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Kontextsensibler Fremdsprachenunterricht

2019
978-3-8233-9242-2
Gunter Narr Verlag 
David Gerlach
Eynar Leupold

Methodenwissen allein reicht nicht aus, qualitativ hochwertigen Fremdsprachenunterricht anzubieten. Erfolgreiches Lehren und Lernen hat seinen Ausgangspunkt im Erkennen und der Reflexion des Zusammenspiels verschiedener Ebenen und Faktoren. Zu diesem Bündel kontextueller, personeller und sachlicher Faktoren gehören die Lehrkraft und die Lernenden selbst sowie eine Vielzahl von externen Gegebenheiten und aktuellen Anforderungen. Nur wenn die Lehrkraft sich dieses Kontextes bewusst wird und ihn bei der Unterrichtsplanung und -durchführung einbezieht, entsteht gemeinsames Lernen und Lehren, das langfristig zu Erfolg und Zufriedenheit führt und das gleichzeitig auch den Bildungsansprüchen eines modernen Fremdsprachenunterrichts gerecht wird. Das Buch bietet einen Zugang zu einer Kontextsensibilität, die hilft, methodisch-didaktisch begründete Entscheidungen reflektiert zu treffen und die Interaktion im Klassenraum zu einer immer wieder neu zu konzipierenden und erlebten Erfahrung zu machen.

Methodenwissen allein reicht nicht aus, um qualitativ hochwertigen Fremdsprachenunterricht anzubieten. Erfolgreiches Lehren und Lernen hat seinen Ausgangspunkt im Erkennen und der Reflexion des Zusammenspiels verschiedener Ebenen und Faktoren. Zu diesem Bündel kontextueller, personeller und sachlicher Faktoren gehören die Lehrkraft und die Lernenden selbst sowie eine Vielzahl von externen Gegebenheiten und aktuellen Anforderungen. Nur wenn die Lehrkraft sich dieses Kontextes bewusst wird und ihn bei der Unterrichtsplanung und -durchführung einbezieht, entsteht gemeinsames Lernen und Lehren, das langfristig zu Erfolg und Zufriedenheit führt und das gleichzeitig auch den Bildungsansprüchen eines modernen Fremdsprachenunterrichts gerecht wird. Das Buch bietet einen Zugang zu einer Kontextsensibilität, die hilft, methodisch-didaktisch begründete Entscheidungen reflektiert zu treffen und die Interaktion im Klassenraum zu einer immer wieder neu zu konzipierenden und erlebten Erfahrung zu machen. Kontextsensibler Fremdsprachenunterricht leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Professionalisierung von (angehenden) Fremdsprachenlehrpersonen. ISBN 978-3-8233-8242-3 Gerlach/ Leupold Kontextsensibler Fremdsprachenunterricht Kontextsensibler Fremdsprachenunterricht David Gerlach/ Eynar Leupold Kontextsensibler Fremdsprachenunterricht David Gerlach, Eynar Leupold Kontextsensibler Fremdsprachenunterricht Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG · Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: pagina GmbH, Tübingen CPI books GmbH, Leck ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-9242-2 Zu diesem Titel finden Sie vertiefendes Online-Material unter www.meta.narr.de/ 9783823382423/ Gerlach_Leupold_Kontextsensibler_Fremdsprachenunterricht.zip 5 Inhalt Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1 Schulischer Fremdsprachenunterricht heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.1 Institutionelle Merkmale fremdsprachlichen Lehrens und Lernens 10 Bildungsstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Lehrpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Weitere Merkmale institutionellen Fremdsprachenunterrichts . . . . . . . . . . . . . . 12 1.2 Qualitätsmerkmale von (Fremdsprachen-)Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Allgemeinpädagogische Qualitätsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Fremdsprachendidaktische Qualitätsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Bildungspotenzial des Fremdsprachenunterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1.3 Gestaltungsmerkmale der Lehr-/ Lernkultur im Fremdsprachenunterricht . . . . 17 Traditionelle Fremdsprachenlehr-/ -lernmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Von Methoden über Ansätze zu Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Die post-methodische Ära . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2 Bedeutung der Unterrichtskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.1 Definition: Fremdsprachenunterricht als sozial-kulturelle Praxis . . . . . . . . . . . . 27 2.2 Interaktionsebene I: Fachbezogene Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Inhaltliche Dimension am Beispiel „Interkulturelles Lernen“ . . . . . . . . . . . . . . . 29 Lernprozesssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Formen der Rückmeldung und Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.3 Interaktionsebene II : Lernerbezogene Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3 Kontextfaktoren im Fremdsprachenunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.1 Lehrpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3.2 Lernende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Individuelle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Interesse oder Desinteresse für das Fach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Annahmen zum Handeln der Lehrperson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3.3 Eltern und ihre Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3.4 Kolleginnen und Kollegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Teamgeist und / oder Konkurrenzverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Individualität und / oder Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3.5 Räumliche und zeitliche Gegebenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Lernräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Soziokulturelle Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Schulform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Schulkultur/ -programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 6 Inhalt Unterrichtszeit und -abfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3.6 Medien und Lehrwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3.7 Administrative Vorgaben für den Fachunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 4 Fremdsprachenunterrichtliches Handeln: Reflexivität - Adaptivität - Innovation . . . . . . 73 4.1 Reflexivität als Ausgangspunkt für das eigene Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Wissen und Können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Experten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Die (Berufs-)Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Die W-Fragen der Reflexion: Warum? Worüber? Wann? Wie? . . . . . . . . . . . . . . 84 Die sozial-interaktionale Zusatzfrage: Mit wem? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 4.2 Bedeutung von Routinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 4.3 Adaptivität der Lehrkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Merkmale der Adaptivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Professionelle Kompetenzen von Lehrkräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Überzeugungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Berufliche Selbstregulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Anwendungsbereiche adaptiven Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 4.4 Instanzen und Formen von Innovation im Fremdsprachenunterricht . . . . . . . . 98 5 Vom adaptiven Handeln zum innovativen Fremdsprachenunterricht . . . . . . . . . . . . . . 105 5.1 Veränderung im professionellen Selbstverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 5.2 Veränderung im Interaktionsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 5.3 Veränderung in der Unterrichtsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 5.4 Veränderung in der Evaluations- und Feedbackkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 7 Einleitung Als der Sänger Peter Maffay Anfang des Jahres 2018 seine Unplugged-Deutschland-Tournee startete, war dies für viele Journalisten ein Anlass, um ihn, der anfänglich als Softrocker verspottet und mit Tomaten beworfen wurde, nach seinem Erfolgsrezept zu fragen. In einem Interview im Schleswig-Holstein Magazin am 14. 02. 2018 antwortete er wie folgt (https: / / www. youtube.com/ watch? v=csAooals1OI). Er frage sich: Wie geh’ ich mit den Leuten um? Wie hör’ ich in mich hinein? Was steckt in mir drin, wo ich mich fordern kann, so dass jemand Anders das erkennt? Diese Sensibilität, die muss man antrainieren. Das ist Training, wie wahrscheinlich in jedem Beruf auch, wo man einfach die handwerklichen Fähigkeiten als Basis hernimmt, um dann daraus Intuition usw. sprechen zu lassen und zu improvisieren. Improvisieren erst, wenn wir wissen, dass die Basis solide ist. Diese bemerkenswerte Reflexion bietet eine gute Grundlage, um dieses Buch, seine Absicht, seinen Inhalt und seine Struktur einleitend zu skizzieren. Wir als Autoren bringen unser Wissen und unsere Erfahrung ein, um für einen Fremdsprachenunterricht zu plädieren, der nicht schon deshalb guter Unterricht ist, weil er von einer fachlich kompetenten Lehrkraft verantwortet wird und auch deshalb zu guten Ergebnissen auf Seiten der Lernenden führt. Nach unserer Überzeugung ist der Fremdsprachenunterricht eine privilegierte Instanz für einen interaktiven Prozess, der über den Erwerb einer sprachlichen Kompetenz hinaus zu einer nachhaltigen Lernmotivation aller Beteiligten führt. Die Fragen, „wie man mit Leuten umgeht“, welches Selbstkonzept man als Unterrichtende / r hat, was man von sich und Anderen fordern kann, sind Fragen, auf die im Unterrichtsalltag immer wieder neue Antworten gefunden werden müssen. Diese von Peter Maffay angesprochene Sensibilität zeichnet jede Lehrkraft aus. Sie zeigt sich in der bewussten und stets aufs Neue reflektierten Einbeziehung des Kontextes, in dem Unterricht stattfindet. Kontext bezeichnet einerseits personale Faktoren wie den einzelnen Schüler / die einzelne Schülerin und die Lerngruppe insgesamt sowie Kolleginnen / Kollegen und Eltern, andererseits Umgebungsfaktoren wie den Lernraum, die Zeitdimension, das Schulprogramm, das Lernmaterial sowie die Lehrpläne. Eine Lernumgebung kontextsensibel einzurichten bedeutet, diesen Faktoren in der Planung, Gestaltung und Auswertung Rechnung zu tragen. Der kontextsensible Fremdsprachenunterricht zeichnet sich dadurch aus, dass das unterrichtliche Lernangebot auf der Basis einer reflektierten Berücksichtigung der genannten Faktoren motivierend und abwechslungsreich angelegt und angeboten wird. Diese Perspektive auf die Lernumgebung ist insofern neu, als der Kontext beispielsweise auch in der internationalen Forschung zum Fremdsprachenlernen meist nur kulturell unterschiedliche Bildungskontexte (z. B. der britische Englischlehrer, der in Peking unterrichtet, oder die französische Lehrerin, die in Australien Französischunterricht für „Aussies“ durchführt) 1 berücksichtigt, wohingegen unser Ansatz der Faktorenkomplexität innerhalb eines Bildungskontextes Rechnung trägt. 1 Innerhalb des Buches achten wir darauf, entweder sowohl die weibliche oder die männliche, möglichst auch eine neutrale Form zu verwenden, wenn es um geschlechtliche bivalente Begriffe geht. An manchen Stellen, wo es aus Gründen der Lesbarkeit zu komplex werden würde, beide Formen zu berücksichtigen, 8 Einleitung Unsere nachfolgenden Ausführungen sind nicht der Versuch, normativ eine neue Fremdsprachendidaktik zu schreiben, sondern bilden selbst einen Beitrag zur Reflexion und damit auch zur Sensibilisierung der Vielschichtigkeit unterrichtlicher Aktivität im Fremdsprachenunterricht. Wenn dieses Buch zu einer kritischen Diskussion um eine neue Fokussierung des Fremdsprachenunterrichts führen sollte, ist uns dies recht. Aber um es noch einmal deutlich zu sagen: Es geht uns nicht um eine neue Theorie, sondern um die Ermutigung für einen anderen Weg, eine geweitete Perspektive auf Fremdsprachenunterricht und professionelles Handeln seiner Lehrerinnen und Lehrer. Im Mittelpunkt unserer Ausführungen steht die Lehrkraft in den Fremdsprachen Englisch und Französisch, wobei wir vermuten, dass unsere Gedanken auch die Kolleginnen und Kollegen der sprachlichen Fächer, die wir selbst nicht vertreten, wie z. B. Spanisch oder auch Deutsch als Fremdsprache, interessieren könnten. Das Buch ist in Kapitel gegliedert, die zwar in sich geschlossene Abschnitte darstellen, die aber natürlich inhaltlich miteinander in einem Zusammenhang stehen. Wir als Autoren wünschen uns, dass dieses Buch als ein persönliches Arbeitsbuch genutzt wird. Reflexionsaufgaben, Einschübe, die vertiefte, eher theoriegebundene Inhalte unter der Überschrift „Gut zu wissen“ anbieten, sowie Anregungen zum Weiterlesen und vertiefendes Online-Material zum Selbststudium mögen immer wieder zum Lesen anregen, auch wenn die Zeit knapp ist. Schließlich hoffen wir, dass unsere Gedanken auch Eingang in universitäre Praxisseminare, in die Seminarsitzungen in der 2. Phase der Lehrer / innenbildung sowie in Weiterbildungsveranstaltungen finden. Selbst wenn auf dem Titelblatt lediglich die beiden Autorennamen vermerkt sind, von denen das Buch geschrieben wurde, sind doch mehrere Personen gedanklich am Entstehen eines solchen Studienbuches beteiligt. Danken möchten wir daher ganz ausdrücklich unseren Studierenden sowie Lehrerinnen und Lehrern, mit denen wir die in diesem Buch vorgestellten Ansätze diskutiert und ausprobiert haben. Ihre Anregungen, Ideen und Reflexionen haben dazu beigetragen, dass wir uns der Praxisrelevanz des kontextsensiblen Denkens und Arbeitens sicher sein können. Dank gilt auch den studentischen Hilfskräften für Recherche und organisatorische Unterstützung sowie Angelika Gruber (Englischdidaktik Universität Regensburg) für Feedback und Anregungen zu frühen Fassungen des Manuskripts. Wir möchten schließlich dem Narr-Verlag danken, hier insbesondere auch Kathrin Heyng, die unser Buchkonzept voll überzeugt hat und die es dankenswerterweise in die Reihe der Studienbücher aufgenommen hat. Januar 2019 David Gerlach / Eynar Leupold greifen wir auf die männliche zurück, wobei hier ausdrücklich darauf hingewiesen sein soll, dass damit selbstverständlich auch die weiblichen Lehrpersonen, Lernenden oder andere Beteiligte gemeint sind. 9 1 Schulischer Fremdsprachenunterricht heute Progress is impossible without change, and those who cannot change their minds cannot change anything. (G. B. Shaw) Moment der Reflexion Als Leserin / Leser stehen Sie gerade an einem bestimmten Punkt, an dem Sie sich mit dem Lernen und Lehren von Fremdsprachen in Schulen auseinandersetzen: Sie sind entweder im Studium, im Vorbereitungs- oder schon im Schuldienst, Sie arbeiten im Hochschulbereich in diesem Feld oder sind in den unterschiedlichen Phasen selbst als Lehrerbildner / in tätig. Überlegen Sie, welche Aspekte von Fremdsprachenunterricht für Sie ganz aktuell eine besondere Bedeutung haben. Sein Interesse am Lehrerberuf im Bekanntenkreis zu äußern oder sich als Lehrerin bzw. Lehrer in der Öffentlichkeit zu outen, führt vielfach zu-- freundlich gesagt-- eher zurückhaltenden Reaktionen. Nicht selten werden damit bei den Personen gegenüber wieder Erlebnisse aus der eigenen Schulzeit wachgerufen, die immer auch mit Personen, die ein Fach unterrichteten, verbunden sind. Damit öffnen sich Schubladen einer Kommode, die unsichtbar das Schild „Schule und Unterricht“ trägt, und deren kleinere Fächer Namen von ehemaligen Lehrerinnen und Lehrern tragen (und in die man dann nolens volens eingeordnet wird). Wie vermutlich wenige andere Institutionen ist Schule mit Urteilen und Vorurteilen aus der eigenen individuellen Vergangenheit belastet, die auch Jahre und Jahrzehnte später noch wirksam sind. Aber Schule und Unterricht haben sich verändert. Und so ist es unser Anliegen, einleitend darzustellen, was schulischen, d. h. institutionellen, Fremdsprachenunterricht heute ausmacht, um an späterer Stelle auf die verschiedenen Faktoren dezidiert eingehen zu können, die diesen Fremdsprachenunterricht und damit unseren Kontext beeinflussen können. Dabei berücksichtigen wir neben den institutionellen Eigenheiten, auf die Lehrkräfte und Lernende Rücksicht nehmen müssen, auch fachdidaktisch-methodische Tendenzen der letzten Jahrzehnte, deren Ideen und Ansätze sich zunehmend in Lehrer / innenbildung, administrativen Vorgaben und Lehrmaterialien wiederfinden. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass an schulischen Fremdsprachenunterricht immer die Erwartung gestellt wird, qualitativ möglichst hochwertig zu sein. Deshalb ist auch zu fragen, was diese Qualität im normativen Sinne ausmacht bzw. wie sie sichergestellt wird. Zur Qualität gehört für uns nicht nur eine kompetenz- und outputorientierte Sicht auf Fremdsprachenunterricht, sondern auch, dass bestimmte Prozesse von Bildung auf einer individuellen Ebene der Lernenden stattfinden, mittel- und längerfristige Prozesse also, welche möglicherweise im Fremdsprachenunterricht gar nicht unmittelbar messbar werden. 10 1 Schulischer Fremdsprachenunterricht heute 1.1 Institutionelle Merkmale fremdsprachlichen Lehrens und Lernens Moderner Fremdsprachenunterricht in der Institution Schule wird von zahlreichen Faktoren und Vorgaben beeinflusst, die gleichzeitig eine gewisse Steuerung bewirken, die aber auch den Gesamtkontext „Schulischer Fremdsprachenunterricht“ zumindest auf formaler Ebene ausmachen: Zum einen geht es um Prozesse an sich, insbesondere Lernprozesse, die im Fremdsprachenunterricht angestoßen und deren Erfolg überprüft werden soll. Dies kann durch Bildungsstandards, aber auch durch verbindliche administrative Vorgaben wie Bildungs- und Lehrpläne geschehen. Auf der anderen Seite gibt es Strukturen, strukturelle Merkmale, die Fremdsprachenunterricht in der Institution Schule konstituieren wie z. B. die verwendeten Lehrwerke oder auch die zur Verfügung stehenden Medien. Bildungsstandards Was die inhaltlich-curriculare Steuerung angeht, spielen sicherlich die Bildungsstandards eine gewichtige Rolle, die seit Erscheinen der ersten PISA -Studie (und weiteren großen Untersuchungen wie TIMMS und DESI ) zum Zwecke der Qualitätsförderung und -sicherung eingeführt wurden. Für den Fremdsprachenunterricht werden hier insbesondere die funktionalen kommunikativen Kompetenzen (kommunikative Kompetenzen wie Hör-/ Sehverstehen, Sprechen, Schreiben, Leseverstehen und Sprachmittlung sowie das Verfügen über sprachliche Mittel wie Wortschatz, Grammatik und Aussprache), die interkulturelle kommunikative Kompetenz sowie Text- und Methodenkompetenz als für den Mittleren Bildungsabschluss bedeutend herausgestellt (vgl. KMK 2003). Für den höchsten schulischen Abschluss in Deutschland, die Allgemeine Hochschulreife am Ende der gymnasialen Oberstufe, wurden für die fortgeführten Fremdsprachen Englisch und Französisch insbesondere die Aspekte der Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz ergänzt (vgl. Abb. 1), die sich mit den drei bereits genannten Kompetenzbereichen verbinden und die damit auch eine besondere inhaltliche Relevanz haben. Auf der Ebene der funktionalen kommunikativen Kompetenzen ist der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR, vgl. Europarat 2001) bis heute ein wichtiges Dokument, kennen doch mittlerweile auch die meisten Schülerinnen und Schüler sowie viele Eltern die Einteilung in Kompetenzstufen von A1 (beginnende Fremdsprachenlernende) bis C2 (muttersprachliches Niveau), welche in „Kann-Beschreibungen“ abgebildet werden. Das Diagnoseinstrument für sprachliche Kompetenz ist nicht nur die Grundlage für zahlreiche Sprachzertifikate. Es kann auch Aufschluss darüber geben, was Lernende zu einem bestimmten Zeitraum können (sollten), um dann entsprechende Fördermaßnahmen im Fremdsprachenunterricht in Richtung des nächsthöheren Niveaus einleiten zu können. 11 1.1 Institutionelle Merkmale fremdsprachlichen Lehrens und Lernens Abb. 1: Kompetenzbereiche der Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache in der Sekundarstufe II ( KMK 2012: 12). Lehrpläne Auf Länderebene werden die Curricula und Lehrpläne nicht nur von den gerade angeführten Bildungsstandards geprägt, sondern auch die Vorgaben des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens spielen eine nicht unerhebliche Rolle. Die Schwerpunktsetzungen zum Erreichen der Bildungsstandards sind unterschiedlich und auch abhängig von den verschiedenen Schulformen und Schulkulturen in den Ländern. Einige Lehrpläne formulieren eher Kompetenzen, andere weisen zusätzlich beispielhaft Inhalte aus mit der Erwartung, dass die Schulen und Kolleginnen und Kollegen des jeweiligen Fachs dann eigene Schulcurricula mit bestimmten Schwerpunktsetzungen erarbeiten. Überprüft wird das Erreichen der Standards über in der Regel landesweit einheitliche Abschlussprüfungen (Mittlere Reife oder Zentral-/ Landesabitur). Vorab schon werden sogenannte Vergleichsarbeiten auf bundesweiter Ebene durchgeführt (Vergleichsarbeiten-= VERA in den Jahrgangsstufen 3 und 8), die Aufschluss darüber geben sollen, ob sich die Lernenden auf einem guten Weg befinden. 12 1 Schulischer Fremdsprachenunterricht heute Moment der Reflexion Wie ist die Lage in dem Bundesland, in dem Sie aktuell tätig sind? Inwiefern sind die bundesweiten Bildungsstandards für die modernen Fremdsprachen ( KMK 2003 und 2012) in den Curricula und Lehrplänen Ihres Bundeslandes verortet? Legt Ihr Kultusministerium auf bestimmte Aspekte, Inhalte oder Kompetenzen besonderen Wert? Sind diese möglicherweise traditionell, kulturell oder auch durch die geographische Lage Ihres Bundeslandes beeinflusst? Gut zu wissen: Kritik an Bildungsstandards und Lehrplänen Die Entwicklung der Bildungsstandards, ihr Einfluss auf die Lehrpläne und den Unterricht ist nicht ohne Kritik geblieben. Dazu gehört zum einen der starke Fokus auf den Output bzw. insbesondere auch die Förderung der funktional-kommunikativen Kompetenzen und die damit einhergehende Standardisierung. Und auch die Tatsache, dass durch die Kompetenzorientierung weniger Inhalte verpflichtend gefordert, sondern höchstens noch in exemplarischer Form durch Beispielaufgaben zur Umsetzung der Standards herausgestellt werden, wurde wiederholt kritisiert. Inhalte werden mutmaßlich beliebig(er), um den formulierten Output an sprachlicher Kompetenz zu generieren. Damit einher geht auf Seiten der Kritiker auch die Vermutung, dass durch die geringere Inhaltsverpflichtung und die starke Kompetenzorientierung individuelle Bildungsprozesse ins Hintertreffen geraten. Dem entgegen steht aber z. B. die fremdsprachendidaktisch starke Betonung interkultureller kommunikativer Kompetenz (siehe auch unten), die diese Bildungsprozesse in besonderem Maße berücksichtigen. Weitere Merkmale institutionellen Fremdsprachenunterrichts Neben diesen aus institutioneller Sicht unmittelbar auf das Fach bezogenen Merkmalen gibt es natürlich ebenfalls allgemein-pädagogische oder soziale Herausforderungen, denen sich der Fremdsprachenunterricht heute stellen muss. Neben Fragen der Differenzierung oder Forderungen nach inklusiver Beschulung auch im Fremdsprachenunterricht sind ein sich ständig ändernder oder intensivierter Medienkonsum, ein sich wandelndes Familienbild oder auch die Rolle von kulturell-sozialer und identitärer Mehrsprachigkeit Aspekte, auf die jeder Unterricht eingehen muss. Und all dies in Zeiten von Globalisierung und Technisierung, deren rasante Fortschritte ständige Weiterentwicklung und lebenslanges Lernen nach sich ziehen. Damit stehen auch die Unterrichtsmedien, Lehrwerke und Materialien unter einem gewissen Zugzwang: Durch die Möglichkeit, sich zahlreiche (auch fremdsprachliche) Inhalte per Youtube-Video oder Wikipedia zu „ergooglen“, müssen Lehrwerke Wege finden, in gewissem Maße zeitlos zu bleiben oder sich ständig zu erneuern, sich den Anforderungen insbesondere der jungen Lernenden anzupassen. Inwiefern Neue Medien, interaktive Whiteboards oder Smartphones dabei das Fremdsprachenlernen (überhaupt) befördern, ist weiterhin Gegenstand von Forschung. Tatsache ist allerdings, dass der Umgang mit „Neuen Medien“ sowohl seitens der Lehrkräfte wie auch der Lernenden das Alltagsleben und damit auch ein Stück weit den Unterricht beeinflusst. 13 1.2 Qualitätsmerkmale von (Fremdsprachen-)Unterricht Moment der Reflexion Auch wenn wir uns hier primär mit schulischem, d. h. institutionell organisiertem Fremdsprachenunterricht beschäftigen, gibt es doch auch außerhalb von Schule zahlreiche Möglichkeiten für Kinder und Jugendliche, Sprachen zu lernen. Welche Möglichkeiten sehen Sie bei sich vor Ort in Ihrer Stadt oder Gemeinde? Welche Alternativen digitaler Natur oder Ähnliches kennen Sie noch? 1.2 Qualitätsmerkmale von (Fremdsprachen-)Unterricht Ausgehend von den Bildungsstandards könnte man konstatieren, dass Fremdsprachenunterricht dann „gut“ ist, wenn die Lernenden die Standards erreichen. Leider sagt dies natürlich noch nichts darüber aus, wie ein solches Ziel letztlich erreicht wird. Auch scheint man in der Fremdsprachendidaktik vorsichtig zu sein mit normativen Aussagen dahingehend, was im Unterricht gemacht werden sollte oder eben nicht, was also dezidiert Qualitätsmerkmale eines gelingenden Fremdsprachenunterrichts sein könnten. Wenn darüber hinaus Kriterienkataloge für guten Fremdsprachenunterricht aufgestellt werden, sind sie selten spezifisch fremdsprachendidaktisch formuliert, sondern können häufig auch auf andere Fächer übertragen werden. Allgemeinpädagogische Qualitätsmerkmale Allgemeinpädagogisch fallen im deutschsprachigen Raum im Zusammenhang mit Qualität und Unterricht insbesondere drei Namen: Hilbert Meyer, Andreas Helmke und John Hattie. 1. Hilbert Meyer (2016) stellt zehn Kriterien auf, die guter Unterricht erfüllen sollte. Hierzu gehören z. B. eine klare Strukturiertheit, ein lernförderliches Klima und die Maximierung echter Lernzeit. Ihm geht es mit diesen Kriterien primär um die Unterrichtsgestaltung an sich, die sich zwar auch-- interpretiert durch die Lehrkraft-- den konkreten Bedingungen anpassen soll, eine echte Kontextgebundenheit findet sich jedoch nicht. 2. Andreas Helmke (2015) formuliert ein Angebot-Nutzen-Modell von Unterricht (im Anschluss an Fend 1981 und die DESI -Studie) und betrachtet darin zum einen die Prozessebene des Unterrichtens (z. B. Unterrichtsstruktur, Motivation durch die Lehrkraft) und die Produktebene, also inwiefern das durch den Unterricht entstehende Angebot durch Lernaktivitäten genutzt wird und welchen Ertrag diese Interventionen haben (z. B. im Sinne von Lernzuwachs, Motivationssteigerung). Für ihn hat auch der Kontext, in dem dieses Angebot durch Lernen und Lernzuwächse genutzt wird, eine besondere Rolle. Als Kontextfaktoren nennt er: kulturelle Rahmenbedingungen, regionaler Kontext, Schulform und Bildungsgang, Klassenzusammensetzung, didaktischer Kontext sowie Schul- und Klassenklima. 3. John Hattie (2014) hat in seiner vielrezipierten Meta-Meta-Analyse von Unterricht und Schule eine Hitliste lernförderlicher und -hinderlicher Faktoren anhand ihrer sogenannten Effektstärken herausgearbeitet. Auch wenn die quantitativ vereinfachte 14 1 Schulischer Fremdsprachenunterricht heute Darstellung häufig kritisiert wurde und sie meist genauerer Betrachtung und Analyse der zugrundegelegten Studien bedarf, hat Hattie einen besonderen Punkt immer wieder herausgestellt: Die Lehrkraft steht als unmittelbar gestaltende Person im Mittelpunkt eines qualitätsorientierten Unterrichts. Und: Lehrkräfte sollen ihren eigenen Einfluss und den ihrer Interventionen auf die Lernenden für sich selbst reflexiv wahrnehmbar machen („Know thy impact! “). Moment der Reflexion Recherchieren Sie eines der oben vorgeschlagenen Konzepte für guten Unterricht und überlegen Sie, welche konkreten Konsequenzen sich aus den Vorgaben für Ihr unterrichtliches Handeln als Fremdsprachenlehrerin bzw. Fremdsprachenlehrer ergeben. Fremdsprachendidaktische Qualitätsmerkmale Die fächerübergreifenden Erkenntnisse, die neben diesen drei namhaften Akteuren auch viele weitere Expertinnen und Experten produziert haben, bedürfen immer einer fachdidaktischen Interpretation: Welche Schlüsse können für den Fremdsprachenunterricht gezogen werden? Was bedeuten „Strukturiertheit“, „Transparenz“, „Direkte Instruktion“ und „Feedback“ für den Fremdsprachenunterricht? Wie kann eine lernförderliche Umgebung für das Lehren und Lernen einer fremden Sprache gestaltet werden? Insbesondere was die Interaktionsprozesse sowie die je anteilige Bedeutung von Lehrkraft und Lernenden im Fremdsprachenunterricht angeht, haben Nold und Roters (2010) einige Erkenntnisse und Schlüsselstellen aus den einschlägigen Untersuchungen hinsichtlich des Sprachenlernens zusammengestellt. Dazu gehören beispielsweise: ▶ die Rolle von Form- und Inhaltsfokussierung, ▶ die Rolle von motivationalen und lernstrategischen Lernprozessen, ▶ die Bedeutung und Verteilung des Sprechanteils von Schülerinnen und Schülern, ▶ die Bedeutung der Geduld von Lehrerinnen und Lehrern, auf Schülerantworten zu warten, ▶ die differenzierte Rolle des Deutschen im Unterrichtsdiskurs-[…], ▶ die Bedeutung von Schüleräußerungen über Ein-Wort-Sätze hinaus, ▶ die Betonung der Formulierarbeit, verbunden mit einer Engführung des Lehrer-Schüler- Diskurses, ▶ einen positiven Umgang mit Fehlern, verbunden mit der gezielten Möglichkeit zur Selbstkorrektur oder Korrektur durch Mitschüler, ▶ positive Wirkung von bilingualen Programmen (bilingualer Sachfachunterricht und CLIL ). (ebd.: S. 47) 15 1.2 Qualitätsmerkmale von (Fremdsprachen-)Unterricht Wolfgang Gehring (2015) leitet anhand der Erkenntnisse aus der Sprachlehr- und -lernforschung sowie in der Fremdsprachendidaktik anerkannten Prinzipien siebzehn Aspekte ab, die er für die Planung-- in seinem Fall-- guten Englischunterrichts als essentiell ansieht: ▶ Das Vorwissen der Lernenden wird aktiviert und integriert. ▶ Der Lerninput ist verständlich und nachvollziehbar. ▶ Die Leistungserwartungen werden verständlich kommuniziert. ▶ Das, was verstanden werden soll, wird kontinuierlich gesichert. ▶ Das Maß des Verstandenen wird kontinuierlich überprüft. ▶ Viele Fehler werden als Merkmal von Sprachentwicklung gewürdigt. ▶ Übungen und Aufgaben bedienen Lernansprüche und überschreiten sie. ▶ Lehr- und Lernphasen fördern die Selbsttätigkeit und leiten zum Lernen und Üben an. ▶ Die Lernumgebung fordert und sorgt für Erfolgserlebnisse. ▶ Die Lernangebote berücksichtigen vorgefundene Leistungsniveaus. ▶ Das Gelernte wird gesichert, wiederholt und vertieft. ▶ Erarbeitung und Verarbeitung sind ausgewogen. ▶ Das Lehrkonzept begünstigt das Hypothesentesten und versorgt mit Feedback. ▶ Vielfältige Angebote der Sprachbenutzung sorgen für hohen Aktivanteil. ▶ Methodenpluralismus ist Kernelement. ▶ Der Unterricht lässt Raum für Experimente mit der Lernsprache. ▶ Aufgaben regen auch zur Analyse und zur Problemorientierung an. (ebd.: S. 23) Im Anschluss an die weiter oben bereits erwähnten Bildungsstandards und die allgemeinen Diskussionen in den einschlägigen Fremdsprachendidaktiken ist guter Fremdsprachenunterricht damit kompetenzorientiert, fördert also einerseits die sprachlichen Fertigkeiten-- auch vor dem Hintergrund einer interkulturellen kommunikativen Kompetenz--, gleichzeitig aber auch methodische (Sprachlern-)Kompetenzen sowie Sprachbewusstheit. Die von Meyer, Helmke und Hattie formulierten Maßgaben bedeuten für den Fremdsprachenunterricht, dass eine Lernumgebung didaktisch-methodisch in einer bestimmten Weise strukturiert werden muss, um dieses kompetenzorientierte Sprachenlernen im Sinne der Kriterien von Nold / Roters sowie Gehring möglichst ungehindert stattfinden zu lassen. Dann können auf der Performanzebene Lernfortschritte (Kompetenzzuwächse) für die Lehrkraft sichtbar werden und sie kann beispielsweise im Optimalfall erkennen, welche Aspekte des Unterrichts welchen Ertrag an der Entwicklung der Lernenden haben. Die einschlägigen Studien sind sich weitgehend darin einig, dass insbesondere der Lehrkraft eine entscheidende Bedeutung für das Zustandekommen eines hochwertigen, lerner- und kompetenzorientierten Unterrichts zukommt. Bildungspotenzial des Fremdsprachenunterrichts Die bisherigen Ausführungen könnten den Anschein erwecken, dass Lehren und Lernen im Fremdsprachenunterricht hier als ein recht instrumentelles oder gar technokratisches Unterfangen verstanden werden soll. Schnell könnte man vermuten, dass das Beherrschen der sprachlich-kommunikativen Fertigkeiten ausreiche, um die Ziele des (institutionel- 16 1 Schulischer Fremdsprachenunterricht heute len) Fremdsprachenunterrichts zu erfüllen. Dem ist mitnichten so! Andreas Bonnet und Uwe Hericks verbinden mit einem Bereich des Fremdsprachenunterrichts „funktionalpragmatische Ziele“ (Bonnet / Hericks 2014: 90), während in dem Bereich der Arbeit an kultur- oder literaturdidaktischen Gegenständen „reflexiv-emanzipatorische Ziele“ (ebd.) erreicht werden können. Vielmehr sind also die funktional-kommunikativen Kompetenzen Mittel zum Zweck, um den Austausch mit zielsprachlichen Kulturen (und Personen anderer Muttersprachen) zu ermöglichen, über „fremde“ Gegenstände zu diskutieren und so den individuellen Horizont zu erweitern: Immerhin wird allgemein anerkannt, dass das Fach [hier am Beispiel des Englischunterrichts; Anmerkung D. G./ E. L.] entscheidend an der Vermittlung von zentralen Erfahrungen, Werten und Fähigkeiten für das Leben in der modernen, heterogenen Gesellschaft beteiligt ist, indem es dafür Sorge trägt, Diversität und Andersartigkeit erfahrbar zu machen, angefangen von der unterschiedlichen Lautung und den anders gelagerten Ausspracheregeln in einer fremden Sprache bis hin zu den Konventionen der Interaktion, der Gesprächsgestaltung und den textuellen Großformen (Genres) im Schreiben wie im mündlichen Diskurs. (Vollmer 2016: 78) Insofern kann auch Meinert Meyer nur zugestimmt werden, wenn er aus Sicht der Subjekte, der Lernenden im Fremdsprachenunterricht, herausstellt: Gebildet ist nicht, wer weitreichende fremdsprachlich-kommunikative Kompetenzen in vielen Sprachen nachweisen kann-- das ist nur nützliches Wissen. Gebildet ist vielmehr, wer aus diesem Kompetenzprofil heraus sieht, in welcher besonderen Weise seine Sicht der Welt subjektiv ist.-[…] Fremdsprachenunterricht ist bildend, wenn die fremden Sprachen so vermittelt werden, daß die Schüler die in ihnen artikulierte fremdsprachige „Weltsicht“ erfahren können, und wenn ihnen dabei ermöglicht wird, die prinzipiell nicht aufhebbare Andersartigkeit der Anderen zu erfahren. Bildung ist das aufgeklärte Bewußtsein der Subjektivität dieser je eigenen Weltansicht. (Meyer 1993: 135; Hervorhebung im Original) Wenn interkulturelle kommunikative Kompetenz als Kernelement von Bildung im Fremdsprachenunterricht herausgestellt wird, muss gleichzeitig attestiert werden, dass dieses übergeordnete Ziel nur schwer messbar ist. Als Grundlage für die Auseinandersetzung z. B. mit zielsprachlicher Literatur gilt selbstverständlich die Förderung von Fertigkeiten, Grammatik und Wortschatz. Aber stellt sich eine cultural awareness automatisch dadurch ein, dass man sich interaktiv mit einem Text auseinandergesetzt hat, diesen bezüglich der eigenen Einstellungen hinterfragt und dann ggf. in einem Rollenspiel umgesetzt hat? Möglicherweise, vielleicht sogar tatsächlich, eventuell aber eben auch nicht. Die im Zusammenhang mit Bildungsstandards häufig aufkommende Kritik, dass diese weder viel mit Inhalten noch mit Bildung zu tun hätten, birgt einige Chancen: Wenn Inhalte „beliebiger“ sind, sollten diese nicht verschwinden zugunsten isolierter Fertigkeitsförderung, vielmehr bietet sich dadurch die Chance, aktuelle, für die Lernenden (bzw. den gesamten Kontext) im inter-/ transkulturellen Sinn relevante Inhalte (möglicherweise auch jenseits der dezidiert zielsprachlich normalerweise anvisierten Kulturen) im Unterricht zu thematisieren. Damit soll nicht die Bedeutung bestimmter zentraler Themen oder Texte für die verschie- 17 1.3 Gestaltungsmerkmale der Lehr-/ Lernkultur im Fremdsprachenunterricht denen Fremdsprachen herabgesetzt werden, sie haben weiterhin eine zentrale Wichtigkeit. Dem Prinzip der Lernerorientierung folgend müssten sie jedoch stärker den Kontext des Fremdsprachenunterrichts berücksichtigen, in dem sie aufgegriffen und behandelt werden. Um dies zielführend umsetzen zu können, sind zwei Voraussetzungen wichtig: Zum einen ist die Kenntnis der verschiedenen Faktoren wichtig, die den Kontext Fremdsprachenunterricht ausmachen (Kapitel 3), zum anderen ist der Fremdsprachenunterricht als sozial-kulturelle Praxis zu verstehen, bei der die beteiligten Personen (Lehrkraft und Lernende) sowohl mit (fremdsprachlichen) Inhalten als auch miteinander interagieren und die für sich je individuelle Bedeutung aushandeln. Ein Verständnis für diese Unterrichtskultur (Kapitel 2) des fremdsprachlichen Unterrichts ist damit von großer Bedeutung. Im Fremdsprachenunterricht wurden und werden die Qualität und der Lernertrag häufig bezüglich der Umsetzung von Unterricht insbesondere in methodischer Hinsicht betrachtet, weswegen die Diskussion um die aktuelle Rolle von Methoden im Fremdsprachenunterricht nun angeschlossen werden soll. 1.3 Gestaltungsmerkmale der Lehr-/ Lernkultur im Fremdsprachenunterricht Moment der Reflexion Erinnern Sie sich zurück an Ihre zuletzt gehaltene oder (im Studium) diskutierte oder erlebte Unterrichtsstunde in einer Fremdsprache. Wie wurde methodisch vorgegangen? Wie wurde fremdsprachliches Lernen initiiert? Einen großen Einfluss auf die Gestaltung (guten) Fremdsprachenunterrichts hatten insbesondere Diskussionen um die Bedeutung bestimmter Sprachlehr- und -lernmethoden, die allerdings zunehmend von umfassenderen methodisch-didaktischen Ansätzen bzw. einer Zahl an Prinzipien abgelöst wurden. Man kommt hinsichtlich der Diskussion um die Rolle von Methoden im modernen Fremdsprachenunterricht nicht umhin, in der Geschichte der Fremdsprachendidaktik zu suchen. Als Unterdisziplin ist damit eine „Historische Fremdsprachenforschung“ höchst bedeutsam: Sie zeigt dezidiert auf, unter welchen Bedingungen welche methodisch-didaktischen Strömungen entstanden sind und warum entsprechende Gegenbewegungen beispielsweise einsetzten-- mögen sie aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse stattgefunden haben oder aufgrund politisch-ideologischer Konzepte oder Vorgaben (vgl. z. B. Doff / Klippel 2012). Ein Verständnis auch in gewissermaßen historischer Perspektive- - und wir sprechen hier von den vergangenen 100 Jahren- - ist damit für eine Kontextsensibilität heutzutage und in naher Zukunft von großer Bedeutung. 18 1 Schulischer Fremdsprachenunterricht heute Traditionelle Fremdsprachenlehr-/ -lernmethoden Der Fremdsprachenunterricht hat sich in der Vergangenheit weitgehend an Prämissen orientiert, welche zum jeweiligen Zeitpunkt erklärten, wie Lernen und Lehren optimal funktionieren oder funktionieren könnten. Bevor dezidiert wissenschaftlich valide Experimente zur Genese von Lerntheorien eingesetzt wurden, galt daher die traditionelle Grammatik- Übersetzungs-Methode als Nonplusultra im Fremdsprachenunterricht: Das Erarbeiten von isolierten Regeln und das sich anschließende Übersetzen hatte primär zum Ziel, fremdsprachliche Texte verstehen zu können. Kommunikation in der anderen Sprache hatte keine Priorität, der Unterricht an sich erfolgte in der Muttersprache der Lernenden. Die Anforderungen der früh beginnenden Globalisierung wirkten sich dann jedoch schnell auch auf die Bedürfnisse von Menschen aus, die möglichst effektiv die Basics einer Sprache lernen mussten, welche sie im Austausch mit Sprecherinnen und Sprechern anderer Sprachen brauchten. Man erkannte, dass die Grammatik-Übersetzungs-Methode hier (mindestens) einen wichtigen Bereich der Fremdsprache, nämlich das Sprechen, ausließ. Eine Methode, die hier durch einen sehr deutlichen Fokus auf mündliche Produktion Abhilfe schaffte, war die Direkte Methode. Insbesondere in der Erwachsenenbildung-- z. B. von Berlitz-Sprachschulen heute noch eingesetzt-- bedient sich dieses andere Extrem folgender Prinzipien: Der Unterricht findet ausschließlich in der Zielsprache statt, fokussiert auf Hören und Sprechen, Grammatik wird induktiv gelehrt. Lehrkräfte, die die Direkte Methode einsetzen, bedienen sich einer Vielzahl von Visualisierungen, Realia oder der Pantomime. Die Interaktion mit den Lernenden erfolgt in der Regel durch Frage-Antwort-Schemata. Die Audiolinguale Methode fokussierte einzelne Kompetenzbereiche (mit Schwerpunkt weiterhin auf Hören und Sprechen), setzte allerdings stark auf die Imitation der Lehrkraft bzw. vorgegebener patterns, in der Regel eingebettet in Dialoge. Die Vorbildkraft der Lehrperson ist hier besonders hoch, genauso wie die nötige Korrektheit der von den Lernenden wiedergegebenen Äußerungen. Die primär aus Frankreich stammende, ebenfalls sehr einflussreiche Audiovisuelle Methode folgte ähnlich der Audiolingualen Methode der Lerntheorie der Zeit, dem Behaviorismus, präsentierte die meist an der Alltagssprache orientierten Inhalte aber primär über Videos oder Bilder bzw. Bildsequenzen. Beide Methoden beeinflussten maßgeblich auch die Einführung von unterstützenden Sprachlabors, in denen die Lernenden üben konnten. Grammatik- Übersetzungs- Methode Direkte Methode Audiolinguale und Audiovisuelle Methode Fertigkeiten Lesen, Schreiben Hörverstehen, Sprechen Hörverstehen, Sprechen Grammatik regelbasiert implizit strukturbasiert Wortschatz Wortlisten wichtiger als Grammatik in Form von Dialogen Regelableitung deduktiv induktiv induktiv Technik Übersetzung Frage - Antwort Drills Lehr-Lern-Prozess lehrerzentriert Lehrer-Schüler-Interaktion lehrerzentriert (audiolingual) oder medienzentriert (audiovisuell) Tab. 1: Übersicht der traditionellen Methoden in der Fremdsprachendidaktik. 