Seite … Seite 452 0,45 Kopf … Kopf 139 0,14 Tür … Tür 138 0,14 Schulter … Schulter 132 0,13 Stoßstange … Stoßstange 56 0,06 Rücken … Rücken 36 0,04 Wand … Wand 29 0,03 Rad … Rad 13 0,01 Auto … Auto 12 0,01 … … … Tab. 2: Quantitative Verteilung der reduplikationselemente bei an Zugleich ist zu konstatieren, dass das Reduplikationselement Seite in quantitativer Hinsicht eine Sonderstellung einnimmt, insofern dieses mehr als dreimal so häufig vorkommt wie die nächstfrequenten Einheiten Kopf, Tür und Schulter. Die Assoziationsstärke zwischen Seite und der schematischen Reduplikationsstruktur mit an ist somit sehr hoch. 5 In diesem Fall liegt also 5 Ob die Bindung von Seite an die Reduplikationsstruktur mit an (im Vergleich zu anderen Reduplikationselementen) signifikant hoch ist, müsste eine Kollostruktionsanalyse erweisen (Stefanowitsch/ Gries 2003). Konstruktionsgrammatische Zugänge zu Reduplikationsstrukturen 39 Token-Entrenchment vor; die Einheit Seite an Seite verfestigt sich als Ganze. Dies korreliert mit einem offensichtlich hohen Grad an Idiomatizität: Seite an Seite fungiert syntaktisch als eine komplexe Einheit mit Satzgliedfunktion, deren Bedeutung sich grob mit ‘gemeinsam’, ‘in enger Abstimmung’, ‘koordiniert’ angeben lässt. Dass hier in der Tat die Tokenfrequenz des Reduplikationselementes ein verlässlicher Indikator für den Grad an Idiomatizität ist, zeigt ein Blick auf die nächstfrequente Gruppe an Nomen: Kopf an Kopf, Tür an Tür und Schulter an Schulter. Diese Beispiele erlauben, je nach Kontext, sowohl eine idiomatische Lesart (Kopf an Kopf: ‘ganz eng beieinander’, ‘gleichauf’; Tür an Tür: ‘unmittelbar benachbart’, ‘nebeneinander [wohnend]’; Schulter an Schulter: ‘eng verbunden’, ‘solidarisch’, ‘gemeinsam’) als auch eine wörtliche, also kompositionelle Bedeutung. In der dritten Gruppe (Stoßstange, Rücken, Wand, Rad usw.) finden sich schließlich Nomen, die kaum idiomatische Lesarten zulassen. Insgesamt scheint sich bei Reduplikationen mit an ein Idiomatizitätskontinuum zwischen Seite an Seite am einen Extrem und Wand/ Rad/ Auto … an Wand/ Rad/ Auto … am anderen Extrem abzuzeichnen. (b) Beschränkungen (constraints): Beschränkungen bestehen - wie bei Reduplikationsstrukturen mit einer Präposition generell - nicht in pragmatischer, wohl aber in semantischer und syntaktischer Hinsicht. Zunächst zu Letzeren. Im Fall von Reduplikationsstrukturen mit an sind nominale Konstituenten nur sehr bedingt attributiv modifizierbar. Erwartungsgemäß nicht modifizierbar ist das Phrasem Seite an Seite; zumindest in der idiomatischen Lesart trifft dies auch auf Kopf an Kopf, Tür an Tür und Schulter an Schulter zu. Potenziell, faktisch aber nur selten, lassen sich alle anderen Nomen attributiv modifizieren (z.B. blaues Auto an blaues Auto). Während syntaktische Beschränkungen also abhängig vom Nomen variieren können, gilt uneingeschränkt für alle Nomen die semantische Beschränkung, dass nur zählbare Substantive („count nouns“) und Konkreta lizenziert sind. Weder Abstrakta (vgl. ? Gerechtigkeit an Gerechtigkeit) noch Stoffsubstantive („mass nouns“) sind in den Daten belegt (vgl. ? Mehl an Mehl). (c) Konstruktionsbedeutung und Bedeutungspotenzial: Wie bereits angedeutet, lassen sich für die idiomatischen Varianten von Reduplikationen mit an, nämlich Seite an Seite, Kopf an Kopf, Tür an Tür und Schulter an Schulter Bedeutungen angeben, die zwar jeweils individuelle Ausprägungen haben, die aber durch die abstrakte Bedeutung der Reduplikationsstruktur [N 1 ] an [N 1 ] motiviert zu sein scheinen. Dass diese Reduplikationsstruktur selbst bedeutungstragend ist (und mithin als eigenständige Konstruktion anzusehen ist), legt die hohe Produktivität der Konstruktion nahe. Die Bedeutung der Konstruktion ist zwar in einer der lexikalischen Bedeutungen der Präposition an angelegt, nämlich ‘räumlich angrenzend’, ‘nah beieinander’, kann durch diese aber nicht erschöpfend angegeben werden, denn hinzu kommt eine Intensivierung Alexander Ziem 40 der räumlichen Nähe der N 1 -Referenten im Sinne von ‘besonders/ ganz dicht beieinander’. Daneben ermöglicht die Konstruktion eine kontinuative sowie quantifizierende Lesart, wie in (11) exemplarisch illustriert. (11) Auto an Auto - so sah es am ersten Tag des Lokführerstreiks in Stuttgart aus. (Stuttgarter Zeitung, 6.11.2014) In (11) sind es nicht zwei, sondern viele Autos, die sehr nah beieinanderstehen: eines dicht neben dem anderen. Ein solcher kontinuativer und zugleich quantifizierender Aspekt ist generell kennzeichnend für Reduplikationsstrukturen mit an, insofern diese nicht semantisch-idiomatischer Natur sind. Alle drei Bedeutungsaspekte (intensivierend, quantifizierend, kontinuativ), die Quirk et al. (1985) als kennzeichnend für Reduplikationen im Englischen identifiziert haben, kodeterminieren die Bedeutung dieser Reduplikationsstruktur gleichermaßen. 3.2 Nominale Reduplikationen mit in (a) Produktivität und idiomatische Verfestigung: Im Gegensatz zu Reduplikationen mit an ist bei Reduplikationen mit in zu konstatieren, dass nur sehr wenige - nämlich gerademal zehn (! ) - Nomen im Korpus belegt sind, die als Reduplikationselemente auftreten. 6 Dieser Befund lässt erwarten, dass kein Type-Entrenchment der schematischen Reduplikationsstruktur [N 1 ] in [N 1 ] vorliegt und diese Struktur demnach keine Eigenbedeutung hat. Wenn dem so ist, kommt ihr mithin kein Konstruktionsstatus zu. Auch bei der quantitativen Verteilung von Nomen in der Reduplikationsstruktur mit in lassen sich mindestens drei Gruppen von Nomen hinsichtlich ihrer Auftretensfrequenz unterscheiden (Tab. 3). Zunächst gibt es hier ebenfalls einen quantitativen Ausreißer, nämlich Hand. Die hohe Tokenfrequenz deutet hier auch auf einen hohen Grad an Idiomatizität (als Folge von Token- Entrenchment) hin; nur selten finden sich nicht-idiomatische Varianten (wie z.B. Sie gehen Hand in Hand nach Hause). Die zweite Gruppe umfasst die Nomen Arm und Auge; sie treten mit einer erheblich geringeren Tokenfrequenz auf und erlauben sowohl eine idiomatische als auch eine nicht-idiomatische Lesart (vgl. Sie gingen Arm in Arm vs. Arm in Arm mit der Finanzindustrie setzt die Regierung die Reform um). Dass Ton zusammen mit Grau und Weiß eine dritte Gruppe bilden, ist schließlich nicht zuletzt semantisch motiviert; die Nomen denotieren Farben bzw. farbliche Eigenschaften. 6 Mit lexpan lassen sich 14 Nomen als Reduplikationselemente identifizieren, in vier Fällen handelt es sich jedoch um falsche Treffer („false positives“), so etwa durchweg bei Ortsbezeichnungen (z.B. Das ist das Rathaus der Stadt Salzgitter in Salzgitter-Lebenstedt). Konstruktionsgrammatische Zugänge zu Reduplikationsstrukturen 41 Absolute Frequenz Prozentualer Anteil Hand … Hand 214 0,22 Arm … Arm 47 0,05 Auge … Auge 33 0,03 Ton … Ton 10 0,01 Grau … Grau 3 0 Weiß … Weiß 2 0 … … … Tab. 3: Quantitative Verteilung der reduplikationselemente bei in (b) Beschränkungen (constraints): Für alle Nomen in der Reduplikationsstruktur mit in gilt, dass sie sich nicht attributiv modifizieren lassen. In semantischer Hinsicht gibt es ebenfalls starke Beschränkungen; neben den drei z.T. dominant idiomatisch verwendeten Instanzen (Hand in Hand, Arm in Arm, Auge in Auge) sind nur Farbsubstantive im Korpus belegt. Daraus lässt sich zwar nicht ableiten, dass prinzipiell kein anderes Nomen mit abweichender Semantik lizenziert ist, wohl aber dürfte es sehr unwahrscheinlich sein, dass ein solches Nomen frequent auftritt. (c) Konstruktionsbedeutung und Bedeutungspotenzial: Wenn es richtig ist, dass kein Type-Entrenchment vorliegt, die Reduplikationsstruktur [N 1 ] in [N 1 ] also selbst keine (schematische) Bedeutung trägt, dann muss sich die Bedeutung von den im Korpus attestierten Instanzen entweder kompositionell errechnen oder eine jeweils instanzspezifische idiomatische Bedeutung angeben lassen. Letzteres ist bei den idiomatischen Verwendungen von Hand in Hand (‘zusammen(gehörig)’, ‘abgestimmt’) und Arm in Arm (‘verbündet’, ‘zusammen (gehörig)’) der Fall. Obgleich bei den nicht-idiomatischen Lesarten dieser Instanzen die Kombination der Teilbedeutungen zu einer komplexen Bedeutung führt, gilt das nicht analog für Farbsubstantive (Ton in Ton, Grau in Grau usw.). Ton in Ton bedeutet eben nicht, dass sich ein (Farb-)Ton in einem anderen (Farb-)Ton befindet, sondern, dass beide (farblich und räumlich) eng beieinanderliegen und ineinander übergehen. Diese Bedeutung steuert die Reduplikationsstruktur selbst bei, und sie ist spezifisch für jene Reduplikationsstruktur mit in, in der ein Farbsubstantiv als Reduplikationselement auftritt: [Farbe 1 ] in [Farbe 1 ]. Die Annahme, dass es sich dabei offenkundig um ein produktives Subschema handelt, wird gestützt durch den Befund, dass immerhin drei der insgesamt zehn nominalen Reduplikationselemente Farbsubstantive sind (vgl. Tab. 3). Alexander Ziem 42 3.3 Nominale Reduplikationen mit über (a) Produktivität und idiomatische Verfestigung: Bei der Reduplikationsstruktur mit über handelt es sich - ähnlich wie bei an - um eine produktive Konstruktion. Die hohe Anzahl von insgesamt 295 nominalen Reduplikationselementen lässt eine Verfestigung (Type-Entrenchment) der schematischen Einheit [N 1 ] über [N 1 ] vermuten. Eine Einteilung der Reduplikationselemente in Gruppen fällt schwer, wenngleich auch hier ein quantitativer Ausreißer (Fragen) auffällt; eine weitere Unterteilung bietet sich indes nicht an. Absolute Frequenz Prozentualer Anteil Fragen … Fragen 415 0,42 Fehler … Fehler 27 0,03 Chancen … Chancen 23 0,02 Wunder … Wunder 14 0,01 Menschen … Menschen 11 0,01 Rätsel … Rätsel 10 0,01 Blumen … Blumen 10 0,01 Probleme … Probleme 9 0,01 Bücher … Bücher 8 0,01 Stunden … Stunden 8 0,01 Zahlen … Zahlen 7 0,01 Musik … Musik 7 0,01 Ehrungen … Ehrungen 7 0,01 Schulden … Schulden 7 0,01 Frauen … Frauen 7 0,01 Gutachten … Gutachten 5 0,01 … … … Tab. 4: Quantitative Verteilung der reduplikationselemente bei über Im Gegensatz zu Reduplikationsstrukturen mit an und in handelt es sich bei keiner der im Korpus belegten Beispiele um idiomatische Einheiten im engeren Sinne; d.h., in keinem Fall ist ein eigenständiger Lexikoneintrag nötig, weil sich die Gesamtbedeutung jeweils ableiten lässt aus der Kombination der lexikalischen Bedeutung des Reduplikationselementes und der (schematischen) Bedeutung der Reduplikationsstruktur. Dies gilt interessanterweise auch für die hochfrequente Instanz Fragen. Von der hohen Tokenfrequenz lässt sich hier also nicht auf einen entsprechend hohen Grad an Idiomatizität der instantiierten Reduplikationsstruktur (Fragen über Fragen) schließen. Konstruktionsgrammatische Zugänge zu Reduplikationsstrukturen 43 (b) Beschränkungen (constraints): Attributive Modifizierungen der nominalen Reduplikationselemente sind zwar beschränkt möglich, aber nur selten realisiert. Hinsichtlich der nominalen Instanzen, die als Reduplikationselemente auftreten, bestehen keine semantischen Beschränkungen. Festzustellen sind jedoch semantische Präferenzen für abstrakte zählbare Substantive (Fragen, Fehler, Chancen, Wunder etc.). Grundsätzlich dominieren Nomen, die (menschliche) Leistungen und Hervorgebrachtes (Effiziertes) bezeichnen, allerdings treten im quantitativ geringeren Umfang auch Konkreta (Mensch, Blumen, Frauen etc.) und sehr vereinzelt auch zählbare Substantive (Musik) als Instanzen auf. (c) Konstruktionsbedeutung und Bedeutungspotenzial: Wie bereits festgestellt, deutet die hohe Produktivität der Reduplikationsstruktur darauf hin, dass Letztere den Status einer schematischen Konstruktion mit einer (schematischen) Bedeutung hat. Dies ist tatsächlich der Fall, weil sich die Bedeutungen der belegten Beispiele nicht kompositionell ermitteln lassen. Alle Instanzen erlauben nämlich eine quantifizierende Lesart (‘viele von [N 1 ]’), und diese ist weder durch die Bedeutung des nominalen Reduplikationselementes noch durch eine der lexikalischen Bedeutungen der Präposition über motiviert, vielmehr leistet die Reduplikationsstruktur [N 1 ] über [N 1 ] selbst diesen semantischen Beitrag. 3.4 Reduplikationen mit in, an, über im Vergleich Ein Vergleich der in den Fallstudien jeweils erzielten Ergebnisse lässt einige übergreifende Rückschlüsse auf Eigenschaften von Reduplikationsstrukturen im Deutschen zu: (a) Produktivität und idiomatische Verfestigung: Die erzielten Ergebnisse der drei Fallstudien weisen, mit einer gewissen Einschränkung, auf einen systematischen Zusammenhang zwischen der Tokenfrequenz eines Nomens (und dem damit einhergehenden Token-Entrenchment) und der Idiomatizität der instantiierten Reduplikationsstruktur hin: Je höher die Tokenfrequenz des Reduplikationselementes, desto höher der erwartbare Grad an Idiomatizität (vgl. Hand in Hand, Seite an Seite). Allerdings ist die Tokenfrequenz allein nur ein Indikator, nicht aber ein verlässlicher Prädiktor für Idiomatizität, wie das Beispiel Fehler über Fehler (vgl. Abschn. 3.3) deutlich macht. Generell hat sich erwiesen, dass kompositionelle und idiomatische Strukturen keine dichotomen Kategorien, sondern vielmehr ein Kontinuum bilden. Der Grad an Idiomatizität hängt jeweils vom nominalen Reduplikationselement ab; in Absehung von diesem ist er nicht vorhersagbar. Den graduellen Abstufungen ist in der Analyse individuell Rechnung zu tragen. Alexander Ziem 44 Ein direkter Zusammenhang besteht schließlich zwischen der Produktivität einer Reduplikationsstruktur und dem (Grad der) Verfestigung der Reduplikationsstruktur: steigt Erstere, nimmt auch Letztere zu. Generell führt also ein hohes Type-Entrenchment, d.h. eine hohe Anzahl an verschiedenen Reduplikationselementen (wie im Fall von an und über), zur Verfestigung der schematischen Reduplikationsstruktur und somit zur Herausbildung einer eigenen (Reduplikations-)Konstruktion. (b) Beschränkungen (constraints): Reduplikationsstrukturen mit Präpositionen weisen generell keine pragmatische, wohl aber semantische und syntaktische Beschränkungen auf. Welche Instanzen jeweils lizenziert sind, variiert hingegen stark. Die jeweils wirksamen Lizenzierungsmechanismen sind konstruktionsspezifisch, Generalisierungen über Konstruktionen hinweg sind nur sehr beschränkt möglich. Zwar ist die allgemeine Tendenz zu konstatieren, dass Nomen nicht attributiv modifiziert werden können (so im Fall von Reduplikationen mit in); dies gilt aber nur eingeschränkt und kann über Konstruktionen hinweg ebenfalls nicht verallgemeinert werden. So lassen Reduplikationen mit an und über, wenn auch nur sehr beschränkt, Modifizierungen zu. In welchem Rahmen Modifizierungen möglich sind, bleibt unvorhersehbar und muss von Konstruktion zu Konstruktion bestimmt und definiert werden. (c) Konstruktionsbedeutung und Bedeutungspotenzial: Nicht alle Reduplikationsstrukturen tragen (unabhängig von ihren möglichen Reduplikationselementen) eine Bedeutung. Während bei [N 1 ] in [N 1 ] kein Hinweis auf eine eigene (schematische) Bedeutung oder Funktion vorliegt, gibt es im Fall von [N 1 ] an [N 1 ] und [N 1 ] über [N 1 ] Evidenz dafür, dass sie eigenständige schematische Konstruktionen sind. Die Bedeutung von Reduplikationen mit an umfasst einen kontinuativen (‘N an N an N usw.’), einen quantifizierenden (‘viele N’) und einen räumlich-intensivierenden (‘N besonders nah an N’) Aspekt; Reduplikationen mit über motivieren eine quantifizierende Lesart (‘sehr viele N’). Idiomatische Varianten (Seite an Seite, Hand in Hand etc.) tragen naturgemäß eigene Bedeutungen, die jeweils individuell zu bestimmen und anzugeben sind. Übergreifend ist festzustellen, dass sich die drei schon von Quirk et al. (1985) konstatierten Bedeutungsdimensionen auch in Reduplikationsstrukturen des Deutschen wiederfinden lassen, sie treten jedoch vielfach in Mischformen auf und sind ungleich über Reduplikationskonstruktionen verteilt. Welche Bedeutungsdimension für eine Reduplikationskonstruktion einschlägig ist, lässt sich nicht vorhersagen, sondern muss je individuell auf der Basis von empirischen Daten ermittelt werden. Konstruktionsgrammatische Zugänge zu Reduplikationsstrukturen 45 4. Fazit Es ist kein Zufall, dass Idiomatizität die vielleicht wichtigste treibende Kraft für die Konstruktionsgrammatik war und ist (vgl. Fillmore/ Kay/ O’Connor 1988; Fillmore 1988). Anders als konkurrierende Grammatiktheorien, die idiomatische Ausdrücke an das Lexikon delegieren, gelten Irregularitäten in der Konstruktionsgrammatik als willkommene Testfälle für die deskriptive und explanative Adäquatheit des gewählten Frameworks. Mehr noch hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass idiomatische Einheiten nicht nur feste Bestandteile einer Sprache bilden, sondern möglicherweise sogar zu ihrem Kern gehören: It turns out that the idiomatic reaches into every nook and cranny of a language, so much so that it might not be outrageous to claim that just about everything in a language is idiomatic to a greater or lesser degree and in some way or other. If anything, it is the fully regular, the fully compositional that is exceptional. (Taylor 2012, S. 71f.) Selbst wenn sich unter streng quantitativen Maßstäben herausstellen sollte, dass syntaktisch reguläre und semantisch kompositionelle sprachliche Einheiten den größeren Teil einer Sprache ausmachen, sollte eine Grammatiktheorie in der Lage sein, irreguläre und nicht-kompositionelle Einheiten in ihre ‘Architektur’ zu integrieren, ohne sie als Ausnahmen zu behandeln und mithin zu ignorieren. Dazu ist es nötig, dem Eigenleben, das Phrasemkonstruktionen in syntaktischer und semantischer Hinsicht führen, dergestalt Rechnung zu tragen, dass sprachliche Beschränkungen zur Bildung neuer Instanzen vollständig erfasst und definiert werden. Ein wichtiges Anliegen des vorliegenden Beitrages bestand darin darzulegen, wie sich ein konstruktionsgrammatischer und ein phraseologischer Zugang komplementär ergänzen können. Als Anschauungsmaterial dienten Phraseoschablonen; diese sind in der Phraseologie zwar seit Langem bekannt und erforscht, allerdings meist ohne grammatische, semantische und pragmatische Lizenzierungsmechanismen zu berücksichtigen. Konkret sollte am Beispiel von Reduplikationsstrukturen mit Präpositionen aufgezeigt werden, welche Herausforderungen zu meistern sind, wenn grammatische Randphänomene genauso - und das heißt auch: mit gleichen Mitteln - zu erfassen sind wie voll reguläre. Vor diesem Hintergrund versteht sich die vorliegende Studie in zweifacher Hinsicht als exemplarisch. Sie hat sich zum einen zur Aufgabe gemacht, konstruktionelle Mechanismen aufzuzeigen, die sich auch auf andere Phraseologismen übertragen lassen, so etwa der Zusammenhang von Idiomatizität, Produktivität, Type- und Token-Entrenchment sowie die Relevanz von Beschränkungen zur Lizenzierung von Konstrukten. Zum anderen sollten die Alexander Ziem 46 Fallstudien dazu dienen, sprachtheoretische Voraussetzungen für grammatisch adäquate Analysen von idiomatischen Einheiten herauszustellen; nicht nur bedarf es zur Beschreibung von Phraseoschablonen als produktive grammatische Muster einer Konzeption von Sprachwissen als Kontinuum zwischen Grammatik und Lexikon, auch ist es notwendig, Idiomatizität als Gradphänomen zu begreifen, um die für Phraseoschablonen so charakteristische Verfestigung von semantischen und syntaktischen Strukturen datenbasiert modellieren zu können. literatur Barðdal, Johanna (2008): Productivity. Evidence from Case and Argument Structure in Icelandic. Amsterdam/ Philadelphia. Boas, Hans C. (2008): Resolving form-meanindiscrepancies in Construction Grammar. In: Leino, Jaakko (Hg.): Constructional Reorganization. Amsterdam/ Philadelphia, S. 11-36. Booij, Geert (2002): Constructional idioms, Morphology, and the Dutch lexicon. 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Ziem, Alexander/ Lasch, Alexander (2013): Konstruktionsgrammatik. Konzepte und Grundlagen gebrauchsbasierter Ansätze. (= Germanistische Arbeitshefte 44). Berlin/ Boston. Arne Zeschel Musterbasierte LexikograFie und das konstruktikon. ProbLeMe und PersPektiven aM beisPieL des deutschen in - Prädikativs 1 1. einleitung Während es einen zweifellos großen Fundus sprachlicher Einheiten gibt, in denen eine feste Wortverbindung mit einer idiosynkratischen Bedeutung verknüpft ist, lohnt bei manchen Kandidaten für solche Strukturen dennoch ein zweiter Blick auf dahinter stehende allgemeinere Konstruktionsmuster. Damit sind nicht lediglich eng umschriebene okkasionelle Analogiebildungen gemeint, wie sie sich in hinreichend großen Korpora für wohl beinahe jeden beliebigen Kandidaten entsprechender Strukturen finden. Wo eine prototypische lexikalische Realisierung solcher Einheiten unstrittig erkennbar ist, die Varianten transparent motiviert sind und die realisierte Bedeutung sehr spezifischer Natur ist (vgl. etwa einen Streit/ eine Auseinandersetzung/ einen Krieg/ eine Diskussion/ … vom Zaun brechen), erscheint es deskriptiv legitim, eine eher lexikografische Perspektive einzunehmen und den ermittelten Prototyp als Nennform einer komplexen lexikalischen Einheit zu behandeln. Die Übergänge von genuin festen zu lexikalisch flexibleren und schließlich vollständig offenen Strukturen mit rein semantisch restringierten Positionen sind allerdings fließend, 2 und um ihre jeweilige Dokumentation ist es recht unterschiedlich bestellt: Während auf der untersten Ebene spezifischer idiomatischer Wendungen kein Mangel an entsprechenden Inventarisierungen besteht, ist davon auszugehen, dass es auf mittleren und höheren Abstraktionsebenen noch viele musterhafte Zusammenhänge zu entdecken gibt, die durch eine Listung einzelner Instanzen als nicht weiter analysierte „feste Wendungen“ mit je idiosynkratischer Bedeutung im ungünstigsten Fall sogar verschleiert werden. Der vorliegende Beitrag illustriert einen solchen Fall am Beispiel der hervorgehobenen Wendung in (1): 1 Ich danke den Teilnehmern des Workshops „Sprachliche Verfestigung. Chunks, Muster, Phrasem-Konstruktionen“ (IDS Mannheim, Juni 2015) sowie Felix Bildhauer, Kristel Proost und Stefan Engelberg für Anregungen, Kommentare und Diskussion. Besonderer Dank gilt Juliane Elter und Christina Mack für ihre Hilfe bei der Datenauszeichnung. 2 Ab welchem Punkt entlang dieses Kontinuums (d.h. ab welchem Ausmaß an Variabilität in wie vielen/ welchen Positionen) geeigneterweise eine musterorientierte Perspektive und Darstellungsform gewählt werden sollte, ist eine offene Frage. Arne Zeschel 50 (1) Auch Zé Roberto hatte die Entscheidung auf dem Fuß, fand aber in Enke seinen Meister (76.). (Hamburger Morgenpost, 9.11.2009, S. 1-5) 3 Es wird gezeigt, dass kein einziges Element dieser mutmaßlich festen Wortverbindung notwendig gesetzt ist, sondern sich dahinter ein lexikalisch unterspezifiziertes Muster präpositionaler Prädikativkonstruktionen verbirgt. Der Fokus des Beitrags liegt dabei weniger auf den theoretischen Implikationen solcher Beobachtungen (über die insbesondere in der konstruktionsgrammatischen Literatur schon viel geschrieben worden ist), 4 sondern auf ihren Konsequenzen für geeignete sprachdokumentarische Darstellungsformate. Einzelne verfestigte Instanzen abstrakter Konstruktionen, die unabhängigen Einheitenstatus beanspruchen können, sind in Wörterbüchern und Idiomlexika sicher gut aufgehoben. Dort findet man allerdings keine Hinweise auf schematischere Konstruktionsmuster, die diesen konkreten Instanzen zugrunde liegen (und würde sie dort auch nicht erwarten) - geschweige denn, dass die Darstellung nach solchen Mustern strukturiert wäre, so dass man Instanzen derselben Konstruktion nicht lediglich verstreut über das Wörterbuch in den Einträgen zu einzelnen prominenten Füllern (ggf. verschiedener Strukturpositionen) vorfinden könnte. Zur Schließung der Lücke zwischen etablierten lexikografischen und traditionellen grammatikografischen Darstellungsformaten (bzw. der Aufhebung dieses Gegensatzes) wurde in der konstruktionsgrammatischen Literatur das Konzept des Konstruktikons vorgeschlagen (Jurafsky 1992; Fillmore/ Lee-Goldman/ Rhodes 2012; Boas 2014; Herbst 2016), das solche Muster in den Mittelpunkt des Interesses rückt und sie zu inventarisieren sucht. Zur Frage, wie eine solche Ressource genau aussehen und wie sie strukturiert sein sollte (d.h. welche Arten von Angaben die Beschreibungen ausmachen, wie diese Beschreibungen miteinander vernetzt sind und welche Zugriffsmöglichkeiten bestehen sollten), gibt es zwar einige Vorschläge, 5 es hat sich bis dato aber kein allgemeiner Konsens herausgebildet (geschweige denn, dass eine 3 Alle Korpusbelege in dieser Studie entstammen dem Deutschen Referenzkorpus D e R e K o (vgl. Institut für Deutsche Sprache 2015). 4 Auf theoretischer Ebene wird das Problem und die (heute gängige, damals kontroverse) Lösung bereits vor dreißig Jahren bei Langacker (1987, S. 29) beschrieben, der die Annahme, sich in der Modellierung einer gegebenen Struktur notwendig zwischen Instanz- und Musterebene entscheiden zu müssen, als „rule-list fallacy“ bezeichnet („the assumption, on grounds of simplicity, that particular statements (i.e. lists) must be excised from the grammar of a language if general statements (i.e. rules) that subsume them can be established“). 5 Für bereits recht spezifische Vorgaben für ein Konstruktikon in Anbindung an FrameNet vgl. Fillmore/ Lee-Goldman/ Rhodes (2012) sowie speziell für das Deutsche Boas (2014). Musterbasierte Lexikografie und das Konstruktikon 51 solche Ressource bereits fertig in einer Form vorläge, die ihren eigenen Ansprüchen auf solider empirischer Basis gerecht wird). 6 Im vorliegenden Beitrag wird am Beispiel der Zielstruktur in (1) erwogen, wie speziell der semantische Pol der anvisierten Musterbeschreibungen gewinnbringend analytisch perspektiviert werden kann, um eine Vermittlung von instanz- und schemabezogenen Perspektiven auf denselben Ausdruck in einem integrierten sprachdokumentarischen Format zu erfassen. Beginnen wir dazu zunächst am „unteren“ Ende, d.h. mit der Darstellung einzelner Musterinstanzen im Wörterbuch. Duden Online listet die Wendung in (1) unter Lesart 2 von Meister, ‘Könner auf seinem Gebiet, in seiner Kunst’ im Unterpunkt „Wendungen, Redensarten, Sprichwörter“. Als Bedeutungsangabe wird vermerkt: „auf jemanden treffen, getroffen sein, der einem überlegen ist“. 7 Auch in Schemanns (2011) „Deutscher Idiomatik“ ist das Element gelistet und unter dem Stichwort Meister verzeichnet. Anstelle einer Bedeutungsparaphrase wird hier aber nur ein Verwendungsbeispiel gegeben, zudem wird die Wendung als „pathetisch oder ironisch“ gekennzeichnet (Schemann 2011, S. 537). Ihre Form wird im Duden mit „seinen Meister finden; in jemandem seinen Meister gefunden haben“ bzw. bei Schemann mit „seinen Meister (in jm.) finden“ angegeben. Konstitutiv zu sein scheint demnach das Verb finden in Verbindung mit dem direkten Objekt Meister, wobei letzteres durch ein Possessivpronomen mit Subjektbezug modifiziert wird. Wird genannt, um wen es sich bei diesem Meister handelt, geschieht dies im Rahmen einer in-PP. Auf den zweiten Blick sind all diese Restriktionen jedoch unzutreffend bzw. zu eng gefasst. Weder muss der Kopf des Objekts das Lexem Meister sein, noch ist das Possessivpronomen notwendig (2a), und auch die Verbposition ist nicht auf finden beschränkt. Manche der attestierten weiteren Verben weisen semantische Ähnlichkeiten zu finden auf (2b, c), andere hingegen nicht (2d, e). Interessanterweise ist selbst der Kopf der PP nicht auf die Präposition in festgelegt - in gleicher Funktion finden sich auch mit-PPen (2f): (2) a. Obwohl man seine Hausaufgaben nur unvollständig erledigt hat, glaubt man in der Person des Vorsitzenden des KJR die Ursache allen Übels gefunden zu haben. (Rhein-Zeitung, 27.4.1996) b. Röhl scheint, im Gegensatz zu den Ermittlungsbehörden, mit dem Bericht ihres Informanten nicht sonderlich zufrieden gewesen zu sein, denn sie erklärt sich und den Surfern auf ihrer Internetseite 6 In Gestalt der Erlangen Valency Patternbank liegen zumindest für das Englische bereits substanzielle (formseitige) Vorarbeiten einer solchen Ressource öffentlich zugänglich vor (www. patternbank.uni-erlangen.de/ cgi-bin/ patternbank.cgi, Stand: 3.7.2017). Die nach Mustern durchsuchbare Datenbank beruht auf dem „Valency Dictionary of English“ (Herbst et al. 2004). 7 Vgl. „Meister“ auf Duden online: www.duden.de/ rechtschreibung/ Meister (Stand: 3.7.2017). Arne Zeschel 52 (www.bettinaroehl.de) in einem an Bundespräsident Johannes Rau adressierten Brief die Aussage, daß Frauen als Werferinnen in Betracht kommen sollen, als eine Art frauenfeindliche Vertuschungsaktion der wahren Täter; die glaubt sie, wie bekannt, in Fischer und damaligen Genossen geortet zu haben. (Frankfurter Allgemeine, 20.1.2001) c. Als Referent wurde unter anderem in Carsten Eich ein kompetenter Ansprechpartner gewonnen. (Rhein-Zeitung, 12.4.2008) d. Auch bei der Abfahrt der Frauen in Bad Kleinkirchheim triumphierte in Elisabeth Görgl eine Österreicherin. (Hamburger Morgenpost, 8.1.2012, S. 42) e. Koch schien wenig begeistert, als in Beckmann ein harter Kontrahent angekündigt wurde. (Rhein-Zeitung, 3.5.2008) f. Und mit Michael Buffer haben wir genau den richtigen Typ gefunden, um unsere Jubiläumsangebote zu verkünden. (Braunschweiger Zeitung, 4.2.2011) Während sowohl strukturelle als auch semantische Parallelen zwischen den Ausdrücken in (1) und (2) nicht zu übersehen sind, gibt es also in lexikalischer Hinsicht keinen tatsächlich invarianten Bestandteil, der allen Belegen in (2) gemeinsam wäre. Zudem wird deutlich, dass sich die Paraphrase ‘auf jemanden treffen, der einem überlegen ist’ offenkundig allein den spezifischen Wortbedeutungen der lexikalischen Füller finden und Meister in Beispiel (1) verdankt, so dass sie als musterorientierte Charakterisierung deutlich zu spezifisch und damit untauglich ist. Bevor wir uns einer Annäherung an mögliche Alternativen zuwenden, betrachten wir zunächst eine vorliegende musterorientierte Analyse für die Variante mit mit in (2f), die Hilpert (2009) als „mit-Prädikativ“ bezeichnet. 2. hilperts analyse des mit - Prädikativs Hilpert (2009) schlägt eine Modellierung der Struktur in (2f) als grammatische Konstruktion im Sinne der Konstruktionsgrammatik vor. Für ihre Bedeutung werden zwei verwandte Frames mit den Bezeichnungen being_in_a_category und having_an_attribute angesetzt. Unter Verweis auf Paynes (1997, S. 14) typologische Charakterisierung von Prädikatsnomenkonstruktionen, derzufolge solche Konstruktionen zur Bezeichnung von Kategoriezugehörigkeiten oder Identitätsrelationen dienen, kennzeichnet Hilpert die Konstruktion als eine prädikative: Die mit-Phrase ist referenzidentisch mit einem weiteren Satzglied, das ihren Referenten entweder einer bestimmten Kategorie zuordnet oder mit einem bestimmten Attribut assoziiert. Der Bezugsausdruck der mit- Musterbasierte Lexikografie und das Konstruktikon 53 Phrase kann dabei entweder als Subjekt (3a), als Objekt (3b) oder als Adverbial fungieren (3c, alle Beispiele aus Hilpert 2009): (3) a. Mit Müller verließ der beste Spieler den Platz. b. Er beging einen großen Fehler mit seinem Wechsel zu Lazio Rom. c. Mit 13 Jahren kam Hans Sauter relativ spät zum Turnen. Gegenüber der projektionistischen Alternative, die spezielle Interpretation dieser PPen einer besonderen Lesart der Präposition mit zuzuschreiben (so z.B. Zifonun/ Hofmann/ Strecker 1997, S. 2136), führt Hilpert eine Reihe von Argumenten an, die aus seiner Sicht für einen konstruktionsbasierten Ansatz sprechen und hier im Folgenden kurz referiert werden. Erstens dürfe das interne Argument der mit-Phrase nicht indefinit sein: (4) a Mit seiner neuen Platte präsentierte Westernhagen ein Meisterwerk. b ? Mit einer neuen Platte präsentierte Westernhagen ein Meisterwerk. (Hilpert 2009, S. 34) Während unklar sei, wie sich dieser Effekt im Rahmen einer Polysemieanalyse motivieren lasse, sei dies bei einer Analyse als prädikative Konstruktion nicht schwierig: Hier sei es im Gegenteil gerade der erwartbare Normalfall, dass es sich bei dem Referenten, der einer bestimmten allgemeineren Kategorie zugeordnet wird, um eine definite, eindeutig identifizierbare Entität handelt. Zweitens könne das Verb nicht separat negiert werden - vgl. (5): (5) *Mit Müller verließ der beste Spieler nicht den Platz. 8 Intendierte Bedeutung: ‘Müller, der beste Spieler, verließ den Platz nicht.’ (Hilpert 2009, S. 34) Auch dies ergebe sich aus der prädikativen Funktion der Konstruktion: Die vom Verb beigesteuerte Information stehe gegenüber der prädikativen Relation 8 Hilpert schreibt einerseits: „The verb may not be separately negated in the construction“ (2009, S. 34), schränkt eine Seite später aber dahingehend ein, dass bei Anwendung einer Adaptation des lie-Tests von Erteschik- Shir/ Lappin (1979), der zur Ermittlung des pragmatischen Fokus einer Konstruktion diene, eine Negation der prädikativen Relation zwischen mit-PP und Bezugsausdruck lediglich „much more natural“ als die der Verbbedeutung sei. Es sei zum Beispiel also wesentlich unmarkierter, der Feststellung Mit Müller verließ der beste Spieler den Platz mit dem Widerspruch Das stimmt nicht, Seeler war besser zu begegnen (Negation der Prädikativbedeutung) als mit dem Widerspruch Das stimmt nicht, er blieb auf dem Platz (Negation der Verbbedeutung). Wird die Salienz speziell des Verbereignisses heraufgestuft, etwa durch Partikeln wie in Mit Müller verließ der beste Spieler den Platz nun doch nicht zum Status einer umstrittenen Proposition, zu der erneut Stellung bezogen wird, klingt die Negation jedoch schon besser, so dass ein kategorischer Ausschluss wohl zu stark ist. Ich danke Stefan Engelberg für diesen Hinweis. Arne Zeschel 54 zwischen mit-Phrase und Bezugsausdruck im Hintergrund, so dass sie nicht ohne Weiteres negierbar sei. Damit hänge auch zusammen, dass das Verb keinen Akzent erhalten könne („the verb does not easily lend itself to particular emphasis, be it through either negation or stressed pronunciation“, Hilpert 2009, S. 35): 9 (6) ? Mit Müller verLIESS der beste Spieler den Platz. (Hilpert 2009, S. 35) Viertens bemerkt Hilpert, dass das Bezugselement der mit-Phrase eine lexikalische Nominalphrase sein müsse, pronominale Realisierungen dagegen ausgeschlossen seien: (7) *Mit Müller verließ er/ einer/ jemand den Platz. (Hilpert 2009, S. 35) Auch das folgt laut Hilpert aus der prädikativen Funktion der Konstruktion: Generell stelle das Prädikat in einer prädikativen Konstruktion (gemeint hier: der Bezugsausdruck der mit-PP) neue Information dar, so dass wiederaufgreifende Pro-Formen an dieser Stelle aus pragmatischen Gründen ausscheiden, sofern sie nicht durch einen besonderen Kontext gestützt werden (vgl. Hilperts Beispiel You need a doctor? John is one). Schließlich spreche für eine Analyse als prädikative Konstruktion auch Rohdenburgs (1972, S. 253) Beobachtung, dass sie bei einigen Verben mit Objektsprädikativkonstruktionen mit einer als- Konjunktionalphrase alterniert: (8) a. Mit ihm würdigte man den tüchtigsten Vertreter seines Berufsstandes. b. Man würdigte ihn als den tüchtigsten Vertreter seines Berufsstandes. Im Anschluss an seine Argumentation für eine konstruktionsbasierte Analyse präsentiert Hilpert eine empirische Untersuchung der typischen Gebrauchsmuster des mit-Prädikativs, die sich auf 356 Vorkommen aus zwei Subkorpora des Deutschen Referenzkorpus DeReKo stützt (LIMAS und Mannheimer Morgen aus den Jahren 1991 und 1994-1996). Ausgezeichnet wurden die gefundenen Treffer dabei für die Art der mit-Phrase (siehe unten), ihre Position im Satz, den grammatischen Typ des Bezugselements und die Aktionsart des Verbs. Mögliche Interaktionen zwischen diesen Variablen werden mithilfe einer 9 Dieses Argument ist nicht sehr überzeugend. Auch in der entsprechenden einfachen transitiven Konstruktion kann das Verb nur dann Akzent erhalten, wenn es kontrastiv interpretiert werden soll (Ich habe gesagt: „Der beste Spieler verLIESS den Platz“, nicht „Der beste Spieler FLIEST den Platz“). Dieselbe Akzentuierungsoption mit kontrastiver Interpretation des Verbereignisses gibt es auch im Rahmen des mit-Prädikativs. Musterbasierte Lexikografie und das Konstruktikon 55 Hierarchischen Konfigurationsfrequenzanalyse (HKFA) ausgewertet (Eye 1990; Gries 2008), einem explorativen Verfahren, das überzufällig häufige Konfigurationen gemeinsam auftretender Merkmalsausprägungen identifiziert. Insgesamt findet Hilpert auf der Basis dieser Analyse fünf saliente Gebrauchsmuster der Konstruktion in seiner Stichprobe. Zwei davon sind Varianten, in denen die mit-Phrase von einer „numerical expression“ wie in (9a) gebildet wird; zwei weitere betreffen Typen, in denen in der mit-Phrase Eigennamen von Personen auftreten (9b) und die letzte ist eine Variante, bei der das Argument von mit eine Produkt- oder Werkbezeichnung ist (9c): 10 (9) a. Der Zinssatz blieb mit 5,25% unverändert. b. Mit Hunold hofft man einen würdigen Nachfolger gefunden zu haben. c. Mit dem ‘Besuch der alten Dame’ hatten sie sich kein einfaches Stück ausgesucht. (alle Beispiele aus Hilpert 2009) Diese Muster stellen gemäß Hilperts Analyse eng verwandte Ausdrucksformate dar, die verschiedene häufig wiederkehrende Kombinationen bestimmter Arten prädikativer mit-Phrasen und Bezugselemente realisieren: Bei „numerischen Ausdrücken“ werde ein quantitatives bzw. quantifizierbares Konzept (Zinssätze, Wahlergebnisse, Niederschlagsmengen etc.) mit einem aktuell relevanten Wert in der mit-Phrase identifiziert. Häufig werde im Rahmen dieser Bestimmung Bezug auf einen Vergleichsstandard genommen (der erhalten, unterboten, verändert etc. wird) oder das berichtete Abschneiden bewertet (als enttäuschend, erfreulich, überraschend etc.). Die Variante mit Eigennamen führe in der mit-Phrase eine im gegenwärtigen Kontext relevante Person ein, die mit einer näheren Charakterisierung versehen wird, die in der Regel positiv sei. Außerdem werde durch die Konstruktionswahl ein „wohlwollendes Interesse“ gegenüber dem Referenten der mit-Phrase bzw. der Relevanz seiner Thematisierung unterstellt („an aura of benevolent interest“, Hilpert 2009, S. 51), was sie von anderen Prädikativkonstruktionen ohne derartige Konnotationen abhebe und damit gerade in journalistischen Texten eine effizient komprimierte Kodierung erlaube. 11 Die Funktion von mit-Prädikativen im 10 Die beiden hier nicht separat illustrierten Muster, die in Hilperts Auswertung identifiziert werden, sind eine Variante des „numerischen“ Typs in (9a) mit adjektivischem statt präpositionalem Bezugsausdruck sowie eine Variante des „Personennamen“-Typs in (9c) mit dem Bezugsausdruck in Subjektstatt in Objektfunktion. 11 Hilpert veranschaulicht diese Eigenschaft anhand des konstruierten, aber instruktiven Kontrasts zwischen ? Mit Schnuffi besitze ich einen Rauhaardackel und Mit Schnuffi besitze ich den ältesten Rauhaardackel der Welt: Die Wahl der Konstruktion impliziert die Erwartung, dass das zugeschriebene Merkmal berichtenswert ist bzw. den Referenten als Träger des entsprechenden Merkmals erwähnenswert macht. Arne Zeschel 56 Zusammenhang mit Produkt- oder Werkbezeichnungen schließlich wird darin gesehen, das entsprechende Produkt bzw. Werk in den Diskurs einzuführen und es zugleich näher zu kategorisieren. Wie bei den „numerischen Ausdrücken“ seien dabei häufig Wertungen im Vergleich zu einem impliziten Standard anzutreffen, indem der thematisierte Gegenstand beispielsweise als „Erfolg“, als „schwierig“ oder als „bahnbrechend“ charakterisiert wird. 3. in - Prädikative Während sich Hilperts allgemeine Charakterisierung des mit-Musters als prädikative Konstruktion ohne Abstriche auf die hier untersuchte Konstruktion mit in übertragen lässt, fällt auf, dass die in (2) nahegelegte Überlappung zwischen beiden Strukturen nur punktuell ist. Von den drei in (9) referierten typischen Gebrauchsmustern der mit-Konstruktion erlaubt nur die Variante mit Eigennamen in (9b) problemlos sowohl eine mitals auch eine in-PP: (10) a. *Der Zinssatz blieb in 5,25% unverändert. b. In Hunold hofft man einen würdigen Nachfolger gefunden zu haben. c. ? In dem ‘Besuch der alten Dame’ hatten sie sich kein einfaches Stück ausgesucht. Das Muster mit in scheint insofern stärker restringiert zu sein als das mit mit. Zudem ist es auch (noch) seltener: Während Hilperts 356 Treffer aus einer händischen Durchsicht von 25.000 Belegsätzen für mit stammen (entsprechend einem Vorkommen der Konstruktion in durchschnittlich 70 Belegen für mit), produziert eine händische Durchsicht von 2.500 Belegen für in/ im 12 aus einer Zufallsstichprobe aus DeReKo lediglich acht Treffer für das Muster (entsprechend einem Vorkommen alle 313 Belege für in/ im). Für die Datenerhebung wurde daher speziell das Muster in (10b) in den Blick genommen. 3.1 Datenbasis Gesucht wurde in einer Zufallsstichprobe von einer Million Belegsätzen aus deutschen, österreichischen und schweizerischen Pressetexten aus DeReKo- Archiv „W“ für die Lemmata in und im nach Belegen, in denen auf die Präposition ein Eigenname folgt. Im Fall von Appositionen können zwischen der Präposition und dem Eigennamen allerdings noch verschiedene weitere Elemente stehen (vgl. in der Weinkellerei Paul Gasser in Ellikon an der Thur einen kompetenten 12 Die Kontraktion im findet sich zum Beispiel bei Bezeichnungen von Institutionen (im IWF einen zuverlässigen Partner haben) und in Appositionen (im Niederländer Jaap Stam den teuersten Verteidiger der Welt besitzen). Musterbasierte Lexikografie und das Konstruktikon 57 Partner finden). Passt man die Abfrage entsprechend an, liefert eine Suche nach den Lemmata in oder im gefolgt von einer beliebigen optionalen Kombination von Artikeln, Possessivpronomen, Demonstrativpronomen, Adjektiven und normalen Nomen gefolgt von einem Eigennamen zunächst noch 200.425 Treffer in der Stichprobe. Schließt man aus dieser Menge alle Treffer aus, in denen der Eigenname entweder eine Ortsbezeichnung (in Malmö, im ehemaligen Jugoslawien, in der Uhlandstraße) oder ein falsch ausgezeichneter Bestandteil einer irrelevanten Mehrworteinheit (in petto, in Bälde, in medias res) ist, bleiben davon noch 48.103 Belege übrig. 25.000 dieser Sätze (52%) wurden für die Studie händisch durchgesehen. Anders als in Hilperts Studie wurden dabei auch Belege mit valenzgeforderten PPen, die die relevante Bedeutung realisieren, als Instanz der Zielkonstruktion gewertet: 13 (11) Der einzige Unterschied zwischen uns und Flörsheim besteht in dem Gespann Hense und Klein. (Frankfurter Rundschau, 11.11.1997, S. 6) Gefunden wurden auf diese Weise 229 Instanzen des Musters, 14 was einerseits einer Verdreifachung der Trefferquote von 0,3% auf 0,9% entspricht, andererseits aber auch illustriert, dass das Muster selbst in dieser deutlich spezifischeren Umgebung der Präposition noch eine recht marginale Erscheinung darstellt. 13 Hilpert setzt die Weglassbarkeit der mit-PP bei Erhalt von Grammatikalität als Identifikationskriterium für relevante Belege an, so dass z.B. Sätze wie Die Polizei bezifferte den Schaden mit 5000 € trotz der Gleichsetzungsrelation zwischen Schaden und 5000 € in seiner Studie nicht als Instanz des mit-Prädikativs gewertet wurden. Das ist selbst in dem für diese Zwecke genannten Beispiel fragwürdig, denn auch bei beziffern kann die PP durchaus entfallen (vgl. Wer hat den Schaden denn nun beziffert? ). Losgelöst davon erscheint dieses Kriterium aber angesichts der natürlich auch in der Konstruktionsgrammatik vorgesehenen Möglichkeit einer Übereinstimmung verbaler und konstruktionaler Argumentstrukturen (bei Goldberg 1995, S. 50f. als ‘instance’-Relation des Prädikats zur Konstruktion bezeichnet) kontraintuitiv - analog müssten dann z.B. auch geben-Belege aus einer Analyse der Ditransitiven Konstruktion ausgeschlossen werden, da der Entfall eines der beiden lexikalisch-valenzgeforderten Objekte in dekontextualisierten Äußerungen in der Regel zu Inakzeptabilität führt. 14 Sowie auch eine Reihe verwandter Ausdrücke mit verfestigten PPen wie etwa in Form (Rettung nahte in Form eines Finanzinvestors), in Gestalt (von der politischen Konkurrenz in Gestalt der Sportdezernentin beklatscht werden) oder in Person (ballgewandte Individualisten in Person eines Platini, Tigana oder Giresse besitzen), z.T. auch mit Determinierer (sich in der Besetzung Köhler, Becker, Eitz und Hinrichs den Vizemeistertitel erkämpfen). In solchen Ausdrücken besteht die Gleichsetzungsrelation bzw. dem Kopf der in-PP und dem Kopf bzw. den Köpfen eines von ihm abhängigen Attributs (‘die Personen sind: Platini, Tigana oder Giresse’), das entsprechend kein Komplement des Verbs darstellt (*ballgewandte Individualisten eines Platini, Tigana oder Giresse besitzen). Solche Ausdrücke wurden zwar erfasst, hier jedoch nicht als Instanzen der Zielkonstruktion gewertet. Arne Zeschel 58 3.2 Auszeichnung Hilperts Studie zielt neben der konkreten Beschreibung der Zielkonstruktion vor allem auch auf eine allgemeine methodische Veranschaulichung ab, wie mithilfe von Verfahren wie der HKFA typische Gebrauchsmuster grammatischer Konstruktionen aus Korpusdaten gewonnen werden können. Anstelle der Gebrauchsmuster der in-Variante im Allgemeinen - für die vermutlich auch Faktoren wie Informationsstruktur, Linearisierung und Satztyp der gefundenen Instanzen eine Rolle spielen - liegt der Fokus im vorliegenden Beitrag speziell auf den lexikalischen und semantischen Präferenzen und Restriktionen der verschiedenen Bestandteile des Zielmusters. Um Vergleiche mit Hilperts Befunden zur mit-Variante zu ermöglichen, wurden aber auch die von ihm erfassten strukturellen Parameter miterhoben. Erfasst wurden für jeden gefundenen Treffer die folgenden Merkmale: - Verblemma - Aktionsart - Kopflemma des Bezugsausdrucks der in-PP - Grammatische Funktion des Bezugsausdrucks der in-PP - Topologische Feldposition der in-PP 3.3 Ergebnisse Wir beginnen mit einem Überblick über die auch in Hilperts Studie erfassten Merkmale. 15 Wie bei der mit-Konstruktion kann sich die PP auch bei der Variante mit in auf Konstituenten mit unterschiedlicher grammatischer Funktion beziehen. Es finden sich sowohl Subjekte (12a) und verschiedene Objekte (12bd) als auch Adverbiale (12e): (12) a. In Sergio Batista steht der Gruppe sogar ein eigener Trainer zur Verfügung. (Braunschweiger Zeitung, 1.6.2010) b. In Bushido hat er einen ergebenen Fan. (Frankfurter Allgemeine, 2005) c. Violetta Valéry, Edel-Kurtisane und Star der Pariser Halbwelt, begegnet in Alfredo Germont der Liebe ihres Lebens. (Die Rheinpfalz, 17.9.2007, S. 5) d. Das deutsche Team verfügt in Lira Bajramaj, der Doppeltorschützin vom Norwegenspiel, Célia Okoyino da Mbabi und Anja Mittag über eine edle Bankbesatzung. (Die Rheinpfalz, 27.8.2009, S. 9) 15 Die Variable „PP-Typ“ entfällt hier, da nur PPen mit Eigennamen erhoben wurden. Musterbasierte Lexikografie und das Konstruktikon 59 e. Elf Monate (! ) nach dem Weggang Dietmar Beiersdorfers ist nun auch der Posten des Sportdirektors vergeben, wenngleich in Bastian Reinhardt mit einer C-Lösung. 16 (Die Rheinpfalz, 26.5.2010, S. 8) Wie bei dem mit-Muster sind Objekte mit deutlichem Abstand das häufigste Bezugselement der PP: 17 Funktion f % A-OBJ 167 72,90 SUBJ 56 24,50 P-OBJ 3 1,30 D-OBJ 2 0,90 ADV 1 0,40 Gesamt 229 100,00 Tab. 1: Grammatische Funktion des Bezugsausdrucks der PP Die in-PP steht in 78% der Belege im Mittelfeld, ansonsten im Vorfeld. Dies ist eine quasi exakte Entsprechung zu der Variante mit mit, für die Hilpert einen Wert von 77% berichtet. 18 Bezüglich des Verbs betrachtet Hilpert die Aktionsart, vereinfacht zu den zwei Klassen „imperfective“ (states und activities) und „perfective“ (achievements und accomplishments). Er findet eine nahezu ausgewogene Verteilung von 48% atelischen („imperfective“) und 52% telischen Verben („perfective“). Auch in dieser Hinsicht verhält sich die Variante mit in sehr ähnlich zu der mit mit: 16 Obwohl sich die Ausdrücke Bastian Reinhardt, C-Lösung und Sportdirektor semantisch alle auf dieselbe Komplementstelle von vergeben beziehen, ist der Bezugsausdruck der in-PP syntaktisch mit der modalen mit-Angabe innerhalb des nachgeschobenenen wenngleich-Fragments (und nicht mit dem Subjekt der Posten des Sportdirektors bzw. dessen Genitivattribut im vorangegangenen Teilsatz) zu identifizieren. 17 Bei Hilpert werden neben den funktionalen Klassen „Subject“ und „Object“ auch die kategorialen Klassen „Adjectival/ Adverbial“ sowie „Prepositional Phrase“ angesetzt. Es ist daher unklar, ob Präpositionalobjekte als „Object“ oder als „Prepositional Phrase“ gewertet wurden bzw. welche Typen von Objekten die Gruppe „Object“ (48% der Bezugselemente) ausmachen. Unabhängig von möglichen Binnendifferenzierungen in der Klasse der Objekte und davon abhängigen Verschiebungen der konkreten Prozentzahlen entstammt jedoch in beiden Studien eine deutliche Mehrheit der Bezugsausdrücke der PP der Klasse der Objekte insgesamt. 18 Hilpert unterscheidet nicht nach topologischen Feldern, sondern nach „satzinitialer“, „satzmedialer“ und „satzfinaler“ Position. Zählt man die Werte von medialer (72%) und finaler Position (5%) zusammen, erhält man den genannten Wert für das Mittelfeld (unter der Annahme, dass die „finalen“ PPen in seinen Daten nicht rechtsversetzt im Nachfeld stehen). Arne Zeschel 60 Aktionsart f % State 60 26,20 Activity 64 27,90 Accomplishment 8 3,50 Achievement 97 42,40 Gesamt 229 100,00 Tab. 2: Aktionsart des Verbs Zusammengerechnet ergibt sich auch hier eine annähernd gleichmäßige Verteilung (54% atelisch, 46% telisch), allerdings mit einem leichten Übergewicht der atelischen und nicht der telischen Verben. Einerseits gibt es bezüglich dieser drei Variablen also kaum Unterschiede zwischen der mit- und der in-Konstruktion in den beiden Stichproben. Gemeinsam mit der strukturellen Parallelität und identischen Prädikativbedeutung beider Muster ließen sich diese Gebrauchsbefunde zunächst als Indiz dafür werten, dass es sich um Varianten ein- und derselben Konstruktion handelt. Gleichzeitig wurde allerdings auch gezeigt (vgl. (10)), dass die in-Variante mit Blick auf Hilperts vierte Variable (Art bzw. Referenz der PP) restringierter als die mit-Konstruktion ist, da eine Substitution von mit durch in nicht bei allen von ihm gefundenen Typen möglich ist. Genauer gesagt ließe sich ein abstraktes gemeinsames Muster, das auch über den Kopf der PP schematisiert, nur für die Variante mit Eigennamen ansetzen. Inwiefern dessen präpositionale Subtypen aber ggf. doch noch feinere Differenzen und Spezialisierungen aufweisen - wie es das in der Konstruktionsgrammatik angesetzte „Prinzip der Nicht-Synonymität“ (Goldberg 1995, S. 67) formal unterschiedlicher Konstruktionen vorhersagen würde - bliebe dann einem detaillierteren quantitativen Vergleich der beiden Varianten vorbehalten, der insbesondere die Semantik genauer in den Blick nimmt (und hier mangels eigenständig miterhobener Daten zum mit-Prädikativ nicht geleistet werden kann). Intuitiv scheint es entsprechende Kontraste durchaus zu geben, denn nicht alle von Hilperts Beispielen mit Eigennamen-PPen wirken gleich akzeptabel mit in: (13) a. Mit Hunold hofft man einen würdigen Nachfolger gefunden zu haben. b. Mit Ignatz Bubis starb ein deutscher Patriot. c. Der Höhepunkt des Abends folgte mit der Showtanzgruppe „Fire and Flames“. (alle Beispiele aus Hilpert 2009) (14) a. In Hunold hofft man einen würdigen Nachfolger gefunden zu haben. Musterbasierte Lexikografie und das Konstruktikon 61 b. ? In Ignatz Bubis starb ein deutscher Patriot. c. *Der Höhepunkt des Abends folgte in der Showtanzgruppe „Fire and Flames“. Da sich die Gebrauchspräferenzen beider Varianten nicht unterscheiden (zumindest nicht die oben untersuchten) und hier auch jeweils derselbe PP-Typ (mit Eigenname) vorliegt, liegt die Vermutung nahe, dass die Varianten mit mit und mit in mit unterschiedlichen Prädikaten assoziiert sein könnten. Vereinfachend vergleichen wir dazu die zehn häufigsten Verben aus beiden Datensätzen: 19, 20 Rang mit-Verben f % in-Verben f % 1 sein 31 8,7 finden 52 22,7 2 liegen 28 7,9 haben 43 18,8 3 haben 22 6,2 sehen 35 15,3 4 bleiben 14 3,9 stehen 8 3,5 5 stehen 13 3,7 stellen 5 2,2 6 erreichen 9 2,5 besitzen 4 1,7 7 erzielen 9 2,5 sein 4 1,7 8 notieren 9 2,5 verpflichten 4 1,7 9 geben 8 2,2 aufbieten 3 1,3 10 erhalten 6 1,7 ausfallen 3 1,3 Tab. 3: häufigste Verben des mit - und des in - Prädikativs Lediglich die Verben sein, haben und stehen finden sich bei beiden Konstruktionen unter den zehn häufigsten Elementen, ansonsten sind die Präferenzen unterschiedlich. Auffällig ist auch, dass die Verbposition der mit-Variante offener ist: Zusammengenommen decken die drei häufigsten Verben sein, liegen und haben hier „nur“ 23% der Belege ab, bei in addieren sich die spitzenplatzierten finden, haben und sehen dagegen bereits auf 57% der Vorkommen. Zur Verbposition der mit-Konstruktion bemerkt Hilpert (2009, S. 34): „The verb does not seem to have any constraints with respect to the types of predicates that may enter the construction“. Dies ist vermutlich auch der Grund, warum in semantischer Hinsicht nur der sehr schematische Kontrast atelisch/ telisch in den Blick genommen wurde. Zur Variante mit in lassen sich dagegen durchaus 19 Die Angaben für mit-Verben sind Hilpert (2009, S. 44) entnommen. Ein Problem hierbei ist natürlich, dass die von Hilpert berichtete Rangfolge sich auf alle drei Varianten der mit-Konstruktion und nicht allein auf die mit Eigennamen in der PP bezieht. 20 Insgesamt sind 60 verschiedene Verblemmata in der Stichprobe für die in-Konstruktion attestiert. 37 davon sind Hapaxe (62%), was für eine gewisse Produktivität des Musters spricht. Arne Zeschel 62 spezifischere Beobachtungen machen. 21 Auf das Auftreten von Füllern, die semantisch mit dem häufigsten Verb finden verwandt sind, wurde bereits oben hingewiesen: Die Bedeutungskomponente ‘auf etwas stoßen’ liegt etwa auch bei Verben wie begegnen, treffen und orten vor, die Komponente ‘über etwas Verfügung erlangen’ zum Beispiel auch bei gewinnen, erhalten und holen. Stative Entsprechungen hierzu stellen Prädikate wie haben, besitzen und über etwas verfügen dar. In diese Gruppe gehören auch Ausdrücke wie etwas bereithalten, jemanden aufbieten (können) oder jemanden stellen (in der Lesart ‘den Favoriten stellen’), von denen eine Verbindung zu Belegen mit existenzieller Semantik besteht, die ein Vorhandensein bezeichnen (vgl. in X gibt es etwas, in X steht etwas zur Verfügung). Zu diesen wiederum finden sich antonymische Entsprechungen mit fehlen, die ihrerseits mit inchoativen Verwandten wie ausfallen, ausscheiden, auf der Strecke bleiben und sich abmelden in Beziehung stehen. Obwohl sich diese Auflistung noch fortsetzen und weiterführend interpretieren ließe (siehe Abschn. 4), sind aber nicht alle in der Konstruktion auftretenden Prädikate zumindest indirekt und über bestimmte motivierbare Vermittlungsschritte miteinander verwandt. Das dritthäufigste Verb in der Konstruktion, sehen (hier in der dreistellig-prädikativen Lesart ‘<jemand> hält <etwas> für <etwas>’), markiert einen von finden und haben unabhängigen lokalen Prototyp im Konstruktionsnetzwerk, der seinerseits ausstrahlt und über eine Reihe analogischer Varianten verfügt: 22 (15) a. Der WWF Schweiz (World Wild Fund for Nature) sieht im Entscheid Brüssels einen „Dammbruch zur Gen-Willkür“. (Zürcher Tagesanzeiger, 19.12.1996, S. 29) b. Das Gericht erkannte in dem Urheberrechtsbegehren der Nichte des Tunnelflüchtlings Hasso Herschel keinen Grund, die Sendung zu unterbinden. (Frankfurter Allgemeine, 20.1.2001) c. Doch Mephisto täuscht sich: Schon in der Gartenszene verkennt er in Margarete die starke Gegenfigur für sich und Faust. (Frankfurter Allgemeine, 24.1.2005) 21 Bei separater Betrachtung nur des Eigennamen-Subtyps könnte das in gleicher Weise auch für die mit-Konstruktion gelten. 22 Dass sehen in der Rangfolge der instanziierenden Prädikate nur drittplatziert ist, ist möglicherweise ein Artefakt der Datenerhebung: Gefunden wurden gemäß der in Abschnitt 3.3 dargelegten Suchstrategie nur Instanzen, in denen die PP einen Eigennamen enthielt, der aber nicht zwingend auch Kopf der Phrase ist. Entsprechend wurde ein Beleg wie Kreß sieht in der Entscheidung der Celanese AG für Kronberg eine Stärkung der Taunuskommune als Dienstleistungsstandort gefunden, eine mögliche isomorphe Variante Kreß sieht in der Entscheidung eine Stärkung der Taunuskommune als Dienstleistungsstandort würde aber durch das Raster fallen. Diesen Effekt gibt es zwar auch genauso für finden und haben, angesichts der Valenzgebundenheit der in-PP bei prädikativem sehen (‘etwas für etwas halten’) schlägt er hier aber erwartbarerweise stärker zu Buche. Für diesen möglichen Störeffekt wurde in der Studie nicht kontrolliert. Musterbasierte Lexikografie und das Konstruktikon 63 Zudem gibt es auch nicht wenige Verben, die auf den ersten Blick semantisch allein stehen, d.h. sich keinem auch nur lokal begrenzten Cluster semantisch ähnlicher Prädikate zuschlagen lassen. Drei willkürlich herausgegriffene Beispiele dieses Typs sind etwa kommen, ersetzen und spielen. Betrachtet man zugehörige Belege im Kontext, ist ein bestimmter Zusammenhang aber dennoch offensichtlich: (16) a. Aus Esslingen kam in Robert Grohe eine weitere Verstärkung nach Ludwigsburg. (Die Rheinpfalz, 8.2.2010, S. 18) b. Allerdings muss Trainer Martin Jol in David Jarolim und Nigel de Jong sein komplettes defensives Mittelfeld ersetzen. (Hannoversche Allgemeine, 22.11.2008, S. 28) c. Das wird eine knifflige Partie, denn beim FC Speyer spielen in Alexander Kaehn, Raphael Schweitzer und Torsten Hartung drei ehemalige Fußgönheimer. (Die Rheinpfalz, 7.12.2012) Schon bei der festen Wendung in jemandem seinen Meister finden, von der die Untersuchung ihren Ausgang nahm, entstammten sämtliche Belege in der Stichprobe der Sportberichterstattung (der Meister ist mit Ausnahme eines einzigen Belegs dabei stets der Torwart einer Fußballmannschaft, der von einem gegnerischen Spieler nicht überwunden werden kann). Diese Assoziation schreibt sich auch auf schematischerer Ebene fort: Mit 54% der Belege entstammen mehr als die Hälfte der Treffer für die Konstruktion aus Sportkontexten. Natürlich hat diese hohe Zahl etwas damit zu tun, dass die untersuchte Stichprobe allein aus Zeitungstexten besteht, für die Sportereignisse ein wichtiges Thema darstellen. Neben Sportlern finden in der Presse aber durchaus auch andere Personen häufig namentliche Erwähnung (zum Beispiel Akteure aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Kulturindustrie). Auch ohne die Verteilung von Eigennamen in den zugrundeliegenden Zeitungstexten entsprechend ausgezählt zu haben, liegt auf der Hand, dass der gefundene Wert außergewöhnlich hoch ist und auf eine Assoziation der Konstruktion mit dem Sportjournalismus hindeutet. Bevor in Abschnitt 4 eine zusammenfassende Interpretation und Diskussion der Befunde geliefert wird, werfen wir noch einen Blick auf die lexikalische Füllung der Bezugsphrase der in-PP. Tabelle 4 zeigt die zehn häufigsten Kopfnomen der Instanzen aus Sportkontexten, die zusammengenommen 42% der Belege abdecken: 23 23 Die Zählung umfasst auch Köpfe von Komposita wie etwa Juniorenspieler, Außenspieler und Spitzenspieler für Spieler/ Spielerin. Arne Zeschel 64 Rang Kopflemma des Bezugsausdrucks f % 1 Spieler/ Spielerin 14 11,3 2 Meister 7 5,6 3 Akteur/ Akteurin 5 3,2 4 Leistungsträger/ Leistungsträgerin 4 3,2 5 Fürsprecher 4 3,2 6 Mann 3 4,8 7 Trainer 3 2,4 8 Neuzugang 3 2,4 9 Stürmer 3 3,2 10 Profi 2 2,4 Tab. 4: häufigste Kopflemmata des Bezugsausdrucks in sportkontexten Tabelle 5 zeigt dieselbe Rangfolge für Belege aus sonstigen Kontexten, in denen die zehn häufigsten Füller ebenfalls mehr als ein Drittel der Daten ausmachen: Rang Kopflemma des Bezugsausdrucks f % 1 Partner 12 11,4 2 Fürsprecher 4 3,8 3 Verbündeter 4 3,8 4 Liebe 3 2,9 5 Nachfolger 3 2,9 6 Vorbild 3 2,9 7 Freund 3 2,9 8 Konkurrent 2 1,9 9 Mitstreiter 2 1,9 10 Täter 2 1,9 Tab. 5: häufigste Kopflemmata des Bezugsausdrucks in sonstigen Kontexten 4. Zusammenfassung und diskussion Der vorliegende Beitrag hat am Beispiel der idiomatischen Wendung in jemandem seinen Meister finden und einer dahinter stehenden schematischen Konstruktion mit prädikativer in-Präpositionalphrase einen Strukturtyp diskutiert, für den es außerhalb exemplarischer Fallstudien noch kein allgemein etabliertes sprachdokumentarisches Darstellungsformat gibt, das etwa einem Wörterbuch vergleichbar wäre. Das Fehlen eines solchen Formats hat nicht zuletzt mit zahlreichen noch offenen Fragen bezüglich dieser Muster zu tun, die von Problemen einer reliablen und breit angelegten Identifikation entsprechender Musterbasierte Lexikografie und das Konstruktikon 65 Kandidaten über geeignete Strategien der Bedeutungsermittlung und -beschreibung zu Fragen der jeweils anzusetzenden Generalisierungstiefe und Abgrenzung von Nachbarstrukturen reichen. Der Fokus des Beitrages lag dabei auf den beiden letzten Fragen. Es wurde gezeigt, dass die Zielkonstruktion zentrale formale und semantische Merkmale einer Variante paralleler Prädikativkonstruktionen mit der Präposition mit teilt und auch weitenteils ähnliche Gebrauchspräferenzen wie diese aufweist, insgesamt allerdings restringierter als die Variante mit mit ist. Unterschiede wurden auch bezüglich der Besetzung der Verbposition und der Motivierbarkeit der hier auftretenden Füller gefunden. Im Folgenden wird nun erwogen, welche allgemeineren Schlüsse sich aus diesen Ergebnissen für die Identifikation von Konstruktionsbedeutungen und ihr Verhältnis zur lexikalischen Semantik instanziierender Prädikate ziehen lassen. Dazu werfen wir zunächst einen Blick auf Standardantworten auf diese Frage innerhalb kognitiv-linguistisch orientierter Varianten der Konstruktionsgrammatik im Anschluss an Goldberg (1995, 2006), die von den folgenden Annahmen ausgehen: - Die Bedeutung grammatischer Konstruktionen lässt sich als semantischer Frame im Sinne der Fillmoreschen Framesemantik beschreiben. - Es lassen sich konstruktionsspezifisch konventionalisierte Relationen identifizieren, die zwischen der Bedeutung der Konstruktion und der lexikalischen Semantik von Prädikaten bestehen, die in dieser Konstruktion auftreten können (bei Goldberg: in der Verbposition einer Argumentstrukturkonstruktion). - Als kohärente semantische Klasse identifizierbare Gruppen von Prädikaten, die in einer Konstruktion auftreten, können über die Anzeige solcher Relationen zur Identifikation von Subtypen oder Varianten einer Konstruktion dienen, die über verschiedene semantische Relationen miteinander verbunden sind. Wie verhalten sich diese Postulate zu unseren Ergebnissen? Wir beginnen zunächst mit einem Blick auf Hilperts Analyse des mit-Prädikativs. Als Bedeutung des Musters nennt er wie eingangs erwähnt zwei semantische Frames mit den Bezeichnungen being_in_a_category 24 und having_an_attribute. 25 Vorgeschlagen wird also, dass die Konstruktion mit mehr als einem Frame assoziiert ist (wenngleich in diesem Fall beide Bedeutungen eng miteinander verwandt sind). Abgesehen davon, dass es sich in der vorliegenden Studie als schwierig erwies, die Unterscheidung zwischen diesen mutmaßlich getrennten 24 Als Bedeutungsparaphrase wird genannt: ‘An Item belongs to a Category, as (often implicitly) conceived of by a cognizer’ (Hilpert 2009, S. 38). 25 Als Bedeutungsparaphrase wird genannt: ‘An Item has an Attribute, as (often implicitly) conceived of by a cognizer’ (Hilpert 2009, S. 39). Arne Zeschel 66 Bedeutungen zu operationalisieren (was daher nicht weiter verfolgt wurde), kennzeichnet diese Charakterisierung nur einen bestimmten Teilaspekt der Konstruktionsbedeutung - nämlich ihre Prädikativsemantik. Wie Hilpert selbst ausführt, weisen die verschiedenen Varianten des mit-Prädikativs darüber hinaus jedoch noch weitere Bedeutungsmerkmale auf, die sie von anderen Prädikativkonstruktionen abheben (vgl. Abschn. 2). 26 Diese Eigenschaften sind also nicht Bestandteil der evozierten Frames, machen andererseits aber gerade die bedeutungsseitige Spezifik der Zielkonstruktion gegenüber ihren paradigmatischen Alternativen aus. Die für die Variante mit Personennamen genannten Merkmale, die Hilpert in einer Prosabeschreibung skizziert (eine formalere Notation dafür ist auch schwer vorstellbar), gelten analog auch für die Konstruktion mit in: Zu beobachten ist dieselbe Profilierung der näher charakterisierten Entität als erwähnenswerter Gegenstand ( ? in Schnuffi besitze ich einen Rauhaardackel) sowie auch dasselbe Bias zugunsten positiver Rollenzuschreibungen. Dies zeigt sich insbesondere an den häufigsten lexikalischen Füllern des Bezugsausdrucks in Nicht-Sportkontexten: Gefunden/ besessen/ etc. werden mehrheitlich Unterstützer (Partner, Fürsprecher, Verbündete, Mitstreiter) oder Personen in anderweitig erwünschten Funktionen (Vorbilder, Nachfolger, Freunde und die große Liebe). In einem gebrauchsorientierten Ansatz sollten solche Merkmale Eingang in die Beschreibung der Verwendungsrestriktionen einer Konstruktion finden, die folglich nicht allein aus einer Feststellung ihrer Fähigkeit bestehen kann, maximal schematische Frames wie being_in_a_category zu evozieren. Ähnlich verhält es sich mit Assoziationen grammatischer Muster mit bestimmten kanonischen Verwendungskontexten (bzw. „Textsorten“, „Registern“ oder „Genres“, wie immer man diese Kategorien genau definieren mag). Für die mit-Konstruktion diagnostiziert Hilpert eine Bindung an journalistische Texte, 27 die im Fall der in-Variante noch spezifischer auf Sportkontexte beschränkt zu sein scheint. Auch dieses Merkmal ist nicht Bestandteil des (oder der) assoziierten abstrakten Frames, wohl aber ein Verwendungsmerkmal der evozierenden Konstruktion. Erste Überlegungen zu einem Einbezug solcher Arten von Restriktionen in eine konstruktionsgrammatische Modellierung finden sich bei Ruppenhofer/ Michaelis (2010), bleiben aber naturgemäß problematisch und potenziell ad hoc, solange umstritten ist, welche möglichen Werte für dieses Attribut (auf welcher Basis) anzusetzen sind. 26 So zum Beispiel folgendes Merkmal: „The choice of the construction contributes an honorific meaning to the sentence that would not be present in alternative predicative constructions“ (Hilpert 2009, S. 51). 27 Das scheint intuitiv plausibel, wurde jenseits einer (ergebnislosen) Suche nach der Konstruktion in den mündlichen Korpora Grundstrukturen: Freibuger Korpus und Deutsche Umgangssprachen: Pfeffer-Korpus (vgl. http: / / agd.ids-mannheim.de/ korpus_index.shtml) aber auch nicht wirklich überprüft (wie auch in der vorliegenden Studie nicht). Musterbasierte Lexikografie und das Konstruktikon 67 Subtypen der mit-Konstruktion identifiziert Hilpert anhand der Art der PP („numerische Ausdrücke“ vs. Personennamen vs. Produkt- und Werkbezeichnungen) und nicht anhand der instanziierenden Verben, die er wie erwähnt für semantisch unrestringiert hält. Für in dagegen sind im letzten Abschnitt einige augenfällige Gruppierungen erwähnt worden, von denen sich viele auch untereinander semantisch in Beziehung setzen lassen. Die Formulierung von Restriktionen über die Verbposition auf Basis dekontextualisierter Lemmainformation, wie sie sich bei der Durchsicht von Typfrequenzlisten für diese Position aufdrängt, greift allerdings zu kurz. Instruktiv in dieser Hinsicht sind die Belege in (16): Ohne Betrachtung des Kontexts sind die Verben kommen, ersetzen und spielen auch disambiguiert semantisch unverwandt. Bei Betrachtung der zugehörigen Belege erschließt sich jedoch sofort, dass hier jeweils dasselbe Szenario - das sich natürlich durchaus in einem framesemantischen Sinne ausbuchstabieren lässt - thematisiert wird, das Verb allerdings eine recht unterschiedliche Bezugnahme auf dieses Szenario realisieren kann: Typischerweise bezeichnet die in-PP jemanden oder etwas, der oder das für eine andere Entität oder einen gegebenen Zweck in einem bestimmten Zusammenhang eine nützliche Ressource darstellt. Diese Ressource kann gewonnen oder als bereits vorhanden gekennzeichnet werden, ebenso kann sie zu einem bestimmten Zeitpunkt aktiviert werden oder auch ausfallen, so dass sie hernach fehlt. Schematisch betrachtet geht es bei dieser Verwendung also jeweils um eine Possessivrelation, die unterschiedlich profiliert werden kann. Diese Charakterisierung erfasst jedoch nur einen Teil der Daten - und unter anderem gerade nicht den Torhüter-Meister, der von einem gegnerischen Spieler gefunden wird. Als zweiter salienter Subtyp ist daher eine rein klassifikatorische Bedeutung anzusetzen, in der die in-PP jemanden oder etwas bezeichnet, der oder das von jemandem (der nicht notwendigerweise der Subjektreferent ist) in einer bestimmten Art und Weise kategorisiert wird. Gerade das häufigste Verb finden erweist damit die Unzulänglichkeit einer rein an Verblemmata orientierten Systematisierung konstruktionaler Subtypen: (17) a. Auch Zé Roberto hatte die Entscheidung auf dem Fuß, fand aber in Enke seinen Meister (76.). (Hamburger Morgenpost, 9.11.2009, S. 1-5) b. Da der 41 Jahre alte Vollblutkicker später auch in Klaus Toppmöller einen Fürsprecher fand, war die Trainerkarriere vorgezeichnet. (Frankfurter Rundschau, 14.11.1998, S. 33) (17a) ist ein Beispiel für die Duden-Lesart finden 1 ‘zufällig oder suchend auf jemanden, etwas treffen, stoßen’, (17b) dagegen für Duden-Lesart finden 3 ‘[durch eigene Bemühung] bekommen, erlangen, erwerben, sodass man es für längere Zeit behalten kann’. 28 Der erste Beleg instanziiert die rein klassifikato- 28 Vgl. „finden“ auf Duden online: www.duden.de/ rechtschreibung/ finden (Stand: 3.7.2017). Arne Zeschel 68 rische Bedeutung (der Autor des Texts klassifiziert den Torhüter als einen Spieler, der seinem Gegenspieler in der bezeichneten Szene überlegen ist), während der zweite Beleg die Possessivbedeutung instanziiert (der Subjektreferent gewinnt einen Verbündeten, der ihm auf seinem späteren Karriereweg nützlich ist). Natürlich stehen auch diese beiden Bedeutungen ihrerseits nicht einfach unverbunden nebeneinander: Mit Langacker (2009) lassen sie sich als unterschiedliche Aktualisierungen eines grundlegenden konzeptuellen Schemas betrachten, das er als den Kontrollzyklus bezeichnet. 29 Bei der Possessivbedeutung liegt ein Fall „sozialer Kontrolle“ 30 vor, bei der klassifikatorischen Bedeutungen ein Fall „epistemischer Kontrolle“. 31 Beide Bedeutungen können auch durch Verben evoziert werden, die mit den typischen Vertretern beider Verwendungen - finden 3 und haben für die Possessivbedeutung, finden 1 und sehen für die Klassifikationsbedeutung - wenig semantische Ähnlichkeit besitzen: (18) a. Zudem muss in Toni Kroos nur ein Neuzugang integriert werden. (Die Rheinpfalz, 9.8.2010, S. 11) b. Die 50- und 55-Kilo-Klasse hatten die Gäste aus dem Rheinland gar nicht erst besetzt und in Alexander Salzwasser schickten sie im 60-Kilo-Limit einen Ringer auf die Matte, der Übergewicht hatte. (Die Rheinpfalz, 13.9.2011, S. 26]) c. In Torwart Jörg Butt, dem völlig indisponierten Brasilianer Cris und dem kaum stärkeren Nationalstürmer Oliver Neuville standen 29 Langacker (2009, S. 130) bezeichnet dieses Schema als „a general cognitive model applicable to many aspects of human experience“. Das Modell besteht aus vier unterschiedlichen Phasen: „In the static baseline phase, an actor (A) (in the broad sense of the term) controls an array of entities […] which collectively constitute its dominion (D). In the next phase, some target (T) enters the actor’s field (F), or scope of potential interaction. This creates a state of tension, for the actor has to deal with the target in some manner. The typical means of dealing with it is by somehow bringing it under the actor’s control, i.e. exerting force […] resulting in its incorporation in the actor’s dominion. The result of this action is a modified situation that is once more static (a state of relaxation)“ (ebd.). 30 „At the level of social interaction, we encounter new individuals and achieve a kind of social control by establishing stable relationships entailing definite expectations and obligations“ (Langacker 2009, S. 31). Die Ressource, die dem Subjektreferenten hier zuwächst, bezeichnet also ein soziales Kapital. 31 „Mentally,we formulate and evaluate propositions, and in some cases we accept them as part of the dominion comprising our view of reality […] At this level, the actor is a conceptualizer, the target is a proposition, and the dominion is the conceptualizer’s view of reality (or epistemic dominion), i.e. the set of propositions the conceptualizer currently hold to be valid“ (Langacker 2009, S. 31). Die Proposition, die dem Konzeptualisierer als Resultat seines Klassifikationsvorgangs zur Verfügung steht, ist die prädikative Relation ‘X ist ein Y’ (bzw. im Beispiel: ‘Der Torhüter war (in der bezeichneten Szene) der überlegene Akteur’). Musterbasierte Lexikografie und das Konstruktikon 69 nur drei Spieler in der Anfangsformation, die gegen Hansa begonnen hatten. (Nürnberger Nachrichten, 19.2.2003) ‘X verfügt über Y, und Y ist Z’ 32 (19) a. Ab jetzt wollte Goetz endlich nur noch feiern, erlebte in der Love Parade sein Woodstock und umarmte die neue Zeit, als gäbe es kein Morgen. (Berliner Zeitung, 6.2.1999) b. Im Klartext: Wer in anderen Religionen gleichwertige Zugänge zum Heil sieht, wer in Jesus nur eine vorbildliche Gestalt wie in Buddha verehrt, verfälscht die christliche Botschaft. (Rhein-Zeitung, 6.9.2000) c. Koch schien wenig begeistert, als in Beckmann ein harter Kontrahent angekündigt wurde. (DeReKo: Rhein-Zeitung, 3.5.2008) ‘X wertet Z als Y’ 33 Es zeigt sich somit, dass es durchaus Ansätze gibt, um das Auftreten bestimmter Verben in der Konstruktion zu motivieren - wenn man als Referenzpunkt für eine solche Systematisierung eine geeignet gewählte Musterbedeutung und nicht die lexikalische Semantik ihrer Füller (hier speziell: der Verben) wählt. Diese Perspektive entspricht der in Steyer (2013, S. 48) vertretenen Auffassung von „Wortverbindungsmustern“, für deren Bedeutungscharakterisierung es nicht nur „um die paradigmatische Zuordnung zu semantischen Typen, um „lexical sets“ (Hanks 2011, S. 487), ‘die eine intrinsische semantische Eigenschaft gemeinsam haben’, sondern um Gebrauchsmerkmale jeglicher Art“ gehe: Das Konzept der WV-Muster ist sehr viel weitreichender, weil aus Korpora ermittelte rekurrente lexikalische Füller eines Slots nicht zwingend derselben morphosyntaktischen Klasse angehören oder gemeinsame semantische Gemeinsamkeiten im Sinne der ‘lexical sets’ aufweisen müssen, sondern auch nur solche gemeinsamen pragmatischen Eigenschaften haben, für die tradierte Ontologien bisher nur unzureichende Kategorien bereitstellen. In einigen Fällen weisen die lexikalischen Füller nur in Bezug auf dieses eine Muster eine - zumeist funktionale - Verwandtschaft auf. Ansonsten sind sie weder aus morphosyntaktischer noch aus semantischer Sicht Vertreter derselben Klasse. (Steyer 2013, S. 48) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Konstruktionsbedeutungen natürlich durchaus framesemantisch modelliert werden können, sich dabei aber eben die nicht-triviale Frage stellt, genau welcher Frame dafür herangezogen (oder aber: konstruktionsspezifisch postuliert) werden sollte. Im vorliegenden Fall besteht einerseits die Möglichkeit, mit Hilpert (2009) eine sehr schematische Prädikativbedeutung wie being_in_a_category anzusetzen, oder anderer- 32 In (18a) und (c) bleibt der Referent von X sprachlich implizit und muss rekonstruiert werden. 33 In (19a) und (b) ist X der Subjektreferent, in (19c) ist der Bewerter implizit bzw. generisch. Arne Zeschel 70 seits die spezifischeren Umstände, innerhalb derer diese Relation von der Zielkonstruktion typischerweise evoziert wird (Präsenz oder Absenz einer Ressource im Kontrollbereich einer Entität bei gleichzeitiger Klassifikation eines Referenten als Instanz dieser Ressource), direkt in die Konstruktionsbedeutung hineinzuschreiben (und mithin eine deutlich spezifischere Bedeutung anzusetzen). In beiden Fällen gibt es jedoch weitere Eigenschaften, die in einer deskriptiv adäquaten gebrauchsorientierten Darstellung konstruktionaler Verwendungsrestriktionen nicht fehlen sollten. Hierzu zählt etwa die im vorliegenden Fall beobachtete Assoziation der Zielkonstruktion mit Texten der Sportberichterstattung. 34 Wie auch in der ausführlichen Erläuterung des Frames (jenseits des Kopfes) und eventuellen Restriktionen (oder auch lediglich Konnotationen) der Konstruktion bezüglich einzelner Komponenten erscheint für solche Angaben ein Freitextformat unabdingbar. Ein solches Format dürfte auch nötig sein, um Wechselwirkungen mit Variation auf der Formseite sowie sowohl formale als auch semantische Ähnlichkeitsbeziehungen zu verwandten Strukturen nicht lediglich zu listen, sondern in einem Umfang zu kommentieren, der eine Herausarbeitung der Spezifika der je aktuellen Zielkonstruktion erlaubt. Schließlich könnten in einer solchen Darstellung auch usu alisierte Instanzen einer Konstruktion (wie die hier untersuchte Wendung in jemandem seinen Meister finden) gelistet werden, um muster- und instanzbezogene Beschreibungsperspektiven auf syntagmatisch komplexe Strukturen zu integrieren. Auch wenn damit bereits einige Desiderate für eine musterorientierte Herangehensweise an den Gegenstandsbereich formuliert sind, bleiben bezüglich ihrer konkreten Ausgestaltung noch zahlreiche Fragen offen: - Welche Positionen sollte eine solche Darstellung standardmäßig (und welche ggf. optional) umfassen? - Wie umfangreich bzw. detailliert sind diese geeigneterweise anzulegen? - Welche Beschreibungseinheiten bieten sich speziell auf semantischer Seite an (etwa in Bezug auf Argumentrollen), so dass die Charakterisierung einerseits hinreichend feinkörnig und individuell gegenstandsangemessen ist, andererseits aber auch musterübergreifende Generalisierungen erlaubt? - Auf welcher empirischen Basis und Art der Datenauswertung sollten die berichteten Ergebnisse beruhen? - Wie werden die ggf. zahlreichen und verschiedenartigen Vernetzungen einer Konstruktion mit anderen Einheiten des Konstruktikons modelliert? - Was wären geeignete Zugriffsstrukturen für eine solche Ressource (für welchen Adressatentyp? )? 34 Die in Schemann (2011, S. 537) konstatierte Bindung von seinen Meister in jemandem finden an „pathetische“ oder „ironische“ Verwendungskontexte lässt sich auf Basis der hier betrachteten Daten dagegen nicht bestätigen. Musterbasierte Lexikografie und das Konstruktikon 71 Spätestens seit dem Plädoyer von Fillmore/ Lee-Goldman/ Rhomieux (2012) für die Notwendigkeit eines Konstruktikon-Layers in der lexikografischen Datenbank FrameNet 35 gibt es eine Reihe von Initiativen zu verschiedenen Objektsprachen, die sich diese und ähnliche Fragen stellen. Wie auch immer man zu einer direkten An- und Einbindung einer solchen Ressource in das spezifische Projekt FrameNet steht: Praktikable Antworten auf diese und ähnliche Fragen zu finden, ist eine zentrale Aufgabe der zukünftigen Forschung zum Übergangsbereich von „Lexikon“ und „Grammatik“, sofern sie neben individuellen Fallstudien zu einzelnen Konstruktionen auch an der Entwicklung neuer integrierter Darstellungsformate interessiert ist, die den besonderen Erfordernissen ihres hybriden Gegenstandsbereichs gerecht werden. Literatur Boas, Hans C. (2014): Zur Architektur einer konstruktionsbasierten Grammatik des Deutschen. 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Zentrale Muster des Sprachgebrauchs aus korpusanalytischer Sicht. (= Studien zur Deutschen Sprache 65). Tübingen. Zifonun, Gisela/ Hofmann, Ludger/ Strecker, Bruno (1997): Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. (= Schriften des Instituts für Deutsche Sprache 7). Berlin u.a. Katrin Hein Heile - Welt - Gerede und »im fremden - Bett scHlaf icH immer scHlecHt sensiBelcHen« - PhrasenkomPosita als konstruktionsgrammatisch erfassbarer fall sPrachlicher Verfestigung 1. einleitung Phrasenkomposita (PKs) wie Heile-Welt-Gerede und "Alles wird gut! "-Bedürfnis 1 sind durch die Integration eines „frozen syntactic fragment[s]“ (Toman 1985, S. 411) in ein komplexes Wort charakterisiert. Während sie lange Zeit zu Unrecht als „peripherer, gegen zentrale Prinzipien der Wortbildung verstoßender und eher stilistisch interessanter Wortbildungstyp“ (Meibauer 2003, S. 185) marginalisiert wurden, hat sich das (theoretische) Interesse an PKs in jüngster Zeit deutlich erhöht (vgl. z.B. Lawrenz 2006; Meibauer 2003, 2007, 2015; Trips 2012, 2016; Trips/ Kornfilt (Hg.) 2015, (Hg.) 2017; Hein 2011, 2015, 2017) (siehe Kap. 2.1). Aus der Perspektive der sprachlichen Verfestigung lassen sich PKs grundsätzlich aus zwei Blickwinkeln fokussieren: Zum einen sind die inkorporierten Syntagmen selbst häufig als verfestigte, phraseologisch interessante Wortverbindungen beschreibbar (z.B. "Geiz ist geil"-Parole) (vgl. Steyer/ Hein 2018). Zum anderen kann auch das Gesamtbildungsmuster ‘Phrasenkomposition’ (z.B. [XP-SUBSTANTIV]) als Phänomen sprachlicher Verfestigung aufgefasst werden. Die letztgenannte Perspektive wird in diesem Beitrag entwickelt: Anhand der Bottom-Up-Analyse eines breiten, korpusempirisch erhobenen Spektrums von 1.576 PK-Types wird ein konstruktionsgrammatisches Modell zur Beschreibung und Erklärung des Bildungstyps vorgelegt; Aspekten wie Frequenz und Produktivität kommt bei der Erarbeitung dieses Modells durch die gebrauchsbasierte, kognitiv-linguistische Ausrichtung (z.B. Langacker 1987; Goldberg 2006) ein zentraler Stellenwert zu. Konkret werden dabei sowohl Submuster der Phrasenkomposition als auch ein allgemeines abstraktes PK-Schema herausgearbeitet. Auch ein Vorschlag dazu, wie die einzelnen Konstruktionen 1 Alle PK-Beispiele werden in der Originalschreibung wiedergegeben (Bindestriche, Art und Position der Anführungszeichen, …), in der sie im Untersuchungskorpus auftreten. Katrin Hein 74 zueinander in Beziehung zu setzen sind, wird in Form eines ‘Konstruktikons’ (siehe Kap. 5.3) vorgelegt. 