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Nominalstil

2020
978-3-8233-9270-5
Gunter Narr Verlag 
Mathilde Hennig

Das Studienbuch bietet die erste umfassende Überblicksdarstellung zum weit verbreiteten Phänomen des Nominalstils. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der grammatischen Seite des Phänomens. Da ,Nominalstil' als Komplementärbegriff zu ,Verbalstil' begriffen wird, wird ein systematischer Vergleich der verbalstilistischen und nominalstilistischen Realisierung von Satzinhalten vorgenommen. Zentrale Theoriebausteine sind die Satzsemantik von von Polenz (2008), die Betrachtung von Satz und Nominalgruppe als strukturelle Domänen (Czicza 2015) sowie die Überlegungen zur Valenzvererbung von Welke (2011). Den Phänomenen Nominalisierung und Attribution widmet das Studienbuch besondere Aufmerksamkeit, weil sie zentral für die Überführung von Satzinhalten von verbalen in nominale Strukturen sind. Auf der Basis von Überlegungen zu nominaler Komplexität werden auch die Grenzen des nominal Sagbaren (Stichwort ,Komplikation') diskutiert. Das Buch bemüht sich auf diese Weise um eine kohärente Begriffsbestimmung und bietet gleichzeitig mit detaillierten Beispielanalysen Anschauungsmaterial für die akademische Lehre.

Das Studienbuch bietet die erste umfassende Überblicksdarstellung zum weit verbreiteten Phänomen des Nominalsti ls. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der grammati schen Seite des Phänomens. Da ‚Nominalsti l‘ als Komplementärbegriffzu ‚Verbalsti l‘ begriffen wird, wird ein systemati scher Vergleich der verbalsti listi schen und nominalsti listi schen Realisierung von Satzinhalten vorgenommen. Zentrale Theoriebausteine sind die Satzsemanti k von von Polenz (2008), die Betrachtung von Satz und Nominalgruppe als strukturelle Domänen (Czicza 2015) sowie die Überlegungen zur Valenzvererbung von Welke (2011). Den Phänomenen Nominalisierung und A� ributi on widmet das Studienbuch besondere Aufmerksamkeit, weil sie zentral für die Überführung von Satzinhalten von verbalen in nominale Strukturen sind. Auf der Basis von Überlegungen zu nominaler Komplexität werden auch die Grenzen des nominal Sagbaren (Sti chwort ‚Komplikati on‘) diskuti ert. Das Buch bemüht sich auf diese Weise um eine kohärente Begriffsbesti mmung und bietet gleichzeiti g mit detaillierten Beispielanalysen Anschauungsmaterial für die akademische Lehre. ISBN 978-3-8233-8270-6 Hennig Nominalsti l Nominalsti l Mathilde Hennig Möglichkeiten, Grenzen, Perspekti ven 18270_Umschlag.indd 1-3 18270_Umschlag.indd 1-3 05.02.2020 11: 45: 18 05.02.2020 11: 45: 18 Prof. Dr. Mathilde Hennig ist seit 2009 Inhaberin der Professur für Germanistische Linguistik mit dem Schwerpunkt Sprachtheorie und Sprachbeschreibung an der Justus-Liebig-Universität Gießen. 18270_Umschlag.indd 4-6 18270_Umschlag.indd 4-6 05.02.2020 11: 45: 18 05.02.2020 11: 45: 18 Mathilde Hennig Nominalstil Möglichkeiten, Grenzen, Perspektiven 18270_Hennig_Bel.indd 3 18270_Hennig_Bel.indd 3 05.02.2020 11: 01: 57 05.02.2020 11: 01: 57 © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-8270-6 (Print) ISBN 978-3-8233-9270-5 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0208-7 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 18270_Hennig_Bel.indd 4 18270_Hennig_Bel.indd 4 05.02.2020 11: 01: 57 05.02.2020 11: 01: 57 7 11 17 51 51 57 80 91 95 95 107 107 115 125 144 145 151 151 165 173 189 191 192 Inhalt Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nominalstil: Eine erste Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nominal + Stil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grammatische Merkmale des Nominalstils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nominalstil: Begriffsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nominalstil im engeren und weiteren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendung: Textanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Satz und Nominalgruppe als strukturelle Domänen . . . . . . . . . . . . Nominalisierung und Valenzvererbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Satzbaupläne und Nominalgruppenbaupläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendung: Textanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nominale Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nominale vs. verbale Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendung: Textanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Komplexität zur Komplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausbau nominaler Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbalkomplexe als Partizipialattribute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18270_Hennig_Bel.indd 5 18270_Hennig_Bel.indd 5 05.02.2020 11: 01: 57 05.02.2020 11: 01: 57 198 205 207 207 212 216 231 231 232 243 251 253 Verknüpfungen im Bereich der Attribution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nominalstil: Begriffsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax . . . . . . . . . . Nominale Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Primärquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt 6 18270_Hennig_Bel.indd 6 18270_Hennig_Bel.indd 6 05.02.2020 11: 01: 57 05.02.2020 11: 01: 57 Abkürzungsverzeichnis Satzglieder adjpräd = adjektivisches Prädikativ akkob = Akkusativobjekt akkpräd = prädikativer Akkusativ datob = Dativobjekt genob = Genitivobjekt kausadv = kausales Adverbial konjpräd = prädikative Konjunktionalphrase lokadv = Lokaladverbial modadv = Modaladverbial nompräd = nominales Prädikativ (Nominativ) präd = Prädikat präpob = Präpositionalobjekt präppräd = prädikative Präpositionalgruppe sub = Subjekt tempadv = Temporaladverbial Attribute bzw. nominale Ergänzungen adjatt = Adjektivattribut advatt = adverbiales Attribut als / wieapp = als / wie-Apposition gendob = Genitivattribut für Dativobjekt gengob = Genitivattribut für Genitivobjekt genob = Genitivus obiectivus gensub = Genitivus subiectivus possart = possessives Determinativ präpatt = Präpositionalattribut 18270_Hennig_Bel.indd 7 18270_Hennig_Bel.indd 7 05.02.2020 11: 01: 57 05.02.2020 11: 01: 57 semantische Rollen (nach von Polenz) AG = AGENS / HANDELNDER AOB = AFFIZIERTES OBJEKT / BETROFFENES BEN = BENEFAKTIV / NUTZNIESSER CAG = CONTRAAGENS / PARTNER CAU = CAUSATIV / URSACHE COM = COMITATIV / BEGLEITENDER DIR = DIREKTIV / ZIEL EOB = EFFIZIERTES OBJEKT / RESULTAT / PRODUKT EXP = EXPERIENS / ERFAHRENDER LOC = LOCATIV / ORT / RAUM PAT = PATIENS / BETROFFENER PO = POSSESSIV / BESITZ TE = TEMPORATIV / ZEIT (ergänzend): POS = POSSESSOR / BESITZENDER MOD = MODIFICATIV Prädikatsklassen (nach von Polenz) EIGEN = EIGENSCHAFT GATT = GATTUNG HAND = HANDLUNG VORG = VORGANG ZUST = ZUSTAND 8 Abkürzungsverzeichnis 8 18270_Hennig_Bel.indd 8 18270_Hennig_Bel.indd 8 05.02.2020 11: 01: 57 05.02.2020 11: 01: 57 Konstituentenstrukturen (nach Eisenberg) AdjGr = Adjektivgruppe Adv = Adverb attr = Attribut hd = Kopf (head) K = Konjunktion N = Nomen (im Sinne von: deklinierbare Wortart) NGr = Nominalgruppe nuk = Kern (nucleus) Pr = Präposition PrGr = Präpositionalgruppe Dependenzstrukturen (nach Eroms) Adj qual = Adjektiv (qualifizierend) Adj quant = Adjektiv (quantifizierend) Adv mod = Adverb(ial) (modal) Adv temp = Adverb(ial) (temporal) Det = Determinierer (Artikel) E präp = präpositionale Ergänzung NEK = Nektiv, Satzteilkonjunktion N = Nomen (im Sinne von: Substantiv oder Nomen) PartI = Partizip I PartII = Partizip II Präp = Präposition Pron refl = Pronomen (reflexiv) 9 Abkürzungsverzeichnis 9 18270_Hennig_Bel.indd 9 18270_Hennig_Bel.indd 9 05.02.2020 11: 01: 57 05.02.2020 11: 01: 57 18270_Hennig_Bel.indd 10 18270_Hennig_Bel.indd 10 05.02.2020 11: 01: 57 05.02.2020 11: 01: 57 Einleitung Anliegen und Gegenstand ‚Nominalstil‘ ist ein weit verbreiteter Begriff. Eine Googlesuche ergibt ak‐ tuell knapp 50.000 Treffer, sie führen uns in Lehr- und Lernkontexte (bspw. „Nominalstil - Verbalstil - Grammatiktraining“), aber auch in den Bereich der Sprachkritik („Nominalstil - die Mutter aller Stilsünden“) und Sprach‐ beratung („Nominalstil vermeiden! So schreiben Sie verständlicher“). No‐ minalstil ist im Grunde genommen ein vorwissenschaftlicher Begriff, der breite Verwendung findet, bislang aber keine systematische linguistische Aufarbeitung erfahren hat. Als Indiz dafür wird hier gewertet, dass es in der grammatischen Bibliographie des Instituts für deutsche Sprache (grammis) kein Suchwort ‚Nominalstil‘ gibt und die Recherche im Onlinesuchsystem der Deutschen Nationalbibliothek nur zwei Treffer zu DaF-bezogenen Pu‐ blikationen mit ‚Nominalstil‘ im Titel liefert (Punkki-Roscher 1995, Järven‐ tausta / Schröder 1997). Und in der Tat bildet die linguistische Auseinan‐ dersetzung mit dem Konzept in keinster Weise den breiten Rekurs auf das Phänomen in der Sprachgemeinschaft ab (eine Ausnahme bildet bspw. Zieg‐ ler 2009). Das bedeutet natürlich nicht, dass es keine breite linguistische Forschung zu Nominalstilmerkmalen gäbe, vielmehr sind die einzelnen Phä‐ nomene, die gemeinhin als nominalstilistisch eingeordnet werden (bspw. Nominalisierung, Komposition, Attribution), durchaus Gegenstand elabo‐ rierter linguistischer Forschung. Aus dieser Einschätzung ergibt sich das Anliegen des vorliegenden Stu‐ dienbuches quasi von selbst. Es besteht in einer linguistischen Aufarbeitung des Konzepts ‚Nominalstil‘ auf der Basis der einschlägigen linguistischen Forschung. Dabei - das sei ausdrücklich betont, um Missverständnissen vorzubeugen - liegt der Schwerpunkt auf der grammatischen Seite des Phä‐ nomens, d. h. auf ‚Nominal-‘. Anliegen des Buches ist es, einen Überblick über das grammatische System des Nominalstils zu bieten. Außen vor bleibt hier also weitestgehend die mit ‚-stil‘ verbundene Verbindung zum Text: Nominalstil ist ein Phänomen bestimmter Kommunikationsbereiche (etwa: Wissenschaftssprache, Rechtssprache, Behördensprache) und Textsorten. Eine systematische Aufarbeitung des Beitrags von Nominalstil zur Textqua‐ 18270_Hennig_Bel.indd 11 18270_Hennig_Bel.indd 11 05.02.2020 11: 01: 57 05.02.2020 11: 01: 57 lität in diesen oder benachbarten Bereichen bleibt folglich anderen Darstel‐ lungen vorbehalten. Die vorgenommenen Analysen zu einschlägigen Text‐ beispielen werden aber möglicherweise trotzdem einen Eindruck des Beitrags von Nominalstil zur Textprofilbildung vermitteln. Der Untertitel des Buches, „Möglichkeiten, Grenzen, Perspektiven“, ist wie folgt zu verstehen: Primäres Ziel ist die Aufarbeitung nominalstilisti‐ scher Möglichkeiten des Ausdrucks von Satzinhalten. Eine zentrale Prämisse besteht dabei darin, dass Inhalte, die auch in Sätzen mit Vollverben ausge‐ drückt werden können, in nominale Strukturen überführbar sind. Die zen‐ trale Frage lautet hier folglich: Wie können die Möglichkeiten der Überfüh‐ rung von Satzinhalten von verbalen in nominale Strukturen charakterisiert werden? Es wird aber auch darum gehen, welche Grenzen der nominalen Ausdrucksseite gesetzt sind. Was kann nicht nominal ausgedrückt werden und woran liegt das? Schließlich sind auch die Perspektiven des Ausbaus nominaler Syntax Gegenstand der Darstellung, also solche Bereiche, in de‐ nen im aktuellen Sprachgebrauch zu beobachten ist, dass bestimmte Arten von Satzinhalten, die eigentlich Sätzen mit Vollverben vorbehalten zu sein scheinen, nominalstilistisch realisiert werden. Zielgruppe Zielgruppe eines Studienbuchs zur germanistischen Linguistik sind zualler‐ erst Studierende der Germanistik. Das Buch ist allerdings nicht als Lehrbuch konzipiert, d. h., es folgt keiner Progression und enthält keine Übungen. Dennoch kann es für das Selbststudium genutzt werden. Empfohlen sei dabei insbesondere eine intensive Auseinandersetzung mit den Beispielanalysen sowie eine Anwendung des Analyseinventars auf selbst gewählte Beispiele. Darüber hinaus richtet sich das Studienbuch an Lehrende der germanisti‐ schen Linguistik, die in ihren Vorlesungen oder Seminaren Nominalstil sys‐ tematisch aufarbeiten oder einzelne nominalstilistische Phänomene bespre‐ chen wollen. Das Buch möchte über die Zielsetzung einer Grundlage für die germa‐ nistische Hochschullehre hinaus aber auch zur weiterführenden linguisti‐ schen Auseinandersetzung mit dem Konzept des Nominalstils anregen. Es richtet sich deshalb durchaus auch - obwohl es keine wissenschaftliche Monographie ist - an Kolleginnen und Kollegen. 12 Einleitung 12 18270_Hennig_Bel.indd 12 18270_Hennig_Bel.indd 12 05.02.2020 11: 01: 57 05.02.2020 11: 01: 57 Aufbau und Nutzung Das Studienbuch entwickelt ein Konzept von Nominalstil. Folglich sind die einzelnen Teile des Buches aufeinander bezogen. Das bedeutet aber nicht, dass das Buch nur linear gelesen werden kann. Folgendes erwartet Sie bei der Lektüre der einzelnen Kapitel: ▸ Im Kapitel „Grundbegriffe“ werden die folgenden grundlegenden Be‐ griffe erarbeitet: Nomen / Substantiv, Nominalisierung, Nominalgruppe, Attribut, Satz, Satzinhalt. Hier wird dasjenige Begriffsverständnis dieser grundlegenden Begriffe entwickelt, das den Ausführungen in den wei‐ teren Kapiteln zugrunde liegt. Das Kapitel kann also als ein Nachschla‐ gewerk bei der Lektüre der weiteren Bausteine des Buches genutzt wer‐ den. Da diese Begriffe für die Arbeit in allen Kapiteln zentral sind, erschien es ratsam, sie in einem eigenständigen Kapitel zusammenzu‐ tragen. ▸ Das Kapitel „Nominalstil - eine erste Annäherung“ bietet einen Ein‐ stieg in die Beschäftigung mit dem Nominalstil. Ausgehend von den Begriffsbestimmungen in zwei einschlägigen linguistischen Lexika werden in einem ersten Schritt die wichtigsten grammatischen Merk‐ male des Nominalstils besprochen. Auf der Basis der Diskussion des qualitativen Beitrags dieser Merkmale zum Nominalstil wird anschlie‐ ßend ein eigenes Begriffsverständnis entwickelt, das Nominalstil als Ergebnis einer Überführung von Satzinhalten in nominale Strukturen begreift. Vor diesem Hintergrund kann die Rolle der einzelnen gram‐ matischen Merkmale neu bewertet werden. Schließlich werden in diesem Kapitel auch die Auswirkungen des Nominalstils auf die syn‐ taktische Ausgestaltung von Sätzen beleuchtet. ▸ Das Kapitel „Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax“ bietet einen Ansatz zur grammatiktheoretischen Verortung des Phä‐ nomens. Zentrale Theoriebausteine sind Cziczas Konzept der struk‐ turellen Domäne (2015), das eine Gegenüberstellung der grundlegen‐ den syntaktischen Funktionsweisen von Satz und Nominalgruppe erlaubt, sowie Welkes Konzept der Valenzvererbung (2011), das als grammatiktheoretischer Rahmen für die Analyse der Überführung von Satzinhalten aus verbalen in nominale Strukturen fungiert. Mit der Übertragung des valenzgrammatischen Konzepts der Satzbau‐ pläne auf die nominale Domäne (= „Nominalgruppenbaupläne“) wird 13 Einleitung 13 18270_Hennig_Bel.indd 13 18270_Hennig_Bel.indd 13 05.02.2020 11: 01: 58 05.02.2020 11: 01: 58 schließlich ein Ansatz für Bestandsaufnahmen zu grundlegenden no‐ minalstilistischen Strukturen vorgeschlagen. ▸ Das Kapitel „nominale Komplexität“ bringt mit ‚Komplexität‘ einen weiteren Erklärungsansatz für Nominalstil ins Spiel: Ein einzelnes Attribut oder eine einzelne Nominalisierung macht noch keinen No‐ minalstil, vielmehr entsteht erst durch die gehäufte Verwendung sol‐ cher grammatischen Merkmale der Eindruck von einem nominalsti‐ listischen Text. Es wird ein Komplexitätsverständnis vorgestellt, mit dem nominale Komplexität analysiert und mit verbaler Komplexität verglichen werden kann. In diesem Kapitel geht es aber auch um die Grenzen des Nominalstils, d. h. darum, was passiert, wenn die nomi‐ nale Komplexität zu stark ausgereizt wird. ▸ Das Kapitel „Ausbau nominaler Syntax“ schließlich bietet mit Verbal‐ komplexen als Partizipialattributen und Verknüpfungen im Bereich der Attribution zwei Beispiele für weiterführende Übertragungen von Satzinhalten auf nominale Strukturen, mit denen sozusagen die Gren‐ zen des nominal Sagbaren weiter ausgelotet werden. Indem auf diese Weise das Spektrum der nominal realisierten Satzinhalte erweitert wird, werden neue Perspektiven für die nominalstilistische Aus‐ drucksweise eröffnet. Zentrales Anliegen des vorliegenden Buches ist eine möglichst verständliche und nachvollziehbare Entwicklung eines Konzepts von Nominalstil. Aus diesem Grunde kann nicht der Anspruch erhoben werden, sämtliche Se‐ kundärliteratur, die sich mit einzelnen Nominalstilphänomenen beschäftigt, zu berücksichtigen bzw. ausführlich zu dokumentieren und zu besprechen. Vielmehr wird in den einzelnen Kapiteln mit zentralen Theoriebausteinen gearbeitet, die möglichst detailliert dargelegt werden, damit sie gewinn‐ bringend für die Entwicklung des Nominalstilverständnisses genutzt wer‐ den können. Ein Studienbuch steht aus Sicht der Autorin vor einem grundsätzlichen Dilemma: Es sollte einerseits ergebnisorientiert sein, um der Zielgruppe ein Handwerkszeug für die Analyse der behandelten Strukturen zur Verfügung zu stellen. Es kann also den eigenen Ansatz nicht in der gleichen Ausführ‐ lichkeit aus einer Diskussion der vorliegenden Forschungsansätze entwi‐ ckeln, wie es in einer wissenschaftlichen Monographie der Fall ist. Ande‐ rerseits wird natürlich auch in einem Studienbuch das Rad nicht neu erfunden, d. h., es profitiert vom wissenschaftlichen Diskurs zum behandel‐ 14 Einleitung 14 18270_Hennig_Bel.indd 14 18270_Hennig_Bel.indd 14 05.02.2020 11: 01: 58 05.02.2020 11: 01: 58 ten Themenfeld. Um einerseits die Einbettung in den Diskurs transparent zu machen und andererseits eine möglichst gute Lesbarkeit zu gewährleis‐ ten, werden hier an einigen Stellen Ausführungen zum Diskurs in geson‐ derte Abschnitte ausgelagert. Diese Abschnitte sind mit dem Hinweis „Dis‐ kurs“ gekennzeichnet und vom Fließtext abgehoben. Sie als Leser oder Leserin können also selbst entscheiden, ob diese Informationen für Sie re‐ levant sind, oder ob Sie diese Textteile überspringen möchten, weil für Sie vordergründig die ergebnisorientierte Entwicklung des Nominalstilverständnisses von Belang ist. Abbildungen, Analysen, Anhang Sowohl für die Entwicklung des Konzepts von ‚Nominalstil‘ als auch für die potentielle Nutzbarkeit des Studienbuches in Lehrkontexten sind die exem‐ plarischen Analysen von zentraler Bedeutung. Das Buch arbeitet insgesamt zwar nur mit wenigen Beispieltexten, die jedoch unter den jeweiligen Ge‐ sichtspunkten ausführlich und detailliert betrachtet werden. Bitte beachten Sie diesbezüglich die folgenden beiden Hinweise: 1. Analysen folgen immer bestimmten Vorannahmen und basieren auf im jeweiligen Kontext getroffenen Festlegungen. Es gibt folglich keine allgemeingültige, einzig richtige Analyse. In diesem Studienbuch wird versucht, die Kriterien und Hintergründe für die Analysen so trans‐ parent wie möglich zu gestalten. Andere Analyseentscheidungen und -wege hätten zu anderen Analyseergebnissen geführt. 2. Die Beziehungen der Bestandteile von Nominalgruppen zueinander können teilweise vielschichtig und komplex sein. Den Möglichkeiten der Darstellung dieser Beziehungen (etwa durch Tabellen oder typo‐ graphische Hervorhebungen) sind Grenzen gesetzt. Um dennoch eine möglichst transparente Analyse zu gewährleisten, bietet ein Anhang kleinschrittige tabellarische Analysen zu solchen Phänomenberei‐ chen, deren detaillierte Darstellung den Fließtext möglicherweise langatmig und wenig prägnant machen würde. Exemplarische Analysen beinhalten nicht immer die Analyse vollständiger Beispieltexte, sondern können sich auch auf einzelne Satz- oder Nominal‐ gruppenbeispiele beziehen. Um die interne Struktur der jeweiligen Sätze und Nominalgruppen nachvollziehbar zu analysieren, wird auf zwei Typen von Darstellungsformaten zurückgegriffen: 15 Einleitung 15 18270_Hennig_Bel.indd 15 18270_Hennig_Bel.indd 15 05.02.2020 11: 01: 58 05.02.2020 11: 01: 58 1. Konstituentenstruktur: Die Konstituentenstrukturanalysen folgen dem Modell von Eisenberg (2013b). 2. Dependenzstruktur: Die Dependenzstrukturanalysen folgen dem Mo‐ dell von Eroms (2000). Beide Typen von Strukturanalysen folgen den jeweiligen Modellen. Das be‐ deutet, dass die Terminologie in den Strukturanalysen nicht den für dieses Studienbuch getroffenen Festlegungen folgt, sondern den Vorgaben von Ei‐ senberg und Eroms. So ist etwa ‚Nomen‘ in den Konstituentenstrukturbäu‐ men à la Eisenberg Oberbegriff für alle deklinierbare Wortarten; in den De‐ pendenzstrukturanalysen à la Eroms hingegen Oberbegriff für das, was hier als Nomen und Substantiv differenziert wird. Dieser Unterschied in der Nutzung des Terminus ‚Nomen‘ illustriert, dass Analysen immer auf Voran‐ nahmen beruhen und dass es unumgänglich ist, Festlegungen zu zentralen Grundbegriffen zu treffen. Dank Ich danke allen, die zum Entstehen dieses Studienbuches beigetragen haben. Für anregende Diskussionen und hilfreiche Kritik danke ich allen voran Dá‐ niel Czicza, aber auch Daniel Holzhacker und Robert Niemann. Nilüfer Cak‐ mak-Niesen danke ich für die kritische Lektüre des gesamten Manuskripts. Das gilt gleichermaßen für Vanessa Langsdorf, der ich darüber hinaus für die Endkorrektur und vor allem für die Erstellung der Abbildungen zu Dank verpflichtet bin. Schließlich möchte ich mich herzlich beim Narr Verlag für die Aufnahme in die Reihe „Narr Studienbücher“ bedanken sowie bei Valeska Lembke für die kompetente Betreuung bis zur Drucklegung. Schauenburg-Hoof, September 2019 16 Einleitung 16 18270_Hennig_Bel.indd 16 18270_Hennig_Bel.indd 16 05.02.2020 11: 01: 58 05.02.2020 11: 01: 58 Grundbegriffe Überblick Das Kapitel verfolgt das Ziel, das dem Studienbuch zugrunde lie‐ gende Verständnis zentraler grammatischer Termini zu erarbeiten. Elementar für eine Auseinandersetzung mit Fragen des Nominalstils sind die Grundbegriffe rund um Nomen / Substantiv und Nomi‐ nalgruppe. Um die Möglichkeit eines Vergleichs von Nominalstil und Verbalstil zu schaffen, wird aber auch ein Verständnis von ‚Satz‘ benötigt sowie Grundbegriffe zur Beschreibung von Satzinhalten. Die vorliegende Darstellung folgt nicht einer bestimmten Grammatiktheo‐ rie. Das bedeutet nicht, dass keine grammatiktheoretischen Vorannahmen getroffen werden (müssen). Einen zentralen Theoriebaustein bilden die Überlegungen zum Zusammenspiel syntaktischer Kategorien, Strukturen und Relationen bei Peter Eisenberg (also das Kapitel „Grundbegriffe“ im Teil „Satz“ seines zweibändigen „Grundriss der deutschen Grammatik“ 2013b). Aber auch die Dependenzsyntax von Hans Werner Eroms (2000) und die Valenzgrammatik von Klaus Welke (2011) bilden einen wichtigen theoreti‐ schen Hintergrund für die Modellierung nominaler Strukturen. Schließlich wird auch auf andere wichtige Grammatiken des Gegenwartsdeutschen - insbesondere die IdS-Grammatik (1997), Dudengrammatik (2016) sowie Ágels „Grammatische Textanalyse“ (2017) - regelmäßig zurückgegriffen. Für die satzsemantische Perspektive ist die Satzsemantik von von Polenz (2008 [1985]) zentral. Nomen / Substantiv In einem Buch zum Nominalstil ist der Begriff des Nomens bzw. Substan‐ tivs natürlich ein Zentralbegriff. „Nomen bzw. Substantiv“ suggeriert einen gewissen Grad an Synonymität. So spricht man in der Dudengrammatik auch einfach von „Substantiven oder Nomen“ (2016: 149) und verwendet 18270_Hennig_Bel.indd 17 18270_Hennig_Bel.indd 17 05.02.2020 11: 01: 58 05.02.2020 11: 01: 58 dann weiterhin den Terminus ‚Substantiv‘. Andere Autoren und Gramma‐ tiken hingegen verwenden die Termini ‚Nomen‘ und ‚Substantiv‘ für be‐ griffliche Unterscheidungen. Diskurs: Nomen oder Substantiv? Eisenberg bezeichnet als Nomen „in Anlehnung an eine traditionelle Re‐ deweise die Wörter des Deutschen, die in Hinsicht auf Kasus flektieren“ (2013b: 14 f). ‚Nomen‘ werden dadurch „kategorial von den Flexionsty‐ pen ohne Kasusmarkierung ab[gegrenzt]“ (Eisenberg 2013b: 17). Eisen‐ berg unterscheidet auf diese Weise zwischen ‚Nomen‘ und ‚Substantiv‘: „Wir werden uns ebenfalls dieses weiten Begriffs von Nomen bedienen und ihn nicht, wie es häufig auch geschieht, synonym mit Substantiv verwenden (s. u.).“ (Eisenberg 2013b: ebd.) Eine völlig andere begriffliche Differenzierung nimmt die IdS-Grammatik vor: „Die prototypische Funktion des SUBSTANTIVS besteht in seinem zentralen Beitrag zum Ausdruck von Argumenten, während die pro‐ totypische Funktion von Verben der Ausdruck des Prädikats ist. […] Hingegen nennen wir ‚Nomen‘ (N) den Kopf einer ‚Nominalphrase‘ (NP), sei er durch ein Substantiv oder Adjektiv ( die Kleinen ) gebildet oder die Nominalisierung eines Elements einer anderen Klasse, insbe‐ sondere eines Verbs ( das Singen ), aber auch eines Adverbs ( das Heute ), eines Subjunktors bzw. Konjunktors ( kein Wenn und kein Aber ) oder einer Interjektion ( das Ach und Weh ) usw.“ (IdS-Grammatik 1997: 28) In der IdS-Grammatik wird folglich ein syntaktischer Begriff ‚Nomen‘ von einem lexikalisch-funktionalen Begriff ‚Substantiv‘ abgegrenzt. Auf diese Weise kann unterschieden werden zwischen solchen Sprach‐ zeichen, die als Substantive Bestandteil des Lexikons sind und solchen, die erst im syntaktischen Kontext nominale Eigenschaften annehmen. Als ein Unterscheidungsmerkmal kann das feste Genus des Substan‐ tivs angesehen werden (IdS-Grammatik ebd.; Dudengrammatik 2016: 149). Eisenberg verwendet dafür den Begriff der Wortkategorie: „Jedes substantivische Paradigma und damit jedes substantivische le‐ xikalische Wort gehört also einem grammatischen Geschlecht an und umgekehrt kann man sagen, dass die Genera eine Klassifizierung der Substantive als lexikalische Wörter abgeben.“ (Eisenberg 2013b: 19) Wortkategorien sind keine Flexionskategorien und so ist das Genus am Substantiv - als lexikalischem Wort - fest. Natürlich ist auch bei Nomen (im syntaktischen Sinne) das Genus nicht beliebig. Die Ge‐ 18 Grundbegriffe 18 18270_Hennig_Bel.indd 18 18270_Hennig_Bel.indd 18 05.02.2020 11: 01: 58 05.02.2020 11: 01: 58 nuszuweisung folgt aber den allgemeinen Regeln der Derivation und Konversion (siehe Fleischer / Barz 2007: 146 ff.): Bspw. sind Verbalabstrakta auf -ung und Adjektivabstrakta auf -keit feminin ( die Wande‐ rung, die Besichtigung, die Enteignung, die Heiterkeit, die Tätigkeit ), die morphologische Konversion aus einem Verb maskulin ( der Lauf, der Schlaf ) und die syntaktische Konversion neutral ( das Laufen, das Schla‐ fen, das Wandern ). Das Genus ist hier also morphosyntaktisch indiziert und nicht - wie es bei lexikalischen Substantiven häufig der Fall ist - arbiträr ( das Pferd, die Katze, der Hund ). Die Entscheidung für ein Begriffsverständnis sollte immer in Abhängigkeit davon getroffen werden, was der Kontext und der Zweck der Verwendung des Begriffs ist. Für unsere Überlegungen zum Nominalstil erscheint es mir sinnvoll, eine begriffliche Unterscheidung zwischen ‚Nomen‘ und ‚Substan‐ tiv‘ vorzunehmen, mit der wir den Unterschied erfassen können zwischen solchen Lexemen, die im Wörterbuch bzw. in unserem mentalen Lexikon als Substantive gespeichert sind, und solchen, die eigentlich einer anderen Lexemklasse angehören und erst durch die Verwendung als Kern einer No‐ minalgruppe nominale Eigenschaften annehmen. Substantiv Ein S UB S TANTIV ist eine Lexemklasse (Wortart). Die Zuordnung eines Lexems zur Klasse der Substantive ist nicht abhängig von der syntakti‐ schen Umgebung. Es handelt sich um die Wortartzuordnung, die dem jeweiligen Lexem in einem Wörterbuch zugeordnet wird. Substantive haben ein festes Genus, das in vielen Fällen (außer bei einigen Perso‐ nenbezeichnungen) arbiträr ist ( das Pferd, die Katze, der Hund ). Nomen Ein N OMEN ist ein Kern einer Nominalgruppe. Als Nomen können sowohl Substantive ( das alte Auto, die Hochzeitsfeier) und Pronomen (wir beide, manches davon ) fungieren als auch Nominalisierungen von Lexemen anderer Lexemklassen ( das Ich, das Wenn und Aber, die Durchführung der Untersuchung). Das Genus eines nominalisierten Nomens hängt vom Wortbildungstyp ab (bspw. Infinitivkonversion = 19 Grundbegriffe 19 18270_Hennig_Bel.indd 19 18270_Hennig_Bel.indd 19 05.02.2020 11: 01: 58 05.02.2020 11: 01: 58 neutrum: das Zittern und Bangen; deverbale Derivation mit ung = femininum: die Wanderung). Wichtig erscheint an dieser Stelle noch der Hinweis darauf, dass ‚Substantiv‘ und ‚Nomen‘ ja auch Bestandteile von fachwissenschaftlichen Komposita bzw. Ableitungen sein können: Nominalstil, Nominalgruppe und Nomina‐ lisierung vs. Substantivstil, Substantivgruppe und Substantivierung. Auf der Basis der soeben eingeführten begrifflichen Unterscheidung zwischen Sub‐ stantiv und Nomen legen wir uns hier auf die Termini Nominalstil, No‐ minalgruppe und Nominalisierung fest. Mit von Polenz lässt sich diese Entscheidung darüber hinaus wie folgt begründen: „Der sog. ‚Substantivstil‘ ist eigentlich ein Nominalisierungsstil oder Nominalgruppenstil als haupt‐ sächliche Ausprägung des komprimierten / verdichteten / kondensierten Ausdrucks.“ (von Polenz 2008: 42) Wenn Autoren zitiert werden, die die Ter‐ mini Substantivstil, Substantivgruppe und / oder Substantivierung verwen‐ den, wird ihre jeweilige Redeweise beibehalten. Die Verwendungen der ge‐ nannten Termini werden dann mit einem Hinweis auf die jeweilige Quelle versehen. Nominalisierung Die Unterscheidung zwischen Substantiven und Nomen haben wir deshalb vorgenommen, weil für die Auseinandersetzung mit dem Nominalstil gerade die Nomen interessant sind: Der Eindruck, dass ein Text im Nominalstil verfasst ist, entsteht nicht einfach dadurch, dass viele Substantive verwendet werden, sondern in der Regel erst, wenn es sich um Nomen - meist dead‐ jektivische oder deverbale Nominalisierungen - handelt: (1) Die SPD wäre gut beraten, die Sache genau zu studieren, manches davon könnte ihr in den kommenden Gesprächen zur Anbahnung einer Sondie‐ rung zur Herbeiführung von Koalitionsverhandlungen zur Ermöglichung einer schwarz-roten Regierung wieder begegnen. (Die ZEIT, 30.11.2017) (2) Bis jetzt konnte also von Elektrizität gar keine Rede sein, und der Wagen‐ führer hatte nicht das geringste mit irgendwelchen Kurbeln und Hebeln zu tun, sondern er hielt in der linken Hand die Zügel und in der rechten die Peitsche. (Erich Kästner: Emil und die Detektive) 20 Grundbegriffe 20 18270_Hennig_Bel.indd 20 18270_Hennig_Bel.indd 20 05.02.2020 11: 01: 58 05.02.2020 11: 01: 58 Beispiel (1) enthält 33 Wortformen, davon zehn Nomen (die drei Substantive SPD, Sache, Gespräch, das Pronomen manches sowie die sechs deverbalen Nominalisierungen Anbahnung, Sondierung, Herbeiführung, Koalitionsver‐ handlung, Ermöglichung, Regierung ). Der Anteil der Nomen beträgt also 30,3%. In Beispiel (2) kommen neun Nomen auf 39 Wörter. Die meisten der neun Nomen sind gleichzeitig auch Substantive; der Wagenführer bspw. ist zwar ein deverbales Nomen ( einen Wagen führen → der Wagenführer ), de‐ verbale Personenbezeichnungen wie diese gelten aber (wahrscheinlich auf‐ grund ihrer starken Lexikalisierung) nicht zwingend als Nominalstilphäno‐ men ( der Lehrer, die Verkäuferin ). Der Anteil der Nomen in Beispiel (2) ist mit 23,08% zwar etwas niedriger als in Beispiel (1), der Abstand ist aber nicht so groß, wie man aufgrund der ganz unterschiedlichen Wirkung der Bei‐ spiele erwarten könnte. Der Eindruck, dass es sich bei Beispiel (1) um einen nominalstilistischen Satz handelt, entsteht folglich stärker auf der Basis der Qualität der Nomen als allein aufgrund ihrer Quantität. Dabei ist es sicher‐ lich kein Zufall, dass alle sechs Nominalisierungen in Beispiel (1) deverbale Nominalisierungen sind. Die zahlreichen Möglichkeiten, durch Derivation oder Konversion Le‐ xeme aus einer anderen Lexemklasse in die nominale Domäne zu überfüh‐ ren, ist also offenbar eine wichtige Grundlage für den Ausbau des nominalen Stils: Nominalisierungen sind sozusagen das Herzstück des Nominalstils. Werfen wir also einen genaueren Blick auf den Begriff der Nominalisierung: Diskurs: ‚Nominalisierung‘ als morphologischer und syntaktischer Begriff Wie so viele andere Termini wird auch dieser unterschiedlich ge‐ braucht. In der Dudengrammatik bspw. wird der Terminus ‚Substan‐ tivierung‘ nur für die Bildung von Substantiven durch Konversion ( langes Anstehen, die Neuen ) verwendet (2016: 678 f., 809); Eisenberg hingegen benutzt ihn sowohl für die Bildung von Substantiven durch Konversion als auch durch Affigierung (2013a: 280). Der Terminus ‚Nominalisierung‘ wird in der Fachliteratur etwa von Ehrich (1991) und Lübbe / Trott (2017) für deverbale Nomenbildungen verwendet. Deverbale Nominalisierungen werden traditionell ‚Verbalabstrakta‘ genannt. Für Nominalstilfragen relevant sind aber auch sogenannte ‚Adjektivabstrakta‘, die durch Affigierung mit Suffixen wie heit oder keit gebildet werden ( Beschaffenheit, Heiterkeit ). 21 Grundbegriffe 21 18270_Hennig_Bel.indd 21 18270_Hennig_Bel.indd 21 05.02.2020 11: 01: 58 05.02.2020 11: 01: 58 Bei ‚Nominalisierung‘ geht es aber nicht nur um die morphologischen Prozesse der Bildung von Nomen aus Lexemen anderer Wortklassen, sondern auch um die syntaktischen Konsequenzen der Verwendung der Nominalisierungsprodukte als Nomen (vgl. Welke 2011: 250 ff.). Man kann folglich zwischen einer morphologischen und einer syn‐ taktischen Perspektive auf den Begriff ‚Nominalisierung‘ unterschei‐ den. Für Analysen zum Beitrag von Nominalisierungen zum Nomi‐ nalstil ist vor allem ihr syntaktisches Verhalten relevant. Zentral für die „Substantivität“ (Eisenberg 2013a: 328) ist: „Die Verwendung des Substantivs innerhalb der NGr ist bestimmt durch seine Funktion als Kern (nuk).“ (Eisenberg 2013a: 329) Auch in der Dudengrammatik heißt es: „Substantive bilden den Kern von Nominalphrasen.“ (2016: 149) Nominalisierung Mit dem Terminus N OMINALI S IE R UNG bezeichnen wir den Prozess der Überführung eines Lexems einer nicht-substantivischen Lexemklasse in die nominale Domäne. Aus morphologischer Perspektive bezeichnet ‚Nominalisierung‘ den Wortbildungsprozess, der diesem Lexemklassen‐ wechsel zugrunde liegt (Derivation die Wanderung , Konversion das Wandern ). Der Lexemklassenwechsel führt zu einer Veränderung der syntaktischen Eigenschaften: Das Nomen als Produkt der Nomina‐ lisierung ist Kern einer Nominalgruppe. Die Begriffsbestimmung kann prinzipiell auf alle Arten der Nominalisierung angewendet werden und ist also unabhängig davon, aus welcher Lexem‐ klasse das nominalisierte Nomen stammt. Für die Beschäftigung mit dem Nominalstil in diesem Studienbuch sind deverbale Nominalisierungen von besonderem Interesse. Deshalb seien hier die morphologischen Möglichkei‐ ten der deverbalen Nominalisierung mit Welke (2011: 256) explizit aufge‐ führt: Im Deutschen gibt es unterschiedliche Arten der deverbalen Ableitung: explizite Derivation mit dem Suffix ung [a] und dem Suffix e [b], implizite Derivation [c], Stammkonversion [d], Infinitivkonversion [e]. a. verwandeln - Verwandlung b. bitten - Bitte, liegen - Liege 22 Grundbegriffe 22 18270_Hennig_Bel.indd 22 18270_Hennig_Bel.indd 22 05.02.2020 11: 01: 59 05.02.2020 11: 01: 59 c. springen - Sprung, stehen - Stand d. laufen - Lauf e. verlangen - das Verlangen Für deverbale Nominalisierungen verwenden wir in diesem Studienbuch häufig die gängige Bezeichnung ‚Verbalabstraktum‘. Parallel dazu kann eine deadjektivische Nominalisierung als ‚Adjektivabstraktum‘ bezeichnet wer‐ den. An dieser Stelle sei noch darauf hingewiesen, dass im Sinne der hier er‐ folgten Begriffsbestimmung und des mit diesem Studienbuch verfolgten Anliegens diejenigen Nominalisierungen von Interesse sind, die sinnvoll auf eine verbale Struktur zurückgeführt werden können. Das ist dann nicht der Fall, wenn sich das Produkt der Nominalisierung durch Lexikalisierung vom Geberlexem zu weit entfernt hat. Die Übergänge sind natürlich fließend. Als Beispiel sei hier das deadjektivische Nomen Allgemeinheit genannt: Formal ist das Nomen als deadjektivische Nominalisierung an der expliziten Deri‐ vation mit heit gut erkennbar. Eine Rückführung auf einen Satz wie X ist allgemein ergibt hier aber keinen Sinn, weil sich die Bedeutung des Derivats von diesem Ursprung entfernt hat (vgl. Duden Universalwörterbuch: Öf‐ fentlichkeit, Gesamtheit, alle ). Um auf einen in diesem Sinne engeren Begriff von Nominalisierung zu verweisen, wird in diesem Studienbuch an den ent‐ sprechenden Stellen auch von ‚satzwertiger Nominalisierung‘ gesprochen. Nominalgruppe Bei der Begriffsbestimmung von Nomen und Nominalisierung haben wir bereits auf den Begriff der Nominalgruppe zurückgegriffen. Mit dem Hin‐ weis auf die Einschätzung von von Polenz, dass mit ‚Nominalstil‘ eigentlich ‚Nominalgruppenstil‘ gemeint sei, ist bereits deutlich geworden, dass es sich bei ‚Nominalgruppe‘ um einen Zentralterminus für die Beschäftigung mit Nominalstil handelt. Diskurs: Nominalgruppe oder Nominalphrase? Wie auch andere hier diskutierte Terminologiepaare sind ‚Nominal‐ phrase‘ und ‚Nominalgruppe‘ keineswegs synonym. Häufig geht es bei der Entscheidung für einen der beiden Termini um die Verortung in einem grammatiktheoretischen Kontext. So ist ‚Nominalphrase‘ bspw. ein fester Grundbegriff der Generativen Grammatik. Alternativ dazu kann auch zwischen ‚Gruppe‘ als losere Verbindung und ‚Phrase‘ als 23 Grundbegriffe 23 18270_Hennig_Bel.indd 23 18270_Hennig_Bel.indd 23 05.02.2020 11: 01: 59 05.02.2020 11: 01: 59 grammatikalisierte Verbindung mit festen phrasenstrukturellen Ei‐ genschaften unterschieden werden (vgl. Eroms 2016). Gerade für die Beschäftigung mit Grammatikalisierung ist diese Unterscheidung hilf‐ reich, weil mit ihr die Entwicklung von einer loseren Verbindung hin zu einer Struktur mit festen Phraseneigenschaften eingefangen wer‐ den kann (vgl. Eroms 2016). Eine solche diachrone Perspektive nimmt das vorliegende Studienbuch aber nicht ein. Da bei der Modellierung syntaktischer Grundstrukturen hier vordergründig auf Eisenbergs Grammatik zurückgegriffen wird, verwenden wir in Anlehnung an Eisenberg den Terminus ‚Nominalgruppe‘. Für eine Annäherung an den Begriff der Nominalgruppe ist zweierlei rele‐ vant: ihre interne Struktur sowie ihre syntaktische Funktion. Für die Erfas‐ sung der internen Struktur von Nominalgruppen greifen wir hier auf den Begriff des ‚Wortgruppenglieds‘ von Ágel (2017: 20 ff.; 691 ff.) zurück. Dabei handelt es sich um einen Terminus, der gezielt eine Analogie zum Terminus ‚Satzglied‘ herstellt: Satzglieder sind satzgrammatische Funktionen von grammatischen Formen, Wortgruppenglieder sind wortgruppengrammati‐ sche Funktionen von grammatischen Formen (Ágel 2017: 23). Hinter dieser Analogie steckt die folgende Grundidee: Wenn etwas (in unserem Fall: eine grammatische Form) Bestandteil einer größeren Einheit (in unserem Fall: eines Satzes oder einer Wortgruppe) ist, dann muss es eine Funktion in Bezug auf diese größere Einheit haben. Salopp formuliert: Es gibt keine Aliens in Sätzen oder Wortgruppen. Diesen wichtigen Kerngedanken wollen wir hier in Bezug auf die Glieder von Nominalgruppen weiter verfolgen. Als Nomi‐ nalgruppenglieder betrachten wir hier Kerne (Nomen), Köpfe (Artikel) und Attribute. Da ‚Attribut‘ ein Zentralbegriff für die Beschäftigung mit Nomi‐ nalstil ist, widmen wir diesem Wortgruppenglied einen eigenen Abschnitt. Diskurs: Köpfe und Kerne Es ist bereits deutlich geworden, dass das Nomen eine zentrale Funk‐ tion in der Nominalgruppe übernimmt. Diese zentrale Funktion wird in manchen Darstellungen mit dem Terminus ‚Kopf ‘ und in anderen mit dem Terminus ‚Kern‘ erfasst. So bezeichnet die IdS-Grammatik das „strukturelle und funktionale Zentrum einer Wortgruppe“ als Kopf (1997: 72). Das ist in Bezug auf die Nominalgruppe nicht unproblema‐ tisch, weil das Nomen nicht gleichzeitig strukturelles und funktionales Zentrum ist. Es ist vielmehr „nur“ das lexikalische Zentrum (Eisenberg 24 Grundbegriffe 24 18270_Hennig_Bel.indd 24 18270_Hennig_Bel.indd 24 05.02.2020 11: 01: 59 05.02.2020 11: 01: 59 2013b: 53; Ágel 2017: 698). Die Rede von einem lexikalischen Zentrum ergibt Sinn, wenn man diesen Begriff vom Artikel als grammatischem Zentrum der Nominalgruppe abgrenzt (Eisenberg u. Ágel ebd.). Der Artikel wird in dieser Tradition als ‚Kopf ‘ bezeichnet. Diese Verwen‐ dung des Terminus ‚Kopf ‘ ist also nicht identisch mit der Verwendung des Terminus ‚Kopf ‘ in der IdS-Grammatik. Mit der Unterscheidung von Köpfen und Kernen knüpft Eisenberg an die syntaktischen Grund‐ überlegungen von Oliver Teuber (2005) an (die dieser seiner Disserta‐ tion zu analytischen Verbformen als Begriffsapparat voranstellt). Köpfe und Kerne werden bei Teuber und Eisenberg ebenso wie die klassischen Satzgliedbegriffe als syntaktische Relationen erfasst. An diese Tradition knüpft auch Ágel an (2017), der - wie bereits ausge‐ führt - für die syntaktischen Relationen in der Wortgruppe in Analo‐ gie zu den syntaktischen Relationen im Satz den Terminus ‚Wortgrup‐ penglied‘ einführt. Die Dudengrammatik verwendet ebenso wie Eisenberg den Terminus ‚Kern‘ für das Nomen in einer Nominalgruppe (dort aber Nominalphrase). Für die Funktion des Artikels verwendet Peter Gallmann, der Autor des Satzkapitels in der Dudengrammatik, keinen gesonderten Terminus. Auf sein Konzept des Hauptmerkmalträgers werden wir unten genauer eingehen. Es erweist sich als wichtig, die Wortgruppenfunktion des Nomens von der Wortgruppenfunktion des Artikels abzugrenzen. Was mit der Redeweise vom Artikel als grammatisches Zentrum gemeint ist, sollen die folgenden Beispiele illustrieren: Maskulinum (stark) Maskulinum (schwach) Femininum Nominativ der Mann die Män‐ ner der Automat die Automaten die Frau die Frauen Genitiv des Mannes der Män‐ ner des Automaten der Automaten der Frau der Frauen Dativ dem Mann den Män‐ nern dem Automaten den Automaten der Frau der Frauen Akkusativ den Mann die Män‐ ner den Automaten die Automaten die Frau die Frauen Tab. 1: Exemplarische Paradigmen deutscher Substantive 25 Grundbegriffe 25 18270_Hennig_Bel.indd 25 18270_Hennig_Bel.indd 25 05.02.2020 11: 01: 59 05.02.2020 11: 01: 59 Die Beispiele zeigen, dass die grammatischen Kategorien der Nominalgruppe (Genus, Kasus, Numerus) am Artikel deutlich häufiger sichtbar werden als am Substantiv: Das starke Maskulinum Mann hat im Singular nur im Genitiv eine eindeutige Kasusendung, sie ist allerdings mit der Endung des Artikels iden‐ tisch und dadurch redundant. Im Plural lässt sich nur der Dativ von den ande‐ ren Kasus unterscheiden. Beim schwachen Maskulinum Automat ist nur der Nominativ Singular von den anderen Kasus unterscheidbar, alle anderen Ka‐ sus im Singular sowie alle Kasus im Plural tragen die schwache Endung en. Beim Femininum Frau schließlich sind nur Singular und Plural unterscheid‐ bar. Für die Maskulina bietet der Artikel im Singular unterschiedliche Formen für alle vier Positionen im Paradigma, im Plural sind immerhin nur Nominativ und Akkusativ synkretistisch, also mehrdeutig. In Bezug auf die Funktion der Kennzeichnung der nominalen Kategorien durch den Artikel spricht Gallmann in der Dudengrammatik von einem ‚Hauptmerkmalträger‘ (2016: 955). Das muss nicht unbedingt ein Artikel sein, auch ein stark dekliniertes Adjektiv kann diese Funktion übernehmen, wenn kein Artikel mit entsprechender Endung vorhanden ist: D-er starke schwarze Kaffee hilft da sicher. Dies-er starke schwarze Kaffee hilft da sicher. Mein stark-er schwarz-er Kaffee hilft da sicher. Ein stark-er schwarz-er Kaffee hilft da sicher. Stark-er schwarz-er Kaffee hilft da sicher. (Dudengrammatik 2016: 956) In der Terminologie von Eisenberg ist der Hauptmerkmalträger Kopf einer Nominalgruppe. Die Konsequenz dieser Auffassung ist im Grunde genom‐ men, dass auch die Flexionsendung eines stark deklinierten Adjektivs Kopf‐ funktion übernimmt. Meist werden aber nur Artikel als Köpfe betrachtet. Wir werden es in diesem Studienbuch aus Gründen der Überschaubarkeit auch bei diesem kurzen Hinweis auf die Kopffunktion der Flexive stark de‐ klinierter Adjektive belassen. Die Adjektive stark und schwarz sind in den Beispielen darüber hinaus als Wortgruppenglieder auch Attribute. Der At‐ tributstatus ist dabei unabhängig davon, ob ein Adjektiv stark oder schwach dekliniert ist, ob es also gleichzeitig Hauptmerkmalträger ist oder ob ein Artikel als Hauptmerkmalträger fungiert. 26 Grundbegriffe 26 18270_Hennig_Bel.indd 26 18270_Hennig_Bel.indd 26 05.02.2020 11: 01: 59 05.02.2020 11: 01: 59 Als zweites Standbein der Annäherung an den Begriff der Nominalgruppe wurde eingangs ihre syntaktische Funktion benannt. Nominalgruppen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie im Satz eine Satzgliedfunktion überneh‐ men können: (3) Der verliebte Paul will der glücklichen Paula rote Rosen schenken. Dieser Satz enthält drei Nominalgruppen: der verliebte Paul, der glücklichen Paula und rote Rosen. Alle drei Nominalgruppen sind Satzglieder in diesem Satz: Der verliebte Paul ist Subjekt, der glücklichen Paula ist Dativobjekt und rote Rosen ist Akkusativobjekt. In der Grammatik von Eisenberg sind No‐ minalgruppen deshalb Konstituentenkategorien. Das bedeutet, dass sie un‐ mittelbare Bestandteile des Satzes sind. Das lässt sich in Anlehnung an Ei‐ senberg wie folgt abbilden: S V hd V V NGr N N N NGr N NGr N N N Der verliebte Paul will der glücklichen Paula rote Rosen schenken subj N dirobj dirobj präd hd nuk hd nuk attr attr attr nuk nuk Abb. 1: Nominalgruppen als Satzkonstituenten Wichtig ist dabei aber: Als Konstituentenkategorien in Bezug auf Sätze kommen nicht nur Nominalgruppen in Frage, sondern beispielsweise auch Präpositionalgruppen und Nebensätze. Umgekehrt können auch Nominalgruppen nicht nur als Konstituenten von Sätzen fungieren. Sie können auch Konstituenten von Präpositional‐ gruppen sein: (4) Der verliebte Paul wartet hinter der Mauer auf die glückliche Paula. Er überrascht sie mit roten Rosen. 