19 1.3 Gestaltungsmerkmale der Lehr-/ Lernkultur im Fremdsprachenunterricht Moment der Reflexion Nehmen Sie sich ein beliebiges Fremdsprachenlehrwerk vor - wenn möglich ein älteres und vielleicht eine neuere Auflage. Können Sie bestimmte methodische Schwerpunkte der drei oben beschriebenen Methoden identifizieren? Diese umfassenderen Methoden- - Helene Decke-Cornill und Lutz Küster (2015) nennen sie in ihrer Fremdsprachendidaktik auch „geschlossene Konzeptionen des Fremdsprachenunterrichts“- -, die häufig als „historisch“ herausgestellt werden, sind keineswegs „alt“ in dem Sinne, dass sie nicht mehr eingesetzt werden würden. Tatsächlich werden Aspekte oder grundsätzliche Ideen dieser traditionellen Methoden weiterhin in Klassenzimmern auf der ganzen Welt verwendet, sind methodischer Bestandteil von Lehrwerken und Arbeitsmaterialien oder bedienen (teils auch kulturell) geprägte Glaubenssätze (Beliefs) über das Fremdsprachenlernen in institutionalisierten Kontexten. Die Methoden sind in gewissem Maße Produkte ihrer Zeit, bestimmte Formen des Fremdsprachenunterrichts können damit aber auch-- wie auch in der Modewelt-- wiederentdeckt werden. Louis G. Kelly hat dies bereits Ende der 60er Jahre konstatiert: “Old approaches return, but as their social and intellectual context are changed, they seem entirely new.” (Kelly 1969: 396) Gut zu wissen: Die Lerntheorien hinter den Methoden Direkte sowie Audiolinguale Methode folgten im lerntheoretischen Sinne dem Fortschritt ihrer Zeit: Der Behaviorismus setzte auf pattern drills mit entsprechender positiver oder negativer Konditionierung (Feedback) der Lernenden, ohne jedoch Grammatik überzubetonen. Ähnliches gilt für die Nativismus-Strömung, maßgeblich von Chomsky und Krashen beeinflusst, welche das Fremdsprachenlernen an das muttersprachliche Lernen im Kleinkindalter annähern und sich angeborene Sprachlernmechanismen (Language Acquisition Device und Universalgrammatik) zunutze machen möchte. Dem Kognitivismus ist zuzurechnen, dass beim Sprachenlernen entstehende Fehler seitens der Lernenden im kompetenzorientierten Sinne Aufschluss über den aktuellen Lernstand geben können. Dieser als Interimssprache (Interlanguage) bezeichnete Ist-Zustand an sprachlicher Performanz (Bsp. im Englischen: I *goed home.) kann der Lehrkraft zeigen, welche Prinzipien der Zielsprache bereits verinnerlicht wurden und für welche nächsten Schritte entsprechende Unterstützungsmaßnahmen bereitgestellt werden müssen. Andererseits kann eine mangelnde Unterstützung und falsches Feedback zu Fossilisation, d. h. dauerhaft fehlerhaftem Einsatz bestimmter sprachlicher Strukturen führen. Parallel zu den Entwicklungen instruktionaler Ansätze von Behaviorismus über Nativismus und Kognitivismus entwickelte sich der Konstruktivismus als ein lerntheoretischer Ansatz, der die Verantwortung für den Lernprozess in die Hände der Lernenden legt: Sie rekonstruieren hier ihr eigenes Weltbzw. Sprachverstehen, konstruieren und erfinden selbst Sprache bzw. Äußerungen / Strukturen und gehen mit diesem Wissen kritisch um (dekonstruieren). Während sich dieser Ansatz mittlerweile z. B. in zunehmend offeneren Unterrichtssettings auch methodisch niederschlägt, ist der Konstruktivismus als Idee keineswegs neu: Reformpädagogische Ansätze wie insbesondere die von Freinet und Montessori vertretenen Freiarbeitsformen bedienen sich dieser 20 1 Schulischer Fremdsprachenunterricht heute Abb. 2: Die Zone proximaler Entwicklung nach Wygotski. Von Methoden über Ansätze zu Prinzipien „Bis in die 1980er Jahre hinein dominierte die Vorstellung, das Erlernen einer Fremdsprache ließe sich kontextunabhängig auf der Grundlage einer wissenschaftlich begründeten Methode organisieren.“ (Legutke / Schart 2016: 21) Mit dem Scheitern dieser Vorstellung dominiert der sogenannte Kommunikative Ansatz das Denken in der Fremdsprachendidaktik bis heute. Er steht damit als weithin akzeptierte und gültige Idee, nach der die kommunikativen Kompetenzen der Lernenden im Zentrum eines modernen Fremdsprachenunterrichts stehen. Seitdem man diesen Ansatz stringent verfolgt, sind einige Prinzipien oder Orientierungen diskutiert und aufgestellt worden, mittels derer man diesem Ziel näher kommt. Dazu gehört zum einen die Orientierung an der Lebenswelt und den Fähig- und Fertigkeiten der Schülerinnen und Schüler (Lernerorientierung und Kompetenzorientierung), welche in einem möglichst ganzheitlichen, aktiv-handelnden und damit kommunikativen Fremdsprachenselbstgesteuerten Lernprinzipien schon lange. An Grenzen stoßen konstruktivistische Lernsettings häufig aufgrund altersgemäß eingeschränkter interaktionaler, entwicklungspsychologischer und kognitiver Leistungsfähigkeit gerade von jungen Lernenden. Hier zeigt sich implizit dann wiederum die Bedeutung der Lehrkraft für den Lernprozess, was auch Lew Wygotski in seinem Konstrukt der Zone proximaler Entwicklung entworfen hat: Es gibt Dinge, die Lernende autonom leisten können, in denen sie kompetent sind bzw. werden können, sowie Bereiche, die außerhalb ihrer unmittelbaren Leistungsfähigkeit liegen. Den jeweils im Sinne von Kompetenzorientierung nächsten logischen Schritt in der Entwicklung bezeichnet Wygotski als Zone proximaler Entwicklung (s. Abbildung 2), die jedoch nur mit Unterstützung (also mithilfe einer dritten Person wie einer Lehrkraft oder auch einem „kompetenteren“ Mitlernenden) gemeistert werden kann. Diese methodischen wie lerntheoretischen Entwicklungen und Annahmen führten letztlich dazu, dass in der Fremdsprachendidaktik des ausgehenden vergangenen Jahrhunderts zunehmend von Ansätzen und Prinzipien gesprochen wurde, weniger von in sich geschlossenen Methoden. 21 1.3 Gestaltungsmerkmale der Lehr-/ Lernkultur im Fremdsprachenunterricht unterricht (Handlungsorientierung) im besten Fall durch bedeutungsvolle und authentische Aufgaben gefördert werden sollen (Aufgabenorientierung). Vor der Kommunikativen Wende Nach der Kommunikativen Wende Sprachtheorie strukturell funktional Lerntheoretische Umsetzung Habitualisierung und Automatisierung (sozial-)konstruktivistisch Lernziel normativ muttersprachliche Korrektheit kommunikative Kompetenz Inhaltsorientierung kleinschrittig (an sprachlicher Progression orientiert) holistisch (handlungsorientiert mittels Aufgaben) Lehr-Lern-Prozess Intervention und Transmission Dialog und Kommunikation Fokus der Sprachbeherrschung Normorientierung Verständlichkeit der Kommunikation Tab. 2: Charakteristika des Fremdsprachenlernens vor und nach der Kommunikativen Wende. Gut zu wissen Durch die mittlerweile bereits lange Tradition des Kommunikativen Ansatzes hat dieser zahlreiche Entwicklungen durchgemacht, die oben angesprochenen Prinzipien und Orientierungen sind als Resultate dieser Entwicklungen zu werten. Parallel dazu ist allerdings auch die „Mythenbildung“ rund um den Kommunikativen Ansatz und kommunikativen Fremdsprachenunterricht groß. Hier einige der Mythen, welche - streng von der ursprünglichen Theorie des Kommunikativen Ansatzes ausgehend - in ihrer Absolutheit nicht korrekt sind (vgl. Spada 2007): 1. Der Kommunikative Ansatz betont primär Hörverstehen und Sprechen. 2. Im Sinne des Kommunikativen Ansatzes zu unterrichten bedeutet, die Muttersprache der Lernenden weitgehend unberücksichtigt zu lassen. 3. Kommunikativer Ansatz heißt auch immer Lernerorientierung. 4. Mit dem Kommunikativen Ansatz lässt sich Grammatikvermittlung vernachlässigen. Über diese primär auf die Inhalte und die Sprachkompetenzen der Lernenden fokussierten Prinzipien hinaus ist zudem in didaktischer Hinsicht die Förderung interkultureller Kompetenz in Ergänzung zur kommunikativen Kompetenz-- insbesondere seit den 1990er Jahren beeinflusst durch die Arbeiten von Michael Byram (1997) und Claire Kramsch (1993)-- in den Fokus der Fremdsprachendidaktik geraten (siehe Kapitel 2). Das Konzept der „Landeskunde“, also die didaktisierte Darstellung bestimmter Charakteristika, Eigenheiten und Bräuche der Zielsprachenländer wurde zum Ende des vergangenen Jahrhunderts weitgehend aufgegeben zugunsten der Förderung von interkultureller kommunikativer Kompetenz. Diese zielt stärker darauf ab, sich seiner eigenen Kultur(en) bewusst zu sein und in Interaktion und kommunikativem Austausch mit Sprechenden der Zielsprache bzw. über möglichst authentische Medien und Materialien darüber bewusst zu werden, dass auch diese nicht nur stereotypisiert eine Kultur vertreten, sondern diverse Ansichten, Einstellungen und Traditionen aufweisen können, welche sich wiederum im ständigen Fluss befinden. 22 1 Schulischer Fremdsprachenunterricht heute Die post-methodische Ära Diskussionen um methodische Ansätze und die mittlerweile fokussierten Prinzipien für ein erfolgreiches Fremdsprachenlernen, haben Überlegungen dahingehend angestoßen, ob wir uns nicht in einer post-methodischen Ära befinden, in einer Zeit also, in der man nicht mehr davon sprechen kann, dass man eine bestimmte Methode oder einen bestimmten Ansatz verwendet (vgl. z. B. Summer 2012). Insbesondere die universelle Gültigkeit (und damit die Wirksamkeit) einer einzelnen Methode oder eines einzelnen Ansatzes, wie sie von ihren Befürwortern häufig proklamiert wurde, wird in Frage gestellt (vgl. Prabhu 1990). Aktuell gilt international wie auch in Deutschland aufgabenorientiertes Fremdsprachenlernen/ -lehren (Task-based Language Teaching, TBLT ) als Ausprägung des kommunikativen Ansatzes als das Nonplusultra, wir können sogar selbst als Befürworter dieses Ansatzes benannt werden (z. B. Leupold 2008 / 2010, Gerlach et al. 2012). Obwohl Lernaufgaben häufig als sehr offenes Instrumentarium für methodisch-didaktische Entscheidungen (und daher auch im deutschsprachigen Raum eher als „Ansatz“, weniger als „Methode“ wie international) charakterisiert werden, wird auch an TBLT wiederholt Kritik geübt. Schon 1999 führte Seedhouse beispielsweise auf, dass vermeintlich als interaktiv konzipierte Aufgaben tatsächlich nur wenig Sprache auf Seiten der Lernenden produziert. Auch wird die Wirksamkeit von TBLT generell für größere Lerngruppen in Frage gestellt (vgl. Swan 2005), primär dann, wenn der Ansatz beispielsweise in Ländern implementiert wird, in denen traditionell eher geschlossenere Unterrichtsformen Anwendung finden wie beispielsweise in Asien (vgl. Hu 2002). Und auch deutsche Lehrwerke und -materialien zeigen (noch) keine durchgehend stringente Verwendung (komplexer) Lernaufgaben wie sie von Willis / Willis (2007) oder Hallet (2012) konzeptualisiert werden. Zu einer post-methodischen Ära gehört damit in unseren Augen auch, dass Fremdsprachenlehrkräfte selbst sich keinem bestimmten Ansatz verpflichtet fühlen. In Gesprächen mit Lehrerinnen und Lehrern zur Vorbereitung dieses Buches wurde von diesen primär zielbzw. kompetenzorientiert mit dem Fördern der kommunikativen Kompetenz argumentiert, keine Lehrkraft führte aber dezidiert Lernaufgaben, Aufgabenorientierung, traditionelle Methoden oder Ähnliches an. Das methodisch-didaktische Repertoire für modernen Fremdsprachenunterricht ist damit eher eklektischer Natur, bedient sich also verschiedenster Konstrukte und Konzepte, die der Fremdsprachenunterricht einfordert oder-- und das ist uns an dieser Stelle besonders wichtig-- welche die Fremdsprachenlehrkraft situativ als notwendig interpretiert. Dadurch klafft auch ein Stück weit eine Lücke zwischen der fachdidaktischen Theorie und der realen Unterrichtspraxis, die logischerweise von Lehrkräften wiederholt bemängelt wird. Penny Ur (2013), die die Englischdidaktik international geprägt hat, bekräftigt die sehr individuelle Ausführung seitens der Fremdsprachenlehrkräfte als „situierte bzw. situative Methodologie“, die wir an späterer Stelle hinsichtlich unserer Idee des kontextsensiblen Fremdsprachenunterrichts noch weiter vertiefen werden: Many successful teachers-[…] are in fact using situated methodologies in their classrooms, rejecting any particular method in favour of a selection of principles and procedures that accord with their own sense of plausibility and are appropriate to the local context. (ebd.: 473) 23 1.3 Gestaltungsmerkmale der Lehr-/ Lernkultur im Fremdsprachenunterricht Ein ebenfalls internationaler Vertreter eines „post-methodischen Zeitalters“ in der Fremdsprachendidaktik ist Bala Kumaravadivelu (2003 / 2006), der zum einen den traditionellen Methoden wie auch dem kommunikativen Ansatz unterstellt, dass sie in der Vergangenheit primär zum Zwecke der Imperialisierung bzw. Förderung von Abhängigkeiten genutzt werden und zum anderen die Begrenztheit des Begriffs der „Methode“ an sich als für die heutige Zeit unpraktikabel kritisiert. Für Kumaravadivelu bedeutet das Festhalten am Methodenbegriff ein Warten auf die perfekte, Fremdsprachenlernen ultimativ ermöglichende Methodik, die niemals kommen wird. Moment der Reflexion Kumaravadivelu unterstellt Methoden eine gewisse (imperialistische) Ideologie. Auch wenn dieser Gesichtspunkt für den deutschsprachigen schulischen Fremdsprachenunterricht von geringer Relevanz zu sein scheint, ist sein Argumentationsstrang durchaus interessant: Kumaravadivelu argumentiert, dass durch die Ausbildung nicht-muttersprachlicher Fremdsprachenlehrkräfte in anderen Ländern (z. B. indische Englischlehrkräfte in Indien) bestimmte methodische Ansätze benutzt werden, um das Fremdsprachenlernen zu fördern. Gleichzeitig werden diese Ansätze dafür genutzt, dass sowohl die Fremdsprachenlehrkräfte wie auch die -lernenden durch den Kompetenzzuwachs und die Grenzen, die die entsprechende Methode aufweist, in einer gewissen Abhängigkeit verbleiben. Dies könnte auf den deutschen Fremdsprachenunterricht insofern übertragen werden, als dass die Dominanz des Lehrwerks - sofern sie nicht von der Lehrkraft aufgebrochen wird - hier auch eine gewisse Steuerung übernimmt. Und dies gilt offenbar nicht nur für unseren Kontext, was im Zusammenhang mit den Diskussionen um eine post-methodische Ära und die Rolle von Lehrwerken deutlich wird: The concept of method has not been replaced by the concept of postmethod but rather by an era of textbook-defined practice. What the majority of teachers teach and how they teach … are now determined by textbooks. (Akbari 2008a: 647) Was denken Sie: Steht hinter den Diskussionen um Fremdsprachenlernen im deutschsprachigen Raum und den hier verwendeten Materialien und Lehrwerken eine gewisse „Ideologie“? 24 1 Schulischer Fremdsprachenunterricht heute Gut zu wissen In der internationalen Englischdidaktik hat der Dogme-Ansatz von Scott Thornbury und Luke Meddings für viel Wirbel gesorgt (vgl. Meddings / Thornbury 2009). Ihr Werk versteht sich als Fundamentalkritik am Gebrauch von Lehrwerken im Fremdsprachenunterricht, „an over-reliance on materials and technical wizardry in current language teaching“ (ebd.: 6). Ihnen geht es um nichts weniger als die Emanzipation der Fremdsprachenlehrkraft: „The emphasis on the here-and-now requires the teacher to focus on the actual learners and the content that is relevant to them.“ (ebd.) Meddings und Thornbury sehen durch eine Überladung des Fremdsprachenunterrichts mit Unterrichtsmaterialien die Gefahr, dass elementare Ziele des kommunikativen Ansatzes verloren gehen. Ihr „dogmatischer“, puristischer Ansatz hingegen fokussiert stark auf Konversation und Interaktion, einen daraus resultierenden geringen Einsatz von Unterrichtsmaterialien und eine starke Berücksichtigung der sich lernerseitig entwickelnden Sprache und Sprachmuster (z. B. als Interlanguage). Kritisiert wurde der Ansatz interessanterweise häufig kontextbezogen, z. B. wenn bestimmte Curricula oder Standards in unterschiedlichen Ländern oder Institutionen die Verwendung von bestimmten Materialien vorgeben oder wenn Lehrkräfte aufgrund starker Belastung kaum die Möglichkeit haben, flexibel und bei einer hohen Heterogenität der Lerngruppe selbst ausreichend Input (mündlich oder visualisiert) zu generieren, um Lernen zu ermöglichen. Kumaravadivelu (2006: 69) schlägt basierend auf seiner fundamentalen-- und damit natürlich auch nicht unumstrittenen- - Kritik eine post-methodische Pädagogik für den Fremdsprachenunterricht vor, die auf drei Grundpfeilern basiert: Partikularität, Praktikabilität und Possibilität. Diese beschreibt er folgendermaßen: Particularity “seeks to facilitate the advancement of a context-sensitive, location-specific pedagogy that is based on a true understanding of local, linguistic, social, cultural, and political particularities”-[…] Practicality “seeks to rupture the reified role relationship between theorizers and practitioners by enabling and encouraging teachers to theorize from their practice and to practice what they theorize”-[…] “Possibility seeks to tap the sociopolitical consciousness that students bring with them to the classroom so that it can also function as a catalyst for identity formation and social transformation.” (ebd.) Die Praktikabilität bezieht sich dementsprechend in methodischer Hinsicht bereits auf den Aspekt der „situierten Methodologie“, die auch Ur (2013) formuliert. Partikularität und Possibilität fokussieren stärker auf die jeweiligen soziokulturellen Kontexte, die auch darauf zielen, im pädagogischen Sinne die Lernenden zu mündigen wie auch kritischen Bürgerinnen und Bürgern zu erziehen. Kumaravadivelus post-methodische Pädagogik ist geprägt von zehn Makrostrategien, welche-- lokal und kontextsensibel interpretiert-- die Mikrostrategien des unterrichtlichen Alltags prägen (Kumaravadivelu 2003: 545-546): 1. Maximize learning opportunities. 2. Minimize perceptual mismatches. 25 1.3 Gestaltungsmerkmale der Lehr-/ Lernkultur im Fremdsprachenunterricht 3. Facilitate negotiated interaction. 4. Promote learner autonomy. 5. Foster language awareness. 6. Activate intuitive heuristics. 7. Contextualized linguistic input. 8. Integrate language skills. 9. Ensure social relevance. 10. Raise cultural consciousness. Moment der Reflexion Wie stellen Sie sich vor, Kumaravadivelus Strategien in Ihrem Unterricht umzusetzen? Wie maximieren Sie Lerngelegenheiten in Ihrem Fremdsprachenunterricht? Wie fördern Sie die Autonomie der Lernenden? Wie stellen Sie sicher, dass Ihr Unterricht eine soziale Relevanz hat und ein kulturelles Bewusstsein fördert? Überlegen Sie sich pro Strategie mindestens ein Beispiel und diskutieren Sie diese mit jemandem. Die Tatsache, dass die aktuellen Diskussionen um den Fremdsprachenunterricht davon ausgehen, dass wir uns in einer post-methodischen Ära bewegen oder dass wir zumindest keine eindeutig effektive Methode kennen, sondern situativ als Lehrkraft die wichtigsten Prinzipien mittels angemessener Ansätze erfüllen möchten, macht die methodisch-didaktische Diskussion nicht einfacher. Die langjährige Suche nach der einen Methode, die alle Bedürfnisse der Lernenden egal welchen Alters erfüllt, musste schon lange auch aufgrund der komplexen Unterrichtssituation und der heterogenen Lernvoraussetzungen aufgegeben werden. Britta Viebrock fasst diese Anforderungen zusammen, indem sie schreibt, „teachers can no longer rely on clear-cut and established models of language teaching, but have to demonstrate perceptual competences, context sensitivity and a sense of situational relevance“ (2018: 52; Hervorhebungen im Original). Damit einher geht für sie auch eine kritische Bewertung der eigenen Praxis hinsichtlich der Unterrichtsgegenstände und der eingesetzten Methoden. Penny Ur (2013) schlägt aus der eher kontextbedingten Methodenwahl den Begriff der „situated methodology“ vor, auch Engelbert Thaler (2010) tritt gegen die Verabsolutierung entweder sehr geschlossener oder sehr offener methodischer Settings ein und nennt dies „balanced teaching“, argumentiert also ebenfalls aus der Sicht der Lehrenden, die den Fremdsprachenunterricht gestalten. Wichtiger als die Methodendiskussion erscheint daher, dass Lehrerinnen und Lehrer über ein breites fremdsprachendidaktisches (und natürlich auch allgemeinpädagogisches / erzieherisches) Wissen verfügen, das sie flexibel einsetzen können. An späterer Stelle (vgl. 4.3) wird dazu das Konzept der „Adaptivität“ vorgestellt, die Fähigkeit, sich an bestimmte Begebenheiten-- Kontextfaktoren, wie wir sie nennen-- anzupassen. Betont werden soll an dieser Stelle noch, dass dieses Studienbuch es nicht leisten kann, das umfassende fremdsprachendidaktische Wissen zu vermitteln, das für diese Adaptivität und das fremdsprachenunterrichtliche Handeln nötig ist. Es wird jedoch im Zuge der verschiedenen Kontextfaktoren modernen Fremdsprachenunterrichts auf unterschiedliche Konzepte 26 1 Schulischer Fremdsprachenunterricht heute und Wissensformate zurückgreifen, die zur Bewältigung unterschiedlicher Situationen und Adressierung diverser Lernvoraussetzungen nötig sind. Zusammenfassung In diesem einleitenden Kapitel wurde versucht, Schule, Unterricht und unterrichtliches Handeln zu skizzieren, wie es sich heute für angehende Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer sowie für erfahrene Lehrkräfte darstellt. Die Entwicklung hin zur heutigen Ausprägung bestimmter Unterrichtskonzepte, die durch veränderte administrative Vorgaben, neuere Forschungsergebnisse und gesellschaftliche Umwälzungen bedingt sind, wird nachgezeichnet. Die wechselseitigen Einflüsse und Abhängigkeiten legen es nahe, auch im Zusammenhang von Schule und Unterricht von einem Ökosystem zu sprechen, also einem dynamischen System von Faktoren, die sich gegenseitig bedingen und die als funktionale Einheit in Wechselwirkung stehen. Das Bewusstsein und das Selbstverständnis, als Lehrkraft Teil dieses Systems zu sein, ist wichtig (und bedürfte einer viel stärkeren Aktualisierung in der Ausbildung), um aktiv im Unterrichtsalltag zu agieren und um sich nicht als getriebene, fremden Einflüssen ausgesetzte Person zu verstehen, die nur noch reaktiv handeln kann. In den folgenden Kapiteln wird diese Vision einer aktiven, für Veränderungen sensiblen Lehrkraft weiter ausgeführt. Weiterführende und vertiefende Literatur Einen Überblick über die aktuellen Diskussionen im Fremdsprachenunterricht aus methodisch-didaktischer Perspektive bieten die einschlägigen Einführungswerke. Um nicht alle für jede moderne Fremdsprache zu nennen, seien hier stellvertretend die Fremdsprachendidaktik von Helene Decke-Cornill und Lutz Küster (2015) sowie die Sammelbände Handbuch Fremdsprachendidaktik von Wolfgang Hallet und Frank G. Königs (2013) und Handbuch Fremdsprachenunterricht von Eva Burwitz-Melzer et al. (2016) genannt. 27 2 Bedeutung der Unterrichtskultur La culture est ce qui fait d’une journée de travail une journée de vie. (G. Duhamel) Moment der Reflexion Im Jahr 2013 erschien die Nummer einer fremdsprachendidaktischen Zeitschrift unter dem Titel „Standardsituationen“. Auf dem Titelblatt waren stilisiert ein Fußballfeld sowie Positionen der Spieler und Spielzüge abgebildet. In seinem Editorial bezieht sich der Herausgeber auf die Komplexität von Unterricht, „die der eines Fußballspiels durchaus ähnelt“ (Nieweler 2013: 2). Wie beurteilen Sie die angedeutete Parallelität von schulischem Unterricht und einem Fußballspiel? Es erscheint vermutlich auf den ersten Blick für die eine Leserin befremdlich, für den anderen Leser gewagt, das Wort „Kultur“ mit dem Wort „Unterricht“ zu verknüpfen. Aber unzweifelhaft ist der Kulturbegriff für die Institution Schule angemessen, denn viele Schulen machen auf ihrer Homepage in ihren Beschreibungen zum Schulprofil die kulturellen Dimensionen des Schullebens deutlich. So sind z. B. schulische Aktivitäten, die Wertevermittlung, das Unterrichtsklima und die Elternarbeit offensichtlich Bausteine für die kulturelle Dimension der Institution Schule. Hier erfolgt also der Bezug auf ein System und einen Raum, in dem Menschen interagieren und so bedeutungsvolle Zusammenhänge produzieren. Unterrichtskultur ist damit ein Element einer ganzheitlichen Schulkultur, die man mit Bezug auf Helsper (2014) als „imaginären Sinnentwurf “ interpretieren kann, für den imaginäre, symbolische und reale Werte und Verhaltensweisen konstitutiv sind und der somit auch einen Bezugspunkt für das Handeln, ein Lehrerethos und für pädagogische Visionen darstellt. Schule und Unterricht als Kultur bzw. kulturelle Praktiken zu begreifen, hilft, die Prozesse zu verstehen, die von den verschiedenen Interaktionspartnerinnen und -partnern auf der Grundlage z. B. bestimmter Vorgaben oder Vorstellungen initiiert und ausgestaltet werden. 2.1 Definition: Fremdsprachenunterricht als sozial-kulturelle Praxis Als Fremdsprachenlehrerin oder als Fremdsprachenlehrer mit Schülerinnen und Schülern in der Schule zu arbeiten ist eine große Chance und Herausforderung zugleich. Eine Chance deshalb, weil die (Fremd-)Sprache gleichzeitig Medium und ständiges Ziel des Lehr-/ Lernprozesses ist. Es gibt nur wenige Fächer, in denen diese Duplizität gegeben ist. Sprache als unverzichtbares Strukturelement eines sozialen Systems und als Zeichensystem zum Austausch von Informationen und Interessen, Werten und Handlungen ist in der Unterrichtsstunde, gleich ob es um Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch oder Chinesisch geht, immer präsent. Die Herausforderung liegt darin, die Vermittlung sprachlicher Strukturen mit 28 2 Bedeutung der Unterrichtskultur dem Erschließen anderer kultureller Gegebenheiten zu verknüpfen. Und dass es in diesem Unterricht nicht nur um die inhaltsorientierte Vermittlung durch die Fremdsprache geht mittels der Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden, hat Donald Freeman (2016) auf den Punkt gebracht, wenn er schreibt: The conventional view that content is language with a social dimension needs to be recast. In the language classroom, the content is social processes, which have a language dimension. The social processes are fundamental to the classroom as a classroom; the new language fits into that ecology. (ebd.: 36) Fremdsprachenunterricht als sozial-kulturelle Praxis fokussiert die Wechselwirkung, die die Interaktion auf die Beteiligten in ihrem Verhalten zueinander ausübt. Diese Praxis und die damit verbundenen Beziehungen werden lokal und immer wieder von Neuem durch die Beteiligten im Kontext erschaffen und konstruiert (vgl. Lantolf 2000). Mit Bezug auf den Ansatz von Oevermann (2002) ist von einem dreistelligen Arbeitsbündnis auszugehen mit den Polen des einzelnen Lernenden, der Klasse sowie den Erziehungsberechtigten (Eltern). Gerade der Bezug zu den Eltern ist eine nicht zu unterschätzende Aufgabe für die Lehrkräfte (vgl. Kapitel 3.3). Unterricht ist sowohl auf der Seite der Unterrichtenden als auch auf der Seite der Unterrichteten geprägt von einem Verhalten, das- - abgesehen von den professionellen Kompetenzen-- u. a. von Variablen wie Kognitionen und einer affektiven Dimension, subjektiven Theorien und individuell-psychologischen Dispositionen beeinflusst wird. Die Schülerinnen und Schüler ihrerseits intervenieren intentional auf der Arbeitsbzw. Aufgabenebene, die aber eng mit Variablen der Beziehungsebene wie u. a. Angst und Langeweile verwoben ist. Eine Folge ist die Herausbildung bestimmter kultureller Schemata wie z. B. die Klassifizierung des Interaktionspartners bzw. der Interaktionspartnerin. Gut zu wissen Die Erforschung der Interaktionsprozesse im Unterricht ist seit Jahrzehnten ein Anliegen sowohl der Sozialals auch der Erziehungswissenschaften und der Psychologie. Lüders (2014) hat in einem Überblicksartikel die unterschiedlichen Forschungstendenzen ausführlich beschrieben. Mit Bezug auf diese Publikation stellt die nachfolgende Synopse die Schulen der Interaktionsforschung und ihren jeweiligen Forschungsansatz dar. Schwerpunkt / Bezeichnung Zeitraum Fokus Klassische Interaktionsanalyse (Vertreter: Flanders) 60er und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts Interaktionales Geschehen wird in behavioristische Kategorien als Prozess-Produkt-Ergebnis interpretiert Sozialpsychologische Interaktionsforschung (Vertreter: Groeben) Ende des letzten Jahrhunderts Im Mittelpunkt steht die Wechselwirkung zwischen Persönlichkeitsmerkmalen von Lehrern und Schülern 29 2.2 Interaktionsebene I: Fachbezogene Dimension Schwerpunkt / Bezeichnung Zeitraum Fokus Symbolischer Interaktionismus / Ethnomethodologie (Vertreter: Garfinkel) ab 70er Jahre des letzten Jahrhunderts Interesse an der Frage, mit welchen Bedeutungsvorstellungen Personen in bestimmten sozialen Situationen handeln Diskursanalyse (Vertreter: Ehlich / Rehbein, Sinclair / Coulthard) ab 80er Jahre des letzten Jahrhunderts Erkennen der überindividuellen, institutionellen Muster sprachlichen Handelns; Kontextabhängigkeit der sprachlichen Äußerungen Tab. 3: Übersicht der Forschung zur Interaktion. Unter dem Einfluss des Paradigmas der Bildungsforschung widmete sich die Interaktionsforschung in den letzten Jahrzehnten einerseits stärker sozialen Einzelaspekten des Unterrichts wie der Frage nach dem Umgang mit Heterogenität, den Verfahren der kognitiven Aktivierung von Lerngruppen oder auch den Formen inklusiven Unterrichts. Andererseits wurde durch die Hinwendung zur Kompetenzorientierung und damit zum aufgabenorientierten Unterricht immer auch der Blick auf die zu vermittelnden Inhalte gelenkt, wobei insbesondere im Fremdsprachenunterricht die kulturelle Dimension mit reflektiert wurde. Wenn nachfolgend die komplexe soziokulturelle Struktur des Fremdsprachenunterrichts in eine fachbezogene und eine lernerbezogene Dimension unterteilt wird, so erfolgt diese Unterscheidung allein aus Gründen der besseren Verständlichkeit. Die jeweilige Interaktion der Ebenen miteinander, ihre Überlagerung und Vermischung sollten hier mitgedacht werden. 2.2 Interaktionsebene I: Fachbezogene Dimension Natürlich ist das Hauptanliegen des Fremdsprachenunterrichts der Erwerb von Kompetenzen in der Fremdsprache durch die Lernenden. Die Diskussion zum Lehr-/ Lernprozess im Unterricht hat sich lange Zeit ausschließlich auf die linguistische Dimension beschränkt, für die z. B. die Publikation von Bertrand / Schaffner (2010) mit dem Titel Quel français enseigner? („Welches Französisch lehren? “) steht. Heute sind es weitere Dimensionen, die zugleich aktuelle theoretische wie empirische Forschungsrichtungen markieren. Dazu zählen die inhaltliche Dimension, die schon im ersten Kapitel angesprochene Frage nach dem methodischen Vorgehen sowie die Diskussion zu den adäquaten Lernerfolgskontrollen. Inhaltliche Dimension am Beispiel „Interkulturelles Lernen“ Fremdsprachenunterricht war schon immer mehr als die Vermittlung von lexikalischen Einheiten und grammatischen Regeln. Aber die inhaltlich-kulturelle Intention, die mit der Sprachvermittlung verbunden war, veränderte sich deutlich im Verlauf der Jahrhunderte. Der Fremdsprachenunterricht wurde-- wie die Synopse in Tabelle 4 zeigt-- zu verschiedenen Zeiten zum Träger ideologischer bzw. politischer Interessen. 30 2 Bedeutung der Unterrichtskultur Zeitraum Inhaltlich-kultureller Schwerpunkt ab Ende des 19. Jahrhunderts Realienkunde nach dem 1. Weltkrieg Kulturkunde Nationalsozialismus Volkstumskunde, Wesenskunde nach dem 2. Weltkrieg Landeskunde mit kulturkundlichem Ansatz ab 1982 Landeskunde mit interkultureller Orientierung ab 90er Jahre Interkulturelles Lernen Tab. 4: Übersicht zur Entwicklung der interkulturellen Dimension. Während lange Zeit das Ziel des Fremdsprachenunterrichts war, Sprecher / innen und / oder Hörer / innen auszubilden, die in ihrer Sprachkompetenz möglichst nahe an die des „native speaker“ herankamen und zusätzlich über einen Rucksack verfügten, der mit praktischem Wissen über das Zielsprachenland, seine Geschichte, seine Geographie sowie mit Informationen zum Überleben im Alltag gefüllt war, hat sich durch die Diskussion zum Interkulturellen Lernen diese Zielsetzung völlig verändert. Vor allem der Lerner / die Lernerin wurde zum Ausgangspunkt neuer fachdidaktischer Orientierungen, indem davon abgesehen wurde, ihn oder sie zu einem „near native speaker“ zu machen. Im Zuge der Lernerorientierung wurde der Schüler / die Schülerin zu einer Person, die aktiv in den sprachlichen und kulturellen Lehr-/ Lernprozess eingebunden wird (vgl. 3.2). In seinem fünfstufigen „Model of Intercultural Communicative Competence ( ICC )“ bestimmt Michael Byram (1997) fünf „savoirs“, auf deren Ausbildung hin der Fremdsprachenunterricht ausgerichtet ist. Es sind dies die Bereiche: ▶ savoirs (Wissen), ▶ savoir être (Identität eines interkulturellen Sprechers), ▶ savoir comprendre (Fähigkeit, eine andere Kultur zu verstehen), ▶ savoir apprendre (Fähigkeit, neues Wissen zu erwerben), ▶ savoir s‘engager (Fähigkeit, fremde Kultur kritisch zu reflektieren). Interkulturelles Lernen wird zum übergreifenden Ziel eines Fremdsprachenunterrichts, in dem die Sprache selbst nur eine Möglichkeit darstellt, sich einer anderen soziokulturell zu nähern. Bestimmend ist das Bild einer Lernerin / eines Lerners, die / der zu einem Mittler zwischen den Kulturen wird, ohne dass sie / er ihre / seine eigene Identität aufgibt. Aber die Identität erfährt eine Bereicherung durch Elemente der Zielsprachenkultur. Moment der Reflexion Johann kommt aus der Schule. Er besucht die 5. Klasse und erzählt seinen Eltern, dass er ab jetzt für die Englischlehrerin nur noch „John“ sei. Sie habe allen Lernenden in der Klasse jetzt englische Vornamen gegeben. Wie stehen Sie zu dieser Handlung? Ein guter Beitrag für das interkulturelle Lernen? 31 2.2 Interaktionsebene I: Fachbezogene Dimension Entsprechend dieser veränderten Zielsetzung bekommt auch der Klassenraum eine geänderte Bestimmung. Wurde früher- - z. B. angereichert durch Plakate aus dem Zielsprachenland- - suggeriert, man sei jetzt im Land der Zielsprache, wird der Klassenraum nun zum „dritten Ort“ (vgl. Kramsch 1993), zu einem Raum, in dem Kulturen in Teilen reflexiv miteinander in Kontakt treten können. Der Klassenraum bildet dabei keine starre Lernumgebung, sondern es ist der Ort, an dem durch das aktive Lernen, eigene identitäre Erfahrungen mit den neuen fremdkulturellen Wissenselementen gemacht werden können und so neues Wissen generiert und reflektiert wird. Lernprozesssteuerung Schon im ersten Kapitel wurden u. a. mit Bezugnahme auf Kumaravadevelu (2006) grundlegende Neuorientierungen in der methodischen Ausgestaltung des Fremdsprachenunterrichts angesprochen. Unter dem Gesichtspunkt der Unterrichtskultur soll der Aspekt der Veränderung in der Methode an dieser Stelle noch einmal beispielhaft beleuchtet werden. Ausgangspunkt ist der folgende Unterrichtsentwurf aus dem 1995 erschienenen Buch von Ludger Schiffler mit dem Titel Planung des Französisch-Anfangsunterrichts. Zum besseren Verständnis ist zu ergänzen, dass sich der Unterricht auf ein unterrichtsbegleitendes Lehrwerk stützt und die Stunde das „futur composé“ zum Gegenstand hat. Moment der Reflexion Sehen Sie sich die Stundenplanung aufmerksam an. Welches sind die Planungsvorgaben, denen Sie heute nicht mehr folgen würden? Minuten Phasen Medien Sozialform 8-10 Einführung des narrativen Teils bis „ensemble“ nach der direkten Methode. 