2 Durch diesen Versuch, den Konstruktionsbegriff - welcher bisher überwiegend auf syntaktische Strukturen angewendet wurde - für ein morphologisches Phänomen fruchtbar zu machen, ist dieser Beitrag in theoretischer Hinsicht innerhalb der „construction morphology“ zu verorten (vgl. Booij 2010). Während PKs - nicht zuletzt aufgrund der Probleme, die sie in linearen Modellierungen der Morphologie-Syntax-Interaktion verursachen - bisher v.a. in generativen Kontexten diskutiert worden sind (vgl. Hein 2011 für einen Überblick), findet in Hein (2015) erstmals eine konstruktionsgrammatische Annäherung an das Phänomen statt. Auch die dort erstmals für das Deutsche vorgelegte, empirisch fundierte deskriptive Beschreibung des Bildungstyps wird nachstehend skizziert. 2. ausgangspunkte Um die durchgeführte Bottom-Up-Modellierung nachvollziehbar und transparent zu machen, werden nachstehend einige zentrale Ausgangspunkte der Untersuchung erläutert. 2.1 Untersuchungsgegenstand Definieren lassen sich PKs als Komposita, deren „Erstglied bzw. […] Bestimmungswort keine lexikalische Kategorie, sondern eine phrasale Komponente […] ist“ (Lawrenz 2006, S. 7). Unter ‘phrasale Komponente’ fallen dabei sowohl syntaktische Phrasen als auch Satzstrukturen (siehe Kap. 3.2). In Abhängigkeit von der syntaktischen Komplexität bzw. von der funktionalen Vollständigkeit des Erstglieds reicht das PK-Spektrum von stark markierten, expressiven Bildungen wie "Alles-wird-gut"-Bedürfnis und "Ich-kann-Golf-Skiund-Wandern-und-bin-schöner-als-die-andern"-Franz bis hin zu deutlich ‘unauffälligeren’ Bildungen wie Fünf-Tage-Woche (vgl. Steyer/ Hein 2018; Meibauer 2007). PKs funktionieren prinzipiell genauso wie prototypische Determinativkomposita (DKs) wie Baumhaus und lassen sich dementsprechend in zwei ‘Unmittelbare Konstituenten’ (UK) zerlegen, zwischen denen ein hierarchisches Verhältnis besteht: Während das Zweitglied (ZG) die grammatischen Eigenschaften des Gesamtkomplexes (Wortart, Genus) sowie dessen „begriffliche Grundklasse“ (Ortner/ Ortner 1984) festlegt, besteht die Funktion des phrasalen Erstglieds darin, das Grundwort in semantischer Hinsicht zu spezifizieren 2 Alle hier diskutierten Ergebnisse basieren auf der in Hein (2015) vorgelegten, ausführlichen theoretischen und empirischen Untersuchung von PKs. Phrasenkomposita als Fall sprachlicher Verfestigung 75 bzw. einzugrenzen (vgl. auch Olsen 2000, S. 897f.; Fleischer/ Barz 2012, S. 84; Donalies 2011, S. 38). Beispielsweise handelt es sich bei einer 60-Stunden-Woche um eine bestimmte Art von Woche, genauer gesagt um eine Woche, die aus 60 (Arbeits-)Stunden besteht. Ebenso wie in prototypischen DKs ist die spezifische Bedeutungsrelation zwischen den UK an der sprachlichen Oberfläche jedoch nicht ausgedrückt (vgl. Fandrych/ Thurmair 1994; Meibauer 2015). Somit weisen PKs die wesentlichen formalen und semantischen Merkmale auf, die für prototypische DKs charakteristisch sind. Auch wenn ihr Kompositum-Status daher nicht grundsätzlich infrage zu stellen ist (vgl. auch Lawrenz 2006; Wiese 1996; Schlücker 2012; Hein 2011), sollte dies keinesfalls als völlige Gleichsetzung zwischen prototypischen und phrasalen Komposita verstanden werden (vgl. Hein 2015, S. 35-54 für einen Vergleich formaler Eigenschaften und S. 116- 135 für einen Vergleich semantisch-pragmatischer Eigenschaften). Abzugrenzen sind PKs einerseits von weiteren Wortbildungstypen, die mit phrasalen Kategorien operieren - Lawrenz (2006) subsummiert diese unter dem Label „Phrasale Wortbildung“: der Phrasenderivation (z.B. Wassser-in- Wein-Verwandler) und der Phrasenkonversion (z.B. das Zu-jeder-Zeit) (ebd., S. 8f.). Andererseits müssen PKs auch von Bildungen wie Boris “Ich bin drin“ Becker (Finkbeiner/ Meibauer 2016) unterschieden werden, in denen „a quotation […] is inserted between two constituents of a complex personal-name construction“ (ebd., S. 36). Wie eingangs bereits angemerkt, ist das (theoretische) Interesse an PKs in jüngster Zeit merklich gestiegen. 3 Dies zeigen nicht zuletzt die beiden aktuellen PK-Sammelbände (Trips/ Kornfilt (Hg.) 2015, (Hg.) 2017), die sich sowohl aus theoretischer als auch aus typologischer Perspektive allein dem Phänomen Phrasenkomposition widmen. Innerhalb dieser neueren Zugänge ist grundsätzlich zwischen theoretischen Modellierungen zu unterscheiden, die a) primär auf eine formale grammatiktheoretische Erklärung des Bildungstyps abzielen (z.B. Sato 2010; Pafel 2015); b) zusätzlich zu ihrer formalen Herleitbarkeit auch an pragmatisch-funktionalen Aspekten der Phrasenkomposition interessiert sind und somit auch einen gewissen Erklärungsanspruch vertreten (z.B. Meibauer 2007, 2015; Trips 2016; Hein 2015). Da primär formal ausgerichtete Ansätze 4 der Spezifik des Bildungstyps m.E. nicht bzw. nicht vollständig gerecht werden, seien nachstehend nur die zen- 3 Vgl. Hein (2015, Kap. II.1.1.3) und Trips (2016, Kap. 9.2.1) für einen ausführlichen Überblick über die Rezeptionsgeschichte bzw. den aktuellen Forschungsstand. 4 Sato (2010) beschreibt PKs im Rahmen von Chomskys ‘Minimalist Program’. Pafel (2015) betrachtet die Erstglieder von PKs, aufbauend auf Gallmanns (1990) Konversionsanalyse und Wieses (1996) Zitatanalyse, nicht als syntaktische Phrasen, und das Gesamtbildungsmuster Katrin Hein 76 tralen funktional-pragmatischen Aspekte der unter b) gelisteten PK-Zugänge skizziert: Meibauers Ansatz ist besonders deshalb hervorhebenswert, weil er eine theoretische Erklärung für die Markiertheit/ Expressivität („wittiness“) der PKs gegenüber prototypischen DKs anbietet: Durch den Rückgriff auf Levinsons „Theory of Generalized Conversational Implicatures“ (Levinson 2000) wird Expressivität als Ergebnis von zwei widersprüchlichen Prinzipien betrachtet, die bei der Bedeutungskonstitution in PKs gleichermaßen zum Tragen kommen: dem I-Prinzip, das die Anreicherung unterspezifizierter Strukturen verlangt, und dem Q-Prinzip, das maximale Informativität fordert (Meibauer 2007). Zudem beschäftigt sich Meibauer (2015) auch mit der zwischen den UK bestehenden semantischen Relation ‘R’, die viel Raum für pragmatische Anreicherung liefert. Auch Trips (2012, 2016; Trips/ Kornfilt 2015) schreibt pragmatischen Aspekten für das Verständnis von PKs im Englischen einen hohen Stellenwert zu. Sie unterscheidet grundsätzlich zwischen zwei Typen der Phrasenkomposition: PKs mit Prädikat vs. PKs ohne Prädikat. Letztere (z.B. “Charles and Di“ Syndrome) verhalten sich laut Trips in semantischer Hinsicht wie normale DKs (und die Relation ‘R’ ist hier ebenso unterspezifiziert), während sich die Bedeutung von PKs mit Prädikat nur durch metonymische Verschiebungen erklären lässt: „These differences can only be seen on the level of a conceptual semantics“ (Trips 2016, S. 177). Hervorhebenswert ist außerdem, dass Trips auf der Basis ihrer Korpuserhebung auch Aspekte wie „textual features determing the occurrence of PCs“ untersucht - beispielsweise beobachtet sie in den Volltextbelegen die Einleitung von PKs durch bestimmte Marker wie what I call (vgl. ebd., S. 156f.; vgl. auch Trips 2012, Kap. 3). Auch der hier gewählte PK-Zugang (siehe Kap. 2.2) ist an formalen und funktionalen Eigenschaften der Phrasenkomposition interessiert. Er unterscheidet sich von Meibauer und Trips, die PKs innerhalb (nicht-traditioneller) generativer Grammatikmodelle verorten, aber dahingehend, dass ein konstruktionsgrammatisches Framework gewählt wird. daher nicht als Gefährdung für die ‘Lexicalist Hypothesis’, welche besagt, dass Morphologie- und Syntaxmodul nicht miteinander interagieren (vgl. Sato 2010, S. 381-388 für einen Überblick über die verschiedenen Versionen der Lexicalist Hypothesis). Pafel unterscheidet zwei Typen von genuinen PKs: ‘quotative’ vs. ‘non-quotative’. In beiden Fällen analysiert er die Erstglieder als nominale Konversionen aus Phrasen: „The phrasal constituent in quotative phrasal compounds is a pure quote, and pure quotes are nouns. If a phrase is quoted, producing a pure quote means to convert a phrase into a noun.“ Um auch PKs vom Typ ‘non-quotative’ mit der ‘Lexicalist Hypothesis’ vereinbar zu machen, „we have to assume a special rule of phrase-toword conversion which creates nouns which are ‘bound’ as the first constituent in NN compounds“ (Pafel 2015, S. 278). (Für eine Beurteilung von Pafels Ansatz vgl. Trips 2016, S. 165-168; zur Frage nach dem Verfestigungsgrad von PK-Erstgliedern siehe Kap. 4.1). Phrasenkomposita als Fall sprachlicher Verfestigung 77 2.2 Konstruktionsgrammatischer, empirisch induktiver Zugang zur Phrasenkomposition Die KxG kann hier aus Platzgründen nur skizziert werden. 5 Die ihr zugrundeliegende Sprachauffassung lässt sich anhand des folgenden Zitats veranschaulichen: Menschen [verständigen] sich zu bestimmten Anlässen mit bestimmten, aus konkreten sprachlichen Bausteinen bestehenden Äußerungen […]. Wenn Menschen wiederholt ‘ähnliche’ Dinge in ‘ähnlichen’ Situationen sagen, entwickelt sich daraus mit der Zeit ein sprachliches Verwendungsmuster, das in den Köpfen der Benutzer als neue Kategorie oder Konstruktion schematisiert wird - mit unterschiedlichen Abstraktionsgraden. (Tomasello 2008, S. 21) Die Annahme, dass sprachliche Strukturen „von vornherein als syntaktische Ganzheiten (Konstruktionen) gelernt“ und somit nicht „regelgeleitet aus atomaren Einheiten aufgebaut“ werden (Deppermann 2006, S. 49), ist das grundlegende Merkmal der KxG. Ihre zentrale Einheit, die Konstruktion, ist als direkte Paarung aus Form- und Bedeutungsmerkmalen konzipiert. Zwei Aspekte des Konstruktionsbegriffs sind für die Bottom-Up-Modellierung von PKs (siehe Kap. 5) von besonderer Wichtigkeit: Erstens ist sowohl der Komplexitätsals auch der Spezifizierungsgrad von Konstruktionen variabel: „[Konstruktionen] reichen […] für die construction grammar von einzelnen lexikalischen Einheiten über feste Kollokationen und Phraseologismen bis hin zu abstrakten Schemata der Phrasenstruktur“ (Deppermann 2007, S. 116). Zweitens wird der Konstruktionsbegriff als universal betrachtet, d.h. Sprache besteht für die KxG - vollständig oder im Wesentlichen - auf allen Ebenen aus konventionalisierten Form-Bedeutungs-Paaren. Die (traditionell) strikte Trennung zwischen Lexikon und Grammatik wird somit aufgehoben. Die vorliegende Untersuchung ist aufgrund ihrer gebrauchsbasierten Ausrichtung innerhalb der kognitiv-linguistischen Strömung der KxG (z.B. Langacker 1987; Goldberg 2006) zu verorten. Grundlegend für ‘Gebrauchsbasiertheit’ ist die Annahme, dass „die Auftretensfrequenz einer sprachlichen Einheit bzw. die gemeinsame Auftretensfrequenz […] mehrerer sprachlicher Einheiten Auswirkungen auf die kognitive Verfestigung dieser Einheit(en) im Sprachwissen hat“ (Ziem/ Lasch 2013, S. 97). Dieses kognitive ‘entrenchment’-Prinzip liefert „eine psychologische (und neurowissenschaftliche) Erklärung“ (ebd., S. 103) dafür, wie sich Einzelbildungen (‘Konstrukte’) zu abstrakteren Mustern (‘Konstruktionen’) verfestigen. 5 Siehe Hein (2015, Kap. II.2.1) für eine differenzierte Auseinandersetzung mit der KxG, ihren unterschiedlichen Strömungen, dem Konstruktionsbegriff sowie den Divergenzen und Konvergenzen innerhalb des Frameworks (vgl. auch Fischer/ Stefanowitsch 2008; Ziem/ Lasch 2013; Hilpert 2014). Katrin Hein 78 Konsequent umsetzen lässt sich dieses kognitiv-linguistische Paradigma nur dann, wenn man „den tatsächlichen Sprachgebrauch zum Gegenstand empirisch-linguistischer Untersuchungen […] mach[t]“ (ebd.) und diesen als „best evidence we have for determining the nature and specific organization of linguistic systems“ (Kemmer/ Barlow 2000, S. xv) betrachtet. Ebendies wird hier umgesetzt: Die Phrasenkomposition im Deutschen wird erstmals nicht auf der Basis einer Belegsammlung (vgl. z.B. Meibauer 2003; Lawrenz 2006) untersucht. Vielmehr fußt die Bottom-Up-Modellierung auf einer induktiven, groß angelegten korpuslinguistischen Erhebung im ‘Deutschen Referenzkorpus’ (DeReKo) (Institut für Deutsche Sprache 2011). 6 Um für PKs am oberen Ende der Frequenzskala zu arbeiten, wurde innerhalb von DeReKo eine Einschränkung auf Zeitungstexte vorgenommen - schließlich gilt die Phrasenkomposition in der Forschungsliteratur als schriftsprachliche Erscheinung und v.a. als ein Phänomen der Pressesprache (vgl. Meibauer 2003, S. 154). Die Untersuchung der Phrasenkomposition in der gesprochenen Sprache stellt für das Deutsche weiterhin ein Forschungsdesiderat dar. Gesprochensprachliche Belege wie Streichel-mich-Bärchen-Pärchen 7 in der Datenbank für Gesprochenes Deutsch (DGD 2017) deuten darauf hin, dass die Phrasenkomposition auch in der gesprochenen Sprache genutzt wird. In diese Richtung weisen auch die vereinzelten Belege in Weber (2014) für den Einsatz von PKs in telefonischen Beratungsgesprächen. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang außerdem auf Trips’ (z.B. 2016) Untersuchungen englischer Phrasenkomposita in den gesprochensprachlichen Teilen des BNC sowie die bereits erwähnte Untersuchung Partickes (2015) im Colibri-Korpus. Da Letzteres auch Gespräche aus Internetforen beinhaltet, merkt Particke (ebd., S. 49) zu Recht an, dass man es nicht mit klassischer Schriftsprache zu tun hat, sondern „dass hier tendenziell der Duktus gesprochener Rede vorherrscht“. 3. methodische aspekte Der gewählte konstruktionsgrammatisch-empirische Zugang zur Phrasenkomposition erfordert nicht zuletzt auch die Entwicklung einiger methodischer Ansätze. 6 Mittlerweile liegt mit Particke (2015) eine weitere korpusbasierte Studie vor. Die Basis bildet das Colibri-Korpus, eine Sammlung von Texten, „die im Internet ohne rechtliche Schwierigkeiten frei zugänglich sind“ (ebd., S. 49). Das auf dieser Basis gewonnene Untersuchungskorpus ist mit 1.441 PK-Tokens (ebd., S. 43) in quantitativer Hinsicht jedoch nicht mit der vorliegenden Untersuchung vergleichbar. 7 ID: FOLK_E_00042_SE_01_T_01. Ich bedanke mich bei meiner Kollegin Nadine Proske für den Hinweis auf diesen gesprochensprachlichen Beleg. Phrasenkomposita als Fall sprachlicher Verfestigung 79 3.1 Datenerhebung und Korpuszusammenstellung Die automatische Extraktion von PKs aus Korpora stellt keineswegs ein triviales Unterfangen dar. In dieser Untersuchung wurden die XML-kodierten Primärdateien der DeReKo-Teilkorpora durch den Programmbereich ‘Korpuslinguistik’ 8 des IDS mit Hilfe eines Perl-Skripts durchsucht. Dieses Skript recherchiert in den einzelnen Korpusdateien nach bestimmten Suchmustern, die wiederum durch ‘Reguläre Ausdrücke’ definiert sind. Um die verschiedenen grafischen Realisierungsmöglichkeiten der Phrasenkomposition, d.h. die Variation hinsichtlich Bindestrichen, Anführungszeichen, Majuskeln usw. abzudecken (z.B. „AllesInEinem-Gerät“ vs. »WarschauerHerbst«-Festivals vs. 80Stunden- Woche vs. „No Problem-Musiktherapie“), wurden insgesamt acht verschiedene abstrakte Zielzeichenketten definiert (vgl. Hein 2015, Kap. III.1.2). 9 Diese induktive Suchanfrage-Strategie hat zu einer Extraktion von mehr als 1 Mio. Zeichenketten geführt - da es sich um eine rein oberflächenbasierte Suche handelt, wurde dabei aber selbstredend auch eine Vielzahl fehlerhafter Treffer extrahiert. Ein klassischer, musterhaft aufgetretener Fehler ist beispielsweise die Extraktion von Straßennamen wie Friedrich-Ebert-Straße, die an der Oberfläche genauso aussehen wie bestimmte Realisierungen von PKs (z.B. Drei-Wochen-Mitgliedschaft). Auf der Basis dieser quantitativen Erhebung wurde durch verschiedene qualitative Schritte ein Untersuchungskorpus von 1.576 PK-Types zusammengestellt, das für die Zwecke der Bottom-Up-Modellierung als hinreichend repräsentative Auswahl aus dem Spektrum substantivischer PKs gelten kann. Hier wurde das Ziel verfolgt, eine möglichst große Bandbreite (unter formalen wie semantischen Gesichtspunkten) von ZGs zu integrieren. 10 Schließlich stellt die Fokussierbarkeit auf jeweils verschiedene Groß- und Subgruppen von PKs ein wichtiges Desideratum für die Bottom-Up-Modellierung dar. In Abhängigkeit der ZG-Eigenschaften wurden vier Großgruppen von PKs berücksichtigt: 1. simplizisches ZG (z.B. Kleine-Leute-Sohn); 2. deadjektivisches ZG (z.B. Mir-doch-egal-Leichtigkeit); 3. desubstantivisches ZG (z.B. “Zwei-Klassen-Menschheit“); 4. deverbales ZG (z.B. Rote-Rosen-Verkäufer). Innerhalb jeder Großgruppe wurden weitere Subgruppen konzipiert. Beispielsweise wird für PKs mit deadjektivischem ZG nochmals zwischen Nomen Qualitatis (z.B. Trinkmilchjo- 8 Es handelt sich dabei um eine Sonderzugriffsmöglichkeit auf DeReKo. Mein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang Noah Bubenhofer. 9 PKs in unmittelbarer Zusammenschreibung (z.B. Armeleuteessen) werden durch diese Suchanfrage-Strategie nicht erfasst. Vgl. Barbaresi/ Hein (2017) für einen Ansatz zur automatischen Detektion solcher PKs in Webkorpora. 10 Im Rahmen der PK-Gruppierung von den Eigenschaften des ZGs auszugehen ist plausibel, da in DKs „[das Zweitglied] Ausgangspunkt für jegliche Art der Interpretation ist“ (Fandrych/ Thurmair 1994, S. 38). Katrin Hein 80 ghurt-mit-Erdbeergeschmack-Rosa), Personenbezeichnungen (z.B. »Im-fremden- Bett-schlaf-ich-immer-schlecht-Sensibelchen«) und valenten Substantiven (z.B. Prinz-Harry-Besessenheit) differenziert. 3.2 Analysemodell Das Analysemodell wurde entwickelt, um die PK-Einzelbildungen aus dem Korpus als direkte Paarungen aus Form- und Bedeutungsmerkmalen, d.h. als Konstruktionen, beschreibbar zu machen. Die ‘Innovativität’ dieses Modells besteht nicht in der Schaffung völlig neuer Analysekategorien, sondern vielmehr in der ‘konstruktionsgrammatisch bedingten’ Art und Weise, auf die traditionelle grammatische Kategorien miteinander kombiniert bzw. zueinander in Beziehung gesetzt werden. ["Jetzt geht’s los! "] UK1 - [Parole] UK2 Formseite Bedeutungsseite Syntaktische Ebene 11 (1) Syntaktische Eigenschaften der UK1: Phrasen- und Satztypen Semantische Ebene (1) Wie lässt sich die Wortbildungsbedeutung des Gesamtkomplexes erschließen? → hier: [Vollsatz Aussage ] → hier: semantische Grundrelationen (kein Rektionskompositum) Phraseologische Ebene Lexikalischer Status: Verfestigungsgrad der UK1/ des Gesamtkomplexes: [lexikalisiert/ tradiert/ frei] Semantische Ebene (2) Spezifische Bestimmung der Wortbildungsbedeutung → hier: UK1 = [tradiert] → hier: explikative Lesart (= Instantiierung eines attributsähnlichen Musters) 12 Pragmatische Ebene Status der UK1 als ‘Kommunikative Minimaleinheit’ (+/ ‒KM) im Sinne der GDS (Zifonun/ Hoffmann/ Strecker 1997, S. 86ff.) → hier: [+KM] Syntaktische Ebene (2) Valenzgrammatische Klassifikation der UK2 (+/ valent) → hier: [‒valent] tab. 1: PK analysemodell 11 Siehe Hein (2015, Kap. III.2.2.1.2) für eine Erläuterung des Phrasen- und Satzkonzepts. 12 Spezifische semantische Relationen werden auf einer höheren Abstraktionsebene den vier „groben Mustern“ ‘subjektsorientiert’, ‘objektsorientiert’, ‘adverbial’ und ‘attributsähnlich’ (vgl. Eichinger 2000) zugeordnet. Phrasenkomposita als Fall sprachlicher Verfestigung 81 Welche linguistischen Ebenen sind für die Beschreibung der Form- und der Bedeutungsseite von PKs - in Analogie zum Konstruktionsbegriff - relevant? Dies wird in Tabelle 1 am Beispiel des PKs "Jetzt geht's los! "-Parole vereinfacht illustriert. Die Analyse aller 1.576 PK-Types nach diesem Modell bildet den Ausgangspunkt für a) die deskriptive Beschreibung (siehe Kap. 4); b) die konstruktionsgrammatische Modellierung (siehe Kap. 5) der Phrasenkomposition. Dass das Herzstück der Untersuchung, die konstruktionsgrammatische Modellierung, nur auf der Basis einer akribischen, traditionellen Analyse möglich ist, lässt sich mit Stefanowitsch (2011, S. 19) wie folgt auf den Punkt bringen: Man muss sich vergegenwärtigen, dass grammatische Analysearbeit zu einem beträchtlichen Teil theorieunabhängig ist. Es gilt ja zunächst stets, einen relevanten Ausschnitt der sprachlichen Wirklichkeit erschöpfend und systematisch zu erfassen. Erst in einem zweiten Schritt wird dann die daraus resultierende Beschreibung grammatiktheoretisch modelliert. 4. Phrasenkomposita - deskriptiv Was kann - korpusbasiert - als der ‘gängigste Typ’ der Phrasenkomposition bezeichnet werden? Welche Form- und Bedeutungstypen sind realisierbar, und welche treten am häufigsten auf? Da die Phrasenkomposition noch nicht systematisch auf einer großen empirischen Basis untersucht wurde, leisten die entsprechenden deskriptiven Ergebnisse einen wichtigen Beitrag zur Beschreibung des Wortbildungsphänomens. Zudem fließen sie unmittelbar in die konstruktionsgrammatische Modellierung ein. Sowohl für die Formals auch für die Bedeutungsseite ist, und dies auf einer stabilen empirischen Basis, folgende Generalisierung festzuhalten: Einerseits gibt es ein großes, nahezu unbeschränktes Spektrum formaler und semantischer Möglichkeiten, andererseits kristallisiert sich sowohl in formaler als auch in semantischer Hinsicht eine sehr überschaubare Anzahl besonders etablierter Typen heraus. 4.1 Formtypen Hier werden zwei der für die Beschreibung der PK-Formseite relevanten Eigenschaften (siehe Kap. 3.2) herausgegriffen: die Syntax und der lexikalische Status (Stichwort ‘Verfestigungsgrad’) des Erstglieds. Katrin Hein 82 Wertet man die PKs des Untersuchungskorpus im Hinblick auf die in Erstgliedposition inkorporierten Phrasen- und Satztypen aus (siehe Tab. 2), bestätigt sich zum einen die in der Forschungsliteratur bereits auf der Basis von Belegsammlungen geäußerte Beobachtung, dass „alle Phrasentypen als Erstglieder von nominalen Komposita auftreten können“ (Lawrenz 2006, S. 14; vgl. Donalies 2011, S. 55). Syntax_Erstglied PK-Beispiel # Types (Anteil) NP Fünf-Tage-Woche 1.149 (72,91%) Satz/ satzähnlich "Alles-wird-gut"-Bedürfnis 281 (17,83%) PP Um-den-heißen-Brei-Gerede 62 (3,93%) ADVP/ ADJP Lange-Frisch-Milch 35 (2,22%) VG Little-Girls-Understand-Dreistigkeit 31 (1,97%) VS-koord/ Inf-koord Rauf-und-Sauf-Freundschaft 12 (0,76%) Sonstige Hopp-oder-Topp-Devise 2 (0,13%) PARTP Deja-vu-Phänomen 2 (0,13%) PROP Alles-oder-Nichts-Devise 2 (0,13%) tab. 2: PK - Formtypen - Syntax des erstglieds Zum anderen lässt sich eine eindeutige quantitative Dominanz (70% der Fälle) der Nominalphrase (NP) feststellen. Eine differenziertere Betrachtung zeigt, dass die folgenden vier Erweiterungsformen der NP die Häufigkeitsrangliste der syntaktischen Erstglieder anführen: 1. durch ein Numerale erweiterte NPs (z.B. "Drei Schwestern"-Sujet); 13 2. adjektivisch erweiterte NPs (z.B. Harte-Jungs-Gerede); 3. koordinierte NPs (z.B. Frage-und-Antwort-Stunde); 4. NPs, die durch ein Erweiterungsnomen expandiert sind (z.B. Berlin-Mitte- Mädchen). Am zweithäufigsten, allerdings mit deutlichem Abstand (ca. 18% der Fälle), liegt ein Satz oder ein satzähnliches Gebilde in Erstgliedposition vor. Alle anderen Phrasentypen machen, sowohl für sich genommen als auch in ihrer Gesamtheit (ca. 9%), nur einen sehr geringen Anteil am Untersuchungskorpus aus. Der ‘lexikalische Status’ des Erstglieds - wie in der Einleitung bereits erwähnt, lassen sich PKs auch aus dieser Perspektive als Gegenstand sprachlicher Verfestigung betrachten - wird anhand der Kategorien ‘frei’, ‘tradiert’ und ‘lexi- 13 Die Zusammensetzung eines substantivischen Grundworts und einem ‘NP_Num’-Erstglied wird auch von Ortner et al. (1991, S. 43) als produktivster Typ der Phrasenkomposition herausgearbeitet. Phrasenkomposita als Fall sprachlicher Verfestigung 83 kalisiert’ erfasst (vgl. Hein 2015, Kap. III.2.2.1.3 zu den Kategorien und ihrer Bestimmbarkeit). Hintergrund ist die Beobachtung, dass es sich bei den Erstgliedern von PKs häufig um „mehr oder weniger feste Wortverbindungen“ (Steyer 2013) handelt, die als Einheiten aus dem mentalen Lexikon abgerufen und somit nicht in der Syntax generiert werden (vgl. Meibauer 2003, S. 171 für eine Klassifizierung lexikalisierter Erstglieder nach Jackendoff (z.B. Idiome, Zitate etc.)) (vgl. Steyer/ Hein 2018 zur Integration von PK-Erstgliedern in das Konzept der ‘Usuellen Wortverbindungen’). Die Frage nach seinem Verfestigungsgrad spielt auch eine zentrale Rolle für die theoretische Modellierbarkeit des Bildungstyps (vgl. Hein 2011). Tabelle 3 widerlegt eindeutig die mitunter - insbesondere zur Aufrechterhaltung traditioneller generativer Grammatikmodelle (vgl. z.B. Wunderlich 1986) - vertretene Behauptung, dass nur lexikalisierte Syntagmen in Komposita integrierbar seien. Schließlich sind ca. 36% aller Erstglieder des Untersuchungskorpus gemäß dem hier zugrunde gelegten Analysemodell als ‘frei’ zu klassifizieren. Lexikalischer Status # Types (Anteil) Beispiele tradiert 662 (42,01%) Golden-Girls-Stunde; Heim-ins-Reich-Parole frei 566 (35,91%) Schmeiß-keine-Plastiktüten-in-den-Wald-Gerede lexikalisiert 348 (22,08%) Tour-de-France-Monat; Hin-und-her-Gerede tab. 3: PK - Formtypen - Verfestigungsgrad des erstglieds Addiert man die als ‘lexikalisiert’ und ‘tradiert’ kategorisierten Types - beide Kategorien dienen zur Erfassung von Verfestigung an der sprachlichen Oberfläche 14 - lässt sich jedoch eine eindeutige Tendenz des Bildungstyps (ca. 64%) zu verfestigten Erstgliedern erkennen. Dies könnte daraus resultieren, dass die Ausnutzung bereits bekannter Wortverbindungen die Rezeption und Produktion der komplexen Wörter erleichtert. 4.2 Bedeutungstypen Auch auf der Bedeutungsseite wird ein großes Spektrum an Möglichkeiten, gleichzeitig aber auch eine eindeutige Präferenz für die Realisierung bestimmter semantischer Muster evident. Alle „groben Muster“, die Eichinger (2000) für prototypische DKs konzipiert - ‘attributsähnlich’, ‘subjektsorientiert’, ‘objektsorientiert’, ‘adverbial’ - können offenbar auch in PKs realisiert werden. Aufgrund der 1.315 entsprechenden 14 Mit ‘tradiert’ werden Erstglieder aus einem Übergangsbereich zwischen Lexikalisiertheit und freier Bildung erfasst, während kodifizierte Einheiten als ‘lexikalisiert’ etikettiert werden. Katrin Hein 84 Types im Untersuchungskorpus ist dem Bildungstyp jedoch eine eindeutige Tendenz zur Realisierung attributsähnlicher Relationen (vgl. ebd., S. 37) zu attestieren, z.B.: - Ein-Jahr-Pausier-Kollege (qualitativ), - 50er-Jahre-Naivität (komparativ), - "Schau'mer-mal"-Franz (explikativ), - "Sex and the City"-Mädchen (Bereich), - Don-Juan-Verhalten (Thema). 15 Am seltensten (50 Types) werden PKs offenbar zum Ausdruck adverbialer Bedeutungsrelationen (vgl. ebd., S. 38) genutzt: - Auf-dem-Balkon-Raucher (lokal), - Drei-Wochen-Mitgliedschaft (temporal). Etwas häufiger, aber im Vergleich zu den attributsähnlichen Lesarten ebenfalls selten, ist die Realisierung subjekts- (128 Types) und objektsorientierter Lesarten (vgl. ebd., S. 184) (83 Types): - Ein-Mann-Zuständigkeit (subjektsorientiert: Agens), - Kleine-Leute-Stolz (subjektsorientiert: Stimulus), - Becks-Bier-Verkäufer (objektsorientiert: Patiens). Innerhalb dieses breiten semantischen Potenzials der Phrasenkomposition haben sich vier spezifische Bedeutungstypen - hier handelt es sich durchweg um Realisierungen des groben Musters ‘attributsähnlich’ - als besonders etabliert bzw. universal herauskristallisiert: ‘explikativ’, ‘Bereich’, ‘Thema’, ‘qualitativ’ (siehe oben). 5. konstruktionsgrammatische bottom up modellierung Inwiefern münden diese ‘deskriptiven Befunde’ in das erarbeitete, konstruktionsgrammatische Modell? Wie lässt sich die Phrasenkomposition als abstraktes, verfestigtes Wortbildungsmuster beschreiben, und welche Submuster liegen dem Bildungstyp zugrunde? Zur Klärung dieser und weiterer Fragen findet die zentrale Grundidee der ‘construction morphology’ Anwendung, die besagt, dass „word formation patterns can be seen as abstractions over sets of related words“ (Booij 2010, S. 3). Dementsprechend wird nachstehend gezeigt, wie sich die Phrasenkomposi- 15 Die Kategorien zur Beschreibung der Bedeutungsseite können hier nur plakativ dargestellt werden (vgl. Hein 2015, Kap. III.2.2.2 für eine differenzierte Darstellung). Phrasenkomposita als Fall sprachlicher Verfestigung 85 tion, ausgehend von den 1.576 PK-Types des Untersuchungskorpus, bottomup in Form von direkten Paarungen aus Form- und Bedeutungsmerkmalen auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus modellieren lässt. Insbesondere die Flexibilität des Konstruktionskonzepts, d.h. die ihm inhärente Möglichkeit, „mit variabler ‘Korngröße’ bzw. Granularität“ (Imo 2011, S. 128) zu arbeiten, kommt dabei zum Tragen. 16 Neben ihrer ‘empirischen Anwendbarkeit’ stellt sich natürlich auch die Frage nach der theoretischen Plausibilität einer KxG-Modellierung der Phrasenkomposition. Hier wird die Position vertreten, dass es unter theoretischen Gesichtspunkten überzeugend ist, PKs einen Konstruktionsstatus zuzuschreiben. Schließlich erfüllen sie die Kriterien, die in gebrauchsbasierten Ansätzen an den Konstruktionsstatus geknüpft werden. Kennzeichnend für den gebrauchsbasierten Konstruktionsbegriff ist eine Aufweichung des Nicht-Kompositionalitätskriteriums zugunsten von Kriterien wie Frequenz und Produktivität. Letzteren wird bei der Herausbildung von Konstruktionen ein zentraler Stellenwert zugeschrieben (siehe Kap. 2.2): Any linguistic pattern is recognized as a construction as long as some aspect of its form or function is not strictly predictable from its component parts or from other constructions recognized to exist. In addition, patterns are stored as constructions even if they are fully predictable as long as they occur with sufficient frequency. (Goldberg 2006, S. 5) 17 Demnach ist der Konstruktionsstatus hier in zweierlei Hinsicht plausibel: Erstens kann im Fall von PKs aufgrund der a) zahlreichen Belege in DeReKo und b) der in Kapitel 4 skizzierten, relativ uneingeschränkten Instantiierungsmöglichkeiten des Wortbildungsmusters von Type-Entrenchment ausgegangen werden, was wiederum als Auslöser für sprachliche Verfestigung - und somit für die Herausbildung einer Konstruktion - gilt (siehe Kap. 2.2). Ausschlaggebend für Type-Entrenchment ist „the numbers of distinct items that can occur in the open slot of a construction or the number of items that exemplify a pattern“ (Bybee 2007, S. 15). 16 Auf weitere konzeptionelle Vorteile, die die KxG - insbesondere gegenüber traditionellen generativen Grammatikmodellen - zur Beschreibung eines Übergangsphänomens zwischen Morphologie und Syntax und zur Erfassung seiner pragmatisch-funktionalen Besonderheiten mit sich bringt, soll im Folgenden nicht genauer eingegangen werden (vgl. dazu die ausführliche Diskussion in Hein 2015, Kap. II.2.1.4). 17 Diese Aufweichung des Kompositionalitätskriteriums ist nicht in jeder Hinsicht als unkritisch zu beurteilen (vgl. z.B. Stefanowitsch 2009, S. 568). Vgl. Hein (2015, Kap. II.2.1.3, II.2.2.3, II.2.2.4) für eine differenzierte (und kritische) Diskussion des Konstruktionsbegriffs in seinen verschiedenen Versionen sowie für eine ausführliche Diskussion der Frage, ob PKs nicht-kompositionale Strukturen sind - und ob die Zuschreibung eines Konstruktionsstatus auch unter Zugrundelegung der klassischen Konstruktionsdefinition (vgl. Goldberg 1995) plausibel wäre. Katrin Hein 86 Zweitens wurde in Hein (2015) erstmals auch empirisch nachgewiesen, dass die Phrasenkomposition ein produktiver Wortbildungsprozess des Deutschen ist. 18 Produktivität wird dabei vereinfachend als „the ease with which a linguistic process gives rise to new forms“ (O’Donnell 2015, S. 3) verstanden und durch die Zugrundelegung des folgenden Kriteriums basal untersucht: Crucial for productivity is that the language user comes across new types from time to time. This is operationalized in the productivity measure proposed by Baayen (1992), which is based on the number of hapaxes in a corpus. (Booij 2010, S. 52) Im Untersuchungskorpus haben 75% der PKs Hapax-Status, d.h. sie kommen hier jeweils nur einmal vor. 19 Dieser empirische Befund ist eindeutig als Indiz für den Status der PKs als produktives Wortbildungsmuster zu verstehen; eine differenziertere Untersuchung steht jedoch noch aus. 20 Nachdem vorstehend gezeigt wurde, dass die Betrachtung von PKs im Rahmen der KxG auch in theoretischer Hinsicht plausibel ist, wird die durchgeführte Bottom-Up-Modellierung nachstehend überblickshaft skizziert, bevor in den Unterkapiteln 5.1 bis 5.3 auf ihre zentralen Ergebnisse eingegangen wird: Der Abstraktionsgrad wird in der Modellierung schrittweise erhöht. Den Ausgangspunkt bilden die Einzelbildungen des Untersuchungskorpus, genauer gesagt die Beschreibung ihrer Form- und Bedeutungseigenschaften gemäß dem in Kapitel 3.2 skizzierten Analysemodell. Auf dieser Basis erfolgen dann jeweils Generalisierungsversuche über unterschiedliche Ausschnitte des Untersuchungskorpus: In einem ersten Schritt wird jeweils versucht, über PKs einer Subgruppe zu abstrahieren, z.B. über die formalen und semantischen Eigenschaften der PKs mit deadjektivischer Personenbezeichnung als ZG (wie [XP]-Liebling, [XP]-Softie, [XP]-Sensibelchen, …). Schritt 2 besteht in einer Abstraktion über alle PKs einer bestimmten Großgruppe, also z.B. in der Abstraktion über alle Bildungen mit deadjektivischem ZG (wie [XP]-Gelb, [XP]-Zickig- 18 Die prototypische Determinativkomposition, d.h. die Zusammensetzung von mindestens zwei Wörtern und/ oder Konfixen zu einem komplexen Wort (z.B. Hutschachtel, Biojoghurt, zitronengelb), wird in der Forschungsliteratur einstimmig als produktiver Wortbildungsprozess des Deutschen betrachtet (vgl. z.B. Olsen 2015, S. 365). 19 Die 25% der PKs ohne Hapax-Status sind aus zwei Gründen keine ernsthafte Gefahr für die postulierte Produktivität der Phrasenkomposition: 1. Schaut man sich die Bildungen des Untersuchungskorpus mit mehr als einem Token genauer an, stellt man fest, dass es sich dabei häufig um als Ganzes lexikalisierte PKs wie 35-Stunden-Woche (mit 4.485 Tokens das häufigste PK meines Korpus) handelt - dass es sich bei komplett lexikalisierten PKs nicht um Neubildungen handeln kann, liegt auf der Hand. 2. Die hochfrequenten PK-Types weisen keine breite Streuung über verschiedene ZGs auf; vielmehr dominieren hier einzelne Substantive wie Woche. 20 Beispielsweise könnte man der Komplexität des Produktivitätsbegriffs (vgl. z.B. Scherer 2005; Hein/ Engelberg i.Ersch.) durch die Anwendung unterschiedlicher Produktivitätsmaße (z.B. Baayen 2009) gerecht werden. Vielversprechend wäre darüber hinaus insbesondere die gezielte Berechnung der Produktivität einzelner PK-Subtypen. Phrasenkomposita als Fall sprachlicher Verfestigung 87 keit, [XP]-Liebling, …). In einem letzten Schritt wird - mit dem Ziel, eine allgemeine abstrakte Konstruktion für das Gesamtbildungsmuster zu stipulieren - schließlich eruiert, inwiefern über alle PKs des Untersuchungskorpus generalisiert werden kann. Bei allen Schritten wird die Leitfrage verfolgt, ob PKs mit einem formal und/ oder semantisch ähnlichen ZG über gemeinsame Eigenschaften verfügen. Herausgearbeitete Gemeinsamkeiten werden dann durch die Ansetzung entsprechender Form-Bedeutungspaare in der Modellierung verankert. Auf diese Weise werden empirisch begründbare Form-Bedeutungs-Paare auf unterschiedlichen Abstraktionsstufen herausgearbeitet. Dazu gehören zum einen etablierte Submuster der Phrasenkomposition (Kap. 5.1), zum anderen aber auch die Stipulierung eines gemeinsamen abstrakten Form-Bedeutungs- Paars für das Gesamtbildungsmuster (Kap. 5.2). Darüber hinaus wird ein Vorschlag dazu vorgelegt, wie diese Einzelkonstruktionen organisiert und zueinander in Beziehung zu setzen sind (‘Konstruktikon’) (Kap. 5.3). 5.1 Ergebnisse (1): Etablierte Submuster der Phrasenkomposition Hier lassen sich zwei Perspektiven mit unterschiedlichem Abstraktionsgrad unterscheiden. 5.1.1 Feinkörnige Generalisierung Etablierte Submuster werden im Folgenden durch eine Kopplung von zwei Kriterien definiert: erstens über eine hohe Anzahl von Instantiierungen, zweitens über Produktivität im Sinne relativ unbeschränkter Instantiierungsmöglichkeiten. Ein bottom-up gewonnenes Submuster, das in diesem Zusammenhang besonders hervorzuheben ist, ist die in (1) dargestellte ‘Explikativ-Konstruktion’: Submuster (1): Explikativ-Konstruktion [ [S-voll/ S-ellipt/ SSchema-ellipt/ VG +KM / Phrase +KM ] -Eigenname ‒ [Substantiv] +/ ‒valent ] N; PK z.B. »Im-fremden-Bett-schlaf-ich-immer-schlecht-Sensibelchen« "Schaun-wir-mal-Franz" Alles-oder-Nichts-Devise Wer-kriegt-wen-Albernheit Coca-Cola-trink-Unterhaltungs-Freundschaft Work-in-Progress-Dings Zurück-zu-den-Grundsätzen-Rede Keine-Drogen-Geschwätz Sowoh-Als-auch-Verhalten Ich-will-mir-was-Gutes-Tun-Bedürfnis "Vater ist der Beste"-Stolz Katrin Hein 88 In semantischer Hinsicht zeichnen sich die Instantiierungen dieser Konstruktion dadurch aus, dass eine Haltung, ein Inhalt o.ä. in Grundwortposition durch das Bestimmungswort vollständig ausbuchstabiert wird. So handelt es sich bei einer Alles-oder-Nichts-Devise um eine Devise, die durch die im Erstglied genannte Grundhaltung (‘Alles oder Nichts’) gekennzeichnet ist. Die Formseite, an die diese Bedeutungsseite gekoppelt ist, wird in Submuster (1) (dargestellt in eckigen Klammern) ebenfalls spezifiziert. In Erstgliedposition können auftreten: a) Sätze oder satzähnliche Gebilde (Vollsatz: Ich-willmir-was-Gutes-Tun-Bedürfnis, Elliptischer Satz: "Zu mir oder zu dir"-Gequatsche, Elliptisches Satzschema: Sowohl-Als-auch-Verhalten); b) Verbale Gruppen (Coca- Cola-trink-[Unterhaltungs-Freundschaft]); c) Phrasen mit KM-Status (z.B. Keine- Drogen-Geschwätz). Für die ZG-Position gibt es keine Beschränkungen - die Explikativ-Lesart tritt im Untersuchungskorpus in allen vier Großgruppen auf, d.h. in PKs mit simplizischem ZG ("Schaun-wir-mal-Franz"), mit deadjektivischem ZG ("Vater ist der Beste"-Stolz), mit desubstantivischem ZG (Coca-Colatrink-[Unterhaltungs-Freundschaft]) und mit deverbalem ZG (Sowohl-Als-auch- Verhalten). Dieses an die Explikativ-Lesart gekoppelte, breite Formspektrum unterstreicht die Universalität des Submusters. Die Annahme seiner separaten kognitiven Repräsentiertheit wird auch durch die reine Type-Frequenz untermauert - schließlich handelt es sich bei 331 der insgesamt 1.576 PKs des Untersuchungskorpus um Instantiierungen der Explikativ-Konstruktion in (1); nur die Thema-Lesart (siehe unten) ist frequenter. Zu betonen ist außerdem, dass es sich hier aufgrund der ‘zwangsläufigen Korrelation’ zwischen Form und Bedeutung um ein sehr aussagekräftiges PK-Submuster handelt: Im Untersuchungskorpus weisen alle Gesamtkomplexe mit der in (1) skizzierten Formseite eine explikative Lesart auf. Dies ist ein Alleinstellungsmerkmal der Explikativ- Konstruktion. Zwei weitere Submuster manifestieren sich in allen vier Großgruppen: Die Bereichs-Konstruktion in (2) (205 Instantiierungen) und die Thema-Konstruktion in (3) (405 Instantiierungen). Im Gegensatz zur Explikativ-Konstruktion werden hier aber keine zwangsläufigen Korrelationen wiedergegeben, sondern es handelt sich - unter Berücksichtigung von Frequenz- und Produktivitätsaspekten - um Form-Bedeutungskopplungen, deren Realisierung als sehr wahrscheinlich bzw. gängig angesehen werden kann. Phrasenkomposita als Fall sprachlicher Verfestigung 89 Submuster (2): Bereichs-Konstruktion [ [Phrase ‒KM / Satz +Eigenname ] ‒ [Substantiv] +/ ‒valent ] N; PK z.B. Upper-Class-Mädchen Tour-de-France-Woche Berlin-Mitte ‒Phänomen Take-That-Kollege „Big-Brother"-Liebling Kopf-Rumpf-Länge Au-pair-Fräulein Trimm-Dich-Verhalten Die semantische Funktion der Bereichs-Konstruktion in (2) besteht in der „Ausbuchstabierung […] von etwas wie ‘Bezug’“ (Eichinger 2000, S. 119). Ihre Formseite ist in Erstgliedposition auf Phrasen ohne KM-Status sowie auf Sätze mit Eigennamen-Status beschränkt, in ZG-Position können alle Typen von Substantiven auftreten. Diese relativ uneingeschränkten Instantiierungsmöglichkeiten, sowie ihre relativ gleichmäßige Verteilung über alle vier konzipierten Großgruppen, stützen die postulierte Universalität der Konstruktion. Auch die Thema-Konstruktion in (3) ist trotz ihrer - im Vergleich zur Bereichs- Konstruktion - restringierteren Formseite als etabliert zu etikettieren; mit 405 Instantiierungen im Untersuchungskorpus ist sie das am häufigsten realisierte PK-Submuster. In semantischer Hinsicht leistet sie eine schlagwortartige inhaltliche Spezifizierung einer kommunikativen/ künstlerischen Aktivität, die im ZG genannt wird. Submuster (3): Thema-Konstruktion [ [Phrase ‒KM / Inf-koord/ VG ‒KM / Satz +Eigenname ] ‒ [Substantiv] +/ ‒valent ] N; PK z.B. Happy-Mosel-Jahr "La Bohème"-Jahr Don-Quijote-Sujet Kosten-Nutzen-Devise "Holy-Bandits"-Motto Vorher-nachher-Peinlichkeit Wild-West-Sportler Wald-und-Wiesen-Italiener Fast-Food-Zeugs Achse-des-Bösen-Rede "Stop-and-Go"-Verhalten "Hilfe-Such-Verhalten" Katrin Hein 90 5.1.2 Grobkörnige Generalisierung Im Zentrum dieses Kapitels stehen abstraktere Submuster der Phrasenkomposition. Letztere werden bottom-up durch Generalisierung über spezifischere Form-Bedeutungs-Paare (siehe Kap. 5.1.1) gewonnen und auf der Bedeutungsseite mit Hilfe von Eichingers (2000) ‘groben Mustern’ (siehe Kap. 3.2) beschrieben. Alle vier groben Muster, die in DKs realisiert werden, lassen sich auch in Phrasenkomposita nachweisen (siehe Kap. 4.2). In jeder PK-Großgruppe (simplizisches vs. deadjektivisches vs. desubstantivisches vs. deverbales ZG) werden mindestens zwei dieser groben Muster instantiiert. Folglich scheint es keine zwangsläufigen Korrelationen zwischen dem Formtyp des ZGs und dem semantischen Muster zu geben, das im PK-Gesamtkomplex auftritt. Dennoch lassen sich aber auch auf dieser Abstraktionsebene besonders etablierte Submuster identifizieren, von denen einige im Folgenden exemplarisch herausgegriffen werden. Konstruktional zu verankern (siehe (4)) ist insbesondere die in Kap. 4.2 konstatierte Dominanz attributsähnlicher semantischer Beziehungen zwischen Erst- und Zweitglied. Diese liegen im Untersuchungskorpus in 1.315 von 1.575 Fällen vor. Submuster (4): Attributsähnlich-Konstruktion Form [ [Syntagma] ‒ [Substantiv] simplizisch/ deadjektivisch/ desubstantivisch/ deverbal; +/ ‒valent ] N; PK Bedeutung Umfasst semantische Relationen/ Rollen wie ‘Bereich’, ‘explikativ’, ‘Thema’, ‘konstitutional’ etc. z.B. Wild-West-Sportler »Im-fremden-Bett-schlaf-ich-immer-schlecht-Sensibelchen« Is-was? -Dreistigkeit Take-That-Kollege Zweite-Wahl-Obst Neben der hohen Anzahl an Instantiierungen (‘type count’) spricht für die Produktivität/ Etabliertheit der Attributsähnlich-Konstruktion, dass sie a) in allen vier Großgruppen und in jeder der je Großgruppe angesetzten Subgruppe (z.B. Konkreta, Personenbezeichnungen usw.). instantiiert wird > Verteilung über unterschiedlichste Typen von ZGs; b) in jeder Großgruppe das am häufigsten instantiierte semantische Muster ist; c) auf der Formseite nicht restringiert ist. Phrasenkomposita als Fall sprachlicher Verfestigung 91 Insgesamt gibt die Konstruktion in (4) die Form-Bedeutungs-Korrelation wieder, die in PKs mit der höchsten Wahrscheinlichkeit realisiert wird. Die Instantiierung der übrigen drei groben Muster ist deutlich weniger frequent und weist mehr formale Beschränkungen auf. Als ‘Gegenpol’ zur Attributsähnlich-Konstruktion, d.h. als Beispiel für ein wenig etabliertes Submuster (50 Types), wird in (5) die ‘Adverbial-Konstruktion’ skizziert. 21 Submuster (5): Adverbial-Konstruktion Form [ [Phrase] ‒ [Substantiv] desubstantivisch/ deverbal ] N; PK; +/ ‒RK Bedeutung Umfasst semantische Relationen wie ‘temporal’, ‘lokal’, ‘kausal’ etc. z.B. Drei-Wochen-Mitgliedschaft Open-Air-Schläfer Die ohnehin seltene Instantiierung adverbialer Bedeutungsrelationen lässt sich im Untersuchungskorpus fast ausschließlich in PKs mit desubstantivischem oder deverbalem substantivischem Kopf beobachten, und auch innerhalb dieser beiden Großgruppen ist sie jeweils an einige spezifische semantische ZG- Typen gekoppelt. 22 Insgesamt ist die Adverbial-Konstruktion deutlich weniger produktiv als die Attributsähnlich-Konstruktion, es handelt sich aber dennoch um ein für die Phrasenkomposition relevantes Submuster. 5.2 Ergebnisse (2): Das Gesamtmuster ‘ Phrasenkomposition ’ Nach der Skizzierung ausgewählter Submuster der Phrasenkomposition auf zwei unterschiedlichen Abstraktionsebenen wird nun das obere Ende der Bottom-Up-Modellierung fokussiert: Durch welche Kombination von Form- 21 Subjektsorientierte Lesarten treten in allen vier Großgruppen auf, sind aber auf valente Substantive (z.B. Ein-Mann-Zuständigkeit) bzw. auf Substantive mit klarer agentiver Komponente (z.B. Blaue-Reiter-Maxime) in ZG-Position beschränkt. Objektsorientierte Lesarten (z.B. Rote- Rosen-Verkäufer) sind im Untersuchungskorpus für PKs mit simplizischem ZG blockiert und treten nur sehr selten (3 Belege) in PKs mit desubstantivischem ZG auf. Etabliert scheinen objektsorientierte Lesarten daher nur für PKs mit deadjektivischem oder deverbalem Substantiv als ZG zu sein. 22 Dies bedeutet aber nicht, dass es im Untersuchungskorpus keinerlei Evidenz für PKs mit adverbialer Lesart und einem simplizischen oder einem deadjektivischen Kopf-Substantiv gibt. Vielmehr ist die Anzahl entsprechender Belege so gering, dass ihre Integration in ein gebrauchsbasiertes Modell, das den Anspruch erhebt, etablierte Form-Bedeutungs-Korrelationen widerzuspiegeln, nicht gerechtfertigt ist. Katrin Hein 92 und Bedeutungsmerkmalen zeichnet sich der Bildungstyp auf der höchsten Abstraktionsebene aus? Die Eigenschaften aller 1.576 PKs, und somit auch - so wird hier aufgrund der für das Untersuchungskorpus beanspruchten Repräsentativität postuliert - die Eigenschaften des Gesamtbildungsmusters werden durch die Konstruktion in (6) erfasst: Das Form-Bedeutungs-Paar in (6) basiert sowohl auf theoretischen Überlegungen als auch auf empirisch eruierten Eigenschaften; eine ausführliche Diskussion dieser PK-Konstruktion findet sich in Hein (2015, Kap. II.2.2.2, III.3.1.3). An dieser Stelle seien besonders die unter ‘Pragmatik’ angeführten Aspekte hervorgehoben (z.B. Expressivität, Übernahme spezifischer kommunikativer Funktionen), da diese eine wichtige Basis dafür bilden, warum in Kap. 5.3 (‘Konstruktikon’) für die Notwendigkeit einer separaten konstruktionalen Repräsentation für das Bildungsmuster Phrasenkomposition - gegenüber einer Konstruktion für prototypische DKs - plädiert wird. (6) Gesamtmuster: PK-Konstruktion (empirisch und theoretisch motiviert) Form Struktur [ [Syntagma] lex/ trad/ frei [+/ ‒FE] [Substantiv] simpl./ deadj./ desubst./ deverb.; +/ ‒valent ] N; PK; +/ -RK [ [UK1] +lex [+/ ‒FE][UK2] ] [ [UK1] -lex [‒FE][UK2] ] Genus/ Wortart wie UK2 Wortstatus +/ ‒ wortspezifische Merkmale Bedeutung Semantik ‘durch UK1 spezifizierte UK2’: Instantiierung subjektsorientierter, objektsorientierter, attributsähnlicher und adverbialer semantischer Muster Prinzipielle Offenheit der UK-Relation (Relevante Interpretationsfaktoren: valenzgrammatische Eigenschaften UK2; lexikalische Bedeutung UK2; konzeptionelles Wissen über die UK; Diskurswissen; Enzyklopädisches Wissen) Benennungs-/ Behauptungsfunktion Pragmatik Kommunikative Vorteile gegenüber Sätzen {Memorisierbarkeit/ Indirektheit} +/ ‒ spezifische kommunikative Funktionen {appellativ/ expressiv/ phatisch/ referenziell/ poetisch/ Code} Expressivere Wirkung als prototypische DKs Dass am oberen Ende der Bottom-Up-Modellierung ein gemeinsames abstraktes Form-Bedeutungspaar für alle PKs des Untersuchungskorpus stipu- Phrasenkomposita als Fall sprachlicher Verfestigung 93 liert werden kann, ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einer völligen Homogenität innerhalb des PK-Inventars. Vielmehr wird hier auf einer breiten korpusempirischen Basis postuliert, dass dem Bildungstyp zwei Submuster zugrunde liegen. Tabelle 4 gibt einen vereinfachten Überblick über diese Beobachtung: Form Satz 23−Eigenname / Phrase +KM als Erstglied Bsp. Jetzt-geht‘s-los-Parole Phrase −KM / Satz +Eigenname als Erstglied Bsp. 5-Tage-Woche Bedeutung_eng immer an Explikativ-Lesart gekoppelt (= attributsähnliche Bedeutungsrelation) offene Bedeutungsseite (nur Explikativ- Lesart ist ausgeschlossen) Pragmatik Übernahme spezifischer kommunikativer Funktionen, z.B. - ‘appellativ’: Hab-acht-Ruf - ‘phatisch’: Wir-sitzen-alle-in-einem- Boot-Gerede … stark expressiv: expressivere Wirkung als PKs mit Nicht-KM-Erstglied keine Übernahme spezifischer kommunikativer Funktionen wenig expressiv tab. 4: Zwei spezifischere Submuster der Phrasenkomposition Die beiden Submuster weisen aufgrund der syntaktischen Eigenschaften der inkorporierbaren Erstglieder divergierende Formseiten auf - und unterscheiden sich folgerichtig auch hinsichtlich ihrer Bedeutungsseite (z.B. Interpretationsfaktoren, pragmatisch-funktionale Eigenschaften, …): PKs mit einem Satz oder einer Phrase mit KM-Status als Erstglied (siehe die linke Spalte von Tab. 4) sind durchweg an eine explikative Lesart gekoppelt. In pragmatischer Hinsicht stellen sie aufgrund ihres Potenzials zur Übernahme spezifischer kommunikativer Funktionen im Sinne von Jakobson (1960) und aufgrund ihrer expressiveren Wirkung den ‘interessanteren Typ’ der Phrasenkomposition dar. Aufgrund dieser Eigenschaften werden sie beispielsweise auch in der Werbung eingesetzt, vgl. z.B. die Kampagne der Postbank, in der mit Bildungen wie meine hab-ich-immer-dabei bank oder meine eine-für-alles bank geworben wird. 24 PKs mit inverser Erstgliedsyntax (Phrase ohne KM-Status oder Satz mit Eigennamen-Status, siehe die rechte Spalte von Tab. 4) sind auf der Bedeutungsseite 23 ‘Satz’ wird hier als Oberbegriff für Vollsätze, Satzellipsen und elliptische Satzstrukturen verwendet. 24 www.armandlidtke.com/ postbank (Stand: 1.5.2018). Auffallend ist an dieser Kampagne außerdem die - für das Deutsche - nicht regelgerechte Getrenntschreibung der Komposita. Katrin Hein 94 deutlich offener, nur die Realisierung explikativer Lesarten ist hier blockiert. Dieser PK-Typ wirkt deutlich weniger expressiv und kann nicht zur Übernahme spezifischer kommunikativer Funktionen dienen. 5.3 Konstruktikon Im Zuge der Erarbeitung eines konstruktionsgrammatischen Modells der Phrasenkomposition stellt sich auch - oder insbesondere - die (zentrale) Frage, in welcher Relation die in den Kapiteln 5.1 und 5.2 herausgearbeiteten Form- Bedeutungspaare unterschiedlichen Abstraktionsgrades zueinander stehen. Auch für die KxG selbst stellt die Beschreibung einzelsprachlicher Konstruktionsinventare inklusive der dort bestehenden Verknüpfungsbeziehungen eine zentrale - und bis dato nicht „großflächig“ gelöste - Herausforderung dar. Zudem finden sich, ausgehend von der gemeinsamen Grundannahme, dass Konstruktionen ein „strukturiertes Inventar“ (Fischer/ Stefanowitsch 2008, S. 1) bilden, innerhalb der KxG divergierende Auffassungen zu den Mechanismen, durch die diese Relationen zu modellieren sind. Geteilt wird dabei aber die Grundidee, dass entsprechende Taxonomien durch Schematisierung entstehen. Jede Konstruktion bildet hier einen eigenen Knoten: Gemeinsamkeiten zwischen Konstruktionen können durch Generalisierung erfasst werden, gleichzeitig besteht aber auch die Möglichkeit zur Verankerung idiosynkratischer Eigenschaften (vgl. Croft 2001, S. 25; Deppermann 2006, S. 49f.). Zur Darstellung des PK-Inventars wird hier auf eine sogenannte ‘Vererbungshierarchie’ zurückgegriffen: Inheritance hierarchies have long been found useful for representing all types of knowledge, for example, our knowledge of concepts. The construction-based framework captures linguistic generalizations within a particular language via the same type of inheritance hierarchies […]. Broad generalizations are captured by constructions that are inherited by many other constructions; more limited patterns are captured by positing constructions at various midpoints of the hierarchical network (Goldberg 2003, S. 222). Vererbung wird dabei, entsprechend der zugrunde gelegten, kognitiv-linguistischen KxG-Ausrichtung, als partieller Prozess verstanden; die Repräsentation redundanter Informationen ist zulässig. Zu betonen ist für das in Abbildung 1 dargestellte ‘Konstruktikon’ (vgl. Ziem/ Lasch 2013, S. 95) außerdem, dass es sich dabei lediglich um einen empirisch fundierten Vorschlag zur mentalen Repräsentation des PK-Inventars handelt; es wird jedoch keine psychologische Realität im Sinne einer Eins-zu-eins-Nachbildung mentaler Strukturen beansprucht. Grundsätzlich funktioniert das Konstruktikon wie folgt: Der Abstraktionsgrad der Konstruktionen sinkt hier von oben nach unten; Knoten (d.h. Kon- Phrasenkomposita als Fall sprachlicher Verfestigung 95 struktionen), die sich weiter oben in der Taxonomie befinden, vererben ihre zentralen Eigenschaften an weiter unten angeordnete Konstruktionen. Am oberen Ende (2) befindet sich die allgemeinste PK-Konstruktion, die in Kapitel 5.2 skizziert wurde. Sie erbt einige - aber eben nicht alle - ihrer zentralen formalen und semantischen Eigenschaften von dem ihr übergeordneten Form- Bedeutungspaar in (1), einer generellen Repräsentation für prototypische DKs; dies ist durch die Akzeptanz partieller Vererbung zulässig. 25 Auf der nächsten Ebene (3) wird die im Vorhergegangenen (siehe Kap. 5.2.) geschilderte Beobachtung der Untergliederbarkeit der Phrasenkomposition in zwei spezifischere Submuster (mit unterschiedlichem Bedeutungs- und Expressivitätspotenzial) integriert. Beide Subkonstruktionen erben die zentralen Eigenschaften der übergeordneten PK-Konstruktion, sie sind aber insofern spezifischer, als hier auch die Syntax des Erstglieds, die realisierbaren Bedeutungstypen sowie die innerhalb des PK-Spektrums heterogenen pragmatischen Eigenschaften genauer beschrieben werden. Bei den Konstruktionen auf der vierten Ebene des Konstruktikons (4) wird der Spezifikationsgrad durch die zusätzliche Repräsentation von Merkmalen wie ‘Ableitungstyp’ und ‘valenzgrammatische Eigenschaften des Grundwortes’ noch weiter erhöht - beispielsweise ist hier verankert, dass adverbiale Lesarten vorwiegend in PKs mit desubstantivischem oder deverbalem Grundwort realisiert werden. Auf der Ebene (5) befinden sich solche Form-Bedeutungs-Paarungen, die sich im Hinblick auf das Bildungsmuster ‘Phrasenkomposition’ als besonders etabliert/ universal herauskristallisiert haben; einige von ihnen wurden in Kapitel 5.1 näher beschrieben, so z.B. die Explikativ- und die Thema-Konstruktion. Es handelt sich durchweg um spezifischere Ausprägungen des Musters ‘attributsähnlich’; für die anderen drei groben Muster lassen sich keine Submuster mit vergleichbarer Etabliertheit stipulieren. Kennzeichnend für die Konstruktionen ab der Ebene 5 ist - und dies unterscheidet sie grundlegend von denen der Ebenen 1-4 -, dass hier nicht das Potenzial des Bildungsmusters in seiner Gänze abgedeckt wird, sondern nur besonders etablierte Form-Bedeutungs-Korrelationen repräsentiert werden. 25 Warum es gerechtfertigt ist, gegenüber einer Konstruktion für prototypische DKs von einer separaten PK-Konstruktion auszugehen, wird in Hein (2015, Kap. II.2.2.2) ausführlich begründet. PKs sind aufgrund ihrer grammatischen Grundeigenschaften zwar als DKs zu betrachten (vgl. z.B. auch Schlücker 2012, S. 12), dennoch sprechen einige ihrer formalen und semantischen, und insbesondere ihre pragmatischen Spezifika, für ihre separate konstruktionale Repräsentation. Katrin Hein 96 abb. 1: ‘PK - Konstruktikon’ (aus technischen Gründen kann die abbildung hier nur stark verkleinert wiedergegeben werden. eine Version in Originalgröße steht online als elektronischer anhang zur Verfügung: www. meta.narr.de/ 9783823369219/ zusatzmaterial/ abb_2/ abb_2.html) Phrasenkomposita als Fall sprachlicher Verfestigung 97 Die Konstruktionen auf den Ebenen (6) und (7) sind konkretere Instantiierungen der auf Ebene (5) festgehaltenen, besonders etablierten Bedeutungstypen. Sie sind jeweils an spezifische Einheiten in Erstglied- und Zweitglied-Position gekoppelt (‘Teil-Konstruktionen’), vgl. z.B. die Realisierung konstitutionaler Bedeutungstypen bei Zusammensetzungen aus NP_Num-Erstgliedern und temporalen Abstrakta (z.B. 35-Stunden-Woche). Ebene (8) (‚Besitzer-eines-Rennpferds-Konstruktion‘) deutet an, dass auch eine direkte Verankerung sehr spezifischer Instantiierungen der groben Muster denkbar wäre - ohne dabei weitere Ebenen dazwischenzuschalten. Nach diesem Grobüberblick über das erarbeitete Konstruktikon ist nun noch die Frage nach dessen ‘Dynamik’ zu klären. Es wird angenommen, dass der Rezipient eines PKs zunächst versucht, das komplexe Wort mit den stark etablierten, spezifischeren Form-Bedeutungs-Paaren des Konstruktikons in Einklang zu bringen. Für ein PK mit simplizischem ZG würde man demnach zunächst erwarten, dass es sich um eine Realisierung der Muster ‘attributsähnlich’ oder ‘subjektsorientiert’ handelt (siehe Ebene 4). Für den Fall, dass sich das rezipierte PK nicht mit der entsprechenden Lesart vereinbaren lässt, wird von einem Rückgriff auf ein abstrakteres, sich weiter oben in der Taxonomie befindliches Muster ausgegangen (siehe Ebene 3). Analog dazu ließe sich annehmen, dass auch der Produzent eines PKs einerseits die Möglichkeit hat, besonders etablierte Form-Bedeutungs-Zusammenhänge zu realisieren, andererseits aber auch auf eine abstraktere Konstruktion zurückgreifen kann, wenn seine Intention sich mit etablierten Submustern der Phrasenkomposition nicht realisieren lässt. Natürlich können auch spezifische Bedeutungstypen wie ‘Patiens’ oder ‘temporal’ instantiiert werden; diese sind im Konstruktikon lediglich aufgrund ihrer fehlenden Etabliertheit nicht verankert. 6. schlussbetrachtung Vorstehend ist deutlich geworden, dass ein KxG-Ansatz mit gebrauchsbasierter Ausrichtung sowohl in theoretischer als auch in empirischer Hinsicht fruchtbar ist, wenn es um die Beschreibung und Erklärung der Phrasenkomposition - verstanden als eine Spielart sprachlicher Verfestigung - geht. Das Herzstück der konstruktionsgrammatischen Beschreibung ist in der durchgeführten Bottom-Up-Modellierung zu sehen. Ausgehend von den abstrakten Eigenschaften der Grundwörter - diese bilden offenbar den Schlüssel für einen systematischen Zugang zum PK-Inventar - war es möglich, ein breites Spektrum von 1.576 substantivischen PK-Types durch die Ansetzung von Form- Bedeutungspaaren auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus zu systematisieren. Katrin Hein 98 Der Mehrwert dieser Bottom-Up-Modellierung ist erstens darin zu sehen, dass es sich nicht um ein rein deskriptives Modell handelt. Vielmehr liegt hier insofern ein gewisser Erklärungsanspruch zugrunde, als der Versuch unternommen wird, dem „primary goal of any theory of word formation“ gerecht zu werden, das in der Beantwortung der folgenden Frage besteht: Wieso kann der ‘naive Sprachbenutzer’ eine unbeschränkte Menge neuer PKs produzieren und verstehen (Fanselow 1988, S. 100f.)? Als mögliche Antwort wird - und dies ist als zweiter Mehrwert des Modells hervorzuheben - ein empirisch fundierter Vorschlag dazu vorgelegt, durch welche konstruktionsgrammatischen Strukturen der Bildungstyp (mental) repräsentiert sein könnte. Drittens geht diese Untersuchung über formzentrierte Beschreibungsansätze hinaus, indem versucht wird, pragmatische und funktionale Besonderheiten von PKs explizit zu berücksichtigen. Alles in allem wird somit ein neuer Blick auf das Phänomen ‘Phrasenkomposition’ entwickelt. Abschließend sei jedoch betont, dass die praktische Anwendung der KxG auf sprachliche Massendaten auch mit Problemen verbunden ist, nämlich insbesondere dann, wenn es um die Identifizierung und Abgrenzung von Konstruktionen geht: Wie viele konkrete sprachliche Realisierungen sind notwendig, um die Ansetzung einer separaten (Sub-)Konstruktion zu rechtfertigen? Wie sollte innerhalb eines gebrauchsbasierten Modells mit Variation umgegangen werden, also z.B., wann kann gegenüber beobachtbaren Mustern von Einzelausnahmen gesprochen werden? Es ist das quantitative Abwägen zwischen Musterhaftigkeit und Abweichung, das hier im Mittelpunkt steht. Trotz dieser ‘anwendungsbezogenen Schwierigkeiten’, für die sich sicherlich keine Pauschallösungen finden lassen, schließt die vorliegende Untersuchung explizit an Booijs „construction morphology“ an und untermauert, dass „the notion ‘construction’ can be made fruitful for morphological analysis and theorizing“ (Booij 2010, S. 1). Sie hat außerdem anschaulich gezeigt, dass empirische Zugänge in besonderem Maße geeignet sind, um Musterhaftigkeit auf der Basis sprachlicher Massendaten zu rekonstruieren. literatur Baayen, Harald R. (2009): Corpus linguistics in morphology: Morphological productivity. In: Lüdeling, Anke/ Kytö, Merja (Hg.): Corpus Linguistics: an international handbook. (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 29). Berlin/ New York, S. 900-919. Barbaresi, Adrien/ Hein, Katrin (2017): Data-driven identification of German phrasal compounds. 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Das heißt, ein bestimmtes (negatives) Verhalten wird im Deutschen mit einer bestimmten Vogelart und im Italienischen mit einer bestimmten Nationalität/ Abstammung assoziiert. Komparative Phraseme sind - auch interlingual gesehen - ein ziemlich produktives Phänomen (Földes 2007, S. 425). Solche Strukturen werden - zusammen mit den Phraseoschablonen (Fleischer 1997, S. 130-134) - in der Konstruktionsgrammatik (CxG) u.a. unter den Termini „formal idioms“ (Fillmore/ Kay/ O’Connor 1988), „schematic idioms“ (Croft/ Cruse 2004) „constructional idioms“ (Langacker 1987) subsumiert. Es handelt sich um Fügungen, denen in der traditionellen Phraseologieforschung zwar ein besonderer Status zuerkannt wird (vgl. z.B. Fleischers 1997 und Burgers 2015 Klassifizierung), die jedoch erst durch die CxG in den Fokus der Forschung rücken, denn sie betreffen genau die Schnittstelle zwi- 1 Der vorliegende Artikel ist das Ergebnis der gemeinsamen Diskussion; Fabio Mollica hat die Kapitel 1 bis 4, Elmar Schafroth Kapitel 5 und 6 verfasst. 2 Die Termini Phrasem und Phraseologismus werden in diesem Beitrag synonym verwendet; ebenso komparative Phrasem-Konstruktion, komparativer Phraseologismus und Vergleichsphrasem. 3 Es seien hier nur einige genannt: Balzer (2001); Činkure (2006); Földes (1992, 2007); García- Page (1999); Hessky (1987, 1989); Hundt (2005); Mellado Blanco (2010, 2011, 2012); Vietri (1990). 4 Vgl. Brunetti (2015); Della Costanza/ Mollica (2015); Handschuhmacher (2014); Lichtenberg (1994); Mollica (2015); Ruggieri (2016). 5 Vgl. u.a. Burger/ Buhofer/ Sialm (1982); Földes (2007); Mellado Blanco (2012). Fabio Mollica/ Elmar Schafroth 104 schen Phraseologie und Syntax (vgl. Fleischer 1997, S. 130f.). Dobrovol’skij (2011, S. 114) bezeichnet diesen Typ von Phraseologismen als „Phrasem-Konstruktionen“ und definiert sie wie folgt: 6 PhK können als Konstruktionen definiert werden, die als Ganzes eine lexikalische Bedeutung haben, wobei bestimmte Positionen in ihrer syntaktischen Struktur lexikalisch besetzt sind, während andere Slots darstellen, die gefüllt werden müssen. Komparative Phrasem-Konstruktionen sind also partiell schematische Konstruktionen, deren verallgemeinernde „festgeprägte Modellbedeutung“ (Fleischer 1997, S. 131) semanto-pragmatisch eine Intensivierung ausdrückt (Mellado Blanco 2015a, 2015b und Fleischer 1997, S. 132). 7 Nach van Os (1989, S. 2) ist die Intensivierung eine „funktional-semantische Kategorie der Verstärkung oder der Abschwächung“ und kann morphologisch (Es ist eiskalt) oder syntaktisch (Es ist sehr kalt) realisiert werden (Kirschbaum 2002, S. 6f.). 8 Im Folgenden werden wir uns überwiegend mit der syntaktischen Realisierung der Intensivierung auseinandersetzen, wobei die morphologische anhand des Phänomens der Komposition nicht unkommentiert bleiben wird. Im Vordergrund unserer Analyse stehen überwiegend Fälle lexikalischer und semantischer bzw. funktionaler Divergenz zwischen dem Deutschen und dem Italienischen. Die von uns analysierten komparativen Phraseologismen wurden anhand einer Suche in ein- und zweisprachigen Wörterbüchern des Deutschen und des Italienischen ausgewählt. 9 Unser Beitrag ist wie folgt strukturiert: Kapitel 2 gibt einen Überblick über die komparative Phrasem-Konstruktion aus kontrastiver Sicht: Es werden ihre strukturellen (morphosyntaktischen), semantischen und pragmatischen Hauptmerkmale beschrieben. Aufgrund ihrer Frequenz wird überwiegend auf die Subtypen mit einem Verb (Kap. 2.1.) und einem prädikativen Adjektiv (2.2.) als tertium comparations eingegangen. Da die Beziehung zwischen Metapher und 6 Im Folgenden übernehmen wir Dobrovol’skijs Bezeichnung, da diese u.E. das existierende Kontinuum zwischen lexikalisch festen Phrasemen (Phraseologie) und Konstruktionen in freier Verwendung (Syntax) am besten zum Ausdruck bringt. 7 Wie Mellado Blanco (2010, S. 465) ausführt, unterscheiden sich genau durch diese Funktion feste komparative Phrasem-Konstruktionen von freien Vergleichen (Marcus ist genauso alt wie Anton), bei denen eine tatsächliche Ähnlichkeit zwischen zwei Entitäten vorliegt. Ein weiterer Unterschied zwischen freien und idiomatischen komparativen Konstruktionen liegt in der Natur des comparatum, das sich im ersten Fall auf eine außersprachliche Entität bezieht, während es im zweiten das Ergebnis einer sprachlichen Konvention ist (ebd.). 8 Zur Intensivierung vgl. auch Dressler/ Merlini Barbaresi (1994); García-Page (2008); Zeschel (2012). 9 Für das Deutsche der Duden (2012, 2013) und Röhrich (2003) und für das Italienische GRADIT (1999-heute), Quartu/ Rossi (2012), für beide Sprachen DITI (2009) und Giacoma/ Kolb (2014). Der Ausdruck der Intensivierung 105 Vergleich sehr eng ist, werden in Kapitel 3 die Analogien und Unterschiede zwischen diesen rhetorischen Figuren kurz skizziert. Kapitel 4 ist der interlingualen Analyse der phraseologischen Einheiten gewidmet, bei denen dasselbe Konzept im Deutschen und im Italienischen entweder durch einen (lexikalisierten) Vergleich oder durch eine (lexikalisierte) Metapher realisiert wird. Wie zu sehen sein wird, kann man außerdem intralingual manchmal auch die Kookkurrenz beider sprachlichen Formen feststellen. In Kapitel 5 wird der Objektbereich der komparativen Phrasem-Konstruktionen aus konstruktionsgrammatischer Sicht vertieft, wobei vor allem auf Hierarchisierungen von Konstruktionen, Vererbungsrelationen, Produktivität, kognitive Verfestigung (entrenchment) und Emergenzphänomene eingegangen wird. 2. hauptmerkmale der komparativen phrasem konstruktion Um das Konzept in grosser Menge und in kurzer Zeit sterben/ aufhören zu existieren auszudrücken, kann man im Deutschen und Italienischen die komparativen Phrasem-Konstruktion dt. wie die Fliegen sterben - it. morire come le mosche verwenden: 10 (1) dt. Die deutschen Fonds sterben wie die Fliegen. (www.welt.de/ finanzen/ article4041533/ Die-deutschen-Fonds-sterben-wie-die- Fliegen.htm (Stand: 7.7.2017)) it. Le imprese italiane muoiono come le mosche. ‘Die Italienische Firmen sterben wie die Fliegen.’ (www.ilprimatonazionale.it/ eco nomia/ le-imprese-italiane-muoiono-come-le-mosche-sara-colpadella-febbre-gialla-9220/ (Stand: 7.7.2017)) In (1) wird das comparandum (das Subjekt des deutschen und des italienischen Satzes) durch die Vergleichspartikel dt. wie/ it. come mit dem comparatum (dt. Fliegen/ it. mosche) gleichgesetzt (zur Terminologie vgl. u.a. Burger 2015, S. 56; Földes 2007, S. 426). Das tertium comparationis (dt. sterben/ it. morire) bezeichnet die Gemeinsamkeiten zwischen comparandum und comparatum (siehe Tab. 1). 11 10 Im Folgenden fungiert das Deutsche als Ausgangssprache für die kontrastive Analyse. Daher werden die deutschen Beispiele den italienischen vorangestellt, falls beide Sprachen über ähnliche funktionale Phraseologismen verfügen. Existiert ein komparativer Phraseologismus nur im Italienischen, so folgt auf diesen sein deutsches phraseologisches (nicht komparatives) Äquivalent. Ist schließlich ein komparativer Phraseologismus nur in einer Sprache vorhanden, wird lediglich seine Paraphrase angegeben. Auf die Fälle lexikalischer bzw. funktionaler Divergenz in beiden Sprachen wird insofern hingewiesen, als die wörtliche Übersetzung der italienischen Wendung in runden Klammern angegeben wird. Weisen die italienische und die deutsche Wendung keine lexikalischen Unterschiede auf, so werden sie ohne jeglichen weiteren Hinweis nebeneinander aufgeführt. 11 Auch wenn sich das comparandum in den meisten Belegen unseres Korpus in Subjektposition befindet, gibt es auch Fälle, bei denen der Vergleich mit der durch das direkte Objekt bezeich- Fabio Mollica/ Elmar Schafroth 106 dt. deutsche Fonds sterben Fliegen it. imprese italiane morire Mosche comparandum tertium comparationis comparatum tab. 1: bestandteile der komparativen Phraseme (burger 2015) In der Literatur herrscht kein Konsens darüber, welche Elemente die Bestandteile dieses Phraseologismen-Typs bilden (für einen Überblick vgl. Földes 2007, S. 426f.). Jedoch kann behauptet werden, dass „komparative Phraseologismen grundsätzlich aus drei Gliedern bestehen, wobei aber das Vergleichsobjekt [comparandum] nicht immer explizit genannt zu werden braucht“ (ebd., S. 427). Die Beispiele bei (1) sind eine konkrete Instanziierung der abstrakten Phrasem- Konstruktion: [X V dt. wie/ it. come Y] Bei den komparativen Phrasem-Konstruktionen ist die Subjektposition (X) lexikalisch frei, während das tertium comparationis (bei (1) das Verb) und das comparatum (Y) lexikalisiert sind in dem Sinne, dass das Vorkommen eines bestimmten tertium comparationis die Realisierung eines i.d.R. bestimmten comparatums vorsieht, um eine konventionalisierte Bedeutung zum Ausdruck zu bringen. Nur die Kookkurrenz von sterben und Fliegen (und nicht z.B. Mücken/ Ameisen/ Marienkäfer) in der komparativen Struktur drückt das oben beschriebene Konzept aus. Den invariablen Bestandteil der abstrakten Konstruktion bildet die Vergleichspartikel, die „dazu dient, die Komponenten des komparativen Phraseologismus zu verbinden und zu einer semantischen Einheit zusammenzufügen“ (ebd., S. 429). Als Vergleichspartikeln kommen im Deutschen überwiegend wie und im Italienischen come vor, wobei auch andere Partikeln bzw. Subjunktoren möglich sind (dt.: als, als ob, als wenn, wie wenn und gleich; it.: più di, meno di, meglio di/ che, peggio di/ che). Die Position des tertium comparationis kann durch ein Verb, ein Adjektiv, ein Adverb oder ein Substantiv und die des comparatum durch ein Substantiv, ein Adjektiv, ein Partizip oder einen ganzen Satz besetzt werden: (2) a. dt. wie ein Schlot rauchen - it. fumare come una ciminiera ‘sehr viel rauchen’ b. dt. schön wie die Sonne sein - it. essere bello come il sole ‘sehr schön sein’ neten Entität stattfindet (vgl. Konecny 2010, S. 232): jdn. wie die Pest meiden - it. evitare qu. come la peste. Der Ausdruck der Intensivierung 107 c. dt. sich wie neugeboren fühlen - it. sentirsi come rinato ‘sich fit/ gesund fühlen’ d. dt. päpstlicher als der Papst sein - it. essere più papista del papa ‘sehr konservativ und streng sein’ e. it. saperne una più del diavolo (wörtlich: etwas mehr als der Teufel wissen) ‘sehr hinterlistig sein’ f. dt. ein Mann wie ein Schrank ‘ein kräftiger Mann mit breiten Schultern’ g. dt. dümmer sein, als die Polizei erlaubt ‘sehr dumm sein’ h. it. peggio che andar di notte (wörtlich: schlimmer als in der Nacht zu gehen) ‘von einer schlimmen/ unangenehmen Situation/ Lage in eine noch schlimmere/ unangenehmere geraten’ Unter den komparativen Phrasem-Konstruktionen kann man in beiden Sprachen mehrere syntaktische Grundstrukturen (für das Deutsche vgl. Fleischer 1997, S. 103f. und Földes 2007, S. 425) unterscheiden, die nach hierarchischen Kategorien gemäß dem von Rosch/ Mervis (1975) vorgeschlagenen Modell prototypisch organisiert zu sein scheinen. Nimmt man wie in der CxG üblich ein radiales bzw. prototypisches Netzwerk an Konstruktionen an, sind es vor allem zwei Hauptkonstruktionen, die in beiden Sprachen eine wesentliche Rolle spielen: a) [X subj V (dt. wie/ it. come Y subst )] b) [X subj V kopula Präd adj (dt. wie/ it. come Y subst )] 2.1 Die Phrasem - Konstruktion [X subj V (dt. wie/ it. come Y subst )] Die quantitativ größere Menge der komparativen Phraseologismen in unserem Korpus enthält sowohl im Deutschen als auch im Italienischen ein Verb als tertium comparationis (vgl. auch Földes 2007, S. 426), das i.d.R. dieselbe Bedeutung wie in seiner freien Verwendung hat (Mellado Blanco 2012, S. 4); die Y-Position (die des comparatum) wird von einem Substantiv besetzt, das im Deutschen im Nominativ steht (vgl. Földes 2007, S. 430). Somit hat der prototypische komparative Phraseologismus in beiden Sprachen als Konstruktion folgende Form und Bedeutung: Form: [X subj V (dt. wie/ it. come Y subst )] Bedeutung: die Komponente [dt. wie/ it. come Y] intensiviert die vom Verb ausgedrückte Tätigkeit, das Geschehen oder einen Zustand. Fabio Mollica/ Elmar Schafroth 108 Das Substantiv steht bei den komparativen Vergleichen i.d.R. im Singular und kann mit dem bestimmten, unbestimmten oder dem Nullartikel vorkommen. Auch Pluralbildungen sind möglich: (3) a. dt. wie der Blitz rennen - it. correre come una saetta ‘sehr schnell rennen’ b. dt. wie ein Schlot rauchen - it. fumare come un turco/ una ciminiera (wörtlich: rauchen wie ein Türke/ Schornstein) ‘sehr viel rauchen’ c. dt. dumm wie Bohnenstroh sein - it. essere stupido come una capra (wörtlich: dumm sein wie eine Ziege) ‘sehr dumm sein’ d. dt. wie die Fliegen sterben - it. morire come le mosche ‘in großer Menge und in kurzer Zeit sterben’ Manchmal kann das Substantiv durch ein attributives Adjektiv, eine Präpositionalphrase oder einen Relativsatz erweitert werden: (4) a. dt. wie ein begossener Pudel dastehen - it. starsene come un cane bastonato (wörtlich: dastehen wie ein mit einem Stock geschlagener Hund) ‘eingeschüchtert sein’ b. dt. wie Pilze aus dem Boden schießen - it. crescere come funghi (wörtlich: wachsen wie Pilze) ‘sich rasch vermehren’ c. dt. wie Butter an der Sonne (dahinschmelzen) - it. sciogliersi come neve al sole (wörtlich: schmelzen wie Schnee in der Sonne) ‘weich, nachgiebig werden’ d. it. essere come il cane che si morde la coda (wörtlich: sein wie der Hund, der sich in den Schwanz beißt) - dt. da beißt sich die Katze 12 in den Schwanz ‘paradoxe Situation, Teufelskreis’ Diese Erweiterungen dienen nicht nur dazu, das comparatum näher zu spezifizieren, sondern sie verleihen dem gesamten Ausdruck mehr Expressivität (Mellado Blanco 2012, S. 26f.). Seltener kommen auch zwei Substantive an der comparatum-Stelle gleichzeitig vor (siehe (5)). 12 Nach einer Korpusrecherche in DeReKo können an der comparatum-Stelle auch Lexeme wie Hund und Schlange vorkommen, wenn auch mit einer deutlich niedrigeren Frequenz. Der Ausdruck der Intensivierung 109 (5) dt. jdn./ etw. fürchten/ meiden/ scheuen wie der Teufel das Weihwasser - it. essere come il diavolo e l’acquasanta ‘gegensätzlich sein’ Bei den komparativen Phraseologismen mit einem Verb als tertium comparationis kann die Folge [dt. wie/ it. come Y subst ] hauptsächlich zwei Funktionen ausüben (vgl. Fleischer 1997, S. 105): - Typ 1: Sie drückt eine „verstärkende Funktion“ (Burger/ Buhofer/ Sialm 1982, S. 35f.) aus, die im Deutschen durch sehr, viel, sehr viel und im Italienischen durch molto/ tanto (auch moltissimo/ tantissimo) paraphrasierbar ist. - Typ 2: Sie spezifiziert die Art und Weise, wie die vom Verb ausgedrückten Tätigkeiten, Geschehen oder Zustände zu interpretieren sind. Die erste Grundfunktion (Typ 1) kommt in Phraseologismen vor wie: dt. sich wie ein Schneekönig freuen - it. essere contento come una Pasqua (wörtlich: wie ein Ostern glücklich sein); dt. wie ein Schneider frieren; dt. wie ein Schlot rauchen - it. fumare come una ciminiera/ un turco (wörtlich: wie ein Schornstein/ Türke rauchen); dt. wie Hund und Katze sein - it. essere come cani e gatti; dt. wie ein Loch trinken/ saufen - it. bere come una spugna (wörtlich: wie ein Schwamm trinken); dt. wie ein Espenlaub zittern - it. tremare come una foglia (wörtlich: wie ein Blatt zittern). Beispiele: (6) dt. Bis vor wenigen Jahren, sagt sie, hat sie geraucht wie ein Schlot. (DeReKo: DIE ZEIT (Online-Ausgabe), 2.12.2010) 13 it. Marcellino infatti fuma come un turco, dice Muccioli, anche se ha tredici anni da pochi giorni soltanto. (http: / / ricerca.repubblica.it/ repubblica/ archivio/ repubblica/ 1987/ 07/ 0/ ragazzi-di-muccioli-bloccano-la-prima.html (Stand: 7.7.2017)) Intensivierung als Art und Weise (Typ 2) taucht in den meisten komparativen Phraseologismen mit verbalem tertium comparationis auf: it. chiudersi come un riccio (wörtlich: sich wie ein Igel schließen) - dt. sich einigeln; dt. wie ein Henker fahren - it. guidare come un matto (wörtlich: fahren wie ein Verrückter); dt. wie ein Bierkutscher fluchen - it. bestemmiare come un turco (wörtlich: fluchen wie ein Türke); dt. wie ein Wiesel laufen - it. correre come una lepre (wörtlich: rennen wie ein Hase); wie der Teufel rennen - it. correre come un accidente (wörtlich: rennen wie ein Quälgeist); it. saltare come un canguro (wörtlich: hüpfen wie ein Känguru); dt. wie ein Murmeltier schlafen - it. dormire come un ghiro (siehe Bsp. (7) und (8). 13 Die mit DeReKo gekennzeichneten Belege stammen aus dem Deutschen Referenzkorpus (vgl. Institut für Deutsche Sprache 2015). Fabio Mollica/ Elmar Schafroth 110 (7) dt. Als der Held des Mordes verdächtigt wird, flucht sie wie ein Bierkutscher. (DeReKo: Nürnberger Nachrichten, 21.2.2005) it. Poi, nell’oscurità, un uomo si mise a bestemmiare come un turco e lo sentii sfoderare la pistola. (www.sagarana.it/ rivista/ numero25/ narrativa7.html (Stand: 7.7.2017)) (8) dt. Dabei handelt es sich um elektronische Handelssysteme, die wie Pilze aus dem Boden schießen. (DeReKo: Die Presse, 17.1.2000) it. I comitati crescono come i funghi e fanno un ottimo lavoro. (www.notav-avigliana.it/ pag1.html (Stand: 7.7.2017)) Während bei (6) der deutsche Phraseologismus wie ein Schlot rauchen und sein italienisches funktionales Äquivalent fumare come un turco/ una ciminiera das Vielrauchen konzeptualisieren, wird bei (7) und (8) eher die Art und Weise der Handlung ausgedrückt. Bei (8) wird dasselbe Bild verwendet, um das rasche Vermehren von etwas (Handelssysteme und Komitees) zum Ausdruck zu bringen, während die Heftigkeit des Fluchens bei (7) - wie oben ausgeführt - durch den Vergleich im Deutschen mit einer Berufsbezeichnung (Bierkutscher) und im Italienischen mit einer Nationalität (Türke) realisiert wird. Jedoch sind die Grenzen zwischen Typ 1 und Typ 2 ziemlich fließend. In einigen Fällen kann die Intensivierung nämlich sowohl als Verstärkung des Verbs als auch als dessen Beschreibung fungieren: (9) a. dt. wie ein Schwein (fr)essen - it. mangiare come un maiale ‘sehr viel und auf eine unfeine Art essen, ohne Manieren’ b. dt. wie ein Wasserfall reden - it. parlare come una macchinetta (wörtlich: wie eine Maschine reden) ‘sehr viel und unterbrochen reden’ c. dt. wie ein Ochse arbeiten - it. lavorare come un bue ‘sehr viel und hart arbeiten’ Der Kontext kann für die intendierte Lesart sorgen. (10) Susie bestellte eine heiße Schokolade und ein Stück Sachertorte für uns beide und meinte, sie würde heute eine Ausnahme von der Diät machen. Als die heiße Schokolade und die Sachertorte kamen - und ich meinen ersten Bissen gerade in den Mund stecken wollte - drehte sich doch glatt eine Frau am Nebentisch zu uns und meinte, mir würde es nicht schaden, das jetzt nicht zu essen. […]. Auch andere Gäste blicken mich angewidert an. Hinter uns beginnen zwei junge Männer über mich zu lästern: »Die Dicke da frisst wie ein Schwein.« Dabei habe ich das Stückchen Sachertorte auf meiner Gabel noch Der Ausdruck der Intensivierung 111 immer nicht in den Mund geschoben. (Erfahrungen aus dem dicken Alltag - Teil I, http: / / missy-magazine.de/ 2011/ 12/ 08/ erfahrungenaus-dem-dicken-alltag-%E2%80%93-teil-i/ (Stand: 7.7.2017)) ‘sehr viel essen’ (11) Der junge frisst wie ein Schwein, mit offenem Mund, man sieht seine große, rosa Zunge arbeiten (Terézia Mora, Alle Tage, München 2013) ‘auf eine unfeine Art essen, ohne Manieren’ So wird bei (10) eher die Menge gemeint, während bei (11) eher die Art und Weise intendiert wird. Somit können diese Phraseme als polysem betrachtet werden. 