27 Grundbegriffe 27 18270_Hennig_Bel.indd 27 18270_Hennig_Bel.indd 27 05.02.2020 11: 01: 59 05.02.2020 11: 01: 59 Im Gegensatz zu Beispiel (3) ist hier die glückliche Paula nicht unmittelbare Konstituente des Satzes und folglich auch kein Satzglied, sondern Konsti‐ tuente der Präpositionalgruppe. Bei Eisenberg ist sie der Kern der Präposi‐ tionalgruppe (die Präposition ist der Kopf). Die Präpositionalgruppe ist hier die Konstituente des Satzes und ein Satzglied (Präpositionalobjekt). Das Gleiche gilt für roten Rosen : Auch diese Nominalgruppe ist Konstituente ei‐ ner Präpositionalgruppe ( mit roten Rosen ), ebenso wie die Nominalgruppe der Mauer Konstituente der Präpositionalgruppe hinter der Mauer ist. S V PrGr Pr PrGr N NGr N N N Der verliebte Paul wartet hinter glückliche Paula subj N advang probj präd hd nuk hd nuk attr attr nuk NGr N N der Mauer Pr auf N die NGr hd nuk nuk hd hd Abb. 2: Nominalgruppen als Konstituenten von Präpositionalgruppen Schließlich können Nominalgruppen auch Konstituenten von Nominal‐ gruppen sein: (5) die erste Durchsteigung der Nordwand der großen Zinne auf der Direttis‐ sima im Winter 1989 durch Kurt Albert und Gefährten im Rotpunkt-Stil (IdS-Grammatik 1997: 1927) Mit diesem Beispiel illustrieren die Autoren der IdS-Grammatik, dass eine Nominalgruppe sehr komplex sein kann. Es handelt sich zunächst insgesamt um eine Nominalgruppe, weil sie als Konstituente eines Satzes fungieren kann: (6) Die erste Durchsteigung der Nordwand der großen Zinne auf der Direttis‐ sima im Winter 1989 durch Kurt Albert und Gefährten im Rotpunkt-Stil war eine Sensation. 28 Grundbegriffe 28 18270_Hennig_Bel.indd 28 18270_Hennig_Bel.indd 28 05.02.2020 11: 01: 59 05.02.2020 11: 01: 59 Die Nominalgruppe fungiert in diesem Satz als Subjekt. Da, wie wir gerade diskutiert haben, Nominalgruppen auch Konstituenten von Nominalgrup‐ pen sein können, ist es hilfreich, einen Terminus zu haben, mit dem wir solche komplexen Nominalgruppen wie (5) benennen können. In Anleh‐ nung an Mertzlufft (2013: 230) nennen wir Nominalgruppen, die Konstitu‐ enten von Sätzen sind und eine Satzgliedfunktion übernehmen, in diesem Studienbuch „maximale Nominalgruppen“. Die Nominalgruppe mit dem de‐ verbalen Kern Durchsteigung ist deshalb so komplex, weil sie weitere No‐ minal- und Präpositionalgruppen als Attribute enthält. Die Attributstruktur schauen wir uns im Abschnitt zu Attributen näher an. An dem Beispiel haben wir nachvollzogen, dass eine Nominalgruppe sehr umfangreich sein kann. Was ist aber die untere Grenze für die Annahme einer Nominalgruppe, d. h., was muss minimal vorhanden sein, damit von einer Nominalgruppe ausgegangen werden kann? Diskurs: Gibt es eingliedrige Nominalgruppen? Die Grundsatzfrage lautet: Wieviele Elemente sind notwendig, damit man von einer Gruppe sprechen kann? Mit dieser Frage gehen die Grammatiken unterschiedlich um. Die Dudengrammatik und die IdS-Grammatik sprechen auch bei einzelnen Substantiven von Nomi‐ nalphrasen: Kühe fressen Gras (Dudengrammatik 2016: 808); Julia weint (IdS-Grammatik 1997: 1928). In der IdS-Grammatik spricht man hier von ‚Einwort-Nominalphrasen‘. Eisenberg hingegen unterschei‐ det als Konstituentenkategorien Nomen und Nominalgruppen und benennt als Bedingung für eine Nominalgruppe, dass diese mindestens zwei Nomina (im Sinne des Begriffsverständnisses: deklinierbare Wör‐ ter) enthalte (2013b: 22). Nach diesem Verständnis wären im Beispiel Paul liebt Paula zwei Nomen Konstituenten des Satzes, im Beispiel der junge Paul liebt die alte Paula zwei Nominalgruppen. Wir müssen hier nicht unbedingt eine Festlegung bezüglich der Frage treffen, ob auch einzelne Nomen als Nominalgruppen zu betrachten sind. Für eine Be‐ schäftigung mit dem Nominalstil sind allerdings einzelne Nomen als Satzkonstituenten nicht besonders interessant. Für den Nominalstil sind vielmehr komplexe Nominalgruppen konstitutiv. 29 Grundbegriffe 29 18270_Hennig_Bel.indd 29 18270_Hennig_Bel.indd 29 05.02.2020 11: 01: 59 05.02.2020 11: 01: 59 Nominalgruppe Eine N OMINALG RU P P E ist eine Wortgruppe, die ein Nomen als Kern (lexikalisches Zentrum) enthält. Eine Nominalgruppe enthält maximal je einen Kern und einen Kopf (grammatisches Zentrum; in der Regel ein Artikel). Hingegen kann eine Nominalgruppe durch beliebig viele Attribute erweitert werden. Nominalgruppen können Konstituenten von Sätzen sein, also Satzgliedfunktion übernehmen. Sie können aber auch Konstituenten von Präpositionalgruppen sein (sie fungieren dann als Kerne) oder Konstituenten von Nominalgruppen (hier fungieren sie als Attribute). Das Vorhandensein eines Kerns ist die Grundbedingung für eine Nominal‐ gruppe. Diese Bedingung kann allenfalls durch Koordinationsellipsen aus‐ gehebelt werden: (7) Die neue Freundin von Paul ist hübscher als die alte. An der Oberfläche besteht die Nominalgruppe die alte nur aus Kopf und Adjektivattribut; Freundin ist sozusagen als Kern mitzudenken. Wichtig ist, dass eine Nominalgruppe nur einen Kern hat. Dabei können aber mehrere Nomen zu einem komplexen Kern koordiniert werden: (8) Die Eltern und Kinder besuchen den Zoo. Attribut Attribute spielen eine zentrale Rolle bei der Konstitution von Nominalstil, weil sie zum Ausbau der Nominalgruppen und somit auch zum Aufbau no‐ minalstilistischer Komplexität beitragen. Laut Ágel ist „[a]lles, was in einer Wortgruppe nicht Kern und nicht Kopf ist, […] syntaktisch abhängige, le‐ xikalische Spezifizierung / Modifikation des Kerns. Diese Spezifizierungen / Modifikationen werden traditionell […] Attribut genannt.“ (2017: 698) Bevor wir uns mit Beispielanalysen der Frage nähern, was für Typen von Attribu‐ ten es gibt und welche Rolle Attribute beim Ausbau des Nominalstils spielen, sei auch hier wieder ein kurzer Blick in die Diskussion um den Attributbe‐ griff in der Forschung geworfen. 30 Grundbegriffe 30 18270_Hennig_Bel.indd 30 18270_Hennig_Bel.indd 30 05.02.2020 11: 02: 00 05.02.2020 11: 02: 00 Diskurs: Was ist ein Attribut? Der Begriff des Attributs gehört wie auch der Satzgliedbegriff zu den zentralen Konzepten der Schulgrammatik. Eine genauere theoretische Betrachtung zeigt jedoch, dass die Antwort auf die Frage, was ein Attri‐ but ist, alles andere als trivial ist. Die hier bereits getroffene Unterschei‐ dung zwischen Attribut, Kopf und Kern als verschiedene Typen von Wortgruppengliedern bietet bereits eine wichtige Eingrenzung des Attri‐ butbegriffs. Hingegen kam es in der Diskussion um den Attributbegriff im 20. Jahrhundert zeitweise auch zu einer Gleichsetzung von Attribut und Gliedteil. Der Terminus ‚Gliedteil‘ wurde von Glinz (1968 [1952]) in die germanistische Linguistik eingeführt; im Grunde genommen war sein Verständnis vergleichbar mit dem, was wir hier Wortgruppenglied nen‐ nen (1968: 489). In der Folge ist teilweise ‚Attribut‘ mit ‚Gliedteil‘ gleich‐ gesetzt und auch auf Artikel ausgedehnt worden (Fuhrhop/ Thieroff 2005: 313). Diese Entwicklung kann man sehr gut an der Dudengrammatik nachvollziehen: In der vierten Auflage (1984: 592) wurden auch die Arti‐ kel den Attributen zugeordnet. In der aktuellen achten Auflage (2016) ist der Possessivartikel nach wie vor Attribut, weil dieser auch als Aktant (= Ergänzung) fungieren kann (vgl. Sie lacht → ihr Lachen ). Eine weitere zentrale Frage der Attributdiskussion ist die, auf was sich Attribute beziehen können und was als Attribut in Frage kommt. Einen hervorragenden Überblick über diese Frage bietet der Aufsatz „Was ist ein Attribut? “ von Fuhrhop / Thieroff (2005). Wir können dem entneh‐ men, dass gegenüber der traditionellen Auffassung, Substantive seien die Bezugselemente von Attributen, nach heutigem Verständnis im Grunde fast jede Wortart Attribute an sich binden kann (bspw. Ad‐ jektiv: der sehr begabte Schüler , Pronomen: Ich Idiot, Subjunktor: Kurz bevor er einschlief …; das Attribut ist jeweils fett markiert). Es liegt nahe, dass für unsere Beschäftigung mit Nominalstil nach wie vor das Substantiv / Nomen der zentrale Bezugsbereich von Attributen ist; allerdings können auch durch Attribute erweiterte Adjektive bzw. ad‐ jektivisch verwendete Partizipien stark zum Ausbau von Nominal‐ gruppen beitragen. Eine zentrale Rolle in der Attributdiskussion spielt auch die Unter‐ scheidung zwischen Komplementen und Supplementen, also valenz‐ gebundenen und nicht valenzgebundenen Attributen (Fuhrhop / Thie‐ roff 2005: 325). Das ist für unsere Thematik insofern relevant, als deverbale Nominalisierungen häufig auch Ergänzungen als Attribute 31 Grundbegriffe 31 18270_Hennig_Bel.indd 31 18270_Hennig_Bel.indd 31 05.02.2020 11: 02: 00 05.02.2020 11: 02: 00 an sich binden, die zur Valenzpotenz des zugrunde liegenden Verbs in einem Satz gehören (bspw. Wir hoffen auf Frieden → unsere Hoffnung auf Frieden ). Für die quasi einem Satzglied analoge Verwendung eines Attributs hat bereits Blatz (1896) den Begriff ‚sekundäres Satzglied‘ verwendet (den Hinweis darauf verdanke ich dem Text von Fuhrhop / Thieroff 2005: 310). Ágel spricht in Bezug auf die Wiederverwertung von Satzgliedern als Attribute von ‚Recycling‘ (2017). Ein weiterer interessanter Diskussionspunkt findet sich im Text von Fuhrhop / Thieroff: Die beiden Autoren weisen darauf hin, dass es nicht selbstverständlich ist, davon auszugehen, dass sich ein Attribut auf ein Wort bezieht. Vielmehr könnte es sich auch auf eine Wort‐ gruppe beziehen. So komme für die Interpretation des Bezugs von in Buchholz in die Brücke über den Kanal in Buchholz u. a. die Lesart in Frage, dass sich dieses Attribut auf die gesamte bisherige Nominal‐ gruppe bezieht (also auf die Brücke über den Kanal ) und nicht nur auf Brücke oder Kanal (2005: 330). Wie genau Attribute in einer Nominalgruppe zu bewerten sind, hängt vom grammatiktheoretischen Kontext der Begriffsbestimmung ab: So ist etwa die folgende Auffassung die Folge des konstituenzgrammati‐ schen Ansatzes von Eisenberg: „Attribute sind unmittelbare Konsti‐ tuenten von Nominalgruppen und dem Kernsubstantiv nebengeord‐ net.“ (Eisenberg 2013b: 235) In einem dependenzgrammatischen Ansatz hingegen sind Attribute nicht dem Kernnomen nebengeordnet, sondern hängen von diesem ab (vgl. die Abbildungen 3 und 4). Wie angekündigt wollen wir uns nun über eine Analyse des bereits zitierten Beispiels einer komplexen Nominalgruppe aus der IdS-Grammatik weiter an den Attributbegriff annähern. (5) die erste Durchsteigung der Nordwand der großen Zinne auf der Direttis‐ sima im Winter 1989 durch Kurt Albert und Gefährten im Rotpunkt-Stil (IdS-Grammatik 1997: 1927) Um eine Grundlage für die Interpretation der Bezüge der Attribute zu haben, sei die Nominalgruppe zunächst in einen Satz „übersetzt“: (5‘) Kurt Albert und Gefährten durchsteigen die Nordwand der großen Zinne auf der Direttissima im Winter 1989 zum ersten Mal im Rotpunkt-Stil. 32 Grundbegriffe 32 18270_Hennig_Bel.indd 32 18270_Hennig_Bel.indd 32 05.02.2020 11: 02: 00 05.02.2020 11: 02: 00 Der Umformulierung können wir entnehmen, dass es mehrere Konstituen‐ ten gibt, die sich auf das Verb durchsteigen beziehen: ▸ Kurt Albert und Gefährten sind diejenigen, die durchsteigen (= Subjekt); ▸ die Nordwand wird durchstiegen (= Akkusativobjekt): ▸ mit auf der Direttissima wird die Route benannt, auf der die Durch‐ steigung erfolgt (= lokales Adverbial); ▸ mit im Winter 1989 wird der Zeitpunkt der Durchsteigung benannt (= temporales Adverbial); ▸ die Durchsteigung erfolgt zum ersten Mal (= Frequenzadverbial); ▸ mit im Rotpunkt-Stil wird die Art und Weise der Durchsteigung be‐ schrieben (modales Adverbial). Diese Satzgliedanalyse ist deshalb ein wichtiger erster Schritt bei der Be‐ stimmung der Attribute, weil wir daraus schlussfolgern können, dass sich all diese „recycleten“ Attribute auf den Kern Durchsteigung beziehen. Sie sind folglich Attribute ersten Grades. Das Ergebnis ist, dass nur die Nomi‐ nalgruppe der großen Zinne übrigbleibt. Es handelt sich also um ein Attribut zu Nordwand als Kern des ersten Attrib uts ersten Grades. Das Genitivattri‐ but der großen Zinne ist deshalb ein Attribut zweiten Grades. Das Adjektiv‐ attribut großen wiederum kann, da es sich auf Zinne als Kern des Attributs zweiten Grades bezieht, als Attribut dritten Grades eingeordnet werden. Ich wähle im Folgenden zwei Darstellungsformate, mit denen die Bezie‐ hungen der Attribute in dieser Nominalgruppe systematisch erfasst und vi‐ sualisiert werden. Das erste Darstellungsformat ist eine dependenzgram‐ matische Analyse in Anlehnung an die Dependenzgrammatik von Eroms (2000), s. Abbildung 3. In dieser Darstellung ist Dependenz daran erkennbar, dass eine (schräg verlaufende) Linie nach unten eingezeichnet ist. Wenn sich mehrere Elemente auf einer Ebene befinden - wir hatten ja bereits festge‐ stellt, dass es in diesem Beispiel mehrere Attribute ersten Grades gibt -, bedeutet das, dass sie auf einer Ebene in der Dependenzstruktur liegen. Die runden Bögen über Det (Artikel) und N (Nomen) kennzeichnen, dass die beiden Bestandteile einer Nominalgruppe zusammengehören, ohne dass eine Dependenzrelation zwischen ihnen besteht. Die gepunkteten Linien ordnen die grammatischen Kategorien den Wortformen im Beispiel zu. Bei Verschmelzungen aus Präposition und Artikel (hier: im ) erfolgt in diesem Studienbuch in der Analyse immer eine Aufteilung in den präpositionalen Teil und den Artikelteil (hier: i und m ), damit beide Teile für die Analyse der Wortgruppengliedfunktionen zur Verfügung stehen. 33 Grundbegriffe 33 18270_Hennig_Bel.indd 33 18270_Hennig_Bel.indd 33 05.02.2020 11: 02: 00 05.02.2020 11: 02: 00 Abb. 3: Attributanalyse im Format der Dependenzgrammatik (Eroms 2000) Abb. 4: Attributanalyse im Format der Konstituentenstrukturgrammatik (Eisenberg 2013) 34 Grundbegriffe 34 18270_Hennig_Bel.indd 34 18270_Hennig_Bel.indd 34 05.02.2020 11: 02: 01 05.02.2020 11: 02: 01 Mit ‚Dependenz‘ ist gemeint, „dass im Satz Wörter (bestimmter Wortarten) Wörter (anderer Wortarten) regieren“ (Eroms 2000: 76). Der Begriff Dependenz ist also weiter und erfasst nicht nur Attributrelationen. In der Darstellung sehen wir das daran, dass auch die Abhängigkeit von Nominal‐ gruppen von Präpositionen als Dependenzrelation dargestellt ist. Ergänzend sei das Beispiel nun im Konstituentenstrukturformat nach Eisenberg analysiert (s. Abbildung 4). Der Vorteil dieser Form der Darstel‐ lung besteht darin, dass wir alle Konstituentenkategorien benannt sehen und wir auf diese Weise gleich nachvollziehen können, welche formale Gestalt die Attribute aufweisen. Das ist für uns vor allem deshalb relevant, weil es allgemein üblich ist, Attribute auf der Basis ihrer formalen Realisierung zu klassifizieren. Auf diese Weise können wir in diesem Beispiel die folgenden Attribute bestimmen: ▸ Adjektivattribut (= Adjektiv als Attribut): erste als Attribut zu Durch‐ steigung und großen als Attribut zu Nordwand ; ▸ Genitivattribut (= Nominalgruppe im Genitiv als Attribut): der Nord‐ wand als Attribut zu Durchsteigung und der großen Zinne als Attribut zu Nordwand ; ▸ Präpositionalattribut (= Präpositionalgruppe als Attribut): auf der Di‐ rettissima, im Winter 1989, durch Kurt Albert und Gefährten und im Rotpunkt-Stil als Attribute zu Durchsteigung ; ▸ Apposition (Nominalgruppe mit Kasuskongruenz als Attribut): 1989 als Apposition zu Winter. Die Analyse im Konstituentenstrukturformat macht die hierarchischen Ver‐ hältnisse als Einbettungen sichtbar: Beispielsweise ist die Nominalgruppe der großen Zinne in die Nominalgruppe der Nordwand eingebettet, die wie‐ derum - wie auch die anderen Attribute ersten Grades - in die maximale Nominalgruppe eingebettet ist. Das Grundprinzip der Benennung eines Attributs auf der Basis seiner formalen Gestalt - also etwa der Wortart- oder Wortgruppenkategorie - kann auch auf weitere Typen von Attributen angewendet werden. Ich ver‐ zichte deshalb hier auf den Versuch einer Gesamttypologie an Attributen und verweise diesbezüglich auf die Darstellungen in den Grammatiken (bspw. Dudengrammatik 2016: 812 f.; Ágel 2017: 768 ff.). Abschließend sei hier jedoch noch auf das Partizipialattribut hingewiesen, weil stark erweiterte Partizipialattribute zweifelsohne zum Eindruck von Nominalstil beitragen können: 35 Grundbegriffe 35 18270_Hennig_Bel.indd 35 18270_Hennig_Bel.indd 35 05.02.2020 11: 02: 01 05.02.2020 11: 02: 01 (5‘‘) die von Kurt Albert und Gefährten im Winter 1989 auf der Direttissima im Rotpunktstil durchgeführte erste Durchsteigung der Nordwand der großen Zinne Auf das Kernnomen Durchsteigung wurde hier als Partizipialattribut das Partizip II des Verbs durchführen bezogen. Als Partizipialattribut verhält es sich insofern wie ein Adjektivattribut, als es wie ein Adjektivattribut vor dem Bezugsnomen steht und wie ein Adjektiv dekliniert ist. Auf das Parti‐ zipialattribut durchgeführte beziehen sich von Kurt Albert und Gefährten , im Winter 1989 und auf der Direttissima als quasi recyclete Präpositionalattri‐ bute. Wenn auch auf andere Weise als Nominalisierungen, so können doch auch Partizipialattribute stark zum Ausbau von Nominalgruppen und somit eines Nominalstils beitragen (ausführlicher dazu im Kapitel „Grammatische Merkmale des Nominalstils: Erweiterte Partizipialattribute“). Attribut Ein A TTRIBUT ist ein Wortgruppenglied, das den Kern einer Wort‐ gruppe erweitert / modifiziert. Das Attribut schränkt den Geltungs‐ bereich des durch den Kern Bezeichneten ein (vgl. das grüne Auto = nur ein Auto mit der Farbe Grün; das Auto mit dem Kennzeichen KS H 9693 = nur das Auto mit genau diesem Kennzeichen). Ein Attribut kann sich auf verschiedene Wortart- und Wortgruppenkategorien beziehen. Pro‐ totypisch bezieht es sich auf ein Nomen. Eine Nominalgruppe kann beliebig viele Attribute enthalten. Satz Wozu braucht man in einem Buch zum Nominalstil ein Begriffsverständnis von ‚Satz‘? In diesem Studienbuch wird ‚Nominalstil‘ als Komplementärbe‐ griff zu ‚Verbalstil‘ ausgearbeitet. Das bedeutet, dass die Funktionsweise des Nominalstils systematisch mit der Funktionsweise des Verbalstils verglichen wird. Zentrale Frage ist dabei, was eigentlich die Konsequenzen sind, wenn eine Information, die auch in verbalstilistischer Form ausgedrückt werden könnte, nominalstilistisch kodiert wird. Da sich der Verbalstil in der Domäne Satz entfaltet, benötigen wir als Basis für den angestrebten systematischen Vergleich ein Verständnis von ‚Satz‘. 36 Grundbegriffe 36 18270_Hennig_Bel.indd 36 18270_Hennig_Bel.indd 36 05.02.2020 11: 02: 01 05.02.2020 11: 02: 01 Diskurs: Verschiedene Perspektiven auf den Satzbegriff Es ist naheliegend, dass es eine besondere Herausforderung darstellt, ein für die Grammatik so zentrales Konzept wie ‚Satz‘ zu bestimmen. Laut Müller (1985), der sich in einer Monographie mit dem definitori‐ schen Problem des ‚Satz‘ auseinandergesetzt hat, waren bereits in den dreißiger Jahren über 200 Satzdefinitionen bekannt. Die Anzahl ist seitdem natürlich stetig weiter gestiegen. Das ist kein Wunder, denn, so begründet Müller seine Auseinandersetzung mit dem Satzbegriff im Vorwort seiner Monographie: „Es zeigte sich dann indessen bald, dass im Grunde jede sprachtheoretische und jede über das Morphemniveau hinausgehende linguistische Probemstellung direkt oder indirekt zu‐ rückweist auf die Frage nach der Identität des Satzes - und dass gerade diese Frage noch immer einer Lösung harrt.“ Müller selbst definiert den Satz wie folgt: „Der Satz ist ein Zeichen, dessen signifiant durch seine komplexe Struktur genau einen illokutiven Anspruch völlig si‐ gnalisiert.“ (Müller 1985: 150) Dabei kann man nicht behaupten, dass Müller die Frage ein für allemal gelöst hätte. Vielmehr lässt sich in Bezug auf ‚Satz‘ besonders gut Saussures Gesichtspunkt-Gegenstand-Theorem nachvollziehen: „viel‐ mehr ist es der Gesichtspunkt, der das Objekt erschafft“ (Saussure 1916: 9). Jede Syntaxtheorie hat ihren eigenen Satzbegriff; aber auch im Allgemeinen werden für unterschiedliche linguistische Zwecke unterschiedliche Satzbegriffe benötigt. An Müllers Satzdefinition kön‐ nen wir nachvollziehen, was mit ‚Gesichtspunkt‘ bei Saussure gemeint sein könnte. So vereint diese Definition insgesamt drei Perspektiven auf den Satzbegriff: Mit signifiant verweist Müller auf ein zeichenthe‐ oretisches Verständnis; mit komplexe Struktur auf seine formale Ge‐ stalt und mit illokutivem Anspruch auf den pragmatischen Kontext seiner Verwendung. Damit sind zweifelsohne wesentliche Aspekte ei‐ nes Satzes erfasst. Dennoch hängt die Verwendbarkeit einer Satzdefi‐ nition von ihrem Verwendungskontext ab, sodass sich die Frage stellt, ob es überhaupt ein realistisches Ziel ist, das Definitionsproblem lösen zu wollen. Wir werden hier die Grundidee weiter verfolgen, dass ein Satz eine Form- und eine Inhaltsseite hat. Für die Bestimmung der Formseite reicht allerdings der allgemeine Hinweis auf eine „komplexe Struktur“ nicht aus. In Grammatiken des Gegenwartsdeutschen wird die Form‐ seite meist über ‚Prädikat / finites Verb‘ und ‚Verbvalenz‘ bestimmt: 37 Grundbegriffe 37 18270_Hennig_Bel.indd 37 18270_Hennig_Bel.indd 37 05.02.2020 11: 02: 01 05.02.2020 11: 02: 01 „Ein Satz ist eine Einheit, die aus einem Prädikat mit einem finiten Verb und den zugehörigen Ergänzungen und Angaben besteht.“ (Du‐ dengrammatik 2016: 776) „Sätze sind übergreifende Konstruktionsfor‐ men, die mindestens aus einem finiten Verb und dessen - unter struk‐ turellen und kontextuellen Gesichtspunkten - notwendigen Komplementen bestehen.“ (IdS-Grammatik 1997: 91) Eine solche Herange‐ hensweise ist dann hilfreich, wenn man den Satzbegriff operationali‐ sieren will, d. h., wenn man aus einer Satzdefinition Kriterien für die Identifikation von Sätzen in natürlichsprachlichen Texten ableiten will. Dass das alles andere als trivial ist, zeigen die Unterschiede in den beiden Definitionen: In der IdS-Grammatik-Definition ist nur vom fi‐ niten Verb die Rede, in der Dudengrammatikdefinition vom Prädikat mit finitem Verb. Dabei ist es eigentlich nur das Vollverb (das nicht das finite Verb sein muss), das über eine Valenzpotenz verfügt. Darüber hinaus ist offensichtlich, dass die auf den ersten Blick so eindeutig erscheinenden Definitionen eigentlich eine komplette Valenztheorie mit genauen Bestimmungen zur Unterscheidung von Ergänzungen (Komplementen) und Angaben (Supplementen) voraussetzen. Vor die‐ sem Hintergrund mag sich die Frage ergeben, ob es nicht am einfachs‐ ten ist, den Satz orthographisch als durch Satzschlusszeichen abge‐ schlossene Einheit zu bestimmen. Das ist für grammatische Analysen keine zufriedenstellende Lösung, weil in Abhängigkeit von der Äu‐ ßerungsabsicht nicht jeder grammatische Satz mit einem Satzschluss‐ zeichen abgeschlossen wird (vgl. Ágel 2017: 120). Der Tatsache, dass es wegen der Multiperspektivik auf den Satzbegriff schwierig ist, den Satz in einer eindimensionalen Definition zu be‐ stimmen, tragen die Autoren der Dudengrammatik und der IdS-Gram‐ matik wie folgt Rechnung: In der Dudengrammatik werden der bereits zitierten Definition zwei weitere Definitionen gegenübergestellt. Eine dieser Definitionen hebt auf die pragmatisch-funktionale Perspektive ab: „Ein Satz ist die kleinste Einheit, mit der eine sprachliche Handlung vollzogen werden kann.“ (2016: 777) In der IdS-Grammatik ist die funktionale Perspektive nicht Gegenstand der Satzdefinition, sondern Bestandteil der Bestimmung des übergeordneten Begriffs der ‚kom‐ munikativen Minimaleinheit‘. In der IdS-Grammatik ist ein Satz ebenso eine kommunikative Minimaleinheit wie auch eine Ellipse. Folglich gelten die Definitionskriterien der kommunikativen Mini‐ maleinheit auch für den Satz. Sie lauten: „Kommunikative Minimal‐ 38 Grundbegriffe 38 18270_Hennig_Bel.indd 38 18270_Hennig_Bel.indd 38 05.02.2020 11: 02: 01 05.02.2020 11: 02: 01 einheiten sind die kleinsten sprachlichen Einheiten, mit denen sprach‐ liche Handlungen vollzogen werden können. Sie verfügen über ein illokutives Potential und einen propositionalen Gehalt.“ (IdS-Gram‐ matik 1997: 91) Zum pragmatischen Begriff der Illokution kommt hier also noch der satzsemantische Begriff der Proposition hinzu. Der umfangreichen Diskussion zum Satzbegriff können wir entnehmen, dass wir nicht davon ausgehen können, dass es möglich ist, eine allgemein‐ gültige Satzdefinition vorzulegen. Eine Begriffsbestimmung kann folglich nur jeweils mit Bezug auf den angestrebten Verwendungskontext der Satz‐ definition erfolgen. Ich denke, es ist bereits klar geworden, was eine Satz‐ definition in diesem Studienbuch in erster Linie leisten muss: Sie muss eine Vergleichbarkeit von Verbalstil und Nominalstil gewährleisten. Das bedeu‐ tet: 1. Das Satzverständnis muss eine funktionale Perspektive aufweisen, damit die Annahme einer Vergleichbarkeit der Domäne Satz mit der Domäne Nominalgruppe begründet werden kann. Deshalb werden wir dem Satzinhalt einen eigenen Abschnitt zur Begriffsbestimmung widmen. 2. Das Satzverständnis muss eine formale Perspektive aufweisen, die so gestaltet ist, dass Sätze in natürlichsprachlichen Texten identifizierbar sind, damit auch quantifizierbare Aussagen möglich werden wie etwa „Der nominalstilische Text enthält kürzere Sätze als der verbalstilis‐ tistische Vergleichstext“. Die unter 2. beschriebene Herausforderung soll nun an einem Beispiel il‐ lustriert werden: (9) Am Morgen blieb der alte Mann lange im Bild liegen, um neun läutete das Fotoalbum, der Mann stand auf und stellte sich auf den Schrank, damit er nicht an die Füße fror, dann nahm er seine Kleider aus der Zeitung, zog sich an, schaute in den Stuhl an der Wand, setzte sich dann auf den Wecker an den Teppich, und blätterte den Spiegel durch, bis er den Tisch seiner Mutter fand. (Peter Bichsel [1995]: Ein Tisch ist ein Tisch) Das Beispiel enthält genau einen orthographischen Satz, denn es hat genau ein Satzschlusszeichen. Dabei könnte man sicherlich mehrere Punkte setzen (beispielsweise nach liegen oder nach Fotoalbum ), was darauf hindeutet, dass 39 Grundbegriffe 39 18270_Hennig_Bel.indd 39 18270_Hennig_Bel.indd 39 05.02.2020 11: 02: 01 05.02.2020 11: 02: 01 wir es mit mehreren grammatischen Sätzen zu tun haben. Doch wie viele sind es genau? Das hängt davon ab, was man als Kriterium festlegt. Wir haben hier also (mindestens) die folgenden Möglichkeiten: 1. Man geht vom Finitum aus und betrachtet als Sätze Einheiten mit einem finiten Prädikat und seinen Ergänzungen unabhängig davon, ob es sich um Einfachsätze, Hauptsätze, Nebensätze oder Koordinati‐ onsellipsen handelt. Der orthographische Satz enthält dann 11 gram‐ matische Sätze. 2. Man betrachtet Satzgefüge (bspw. stellte sich auf den Schrank, damit er nicht an die Füße fror ) als jeweils einen Satz. Die Anzahl der Sätze reduziert sich dann auf 9. 3. Man betrachtet die Koordinationsellipsen (bspw. […] und stellte sich auf den Schrank ) nicht als Sätze. Man könnte dann je nach Umgang mit 1. und 2. von 6 oder 4 Sätzen und 5 Koordinationsellipsen spre‐ chen. Wie gesagt hängt die Entscheidung darüber, welches Kriterium als wichtig angesehen wird, immer von der vorgesehenen Verwendung des Begriffs ab. Für unsere Zwecke ist die Diskussion um Koordinationsellipsen nicht zen‐ tral. Für den Vergleich von Verbalstil und Nominalstil ist das Vollverb die zentrale Größe im Satz, denn es kann Gegenstand einer Überführung von Verbalstil in Nominalstil sein (Nominalisierung). Sein Vorhandensein ist deshalb für unsere Zwecke die wichtigste Bedingung für die Annahme eines Satzes. Die Satzhaftigkeit wird in dieser Hinsicht nicht durch das Vorliegen einer Koordinationsellipse eingeschränkt; ohnehin ist die koordinationsel‐ liptische Konstituente im syntaktischen Kontext vorhanden. In Bezug auf den Vergleich der Möglichkeiten 1 und 2 ist anzumerken, dass Nebensätze sich in der Regel in die Satzgliedstruktur des Satzgefüges eingliedern. Ich lege mich deshalb hier auf Möglichkeit 2 fest. Satz Ein SATZ ist eine selbstständige syntaktische Einheit, die über einen Satzinhalt und eine prototypische lineare und hierarchische Struktur verfügt. Die hierarchische Struktur ist dadurch gekennzeich‐ net, dass das Vollverb auf der Basis seiner Valenzpotenz bestimmte Ergänzungen verlangt. Der Satz kann darüber hinaus auch nicht va‐ lenzgebundene Angaben enthalten. Da Ergänzungen und Angaben 40 Grundbegriffe 40 18270_Hennig_Bel.indd 40 18270_Hennig_Bel.indd 40 05.02.2020 11: 02: 01 05.02.2020 11: 02: 01 (= Satzglieder) auch in Form eines Nebensatzes realisiert werden kön‐ nen, gilt nach diesem Verständnis auch ein Satzgefüge als Satz. Die Definition verweist u. a. auf die prototypische lineare und hierarchische Struktur. Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass wir auch bei der Begriffsbestimmung von ‚Attribut‘ auf Prototypik zurückgegriffen haben. Unter einem Prototyp versteht man in der Linguistik den besten Ver‐ treter einer Klasse. Mit dem Hinweis auf ein prototypisches Verständnis gibt man an, dass man mit einer Begriffsbestimmung nicht den Anspruch erhebt, das gesamte Spektrum des Begriffsfelds zu erfassen. Man kann das als eine Verlegenheitslösung betrachten; der Vorteil besteht aus meiner Sicht darin, dass diese Strategie es ermöglicht, einen Kernbereich eines Begriffs in den Blick zu nehmen. In diesem Sinne könnten wir die diskutierten Koordinati‐ onsellipsen beispielsweise als Abweichung vom Prototyp beschreiben, wir schließen sie dadurch aber nicht aus der Begriffsbestimmung aus. Die Definition enthält auch einen Hinweis auf die Linearstruktur des Sat‐ zes. Sie ist m. E. konstitutiv für das Satzverständnis, da das reine Vorhan‐ densein eines Vollverbs und seiner Ergänzungen noch nicht automatisch zu einem grammatischen Satz führt (bspw. der Mutter Rosen der Junge schenkt ). Die Linearstruktur wird in der Germanistik gewinnbringend mit dem sogenannten Felderstrukturmodell beschrieben. Dieses muss hier aber nicht ausführlicher dargestellt werden, weil für den Vergleich von Verbalstil und Nominalstil die hierarchische Satzstruktur von zentralem Interesse ist. Die Definition enthält darüber hinaus keine Anhaltspunkte dazu, was mit ‚Satzinhalt‘ gemeint ist. Diesem Bereich wird nun ein eigener Abschnitt ge‐ widmet. Satzinhalt Zur Motivation für die Festlegung eines Grundverständnisses von ‚Satz‘ hatte ich bereits angeführt, dass es in diesem Buch um einen Vergleich von Nominalstil und Verbalstil und somit auch von Nominalgruppe und Satz geht. Wenn man etwas vergleichen will, benötigt man eine Vergleichs‐ grundlage. Als ein solches tertium comparationis dient hier die Inhalts‐ seite, und zwar ausgehend von folgendem Grundverständnis: 41 Grundbegriffe 41 18270_Hennig_Bel.indd 41 18270_Hennig_Bel.indd 41 05.02.2020 11: 02: 02 05.02.2020 11: 02: 02 Inhalt Ausdrucksvariante I: SATZ Ausdrucksvariante II: NOMINALGRUPPE NOMINALSTIL Abb. 5: Inhaltsseite als tertium comparationis Nominalstil bedeutet in diesem Sinne: Ein Inhalt, der auch durch einen Satz ausgedrückt werden könnte, wird durch eine Nominalgruppe ausgedrückt. Deshalb benötigen wir eine Vorstellung davon, was als Inhalt von Sätzen und Nominalgruppen in Frage kommt. Wir setzen dabei beim Satzinhalt an, weil wir davon ausgehen, dass No‐ minalstil die Überführung eines Satzinhalts in eine Nominalgruppe bedeutet. Außerdem gibt es zur Beschreibung von Satzinhalten eine etablierte For‐ schungstradition, auf die wir zurückgreifen können; eine vergleichbare Tra‐ dition zur Beschreibung von Nominalgruppeninhalten gibt es nicht. Was also kommt als Satzinhalt in Frage und was davon ist in eine nominale Struktur überführbar, was nicht? Wie auch bereits Jürgens (1994) stützen wir uns hier bei der Beschreibung der Satzinhalte auf das satzsemantische Modell von Peter von Polenz (2008; erste Auflage 1985). Von Polenz geht davon aus, dass der Satzinhalt aus zwei obligatorischen Teilen besteht: In der Sprechakttheorie wird nach dem Vorbild der sprachanalytischen Philoso‐ phie die Prädikation auch ‚Proposition‘ genannt. Eine oder mehrere Propositio‐ nen bilden den propositionalen Gehalt / Aussagegehalt als die eine Hälfte des Satzinhalts. Dies ist sozusagen der nichtpragmatische oder vorpragmatische Teil im Sinne von Bühlers „Darstellungsfunktion“ […]. Der eigentliche pragmatische Gehalt / Handlungsgehalt (im engeren Sinne von Pragmatik) bildet die andere, ebenso obligatorische Hälfte des Satzinhalts. (2008: 92) Mit der folgenden Übersicht fasst von Polenz die Inhalte zusammen: 42 Grundbegriffe 42 18270_Hennig_Bel.indd 42 18270_Hennig_Bel.indd 42 05.02.2020 11: 02: 02 05.02.2020 11: 02: 02 Satzinhalt Propositionaler Gehalt / Aussagegehalt Pragmatischer Gehalt / Handlungsgehalt Relation / Aussagenverknüpfung Prädikation / Aussage Prädikat / Aussagekern Referenz / Bezug Quantifizierung / Größenbestimmung Illokution / Sprecherhandlung Perlokution / Bewirkungsversuch Propositionale Einstellung / Sprechereinstellung Kontakt und Beziehung Abb. 6: Satzinhalte (von Polenz 2008: 93) Um Missverständnisse zu vermeiden, sei hier darauf hingewiesen, dass der Begriff des Prädikats hier aus der Prädikatenlogik übernommen wurde und wie in der Abbildung durch die Gleichsetzung mit ‚Aussagekern‘ erkennbar satzsemantisch bestimmt ist, er darf also „nicht im Sinne der traditionellen Satzgliederung in ‚Subjekt und Prädikat‘ verstanden werden“ (von Polenz 2008: 91). Für das schulgrammatische Satzgliedverständnis von Prädikat verwendet von Polenz den Terminus ‚Prädikatsausdruck‘. Ein Prädikat bzw. Prädikatsausdruck allein macht noch keinen Satz. Von Polenz nennt die das Prädikat komplettierenden Argumente / Ergänzungen „im Anschluß an den Referenz-Begriff der Sprechakttheorie Referenzstelle(n) / Bezugsstelle(n)“ (ebd). Die folgende Übersicht ordnet die verschiedenen Termini den Ver‐ wendungstraditionen sowie einem Beispiel zu: 43 Grundbegriffe 43 18270_Hennig_Bel.indd 43 18270_Hennig_Bel.indd 43 05.02.2020 11: 02: 02 05.02.2020 11: 02: 02 Bsp. Schulgrammatik Valenztheorie Prädikatenlo‐ gik / Sprechakt‐ theorie Satzsemantik (von Polenz) Das Kind Subjekt Ergänzung Referenz Referenzstelle malt Prädikat Valenzträger Prädikat Prädikat ein Bild. Objekt Ergänzung Referenz Referenzstelle Tab. 2: Bestandteile von Sätzen, Verwendungstraditionen von Termini Wir wollen nun die Modellierung des Satzinhalts bei von Polenz an einem einfachen Beispiel nachvollziehen: (10) Ich habe dich doch darauf hingewiesen, dass Feuer gefährlich ist! Art des Satzinhalts Realisierung im Beispiel Propositionaler Gehalt Proposition I Prädikat hinweisen Referenzstelle I Ich Referenzstelle II dich Referenzstelle III darauf, dass… Proposition II Prädikat gefährlich sein Referenzstelle I Feuer Pragmatischer Gehalt Illokution Hinweis Perlokution Verzicht auf gefähr‐ liche Aktion Propositionale Einstellung FÜR WAHR HAL‐ TEN Tab. 3: Satzinhalte im Beispielsatz Der zitierten Begriffsbestimmung der Satzinhalte von von Polenz können wir entnehmen, dass ein Satz mehrere Propositionen enthalten kann. Das ist hier deshalb der Fall, weil eine Proposition in eine andere eingebettet ist. Der Nebensatz wird dabei als Strukturformat für die Einbettung genutzt. Das 44 Grundbegriffe 44 18270_Hennig_Bel.indd 44 18270_Hennig_Bel.indd 44 05.02.2020 11: 02: 02 05.02.2020 11: 02: 02 bedeutet aber nicht, dass auch die Bausteine des pragmatischen Gehalts mehrfach auftreten: Der gesamte Satz hat nur je eine Illokution, Perlokution und propositionale Einstellung. Diese beziehen sich auf die übergeordnete Proposition, eingebettete Satzinhalte haben keinen eigenen Handlungsge‐ halt. Wenn wir nun versuchen, den Beispielsatz in eine Nominalgruppe zu überführen, erhalten wir das folgende Ergebnis: (10‘) Mein Hinweis an dich auf die Gefahr des Feuers Der propositionale Gehalt bleibt erhalten: Art des Satzinhalts Realisierung im Beispiel Propositionaler Gehalt Proposition I Prädikat Hinweis Referenzstelle I Mein Referenzstelle II an dich Referenzstelle III auf X Proposition II Prädikat Gefahr Referenzstelle I Feuer Tab. 4: Satzinhalte in der Beispielnominalgruppe Die Nominalgruppe hat aber keinen Handlungsgehalt. Für einen Hand‐ lungsgehalt müsste die Nominalgruppe in einen Satz eingebettet sein: (10‘‘) Mein Hinweis an dich auf die Gefahr des Feuers schlug leider wieder fehl. Wie in der ersten Beispielvariante der Nebensatz, so ist auch hier die No‐ minalgruppe mit ihrer nominalisierten Prädikation in einen Satz eingebettet. Einen Handlungsgehalt hat der einbettende Satz, nicht die eingebettete No‐ minalgruppe (vgl. auch Jürgens 1994: 54). Ein eigenständiger Handlungsge‐ halt könnte einer Nominalgruppe nur bei selbstständigem Gebrauch zuge‐ schrieben werden (bspw. auf Schildern oder als Schlagzeilen; vgl. Czicza 2017 sowie Sandig 1971). Wir können daraus schlussfolgern, dass sich der Überschneidungsbereich der Inhalte von Satz und Nominalgruppe auf den propositionalen Gehalt 45 Grundbegriffe 45 18270_Hennig_Bel.indd 45 18270_Hennig_Bel.indd 45 05.02.2020 11: 02: 02 05.02.2020 11: 02: 02 beschränkt. Ein klares Indiz dafür, dass der pragmatische Gehalt eines Satzes sozusagen bei der Überführung eines Satzinhalts in eine nominale Struktur auf der Strecke bleibt, ist, dass solche Partikeln, die oberflächenstrukturelle Hinweise auf Komponenten des pragmatischen Gehalts darstellen (in 10 ist das die Abtönungspartikel doch ), in der Regel keinen geeigneten Platz in der Nominalgruppenstruktur finden: (10‘‘‘) *Mein doch Hinweis an dich auf die Gefahr des Feuers Dabei handelt es sich um eine logische Konsequenz der bereits getroffenen Feststellung, dass eine Nominalgruppe in der Regel in eine Struktur mit Handlungsgehalt eingebettet ist und in diesem Fall keinen eigenständigen Handlungsgehalt hat. Für den Vergleich von Sätzen und Nominalgruppen ist folglich der Aus‐ sagegehalt entscheidend. Von Polenz bezeichnet das Referieren und das Prä‐ dizieren als die „beiden wichtigsten gegenstandsbezogenen Teilhandlungen des Satzinhalts (im Sinne von Bühlers ‚Darstellungsfunktion‘)“ (2008: 91). Diese beiden Komponenten des Aussagegehalts sind darüber hinaus deshalb interessant für unsere Auseinandersetzung mit dem Nominalstil, weil wir damit rechnen können, dass das Referieren prototypisch der Domäne No‐ minalgruppe zugeordnet werden kann, das Prädizieren prototypisch der Domäne Satz (vgl. Czicza 2015: 129). Da das Prädikat im Satz Referenzstellen benötigt, um Prädikate zu Propositionen zu vervollständigen (IdS-Gramma‐ tik 1997: 730), ändert die prototypische Zuordnung des Referierens zur Do‐ mäne Nominalgruppe nichts daran, dass das Referieren auch zu den Satz‐ inhalten gehört. Nominalgruppen mit einem deverbalen Kern können wiederum auch prädizieren. Mit anderen Worten: Die beiden zentralen Teil‐ handlungen sind sowohl für Satz als auch für Nominalgruppe relevant. An‐ dererseits kann bezüglich der Relevanz dieser Inhaltskomponenten von Un‐ terschieden zwischen Satz und Nominalgruppe ausgegangen werden. Da Prädikat und Referenz folglich Zentralbegriffe eines Vergleichs zwi‐ schen verbalen und nominalen Ausdrucksvarianten eines Satzinhalts sind, sei hier noch auf die semantischen Klassen verwiesen, die von Polenz für diese beiden Inhaltskomponenten annimmt. Prädikatsklassen bei von Po‐ lenz sind (2008: 159 ff.): ▸ HANDLUNG: Peter öffnet die Tür. Als Kriterium für Handlungsbzw. Aktionsprädikate benennt von Polenz „die Möglichkeit, einen Impe‐ rativ zu bilden“ (2008: 160): Öffne die Tür! 46 Grundbegriffe 46 18270_Hennig_Bel.indd 46 18270_Hennig_Bel.indd 46 05.02.2020 11: 02: 02 05.02.2020 11: 02: 02 ▸ VORGANG: Die Rose blüht auf. „Vorgangsprädikate sind Aussagen über ein Geschehen, das - im Unterschied zu Handlungsprädikaten - nicht aus der Absicht eines Handelnden entspringt, sondern sich an einem Gegenstand (‚Lebewesen‘, ‚Sache‘, ‚Abstraktbegriff ‘) ohne des‐ sen Einwirkung vollzieht.“ (2008: 161) ▸ ZUSTAND: Meine Kehle ist trocken. „Zustandsprädikate sind Aussagen über grundsätzlich veränderliche, also irgendwann eintretende und irgendwann endende physische oder psychische Zustände von Lebe‐ wesen, Sachen oder Abstraktbegriffen.“ (2008: 163) Wichtig ist hier der Hinweis auf die Affinität zu adjektivischen und substantivischen Prä‐ dikatsausdrücken. ▸ EIGENSCHAFT: Der Wein ist trocken. „Eigenschaftsprädikate sind Aussagen über Zustände von Lebewesen, Sachen oder Abstraktbe‐ griffen, die grundsätzlich unveränderlich sind, also zu ihren dauern‐ den Merkmalen gehören.“ Ein wichtiges Kriterium ist deshalb, dass bei Eigenschaftsprädikaten keine Orts- und Zeitangaben stehen kön‐ nen. (2008: 163) ▸ GATTUNG: Er ist Franzose. „Gattungsprädikate sind Aussagen über die Zugehörigkeit eines Objekts zu einer Gattung / Klasse. Sie werden ausschließlich durch prädikative Substantive ausgedrückt.“ (2008: 164) Die semantische Klassifikation der Referenzstellen erfolgt mit Hilfe der sogenannten semantischen Rollen. Am Beispiel einiger Sätze mit Hand‐ lungs- und Zustandsprädikaten seien einige wichtige semantische Rollen illustriert: [Der Dozent] AGENS [prüft] HANDLUNG [die Studenten] PATIENS [Susi] AGENS [gibt] HANDLUNG [Egon] BENEFAKTIV [ein Buch] AF‐ FIZIERTES OBJEKT [Anton] AGENS [pflanzt] HANDLUNG [einen Baum] EFFIZIERTES OBJEKT [Das kleine Kind] EXPERIENS [ist müde] ZUSTAND [Mich] EXPERIENS [ekelt] ZUSTAND [vor dem Essen] CAUSATIV 47 Grundbegriffe 47 18270_Hennig_Bel.indd 47 18270_Hennig_Bel.indd 47 05.02.2020 11: 02: 02 05.02.2020 11: 02: 02 Diskurs: denotativ-semantische vs. signifikativ-semantische Rollen Die Beschreibung der Semantik der Referenzstellen mit sogenannten semantischen Rollen geht zurück auf Charles Fillmore (1968). Auf ein Grundinventar an semantischen Rollen wird in vielen Zweigen der Lin‐ guistik zurückgegriffen (zu einer Übersicht vgl. auch Lehmann [o. J.]). In der germanistischen Linguistik wird in jüngerer Zeit kritisch disku‐ tiert, inwiefern es gerechtfertigt ist, sich mit semantischen Rollen - quasi unabhängig von ihrer oberflächensyntaktischen Realisierung - auf die Bezeichnung außersprachlicher Sachverhalte zu beziehen (= denotativ-semantisch). Einige Autoren (Welke 2011, Ágel 2017, Höl‐ lein 2017) weisen darauf hin, dass nicht nur der bezeichnete Sachver‐ halt selbst relevant ist, sondern auch, wie die Sachverhalte durch die jeweiligen strukturellen Ausprägungen einzelsprachlich perspekti‐ viert sind (vgl. Ágel 2017: 5). Der Unterschied der beiden Betrach‐ tungsweisen sei mit Hinweis auf Ágel (2017) und Welke (2011) an fol‐ gendem Beispielklassiker erläutert: (1) X öffnet die Tür mit dem Schlüssel. (2) Der Schlüssel öffnet die Tür. Im ersten Beispiel hat mit dem Schlüssel die semantische Rolle eines Instruments. Wenn man nun für das zweite Beispiel für der Schlüssel ebenso die Rolle eines Instruments annimmt - so die Argumentation der Verfechter eines signifikativ-semantischen Ansatzes -, missachtet man die Auswirkungen der unterschiedlichen Strukturformate auf die Semantik. Welke beschreibt die unterschiedliche Perspektivierung fol‐ gendermaßen: „Wollte man den stilistischen Unterschied beschreiben, so könnte man sagen, dass der Sprecher in (2) den Schlüssel als eine Art von Agens deutet, d. h. als Agens im prototypischen Sinne. […] Der Sprecher drückt es so aus, als sei der Schlüssel der Urheber.“ (2011: 146) Denotativ-semantisch würde man also von einer außersprachli‐ chen Situation ausgehen, in der eine Tür mit einem Schlüssel geöffnet wird, und die Beispiele (1) und (2) als syntaktische Realisierungsvari‐ anten dieses Sachverhalts einordnen. Signifikativ-semantisch inte‐ griert man die Überlegung, dass sich ein Sprecher bewusst für eine Variante entscheidet, um den Sachverhalt entsprechend zu perspekti‐ vieren, in die semantische Beschreibung. 48 Grundbegriffe 48 18270_Hennig_Bel.indd 48 18270_Hennig_Bel.indd 48 05.02.2020 11: 02: 02 05.02.2020 11: 02: 02 Für den in diesem Buch erfolgenden Vergleich von Verbalstil und No‐ minalstil sind natürlich die mit den oberflächensyntaktisch unter‐ schiedlichen Ausdrucksvarianten verbundenen Unterschiede in der Perspektivierung von Sachverhalten relevant. Andererseits benötigen wir ein tertium comparationis für den Vergleich von satz- und nomi‐ nalgruppenförmigen Realisierungen von Inhalten. Da die Satzsemantik von von Polenz hier den theoretischen Hintergrund für die Bestimmung von Satzinhalten bildet, wird mit seiner Modellierung der semantischen Rollen gearbeitet (eine Liste an semantischen Rollen (die al‐ lerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt) findet sich bei von Polenz 2008: 170 ff.). Eine auch für unsere Ausführungen zum Nominalstil wichtige Grundannahme bildet die Einschätzung von von Polenz, dass es keine 1: 1-Entsprechung zwischen der semantischen Rolle und dem nomi‐ nalen Kasus gibt. So illustriert er an den folgenden Beispielen, dass Subjekten im Nominativ verschiedene Inhaltstypen entsprechen können (Auswahl): ▸ Person, die eine Handlung ausführt: „Gott redete“ […] ▸ Person, die einen Vorgang an sich erfährt: „die unter … gelitten haben“ […] ▸ Person oder Sache als von einer Handlung betroffenes Objekt: „Sie werden daher gebeten …“ […] ▸ Sache als durch eine Handlung hergestelltes Objekt: „Diese Rede wurde von seinem Ghostwriter geschrieben.“ (von Polenz 2008: 168) Im ersten Beispiel ist das Subjekt also ein AGENS / HANDELNDER, im zwei‐ ten Beispiel EXPERIENS / ERFAHRENDER, im dritten Beispiel AFFIZIERTES OBJEKT / BETROFFENES und im vierten EFFIZIERTES OBJEKT / RESUL‐ TAT / PRODUKT. Die Beispiele illustrieren darüber hinaus, dass von Polenz nicht nur davon ausgeht, dass eine grammatische Form / ein Satzglied dem Ausdruck mehrerer satzsemantischer Rollen dienen kann, sondern dass es umgekehrt auch möglich ist, eine satzsemantische Rolle auch durch ver‐ schiedene grammatische Formen zu realisieren. So handelt es sich bei den beiden Sätzen, in denen das Subjekt als AFFIZIERTES bzw. EFFIZIERTES OBJEKT fungiert, um Passivsätze. Diese Rollen hätten sie auch dann, wenn sie in einem Aktivsatz als Objekt im Akkusativ realisiert wären: Wir bitten Sie daher / Der Ghostwriter schreibt diese Rede. 49 Grundbegriffe 49 18270_Hennig_Bel.indd 49 18270_Hennig_Bel.indd 49 05.02.2020 11: 02: 03 05.02.2020 11: 02: 03 Satzinhalt Mit einem Satz wird eine Aussage getroffen; im Sinne der Sprechakt‐ theorie vollzieht der Sprecher damit eine Handlung. Sätze haben folg‐ lich einen propositionalen und einen pragmatischen Gehalt. Nomi‐ nalgruppen sind in der Regel in Sätze eingebettet und stellen deshalb keine selbstständige Sprechhandlung dar. Folglich sind für den Vergleich von Sätzen und Nominalgruppen vor allem die Inhaltskomponenten re‐ levant, die zum propositionalen Gehalt beitragen. Zentrale Bestandteile der Propositionen (auch: Prädikationen) sind das Prädikat (= der Aus‐ sagekern) sowie die das Prädikat komplettierenden Referenzstellen. 