3 Frage-Antwort-Ketten der Schüler untereinander. T, TZ F GG 3-4 Lehrer liest vor und Schüler sprechen mit phonetischen Korrekturhilfen nach. F 4-6 Lehrer spielt pantomimisch den Kranken und schreibt die entsprechenden Ausdrücke im futur composé an die Tafel. G, T F 15 Die Schüler finden in Gruppen ihre eigene Dialogversion zur Bildgeschichte. Lehrer korrigiert und gibt Vokabel- und Formulierungshilfen. F, P. OHP G 2 Aufgabenstellung H F 8-10 Vorlesen und Korrektur der Gruppenarbeiten OHP F, P F 3 Der Text der Sprechblasen wird mit der Bildgeschichte gezeigt und auf Cassettenrekorder vorgespielt. OHP C F MEDIEN : B = Buch, C = Cassettenrekorder / CD -Player, F = OH -Folie, G = Gestik und Mimik (Pantomime) des Lehrers, H = Hausheft, OHP = Overhead-Projektor, P = Papier in Loseblattform, T = Tafelanschrieb, TZ = Tafelzeichnung, Z = Zeichnung auf einer Wandtafel, Flip-chart oder dem OH -Projektor; SOZIALFORMEN : E = Einzelbzw. Stillarbeit (Überprüfung), F = Frontalunterricht (Lehrer oder Schüler vor der Klasse), G = Gruppenarbeit (ab 3 Schülern), GG = Gesamtgruppe (Diskussion, Spiel, Frage-Antwort-Kette usw.), P = Partnerarbeit (2 Schüler) (Schiffler 1995: 52) 32 2 Bedeutung der Unterrichtskultur Was an dem Stundenentwurf zuerst auffällt, ist die dominierende Rolle der Lehrkraft, die klar angelegte Phasierung der Stunde mit den Phasen „Einführung“, „Übung“ und „Festigung“, die minutiöse Festlegung der Abfolge der Unterrichtsschritte sowie der Eindruck, dass der Lehr-/ Lernprozess im methodischen Gleichschritt für alle Schülerinnen und Schüler verläuft. Die Aktivität der Lehrperson in der Stunde ist erheblich. Wenn man von den letzten drei Minuten absieht, ist die Lehrkraft in den übrigen Phasen aktiv und vor allem mit Präsentations- und Korrekturaufgaben beschäftigt. Ein solches Verständnis der Lehrerfunktion ist problematisch. Der Sprechanteil der Lehrperson ist vermutlich hoch und der normale Ablauf besteht darin, dass „Lehrpersonen Fragen und Impulse an die Klasse geben, die Schüler darauf reagieren und die Lehrperson dann darüber entscheidet, wie sie diese aufgreift und weiterführt“ (Seidel 2014: 797). In gewisser Weise garantiert die Lehrkraft das Erreichen der Lernziele und sichert zugleich die Klassenführung. Die aktuelle fachdidaktische und pädagogische Diskussion zur Arbeit der Lehrkraft setzt andere Akzente. Aus heutiger Sicht ist die wesentliche Aktivität der Lehrkraft vorgelagert in der Ausarbeitung von Angebotsstrukturen für die Schülerinnen und Schüler (vgl. das Angebot-Nutzen-Modell von Helmke 2015). Ausgangspunkt der Planung ist dabei in der Regel das zu erreichende Ziel (Output-Orientierung). Die Stunde wird also rückwärts geplant (backward planning) unter besonderer Beachtung der Vorkenntnisse der Lernenden, individueller Stärken und Schwächen auf Seiten der Schülerinnen und Schüler sowie mit einem Lehrmaterial, das einerseits motiviert und das andererseits die Effizienz des Lehr- und Lernprozesses sicherstellt. Auf der Grundlage einer solchen Unterrichtsplanung kann sich die Lehrkraft im Unterricht auf die Sicherung des Lernprozesses konzentrieren, indem individuell Rückmeldungen (auch, aber eben nicht nur, in Form von Korrekturen) an die Lerngruppe und vor allem an einzelne Lernende gegeben werden, gleichzeitig kann die Lehrkraft das Feedback der Lernenden zur flexiblen Strukturierung der nächsten Schritte nutzen. Ein Fremdsprachenunterricht, der von Lernenden als langweilig empfunden wird, folgt vermutlich einem Ablaufschema wie in dem oben zitierten Beispiel der Unterrichtsstunde im Anfangsunterricht. Eine von der Lehrkraft gesteuerte Abfolge von Einführung, Festigung und Anwendung wurde lange Zeit als optimale Unterrichtsstruktur für einen, auch vermeintlich auf eine affektive Ebene abzielenden, Lernprozess angesehen. Die sich dadurch notwendigerweise ergebende Monotonie innerhalb eines Schuljahres wurde unterschätzt. Eingestreute Stunden mit Abwechslungsmomenten (spielerische Aktivität in der Fremdsprache, Stunden, in denen ein song oder ein chanson im Mittelpunkt standen, in denen vielleicht auch mal ein Rollenspiel inszeniert wird) sind in der Regel unzureichend, um neue Motivation für das Lernen freizusetzen. Tina Seidel (2014) konstatiert aufgrund der Forschungsbefunde zur unterrichtlichen Interaktion kritisch eine „Engführung von Lernprozessen“ (Seidel 2014: 797). Die in dem Stundenentwurf minutiös kalkulierte Abfolge der Unterrichtsschritte illustriert diese Aussage. Aufgrund des präzise kalkulierten zeitlichen Umfangs jeder einzelnen Aktivität ist kaum vorstellbar, dass von der Vorgabe abgewichen werden kann, wenn etwa ein Lerner oder eine Lernerin besondere Verständnisschwierigkeiten bei einer Aufgabe hätte. Was in dem 33 2.2 Interaktionsebene I: Fachbezogene Dimension Unterrichtsentwurf wie ein idealer Ablauf aussieht, ist in Wirklichkeit ein Sicherheitsgerüst der Lehrkraft für einen Unterricht, der alle Lernenden verpflichtet, im gleichen Tempo die vorgegebenen Aktivitäten zu vollziehen. Dem Stundenentwurf liegt ein Verständnis eines Lehr-/ Lernprozesses zugrunde, dessen Aktivitäten ausschließlich von der Lehrkraft bestimmt und gesteuert werden. Die scheinbare Gleichbehandlung aller Schülerinnen und Schüler verrät aber angesichts der Unterschiedlichkeit der Lernenden eine Unterrichtskultur, die von der Realität überholt wird. Ein Unterricht, der als Lernumgebung verstanden wird, die es dem einzelnen Lerner / der einzelnen Lernerin ermöglicht, einen Lernweg einzuschlagen, der seinem / ihrem Lernpotential entspricht und bei dem eine individuelle Lernberatung durch die Lehrkraft steuernd eingreift, steht für eine andere Unterrichtskultur mit grundlegend anderen Prinzipien. Das folgende Prozessmodell des Lehr-/ Lernprozesses zeigt das veränderte Verständnis von Lernen. Die Explizierung der Lernziele in Verbindung mit einem Angebot von Lernaktivitäten in Form von Aufgaben und Strategiehilfen bildet die Ausgangslage, bevor die Lernenden mit ihren Lernaktivitäten beginnen. Der Lernprozess mündet in eine aktive Evaluationsphase in Rückbindung an die anfangs gesetzten Lernziele. Der Lehrkraft selbst kommt eine die Lernprozesse regulierende Aufgabe zu. Abb. 3: Prozessorientiertes kognitives Modell (Bolhuis 2003 in: Seidel 2014: 785). Formen der Rückmeldung und Evaluation Andreas Helmke (2014) zitiert einen Beobachtungsbogen der Bayerischen Qualitätsagentur. In dem Dokument wird zu dem Begriff „Lernklima“ ausgeführt, dass „eine positive Grundeinstellung gegenüber Lernen und Leisten sowie ein vertrauensvolles Klima zwischen Lehrkräften und Schülern sowie zwischen den Schülern-[…] Grundlagen für Lernbereitschaft und Lernvermögen [sind]“ (ebd.: 639). Ein Blick auf den obigen Stundenentwurf wirft die Frage auf, ob das „Korrigieren“, wie es innerhalb der Stunde mehrmals erfolgt, die ausschließliche Maßnahme ist, die diesem Anspruch gerecht wird. „Korrigieren“ durch die Lehrkraft impliziert im Kontext des sprachlichen Lehr-/ Lernprozesses immer das Vorausgehen eines sprachlichen Defizits auf Lernendenseite. Lehrerinnen und Lehrer, die ihre verbalen Handlungen in der Schulstunde auf das Stellen von 34 2 Bedeutung der Unterrichtskultur Arbeitsaufträgen sowie das Korrigieren von Lerneräußerungen beschränken, haben eine eher negative Vorstellung von der Lernbereitschaft sowie dem Lernvermögen der Schülerinnen und Schüler. Eine „positive Grundeinstellung“ lässt sich jedenfalls so von der Perspektive der Lernenden aus wohl nicht erkennen. Nun ist das Korrigieren fehlerhafter mündlicher oder schriftlicher Äußerungen in der Fremdsprache durch die Lehrkraft oder einzelne Mitschülerinnen und Mitschüler natürlich unverzichtbar. Aber die Diskussionen und Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte haben das Korrekturverhalten und die Evaluation von Lernendenleistungen in einen größeren Zusammenhang gestellt in Verbindung mit den Begriffen „Rückmeldung“ oder „Feedback“. In der Analyse von Hattie (2014) wird deutlich, dass Feedback zu den Faktoren des Unterrichts mit den stärksten Effektstärken gehört (d-= 0,73). Allerdings meint Feedback eben mehr als nur Korrektur, wie das nachfolgende Modell, das zugleich die Komplexität des Feedbackprozesses abbildet, zeigt. Folgende Erkenntnisse zum Feedbackverhalten unterstreichen die Bedeutung dieses Faktors für ein positives Lern- und Klassenklima: ▶ Feedback muss mit dem Vorwissen der Lernenden kompatibel sein. Feedback kann nur auf etwas aufbauen. (ebd.: 211) ▶ Die richtige Form von Feedback muss auf dem oder etwas oberhalb des Niveaus liegen, auf dem die Lernenden arbeiten. (ebd.: 210) ▶ Feedback darf keine ernsthafte Bedrohung der Person auf der Ebene des Selbst darstellen. (ebd.: 211) Moment der Reflexion Hattie (2014: 291) stellt allgemein fest: „Herausfordernde Ziele erhöhen die Effektivität und den Bedarf nach Feedback. Wenn das Ziel einfach ist, ist Feedback nicht nötig. Aber wenn es schwierig ist, besteht auch eine erhöhte Notwendigkeit dafür.” Wie beurteilen Sie diese Aussage, wenn Sie an den Anfangsunterricht in der Fremdsprache denken? Wo sehen Sie die Unterscheidung in einfache und herausfordernde Ziele aus Ihrer Sicht und aus Sicht der Lernenden? Lehrkräfte sollten Schülerleistungen und -reaktionen aber auch als Feedback für ihr eigenes Verhalten nutzen. Die Lernenden sind es, die letztlich das Lernangebot annehmen oder nicht. Umso wichtiger ist es für die Lehrkraft, festzustellen, ob mit Erfolg gelernt wird oder nicht. Klassenarbeiten und Klausuren allein können nicht der einzige Gradmesser für erfolgreichen Unterricht sein-- noch nicht einmal für die häufig bemühten 50 % in der Notengebung, die teils leider noch formal vorgegeben werden. Das permanente Bemühen, aus dem laufenden Unterricht Rückmeldungen für die eigenen Lernangebote zu erhalten, bietet die Grundlage dafür, Überzeugungen zur eigenen Wirksamkeit als Lehrkraft und den initiierten Lernprozessen zu hinterfragen, vor allem, um Bestätigung für die eigene Unterrichtsplanung zu erhalten, oder aber Hinweise, die gegebenenfalls eine Modifikation nahelegen. 35 2.3 Interaktionsebene II: Lernerbezogene Dimension Abb. 4: Feedbackverfahren nach Hattie (2014: 209). 36 2 Bedeutung der Unterrichtskultur 2.3 Interaktionsebene II : Lernerbezogene Dimension Emotionalität Wer schon einmal eine benotete Klassenarbeit an Schülerinnen und Schüler zurückgegeben hat, weiß um die Bedeutung des Kontextfaktors „Emotion“ in der soziokulturellen Praxis des Miteinanders von Lehrkraft und Schülerin bzw. Schüler. Dies ist eine Praxis, die deutlich die Ebene des „reinen“ Lehr-/ Lernprozesses überlagert (vgl. Lantolf 2000). Und zwar auf beiden Seiten! So machen Gespräche mit erfahrenen Lehrkräften immer wieder deutlich, dass Emotionen eine nicht zu übersehende kommunikative Funktion im Unterricht haben. Und die Statements von Schülerinnen und Schülern über einzelne Lehrerinnen und Lehrer sind oft von emotionalen Ausdrücken durchsetzt. So eindeutig das naive Verständnis von Emotionen und ihrer Bedeutung im Unterricht zu sein scheint, so schwierig ist es, eine wissenschaftliche Definition von Emotionen vorzuschlagen, denn die Forscher beschäftigen sich mit unterschiedlichen Merkmalen von Emotionen oder sie beurteilen einzelne Merkmale aus unterschiedlicher theoretischer Perspektive (Horstmann / Dreisbach 2012: 141). Es ist das Verdienst von Kleinginna / Kleinginna (1981), eine exhaustive Diskussion der unterschiedlichen Definitionsansätze geleistet zu haben. Unter Bezugnahme auf diese Arbeit nimmt Goschke (2016) die folgende Kategorisierung von Emotionsdefinitionen auf der Grundlage der jeweils zentralen Merkmale vor. Bewusstes Erleben „Zustand, in dem eine Person ein bestimmtes Gefühl erlebt“ Physiologisch „Verhalten, primär durch viszerale Reaktionen beeinflusst“ Kognitiv / evaluativ „schließen Bewertungen von Sachverhalten ein“ Ausdruck „Emotionen und ihr Ausdruck bilden eine existentielle Einheit“ Syndromal „komplexes Konzept mit neurophysiologischen, muskulären und phänomenologischen Aspekten“ Motivational „motivationale Zustände“ Adaptive Funktion „Signal, das den Organismus […] vorbereitet“ Störung / Unterbrechung „führt zur Unterbrechung der üblichen Verhaltensmuster“ Tab. 5: Kategorisierung von Emotionsdefinitionen (nach Goschke 2016). Zusammenfassend lassen sich Emotionen als objektgerichtete psychische Reizmuster bezeichnen, die eine affektive (Gefühlszustand), eine kognitive (Gedanken, Erwartungen), eine expressive (körperlicher Ausdruck), eine motivationale (Handlungsabsicht) sowie eine physiologische (körperliche Prozesse) Komponente beinhalten (vgl. Hascher / Edlinger 2009: 107). Im Gegensatz zu einer latenten Stimmung bezüglich einer Person oder Situation, die ihren Ausdruck in Äußerungen auf Lehrerseite findet wie „Die 8a ist ganz in Ordnung. Ich unterrichte da gerne.“ und auf Schülerseite wie „Frau Keitel ist eine gute Lehrerin. Manchmal ein bisschen streng, aber sonst O. K.“ bezeichnen Emotionen spontane Reaktionsmuster, die nur 37 2.3 Interaktionsebene II: Lernerbezogene Dimension Sekunden oder Minuten andauern und als deren Auslöser ein punktuelles Ereignis fungiert. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass erlebte Emotionen längerfristige Wirkungen nach sich ziehen. Das nachfolgende Tableau gibt nicht nur Einblick in die Forschungsansätze, sondern es zeigt auch, dass es gilt, momentane Prozesse und Konsequenzen in ihrer Auswirkung auf längerfristige Entwicklungen wahrzunehmen und zu reflektieren. Moment der Reflexion Gehen Sie die verschiedenen Prozesse der nachfolgenden Übersicht durch und versuchen Sie, Ihre eigenen Erfahrungen bei der Beantwortung der Fragen einzubringen. Aktualgenetische Prozesse und Effekte Längerfristige Veränderungen und Entwicklungen (1) Lehreremotionen als abhängige Variable z. B.: Welche Emotionen entstehen im beruflichen Handeln von Lehrpersonen und welche Prozesse spielen dabei eine wichtige Rolle? z. B.: Wie entstehen und wie verändern sich emotionale Dispositionen im Verlauf der beruflichen Karriere von Lehrpersonen? (2) Lehreremotionen als unabhängige Variable z. B.: Wie wirken sich aktuell erlebte Emotionen auf die Einschätzung und das Verhalten von Lehrpersonen im Unterricht aus? z. B.: Welchen Einfluss haben emotionale Erfahrungen auf die Persönlichkeitsentwicklung und die psychische Gesundheit von Lehrpersonen? Tab. 6: Wirkung von Lehreremotionen (Krapp / Hascher 2014: 517). Gut zu wissen In der Motivationsforschung werden die beiden folgenden Ansätze zur Beschreibung der Struktur von Emotionen unterschieden. Dimensionale Ansätze gehen davon aus, dass es eine begrenzte Anzahl grundlegender Dimensionen gibt (Valenz, Erregung), die es erlauben, Emotionen zu beschreiben. Die linguistische Analyse von sogenannten Emotionswörtern (Ärger, Furcht, Angst …) oder die Anordnung durch Probanden unter Berücksichtigung ihrer semantischen Füllung sowie die Arbeit mit Bildern, die bei Probanden ein Erregungspotential auslösen, sind empirische Verfahren zum Bestimmen grundlegender Dimensionen von Emotionen. Die Ergebnisse dieses Ansatzes sind aber u. a. deshalb unbefriedigend, weil sie nicht geeignet sind, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen spezifischen Emotionen zu beschreiben (vgl. Goschke 2013). Die Annahme einer bestimmten Anzahl universeller, angeborener Basisemotionen, die sich zu Clustern zusammensetzen, zeichnet die Kategorialen Ansätze aus. Einer vergleichenden Gegenüberstellung verschiedener Basisemotions-Theorieansätze bei Goschke (2013) sind die folgenden Theorien entnommen, die diese Forschungsrichtung gut illustrieren. Zugleich wird ein kritischer Punkt, nämlich die Unbestimmtheit der Anzahl von Basisemotionen, deutlich. 38 2 Bedeutung der Unterrichtskultur Arnold (1960) Furcht, Liebe, Ärger, Traurigkeit, Hass, Hoffnung, Begehren, Mut, Niedergeschlagenheit, Verzweiflung, Widerwille Gray (1982) Furcht, Ärger, Freude Ekman (1982) Furcht, Freude, Ärger, Traurigkeit, Ekel, Überraschung Izard (1987) Furcht, Freude, Ärger, Traurigkeit, Ekel, Überraschung, Interesse, Verachtung, Scham, Schuld Tab. 7: Theorieansätze zu Basisemotionen nach Goschke (2013). Für den Fremdsprachenunterricht hat Cronjäger (2007) auf der Grundlage des kategorialen Ansatzes eine unterrichtsbezogene Skalierung mit den Unterrichtsemotionen Freude, Stolz, Ärger, Angst, Langeweile und Scham für die Erfassung von Lernemotionen im Französischunterricht verwendet. Die Daten der empirischen Untersuchung zeigen u. a. das höhere Ausmaß des Erlebens von positiven Emotionen (Freude, Stolz) im Vergleich zu negativen Emotionen (Ärger, Angst) sowie ein intensiveres Erleben positiver Emotionen bei Mädchen im Vergleich zu Jungen. Mit Bezug auf das zu Beginn des Kapitels beschriebene Verständnis des Unterrichts als sozial-kulturelle Interaktionsinstanz ist es unmittelbar einsichtig, dass Emotionen in der Praxis sowohl für die Lehrkraft als auch für Schülerinnen und Schüler ein wichtiges Element darstellen. Für Lehrerinnen und Lehrer bedeutet der doppelte Fokus, nämlich der der Selbstwahrnehmung der eigenen emotionalen Verfassung einerseits und der der Wahrnehmung emotionaler Zustände von einzelnen Lernenden andererseits eine besondere Herausforderung, auf die nachfolgend im Rückgriff auf Unterrichtserfahrungen eingegangen werden soll. Der Unterrichtsalltag ist für die Lehrkraft immer wieder ein Wechselbad zwischen erfreulichen und ärgerlichen Vorkommnissen, die in der Regel nicht vorhersehbar sind und die gerade deshalb einen Auslöser für Emotionen darstellen, die verbal und / oder nonverbal zum Ausdruck gebracht werden. Die verbale Äußerung von Lob und Anerkennung für die gute Leistung eines Lerners / einer Lernerin oder einer Lerngruppe, aber auch verbale Kritik an einer ungenügenden Leistung oder an einem Verhalten müssen eindeutig verständlich in ihrer Intention sein, ohne dass dabei Lernende in ihrer Persönlichkeit verletzt werden. Die Devise der Reziprozität der verbalen Äußerung zwischen Lehrperson und Lerner / Lernerin sollte gerade auch dann gewahrt sein, wenn man als Lehrkraft merkt, wie stark physiologische Anzeichen (erhöhter Puls, trockener Mund) den Erregungsgrad spürbar machen. Der Hinweis auf ein Einzelgespräch mit der Schülerin / dem Schüler nach Abschluss der Stunde kann eine nützliche kognitive Entscheidung sein, um den ausgelösten Emotionsschub abzubauen und um vor allem auch der Herausbildung eines Streberbzw. Märtyrermythos bezüglich einzelner Lerner / innen vor der Klasse vorzubeugen. Schwieriger ist die Situation bezüglich des Zusammenhangs zwischen Emotionen und dem nonverbalen Verhalten aus zwei Gründen. Erstens werden nicht-verbale Reaktionen-- stärker noch als verbale Äußerungen-- als „persönlicher“ aufgefasst. Und es wird zweitens oft argumentiert, dass das nonverbale Verhalten zur Persönlichkeit gehöre und man eben mit 39 2.3 Interaktionsebene II: Lernerbezogene Dimension bestimmten Reaktionen leben müsse, da sie nicht veränderbar seien. Beide Aussagen sind nicht vorbehaltlos zu akzeptieren. Der ersten Überzeugung ist entgegen zu halten, dass Professionalität im Lehrerberuf immer auch bedeutet, sich in seiner Art auf besondere gesellschaftliche Gegebenheiten ein- und umzustellen. Nonverbales Verhalten, das im Familienkreis praktiziert und akzeptiert wird, kann in der Realität des Unterrichts gegenüber Schülerinnen und Schülern unangebracht sein. Das zweite Argument straft das vielfältige Angebot an Coachingseminaren zu nonverbalem Verhalten und seiner Regulierung Lügen, die für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der freien Wirtschaft mit großem Erfolg angeboten werden. So wie man seine Stimme trainieren kann, so ist es auch möglich, sein expressives Verhalten (Mimik, Gestik und Körperhaltung) bewusst zu steuern und gegebenenfalls zu verändern. Ekman und von Friesen (1969) unterscheiden fünf Kategorien nonverbalen Verhaltens, die eine gute Orientierung für Lehrerinnen und Lehrer geben. Während vier Kategorien stärker im Zusammenhang mit verbalen Äußerungen eine Rolle spielen (vgl. 4.2), steht die Kategorie der „affect displays“ in einem direkten Zusammenhang mit emotionalen Zuständen. Affect displays sind spontane Reaktionen, die als Signale ihren Ausdruck im Gesicht oder in der Körperhaltung finden. Schülerinnen und Schüler lesen im Gesicht und interpretieren die Körperhaltung bezüglich der emotionalen Verfasstheit der Lehrperson zum Beispiel in folgenden Situationen und stellen folgende Vermutungen an: Situation affect display Hypothese Vor der Rückgabe einer Klassenarbeit oder Klausur strenger Gesichtsausdruck (auch in Verbindung mit unfreundlicher Begrüßung) Arbeit / Klausur ist schlecht ausgefallen Während eines Schülervortrags (Hausaufgabe, Ergebnis Gruppenarbeit) Hochziehen der Augenbrauen, Vorschieben der Unterlippe Positive Bearbeitung der Aufgabe Laute ungeregelte verbale Auseinandersetzung zwischen Lernern Rötung des Gesichts, Weites Öffnen der Augen Bevorstehender Wutausbruch Lautes Rülpsen Lachen Lehrperson ist offen für abweichendes Verhalten Tab. 8: Situationsabhängiges nonverbales Verhalten und mögliche Reaktionen. Die professionelle Herausforderung für die Lehrkraft besteht nicht nur darin, sich dieser impliziten Mechanismen in der unterrichtlichen Interaktion bewusst zu werden, sondern die eigenen emotionalen Reaktionen aus der Sphäre der Spontaneität weitgehend herauszunehmen, also Emotionen zu kontrollieren und in ein reflektiertes Verhalten zu überführen. Die Bedeutung dieser Emotionsarbeit ist aus zwei Gründen wichtig: erstens, um eigene Unsicherheit zu überwinden und zweitens, um auf dem Wege eines verlässlichen und vorhersehbaren Verhaltens gegenüber den Schülerinnen und Schülern eine solide Sozialbeziehung zum Ausdruck zu bringen. 40 2 Bedeutung der Unterrichtskultur Sieland fordert in diesem Zusammenhang von Lehrkräften „eine innere Regulation, die sich an professionellen ethischen Grundsätzen orientiert“ (Sieland 2011: 116) und weist zugleich auf die folgenden Paradoxa hin: Erstens ist das Erziehungshandeln immer eine Synthese aus Wertschätzung und Konfrontation, zweitens ist die Lehrkraft immer angehalten, sich in die einzelnen Lernenden einzufühlen und gegebenenfalls ein Gefühl der Ablehnung in der Sache mit dem der persönlichen Wertschätzung zu verbinden. Damit schwenken wir auf die Seite der Lernenden. Das Interesse der Lehrkraft an dem einzelnen Schüler und der einzelnen Schülerin und seinem / ihrem Engagement für das Fach wird positiv von dem / der Lernenden aufgenommen. Das Gefühl eines sozialen Eingebundenseins sowie das Erleben der Anerkennung der einzelnen Persönlichkeit bilden ein Wertebündel, das positive Emotionen auslöst. Forschungsergebnisse zeigen auch, dass positive Emotionen bei Schülerinnen und Schülern zu einem vertieften Lernen führen, während negative Emotionen wie Langeweile oder Angst nur eine distanzierte, oberflächliche Auseinandersetzung mit der Lernaufgabe oder dem Inhalt nach sich ziehen (vgl. Sann / Preiser 2008). Eine positive Feedbackkultur sowie Transparenz in den Anforderungen als tragende Elemente der Unterrichtskultur bewirken bei den Lernenden eine Reduktion der Angst, eine positive Einstellung wird gefördert. Für die Lernenden unterscheiden Sann / Preiser (2008: 215) Lern- und Leistungsemotionen. Lernemotionen werden ausgelöst durch die Unterrichtsgestaltung, durch die Autonomieentwicklung, durch Leistungsanforderungen sowie die Wertevermittlung. Die konsequente Orientierung der Lernumgebung an den Bedürfnissen und Voraussetzungen der Lernenden im Verbund mit einem breiten Angebot an Eigenaktivitäten bilden ideale Voraussetzungen für das Auslösen positiver Emotionen. Die Erwartung an eine subjektive Erfolgswahrscheinlichkeit in Verbindung mit einem Erfolgsanreiz bilden wichtige Grundlagen von Leistungsemotionen. Der subjektiv empfundene Schwierigkeitsgrad einer zu lösenden Aufgabe kann entscheidend für die Leistungsemotion sein, die sich auf einer Skala zwischen Freude und Ärger bewegt. Erscheint die Aufgabe als zu schwer, sind Vermeidungsstrategien bei den Lernenden zu beobachten, die sich die Lösung nicht zutrauen. Erfolgsmotivierte Lernende suchen hingegen positive Anreize durch die erfolgreiche Auseinandersetzung mit mittelschweren Aufgaben. Die Ausbildung emotionaler Kompetenz ist also eine wichtige Facette eines kontextsensiblen Unterrichtens. Sie ist einerseits eine individuelle und vielschichtige Aufgabe jeder Lehrperson. Sie ist aber auch eine Aufgabe, die trainierbar ist und die deshalb in allen Phasen der Lehrer- und Lehrerinnenausbildung thematisiert werden muss. 41 2.3 Interaktionsebene II: Lernerbezogene Dimension Moment der Reflexion Sie kennen sicher auch Kolleginnen und Kollegen, die nach der Durchsicht der Hausaufgabenhefte oder am Ende der Klassenarbeit ihre Beurteilung durch einen Stempel mit einem Smiley (positiv oder negativ) ergänzen. Was halten Sie davon? Welche Erfahrungen haben Sie eventuell selbst mit dem Verfahren gemacht? Wäre dies ein Thema für ein Gespräch mit den Fachkolleginnen und Fachkollegen? Vertrauen Moment der Reflexion Wie würden Sie in den nachfolgenden Situationen aus dem Unterrichtsalltag handeln? 1. Ihnen wird während des Unterrichts bewusst, dass Sie ihren USB-Stick in Ihrem Fach im Lehrerzimmer vergessen haben. Verlassen Sie kurzfristig die Klasse, um ihn zu holen? 2. Bei der Durchsicht der schriftlichen Hausaufgaben stellen Sie fest, dass eine Schülerin die Hausaufgabe nicht gemacht hat. Sie behauptet, die Aufgaben zusammen mit ihrer Nachhilfelehrerin auf einem Zettel gemacht zu haben, der zuhause liegt. Glauben Sie ihr? 3. Sie teilen einer 8. Klasse am Tag vor der Klassenarbeit mit, dass die Klassenarbeit in einem anderen Raum geschrieben wird, damit jeder einen Arbeitsplatz hat. Einzelne Schülerinnen und Schüler sagen, dass dies „fies“ sei und äußern, dass diese Maßnahme nur erfolge, weil man kein Vertrauen in die Schülerinnen und Schüler habe. Wie reagieren Sie? Gemeinsamer Nenner in der Entscheidungsfindung in diesen Situationen ist die Frage des Vertrauens zwischen den am Unterrichtsprozess direkt Beteiligten, zweier sensibler Kontextfaktoren, der- - wie Forschungsarbeiten (vgl. z. B. Schweer 1997 / 2017) zeigen- - einen wesentlichen Aspekt für die Qualität der Arbeit und für die Beziehung zwischen Lehrerinnen und Lehrern und Schülerinnen und Schülern darstellt. Vertrauen hat eine Angst mindernde Wirkung, kann das individuelle Interesse steigern und ist somit förderlich für den Lernprozess. Vertrauen in einen Menschen zu haben ist ein Grundbedürfnis, das zugleich von jedem der Beteiligten gewünscht wird. Die Besonderheit in der Lehrperson-Lernende-Beziehung liegt darin, dass sich keine Seite ihr Gegenüber aussuchen kann und dass auf den ersten Blick die Kräfteverhältnisse ungleich verteilt sind (vgl. auch Oevermann 1996, der von einem „Arbeitsbündnis“ zwischen Lehrperson und Lernenden spricht). Es ist aufgrund dieses Verhältnisses und der möglichen Relativierung als „Arbeitsbündnis“ offenbar die Lehrkraft, die über ein größeres Potential verfügt, um Vertrauen zu initiieren. Aber Gespräche mit jungen Lehrerinnen und Lehrern zeigen auch ihre Zweifel und Skepsis hinsichtlich des Vertrauens, das die Klasse ihnen entgegenbringt. Vertrauen hat eine kognitive, eine emotionale sowie eine behaviorale Dimension. Reale oder kolportierte Informationen über die Lehrkraft oder die Klasse konstituieren die kogniti- 42 2 Bedeutung der Unterrichtskultur ve Dimension. Wechselseitige Gefühle („Ich mag sie nicht“ bzw. „In der Klasse unterrichte ich ungern“) sind emotional verankerte Statements. Die einleitend geschilderten Situationen verlangen ein bestimmtes Verhalten, womit die zuletzt genannte Dimension angesprochen wird. Als ganz wichtig für den Aufbau von Vertrauen wird in den einschlägigen Forschungsbeiträgen die Qualität des Anfangskontakts bezeichnet (vgl. Schweer 2017). Deshalb ist es für die Fachlehrerin / den Fachlehrer wichtig, sich gründlich zu überlegen, wie man sich in einer neuen Klasse vorstellt. Wenn man weiß, dass Unterstützung, Zugänglichkeit, Respekt und Aufrichtigkeit als die Parameter einer vertrauenswürdigen Lehrkraft gelten, wird es bei der Erstbegegnung vor allem darum gehen, zu diesen Erwartungen auf Seiten der Lernenden Aussagen zu machen. Vertrauen kann auf beiden Seiten enttäuscht werden. Die Folge ist eine emotionale und kognitive Distanz, die das Unterrichtsklima sehr grundlegend über einen längeren Zeitraum beeinträchtigen kann. Einzelne Schülerinnen und Schüler können unter bestimmten Lehrkräften stark leiden. Die Arbeitszufriedenheit von Lehrerinnen und Lehrern kann ebenfalls stark durch ein mangelndes Vertrauensverhältnis beeinträchtigt werden, das bis hin zur Erschöpfung und Krankheit (Burnout) führen kann. Positiv gewendet gilt aber auch, dass Vertrauen „das Gefühl der Verletzlichkeit [verringert], das Lehrpersonen erleben, wenn sie neue und unsichere, mit Reformen verbundene Aufgaben angehen. Es fördert die Bemühungen der Lehrpersonen, Innovationen in ihrer Klasse einzuführen, um einen effektiveren Unterricht zu entwickeln“ (Hattie 2014: 283). Moment der Reflexion Von dem Unternehmensberater und Buchautor Jim Clemmer stammt die folgende Liste (http: / / www.innovationmanagement.se/ imtool-articles/ innovation-needs-a-culture-of-trust-and-openness-to-flourish/ ). Geben Sie - je nach der Bedeutung, die Sie dem Faktor für Ihren Unterricht beimessen - eine Punktzahl von 1 weniger wichtig) bis 10 (sehr wichtig). „Vertrauen wird aufgebaut oder zerstört durch das, was wir tun: __ Wie wird mit Fehlern umgegangen? __ Wie stark probieren wir uns selbst aus und wie ermutigen wir andere dazu? __ Wer wird belohnt und wie beachtet für welches Verhalten? __ Welche Unterstützungssysteme und -prozesse sind vorhanden? __ Wie viele und welche Fertigkeiten werden entwickelt und für wen? __ Welche Informationen werden geteilt, von wem und mit wem? __ Halten wir unsere Versprechen? __ Agieren wir wirklich nach unseren Wertvorstellungen? __ Wie klar und konsequent sind unsere Ziele und Prioritäten? “ (unsere Übersetzung) 43 2.3 Interaktionsebene II: Lernerbezogene Dimension Dem Faktor Vertrauen als Teil der Unterrichtskultur kommt also eine große Bedeutung zu, die es immer wieder notwendig macht, das eigene Handeln sowie das der Schülerinnen und Schüler in allen Facetten zu reflektieren. Dazu gehört beispielsweise ein konstruktiver Umgang mit Fehlern, die, als prozessorientierte Chance betrachtet, zu einem angstfreien Unterrichtsklima und einer vertrauensvollen Unterrichtskultur beitragen. Auch kann sich die Fremdsprachenlehrkraft hier als Mensch zeigen, die zwar qua Amt eine höhere Autorität hat und Lernprozesse anleitet und steuert, gleichzeitig aber durch wechselseitiges Vertrauen eine Bindung zu den Lernenden aufbauen kann. Ein wichtiger Baustein, der in diesem Zusammenhang außerdem positiv beiträgt, ist Transparenz. Transparenz Moment der Reflexion Was verbinden Sie mit dem Begriff „Transparenz“? Transparenz als Faktor einer Unterrichtskultur im Fremdsprachenunterricht? In der Unterrichtsplanung im Referendariat wird möglicherweise noch darauf verwiesen, dass es wichtig ist, dass das Vorgehen transparent ist. In Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen spürt man allerdings häufig sofort eine gewisse Skepsis bei diesem Thema: „Ich werde mich hüten, immer die Termine der Klassenarbeiten anzusagen“, „Es macht doch keinen Sinn, den Lernenden zu erklären, welche Bedeutung ‚cleft sentences‘ in der englischen Sprache zukommt. Das interessiert die doch nicht! “ oder „Es ist doch Zeitvergeudung, zu Beginn der Unterrichtsstunde Stundenziele offenzulegen- - das vermiest doch auch die Spannung für die Schülerinnen und Schüler! “ Diese und andere Äußerungen stehen für eine Ablehnung transparenter Unterrichtsstrukturen. Moegling / Schude (2015) bezeichnen Transparenz in Schule und Unterricht als eine „ambivalente Angelegenheit“ und erörtern vor allem mit Bezugnahme auf die Arbeiten von Klafki (1996), Kiper (2013) sowie Hattie (2014) sehr grundlegend die Prinzipien transparenten Arbeitens, ihrer positiven Eigenschaften und ihrer Grenzen der Anwendung in der pädagogischen Praxis. Ausgangspunkt ist Transparenz als Organisationsprinzip einer demokratischen Schule, die durch eine klare, offene Struktur Einblick in administrative und pädagogische Entscheidungsprozesse ermöglicht und in der auf der Ebene des Lehr- und Lernprozesses der Erziehungs- und Bildungsprozess durch die Orientierung an klaren Regeln und Ritualen transparent wird. Abbildung 5 gibt einen guten Einblick in die unterschiedlichen Ebenen von Schule und Unterricht, auf denen Transparenz wirksam werden kann. 44 2 Bedeutung der Unterrichtskultur Abb. 5: Transparenz in der demokratischen Schule (Moegling / Schude 2015: 6). 45 2.3 Interaktionsebene II: Lernerbezogene Dimension Die Übersicht macht auch deutlich, dass Transparenz einen wichtigen Faktor für das Schulleben, für die Einbindung von Schule in einen gesellschaftlichen Kontext sowie für das Wohlbefinden aller Beteiligten darstellt. Für den Unterricht selbst ist Transparenz ein konstitutives Element für ein gutes Unterrichtsklima, für eine Unterrichtskultur, die auch von gegenseitigem Respekt und Vertrauen geprägt ist. Wir unterscheiden Transparenz in Bezug auf vier Zielgruppen: Kolleginnen und Kollegen, Eltern, Schülerinnen und Schüler sowie Personen / Institutionen außerhalb der Schule. (In Kapitel 3.4 wird explizit noch auf die Bedeutung dieser einzelnen Gruppen als Kontextfaktoren eingegangen, auch hinsichtlich der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen an der Schule.) Transparenz im Sinne eines offenen Gedankenaustauschs bildet ein wichtiges Element für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit unter Kolleginnen und Kollegen. Transparenz bedeutet dann bezogen auf diese Gruppe auch, eigene Unterrichtserfahrungen positiver und negativer Art mit den Kolleginnen und Kollegen offen auszutauschen bzw. austauschen zu können, zu reflektieren (siehe Kapitel 4), um selbst aus den Stellungnahmen der anderen Lehrkräfte für sich zu lernen in dem Sinne, dass man Ermutigung für sein eigenes unterrichtliches Vorgehen oder konkrete Anregungen für eine Änderung seiner Unterrichtspraxis erhält. Mit Blick auf die Gruppe der Lernenden bildet Transparenz sowohl ein motivierendes, ein Angst reduzierendes als auch ein den Lernprozess förderndes Element. Im laufenden Unterricht kann ich als Lehrkraft das Interesse und die Aufmerksamkeit der einzelnen Lernenden gewinnen, indem ich ihnen das Stundenthema, seine Bedeutung und das am Ende der Stunde zu erreichende Lernziel knapp erkläre. Das Aufzeigen des Zusammenhangs des neuen Stundenthemas mit den bereits erworbenen Kompetenzen kann nicht nur die Motivation steigern, sondern es gibt auch eine Sicherheit und vermindert Angstgefühle, wenn man als Lehrerin oder Lehrer mit der Präsentation eine Aussage zum vermutlichen Schwierigkeitsgrad des Problems für die Schülerinnen und Schüler macht. Die Schülerinnen und Schüler können sich auf das, was die Lehrkraft vorbereitet hat, einlassen. Im Sinne der in Kapitel 1 bereits dargestellten Zone proximaler Entwicklung nach Wygotski wird den Lernenden so klargemacht, welchen sicheren nächsten Schritt sie mit der Unterstützung der fremdsprachenunterrichtlichen Angebotsstruktur (und auch mit Hilfe der Lehrkraft) gehen können. Wenn man das im Kapitel 1 skizzierte aktuelle didaktische Konzept der Bereitstellung von Lernangeboten verfolgt, ist es umso wichtiger, die Lernangebote mit Informationen zu versehen, die jeder einzelnen Schülerin und jedem einzelnen Schüler ermöglichen, das für ihn passende Lernensemble auszuwählen. Zu den Informationen gehören mindestens transparente Aussagen zum Schwierigkeitsgrad und zum zu erreichenden Lernziel. Eltern sind heute aktive Mitwirkende in der Schularbeit und so ist es wichtig, sie als Fachlehrerin bzw. als Fachlehrer mit Informationen über den einen Elternabend pro Halbjahr hinaus zu versorgen. Die Einrichtung eines Elternbriefes gibt die Möglichkeit, transparent Einblick in das eigene pädagogische Konzept, über Projekte sowie über den Lernfortschritt der Lerngruppe zu geben. Und im Sinne eines interaktiven Arbeitens bietet eine solche Information auch die Möglichkeit, sich Rückmeldungen schriftlicher oder mündlicher Natur einzuholen, indem man z. B. gezielt für Sprechstunden zur Verfügung steht. Zugleich ist aber 46 2 Bedeutung der Unterrichtskultur auch die Gefahr nicht zu verkennen, die darin besteht, dass transparente Strukturen Eltern und Elternverbänden Interventionsmöglichkeiten sowie die Verfolgung von Partikularinteressen eröffnen (Moegling / Schude 2015). Unterricht in der Schule heute- - und gerade der Fremdsprachenunterricht mit seinen (Bildungs-)Zielen und Inhalten-- muss immer auch ein Interesse daran haben, seine Arbeit (und seine Leistungen) in die Öffentlichkeit zu tragen, auch, um sich von dem breiten Angebot privater Anbieter möglicherweise abzusetzen, mit denen das öffentliche Schulsystem in Konkurrenz steht. Transparenz kann in dem Zusammenhang z. B. bedeuten, zusammen mit den Schülerinnen und Schülern für die örtliche Zeitung einen Bericht über ein fremdsprachliches Klassenprojekt oder über eine Projektfahrt in das Zielsprachenland zu schreiben. Auch die Gestaltung eines Schaufensters in der örtlichen Buchhandlung mit fremdsprachiger Literatur bietet einen guten Anlass, die Aufmerksamkeit einer interessierten Öffentlichkeit auf die Schularbeit zu lenken. Schließlich gilt es, die für die Fremdsprache(n) reservierte Seite der Homepage der eigenen Schule ständig zu aktualisieren oder möglicherweise einen Fremdsprachen-Blog der Schule ins Leben zu rufen, der mit Produkten aus Projekten und Lernaufgaben der Lernenden gefüllt werden kann. Eine wohl überlegte Umsetzung des Prinzips der Transparenz wird durch die o. a. Maßnahmen nicht nur zu einem gemeinsamen Anliegen von Lernenden, Eltern und Lehrpersonen sowie der interessierten Öffentlichkeit, sondern vor allem auch ein sichtbares Zeichen einer reichen Unterrichts- und Schulkultur, an der viele Menschen mitwirken und teilhaben. Moment der Reflexion Wenn Sie schon als Fremdsprachenlehrkraft tätig sind, stellen Sie sich einmal die folgende Frage: „Wäre ich gerne selbst Schüler / Schülerin in meinem Unterricht an meiner Schule? “ So provokant die Frage klingen mag, sie kann als erster Anlass dienen, um sich reflexiv mit dem Konzept der Unterrichtskultur zu beschäftigen. Welche Faktoren diese beeinflussen, welche sie positiv wie negativ verändern können, wird noch detaillierter Gegenstand des dritten Kapitels sein. Zusammenfassung Ausgangspunkt für die Ausführungen in dem Kapitel war der Begriff der „Unterrichtskultur“ und nicht etwa der der „Unterrichtsmethode“, obwohl immer wieder methodische Fragen angesprochen wurden. Aber die Ausführungen haben gezeigt, dass eine Beschränkung auf eine Methode mindestens aus zwei Gründen nicht mehr den Anforderungen entspricht, die an unterrichtliches Handeln heute gestellt werden. Erstens ist der Methodenbegriff immer an die Lehrkraft gebunden. Sie entschied in der Vergangenheit immer über das „Wie“ der Vermittlung. Diese lehrpersonenzentrierte Perspektive ist überholt. Es wird in Zukunft darum gehen, „übergreifende Konzepte [zu überlegen], wie wir mit Unterschiedlichkeit umgehen, und nicht nur andere Methoden“ (Kunter 2014: 62). 47 2.3 Interaktionsebene II: Lernerbezogene Dimension Zweitens zeigen die Ausführungen, dass es viele Faktoren gibt, die insgesamt Unterricht mitbestimmen und die unter dem Schirm mit der Aufschrift „Unterrichtskultur“ versammelt sind. Faktoren wie „Transparenz“, „Emotionalität“ oder „Vertrauen“ haben Bedeutung für ein positives Unterrichtsklima, das wiederum als Element der Unterrichtskultur Einfluss auf den Beziehungs- und Leistungsaspekt des Unterrichts hat. Veränderungen im Fremdsprachenunterricht hat es immer wieder gegeben, aber vermutlich nicht in dem Maße, wie sie seit Beginn der Jahrtausendwende für Schule und schulische Bildung insgesamt diskutiert und gefordert werden. Kompetenz, Sensibilität und die Bereitschaft, sich neuen Herausforderungen zu stellen, werden als Eigenschaften prägend für die Professionalität der Lehrkräfte in Zukunft sein. Dies ist ein (lebenslanger) Prozess. Aber richtig ist auch: „Man kann einfach nicht die Unterrichtskultur von heute auf morgen völlig umändern, sondern man muss langsam vorangehen, damit sich Schüler und Lehrer daran gewöhnen können.“ (Kunter 2014: 61) Weiterführende und vertiefende Literatur Vielleicht haben Sie ja gerade die vorausgehenden Ausführungen angeregt, sich einmal stärker mit dem Zusammenhang zwischen dem Konzept der Kultur und dem (eigenen? ) unterrichtlichen Handeln im Fremdsprachenunterricht auseinanderzusetzen. Wir haben uns einleitend zu dem Kapitel auf die Arbeiten von Helsper bezogen. Insbesondere sein Artikel aus dem Jahr 2014 „Lehrerprofessionalität-- der strukturtheoretische Professionsansatz zum Lehrerberuf “ erlaubt einen vertieften wissenschaftlichen Einblick in die spannende Diskussion. Die Beiträge in dem 2015 erschienene Sammelband von Jeanette Böhme, Merle Hummrich und Rolf-Torsten Kramer mit dem Titel Schulkultur: Theoriebildung im Diskurs beziehen sich in Teilen stark auf den schulkulturtheoretischen Ansatz Helspers (2014) und bilden eine gute und vielfältige Grundlage zur eigenen Reflexion oder zur Diskussion mit Kolleginnen und Kollegen. Eine stärker unmittelbare Verknüpfung des Kulturkonzepts im Unterricht mit den Grundgedanken unseres Buches und vor allem der Bedeutung der Lehrkraft bietet der Artikel der Bildungsforscherin Mareike Kunter, der unter dem Titel „Brauchen wir eine neue Unterrichtskultur“ in dem von Birgit Spinath 2014 herausgegebenen Band mit dem Titel Empirische Bildungsforschung erschienen ist. Hinsichtlich der inhaltlichen Dimension im Fremdsprachenunterricht fragt Laurenz Volkmann (2010) beispielhaft für das Fach Englisch, wie die „Kultur“ eines Zielsprachenlandes repräsentativ und exemplarisch im Unterricht aufgegriffen und vermittelt und zur Förderung der verschiedenen Kompetenzen (kommunikativ, interkulturell, interkulturell-kommunikativ, transkulturell) genutzt werden kann. Die Vorlesungsskripte von Goschke (Goschke 2013 und 2016) zum Thema „Emotionspsychologie“ sind klar und regen zu einer weiteren Vertiefung der Thematik-- auch im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen-- an. 49 3 Kontextfaktoren im Fremdsprachenunterricht Entwerfe eine Sache immer, indem du sie im nächst größeren Kontext betrachtest-- einen Stuhl im Raum, einen Raum im Haus, ein Haus in einer Umgebung und die Umgebung bei der Planung einer Stadt. (E. Saarinen) Für den Pädagogen Georg Kerschensteiner (1927) zeichnete die erfolgreiche Lehrkraft die „Weite des Bewußtseins [aus], durch welche die Fähigkeit der gleichzeitigen Doppeleinstellung auf das Sachliche des Stoffes einerseits und das Persönliche des Schülers andererseits ermöglicht wird“ (ebd.: 110). Diese „Doppeleinstellung“, für Kerschensteiner vor fast 100 Jahren „eine der wichtigsten Quellen der Eigenart“ (ebd.) der Lehrkraft, ist nur vor dem Hintergrund einer Unterrichtskultur verständlich, bei der der zu vermittelnde Unterrichtsinhalt sowie der / die Lernende die ausschließlichen Bezugspunkte für das unterrichtliche Handeln darstellten. In den ersten beiden Kapiteln wurde aber gezeigt, welche Veränderungen zwischenzeitlich zu einem Verständnis und einem Konzept des Fremdsprachenunterrichts geführt haben, der von der Lehrkraft weniger eine „Doppeleinstellung“, sondern vielmehr eine Multiperspektivität verlangt, um einer Vielzahl von Kontextfaktoren Rechnung zu tragen. Ein grundsätzliches Verständnis von Unterrichtskultur (s. Kapitel 2) ist dabei eine Voraussetzung für den weiten Blick auf Kontextfaktoren, die hier nachfolgend vorgestellt werden sollen. „Kontext“ wird im fremdsprachlichen Unterricht bislang meist in der inhaltlichen Dimension verstanden: Lehrkräfte oder Unterrichtsmaterialien sollen möglichst authentische Rahmen (=-Kontexte) fremdsprachlichen Handelns schaffen, also Themen und Frage- oder Problemstellungen aufwerfen, die sich lohnenswert und mit der entsprechenden Motivation bearbeiten lassen. Für die nachfolgenden Ausführungen soll der Begriff des Kontexts weiter gefasst werden, als ein angenommener Raum, der sowohl von Personen wie auch äußeren Umständen bestimmt wird oder werden kann (Kontextfaktoren), bei dem aber auch die handelnden Personen wie Fremdsprachenlehrkraft und Lernende gleichzeitig Erschaffer wie auch Produkt des Kontexts sind. Die Idee, dass Kontextfaktoren im Fremdsprachenunterricht eine Rolle spielen, ist keineswegs neu: Für Englischlehrkräfte war es George Posner (1985), der die Notwendigkeit sah, physische wie soziale Kontextfaktoren im Unterricht zu berücksichtigen, Jack C. Richards griff in seinem Werk Beyond Training (1998) ebenjene Kontextfaktoren auf. Beispielhaft erläutert er diese an der Situation, wenn eine neu berufene Fremdsprachenlehrkraft mit frischen Ideen an eine Schule kommt, dort ihr Unterricht dann aber scheitert, weil die Philosophie der Schule sowie die Erwartungen der Lernenden, Kollegen oder auch der Eltern als Kontextfaktoren nicht mit den Überzeugungen der Lehrkraft übereinstimmen. Kontextfaktoren müssen daher aufgedeckt und identifiziert werden, damit anschließend adaptiv damit umgegangen werden kann (s. Kapitel 4 und 5). Stephen Bax formulierte im 50 3 Kontextfaktoren im Fremdsprachenunterricht Jahr 2003 bereits einen eigenen Entwurf seines „Context Approach“, in dem er ebenfalls stärker von den Lernenden und ihrer sozialen Wirklichkeit ausging als von methodologischen Überzeugungen, wie in seiner Gegenüberstellung der vermeintlichen Mythen des Kommunikativen Ansatzes und seiner eigenen Konzeptualisierung des Kontext-Ansatzes deutlich wird (s. Tabelle 9). Communicative Language Teaching ( CLT ) Approach Context Approach CLT is the complete answer. We must consider the whole context. If we don’t have CLT , then we can’t learn a language. Methodology (including CLT ) is just one factor on learning a language. No other factors count in learning a language - only teaching methodology. Other factors may be more important. If you don’t have CLT , then you are backward. Other methods and approaches may be equally valid. Tab. 9: Kontrastierung des Kommunikativen Ansatzes mit dem Kontext-Ansatz von Bax (2003: 281). Bax’s Argumentation folgen wir insofern, als dass wir im Folgenden die relevanten Kontextfaktoren aufführen und sie jeweils bezüglich ihrer Relevanz im Fremdsprachenunterricht exemplarisch diskutieren. Dabei lassen sie sich-- in Anlehnung an Posner (s. o.)