2.2 Die Phrasem - Konstruktion [X subj V kopula Präd adj (dt. wie/ it. come Y subst )] Auch bei der zweithäufigsten Konstruktion in unserem Korpus erscheint ein Substantiv als comparatum, jedoch besteht das tertium comparationis aus einem adjektivischen Prädikativ. Diese Struktur hat prototypischerweise folgende Form und Bedeutung: Form: [X subj V kopula Präd adj (dt. wie/ it. come Y subst )] Bedeutung: die Komponente [dt. wie/ it. come Y] intensiviert die vom Adjektiv bezeichnete Eigenschaft. Beispiele: (12) dt. fett wie ein Schwein sein - it. essere grasso come un maiale; dt. leicht wie eine Feder sein - it. essere leggero come una piuma; dt. schön wie die Sonne sein - it. essere bello come il sole; dt. störrisch wie ein Esel sein - it. essere cocciuto come un mulo; it. essere trasparente come l’acqua (wörtlich: durchsichtig wie das Wasser) - dt. ‘glasklar sein’; dt. unschuldig wie ein Kind sein - it. essere innocente come un bambino; schwarz wie die Nacht sein - it. nero come la notte. (13) dt. Mein Kind, du bist schön wie die Sonne und kannst alles vom Leben haben. (DeReKo: Sonntagsblick, 25.12.2005) it. Quando si svegliò, gli s’era fermata davanti una carrozza d’oro, imbottita di velluto, con due cavalli bianchi e dentro c’era una ragazza bella come il sole con un abito verde smeraldo. (www.pinu.it/ il%20principe%20che% 20sposo %20la%20rana.htm (Stand: 7.7.2017)) Bei den obigen Beispielen lässt sich die Vergleichskonstruktion durch dt. sehr bzw. völlig it. molto bzw. completamente + Adjektiv paraphrasieren. Das gilt für die Mehrheit der Phrasem-Konstruktionen, die ein Adjektiv als tertium com- Fabio Mollica/ Elmar Schafroth 112 parationis aufweisen. In anderen - wenigen - Fällen dient der Vergleich nicht der durch sehr bzw. völlig paraphrasierbaren Verstärkung des Adjektivs, sondern die Folge [Adjektiv dt. wie/ it. come Y subst ] ergibt eine nicht transparente, also idiomatische Bedeutung der ganzen Wendung wie im folgenden Beispiel: (14) it. essere vispo come un gallo (wörtlich: aufgeweckt/ munter wie ein Hahn sein) ‘unternehmungslustiger Mann, der Frauen nachläuft’ Hier kann das Adjektiv nicht in seiner wörtlichen Bedeutung interpretiert werden. Mit essere vispo come un gallo wird ein unternehmungslustiger Mann bezeichnet, der den Frauen nachläuft. Das Lexem gallo ‘Hahn’ spezifiziert also die intendierte Lesart des Adjektivs näher. Diese Wendung bezieht sich auf die „symbolische Funktion“ (Dobrovol’skij/ Piirainen 2002, S. 35) des Hahns: In vielen Kulturen steht der Hahn u.a. für die Männlichkeit, da i.d.R. ein Hahn mit sehr vielen Hennen im Hühnerstall lebt, die von ihm dann befruchtet werden. Diese Konzeptualisierung spiegelt sich in den Wendungen in (15) und (16) wider: (15) dt. der Hahn im Korb sein - it. essere il gallo nel pollaio (wörtlich: der Hahn im Hühnerstall sein) ‘der einzige Mann unter Frauen sein’ (16) it. fare il gallo (wörtlich: den Hahn machen/ spielen) ‘den Fraueneroberer spielen’ Der Hahn symbolisiert also bei (14) bis (16) Männlichkeit, wobei (15) und (16) als Metaphern zu sehen sind, da sich ihre idiomatische Bedeutung aus der ganzen Konstruktion ergibt und nicht lediglich aus einer einzigen Konstituente (dt. der Hahn/ it. il gallo) (Dobrovol’skij/ Piirainen 2002, S. 40). 3. vergleich vs. metapher Auf sprachlicher Ebene sind Vergleiche eng mit Metaphern verbunden. Diese enge Beziehung wurde bereits in der Antike erkannt. Quintilian und Cicero sahen z.B. die Metapher als „verkürzten Vergleich“, während nach Aristoteles der Vergleich eine Unterkategorie der Metapher ist (Skirl/ Schwarz-Friesel 2013, S. 12). Auch in der Kognitiven Linguistik herrscht kein Konsens darüber, wie Metaphern und Vergleiche zu betrachten sind. Nach einigen Sprachwissenschaftlern sind Metaphern als implizite Vergleiche, nach anderen sind Vergleiche implizite Metaphern (Croft/ Cruse 2004, S. 211f.). Geht man von der Auffassung von Lakoff/ Johnson (1980) aus, ist die Metapher kein rein rhetorischer Schmuck, denn das ganze menschliche Konzeptsystem Der Ausdruck der Intensivierung 113 ist metaphorischer Natur. Nach den Autoren ist die Metapher als eine Übertragung (metaphorical mapping) von einem Konzept einer Ausgangsdomäne in ein Konzept einer Zieldomäne zu verstehen (ebd., S. 5). Zwischen den zwei konzeptuellen Domänen existieren laut Lakoff und Johnson metaphorische Relationen bzw. metaphorical mappings. 14 Ein Beispiel für eine Metapher liegt in (17) vor. (17) a. dt. Marias Mann ist ein Bär. b. it. Il marito di Maria è un orso. Die Struktur [X ist Y], wo X für eine Person und Y für ein Tier steht, scheint im Deutschen und im Italienischen sehr oft vorzukommen. Als Tiere erscheinen häufig solche, die in der Bibel oder in Fabeln auftauchen. Sie stehen als Symbole für bestimmte Eigenschaften, Merkmale, Charaktere, die dann auf Menschen übertragen werden (vgl. Dobrovol’skij/ Piirainen 2002, S. 157-162). Bei (17) werden Eigenschaften, die typisch für einen Bären sind, auf Menschen übertragen (Bär → Mensch). 15 Im deutschen Satz wird zum Ausdruck gebracht, dass Marias Mann ein großer, kräftiger, vielleicht auch stark behaarter Mann ist, der möglicherweise vom Wesen her auch etwas ungeschickt und gutmütig erscheint (Duden 1993, S. 407). Der italienische Satz hat dagegen eine andere Lesart, da mit it. orso ‘Bär’ eine Person (in der Regel ein Mann) bezeichnet wird, die als menschenfeindlich gilt (Sabatini/ Coletti 2005, S. 1769). Beim Beispiel (17) handelt es sich sowohl im Deutschen als auch im Italienischen um konventionalisierte und lexikalisierte Metaphern, d.h. die zusätzlichen Bedeutungen der Wörter (dt. Bär/ it. orso) gehören zum Lexikon der jeweiligen Sprache. Das zeigt, dass die symbolischen Funktionen von Bär sprachspezifisch sind (Dobrovol’skij/ Piirainen 2002, S. 163-169), denn das Wort dt. Bär/ it. orso in (17) evoziert bei deutschen und italienischen Sprechern eine unterschiedliche Konzeptualisierung. Dies könnte daran liegen, dass in Italien das Auftreten des Bären in der Natur noch stärker im Bewusstsein verankert ist als in Deutschland, wo möglicherweise der Eindruck vom gezähmten Bären im Zirkus oder im Zoo vorherrschend ist. Dobrovol’skij/ Piirainen (2002, S. 163-169) führen außerdem aus, dass in der modernen westlichen Gesellschaft Bären mit Kuscheltieren bzw. Stofftieren assoziiert werden, daher erscheinen sie einerseits als stark, groß und gefährlich, andererseits als liebevoll und süß. 16 Das erklärt auch 14 Nach Croft/ Cruse (2004, S. 207) impliziert die Aktivierung einer Metapher nicht nur die Übertragung der Korrespondenzen zwischen den zwei Domänen, sondern auch eine Art Blending ‘Fusion’ der Domäne. Wie wir sehen werden, spielt das Blending eine wichtige Rolle für die Unterscheidung Metapher vs. Vergleich. 15 Im Folgenden erfolgt, wie in der Kognitiven Metapherntheorie üblich, die Kennzeichnung der konzeptuellen Bereiche durch Kapitälchen. 16 Allerdings ist die negative Konnotation im Deutschen in den idiomatischen Wendungen jdm. einen Bärendienst erweisen ‘unbeabsichtigt jdm. schaden’ und jdm. einen Bären aufbinden ‚‘jdn. Fabio Mollica/ Elmar Schafroth 114 die unterschiedliche Konnotation, die dem Bären in der Phraseologie zugeschrieben wird (siehe unten). Wie bei der Metapher werden auch beim Vergleich zwei unterschiedliche Domänen involviert. Beim komparativen Phrasem stark wie ein Bär sein stellt Stärke die Zieldomäne, während Bär die Ausgangsdomäne ist (vgl. Mellado Blanco 2012, S. 7). In Anlehnung an Croft/ Cruse (2004) unterscheiden wir im Folgenden prototypisch zwischen Metaphern und Vergleichen (ebd., S. 212-215). Beim Vergleich habe der Satz die folgende Struktur [X ist wie Y], das heißt die zwei Entitäten ähneln sich in einigen Merkmalen/ Eigenschaften. Die Struktur [X ist Y] prädiziere dagegen direkt einige Eigenschaften von X. Diese Unterscheidung wird deutlich, wenn wir uns eine Umformung des oben genannten Belegs (17) anschauen: (18) a. Marias Mann ist ein Bär. b. Marias Mann ist wie ein Bär. In (18a) werden die Eigenschaften vom Subjekt (Marias Mann) profiliert, während in (18b) der Vergleich zwischen Marias Mann und einem Bären ausgedrückt wird. Wie Skirl/ Schwarz-Friesel (2013, S. 12) bemerken, wird bei der Metapher eine IST-Relation prädiziert, „die im Normalfall einen logischen Widerspruch ergibt“, während der Vergleich eine IST-WIE-Relation i.d.R. ohne Widerspruch zum Ausdruck bringt. Trotz der Unterschiede in ihrer sprachlichen Form benötigten sowohl Metaphern als auch Vergleiche eine Interpretation auf konzeptueller Ebene, die nach Skirl/ Schwarz-Friesel (2013, S. 12) ein Zeichen für ihre enge Bindung ist. Beide werden nämlich so gedeutet: Marias Mann ist wie ein Bär bezüglich bestimmter Merkmale. Croft/ Cruse (2004, S. 213) führen jedoch aus, dass Vergleiche wie bei [X ist wie Y] nicht gerade prototypisch sind, da in den meisten Fällen die gemeinsamen Merkmale explizit genannt werden. Die Autoren nennen diese Eigenschaft „restricted mapping“ zwischen zwei Domänen, das sich vom „open mapping“ der Metapher unterscheidet. Diese Beobachtung findet auch eine Bestätigung in den komparativen Phrasemen unseres Korpus, bei denen das tertium comparationis immer die gemeinsamen Merkmale/ Eigenschaften zwischen X und Y ausdrückt. 17 Die konventionalisierte Bedeutung der komparativen Phraseologismen mit dt. Bär/ it. orso ist davon abhängig, welche Symbole eine Sprachgemeinschaft dem Tier zuschreibt. Der Sprachvergleich Deutsch-Italienisch zeigt viele Analogien, jedoch auch einige Divergenzen. Sowohl im Deutschen als auch im anlügen’ enthalten. 17 Eine Besonderheit hingegen stellen antiphrastische Vergleichsphraseme dar (vgl. Mellado Blanco 2015a). Der Ausdruck der Intensivierung 115 Italienischen steht der Bär für Wildheit (Bsp. bei (19)) 18 und Stärke (Bsp. bei (20)). Jedoch nur im Italienischen symbolisiert der Bär Plumpheit (Bsp. bei (21)). Im Deutschen steht er für Hunger und Gier (Bsp. (22), vgl. auch einen Bärenhunger haben), im Italienischen werden diese Eigenschaften jedoch vom Wolf symbolisiert (it. avere una fame da lupi). Die Wendungen bei (23) sind dadurch motiviert, dass Bären prototypische Tiere sind, die in den Winterschlaf fallen. (19) a. dt. behaart wie ein Bär sein - it. essere peloso come un orso ‘sehr behaart’ b. dt. schwitzen wie ein Bär - it sudare come un orso ‘viel schwitzen’ (20) a. dt. stark wie ein Bär sein - it. essere forte come un orso ‘sehr stark’ b. dt. einen Schlag wie ein Bär haben ‘sehr fest zuschlagen können’ (21) it. ballare/ camminare/ muoversi/ come un orso (wörtlich: tanzen/ laufen/ sich bewegen wie ein Bär) ‘plump, schwerfällig, ohne Anmut’ (22) dt. hungrig wie ein Bär sein ‘sehr hungrig’ (23) dt. wie ein Bär schlafen - it. dormire come un orso ‘sehr tief schlafen’ Vergleicht man die komparativen Phraseologismen in (19) bis (23) und die Metapher in (17), wird ein weiterer Unterschied klar, den Croft/ Cruse (2004) thematisieren: Während die zwei Domänen bei der Metapher als verschmolzen bzw. fusioniert erscheinen, sind sie beim Vergleich getrennt: „In a simile, we are certainly invited to consider the two domains together, but they are presented as distinct.“ (ebd. 2004, S. 213). 18 Im Italienischen und Deutschen kommt sudare ‘schwitzen’ bei festen Vergleichen meistens in Verbindung mit Schwein bzw. maiale ‘Schwein’ vor, wobei im Internet auch Belege mit orso ‘Bär’ zu finden sind. Fabio Mollica/ Elmar Schafroth 116 4. vergleich oder metapher? unterschiede im Deutschen und Italienischen Dass die Beziehung zwischen Metapher und Vergleich sehr eng ist, zeigen die nächsten Beispiele. Bei (24) wird dasselbe Konzept im Deutschen durch einen Vergleich und im Italienischen mittels einer Metapher realisiert. Bei (25) und (26) liegt genau das Gegenteil vor: (24) dt. wie ein Schießhund aufpassen - it. avere mille occhi (wörtlich: tausend Augen haben) ‘sehr aufmerksam sein’ (25) dt. sich einigeln - it. chiudersi come un riccio (wörtlich: sich schließen wie ein Igel) ‘sich zurückziehen’ (26) dt. Hummeln im Hintern haben - it. girare come una trottola (wörtlich: sich drehen wie ein Kreisel) ‘sich ständig bewegen’, ‘immer in Aktion sein, keinen Stillstand oder kein Innehalten ertragen’ Das reflexive Verb sich einigeln in (25) besteht aus der Verbpartikel ein, das immer eine Bewegung bezeichnet, und dem Substantiv Igel (vgl. die inchoative Bedeutung der Verbpartikel ein bei Fleischer/ Barz 1995). Das Ergebnis ist eine sehr ausdrucksvolle Metapher, die die Bewegung des Igels evoziert, der sich bei Gefahr zu einer Kugel zusammenrollt und seine Stacheln aufrichtet. Genau diese Bewegung wird auch beim Italienischen Vergleich bildhaft realisiert, wobei das Verb chiudersi ‘sich schließen’ metaphorisch verwendet wird, um das Sich-in-sich-selbst-Zurückziehen auszudrücken. 19 Der komparative Phraseologismus dt. gehen wie auf Eiern lässt sich primär durch ‘sehr vorsichtig gehen’ paraphrasieren (Bsp. (27)). (27) Schon beim Regen ist es unglaublich glatt, vor allem, wenn man Gummisohlen hat, und die haben viele. Noch schlimmer ist es aber bei Schneematsch. Da sind unsere Schüler wie auf Eiern gegangen. (DeReKo: Braunschweiger Zeitung, 25.1.2006) Jedoch sind im Korpus auch einige wenige Belege enthalten, bei denen das tertium comparationis, das Verb gehen, nicht wörtlich verwendet wird. Der ganze komparative Phraseologismus wird metaphorisch gebraucht um ‘sehr vorsichtig vorgehen’ zum Ausdruck zu bringen (Bsp. (28)). 19 Möglich ist auch die Variante chiudersi a riccio (wörtlich: sich igelhaft schließen) ‘sich zurückziehen’ oder, wenn auch weniger frequent, die Metapher [X è un riccio]. Der Ausdruck der Intensivierung 117 (28) Sie gehen vielmehr überall im Osten wie auf Eiern, weil sie fürchten mit Investitionen hereinzufallen. (DeReKo: Nürnberger Nachrichten 31.10.2000, S. 5) Das italienische funktionale Äquivalent it. camminare sulle uova (wörtlich: auf Eiern laufen) wird überwiegend mit den Bedeutungen ‘sich in einer sehr schwierigen Situation befinden, in der bei jeder Handlung/ Entscheidung mit Schäden zu rechnen ist’ (Bsp. (29)) oder ‘sehr vorsichtig vorgehen’ (Bsp. (30)) metaphorisch verwendet: (29) Credo che da parte di alcuni dirigenti scottati dalle note vicende giudiziarie che hanno coinvolto le arcate ci sia un atteggiamento, che umanamente comprendo, di estrema cautela. Si trovano a camminare sulle uova. (La Repubblica, 1.6.2014) (30) Ma trattandosi di uno scontro fra una donna e un afro-americano, i primi due non bianchi, no wasp, non ebrei ai massimi livelli del New York Times, anche la truppa e loro stessi devono camminare sulle uova, per evitare quelle accuse di „scorrettezza politica“ e di „insensibilità“ che lo stesso giornale non esita a lanciare contro chi non condivida la loro cultura progressista e liberale. (La Repubblica, 25.4.13) Im Korpus finden sich jedoch auch zahlreiche Belege, bei denen dieses Konzept mit demselben lexikalischen Material in Form eines Vergleichs versprachlicht wird. Dies beweist erneut, wie fließend bei den Sprechern die Grenzen zwischen Metapher und Vergleich sind: (31) „In questo momento dobbiamo renderci conto che il contesto in cui si lavora è un po’ come camminare sulle uova“ (La Repubblica, 12.9.2010) (32) „No. Ma io ho un temperamento prudente. Rifletto prima di parlare, questo mi ha aiutato. Certo, era come camminare sulle uova: ho commesso errori, ma mai errori gravi. Mi adattai, scelsi di essere molto appartata, di non immischiarmi in nulla“ (La Repubblica, 20.1.2014) Dieses Phänomen betrifft auch andere Phraseologismen. So kann man im Deutschen das Konzept sehr langsam laufen sowohl in Form eines komparativen Phraseologismus als auch einer Metapher sprachlich realisieren: (33) dt. eine Schnecke sein/ langsam wie eine Schnecke sein/ im Schneckentempo gehen - it. essere una lumaca (wörtlich: eine Schnecke sein)/ camminare come una tartaruga/ lumaca (wörtlich: laufen wie eine Schildkröte/ Schnecke) ‘sehr langsam laufen’ Fabio Mollica/ Elmar Schafroth 118 Dieselbe Wechselbeziehung liegt auch im Italienisch für sehr pünktlich sein vor: (34) dt. pünktlich wie ein Schweizer Uhrwerk/ die Maurer - it. puntuale come un orologio svizzero/ spaccare il minuto (wörtlich: die Minute spalten) ‘sehr pünktlich sein’ Wie die obigen Beispiele zeigen, können Sprachen auf unterschiedliche Strategien zurückgreifen, um die Intensivierung zum Ausdruck zu bringen (Zeschel 2012, S. 52), das heißt, die Art der Intensivierung kann auch sprachspezifisch sein. Da das Deutsche eine synthetische Sprache (Primus 1997) ist, bedient es sich neben der Flexion auch ausgiebig der Komposition (vgl. Zeschel 2012, S. 71). Daher gibt es in unserem Korpus auch viele Fälle, bei denen man im Deutschen ein Kompositum hat, während das funktionale Äquivalent im Italienischen in der Form einer Phrasem-Konstruktion realisiert wird (siehe Bsp. in (35)). 20 Es kann jedoch auch vorkommen, dass im Deutschen ein Vergleichsphraseologismus vorliegt, während das Italienische die Struktur [X ha Det Substantiv di/ da Y] aufweist (Bsp. in (36)). Mellado Blanco (2011, S. 5) nennt all diese Konstruktionen „ phraseologische Komposita mit Vergleichswert“, da ihre Funktion darin besteht, einen (konventionalisierten) Vergleich zum Ausdruck zu bringen, ohne dass eine Vergleichspartikel in der Form vorliegt. (35) a. it. essere trasparente come l’acqua (wörtlich: durchsichtig wie das Wasser sein) - dt. glasklar sein ‘durchsichtig, hell sein’, ‘total eindeutig sein’ b. it. essere bianco come un cadavere (wörtlich: weiß wie eine Leiche sein) - dt. leichenblass sein ‘sehr blass’ c. it. essere sordo come una campana (wörtlich: taub wie eine Glocke sein) - dt. stocktaub sein ‘völlig taub sein’ d. it. essere nero come un corvo (schwarz wie eine Rabe sein) - dt. rabenschwarz sein ‘sehr schwarz sein’ e. it. essere dolce come il miele (süß wie der Honig sein) - dt. honigsüß/ zuckersüß sein ‘sehr süß sein’ f. it. cantare come un angelo (wörtlich: wie ein Engel singen) - dt. wie ein Engel singen/ engelsgleich singen ‘sehr melodisch, harmonisch singen’ 20 Zu den phraseologischen Komposita bzw. Vergleichskomposita siehe Mellado Blanco (2008). Der Ausdruck der Intensivierung 119 (36) a. dt. Augen wie ein Luchs haben (auch: Luchsaugen) - it. avere gli occhi di lince ‘sehr gut/ scharf sehen’ b. dt. hungrig wie ein Bär sein (auch Bärenhunger haben) - it. avere una fame da lupi (wörtlich: Hunger von Wolf haben) ‘sehr viel Hunger haben’ c. dt. ein Löwenherz haben - it. avere il cuore di tigre (wörtlich: das Herz von Tiger haben) ‘sehr mutig sein’ d. dt. ein Spatzenhirn haben - it. avere il cervello di gallina (wörtlich: das Gehirn einer Henne haben) ‘ziemlich dumm sein’ e. dt. singen wie eine (rostige) Gießkanne - it. voce da rana/ come una rana ‘nicht singen können’ 5. komparative phrasem konstruktionen aus sicht der cxg In Kapitel 1 ist bereits darauf hingewiesen worden, dass komparative Phraseologismen Konstruktionen im Sinne der Konstruktionsgrammatik sind, also konventionalisierte Form-Inhaltspaare (Ziem/ Lasch 2013, S. 18). In diesem Kapitel geht es um eine Beschreibung der Phrasem-Konstruktionen innerhalb der CxG, wobei ihre Hauptmerkmale im Folgenden noch einmal kurz zusammengefasst bzw. weiter ergänzt werden sollen. Will man ihre abstrakte Grundstruktur formalistischer beschreiben, kann diese wie folgt dargestellt werden - (A1) und (A2) modellieren die Bedeutung hohe Intensität, (B1) und (B2) eine bestimmte Art und Weise (vgl. die in Kap. 2.1 beschriebenen Typen 1 und 2). Typ 1: (A1) [[SUBJ] [PRÄD] [SEHR]/ [VIEL]] BEDEUTUNG FORM [[NP1 NOM ] [VP] [wie NP2 NOM ]] (37) essen wie ein Scheunendrescher ‘viel essen’ (38) sich freuen wie ein kleines Kind ‘sich sehr freuen’ (39) sparen wie die Weltmeister ‘viel sparen’ Fabio Mollica/ Elmar Schafroth 120 (40) jemanden hassen wie die Pest ‘jemanden sehr hassen’ Überwiegend handelt es sich dabei um intransitive oder reflexive Verben, es gibt jedoch auch Vergleichsphraseme mit transitiven Verben (z.B. (40)). Das comparatum [NP2 NOM ] ist meist ein Nomen oder ein Adjektiv, aber nicht ausschließlich, wie oben gezeigt wurde. Partizipien als NP2 sind möglich, wenn sie adjektivische Funktion übernehmen: z.B. sich wie gerädert/ neugeboren fühlen (siehe Bsp. (50) und (51)). Dies gilt ebenso für lexikalisierte Partizipien, die als Prädikatsnomen zur Kopula in Erscheinung treten (siehe (41)). (A2) [[SUBJ] [PRÄD] [SEHR ADJ]] BEDEUTUNG FORM [[NP1 NOM ] [VP KOP ] [ADJ] [wie NP2 NOM ]] (41) gespannt sein wie ein Flitz(e)bogen (od. Regenschirm) ‘sehr gespannt sein’ (42) fit sein wie ein Turnschuh ‘sehr fit sein’ (43) dumm sein wie Brot ‘sehr dumm sein’ NP2 ist dabei keinesfalls frei wählbar, sondern ist entweder völlig idiosynkratisch (z.B. (43)) oder bildet sozusagen eine Reihe mit verwandten Lexemen, und zwar in dem Sinne, dass etliche Hyponyme von Brot in (43) innerhalb dieser komparativen Phrasem-Konstruktion lizenziert werden können (z.B. DDR- Brot, Gerstenbrot, Knäckebrot, Konsumbrot, Toastbrot, Weißbrot) 21 , ohne dass sich die Bedeutung ändert. Dennoch ist NP2 in all diesen Fällen nicht vorhersagbar - im Unterschied zu freien Vergleichen wie Er freut sich wie sein Vater oder Sie ist fit wie andere Menschen nach 10 Stunden Schlaf. Dass das comparatum in all diesen Fällen so heißt, wie es heißt, ist Ergebnis einer sprachlichen Konvention, eine Ähnlichkeit zwischen NP1 und NP2 besteht meist gerade nicht, im Unterschied zu den freien Vergleichen, wo diese Ähnlichkeit durch Referenz auf die verglichenen außersprachlichen Entitäten ja gerade hypostasiert wird oder tatsächlich besteht. Der Mehrwert von Vergleichsphrasemen ist also nicht referenzieller, sondern semantisch-pragmatischer Natur. Je weniger Zusammenhang zwischen dem tertium comparationis (dem Verb oder der Kopula + Ad- 21 Alle Beispiele und Belege aus Kapitel 5 stammen aus DeReKo. Der Ausdruck der Intensivierung 121 jektiv) und NP2 zu bestehen scheint, desto origineller das Phrasem und desto größer scheint die Lust der Sprecher zu sein, es in den aktiven Sprachschatz aufzunehmen. Zwischen dumm und Brot kann kein semantischer Zusammenhang konstruiert werden, jedoch können metaphorische (siehe Kap. 4) und metonymische Relationen bestehen: wie z.B. zwischen gespannt und Regenschirm oder zwischen Turnschuh und fit. Strukturell gesehen sind komparative Phrasem-Konstruktion nichts Besonderes. Intransitive und (di)transitive Argumentstrukturen und Vergleichsphraseme lassen sich in der gleichen Konstruktionstaxonomie (Croft 2001, S. 26) darstellen (siehe Abb. 1). Formal gesehen weisen Vergleichsphraseme also keinerlei unvorhersagbare Eigenschaften auf. Die einzelnen Konstituenten - [Subj], [V intr / V Kop ], [Präd], [Obj] - verhalten sich wie diejenigen in Intransitiv- und Ditransitivkonstruktionen; 22 auch ein Attribut ([Mod] für Modifikator), wie hier ein Adverb oder eine Adverbialphrase, passt sich in die Argumentstruktur eines komparativen Phraseologismus genauso ein wie in eine „freie Syntax“. Der Unterschied liegt freilich in der Verfestigung bestimmter NP2-Tokens (Schlot, Turnschuh, Heu), die einen „idiosynkratischen Effekt“ nach sich zieht, i.e. denjenigen einer bestimmten Register- oder Stilzugehörigkeit, einer bestimmten Konnotation wie z.B. pejorativ, scherzhaft, ironisch, euphemistisch, hyperbolisch. Dies kann „normale“ Syntax nicht leisten. Er raucht Sie ist fit Subj V tr Obj Subj V intr Subj V Kop Präd Satz Ich verdiene Geld Er raucht viel/ wie nie zuvor Er raucht wie ein Schlot Sie ist total fit/ Sie ist fit wie nie zuvor Sie ist fit wie ein Turnschuh Subj V tr Mod Obj/ Subj V tr Obj Mod Subj V intr Mod Subj V Kop Mod Präd/ Subj V Kop Präd Mod Ich verdiene viel Geld/ Ich verdiene Geld wie nie zuvor Ich verdiene Geld wie Heu abb. 1: Konstruktionstaxonomie von freien Vergleichen und Vergleichsphrasemen 22 Für eine konstruktionistische Beschreibung der ditransitiven Phraseologismen im Deutschen, Französischen und Italienischen vgl. De Knop/ Mollica (2016). Fabio Mollica/ Elmar Schafroth 122 Typ 2: (B1) [[SUBJ] [PRÄD] [IRGENDWIE]] BEDEUTUNG FORM [[NP1 NOM ] [VP] [wie NP2 NOM ]] Dieser Konstruktionstyp ist dadurch gekennzeichnet, dass erstens die Leerstelle [NP2] komplexer Natur sein kann - mit adjektivischen oder lokativen Attributen, die meist metaphorischen Charakter haben - und dass ihre Bedeutung auf abstrakter Ebene eine Art und Weise ausdrückt, die prototypischerweise für ‘gut’ oder ‘schlecht‘ steht ((44), (45)): (44) leben wie Gott in Frankreich ‘gut leben’ (45) sich benehmen wie eine offene Hose/ wie die Axt im Walde ‘sich schlecht benehmen’ Aber eben nicht nur - und das macht diese Konstruktion auf Diskursebene so „spannend“: (46) zerplatzen wie eine Seifenblase ‘plötzlich und unwiederbringlich zerstört werden’ (47) ETWAS wie die Lemminge TUN ‘in großer Anzahl und meist ohne nach-zudenken’ - SUBJ [+hum] Der Fall (47) ist insofern kurios, als es kein festes tertium comparationis gibt. Zwar sind die Verben stürzen, folgen, rennen, oft im path-and-manner-Modus (nicht selten metaphorisch, vgl. (48)), der häufigste Fall, aber auch andere Bewegungsverben wie purzeln, fallen, springen, laufen finden sich im Sprachgebrauch: (48) Frau Kollegin Waschke, ich habe das durchaus zur Kenntnis genommen. Aber ich habe noch nie eingesehen, dass es, wenn es 14mal falsch gemacht worden ist, unbedingt notwendig ist, sich wie die Lemminge hinterherzustürzen und den gleichen Fehler noch einmal zu machen. (DeReKo: Protokoll der Sitzung des Parlaments Hessischer Landtag am 13.5.2008) Zudem kann das Subjekt auch [-hum] und die Bedeutung ‘einer nach dem anderen’) sein, wie in (49): Der Ausdruck der Intensivierung 123 (49) Dass sich ein Tag zur Unverschämtheit entwickeln wird, zeigt sich in der Regel schon morgens im Bad. Dann nämlich, wenn sich ein Wattestäbchen todesmutig in den Abgrund des Waschbeckens stürzt und ihm, elektrostatisch aufgeladen, alle Kollegen wie die Lemminge hinterherpurzeln. (DeReKo: Nürnberger Zeitung, 17.11.2012, S. 9) Wir haben es bei (47) bis (49) also nicht nur mit unterschiedlichen semantischen Spezifikationen der semantischen Rolle (AGENS) zu tun ([+/ -hum]), sondern auch mit Polysemie. Zudem scheint dieser Konstruktion auf abstrakter Ebene ein Bewegungsverb (meist verbunden mi einer Richtungsangabe) anzugehören, das durch das comparatum [wie die Lemminge] lizenziert wird. Alle diese (Bewegungs-)Verben sind Instanzen eines abstrakten Schemas, welches mit [[NP Nom ] [INTR. BEWEGUNGSVERB] [wie die Lemminge]] wiedergegeben werden kann. Statt eines Nomens kann die Art und Weise, wie das Verb modifiziert wird, auch durch ein Adjektiv oder ein Partizip in adjektivischer Funktion ausgedrückt werden: (B2) SUBJ PRÄD IRGENDWIE BEDEUTUNG F O R M [[NP1 NOM ] [VP] [wie ADJ/ PART]] (50) sich wie gerädert/ wie neugeboren fühlen ‘sich schlecht/ gut fühlen’ (51) sich aufführen wie gestört ‘sich schlecht aufführen [i.e. benehmen]’ Wie können diese Ergebnisse aus Sicht der Konstruktionsgrammatik interpretiert werden? Muss von mehreren eigenständigen Konstruktionen ausgegangen werden oder lassen sich die vier Fälle von (A) und (B) zusammenfassen? Zu den Theoremen der meisten Ansätze der Konstruktionsgrammatik gehört die Annahme von Vererbungsbeziehungen zwischen Konstruktionen (Ziem/ Lasch 2013, S. 65). An oberster Stelle steht dabei die Konstruktion mit dem größten Abstraktionsgrad. Vererbt werden können Informationen sowohl formaler als auch inhaltlicher Natur, wobei einige Relationen besonders salient sind. Goldberg (1995, S. 74-97) unterscheidet vier (semantische) Vererbungsarten: Polysemie- und Teil-Ganzes-Beziehungen, Beispiel-von-Beziehungen sowie Beziehungen der metaphorischen Erweiterung (nach Ziem/ Lasch 2013, Fabio Mollica/ Elmar Schafroth 124 S. 98ff.). 23 Das „taxonomisch strukturierte[s], feinkörnige[s] Netzwerk von miteinander verbundenen Konstruktionen“ (ebd., S. 198) wird in der CxG bekanntlich Konstruktikon genannt. Die Summe aller Konstruktika würde somit das sprachliche Wissen repräsentieren. Je nach konstruktionsgrammatischem Ansatz wird angenommen, dass Informationen von der höchsten Ebene auf die jeweils hierarchisch niedrigere Konstruktion vollständig oder nur partiell vererbt werden (ebd., S. 96). Im Folgenden soll nach Anlehnung an Traugott (2008a, S. 236) ein Konstruktikon der Vergleichsphraseme skizziert werden. Folgende Ebenen sollen unterschieden werden: a) Makrokonstruktionen („meaning-form pairings that are defined by structure and function“), b) Mesokonstruktionen („set of similar behaving specific constructions“), c) Mikrokonstruktionen („individual construction types“), d) Konstrukte („the empirically attested tokens“). Ein Konstruktikon von Vergleichsphrasemen könnte somit wie folgt aussehen: 24 NP1 Subj V intr wie NP2 Korpusbelege Mesokonstruktion 2 Makrokonstruktion Korpusbelege Er raucht wie ein Schlot Mikrokonstruktion 2x Mikrokonstruktion 1x NP1 Subj VP Partikel NP2 Sie ist fit wie ein Turnschuh Konstrukte 1x Konstrukte 2x NP1 Subj V Kop Adj wie NP2 Mesokonstruktion 1 abb. 2: Konstruktikon für komparative Phrasem - Konstruktionen 23 Dort auch die Zusammenfassung der Kritik an Goldberg. 24 Der phraseologische Charakter der Vergleichskonstruktionen manifestiert sich erst auf der Ebene der Mikrokonstruktionen; die Ebenen der Makro- und Mesokonstruktionen können hingegen freie und phraseologische Strukturen instanziieren. Der Ausdruck der Intensivierung 125 Die abstrakte Makrokonstruktion auf der höchsten und schematischsten Ebene enthält vier Leerstellen (NP1, VP, Partikel, NP2). Da NP1 gänzlich frei wählbar ist und lediglich die Anforderung der Subjektfunktion erfüllen muss (im Folgenden aus der Betrachtung ausgeklammert), werden die anderen drei (VP, Partikel, NP2) nach und nach spezifiziert. Zunächst können auf der nächst niedrigeren Ebene, derjenigen der Mesokonstruktionen, Aktantenspezifizierungen des Prädikats (VP) und der NP2 sowie die lexikalischen Instanzen der Partikel angesetzt werden: z.B. intransitives Verb oder Kopula + Adj, NP2 als definites Substantiv oder die Partikel wie oder wie wenn. Dadurch ist auf der nächsten Ebene eine Vielzahl von Mikrokonstruktionen möglich, in denen alle Slots lexikalisch instantiiert sind. Sehen wir uns die möglichen Konstituenten von Mesokonstruktionen für das Deutsche und Italienische an (in Kursiv die prototypische Variante): Deutsch Italienisch VP V intr , V Kop + Adj, V refl , V tr , 0 V intr , V Kop + Adj, V refl , V tr , 0 Adj Positiv, Komparativ Positiv, Komparativ Partikel wie, als, als ob, als wenn, wie wenn come, più di, meglio di/ che, peggio di/ che N2 Det-Subst, Mod-Subst, Partizip, Ortsadverbiale, Attributsatz, etc. Det-Subst, Subst-Konj-Subst, Subst-Relativsatz, Partizip, etc. tab. 2: Vergleichsphraseme auf der Ebene der Mesokonstruktionen Auf der Ebene der (immer noch token-verfestigten) Mikrokonstruktionen sind dann alle lexikalischen Spezifizierungen instanziiert: VP Partikel NP2 Deutsch rauchen wie ein Schlot schmecken wie eingeschlafene Füße lügen wie gedruckt/ es im Buche steht/ dass sich die Balken biegen 0 (stattdessen Kollokation Es herrschen Zustände) wie im alten Rom … … … Fabio Mollica/ Elmar Schafroth 126 VP Partikel NP2 Italienisch morire come le mosche essere come cani e gatti sentirsi come rinato essere peggio che andar di notte … … … tab. 3: Vergleichsphraseme auf der Ebene der Mikrokonstruktionen Auf der Ebene der Konstrukte zeigt sich, wie stark das type-entrenchment (Ziem/ Lasch 2013, S. 103ff.) einer Mikrokonstruktion ist, wie produktiv also ein lexikalisch bereits gefülltes Muster ist. Gibt es viele Neubildungen zu einem type, ist dieser produktiv und produziert viele tokens. Kommt es auf der Konstruktebene zu einem token-entrenchment, verfestigt sich also eine ursprünglich okkasionelle Bildung, so stärkt dies das type-entrenchment und letztlich - mit vertikaler Wirkung nach oben - auch die Meso- und Makroebene. Ein Beispiel: Das Phrasemmuster fit wie NP2 ist in DeReKo 2.221-mal belegt. 589 tokens sind für fit wie ein Turnschuh nachzuweisen. Die Leerstelle N2 wird allerdings auch anders gefüllt, etwa mit Lexemen, die Form und Inhalt aus der häufigsten NP2 (Turnschuh) geerbt haben: ein Schlittschuh, ein Langlauf-Schuh, ein geölter Turnschuh, zwei Turnschuhe. Ohne auf den letztlich für diese Varianten entscheidenden situativen Kontext eingehen zu können, kann festgestellt werden, dass keines dieser (niedrigfrequenten) tokens bisher einen Verfestigungsprozess durchlaufen hat. Dennoch stärken die vor allem stilistisch-rhetorischen Zwecken dienenden Belege die Mikrokonstruktion fit wie ein Turnschuh. Anders als die folgenden tokens, die keinem bestimmten type zugeordnet werden können: fit wie Herkules/ Harry/ ein junger Hund/ ein Büffel/ ein Elektro-Hase/ ein Äffchen. Sie bleiben, wie die Belege zu Schlittschuh etc., auf dem Stand von Okkasionalismen, aber im Unterschied zu diesen stärken sie den Typ fit wie ein Turnschuh nicht, lediglich den abstrakteren Konstruktionstyp fit wie NP2. Die kognitive Verfestigung (entrenchment) einer Konstruktion steht also in enger Beziehung mit der Vererbung formaler und semantischer Merkmale von einer Ebene zur nächsten. Zuallererst ist entrenchment natürlich frequenzbedingt (Gries 2008; Ziem/ Lasch 2013, S. 103ff.), weshalb Goldberg (2006, S. 5) ja bekanntlich die Definition von Konstruktion modifizierte zu „Patterns are stored as constructions even if they are fully predictable as long as they occur with sufficient frequency“. 25 Sie steht damit aber auch in enger Beziehung 25 Auch wenn das Merkmal der semantischen Idiosynkrasie auf den ersten Blick zu fehlen scheint, um eine Verbindung als Konstruktion zu bewerten (z.B. Klavier und Geige, Polizei und Feuer- Der Ausdruck der Intensivierung 127 zum Kriterium der Produktivität. Je produktiver eine Konstruktion, desto stärker ist sie kognitiv verfestigt. Kay (2013) spricht der komparativen Verbindung A as NP in der Bedeutung von ‘very A’ allerdings den Status einer Konstruktion ab. Fälle wie dumb as an ox, green as grass, happy as a lark, quick as a wink seien „nonproductive, nonconstructional patterns of coining“, die nicht als Konstruktionen bewertet werden könnten, da sie nicht produktiv seien. Das Wissen über die Formel A as NP [’very A’ ] sowie über ihre einzelnen Konstituenten genüge nicht, irgendeine der Strukturen dumm wie Bohnenstroh oder sanft wie ein Lamm zu lizenzieren, da die Sprecher nicht auf die Bedeutungen ‘sehr dumm’ bzw. ‘sehr sanft’ kämen. 26 Neubildungen mit genau diesem Pattern seien nicht möglich, Analogiebildungen im Bereich des comparatum genügten nicht. Was Kay, der wie Fillmore der nicht-gebrauchsbasierten Berkeley Construction Grammar angehört (Ziem/ Lasch 2013, S. 50ff.), meint, ist, dass es keine Neubildungen mit Bohnenstroh und Lamm in den Bedeutungen ‘sehr NP1’ gibt. Mit dieser Argumentation wären aber Idiome allesamt keine Konstruktionen! Es ist vielmehr so, dass Idiome insofern prototypische Konstruktionen sind (vgl. Stathi 2011), als sie in der Regel weder vorhersagbar noch kompositionell sind. Gegen Kays Sichtweise werden die folgenden Argumente angeführt: a) Der Autor beachtet nicht, dass Produktivität ein graduelles Phänomen ist, das der type- und token-Frequenz gleichermaßen Rechnung tragen muss (vgl. Bybee 2013). Wie gesehen, instanziiert gerade das Muster dumm wie NP2 viele tokens, von denen einige sich bereits zu einem weiteren type verfestigt haben: Bei dumm wie Brot scheint dieser Prozess bereits abgeschlossen, bei dumm wie NUM Meter Feldweg (NUM= drei, fünf, zehn) ist er auf dem Weg dazu. b) Entscheidende Voraussetzungen für Produktivität sind das Vorhandensein einer Leerstelle in der Struktur und die Möglichkeit der Abstraktion (Ziem/ Lasch 2013, S. 105). Was die Vergleichsphraseme betrifft, so lassen sich, wie gesehen, alle Konstituenten abstrahieren: [[NP1] [VP] [PARTIKEL] [NP2]]. Dies ist ein entscheidender Unterschied zu den Idiomen, die zwar, was ihre Aktantenstruktur betrifft, ebenfalls einem abstrakten Schema folgen, z.B. [[NP NOM ] [Vi tr ] [PRÄP] [NP AKK ]], etwa in auf den Busch klopfen, auf den wehr), kommen wir nicht umhin, diese hochfrequenten Kookkurrenzen als Teile unseres sprachlichen Wissens zu begreifen. Ob es sinnvoll war, sie als „Konstruktionen“ im ursprünglichen Sinne der CxG aufzufassen, darüber kann man geteilter Meinung sein (vgl. Schafroth 2015). Fillmore/ Kay/ O’Connor (1988) beziehen den Typ familiar pieces familiarly arranged - und Polizei und Feuerwehr wäre ja ein solcher - ausdrücklich in ihre Typologie mit ein, aber sie meinen damit Phraseme, deren Idiosynkrasie typischerweise eben gerade nicht formal gegeben ist, sondern ausschließlich semantisch. 26 In Wirklichkeit ist dies ja gerade ein Argument für das Vorliegen einer Konstruktion! Fabio Mollica/ Elmar Schafroth 128 Arm nehmen, deren Leerstellen jedoch auf der nächsttieferen Ebene bereits fest mit lexikalischen Elementen gefüllt sind. Dies ist bei den Vergleichsphrasemen nicht der Fall, wie man durch Korpusanalysen herausfinden kann. VP und NP2 (NP1 ohnehin) können Leerstellen bilden: (A) [[NP1] [VP] [wie NP2]] - [VP] ist die Leerstelle, [NP2] ist fest: wie Sau ‘sehr/ viel’ (Prototyp fett): [abgehen, sich ärgern, arbeiten, aussehen, bluten, brennen, grooven, jucken, laut sein, laufen, polarisieren, regnen, rocken, schwitzen, Spaß machen, etc.] [wie Sau] (B) [[NP1] [VP] [wie NP2]] - [NP2] ist die Leerstelle, [VP] ist fest: abgehen (polysem) (Proptyp fett] [abgehen] [wie die Hölle, ein Porsche Carrera, die Feuerwehr, die Post, eine Rakete, die Pest, Schmidts Katze, Nachbars Lumpi, 27 ein Bienenschwarm, Popcorn, ein ICE, ein Düsenjet, ein feuriger Blitz, ein Zäpfchen, Dirty Harry im Alleingang, eine Kanone] c) Letztlich lassen sich Vergleichsphraseme, was ihre Produktivität betrifft, auf einem Kontinuum verorten, das zwischen den beiden Polen der lexikalischen Geschlossenheit (Spezifizität) und Offenheit (Schematizität) besteht. Sprichwörter sind oft maximal spezifisch, 28 Argumentstrukturkonstruktionen maximal schematisch. Komparative Phrasem-Konstruktionen verhalten sich in etwa wie Phraseoschablonen (vgl. Kap. 1), da mindestens eine Konstituente (VP oder NP2) lexikalisch zu füllen ist, wobei die Vergleichspartikel (in der Regel wie bzw. come) fester Bestandteil, mehr noch, das entscheidende Merkmal dieser Konstruktion ist: abb. 3: Unterscheidung zwischen (einer auswahl von) Konstruktionen nach Graden ihrer Produktivität (aus Ziem/ lasch 2013, S. 105) 27 Nicht selten liegen bei der Produktion von Phraseologismen Kontamination durch sprecherseitige Versprecher oder Verwechslung vor: Die NP2 wie Nachbars Lumpi stammt aus dem Vergleichsphrasem spitz (‘sexuell erregt/ erregbar’) wie Nachbars Lumpi. 28 Gemeint sind Fälle wie Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr, wobei aber auch Sprichwörter Instanziierungen abstrakter Schemata sein können: Vergleiche das Schema Besser X als Y, das z.B. in Besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach realisiert ist. Diesen Hinweis verdanken wir Kathrin Steyer. Der Ausdruck der Intensivierung 129 Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass sich Vergleichsphraseme sehr wohl als typische Konstruktionen begreifen lassen. Sie stellen flexible Einheiten zwischen Syntax und Lexikon bzw. Morphologie dar, was sich an der Affinität zu Syntagmen einerseits und zu komplexen Wortbildungen andererseits erkennen lässt. Aus dem Sprachgebrauch als emergentes Phänomen (im Sinne von emerging nach Hopper 1988; rezipiert von Auer/ Pfänder 2011, S. 5; hier nach Ziem/ Lasch 2013, S. 157) entstanden, i.e. als resultativer Zustand, man könnte auch sagen als etablierte oder sogar lexikalisierte Verbindung, sind komparative Phraseologismen zwischen Syntax und Lexikon zu positionieren, als lexikalisierte Konstruktionen sozusagen. Auf der anderen Seite ergeben sich aus Korpusanalysen aber auch emergente Produkte im Sinne von emergent constructions, also solchen, die während des Sprechens entstehen und deren Prozessualität andauert (Traugott 2008b). Solche Phänomene, zuerst nur Okkasionalismen, sind einerseits „lexikalische Füllungen“, also Instanziierungen der teilschematischen komparativen Konstruktion , d.h. sie gehorchen den Gesetzen der freien Syntax, andererseits können sie aber auch spezifisch sein und sich im Falle von Komposition und Univerbierung wie lexikalische Einheiten verhalten (siehe Abb. 4). Man sieht, dass sowohl die transparenten kreativen Konzeptualisierungen auf der Syntax-Seite als auch die komplexen Lexeme letztlich nur „etablierte“ Konstruktionen stützen, ihren Stellenwert im Sprachsystem stärken, sie also kognitiv festigen. Syntax-Lexikon-Kontinuum Syntax (teil)schematisch lexikalisiert Lexikon spezifisch Augen haben wie ein Sperber Augen haben wie ein Luchs Luchsaugen (lexikalis.) Sperberaugen (nicht lexikalis.) sanft wie eine zarte Brise; sanft wie eine Sahnetorte mit Pfirsich sanft wie ein Lamm lammsanft (nicht lexikalis.) 29 langsam wie in Zeitlupe langsam wie eine Schnecke schneckenlangsam (n.l.) reden wie ein Maschinengewehrfeuer reden wie ein Wasserfall Wasserfallredner (n.l.) fit wie ein Äffchen fit wie ein Turnschuh turnschuhfit (n.l.) abb. 4: Vergleichsphraseme im Syntax lexikon - Kontinuum 29 Weitere Ad-hoc-Komposita dieses Typs: baby-, balladen-, engel-, flocken-, hasenpfoten-, herzens-, honig-, jünglings-, katzenpfoten-, lagunen-, lenor-, mama-, palmkätzchen-, schmuse-, seiden-, streichel, Fabio Mollica/ Elmar Schafroth 130 Emergente Konstruktionen im synchronen Sinne entstehen ja nicht ex nihilo. Sie spiegeln Analogie- oder metaphorische Beziehungen bzw., im allgemeinen Sinne, Vererbungsrelationen wider. Das semantische Verhältnis zwischen dem tertium comparationis und dem comparatum bleibt dabei dasjenige des Ausgangsphrasems: „langsam wie etwas, das das Langsamsein unterstreicht“, bezogen auf sanft wie ein Lamm. Mit einer derartigen semantischen Stabilität lässt sich durch (metonymische) Vererbung eines Bedeutungselements, ausgehend von den Konzepten reden, fallen, Wasser hier im Phrasem reden wie ein Wasserfall, eine hohe type-Produktivität nachweisen. 30 Diese wird durch eine große Anzahl verschiedener tokens erreicht: reden wie ein Wasserfall (1) reden  plappern, plaudern, schwätzen, babbeln, sprudeln (2) Wasserfall  <Worte> prasseln, strömen, <Ideen> fließen über jemanden herfallen; zu Boden stürzen <Mundwinkel> herunterfallen; sabbern (3) Wasserfall  brausen (Geräusch)  ADJ-Typ: redselig, spritzig abb. 5: type entrenchment (hohe Produktivität) der komparativen Phrasem - Konstruktion wie ein Wasserfall reden durch die Emergenz verschiedener, durch Metonymie entstandener tokens Die type-Produktivität bemisst sich nach der Anzahl der verschiedenen Elemente, die eine Leerstelle innerhalb der Struktur einer Konstruktion lexikalisch füllen (Bybee 2013, S. 61f.). Die Leerstelle ist hier NP2. Die Frage, die hier wolkensanft (u.a.m.). 30 In Mollica (2015, S. 26-29) wird anhand einer Korpusanalyse die Varianz der VP bei der Phrasem-Konstruktion reden wir ein Wasserfall durch Verba dicendi wie sprechen, erzählen, sabbern, plappern, quatschen untersucht. Der Ausdruck der Intensivierung 131 zu diskutieren wäre, ist ab wann eine token-entrenchment zu einem neuen type führt, ab wann sich also ein token „zu einer festen (kognitiven) Einheit“ konsolidiert (Ziem/ Lasch 2013, S. 104). Die token-Belege unter (2) und (3) in Abbildung 5 deuten mangels Frequenz und mangels kognitiver Verfestigung auf keinen neuen type hin. Alle tokens sind noch als Vererbungen des Matrixphrasems reden wie ein Wasserfall zu begreifen und festigen dadurch diesen type. Ein neuer type hat sich, wie oben gezeigt wurde, im Falle von fit wie ein Turnschuh herausgebildet. Legt man bei der Schreibung von Konstruktionen (hier: Phraseologismen) einen konsequent gebrauchsbasierten Ansatz zugrunde, so gilt Folgendes: [D]ie [Konstruktionen] entstehen und wandeln sich einerseits unter den Bedingungen des individuellen Sprachgebrauchs und sie bilden andererseits das Sprachwissen, über das SprachbenutzerInnen verfügen müssen, um eine Sprache - einschließlich ihrer grammatischen Irregularitäten bzw. Idiosynkrasien, Beschränkungen und Besonderheiten - verstehen und verwenden zu können. (Ziem/ Lasch 2013, S. 95) 6. Fazit Damit ist auch gleichzeitig ein Forschungsdesiderat beschrieben, das darauf abzielt, eine möglichst ganzheitliche Beschreibung aller formalen und inhaltlichen Besonderheiten von Konstruktionen zu liefern - ein Credo, das beispielsweise im PhraseoFrame, einer digital-lexikografischen Modellierung sprachlichen Wissens zu Phrasemen, forschungspraktisch angewandt wird (vgl. Schaf roth 2014, 2015) und in der Lernerplattform Italienisch (www.lp-italienisch.de) sowie, in abgewandelter, stärker onomasiologisch konzipierter Form, im Mailänder Projekt FRAME (FRAseologia Multilingue Elettronica) (www.fraseologia.it) umgesetzt wird (vgl. Benigni et al. 2015). Bei einem solchen Ansatz kommen Dinge zur Sprache, die sich in keiner anderen phraseologischen Beschreibung finden lassen: syntaktische, semantisch-pragmatische oder diskursive Merkmale - alle mit Korpusbeispielen illustriert. So ließen sich etwa Merkmale der „internen Syntax“ von Vergleichsphrasemen benennen, z.B. typische NP1- Instanzen: Bei zerplatzen wie eine Seifenblase sind dies <Traum, Träume, Hoffnungen, Illusion>, bei runtergehen wie Öl meist <das, DET Kompliment, DET Worte>. Besonders aufschlussreich sind pragmatische und diskursive Spezifika: Zu welchem rhetorischen, stilistischen oder interaktionalen Zweck greifen Sprecher auf komparative Phrasem-Konstruktionen zurück? Welche Auswirkungen hat dies auf den Verlauf der Kommunikation? Die ein- und zweisprachige Lexikografie sagt zu solchen Merkmalen nichts. Auch kein Phraseologismenwörterbuch. Dabei wären Informationen dieser Art insbesondere für die Fremd- und Zweitsprachendidaktik von großem Vorteil (vgl. Schafroth 2013). Fabio Mollica/ Elmar Schafroth 132 literatur Auer, Peter/ Pfänder, Stefan (2011): Constructions. Emergent or emerging? In: Auer, Peter/ Pfänder, Stefan (Hg.): Constructions. Emerging and emergent. Berlin, S. 1-21. Balzer, Berit (2001): Phraseologische Vergleiche, Polyglott. In: Revista de Filología Alemana 9, S. 165-181. Benigni, Valentina et al. (2015): How to apply CxG to phraseology: a multilingual research project. In: Journal of Social Sciences 11, 3, S. 275-288. http: / / thescipub.com/ PDF / jssp.2015.275.288.pdf (Stand: 1.10.2016). Brunetti, Simona (2015): Idiome, Wissen und Metaphern aus dem Begriffsfeld VER- RÜCKTSEIN im Deutschen und im Italienischen. 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Ziel der insgesamt über 20 Projektstudien ist jeweils die korpusbasierte Beschreibung der Bedeutungsentfaltung phraseologischer Einheiten in der Verwendungsbreite und nicht die Reduktion auf die Übersetzung einer als eine Bedeutung oder gar DIE Bedeutung wiedergebenden Paraphrase in formalsprachliche oder formalsymbolische Beschreibungsabstraktionen. In die Breite zu gehen bedeutet, die beschreibungsmäßig häufig verborgenen, aber im konkreten Sprachgebrauch jeweils sich zeigenden semantischen Feinheiten der untersuchten Einheiten ins Zentrum der Analyse zu stellen. Dafür ist es notwendig, die jeweilige Einheit zunächst überhaupt zu identifizieren (über welche Einheit wird geredet) und ihre formseitigen Manifestationen zu erfassen (welche strukturellen Verfestigungen liegen vor). Anschließend werden über die Beschreibung der Kotexte dieser Einheiten in Belegkorpora die an formseitige Ausprägungen gekoppelten Pfade der Bedeutungsentfaltung - ausgehend von einer ermittelten Ausgangsbedeutung - nachgezeichnet. Auf diese Weise können auch Bedeutungsaspekte eingeholt werden, die als bloße Konnotationen oder Modifikationen zu randständig, als Kernbedeutung zu unhandlich und als semantischer Mehrwert zu uneigenständig konzipiert sind. Es handelt sich um wesentliche Bedeutungszüge der untersuchten Einheiten und Aufgabe der Studien ist es, diese Aspekte durch Kopplung an verschiedene formseitige Ausprägungen gebrauchsangemessen erfassen und beschreiben zu können. Sven Staffeldt 138 2. die avisierte sprachliche einheit Verfestigte Einheiten zu untersuchen - und seien es auch scheinbar klare Fälle gebräuchlicher Idiome im traditionell-phraseologischen Sinn - ist kein einfaches Unterfangen. Bereits die Fragestellung, um welche sprachliche Einheit es sich bei dem jeweiligen Untersuchungsgegenstand einer Studie handelt, was ich als phraseologisch interessierter Linguist mir denn eigentlich näher ansehen möchte, ist in mehrfacher Weise vertrackt. Gleich zu Beginn muss eine methodologische Grundsatzentscheidung gefällt werden: Habe ich bereits eine Vorstellung davon, um welche Einheit es gehen soll, oder muss ich mir eine solche erst erarbeiten? Man steht hier vor einem Klassiker: deduktiv oder induktiv? Dass diese Differenz keine absolute ist (bei der dann gelten würde: tertium non datur), wird klar, wenn man sich strikt induktives oder rein deduktives Vorgehen einmal in seiner abgeschiedenen Reinheit vorstellt - zwei Dinge der Unmöglichkeit. Auch bei induktiven Zugängen muss nämlich zunächst entschieden werden, wo ich anfange zu suchen, wie ich mein Korpus zusammenstelle, ob und wie ich annotiere, ob und wie ich eventuell gegebene Annotationen überprüfe und ändere usw. Dies ist jedenfalls ein Eingriff, den ich als Forscher vornehme. Eine Sprachgebrauchsrealität - was immer das genau ist - ist ja nicht so schön geordnet, wie ich sie mir herstelle, um damit induktiv arbeiten zu können. Aber auch der deduktive Zugang ist allein wenig zielführend. Letztlich landet jede Deduktion zumindest in der Nähe von Sprachgebrauchsrealitäten und man wird immer mit der Tatsache konfrontiert sein, dass diese sperriger sind, als meine schön durchsystematisierten Deduktionen. Und sei es nur, dass ich mir beruhigend sage: Ausnahmen bestätigen die Regel. 1 Bei verfestigten Einheiten stellt sich zudem das Problem, welche formseitigen Erscheinungen ich überhaupt zu der Zieleinheit rechne. Nehmen wir an - und darauf wird es in diesem Beitrag hinauslaufen -, ich interessiere mich für die im Titel genannte Einheit. Bereits hier sind dann schon einige Entscheidungen gefallen, die Ergebnis einer spiralartigen Annäherung an das Untersuchungsobjekt sind, ein - um mit Deppermann (2008, S. 20) zu sprechen, der dies für die Gesprächsanalyse herausgestellt hat: spiralförmiges Verhältnis von Gegenstandskonstitution und Gegenstandsanalyse […]: Im Verlauf des Forschungsprozesses verändern sich die Fragen und Vorannahmen, mit denen man dem Untersuchungsmaterial begegnet (= Gegenstandskonstitution), durch dessen Analyse […]. (ebd.) 1 Zu induktivem und deduktivem Vorgehen bei korpusbasierten (corpus based) oder/ und korpusgesteuerten (corpus driven) Ansätzen vgl. auch Bubenhofer (2009, S. 102-105 und 149-174), Steyer (2013, S. 67-77). Es in der Hand haben, zu … 139 Mir geht es um phraseologische Einheiten mit der Konstituente Hand. In Vorstudien dazu wurden alle in verschiedenen, vor allem phraseologischen Wörterbüchern zu findenden Zitierformen systematisiert erhoben und im DeReKo (Archiv W) (vgl. Institut für Deutsche Sprache 2012) mittels einer einfachen Suche von Hand-Formvorkommen (Suchkette: &Hand 2 mit Flexionsformen und ohne Wortbildungen) daraufhin untersucht, wie häufig Verwendungen vorkommen, die diesen Zitierformen zugeordnet werden können (vgl. dazu Staffeldt 2011a, 2011b). Bei der Suche findet man nun bspw. Formen mit in der Hand haben oder in der Hand halten, zu denen dann auch die im Titel genannte gehört, eben weil sie in der Hand haben oder halten aufweist. Ohne auf alle Zwischenfragen einzugehen, die bereits an dieser Stelle auftauchen, gibt auch diese lexikalisch bereits sehr konkrete Einheit noch genügend Frageimpulse. Etwa: Gehört das es als phorisches es oder als Korrelat-es dazu oder nicht? In dem entsprechenden Eintrag im Redewendungen-Duden taucht es jedenfalls nicht in den Zitierformen mit in der Hand haben auf: jmdn., etw. in der Hand haben: jmdn.,etw. in der Gewalt haben; über jmdn., etw.verfügen: Die Aufständischen hatten das Gebiet fest in der Hand. Der Lehrer hat die Klasse überhaupt nicht in der Hand. · Er, der Hohe Kommissar, hatte also nur einen Zipfel der Souveränität in der Hand (Dönhoff, Ära 80). etw. in der Hand haben: etw. haben, worauf man sich berufen kann: Wenn Sie wenigstens eine eidesstattliche Erklärung des Verstorbenen in der Hand hätten, dann stünden Ihre Chancen erheblich besser! sich in der Hand haben: sich unter Kontrolle haben, sich beherrschen können: Ihre Spannung ist nicht geringer als seine, aber sie hat sich besser in der Hand (Heym, Nachruf 222). [...] etw. gegen jmdn. in der Hand/ in [den] Händen haben: etw. Belastendes, Nachteiliges von jmdm. wissen, was man gegebenenfalls als Druckmittel einsetzen wird: Die Staatsanwaltschaft hat neues Beweismaterial gegen die Angeklagten in der Hand. · Es war ihm plötzlich klar, was seine Gegner gegen ihn in der Hand hatten, wenn er Farbe bekannte (Brecht, Geschichten 123). abb. 1: einträge mit in der Hand haben im Redewendungen duden (duden 2013, S. 318) 2 Suchketten werden hier durch Verwendung einer anderen Schrifttype (Courier New) widergegeben, damit sie formal in ihrer Ausdehnung eindeutig begrenzt sind, ohne extra Begrenzungszeichen (wie etwa Klammern oder Anführungsstriche, die als Teil der Suchkette missverstanden werden könnten) verwenden zu müssen. Sven Staffeldt 140 Im zehnbändigen Duden (Ausgabe auf CD-Rom von 2012) findet man ein es, allerdings nicht als Bestandteil einer Zitierform: etwas in der Hand haben (1. etwas [worauf man sich stützen kann, was einem eine Handhabe bietet] haben: er hat wichtige Dokumente in der Hand, womit er sie erpressen kann. 2. Entscheidungsgewalt über etwas besitzen: Jetzt habt ihr es nämlich in der Hand Wenn ihr wollt, tunkt ihr unsereinen ein, ganz mir nichts, dir nichts [Frischmuth, Herrin 89]); jemanden in der Hand haben (jemanden in seiner Gewalt haben, ihn lenken können; jemandes völlig sicher sein: bis ich mich … im Netz meines schlechten Gewissens verstrickte. Er wusste, dass er mich in der Hand hatte [Ziegler, Labyrinth 241]; sie haben es gewusst … sie haben ihn über mehr als ein Jahrzehnt in der Hand gehabt [Härtling, Hubert 335]); sich in der Hand haben (sich in der Gewalt, unter Kontrolle haben, sich beherrschen können: ihre Spannung ist nicht geringer als seine, aber sie hat sich besser in der Hand [Heym, Nachruf 222]; Jürgen glaubt, sich einigermaßen in der Hand zu haben [Chotjewitz, Friede 251]); abb. 2: einträge mit in der Hand haben im zehnbändigen duden (2012) Hier ist dann die Frage, ob der Beleg „Jetzt habt ihr es nämlich in der Hand Wenn ihr wollt, tunkt ihr unsereinen ein, ganz mir nichts, dir nichts“ zu der Zitierform etwas in der Hand haben passt, die im Duden (2012) bei den Idiomen am Ende des Hand-Lemmas zu finden ist. Und auch, wie es nach es in der Hand haben eigentlich weiter geht. In Bezug auf die Ausgangseinheit bedeutet dies konkret: Ist die Einheit mit es auf das Vorkommen von zu-Infinitiven beschränkt bzw. sinnvoll einschränkbar oder gibt es da auch andere? es in der Hand haben, etw. zu entscheiden/ … 1. Wenn Sie die Genehmigung unbedingt bis heute abend brauchen, müssen Sie mit Herrn Zimmermann sprechen. Er hat es in der Hand zu entscheiden, welche Anträge vorweg bearbeitet werden. - Das hängt nur von Herrn Zimmermann ab? - Ganz allein von ihm. 2. Jetzt hat er es noch in der Hand, ob er Ingenieur wird oder nicht. Wenn er erstmal in einer anderen Fakultät eingeschrieben und älter ist, wird ein Wechsel immer schwerer, und irgendwann ist die Freiheit zu wählen dann vorbei. abb. 3: eintrag in Schemann (2011, S. 308) Die Einträge in dem Schemann-Wörterbuch weisen nie eine Bedeutungsangabe auf, dafür aber Verwendungsbeispiele, die nicht nur hinsichtlich der Bedeutungsaspekte wohl sprechend sein sollen. 3 So wird aus dem zweiten Beispiel auch deutlich, dass es ganz offenbar möglich oder als vorkommend einzuschätzen ist, wenn die mit es korrelierende Einheit nicht zu-infinitivisch, 3 Zur Funktion von konstruierten und authentischen Verwendungsbeispielen und Belegen vgl. auch Engelberg/ Lemnitzer (2009, S. 88 und 236) mit weiteren Literaturhinweisen. Es in der Hand haben, zu … 141 sondern durch einen mit ob gefügten indirekten Frage(neben)satz realisiert ist. Ob dazwischen dann vielleicht ein „zu entscheiden, …“ als elliptisch anzunehmen ist, kann verneint werden, da in der Zitierform auch noch „/ …“ als Markierung für ‘und weitere Einheiten statt zu entscheiden’ gelesen werden kann. Nur dann ist die Frage - und das würde Beispiel 1 nahelegen -, ob die zu-Realisierung vielleicht immer mit entscheiden einhergeht, oder ob nicht vielmehr entscheiden in der Zitierform selbst eine Art semantisch orientierendes Beispiel ist. Und zwar dergestalt, dass es in der Hand haben, zu etwas damit zu tun hat, dass man etwas entscheiden kann (auch wenn möglicherweise nicht immer nur entscheiden als V im zu-Inf auftaucht). Fragen dieser Art sind entscheidend, wenn man sich auf die Suche nach Verwendungen der fraglichen Einheit macht. Nämlich frühestens oder spätestens dann, wenn man ganz konkret eine Suchkette formulieren muss, mithilfe derer in einem Korpus-Suchprogramm (wie etwa COSMAS II) Verwendungen der Zieleinheit gefunden werden können. Die Frage nämlich ist: Welche Bestandteile nehme ich mit in die Suchkette auf? Für meine Suche musste eine Suchkette gefunden werden, die einerseits genügend lexikalisches Material enthält, um nicht Unmengen falscher Positive 4 zu liefern, andererseits genügend flexibel formuliert ist, um nicht unvertretbar viele falsche Negative 5 aufzuweisen (vgl. zur schrittweisen Verbesserung der Suchanfrage zur Erhöhung von Präzision und Recall Perkuhn/ Keibel/ Kupietz 2012, S. 39-41). Nach mehreren Verfeinerungsschritten habe ich mich schließlich für die folgende Suchkette entschieden: (in/ +w3 &Hand)/ w4(&haben oder &halten) . Hier ist die Balance zulasten der Präzision zwar immer noch unausgeglichen, aber es werden genügend verschiedene Verwendungen gefunden als Auswertungsbasis. Als solche sehe ich ein Analysekorpus mit 100 Belegen pro zu untersuchender Einheit an. Es hat sich in den Vorstudien gezeigt, dass man mit dieser Belegmenge voll-qualitativ (unter Sichtung und Auswertung jedes einzelnen Belegs) noch einigermaßen effizient arbeiten kann. Im Regelfall sind 100 Belege nach meiner Erfahrung zunächst einmal ausreichend, um über eine kriteriengeleitete Auswertung zu einer guten ersten Bedeutungsbeschreibung zu gelangen. Gut ist eine solche Beschreibung, wenn sie sich auch bei weiteren nicht analysierten Belegen bewährt. Um möglichst wenig Verzerrung zu erzeugen, erstelle ich mein Analysekorpus immer mit den chronologisch geordnet ersten 100 echten Positiven aus dem Jahr 2000. Bei der Zusammenstellung dieses Analysekorpus mussten relativ viele Belege aus verschiedenen 4 Also zwar erzielte Treffer, die aber nicht zu der gesuchten Einheit gehören, wie etwa: als ich sie herausgeschält hab, ist sie in der Hand explodiert (siehe dazu ausführlicher den folgenden Absatz). 5 Also nicht erzielte Treffer, die aber Belege für die gesuchte Einheit wären (in Bezug auf die im nächsten Absatz zu findende Suchkette also etwa Belege, in denen haben oder halten weiter als vier Wörter entfernt von in … Hand auftauchen). Sven Staffeldt 142 Gründen aussortiert (= geringere Präzision) werden, nämlich 137 Belege bei den ersten 237 Belegen. Da gab es zunächst einmal eine recht große Gruppe mit wörtlicher Verwendung (z.B.: Er hielt zwei kleinere Glaskugeln in seinen Händen) oder mit Belegen, in denen zwar auch wörtliche Verwendung vorliegt, haben aber als Hilfs- und nicht als Vollverb auftaucht (z.B.: Mit dieser Drehung befreit sie sich vom Tau, da sie es vorher in ihre Hände genommen hat). Eine ebenso große Gruppe waren Fehlbelege, in denen haben/ halten und Hand/ Hände nicht zusammen in derselben syntaktischen Konstruktion auftauchen (z.B.: als ich sie herausgeschält hab, ist sie in der Hand explodiert). Die dritte Gruppe aussortierter Belege ist diejenige, bei denen weitere Phraseologismen zu verzeichnen sind, die andernorts (in Staffeldt 2018) separat beschrieben werden. Entscheidend ist hier immer die Besetzung der Position des direkten Objektes, z.B.: Trümpfe/ Trumpf, Fäden, gute/ bessere/ beste Karten, Zepter, Zügel, Heft, Ruder, und Steuer (siehe dazu Fäden, Heft etc. in die Hand nehmen in Staffeldt 2018). Rechnet man das Verhältnis (unter 237 Belegen sind 100 Treffer) hoch auf die Gesamttrefferzahl aus dem Jahr 2000 (2.366), so kann man letztere auf errechnete 998 Treffer runterkorrigieren. Damit liegen von dem mit der obigen Suchkette avisierten Phraseologismus also schätzungsweise tausend Belege aus dem Jahr 2000 vor. Die avisierte Einheit ist - zusammengefasst - eine sprachliche Einheit, die in und Hand/ Hände usw. sowie haben oder halten (in je definiertem maximalen Wortabstand zueinander) enthält und für die sich aus Vergleichen von Lemmata in phraseologischen Wörterbüchern 6 u.a. die folgenden Fragen ergeben: - Welche Referenten der Objekt-Position besetzenden Einheiten (Reflexivpronomen, Person, Sache, Geld etc.) tauchen auf? - Taucht ein Korrelat-es mit einem entsprechenden Nebensatz auf und welche Nebensätze sind das? - Taucht eine gegen-PP auf? - Taucht fest auf? Im nächsten Schritt gilt es, die formseitigen Ausprägungen der avisierten Einheit(en? ) zu erfassen, denn Bedeutungen sind nichts ohne Formen. Um Bedeutung sein zu können, bedarf es der Kopplung mit Ausdrücken. Niemand - weder die Kommunikant/ innen noch die Linguist/ innen - kommen an Bedeutungen ran, ohne (sprachliche, gestische, mimische, gesamtkörperliche usw., kurz: beobachtbare) Kommunikationsformen zu erfassen, deren Gebrauch in verschiedener Weise als bedeutungsvoll angenommen wird. Dies 6 In den Habil-Studien werden für jede fragliche Einheit die folgenden (nicht immer nur rein phraseologischen) Wörterbücher konsultiert: Agricola (1992), Duden (2008), Friederich (1976), Görner (1979), Krüger-Lorenzen (2001), Müller (2005), Lexikon der Redensarten (2007), Röhrich (1991-94), Schemann (1993) und ZEIT -Lexikon (2005). Es in der Hand haben, zu … 143 ist natürlich zirkelschlüssig, aber unumgänglich: Was sind Ausdrücke? Bedeutungshaltige sprachliche Formen. Was sind Bedeutungen? Nichts ohne Ausdrücke, deren Inhalte sie sind. Als operative Fiktion wird für gewöhnlich (nicht nur) alltagssprachlich unhinterfragt angenommen, Ausdrücke hätten Bedeutungen. Dabei nimmt man weiterhin an, dass die anderen Interaktanten zumindest ähnliche Form-Bedeutungszuordnungen haben. Ohne eine solche Annahme wäre alltägliche verbale Kommunikation unerträglich unsicher. Zumindest aber könnten sprachliche Ausdrücke nicht das Mittel der Wahl bei Verständigungsprozessen sein. Nun ist es aber tagtägliche Alltagserfahrung, dass ich mich mit anderen, die meine Sprache sprechen, verbal verständigen kann. Mit Ausdrücken sind - kurz gesagt - also Bedeutungen verbunden und Bedeutungen bedürfen - ebenso kurz gesagt - der Ausdrücke, um Bedeutung sein zu können. 3. die erfassung der formseite 7 Bei der Untersuchung der Belege des Analysekorpus sind formseitig drei Auffälligkeiten zu konstatieren. Als erstes fällt auf, dass das Verb und der Numerus bei Hand korrelieren: Hand Händen haben 64 5 halten 5 26 tab. 1: verb numerus - Korrelation bei etw./ jn. in der Hand haben/ halten Es gibt also eine klare Präferenz für haben+Hand und halten+Händen. Mit dieser formalen Korrelation ist eine weitere Auffälligkeit verbunden, die sich in der Besetzung der Det-Position zu Hand/ Händen zeigt: Hand Händen haben halten haben halten den - - 2 10 seinen - - - 2 der 61 4 - ihrer 1 - - seiner 1 - - - [ohne] - 1 3 14 tab. 2: Besetzung der det - Position bei etw./ jn. in der Hand haben/ halten 8 7 Die folgenden Abschnitte 3 bis 5 geben zum größten Teil die Ergebnisse der entsprechenden Habil-Studie dazu wieder. 8 Dass die Gesamtsumme hier nicht 100 sondern 99 ist, liegt daran, dass ich einen kritischen Beleg des Analysekorpus (in_Hand_hab_20: und haben keinen Einstich mehr in die Hand, Kon- Sven Staffeldt 144 Während im Singular der bestimmte Artikel überwiegt (in 61 von 63 Fällen bei haben und 4 von 5 Fällen bei halten), wird bei halten im Plural am häufigsten von der Möglichkeit der Artikellosigkeit Gebrauch gemacht (was wegen der generellen Möglichkeit artikelloser Verwendung von substantivischen Pluralformen nicht überrascht), wobei sich bestimmter Artikel (10 von 26) und Artikellosigkeit (14 von 26) aber noch die Waage halten. Diese beiden formalen Auffälligkeiten geben einen Grund, jedenfalls schon einmal zwei Zitierformen auseinander zu halten (siehe unten die Zitierformen (1) und (3)). Interessanterweise zeigt sich im Analysekorpus kein Vorkommen einer gegen- PP, die aber in zwei Wörterbüchern (Duden 2008 und Lexikon der Redensarten 2007) als zu einem Phraseologismus aus dieser Gruppe gehörig in der Nennform angegeben wird. Eine erste direkte Internetsuche (über Google mit der Suchkette: „ gegen ihn in der Hand “) ergab eine sehr hohe Trefferanzahl (über 2,9 Mio.). Mit der um gegen im selben Satz erweiterten Suchkette (also: ((in / +w3 &Hand) / w4 (&haben oder &halten)) / s0 gegen ) lassen sich auch im DeReKo-Schriftspracharchiv Treffer erzielen. Insgesamt über 1.000, worunter allerdings so einige Fehlbelege sein dürften, wie stichprobenartige Sichtungen ergeben haben, und zudem bezieht sich diese Anzahl auf das gesamte Schriftspracharchiv und nicht nur auf den 2000er Jahrgang. Über die Kookkurrenzanalyse (KA) (vgl. Belica 1995) lässt sich hier ein hoher Wert für Trümpfe, Druckmittel und Beweise ermitteln. Dies wird noch bei der genauen Bedeutungsbeschreibung eine Rolle spielen und damit bei der Frage, zu welcher Ausprägungsform eine gegen-PP in besonderer Auftretensbeziehung steht. Splittet man die Suchkette nach den Verben auf, so zeigt sich jedenfalls bereits eine Tendenz: - ((in / +w3 &Hand) / w4 &haben) / s0 gegen : 990, - ((in / +w3 &Hand) / w4 &halten) / s0 gegen : 247 Vergleicht man das Verhältnis der Formen von haben und halten im Analysekorpus insgesamt (2: 1), in dem ja keine gegen-PP waren, mit dem sich hier zeigenden von haben+gegen und halten+gegen (4: 1, wobei, wie gesagt, im letzteren Fall sehr viele Fehlbelege enthalten sind), so kann an dieser Stelle bereits festgehalten werden: Eine gegen-PP wird vor allem bei der Form mit haben erwartbar (also bei Zitierform (1)). Obwohl eine gegen-PP im Analysekorpus nicht auftaucht, wird sie wegen der Ergebnisse der Nachrecherche dennoch mit aufgenommen (was insofern eine Korrektur zum Analysekorpus darstellt). Zudem - das wird sich bei der Analyse der Bedeutungen noch zeigen - text: Bericht über den Ablauf eines Kartenspiels) nicht mit in die Zählung aufgenommen habe. Es könnte sein, dass hier entweder ein Fehler (die statt der) vorliegt oder aber ein fachsprachlicher Gebrauch (Einstich mit direktionalem PP-in-Attribut), welchenfalls dies allerdings ein Fehlbeleg wäre und eigentlich aus dem Analysekorpus aussortiert werden müsste. Es in der Hand haben, zu … 145 liegen die Vorkommen mit der gegen-PP im Bedeutungsspektrum dieses Phraseologismus. In formaler Hinsicht zeigt sich noch eine dritte Auffälligkeit, die an das Vorkommen eines Korrelat-es und entsprechender Nebensätze gekoppelt ist: mit es ohne es zu-Inf 17 dass-NS 1 ob-NS 3 2 was-NS 1 wer-NS 1 welche-NS 2 wie-NS 1 kein NS 4 9 68 gesamt 30 70 tab. 3: vorkommen von Korrelat es +/ ‒ nebensätze in Sätzen mit etw./ jn. in der Hand haben/ halten Nebensätze kommen bis auf zwei Ausnahmen überhaupt nur mit Korrelat-es vor. Wenn ein Korrelat-es auftaucht, so ist der deutlich bevorzugte Nebensatz ein Infinitiv mit zu. 10 Dieses mit 30% recht prominente Auftreten von es (bzw. zu 17% prominenteste Auftreten von es+zu-Inf) sollte in einer eigenen Zitierform (2) Ausdruck finden. Das Adverbial fest spielt keine größere Rolle. Es kommt lediglich zu 3% vor, dann aber ausschließlich bei Manifestationen, die zur Zitierform (1) gerechnet werden. 9 In diesen vier Fällen liegt dann aber kein Korrelat-es mehr vor, sondern ein phorisches oder deiktisches pronominales es. Da es hier aber phorisch für ganze Propositionen (bzw. deiktisch: Sachverhalte/ Szenen etc.) und nicht für einzelne Nomina (bzw. deiktisch: Dinge etc.) steht, man dessen Bezug adäquat also satzförmig auflösen müsste, zähle ich die Vorkommen mit zu denen, bei denen es ein Korrelat ist. 10 Satzbzw. nebensatzwertige (inkohärente) Infinitivphrasen (vgl. Duden 2016, S. 859) werden hier als satzartige Konstruktionen (Engel 2009) oder verkürzte Nebensätze (Helbig/ Buscha 2001) betrachtet und damit zu den Nebensätzen gezählt, auch wenn sie kein Finitum aufweisen und in ihnen ein Subjekt nicht realisiert ist (vgl. auch Eisenberg 2006, S. 363f.; Engel 2009, S. 86; Helbig/ Buscha 2001, S. 574). Sven Staffeldt 146 4. die zitierform Die bisherige Ergebnisdarstellung kann hier zunächst durch die Angabe der oben herausgearbeiteten Zitierformen resümiert werden. Kursiv sind objektsprachliche Einheiten, recte Kommentare u.ä., fettgedruckt sind die als Kernbestandteile angenommenen Konstituenten, in Klammern stehen Einheiten, die als Konstituenten mit Verfestigungspotenzial statt der Einheit links davon oder statt nichts vorkommen können, und durch Schrägstriche werden Alternativen angezeigt. Platzhalter-Pronomina (Leerstellenanzeiger) sind die üblichen. Die Zitierformen sind so gehalten, dass sie bei verbalen Phraseologismen auch bspw. das Subjekt erfassen können. (1) jd. hat etw. (gegen jn.)/ jn. (sich) (fest) in der Hand (2) jd. hat es in der Hand, zu-Inf (ob- oder w-Nebensatz) (3) jd. hält etw. in (den) Händen Zwei vor allem durch die Wörterbuchvorgaben aufgetretene Unklarheiten müssen dabei allerdings noch angesprochen werden. Zum einen ist in den Wörterbüchern im Rahmen von Zitierformen, die hier mit (1) erfasst sind, auch die Angabe zu finden, dass Personenbezeichnungen ebenfalls als direkte Objekte vorkommen. Im Analysekorpus ließ sich das allerdings nur metonymisch wiederfinden. Um Personen ging es vor allem bei Bezeichnungen z.B. für Gebäude (Schule), politische Instanzen (deutsche Politik, Innenministerium) sowie Vereinigungen (Gewerkschaft) - also um etwas, was als Metonymie bzw. reguläre Polysemie erfasst werden kann (vgl. Dobrovol’skij 2006) - und nur selten direkt um Personen (1x Nachfolger, 1x reflexives mich). Zum anderen ist eine Form dort separat aufgeführt, die hier auch unter (1) gefasst wird, nämlich die reflexive Ausprägung. Eine Vergleichssuche bei Google ergibt übrigens ebenfalls nur wenige Treffer (Suchkette „ ich mich wieder in der Hand “: 2 , „ er sich wieder in der Hand “: 3, „ sie sich wieder in der Hand “: 5 mit 2 Fehlbelegen), sodass man nicht von einer besonders prominenten Verwendung wird ausgehen müssen. Diese reflexive Verwendung kann als besondere Verfestigung des Phraseologismus mit der Zitierform (1) angesehen werden. Da aber mit dieser Ausprägung keine sonstigen feststellbaren formseitigen Verfestigungen vorliegen (wie es etwa der Fall ist bei X ist in festen Händen) und sie sich bedeutungsmäßig nicht grundsätzlich anders entfaltet, kann diese Ausprägung ebenfalls problemlos mit in (1) aufgenommen werden. Ansonsten hätte sie als eigene Manifestation geführt werden müssen. Es in der Hand haben, zu … 147 5. Bedeutungsbeschreibung Bei der Beschreibung der Bedeutung ist es sinnvoll, sich an die zwei Verben haben und halten zu halten. Denn es ist zu erkennen, dass sich in Abhängigkeit vom Verb die Bedeutung jeweils anders entfaltet. 5.1 Bedeutungsentfaltung in der Hand haben Die Ausgangsbedeutung, von der aus sich die Bedeutung entfaltet, ist bei haben klar in der Möglichkeit zu sehen, etwas zu tun. Insofern ist in der Hand haben bedeutungsseitig gut mit dem Modalverb können erfassbar. Diese Intuition schlägt sich auch durchaus lexikografisch nieder. Am klarsten wird dies bei den es-Fällen. Es geht um die Möglichkeit, das im Verb (V) Ausgedrückte tun zu können: (4) in_Hand_hab_3 11 Spannung pur: Sechskampf um die Tournee-Krone Das wird spannend: Noch haben es sechs Springer in der Hand, die 48. Vierschanzen-Tournee für sich zu entscheiden. (Tiroler Tageszeitung, 3.1.2000) Hier ist es die noch bestehende Möglichkeit für die sechs Springer, einen Wettkampf siegreich zu absolvieren. In diesem Beispiel ist ein etwaiges Subjekt zu für sich entscheiden in dem Hauptsatz zu suchen: sechs Springer. Es liegt somit Subjektkontrolle vor (vgl. Eisenberg 1992). Ebenso hier: (5) in_Hand_hab_16 Inwieweit die Kroatien-Wahl eine Despotendämmerung auf dem Balkan einleitet, hängt nicht zuletzt von der Politik des Westens ab. Die Europäische Union (EU) hat es in der Hand, die Entwicklung unumkehrbar zu machen. Das beste Gegengift zum Nationalismus ist der Wohlstand der Bürger. (Zürcher Tagesanzeiger, 8.1.2000, S. 5) Wenn allerdings in den Nebensätzen ein eigenes Subjekt auftaucht - und sei es auch referenzidentisch mit dem Subjekt des übergeordneten Satzes -, verschiebt sich die Bedeutung von der Möglichkeit, das im Verb (V) Ausgedrückte tun zu können, hin zu der Möglichkeit, darüber entscheiden zu können, ob oder wie das in V Ausgedrückte sein wird. 11 Die Zählung der Belege entspricht der Zählung in meinem Analysekorpus. Alle so gezählten Belege entstammen dem Schriftspracharchiv W des IDS. Sven Staffeldt 148 (6) in_Hand_hab_29 Privatsachverständige, die von den Parteien aufgeboten werden, sind keine gerichtlichen Sachverständigen; „ihre Gutachten haben an sich keine prozessuale Bedeutung“ (StPO). Allerdings hat es das Gericht in der Hand, ob es solche Gutachten zu Beweismitteln macht oder nicht. (Salzburger Nachrichten, 11.1.2000) (7) in_Hand_hab_85 Da Sie von allen Seiten positiv bestrahlt werden, sollten Sie sorgenvolle Gedanken vergessen und alles auf sich zukommen lassen. Letzten Endes haben Sie es in der Hand, in welche Richtung sich Ihr Liebesleben dreht. Gesundheit: Sie übertreiben oft Ihren Gesundheitswahn. Sie können ruhig alles viel lockerer sehen. (Neue Kronen-Zeitung, 1.2.2000, S. 1) Eine detaillierter nachgezeichnete Bedeutungsentfaltung könnte also zu-Infinitive von den restlichen Nebensätzen trennen. Aber in beiden Fällen geht es darum, dass Subjekte zu in der Hand haben, die Möglichkeit besitzen, das durch das Nebensatz-V Ausgedrückte geschehen zu lassen. Insbesondere bei diesem Entfaltungspfad (und zwar vor allem bei es+zu-Inf, aber nicht nur, wie der obige Beleg in_Hand-hab_85 zeigt) scheint darüber hinaus noch eine Bewertung eine Rolle zu spielen. Und zwar dergestalt, dass es besser ist, es zu tun, statt es nicht zu tun. Am klarsten zeigt sich dieser Bedeutungseffekt in den Fällen, da es um Erfolge (wie schon oben in dem Beleg in_hand_hab_3) oder die Vermeidung von Misserfolgen o.ä. geht: (8) in_Hand_hab_86 Experten-Kabinett unter Fischler als Ausweg? Diese Hoffnung Haiders könnte allerdings enttäuscht werden: Thomas Klestil hat es in der Hand, eine schwarz-blaue Regierung zu verhindern, indem er einfach die Angelobung verweigert. Mögliche Alternative wäre ein Expertenkabinett ohne oder fast ohne Parteienvertreter. (Salzburger Nachrichten, 2.2.2000) (9) in_Hand_hab_93 WALPORZHEIM. Hahne und Binder wiesen in ihren Ansprachen auf die Bedeutung des Berufsabschlusses im Kraftfahrzeughandwerk hin. Mit dem Gesellenbrief habe man es in der Hand, in dem erlernten Beruf Fuß zu fassen - und wenn man wolle, auch einige Sprossen der Karriereleiter zu ersteigen. (Rhein-Zeitung, 4.2.2000) Durch die Nennung des Instruments in dem indem-Satz (Beleg 86) wird nur eine Seite der Alternativen aufgegriffen und damit thematisch gestärkt: das Es in der Hand haben, zu … 149 Verhindern im Unterschied zum Nicht-Verhindern. Und durch den koordinierten, wohl temporal oder konsekutiv zu verstehenden zu-Infinitiv in Beleg 93 (incl. der ohnehin hier sicher positiv konnotierten Karriereleiter), wird ebenfalls nur eine Seite gestärkt: das Fußfassen im Unterschied zum dadurch ausgeblendeten Nicht-Fußfassen, was man ja eigentlich auch in der Hand hat. Mit dieser Bewertungsbedeutung (und - wie häufig - mit der wörtlichen Bedeutung) spielt auch eine Kampagne der Firma Tetrapak mit dem Slogan „Du hast es in der Hand“: abb. 4: Hauptbild mit dem Slogan der Kampagne „ du hast es in der Hand “ (www.tetrapak.com/ de/ umwelt/ pages/ default.aspx, Stand: 7.3.2013) Dieses Leitmotiv wird in fünf Unterversionen ausgebreitet, bei denen auf den Tetrapaks jeweils immer ein anderer Satz, der eine bestimmte Qualität des Produkts hervorhebt, und rechts unten immer ein anderer Text nach dem gemeinsamen Slogan präsentiert wird. Hier ein Beispiel: abb. 5: Unterbild der „ du hast es in der Hand “ - Kampagne (www.tetrapak.com/ de/ umwelt/ pages/ default.aspx, Stand: 13.5.2016) Sven Staffeldt 150 Der am meisten optisch hervortretende Satz ist: Ich bin ein Ressourcenschoner. Die restlichen Sätze sind: - Ich bin ausgezeichnet, - Ich bin 100% Ökostrom, - Ich bin CO 2 -Sparkönig und - Ich bin zukunftsweisend. Man habe es also in der Hand, sich für oder gegen diese Vorteile zu entscheiden. Diese Kampagne nutzt die in dem Phraseologismus mit dieser Entfaltung angelegte Bewertungsbedeutung aus, dass es besser wäre, sich für das zu entscheiden, was man in der Hand hat, weil es besser ist, dies zu tun. Damit kann zugleich auch ein moralischer Druck aufgebaut werden, was bspw. eine WWF-Kampagne zum Schutz der Meere ausnutzt: abb. 6: Plakat der WWf - Kampagne „ Wir haben es in der Hand “ - hier zum Projekt „ die Meere retten “ (www. wwf.de/ fileadmin/ fm-wwf/ Publikationen-Pdf/ wwf-anzeige_fisch-210x148.pdf, Stand: 13.5.2016) Denselben Umstand, dass es besser wäre, zu tun, was man in der Hand hat, nutzt auch die folgende Anzeige aus. Hier ablesbar an den den Slogan „DU HAST ES IN DER HAND“ rahmenden Einheiten, nämlich der NP „echte Verantwortung“ (darunter) und der VP „MIT DER NR. 1 WACHSEN“ (darüber): Es in der Hand haben, zu … 151 abb. 7: Werbeanzeige der firma Hays (Unicum 2012, Jg. 30, Heft 11, S. 19) Auch im SPD-Wahlkampf 2013 taucht dieser Phraseologismus als zentraler Slogan auf. Zum einen wird auch hier wieder wortspielerisch remotiviert (Stimmabgabe geschieht über die Hand), zum anderen aber die Aktivität-istbesser-Bewertung (mit leichtem moralischen Druck) ausgenutzt: abb. 8: Wahlwerbeplakat der SPd (www.spd.de/ scalableImageBlob/ 107872/ data/ plakat13_steinbrueck_620x350-data.jpg? scalePortrait s=true&height=350&width =620&perfectteaserScale=true, Stand: 13.5.2016) Sven Staffeldt 152 Diese Bewertungsbedeutung zeigt sich auch in ob-Alternativen und ebenso in den es-Fällen ohne zu-Infinitiv oder Nebensatz, in denen durch den Kotext nicht geklärt ist, was es nun ist, das man in der Hand hat: (10) in_Hand_hab_38 Und das Wichtigste: Die Strafe wird zu Gunsten der stationären Massnahme aufgeschoben. Kann die Frau die Therapie erfolgreich abschliessen, so wird die Strafe kaum mehr vollzogen. „Sie haben es nun in den Händen - andernfalls sieht es für Sie nicht so gut aus“, sagte der Vorsitzende. (Zürcher Tagesanzeiger, 15.1.2000, S. 14) Auch wenn mit dem Plural hier eine markierte, weil seltene Verwendung vorliegt, so zeigt sich doch die auch hier eröffnete Bewertungsbedeutung - sehr deutlich ablesbar an andernfalls, was ja eine durch Sie haben es nun in den Händen eigentlich gegebene Entscheidungsfreiheit auf eine Variante für den Fall einschränkt, wenn es gut aussehen soll -: Besser ist’s, man tut’s. In philosophischer Anwandlung könnte man hier das Loblied auf eine vita activa erkennen, auf das Ideal des tätigen Lebens 12 und die Ablehnung des untätigen Menschen wiedererkennen, wenn man will. Jedenfalls baut diese Bewertungsbedeutung auch hier durchaus einen gewissen Druck auf (Motto könnte sein: Du hast es in der Hand - tu was! ), was sowohl in den Kategorien von Moral als auch von Cleverness ausbuchstabiert wird. Auch im zweiten Fall der Bedeutungsentfaltung, der mit der Zitierform (1) verbunden ist, geht es grundsätzlich um eine Möglichkeit, die hier aber darin besteht, dass man über Dinge und Vorgänge oder Personen bestimmen oder sie beeinflussen kann o.Ä.: (11) in_Hand_hab_44 Da Helmut Kohl beharrlich die Namen der Spender verschweigt, die ihm und seinen engsten Vertrauensleuten Bares zugesteckt haben, kann praktisch niemand die Glaubwürdigkeit Schreibers beurteilen. Es scheint, als habe im Krieg der Behauptungen und Gegenbehauptungen sein Wort mehr Gewicht als jenes von Politikern, die um Aufklärung bemüht sind. Karlheinz Schreiber hat die deutsche Politik in seiner Hand. Er hat zur Zeit mehr Macht als der Bundeskanzler. (Die Presse, 17.1.2000) In diesem Beleg liefert der Nachsatz eine Art resümierende Wiederaufnahme des zuvor Gesagten. Die deutsche Politik in der Hand zu haben, hat also auf jeden Fall etwas mit Macht zu tun, was hier auch heißt: Schreibers Wort hat mehr 12 Vgl. z.B. das Schlegel-Zitat: „Tätigkeit ist der wahre Genuss des Lebens, ja das Leben selbst.“ (Duden 1998, S. 779) oder auch ein etwaiges Sprichwort „Tätigkeit ist des Lebens Salz.