50 Grundbegriffe 50 18270_Hennig_Bel.indd 50 18270_Hennig_Bel.indd 50 05.02.2020 11: 02: 03 05.02.2020 11: 02: 03 Nominalstil: Eine erste Annäherung Überblick Das Kapitel beinhaltet eine erste Annäherung an den Begriff des Nominalstils ausgehend von Definitionen in linguistischen Lexika. Nach einer Analyse der Definitionsbausteine und einer Auseinan‐ dersetzung mit dem Verhältnis von Grammatik und Stil werden diejenigen grammatischen Merkmale genauer betrachtet, die in den Definitionen als Kennzeichen von Nominalstil genannt wer‐ den. Im Anschluss daran wird das diesem Studienbuch zugrunde lie‐ gende Verständnis von Nominalstil eingegrenzt; vor diesem Hintergrund wird die Relevanz der gemeinhin als Nominalstilkenn‐ zeichen angenommenen grammatischen Phänomene erneut bewer‐ tet. Die Begriffsbestimmung wird abgerundet durch Überlegungen zu Nominalstil im engeren und weiteren Sinne. Nominal + Stil Für eine erste Annäherung an den Begriff des Nominalstils erscheint es sinnvoll, gängige sprachwissenschaftliche Lexika zu Rate zu ziehen. Im „Metzler Lexikon Sprache“ sowie in Bußmanns „Lexikon der Sprachwissen‐ schaft“ finden wir die folgenden Angaben: Nominalstil (auch: Substantivstil) Kein Terminus; ungenaue Bez. für die stilist. Charakterisierung von Sach- und Fachprosa in Technik, Wiss., Recht, Verwaltung (Fachsprache) und Presseveröffentlichungen nach dem Merkmal des Auftretens komprimierter Sätze, die einer ökonom. und rationellen Kommunikation dienli‐ cher erscheinen, obwohl sie das Verstehen u. U. erschweren; Amtssprache. Der N. ist gekennzeichnet durch Nominalisierungen, Funktionsverbgefüge, die Häufung von (Substantiv-) Komposita (z. B. Rückerstattungsmöglichkeitsausschluss ), erwei‐ terte Attribute (z. B. der ehemals in Paris tätige Botschafter ). Komplexe Sätze und subordinierte Attributhäufungen werden durch den N. in komprimierte Konstruk‐ 18270_Hennig_Bel.indd 51 18270_Hennig_Bel.indd 51 05.02.2020 11: 02: 03 05.02.2020 11: 02: 03 tionen verwandelt (z. B. Die Inkraftsetzung der Maßnahme des Bundesamtes für Ver‐ kehrssicherung zur begleitenden Förderung des Ausschusses des Bundesrates zwecks Sicherstellung eines unfalltotenfreien Schulanfangs ) und können durch Paraphrasen verständlicher gemacht werden. - Der N. ist beliebtes Objekt von Sprachpflege und Sprachkritik und der normativen Stilistik. (Glück / Rödel 2016: 467) Nominalstil. Bezeichnung eines Stils, dessen grammatisches Hauptmerkmal der häufige Gebrauch abstrakter Substantive ist. An die Stelle von selbstständigen oder untergeordneten Sätzen mit einem finiten Verb treten nominale Satzglieder mit einer Nominalisierung als Kern: Das Scheitern der Gespräche war erwartet worden statt Es war erwartet worden, dass die Gespräche scheiterten. Dem abstrak‐ ten Substantiv können weitere Informationsteile angegliedert werden, z. B. als Adjektivattribute ( widerwillige elterliche Zustimmung statt Die Eltern stimmen widerwillig zu ), Genitivattribute mit mehrfacher Subordinierung ( die Zustimmung der Mitglieder des Vorstands der Reederei ), erweiterte Partizipialattribute ( die da‐ mals vom Vorstand beschlossene Erklärung ) oder als Kompositionsglieder ( Ver‐ kehrsberuhigungsmaßnahme ). Von Sprachpflege und normativer Stilistik wurde der N. oft als „Papierstil“ oder „Hauptwörterseuche“ kritisiert, doch empfiehlt sich unter funktionalem Aspekt ein differenzierteres Urteil: Syntaktisch-morphologi‐ sche Verdichtung und das Implizitbleiben der semantischen Beziehungen ( An‐ klage des Ministers, Gesetzesvorlage ) erschweren zwar die Verständlichkeit, doch ermöglicht der Nominalstil konzentrierte Informationsvermittlung, abstrahie‐ rende Begriffsbildung (vgl. Verantwortlichkeit , Rechtsmittelbelehrung ) und mit dem Funktionsverbgefüge systematische semantische Differenzierungen des As‐ pekts. Der N. ist daher ein funktional durchaus angemessener Stilzug informati‐ onsvermittelnder Textsorten, besonders in den Fachsprachen von Technik, Wis‐ senschaft und Verwaltung. (Bußmann 2002: 472) Diesen beiden Begriffsbestimmungen können wir zunächst entnehmen, dass es sich bei ‚Nominalstil‘ um ein vielschichtiges Konzept handelt: ▸ Es handelt sich um einen ‚Stil‘: Das deutet erstens, wie das Metzler Lexikon sagt, darauf hin, dass es kein Terminus im engeren Sinne ist. ‚Stil‘ bedeutet zweitens immer, dass wir es mit Wahlmöglichkeiten innerhalb eines Systems zu tun haben. ▸ Im Sinne von Wahlmöglichkeiten steht das Credo „Substantive (resp. Nomen) statt Verben“ im Mittelpunkt des Konzepts; offenbar geht es darum, dass wir in Kontexten, in denen wir auch Verben ver‐ wenden könnten, auf Substantive bzw. Nomen zurückgreifen. 52 Nominalstil: Eine erste Annäherung 52 18270_Hennig_Bel.indd 52 18270_Hennig_Bel.indd 52 05.02.2020 11: 02: 03 05.02.2020 11: 02: 03 ▸ ‚Nominalstil‘ ist Gegenstand der Sprachkritik: Nominalstil wird häufig kritisch diskutiert; einschlägige Ratgeber zielen deshalb auf „Verben statt Substantive“ ab. ▸ Von der Wahlmöglichkeit des Nominalstils wird nur in bestimmten kommunikativen Domänen Gebrauch gemacht, offenbar vor allem in Fach- und Wissenschaftssprache, juristischer Sprache und Behör‐ densprache. Gemeint sind damit zweifelsohne die geschriebensprach‐ lichen Ausprägungen dieser Kommunikationsbereiche. Nominalstil ist folglich kein Phänomen der Alltagskommunikation und der ge‐ sprochenen Sprache. ▸ Nominalstil ist kein Selbstzweck, sondern hat in den genannten kom‐ munikativen Domänen eine funktionale Dimension: Die damit verbundene komprimierte Syntax wird mit einem Ökonomiegebot in Verbindung gebracht. ▸ Die schreiberseitige Wahl eines nominalen Stils hat Auswirkungen auf die Rezeption: Ökonomie führt offenbar nicht zu Einfachheit, sondern die komprimierte Syntax erschwert das Verstehen. Zumindest aus die‐ ser Perspektive haben wir es also auch mit Komplexität zu tun. Vor diesem Hintergrund müssen wir zunächst eine Eingrenzung vorneh‐ men: Das vorliegende Studienbuch behandelt nicht alle hier genannten Per‐ spektiven auf das Konzept des Nominalstils. Insbesondere verzichtet es auf eine systematische Berücksichtigung textlinguistischer Fragestellungen. Das bedeutet: Auf Textbeispiele greifen wir zurück, beschäftigen uns aber nicht dezidiert mit der Frage, inwieweit Nominalstil zur Textprofilbildung in solchen Kommunikationsbereichen beiträgt, wie sie in den beiden Be‐ griffsbestimmungen genannt werden. Der Schwerpunkt des Studienbuches liegt vielmehr auf der grammati‐ schen Dimension des Nominalstils. Das führt zunächst zu der Frage: Was ist eigentlich Stil und wie passen ‚Nominal-‘ und ‚-stil‘ zusammen? ‚Nominal‘ ist ja ein grammatisches Phänomen, wie passt das zu ‚Stil‘? Diskurs: Stilbegriff ‚Stil‘ ist ein viel gebrauchter und schwer zu fassender Begriff. Bußmann definiert ‚Stil‘ zunächst einfach als „charakteristische[n] Sprachge‐ brauch“ (2002: 651). Sie weist darauf hin, dass der Begriff im Deutschen zunächst „für die individuelle, als Ausdruck der Person geltende Schreibweise eines Autors“ verwendet wurde (vgl. auch die Ausführun‐ gen von Eroms zu Epochenstil und Individualstil 2014: 17 f.), später dann 53 Nominal + Stil 53 18270_Hennig_Bel.indd 53 18270_Hennig_Bel.indd 53 05.02.2020 11: 02: 03 05.02.2020 11: 02: 03 „als neutraler Begriff für „Art und Weise, wie man schreibt“ (ebd.). Den Zusammenhang von Stil und „Schreibart“ erklärt Köller damit, dass der „Terminus Stil […] auf das lateinische Wort stilus zurück[geht], mit dem ursprünglich der Griffel für die Beschriftung von Wachstafeln bezeich‐ net worden ist“ (2009: 1213). Die Stilistik war ursprünglich eine Teildis‐ ziplin der Rhetorik (vgl. Eroms 2014: 13). Der Terminus ‚Stil‘ ist ver‐ schiedenen funktionalen Anwendungsfeldern von Sprache zugänglich, man spricht diesbezüglich von „Funktionalstilen“ (vgl. Eroms 2014: 111ff.; Hoffmann 2007). Eroms unterscheidet in diesem Kontext All‐ tagssprachstil, Gebrauchssprachstil und Kunstsprachstil. Innerhalb der Funktionalstile kann Stil in verschiedenen Textsorten variieren. Stil hat also auch eine textlinguistische Dimension. Grundlegende Zu‐ sammenhänge zwischen Stil und Text bringen Fix / Poethe / Yos wie folgt auf den Punkt (2003: 27): „- Stil ist Information des Produzenten an den Rezipienten über die dem Text zugrunde liegende Situation. - Stil ist auch immer Selbstdarstellung des Textproduzenten.“ Die Tatsache, dass ein Textproduzent mit Stil Effekte der Selbstdar‐ stellung erzeugen kann, impliziert, dass er Wahlmöglichkeiten hat. So ist Stil ein „Wahl-Akt“ (Eroms 2014: 23). Bei der Entscheidung für einen bestimmten Stil geht es letztendlich darum, „ein Kommunikationsziel adäquat zu erreichen“ (ebd.). Zum Wahl-Akt und zur Selbstdarstellung gehört auch, dass Stil quasi eine Gratwanderung zwischen Norm und Abweichung bedeutet. Eroms spricht von einem „Doppelcharakter“, einem „Janusgesicht“ des Stils: Wir erwarten „einerseits die Einhal‐ tung der Normen […] andererseits aber bis zu einem gewissen Grade gerade deren Durchbrechung“ (2014: 16). Das Besondere am Begriff ‚Nominalstil‘ gegenüber dem übergeordneten Konzept ‚Stil‘ ist nun, dass ‚Stil‘ - eigentlich ein Terminus, den wir mit Rhe‐ torik, Texten, Epochen, Gattungen etc. in Verbindung bringen - hier zu‐ sammen mit einem Terminus für einen grammatischen Phänomenbereich gebraucht wird. Köller stellt die Verbindung in seinem Überblicksartikel zu „Stil und Grammatik“ wie folgt her: Erstens können wir die beiden Phänomene als natürliche Teilgrößen der Ge‐ samtgröße Sprache ansehen. Dann lässt sich das Phänomen Stil als ein Ordnungs‐ 54 Nominalstil: Eine erste Annäherung 54 18270_Hennig_Bel.indd 54 18270_Hennig_Bel.indd 54 05.02.2020 11: 02: 03 05.02.2020 11: 02: 03 zusammenhang verstehen, der sich methodisch auf der Betrachtungsebene der parole erschließt, und das Phänomen Grammatik als einer, der methodisch auf der der langue zugänglich wird. In diesem Denkrahmen kann dann der Stil eines Texts als eine spezifische personen-, epochen- oder textsortenbedingte Auswahl von Formen aus einem vorgegebenen sprachlichen Formenrepertoire verstanden werden. (Köller 2009: 1212) Zentral erscheint mir der Hinweis auf die „Auswahl von Formen“. Die fol‐ gende Übersicht versucht, das zu veranschaulichen: Grammatisches System, Formenrepertoire Kommunikatives Ereignis (Kommunikative Domäne) Auswahl Form A Form B Form C Form X Form Y Form Z NOMINALSTIL VERBALSTIL Abb. 7: Nominalstil und Verbalstil als auf Auswahl basierende Bündelungen sprach‐ licher Formen Das bedeutet: Das grammatische System stellt uns ein Formenrepertoire zur Verfügung. Aus diesem Formenrepertoire treffe ich in der Kommunikation auf der Basis der Rahmenbedingungen eine Auswahl. Das folgende Bei‐ 55 Nominal + Stil 55 18270_Hennig_Bel.indd 55 18270_Hennig_Bel.indd 55 05.02.2020 11: 02: 03 05.02.2020 11: 02: 03 spielpaar aus der Begriffsbestimmung des Nominalstils von Bußmann ver‐ anschaulicht das: (11) Das Scheitern der Gespräche war erwartet worden (11‘) Es war erwartet worden, dass die Gespräche scheiterten. Beide Sätze sind systemkonform, d. h., beide Sätze entsprechen den Regeln der deutschen Grammatik. Es handelt sich also um Ausdrucksvarianten, die mir zur Wahl stehen. In beiden Sätzen wird eine Aussage (Proposition) in eine Bezugsstelle einer anderen Aussage eingebettet (von Polenz 2008: 232 ff.). D. h., die Aussage ‚X war erwartet worden‘ ist übergeordnet, die Aussage ‚die Gespräche scheiterten‘ ist eingebettet. In (11‘) geschieht die Einbettung mit einem Nebensatz, in (11) mit einer Nominalisierung. Da (11‘) einen Nebensatz mit einem Verb enthält, wird man dieses Beispiel als ver‐ balstilistischer empfinden als die Variante (11), in der die Nominalisierung dazu führt, dass die Einbettung innerhalb eines Einfachsatzes vonstatten geht und die eingebettete Aussage folglich kein Verb beinhaltet. Die Wahl der einen oder anderen Variante führt zur Nutzung weiterer Formmerkmale: Beispielvariante (11) enthält neben der Nominalisierung als Kern der No‐ minalgruppe den bestimmten Artikel das sowie das Genitivattribut der Ge‐ spräche. Gemeinsam bilden Artikel, Kern und Attribut eine Nominalgruppe. Diese weist die folgenden nominalen Kategorien auf: Neutrum, Singular, Nominativ. In Variante (11‘) ist der Nebensatz mit dem Subjunktor dass eingeleitet. Die Nebensatzform wird darüber hinaus durch die Endstellung des finiten Verbs kodiert. Das finite Verb lässt sich wie folgt in Bezug auf die verbalen Kategorien bestimmen: 3. Person Plural Indikativ Aktiv Präteritum. Der Unterschied zwischen (11) und (11‘) liegt folglich nicht nur in der Wahl eines Nomens resp. Verbs, vielmehr sind mit dieser Wahl verschiedene Kon‐ sequenzen in Bezug auf das genutzte Formenrepertoire verbunden. Wir ha‐ ben es also jeweils mit Formenbündeln zu tun und können vor diesem Hin‐ tergrund Nominalstil und Verbalstil als eine Menge an Formen einer nominalen resp. verbalen Ausdrucksweise verstehen. Auf diese Weise dürfte auch deutlich geworden sein, wie die beiden scheinbar so unterschiedlichen Bereiche Grammatik und Stil im Nominalstil oder auch Verbalstil zusammentreffen: Die Grammatik stellt das Formenre‐ pertoire zur Verfügung, Stil hingegen ist das Ergebnis einer Auswahl aus diesem Repertoire. 56 Nominalstil: Eine erste Annäherung 56 18270_Hennig_Bel.indd 56 18270_Hennig_Bel.indd 56 05.02.2020 11: 02: 03 05.02.2020 11: 02: 03 Grammatische Merkmale des Nominalstils Die beiden Begriffsbestimmungen der sprachwissenschaftlichen Lexika nennen weitestgehend übereinstimmend die folgenden Merkmale des Nominalstils: ▸ Nominalisierungen ▸ Funktionsverbgefüge ▸ Komposita ▸ Attribuierbarkeit und Attribution ▸ Subordinierte Attribute ▸ Erweiterte Partizipialattribute Es fällt auf den ersten Blick auf, dass Attribute offenbar eine wichtige Rolle bei der grammatischen Ausgestaltung von Nominalstil spielen. Das lässt sich leicht begründen: Bei einer Nominalisierung wird häufig nicht einfach nur ein No‐ men aus einem Verb abgeleitet. Vielmehr geht es in vielen Fällen auch darum, aus einem Satz neben dem Verb auch seine Ergänzung(en) oder ggf. auch An‐ gaben in eine nominale Struktur zu überführen. Die Attribute sind das Struk‐ turformat für die Überführung von Satzgliedern in eine nominale Struktur. Die Satzglieder werden quasi als Attribute „recyclet“ (Ágel 2017: 35). Die Nominalstilmerkmale sollen nun anhand eines Beispiels nachvollzo‐ gen werden: (1) Die SPD wäre gut beraten, die Sache genau zu studieren, manches davon könnte ihr in den kommenden Gesprächen zur Anbahnung einer Sondie‐ rung zur Herbeiführung von Koalitionsverhandlungen zur Ermöglichung einer schwarz-roten Regierung wieder begegnen. (Die ZEIT, 30.11.2017) Abgesehen von Funktionsverbgefügen sind alle von den beiden Lexika ge‐ nannten Merkmale enthalten: ▸ Nominalisierungen: Anbahnung, Sondierung, Herbeiführung, Koali‐ tionsverhandlung, Ermöglichung, Regierung; ▸ Kompositum: Koalitionsverhandlung ; ▸ Partizipialattribut: kommenden ; ▸ Genitivattribute: Anbahnung einer Sondierung, Ermöglichung einer Regierung; ▸ Präpositionalattribute: zur Anbahnung, zur Herbeiführung, von Ko‐ alitionsverhandlungen, zur Ermöglichung; ▸ Subordination der Attribute (bis zum siebenten Grad) 57 Grammatische Merkmale des Nominalstils 57 18270_Hennig_Bel.indd 57 18270_Hennig_Bel.indd 57 05.02.2020 11: 02: 04 05.02.2020 11: 02: 04 Die Subordination der postnominalen Attribute zu Gespräche bis zum sie‐ benten Grad wird in der folgenden Abbildung dargestellt: Gespräche zur Anbahnung einer Sondierung zur Herbeiführung von Koalitionsverhandlungen zur Ermöglichung einer Regierung schwarz-roten Abb. 8: Attributstruktur in Beispiel (1) Die Abbildung illustriert die Unterordnung der einzelnen Attribute als Trep‐ penstruktur, weil auf diese Weise die mehrfache Unterordnung sowie die sich daraus ergebenden Unterordnungsgrade transparent sichtbar gemacht werden können. Die sieben Treppenstufen entsprechen hier je einem Unterordnungs‐ grad. Lediglich das Attribut ersten Grades zur Anbahnung bezieht sich auf das Kernnomen der maximalen Nominalgruppe Gespräche ; alle anderen Attribute beziehen sich auf nominale Kerne, die selbst bereits Teile von Attributen sind. Mehrere Attribute sind aber nicht immer in einer solchen Treppenstruktur auf‐ einander bezogen; vielmehr können sich Attribute auch gemeinsam auf einen Kern beziehen (siehe Kapitel „Nominale Komplexität“). Mit den vielen Nominalisierungen und Attributen macht der Satz von den Möglichkeiten des Nominalstils starken Gebrauch, und ganz offenbar hän‐ gen die Dinge zusammen: Die Nominalisierungen bilden Kerne von Nomi‐ nalgruppen, die attributiv erweitert werden können. Das Prinzip ist rekur‐ siv, d. h., die Kerne von attributiven Erweiterungen können selber wieder Nominalisierungen sein, die auch wiederum erweitert werden können. Um nachvollziehen zu können, was genau passiert, wenn wir uns für eine nominalstilistische Formulierung entscheiden, bietet sich ein Vergleich mit einem verbalstilistischen Pendant an. Wenn man nun aus (1) alle Nomina‐ lisierungen auflöst und dennoch das Ziel beibehält, alle Informationen in einem Satz unterzubringen, so erhält man in etwa: 58 Nominalstil: Eine erste Annäherung 58 18270_Hennig_Bel.indd 58 18270_Hennig_Bel.indd 58 05.02.2020 11: 02: 04 05.02.2020 11: 02: 04 (1‘) [Die SPD wäre gut beraten, die Sache genau zu studieren], manches davon könnte ihr in den Gesprächen wieder begegnen, die kommen sollen, in de‐ nen angebahnt werden soll, wie man sondieren kann, wie man herbeiführen kann, dass über eine Koalition verhandelt wird, wodurch ermöglicht werden soll, dass Schwarz-rot regieren. Was ist zusätzlich zum Auflösen der Nominalisierungen passiert? Wir be‐ schränken uns in der Analyse auf den Teil, der mit manches beginnt, denn streng genommen enthält der orthographische Ausgangssatz (1) zwei gram‐ matische Sätze (erkennbar daran, dass nach studieren auch ein Punkt stehen könnte). Die folgenden Unterschiede lassen sich feststellen: ▸ (1) enthält 24 Wortformen, (1‘) 38 Wortformen; ▸ (1) enthält 8 Nomen (ein Pronomen [ manches ], ein lexikalisiertes De‐ rivat [ Gespräch ], sechs ung -Nominalisierungen, s. o.), (1‘) 4 Nomen (ein Pronomen und ein lexikalisiertes Derivat [vgl. (1)], ein entlehntes Nomen [ Koalition ], ein durch Konversion nominalisiertes Adjektiv [ Schwarz-rot ]); ▸ (1) enthält 1 finites Verb, (1‘) 8 finite Verben; ▸ bei (1) handelt es sich um einen einfachen Satz, d. h., er enthält keine Nebensätze. (1‘) hingegen enthält sieben Nebensätze; ▸ es gibt in (1‘) nur noch Attributsätze und keine Genitiv- und Partizi‐ pialattribute mehr. Die kleine Gegenüberstellung lässt bereits erkennen, dass die Entscheidung für Verbal- oder Nominalstil erhebliche Konsequenzen für den gesamten Satzbau hat: Es geht nicht nur um „Substantive statt Verben“, vielmehr führt der vermehrte Rückgriff auf Substantive / Nomen zu einer Vielzahl an Fol‐ geerscheinungen. Im Folgenden sollen die einzelnen, in den Begriffsbestimmungen der sprach‐ wissenschaftlichen Lexika angenommenen Merkmale des Nominalstils ge‐ nauer betrachtet werden. Die Frage ihres Beitrags zum Nominalstil kann erst im folgenden Teilkapitel im Anschluss an eine eigene Begriffsbestimmung diskutiert werden. Von den zu Beginn dieses Teilkapitels genannten Merk‐ malen werden hier die Merkmale Funktionsverbgefüge, Komposita und Par‐ tizipialattribute herausgegriffen. Da ‚Nominalisierung‘ und ‚Attribut‘ be‐ reits Gegenstand des Kapitels „Grundbegriffe“ sind und insbesondere im Kapitel „Satzbaupläne und Nominalgruppenbaupläne“ umfangreich auf den 59 Grammatische Merkmale des Nominalstils 59 18270_Hennig_Bel.indd 59 18270_Hennig_Bel.indd 59 05.02.2020 11: 02: 04 05.02.2020 11: 02: 04 Zusammenhang von Nominalisierung und Attribuierung eingegangen wird, kann hier auf eine erneute Begriffsbestimmung verzichtet werden. Attribute werden ohnehin im Studienbuch an vielen Stellen eine wichtige Rolle spielen (vgl. u. a. das Kapitel „Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syn‐ tax“). Partizipialattribute werden hingegen hier in den kurzen Überblick über grammatische Merkmale des Nominalstils einbezogen. Funktionsverbgefüge Diskurs: Zur Terminologie Der Terminus ‚Funktionsverbgefüge‘ geht zurück auf Engelen (1968). Vorreiter der Beschäftigung mit den Funktionsverbgefügen war von Polenz (1963) mit seinem Aufsatz zu „Funktionsverben im heutigen Deutsch“. In diesem Text spricht von Polenz noch von „Funktions‐ verbformeln“. Der Ausgangspunkt seiner Auseinandersetzung mit dem Phänomen sind „Substantivformen“ mit einer „Nominalisierung des Verbalausdrucks“ (1963: 11). Später unterscheidet er zwischen Nominalisierungsverbgefügen (NVG) und Funktionsverbgefügen (FVG) (1987). Dabei ist Nominalisierungsverbgefüge der Oberbegriff, er bezeichnet einen „heterogenen Bereich“, der wie folgt gekennzeich‐ net werden kann: „Mit Hilfe einer Verb + Substantiv-Verbindung wird hier ein Verb oder Adjektiv durch Nominalisierung in substantivischer Form als Prädikatsausdruck verwendet.“ (1987: 1970) FVG sind bei von Polenz eine näher bestimmbare Teilmenge der NVG mit solchen No‐ minalisierungsverben, „die eine systematisch beschreibbare Eigenbe‐ deutung in ganzen Gruppen von NVG haben“ (ebd.) (zur Art der Ei‐ genbedeutung s. u.). Die IdS-Grammatik übernimmt die terminologische Unterscheidung zwischen NVG und FVG von von Polenz. Die meisten Grammatiken (bspw. Dudengrammatik 2016 und Eisen‐ berg 2013b) verwenden hingegen nur den Terminus ‚Funktionsverb‐ gefüge‘. Eisenberg bezieht sich damit aber nur auf Verbindungen aus Funktionsverb und Präpositionalgruppe (auch in Eisenberg 2006b). Die Forschungsliteratur knüpft vereinzelt an den Differenzierungs‐ vorschlag von von Polenz an (bspw. Storrer 2006), der Terminus ‚Funk‐ tionsverbgefüge‘ ist aber insgesamt häufiger anzutreffen. Da die ge‐ naue Bestimmung der Klasse der Funktionsverbgefüge problematisch ist und von den in den jeweiligen Arbeiten getroffenen Festlegungen 60 Nominalstil: Eine erste Annäherung 60 18270_Hennig_Bel.indd 60 18270_Hennig_Bel.indd 60 05.02.2020 11: 02: 04 05.02.2020 11: 02: 04 abhängt, kann nicht allgemein gesagt werden, ob die als Funktions‐ verbgefüge bezeichneten Nomen-Verb-Verbindungen den von Po‐ lenz’schen NVG und / oder FVG entsprechen. Wir verwenden hier den Terminus ‚Funktionsverbgefüge‘ als den gebräuchlicheren Terminus; auf die Definitionsschwierigkeiten gehen wir im Folgenden ein. Funktionsverbgefüge gelten als Kennzeichen des Nominalstils schlechthin. Das liegt anscheinend auch auf der Hand, da diese nominale Ausdrucksalternativen zu Verben darstellen: (12) a. beweisen - unter Beweis stellen b. abschließen - zum Abschluss bringen c. versprechen - ein Versprechen geben d. angewendet werden - zur Anwendung kommen e. sterben - im Sterben liegen Die Gemeinsamkeit zwischen den Beispielen besteht darin, dass ein Verb durch eine syntaktische Fügung aus einer Nominalisierung des Verbs und einem bedeutungsarmen Verb ersetzt wird. Außer Frage steht laut van Pottelberge der kategoriale Aufbau von Funktionsverbgefügen (2001: 448): Verb + (Präposition +) Nomen Eine solche Verbindung allein macht aber noch kein Funktionsverbgefüge. Die folgenden Belege der Wortverbindung brachte zum Abschluss aus dem Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) sollen dies illustrieren: (13) a. BRZ07/ APR.10945 Braunschweiger Zeitung, 16.04.2007; Dann aber wurden auch die Gäste nach vorne gefährlicher. Einen stark aus‐ geführten Spielzug brachte Bernd Mittendorf zum Abschluss, doch SSV-Keeper Göral Graf machte es seinem Gegenüber nach und hielt mit einer Glanzparade. b. BRZ12/ NOV.00723 Braunschweiger Zeitung, 02.11.2012; Sein Le‐ ben geriet schon früh aus dem Ruder: Die Hauptschule beendete er nach der 7. Klasse, eine Lehre brachte er nicht zum Abschluss, erste Dro‐ generfahrungen sammelte er im Alter von 13 - schmiss Ecstasy, zog Koks, rauchte Heroin und blieb auf Cannabis hängen. c. BVZ08/ OKT.03922 Burgenländische Volkszeitung, 29.10.2008; Der bekannte Kinder- und Jugendbuchautor Christoph Mauz brachte 61 Grammatische Merkmale des Nominalstils 61 18270_Hennig_Bel.indd 61 18270_Hennig_Bel.indd 61 05.02.2020 11: 02: 04 05.02.2020 11: 02: 04 zum Abschluss der Loipersdorf-Kitzladener „Kulturwoche“ erstmalig ein musikalisches Kabarett in den Kultursaal des Gemeindezentrums. d. M03/ MAI.33460 Mannheimer Morgen, 20.05.2003; Zwei Komposi‐ tionen von Josef Gabriel Rheinberger brachte die Kantorei zum Ab‐ schluss des Konzerts vor ihr fasziniertes Publikum. In den ersten beiden Beispielen wird die Wortverbindung als Funktions‐ verbgefüge verwendet; als Indiz dafür kann die häufig als Kriterium ange‐ führte Ersetzbarkeit durch das gleichlautende Vollverb angebracht werden: (13a‘) Einen stark ausgeführten Spielzug schloss Bernd Mittendorf ab. (13b‘) Die Hauptschule beendete er nach der 7. Klasse, eine Lehre schloss er nicht ab. Für die anderen beiden Beispiele gilt diese Analyse nicht: Hier ist das Verb bringen Vollverb mit einer Akkusativergänzung und einer Direktivergän‐ zung: (13c‘) Der Autor brachte das Kabarett in den Kultursaal. (13d‘) Die Kantorei brachte zwei Kompositionen vor ihr Publikum. Laut dem Elektronischen Valenzwörterbuch (E-VALBU) lautet die Para‐ phrase für diese Lesart von bringen (13e) jemand sorgt dafür, dass jemand / etwas irgendwohin gelangt, um dort be‐ halten zu werden oder eine Zeit lang zu verbleiben Die drei Ergänzungen Subjekt, Akkusativobjekt und Adverbial (direktiv) sind laut E-VALBU obligatorische Ergänzungen. Zum Abschluss gehört hin‐ gegen nicht zur Valenz des Verbs bringen , es ist in (13 c,d) ein temporales Adverbial, das hier zufällig für die formale Gleichheit der beiden Verbin‐ dungen aus Verb und Präpositionalgruppe sorgt: (13c‘‘) Der Autor brachte das Kabarett zum Abschluss / am Abend in den Kul‐ tursaal. (13d‘‘) Die Kantorei brachte zwei Kompositionen zum Abschluss / zu Beginn vor ihr Publikum. 62 Nominalstil: Eine erste Annäherung 62 18270_Hennig_Bel.indd 62 18270_Hennig_Bel.indd 62 05.02.2020 11: 02: 04 05.02.2020 11: 02: 04 Daraus ergibt sich folgende Frage: Was unterscheidet die beiden Beispiel‐ gruppen voneinander, was unterscheidet also ein Funktionsverbgefüge von einer rein kompositionalen Verbindung aus Verb und Nominal- oder Prä‐ positionalgruppe? Funktionsverbgefüge sind als grammatische Kategorie sehr umstritten (s. u.), als einen gemeinsamen Nenner der Diskussion fasst Helbig jedoch zusammen: Es besteht Konsens darüber, dass es sich bei den FVG immer um die Verbindung von einem verbalen Bestandteil (einem Funktionsverb, das arm ist an lexikali‐ scher Bedeutung) und einem nominalen Bestandteil (zumeist einer Nominal‐ gruppe im Akkusativ […] oder einer Präpositionalgruppe […], abgeleitet von kor‐ respondierenden Verben oder Adjektiven) handelt, der die hauptsächliche (lexikalische) Bedeutung trägt, dass beide erst zusammen eine semantische Ein‐ heit und ein Satzglied (das Prädikat des Satzes) bilden. (Helbig 2006: 166) Die folgende Übersicht versucht, die zentralen Komponenten dieser Be‐ standsaufnahme zu veranschaulichen: zum Abschluss ein Versprechen zur Anwendung bringen geben kommen nominaler Bestandteil verbaler Bestandteil (NGr im Akk. oder PrGr mit Verbalabstraktum) (Funktionsverb) lexikalische Bedeutung arm an lex. Bedeutung semantische Einheit Prädikatsausdruck Abb. 9: Funktionsverbgefüge: Grundstruktur und Funktion 63 Grammatische Merkmale des Nominalstils 63 18270_Hennig_Bel.indd 63 18270_Hennig_Bel.indd 63 05.02.2020 11: 02: 04 05.02.2020 11: 02: 04 Wie die verwendeten Beispielgruppen erkennen lassen, gibt es zwei große Gruppen von Funktionsverbgefügen: Funktionsverbgefüge mit einer Nomi‐ nalgruppe im Akkusativ als Kern sowie solche mit einer Präpositional‐ gruppe als Kern (vgl. Fabricius-Hansen 2006: 261 ff.; Dudengrammatik 2016: 225). Für die Eingrenzung des Phänomenbereichs hat sich aber insbesondere die semantische Struktur der Funktionsverbgefüge als wichtig erwiesen. Für eine Annäherung an diese Thematik greifen wir auf den folgenden Vergleich eines einfachen Vollverbs mit einem Funktionsverbgefüge bei Fabri‐ cius-Hansen (2006: 260) zurück: (dass) Anna (dass) wir Anna [[zum Lachen Verbalabstr. ] bringen finites FV ]: komplexes Prädikat lacht [ finites Vollverb ]: einfaches Prädikat Kernbedeutung Kausativität Zeitbezug Modalität Num.-Pers. Abb. 10: Vollverb vs. Funktionsverbgefüge (Fabricius-Hansen 2006: 260) Die Übersicht veranschaulicht den semantischen Mehrwert des Funktions‐ verbgefüges gegenüber dem Vollverb, den Fabricius-Hansen hier mit „Kau‐ sativität“ benennt. ‚Kausativität‘ heißt hier: In einem Satz wie (14) Fritz bringt Anna zum Lachen verursacht Fritz das Lachen von Anna. Zum Lachen bringen ist also nicht einfach nur ein nominales Äquivalent von lachen , sondern das Funktions‐ verbgefüge führt dazu, dass zusätzlich ein Verursacher genannt wird. Bei Kausativität handelt es sich also um eine „beschreibbare Eigenbedeu‐ tung“ (von Polenz 1987: 170) des Funktionsverbs. Neben Kausativierung ist die Aktionsartdifferenzierung der zweite Zentralbereich der beschreibbaren Eigenbedeutung. Mit ‚Aktionsart‘ werden „Zusammenhänge zwischen dem vom Verb bezeichneten Geschehen oder Sachverhalt und dem damit ver‐ bundenen internen Zeitverlauf “ beschrieben (Dudengrammatik 2016: 415). Laut Eisenberg läuft es in Bezug auf die FVG „auf ein binäres Aktionsart‐ system hinaus“ (2006b: 304): 64 Nominalstil: Eine erste Annäherung 64 18270_Hennig_Bel.indd 64 18270_Hennig_Bel.indd 64 05.02.2020 11: 02: 04 05.02.2020 11: 02: 04 15 a. inchoativ bringen, gelangen, geraten, kommen, setzen, stellen b. durativ halten, liegen, stehen (Eisenberg 2006b: 304) ‚Inchoativ‘ bedeutet ‚eintretend‘ bzw. ‚beginnend‘ (Dudengrammatik 2016: 416). Mit Funktionsverbgefügen wie zur Aufführung bringen / kommen oder zur Diskussion stellen wird also das Eintreten des durch das Verbalabstrak‐ tum bezeichneten Sachverhalts thematisiert. Durative Funktionsverbgefüge wie im Sterben liegen oder zur Diskussion stehen hingegen bezeichnen das Andauern des genannten Sachverhalts. Auf die Relevanz der Aktionsarten wird häufig auch insbesondere deshalb verwiesen, weil sich durch die Ver‐ bindung eines nominalen Kerns mit verschiedenen Funktionsverben u. U. Bedeutungsunterschiede auf der Basis der Aktionsarten ergeben können, vgl. in Verbindung treten (= inchoativ) vs. in Verbindung bleiben (= durativ). Trotz dieser auf den ersten Blick recht klaren Anhaltspunkte ist die ge‐ naue Bestimmung des Gegenstandsbereichs an Nomen-Verb-Verbindungen, die als Funktionsverbgefüge eingeordnet werden können, schwierig. Wäh‐ rend die Beispielgruppe 13 lediglich illustriert hat, dass nicht jede in Frage kommende Nomen-Verb-Verbindung automatisch ein Funktionsverbgefüge ist, dabei aber klar abgrenzbare Beispieltypen beinhaltete, erweist sich ins‐ besondere die Abgrenzung von Funktionsverbgefügen zu sogenannten Kol‐ lokationen und Phraseologismen als Herausforderung für die Forschung (vgl. dazu insbesondere Helbig 2006 sowie Heine 2006: 55 ff.). Phraseologis‐ men lassen sich noch relativ leicht von Funktionsverbgefügen abgrenzen, wenn man von einer „Unmöglichkeit, die Gesamtbedeutung aus den Bedeu‐ tungen der einzelnen Bestandteile und deren syntaktischer Verknüpfung zu erschließen“, ausgeht (IdS-Grammatik 1997: 1067). Typische Beispiele sind (ebd.): am Hungertuch nagen, unter dem Pantoffel stehen. Mit einem Funkti‐ onsverbgefüge wie zur Diskussion stehen wird tatsächlich auf den Vorgang des Diskutierens Bezug genommen; unter dem Pantoffel stehen hingegen ist nicht im wörtlichen Sinne auf Pantoffel zu beziehen, sondern kann eher mit ‚unterdrückt werden‘ paraphrasiert werden. Schwieriger ist die Abgrenzung der FVG von Kollokationen, weil hier das Abgrenzungskriterium der wört‐ lichen vs. übertragenen Bedeutung nicht greift. ‚Kollokation‘ meint im wei‐ teren Sinne zunächst nur das „erwartbare[…] Miteinandervorkommen von Lexemen“ (Helbig 2006: 169). Der Terminus ist also nicht auf Nomen-Verb- 65 Grammatische Merkmale des Nominalstils 65 18270_Hennig_Bel.indd 65 18270_Hennig_Bel.indd 65 05.02.2020 11: 02: 04 05.02.2020 11: 02: 04 Verbindungen festgelegt. Beispiele für kollokative Substantiv-Verb-Verbin‐ dungen sind etwa: Tisch decken, Zähne putzen, den Nagel einschlagen. Die Kollokationen sind somit auch feste Verbindungen (vgl. * den Tisch legen, *Zähne waschen, * den Nagel einhauen ; vgl. dazu Feilke 1996). Der entschei‐ dende Unterschied zwischen Funktionsverbgefügen und Kollokationen dürfte darin bestehen, dass das Verb in den entsprechenden Kollokationen seinen Vollverbcharakter beibehält mit der folgenden Konsequenz: „Bei den FVG bilden Verb und nominaler Teil zusammen das (komplexe) Prädikat, bei den Kollokationen nicht: Bei ihnen bildet das Verb allein das Prädikat, der nominale Teil ist Objekt oder Adverbial.“ (Helbig 2006: 171) Diskurs: Gibt es eine grammatische Kategorie ‚Funktionsverbgefüge‘? Auch wenn wir uns in der oben stehenden Diskussion darum bemüht haben, klare Anhaltspunkte für die Bestimmung der Funktionsverb‐ gefüge und damit auch für die Zuordnung einzelner Vorkommen von Nomen-Verb-Verbindungen zu dieser Klasse herauszuarbeiten, sei hier noch darauf verwiesen, dass die Kategorie durchaus umstritten ist. Eisenberg spitzt wie folgt zu: „‚Funktionsverbgefüge‘ ist mit Sicherheit keine grammatische Kategorie.“ (2013b: 305) Er spielt damit auf die Schwierigkeiten einer genauen Eingrenzung an, die dazu führen, dass FVG als grammatische Kategorie immer wieder in Frage gestellt wer‐ den, bleibt aber selbst dabei, FVG als Terminus zur Bezeichnung einer „besondere[n] syntaktische[n] Beziehung zwischen PrGr und FV“ zu verwenden (ebd). Der prominenteste Kritiker der FVG ist van Pottel‐ berge (2001). Mit Formulierungen wie „Die Kategorisierung verbono‐ minaler Konstruktionen: Sinn und Unsinn“ (2001: 435), „Die Gram‐ matikalisierung von Funktionsverbgefügen: ein Spuk“ (2001: 438) und „Das gescheiterte Ringen um ein sprachliches Zeichen“ (2001: 448) fasst er seine Einschätzung provokativ zusammen. Ein zentraler Kri‐ tikpunkt ist dabei die fehlende Deckung formaler und inhaltlicher Merkmale (ebd.). So zeigt sich bei den FVG in besonders deutlicher Weise ein Grundsatzproblem grammatischer Kategorienbildung: Ein semantisch motiviertes Begriffsverständnis setzt syntaktische Krite‐ rien zur Zuordnung von Elementen zur jeweiligen Kategorie voraus; andererseits können die syntaktischen Kriterien im Grunde genom‐ men aber erst aus dem Grundverständnis der Kategorie abgeleitet werden. Van Pottelberge spricht in Bezug auf die FVG von einer „deut‐ 66 Nominalstil: Eine erste Annäherung 66 18270_Hennig_Bel.indd 66 18270_Hennig_Bel.indd 66 05.02.2020 11: 02: 05 05.02.2020 11: 02: 05 liche[n] Konkurrenz zwischen einem syntaktischen und einem se‐ mantischen Kriterium“ (2001: 449). So zeigt sich letztendlich: Das Aus‐ gehen von einem Inventar an Nomen-Verb-Verbindungen, dem ein Begriffsverständnis von Funktionsverbgefügen zuzuordnen ist, führt zwangsläufig zu einer heterogenen Gruppe an Kriterien. Wenn hin‐ gegen die Klasse der FVG auf der Basis eines einheitlichen Kriteriums bestimmt wird, hängt es vom jeweiligen Kriterium ab, welche Kandi‐ daten am Ende als FVG betrachtet werden und welche nicht (vgl. dazu Harm 2020). Van Pottelberge gelangt zu dem Schluss, dass die Be‐ schreibung und Erfassung von Funktionsverbgefügen Aufgabe der Stilistik und Lexikographie sei (2001: 455). Man solle die Bezeichnung ‚Funktionsverbgefüge‘ nur „als intuitive Charakterisierung“ verwen‐ den (ebd.). Eisenberg kontert: „Vielleicht können wir unsere Gram‐ matiken um einige Seiten kürzen, aber vielleicht müssen wir nur etwas mehr Aufwand treiben, um die FVG ordentlich zu beschreiben“ (2006b: 300), und spricht sich für einen Prototypenansatz aus (2006b: 307 ff.). In der hier kurz zusammengefassten Diskussion um den kategorialen Stellenwert der Funktionsverbgefüge geht es im Grunde genommen auch um die Frage, ob die Funktionsverbgefüge eine grammatische Kategorie oder Einheiten des Lexikons sind. Gerade weil sich die Kon‐ struktionsgrammatik zum Ziel setzt, die starren Grenzen zwischen Grammatik und Lexikon zu überwinden, dürften von ihr neue Zu‐ gänge zum Phänomen der Funktionsverbgefüge zu erwarten sein. Komposita Das Deutsche gilt als „kompositionsfreudige Sprache“ (Schlücker 2012). Der Grund für die hohe Anzahl an Komposita im Deutschen ergibt sich quasi automatisch aus einem Blick auf die Struktur unseres Wortschatzes. Die 27. Auflage des Rechtschreibdudens enthält 145.000 Einträge. Dem stehen nur ca. 2000 selbstständige Substantive gegenüber (Eisenberg 2013a: 32). Laut Fleischer / Barz bilden Substantive mit ca. 50-60% den Hauptteil des Wort‐ schatzes (2007: 84). Wenn man die niedrige Anzahl an einsilbigen Substan‐ tiven mit der Anzahl an Lexemen in unserem Aktiv- und Passivwortschatz oder in einem Rechtschreibwörterbuch vergleicht, wird nachvollziehbar, dass die große Lücke nicht allein durch Neuwortbildungen und Entlehnun‐ gen überbrückt werden kann. So weist Eisenberg darauf hin, dass das Sub‐ 67 Grammatische Merkmale des Nominalstils 67 18270_Hennig_Bel.indd 67 18270_Hennig_Bel.indd 67 05.02.2020 11: 02: 05 05.02.2020 11: 02: 05 stantivkompositum „der verbreitetste Worttyp des Deutschen überhaupt ist“ (2013a: 217). Die Termini Komposition (= der Wortbildungsprozess) sowie Komposi‐ tum (= das Wortbildungsprodukt) legen einen Zusammenhang mit der Kom‐ positionalität und dem Kompositionalitätsprinzip nahe. Eichinger definiert Komposition wie folgt: „Bei der Komposition werden zwei Einheiten mit lexematischer Bedeutung zu einem neuen Text- oder Lexikonwort zusam‐ mengefügt.“ (2000: 115) Als Beispiel führt er an: (16) [Ameise] subst + n + [Bau] subst Die beiden Einheiten mit lexematischer Bedeutung Ameise und Bau werden hier zu einem neuen Lexem zusammengefügt; quasi ergibt hier 1+2=3. Kom‐ position ist also offenbar ein Paradefall für das sogenannte Kompositiona‐ litätsprinzip: Die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks ergibt sich eindeutig aus der lexika‐ lischen Bedeutung seiner Komponenten, aus deren grammatischer Bedeutung und aus seiner syntaktischen Struktur. (Löbner 2015: 14) Was aber ist die grammatische Bedeutung und die syntaktische Struktur eines Kompositums? Betrachten wir dazu erneut den Ameisenbau : bau ist eine morphologische Konversion von bauen. Dem Verb bauen liegt die Grundstruktur jemand baut etwas zugrunde. Man könnte nun damit rech‐ nen, dass der zweite Teil des Kompositums eine Ergänzung des Verbs bauen beinhaltet, also dass damit entweder der Jemand oder das Etwas in das Kom‐ positum eingeführt wird. Das ist hier offensichtlich der Fall: Bei einem Ameisenbau handelt es sich um ein Bauwerk, das Ameisen errichtet haben. In Hausbau hingegen geht nicht das Jemand , sondern das Etwas in das Kom‐ positum ein. Als welche Art der Ergänzung wir das Erstglied eines Kompo‐ situms mit bau zu interpretieren haben, können wir folglich an der Ober‐ fläche nicht erkennen, d. h., wir sehen den beiden Komposita Ameisenbau und Hausbau nicht an, dass die Beziehung zwischen Erst- und Zweitglied hier jeweils eine andere ist. Hinzu kommt, dass wir unter Ameisenbau si‐ cherlich nicht nur ein Bauwerk verstehen, das Ameisen gebaut haben, son‐ dern ein Ameisenbau ist ja gleichzeitig ein Bau für Ameisen, also ein Bau‐ werk, in dem Ameisen leben und arbeiten. Einige weitere Beispiele mit bau als Zweitglied dienen der weiteren Diskussion: 68 Nominalstil: Eine erste Annäherung 68 18270_Hennig_Bel.indd 68 18270_Hennig_Bel.indd 68 05.02.2020 11: 02: 05 05.02.2020 11: 02: 05 (17) a. Mauerbau Bau der Mauer b. Neubau 1.a) das Bauen, Errichten (eines neuen Bauwerks); b) das Wie‐ dererrichten eines schon einmal vorhanden gewesenen Bauwerks 2.a) im Bau befindliches Gebäude; b) neu gebautes od. verhältnismäßig neues Gebäude; c) (Technik) neu gebautes Modell c. Unterbau 1.a) unterer, meist stützender Teil von etw., auf dem etw. aufgebaut ist; Fundament; b) Grundlage, Basis 2. Sockel, Postament 3.a) (Straßenbau) Tragschicht; b) (Eisenbahn) Schicht, die den Oberbau trägt d. Bergbau systematische Gewinnung von Bodenschätzen Zu den Komposita sind hier jeweils Bedeutungserläuterungen (Paraphrasen) aus dem Duden Universalwörterbuch (2011) aufgeführt. Interessant ist daran Folgendes: Wenn das Kompositionalitätsprinzip uneingeschränkte Geltung für Komposita hätte, müsste es gar keine Einträge im Wörterbuch geben, denn wir könnten die Bedeutung ja einfach als Summe der Bedeutung der Bestandteile verstehen. Dass es bei Neubau und Unterbau mehrere Bedeu‐ tungsvarianten gibt, spricht auch gegen eine uneingeschränkte Geltung des Kompositionalitätsprinzips, denn wenn das der Fall wäre, dürfte es nur eine Bedeutungsvariante geben. Zur Beziehung zwischen den Kompositionsgliedern lässt sich sagen: Nur das Kompositum Mauerbau enthält ein Erstglied, das eine der Ergänzungen des Verbs bauen ist. Dabei deutet der bestimmte Artikel in der Paraphrase aber darauf hin, dass eine reine Addition von bauen und Mauer noch nicht die Bedeutung von Mauerbau ergibt: Gemeint ist eben nicht irgendeine Mauer, sondern die Berliner Mauer. Bei den anderen drei Komposita geht keine Er‐ gänzung des Verbs bauen in die Komposition ein. Bergbau ist natürlich nicht der Bau eines Bergs, sondern das Abbauen von Bodenschätzen im Berg; das Erstglied ist hier also quasi eine Lokalangabe. Das gilt im Grunde genommen auch für Unterbau. In Neubau wiederum wird mit dem Erstglied die Modali‐ tät des Bauens bezeichnet bzw. die Qualität des Produkts spezifiziert. Dass die Komposita im Lexikon aufgeführt sind, dass sie alle Bedeutungen haben, die sich nicht einfach auf die Grundstruktur des Verbs bauen mit seinen Ergänzungen zurückführen lassen, dass einige von ihnen sogar meh‐ rere Bedeutungsvarianten haben, zeigt uns, dass die Art der Beziehung zwi‐ schen Erst- und Zweitglied unterschiedlicher Natur sein kann. Die hier auf‐ geführten Komposita sind folglich Lexeme in dem Sinne, dass sie lexikalisiert 69 Grammatische Merkmale des Nominalstils 69 18270_Hennig_Bel.indd 69 18270_Hennig_Bel.indd 69 05.02.2020 11: 02: 05 05.02.2020 11: 02: 05 und dementsprechend Bestandteile des Lexikons sind. Sie sind also, wie Eichinger es formuliert hat, „Lexikonwörter“. Der auf diese Weise gewonnene Eindruck von den Grenzen des Kompo‐ sitionalitätsprinzips wird untermauert durch eine empirische Analyse zur Dekodierung von Substantivkomposita (Klos 2011). Klos hat Versuchsper‐ sonen Komposita vorgelegt mit der Aufgabe, sie zu definieren. Wenn das Kompositionalitätsprinzip reibungslos anwendbar wäre, dürfte es nur je eine Lesart geben, denn jeder kompetente Sprecher des Deutschen müsste aufgrund der 1+2=3-Formel das Kompositum auf gleiche Weise verstehen. Das ist aber offensichtlich bei vielen Komposita nicht der Fall: Die Defini‐ tionen ergaben je 10 unterschiedliche Lesarten für Klatschguru und Herdprämie , 11 für Gardinenpredigt , 18 für Heuschreckendebatte , 27 für Krebspersönlichkeit und 32 für Pinguin-Effekt. Klos schlussfolgert, dass das Kompositionalitätsprinzip mehr verspricht, als es leisten kann: Während die lexikalischen Bedeutungen der unmittelbaren Konstituenten bei der Dekodierung nicht-nennfester Komposita immer eine zentrale Rolle spielen, die‐ nen das Wissen über ihre grammatischen Bedeutungen sowie das Wissen über die syntaktische Struktur von Substantiven nicht immer als verlässliche Inter‐ pretationsquellen, die bei der Bedeutungsbestimmung zu Rate gezogen werden können. (2011: 287) Kommen wir von den einführenden Bemerkungen zu Komposition und Kompositionalität nun zu der Frage, welche Arten von Komposita gemeint sein könnten, wenn ein Zusammenhang zwischen Nominalstil und Kom‐ position hergestellt wird. Es kann hier natürlich nicht darum gehen, das Phänomen der Komposition flächendeckend aufzuarbeiten; dazu sei auf die Darstellungen in den Standardwerken zur Wortbildung verwiesen (bspw. Fleischer / Barz 2007; Eichinger 2000). Vielmehr steht hier die Frage im Mit‐ telpunkt, inwiefern Komposition zum Nominalstil beiträgt. In der Begriffs‐ bestimmung von Bußmann wird darauf hingewiesen, dass „dem abstrakten Substantiv […] weitere Informationsteile angegliedert werden [können], z. B. als […] Kompositionsglieder ( Verkehrsberuhigungsmaßnahme )“. (2002: 472) Im Metzler Lexikon Sprache werden Komposita als grammatisches Merkmal des Nominalstils mit Komprimierung in Verbindung gebracht (Glück / Rödel 2016: 467). Um im Anschluss an die folgende eigene Begriffs‐ bestimmung von ‚Nominalstil‘ klären zu können, welche Aspekte der Kom‐ position einschlägig für den Nominalstil sind, sollen hier erst einmal die dafür nötigen Grundlagen erarbeitet werden. 70 Nominalstil: Eine erste Annäherung 70 18270_Hennig_Bel.indd 70 18270_Hennig_Bel.indd 70 05.02.2020 11: 02: 05 05.02.2020 11: 02: 05 In der Dudengrammatik werden Komposita als „komplexe Wörter aus wortfähigen unmittelbaren Konstituenten“ definiert (2016: 675). Mit „un‐ mittelbar wortfähige Konstituente“ ist gemeint, dass die Konstituenten eines Kompositums auch jeweils als selbstständiges Wort vorkommen können (bspw. Haustür - Haus ist „wortfähig“ und Tür auch). Das unterscheidet Komposita von anderen Wortbildungprodukten wie etwa durch Derivation gebildete Lexeme: Von den Konstituenten von Heiterkeit ist nur heiter wort‐ fähig, keit hingegen nicht. Komposition ist prinzipiell verschiedenen Wort‐ arten zugänglich. Das Studienbuch zur Wortbildung der deutschen Gegen‐ wartssprache von Fleischer / Barz (2007) enthält Teilkapitel zur Komposition auch in Bezug auf Verben ( spazierenfahren, kopfstehen, liebäugeln ), Adjektive ( entscheidungsfreudig, ordnungsliebend, schwerkrank ) und Adverben ( kur‐ zerhand, hinterher, landauf ). Einige der Beispiele lassen bereits erkennen, dass auch Wörter verschiedener Wortarten Konstituenten eines Komposi‐ tums sein können. Bspw. setzt sich das Kompositum entscheidungsfreudig aus dem (seinerseits deverbalen) Nomen Entscheidung und dem Adjektiv freudig zusammen. Schwerkrank hingegen ist ein Adjektivkompositum, das aus zwei Adjektiven besteht. Entscheidend für die Klassifikation ist am Ende immer die Wortart des Zweitglieds, also krank in schwerkrank und freudig in entscheidungsfreudig. Das Zweitglied verhält sich wie ein Adjektiv: Es wird dekliniert wie ein Adjektiv und ist die Grundlage dafür, dass das Ad‐ jektivkompositum in einer einschlägigen syntaktischen Funktion im Satz vorkommt. Im Kontext der Auseinandersetzung mit dem Nominalstil konzentrieren wir uns im Folgenden auf Substantivkomposita. Laut Eisenberg kann der erste Bestandteil substantivisch ( Schulheft, Regierungsauftrag ), adjektivisch ( Falschgeld, Niedrigstpreis ) oder verbal sein ( Mischehe, Rasierapparat ); ver‐ einzelt auch eine Präposition ( Nebenfrau, Durchgang ) (2013a: 217). Dabei gilt für alle Substantivkomposita gleichermaßen, dass sie den substantivischen Wortschatz erweitern und zur Verdichtung beitragen. Dennoch sind zwei‐ felsohne für Fragen des Nominalstils die Substantivkomposita mit einem deverbalen Bestandteil besonders interessant. Dabei kann keineswegs nur - wie in den Beispielen Mischehe und Rasierapparat - das Erstglied deverbal sein, sondern es ist auch möglich, dass ein deverbales Nomen als Zweitglied zum Grundwort eines Kompositums wird ( Wärmebehandlung, Grammati‐ kalisierungsforschung ). 