-- in soziale Faktoren unterteilen (Lehrkräfte, Lernende, Kolleginnen und Kollegen, Eltern) sowie physische (formale Vorgaben wie Lehrpläne, Lehrwerke, Lernräume, aber auch Schulform und Schulprogramm). Die Argumentation von Bax geht nicht per se gegen den Kommunikativen Ansatz, vielmehr reicht ihm die Argumentation des Ansatzes nicht vollständig aus. Insbesondere mit den in Kapitel 2 herausgearbeiteten Charakteristika einer fremdsprachlichen Unterrichtskultur sind die folgenden Kontextfaktoren zu betrachten und hinsichtlich ihrer Wirkung in den Interaktionsprozessen zu sehen. 3.1 Lehrpersonen Gut zu wissen Friederike Klippel (2016) zeichnet die historische Perspektive bezüglich der Bedeutung der Fremdsprachenlehrkräfte auf: Im Vergleich mit der Situation etwa gegen Ende des 19. Jahrhunderts zeigen sich die charakteristischen Schwerpunkte: Damals mussten Englisch- und Französischlehrkräfte um die Bedeutung ihrer Fächer kämpfen und im innerfachlichen Diskurs erst einmal Unterrichtskonzepte erarbeiten und erproben, wozu die eigene Erstellung von Materialien oftmals erforderlich war. Heute sind die Sprachen in der gesellschaftlichen Anerkennung und in den Stundentafeln etabliert, wenn auch mit geringerer Stundenzahl als noch vor fünfzig Jahren. Die Schulbuchverlage produzieren eine breite Palette an Materialien, die auf die Lehrpläne der Bundesländer abgestimmt und mit extensiven Hinweisen zur Unterrichtsgestaltung versehen sind. Pionierarbeit leisten Sprachenlehrkräfte daher heute in anderen Gebieten, z. B. in der Verknüpfung von außerschulischem und schulischem Sprachenlernen, im Einbezug besonderer landeskundlicher Themen, in der fremdsprachlichen Theaterarbeit oder in der Durchführung internationaler Projekte. (ebd.: 16) 51 3.1 Lehrpersonen Zu den Merkmalen guten Unterrichts zählt-- wie unter 1.2 dargestellt-- auch die Professionalität der Lehrperson. Mehr noch: „Lehrkräfte gehören zu den wirkungsvollsten Einflüssen beim Lernen“ (Hattie 2014: 280). Es geht heute also nicht darum, als Individuum im Unterricht die Rolle der Lehrkraft anzunehmen, so wie etwa eine Schauspielerin für die Dauer des Musicals „Don’t cry for me, Argentina” in die Rolle der Evita Péron schlüpft. Als Lehrkraft zu arbeiten bedeutet-- und das ist eine wirkliche Herausforderung, die für den Beruf konstitutiv ist-- sich eine professionelle Kompetenz zu erarbeiten, zu der einerseits Wissens- und Handlungsstrukturen gehören, die aber andererseits in erheblichem Maße stark eigene Persönlichkeitseinstellungen und -dispositionen mit einschließt. Legutke / Schart (2016) weisen zudem darauf hin, dass Rollen von außen an Personen herangetragen werden, während „die Identitätsbildung- (…) vom Individuum selbst geleistet werden (muss)“ (ebd.: 26). Forschungsarbeiten zu den Faktoren eines effizienten Unterrichts haben gezeigt, dass die Bereitschaft und die Fähigkeit einer Lehrkraft grundlegend für erfolgreiches unterrichtliches Handeln sind. Verschiedene Kompetenzbeschreibungen der letzten Jahrzehnte verfolgen das Ziel, eine gewisse Homogenität bzw. Vergleichbarkeit im Bereich der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern herzustellen wie z. B. die Standards für die Lehrerbildung ( KMK 2014). Hinsichtlich der professionellen Kompetenz hat das Modell von Baumert / Kunter (2006 / 2011; vgl. auch Abb. 6) weitgehende Akzeptanz gefunden. Es nennt folgende Aspekte: ▶ Wissen, ▶ Überzeugungen, Werte und Ziele ▶ Motivation ▶ Selbstregulation. Abb. 6: Modell professioneller Handlungskompetenz - Professionswissen (Baumert / Kunter 2006: 482). 52 3 Kontextfaktoren im Fremdsprachenunterricht Der Wissensaspekt umfasst, wie vor allem die Arbeiten Shulmans (1986 / 1987) deutlich gemacht haben, ein Fachwissen über die Inhalte der Disziplin bzw. des Faches, ein fachdidaktisches Wissen sowie ein breites pädagogisches Wissen. Allerdings bedarf diese Trias unterrichtsbezogener Aspekte unseres Erachtens weiterer operativer Kompetenzen angesichts der Herausforderungen, der sich eine Lehrkraft heute ausgesetzt sieht, die sich z. B. auf die Organisation einer Klassenfahrt oder auf den Einsatz von Marketingstrategien bei der Darstellung des eigenen Faches am Tag der Offenen Tür, anlässlich einer Informationsveranstaltung zur Wahl der zweiten Fremdsprache der Lernenden oder im Gespräch mit Vertretern der Medien beziehen. Baumert / Kunter (2006 / 2011) führen hier auch den Aspekt des Organisations- und Beratungswissens mit auf, das sowohl ein Verständnis von Schule einbezieht wie auch das Wissen, wie man mit anderen Personen eine Interaktion gestaltet. Diese verschiedenen „Wissensformen“ müssen von der Lehrkraft selbst differenziert reflektiert werden, um bewusst (oder im späteren Berufsleben: routiniert) eingesetzt werden zu können. Hierbei spielt Erfahrungswissen eine besondere Rolle, das sehr stark berufsbiographisch geprägt ist. Appel (2001) unterscheidet drei Ebenen: Erfahrung zu haben bedeutet, etwas tun zu können, zum Beispiel mit der Unterrichtssituation zurecht zu kommen. Erfahrung wird zweitens im Laufe einer Biografie als Lebenserfahrung erworben.- […] Erfahrung ist drittens sozial. Sie wird in vergleichbaren Situationen von mehreren Personen gemacht. Diese haben hierdurch Wissen, Ansichten und Wertvorstellungen miteinander gemeinsam. (ebd.: 187) Da diese drei Ebenen stark miteinander interagieren, haben sie einen direkten Einfluss darauf, wie Lehrpersonen kontextsensibel reflektieren können: Dies kann z. B. individuell hinsichtlich unterrichtlicher Episoden oder auf der Grundlage berufsbiographischer Erfahrungen geschehen. Reflexion kann aber auch, wie in Kapitel 4 noch herausgestellt werden soll, sozial-interaktional geschehen und damit zu einem sehr wirksamen Professionalisierungstool werden. Gut zu wissen Die Tatsache, dass Fremdsprachenlehrkräfte im Laufe ihres Studiums, Vorbereitungsdienstes oder der Lehrtätigkeit Wissen in den oben angesprochenen Dimensionen „anhäufen“, heißt noch lange nicht, dass sich dieses auch im Unterricht zeigt. Dass eine Lehrkraft vielleicht das Prinzip von Differenzierung kennt oder moderne Lerntheorien erläutern kann, heißt noch diese im Unterricht umgesetzt werden. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen explizitem bzw. explizierbarem Wissen einerseits und implizitem Wissen andererseits, d. h. des Letzteren ist man sich nicht direkt bewusst, es zeigt sich aber unmittelbar in der Praxis. Wedell und Malderez (2013) beobachten in diesem Zusammenhang vier verschiedene Typen von Fremdsprachenlehrkräften im Unterricht. Die jeweiligen Lücken können dabei beliebig gefüllt werden mit „Diskurskompetenz“, „Lernerautonomie“, „Lesekompetenz“ etc. Die Lehrkraft redet über _____________, nutzt aber keine damit verbundenen Strategien, um die Kompetenz der Lernenden in diesem Bereich zu fördern. 53 3.1 Lehrpersonen Die Bedeutung des Aspekts der Überzeugungen, Werte und Ziele im Modell von Baumert und Kunter (2006) kann anhand folgender Beispiele illustriert werden: ▶ Der erfahrene Kollege K., der seit 20 Jahren Französisch unterrichtet, erläutert einer jungen Kollegin, dass es wichtig sei, mindestens in jeder zweiten Woche einen „kleinen Vokabeltest“ zu schreiben und diesen zu benoten, da die Schülerinnen und Schüler sonst keine Vokabeln lernten. ▶ Eine Fachlehrerin spricht kurz vor einer Lehrprobe im Fach Englisch den Referendar, der die Stunde halten soll, im Lehrerzimmer an und flüstert ihm zu: „Nehmen Sie auf keinen Fall den Schüler in der zweiten Reihe rechts dran. Er meldet sich zwar immer, er kann aber nichts! “ Überzeugungen, das zeigen diese Beispiele, sind Annahmen, subjektive Theorien, über das Lernen an sich, methodisch-didaktische Beliefs, oder auch Vermutungen über das Lernverhalten einzelner Schülerinnen und Schüler bzw. einer Lerngruppe (vgl. Borg 2003 / 2006). Sie beeinflussen mehr oder weniger bewusst Handlungsentscheidungen einer Lehrperson ähnlich der gerade aufgeführten Unterscheidung zwischen implizitem und explizitem Wissen. Die Überzeugungen können sich bezüglich des Handelns in der Vorbereitung oder der Durchführung des Unterrichts sowohl positiv als auch negativ auswirken, denn subjektive Überzeugungen können z. B. bei der Auswahl einer Sozialform hilfreich sein, sie können aber auch die Bereitschaft zu innovativen Lehr-/ Lernangeboten bremsen. Überzeugungen sind grundsätzlich sehr subjektiver Natur und häufig (berufs-)biographisch über einen langen Zeitraum geprägt worden. Sogar der selbst erlebte Fremdsprachenunterricht in der Schulzeit hat noch Auswirkungen auf Überzeugungen und Werthaltungen des eigenen Fremdsprachenlehrerhandelns (vgl. Lortie 1975), egal ob man sich von ihm distanzieren möchte oder bestimmte Prinzipien seiner alten Lehrerinnen und Lehrer übernimmt und sie für sinnvoll erachtet. Und dies übrigens möglicherweise auch entgegen bestimmter „neuerer“ Erkenntnisse über das Lehren und Lernen von Fremdsprachen, mit denen angehende Fremdsprachenlehrkräfte im Studium oder Vorbereitungsdienst konfrontiert werden. Die Lehrkraft redet über _____________ und plant und verwendet damit verbundene Strategien, um die Kompetenz der Lernenden in diesem Bereich zu fördern. Die Lehrkraft nutzt einige Strategien, um die Kompetenz der Lernenden im Bereich _______________ zu fördern, kann aber nicht ausführen, warum er / sie dies in der Form tut. Die Lehrkraft nutzt keinerlei Strategien, um die Kompetenz der Lernenden im Bereich _______________ zu fördern, verfügt über kein Wissen in diesem Bereich und ist sich nicht bewusst darüber, dass er / sie nichts darüber weiß. (ebd.: 137; unsere Übersetzung mit ergänzten Lücken) Es ist also nicht selbstverständlich, dass wir etwas (bewusst) wissen oder dass wir eine bestimmte Handlung ausüben - und dies gilt im Grunde für alle am Fremdsprachenunterricht beteiligten Personen. Fremdsprachenlehrkräfte sollten dies zum Anlass nehmen, sich ihrer handlungsleitenden (impliziten) Wissensbestände bewusst(er) zu werden und die eigene Reflexionsfähigkeit zu fördern (s. Kapitel 4). 54 3 Kontextfaktoren im Fremdsprachenunterricht Moment der Reflexion Eine Kollegin erzählt, dass sie den Stapel der eingesammelten Klausuren vor Beginn der Korrektur und Benotung immer nach der Einschätzung der erwarteten Leistung der Schülerinnen und Schüler in der Weise ordnet, dass die Arbeiten der guten Lernenden oben und die der schwachen unten liegen. Sie erklärt dies damit, dass sie auf diese Weise besser für sich den Zeitaufwand für Korrektur und Benotung abschätzen könne. Wie beurteilen Sie ein solches Verfahren? Extrinsische und intrinsische Motivation sind Begriffe, die mit Blick auf die Lernenden immer wieder in Seminarsitzungen mit angehenden Lehrkräften thematisiert werden (s. auch Kontextfaktor „Lernende“ unten). Motivation als Aspekt der professionellen Kompetenz der Lehrkräfte kommt bisher viel weniger zur Sprache, obwohl neuere Forschungen klar ihre Bedeutung für einen effizienten Lehr- und Lernprozess zeigen. Nach Hattie (2014: 280) müssen „Lehrpersonen direktiv, einflussreich, fürsorglich und aktiv in der Leidenschaft des Lehrens und Lernens engagiert sein“. Die Ausführungen zur Bedeutung von Emotionen in Kapitel 2.3 haben u. a. deutlich gemacht, dass Emotionen zu bestimmten Verhaltensweisen motivieren. Leidenschaftlich arbeiten, Freude am täglichen Umgang mit jungen Menschen haben und-- über Jahrzehnte hinweg- - immer wieder die Bereitschaft aufbringen, den routinierten eigenen Einsatz in der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung des Unterrichts mit den spezifischen Gegebenheiten der Lernumgebung in Einklang zu bringen, dies sind wichtige Facetten der individuellen Motivation als Teil der professionellen Kompetenz. Eine Grundlage einer solchen Motivation ist ein starkes Selbstkonzept, das es der Lehrkraft erlaubt, auch gelegentliche Tiefen und Widersprüchlichkeiten des Unterrichtsalltags dank einer starken Selbstwirksamkeit durchzustehen. Das Verfügen über eine Selbstwirksamkeit, die z. B. auch durch Reflexion gesteigert werden kann (s. Kapitel 4), hat sich als grundlegend für die Motivation von Lehrerinnen und Lehrern sowie ihre adaptive Unterrichtsgestaltung herausgestellt (vgl. Bandura 1997). Lehrkräfte, die sich selbst sicher in der Gestaltung ihrer Lehr-/ Lernumgebung fühlen, zeigen- - durch die Wahrnehmung ihrer eigenen Wirksamkeit motiviert- - darüber hinaus eine höhere Innovationsbereitschaft und Offenheit für Veränderung (vgl. Wertheim / Leyser 2002). Hartmut Rosa, Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Uni Jena, sagt dazu im Zusammenhang mit seinem Konzept der Resonanzpädagogik: [Das] Gefühl des Nicht-Erreichens [der Lernenden] hängt auch ganz stark an der Selbstwirksamkeitserwartung des Lehrers; wenn ein Lehrer mit der Erwartung in die Klasse geht, diesen Schülern nichts beibringen zu können, dann schafft er es auch nicht. Ein Redender (und Lehrer müssen häufig reden) muss die sichere Erwartung haben, dass er etwas Wichtiges zu sagen hat, dass es relevant ist. (Rosa / Endres 2016: 46) Gerade diese flexible Wahrnehmung und qualitative Bewertung der Bedeutung von Kontextfaktoren erlaubt es, das eigene Handeln im Hinblick auf einen effizienten Unterricht zu 55 3.2 Lernende orientieren. Von den Angehörigen der französischen Gendarmerie hieß es (früher! ), dass sie täglich 24 Stunden im Einsatz seien. Der Lehrerberuf ist in dieser Hinsicht ein vergleichbar „gefährlicher“ Beruf, weil sich die Tätigkeit- - entgegen der Volksmeinung- - nicht auf das Stundendeputat des Unterrichts beschränkt. Es ist für jede / n Angehörige / n schwer, abzuschalten, nicht an den Unterricht, die künftige Klassenarbeit, die Schulkonferenz oder die Vorbereitung der nächsten Schulstunde zu denken. Ganz abgesehen davon, dass der Arbeitsplatz eben nicht nur das Schulgebäude, sondern auch das häusliche Arbeitszimmer ist. Ein Teil der professionellen Kompetenz betrifft die Selbstregulation. Damit ist gemeint, dass Lehrerinnen und Lehrer für den Erhalt ihrer Arbeitskraft (und letztlich auch der vorher genannten Kompetenzen) in der Lage sein müssen, ihr Arbeitspensum so zu gestalten, dass die eigene Gesundheit und die Energie für den täglichen Einsatz in der Schule erhalten bleiben. Dies bedeutet, sich selbst Freiräume für die eigene Lebensgestaltung außerhalb der beruflichen Tätigkeit zu schaffen, um in einem anderen sozialen Umfeld persönliche Bestätigung und Anerkennung zu erlangen. Wenn hier im Folgenden verschiedene Kontextfaktoren aufgezählt werden, geht es nämlich nicht darum, als Lehrkraft all diese Faktoren ständig und jederzeit für jeden Unterricht im Blick zu haben, sondern im Einklang mit dem eigenen Selbstkonzept, der Selbstwirksamkeit und der Selbstregulation die Kontextfaktoren zielführend zu berücksichtigen, die Fremdsprachenunterricht dann für alle Beteiligten gelingen lassen. Wie dies im Einklang mit dem Einsatz von Routinen und Reflexivität durch die Lehrkraft eingesetzt werden kann, soll später zum Gegenstand dieses Buches gemacht werden. Moment der Reflexion Ein Kollege hat auf einer Elternversammlung den versammelten Eltern mitgeteilt, dass er ab 18 Uhr keine Elterngespräche mehr führen werde und dass er ab dieser Uhrzeit auch elektronische Nachrichten von Eltern und / oder Schülerinnen und Schülern nicht mehr zur Kenntnis nehmen werde. Halten Sie eine solche Maßnahme für richtig? 3.2 Lernende Im Zusammenhang mit den Merkmalen einer guten Lehrperson wird in Forschungsarbeiten die Notwendigkeit einer guten Klassenführung, eines wirksamen classroom management hervorgehoben (vgl. Seidel 2014, Kunter / Trautwein 2013). Auf Elternseite wird-- gerade gegenüber jungen Lehrerinnen und Lehrern-- die diffuse Forderung erhoben, die Lehrkraft möge doch im Unterricht „stärker durchgreifen“. In der Tat kommt der Qualität der Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden in jeder Unterrichtsstunde eine entscheidende Rolle zu. Kontextsensibel zu unterrichten bedeutet aus der Sicht der Lehrperson unter anderem, sich ein Bild davon zu verschaffen, „was Lernende denken und wissen, um sinnstiftende Erfahrungen im Lichte dieses Wissens zu konstruieren“ 56 3 Kontextfaktoren im Fremdsprachenunterricht (Hattie 2014: 280). Die für Lehrkräfte oben angeführte Unterscheidung zwischen explizitem und implizitem Wissen gilt dabei uneingeschränkt auch für Schülerinnen und Schüler, d. h. Lernende sind sich möglicherweise bestimmter Wissensbestände nicht bewusst bzw. zeigen im Handeln ein Wissen, das sie jedoch nicht explizieren können. Das Wissen von Lernenden zu erheben, kann folglich nicht nur bedeuten, z. B. die fremdsprachlichen Fertigkeiten zu testen. Das sprachliche und interaktionale Handeln- - sei es auf die fremdsprachenunterrichtlichen Gegenstände bezogen oder nicht-- muss beobachtet und bewertet sowie mit den Lernenden selbst diskutiert werden. Lernende werden damit als soziale Kontextfaktoren wirksam und zeigen dabei zum einen individuelle Voraussetzungen insbesondere auf der kognitiven Ebene, aber auch eine affektivemotionale Dimension, die sich im Interesse oder Desinteresse an der Fremdsprache äußern kann oder auch in Erwartungen der Fremdsprachenlehrkraft gegenüber. Individuelle Voraussetzungen Die großen empirischen Bildungsstudien wie PISA haben vor Augen geführt, wie wichtig sozioökonomische Faktoren für den Schulerfolg sind. Schließlich hat es direkte Auswirkungen auf z. B. die Lesekompetenz, ob im Elternhaus eine Lesesozialisation stattfindet, Bücher (oder nur andere Medien) rezipiert werden oder auch Frühförderung (finanziell) ermöglicht wird. Die Vielfalt von Klassenkontexten zeigt sich allerdings nicht nur in der sozialen Herkunft von Schülerinnen und Schülern, sondern sie wird unmittelbar sichtbar auch und gerade in den Lernvoraussetzungen der Lernenden im Unterricht. Für das Fremdsprachenlernen werden hier als die beiden wichtigsten Voraussetzungen-- die „big two“ nach Ellis (2004: 531)-- Motivation und Sprachlerneignung gesehen (neben vielen weiteren „kleineren“ Faktoren wie sozioökonomische, muttersprachliche / bilinguale oder kognitive wie Arbeitsgedächtnisleistung u. Ä., auf die hier nicht dezidiert eingegangen werden kann). Motivation und Motivierung der Lernenden gehen einher mit dem Sicherstellen einer positiven Lernumgebung, auch dem Anforderungsgrad der fremdsprachlichen Aufgaben sowie interessanten Themen und Unterrichtsgegenständen. Sicherlich ist dabei die Motivation der Lernenden nicht immer integrativ, d. h. unmittelbar mit aus sich heraus wirksam werdendem Interesse an der zielsprachlichen Kultur verbunden. Dieses Interesse bzw. die Motivation, sich mit den fremdsprachenunterrichtlichen Aspekten zu beschäftigen, kann aber natürlich auch über die anderen Motivationsformen erreicht werden. 57 3.2 Lernende Gut zu wissen Gemeinhin werden vier Formen von Motivation unterschieden bzw. einander gegenübergestellt: 1. intrinsisch vs. extrinsisch: Intrinsisch motivierte Lernende wollen von sich aus lernen und freuen sich an der Kommunikation in der fremden Sprache, während extrinsisch motivierte eher durch Belohnungen wie positive Bewertungen / Noten angeregt werden. 2. integrativ vs. instrumental: Lernende, die integrativ motiviert sind, zeigen ein grundsätzliches Interesse an den zielsprachlichen Kulturen, instrumental Motivierte lernen die Sprache mit dem Ziel, in einem der Zielsprachenländer zu leben, zu studieren oder zu arbeiten. Ein Grundlagenwerk im deutschsprachigen Raum ist der in achter Auflage 2011 erschienene Band von Falko Rheinberg und Regina Vollmeyer mit dem Titel Motivation. In der internationalen Fremdsprachenforschung hat sich insbesondere Zoltan Dörnyei (2001) mit dem Faktor Motivation beschäftigt. Neben der affektiven Voraussetzung der Motivation spielt der kognitive Faktor der Sprachlerneignung in den letzten Jahren wieder zunehmend eine Rolle. Lange Zeit war diese Voraussetzung wenig beachtet worden, da es aus forschungsethischen Gründen kritisch gesehen wurde, Lernenden eine gewisse Begabung für das Fremdsprachenlernen zu unterstellen (vgl. Schlak 2008). Die Sprachlerneignung besteht dabei aber keineswegs ausschließlich aus angeborenen Fähigkeiten, sondern berücksichtigt auch sogenannte vorschulische sprachliche Fertigkeiten, welche gefördert werden können. Die Fähigkeit, eine Sprache zu lernen, ist also keineswegs ein starres Konstrukt, sie kann als Sprachlernkompetenz bewusst gefördert werden (und ist damit auch zum elementaren Bestandteil in den Bildungsstandards geworden). Die Annahme, man sei aufgrund kognitiver Voraussetzungen nicht „sprachbegabt“, man sei vielmehr eher mathematisch oder naturwissenschaftlich „gut“, ist daher nicht haltbar. Interesse oder Desinteresse für das Fach Zu den affektiven Lernvoraussetzungen gehört auch das Interesse, das einzelne Lernende dem Fach entgegenbringen. Die Übernahme einer neuen Klasse als Fremdsprachenlehrkraft ist zwar anfangs oft verbunden mit einer relativ uniformen, wohlwollenden Neugier der meisten Schülerinnen und Schüler. Aber schon nach einigen Unterrichtsstunden werden unterschiedliche Einstellungen der Lernenden zum Fach deutlich, unabhängig von der Person des Unterrichtenden. Die Gründe für positive, indifferente und negative Einstellungen können u. a. folgende sein: ▶ Anhäufung positiver oder negativer Rückmeldungen auf die eigenen Leistungen, ▶ Unterbzw. Überforderung in den Aufgaben, ▶ Hohe oder mangelnde Wertschätzung durch die Lehrkraft, ▶ Fehlende Anerkennung durch die Eltern bzw. das Gegenteil, ▶ Offenheit / Ablehnung des Unterrichtsstils der Lehrperson, ▶ (Des-)Interesse gegenüber der zielsprachlichen Kultur oder der Sprache an sich. 58 3 Kontextfaktoren im Fremdsprachenunterricht Natürlich ist es für die Lehrkraft unmöglich, bei einer Lerngruppe in Klassengröße eine Lernumgebung zu gestalten, die jedem einzelnen Lernenden in seiner Einstellung zum Fach gerecht wird. Aber das Bewusstsein für die Unterschiedlichkeit in dem Interesse für oder gegen das Fach und die Fremdsprache ist ein wichtiger Faktor für die Gestaltung des Unterrichts sowie für das eigene Gefühl der Selbstwirksamkeit. Überzeugungen oder Einstellungen der Lernenden gegenüber der Fremdsprache können beispielsweise vielerlei Ursachen haben, die zunächst einmal erkannt werden müssen: Negative Meinungen und Erfahrungen von älteren Geschwistern können für die Lernenden genauso eine Rolle spielen wie schlechte Urlaubserfahrungen im Zielsprachenland, die vermeintliche Überzeugung, man sei nicht der „Sprachentyp“ (s. o.) oder auch tradierte Überzeugungen zu Fremdsprachen, die emotional belegt sind wie z. B., dass Englisch als lingua franca wichtig sei, weitere Fremdsprachenkenntnisse daher weniger relevant. Oder auch die Überzeugung, dass die französische Sprache insbesondere deswegen von Jungen abgelehnt werde, weil sie „schwul“ klänge, dafür aber das „machohafte“ Spanische deutlich interessanter sei. Moment der Reflexion Unmittelbar nach der Übernahme einer neuen Klasse im Fach Französisch überlegt ein Kollege, wie er sich Einblick in das Interesse einzelner Schülerinnen und Schüler am Fach verschaffen kann. Er schwankt zwischen den beiden folgenden Verfahren: a. Austeilen eines anonymen Fragebogens, der u. a. folgende Items zum Ankreuzen enthält: Ich erwarte vom Französischunterricht, … dass ich außer der Sprache viel über das Land und seine Menschen erfahre, … dass ich Lust auf eine Fahrt nach Frankreich bekomme, … dass ich viel sprechen kann, … dass wir nicht nur mit dem Buch arbeiten. b. Ein Unterrichtsgespräch (zeitlich begrenzt auf 15 Minuten) zu dem Thema, welches Interesse für das Fach bei den Schülerinnen und Schülern besteht. Für welche der beiden Optionen würden Sie plädieren? Annahmen zum Handeln der Lehrperson Schülerinnen und Schüler haben während ihrer Schulzeit Gelegenheit, über die Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Lehrerinnen und Lehrern ein Erfahrungswissen aufzubauen, das vor allem die Erfahrung der jüngeren Lehrkräfte weit übersteigt. Schülerinnen und Schüler versuchen (verständlicherweise), sich möglichst schnell bei und nach der Erstbegegnung mit einer neuen Lehrkraft einen Einblick in das Verhaltensmuster zu verschaffen: 59 3.3 Eltern und ihre Erwartungen ▶ Versteht der / die Neue Spaß? ▶ Was geht, was geht nicht? ▶ Wie weit kann man gehen, bevor undiszipliniertes Verhalten sanktioniert wird? ▶ Welches sind die Sanktionsmaßnahmen? Moment der Reflexion Gehen Sie noch einmal zu Kapitel 2.3 zurück und der Tabelle mit den Situationsskizzen zur Auslösung von „affect displays“. Reflektieren Sie vor allem das letzte in der Tabelle genannte Beispiel in seinen Konsequenzen vor dem Hintergrund der ersten Frage. Die Erfahrung-- und dies bedeutet auch der Vergleich-- mit bekannten Lehrerinnen und Lehrern bildet dabei die Grundlage für die Einschätzung der neuen Lehrkraft. Dass man als neue Lehrkraft zunächst (scheinbar) nicht akzeptiert wird, mag nicht am eigenen Handeln und Wirken liegen, sondern kann darin begründet sein, dass die Lerngruppe mit der vorherigen Lehrperson eine besondere Beziehung, eine besondere Unterrichtskultur, aufgebaut hatte. Auch dies muss als Kontextfaktor im Unterrichtsalltag berücksichtigt werden. Schülerinnen und Schüler sollten eine Verlässlichkeit in der Interaktion und Gestaltung des gemeinsamen Kontexts spüren können, was wiederum eine Sicherheit für alle am Unterricht Beteiligten garantiert. 3.3 Eltern und ihre Erwartungen Eltern sind als Erziehungsberechtigte natürlich am Schul- und Lernerfolg oder- - verkürzt gesagt-- an den (guten) Noten ihrer Kinder interessiert. Und insofern haben sie bestimmte Erwartungen an den Unterricht. Sie sind-- neben den Lernenden-- ein wichtiger Kontextfaktor, denn ihre Äußerungen gegenüber den eigenen Kindern zur Lehrperson können deren Motivation und Haltung beeinflussen. Auch im Zusammenhang mit der Planung von Projekten (Klassenfahrten, Besuch von fremdsprachigen Events) ist die positive Unterstützung durch die Eltern unentbehrlich. Es ist deshalb sinnvoll, nach Übernahme einer neuen Klasse bei der ersten Elternversammlung nicht nur die eigenen pädagogischen und fremdsprachendidaktischen Prinzipien transparent zu machen, sondern auch das Gespräch mit den Eltern in der Weise zu suchen, dass ihre Erwartungen an den Unterricht und die eigenen pädagogischen Prinzipien deutlich werden. Die diffusen Erwartungen, die Lernende möglicherweise in den Unterricht bringen, gelten hier auch für die Eltern: Sind diese der Fremdsprache gegenüber aufgeschlossen? Wird das Lernen dieser Fremdsprache als relevant für die eigenen Kinder angesehen? Bezeichnet man sich selbst als „Sprachentyp“ oder nicht? Wenn die fremdsprachendidaktischen Prinzipien und die damit verbundenen Ziele, die Sie im Unterricht verfolgen, den Eltern transparent dargelegt werden können, werden ihnen auch viele Erzählungen ihrer Kinder im Elternhaus verständlicher werden. 60 3 Kontextfaktoren im Fremdsprachenunterricht Moment der Reflexion Die Klassenleitung hat Sie als neue Fremdsprachenlehrkraft der Lerngruppe zum ersten Elternabend eingeladen. Überlegen Sie, welche drei Prinzipien von Fremdsprachenunterricht Ihnen persönlich am wichtigsten sind und wie Sie diese Prinzipien Eltern in maximal fünf Minuten vermitteln würden. Ermutigen sollte man als Lehrkraft auch die Personen, die bereit sind, sich als Elternvertreter in der Fachkonferenz aktiv zu beteiligen. Damit wird den Eltern ein Mitsprache- und Gestaltungsrecht eingeräumt, das nicht nur zu einer höheren Verantwortungsübernahme führt, sondern auch Möglichkeiten eröffnet, Eltern in die Gestaltung und Planung von Unterricht einzubeziehen. Vielleicht können Kontakte der Eltern genutzt werden, um Fahrten oder Besuche zu organisieren, vielleicht stehen sie in Kontakt mit Muttersprachler / innen, die in den Unterricht eingeladen oder per Skype zugeschaltet werden können. So werden zum einen die Erwartungen der Eltern befriedigt, dass die Lernenden in ihrem Schulalltag ernst genommen werden und dass sich Lernen tatsächlich einstellt, zum anderen werden sie auch zu einer Ressource für den eigenen Unterricht und können in den Lernprozess ihrer Kinder mit einbezogen werden. 3.4 Kolleginnen und Kollegen Wenn man als junge Kollegin oder junger Kollege ein Lehrerzimmer zum ersten Mal betritt, tut man dies meistens mit einem Gefühl der Unsicherheit. Wie werde ich von den Kolleginnen und Kollegen aufgenommen? Habe ich ein eigenes Fach für meine Materialien? Wie soll ich mich vorstellen? Wann gehe ich in den Unterricht: Bevor es klingelt oder kurz nachdem es zur Stunde geklingelt hat? Wie machen es die Kolleginnen und Kollegen? Ausgangspunkt dieser Fragen ist eine verständliche Suche nach Orientierung, der die richtige Überlegung zugrunde liegt, dass als Lehrperson in einer Schule zu arbeiten auch bedeutet, sich als Teil eines Teams zu verstehen, das als Kollegium ein Interesse haben muss, eine humane und zugleich effiziente Lernumgebung zu garantieren. Teamgeist und / oder Konkurrenzverhalten Es sind in der Regel weniger die Statusfragen zwischen Kolleginnen und Kollegen eines Faches, die in Einzelfällen zu Konfliktsituationen führen. Es sind vielmehr (vordergründig) Empfindlichkeiten, die fachliche und persönliche Wertschätzung der Kollegin bzw. des Kollegen zu berühren, die einen Einfluss auf die persönliche Beziehung unter den Fachkollegen haben. „Beliebt / unbeliebt“ und „kompetent / inkompetent“ sind die verallgemeinernden Polarisierungen, die für das Image einer Lehrkraft aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler entscheidend sind. Ein Image, das seinen Weg bis ins Lehrerzimmer findet, ein Image, das die betroffene Person in der Regel auch kennt (und manchmal bewusst ignoriert). 61 3.4 Kolleginnen und Kollegen Moment der Reflexion In der Fachkonferenz Englisch wurde mehrheitlich der Idee zugestimmt, die Klassenarbeiten der Mittelstufenklassen in einem Ordner abzuheften, um eine Transparenz in den Anforderungen zu ermöglichen und um eine Arbeitsökonomie unter den Fachkolleginnen und -kollegen zu erreichen. Nach einem halben Jahr stellen Sie fest, dass zwei Kolleg / innen keine Arbeiten in den Ordner eingestellt haben. Wie reagieren Sie? Individualität und / oder Kooperation Von Lehrpersonen wird immer stärker gefordert, teamfähig zu sein. Gemeinsame Besprechungen mit Kolleginnen und Kollegen in Fachschaften oder-- insbesondere durch Inklusion befördert-- in multiprofessionellen Teams mit anderen Professionen wie Sonderpädagog / innen oder Inklusionshelfer / innen sind an der Tagesordnung. In diesen auf Austausch und Kooperation ausgelegten Situationen geht es weniger um individuelle Erwartungen der Einzelnen in persönlicher Hinsicht, es muss vielmehr um die jeweiligen Sachthemen oder die jeweils diskutierten Lernenden oder Lerngruppen gehen. Persönliches aus diesen Gesprächen herauszunehmen ist nicht einfach, häufig sind im positiven Sinne persönliche Eigenschaften bestimmter Personen genau der Grund dafür, warum man sich mit ihnen austauschen oder mit ihnen zusammenarbeiten möchte. Und dies ist auch unbedingt begrüßenswert. Für Holtappels (2007) ist „die Intensität der Lehrerkooperation- (…) eine entscheidende Schlüsselvariable für das Erreichen einer differenzierten Lernkultur“ (ebd.: 515). Er plädiert für institutionalisierte Teamformen wie Jahrgangsteams, Klassenleitungstandems oder auch Doppelbesetzungen im Unterricht. Solche und ähnliche Kooperationen führen zu einer Vielfalt im Lernangebot und haben nachhaltige Auswirkungen auf die Lernkultur. Auch wenn sie zunächst insbesondere einen erhöhten Organisationsaufwand auf schulinterner Ebene bedeuten, kann die Implementation solcher Teams sinnvoll sein und Synergien nutzen, wenn denn Lehrkräften die entsprechenden Freiräume für die Gestaltung und Zusammenarbeit gegeben werden. Synergieeffekte sind hier insbesondere natürlich hinsichtlich gemeinsamer Vorbereitung, Absprachen zu Klausuren und Klassenarbeiten und der Einhaltung bzw. Fortschreibung schulinterner Curricula zu sehen, aber auch auf informellerer Ebene sich Rat zu einzelnen Lernenden einzuholen oder Fragen der professionellen Weiterentwicklung zu klären. Allerdings: Die Gestaltung und Verantwortung des Fremdsprachenunterrichts an sich bleibt zum weit überwiegenden Teil der individuellen Lehrkraft vorbehalten. Diese Individualität sollte jedoch nicht mit dem Bild des „Einzelkämpfers“ verwechselt werden, denn die Lehrkraft hat zwar eine große Wirkung und ist einer der entscheidenden Kontextfaktoren im Unterricht, aber eben nicht der einzige. Und Kolleginnen und Kollegen spielen insofern eine wichtige Rolle, als sie als Unterstützer / innen und Ratgeber / innen, als Fundus für Material, als Erfahrungsschätze ehemaliger Lehrpersonen Ihrer neuen Lerngruppen etc. fungieren. Das 62 3 Kontextfaktoren im Fremdsprachenunterricht Entscheidende ist hier sicherlich der Aspekt der Kollegialität, des Gebens und Nehmens und der Offenheit, möglicherweise aber auch die Einsicht, dass man mittelfristig mit bestimmten Kolleginnen und Kollegen eher kooperieren und gemeinsam Unterricht und Schule entwickeln kann als mit anderen. 3.5 Räumliche und zeitliche Gegebenheiten Ist es nicht eigentlich unerheblich, ob ich in einem Schulgebäude unterrichte, das aus der Gründerzeit stammt, oder einem architektonisch modern gestalteten Ensemble aus Pavillons? Ist es nicht egal, ob ich meinen beginnenden Fremdsprachenunterricht in der 6. Klasse einer Gesamtschule eines akademisch geprägten Stadtteils oder eines Gymnasiums in einem Problemviertel halte? Und kann die Unterrichtszeit ein zu berücksichtigender Kontextfaktor für meinen Unterricht sein? So verständlich diese skeptischen Fragen auf den ersten Blick erscheinen, so leichtfertig wäre es, diese Kontextfaktoren zu ignorieren. Lernräume Institutioneller Fremdsprachenunterricht findet in der Regel in einem Klassenraum statt: „Der Raum ist der dritte Pädagoge.“-- Dieses Zitat des italienischen Pädagogen Loris Malaguzzi (1920-1994), häufig auch aufgrund der räumlich-geographischen Nähe Maria Montessori in den Mund gelegt, soll zum Ausdruck bringen, dass neben den Lernenden (die „ersten“ Pädagogen) sowie der Lehrkraft (dem zweiten Pädagogen) auch der Raum einen besonderen Einfluss auf Lehren und Lernen und die Interaktionsprozesse haben kann. Interessanterweise macht man sich erst seit kurzem Gedanken darüber, welche Eigenschaften dieser „dritte Pädagoge“ haben muss, wie der Lernraum „Klassenzimmer“ bzw. „Schule“ insgesamt gestaltet sein müssen, um Lernen zu befördern (vgl. z. B. Kahlert / Nitsche / Zierer 2013). Diesen Raum kann sich die Lehrkraft nicht nach Belieben aussuchen, sondern er wird durch die Schulleitung zugewiesen. Sich gut mit der räumlichen Gegebenheit vertraut zu machen, ist daher in mehrerer Hinsicht wichtig. Die durch die Anordnung der Tische vorgegebene Sitzordnung kann sich positiv oder negativ für das persönliche Konzept eines interaktiv-kommunikativen Unterrichts auswirken. Die Fenster bewirken einen Lichteinfall in einen Klassenraum, der wiederum negativen Einfluss auf den Einsatz eines Beamers haben kann. Die Größe oder Enge des Raumes kann den Rückgriff auf bestimmte Sozialformen (Partnerarbeit, Gruppenarbeit, Stationenlernen) begünstigen oder aber ausschließen. Und die technische Ausstattung, angefangen bei der Anzahl und der Anordnung der Steckdosen bis hin zu den zum Klassenraum gehörenden Medien (Tafel, Whiteboard, Projektionswand, Beamer), erleichtern oder erschweren das Umsetzen methodischer Ansätze. Auch wenn der Klassenraum einen scheinbar unveränderlichen Kontextfaktor darstellt, sollte man immer flexibel bleiben, um sein eigenes Unterrichtskonzept angesichts schlechter räumlicher Gegebenheiten durchzusetzen. Das Ausweichen in einen freien Klassenraum mit günstigeren Bedingungen, die Arbeit in Kleingruppen im Pausenraum oder der stundenweise 63 3.5 Räumliche und zeitliche Gegebenheiten Umzug in einen Fachraum (Computerraum) erscheinen im ersten Augenblick kompliziert, aber unter dem Gesichtspunkt der Lernwirksamkeit lohnen sie in aller Regel den Aufwand. Moment der Reflexion Nach einigen Stunden des von Ihnen erteilten Englischunterrichts stellen Sie fest, dass die durch den Klassenlehrer vorgenommene Anordnung der Tische (jeweils drei Tische nebeneinander in vier Reihen) sich als ungünstig für Ihren kommunikativen Methodenansatz erweist. Allerdings ist der Klassenraum im Verhältnis zur Anzahl der Tische nicht sehr groß. Wie ist Ihre Reaktion? a. Ich lasse es so, wie es ist. b. Ich bitte die Schülerinnen und Schüler, vor der Englischstunde jeweils die Tische in U-Form anzuordnen. c. Ich nehme das Gespräch mit den anderen Kolleg / innen auf, die in der Klasse unterrichten, um eine Änderung der Tischordnung in der Klasse herzustellen. Gut zu wissen Obwohl wir uns hier primär mit institutionellem, d. h. schulischem Fremdsprachenunterricht beschäftigen, sollte in diesem Zusammenhang angemerkt werden, dass die Frage des „Lernraums“ fremdsprachendidaktisch breit diskutiert wird (exemplarisch: Burwitz-Melzer et al. 2015). Dies steht insbesondere auch in Zusammenhang mit neuen Gelegenheiten informeller Lernsituationen bzw. -räume, die Schülerinnen und Schüler außerhalb der Schule nutzen können - sei es per Smartphone durch Sprachlernapps, die Rezeption fremdsprachigen Materials auf Youtube oder im Rahmen außerschulischer Aktivitäten, die den Gebrauch einer Fremdsprache erfordern (z. B. Theatergruppen, Jugendbetreuung etc.). Die Nutzung des Lernraums ist natürlich ebenfalls wiederum kontextsensibel und abhängig vom Ziel einer Unterrichtsstunde oder eines bestimmten Ansatzes oder Prinzips, das man verfolgen möchte. Verbunden ist der „Raum“ auch häufig mit dem Faktor „Zeit“, der unten noch thematisiert werden soll. Hier nur als Beispiel: Die Vielzahl an Online-Lernvideos oder Materialien, die selbstgesteuertes Lernen seitens der Schülerinnen und Schüler ermöglicht, vermag es, den Unterricht zu „drehen“, d. h. die eigentliche Vermittlung von Inhalten kann dem Unterricht vorgelagert werden, die Lernenden bearbeiten diese Inhalte selbständig und im eigenem Tempo. Beim Aufeinandertreffen im Unterricht werden unmittelbar praktische Aktivitäten, Diskussionen, produktorientiertes Arbeiten etc. zum gelernten Gegenstand eingesetzt. In der Literatur wird dies mittlerweile unter dem Begriff des flipped classroom diskutiert. 