“ (Mackensen 1988, S. 704). Es in der Hand haben, zu … 153 Gewicht als das irgendeines Politikers (und sei es das des Kanzlers). Die deutsche Politik als eine Art Kollektivum ist eine metonymisch verschobene Personenbezeichnung (Politik für ‘Gesamtheit der Politiker’). Im erwähnten Krieg der Behauptungen beherrscht Schreiber die anderen Kriegsteilnehmer, sofern er dies will und den Mund aufmacht. Dieses Element des Beherrschen-Könnens tritt auch bei den anderen Fällen auf, in denen (meist metonymisch zu verstehende) Personenbezeichnungen als Objekte auftauchen, hier nur noch ein weiteres Beispiel: (12) in_Hand_hab_15 Wie viel die Werkstatterinnen von Sprache verstehen, entzieht sich meiner Kenntnis. Sicher aber haben sie von der Tradition des Kulturguts Appenzeller Witz keine Ahnung, der sich genau gegen die einstigen Autoritäten richtet: den Arzt, Amtsmann, Lehrer, Pfarrer, Offizier usf. Und eben auch die Frau, die in der alten intakten Appenzeller Familie sehr wohl eine Autorität war und das Innenministerium fest in der Hand hatte. Der Frau wurde Respekt gezollt, deren Stellung ein lockerer Spruch nicht zu erschüttern vermochte. Im Gegenteil. (St. Galler Tagblatt, 8.1.2000) Als Autorität hatte die besagte Frau eine Stellung, die nicht durch lockere Sprüche erschüttert werden konnte, sondern im Gegenteil äußerst sicher gewesen sein dürfte. Die durch ihre Autorität abgesicherte Stellung ermöglichte ihr, das Innenministerium fest in der Hand zu haben. Sie hat also so viel Macht, dass sie dieses Ministerium beherrschen kann. Dasselbe Element zeigt sich auch klar in dem reflexiven Fall, nur dass hier ‘sich beherrschen können’ nicht mit Machtausübung einhergeht, sondern mit dem Vermögen, sich von einem aufgeregten Zustand (im folgenden Beleg: zähneknirschend und nach sekundenlangem inneren Kampf, ob der Ich-Erzähler schießen soll oder nicht) wieder in einen ruhigen zu versetzen (sich gegen schießen entscheiden und schließlich weitergehen): (13) in_Hand_hab_1 Zähneknirschend setzte ich die Mündung an die Schläfe des vor Angst Gelähmten; mit einem Klagelaut griff er in seine Tasche und hielt mir eine Karte vor Augen. Es war das Bild von ihm, umgeben von einer zahlreichen Familie. Nach sekundenlangem inneren Kampf hatte ich mich in der Hand. Ich schritt vorüber. (Blotzheim, Dirk: Ernst Jüngers „Heldenehrung“, S. 92) Das Element der Macht ist dagegen wieder in den Fällen auszumachen, da die Objektposition durch Anderes als durch Personenbezeichnungen besetzt ist. Zum Beispiel bei Abstrakta oder nur sehr unkonkreten Konkreta wie Dinge. Sven Staffeldt 154 (14) in_Hand_hab_64 Das schafft Grenzen, die wir oft nicht allein überwinden können und Probleme bleiben unlösbar. Es wird uns klar, wie begrenzt unsere Fähigkeiten sind. Es gibt viele Dinge und Situationen, die wir nicht selbst in der Hand haben und das macht Angst. Dann wird es höchste Zeit, sich an Gott zu erinnern. Wir müssen mit unseren Problemen ja gar nicht allein bleiben. (Rhein-Zeitung, 22.1.2000) (15) in_Hand_hab_65 Werde ich meinen Aufgaben in Ehe, Familie, Haushalt und Beruf gerecht? Wie wird es sein, wenn ich mit Krankheit und Leid konfrontiert werde? Fragen über Fragen und mir wird erschreckend bewusst, wie fehlerhaft und anfällig mein Leben ist; wie oft ich die Dinge gar nicht selbst in der Hand habe. So erinnerte eine Freundin mich an einen Satz, den ich längere Zeit vorher zu ihr gesagt hatte. Sie meinte: „Damit hast du mich damals sehr verletzt! “ (Rhein-Zeitung, 22.1.2000) Wir sind nicht immer in der Lage, Probleme selbst zu lösen. Können also die Dinge nicht so beeinflussen, wie wir dies gern wollten. Auch den Anforderungen des familiären und sozialen Lebens gerecht werden zu können, ist etwas, worüber man nicht völlig selbst bestimmen kann. Der Einfluss ist hier ebenfalls begrenzt. Bei den gegen-Fällen ergibt eine Kookkurrenz-Analyse der über ((in / +w3 &Hand) / w4 &haben) / s0 gegen erzielten Treffer, dass es vor allem Trümpfe, Druckmittel und Beweise sind, die man gegen andere in der Hand hat. Es geht in diesen Fällen vor allem um nachweisbares Wissen, das man verwenden kann, um jn. unter Druck zu setzen: (16) NEUWIED. Im Mittelpunkt stand eine mutmaßliche Äußerung der Belastungszeugin Dorothea Szwed. 1997 soll sie gesagt haben, sie werde Hahn „platt machen“, sie habe „etwas gegen ihn in der Hand“. Die Zeugin bestreitet das. Das Gericht musste klären, ob diese wichtige Zeugin durch wirtschaftliche Abhängigkeit von anderen gesteuert wird. (Rhein-Zeitung, 25.5.2001) Die Hauptpfade der Bedeutungsentfaltung bei dem Phraseologismus mit haben lassen sich nach Vorigem folgendermaßen zusammenfassen. Als zentrales Element hat sich die Möglichkeit erwiesen, etwas tun zu können. Insofern entfaltet sich die Bedeutung ausgehend von einer modalen Komponente, die als solche in der Beschreibung mit können angegeben werden kann. Ausgehend von dieser Grundbedeutung (deshalb nenne ich diese Komponente auch Ausgangsbedeutung), lässt sich die Bedeutungsentfaltung über Antworten Es in der Hand haben, zu … 155 auf eine an die Grundbedeutung gestellte Frage modellieren. Da es sich hier um den Fall handelt, dass man etwas tun kann, ist es naheliegend, die Bedeutungsentfaltung über die Frage voranzutreiben, was man denn tun könne. Die - wie ich sie nenne - Schlüsselfrage lautet also schlicht: Was? Auf diese Schlüsselfrage gibt es mehrere, aus den Belegen herausgearbeitete Antwortpfade, die zum einen eher mit der es-zu-Inf-Ausprägung zusammenhängen (im folgenden Schaubild linksseitig) und andererseits mehr mit direkten Objekten ohne es-Korrelat+Nebensatz (im folgenden Schaubild rechtsseitig): Was? beeinflussen mit etw. jmdn. unter Druck setzen, etw. beweisen jd. hat es in der Hand, zu-Inf (ob- oder w-Nebensatz) ‘können’ etwas gegen jn. jd. hat etw. (gegen jn.)/ jn. (sich) (fest) in der Hand beherrschen V tun, über V entscheiden etwas es, zu-Inf jn./ sich abb. 9: Bedeutungsbeschreibung zu in der Hand haben Darüber hinaus zeigt sich in geringerer Anzahl (7%) eine Verfestigung, bei der das Objekt durch eine Gerätebezeichnung besetzt wird. Diese weist sowohl formseitig als auch bedeutungsseitig eine stärkere Restriktion auf und wird unter den Varianten beschrieben. 5.2 Bedeutungsentfaltung: in der Hand halten Bei dem halten-Phraseologismus geht es im Unterschied zu dem haben-Phraseologismus nicht mehr um die Möglichkeit, etwas zu tun, zu entscheiden etc. Hier ist das Kernelement das des Besitzens (Ausgangsbedeutung: ‘besitzen’). Die Bedeutung entfaltet sich über die Schlüsselfrage, was besessen wird. Die Antwort darauf liefert den wesentlichen Bedeutungsanteil: Es ist immer etwas Wertvolles oder zumindest etwas von großer Bedeutung, was da besessen wird. Interessant ist auch, dass es sich dabei häufig auch um bspw. begehrte Dokumente o.ä. handelt, die man in Kürze bekommt oder gerade bekommen hat. Das Moment des Wertvollen geht gern einher mit dem Moment des Zeitpunktes, zu dem man das Wertvolle bekommt - manchmal hat man schon lange darauf gewartet: Sven Staffeldt 156 (17) in_Hand_hab_9 (Dokument) Neustadt, voraussichtlicher Final-Gegner ist Traiskirchen. Und das zog in der Weihnachtspause einen „dicken Fisch“ an Land: Sean Allen-McCaw eingebürgert, den Ausländerplatz bekam der US- Boy Ron Riley - und der hat 30 NBA-Spiele für die Detroit Pistons bestritten! Einbürgerung ist auch in Fürstenfeld ein Thema: Mat Zauner wird demnächst das begehrte Dokument in Händen halten - heute muss der Australier, dessen Vater gebürtiger Österreicher ist, noch als „Aussie“ spielen. (Neue Kronen-Zeitung, 5.1.2000, S. 44) (18) in_Hand_hab_46 (Geld) Die Bürger in der Euro-Zone können bereits Mitte Dezember 2001 Euro-Bargeld in den Händen halten. Banken würden einige Wochen vor der offiziellen Einführung des Euro-Bargeldes am 1. Januar 2002 „Starter Kits“ mit Euro-Münzen im Wert von rund 20 DM an die Verbraucher ausgeben, sagte der Präsident der Landeszentralbank in Hessen, Hans Reckers. Insgesamt stünden in Deutschland dazu 42,5 Mio. Packungen bereit. (Zürcher Tagesanzeiger, 18.1.2000, S. 40) (19) in_Hand_hab_47 (Gegenstand) Auch die Idee, mit dem Film das typische Alltagsleben von Jugendlichen künstlerisch aufzuarbeiten, sei von den Schülern selbst gekommen. Für sie als Lehrerin habe sich aufgrund der weitgehend selbständigen Arbeit der Schüler der organisatorische Aufwand in Grenzen gehalten. „Es hat einfach Spaß gemacht mit einem Profi zu kooperieren und am Ende ein tolles Produkt in den Händen zu halten“, betonen die Schüler. Die Begeisterung ist mitunter sogar so groß, dass sich einige vorstellen können, nach der Schule eine Ausbildung in Richtung Film oder Fernsehen zu starten. (Kleine Zeitung, 18.1.2000) Mit 24 von 31 halten-Fällen ist dies die hauptsächliche Bedeutungsentfaltung, hier im nachfolgenden Schaubild zusammengefasst. Es in der Hand haben, zu … 157 Was? Geld ‘besitzen’ jd. hält etw. in (den) Händen Gegenstand etwas Wertvolles oder etwas von großer Bedeutung ein Dokument (z.B.: Zeugnis, Brief, Fax, Bestätigung, Genehmigung, Verzichtserklärung, …) abb. 10: Bedeutungsbeschreibung zu in (den) Händen halten Sehr deutlich zeigt sich das Kernelement des Wertvollen auch in dem einen Fall, da das Objekt metaphorisch für etwas anderes steht: (20) in_Hand_hab_14 Voraussetzung war die „100prozentige Überzeugung“ vom Potential seines Zugvogels, den er, wie der Trainer gestand, bis zum Amtsantritt im Frühjahr kaum gekannt habe. Aber er sah, daß er einen Rohdiamanten in Händen hielt, dem er nur den rechten Schliff verpassen mußte, um nun, in Bischofshofen „den schönsten Moment meiner schönen Karriere zu erleben“. (Die Presse, 7.1.2000) Oder metonymisch als Bewertung für das Bewertete: (21) in_Hand_hab_98 Das Allerliebste hält Gott in seinen Händen! geb. 30.1.2000 - gest. 2.2.2000 Nur kurze Zeit durften wir mit dir glücklich sein. (Vorarlberger Nachrichten, 5.2.2000, S. B5) Sven Staffeldt 158 6. varianten und modifikationen Der durch die Zitierformen (1) und (3) erfasste Phraseologismus weist eine sich verfestigende Verwendung auf, die formseitig einer stärkeren Restriktion unterworfen ist und deren Bedeutungsentfaltung vom Objekt ausgeht. Dabei handelt es sich um Fälle, in denen das Objekt durch eine Gerätebezeichnung besetzt ist (5%). In allen Fällen ist eine Negation anzutreffen, die zudem immer gleich funktioniert (Negation einer indefiniten Gesamtheit: wer noch nie, nicht jeder, nicht alle usw.): (22) in_Hand_hab_5 Alle Mädchen und Jungen, die nicht älter als zwölf Jahre sind, in Dermbach, Herdorf, Struthütten und weiteren angrenzenden Orten wohnen sowie noch nie für einen TT-Verein aktiv in einer Mannschaft gespielt haben, sind startberechtigt. Auch wer noch nie einen Tischtennisschläger in der Hand hatte, aber gerne einmal erste Erfahrungen möchte, ist zu dem Turnier eingeladen. (Rhein-Zeitung, 3.1.2000) (23) in_Hand_hab_11 Doch Abegg warnt vor überstürztem Holzen: Er rät, erst die politische Entwicklung und die Holzpreise abzuwarten. Und Hobbyholzer sollten sich vorsehen und auf keinen Fall gekrümmte oder unter Spannung stehende Bäume fällen. „Nicht jeder, der schon eine Motorsäge in der Hand hatte, kann solche Bäume fällen. Das ist gefährlich.“ (Zürcher Tagesanzeiger, 6.1.2000, S. 15) In diesen Fällen muss die Bedeutung über das Objekt erschlossen werden: Jemals ein Gerät in der Hand gehabt zu haben heißt hier offenbar, ‘es schon einmal benutzt zu haben’. Die Anweisung zur Bedeutung liegt also darin, das entsprechende Tun mit dem Objekt zu identifizieren: Tischtennisschläger → Tischtennis spielen, Motorsäge → mit der Motorsäge sägen usw. Diese Variante tritt zu 2% auch bei halten auf. Bei den Gegenstandsfällen des halten-Phraseologismus gibt es einen deutlichen Überschneidungsbereich zur wörtlichen Bedeutung, in dem unter Umständen wieder - wie auch bei den Gerätefällen des haben-Phraseologismus, siehe oben - die Tun-Objekt-Lesart zu veranschlagen ist. Jedenfalls aber ist auch hier wieder das Kernelement des Wertvollen anzusetzen: (24) in_Hand_hab_69 (Meisterpokal → Meister werden) Der Betzdorfer Rennfahrer Uwe Alzen zählt, als einer von mindestens acht Opel-Werkspiloten, seit Jahren zur absoluten Spitzenklasse des deutschen Motorsports. Auf einem STW-Opel Vectra Es in der Hand haben, zu … 159 wurde er in der vergangenen Saison, nach einem dramatischen Verlauf, deutscher Tourenwagen-„Vizemeister“. Obwohl er nach dem letzten Saisonrennen den Meisterpokal schon in den Händen hielt, wurde ihm der Titel nachträglich am grünen Tisch aberkannt. (Rhein-Zeitung, 24.1.2000) (25) in_Hand_hab_83 (Ausgabe → Ausgabe lesen) Nachdem bereits die Zeitung „20 Minuten“ drei Monate früher als erwartet gestartet war, wollte auch „Metropol“ nicht mehr länger warten: Gestern morgen konnten die Pendlerinnen und Pendler die erste Ausgabe in Händen halten. Das Blatt wird in den ersten vier Wochen von sogenannten Kolporteuren im Grossraum Zürich verteilt und liegt an den wichtigsten Stationen der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) sowie in S-Bahn-Stationen auf. (St. Galler Tagblatt, 1.2.2000) Damit hätten wir die sich im Analysekorpus zeigende bzw. aus der Sichtung der Belege herausarbeitbare Bedeutungsentfaltung zu den obigen Zitierformen (1), (2) und (3) nachgezeichnet. Die nicht ganz einfache Anschlussfrage lautet nun: Wie können die Komponente der Bewertung bei (2) und des Wertvollen bei (3) über die Beschreibung hinaus auch theoretisch angemessen erfasst werden? 7. die nicht mehr nur semantisch zu erfassenden Bedeutungsaspekte Die Frage nach der angemessenen Integration von Bedeutungszügen, die man für so wesentlich hält, dass sie einen prominenten Platz in der Modellierung der Bedeutung erhalten sollten, kann natürlich nicht sinnvoll ohne theoretischen Hintergrund beantwortet werden, denn die Theorie gibt letztlich mindestens das Format vor, in dem Bedeutungen beschrieben werden. Man könnte auch sagen: Der theoretische Rahmen legt sowohl fest, was genau als Ergebnis alles möglich ist, als auch, wie die Präsentation der Ergebnisse auszusehen hat. Wenn man beispielsweise eher dekompositionell unterwegs ist, hat man es mit dem Postulat verschiedener abstrakter semantischer Einheiten (Merkmale, Seme) zu tun. Wer dagegen framesemantische Interessen verfolgt, ist auf der Suche nach Leerstellen (slots) und Füllelementen für diese (filler, default). Und formallogische Semantiker werden als Ergebnisformat eine (in den einfacheren Fällen z.B. aussagen- oder prädikatenlogische) Formel als Ergebnispräsentation anstreben. Auch das oben demonstrierte Verfahren der Beschreibung von Bedeutungen über Ausgangsbedeutung und Schlüsselfrage hat natürlich einen Hintergrund. Einerseits geht es darum, Bedeutungen aus dem Gebrauch heraus zu erfassen. Sven Staffeldt 160 Insofern gehört der Ansatz zu den gebrauchssemantischen Richtungen (etwa: Gebrauchstheorie der Bedeutung, Distributionalismus). Die Idee ist grundsätzlich: Bedeutung entsteht durch und aktualisiert sich im Gebrauch und kann auch nur über Beobachtung des Gebrauchs angemessen erfasst werden. Jede Übersetzung der für die Bedeutung gehaltenen Aspekte in ein formales oder symbolisches Beschreibungsformat setzt voraus, dass man die Bedeutung kennt. Es geht dabei dann im Wesentlichen mehr um Einpassung in die Systematiken der Bedeutungsbeschreibung. 13 Aber die Frage, wie man eigentlich zur Annahme der einen oder anderen Bedeutung gekommen ist, bleibt außen vor. Bedeutungen kennt man, und die Aufgabe des Semantikers besteht darin, die Beschreibungen der als bekannt vorauszusetzenden Bedeutungen metasprachlich konsistent einzupassen. Der hier vorgestellte Ansatz der Bedeutung verbleibt bei der Beschreibung der Bedeutung dagegen nahe an der zu beschreibenden Objektsprache. Auch Abstraktionen richten sich als Zusammenfassungen ähnlicher Oberflächenelemente zu einer gemeinsamen Gruppe an objektsprachlichen Gegebenheiten aus (also etwa wenn - wie oben - Tischtennisschläger und Motorsäge als Gerät zusammengefasst werden). Bei solchen Gruppierungen wird immer versucht, ein sinnvollerweise nächsthöheres Hyperonym anzunehmen. Wäre die Beleglage im Beispielfall so gewesen, dass lediglich Tischtennisschläger, Tennisschläger, Rugbyball usw. aufgetaucht wären, nicht aber Motorsäge, Holzhammer usw., dann hätte man Sportgerät als Gruppenbezeichnung wählen können. Diese oberflächennahe Gruppenbildung ist eines der beiden Hauptprinzipien der Kategorienbildung, das man als methodische Maxime versuchsweise auch folgendermaßen ausbuchstabieren könnte: Entferne dich bei deinen Abstraktionen möglichst wenig von den beobachteten objektsprachlichen Vorkommen weg! Für eine bestimmte Klasse von Idiomen hat Keil (1997) sogar ein Prinzip der komponentennahen Paraphrase ausgerufen, nämlich für teilbare Idiome wie den Wald (= das große Ganze) vor lauter Bäumen (= vor lauter Einzelheiten) nicht sehen (= nicht mehr erkennen können o.ä.). Natürlich hat man dann sofort das Problem, dass die metasprachlich als Elemente der Bedeutungsparaphrase benutzten Einheiten selbst als unproblematisch vorausge- 13 So z.B. auch Schemann (2000, S. 53) aus lexikografischer Sicht: „[…] scheinen auch hier einzelsprachlich formulierte Angaben sinnvoller als formalisierte. Einmal sind Formalisierungen nicht per se genauer; sie garantieren lediglich eine Position innerhalb einer Theorie oder dergleichen. Dann geht es in einem Wörterbuch nicht um ‚theoretische‘, […] sondern - zumindest primär - um eine exakte Bestimmung einer je spezifischen Einheit.“ Oder aus kognitionslinguistischer Sicht auf Textanalysen bezogen und etwas radikaler Schwarz-Friesel/ Consten (2014, S. 23): „Von formalen Ansätzen grenzt sich unsere Textlinguistik ab, indem sie nicht versucht, natürliche Sprache in das künstliche Korsett von Formeln zu zwängen, die letztlich nichts erklären, keinerlei heuristischen Wert haben, sondern nur Wissenschaftlichkeit vortäuschen, hinter der sich jedoch nichts Signifikantes verbirgt.“ Es in der Hand haben, zu … 161 setzt werden können müssen. Ein Problem, mit dem sich z.B. Lexikografen stets herumzuplagen haben. 14 Abhilfe schafft hier zunächst die Orientierung an möglichst wörtlich verstehbarem Beschreibungsmaterial, wobei dann aber immer noch Synonymieprobleme bestehen bleiben - denn klar: Von so ziemlich keinem Ausdruck wird angenommen werden können, dass er nur eine Bedeutung hat. So könnte selbst ein Kompositum wie Sportgerät beispielsweise schon von der Wortbildungsbedeutung her final (Gerät zum Gebrauch bei der Ausübung sportlicher Aktivitäten) oder temporal-lokal (Gerät, das immer da rumsteht, wenn ich Sport mache) oder ornativ (Gerät, auf dem der Schriftzug Sport steht) oder das Determinatum gerät als Kollektivum oder als Appellativum verstanden werden (von der genauen Angabe der wörtlichen Bedeutung von Gerät ganz zu schweigen). Wenn man also ein Wort wie Sportgerät als Beschreibungswort zur Gruppenbezeichnung verwendet, vertraut man darauf, dass der Beschreibungsgebrauch dieses Wortes trotz etwaiger Missverständnismöglichkeiten dennoch effizient ist: Man weiß, was ein Sportgerät sein kann, und ist in der Lage, den Zusammenhang einer Wortliste mit dem Hyperonym herzustellen. Mit anderen Worten: Man vertraut auch bei der metasprachlichen Einheit darauf, dass dieselben Bedeutungsmechanismen funktionieren, die auch bei objektsprachlicher Kommunikation funktionieren. Es ist dies die auf die Ebene der Metasprache gehievte operationale Fiktion, Ausdrücke hätten verstehbare Bedeutungen. Übrigens: Auch eine formalsprachliche semantische Übersetzung beruht letztlich insofern auf dieser operativen Fiktion, als sie die Kenntnis der formal anzugebenden Bedeutung voraussetzt: Formalisieren kann nur, wer weiß, was zu formalisieren ist. Man muss nun auch zeigen können, dass die objektsprachnahe Bedeutungsbeschreibung leistungsfähiger ist, als dies andere sind. Dies versuche ich, indem ich Schwierigkeiten eines eher formal ausgerichteten Beschreibungsansatzes aufzeige. Im modular-integrativen Beschreibungsmodell von Wotjak (1992) z.B. werden Bedeutungen auf vier Ebenen beschrieben, wobei als Ausgangspunkt eine Parallelisierung der Formativstruktur mit der semantischen Struktur über einen valenziellen Zugang gewählt wird. Die vier Ebenen sind: 1) Bedeutung - semantische Beschreibung des Phraseologismus durch Angabe der Basisproposition und der Prädikatsmodifikatorseme 2) semantische Valenz - Angabe der Anzahl der Argumentstellen und Beschreibung derselben 3) syntaktische Valenz und Parallelisierung mit semantischer Valenz - Beschreibung der morphosyntaktischen Realisierung der Argumentstellen 14 Vgl. hierzu bspw. verschiedene Aufsätze in Korhonen (2011). Sven Staffeldt 162 4) Verwendungsbeispiele - authentische Belege und konstruierte Beispiele, mit denen Bedeutung und syntaktisch-semantische Valenz demonstriert werden - weitere Kommentare Auf einer fünften Ebene können schließlich noch Hinweise zur derivationellen Basis und zur Unikalität von Komponenten gegeben werden, wovon in Wotjak (1992) aber kaum weitergehender Gebrauch gemacht wird. Zur Beschreibung der Bedeutung sind insbesondere die ersten beiden Ebenen einschlägig. Hier wird modelliert, was Wotjak semantische Mikrostrukturanalyse nennt. Es geht ihr dabei im Wesentlichen um eine logisch-semantische Beschreibung des Prädikats und der Argumente des Prädikats. Ein Beispiel: jmdm. etw. aus dem Kreuz leiern bekommt bei Wotjak (1992, S. 92) die folgende Basisproposition (Stufe I) zugewiesen: [(a HAB b)]ti & [(c CAUS(c HAB b))]ti+k = Feld des NEHMENS wobei als Prädikatsmodifikatorsem für CAUS HAB angenommen werden: nicht ganz legitim, auf nicht ganz redliche Weise, ohne Gegenleistung, oft heimlich. Auf den ersten Blick zu erkennen ist, dass (übrigens nicht nur) in diesem Beispiel die inhaltlich gehaltvolleren Beschreibungen durch die Modifikatoren geleistet werden, diese aber im Grunde hic et nunc als existent angenommen werden. Man könnte auch sagen: einfach mal so da hingeschrieben werden (was nicht heißt, dass sie unzutreffend wären - sicherlich ganz im Gegenteil, das müsste sich aber jedenfalls korpusbasiert ermitteln lassen). Nun hat dieses Prädikat Argumente, die sich letztlich mit syntaktischen Einheiten (in diesem Fall Aktanten) parallelisieren lassen (vgl. ebd., S. 91f.). Die Argumente sollen sein (Stufe II): a → SOURCE keine syntaktische Realisierung b → PATIENS Akk-Objekt/ phys. Obj., -hum (i.d.R. ohne sehr großen Wert) c → AGENS (zugleich ADRESSAT) Subjekt/ hum, inst Auch hier steckt eine nicht unwesentliche Information in dem wohl modifizierend gedachten Kommentar zu b, dass es sich dabei um etwas handelt, das i.d.R. keinen großen Wert hat (auch für diese Beschreibung gilt aber, dass sie korpusbasiert überprüft werden können sollte). Wie sähe nun eine Beschreibung nach diesem Muster für die oben herausgearbeiteten Bedeutungen aus? Dafür benötigt man zunächst einmal die passenden Prädikatsseme. Welche hätte man zur Auswahl? Es tauchen (hier jetzt alphabetisch geordnet) als Prädikat/ Funktor, wie es bei Wotjak heißt, insgesamt (aber natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit) auf: Es in der Hand haben, zu … 163 - ADESSE = sich befinden - CAUS = verursachen/ bewirken - COGN = wissen - DELOC = Ortswechsel - HAB = verfügen - KONTR = kontrollieren - MACH = machen - OPER = benutzen, verwenden - OPIN = meinen - POSS = besitzen - SEPAR = trennen - WERD = werden, entstehen Aber auch Felder werden angenommen: - BEFÖRDERN - NEHMEN - VERJAGEN 15 Interessant sind vor allem die im Abkürzungsverzeichnis zu findenden Gleichsetzungen. Sie scheinen eine genaue Definition der angenommenen Prädikate zu ersetzen. Es ist jedenfalls ansonsten keine weitere Definition dieser Prädikatoren zu finden. Um etwa OPIN zu verstehen, muss man wissen, dass damit die Bedeutung gemeint ist, die auch mit kontextloser Verwendung von meinen gemeint ist. Ich sehe nicht, dass man hiermit die Schwierigkeit eines Imports der objektsprachlichen Vagheit in die Metasprache vermieden hätte. Man verlässt sich stattdessen auch hier (also metasprachlich wie objektsprachlich) ganz natürlich darauf, dass man wissen und meinen in ihren Bedeutungen treffsicher auseinanderhalten kann. Auch der Hinweis, man beziehe sich auf G. Wotjak (1971) und Lorenz/ G. Wotjak (1977) (vgl. B. Wotjak 1992, S. 20), hilft hier nicht weiter. 16 Zu Prädikatssemen werden objektsprachliche Einheiten (sagen wir ruhig: Wörter) durch Latinisieren oder Anglifizieren mit anschlie- 15 Vgl. die Beschreibungen in Wotjak (1992, S. 91-95) vor allem aber auch im Abkürzungsverzeichnis (ebd., VIIf.), dort sind auch die hier angegebenen Gleichsetzungen zu finden. 16 So findet sich in Lorenz/ Wotjak (1977, S. 310-335) zwar eine lange, synoptisch verstehbare Liste mit eigenen Semvorschlägen in der ersten Spalte und den Entsprechungen in anderen Werken (gelistet werden insg. knapp 50 verschiedene Ansätze; vgl. ebd., S. 309), aber was z.B. genau unter HAVE (vgl. ebd., S. 317) verstanden wird, bleibt unklar. M.E. wird HAVE dort erstmals und lediglich auf S. 94 erklärend eingeführt und sehr viel mehr als „Besitzrelation“, die „hab“ (= Verfügung) und „Pos“ (= Besitz) umfasst, steht dort nicht als Erklärung. Wie ist das gemeint? Kann man HAVE überhaupt gleichermaßen auf Verben und Substantive und Adjektive anwen- Sven Staffeldt 164 ßender Kürzung (optional) und Großschreibung. Dies ist aber natürlich ein generelles Problem, das alle Semantiken haben, die auf der Annahme von Merkmalen beruhen (also Dekompositionssemantiken, vgl. für eine Übersicht Löbner 2015, S. 263-296). Nun gut, nehmen wir einmal an, wir können mit einem Inventar dieser Art umgehen. Um nun die Basisproposition formalisiert angeben zu können, braucht man noch eine Zuordnungsregel, wann man welchen Einheiten welche Prädikate/ Funktoren zuordnet. Formulieren wir hierzu die oben herausgearbeitete Bedeutung zu jmd. hat es in der Hand, zu-Inf versuchsweise erst einmal als Paraphrase: ‘jmd. kann darüber entscheiden, ob etw. geschieht’. Was für Prädikatorseme müssen hier angenommen werden? Es ließe sich an Folgendes denken: a KONTR(b MACH c) a kontrolliert, was b macht (wobei a = b sein kann) mit a → ENTSCHEIDER Subjekt des Matrixsatzes b → AGENS syntaktisch nicht realisiertes Subjekt zu V aus c c → EREIGNIS/ HANDLUNG zu-Infinitiv Oder vielleicht doch besser: a KONTR(b MACH ∨ non MACH c) a kontrolliert, ob b etw. macht oder nicht macht (wobei a = b sein kann) Um einschätzen zu können, ob eine derartige Beschreibung jenseits irgendwelcher logischer Vorgaben inhaltlich sinnvoll oder angemessen ist, müsste man wissen, wie man KONTR und MACH versteht. Was hieße hier kontrollieren oder machen? Wenn letzteres im Sinne von herstellen gemeint ist, wäre die Beschreibung sicher falsch, und wenn ersteres wie darauf aufpassen gemeint ist, wäre dies sicher auch nicht zutreffend. Man könnte jetzt aber auch - und dies ist eigentlich die dekompositionelle Verfahrensweise - einfach zwei weitere Prädikate einführen, die die Paraphrase erfassen: a POTESSE(a DECER(b BECOME(b BE ∨ non BE))) a hat die Möglichkeit, dass a darüber entscheidet, dass b sein wird oder nicht. den? Wie ist es z.B. mit temporären Verfügungsgewalten, etwa bei etw. tragen? Wie ist es etwa bei eine gescheuert bekommen? Usw. M.a.W.: Für welche Fälle kann HAVE genommen werden? Es in der Hand haben, zu … 165 Oder sollte man hierfür dann doch statt BECOME und BE WERD nehmen? Die verschiedenen Beschreibungen sind unterschiedlich komplex, sodass zwischen ihnen - und vielleicht weiteren Alternativen - entschieden werden muss. Nur wie soll man dies entscheiden? Zusammenfassend gesagt, besteht ein Hauptproblem darin, dass die zur Beschreibung der Basisproposition herangezogenen Prädikate exakt erscheinen, man sie letztlich - sinnvollerweise! - aber doch wieder über objektsprachliche Einheiten verstehbar macht und auch versteht. Jedenfalls werden sie von Wotjak nicht präzise definiert (und ich bezweifle auch, dass formal orientierte Definitionen über die Einpassung in einen theoretischen Rahmen hinaus semantisch nützlich sind). Die zur Komplexität der dekompositionell beschriebenen Basispropositionen verwendeten Prädikate sind also auch in Wotjak (1992) keine rein logisch-formalsprachlichen Einheiten. Eine Übersetzung von etwa meinen in OPIN oder kontrollieren in KONTR erbringt daher m.E. keinen Gewinn. Zudem liegt der entscheidende Gewinn bei der Beschreibung der Bedeutung ohnehin nicht bei der Dekomposition mittels der Prädikate der Basisproposition. Vielmehr sind es die modifizierenden Einheiten, die hier ganz wesentlich zur Beschreibung der Bedeutung herangezogen werden müssen, und diese Einheiten sind auch bei Wotjak (1992) ganz unverblümt objektsprachlich wiedergegeben. Es handelt sich im Beispielfall um Situationen, in denen der Subjektreferent bei Verwendungen von jmd. hat es in der Hand, zu-Inf vor einer Auswahl alternativer Entscheidungen (prototypisch: kontradiktorische Dies-oder-das-Entscheidungen) steht und mindestens eine davon wählen kann oder sogar muss bzw. sollte. Und obwohl das so ist, sind die Verwendungssituationen derart, dass nur eine dieser Alternativen präferiert wird. Noch ein Beispiel, in dem dieser Punkt genüsslich ausgeführt wird: (26) „Da wir - wie bereits erwähnt - immer öfter auswärts essen, kommt hier deshalb der Gemeinschaftsverpflegung eine große Bedeutung zu. Sie [Sic! ] hat es in der Hand ihre KundInnen mit den angebotenen Speisen und Getränken dabei zu unterstützen mit Genuss gesund zu essen. Gemüse, Obst und Vollkornprodukte sollen sich reichlich auf dem Speiseplan wiederfinden; fleischlastige sowie fett- und zuckerreiche Speisen dafür weniger. Natürlich soll auch ein gesundes Angebot an Getränken bestehen. Werden im Speiseplan dann noch regionale, saisonale und biologische Lebensmittel berücksichtigt, wird nicht nur die heimische Wirtschaft gefördert, sondern auch die Umwelt geschont.“ (www.gemeinsamgeniessen.at/ Seiten/ gemeinsamessen-1.aspx? NavTermId=c3984257- 5a5a-d457-c94e-da8d99691f65, 21.7.2016) Sven Staffeldt 166 Ähnlich wie im HDKV (2004) kann hier nun unterschieden werden zwischen Bezugsbzw. Rekurssituation auf der einen und Verwendungsbzw. Diskurssituation auf der anderen Seite. Erstere betrifft das Referenzpotenzial des Ausdrucks (und wäre damit als eher semantisch zu bezeichnen), letztere ausgedrückte Inhalte bei dem Gebrauch des Ausdrucks (und wäre damit vielleicht als eher pragmatisch zu bezeichnen). Die Information, dass es sich eher um wichtige Entscheidungen handelt, dass der Subjektreferent darüber entscheidet, etwas zu tun oder nicht oder zwischen anderen Alternativen zu wählen usw., gehört zur Bezugs-/ Rekurssituation. Die Information, dass es besser wäre, sich dabei für oder gegen nur eine der Alternativen zu entscheiden, gehört zur Verwendungs-/ Diskurssituation. Beides aber gehört zur Bedeutung des Ausdrucks. Erstere beschreibt die Situation, auf die man mit dem Gebrauch referiert. Letzteres stellt eine Art Kommentar dar, wie man sich in der Bezugssituation am besten verhalten kann. Bezeichnenderweise kann man Letzteres bestimmt canceln (typisches Format: Damit wollte ich aber nicht gesagt haben, dass sie unbedingt ihre KundInnen dabei unterstützen sollte. Sie kann das auch sein lassen.) Das weist darauf hin, dass wir es - pragmatisch gesprochen - eher mit Implikaturen zu tun haben. Um welche es sich dabei handelt, müsste noch geklärt werden. Denn einerseits hängt die Implikatur am Phraseologismus, was eher für eine konventionale Implikatur sprechen würde. Andererseits kann man sie canceln, was eher ein Merkmal für eine (partikularisierte) konversationale Implikatur wäre (vgl. hierzu u.a. Hagemann 2011 und 2014). Und gegen welche Maxime hier verstoßen würde, ist auch unklar. In OWID (= Online-Wortschatz-Informationssystem Deutsch) 17 gibt es ein Unterprojekt „Feste Wortverbindungen“ 18 . Auf der Seite mit den Gebrauchsbeschreibungen 19 findet man die Unterscheidung von bedeutungsinhärenten vs. kontextuell-situativen Funktionen der WV (= Wortverbindung) in der Kommunikation. Bei ersterer soll gelten: Gebundenheit der Bedeutung einer Wortverbindung an eine oder mehrere ganz bestimmte Gebrauchsbedingungen: Man kann die Bedeutung der Wortverbindung nicht erklären, ohne auf diese Gebrauchsbedingungen einzugehen. (www.owid.de/ wb/ uwv/ hilfe/ Gebrauch.html) Letztere betrifft typische Einstellungen, Situationen usw., die zur Bedeutung einer Wortverbindung noch hinzutreten, und die wir durch die Korpusanalyse empirisch ermitteln. (www.owid.de/ wb/ uwv/ hilfe/ Gebrauch.html) 17 www.owid.de/ index.jsp (Stand: 27.8.2018). 18 www.owid.de/ wb/ uwv/ start.html (Stand: 27.8.2018). 19 www.owid.de/ wb/ uwv/ hilfe/ Gebrauch.html (Stand: 27.8.2018). Es in der Hand haben, zu … 167 Wenn diese Unterscheidung auf ‘gehört notwendig zur Bedeutung dazu’ und ‘gehört nicht notwendig dazu’ hinausläuft, ist sie vielleicht nicht ganz glücklich gewählt. Denn auch die kontextuell-situativen können durchaus notwendig sein und die als bedeutungsinhärent erfassten nicht-notwendig. Zu sanft entschlafen heißt es bspw.: „Man kann die Bedeutung der Wortverbindung nicht erklären, ohne auf die Textsortengebundenheit (Todesanzeigen, Grabsteininschriften) einzugehen.“ (Ebd.) Heißt das, dass diese Formel textsortengebunden ist? Wäre das dann auch in dem folgenden Beleg der Fall, oder ist eine solche Verwendung möglicherweise gerade deshalb wortspielerisch? (27) „Puh, ist das heiß! Und wenn einem so viel Hitze widerfährt, dann hilft nur eins: Katzenmusik. Die Leute, die dort so meisterlich dilettantisch musizieren, sind die britischen Portsmouth Sinfoniker. Ein Ensemble, das 1974 gegründet worden ist, sein 30jähriges Jubiläum standesgemäß in Londons Royal Albert Hall gefeiert hat, dann jedoch leider sanft entschlafen ist. Mir persönlich gefällt besonders dieser Walzer. Liegt womöglich an der Hitze.“ (www.heise. de/ tp/ artikel/ 48/ 48634/ 1.html) Und hier? (28) „Jetzt wird erst einmal gelebt, so intensiv und lange wie möglich! Irgendwann wollen sich diese Menschen ermattet niederlegen, ihr - natürlich erfolgreiches - Leben an sich vorüberziehen lassen und sehen: Es war gut. Sie werden von der Familie, die sich liebevoll um ihr Bett versammelt hat, Abschied nehmen und sanft entschlafen, „ohne es zu merken”. Ein Sterben also, mit dem sie selbst nicht viel zu tun haben.“ (www.margrit-irgang.de/ lep_ster.htm) Statt inhärent vs. akzidenziell (wie man auch sagen könnte) würde ich vorschlagen, die oben schon erwähnte Unterscheidung von Bezug und Verwendung heranzuziehen. 20 Mithilfe dieser Unterscheidung kann man referenzielle Bedeutungen von Sprecherbedeutungen trennen. Beide können aber inhärent 20 Darüber hinaus wird man gewinnbringend wohl auch unterscheiden können, ob der Phraseologismus personal deiktisch gebraucht wird (also ob Sprecher/ in und Hörer/ in als Referenten aktualisiert sind, Cheon 1998 nennt dies: aktionellen Gebrauch) oder zum Sprechen über Dritte(s) (Cheon 1998 nennt dies: narrativen Gebrauch). Aktioneller Gebrauch liegt bspw. mit Sie haben es in der Hand! auf dem Wahlwerbeplakat der SPD vor, narrativer Gebrauch etwa bei Noch haben es sechs Springer in der Hand, die 48. Vierschanzen-Tournee für sich zu entscheiden im obigen Beleg (3). Vielleicht kann man sagen, dass im aktionellen Gebrauch Druck aufgebaut wird, eine präferierte Option auch tatsächlich zu wählen, wohingegen dieser Bedeutungseffekt im narrativen Gebrauch zwar auch feststellbar ist, dort aber seinen Druck verliert (im Bsp.: Der/ die Textproduzent/ in geht einfach davon aus, dass die sechs Springer klarerweise das Ziel haben, die 48. Vierschanzentournee für sich zu entscheiden). Beides würde aber zur Verwendungssituation und damit zur mitausgedrückten Sprecherbedeutung gehören. Sven Staffeldt 168 oder akzidenziell sein, darauf müsste man sich nicht und sollte man sich wohl besser auch nicht festlegen. Möglicherweise tut es hier eine Präferenz (wird überwiegend gebraucht, um … usw.), die der Idee nach natürlich einen quantitativen Anker benötigt oder anders gesagt: idealiter auch das Ergebnis diesbezüglicher quantitativer Auswertungen ist. literatur Agricola, Erhard (Hg.) (1992): Wörter und Wendungen. Wörterbuch zum deutschen Sprachgebrauch. Überarb. Neufassung der 14. Aufl. Hrsg. unter Mitwirkung v. Herbert Görner u. Ruth Küfner. Mannheim u.a. Belica, Cyril (1995): Statistische Kollokationsanalyse und -clustering. Korpuslinguistische Analysemethode. Institut für Deutsche Sprache, Mannheim. http: / / corpora. ids-mannheim.de/ (Stand: 13.5.2016). Bubenhofer, Noah (2009): Sprachgebrauchsmuster. Korpuslinguistik als Methode der Diskurs- und Kulturanalyse. (= Sprache und Wissen 4). Berlin/ Boston. Cheon, Mi-Ae (1998): Zur Konzeption eines phraseologischen Wörterbuchs für den Fremdsprachler: am Beispiel Deutsch-Koreanisch. (= Lexicographica. Series maior 89). Tübingen. Deppermann, Arnulf (2008): Gespräche analysieren. Eine Einführung. 4. Aufl. (= Qualitative Sozialforschung 3). Wiesbaden. Dobrovol’skij, Dmitrij (2006): Reguläre Polysemie und verwandte Erscheinungen. In: Proost, Kristel/ Winkler,Edeltraud (Hg.): Von Intentionalität zur Bedeutung konventionalisierter Zeichen. Festschrift für Gisela Harras zum 65. Geburtstag. 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Martine DalMas Verfestigungsebenen und fremdsprachenlexikografie: Wege aus dem teufelskreis der synonymie Der folgende Beitrag befasst sich mit Phänomenen, die sich eher am Rande der festen Wortverbindungen befinden, aber eben dort, wo die (Pseudo-)Freiheit trügerisch ist und für manche Sprecher/ Schreiber zum Handicap werden kann. Fremdsprachenlerner, die sich der Grenzen ihrer Freiheit bewusst sind und dann Wörterbücher heranziehen, stoßen nämlich bei der Suche nach Definitionen oder nach dem „passenden Wort“ meistens auf Ungenauigkeiten oder Gleichsetzungen, die ihnen den Eindruck einer oft unübersichtlichen, arbiträren oder gar chaotischen Lage vermitteln und ihnen jedenfalls selten aus dem Labyrinth der Synonymie heraushelfen. Ich möchte hier an einigen adjektivischen Beispielen zeigen, wie dieses Labyrinth aussieht und für den Wörterbuchnutzer bald zum Teufelskreis wird, um dann auf einige Parameter der Adjektiv-Nomen-Verbindungen einzugehen. Meine Ausgangshypothese ist, dass im Zeitalter der großen Korpora Wörterbücher sich auch bei der Beschreibung der einzelnen Lexeme unbedingt auf den heutigen konkreten Gebrauch stützen sollen, d.h. dass sowohl die Präferenzen der Wortverbindungen bei der Bedeutungsbeschreibung als auch ihre Usualität bei den angeführten Beispielen zu berücksichtigen sind. Durch die Untersuchung einiger Problemfälle werden abschließend mögliche Auswege aufgezeigt. 1. eine karussellfahrt durch die bedeutungen Wer allgemeine Wörterbücher benutzt - seien sie für Muttersprachler konzipiert oder für Nichtmuttersprachler oder für beide -, weiß, wie schwer sie es sich mit ihrer Hauptaufgabe machen: der Beschreibung von Bedeutungen. Das Problem der Bedeutungsbeschreibung stellt sich in erster Linie bei Abstrakta, und zwar schon relativ häufig in der alltäglichen Kommunikation (u.a. mit Kindern beim Spracherwerb) und noch öfter in Wörterbüchern. Während im Alltag Definitionen illustrativ durch Situationsbeschreibungen gegeben werden können, wie etwa durch den Rückgriff auf Konstruktionen vom Typ „x ist, wenn …“: (1) Liebe ist … wenn du morgens aufwachst, und die Sonne scheint, obwohl es regnet! Martine Dalmas 172 oder durch die Angabe von Formulierungen, die vom Sprecher als synonym, zumindest in der Gesprächssituation als hinreichend bedeutungsnah betrachtet werden: (2) Kind: - Mutti, was bedeutet „prophylaktisch“? Mutter: - „Einfach so“! Bei den Adjektiven ist die Lage noch heikler, da ihre Bedeutung sich ohne den Bezug auf Entitäten (konkrete oder abstrakte) nur schwer beschreiben lässt. Man denke z.B. an evaluative Lexeme wie feige oder vorzüglich. Adjektive gehören nämlich zu den Lexemen, die sich einerseits in ihrer Bedeutung und in ihrem Gebrauch am schwersten beschreiben lassen und die sich andererseits am leichtesten verbinden lassen und tatsächlich meistens durch eine Verbindung mit einem Nomen beschrieben werden. Was in der Alltagskommunikation eher ein Vorteil ist, kann für die Wörterbücher zum Problem werden, besonders wenn die lexikografische Beschreibung sich darauf beschränkt, ein (quasi)synonymes Lexem anzugeben und dazu eventuell Beispiele anzuführen, die zwar Verbindungen zu Nomina anzeigen, aber ohne weitere Angaben oder Erläuterungen bleiben. So z.B. auszugsweise aus dem Duden online: 1 ausgezeichnet: Duden: sehr gut, hervorragend, vortrefflich; exzellent - ausgezeichnete Weine - das Essen war ausgezeichnet (www.duden.de/ rechtschreibung/ ausgezeichnet, Stand: 12.6.2017) hervorragend: Duden: durch Begabung, Können oder Qualität hervorstechend; sehr gut - ein hervorragender Redner - einer der hervorragendsten Wissenschaftler auf diesem Gebiet - eine hervorragende Qualität, Leistung - einen hervorragenden Eindruck machen - der Wein ist hervorragend (www.duden.de/ suchen/ dudenonline/ hervorragend, Stand: 12.6.2017) 1 Die Unterstreichungen in den Wörterbuch-Einträgen sind Hervorhebungen der Autorin. Verfestigungsebenen und Fremdsprachenlexikografie 173 vortrefflich: Duden: durch Begabung, Können, Qualität sich auszeichnend, sehr gut - er ist ein vortrefflicher Schütze, Reiter, Koch - ein vortrefflicher Einfall (www.duden.de/ rechtschreibung/ vortrefflich, Stand: 12.6.2017) vorzüglich: Duden: in seiner Art oder Qualität besonders gut; ausgezeichnet, hervorragend - ein vorzüglicher Wein, eine vorzügliche Arbeit, ein vorzüglicher Aufsatz - ein vorzüglicher Reiter, Kenner der Materie (www.duden.de/ rechtschreibung/ vorzueglich_vortrefflich_delikat_exzellent, Stand: 12.6.2017) Auf seinem steinigen Weg zum passenden Wort stößt der Wörterbuchnutzer unvermeidlich auf entsprechende Schwierigkeiten und Probleme: Bei der Suche nach Informationen dreht er sich meistens im Kreis und erlebt eine unfreiwillige Karussellfahrt; darüber hinaus erhält er keine Informationen - oder nur zufällige - über die semantische Verträglichkeit des jeweiligen Lexems, d.h. über seine häufigsten Kookkurrenzpartner und noch seltener wird er über die kontextuellen und situationsgerechten Gebrauchsbedingungen informiert, seien es die thematische(n) Domäne(n) oder der Diskurstyp bzw. die diskursiven Praktiken. Im Folgenden kommen wir zurück zum oben erwähnten Teufelskreis, werfen dann einen Blick in die Hexenküche der Sprache und befassen uns schließlich mit den möglichen Auswegen. Ich möchte nämlich zeigen, womit der Nutzer konkret konfrontiert wird (Kap. 2.), auf welchen Ebenen mehr oder weniger feste Wortverbindungen anzusiedeln sind, welche Verfestigungsebenen im Usus auszumachen sind (Kap. 3.), und abschließend inwiefern und wie solche Verbindungen und Verfestigungen für den Nichtmuttersprachler (aber nicht nur für ihn) beschrieben werden sollten. 2. Vom labyrinth zum teufelskreis Was findet der Wörterbuchnutzer und was vermisst er? 2.1 Angabe von Synonymen Das Problem der Angabe von Synonymen statt einer Bedeutungsbeschreibung ist oben schon erwähnt worden. Ich gebe hier einen breiteren Überblick über Martine Dalmas 174 mehrere Adjektive, die alle „sehr gut“ bedeuten und von zwei einsprachigen Wörterbüchern (Duden online 2 und das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache DWDS 3 ) folgenderweise beschrieben werden: ausgezeichnet: Duden: sehr gut, hervorragend, vortrefflich; exzellent DWDS : hervorragend, vorzüglich hervorragend: Duden: durch Begabung, Können oder Qualität hervorstechend; sehr gut DWDS : außerordentlich gut, ausgezeichnet, besonders, bedeutend exzellent: Duden: (bildungsspr.): hervorragend, ausgezeichnet DWDS : gehoben vortrefflich, ausgezeichnet herrlich: Duden: in einem so hohen Maße gut, schön, dass es sich nicht besser, schöner denken lässt DWDS : prachtvoll, hervorragend, ausgezeichnet vortrefflich: Duden: durch Begabung, Können, Qualität sich auszeichnend, sehr gut DWDS : hervorragend, außerordentlich gut, trefflich vorzüglich: Duden: in seiner Art oder Qualität besonders gut; ausgezeichnet, hervorragend DWDS : hervorragend, ausgezeichnet So sind ausgezeichnet, hervorragend und vortrefflich u.a. mit „sehr gut“ paraphrasiert. Bei etwas anderen Formulierungen (vgl. „in einem so hohen Maße gut, schön, dass es sich nicht besser, schöner denken lässt“ bei herrlich und „in seiner Art oder Qualität besonders gut“ bei vorzüglich) wird nicht ersichtlich, worin der semantische Unterschied zwischen den angegebenen ‘definitori- 2 Elektronische Version der zehnbändigen Ausgabe des Großen Wörterbuchs der deutschen Sprache. Die Angaben zur Bedeutung sind in beiden Versionen gleich. 3 Das DWDS-Wörterbuch fußt - so die Auskunft der Webseite - „auf dem Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache […] und auf Teilen des Großen Wörterbuchs der deutschen Sprache. Die Substanz dieses Wörterbuchs wird von der DWDS-Projektgruppe laufend aktualisiert und ergänzt, z.T. auch überarbeitet“ (www.dwds.de/ wb, Stand: 12.6.2017). Verfestigungsebenen und Fremdsprachenlexikografie 175 schen’ Paraphrasen liegt. Ausgezeichnet wird den Adjektiven hervorragend, vortrefflich, exzellent synonymisch gleichgesetzt, exzellent wird durch hervorragend ‘definiert’ und ausgezeichnet sowie vorzüglich durch ausgezeichnet und hervorragend. Dem Leser wird allmählich schwindlig! 2.2 Beispiele Die Beispiele, die in den Wörterbüchern angeführt werden, sind oft nach dem Genus des Bezugsnomens geordnet, scheinen keinen weiteren Kriterien zu entsprechen und bleiben sehr heterogen. So etwa bei herrlich: Duden online bringt u.a. folgende Beispiele: ein herrlicher Tag, Abend; eine herrliche Aussicht; herrliche Stoffe, Kleider - sie war eine herrliche Frau. 4 In der achtbändigen Ausgabe sind noch zwei Belege aus der Belletristik angeführt: … vom Geruch des Brots und der herrlichen Leberwurst (Remarque, Obelisk 348) … und, überall nachlässig zwischengestreut, geschliffene Edelsteine vom herrlichsten Farbenspiel (Th. Mann, Krull 96). Auch im DWDS sind die angeführten Beispiele nach Genus und Numerus geordnet: 5 ein herrliches Wetter, Erlebnis, Gefühl, herrlicher Ausblick, Tag, Wein eine herrliche Natur, Musik, Stimme, Aufführung herrliche Stoffe, Schuhe er war ein herrlicher Schauspieler es gab herrliche Dinge er hatte ein herrliches Leben von dort aus hat man die herrlichste Sicht er malte die Zukunft in den herrlichsten Farben Immerhin steht hier an erster Stelle die - im Sprachgebrauch sehr häufige - Verbindung herrliches Wetter, die bei Duden nur in der Wortwolke, nicht aber als typisches Beispiel aufgeführt wird. Und bei den belebten Wesen wird hier statt des Nomens Frau das Nomen Schauspieler gebraucht, bei dem es um einen Beruf bzw. eine Leistung geht. Gerade solche Kookkurrenzen zeigen, dass die Wahl des Nomens nicht arbiträr ist, sondern dass es neben dem Usus auch andere (semantische) Kriterien gibt, die die Präferenz für bestimmte Nomina erklären. Auf die Rolle der Nomina bei der Bedeutungsbeschreibung der Adjektive kommen wir im Folgenden zurück. 4 www.duden.de/ rechtschreibung/ herrlich#Bedeutung1 (Stand: 12.6.2017). 5 www.dwds.de/ wb/ herrlich (Stand: 12.6.2017). Martine Dalmas 176 2.3 Kontextuelle Parameter Abgesehen von der Frequenz der Adjektiv-Nomen-Verbindungen, die bei der Wahl der angeführten Beispiele wenig berücksichtigt wird, sind noch weitere relevante Aspekte zu erwähnen, die mit der Frequenz zusammenhängen, durch eine breite Korpusuntersuchung festzumachen sind und für den Nutzer hilfreiche Informationen enthalten könnten. Zur Unterscheidung bedeutungsnaher Lexeme sind Angaben zu den präferierten thematischen Domänen, in denen die betreffenden Adjektive gebraucht werden, sowie Hinweise auf die diskursiven Praktiken der Sprecher vonnöten und können kaum von den Wörterbuchnutzern selber aufgrund der angeführten Beispiele eruiert werden. In einer anderen Untersuchung (Dalmas et al. 2015) habe ich gezeigt, dass die beiden Adjektive vorzüglich und vortrefflich, die als Quasi-Synonyme betrachtet werden können, klare Unterschiede in ihrem jeweiligen kombinatorischen Profil aufweisen, so dass die kombinatorischen Unterschiede u.a. auf der pragmatischen Ebene in Termini der Diskurspraktiken erklärt werden können. Und unsere Hypothese wurde durch Korpusuntersuchungen bestätigt. 3. Verfestigungsebenen: blick in die hexenküche der sprache Dass Sprache in ihrem Gebrauch weitgehend auf Konventionellem beruht, lässt sich nicht nur an der Konventionalität der Sprachzeichen und der syntaktischen Formen festmachen, sondern auch an der Rolle von Musterhaftigkeit (vgl. Steyer 2013; Feilke 1996 sowie Linke 2011) und Verfestigung auf verschiedenen Ebenen in Form von festen Mustern sowohl bei Sprachhandlungen als auch bei Wortverbindungen, von festen Kookkurrenzen oder zumindest Lexem-Präferenzen in ihren kombinatorischen Profilen. Die „Gebundenheit“ der Lexeme spielt sich nicht nur innerhalb der Phraseme und Idiome ab, sondern betrifft auch andere, nicht phraseologische Syntagmen mit einer hohen relativen Häufigkeit, und sie erfolgt auf verschiedenen Ebenen, die unterschiedlich zugänglich sind. Der Zugang zur syntagmatisch-semantischen Ebene ist direkt und eine Korpusrecherche über die häufigsten Kookkurrenzen lässt sich relativ leicht durchführen. Bei der Untersuchung von Adjektiv-Nomen-Verbindungen, wird in der Forschung meistens vom Nomen ausgegangen, während die Selektionspräferenzen der Adjektive weitgehend vernachlässigt worden sind. Dennoch erweist sich eine Untersuchung der selegierten Nomina wichtig für eine bessere Beschreibung der semantischen Struktur der Adjektive, wie der folgende Ausschnitt aus dem in DeReKo (vgl. Institut für Deutsche Sprache 2015) erhobenenen Kookkurrenzprofil (Belica 1995) von herrlich illustriert: Verfestigungsebenen und Fremdsprachenlexikografie 177 abb. 1: ausschnitt aus dem Ka - Profil von herrlich in DereKo So ist das Nomen Wetter auch der statistisch signifikanteste Partner des Adjektivs herrlich, gefolgt von Nomina wie Sonnenschein, Sommerwetter, Landschaft und Blick. Interessant ist auch die präferierte Kombination mit der Präposition bei (bei herrlichem Wetter, bei herrlichem Sonnenschein usw.). Eine solche Information ist gerade für Fremdsprachenlerner wichtig. Diese präpositionalen Verbindungen werden aber in keinem der genannten Wörterbücher aufgeführt. Darüber hinaus ermöglicht eine Untersuchung der Nomina den Zugang zu der/ den betreffenden thematischen Ebene/ n, wie etwa <Essen>, <Wetter>, <Wahrnehmungen>, <Leistung> usw. Etwas komplizierter ist der Weg zur pragmatischen Ebene der Text- und Diskurstypen sowie der diskursiven Praktiken. Ob etwa die NP ein vorzügliches Bier in einer Dorfkneipe zu hören ist oder eher in anderen Kontexten und Situationen zu erwarten ist, lässt sich an den vorhandenen Korpora der geschriebenen und der gesprochenen Sprache nicht leicht festmachen und bedarf anderer Untersuchungsmethoden. Dass aber diese Ebene von großer Bedeutung ist, Martine Dalmas 178 steht außer Zweifel und sollte zumindest ansatzweise bei der Beschreibung der Adjektive mit berücksichtigt werden. Zur Illustration der letzten beiden Ebenen möchten ich hier einige Kommentare zum Gebrauch von herrlich machen. Eine Korpussuche im DeReKo (Institut für Deutsche Sprache 2015) zeigt, dass herrlich domänenbezogen klar spezifiziert ist, und zwar auf Wetter, Naturphänomene (unbelebte Natur) und Erscheinungen, die visuell wahrgenommen und als äußerlich schön empfunden werden (Blick, Schauspiel). Bei allen Substantiven, die sich mit herrlich verbinden, geht es tatsächlich um etwas Äußeres, das als ‘schön’ empfunden wird und beim Wahrnehmenden ‘Wohlbefinden’ auslöst. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die Verbindung mit Substantiven wie Treffer, Tor, Kopfball semantisch erklären. Aus dieser Domänengebundenheit ergibt sich auch eine gewisse semantische Spezifizierung: herrlich bedeutet ‘sehr gut’ im Sinne von ‘ästhetisch schön’, und es bezieht sich auf die visuelle Wahrnehmung. Deshalb verweist z.B. die Kookkurrenz herrliche Lage auf eine angenehme Lage in der schönen Natur und nicht etwa auf einen verkehrsgünstig gelegenen Ort. Auch in Bezug auf den Diskurstyp ist herrlich spezifiziert: Es wird vorwiegend in der Alltagssprache, d.h. bei der informellen Kommunikation verwendet und im objektiven bzw. distanzierten Sprachgebrauch eher vermieden. Deswegen kommen im Diskurstyp WETTERBERICHT die sonst statistisch hochrelevanten Kookkurrenzen herrliches Wetter, herrlicher Sonnenschein usw. so gut wie gar nicht vor. Verglichen mit den „Definitionen“ der Adjektive in den Wörterbüchern zeigt also der Blick in die Hexenküche des konkreten Sprachgebrauchs Verhältnisse, die zwar wesentlich komplizierter sind, jedoch teilweise klare Tendenzen aufzeigen, die zur Differenzierung zwischen den Profilen dienen und bei der Beschreibung berücksichtigt werden müssen. 4. Welche konsequenzen für die (zweisprachigen) Wörterbücher? Die bisherigen Ausführungen haben die Notwendigkeit gezeigt, bei der Bedeutungsbeschreibung der Adjektive den Sprachgebrauch, d.h. das Usuelle in den Mittelpunkt zu stellen. Die bloße Angabe von (Quasi)-Synonymen erweist sich eher als verwirrend und reicht bei weitem nicht aus. Notwendig sind eine minimale paraphrastische Bedeutungsbeschreibung, die Angabe der wichtigsten semantischen Klassen bzw. thematischen Domänen sowie - wenn möglich - der Text- und Diskurstypen. Die Wahl der Beispiele sollte auf der relativen Häufigkeit der jeweiligen Kookkurrenzen basieren. Verfestigungsebenen und Fremdsprachenlexikografie 179 So sind die Korpora nicht als Quelle für zufällig gewählte Beispiele zu betrachten, sondern sie sollten von Lexikografen systematisch genutzt werden, um die präferierten und häufigsten Kookkurrenzen festzumachen, die sowohl für die Bedeutungsbeschreibung (Angabe von semantischen Klassen bzw. von thematischen Domänen), als auch für die gewählten Korpus-Belege (evtl. in vereinfachter Form) relevant sind. Da diese Desiderata, die wir hier aufgrund der Untersuchung einsprachiger Wörterbücher formuliert haben, ebenfalls für die zweisprachigen Wörterbücher gelten, wollen wir abschließend einen Blick in das vielbenutzte deutschfranzösische PONS Online-Wörterbuch 6 werfen. Ich habe die beiden Adjektive herrlich und vorzüglich gewählt, deren Merkmale zum Teil weiter oben kommentiert wurden. Es ergibt sich interessanterweise bei herrlich folgende Struktur, die sich offensichtlich an den französischen Entsprechungen orientiert, allerdings ohne explizit auf die typischen Kollokationspartner oder gar auf die thematische Domäne einzugehen: abb. 2: auszug aus dem eintrag „herrlich“ im POns deutsch französisch online Bei vorzüglich hingegen werden auch typische Kollokatoren genannt, so dass dem Nutzer klar werden soll, dass das Adjektiv vornehmlich zur thematischen Domäne <Essen> gehört: 6 PONS Online-Wörterbuch. Zugänglich unter: http: / / de.pons.com/ übersetzung (Stand: 20.2.2017). Martine Dalmas 180 abb. 3: auszug aus dem eintrag „vorzüglich“ im POns deutsch französisch online 5. schlussbetrachtung In unserer Darstellung der lexikografischen Lage bei den Adjektiven sind wir auf einige wichtige Aspekte eingegangen, die für den „normalen“ Nutzer zu Problemen führen und ihn bei der Suche nach dem „passenden“ Wort, d.h. dem kontext- und situationsgerechten Ausdruck kaum weiterhelfen. Durch die Bereitstellung von großen Korpora der geschriebenen und - wenn auch in geringerem Umfang - der gesprochenen Sprache kann sich heute die Erstellung von Wörterbüchern erneuern und sich insbesondere bei Gestaltung der Einträge auf den real existierenden Sprachgebrauch stützen. Durch möglichst präzise Bedeutungsbeschreibungen (statt einer Anhäufung von „Äquivalenten“, die nicht immer ohne weiteres austauschbar sind) und durch Informationen zu den semantischen Klassen oder thematischen Domänen der Kollokationspartner sowie durch die Berücksichtigung der betreffenden diskursiven Praktiken könnten die Wörterbücher sich zu effizienten Hilfsmitteln entwickeln. Gute elektronische Wörterbücher sind nach wie vor gefragt und die hier formulierten Desiderata könnten sich durch die modernen Technologien relativ leicht umsetzen lassen. Dass alles machbar zu sein scheint, ist aber vielleicht trügerisch, denn die Hauptfrage lautet: Wer, welche Verlage sind noch in der Lage … und machen oder besser gesagt: entwickeln heute noch Wörterbücher? literatur Belica, Cyril (1995): Statistische Kollokationsanalyse und -clustering. Korpuslinguistische Analysemethode. Institut für Deutsche Sprache, Mannheim. http: / / corpora. ids-mannheim.de/ (Stand: 12.6.2017). 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In einer Fremdsprache hingegen ist die Ausgangssituation eine ganz andere: Auch wenn von einer sprachlichen Kompetenz in der Muttersprache (und in vorher erworbenen und/ oder erlernten Zweit- oder Fremdsprachen) ausgegangen werden kann, muss die sprachliche Kompetenz in der Fremdsprache erst Phase für Phase aufgebaut werden - was in der Fremdsprachendidaktik als Lernersprache 2 bezeichnet wird. Um ein Wort angemessen in einer Fremdsprache verwenden zu können, muss man nicht nur seine lexikalische Bedeutung kennen, sondern auch wissen, wie dieses Wort, diese lexikalische Einheit, in einer realen, authentischen Kommunikationssituation verwendet wird. Angemessen wird in diesem Zusammenhang gleichgesetzt mit einem muttersprachlichen bzw. muttersprachenähnlichen Sprachgebrauch - einem unauffälligen und natürlichen Sprachgebrauch, da er als prototypisch seitens potenziell involvierter muttersprachlicher Kommunikationspartner ggf. rezipiert und produziert würde. Dabei steht vor allem die Frage im Vordergrund, welche mehr oder weniger üblichen, usuellen Wortverbindungen mit welchen anderen Wörtern konstruiert werden, die zur Produktion eines kongruenten Textes führen, damit ein als natürlich empfundenes Sprachhandeln auch wirklich stattfinden kann. Das Sprachfertigkeitsziel, das dabei im fremdsprachlichen Lernbzw. Erwerbsprozess anvisiert wird, ist die 1 Diese Arbeit ist im Rahmen des Projekts „Usuelle Wortverbindungen“ unter Leitung von Frau Dr. Kathrin Steyer (IDS, Mannheim) entstanden, sowie im Rahmen des interuniversitären vom spanischen Kulturministerium finanzierten Forschungsprojekts „Combinaciones fraseológicas fijas del alemán de estructura [PREP + S]: patrones sintagmáticos, descripción lexicográfica y correspondencias en español“ (FFI2013-45769-P), unter Leitung von Frau Dr. Carmen Mellado Blanco (Universidade de Santiago de Compostela). 2 In diesem Zusammenhang werden auch die zwei fremdsprachlichen Termini Interlanguage und Interimsprache in der Fachliteratur verwendet. Nely M. Iglesias Iglesias 184 sog. native-like fluency, der notwendigerweise eine native-like selection der betreffenden sprachlichen Einheiten vorausgehen muss (vgl. Pawley/ Syder 1983). Jede dieser sprachlichen Einheiten entspricht dabei grundsätzlich einer Idee oder einem Begriff, die versprachlicht - bildlicher ausgedrückt -, die in Worte gefasst werden. Laut Pawley/ Syder (1983) ist dies im Falle eines/ einer Fremdsprachenlernenden aber erst dann wirklich möglich, wenn er/ sie schon über bestimmte fremdsprachige sequenzielle Konstruktionen in seinem/ ihrem mentalen Lexikon verfügt, d.h. im mentalen Lexikon verinnerlicht hat, sog. institutionalized bzw. lexicalized sentence stems, also usuelle Wortverbindungen oder, aus psycholinguistischer Perspektive betrachtet, sog. Chunks 3 . 1.2 Phraseologische Kompetenz Bei Phraseologismen handelt es sich von vornherein um Mehrwortlexeme, um komplexe sprachliche Einheiten, die in einer gegebenen Gebrauchssituation prinzipiell auch nur jeweils eine Idee oder einen Begriff sprachlich wiedergeben, die Denotation einer phraseologischen Einheit (vgl. Hümmer 2009, S. 290), 4 d.h. eine Kernbedeutung, ohne die die Kommunikation sonst nicht möglich wäre. Es herrscht aber kein wirklicher Konsens darüber, ob phraseologische Einheiten als Ganzes und dementsprechend im mentalen Lexikon grundsätzlich genauso wie ein einzelnes Wort, wie ein Einwortlexem gespeichert (und auch abgerufen) werden. Im Rahmen kognitiv orientierter und auch phraseodidaktischer Ansätze tendiert man in letzter Zeit eher dazu, anzunehmen, dass die einzelnen phraseologischen Komponenten „eine gewisse Autonomie besitzen, die eine Anknüpfung an ihre freie, d.h. auch ‘reguläre’ Verwendung ermöglicht“ (Burger 2015, S. 71, auch S. 27). 5 Syntaktisch betrachtet können Phraseologismen satzwertig oder satzteilwertig sein. Beispielsweise gehen verbale Phraseologismen - genauso wie Verben außerhalb eines Phraseologismus - obligatorische und ggf. fakultative Wortverbindungen ein. Es handelt sich dabei um Leerstellen, die durch Wörter bestimmter lexikogrammatischer Klassen gefüllt werden müssen (bzw. gefüllt werden können), was in der Phraseologieforschung externe Valenz genannt wird. Im Vergleich dazu machen die festen, nicht austauschbaren Komponenten die sog. interne Valenz eines Phraseologismus aus (vgl. Burger 2015, S. 21). 3 Zu diesem Terminus, siehe Handwerker/ Madlener (2013, vor allem S. 8ff.). 4 Im Vergleich dazu werden die konnotativen Elemente einer phraseologischen Einheit u.a. wie folgt definiert: „Assoziationen in Form von Abweichungen von der kanonischen Form, aber auch raffinierten Spielereien mit Mehrfachlesarten und anderen Assoziationen an Bild und an wörtliche Komponentenbedeutungen“ (Hümmer 2009, S. 290). 5 Vgl. hierzu auch Detry (2010). (Zur Vertiefung, siehe auch Hallsteinsdóttir 2001, S. 29-69). Plädoyer für eine gebrauchsbasierte phraseografische Praxis 185 Phraseologische Einheiten lassen sich zwar unter Umständen durch ein Einwortlexem paraphrasieren, doch wird es sich dabei in keinem Fall um ein absolutes intralinguales Äquivalenz-Verhältnis bzw. um ein absolutes Synonymie-Verhältnis handeln können (vgl. Iglesias Iglesias 2010, S. 37f.). Tatsache ist vielmehr, dass zwischen Phraseologismen und den ihnen möglicherweise entsprechenden nicht-phraseologischen Lexemen per definitionem signifikante semantisch-pragmatisch bedingte Unterschiede bestehen. Damit verbunden können Phraseologismen nicht-phraseologischen sprachlichen Einheiten gegenüber auch bestimmte morphosyntaktische Irregularitäten 6 bzw. Präferenzen aufweisen . Die zentralen Einheiten der Phraseologie im engeren Sinne 7 sind zudem durch einen bestimmten Grad an Idiomatizität geprägt, d.h., zumindest ein Teil der in einer phraseologischen Einheit enthaltenen autosemantischen Komponenten wird im übertragenen und nicht im wörtlichen Sinne gebraucht. Dabei steht der Idiomatizitätsgrad in recht vielen Fällen in einer engen Verbindung mit dem Ikonizitätsgrad. 8 Die phraseologische Kompetenz ist ein Bestandteil der muttersprachlichen Sprachkompetenz, durch die Sprecher in der Lage sind, phraseologische Einheiten zu erkennen, zu verstehen und kommunikativ angemessen zu verwenden. 9 Auf das Konzept der phraseologischen Kompetenz wird in der Fachliteratur fast ausschließlich in Zusammenhang mit phraseologischen Einheiten im engeren Sinne eingegangen. Es wird angenommen, dass die Entwicklung der phraseologischen Kompetenz, d.h., der metaphorischen und/ oder idiomatischen Kompetenz, der allgemeinen kognitiven Entwicklung folgt und sich mit der Zeit immer weiter ausprägt (vgl. Hallsteinsdóttir 2001, S. 15), wobei die Verstehensstrategien, die dabei bewusst oder unbewusst angewendet werden, gleichzeitig an Effektivität gewinnen. „Die Lexikalisierung geläufiger Phraseologismen und die Strategien zum Verstehen weniger geläufiger oder unbekannter Phraseologismen bilden die Grundlage der muttersprachlichen phraseologischen Kompetenz“ (ebd., S. 18f.). Das Erlernen bzw. der Erwerb einer Fremdsprache erfolgt oft erst nach der Entwicklung der muttersprachlichen Kompetenz, so dass der/ die Fremdsprachenlernende bereits über eine muttersprachliche phraseologische Kompetenz verfügt, die - bewusst oder unbewusst - im Wesentlichen beim Erkennen und 6 Vgl. u.v.a. Burger (2015, S. 20). Traditionelle Grammatikbeschreibungen betrachten solche Verwendungsbedingungen eher als Irregularitäten, während aktuellere Ansätze von bestimmten lexikogrammatischen Präferenzen im Sprachgebrauch ausgehen. 7 Zur üblichen Unterscheidung zwischen ‘Phraseologie im weiten Sinne’ und ‘Phraseologie im engeren Sinne’, siehe u.a. Burger (2015, S. 14f.). 8 Zur Rolle des Verhältnisses zwischen Idiomatizitäts- und Ikonizitätsgrad bei idiomatischen Redewendungen im fremdsprachlichen Bereich vgl. Detry (2010). 9 Vgl. hierzu u.v.a. Hallsteinsdóttir (2001, S. 11ff.). Nely M. Iglesias Iglesias 186 Verstehen, und gar in der Produktion fremdsprachlicher Phraseologismen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt (vgl. ebd., S. 26ff.). 1.3 Phraseologischer Grundwortschatz für den Bereich DaF Um einen unauffälligen, natürlichen, muttersprachenähnlichen phraseologischen Sprachgebrauch in der Fremdsprache gewährleisten zu können, muss erstens erörtert werden, welche Phraseologismen überhaupt zum gegenwärtigen Sprachgebrauch gehören, und zweitens, wie diese Phraseologismen prototypisch von Muttersprachlern (rezeptiv und produktiv) verwendet werden. Auf den Punkt gebracht, dreht sich alles um „die Frage nach dem phraseologischen ‘was’ und ‘wie’“ (Hallsteinsdóttir/ Šajánková/ Quasthoff 2006, S. 117). Der ersten dieser hauptsächlich aus der Fremdsprachendidaktik stammenden Forderungen versuchen Hallsteinsdóttir/ Šajánková/ Quasthoff (2006) gerecht zu werden, indem sie ein auf Frequenz- und Geläufigkeitskriterien basiertes phraseologisches Minimum bzw. Optimum zusammenstellen. Als offenen Kernbereich eines phraseologischen Optimums für Deutsch als Fremdsprache wird von den drei Autoren die Gruppe von Phraseologismen (im engeren Sinne) bezeichnet, die sowohl die höchste Frequenz als auch die höchste Geläufigkeit in den von ihnen durchgeführten Untersuchungen aufweisen. Diese Gruppe beinhaltet insgesamt 143 Phraseologismen (ebd., S. 128) und stellt einen Fortschritt für die Lernerlexikografie - genauer gesagt, die Lernerphraseografie - im Bereich DaF dar. Durch das von Hallsteinsdóttir/ Šajánková/ Quasthoff (2006) zusammengestellte phraseologische Optimum sollen die Bedürfnisse fremdsprachlicher Lerner, was die Auswahl phraseologischer Einheiten betrifft, gedeckt werden. 10 Aus fremdsprachendidaktischer und lernerlexikografischer Perspektive kann das phraseologische Minimum bzw. Optimum sozusagen als phraseologischer Grundwortschatz für den DaF-Bereich angesehen werden. Um auch der zweiten der oben genannten Forderungen nach einer angemessenen Erfassung und Beschreibung des Gebrauchs solcher Phraseologismen zu entsprechen, richtet sich in der vorliegenden Arbeit das Hauptaugenmerk exemplarisch auf eine der in dieser Liste aufgeführten idiomatischen Redewendungen, nämlich sich ins Zeug legen 11 , auf die in den folgenden Punkten tiefgründiger eingegangen wird. Dass „u.a. eine ausführliche lexikografische Beschreibung, die Durchführung intersprachlicher Vergleiche und eine didak- 10 Die Autoren sind sich der methodischen Begrenzungen ihrer Untersuchung, vor allem die Auswahl ihres Ausgangskorpus betreffend, durchaus bewusst, worauf sie in ihrem Beitrag auch ausführlich eingehen (Hallsteinsdóttir/ Šajánková/ Quasthoff 2006, S. 120). 11 Aus rein praktischen Gründen gehe ich im Rahmen dieser Arbeit von dieser recht einfachen Nennform - sich ins Zeug legen - aus. Hallsteinsdóttir/ Šajánková/ Quasthoff 2006, S. 136) schlagen folgende Nennform vor, mit expliziter Kasusangabe: sich Akk (tüchtig) ins Zeug legen. Plädoyer für eine gebrauchsbasierte phraseografische Praxis 187 tische Aufarbeitung notwendig“ ist, bevor die vorselegierten Phraseologismen in Wörterbücher aufgenommen oder im Fremdsprachenunterricht erfolgreich eingesetzt werden können, darauf weisen auch schon Hallsteinsdóttir/ Šajánková/ Quasthoff (2006, S. 128) explizit hin. 2. empirischer teil Anhand einiger ausgewählter Wörterbücher soll als Erstes gezeigt werden, wie die Redewendung sich ins Zeug legen auf makro- und mikrostruktureller Ebene lexikografisch bearbeitet wird. Anschließend soll dargestellt werden, in welchem Maß eine korpusanalytische Analyse die untersuchten Wörterbucheinträge ggf. bereichern könnte. 2.1 Lexikografische Bearbeitung Für die vorliegende Untersuchung sind exemplarisch folgende drei phraseologische Spezialwörterbücher ausgewählt worden: der einsprachige Duden „Redewendungen. Wörterbuch der deutschen Idiomatik“ (2013) sowie folgende zwei zweisprachigen Wörterbücher in der Sprachkombination Deutsch- Spanisch: das 2010 in Spanien herausgegebene „Kein Blatt vor den Mund nehmen. Phraseologisches Wörterbuch Deutsch-Spanisch. No tener pelos en la lengua. Diccionario fraseológico alemán-español“ (Balzer et al. 2010) und die 2013 im Buske-Verlag erschienene „Idiomatik Deutsch-Spanisch“ (Schemann et al. 2013). 12 Bei der Analyse wird das Hauptaugenmerk auf die Nennform(en) sowie auf die Definition(en) und/ oder die Beispielangabe(n) gelegt; auf die interlingualen Äquivalenzangaben in den zwei zweisprachigen Nachschlagewerken soll im Rahmen dieser Arbeit nicht tiefgründiger eingegangen werden. 2.1.1 Duden „Redewendungen. Wörterbuch der deutschen Idiomatik“ (2013) In der Einleitung heißt es, dass sich der Duden „Redewendungen“ „[zum Ziel gesetzt hat], die gebräuchlichsten festen Wendungen der deutschen Gegenwartssprache möglichst umfassend zu dokumentieren“ (Duden 2013, S. 15). Bei der Stichwortauswahl ist man hauptsächlich von anderen Duden-Wörterbüchern sowie der „umfangreiche[n] Belegsammlung der Dudenredaktion“ (ebd.) ausgegangen. Die Belegbeispiele geben den typischen Gebrauch der Redewendungen wieder und sind vor allem für Deutschlernende gedacht (vgl. ebd., S. 22). Ihre Funktion ist es, die knapp gehaltenen und „abstrakten Bedeutungsangaben durch kon- 12 Siehe hierzu auch das Literaturverzeichnis. Nely M. Iglesias Iglesias 188 kretes Anschauungsmaterial“ (ebd.) zu ergänzen. Zur zusätzlichen Veranschaulichung kommen dann noch ein oder mehrere Belege dazu. Unter dem Stichwort Zeug sind insgesamt acht Phraseologismen und ggf. deren Varianten lemmatisiert: dummes Zeug, das ist viel/ ’ne Menge Zeug, jmd. hat/ jmd. besitzt/ in jmdm. steckt das Zeug zu etw., … was das Zeug hält, jmdm. etw. am Zeug/ ans Zeug flicken, sich ins Zeug legen, sich für jmdn. ins Zeug legen, mit jmdm. [scharf] ins Zeug gehen (ebd., S. 874f.). Es wird also unterschieden zwischen sich ins Zeug legen und sich für jmdn. ins Zeug legen. Beide Redewendungen werden als umgangssprachlich markiert. Auf Grund der Informationen im Duden (2013) ist zu vermuten, dass die Bedeutungsunterschiede wohl u.a. etymologisch begründet sind. In der ersten Redewendung, sich ins Zeug legen, deren Definition „sich anstrengen“ lautet, bedeutet ‘Zeug’ Kleidung: „Wer sich an jemandes Kleidung zu schaffen macht, verändert dessen Aussehen, beeinträchtigt in bildlicher Übertragung - sein Ansehen“ (ebd., S. 875). Im Vergleich hierzu steht ‘Zeug’ in der zweiten Redewendung, sich für jmdn. ins Zeug legen, „für das Geschirr von Zugpferden oder -ochsen, die sich bei angestrengter Arbeit mit ihrem ganzen Gewicht in das Geschirr legen müssen“ (ebd.); hier lautet die entsprechende Definition „sich für jmdn. nachdrücklich einsetzen“. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass Sprecher in den wenigsten Fällen über etymologische Informationen verfügen. (Solche Informationen sind auch nicht immer unbedingt aufschlussreich bei der (induktiven) Bedeutungskonstruktion eines unbekannten Wortes bzw. einer unbekannten Wortverbindung oder ggf. einer Neubedeutung.) In der Phraseodidaktik werden etymologische Zusatzinformationen zum Teil anekdotisch eingesetzt, um das Interesse der Lernenden zu wecken, um die Lernenden dazu zu bringen, idiomatische Phraseologismen vernetzt zu lernen bzw. zu erwerben (Zusammenspiel von Sprache, Bild, Anekdote etc.). Ganz andere Entscheidungen, die Nennfomen und die Definition betreffend, werden interessanterweise im Lernerwörterbuch „Langenscheidt Taschenwörterbuch Deutsch als Fremdsprache“ (2010) getroffen. Beide Phraseologismen werden unter einer einzigen Nennform lemmatisiert - in Klammern wird die präpositionale Wortverbindung des zweiten, sonst getrennt angeführten Phraseologismus angegeben. Logischerweise werden beide Redewendungen nun unter einer einzigen Definition subsumiert. So lautet die Nennform sich (für j-n/ etwas) ins Zeug legen; die Definition ist folgende: „sich viel Mühe geben (und alles tun, um zu helfen oder etwas zu erreichen)“. 13 13 Vgl. hierzu das Online-DaF-Wörterbuch von PONS, in dem die Wendung sich (mächtig) ins Zeug legen unter der Bedeutung ‘Geschirr für Zugtiere’ sublemmatisiert wird. Plädoyer für eine gebrauchsbasierte phraseografische Praxis 189 2.1.2 „Kein Blatt vor den Mund nehmen. Phraseologisches Wörterbuch Deutsch - Spanisch. No tener pelos en la lengua. Diccionario fraseológico alemán español“ (2010) In der kurzen Einleitung wird gleich am Anfang unterstrichen, dass das synchron angelegte Wörterbuch eine „für [das] Sprachenpaar Deutsch - Spanisch bestehende Lücke in der kontrastiven phraseologischen Lexikographie füllen soll“ (Balzer et al. 2010, S. 9). Die Stichwortliste enthält ausschließlich Phraseolexeme mit verbalem Kern. Als potenzielle Benutzer werden sehr viele genannt, u.a. „Linguisten, Dozenten und Studierende der Germanistik und Hispanistik“ (ebd., S. 9), wobei m.E. der ideale Adressat ein DaF-Lerner mit Mutterbzw. Ausgangssprache Spanisch ist. Das ist u.a. ersichtlich aus den Kompetenzbeispielen, denen eine „knappe, aussagekräftige, aber zugleich eindeutige“ (ebd., S. 12) Bedeutungsangabe bzw. Definition auf Spanisch vorausgeht - was die Hypothese bez. der Wörterbuchadressaten zusätzlich untermauert. 14 Bei den Beispielen, die zur Kontextualisierung dienen sollen, fließen ggf. auch sprachenpaarspezifische, didaktisch relevante Überlegungen mit ein. Aus fremdsprachendidaktischer Perspektive ist ebenso der onomasiologische Index am Ende des Nachschlagewerkes sehr zu begrüßen (ebd., S. 423ff.). Was die Auswahl der Phraseologismen betrifft, so wurde sie laut den fünf Autorinnen „vor allem in Hinblick auf ihre Zugehörigkeit zur Standardsprache getroffen. Sie sollten außerdem allgemein bekannt sein und häufig gebraucht werden“ (ebd., S. 10). Unter dem Hauptstichwort Zeug sind insgesamt sechs Phraseologismen und ggf. deren Varianten lemmatisiert: jd. besitzt/ hat das Zeug zu etw., mit Verweis auf in jdm. steckt das Zeug zu etw.; jdm. [etw.] am Zeug/ ans Zeug flicken; mit jdm. scharf ins Zeug gehen; sich für jdn. ins Zeug legen; sich ins Zeug legen, mit Verweis auf sich ins Geschirr legen (ebd., S. 379). Dass unter dem Stichwort bzw. Sublemma sich ins Zeug legen auf sich ins Geschirr legen verwiesen wird, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, dass die Autorinnen die von ihnen ausgewählten lexikografisch bearbeiteten Phraseologismen alphabetisch nach dem Hauptstichwort (hier: Geschirr vor Zeug), und nicht nach Frequenzkriterien im Wörterbuch angeordnet haben. So ergeben die entsprechenden Suchanfragen im Korpus German Web 2013 (deTenTen13) folgende Vorkommenshäufigkeiten: Die Struktur ins Zeug legen weist 26.998 Treffer gegenüber 575 Treffern der Struktur ins Geschirr legen auf. Darüber wird aber in keiner Weise im Wörterbuch informiert. 14 Zur Unterscheidung zwischen Wörterbuchbenutzer und Wörterbuchadressat siehe u.a. Iglesias Iglesias (2007). Nely M. Iglesias Iglesias 190 Unter dem Hauptstichwort Geschirr befindet sich folgendes Sublemma: sich ins Geschirr/ sich ins Zeug/ sich in die Riemen legen 15 , die folglich wie absolute Synonyme dargestellt werden, ungeachtet ihrer Frequenz, ihrer Ikonizität (siehe oben) und anderer potenziell möglichen gebrauchsbasierten Unterschiede. In Balzer et al. (2010) wird auch zwischen sich ins Zeug legen und sich für jdn. ins Zeug legen unterschieden. 2.1.3 „Idiomatik Deutsch - Spanisch“ (2013) Zielgruppe dieses Großwörterbuchs mit rund 35.000 phraseologischen Einheiten sind in erster Linie fortgeschrittene DaF-Lernende, deren Muttersprache Spanisch ist. Das Wörterbuch ist also vor allem, aber nicht nur zur Dekodierung deutscher Phraseologismen (im weiteren Sinne) gedacht. Von besonderer Aussagekraft sind die kontextualisierten Beispielangaben. Beispiel (1): „… Los, Kinder! Wenn wir uns anständig ins Zeug legen, sind wir gegen sieben Uhr mit der Arbeit fertig. Aber nur, wenn wir alle ordentlich rangehen.“ (Schemann et al. 2013, S. 1173) Beispiel (2): „Es ist ja nett von dir Christa, dass du dich so für den Robert ins Zeug legst. Aber er ist für diesen Posten beim besten Willen nicht geeignet. Ich kann daher seine Bewerbung guten Gewissens nicht unterstützen - auch wenn du dich so engagiert für ihn einsetzt, nicht.“ (ebd.) Hierbei handelt es sich um Kompetenzbeispiele, die in den meisten Fällen eine dialogische Form haben und die Sprechereinstellungen wiedergeben, wodurch sie sehr realitäts- und gesprächsnah vom Wörterbuchbenutzer wahrgenommen werden. Zudem beinhalten die Beispiele ggf. Definitionen, Paraphrasen oder phraseologische Synonyme 16 , was sehr oft auch in authentischen Kommunikationssituationen (vor allem in der gesprochenen Sprache sowie in pressesprachlichen Texten) zu beobachten ist. Der Textproduzent möchte sich durch deren Verwendung absichern, dass die Aussage seitens des Textrezipienten auch adäquat im Sinne der Sprecherintention verstanden wird. Bei kognitiv komplexeren lexikalischen Einheiten wie den Idiomen, greift man dann nicht selten zu solchen Absicherungsstrategien wie den oben genannten. Um Idiome (im weiten Sinne) im Gegensatz zu anderen, weniger komplexen lexikalischen Einheiten angemessen zu verstehen und zu verwenden, muss man nämlich 15 Diese Struktur weist insgesamt 416 Treffer im Korpus German Web 2013 (deTenTen13) auf. 16 Zum Konzept und zur Bedeutung von Synonymie bei phraseologischen Einheiten, siehe Hümmer (2009). Plädoyer für eine gebrauchsbasierte phraseografische Praxis 191 „so etwas wie einen idiomatischen Sinn“(Schemann et al. 2013, S. VI) haben. 17 Folglich müsse, so Schemann, ein Beispiel in einem Wörterbuch folgende Bedingungen erfüllen: „eine Situierung des Idioms in seine gesamte Kontextkonstellation, in der seine semantische, seine pragmatische und seine stilistische Funktion als Einheit anschaulich greifbar sind“ (ebd., S. XXIV). Die aufgeführten Beispiele (1) und (2) enthalten zwei Phraseologismen, die in der vorliegenden Arbeit näher untersucht werden: sich ins Zeug legen und sich für jdn. ins Zeug legen. Unter dem Hauptstichwort Zeug sind insgesamt einundzwanzig Phraseologismen bzw. Idiome (im weiten Sinne) und ggf. deren Varianten verzeichnet. Auch in Schemann et al. (2013) wird zwischen sich ins Zeug legen und sich für jd. ins Zeug legen unterschieden, wobei die jeweiligen Nennformen die folgenden sind: sich anständig/ ordentlich/ … ins Zeug legen 18 und sich für jn./ etw. ins Zeug legen (ebd., S. 1173). Sehr positiv zu bewerten ist, dass im ersten Idiom ein offenes Paradigma für adverbial gebrauchte Adjektive aufgeführt wird, wie die explizit angeführten. Dem Wörterbuchbenutzer soll dadurch klar gemacht werden, dass das adverbial gebrauchte Adjektiv kein invariables Element darstellt, sondern dass auch andere, vor allem zumindest semantisch nahe Adjektive in diesem Idiom verwendet werden können. 2.2 Korpusbasierte Beschreibung Bei der korpusbasierten Beschreibung wurden quantitative und qualitative Methoden kombiniert, ausgehend von den KWIC-Zeilen, den Kookkurrenzprofilen sowie den Volltextstellen. Dabei wird in der folgenden Ausführung lediglich auf einen sprachlichen Aspekt fokussiert, die prinzipiell fakultativen und zudem variablen adverbialen Füller: [sich + ADVERB/ ADVERBIAL GEBRAUCHTES ADJEKTIV + ins Zeug legen]. Suchanfragen wurden sowohl im DeReKo wie auch im German Web 2013 (deTenTen13) eingegeben. Eine der Hauptschwierigkeiten bestand vor allem darin, die Wörter-Spanne zwischen dem Reflexivpronomen und dem letzten Teil der Wendung zu bestimmen, was mit der speziellen Syntax der deutschen Sprache zusammenhängt. In folgendem Beleg beträgt die Spanne beispielsweise 9, d.h., zwischen (legte) sich und ins Zeug kommen neun andere Wörter vor: 17 Vgl. hierzu das Konzept der ‘phraseologischen Kompetenz’ (siehe Kap. 1.2). 18 Die Suche nach der Variante sich anständig ins Zeug legen ergab nur 7 Treffer im Korpus German Web 2013 (deTenTen13), während die Variante sich ordentlich ins Zeug legen eine der frequentesten in beiden Korpora darstellt: 541 Treffer im DeReKo (vgl. Institut für Deutsche Sprache 2015) und 1.296 Treffer im German Web 2013 (deTenTen13) (siehe hierzu auch Tab. 2 u. Tab. 3 der vorliegenden Arbeit). Nely M. Iglesias Iglesias 192 (1) Bisher ist es nur in Frauenfeld möglich: In Primarschule und Kindergarten gelten seit dem vergangenen Schuljahr Blockzeiten. Mit der 5-Tage-Woche im Schuljahr 1998 verdichtet sich der unkoordinierte Stundenplan und sorgt auch anderswo für Blockunterricht. […] Käthi Schoeller legte sich in ihrer Zeit als Kantonsrätin für ein Thema mächtig ins Zeug: Blockzeiten. Nur der Blick zurück zeigt: Im Thurgau ist das starre Korsett des Stundenplans in Kindergarten und Primarklassen nur schwer in Fluss zu bringen. (DeReKo: St. Galler Tagblatt, 19.9.1997) Je größer aber diese notwendige Spanne, desto komplexer wird die Suchanfrage insgesamt. Aus den Ergebnissen in Tabelle 1 lässt sich letztendlich ablesen, dass die analysierte Redewendung in beiden Korpora eine recht hohe Vorkommenshäufigkeit aufweist. Korpus Suchanfrage Treffermenge Datum DeReKo-2015-II W-öffentlich - alle öffentlichen Korpora des Archivs W (mit Neuakquisitionen) ($ins/ w7 Zeug)/ w7 &legen 18.543 15.06.2016 German Web 2013 (deTenTen13) [word=“ins“] (meet [word=“Zeug“] [lemma=“legen“] -7 7) 26.998 20.10.2016 Tab. 1: suchanfragen in den sprachkorpora und entsprechende Treffermengen Bei einer ersten groben Analyse der KWIC-Zeilen springt sofort der hohe Gebrauch von adverbial verwendeten Adjektiven und von [Adverb + adverbial verwendetes Adjektiv]-Kombinationen ins Auge, wie in folgendem Textbeleg. (2) Sportabzeichen für 209 Vorsfelder Schüler Das ist schon ziemlich anstrengend: Man muss laufen, 50 Meter Sprint oder vielleicht 800 Meter Ausdauer - je nach eigenem Können. Schwimmen und Springen gehören ebenso dazu wie Kugelstoßen oder Ballwerfen. Ihr seht schon: Wer das Deutsche Sportabzeichen bekommen will, muss sich ganz schön ins Zeug legen. In Vorsfelde hat das eine ganze Schule gemacht: Das Gymnasium Vorsfelde machte vorigen Sommer einen Aktions-Tag daraus, jeder nahm teil. Das Ergebnis macht Schüler und Lehrer stolz: 209 Sportabzeichen wurden gestern vergeben. In der Sporthalle wurde es ganz schön eng, als alle jubelten. Plädoyer für eine gebrauchsbasierte phraseografische Praxis 193 Die Vorsfelder Schüler zeigen stolz ihre Urkunden. Foto: Comes (DeReKo: Braunschweiger Zeitung, 16.1.2007) In den unter Kapitel 2.1 untersuchten Wörterbüchern hatten diese mehr oder weniger variablen und fakultativen Elemente jedoch ausschließlich in Schemann et al. (2013) „Idiomatik Deutsch-Spanisch“ als offenes Adjektiv-Paradigma Beachtung gefunden. Tatsache ist, dass bei genauerer Analyse der adverbialen (bzw. adverbial fungierenden adjektivischen) Kookkurrenzpartner, in mindestens zwei Drittel der Fälle solche Wortkombinationen bevorzugt im Sprachgebrauch aktualisiert werden. Das heißt auch, dass die Redewendung(en) insgesamt öfter mit als ohne das o.g. sprachliche Element in authentischen Texten gebraucht wird/ werden. Wie sich auch schon anhand der zwei ausgewählten Belegbeispiele ablesen lässt, erfüllen sowohl die Adjektive wie auch die Gradadverbien und/ oder Zeitadverbien und/ oder deren Kombination primär eine intensivierende und/ oder eine modale Funktion. In einem zweiten Schritt wurden Lückenfüllertabellen mithilfe von lexpan für beide Korpora erstellt. 