71 Grammatische Merkmale des Nominalstils 71 18270_Hennig_Bel.indd 71 18270_Hennig_Bel.indd 71 05.02.2020 11: 02: 05 05.02.2020 11: 02: 05 Unabhängig davon, ob ein Verb Bestimmungswort oder Grundwort eines Substantivkompositums ist, gilt, dass zumindest theoretisch auch Sätze ge‐ bildet werden können, in denen das Verb als solches gebraucht wird: (18) a. Mischehe - Die Ehe ist gemischt b. Rasierapparat - Ich rasiere mich mit dem Apparat c. Wärmebehandlung - Der Patient wird mit Wärme behandelt d. Grammatikalisierungsforschung - Die Linguistin erforscht die Gram‐ matikalisierung Den Beispielen können wir entnehmen, dass die Art der Beziehung zwischen dem Verb und dem Substantiv / Nomen auch bei Komposita mit einem de‐ verbalen Glied sehr unterschiedlich sein kann. Besondere Aufmerksamkeit erfahren in diesem Zusammenhang sogenannte Rektionskomposita. Rekti‐ onskomposita sind solche Komposita, „deren Zweitglied ein „relationales“ Subtantiv ist, das einer grammatischen Ergänzung bedarf, z. B. -abfahrt, -leser. Als Rektionskomposita lassen Zugabfahrt, Romanleser nur eine Lesart zu: ‚Abfahrt des / eines Zuges‘, ‚Leser des Romans / von Romanen‘.“ (Flei‐ scher / Barz 2007: 95) Mit anderen Worten: „Die Bedeutungsrelation zwi‐ schen den Konstituenten ist daher nicht frei interpretierbar, sondern durch das zugrunde liegende Verb bestimmt.“ (Schlücker 2012: 8) Die Relation zwi‐ schen Erst- und Zweitglied „entspricht genau der Relation, die das Verb in einem Satz für die entsprechende Verbergänzung vorsieht“ (Dudengram‐ matik 2016: 731). Laut Eisenberg ist die „charakteristische Rektionseigen‐ schaft eines transitiven Verbs […] die Bindung des direkten (akkusativi‐ schen) Objekts.“ (2013a: 221) Er bezieht sich damit auf Beispiele wie Geldwäscher oder Banknotenfälschung. Bei intransitiven Verben ist hingegen eine „Subjektlesung“ (2013a: 222) typisch ( Körperstrahlung, Linguistenta‐ gung ). Substantivkomposita mit deverbalen Bestandteilen und dabei insbeson‐ dere Rektionskomposita sind für die Beschäftigung mit Nominalstilfragen wichtig und interessant, weil sie eine unmittelbare Vergleichbarkeit eines Kompositums (Nominalstil) mit einer syntaktischen Verbindung aus Verb und Substantiv (Verbalstil) ermöglichen. Das bedeutet aber nicht, dass wir es mit einer freien Wahlmöglichkeit (im Sinne von Abbildung 7) zu tun ha‐ ben. Das liegt daran, dass Komposita Einheiten des Lexikons sind. D. h., gerade häufig verwendete Komposita speichern wir in unserem mentalen Lexikon ab und sie sind auch Gegenstand der Lexikographie, also werden 72 Nominalstil: Eine erste Annäherung 72 18270_Hennig_Bel.indd 72 18270_Hennig_Bel.indd 72 05.02.2020 11: 02: 05 05.02.2020 11: 02: 05 sie in Wörterbüchern verzeichnet. Gaeta / Zeldes belegen mit einer Korpus‐ studie, dass zu einigen besonders häufig gebrauchten Rektionskomposita keine Objekt-Verbverbindungen in ihrem Korpus auftreten. So kommen bspw. die folgenden Rektionskomposita sehr häufig vor, die äquivalenten Objekt-Verbverbindungen hingegen gar nicht (2012: 211): (19) a. Krankheitserreger - 5481; Krankheit erregen - 0 b. Wirtschaftsprüfer - 5347; Wirtschaft prüfen - 0 c. Handelsvertreter - 3009; Handel vertreten - 0 d. Automobilhersteller - 2923; Automobile herstellen - 0 e. Medienvertreter - 2506; Medien vertreten - 0 Die Angaben basieren auf der Analyse eines Ausschnitts aus dem deWaC- Korpus (= deutsch: Web as Corpus) mit einem Umfang von 170 Millionen Token. Gaeta / Zeldes schlussfolgern: „Diese [Rektionskomposita] stellen le‐ xikalisierte Ausdrücke dar, die die Verwendung des entsprechenden Syn‐ tagmas blockieren oder zumindest sehr markiert erscheinen lassen“ (ebd.). In den konkreten Beispielen ist das auch gut nachvollziehbar: Es handelt sich hier um Handlungen mit einem abstrakten oder unbekannten Agens - Komposita bieten sich als deagentivierende Strukturformate hier also sehr gut an. Die Beispiele aus der Studie von Gaeta / Zeldes können also eindeutig als Lexikonwörter im Sinne von Eichinger eingestuft werden. In seiner Be‐ griffsbestimmung zur Komposition war darüber hinaus von Textwörtern die Rede. Was ist damit gemeint? Ein Kompositum kommt sozusagen nicht bereits als Lexikoneinheit auf die Welt: „Die Genese substantivischer Kom‐ posita vollzieht sich in unterschiedlichen Bildungsprozessen, gesteuert von unterschiedlichen kommunikativen und kognitiven Bedürfnissen.“ (Flei‐ scher / Barz 2007: 91) Für den Prozess der Bildung von Komposita verwendet man im Allgemeinen den Terminus ‚Univerbierung‘, der „eine morphosyn‐ taktische Transformation [beschreibt], bei der unterschiedliche Phrasen mit oder ohne Bindemittel aus verschiedenen Gründen näher aneinander treten und somit zu einem Wort zusammenwachsen“ (Baché 2012: 27): (20) Acht Stunden währender Arbeitstag → achtstündiger Arbeitstag → Acht‐ stundentag (Fleischer / Barz 2007: 90) Fleischer / Barz demonstrieren hier, wie man sich den Prozess der Univer‐ bierung vorstellen kann. Im vorliegenden Fall handelt es sich um die Re‐ 73 Grammatische Merkmale des Nominalstils 73 18270_Hennig_Bel.indd 73 18270_Hennig_Bel.indd 73 05.02.2020 11: 02: 05 05.02.2020 11: 02: 05 konstruktion eines abgeschlossenen Prozesses, d. h., der Achtstundentag ist inzwischen ein Lexikonwort, als solches ist es im Duden Universalwörter‐ buch verzeichnet. Der Terminus ‚Univerbierung‘ bezeichnet aber nicht nur das Ergebnis einer Zusammenrückung, sondern auch den Vorgang (Buß‐ mann 2002: 722). Mit einer Fokussierung auf den Vorgang der Zusammen‐ rückung wird die Wortneubildung in den Blick genommen. Man bezeichnet diese als ‚Augenblicksbildung‘ oder auch ‚ad-hoc-Bildung‘. Bußmann defi‐ niert diese wie folgt: „Spontane, meist stark kontextgebundene Wortneubil‐ dungen zur Bezeichnung von neuen oder bisher nicht benannten Sachver‐ halten“ (2002: 105). Ad-hoc-Bildungen sind also Textwörter im Sinne von Eichinger. Wie man sich eine solche kontextgebundene Wortneubildung vorstellen kann, illustrieren anschaulich die folgenden Rekonstruktionen von Wildgen (1982: 243): (21) a. Stern (80, S. 60) (1) Herr X „entdeckte rings um das bayrische Atomkraftwerk Ohu zahl‐ reiche Spatzen mit weißen Federn“ (Voraustext) (2) „die weißen Spatzen von Ohu“ (Spalte 3) (3) „die Atomspatzen“ (Textdistanz zu (2): 2 Sätze). b. Stern (27, S. 144f.) (1) Herr X gibt sich eine Spritze in den Fuß (2) Er schlägt sich mit dem Hammer auf den Fuß (3) Der Fuß schwillt an (4) Herr X fährt ins Krankenhaus (5) Er kassiert 14598 DM Krankenhaustagegeld (H) Herr X hatte sehr hohe Krankenhaustagegeldversicherungen mit mehreren Versicherungsanstalten abgeschlossen. In Zwischentiteln erschienen die Komposita: Hammergeld, Ham‐ mermann Die Beispiele Atomspatzen, Hammergeld und Hammermann sind Augen‐ blickskomposita geblieben, sie haben also den Übergang vom Textwort zum Lexikonwort nicht vollzogen. Die Augenblickskomposita könnten deshalb interessant für Nominalstil‐ fragen sein, weil sie eine Möglichkeit bieten, den Prozess eines Übergangs aus einer verbalen in eine nominale Struktur zu betrachten. Besonders gut sichtbar ist das in sogenannten „Phrasenkomposita“ (Baché 2012: 53): 74 Nominalstil: Eine erste Annäherung 74 18270_Hennig_Bel.indd 74 18270_Hennig_Bel.indd 74 05.02.2020 11: 02: 06 05.02.2020 11: 02: 06 (22) a. Kauf-ohne-Risiko-Garantie b. Bauen-und-ruhig-schlafen-Finanzierung c. Das Fasse-dich-kurz-Prinzip d. Das Verdrängte-Aggressionen-Syndrom Die Beispiele lassen erkennen, dass es bei einer spontanen, kontextgebun‐ denen Wortneubildung im Grunde genommen keine Grenzen dafür gibt, was zusammengerückt werden kann. Die Bindestriche können dabei als Kenn‐ zeichen der ad-hoc-Bildung verstanden werden. Für Nominalstilfragen sind nicht nur Phrasenkomposita interessant, sondern auch Phrasenderivate (Ba‐ ché 2012: 57 ff.) wie Ausderreihetanzer und Phrasenkonversionen wie Nicht‐ mehrarbeitenkönnense (Baché 2012: 60). Der Übergang zwischen Phrasen‐ komposita und Phrasenderivaten ist dabei fließend. So wäre etwa ein Aus-der-Reihe-Tänzer ein Phrasenkompositum; wenn man davon ausgeht, dass der Ausderreihetänzer von einem Verb ausderreihetanzen abgeleitet ist, müsste man diese Univerbierung als Phrasenderivat betrachten. Eine genaue Abgrenzung ist für unsere Belange aber nicht erforderlich; wichtig ist - und das belegen die Beispiele -, dass durch Ad-hoc-Bildungen prinzipiell die Möglichkeit gegeben ist, eine verbale Struktur unmittelbar, d. h. im Kom‐ munikationsakt selbst, in eine nominale zu überführen. Erweiterte Partizipialattribute Erweiterten Partizipialattributen wird hier ein gesondertes Teilkapitel ge‐ widmet, weil es sich bei erweiterten Partizipialattributen um ein spezifisches Mittel der Überführung von Satzinhalten in eine nominale Struktur handelt: „Jedem erweiterten Attribut liegt sozusagen ein Satz zugrunde.“ (Dang 2004: 5) „Das erweiterte Attribut ist das Ergebnis der E INB ETTUNG eines Sat‐ zes in einen anderen Satz.“ (Weber 1971: 63) Die Beschäftigung mit dem Phänomen geht zurück auf die Studie von Weber (1971) zum erweiterten Adjektiv- und Partizipialattribut im Deutschen. Erweiterte Adjektivattribute wie mit einer sehr großen Mehrheit (Weber 1971: 9) oder eine um sieben Euro höhere Abgabenlast (Dang 2004: 1) werden im Folgenden aber nicht in die Betrachtung eingeschlossen, da sie weniger interessant für Nomi‐ nalstilfragen sind. Gegenstand der Betrachtung sind vielmehr erweiterte Partizipialattribute wie 75 Grammatische Merkmale des Nominalstils 75 18270_Hennig_Bel.indd 75 18270_Hennig_Bel.indd 75 05.02.2020 11: 02: 06 05.02.2020 11: 02: 06 (23) a. die seinen Optimismus begründende Fähigkeit (Weber 1971: 9) b. das gerade in einer informellen großen Koalition beschlossene Gesundheitspaket (Dang 2004: 1) c. der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier (Lötscher 1990: 14) d. die sich überraschend schnell zum Kauf des Autos entschlie‐ ßende Familie (Eroms 2000: 277) Fett gedruckt ist hier jeweils das Partizipialattribut mit seinen Ergänzun‐ gen. In den Beispielen bezieht sich jeweils ein Partizip (Partizip I in a, c und d; Partizip II in b) wie ein Adjektiv als Attribut auf ein Substantiv / Nomen. Es wird wie ein Adjektiv dekliniert; die Ergänzungen hingegen lassen sich durch das zugrunde liegende Verb erklären. Einer solchen Nominalgruppe mit erweitertem Partizipialattribut liegt die folgende Grundstruktur zu‐ grunde: der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier DET- BEREICH ADJEKTIVGRUPPE NOM-KERN ERWEITERUNGEN ADJ-KERN Abb. 11: Grundstruktur einer Nominalgruppe mit erweitertem Partizipialattribut (Löt‐ scher 1990: 14) Der Abbildung ist zu entnehmen, dass die Nominalgruppe aus einem Arti‐ kel, einer Adjektivgruppe und einem nominalen Kern besteht, wobei die Adjektivgruppe wiederum Erweiterungen und Kern als unmittelbare Kon‐ stituenten enthält. Die Bezeichnungen ‚Adjektivgruppe‘ und ‚adjektivischer Kern‘ beziehen sich auf das adjektivische Verhalten (Deklination). Inwiefern es sich bei im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde um eine Adjektivgruppe handelt, warum also davon auszugehen ist, dass im Irrgarten der Liebe eine Erweiterung zum adjektivischen Kern herumtaumelnde ist, kann man am besten nachvollziehen, indem man die Adjektivgruppe in eine verbale Struk‐ tur überführt: 76 Nominalstil: Eine erste Annäherung 76 18270_Hennig_Bel.indd 76 18270_Hennig_Bel.indd 76 05.02.2020 11: 02: 06 05.02.2020 11: 02: 06 (23c‘) Der Kavalier taumelt im Irrgarten herum. Herumtaumeln ist nun Prädikat des Satzes; im Irrgarten ist lokales Adver‐ bial. Das Partizipialattribut herumtaumelnde in 23c „schleppt“ also quasi ein sich auf das Verb im Satz 23c‘ beziehendes Satzglied mit in die Adjektiv‐ gruppe und aufgrund ihrer Einbettung auch mit in die Nominalgruppe. Das Subjekt des Satzes 23c‘ ist Kern der Nominalgruppe in 23c: „Die attributive Beziehung zwischen dem Partizip oder Adjektiv, das den Kern eines erwei‐ terten Attributs bildet, und dem übergeordneten Substantiv hat auf der In‐ haltsebene dieselbe Funktion wie die Beziehung des Prädikats zu seinem Subjekt.“ (Weber 1971: 63) Eine genauere Abbildung der Verhältnisse bietet die folgende dependenz‐ grammatische Darstellung von Beispiel 23d durch Eroms (2000: 277): Det N Part I die Pron refl sich überraschend Adv temp Adv mod schnell zu/ Kauf Präp N Det N des Autos entschließende Familie E präp Det m Abb. 12: Dependenzstruktur erweitertes Partizipialattribut (Eroms 2000: 277) Dieser Darstellung kann man entnehmen, welche Arten von Erweiterungen sich auf das Partizipialattribut beziehen. Aus der Perspektive des dem Parti‐ zipialattribut entschließende zugrunde liegenden Verbs handelt es sich nur bei der Präpositionalgruppe zum Kauf des Autos um eine Ergänzung (hier ge‐ kennzeichnet als präpositionale Ergänzung), denn nur diese Erweiterung ist in der Valenzpotenz des Verbs angelegt (vgl. dazu den Eintrag zum Verb 77 Grammatische Merkmale des Nominalstils 77 18270_Hennig_Bel.indd 77 18270_Hennig_Bel.indd 77 05.02.2020 11: 02: 06 05.02.2020 11: 02: 06 entschließen im Elektronischen Valenzwörterbuch E-VALBU). Überraschend und schnell hingegen sind - valenzgrammatisch gesprochen - Angaben, d. h., sie sind nicht in der Valenzpotenz des Verbs angelegt. Auch hier kann eine Überführung in eine Satzvariante das Verständnis der Struktur erleichtern: (23d‘) Die Familie entschließt sich überraschend schnell zum Kauf des Autos. Es wird nun nachvollziehbar, warum in der Dependenzstrukturdarstellung von Eroms überraschend als modales und schnell als temporales Adverbial eingeordnet wird: Es handelt sich dabei um die Satzgliedfunktionen, die überraschend und schnell in der Satzvariante in 23d‘ haben: „Die unterge‐ ordneten Erweiterungen haben natürlich keine Satzgliedfunktion, sie stehen ja in der Stufung wesentlich tiefer. Dennoch entsprechen die Form und Rei‐ henfolge genau den Satzgliedern des einfachen Satzes.“ (Heringer 1989: 313) In Bezug auf die beiden diskutierten Beispiele lässt sich die Überführung eines Satzinhalts von einer verbalen in eine nominale Struktur wie folgt zusammenfassen: Abb. 13: Überführung Satz → Nominalgruppe Bsp. 23c 78 Nominalstil: Eine erste Annäherung 78 18270_Hennig_Bel.indd 78 18270_Hennig_Bel.indd 78 05.02.2020 11: 02: 06 05.02.2020 11: 02: 06 Die Familie entschließt sich überraschend schnell zum Kauf des Autos KOPF überraschend schnell entschließende Familie SUBJEKT die KERN PRÄDIKAT PRÄP.OBJ. MODALES ADVERBIAL ERWEIT. 1 ERWEIT. 2 PART.ATTR. [sich] zum Kauf des Autos Abb. 14: Überführung Satz → Nominalgruppe Bsp. 23d Das Reflexivpronomen bildet in 23d eine weitere Klammer mit dem Partizip (vgl. Eroms 2000: 277). Da es sich dabei um eine spezielle Eigenschaft bei reflexiven Verben handelt, wurde das in Abbildung 14 nicht gesondert er‐ fasst, weil es hier darum geht, die allgemeinen Prinzipien der Überführung eines Satzinhalts in eine Nominalgruppe mit Partizipialattribut zu beschrei‐ ben. Die beiden Beispielen gemeinsame Grundstruktur kann wie folgt zu‐ sammengefasst werden: 1. Kopf und Kern des Subjekts des Satzes bilden nun die Klammer der Nominalgruppe; 2. Das Prädikat des Satzes (Position 2 im Aussagehauptsatz) wird zum Partizipialattribut und steht als solches vor dem nominalen Kern; 3. Die übrigen Satzglieder rücken als Erweiterungen des Partizipialattributs in die Position zwischen Kopf und Partizipialattribut. Beispiel 23d lässt darüber hinaus erkennen, dass auch eine höhere Anzahl an Erweiterungen in die Struktur mit Partizipialattribut überführt werden kann. Das erhöht die Komplexität der nominalen Struktur (vgl. Kapitel „No‐ minale Komplexität“). Was ist nun der Nutzen dieser Operation? Die komprimierte Nominal‐ gruppe kann als Satzglied eines Trägersatzes fungieren: (23c‘‘) Ich beobachte den im Irrgarten der Liebe herumtaumelnden Kavalier. (23d‘‘) Die sich überraschend schnell zum Kauf des Autos entschließende Familie musste einen hohen Kredit aufnehmen. 79 Grammatische Merkmale des Nominalstils 79 18270_Hennig_Bel.indd 79 18270_Hennig_Bel.indd 79 05.02.2020 11: 02: 06 05.02.2020 11: 02: 06 Die komprimierte Form des Partizipialattributs ermöglicht es, eine Prädika‐ tion in eine andere einzubetten. Ohne Partizipialattribut bräuchten wir folg‐ lich zwei Sätze (oder einen Satz mit Relativsatz), um den gleichen Inhalt auszudrücken: (23c‘‘‘) Ich beobachte den Kavalier. Er taumelt im Irrgarten der Liebe herum. (23d‘‘‘) Die Familie entschließt sich überraschend schnell zum Kauf des Autos. Sie musste einen hohen Kredit aufnehmen. Erweiterte Partizipialattribute stellen folglich eine produktive Möglichkeit dafür dar, Satzinhalte zu verdichten. Auf Möglichkeiten und Grenzen dieses Verfahrens wird im Kapitel „Verbalkomplexe als Partizipialattribute“ aus‐ führlicher eingegangen werden. Nominalstil: Begriffsverständnis Die Ausführungen zu den grammatischen Merkmalen, die laut den zitierten Definitionen kennzeichnend für Nominalstil sind, könnten den Eindruck entstehen lassen, dass Nominalstil quasi als Summe dieser Merkmale zu verstehen ist. Offenbar ist auch davon auszugehen, dass die Merkmale in einer gewissen Häufung auftreten müssen, damit ein Text als nominalsti‐ listisch eingeordnet werden kann. So geht Ziegler davon aus, „dass sich ein Nominalstil in Texten insbesondere auch durch eine Tendenz zur Komple‐ xität in der Verwendung der Nominalphrasen gegenüber einfachen Nomi‐ nalphrasen ausdrückt“ (2009: 259). Mit anderen Worten: Ein einzelnes no‐ minalstilistisches Phänomen und eine Nominalgruppe allein machen noch keinen Nominalstil. Der Frage des Zusammenhangs von Nominalstil und Komplexität werden wir deshalb ein gesondertes Kapitel widmen. In diesem Studienbuch verfolgen wir aber keinen quantitativen Ansatz zur näheren Bestimmung von Nominalstil, sondern vielmehr einen qualita‐ tiven. Es geht folglich nicht um die Frage, in welcher Anzahl die genannten Merkmale vertreten sein müssen, sondern in welcher Qualität: Welche Arten von Häufungen von Nominalgruppen, Komposita und Attributen führen dazu, dass von Nominalstil gesprochen werden kann? Den Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit dieser Frage bildet die folgende Einschätzung aus der Definition von Bußmann: 80 Nominalstil: Eine erste Annäherung 80 18270_Hennig_Bel.indd 80 18270_Hennig_Bel.indd 80 05.02.2020 11: 02: 06 05.02.2020 11: 02: 06 An die Stelle von selbstständigen oder untergeordneten Sätzen mit einem finiten Verb treten nominale Satzglieder mit einer Nominalisierung als Kern. (Bußmann 2002: 472) Die folgenden Beispielpaare aus Welkes Ausführungen zu Valenzvererbung und Nominalisierung sollen dies illustrieren: (24) a. Wallander verhaftet den Dieb. - die Verhaftung des Diebes durch Wal‐ lander b. Wallander freut sich über das Geschenk. - die Freude Wallanders über das Geschenk c. Wallander fährt nach Stockholm. - die Fahrt Wallanders nach Stock‐ holm d. Wallander schläft. - der Schlaf Wallanders e. Wallander beharrt auf seinem Irrtum - das Beharren Wallanders auf seinem Irrtum f. Wallander verfolgt den Mörder - Wallanders Verfolgung des Mörders (Welke 2011: 250) Die Beispielpaare lassen erkennen, dass es nicht nur darum geht, dass No‐ minalisierungen und Attribute vorhanden sind, sondern es geht darum, dass diese nominalen Phänomene systematisch für die Überführung des Satzin‐ halts von einem Satz in eine Nominalgruppe genutzt werden: Das nomina‐ lisierte Verb ist als Kern der Nominalgruppe gleichermaßen Zentrum des grammatischen Geschehens wie das Vollverb im Satz. Wir sprechen hier vom Vollverb und nicht wie Bußmann vom finiten Verb, weil nicht die Fi‐ nitheit entscheidend ist, sondern die Fähigkeit des Vollverbs, über seine Va‐ lenz Ergänzungen an sich zu binden. Das finite Verb ist im Deutschen auch in vielen Fällen „nur“ ein Hilfsverb (bspw. im Perfekt oder im Passiv). Wenn eine solche Satzstruktur in eine nominale Struktur überführt wird, spielt das finite Verb keine Rolle: (25) a. Wallander hat den Dieb verhaftet. - Die Verhaftung des Diebes durch Wallander. b. Der Dieb wurde durch Wallander verhaftet. - Die Verhaftung des Diebes durch Wallander. Auch die Attribute haben einen zentralen Stellenwert bei der Überführung des Satzinhalts in eine nominale Struktur: Sie ermöglichen die Überführung 81 Nominalstil: Begriffsverständnis 81 18270_Hennig_Bel.indd 81 18270_Hennig_Bel.indd 81 05.02.2020 11: 02: 07 05.02.2020 11: 02: 07 der Ergänzungen in die nominale Struktur. Beispielsweise wird das Subjekt Wallander in der Beispielgruppe (24) entweder als postnominales Genitiv‐ attribut realisiert (b, c, d, e) oder als pränominales Genitivattribut (f) oder als Präpositionalattribut (a). Die Überführung der Satzglieder in Attribute folgt bestimmten Prinzipien, die im Kapitel „Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax“ näher erläutert werden. Wichtig ist hier noch der Hinweis darauf, dass nicht nur Sätze mit Voll‐ verben in eine nominale Struktur überführt werden können, sondern auch solche mit Kopulaverben und einem Adjektiv als Prädikativ: (26) a. Wallander ist ängstlich. - die Ängstlichkeit Wallanders b. Wallander ist wütend über seinen Misserfolg - Wallanders Wut über seinen Misserfolg c. Wallander ist stolz auf seinen Erfolg - Wallanders Stolz auf seinen Erfolg Wie die Beispiele erkennen lassen, ist das prädikative Adjektiv Gegenstand der Nominalisierung, nicht das Kopulaverb. Theoretisch wären zwar auch Komposita aus Adjektiv und Kopulaverb wie Ängstlichsein, Wütendsein, Stolzsein möglich; da aber reguläre Muster der Adjektivderivation zur Ver‐ fügung stehen ( Ängstlichkeit, Wut, Stolz ), wird das Kopulaverb für die Über‐ führung des Satzes in eine nominale Struktur nicht benötigt. An das jewei‐ lige Adjektivabstraktum schließen sich dennoch die als Attribute realisierten Satzglieder der Ausgangssätze an. Dadurch wird deutlich, dass das sogenannte Prädikativ eine herausragende Rolle für die Prädikation spielt. Aus den vorgestellten Überlegungen ergibt sich das folgende Begriffsver‐ ständnis von ‚Nominalstil‘: Nominalstil ‚Nominalstil‘ wird in diesem Buch als Oberbegriff für diejenigen syn‐ taktischen Phänomene verwendet, die sich unmittelbar oder mittelbar aus einem Übergang von verbalen in nominale Organisationsfor‐ men der Realisierung von Satzinhalten ergeben. ‚Nominalstil‘ wird folglich als Komplementärbegriff zu ‚Verbalstil‘ verstanden. 82 Nominalstil: Eine erste Annäherung 82 18270_Hennig_Bel.indd 82 18270_Hennig_Bel.indd 82 05.02.2020 11: 02: 07 05.02.2020 11: 02: 07 Diskurs: Was ist ein Übergang? Das Duden Universalwörterbuch definiert ‚Übergang‘ als einen „Wechsel zu etw. anderem, Neuem, in ein anderes Stadium“. Ein sol‐ cher Wechsel beinhaltet folglich stets ein Vorher und ein Nachher. Die folgenden Vorher-Nachher-Konstellationen sind für den Übergang von verbalen in nominale Organisationsformen zentral: a) Phylogenetisch: Vorher-Nachher kann bedeuten, dass sprach‐ historisch eine Ausdrucksvariante der anderen folgt. Das ist ganz offensichtlich der Fall; verschiedene sprachhistorische Arbeiten do‐ kumentieren die Abfolge Verbalstil-Nominalstil (bspw. Eggers 1973; 1983, Braun 1993 [erste Auflage 1979], Möslein 1981, Sommerfeldt 1988, von Polenz 1984 und 1999, Admoni 1990, Jürgens 1994). Das heißt aber nicht, dass der Nominalstil den Verbalstil verdrängt oder gar abgelöst hat; vielmehr haben wir es mit einer quantitativen Ver‐ schiebung von Ausdruckspräferenzen zu tun. Allerdings führt die quantitative Verschiebung hin zu mehr Nominalstil durchaus auch zu einem qualitativen Ausbau nominalstilistischer Möglichkeiten. Die genannten Studien bieten daher wichtige Anhaltspunkte für die Beschreibung von Nominalstil. b) Ontogenetisch: Entwicklungen finden immer auch in der On‐ togenese des Einzelnen statt. Da bestimmte Kontextbedingungen dafür verantwortlich sind, dass von nominalstilistischen Wahlmög‐ lichkeiten Gebrauch gemacht wird, ist die Voraussetzung für ein Verbalstil-Nominalstil-Vorher-Nachher in der Ontogenese, dass ein Eintauchen in eine Domäne stattfindet, die Nominalstil begünstigt. Das ist zweifelsohne der Fall beim Erwerb wissenschaftssprachli‐ cher Schreibkompetenz. Die diesbezügliche Studie von Pohl (2007) bietet deshalb auch einen wichtigen Ideengeber für eine Auseinan‐ dersetzung mit den Übergängen von Verbalstil zu Nominalstil; zu weiteren Ergebnissen zur Ontogenese des wissenschaftlichen Schreibens sei aber auch auf Steinhoff (2007) und Kaiser (2002) ver‐ wiesen. Im Folgenden wird es nun um die Frage gehen, wie das hier entwickelte Begriffsverständnis von Nominalstil mit den im vorhergehenden Teilkapitel diskutierten grammatischen Phänomenen in Einklang zu bringen ist. ‚No‐ minalstil‘ wird hier als Ergebnis eines Übergangs von verbalen in nominale 83 Nominalstil: Begriffsverständnis 83 18270_Hennig_Bel.indd 83 18270_Hennig_Bel.indd 83 05.02.2020 11: 02: 07 05.02.2020 11: 02: 07 Organisationsformen der Realisierung von Satzinhalten verstanden. Es geht deshalb nun folglich um die Frage, welchen Beitrag die gemeinhin als No‐ minalstilmerkmale angenommenen grammatischen Phänomene zu diesem Übergang leisten. Die Diskussion der Beispiele aus Welkes Valenzgrammatik hat gezeigt, dass Nominalisierung und Attribution zentrale Bausteine des hier entwor‐ fenen Begriffsverständnisses von ‚Nominalstil‘ sind: Mit der Nominalisie‐ rung eines Verbs und der sich daraus ergebenden Verwendung des dever‐ balen Nomens als Kern einer Nominalgruppe erfolgt sozusagen die Grundsteinlegung für den Nominalstil. Durch Attribute bietet sich uns die Möglichkeit, nicht nur das Verb selbst in die nominale Domäne zu überfüh‐ ren, sondern auch seine Ergänzungen und Angaben quasi im Schlepptau mitzuführen. Wie wir gesehen haben, ist dies gerade bei Partizipialattributen im besonderen Maße der Fall. Die Beispiele aus Welke enthielten aber weder Komposita noch Funktionsverbgefüge. Wie ist also die Rolle dieser Merk‐ male in Bezug auf das hier verfolgte Nominalstilverständnis zu bewerten? Funktionsverbgefüge stehen insofern in engem Zusammenhang mit dem Nominalstil, als sie häufig eine deverbale oder deadjektivische Nominalisie‐ rung als Kern enthalten. Von Polenz spricht deshalb auch von „Nominali‐ sierungsverbgefügen“ (1987: 170). Van Pottelberge vertritt die Auffassung, dass Funktionsverbgefüge kein Gegenstand der Grammatik sein sollten und ordnet sie als stilistisches Merkmal explizit dem Nominalstil zu (2001: 455). Funktionsverbgefüge leisten aber m. E. keinen nennenswerten Beitrag zum Nominalstil im hier vertretenen Sinne. Das liegt vor allem daran, dass es sich bei Funktionsverbgefügen um lexikalisierte, verfestigte Strukturen handelt (Helbig 2006: 172, IdS-Grammatik 1997: 1069). So sind Funktions‐ verbgefüge in der Grauzone von Grammatik und Lexikon anzusiedeln, da sie teilweise als Lexikoneinheiten gespeichert werden können (vgl. das kleine Funktionsverbgefügelexikon von Heine 2008), teilweise aber auch reihenbildend sind und eine gewisse Varianz bei den Funktionsverben zu‐ lassen (vgl. bspw. außer / in Betrieb nehmen / setzen; in Verbindung bringen / treten / setzen / stehen , siehe Heine 2008). Als Indizien für die Verfestigung der FVG können die folgenden in der Dudengrammatik aufgeführten Kriterien genannt werden (2016: 426): Die Artikelwahl liegt beim nominalen Teil des FVGs fest. […] Der nominale Teil lässt sich nicht frei durch Attribute erweitern. 84 Nominalstil: Eine erste Annäherung 84 18270_Hennig_Bel.indd 84 18270_Hennig_Bel.indd 84 05.02.2020 11: 02: 07 05.02.2020 11: 02: 07 1. 2. a‘ b‘ Das zweite Kriterium ist der entscheidende Grund dafür, dass die Verfesti‐ gung der Funktionsverbgefüge dazu führt, dass sie kein zentrales Merkmal des Nominalstils im Sinne des hier vorgeschlagenen Begriffsverständnisses sein können: Attribute waren ja gerade als zentrale Grundlage für die Über‐ führung von Satzinhalten in die nominale Domäne benannt worden, weil sie die Möglichkeit bieten, die im Satz als Satzglieder realisierten Inhalte im nominalen Bereich zu realisieren. Am Beispiel der Nominalisierung Verbin‐ dung und den damit in Frage kommenden Funktionsverbgefügen in Verbin‐ dung bleiben/ setzen / treten sei dies illustriert. Das elektronische Valenzwör‐ terbuch (E-VALBU) sieht für sechs der sieben Lesarten des Verbs verbinden jeweils drei obligatorische Ergänzungen vor: eine Nominalgruppe im No‐ minativ (Subjekt), eine Nominalgruppe im Akkusativ (Objekt) sowie eine Präpositionalgruppe mit der Präposition mit (Präpositionalobjekt). Beispiele sind: (27) S93/ H20.02315 Der Spiegel, 17.05.1993, Wir verbinden jetzt häufiger das Praktische mit dem Schönen. T10/ JAN.02727 die tageszeitung, 21.01.2010, Der 18-jährige Georg in‐ teressiert sich vor allem für weit entfernte Sterne und Planeten. Diese Leidenschaft verbindet ihn mit seinem früh verstorbenen Vater. Es stehen also potentiell drei Ergänzungen für eine Überführung in eine nominale Struktur zur Verfügung, vgl. etwa: (27) Unsere Verbindung des Praktischen mit dem Schönen Seine Verbindung mit seinem früh verstorbenen Vater durch diese Lei‐ denschaft Wie die einzelnen Attribute zu erklären sind, werden wir im Kapitel „Satz‐ baupläne und Nominalgruppenbaupläne“ ausführlicher diskutieren. Hier kommt es jetzt erst einmal nur darauf an, dass es ein Grundprinzip des No‐ minalstils ist, dass einer Nominalisierung Attribute zur Realisierung der durch die Valenzpotenz geforderten Ergänzungen zur Verfügung stehen. Um zu überprüfen, inwiefern von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, habe ich eine kleine Stichprobe im „Deutschen Referenzkorpus“ (DeReKo) untersucht. Die Suche nach dem Verbalabstraktum Verbindung ergab fast eine halbe Million Treffer. Das klingt nach einem enormen Vor‐ kommen des Wortes Verbindung. Beim aktuellen Umfang des DeReKo von 85 Nominalstil: Begriffsverständnis 85 18270_Hennig_Bel.indd 85 18270_Hennig_Bel.indd 85 05.02.2020 11: 02: 07 05.02.2020 11: 02: 07 42 Milliarden Wortformen ist das aber nur knapp jedes 90.000ste Wort. Als Grundlage für unsere Diskussion soll die qualitative Durchsicht der ersten 50 Treffer genügen. Von den 50 Treffern sind immerhin 17 Belege für Funk‐ tionsverbgefüge, davon 13 mit setzen , zwei mit bringen , je ein Treffer mit bleiben und treten : (28) a. A97 / APR.01067 St. Galler Tagblatt, 29.04.1997, Personen, welche Angaben zu den Unfällen machen können, werden gebeten, sich mit der Stadtpolizei, Tel. 224 60 00, in Verbindung zu setzen. b. A97 / APR.00410 St. Galler Tagblatt, 24.04.1997, Kummer: Ich habe immer Wert darauf gelegt, mit den Leuten zu reden und in Verbindung zu bleiben. Das hat sich auch mit der Wahl in den Gemeinderat nicht geändert. A97 / APR.01202 St. Galler Tagblatt, 30.04.1997, Es werden dadurch oftmals Arbeitsplätze gesichert, die mit den SBB nicht direkt in Ver‐ bindung gebracht werden. c. A97 / APR.00355 St. Galler Tagblatt, 24.04.1997, Schliesslich wurden die betroffenen Oberbürer Laden- und Restaurantbesitzer aufgefordert, bei Problemen künftig direkt mit der Zentrumsleitung Thurhof oder der Polizei in Verbindung zu treten. Es bleiben 33 Treffer, in denen Verbindung nicht Kern eines Funktionsverb‐ gefüges ist. Davon haben 17 Treffer je eine als Attribut realisierte Ergän‐ zung. Meist handelt es sich dabei um ein Präpositionalattribut, es finden sich aber auch zwei Genitivattribute (Genitivus obiectivus): (29) a. A97 / APR.01173 St. Galler Tagblatt, 29.04.1997, Grundsätzlich kann sich aber die Liebesgöttin Venus im sinnlichen Stier bestens entfalten, und die Verbindung mit Jupiter stimmt sie gar etwas liebeshungrig. b. A97 / APR.00336 St. Galler Tagblatt, 24.04.1997, Der Stadtrat hat die Bauprojekte Ausbau und Kanalerneuerung Birkenstrasse (Verbindung der Wilen- und Rosenstrasse) mit Gesamtkosten von 315000 Franken genehmigt. Die übrigen 16 Treffer enthalten nur das Verbalabstraktum ohne Attribut (wobei es häufig um Telefon- oder Internetverbindungen geht) oder ein At‐ tribut, das nicht eine der drei in der Valenzstruktur angelegten Ergänzungen realisiert (bspw. Adjektivattribut oder Attributsatz). 86 Nominalstil: Eine erste Annäherung 86 18270_Hennig_Bel.indd 86 18270_Hennig_Bel.indd 86 05.02.2020 11: 02: 07 05.02.2020 11: 02: 07 Dieser kurze Blick in authentisches Belegmaterial ergibt das folgende klare Ergebnis: Keiner der 17 Belege der Verwendung von Verbindung in Funktionsverbgefügen enthält ein Attribut. Die Analyse hat folglich die von der Dudengrammatik festgehaltene Restriktion bestätigt. Daraus können wir schlussfolgern: Funktionsverbgefüge verstärken als nominale Äquiva‐ lente zu Vollverben möglicherweise den Eindruck eines nominalen Charak‐ ters eines Textes. Da die nominalen Bestandteile von Funktionsverbgefügen gemeinsam mit dem Funktionsverb das Prädikat eines Satzes bilden und sich somit auch in die Satzstruktur eingliedern (vor allem durch die Kongruenz des finiten Funktionsverbs mit dem Subjekt des Satzes), agieren sie im Grunde genommen aber nur als eine Art nominalere Variante des Verbalstils. Insbesondere die Tatsache, dass ihre ggf. deverbalen Kerne nicht qua Attri‐ bution Ergänzungen an sich binden können, unterscheidet Funktionsverb‐ gefüge fundamental von solchen deverbalen Nominalisierungen, die hier als Herzstück des Nominalstils verstanden werden. Die Diskussion abschließend seien zwei Beispiele aus einem Lebensbericht eines Kannengießers aus dem 17. Jahrhundert zitiert (Güntzer 1657: 42v; 78r), die Funktionsverbgefüge enthalten. Es handelt sich um einen Schreiber mit einer sehr guten Erzählkompetenz, aber geringen Schreiberfahrung. Sein Le‐ bensbericht ist folglich kein Text, von dem man eine Neigung zum Nominal‐ stil erwarten würde. Dass Güntzer dennoch auf Funktionsverbgefüge zurück‐ greift, kann m. E. nur so erklärt werden, dass sie ihm als Lexikoneinheiten resp. strukturelles Varianzformat zur Verfügung stehen: (30) a. Gab ihme darauff zurr Andwordt: Ich trag meinen Busser undt Ge‐ woehr nicht auff das Gewilt in meiner Wandterschafft, sonder auff die Straßenreiber undt Merdter, dieweill es sonderlich vil in dißem Walt gi‐ bet, wie man dan der Zeichen undt Holzheiffen vil sicht, da die reißetn Leidt ermoerdtet sindt worden. Mache also den Merdter die Sell so haiß durch Reden, wie ewiglichen darinen Martter undt Plag werdten leidten undt austehen, wafehrn sie nicht werden Buße thun. b. Durch die Merdergrub, daß Holterloch, bin ich glicklig durchkomen, wahr froeliges Gemiedt, aber daß unnitzliches Gleiderfich name bey mihr in Hoßen und Wames Qwattire. Mit der Cost hielte ich mich sehr gering, name mit eim groben Stuck Brodts und einem Trunk Regen- oder Bachwaßers verlieb, da zu Zeitten die Wirm und ander Unziffer ihren Dumelplatz hielten. 87 Nominalstil: Begriffsverständnis 87 18270_Hennig_Bel.indd 87 18270_Hennig_Bel.indd 87 05.02.2020 11: 02: 07 05.02.2020 11: 02: 07 a. b. c. d. a‘. b‘. c‘. d.‘ Für Funktionsverbgefüge wie Komposita gilt gleichermaßen, dass es sich um Phänomene handelt, die im Übergangsbereich von Grammatik und Lexikon anzusiedeln sind. Darin unterscheiden sie sich von den Nominalstilphäno‐ menen Nominalisierung und Attribution. So spricht in Bezug auf Komposita die teilweise sehr fortgeschrittene Lexikalisierung dagegen, dass sie als ein Phänomen des Übergangs von Verbalstil zu Nominalstil betrachtet werden können. Dennoch sind im Teilkapitel zur Komposition auch einige Aspekte diskutiert worden, die Zusammenhänge mit dem Nominalstil nahelegen. Für eine zusammenfassende Betrachtung der Nominalstilqualitäten von Komposita erscheint es sinnvoll, systematisch den Prozess der Komposition und die daraus hervorgegangenen Komposita zu unterscheiden. Synchron ist der Prozess der Komposition für uns nur dann nachvollziehbar, wenn er für Wortneuschöpfungen genutzt wird. Beobachtbar ist das Phänomen si‐ cherlich am ehesten bei den Ad-hoc-Bildungen. Ob diese tatsächlich als no‐ minalstilistische Variante zu einem verbalstilistischen Äquivalent betrachtet werden können, sei anhand der im Teilkapitel zu Komposita aufgeführten Beispiele zu Phrasenkomposita diskutiert: (22) Kauf-ohne-Risiko-Garantie Bauen-und-ruhig-schlafen-Finanzierung Das Fasse-dich-kurz-Prinzip Das Verdrängte-Aggressionen-Syndrom Zur Erläuterung des diesem Buch zugrunde liegenden Begriffsverständnis‐ ses von Nominalstil wurden Beispielpaare von Welke (2011: 250) zitiert (hier: Beispielgruppe 24), in denen Nominalgruppen klar als Produkte einer sys‐ tematischen Überführung eines Satzinhalts in die nominale Domäne be‐ trachtet werden können. Gelingt das in Bezug auf die Beispiele für Ad-hoc-Komposita gleichermaßen? (22) Garantie dafür, dass man etwas ohne Risiko kauft Finanzierung, die es ermöglicht, dass man ruhig schläft, obwohl man baut Prinzip „Fasse dich kurz! “ Syndrom, das Ergebnis verdrängter Aggressionen ist 88 Nominalstil: Eine erste Annäherung 88 18270_Hennig_Bel.indd 88 18270_Hennig_Bel.indd 88 05.02.2020 11: 02: 07 05.02.2020 11: 02: 07 a. b. a‘ b.‘ Im Vergleich zur Beispielgruppe (24) fällt auf, dass es kein einheitliches Schema für eine Gegenüberstellung von Satzvarianten und Nominalgrup‐ penvarianten gibt. Außerdem belegen die Reformulierungen einen gewissen Interpretationsbedarf. Die Beispiele belegen ja gerade auch, dass Augen‐ blicksbildungen im Grunde genommen keine Grenzen gesetzt sind: Der Bin‐ destrich kennzeichnet die Intention der Zusammenrückung; gleichzeitig si‐ gnalisiert er, dass man mit der Kreation noch keinen Anspruch auf einen potentiellen Lexikoneintrag erhebt. Aber auch die in (21) zitierten Beispiele Atomspatzen, Hammermann, Hammergeld , die die Möglichkeiten der Ad-hoc-Bildung weniger stark ausreizen als die Beispielgruppe (22), illus‐ trieren, dass Ad-hoc-Komposita nicht zwingend als Nominalstilphänomen im Sinne eines Übergangs von Verbalstil in Nominalstil betrachtet werden können: Paraphrasen wären hier etwa durch atomare Verschmutzung mu‐ tierte Spatzen oder Mann, der mit einem Hammer Versicherungsgelder er‐ schleicht. Die Paraphrasen lassen erkennen, dass die Kenntnisse des Textes bzw. der Vorgeschichte notwendig sind, um den Zusammenhang zwischen den Kompositionsgliedern zu erklären. Es handelt sich also nicht einfach um einen in ein Kompositum überführten Inhalt, für den eine systematische verbale Ausdrucksalternative bereitsteht. Halten wir fest: Ad-hoc-Bildungen können Ausdruck eines Übergangs von Verbalstil in Nominalstil sein, wenn dieser Kompositionsprozess tat‐ sächlich genutzt wird, um eine verbale Struktur in eine nominale zu über‐ führen, wie in den folgenden, hier ad hoc gebildeten Beispielen: (31) Ich diskutiere Augenblicksbildungen → Augenblicksbildungsdiskussion Ich betrachte Nominalstilphänomene → Nominalstilphänomenbetrach‐ tung Es ist sicherlich kein Zufall, dass die beiden hier ad hoc gebildeten Komposita in (31) Rektionskomposita sind. Rektionskomposita sind zweifelsohne die‐ jenigen Komposita, die die größte Nähe zwischen verbalen und nominalen Ausdrucksformen erkennen lassen. So wären anstelle der Augenblicksbil‐ dungen in (31) auch attributive Realisierungen der regierten Satzglieder möglich: (31) Diskussion der Augenblicksbildungen Betrachtung der Nominalstilphänomene 89 Nominalstil: Begriffsverständnis 89 18270_Hennig_Bel.indd 89 18270_Hennig_Bel.indd 89 05.02.2020 11: 02: 08 05.02.2020 11: 02: 08 Während in (31‘) die regierten Glieder als Genitivattribute realisiert sind, sind sie in (31) in ein Kompositum inkorporiert. Die Inkorporation kann man mit Eichinger als eine Technik beschreiben, „die relative Nähe zu syntakti‐ schen Kodierungsweisen“ herstellt (2000: 71). Rektionskomposita stellen folglich eine besonders effektive Art der Komprimierung von Satzinhalten dar. Diese Möglichkeit kann nicht nur für regierte Objekte, sondern auch für andere Arten von valenziell bedingten Ergänzungen genutzt werden, wie die folgenden Beispiele zeigen: (32) a. Die Kleine machte sich die Finger schmutzig → das Schmutzig-Machen der Finger der Kleinen b. Der Friseur färbt der Kundin die Haare blond → das Blond-Färben der Haare der Kundin durch den Friseur Die beiden Beispiele, die Ergebnisse eines Experiments der Überführung von Satzinhalten in nominale Strukturen sind, das im Kapitel „Satzbaupläne und Nominalgruppenbaupläne“ ausführlich vorgestellt wird, illustrieren, dass die Möglichkeit der Überführung einer valenziell bedingten Ergänzung in ein Kompositionsglied gerade bei Sätzen mit mehreren Ergänzungen eine entlastende Alternative zur Attribution sein kann und dass ein solches Kom‐ positum auch durch Attribute modifiziert werden kann. Dennoch sei an dieser Stelle noch einmal auf die Beispiele der Korpusstudie von Gaeta / Zeldes (2012) verwiesen, die belegen, dass Rektionskomposita teilweise schon so stark lexikalisiert sind, dass sie nicht mehr sinnvoll als Ausdrucks‐ alternativen zu satzförmigen Realisierungsvarianten betrachtet werden können. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Prozess der Rektions‐ komposition insofern als nominalstilistisches Phänomen betrachtet werden kann, als mit der Inkorporierung einer verbalen Ergänzung in ein Kompo‐ situm eine gegenüber einem verbalstilistischen Äquivalent komprimierte nominale Variante gewählt wird. Wenn das dadurch gebildete Rektions‐ kompositum aber so stark lexikalisiert ist, dass kein verbalstilistisches Äqui‐ valent mehr als Ausdrucksalternative zur Verfügung steht, werden Rekti‐ onskomposita quasi zu eingefrorenen Nominalstilphänomenen, sie sind dann nicht mehr Ausdruck einer produktiven Überführung von Verbalstil in Nominalstil. Vor allem sei an dieser Stelle noch einmal betont, dass die hier vorgestellten Überlegungen zum nominalstilistischen Charakter von Rektionskomposita keineswegs als stellvertretend für den gesamten Bereich 90 Nominalstil: Eine erste Annäherung 90 18270_Hennig_Bel.indd 90 18270_Hennig_Bel.indd 90 05.02.2020 11: 02: 08 05.02.2020 11: 02: 08 der Substantivkomposita zu verstehen sind. Komposita wie Haustür oder Herdprämie können lediglich als Beispiele für die Kompositionsfreudigkeit der deutschen Sprache verstanden werden, nicht aber als Nominalstilphä‐ nomene. Nominalstil im engeren und weiteren Sinne In der hier vorgenommenen Begriffsbestimmung von ‚Nominalstil‘ war die Rede von syntaktischen Phänomenen, die sich mittelbar oder unmittelbar aus einem Übergang von verbalen in nominale Organisationformen ergeben. Was ist mit „mittelbar oder unmittelbar“ gemeint? Den Ausgangspunkt für einen Aufriss von Nominalstilphänomenen im engeren und weiteren Sinne bietet der Aufsatz „Entwicklungstendenzen des deutschen Satzbaus“ von Peter von Polenz (1984), der auf einen bei einer Tagung der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften in Hamburg gehaltenen Vortrag zurückgeht. Wie der Titel bereits erkennen lässt, ist der Text von von Polenz eigentlich nicht als Abhandlung über Nominalstil kon‐ zipiert, er folgt vielmehr dem Auftrag des Präsidenten der Gesellschaft, einen Vortrag über grammatische Entwicklungstendenzen in der Sprache der Ge‐ genwart zu halten. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass bei einer Konzen‐ tration auf den Bereich der Syntax daraus ein Vortrag bzw. Text über No‐ minalstil geworden ist: Von Polenz konzipiert Entwicklungstendenzen in der Sprache der Gegenwart als Folge einer über mehrere Jahrhunderte ge‐ henden historischen Entwicklung, die zu umfangreichen Veränderungen im deutschen Satzbau geführt hat, die sich im Wesentlichen als eine Entwick‐ lung von Verbalstil hin zu Nominalstil beschreiben lassen. Von Polenz zeich‐ net die Entwicklung anschaulich anhand von vier Beispieltexten aus dem 16. bis 20. Jahrhundert nach (Martin Luther: Vorrede zum Gesamtverzeichnis seiner Schriften 1533; Christian Wolff: Vorrede zu „Vernünfftige Gedanken von den Absichten der natürlichen Dinge“ 1726; Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorrede zur „Phänomenologie des Geistes“ 1807; Jürgen Habermas, Vorrede zu „Erkenntnis und Interesse“ 1968). Die wichtigsten Ergebnisse sind: 91 Nominalstil im engeren und weiteren Sinne 91 18270_Hennig_Bel.indd 91 18270_Hennig_Bel.indd 91 05.02.2020 11: 02: 08 05.02.2020 11: 02: 08 ▸ die Sätze werden kürzer (von Luther 64,2 Wörter pro Satz bis Haber‐ mas 17,7 Wörter pro Satz) (vgl. dazu auch Möslein 1981: 303 ff., Eggers 1973: 33 ff., Braun 1993: 104 ff. und Admoni in den entsprechenden Teilkapiteln, insbes. 1990: 212 ff.; 236 ff.; 259 ff.). Admoni konstatiert für das 20. Jh. sogar „die Annäherung des Umfangs des Ganzsatzes an den des Elementarsatzes“ (1990: 259); ▸ die Anzahl der finiten Verben pro Satz nimmt ab (von 8 finiten Verben bei Luther bis 1,7 finiten Verben bei Habermas), was von Polenz als Indiz für die Abnahme der Anzahl der Nebensätze und satzwertigen Infinitivgruppen wertet (zur Abnahme von Satzgefügen vgl. auch Möslein 1981: 306 ff., Braun 1993: 116 ff., Eggers 1973: 42 ff., Admoni in den entsprechenden Teilkapiteln; insbes. 1990: 211 f., 232 ff., 257 ff.); ▸ die Anzahl der Substantive insgesamt nimmt zu (von 35 Substantiven im Gesamttext bei Luther bis zu 68 Substantiven bei Habermas); ▸ die Anzahl der Nominalisierungen, also aus Verben und Adjektiven abgeleiteten Substantiven, nimmt zu (von 9 bei Luther bis 28 bei Ha‐ bermas) (zu Verbal- und Adjektivabstrakta als Kerne satzwertiger no‐ minaler Gruppen Möslein 1981: 287 ff.); ▸ die Anzahl von Nominalgruppen mit mehr als zwei einander unter‐ geordneten substantivischen Attributen nimmt zu (von 0 bei Luther bis zu 4 Habermas) (zum Ausbau der Attribuierungskomplexität auch Lötscher 2016, Admoni in den entsprechenden Teilkapiteln zur Sub‐ stantivgruppe, insbes. 