64 3 Kontextfaktoren im Fremdsprachenunterricht Soziokulturelle Aspekte Soziokulturelle Aspekte schulischen Fremdsprachenunterrichts sind die zahlreichen Faktoren, die als Summe die Bedürfnisse der im Zusammenhang von Schule agierenden Personen beschreiben. Es sind also nicht (nur) die sozialen Faktoren des Elternhauses der Lernenden-- die oben bereits separat aufgeführt wurden--, sondern hier spielen auch soziale Strukturen des Stadtteils eine Rolle, in der die Schule angesiedelt ist, bzw. ob es überhaupt eine Stadt- oder Landschule ist, der Einzugsbereich größer oder kleiner ist (vgl. auch Helmkes Angebot-Nutzen-Modell: Helmke 2015). Damit verbunden sein können auch bildungspolitische Interessen der Gemeinde, welche sich in einem bestimmten Schulprogramm wiederfinden (s. u.) oder in möglicherweise nötigen Förderprogrammen für bestimmte Gruppen von Lernenden. Soziokulturell heißt auch immer im sozialen Austausch miteinander und füreinander. Diese Aspekte beschreiben damit grundlegende Bedürfnisse der involvierten Personen: Lehrpersonen haben bestimmte kulturelle Interessen, die vor Ort gesucht und gefunden oder aktiv erfüllt werden wollen. Die Palette reicht von sportlichen Aktivitäten (Spielerin oder Spieler in einer Fußballmannschaft), über die (fast) professionelle Mitwirkung als Musikerin in einer Rockgruppe bis hin zu dem entschlossenen Engagement in einer Flüchtlingsinitiative oder in einer Bewegung, die sich dem Umweltschutz verschrieben hat. Lernende entwickeln ihre eigene, soziokulturelle Identität im Laufe ihrer Schulzeit, machen Erfahrungen mit Mitlernenden, Freunden, aber auch mit Kulturgütern oder Medien, die Kultur transportieren. Dabei entstehen Interessen und Vorlieben, die jede / r einzelne mit in die Schule bringt, die sich teilweise überschneiden und ergänzen können, sich manchmal aber vielleicht auch diametral als gleichsam unvereinbar gegenüberstehen. Es stellt sich dann für alle (Lehrpersonen, Lernende, Eltern-…) auf einer individuellen Ebene die Frage: Zeige ich meine Interessen offen gegenüber Dritten? Wie kann ich (als Lehrkraft) individuelle Interessen so in den Unterricht integrieren, dass diejenigen, die diese Interessen nicht teilen oder teilen möchten, weil sie ganz andere Interessen haben, noch motiviert sind, mit mir und in meinem Unterricht mitzuarbeiten? Moment der Reflexion Ein Kollege, der seit vielen Jahren im Schuldienst eines Gymnasiums einer Kleinstadt ist, unterhält sich mit einem jungen Lehrer, der neu an die Schule versetzt wurde. Im Verlauf des Gesprächs äußert er: „Warten Sie einmal. Sie werden sehen, in einigen Jahren werden Sie hier in der Stadt eine Institution sein.“ Wie verstehen Sie diese Aussage? Welche positiven und negativen Aspekte verbinden Sie mit einer solchen Entwicklung, wenn sie denn wirklich eintritt? 65 3.5 Räumliche und zeitliche Gegebenheiten Schulform In einem mehrgliedrigen Schulsystem ist auch die eigentliche Schulform, in der der Fremdsprachenunterricht stattfindet, überaus relevant. So sind die Bildungsziele des Gymnasiums allein schon curricular höher gesetzt als diejenigen von Haupt- und Realschulen. Auch integrierte Gesamtschulen differenzieren innerhalb ihrer Schule insbesondere in Hauptfächern und den Fremdsprachen sehr deutlich, d. h. die Entscheidungen für bestimmte Fremdsprachen- - oder die Zuwahl einer zweiten Fremdsprache- - hängt häufig an der geplanten Schulkarriere oder ob die Lernenden die allgemeine Hochschulreife erwerben möchten. Gleichzeitig heißt dies nicht, dass Fremdsprachen an Real- und Hauptschulen keine herausragende Relevanz haben: gemäß den in Kapitel 1 dargestellten Bildungsstandards sind sie überaus relevant, lediglich die funktional-sprachlichen Anforderungen erfahren häufig eine entsprechende Anpassung. Diese Anpassungen finden auch je nach Schulart in inhaltlicher Hinsicht statt: Eine berufliche Fachoberschule oder ein berufliches Gymnasium werden im Fremdsprachenunterricht andere Themen als relevant einstufen als die Oberstufe in einem humanistischen Gymnasium und dies ist auch gut so, denn die Lernenden haben sich zu diesem Zeitpunkt in der Regel bewusst für einen bestimmten (beruflichen) Weg entschieden. In der Primar- und Unter-/ Mittelstufe ist die Inhaltsdimension des Fremdsprachenunterrichts anders gelagert, sie zielt auf das Kennenlernen der fremdsprachlichen Kultur(en) und die Förderung einer basalen kommunikativen Kompetenz- - mittels einer hohen Motivierung der Lernenden. Schulkultur/ -programm Moment der Reflexion Gehen Sie im Internet auf die Homepage einer Schule in Ihrer Umgebung und klicken dann auf den Button, der Informationen über das Schulprofil bzw. Einblicke in die Geschichte der Schule ermöglicht. Welche Bedeutung messen Sie den Aussagen zum Schulprofil bzw. zur Schulentwicklung bei? Inwieweit sind diese Informationen wichtig für die Unterrichtenden? Vor allem seit der Verbreitung des Internets nutzen Schulen die Gelegenheit, um einer interessierten Öffentlichkeit auf ihren Homepages ihr Profil darzustellen. Außer dem Leistungsangebot sowie dem Personal sind es insbesondere die Aussagen zum Leitbild, die als Kontextfaktoren für neue Lehrkräfte wichtig sind, welche fachlichen, inhaltlichen oder pädagogischen Schwerpunkte die Schule aufweist und nachweislich betont (vgl. auch Grimm / Meyer / Volkmann 2015). Denn wie soll man als Lehrerin oder als Lehrer motiviert an einer Schule arbeiten, deren Schulkultur man nicht teilt, bzw. die pädagogische Prinzipien propagiert, die sich nur partiell mit dem eigenen Berufsverständnis oder dem beruflichen Ethos decken? 66 3 Kontextfaktoren im Fremdsprachenunterricht Eine der Leitideen des Gymnasiums Wentorf bei Hamburg (www.gymnasium-wentorf.de) lautet: Vernetzung GW in der Region Das Gymnasium Wentorf versteht sich als aktiver Partner in der Region und lebt das Miteinander mit den Bürgern, den Vereinen und der Wirtschaft. Kolleginnen und Kollegen dieser Schule müssen also bereit sein, über ihre Tätigkeit im Unterricht hinaus Kontakte zu Vereinen und Einrichtungen der Wirtschaft zu knüpfen. Zugleich bietet diese Leitidee gerade für den Fremdsprachenunterricht eine Chance, ihn zu öffnen, indem mit den Schülerinnen und Schülern konkrete Anwendungsfelder für die aufgebauten Fremdsprachenkompetenzen anvisiert werden. International agierende Betriebe in der unmittelbaren Umgebung können besucht oder Vertreter / innen in den Unterricht eingeladen werden. Mit Bezugnahme auf die Lage als „Schule im Grünen“ wird auf der Homepage des Fördegymnasiums Flensburg (http: / / www.foerdegymnasium.de/ ) folgender Profilansatz propagiert: So ist es nicht verwunderlich, dass wir den Ansatz verfolgen, eine „Schule in Bewegung“ zu werden - jedoch setzen wir dabei nicht vorrangig auf Geschwindigkeit. Denn wir sind davon überzeugt: Gute Bildung braucht Zeit! Bei der Vermittlung und dem Lernen von Inhalten, Methoden und sozialen Fähigkeiten legen wir vielmehr Wert auf Gründlichkeit und Individualität … Es ist unmittelbar einsichtig, dass jedes Mitglied des Kollegiums-- auch gegenüber Dritten-- sich mit diesem Grundsatz eines gründlichen und individuellen Lehr-/ Lernprozesses identifizieren und entsprechend seiner / ihrer Vorstellungen von unterrichtlichem Handeln daran ausrichten muss. Das folgende Beispiel der Homepage der Friedrich-Georg-Lichtenberg-Schule in Ober- Ramstadt, einer Integrierten Gesamtschule (www.gcls.de), verdeutlicht einmal mehr die Bedeutung der soziokulturellen Dimension als zu berücksichtigender Kontextfaktor der Schulkultur für das Lehrerhandeln. Dort heißt es u. a.: Orientiert an unserem Leitbild wird das gemeinsame Lernen genutzt, um Bildungswege möglichst lange offenzuhalten und Begabungsreserven zu aktivieren, damit alle Kinder und Jugendliche den höchst möglichen Schulabschluss erwerben können. Wir wollen damit versuchen den Zusammenhang von sozialer Herkunft und Schulabschluss nicht wirksam werden zu lassen. 67 3.5 Räumliche und zeitliche Gegebenheiten Moment der Reflexion a. Nehmen Sie die auszugsweise Darstellung der vorausgegangenen drei Beispiele zum Anlass, um sich selbst zu fragen, mit welcher Aussage Sie sich am ehesten identifizieren können. b. Machen Sie sich einmal auf die Suche nach dem Schulprofil einer Schule, die für Sie interessant ist. Wie anschlussfähig ist dabei Ihr Konzept von Fremdsprachenlehren und -lernen? Moment der Reflexion Zu vielen Schulprogrammen gehört auch, dass „lebenslanges Lernen“ als Denkprinzip herausgestellt wird. Scott McLeod (2011), einer der Gründer des Center for the Advanced Study of Technology Leadership in Education an der University of Kentucky, schreibt in einem Blogbeitrag dazu: We’re supposed to be about learning in schools, right? How many schools have a mission or vision or purpose statement that says “blah blah blah life long learning blah blah blah? ” 97 %? 99 %? 100 %? And yet we do a terrible job of modeling this as educators (and parents). How many of us purposefully and explicitly model the learning process for our children? How many of us stand up in front of kids and say, “This is what I’m learning right now. I’m not any good at the moment but this is the process I’m following and this is what my plan is for achieving success. And I’ll give you an update in a few weeks, and then another few weeks, and so on, about how I’m doing? ” How many of us purposefully and explicitly show our students what it means to struggle with learning, overcome obstacles, and emerge on the other side more skilled and more knowledgeable than we were before? (ebd.) Was lernen Sie gerade, das für Ihre Lernenden interessant sein könnte? Unterrichtszeit und -abfolge Im vertraulichen Gespräch kommt mit Blick auf den eigenen Unterricht oft schnell die Rede auf das Thema „Zeit“. Man habe zu wenig Zeit, um bestimmte Probleme im Unterricht zu vertiefen, die Stundenverteilung mit zwei der insgesamt vier Stunden am späten Vormittag sei problematisch. Oder die Zeit nach den Weihnachtsferien bis zur Halbjahres-Zeugniskonferenz sei wieder einmal zu knapp, um noch eine Klassenarbeit schreiben zu können. Unabhängig von der Relevanz dieser skizzierten Zeitproblematik ist und bleibt der Faktor „Zeit“ ein wichtiger Kontextfaktor. In einer Makrodimension spielt der Zeitfaktor eine Rolle in der Lehrgangsgestaltung über das Schuljahr hinweg. Unter Berücksichtigung der Ferienzeiten und gegebenenfalls anderer Schulveranstaltungen sind die Abfolge der durch das Lehrwerk vorgegebenen Lektionen, Inhalte des Schulcurriculums oder des Lehrplans sowie Lernerfolgskontrollen zu strukturieren. Die Mikrodimension bezieht sich auf die Einzelstunde, die in ihrer Struktur zu planen ist. Grundsätze dafür werden in der Regel insbesondere im Rahmen des Vorbereitungsdienstes 68 3 Kontextfaktoren im Fremdsprachenunterricht am Studienseminar angelegt. Vor Ort im eigenverantworteten Fremdsprachenunterricht selbst spielt der Kontextfaktor Zeit u. a. bei folgenden Entscheidungen eine Rolle: ▶ Ist es sinnvoll, in einer 6. Stunde neue Vokabeln einzuführen? ▶ Kann ich eine Klassenarbeit in der 3. Stunde schreiben, obwohl ich weiß, dass die Schülerinnen und Schüler vorher Sportunterricht hatten? ▶ Wieviel Zeit muss ich am Stundenende für das Stellen der Hausaufgaben einräumen? ▶ Welche Möglichkeiten habe ich, Puffer in meine Stundenplanung einzubauen, ohne dass der anvisierte „Output“ gefährdet wird? Die vorausgehende Stundenplanung bedarf der bewussten Einbeziehung einer Reflexion zum Kontextfaktor „Zeit“. Dies aber weniger in der Bestimmung von minutiösen Stundenschritten (vgl. Kapitel 2), welche vernünftigerweise mittlerweile auch in Lehrprobenentwürfen nicht mehr gefordert werden, als vielmehr in einer Berücksichtigung des Zeitfaktors als mitbestimmenden Elements eines Bündels von Kontextfaktoren. Helmke (2014) hat auf den Zusammenhang zwischen Lernzeit und Lernerfolg hingewiesen: Ausreichende Lernzeit bietet die Chance für eine intensive und vielfältige Nutzung des Lernangebots. Fehlende Lernzeit hingegen kann sich ebenso negativ auswirken wie eine bezüglich der Lernaufgabe unangemessen großzügige Zeitvorgabe. Nun kann man einwenden, dass die im Unterricht häufig auftretenden Krisen bzw. das Unerwartbare ja kaum bei der Planung berücksichtigt werden können. Umso wichtiger ist es dann, zu versuchen, Pufferzeiten und Leerzeiten in der Unterrichtsplanung (auf der Ebene von Einzelstunden und Einheiten oder Lernaufgaben) mitzudenken, um flexibel mit Unsicherheiten ohne Zeitdruck umgehen zu können. Die meisten Referendarinnen und Referendare machen zu Beginn des Vorbereitungsdienstes die Erfahrung, dass sie „zu viel“ planen, also am Ende frustriert darüber sind, das Stundenziel nicht erreicht zu haben. Es ist also günstiger, 45-Minuten-Sitzungen beispielsweise nur überschlagsweise für 35 Minuten zu planen, denn in der Regel benötigen die meisten Lernprozesse ohnehin länger bzw. sollte dann tatsächlich noch Zeit übrig sein am Ende, kann diese für sinnvolle Stundenreflexionen und ausführliche Hausaufgabenbesprechungen genutzt werden. Auch eine Planung, die Ausstiegs- und Anknüpfungspunkte ermöglicht, kann dazu beitragen, dass Stunden weiterhin „rund“ bleiben, auch wenn situativ bestimmte Prozesse nicht oder nur teilweise durchgeführt werden können. 3.6 Medien und Lehrwerke In Kapitel 1 wurde bereits Ramin Akbari (2008a) zitiert, der kritisiert, dass das Handeln von Fremdsprachenlehrkräften primär von den verwendeten Lehrwerken und Unterrichtsmaterialien gesteuert werde, und Luke Meddings und Scott Thornbury (2009) mit ihrem Dogme-Ansatz, die dieses Primat des Lehrwerks aufbrechen möchten und dazu aufrufen, alle Lehrwerke zu verbannen. Ganz so dramatisch ist es sicherlich im deutschsprachigen Raum nicht! Auf einer inhaltlichen Ebene muss man sich bewusst machen, dass die Inhalte in Lehrwerken didaktisch 69 3.7 Administrative Vorgaben für den Fachunterricht und methodisch von in der Regel größeren Autorenteams konzipiert werden und sowohl auf fremdsprachendidaktischen Prinzipien wie auch Erfahrungswissen aus der Praxis basieren. Gleichwohl muss man berücksichtigen, dass Lehrwerke-- trotz ihrer mittlerweile breit angelegten Differenzierungsoptionen- - es möglicherweise nicht schaffen, alle Lernenden in der Gruppe in affektiv-emotionaler wie auch kognitiv-sprachlicher Hinsicht anzusprechen und dort abzuholen, wo sie sind. Es bedarf daher jederzeit des kritisch-reflexiven Umgangs sowohl mit einzelnen Unterrichtsmaterialien aus dem Internet oder von Kolleginnen und Kollegen, als auch mit in sich geschlossenen Lehrwerksbänden. Für Schart (2014: 41) bedeutet „professionell zu lehren-(…) auch, sich aus den Einengungen zu befreien, die sich aus Methoden, Lehrwerken oder Traditionen ergeben können, und die Gestaltungsspielräume der eigenen Praxis zu erkennen und zu nutzen“. Auch der Einsatz von Medien im Allgemeinen ist nicht banal und ständig mit der Frage verbunden: Bewirkt der Einsatz eines bestimmten Mediums einen größeren Lernerfolg im Vergleich zu einem anderen (oder keinem besonderen bzw. technischem) Medium? Als Kontextfaktor werden Medien dann wirksam, wenn sie entweder vorhanden oder nicht vorhanden sind, also ein Mangel an den potentiell den Lernprozess unterstützenden Fördermöglichkeiten herrscht oder gerade durch diesen Mangel Kreativität von Seiten der Lehrkraft erforderlich ist. Besonders bei technischen Medien wie Tablets oder Smartboards spielt zudem die technische Zuverlässigkeit eine wichtige Rolle: Habe ich (immer) einen „Plan B“, falls die Technik ausfällt? Wie improvisiere ich, ohne das Stundenziel aus dem Blick zu verlieren? Moment der Reflexion Gerade die Entwicklungen im Bereich Smartphones und Tablets verändern viele Schulen und Unterricht, aber auch das individuelle Lernen der Schülerinnen und Schüler. Bemerkenswert ist, dass das iPad erst im Jahr 2010 erschienen ist und trotzdem verschiedenste Märkte verändert hat. Überlegen Sie, welche technischen Innovationen, die Sie aktuell beobachten oder von denen Sie erfahren, in Zukunft Ihren schulischen Fremdsprachenunterricht beeinflussen könnten. 3.7 Administrative Vorgaben für den Fachunterricht Schule als Einrichtung eines vom Land organisierten und verantworteten Bildungswesens unterliegt in ihrer Struktur und ihrem Angebot staatlichen Vorgaben. Diese finden ihren Niederschlag in schulartspezifischen Verordnungen und in Lehrplänen, die in Deutschland in Anbetracht der Kulturhoheit der Länder in dem jeweiligen Bundesland den Unterricht in dem betreffenden Fach vor allem in seinen Anforderungen und seinen Inhalten festlegen. Die Bezeichnungen der Vorgaben tragen in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Titel. So arbeitet das Land Sachsen mit der Bezeichnung „Lehrplan“, im Saarland halten die Lehrerinnen und Lehrer „Kernlehrpläne“ in der Hand, während sich eine Lehrkraft im Stadtstaat Hamburg für ihr Fach an einem „Bildungsplan“ zu orientieren hat. 70 3 Kontextfaktoren im Fremdsprachenunterricht Gut zu wissen Administrative Vorgaben haben eine lange Tradition. Als Vorgänger unserer heutigen Vorgaben können die „septem artes liberales“ der mittelalterlichen Lehr- und Bildungsordnung angesehen werden. Die sieben Fächer (Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie), die nacheinander abgearbeitet wurden, waren für alle an den damaligen Kloster- und Lateinschulen verbindlich. Zum nächsten Fach konnte man als Lernende / r nur nach erfolgreichem Abschluss des vorausgehenden Faches kommen. Erst mit Johann Amos Comenius wurde der Weg in eine Klassenstruktur und für einen spezifischen Stoff- oder Lehrplan gebahnt. Der Strukturplan für das deutsche Bildungswesen unterzog das nach dem Zweiten Weltkrieg breit akzeptierte und praktizierte Verfahren der Abfassung von Lehrplänen für die einzelnen Fächer einer grundlegenden Kritik, da die Lehrpläne einer Differenzierung des Lernangebots im Wege stünden. Während die Lehrpläne Aussagen zu den Lernzielen sowie den zu den behandelnden Themen und Inhalten machten, verfolgten die sich in der Folge entwickelnde Abfassung von „Curricula“ das Ziel, präzise Vorgaben über die operationalisierbaren Lernziele, die Lerninhalte sowie die Form der Evaluation zu machen. Aber es zeigte sich, dass Curricula Lernprozesse im Sinne eines Input-Output-Mechanismus einengten. In der Folge wurden Rahmenpläne für die einzelnen Fächer entwickelt, die sich dadurch auszeichneten, dass sie den Lehrkräften mehr inhaltliche und methodische Freiräume ermöglichten. Ende der 90er Jahre des letzten Jahrtausends gewann dann für die Fremdsprachen das Dokument des Europarats Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen (GeR; s. Kapitel 1) eine große Bedeutung für die weitere Diskussion. Mit dem Ausgangspunkt des Kompetenzbegriffs sowie der Einführung von Niveaustufen für die Sprachkompetenz von A1 bis C2 wurde er ein unverzichtbares Dokument in der europäischen Bildungspolitik. Die Folgen der negativen Ergebnisse der PISA -Studie um die Jahrtausendwende führten dann zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards, bei denen in den Fremdsprachen die Kompetenzbeschreibungen des GeR ihren Niederschlag fanden. Auf die Frage, welche Funktion die administrativen Vorgaben für das Bildungssystem haben, gibt es vier Antworten. Bildungs- oder Lehrpläne-- bzw. welches immer auch ihre Bezeichnung sein mag- - haben erstens eine Legitimationsfunktion, indem sie das Fach in seinem Bildungspotential für die Lernenden darstellen. Sie sichern zugleich eine Vergleichbarkeit auf Länderebene bzw. im Falle der nationalen Bildungsstandards darüber hinaus. Sie sind drittens Ausgangspunkt für die Strukturierung des Unterrichts durch die Lehrenden. Schließlich bilden sie viertens die Grundlage, an der sich die Verlage für die Erstellung von Unterrichtsmaterial orientieren. Administrative Vorgaben in Form von Bildungs- oder Lehrplänen bilden in einem „Pflichtteil“ nicht nur eine verbindliche Orientierung für die zu vermittelnden Kompetenzen sowie die Lerninhalte, sondern sie bieten in einem „Kürteil“ zugleich auch Anregungen für die individuelle methodische Ausgestaltung des Unterrichts. In dieser Beziehung sind die Pläne ein wichtiger Kontextfaktor für die Lehrkraft. So heißt es im Hamburger Bildungsplan Neuere Fremdsprachen: 71 3.7 Administrative Vorgaben für den Fachunterricht Lernen ist ein individueller, eigenständiger Prozess, der von außen nicht gesteuert, wohl aber angeregt, gefördert und organisiert werden kann. In Lernprozessen organisiert der Lernende aktiv sein Wissen, während ihm die Pädagoginnen und Pädagogen Problemsituationen und Methoden zur Problembearbeitung zur Verfügung stellen. (Freie und Hansestadt Hamburg 2011: 6) Diese Aussagen, die sich mit den Prinzipien des schulischen Fremdsprachenunterrichts decken, wie sie in Kapitel 1 skizziert wurden, öffnen nicht nur die Tür für kreative und innovative Ansätze bei der Gestaltung von Lernanlässen durch die Lehrkraft, sondern sie legitimieren unkonventionelle Lehr-/ Lernprozesse, die das aktive Lernen fördern. Gerade für den nicht immer unproblematischen Bereich der Bewertung der Lernprozesse wird durch die Lehrplanvorgabe die individuelle und intensive Rückmeldung durch folgende Formulierung angeregt: Die Bewertung der Lernprozesse zielt darauf ab, dass sich die Schülerinnen und Schüler durch regelmäßige Gespräche über Lernfortschritte und -hindernisse ihrer eigenen Lernwege bewusst werden, sie diese weiterentwickeln sowie unterschiedliche Lösungen reflektieren und selbständig Entscheidungen treffen.- … Fehler und Umwege werden dabei als notwendige Bestandteile von Erfahrungs- und Lernprozessen angesehen. (Bildungsplan HH 2011: 9) Moment der Reflexion Welche Möglichkeiten sehen Sie, im Sinne des Fehlerverständnisses in dem obigen Zitat, Fehler der Lernenden in schriftlichen Arbeiten zu bewerten? Auch bei den administrativen Vorgaben gilt es, sich mit ihnen als Kontextfaktor ernsthaft auseinander zu setzen und sie aufmerksam und sensibel (! ) auch dahingehend zu lesen, welche Bedeutung ihre Aussagen für das eigene pädagogische Handeln haben. Zusammenfassung Eine Fremdsprache zu unterrichten wäre ein simples Unterfangen, wenn die 45 Minuten dauernde Stunde sich auf das routinierte, wiederkehrende Zeremoniell von Begrüßung, Neueinführung eines Textabschnittes oder eines Grammatikphänomens, einer Übungsphase und dem Stellen der Hausaufgabe kurz vor dem Klingelzeichen beschränkte. Zum Glück ist das Unterrichten sehr viel anspruchsvoller und komplizierter. Wir haben gezeigt, dass es der Interaktionsprozess als Grundlage jedes Lehr-/ Lernprozesses ist, der vielfältig und damit zugleich abwechslungsreich verläuft. Die gewissenhafte Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit der / des Lernenden sowie die sensible Berücksichtigung diverser Kontextfaktoren durch die Lehrkraft führen in fine zu einem Unterricht, der zwar immer verlässlich für die Lernenden bleibt, der sie aber zugleich in immer neue Lernsituationen führt. Der Fremdsprachenunterricht bleibt auch insofern authentisch, als er sich auch dem Leben außerhalb des Klassenraums nähert. Jede Kommunikationssituation verlangt die Bereitschaft, sich diverser zeitlicher und räumlicher Faktoren bewusst zu werden und sie bei der Sprach- 72 3 Kontextfaktoren im Fremdsprachenunterricht handlung zu berücksichtigen. Selbstwirksamkeit ist dabei Ausgangspunkt und zugleich ein ständig zu vervollkommnender Prozess. Weiterführende und vertiefende Literatur Den im Unterricht wirksamen Faktoren in psychologischer Sicht widmen sich insbesondere Kunter und Trautwein (2013). Hinsichtlich der Forschung zur „professionellen Fremdsprachenlehrkraft“ und ihren Implikationen für Lehrer / innenbildung und Praxis empfehlen wir die Sammelbände von Michael Legutke und Michael Schart (2016) sowie- - aus dem internationalen Kontext- - von Anne Burns und Jack C. Richards (2009) und JoAnn Crandall und MaryAnn Christison (2016). 73 4 Fremdsprachenunterrichtliches Handeln: Reflexivität - Adaptivität - Innovation Change will not come if we wait for some other person or some other time. We are the ones we've been waiting for. We are the change that we seek. (B. Obama) Nachdem die aktuellen Anforderungen modernen Fremdsprachenunterrichts und seine Unterrichtskultur sowie die damit verbundenen Kontextfaktoren dargestellt wurden, soll in diesem Kapitel insbesondere die Bedeutung der Lehrkraft in diesem Unterrichtsgeschehen herausgestellt werden. Wiederholt ist sie als zentrale Instanz für unterrichtliche Lehr- und Lernprozesse beschrieben worden. Doch die durch einen kontextsensiblen Fremdsprachenunterricht entstehende Neufokussierung verändert auch das Lehrer / innenhandeln: Lehrpersonen in diesem Unterricht sind offen für Neues, sie berücksichtigen die Kontextfaktoren, evaluieren, welche der Faktoren spontan bedeutsam sind und nutzen diese als Ressource für den Unterricht und die gemeinsame Ausgestaltung mit den Lernenden. Dafür bedarf es einer Selbstwirksamkeitskompetenz, einer Gelassenheit und Zuversicht, auch eines Mutes, diese Faktoren einzubeziehen (vgl. Bandura 1997). Allerdings: Kontextsensibilität darf nicht zu Überforderung oder gar Zerfaserung des Unterrichts führen. Im Folgenden werden daher aufeinander aufbauend drei besonders wichtige Bausteine vorgestellt, die als elementar für kontextsensibles Lehrer / innenhandeln gesehen werden müssen: 1. Die Bedeutung von Reflexivität: Lehrerinnen und Lehrer hinterfragen sowohl ihre Glaubenssätze und subjektiven Theorien vom Lernen und Lehren, die eigene Unterrichtspraxis und ihre Wirkung als Lehrpersonen innerhalb der Kontextfaktoren. 2. Die Adaptivität, welche es auf Basis des jeweiligen Wissens, einer Offenheit und Flexibilität ermöglicht, in der Unterrichtsplanung und im Unterricht spontan situativ auf (sich verändernde) Kontextfaktoren einzugehen. 3. Die Bereitschaft, Innovation in den Fremdsprachenunterricht hineinzutragen und-- ausgehend von der Analyse der Kontextfaktoren-- diese Neuerungen zu implementieren, um sowohl den Lehr-/ Lern- und Bildungsprozess als auch selbst als Lehrperson die eigene Selbstwirksamkeit und Zufriedenheit zu fördern. Nur auf Basis dieser drei Elemente fremdsprachenunterrichtlichen Handelns kann- - der Argumentation folgend-- kontextsensibler Fremdsprachenunterricht stattfinden, der etwas Neues entstehen lässt. Wie man Erkenntnissen der Innovationsforschung aus anderen Wissenschaftsdisziplinen entnehmen kann, scheitern zahlreiche Neuerungen nicht etwa, weil sie „zu neu“ oder „zu innovativ“ sind. Innovationen scheitern in der Regel, wenn sie von „oben herab“ (top down) den Personen aufgegeben werden, die sie implementieren sollen. Die drei 74 4 Fremdsprachenunterrichtliches Handeln: Reflexivität - Adaptivität - Innovation Bausteine Reflexivität, Adaptivität und Innovation führen innerhalb eines kontextsensiblen Fremdsprachenunterrichts dazu, dass Lehrerinnen und Lehrer in die Lage versetzt werden, selbst nötiges Innovationspotenzial zu erkennen und aktiv Veränderungen herbeizuführen-- ob dies auf der kleinen Ebene im unterrichtlichen Handeln stattfindet, eine Öffnung des Unterrichts für soziale Kontextfaktoren herbeiführt oder einem Einsatz zur langfristigen Veränderung von Schulkultur und Unterricht dient, entscheidet jede Lehrperson individuell. Ein Baustein, der in der folgenden Darstellung zwischengeschaltet wird, ist der der Ausbildung von Routinen. Sie helfen nicht nur bei der für die Lernenden transparenten Unterrichtsgestaltung: Durch ihre gleichsam automatisierte Verfügbarkeit schafft sie Sicherheit und Freiräume im unterrichtlichen Handeln für Reflexion und Innovation, weswegen auf ihre Bedeutung zusätzlich eingegangen werden soll. Moment der Reflexion Nehmen Sie sich ein leeres Blatt Papier und zeichnen Sie sich als Fremdsprachenlehrer / Fremdsprachenlehrerin im Klassenraum. (Bewahren Sie Ihre Zeichnung auf - wir brauchen sie zu einem späteren Zeitpunkt.) 4.1 Reflexivität als Ausgangspunkt für das eigene Handeln Im Zusammenhang mit Reflexion werden häufig zirkulär angeordnete Modelle verwendet, die darstellen, an welchen Stellen Reflexion ansetzt bzw. ansetzen kann. Das ALACT -Modell von Korthagen und Vasalos (2005) beispielsweise geht von einer Handlung im Unterricht aus (A-= Action), auf die zurückgeblickt wird (L-= Looking back), deren besonderer Aspekte man sich reflexiv bewusst wird (A-= Awareness), eventuell nötige Alternativen entwickelt (C-= Creating alternatives) und diese wieder in der Praxis implementiert (T-= Trial). Hier beginnt der Zyklus dann von Neuem. Solche Modelle, als vereinfachte Schemata durchaus nützlich, um das Prinzip von Reflexion auf Unterrichtsebene zu verdeutlichen, sind durch ihre Einfachheit in ihrem Erklärungspotential sehr stark eingeschränkt: Sie vermögen es leider nicht, weitere wichtige Aspekte der einzelnen Kontextfaktoren, insbesondere auch auf Seiten der Lehrkraft, zu berücksichtigen. An welchen Stellen werden beispielsweise die eigenen Überzeugungen und Motivationen reflektierbar? Wie wird sichergestellt, dass das durch Reflexion neu gewonnene Wissen auch mittel- und langfristig gesichert ist? Zudem erscheint Reflexion hier als ein relativ isolierter Prozess, da zunächst keine anderen sozialen Kontextfaktoren (wie z. B. Lernende oder Kolleginnen und Kollegen) mit in den Prozess einbezogen werden. Die Kriterien, die- - übrigens auch international (vgl. Tabachnik / Zeichner 2002)- - an Reflexion im Lehrerberuf herangetragen werden, sind so divers, beziehen sich auf solch unterschiedliche Reflexionsgegenstände und basieren auf einem derart unterschiedlichen Verständnis von Reflexivität, dass es kein Wunder ist, dass Reflexion auch für Lehrpersonen spätestens nach Eintritt in den regulären Schuldienst zum roten Tuch wird. Im Folgenden 75 4.1 Reflexivität als Ausgangspunkt für das eigene Handeln Abb. 7: Reflexiver Zyklus im ALACT -Modell (Korthagen / Vasalos 2005: 49). soll Reflexionskompetenz in Verknüpfung mit dem Wissensaspekt so eingegrenzt werden, dass sie im Rahmen unserer Argumentation für kontextsensiblen Fremdsprachenunterricht gezielt angewendet werden kann. Wissen und Können Auf den Unterschied zwischen explizitem und implizitem Wissen und dessen Bedeutung für die Lehrkraft wurde im letzten Kapitel als Kontextfaktor bereits eingegangen. Schon Donald Schön, einer der einflussreichsten Denker im Feld von Reflexion, ging in seinem ersten großen Werk zu dem Thema davon aus, dass Professionelle mehr wissen, als sie tatsächlich artikulieren können (vgl. Schön 1983). Warum hat dies auch für Reflexion und Reflexivität eine Bedeutung? Die Tatsache, dass viele unserer Handlungen automatisiert und routinisiert ablaufen, wir uns ihrer also nicht (immer) direkt bewusst sind, deutet auf implizite Wissensbestände hin, ein Forschungsbereich übrigens, der Mitte des letzten Jahrhunderts besonders in der Soziologie aufkam (vgl. z. B. Mannheim 1964, Polanyi 1967; zusammengefasst auch in Neuweg 2014). Wir können diese Handlungen auch nicht unmittelbar begründen, wenn wir zu ihnen befragt werden. Als Alltagsbeispiel kann hier das Binden des Schnürsenkels dienen: Wir können diesen Prozess selbstverständlich durchführen. Wenn wir aber erklären sollten, welche Schlaufe wir zunächst wie formen und durch welche ziehen, um den ersten festigenden Grundknoten herzustellen, kommen wir an die Grenzen der Explizierbarkeit unseres Wissens. Noch beeindruckender ist das Beispiel des Fahrradfahrens: Die technischen Aspekte (Aufsteigen, Lenken) haben wir mehr oder weniger bewusst erlernt. Aber könnten Sie erklären, wie genau wir im physikalischen Sinn das Gleichgewicht halten? Welche 76 4 Fremdsprachenunterrichtliches Handeln: Reflexivität - Adaptivität - Innovation neurologischen Prozesse laufen ab, die unsere Muskeln zur Kontraktion bringen, ohne dass wir dies aktiv steuern? Explizites Wissen andererseits ist dasjenige formalisierte Wissen, das wir selbst aktiv explizieren, d. h auch erklären und begründen können. Wir haben es beispielsweise bewusst gelernt, möglicherweise zeigen wir auch bestimmte Haltungen zu bestimmten Aspekten dieses Wissens. Mit ihm, dem theoretischen Wissen, können wir auch unser Handeln begründen. Allerdings: Dass wir etwas wissen, heißt nicht unbedingt, dass wir demzufolge auch handeln. Eine Lehrkraft mag z. B. wissen, dass Differenzierung sehr wichtig ist und kennt auch methodische Ansätze zur Differenzierung, dies bedeutet aber noch lange nicht, dass sie diese Maßnahmen auch tatsächlich vornimmt. Hier kommt der Unterschied zwischen Wissen und Kompetenz sowie Performanz zum Tragen, d. h. man kann Handeln (Performanz) zwar beobachten (auch auf Seiten der Lernenden), dies vermittelt aber nur näherungsweise einen Eindruck davon, ob jemand wirklich ein bestimmtes Wissen oder eine Fertigkeit (Kompetenz) hat. Als Grundlage für Reflexion und Reflexivität mit dem Ziel, Handlungen auf tieferen (Bewusstseins-)Ebenen zu hinterfragen, ist es wichtig, sich dieser Unterscheidung bewusst zu sein. Es ist nicht ausreichend für die Reflexion des eigenen Handelns im Unterricht (sowohl in der Vor- und Nachbereitung, als auch spontan-situativ) auf einer oberflächlichen Ebene des expliziten Wissens zu verbleiben. Man versucht im reflexiven Denken, seine eigenen impliziten Wissensbestände zu aktivieren, Überzeugungen zu hinterfragen, möglicherweise auch im Eifer des Gefechts fragwürdige Reaktionen ins eigene Bewusstsein zu rücken. Gleichzeitig helfen implizite Wissensbestände auch bei der Sicherung eigener Routinen (siehe unten), indem rituelle Abläufe zunehmend automatisiert in den Unterrichtsalltag integriert werden und keiner übermäßigen geistigen Beanspruchung mehr bedürfen. Gut zu wissen Hinsichtlich der dezidiert im Fremdsprachenunterricht wirksamen und nötigen Kompetenzen und Wissensbereiche hat das Europäische Fremdsprachenzentrum ( EFSZ ) des Europarats das detailliert ausgearbeitete Europäische Portfolio für Sprachlehrende in Ausbildung ( EPOSA ) entwickelt. Es ist ein Reflexionsinstrument zur selbstständigen Beurteilung bestimmter Kompetenzen als „Ich kann“-Beschreibungen (ähnlich dem Prinzip des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens). Es kann kostenfrei auf der Website des EFSZ (auch in anderen Sprachen) heruntergeladen werden: https: / / www.ecml.at/ tabid/ 277/ PublicationID/ 16/ Default.aspx Bei der Frage danach, was Fremdsprachenlehrkräfte in Deutschland aus ganz normativer Sicht wissen und können sollen, hilft ein Blick in die Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung der Kultusministerkonferenz (vgl. KMK 2017). Diese dienen wie die Standards der Lehrerbildung (vgl. KMK 2014) auch zur inhaltlichen Akkreditierung von Lehramtsstudiengängen, bieten gleichzeitig aber auch Orientierung, was von Lehrerinnen und Lehrern erwartet wird. Drei Wissensbereiche werden hier konzeptualisiert: 77 4.1 Reflexivität als Ausgangspunkt für das eigene Handeln Wissensform Erläuterung Fachwissen Die KMK unterscheidet hier drei Wissensformen ( KMK 2017: 3): Zum einen geht es ihr um ein „solides und strukturiertes Fachwissen (Verfügungswissen)“ (ebd.: 3; Hervorhebung im Original), auf das ständig zurückgegriffen werden kann, ein „Orientierungswissen“ um aktuelle Fragestellungen und Herausforderungen des Faches sowie ein reflektiertes „Metawissen“ zum Fach aus wissenschaftstheoretischer Perspektive. Letzteres soll insbesondere durch Erfahrungsaufbau in der Praxis stetig erweitert werden. Erkenntnis- und Arbeitsmethoden des Faches Zum einen sollen angehende Lehrkräfte am Ende ihres Studiums die je spezifischen Arbeitstechniken ihres Faches kennen und ausprobiert haben, zum anderen geht es darum, diese Methoden und ggf. mit dem Fach verbundene Medien im unterrichtlichen Kontext adäquat, d. h. „adressaten- und sachgerecht“ (ebd.: 4), einsetzen zu können. Fachdidaktisches Wissen Die Anforderungen hinsichtlich des fachdidaktischen Wissens sind entsprechend am weitesten ausdifferenziert. Hier sind Kenntnisse aktueller fachdidaktischer Positionen gefragt; fachdidaktische und psychologische Forschung, die für das Fach relevant ist, soll adäquat in Unterrichtspraxis umgesetzt werden können; fachbezogen adäquate Formen von Leistungsbewertung und Differenzierung sollen bekannt sein und die inhaltlich komplexen Konzepte und Themen sollen didaktisch reduziert und methodisch angemessen vermittelt werden können. Für den Vorbereitungsdienst wird dies insbesondere um den Aspekt von Unterrichtsplanung und -strukturierung nach fachspezifischen Aspekten erweitert und vertieft. Außerdem „sollen sich Lehrerinnen und Lehrer durch Fort- und Weiterbildung fachlich und persönlich in der Rolle als Lehrerin bzw. Lehrer weiterentwickeln.“ (ebd.: 4) Tab. 10: Anforderungen in Wissensbereichen nach den Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung ( KMK 2017). Sowohl das Fachwissen als auch das fachdidaktische Wissen werden jeweils als „anschlussfähig“ charakterisiert, schließlich bezieht man sich hier zunächst ausschließlich auf Studienabsolvent / innen, die erst noch in den Vorbereitungsdienst eintreten, wenngleich für das fachdidaktische Wissen direkt auf Anforderungen für die zweite und dritte Phase der Lehrerbildung eingegangen wird. In sogenannten Kompetenzprofilen für die einzelnen Fächer (Fremdsprachen werden als „Neue Fremdsprachen“ zusammengefasst) werden neben Studieninhalten für die Lehrämter der Sekundarstufen I und II auch sogenannte Kompetenzprofile herausgestellt. Für die Neuen Fremdsprachen sieht die KMK folgende Wissensbestände als relevant: Die Studienabsolventinnen und -absolventen verfügen über Kompetenzen in der Fremdsprachenpraxis, der Sprachwissenschaft, der Literaturwissenschaft, der Kulturwissenschaft sowie in der Fachdidaktik. Der schulische Fremdsprachenunterricht erfordert, dass die Studienabsolventinnen und -absolventen das im Studium erworbene Wissen systematisch abrufen und ihre Kompetenzen unterrichtsbezogen einsetzen können. Sie ▶ verfügen über ein vertieftes Sprachwissen und „nativnahes“ Sprachkönnen in der Fremdsprache; sie sind in der Lage, ihre fremdsprachliche und interkulturelle Kompetenz auf dem erworbenen Niveau zu erhalten und ständig zu aktualisieren, ▶ können auf vertieftes, strukturiertes und anschlussfähiges Fachwissen in den Teilgebieten der Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft zugreifen und grundlegende wie aktuelle Fragestellungen und Methoden erkennen und weiterentwickeln, verfügen über Er- 78 4 Fremdsprachenunterrichtliches Handeln: Reflexivität - Adaptivität - Innovation kenntnis- und Arbeitsmethoden im jeweiligen Fach sowie über einen Habitus des forschenden Lernens, ▶ besitzen die Fähigkeit zur Analyse und Didaktisierung von Texten, insbesondere von literarischen, Sach- und Gebrauchstexten sowie von diskontinuierlichen Texten, ▶ können fachliche und fachdidaktische Fragestellungen und Forschungsergebnisse wissenschaftlich adäquat und reflektiert darstellen sowie die gesellschaftliche Bedeutung der Disziplin und des Fremdsprachenunterrichts in der Schule analytisch beschreiben, ▶ kennen die wichtigsten Ansätze der Sprach-, Literatur-, Kultur- und Mediendidaktik und können diese für den Unterricht nutzen, ▶ verfügen über ausbaufähiges Orientierungswissen und Reflexivität im Hinblick auf fremdsprachliche Lehr- und Lernprozesse auch unter dem Gesichtspunkt von Mehrsprachigkeit, Heterogenität und inklusiven Unterricht, ▶ kennen Möglichkeiten der Gestaltung von Lehr- und Lernarrangements insbesondere unter Berücksichtigung heterogener Lernvoraussetzungen und Inklusion, ▶ verfügen über vertieftes Wissen zur Entwicklung und Förderung von kommunikativer, interkultureller und textbezogener fremdsprachlicher Kompetenz, methodischer Kompetenz und Sprachlernkompetenz von Schülerinnen und Schülern, ▶ verfügen über erste reflektierte Erfahrungen in der kompetenzorientierten Planung und Durchführung von Fremdsprachenunterricht in heterogenen Lerngruppen z. B. im Hinblick auf zieldifferenten und zielgleichen Unterricht und kennen Grundlagen der Leistungsdiagnose und -beurteilung im Fach, ▶ können auf der Grundlage ihrer fachbezogenen Expertise hinsichtlich der Planung und Gestaltung eines inklusiven Unterrichts mit sonderpädagogisch qualifizierten Lehrkräften und sonstigem pädagogischen Personal zusammenarbeiten und mit ihnen gemeinsam entsprechende Lernangebote entwickeln, ▶ sind sensibilisiert für den Bedarf an barrierefreien Lernmedien von Lernenden mit Behinderungen. ( KMK 2017: 44) Neben der Vielfältigkeit der Anforderungen, die auch in Zusammenhang mit aktuelleren Entwicklungen wie inklusiver Bildung zu sehen sind (insbesondere die Aspekte hinter den letzten drei Spiegelstrichen), ist interessant, in welchem Verhältnis Wissen und Können stehen, die jeweils mit den Operatoren „verfügen“, „können“ und „kennen“ verknüpft sind. Bemerkenswert ist hierbei auch, dass das Fachprofil Neue Fremdsprachen als einziges in der ganzen Breite der im KMK -Dokument vertretenen Fächer einen „Habitus des forschenden Lernens“ von den (angehenden) Fremdsprachenlehrkräften verlangt, der als Grundlage für das Handeln als reflektierende / r Praktiker / in steht. Diese Anforderung passt zu unserer Argumentation in diesem Studienbuch, die im weiteren Verlauf noch vertieft werden soll. Dennoch könnte man meinen, dass laut KMK -Katalog die Spezifität und Komplexität des Fremdsprachenunterrichts von den Lehrkräften die besondere Eigenschaft einfordert, selbstgesteuert und beständig die Wirkung des eigenen Handelns im Fremdsprachenunterricht zu evaluieren und zu hinterfragen. 