19 Aus praktischen Gründen wurde die Gesamttrefferzahl auf zehn Prozent reduziert. Dabei sollte in Erfahrung gebracht werden, welche konkreten Adverbien und/ oder adverbial gebrauchten Adjektive am häufigsten in der Redewendung vorkommen. Für jedes der zwei Korpora werden sie, nach Frequenz aufgelistet, jeweils in Tabelle 2 und in Tabelle 3 präsentiert. Die 15 häufigsten adverbial gebrauchten adjektivischen Füller (und/ oder Adverbien) im Subkorpus des DeReKo-2015-II prozentualer Anteil der Treffer im Subkorpus mächtig/ Mächtig 22,57% richtig 5,23% voll 4,63% ordentlich 2,79% besonders 2,73% kräftig 2,55% so 1,96% mehr 1,78% tüchtig 1,19% 19 Siehe hierzu das von Steyer/ Brunner (2009) konzipierte empirische Vorgehensmodell zu usuellen Wortverbindungen (UWV) sowie das von ihnen zur Untersuchung syntagmatischer Strukturen auf der Basis von Korpusdaten entwickelte Analysewerkzeug Lexical Pattern Analyzer bzw. lexpan (ausführlicher unter: http: / / uwv.ids-mannheim.de/ lexpan). Nely M. Iglesias Iglesias 194 Die 15 häufigsten adverbial gebrauchten adjektivischen Füller (und/ oder Adverbien) im Subkorpus des DeReKo-2015-II prozentualer Anteil der Treffer im Subkorpus sehr 0,83% wacker 0,65% gewaltig 0,59% schwer 0,59% einmal 0,53% schön 0,53% Tab. 2: adjektivische und/ oder adverbiale Füller im D e R e K o - 2015 - II, nach Frequenz geordnet Die 15 häufigsten adverbial gebrauchten adjektivischen Füller (und/ oder Adverbien) im Subkorpus des German Web 2013 (deTenTen13) prozentualer Anteil der Treffer im Subkorpus mächtig/ Mächtig 22,63% richtig 12,63% ordentlich 4,62% mehr 3,43% besonders 2,90% voll 2,80% schön 2,17% so 2,06% kräftig 1,85% sehr 1,68% wirklich 1,47% wieder 1,08% echt 0,70% schwer 0,56% einmal 0,38% Tab. 3: adjektivische und/ oder adverbiale Füller im Korpus german Web 2013 (deTenTen13), nach Frequenz geordnet Wie den Tabellen zu entnehmen ist, stimmen zum einen die ersten zwölf sprachlichen Einheiten in beiden Korpora überein. Zum anderen ist die hohe Vorkommenshäufigkeit des adverbial gebrauchten Adjektivs mächtig in beiden Plädoyer für eine gebrauchsbasierte phraseografische Praxis 195 Korpora hervorzuheben. 20 Es ist in ca. jeder vierten bzw. fünften Verwendung der Redewendung(en) präsent, d.h. mindestens genauso oft wie die Redewendung(en) ohne Füller (siehe dazu oben Korpusbeleg (2)), gefolgt von richtig und (ganz) besonders, siehe hierzu folgende Belegbeispiele. (3) Diese Mario Kart Torte habe ich auf Wunsch meines Sohnes gemacht. Er hatte seinen 6. Geburtstag und ich habe mich richtig ins Zeug gelegt. Diese Torte habe ich für den 6. Geburtstag meines Sohnes gemacht. Dieses mal etwas fruchtiger ; ) Mit der Kombination aus Ananas und Krokant ist diese Torte super lecker geworden und wirklich zum empfehlen! Es ist außerdem eine gute Abwechslung zu den Schoko-Nuss-Torten! ! (German Web 2013 (deTenTen13) http: / / kochen-mit-herz.blogspot.com.es/ 2012/ 03/ ananas-krokantcremetorte-zutaten-fur.html#links) (4) So schnell kann das gehen. Hier ist bereits Album Nummer 3 vom frisch gebackenen Grand Ole Opry-Mitglied Josh Turner. Das Vorgängeralbum bescherte ihm den endgültigen Durchbruch mit zwei dicken No.1 Hits im Gepäck, dem Titelsong, „Your Man“, und dem bluegrassigen „Would You Go With Me“. Kein Wunder also, dass er die neue CD selbstzufrieden „Everything Is Fine“ getauft hat. Da scheint momentan wirklich alles ganz nach seinen Vorstellungen zu laufen - und damit das auch vorläufig erstmal so bleibt, hat er sich bei den zwölf neuen Songs diesmal ganz besonders ins Zeug gelegt. Seinem traditionellen Stil bleibt er dabei weiterhin unverändert treu. Das freut den geneigten Hörer und Fan und unterscheidet Josh Turner erfreulich von vielen seiner Kollegen, die sich mit steigendem Bekanntheitsgrad immer weiter von ihren musikalischen Wurzeln entfernen. (German Web 2013 (deTenTen13) www.country.de/ 2007/ 11/ 22/ josh-turner-everything-is-fine/ ) Die oben angeführten adverbial gebrauchten Füller erfüllen oft, wie bereits erwähnt, eine intensivierende Funktion. Die Kommunikationsteilhaber nehmen in den konkreten Kommunikationssituationen Stellung bezüglich der Handlung, die durch die verwendeten Ausdrucksmittel wiedergegeben wird. Anders gesagt, die mehr oder weniger bewusste Wahl eines idiomatisch markierten Ausdrucks statt eines synonymischen bzw. bedeutungsähnlichen nichtidiomatischen Monolexems steht in enger Verbindung mit der Sprechereinstellung. Der Textproduzent möchte dem Textrezipienten seine persönliche, emotionale Stellung einer konkreten Kommunikationssituation gegenüber explizit mitteilen. Oft macht er dabei Gebrauch formelhafter, idiomatischer Struk- 20 Im DeReKo kommt mächtig ins Zeug knapp 6.000-mal (ca. 11% des Subkorpus), in SkE über 7.000-mal (ca. 20% des Subkorpus) vor. Nely M. Iglesias Iglesias 196 turen, oft versucht er aber auch, originell zu sein und verwendet Varianten, die weniger usuell sind oder einem spezifischen Kontext angepasst werden, wie beispielsweise in folgenden Textbelegen aus dem DeReKo-2015-II: (5) Zum Vergnügen des Publikums legten sich die Schauspieler auch sportlich wacker ins Zeug. (Mannheimer Morgen, 7.6.1999) (6) Um bundesweit möglichst viele Ganztagsschulen zu ermöglichen, legt sich die Bundesregierung finanziell ins Zeug […]. (Braunschweiger Zeitung, 19.4.2006) (7) […] Seilziehen ist Mannschaftssport schlechthin. Sechs Gleichgesinnte legen sich gemeinschaftlich ins Zeug und versuchen nicht einfach nur mit Kraft, sondern auch mit Taktik und Geschick die Konkurrenten am andern Ende des Seils zu übertreffen. (St. Galler Tagblatt, 28.9.1999) (8) […] Der Samariterverein Wattwil übte am Dienstagabend den Ernstfall: Ohne dass die Samariterinnen und Samariter davon wussten. Ausbildnerin Brigitte Défago inszenierte einen Verkehrsunfall auf der Schmidbergstrasse. Fünf Jugendliche legten sich dafür schauspielerisch ins Zeug. Quietschende Autoreifen, danach ein Knall. (St. Galler Tagblatt, 3.6.2010, S. 39) (9) Das Konzert in Altnau war das vorletzte in der Abschlussreihe des langjährigen Chorleiters Heiko Dierschke. Entsprechend emotional legte sich der Chor ins Zeug, um Heiko Dierschke Tribut zu zollen - und zu zeigen, was jeder einzelne unter seiner Leitung seit 2007 gelernt hat. (St. Galler Tagblatt, 10.12.2012, S. 37) (10) Bachmann: «Ich habe keine Mühe, mich für hartes Training begeistern zu können. Und auch mental verfüge ich heute über ein gutes Korsett. Wenn ich den Dreh Studium-Kanusport gefunden habe, werde ich mich selbstverständlich bilateral ins Zeug legen und mein Bestes geben». (St. Galler Tagblatt, 15.7.1997) Statt der adverbialen Besetzung innerhalb der Redewendung kann es sich aber auch um konkurrierende präpositionale Wortverbindungen (PWV) (siehe Steyer in diesem Band) innerhalb oder außerhalb der Redewendung handeln, wie folgende: mit jugendlichem Übermut, mit Erfolg, mit großer Begeisterung, mit viel Eifer, mit viel Spaß und Eifer, mit einem abenteuerlichen Aufwand, mit totaler Hingabe, mit großer Energie, mit großem Engagement, mit Vorfreude, voller Tatendrang, mit welchem Elan, etc., was anhand der folgenden zwei Gebrauchsbeispiele illustriert werden soll: Plädoyer für eine gebrauchsbasierte phraseografische Praxis 197 (11) «Im Sinne eines echten Kulturaustausches», freut sich Leiter Thomas Gmünder. Selber hat er in seinen Jugendjahren, und später als gestandener Musiker, viel von solchen Trips - nach Rastedde, Valencia, Los Angeles, in den Vatikan - profitiert. «Für die Jugendlichen ist das eine super Sache und motivierend.» Entsprechend legen sie sich mit Vorfreude ins Zeug, damit sie an den vier geplanten Konzerten eine gute Figur abgeben. (DeReKo: St. Galler Tagblatt, 8.11.2014, S. 42) (12) Die darstellerische Leistung der sechs Trachtengruppenmitglieder Emil Forrer, Marlen Metzler, Franziska Rutz, Melchior Knaus, Köbi Scherrer und Trudi Giger waren denn auch aussergewöhnlich gut und die Begeisterung mit welcher sie sich «ins Zeug legten» war zu spüren; da wurde wirklich gestritten und zugepackt, wurde umarmt ohne Berührungsängste, unverblümt geheuchelt und geheult. «Es ist wirklich bewundernswürdig, mit wieviel Engagement Texte und Rollen eingearbeitet und geübt wurden», meinte Edith Schröder, die Leiterin des volkstümlichen Stückes, «wenn man bedenkt, wieviel Freizeit es unsere Leuten gekostet hat. (DeReKo: St. Galler Tagblatt, 13.1.1998) 3. Zusammenfassung und ausblick Idiomatische Redewendungen als Satzglied stehen in ko- und kontextueller Verbindung mit den anderen sprachlichen Einheiten auf Satz- und sogar auf Textebene. In der lexikografischen Praxis ist dies aber nicht selten ignoriert worden, vor allem was zweisprachige, gemeinsprachliche, nicht-spezialisierte Wörterbücher betrifft. Die starke Fokussierung auf die den Phraseologismen inhärente Polylexikalität, auf die Beschreibung rein formaler Aspekte wie die Wahl der Nennform, sowie in den letzten Jahren sogar auf die infralemmatische Zuordnung, führte häufig zu einer Vernachlässigung der prototypischen Gebrauchsbeschreibung (nicht zuletzt aus Platzgründen). Man war sehr darum besorgt, Phraseologismen auch in gemeinsprachliche, nicht-spezialisierte Wörterbücher als Sub- oder Infralemmata aufzunehmen, doch reichte die lexikografische Bearbeitung im besten Fall für rein rezeptive Zwecke. 21 21 Zur lexikografischen Bearbeitung idiomatischer Redewendungen in zweisprachigen Wörterbüchern vgl. Iglesias Iglesias (2007, S. 132ff.); siehe auch Model (2010, S. 108ff.) und Mellado Blanco (Hg.) (2009). Nely M. Iglesias Iglesias 198 Was die untersuchten Wörterbücher betrifft, so werden nur im Duden „Redewendungen“ authentische Belegbeispiele angeführt, und im Normallfall auch nur ein einziges pro lexikografisch bearbeiteter Wendung. Kompetenzbeispiele mögen u.a. aus sprachdidaktischen Überlegungen heraus ggf. für bestimmte Lerner bzw. Lernergruppen vorteilhaft erscheinen. Doch vertrete ich grundsätzlich die Meinung, dass sich der/ die Lernende von Anfang an mit authentischem Sprachmaterial vertraut machen sollte, auch im Sinne der sprachlichen Immersion, was die Schriftsprache in der Fremdsprache betrifft. In der ‘Ära der Sprachkorpora’ sollte das kein Desiderat mehr darstellen, sondern eine methodische Realität im Fremdsprachenunterricht. Je mehr man mit authentischen Texten arbeitet, desto mehr erfährt man darüber, wie Sprache funktioniert, und desto leichter wird es auch, Bedeutungen aus dem Text, aus dem Kontext abzuleiten. 22 Marková (2012, S. 19) merkt an, dass ein Korpus einen Ausschnitt des realen Sprachgebrauchs wiedergibt, wenn auch mit bestimmten Einschränkungen. Ein Korpus ist auf jeden Fall ausgewogener und repräsentativer, sogar natürlicher, als einzelne sprachliche Performanzen eines/ einer Lehrenden oder eines Lehrbuchs. Zudem dient ein Korpus der Validierung sprachlicher Hypothesen 23 , die in den verschiedenen, systematischen Phasen des Erwerbs einer Fremdsprache, d.h., der Lernersprache, immer wieder aufkommen, bis man eine sprachliche Intuition für die Fremdsprache zu entwickeln beginnt. Weiterhin sollte es auch kein Desiderat mehr darstellen, dass aktuellen Wörterbüchern und/ oder lexikografischen Beschreibungsmodellen eine gebrauchsbasierte phraseografische Praxis zugrunde liegt. Darüber hinaus ermöglichen korpuslinguistische Analysemodelle - rein prozedural betrachtet - eine holistische Beschreibung sprachlicher Zeichen. Auch Schafroth (2014) besteht im Rahmen der Konstruktionsgrammatik und der Framesemantik darauf, dass Form und Bedeutung in der lexikografischen Bearbeitung ganzheitlich analysiert und beschrieben werden (vgl. oben), und dass dabei der Pragmatik - neben Syntax und Semantik - eine entscheidende Rolle zukommt. Vor allem bei Phrasemen (also bei idiomatischen Redewendungen) ist die Pragmatik ausschlaggebend bei der Bedeutungskonstruktion (vgl. ebd., S. 199ff.) 24 . Demzufolge arbeitet er ein sog. PhraseoFrame, ein lexikografisches Beschreibungsmodell aus, das idealerweise in der digitalen einsprachigen und zweisprachigen Lexikografie eine praktische Umsetzung finden sollte. Zusätzlich zu einer exhaustiven syntaktischen und semantischen Beschreibung, soll auch auf prosodische Merkmale, konkret auf Intonation und Hauptakzent, 22 Vgl. hierzu das Konzept Bedeutungsinduktion aus Verwendungserfahrung, auch meaning in use, in Hümmer (2009, S. 291). 23 Vgl. u.a. Steyer (2013, S. 79). 24 Siehe auch Abschnitt 1.2 der vorliegenden Arbeit. Plädoyer für eine gebrauchsbasierte phraseografische Praxis 199 eingegangen werden. Sehr intensiv sollten pragmatische Aspekte behandelt werden, u.a. folgende: welcher Sprechakt verbunden mit welcher kommunikativen Motivation, sein situativer Rahmen, sein sprachliches Register, sowie jeweils die illokutive(n) und interpersonelle(n) Funktion(en). 25 Um die theoretische Beschreibung zu untermauern, soll eine Verlinkung zu Korpusbelegen erzeugt werden, wobei einzelne, für den Wissenserwerbsprozess saliente Komponenten farblich markiert werden sollten. Bei zweisprachigen Wörterbüchern schlägt Schafroth (2014) eine Verlinkung der Äquivalenzen zu den ihnen jeweils entsprechenden PhraseoFrames vor. Mehr noch, Äquivalenzen sollen auch zu bedeutungsverwandten lexikalischen Einheiten, seien es Monolexeme oder Phraseme, verlinkt werden (ebd.). Solch ein vollständiges, ganzheitliches lexikografisches Beschreibungsmodell sowie dessen übersichtliche und lernstrategische Gestaltung, wie das von Schafroth, ist im höchsten Maße benutzerfreundlich, und fördert zweifelsohne die Lernerautonomie. Man muss sich aber schon ganz schön ins Zeug legen, um diesen Forderungen auch nur annähernd gerecht zu werden. Mitzubedenken wäre außerdem noch, in welcher Relation explizite metalinguistische und metalexikografische Informationen schriftsprachlichem Korpusinput gegenüber stehen sollten, aus denen die Lernenden induktiv die lexikogrammatischen Konstruktionen der Fremdsprache selbst erschließen könn(t)en. In der vorliegenden Arbeit wurde exemplarisch ein Teilaspekt der idiomatischen Redewendung sich ins Zeug legen korpusanalytisch untersucht (neben vielen anderen relevanten Gebrauchsaspekten, die noch zu untersuchen wären): Ein prinzipiell fakultatives Element, das meist in Form eines adverbial verwendeten Adjektivs innerhalb dieser Struktur auftreten kann - ein adverbialer Füller - und eine sehr hohe Vorkommenshäufigkeit in beiden untersuchten Korpora aufweist. Aus benutzerfreundlicher Perspektive - für DaF-Lernende ab dem Sprachniveau B1 - würde ich mich schließlich für folgenden einfachen Lemmatisierungsvorschlag entscheiden: sich (für jdn./ etwas) (mächtig/ richtig/ ordentlich/ …) ins Zeug legen. Die Nennform, nebst der entsprechenden Kurzdefinition(en), würde dann zusätzlich mit einer Reihe nach fremdsprachendidaktischen Kriterien ausgewählter Korpusbelege angereichert werden. Um die Lernerautonomie zu fördern, wäre es auch im höchsten Maße empfehlens- 25 Als zusätzlicher Parameter müsste m.E. das nonverbale Verhalten (Körpersprache; Gesten), das vor allem in Verbindung mit Somatismen eine ganz beachtliche Rolle im Kommunikationsprozess spielen kann, in solch ein ganzheitliches Beschreibungsmodell mit aufgenommen werden. In der Phraseologieforschung werden solche Phraseme Kinegramme genannt, wie beispielsweise folgende zwei Redewendungen, die dem semantischen Feld der Emotion SCHADENFREUDE zuzuordnen sind: sich die Hände reiben oder (sich) ins Fäustchen lachen (vgl. Iglesias Iglesias 2012, S. 145ff.). In einer konkreten Kommunikationssituation könnte eine Geste unter Umständen das Kinegramm sogar vollständig ersetzen. (Siehe zu diesem Thema auch Mellado Blanco 2000). Nely M. Iglesias Iglesias 200 wert, die Lernenden entweder selbst diese Auswahl - nach den genannten Kriterien in einem ausgewogenen und repräsentativen Korpus - treffen zu lassen, oder sie gar damit zu beauftragen, das Korpus nach neuen Textbelegen, die dann auch inhaltlich ggf. ihren ganz persönlichen Interessen und Vorlieben entsprechen könnten, zu ‘durchkämmen’. literatur Balzer, Berit et al. (2010): Kein Blatt vor den Mund nehmen. Phraseologisches Wörterbuch Deutsch-Spanisch. No tener pelos en la lengua. Diccionario fraseológico alemán-español. Madrid. Bergerová, Hana (2007): Multimediales Unterrichtsmaterial zur deutschen Phraseologie. http: / / frazeologie.ujepurkyne.com/ index2.htm (Stand: 22.10.2016). Bosque, Ignacio (2004): Combinatoria y significación. Algunas reflexiones. In: Bosque, Ignacio (Hg.): Redes. Diccionario combinatorio del español contemporáneo. Madrid, S. LXXV-CLXXIV. Burger, Harald (2015): Phraseologie: Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. 5., neu bearb. Aufl. 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Satzmuster, Phraseoschablonen, Phrasem- Konstruktionen, Schemata), die empirische Fundierung ist aber eher noch unsystematisch und bezogen auf die Lexikografie eher noch im Anfang begriffen. Es wird zum einen gezeigt, welchen großen Stellenwert solchen Mustern in der „Idiomatik Deutsch-Spanisch“ (ebd.) zukommt. Zum anderen wird ein Vorschlag unterbreitet, mit dem die im Wörterbuch verzeichneten Phraseme und Muster unter einer dem Aspekt verfestigter Muster und Schemata klassifiziert und gruppiert werden können. 1. Das Wörterbuch „Idiomatik Deutsch spanisch“ (2013) Was die deutsch-spanische Phraseografie betrifft, so lässt sich feststellen, dass sich in der letzten Dekade erfreulich viel getan hat, da nach der ersten lexikografischen Publikation (Beinhauer 1978) zwei Jahrzehnte später neue lexikografische Werke erschienen sind (Nedwed/ Romeu Nedwed 2009; Balzer et al. 2010). Die „Idiomatik Deutsch-Spanisch“ (Schemann et al. 2013) ist Bestandteil einer Reihe zweisprachiger phraseologischer Großwörterbücher, die das Deutsche als Ausgangssprache haben und die binnen eines langen, fruchtbaren Forscherlebens von Hans Schemann geleitet wurden. Die im Jahr 1993 bei Klett herausgegebene „Deutsche Idiomatik: Die deutschen Redewendungen im Kontext“ (Schemann 1993) bildet den Ausgangspunkt für diese zweisprachigen Phraseologiewörterbücher. 1 Diese Arbeit ist im Rahmen des von Carmen Mellado Blanco geleiteten Forschungsprojekts FFI2013-45769-P „Combinaciones fraseológicas del alemán de estructura [PREP. + SUS.]: patrones sintagmáticos, descripción lexicográfica y correspondencias en español“ entstanden. Ana Mansilla 204 Zielgruppe des Wörterbuches „Idiomatik Deutsch-Spanisch“ sind Muttersprachler des Deutschen, die es als aktives Wörterbuch benutzen. Für Muttersprachler des Spanischen ist das Wörterbuch eher als passiv aufzufassen. Es dient primär dazu, Texte auf Deutsch (als Fremdsprache) zu dekodifizieren. Diese Gruppe zeichnet sich durch ihre fortgeschrittene Kompetenz im Deutschen aus (Übersetzer, Dolmetscher, Sprach- und Literaturwissenschaftler). 1.1 Makrostruktur (Inhalt und Aufbau) 1.1.1 Idiomatik - Begriff Laut Schemann erweist sich die Kontextgebundenheit als ein ausschlaggebendes Kriterium, um den Begriff idiomatisch näher erfassen zu können. Er verteidigt seine These wie folgt: Der Begriff der Idiomatik wurde bewußt weit gefaßt: als „idiomatisch“ gelten alle Einheiten, die kontextgebunden sind. Dabei wird unter „Kontext“ verstanden der sog. sprachliche Kontext […], der situative Kontext […], der soziale Hintergrundkontext […], der historische Kontext […] und die durch die sog. Sprechaktrestriktionen konstituierten sprachlichen Muster. […] alle bisherigen (idiomatischen und nicht idiomatischen) Wörterbücher [definieren bzw. lemmatisieren] die idiomatischen Wendungen uneinheitlich, zwar nach mehreren, aber nicht nach allen Kontextformen […]. (Schemann et al. 2013, S. XVIII) Mit ihren 33.237 Phrasemen ist die „Idiomatik Deutsch-Spanisch“ das umfangreichste Werk seiner Art, und überschreitet daher alle bisher veröffentlichten phraseologischen Wörterbücher in Printversion (z.B. Duden 2012; Röhrich 2009). Das deutsche Material ist identisch mit dem der „Deutschen Idiomatik: die deutschen Redewendungen im Kontext“ (Schemann 1993) und mit dem der „Deutschen Idiomatik: Wörterbuch der deutschen Redewendungen im Kontext“ (Schemann 2011). 1.1.2 Material und Typologie der idiomatischen Ausdrücke Schemann hat sich mit verschiedenen Prosatexten von A. Andersch, W. Borcher, G. Gaiser, P. Handke, H. Hesse, M. Frisch, F. Kafka, H. Mann usw. auseinandergesetzt, um sein idiomatisches Korpus (Materialsammlung) zusammenzustellen. Außerdem hat er sowohl von einem gemischten Spektrum an Zeitungen und Zeitschriften, von Wörterbüchern wie dem Brockhaus-Wahrig, dem Duden oder der „Modernen deutschen Idiomatik“ von Wolf Friederich (1976) als auch von der mündlichen Sprache Gebrauch gemacht. Im Widerspruch zum lange Zeit vorherrschenden engen Phrasembegriff, der sich in der Regel auf idiomatische Redewendungen beschränkte, hat Schemann in seinen Arbeiten schon früh auch nicht-idiomatischen und formelhaften Ein- Das Wörterbuch IDSP aus der Sicht muster- und formelhaften Sprachgebrauchs 205 heiten einen großen Stellenwert eingeräumt und eine beachtliche Vielfalt verfestigter Ausdrücke aufgenommen: neben Idiomen und Phrasemen auch Kollokationen, Funktionsverbgefüge und Routineformeln, teilweise Sprichwörter bzw. Zitate aus der Literatur, der Werbung, der Geschichte, so genannte Phraseoschablonen usw. Wie bereits oben angemerkt, ist sein Idiom-Begriff sehr weit gefasst, denn es werden nicht nur die zentralen, sondern auch die so genannten peripheren Phraseologismen einbezogen. Mellado Blanco stellt denn auch fest, dass das deutsche Inventar in einem bemerkenswerten Umfang in das Spanische in Form eines lexikografischen Werkes übertragen wird: Aus interlingualer Perspektive stellt das Korpus eine beeindruckende Materialfülle dar, da zum ersten Mal das gesamte phraseologische Material des Deutschen mit seinen spanischen Äquivalenten in einem Werk zusammengestellt wird. (Mellado Blanco 2013, S. 111) 1.1.3 Die alphabetische Anordnung (semasiologisch) In der Lexikografie und Phraseografie ist das grammatisch-alphabetische Ordnungsprinzip am meisten verbreitet. Es basiert auf der Festlegung einer Rangfolge von Hauptgliedern und deren alphabetischer Anordnung. Schemann stützt sich auf dieses Ordnungsprinzip, indem er eine eher kategoriale und funktionale Anordnung nach den Wortkategorien eines Phrasems vornimmt. Alle Phraseme werden nach Wortkategorien lemmatisiert, sodass folgende Reihenfolge zustande kommt: Substantiv, Verb, Adjektiv, Adverb und Pronomen. Im Falle von Idiomen mit zwei oder mehreren Konstituenten gleicher Kategorie zählt die erste Konstituente: (Hand und Fuß haben, langsam, aber sicher). Wenn mehrere Redensarten dasselbe alphabetische Leitwort haben, dann entscheiden die übrigen Konstituenten in der eben erwähnten Reihenfolge (Substantiv-Verb-Adjektiv-Adverb). (1) jm. in die Hand fallen steht vor Hand und Fuß haben Die alphabetische Anordnung von Wendungen, die keine festen sekundären Konstituenten haben, ist mit einer gewissen Schwierigkeit verbunden. Die Varianten können entweder eine geschlossene Gruppe (eine feste Hand fühlen/ spüren müssen) oder ein offenes Paradigma (etw. aus erster/ zweiter/ dritter/ … Hand kaufen/ …) bilden. Ana Mansilla 206 1.2 Mikrostruktur des Wörterbuches 1.2.1 Die Nennform und die stilistischen Markierungen Eine wichtige Herausforderung bei der Erarbeitung eines Wörterbuchs ist die Berücksichtigung aller diasystemischen Varietäten (diastratisch, diatopisch, diaphasisch, diatechnisch etc.). So wurde in der IDSP in Hinblick auf die Stilebenen zwischen literarisch, gehoben, normal, familiär, salopp und vulgär unterschieden. Darüber hinaus werden andere Varietäten wie ironisch, scherzhaft, pathetisch, euphemistisch, Kindersprache etc. beachtet: (2) eine Leiche im Keller haben 2 ugs neol · tener un muerto en el armario col neol [einen Toten im Schrank haben]; 3 (3) durch Abwesenheit glänzen iron · brillar por su ausencia col iron (ach) scheiß drauf! vulg · ¡que se vaya a la mierda! ; ¡me importa una mierda! [in die Scheiße soll etw. gehen; das geht mich einen Scheiß an! ]; (4) das Strafmaß festsetzen jur · fijar la condena admin; (5) auf den Topf müssen mst Kinder · tener ganas de hacer pis col inf (1); tener que ir al baño (2) 4 [Lust haben, Pipi zu machen (1); auf die Toilette gehen müssen (2)]; (6) ein Geschenk des Himmels (sein) path · (ser) un regalo del cielo col; (ser) como caído del cielo col [ein Geschenk wie vom Himmel gefallen]; (7) einen Drang nachgeben/ einen Drang befriedigen euphem · atender una (pequeña) emergencia euf [einem (kleinen) Notstand nachgehen]; (8) ein (richtiger/ …) Paradiesvogel (sein) ugs scherzh · (ser) una persona (realmente/ …) estrafalaria/ estrambótica ø (ser) un estrafalario ø [ein schlampiger/ nachlässiger Typ (sein)]. Der Relevanz mündlicher Sprache wird das Wörterbuch durch die Aufnahme von derben Ausdrücken und von gesprächsspezifischen Phraseologismen gerecht wie einen Ständer haben; das hast du dir/ habt ihr euch/ … (so) gedacht! (dass …); will sagen, ehrlich gesagt usw. 2 Alle aus der „Idiomatik Deutsch-Spanisch“ extrahierten Belege werden so zitiert, wie sie im Wörterbuch erscheinen, das betrifft auch die fett gedruckten Hervorhebungen. 3 Die in eckigen Klammern hinzugefügten Ausdrücke beziehen sich auf die wortwörtlichen Übersetzungen der spanischen Entsprechungen, bei denen keine Voll-Äquivalenz mit den deutschen Idiomen vorliegt. Alle wortwörtlichen Übersetzungen stammen von mir. 4 Die Zahlen (1), (2) in runden Klammern verweisen auf die Beispiele, welche die Kernbedeutungen des Ausdrucks (Idioms) illustrieren. Das Wörterbuch IDSP aus der Sicht muster- und formelhaften Sprachgebrauchs 207 1.2.2 Die Beispiele Es steht außer Zweifel, dass gerade phraseologische Wörterbücher Bedeutungen und Verwendungen durch geeignete Beispiele veranschaulichen sollten. Ein Wörterbuch ohne Beispiele ist laut Voltaire (1836) bekanntermaßen einem Skelett ähnlich. Schemann et al. stellt in diesem Sinne fest, dass die in den meisten phraseologischen Wörterbüchern bis dato aufgeführten Beispiele kaum überzeugend sind, denn sie erweisen sich als „eine Art syntaktischer Verlängerung des Ausdrucks zum Satz“ (Schemann et al. 2013, S. XXIV). In diesem Zusammenhang wird die Frage Was soll ein Beispiel sein? von Hans Schemann wie folgt beantwortet: eine Situierung des Idioms in seine gesamte Kontextkonstellation, in der seine semantische, seine pragmatische und seine stilistische Funktion als Einheit anschaulich greifbar wird. (ebd.) 1.2.3 Das Äquivalent. Die spanischen Entsprechungen Was die spanischen Äquivalente betrifft, haben die Mitautoren der „Idiomatik Deutsch-Spanisch“ nach den geeigneten funktionalen Äquivalenten gesucht, die den angegebenen Beispielen bzw. Belegen am besten entsprechen. In der „Deutschen Idiomatik“ wird auf Definitionen verzichtet, eine Verfahrensweise, die von der allgemeinen Praxis abweicht und von einigen Autoren hinterfragt wurde (vgl. Schilling 2013, S. 253). Als besonders benutzerfreundlich erweist sich die ISDP, wenn es um die Wiedergabe der nicht isomorphischen Strukturen ins Spanische geht. Weicht das spanische Äquivalent von der syntaktischen Struktur des deutschen Ausdruckes im Satz ab, so wird der Wörterbuchbenutzer durch ein Pluszeichen vor dem spanischen Äquivalent darüber informiert. (9) eine Gänsehaut kriegen/ (bekommen) · + ponérsele a alg. la piel/ carne de gallina col (1, 2); + ponérsele a alg. los pelos de punta col (1, 2) [jmdm. wird die Haut zu Hennehaut (1,2); jmdm. werden die Haare zu Spitze (1,2)] 1. Was war das eine Kälte! Selten habe ich eine solche Gänsehaut bekommen wie an jenem Abend! 2. Der Film war stellenweise so grausig, dass wir eine Gänsehaut kriegten. Findet man keine Entsprechung im Spanischen, wird das entsprechende deutsche Idiom durch eine Pharaphrase wiedergegeben, worauf durch folgendes Symbol hingewiesen wird ø: (10) Das Sandmännchen streut den Kindern Sand in die Augen Kinderspr · el hada de los sueños viene para dormir a los niños ø [die Traumfee Ana Mansilla 208 kommt, um die Kinder zum Schlafen zu bringen ø] … Stimmt das, Mama, dass das Sandmännchen den Kindern Sand in die Augen streut, wenn sie müde sind, damit sie einschlafen? 2. Die „Idiomatik Deutsch spanisch“ aus der sicht muster - und formelhaften sprachgebrauchs Wie bereits erwähnt, finden sich im deutschen Material bei Schemann und demzufolge auch in der ISDP zahlreiche Einträge, die man heute als lexikalisch teilspezifizierte Konstruktionen oder Schemata ansehen würde. Die Schnittstelle zwischen Phrasemen, Idiomen und Konstruktionen ist mehr als evident und wird zunehmend diskutiert. 5 Allerdings gibt es keine vollständige Übereinstimmung, was auch Folgen für die lexikografische Beschreibung hat. Auf der einen Seite werden mit Konstruktionen Einheiten beliebiger Komplexität erfasst, von Morphemen über Wörter bis zu vollständigen Sätzen. Auf der anderen Seite können nicht alle Phraseme gleichermaßen mit einem konstruktionsgrammatischen Ansatz erklärt werden, da ein unterschiedlicher Grad an Modellhaftigkeit besteht. Als Illustration soll das Idiom es gibt Stunk herangezogen werden, dem folgendes Muster zugrunde liegt: [es gibt NP Akkusativ (negativ bewertet) ]. Der Ausdruck es gibt Stunk weist einen hohen Grad an lexikalischer Spezifizierung, aber einen niedrigen Grad an Modellhaftigkeit auf. Das Idiom ist teilweise durch seine Lexeme motivierbar, doch es ergeben sich lexikalische und pragmatische Restriktionen in der Slotbesetzung (es gibt Stunk, es gibt Krach, es gibt Theater), hinter denen eine bestimmte Sprecherintention (Vorwurf, Warnung) feststellbar ist. Prinzipiell ist es auch nicht möglich, die Bestandteile durch den Einschub von adjektivischen Modifikatoren oder von Determinativa formal bzw. inhaltlich zu modifizieren (*es gibt einen tollen Stunk, *es gibt ein Theater, es gibt diesen Krach). Im Folgenden untersuchen wir Idiome im Wörterbuch „Idiomatik Deutsch- Spanisch“, die eng mit dem konstruktionsgrammatischen Ansatz in Verbindung stehen: pragmatische und syntaktische Konstruktionen sowie Phrasenkomposita und die Phrasem-Konstruktionen. 5 Eine zentrale Erkenntnis auch für die Forschung ist, dass sprachliche Strukturen oder Prinzipien nicht von Geburt an vorhanden sind, d.h. sie sind nonnativistisch orientiert (vgl. Goldberg 2006, S. 227) und daher auch zu erwerben. Prinzipiell schließe ich mich folgender Definition von Ziem/ Lasch an: Konstruktionen sind (a) nicht-kompositionelle und konventionalisierte Form-Bedeutungspaare, die (b) kognitiv einen gestalthaften Charakter haben, gleichwohl aber (c) konstruierte Einheiten und als solche (d) konzeptueller Art sind, insofern sie sich (e) kontextgebunden im Sprachgebrauch herausbilden und verändern. (Ziem/ Lasch 2013, S. 77) Das Wörterbuch IDSP aus der Sicht muster- und formelhaften Sprachgebrauchs 209 2.1 Pragmatische Konstruktionen Einigen Autoren nach, v.a. Stein (2004) und Wotjak (2005) lassen sich pragmatische Phraseologismen aufgrund des Kriteriums der Situationsgebundenheit in zwei Gruppen aufteilen: in Routineformeln und in gesprächsspezifische Formeln (Teile von Äußerungen im engen Sinne). Die erste Gruppe ist an die verschiedenen Sprechakte bzw. Sprachhandlungen (Gratulieren, Vorwerfen, Drohen, Danken, Warnen usw.) eng gekoppelt. Die zweite Gruppe besitzt laut Stein (2004, S. 267-268) verschiedene Funktionspotenziale und kann nur in einem situativen Kontext richtig erfasst bzw. bewertet werden. Beispiele dafür wären: ehrlich gesagt, offen gesagt, weißt du usw. Da eine detaillierte Beschreibung der verschiedenen Typen von Routine- und Gesprächsformeln den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, möchte ich mich nur auf die im Wörterbuch vorkommenden Konstruktionen beschränken, die stark kontextgebunden zu identifizieren sind. In diesem Abschnitt plädiere ich für die Bezeichnung pragmatische Konstruktion aufgrund der syntaktischen Festigkeit und der kontextuell determinierten Bedeutung dieser sprachlichen Einheiten (vgl. Dausendschön-Gay/ Gülich/ Krafft 2007, S. 469). Hierbei wird das Augenmerk auf zwei Satzarten gerichtet: a) rhetorische Fragen und b) Interjektionen. Zu a) Die erste Gruppe verweist auf Fragesätze, welche aus konstruktionsgrammatischer Sicht ein komplexes Form-Funktions-Verhältnis (Satzmodus - Sprachhandlung) aufweisen, die im Kontext holistisch (nicht kompositionell, vgl. Stein 1995, S. 30; Lüger 1999, S. 21) verarbeitet werden. Laut Engel (2004, S. 45) lassen sich sechs Typen von Fragen unterscheiden: Entscheidungsfrage, Sachfrage, Alternativfrage, Rückfrage, Gegenfrage und Kontaktsignal (Sprecher). Die Autoren Zifonun/ Hoffmann/ Strecker (1997, S. 103-119) gehen im Kapitel „Frage-Modi“ von zwei Satztypen aus: Verbletzt- Formtypen und rhetorische Fragen. Meistens kann eine rhetorische Frage einen Aufforderungscharakter annehmen, denn der Sprecher zielt darauf ab, den Hörer zu einer bestimmten Tat zu bewegen, wie die folgenden Beispiele zeigen: (11) dir/ euch/ (ihm/ …) juckt wohl das Fell? ! (ugs) · te la estás/ os la estáis/ buscando col; te estás/ os estáis/ ganando una col [du bist/ ihr seid dabei, etw. zu suchen/ zu verdienen] (12) darf man mitlachen? sal · + ¿( y ) dónde está/ cuál es la gracia? [worin besteht der Witz? ] (13) haben wir (etwa) zusammen gekegelt? ! wir haben doch/ … nicht zusammen gekegelt! / wir haben nicht zusammen gekegelt, oder/ oder irre ich mich? ! sal · no ser colegas pop [keine Kollegen sein] Ana Mansilla 210 (14) sehe ich so/ danach aus? ! ugs · ¿acaso tengo (yo) cara de eso? (15) warum ist die Banane krumm? ugs · ¿por qué, por qué, por qué? ; + siempre por qué; + ¿por qué, por qué? ¡Y yo que sé por qué! [Warum nur/ bloß, warum nur/ bloß, warum nur/ bloß; immer (wieder) warum nur/ bloß; Und was weiß ich warum? ] (16) wie geht’s, wie steht’s, immer noch auf zwei Beinen? sal · ¿cómo estás? / ¿cómo te va? Ya veo que sigues vivo col iron/ Ya veo que no te has muerto col iron [wie geht’s? , ich sehe ja, das du noch lebst col iron/ ich sehe ja, dass du nicht gestorben bist] (17) du verstehst wohl/ er versteht wohl/ … kein Deutsch? ! ugs · ¿es que no entiendes/ entiende/ … el castellano? col; ¿es que no entiendes/ entiende/ … cuando te/ le/ … hablan? col [verstehst du/ verstehen Sie/ … etwa kein Kastilisch, wenn man mit dir/ Ihnen spricht/ …? ] Mit dem Beispiel dir/ euch/ (ihm/ …) juckt wohl das Fell? ! wird keineswegs in Frage gestellt, ob einem etwas juckt. Die Partikel wohl tritt normalerweise nicht in Interrogativsätzen auf. Da die Satzstellung der Lexeme im Satz an den rhetorischen Effekt eng gekoppelt ist, verhindert die Modalpartikel wohl in diesem Sinne, dass wir das Idiom dir/ euch/ (ihm/ …) juckt wohl das Fell? ! als echte Frage verstehen. Mit der Äußerung dieser Frage können eine Warnung und eine Drohung vollzogen werden. Das Muster dir/ euch/ (ihm/ …) juckt wohl das Fell? ! wird als indirekter Sprechakt - in Form von Fragesatz - geäußert „Bist du bescheuert/ blöd? “: - dir/ euch/ (ihm/ …) juckt wohl das Fell? ! ugs · te la estás/ os la estáis/ … buscando col; te estás/ os estáis/ … ganando una col Dir juckt wohl das Fell, was? ! Wenn du mich auch nur noch ein bißchen herausforderst, bekommst du deine Tracht Prügel, die du offenbar unbedingt haben willst. In dem Beispiel (12) wird das entsprechende spanische Idiom durch eine gleiche Form (rhetorische Frage) ersetzt (¿( y ) dónde está/ cuál es la gracia? - [Worin besteht der Witz? ]), welche keiner Antwort seitens des Adressaten bedarf. Und das dritte Beispiel verweist im Spanischen nicht auf eine rhetorische Frage (haben wir etwa zusammen gekegelt? · no ser colegas [keine Kollegen sein]), sondern auf einen Aussagesatz. Es ist anzumerken, dass die rhetorischen Fragen holistisch als indirekter verbaler Angriff an den Hörer aufgefasst werden können, denn sie bringen je nach Kontext Missbilligung oder Unstimmigkeit des beschriebenen Sachverhalts zum Ausdruck. So wie in folgendem Beispiel: (18) sehe ich so/ danach aus? ! ugs · ¿acaso tengo (yo) cara de eso? (Ein Firmenchef zu einem Geschäftsfreund, der ihn abholen will: ) Sie werden mich ja am Flughafen nicht vergeblich warten lassen, nicht? - Das Wörterbuch IDSP aus der Sicht muster- und formelhaften Sprachgebrauchs 211 Sehe ich so aus? - Ich hab’ schon soviel erlebt, wissen Sie … - Aber doch nicht mit mir! Der Sprecher vollzieht mit dieser rhetorischen Frage sehe ich so/ danach aus? ! ugs · ¿acaso tengo ( yo ) cara de eso? einen indirekten assertiven Sprechakt („Ich bin immer pünktlich“). Ebenso kann das Idiom als indirekte Kritik gedeutet werden. Manche rhetorischen Fragen besitzen nicht die typischen Fragesatztypstruktur wie Du verstehst wohl/ er versteht wohl/ … kein Deutsch? ! . Das Subjekt ist dem Verb vorangestellt und die Partikel wohl wird integriert. In diesem Zusammenhang geht Schemann (2011, S. 85) von der Feststellung aus, dass pragmatisierte Idiome sprechaktrestringiert sind, welche durch ihre Formen bzw. Strukturen erkennbar sein können (Modalpartikeln, Satzstellung, prosodische Merkmale etc.). Ebenso werden in der IDSP für die Partikel wohl folgende Satzmuster nach dem Schema [Du bist wohl X] verzeichnet, welche trotz des Exklamativ-Modus als rhetorische Fragen fungieren können. Durch diese Satzmodi wird eine indirekte Kritik ausgedrückt, mit dem Ziel Konfliktpotenziale in der Kommunikation zu reduzieren: (19) du bist/ der Karl ist/ … wohl vom blauen Affen gebissen! (20) du bist/ er ist/ die Frau Meier ist/ … wohl von allen guten Geistern verlassen! (21) du bist wohl/ sie/ der Peter ist ja/ … jäck ugs selten - nicht (so) (ganz/ (recht)) bei Trost sein (1) Zu b) Für die zweite Gruppe der Interjektionen lassen sich folgende ausgewählte Beispiele aus der „Idiomatik Deutsch-Spanisch“ anführen: (22) ja, ja! ja, ja! · (que) sí, (que) sí col (1, 2) [(aber) ja! ] (23) ach je! ugs · ¡hombre! ; ¡jobar/ joroba! ( euf ); ¡joé/ joder! Vulg [Mensch! Fuck! / Ficken! ] (24) o/ oh ja! pat) · ¡ay! , sí col (1); sí, sí (1, 2); ¡uuh! , sí col (2) (25) aber ja! aber ja! path · ¡claro (que sí)! (1, 2) [aber klar doch! ] (26) ach, was! · ¡bah! col (1); ¡qué va! col (1); ¡vaya! col (2); ¡no me digas! col (2) [sag mir bloß nicht! ] Generell dienen Interjektionen dazu, Gefühlswerte auszudrücken, und sie werden durch Ausrufesätze formuliert. Beispielsweise bringt die Interjektion ach je nach dem Kontext Bedauern, Schmerz, Sehnsucht, Verwunderung usw. zum Ausdruck. Aus semantischer Perspektive betrachtet wird eine Interjektionsphrase durch zwei spezifische Zuordnungsfunktionen gekennzeichnet: Ana Mansilla 212 Exponieren und Appellieren (vgl. Fries 1992, S. 307). Hinsichtlich der grammatikalischen Merkmale der Interjektionen sei darauf hinzuweisen, dass sie unflektiert sind und als satzwertig betrachtet werden: (27) ach je! je: ach je! ugs · ¡hombre! ; ¡jobar/ joroba! euf; ¡joé/ joder! vulg [Mensch! ; Fuck! ; Ficken! ] Du hast mir versprochen, du wolltest mir heute die Popplatten kaufen, Papa. - Ich habe wirklich keine Zeit, Rosi. - Ach je! Du hast auch nie Zeit! Ich kriege die Platten nie, das sehe ich schon! Die spanischen Entsprechungen umfassen ebenso Interjektionen (hombre! , uuh) oder Gesprächsformeln ( ¡qué va! , ¡no me digas! ). Manchmal zieht das Spanische Vulgarismen vor, wenn es um Interjektionen geht ( ¡Joder! ). Im Allgemeinen werden im Spanischen deutlich häufiger Vulgarismen als im Deutschen verwendet, um Emotionen zur Sprache zu bringen. Das Satzmuster [Ach du ADJ heiliger-s/ liebes-r/ dickes-r SUB Christkindchen/ Gott/ Schreck/ Lieschen/ Ei ], deren Slotbesetzungen sehr produktiv sind, deutet auf semantisch-funktionale Restriktionen hin. In der „Idiomatik Deutsch-Spanisch“ kommen folgende Einträge vor: (28) (ach/ . . .) du heiliger Bürokratius geh - scherzh veraltend selten · ¡dichosa burocracia/ burrocracia! col [verdammte Bürokratie! / Verdammte Eselkratie 6 ] (29) ach, du liebes Christkindchen ugs - (ach) du liebes bißchen (30) ach, du liebes Lieschen! ugsiron veraltend selten- (ach) du liebes bißchen (31) (ach) du lieber Gott! ugs · ¡(pero) por Dios (y por la Virgen)! col (1, 2); ¡(ay,) Dios! col (1, 2); ¡Dios santo! col (2) [Gottes wegen! Der Jungfrau Maria wegen! ] (32) (ach) du lieber/ (heiliger) Schreck(en)! ugs, path - (eher: ) (ach) du liebes bißchen! Betrachtet man die lexikalischen Slotbesetzungen (Lückenfüller) näher, so stellt sich heraus, dass die überwiegende Mehrheit religiöse Komponenten darstellt (Gott, Christkindchen) - mit besonders expressiver und appellativer Funktion, die den Ausrufesätzen zugeordnet werden können. Das Spanische präferiert Exklamationen, welche aus dem Subjunktiv des Verbes gehen (ir) vaya abgeleitet werden und stark lexikalisiert als eine feste Exklamation fungieren ( ¡Vaya por Dios! ). Es finden sich einige Parallelismen in Bezug auf die lexikalischen Elemente (Dios). 6 Wortspielerisch ist das Wort Büro dem spanischen Wort Burro [Esel] gleichgesetzt, daher Burrokratie. Das Wörterbuch IDSP aus der Sicht muster- und formelhaften Sprachgebrauchs 213 2.2 Syntaktische Konstruktionen Diese Gruppe von Konstruktionen zeichnet sich dadurch aus, dass es sich immer um feste Strukturen handelt, die lexikalische Erweiterungen mit sich bringen. Ihre lexikalische Festigkeit und Reproduzierbarkeit führt dazu, dass sie als Quasi-Phraseme fungieren. Im Wörterbuch finden sich zahlreiche Idiome, die mit rekurrenten Syntagmen in der unmittelbaren Umgebung des Idioms (syntagmatischen Kerns) ergänzt werden (Steyer 2013, S. 34). Solche lexikalischen Erweiterungen sind z.B. Subjekt- oder Objektergänzungen, Verbkonstruktionen, Satzkonstruktionen, Intensivierer wie Modalpartikeln usw. Im Wörterbuch erscheinen einige Einträge, die verschiedene syntaktische Nebensatztypen aufweisen. Es lassen sich folgende Beispiele heranziehen: (33) ein Trost, daß 7 (wenigstens/ …) … ugs · ser ( por lo menos/ …) un consuelo que (34) es ist eine Pracht, wie j. etw. macht/ wie …, das ist eine Pracht path · es un primor/ una maravilla/ (todo) un lujo como alg. hace algo (canta/ baila/ toca) eso es un (verdadero) primor/ una (verdadera) maravilla/ eso es (todo) un lujo col [es ist eine Pracht/ ein Wunder/ der (totale) Luxus, wie jd. etwas tut (singt/ tanzt/ ein Instrument spielt)],; da gusto oír a alg. cantar/ tocar/ [es ist ein Vergnügen, jdn. singen/ spielen zu hören] (35) in einem solchen Maß(e), daß … form · a tal punto/ hasta un punto tal/ hasta tal punto que …[dermaßen, dass …] (36) weiß der Henker, wo/ wann/ wie/ ob …! sal · sabe Dios dónde/ cuándo/ cómo/ si … col (1); a saber dónde/ cuándo/ cómo/ si … col (1); a ver dónde/ cuándo/ cómo/ si … col (2) [weiß Gott, wo/ wann/ wie/ ob/ …] Hier haben wir es im Sinne der Konstruktionsgrammatik mit Satzmustern zu tun, deren Form und Bedeutung sich nicht direkt aus ihren Komponenten ergeben. Die vier Beispiele leiten jeweils einen dass-Satz, einen Modalsatz, einen Konsekutivsatz und einen Relativsatz ein. Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass diese Konstruktionen/ Schemata durch vollständige oder partielle Matrixsätze (Es ist eine Pracht, wie …; ein Trost, dass …) ausgezeichnet werden, welche mit offenen Nebensätzen zusam- 7 Die „Idiomatik Deutsch-Spanisch“ - wie alle weiteren Lexika der kontrastiven Reihe und des monolingualen Wörterbuchs „Deutsche Idiomatik: Wörterbuch der deutschen Redewendungen im Kontext“ (Schemann 2011) - wurde in der alten Rechtschreibung publiziert, mit den entsprechenden orthografischen Folgen: ß/ ss-Problematik, Mehrfachkonsonanten: numerieren, stillegen. Ana Mansilla 214 men vorkommen. Da diese im Vorfeld stehenden Satzglieder obligatorisch sind, kann man sie nicht ohne Weiteres weglassen. Die spanischen Entsprechungen korrelieren mit den deutschen, wobei das Beispiel weiß der Henker, wo/ wann/ wie/ ob …! im Spanischen nicht die gleichen lexikalischen Komponenten aufweist. Es sei hier anzumerken, dass dieses Muster Varianten in der Slotbesetzung ermöglichen kann: [weiß der S Henker/ Kuckuck/ Herrgott , wo/ wann/ wie/ ob …] Eine zweite Gruppe von Wörterbucheinträgen stellen Wenn-dann-Konstruktionen (Konditionalsätze) nach dem Muster: „Wenn A gegeben ist, folgt B“ dar. In folgendem Abschnitt werden einige IDSP-Beispiele von mehrteiligen Satzmustern angeführt, bei denen der zweite Teil des Satzes (Adverbialsatz der Bedingung mit Verbzweitstellung) vollständig genannt wird, hingegen fungiert der wenn-Nebensatz als Leerstelle, die ausgefüllt werden muss. (37) wenn/ …, (dann) drehe ich/ dreht der Maier/ … ihm/ dem Schulze/ … den Hals um! sal · si/ …, (entonces) le retuerzo/ le retuerce Maier/ … a Schulze/ … el pescuezo col Wenn ich den Schurken erwische, drehe ich ihm den Hals um! - Was ist denn das für ein Ton? »Drehe ich ihm den Hals um« - als wenn du ihn erwürgen wolltest! - Das würde ich auch - wenn ich könnte. (Schemann et al. 2013) Dieser Beleg wenn/ …, (dann) drehe ich/ dreht der Maier/ … ihm/ dem Schulze/ … den Hals um! hat zwei mögliche Lesarten: ‘Wenn A etwas tut, dann folgt B’ und ‘Besser wäre es, wenn X etwas nicht tut, sonst passiert X etwas’. Mit diesem Satz wird eine Drohung ausgedrückt, die den indirekten Sprechakt des Vorwurfes (und/ oder Warnung) darstellt. Drohungen wie das oben zitierte Idiom werden natürlich nie wörtlich interpretiert. Folgende Beispiele im Adverbialsatz weisen auf ähnliche semantische Aspekte (körperliche Gewalt) hin: (38) wenn … , dann scheppert’s sal - wenn … dann gibt’s/ (gibt es) was (1) (39) wenn/ … , … dann ist (aber) Schicht ugs selten · si/ …, entonces se va a montar una bien gorda/ buena [dann wird etwas sehr Dickes/ etwas Gutes organisiert/ veranstaltet] (40) wenn …, dann ist ruck-zuck die Fresse dick sal Neol · si/ como/ …, te suelta un mamporro col [wenn …, dann verpasst er dir gleich ein paar Hiebe] Die Adverbialsätze dann scheppert es, dann ist aber Schicht und dann ist ruckzuck die Fresse dick sind lexikalisierte Idiome, die latente Gewalt manifestieren könnten und metaphorisch motivierbar sind. Im Spanischen werden ähnliche Das Wörterbuch IDSP aus der Sicht muster- und formelhaften Sprachgebrauchs 215 Phraseologismen verwendet, die der gleichen metaphorischen Bedeutung unterliegen, aber andersartige lexikalische Komponenten enthalten, d.h. es gibt keine Isomorphie auf der lexikalischen Ebene. Unterhalb der Satzebene finden sich im Wörterbuch ebenso satzgliedwertige Syntagmen, die immer eine Leerstelle innerhalb des Syntagmas mit sich bringen. Einige Belege seien hier herangezogen: a) Subjektergänzungen (Genitivattribut/ Nominalphrasen) (41) eine Oase der Stille/ der Ruhe/ des Friedens/ … sein path · ser un oasis de paz/ tranquilidad (42) das Maß der Geduld/ Nachgiebigkeit/ … (von jm.) läuft (langsam/ allmählich/ …) über form · das Maß der Geduld/ Nachgiebigkeit (von jm.) ist voll (43) ein Schuß Cognac/ Humor/ … ugs · una gota de coñac, una pizca de sal (1); una pizca de humor (2) b) Verbkonstruktionen - Sich die Seele aus dem Leib V fragen/ husten/ reden/ rennen/ schreien - [Das Blaue vom Himmel V] (44) das Blaue vom Himmel quasseln/ reden/ schwatzen herunterreden/ herunterschwätzen/ ugs · montarse la película [sich einen Film ausdenken] c) Objektergänzungen - Es gibt S [und S] (45) es gibt Knatsch sal - es gibt Stunk (46) es gibt Scherben/ hat … gegeben ugs · saltan/ han saltado chispas; se ha armado la de San Quintín; armarse la gorda [Funken springen; Funken sind gesprungen; der Krieg von San Quintin ist ausgebrochen; etwas Dickes wird passieren] (47) es gibt/ herrscht/ … Zank und Streit form path · haber bronca; haber moros y cristianos col [Krach geben, es wird Mauren und Christen geben] Es handelt sich hier um Konstruktionen, die zwar keinen autonomen Status haben, aber dennoch ein stark begrenztes Erweiterungspotenzial aufweisen. Einige von ihnen werden der gehobenen Sprache zugeschrieben [eine Oase der S], andere gelten als Intensivierung [das Blaue vom Himmel V]. Was die Subjektergänzungen betrifft, gibt es viele Parallelismen zu dem Spanischen, dennoch sind Divergenzen innerhalb der Verbkonstruktion mit dem Spanischen zu erkennen. Was das Satzmuster [es gibt S] betrifft, präferiert das Spanische andere Verben, die eine metaphorische Lesart aufweisen (armarse/ liarse una gorda - Ana Mansilla 216 dann wird es etwas sehr Dickes organisiert/ veranstaltet) und auf die Verben mit klitischen Pronomina zurückzuführen sind. In diesem Zusammenhang werden insbesondere die satzwertigen Konstruktionen kurz erwähnt. Einige Beispiele seien hier gezeigt: (48) der Zug ist (schon) abgefahren/ …, dann ist der Zug abgefahren/ … ugs · + perder el (último) tren col (1,2); + perder la última ocasión (de hacer algo) (1); ser ya demasiado tarde (1,2) [den ( letzten ) Zug verpassen (1,2); die letzte Chance verpassen (1); schon zu spät sein (1,2)] (49) das ist der ganze Witz ugs · ( y ) no hay más col; eso es todo (lo que hay que saber) [und es gibt nichts mehr; das ist alles (was man wissen muss)] (50) das gibt es doch nicht! ugs · ¡es lo último! col (1) [das ist das Allerletzte] (51) ganz meiner Meinung! ugs oft iron · ¡totalmente de acuerdo! (52) das begreife, wer will! ·¡que lo entienda quien pueda! ; ¡que venga alquien y me lo explique! [das verstehe, wer kann; jemand soll kommen und es mir erklären] (53) man kann das Rad der Geschichte/ (Entwicklung) nicht zurückdrehen/ anhalten/ niemand/ … kann … form · no se puede parar el curso de la historia/ …; el curso de la historia/ … es imparable (54) man muß/ j. muß die Menschen nehmen, wie sie sind · hay que/ debemos aceptar a los demás/ a la gente tal y como son/ es Laut Mellado Blanco (2013, S. 116) ist ein Verdienst der „Idiomatik Deutsch- Spanisch“, dass sie im Gegensatz zu anderen phraseologischen Wörterbüchern satzgliedwertige oder satzübergreifende Strukturen wie die oben zitierten Belege lexikografisch registriert. 2.3 Phrasenkomposita Phrasenkomposita zeichnen sich dadurch aus, dass das Erstglied kein richtiges Lexem, sondern eine phrasale Komponente enthält (vgl. Lawrenz 2006, S. 7). Nicht nur für die Morphologie (Wortbildung) ist dieses Phänomen relevant, sondern auch für die Semantik und für die Syntax. Bemerkenswert ist dabei, dass einige Komposita auf Phraseologismen zurückgehen, d.h. es handelt sich nicht um Neubildungen, sondern um Lexeme, die miteinander kookkurrieren und einen Phraseologismus bilden (vgl. Steyer/ Hein 2018). Zudem ist zu betonen, dass die Phrasenkomposita nicht mit den prototypischen Komposita gleichgesetzt werden sollen (vgl. Hein 2015, S. 35). Das Wörterbuch IDSP aus der Sicht muster- und formelhaften Sprachgebrauchs 217 Es muss ferner hinzugefügt werden, dass die Gruppe von Phraseologismen mit Phrasenkomposita als Bestandteile bisher keine Beachtung in der deutschspanischen Lexikografie gefunden hat. Von daher ist es sehr begrüßenswert, dass sie in der „Idiomatik Deutsch-Spanisch“ lemmatisiert werden. Als Beispiele für Phraseologismen, die Phrasenkomposita als Konstituenten enthalten, seien die folgenden genannt: (55) sich auf den Leck’-mich-am-Arsch-Standpunkt stellen vulg · adoptar una postura totalmente pasota (ante todo) ø; pasar de todo col ø [eine total coole Haltung einnehmen; auf alles scheißen] (56) ein (richtiges/ …) Kräutchen/ (Kräutlein)-rühr-mich-nicht-an sein ugs · ser de mírame y no me toques col (1,2); ser una princesa/ princesita (2) [jemand des Typs Guck-mich-an,aber-rühr-mich-nicht-an sein (1,2)]; [eine Prinzessin, eine kleine Prinzessin sein (2)] (57) ein Law-and-Order-Typ (sein) path selten · una persona/ … de orden hoy raro [ein Mensch von Ordnung sein] (58) ein (richtiger/ …) Hans-guck-in-die-Luft sein ugs · estar (siempre) en Babia col; estar (siempre) en la luna col [immer in Babia 8 sein; (immer) auf dem Mond sein] Was die Entsprechungen betrifft, ist festzustellen, dass sie für Übersetzer eine ernsthafte Hürde darstellen können. Im Spanischen sind zu den oben zitierten Beispielen funktionale Entsprechungen zu finden, welche die Bedeutung kontextgebunden wiedergeben. Hinsichtlich des Beispiels ein (richtiges/ …) Kräutchen/ (Kräutlein)-rühr-mich-nicht-an sein ist im Spanischen ein Phrasenkompositum zu beobachten ser de mírame y no me toques, indem es sich bei dem Erstglied um ein Kopulaverb handelt (ser), und das Zweitglied auf einen Phraseologismus in adverbialer Funktion hindeutet (de mírame y no me toques). Im Falle von sich auf den Leck-mich-am-Arsch Standpunkt stellen bestimmt das Zweitglied Standpunkt die übertragene Bedeutung vom Phraseologismus leck mich am Arsch, somit ist dieser mit dem Adjektiv pasota (jd. der weder positive noch negative Gefühle zu bestimmten Dingen oder Vorkommnissen zeigt) zu identifizieren. 2.4 Phrasem - Konstruktionen In der Materialauswahl des Wörterbuches bilden Phrasem-Konstruktionen eine wichtige Innovation, da sie im Gegensatz zu Idiomen bislang lexikografisch kaum erfasst worden sind. In der Phraseologie wurden bereits früher 8 Babia ist eine Gemeinde, die in Leon in Nordspanien liegt. Ana Mansilla 218 Muster diskutiert, denen ein syntaktisches Schema mit offenen Slots als lexikalische Konstituenten zugrunde liegt. Dieser Typ von Konstruktionen wurde bspw. als Modellbildung definiert (Fleischer 1982, S. 135-139). Als Beispiele dafür seien genannt: Schritt für Schritt, Tag für Tag, er will und will nicht etc. Im Sinne von Dobrovol’skij (2011, S. 114) weisen die Phrasem-Konstruktionen eine lexikalische Bedeutung auf, wobei ihre syntaktische Struktur eine konkrete Anzahl von Leerstellen um sich eröffnet, die durch bestimmte Elemente besetzt werden müssen. Dobrovol´skij (2011) zählt Phrasem-Konstruktionen bereits zum Kernbereich der Phraseologie. In Burger (2015) werden sie als Muster (als Phrasemtyp) klassifiziert. Als Beispiele für Phrasem-Konstruktionen, die bereits in der IDSP verzeichnet sind, seien folgende Gruppen genannt: a) Phraseologische Wortpaare (Das Hab und Gut); b) Komplexere Phrasemkonstruktionen. Die phraseologischen Wortpaare sind fest und bestehen aus zwei Wörtern deren Lexeme der gleichen Wortart angehören, wie z.B. die bereits in der IDSP verzeichneten Beispiele: - ADJ und/ aber ADJ: jung und knusprig, jung und schön, gratis und franko, rauh aber herzlich - SUB + PRÄP + SUB (Doppelung desgleichen Substantivs): Arm in Arm, Hand in Hand, Kopf an Kopf, Schulter an Schulter, Schritt für Schritt - SUB und SUB (unterschiedliche Substantive): Furcht und Schrecken, Ach und Weh, Hand und Fuß - PRÄP+ SUB und SUB: nach Recht und Billigkeit, nach Recht und Gesetz, mit Sack und Pack, mit Sang und Klang - V und V: verraten und verkauft, geschniegelt und gebügelt, hegen und pflegen, rütteln und schütteln - ADV und ADV: mehr und mehr, schlicht und ergreifend, offen und ehrlich, sicher ist sicher Komplexere syntaktische Satzmuster sind z.B. solche IDSP-Einträge: - [Du kannst PRON Personal V] (du kannst dir die Knochen einzeln numerieren lassen, du kannst mich mal, du kannst mir den Buckel runterrutschen), - [Vielen Dank/ danke für S] (vielen Dank für die Blumen, danke für Backobst, danke für Obst und Südfrüchte), - [Ein S Beruf/ Position in spe] (ein Leiter/ Chefarzt/ Pianist/ … in spe), Das Wörterbuch IDSP aus der Sicht muster- und formelhaften Sprachgebrauchs 219 - [Der und V Infinitiv! ] (der/ die/ der Alfred/ … und singen/ diktieren/ arbeiten/ …! ), - [Ein RICHTIG SUB (negative Wertung) ] (ein richtiges Brechmittel, ein richtiger Kotzbrocken, ein richtiger Dragoner, ein richtiger Geizkragen), - [Wie SUB Gegenstand (hart)/ Person dastehen]: (wie ein ertappter Sünder dastehen; wie ein Klotz dastehen; wie eine Säule dastehen), - [von etw. so viel V kogn wie der S Tier von DET Dat N2](von etw. so viel verstehen wie der Esel vom Lautenschlangen, von etw. so viel verstehen wie der Hahn vom Eierlegen, von etw. so viel verstehen wie die Kuh vom Brezelbacken) (Mellado Blanco 2015), - [Ich glaub’/ denk’, ich X! ] (ich glaube, ich kriege zu viel; ich glaub’, ich steh’ im Wald; ich denk’, ich krieg’ die Motten; ich denk’, ich seh’ nicht recht), - [Ein Nom N1 von (EIN Dat ) N2] (ein Bild von einem Mädchen/ einer Frau; eine Dame von Welt), - [Das V kann ja ADJ V werden ] (das kann ja nett werden; das kann ja heiter werden; das kann ja reizend werden). 3. schlussfolgerungen Im Beitrag wurde versucht, am Beispiel des Wörterbuches „Idiomatik Deutsch- Spanisch“ (Schemann et al. 2013) in groben Zügen zu explizieren, inwieweit eine Muster- und Konstruktionsperspektive sich auch nutzbringend in der phraseografischen Praxis niederschlagen kann und sollte. Da nach wie vor keine einheitliche und konsensgeeignete Taxonomie von Konstruktionen innerhalb der Phraseologie existiert, wurden folgende Verfestigungstypen ausgewählt, um die Wörterbucheinträge der IDSP aus konstruktioneller Sicht zu erfassen: a) pragmatische Konstruktionen; b) syntaktische Konstruktionen (wobei diese natürlich auch ein pragmatisches Potenzial aufweisen); c) Phrasenkomposita und d) Phrasem-Konstruktionen. Der Beitrag sollte deutlich gemacht haben, dass ein großes Verdienst der IDSP darin besteht, musterhaften Phrasemen bzw. bis dato als peripher angesehenen Einheiten wie pragmatische Konstruktionen und Phrasem-Konstruktionen besondere Aufmerksamkeit zu widmen. literatur Balzer, Berit et al. (2010): Kein Blatt vor den Mund nehmen. Phraseologisches Wörterbuch Deutsch-Spanisch. No tener pelos en la lengua. Diccionario fraseológico alemán-español. Madrid. Beinhauer, Werner (1978): Stilistisch-phraseologisches Wörterbuch spanisch-deutsch. München. 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Beteiligt sind das Projekt „Usuelle Wortverbindungen“ (Leitung: Kathrin Steyer, Institut für Deutsche Sprache, Mannheim), das Projekt WICOL, drittmittelfinanziert durch die Slowakische Forschungsagentur VEGA (Leitung: Peter Ďurčo, Universität Trnava); das Projekt „Combinaciones fraseológicas del alemán de estructura [PREP. + SUST.]: patrones sintagmáticos, descripción lexicográfica y correspondencias en español“ (FFI2013-45769-P), drittmittelfinanziert durch das spanische Ministerium für Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit (Leitung: Carmen Mellado Blanco, Universität Santiago de Compostela). Des Weiteren arbeiten folgende Kolleginnen und Kollegen für das Kooperationsprojekt: IDS - Katrin Hein, Annelen Brunner; Slowakei - Monika Banášová, Simona Dujková, Jana Tabačeková; Spanien (deutscher Teil): Alejandro Alonso, Herbert Holzinger, Nely Iglesias, Ana Mansilla. Die Ergebnisse werden - neben wissenschaftlichen Publikationen - in neuartigen, datennahen lexikografischen Online-Formaten schrittweise präsentiert. Relevante Zielgruppen sind Deutschlerner auf gehobenem Kompetenzniveau (B1 - C2), Deutschlehrende (Schule, Universität) sowie Übersetzer und professionelle Textproduzenten. Mit der Anwendung des musterbasierten Modells usueller Wortverbindungen (UWVs) auf andere Sprachen (in unserem Fall Spanisch und Slowakisch) und der entsprechenden korpuslinguistischen Methodologie (v.a. der Slot-Füller- Analyse mittels lexpan (vgl. lexpan)) betritt das Projekt vor allem im Bereich der kontrastiven Phraseologie sowie in Bezug auf neue Darstellungsformen Neuland. Im Mittelpunkt steht ein in der Phraseologie bislang eher vernachlässigter Typ: Präposition-Nomen-Verbindungen mit rekurrenter Nullstelle (nach Belieben, mit Genugtuung, unter Tränen; nach Jahren), im Kern binäre verfestigte präpositionale Wortverbindungen mit Lexemstatus (PWVs). Wir betrachten diese Einheiten jedoch nicht aus der Perspektive grammatischer Regularitäten, sondern aus semantisch-holistischer Sicht. Das bedeutet, dass solche PWVs als lexikalisierte, phraseologische Minimaleinheiten verstanden werden, die als Ganzes kognitiv verankert und dementsprechend auch als Lexeme zu lernen sind. Gleichzeitig sind sie in ein komplexes Netz von Kotextmustern eingebettet, die den entscheidenden Zugang zu Bedeutung und Gebrauch und demzufolge für unsere lexikografischen Beschreibungen liefern. Auf der Basis des UWV- Modells werden rekurrente Kollokationspartner und syntagmatische Kotext- Teil II: Einleitung 226 muster dieser Einheiten im Deutschen induktiv aus sehr großen Korpora rekonstruiert, qualitativ beschrieben und einem Vergleich mit dem Slowakischen und Spanischen unterzogen. Wir zeigen, dass korpusgesteuerte Clusteringverfahren und Auswertungen der lexikalischen Besetzung von Musterslots eine sehr feine Beschreibung des distinktiven Gebrauchs in den drei Sprachen ermöglichen, letztlich mit dem Ziel, diese Einheiten kommunikativ adäquat in der Fremdsprache einsetzen zu können. Der Beitrag von Steyer führt in die theoretischen und empirischen Eckpunkte des Modells lexikalisch geprägter Muster an der Schnittstelle zur Konstruktionsgrammatik ein, und zwar am Beispiel von PWVs. Es wird ebenso auf neue lexikografische Repräsentationsformen im Online-Format von PREPCON eingegangen, in das zentrale Ergebnisse des Projekts münden: Modul 1 PREPCON explorativ (vollautomatisch), Modul 2 PREPCON temporal (semiautomatisch) und Modul 3 PREPCON kontrastiv. Diese drei Module werden auf der experimentellen Plattform OWID plus am IDS schrittweise publiziert. Die sich anschließenden drei Beiträge (Mellado Blanco/ Steyer; Ďurčo; Hein et al.) verdeutlichen - ausgehend vom Deutschen - die Komplexität eines solchen Musterzugangs bei der Äquivalenzfindung und -beschreibung in den Kontrastsprachen Spanisch und Slowakisch. Durch die Kontrastierung von Kookkurrenzfeldern und den Vergleich von Slotbesetzungen in lexikalischen semiabstrakten Mustern lassen sich sehr viel differenziertere Einsichten in konvergente und divergente Phänomene gewinnen, vor allem auf der pragmatisch-funktionalen Ebene. Somit müssen auch tradierte Äquivalenzkonzepte vollkommen neu bewertet werden. Die linguistischen Perspektiven unseres induktiv-kontrastiven Ansatzes werden im Beitrag von Mellado Blanco/ Steyer u.a. am Beispiel DE mit Genugtuung - ES con satisfacción und im Beitrag von Ďurčo u.a. an DE nach Belieben - SK podľa ľubovôle erörtert; zentrale Aspekte der kontrastiven lexikografischen Beschreibung diskutieren Hein et al. anhand der temporalen PWV DE am Anfang - SK na začiatku - ES al principio. Da sich alle Autoren dieses Teils auf denselben Forschungsstand und Quellenkanon beziehen, wurden die Literaturangaben für Teil II in einem gemeinsamen Verzeichnis am Ende zusammengefasst und nicht gesondert jedem Beitrag angefügt. Die wörtlichen Übersetzungen der deutschen Ausgangseinheiten sind in runde Klammern gesetzt. Alle Abkürzungen werden im entsprechenden Verzeichnis im Anhang dokumentiert. Kathrin Steyer LexikaLisch geprägte Muster - ModeLL, Methoden und ForMen der onLinepräsentation 1. einleitung Linguistic usage patterns are not just coincidental phenomena on the textual surface but constitute a fundamental constructional principle of language. At the same time, however, linguistic patterns are highly idiosyncratic in the sense that they tend to be item-specific and unpredictable, thus defying all attempts at capturing them by general abstract rules. […] What all of these approaches [that deal with constructions, collocations, patterns, etc. K.S.] share, in addition to their interest in recurrent patterns, is a strong commitment to the value of usage, be it in the wider sense of usage as an empirical basis for sound linguistic analysis and description or in the narrower sense of usage as constituting the basis for the emergence and consolidation of linguistic knowledge. (Herbst/ Schmid/ Faulhaber 2014, S. 1) Sprachliche Verfestigung wird in diesem Beitrag als funktionale Fixiertheit von syntagmatischen Wortfolgen durch rekurrenten und damit konventionalisierten Gebrauch verstanden. Diese Wortfolgen unterliegen einem potenziell höheren Lexikalisierungsgrad, fungieren als semantisch autonome sprachliche Einheiten und sind ebenso im Lexikon verankert wie andere Lexeme. Solche geronnenen Verbindungen nenne ich ‘Usuelle Wortverbindungen’ (UWV) (vgl. Steyer 2000, 2013). Korpuslinguistische Forschungen haben deutlich vor Augen geführt, dass usuelle Wortverbindungen häufig fragmentarisch oder verschachtelt verwendet werden und sich als Mehrwortlexeme in einer komplexen Verflechtung innerhalb des Wortschatzes wiederfinden, z.B. mit Monolexemen, wobei nie eine vollkommene Synonymie existiert, sondern immer ein Mehr an Ausdrucksqualität auf der einen oder anderen Seite gegeben ist. Eine der folgenreichsten Resultate korpusempirischer phraseologischer Forschungen ist die Einsicht, dass Wortverbindungen trotz ausgeprägter Lexikalisierung fast immer auf schematischen Vorprägungen fußen und das ganz grundsätzlich. Sie sind in systematischer Weise mit anderen Wortverbindungen ähnlicher Art verwoben und zwar als typische Realisierungen semiabstrakter Schemata, die ich als Muster bezeichne (siehe 2.3). 1 1 Zum Musterbegriff vgl. Bücker (2015); zur Geschichte des ‘pattern’-Begriffs vgl. Hunston/ Francis (2000, S. 1-36). Zu verwandten Konzepten innerhalb des Forschungsfelds „lexicogrammatical patterns“ vgl. Schmid (2014, S. 254-259), vgl. insgesamt Herbst/ Schmid/ Faulhaber (Hg.) (2014). Vgl. ebenso Engelberg et al. (Hg.) (2018). Kathrin Steyer 228 Die Phraseologie, die man sicherlich als die Urdisziplin für die Erforschung und Beschreibung sprachlicher Verfestigung ansehen kann (vgl. z.B. schon Burger/ Buhofer/ Sialm 1982; Steyer (Hg.) 2004) 2 , widmet sich seit geraumer Zeit intensiv solchen Musterphänomenen. 3 Neben der Korpuslinguistik hat auch die Konstruktionsgrammatik diese „Musterwende“ stark beeinflusst (vgl. dazu Feilke 2007). Im Band „Konstruktionsgrammatik III“ (Lasch/ Ziem (Hg.) 2011) wurde die Beziehung zwischen Konstruktionsgrammatik und lexikalisch teilspezifizierten Phrasemen erstmals explizit reflektiert, vor allem in den Beiträgen von Dobrovol’skij (2011) (siehe dort den Terminus ‘Phrasem-Konstruktion’), von Staffeldt (2011) und von Stathi (2011). Es gibt unbestritten große Anschlussstellen zur gebrauchsbasierten Konstruktionsgrammatik (vgl. Ziem in unserem Band), vor allem in Bezug auf die Auffassung von Konstruktionen als semiabstrakte Form-Bedeutungs-Paare, die stark pragmatisierte holistische Bedeutungen konstituieren und deren Slots durch rekurrenten Gebrauch gefüllt werden (vgl. Ziem/ Lasch 2013, S. 152-153). Ziem/ Lasch bezeichnen Phraseologismen gar als Paradebeispiele für Konstruktionen (ebd. S. 152). 4 Der allgemein gehaltene Terminus ‘Muster’ scheint jedoch weniger programmatisch aufgeladen zu sein als ‘Konstruktion’ und lässt genug Spielraum für unterschiedliche Perspektivierungen (vgl. Engelberg et al. 2018; Zeschel in diesem Band). Ein Argument für ‘Muster’ als übergreifendes Konzept ist in unserem Projektzusammenhang der primär lexikalistische Zugang des UWV- Modells. Es geht um die Rekonstruktion lexikalischer Verfestigung aus funktionaler Perspektive bei syntaktisch durchaus varianten Strukturen. Dieser Fokus auf lexikalische Phänomene bedeutet aber nicht, den Aspekt syntaktischer Prägung weitgehend auszublenden (Feilke 2007, S. 66), sondern ist der empirischen Erkenntnis geschuldet, dass sich vor allem lexikalische Bruchstücke kognitiv verfestigen und in der Sprachproduktion jeweils in spezifische syn- 2 Fleischer zeichnet die Entwicklung der Phraseologie bis hin zu ihren frühen Wurzeln umfassend nach (1997, S. 1-28). Vgl. auch die mittlerweile 5. neu bearbeitete Auflage von Burgers Einführung in die Phraseologie (Burger 2015) sowie die beiden HSK-Bände zur Phraseologie (Burger et al. (Hg.) 2007). 3 Dobrovol’skij (2011, S. 114) verweist auf frühe Traditionen bezüglich Schablonen und Schemata in der Phraseologie. Das betrifft vor allem ‘Modellbildungen’ (z.B. Černyševa 1970) und ‘Phraseoschablonen’ (Fleischer 1997). Fleischer spricht von syntaktischen Strukturen, „deren lexikalische Füllung variabel ist, die aber eine Art syntaktischer Idiomatizität aufweisen“ (Fleischer 1997, S. 131); (vgl. auch ‘formal or lexically open idioms’ bei Fillmore/ Kay/ O’Connor 1988; ‘constructional idioms’ bei Taylor u.a. 2003; ‘multi-word patterns’ bei Biber 2009 u.v.a). 4 Eine ausführliche Diskussion zu zentralen KxG-Prämissen findet sich in Ziem/ Lasch (2013), die in diesem Kontext auch sehr anschaulich die Geschichte und Strömungen der Konstruktionsgrammatik von Lackhoff über Goldberg bis zu Croft, Fillmore & Kay, Langacker u.v.a darstellen. Die erste systematische deutschsprachige KxG-Einführung ist der Band von Fischer/ Stefanowitsch (Hg.) (2006); zur Schnittstelle von Frame-Semantik und KxG vgl. Boas (2018). Lexikalisch geprägte Muster 229 taktische Strukturen eingebettet werden. Auch wenn die folgenden Ausführungen mikrosyntaktische Fügungen in den Blick nehmen, sind Aspekte der Syntax an sich demzufolge nicht das primäre Erkenntnisziel. 2. usuelle Wortverbindungen und lexikalisch geprägte Muster 2.1 Sprachliche Autonomie verfestigter Einheiten Einzelwortübergreifende lexikalische Verfestigung entsteht durch wiederholtes Auftreten verwandter syntagmatischer Strukturen in vergleichbaren Kontexten (vgl. Feilkes Theorie der idiomatischen Prägung 1996, 1998, 2004). In dem uns interessierenden Fall führt sie zu usuellen Wortverbindungen. Das wichtigste Kriterium ist das Potenzial eines Ausdrucks, als eigenständige holistische Einheit zu fungieren. Die Bestimmung der holistischen Qualität von Wortfolgen, die diese zu Mehrwort-Lexemen macht, ist ohne Zweifel die klassische Frage der Phraseologie seit der Entstehung dieser Disziplin (vgl. Burger et al. (Hg.) 2007). Mittlerweile hat sich in der Phraseologie die Einsicht durchgesetzt, dass eine solche Lexemqualität primär nicht durch eng gefasste semantische Idiomatizität entsteht, sondern durch funktionale Verfestigungsprozesse aufgrund rekurrenten Gebrauchs, und dass demzufolge auch semantisch vollkommen transparent erscheinende Wortgruppen zu sprachlichen Bausteinen gerinnen können. Um eine Entität als autonom ansehen zu können, muss die Frage beantwortet werden, welche Kombination welcher Elemente notwendig - also obligatorisch - ist, um eine bedeutungstragende Einheit zu konstituieren, und welche Elemente fakultativ hinzutreten, um die Verwendungskontexte auszudifferenzieren. Obligatorisch bedeutet, dass keine Komponente getilgt werden kann, ohne dass dabei die Autonomie als Lexem verloren geht. So haben folgende usuelle Wortverbindungen einen festen lexikalischen Kern, der obligatorisch für die eigenständige Bedeutung und die Realisierung spezifischer kommunikativer Funktionen ist: (1) von Grund auf (‘vollkommen’; ‘umfassend’; ‘völlig’) (Intensivierung) in Kürze (‘umgehend’; ‘bald’) (Ankündigung, Versprechen) in Wirklichkeit (‘eigentlich’) (Diskursmarker) im eigenen Saft schmoren (‘ohne äußere Anregung, nur auf sich selbst bezogen sein’) (Kritik) Auch lexikalisch geprägte Muster können dahingehend klassifiziert werden, ob Slots obligatorisch für den übersummativen Status sind oder fakultative Erweiterungen darstellen (dazu ausführlich Punkt 2.3). Kathrin Steyer 230 2.2 Autonome Wortverbindungen am Beispiel von binären P - N - Verbindungen Vorangestellt seien zwei terminologische Anmerkungen: Die Bezeichnung ‘Nomen’ inkludiert sowohl primäre als auch abgeleitete Nomina in jeglicher Form. In Bezug auf die Wortklasse ‘Präposition’ fassen wir auch Verschmelzungen wie am, im oder um als eigenständige Präpositionen auf (vgl. grammis 2.0) 5 , nicht zuletzt aufgrund der teils stark divergierenden Distributionsprofile von Vorkommen mit Artikel wie an dem vs. Vorkommen von Verschmelzungen wie am. In diesem Abschnitt wird das Kriterium der Autonomie anhand präpositionaler usueller Wortverbindungen (PWVs) des Typs ‘binäre Präposition-Nomen-Verbindung mit rekurrenter interner Nullstelle’ erläutert, der im Mittelpunkt der meisten aktuellen Teilstudien des PREPCON-Projekts steht. Beispiele für binäre PWVs sind: aus Gewohnheit; bei Gelegenheit; mit Vehemenz oder hinter Glas. Die Bezeichnung ‘präpositionale Wortverbindung’ fokussiert die syntaktische Struktur ‘Präposition plus Nomen’ und nicht die grammatische Funktion des Mehrwortlexems, wie das z.B. in der Basisklassifikation bei Burger der Fall ist. So fasst er auch Wortverbindungen mit präpositionalem Kopfelement wie auf jeden Fall oder im Handumdrehen als ‘adverbiale Phraseme‘ auf (2015, S. 33). PWVs in unserer Definition erfüllen häufig adverbiale Funktionen; sie können jedoch auch als mehrgliedrige Präpositionen fungieren wie aus Gründen (‘wegen‘). Kennzeichnend für den PWV-Subtyp [P N] ist, dass die Leerstelle zwischen der Präposition und dem Nomen überproportional häufig nicht besetzt ist. Das bedeutet aber nicht, dass dieser Slot daneben nicht auch noch gefüllt werden kann (siehe ‘lexikalische Erweiterungsmuster’ in 2.3.3). Solche Slotbesetzungen können zum einen Bedeutungen ausdifferenzieren, zum anderen aber auch zu neuen Bedeutungen und damit zu neuen PWVs führen (siehe Beispiel in Kürze → in aller Kürze weiter unten). Die rekurrente Nullstelle vor dem Nomen deutet auf einen höheren Grad an Lexikalisierung hin und ist daher phraseologisch (auch konstruktionell) von besonderem Interesse. Unsere Fragestellung unterscheidet sich von der grammatischen Perspektive insofern, als es uns explizit nicht um Bedeutungen und Funktionen von Präpositionen in Kombination mit Nomina, um den Status als PP oder um die grammatischen Regularitäten der Nullartikelverwendung 5 Vgl. weiterführende Texte in der „Systematischen Grammatik“ in grammis 2.0 zum Eintrag „Nomen“ (http: / / hypermedia.ids-mannheim.de/ call/ public/ sysgram.ansicht? v_id=273) und zum Eintrag „Präposition“ (http: / / hypermedia.ids-mannheim.de/ call/ public/ sysgram.ansicht? v_id=210) (Stand: 13.12.2017). Eine aktuelle empirisch abgesicherte Arbeit zu Verschmelzungen aus kontrastiver Sicht ist Augustin (2018). Lexikalisch geprägte Muster 231 geht, 6 sondern um die Erhellung typischen Gebrauchs von binären PWVs als eigenständige Lexeme, und zwar auf der Basis eines kontexualistischen Zugangs über rekurrente Kotexteinbettungen (zur Unterscheidung von Ko- und Kontext siehe 3.). Weinrich bringt diese wortschatzbezogene Sichtweise u.a. bei der Behandlung der Präposition ohne auf den Punkt: Je enger dabei der Erwartungsrahmen ist, umso eher bietet sich die Präposition ohne zum Gebrauch an; sie steht daher sehr oft mit nachfolgendem Null-Artikel, also unter den Bedingungen besonders enger Zusammengehörigkeit von Basis und Adjunkt. Das zeigen auch die folgenden ohne-Adjunkte, die lexikalisiert zu adverbialen Ausdrücken verfestigt sind (Hervorhebung d. A.) und bisweilen den Adjektiv-Ableitungen mit dem Suffix -los entsprechen: ohne Zweifel (= zweifellos); […] ohne Mühe (= mühelos) […]. (Weinrich 2007, S. 683) Diese - wenn man so will - lexikalistische Interpretation ist der zentrale Ansatzpunkt unseres Modells. P-N-Kombinationen werden nicht unter dem Gesichtspunkt grammatischer Verbindbarkeit betrachtet, sondern als mehr oder weniger verfestigte Lexeme, als Phraseme oder - in unserer Terminlogie - als usuelle Wortverbindungen aufgefasst. Binäre PWVs verstehe ich demzufolge als phraseologische Minimaleinheiten. Binäre PWVs haben - wie bereits erwähnt - oft adverbiale Funktionen sowohl in Form von Verbgruppenals auch von Satzadverbialia 7 . So fungiert die PWV mit Bedacht als Verbgruppenadverbial: mit Bedacht {wählen/ aussuchen/ vorgehen/ zusammenstellen/ handeln/ angehen}; ebenso im Alleingang (z.B. Auf Linksaußen wurde Dieter Backes immer stärker und entschied die Partie mit drei Treffer fast im Alleingang; Nicht alles kann die rot-grüne Koalition im Alleingang durchsetzen). 6 Der Terminus ‚Nullartikel‘ als eine Ausprägung der Nullstelle zwischen P und N bezieht sich natürlich nicht auf Verschmelzungen. Hier kann die Leerstelle fakultativ nur durch andere Wortklassen besetzt werden, z.B. Adjektive. Eine der wenigen Arbeiten, die artikellose Präposition-Nomen-Verbindungen direkt zum Gegenstand haben, ist die Untersuchung von Kiss (2011). Verwiesen sei darüber hinaus auf das Handbuch für die Bestimmung und Annotation von Präpositionsbedeutungen im Deutschen, die bisher umfassendste, empirisch fundierte Erfassung des Bedeutungsinventars von 22 einfachen Präpositionen des Deutschen (vgl. Kiss et al. 2014). 7 grammis 2.0 („Grammatische Fachbegriffe“) gibt folgende Definitionen: „Als Verbgruppenadverbiale (Plural: Verbgruppenadverbialia) bezeichnen wir ein Adverbiale, das eine Verbgruppe modifiziert, d.h. zusammen mit einer Verbgruppe wieder eine Verbgruppe ergibt. […] Mit Begeisterung stürzte er sich auf die neue Aufgabe. […]“ (http: / / hypermedia.ids-mannheim.de/ call/ public/ termwb.ansicht? v_id=243). „Ein Satzadverbiale (Plural: Satzadverbialia) ist ein Adverbiale, das sich im Unterschied zum Verbgruppenadverbiale auf den ganzen Satz bezieht (1), d.h. zusammen mit einem vollständigen Satz einen neuen Satz ergibt. […] (2) Es hat den ganzen Tag geregnet. […]“ (http: / / hypermedia.ids-mannheim.de/ call/ public/ termwb.ansicht? v_id=242). Kathrin Steyer 232 Beispiele für satzadverbiale PWVs sind in Wirklichkeit (‘eigentlich’), im Prinzip (‘prinzipiell’), ohne Zweifel (‘zweifellos’), im Endeffekt (‘letztlich’), zum Glück (‘glücklicherweise’). Binäre PWVs können lokale, temporale, modale oder kausale Funktionen haben, wobei lokale und temporale PWVs fast immer auch modal verwendet werden. Im Folgenden seien einige Beispiele aufgeführt: 8 (2) Temporale PWVs: in Kürze, auf Dauer, in Etappen, nach Jahren, am Anfang, seit Kindertagen; Modale PWVs: nach Belieben, mit Genugtuung, durch Menschenhand, durch Zufall; Lokale PWVs: vor Ort, hinter Glas; Kausale PWVs: wegen Mordes. Diese Einordnungen weisen jedoch fließende Übergänge auf bis hin zu anderen Ausdrucksklassen. So lassen sich viele PWVs neben der Funktion als Adverbiale auch als kommunikative Formeln (vgl. Stein 2004) oder Diskursmarker interpretieren, wie die satzadverbiale Wortverbindung im Endeffekt (‘letztlich’, ‘schlussendlich’). Das zentrale Kriterium für eine binäre PWV ist die in 2.1 eingeführte Autonomie als lexikalische Einheit, die an der Obligatorik der Komponenten festzumachen ist, d.h. die Frage, welche Komponenten für eine - in unserem Fall binäre - bedeutungstragende Einheit zwingend sind: z.B. Die Kinder basteln selbstständig, aber unter Aufsicht (autonom) im Gegensatz zu *Das Projekt wird durchgeführt unter Leitung (obligatorische Ergänzung: des Präsidenten). Nimmt man das Autonomie-Kriterium ernst, können folgende Kandidaten nicht als binäre PWVs gelten, da sie weitere obligatorische Komponenten für ihren Einheitsstatus benötigen. Diese PWVs werden in den folgenden Ausführungen daher auch nur am Rande betrachtet: - P N fordert einen genitivischen Anschluss (auf Betreiben des Ministers vs. *auf Betreiben); - P ist eigentlich Teil einer NP (Mann mit Ideen vs. *mit Ideen); - P ist Teil einer VP (mit Präpositionalobjekt) (auf Widerstand stoßen → auf etw. stoßen vs. *auf Widerstand); - P N wird durch weitere P ergänzt (von Grund auf vs.*von Grund); - P N ist in eine Zwillingsformel eingebettet (nach Lust und Laune vs. *nach Lust); - P N ist Teil eines Funktionsverbgefüges (unter Beweis stellen vs.*unter Beweis). 