1990: 208 ff., 226 ff., 252 ff. sowie Jürgens [1994: 92 ff.] zu Unterschieden zwischen dem Gebrauch komplexer Attribu‐ tion in Natur- und Geisteswissenschaften); ▸ die Anzahl der erweiterten Adjektiv- und Partizipialattribute nimmt zu (keine bei Luther und Wolff, 3 bei Habermas) (vgl. auch Weber 1971); ▸ die Anzahl der ad-hoc-Komposita, also solcher Komposita, „die der Autor beim komprimierenden Formulieren des Textes selbst gebildet haben kann“, nimmt zu (0 bei Luther, 5 bei Habermas) (vgl. auch Eg‐ gers 1973: 91 ff.; allgemein zum Ausbau der Komposition und Wort‐ bildung Braun 1993: 166 ff.). Bereits diese Liste an Phänomenen des Übergangs von verbaler zu nominaler Organisation ist im Grunde genommen heterogen: Sie umfasst einerseits die im engeren Sinne nominalen Phänomene, die Ergebnis dieses Übergangs sind (Anzahl der Substantive, der Nominalgruppen mit mehreren unterge‐ 92 Nominalstil: Eine erste Annäherung 92 18270_Hennig_Bel.indd 92 18270_Hennig_Bel.indd 92 05.02.2020 11: 02: 08 05.02.2020 11: 02: 08 ordneten Attributen, der erweiterten Adjektiv- und Partizipialattribute so‐ wie der ad-hoc-Komposita), andererseits aber auch die Auswirkungen des Übergangs auf den Satzbau an sich (kürzere Sätze, weniger finite Verben). Dabei entsteht der Eindruck einer komplementären Entwicklung: Das Mehr auf der einen Seite (im nominalen Bereich) führt zu einem Weniger auf der anderen Seite (im Bereich des Satzes). Als weitere Folgen dieser Entwick‐ lungen benennt von Polenz: ▸ den Abbau persönlicher Bezüge - gemeint ist damit insbesondere, dass bei Nominalisierungen der Ausdruck der Person und somit des Agens wegfällt; ▸ in Folge davon auch: Zunahme des Subjektschubs, d. h. Zunahme sol‐ cher Subjekte, die als Agens bei Handlungsprädikaten auftreten, ob‐ wohl sie eigentlich keine Agenseigenschaften haben (bspw. „Die Ana‐ lyse […] soll die Behauptung stützen“ bei Habermas; bei Habermas finden sich fünf Beispiele dafür, bei Luther keines) (vgl. dazu ausführ‐ licher von Polenz 1981); ▸ den Rückgang satzsemantischer Verknüpfungen (von elf bei Luther bis zu drei bei Habermas) (vgl. auch Möslein 1981: 312 ff.; insbesondere die Tabelle auf S. 313). Auch bei diesen Phänomenen handelt es sich um Auswirkungen des Über‐ gangs, die über den nominalen Bereich im engeren Sinne hinausgehen. Der Ausbau der nominalen syntaktischen Organisation auf der einen Seite hat einen Abbau verbaler syntaktischer Organisation auf der anderen Seite zur Folge. Durch Nominalisierungen, Attribuierungen und auch satzwertige Nominalgruppen (vgl. Möslein 1981) sind die Möglichkeiten der Herstellung von Bezügen im Bereich der Nominalsyntax so stark ausgebaut, dass die Rolle von Nebensätzen und somit Satzgefügen geringer wird. Dadurch nimmt die Anzahl der Verben und auch die Satzlänge ab. Ein Abbau von Satzgefügen führt zur Verringerung der Anzahl satzsemantischer Verknüp‐ fungen. Eine Verringerung der Anzahl der Verben führt dazu, dass norma‐ lerweise über verbale Kategorien realisierte Bezüge wie Person, Temporali‐ tät und Modalität in geringerem Maße zum Ausdruck kommen als in Texten mit vielen finiten Verben. Vor diesem Hintergrund schlage ich vor, die hier insbesondere in Anleh‐ nung an Peter von Polenz zusammengetragenen Phänomene in die beiden Bereiche ‚Nominalstil im engeren Sinne‘ und ‚Nominalstil im weiteren Sinne‘ aufzuteilen: 93 Nominalstil im engeren und weiteren Sinne 93 18270_Hennig_Bel.indd 93 18270_Hennig_Bel.indd 93 05.02.2020 11: 02: 08 05.02.2020 11: 02: 08 hohe Anzahl an Substantiven - Nominalisierungen - Komposita komplexe Attribution erweiterte Adjektiv- und Partizipialattribute satzwertige Nominalgruppen geringe Anzahl an Verben geringere Satzlänge geringere Anzahl an Satzgefügen geringere Anzahl an satzsemantischen Verknüpfungen geringere Rolle persönlicher Bezüge (und anderer Einbettung in den Kontext) Nominalstil im engeren Sinne Nominalstil im weiteren Sinne führt zu Abb. 15: Nominalstil im engeren und weiteren Sinne Der Begriff ‚Nominalstil im engeren Sinne‘ umfasst die unmittelbaren No‐ minalstilphänomene, also diejenigen Phänomene, die zum nominalen Cha‐ rakter der Äußerung beitragen, also unmittelbar zur syntaktischen Organi‐ sation der Nominalgruppe als Domäne des Nominalstils. Mit ‚Nominalstil im weiteren Sinne‘ sind hingegen mittelbare Folgeerscheinungen der nomi‐ nalen Realisierung des Satzinhalts gemeint, also die Auswirkungen der no‐ minalen Organisation auf den ganzen Satz, also auch den Bereich des Satzes außerhalb der Nominalgruppe(n). Nominalstilphänomene im weiteren Sinne sind folglich diejenigen Phänomene, die sich aus der Komplementa‐ rität von Nominalstil und Verbalstil ergeben: NOMINALSTIL VERBALSTIL Verb Substantiv/ Nomen Nominalisierung, Komposition Attribution Satzgefüge, Satzlänge Satzsemantische Verknüpfungen Verbale Kategorien Abb. 16: Komplementarität von Verbalstil und Nominalstil 94 Nominalstil: Eine erste Annäherung 94 18270_Hennig_Bel.indd 94 18270_Hennig_Bel.indd 94 05.02.2020 11: 02: 08 05.02.2020 11: 02: 08 Zusammenfassung Unter ‚Nominalstil‘ wird gemeinhin eine Anhäufung von grammatischen Formmerkmalen wie Nominalisierung, Komposition, Attribution sowie Funktionsverbgefügen verstanden. In quantitativer Hinsicht ist eine erhöhte (aber sicherlich schwer genau zu beziffernde) Anzahl von Merkmalen dieser Art die Voraussetzung dafür, dass man einen Text als no‐ minalstilistisch bezeichnet. Dabei geht es keineswegs nur um diese Merk‐ male als Oberflächenmerkmale sprachlicher Äußerungen. Vielmehr stehen aus qualitativer Perspektive solche nominalen Strukturen im Fokus einer Auseinandersetzung mit Nominalstil, die eine Überführung eines Satzin‐ halts von einer verbalen in eine nominale Struktur ermöglichen. No‐ minalstil wird deshalb im vorliegenden Studienbuch als Komplementär‐ begriff zu Verbalstil verstanden. Mit dem Nominalstil sind weitreichende Umbaumaßnahmen verbunden: Nicht nur die nominale Struktur selbst ist das Ergebnis der „Umverpackung“ (Ágel 2000: 1893), sondern diese hat auch Auswirkungen auf die gesamte Satzstruktur und Satzsemantik. So führt eine Überführung von Verbalstil in Nominalstil nicht nur zu einer komprimierten Form der Wiedergabe von Inhalten, sondern es werden auch persönliche Bezüge abgebaut und satzsemantische Verknüpfungen redu‐ ziert. Insofern sind tatsächlich nur bestimmte Komponenten des Satz‐ inhalts Gegenstand der Umverpackung. Andere Teilbereiche des Satz‐ inhalts werden hingegen abgebaut oder modifiziert. Anwendung: Textanalyse Nach dieser theoretischen Annäherung an den Begriff des Nominalstils und an Nominalstilphänomene im engeren und weiteren Sinne soll nun eine Il‐ lustration durch ein Textbeispiel erfolgen. Als Beispielgeber für Nominalstilphänomene im engeren Sinne dient der folgende Auszug aus dem deut‐ schen Patentrecht: 95 Zusammenfassung 95 18270_Hennig_Bel.indd 95 18270_Hennig_Bel.indd 95 05.02.2020 11: 02: 08 05.02.2020 11: 02: 08 § 3 (1) Eine Erfindung gilt als neu, wenn sie nicht zum Stand der Tech‐ nik gehört. Der Stand der Technik umfaßt alle Kenntnisse, die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. (2) Als Stand der Technik gilt auch der Inhalt folgender Patentan‐ meldungen mit älterem Zeitrang , die erst an oder nach dem für den Zeitrang der jüngeren Anmeldung maßgeblichen Tag der Öffent‐ lichkeit zugänglich gemacht worden sind: 1. der nationalen Anmeldungen in der beim Deutschen Patent‐ amt ursprünglich eingereichten Fassung; 2. der europäischen Anmeldungen in der bei der zuständigen Behörde ursprünglich eingereichten Fassung, wenn mit der Anmeldung für die Bundesrepublik Deutschland Schutz be‐ gehrt wird und die Benennungsgebühr für die Bundesrepu‐ blik Deutschland nach Artikel 79 Abs. 2 des Europäischen Pa‐ tentübereinkommens gezahlt ist und, wenn es sich um eine Euro-PCT-Anmeldung (Artikel 153 Abs. 2 des Europäischen Patentübereinkommens ) handelt, die in Artikel 153 Abs. 5 des Europäischen Patentübereinkommens genannten Vorausset‐ zungen erfüllt sind; 3. der internationalen Anmeldungen nach dem Patentzusam‐ menarbeitsvertrag in der beim Anmeldeamt ursprünglich ein‐ gereichten Fassung, wenn für die Anmeldung das Deutsche Patentamt Bestimmungsamt ist. Im Textausschnitt sind Nominalisierungen fettgedruckt, Komposita kursiv und erweiterte Adjektiv- und Partizipialattribute sind unterstrichen. Der Textabschnitt enthält - auf eine Gesamtlänge von 184 Wörtern - folglich (in token): 96 Nominalstil: Eine erste Annäherung 96 18270_Hennig_Bel.indd 96 18270_Hennig_Bel.indd 96 05.02.2020 11: 02: 09 05.02.2020 11: 02: 09 ▸ 18 (14 + 2 + 2) satzwertige deverbale Nominalisierungen (sogenannte Verbalabstrakta mit ung ; je zwei davon als Erstbzw. Zweitglieder von Komposita). Stand wurde nicht als satzwertige deverbale Nomi‐ nalisierung gewertet, weil Stand der Technik stark lexikalisiert ist, also nicht mehr auf einen Satz wie Die Technik steht zurückführbar ist. Das Gleiche gilt für das Adjektivabstraktum Öffentlichkeit (vgl. die ergän‐ zenden Ausführungen dazu im Anhang); ▸ 12 Komposita, von denen die folgenden nicht im Duden-Universal‐ wörterbuch verzeichnet sind: Zeitrang, Benennungsgebühr, Euro-PCT- Anmeldung, Patentübereinkommen, Patentzusammenarbeitsvertrag, Anmeldeamt, Bestimmungsamt. Im DUW verzeichnet ist nur das Kom‐ positum Patentamt. Die Tatsache, dass alle anderen Komposita nicht über einen Eintrag im DUW verfügen, kann als Indiz dafür gewertet werden, dass sie nicht in der Allgemeinsprache lexikalisiert sind. Sie haben also fachsprachlichen Charakter. In Euro-PCT-Anmeldung ver‐ weist die Bindestrichschreibung auf den Status als ad-hoc-Komposi‐ tum; ▸ 6 erweiterte Adjektivbzw. Partizipialattribute, von denen zwei nach gleichem Muster mit dem Adjektiv maßgeblich gebildet sind und drei ebenfalls nach gleichem Muster mit dem Partizip eingereicht : Das Ad‐ jektiv maßgeblich ist durch eine Präpositionalgruppe mit der Präpo‐ sition für erweitert: maßgeblich für den Zeitrang der Anmeldung ; das Partizip eingereicht durch eine Präpositionalgruppe mit der Präposi‐ tion bei : eingereicht bei(m) Patentamt, Behörde, Anmeldeamt. Das 6. erweiterte Attribut ist das Partizipialattribut genannt , das durch eine Präpositionalgruppe mit in erweitert wird. Der Textausschnitt enthält darüber hinaus auch noch zahlreiche weitere Attribuierungen. Die Attributanalyse wird in einer Tabelle zusammenge‐ fasst. Der tabellarischen Analyse seien die folgenden Erläuterungen voran‐ gestellt: ▸ Attributsätze werden aus Umfangsgründen verkürzt wiedergegeben; ▸ Der Grad bezeichnet den Attribuierungsgrad, also den Grad der hierarchischen Entfernung eines Attributs vom Kern der maximalen No‐ minalgruppe; ▸ Bei solchen maximalen Nominalgruppen, die Konstituenten eines At‐ tributsatzes sind, werden zwei Grade angegeben: Der niedrigere Grad bezeichnet den Attribuierungsgrad in Bezug auf die maximale Nomi‐ 97 Anwendung: Textanalyse 97 18270_Hennig_Bel.indd 97 18270_Hennig_Bel.indd 97 05.02.2020 11: 02: 09 05.02.2020 11: 02: 09 nalgruppe, die Konstituente des Attributsatzes ist; der höhere Grad bezeichnet die Entfernung des Attributs zum Kern derjenigen Nomi‐ nalgruppe, auf die sich der Attributsatz bezieht; ▸ Die Aufzählungspunkte 1.-3. unter Absatz (2) des Gesetzestextes wer‐ den als diskontinuierliche Genitivattribute zu Inhalt interpretiert. Die maximale Nominalgruppe mit diesen drei diskontinuierlichen Geni‐ tivattributen aufzuführen, würde den Umfang der Tabelle sprengen. Bei diesen drei Genitivattributen steht deshalb in der linken Spalte nur Inhalt in Klammern zur Kennzeichnung der Zugehörigkeit. maximale Nominalgruppe Attribut Attri‐ buttyp Grad (zu)m Stand der Technik der Technik Gen 1 der Stand der Technik der Technik Gen 1 alle Kenntnisse, die […] ge‐ macht worden sind. die […] gemacht worden sind Satz 1 dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Adj 1 / 2 für den Zeitrang der Anmeldung Präp 2 / 3 der Anmeldung Gen 3 / 4 schriftliche oder mündli‐ che Beschreibung schriftliche oder mündliche Adj 1 / 2 sonstiger Weise sonstiger Adj 1 / 2 Stand der Technik der Technik Gen 1 der Inhalt folgender Pa‐ tentanmeldungen mit älte‐ rem Zeitrang, die […] ge‐ macht worden sind folgender Patentanmeldungen mit älterem Zeitrang, die […] gemacht worden sind Gen 1 folgender Adj 2 mit älterem Zeitrang, die […] ge‐ macht worden sind Präp 2 älterem Adj 3 die […] gemacht worden sind Satz 2 dem für den Zeitrang der jüngeren Anmeldung maßgeblichen Tag für den Zeitrang der jüngeren An‐ meldung maßgeblichen Adj 1 / 2 98 Nominalstil: Eine erste Annäherung 98 18270_Hennig_Bel.indd 98 18270_Hennig_Bel.indd 98 05.02.2020 11: 02: 09 05.02.2020 11: 02: 09 für den Zeitrang der Anmeldung Präp 2 / 3 der Anmeldung Gen 3 / 4 jüngeren Adj 4 / 5 (Inhalt) der nationalen Anmeldungen in der beim Deutschen Patentamt ur‐ sprünglich eingereichten Fassung Gen 1 der nationalen Anmeldun‐ gen in der beim Deutschen Patentamt ursprünglich eingereichten Fassung nationalen Adj 2 in der beim Deutschen Patentamt ursprünglich eingereichten Fas‐ sung Präp 2 beim Deutschen Patentamt ur‐ sprünglich eingereichten Part 3 beim Deutschen Patentamt Präp 4 ursprünglich Adv 4 (Inhalt) der europäischen Anmeldungen in der bei der zuständigen Behörde ursprünglich eingereichten Fas‐ sung Gen 1 der europäischen Anmel‐ dungen in der bei der zu‐ ständigen Behörde ur‐ sprünglich eingereichten Fassung europäischen Adj 2 in der bei der zuständigen Behörde ursprünglich eingereichten Fas‐ sung Präp 2 bei der zuständigen Behörde ur‐ sprünglich eingereichten Part 3 bei der zuständigen Behörde Präp 4 ursprünglich Adv 4 die Benennungsgebühr für die Bundesrepublik Deutschland für die Bundesrepublik Deutsch‐ land Präp 1 nach Artikel 79 Abs. 2 des Europäischen Patentüber‐ einkommens 79 Abs. 2 des Europäischen Patent‐ übereinkommens App 1 des Europäischen Patentüberein‐ kommens Gen 2 Europäischen Adj 3 99 Anwendung: Textanalyse 99 18270_Hennig_Bel.indd 99 18270_Hennig_Bel.indd 99 05.02.2020 11: 02: 09 05.02.2020 11: 02: 09 Artikel 153 Abs. 2 des Eu‐ ropäischen Patentüberein‐ kommens 153 Abs. 2 des Europäischen Pa‐ tentübereinkommens App 1 des Europäischen Patentüberein‐ kommens Gen 2 Europäischen Adj 3 die in Artikel 153 Abs. 5 des Europäischen Patentüber‐ einkommens genannten Voraussetzungen in Artikel 153 Abs. 5 des Europäi‐ schen Patentübereinkommens ge‐ nannten Part 1 in Artikel 153 Abs. 5 des Europäi‐ schen Patentübereinkommens Präp 2 153 Abs. 5 des Europäischen Pa‐ tentübereinkommens App 3 des Europäischen Patentüberein‐ kommens Gen 4 Europäischen Adj 5 (Inhalt) der internationalen Anmeldungen nach dem Patentzusammenar‐ beitsvertrag in der beim Anmelde‐ amt ursprünglich eingereichten Fassung Gen 1 der internationalen An‐ meldungen nach dem Pa‐ tentzusammenarbeitsver‐ trag in der beim Anmeldeamt ursprünglich eingereichten Fassung internationalen Adj 2 nach dem Patentzusammenar‐ beitsvertrag in der beim Anmelde‐ amt ursprünglich eingereichten Fassung Präp 2 in der beim Anmeldeamt ur‐ sprünglich eingereichten Fassung Präp 2 beim Anmeldeamt ursprünglich eingereichten Part 3 beim Anmeldeamt Präp 4 ursprünglich Adv 4 Deutsche Patentamt Deutsche Adj 1 Tab. 5: Attributanalyse Beispieltext „Patentrecht“ 100 Nominalstil: Eine erste Annäherung 100 18270_Hennig_Bel.indd 100 18270_Hennig_Bel.indd 100 05.02.2020 11: 02: 09 05.02.2020 11: 02: 09 Die sehr umfangreiche Tabelle lässt erkennen, dass der Attribution eine große Rolle bei der nominalen Satzorganisation zukommt: In komplexen, mehrfach erweiterten Nominalgruppen ist die Attribution das Mittel zur Herstellung von Relationen. Die Attribute haben in der Nominalgruppe im Grunde genommen einen ähnlichen Stellenwert wie die Satzglieder im Satz. Auf komplexe Attribution wird deshalb im Kapitel „Nominale Kom‐ plexität“ erneut eingegangen werden. Mit der Analyse des Auszugs aus dem deutschen Patentrecht wurden zu‐ nächst Nominalstilphänomene im engeren Sinne erfasst. Für die Diskussion von Nominalstilphänomenen im weiteren Sinne benötigen wir einen Ver‐ gleichstext, da es dabei immer um ein „Mehr oder Weniger an“ geht. Als Vergleichstext soll uns ein Text mit einem Umfang von 198 Wortformen zum Thema Patentrecht aus der GEOlino dienen: Simone Müller Patente: die Lösung für ein Problem Was passiert eigentlich, wenn man etwas erfunden hat? Wann be‐ kommt man ein Patent? Und was genau ist das eigentlich? Thomas Späth hat die Antworten. Von der dreibeinigen Strumpfhose bis zur Flugzeugtür : Rund 60000 Anträge reichen Erfinder und Unternehmen jedes Jahr beim Deutschen Patent- und Markenamt ein. Dort überprüfen der Elek‐ trotechniker Thomas Späth, 44, und seine Kollegen, ob die Idee wirklich neu ist. Im Interview erzählt er, wozu ein Patent gut ist und welche verrückten Erfindungen auf seinem Schreibtisch landen. GEOlino extra: Herr Späth, was genau ist das - ein Patent? Thomas Späth : Es ist der Nachweis, dass ich eine Idee zuerst hatte und damit der Besitzer dieser Idee oder Erfindung bin - so wie ein Fahrzeugbrief belegt, dass ich der Besitzer eines bestimmten Autos bin. Und wozu braucht ein Erfinder das Patent? Um sich gegen Nachahmer zu schützen. Wenn ich ein Patent habe, kann ich anderen entweder verbieten, diese Idee zu nutzen. Oder ich kann Geld für deren Nutzung verlangen. 101 Anwendung: Textanalyse 101 18270_Hennig_Bel.indd 101 18270_Hennig_Bel.indd 101 05.02.2020 11: 02: 09 05.02.2020 11: 02: 09 Was passiert, wenn jemand meine Idee trotzdem nutzt? Zunächst einmal muss der Erfinder selbst bemerken: Hoppla, da baut jemand genau das nach, was ich erfunden habe. Dann kann er den Ideendieb verklagen. Um zunächst einen Vergleich der Nominalstilphänomene im engeren Sinne zu ermöglichen, wurden auch hier Komposita kursiv gesetzt und Nomina‐ lisierungen fett. Da es in diesem Text keine erweiterten Adjektiv- und Par‐ tizipialattribute gibt, konnte das Mittel der Unterstreichung hier anderweitig genutzt werden: für persönliche Bezüge, also den Ausdruck von Person und Agens. Doch zunächst sollen beide Texte in Bezug auf Nominalstilphäno‐ mene im engeren und weiteren Sinne verglichen werden: ▸ den 18 satzwertigen deverbalen Nominalisierungen im Ausgangstext stehen 12 deverbale Nominalisierungen im GEOlino-Text gegenüber: drei Ableitungen mit -ung , sieben Ableitungen mit er sowie eine Stamm- und eine Infinitivkonversion ( Antwort und Unternehmen ); ▸ der Text enthält 5 Komposita (gegenüber 12 im Ausgangstext), von denen zwei nicht im Duden-Universalwörterbuch verzeichnet sind: Flugzeugtür und Patent- und Markenamt ( Patentamt ist zwar im DUW verzeichnet, aber weder Markenamt noch die hier vorgenommene Koordination); ▸ der Text enthält keine erweiterten Adjektiv- und Partizipialattribute. Die folgende Tabelle fasst die Attribute im GEOlino-Text zusammen: maximale Nominalgruppe Attribut Attri‐ buttyp Grad Lösung für ein Problem Für ein Problem Präp 1 dreibeinige Strumpfhose dreibeinig Adj 1 Elektrotechniker Thomas Späth, 44 Thomas Späth App 1 44 App 1 verrückten Erfindungen verrückten Adj 1 102 Nominalstil: Eine erste Annäherung 102 18270_Hennig_Bel.indd 102 18270_Hennig_Bel.indd 102 05.02.2020 11: 02: 09 05.02.2020 11: 02: 09 der Nachweis, dass ich eine Idee zu‐ erst hatte und damit der Besitzer dieser Idee oder Erfindung bin dass ich eine Idee zu‐ erst hatte und damit der Besitzer dieser Idee oder Erfindung bin Satz 1 der Besitzer dieser Idee oder Erfin‐ dung dieser Idee oder Er‐ findung Gen 1 der Besitzer eines bestimmten Au‐ tos eines bestimmten Autos Gen 1 bestimmten Adj 2 genau das […], was ich erfunden habe was ich erfunden habe Satz 1 Tab. 6: Attributanalyse Beispieltext „Patentrecht GEOlino“ Die in allen Phänomenbereichen deutlich niedrigeren Werte in Text 2 lassen klar erkennen, dass dieser Text in geringerem Maße nominal organisiert ist als der erste Text. Lediglich Nominalisierungen sind auch im GEOlino-Text in nicht unerheblichem Maße vertreten. Auffällig ist dabei aber, dass sieben der insgesamt zwölf Nominalisierungen er -Nominalisierungen für Perso‐ nenbezeichnungen sind, die - auch wenn sie teilweise noch in Sätze über‐ führt werden können, vgl. der Erfinder des Autos - er erfindet ein Auto - als Substantivklasse einen starken Grad an Lexikalisierung aufweisen. Vor al‐ lem werden sie im Text auch für persönliche Bezüge genutzt (s. u.). Ein Vergleich der beiden Texte bezüglich der Nominalstilphänomene im weiteren Sinne ergibt folgendes Bild: Text 1 Text 2 Anzahl an finiten Verben 11 27 durchschnittliche Satzlänge 61,3 10,4 Anzahl an Satzgefügen / Nebensätzen 3 / 8 9 / 12 Anzahl satzsemantischer Verknüpfungen 4 3 Anzahl persönlicher Bezüge 0 20 Tab. 7: Nominalstilphänomene im weiteren Sinne in beiden Texten im Vergleich 103 Anwendung: Textanalyse 103 18270_Hennig_Bel.indd 103 18270_Hennig_Bel.indd 103 05.02.2020 11: 02: 10 05.02.2020 11: 02: 10 Die Analysen zur Satzlänge können durch die tabellarischen Analysen der beiden Beispieltexte im Anhang (Tab. A1 und Tab. A2) nachvollzogen wer‐ den. Auffällig ist zunächst, dass Text 2 deutlich mehr finite Verben enthält als Text 1. Damit ist eine verbalstilistischere Organisation klar erkennbar. Die Werte zur durchschnittlichen Satzlänge weichen hingegen von den Erwar‐ tungen auf der Basis der Fachliteratur ab: Die oben zitierten Autoren konn‐ ten für die diachrone Entwicklung nachweisen, dass im Zuge des Ausbaus des Nominalstils die Satzlänge abnimmt, Sätze also kürzer werden. Dass das Ergebnis dem hier nicht nur leicht, sondern mit dem außerordentlich hohen Wert für Text 1 deutlich entgegensteht, lässt sich folgendermaßen erklären: Zunächst einmal kommt der extrem hohe Wert bei Text 1 vor allem dadurch zustande, dass - wie oben bereits erläutert - es sich bei den Unterpunkten 1.-3. um diskontinuierliche Genitivattribute zu Inhalt im Satz „(2) Als Stand der Technik gilt auch der Inhalt […]“ handelt. Wenn also der nationalen An‐ meldungen […] , der europäischen Anmeldungen […] und der internationalen Anmeldungen […] einfach nur koordinierte Genitivattribute zu einem Be‐ zugsnomen im eben genannten Satz sind, sind sie aus grammatischer Per‐ spektive Bestandteile des Satzes. Folglich muss der ganze Textabschnitt von hier bis zum Ende als ein grammatischer Satz betrachtet werden. Mit 137 Wortformen hat dieser Satz eine extreme Länge und illustriert somit, dass Nominalstil nicht unbedingt zu kürzeren Sätzen führen muss. Text 2 hingegen enthält eher kurze Sätze. Dabei wurden hier aber nur die Sätze mit finitem Verb gezählt und nicht die - noch kürzeren - Einheiten ohne finites Verb ( Von der dreibeinigen Strumpfhose bis zur Flugzeugtür; GEOlino extra; Herr Späth, Thomas Späth; Hoppla ). Die kurzen Sätze dürften Ergebnis der Orientierung an der Zielgruppe von GEOlino sein. Das Text‐ beispiel illustriert folglich, wie stark die Ausprägung von Faktoren wie die‐ sen von den textpragmatischen Rahmenbedingungen wie Textsorte und Zielgruppe abhängt. Die auch eher geringen Werte zu Satzgefügen, Neben‐ sätzen und satzsemantischen Verknüpfungen sind eine Folge der Organisa‐ tion des Textes durch vorrangig kurze, einfache Sätze. Umso auffälliger ist das Ergebnis zur Anzahl persönlicher Bezüge. Als persönliche Bezüge wurden hier im Sinne von Peter von Polenz vor allem explizite Nennungen des Agens (man erfindet etwas, der Elektrotechniker überprüft etwas, ich verbiete etwas, jemand baut etwas ) erfasst, aber auch andere Nennungen von an den geschilderten Vorgängen beteiligten Perso‐ nen (ich habe ein Patent, ich bin Besitzer der Idee ) sowie der Anredenomi‐ 104 Nominalstil: Eine erste Annäherung 104 18270_Hennig_Bel.indd 104 18270_Hennig_Bel.indd 104 05.02.2020 11: 02: 10 05.02.2020 11: 02: 10 nativ Herr Späth. Zwar sind unter den persönlichen Bezügen auch einige Indefinitpronomen (zweimal man und zweimal jemand ), auch mit diesen wird aber jeweils ein Agens (bzw. in man bekommt ein Patent ein Benefaktiv) realisiert. Im Gegensatz dazu sind in Text 1 sogenannte Deagentivie‐ rungsphänomene zu beobachten (von Polenz 1981, Hennig / Niemann 2013a,b): In Sätzen wie Als Stand der Technik gilt auch der Inhalt folgender Patentanmeldungen mit älterem Zeitrang, die erst an oder nach dem für den Zeitrang der jüngeren Anmeldung maßgeblichen Tag der Öffentlichkeit zu‐ gänglich gemacht worden sind findet sich keine Nennung des Agens, also des Handelnden, der die Kenntnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, vielmehr wird das Passiv als klassisches Deagentivierungsmuster ver‐ wendet, d. h. als eine grammatische Struktur, die sozusagen dem Satz das Agens entzieht. Auch Nominalisierungen wie Anmeldung, Beschreibung und Benutzung können als deagentivierend betrachtet werden, da sie dazu füh‐ ren, dass der Urheber der genannten Handlungen nicht explizit genannt wird. Aufschlussreich ist schließlich noch ein Vergleich der verbalen Katego‐ rien: Beide Texte sind vorrangig im Präsens verfasst. Text 2 enthält darüber hinaus zwei Perfekt- und eine Präteritumsform ( erfunden hat / habe, Idee hatte ). Text 1 enthält ebenfalls zwei Perfektformen, die beide Perfekt des Passivs sind: gemacht worden sind. Die Vergangenheitsformen in Text 2 ha‐ ben aber eine stärkere deiktische Qualität, es handelt sich also um origobe‐ zogene temporale Kontextualisierungen, die das Geschehen in Bezug auf die handelnde Person ( man, ich ) zeitlich verorten. Die beiden Perfektformen in Text 1 hingegen weisen keinen solchen unmittelbar deiktischen Vergangen‐ heitsbezug auf, sondern setzen einen Vergangenheitskontext quasi als hy‐ pothetisch an. Text 1 enthält insgesamt fünf Passivformen (darunter auch zwei Zustandspassive: gezahlt ist und erfüllt sind ) und keine Modalverben; Text 2 hingegen enthält keine Passivformen und vier Modalverben ( kann verbieten, verlangen, verklagen; muss bemerken ). Die kurze Analyse der Nominalstilphänomene im weiteren Sinne hat ge‐ zeigt, dass in Text 2 ein enger Konnex aus persönlichen Bezügen und ver‐ balen Kategorien hergestellt wird, der zum Eindruck einer verbalstilisti‐ schen Organisation führt. In Text 1 hingegen ergänzt die Verwendung deagentivierender verbaler Kategorien das bereits durch die Analyse von Nominalstilphänomen im engeren Sinne gewonnene Bild des Nominalstils. 105 Anwendung: Textanalyse 105 18270_Hennig_Bel.indd 105 18270_Hennig_Bel.indd 105 05.02.2020 11: 02: 10 05.02.2020 11: 02: 10 18270_Hennig_Bel.indd 106 18270_Hennig_Bel.indd 106 05.02.2020 11: 02: 10 05.02.2020 11: 02: 10 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax Überblick In diesem Buch wird Nominalstil als eine komplementäre Vari‐ ante zu Verbalstil verstanden. Wie aber ist es möglich, dass Satzinhalte sowohl in nominaler als auch in verbaler Organisation realisiert werden können, wenn doch eigentlich Satz und Nominal‐ gruppe sehr unterschiedliche syntaktische Formate darstellen? Wie gelingt überhaupt die „Umverpackung“ von Verbalstil in Nomi‐ nalstil, wenn die Voraussetzungen für die Realisierung von Satzin‐ halten grundverschieden sind? Was kann wie umverpackt werden, wo aber liegen die Grenzen? Das folgende Kapitel soll die Grundlage für die Auseinandersetzung mit Fragen dieser Art erarbeiten. Dabei geht es in „Satz und No‐ minalgruppe als strukturelle Domänen“ zunächst um die Frage, wie Satz und Nominalgruppe eigentlich syntaktisch funktionieren und worin sie sich diesbezüglich unterscheiden. Ausgehend davon kann dann in „Nominalisierung und Valenzvererbung“ disku‐ tiert werden, wie die unterschiedlichen Strukturmechanismen von Satz und Nominalgruppe für die Realisierung gleicher Satzinhalte genutzt werden können. Im Sinne einer Anwendung dieser theore‐ tischen Grundlagen werden abschließend „Nominalgruppenbau‐ pläne“ mit Satzbauplänen verglichen. Satz und Nominalgruppe als strukturelle Domänen Nach der ersten Annäherung an eine Begriffsbestimmung von Nominalstil wird es nun darum gehen, die grammatischen Grundlagen zur Beschreibung von Nominalstil weiter auszubauen. Dieses Teilkapitel widmet sich deshalb der Erarbeitung der Grundlagen der Satz- und Nominalgruppensyntax. 18270_Hennig_Bel.indd 107 18270_Hennig_Bel.indd 107 05.02.2020 11: 02: 10 05.02.2020 11: 02: 10 Diese werden hier zunächst ohne Rückgriff auf Nominalisierungsfragen er‐ arbeitet, damit erst einmal die Voraussetzungen bestimmt werden können. Satz und Nominalgruppe werden hier mit Czicza (2015) als „strukturelle Domänen“ verstanden. Czicza definiert ‚strukturelle Domäne‘ wie folgt: Strukturelle Domänen sind abstrakte Schemata, die ihre für konkretes lexikali‐ sches Material vorgesehenen Leerstellen bezüglich Form, Relation und Funktion auf prototypische Weise festlegen und im sprachlichen Wissen gespeichert Schreibern / Sprechern und Lesern / Hörern zur Verfügung stehen. (Czicza 2015: 135) Das können wir uns in Bezug auf syntaktische Schemata folgendermaßen vorstellen: Ein abstraktes Schema für eine prototypische Nominalgruppe lautet ‚Artikel - Adjektiv - Substantiv‘; ein abstraktes Schema für einen prototypischen Satz bildet beispielsweise der Satzbauplan ‚Subjekt - Prädi‐ kat - Akkusativobjekt‘. Laut Czicza sind abstrakte Schemata der strukturel‐ len Domäne Satz aber nicht einfach mit Satzbauplänen (also einer Grund‐ struktur an Satzgliedern, vgl. Dudengrammatik 2016: 927 ff.) gleichzusetzen, denn die Leerstellen sind darüber hinaus auch in Bezug auf die Form und die Funktion prädeterminiert: Ein Subjekt bspw. ist formal prototypisch eine Nominalgruppe im Nominativ, funktional dient es prototypisch der Refe‐ renz, d. h., es ist ein Bezugsobjekt, auf das sich das Prädikat bezieht (von Polenz 2008: 118). Dass Czicza nun den Satz und die Nominalgruppe als strukturelle Domänen modelliert, bedeutet, dass die Unterschiede zwischen Satz und Nominalgruppe als unterschiedliche abstrakte Schemata erfasst werden können. Als abstrakte Schemata stehen sie - wie wir der Begriffs‐ bestimmung entnehmen - den Kommunikationsbeteiligten zur Verfügung, das bedeutet, wir können bei der Produktion und Rezeption sprachlicher Äußerungen auf diese Schemata zurückgreifen und müssen nicht bei jeder Äußerung erneut überlegen, wie wir die einzelnen Elemente zusammenfü‐ gen können. Die folgende Übersicht fasst exemplarisch prototypische Struktursche‐ mata für die strukturellen Domänen Satz und Nominalgruppe zusammen: 108 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 108 18270_Hennig_Bel.indd 108 18270_Hennig_Bel.indd 108 05.02.2020 11: 02: 10 05.02.2020 11: 02: 10 Formen Relationen Funk‐ tionen Konstitu‐ entenka‐ tegorien Flexion Linear‐ struktur syntagma‐ tisch Syntak‐ tisch NGr Artikel Nominale Fle‐ xion: Genus, Numerus, Ka‐ sus Nominal‐ klammer Kongruenz in Bezug auf die Einhei‐ tenkatego‐ rien Kasus und Nume‐ rus; die Wortkate‐ gorie Genus wird vom Substantiv regiert Kopf Deter‐ mina‐ tion Adjektiv Attri‐ but Modifi‐ kation Substan‐ tiv / No‐ men Nominale Fle‐ xion: Nume‐ rus und Kasus Kern Nomi‐ nation Satz Substan‐ tiv / No‐ men Nominal‐ gruppe im No‐ minativ Verbal‐ klammer Kongruenz von Subjekt und finitem Verb Rektion des Akkusativ‐ objekts durch das Vollverb Subjekt Refe‐ renz Verb / Verbal‐ komplex Verbale Fle‐ xion: Person, Numerus, Tempus, Mo‐ dus, Genus Prädi‐ kat Prädika‐ tion Substan‐ tiv / No‐ men Nominal‐ gruppe im Ak‐ kusativ Objekt Refe‐ renz Tab. 8: Abstrakte Schemata Nominalgruppe und Satz: Beispiele Die abstrakten Schemata können in Äußerungen sozusagen mit Leben gefüllt werden: die begabte Studentin, seinem alten Fahrrad, Franzi liebt Serien, Die Kin‐ der haben die Aufgaben begriffen. Betont sei, dass mit diesen Schemata nicht die gesamten Ausdrucksmöglichkeiten der Nominalgruppe und des Satzes erfasst sind, sondern dass es sich vielmehr um exemplarische Schemata handelt. No‐ minalgruppen- und Satzschemata können sich auch auf andere Weise zusam‐ mensetzen, bspw. eine Nominalgruppe mit Genitivattribut oder ein Satz ohne Objekt. Es handelt sich aber um prototypische Beispiele dahingehend, dass es Strukturschemata sind, die besonders häufig Anwendung finden und die wir sicherlich auch mit einer Nominalgruppe und einem Satz assoziieren (vgl. die 109 Satz und Nominalgruppe als strukturelle Domänen 109 18270_Hennig_Bel.indd 109 18270_Hennig_Bel.indd 109 05.02.2020 11: 02: 10 05.02.2020 11: 02: 10 gängige schulgrammatische Auffassung, ein Satz sei Subjekt + Prädikat + Ob‐ jekt). Wichtig ist darüber hinaus zu betonen, dass das prototypische Beispiel‐ schema für eine Nominalgruppe noch keinen Nominalstil ausmacht. So kann dieses Schema beispielsweise durch Material wie die begabte Studentin, seinem alten Fahrrad, der kleine Klaus oder der grüne Baum gefüllt werden - diese Bei‐ spiele stehen kaum unter dem Verdacht, nominalstilistisch zu sein. Es ist wich‐ tig, erst einmal prototypische Schemata zu beschreiben, um damit ein Grund‐ verständnis von der Funktionsweise verbaler vs. nominaler Syntax zu erhalten. Ausgehend davon können dann im folgenden Teilkapitel „Valenzvererbung und Nominalisierung“ nominalstilistische Nominalgruppen als Abweichungen vom Prototyp beschrieben werden. Diskurs: Nominalgruppe und Satz als Konstruktionen Cziczas Modellierung der strukturellen Domänen ist inspiriert durch die aktuelle Diskussion um die sogenannte Konstruktionsgrammatik. Die Konstruktionsgrammatik betrachtet Syntax nicht als Kombination von Wörtern, sondern geht vielmehr von den Konstruktionen aus, in denen sich Wörter befinden. Da hier auf ausführliche grammatiktheoretische Diskussionen verzichtet werden soll, sei auf den Überblick in Welke (2011: 172 ff.) sowie das Studienbuch von Ziem / Lasch (2013) verwiesen. Welke - auf dessen Konzept der Valenzvererbung wir im folgenden Teilkapitel zurückgreifen werden - geht einen Schritt weiter als Czicza und spricht von verbalen Konstruktionen (mit der Prädikat-Argu‐ ment-Konstruktion als Prototyp) sowie substantivischen Konstruktionen (mit der Kopf-Modifikator-Konstruktion als Prototyp, wobei bei Welke das Substantiv der Kopf der Nominalgruppe ist) (2011: 254 f.). Bei seinen Ausführungen zur Valenzvererbung geht es folglich um die Frage, wie diese bei einer Überführung von einer verbalen in eine substantivische Konstruktion funktioniert. Ich spreche hier mit Czicza von strukturellen Domänen, weil die Modellierung struktureller Domänen aus meiner Sicht eine größere Flexibilität mit sich bringt als die Festlegung auf Kon‐ struktionen. Dennoch werde ich - insbesondere im folgenden Teilkapi‐ tel - auch gelegentlich wieder den Terminus Konstruktion verwenden, und zwar vor allem dann, wenn ich mich auf Welke beziehe, der Valenz‐ vererbung in diesem Rahmen modelliert. Die Darstellung in Tabelle 8 folgt also dem Modell von Czicza, der für die Beschreibung struktureller Domänen die drei Bereiche Form, Relation und 110 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 110 18270_Hennig_Bel.indd 110 18270_Hennig_Bel.indd 110 05.02.2020 11: 02: 11 05.02.2020 11: 02: 11 Funktion für einschlägig hält. In Bezug auf die formale und relationale Ebene folgt er dem Modell der syntaktischen Strukturen bei Peter Eisenberg (2013b). Mit der funktionalen Ebene knüpft er an das Konzept der „funktio‐ nalen Domäne“ an, wie es von Christian Lehmann (o. J.) und in Anlehnung daran von Gisela Zifonun (2001) und ihrem Team (Gunkel et al. 2017) ver‐ treten wird. Eine „funktionale Domäne“ ist nach Lehmann „eine Menge von Begriffen und Operationen, die Funktionen auf einer oberen Ebene in der teleonomischen Hierarchie der Sprache erfüllen, also den obersten Funk‐ tionen der Sprache, der Kognition und Kommunikation, unmittelbar unter‐ geordnet sind.“ Beispiele für funktionale Domänen bei Lehmann sind Pos‐ session, Quantifikation, temporale Orientierung, Illokution und Modalität. Das Konzept ist vor allem für den Sprachvergleich interessant, weil es tertia comparationis für den bilateralen Sprachvergleich bietet: So kann bspw. verglichen werden, welche sprachlichen Mittel in zwei Sprachen für den Ausdruck von Temporalität oder Modalität zur Verfügung stehen. Die Re‐ levanz des Konzepts für die Gegenüberstellung von Satz und Nominalgruppe als strukturelle Domänen begründet Czicza wie folgt: Die funktional-typologische Sicht betont relevante funktionale Differenzen zwi‐ schen verbaler und nominaler Organisation […] und weist darauf hin, dass Sätze über Prädikation vorrangig „gebucht“ sind, während NPs [Nominalphrasen] den zentralen Ort von Gegenstandsentwürfen darstellen. (Czicza 2015: 129) Mit anderen Worten: Satz und Nominalgruppe verfügen nicht nur über syn‐ taktisch unterschiedliche Strukturen, sondern sie decken auch unterschied‐ liche Grundfunktionen der Sprache ab. Der Rückgriff auf die funktionale Ebene rundet folglich das Bild von zwei sehr unterschiedlich gestalteten strukturellen Domänen ab. Czicza fasst diese wie folgt zusammen (2015: 131): Strukturelle Domäne NP formal : nominale (= pronominale, adjektivische und nominale) Flexion der Bestandteile, Nominalklammer mit Feldern und festgelegter Rei‐ henfolge der Feldelemente relational : Kern, Kopf (Spezifikator), Attribut, Rektion und Kongruenz (hinsichtlich nominaler Kategorien) funktional : Referenz mit Nomination, Determination und Modifikation als Subdomänen 111 Satz und Nominalgruppe als strukturelle Domänen 111 18270_Hennig_Bel.indd 111 18270_Hennig_Bel.indd 111 05.02.2020 11: 02: 11 05.02.2020 11: 02: 11 Strukturelle Domäne Satz formal : verbale Flexion (finite und infinite Verbformen), Verbalklammer mit Feldern und festgelegter Reihenfolge der Feldelemente relational : Prädikat (Valenzträger), Argument, Rektion und Kongruenz (hinsichtlich der Korrespondenz zwischen Subjekt und Prädikat) funktional : Prädikation mit Temporalität, Modalität usw. als Subdomä‐ nen Die abstrakten Schemata sollen nun durch ein Beispielpaar illustriert wer‐ den. Für die Nominalgruppe greife ich auf das auch von Czicza verwendete Beispiel die blaue Forelle zurück (s. u.); als Beispiel für einen Satz verwende ich Der Koch hat die blaue Forelle gebraten. Form Relation Funktion Der Koch hat gebraten die blaue Forelle Nominalgruppe im Nominativ Verbalkomplex 3. Ps. Ind. Akt. Perfekt Nominalgruppe im Akkusativ mit Adj.attr Vorfeld linke/ rechte Satzklammer Mittelfeld Subjekt Kongruenz mit fin. Verb Prädikat Objekt regiert durch Vollverb Referenz Referenz Prädikation Abb. 17: Strukturelle Domäne Satz (Beispiel) Auf der Ebene der Form werden hier einerseits die Realisierungsformen der Konstituenten des Satzes (und somit auch der Bestandteile des Schemas) angegeben: die Konstituentenkategorien (Eisenberg 2013b: 20 f.), aber auch die weiteren Eigenschaften der Konstituenten (Wort- und Einheitenkatego‐ rien im Sinne von Eisenberg 2013b: 14 ff.). Andererseits wird auch die Line‐ arstruktur der Ebene der Form zugeordnet. Auf der Ebene der Relation fin‐ den sich Angaben zu den syntaktischen Relationen (siehe Eisenberg 2013: 36 ff., für den Bereich Satz sind das die Satzglieder) und den syntagmatischen 112 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 112 18270_Hennig_Bel.indd 112 18270_Hennig_Bel.indd 112 05.02.2020 11: 02: 11 05.02.2020 11: 02: 11 Relationen (siehe Eisenberg 2013b: 30 ff.), also diejenigen Relationen, die auf der Basis bestimmter formaler Markierungen (beispielsweise Kasus) quasi für den Zusammenhalt im Satz sorgen und dadurch die Grundlage dafür bilden, dass beispielsweise ein Subjekt oder Objekt als solches identifiziert werden kann. Für die Erfassung der Funktionen wird hier auf Czicza (2015) sowie die Satzsemantik von Peter von Polenz (2008) zurückgegriffen. Wie bereits im Kapitel „Grundbegriffe“ erläutert wurde, sind für von Polenz Referieren und Prädizieren die beiden wichtigsten Teilhandlungen des Satzinhalts (2008: 90). Es geht also bei diesen Begriffen streng genommen eigentlich um Hand‐ lungen im Sinne der Sprechakttheorie (von Polenz 2008: 117). Eine sprech‐ akttheoretische Diskussion darüber, wieviele und welche Teilhandlungen einem Satz zugrunde liegen, wollen und können wir hier nicht führen. Wenn wir nun das der Nominalgruppe die blaue Forelle zugrunde liegende abstrakte Schema modellieren, dann bedeutet das aus der Perspektive des Satzes Der Koch hat die blaue Forelle gebraten , dass nun ein Bestandteil des Satzschemas weiter ausdifferenziert wird. Zwar können Nominalgruppen prinzipiell auch als eigenständige kommunikative Minimaleinheiten im Sinne der IdS-Grammatik (1997: 91) fungieren (bspw. als Über- oder Auf‐ schriften), meist sind sie jedoch Bestandteile von Sätzen. Wir stellen uns nun also die Nominalgruppe die blaue Forelle im Satz Der Koch hat die blaue Forelle gebraten vor und modellieren nun die Binnenstruktur dieser Satzkonstitu‐ ente, also die strukturelle Domäne der Nominalgruppe (s. Abbildung 18). Auch hier wurde auf der Ebene der Form zusätzlich zu den Angaben zu den Konstituentenkategorien (in diesem Falle Wortarten, aber auch Wortgrup‐ pen können Konstituenten von Nominalgruppen sein, bspw. die Forelle des Feinschmeckers, vgl. „Grundbegriffe“) und den Angaben zur kategorialen Realisierung der Konstituenten eine linearstrukturelle Einordnung vorge‐ nommen. Wie sinnvoll es ist, auch auf die Nominalgruppe den eigentlich für den Satz ausgearbeiteten Felderstrukturansatz zu übertragen, ist nicht ganz unumstritten. Für unsere Zwecke erweist er sich zweifelsohne als hilfreich, weil dieses Vorgehen eine unmittelbare Vergleichbarkeit der strukturellen Domänen Satz und Nominalgruppe erlaubt und weil - das wird sich insbe‐ sondere in den folgenden Teilkapiteln noch zeigen - die Linearstruktur auch eine besonders wichtige Grundlage für die Ausdrucksmöglichkeiten in der nominalen Domäne bildet. Auf der Ebene der Relationen werden hier mit Eisenberg Kopf, Attribut und Kern als syntaktische Relationen der Nomi‐ nalgruppe angenommen (ausführlicher dazu in „Grundbegriffe“). Als syn‐ 113 Satz und Nominalgruppe als strukturelle Domänen 113 18270_Hennig_Bel.indd 113 18270_Hennig_Bel.indd 113 05.02.2020 11: 02: 11 05.02.2020 11: 02: 11 tagmatische Relationen sind hier wie auch auf Satzebene Rektion und Kon‐ gruenz relevant. Dabei gehen wir mit Eisenberg davon aus, dass Kongruenz (also eine formale Abstimmung der Konstituenten aufeinander) nur in Bezug auf die Kategorien Kasus und Numerus gegeben ist. Das Genus des Artikels und des Adjektivs ist hingegen vom Substantiv / Nomen regiert, eben weil es beim Substantiv eine Wortkategorie ist, also fest zum Wort gehört, wäh‐ rend es bei Artikel und Adjektiv zu den Eisenberg’schen Einheitenkatego‐ rien, also veränderlichen Flexionskategorien gehört (siehe Formebene). Form Relation Funktion Artikel im Akk. Sg. Adjektiv im Akk. Sg. Substantiv im Akk. Sg. linke Klammer rechte Klammer Mittelfeld Kopf Attribut Kern Determination Nomination Modifikation die blaue Forelle Fem. als Einheitenkategorie Fem. als Wortkategorie regiertes Genus Kongruenz in Kasus und Numerus Abb. 18: Strukturelle Domäne Nominalgruppe (Beispiel) Für die Erfassung der funktionalen Ebene kann hier nicht auf von Polenz zurückgegriffen werden, eben weil von Polenz sich vorrangig mit der Satz‐ semantik und nicht mit der Nominalgruppensemantik befasst. Die Termini ‚Determination‘, ‚Nomination‘ und ‚Modifikation‘ werden hier von Czicza übernommen. Sie sind im Bereich der funktionalen Syntax gut etabliert (vgl. Lehmann o. J. sowie Gunkel et al. 2017). 114 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 114 18270_Hennig_Bel.indd 114 18270_Hennig_Bel.indd 114 05.02.2020 11: 02: 11 05.02.2020 11: 02: 11 Nominalisierung und Valenzvererbung Im letzten Teilkapitel wurden die grundlegenden Voraussetzungen verbaler und nominaler Syntax am Beispiel prototypischer Sätze und Nominalgruppen re‐ flektiert. Dabei wurde deutlich, dass zwischen beiden Domänen fundamentale Unterschiede bestehen: Im Falle prototypischer Beispiele kommen sich Verbal- und Nominalsyntax sozusagen nicht in die Quere. Als Gemeinsamkeit kann vor allem die Tatsache benannt werden, dass für beide die syntagmatischen Rela‐ tionen Rektion und Kongruenz wichtig sind, weil sie den Zusammenhalt der Konstituenten von Satz bzw. Nominalgruppe gewährleisten. Es handelt sich dabei allerdings um unterschiedliche Typen von Kongruenz- und Rektionsre‐ lationen. In formaler und funktionaler Hinsicht unterscheiden sich die beiden Domänen klar. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Wie gelingt dann überhaupt die „Umverpackung“? Wie ist es möglich, Satzinhalte von einer Ver‐ balstruktur in eine nominale Struktur zu überführen, wenn sich doch die syn‐ taktischen und funktionalen Voraussetzungen fundamental unterscheiden? Was kann bei der Umverpackung in neuem Gewand ausgedrückt werden, was geht verloren? Diese Fragen werden dann relevant, wenn man die Analyse nicht auf Proto‐ typen beschränkt, sondern Abweichungen von Prototypen zum Gegenstand der Überlegungen macht. In diesem Kapitel geht es um nominalstilistische Nomi‐ nalgruppen im engeren Sinne. Darunter werden hier Nominalgruppen mit de‐ verbalem oder deadjektivischem Kern verstanden. Zur Diskussion der genann‐ ten Fragen wird dabei auf das Konzept der ‚Valenzvererbung‘ zurückgegriffen, das Klaus Welke (2011) in seiner Valenzgrammatik entwickelt. Welke erfasst mit diesem Konzept Parallelen zwischen Sätzen (bei ihm: ‚Verbkonstruktio‐ nen‘) und Nominalgruppen (bei ihm: ‚Substantivkonstruktionen‘) mit deverba‐ lem Kern (bei ihm: ‚Kopf/ Regens‘). Er diskutiert diese anhand von Beispielen wie den folgenden, auf die wir bereits im Kapitel „Nominalstil: Begriffsver‐ ständnis“ zurückgegriffen haben (2011: 251): (24) a. Wallander verhaftet den Dieb. - die Verhaftung des Diebes durch Wallan‐ der b. Wallander fährt nach Stockholm. - die Fahrt Wallanders nach Stockholm c. Wallander schläft. - der Schlaf Wallanders (26) c. Wallander ist stolz auf seinen Erfolg. - Wallanders Stolz auf seinen Erfolg 115 Nominalisierung und Valenzvererbung 115 18270_Hennig_Bel.indd 115 18270_Hennig_Bel.indd 115 05.02.2020 11: 02: 11 05.02.2020 11: 02: 11 Die Beispiele lassen erkennen, dass es offenbar in vielen Fällen möglich ist, Satzinhalte durch Nominalgruppen auszudrücken. Welke deutet die Paral‐ lelen zwischen den Sätzen und den Nominalgruppen als ein Ableitungsver‐ hältnis und erklärt es durch ‚Valenzvererbung‘: So wie die lexikalische Bedeutung des Verbs oder Adjektivs durch das abgeleitete Substantiv in bestimmter, aber veränderter Weise übernommen / geerbt wird, so wird auch die Valenz- oder Argumentstruktur des Verbs oder Adjektivs in be‐ stimmter, aber veränderter Weise durch das Substantiv übernommen / geerbt. (Welke 2011: 250) Die Veränderung ist dabei konstitutiv: „Ein einfaches Weiterreichen wäre nicht Vererbung, sondern Klonen.