79 4.1 Reflexivität als Ausgangspunkt für das eigene Handeln Downloadmaterial Im Downloadmaterial zu diesem Studienbuch finden Sie einen Selbstdiagnosebogen, der auf dem KMK -Kompetenzprofil für Fremdsprachenlehrkräfte basiert. Damit können Sie sich grob einschätzen hinsichtlich dieser Anforderungen. (Eine detailliertere Selbstdiagnose bietet darüber hinaus das oben bereits empfohlene EPOSA .) Experten Moment der Reflexion Was verbinden Sie mit dem Begriff „Experte“/ „Expertin“? Wofür sind Sie Experte oder Expertin? Der Niederländer Adriaan de Groot (1978) konnte am Beispiel von Schachspielern eine interessante Erkenntnis hinsichtlich des Vorgehens anerkannter Experten herausarbeiten: Er fand heraus, dass während einer Schachpartie nicht unbedingt tief verankertes Wissen aktiviert wird, sondern dass die routinierten Spieler schnell potentielle Züge des Gegners erkennen und somit auf gestellte Schwierigkeiten reagieren. Die Expertiseforschung zeigt auch für das Wissen und Handeln von Lehrkräften ähnliche Erkenntnisse, welche im deutschsprachigen Raum insbesondere von Bromme (1992) aufgezeigt wurden, für die internationale Fremdsprachenforschung hat Tsui (2003) eine ausführliche Analyse von Fallbeispielen zusammengestellt. Im sogenannten Novizen-Experten-Paradigma wird davon ausgegangen, dass diejenigen, die beginnen, eine Profession zu erlernen (z. B. Lehramtsstudierende), die Novizen darstellen, welche sich dann nach entsprechendem Wissensaufbau und (Probe-)Handeln in der Praxis nach und nach zu Experten entwickeln. Häufig wird hier die Zahl von 10 000 Stunden Erfahrung postuliert, die aber auch wiederholt in Frage gestellt wurde. Dreyfus und Dreyfus (1986) haben fünf (idealisierte) Stufen vom Novizen zum Experten aufgestellt: 1. Novizen, die ohne Berücksichtigung des Kontexts lehren. 2. Fortgeschrittene Anfänger, die noch relativ unflexibel auf erste Erfahrungen reagieren und sich starr an Regeln halten. 3. Kompetente Praktiker, bei denen basales kontextuelles Wissen erkennbar wird. 4. Gewandte Praktiker, die im Kontext bewusst Entscheidungen treffen, Situationen einschätzen und darauf reagieren können. 5. Experten, die auf jede Situation im Kontext flexibel und spontan, quasi intuitiv reagieren können. Dabei hat die auch für die Lernenden relevante Cognitive Load Theory (vgl. Sweller et al. 2011) zeigen können, dass ebenfalls Experten durchaus einen „cognitive overload“ erfahren können, jedoch mit diesem anders umgehen als Novizen. Bromme (1992) beispielsweise zeigte für Lehrkräfte, dass Experten-- ähnlich dem Beispiel der Schachspieler-- Unterrichts- 80 4 Fremdsprachenunterrichtliches Handeln: Reflexivität - Adaptivität - Innovation situationen und -interaktionen anders, d. h. mehrperspektivischer und detaillierter sowie schneller einschätzen (vgl. auch Ausführungen in Roters 2012). Diese Lehrerinnen und Lehrer agieren adaptiver und zeigen eine extrem hohe Problemlösekompetenz im Unterricht, die sich damit erklären lässt, dass das professionelle Wissen in einem hohen Maße integriert und im Langzeitgedächtnis vernetzt ist, d. h. nicht losgelöst fortbesteht. Dies führt dazu, dass in der jeweiligen Situation, in der ein cognitive overload entsteht, das Arbeitsgedächtnis des Experten nicht in dem Maße überlastet wird wie das des Novizen. Die im Langzeitgedächtnis aufgebauten Schemata entlasten somit die spontane Entscheidungsfindung im Prozess, sie zeigen sich im unterrichtlichen Handeln als Routinen, die den Lehr-Lernprozess unterstützen und die Lehrkraft selbst kognitiv entlasten (s. u.). Damit dieses mehrperspektivische, schnelle Bewerten von Unterrichtssituationen bzw. sich ändernder Kontextfaktoren gelingen kann, bedarf es eines breiten fremdsprachendidaktischen sowie allgemeinpädagogischen Wissens, auf das zurückgegriffen werden kann. Ein Teil dieses Wissens wird, dem Novizen-Experten-Paradigma folgend, durch Erfahrung in der Praxis aufgebaut, d. h. es kann nicht direkt z. B. in Hochschulseminaren vermittelt werden, das Wissen muss in Interaktionsprozessen mit Kontextfaktoren reflektiert werden. Die nötige Flexibilität, dieses Wissen nutzbar zu machen, bzw. Adaptivität, wie es hier genannt werden soll, wird an späterer Stelle noch weiter ausgeführt. Die (Berufs-)Biographie Mit der Frage, wann man für bestimmte Tätigkeitsbereiche Experte oder Expertin wird, hängt auch mit der eigenen Berufsbiographie zusammen. Zum einen wird eine gewisse Erfahrung vorausgesetzt: Das eigene Wissen muss aufgebaut und in verschiedenen Situationen angewendet und ggf. reflektiert und optimiert werden. Dabei betrachten wir in diesem Studienbuch den Aspekt Lehrer / innenprofessionalität bzw. professionelles Lehrer / innenhandeln im Fremdsprachenunterricht aus drei unterschiedlichen Perspektiven: Zum einen aus einer kompetenztheoretischen Perspektive, bei der erworbenes Wissen und erlernte Kompetenzen angewendet werden können, die zweitens gleichzeitig in einer strukturtheoretischen Perspektive auf unerwartete, paradoxe und ungewisse Unterrichtssituationen treffen können, die reflektiert werden müssen. Darüber hinaus spielt drittens dann die berufsbiographisch wirksame Deutung von Handeln, Reaktion und Reflexion eine wichtige Rolle für die Förderung von Kontextsensibilität. Gut zu wissen Die deutsche Lehrerprofessionsforschung beschäftigen diese drei Bestimmungsansätze und deren Vereinbarkeit in besonderem Maße. In der Regel lassen sich in den letzten Jahren entstandene Forschungsarbeiten dezidiert diesen Paradigmen (oder Mischungen daraus) zuordnen. Eine Übersicht dieser Ansätze und Diskussionen aus schulpädagogischer Sicht liefert z. B. Terhart (2011). Der Kontextfaktor „Lehrperson“ verfügt, wie in Kapitel 3 schon dargelegt, nicht nur über professionelles Wissen in verschiedenen Domänen, sondern neben Motivation und Selbst- 81 4.1 Reflexivität als Ausgangspunkt für das eigene Handeln regulation im Besonderen auch über Ziele, Überzeugungen und Werte. Letztere, die im COACTIV -Modell von Baumert / Kunter (2006) häufig zusammengefasst dargestellt und diskutiert werden, sind biographisch höchst bedeutsam: Schließlich ist jede Fremdsprachenlehrkraft durch die eigene Schulzeit und das Erleben des Fremdsprachenlernens geprägt (vgl. Lortie 1975), hat eigene Einstellungen zur Sprache und zielsprachlichen Kulturen, darüber hinaus auch zu Schule, Unterricht und Lernenden insgesamt. In ihrem Zwiebelmodell der Reflexionsebenen haben die niederländischen Forscher Fred Korthagen und Angelo Vasalos (2005) die verschiedenen Schichten der beruflichen Identität versucht offenzulegen, deren biographische Prägung dabei immer mitgedacht werden muss. Jede Zwiebelschicht wird dabei von der jeweils nächsten beeinflusst oder kann diese beeinflussen. So formt die berufliche „Mission“ der Lehrkraft auch ihre Identität, welche unsere Glaubenssätze z. B. hinsichtlich des Lernens von Fremdsprachen formt, sich dann auf unsere Kompetenzen und deren Ausübung (das Verhalten) niederschlägt, welche dann in Interaktion mit der Umwelt (den Kontextfaktoren) stehen. In die entgegengesetzte Richtung gedacht kann dann die Umwelt Auswirkungen auf das Verhalten der Lehrperson haben (als Reaktion) und dies wiederum unsere Kompetenzen und Glaubenssätze beeinflussen usw. Abb. 8: Zwiebelmodell der Reflexionsebenen (Korthagen / Vasalos 2005). 82 4 Fremdsprachenunterrichtliches Handeln: Reflexivität - Adaptivität - Innovation Moment der Reflexion Nehmen Sie sich Ihre Zeichnung vom Beginn des Kapitels noch einmal vor. Überlegen Sie: ▶ Inwiefern spiegelt die Zeichnung von Ihnen selbst Ihre Glaubenssätze zum Fremdsprachenunterricht wieder? ▶ Wo haben Sie sich selbst positioniert? ▶ Wo sind Ihre Lernenden? Was tun sie? ▶ Welche Medien sind vorhanden? ▶ Was haben Sie (ggf. nach den „Klassenraumwänden“) zuerst gezeichnet? Eine Tafel, Lernende oder sich selbst? ▶ Welche Kontextfaktoren aus Kapitel 3 sind in Ihrer Zeichnung sichtbar? Häufig werden in solchen Reflexionsübungen oder Zeichnungen Metaphern sichtbar, zumindest eine gewisse Symbolik, die Lehrpersonen an sich selbst (oder ihre Lerngruppen) herantragen wie z. B. die Metapher eines Dompteurs, eines Führers / einer Führerin, eines Freundes-… Dawn Francis (1995) führt das bemerkenswerte Beispiel einer jungen Lehrerin an, die sich im Gespräch selbst als konstruktivistisch, d. h. sehr lernendenorientiert, charakterisiert. Als sie jedoch dazu angehalten wird, sich und ihren Unterricht metaphorisch zu umschreiben, zeigt sich ein etwas anderes Bild: Ich sehe mich selbst als Lehrerin, die wie Strom durch einen elektrischen Schaltkreis fließt. Jede / r Lernende erzeugt einen Widerstand und einen damit einhergehenden Verbrauch von Energie der Lehrperson. Die Energiequelle, aus der sich die Lehrperson speist, wird irgendwann verbraucht und muss dann wieder aufgeladen werden, damit die Glühbirnen weiter leuchten können. (Francis 1995: 238; unsere Übersetzung) Durch den Wechsel in eine bildliche Beschreibung als Metapher wird deutlich, dass die Lehrerin ihren Unterricht ganz und gar nicht konstruktivistisch gestaltet, sondern sehr lehrpersonen- und transmissionsorientiert. Schnell erinnert das Bild auch durch die Verwendung der Worte „Energiequelle“ (oder Akku) und den Verbrauch von Strom an Erschöpfung und Burnout. Ein Perspektivenwechsel, der hier durch die Verwendung von Metaphern vorgenommen wird, kann bewirken, dass man sich des eigenen Handelns bewusst(er) wird und Überzeugungen zu sich selbst hinterfragt. Ein bedeutendes Konzept hinsichtlich berufsbiographisch orientierter Lehrerprofessionalisierung ist das der Entwicklungsaufgaben, welche insbesondere in bildungsgangdidaktischen Ansätzen eine große Rolle spielen (vgl. z. B. Trautmann 2005, Schenk 2005). Ursprünglich bezieht man sich hier meist auf den amerikanischen Erziehungs- und Sozialwissenschaftler Robert J. Havighurst, der Entwicklungsaufgaben folgendermaßen definierte: A developmental task is a task which arises at or about a certain period in the life of the individual, successful achievement of which leads to his happiness and to success with later tasks, while failure leads to unhappiness in the individual, disapproval by the society, and difficulty with later tasks. (Havighurst 1972: 2) 83 4.1 Reflexivität als Ausgangspunkt für das eigene Handeln Moment der Reflexion Eine weitere, sinnvolle Übung, die helfen kann, sich seiner berufsbiographisch wirksamen Vorprägungen bewusst zu werden, ist das biographische Schreiben (vgl. z. B. Farrell 2015). Damit ist keine Autobiographie gemeint, die später veröffentlichungswürdig werden könnte. Es geht vielmehr darum, dass Sie ein schriftliches Produkt (als Fließtext oder in Stichworten) für sich selbst erstellen, sich beim Schreiben bewusst an Episoden Ihrer Berufsbiographie erinnern und den Text ablegen, um ihn später wieder zu Reflexionszwecken hervorholen zu können. Hier sind einige Fragen, die das Schreiben anregen können (in Auszügen orientiert an Farrell 2015: 45-46): ▶ Warum möchte ich Fremdsprachenlehrkraft werden bzw. warum bin ich Fremdsprachenlehrkraft geworden? ▶ Für mich bedeutet der Begriff „Fremdsprachenlehrkraft“ … ▶ Ich freue mich darauf, jeden Morgen in die Schule zu gehen, weil … ▶ Das Schönste / Schlimmste am Lehrerberuf ist … ▶ Was ich wirklich am Fremdsprachenunterricht mag, ist … ▶ Ich denke, dass meine Schülerinnen und Schüler denken, dass … ▶ Ich verbringe viel Zeit damit, nachzudenken über … ▶ Die größte Herausforderung war / ist für mich … Der Ansatz der Entwicklungsaufgaben lässt sich dabei sowohl auf Lernende in ihrer Biographie übertragen als auch auf Lehrkräfte (und auch andere Personen), wobei uns Lehrerinnen und Lehrer hier bezüglich der Reflexionskompetenz im besonderen Maße interessieren. Ingrid Kunze und Uwe Hericks (2002) haben vier für Lehrpersonen allgemein zentrale Entwicklungsaufgaben herausgearbeitet: (1) Entwicklungsaufgabe Kompetenz: Die eigenen Kompetenzen zur Bewältigung beruflicher Anforderungen einsetzen und ausweiten. Mit eigenen Schwächen und Grenzen umgehen können. Zwischen biographisch verwurzelten subjektiven Bildern vom Lehrerberuf, eigenen Handlungskompetenzen und erfahrenen Handlungsnotwendigkeiten subjektiv tragfähig vermitteln können. Einen persönlichen Unterrichtsstil und Stil des Umgangs mit den Schülern kultivieren. (2) Entwicklungsaufgabe Vermittlung: Ein tragfähiges Konzept der eigenen Rolle als Vermittler von kulturellen Sachverhalten und Fachinhalten entwickeln. (3) Entwicklungsaufgabe Anerkennung: Ein tragfähiges Konzept der Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler als der entwicklungsbedürftigen Anderen entwickeln. (4) Entwicklungsaufgabe Institution: Möglichkeiten und Grenzen der institutionellen Rahmenbedingungen des eigenen Handelns erkennen und mitgestalten; ein tragfähiges Konzept der Kooperation mit Kollegen entwickeln. (ebd.: 405) 84 4 Fremdsprachenunterrichtliches Handeln: Reflexivität - Adaptivität - Innovation Entwicklungsaufgaben lassen sich so charakterisieren, dass Lehrpersonen sie nicht „hilflos erleiden“, sondern dass die Aufgaben identitätsbildend und -wirksam werden (können). Auch stellen sich die Entwicklungsaufgaben keineswegs im gleichen Maße, sondern sind als Reflexionsangebote, oder stärker: -aufforderungen, zu sehen. Denn gleichzeitig sind sie „unhintergehbar, d. h. sie müssen wahrgenommen und bearbeitet werden, wenn es zu Progression von Kompetenz und zur Stabilisierung von Identität kommen soll“ (Hericks 2006: 60). Dazu gehört, dass die Entwicklungsaufgaben individuell zunächst einmal erkannt und die jeweiligen Bedürfnisse an verschiedenen Stellen und in unterschiedlichen Phasen des Professionalisierungsprozesses reflektiert werden müssen. Die W-Fragen der Reflexion: Warum? Worüber? Wann? Wie? Reflexivität kann, wie schon gezeigt wurde, auf verschiedenen Ebenen stattfinden: auf der unterrichtlichen Ebene bezogen auf bestimmte Handlungen oder Interaktionen, aber auch auf einer identitär wirksamen Ebene der eigenen Überzeugungen, des (Erfahrungs-)Wissens und der gesamten (Berufs-)Biographie, die als Entwicklungsaufgabe konzeptualisiert werden kann. Auch wenn diese Ebenen zusammenhängen, scheint es wichtig, situativ angemessen nur einzelne Ebenen oder Aspekte zu betrachten. Es besteht sonst die Gefahr, dass sich der Anspruch an die eigene Reflexivität nicht realisieren lässt und folglich zu Frustration führt. Gut zu wissen Der einflussreiche US -amerikanische Philosoph John Dewey (1859-1952) hatte hinsichtlich des Einsatzes von Reflexion drei wichtige Grundvoraussetzungen seitens der Lehrpersonen aufgestellt (vgl. Dewey 1933): ▶ Aufgeschlossenheit (open-minded) im Sinne eines aktiv verfolgten Perspektivenwechsels und der Möglichkeit, dass man mit seinen Meinungen und Einschätzungen auch falsch liegen kann, ▶ Verantwortungsbewusstsein (responsible), um sinnvolle und wohlüberlegte Entscheidungen zu treffen sowie mögliche Folgen des eigenen Handelns zu antizipieren und ▶ die Ernsthaftigkeit (whole-hearted), sich, sein Handeln und seine Glaubenssätze ständig zu hinterfragen. Donald A. Schön (1930-1997), der neben John Dewey einer der bekanntesten Vertreter im Zusammenhang der Konzeptualisierung von reflexivem Denken und reflexiver Praxis ist, hat 1983 eine wichtige Unterscheidung von drei verschiedenen Arten von Reflexion herausgearbeitet: ▶ Reflection for action: Der Praktiker bzw. die Praktikerin antizipiert hier Situationen z. B. im Unterricht und versucht, Handlungsalternativen im Vorfeld einzuplanen. Unserem Konzept der Kontextsensibilität folgend wird hier also eine Einschätzung möglicher Kontextfaktoren vorgenommen. ▶ Reflection in action: Dies bezeichnet die spontane Reflexion und Reaktion im Handlungszusammenhang, die sich auch durch ein hohes Maß an Adaptivität (s. u.) auszeichnet. ▶ Reflection on action: Hierfür werden Situationen im Nachhinein betrachtet und hinsichtlich ihres Ausgangs oder möglicher Handlungsalternativen bewertet. 85 4.1 Reflexivität als Ausgangspunkt für das eigene Handeln Reflection on action ist sicherlich im Rahmen von Lehrer / innenbildung der häufigste Reflexionstypus: Besonders Referendarinnen und Referendare werden in ihren Prüfungssituationen angehalten, über den gerade absolvierten Unterricht zu reflektieren, Handlungen zu begründen und Alternativen zu benennen. Die Flexibilität und Logik in der Darstellung dieser Alternativen wird dann zur Bewertungsgrundlage der Lehrerbildner / innen. Im späteren Unterrichtsalltag allerdings fehlen häufig Zeit und Gelegenheit, diese strukturierte und an Kriterien orientierte Reflexion on action durchzuführen. Wenn auch durch äußere Zwänge und geringere (vor allem zeitliche) Ressourcen die Reflexionsgelegenheiten weniger zu werden scheinen, wird niemand die wichtige Bedeutung von Reflexion in Abrede stellen. Schließlich stellt auch Kathleen Bailey (2012) heraus, dass es neben dem Zeitaufwand höchstens noch einen Nachteil reflexiver Praxis gibt: Dass man auf unangenehme Erkenntnisse über den eigenen Unterricht und das eigene Handeln stößt. Natürlich ist dies im Sinne der Argumentation für eine ständige Weiterentwicklung als Lehrerin oder Lehrer überaus begrüßenswert. Reflexion ist somit hochgradig kontextspezifisch: Die Lehrperson muss sich auf bestimmte Kontextfaktoren einstellen und zugleich den fremdsprachlichen Lehr-Lernprozesses im Unterricht durch die Betrachtung sich ändernder oder von ihr nicht antizipierter Faktoren anpassen. Jay / Johnson (2002) unterscheiden drei verschiedene Schritte beim Reflektieren: ▶ deskriptive Reflexion: situativ und problemlösungsorientiert, ▶ komparative Reflexion: Bewertung einer Situation oder eines Problems aus verschiedenen Perspektiven unter Berücksichtigung individueller Glaubenssätze, ▶ kritische Reflexion: Berücksichtigung von (insbesondere sozial-interaktionalen) Kontextfaktoren. Insbesondere die komparative Reflexion macht es nötig, die eigenen Glaubenssätze zu hinterfragen oder bereits hinterfragt zu haben. Möglicherweise stellt eine Neuerung (z. B. neues Material oder neue verbindlich zu vermittelnde Inhalte) zunächst keine große Hürde dar, sondern erleichtert bestimmte Lehr-Lern-Prozesse, über deren Wirkung man sich vorher nicht im entsprechenden Maße bewusst war. Je nach Reflexionstyp und -gegenstand können unterschiedliche methodische Ansätze von Reflexion greifen. Z. B. eignen sich für das Ausprobieren neuer Ideen im Unterricht (deskriptiv und komparativ) Aktionsforschungsprojekte als ein „evidence-based approach to reflection“ (Farrell 2015: 8): Als Lehrperson sammelt man selbst Feedback und Daten seitens der Lernenden und seine eigenen Eindrücke, um die Wirksamkeit des eigenen Ansatzes zu evaluieren. Der dahintersteckende „forschende Habitus“ einer Lehrperson (vgl. KMK 2017) ist nicht zu verwechseln mit umfangreichen und groß angelegten empirischen Untersuchungen, sondern soll die Wirkung des eigenen Handelns im Kleinen transparent machen. Michael Legutke spricht daher statt von Aktionsforschungsprojekten auch lieber von „Praxiserkundungsprojekten“ (vgl. Legutke 2012), ein deutlich passenderer Begriff, der den Ansatz gut beschreibt. Aber auch kleinere Reflexionstools wie Tagebücher, Video- und Audioaufnahmen sowie informelle Gelegenheiten kollegialer Beratung (siehe auch unten) können zur Reflexion anregen und Kontextsensibilität fördern. 86 4 Fremdsprachenunterrichtliches Handeln: Reflexivität - Adaptivität - Innovation Download-Material Auf der Website zum Studienbuch finden Sie zum Download eine Übersicht von Reflexionstools mit Anwendungsbeispielen, die dazu einladen, ausprobiert zu werden. Gleichzeitig soll noch einmal der Wert des eigenen Handelns der Lehrperson im Unterricht herausgestellt werden, schließlich wird immer wieder-- teils auch recht polemisch-- auf die unüberwindbar scheinende Lücke zwischen Theorie und Praxis hingewiesen: Kumaradivelu (2006; s. Kapitel 1) stellt mit seiner post-methodischen Fremdsprachenpädagogik heraus, dass die Trennung zwischen den „Theoretiker / innen“ und den „Praktiker / innen“ im Sinne der von ihm vorgebrachten Praktikabilität überdacht werden muss. Es kann nicht darum gehen, dass die universitäre Theorie allein dazu genutzt werden kann, den Fremdsprachenunterricht zu informieren und zu prägen. Vielmehr wird in den Tausenden von Stunden Fremdsprachenunterricht, die allein im deutschsprachigen Raum jeden Tag gehalten werden, in der Interaktion zwischen Lehrkraft und Lernenden, Inhalten und allen weiteren Kontextfaktoren, (theoretisches) Wissen nicht immer nur vermittelt oder angewandt, sondern ständig auch neu generiert. Gerade dies sollte Reflexion auch in den Vordergrund stellen: Dass der Wert von praxisgeneriertem, kontextsensiblem Wissen höchst bedeutsam ist nicht nur für die einzelne Lehrkraft und möglicherweise noch ihre unmittelbaren Kolleginnen und Kollegen, sondern möglicherweise auch für eine gesamte Disziplin und für den Austausch über die eigene Schule hinaus. Dies lässt unmittelbar den letzten Aspekt im Zusammenhang mit Reflexion anschließen: Die Frage, ob Reflexion als ein individuell-geschlossener oder sozial-offener Prozess gedacht werden kann / soll. Die sozial-interaktionale Zusatzfrage: Mit wem? Reflexion ist tatsächlich häufig in die Kritik geraten, da sie als zu individualistisch angesehen wurde. Der reflektierende Praktiker und die reflektierende Praktikerin werden mit ihren Überlegungen-- so die Kritik-- alleine gelassen. Eine grundsätzliche Frage ist hierbei sicherlich, als wie bedeutsam für sich selbst Lehrpersonen Reflexion und ihre verschiedenen Aspekte und Ebenen erachten. Hinterfragt eine Lehrperson ihre eigene Praxis und die das Handeln beeinflussenden Kontextfaktoren, kann sie mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich an Qualität und Professionalität hinzugewinnen. Viele der heute gültigen lerntheoretischen Überlegungen aus sozialer, interaktionaler und konstruktivistischer Sicht, die wir für das Lernen unserer Schülerinnen und Schüler annehmen, gelten natürlich in gleichem Maße für die Lehrpersonen. Will heißen: Der Austausch von Erfahrungswissen, das gemeinsame Reflektieren über Lernende, Unterrichtssituationen (ob for oder on action), Lerngegenstände, Kontextfaktoren usw. mit Kolleginnen und Kollegen ist ein nicht zu unterschätzender Gewinn für alle Beteiligten. Neben der Frage, ob man mit den Kolleginnen und Kollegen offen und professionell und gleichzeitig kollegial-freundschaftlich sprechen kann, entscheiden auch Zweck und Reflexionsgegenstand, ob es sich lohnt, sozial-interaktional zu reflektieren. 87 4.2 Bedeutung von Routinen Moment der Reflexion Für Sieland (2011: 120) sind professionelle Lerngemeinschaften ein geeigneter Lernort zur Ausbildung eines „Wir-Gefühls” und für „Normensicherheit“. Teilen Sie diese Ansicht? Welche Voraussetzungen müssten für ein Gelingen eines solchen Vorhabens gegeben sein? Je nachdem, welcher „Reflexionstyp“ man selbst ist, sind es eher informelle Reflexionsgelegenheiten im Lehrerzimmer bei Nebengesprächen mit Kolleginnen und Kollegen oder formalere Treffen z. B. auch mit erfahreneren Lehrpersonen, ggf. auch gemeinsame (schulinterne) Fortbildungen in größeren Gruppen, die zum Reflektieren genutzt werden. Nicht vergessen werden sollten aber auch andere Personengruppen, die Reflexionsgelegenheiten schaffen können. Denn teilweise vernachlässigen Reflexionsmodelle zahlreiche Kontextfaktoren, beschränken sich nur auf einzelne Aktionen oder dekontextualisieren gar die Lernenden gänzlich, also die gesamte sozial-interaktionale Ebene der Unterrichtskultur. Entsprechend sind sicherlich Lernende selbst-- wenn auch nicht formell so bezeichnet-- Reflexionspartner / innen, wenn sie der Lehrperson Feedback über Lernerfolg, bestimmte Unterrichtssequenzen oder methodisch-didaktische Aspekte liefern und die Lehrperson dies bei der zukünftigen, kontextsensiblen Planung berücksichtigen kann. Und auch der ungetrübte Blick von „Externen“, also Personen, die weder im Schulkontext tätig sind, noch dessen Kontextfaktoren genauer kennen, kann erhellende Einblicke liefern: Die Unternehmensberaterin im Freundeskreis mag einen anderen Blick auf Ihren konfliktären, Sie gerade beschäftigenden Unterrichtsfall haben als z. B. ein Erzieher, der im Vorschulbereich mit Kindern arbeitet. 4.2 Bedeutung von Routinen Mit dem Begriff der „Routine“ verwandte Attribute wie „routiniert“ sind deswegen im Feld von Schule und Bildung etwas in Verruf geraten, da sie einen vermeintlich sich verselbständigenden Automatismus von Handlung hervorrufen. Dies ist natürlich nicht der Fall! Auch der mit demselben Buchstaben beginnende und immer wieder kritisierte Begriff des „Rezepts“ oder einer „Rezeptologie des Unterrichtens“ ist damit mitnichten gemeint. Routinen sind eingespielte Unterrichtsverfahren: „Diesen raschen, überlernten und gleichwohl situationssensitiven Handlungen liegen verdichtete kognitive Konzepte zugrunde.“ (Dann 2008: 182) Sie können damit zum einen das eigene Handeln als Lehrkraft entlasten, da Routinen derart verinnerlicht ablaufen können, dass sie keiner zusätzlichen Aufmerksamkeit bedürfen. Zum anderen sind Routinen elementar bedeutsam auf der Ebene der Beziehung zwischen Lehrkraft und Lernenden, da sie durch ihre Verlässlichkeit zu Vertrauen und Transparenz im Unterrichtsgeschehen führen. Das heißt: Routinen sind nicht von Beginn der Übernahme einer neuen Lerngruppe vorhanden, sondern sie entwickeln sich im Zusammenspiel zwischen diesen beiden Kontextfaktoren. Lernende müssen erfahren, wie die neue Lehrkraft „tickt“. Die Lehrkraft hingegen hat es schwerer, ist die Zahl der Personen, die sie kennenlernen muss, doch ungleich größer. 88 4 Fremdsprachenunterrichtliches Handeln: Reflexivität - Adaptivität - Innovation Für den Fremdsprachenunterricht und die ihm inhärente Gefahr eines hohen Sprachanteils der Lehrperson kommt der Einführung nicht verbaler, den Unterrichtsablauf regulierender Zeichen eine besondere Bedeutung zu. Unter Bezugnahme auf die Arbeiten von Ekman / v. Friesen (1969) zählen dazu die folgenden: emblems gestische / mimische Zeichen mit einer bestimmten Bedeutung Beispiel: Handbewegung zum Wiederholen eines Wortes illustrators gestische / mimische Zeichen, die eine verbale Äußerung verstärken/ illustrieren Beispiel: Handbewegung zum Heben der Stimme am Ende einer Frage regulators non-verbale Zeichen zum Regeln des Sprecherwechsels Beispiel: Handheben (Stoppzeichen) und Zeigen auf einen anderen Lerner Tab. 11: Non-verbale Zeichen als Unterrichtsroutinen (nach Ekman / v. Friesen 1969). Das reflektierte Einführen dieser Elemente als Routinen hat folgende Vorteile: ▶ Reduzierung im Sinne einer Ökonomisierung des eigenen Sprechanteils, ▶ Transparenz und Verlässlichkeit in der Unterrichtsinteraktion sowie ▶ Profilierung des eigenen Unterrichtsstils. Gut zu wissen Eine Methode, um den Beziehungsaufbau direkt in der ersten Unterrichtsstunde zu fördern, ist natürlich, die Lernenden nach ihrem Namen zu fragen. Allerdings ist eine reine Namensabfrage (vielleicht noch mit dem Wohnort und Lieblingshobby) wenig kontextualisiert. Lernende öffnen sich emotional allerdings mit folgender Methode sehr schnell, sodass man als Lehrkraft (als die man natürlich bei dem Spiel mitmacht), schnell viel erfährt über Einstellungen und Charakteristika der Lernenden (welche natürlich nie so fix übernommen werden, sondern immer wieder hinterfragt werden müssen): ▶ Stellen Sie sich vor mit Ihrem Namen. Erzählen Sie, was Ihr Name für Sie bedeutet. Mögen Sie Ihren Vornamen / Nachnamen? Warum? Warum nicht? Wie hätten Sie geheißen, wenn Sie ein anderes Geschlecht gehabt hätten? Hat Ihr Name etymologisch eine Bedeutung? ▶ Erklären Sie Ihren Lernenden, dass jeder nun 3 Minuten bekommt, sich kurz Stichworte zu machen, was er / sie mit seinem / ihrem Namen verbindet. ▶ Jeder einzelne Schüler / jede einzelne Schülerin kommt in beliebiger Abfolge nach vorne und stellt sich so vor. (Mit fortgeschrittenen Lernenden kann man diese Übung natürlich schon direkt in der Fremdsprache durchführen.) Mögliche Routinen, die für Transparenz und Verlässlichkeit im Unterrichtsprozess für alle Beteiligten sorgen können, sind die folgenden: 89 4.2 Bedeutung von Routinen ▶ Form der Begrüßung der Schülerinnen und Schüler zu Stundenbeginn, ▶ Überprüfung der Hausaufgaben, ▶ Einführung eines Farbcodes bei der Vermittlung fachwissenschaftlicher Strukturen (z. B. Grammatik oder Fachbegriffen), ▶ Einsatz von Gestik und Mimik zur Unterrichtssteuerung, ▶ Erwartungen an die Mitarbeit, ▶ Hinweise zur Heftführung, ▶ Rückmeldung bei fehlerhaften Äußerungen, ▶ Tafelorganisation, ▶ Verfahren bei der Besprechung und Rückgabe von Klassenarbeiten, ▶ Beendigung der Unterrichtsstunde, ▶ Sanktionen bei abweichendem Verhalten, auch z. B. bei fehlenden Hausaufgaben. (Gerlach / Leupold 2017: 72) Die Liste ist weder erschöpfend, noch muss jede Routine in jeder Stunde eingesetzt werden. Auch Routinen sind damit kontextsensibel: Möglicherweise brauchen manche Lerngruppen oder einzelne Lernende bestimmte Routinen in einem verstärkten Maße. Das spricht auch dafür, dass nicht alle Routinen in derselben Ausprägung und methodischen Umsetzung in jeder Gruppe funktionieren. Sie müssen adaptiert werden (s. u.). Moment der Reflexion Wenn Sie bereits unterrichten: Welche Handlungen in Ihrer fremdsprachenunterrichtlichen Praxis würden Sie der Argumentation von oben folgend als Routinen bezeichnen? Unterscheiden sich diese in verschiedenen Lerngruppen? Gewarnt werden muss gleichzeitig auch davor, dass Routinen den Unterrichtsverlauf in Gänze bestimmen, dass also jegliche Flexibilität und Produktivität ob des Einsatzes von Routinen verloren geht (vgl. Helsper 2014). Dies bedeutet, dass Routinen auch unbedingt reflektiert werden müssen- - und hier eignen sich im sozial-interaktionalen Sinn besonders auch die Lernenden als Reflexionspartner / innen: Das (explizite oder implizite) Feedback, das man als Lehrkraft von den Lernenden zum Einsatz bestimmter Routinen erhält, ist besonders wertvoll. Merkt man jedoch, dass man eine Routine nur einsetzt, weil man es für diese Jahrgangsstufe oder bei der Arbeit mit jenem Buch „gewöhnt“ ist, sollte man die Wirksamkeit und Notwendigkeit der Routine hinterfragen. 90 4 Fremdsprachenunterrichtliches Handeln: Reflexivität - Adaptivität - Innovation Moment der Reflexion Ältere Schülerinnen und Schüler (frühestens ab der Mittelstufe) haben in der Regel durch ihre Erfahrung auch im Abgleich mit anderen Fächern und anderen Lehrkräften ein sehr gutes Bild davon, welche Unterrichtsroutinen ihnen beim Verstehen bestimmter Phänomene im Fremdsprachenunterricht helfen und welche nicht. Welche Routinen nennen Ihre Schülerinnen und Schüler als essentiell, welche sind in ihren Augen weniger wichtig? Was wünschen sie sich? Es ist uns besonders wichtig hervorzuheben, dass der Begriff der Routine sich primär auf formalisierte, strukturgebende Verfahren im Unterrichtsgeschehen bezieht. Vielfach wird auf diese im Zusammenhang mit dem Begriff classroom management eingegangen. Was von routinierten Unterrichtsverfahren ausgenommen ist, sind die eigentlichen Unterrichtsgegenstände, Inhalte, interkulturelles und sprachliches Lernen. Routinen strukturieren die Auseinandersetzung auf der inhaltlichen Ebene, bestimmen sie aber nicht, sind daher in gewisser Weise Mittel zum Zweck, gleichzeitig aber auch für Struktur, Transparenz und Vertrauen von besonderer Wichtigkeit. Lernende müssen den Routinen der Lehrperson vertrauen können. Gut zu wissen Die Abgrenzung von Routinen und „Unterrichtsrezepten“ ist keineswegs banal. Sie geht einher mit der Diskussion darüber, ob Lehrerausbildung oder Lehrerbildung betrieben wird, ob also ein eher theorievermittelndes, transmissionsorientiertes Ausbildungssystem hinter dem Lehrer / inwerden steht oder ob die werdenden Lehrpersonen auch selbst aktiv (reflexiv) daran teilnehmen. International wird die Unterscheidung für die Fremdsprachenlehrer(aus)bildung noch deutlicher: Bis in die 1980er und 1990er Jahre war ein eher rezeptologisch-wissensvermittelnder Ansatz verbreitet, der sich dementsprechend auch teacher training nannte (vgl. Freeman 2009). Erst danach wurde durch entsprechend breitere Forschung auch hinsichtlich der Professionalisierung des Berufs und der Verbreitung des Konzepts von Aktionsforschung verstärkt Wert auf teacher education und auch auf teacher development gelegt. Lehrer / innenbildung soll nahelegen, dass sich die werdenden Lehrkräfte aktiv und kritisch am Prozess beteiligen und damit eine Entwicklung (Professionalisierung) durchmachen. Ein Vermitteln von Unterrichtsrezepten würde diesen Anspruch von Bildung gar nicht erst benötigen, da Rezepte davon ausgehen, dass sie jederzeit universell einsetzbar wären - ohne die Berücksichtigung jeglicher Kontextfaktoren. Da man letztere aber nicht ausschalten kann (und auch nicht sollte, da sie für die Lehrkraft eine wichtige Funktion erfüllen), gelingt der Einsatz von Rezeptologien nur leidlich. 4.3 Adaptivität der Lehrkraft Sich in seinem beruflichen Handeln sicher fühlen: Wer hätte nicht diesen Wunsch? Das Lesen von Handlungsanleitungen wie z. B. Fremdsprachendidaktiken, das Beobachten von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen in der Praxis sowie das Erproben eigener Hand- 91 4.3 Adaptivität der Lehrkraft lungspläne sind in der Regel diejenigen Instanzen, die in der Summe der (angehenden) Lehrkraft helfen sollen, die oben angedeuteten Routinen auszubilden mit dem Ziel, die komplexen Anforderungen der Unterrichtsrealität zu bewältigen. Aber jede Lehrerin und jeder Lehrer wird bestätigen, dass eine bestandene Zweite Staatsprüfung nach dem Vorbereitungsdienst zwar zum eigenverantwortlichen Unterrichten formal autorisiert, dass dieser formale Akt allerdings keineswegs direkt mit einem souveränen Handeln in der Unterrichtsstunde verbunden ist. Moment der Reflexion Erinnern Sie sich an Ihre Führerscheinprüfung? Wie fühlten Sie sich nach der bestandenen Prüfung im Verkehrsalltag? Gab es Situationen, auf die Sie sich nicht gut oder ausreichend vorbereitet fühlten? Wie konnten Sie diese Situationen (trotzdem) bewältigen? Eine Erklärung für die berufliche Herausforderung, trotz einer allgemeinen Qualifizierung zum Lehrerberuf, in der Praxis zahlreiche neue Situationen bewältigen zu müssen, liegt in der spezifischen „Strukturlogik und -dynamik der pädagogischen Beziehung zwischen Lehrer und Schüler“ (Oevermann 2002: 20). Das in der Ausbildung sowie durch eigene Reflexion und Erfahrung erworbene und habitualisierte Handlungsrepertoire bedarf nicht nur der Ergänzung eines „fallkonstruktiven Wissens“ (Helsper 2014: 158) und Erfahrung, sondern einer individuellen Kompetenz seitens der Lehrerinnen und Lehrer, die wir als „Adaptivität“ bezeichnen. Der eigene Anspruch an sich selbst, sicher im Unterricht zu handeln und sich so gut zu fühlen, bedarf also sowohl der Beherrschung grundlegender tradierter, auch empirisch abgesicherter, Vermittlungsverfahren als auch der Umsetzung situativ adäquater Handlungen. Diese Adaptivität bzw. die so aktiv angepassten Handlungen sind damit auch immer ein Ergebnis der verschiedenen Kontextfaktoren des Fremdsprachenunterrichts. Merkmale der Adaptivität Folgt man dem Papier der Expertenkommission zur Weiterentwicklung der Lehrerbildung in Baden-Württemberg (2013), „sind Bildungsergebnisse ohne Adaptivität kaum denkbar, da Lernen per se ein Prozess der individuellen Wissenskonstruktion ist, der aber durch geeignete Lernumgebungen mehr oder weniger gut unterstützt werden kann“ (ebd.: 32). Die wesentliche Verantwortung für das Herstellen einer adaptiven Lernumgebung haben dabei die Lehrpersonen. Die Expertenkommission unterscheidet eine Makroebene und eine Mikroebene für die Umsetzung von Adaptivität. Während adaptive Maßnahmen wie Gruppierungen nach Leistungsniveaus, offene methodische Anpassungen oder Trainings- und Zusatzangebote der Makroebene zugerechnet werden, zählen eine laufende Anpassung innerhalb des Unterrichts wie Steuerung der Lehrer-Schüler-Interaktion oder die Auswahl bestimmter Aufgaben zur Mikroebene. 92 4 Fremdsprachenunterrichtliches Handeln: Reflexivität - Adaptivität - Innovation Deutlich wird, dass Adaptivität auf jeder der beiden Ebenen bedeutet, „…-durch unterrichtliche Handlungsweisen Anpassungen an die individuellen Voraussetzungen der Lernenden vorzunehmen“ (Seidel 2014: 784). Dies entspricht damit in besonderer Weise den fremdsprachendidaktisch häufig diskutierten Prinzipien von Kompetenz- und Lernerorientierung. Die Lernumgebung und die -inhalte werden entsprechend entlang der Bedürfnisse sowie Fähig- und Fertigkeiten der Schülerinnen und Schüler durch die Lehrkraft aktiv angepasst. Die Lehrkraft nutzt also ihr Wissen und ihre Lehrkompetenz, um situativ und reflexiv auf den Unterrichtskontext zu reagieren, ihr Wissen und ihre Kompetenzen anzuwenden. Im Gegensatz zu Neuweg (2014), für den „das Anwenden immer ein Ab-Wenden von Wissen und ein Hin-Wenden zur Situation [ist]“, wofür es einer „Anwenderintelligenz” bedarf (ebd.: 597), verstehen wir Adaptivität als eine Kompetenz der Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer, die durchaus wissensbasiert mittels Reflexion funktioniert. Dies bedeutet, dass Adaptivität im Unterricht, auch der Umgang mit Unsicherheiten oder unerwarteten Handlungen der Lernenden, von Wissen informiert wird bzw. auch werden muss, um zielgerichtet und sinnvoll umgesetzt werden zu können. Gut zu wissen Wie Erwin Beck und Kollegen (2008) in ihrer Studie zu adaptiver Lehrkompetenz herausstellen, ist Adaptivität im Bildungsbereich nicht grundsätzlich neu. Bereits in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab es wegweisende Veröffentlichungen hierzu - allerdings beschränkten sich diese weitgehend auf den nordamerikanischen Raum: In der Folge entwickelte sich in Amerika ein wachsendes Interesse daran, Unterrichts- und Instruktionsmethoden auszuarbeiten, die das Lernen in der Schule den unterschiedlichen Fähigkeiten, Erfahrungen, Interessen und den sich zum Teil erheblich voneinander unterscheidenden sozio-ökonomischen Herkünften der Lernenden anzupassen versuchen. (ebd.: 28) Dies wird als einer der Gründe dafür gesehen, warum heute inklusive Beschulung in den USA im Vergleich zum deutschsprachigen Raum kaum eine Besonderheit darstellt - wenn man von den zahlreichen anderen Herausforderungen innerhalb des US-amerikanischen Bildungssystems einmal absieht … Professionelle Kompetenzen von Lehrkräften Die bildungspolitische Diskussion, die um die Jahrtausendwende in Deutschland ausgelöst wurde und die u. a. in kompetenzorientierten Bildungsplänen ihren Niederschlag fand, hatte auch eine breite Welle der Forschung zum Thema „Lehrerprofessionalität“ zur Folge. In dem Zusammenhang wurde einerseits die „enorme Macht der Lehrperson“ (Hattie 2014: 291) für einen wirksamen Lehr- und Lernprozess unterstrichen, andererseits die unabdingbaren Kompetenzen der Lehrkraft für ein professionelles Handeln beschrieben (vgl. z. B. Baumert / Kunter 2006, Amt für Volksschule 2017, KMK 2017). 