8 Vgl. auch Di Meola (2014). Lexikalisch geprägte Muster 233 Anzumerken ist, dass binäre PWVs in vielen Fällen sowohl als autonomes Satzglied als auch als Teil anderer Satzglieder verwendet werden. Bei den unten aufgeführten Beispielen (3) und (4) handelt es sich um lexikalisierte autonome Wortverbindungen, und zwar am Ende sowie am Ende des Tages in der Funktion eines Satzadverbials mit der Bedeutung ‘schlussendlich’; ‘im Endeffekt’. Das Syntagma am Ende des Tages ist dabei bifunktional, da es auch rein temporal verwendet werden kann wie in (5), und zwar als Realisierung des Musters [am Ende DET N Temporalität ]. Beispiel (6) illustriert eine weitere Füllung des N-Slots (am Ende des Jahres): 9 (3) Gegen die Street-Soccer-Elite von ganz Österreich ist für Burgenlands Teams viel Einsatz und Können gefragt, um am Ende ganz oben zu stehen. Spannend wird es auch für das burgenländische Nachwuchstalent Dominik Haberl. (Burgenländische Volkszeitung, 10.9.2008, S. 54, Auch der Süden ist beim Finale vertreten) (4) Landscheid in der Eifel: ein Idyll für Mensch und Tier. Aber wie lange noch? Die örtliche Bürgerinitiative fürchtet eine Invasion von Ballermännern. Foto: Picture Alliance „Ich glaube, das Projekt wird am Ende des Tages am Lärm scheitern“. (Süddeutsche Zeitung, 16.5.2014, S. 9. Feuer frei) (5) Dribbeln wie Ronaldo, flanken wie Bernd Schneider rund 80 Nachwuchskicker versuchen bei der TSG Bretzenheim das DFB- Fußballabzeichen zu bekommen. Sechs Kinder erhalten am Ende des Tages das bronzene Abzeichen, sieben das silberne. Vier Jungs bekommen Gold. (Rhein-Zeitung, 30.8.2005, Vorbilder sind Beckham und Ronaldo) (6) Benötigt ein Bürger Urkunden, so kann er beim Standbeamten seines Wohnortes jederzeit beglaubigte Abschriften und Auszüge beantragen. Heute werden die Personenstandsbücher natürlich mit Computern geführt und am Ende des Jahres werden die Ausdrucke dann zu Büchern gebunden. (Rhein-Zeitung, 29.1.1998, 200 Jahre staatliche Bürger-Buchhaltung) Interessant ist, dass die satzadverbiale Verwendung von am Ende des Tages nur für Tag zutrifft, nicht aber für die anderen N-Füller des Musters [am Ende der|des N]. Diese Verwendung in der Bedeutung ‘schlussendlich; im Endeffekt’ weist deutliche Parallelen zum englischen at the end of the day auf. Möglicherweise 9 Alle Korpusbelege dieses Beitrags basieren auf dem Deutschen Referenzkorpus (DeReKo, vgl. Institut für Deutsche Sprache 2017), erhoben mit COSMAS II (vgl. CII). Daher wird auf eine gesonderte Kennzeichnung der Belege mit „DeReKo“ verzichtet. Kathrin Steyer 234 handelt es sich hier um eine Lehnübersetzung ins Deutsche. Die Klärung dieser Frage muss aber anderen Untersuchungen vorbehalten bleiben. Das vielschichtige Problem der Obligatorik von Komponenten lässt sich am Beispiel des Quantifikativ-Artikels aller (vgl. grammis 2.0) 10 und seiner Funktion als Komponente einer PWV sehr gut veranschaulichen: So wird die Wortverbindung in Kürze häufig durch aller erweitert. Diese stellt jedoch keine rein kotextuelle Erweiterung der temporalen PWV dar (z.B. zur Intensivierung), sondern konstituiert eine neue autonome trinäre WV in aller Kürze mit dem obligatorischen Element aller, die bis auf wenige Ausnahmen der temporalen Lesart die modale Verwendung in der Bedeutung ‘kurz gehalten’, ‘zusammenfassend’ aufweist. Im Gegensatz dazu erbringt die adjektivische interne Erweiterung aller bei [in X Ruhe] keine relevante semantische Divergenz. Vielmehr entsteht allenfalls ein funktionaler Mehrwert durch Intensivierung (z.B. in Ruhe vs. in aller Ruhe). Hierbei handelt es sich um ein fakultatives, wenn auch ebenfalls rekurrentes Erweiterungsmuster. Auf diese Unterscheidung komme ich gleich zurück. Interessant ist auch ein Vergleich der PWVs a) in aller Ruhe vs. b) in aller Seelenruhe. In diesen PWVs hat der Quantifikativ-Artikel aller einen unterschiedlich ausgeprägten Anteil an der holistischen Bedeutung: Während in a) in über 65% der Fälle tatsächlich eine binäre PWV in Ruhe vorliegt und aller mit knapp 20% die prototypische Ergänzung darstellt (zum Zwecke der Intensivierung), kommt aller in b) in knapp 90% der in Seelenruhe-Verwendungen vor. Hier ist von einer Lexikalisierung der trinären Verbindung in aller Seelenruhe auszugehen, wobei es sich immer um ein Kontinuum von Obligatorik handelt. Die Ruhe-Beispiele verdeutlichen darüber hinaus, dass auch Kompositabildungen, hier mit dem Grundwort Ruhe, zu Verschiebungen der holistischen Bedeutung führen können. So wird aufgrund des Bestimmungswortes Seelen bei Seelenruhe ein anderer Bedeutungsaspekt als bei der Wortverbindung in aller Ruhe ausgedrückt: Während in aller Ruhe vor allem auf Konzepte wie ‘Gelassenheit; ‘Unaufgeregtheit’; ‘Durchdenken’ oder ‘kein vorschnelles Handeln’ referiert (z.B. in Verbindung mit Verben wie anschauen, abwarten, analysieren, diskutieren), drückt in aller Seelenruhe vor allem den Aspekt aus, dass sich jemand von nichts und niemandem in seinem Tun abhalten lässt (Diebe beim Einbruch, Fußballer beim Toreschießen, Kühe beim Über-die-Straße-Laufen usw.). Somit stellen in aller Ruhe und in aller Seelenruhe selbstständige UWVs mit je spezifischen kommunikativen Funktionen dar. 10 Vgl. Eintrag „Quantifikativ-Artikel“ in „Grammatische Fachbegriffe“ in grammis 2.0 (http: / / hy permedia.ids-mannheim.de/ call/ public/ termwb.ansicht? v_app=g&v_id=113) (Stand: 13.12.2017). Lexikalisch geprägte Muster 235 2.3 Lexikalisch geprägte Muster 2.3.1 Einleitung Um die lexikalistische Perspektive des UWV-Ansatzes zu betonen, wird der Terminus ‘lexikalisch geprägte Muster’ eingeführt. Lexikalisch geprägte Muster weisen feste lexikalische Komponenten (zumindest eine) und Leerstellen (Slots) auf. 11 Das bedeutet, es muss immer einen lexikalischen Anker geben, um den herum sich ein semiabstraktes Muster konstituiert. 12 Die Besetzung der Slots ist primär funktional restringiert, und die Füller müssen nicht ein- und derselben morphosyntaktischen Klasse angehören. Lexikalisch geprägte Muster haben ebenso wie feste Wortverbindungen das Potenzial, zu Lexikoneinheiten zu gerinnen (vgl. „geprägte komplexe Ausdrucksmuster“ bei Feilke 1996, S. 187). Zur Illustration soll zunächst das Muster [allen N|NP zum Trotz] herangezogen werden, das strukturell zwar keine präpositionale Wortverbindung darstellt, mit dem Syntagma zum Trotz aber eine quasi-präpositionale, der N|NP nachgestellte Komponente aufweist (zum Trotz → ‘trotz’). In den folgenden Punkten liegt der Fokus dann wieder auf Wortverbindungen und Mustern der P-N- Struktur (z.B. komplexere UWVs wie aus welchen Gründen auch immer und zugrunde liegende Muster wie [aus X auch immer] und binäre UWVs wie durch Zufall und zugrundeliegende Muster wie [durch X Zufall]). Aufgrund seiner hohen Vorkommenshäufigkeit kann das Muster [allen N|NP zum Trotz] als stark verfestigt angesehen werden. 13 Es hat eine adverbiale Funktion mit konzessiver Bedeutung. 14 Man könnte nun annehmen, dass der N|NP- Slot analog zu den ‘trotz X’-Verwendungen (z.B. trotz {Wirtschaftskrise/ Verlusten/ Vollbremsung}; trotz {heftiger Kritik/ nationaler Bestzeit/ marktwirtschaftlicher 11 Die Unterscheidung zwischen autonomen, lexikalisierten Wortverbindungen einerseits und semiabstrakten Mustern anderseits lässt sich auch mit dem „Grad idiomatischer Formfixiertheit“ fassen, und zwar als lexikalisch voll spezifiziert und teil spezifiziert Deppermann (2006, S. 48-49). Der dritte Typus der voll schematisierten Konstruktionen steht in PREPCON nicht im Zentrum der Betrachtung. Das UWV-Modell ist dahingehend eine Weiterenwicklung, als für die lexikalisch teil spezifizierten Muster zwei Untertypen angesetzt werden (WV-Muster, lexikalische Erweiterungsmuster). Frühe Corpus-driven-Zugänge zu Kollokationsmustern findet man z.B. bei Renouf/ Sinclair (1991) (bei ihnen ‘collocational frameworks’). 12 Vgl auch Dobrovol’skij (2011, S. 113). 13 Allein im W-Archiv (W) (Umfang: ca. 9 Milliarden Wortformen, Stand: 22.11.2017) des Deutschen Referenzkorpus (DeReKo; vgl. Institut für Deutsche Sprache 2017) weist dieses Muster eine Häufigkeit von 23.778 Vorkommen (V) auf. Die zugrunde liegende COSMAS II - Query (CII-Q) ist: $allen / +w4 zum / +w1: 1 Trotz . 14 Vgl. Eintrag „trotz“ in „Grammatisches Wörterbuch“ in grammis 2.0 (http: / / hypermedia.idsmannheim.de/ call/ public/ gramwb.ansicht? v_app=g&v_kat=gramm&v_buchstabe=T&v_ id=23) (Stand: 13.12.2017). Kathrin Steyer 236 Orientierung}) 15 mit Nomina oder Adjektiv-Nomen-Verbindungen besetzt werden kann, die auf irgendeine Art und Weise auf bestimmte Ursachen oder Begleiterscheinungen referieren. Die Slotbesetzungen bei [allen N|NP zum Trotz] sind jedoch funktional stärker restringiert. Die mit Abstand häufigste nominale Gruppe referiert auf Sprechhandlungen bzw. kommunikative Akte im weitesten Sinne, wobei einige Füller konnotativ aufgeladen sind, hier einige frequente Beispiele: allen {Unkenrufen/ Warnungen/ Beteuerungen/ Gerüchten/ Dementis/ Protesten/ Lippenbekentnissen/ Appellen/ Sonntagsreden/ Kassandrarufen/ Horrormeldungen/ Klageliedern} zum Trotz. In anderen Vorkommen werden Adjektive hinzugefügt: allen {gegenteiligen Beteuerungen/ anderslautenden Gerüchten/ düsteren Prognosen/ vollmundigen Erklärungen} zum Trotz. Eine dritte Gruppe referiert auf Akteure, die bestimmte Sprechhandlungen vollziehen oder aber eine bestimmte Sachverhaltsbewertung ausdrücken wie allen {Skeptikern/ Zweiflern/ Kritikern/ Pessimisten} zum Trotz. Teils sind die ausgedrückten Konnotationen in der Bedeutung der Nomina inkorporiert (z.B. Lippenbekenntnis oder Nörgler) 16 , teils treten sie erst durch wertende Attribute hinzu (z.B. düster oder vollmundig). Die Mehrheit der Füller lässt sich jedoch nicht allein mit klassischen Sprechaktkategorien erfassen, sondern zeugt von einer Ausdrucksvarianz in Bezug auf kommunikative Handlungen, die introspektiv so nicht herleitbar wäre, z.B. in Form konnotativ aufgeladener nominalisierter kommunikativer Handlungen (Kassandraruf, Sonntagsrede oder Horrormeldung) oder konnotativ aufgeladener Bezeichnungen für die Träger dieser Handlungen (z.B. Pessimist, Zweifler, Nörgler oder Bedenkenträger). Ungeachtet der Varianz bezüglich der Füller-Wortklassen lässt sich eine holistische Musterbedeutung mit zwei semantischen Teilaspekten für [allen N|NP KommunikationKonnotation zum Trotz] ansetzen: ‘Obwohl etwas so schien, ist es doch anders eingetreten’ mit zwei Teilbedeutungen: a) ‘Obwohl vor etwas Negativem gewarnt bzw. etwas Negatives vorausgesehen wurde, ist doch etwas Positives eingetreten’; b) ‘Obwohl etwas Positives in Aussicht gestellt wurde, ist es doch etwas Negatives eingetreten’. Dieses Beispiel illustriert darüber hinaus die eingangs erwähnte Vernetzung und Überlappung mit anderen Einheiten und Mustern: So wird das Syntagma zum Trotz auch ohne den Quantifikativ-Artikel allverwendet, z.B. durch vorgelagerte NP-Ergänzungen wie {dem Regen/ den widrigen Umständen/ Protesten von Tierschützern} zum Trotz. Des Weiteren stellt zum Trotz eine Komponente 15 Alle im Folgenden aufgeführten Füller und Kollokationspartner sind eine Auswahl aus der Gesamtmenge der im Korpus vorkommenden Exemplare, daher wird auf Auslassungszeichen verzichtet. 16 Zu Einstellungsausdrücken und ausgedrückten Einstellungen vgl. schon Lang (1983). Lexikalisch geprägte Muster 237 der UWV allem zum Trotz dar. Hier fungiert das Syntagma als mehrgliedriger Adverbkonnektor in der Bedeutung ‘trotz alledem’ bzw. ‘trotzdem’. 17 (7) Zum Helferteam von Anna Müller, die an einer fortschreitenden Nervenerkrankung mit massiver Beeinträchtigung der Muskulatur leidet, gehört nicht nur Nomi. Die 27-Jährige braucht fast rund um die Uhr Assistenz. Allem zum Trotz [= trotzdem] kämpft sie um ein Leben in den eigenen vier Wänden. (Mannheimer Morgen, 31.10.2011, S. 19) Interessant ist, dass in diesen Realisierungen der funktionale Aspekt der kommunikativen Handlungen keine maßgebliche Rolle spielt. Die Frage, welche Komponenten für die Autonomie einer Einheit obligatorisch sind und welche fakultativ hinzugefügt werden, lässt sich ebenso für semiabstrakte Schemata, für lexikalisch geprägte Muster stellen. Ich unterscheide hier zwischen Wortverbindungsmustern (obligatorische Slots) und lexikalischen Erweiterungsmustern (fakultative Slots) (vgl. Steyer 2013, 2015). 2.3.2 Wortverbindungsmuster Wortverbindungsmuster definiere ich als lexikalisch teilspezifizierte Einheiten mit festen lexikalischen Komponenten und obligatorischen Slots. Die übersummative Bedeutung und/ oder Funktion - und das ist der entscheidende Punkt - wird auf der Musterebene konstituiert wie beim Beispiel [in ADJ {absehbarer/ kurzer/ nächster} Zeit] in der Bedeutung ‘demnächst’. Hier kann das Wortverbindungsmuster nicht auf den lexikalischen Kern *in Zeit reduziert werden 18 . Der Adjektiv-Slot ist obligatorisch für die Autonomie dieses adverbialen Musters. Die Füller weisen dabei einen unterschiedlichen Grad an Typikalität auf. Die frequentesten Adjektive absehbar, kurz und nahe konstituieren ihrerseits Wortverbindungen, die aufgrund ihrer Rekurrenz ebenso einen Lexemstatus aufweisen: in absehbarer Zeit; in kurzer Zeit; in nächster Zeit. Das heißt, dass Füller nach dem Grad ihrer Prototypikalität unterschieden werden können. Je überproportional häufiger sie in dem Slot im Vergleich zu den anderen Füllern vorkommen, desto ausgeprägter ist der Lexikalisierungsgrad der jewei- 17 Vgl. Eintrag „trotzdem“ im „Grammatischen Wörterbuch“ in grammis 2.0 (http: / / hypermedia. ids-mannheim.de/ call/ public/ gramwb.ansicht? v_app=g&v_kat=gramm&v_buchstabe=T&v_ id=2231) (Stand: 13.12.2017). 18 Auch satzwertige lexikalisch geprägte Muster des Subtyps ‘Spruchmuster’ (zu diesem Typ vgl. Steyer/ Hein 2018) basieren auf dieser Obligatorik: So kann das Spruchmuster [Wer V der V] mit Realisierungen wie Wer rastet, der rostet oder Wer sucht, der findet nicht auf einen lexikalischen Kern *Wer der reduziert werden. Die Verb-Slots sind obligatorisch für die holistische Bedeutung ‘WENN jemand etwas Bestimmtes tut oder unterlässt DANN hat das für ihn bestimmte Folgen’. Kathrin Steyer 238 ligen Wortgruppe. Es liegt eine Mehrfachverankerung im Lexikon vor: als lexikalisierte UWV wie in absehbarer Zeit; in kurzer Zeit und in nächster Zeit sowie als Realisierung des WV-Musters [in ADJ Zeit] (vgl. dazu ausführlich Steyer 2013). 19 Im Beispiel [in X Zeit] können die Slotbesetzungen eindeutig einer gemeinsamen Wortklassse (Adjektiv) zugeordnet werden. In anderen Fällen wie des im Folgenden behandelten Musters [ X auch immer] (vgl. Steyer 2013, S. 226f., S. 255-267) gestaltet sich die morphosyntaktische Zuordnung des obligatorischen X-Slots weitaus diverser: je nach Slotbesetzung (z.B. die PP aus welchen Gründen oder Interrogativpronomina wie wie oder was) mit distinktiven Bedeutungen, aber unter Beibehaltung einer stabilen kommunikativen Funktion. Die Bedeutung lässt sich so umschreiben: ‘Ein Sachverhalt ist gegeben, obwohl die Ursachen oder Motive nicht bekannt oder nicht nachvollziehbar sind’. Betrachten wir zunächst das Submuster [aus INTERPRON N|NP auch immer]. Die prototypische und damit ebenfalls lexikalisierte Realisierung ist aus welchen Gründen auch immer. Neben Gründen wird der N-Slot typischerweise durch Wörter wie Absicht, Anlass, Bedingung, Beweggrund, Erwägung, Motiv, der INTERPRON-Slot (neben welchen) auch durch Fügungen wie was für instanziiert (aus was für Gründen auch immer). Die kommunikative Funktion lässt sich für alle diese Realisierungen folgendermaßen fassen: Sprecher thematisieren einen konkreten Sachverhalt oder entsprechende Folgen und drücken gleichzeitig aus, dass die Ursachen oder Motive dafür nicht bekannt oder nicht nachvollziehbar sind. Feste lexikalische Komponenten sind hier aus und auch immer, die obligatorischen Slots Nomina bzw. Nominalphrasen und Interrogativpronomina. Nun kann der X-Slot aber auch allein durch Interrogativpronomina gefüllt werden {wie/ was/ mit wem/ wo oder wann} auch immer. 20 Das zugrunde liegende abstraktere Strukturmuster [X auch immer] ist zwar selbst kein Bedeutungsträger. Beiden Submustern, [aus INTERRPON N|NP auch immer] und [INTERPRON auch immer], kann man jedoch dieselben funktionalen Merkmale zuschreiben: Ihre Realisierungen werden häufig als Ellipsen, entweder am Satzanfang oder -ende verwendet. In dieser syntaktischen Stellung kommt dem kommunikativen Teilaspekt des Kommentierens, verbunden mit dem Ausdruck von Unverständnis oder Zweifel, ein besonderer Stellenwert zu. Sachverhalte werden zwar als gegeben angesehen, auf weitere Konkretisie- 19 Der skalare Grad des Vorkommens von Füllern in einem Slot wird in der KxG unter dem Aspekt des Type-Token-Entrenchment ebenfalls diskutiert. 20 Die Realisierung wie auch immer ist so häufig, dass sie ebenfalls eine eigenständige, stark lexikalisierte UWV darstellt. CII-Q: (wie / +w1: 1 auch / +w1: 1 immer) %s0 &geartet (W: 15.012 V) mit der Bedeutung ‘egal’. Die UWV wie auch immer fungiert als Kommentar, mit dem Sprecher ausdrücken, dass das Vorhandensein eines Sachverhalts nicht maßgeblich für die Folgen und ihre Bewertung sein muss. Lexikalisch geprägte Muster 239 rungen wird aber verzichtet. Sprecher nutzen dieses Vagheitsprinzip, um indirekt auszudrücken, dass sie diesen unterstellten Sachverhalt nicht unbedingt nachvollziehbar oder akzeptabel finden. Sie können dafür aber nicht sanktioniert werden. Der durch die holistischen kommunikativen Funktionen begründete eigenständige Lexemstatus des Musters [X auch immer] (X als obligatorischer Slot) wird zusätzlich dadurch untermauert, dass das Syntagma auch immer selbst keinen autonomen Status hat (*auch immer). Es wird in regulären syntaktischen Realisierungen in Sätzen wie den folgenden verwendet: Natürlich musst Du Dir danach auch immer gut die Hände waschen oder Leider, leider werden auch immer wieder Hunde zu solchen Veranstaltungen mitgeführt. Wortverbindungsmuster können sehr komplex sein, wie das eben diskutierte Beispiel oder auch die erwähnten Spruchmuster. Sie können aber auch nur eine Minimalstruktur aufweisen: eine lexikalische Komponente plus Slot wie in den uns im Folgenden interessierenden Fallbeispielen: Verbindung aus P und nachgestelltem Nomen. So liegen den UWVs nach Belieben (‘unbegrenzt’) und mit Genugtuung (‘positiv konstatierend’) jeweils funktional motivierte Minimalmuster zugrunde. Die UWV nach Belieben ist eine Realisierung des Minimalmusters [nach N UnbegrenztheitSelbstbestimmtheit ]. Die N-Füller Belieben, Herzenslust, Gusto und Gutdünken konstituieren ein paradigmatisches Feld, dem das gemeinsame Konzept des selbstbestimmten Handelns ohne äußeren Einfluss oder ohne Begrenzung zugrunde liegt. Alle Füller haben darüber hinaus je spezifische Bedeutungen und die entsprechenden Realisierungen je spezifische Funktionen, die nicht immer deckungsgleich sind: Während die verbale Zwillingsformel schalten und walten beispielsweise durch alle genannten PWVs eine Intensivierung erfahren kann - nach {Belieben/ Herzenslust/ Gusto/ Gutdünken} schalten und walten -, verbindet sich das Verb dominieren überproportional häufig mit nach Belieben, mit nach Herzenslust und nach Gusto dagegen nur in einigen wenigen Fällen und mit nach Gutdünken nie. Nichtsdestotrotz kann man [nach N UnbegrenztheitSelbstbestimmtheit ] als verfestigtes Muster auffassen mit der holistischen Bedeutung ‘nach eigenem Ermessen, selbstbestimmt oder ohne Einflussnahme bzw. Begrenzung von außen’. Das Beispiel nach Belieben wird im Beitrag von Ďurčo in Hinblick auf konvergente und divergente Kollokationsfelder im Sprachvergleich wieder aufgegriffen. Die UWV mit Genugtuung ist eine Realisierung des Musters [mit N Emotion ]; typische N-Füller sind emotive Nomina wie Freude, Sorge oder Stolz. Man könnte nun einwenden, dass es sich hier um eine von vielen grammatisch regulären Verwendungen des Nullartikels vor einem Nomen handelt und eine auffällige lexikalisch geprägte Musterhaftigkeit daher nicht gegeben ist. Im Falle von [mit Kathrin Steyer 240 N] wäre dies z.B. die Bedingung (neben vielen anderen 21 ), dass Nullartikel vor einem Nomen stehen können, wenn es sich um eine präpositionale Adverbialbestimmung handelt, die durch ein Adverb ersetzt werden kann, also Er lachte vor Freude. (= Er lachte erfreut.) (vgl. Helbig/ Buscha 2013, S. 342). Allerdings zeigen die empirischen Befunde, dass es Gebrauchspräferenzen bei bestimmten Nomina gibt, die auf ein funktionales Muster schließen lassen: So drückt eine große Füllergruppe emotionale Zustände aus, und diese Realisierungen kookkurrieren häufig mit Kommunikations- oder Wahrnehmungsverben wie sagen, zur Kenntnis nehmen, feststellen oder konstatieren. Diese Korrelation ist bei anderen [mit N]-Realisierungen nicht oder nicht so dominant gegeben, z.B. mit Gewalt {durchsetzen/ lösen/ versuchen} oder mit Mühe {gelingen/ verhindern/ abwehren}. Anderen binären UWVs liegt eine solche funktionale Musterhaftigkeit nicht zugrunde: Die Komponente Zufall in der binären UWV durch Zufall wird in den Korpusbelegen durch keine anderen Nomina ersetzt, die mit rekurrentem Nullartikel vorkommen können und auf das Konzept des plötzlichen, unerwarteten Auftretens referieren (*durch Irrtum/ Missverständnis/ Ausrutscher/ Versehen). 2.3.3 Lexikalische Erweiterungsmuster Lexikalische Erweiterungsmuster stellen rekurrente, aber fakultative Kovorkommen dar, und zwar sowohl innerhalb eines lexikalischen Kerns (intern) als auch im unmittelbaren Vor- oder Nachfeld desselbigen (extern). Die Slots müssen für die übersummative Bedeutung - und damit den autonomen Status - nicht notwendigerweise gefüllt werden. Erweiterungsmuster indizieren aber in besonderer Weise usualisierte Kontextualisierungen der Wortverbindungen, „ihre Prägung im Blick auf typisierte Situationen bzw. Situationsparameter ihres Gebrauchs“ (Feilke 1996, S. 267). So wird die UWV mit Genugtuung in der Bedeutung ‘positiv konstatierend’ intern häufig durch Adjektive wie groß, tief, grimmig; durch koordinierende Teilstrukturen wie Stolz und; Freude und; Häme und oder durch ‘mehrgliedrige phrasematische Quantifikatoren’ (in evaluativer Funktion) ergänzt, z.B. ein Hauch (von); ein Schuss; eine Prise; ein Anflug (von). In den beiden ersten Fällen erfährt die Wortverbindung eine Intensivierung (Sprecher drücken ihre Wahrnehmung aus oder thematisieren diese bei anderen); im Fall der evaluativen Quantifikatoren wird primär die Reaktion anderer thematisiert. Dieses Erweiterungsmuster findet sich auch in anderen Sprachen, z.B. für das englische with satisfaction, und zwar with {a sense of/ a feeling of/ a great deal of} satisfaction. Auf Konvergenzen und Divergenzen der ‘mit Genugtuung’-Muster deutschspanisch geht der Beitrag von Mellado Blanco und Steyer ausführlich ein. 21 Vgl. die Abhandlung zum Nullartikel in Helbig/ Buscha (2013, S. 338-347). Lexikalisch geprägte Muster 241 Die Kotexteinbettungen der UWV nach Belieben zeigen ein markantes externes Erweiterungsmuster, und zwar typische verbale koordinierende Syntagmen in unmittelbarer Poststellung: (8) [nach Belieben V und V] a. schalten und walten (UWV) kombinieren und variieren [manipulieren und V {herumdigieren/ fertigmachen}] b. an- und abschalten rauf- und runterfahren aus- und eingehen; ein- und ausgehen auf- und zudrehen Die PWV nach Belieben selegiert anscheinend systematisch koordiniernde Strukturen, die unterschiedliche Funktionen realisieren. Eine übergreifende Funktion ist auch hier Intensivierung. Die Kotextmuster in a) realisieren bei bestimmten Verben das Konzept des freien, selbstbestimmtem Handelns (schalten und walten; kombinieren und variieren), andere den Bedeutungsaspekt der Ausübung von dominantem Verhalten von Akteuren gegenüber anderen bzw. die Chancenlosigkeit der Betroffenen ([manipulieren und V {herumdigieren/ fertigmachen}]. Dieser Gebrauchsaspekt wird ebenso in der häufigsten Kookkurrenzrelation (nach Belieben dominieren) ausgedrückt. Die iterierende Abfolge der Beispiele unter b) fokussiert in besonderer Weise den Bedeutungsaspekt der sich wiederholenden, nicht eingeschränkten Handlungen, die durch die PWV nach Belieben näher bestimmt werden. Dieses lexikalische Erweiterungsmuster ist ebenso in anderen Sprachen wie dem Spanischen oder Slowakischen zu beobachten. Es ist anzunehmen, dass es sich um ein sprachübergreifendes Muster [P N V DE und|SK a|ES y V] handelt, das generell Rekurrenz und Iterativität ausdrückt. Eine andere Instantiierung dieses Musters ist z.B. in Ruhe {planen und durchdenken/ besprechen und klären/ liegen und einschlafen/ stöbern und einkaufen}. Bezüglich solcher universaleren Muster erhoffen wir uns vor allem durch den kontrastiven Teil des PREPCON-Projekts innovative Einsichten. Ein weiterer Verfestigungstyp ist eher auf der weiteren Kotextebene anzusiedeln und aus syntaktischer Sicht nicht unbedingt eng an den lexikalischen Kern gebunden. Es handelt sich um rekurrente sprachliche Marker im Satzzusammenhang, die oft eine ausgeprägte Varianz bezüglich Stellung, Flexion usw. aufweisen, die aber ebenso spezifische Situationsparameter indizieren. So kommen in der Umgebung von nach Belieben häufig Verben vor, die in Negationsstrukturen eingebettet sind: {nicht, nicht einfach} nach Belieben {umspringen/ agieren/ herumschubsen, -springen, -schieben/ sich über etw. hinwegsetzen/ glattbügeln/ gegeneinander ausspielen/ zurechtbiegen/ fuhrwerken/ umdefinieren (können)}. Die Kathrin Steyer 242 Verben gehören zwar zu sehr unterschiedlichen semantischen Feldern, realisieren aber in der Kombination mit der PWV nach Belieben und den Negationseinbettungen analoge kommunikative Funktionen wie Zurückweisung oder Kritik an einem Verhalten ohne Rücksicht auf andere Faktoren oder Menschen. Die Restriktionen solcher lexikalischen Muster und die Charakteristika der Slotbesetzungen sind kompetenzbasiert kaum vorhersagbar. Es bedarf vielmehr eines induktiven Analyseverfahrens, das die Musterhaftigkeit bottom-up sichtbar macht (vgl. auch Steyer 2016). Auf die UWV-Methodologie der Korpusmusteranalyse gehe ich nun am Beispiel der Wortverbindung durch Zufall ein. 3. korpusempirische Methodologie 3.1 Korpuslinguistische Prämissen Das UWV-Vorgehensmodell ist stark iterativ geprägt und stellt eine Kombination zwischen quantitativen und qualitativen Analysemethoden dar. Wir generieren neue Fragestellungen aus der Korpusanalyse, unterziehen sie einer qualitativen linguistischen Interpretation und tunen unsere weitere Korpusanalyse entsprechend dieser Beobachtungen. Wichtig ist zu betonen, dass eine solche Herangehensweise sehr viel stärker qualitativ ausgelegt ist als dies in der quantitativen Korpuslinguistik, der automatischen Sprachverarbeitung oder der statistischen Linguistik der Fall ist. Alle Befunde werden auf jeder Analyseebene linguistisch interpretiert. Das bedeutet, dass auch alle Beschreibungen und Generalisierungen, die im PREPCON-Projekt vorgenommen werden, vor dem Hintergrund dieser subjektiven Interpretation zu bewerten sind. Ebenso sind sie zunächst nur aussagekräftig für das zugrunde gelegte Korpus als eine Stichprobe der Sprache. Die Schlussfolgerungen sollten dann jedoch so extrapolier- und verallgemeinerbar sein, dass die quantitativen Daten als Erklärungsrahmen in den Hintergrund treten. Deshalb wird auch nicht primär mit Zahlen und Statistiken argumentiert, obwohl diese als wertvolle Evidenzen dienen. Sie werden jedoch zu Illustrationszwecken, genauer gesagt zur Illustration von Vorkommensproportionen herangezogen. Folgendes Zitat von Bubenhofer veranschaulicht sehr gut das Paradigma der induktiven Korpusmusteranalyse, dem wir uns verpflichtet fühlen: Ein Muster kann nur auf einer analytischen Ebene im Nachhinein festgestellt werden. Auf der Ebene des Sprachgebrauchs ist diese Musterfunktion für die Sprecherinnen und Sprecher kaum sichtbar. Mit ‘musterhafter Sprachgebrauch’ wird deshalb betont, dass anscheinend im untersuchten Sprachausschnitt immer wieder Instanzen einer bestimmten Phrase als Muster (als Vorbilder) für die Produktion weiterer Instanzen dienten. (Bubenhofer 2009, S. 24) Lexikalisch geprägte Muster 243 Die Korpusmusteranalyse steht in der Tradition der Schule des britischen Kontextualismus beginnend bei Firth (1957) und dann ausgearbeitet von Sinclair (u.a. 1991, 2004). Die in diesem Kontext eingeführte Einteilung in Ko- und Kontext erweist sich nach wie vor als sinnvoll, um sprachliche Oberflächenphänomene von außersprachlichen Faktoren unterscheiden zu können. 22 In den letzten Jahren haben vor allem Patrick Hanks und Kollegen die Richtung der Corpus Pattern Analysis (CPA) weiter etabliert und im Wörterbuchprojekt „Pattern Dictionary of English Verbs“ in die Praxis umgesetzt (vgl. Hanks 2013; vgl. PDEV). Der PREPCON-Ansatz ist insofern weitreichender, als komplexe Musterhierarchien von Mehrworteinheiten rekonstruiert und neben semantischen Aspekten vor allem auch funktional-pragmatische Merkmale herausgearbeitet und einem interlingualen Vergleich unterzogen werden. 23 Wir arbeiten stark oberflächenbasiert und orientieren uns demzufolge an Wortformen. Die Einsicht, dass sich bereits auf der Ebene des Gebrauchs von Wortformen distinktive Gebrauchsmerkmale zeigen (siehe 3.), formuliert schon Sinclair: There is a good case for arguing that each distinct form is potentially a unique lexical unit, and that forms should only be conflated into lemmas when their environments show a certain amount and type of similarity. (Sinclair 1991, S. 8) Bezüglich der auszuwertenden Korpusdaten liegt der Hauptfokus auf KWICs (Key Word in Context). KWIC-Konkordanzen werden in ihrer Aussagekraft im Gegensatz zu Volltextstellen und größeren Textausschnitten oft unterschätzt. Sinclair verortet Konkordanzen eines Analyseworts sogar im „centre of corpus linguistics, because it gives access to many important language patterns in texts“ (ebd., S. 170). KWIC-Konkordanzen dienen der Identifikation von häufig wiederkehrenden identischen oder ähnlichen syntagmatischen Strukturen in der unmittelbaren Umgebung eines sprachlichen Suchobjekts, von ihren invarianten Kernen und rekurrenten Varianten. Für die Zwecke solcher Mustererkennungen in großen Datenmengen können Volltextstellen sogar kontraproduktiv sein, da sie die Aufmerksamkeit des Analysators in die Tiefe der sequenziellen Texteinbettung des Suchobjekts lenken und dadurch den Blick auf viele parallele Vorkommen ähnlicher Art verstellen. Volltextstellen als größere Textausschnitte können vor allem für die Erfassung von Gebrauchsnuancen einer Wortverbindung, ihrer funktionalen und argumentativen Einbettung bzw. ihrer Funktion im Text, gewinnbringend ausge- 22 Mit ‘Kotext’ bezeichnet Sinclair die unmittelbare sprachliche Umgebung vor und nach einem Analysewort. Der ‘Kontext’ in einem allgemeineren Sinne umfasst für ihn die außersprachlichen Faktoren, den soziokulturellen Hintergrund und die pragmatischen Aspekte (Sinclair 1991, S. 171f.). Rekurrente Kotexte lassen Rückschlüsse auf usualisierte Kontexte zu. Er selbst folgt dieser Unterscheidung allerdings nicht konsequent. 23 Zur Philosophie des hier vorgestellten korpusanalytischen Herangehens vgl. ausführlich Steyer (2013). Kathrin Steyer 244 wertet werden. Volltextstellen liefern des Weiteren Informationen zum enzyklopädischen Wissenshintergrund, zur Einbettung in aktuelle Diskurse oder zum soziokulturellen Hintergrund. 3.2 Kombination methodischer Zugänge Gab es zu Beginn der korpuslinguistischen Wende noch teils kontroverse Diskussionen zu unterschiedlichen Paradigmen der Korpusbasiertheit (z.B. ‘corpus based’ vs. ‘corpus driven’), so besteht mittlerweile ein relativer Konsens darüber, dass es keinen methodischen Königsweg gibt, sondern nur ein integratives Vorgehen durch die Kombination unterschiedlicher Zugänge zu befriedigenden Resultaten führt. Jede Methode hat ihren eigenen heuristischen Wert. Von besonderer Relevanz sind daher das Verständnis und die Klärung dessen, was eine Methode leisten kann, und was aber auch nicht. Für die Untersuchung von UWVs und lexikalisch geprägten Mustern eignen sich vor allem solche Zugänge, die helfen, die Verfestigung lexikalischer Phänomene zu rekonstruieren, in unserem Fall vorzugsweise folgende drei: 1) komplexe und iterative Suchen nach Zeichenketten im Korpus; 2) statistische Kookkurrenzanalysen; 3) quantitative Slot-Füller-Analysen. Jeder methodische Zugang dient der Beschreibung spezifischer Gebrauchsaspekte der PWVs. Der erste Zugang ist die Suche nach PWVs in den Korpora, bei der man unterschiedlich angeordnete Listen, Konkordanzen und Belege erhält, vor allem KWICs und Volltextstellen. Mit diesem Primärzugang lassen sich beispielsweise: - Vorkommenshäufigkeiten (Frequenzen) ermitteln; - Kernbedeutungen erschließen (auf der Basis zufällig sortierter KWICs); - Gebundenheiten einer Präposition an bestimmte Nomen und umgekehrt bestimmen (mithilfe eingrenzender oder ausschließender Suchen, z.B. unter Ausschluss der konkreten Präposition, unter Ausschluss aller Präpositionen in unmittelbarer Prä-Stellung usw.); - Besonderheiten im Gebrauch der Großschreibung erkennen usw. Darüber hinaus ist es möglich, KWIC-Mengen für die Weiterverarbeitung in lexpan zusammenzustellen sowie KWIC-Ausschnitte und Volltextstellen als lexikografische Belege auszuwählen. Lexikalisch geprägte Muster 245 Als Beispiel für interessante Suchergebnisse sei die Frequenzverteilung der PWV durch Zufall aufgeführt: 24 (9) durch Zufall: 16.323 ( durch / +w1: 1 Zufall ) Durch Zufall: 4.240 ( Durch / +w1: 1 Zufall ) durch 2-4 Leerstellen Zufall: 4.974 ( durch / +w2: 4 Zufall ) Durch 2-4 Leerstellen Zufall: 1.538 ( Durch / +w2: 4 Zufall ) Die durch diese Suchanfragen ermittelten KWICs liefern erste Hinweise auf Varianz und Festigkeit, in Abbildung 1 auf Vorkommen der PWV durch Zufall ohne interne Erweiterung, in Abbildung 2 auf interne Slotbesetzungen des Musters [durch X Zufall]: R99 Der damals 19 Jahre alte Asylbewerber war durch Zufall in eine Demonstration geraten RHZ14 In ihrer Handtasche entdeckt sie durch Zufall eine rote, handbemalte Clownsnase aus hauchdünnem DIV Ich lerne Keyser durch Zufall kennen. Gehe spazieren auf seine Art, schlafe untertags, SBL07 ein Rätsel, das vermutlich nur noch durch Zufall gelöst werden kann. NKU08 „Wir sind durch Zufall im Internet darauf gestoßen“, erzählten Harald Hackert und WPD11 Jahr später fiel Ali der Blutrache zum Opfer. Mu’awiya überlebte durch Zufall. RHZ10 Eher durch Zufall entstand die Idee, Anleitungen zu den typischen Maifelder abb. 1: KWiC ausschnitt durch Zufall ohne interne erweiterung (DereKo - Cii export: zufällig sortiert) WDD11 Spezies ihr „Gegenstück“ auf einem anderen Planeten hat -nur durch den Zufall begründet, und dadurch dass sie sich in einer M10 Woody Allen entdeckte eine junge Spanierin durch einen glücklichen Zufall, verhalf ihr durch die Filmmusik zu E98 Sonst wären wir nicht so weit gekommen. Nur durch Glück und Zufall erreicht man keinen Halbfinal. NKU13 habe der 59-Jährige nicht mehr gerechnet, als er vor zwei Jahren durch einen „dummen Zufall“ arbeitslos wurde. Z95 Die Wahrscheinlichkeit, daß diese Abweichungen durch puren Zufall bedingt sind, beträgt weniger als 0,000001 oder abb. 2: KWiC ausschnitt durch X Zufall (mit einer bis vier Leerstellen) (D e R e K o - Cii export: zufällig sortiert) 24 Alle folgenden Tabellen und Abbildungen basieren auf der Auswertung des Teilkorpus „Wgesamt - alle Korpora des Archivs W (mit Neuakquisitionen)“ (Umfang: ca. 9 Mrd. Wortformen) in DeReKo 2017-I (Release vom 8.3.2017) (siehe Institut für Deutsche Sprache 2017). Kathrin Steyer 246 Zentrale Bedeutungs- und Gebrauchsaspekte einer PWV werden über Partnerwörter und lexikalische Satelliten erschlossen, um darauf basierend inhaltliche Kollokationsfelder zu erstellen (vgl. Blumenthal 2006; Steyer 2004, 2009, 2013). Für diesen kontextualistischen Zugang nutzen wir die statistische Kookkurrenzanalyse des IDS (vgl. Belica 1995, KA, derzeit online abrufbar in COSMAS II) als zentrale Methode, zu Vergleichszwecken und vor allem für die Auswertung in den anderen Sprachen die collocation analysis (CA) in Sketch Engine. 25 Abbildung 3 illustriert einen Ausschnitt aus der KA der PWV durch Zufall: 25 Wie bereits in früheren Publikationen ausgeführt, wird zwischen ‘Kookkurrenz’ als dem statistisch berechneten Kovorkommen sprachlicher Zeichenketten einerseits und ‘Kollokation’ als den qualitativ interpretierten Präferenzrelationen zwischen lexikalischen Einheiten andererseits unterschieden. Lexikalisch geprägte Muster 247 © Institut für Deutsche Sprache, Mannheim COSMAS II-Server, C2API-Version 4.10.6 - 24.11.2017 Datum : Mittwoch, den 6. Dezember 2017, 15: 00: 16 Korpus : W-gesamt alle Korpora des Archivs W (mit Neuakquisitionen) Archiv-Release: Deutsches Referenzkorpus (D e R e K o -2017-I) Suchanfrage : Abstand ( +1: 1w Max ) └durch └Zufall Suchoptionen : Eb+Rb+Db, Flex+Kompos Ergebnis : 10.000 Treffer, zufällig reduziert aus 20.563 colloc version 3.11 20140602 Kookkurrenzen Anzahl Kookkurrenzen : 496 Analyse-Kontext : 5. Wort links bis 5. Wort rechts Auf 1 Satz beschränkt : ja als Kook.-Partner : Treffer ausschließen (Standard) Granularität : grob Zuverlässigkeit : normal Clusterzuordnung : mehrfach Lemmatisierung : nein Funktionswörter : ignorieren Autofokus : aus LLR anzeigen : ein Nummerierung : aus Total Anzahl LLR Kookkurrenzen syntagmatische Muster 520 520 3605 entdeckt 79% nur durch Zufall … entdeckt 1112 592 2208 kam 62% kam [ … ] durch Zufall … 1548 436 1761 eher 98% eher [ … ] durch Zufall … 1753 205 1566 entdeckte 37% entdeckte [er … ] durch Zufall 1953 200 1519 erfuhr 41% erfuhr [ … nur] durch Zufall dass 2137 184 1440 gestoßen 96% bin durch Zufall auf … gestoßen [ … ] 2674 283 1070 gekommen 91% durch Zufall … gekommen 2995 321 921 bin 73% Ich bin [ich nur] durch Zufall auf 3134 139 890 stieß 43% Durch Zufall stieß … auf 3242 108 813 Eher 100% Eher [ … ] durch Zufall … [ … ] 4543 134 363 gefunden 91% nur durch Zufall … gefunden 4714 89 302 entstanden 87% durch Zufall entstanden 4764 50 273 gelandet 82% nur durch Zufall in|hier … gelandet 4871 49 260 überlebt 75% nur durch Zufall … überlebt 4980 109 257 fand 52% fand [er] durch Zufall … 5010 30 249 entging 46% entging [er … nur] durch Zufall dem [ … ] 5082 39 201 Bin 100% Bin [ … ] durch Zufall auf 5117 35 195 stießen 57% Durch Zufall stießen die … abb. 3: Ka - Profil durch Zufall (D e R e K o - Cii export: ausschnitt) Kathrin Steyer 248 Das KA-Profil zeigt, dass die PWV durch Zufall präferiert mit Verben korreliert, die das Konzept des nicht intendierten oder nicht vorhergesehenen Eintretens eines Sachverhalts ausdrücken, wie entdecken, zu etw. kommen, auf etw. stoßen, finden, entstehen oder auch mit selteneren Verben wie auffliegen, hereinrutschen, mitbekommen oder reinzappen. Weitere Kollokationspartner sind Adverbien. Manche wie eher sind sogar überproportional häufig der PWV durch Zufall vorangestellt, was auf eine Verfestigung des Syntagmas eher durch Zufall schließen lässt. Unser Analysewerkzeug lexpan unterstützt die beiden methodischen Zugänge der hypothesenbasierten Auswertung von in DeReKo ermittelten KWICS und KA-Profilen durch die Möglichkeit, diese manuell zu systematisieren, zu annotieren, zu kommentieren und zu präsentieren (siehe 3.3). Der dritte methodische Zugang ist die automatische Erfassung von Slotbesetzungen eines Suchmusters auf der Basis von KWICs und die Visualisierung in so genannten Lückenfüllertabellen, die in der lexpan-Umgebung durchgeführt werden können, wie nun im folgenden Punkt ausgeführt wird. 3.3 lexpan - Lexical Pattern Analyzer Das einzelsprachenunabhängige Analyseprogramm lexpan wurde im Projekt Usuelle Wortverbindungen des Instituts für Deutsche Sprache (Mannheim) zur Unterstützung der linguistischen Interpretation großer Sprachdatenmengen in Korpora entwickelt (vgl. lexpan). 26 Es ist ein Java-Programm, das betriebssystemunabhängig, also unter Windows, Linux und MacOS, läuft. Lexpan stellt keine direkte Schnittstelle zu einem Korpus dar, sondern basiert auf der Abspeicherung der exportierten Daten auf einem lokalen Rechner. Das Programm ist nicht darauf ausgerichtet, Textblöcke oder ganze Korpora zu konvertieren und zu bearbeiten. Lexpan zeichnet sich dadurch aus, dass die Entwicklung von Beginn an von einem linguistischen Vorgehensmodell und von lexikografischen Bedürfnissen geleitet war. Ursprünglich als heuristisches Werkzeug zur Untersuchung von usuellen Wortverbindungen und für neuartige lexikografische Darstellungsformen gedacht, ist es mittlerweile für die Rekonstruktion sprachlicher Verfestigung und Musterbildung generell einsetzbar. 26 Leitung und Gesamtkonzeption: Kathrin Steyer; Technische Konzeption und Implementierung: Annelen Brunner; Mitarbeit: Katrin Hein. Das Tool steht mittlerweile allen interessierten Kollegen zur freien Nutzung zur Verfügung und kann auf der lexpan-Webseite heruntergeladen werden (vgl. lexpan). Lexikalisch geprägte Muster 249 Lexpan dient der explorativen Untersuchung von Festigkeit, Varianz, Slot-Füller- Relationen und kontextuellen Einbettungsmustern syntagmatischer Strukturen. Es ermöglicht, aus Korpora exportierte Daten in einer eigenen Arbeitsumgebung weiter zu bearbeiten, zu strukturieren und zu kommentieren sowie die Ergebnisse in gesonderten Dateien darzustellen. Derzeit können mithilfe von lexpan zwei Datentypen untersucht werden: a) KWICs b) Kookkurrenzprofile abb. 4: lexpan - Maske, KWiCs, Lückenfüllertabelle (ausschnitt) Lexpan hat mehrere Funktionalitäten, und zwar: - Einlesen von KWIC-Dateien und Kookkurrenzprofil-Dateien und Archivieren dieser Daten auf dem lokalen Rechner; - Strukturieren und Bündeln von KWIC-Zeilen nach bestimmten Oberflächenmerkmalen (auf der Basis von flexibel formulierbaren Suchmustern); - Ermittlung von Slotbesetzungen in vordefinierten Mustern, Zählen der Lückenfüller und Darstellen in Tabellen; - Manuelles Annotieren und Gruppieren (Tags und Kommentare) von Kookkurrenzpartnern und Lückenfüllern; - Exportieren der Ergebnisse in Dateien im XML- oder HTML-Format. Wie bereits erwähnt, ermöglicht lexpan das Einlesen von KA-Profilen (einschließlich der jeweiligen KWIC-Cluster) (siehe Abb. 5) und der KWICs an sich (siehe Abb. 6). Kathrin Steyer 250 Kookkurrenzpartner LLR▼ Frequenz Syntag Pattern Kwics entdeckt 3811.0 543 78% durch Zufall … entdeckt Kwics kam 1959.0 547 61% kam [… eher] durch Zufall … Kwics entdeckte 1919.0 241 38% entdeckte […] durch Zufall … Kwics eher 1863.0 453 99% eher […] durch Zufall … Kwics erfuhr 1510.0 199 37% erfuhr [… nur] durch Zufall von Kwics gestoßen Bin 1381.0 19 100% Bin […] durch Zufall auf ׀drauf ׀darauf den Artikel gestoßen Kwics gestoßen 1381.0 178 96% bin durch Zufall auf … gestoßen Kwics erfahren 1306.0 251 84% nur durch Zufall von … erfahren Kwics gekommen 1104.0 289 90% durch Zufall … gekommen Kwics stieß 992.0 151 39% stieß […] durch Zufall auf Kwics bin 874.0 311 75% Ich bin [ich ׀nur] durch Zufall auf Kwics Eher 709.0 97 100% Eher […] durch Zufall … Kwics erfährt 529.0 91 39% erfährt […] durch Zufall dass ׀von Kwics erfuhren 441.0 64 40% erfuhren [die nur] durch Zufall von Kwics entdeckten 425.0 67 37% entdeckten […] durch Zufall … Kwics gerät 414.0 79 43% gerät […] durch Zufall in Kwics habe 397.0 403 52% Ich habe [ich …] durch Zufall … Kwics wurde 338.0 530 53% wurde […] durch Zufall … Kwics Tuffstein-Bergwerk 316.0 16 100% Tuffstein-Bergwerk bei Plaidt das man durch Zufall entdeckt Kwics gefunden 310.0 122 87% durch Zufall … gefunden Kwics gelandet 303.0 54 87% nur durch Zufall in … gelandet Kwics lernte kennen 296.0 17 76% lernte ich … durch Zufall … kennen Kwics abb. 5: Ka - Profil durch Zufall (lexpan exportdatei: ausschnitt) Abbildung 6 dokumentiert die Darstellung von CII-KWICs in einer lexpan- Exportdatei. Die Spalten können sortiert werden: abb. 6: KWiCs von Vorkommen von durch|Durch #* Zufall (lexpan exportdatei: ausschnitt) 27 27 Als Basis für die Analysen mit lexpan diente die KWIC-Menge (10.000 Zufallsauswahl) mit der CII-Q: $durch / +w1: 4 Zufall . Die Platzhalter #* stehen für eine beliebige Leerstelle in der lexpan-Suchsyntax. Lexikalisch geprägte Muster 251 Die entscheidende Funktionalität zur Unterstützung qualitativer linguistischer Beschreibungen ist die Möglichkeit, auf der Basis von eigenen Hypothesen spezifische Suchmuster zu formulieren, manuell zu annotieren (Tags und Kommentare), zu gruppieren, um so erste Hinweise auf Festigkeit und Varianz und die prozentuale Verteilung zu erhalten. Abbildung 7 zeigt so genannte KWIC- Bündel (Überblicksdatei) auf der Grundlage von manuell erstellten Suchmustern. In der Exportdatei kann man die Gesamt-KWIC-Mengen nach spezifischen strukturellen Merkmalen gruppiert darstellen. Des Weiteren werden die prozentualen Anteile am Gesamtvorkommen der KWICs aufgeführt: in Abbildung 7 wird die Bündelung auf der Basis der Suchmuster durch|Durch beliebige Leerstellen Zufall und durch|Durch Zufall (ohne interne Leerstelle) illustriert: abb. 7: KWiC - Überblicksdatei auf der Basis von Suchmustern zu durch|Durch #* Zufall und durch|Durch Zufall (lexpan exportdatei: ausschnitt) Die Suchmuster dienen ebenso als Grundlage für die automatische Slotanalyse zur Erstellung von Lückenfüllertabellen. Abbildung 8 zeigt einen Vergleich der Slotbesetzungen der PWV-Muster [durch X Zufall] ( durch|Durch #* Zufall ) vs. [per X Zufall] ( per|Per #* Zufall ). Kathrin Steyer 252 abb. 8: Vergleich der automatischen Lückenfüllertabellen durch|Durch #* Zufall vs. per|Per #* Zufall (lexpan exportdatei: ausschnitt) Die Analyse verdeutlicht, dass beide PWVs eine überproportional häufige Nullstelle aufweisen. Bei der PWV per Zufall liegt im Gegensatz zu durch Zufall im Grunde keine oder nur eine zu vernachlässigende interne Erweiterungen vor. Die PWV per Zufall ist deshalb hochgradig lexikalisiert. Wie oben bereits erwähnt, erlaubt lexpan manuelle Systematisierungen und Kommentare. Abbildung 9 illustriert die manuelle Sortierung und Annotation von Kookkurrenzclustern, zum einen nach einer Domäne oder einem Thema, nämlich die Verwendung der PWV im Kontext von Berichten über Straftaten (siehe Tag K); zum anderen nach der Wortklasse ‘Adverb’ (siehe Tag ADV). Lexikalisch geprägte Muster 253 abb. 9: Manuell gruppierte Kookkurrenzfelder von durch Zufall (lexpan exportdatei: ausschnitt) Auch die Füller der Slots (hier des Suchmusters durch|Durch #* Zufall ) lassen sich manuell annotieren und gruppieren, hier in unserem Beispiel [durch X Zufall] nach den morphosyntaktischen Klassen unbestimmter Artikel, Adjektiv, unbestimmter Artikel + Adjektiv und Adverb sowie Koordination/ Wortpaare, wobei die Spalten ‘Tag’ und ‘Kommentar’ durch beliebigen Text ausgefüllt werden können. Abbildung 10 illustriert einen Ausschnitt für die Lückenfüllergruppen [durch einen ADJ Zufall] und [durch N und Zufall]: abb. 10: Manuell systematisierte Füllergruppen interner erweiterungen durch|Durch #* Zufall (lexpan exportdatei: ausschnitt) Kathrin Steyer 254 3.4 Anwendung von lexpan auf fremdsprachige Korpusdaten Lexpan ermöglicht es ebenso, fremdsprachige Korpusdaten auszuwerten. Als illustratives Beispiel für die fremdsprachige Anwendung führen wir das englische Äquivalent by chance an. Abbildung 11 zeigt die automatisch erstellte Lückenfüllertabelle für die interne Erweiterung dieser PWV, versehen mit manuellen Anntoationen wie [DET] oder [a ADJ] (basierend auf dem KWIC- Export aus English Web 2013 (enTenTen13) in Sketch Engine (vgl. SkE 28 ). abb. 11: automatische Lückenfüllertabelle by|By #* chance (lexpan exportdatei: ausschnitt) Die Lückenfüllertabelle zeigt, dass auch die englische PWV by chance eine rekurrente Nullstelle aufweist (65,62%) und sich analog zum Deutschen spezifische Füllergruppen ansetzen lassen. Es sind vergleichbare Muster zum Deutschen zu erkennen, so typische interne Erweiterungen mit Artikeln, besonders auffällig auch hier die Ergänzung mit dem unbestimmten Artikel a (vergleichbar zu ein) plus Adjektiv, oder nur Adjektive; beide Erweiterungen haben eine intensivierende Funktion. 28 SkE-Query: [word=”by”] []{0,4} [word=”chance”] (69.196 V; Zufallsauswahl: 1.000; mit lexpan erfasste KWICs 992). Lexikalisch geprägte Muster 255 abb. 12: Manuell systematisierte Füllergruppen der internen erweiterungen by|By #* chance (lexpan exportdatei: ausschnitt) Im PREPCON-Projekt wird das UWV-Vorgehensmodell unter Einsatz von lexpan auf die Sprachen Slowakisch und Spanisch angewendet, vorrangig basierend auf Daten der spanischen und slowakischen Webkorpora in Sketch Engine (sowie des deutschen Webkorpus deTenTen zu Vergleichszwecken) und unter Verwendung der entsprechenden Features wie KWIC-Export und collocation analysis (vgl. SkE). Es sei an dieser Stelle betont, dass die Korpusgrößen der jeweiligen Sprachen variieren. Es liegt aber auch nicht in unserem Erkenntnisinteresse, vergleichende quantitative Korpusstudien durchzuführen. Im Vordergrund steht also nicht der interlinguale Vergleich der absoluten Frequenzen des jeweiligen Äquivalenzpaares, sondern die intralinguale Hierarchie der Prototypikalität der Gebrauchsaspekte (d.h. separat in jeder Sprache). So kann z.B. ein Gebrauchsaspekt in der Sprache A am typischsten sein, nicht aber in der Sprache B, wohingegen dort ein anderer Gebrauchsaspekt dominiert. Daher sind absolute Häufigkeiten zwar ein wichtiger Anhaltspunkt für Usualität, nicht aber für die qualitative Gewichtung beobachteter sprachlicher Phänomene. Wenn man den Anspruch erhebt, extrapolierbare Aussagen über sprachlichen Usus zu machen, sollten diese auch bei schwankenden Frequenzen stabil bleiben. Dasselbe gilt für die Kookkurrenzanalyse: Die statistischen Methoden sind nicht eins Kathrin Steyer 256 zu eins aufeinander abbildbar, da verschiedene Scores in verschiedener Kombination zur Anwendung kommen. Aber auch hier geht es nicht darum, den rein automatischen Output der jeweiligen Berechnungen miteinander zu kontrastieren, sondern diese Profile als heuristisches Werkzeug in der jeweiligen Sprache zu benutzen, um darauf aufbauend qualitative Bewertungen vorzunehmen. Auf den heuristischen Wert dieser Methodik im Sprachvergleich und die lexikografische Aufbereitung gehen die folgenden Beiträge von Mellado Blanco/ Steyer, Ďurčo und Hein et al. ein. 4. neue Formen einer modularen onlinepräsentation 4.1 Typen korpusgesteuerter Datenpräsentation und lexikografischer Beschreibung Dem Konzept eines modularen korpusgesteuerten Onlineformats liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die lexikografische Erfassung von usuellen Wortverbindungen und von lexikalisch geprägten Mustern nicht nach einem fest gefügten Beschreibungsraster erfolgen kann, sondern dass nur eine datennahe und dynamisch-flexible Erfassung in unterschiedlichen Beschreibungstiefen der Komplexität dieser sprachlichen Phänomene gerecht wird. Datennah bedeutet, dass automatisch ermittelte Korpusausschnitte wie Kookkurrenzprofile, Lückenfüllertabellen und KWICs als Belege verwendet werden oder selbst ins Zentrum von lexikografischen Einträgen rücken. Der Nutzer soll in die Lage versetzt werden, anhand von linguistisch systematisierten und kommentierten, aber authentischen Sprachdaten Informationen zum usuellen Gebrauch abzuleiten. Dieser Ansatz folgt der Überzeugung, dass vor allem auf einem gehobenen Kompetenzniveau reale Sprachausschnitte, die für einen Aspekt des Gebrauchs besonders typisch sind, möglichst unverfälscht abrufbar sein sollten, um Sprache, so wie sie wirklich verwendet wird, zu dokumentieren. Die ordnende Hand des Lexikografen bleibt aber auch hier unverzichtbar. Der Unterschied zu herkömmlichen lexikografischen Beschreibungen ist nur, dass die analytische Arbeit - wenn man so will - eher im Hintergrund abläuft, damit in großen Teilen implizit bleibt, und nicht (oder nur knapp) in Form von metasprachlichen Texten sichtbar wird. 29 Eine solche Herangehensweise stellt insofern eine Herausforderung dar, als didaktisierte Zugänge zu entwickeln sind, die dem Nutzer diese neuen Formen der Aneignung sprachlichen Wissens überhaupt erst nahebringen. 29 In der Korpuslexikografie trifft dies bisher vor allem auf die manuelle Selektion von authentischen Korpusbelegen für bestimmte Gebrauchsaspekte zu (beispielhaft in den OWID- Wörterbüchern, vgl. OWID). Lexikalisch geprägte Muster 257 Das im folgenden Punkt vorgestellte modulare PREPCON-Onlineformat („Präposition-Nomen-Verbindungen im Kontext“) (vgl. PREPCON 2017ff.) fußt auf umfassenden Studien, die im UWV-Projekt im Rahmen des Vorhabens „Wortverbindungsfelder“ durchgeführt wurden (vgl. Steyer/ Brunner 2009; Steyer/ Brunner/ Zimmermann 2013). Einige dieser Ideen fanden bereits auch in der praktischen Lexikografie Anwendung, so vor allem in der EU-Sprichwortplattform (vgl. Sprichwort-Plattform 2010) und im OWID-Sprichwörterbuch (vgl. Sprichwörterbuch 2012ff.). Das Konzept ‘Wortverbindungsfelder’ wurde entwickelt, um die Ergebnisse induktiver, korpusgesteuerter Analysen ausgehend von der sprachlichen Oberfläche angemessen darstellen und visualisieren zu können. Die Grundidee ist, dass Strukturen von Wortverbindungen und Wortverbindungsmustern, die distinktiven Merkmale ihres Gebrauchs, ihre wechselseitigen Vernetzungen und die Regularitäten der Musterbildung primär aus der Logik der Anordnung, Bündelung und Hierarchisierung von KWIC-Mengen rekonstruierbar sind. Man kann so bereits auf der rein objektsprachlichen Ebene, also auf der Basis vieler gebündelter realer - nicht idealisierter - sprachlicher Vorkommen mit verwandten Merkmalen etwas über den sprachlichen Usus erfahren. Die Wortverbindungsfelder beinhalten aber auch qualitative Kommentare, um die Rezeption dieser doch ungewohnten Beschreibungsformen zu erleichtern. Alle Informationen werden in so genannte Strukturknoten gebündelt (sowohl in UWV-Knoten als auch in Musterknoten auf verschiedenen Abstraktionsebenen). Für diese Zwecke entwarf und implementierte die UWV-Gruppe auch die ersten lexpan-Versionen, zu dieser Zeit mit dem Namen „UWV-Tool“, damals noch stark fokussiert auf die Beschreibung des UWV-Gebrauchs und die Hierarchisierung in Wortverbindungsnetzen. Geleitet durch die Erkenntnis, dass diese Mechanismen der Verfestigung und Musterhaftigkeit sehr viel fundamentaler und universaler für die Konstituierung des Sprachgebrauchs sind, als das im Vorhinein anzunehmen war, haben wir ‒ wie in 3.3 bereits ausgeführt ‒ in den Folgejahren versucht, das Analysewerkzeug generisch auszubauen, um so die Analyse jedweder Form lexikalischer Verfestigung zu ermöglichen. Die zentralen Erkenntnisse dieser Studien werden in PREPCON erstmals auf einen umfassenden Wortschatzausschnitt (P-N-Verbindungen) und in den Modulen 2 und 3 auch mit stärker didaktisierter Ausrichtung (primär aus der Perspektive des Fremdsprachenerwerbs) angewendet. 4.2 Das PREPCON - Onlineformat in OWID plus Das PREPCON-Onlineformat wird modular erarbeitet und schrittweise in OWID plus (beheimatet am IDS, entwickelt in der Abteilung „Lexik“) integriert. Kathrin Steyer 258 OWID plus ist eine neue experimentelle Plattform für multilinguale lexikalischlexikografische Daten, für quantitative lexikalische Auswertungen und für interaktive lexikalische Anwendungen, die in einzelnen unverbundenen Rubriken präsentiert werden. OWID plus richtet sich an Fachkolleginnen und Studierende und wird kontinuierlich erweitert. (http: / / owid.de/ plus/ index.html) PREPCON ist durch ein Design gekennzeichnet, das unterschiedliche Bearbeitungstiefen und Darstellungsformate beinhaltet: die vollautomatische Erfassung von Vorkommenshäufigkeiten und Proportionen von Präposition- Nomen-Verbindungen mit interner Nullstelle in DeReKo (Modul 1: PREPCON explorativ, siehe 4.2.1), die semiautomatische Erfassung eines Wortschatzausschnitts (binäre PWVs temporal) (Modul 2: PREPCON temporal, siehe 4.2.2) sowie eine kontrastive Feldstudie zu einem semantisch definierten PWV-Feld basierend auf Kookkurrenzprofilen und Lückenfüllertabellen im Sprachvergleich (Modul 3: PREPCON kontrastiv, siehe 4.2.3). abb. 13: PrePCOn einstiegsseite in OWiD plus 4.2.1 PREPCON explorativ Als erstes Produkt des Projekts ist eine vollautomatische Datenbank in OWID plus online abrufbar, die die Vorkommenshäufigkeiten und -proportionen von 78.669 Präposition-Nomen-Verbindungen mit interner Nullstelle des Deutschen dokumentiert (mit einem Mindestvorkommen von 5). 30 Diese Datenbank 30 Die Datenbank wurde von Annelen Brunner entwickelt und implementiert (vgl. PREPCON explorativ). Lexikalisch geprägte Muster 259 basiert auf empirischen Erhebungen des UWV-Projekts zu 80 deutschen Präpositionen und ihren nominalen Slots in unmittelbarer Nachstellung. 31 Zu jeder in die Datenbank aufgenommenen Präposition (insgesamt 68) sind alle Nomina abrufbar, die unmittelbar nachgestellt in DeReKo 32 (Archiv: Tagged-T) vorkommen (insgesamt 29.687), und zwar mit ihrer absoluten und relativen Frequenz sowie bis zu 25 per Zufallsauswahl automatisch selektierten KWICs (siehe Abb. 14). Parallel dazu ist es möglich, reziprok nach einem Nomen zu suchen und sich alle ihm unmittelbar vorangestellten Präpositionen mit den entsprechenden quantitativen Angaben und KWICs auflisten zu lassen (siehe Abb. 15). abb. 14: PrePCOn Modul 1: Präpositions - Perspektive: eintrag „vor“ 31 Diese Erhebung wurde von Kathrin Steyer, Gerrit Kleiböhmer und Martin Schönen durchgeführt. 32 Datenbasis: TAGGED-T-gesamt, alle Korpora des Archivs TAGGED-T (Release: DeReKo-2010-II); ca. 1,5 Milliarden Wörter, morphosyntaktisch annotiert. Kathrin Steyer 260 abb. 15: PrePCOn Modul 1: nomen - Perspektive: eintrag „Jahren“ Wichtig ist zu betonen, dass diese vollautomatische Datenbank jedwede Vorkommen einer Präposition und eines unmittelbar nachgestellten Nomens abbildet, d.h. dass es auch zahlreiche Vorkommen gibt, die nicht das Kriterium einer autonomen PWV erfüllen, also auch solche, die für die Beschreibungen binärer autonomer PWV in Modul 2 ausgeschlossen werden, z.B. ums Leben kommen (*ums Leben) oder von Zeit zu Zeit (*von Zeit) (siehe 2.2). Die Datenbank erfüllt die Funktion einer exhaustiven Inventarisierung eines Sprachausschnitts und ist somit primär von sprachdokumentarischem Wert. Neben interessierten Linguisten können auch Fremdsprachenlerner nützliche Informationen erhalten, z.B. zu folgenden Aspekten: - Bestimmte P-N-Verbindungen weisen als Ganzes eine auffallend hohe Frequenz auf. Die häufigsten sind: • ums Leben 48.663 • seit Jahren 24.186 • bis Ende 20.713 • pro Jahr 20.471 • per E-Mail 17.338 - Bei bestimmten Nomina liegt ein überproportional hoher Anteil an einigen wenigen Präpositionen vor. So werden bei den Vorkommen des Nomens Belieben nur die Präpositionen nach und ins unmittelbar vorangestellt, wobei nach Belieben eine autonome PWV darstellt, während ins Belieben eine Komponente der verbalen UWV ins Belieben stellen ist. Lexikalisch geprägte Muster 261 - Bestimmte Präpositionen unterliegen starken Einschränkungen bezüglich ihrer nachgestellten Nomina. Der Präposition wider wird beispielsweise in 61,64% der Vorkommen das Nomen Erwarten und in 33,78% das Nomen Willen nachgestellt; beide also decken 95,42% alle wider-N-Vorkommen ab. Viele dieser Restriktionen weisen auf eine starke Lexikalisierung der Verbindungen und damit auf deren kognitive Verankerung hin: im Fall von wider Erwarten beispielsweise als autonome adverbiale Einheit in der Bedeutung ‘unerwartet, unvorhergesehen’; im Fall von wider Willen als nachgestellte adjektivische Komponente eines NP-Musters [N{Heirat/ Braut/ Held/ Revolutionär} wider Willen] in der Bedeutung ‘nicht gewollter, nicht intendierter Sachverhalt oder Zustand’. 4.2.2 PREPCON temporal Bei diesem noch in der Entwicklung befindlichen Teilprodukt handelt es sich um eine semiautomatische Aufbereitung und Systematisierung, die auf einer qualitativen Auswahl der PWV-Einträge basiert. 33 Es werden jene Kandidaten herangezogen, die als binäre PWVs mit rekurrenter Nullstelle im weitesten Sinne auf das Konzept ZEIT (Anfang, Ende, Dauer usw.) referieren. Im Kern sind das PWVs, bei denen die temporale Bedeutung in der nominalen Komponente inkorporiert ist: am Anfang, auf Dauer, in Sekundenschnelle oder seit Kindertagen. Eine weitere Gruppe stellen solche Kandidaten dar, bei denen die temporale Bedeutung nicht aus den Nomen-Bedeutungen ableitbar ist, die aber ebenso (zumindest partiell) ein Zeit-Konzept ausdrücken: auf Knopfdruck oder seit Kindesbeinen. Neben diesen PWV-Einträgen werden auch Hinweise auf produktive WV- Muster mit temporalen Grundwörtern in die Datenbank aufgenommen, z.B. [am X-{Artikel-/ Monats-/ Jahres-/ …} anfang]. Auch hier dient lexpan der Erfassung der Produktivität der Slotbesetzungen. Die zentrale Angabe für die temporalen PWV-Muster ist jeweils die Lückenfüllertabelle des Bestimmungswort- Slots (also z.B. die Lückenfüllertabelle für den X-Slot in am X-Anfang). 33 Dieses semiautomatische Onlineprodukt wird von Kathrin Steyer, Katrin Hein und Annelen Brunner sowie unter der Mitarbeit von Oxana Bogatyrenko, Teemu Arola, Maria Steinfeld und Maryna Charniuk erarbeitet. Eine erste Version soll Ende 2018 vorliegen. Kathrin Steyer 262 abb. 16: am|am ## - Anfang (lexpan exportdatei: ausschnitt) Ein PWV-Eintrag beinhaltet folgende Komponenten: a) Rein quantitative Angaben (ohne manuellen Eingriff): - Frequenzangaben, Suchanfragen und KWICs zur jeweiligen PWV, um den autonomen Status zu dokumentieren; - Kookkurrenzprofil der PWV; - Lückenfüllertabellen. b) Kommentare zu typischen Aspekten des Gebrauchs mit ausgewählten Daten (primär Kernbedeutungen und spezifische Erweiterungsmuster): Primäre Nutzerzugänge werden nach unterschiedlichen Kriterien zusammengestellte PWV-Listen sein, z.B. alle PWVs, die neben einer temporalen Bedeutung auch modal verwendet werden oder alle PWVs, die Monatsnamen enthalten. Des Weiteren sind Verlinkungen zum elexiko-Wörterbuch in OWID vorgesehen, die die Vernetzungen im Wortschatz in besonderer Weise erhellen (bspw. von Einwortparaphrasen der Kernbedeutung einer PWV zu den entsprechenden Einwortlemmata in elexiko, z.B. im Moment (‘momentan‘) → Eintrag „momentan“. 4.2.3 PREPCON kontrastiv In Modul 3 wird ein Prototyp für eine datennahe Aufbereitung von Gebrauchsinformationen zu einem ausgewählten präpositionalen WV-Feld im Sprachvergleich erarbeitet. Diese mittelfristig angelegte Studie ist als lexikografische Grundlagenforschung zu verstehen, die Anregungen für künftige lexikogra- Lexikalisch geprägte Muster 263 fische Vorhaben im Sprachvergleich geben soll. Den Kern bilden kontrastive Analysen von PWVs Deutsch-Slowakisch-Spanisch eines zusammenhängenden semantischen Felds in den drei Sprachen. Die Artikel werden verdeutlichen, dass Äquivalenzbeziehungen zwischen Wortverbindungen sehr viel differenzierter zu betrachten sind als das in der kontrastiven Phraseologie bis dato auch nur annähernd beschrieben wurde. Die Einträge in dieser Pilotstudie unterscheiden sich von Modul 1 und Modul 2 dahingehend, dass sie in viel stärkerem Maße die qualitativen Interpretationen in Form von linguistischen Beschreibungen präsentieren. Herzstück der Artikel ist der Vergleich von Gebrauchsaspekten von PWV-Äquivalenten in den verschiedenen Sprachen auf der Basis der jeweiligen Kookkurrenzprofile und der Musterhaftigkeit der PWVs (intern und extern) auf der Basis von Slotanalysen. Die linguistischen Perspektiven dieses induktiv-kontrastiven Bottom-up-Ansatzes werden im Beitrag von Mellado Blanco/ Steyer am Beispiel DE mit Genugtuung - ES con satisfacción und bei Ďurčo u.a. an der PWV nach Belieben - SK podľa ľubovôle erörtert; zentrale Aspekte der kontrastiven lexikografischen Beschreibung werden in Hein et al. am Beispiel der temporalen PWV DE am Anfang - SK na začiatku - ES al principio exemplifiziert. 4.3 Zusammenfassung Dieser Punkt stellte das Konzept des PREPCON-Onlinformats vor. Die Modularität ist der Erkenntnis geschuldet, dass es nicht möglich ist, ein einheitliches korpusbasiertes Wörterbuch zu erarbeiten, das dem Potenzial der Korpusanalyse auch nur annähernd gerecht wird - also sowohl große authentische Sprachdatenmengen aufzunehmen und aufzubereiten, wenn möglich umfassend und für einen Wortschatzausschnitt erschöpfend, als auch den distinktiven Gebrauch angemessen zu beschreiben. Viele Nuancen, vor allem in pragmatischfunktionaler Hinsicht, treten durch quantitative Verfahren wie die Kookkurrenz- und Slotanalyse empirisch überhaupt erst zutage. Gerade diese Feinheiten sind für den fortgeschrittenen Fremdsprachenerwerb und die Fremdsprachenvermittlung jedoch von zentraler Bedeutung. Jedes PREPCON-Modul erfüllt eine spezifische Funktion: Die vollautomatische Datenbank in Modul 1 dokumentiert einen großen Sprachausschnitt umfassend. Da eine solche Datenmenge nicht in einer seriösen Zeitspanne qualitativ bearbeitet werden kann, muss ein solches Produkt als das angesehen werden, was es ist: ein Inventar mit sprachdokumentarischer Funktion. Modul 2 „PREPCON temporal“ nimmt eine Mittelposition ein. Es wird immer noch eine quantitativ ernstzunehmende Menge an Kandidaten bearbeitet, mit dem Ziel, einen Wortschatzausschnitt komplett zu erfassen, zwar mit inhaltlichen Eingriffen, aber unter Verzicht auf ausführliche Beschreibungen aller Feinheiten des Gebrauchs. Kathrin Steyer 264 Die kontrastive Pilotstudie des Moduls 3 fokussiert dann genau diesen Aspekt der detaillierten Beschreibung von Gebrauchsaspekten und Mustern aus kontrastiver Sicht. Um diese qualitativ tiefgehende Beschreibung zu gewährleisten, ist eine Konzentration auf eine überschaubare Menge an PWVs und lexikalisch geprägten Mustern eines Feldes vonnöten. Carmen mellado BlanCo/ Kathrin Steyer Auf der Suche nAch ÄquivAlenz. lexikAliSch geprÄgte MuSter kontrAStiv: deutSch - SpAniSch vorbemerkung Ziel der vorliegenden Arbeit 1 ist es, die korpusbasierte Vorgehensweise für die Äquivalenzbestimmung bei deutschen präpositionalen Wortverbindungen (PWVs) im Spanischen zu zeigen und dadurch die Relevanz konvergenter und divergenter Gebrauchsaspekte basierend auf Kollokationsfeldern bei potenziellen interlingualen Äquivalenzpaaren nachzuweisen. Anhand der PWV mit Genugtuung und ihrer spanischen Entsprechung con satisfacción gehen wir dann speziell auf das Phänomen der interlingualen Musterhaftigkeit ein, indem sowohl interne als auch externe lexikalische Erweiterungsmuster mittels des am IDS entwickelten Programms lexpan aufgedeckt werden. Es handelt sich hierbei um eine Pionierarbeit, die in erster Linie für die adäquate Verwendung von äquivalenten Wortverbindungen in prototypischen Ko(n)texten für Nichtmuttersprachler von großem Nutzen sein kann. Die folgenden Ausführungen werden primär aus der Perspektive eines Lexikografen dargelegt. 1. Äquivalenz - funktional kommunikativ: gebrauchsaspekte Ausgehend vom funktionalen Äquivalenzbegriff auf der Wörterbuchebene 2 (siehe Dobrovoľskij 2014; Dobrovoľskij/ Piirainen 2009; Filipenko 2009; Mellado 1 Dieser Beitrag ist im Rahmen folgender Forschungsprojekte entstanden: Projekt „Usuelle Wortverbindungen“ (Teilprojekt PREPCON) unter Leitung von Kathrin Steyer am IDS (Mannheim) und dem Projekt „Combinaciones fraseológicas del alemán de estructura [PREP) + SUST)]: patrones sintagmáticos, descripción lexicográfica y correspondencias en español“ (FFI2013- 45769-P; www.usc.es/ frasespal/ web/ ) unter Leitung von Carmen Mellado Blanco an der Universität Santiago de Compostela. Zu aktuellen Aspekten der kontrastiven Phraseologie Deutsch - Spanisch vgl. Mellado Blanco (Hg.) (2014). 2 Während auf der Systemebene die Äquivalenzstudien in der Regel von isolierten kontextlosen Phrasemen ausgehen, sind in der Metaphraseografie und bei der Erstellung von phraseologischen bilingualen Wörterbüchern relevante Fortschritte zu verzeichnen, wie der Beitrag von Dobrovol’skij (2009) zur Berücksichtigung von Korpora für die Beschreibung von syntaktischen Präferenzen und Restriktionen von äquivalenten Idiompaaren und die Publikation von Filipenko (2009) zum Nutzen der Korpusanalyse für die Bestimmung der prototypischen Kombinatorik, der pragmatischen Spezifizität und der kontextinduzierten Polysemie von (mehr oder weniger) äquivalenten Idiompaaren bezeugen. In diesem Zusammenhang sei der avantgardistische Cha- Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 266 Blanco 2010, 2015a, 2015c, 2016; Ďurčo 2013, 2016) setzen wir für die Äquivalenzauswahl der PWVs ebenso funktional-kommunikative Kriterien an (vgl. Dobrovol’skij 2000). 3 Nach Dobrovol’skij können funktionale Äquivalente als Einheiten definiert werden, die in sich in ihrer lexikalisierten Semantik und im Idealfall auch in ihrer bildlichen Bedeutungskomponente maximal ähnlich sind und die in analogen Situationstypen ohne Informationsverlust gebraucht werden können. (Dobrovol’skij 2014, S. 207) Wie in einer früheren Studie diskutiert (vgl. Mellado Blanco 2015a, S. 155), ist Äquivalenz vorrangig unter folgenden Aspekten zu betrachten: 1) Äquivalenz ist aus lexikografischer Sicht in einer Zwischenposition zwischen der Äquivalenz auf der System- und auf der Textebene anzusiedeln (vgl. Mellado Blanco 2010), 2) Äquivalenz muss zumindest zum Teil korpusbasiert zu ermitteln sein, 3) Äquivalenz kann nicht alle in den Texten aufgefundenen möglichen Übersetzungslösungen berücksichtigen, sondern nur die rekurrenten prototypischen Textäquivalenzen und 4) Äquivalenz muss die syntaktischen und semantischen Restriktionen und Präferenzen in beiden Sprachen sowie die Syntagmatik in Betracht ziehen: La equivalencia lexicográfica debe obtenerse mediante el análisis del comportamiento prototípico de las unidades fraseológicas en el nivel del discurso, para lo cual es esencial saber discriminar los usos típicos de los periféricos o poco representativos. Por otra parte, la equivalencia lexicográfica se diferencia de la equivalencia textual en que no pretende hacerse eco de toda la casuística posible de traducciones de un fraseologismo de la L1 en la L2. Además de ello, en los diccionarios sería aconsejable que junto a las equivalencias en la L2 se explicaran las posibles restricciones de uso, cuestiones combinatorias o divergencias en la estructura del significado de los respectivos fraseologismos en la L2. (Mellado Blanco 2015a, S. 155) Bei der Suche nach Äquivalenzen in der Zielsprache können für deutsche PWVs Äquivalente in Form von präpositionalen Wortverbindungen, aber auch Einwortlexeme infrage kommen (vgl. Torrent 2012) wie im Falle der lexikalischen Erweiterung (LE) von auf Abruf: Arbeit auf Abruf - trabajo temporal oder nicht lexikalisierte Paraphrasen in der Zielsprache (ZS). Um die korrekte Wahl der Äquivalente auf lexikografischer Ebene zu treffen, stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung: rakter der russischen lexikografischen Tradition hervorgehoben (vgl. auch Dobrovol’skij/ Filipenko 2007). Weitere innovative Studien finden sich auch in Mellado Blanco (Hg.) (2009). 3 Zum Begriff der usuellen Wortverbindungen siehe Steyer (2013). Alle Beschreibungen dieses Kapitels basieren auf dem korpusanalytischen UWV-Modell, das anhand des Programms lexpan auf die qualitative Annotation und Interpretation von Slot-Füller-Analysen abzielt (siehe dazu Steyer in diesem Band). Auf der Suche nach Äquivalenz 267 a) Man konsultiert Parallelkorpora, bzw. vergleichbare Korpora. Beim Vergleich der Übersetzungen einer bestimmten Wortverbindung der Ausgangssprache (AS) in der ZS wählt man das am meisten benutzte und prototypische Äquivalent in der ZS. Im Fall des Sprachenpaars Deutsch - Spanisch verfügen wir über die Parallelkorpora von Sketch Engine (1996-2011), die aber aufgrund der spezifischen Textsorte parlamentarische Reden und des reduzierten Umfangs (Deutsch: 47.236.849 Tokens; Spanisch: 54.826.927 Tokens) für unsere Forschung nicht in Frage kommen. b) Der Lexikograf kommt induktiv durch einen Abstraktionsprozess zu einem Äquivalent und zwar nach der ausführlichen Lektüre von prototypischen Belegen und KWICs in der AS, die die Basis für die Bestimmung der Kernbedeutung der AS-Einheit bilden (vgl. Mellado Blanco/ Iglesias Iglesias 2011). Die erschlossene Äquivalenz in der ZS muss dann wieder durch Suchanfragen in den zielsprachigen Korpora verifiziert werden. 4 Für das Spanische verwenden wir das Korpus European Spanish Web 2011 (eseuTenTen11, ca. 2 Mrd. Wörter, Stand: 12.12.2017) und die Kookkurrenzanalyse von Sketch Engine. Diese Vorgehensweise wurde im kontrastiven Wörterbuch „Idiomatik Deutsch-Spanisch“ (Schemann et al. 2013) beim Prozess der Äquivalenzfindung in der ZS erfolgreich implementiert und wird erneut im jetzigen Projekt verwendet. Nach der Überprüfung von prototypischen KWICs und Belegen der deutschen PWVs erweist sich die Analyse ihrer typischen Gebrauchsaspekte als besonders gewinnbringend für eine adäquate Äquivalenzfindung in den Kontrastsprachen, hier im Spanischen (siehe dazu den Beitrag von Ďurčo für Deutsch - Slowakisch). Wie in Hein et al. in diesem Band noch detailliert erläutert wird, können rekurrente Gebrauchsaspekte sowohl auf semantischer als auch auf pragmatischer Ebene angesiedelt sein (z.B. Funktionen, Sprechhandlungen, Konnotationen, Domänen, Textsorten usw.). Sie basieren auf usualisierten Kotextmustern in den Korpusvorkommen und sind oft an konkrete Kollokationspartner bzw. -felder gebunden, die auf der Basis der KA-Profile systematisiert werden (z.B. in Form von verbalen, adjektivischen oder nominalen Satelliten) (vgl. Mellado Blanco 2015b). So kann die prototypische Lexik eines jeden Gebrauchsaspekts veranschaulicht und die Prominenz von bestimmten lexikalischen Elementen in der Umgebung der PWVs sichtbar gemacht werden (siehe Steyer in diesem Band). Die pragmatische Konzipierung der Gebrauchsaspekte aus intra- und interlingualer Sicht bedeutet unserer Meinung nach einen signifikanten Fortschritt, da korpusbasierte Studien in der Mehrzahl immer noch stark quantitiv aus- 4 Für das Deutsche benutzen wir DeReKo (vgl. Institut für Deutsche Sprache 2017), speziell das W-Archiv mit einer Größe von ca. 9 Mrd. (Stand: 12.12.2017) Wörtern sowie deTenTen13 in Sketch Engine mit einer Größe von 16,5 Mrd. Wörtern (Stand: 12.12.2017). Alle Belege und quantitativen Angaben fußen auf diesen Korpora (Stand: 12.12.2017). Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 268 gerichtet sind. Die für die Fremdsprachenperspektive unabdingbare systematische qualitative Interpretation auf der semantischen und pragmatischen Ebene spielt in diesen Kontexten aber nach wie vor eine eher marginale Rolle, wie Schmid mit Recht feststellt: […] the effects of pragmatic associations on chunking and schematization processes may have been underestimated so far, especially in quantitative approaches which have very much focused on corpus frequencies and different ways of calculating their statistical significance. (Schmid 2014, S. 279) Die Palette der Entsprechungsmöglichkeiten der deutschen PWVs unter Berücksichtigung der je spezifischen Verwendungsaspekte ist breit: In einigen (seltenen) Fällen steht nur ein Äquivalent zur Verfügung, das die meisten Verwendungsspezifika der deutschen PWV abdeckt (z.B. DE am Anfang - ES al principio; siehe Hein et al. in diesem Band), in anderen Fällen, wie bei auf Anhieb, findet man praktisch für jeden Gebrauchsaspekt der deutschen PWV eine andere Entsprechung im Spanischen. Eine solche Polyäquivalenz ist im Grunde sogar der Regelfall. Diese Äquivalente werden unter Berücksichtigung der aus den deutschen Korpora ausgewählten prototypischen Belege festgelegt. In der kontrastiven lexikografischen Praxis muss man sich in Polyäquivalenzfällen für das Äquivalent entscheiden, das die meisten Gebrauchsaspekte der deutschen PWV wiedergibt und daher am prototypischsten scheint. So sind für die PWV auf Anhieb die spanischen temporalen Idiome de repente (plötzlich), de inmediato (sofort), en el momento (in dem Moment), en el acto (auf der Stelle), a la primera de cambio (beim ersten Versuch), de entrada (gleich zu Beginn) als Äquivalente möglich. Die PWV de inmediato kann aufgrund der Übereinstimmung mit der Kernbedeutung von auf Anhieb und der Mehrheit ihrer Verwendungsweisen als prototypisches Äquivalent angesehen werden. Zur Veranschaulichung der Komplexität des Äquivalenzsuchverfahrens sei des Weiteren die PWV auf Abruf angeführt (siehe auch Ďurčo und Hein et al. in diesem Band). 5 Die spanische Entsprechung von auf Abruf, die die meisten Gebrauchsaspekte erfasst, ist bajo demanda, so wie im folgenden Beleg: (1) Los elementos multimedia pueden ser de tres tipos: video bajo demanda (enlace a un archivo de video de un servidor de streaming), podcast (tanto descarga como reproducción) o eventos en directo (enlace a una página web o transmisión de streaming en directo). (eseuTenTen11: http: / / arca.rediris/ es./ stats/ information.php) Trotzdem können sich Entsprechungen im Spanischen in Abhängigkeit von den jeweiligen deutschen Belegen funktional unterscheiden, obwohl diese im 5 Die Beschreibungen des Gebrauchs der deutschen PWV auf Abruf basieren in Teilen auf einem bisher unveröffentlichten Arbeitspapier von Katrin Hein. Auf der Suche nach Äquivalenz 269 Deutschen unter einem gemeinsamen Gebrauchsmerkmal zusammengefasst wurden. So realisieren viele auf Abruf-Verwendungen den - zumeist negativ konnotierten - Aspekt der Abhängigkeit von Dritten oder des Status als zweite Wahl: (2) Bei Olympia gehörte er nicht der Turniermannschaft an, er stand lediglich auf Abruf bereit. Diese Nichtnominierung stellt Pohl als Minuspunkt seiner langjährigen Auswahlberufungen dar […]. (DeReKo: Horst Pohl, In: Wikipedia - http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Horst_Pohl: Wikipedia (Stand: 12.12.2017)). (3) […] verliert einen Helden. Kommt ihm jetzt Klaus Wowereit abhanden? Als Bürgermeister auf Abruf wird er gerade unisono von den Medien verabschiedet, auch wenn er unbedingt auf seinem Posten bleiben will. Der noch vor dem BER-Debakel populärste Politiker Berlins steht jetzt ganz hinten in den Sympathielisten […]. Wowereits politische Karriere scheint beendet […] (DeReKo: die tageszeitung, 15.1.2013, S. 20, Der Homosexuelle Mann.) (4) Onken: Die Geliebte wird weiter hoffen. Deshalb lebt sie nur halb - weil sie immer auf den Moment hofft, in dem der Mann Zeit hat. Sie ist ständig auf Abruf. Sie plant viel zu wenig für sich selbst, für ihr eigenes Leben. […] Noch vor 15 Jahren haben mir Geliebte erzählt, dass sie nicht einmal in die Waschküche hinuntergehen wollen, weil er ja ausgerechnet dann anrufen könnte. (DeReKo: profil, 21.2.2005, S. 89, Immer wieder dieselbe Enttäuschung) Im Spanischen gibt es jeweils ein anderes prototypisches Äquivalent: - Für Beleg 2: en caso de llamada (im Falle eines Anrufs) - Für Beleg 3: [N con los días contados (mit den gezählten Tagen)] - Für Beleg 4: tener disponibilidad absoluta, tener disponibilidad las 24 horas del día (absolute Verfügbarkeit haben; Verfügbarkeit 24 Stunden am Tag haben) Wie aus den angeführten Beispielen hervorgeht, sind die Äquivalente in ihrer Semantik an sich recht heterogen. Das ist dadurch bedingt, dass der Gebrauchsaspekt für das Deutsche breit angesetzt ist und primär die Pragmatik der PWV fokussiert und zwar präferiert negative Konnotation der durch die WV beschriebenen Sachverhalte. Für die Äquivalenz im Spanischen ist ebenso von Bedeutung, welche Funktion die PWV im Satz ausübt: Als Modifikator eines Nomens [N auf Abruf] (N = ‘Berufsbezeichnungen’) erweisen sich in den meisten Fällen die spanischen Entsprechungen [N con los días contados (N mit den gezählten Tagen)] (negativ konnotiert) und con fecha de caducidad (mit Ablaufdatum) als angebracht. Mit Nomina aus dem semantischen Bereich ‘Arbeit’ Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 270 wäre die Entsprechung von auf Abruf eher ein Adjektiv: precario (Arbeit auf Abruf - trabajo precario; Angestellte auf Abruf - empleados precarios). Als Teil des Prädikats auf Abruf (bereit) sein stehen uns als Äquivalente die nicht lexikalisierten Paraphrasen tener disponibilidad absoluta, tener disponibilidad las 24 horas del día und estar disponible en todo momento zur Verfügung. Anhand dieses Beispiels sehen wir, dass die funktionale Äquivalenz eines oder mehrerer Aspekte des Gebrauchs der deutschen PWV je nach den ausgewählten Textbelegen im Spanischen nicht immer lexikalisiert sein muss; in diesem Fall wird eine adäquate Paraphrase - dem entsprechenden deutschen Beleg angemessen - formuliert. Wie oben bereits angedeutet, können Äquivalenzrelationen auch in Abhängigkeit von prototypischen Gebrauchsdomänen oder Textsorten divergieren, wie im Beispiel der PWV nach Belieben bezüglich der Textsorte ‘Kochrezepte’. Indikatoren für diese Textsortenpräferenz sind nominale Satelliten wie Salz, Zucker, Pfeffer, Sahne u.a. und verbale Kollokatoren wie abschmecken, garnieren, verfeinern, überziehen, variieren. (5) Nach Belieben würzt man noch mit Salz und Pfeffer. (DeReKo: St. Galler Tagblatt, 20.4.2013, Nr. 91, S. 20) Im Spanischen kommen die bei anderen Aspekten gültigen Äquivalenzen (a su* antojo, a su* capricho, eher negativ konnotiert) in der Textsorte ‘Kochrezepte’ absolut nicht in Frage, und man muss in ähnlichen Kontexten in dieser Gebrauchsdomäne die neutral bewertete PWV al gusto (nach Geschmack) verwenden. (6) Una vez elaborada la salsa bechamel, sazonamos al gusto con un poco de nuez moscada y ponemos a punto de sal. (eseuTenTen11: www.consumer.es/ web/ es/ alimentacion/ en_la_cocina/ trucos_y_ secretos/ 2009/ 01/ 07/ 182556.php) 2. kollokationsfelder und erweiterungsmuster im kontrast Wie bereits in diesem Band angemerkt (siehe Beitrag von Steyer), ermöglicht die verfestigte sprachliche Umgebung einer PWV in hohem Maße die Erklärung ihres Gebrauchs und somit die Äquivalenzbestimmung in der jeweiligen Zielsprache. Ähnliche korpusbasierte Untersuchungen des syntagmatischen Profils zum Zweck einer adäquaten Äquivalenzfindung in der deutschspanischen Phraseologie werden - auf translatorischer Ebene (allerdings nicht lexikografisch) - vor dem Hintergrund der sogenannten „semantic prosody“ und „pragmatic prosody „von Autoren wie Oster/ van Lawick (2008) seit einigen Jahren durchgeführt. Die Phänomene der „semantic prosody“ und „prag- Auf der Suche nach Äquivalenz 271 matic prosody“ 6 spielen in der Tat eine wichtige Rolle in der Übersetzung, denn sowohl die Bedeutung als auch die Konnotationen einer lexikalischen Einheit sind vom Ko(n)text abhängig. Einen zentralen Aspekt der kontrastiven Analyse stellt in unserer Pilotstudie der systematische qualitative Vergleich der Kollokatoren der PWV in den Kontrastsprachen dar, wobei die Aufmerksamkeit primär auf verbale Kollokatoren und ihr semantisches Feld gerichtet wird. 7 Relevant für die Analyse ist zunächst die Ermittlung der prototypischen Kollokationsfelder der PWVs auf Basis statistisch ermittelter Kookkurrenzprofile (KA, CA) intralingual - also in jeder Sprache für sich - und wenn möglich ihre onomasiologische Systematisierung. In einem nächsten Schritt werden sie dann einem Vergleich unterzogen. Beim interlingualen Vergleich ist man mit unterschiedlichen Fällen konfrontiert: a) Die Kollokationsfelder sind in den Kontrastsprachen nachzuweisen und unterliegen einer vergleichbaren Typik. b) Die Kollokationsfelder gibt es zwar in den Kontrastsprachen, aber mit einem unterschiedlichen Typikalitätsgrad des ganzen Feldes oder einzelner Partner. c) Bestimmte Kollokationsfelder treten überhaupt nur in einer Sprache auf. d) Bestimmte einzelne Kollokationspartner aus einem Kollokationsfeld sind in der einen oder anderen Sprache besonders dominant oder eben gerade auch nicht. Für die Zwecke des Fremdsprachenunterrichts ist Fall b) von besonderer Relevanz, da der Fremdsprachenlerner dazu tendiert, typische Kollokationspartner oder auch ganze Kollokationsfelder aus seiner Muttersprache auf die PWV der Fremdsprache unreflektiert zu übertragen, wodurch Interferenzfehler entstehen können. Im Abschnitt 2.1 wird dem Aspekt der Kollokationsfelder im 6 Beide Phänomene werden von Oster/ van Lawick (2008, S. 335) in Anlehnung an Sinclair (1996) und Channell (2000) folgenderweise beschrieben: „In the following, semantic preference is understood as the semantic field a word’s collocates predominantly belong to, whereas semantic prosody is restricted to a more general characterisation of these collocates, chiefly in terms of a positive or negative evaluation. Semantic prosody thus takes the analysis to a pragmatic level“ (Sinclair 1996, S. 87), „as it reveals an evaluative potential of the extended unit of meaning that is not always obvious“ (vgl. Channell 2000). 