“ (2011: 251) Das Konzept der Valenzvererbung wird im Folgenden mit einem Schwer‐ punkt auf der Vererbung von Valenzstrukturen in Nominalgruppen mit de‐ verbalem Kern vorgestellt. In der abschließenden Textanalyse finden sich auch Beispiele mit deadjektivischem Kern. Eine andere Form der Valenz‐ vererbung liegt bei erweiterten Partizipialattributen vor (vgl. Kapitel „Gram‐ matische Merkmale des Nominalstils - erweiterte Partizipialattribute“). Dass bei der Übernahme der Argumentstruktur eines Verbs oder Adjektivs durch ein deverbales oder deadjektivisches Nomen (sogennante ‚Verbalabst‐ rakta‘ und ‚Adjektivabstrakta‘) Veränderungen bzw. Anpassungen notwendig sind, dürfte angesichts der Ausführungen zu Satz und Nominalgruppe als strukturelle Domänen nachvollziehbar sein: Satz und Nominalgruppe funktio‐ nieren einfach anders, ein reines „Klonen“ ist also nicht möglich. Welke kon‐ statiert deshalb: „Die Vererbung an die abgeleiteten Substantive erfolgt jedoch unter den Bedingungen der Substantivkonstruktion“ (2011: 255). Valenzvererbung: Beispielanalyse Wo liegen also die Möglichkeiten und Grenzen der Umverpackung? Ein Vergleich eines einfachen, konstruierten Beispielpaars soll die Grundlage für die Auseinandersetzung mit diesen Fragen bieten. (33) Satz: Eine Schülergruppe aus Nordhessen hat am vergangenen Samstag den höchsten Berg der Allgäuer Alpen bestiegen. (33‘) Nominalgruppe: Die Besteigung des höchsten Bergs der Allgäuer Alpen durch eine Schülergruppe aus Nordhessen am vergangenen Samstag 116 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 116 18270_Hennig_Bel.indd 116 18270_Hennig_Bel.indd 116 05.02.2020 11: 02: 12 05.02.2020 11: 02: 12 Als Ausgangsbasis für eine Diskussion der Gemeinsamkeiten und Unter‐ schiede sei das Beschreibungsmodell von Czicza auf die beiden Beispielva‐ rianten angewendet: Form Relation Funktion Eine Schülergruppe aus Nordhessen hat bestiegen am vergangenen Samstag den höchsten Berg der A. Alpen Nominalgr. im Nom. Vorfeld linke/ rechte Satzklammer Mittelfeld Nominalgr. im Akkusativ Präp.gr. an + NGr (Dat.) Verbalkomplex 3. Ps. Sg. Ind. Akt. Perfekt Subjekt Referenz Prädikat Adverbial Objekt regiert durch Vollverb Kongr. mit fin. Verb Prädikation Zusatz Referenz Abb. 19: Beispielvariante Satz 117 Nominalisierung und Valenzvererbung 117 18270_Hennig_Bel.indd 117 18270_Hennig_Bel.indd 117 05.02.2020 11: 02: 12 05.02.2020 11: 02: 12 Form Relation Funktion B durch eine Schülergruppe aus Nordhessen Besteigung am vergangenen Samstag des höchsten Bergs der A. Alpen Nominalgruppe im Genitiv linke Klammer Nachfeld Präp.gr. durch + NGr. (Akk.) Präp.gr. an + NGr (Dat.) Kopf Referenz Kern Attribute Prädikation Zusatz Referenz Die Artikel Substantiv im Nom. Sg. rechte Klammer Funktion A Determination Nomination Modifikation Abb. 20: Beispielvariante Nominalgruppe 118 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 118 18270_Hennig_Bel.indd 118 18270_Hennig_Bel.indd 118 05.02.2020 11: 02: 12 05.02.2020 11: 02: 12 Wie funktioniert also die Umverpackung? Den Kern der Überführung von der verbalen in die nominale Organisationsform bildet zweifelsohne die No‐ minalisierung des Vollverbs: Durch das Derivationsmorphem ung wird das Nomen aus dem Verb abgeleitet. Mit dem nominalisierten Vollverb als Kern der Nominalgruppe ist gleichzeitig die Voraussetzung für die nominale Syn‐ tax und für die Vererbung der Valenz des Verbs gegeben. Das auffälligste Ergebnis der Umverpackung ist sicherlich, dass es nur möglich ist, den Inhalt in eine Nominalgruppe zu überführen, wenn von der Möglichkeit der At‐ tribution extensiv Gebrauch gemacht wird: Die drei Satzglieder Subjekt, Objekt und Adverbial werden alle dem nominalisierten Kern der Nominal‐ gruppe Besteigung als Attribute zugeordnet. Am unauffälligsten verhält sich dabei das Attribut am vergangenen Samstag , denn es behält exakt die formale Gestalt bei, die es als Adverbial im Satz hatte: „Beide Konstruktionstypen erlauben den Anschluss bzw. die Integration von präpositionalen Konstruk‐ tionen“ (Welke 2011: 261). Bei der Überführung der anderen beiden Satz‐ glieder in die nominale Struktur wurden die Möglichkeiten der Attribution wie folgt genutzt: Das Akkusativobjekt wird in ein Genitivattribut überführt. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Genitivus obiectivus. Eigent‐ lich können auch Subjekte als Genitivus subiectivus zu Genitivattributen werden: (24) c. Wallander fährt nach Stockholm. - die Fahrt Wallanders nach Stock‐ holm Da das Genitivattribut sowohl Genitivus obiectivus als auch subiectivus sein kann, steht diese Möglichkeit für das Subjekt in (33‘) nicht mehr zur Verfü‐ gung, weil sie bereits für das Objekt genutzt wird. Eine grundsätzliche Ein‐ schränkung der nominalen Domäne besteht also darin, dass sich immer nur ein postnominales Genitivattribut auf ein Kernnomen beziehen kann. Wenn weitere Genitivattribute folgen, sind sie automatisch untergeordnet, wie in unserem Beispiel: des höchsten Bergs der Allgäuer Alpen : der Allgäuer Alpen ist Genitivattribut zu Bergs , nicht zu Besteigung. Welke bezeichnet den Ge‐ nitiv treffend als „das konstruktionelle Nadelöhr , durch das die Kasus-Argu‐ mente des ursprünglichen Verbs bei der Substantivierung hindurch müssen“ (2011: 256). Er erklärt die Situation mit dem „Ein-Kasus-pro-Satz-Prinzip“, das besagt, „dass ein und derselbe Kasus in einer Konstruktion nur einmal auftreten darf “ (2011: 269). Das Ein-Kasus-pro-Satz-Prinzip hat einen guten Grund, es erklärt sich „aus der Notwendigkeit der Diskriminierung der Rol‐ 119 Nominalisierung und Valenzvererbung 119 18270_Hennig_Bel.indd 119 18270_Hennig_Bel.indd 119 05.02.2020 11: 02: 12 05.02.2020 11: 02: 12 len. Diese ist eine elementare Anforderung der Sprachverarbeitung. Denn sie gewährleistet das Sprachverstehen“ (Welke 2011: 270). Für das Subjekt muss deshalb eine andere Lösung gefunden werden: Es wird hier als Präpositionalattribut mit der Präposition durch realisiert. Es handelt sich um einen „nicht-ererbten präpositionalen Anschluss“ (Welke 2011: 304), denn das Verb regiert nicht die entsprechende Präposition. Welke spricht von funktional begründeten „Präpositionskreationen“: „Die Spre‐ cher erfinden also präpositionale Anschlüsse, um Valenzvererbung zu er‐ möglichen“ (2011: 305). „Erfinden“ ist sicherlich etwas zugespitzt formuliert, die Präposition muss zu dem Verhältnis von Nominalisierung und valenz‐ vererbtem Argument passen. In Welkes Beispielen (ebd.) kommt bspw. be‐ sonders häufig die Präposition an vor ( Dank an, Befehl an, Rat an, Anweisung an, Vorwurf an ), sie eignet sich offenbar besonders gut für den Ausdruck von Gerichtetheit / Adressierung, die in den Satzpendants durch Dativobjekte ausgedrückt werden. Die im vorliegenden Fall verwendete Präposition durch ist als Präposition für die nicht nominativische Realisierung eines Agens grammatikalisiert (vgl. auch die Verwendung im Passiv: Der Berg wurde durch die Schüler bestiegen ). Da sich Präpositionalattribut(e) und Genitivat‐ tribut gleichrangig auf das gleiche Kernnomen beziehen können, ist das eine gute Möglichkeit: Wenn das Genitivattribut nicht mehr zur Verfügung steht, weil es bereits als Genitivus obiectivus Verwendung findet, kann ein Prä‐ positionalattribut die Lücke füllen. Für Präpositionalattribute gilt nicht wie für Genitivattribute, dass nur ein Attribut auf das Kernnomen beziehbar ist: Weil die beiden Präpositionalattribute hier mit unterschiedlichen Präposi‐ tionen angeschlossen werden, ist das unproblematisch. Während das Geni‐ tivattribut unmittelbar auf den Kern folgen muss, können die Präpositio‐ nalattribute weiter entfernt stehen. Es ist in diesem Beispiel folglich problemlos möglich, alle Satzglieder durch Attribution in der Nominal‐ gruppe unterzubringen. Auf die Grenzen dieser Attributionen werden wir im Kapitel „Von der Komplexität zur Komplikation“ eingehen. Erläuterungsbedürftig ist zweifelsohne, dass für die funktionale Ebene in der Nominalgruppenvariante (Abbildung 20) zwei Versionen angegeben wurden. Mit der Variante A - Determination, Nomination, Modifikation - wurden der Nominalgruppe die Funktionen einer prototypischen Nominal‐ gruppe (vgl. Abbildung 11) zugeordnet. Dabei handelt es sich hier ja zwei‐ felsohne nicht um einen prototypischen Fall. Inwiefern es aber vielleicht doch relevant ist, von Nomination auszugehen, werden wir unten bei der Diskussion zur Einbettung der Nominalgruppe in einen Satz sehen. Mit der 120 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 120 18270_Hennig_Bel.indd 120 18270_Hennig_Bel.indd 120 05.02.2020 11: 02: 12 05.02.2020 11: 02: 12 zweiten Funktionsbestimmung (Funktion B) wird davon ausgegangen, dass die Funktionen, die in der Satzvariante realisiert sind, auch für die Nomi‐ nalgruppe gelten. Im Sinne unseres Grundgedankens der Betrachtung der inhaltlichen Seite als tertium comparationis (vgl. Abbildung 5) erscheint das auch sinnvoll. Ich habe zwei alternative Funktionsmodelle angegeben, weil ich davon ausgehe, dass sich die beiden sich eigentlich auf prototypische Nominalgruppen und Sätze beziehenden Funktionsmodelle hier überlagern. So bringt einerseits die Valenzvererbung eine Vererbung der satzsemanti‐ schen Struktur mit sich; andererseits wirkt sich die strukturelle Domäne Nominalgruppe nicht nur auf die Ebenen Form und Relation aus, sondern auch auf die Ebene der Funktion: Die Determination durch den bestimmten Artikel hat kein funktionales Pendant in der Prädikat-Argument-Struktur. Und dass möglicherweise doch eine Überlagerung der Prädikation durch Nomination erfolgt, kann dadurch erklärt werden, dass bei der Verwendung der Nominalgruppe im Satz diese die nominaltypische satzsemantische Funktion der Referenz übernimmt. Diskurs: Konstruktionsgrammatische Analyse Welke definiert Nominalisierungen als „Konstruktionen, in denen sich die verbale Konstruktionsweise durchsetzt“ (2011: 255). Er würde das vorliegende Beispiel also als Prädikat-Argument-Konstruktion und nicht als Kopf-Modifikator-Konstruktion einordnen. Dennoch unter‐ liegt die „verbale[…] Ausdrucksweise[…] im nominalen Gewand“ (Welke 2011: 254) den Bedingungen der substantivischen Konstruk‐ tion. Czicza verwendet zur Erklärung den Begriff des Musters: Sätze sind hier sozusagen Muster, Vorlagen, auf die auch bei nominaler Rea‐ lisierung zurückgegriffen wird (2015: 135 f.). Wichtig ist es deshalb, darauf hinzuweisen, dass sowohl Welke als auch Czicza die Konstruk‐ tionen bzw. Domänen mit Rückgriff auf das Prototypenkonzept mo‐ dellieren: Modelliert werden zunächst die Prototypen, auf dieser Basis kann dann der interessante Bereich der Interaktion der Prototypen - bei Welke beschrieben mit dem Konzept der Valenzvererbung, bei Czicza mit dem Begriff der Analogie - in Angriff genommen werden. Wir haben es hier also mit Fällen zu tun, die nicht den im vorherigen Teilkapitel vorgestellten Prototypen Satz und Nominalgruppe ent‐ sprechen. Der von Welke gewählte konstruktionsgrammatische Ansatz zwingt ihn - trotz des Prototypenansatzes - zu einer Entscheidung für eine 121 Nominalisierung und Valenzvererbung 121 18270_Hennig_Bel.indd 121 18270_Hennig_Bel.indd 121 05.02.2020 11: 02: 12 05.02.2020 11: 02: 12 Konstruktion. Er unterscheidet deshalb „substantivische Konstruktio‐ nen mit einer Prädikat-Argument-Struktur“ und „substantivische Konstruktionen mit einer Kopf-Modifikator-Struktur“ (2011: 255). Im vorliegenden Fall setzt sich laut Welke also die verbale Konstrukti‐ onsweise durch (ebd.), er würde hier also von einer substantivischen Konstruktion mit Prädikat-Argument-Struktur sprechen. Indem er diese als substantivische Konstruktion einordnet, unterscheidet er sie von einer funktional äquivalenten Satzkonstruktion. Die an dem Beispielpaar ausgeführten Überlegungen zur Valenzvererbung seien in der folgenden Übersicht zusammengefasst: REFERENZ PRÄDIKATION ZUSATZ REFERENZ Eine Schülergruppe aus Nordhessen hat bestiegen am vergangenen Samstag den höchsten Berg der A. Alpen Ergänzung Subjekt (NGr im Nom.) Valenzträger Vollverb (Partizip II) Angabe Adverbial Präp.gruppe Ergänzung Objekt (NGr im Akk.) REFERENZ PRÄDIKATION ZUSATZ REFERENZ des höchsten Bergs der A. Alpen am vergangenen Samstag durch eine Schülergruppe aus Nordhessen Die Besteigung Valenzträger Kern (nom. Verb) Ergänzung Genitivus objectivus Angabe Präp.attr (am) Ergänzung Präp.attr. (durch) Abb. 21: Valenzvererbung Die Abbildung illustriert, inwieweit die funktionalen Bausteine des Satzes in die Nominalgruppe überführt werden können und wie dabei die Anpas‐ 122 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 122 18270_Hennig_Bel.indd 122 18270_Hennig_Bel.indd 122 05.02.2020 11: 02: 12 05.02.2020 11: 02: 12 sung an die nominale Syntax (Linearstruktur, Konstituenten- und Markie‐ rungskategorien, Relationen) funktioniert. Die Satzglieder werden dabei als Attribute realisiert. Die Rede von ‚Genitivus obiectivus‘ und ‚Genitivus sub‐ iectivus‘ lässt bereits erkennen, dass gewisse Satzgliedqualitäten beibehalten werden: Im Prinzip geht es ja auch hier darum, dass jemand einen Berg zu einem bestimmten Zeitpunkt besteigt. Ágel führt in seiner „Grammatischen Textanalyse“ (2017) den Begriff des ‚Recyclings‘ ein: Attribute können so als „recyclete“ Satzglieder begriffen werden. Dass nun Attribute als recyclete Satzglieder sich auf das Kernnomen beziehen wie Satzglieder auf das Prä‐ dikat und dadurch das Kernnomen gleichermaßen den Ausgangspunkt für diese Relationen bildet wie das Prädikat (bzw. das Vollverb) in einem Satz, kann auch als Argument dafür gewertet werden, dass die Prädikation funk‐ tional erhalten bleibt. Auf eine in der Übersicht nicht erfasste Veränderung sei aber noch ver‐ wiesen: Mit der Nominalisierung gehen unweigerlich die verbalen Katego‐ rien verloren. Ein Substantiv / Nomen teilt sich mit einem Verb lediglich die Kategorisierung Numerus. Alle anderen verbalen Kategorien können nicht an einer Nominalisierung realisiert werden. In unserem Beispiel ist die Ka‐ tegorie Perfekt betroffen: Der Satz war durch das Tempus Perfekt als ver‐ gangen eingeordnet. Die Nominalisierung hingegen ist in Bezug auf Tem‐ poralität neutral. Der Vergangenheitsbezug ist in dem Beispiel nur in dem als Attribut „recycleten“ Temporaladverbial am vergangenen Samstag erhal‐ ten geblieben. Es ist aber sozusagen Zufall, dass das Beispiel ein solches Temporaladverbial enthält. Wenn der Satz gelautet hätte: Eine Schülergruppe aus Nordhessen hat den höchsten Berg der Allgäuer Alpen bestiegen. könnte der Satz immer noch als in Bezug zum Sprechzeitpunkt vergangen einge‐ ordnet werden; die Nominalgruppe die Besteigung des höchsten Bergs der Allgäuer Alpen durch eine Schülergruppe aus Nordhessen hingegen wäre atemporal. Einbettung Bei der Diskussion der Valenzvererbung anhand eines Beispielpaars haben wir die Nominalgruppenvariante kontextfrei analysiert. Dabei kommen No‐ minalgruppen in der Regel nicht isoliert vor (höchstens etwa als Über- oder Aufschriften), sondern sie sind meist Konstituenten von Sätzen. Für die dis‐ kutierte Nominalgruppenvariante wäre ein Satzkontext wie der folgende vorstellbar: 123 Nominalisierung und Valenzvererbung 123 18270_Hennig_Bel.indd 123 18270_Hennig_Bel.indd 123 05.02.2020 11: 02: 12 05.02.2020 11: 02: 12 (33‘‘) Die Besteigung des höchsten Bergs der Allgäuer Alpen durch eine Schüler‐ gruppe aus Nordhessen am vergangenen Samstag verlief reibungslos. Bei der Einbettung einer Nominalgruppe mit deverbalem Kern in einen Satz kommt es also zur Einbettung der durch die deverbale Nominalgruppe rea‐ lisierten Prädikation in die satzsemantische Struktur des Satzes, wir haben es also quasi mit einer Prädikation zweiten Grades zu tun: Die Besteigung des höchsten Berges der Allgäuer Alpen durch eine Schülergruppe aus Nordhessen am vergangenen Samstag verlief reibungslos Form Relation Funktion Adjektiv unflektiert Vollverb 3. Ps. Sg. Ind. Akt. Präteritum Nominalgruppe im Nominativ [Nominalgruppe im Genitiv [Präpositionalgruppe mit durch [Präpositionalgruppe mit aus]] [Präpositionalgruppe mit am] Vorfeld linke Satzklammer Mittelfeld [linke Klammer, rechte Klammer, Nachfeld I] [Nominalgruppe im Genitiv]] Subjekt [Genitivattribut [Genitivattribut]] [Präp.attribut [Präp.attribut]] [Präpositionalattribut] Prädikat Adverbial Kongruenz mit fin. Verb regiert durch Vollverb Referenz (Prädikation II) Prädikation I Referenz Abb. 22: Eingebettete Prädikation Dem Phänomen der Einbettung wurde in der Abbildung Rechnung getragen, indem die Einbettung einer zweiten Prädikation durch die Nominalisierung 124 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 124 18270_Hennig_Bel.indd 124 18270_Hennig_Bel.indd 124 05.02.2020 11: 02: 13 05.02.2020 11: 02: 13 mit runden Klammern gekennzeichnet wurde und mit eckigen Klammern die interne Struktur der eingebetteten Nominalgruppe angedeutet wurde. Im Grunde genommen muss man sich das in Abbildung 22 versuchsweise dargestellte Gesamtbild von Beispiel (33‘‘) als eine Summe der Integration der in Abbildung 20 erfassten Struktur der Nominalgruppe (33‘) in ein Satz‐ schema vorstellen. Was aber heißt eigentlich Einbettung? Wir beziehen uns wieder auf Peter von Polenz, der Nominalisierung als eine mögliche syntaktische Form von Einbettungen betrachtet. Er definiert ‚Einbettung‘ als satzsemantischen Strukturtyp folgendermaßen: Wenn in Referenzstellen / Bezugsstellen einer Prädikation / Aussage statt eines Bezugsobjekts - z. B. x, y oder z in der Prädikation P (x, y, z) - wieder eine Prä‐ dikation eingebettet ist, hat die ganze Aussage folgende Einbettungsstruktur P1 (P2, y, z) oder P1 (x, P2, z) oder P1 (x, y, P2) (von Polenz 2008: 233) In diesem Sinne liegt für unser Beispiel die Struktur P1 (P2, y) vor: Die Besteigung des höchsten Bergs der Allgäuer Alpen durch eine Schülergruppe aus Nordhessen am vergangenen Samstag P2 verlief P1 reibungslos y . Wie wir dieser Beispielanalyse entnehmen können, ist P1 nach von Polenz die übergeordnete Prädikation und P2 die eingebettete Prädikation. Die ein‐ gebettete Prädikation bezieht sich neben anderen Referenzbzw. Bezugs‐ stellen (hier: das Modaladverbial reibungslos = y) auf die Prädikation P1. Satzbaupläne und Nominalgruppenbaupläne Eine unmittelbare Vergleichbarkeit der Domänen Satz und Nominalgruppe bieten die sogenannten „satzwertigen Substantivgruppen“ (Pohl 2007: 410) bzw. die „nominale[n] Gruppe[n] als Nebensatzäquivalente“ (Möslein 1981: 289). Wie die terminologischen Annäherungen schon sagen, handelt es sich dabei um Nominalgruppen, die anstelle eines Nebensatzes stehen: (34) Wegen des Regens Weil es regnet, fällt die Veranstaltung aus. 125 Satzbaupläne und Nominalgruppenbaupläne 125 18270_Hennig_Bel.indd 125 18270_Hennig_Bel.indd 125 05.02.2020 11: 02: 13 05.02.2020 11: 02: 13 (35) Trotz ihrer Beweglichkeit Obwohl sie beweglich waren, konnte keine Lösung gefunden werden. (36) Zur Erklärung des Problems Um das Problem zu erklären, wurde auf eine überzeugende Theorie zu‐ rückgegriffen. Peter von Polenz hat in seiner sprachkritischen Auseinandersetzung mit den Folgen der Nominalstiltendenzen an seinem Textbeispiel von Habermas kri‐ tisiert, dass dieser „recht arm an satzsemantischen Verknüpfungen“ sei, weil er keine satzsemantisch verknüpfenden Nebensätze enthalte (1984: 41). Wie die Gegenüberstellung der Beispielpaare hier zeigt, können aber durchaus Präpositionen diese Funktion übernehmen: Die Präposition wegen ist kausal, die Präposition trotz konzessiv und die Präposition zu final. Es handelt sich also streng genommen eigentlich nicht um satzwertige Nominalgruppen, sondern um satzwertige Präpositionalgruppen: Die Präpositionen überneh‐ men die semantische Verknüpfung der Proposition mit dem Matrixsatz, also dem einbettenden Satz. Folglich wird auch hier ein Subordinationsverfahren angewendet (‚Inkorporation‘ bei Ágel / Diegelmann 2010: 367). Um von einer satzwertigen Nominal- oder Präpositionalgruppe sprechen zu können, muss Propositionalität vorliegen. Es geht also nicht um Präpo‐ sitionalgruppen wie auf dem Tisch oder mit meinem Nachbarn. Ágel / Die‐ gelmann erläutern die Subordinationstechnik Inkorporation über eine kom‐ primierte Sachverhaltsdarstellung (ebd). Die unterschiedlichen hier aufgeführten Beispieltypen zeigen, dass das unter verschiedenen Bedingun‐ gen möglich sein kann: Im Beispiel mit dem Verbalabstraktum Erklärung liegt insofern eine komprimierte, inkorporierte Sachverhaltsdarstellung vor, als - wie oben besprochen - die prädizierende Qualität in der Nominalisie‐ rung erhalten bleibt, die für eine Sachverhaltsdarstellung notwendige Er‐ gänzung wird attributiv realisiert. Dem Beispiel mit dem Adjektivabstrak‐ tum Beweglichkeit kann deshalb Propositionalität attestiert werden, weil in Kopulasätzen wie beweglich sein ohnehin das Adjektiv die satzsemantisch zentrale Rolle spielt. Im konkreten Fall kommt noch hinzu, dass das Adjektiv selbst aus einem Verb abgeleitet ist. Beim ersten Beispiel schließlich liegt die Möglichkeit, dem Substantiv Regen Propositionalität zuzusprechen, darin begründet, dass das Verb regnen semantisch nullwertig ist; das für eine Ver‐ wendung des Verbs in einem Satz notwendige Subjekt es ist ein rein formales 126 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 126 18270_Hennig_Bel.indd 126 18270_Hennig_Bel.indd 126 05.02.2020 11: 02: 13 05.02.2020 11: 02: 13 Subjekt, das keinen Beitrag zur Sachverhaltsdarstellung leistet. Deshalb muss es auch nicht in der nominalen Variante untergebracht werden. Sicherlich sind die Grenzen zwischen einer satzwertigen und einer nicht satzwertigen Nominalbzw. Präpositionalgruppe in vielen Fällen fließend: (37) Trotz Heimvorteil verloren sie das Spiel. (38) Wegen des vielen Hundekots war der Spaziergang ein Albtraum. In beiden Beispielen handelt es sich bei den Kernsubstantiven nicht um Ver‐ bal- oder Adjektivabstrakta. Es sind auch keine Nomen, die auf ein seman‐ tisch nullwertiges Verb zurückgeführt werden können. Dennoch ist das Kol‐ lokationspotenzial hier so stark ausgeprägt, dass eine Überführung in satzwertige Strukturen relativ eindeutig sein dürfte: (37‘) Obwohl sie Heimvorteil hatten, verloren sie das Spiel. (38‘) Weil viel Hundekot auf dem Gehweg lag, war der Spaziergang ein Alb‐ traum. Auch wenn das Kriterium der Propositionalität folglich nicht einfach zu handhaben ist, greifen wir hier darauf zurück, weil es die satzsemantische Basis für die Diagnose einer Satzbzw. Teilsatzwertigkeit ist. Wir beschrän‐ ken uns aber im Folgenden auf die Fälle mit Verbal- und Adjektivabstrakta. Wie nun die Umverpackung von Satzinhalten bei der Überführung von Nebensätzen in satzwertige Nominalgruppen funktioniert, hat Möslein in seiner Studie zu „Entwicklungstendenzen in der Syntax der wissenschaft‐ lich-technischen Literatur seit dem Ende des 18. Jahrhunderts“ zusammen‐ gefasst (1981). Möslein belegt in dieser Studie viele der auch von von Polenz angenommenen Entwicklungstendenzen (vgl. das Kapitel „Nominalstil im engeren und weiteren Sinne“) durch empirische Analysen: Seinen Erhebun‐ gen liegt ein Korpus mit 298.000 Wörtern zugrunde, ein für die Zeit vor elektronischen Korpora beachtlicher Umfang. Möslein hat die hier in der Beispieldiskussion vorausgesetzte Äquivalenz von bestimmten Präpositio‐ nen und Subjunktoren untermauert, indem er sprachwissenschaftlich nicht vorbelasteten Gewährspersonen Präpositionalgruppen vorgelegt hat mit der Bitte, diese zu erklären. Alle haben darauf mit einer Überführung in einen Nebensatz reagiert (1981: 287 f.): 127 Satzbaupläne und Nominalgruppenbaupläne 127 18270_Hennig_Bel.indd 127 18270_Hennig_Bel.indd 127 05.02.2020 11: 02: 13 05.02.2020 11: 02: 13 (39) Bei unsachgemäßem Anschluß des Geräts an das Netz besteht Lebensgefahr. (39‘) Wenn das Gerät unsachgemäß an das Netz angeschlossen wird, besteht Le‐ bensgefahr. Auf dieser Basis legt Möslein eine Liste an äquivalenten Präpositionen und Subjunktoren vor (1981: 290). Eine Untersuchung von 554 satzwertigen Gruppen in seinem Korpus führt zu dem Ergebnis, dass die Präpositionen bei, durch und zu deutlich häufiger vorkommen als andere wie etwa während, wegen, mittels. Diesen drei häufigsten Präpositionen ordnet er die folgenden Subjunktoren zu: bei wenn, falls, als, sobald, sofern durch indem, dadurch, daß (weil, da) zu damit, so daß Der Hinweis auf die Rolle der Präpositionen bei Möslein ist deshalb wichtig, weil auf diese Weise der Beitrag der Präposition zur Überführung des Satz‐ inhalts eines Nebensatzes in eine (in eine Präpositionalgruppe eingebet‐ tete) Nominalgruppe sichtbar wird. Im Folgenden werden wir aber die Rolle der Präpositionen nicht weiter verfolgen, sondern uns den satzwertigen Nominalgruppen im engeren Sinne zuwenden. Aufschlussreich für unsere Frage nach der Ausgestaltung der Umverpa‐ ckung ist nun die Modellierung der Kern-Attributbeziehungen bei Möslein. Einige der Möglichkeiten wurden bei der Diskussion des Bergbesteigungs‐ beispiels bereits diskutiert. Der Rückgriff auf die wichtigsten Modelle Mösleins soll nun eine systematische Übersicht bieten: 1. Verbalabstraktum ohne Attribut Gold und Silber müssen vor dem Walzen gehämmert werden. Interessant ist hier: „Das valenzbedingte Glied steht als Subjekt des tragen‐ den Satzes in Distanzstellung.“ (Möslein 1981: 294) 2. Verbalabstraktum + Genitivattribut 2a) Genitivus obiectivus Beim Prüfen der Zahnflanken wird der Kupplungskörper in das Oberteil des Meßapparates gelegt. 128 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 128 18270_Hennig_Bel.indd 128 18270_Hennig_Bel.indd 128 05.02.2020 11: 02: 13 05.02.2020 11: 02: 13 2b) Genitivus subiectivus Bei mangelhaftem Arbeiten der Kupplung muß festgestellt werden, 3. Verbalabstraktum + Präpositionalattribut 3a) als „Konversion“ des Genitivus subiectivus oder obiectivus Beim Kauf von Dampfkesseln ist es allgemein üblich … 3b) als präpositionale Ergänzung oder Angabe: … um ein Scheuern an der Zylinderwand zu vermeiden. 4. Verbalabstraktum + Genitivattribut + Präpositionalattribut 4a) Genitivus obiectivus Dies verlangt die Benetzung des Läppchens mit Alkohol. 4b) Genitivus subiectivus … die bei ständigem Schleifen des Ausrückers auf dem Ausrückring ver‐ schleißen. Die Liste an möglichen Modellen kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, zumal sie sich auf Verbalabstrakta beschränkt. Auch Adjektivabstrakta kommen in Frage (siehe das Beispiel trotz der Beweglichkeit …), schließlich dürften auch erweiterte Partizipialattribute einen nicht uner‐ heblichen Anteil an der Umverpackung haben. Aus Gründen der Über‐ schaubarkeit beschränkt sich aber auch die hier folgende Darstellung auf Verbalabstrakta, zumal sie zweifelsohne den Zentralbereich der Umverpa‐ ckung bilden. Es ist natürlich kein Zufall, dass die Modelle der satzwertigen Nominal‐ gruppen an Satzbaupläne erinnern. Satzbaupläne beinhalten Muster von Satzgrundstrukturen (wie etwa ‚[Subjekt] + [Akkusativobjekt] + Prädikat‘ für Sätze wie Er fällt den Baum. oder ‚[Subjekt] + [Lokaladverbial] + Prädikat‘ für Sätze wie Sie wohnt in Dresden. ). Die folgende Definition von ‚Satzbau‐ plan‘ aus der Dudengrammatik illustriert die Affinität dieser Form der Satz‐ bestimmung zur Valenztheorie: „Ein Satzbauplan besteht aus einem Vollverb und seinen Ergänzungen.“ (2016: 927) Folglich nimmt das Prädikat eine Son‐ derstellung im Satzbauplan ein. In der Dudengrammatik wird dem Rech‐ nung getragen, indem die Ergänzungen mit eckigen Klammern versehen und somit vom Prädikat abgesetzt werden. Die Bauplangrundidee auf die nominale Domäne zu übertragen, bietet sich aus mehreren Gründen an: Für die Analyse von Überführungen von Satzinhalten von der Domäne Satz in die Domäne Nominalgruppe sind gerade die Nominalgruppen mit deverba‐ len Nominalisierungen interessant. Wie die Zusammenstellung von Grundtypen nach Möslein bereits erkennen lässt, wird der vom zugrunde 129 Satzbaupläne und Nominalgruppenbaupläne 129 18270_Hennig_Bel.indd 129 18270_Hennig_Bel.indd 129 05.02.2020 11: 02: 13 05.02.2020 11: 02: 13 liegenden Vollverb vorgegebene Valenzrahmen mit dem Verbalabstraktum (VA) in die Nominalgruppe transportiert. Eine Gegenüberstellung von Satz‐ bauplänen und analogen Bauplänen von Nominalgruppen - sie seien hier Nominalgruppenbaupläne genannt - dürfte also eine gute Grundlage für den Vergleich der strukturellen Domänen Satz und Nominalgruppe bieten. Exemplarisch sei dies anhand der Beispiele ausgeführt, die der obigen Mo‐ dellierung von einschlägigen Grundtypen zugrunde liegen: Beispiel Satz Satzbauplan Beispiel Nominal‐ gruppe Nominalgruppen‐ bauplan 1 X walzt Y. [Subjekt] + [Akku‐ sativobjekt] + Prä‐ dikat Walzen VA ohne Attribut 2a X prüft die Zahnflan‐ ken. [Subjekt] + [Akku‐ sativobjekt] + Prä‐ dikat Prüfen der Zahnflanken VA + Genitivus obiec‐ tivus 2b Die Kupp‐ lung arbeitet mangelhaft. [Subjekt] + [Moda‐ ladverbial] + Prädi‐ kat Mangelhaftes Arbeiten der Kupplung VA + Genitivus sub‐ iectivus + Adjektivattribut 3a X kauft Dampfkes‐ sel. [Subjekt] + [Akku‐ sativobjekt] + Prä‐ dikat Kauf von Dampfkes‐ seln VA + Präpositionalattribut 3b X scheuert an der Zylin‐ derwand. [Subjekt] + [Lokal‐ adverbial] + Prädi‐ kat Scheuern an der Zylinder‐ wand VA + Präpositionalattribut 4a B benetzt die Läppchen mit Alkohol [Subjekt] + [Instru‐ mentaladverbial] + Prädikat Benetzung der Läppchen mit Alkohol VA + Genitivus obiec‐ tivus + Präpositional‐ attribut 4b Der Ausrü‐ cker schleift auf dem Aus‐ rückring [Subjekt] + [Lokal‐ adverbial] + Prädi‐ kat Schleifen des Ausrückers auf dem Aus‐ rückring VA + Genitivus sub‐ iectivus + Präpositio‐ nalattribut Tab. 9: Satzbaupläne vs. Nominalgruppenbaupläne I 130 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 130 18270_Hennig_Bel.indd 130 18270_Hennig_Bel.indd 130 05.02.2020 11: 02: 13 05.02.2020 11: 02: 13 Aus dieser exemplarischen Gegenüberstellung können wir ablesen: 1. Es ist prinzipiell möglich, einen gesamten Satzbauplan in einen No‐ minalgruppenplan zu überführen, wie die Beispiele 2b und 4b zeigen. 2. Es ist aber auch prinzipiell möglich, die Ergänzungen zum Vollverb bzw. Verbalabstraktum einzusparen, also nur das nominalisierte Voll‐ verb zu realisieren. Wie Möslein zu Beispiel 1 bereits angemerkt hat, ist das valenzbedingte Glied Akkusativobjekt als Subjekt im Beispiel‐ satz aber trotzdem vorhanden. Dem können wir entnehmen: Die Ein‐ bettung in den Kontext des Matrixsatzes kann in solchen Fällen die Voraussetzung für die Valenzreduktion sein. 3. Alle hier aufgeführten Satzbaupläne enthalten ein Subjekt. Das ist kein Zufall: In der Dudengrammatik werden 35 Satzbaupläne aufge‐ führt, davon enthalten nur 3 kein Subjekt (Fälle wie Mich friert oder Mir ist kalt ). Die Nominalgruppenpläne hingegen kommen sehr häufig ohne (recycelte) Subjektergänzung aus. 4. Es besteht keine 1: 1-Entsprechung zwischen den Realisierungsformen der Ergänzungen in den Satzbauplänen und den Realisierungsformen der Ergänzungen in den Nominalgruppenplänen. Mit anderen Wor‐ ten: Die zur Verfügung stehenden Attributarten können verschiedene Typen von Satzergänzungen realisieren. Für den weiteren Vergleich von Satzbauplänen und Nominalgruppenplänen knüpfen wir nun an der unter 1. getroffenen Feststellung an und erweitern die Nominalgruppenbeispiele derart, dass alle im Satzbauplan vorhandenen Ergänzungen auch in der nominalen Variante realisiert sind (die hinzuge‐ fügten Ergänzungen sind fett markiert): 131 Satzbaupläne und Nominalgruppenbaupläne 131 18270_Hennig_Bel.indd 131 18270_Hennig_Bel.indd 131 05.02.2020 11: 02: 14 05.02.2020 11: 02: 14 Beispiel Satz Satzbauplan Beispiel No‐ minalgruppe Nominalgrup‐ penbauplan 1 X walzt Y. [Subjekt] + [Akku‐ sativobjekt] + Prä‐ dikat Walzen von Gold und Sil‐ ber durch den Arbeiter VA + Präpositio‐ nalattribut + Prä‐ positionalattribut 2a X prüft die Zahnflan‐ ken. [Subjekt] + [Akku‐ sativobjekt] + Prä‐ dikat Prüfen der Zahnflanken durch den Ar‐ beiter VA + Genitivus obiectivus + Prä‐ positionalattribut 2b Die Kupp‐ lung arbeitet mangelhaft. [Subjekt] + [Moda‐ ladverbial] + Prädi‐ kat Mangelhaftes Arbeiten der Kupplung VA + Genitivus sub‐ iectivus + Adjektiv‐ attribut 3a X kauft Dampfkes‐ sel. [Subjekt] + [Akku‐ sativobjekt] + Prä‐ dikat Kauf von Dampfkesseln durch den Chef VA + Präpositional‐ attribut + Präposi‐ tionalattribut 3b X scheuert an der Zylin‐ derwand. [Subjekt] + [Lokal‐ adverbial] + Prädi‐ kat Scheuern des Kolbens an der Zylinder‐ wand VA + Genitivus subiectivus + Prä‐ positionalattribut 4a B benetzt die Läppchen mit Alkohol. [Subjekt] + [Instru‐ mentaladverbial] + Prädikat Benetzung des Läppchens mit Alkohol durch den Laboran‐ ten VA + Genitivus obiectivus + Präpo‐ sitionalattribut + Präpositionalat‐ tribut 4b Der Ausrü‐ cker schleift auf dem Ausrück‐ ring. [Subjekt] + [Lokal‐ adverbial] + Prädi‐ kat Schleifen des Ausrückers auf dem Ausrück‐ ring VA + Genitivus sub‐ iectivus + Präpositi‐ onalattribut Tab. 10: Satzbaupläne vs. Nominalgruppenbaupläne II Dass in den Beispielen nicht alle Ergänzungen realisiert waren, passt zu den Ergebnissen von Jürgens (1994: 134 ff.), der in einer empirischen Analyse geistes- und naturwissenschaftlicher Texte aus dem 19. und 20. Jahrhundert ermittelt, dass bei Verbalabstrakta im Durchschnitt 41 % der valenzbedingten Leerstellen besetzt sind. Es zeigt sich nun in Bezug auf die hier diskutierten Beispiele, dass die Erweiterung um die im Satzbauplan angelegten Ergänzungen problemlos 132 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 132 18270_Hennig_Bel.indd 132 18270_Hennig_Bel.indd 132 05.02.2020 11: 02: 14 05.02.2020 11: 02: 14 möglich ist. In allen fünf Beispielen musste ein attributives Äquivalent für das Subjekt ergänzt werden, in Beispiel 1 darüber hinaus das im Ausgangs‐ beispiel im Matrixsatz als Subjekt realisierte Akkusativobjekt. Dabei ist es sicherlich kein Zufall, dass in vier von fünf Fällen auf die Möglichkeit der Subjektrealisierung durch ein Präpositionalattribut zurückgegriffen wurde: Da Genitivattribute immer unmittelbar auf das Bezugsnomen folgen müs‐ sen, Präpositionalattribute hingegen nicht, ist ihre Handhabung flexibler. Wie kann erklärt werden, dass Analogien zwischen Satzbauplan und Nominalgruppenplan offenbar recht systematisch möglich sind, obwohl sich die syntaktischen Mittel eigentlich grundlegend unterscheiden? Der Grund dafür liegt in der gemeinsamen satzsemantischen Basis. Zu ihrer Rekon‐ struktion greifen wir auf die „Prädikationsrahmen“ zurück, die Peter von Polenz in seiner Satzsemantik als satzsemantisches Pendant der Satzbau‐ pläne benennt. Er bezieht sich dabei auf das Konzept der semantischen Rol‐ len nach Fillmore (1968) und modelliert die Prädikationsrahmen als „beson‐ ders häufige[…] Kombinationen von Prädikatsklassen und Bezugsstellen- Rollen“ (2008: 174). Wie im Kapitel „Grundbegriffe“ bereits ausgeführt wurde, geht von Polenz von den folgenden fünf Prädikatsklassen aus (2008: 159): HANDLUNG; VORGANG; ZUSTAND; EIGENSCHAFT; GATTUNG. Zentral für den hier erfolgenden Vergleich der verbalen und nominalen Realisierung von Satzinhalten ist dabei die Annahme, dass auch Nomen als Prädikatsausdrücke fungieren können (von Polenz 2008: 109 ff.; siehe auch „Grundbegriffe“). Von Polenz sagt sogar, dass das PRÄDIZIEREN „die ge‐ wichtigerere satzsemantische Funktion von Substantiven (außer Eigenna‐ men)“ sei (2008: 110). Das veranlasst mich zu der Annahme, dass die Mo‐ dellierung der Prädikationsklassen und Prädikationsrahmen als eine unabhängige Vergleichsgröße (ein tertium comparationis) für den Vergleich von Satzbauplänen und Nominalgruppenbauplänen mit deverbalem Kern genutzt werden kann. Ich werde deshalb im Folgenden von Prädikationsrahmen ausgehen, die die gleichen semantischen Rollen für die Referenzstellen in den satz- und nominalgruppenförmigen Realisierungen der Satzinhalte annehmen. Damit soll nicht der Eindruck entstehen, dass die jeweilige syntaktische Form kei‐ nerlei Auswirkungen auf die Satzsemantik habe (vgl. dazu „Diskurs: deno‐ tativ-semantische vs. signifikativ-semantische Rollen“ in „Grundbegriffe - Satzinhalt“). Bei den nun folgenden Beispieldiskussionen gehe ich also da‐ von aus, dass ein gemeinsamer satzsemantischer Rahmen eine zentrale Grundlage für die Umverpackung von Satzinhalten von der Satzdomäne in 133 Satzbaupläne und Nominalgruppenbaupläne 133 18270_Hennig_Bel.indd 133 18270_Hennig_Bel.indd 133 05.02.2020 11: 02: 14 05.02.2020 11: 02: 14 die nominale Domäne bildet. Die folgende Tabelle rekonstruiert die Prädi‐ kationsrahmen für die hier diskutierten Beispiele: Beispiel Satz Prädikationsrahmen Beispiel Nominal‐ gruppe 1 X walzt Y. [AGENS] + [PATIENS] + Handlungsprädikat Walzen von Gold und Sil‐ ber durch den Arbeiter 2a X prüft die Zahn‐ flanken. [AGENS] + [PATIENS] + Handlungsprädikat Prüfen der Zahnflanken durch den Arbeiter 2b Die Kupplung ar‐ beitet mangelhaft. [AGENS] + [MODIFICA‐ TIV] + Handlungsprädikat Mangelhaftes Arbeiten der Kupplung 3a X kauft Dampf‐ kessel. [AGENS] + [PATIENS] + Handlungsprädikat Kauf von Dampfkesseln durch den Chef 3b X scheuert an der Zylinderwand. [AGENS] + [LOCATIV] + Handlungsprädikat Scheuern des Kolbens an der Zylinderwand 4a B benetzt die Läppchen mit Al‐ kohol. [AGENS] + [INSTRU‐ MENT] + Handlungsprä‐ dikat Benetzung des Läpp‐ chens mit Alkohol durch den Laboranten 4b Der Ausrücker schleift auf dem Ausrückring. [AGENS] + [LOCATIV] + Handlungsprädikat Schleifen des Ausrückers auf dem Ausrückring Tab. 11: Prädikationsrahmen als tertium comparationis Die semantische Rolle MODIFICATIV ist nicht in der Liste semantischer Rollen bei von Polenz enthalten (2008: 170 ff.). Er selbst räumt ein, dass es sich nicht um eine erschöpfende Liste handelt (2008: 172). Ich gehe in Bezug auf dieses Beispiel davon aus, dass es sich um eine zum Valenzrahmen ge‐ hörende semantische Rolle handelt und nicht um ein außerhalb des Prädi‐ kationsrahmens liegendes modales Adverbial. So ist das Adverbial im Elek‐ tronischen Valenzwörterbuch (E-VALBU) des Instituts für deutsche Sprache als fakultative Ergänzung für die Lesart „seine Funktion irgendwie ausfüh‐ ren“ vermerkt. Alle anderen hier aufgeführten Rollen sind der Liste von von Polenz entnommen. Der bislang exemplarisch entworfene Ansatz eines Bezugs von Prädika‐ tionsrahmen, Satzbauplänen und Nominalgruppenbauplänen aufeinander soll nun durch eine ausführlichere Beispieldiskussion ergänzt werden. Dabei geht es um die Frage, welche Prädikationsrahmen der Valenzvererbung bes‐ 134 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 134 18270_Hennig_Bel.indd 134 18270_Hennig_Bel.indd 134 05.02.2020 11: 02: 14 05.02.2020 11: 02: 14 ser zugänglich sind als andere, also welche Typen von Satzbauplänen in Nominalgruppenbaupläne überführt werden können. Den Ausgangspunkt bilden die Satzbaupläne der Dudengrammatik (2016: 927 ff.). Dabei werden auch die Satzbeispiele aus der Dudengrammatik übernommen. Um die um‐ fangreiche Gesamtübersicht einigermaßen überschaubar zu halten, wird mit Abkürzungen gearbeitet und auf die Kennzeichnung der Ergänzungen durch eckige Klammern verzichtet. Die Satzbaupläne werden dennoch in der glei‐ chen Reihenfolge wiedergegeben wie in der Dudengrammatik. Die Nomi‐ nalgruppenbaupläne hingegen werden so dargestellt, dass sie die realisierte Serialisierung (Abfolge der Glieder) im Nominalgruppenbeispiel abbilden. In der Dudengrammatik werden den Satzbauplänen, also den Satzglied‐ konstellationen, nur Beispiele zugeordnet. Hier erfolgt zusätzlich ein Ana‐ lysevorschlag für die Prädikationsrahmen, also der Prädikatsklassen und semantischen Rollen der Ergänzungen nach von Polenz (2008). Im Falle von Einbettungen wie beispielsweise bei Objektsprädikativen ( Der Rezensent nannte den Schriftsteller einen klugen Denker ) wird dabei nur die Prädikats‐ klasse des übergeordneten Prädikats erfasst. Die Tabelle enthält zusätzlich Vorschläge für eine Umformulierung der Satzbeispiele in Nominalgruppen und auf dieser Basis eine Analyse der Nominalgruppenbaupläne. Die Um‐ formulierungen wurden durch eine experimentelle Studie herausgearbeitet. Germanistikstudenten des vierten Semesters wurden gebeten, die Sätze in Nominalgruppen umzuformulieren. Als Beispiel wurde jeweils diejenige Formulierungsvariante gewählt, für die sich die meisten der 32 Teilnehmer der Studie entschieden haben. Die Spalte Bewertung enthält als ersten Zah‐ lenwert eine Angabe dazu, wieviele der 32 Teilnehmer diese Variante ge‐ wählt haben. Bei dem zweiten Zahlenwert handelt es sich um den Mittelwert der Einschätzung der Machbarkeit dieser Aufgabe. Die Teilnehmer wurden gebeten, Notenwerte von 1 bis 5 zu vergeben (5 = problemlos, ich musste gar nicht lange nachdenken; 4 = sehr gut möglich, aber ich musste länger nachdenken; 3 = möglich, hört sich aber komisch an; 2 = eventuell möglich, aber sehr konstruiert / grenzwertig; 1 = nicht möglich). Insgesamt ergibt sich dadurch ein Eindruck von der Nominalgruppentauglichkeit des durch die Satzbaupläne der Dudengrammatik erfassten Inventars an Satzgrundstruk‐ turen des Deutschen. Eine ausführlichere Auswertung der Studie können Sie in Hennig (2019) nachlesen. 135 Satzbaupläne und Nominalgruppenbaupläne 135 18270_Hennig_Bel.indd 135 18270_Hennig_Bel.indd 135 05.02.2020 11: 02: 14 05.02.2020 11: 02: 14 Satzbau‐ plan Beispiel Prädikationsrahmen Nominal‐ gruppenbauplan Beispiel Be‐ wer‐ tung Prädikat mit nur einer Ergänzung sub + präd Sie lacht. AG + HAND possart + VA ihr Lachen 16 - 3,27 akkob + präd Mich hun‐ gert. EXP + ZUST possart + VA mein Hunger 12 - 3,34 datob + präd Mir ist kalt. EXP + ZUST VA + präpatt die Kälte in mir 3 - 1,54 Prädikate mit zwei Ergänzungen sub + akkob + präd Wir bauen ein Haus. AG + HAND + EOB VA + possart + genob der Bau / das Bauen des Hau‐ ses durch / von uns 83,86sub + datob + präd Dieses Buch gehört mir. PO + POS +ZUST datattr + VA + gensub das mir Gehö‐ ren des Buches 1 - 1,8 sub + genob + präd Wir harrten der Dinge. EXP + AOB + VORG possart + VA + gendob unser Harren der Dinge 5 - 2,85 sub + prä‐ pob + präd Der Arzt ach‐ tete auf die Messwerte. AG + AOB + HAND VA + gensub + präpatt das Achten des Arztes auf die Messwerte 12 - 4,07 sub + nompräd + präd Anna ist / wird / bleibt Chefin. EXP + GATT VAko + ge‐ nsub das Chefinsein Annas 3 - 1,77 sub + adjp‐ räd + präd Otto ist / wird / bleibt zornig. EXP + ZUST VAko + ge‐ nsub das Zornigsein Ottos / das Zor‐ nigsein des Otto 5 - 2,75 sub + präppräd + präd Die Raupe verwandelte sich in einen Schmetter‐ ling. EXP + DIR + VORG VA + gensub + präpatt die Verwand‐ lung der Raupe in einen Schmetterling 26 - 4,87 sub + konjpräd + präd Der Graus‐ tieltäubling gilt als guter Speisepilz. EXP + GATT VA + gensub + alsapp das Gelten des Graustieltäub‐ lings als ein gu‐ ter Speisepilz 16 - 2,97 136 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 136 18270_Hennig_Bel.indd 136 18270_Hennig_Bel.indd 136 05.02.2020 11: 02: 14 05.02.2020 11: 02: 14 sub + lo‐ kadv + präd Die Schau‐ spieler bega‐ ben sich auf die Bühne. AG + DIR + HAND VA + gensub + präpatt das Begeben der Schauspie‐ ler auf die Bühne 20 - 3,21 sub + tem‐ padv + präd Die Ver‐ sammlung währte bis Mitternacht. EXP + TE + VORG VA + gensub + präpatt das Währen der Versammlung bis Mitternacht 13 - 2,89 sub + mo‐ dadv + präd Die beiden Hunde be‐ nahmen sich schlecht. AG + MOD + HAND adjatt + VA + gensub das schlechte Benehmen der beiden Hunde 12 - 4,57 sub + kau‐ sadv + präd Der Mord ge‐ schah aus Ei‐ fersucht. EXP + CAU + VORG VA + gensub + präpatt das Geschehen des Mordes aus Eifersucht 21 - 3,46 akkob / da‐ tob + prä‐ pob + präd Mich / Mir ekelt vor die‐ sem Essen. EXP + CAU + ZUST possart + VA + präpatt mein Ekel vor diesem / dem Essen 18 - 3,82 Prädikate mit drei Ergänzungen sub + akkob + akkob + präd Ich habe dich etwas ge‐ fragt! AG + PAT + AOB + HAND possart + VA + prä‐ patt + prä‐ patt meine Frage an dich nach etwas 1 - 1,75 sub + datob + akkob + präd Der Junge schenkte sei‐ ner Mutter Rosen. AG + BEN + AOB + HAND VA + prä‐ patt + ge‐ nsub + prä‐ patt das Schenken von Rosen des Jungen an seine Mutter 10 - 2,86 sub + akkob + genob + präd Die Zeugen beschuldigten den Mann des Diebstahls. AG + PAT + CAU + HAND VA + genob + gengob + präpatt die Beschuldi‐ gung des / eines Mannes des Dieb‐ stahls durch die Zeugen 12 - 2,79 sub + akkob + präpob + präd Der Intendant bat den Zu‐ schauer um Geduld. AG + PAT + HAND VA + ge‐ nsub + prä‐ patt + prä‐ patt das Bitten des In‐ tendanten an die Zuschauer um Geduld 4 - 3,27 sub + akkob + akkpräd + präd Der Rezen‐ sent nannte den Schrift‐ steller einen klugen Den‐ ker. AG + PAT + HAND VA + genob + alsapp + präpatt die Nennung des Schriftstellers als einen klugen Denker durch den Rezensenten 8 - 3 137 Satzbaupläne und Nominalgruppenbaupläne 137 18270_Hennig_Bel.indd 137 18270_Hennig_Bel.indd 137 05.02.2020 11: 02: 15 05.02.2020 11: 02: 15 sub + akkob + adjpräd + präd Die Kleine machte sich die Finger schmutzig. AG + AOB + HAND VAko + ge‐ nob + ge‐ nattr. 