93 4.3 Adaptivität der Lehrkraft Gut zu wissen Die allgemeine pädagogische Diskussion um die Bedeutung der Lehrkraft für einen erfolgreichen Lehr- und Lernprozess ist ebenfalls nicht neu. Sie reicht, um nur einige Stationen zu nennen, von Comenius über Pestalozzi, Otto von Sallwürk, Kerschensteiner bis zu Gudjons und Hattie. Die Ausführungen zur Dichotomie „künstlerische Veranlagung / Begabung“ vs. „Professionalität der Lehrperson“, die über Jahrhunderte die Diskussion bestimmten, wurde seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eindeutig zugunsten eines komplexen Konzepts der Professionalität im Sinne eines zu erwerbenden Bündels an Lehrkompetenzen entschieden. Zugleich aber wurden aufgrund eines veränderten Allgemeinbildungskonzepts für den schulischen Unterricht mit den Forderungen nach einer Standardorientierung, Inklusion sowie Umgang mit Heterogenität neue Anforderungen an das lehrpersonenseitige Handeln gestellt, indem sowohl Formen eines flexiblen gegenstandsadäquaten als auch lernerorientierten methodischen Vorgehens thematisiert wurden. Beck et al. (2008) sehen insbesondere vier Bereiche unterschiedlicher Kompetenzen für eine adaptive Lehrkompetenz als relevant an: ▶ reichhaltiges, flexibel nutzbares eigenes Sachwissen, in dem sich die Lehrperson leicht und rasch geistig bewegen kann (Sachkompetenz); ▶ die Fähigkeit, bezogen auf den jeweiligen Unterrichtsgegenstand die Lernenden bezüglich ihrer Lernvoraussetzungen und -bedingungen (Vorwissen, Lernweisen, Lerntempo, Lernschwächen usw.) sowie ihrer Lernergebnisse zutreffend einschätzen zu können (diagnostische Kompetenz); ▶ reichhaltiges methodisch-didaktisches Wissen und Können, wozu auch gehört, dass die Lehrperson die Vor- und Nachteile der einsetzbaren didaktischen Möglichkeiten und die Bedingungen kennt, unter denen diese Erfolg versprechend eingesetzt werden können (didaktische Kompetenz) sowie ▶ die Fähigkeit, eine Klasse so zu führen, dass sich die Lernenden- - als Grundvoraussetzung für Lernfortschritt und Lernerfolg- - aktiv, anhaltend und ohne ein Zuviel an störenden Nebenaktivitäten (hohe time on task-Werte) mit dem Unterrichtsgegenstand auseinandersetzen können (Klassenführungskompetenz). (ebd.: 41-42) Diese Kompetenzen-- und die damit verbundenen Wissensbestände-- von Lehrerinnen und Lehrern sind damit elementare Voraussetzungen für Adaptivität und als solche auch einleuchtend. Vor dem Hintergrund der bereits herausgearbeiteten Herausforderungen methodischer Entscheidungen im Fremdsprachenunterricht bestätigen sich diese hier als „didaktische Kompetenz“. Wenn die Wissensbasis in diesen Voraussetzungen nach Beck et al. (2008) auch breit angelegt ist, vermissen wir allerdings stärker lehrerpersönlichkeitsrelevante Aspekte, auf die im COACTIV -Modell nach Baumert und Kunter (2006) bereits im Zusammenhang mit dem Kontextfaktor „Lehrkraft“ eingegangen wurde (s. Kapitel 3). Das COACTIV -Modell bietet eine gute Grundlage und Ergänzung, um die verschiedenen Bereiche der Professionskompetenz von Lehrkräften zu verstehen und darin den Stellenwert von Adaptivität als eine alle Kompetenzbereiche betreffende, transversale Kompetenz zu verdeutlichen, was hier exemplarisch noch einmal herausgearbeitet werden soll: 94 4 Fremdsprachenunterrichtliches Handeln: Reflexivität - Adaptivität - Innovation Wissen Ein solides linguistisches, literaturwissenschaftliches und kulturwissenschaftliches Fachwissen in Verbindung mit pädagogischem und psychologischem Wissen ist unverzichtbar für jede Fremdsprachenlehrkraft. Die Kenntnis der „großen“ Methodenkonzepte beispielsweise ist darin durchaus Teil einer fachdidaktisch verankerten Methodenkompetenz, die situativ und reflexiv je nach Unterrichtsgegenstand angepasst und genutzt werden kann. Dieses Wissen gibt Sicherheit in der Vorbereitung, der Durchführung sowie der Evaluation des Lehr- und Lernprozesses. Es ist aber dieses Wissen, das nicht stereotyp und unreflektiert ungeachtet der Lerngruppe sowie des Kontextes angewendet, sondern auf das kontextsensibel zurückgegriffen wird und das somit den Ausgangspunkt für ein innovatives, fallspezifisches Handeln bildet (siehe unten). Überzeugungen Lehrerinnen und Lehrer agieren im Unterricht mit bestimmten Überzeugungen, die den Unterricht an sich, die eigene Person sowie die Lerngruppe und einzelne Lernende betreffen. Aber auch weitere Kontextfaktoren können mit bestimmten Überzeugungen belegt sein. Überzeugungen über gelingenden Fremdsprachenunterricht sind häufig nicht nur durch das Studium, den Vorbereitungsdienst und das eigene Lehrerhandeln geprägt. Eine große Rolle spielen auch die eigenen schulischen Erfahrungen, Fremdsprachenlehrkräfte, die man selbst erlebt und in der damaligen Situation (oder erst mit der Zeit) als positiv oder negativ bewertet (vgl. Lortie 1975). Sie reflexiv zu hinterfragen (siehe oben) gilt im Sinne einer Kontextsensibilität als eine der Voraussetzungen für reflexives und adaptives Handeln. Was die eigene Person betrifft, so bildet eine Selbstwirksamkeit einen wichtigen Bezugspunkt bei der Planung des Unterrichts (vgl. Bandura 1997). Sie erlaubt es der Lehrkraft sich kompetent darin zu fühlen, ein strukturiertes methodisches Vorgehen für den Lehr- und Lernprozess anzusetzen, zugleich aber in der Lage zu sein, auf möglicherweise auftretende, nicht erwartete Momente bei der Umsetzung flexibel zu reagieren, so dass die Erreichung des Stundenziels ganz oder zumindest teilweise eingelöst wird. Bezüglich der einzelnen Lernenden beziehungsweise der Lerngruppe insgesamt hilft die Fähigkeit der Lehrkraft, individuelle Stärken und Schwächen einerseits sowie die Motivationslage einzelner Schülerinnen und Schüler oder der Lerngruppe andererseits zu antizipieren und bei der Planung des methodischen Vorgehens in Rechnung zu stellen. Dies bedeutet auch, zu reflektieren, wie Lernende auf bestimmte Herausforderungen reagieren, um das methodisch-didaktische Vorgehen im Verständnis einer „situated methodology“ (Ur 2013) lernerorientiert und offen für adaptive Modifikationen anzulegen. 95 4.3 Adaptivität der Lehrkraft Motivation Die adaptive Gestaltung des Fremdsprachenunterrichts, verstanden als originäres methodisch-didaktisches Handeln in einem bestimmten unterrichtlichen Kontext, bedarf nicht nur einer Wissens- und einer Selbstwirksamkeitskompetenz, sondern verlangt auch Engagement und die Leidenschaft, einen effektiven Lernprozess in der Lerngruppe auslösen zu wollen (vgl. Hattie 2014: 286). Die Freude an der Arbeit und der Fremdsprache, die eigene Überzeugung und das gute Gefühl, einerseits positive Erfahrungen mit bestimmten routinierten Vorgehensweisen gemacht zu haben, sind wichtige Voraussetzungen, um auf dieser Grundlage kontextsensibel zu agieren und offen zu sein für ein adaptives Handeln, das einer spezifischen Situation im Vermittlungsprozess Rechnung trägt. Gut zu wissen Im Zusammenhang mit Einstellungen und Überzeugungen wird in den letzten Jahren verstärkt auch im deutschsprachigen Raum das Konzept des Selbstbildes (mindset) diskutiert, das ursprünglich begrifflich von der amerikanischen Psychologin Carol Dweck (2009) geprägt und untersucht wurde. Sie fand in mehreren Studien heraus, dass Menschen hinsichtlich bestimmter Handlungen oder Überzeugungen über ein statisches Selbstbild (fixed mindset) oder ein flexibles Selbstbild (growth mindset) verfügen können. Menschen mit einem statischen Selbstbild sind beispielsweise davon überzeugt, dass Intelligenz und Begabung ein fixes Konzept sei, das angeboren und daher kaum veränderbar ist. Sie attribuieren Fehler oder Versagen daher mit mangelnder Kompetenz oder Wissen. Menschen mit einem flexiblen Selbstbild sind jedoch davon überzeugt, dass Erfolg auf harter Arbeit und Anstrengung fußt, Misserfolge nehmen sie als Lernprozess hin. Dies ist in mehrerer Hinsicht relevant: Beispielsweise neigen Schülerinnen und Schüler, die häufig für ihre Intelligenz gelobt werden („Das hast du super gemacht - du wirst bestimmt ein nächster Albert Einstein! “), dazu ein statisches Selbstbild zu entwickeln und bei Misserfolgen höhere Frustration zu erleben. Werden jedoch die hinter einem Ergebnis stehende Arbeit und der Einsatz gelobt („Das hast du super gemacht - das war bestimmt anstrengend, das so gut hinzubekommen, oder? “), besteht die Chance, dass in einem flexiblen Selbstbild der Wert der Anstrengung nachhaltig positiv bewertet wird. Interessanterweise kann man diese Sichtweisen beeinflussen und ein flexibles Selbstbild aktiv fördern. Und: Was für Kinder gilt, gilt natürlich auch für Erwachsene. Auch Lehrerinnen und Lehrer zeigen beispielsweise in bestimmter Hinsicht statische oder flexible Selbstbilder, derer sie sich teilweise aber gar nicht bewusst sind. Die oben diskutierten Reflexionsstrategien vermögen diese Überzeugungen offenzulegen. Nicht wenige Erwachsene behaupten beispielsweise von sich selbst, nicht kreativ oder innovativ zu sein. Allerdings ist dies eine Frage, wie man Kreativität oder Innovativität definiert! Geht es darum, einen Picasso mit Wasserfarbe nachzumalen oder darum, eine Unterrichtsstunde auf die Lerngruppe abgestimmt zu kreieren? Soll eine Büste aus Marmor gehauen werden oder gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen eine Vergleichsklausur erstellt werden, die möglichst die Kompetenzen der Lernenden herauskitzelt? 96 4 Fremdsprachenunterrichtliches Handeln: Reflexivität - Adaptivität - Innovation Berufliche Selbstregulation Der Rückgriff auf die oben beschriebenen routinierten Handlungsmuster ist nicht ausschließlich als Ergebnis der Suche nach einem sicheren, bewährten Verfahren zu werten. In vielen Fällen ist es der Aspekt der Zeitökonomie, der in der Vorbereitung des Unterrichts eine Rolle spielt und der nicht selten zu einem Verzicht auf eine vertiefte, offene Reflexion sowie zur Einbindung adaptiver Verfahren in ein bewährtes Methodenkonzept eine Rolle spielt. So wichtig es ist, als Lehrkraft den Zeitfaktor für die eigene Arbeit im Auge zu behalten, so bedenklich wäre es aus mindestens zwei Gründen, dieses Element vorzuschieben, um damit den ausschließlichen Rückgriff auf bewährte Vorgehensweisen zu rechtfertigen: Erstens verlangt heute das Verständnis des Lehr-/ Lernprozesses als Unterrichtskultur und vielschichtige Lernumgebung strukturierte Lernangebote, die nicht (immer) durch die großen Ansätze wie z. B. Aufgabenorientierung in der fremdsprachlichen Unterrichtspraxis sinnvoll umgesetzt werden können. Die Unterrichtsvorbereitung kann damit auch zeitlich aufwändiger werden, aber die Zufriedenheit der Beteiligten im Unterricht wird durch die adaptiv gestalteten Lernprozesse erhöht. Sie fühlen sich ernstgenommen. Und damit steigt auch die berufliche Zufriedenheit der Lehrperson. Zweitens ist professionelle Kompetenz der Lehrkraft kein statisches Konzept, sondern sie bedarf der täglichen Reflexion sowie einer fallbasierten Entwicklung durch die Praxis. Sich diesem Prozess-- gerade auch im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen-- zu verschließen, ist in vielen Fällen verbunden mit einer persönlichen Isolierung, die selten gut tut. Anwendungsbereiche adaptiven Handelns Beispielhaft angeführte Handlungsbereiche für ein adaptives Handeln beziehen sich vorwiegend auf pädagogische Maßnahmen zur Förderung einzelner Schülerinnen und Schüler bzw. Lerngruppen in heterogenen Klassen. Unser Verständnis von Adaptivität ist weiter gefasst und beinhaltet als zentralen Aspekt ein kontextsensibles Verhalten und Handeln. Dies bedeutet, dass natürlich insbesondere der einzelne Schüler, die einzelne Schülerin sowie die Lerngruppe Ausgangspunkt und Ziel einer adaptiven Intervention sind. Aber die weiteren Faktoren wie die Schulkultur, der Zeitpunkt des Unterrichts, der Klassenraum selbst usw. bilden einen Kontext, der immer auch mit zu berücksichtigen ist. Die folgenden Beispiele aus der Unterrichtspraxis sollen Ihnen erlauben, die Tragweite unseres Konzepts zu erfahren und sich selbst in einem ersten Schritt bezüglich Ihrer Bereitschaft für ein adaptives Handeln zu verorten. 97 4.4 Instanzen und Formen von Innovation im Fremdsprachenunterricht Moment der Reflexion Im Sinne von Adaptivität, warum nicht einmal …? ▶ Wie in jedem Jahr kommt der Zirkus in die süddeutsche Kleinstadt. Ein Junge aus der Zirkusfamilie nimmt für einige Tage am Unterricht teil, u. a. auch am Französischunterricht. Aber er hat noch nie Französisch gelernt. Seine Muttersprache ist Romani. Welche Möglichkeit(en) sehen Sie, um den Schüler in das Unterrichtsgeschehen einzubinden? ▶ Zur Vorbereitung einer Klassenarbeit in Ihrer Fremdsprache schreiben Sie eine Übungsarbeit. Zahlreiche Schülerinnen und Schüler haben Schwierigkeiten bei der Lösung einer bestimmten Aufgabe. Verschieben Sie das Datum der Klassenarbeit? ▶ Auf einer Elternversammlung wird Ihnen vorgeworfen, dass der Zeitaufwand für die Hausaufgaben der Lernenden zu hoch sei. Wie reagieren Sie auf die Kritik in Ihrer Unterrichtspraxis? ▶ Sie sind Englischlehrerin, kommen in das Klassenzimmer der 8. Klasse und stellen fest, dass die Kollegin, die Spanisch unterrichtet, große Poster zu Städten und Landschaften Spaniens an den Wänden im Klassenzimmer angebracht hat. Wie reagieren Sie? ▶ Sie kommen in eine 7. Klasse, um eine neue Lektion im Fach Englisch einzuführen. Statt der 25 Schülerinnen und Schüler sind nur 17 anwesend, da die anderen eine Chorprobe für die Abifeier haben. Setzen Sie die aufwendig vorbereitete Stunde um oder fahren Sie einen Plan B? ▶ Die Eltern eines Schülers der 5. Klasse, der Englisch bei Ihnen lernt, fragt, ob er zur nächsten Stunde das mit seinen Eltern befreundete Ehepaar aus London mitbringen dürfe. Sie interessierten sich dafür, wie der Englischunterricht in Deutschland abläuft. „Warum nicht? “ oder „Auf gar keinen Fall! “? 4.4 Instanzen und Formen von Innovation im Fremdsprachenunterricht Moment der Reflexion Was bedeutet für Sie Innovation mit Blick auf Ihren Fremdsprachenunterricht? In Gesprächen mit Studierenden sowie Lehrerinnen und Lehrern in der Vorbereitung dieses Buches war dem Begriff der „Innovation“ durchaus etwas „Befremdliches“ attestiert worden. „Innovation in der Schule? Was soll das sein? “ Schnell bezieht man das vermeintlich Innovative vereinfacht nur auf Neue Medien. Auf der anderen Seite muss „Innovation“ nicht so umfassend gesehen oder gar hochtrabend konzeptualisiert werden, wie man es einem Innovationsbegriff aus den Wirtschafts- oder Ingenieurswissenschaften vermutlich attestieren würde. Auch in der Fremdsprachendidaktik wird der Begriff selten verwendet, es geht häufiger um „Umkehr“ oder „Abkehr“, um „Neuorientierung“ oder „Wende“. 98 4 Fremdsprachenunterrichtliches Handeln: Reflexivität - Adaptivität - Innovation Im schulischen Kontext werden viele Innovationen (oder neutraler: Veränderungen bzw. Reformen) von außen oder von oben (top down) in das System eingebracht: Es sind in der Regel neue Anforderungen an die Schule, an die Lehrkräfte, an die Schülerinnen und Schüler. Diese Veränderungen führen nicht selten zu Widerständen, wie in den letzten 15 Jahren insbesondere an den beiden großen Wendepunkten mit der Einführung von Bildungsstandards und Fragen inklusiver Beschulung beobachtet werden konnte. Auch Hattie (2014) bringt den Begriff der Innovation ins Spiel, wenn er ihn begreift als Moment, „wenn eine Lehrperson eine bewusste Handlung unternimmt, um eine andere (nicht notwendigerweise neue) Lehrmethode, ein neues Curriculum oder eine neue Strategie einzuführen, die sich von dem unterscheidet, was sie aktuell verwendet“ (ebda: 295). Hattie grenzt Innovation hier insofern ein, als er-- ganz in seiner Gesamtargumentation-- der Lehrkraft die entsprechende Ausübung zuschreibt. Allerdings spielen bei ihm auch noch sehr fremdbestimmte Neuerungen eine Rolle. Im Zusammenhang mit einem kontextsensiblen Fremdsprachenunterricht verstehen wir unter Innovation etwas anderes: Innovation ist das aktive Herbeiführen von neuen Verfahrensweisen durch die Lehrperson, reflexiv abgestimmt auf (sich ändernde) Kontextfaktoren im fremdsprachenunterrichtlichen Handeln. Die Steuerung dieses aktiven Herbeiführens übernehmen dabei die Fremdsprachenlehrkräfte selbst. Sie sind es, die 1. die Notwendigkeit zum Beschreiten neuer Wege erkennen können und 2. in ihrer Selbstwirksamkeit und Adaptivität diesen Weg gehen, um sich auch selbst als innovative Lehrkraft zu erleben. Innovation im kontextsensiblen Fremdsprachenunterricht ist also-- im Gegensatz zu vielen Neuerungen im bildungspolitischen Sinne-- ein bottom up-Prozess, der die Praxis der Lehrerinnen und Lehrer ernst nimmt. Sie erkennen reflexiv, dass sie mit einem gewissen Interaktionsschema, bestimmten Inhalten oder Bedingungen von Kontextfaktoren unzufrieden sind und möchten eine Änderung herbeiführen. Innovativ zu handeln bedeutet einen Bedarf an Erneuerung zu erkennen, um dann (eigene oder fremde) Quellen reflexiv zu nutzen, um Neues herbeizuführen. Damit verbunden ist also nicht der „Zwang zur Innovation“, der teilweise in der Wirtschaft kolportiert wird, sondern „Innovation im Kleinen“ mit unmittelbarer Berücksichtigung von und Auswirkung auf die individuell wahrgenommenen Kontextfaktoren. Der Unternehmensberater Marcus Disselkamp (2005) beschreibt Voraussetzungen für Innovationen in Unternehmen bezogen auf das Zufriedenstellen von Kundenbedürfnissen. Die Voraussetzungen lassen sich auch auf das kontextsensible Fremdsprachenlehrer / innenhandeln übertragen-- wenngleich wir natürlich davon absehen würden, Lernende als „Kunden“ zu bezeichnen. Disselkamp nennt vier Bereiche (ebda: 59): ▶ Innovationsbereitschaft („Wollen“), ▶ Innovationsfreiräume („Dürfen“), ▶ Innovationsfähigkeit („Können“), ▶ Innovationsmanagement („Machen“). Möchte man ein neues Verfahren im Unterricht ausprobieren (z. B. eine neue Herangehensweise an eine Lektüre, ein Experiment interkulturellen Lernens) ist man sich reflexiv bereits 99 4.4 Instanzen und Formen von Innovation im Fremdsprachenunterricht bewusst geworden, dass es- - gemessen an den vorhandenen Kontextfaktoren- - umsetzbar sein dürfte. D. h. die Bereitschaft, das „Wollen“, ist im Sinne der eigenen Selbstwirksamkeit das Ergebnis einer gewissen Unzufriedenheit mit dem Status quo. Das „Dürfen“ richtet sich nach Umfang und potentiellem Impact der Innovation: Als Lehrkraft besitzt man im eigentlichen Unterricht ein Höchstmaß an Autonomie, sobald eine Innovation über die Lerngruppe hinausgeht, ist ggf. die Unterstützung anderer Kontextfaktoren (Eltern, Kolleginnen und Kollegen, Schulleitung) nötig. Das „Können“ bezieht sich auf das vorhandene Wissen und die Quellen von Innovation und ist verbunden mit den Fragen: Woher bekomme ich das Know-how für die Durchführung meines innovativen Vorhabens: Ist es Fachliteratur, sind es Kolleginnen und Kollegen, sind es vielleicht die Lernenden selbst? Und letztlich ist das „Machen“, die eigentliche Implementation, der bedeutende Schritt, der auch reflektiert werden muss: Welche Wirkung hat meine Innovation auf den Kontext? Wie bekomme ich Feedback? Bin ich zufrieden mit dieser Innovation, dass ich sie auch verstetige und fest in meine Unterrichtspraxis integriere? Bei der Einführung von Innovation spielen folglich Glaubenssätze (Beliefs) sowie ihre Reflexion erneut eine große Rolle. Abb. 9 zeigt ein psychologisches Verhaltensmodell (Ajzen 2005), das versucht zu erklären, wie ein bestimmtes Handeln (Behaviour, hier für unser Beispiel das Innovieren) entsteht, beeinflusst durch Intentionen und Glaubenssätze. Das Modell zeigt, dass es dabei nicht nur um die Glaubenssätze über den Outcome bestimmter Handlungen sowie die eigenen Ressourcen (wie Expertise und Wissen) geht, sondern auch um das, was andere über die angestrebte Innovation denken. Jede davon beeinflusste Intention-- hier im Modell so dargestellt als seien die drei Beliefs-Dimensionen relativ gleichwertig, was sich möglicherweise in der Realität nicht so darstellt--, die sich dann in Handlung und Verhalten äußert, führt über das Ergebnis und dessen Bewertung (Outcome und Evaluation) zu einer Adaptierung und ggf. Erweiterung der eigenen Glaubenssätze. Das Modell vermag dabei beispielsweise zu erklären, warum ein bestimmtes Verhalten trotz vorhandenem Wissen seitens der Handelnden nicht umgesetzt wird, weil es z. B. gegen große soziale Widerstände (Subjective norms im Modell) nicht ankommt oder eine große Unsicherheit bezüglich des Ergebnisses besteht. Eine kontextsensible Umsetzung von Innovationen versucht, diese Dimensionen im besonderen Maße zu berücksichtigen, Haltungen anderer zu antizipieren und den Implementationsprozess ständig zu reflektieren. Abb. 9: Theorie von geplantem Verhalten (Ajzen 2005). 100 4 Fremdsprachenunterrichtliches Handeln: Reflexivität - Adaptivität - Innovation Moment der Reflexion Einer der innovativen Denkansätze in der früheren Unternehmenskultur von Google und vielen erfolgreichen Internet-Startups war (oder ist weiterhin) das 20 %-Prinzip: Der Konzern erlaubt seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, 20 % ihrer Arbeitszeit für eigenständige Projekte und Ideen zu nutzen. Sie sollen die Zeit kreativ nutzen für Dinge, die sie selbst interessieren. Über die Hälfte der Google-Produkte bzw. des Konzerns Alphabet, wie er mittlerweile heißt, sind das Resultat dieser „Innovationspolitik“, u. a. Gmail und Google Maps. ▶ Wie könnten Sie das 20 %-Prinzip in Ihren Unterricht einbringen, um Lernende für eigene Projekte zu begeistern? ▶ Für welches Projekt würden Sie sich selbst einsetzen, wenn Ihre Schulleitung Ihnen von heute auf morgen 20 % Ihrer Arbeitszeit dafür zur Verfügung stellen würde? Zur kontextsensiblen Fremdsprachenlehrkraft, die sich auf ihr Wissen, ihre Reflexivität und Adaptivität einlässt, gehört im Zusammenhang mit Innovationen auch, dass diese scheitern können. In der Kreativbranche ist dies gang und gäbe: Es wird eine Vielzahl von Prototypen eines Produktes entwickelt, die nicht funktionieren, bis man einen findet, der den Erwartungen entspricht. „Scheitern“ ist hier vollkommen normal und wird nicht als Niederlage empfunden, sondern als Lernprozess-- ähnlich dem Stellenwert von Fehlern im Fremdsprachenunterricht. Wichtig ist, das Scheitern anzuerkennen und adaptiv die Innovation anzupassen (oder zu verwerfen), um nicht Gefahr zu laufen, dass sie sich als Routine verselbstständigt. Martin Wedell (2009) wie auch Alan Waters (2009) bewerten viele der größer angelegten Innovationen in der internationalen Diskussion um Englischunterricht als gescheitert, da die beschriebenen Projekte häufig zentrale Kernbedingungen der Innovationstheorie vernachlässigen. Wedell (2009) führt folgende vier Voraussetzungen für ein Gelingen auf: 1. Ein tiefgehendes Verständnis (Wedell nennt es „appraisal“) des Kontexts, in dem Innovation stattfinden soll. Die von Wedell angeführten Aspekte beziehen sich insbesondere auf die soziokulturellen Aspekte des Klassenraums (von uns „Unterrichtskultur“ genannt), die im Sinne einer Kontextsensibilität in besonderem Maße berücksichtigt werden. 2. Bestimmte Eigenschaften des innovativen Vorhabens können den Erfolg positiv beeinflussen. Ähnlich der oben von Disselkamp beschriebenen Voraussetzungen nennt Wedell notwendige Aspekte und Fragen, die reflektiert werden müssen: „‘feasibility’ (will it work? ), ‘relevance’ (is it needed? ), and ‘acceptability’ (compatibility with existing educational philosophy).“ (ebd.: 397) 3. Die Art und Weise, wie die Innovation implementiert wird, bestimmt den Erfolg. Dies gelingt am einfachsten, wenn die Innovation tatsächlich ein Problem löst und dieses Potential muss allen am Prozess Beteiligten transparent gemacht werden. 4. Innovation sollte in gewissem Maße systemisch eingebunden sein, d. h. insbesondere über den eigentlichen Unterricht hinausgehende Ansätze sollten in der Schule und mit Beteiligten am „System Schule“ koordiniert werden, um den mittel- und langfristigen Erfolg zu sichern. 101 4.4 Instanzen und Formen von Innovation im Fremdsprachenunterricht Hinsichtlich der Autonomie der Lehrperson im kontextsensiblen Fremdsprachenunterricht würden wir dem vierten Punkt- - insbesondere wenn es um Innovationen auf der Ebene des Unterrichts an sich geht- - nicht von Beginn an eine hohe Priorität einräumen. Vielmehr kommt es zunächst darauf an, selbst ein Bedürfnis für die Implementation von Innovation(en) zu gewinnen und ihre Wirksamkeit im Kontext der Unterrichtskultur und in Interaktion mit den Lernenden zu reflektieren. Grundlage der Innovation ist nicht nur die veränderte Art der Wahrnehmung, wie sie sich in einer kontextsensiblen Analyse und Verarbeitung der Realität zeigt, sondern auch eine kreative Herangehensweise zur Lösung eines Problems. Nach Gassmann / Friesicke (2012: 241) zeichnet Kreativität die folgenden drei Merkmale aus: ▶ Fähigkeit, Probleme auf unkonventionelle Weise zu betrachten, ▶ Fähigkeit zu entscheiden, welche Ideen es wert sind, weiter verfolgt zu werden, ▶ Fähigkeit, Ideen zu kommunizieren und überzeugend zu vertreten. Die beiden Autoren bezeichnen in dem Zusammenhang den Faktor Wissen als ein „zweischneidiges Schwert“ (Gassmann / Friesicke 2012: 241), da ein zu geringes Wissen gar nicht erst ein Problembewusstsein aufkommen lässt, und ein vertieftes Wissen eher dazu führt, an bewährten Verfahren festzuhalten. Gut zu wissen Dem Faktor „Kreativität“ wird in Gesprächen zwischen Kolleginnen und Kollegen eher mit Vorbehalt begegnet. Sich als „kreativ“ zu outen, führt in der Regel nicht zu uneingeschränkter Anerkennung bei Lehrkräften. „Kreativ“ - das sind Künstler, Maler oder Musiker, oder auch Personen, die ein Startup-Unternehmen gründen. Aber Lehrerinnen und Lehrer? Woher kommen diese Vorbehalte? Es mag sein, dass diese Skepsis einer vagen Erinnerung an psychoanalytische Arbeiten und insbesondere an Sigmund Freuds Verständnis von Kreativität als Möglichkeit der Überwindung einer existentiellen Unzufriedenheit mit der Außenwelt geschuldet ist, die so gar nicht mit der schulischen Realität in Einklang zu bringen ist. Mit dem Begründer der Positiven Psychologie, Abraham Maslow, wurde das Konzept der Kreativität Anfang des 20. Jahrhunderts in den Kontext einer gesunden und positiven Lebensführung gebracht. Bekannt ist die Stufung grundlegender menschlicher Bedürfnisse, die in der sogenannten „Bedürfnispyramide“ ihren Ausdruck findet. Die Selbstverwirklichung ist die höchste Stufe für einen Menschen. 102 4 Fremdsprachenunterrichtliches Handeln: Reflexivität - Adaptivität - Innovation Abb. 10: Maslows’sche Bedürfnispyramide. Der Kreativität kommt innerhalb des Prozesses der Selbstverwirklichung eine besondere Bedeutung zu, denn Selbstverwirklichung bedeutet „ein völliges Aufgehen in der kreativen Tätigkeit, ein Schaffen, in dem die Grenzen von Raum und Zeit an Bedeutung verlieren und Gegensätze nicht mehr unvereinbar sind“ (Baudson 2010: 109). Eine Attribution des Merkmals Kreativität auf bestimmte Personen oder Berufsgruppen ist also nicht sinnvoll, denn im Zuge einer Selbstverwirklichung kann jeder Mensch kreativ sein. Dies geht einher mit der Vorstellung von einem starren oder flexiblen Selbstbild (mindset; s. o.), welches man hinsichtlich des Konstrukts „Kreativität“ zeigt. Kreativität ist damit auch nicht Ergebnis einer plötzlichen Eingebung, sondern Ergebnis eines Prozesses. Zentrales Element eines kreativen Verhaltens ist nach De Bono (2016) ein „laterales Denken“. Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass bei der Suche nach der Lösung eines Problems „in die Breite“ gedacht wird und dass möglichst viele Kontextfaktoren in ihrer Bedeutung bei der Problemlösung berücksichtigt werden. Die kreative Lösung steht am Ende eines vielseitig durchdachten Prozesses, der sich durch Perspektivwechsel auszeichnet und der auf die Veränderung tradierter Verfahren abzielt. De Bono (2016) schlägt dazu die „Methode der sechs Hüte“ vor. Zu einer Explizierung und Übertragung auf den Französischunterricht vgl. Leupold (2010: 390 ff). 103 4.4 Instanzen und Formen von Innovation im Fremdsprachenunterricht Moment der Reflexion Zu den Standardsituationen im Anfangsunterricht gehört immer auch die Einführung unbekannter Vokabeln. Angesichts der Bedeutung dieser Phase für die Aussprache / Schreibung und das Bedeutungsverständnis der neuen Vokabeln auf der einen Seite, in Kenntnis der gelangweilten und teilweise wenig aufmerksamen Schülerinnen und Schüler auf der anderen, überlegen Sie, wie sie die Phase anregender gestalten können. Sie kommen auf folgende Varianten: ▶ Einbettung bekannter und neuer lexikalischer Elemente durch ein Kreuzworträtsel. ▶ Einführung jeweils eines Symbols für jedes Wort. ▶ Erfinden und Erzählen einer Zeitungsnachricht, in der die neuen Wörter auftauchen. ▶ Verteilen von Kärtchen, die jeweils eine neue Vokabel enthalten. Lernende (in Partnerarbeit) werden aufgefordert, im Wörterbuch auf ihrem Handy alle verfügbaren Informationen zu sammeln und dann vor der Klasse zu präsentieren. ▶ Jede neue Vokabel mündlich einführen, aber nur einen beliebigen Teil anschreiben und die Lernenden zum Einprägen des mündlich gehörten Gesamtwortes auffordern. ▶ … Welches Verfahren könnte Ihnen gefallen? Welche alternativen Vorschläge haben Sie? Zusammenfassung Reflexivität kann als Grundlage sowohl für die Gestaltung eines kontextsensiblen Fremdsprachenunterrichts gesehen werden als auch zur professionellen Weiterentwicklung und zur Förderung der Zufriedenheit als Lehrperson. Es wurde gezeigt, dass Reflexion dabei auf einer (berufs-)biographischen Ebene ansetzen muss und entlang der Kontextfaktoren mittel- und langfristig zielführender ist als Reflexion bezogen auf einzelne (Unterrichts-)Gegenstände. Sie bildet damit auch die Grundlage für Adaptivität, die Fähigkeit der Lehrperson durch das Erkennen sich (auch spontan) ändernder Kontextfaktoren flexibel zu reagieren. Die Grundlage hierfür sind sowohl der reflexive Zugriff auf eine breite Wissensbasis in den verschiedenen Domänen als auch auf Lerngruppen abgestimmte Routinen, die das eigene Denken im Handeln entlasten. Gelingt dies, ist der Weg frei für Innovation-- Neues, das in den Unterricht aus einem eigenen Bedürfnis und / oder den Kontextfaktoren heraus entsteht und den Fremdsprachenunterricht (und den Beruf als Fremdsprachenlehrperson) motivierend und abwechslungsreich hält. Weiterführende und vertiefende Literatur Die Bedeutung impliziten und expliziten Wissens von Lehrpersonen und wie dieses mit ihrem Können zusammenhängt hat Neuweg (1999, 2014) sehr gut zusammengefasst. Hinsichtlich des Aspekts von Reflexion für Fremdsprachenlehrpersonen gilt Thomas S. C. Farrell von der Brock University in Kanada als einer der Vorreiter für die Konzeptualisierung 104 4 Fremdsprachenunterrichtliches Handeln: Reflexivität - Adaptivität - Innovation reflexiver Praxis im Fremdsprachenunterricht. Neben zahlreichen empirischen Beiträgen hat er auch praktische Ratgeber zur Umsetzung von Reflexivität verfasst (z. B. Farrell 2015). Zur Frage von Innovation und Veränderung in Bildungssystemen sowie seitens aller Beteiligten gehört das Werk The New Meaning of Educational Change von Michael Fullan (2016), mittlerweile vielfach überarbeitet und ergänzt, zu den einschlägigsten Werken. Er identifiziert Problem- und Schwachstellen anhand von Beispielen und Studien und führt strategisch Lösungsansätze auf, die auch in anderen Ländern und Systemen auf allen Ebenen von Schule und Bildung implementiert werden können. Mit der Förderung eines Verständnisses für fremdsprachenunterrichtliche Kontexte und ihrer Veränderung beschäftigen sich auch Martin Wedell und Angi Malderez in Understanding Language Classroom Contexts (2013). 105 5 Vom adaptiven Handeln zum innovativen Fremdsprachenunterricht To break the rules, you must first master them. (Werbeslogan einer Uhrenmarke) In den vorigen Kapiteln wurde gezeigt, dass der Fremdsprachenunterricht als Teil eines schulischen Bildungskonzepts sehr grundlegenden Veränderungen unterliegt, die vor allem durch ▶ die Ausweitung sowie Präzisierung des Kompetenzbegriffs auf die Professionalität von Lehrerinnen und Lehrern, ▶ neuere Einsichten in die Komplexität und Spezifität des Lehr-/ Lernprozesses und ▶ genauere Analysen und ein vertieftes Verständnis der unterrichtlichen Interaktion ausgelöst wurden. Die damit verbundenen Anforderungen an die Lehrkraft sind erheblich. Aber es gibt mindestens drei gute Gründe, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Erstens steht der schulische Sprachunterricht innerhalb des schulischen Fächerkanons zunehmend unter Legitimationsdruck. Die MINT -Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) werden auf Seiten der Kultusbehörden sowie weiten Kreisen der Wirtschaft privilegiert. So heißt es in der Empfehlung der Kultusministerkonferenz zur Stärkung der mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Bildung (2009): Seit jeher prägen naturwissenschaftlich-technische Erkenntnisse und Errungenschaften das Leben der Menschen. Sie spiegeln die Notwendigkeit wider, die Welt zu begreifen, zu gestalten und sie sich anzueignen. ( KMK 2009: 1) Die mathematisch-naturwissenschaftliche Bildung wird in dem Dokument nicht nur als Voraussetzung „für die aktive Teilhabe eines jeden Einzelnen an gesellschaftlicher Kommunikations- und Meinungsbildung“ (ebd.) bezeichnet, sondern auch als „grundlegender Bestandteil zeitgemäßer Allgemeinbildung“ (ebd.) ausgewiesen. Die Stundenplanung für einzelne Fächer, die Versorgung mit Lehrkräften sowie der Einsatz schulinterner Finanzmittel werden mit solchen Argumenten innerhalb der Institution Schule gerechtfertigt. Der Fremdsprachenunterricht muss aus seinen Zielen, seiner Lehrgangsstruktur und seinem Bildungsanspruch seinen Platz innerhalb der Schule offensiv nach außen tragen. Dazu gehören das Engagement sowie die professionelle Kompetenz der Unterrichtenden sowie ein Unterricht, der über reines Vokabellernen, die Vermittlung von grammatischen Regeln oder die funktionalistische Förderung fremdsprachlicher Fertigkeiten, die „funktionalpragmatischen Ziele“ (Bonnet / Hericks 2014: 90), hinausgeht. Es muss ein Unterricht sein, der im Klassenraum innovativ Forschungserkenntnisse zum Lehr-/ Lernprozess aufnimmt und der die Kommunikationssowie Begegnungsmöglichkeiten mit anderen Kulturen und Literaturen zum Wohle der Schülerinnen und Schüler mit einer reflexiv-emanzipatorischen Zielsetzung nutzt (vgl. ebd.). 106 5 Vom adaptiven Handeln zum innovativen Fremdsprachenunterricht Zweitens: Die Anzahl privater Sprachreiseveranstalter (z. B. EF Sprachreisen, die mit Slogans werben wie „Mit Bildung neue Horizonte eröffnen. EF hilft Ihnen, ein globaler Bürger zu werden“), halbstaatlicher Bildungsinstitute (British Council, Institut Français), privater Einrichtungen vor Ort mit Sprachlernangeboten und nicht zuletzt global agierende Internetforen oder Apps zum Sprachenlernen (Marketing von Babbel: „Sprich Sprachen, wie du es schon immer wolltest“), bilden einen Markt, der in direkter Konkurrenz zum schulischen Fremdsprachenunterricht steht. Wenn der schulische Fremdsprachenunterricht sich künftig behaupten und in seiner Zielsetzung sowie seiner Qualität ernst genommen werden will, dann gilt es, neuere bildungswissenschaftliche, psychologische und soziologische Erkenntnisse in die fachdidaktische Ausbildung aufzunehmen, damit sie in der Praxis umgesetzt werden. Moment der Reflexion Gehen Sie einmal ins Internet, um sich ein Bild von den außerschulischen Fremdsprachenlernangeboten zu machen, denen die Schülerinnen und Schüler in ihrer Stadt, ihrer Region bzw. im Internet ausgesetzt sind. Überlegen Sie, an welchen Stellen Ihr Unterricht in der Schule besser ist. Kennen die Lernenden und ihre Eltern diese positiven Merkmale? Das dritte Argument zugunsten der Notwendigkeit eines pluralen und zugleich qualitativ hochwertigen Sprachangebots innerhalb der Institution Schule hängt mit der Besonderheit des Faches zusammen, das der Philosoph Peter Sloterdijk (2005) wie folgt beschreibt: Für die Angehörigen der schnellen Klassen ist der Spracherwerb eine der schlimmsten Prüfungen, sie kommt der chinesischen Folter gleich, bei der die Langsamkeit die Seele der Grausamkeit ist. Aus der Sicht der Liberalen stellen die natürlichen Sprachen weltweit die größten Modernisierungshindernisse dar, sie belegen die Rückwärtsgewandtheit und Selbstzufriedenheit der Sprecher. Wer im Ernst glaubt, mit Französisch, Polnisch, Deutsch, Koreanisch und ähnlichen Behältern der Lethargie durch das 21. Jahrhundert zu kommen, rechnet sich offenbar einem Verliererkollektiv zu. Die Zukunftsfähigkeit hat einen Namen: Monoglossie, sprich Festhalten am natalen Idiom. (ebd.: 409 f.) Sprachenlernen in der Schule muss und wird immer ein Prozess der langsamen und intensiven Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur sein, zu der auch die Sprache gehört. Beide Merkmale, sowohl das der Langsamkeit als auch das der Intensität, werden eingelöst in einer Unterrichtskultur, die sowohl den Einzelnen als auch die Lerngruppe insgesamt in seiner Sprachkompetenz, aber vor allem auch in seiner Persönlichkeitskompetenz fördert. Dabei bilden die oben schon angesprochenen funktional-sprachlichen Aspekte (Fertigkeiten, Wortschatz und Grammatik) eine wichtige Rolle, sie müssen aber, um einen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung und Bildung zu leisten, um authentisches inter- und transkulturelles Lernen ergänzt werden sowie um die ernsthafte Berücksichtigung der kontextbedingten Bedürfnisse der Lernenden. 107 5.1 Veränderung im professionellen Selbstverständnis 5.1 Veränderung im professionellen Selbstverständnis Die Motive für die Wahl des Berufes als Lehrer oder Lehrerin sind verschieden. So begründet eine angehende Lehrerin, befragt im Rahmen einer Studie zu Berufswahlmotiven (vgl. Wiza 2009), ihre Entscheidung wie folgt: Ich finde das zum Beispiel cool, Klausuren oder irgendwas zu korrigieren oder irgendwie Fehler zu suchen und so, keine Ahnung warum. Also meine Tante ist auch Lehrerin und ich habe der schon immer geholfen, irgendwie mal so Sachen zu korrigieren und so, das hat mir halt immer Spaß gemacht. (ebd.: 120) Das Berufsbild dieser Person ist eher unscharf und gründet in persönlichen Erfahrungen, die noch nicht durch die Konfrontation mit eigener Unterrichtspraxis getrübt sind. Es ist allerdings ein Berufsbild, das deshalb gefährlich ist, weil in der Beschränkung auf eine (wichtige? ) Facette der Tätigkeiten in- und außerhalb des Unterrichts die Komplexität des Berufs ignoriert wird, was später vielfach zur Frustration führen kann. Nein, mit der Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts, der früher vor allem auf die Ausbildung sprachlicher Kompetenz ausgerichtet war, hin zu einem Unterricht, in dem die Sprachvermittlung eingebettet ist in einen sozialen und interkulturellen Prozess des Miteinanders der Beteiligten, zeichnet sich Lehrerprofessionalität heute durch die drei folgenden Merkmale aus: 1. Kognition, 2. Selbstwirksamkeit als Element eines Selbstkonzepts, 3. Kontextsensibilität. Das Handeln der Fremdsprachenlehrerin und des Fremdsprachenlehrers heute ist ein reflektiertes Handeln, dessen Grundlage einerseits ein solides und ständig erneuertes theoretisches Wissen, andererseits ein aus der Praxis abgeleitetes Fallwissen ist. In Verbindung mit persönlichem Engagement und Kreativität wird die Lehrkraft zu einer Person im Unterricht, die die einzelnen Lernenden in einer vorbereiteten Lernumgebung kompetent im Vollzug des Lernprozesses begleitet. Nicht der Rückgriff auf ein abstraktes, ohne Bezug auf die konkrete Unterrichtsrealität existierendes Methodenmodell bietet Sicherheit und gewährleistet die Autorität der Lehrperson, sondern ein Abgleich der anvisierten Ziele mit den Erwartungen und dem Leistungsvermögen der Lernenden führen zu einer Unterrichtskultur, in der auch potentiell unvorhersehbare Momente durch die Lehrkraft adaptiv aufgefangen werden können. 