7 So werden mit der PWV auf Anhieb und dem spanischen Äquivalent de inmediato Verba Dicendi modifiziert. Divergenzen ergeben sich dann aber bei weiteren Satelliten dieser Verben z.B. Negationsausdrücke. So wurde z.B. im Falle der spanischen PWV de inmediato - als Äquivalenz der PWV auf Anhieb - im Gegensatz zum Deutschen (nicht + auf Anhieb: 5.220) keine Verneinung-Präferenz festgestellt (CII-Q: nicht / +w1: 1 auf / +w1: 1 Anhieb ). Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 272 Deutschen und Spanischen anhand der deutschen PWV mit Genugtuung 8 und ihres spanischen Äquivalents con satisfacción nachgegangen. Beide PWVs sind Verbgruppenadverbialia, die die Einstellung des Sprechers zum propositionalen Inhalt bezeichnen und mit gewissen Verbgruppen im Satz kookkurrieren. Kollokationspartner können darüber hinaus im Kontakt mit der PWV eine gewisse syntaktische Musterhaftigkeit aufweisen, indem die Kollokatoren innerhalb (d.h. zwischen P und N) und außerhalb der PWV rekurrent in stabilen Strukturen, als lexikalische Erweiterungsmuster (LE-Muster) 9 , vorkommen. Ein weiteres Ziel der vorliegenden Arbeit ist es daher, die interlingualen Parallelen bei LE-Mustern aufzudecken, ebenfalls am Beispiel der PWV mit Genugtuung und con satisfacción (siehe 2.2). 2.1 mit Genugtuung vs. con satisfacción + VERBEN: Kollokationsfelder kontrastiv Die PWVs mit Genugtuung (13.474 V mit 0 bis 4 internen Leerstellen) und con satisfacción (6.631 V mit 0 bis 4 internen Leerstellen) können aufgrund ihrer Frequenz als autonome, binäre usuelle PWVs in beiden Sprachen aufgefasst werden. 10 Bezüglich der Kollokationsfelder von mit Genugtuung vs. con satisfacción lassen sich auf der Basis des Vergleichs der Kookkurrenzprofile starke Konvergenzen zwischen den beiden PWVs feststellen, wobei es innerhalb dieser konvergenten Phänomene auch immer wieder divergente Nuancen gibt. Am häufigsten korrelieren mit den PWVs in beiden Sprachen Kognitionsverben im weiteren Sinne, also Verben, die ausdrücken, dass eine Sache in jemandes Bewusstsein rückt. Prototypische Kognitionsverben bzw. Funktionsverbgefüge mit hohem Signifikanzgrad sind im Deutschen zur Kenntnis nehmen und registieren, im Spanischen mit ähnlicher Bedeutung jeweils recibir und acoger. Die Besetzung für die Objektbzw. Subjektstelle (bei passiven Sätzen) erfolgt im Deutschen durch Nomina wie Urteil, Entscheid, Nachricht, Resultat, Entwicklung. Die spanische PWV con satisfacción verhält sich analog mit den Slots decisión (Entscheidung), 8 Aus der Analyse ausgeschlossen wurden alle Belege mit der Struktur mit Genugtuung erfüllen, da in diesem Fall mit Genugtuung nicht autonom als binäre Einheit, sondern als Präpositionalergänzung aufzufassen ist. 9 Nach Steyer (in diesem Band) stellen lexikalische Erweiterungsmuster (LE-Muster) rekurrente, aber fakultative Kovorkommen dar und zwar sowohl innerhalb eines lexikalischen Kerns (intern) als auch im unmittelbaren Vor- oder Nachfeld desselbigen (extern). 10 CII-Query: $mit / +w1: 4 Genugtuung; SkE-Query [lc= " con " ] []{0,4} [word= " satisfacción " ]. Auf der Suche nach Äquivalenz 273 noticia (Nachricht), propuesta (Vorschlag), anuncio (Ankündigung), iniciativa (Initiative). Weitere verbale Kollokatoren aus dem Kognitionsfeld sind im Deutschen feststellen, aufnehmen, konstatieren, bemerken, quittieren, zurückblicken. Diese Kognitionsverben können auf Diskursebene im Prinzip - mit Ausnahme von registrieren und zurückblicken - auch als Kommunikationsverben fungieren. Im Spanischen erscheinen als Kognitionsverben neben den hoch frequenten acoger und recibir auch constatar (konstatieren) und recordar (sich erinnern). Im Gegensatz zum Deutschen ist im Spanischen der passive Gebrauch der Verben acoger und recibir häufig belegt. Zur Wiedergabe des im Hintergrund bleibenden Agens erscheint eine die Präposition por (von, durch) bzw. das präpositionale Phrasem por parte de (seitens) enthaltende Präpositionalphrase. So im folgenden Korpusbeleg: (7) La primera medida adoptada por el Gobierno a favor de los consumidores ante la crisis ha sido acogida con satisfacción por los consumidores, aunque dicen que existen dudas sobre cuál es la traducción real y efectiva de la misma. (eseuTenTen11: www.consumer. es/ web/ es/ economia_domestica/ 2008/ 10/ 08/ 180596.php) Eine zweite Gruppe von signifikanten Kollokationspartnern sind Kommunikationsverben oder Verba Dicendi im weiteren Sinne (feststellen, mitteilen, sagen, hinweisen, ankündigen; decir, anunciar, señalar, comunica). Obwohl das onomasiologische Feld interlingual übereinstimmend ist, sind die jeweils prototypischen lexikalischen Vertreter beider Kollokationsfelder (mit dem höchsten statistischen Rang) nicht symmetrisch, denn im Deutschen ist es das Verb feststellen und im Spanischen decir (sagen). 11 Die Korpusbelege zeigen aber, dass das Gesamtfeld ‘Kommunikationsverben’ in funktioneller-diskursiver Hinsicht trotz der unterschiedlichen Prototypikalität einzelner Verben in beiden Sprachen nachzuweisen ist. Des Weiteren ist in der Umgebung sowohl von mit Genugtuung als auch von con satisfacción ein auffälliges Kovorkommen von Modalverben in Verbindung mit den Kommunikationsverben zu konstatieren. Aktualisiert wird dieses Kookkurrenzmuster im Deutschen durch die Modalverben dürfen und können, im Spanischen durch poder. Ein Spezifikum ist die Verwendung des Modalverbs in der ersten Person (Singular oder Plural) und im Präsens. Das weist auf eine direkte Redewiedergabe in beiden Sprachen hin (siehe KWICs in Abb. 1 und Bsp. 8), was bedeutet, dass diamedial betrachtet diese Konstruktion der Ebene der konzeptionellen Mündlichkeit angehört. Dieses Muster kommt 11 Die im Spanischen usualisierte Verbindung mit dem Verb decir lässt sich für das Deutsche in dieser Typik nicht nachweisen. Das Verb sagen kommt im W-Archiv nur 366-mal mit der PWV mit Genugtuung vor (CII-Q: (&mit / +w1: 1 Genugtuung) / s0 &sagen ) und nicht einmal in dieser geringen Menge beinhalten alle Belege die Verbindung mit Genugtuung + sagen. Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 274 also sowohl im Deutschen als auch im Spanischen auffällig häufig in mündlicher, direkter Rede als Untermauerung der eigenen Zufriedenheit vor, z.B. in öffentlichen Erklärungen und Parlamentsdebatten: PRP Alles in allem kann ich mit Genugtuung feststellen, dass wir PBW Nach unserer Debatte habe ich auch - das darf ich so sagen mit Genugtuung feststellen dürfen, dass das Thema NZZ00 Wir können mit Genugtuung feststellen, dass das Haushaltsziel 2001 Eingehalten werden kann. abb. 1: KWiCs von mit Genugtuung in Verbindung mit modalverben in direkter rede (D e R e K o ausschnitt) (8) Podemos decir con satisfacción que la situación científica de la matemática española es buena. Tenemos muy buenos investigadores, con una gran repercusión internacional. (eseuTenTen11: http: / / divulgamat.ehu.es/ weborriak/ PublicacionesDiv/ Medios/ el paisNDet.asp? Id=1075) Solche Muster sind u.E. als Form-Bedeutungspaare lexikografisch zu erfassen und zu beschreiben, da sie Bestandteile des mentalen Lexikons der Sprache sind. Bei ihnen steht nicht die isolierte Bedeutung der einzelnen Konstituenten, sondern das strukturelle bzw. kategoriale Gerüst im Vordergrund, also z.B. die Reihenfolge der Konstituenten und die restringierte Relation zwischen Lexemen und Wortklassen mit typischen semantischen Merkmalen. Dieses Gerüst nimmt die Semantik der Aussage auf der Textebene vorweg, d.h. im Sinne von Hunston (2014, S. 113) „patterns can impose meaning“. Im Fall von mit Genugtuung in Kookkurrenz mit V Modalverb 1.Person und V Kommunikation bzw. V Modalverb 1.Person und V Kommunikation in Kookkurrenz mit con satisfacción antizipiert das Kookkurrenzmuster in direkter Rede die Idee einer ‘positiven Rückmeldung’, und somit bringen die Sprecher damit ihre Zufriedenheit oder Erleichterung über einen Sachverhalt oder ein Ergebnis zum Ausdruck. Die erwähnten morphosyntaktischen Präferenzen für den Gebrauch des finiten Modalverbs in der ersten Person und im Präsens untermauern die bereits im Beitrag von Steyer (in diesem Band) thematisierte Präferenz für gewisse Wortformen als Kookkurrenzpartner. Die Korpusanalyse zeigt, dass die Verben eines bestimmten Musters oft mit einer spezifischen Tempusform und/ oder Person einhergehen. In einigen Fällen kann die Erscheinung einer bestimmten Verbform mit einer besonderen Bedeutung der Wortverbindung gekoppelt sein (vgl. Mellado Blanco 2013). Rice/ Newman bringen diesen Gedanken wie folgt auf den Punkt: Syntactic (constructional), semantic, and collocational properties tend to inhere in individual inflections of a lexical item in a register-specific manner. These Auf der Suche nach Äquivalenz 275 properties may not extend across all the inflections (the paradigma) to characterize the lemma as a whole. (Rice/ Newman 2008, S. 19) Aus dieser Analyse lässt sich schlussfolgern, dass interlinguale Konvergenzen nicht nur auf lexikalischer Ebene - z.B. bezüglich der verbalen Kollokationsfelder und prototypischer verbaler Kollokatoren -, sondern auch auf einer abstrakteren Ebene in Form von LE-Mustern auszumachen sind (vgl. Mellado Blanco 2015b; Mellado Blanco/ Mansilla 2016). Die Korpusanalyse von weiteren PWVs mit der Struktur [P N Emotion ] (siehe Steyer in diesem Band) (z.B. mit Freude, mit Erleichterung, mit Stolz; con tristeza, con orgullo, con alegría) ermöglicht die Identifizierung eines abstrakteren Musters V Kommunikation in Verbindung [mit N Emotion ], das ebenso interlingual deutsch-spanisch nachweisbar ist. Der Vergleich der deutschen und spanischen Kollokationsfelder bringt neben den oben erwähnten Übereinstimmungen bei Kognitions- und Kommunikationsverben aber auch eine auffällige Divergenz bezüglich der Verben der nonverbalen Kommunikation (Feld ‘Mimik’) zu Tage. Das Kookkurrenzprofil der spanischen PWV con satisfacción enthält zahlreiche Verben bzw. Prädikate wie z.B. sonreír (lächeln), reír (lächeln), suspirar (seufzen), respirar (atmen), fruncir los labios (die Lippen zusammenpressen), die im Deutschen nicht anzutreffen sind (*mit Genugtuung {lächeln/ grinsen/ die Lippen zusammenkneifen}). 12 Der Kollokator sonreír (lächeln) erweist sich dabei am frequentesten: (9) Es una delicia acercarse a la cuna del recién nacido y ver que el pequeño está dormido y parece sonreír con satisfacción. ¿Qué le puede hacer tanta gracia? ¿Es una sonrisa intencionada? (eseuTenTen11: www.crecerfeliz.es/ El-bebe/ Primer-mes/ el-bebeduerme-y-son rie-en-suenos) 2.2 mit Genugtuung vs. con satisfacción: Kotextuelle lexikalische Erweiterungsmuster kontrastiv Im vorangegangenen Punkt haben wir den Erkenntnisgewinn von vergleichenden Kollokationsanalysen illustriert. Im Folgenden werden wir zeigen, dass auch ein Vergleich interner und externer LE-Muster eine wertvolle Heuristik darstellt, um Konvergenzen und Divergenzen gebrauchsbasiert rekonstruieren und beschreiben zu können. Gerade mit diesem Mustervergleich der Slots der 12 Eine ähnliche Bedeutung wie die spanische PWV con satisfacción in Kombination mit Verben der nonverbalen Kommunikation (Feld ‘Gestik’/ ‘Mimik’) weist die deutsche Struktur [V MimikGestik + zufrieden] mit dem Prädikativ zufrieden auf: Paul Biedermann lächelte zufrieden und zeigte mit seinem Daumen nach oben, Michael Phelps schüttelte beim Blick auf die Anzeigetafel den Kopf. (DeReKo: DPA, 19.10.2011, Biedermann besiegt Phelps bei Kurzbahn-Weltcup) Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 276 betreffenden PWVs in beiden Sprachen betreten wir Neuland, denn es gibt bis dato keine empirische Forschung der Musterhaftigkeit, die auf dieser kontrastiven Methodologie basiert. Wir nehmen hierfür wiederum unser Äquivalenzpaar mit Genugtuung vs. con satisfacción auf. Zunächst untersuchen wir die Festigkeit zwischen Präposition und Nomen und gehen dann auf drei Phänomene der internen Erweiterung [mit X Genugtuung] vs. [con X satisfacción] im Detail ein. Um den kontrastiven Vergleich mit empirischen Daten veranschaulichen zu können, seien hier Ausschnitte aus den Lückenfüllertabellen mit beliebigen internen Leerstellen im Deutschen (siehe Tab. 1) und im Spanischen (siehe Tab. 2) angeführt (basierend auf den Queries siehe Fußnote 10): Lückenfüller Anzahl Prozentanteil 9127 68,07 großer 604 4,50 einer gewissen 469 3,50 grosser 266 1,98 sichtlicher 244 1,82 besonderer 238 1,77 Freude und 190 1,42 einiger 184 1,37 einiger 184 1,37 der 124 0,92 stiller 83 0,62 gewisser 75 0,56 Stolz und 72 0,54 tiefer 69 0,51 unverhohlener 63 0,47 grimmiger 36 0,27 tab. 1: lückenfüllertabelle mit beliebigen internen leerstellen mit|Mit #* Genugtuung (lexpan: ausschnitt) Die Besetzung der Leerstelle X zwischen P und N zeigt zunächst einen eklatanten Unterschied im Deutschen und Spanischen, der sich direkt auf den Festigkeitsgrad der beiden PWVs auswirkt. 13 Die interne Leerstelle der PWV mit 13 Die Einfügeprobe ist ein weit verwendeter Test zur Feststellung des Lexikalisierungs- und Festigkeitsgrades und für den Nachweis der Kohäsion zwischen den Konstituenten von Phraseologismen, und dies nicht nur intra-, sondern auch interlingual. So formulieren Ebeling/ Auf der Suche nach Äquivalenz 277 Genugtuung wird in rund 68% der Vorkommen nicht besetzt, während im Spanischen diese Möglichkeit der direkten Kontaktstellung zwischen P und N nur knapp 35% ausmacht. Bei ca. 65% der spanischen Treffer steht ein Lückenfüller beliebigen Umfangs zwischen den Konstituenten der PWV, d.h., die Kohäsion der PWV liegt unter 50%. Die viel höhere Präferenz in der Slotbesetzung für den Nullartikel im Deutschen als im Spanischen deutet auf einen stärkeren Lexikalisierungsgrad der deutschen PWV mit Genugtuung im Vergleich zum Spanischen hin. Lückenfüller Anzahl Prozentanteil 2297 34,83 la 1270 19,26 gran 429 6,50 mucha 76 1,15 especial 69 1,05 una 63 0,96 enorme 57 0,86 un alto grado de 56 0,85 plena 53 0,80 orgullo y 50 0,76 cierta 41 0,62 una sonrisa de 33 0,50 un grado de 32 0,49 total 31 0,47 una gran 27 0,41 cara de 26 0,39 el grado de […] 24 0,36 alegría y 15 0,23 tab. 2: lückenfüllertabelle mit beliebigen internen leerstellen con|Con #* satisfacción ( lexpan: ausschnitt) Die lexikalischen Lückenfüller der internen X-Stelle lassen sich nach unterschiedlichen Kriterien gruppieren, wobei es stets Überlappungen gibt. Wir nehmen als Kriterien für unterschiedliche Zuordnungen der Füllergruppen a) die syntaktische Struktur, b) die Wortklasse und c) die phrasematische Mehrgliedrigkeit. Quer dazu weisen alle Gruppen spezifische semantische und prag- Oksefjell Ebeling (2013, S. 69) das vierte Kriterium zur Erkennung von „patterns“ (Phraseme) so: „The permissible distance between the elements involved“. Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 278 matische Restriktionen auf. Für die Kontrastsprachen Deutsch-Spanisch wurden für die internen Füller auffällige Konvergenzen bei [mit X Genugtuung] - [con X satisfacción] beobachtet: a) koordinierende nominale Strukturen (Binomialbildungen), b) Adjektive und c) mehrgliedrige phrasematische Quantifikatoren. Die Ausfüllungen dieser internen Erweiterungen sind unterschiedlicher semantischer und/ oder pragmatischer Natur, wie aus folgenden Abschnitten ersichtlich wird. a) Binomialbildungen Sowohl im Deutschen als auch im Spanischen lässt sich in der internen Slotbesetzung der PWV eine gewisse Tendenz zur Binomialbildung konstatieren, und zwar als internes LE-Muster [mit N und Genugtung] und [con N y satisfacción], wobei der Slot in der Regel mit sinnverwandten Emotionsnomina gefüllt wird. 14 Die nominalen Ergänzungen heben einen Aspekt des ‘Zufriedenseins’ besonders hervor oder ergänzen ihn um eine weitere Bewertungsnuance, in der Regel positiv. Die wichtigste pragmatische Funktion von Binominalbildungen mit sinnverwandten Nomina ist die Intensivierung der Bedeutung der Proposition im doppelten Sinne: Auf einer Seite weist die Doppelung ikonisch auf eine semantische Verstärkung hin (Gaweł 2017), und andererseits ergibt sich aus der Addierung von semantisch ähnlichen Nomina ein bedeutungsintensivierender Effekt (vgl. Mellado Blanco 1998, S. 294, i.Dr.; Čermák 2010). In diesem Zusammenhang könnte man von tautologischen Strukturen sprechen (vgl. Błachut 2015, S. 36), die in der Kommunikation dank ihrer Verstärkungsbzw. Hervorhebungsfunktion als stilistisch-rethorisches Mittel dienen. Die im X-Slot der Lückenfüllertabelle (siehe Tab. 1) am häufigsten verwendeten deutschen Lexeme mit tautologischer Funktion sind Freude (190 V) und Stolz 15 (72 V); im Spanischen sind es zwar dieselben Füller orgullo (Stolz) und alegría (Freude), aber in einem umgekehrten Frequenz-Verhältnis (orgullo (50 V) und alegría (15 V)). Daraus lassen sich in jeder Sprache auf textueller Ebene möglicherweise unterschiedliche Präferenzen in den prototypischen Assoziationen des Gefühls der Genugtuung mit anderen Gefühlen ableiten: im Deutschen eher mit Freude, im Spanischen mit Stolz. Darüber hinaus erscheint in beiden Sprachen eine deutliche Tendenz für die Prästellung der Füller und die Endstellung von jeweils Genugtuung und satisfacción: 14 Zu ähnlich gelagerten Reduplikationsstrukturen vgl. Ziem in diesem Band. 15 Es ist nicht verwunderlich, dass Stolz in der Binomialbildung mit Stolz und Genugtuung als Quasy-Synonym zu Genugtuung fungiert, da ‘Stolz’ eine wichtige Bedeutungskomponente der PWVs DE mit Genugtuung und ES con satisfacción bildet, wie zahlreichen Korpusbelegen zu entnehmen ist. Auf der Suche nach Äquivalenz 279 DE mit Freude und Genugtuung; mit Stolz und Genugtuung ES con orgullo y satisfacción; con alegría y satisfacción; con agrado y satisfacción Aufgrund der höheren Silbenanzahl der jeweiligen Konstituenten Genugtuung/ satisfacción deutet dieses Faktum auf das Behaghelsche Gesetz der wachsenden Glieder bei koordinativen Satzgliedern hin (vgl. Mellado Blanco 1998). Das korreliert des Weiteren mit der sog. sprachinternen rhythmischen Euphonie der Sequenz, die sich auf die prosodische Komplementarität in Zwillingsformeln bezieht, deren Bestandteile sich in ihrer Länge ausschließlich um eine Silbe unterscheiden (Gaweł 2017, S. 31). Die erste Komponente würde so samt der ihr folgenden einsilbigen Konjunktion die gleiche Silbenstruktur wie die zweite Komponente erreichen. b) Adjektivische interne Erweiterungen Die adjektivischen Füller sind durch unterschiedliche semantische und/ oder pragmatische Aufladungen gekennzeichnet: von reiner Intensivierung bis hin zu stark evaluativen Lexemen. Tabelle 3 zeigt einen qualitativen Vergleich der semantischen Gruppen der adjektivischen Lückenfüller von [mit X Genugtuung] und [con X satisfacción] im Deutschen und Spanischen: adjektivische Quantifikatoren (Intensivierer) positive Quantifikatoren (‘Gefühlsintensität’ bzw. ‘Gefühlsauthentizität’) evidenzielle Adjektive (Sinneswahrnehmung) negativ konnotierte Adjektive der ‘Schadenfreude’ Deutsch: mit # Genugtuung großer, größter, viel, grösster besonderer, stiller, tiefer, leiser, innerer, freudiger, berechtigter sichtlicher, deutlicher, sichtbarer, spürbarer, offensichtlicher, hörbarer, unüberhörbarer, erkennbarer, offener, offenkundiger unverhohlener, grimmiger, heimlicher, hämischer, klammheimlicher Spanisch: con # satisfacción gran, mucha, enorme, plena, total, mayor, muchísima, doble, tanta, toda, entera, absoluta, bastante, cuánta especial, alta, inmensa, profunda, suma, particular, verdadera, honda, viva, íntima, auténtica, legítima, tremenda evidente, visible, notable, creciente, indisimulada tab. 3: Semantische einteilung der adJ Slots [mit adJ Genugtuung] und [con adJ satisfacción] Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 280 Die positiv konnotierten adjektivischen Kollokatoren sind in beiden Sprachen nachzuweisen, die negativen nur im Deutschen. Die erste Gruppe steht in direktem Zusammenhang mit den Hauptverwendungsweisen der PWVs, nämlich ‘positiv konstatierend; mit interner Befriedigung’ (im Falle der Adjektive mit positiver Konnotation). Mit auffälliger Rekurrenz treten evidenzielle 16 Adjektive auf, die auf Sinneswahrnehmungen referieren: DE sichtlich, deutlich, spürbar, offensichtlich, unüberhörbar, offen, offenkundig; ES evidente, visible, creciente, indisimulada, notable. Die adjektivische Slotbesetzung zeigt dabei, dass die Gefühle und Emotionen, mit denen die Wörter Genugtuung - satisfacción verbunden sind, von außen zu sehen bzw. zu hören und oft am Gesicht des Experiencers erkennbar sind. Man kann sie als Gesichtsausdruck nicht unterdrücken, da sie eine Art Reflex darstellen. Die Adjektive der Sinneswahrnehmung unterstützen den Wahrheitsgehalt der Äußerung und tragen anhand ihres epistemischen Wertes zu ihrer Glaubwürdigkeit bei. Aus textueller Perspektive lässt sich sagen, dass die Aussagen, die die PWVs mit Genugtuung bzw. con satisfacción mit derartigen evidenziell geprägten Adjektiven wie sichtlich, deutlich, spürbar usw. enthalten, oft vor direkten Redewiedergaben mit einer einleitenden Funktion und neben Kommunikationsverben stehen. Sie selber sind nie in direkte Rede eingebettet: (10) „Es war ein Traum, dieses Auto zu fahren“, bilanzierte Hamilton nach den Anfeindungen der vergangenen Wochen mit spürbarer Genugtuung, „ich musste einfach nur alles unter Kontrolle halten.“ (DeReKo: Süddeutsche Zeitung, 20.10.2008, S. 27: Formel 1 Bleib! Bloß! Gelassen! ) (11) […] Además, nuestro público se ha mostrado extraordinariamente fiel, hasta en los conciertos más duros, e incluso hemos logrado atraer a un nuevo tipo de gente , indica Gallego con evidente satisfacción. (eseuTenTen11: www.elcultural.es/ version_papel/ MUSI CA/ 2054/ Ciclos_vivos_y_didacticos) Demgegenüber erscheinen die Belege mit intensivierenden Adjektiven wie groß und besonder (mit großer Genugtuung, mit besonderer Genugtuung) in direkte Redewiedergaben eingebettet, so im folgenden Beispiel mit dem Sprecher in erster Person: (12) Das ist ein Faktum. Mit besonderer Genugtuung nenne ich Ihnen die erfreulichen Fakten. (DeReKo: Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 14/ 30 vom 25.3.1999) 16 Zum Thema der Evidenzialität und der evidenziellen Marker siehe Diewald/ Smirnova (2010). Auf der Suche nach Äquivalenz 281 Positiv konnotierte Adjektive der ‘Gefühlsintensität bzw.-authentizität’ sind ebenso in beiden Sprachen gut vertreten: DE stiller, tiefer, innerer, berechtigter; ES profunda (tief), verdadera (wahr), viva (tief), auténtica (echt). Der Intensitätsgrad des Gefühls ‘Genugtuung’ kann weiter durch adjektivische Quantifikatoren wie DE groß oder, besonder; ES gran (groß), mucha (viel), especial (besonders) zum Ausdruck kommen. In der zuletzt genannten Gruppe - mit den meisten Treffern in beiden Sprachen - bietet das Spanische allerdings eine viel breitere und vielfältigere Palette an Adjektiven als das Deutsche (nur großer, größter, viel) an (vgl. oben Tab. 3). Als Besonderheit sei das seltene Vorkommen an negativ bewertenden Adjektiven (Schadenfreude) im Spanischen zu verzeichnen. 17 Aus der Analyse der internen Kombinatorik der PWVs mit adjektivischen Kollokatoren lässt sich erschließen, dass die PWVs in beiden Sprachen vorwiegend mit intensivierenden Quantifikatoren und mit positiv konnotierten Adjektiven kookkurrieren, wobei hauptsächlich im Deutschen auch Assoziationen mit negativ konnotierten Adjektiven - hauptsächlich der ‘Schadenfreude’- anzutreffen sind. c) Mehrgliedrige phrasematische Quantifikatoren Eine weitere semantische Gruppe der internen X-Füller besitzt einen evaluativen quantifizierenden Charakter in beiden Sprachen: DE mit {einem Hauch von/ einem Anflug von/ einem Schuss/ einer Prise} Genugtuung; ES con {mayor nivel de/ un grado de/ un índice de/ un nivel de/ alto grado de} satisfacción. Dieser Befund korreliert zwar mit dem quantitativen bzw. intensivierenden Charakter der am häufigsten benutzten adjektivischen Modifikatoren in beiden Sprachen, nämlich DE großer, größter, besonderer (mit {großer/ größter/ besonderer} Genugtuung) und ES gran, mucha, especial (con {gran/ mucha/ especial} satisfacción). Und trotzdem gibt es einen weiteren pragmatischen Aspekt: Mit solchen mehrgliedrigen Syntagmen wird der Grad der Ausprägung einer positiven Reaktion von jemand anderem thematisiert. Interessant ist, dass diese Erweiterungen in [mit X Genugtuung] und [con X satisfacción] immer nur fremdreferenziell, aber nie auf die eigene Person bezogen, verwendet werden. Die kontrastive Analyse von Bi- und Trigram-Sequenzen zwischen P und N ergibt wiederum auch Divergenzen zwischen Deutsch und Spanisch in Bezug 17 Im spanischen Korpus erscheint nur ein Treffer mit einem negativ konnotierten Adjektiv aus dem Feld ‘Schadenfreude’, nämlich maligna (bösartig). Interessanterweise steht dieses Adjektiv nicht vor, sondern nach dem Lexem satisfacción. Das ist darauf zurückzuführen, dass Adjektive in postnominaler Stellung im Spanischen keine modalisierende, sondern eher eine referenzielle Funktion erfüllen und die böse Genugtuung im Spanischen im Gegensatz zum Deutschen markiert ist, also kein Epitheton darstellt. Wie oben angemerkt, sind spanische Adjektive in der Struktur [con X satisfacción] mit einer primär ornamentalen Funktion der positiven Bewertung versehen. Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 282 auf Ausdrücke der Gestik und Mimik, so beim LE-Muster [con (DET) N Gesichtsausdruck de satisfacción], wobei N zum Begriffsfeld ‘Gesichtsausdruck’ gehört: - con sonrisa (Lächeln) de satisfacción - con cara/ caras (Gesicht,Gesichtsausdruck) de satisfacción - con gesto (Geste) de satisfacción - con mueca (Grimasse) de satisfacción - con tono (Umgangston, Redeweise) de satisfacción - con aire (Miene) de satisfacción - con suspiros (Seufzen) de satisfacción Beispiel: (13) Las matemáticas volvieron a la calle para desembarazarse de su condición de asignatura incómoda y antipática, de la que muchos reniegan y otro más huyen. Venimos a jugar y lo pasamos estupendamente , reconocían algunos protagonistas, con sus profesores arremolinados alrededor del bombo con cara de satisfacción. (eseuTenTen11: http: / / divulgamat.ehu.es/ weborriak/ Publicaciones Div/ Medios/ el paisNDet.asp? Id=1695) Die Semantik des Musters [con (DET) N Gesichtsausdruck de satisfacción] steht im Zusammenhang mit den im Abschnitt 2.2 angeführten Ergebnissen der verbalen Kookkurrenzanalyse, nach denen sich im Spanischen - ganz anders als im Deutschen - ein signifikantes Kookkurrenzfeld mit Verben der nonverbalen Kommunikation (Feld ‘Mimik’) mit dem Verb sonreír (lächeln) als Hauptkollokator erwiesen hat. Darüber hinaus korreliert mit der Mustersemantik ebenso die Besetzung des Slots mit Adjektiven der Sinneswahrnehmung (siehe oben c) Adjektivische interne Erweiterungen). Die Trigram-Slots zwischen con und satisfacción referieren oft ebenso auf die Sichtbarkeit des Gesichtsausdrucks, so mit Adjektiven, die auf die Sichtbarkeit des Gesichtsausdrucks referieren, so mit dem Adjektiv evidente (offensichtlich): con evidente gesto de satisfacción (mit offensichtlicher Geste von Genugtuung); con evidente tono de satisfacción (mit offensichtlicher Tonart von Genugtuung); con evidentes muestras de satisfacción (mit offensichtlichen Zeichen von Genugtuung) und mit dem Adjektiv claro (deutlich): con cara de clara satisfacción (mit einem Gesichtsausdruck von deutlicher Genugtuung). Ähnliche Trigram-Sequenzen aus dem Feld ‘Mimik’ sind im Deutschen nicht vorhanden. Ein weiteres interessantes externes LE-Muster mit dem Lexem Genugtuung bilden die Konstruktionen DE [Zu|zu POSSPRON {seiner/ meiner/ ihrer} Genugtuung] und ES [Para|para POSSPRON {mi/ su} satisfacción]. Hier wird primär Auf der Suche nach Äquivalenz 283 die Person fokussiert, die diese Reaktion zeigt. Eine Besonderheit ist die häufige Verwendung von Personalpronomen in der 1. Person Sg. (zu meiner Genugtuung; para mi satisfacción). Durch dieses Muster - in der Funktion eines modalen Satzadverbials - drückt der Sprecher in direkter Rede seine innere Befriedigung bzw. Schadenfreude über den von ihm referierten Sachverhalt aus. In den konsultierten Korpora besteht eine absolute Parallele in der Bedeutung der Instanzen des Musters in beiden Sprachen. Beispiele: (14) Zu meiner Genugtuung wurden sie aber wenig später von der Polizei abgeschleppt. (deTenTen13: http: / / home.versanet.de/ ~mr- 822105/ chile04.htm) (15) Para mi satisfacción, mi bebé es clavado a mí. (eseuTenTen11: http: / / blogs.20minutos.es/ madrereciente/ 2010/ 01/ 24/ los-recien-na cidos-suelen-pa recerse-al-padre) Dem Muster liegt ein abstrakteres Muster in beiden Sprachen zugrunde: [zu POSSPRON N EMOT ] bzw. [para POSSPRON N EMOT ] (z.B. DE zu meiner Freude, zu meinem Entsetzen, zu meiner Überraschung, zu meiner Enttäuschung und ES para mi alegría, para mi horror, para mi sorpresa, para mi desencanto). 3. Schluss Ausgehend von unserem auf Kookkurrenz- und Musteranalysen basierenden Beschreibungsansatz für PWVs wurden im vorliegenden Beitrag relevante Aspekte der Äquivalenzsuche auf lexikografischer Ebene behandelt. Für die Erarbeitung von adäquaten funktionalen deutsch-spanischen Äquivalenten wurde in erster Linie auf die Überprüfung der Gebrauchsaspekte der deutschen PWV fokussiert, wobei anhand von mehreren Beispielen - unter Berücksichtigung von repräsentativen Korpusbelegen - interessante Äquivalenztypen in der Zielsprache Spanisch gezeigt werden konnten. Das Äquivalenzpaar DE mit Genugtuung - ES con satisfacción diente des Weiteren zur Kontrastanalyse (1) von Kookkurrenzfeldern im verbalen Bereich und (2) von rekurrenten internen lexikalischen Erweiterungsmustern in beiden Sprachen. Hervorzuheben sind dabei - neben deutlichen Übereinstimmungen von semantischen Verbgruppen und Mustern - relevante Unterschiede hinsichtlich der verbalen Kollokatoren aus dem semantischen Feld ‘Mimik’, die nur im Spanischen nachweisbar sind. Aus der Analyse der Slots zwischen P und N lassen sich zwar ähnliche Phänomene auf einer abstrakteren Ebene der internen Musterhaftigkeit (z.B. Binomialbildung und gewisse Tendenzen in der Semantik der adjektivischen Slotbesetzung) beobachten, aber es wurden einige Unterschiede in der genauen Slotbesetzung der aufgefundenen LE-Muster festgestellt. Bezüglich des Festigkeitsbzw. Lexikalisierungsgrades deutet die viel Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 284 höhere Frequenz der Nullstelle zwischen P und N auf eine stärkere Kohäsion der deutschen PWV-Elemente gegenüber dem spanischen Äquivalent hin. Die Kontrastanalyse der internen Füller zwischen P und N kann insofern von Relevanz sein, als prototypische Kollokationen der PWV mit bestimmten Adjektiven in jeder Sprache aufgedeckt werden können. Aus der Perspektive der Fremdsprachendidaktik können diese Angaben dem Lerner dabei helfen, die PWV der Fremdsprache mit den usuellen adjektivischen Intensifikatoren zu erwerben und dadurch - im Falle von Divergenzen - Interferenzfehler mit der Muttersprache vermeiden. Die Auflistung und qualitative Bewertung von syntaktischen Mustern in den untersuchten Sprachen bedeutet einen wichtigen Fortschritt im Bereich des Fremdsprachenunterrichts, wie Feilke bereits vor zwei Jahzehnten konstatierte: In Hinsicht auf den Erwerb sichern syntaktische Muster in erster Linie die Verfügbarkeit der normgemäßen grammatischen Selektionen. Es ist daher plausibel, daß Musterorientierung als Strategie vor allem im L2-Erwerb eine zentrale Rolle spielt. (Feilke 1996, S. 227) Peter Ďurčo Faktoren der konvergenten und divergenten Äquivalenz von prÄpositionalen Wortverbindungen: deutsch - sloWakisch 1 vorbemerkung Präpositionale Wortverbindungen (PWVs) und präpositionale lexikalisch geprägte Muster - speziell der Typ der binären Konstruktionen - sind ein in der (kontrastiven) Mehrwortforschung bislang kaum beachteter Typ, wie bereits mehrfach betont. Wenn in den deutschen PWVs die interne Stelle zwischen der Präposition und dem Nomen überproportional häufig nicht mit einem Artikel besetzt ist, ist bei solchen Kombinationen mit einem potenziell hohen Lexikalisierungsgrad zu rechnen. Solche PWVs kann man als autonome Einheiten auffassen, und dementsprechend soll man sie auch als feste Wortverbindungen untersuchen. Die formale und inhaltliche Grundlage für das kontrastive Modell bildet das UWV-Modell (vgl. Steyer 2000, 2013) und das Konzept lexikalisch geprägter Muster (siehe Steyer in diesem Band). Im Folgenden wird diese Herangehensweise auf die Äquivalenzfindung im Sprachenpaar Deutsch (DE) - Slowakisch (SK) angewendet. Einen zentralen Stellenwert nimmt die Kontrastierung von Kollokationsfeldern, von rekurrenten lexikalischen Erweiterungsmustern und komplexeren Wortverbindungsmustern ein. Es handelt sich um ein monodirektional angelegtes Modell Deutsch → Fremdsprache, die korpusbasierte kontrastive Aufbereitung und Beschreibung schließt jedoch eine Bi- oder auch Multidirektionalität nicht aus. Die komplexe Äquivalenzproblematik und die entsprechenden Konvergenzen und Divergenzen werden in diesem Beitrag anhand folgender ausgewählter Kontrastbereiche im Vergleich Deutsch → Zielsprache Slowakisch diskutiert: a) Verhältnis des deutschen Lemmas zu seinem prototypischen Äquivalent bzw. den prototypischen Äquivalenten, b) Bedeutung(en) und Gebrauchsspezifika der PWVs, c) interne und externe Variabilität der zugrundeliegenden Muster der PWVs und ihrer äquivalenten PWV-Muster; d) typische Einbettungen der äquivalenten PWVs in Satzkonstruktionen und semantische Merkmale verbaler Satelliten. 1 Der Artikel enstand im Rahmen des Projektes der Slowakischen Forschungsagentur VEGA 1/ 0037/ 17 Contrastive analysis of usual word combinantions and usual constructions in German an Slovak. Zentrale Ergebnisse dieses Projekts fließen in PREPCON ein. Peter Ďurčo 286 1. das prototypische Äquivalent und seine grenzen Ich stütze mich auf mein Modell der Äquivalenzrelationen, nach dem die verglichenen sprachlichen Einheiten formal und inhaltlich in der Beziehung der Identität, Inklusion (Einschließung), Exklusion (Ausschließung) oder Disjunktion (Absonderung) stehen können (vgl. Ďurčo 2012, 2013, 2016). Die Fälle der Inklusion und Exklusion 2 in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen mit gegenseitig überlappenden formalen und inhaltlichen Bereichen in der Ausgangssprache (AS) und Zielsprache (ZS) sind als der zentrale Aspekt verschiedener Divergenzen, also dem Auseinandergehen von Äquivalenzrelationen, anzusehen. Die kontrastierten Einheiten befinden sich aufgrund asymmetrischer Einbzw. Ausschließung von bestimmten formalen und inhaltlichen Elementen in der Beziehung der privativen, äquipollenten oder graduellen Opposition. Die konsequente parallele Anwendung der korpusbasierten Methodik in der kontrastiven Analyse eröffnet neue Perspektiven, wirft aber auch Fragen für das Konzept des System- oder auch prototypischen Äquivalents auf, und das im Vergleich zu den traditionellen Konzepten mit dem äquivalenten denotativen Kern und eventuellen zusätzlichen konnotativen Merkmalen. Unser empirischer Zugang zeigt die Abhängigkeit der Äquivalenzbestimmung von verschiedenen inhaltlichen, kontextuellen, funktionalen, distributionellen und pragmatischen Faktoren. Obwohl angestrebt wird, ein prototypisches Äquivalent festzulegen, ist dies oft problematisch, wie das Beispiel der deutschen PWV am Anfang mit ihren alternierenden Äquivalenten im Slowakischen na začiatku (am Anfang), zo začiatku (vom Anfang), na počiatku (am Beginn) belegt. Die ersten zwei SK-Äquivalente haben, so wie die deutsche PWV, temporale und auch lokale Bedeutungen; das dritte verfügt nur über temporale Bedeutung. Die Forschungsfragen lauten dann: Warum gibt es in der Zielsprache zwei bzw. mehr verschiedene Äquivalente? Welche formalen, funktionalen oder inhaltlichen Unterschiede zwischen zwei bzw. mehreren Äquivalenten stellen die Ursache ihrer konkurrierenden bzw. komplementären Existenz dar? Die Forschungshypothesen stützen sich in solchen Fällen auf vier logische Annahmen: 1) Der Bedeutungsumfang der äquivalenten PWVs bezieht sich extensional auf mehrere und teilweise auch verschiedene denotative Bereiche. 2 Das Prinzip von Inklusion und Exklusion (auch Prinzip der Einschließung und Ausschließung oder Einschluss-Ausschluss-Verfahren) ist eine hilfreiche Technik zur Bestimmung der Größe, der Beschaffenheit einer Menge. Vgl. https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Prinzip_von_Inklusion_ und_Exklusion (Stand: 22.12.2017). Faktoren der Äquivalenz von präpositionalen Wortverbindungen 287 2) Der Bedeutungsinhalt der äquivalenten PWVs bezieht sich intensional auf gemeinsame und/ oder unterschiedliche denotative oder konnotative Merkmale. 3) Die pragmatische Gebrauchsspezifik steht in der Beziehung der Inklusion und bezieht sich sowohl auf gemeinsame als auch unterschiedliche situative Verwendungen, was ihre parallele Existenz berechtigt. 4) Die konstruktionellen (morphosyntaktischen) Eigenschaften der PWVs verlangen unterschiedliche Äquivalente. Die Analyse der konkurrierenden Äquivalente für die PWV am Anfang hat z.B. gezeigt, dass die Semantik der deutschen PWV extensional und intensional reicher ist als die der partiellen Äquivalente im Slowakischen. Die Semantik der slowakischen Äquivalente ist intensional differenziert. Konkurrierend, also austauschbar, sind die Äquivalente in Kontexten, in denen nur der denotative Bedeutungskern: ‘erster Teil eines Zeitabschnitts’ relevant ist. Komplementär sind die Äquivalente in Kontexten, wenn die statische bzw. dynamische Perspektive des ‘ersten Zeitabschnitts’ betont wird (vgl. im Detail Hein et al. in diesem Band). Die methodologische und lexikografische Innovation beim Kontrastieren liegt in der Erweiterung der Beschreibung der Kernbedeutung(en) und ihrer Kernäquivalente um die Gebrauchsspezifika der Verwendung der äquivalenten PWVs und ihrer einbettenden Muster. Die Differenzen zwischen den PWVs und ihren Äquivalenten bilden nämlich keine klaren disjunktiven extensionalen und intensionalen Relationen, sondern sie stellen verschiedene graduelle und inklusive Äquivalenzbeziehungen dar, die quer durch die paradigmatischen und syntagmatischen Klassen verlaufen. Die korpusempirischen Analysen zeigen, dass sich die Bedeutungs-, Funktions- und Gebrauchsaspekte sowohl bei der innersprachlichen als auch in der kontrastiven Analyse nur schwer voneinander trennen lassen. Für die adäquate Benutzung einer fremdsprachigen Einheit sind somit neben dem denotativen Bedeutungskern der äquivalenten PWVs auch ihre verfestigte sprachliche Struktur, ihre verfestigte sprachliche Umgebung und ihre verfestigte situativ-kontextuelle Umgebung entscheidend. Am kompliziertesten ist jedoch die Erfassung der Gebrauchsspezifika der verglichenen Einheiten und ihrer Einbettung in die usualisierten Kontextmuster. Diese Tatsache führt uns zur Abkehr von der bloßen Beschreibung einer Kernbedeutung und der Erfassung des Kernäquivalents, so wie es in der Sprachkontrastforschung bisher größtenteils praktiziert wurde und wird. Das Novum ist, dass die Äquivalente erst unterhalb dieser minimalen Kernbedeutung angesetzt werden. Das hat zur Folge, dass es oft nicht nur ein prototypisches Äquivalent gibt. Peter Ďurčo 288 Bei dem kontrastiven Ansatz zur Analyse der Äquivalenz werden unter dem Kriterium der Rekurrenz verschiedene semantische sowie pragmatische Teilaspekte, aber auch morphosyntaktische Eigenschaften und die konstruktionelle Beschaffenheit der PWVs in den Kontrastsprachen miteinander verglichen und qualitativ ausgewertet (siehe auch Mellado Blanco/ Steyer in diesem Band). Es wird zuerst geprüft, ob der jeweilige Aspekt in der Verwendung der äquivalenten PWVs in der Zielsprache überhaupt präsent ist. Im zweiten Schritt wird das Ausmaß der Identität, bzw. der Inklusion/ Exklusion des gesamten Gebrauchsbereichs in der AS und ZS verglichen. Die empirische Grundlage für diese Analysen stellen vor allem die deutschen und slowakischen Kookkurrenz- und Füllertabellen dar. Vor allem die Eruierung und detaillierte Beschreibung der externen und internen Variabilität der kontrastierten PWVs ist eine der grundlegenden Innovationen bei der kontrastiven Anwendung des UWV-Modells. Welche Faktoren beeinflussen also im Einzelnen die Äquivalenz der PWV? 2. Faktoren der divergenten Äquivalenz 2.1 Die Divergenz der extensionalen Semantik der äquivalenten PWV Das klassische Beispiel der extensionalen Divergenz der partiell äquivalenten Einheiten ist ihr unterschiedlicher Bedeutungsumfang, am häufigsten repräsentiert durch divergente Polysemie. In solchen Fällen ist für das korrekte Äquivalent der polysemantischen PWVs ihre kontextuelle Einbettung, die sich aus der eingeschränkten situativen Verwendungen ergibt, entscheidend. Als Beispiel kann die PWV auf Abruf 3 mit zwei Grundbedeutungen 1. ‘bei Bedarf sofort verfügbar’ und 2. ‘auf absehbare, begrenzte Zeit’ dienen. 4 Diese Kernbedeutungen werden durch die Einbettung in verschiedene Kontexte von zusätzlichen Gebrauchsbesonderheiten begleitet, die einen direkten Einfluss auf die Äquivalenz haben. Diese PWV hat dadurch auch mehrere Äquivalente im Slowakischen: 1. na výzvu, na vyzvanie (auf Aufforderung), na požiadanie (auf Aufruf), 2. do odvolania (bis Abberufung), dočasne (zeitweilig, vorübergehend), 3. na objednávku (auf Bestellung), na vyžiadanie (auf Anforderung). Die erste Kernbedeutung ‘bei Bedarf sofort verfügbar’ wird häufig in Situationen verwendet, in denen sich jemand in Wartestellung für den Fall zur Verfügung hält, dass er von jemandem (doch noch) gebraucht wird. Das wird durch 3 Das Nomen Abruf selbst hat im Slowakischen folgende Äquivalente: 1. odvolanie (Abberufung - vom Posten), 2. objednávka (Bestellung - der Ware), 3. vybratie, vyzdvihnutie (Abheben - Geld vom Konto) (vgl. https: / / slovniky.lingea.sk/ nemecko-slovensky/ Abruf (Stand: 19.2.2018)). 4 Die Beschreibungen des Gebrauchs der deutschen PWV auf Abruf basiert in Teilen auf einem unveröffentlichten Arbeitspapier von Katrin Hein (vgl. auch Mellado Blanco/ Steyer zu spanischen Äquivalenzrelationen mit dieser PWV). Faktoren der Äquivalenz von präpositionalen Wortverbindungen 289 das relativ restringierte Kollokationsspektrum der potenziellen Verben deutlich, die mit der PWV typischerweise kombinierbar sind, wie bereitstehen, bereithalten, bereitliegen, und die für die Bestimmung des Äquivalents relevant sind, vgl.: 5 (1) Der Indizienprozeß ist auf 13 Verhandlungstage angesetzt. Die Kammer will zunächst 70 Zeugen und sechs Sachverständige hören. 30 weitere Zeugen stehen auf Abruf bereit. Der Prozeß wird am Mittwoch fortgesetzt. (DeReKo: Nürnberger Nachrichten, 11.10.1994, S. 15) ‘… 30 ďalších svedkov je pripravených na vyzvanie (auf Aufruf).’ 6 Andere Partner in diesem Bedeutungsbereich sind Funktionsverbgefüge wie auf Abruf sein: (2) Onken: Die Geliebte wird weiter hoffen. Deshalb lebt sie nur halb - weil sie immer auf den Moment hofft, in dem der Mann Zeit hat. Sie ist ständig auf Abruf. Sie plant viel zu wenig für sich selbst, für ihr eigenes Leben. […] Noch vor 15 Jahren haben mir Geliebte erzählt, dass sie nicht einmal in die Waschküche hinuntergehen wollen, weil er ja ausgerechnet dann anrufen könnte. (DeReKo: profil, 21.2.2005, S. 89) ‘Je stále pripravená na zavolanie (auf Anrufen). Pre seba plánuje veľmi málo, pre jej vlastný život.’ Neben Personen können auch bereitgestellte Dinge mit auf Abruf bezeichnet werden, vor allem in der Domäne des Kaufs und Verkaufs von Waren und zwar in Bezug auf die Weisung des Käufers an den Verkäufer, eine Ware zu einem bestimmten Zeitpunkt zu liefern, begleitet mit typischen Nomen wie [N {Filme/ Videos/ Fernsehen/ Spielfilme/ Mediendienste} auf Abruf] etc. Diese kontextuellen Einbettungen bedingen und bestimmen dann auch das Äquivalent: (3) Die BBC war schon immer Vorreiter bei Video on Demand, also Fernsehen auf Abruf. Bisher konnten die Briten Sendungen eine Woche nach Ausstrahlung im sogenannten iPlayer abrufen. Nun weitet die BBC das Angebot aus, 30 Tage lang sind die Programme erhältlich. (DeReKo: Falter, 26.3.2014, S. 20) ‘BBC bola vždy priekopníkom videa na vyžiadanie (auf Anforderung).’ Die zweite Kernbedeutung ist mit dem Gebrauchsaspekt der Ausübung von Ämtern/ Funktionen auf absehbare, begrenzte Zeit verbunden und hängt mit 5 Die deutschen Belege dieses Beitrags stammen aus DeReKo (vgl. Institut für Deutsche Sprache 2017) und DWDS-Korpora (vgl. DWDS) (beide: Stand: 22.12.2017). 6 Übersetzung der Belege: P. Ď. Peter Ďurčo 290 der Situation bei der Aufforderung zusammen, sich von einem Ort, einer Stelle wegzubegeben, also mit einer Abberufung; typische kontextuelle Nomen sind Kanzler, Minister, Parteichef, Vorsitzender, Premier etc.: (4) Vor allem der CSU schmeckt die ganze Personaldebatte überhaupt nicht. Landesgruppenchef Glos warnt, daß bei einem „Kanzler auf Abruf“ alle nur noch auf den Nachfolger schielen würden, wo doch gerade die Zustimmung der Bürger zu Kohl wieder steige. (DeReKo: Mannheimer Morgen, 28.8.1998) ‘… Glos varuje, že pri „kancelárovi do odvolania (bis Abberufung)“ budú všetci poškuľovať už len po jeho nástupcovi, …’ Ein weiterer Gebrauchsaspekt, der in engem Zusammenhang mit dem ersten Aspekt ‘Wartestellung’ steht, verbindet die PWV mit Sachverhalten aus dem Bereich ‘Arbeit’/ ‘Arbeitsmarkt’, wobei im Deutschen durch die PWV fast durchweg eine Abwertung erfolgt, indem auf das Fehlen geregelter Arbeitszeiten verwiesen wird. Für Sachverhalte aus diesem Bereich kommt im Slowakischen das Äquivalent na zavolanie (auf Anruf(en)) nicht infrage, weil im slowakischen Arbeitsrecht dieser Begriff mit Angestellten im Bereitschaftsdienst verbunden ist. Diese neue Arbeitsform wird im Slowakischen manchmal als nula-hodín kontrakt (Null-Stunden-Kontrakt) bezeichnet. Dieser Ausdruck kann für einen Neologismus gehalten werden, weil diese Arbeitsweise im Arbeitsrecht legislativ noch nicht verankert ist und im Text durch ad-hoc-Umschreibungen, bzw. sogar mit einem Kommentar ergänzt werden muss, vgl.: (5) Die Gewerkschaft Unia führt eine Kampagne gegen Arbeit auf Abruf. Ein Drittel des Verkaufspersonals arbeite heute unter solchen mangelhaft geregelten Verhältnissen. Dabei werden Angestellte ohne klare Bestimmungen über Arbeitsaufwand und ohne fixen Monatslohn angestellt, müssen aber immer einsatzbereit sein. Arbeit auf Abruf ist laut einem Gutachten der Unia gesetzeswidrig. (DeReKo: St. Galler Tagblatt, 26.4.1997) ‘Únia odborov vedie kampaň proti práci bez stanovenia presných zmluvných podmienok (ohne Bestimmung genauer Arbeitsbedingungen) …’ 2.2 Disparate Inklusion der Gebrauchsbereiche und Kookkurrenzfelder 7 Wie bereits aus Kapitel 2.1 zu entnehmen ist, ist die Äquivalenz nicht nur durch die divergente extensionale Semantik bedingt, sondern es spielen dabei auch immer typische Gebrauchsaspekte eine wichtige Rolle. Dies zeigt 7 Zu Problem der deutschsprachigen Kollokationsforschung und -lexikografie vgl. u.a. Steyer (2008); aus kontrastiver Sicht mit vielen Anwendungsbeispielen vgl. Ďurčo et al. (2010). Faktoren der Äquivalenz von präpositionalen Wortverbindungen 291 sich auch bei PWVs mit nur einer abstrakten Kernbedeutung. Die bisherigen kontrastiven Analysen haben nämlich gezeigt, dass die Zuordnung mehrerer Äquivalente nicht nur - oder in einigen Fällen gar nicht - in Bezug auf den semantischen Kern vorzunehmen ist, sondern dass die Relationen häufig quer durch die usuellen Gebrauchsbereiche verlaufen. Das hat zwei Konsequenzen. Die Berücksichtigung differenzierter Gebrauchsaspekte in der Bedeutungsbeschreibung zeigt erstens die Begrenztheit eines prototypischen Äquivalents, zweitens auch die Begrenztheit der Gültigkeit eines Äquivalents innerhalb eines einzelnen Gebrauchsbereichs. Restriktionen der Verwendung der konkurrierenden Äquivalente sind dabei meistens nicht usueller bzw. präferentieller Natur, sondern die konkurrierenden Äquivalenz-Kandidaten stehen oft in der Beziehung der komplementären Distribution. Bei dem kontrastiven Ansatz zur Analyse der Gebrauchsaspekte werden unter dem Kriterium der Rekurrenz verschiedene Teilaspekte in den Kontrastsprachen miteinander verglichen und qualitativ ausgewertet. Es wird primär geprüft, ob der jeweilige Gebrauchsaspekt in der Verwendung der äquivalenten PWVs in der ZS überhaupt präsent ist. Im zweiten Schritt wird das Ausmaß der Identität bzw. Inklusion des gesamten Gebrauchsbereichs in der AS und ZS verglichen. Die empirische Grundlage für diese Analysen stellen vor allem Kookkurrenz-Tabellen mit typischen Satelliten in AS und ZS dar. Die ermittelten Divergenzen im jeweiligen Gebrauchsaspekt werden durch präzisierende oder ergänzende Beschreibungen, weitere potenzielle kontextbedingte alternative Äquivalente, durch Kommentare, durch typische Satelliten und durch prototypische Belege ergänzt. Die Gebrauchsspezifik der kontrastierten PWVs, gegeben durch ihre Umgebung, hat entscheidenden Einfluss auf die Bestimmung der Äquivalenz. Greifen wir hierfür noch einmal das Beispiel nach Belieben vs. podľa ľubovôle auf. Die Beschreibung des Gebrauchs der deutschen PWV wurde gemeinsam mit Kathrin Steyer erarbeitet. Nach Belieben scheint aufgrund der Übereinstimmung ihres Bedeutungsumfangs auf den ersten Blick eine scheinbar völlig unproblematische slowakische Entsprechung zu haben, nämlich podľa ľubovôle mit Kernbedeutung ‘ungehindert’. Die Unterschiede manifestieren sich erst innerhalb der typischen Aspekte des Gebrauchs, die - das im Vorgriff auf die Erläuterungen in Hein et al. in diesem Band - sowohl semantische Teilsaspekte als auch funktionale, domänen- und textsortenspezifische, areale und viele andere Verwendunsgspezifika betreffen können. Ein typischer Gebrauchsaspekt der PWV nach Belieben wird durch verbale Kollokationspartner konstituiert, die das semantische Paradigma ‘Dominanz über jdn., etwas ausüben’ aufweisen. Sie verleihen der PWV darüber hinaus zusätzliche semantische Merkmale der Intensivierung wie ‘absolut, vollkommen, restlos’. Dies zeigt schon die diffusen Grenzen der Kompatibilität, bzw. der Peter Ďurčo 292 Einsetzbarkeit des prototypischen Äquivalents mit Verben im Rahmen dieses kollokationellen Paradigmas. (Die deutschen Verben sind nach statistischem Affinitätsgrad sortiert, vgl.: ) 8 dominieren 0 dominovať beherrschen + ovládať/ vládnuť/ panovať manipulieren + manipulovať diktieren + diktovať kontrollieren + kontrolovať narren + uťahovať si düpieren + klamať herumschubsen 0 strkať, odstrkovať dirigieren + dirigovať demoralisieren 0 demoralizovať deklassieren 0 deklasovať degradieren + degradovať Den zweiten Gebrauchsaspekt determinieren Verben, die den freien Willen, die Selbstbestimmtheit oder das ungehinderte Handeln (ohne Vorgaben) betonen. Die Analyse zeigt ein diffuses Bild der Überschneidung dieser semantischen Gruppe der Verben im Kontrast. Neben Identität gibt es innerhalb dieser Gruppe Verben, die konkurrierende oder aber nur komplementäre äquivalente PWVs zulassen, vgl.: verfahren + postupovať sich bedienen + obslúžiť sa sich austoben 0 vyblázniť sa (Äquivalente PWVs: do ľubovôle, do vôle) aussuchen ++ vyhľadať (+ podľa chuti = nach Geschmack) stöbern ++ prehŕňať sa (+ do vôle (bis Belieben) = nach Herzenslust) Vollständige Identität zeigen die konfrontierten PWVs beim Gebrauchsaspekt, der durch die Verben ausgedrückt wird, die die Möglichkeit beliebig wiederholbarer Handlungen betonen (siehe Steyer in diesem Band), vgl.: schalten und walten + panovať a vládnuť ein- und ausschalten + zapínať a vypínať an- und abschalten + zapájať a odpájať hin- und herschieben + posúvať/ presúvať sem a tam herumjonglieren + žonglovať auf- und zudrehen + zaťahovať a povoľovať 8 0 bezeichnet Disjunktion der Kompatibilität, + Kompatibiltät und ++ neben Kompatibilität auch noch andere, zusätzlich präferierte Äquivalenz-Kandidaten des jeweiligen Verbs mit der PWV im Slowakischen. Faktoren der Äquivalenz von präpositionalen Wortverbindungen 293 Vollständige Disjunktion der Kompatibilität des prototypischen Äquivalents stellen die deutschen Verben aus dem Gebrauchsbereich ‘einen sportlichen Wettstreit, eine Auseinandersetzung oder Ähnliches zu seinen Gunsten entscheiden’ her, vgl.: punkten 0 bodovať treffen 0 triafať einnetzen 0 vsietiť kontern 0 kontrovať scoren 0 skórovať gewinnen 0 zvíťaziť Als Äquivalente funktionieren in solchen Fällen kontextuell bedingte Umschreibungen, vgl.: (6) Das US-Duo McNutt und Francis oder auch N. Delgado punkteten nach Belieben unter dem Korb und auch eingewechselte Spieler wie D. Wilson (zwei Dreier in Viertel zwei) fügten sich nahtlos ins Ettelbrücker Kollektiv ein. (DeReKo: Luxemburger Tageblatt, 21.12.2015) ‘Americké duo … bodovalo pod košom ako/ kedy sa im zachcelo (wie/ wann sie mochten/ wollten) …’ (7) Zuvor war er beim 2: 1, das er per Elfmeter erzielte, von Jan Mohr gefoult worden. Nun netzte er scheinbar nach Belieben weiter ein gegen eine sich öffnende Altendiezer Abwehr. (DeReKo: Rhein- Zeitung, 30.5.2011, S. 26) ‘Teraz strieľal do siete zdanlivo ako/ kedy sa mu zachcelo (wie/ wann er mochte/ wollte) proti otvárajúcej sa obrane.’ Auch in diesem Verwendungsbereich ‘sportlich überlegen sein’ gibt es wieder Überlappungen, so mit dem Dominanzaspekt. In der Gebrauchsdomäne ‘Speisen o.Ä. vorbereiten, herrichten, fertigmachen, zurechtmachen’ und häufig in der Textsorte ‘Kochrezepte/ -anweisungen’ ist die Kompatibilität der äquivalenten PWVs von zusätzlichen semantischen Merkmalen abhängig. Falls die Zubereitung von Speisen das semantische Merkmal ‘nach (eigenem) Wunsch’ zulässt, ist die SK-PWV kompatibel. Bei den Verben mit dem zusätzlichen semantischen Merkmal „nach (eigenem) Geschmack“ ist die Kompatibilität blockiert, vgl.: würzen 0 koreniť pfeffern 0 koreniť garnieren + obložiť bestreuen + posypať Peter Ďurčo 294 variieren + variovať abschmecken + dochutiť verzieren + ozdobiť pürieren 0 robiť pyré dazugeben 0 pridať zuckern 0 cukrovať salzen 0 soliť verfeinern 0 zjemniť überziehen 0 potrieť hinzugeben 0 pridať zusammenmischen 0 zmiešať Ein weiterer Gebrauchsaspekt fokussiert eine präferierte Konnotation, die im Kotext von nach Belieben vor allem durch das überproportionale Vorkommen der Negationspartikel nicht kommunikative Funktionen wie Kritik oder Zurückweisung indiziert. Im Slowakischen ist der negative Aspekt in ähnlichen Kontexten meist durch den häufigen Gebrauch des negativen Modalverbs nemôcť realisiert, das zwei Modalitäten ausdrücken kann, nämlich nicht können oder nicht dürfen. In den Fällen der Inkompatibilität der Kookkurrenzfelder bzw. bestimmter Teilbereiche dieser Felder müssen andere Äquivalente verwendet werden. Weitere Äquivalente zu der PWV nach Belieben im Slowakischen sind dann neben podľa ľubovôle: 1) podľa ľubovôle (nach Belieben) a) svojvoľne (eigenwillig, eigensinnig) b) ľubovoľne (beliebig), 2) do ľubovôle, do vôle (nach Herzenslust, bis Belieben), 3) podľa chuti (nach Geschmack), 4) podľa uváženia (nach Gutdünken), 5) podľa (svojej, vlastnej) vôle (nach dem (eigenen) Willen), 6) podľa (svojho/ vlastného) želania (nach (seinem/ eigenem) Wunsch), 7) podľa slobodnej vôle (nach freiem Willen). Die deutschen Entsprechungen der unter 1) bis 7) aufgeführten Äquivalente stellen ihrerseits usualisierte PWVs dar, z.B. nach Geschmack, nach Gutdünken oder nach Herzenslust. Jede dieser PWVs weist Überlappungen und Unterschiede zu nach Belieben auf. Es muss einer weiteren Untersuchung vorbehalten bleiben, zu klären, welche Restriktionen sich bei welchen Gebrauchsaspekten im Detail ergeben. Faktoren der Äquivalenz von präpositionalen Wortverbindungen 295 Die Analyse der PWV nach Belieben hat eine frappante zwischensprachliche Differenz zu dem prototypischen Äquivalent podľa ľubovôle gezeigt. Die deutsche PWV unterscheidet sich sowohl extensional und intensional als auch gebrauchsspezifisch wesentlich vom slowakischen Kernäquivalent. Tests in anderen Sprachen haben diese Annahme untermauert. 9 2.3 Divergente Äquivalenz bei verbalen Handlungen Unsere Beobachtungen und Analysen zeigen, dass das PWV-Äquivalent auch von dem allgemeinen semantischen Charakter des von den Verben bestimmten Geschehenstyps abhängen kann. Traditionell wird in der Fachliteratur die Meinung vertreten, dass ‘Handlung/ Tätigkeit’, ‘Vorgang’ und ‘Zustand’ inhärente Bestandteile der Semantik der Verben sind (vgl. z.B. Helbig/ Buscha 2013, S. 59). Das würde beispielsweise bedeuten, dass ein Tätigkeitsverb immer nur als Tätigkeitsverb realisiert werden kann. Die metaphorischen Transformationen und die sekundären Verwendungen der Verben zeigen aber ständige Übergänge zwischen einzelnen Gruppen dieser Verben. Der klassischen Auffassung steht die These von Höllein gegenüber, der behauptet, dass Handlung, Tätigkeit, Vorgang und Zustand keine verbinhärenten Eigenschaften sind, sondern mögliche Perspektiven, die Prädikaten potenziell im Satz zukommen. Danach werden diese Perspektiven als prototypische und signifikativ-semantische Rollen von Prädikaten modelliert. Höllein nimmt an, dass Verben nicht perspektivisch offen sind, sondern Prädispositionen für bestimmte Perspektiven haben (Höllein 2017, S. 287). Er zeigt sehr anschaulich, wie das Verb trennen alle vier Perspektiven - Handlung, Vorgang, Tätigkeit und Zustand - im Satz kodieren kann (ebd., S. 295). Die konkrete Perspektive ist also etwas, was das Verb annehmen kann. Aus der kontrastiven Perspektive ist in diesem Zusammenhang die Frage wichtig, wie weit die „Mitspieler“ die Perspektive der Prädikate beeinflussen, und welche Folgen das für das Äquivalent hat, oder aus der umgekehrten Perspektive formuliert: Ob und wie beeinflussen verschiedene Verbtypen den Charakter des PWV-Äquivalents? Das Äquivalent einer PWV lässt sich oft erst auf- 9 Diese Festellung unterstützen auch Stichproben mit englischen Parallel- und Vergleichskorpora, die eine noch breitere Palette von Äquivalenten anbieten, vgl.: at will, at one’s pleasure, at one’s discretion, at one’s convenience, at (a) whim, as desired, as much as you like, as much as you please, as you like, as you wish, ad libitum, whatever you want, what you will, what you like, however you like, like anyone, all you want, anything you want, by all means, to one’s taste. Eine besondere Situation gibt es im Russischen, wo das prototypische Äquivalent как угодно nur im modalen Sinne verwendet werden kann, bei anderen, z.B. lokalen, zeitlichen oder das Maß und Intensität angebenden Umstandsbestimmungen müssen Äquivalente mit variablem Fragepronomen eingesetzt werden, vgl.: где угодно, кто угодно, когда угодно, куда угодно, откуда угодно, сколько угодно, что угодно etc. Peter Ďurčo 296 grund der semantischen Charakteristik der kompatiblen Verben festlegen. Es zeigt sich, dass die Verbindbarkeit der PWVs mit verschiedenen Bedeutungsgruppen von Verben eine wichtige Rolle bei der Festlegung des Äquivalents spielt. Falls sich eine PWV sowohl mit Tätigkeitsals auch mit Zustands-, Handlungs- und Vorgangsverben verbinden lässt, beeinflusst diese Tatsache die Äquivalenz; beispielsweise hat die PWV am Telefon somit drei verschiedene SK-Äquivalente mit jeweils unterschiedlichen Präpositionen cez (durch), po (über), na (auf) und pri (bei), vgl.: 1) mit Handlungs- und Tätigkeitsverben: cez telefón (durch Telefon), po telefóne (über Telefon): - am Telefon abschließen, beantworten, begrüßen, beraten, berichten, besprechen, bestätigen, erklären, erreichen, erzählen, fragen, helfen, hören, klären, klingen, lösen, machen, meinen, melden, mitteilen, nennen, reden, sagen, schildern, sprechen, sich unterhalten, verkaufen, versichern, verstehen, weinen 10 etc. - cez telefón aktivovať (aktivieren), komunikovať (kommunizieren), kontaktovať (kontaktieren), konzultovať (konsultieren), objednať (bestellen - vollendeter Aspekt), objednávať - unvollendeter Aspekt), poistiť (versichern), radiť (raten), rozprávať (erzählen), uzatvoriť (abschließen), uzavrieť (abschließen), vybaviť (erledigen), zadať (aufgeben) etc. - po telefóne nadiktovať (über Telefon diktieren), komunikovať (kommunizieren), vybavovať (erledigen) 11 , vgl. Beispiele: (8) Claudia Wyszniewski ist 38 Jahre alt, hat dünne, rötliche Haare und antwortet nur zögernd und leise. Sie sagt, sie habe Löwitsch am Telefon erzählt, dass er sie grün und blau geschlagen habe. Er habe es wieder gut machen wollen und 2000 Mark angeboten. (DeReKo: Süddeutsche Zeitung, 25.5.2001, S. 14) ‘Vraví, že Löwitschovi po telefóne/ cez telefón rozprávala, ako ju zmlátil …’ 2) mit Zustandsverben: na telefóne (auf Telefon) - am Telefon warten/ bleiben/ sitzen/ hängen/ am Telefon Rede und Antwort stehen/ sein etc. - na telefóne čakať/ ostať/ sedieť/ visieť/ byť k dispozícii (auf Telefon warten/ bleiben/ sitzen/ hängen/ zur Verfügung sein) etc., vgl. Beispiel: 10 Die Listen der Verben stammen aus der WordSketch-Tabelle verb + an „Telefon“ (dative) Sketch- Engine im Korpus DeTenTen13. Es handelt sich mit 9,35% um die häufigste Präposition-Nomen- Kombination in dieser Tabelle. 11 Die Listen der häufigsten Verben im Slowakischen stammen aus der WordSketch-Tabelle Pp(cez/ po/ na/ pri)+X(telefón) im Korpus SkTenTen11. Die Präposition na bildet die signifikanteste Kookkkurrenz einer Präposition mit dem Nomen telefón. Faktoren der Äquivalenz von präpositionalen Wortverbindungen 297 (9) Um diese breite Themenpalette dreht sich eine Telefonaktion am kommenden Montag, die unsere Redaktion gemeinsam mit der Arbeitsagentur Nürnberg anbietet. Auf Ihre Fragen warten am Telefon eine Fachanwältin für Arbeitsrecht, zwei Experten für Kurzarbeit und Weiterbildung der Agentur für Arbeit Nürnberg sowie ein Ausbildungsberater der IHK. (DeReKo: Nürnberger Nachrichten, 14.3.2009, S. 21) ‘Na vaše otázky čakajú na telefóne advokátka na pracovné právo, dve expertky na krátkodobú prácu a ďalšie vzdelávanie …’ 3) mit Vorgangsverben: pri telefóne (bei Telefon) - einschlafen/ aufwachen/ erschrecken etc. - pri telefóne zaspať/ precitnúť/ zľaknúť sa etc., vgl. Beispiel: (10) Warens Bürgermeister Günter Rhein (SPD), vom Nordkurier mit der Nachricht konfrontiert, erschrak am Telefon: „Das ist eine Katastrophe und furchtbar schlimm, dass eine so traditionsreiche Firma dicht gemacht wird“, kommentierte das Stadtoberhaupt. (DeReKo: Nordkurier, 15.4.2011) ‘Keď bol starosta Günter Rhein … konfrontovaný so správou, zľakol sa pri telefóne …’ 2.4 Kategoriale Inkongruenz der Aspektualität Die Spezifik der (In-)Kompatibilität der äquivalenten PWVs im Rahmen der verbalen Kookkurrenzfelder kann natürlich viele andere Gründe haben. Zwischen den Kontrastsprachen Deutsch und Slowakisch kommt im Rahmen verschiedener Erscheinungsformen der Aspektualität auch die abstrakte verbale Kategorie des Aspekts ins Spiel, also das Phänomen der unterschiedlichen Verlaufsweise und Begrenzung des bezeichneten Geschehens. Im Slowakischen, so wie auch in anderen slawischen Sprachen, ist das eine universelle morphologische Kategorie, weil die Kategorie des Aspekts neben Tempus und Modus morphologisch realisiert wird, das heißt, es gibt unterschiedliche Konjugationsendungen oder bestimmte Stammveränderungen im Verb zur Darstellung des Aspekts. ‘Aspekt’ bezieht sich auf die Ausdehnung des beschriebenen Ereignisses im Verhältnis zum betrachteten Zeitraum. Eine typische Aspekt-Unterscheidung besteht darin, ob ein Ereignis im Betrachtungszeitraum vollständig enthalten ist und zum Abschluss gelangt (vollendeter Aspekt) oder ob es nicht vollständig enthalten ist (unvollendeter Aspekt). 12 Als Beispiel für die Unterscheidung kann das Verb počuť (hören) dienen. Das Verb počuť im Sinne „etwas akustisch wahrnehmen“ kann sowohl den vollendeten als auch den unvollendeten As- 12 https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Aspekt (Linguistik). Peter Ďurčo 298 pekt ausdrücken, z.B. ich höre Musik: a) vollendet: ‘ich höre in diesem Moment die Musik erklingen’, b) unvollendet: ‘ich höre die Musik spielen’. Nur im unvollendeten Aspekt funktioniert das Verb im Sinne ‘die Fähigkeit zu hören besitzen, Gehör haben’, z.B. er hat ein gutes/ musikalisches Gehör. Als vollendet wird das Verb nur dann verstanden, wenn es sich um ein einmaliges Geschehen handelt, und zwar im Sinne „mittels Gehör eine Information (gerade) bekommen bzw. empfangen; etwas (nun gerade) erfahren“, z.B. ich möchte deine Meinung (jetzt gerade) hören, davon habe ich (bis jetzt) nichts gehört. Diese kurze Erläuterung ist notwendig, um die Abhängigkeit des Äquivalents vom verbalen Aspekt einigermaßen zu veranschaulichen. Es zeigt sich nämlich, dass die (In-)Kompatibilität zwischen PWVs und Verb mit der immanenten zeitlichen Struktur des durch das Verb ausgedrückten Ereignisses zusammenhängt, und im Slowakischen ist sie sowohl durch die lexikalische Kategorie der Aspektualität als auch noch zusätzlich durch die erwähnte morphologische Kategorie des vollendeten/ unvollendeten Aspekts, der im Deutschen neutralisiert ist, determiniert. Illustrieren kann man das am folgenden Beispiel. Die deutsche PWV aus Gewohnheit bedeutet ‘durch häufige Handlung, wie sonst auch immer, durch häufiges Vorkommen, in der Regel’ und ist dadurch kompatibel mit einem breiten Spektrum von Verben. Die äquivalente slowakische PWV zo zvyku ist dagegen primär kompatibel mit Verben im unvollendeten Aspekt mit durativer, iterativer, frequentativer, habitueller und distributiver Semantik, wie robiť (machen - durativ), robievať (‘gewöhnlich’ machen - habituell), wobei auch noch ein zusätzliches semantisches Merkmal eine Rolle spielt, und zwar soll es sich um eine ‘bewusste/ absichtliche Tätigkeit’ handeln. Inkompatibel sind die perfektiven Verben im vollendeten Aspekt, wie dorobiť/ urobiť niečo (etwas zu Ende machen), wenn eine einmalige Handlung gemeint ist. Eine Kompatibilität der Verben im vollendeten Aspekt ist dann gegeben, wenn aus dem Kontext ersichtlich wird, dass trotz dieser einmaligen Handlung eine solche Handlung auch schon früher und öfter geschehen ist. Partiell kompatibel sind die Verben im vollendeten Aspekt, wenn das zusätzliche semantische Merkmal ‘einer unbewussten/ unterbewussten Handlung’ präsent ist. Die resultative Semantik der PWV aus Gewohnheit wird im Slowakischen dann durch Adverbien wie zvyčajne, obyčajne, obvykle, bežne (gewöhnlich, geläufig, üblich) vermittelt, vgl.: (11) So benötigt die Aussage „Alle Gelehrten sind sterblich“ zusätzlich eine Bestimmung des Begriffs eines Gelehrten. Solche Schritte werden nach Kant aus Gewohnheit allzu leicht übersehen. Die Zuordnung einer Erkenntnis zu einer Verstandesregel erfolgt durch die Urteilskraft. (B 360) Vernunftschlüsse zeigen das Besondere im Allgemeinen. (DeReKo: Transzendentale Dialektik, In: Wikipedia - http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Transzendentale_Dialektik (Stand: 14.5.2018)) Faktoren der Äquivalenz von präpositionalen Wortverbindungen 299 ‘Také kroky sa podľa Kanta zvyčajne (gewöhnlich) veľmi ľahko prehliadnu. ’ (12) Der Reiz ist groß, zu hören, wie Ausländer unser Land sehen - und der Nutzen nicht gering. Fremde Augen können entdecken, was wir aus Gewohnheit nie recht wahrgenommen haben; die Worte eines Fremden vermögen Akzente neu zu setzen und vielfach den stillen Glanz des Unbeachteten wieder zu beleben. (DeReKo: DIE ZEIT , 16.2.1962, S. 28) ‘Cudzie oči môžu objaviť, čo sme my obyčajne (gewöhnlich) poriadne nevnímali.’ 2.5 Divergente funktionale Ambiguität Die Verbindung aus P plus N kann als Verbgruppenadverbiale (nach Belieben, mit Genugtuung, aus Gewohnheit), als Satzgruppenadverbiale (im Prinzip, im Grunde, ohne Zweifel), als präpositionale Nomengruppen (aus Anlass, aus Gründen, in Bezug, unter Beachtung, zu Zeiten) 13 , als Attribut in Präpositionalphrasen (Hoffnung auf Frieden) oder einfach als vom Verb abhängiges Präpositionalobjekt ([an {Plänen/ Lösungen/ Autos} basteln]) fungieren. Wenn eine PWV polyfunktional ist, wenn sie also z.B. sowohl in Funktion eines Adverbials als auch in Funktion einer Präposition vorkommen kann, hat dies dann Einfluss auf die Äquivalenz, wenn die PWV in der ZS diese funktionale Ambiguität nicht hat. Als Beispiel kann die PWV bei Gelegenheit dienen. Im Deutschen hat die PWV beide Funktionen (wobei die adverbiale eindeutig überwiegt). Dagegen hat die äquivalente PWV pri príležitosti im Slowakischen ausschließlich eine präpositionale Funktion. Das SK-PWV-Äquivalent kann nicht in adverbialer Funktion verwendet werden und muss durch ein lexikalisches Adverb príležitostne (gelegentlich) ersetzt werden, vgl.: a) PWV bei Gelegenheit in präpositionaler Funktion: (13) Im Dezember 1830 erhielt er einen Ruf als Direktor der Hebammenschule nach Königsberg und wurde, zunächst als Extraordinarius, in die Medizinische Fakultät aufgenommen. Erst 1844 wurde er bei Gelegenheit des 300jährigen Universitätsjubiläums zum o. Profes- 13 Weitere PWVs in präpositionaler Funktion sind z.B. am Rand(e), auf Antrag, auf Bitten, auf Ersuchen, auf Geheiß, auf Kosten, auf Seiten, auf Veranlassung, auf Verlangen, auf Vorschlag, auf Grund, im Auftrag, im Beisein, im Bereich, im Dienste, im Falle, im Geiste, im Laufe, im Licht(e), im Verlauf, im Zug(e), in Anbetracht, in Höhe, in Vertretung, in Zeiten, mit Ausnahme, mit Hilfe, nach Art, ohne Angabe, ohne Ansehen, ohne Berücksichtigung, ohne Mitwirkung, unter Angabe, unter Ausschluss, unter Beachtung, unter Berücksichtigung, unter Verwendung, vom Standpunkt, von Seiten, zu Ehren, zu Zeiten, zu Gunsten, zu Lasten, zum Nachteil, zum Nutzen, zum Schaden, zum Trotz, zum Vorteil, zum Wohl(e), zum Zweck(e) etc. (vgl. Di Meola 2014). Peter Ďurčo 300 sor bestellt. (DeReKo: Albert Hayn, In: Wikipedia ‒ http: / / de.wiki pedia.org/ wiki/ Albert_Hayn (Stand: 14.5.2018)) ‘Až v 1844 bol pri príležitosti (bei Gelegenheit) 300 výročia univerzity menovaný za profesora.’ b) PWV bei Gelegenheit in adverbialer Funktion: (14) Ich gehe davon aus, dass Du als Autor mit den meisten Artikelbearbeitungen den Text vorliegen hast; vielleicht kannst Du ja bei Gelegenheit mal überprüfen, ob es nicht doch sinnvoll ist, die Leser über den Entstehungskontext zu informieren. (DeReKo: Diskussion: Stefan Scheil/ Archiv, In: Wikipedia ‒ http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Diskussion: Stefan_Scheil/ Archiv (Stand: 14.5.2018)) ‘… hádam by si mohol príležitostne (gelegentlich) zistiť, či by oredsa len nebolo zmysluplné, informovať čitateľov o kontexte vzniku.’ Falls die PWV bei Gelegenheit adverbial im Sinne von ‘bei einer/ irgendeiner Gelegenheit’ verwendet wird, muss sie im Slowakischen durch die adverbiale Form dieser Konstruktion ersetzt werden, vgl.: (15) Das Beste am Faschismus stamme von ihm, hat er bei Gelegenheit gesagt; aber die Doktrin sei ihm völlig fremd. (DWDS: DER SPIEGEL , 30.1.1989) ‘To najlepšie na fašizme pochádza od neho, povedal pri istej príležitosti (bei einer Gelegenheit); …’ Die Kontrastanalyse der internen Füller zwischen Präposition und Nomen ist nicht nur für die Bestimmung der typischen Kollokationen der PWVs mit bestimmten Adjektiven in jeder Sprache von Relevanz, sondern es können dadurch signifikante Äquivalenzrelationen aufgedeckt werden. Die internen PWV-Erweiterungsmuster [bei X Gelegenheit] und [pri X príležitosti] können dies veranschaulichen. Durch die Besetzung des variablen Slots [bei X Gelegenheit] kommt es zur Aufhebung der präpositionalen Funktion wie in a) aufgeführt. Und die PWV funktioniert nunmehr als Adverbial. Eine analoge strukturelle Veränderung hat im Slowakischen auch die Aktivierung der adverbialen Funktion der PWV zur Folge, und somit besteht auch volle Äquivalenz, vgl.: - bei X Gelegenheit - pri X príležitosti: • X 14 : dieser, jeder, nächster, anderer, passender, erster, früherer, gleicher, erstbester, günstiger, derselben, letzter, ähnlicher • X: tejto, každej, najbližšej, inej, vhodnej, prvej, skoršej, rovnakej, najlepšej, priaznivej, rovnakej, poslednej, podobnej. 14 Ermittelt mit lexpan auf der KWIC-Basis W-Archiv (vgl. Institut für Deutsche Sprache 2017). Faktoren der Äquivalenz von präpositionalen Wortverbindungen 301 (16) Geehrt wurden auch Manfred Peter Burg für 40 Jahre in der Wehr und Johann Laubusch, der seit 50 Jahren dazu gehört. Beide konnten nicht an der Versammlung teilnehmen. Urkunden und Ehrennadeln werden ihnen bei nächster Gelegenheit nachträglich überreicht. (DeReKo: Mannheimer Morgen, 31.3.2003) ‘Listiny a čestné spony im budú odovzdané dodatočne pri najbližšej príležitosti (bei nächster Gelegenheit).’ Auch die Variante in Pluralform weist dann volle Identität zwischen DE und SK auf, vgl.: - bei X Gelegenheiten - pri X príležitostiach: • X 15 : solchen, anderen, vielen, früheren, verschiedenen, mehreren, besonderen, zahlreichen, ähnlichen, bestimmten, festlichen • X 16 : takých, iných, mnohých, predošlých, rôznych, viacerých, zvláštnych, početných, podobných, určitých, slávnostných. (17) Der rund 40-köpfige, gemischte Chor hat sich durch zahlreiche Auftritte bei verschiedenen Gelegenheiten, auch durch eigene Konzerte, einen guten Namen erworben und freut sich über ein musikbegeistertes Publikum. (DeReKo: Mannheimer Morgen, 8.10.2014, S. 20) ‘Tento asi 40-člený zmiešaný chór si početnými vystúpeniami pri rôznych priležitostiach (bei verschiedenen Gelegenheiten) … získal dobré meno …’ 2.6 Divergente Äquivalenz der konstruktionellen Beschaffenheit der PWV Die divergente Äquivalenz muss nicht immer oder nicht ausschließlich durch die Mehrdeutigkeit der substantivischen Komponente der PWV bedingt sein, sondern kann auch durch ihre konstruktionelle Beschaffenheit beeinflusst werden. Die PWVs des Typs P N haben nämlich in jeder Sprache oft einen unterschiedlichen Autonomie-Status bezüglich ihrer Funktionalität, Verfestigung in Funktionsverbgefüge und Prädikationen im Satz. Aus diesem Grund muss man die PWVs in diesem breiteren syntaktischen Rahmen untersuchen. Am Beispiel von FVG mit der präpositionalen Komponente auf Distanz, kann dieser Umstand veranschaulicht werden. Aus den Belegen ist ersichtlich, dass nicht nur die jeweiligen Lesarten des Nomens Distanz (1. Entfernung, 2. Zurückhaltung, 3. Strecke) die Äquivalenz bedingen, sondern eben die konstruktionelle Gestalt und die strukturelle Festigkeit der Elemente sind in der Wortverbindung entscheidend für die Bestimmung der Äquivalenz, vgl.: 15 Ermittelt mit lexpan auf der KWIC-Basis W-Archiv (vgl. Institut für Deutsche Sprache 2017). 16 Die äquivalenten Slots funktionieren im Slowakischen identisch. Peter Ďurčo 302 etwas auf Distanz - niečo na diaľku (18) Wenngleich Fiona zuletzt bei Gottschalk stolz zu Protokoll gab: „Ich koche auch für meinen Schatz.“ Fiona & ihr Fi-o-nanzminister führen eine Ehe wie viele andere auch. Eine Ehe auf Distanz. (DeReKo: NEWS, 2.2.2006, S. 136) ‘Fiona a jej Fio-minister majú manželstvo. Manželstvo na diaľku (Ehe auf Entfernung) …’ (19) Seine Freundin aber musste in Bayern bleiben. Grund für die Beziehung auf Distanz ist ihre Schwangerschaft. „Ab Januar werde ich in meiner Freizeit Papa sein“, freut sich Dylla auf seinen Nachwuchs. (DeReKo: Braunschweiger Zeitung, 27.9.2006) ‘Jeho priateľka však musela zostať v Bavorsku. Dôvodom vzťahu na diaľku (Beziehung auf Entfernung) je jej tehotenstvo.’ auf Distanzen von - na vzdialenosť (20) Die warme Luft nimmt am Boden Feuchtigkeit auf, steigt nach oben und kühlt ab. Dadurch kondensiert das Wasser, und es beginnt zu regnen. Solche Vorgänge spielen sich auf Distanzen von wenigen Kilometern ab, eine Entfernung, die in heutigen Klimaberechnungen noch nicht aufgelöst wird, weil der Rechenaufwand zu gross wäre. (DeReKo: NZZ am Sonntag, 18.8.2002, S. 58) ‘Také procesy sa odohrávajú na vzdialenosť (auf Entfernung) niekoľkých kilometrov, …’ auf Distanz gehen - dať/ dávať si odstup, mať odstup (21) Ein Problem stellt das Räumliche Entwicklungskonzept der Stadt dar. Dieses befindet sich derzeit in Begutachtung und müßte ein Kongreßhaus auf dem Berg vorsehen. Doch die Stadt geht auf Distanz. (DeReKo: Die Presse, 9.12.1994) ‘Mesto má však odstup. (hat … Abstand)’ jm gegenüber auf Distanz gehen - správať sa s odstupom k niekomu (22) Walter zeigt am nächsten Sonntag seine Lernfähigkeit, wenn er Doris genauso bemuttert, wie sie ihn jahrzehntelang bemuttert hat. Und wenn er dann auch noch mit komischer Ungeschicklichkeit zu Mozartmusik ihre Ballettposen nachahmt, geht auch sie sich selber gegenüber auf Distanz. (DeReKo: Mannheimer Morgen, 5.12.1987, S. 48) ‘… a keď napodobňuje jeho baletné pozície, správa sa sama k sebe s odstupom (sie benimmt sich … mit Abstand)’ Faktoren der Äquivalenz von präpositionalen Wortverbindungen 303 zu jm/ zu etwas auf Distanz gehen - 1. pristupovať s odstupom k niekomu/ niečomu, 2. dištancovať sa od niekoho/ niečoho (23) Es hatte in der Zwischenzeit eine Spaltung unter den Bewohnern gegeben zwischen dem einen Drittel, das auch jetzt noch zur Flucht bereit war, und den anderen beiden Dritteln, die zu uns auf Distanz gegangen waren, vielleicht aus Angst, sich an unserer waghalsigen Dummheit anzustecken. (DWDS: Moers, Walter: Die 13 1/ 2 Leben des Käpt’n Blaubär, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 385) ‘… a zvyšné dve tretiny, ktoré pristupovali k nám s odstupom … (sie sind … zu uns mit Abstand hereangetreten)’ (24) Heute sieht er in der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten den wichtigsten Pfeiler der algerischen Politik, wobei er mit einer entsprechenden Stellungnahme nach seinem Wahlsieg zugleich demonstrativ auf Distanz zu Frankreich ging. (DWDS: Archiv der Gegenwart, 2001 [1999]) ‘… pričom po svojom volebnom víťazstve ihneď sa demonštratívne dištancoval (sie distanzierten sich) od Francúzska.’ jnd./ etwas auf Distanz halten - držať/ udržiavať si odstup od niekoho/ niečoho, k niekomu/ k niečomu (25) Mit großem Selbstbewusstsein und einiger Ruppigkeit hat der Staatskonzern-Lenker seit Jahren versucht, die Politik auf Distanz zu halten; noch mit jedem Verkehrsminister lieferte er sich Machtproben. (DeReKo: Braunschweiger Zeitung, 5.2.2009) ‘… štátny konzern Lenker sa roky snaží udržiavať si odstup (Abstand halten) od politiky.’ auf Distanz bleiben - zachovať si odstup (26) „Kalter Krieg“ in Ankara. Die türkischen Generale bleiben auf Distanz zu ihrem neuen Oberbefehlshaber Abdullah Gül. (DeReKo: Hannoversche Allgemeine, 1.9.2007, S. 2) ‘„Studdená vojna“ v Ankare. Tureckí generáli si zachovávajú odstup (sie bewahren Abstand) k svojmu novému veliteľovi …’ auf Distanz achten - dbať na odstup (27) Suchen Sie Mitstreiter und verständigen Sie umgehend die Polizei. Achten Sie auf Distanz zum Täter und sprechen Sie das Opfer an. (DeReKo: Braunschweiger Zeitung, 13.10.2011) ‘Dbajte na odstup (Achten Sie auf Abstand) od páchateľa a oslovte obeť.’ Peter Ďurčo 304 auf Distanz wirken - pôsobiť z diaľky/ na diaľku (28) Denn im allgemeinen kann gelten: je verheerender eine Waffe schon auf Distanz wirkt, desto feiger dürfen im Prinzip ihre Träger sein. (DWDS: Sloterdijk, Peter: Kritik der zynischen Vernunft Bd. 2, Frankfurt: Suhrkamp 1983, S. 414) ‘… čím ničivejšie pôsobí zbraň už na diaľku (wirkt auf Entfernung), tým zbabeljší sú v zásade jej nositelia.’ jn auf Distanz bringen - dostať niekoho na dištanc (29) „Mit einem Sieg könnten wir auch Wismar auf Distanz bringen, bei einer Niederlage wäre die TSG wieder bis auf zwei Zähler an uns ran“, sagt Altentreptows Coach Christian Maaß. (DeReKo: Nordkurier, 29.3.2008) ‘Víťazstvo sme dokázali dostať Wismar na dištanc (auf Distanz bringen), …’ 2.7 „Äquivalenzlosigkeit“ der PWV Wie bereits oben erwähnt, erfolgt die Suche nach einer adäquaten Entsprechung in der Zielsprache durch die Auswertung von prototypischen KWICs und Belegen der deutschen PWV. Die Palette der Entsprechungsmöglichkeiten ist breit. Nur selten steht ein Äquivalent zur Verfügung, das die meisten semantischen Bereiche und Gebrauchsaspekte der deutschen PWVs abdeckt, in den meisten Fällen kommen mehrere äquivalente PWVs in Frage. Einige Gründe dafür haben wir oben dargestellt. Es gibt aber auch PWVs ohne eine prototypische bzw. sprachlich verfestigte äquivalente Form, und die Entsprechungen variieren je nach Kontext. Man kann in diesem Zusammenhang von echter und unechter Äquivalenzlosigkeit sprechen. Der extreme Fall der echten Äquivalenzlosigkeit, wenn das Denotat in der Zielsprache überhaupt nicht thematisiert wird und nur periphrastisch wiedergegeben werden kann, ist nach unseren bisherigen Beobachtungen bei den PWVs nicht vorhanden. 