2. Grades das Schmut‐ zig-Machen der Finger der Klei‐ nen 11 - 2,57 sub + akkob + präppräd + präd Der Polizist hielt den Ver‐ hafteten für den gesuch‐ ten Mörder. AG + PAT + HAND VA + genob + präpatt + präpatt das Halten des Verhafteten für den Mörder durch den Polizisten 10 - 1,78 sub + akkob + konjpräd + präd Die Stadt be‐ trachtet die gute Ver‐ kehrslage als Standortvor‐ teil. AG + AOB + HAND VA + genob + alsapp + präpatt die Betrachtung der guten Ver‐ kehrslage als Standortvorteil durch die Stadt 12 - 3,03 sub + akkob + lokadv + präd Ich hänge das Bild an die Wand. AG + AOB + DIR + HAND VA + genob + präpatt + präpatt das Hängen des Bildes an die Wand durch mich 6 - 3,03 sub + akkob + tempadv + präd Der Vorsit‐ zende ver‐ legte die Sit‐ zung in die Abendstun‐ den. AG + AOB + TE + HAND VA + genob + präpatt + präpatt die Verlegung der Sitzung in die Abendstunden durch den Vorsit‐ zenden 20 - 3,9 sub + akkob + modadv + präd Die Polizei behandelte die Demons‐ tranten wie Verbrecher. AG + PAT + MOD + HAND VA + genob + wieapp + präpatt die Behandlung der Demonstran‐ ten wie Verbre‐ cher durch die Po‐ lizei 16 - 2,74 sub + datob + präpob + präd Ich rate dir zum Nachge‐ ben. AG + BEN + HAND possart + VA + prä‐ patt + prä‐ patt mein Rat an dich zum Nachgeben 2 - 3,03 sub + datob + lokadv + präd Ich klopfe ihm auf die Schulter. AG + BEN + DIR + HAND possart + VA + poss‐ art + prä‐ patt mein Klopfen auf seine Schulter 7 - 3,05 sub + datob + modadv + präd Das Kleid steht seiner Lebensge‐ fährtin gut. AOB + BEN + MOD + EIGEN adjatt + VA + gensub + präpatt das gute Stehen des Kleides an sei‐ ner Lebensge‐ fährtin 3 - 1,58 138 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 138 18270_Hennig_Bel.indd 138 18270_Hennig_Bel.indd 138 05.02.2020 11: 02: 15 05.02.2020 11: 02: 15 sub + prä‐ pob + prä‐ pob + präd Die Spieler wetten mit dem Trainer um eine Fla‐ sche Sekt. AG + COM + AOB + HAND VA + ge‐ nsub + prä‐ patt + prä‐ patt das Wetten der Spieler mit dem Trainer um eine Flasche Sekt 15 - 4,38 sub + prä‐ pob + mo‐ dadv + präd Er handelte niederträch‐ tig an ihm. AG + MOD + BEN + HAND possart + adjatt + VA + präpatt sein niederträch‐ tiges Handeln an ihm 5 - 3,66 sub + lo‐ kadv + mo‐ dadv + präd Bei dem Fest ging es har‐ monisch zu. LOK + MOD + ZUST adjatt + VA + präpatt das harmonische Zugehen beim Fest 12 - 3,53 Prädikate mit vier Ergänzungen sub + datob + akkob + adjpräd + präd Der Friseur färbt der Kun‐ din die Haare blond. AG + BEN + AOB + HAND VAko + ge‐ ndob + ge‐ nattr. 2. Grades + präpatt das Blond-Färben der Haare der Kundin durch den Friseur 6 - 3 sub + datob + akkob + lokadv + präd Er legt ihm die Hand auf die Schulter. AG + BEN + AOB + DIR + HAND VA + genob + possart + präpatt + präpatt das Legen der Hand auf seine Schulter durch ihn 2 - 2,74 Tab. 12: Satzbaupläne, Nominalgruppenbaupläne, Prädikationsrahmen Das Experiment der Überführung von Satzbeispielen in Nominalgruppen ergibt ein sehr heterogenes Bild der Nominalstiltauglichkeit einzelner Satz‐ baupläne - ablesbar an den durch die Teilnehmer der Studie erfolgten Ein‐ schätzungen bezüglich der Machbarkeit der Aufgabe. In der Spalte ‚Nominalgruppenbaupläne‘ wurde zwar das Strukturformat aller zugrun‐ degelegten Beispiele angegeben; angesichts der teilweise sehr fragwürdigen Formulierungen können diese aber nicht als sichere Kandidaten für pro‐ duktive Nominalgruppenbaupläne betrachtet werden. Woran liegt es, dass manche Satzbeispiele sehr gut nominal realisiert werden konnten und andere fast gar nicht? Die Gruppe mit zwei Ergänzun‐ gen schneidet bei diesem Experiment am besten ab. Das kann damit zusam‐ menhängen, dass von den Beispielen mit zwei Ergänzungen nur das erste Beispiel ein Akkusativobjekt als direktes Objekt enthält, das in der Nomi‐ nalgruppe als Genitivus obiectivus angeschlossen wird. Das Subjekt wird in diesem Beispiel durch einen Possessivartikel realisiert. In den anderen Bei‐ 139 Satzbaupläne und Nominalgruppenbaupläne 139 18270_Hennig_Bel.indd 139 18270_Hennig_Bel.indd 139 05.02.2020 11: 02: 15 05.02.2020 11: 02: 15 spielen mit zwei Ergänzungen steht die Position des Genitivattributs dem Genitivus subiecticus zur Verfügung. Die Problematik, die Welke anschau‐ lich mit dem Stichwort „Nadelöhr Genitiv“ (2011: 256) zusammengefasst hat (s. o.), wirkt sich deshalb bei diesen Beispielen mit zwei Ergänzungen nicht hinderlich auf die Überführung des Satzbeispiels in eine Nominalgruppe aus. Bei den Beispielen mit mehr Ergänzungen kommt es hingegen teilweise zu einer Konkurrenz zwischen Genitivus subiectivus und Genitivus obiectivus: So haben beispielsweise bei Satz 18 sechs Probanden den Genitiv für die Subjektergänzung genutzt ( Schenkung des Jungen von Rosen an seine Mut‐ ter ) und 14 Probanden für die Objektergänzung ( das Schenken der Rosen vom Jungen an die Mutter ). Als besonders günstig für die Überführung eines Satzes in eine Nominal‐ gruppe erweist es sich, wenn für eine Ergänzung zum Verb und zum Kern‐ nomen gleiche Formen zur Verfügung stehen. Das betrifft vor allem den Bereich der Präpositionalgruppen. Diese fungieren in den Beispielen als Präpositionalobjekt, präpositionales Adverbial oder präpositionales Prädi‐ kativ. Sie können jeweils 1: 1 in der Nominalgruppe als präpositionales At‐ tribut übernommen werden: (40) a. Der Arzt achtete auf die Messwerte → das Achten des Arztes auf die Messwerte b. Der Mord geschah aus Eifersucht → das Geschehen des Mordes aus Eifersucht c. Die Raupe verwandelte sich in einen Schmetterling → die Verwandlung der Raupe in einen Schmetterling Das Gleiche gilt für Adjunktorgruppen mit als: (41) Die Stadt betrachtet die gute Verkehrslage als einen Standortvorteil → die Betrachtung der guten Verkehrslage als Standortvorteil durch die Stadt Insgesamt hängt die Nominalisierbarkeit der Satzstrukturen also vor allen Dingen davon ab, welche Attributtypen für die Ergänzungen zur Verfügung stehen. Agens-Subjekte beispielsweise können problemlos mit einer Präpo‐ sitionalgruppe mit durch angeschlossen werden: (42) Der Vorsitzende verlegte die Sitzung in die Abendstunden → die Verlegung der Sitzung in die Abendstunden durch den Vorsitzenden 140 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 140 18270_Hennig_Bel.indd 140 18270_Hennig_Bel.indd 140 05.02.2020 11: 02: 15 05.02.2020 11: 02: 15 Darüber hinaus wird das Subjekt auch relativ häufig als Possessivartikel wiedergegeben: (43) Er handelte niederträchtig an ihm → sein niederträchtiges Handeln an ihm Das ist vor allem auch deshalb günstig, weil damit das Feld der postnomi‐ nalen Attribute entlastet wird. Pränominal werden hier nur Possessivartikel und Adjektivattribute für die Realisierung der Ergänzungen genutzt, alle anderen Realisierungsformen folgen auf das Kernnomen. Das ist im Falle von mehreren Attributen deshalb nicht ideal, weil ja immer der Bezug zum Kernnomen klar geregelt sein muss. Wichtig ist hier: Alle Attribute sollen sich unmittelbar auf das Kernnomen beziehen, also gleichrangige Attribute ersten Grades sein. Nur dann ist gewährleistet, dass sie ebenso als Ergän‐ zungen zum Kernnomen fungieren wie die Satzglieder als Ergänzungen zum Vollverb. Dabei können aber keineswegs beliebig viele Attribute in beliebi‐ ger Reihenfolge auf das Kernnomen folgen: Ein Genitivattribut folgt im Prinzip immer unmittelbar auf das Bezugsnomen (Näheres dazu im Kapitel „Von der Komplexität zur Komplikation“). Ein zweites Genitivattribut muss deshalb eigentlich immer als Unterordnung interpretiert werden (Genitiv‐ attribut 2. Grades). In Beispielen wie das Schenken von Rosen des Jungen an seine Mutter oder das Schmutzigmachen der Finger der Kleinen interpretieren wir auf der Basis von common sense höchstwahrscheinlich das Genitivat‐ tribut dennoch als Genitivus subiectivus und somit als Attribut 1. Grades. Präpositionalattribute können weiter entfernt stehen, wenn der Bezug ausreichend klar ist. Das Ganze kann aber nicht endlos auf die Spitze ge‐ trieben werden, sondern kann zu Komplikationen führen (Näheres dazu in „Von der Komplexität zur Komplikation“). Vor diesem Hintergrund ist es natürlich hilfreich, wenn manche Ergänzungen in den pränominalen Be‐ reich verlagert werden können. Zu den Lösungen im pränominalen Bereich kann man schließlich auch noch die Komposition zählen, die hier in drei Fällen genutzt wurde: (44) a. Anna ist Chefin → das Chefinsein Annas b. Die Kleine machte sich die Finger schmutzig → Das Schmutzigmachen der Finger der Kleinen c. Der Friseur färbt der Kundin die Haare blond → das Blond-Färben der Haare der Kundin durch den Friseur 141 Satzbaupläne und Nominalgruppenbaupläne 141 18270_Hennig_Bel.indd 141 18270_Hennig_Bel.indd 141 05.02.2020 11: 02: 15 05.02.2020 11: 02: 15 Auf diese Weise wird eine Ergänzung in das Kernnomen inkorporiert. Die Bildung eines deverbalen Nomens verursacht im Allgemeinen keine Pro‐ bleme, mit den verschiedenen Varianten der Konversion und Derivation ste‐ hen dafür ausreichend Muster zur Verfügung. Dass einige Beispiele dennoch sehr konstruiert klingen (beispielsweise unser Harren der Dinge ) liegt sicher‐ lich daran, dass das deverbale Nomen Harren nicht lexikalisiert ist und dass auch das Verb harren mit Genitivattribut bereits veraltend / gehoben wirkt. Auch wenn das hier kurz vorgestellte Experiment zur Überführung von Sät‐ zen in Nominalgruppen einige interessante Ergebnisse zu Möglichkeiten und Grenzen der Nominalisierung und somit auch der Valenzvererbung hervorge‐ bracht hat, sei an dieser Stelle betont, dass es sich nicht um einen gleichberech‐ tigten Vergleich von Sätzen und Nominalgruppen bzw. Satzbauplänen und No‐ minalgruppenbauplänen handelt, da der Vergleich aus der Perspektive der Satzbaupläne und der dazugehörigen Beispiele der Dudengrammatik erfolgte. Für eine systematische Inventarisierung der gängigsten Nominalgruppenbau‐ pläne wäre eine umfangreiche Korpusuntersuchung notwendig. Eine kleinere Korpusanalyse hat Kurt Möslein im Rahmen seiner Untersu‐ chungen zur Syntax der wissenschaftlich-technischen Literatur seit dem Ende des 18. Jahrhunderts vorgenommen. Er hat dort 449 Belege für Nominalgrup‐ pen mit Verbalabstrakta untersucht. Dabei hat er auch eine Auswertung in Be‐ zug auf die von ihm angenommenen Modelle vorgenommen und ist hinsicht‐ lich der wichtigsten Modelle zu folgendem Ergebnis gekommen: Modell absolut prozentual Verbalabstraktum + Genitivus obiectivus 224 49,9 Verbalabstraktum + Genitivus subiectivus 65 14,4 Verbalabstraktum + Präpositionalattribut 49 10,9 Verbalabstraktum ohne Attribut 35 7,8 Verbalabstraktum + Präposition von (anstelle des Gen. subj.) 23 5,1 Verbalabstraktum + Genitivus obiectivus + Präposi‐ tionalattribut 22 5,0 Tab. 13: Verteilung der Modelle bei Möslein (1981: 295) 142 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 142 18270_Hennig_Bel.indd 142 18270_Hennig_Bel.indd 142 05.02.2020 11: 02: 15 05.02.2020 11: 02: 15 Dass die Verbindung eines Verbalabstraktums mit dem Genitivus obiectivus bei weitem überwiegt, ist sicherlich kein Zufall, sondern kann mit Welke (2016: 80 ff.) mit der Benachteiligung des Genitivus subiectivus bei transiti‐ ven perfektiven Verben erklärt werden. Wenn man nun Mösleins oben zitierte Modelle zur Kombination von Attributen und Kernnomen und die Modelle der hier vorgestellten Unter‐ suchung zur Überführung von Sätzen in Nominalgruppen zusammenfasst, so erhält man folgendes Ergebnis zu möglichen Nominalgruppenbauplänen: Anzahl Ergän‐ zungen Beispiel Nominalgruppenbauplan eine Ergänzung ihr Lachen possart + VA Prüfen der Zahnflanken (M) VA + genob die Kälte in mir VA + präpatt zwei Ergänzun‐ gen mein Ekel vor diesem Es‐ sen possart + VA + präpatt der Bau unseres Hauses VA + possart + genob mangelndes Arbeiten der Kupplung (M) adjatt + VA + gensub das harmonische Zuge‐ hen beim Fest adjatt + VA + präpatt Benetzung des Läpp‐ chens mit Alkohol (M) VA + genob + präpatt das Achten des Arztes auf die Messwerte VA + gensub + präpatt drei Ergänzun‐ gen mein Rat an dich zum Nachgeben possart + VA + präpatt + präpatt mein Klopfen auf seine Schulter possart + VA + possart + präpatt sein niederträchtiges Handeln an ihm possart + adjatt + VA + präpatt die Verlegung der Sitzung in die Abendstunden durch den Vorsitzenden VA + genob + präpatt + präpatt 143 Satzbaupläne und Nominalgruppenbaupläne 143 18270_Hennig_Bel.indd 143 18270_Hennig_Bel.indd 143 05.02.2020 11: 02: 15 05.02.2020 11: 02: 15 das Schenken des Jungen von Rosen an seine Mut‐ ter VA + gensub + präpatt + präpatt die Betrachtung der gu‐ ten Verkehrslage als Standortvorteil durch die Stadt VA + genob + alsapp + präpatt Tab. 14: Nominalgruppenbaupläne Mit einem M für Möslein wurden dabei die Beispiele gekennzeichnet, die in der hier durchgeführten Untersuchung nicht vorkamen (bzw. zumindest nicht von den meisten Probanden zur nominalen Realisierung eines Bei‐ spiels genutzt wurden). Von den Beispielen aus der Satzbauplanstudie wur‐ den nur solche übernommen, deren Überführbarkeit in eine nominale Va‐ riante von den Probanden mindestens mit 3 bewertet wurde. Die Übersicht über mögliche Nominalgruppenbaupläne kann auf dieser Basis keinen An‐ spruch auf Vollständigkeit erheben. Zusammenfassung Nach den Überlegungen zu Nominalgruppenbauplänen soll nun abschlie‐ ßend reflektiert werden, inwieweit sich die Ansätze ‚strukturelle Domänen Satz und Nominalgruppe‘, ‚Valenzvererbung‘ und ‚Nominalgruppenbau‐ pläne‘ ergänzen. Mit der Gegenüberstellung von Satz und Nominalgruppe als abstrakte Schemata bietet der Ansatz von Czicza einen Ausgangs‐ punkt für den Vergleich von nominaler und verbaler Syntax: Mit Rück‐ griff auf die drei Ebenen Formen, Relationen und Funktionen können zu‐ nächst die syntaktischen Grundstrukturen der beiden Domänen erfasst werden. Was Czicza mit der Modellierung der Domänen anbietet, fasst Welke mit den Konstruktionstypen Kopf-Modifikator-Kon‐ struktion und Prädikat-Argument-Konstruktion zusammen. Beide plädieren für einen Prototypenansatz: Die abstrakten Schemata bei Czicza sowie die beiden Konstruktionstypen bei Welke stellen Prototypenmodelle dar. Diese bieten eine gute Basis für die Offenlegung der Unterschiede zwi‐ schen den beiden syntaktischen Organisationsformen. Zentral für dieses Buch ist aber nun gerade der Gedanke der Umverpackung, d. h. die Frage, 144 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 144 18270_Hennig_Bel.indd 144 18270_Hennig_Bel.indd 144 05.02.2020 11: 02: 16 05.02.2020 11: 02: 16 was passiert, wenn die Grenzen zwischen den Domänen überschritten wer‐ den und somit der Bereich der Prototypik verlassen wird. Welkes Konzept der Valenzvererbung bietet dafür einen hilfreichen Erklärungshinter‐ grund: Wenn ein deverbales Nomen gebildet wird und somit ein Übertritt von der Domäne Satz in die Domäne Nominalgruppe stattfindet, schleppt das nun als Nomen umverpackte Verbalabstraktum noch einiges an Eigen‐ schaften des zugrunde liegenden Verbs mit. Die Valenz wird vererbt und damit der Ergänzungsbauplan. Dabei müssen - ausgehend von den Rah‐ menbedingungen der strukturellen Domäne Nominalgruppe - natürlich Anpassungen - eben Umverpackungen - vorgenommen werden. Manche Typen von Ergänzungen können unmittelbar übernommen werden, für manche Typen stehen Bauplanmuster bereit, andere wiederum werden in den erweiterten Kontext ausgelagert. Dennoch hat sich insgesamt die Ver‐ mutung bestätigt, dass die Möglichkeiten, Satzinhalte in einer Nominal‐ gruppe mit deverbalem Kern unterzubringen, sehr gut ausgebaut sind. Den Schlüssel für den Vergleich bildet dabei der Bereich der Funktionen in Cziczas Domänenmodell: Der funktionale Bereich kann als tertium com‐ parationis für den Vergleich dienen. Ausgangspunkt ist die Grundan‐ nahme, dass bestimmte Satzinhalte sowohl in Form von Sätzen als auch in Form von Nominalgruppen realisiert werden können. Die gemeinsamen Funktionen bilden den Ausgangspunkt des Vergleichs; die formalen und re‐ lationalen Realisierungen der Funktionen sind die Unterschiede, die sich auf die unterschiedlichen Funktionsweisen der strukturellen Domänen Satz und Nominalgruppe zurückführen lassen. Als eine Grundvoraussetzung für diese Umverpackungen kann die von von Polenz getroffene Annahme be‐ nannt werden, dass Prädikatsausdrücke nicht nur verbal, sondern auch substantivisch realisiert werden können. Als Ergebnis der Integration der verschiedenen Ansätze wurde in diesem Kapitel der Vorschlag ausgearbei‐ tet, Modelle von Nominalgruppen in Analogie zu den Satzbauplänen als Nominalgruppenbaupläne zu erfassen; von einer umfassenden Inventa‐ risierung kann dabei aber noch keine Rede sein. Anwendung: Textanalyse Nachdem hier ausführlich verschiedene Modelle der Nominalisierung dis‐ kutiert wurden, sollen die Überlegungen zu Nominalgruppenbauplänen auf der Basis von Valenzvererbung nun durch eine Textanalyse abgerundet, also 145 Anwendung: Textanalyse 145 18270_Hennig_Bel.indd 145 18270_Hennig_Bel.indd 145 05.02.2020 11: 02: 16 05.02.2020 11: 02: 16 sozusagen mit der Wirklichkeit des Sprachgebrauchs konfrontiert werden. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus dem Text „Über sociale Differen‐ zierung: Sociologische und psychologische Untersuchungen“ von Georg Simmel (1890). Im folgenden Textausschnitt sind zunächst alle Verbalabstrakta in satzwertigen Nominal- und Präpositionalgruppen fett und die Adjektivabstrakta kursiv markiert. Präpositionen sind im Fall der Einbet‐ tung von Nominalgruppen in satzwertige Präpositionalgruppen unterstri‐ chen: Die Differenzierung gegen andere Wesen ist es, was unsere Thä‐ tigkeit groſsenteils herausfordert und bestimmt; auf die Beobach‐ tung ihrer Verschiedenheiten sind wir angewiesen, wenn wir sie be‐ nutzen und die richtige Stellung unter ihnen einnehmen wollen. Der Gegenstand des praktischen Interesses ist das, was uns ihnen gegenüber Vorteil oder Nachteil verschafft, aber nicht das, worin wir mit ihnen übereinstimmen, das vielmehr die selbstverständliche Grundlage vorschreitenden Handelns bildet. Darwin erzählt, er habe bei seinem vielfachen Verkehr mit Tierzüchtern nie einen ge‐ troffen, der an die gemeinsame Abstammung der Arten geglaubt habe; das Interesse an derjenigen Abweichung, die die von ihm ge‐ züchtete Spielart charakterisiere und ihr den praktischen Wert für ihn verleihe, fülle das Bewusstsein so aus, daſs für die Gleichheit in allen Hauptsachen mit den übrigen Rassen oder Gattungen kein Raum darin mehr vorhanden sei. Dieses Interesse an der Differen‐ ziertheit des Besitzes erstreckt sich begreiflich auch auf alle anderen Beziehungen des Ich. Man wird im allgemeinen sagen können, daſs bei objektiv gleicher Wichtigkeit der Gleichheit mit einer Allgemein‐ heit und der Individualisierung ihr gegenüber für den subjektiven Geist die erstere mehr in der Form von Unbewusstheit , die letztere mehr in der der Bewusstheit existieren wird. Die organische Zweckmäſsigkeit spart das Bewusstsein in jenem Fall, weil es in die‐ sem für die praktischen Lebenszwecke nötiger ist. Bis zu welchem Grade aber die Vorstellung der Verschiedenheit die der Gleichheit verdunkeln kann, zeigt vielleicht kein Beispiel lehrreicher, als die konfessionalistischen Streitigkeiten zwischen Lutheranern und Re‐ formierten, namentlich im 17. Jahrhundert. Kaum war die groſse 146 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 146 18270_Hennig_Bel.indd 146 18270_Hennig_Bel.indd 146 05.02.2020 11: 02: 16 05.02.2020 11: 02: 16 Absonderung gegen den Katholicismus geschehen, so spaltet sich das Ganze um der nichtigsten Dinge willen in Parteien, die man oft genug äuſsern hört: man könnte eher mit den Papisten Gemeinschaft halten, als mit denen von der andern Konfession! Der Text enthält 12 Adjektivabstrakta und 10 Verbalabstrakta in satzwerti‐ gen Nominalbzw. Präpositionalgruppen (eine genauere Analyse dazu fin‐ det sich im Anhang in Tabelle A3). Wir beginnen mit einer Analyse der Verbalabstrakta. Von den 10 Belegen handelt es sich in 8 Fällen um explizite Derivationen mit dem Suffix ung. Außerdem liegt mit Handeln eine Infini‐ tivkonversion und mit Verkehr eine Stammkonversion vor. Von den 10 Ver‐ balabstrakta sind 4 Bestandteile einer satzwertigen Präpositionalgruppe. Die satzwertigen Präpositionalgruppen sind: Beleg Satzglied‐ wert Prädikati‐ onsrahmen Nominalgruppenbauplan auf die Beobachtung ihrer Ver‐ schiedenheiten Objekt HAND + AOB (EXP + EI‐ GEN) VA + genob (possart + AA) bei seinem vielfachen Verkehr mit Tierzüchtern Adverbial AG + MOD + HAND + COM possart + adjatt + VA + präpatt an die gemeinsame Abstam‐ mung der Arten Objekt MOD + EI‐ GEN + EXP adjattr + VA + gensub bei [objektiv gleicher Wichtig‐ keit der Gleichheit mit einer Allgemeinheit] und der Indivi‐ dualisierung ihr gegenüber Adverbial HAND + CAG VA + präpatt Tab. 15: Satzwertige Präpositionalgruppen im Beispieltext Zu Beginn der Diskussion sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Analyse des Prädikationsrahmens immer einem gewissen Interpretations‐ spielraum unterliegt. Dieser ergibt sich daraus, dass für die satzsemantische Analyse nicht immer eindeutige Kriterien bestimmt werden können. Es ist also nicht auszuschließen, dass teilweise auch gute Gründe für abweichende Zuordnungen geltend gemacht werden können. Wir beziehen uns hier auf 147 Anwendung: Textanalyse 147 18270_Hennig_Bel.indd 147 18270_Hennig_Bel.indd 147 05.02.2020 11: 02: 16 05.02.2020 11: 02: 16 das Grundverständnis der Prädikatsklassen und semantischen Rollen nach von Polenz (2008: 159 ff.), wie es im Kapitel „Grundbegriffe: Satzinhalt“ vor‐ gestellt wurde. Auch von Polenz räumt teilweise fließende Übergänge ein. Während Möslein sich in seiner Auseinandersetzung mit satzwertigen Nominalgruppen auf solche Fälle beschränkt hat, in denen die Präpositio‐ nalgruppen durch einen Nebensatz mit Inhaltsrelation ersetzbar sind, die also adverbiale Funktion haben, belegen die Beispiele, dass auch eine Prä‐ positionalgruppe mit Objektstatus in dem Sinne satzwertig sein kann, dass sie einen Prädikationsrahmen abbildet. Das „echte Leben“ der authentischen Beispiele offenbart nun noch die folgenden Spielarten: Im ersten Beispiel ist der Genitivus obiectivus durch ein Adjektivabstraktum realisiert. Dadurch wird eine weitere Prädikation in die Präpositionalgruppe eingebettet (hier gekennzeichnet durch die runden Klammern). Im letzten Beispiel ist die No‐ minalgruppe mit deverbalem Kern mit einer Nominalgruppe mit deadjekti‐ vischem Kern koordiniert (gekennzeichnet durch eckige Klammern). Hier werden nur der Prädikationsrahmen und der Nominalgruppenbauplan für das Verbalabstraktum mit seiner Ergänzung angegeben; die Analyse der Adjektivabstrakta erfolgt in Tabelle 17. Die übrigen sechs Verbalabstrakta sind Kerne von Nominalgruppen, die ohne Einbettung in eine Präpositionalgruppe Satzgliedwert haben oder als Attribute fungieren: Beleg Satzglied (-teil)wert Prädikati‐ onsrahmen Nominalgrup‐ penbauplan die Differenzierung gegen an‐ dere Wesen Subjekt HAND + CAG VA + präpatt die richtige Stellung unter ih‐ nen Objekt MOD + ZUST + LOC adjatt + VA + präpatt vorschreitenden Handelns Attribut (VORG) HAND PIattr + VA an derjenigen Abweichung Attribut MOD + ZUST adjatt + VA die Vorstellung der Verschie‐ denheit Subjekt VORG (ZUST) VA + genob (AA) die groſse Absonderung gegen den Katholicismus Subjekt MOD + HAND + CAG adjatt + VA + präpatt Tab. 16: Satzwertige Nominalgruppen im Beispieltext 148 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 148 18270_Hennig_Bel.indd 148 18270_Hennig_Bel.indd 148 05.02.2020 11: 02: 16 05.02.2020 11: 02: 16 Die Übersicht zeigt, dass auch diese Fälle genauso als substantivische Prädikatsausdrücke betrachtet werden können wie die satzwertigen Präpo‐ sitionalgruppen im Sinne von Möslein. Auch hier liegt mit dem Beleg die Vorstellung der Verschiedenheit ein Beispiel für eine durch ein Adjektivabs‐ traktum erfolgte Einbettung einer weiteren Prädikation vor. Im Beleg vor‐ schreitenden Handelns übernimmt ein Partizipialattribut die Funktion der Einbettung einer weiteren Prädikation. Werfen wir nun noch einen Blick auf die Adjektivabstrakta (AA). Bei den 12 Belegen handelt es sich um explizite Derivationen mit den Suffixen heit und -keit. Die Belege seien nun analog zu den Verbalabstrakta analysiert: Beleg Satzglied (-teil)wert Prädikati‐ onsrahmen Nominalgrup‐ penbauplan unsere Thätigkeit Objekt AG + HAND possart + AA ihrer Verschiedenheiten Attribut EXP + EIGEN possart + AA für die Gleichheit Adverbial EIGEN AA an der Differenziertheit des Besitzes Attribut EIGEN + EXP AA + gensub bei objektiv gleicher Wich‐ tigkeit der Gleichheit mit einer Allgemeinheit und [der Individualisierung ihr gegenüber] (Attribut) Adverbial (Attribut (Attribut)) (MOD) MOD + ZUST + EXP (EIGEN) + COM (advatt) adjatt + AA + gensub (AA) + präpatt von Unbewusstheit Attribut ZUST AA der Bewusstheit Attribut ZUST AA die organische Zweckmäſsigkeit Subjekt MOD + EIGEN adjatt + AA der Verschiedenheit Attribut EIGEN AA der Gleichheit Attribut EIGEN AA als die konfessionalisti‐ schen Streitigkeiten zwi‐ schen Lutheranern und Re‐ formierten Attribut MOD + HAND + AG adjatt + AA + prä‐ patt Tab. 17: Adjektivabstrakta im Beispieltext 149 Anwendung: Textanalyse 149 18270_Hennig_Bel.indd 149 18270_Hennig_Bel.indd 149 05.02.2020 11: 02: 16 05.02.2020 11: 02: 16 Die Analyse lässt erkennen, dass die Adjektivabstrakta ebenso wie die Verbalabstrakta als Prädikatsausdrücke in Frage kommen. Dabei überwie‐ gen Fälle mit Eigenschafts- und Zustandsprädikaten; aber auch hier sind Handlungsprädikate möglich. Der Umfang der Prädikationsrahmen und Nominalgruppenbaupläne ist hier insgesamt etwas geringer als bei den Verbalabstrakta, insbesondere finden sich einige Fälle, in denen das Adjek‐ tivabstraktum nicht erweitert ist. In diesen Fällen kommt es im Grunde ge‐ nommen noch stärker auf die Einbettung in den Satzkontext an, um Ergän‐ zungen rekonstruieren zu können, die für eine Prädikatsklasse wie ZUSTAND oder EIGENSCHAFT eigentlich notwendig sind; diese sind hier nicht Teil des Nominalgruppenbauplans. Dies sei an folgendem Beispiel dis‐ kutiert: (45) Man wird im allgemeinen sagen können, daſs bei objektiv gleicher Wich‐ tigkeit der Gleichheit mit einer Allgemeinheit und der Individualisierung ihr gegenüber für den subjektiven Geist die erstere mehr in der Form von Unbewusstheit , die letztere mehr in der der Bewusstheit existieren wird. Die Adjektivabstrakta Unbewusstheit und Bewusstheit sind ohne Erweite‐ rung in den Satz eingebettet, die für die Prädikationsrahmen mit den Zu‐ standsprädikaten eigentlich notwendigen Ergänzungen des EXPERIENS müssen also aus dem Satzkontext erschlossen werden. Subjekt des Teilsat‐ zes, in dem sich Unbewusstheit befindet, ist die erstere ; Subjekt des Teilsatzes, in dem sich Bewusstheit befindet, ist die letztere. Diese beiden Subjekte kom‐ men als EXPERIENS-Realisierungen der beiden Zustandsprädikate in Frage. Die kurze Textanalyse hat erkennen lassen, dass ein authentischer Text unter Umständen noch ganz andere Konstellationen zu Tage fördern kann als ein Satzbauplaninventar mit konstruierten Satzbeispielen. Gegenüber den zuvor zusammengefassten Typen von Nominalgruppenbauplänen war dabei auffällig, dass vor allem durch Einbettungen komplexere Konstella‐ tionen entstehen können. 150 Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax 150 18270_Hennig_Bel.indd 150 18270_Hennig_Bel.indd 150 05.02.2020 11: 02: 17 05.02.2020 11: 02: 17 Nominale Komplexität Überblick Das Kapitel verfolgt den Gedanken, dass der Eindruck von Nomi‐ nalstil häufig dann entsteht, wenn nominalstilistische grammatische Merkmale in einer bestimmten Häufung auftreten. Die in den vor‐ hergehenden Kapiteln erarbeiteten grammatischen Merkmale des Nominalstils - inbesondere die Nominalisierung und Attribution - ermöglichen einen starken Ausbau von Nominalgruppen, der zu nominaler Komplexität führen kann. Das Kapitel erarbeitet ausge‐ hend von Überlegungen zum Komplexitätsbegriff Grundtypen no‐ minaler Komplexität und vergleicht diese im Sinne des Komple‐ mentaritätsgedankens mit verbaler Komplexität. Mit Rückgriff auf den Begriff der Attribuierungskomplikation wird anschließend noch vorgeführt, inwieweit nominale Komplexität auch zu fragwür‐ digen Strukturen führen kann. Nominale vs. verbale Komplexität In der bisherigen Auseinandersetzung mit Fragen des Nominalstils in diesem Studienbuch wurde diskutiert, welche grammatischen Merkmale für Nomi‐ nalstil verantwortlich sind. In diesem Kapitel folgen wir der Überlegung von Ziegler (2009: 259), „dass sich ein Nominalstil in Texten insbesondere auch durch eine Tendenz zur Komplexität in der Verwendung der Nominalphra‐ sen gegenüber der Verwendung einfacher Nominalphrasen ausdrückt“ (vgl. auch Mertzlufft 2013: 217 ff.). Für den Einstieg in die Diskussion greifen wir auf das folgende, bereits an mehreren Stellen des Studienbuchs verwendete Beispiel zurück: (1) Die SPD wäre gut beraten, die Sache genau zu studieren, manches davon könnte ihr in [den kommenden Gesprächen zur Anbahnung einer Sondie‐ 18270_Hennig_Bel.indd 151 18270_Hennig_Bel.indd 151 05.02.2020 11: 02: 17 05.02.2020 11: 02: 17 rung zur Herbeiführung von Koalitionsverhandlungen zur Ermöglichung einer schwarz-roten Regierung] wieder begegnen. (Die ZEIT, 30.11.2017) Im Kapitel zu grammatischen Merkmalen des Nominalstils haben wir bereits festgestellt, dass das Beispiel besonders viele Merkmale des Nominalstils enthält und vor allem über eine stark ausgebaute Attributstruktur verfügt. Wenn wir Beispiele wie dieses als besonders typisch für Nominalstil be‐ trachten, ist die Konsequenz, dass Nominalstil sich nicht nur durch das ge‐ legentliche Auftreten von Nominalstilmerkmalen kennzeichnet, sondern dass vor allem Häufungen der einschlägigen Merkmale einen Textabschnitt oder einen ganzen Text als nominalstilistisch erscheinen lassen. Offenbar handelt es sich bei diesem Beispiel (bzw. bei der durch eckige Klammern gekennzeichneten Nominalgruppe im Beispiel) um eine kom‐ plexe Nominalgruppe im Sinne von Ziegler. Was macht die Nominalgruppe komplex? ▸ Sie enthält 18 Wortformen; ▸ sie enthält 6 Nominalisierungen; ▸ sie enthält 8 Attribute; ▸ die Attribute weisen eine Unterordnungsstruktur bis zum 7. Grad der Unterordnung auf. Der Eindruck einer komplexen Nominalgruppe scheint sich also zu bestäti‐ gen. Um der Frage genauer auf den Grund gehen zu können, ob einfach die Menge der Merkmale oder doch eher der Grad der Unterordnung dazu führt, dass wir die Nominalgruppe als komplex einschätzen, greifen wir im Fol‐ genden auf die linguistische Debatte um den Komplexitätsbegriff zurück. Diskurs: Zum Komplexitätsbegriff ‚Komplexität‘ ist ein schillernder Begriff, der einerseits schon lange als vorwissenschaftlicher Begriff verwendet wird - man bezeichnet Phä‐ nomene als komplex, ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, was genau man darunter versteht - und andererseits in den letzten Jahren zu einem Modethema der Linguistik geworden ist. Einen guten Über‐ blick über die linguistische Komplexitätsdebatte bieten die Sammel‐ bände Sampson / Gil / Trudgill (2009), Szmrecsanyi / Kortmann (2012) und Hennig (2017) sowie insbesondere der Text „Komplexität - den‐ noch ein nützlicher Begriff “ von Fischer (2017). Wie so häufig führt eine Ausweitung einer Diskussion um einen Begriff nicht zu einer 152 Nominale Komplexität 152 18270_Hennig_Bel.indd 152 18270_Hennig_Bel.indd 152 05.02.2020 11: 02: 17 05.02.2020 11: 02: 17 einheitlichen Begriffsklärung, sondern zu einer Diversifizierung der Möglichkeiten der Begriffsbildung. Die breite Begriffsdiskussion hat gezeigt, dass der Begriff auf alle lin‐ guistischen Beschreibungsebenen anwendbar ist und sowohl in der einzelsprachlichen Diskussion als auch im Sprachvergleich zu wich‐ tigen Einsichten führen kann. Vor dem Hintergrund des immensen Skopus des Konzepts der Komplexität scheint sich die Strategie zu be‐ währen, nicht nach einem globalen Begriffsverständnis (etwa zur Komplexität ganzer Einzelsprachen) zu fahnden, sondern eher lokale Komplexitätsphänomene in den Blick zu nehmen (Kortmann / Szmrec‐ sanyi 2012: 8), also die jeweilige Diskussion auf „well-defined areas“ zu begrenzen (Deutscher 2009: 251; dazu auch Hennig 2017). Wenngleich es hier folglich darum gehen muss, das Begriffsverständ‐ nis für die Auseinandersetzung mit der Nominalgruppenkomplexität zu schärfen, sollen doch zunächst allgemeine Möglichkeiten der Aus‐ richtung eines Komplexitätsbegriffs in den Blick genommen werden. Aufschlussreich ist dafür die Modellierung verschiedener Möglichkei‐ ten durch Pohl (2017: 253): 1. Komplexität als Menge Komplexität durch Addition 2. Komplexität als Unterschiede Komplexität durch Substitution 3. Komplexität als Einbettung Komplexität durch Integration Ein weiterer wichtiger Komplexitätsbegriff, auf den hier Bezug ge‐ nommen werden soll, ist der Begriff der strukturellen Komplexität, der in der Forschungsdiskussion abgegrenzt wird von Systemkomplexität (vgl. dazu Dahl 2004, Fischer 2007 sowie 2017). Laut Fischer betrifft die Systemkomplexität „die in einer Sprache vorhandenen Ressourcen […] und die auf ihnen gründenden Regularitäten“ (2017: 23), es geht also bspw. darum, wie komplex das syntaktische System einer Einzelspra‐ che ist. Strukturelle Komplexität hingegen „betrifft Präsenz von Res‐ sourcen und Regularitäten in Ausdrücken“ (Fischer 2017: 24) bzw. Äu‐ ßerungen und Texten, es geht also um die Frage, inwieweit von den systematischen Möglichkeiten in Ausdrücken, Äußerungen und Tex‐ ten Gebrauch gemacht wird. Als ein Indiz für strukturelle Komplexität benennt Fischer den Beschreibungsaufwand (2007: 361). Einige der im Exkurs zum Komplexitätsbegriff zusammengeführten Über‐ legungen und Ansätze seien nun auf die Frage angwendet, was nominale 153 Nominale vs. verbale Komplexität 153 18270_Hennig_Bel.indd 153 18270_Hennig_Bel.indd 153 05.02.2020 11: 02: 17 05.02.2020 11: 02: 17 Komplexität eigentlich ausmacht. Dabei greifen wir insbsondere auf die Un‐ terscheidung von Komplexität durch Addition, Substitution und Integration durch Pohl (2007) zurück sowie auf die Überlegungen zur strukturellen Komplexität durch Fischer (2017). ‚Komplexität durch Addition‘ ist auf den ersten Blick ersichtlich: Die No‐ minalgruppe in Beispiel (1) ist sehr lang (siehe die oben aufgeführten Zah‐ len). Ihre Länge entsteht durch die Addition immer weiterer Attribute, ins‐ besondere Genitiv- und Präpositionalattribute. Da die Attribute aber streng genommen nicht nur einfach addiert werden, sondern sich auch wiederum aufeinander beziehen, kann man auch von einer ‚Komplexität durch Inte‐ gration‘ sprechen. Integration ist dabei aber nicht mit Subordination gleich‐ zusetzen, auch wenn die sehr gleichmäßige Unterordnung der Attribute (vgl. die Analyse in Abbildung 8) diesen Eindruck entstehen lässt. Integration bedeutet hier zunächst einmal, dass Informationen, die im Verbalstil auf Satzebene realisiert werden, in eine Nominalgruppe integriert werden. In‐ sofern hängt ‚Komplexität durch Integration‘ aufgrund unseres Verständ‐ nisses von Nominalstil als komplementärer Variante zu Verbalstil stark mit ‚Komplexität durch Substitution‘ zusammen: Die Komplexität kommt hier durch einen Ersatz verbaler Organisationsformen durch nominale zustande. Ein Vergleich des Beispiels mit einer verbalen Variante soll das illustrieren: (1‘) Die SPD wäre gut beraten, die Sache genau zu studieren, manches davon könnte ihr in [den Gesprächen wieder begegnen, die kommen sollen, in denen angebahnt werden soll, wie man sondieren kann, wie man herbei‐ führen kann, dass über eine Koalition verhandelt wird, wodurch ermöglicht werden soll, dass Schwarz-rot regieren]. In eckigen Klammern ist hier derjenige Teil gesetzt, der die komplexe No‐ minalgruppe in (1) ersetzt. Ein Vergleich ergibt: ▸ (1) enthält 18 Wortformen, (1‘) 33 Wortformen; ▸ (1) enthält 7 Nomen, (1‘) 2 Nomen; ▸ (1) enthält 1 finites Verb, (1‘) 8 finite Verben; ▸ bei (1) handelt es sich um einen einfachen Satz, d. h., er enthält keine Nebensätze. (1‘) entgegen enthält sieben Nebensätze; ▸ es gibt in (1‘) nur noch Attributsätze und keine Genitiv- und Partizi‐ pialattribute mehr. 154 Nominale Komplexität 154 18270_Hennig_Bel.indd 154 18270_Hennig_Bel.indd 154 05.02.2020 11: 02: 17 05.02.2020 11: 02: 17 Auffällig ist vor allem die hohe Anzahl an finiten Verben und an Nebensätzen im Komplementärbeispiel. Das verstärkt den Eindruck einer komplemen‐ tären Beziehung von Attributen und Nebensätzen, den wir bereits im Kapitel „Satzbaupläne und Nominalgruppenbaupläne“ mit Rückgriff auf Pohl (2007) und Möslein (1981) besprochen haben: Wenn wir bei der Überführung einer komplexen Nominalgruppe in eine verbale Struktur dabei bleiben wollen, alle Informationen in einem Satz unterzubringen, erhalten wir automatisch einen Satz mit mehreren Nebensätzen. Wenn man Nebensätze als Indiz für Satzkomplexität ansieht, folgt daraus, dass auch (1‘) eine komplexe Struktur hat. Bei der Substitution einer verbalen Struktur wie in (1‘) durch eine no‐ minale wie in (1) wird also nicht Komplexität erst aufgebaut, sondern es findet eine Substitution verbaler Komplexität durch nominale Komplexität statt, Satzkomplexität wird durch „Satzgliedkomplexität“ (Pohl 2007: 408) ersetzt. Halten wir fest: Im Grunde genommen ergibt sich eine Präzisierung des Eindrucks, die Nominalgruppe in (1) sei komplex, durch eine integrative Betrachtung der drei von Pohl vorgeschlagenen Komplexitätsbegriffe: Kom‐ plexität entsteht also sowohl durch Addition als auch durch Substitution und Integration. Es geht hier also nicht darum, diese drei Komplexitätsbe‐ griffe gegeneinander auszuspielen oder eine Festlegung auf einen der drei Begriffe zu treffen. Es ist in diesem Studienbuch bereits an mehreren Stellen herausgearbeitet worden, dass Attribute eine Schlüsselrolle bei der Überführung von Verbal‐ stil in Nominalstil einnehmen. Folglich bedeutet nominale Komplexität im‐ mer auch Attribuierungskomplexität. Wir wollen deshalb nun noch einen genaueren Blick auf komplexe Attributsstrukturen werfen und darauf den Begriff der strukturellen Komplexität anwenden. Wir greifen dabei erneut auf den Text ‚Patentrecht‘ zurück, der bereits im Kapitel „Nominalstil im engeren und weiteren Sinne“ als Anschauungsmaterial gedient hat. (1) Eine Erfindung gilt als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Der Stand der Technik umfaßt alle Kenntnisse, die vor [dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag] 1 durch [schriftliche oder mündliche Beschreibung] 2 , durch Benutzung oder in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wor‐ den sind. 155 Nominale vs. verbale Komplexität 155 18270_Hennig_Bel.indd 155 18270_Hennig_Bel.indd 155 05.02.2020 11: 02: 17 05.02.2020 11: 02: 17 (2) Als Stand der Technik gilt auch [der Inhalt folgender Patent‐ anmeldungen mit älterem Zeitrang] 3 , die erst an oder nach [dem für den Zeitrang der jüngeren Anmeldung maßgeblichen Tag] 4 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind: 1. [der nationalen Anmeldungen in der beim Deutschen Patentamt ursprünglich eingereichten Fassung] 5 ; 2. [der europäischen Anmeldungen in der bei der zustän‐ digen Behörde ursprünglich eingereichten Fassung] 6 , wenn mit der Anmeldung für die Bundesrepublik Deutschland Schutz begehrt wird und die Benennungsgebühr für die Bun‐ desrepublik Deutschland nach Artikel 79 Abs. 2 des Europäi‐ schen Patentübereinkommens gezahlt ist und, wenn es sich um eine Euro-PCT-Anmeldung (Artikel 153 Abs. 2 des Europäi‐ schen Patentübereinkommens) handelt, die in Artikel 153 Abs. 5 des Europäischen Patentübereinkommens genannten Vor‐ aussetzungen erfüllt sind; 3. [der internationalen Anmeldungen nach dem Patentzu‐ sammenarbeitsvertrag in der beim Anmeldeamt ur‐ sprünglich eingereichten Fassung] 7 , wenn für die Anmel‐ dung das Deutsche Patentamt Bestimmungsamt ist. Zur detaillierten Attributanalyse sei auf Tabelle 5 verwiesen. Hier soll es vor allem darum gehen, welche Phänomene insbesondere zur Addition und In‐ tegration von Attributen beitragen, deswegen werden hier nur einige attri‐ buierte Nominalgruppen herausgegriffen. ‚Addition‘ soll hier in Bezug auf die Attributanalyse zunächst als Verfahren zur Erhöhung der Menge an At‐ tributen beschrieben werden. Die fett markierten Nominalgruppen stellen die Analyseeinheiten für die folgende Diskussion dar. Streng genommen ist Nominalgruppe 4 Bestandteil von Nominalgruppe 3, weil sie sich in einem Relativsatz befindet, der sich auf ein Bezugsnomen in 3 bezieht. Außerdem gehören auch die Nominalgruppen 5-7 zur Nominalgruppe 3, da sich die Genitivattribute auf den Kern von 3 ( Inhalt ) beziehen. Im Sinne der besseren Überschaubarkeit werden diese Vereinfachungen hier in Kauf genommen. Der Umfang der im Text fett markierten Nominalgruppen beträgt durch‐ schnittlich 9,1 Wortformen, dabei haben die Nominalgruppen eine durch‐ schnittliche lexikalische Dichte von 5,4 im Sinne von Pohl (2007), d. h. der 156 Nominale Komplexität 156 18270_Hennig_Bel.indd 156 18270_Hennig_Bel.indd 156 05.02.2020 11: 02: 17 05.02.2020 11: 02: 17 Anteil der lexikalischen Wörter (Adjektive, Adverbien, Verben, Nomen) be‐ trägt durchschnittlich 5,4. Das Verhältnis von 9,1 zu 5,4 bedeutet, dass der Anteil der lexikalischen Wörter bei 59,4% liegt. Viel höher wird der Wert kaum steigen, denn die grammatischen Wörter werden ja benötigt, um be‐ stimmte Beziehungen herzustellen oder Kategorien zu realisieren, wie am Beispiel von Nominalgruppe 6 demonstriert werden soll: Diese Nominal‐ gruppe umfasst neben sieben lexikalischen Wörtern die fünf grammatischen Wörter der, in, der, bei, der. Aufschlussreich ist hier die Häufung der gram‐ matischen Wörter in in der bei der. Diese Häufung lässt sich wie folgt erklä‐ ren: Mit der Präposition in wird die Nominalgruppe mit der als Artikel (Kopf) und Fassung als Kern als Attribut an das Nomen Anmeldungen ange‐ schlossen. Die Präposition wird also für die Realisierung eines Präpositio‐ nalattributs benötigt. Auf der als Artikel zum Nomen Fassung folgen noch die Präposition bei und der bestimmte Artikel der , weil sich auf Fassung das Partizipialattribut eingereichten bezieht, das wiederum durch bei der zustän‐ digen Behörde erweitert ist. Bei der zuständigen Behörde ist also quasi ein Präpositionalattribut zu eingereichten („quasi“, weil dem ein erweitertes Ver‐ ständnis von Präpositionalattribut zugrunde liegt, in einem Satz mit einrei‐ chen als Verb wäre die Präpositionalgruppe ein lokales Adverbial). Die Prä‐ position wird also wieder zur Realisierung der Präpositionalgruppe benötigt und der bestimmte Artikel als Kopf der Nominalgruppe mit Behörde als Kern. Zur Veranschaulichung sei diese Nominalgruppe einmal im Eisenberg’schen Konstituentenstrukturformat (2013b: 22 ff.) abgebildet: 157 Nominale vs. verbale Komplexität 157 18270_Hennig_Bel.indd 157 18270_Hennig_Bel.indd 157 05.02.2020 11: 02: 18 05.02.2020 11: 02: 18 NGr PrGr Pr NGr N N AdjGr N Adv PrGr Pr NGr N N N N N N der europäischen Anmeldungen in der bei der zuständigen Behörde ursprünglich eingereichten Fassung attr attr attr attr attr attr hd nuk hd nuk h d hd nuk nuk hd nuk Abb. 23: Konstituentenstrukturanalyse von Nominalgruppe 6 158 Nominale Komplexität 158 18270_Hennig_Bel.indd 158 18270_Hennig_Bel.indd 158 05.02.2020 11: 02: 18 05.02.2020 11: 02: 18 Zur Erläuterung der Darstellungsweise sei auf das Kapitel „Grundbegriffe - Attribute“ verwiesen. Als alternatives Analyseangebot wurde dort auch die Dependenzstrukturanalyse nach Eroms (2000) eingeführt. Die Analyse des gleichen Beispiels in diesem Format führt zu folgendem Ergebnis: Det N Adjqual Präp Det N Part II Advmod Präp Det N Adjqual zuständigen der europäischenAnmeldungen in der bei der Behörde ursprünglich eingereichte Fassung Epräp Abb. 24: Dependenzstrukturanalyse von Nominalgruppe 6 Trotz der Unterschiede zwischen den beiden Analyseformaten machen beide anschaulich, dass wir es mit einem hohen Beschreibungsaufwand zu tun ha‐ ben, was wir mit Fischer (2007) als ein Indiz für strukturelle Komplexität ken‐ nengelernt haben. Dabei lässt sich der hohe Beschreibungsaufwand sowohl in Bezug auf den Begriff der Addition als auch der Integration konstatieren: Addition: Der Umfang der Nominalgruppe steigt durch das Hinzufügen von Attributen, die als Wörter oder Wortgruppen realisiert werden: ▸ das Adjektivattribut europäischen (in der Analyse nach Eroms als qua‐ lifikatives Adjektiv gekennzeichnet); ▸ das adverbiale Attribut ursprünglich (in der Analyse nach Eroms als modales Adverbial gekennzeichnet); ▸ das präpositionale Attribut in der bei der zuständigen Behörde ur‐ sprünglich eingereichten Fassung (in der Analyse nach Eroms als lokale Angabe gekennzeichnet); ▸ das Partizipialattribut bei der zuständigen Behörde ursprünglich einge‐ reichten ; 159 Nominale vs. verbale Komplexität 159 18270_Hennig_Bel.indd 159 18270_Hennig_Bel.indd 159 05.02.2020 11: 02: 18 05.02.2020 11: 02: 18 ▸ das präpositionale Attribut bei der zuständigen Behörde (in der Analyse nach Eroms als präpositionale Ergänzung gekennzeichnet); ▸ das Adjektivattribut zuständigen. Durch die Menge der Attribute steigt die lexikalische Dichte und der Umfang der Nominalgruppe. Integration: Auf das Kernnomen Anmeldungen beziehen sich unmittelbar nur das Adjektivattribut europäischen und das Präpositionalattribut in der bei der zuständigen Behörde ursprünglich eingereichten Fassung. Alle weiteren At‐ tribute liegen hierarchisch tiefer, sind also in das Präpositionalattribut einge‐ bettet: Das Partizipialattribut eingereichten bezieht sich auf Fassung , den Kern der von der Präposition in regierten Nominalgruppe. Das Partizipialattribut wiederum wird erweitert durch das präpositionale Attribut bei der zuständigen Behörde sowie das adverbiale Attribut ursprünglich. Auf den Kern der von der Präposition bei regierten Nominalgruppe Behörde wiederum bezieht sich das Adjektivattribut zuständigen. Bei der Attributanalyse ist es üblich, die hierar‐ chischen Abstufungen ebenso wie bei der Nebensatzanalyse mit 1. bis nten Grad zu bezeichnen. Folglich wären die auf Anmeldungen bezogenen Attribute At‐ tribute 1. Grades, das Partizipialattribut ist ein Attribut 2. Grades, die sich auf das Partizipialattribut beziehenden Attribute sind Attribute 3. Grades und das sich auf Behörde beziehende Adjektivattribut schließlich ist ein Attribut 4. Gra‐ des. Wenn man bedenkt, dass es sich bei der gesamten Nominalgruppe ja ei‐ gentlich um ein Genitivattribut zu Inhalt in Nominalgruppe 3 des Beispieltex‐ tes handelt, verschieben sich die gesamten Attribuierungen um jeweils einen weiteren Grad. Die hierarchische Staffelung der Attribution kann als Verfahren der Integration gewertet werden. Kehren wir nun zurück zu den weiteren Beispielen für Nominalgruppen im Text und ausgehend davon zur weiteren Illustration von Additions- und Integrationsphänomenen: Addition durch Koordination gleicher Attribute: Ein Beispiel für eine Attributkoordination liegt in Nominalgruppe 2 vor: schriftliche oder mündliche. Es handelt sich um zwei Attribute gleichen Typs (Adjektivattribute), die durch oder koordiniert werden und damit auf einer Hierarchieebene liegen. Durch die Koordination kommt es zu einer reinen Addition, nicht zu Integration. Ein komplexeres Beispiel für die Attributkoordination besteht hingegen in der Ko‐ ordination der Nominalgruppen 5-7 als Genitivattribute zum Kern Inhalt in Nominalgruppe 3 (auf den sich darüber hinaus auch noch das in Nominal‐ gruppe 3 befindliche Genitivattribut folgender Patentanmeldungen mit älterem 160 Nominale Komplexität 160 18270_Hennig_Bel.indd 160 18270_Hennig_Bel.indd 160 05.02.2020 11: 02: 18 05.02.2020 11: 02: 18 Zeitrang bezieht). Es liegen hier also insgesamt vier gleichrangige, asyndetisch (also ohne Konjunktor) koordinierte Genitivattribute vor. Da diese hier mit dem textuellen Format der Aufzählung verbunden werden, liegt zweifelsohne ein gutes Beispiel dafür vor, dass Addition komplexitätsrelevant ist. Addition durch gleichrangige unterschiedliche Attribute: Ein Bei‐ spiel für gleichrangige Attribute unterschiedlichen Typs liegt in der bereits ausführlicher analysierten Nominalgruppe 3 vor: Das Adjektivattribut eu‐ ropäischen und das Präpositionalattribut in der bei der zuständigen Behörde ursprünglich eingereichten Fassung beziehen sich beide gleichermaßen auf den Kern Anmeldungen. Zwischen ihnen besteht also keine hierarchische Beziehung, sie sind aber auch nicht koordiniert wie die Adjektivattribute in Nominalgruppe 2. Integration durch hierarchische Verknüpfung verschiedener At‐ tribute: Auf dieses Prinzip wurde bereits ausführlicher bei der Analyse von Nominalgruppe 6 eingegangen. Ein weiteres Beispiel dafür findet sich bspw. in Nominalgruppe 3: der Inhalt folgender Patentanmeldungen mit älterem Zeitrang : das Genitivattribut folgender Patentanmeldungen ist Attribut 1. Grades zu Inhalt , das Adjektivattribut folgender und das Präpositionalattri‐ but mit älterem Zeitrang beziehen sich auf Patentanmeldungen , sind also At‐ tribute 2. Grades, das auf Zeitrang bezogene Adjektivattribut älterem schließ‐ lich ist ein Attribut 3. Grades. Integration durch erweiterte Adjektiv- und Partizipialattribute: Zur Erläuterung des Phänomens sei auf das Kapitel „Grammatische Merk‐ male des Nominalstils“ verwiesen. Dort wurde herausgearbeitet, dass es sich insbesondere bei erweiterten Partizipialattributen um einen speziellen, no‐ minalstilträchtigen Attributtyp handelt, weil hier die Verwendung eines Partizips als ein Adjektiv, das wie ein Attribut dekliniert wird, dazu führt, dass Ergänzungen und Angaben des dem Partizip zugrunde liegenden Voll‐ verbs quasi im Schlepptau in die Nominalgruppe mitgeführt werden. So veranschaulicht die Dependenzstrukturanalyse von Nominalgruppe 6 in Abbildung 24, dass die Präpositionalgruppe bei der zuständigen Behörde den Status einer präpositionalen Ergänzung zu eingereichten hat und ursprüng‐ lich quasi ein recycletes modales Adverbial zu eingereichten ist. Weitere er‐ weiterte Partizipialattribute im Beispieltext sind: beim Deutschen Patentamt ursprünglich eingereichten; in Artikel 153 Abs. 5 des Europäischen Patent‐ übereinkommens genannten; beim Anmeldeamt ursprünglich eingereichten (vgl. Tabelle 5). 