1. Lehrerkognitionen sind die Voraussetzung für ein didaktisiertes Lernangebot, das eine Individualisierung des Lehr-/ Lernprozesses ermöglicht. Damit einher geht die Vermeidung einer Unterforderung einzelner auf der einen Seite sowie die frustrierende Überforderung schwächerer Schülerinnen und Schüler auf der anderen. Die Lehrerkognitionsforschung hat gezeigt, dass Kognitionen sowohl für Berufsanfänger als auch für die Kolleginnen und Kollegen in der Praxis eine wichtige Funktion haben. Jungen Lehrerinnen und Lehrern hilft es, ihre Erwartungen, Ängste und Hoffnungen hinsichtlich einer künftigen beruflichen Praxis zu explizieren. Erfahrene Kolleginnen und Kollegen haben 108 5 Vom adaptiven Handeln zum innovativen Fremdsprachenunterricht über die reflektierte Auseinandersetzung mit ihren beruflichen Erfahrungen die Möglichkeit, sich eigener Stärken und Schwächen bewusst zu werden und gegebenenfalls nach Rat und Hilfe zu suchen, um zu einem veränderten Verhalten zu kommen. Die nachfolgende Tabelle skizziert die Veränderung der Arbeit der Lehrkraft im Unterricht. Traditionelle Lehreraktivität: Lehrkraft als Hauptakteur Neues Selbstverständnis der Lehrkraft: Lehrkraft als Arrangeur und Lernbegleiter / in Lehrkraft als Stoffdarsteller / in Lehrkraft als Lerngerüst und Coach Klasseninstruktionsperson Partner / in in einer symmetrischen Lehr-/ Lernsituation Gestalter / in von Lernwegen Gestalter / in von Lernumgebungen Überwacher / in des Lernens Lerndiagnostiker / in und Lerncoach Beurteiler / in individuelle, ermutigende Rückmeldung Kommunikationsdirigent / in Interaktionsanimateur Tab. 12: Traditionelles und neues Verständnis der Lehrperson im Unterricht (in Anlehnung an Reusser 2012). Moment der Reflexion Die obige Tabelle stellt recht schematisch zwei Verhaltensprofile gegenüber. Prüfen Sie sich selber (oder mit Kolleginnen und Kollegen), in welchen Unterpunkten Sie eher zu dem einen oder zu dem anderen Verhalten tendieren. Versuchen Sie für sich zu begründen, warum Sie sich (noch? ) nicht vollständig mit dem Profil auf der rechten Seite identifizieren. In dem vom Amt für Volksschule Thurgau (2017) herausgegeben Leitfaden mit dem Titel Merkmale für Unterrichts- und Schulqualität werden an die Lehrkräfte u. a. folgende Forderungen gestellt: Die Lehrperson führt klar, mit transparenten Ansprüchen und vermittelt Werte.-[…] Dem Handeln der Lehrperson liegt eine fordernde und unterstützende pädagogische Haltung zu Grunde. Sie schafft eine Lernatmosphäre, die sich durch Respekt, Wertschätzung und Freundlichkeit auszeichnet sowie anregend und motivationsfördernd wirkt. (ebd.: 7) 2. Die hier formulierten Anforderungen berühren stark das Selbstkonzept der Lehrkraft. Wir sehen in der Diskussion der letzten Jahre zum Selbstkonzept eine wichtige Entwicklung im Zusammenhang mit der Professionalisierungsdiskussion. Gut zu wissen Brüll (2010) definiert das Selbstkonzept als „die Selbstwahrnehmung einer Person, die durch Erfahrungen mit der jeweiligen Umwelt und durch die jeweiligen Interpretationen gebildet wird“ (ebd.: 20). Mit Blick auf die schulische Leistungssituation spricht er vom „akademischen Selbstkonzept“. Der Begriff steht in engem Bezug zu Konstrukten wie „akademische Selbstwirksamkeit“ oder „akademische Selbstwirksamkeitsüberzeugung“. Die folgende Tabelle stellt die Begriffe „akademisches Selbstkonzept“ sowie „akademische Selbstwirksamkeit“ vergleichend gegenüber. 109 5.1 Veränderung im professionellen Selbstverständnis Vergleichsdimension akademisches Selbstkonzept akademische Selbstwirksamkeit Arbeitsdefinition Wissen über und Eindrücke von sich selbst in Leistungssituationen Überzeugung, eine gegebene akademische Aufgabe eines ganz bestimmten Niveaus erfolgreich bewältigen zu können zentrales Element wahrgenommene Kompetenz wahrgenommene Zuversicht Zusammensetzung kognitive (und affektive / evaluative) Beurteilung des Selbst kognitive Beurteilung des Selbst Art der Kompetenzbewertung eher soziale und ipsative* Bewertungen eher zielorientierte (und soziale) Bewertungen Spezifität des Urteilsbereichs eher domänenspezifisch eher zielorientierte (und soziale) Bewertungen Dimensionalität multidimensional multidimensional Struktur eher hierarchisch eher locker hierarchisch zeitliche Orientierung eher vergangenheitsorientiert eher zukunftsorientiert zeitliche Stabilität eher stabil eher veränderbar Vorhergesagte Folgen Motivation, Emotionen und Leistungsverhalten Motivation, Emotionen, kognitive und selbstregulierende Prozesse und Leistungsverhalten Tab. 13: Vergleich der Konstrukte „akademisches Selbstkonzept“ und „akademische Selbstwirksamkeit“ (Brüll 2010: 20; * = auf sich selbst bezogen) Wir sehen in dem Konzept der Selbstwirksamkeit ein wichtiges Element für einen Unterricht, der sowohl auf der Beziehungsebene als auch auf der Ebene der Wissensvermittlung nachhaltig und innovativ angelegt ist. Bevor wir an einzelnen Beispielen die Bedeutung aufzeigen, sei der Hinweis erlaubt, dass ein solcher sehr individuell, in der Vergangenheit gar nicht und heute eher oberflächlich in den Qualifizierungsphasen der Ausbildung zum Lehrerberuf thematisiert wird. Dies hat häufig (wenn auch nicht immer) strukturelle und formale Gründe, die aufgrund verschiedener Zwänge eine Förderung der Selbstwirksamkeit, die höchst individuell für jede angehende Lehrerin und jeden angehenden Lehrer entwickelt werden muss, kaum erlauben. Ein solides Selbstwirksamkeitskonzept bildet sich auf der Grundlage der Reflexion der eigenen Einstellung, Überzeugungen und der eigenen Kompetenzen. Es weist immer auf die Bewältigung einer Aufgabe bzw. einer Situation in der Zukunft und beantwortet die Frage: „Kann ich diese Aufgabe / Situation“ lösen? Wenn wir auf die Anforderungen aus dem eingangs zitierten Schweizer Leitfaden zurückkommen, lauten die Fragen konkret u. a.: ▶ Bin ich in der Lage, klar und mit transparenten Ansprüchen zu unterrichten und Werte zu vermitteln? ▶ Bin ich in der Lage, eine Lernatmosphäre zu schaffen, die sich durch Respekt, Wertschätzung und Freundlichkeit auszeichnet sowie anregend und motivationsfördernd wirkt? 110 5 Vom adaptiven Handeln zum innovativen Fremdsprachenunterricht Dieser Rückbezug auf konkrete Maßnahmen verdeutlicht die Tragweite des Konzepts, das angesichts multipler Anforderungen im Unterricht jeden Tag neu positiv zu beantworten ist. Und diese Herausforderung gilt auch für die Erprobung innovativer Verfahren, denn Innovationsfähigkeit, die Bereitschaft Neues auszuprobieren und Eingefahrenes zu hinterfragen, kann als Element eines soliden Selbstwirksamkeitskonzepts angesehen werden. Moment der Reflexion Würden Sie den Faktor „Innovationsbereitschaft“ auch als ein Element eines Selbstwirksamkeitskonzepts interpretieren? 3. Als drittes Merkmal eines veränderten professionellen Selbstverständnisses ist das Konstrukt Kontextsensibilität zu nennen. In den vorigen Kapiteln wurde dieser Begriff in seiner Bedeutung für eine neue Unterrichtsqualität dargestellt. Und es wurde in dem Zusammenhang an zahlreichen Stellen auch auf Forschungserkenntnisse verwiesen. Und dies, obwohl „Situativität, Kontextsensitivität und Fallbezug-[…] Handlungsmerkmale [sind], die dem Forschungswissen, dessen Pointe gerade Abstraktion (Situationsunabhängigkeit) ist, gleichsam wesensfremd sind“ (Neuweg 2014: 597). Aber aus unserer Sicht verläuft die Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts nicht im Sinne eines Entweder-- Oder, also entweder unter Bezugnahme auf bildungswissenschaftliche Erkenntnisse und deren Umsetzung oder aufgrund aus der Unterrichtssituation gewonnener Praxiserfahrungen. Beide Quellen für die Verbesserung des Unterrichts sind zu berücksichtigen. Dies gilt auch z. B. für die im ersten Kapitel angesprochene veränderte Einstellung zu den traditionellen Methoden. Ihre Kenntnis ist unerlässlich, aber sie bilden-- anders als früher- - heute keine ausschließliche Grundlage für unterrichtliches Handeln: „Teachers should be encouraged to decide for themselves whether and how far to adopt features from different methods, according to their own situations and preferences.“ (Ur 2013: 473) Lehrerinnen und Lehrer sind sensibel geworden für die Heterogenität in einer Lerngruppe, die u. a. in der Anzahl von Jungen und Mädchen, im Alter, in der Lernbereitschaft, der Motivation sowie dem Sozialverhalten ihren Ausdruck findet. Dieses Bewusstsein hat als Folge eine Lernumgebung, in die Kontextfaktoren vor Ort einfließen und die das Ergebnis einer spezifischen Reflexion ist. Jegliche Kopie und jegliches stereotype Arrangement von Lernanlässen läuft Gefahr, anvisierte Lernziele zu verfehlen und die Motivation der Lernenden zu schmälern. Moment der Reflexion Lehrerinnen und Lehrer in Ausbildung drängen oft ihre Mentorinnen und Mentoren, ihnen eine Stunde in Planung und Durchführung vorzumachen. Wo liegen die Chancen und welches sind die Grenzen eines solchen Anliegens? 111 5.2 Veränderung im Interaktionsverhalten Kontextsensibilität bezeichnet eine grundsätzliche und individuelle Einstellung, eine Haltung, zum Lern- und Lernprozess. Sie ist begründet in der Überzeugung, dass jede Unterrichtsstunde für alle Beteiligten eine Chance bietet, einen Beitrag für eine Unterrichtskultur zu schaffen, die von Vielfalt und Innovation in Form einer differenzierten und zugleich adaptierten Lernumgebung geprägt ist und die dazu führt, dass unter Berücksichtigung einer „reflexiven Distanz“ (Schart 2014: 42) unter den Beteiligten Kompetenzen und Werthaltungen entwickelt werden. 5.2 Veränderung im Interaktionsverhalten „Wenn alles schweigt und einer spricht, dann nennt man dieses Unterricht.“-- Dieses geflügelte Wort nach Wilhelm Busch sollte in der Vergangenheit die Stellung des Lehrers bzw. der Lehrerin im Unterricht auf den Punkt bringen. Und vermutlich hatte das damit verbundene Bild der Lehrkraft, die das Unterrichtsgeschehen schon durch den eigenen hohen Sprechanteil dominiert, über lange Zeit seine Berechtigung. In den vorangegangenen Kapiteln ist an mehreren Stellen immer wieder gezeigt worden, wie Unterricht heute anders verstanden wird: Die Absage an eine „nicht deterministische Vorstellung des Zusammenhangs von Lehren und Lernen und die Idee des ko-konstruktiven Charakters des Unterrichtsverlaufs“ (Terhart 2014: 815) führt notwendigerweise zu einer Veränderung im Interaktionsverhalten in den Unterrichtsstunden. Ausgangspunkt für den Lehr-/ Lernprozess heute ist eine Lernumgebung, also ein unter Berücksichtigung personaler, sachlicher und kulturell bedingter Kontextfaktoren konzipiertes Arrangement von Unterrichtsmethoden, Unterrichtstechniken, Lernmaterialien und Medien (vgl. Reinmann / Mandl 2006). Hermann Astleitner und Tina Hascher (2008) kommen zu dem Schluss: „Vergnügen wird in Lernumgebungen dann erlebt, wenn eine reichhaltige Informationsbasis mit ausreichender Lernunterstützung vorhanden ist und selbstgesteuertes Lernen ermöglicht wird“ (ebd.: 273). Die vorbereitende Gestaltung dieser Lernumgebung durch die Lehrkraft erfolgt durch eine Reflexion, die gleichsam als Phase 1 einer Interaktion bezeichnet werden kann. Es sind Fragen wie: ▶ Wie werde ich die Lernenden für die Thematik motivieren? (Bezug auf die sprachliche / kulturelle Realität des Zielsprachenlandes) ▶ Wie werde ich die Zielsetzung der Stunde erklären? (Sprache, Medienunterstützung) ▶ Welche Breite in der Aufgabenpalette muss ich angesichts der individuellen Leistungsunterschiede vorsehen? (Differenzierung) ▶ Welche methodische Vorgehensweise kann ich nutzen, um die Lernumgebung und den Unterrichtsgegenstand erlebbar zu machen? ▶ Wie kann ich helfen, dass einzelne Lernende den ihnen angemessenen Aufgabenparcours auswählen? ▶ Welche Möglichkeiten der individuellen Unterstützung bereite ich vor? ▶ In welcher Weise evaluiere ich die Aufgabenlösungen? (Feedback) 112 5 Vom adaptiven Handeln zum innovativen Fremdsprachenunterricht Schon in dieser Phase intensiver Reflexion intervenieren Faktoren wie Transparenz, Wertschätzung, Motivation und Emotionen (vgl. Kapitel 2). Im Unterricht selbst, die wir als Phase 2 einer Interaktion ansehen, ist eine Reziprozität in der Lehrer-Schüler-Interaktion bestimmend. Die Lehrkraft und die Lernenden anerkennen einander als Personen. Die Lehrperson unterstellt dem Lerner / der Lernerin Lernbereitschaft, und der Lerner / die Lernerin erkennt die fachliche und menschliche Autorität der Lehrkraft an. Nur auf der Basis einer solchen wechselseitigen Wertschätzung, die ihren Ausdruck in adäquaten verbalen und nonverbalen Äußerungen findet, kann der Lehr-/ Lernprozess erfolgreich verlaufen. Es wäre in Kenntnis der Unterrichtspraxis naiv, Disziplinprobleme im Unterricht ignorieren zu wollen. Aber auch in diesen Situationen gilt es, die Interaktion auf einer sachlichen Ebene zu führen und sich nicht dazu verleiten zu lassen, destruktive Kritik an einzelnen Lernenden oder der Lerngruppe insgesamt zu üben. Auch in diesen Situationen ist der „anpassungsfähige Lernexperte“ und die „anpassungsfähige Lernexpertin“ gefragt, der / die bereit ist, sich selbst zu fragen, warum bestimmte Konfliktsituationen aufgetreten sind. Diese Anmerkung führt zur Phase 3 einer Interaktion, die der Evaluation im Unterricht sowie der Reflexion der Lernergebnisse vorbehalten ist. Diese gründliche Reflexion ist eine Phase, die es in der Weise früher nicht gegeben hat, die auch vor der Jahrtausendwende noch nicht in dem Umfang in der Fremdsprachendidaktik diskutiert wurde. Man war seinerzeit zufrieden oder unzufrieden mit dem Ergebnis der Unterrichtsstunde, aber dann ging es an die Vorbereitung der nächsten. Mit dem grundsätzlich anderen Verständnis von unterrichtlicher Interaktion kommt dieser- - vereinfacht gesagt: Nachbetrachtung- - eine wichtige Bedeutung zu. Es gilt, Lernergebnisse aus der Perspektive der Lernenden zu analysieren. Dazu gehört nach allem, was empirische Befunde zeigen, dass Lehrpersonen nach widerlegbaren empirischen Belegen zur Effektivität ihres Unterrichtens suchen, dass sie nach Irrtümern in ihrem Wissen und ihren Vorstellungen suchen, dass sie sehen, wie Lernende auf Vorwissen und Lernkonzepten aufbauen, dass sie Fragen, ob es genug Herausforderungen und Engagement beim Lernen gibt, und dass sie die Strategien verstehen, die Lernende verwenden, wenn sie lernen und Schwierigkeiten haben (vgl. Hattie 2014: 298). Diese grundlegende Reflexion ist eine wichtige Voraussetzung nicht nur, um die Interaktion innerhalb des Lernprozesses zu verbessern, sondern auch, um die eigene Selbstwirksamkeitskompetenz zu steigern. In Kapitel 4 wurde daher auch Reflexivität auf der ganzen Ebene der Lehrperson in berufsbiographischer Hinsicht diskutiert, um tiefer in die ganz persönlichen Wertehaltungen und Überzeugungen eintauchen und diese hinterfragen zu können. 113 5.3 Veränderung in der Unterrichtsplanung Downloadmaterial Im vierten Kapitel wurden verschiedene Ansätze zur Förderung der eigenen Reflexionskompetenz aufgeführt, die von identitären, berufsbiographischen Konzepten bis hin zur situativen Unterrichtsreflexion reichen. Im begleitenden Online-Material finden Sie weitere Ideen und Ansätze zur Reflexion, die im Zusammenhang mit Fremdsprachenunterricht diskutiert werden und auch empirisch als zielführend abgesichert gelten. 5.3 Veränderung in der Unterrichtsplanung Wie bereits beispielhaft in Kapitel 2 im Zusammenhang mit der Rolle der Unterrichtskultur herausgearbeitet wurde, kann ein starres Ablaufschema einer Unterrichtsstunde, welches zudem eine erhebliche Aktivität der Lehrperson mit sich bringt, in einem modernen, kontextsensiblen Fremdsprachenunterricht, wie wir ihn skizziert haben, kaum durchgehalten werden. Unterrichtsplanung muss sich also im Sinne einer Kontextsensibilität und Adaptivität zwangsläufig ändern, wenn man diese Aspekte ernst nimmt. Zwar mag ein formalisiertes Ablaufschema aus Einstieg, Erarbeitung und Ergebnissicherung für eine standardisierte Bewertung bestimmter Lehrkompetenzen in frühen lehrerbildenden Instanzen noch an einzelnen Stellen sinnvoll sein, jedoch vernachlässigt eine solche Planung eine Vielzahl von Faktoren, mit denen Lehrpersonen sich in der Realität konfrontiert sehen und auf die sie reagieren müssen. Unserer Argumentation folgend führt ein starres Festhalten an Ablaufschemata ohne reflexives Adaptieren zu Frustration, da dann kurzschlussartig erkannt wird, dass der Unterricht nicht „funktioniert“, d. h. das Stundenziel nicht erreicht wird. Kann man sich jedoch von dieser Starrheit lösen und flexibel auf Bedürfnisse der Kontextfaktoren eingehen-- ohne natürlich das grobe Ziel aus den Augen zu verlieren-- wird dies auch auf der Ebene der Selbstwirksamkeitskompetenz zu mehr Zufriedenheit führen. Dazu gehört auch, methodisch-didaktische Ansätze und institutionalisierte Annahmen zum Unterricht zu hinterfragen. Michael Schart (2014) bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: „Professionell zu lehren bedeutet-[…] auch, sich aus den Einengungen zu befreien, die sich aus Methoden, Lehrwerken oder Traditionen ergeben können, und die Gestaltungsspielräume der eigenen Praxis zu erkennen und zu nutzen.“ (ebd.: 41) Die reflexiv-emanzipatorischen Ziele, die wir in unserem Fremdsprachenunterricht für unsere Lernenden als relevant setzen, gelten genauso für die „Bildung zur Fremdsprachenlehrperson“, für uns als diejenigen, die als einer der Kontextfaktoren den Fremdsprachenunterricht maßgeblich mitgestalten. Ewald Terhart (2009) stellt in seiner Didaktik Kennzeichen erfolgreichen Fachunterrichts anhand von vier umfassenden Studien zusammen. In Bezug auf die fremdsprachendidaktisch orientierte Unterrichtsplanung hat Wolfgang Gehring (2015) diese neu geordnet: 114 5 Vom adaptiven Handeln zum innovativen Fremdsprachenunterricht Meyer (2016) bzw. Brophy (2000) Helmke (2016) Rheinberg et al. (2001) Lipowsky (2007) Klare Strukturierung Strukturiertheit und Klarheit Klare Struktur des Unterrichts und der Lehrersprache Klare Strukturierung und Kohärenz des Unterrichts Hoher Anteil echter Lernzeit Konsolidierung, Sicherung, Üben Unterrichtszeit für Inhaltsbearbeitung nutzen Intensive Nutzung der Lernzeit Inhaltliche Klarheit Vielfältige Motivierung Schüleraktivierung für sachorientiertes Lernen Kognitive Aktivierung der SuS Sinnstiftendes Kommunizieren Schülerorientierung und Unterstützung Lerntempo kontrollieren und individuell abstimmen Fokussierung auf zentrale Aspekte der Lerninhalte Individuelles Förderung Förderung selbstständigen Lernens Schülergruppen angemessene Aufgaben übertragen Angemessene Rückmeldungen an SuS Lernförderliches Klima Lernförderliches Unterrichtsklima „Weiche“ Übergänge zwischen Themen und Methoden Positive Lernumgebung (wirkt eher indirekt) Methodenvielfalt Variation von Methoden Reichhaltiges Methodenrepertoire Einsatz kooperativer Lernformen Vorbereitete Umgebung Anpassung an Schülervoraussetzungen Hohe Selbstwirksamkeitsüberzeugung des Lehrers Geeignete Hausaufgaben Transparente Leistungserwartungen Effiziente Klassenführung Störungen antizipierend vermeiden Effektive Klassenführung Intelligentes Üben Tab. 14: Planungsdimensionen nach empirisch abgesicherten Kennzeichen wirksamen Fachunterrichts (leicht angepasst nach Gehring 2015: 12, nach Terhart 2009: 188). Wenn auch die Aspekte der einzelnen Dimensionen über die verschiedenen Studien und Publikationen hinweg nicht immer inhaltlich vollkommen zueinander passen, zeigen sie doch die wichtigen Punkte, die es in der Unterrichtsplanung zu berücksichtigen gilt. Dabei lassen sich nach Nikki Ashcraft (2014) drei verschiedene Ansätze von Unterrichtsplanung seitens der Fremdsprachenlehrpersonen unterscheiden: ▶ Forward planning: Ein Inhalt (Thema, Lektüre) wird bestimmt, um dann Aktivitäten, methodische Ansätze um den Inhalt herumzubauen. ▶ Central planning: Aktivitäten oder methodische Ansätze werden zuerst ausgewählt (z. B. insbesondere zur Fertigkeitsförderung), dann der Inhalt. ▶ Backward planning: Das Ziel der Stunde (Outcome bzw. Produkt) wird zuerst bestimmt (z. B. auch produktorientiertes TBLT ), auf Basis des Outcomes wird dann der Erfolg der Unterrichtsstunde / Einheit gemessen. Moment der Reflexion Auf welchen dieser Planungsansätze greifen Sie am häufigsten zurück? Warum? 115 5.3 Veränderung in der Unterrichtsplanung Keiner dieser Planungsansätze ist besser oder schlechter zu bewerten als die anderen. Alle können ihre Berechtigung im Zusammenhang mit der Planung eines kontextsensiblen Fremdsprachenunterrichts haben. Es muss vielmehr die Frage gestellt werden, welches Ziel mit einer Unterrichtsstunde verfolgt wird, welche Kompetenz(en) gefördert werden soll(en) und auf welche Ansätze, Prinzipien oder Inhalte hierfür zurückgegriffen werden kann. Gleichzeitig gilt es bei der Planung zu berücksichtigen, dass zwar die Lehrkraft den Lernraum anfänglich gestaltet, die Prozesse innerhalb dieses Raumes anstößt, damit aber auch Gelegenheiten für die Schülerinnen und Schüler schaffen muss, damit diese selbst interaktiv in der Fremdsprache arbeiten können und die Aktivität der Lehrkraft heruntergesetzt und zur schwerpunktmäßigen, individuellen Beratung im Lernprozess genutzt werden kann. Moment der Reflexion Überlegen Sie mit einer konkreten Unterrichtsstunde vor Augen, welche in Kapitel 3 vorgestellten Kontextfaktoren für Ihre Planung berücksichtigt werden müssen. Welche Faktoren spielen eine größere oder geringere Rolle? Welche Kontextfaktoren könnte man zur Bereicherung noch einbeziehen? (Im begleitenden Online-Material finden Sie auch einen Planungsbogen, den Sie für diese Reflexion verwenden können.) Die zu berücksichtigenden Inhalte sind speziell im Fremdsprachenunterricht natürlich nicht beliebig. Die damit verbundenen Bildungsansprüche verlangen inter- und transkulturelles Lernen anhand möglichst authentischer Unterrichtsgegenstände, literarische Texte, Filme etc. Die Bandbreite und Auswahl ist enorm, sodass daher hier auch ganz bewusst keine Beispiele für einzelne Fremdsprachen genannt werden sollen. Gleichzeitig muss in einem kontextsensiblen Sinne jedoch ein anderer Unterrichtsgegenstand doch herausgestellt werden: Bildung, Reflexion und Emanzipation seitens der Schülerinnen und Schüler kann nicht nur durch zielkulturelle Texte und Fremdheitserfahrungen erreicht werden, man kann sie auch dadurch fördern, dass die Lernenden an sich als Menschen in kulturell-sozialen Kontexten ernst genommen werden. Der Argumentation kritischer Pädagogik folgend (vgl. z. B. Akbari 2008b) besteht eine große Chance darin, die ganz lokale(n) Kultur(en) der Lernenden zu berücksichtigen (s. auch Kapitel 3), die Themen, die sie beschäftigen, auch in den Fremdsprachenunterricht einzubeziehen und damit reale Situationen des Austauschs und der Interaktion zu schaffen, die dann in der Fremdsprache ausgehandelt werden können. Ramin Akbari (2008b) kritisiert hier dementsprechend auch die Rolle der Lehrwerke in vielen institutionell-fremdsprachenunterrichtlichen Settings, da diese nur einen „Mainstream“ an Themen abdecken: Most publishers advise coursebook writers to follow a set of guidelines to make sure that controversial topics are kept out of their books. One such set of guidelines is summarized as PARSNIP , which stands for Politics, Alcohol, Religion, Sex, Narcotics, Isms, and Pornography. As a result, most coursebooks deal with neutral, apparently harmless topics such as food, shopping, or travel. (ebd.: 281) 116 5 Vom adaptiven Handeln zum innovativen Fremdsprachenunterricht Kontroversere, lokale und tagesaktuelle Themen müssen daher aktiv in den Fremdsprachenunterricht eingebracht werden- - entweder durch die Lehrkraft oder (und besser) durch die Lernenden selbst. Ist die Unterrichtskultur offen und von Vertrauen bestimmt, kann es selbstverständlich werden, dass das Pädagogische stärker in den Mittelpunkt des Fremdsprachenunterrichts tritt, um vermeintliche Tabuthemen wie Mobbing, Gewalt, Pornovideos in Schulpausen oder Sorgen um die eigene Zukunft im Fremdsprachenunterricht diskutierbar werden zu lassen. Im kontextsensiblen Fremdsprachenunterricht ist die Frage der Unterrichtsgegenstände und der Unterrichtsplanung demzufolge nicht im klassischen und traditionellen Sinne zu verstehen, dass primär Inhalte-- ob sie interkulturelle kommunikative Kompetenz zu fördern vermögen oder nicht-- ins Zentrum gestellt werden. Es geht vielmehr um die Schaffung eines Angebots und einer Lernumgebung, die mittels einer gewissen Offenheit sowie adaptiven Steuerung durch die Lehrkraft kontextsensibel auf diverse Faktoren reagieren kann. Das Akzeptieren des Unerwarteten, das Interagieren zwischen allen beteiligten Personen und das reflexive Integrieren fremdsprachendidaktischer sowie sozial-lokaler Unterrichtsgegenstände ist es, was eine kontextsensible Planung von Fremdsprachenunterricht ausmacht. Die Verwendung der pädagogiknahen Begrifflichkeit des „Kontexts“ hat ihren Grund darin, dass ein Terminus wie „Innovationsmanagement“, der auch passen würde, bei vielen Lehrerinnen und Lehrern nach unserer Erfahrung auf große Skepsis stößt: Schule sei doch kein Wirtschaftsunternehmen, es gehe doch nicht um den Gewinn oder Verlust von Marktanteilen aufgrund von Innovationen. Diese Argumente leuchten ein, wenngleich schon an verschiedenen Stellen deutlich gemacht wurde, dass auch der institutionelle Fremdsprachenunterricht sich einer wachsenden Konkurrenz durch private Anbieter oder sogar schulinterner Faktoren und Fächer ausgesetzt sieht. Aber ein Blick, der über den Tellerrand der eigenen Profession geht, um kompetent und sensibel Erfahrungen mit Veränderungen bzw. Innovationen aus anderen Bereichen zur Kenntnis zu nehmen und in seiner zumindest partiellen Sinnfälligkeit auch für die eigene Praxis aufzunehmen, kann sicherlich nicht schaden. Folgende Präzisierungen sind in dem Zusammenhang hilfreich: Die häufig in diesem Zusammenhang getroffene, grundlegende Unterscheidung in Basisinnovationen und inkrementelle Innovationen (Verbesserungs- oder Anpassungsinnovationen; vgl. Gerlach / Leupold 2017) lässt sofort erkennen, dass es angesichts der über Bildungspläne, Fachlehrpläne und schulinterne Vorgaben gesteuerten Rahmenbedingungen für den Unterricht für die einzelne Lehrkraft keine Möglichkeit gibt, radikal den Unterricht im Sinne einer Innovation umzugestalten. Einem Kollegen, der vor geraumer Zeit der Ansicht war, dass er ohne Lehrwerk besser unterrichten könne, und ein halbes Jahr lang ohne Lehrwerk an einer Schule gearbeitet hatte, wurde von der Schulaufsicht klar gemacht, dass diese Basisinnovation nicht akzeptiert würde und er zu einem lehrwerkbasierten Unterricht zurückzukehren habe. Verbesserungs- oder Anpassungsinnovationen bieten Lehrerinnen und Lehrern die Chance, ihren Unterricht kontextsensibel zu innovieren. Die Diskussion zur Einbeziehung eines elektronischen Wörterbuchs auf dem Smartphone der Schülerinnen und Schüler bei der Textarbeit, die Unterbrechung der laufenden Unterrichtsarbeit durch die Festlegung einer Unterrichtsstunde im Monat unter dem Titel „Was ich gar nicht verstanden habe-…“, zu der 117 5.4 Veränderung in der Evaluations- und Feedbackkultur Schülerinnen und Schüler ihre individuellen Lernprobleme zum Stoff der vorangegangenen Stunden zur Sprache bringen können, sind „einfache“ Beispiele für unterrichts- und schülernahe Innovationen. Jede Lehrerin und jeder Lehrer kennt und praktiziert diese und ähnliche Beispiele, ohne dass er dabei notwendigerweise an den Terminus „Innovation“ denkt. Aber warum? In einem medialen Umfeld, in einer Zeit, in der die kritische Sicht auf Schule und Unterricht vielfach dominiert, ist es nicht zuletzt für das Selbstwertgefühl und die Selbstwirksamkeit der Lehrerin und des Lehrers wichtig, sich immer wieder zu verdeutlichen, wie sehr man selbst für sich eine Innovationsbereitschaft erkennt und wo man Innovationen schon oder noch nicht im Unterricht umsetzt. 5.4 Veränderung in der Evaluations- und Feedbackkultur Die breite öffentliche Diskussion zu Standards, Kompetenzen und Aufgaben in den letzten beiden Jahrzehnten hat die zahlreichen Forschungsansätze zu Fragen der Evaluations- und Feedbackkultur in den Hintergrund gerückt. Außerdem wurde eine Evaluations- oder Feedbackkultur fast ausschließlich mit Blick auf die einzelne Schülerin und den einzelnen Schüler diskutiert. Aber sowohl die Vernachlässigung der Beurteilungsdimension als auch die ausschließliche Fokussierung auf einzelne Lernende bedarf der Revision. Denn Forschungsergebnisse unterstreichen die Bedeutung einer reflektierten Rückmelde- und Bewertungskultur für die Förderung der individuellen Leistungsbereitschaft und die Motivation. Und im Verlauf der vorausgegangenen Ausführungen wurde an verschiedenen Stellen auf die Bedeutung einer Reflexion des Lehrerhandelns hingewiesen, die eben auch das Interesse der Lehrkraft an einer Evaluation der eigenen Aktivität im Sinne einer Selbstevaluation einschließt. Ganz allgemein wissen wir, dass Feedback in Bezug auf zwei Dimensionen des Unterrichts bedeutsam ist: die Beziehungsdimension und die Leistungsdimension. Die Art und Weise der Rückmeldungen an den einzelnen Schüler / die einzelne Schülerin oder an die Klasse insgesamt können das Unterrichtsklima beeinflussen, indem Ermutigung auf der einen Seite oder Frustration auf der anderen Seite ausgelöst und zugleich Nähe oder Distanz, Vertrauen oder Enttäuschung erlebt werden. Was die Leistungsdimension betrifft, so ist ein kompetentes Feedback für das Erreichen anspruchsvoller Ziele essentiell. Feedback wird zu einem wichtigen Faktor der Lernbegleitung, der Art und Weise, wie Fehler der Lernenden durch die Lehrkraft aufgenommen und zurückgemeldet werden, kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Fehlerhafte schriftliche oder mündliche Äußerungen sind im Fremdsprachenunterricht an der Tagesordnung. Sie sind ein Indiz für Zwischenstadien in der Ausbildung der Sprachkompetenz durch die Lernenden (vgl. Kapitel 1). Es gilt, produktiv und sensibel mit ihnen umzugehen, auch auf dem Wege, dass man den Fehler als noch nicht geglückte sprachliche Form betrachtet. Die (hier zum Zwecke der Veranschaulichung auch stereotyp wertbaren) Verallgemeinerungen vor der Klasse wie „Ich habe die if-clauses doch schon zehnmal erklärt. Miriam, hast du es noch immer nicht verstanden? “ oder „Wenn ihr jetzt nicht ruhig seid, werdet ihr die Aufgaben in der Klassenarbeit nicht lösen können! “ bleiben zumeist-- vor allem, wenn sie ritualisiert zu 118 5 Vom adaptiven Handeln zum innovativen Fremdsprachenunterricht einem Markenzeichen der Lehrkraft werden-- ohne größere Wirkung, weil Schülerinnen und Schüler täglich solchen Rückmeldungen ausgesetzt sind. Die Frage der Wahl der Bezugsnorm ist für eine gesunde Fehlerkultur nicht zu unterschätzen. Eine individuelle Rückmeldung im persönlichen Gespräch schafft Vertrauen, weil einzelne Lernende über die sachliche und individuelle Rückmeldung hinaus das Gefühl einer persönlichen Wertschätzung erhält. Bezugsnorm Beispiel Sachliche Bezugsnorm „Ich vermute, dass du die Zeitenfolge bei den si-Sätzen noch nicht verstanden hast.“ Individuelle Bezugsnorm „Wenn ich sehe, dass du bei der Aufgabe sieben von zehn Beispielen jetzt richtig bearbeitet hast, ist das im Vergleich zur letzten Stunde schon ganz gut.“ Soziale Bezugsnorm „Maria, ich weiß, dass du die richtige Antwort geben kannst. Aber melde dich jetzt mal nicht mehr, wir wollen den anderen eine Chance geben.“ Tab. 15: Bezugsnormen bei der Leistungsrückmeldung (nach Sieland 2011: 115). Auch Lehrerinnen und Lehrer können Fehler machen, die bei der Planung der Unterrichtsstunde z. B. das Zeitmanagement betreffen. Oder sie spüren, dass sie sich in einem Moment des Unterrichts in unangemessener Weise sprachlich gegenüber einzelnen Lernenden oder der gesamten Klasse geäußert haben. Moment der Reflexion Im Französischunterricht einer 10. Klasse gelingt es einer Schülerin im Unterrichtsgespräch mehrmals nicht, die richtige Form eines unregelmäßigen Verbs zu bilden. Darauf reagiert der Lehrer gereizt wie folgt: „Miriam, an deiner Stelle würde ich mir einen Strick nehmen.“ Die Schülerin beginnt zu weinen, und die übrigen Schülerinnen und Schüler reagieren betroffen. Kann der Lehrer dieses Verhalten wieder korrigieren? Wenn ja, wie? Das leider reale Beispiel aus der Reflexionsaufgabe verdeutlicht: Dass etwas Unerwartetes im Unterricht vorkommt, etwas, dass die sicher geglaubte Planung wanken lässt, ist vollkommen normal, auch die persönliche Reaktion darauf nur menschlich (wenn auch in dem Beispiel extrem). Die Emotionalität, mit der man ggf. auch zeigt, dass man sich einen anderen Unterrichtsverlauf vorgestellt hatte, kann direkt zum Gesprächsanlass mit Schülerinnen und Schülern bzw. zur Evaluation veränderter Kontextfaktoren werden. Das Bewusstsein, in einer Stunde aus verschiedenen Gründen nicht gut gewesen zu sein, ist positiv als ein Zeichen einer funktionierenden Kontextsensibilität zu verstehen. Aber so wie bei der Schülerkorrektur ist es auch hier wichtig, die Schwächen (und ihre Gründe) im Rahmen einer nachbereitenden Stundenreflexion aufzuarbeiten, um wieder neu für die Folgestunden motiviert zu sein. 119 5.4 Veränderung in der Evaluations- und Feedbackkultur Zusammenfassung Dieses abschließende Kapitel hatte zum Ziel, die vorangegangen Gedanken und Ausführungen zu Umwälzungen und Zielen des modernen Fremdsprachenunterrichts zu bündeln. Dabei spielen insbesondere das Bewusstsein über die Rolle der Lehrkompetenzen, die Selbstwirksamkeit der Lehrerinnen und Lehrer und ein neues Verständnis über Interaktionsprozesse im Fremdsprachenunterricht eine Rolle. Das Konzept der Kontextsensibilität ermöglicht, die eigene Handlungspraxis vor dem Hintergrund des eigenen (auch fachdidaktischen) Wissens zu reflektieren, sich der die Unterrichtspraxis beeinflussenden Faktoren bewusst zu werden und Unterricht so zu planen, dass er für Lehrperson und Lernende ertragreich wird. Wenn Fremdsprachenlehrkräfte auch nur selten von ihrem eigenen Unterricht behaupten, dass er innovativ sei, so ermöglicht er oder sie schon im Kleinen Veränderung und bewirkt durch die individuelle Kontextsensibilität, dass sich die Schülerinnen und Schüler in ihrem Prozess des Sprachenlernens ernst genommen fühlen, wenn es um Themen geht, die sie unmittelbar beschäftigen und die authentisch im Fremdsprachenunterricht aufgegriffen werden. Weiterführende und vertiefende Literatur Für die Vertiefung der in diesem Kapitel angesprochenen Aspekte eignet sich vor allem das Kapitel 11 des viel diskutierten Buches von John Hattie (2014). Es ist in der Tat aus unserer Sicht das wichtigste Kapitel des gesamten Werkes: Unter der Überschrift „Wie man alles zusammenbringt“ werden die verschiedenen Momente unterrichtlicher Entscheidungen und Handlungen mit Blick auf eine innovative Weiterentwicklung des Unterrichts in den Phasen Planung, Durchführung und Evaluation diskutiert. Für die Kolleginnen und Kollegen, bei denen durch unsere Ausführungen zum Thema Innovation Interesse an einer Vertiefung ausgelöst wurde und die keine Angst haben, in den Bereich der Wirtschaft Einblick zu nehmen, sei das Buch von Vahs / Brem (2015) zur Lektüre empfohlen. 121 Schluss Durch die Ausführungen in den vorigen Kapiteln dieses Buches ziehen sich drei Gedanken, die zum Abschluss noch einmal vertieft werden sollen. Der erste Gedanke ist der, dass traditionelle Muster des Fremdsprachenunterrichts sowie des Unterrichtens allgemein keine valide Orientierung mehr für eine Lehrkraft bieten, die sowohl auf der Inhaltsebene als auch auf der Beziehungsebene nachhaltig arbeiten will. Studien und Forschungsarbeiten zu den Merkmalen guten Unterrichts zeigen, dass an die Stelle der Anwendung routinierter „Vermittlungstechniken“ heute adaptive Handlungsweisen treten, die geeignet sind, um Motivation und Leistungsbereitschaft des einzelnen Lerners und der einzelnen Lernerin für einen individuellen Lernprozess auszulösen. Und Arbeiten, vornehmlich aus der Allgemeinen Pädagogik sowie der Pädagogischen Psychologie, ermutigen und bestärken die Lehrkräfte, die Prinzipien wie Fairness, Transparenz und Wertschätzung zur Grundlage eines erfolgreichen dyadischen Arbeitsbündnisses zwischen sich, der Sache und den Lernenden machen (vgl. Helsper 2014). Der zweite Gedanke, der die Ausführungen durchzieht, bezieht sich auf die Lehrkraft, ihre Qualifikation, ihre Kompetenz und insbesondere auf die Bereitschaft und Fähigkeit, den Unterricht sensibel unter Berücksichtigung kontextueller Faktoren zu planen, durchzuführen und schließlich zu evaluieren. Das Gebot der Reflexivität bezüglich des eigenen Handelns (vor, in und nach der Stunde) sowie mit Blick auf das Wissen und die Erwartungen der Lernenden steht nicht mehr in Frage und ist Ausgangspunkt für ein Konzept der Selbstwirksamkeit, das Vertrauen auch für möglicherweise unkonventionelle, aber dem Unterrichtskontext angemessene, vielleicht sogar innovative Handlungen schafft. Der Fremdsprachenunterricht leistet auf diese Weise einen Beitrag für eine situative und interaktive Unterrichtskultur. Hier schließt der dritte Gedanke dieses Buches an: Unterricht, und vor allem der Fremdsprachenunterricht, zeichnet sich immer durch ein interaktives und zugleich soziales Moment aus, in dem Kompetenz- und Wertevermittlung die beiden Orientierungen bilden. Die Wertigkeit der beiden Pole macht Freeman (2016: 36) deutlich, wenn er schreibt: „In the language classroom, the content is social processes, which have a language dimension.“ Es mag außerdem der Fall sein, dass viele Lehrkräfte in der heutigen, post-methodischen Ära bereits stärker den Kontext für ihre Unterrichtsplanung und -durchführung berücksichtigen. Allerdings muss die Bedeutung dieses Ansatzes und dieser Denkweise, wie hier mit diesem Buch versucht, deutlich herausgestellt werden, sonst wird sie immer nur das Werkzeug einiger weniger bleiben (vgl. Bax 2003). Im Sinne der hier propagierten Notwendigkeit der gedanklichen Reflexivität ist es natürlich sinnvoll, sich mit dem möglichen Gegenargument auseinanderzusetzen, das etwa lautet, dass das Plädoyer zugunsten einer Kontextsensibilität in Phasen der Vorbereitung, der Durchführung sowie der Evaluation des Unterrichts zu (zeit)aufwendig, kompliziert und umständlich sei. Ja, auch das Sich-Einlassen auf dieses Konzept ist anfangs sicher nicht einfach, aber es bietet vor allem die Chance einer vertieften Sinngebung des beruflichen Alltags. Denn auch für die Unterrichtsstunde gilt: 122 Schluss Von einem Ausgangspunkt zum Zielpunkt gibt es nur einen kürzesten Weg, aber unendlich viele Umwege. Kultur besteht in der Auffindung und Anlage, der Beschreibung und Empfehlung, der Aufwertung und Prämierung der Umwege. (Blumenberg 1987: 137) Machen wir uns auf, unsere Kontextsensibilität in ein vielfältiges Angebot an Umwegen münden zu lassen! 123 Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis Ajzen, Icek (2005): Attitudes, Personality, and Behavior. Maidenhead: Open University Press / McGraw-Hill Education. Akbari, Ramin (2008a): Postmethod Discourse and Practice. In: TESOL Quarterly 42, S. 641-652. Akbari, Ramin (2008b): Transforming lives: Introducing critical pedagogy into ELT classrooms. ELT Journal 62(3), S. 276-283. Amt für Volksschule Thurgau (2017): Merkmale für Unterrichts- und Schulqualität: Leitfaden für die Qualitätsarbeit in Schulen. https: / / av.tg.ch/ public/ upload/ assets/ 8962/ Merkmale_USQ.pdf (1. 3. 2019). Appel, Joachim (2001): Erfahrungswissen von Fremdsprachenlehrer / innen. Interpretative Ansätze zu seiner Erforschung. In: Legutke, Michael / Schocker-v. Ditfurth, Marita (Hrsg.), Qualitative Forschung im Bereich Fremdsprache lehren und lernen. Tübingen: Narr, S. 187-205. 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Erfolgreiches Lehren und Lernen hat seinen Ausgangspunkt im Erkennen und der Reflexion des Zusammenspiels verschiedener Ebenen und Faktoren. Zu diesem Bündel kontextueller, personeller und sachlicher Faktoren gehören die Lehrkraft und die Lernenden selbst sowie eine Vielzahl von externen Gegebenheiten und aktuellen Anforderungen. Nur wenn die Lehrkraft sich dieses Kontextes bewusst wird und ihn bei der Unterrichtsplanung und -durchführung einbezieht, entsteht gemeinsames Lernen und Lehren, das langfristig zu Erfolg und Zufriedenheit führt und das gleichzeitig auch den Bildungsansprüchen eines modernen Fremdsprachenunterrichts gerecht wird. Das Buch bietet einen Zugang zu einer Kontextsensibilität, die hilft, methodisch-didaktisch begründete Entscheidungen reflektiert zu treffen und die Interaktion im Klassenraum zu einer immer wieder neu zu konzipierenden und erlebten Erfahrung zu machen. Kontextsensibler Fremdsprachenunterricht leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Professionalisierung von (angehenden) Fremdsprachenlehrpersonen. ISBN 978-3-8233-8242-3 Gerlach/ Leupold Kontextsensibler Fremdsprachenunterricht Kontextsensibler Fremdsprachenunterricht David Gerlach/ Eynar Leupold