17 Unechte Äquivalenzlosigkeit liegt in zweifacher Hinsicht vor. Erstens, wenn die PWV keine verfestigte sprachliche Form in der ZS hat, sondern nur aktuelle Ad-hoc- Parallelen nutzt, zweitens, wenn die PWV in der AS als Äquivalent keine analoge PWV hat, sondern nur Einzellexem(e). Den ersten Fall kann man am Beispiel von auf Anhieb demonstrieren. Das Lexem Anhieb hat im Slowakischen keine lexikalische Entsprechung. Die PWV 17 Als Beispiel der echten Äquivalenzlosigkeit können z.B. Idiome und Sprichwörter dienen, deren denotativer Inhalt in einer Sprache überhaupt nicht thematisiert und dadurch auch nicht versprachlicht wird - und somit nur periphrastisch interpretiert werden kann, z.B.: Sauer macht lustig, Ein Küsschen in Ehren kann niemand verwehren, Man soll die feste Feiern, wie sie fallen etc. Faktoren der Äquivalenz von präpositionalen Wortverbindungen 305 auf Anhieb hat dann je nach Kontext und praktisch für jeden Gebrauchsaspekt eine andere Ad-hoc-Entsprechung, vgl.: (30) Der 18-Jährige wollte sich ausprobieren, hat dabei auch festgestellt, dass nicht immer alles auf Anhieb klappt. (DeReKo: Rhein-Zeitung, 28.6.2016, S. 23) ‘18-ročný sa chcel vyskúšať a zistil pri tom, že nie všetko výjde na prvý raz (auf das erste Mal).’ (31) Es geschieht viel im Dorf, nur ist nicht alles auf Anhieb sichtbar. (DeReKo: St. Galler Tagblatt, 14.6.2011, Nr. 136, S. 36) ‘Veľa sa tohoprihodí v dedine, len to všetko nie je hneď (sofort) viditeľné.’ (32) Auf Anhieb kam ihm kein Verdacht. (DWDS: Degenhardt, Franz Josef: Für ewig und drei Tage, Berlin: Aufbau-Verl. 1999, S. 213) ‘Spočiatku (anfangs) nemal žiadne podozrenie.’ (33) Aber bis die Arbeit vollendet ist, kann Deutschland sich für kultivierte Ausländer manchmal als Land erweisen, dessen Charme sich nicht auf Anhieb erschließt. (DWDS: Schwanitz, Dietrich: Bildung, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 445) ‘… prejaví sa ako krajina, ktorej šarm sa neprejaví hneď od počiatku (von Beginn).’ (34) Magda erinnert sich daran, dass sie einmal in einem Club einem jungen Mann in die Augen sah, und auf Anhieb wusste, dies ist die große Liebe, die sie einmal kennen lernen möchte, bevor sie heiratet. (DWDS: Fath, Rolf: Rollen - M. In: Reclams Opernlexikon, Berlin: Directmedia Publ. 2001 [1998], S. 11934) ‘… pozrela mladému mužovi do očí a okamžite (sofort) vedela, že toto je tá veľká láska, ktorú chcela kedysi spoznať …’ (35) Sören Beyer jedenfalls hatte auf Anhieb Glück mit seiner Bewerbung. (DWDS: DIE ZEIT, 16.7.1998, Nr. 30) ‘Sören Beyer mal v každom prípade na prvý pokus (auf ersten Versuch) šťastie pri svojej žiadosti.’ (36) Er läßt sich von seiner Frau zurechtweisen, und er hat Schwierigkeiten, die er nicht auf Anhieb lösen kann. (DWDS: Jentzsch, Kerstin: Seit die Götter ratlos sind, München: Heyne 1999 [1994], S. 156) ‘… a má ťažkosti, ktoré nemôže len tak hneď (nur so gleich) riešiť.’ (37) Obwohl mir auf Anhieb kein Instrument einfällt, das sich freiwillig von mir spielen ließe, ist es eben doch die Musik, die mir von allen Künsten am nächsten steht. (DWDS: Loriot [d.i. Vicco von Bülow]: Sehr verehrte Damen und Herren …, Zürich: Diogenes 1993, S. 104) ‘Hoci mi narýchlo (eiligst) nenapadá žiaden nástroj …’ Peter Ďurčo 306 (38) Dabei hatte der Bundeskanzler, als der General 1958 wieder das Ruder in Paris übernahm, auf Anhieb nicht begeistert, sondern mißtrauisch reagiert. (DWDS: Brandt, Willy: Erinnerungen, Berlin: Ullstein 1997 [1989], S. 223) ‘Pritom spolkový kanzelár … nereagoval v prvej chvíli (im ersten Moment) nadšene, …’ Als unechte Äquivalenzlosigkeit des zweiten Typs kann man solche PWVs bezeichnen, die in der ZS als Äquivalent keine PWVs haben, sondern nur durch Einzellexeme widergegeben werden können, wie z.B.: durch Zufall (náhodou), bei Weitem (zďaleka), binnen Kurzem (zakrátko), per Bahn (vlakom), per Anhalter (stopom), per Einschreiben (doporučene), per Hand (ručne), per Zufall (náhodou), seit Jahren (roky), seit Monaten (mesiace), seit Tagen (celé dni), seit Langem (oddávna), unterm Strich (celkovo, vcelku), über Jahre (roky), von Vorteil (výhodný), zu Recht (právom), zu Fuß (pešo), zum Teil (čiastočne), zum Schluss (nakoniec), zum Glück (našťastie) etc. 3. Fazit Konvergenzen und Divergenzen zwischen PWVs und ihren Äquivalenten bilden keine klaren disjunktiven extensionalen und intensionalen Relationen, sondern sie bilden verschiedene graduelle und inklusive Äquivalenzbeziehungen, bedingt durch die paradigmatischen und syntagmatischen Klassen, in denen die PWVs funktionieren. Ein prototypisches Äquivalent ist nicht nur durch die typische sprachlich verfestigte Umgebung bedingt, sondern die Differenzierung mehrerer Äquivalente verläuft quer durch die usuellen Gebrauchs- und Funktionsbereiche. Die Restriktionen der Verwendung der konkurrierenden Äquivalente sind dabei meistens nicht usueller bzw. präferentieller Natur, sondern die konkurrierenden Äquivalenz-Kandidaten stehen in der Beziehung der komplementären Distribution. Katrin Hein/ Peter Ďurčo/ Carmen mellado BlanCo/ KatHrin Steyer Am AnfAng - nA zA č iAtku - Al principio. EinE mustErbasiErtE FallstudiE im sprachvErglEich vorbemerkung Der Beitrag stellt Ergebnisse einer Fallstudie vor, bei der das theoretische Modell lexikalisch geprägter Muster, die vorgestellten empirischen Methoden (v.a. Kookkurrenzanalyse und Slotanlayse) (siehe Steyer in diesem Band) sowie die Herangehensweisen an die Äquivalenzsuche (siehe Mellado Blanco/ Steyer und Ďurčo in diesem Band) auf das Beispiel temporaler PWVs in den drei Sprachen angewendet wurden. Das folgende Beschreibungsmodell und die Typen lexikografischer Daten werden in unserem Projekt in den PREPCON-Modulen in unterschiedlicher Weise und mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen realisiert. Wie bereits ausgeführt wurde, stehen authentische Korpusdaten im Mittelpunkt der Beschreibung, wobei wir zwischen a) rein automatisch generierten Daten (KWICs, Kookkurrenzprofile, Lückenfüllertabellen) und b) qualitativ bearbeiteten Daten (z.B. semantische und/ oder pragmatische Kookkurrenzfelder und Lückenfüllergruppen) unterscheiden. Metasprachlich wird dies durch die Unterscheidung zwischen ‘unbearbeitetem’ und ‘bearbeitetem’ Korpusmaterial kenntlich gemacht. Diese authentischen Sprachausschnitte ermöglichen einen induktiven Zugang zu Bedeutung, Gebrauch und Musterbildung der präpositionalen Wortverbindungen (PWVs) und garantieren die Transparenz der qualitativ annotierten und systematisierten Daten. 1. inhaltliche beschreibungsaspekte Die Bereiche unseres Beschreibungsmodells werden zunächst einsprachig für die Ausgangssprache Deutsch kurz umrissen. Im folgenden Kapitel stellen wir dann anhand temporaler PWVs ausführlich dar, wie sich diese Bereiche im Sprachvergleich wiederfinden. 1 1 Das lexikografische Beschreibungsmodell wurde basierend auf den langjährigen Forschungen der UWV (Usuelle Wortverbindungen)-Gruppe entwickelt; vor allem zur korpusbasierten Mehrwortlexikografie (z.B. Steyer/ Lauer/ Brunner 2008), zu neuen Formen der Internetpräsentation (vgl. Steyer/ Brunner 2009) und den vom Projekt erarbeiteten lexikografischen Produkten, u.a. Wortverbindungsfelder (vgl. Steyer et al. 2013), EU-Sprichwortplattform, an der auch Peter Katrin Hein/ Peter Ďurčo/ Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 308 Folgende Aspekte werden untersucht und beschrieben: - Bedeutung und Gebrauch, - Lexikalische Varianz und Muster, - Besonderheiten im Satzzusammenhang, - Vernetzung mit anderen Lexemen. 1.1 Bedeutung und Gebrauch Wir verfolgen das Konzept der Unterscheidung von ‘Kernbedeutung’ und ‘Gebrauchsaspekten’. Es wird also nicht - wie in der Lexikografie oft üblich - nach semantischen Lesarten einerseits und pragmatischen Gebrauchsmerkmalen andererseits unterschieden. Diese ziemlich radikale Abkehr basiert auf der Erfahrung unserer exhaustiven korpusempirischen Arbeit, dass sich die Ebenen von Bedeutungs- und anderen Gebrauchsaspekten in praxi nur schwer trennen lassen. Aber gleichzeitig wurden wir in unserer Überzeugung bestärkt, dass eine Kernbedeutung durchaus zu bestimmen ist, eine Kernbedeutung, die für alle Vorkommen einer PWV gilt und damit kognitiv fest verankert ist. Dies ist wiederum eine radikalere Sichtweise als sie dynamische Bedeutungstheorien in der Regel vertreten. 2 So ist die Kernbedeutung der PWV auf Anhieb ‘sofort’; ‘etw. geschieht unmittelbar’, die Kernbedeutung von am Anfang ‘zunächst’; ‘etwas stellt sich auf eine bestimmte Art und Weise dar, wenn man damit beginnt’. Natürlich gibt es auch Kandidaten, bei denen nicht alle Vorkommen unter eine Kernbedeutung zu subsummieren sind. Hier wird die PWV mit abweichender Kernbedeutung als neue Wortverbindung behandelt: So ist eine Kernbedeutung von in Kürze ‘unmittelbar, demnächst’, ein zweiter Verwendungstyp ist ‘kurz gehalten’ (v.a. als Rubrik in Zeitungen). Daher handelt es sich nicht um zwei Lesarten, sondern um ein Homonym. Natürlich sind die Grenzen bei vielen Beispielen fuzzy. Die eigentliche Erklärung des Gebrauchs von binären PWVs als minimale bedeutungstragende Einheit kann aber primär nur über ihre verfestigte sprachliche Umgebung im besten kontextualistischen Sinne erfolgen (vgl. Firth 1957; Sinclair 1991; Hanks 2013). Wenn ein fremdsprachlicher Sprachnutzer z.B. weiß, dass die Kernbedeutung von auf Anhieb ‘sofort’ ist, kann er diese PWV noch nicht unbedingt adäquat benutzen. Er könnte beispielsweise auf Anhieb in Sätzen wie *Komme bitte auf Anhieb zu mir verwenden. Der Sprecher muss also die usualisierten Kontexte kennen, die den Gebrauch dieser PWV steuern. Solche Kontextmerkmale werden in den so genannten ‘Gebrauchsaspekten’ (GA) beschrieben: semantische Teilaspekte, alle Aspekte der Pragmatik (Funk- Ďurčo beteiligt war (vgl. Sprichwort-Plattform 2010; Ďurčo/ Steyer/ Hein 2017) und OWID- Sprichwörterbuch (vgl. Sprichwörterbuch 2012ff.; Steyer (Hg.) 2012; Steyer/ Hein 2010). 2 Zu modernen empirisch untermauerten Semantiktheorien vgl. Staffeldt/ Hagemann (Hg.) (2017). Eine musterbasierte Fallstudie im Sprachvergleich 309 tionen, Sprechhandlungen, Konnotationen, Domänen, Textsorten usw.). Diese Gebrauchsaspekte müssen ebenso das Kriterium der Rekurrenz erfüllen, d.h. sie basieren auf usualisierten Kotextmustern in den Korpusvorkommen (zur Unterscheidung von Ko- und Kontext siehe Steyer in diesem Band). Ein typisches Beispiel sind häufige Negationseinbettungen wie bei den PWVs auf Dauer (z.B. auf Dauer nicht gutgehen) oder auf Anhieb (nicht auf Anhieb {klappen/ gelingen/ funktionieren}). Diese Kotextmuster indizieren Zurückweisungshandlungen, die bei temporalen binären PWVs augenscheinlich eine bestimmte Präferenz des Gebrauchs haben. GAs sind auch die erste Verknüpfungsebene mit den anderen Sprachen. Diese Beschreibungen basieren ganz zentral auf der Auswertung von Kookkurrenzprofilen, und zwar sowohl einsprachig als auch im Sprachvergleich (siehe dazu die folgenden Punkte). Die Gebrauchsaspekte fokussieren z.B. Aspekte wie: 3 - Konzeptuelle Referenzen auf Zeitkonzepte (Entwicklung, Dauer, Beginn - Ende, Vorher - Nachher) Die Wortverbindung von Anbeginn wird im Zusammenhang mit Planungen, Entscheidungen und Absichten verwendet. Von Anbeginn drückt aus, dass etwas seit Beginn entsprechend durchdacht oder beabsichtigt war. (1) Die Neuimmatrikulierten sollen von Anbeginn verstehen, wie wichtig der erfolgreiche Einstieg in das Studium ist - für sie war die Startwoche deshalb Pflicht. (DeReKo: Süddeutsche Zeitung, 30.10.2001, S. V2/ 16) Die Wortverbindung auf Abruf wird auf den Sachverhalt bezogen, dass etwas bereitgehalten wird oder jemand im Hintergrund bereitsteht. Auf Abruf drückt aus, dass etwas oder jemand bei Bedarf sofort verfügbar ist. (2) Sechs Fußballer des VfL Wolfsburg erhielten eine Einladung zur niedersächsischen U15-Auswahl. […] Nominiert sind: Pascal Thomsen, Mario Petry, Nico Granatowski, Garrit Golombek, Willi Steinke und Tobias Krull. Ihre Teamkollegen Marvin Steinhauer und Moritz Maul halten sich zudem auf Abruf bereit. (DeReKo: Braunschweiger Zeitung, 29.3.2006) - Kommunikative Handlungen <Zurückweisung> Die Wortverbindung auf Anhieb wird häufig mit einer Verneinung verbunden, die zum Ausdruck bringt, dass etwas gerade nicht unmittelbar geschieht oder geschehen kann. 3 Die Beispiele dieses Punkts stammen aus Beschreibungen des deutschen Teils, der von Katrin Hein und Kathrin Steyer erarbeitet wird. Sie basieren auf DeReKo (vgl. Institut für Deutsche Sprache 2017). Katrin Hein/ Peter Ďurčo/ Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 310 (3) Wo gibt es Hilfe, wenn die Probleme in der Familie so groß werden, dass es scheinbar keinen Ausweg mehr gibt? Und wie kommt man aus einer finanziellen Notlage wieder heraus? - Fragen auf die niemand auf Anhieb die passenden Antworten parat hat, aber Hilfe, um wieder Hoffnung und neuen Mut zu schöpfen, die gibt es jetzt beim Projekt „Tankstelle“. Es wird seit Anfang Oktober vom Europäischen Sozialfonds gefördert und ist über den Demokratischen Frauenbund in der Region aktiv. (DeReKo: Nordkurier, 2.11.2006) <Kritik> Die Wortverbindung von Anbeginn wird im Zusammenhang mit einer Kritik an einem bestehenden Sachverhalt verwendet. Von Anbeginn drückt aus, dass der zu kritisierende Sachverhalt nicht erst aktuell eingetreten ist, sondern sich diese negative Ausprägung schon seit Beginn abzeichnete. (4) Wie schon in anderen Regionen wurde den Kraftfahrern auf den ostbrandenburgischen Alleen in der vergangenen Zeit mit großen Schildern ans Herz gelegt, auch am Tage mit Abblendlicht zu fahren. Der Sinn solcher Aktion war von Anbeginn umstritten. „Gebracht hat es eigentlich nichts“, räumt nun auch Polizeioberrat Norbert Stahn vom Verkehrsdezernat des Frankfurter Polizeipräsidiums ein. (DeReKo: Berliner Morgenpost, 23.7.1999, S. 17) <Rechtfertigung> Die Wortverbindung am Anfang wird in Zusammenhang mit der Formulierung von Entschuldigungen oder Rechtfertigungen verwendet. Es handelt sich hier meist um Redewiedergabe: Ein Sprecher erklärt, warum eine bestimmte Sache noch nicht besser läuft, bringt dabei aber häufig (implizit) die Hoffnung auf eine positive Entwicklung zum Ausdruck. Dieser Gebrauchsaspekt wird häufig durch die adverbial erweiterten Varianten erst/ noch/ ganz … am Anfang stehen und erst/ noch/ ganz … am Anfang sein realisiert (vgl. ‘X am Anfang’, Kap. 2.2). (5) Die Uno werde alles tun, was in ihrer Macht stehe, um den Friedensprozess voranzubringen, sagte der UN-Sprecher Adrian Edwards in Kabul. Es könne aber lange Zeit dauern, bis beide Seiten an den Verhandlungstisch gebracht würden. „Wir sind immer noch ganz am Anfang“, sagte Edwards. „Aber wir sollten darauf hoffen, dass diese Fortschritte beibehalten werden können“, betonte der UN-Vertreter. Die Taliban kämpfen seit ihrem Sturz Ende 2001 gegen die Regierung in Kabul und haben ihre Angriffe in den vergangenen Monaten intensiviert. (DeReKo: Berliner Zeitung, 26.9.2007, S. 10) Eine musterbasierte Fallstudie im Sprachvergleich 311 - Konnotationen Die Wortverbindung auf Anhieb wird häufig im Zusammenhang mit positiven Einstellungen zu jemandem oder etwas verwendet. Auf Anhieb drückt aus, dass sie sofort, von Beginn an, existieren. (6) Auf Anregung der Architektenschaft hatte sich die Kommune entschlossen, einen internationalen Gestaltungswettbewerb auszuschreiben. Als Ende 1998 die Ergebnisse vorlagen, war die 13-köpfige Jury auf Anhieb vom Entwurf des Grazers Günther Domenig überzeugt. (DeReKo: Nürnberger Nachrichten, 30.10.2001, S. 4) - Domänenspezifik Die Wortverbindung auf Anhieb wird häufig im Zusammenhang mit Erfolgen verwendet. Auf Anhieb drückt aus, dass jemand sofort bzw. ohne Widerstände einen Erfolg erzielt, z.B. im Sport, bei Wahlen oder in Kunst und Kultur. (7) In Nürnberg-West will Markus Söder (CSU), der 1994 auf Anhieb das Mandat errungen hat, wieder als Sieger vor seinem Hauptkonkurrenten Manfred Scholz (SPD) ins Ziel kommen. (DeReKo: Nürnberger Nachrichten, 1.8.1998, S. 11) Die Wortverbindung auf Abruf wird häufig im Zusammenhang mit Sachverhalten aus dem Bereich ‘Arbeit/ Arbeitsmarkt’ verwendet. Diese Sachverhalte werden fast durchweg abgewertet, indem auf das Fehlen geregelter Arbeitszeiten verwiesen wird. (8) Nachweis der Bemühungen - auf die normale Höhe angehoben werden. Ein anderes Problem müsste dann gleichzeitig aber auch angegangen werden: Die Ausbeutung von auf Abruf angestellten Mitarbeiterinnen durch die Arbeitgeber. Die Frauen stehen teilweise die ganze Woche auf Abruf und kriegen dann vielleicht einen Tag bezahlte Arbeit. Eine Alternative können sie nicht annehmen. (DeReKo: Galler Tagblatt, 8.2.2011, S. 38) Die Domänenspezifik ‘Arbeitsmarkt’ wird beim Beispiel auf Abruf typischerweise durch erweiterte NPs wie Arbeit|Arbeitnehmer auf Abruf realisiert, d.h. der Status als binäre PWV wird aufgehoben: (9) Die Gewerkschaft Unia führt eine Kampagne gegen Arbeit auf Abruf. Ein Drittel des Verkaufspersonals arbeite heute unter solchen mangelhaft geregelten Verhältnissen. Dabei werden Angestellte ohne klare Bestimmungen über Arbeitsaufwand und ohne fixen Monatslohn angestellt, müssen aber immer einsatzbereit sein. Arbeit auf Abruf ist laut einem Gutachten der Unia gesetzeswidrig. (DeReKo: St. Galler Tagblatt, 26.4.1997) Katrin Hein/ Peter Ďurčo/ Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 312 1.2 Lexikalische Erweiterungsmuster Die zweite relevante Ebene der Gebrauchsbeschreibung und des Sprachvergleichs sind rekurrente lexikalische Erweiterungen (LE). Im Gegensatz zu Kookkurrenzen und Kontextmarkern in den GAs, die syntaktisch nicht unbedingt an den PWV-Kern gebunden sein müssen (z.B. typische Verben), stellen LE- Muster aus struktureller Sicht direkte syntaktische Ergänzungen des Kerns dar, intern oder extern (siehe Steyer in diesem Band). Natürlich gibt es auch wieder Überlappungen wie beim Beispiel nicht auf Anhieb, wo die Negationspartikel überproportional häufig der binären PWV direkt vorangestellt ist und man daher von einer kognitiven Verankerung dieses Syntagmas ausgehen kann. Gleichzeitig indiziert nicht aber den Gebrauchsaspekt der <Zurückweisung>. Wir unterscheiden gemäß dem UWV-Modell zwischen stark lexikalisierten Erweiterungen (aufgrund ihrer Frequenz), die als eigenständige Varianten angesehen werden, und rekurrenten Erweiterungsmustern. Durch lexikalische Erweiterungen kann der binäre Status der PWV beibehalten werden, indem nur bestimmte Bedeutungs- und Gebrauchsaspekte hinzugefügt werden; es kann aber dadurch auch zur Veränderung des binären Status kommen und somit zu anderen Syntagmen oder gar neuen Wortverbindung führen (siehe oben Beispiel in Kürze vs. in aller Kürze). Lexikalisierte Varianten sind beispielsweise von Anbeginn an oder am Anfang stehen. In beiden Fällen ist die Binarität zugunsten eines dreigliedrigen Syntagmas aufgehoben, wobei die Erweiterung bei von Anbeginn durch das nachgestellte an keine Umdeutungen oder Neubedeutungen mit sich bringt. Beim Beispiel am Anfang stehen ist das Verb so überproportional häufig mit der binären PWV verbunden, dass die lexikalische Erweiterung eine feste Wortverbindung in Form eines Funktionsverbgefüges konstituiert. 1.3 Besonderheiten im Satzzusammenhang und Vernetzungen Der Beschreibungsteil Besonderheiten im Satzzusammenhang dokumentiert weitere auffällige sprachliche Kontextphänomene in der Satzumgebung einer PWV, die keine lexikalischen Erweiterungen im engen Sinne darstellen (also eben nicht syntaktisch festgelegt sind), z.B. aufgrund ihrer Stellungsvarianz. Diese Beschreibung wird durch Volltextstellen belegt. Solche Besonderheiten können sein: - Häufungen von Modalverben, - Häufungen von Negationsstrukturen, - dominanter Tempus oder Verbmodus/ Genus verbi, Eine musterbasierte Fallstudie im Sprachvergleich 313 - häufige Redewiedergabe, - Einbettung in adversative Strukturen, - Korrelate, - usw. So wird die PWV am Anfang sehr häufig mit Verben in der Vergangenheitsform verwendet (z.B. Am Anfang {war es schwierig/ dachten die Kunden/ ging es darum} …). Die PWV auf Anhieb wird häufig mit Modalverben wie wollen, sollen, können oder dürfen verwendet (wenn eine Aufnahme nicht auf Anhieb klappen wollte; Ein Opel soll auf Anhieb als Opel erkennbar sein; Lula da Silva als Kandidat des Partido dos Trabalhadores (PT) dürfte auf Anhieb die absolute Mehrheit der Stimmen erreichen). Die Beschreibung der Vernetzung mit anderen Lexemen dient der Veranschaulichung von Beziehungen zu anderen PWVs oder auch anderen Wortschatzeinheiten. Auch hier sollen zwei ausgewählte, sehr unterschiedliche Angaben zur Illustration dienen. Die PWV auf Anhieb weist eine Gebrauchsverwandtschaft mit der PWV auf Knopfdruck auf, und zwar in Bezug auf den Gebrauchsaspekt der Schwierigkeiten zu Beginn einer Sache, vorrangig ausgedrückt durch Negation (siehe GA 3), z.B. mit den Verbindungen nicht auf Anhieb/ auf Knopfdruck funktionieren oder nicht auf Anhieb/ auf Knopfdruck klappen. Alle Beschreibungen basieren auf dem korpusanalytischen UWV-Vorgehensmodell, in dessen Zentrum die qualitative Annotation und Interpretation von Kookkurrenzprofilen und die Slot-Füller-Analyse mittels lexpan steht (siehe dazu Steyer in diesem Band; vgl. lexpan). Die folgenden Ausführungen sollen verdeutlichen, welche Aspekte für eine kontrastive Musterbeschreibung von besonderem Erkenntniswert sind und wie komplex sich Phänomene von Konvergenz und Divergenz gestalten können. 2. Kontrastive exemplarische beschreibung (deutsch - slowakisch - spanisch) Anhand der korpusbasierten Beschreibung der Wortverbindung am Anfang und ihrer Äquivalente im Slowakischen (na začiatku) und Spanischen (al principio) zeigen wir nun exemplarisch, wie die in Kapitel 1 skizzierten inhaltlichen Beschreibungsaspekte aus einer kontrastiven Perspektive umgesetzt werden - und welcher Mehrwert sich dadurch ergibt. Zu diesem Zweck werden ausgewählte Teile unseres Beschreibungsrasters von am Anfang angeführt und Katrin Hein/ Peter Ďurčo/ Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 314 erläutert. 4 Die deutsche Beschreibung wird dabei jeweils vorangestellt und im Anschluss um ausgewählte Aspekte der Kontrastsprachen Spanisch und/ oder Slowakisch (in Tabellenform) erweitert. Neuartig ist dabei insbesondere der in diesem Zusammenhang erstmals vorgenommene interlinguale Vergleich von Kookkurrenzprofilen und Lückenfüllertabellen. Eine solche Beschreibung beginnt naturgemäß mit ‘Angaben zum Lemma’: am Anfang - Angaben zum Lemma Merkmale: 1. temporal; 2. lokal Basiselemente: am; Anfang Betrachtet man die in Tabelle 1 dargestellten Äquivalente für das Spanische und das Slowakische, fällt auf, dass für das Slowakische durchgehend mit zwei Äquivalenten gearbeitet wird (vgl. Ďurčo und Mellado Blanco/ Steyer zur Problematik der Äquivalenzsuche und -ansetzung). Dies ist darauf zurückzuführen, dass die zwei konkurrierenden Äquivalente für die deutsche PWV am Anfang, na začiatku und zo začiatku zugleich temporale und lokale Bedeutungen tragen. 5 Die ‘Angaben zum Lemma’ offenbaren bereits eine erste Gemeinsamkeit zwischen den drei fokussierten Sprachen: Neben einer temporalen ist für alle PWVs jeweils auch eine lokale Verwendung beobachtbar. Dies überrascht insofern nicht, als „der Raum […] für die Organisation von Sprache fundamentaler als die Zeit [ist]“ (Wunderlich 1982, S. 1, zitiert nach Vater 2007, S. 6). Dies „[zeigt] sich vor allem in der Ableitung von Zeitbezeichnungen aus Raumbezeichnungen […] (vgl. die Präpositionen in, vor und nach, deren lokale Funktionen primär sind)“ (Vater 2007, S. 6). Da wir uns sowohl im Rahmen des Moduls 2 (vgl. Steyer in diesem Band) als auch im Rahmen unserer kontrastiven Pilotstudien in Modul 3 auf die Beschreibung von PWVs mit temporaler Bedeutung konzentrieren, werden lokale Verwendungen jedoch nicht weitergehend untersucht. 4 Um die finale Visualisierung für unsere laufenden kontrastiven Pilotstudien handelt es sich bei den nachstehend verwendeten Beispielausschnitten aber nicht. 5 Die Analyse der slowakischen Belege für die konkurrierenden Äquivalente zeigt einige Unterschiede zwischen ihnen: Im Korpus ist die Frequenz der PWV na začiatku 6,5-mal höher als die der PWV zo začiatku. Die lokale Bedeutung von zo začiatku ist schwach vertreten. Die temporalen Bedeutungen von na začiatku und zo začiatku haben extensional einen gemeinsamen Bedeutungskern - ‘erster Teil eines Zeitabschnitts’ -, aber teilweise eine unterschiedliche intensionale Struktur: a) na začiatku = erste Existenz eines Zeitabschnittes: am Beginn von etwas, zuerst (= statische Perspektive); b) zo začiatku = erster Ausgangspunkt, Start eines Zeitgeschehens: von Beginn an, einstweilen, zunächst einmal (= dynamische Perspektive). Eine musterbasierte Fallstudie im Sprachvergleich 315 Angaben zum Lemma SLOWAKISCH SPANISCH na začiatku Unbearbeitetes Korpusmaterial [KWIC-Tabelle zu na|Na začiatku ] zo začiatku Unbearbeitetes Korpusmaterial [KWIC-Tabelle zu zo|Zo začiatku ] al principio Unbearbeitetes Korpusmaterial [KWIC-Tabelle] Merkmale: 1. temporal 2. lokal 6 Merkmale: 1. temporal 2. lokal Základné prvky: na zo začiatok Elementos base: al principio tab. 1: angaben zum lemma Quantitative Angaben DEUTSCH SPANISCH Am|am Anfang Suchstring: $am / +w1: 1 $Anfang Frequenz: 198.751 Korpus: DeReKo Al|al principio Suchstring: al|Al principio Frequenz: 274.561 Korpus Sketch Engine European Spanish Web 2011 (eseu TenTen11) Am Anfang Suchstring: Am / +w1: 1 $Anfang Frequenz: 65.372 Al principio Suchstring: Al principio Frequenz: 66.026 am Anfang Suchstring: am / +w1: 1 $Anfan g Frequenz: 133.29 al principio Suchstring: al principio Frequenz: 208.535 Tab. 2: Quantitative Angaben Die ‘Quantitativen Angaben’ (siehe Tab. 2) dienen der Dokumentation der Vorkommen der PWVs in den jeweiligen Korpora, z.B. Suchanfragen sowie die Trefferzahlen (inkl. KWICs) der Korpusabfrage; dabei wird zwischen Vorkommen der Wortverbindung in Groß- und in Kleinschreibung unterschieden (siehe auch Steyer in diesem Band). 7 6 Eine lokale Bedeutung im Sinne von ‘räumlicher Beginn von etwas’ ist nur für eines der beiden slowakischen Äquivalente möglich, nämlich für na začiatku, z.B. na začiatku ulice (am Anfang der Straße). 7 Vgl. auch Steyer/ Hein (2016). Katrin Hein/ Peter Ďurčo/ Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 316 Tabelle 2 stellt exemplarisch die quantitativen Angaben für am Anfang und sein spanisches Äquivalent gegenüber: 2.1 Kontrastive Beschreibung von Bedeutung und Gebrauch Wie oben diskutiert, werden die Kernbedeutung auf der einen Seite und Gebrauchsaspekte auf der anderen Seite erfasst und beschrieben. Die Kernbedeutung wird jeweils durch ein adverbiales Monolexem beschrieben (hier: ‘zunächst’): am Anfang - Kernbedeutung ‘zunächst’ Etwas stellt sich auf eine bestimmte Art und Weise dar, wenn man damit beginnt. 8 Tabelle 3 zeigt die Bedeutungsbeschreibung für das Spanische und das Slowakische. Letzteres verfügt insofern über eine komplexere Beschreibung, als hier im gesamten Artikel mit zwei Kernäquivalenten gearbeitet wird. Wie bereits erwähnt, unterscheidet das Slowakische - im Gegensatz zum Deutschen und Spanischen -, ob es sich um den Beginn einer Handlung/ eines Geschehens oder den Beginn der Existenz einer Sache handelt. Kernbedeutung SLOWAKISCH SPANISCH na začiatku; zo začiatku al principio 1. Beginn der Existenz von etwas: PWV: na začiatku, na počiatku (formell, gehoben) SYN: najprv, najskôr, najskorej, ponajprv Beispiel: na začiatku prázdnin (am Anfang der Ferien) 2. zeitlicher Beginn eines Geschehens, einer Handlung PWV: zo začiatku, od počiatku SYN: spočiatku Beispiel: od počiatku sveta (am Anfang der Welt) inicialmente (zunächst) Tab. 3: Kernbedeutung 8 Hier und im Folgenden wird jeweils wörtlich aus den bisher unveröffentlichten Beschreibungen des deutschen Teils dieser Studie zitiert, der von Katrin Hein und Kathrin Steyer erarbeitet wurde. Die Erläuterungen zum Slowakischen und Spanischen stammen jeweils aus den Beschreibungen von Peter Ďurčo und Carmen Mellado Blanco. Eine musterbasierte Fallstudie im Sprachvergleich 317 Interessant ist - dies zeigt der nachstehende Angabetyp ‘Gebrauchsbesonderheiten’ (siehe Tab. 4) - dass sich die beiden slowakischen Äquivalente jeweils eindeutig bestimmten Gebrauchsaspekten von am Anfang zuordnen lassen. D.h., die beiden Äquivalente decken gemeinsam die für das Deutsche formulierte Kernbedeutung ab, unterscheiden sich aber hinsichtlich ihrer Gebrauchsaspekte, oder - andersherum betrachtet - jedes der beiden slowakischen Äquivalente scheint über distinktive Gebrauchsaspekte zu verfügen, durch die es sich vom jeweiligen anderen Äquivalent unterscheidet. Der erste, für das Deutsche korpusbasiert herausgearbeitete Gebrauchsaspekt (= GA 1) ist der rekurrente Gebrauch von am Anfang zur Beschreibung von Entwicklungen. Als Belegmaterial werden entweder annotierte Kookkurrenzprofile (Satelliten-Felder) oder - für den Fall, dass das Kookkurrenzprofil für einen Gebrauchsaspekt nicht aussagekräftig ist - Volltextbelege angeführt. am Anfang - Gebrauchsaspekt 1 (GA 1) Die PWV wird in Zusammenhang mit der Beschreibung von Entwicklungen verwendet. Dabei wird die Diskrepanz zwischen dem Beginn einer Sache und ihrem weiteren Verlauf betont. Kommentar 1: Die beschriebene Entwicklung kann sowohl positiv als auch negativ sein. Kommentar 2: Dieser GA wird häufig durch die Variante am Anfang stehen realisiert. Am Anfang stand Argwohn. Dann kam das Vertrauen und schließlich die Freundschaft. (DeReKo: Hannoversche Allgemeine, 9.6.2010) So unterschiedlich die Methoden des Mobbings, das zusätzlich noch durch die schlechte Wirtschaftslage und die Angst um den eigenen Arbeitsplatz angeheizt wird, auch sind, das Grundmuster bleibt immer gleich. „Am Anfang steht ein harmloser Streit. Langsam vergißt man den Grund des Konflikts, verbeißt sich aber weiter ineinander. Bietet einer der Beteiligten eine Angriffsfläche - meist private oder gesundheitliche Probleme - packt der andere zu“, schildert Walter die „Kampftechnik“. (DeReKo: Die Presse, 13.11.1993) Dieser Gebrauchsaspekt lässt sich ebenso für die Kontrastsprachen beobachten. Während die PWV im Slowakischen - genauso wie im Deutschen - sowohl in Verbindung mit positiven als auch mit negativen Entwicklungen verwendet wird, sind die damit im Spanischen beschriebenen Entwicklungen normalerweise positiv. Katrin Hein/ Peter Ďurčo/ Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 318 GA 1: Beschreibung von Entwicklungen SLOWAKISCH: na začiatku SPANISCH: al principio Dieser GA wird im Slowakischen durch das Äquivalent na začiatku realisiert. Der Variante am Anfang stehen entsprechen mehrere, vom aktuellen Kontext abhängige Äquivalente: stáť/ byť/ nachádazť sa/ existovať/ panovať na začiatku (am Anfang stehen/ sein/ sich befinden/ existieren/ herrschen). Dieser GA wird im Spanischen anhand der Variante [Al principio + haber + Subjekt] realisiert. Das unpersönliche Verb haber entspricht ‘es gibt’ im Deutschen. Kommentar 1: Die Diskrepanz zwischen dem Beginn einer Sache und ihrem weiteren Verlauf wird in den slowakischen Belegen oft noch durch die einräumende, konzessive Konjunktion hoci (obwohl) betont. Kommentar 1: Oft mit Kognitionsverben in der ersten Person und in der Vergangenheitsform (pensaba, pensamos, creía), mit adversativen Konnektoren als Korrelaten (al principio […], pero después […], sin embargo […], pero luego […]) und mit der Fokuspartikel solo (nur); (pero) solo al principio) verwendet. Normalerweise handelt es sich um eine positive Entwicklung. Typische Verb-Satelliten: myslieť si (sich denken), povedať (sagen), spomínať si (sich erinnern), začať (beginnen), hovoriť (erzählen), uvedomiť si (sich bewusst werden), vzniknúť (entstehen), zdôrazniť (betonen), vedieť (wissen), mať obavu (befürchten), založiť (gründen), získať (gewinnen) Typische Satelliten, die einen Kontrast zwischen Beginn und Verlauf einer Handlung ausdrücken (z.B. Korrelate) Typische Verb-Satelliten: creer (glauben), pensar (denken), parecer (aussehen, erscheinen), gustar (gefallen), estar (sein), haber (es gibt) Belege: positive Entwicklung: Chodníček si vyšliapal sám. Poctivá práca sa vyplatila. Hoci na začiatku nebolo všetko ružové, úspech sa dostavil. Zo školského kola SOČ-ky som postúpil, ale na krajskom kole som skončil šiesty, pretože som sa dostal do zlého oboru. (Nitrianske noviny 2011/ 07) 9 Belege: positive Entwicklung: Al principio pensamos que Mercadona se nos comería, pero al final hemos conseguido complementar el servicio entre ambas partes. (http: / / mercadosmunicipales. es/ 6_entrevistas_14_C-Balaguer.php) 10 9 Alle slowakischen Korpusbelege stammen aus dem slowakischen Nationalkorpus (https: / / korpus.sk; Stand: 12.6.2017). 10 Alle spanischen Korpusbelege stammen aus dem Korpus eseuTenTen11, The Sketch Engine (http: / / sketchengine.co.uk; Stand: 12.6.2017). Eine musterbasierte Fallstudie im Sprachvergleich 319 GA 1: Beschreibung von Entwicklungen SLOWAKISCH: na začiatku SPANISCH: al principio negative Entwicklung: Japonské akcie v piatok mierne klesli, hoci na začiatku zaznamenali prírastky viaceré blue-chips emisie. (Hospodárske noviny 02/ 08) Todavía recuerdo ese día en el que la profe de lengua nos bajó a la biblioteca del cole y nos obligó a ir leyendo el primer libro. He de confesar ( y en este momento me sorprende) que al principio no sentía mucho interés en el libro. Sin embargo, poco más tarde me lo regalaron por un cumpleaños, y, un día que me aburría, me puse a leerlo, por hacer algo, y … ¡me enganché a la historia de Harry! (http: / / harrypotter.lsf.com.ar/ cinco-merodeadores-t47046-30.html) Tab. 4: GA 1 Für das spanische Äquivalent al principio lassen sich in Zusammenhang mit GA 1 noch weitergehende Form-Funktions-Zusammenhänge feststellen, die sich in einer - im Vergleich zum Deutschen und Slowakischen - differenzierteren Beschreibung niederschlagen: Spanisch (al principio) - differenziertere Beschreibung zu GA 1 Kommentar 2: Oft neben einer Negation verwendet. Beleg: En concreto, su hermana Pilar López, me comentaba en alguna ocasión que ciertos cantaores, “cuando les presentábamos las letras de Federico al principio no decían nada, pero luego algunas veces cambiaban palabras para adaptarlas al compás. […]”. (http: / / revistamercurio.es/ index.php/ revistas -mercurio-2010mercurio-123/ 527-14de-cuando-el-flamenco-echamano-de-la-poesia) Kommentar 3: Das quantifizierende Adverb (un) poco ((ein) wenig, etwas) erscheint oft beim Auftritt dieses Gebrauchsaspekts, auch neben dem Korrelat pero (aber). Das Adverb (un) poco dient zur Relativierung der beschriebenen Schwierigkeiten seitens des Sprechers. Beleg: „Al principio da un poco de reparo, pero en cuanto empiezas a romper ya no puedes parar. Es divertidísimo y muy desestresante”, afirma Ander Tomás, un agente comercial de 30 años que también ha participado en este proyecto. (http: / / elmundo.es/ elmundo/ 2007/ 07/ 03/ madrid/ 1183473304.html) Katrin Hein/ Peter Ďurčo/ Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 320 Spanisch (al principio) - differenziertere Beschreibung zu GA 1 Kommentar 4: Mit diesem GA erscheint die PWV als Bestandteil des Musters [Lo que al principio […], (después/ al final/ luego/ …) Verb Zustandsveränderung ] [Was am Amfang […], (dann/ schlieβlich/ später/ …) Verb Zustandsveränderung ]). Die beschriebene Entwicklung ist vorwiegend negativ. Die Zustandsveränderungsverben sind häufig convertirse (werden zu), resultar ser (schlieβlich werden), transformarse (sich verwandeln) (siehe externe Varianz). Belege: Lo que al principio parecía ser un accidente de tráfico, ha resultado ser un nuevo caso de violencia de género. (http: / / diariosur.es/ hemeroteca/ index. php? ac tion=search&format=video&filter=dayvi: 20090510) Lo que al principio no era más que un sueño, se convertiría después en un proyecto y por fin, tras superar múltiples dificultades, en una realidad gracias al tesón y la voluntad de la autora. (http: / / noray.es/ esp/ ficha.php? isbn= 978-84-7486-188-4&id_pedido=) tab. 4.1: ausschnitt Ga 1 - Spanisch Die Verwendung in Verbindung mit Rückblicken stellt eine weitere rekurrente Gebrauchsbesonderheit von am Anfang dar (GA 2). am Anfang - Gebrauchsaspekt 2 Die PWV wird häufig in Zusammenhang mit Rückblicken verwendet. Sie markiert hier, dass ein Sachverhalt auf eine bestimmte Art und Weise begonnen hat. Typische Verbsatelliten (in der Präteritumsform) sind z.B.: am Anfang war(en), stand(en), hatte(n) Zu kompliziert, zu zeitaufwendig und zu kundenunfreundlich lauten die Schlagwörter, mit denen auch die Apotheker aus der Region diesen Teil der Gesundheitsreform kritisieren. Das ergab eine Umfrage des Nordkurier. „Gerade am Anfang hatten wir mit gravierenden Problemen zu kämpfen“, sagte zum Beispiel Brigitte Austen, Inhaberin der Linden-Apotheke. (DeReKo: Nordkurier, 8.6.2007) Dieser Gebrauchsaspekt ist für das Spanische nicht relevant. Im Slowakischen hingegen ist er nachweisbar, interessant ist hier wieder die Verengung auf eines der beiden in Tabelle 1 angegebenen Kernäquivalente. Eine musterbasierte Fallstudie im Sprachvergleich 321 GA 2: Rückblicke - Slowakisch Dieser GA wird im Slowakischen durch das Äquivalent zo začiatku realisiert. Typische Verb-Satelliten: byť (sein), vyzerať (aussehen), zdať sa (scheinen), ísť (gehen), stačiť (genügen), vedieť (wissen), myslieť (denken), mať (haben), dariť sa (gelingen), hrať (spielen), baviť sa (sich unterhalten), páčiť sa (gefallen), dariť sa (gelingen), báť sa (fürchten), pomáhať (helfen), brať (nehmen), fungovať (fungieren), pôsobiť (wirken), veriť (glauben), dávať (geben) Kommentar 1: Oft kommt die PWV in der Konstruktion mit den modalen Verben musieť, chcieť, mať (müssen, wollen, sollen) vor. Belege: Zo začiatku som chcel písať o svojich vnučkách, a potom som do svojej prvej knihy nejako zamiešal aj svoje detstvo. (www.rpa.sk 10/ 09) Zo začiatku sme museli vziať aj možnosť hrať okolo tretej, keď pod pódiom bolo len nejakých 50 ľudí. (SME 2009/ 08) Zo začiatku si myslel, že svoje skúsenosti na starobu zaslúžene speňaží. „Na vydávaní kníh sa však dá len veľmi ťažko zarobiť,“ prezrádza Latko. (Turčianske noviny 2008/ 12) Kommentar 2: Oft kommt die PWV in der Konstruktion mit einer Negation vor, es wird ausgedrückt, dass ein Sachverhalt nicht auf eine bestimmte Art und Weise begonnen hat. Belege: Naše deti zo začiatku nevedeli, ako sa majú správať, objavili sa určité zábrany. Ale keď sme sa stretávali častejšie a zoznamovali na terapiách, kde majú väčšiu šancu sa zblížiť, vznikli medzi nami priateľské vzťahy. (http: / / civil.gov.sk/ archiv/ casopis/ 2002/ 23/ 2308mi.htm) tab. 5: Ga 2 - Slowakisch Der rekurrente Gebrauch der PWV in Zusammenhang mit der Formulierung von Entschuldigungen und Rechtfertigungen (= GA 3) ist hingegen in allen drei Sprachen zu beobachten. Katrin Hein/ Peter Ďurčo/ Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 322 am Anfang - Gebrauchsaspekt 3 (GA 3) Die Wortverbindung wird in Zusammenhang mit der Formulierung von Entschuldigungen oder Rechtfertigungen verwendet. Es handelt sich hier meist um Redewiedergabe: Ein Sprecher erklärt, warum eine bestimmte Sache noch nicht besser läuft, bringt dabei aber häufig (implizit) die Hoffnung auf eine positive Entwicklung zum Ausdruck. Dieser GA wird häufig durch die adverbial erweiterten Varianten {erst/ noch/ ganz} … am Anfang stehen und {erst/ noch/ ganz} … am Anfang sein realisiert. Beleg: Die Uno werde alles tun, was in ihrer Macht stehe, um den Friedensprozess voranzubringen, sagte der UN-Sprecher Adrian Edwards in Kabul. Es könne aber lange Zeit dauern, bis beide Seiten an den Verhandlungstisch gebracht würden. „Wir sind immer noch ganz am Anfang“, sagte Edwards. „Aber wir sollten darauf hoffen, dass diese Fortschritte beibehalten werden können“, betonte der UN-Vertreter. Die Taliban kämpfen seit ihrem Sturz Ende 2001 gegen die Regierung in Kabul und haben ihre Angriffe in den vergangenen Monaten intensiviert. (DeReKo: Berliner Zeitung, 26.9.2007, S. 10) Tabelle 6 zeigt, dass auch die in solchen Verwendungen zu beobachtende adverbiale Erweiterung der Wortverbindung sowie ihre Verwendung innerhalb von Redewiedergabe als interlinguale Konvergenzen zu etikettieren sind: GA 3: Formulierung von Entschuldigungen und Rechtfertigungen SLOWAKISCH SPANISCH Dieser GA wird im Slowakischen durch das Äquivalent na začiatku realisiert. Der Sprecher bringt durch die PWV zum Ausdruck, dass in der ersten Phase von etwas die Lage schlecht war und dass diese sich verbessert hat. Normalerweise wird dadurch die Hoffnung auf eine positive Entwicklung von Ereignissen geäußert und dabei der Sprechakt der (Selbst-)Ermunterung realisiert, was im Text oft als direkte Rede erscheint. Kommentar 1: Das Äquivalent bei diesem GA wird in slowakischen Belegen oft von Partikeln oder Adverbien begleitet. Typische Partikel-Satelliten: už (schon), len (nur), ešte (noch), aj (auch), iba (nur), až (erst), najmä (besonders), hlavne (hauptsächlich), však (jedoch), aspoň (wenigstens), ani (nicht einmal), práve (gerade), celkom (ganz), možno (vielleicht), teda (also), totiž (nämlich), tiež (auch), zase (wieder) Kommentar 1: Oft unter der Struktur no estar más que al principio (de algo)/ estar (tan) solo al principio (de algo)/ estar todavía al principio (de algo) (erst am Anfang (von etw.) stehen/ sein). Im Gegensatz zum Deutschen erscheint hier al principio oft durch die Präpositionalphrase de X modifiziert ([al principio de X]) Eine musterbasierte Fallstudie im Sprachvergleich 323 GA 3: Formulierung von Entschuldigungen und Rechtfertigungen SLOWAKISCH SPANISCH Belege: Slovenský majster už na začiatku dal jasne na známosť, kto bude pánom na ihrisku. (http: / / tatranpresov.sk/ index.php ? page=381&type=news&id=5&method= main&art=1089) Celkom na začiatku bola smelá idea mojej kolegyne Martiny Š. nakrútiť dokumentárny film o autizme. (http: / / takdalekotakblizko. sk/ ) Belege: „Estamos al principio y no tenemos que desesperarnos. Quedan todavía muchos partidos.“ (http: / / fcbarcelona.es/ web/ castellano/ noticies/ futbol/ temporada 07-08/ 08/ n070826100795.html) „Debo seguir mejorando, pero estoy muy satisfecha de esta progresión. Significa que estamos trabajando bien con la RFEDI y que los resultados empiezan a llegar aunque, ya digo, todavía estamos al principio“. (http: / / rfedi.es/ competicio nes/ detallenoticia.aspx? idModalidad= 1&idNoticia=998&pagina=6) „[…] Aunque no estemos más que al principio del camino, ciertamente la RSE ha avanzado no poco en España”. (http: / / pymesostenible.es/ 2009/ 07/ 28/ la-funda cion-etnor-un-lujo-cercano/ ) Kommentar 2: Bei der Redewiedergabe kommen in den slowakischen Belegen oft die Partikel len, iba, však (nur, doch, jedoch, aber) vor. Belege: „Nervózny som bol iba na začiatku, potom po pár gemoch to všetko zo mňa spadlo a už sa sústredil iba na hru.“ (Denník Šport 06/ 02) „Dopyt je, zatiaľ sme však na začiatku, staviame prototypy. Momentálne neviem povedať nejaké podrobnosti,“ povedal Macík. (Hospodárske noviny 06/ 07) Typische Adverb-Satelliten: hneď (sofort), úplne (ganz), opäť (wieder), teraz (jetzt), stále (immer), ihneď (sofort), najneskôr (spätestens), potom (dann), minimálne (minimal), znova (wieder), dnes (heute), spravidla (in der Regel), zvyčajne (gewöhnlich), priamo (direkt), Kommentar 2: Rekurrent ist das Muster [La verdad, … al principio] oder [La verdad es que al principio]. Der Sprecher macht ein Geständnis und erzählt über bestimmte Schwierigkeiten in der Vergangenheit oder in der Gegenwart und rechtfertigt bzw. relativiert diesen Zustand. Beleg: La verdad es que, al principio, no me tomaban muy en serio. Aunque tocaba y componía, yo creo que no acababan de valorarlo. Sólo después de la guerra estuve con mi padre en Cracovia para ver, por vez primera, un concierto de orquesta. (http: / / elcultural.es/ version_papel/ MUSICA/ 8303/ Krzysztof_Penderecki) Katrin Hein/ Peter Ďurčo/ Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 324 GA 3: Formulierung von Entschuldigungen und Rechtfertigungen SLOWAKISCH SPANISCH každoročne (jährlich), zvlášť (besonders), tradične (traditionell), vlani (voriges Jahr), najlepšie (am besten), väčšinou (meistens), pravidlene (regelmäßig), znovu (wieder), ráno (morgen), najskôr (frühestens), často (oft), presne (genau), naposledy (zuletzt), včera (gestern), rovno (direkt), teraz (jetzt), ihneď (gleich), tesne (knapp), raz (einmal), obyčajne (gewöhnlich), späť (zurück), zároveň (zugleich), neskôr (später), obvykle (üblich), následne (folglich), najčastejšie (am häufigsten), dávno (längst) Belege: Privatizačný proces sa však hneď na začiatku zasekol. Platnosť valného zhromaždenia totiž spochybnil zástupca drobného akcionára. (Hospodárske noviny 02/ 11) Chyby treba odstrániť úplne na začiatku a nie keď sa už stanú zlozvykom, času máme dosť, niektorí hráči futsal hrajú v tejto podobe iba 4 mesiace. (http: / / futsalslovakia. sk/ 2012/ sutaze/ keno-klub-extraliga/ item/ 555-13-kolo-openligy) Tab. 6: GA 3 Auch die Verwendung der PWV zur Thematisierung von Schwierigkeiten (= GA 4) ist in allen drei Sprachen usuell. Die Auswertung der Kookkurrenzprofile zeigt, dass diese Funktion der PWV - ebenfalls in allen drei Sprachen - an typische Adjektiv-Satelliten gekoppelt ist. Dies wird in Abbildung 1 durch einen entsprechenden Ausschnitt aus einem mit lexpan (siehe Steyer in diesem Band; vgl. lexpan) qualitativ annotierten Kookkurrenzprofil für das Deutsche illustriert. Eine musterbasierte Fallstudie im Sprachvergleich 325 am Anfang - Gebrauchsaspekt 4 (GA 4) Die Wortverbindung wird in Zusammenhang mit der Thematisierung von Schwierigkeiten verwendet. Sie markiert, dass ein bestimmter Sachverhalt sich schwierig gestaltete, als man damit begonnen hat. Es handelt sich dabei meist um die Thematisierung von Schwierigkeiten innerhalb einer Redewiedergabe. Beleg: Nachdem sie bereits über ein Jahrzehnt im väterlichen Betrieb gearbeitet und auch ihre Meisterprüfung abgelegt hatte, kam 2005 der Schock: Der Vater starb. ”Das ging ganz schnell, wir waren völlig unvorbereitet.” Dominique Noky entschied sich spontan dazu, die Firma zu übernehmen - und war plötzlich Chefin von zwölf Männern. Sicher, am Anfang sei das nicht für alle einfach gewesen. (DeReKo: Mannheimer Morgen, 11.12.2010, S. 7) Typische Adjektivsatelliten von am Anfang bei der Thematisierung von Schwierigkeiten Cluster bei der Kookkurrenzliste "amAnfangKA" Tag-Kombination AND(ADJ GA4) 10 unterschiedliche Partner Die Partner können durch Klicken auf den Namen der Tabellenspalten sortiert werden. Kookkurenzpartner LLR Frequenz Syntag Pattern Tag Kommentar Sortierung Kwics nervös 78 20 50% waren |war am Anfang … sehr nervös [ADJ, GA4] 0 Kwics schwierig 66 32 50% Am Anfang war |ist es … schwierig [ADJ, GA4] 0 Kwics gewöhnungsbedürftig 50 8 62% am Anfang … gewöhnungsbedürftig [ADJ, GA4] 0 Kwics schwer 48 55 63% es |uns am Anfang … schwer getan [ADJ, GA4] 0 Kwics skeptisch 30 13 53% waren am Anfang sehr skeptisch [ADJ, GA4] 0 Kwics schüchtern 25 6 33% am Anfang … schüchtern [ADJ, GA4] 0 Kwics komisch 17 7 71% Am Anfang war es schon komisch [ADJ, GA4] 0 Kwics furchtbar 9 4 50% am Anfang … furchtbar [ADJ, GA4] 0 Kwics schlecht 8 18 61% am Anfang nicht schlecht [ADJ, GA4] 0 Kwics ängstlich 8 3 66% am Anfang … ängstlich [ADJ, GA4] 0 Kwics Datei erstellt mit lexpan © Projektgruppe "Usuelle Wortverbindungen“, IDS Mannheim Kookkurrenzen berechnet in COSMAS II, vgl. Cyryl Belica: Statistische Kollokationsanalyse und Clustering. Korpuslinguistische Analysemethode. 1995 Institut für Deutsche Sprache, Mannheim. (http: / / www1.ids-mannheim.de/ kl/ projekte/ methoden/ ka.html) abb. 1: Qualitativ annotiertes Kookkurrenzprofil (ausschnitt) zu am Anfang Tabelle 7 zeigt die vollständige parallele Beschreibung von GA 4 für das Slowakische und das Spanische. Im Slowakischen beobachten wir in dieser Konstruktion auch ein gegensätzliches Phänomen, und zwar die genauso stark vorkommende Häufung von positiven sowie von anderen wertenden Adjektiv- Satelliten. Katrin Hein/ Peter Ďurčo/ Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 326 GA 4: Thematisierung von Schwierigkeiten SLOWAKISCH: zo začiatku SPANISCH: al principio Bei der Thematisierung von Zuständen, die bei der PWV durch Adjektiv- Satelliten ausgedrückt werden, kommt im Slowakischen das Äquivalent zo začiatku vor. Es handelt sich dabei sowohl um die Thematisierung von positiven als auch negativen Umständen und auch um verschiedene Bewertungen der Zustände. Durch diese PWV werden Schwierigkeiten thematisiert. In diesem Zusammenhang fallen der Gebrauch des Verbes costar (kosten) und die direkte Rede mit dem Verb in der ersten Person auf. Ähnlich wie im GA 1 wird ein Gegensatz zwischen dem Beginn einer Handlung oder eines Zustandes und ihrem späteren positiven Verlauf ausgedrückt. Typische Adjektiv-Satelliten: negativ: ťažký (schwierig), hrozný (schrecklich), slabý (schwach), krutý (grausam), tvrdý (hart), neznesiteľný (unerträglich) positiv: dobrý (gut), ľahký (leicht), jednoduchý (einfach), super, krásny (herrlich), skvelý (großartig), príjemný (angenehm) wertend: náročný (anspruchsvoll), opatrný (vorsichtig), rozpačitý (verlegen), zaujímavý (interessant), zvláštny (seltsam), slušný (anständig) Belege: „Keď som prišiel do Slovanu hrával som s ročníkom 1995, čiže s o rok staršími. Zo začiatku to bolo náročné hlavne preto, že som nepoznal spoluhráčov, ale po pár týždňoch som bez problémov zapadol.“ (http: / / talenty-info.sk/ index.php/ futbal/ futbal-profily/ 533) Keď som sa začal aktívne angažovať v zbore, zo začiatku to bolo super, pohodička, väčšinou stačilo razdvakrát za týždeň niečo spraviť a mal som pokoj. (http: / / ecavbb.sk/ crossroads/ 2011/ 11/ 06/ stres/ ) Typische Adjektiv-Satelliten: negativ: difícil (schwer), complicado (kompliziert) Beleg: Tiene una idea de juego que al principio cuesta entender. Es muy metódico y confía plenamente en que su plan es el adecuado más allá de las circunstancias del juego. (http: / / elgrafico.com.ar/ 2009/ 10/ 05/ C-1985-diego-placente-me-sorprendioque-se-filtraran-los-problemas-en-sanlorenzo.php) Tab. 7: GA 4 Eine musterbasierte Fallstudie im Sprachvergleich 327 Für das Spanische ist darüber hinaus ein weiterer Gebrauchsaspekt zu konstatieren, der im Deutschen und Slowakischen nicht relevant zu sein scheint. Solche Informationen wurden in Kommentaren zu „Gebrauch und Bedeutung ohne Bezug zum Deutschen“ festgehalten. Spanisch (al principio) - Gebrauchsaspekt 5 (GA 5) Die PWV ist Bestandteil des Musters [Como V KOMMUNIKATION.1.Person/ Vergangenheit al principio]: como decía al principio, como ya he dicho al principio [Wie am Anfang schon V KOM- MUNIKATION mit einer metasprachlichen Funktion (Diskursmarker): Es knüpft an den vorangehenden Diskurs an und schafft Textkohärenz, indem der Sprecher seine vorhin erwähnten Argumente aufgreift bzw. wiederholt. Belege: Como decía al principio, hoy presentamos el Plan Especial como documento que ha de servir para el debate y formulación de propuestas. (http: / / segovia.es/ index.php/ mod.pags/ mem.detalle/ id.10445/ relcategoria.3767/ area.23/ seccion.162) Como comentaba al principio se ha cambiado todo el centro, se han restaurado las torres y todo el entorno del mausoleo […]. (http: / / aragonliberal.es/ noticias/ noticia.asp? notid=46391) Die Auswertung der entsprechenden Lückenfüllertabelle für das Spanische zeigt, dass dieses Muster durch verschiedene Kommunikationsverben aktualisiert wird, wobei decir (sagen) am häufigsten auftritt. Typische Verbformen als Verb-Satelliten sind deciamos (sagten), comentábamos (erzählten, kommentierten), dije (sagte), decía (sagte), aludí (hinweisen), indicábamos (hinweisen). 2.2 Kontrastive Beschreibung von lexikalischer Varianz Für am Anfang sind beide bereits diskutierten Fälle von lexikalischer Varianz beobachtbar: lexikalisierte Erweiterungen und Erweiterungsmuster. Zunächst zu den Erweiterungsmustern: Sowohl im Deutschen als auch im Spanischen liegt ausschließlich externe lexikalische Varianz vor. Dagegen existiert im Slowakischen mit [na X začiatku] (am X Anfang) auch eine interne Erweiterungsmöglichkeit (vgl. Tab. 12.2). Im Deutschen wird die PWV in Prästellung präferiert durch Adverbien erweitert (= Erweiterungsmuster 1). Die Herausarbeitung des Erweiterungsmusters [A D V am Anfang] ist das Ergebnis der qualitativen Annotation der Lückenfüllertabelle für das übergeordnete Suchmuster [X am Anfang]. Abbildung 2 illustriert diese rekurrente adverbiale Füllergruppe. Katrin Hein/ Peter Ďurčo/ Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 328 Erweiterungsmuster 1: [ADV am Anfang] Füller zur Suchanfrage "# am Anfang", Feld 2 Tag-Kombination AND(ADV) 20 unterschiedliche Füller Lückenfüller Anzahl Prozentanteil Tag erst 728 7,38 [ADV] Erst 19 0,19 [ADV] ganz 622 6,30 [ADV] Ganz 126 1,28 [ADV] noch 419 4,24 [ADV] Noch 5 0,05 [ADV] gleich 330 3,34 [ADV] Gleich 90 0,91 [ADV] schon 176 1,78 [ADV] Schon 25 0,25 [ADV] ziemlich 26 0,26 [ADV] Ziemlich 8 0,08 [ADV] zumindest 70 0,71 [ADV] Zumindest 17 0,17 [ADV] gerade 48 0,49 [ADV] Gerade 33 0,33 [ADV] bereits 46 0,47 [ADV] Bereits 7 0,07 [ADV] besonders 17 0,17 [ADV] Besonders 11 0,11 [ADV] Datei erstellt mit lexpan © Projektgruppe "Usuelle Wortverbindungen", IDS Mannheim Basiert auf KWIC-Zeilen extrahiert mit COSMAS II (http: / / www.ids-mannheim.de/ cosmas2) abb. 2: adverbiale Füllergruppe des musters [X am Anfang] (lexpan) Für das Spanische ist das Erweiterungsmuster 1 nicht relevant, während sich für das Slowakische (siehe Tab. 8) ebenfalls eine musterhafte externe adverbiale Erweiterung beobachten lässt. Analog zu den beiden slowakischen Kernelementen zu am Anfang wird hier mit zwei unterschiedlichen Äquivalenzmustern gearbeitet. Erweiterungsmuster 1 (SK): [ADV|ADJ na|zo začiatku] I. Äquivalenz-Muster: [ADV na začiatku] Typische Füller für den Adverb-Slot [ADV na začiatku]: hneď (gleich), úplne (völlig), celkom (ganz), najneskôr (spätestens), opäť (wieder), zároveň (zugleich), priamo (direkt), zvyčajne (gewöhnlich), obvykle (gewöhnlich), väčšinou (meistens), vyslovene (ausdrücklich), tradične (traditionell), obyčajne (gewöhnlich), tesne (knapp), spravidla (meistens, in der Regel) Beleg: Spomenula som si, že to bolo úplne na začiatku nášho vzťahu a Nina o nás vtedy ešte nevedela. (Gillerová, Katarína Ak mi uveríš. Bratislava: Slovenský spisovateľ 2013) Eine musterbasierte Fallstudie im Sprachvergleich 329 Erweiterungsmuster 1 (SK): [ADV|ADJ na|zo začiatku] II. Äquivalenz-Muster: [ADV zo začiatku] Typische Adverb-Satelliten [ADV zo|Zo začiatku] hneď (gleich), hlavne (besonders), prevážne (überwiegend), minimálne (minimal), teraz (jetzt), zhruba (ungefähr, etwa), zvlášť (besonders), úplne (völlig) Belege: Spomínam to preto, lebo určite minimálne zo začiatku zápasu bolo badať že večerné tancovanie regenerácii veľmi nepomohlo. (http: / / branki-ultimatefris bee.blogspot.sk/ 2010_02_01_archive.html) tab. 8: SK: lexikalisches erweiterungsmuster: [adV zo/ na začiatku] Ein weiteres für am Anfang im Korpus zu beobachtendes, rekurrentes Erweiterungsmuster ist [Am Anfang war X] (= Erweiterungsmuster 2). Dabei handelt es sich streng genommen um eine Kombination aus einer extern erweiterten Variante und Musterhaftigkeit (vgl. Kap. 1.2). Die Auswertung der unbearbeiteten automatischen Lückenfüllertabellen zeigt für das Deutsche drei rekurrente ‘Typen’ von Füllern; auf dieser Basis lassen sich bottom-up drei Submuster ansetzen: 1. [Am Anfang war DET N] (= Erweiterungsmuster 2.1); 2. [Am Anfang war N] (= Erweiterungsmuster 2.2); 3. [Am Anfang war SYNTAGMA] (= Erweiterungsmuster 2.3). Sprachvergleichend zeigen sich hier einige - auch einzelsprachengrammatisch bedingte - Divergenzen: Das Erweiterungsmuster 2.1 ist nur für das Deutsche relevant; das Fehlen dieses auf die Bibel zurückgehenden Musters im Slowakischen ist insofern erwartbar, als im Slowakischen kein Artikel vor dem Nomen steht (vgl. aber [Am Anfang war N]). Für die biblische Realisierung Am Anfang war das Wort (vgl. Kap. 2.4) steht im Slowakischen obligatorisch ein besonderes, stilistisch gehobenes Äquivalent Na počiatku bolo slovo. Im Spanischen sind Bibelzitate nicht so geläufig und produktiv wie im Deutschen, was mit der durch den Katholizismus bedingten Tradierung der Bibel in lateinischer Sprache (Vulgata), und nicht auf Spanisch, zusammenhängt (vgl. Mellado Blanco 2007). Erweiterungsmuster 2.1: [Am Anfang war DET N] z.B. Am Anfang war {das Wort/ das Feuer/ das Licht/ das Wasser/ die Wut/ die Begeisterung/ …} Das zweite Submuster zum übergeordneten Muster [Am Anfang war X] ist durch die Besetzung des X-Slots durch ein artikelloses Nomen charakterisiert. Katrin Hein/ Peter Ďurčo/ Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 330 Erweiterungsmuster 2.2: [Am Anfang war N] z.B. Am Anfang war {Erziehung/ Party/ Fußball/ Verzweiflung/ …} Kommentar: Die artikellose Variante ist im Korpus deutlich seltener als die Variante mit Artikel (siehe Erweiterungsmuster 2.1) Für das Slowakische liegt ein äquivalentes Erweiterungsmuster vor, während für das Spanische ein ganz anderer rekurrenter Typ von rechter Erweiterung vorliegt: prototypisch ist hier die adjektivische Füllung des X-Slots (siehe Tab. 9.1). Das dritte Submuster zum allgemeineren Erweiterungsmuster [am Anfang war X] ist durch die Rechtserweiterung anhand eines Syntagmas charakterisiert. Der Ausschnitt aus der Lückenfüllertabelle zeigt, dass Syntagmen unterschiedlichster Art in den X-Slot insertiert werden können. Erweiterungsmuster 2.2: [Am Anfang war N] SLOWAKISCH SPANISCH I. Äquivalenz-Muster: [Na|na začiatku bol N] typische Füller für den N-Slot myšlienka (Gedanke), slovo (Wort), nápad (Idee), túžba (Sehnsucht), sen (Traum), snaha (Bemühung), idea (Idee), rozhodnutie (Entscheidung), nadšenie (Begeisterung), predstava (Vorstellung), otázka (Frage), kniha (Buch), problém (Problem), príbeh (Geschichte), obavy (Befürchtungen), ponuka (Angebot), chuť (Lust), plán (Plan), láska (Liebe) Beleg: Na začiatku bola myšlienka, že futbal je najobľúbenejšia športová hra na celom svete a mnohí špičkoví futbalisti sú černosi či mulati. (http: / / rnl.sk/ modules.php? na me=News&file=article&sid=3258) Dieses Muster hat im Spanischen keine Relevanz. Das frequente Muster mit rechter Erweiterung ist: [Al principio fue ADJ …]. Das Adjektiv ist vorwiegend negativ konnotiert (duro, difícil, complicado). Oft wird das Muster durch das adversative Korrelat pero (aber) rechts erweitert. Beleg: Al principio fue duro, pero dice Sonia que “Lo mucho o poco que soy se lo debo a Londres. Esa etapa de ocho años (del 1997 al 2004) en Londres fue dura porque nadie me conocía”. (http: / / perso.wanadoo.es/ oleole2004/ sonia/ prensa07.htm) II. Äquivalenz-Muster [Zo|zo začiatku bol N] typische Füller für den N-Slot problém (Problem), zápas (Wettkampf), stretnutie (Treffen), účasť (Teilnahme), záujem (Interesse) Eine musterbasierte Fallstudie im Sprachvergleich 331 Erweiterungsmuster 2.2: [Am Anfang war N] SLOWAKISCH SPANISCH Beleg: Števo je veľmi živý, hyperaktívny a mentálne postihnutý. Zo začiatku boli problémy, ale rodina sa s tým rýchlo vysporiadala a láskavý prístup všetkých mu veľmi pomohlo, čo sa ukázalo aj na výsledkoch v škole. (http: / / nadaciajt.sk/ 3007-28744.html) tab. 9.1: erweiterungsmuster [Am Anfang war N] Erweiterungsmuster 2.3: [Am Anfang war SYNTAGMA] Die erweiterte lexikalische Variante Am Anfang war wird häufig als Satzeinleitung verwendet. X wird hier nicht von einem Nomen bzw. einer Nominalphrase besetzt, sondern von Syntagmen unterschiedlichster Art, z.B. Am Anfang war {alles nur einfach eine verrückte Idee/ es zwar eine Umstellung aber mittlerweile/ alles noch ungewohnt}. Dies illustriert die folgende Tabelle: Füller zur Suchanfrage "am|Am Anfang war #+", Feld 5 Tag-Kombination AND(SYNTAGMA) 15 unterschiedliche Füller Lückenfüller Anzahl Prozentanteil Tag alles nur einfach eine verrückte Idee 2 0,41 [SYNTAGMA] es war eine Umstellung aber mittlerweile 2 0,41 [SYNTAGMA] Anna Danihel gegen die Beziehung ihrer Sandra 1 0,20 [SYNTAGMA] Carolin Heldmann auch nicht ganz sicher ob 1 0,20 [SYNTAGMA] Herr Stöckli eher zurückhaltend gegenüber 1 0,20 [SYNTAGMA] Jörg der Denker ich der Handlanger sagt 1 0,20 [SYNTAGMA] Sven Kamin ein Theoretiker Poetry Slams waren 1 0,20 [SYNTAGMA] Wulkowa sehr sauer auf mich weil ich auch 1 0,20 [SYNTAGMA] alles in bester Ordnung meint der 1 0,20 [SYNTAGMA] alles noch gut aber ich sollte eines Besseren 1 0,20 [SYNTAGMA] alles schön und gut sagte gestern eine 1 0,20 [SYNTAGMA] alles ungewohnt manchmal auch hart räumt 1 0,20 [SYNTAGMA] da eine Schnapsidee die alles durcheinander 1 0,20 [SYNTAGMA] die Atmosphäre außerordentlich kühl 1 0,20 [SYNTAGMA] dieser fehlende Fokus eher hinderlich für den 1 0,20 [SYNTAGMA] Datei erstellt mit lexpan © Projektgruppe "Usuelle Wortverbindungen", IDS Mannheim Basiert auf KWIC-Zeilen extrahiert mit COSMAS II (http: / / www.ids-mannheim.de/ cosmas2) Auch dieses Submuster ist nur für das Sprachpaar Deutsch-Slowakisch zu beobachten, während es im Spanischen keine Relevanz hat. Tabelle 9.2 zeigt das äquivalente Erweiterungsmuster im Slowakischen. Katrin Hein/ Peter Ďurčo/ Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 332 Erweiterungsmuster 2.3: [Am Anfang war SYNTAGMA] SLOWAKISCH I. Äquivalenz-Muster: [Na začiatku bol SYNTAGMA] Kommentar: Die erweiterte lexikalische Variante [Na začiatku bol SYNTAGMA] wird auch im Slowakischen häufig als Satzeinleitung verwendet. Obwohl X als Syntagma hier nicht nur von einem Nomen bzw. einer Nominalphrase besetzt wird, lassen sich in den Syntagmen typische Nomina beobachten: Typische Nomina für [Na začiatku bol SYNTAGMA]: slovo (Wort), myšlienka (Gedanke), sen (Traum), náhoda (Zufall), nápad (Idee), poníženie (Erniedrigung), túžba (Sehnsucht), tma (Dunkelheit), príbeh (Geschichte), mýtus (Mythos), list (Brief), snaha (Bemühung), svetlo (Licht), nadšenie (Begeisterung), vtip (Witz) Beleg: Zo širokej palety významov sa jasne vynímajú tri základné pravdy kresťanského svetonázoru: na začiatku bola duchovná Bytosť osobnej povahy. (Hlinka, Anton: Ozvena slova 2, 1996) tab. 9.2: erweiterungsmuster [Am Anfang war SyntaGma] Neben den vorstehend illustrierten, externen lexikalischen Erweiterungsmustern [X am Anfang] und [Am Anfang war X] wurde ein sprachübergreifendes Muster (= Erweiterungsmuster 3) herausgearbeitet, in dem am Anfang - anders als in den beiden anderen Mustern - sowohl seine Binarität als auch seine adverbiale Funktion verliert: Erweiterungsmuster 3: [Am Anfang der|des N] z.B. am Anfang {des Jahres/ des Filmes/ des Artikels/ des Dorfes/ …} Kommentar 1: Diese Variante der PWV ist nicht binär, sondern benötigt eine genitivische Erweiterung. Kommentar 2: Diese Variante der PWV hat keine adverbiale Funktion, sondern bestimmt ein Nomen näher. In dieser durch einen Genitiv erweiterten Variante kann am Anfang, und dies ebenfalls in allen drei Sprachen, statt mit temporaler Bedeutung auch mit einer lokalen Bedeutung verwendet werden. Die letztgenannte Beobachtung lässt sich an der nachstehenden Gegenüberstellung annotierter Lückenfüllertabellen für das Deutsche veranschaulichen (siehe Abb. 2 und 3). Tabelle 10 zeigt die äquivalenten Erweiterungsmuster im Spanischen und Slowakischen. Eine musterbasierte Fallstudie im Sprachvergleich 333 Füller-Tabelle Die Suchanfrage erfasst 1900 KWICs. Füller zur Suchanfrage "am|Am Anfang der|des #", Feld 5 Tag-Kombination AND(temporal) 12 unterschiedliche Füller Füller-Tabelle Die Suchanfrage erfasst 1900 KWICs. Füller zur Suchanfrage "am|Am Anfang der|des #", Feld 5 Tag-Kombination AND(lokal) 12 unterschiedliche Füller Lückenfüller Anzahl Prozentanteil Tag Lückenfüller Anzahl Prozentanteil Tag Saison 69 3,63 [temporal] Straße 11 0,58 [lokal] Jahres 60 3,16 [temporal] Rundgangs 6 0,32 [lokal] Woche 30 1,58 [temporal] Seite 6 0,32 [lokal] Jahrhunderts 17 0,89 [temporal] Brücke 3 0,16 [lokal] Abends 11 0,58 [temporal] Fußgängerzone 3 0,16 [lokal] Schuljahres 11 0,58 [temporal] Stadt 2 0,11 [lokal] Monats 9 0,47 [temporal] Anfangs 1 0,05 [lokal] Krieges 8 0,42 [temporal] Baustelle 1 0,05 [lokal] Lebens 7 0,37 [temporal] Einkaufsstraße 1 0,05 [lokal] Spiels 7 0,37 [temporal] Ortsdurchfahrt 1 0,05 [lokal] Studiums 6 0,32 [temporal] Radweges 1 0,05 [lokal] 1970er-Jahre 1 0,05 [temporal] Reiseführers 1 0,05 [lokal] Datei erstellt mit lexpan © Projektgruppe "Usuelle Wortverbindungen", IDS Mannheim Basiert auf KWIC-Zeilen extrahiert mit COSMAS II (http: / / www.ids-mannheim.de/ cosmas2) Datei erstellt mit lexpan © Projektgruppe "Usuelle Wortverbindungen", IDS Mannheim Basiert auf KWIC-Zeilen extrahiert mit COSMAS II (http: / / www.ids-mannheim.de/ cosmas2) Abb. 2 - 3: N - Slot (temporale und lokale Bedeutung) Erweiterungsmuster 3: [Am Anfang der|des N] SLOWAKISCH SPANISCH I. Äquivalenz-Muster: [Na|na začiatku N im Genitiv] Typische Füller für den N-Slot (temporale Bedeutung): rok (Jahr), sezóna (Saisson), týždeň (Woche), leto (Sommer), hra (Spiel), september, mesiac (Monat), kariéra, jún, vojna (Krieg), stretnutie (Treffen), júl, vzťah (Beziehung), marec (März), december, október, november, máj, február, liečba (Kur), apríl, august, storočie (Jahrhundert), film, tehotenstvo (Schwangerschaft), jar (Frühling), január, súťaž (Wettbewerb), deň (Tag), proces, jeseň (Herbst), týždeň (Woche), príprava (Vorbereitung) Typische Füller für den N-Slot (lokale Bedeutung): obec (Dorf), cesta (Straße), článok (Artikel), kniha (Buch) Äquivalenz-Muster [Al|al principio de DET N] Diese Variante der PWV ist nicht binär, sondern benötigt eine Präpositionalphrase. Diese Variante der PWV hat keine adverbiale Funktion, sondern bestimmt ein Nomen näher. Sie wird oft mit Substantiven, die Ereignisse/ Handlungen mit einer bestimmten Dauer bezeichnen („sustantivos eventivos“), oder mit Substantiven mit lokaler Bedeutung verwendet. Typische Füller für den N-Slot (Nomina, die eine Zeiteinheit darstellen): temporada (Zeit), década (Dekade), año (Jahr), años (Jahre), tiempos (Zeiten), era (Ära), semana (Woche), noche (Nacht), primavera (Frühling), curso (Studienjahr) Katrin Hein/ Peter Ďurčo/ Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 334 Erweiterungsmuster 3: [Am Anfang der|des N] SLOWAKISCH SPANISCH II. Äquivalenz-Muster: [Zo|zo začiatku N] Typische Füller für den N-Slot (temporale Bedeutung): rok (Jahr), sezóna (Saisson), storočie (Jahrhundert), týždeň (Woche), február, september, marec (März), mesiac (Monat), april, november, jún, júl, december, október, zápas (Wettkampf), máj, január, súťaž (Wettbewerb), leto (Sommer), stretnutie (Treffen), hra (Spiel), predaj (Verkauf), film, tisícročie (Jahrtausend), deň (Tag) Typische Füller für den N-Slot (lokale Bedeutung): text, článok (Artikel) Typische Füller für den N-Slot (Ereignisse/ Handlungen mit einer bestimmten Dauer): intervención (Eingriff), carrera (Lauf), película (Film), legislatura (Legislatur), historia (Geschichte), campaña (Kampagne), sesión (Sitzung), crisis (Krise), guerra (Krieg), vida (Leben), partida (Spiel), serie (Serie) Typische Füller für den N-Slot (lokale Bedeutung): página (Seite), obra (Werk), novela (Roman), línea (Zeile), entrada (Eingang) tab. 10: lexikalisches erweiterungsmuster [Am Anfang der/ des N] Vorstehend wurden drei unterschiedliche lexikalische Erweiterungsmuster von am Anfang skizziert. Darüber hinaus wird mit am Anfang stehen auch eine externe Erweiterungsvariante dokumentiert - wie bereits erwähnt (vgl. Kap. 1.2), sind konkrete Varianten in unserem Modell von abstrakten Erweiterungsmustern (mit abstrakt definierten Leerstellen) zu unterscheiden. Bei dem Funktionsverbgefüge am Anfang stehen handelt es sich nicht um ein Muster, sondern um eine konkrete lexikalische Realisierung, für die aufgrund ihrer Häufigkeit und Festigkeit ein Lexemstatus angenommen werden kann. Erweiterungsvariante: am Anfang stehen Diese extern erweiterte Variante der PWV ist kein Adverbiale, sondern ein Funktionsverbgefüge. Diese Variante der Wortverbindung findet sich ebenfalls in den Kontrastsprachen Spanisch und Slowakisch (vgl. Tab. 11). Die Notwendigkeit von Kommentaren zu Aspekten des Gebrauchs ohne Bezug zum Deutschen zeigt sich eindrücklich bei unserem Beispiel, hier im Bereich der lexikalischen Varianz: Für am Anfang gibt es sowohl für das Spanische als auch für das Slowakische eine distinktive Musterangabe, die weder auf das Eine musterbasierte Fallstudie im Sprachvergleich 335 Deutsche noch auf die jeweils andere der beiden Kontrastsprachen zutrifft. Für das Spanische liegen weitere musterhaft auftretende externe Erweiterungen vor (siehe Tab. 12.1), für das Slowakische hingegen besteht als einzige der drei hier fokussierten Sprachen auch die Möglichkeit zu einer internen Erweiterung der PWV (siehe Tab. 12.2). Externe Erweiterungsvariante: am Anfang stehen SLOWAKISCH SPANISCH Variante: stáť + na začiatku Typische Nomina [stáť + na začiatku + N]: temporal: rozhodnutie (Entscheidung), akcia (Aktion), rok (Jahr), kariéra (Karriere), proces (Prozess), obdobie (Periode), vojna (Krieg), vývoj (Entwicklung), vznik (Entstehung), kríza (Krise), otázka (Frage), názor (Meinung), introspekcia (Introspektion), myšlienka (Gedanke), nápad (Idee), človek (Mensch), sebareflexia (Selbstreflexion) lokal: cesta (Straße, Weg), veta (Satz), rad (Reihe), obec (Gemeinde), most (Brücke), názov (Name), dedina (Dorf) Variante: estar + al principio Subvarianten: no estar más que al principio (de algo)/ estar (tan) solo al principio (de algo)/ estar todavía al principio (de algo) (erst am Anfang (von etw.) stehen/ sein) Diese Variante korreliert mit dem GA 3. Beleg: “Estamos al principio y no tenemos que desesperarnos. Quedan todavía muchos partidos.” (http: / / fcbarcelona.es/ web/ castellano/ noticies/ futbol/ temporada 07-08/ 08/ n070826100795.html) tab. 11: erweiterungsvariante am Anfang stehen Weitere Kommentare zu „Lexikalischer Varianz“ ohne Bezug zum Deutschen (1) Externe Erweiterungsmuster im Spanischen 1) Erweiterungsmuster: [Como V KOMMUNIKATION.1.Person/ Vergangenheit al principio], [Wie am Anfang schon V KOMMUNIKATION ], das in direkter Beziehung mit dem GA 5 steht. Verwendung in direkter Rede und in der Vergangenheit, oft in der 1. Person. Es dient zur Bestätigung von einem bereits formulierten Argument. Typische Kommunikationsverben des Musters: decir (sagen), comentar (erzählen, kommentieren), aludir (hindeuten), indicar (hinweisen) 2) Erweiterungsmuster [lo que al principio […] (das was am Anfang), después (anschließend)/ al final (schließlich, am Ende)/ luego (dann) V Zustandsveränderung ]. Die beschriebene Entwicklung ist in diesem Fall vorwiegend negativ. tab. 12.1: lexikalisches erweiterungsmuster im Spanischen (ohne Bezug zum deutschen) Katrin Hein/ Peter Ďurčo/ Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 336 Weitere Kommentare zu „Lexikalischer Varianz“ ohne Bezug zum Deutschen (2) Slowakisch: Internes Erweiterungsmuster: [na|zo X začiatku] Muster 1: [na X začiatku] (am X Anfang) Kommentar: Im Slowakischen existiert die interne Erweiterung der PWV: [na X začiatku]. Die Slot- Stelle wird von Possessivpronomina und Adjektiven besetzt. Typische Adjektive für die Slot-Besetzung: úplný (völlig), samotný (eigentlich), absolútny (absolut), slávnostný (feierlich), presný (genau), oficiálny (offiziell), dobrý (gut), skutočný (tatsächlich), ďalší (nächst), sľubný (vielversprechend), samý (eigentlich), samučičký (eigentlich - diminutivisch), roľnícky (bäuerlich), pomyselný (imaginär), chabý (schwach), ťažký (schwer), tvorivý (schöpferisch), totálny (total), skorší (früher), neskorší (später) Muster 2: [zo X začiatku] (am X Anfang) Kommentar: Im Slowakischen existiert die interne Erweiterung der PWV: [zo X začiatku]. Die Slot- Stelle wird von Possessivpronomina und Adjektiven besetzt. Typische Adjektive: nový (neu), úplný (völlig), samý (eigentlich), zlý (schlecht), úspešný (erfolgreich), nevydarený (ungelungen), dobrý (gut), slabší (schwächer), spoločný (gemeinsam), samotný (eigentlich), vydarený (gelungen), prichádzajúci (kommend), pekný (schön), jednoduchý (einfach), beznádejný (hoffnungslos), pomalý (langsam), nezvyčajný (merkwürdig) tab. 12.2: lexikalisches erweiterungsmuster im Slowakischen (ohne Bezug zum deutschen) 2.3 Kontrastive Beschreibung von Besonderheiten im Satzzusammenhang Ein auffälliges sprachliches Kontextphänomen in der Satzumgebung von am Anfang stellt die Kombination mit Verben in der Vergangenheitsform dar. Im Unterschied zu den Varianten/ Erweiterungsmustern (siehe Kap. 2.2) sind die hier erfassten Rekurrenzen strukturell nicht festgelegt bzw. nicht zu vereinheitlichen. Analog zum Deutschen fällt für die äquivalenten PWVs im Slowakischen und Spanischen ebenfalls die häufige Verwendung mit Verben in der Vergangenheitsform auf (siehe Tab. 13). am Anfang - Besonderheiten im Satzzusammenhang Die PWV wird sehr häufig mit Verben in der Vergangenheitsform (Präteritum) verwendet. Eine musterbasierte Fallstudie im Sprachvergleich 337 KWIC-Beispiele: «Am Anfang dachten die Kunden, es handle sich um einen türkischen Laden.» Wegen der Keramikwaren und Kunstblumen. (DeReKo: St. Galler Tagblatt, 25.11.1997) Nicht nur die Zahl der Hilfesuchenden ist über die Jahre gewachsen, auch das Aufgabenspektrum. „Am Anfang ging es darum, Menschen eine warme Mahlzeit anzubieten“, erzählt Blankenburg. „Heute machen wir vielfältige Angebote [...]. (DeReKo: Braunschweiger Zeitung, 1.2.2013) Heute schaut der Pensionär auf eine fast 30-jährige Karriere als Stimmenzähler der Politischen Gemeinde Au zurück. «Am Anfang hatte ich schon ein wenig Herzklopfen», gibt Kästli zu. Er wollte möglichst keinen Fehler machen, damit das Resultat nicht verfälscht würde. (DeReKo: St. Galler Tagblatt, 6.9.2001) Besonderheiten im Satzzusammenhang SLOWAKISCH SPANISCH Die PWV wird im Slowakischen sehr häufig mit Verben in der Vergangenheitsform verwendet. Typische Verben in der Vergangenheitsform: povedať (sagen), mať (haben), zdať sa (scheinen), spomínať (sich erinnern - trnas.), spomenúť (sich erinnern - intrans.), vyzerať (aussehen), hovoriť (erzählen), napísať (aufschreiben), stáť (stehen), myslieť (denken), upozorniť (hinweisen), zdôrazniť (betonen), tvrdiť (behaupten) Belege: Tak ako som Ti na začiatku povedal, rozhodnúť sa treba slobodne, pretože len Ty nesieš zodpovednosť za svoj život. (http: / vpriatelskomduchu.sk/ forum. php? str=1) Ako som už na začiatku spomínal, nie je ľahké presne odhadnúť časovú náročnosť zákazky. (http: / / freelancing.sk/ blog/ casovy-odhad-zakazky) Die PWV wird häufig in der Vergangenheitsform verwendet, denn man erzählt normalerweise über den Anfang von einem Zustand oder einer Entwicklung in der Vergangenheit. Diese Besonderheit korreliert mit dem GA 1. Typische Verben in der Vergangenheitsform: decir (sagen), parecer (aussehen, erscheinen), pensar (denken), costar (kosten), gustar (gefallen), comentar (kommentieren), dar (geben), creer (glauben), ir (gehen), estar (stehen, sein) Belege: Al principio pensé que se trataba de un error, pero no era así. (http: / / beautyblog. es/ bloggers-de-belleza) Al principio todo parecía un juego, una broma, pero nos íbamos involucrando e integrando más y al final realmente nos lo creímos. (http: / / doeua.es/ master/ pymes/ ? page_id=130) tab. 13: Besonderheiten im Satzzusammenhang Katrin Hein/ Peter Ďurčo/ Carmen Mellado Blanco/ Kathrin Steyer 338 Verwandte Wortverbindungen und Wortverbindungsmuster SLOWAKISCH SPANISCH Die verwandten äquivalenten Wortverbindungen und Wortverbindungsmuster haben manchmal eine besondere Form. Vernetzung: Na počiatku bolo slovo. (bibl.) Belege: Na počiatku bolo Slovo a Slovo bolo u Boha a to Slovo bolo Boh. Ono bolo na počiatku u Boha. Všetko povstalo skrze neho a bez neho nepovstalo nič z toho, čo povstalo. Literárny týždenník. (Časopis Spolku slovenských spisovateľov. Bratislava: Slovenský spisovateľ, 2000, roč. 13, č. 6) Kommentar: Das Äquivalent für die Verwendung von Am Anfang im biblischen Kontext hat eine spezifische Form: „Na počiatku“; diese Form ist in anderen Kontexten stilistisch nicht neutral. Es handelt sich entweder um eine formelle oder gehobene Ausdrucksweise. Beleg: Samozrejme, nemôžeme zovšeobecňovať, že všetky nové technológie, ktorými sa obklopujeme, skrsli v hlave nejakého spisovateľa alebo vizionára. Ako sa traduje: Na počiatku bolo slovo. Človek bez kreatívneho, nekonvenčného myslenia nemôže byť ani úspešným vedcom, vynálezcom. (Hospodárske noviny 08/ 03) 1. Vernetzung: In der Bibel lautet es ursprünglich En el principio era el Verbo/ la Palabra, heute findet man in den Korpora die biblische Stelle auch unter Al principio fue el Verbo/ la Palabra. Belege: Así comienza el prólogo del Evangelio de San Juan: „En el principio era el logos (la palabra o razón) y el logos era Dios“. En este sentido, Dios es la respuesta al problema radical que se habían planteado los filósofos griegos: la cuestión del principio y del sentido. (http: / / agea.org. es/ 20060925 489/ la-ampliacion-de-larazon.html) En la tradición occidental, de raíz judeocristiana, al mito bíblico - Al principio fue la palabra - se le suma el idealismo racionalista, que da lugar a una suerte de mito de la palabra como encarnación de la Razón teórica […]. (http: / / artesescenicas.uclm. es/ index.php? sec=texto&id=183) [Bibelstelle: En el principio era el Verbo] 2. Quasi-synonyme Bedeutung mit en un principio/ de principio Belege: En un principio, el juego no tuvo demasiado éxito, sin embargo se hizo muy conocido por otro aspecto. (http: / / scifiworld.es/ scifi_foro2/ viewtopic.php? p=74323) De principio, es difícil prever las consecuencias que podría tener la venta de las centrales térmicas de Escucha y Escatrón, por parte de Endesa, a un tercero, por cuanto ello siempre supone un difícil ejercicio de predicción. (http: / / bases.cortesaragon.es/ bases/ boca2.nsf/ (D)/ BA57C50FE5CA432 3C1256B 4C002A7507? OpenDocument) tab. 14: Vernetzung mit anderen lexemen Eine musterbasierte Fallstudie im Sprachvergleich 339 2.4 Kontrastive Beschreibung von Vernetzungen mit anderen Lexemen Ein weiterer Beschreibungsaspekt, der vor allem in Bezug auf die Verortung der zu beschreibenden PWV im Lexikon der jeweiligen Sprache von Interesse ist, sind Vernetzungen zu anderen PWVs oder zu sonstigen Wortschatzeinheiten. am Anfang - Verwandte Wortverbindungen und Wortverbindungsmuster: Am Anfang war das Wort. Am Anfang war das Wort, heißt es in der Bibel. (DeReKo: Die Presse, 26.1.2013, S. 34) Kommentar: In der Bibel lautet es ursprünglich Im Anfang war das Wort. Dieser „biblische Bezug“ gilt auch für die PWVs der beiden Kontrastsprachen und wird in Tabelle 14 entsprechend dokumentiert. Für das Spanische wird hier außerdem auf zwei Wortverbindungen mit quasi synonymer Bedeutung verwiesen. 3. Fazit Am Beispiel der kontrastiven Beschreibung der deutschen PWV am Anfang und ihrer spanischen und slowakischen Äquivalente wurde vorstehend gezeigt, dass sich das UWV-Modell (vgl. Steyer 2013) gleichermaßen auch auf andere Sprachen (als das Deutsche) anwenden lässt. Dabei kommt dem erstmals durchgeführten interlingualen Vergleich von Lückenfüllertabellen und Kookkurrenzprofilen eine zentrale Rolle bei der Identifizierung und Beschreibung der usuellen Bedeutung, von Gebrauchsmerkmalen und von Musterhaftigkeit zu. Es wurde mehr als deutlich, dass konvergente Phänomene, wie beispielsweise die häufige Korrelation von am Anfang mit Verben in der Vergangenheitsform, oder Divergenzen wie das Fehlen des Erweiterungsmusters [Am Anfang war DET N] im Slowakischen und Spanischen, auf ganz unterschiedlichen (Sub-) Ebenen nachweisbar sind. Solche Feinheiten können nur mithilfe des vorgestellten induktiven Vorgehens bottom-up erfasst werden. Die so mögliche Kontrastierung des distinktiven Gebrauchs von Lexemen in unterschiedlichen Sprachen auf der Basis authentischer Sprachdaten ermöglicht gerade Lernern auf einem bereits vorhandenen hohen Sprachniveau, ihre Fähigkeiten zur situativ angemessenen Kommunikation auszubauen. Abkürzungsverzeichnis ADJ Adjektiv ADV Adverb AS Ausgangssprache CII COSMAS II CII-Q COSMAS II - Suchanfrage CA SketchEngine Collocation Analysis DE Deutsch DeReKo Deutsches Referenzkorpus DET Determinier (Artikelwort) ES Spanisch GA Gebrauchsaspekt KA IDS-Kookkurrenzanalyse KxG Konstruktionsgrammatik INTERPRON Interrogativpronomen LE-Muster Lexikalische Erweiterungsmuster lexpan Lexical Pattern Analyzer N Nomen NP Nominalphrase P Präposition POSSPRON Possessivpronomen PP Präpositionalphrase PREPCON Präposition-Nomen-Verbindungen im Kontext PWV Präpositionale Wortverbindung Q Query (Korpussuchanfrage) SK Slowakisch Abkürzungsverzeichnis 342 SkE Sketch Engine SYN Synomym UWV Usuelle Wortverbindung V Verb VK Vorkommen XP Slot (besetzt durch Wörter oder Phrasen) ZS Zielsprache Literatur Augustin, Hagen (2018): Verschmelzung von Präposition und Artikel. Eine kontrastive Analyse zum Deutschen und Italienischen. (= Konvergenz und Divergenz 6). Berlin u.a. 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ISBN 978-3-8233-8216-4 Dieser Band befasst sich aus unterschiedlichen theoretischen und empirischen Perspektiven mit sprachlicher Verfestigung an der Schnittstelle von Phraseologie und Konstruktionsgrammatik, wobei primär lexikalische Musterhaftigkeit im Mittelpunkt steht. Kennzeichnend für alle Beiträge ist eine starke korpusempirische Ausrichtung, die es ermöglicht, funktional verfestigte Sprachmuster und Phrasem-Konstruktionen auf der Basis sprachlicher Massendaten zu rekonstruieren und zu beschreiben. Die Untersuchungen liefern sowohl Impulse für eine neue musterbasierte Phraseologie- und Lexikontheorie als auch für die Weiterentwicklung gebrauchsbasierter konstruktionsgrammatischer Ansätze. Anhand zahlreicher Fallstudien werden darüber hinaus Vorschläge unterbreitet, wie diese Forschungen für den Sprachvergleich und die Fremdsprachenperspektive fruchtbar gemacht werden können.