161 Nominale vs. verbale Komplexität 161 18270_Hennig_Bel.indd 161 18270_Hennig_Bel.indd 161 05.02.2020 11: 02: 19 05.02.2020 11: 02: 19 Die Beispieldiskussion sollte illustrieren, dass eine nominalstilistische Realisierung von Satzinhalten zu einem starken Ausbau von Nominalgrup‐ pen und damit zu einer Steigerung nominaler Komplexität führen kann. Die Attribution nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein. Dabei dürfte auch nach‐ vollziehbar sein, dass Komplexität ein relationaler Begriff ist (vgl. Pohl 2017: 253, Zeman 2017: 56): Der Komplexitätsgrad steigt zweifelsohne mit der Anzahl der Attribute sowie ihrer Einbettungstiefe. Daraus ergibt sich die Frage: Ab wann haben wir es mit Komplexität zu tun? Wie hoch muss die Anzahl der Attribute sein und welche Eigenschaften müssen sie haben, da‐ mit wir von einer komplexen Nominalgruppe sprechen können? Eine Mög‐ lichkeit besteht darin, verschiedene Analyseparameter festzulegen, um so‐ mit zu einem umfassenden Bild der Attribuierungskomplexität zu gelangen. Diesen Weg geht Mertzlufft (2013), die in ihrer kontrastiven Studie zu no‐ minaler Komplexität in deutschen und schwedischen Behördentexten mit insgesamt 15 Variablen arbeitet (u. a. Häufigkeit der pränuklearen und post‐ nuklearen Erweiterungen, Verhältnis adjektivische Attribute und substan‐ tivische Attribute, Einbettungstiefe, Umfang der Nominalgruppe; vgl. Mertzlufft 2013: 230 ff.). Wenn man von einer solchen Analyse von Variablen zu Schlussfolgerungen zur Komplexität gelangen will, muss man festlegen, genau welche Ausprägungen der Variablen gegeben sein müssen, damit man die Attribuierung als komplex bezeichnen kann. Sind z. B. bestimmte Attri‐ buttypen komplexer als andere? Ab welchem Grad der Einbettung kann man von Komplexität sprechen? Einfacher ist es, ein Grundverständnis von kom‐ plexer Attribution festzulegen. Zwar handelt es sich dabei dann um eine axiomatische Setzung, solche Setzungen erweisen sich aber häufig als hilf‐ reiche Grundlagen für weiterführende Überlegungen und Analysen. Wir folgen hier der Begriffsbestimmung von Lötscher: Unter komplexer Attribuierung wird im Folgenden eine Attributstruktur ver‐ standen, bei der eine Nominalgruppe mindestens ein komplexes Attribut (NG oder AdjG mit zusätzlicher Einbettung) oder mindestens zwei (einfache oder komplexe) nominale Attribute in pränuklearer oder in postnuklearer Position (koordiniert oder parallel) enthält. (Lötscher 2016: 359) Mit anderen Worten: Es müssen mindestens zwei Attribute vorhanden sein, damit von Attribuierungskomplexität bzw. einer komplexen Nominal‐ gruppe gesprochen werden kann. Das passt zu dem u. a. von Pohl vertrete‐ nen Grundgedanken, dass wir es bei Komplexitätsfragen immer mit einem „Mehr an“ zu tun haben (2017: 253). In diesem Sinne haben wir quasi „au‐ 162 Nominale Komplexität 162 18270_Hennig_Bel.indd 162 18270_Hennig_Bel.indd 162 05.02.2020 11: 02: 19 05.02.2020 11: 02: 19 tomatisch“ bei der Diskussion der Additions- und Integrationsphänomene im Beispieltext immer das Verhältnis mehrerer Attribute zueinander disku‐ tiert. Dass mehrere Attribute in Beziehung zueinander treten können und dass damit eine Grundlage für nominale Komplexität geschaffen wird, ist aber nicht erst seit der jüngeren Komplexitätsdiskussion bekannt. Bewährt hat sich m. E. die Annahme von drei Grundtypen komplexer Attribution, die Jürgen Erich Schmidt folgendermaßen zusammenfasst: 1. Koordination: Ein Attribut ist mit einem weiteren Attribut, das eine identische Position innerhalb der Dependenzstruktur einnimmt, entwe‐ der a) durch nebenordnende Konjunktionen ( und, aber …) verbunden oder b), wenn diese fehlen, verbindbar (= asyndetische Koordination). Die Attribute sind permutierbar, ohne daß sich hieraus Bedeutungsdif‐ ferenzen ergeben. (Schmidt 1993: 80) der Mann mit dem alten Hut und dem neuen Fahrrad 2. Unterordnung: Regens eines Attributs ist ein Attribut; ein Attribut der Abhängigkeitsstufe n + 1 ist Dependens eines Attributs mit Abhän‐ gigkeitsstufe n. (Schmidt 1993: 81) der Mann mit dem alten Hut aus Stroh 3. Gleichrangigkeit: Zwei nichtkoordinierte Attribute sind Depen‐ dentien desselben Regens. (Schmidt 1993: 81) der Mann aus Spanien mit dem alten Hut Wie man an Termini wie Dependens und Regens sieht, erfolgt die Begriffs‐ bestimmung bei Schmidt im Rahmen der Dependenzgrammatik. Ob tat‐ sächlich alle Attribute regiert sind, ist eine grammatiktheoretische Frage, die für unsere Zwecke nicht weiter verfolgt werden muss. Wenn im vorliegenden Studienbuch von einer Komplementarität von No‐ minalstil und Verbalstil ausgegangen wird, führt das zu der Hypothese, dass sich auch nominale und verbale Komplexität komplementär zueinander ver‐ halten könnten. Dementsprechend müssten auch für Satzkomplexität die gleichen drei Grundtypen für das Auftreten mehrerer Nebensätze ange‐ nommen werden können. Im Sinne einer Vergleichbarkeit von nominaler 163 Nominale vs. verbale Komplexität 163 18270_Hennig_Bel.indd 163 18270_Hennig_Bel.indd 163 05.02.2020 11: 02: 19 05.02.2020 11: 02: 19 und verbaler Komplexität übertragen wir den Grundgedanken von Lötscher zur Attribuierungskomplexität auf Nebensatzkomplexität: Ein Satzgefüge ist dann komplex, wenn es mindestens zwei Nebensätze enthält. In Analogie zu den angenommenen drei Grundtypen nominaler Komplexität (= Satz‐ gliedbinnenkomplexität) können die drei Grundtypen verbaler Komplexität (= Satzkomplexität) wie folgt bestimmt werden: 1. Koordination: Ein Nebensatz ist mit einem weiteren Nebensatz, der eine identische Position innerhalb der Dependenzstruktur einnimmt, entweder a) durch nebenordnende Konjunktionen ( und, aber …) ver‐ bunden oder b), wenn diese fehlen, verbindbar (= asyndetische Koordi‐ nation). Die Nebensätze sind permutierbar, ohne dass sich hieraus Be‐ deutungsdifferenzen ergeben. Weil die Sonne scheint und die Vögel zwitschern, fährt der Mann mit dem Fahrrad. 2. Unterordnung: Regens eines Nebensatzes ist ein Nebensatz; ein Ne‐ bensatz der Abhängigkeitsstufe n + 1 ist Dependens eines Nebensatzes mit Abhängigkeitsstufe n. Weil die Sonne endlich scheint, nachdem sie zwei Wochen nicht zu sehen war, fährt der Mann Fahrrad. 3. Gleichrangigkeit: Zwei nichtkoordinierte Nebensätze sind Depen‐ dentien desselben Regens. Weil die Sonne scheint, fährt der Mann Fahrrad, um fitter zu werden. Auch hier gilt, dass die Einordnung der Einschätzung, dass jeder Nebensatz regiert sei, eine genauere Auseinandersetzung mit dem Rektionsbegriff er‐ forderlich machen würde, auf die wir hier verzichten können. Es wurde die gleiche Terminologie wie bei Schmidt gewählt, um dadurch die Parallelität der Attribuierungs- und der Nebensatzkomplexität abzubilden. Die folgende Übersicht fasst die Parallelisierung der Grundtypen zusammen: 164 Nominale Komplexität 164 18270_Hennig_Bel.indd 164 18270_Hennig_Bel.indd 164 05.02.2020 11: 02: 19 05.02.2020 11: 02: 19 Unterordnung Koordination Gleichstufigkeit Satz Weil die Sonne endlich scheint, nachdem sie zwei Wochen nicht zu sehen war, fährt der Mann Fahrrad. Weil die Sonne scheint und die Vögel zwitschern, fährt der Mann Fahrrad. Weil die Sonne scheint, fährt der Mann Fahrrad, um fitter zu werden. Nominalgruppe Der Mann mit dem alten Hut aus Stroh geht spazieren. Der Mann mit dem alten Hut und dem neuen Fahrrad geht spazieren. Der Mann aus Spanien mit dem alten Hut geht spazieren. Abb. 25: Grundtypen nominaler und verbaler Komplexität Auffällig ist hier, dass die Koordination sowohl auf Satzals auch Nominal‐ gruppenebene dazu führt, dass auf die zweifache Realisierung gleicher Ele‐ mente verzichtet werden kann: Im Beispiel zur Koordination von Neben‐ sätzen wird der Subjunktor weil nur einmal realisiert, im Beispiel zur Koordination von Attributen die Präposition mit. In Bezug auf das Nomi‐ nalgruppenbeispiel könnte man nun diskutieren, ob nun tatsächlich zwei koordinierte Attribute vorliegen oder eine Kernkoordination innerhalb ei‐ nes Präpositionalattributs (vgl. Lotzow 2015). Da es sich unabhängig davon um Komplexitätssteigerung durch Koordination auf Attributebene handelt, sei diese Ambiguität hier in Kauf genommen. Anwendung: Textanalyse Mit der Analyse von zwei Textausschnitten soll nun illustriert werden, wel‐ chen Einfluss die Nutzung der Grundtypen nominaler und verbaler Kom‐ plexität auf die Textgestaltung haben kann. Dabei wird auf Textbeispiele aus dem Bereich der Wissenschaftssprache zurückgegriffen, weil es sich dabei um eine kommunikative Domäne handelt, der gemeinhin eine Neigung zur Komplexität nachgesagt wird. Das (nicht überraschende) Ergebnis sei be‐ reits vorweggenommen: Der gegenwartssprachliche Text des Soziologen Robert Gugutzer erweist sich als vorrangig nominal organisiert, der Text von Immanuel Kant aus dem 18. Jahrhundert hingegen als verbal organisiert. 165 Anwendung: Textanalyse 165 18270_Hennig_Bel.indd 165 18270_Hennig_Bel.indd 165 05.02.2020 11: 02: 19 05.02.2020 11: 02: 19 Wir beginnen mit der Analyse des Texts von Gugutzer, mit der illustriert werden soll, wie die drei Grundtypen der Komplexität zur nominalen Kom‐ plexität und somit zum Nominalstilcharakter eines Textes beitragen. Die komplexen Attribuierungen werden folgendermaßen gekennzeichnet: unterstrichen = Gleichrangigkeit kursiv = Unterordnung fett = Koordination Dabei werden immer mindestens zwei Attribute auf diese Weise gekennzeich‐ net. Damit nachvollzogen werden kann, auf welchen Kern sie sich beziehen bzw. welcher Nominalgruppe sie zuzuordnen sind, werden die Nominalgrup‐ pen mit eckigen Klammern eingegrenzt. Dabei kann es durchaus vorkom‐ men, dass in einer Nominalgruppe mehrere Komplexitätstypen kombiniert sind. Da das dazu führt, dass die hier gewählte Form der Kennzeichnung mit Unterstreichung, Kursivsetzung und Fettdruck die Verhältnisse nicht exakt abbilden kann und sicherlich auch Einschränkungen in der Übersichtlichkeit vorliegen, findet sich im Anhang mit den Tabellen A4 und A5 eine ausführli‐ che Analyse der vorkommenden Attribuierungskomplexität. Der Text enthält 305 Wortformen, und zwar ohne Zitatnachweise. Sie wur‐ den durchgestrichen, weil sie in die Analyse nicht mit einbezogen wurden. Robert Gugutzer 2017: Leib und Situation Seit [den grundlagentheoretischen Arbeiten von Alfred Schütz] zählt die Phänomenologie zu [den wichtigsten philosophischen Diszipli‐ nen] innerhalb der Soziologie. Neben [ihrer fundamentalen Bedeu‐ tung für die im Anschluss an Schütz so genannte phänomenologische Soziologie ] zeigt sich der Einfluss der Phänomenologie besonders in der Ethnomethodologie, der Wissenssoziologie und [der Methodo‐ logie qualitativer Sozialforschung ], aber auch in Luhmanns System‐ theorie, Habermas’ Kritischer Theorie oder Giddens’ Strukturati‐ onstheorie hat sie Eingang gefunden. Auffällig ist dabei, dass [die soziologische Auseinandersetzung mit der phänomenologischen Philosophie ] auf [einen engen Kreis an Autoren und Themen] begrenzt ist. Seit [den wegweisenden Untersuchungen von Schütz] bildet die Transzendentalphänomenologie von Edmund Husserl [den unumstrittenen Referenzpunkt für die Soziologie] (vgl. 166 Nominale Komplexität 166 18270_Hennig_Bel.indd 166 18270_Hennig_Bel.indd 166 05.02.2020 11: 02: 20 05.02.2020 11: 02: 20 Schütz 1960, 1971a, 1971b). [Kernthemen der durch Husserl inspirierten phänomenologischen Soziologie ] sind [die bewusstseinsmäßige Konsti‐ tution sinnhaften Handelns ] und [die soziale, vor allem wissensba‐ siert-kommunikative Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit ], [die Problematik des Fremdverstehens und der Intersubjektivität] sowie die Lebensweltthematik. In Fortführung der Husserl-Schütz-Tra‐ dition präsentiert sich die phänomenologische Soziologie gegenwärtig vor allem als Lebenswelt-, Alltags- und Wissenssoziologie (vgl. die Übersichten in Bühl 2002; Eberle 2012; Fischer 2012; Knoblauch 2009; Raab et al. 2008; für den angloamerikanischen Raum siehe Bird 2009; Ferguson 2006; Nasu 2012). Neben Husserls Transzendentalphänomenologie dürfte die Wahr‐ nehmungsphänomenologie von Maurice Merleau-Ponty [die von der Soziologie bevorzugteste phänomenologische Philosophie] sein. Die Soziologie rekurriert auf Merleau-Ponty insbesondere dann, wenn [das Verhältnis von Leiblichkeit / Sinnlichkeit und Intersubjek‐ tivität / Sozialität] in Frage steht. Das soziologische Interesse gilt hierbei vor allem [Merleau-Pontys Konzept der „Zwischenleiblich‐ keit“] (Merleau-Ponty 1994: 185), das vorzugsweise für [eine Kritik an Schütz’ egologischem Ansatz ] und die Entwicklung einer Sozialitätstheorie genutzt wird, deren Fundament die fungierende Leib‐ lichkeit ist: Der Leib als Medium des Handelns und als [Vermittler zwischen Ich und Welt] (vgl. exemplarisch Bongaerts 2003; Coenen 1985a, 1985b; Crossley 1995, 1996; Fischer 2003; Meyer-Drawe 1984; Taylor 1986). Des Weiteren finden [ Merleau-Pontys leibphänomeno‐ logische Überlegungen] große Resonanz i[m Kontext der jüngeren Körpersoziologie ], allen voran in [den Diskussionen um eine körper‐ basierte, embodied sociology ] (als Überblick siehe Alkemeyer 2015; Gugutzer 2012, 2015a). Verglichen mit [dem zentralen Stellenwert der Phänomenologien von Husserl und Merleau-Ponty] sind [jene von Scheler, Heidegger, Sartre, Levians, Ricoeur oder Waldenfels] wie auch [die derzeit be‐ sonders populäre „enactive phenomenology“ von Gallagher] soziolo‐ gisch randständig. Nahezu außerhalb des Wahrnehmungsfeldes der Soziologie befindet sich schließlich die Neue Phänomenologie von Hermann Schmitz (*1928). 167 Anwendung: Textanalyse 167 18270_Hennig_Bel.indd 167 18270_Hennig_Bel.indd 167 05.02.2020 11: 02: 20 05.02.2020 11: 02: 20 Der große Anteil an Markierungen im Text lässt auf den ersten Blick erken‐ nen, dass von der Möglichkeit komplexer Attribution hier umfassend Ge‐ brauch gemacht wird: Der Text enthält 23 Fälle von Unterordnung, 8 Fälle von Koordination und 12 Fälle von Gleichrangigkeit. Bei 305 Wortformen und insgesamt 43 Belegen für Attribuierungskomplexität bedeutet das, dass auf jedes siebente Wort ein solches Phänomen kommt. Wie bereits ange‐ deutet, können dabei mehrere Komplexitätsformen in einer Nominalgruppe kombiniert werden: (46) ihrer fundamentalen Bedeutung für die im Anschluss an Schütz so genannte phänomenologische Soziologie In diesem Beispiel beziehen sich das Adjektivattribut fundamentalen und das Präpositionalattribut für die im Anschluss an Schütz so genannte phänome‐ nologische Soziologie gleichrangig auf den Kern Bedeutung. Der nominale Kern des Präpositionalattributs Soziologie ist durch das Adjektivattribut phänomenologische erweitert - der erste Fall von Unterordnung. Weitere untergeordnete Attribute sind so , genannte , im Anschluss und an Schütz : Det N Adjqual Part II Advmod Präp Det N Präp N die i/ m Anschluss Schütz an so genannte phänomenologische Soziologie Epräp Abb. 26: Dependenzstrukturanalyse von Beispiel (46) 168 Nominale Komplexität 168 18270_Hennig_Bel.indd 168 18270_Hennig_Bel.indd 168 05.02.2020 11: 02: 20 05.02.2020 11: 02: 20 Außer den beiden Rektionsverhältnissen (die Abhängigkeiten von den bei‐ den Präpositionen i[n] und an ) sind alle Unterordnungen attributive Unter‐ ordnungen. Da für die im Anschluss an Schütz so genannte phänomonologische Soziologie , die die hier analysierte Nominalgruppe enthält, ja selbst bereits Attributstatus hat, enthält das Beispiel folglich fünf Unterordnungsphäno‐ mene: Das Adjektivattribut phänomenologische ist dem Präpositionalattribut untergeordnet, das Partizipialattribut im Anschluss an Schütz so genannte dem Adjektivattribut, das Präpositionalattribut im Anschluss dem Partizipi‐ alattribut und das Präpositionalattribut an Schütz dem zuvor genannten Präpositionalattribut. Interessant ist noch das Wörtchen so : Es wurde hier als adverbiales Attribut zum Partizipialattribut analysiert. Sogenannt kann im Gegenwartsdeutschen aber auch zusammengeschrieben werden, was darauf hindeutet, dass es als ein konventionalisiertes Lexem interpretiert wird - so kann dann nicht mehr als adverbiales Attribut interpretiert wer‐ den. Die Konsequenz der Analyse von so als adverbiales Attribut ist auch, dass es mit dem Präpositionalattribut im Anschluss gleichrangig ist. Die Kombinierbarkeit verschiedener Attributs- und Komplexitätstypen sei noch an zwei weiteren Beispielen illustriert: (47) die soziale, vor allem wissensbasiert-kommunikative Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit (48) dem zentralen Stellenwert der Phänomenologien von Husserl und Mer‐ leau-Ponty Beide Beispiele enthalten Phänomene der drei Grundtypen von Attribuie‐ rungskomplexität. Gleichrangig sind in beiden Fällen ein pränominales Ad‐ jektivattribut und ein postnominales Genitivattribut. Im ersten Beispiel lie‐ gen genau genommen zwei pränominale Adjektivattribute vor, denn da diese asyndetisch koordiniert sind, sind beide gleichrangig mit dem post‐ nominalen Genitivattribut. Im ersten Beispiel wird wissensbasiert-kommu‐ nikative als ein Adjektiv gewertet: Die Bindestrichschreibung kann als Indiz für den Status als ad-hoc-Kompositum betrachtet werden. Vor allem wird hier nicht in die Attributanalyse einbezogen, weil es nicht als Erweiterung zu einem Bezugswort betrachtet wird, sondern als ein verknüpfendes Ele‐ ment zwischen den beiden Adjektivattributen, als explikativer Junktor. Auf dieses Phänomen wird im Kapitel „Verknüpfungen im Bereich der Attribu‐ tion“ genauer eingegangen werden. Das erste Beispiel enthält außerdem noch einen Beleg für Unterordnung, da das Adjektivattribut gesellschaftli‐ 169 Anwendung: Textanalyse 169 18270_Hennig_Bel.indd 169 18270_Hennig_Bel.indd 169 05.02.2020 11: 02: 20 05.02.2020 11: 02: 20 cher dem Genitivattribut mit dem Kern Wirklichkeit untergeordnet und so‐ mit ein Attribut zweiten Grades ist. Im zweiten Beispiel ist dem Genitivat‐ tribut ein Präpositionalattribut als Attribut zweiten Grades untergeordnet. Eine syndetische Koordination findet sich hier im Bereich des nominalen Kerns des Präpositionalattributs. Die Ausführungen zu den Beispielen mit verschiedenen Kombinationen von Komplexitätsphänomenen machen auch deutlich, dass es Sinn ergibt, von „Grundtypen“ zu sprechen: Die Grundtypen bilden ja nur die Aus‐ gangskonstellationen der Verknüpfung von zwei Attributen ab. Wie wir gesehen haben, können in einer Nominalgruppe jedoch deutlich mehr At‐ tribute kombiniert werden. Im Sinne des Gedankens der grundlegenden Re‐ lationalität der Komplexität gilt auch hier: Umso mehr Attribute kombiniert werden, desto höher die Komplexität. Für unsere Zwecke bilden aus meiner Sicht die drei Grundtypen eine aus‐ reichende Grundlage. So möchte ich die drei Grundtypen der Attribuie‐ rungskomplexität nun - ganz im Sinne des Grundgedankens der Komple‐ mentarität von Nominalstil und Verbalstil - für eine Gegenüberstellung von nominaler Komplexität und Satzkomplexität nutzen. Damit knüpfe ich er‐ neut an die bereits in den vorhergehenden Kapiteln ausgeführte Überlegung an, dass ein Ausbau nominaler Organisationsformen zu einem Abbau ver‐ baler Satzorganisation führen dürfte. Somit wäre auch anzunehmen, dass es eine Komplementarität von verbaler und nominaler Komplexität gibt, dass ein Text also nicht auch noch verbalstilistisch komplex sein muss, wenn er bereits im nominalen Bereich eine hohe Komplexität aufweist. Diese An‐ nahme bestätigt sich in Bezug auf diesen Text: Von 13 Sätzen sind nur drei Sätze Satzgefüge. Zwei der Satzgefüge enthalten nur einen Nebensatz, das dritte zwei. Trotzdem beträgt die durchschnittliche Satzlänge immerhin 23,4 Wortformen. Im Vergleich zu den Angaben zur Satzlänge bei von Polenz (1984) und Möslein (1981) erscheint das recht hoch: Der Beispieltext von von Polenz aus dem 20. Jahrhundert (Habermas) enthielt durchschnittlich 17,7 Wörter pro Satz. Möslein ermittelte für den Zeitraum 1960 einen Durch‐ schnitt von 19,90 Wörtern, für 1770 einen Durchschnitt von 24,50. Wieso also entspricht unser Text in dieser Hinsicht eher den von Möslein unter‐ suchten Texten von 1770? Die hohe Satzlänge hängt m. E. mit einer Neigung zu Aufzählungen bzw. Koordinationen zusammen, wie das folgende Beispiel illustriert: 170 Nominale Komplexität 170 18270_Hennig_Bel.indd 170 18270_Hennig_Bel.indd 170 05.02.2020 11: 02: 21 05.02.2020 11: 02: 21 (49) [Kernthemen der durch Husserl inspirierten phänomenologischen Soziologie ] sind [die bewusstseinsmäßige Konstitution sinnhaften Handelns ] und [die soziale, vor allem wissensbasiert-kommunikative Konstruktion ge‐ sellschaftlicher Wirklichkeit ], [die Problematik des Fremdverstehens und der Intersubjektivität] sowie die Lebensweltthematik. Der Satz hat eigentlich eine ganz einfache Grundstruktur: Subjekt, Prädi‐ kat, Subjektsprädikativ. Das Subjektsprädikativ besteht aus vier koordinier‐ ten Nominalgruppen. Wenn man den Pohl’schen Komplexitätsbegriff ‚Kom‐ plexität als Addition‘ ansetzt, so erweist sich Koordination also durchaus als komplexitätsrelevant (vgl. Hennig / Emmrich / Lotzow 2017). Ob die Nei‐ gung zu einem Satzausbau durch Koordination typisch für die Wissen‐ schaftssprache ist, kann hier aber nicht nebenbei beantwortet werden. Im Sinne des Grundgedankens eines phylogenetischen Vorher-Nachher wird nun auf einen Wissenschaftstext aus dem 18. Jahrhundert zurückge‐ griffen, und zwar Immanuel Kants Prolegomena. Der Textabschnitt enthält 303 Wortformen. Es werden die gleichen formalen Mittel zur Kennzeichnung der drei Grundtypen genutzt. Die Virgeln ( / ) wurden an kritischen Stellen zur Kennzeichnung der Grenze grammatischer Sätze hinzugefügt. Als Ne‐ bensatz wurde jeder Teilsatz mit einer syntaktischen Funktion in Bezug auf den übergeordneten Teilsatz verstanden, unabhängig von der formalen Rea‐ lisierung (d. h., auch Infinitivkonstruktionen und uneingeleitete Nebensätze wurden als Nebensätze analysiert). Auch zu diesem Text bietet der Anhang mit Tabelle A6 eine ausführlichere Form der Analyse. Immanuel Kant 1783: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können Es gibt Gelehrte, denen die Geschichte der Philosophie (der alten sowohl als neuen) selbst ihre Philosophie ist, / vor diese sind gegen‐ wärtige Prolegomena nicht geschrieben. Sie müssen warten, bis die‐ jenigen, die aus den Quellen der Vernunft selbst zu schöpfen bemühet sind, ihre Sache werden ausgemacht haben , / und alsdenn wird an ih‐ nen die Reihe sein, von dem Geschehenen der Welt Nachricht zu geben. Widrigenfalls kann nichts gesagt werden, was ihrer Meinung nach nicht schon sonst gesagt worden ist, / und in der Tat mag dieses auch als eine untrügliche Vorhersagung vor alles Künftige gelten; / 171 Anwendung: Textanalyse 171 18270_Hennig_Bel.indd 171 18270_Hennig_Bel.indd 171 05.02.2020 11: 02: 21 05.02.2020 11: 02: 21 denn, da der menschliche Verstand über unzählige Gegenstände viele Jahrhunderte hindurch auf mancherlei Weise geschwärmt hat, so kann es nicht leicht fehlen, daß nicht zu jedem Neuen etwas Altes gefunden werden sollte, was damit einige Ähnlichkeit hätte. Meine Absicht ist, alle diejenigen, so es wert finden, sich mit Meta‐ physik zu beschäftigen, zu überzeugen: daß es unumgänglich notwen‐ dig sei, ihre Arbeit vor der Hand auszusetzen, alles bisher Ge‐ schehene als ungeschehen anzusehen, und vor allen Dingen zuerst die Frage aufzuwerfen: „ob auch so etwas, als Metaphysik, überall nur möglich sei.“ Ist sie Wissenschaft, wie kommt es, daß sie sich nicht, wie andre Wissenschaften, in allgemeinen und daurenden Beifall setzen kann? Ist sie keine, wie geht es zu, daß sie doch unter dem Scheine einer Wissenschaft unaufhörlich groß tut, und den menschlichen Verstand mit niemals erlöschenden, aber nie erfüllten Hoff‐ nungen hinhält? Man mag also entweder sein Wissen oder Nicht‐ wissen demonstrieren, so muß doch einmal über die Natur dieser angemaßten Wissenschaft etwas Sicheres ausgemacht werden; / denn auf demselben Fuße kann es mit ihr unmöglich länger bleiben. Es scheint beinahe belachenswert, indessen daß jede andre Wissen‐ schaft unaufhörlich fortrückt, sich in dieser, die doch die Weisheit selbst sein will, deren Orakel jeder Mensch befrägt, beständig auf derselben Stelle herumzudrehen, ohne einen Schritt weiterzukommen. Auch dieser Text enthält fast durchgängig Markierungen, die das Vorkom‐ men der Komplexitätstypen widerspiegeln. Insgesamt lassen sich 12 Fälle von Unterordnung, 5-mal Gleichrangigkeit und 3-mal Koordination ausma‐ chen. Bei insgesamt 23 Komplexitätsphänomenen auf 303 Wortformen kommt ein Komplexitätsphänomen auf jedes 15. Wort. Das ist zwar eine geringere Frequenz als im Text von Gugutzer, da Nebensätze im Durch‐ schnitt länger sind als Attribute, ist es aber ein beachtlicher Wert, zumal hier ja wieder nicht alle Nebensätze gezählt wurden, sondern nur diejenigen, die in Kombination mit einem anderen Nebensatz auftreten. Auch hier kommt die hohe Anzahl an Komplexitätsphänomen durch die Kombination der ver‐ schiedenen Phänomene zustande; außerdem trat es hier auch vermehrt auf, dass ein Nebensatz mehrere Werte hat. Die Analyse des folgenden Beispiels soll das illustrieren: 172 Nominale Komplexität 172 18270_Hennig_Bel.indd 172 18270_Hennig_Bel.indd 172 05.02.2020 11: 02: 21 05.02.2020 11: 02: 21 (50) Meine Absicht ist, alle diejenigen, so es wert finden, sich mit Metaphysik zu beschäftigen, zu überzeugen: daß es unumgänglich notwendig sei, ihre Arbeit vor der Hand auszusetzen, alles bisher Geschehene als ungeschehen anzusehen, und vor allen Dingen zuerst die Frage aufzuwerfen: „ob auch so etwas, als Metaphysik, überall nur möglich sei.“ Das Satzgefüge enthält insgesamt sechs Nebensätze, die einem anderen un‐ tergeordnet sind. Die Infinitivkonstruktion alle diejenigen zu überzeugen ist der Nebensatz 1. Grades. Alle anderen Nebensätze sind untergeordnete Ne‐ bensätze. Es gibt darüber hinaus zwei Nebensätze, die sich unmittelbar auf den Nebensatz 1. Grades beziehen, also gleichrangige Nebensätze 2. Grades sind: so es wert finden und daß es unumgänglich notwendig sei. Die drei vom zuletzt genannten Nebensatz abhängigen Infinitivkonstruktionen sind ko‐ ordiniert. Der Text enthält 13 grammatische Sätze und weist folglich eine durchschnittliche Satzlänge von 23,3 auf. Die durchschnittliche Satzanzahl und somit auch Satzlänge der beiden Texte ist somit identisch - wie die Analysen zeigen, kommt die gleiche Satzlänge aber auf sehr unterschiedli‐ che Art und Weise zustande. Ganz im Sinne des Komplementaritätsgedankens ist der Kanttext fast frei von komplexer Attribution. Es finden sich lediglich zwei koordinierte At‐ tribute ( die Geschichte der Philosophie (der alten sowohl als neuen) und in allgemeinen und daurenden Beifall ) sowie ein Fall, der bei Attributlesart Gleichrangigkeit eines Adjektiv- und eines Präpositionalattributs bedeutet: eine untrügliche Vorhersagung vor alles Künftige (mit „bei Attributlesart“ ist gemeint, dass vor alles Künftige auch selbstständiges Satzglied sein könnte, vgl. das folgende Ergebnis der Verschiebeprobe: in der Tat mag dieses auch vor alles Künftige als eine untrügliche Vorhersagung gelten ). Das bedeutet al‐ lerdings nicht, dass eine stärkere Mischung nominaler und verbaler Kom‐ plexitätsformen nicht möglich wäre. Vielmehr habe ich zur Veranschauli‐ chung zwei Beispiele ausgewählt, die die Komplementarität besonders deutlich illustrieren. Von der Komplexität zur Komplikation Mit zunehmender Komplexität steigen die Anforderungen an die Verarbei‐ tung: Texte mit vielen komplexen Strukturen werden häufig als schwierig empfunden. Mit zunehmender Komplexität steigen aber nicht nur die An‐ 173 Von der Komplexität zur Komplikation 173 18270_Hennig_Bel.indd 173 18270_Hennig_Bel.indd 173 05.02.2020 11: 02: 21 05.02.2020 11: 02: 21 forderungen an die Rezeption, sondern auch an die Produktion: Der Produ‐ zent muss sozusagen „Herr“ seiner komplexen Struktur sein, damit er sie grammatisch korrekt ausführt. Den Einstieg in die Diskussion dieser Pro‐ blematik bietet uns ein Beispiel aus der Nominalstildefinition des Metzler Lexikon Sprache (Glück / Rödel 2016: 467, vgl. Kapitel „Nominalstil: Eine erste Annäherung“), das wir bisher sozusagen umschifft und ignoriert ha‐ ben: (51) Die Inkraftsetzung der Maßnahme des Bundesamtes für Verkehrssicherung zur begleitenden Förderung des Ausschusses des Bundesrates zwecks Si‐ cherstellung eines unfalltotenfreien Schulanfangs Zur Annäherung an die Zusammenhänge in dieser zweifelsohne komplexen Nominalgruppe nutzen wir wieder die Erom’sche Dependenzanalyse (Abbildung 27). Es sei an dieser Stelle ausschließlich betont, dass es sich bei dieser De‐ pendenzstrukturanalyse lediglich um einen Interpretationsansatz handelt, der keinen Anspruch darauf erheben kann, die Aussageabsicht des Produ‐ zenten (leider gibt das Metzler Lexikon Sprache keine Auskunft über die Quelle) richtig zu erfassen. Problematisch ist vor allem das Genitivattribut des Ausschusses des Bun‐ desrates. Im Kapitel „Satzbaupläne und Nominalgruppenbaupläne“ haben wir bereits festgestellt, dass ein Genitivattribut immer unmittelbar auf das Bezugsnomen folgt. Wir müssen also das Genitivattribut des Ausschusses des Bundesrates auf das deverbale Nomen Förderung beziehen. Für das Genitiv‐ attribut steht uns nun eine Interpretation als Genitivus subiectivus oder Ge‐ nitivus obiectivus zur Verfügung: Entweder der Ausschuss des Bundesrates fördert etwas (= subiectivus) oder er ist selbst Gegenstand der Förderung (= obiectivus). Für eine Annäherung an die Frage, ob die Dependenzanalyse des Genitivattributs Sinn macht und welcher Genitivtyp hier in Frage kommt, sei das Beispiel in eine verbale Struktur überführt: (51‘) Es wird eine Maßnahme inkraft gesetzt, mit der das Bundesamt für Ver‐ kehrssicherung den Ausschuss des Bundesrates begleitend dabei fördert, einen unfalltotenfreien Schulanfang sicherzustellen. 174 Nominale Komplexität 174 18270_Hennig_Bel.indd 174 18270_Hennig_Bel.indd 174 05.02.2020 11: 02: 21 05.02.2020 11: 02: 21 Det N Det N Det N Präp Präp Präp N Die Inkraftsetzung der Maßnahme des Bundesamtes für Verkehrssicherung zu/ Det N Part begleitenden Förderung Det des N Ausschusses zwecks Det N des Bundesrates N Sicherstellung Det N eines Adjqual unfalltotenfreien Schulanfangs r Abb. 27: Dependenzstrukturanalyse von Beispiel (51) 175 Von der Komplexität zur Komplikation 175 18270_Hennig_Bel.indd 175 18270_Hennig_Bel.indd 175 05.02.2020 11: 02: 21 05.02.2020 11: 02: 21 Bei dieser verbalen Rekonstruktion geht es im Wesentlichen darum, nach‐ zuvollziehen, welche Rolle die Akteure Bundesamt für Verkehrssicherung und Ausschuss des Bundesrats in diesem Beispiel spielen: Klar ist ja, dass es darum geht, dass ein unfalltotenfreier Schulanfang sichergestellt werden soll. Als Akteure für eine diesbezügliche Maßnahme kämen sicherlich beide genann‐ ten Kandidaten in Frage. Das Vorhandensein zweier potentieller Kandidaten für diese Aktion sowie zweier potentieller Objekte der Maßnahme (Förde‐ rung und Sicherstellung) interpretiere ich hier so, dass das Bundesamt für Verkehrssicherung Akteur der Maßnahme ist (dafür spricht auch der un‐ mittelbare Anschluss als Genitivattribut, das in Bezug auf Maßnahme nur als Genitivus subiectivus verstanden werden kann) und dass die Maßnahme nicht nur auf die Sicherstellung des unfalltotenfreien Schulanfangs abzielt, sondern auch darauf, dass der Ausschuss des Bundesrates dabei gefördert werden soll, diese Sicherstellung zu gewährleisten. Mit dieser Interpretation lege ich mich auf die Lesart Genitivus obiectivus für das Genitivattribut des Ausschusses des Bundesrates fest. Unklar bliebe dann noch, ob das Präposi‐ tionalattribut zwecks Sicherstellung eines unfalltotenfreien Schulanfangs tat‐ sächlich - wie in der Dependenzstrukturanalyse dargestellt - auf Maßnahme zu beziehen ist oder auf Förderung. Da für Präpositionalattribute weniger strenge Regeln gelten als für Genitivattribute, sind prinzipiell beide Lesarten denkbar. Beide machen auch inhaltlich Sinn: Die Sicherstellung des unfallto‐ tenfreien Schulanfangs soll gefördert werden vs. Mit der Maßnahme soll der unfalltotenfreie Schulanfang sichergestellt werden. Auch wenn wir mit dieser ausführlichen Analyse möglicherweise der Frage nähergekommen sind, was der uns unbekannte Autor des Beispiels ausdrücken wollte, können wir uns doch nicht völlig sicher sein. Fest steht auf jeden Fall: Diese Nominalgruppe ist so komplex, dass eine vollständige Rekonstruktion der Aussageabsicht eine große Herausforderung darstellt. Für die Beschreibung dieser Problematik nutzen wir in diesem Kapitel das Konzept der Attribuierungskomplikation, das auf Schmidt (1993) zurück‐ geht. Er definiert diesen Begriff wie folgt: Als Attribuierungskomplikation werden diejenigen attributiven Erweiterungen bezeichnet, bei denen eine serialisierungsbedingte Diskrepanz zwischen der vom Produzenten intendierten und der von den Rezipienten dekodierten Dependenz‐ struktur vorliegt. (Schmidt 1993: 170 f.) Mit anderen Worten: Der Rezipient versteht den Satz anders, als er vom Produzenten gemeint war. Mit „serialisierungsbedingter Diskrepanz“ ist ge‐ 176 Nominale Komplexität 176 18270_Hennig_Bel.indd 176 18270_Hennig_Bel.indd 176 05.02.2020 11: 02: 21 05.02.2020 11: 02: 21 meint, dass die Linearstruktur (= Serialisierung) einen erheblichen Anteil an der Komplikation hat: Die Komplikation kommt dadurch zustande, dass das Attribut an einer Stelle steht, an die es eigentlich nicht gut passt bzw. die für die intendierte Attributrelation nicht gut genug geeignet ist. Die Definition sei an einem Beispiel aus dem „Hohlspiegel“ illustriert: (52) Der Boss war seit 2004 flüchtig und stand auf [der Liste der 30 meistge‐ suchten Mafiosi des Innenministeriums in Rom]. (Hellweger Anzeiger 2008, aus: Hohlspiegel) Da Schmidt mit dependenzgrammatischer Terminologie arbeitet, wird hier erneut auf das Erom’sche Dependenzstrukturformat zurückgegriffen, um den Unterschied zwischen intendierter und möglicherweise dekodierter Dependenzstruktur zu veranschaulichen: Det N die Liste der Det N 30 meistgesuchten Mafiosi Adj Adj Det N des Innenministeriums in Rom N Intendierte Lesart: Präp Abb. 28: Dependenzstrukturanalyse intendierte Lesart Beispiel (52) 177 Von der Komplexität zur Komplikation 177 18270_Hennig_Bel.indd 177 18270_Hennig_Bel.indd 177 05.02.2020 11: 02: 22 05.02.2020 11: 02: 22 Det N die Liste der Det N 30 meistgesuchten Mafiosi Adj Adj Det N des Innenministeriums in Rom Präp N Möglicherweise dekodierte Lesart: Abb. 29: Dependenzstrukturanalyse dekodierte Lesart Beispiel (52) Die Gegenüberstellung der beiden Lesarten illustriert, dass der Bezug des Genitivattributs des Innenministeriums die kritische Größe ist: In Lesart 1 (Abbildung 28) wird es gleichrangig mit dem Genitivattribut der 30 meist‐ gesuchten Mafiosi auf Liste bezogen, in Lesart 2 (Abbildung 29) hängt es von Mafiosi ab. Dadurch erhält es die Hohlspiegelqualität, denn - das sagt uns unser Weltwissen - ein Innenministerium sollte normalerweise keine Ma‐ fiosi haben, durch allgemeine Zusammenhänge von Italien und Mafia wirkt das Ganze kurios. Aber liegen überhaupt zwei gleichberechtigte Lesarten vor? Für eine Aus‐ einandersetzung mit dieser Frage muss geklärt werden, was die strukturel‐ len Bedingungen für die Realisierung von Genitivattributen bzw. ihre Plat‐ zierung in einer Linear- und Dependenzstruktur sind. Schmidt geht davon aus, dass die Serialisierung ein wichtiges Mittel für den Aufbau einer De‐ pendenzstruktur ist. Für zentral erachtet er die folgende Adjazenzregel: Sie besagt, daß ein Positionsglied immer dann auf das nächststehende Positions‐ glied zu beziehen ist, wenn andere formalsyntaktische Mittel wie Valenzanbin‐ dung oder Kongruenz fehlen. Die Adjazenzregel wirkt bei Positionsgliedern im attributiven Vorfeld des nominativen Zentrums nach rechts, im attributiven Nachfeld nach links. Sie [die Adjazenzregel, M.H.] gilt in Abhängigkeit von der syntaktischen Form‐ klasse des Positionsgliedes. Bei Genitivattributen gilt sie strikt, bei Präpositio‐ 178 Nominale Komplexität 178 18270_Hennig_Bel.indd 178 18270_Hennig_Bel.indd 178 05.02.2020 11: 02: 22 05.02.2020 11: 02: 22 nalattributen nur bei fehlender Valenzanbindung […] und bei Relativpronomen nur bei uneindeutigen Kongruenzbeziehungen. (Schmidt 1993: 179) Warum ist die Adjazenzregel gerade bei Genitivattributen so zentral? Das Genitivattribut ist ein regiertes Attribut: „Das Genitivattribut ist auf das nächststehende nebengeordnete Substantiv bezogen, es ist dem Kernsub‐ stantiv adjazent. Deshalb bestehen kaum Unklarheiten darüber, welches das Bezugssubstantiv für ein Genitivattribut ist.“ (Eisenberg 2013b: 249) Es han‐ delt sich folglich um eine sogenannte rekursive Konstruktion, für die eine „unbegrenzte Hinzufügbarkeit eines Ausdrucks“ charakteristisch ist, in die‐ sem Fall also eine „unbegrenzte Einbettungstiefe des Genitivattributs“ (ebd.). Eisenberg illustriert dies mit folgendem Beispiel: NGr Der Versuch N N NGr N einer Einschüchterung N NGr N N des Großteils der Bevölkerung Hannovers N N N NGr nuk hd nuk attr attr attr hd nuk hd nuk hd attr Abb. 30: Konstituentenstrukturanalyse rekursiver Genitivattribute bei Eisenberg Daraus folgt, dass Genitivattribute nur gleichrangig sein können, wenn sie koordiniert sind. Schmidt geht davon aus, dass gereihte Genitivattribute auch entsprechend rezipiert werden: „Ein postponiertes Genitivattribut wird von den Lesern syntaktisch immer als Dependens des nächsten linksste‐ henden Substantivs […] interpretiert“ (1993: 246). Die Konsequenz der dar‐ aus folgenden Grundregel „Wenn keine Koordination vorliegt, handelt es sich um Unterordnung“ illustriert Wolfgang Boettcher anschaulich mit der folgenden Beispielreihe: 179 Von der Komplexität zur Komplikation 179 18270_Hennig_Bel.indd 179 18270_Hennig_Bel.indd 179 05.02.2020 11: 02: 22 05.02.2020 11: 02: 22 (53) a. das Auto der Kollegin, der Schwester, des Hausmeisters und der Sekretärin (= 4 Autos); b. das Auto der Kollegin der Schwester, des Hausmeisters und der Sekretärin (= 3 Autos); c. das Auto der Kollegin, der Schwester des Hausmeisters und der Sekretärin (= 3 Autos) d. das Auto der Kollegin, der Schwester des Hausmeisters, und der Sekretärin (= 2 Autos); e. das Auto der Kollegin der Schwester des Hausmeisters, und der Sekretärin (= 2 Autos) f. das Auto der Kollegin, der Schwester des Hausmeisters und der Sekretärin (= 1 Auto) g. das Auto der Kollegin der Schwester des Hausmeisters und der Sekretärin (= 1 Auto) h. das Auto der Kollegin der Schwester des Hausmeisters und der Sekretärin (= 1 Auto) (Böttcher 2009: 239) Man mag sich zwar über die eine oder andere Konstellation (und folglich über die Zuordnung der Anzahl von Autos) streiten - die Beispielvariation findet sich übrigens in einem Kapitel zu „Kommasetzung bei Attribut-Mehr‐ fachbesetzungen“ -, das Grundprinzip der Rekursivität des Genitivattributs bei Nichtvorhandensein eines Koordinationsmarkers (Konjunktor für syn‐ detische, Komma für asyndetische Koordination) wird aber m. E. gerade durch die Kontrastierung der verschiedenen Beispielvarianten deutlich. Dadurch dürfte klar geworden sein: Die vom Schreiber intendierte Lesart im Hohlspiegelbeispiel (52) ist grammatisch eigentlich nicht möglich. Das ist der Grund für die Komplikation. Rein strukturell betrachtet bleibt dem Leser also nichts anderes übrig, als die zweite oben aufgeführte Lesart zu dekodieren. Allerdings - und das spielt für Schmidt keine Rolle - erfolgt Verstehen ja nicht allein auf der Basis der Struktureigenschaften einer re‐ zipierten Äußerung. Verstehen ist nicht nur Dekodieren grammatischer Strukturen, sondern Verstehen basiert auch auf common ground: „Jedes Sprechen benötigt und konturiert common ground zwischen Sprecher und Hörer.“ (Knobloch 2013: 21) Es geht also - und so definiert Knobloch den Begriff ‚Kontext‘ - um „nichts anderes als die Gesamtheit der beim Hörer lokal verfügbaren Beziehbarkeiten, in denen ein Sprachzeichen bündig wird“ (2010: 338). Mit anderen Worten: Ein Hörer wird - auch ganz im Sinne 180 Nominale Komplexität 180 18270_Hennig_Bel.indd 180 18270_Hennig_Bel.indd 180 05.02.2020 11: 02: 22 05.02.2020 11: 02: 22 von Grice - von einer sinnvollen Interpretierbarkeit einer rezipierten Äu‐ ßerung ausgehen. Indem der Leser sein Weltwissen über die Zusammen‐ hänge von Mafia und Italien einbringt, wird er also höchstwahrscheinlich die vom Schreiber intendierte Lesart verstehen, auch wenn er aufgrund der grammatischen Serialisierungsprinzipien möglicherweise zunächst die in Abbildung 29 rekonstruierte Lesart dekodiert und somit wahrscheinlich dazu gezwungen wird, über die Zusammenhänge ausführlicher nachzuden‐ ken, als es bei einer Struktur, die die intendierten Verhältnisse klar wieder‐ gibt, der Fall wäre. Auch wenn man das Komplikationspotenzial des Beispiels aus der Per‐ spektive des common sense kritisch diskutieren kann, dürfte klar geworden sein, dass es sich um ein Beispiel für die Grenzen nominaler Satzorganisation handelt: Es lassen sich in einer Nominalgruppe nicht zwei gleichrangige Genitivattribute unterbringen. Das bedeutet aber noch nicht zwingend, dass es keine Möglichkeit gibt, die Gleichrangigkeit in einer Nominalgruppe zu realisieren. Versuchen wir dazu zuerst, mit Rückgriff auf eine Verbalstruktur die intendierte Lesart zu rekonstruieren: (52‘) Das Innenministerium in Rom hat eine Liste mit den 30 meistgesuchten Mafiosi. Warum soll man überhaupt den Inhalt dieses Satzes in eine Nominalgruppe überführen? Der Schlüssel dafür liegt möglicherweise in den unterschiedli‐ chen funktionalen Möglichkeiten von Satz und Nominalgruppe, die wir in „Satz und Nominalgruppe als strukturelle Domänen“ angesprochen haben: Der Satz ist funktional prädestiniert für Prädikation, die Nominalgruppe für Referenz. So kann eine Nominalgruppe als Referenzobjekt in eine Prädika‐ tion integriert werden: (52‘‘) Auf der Liste der 30 meistgesuchten Mafiosi des Innenministeriums in Rom befinden sich prominente Namen. Bei einer satzförmigen Realisierung wie in der eben konstruierten Variante benötigen wir einen zweiten Satz: (52‘‘‘) Das Innenministerium in Rom hat eine Liste mit den 30 meistgesuchten Mafiosi. Auf dieser Liste befinden sich prominente Namen. 181 Von der Komplexität zur Komplikation 181 18270_Hennig_Bel.indd 181 18270_Hennig_Bel.indd 181 05.02.2020 11: 02: 22 05.02.2020 11: 02: 22 Das bedeutet aber noch nicht, dass es grundsätzlich ausgeschlossen ist, zwei Prädikationen in einem Satz unterzubringen. Im vorliegenden Fall eignet sich dafür eine Variante mit Partizipialattribut: (52‘‘‘‘) Auf der vom Innenministerium in Rom geführten Liste mit den 30 meist‐ gesuchten Mafiosi befinden sich prominente Namen. Wenn man aber davon ausgeht, dass Referenz die prototypische funktionale Domäne der Nominalgruppe ist und Prädikation prototypisch für den Satz, verlassen wir mit der Integration einer Prädikation in eine Referenzstruktur sozusagen die Ebene der prototypischen Muster (zur Prototypik in diesem Zusammenhang siehe Czicza 2015: 133 f.). Andererseits zeigt die Integrier‐ barkeit qua Partizipialattribut auch wieder, dass die strukturellen Domänen bei der Realisierung von Satzinhalten in einem Satz interagieren können. Doch zurück zur Attribuierungskomplikation. Wir greifen nun auf ein Beispiel aus der Studie von Schmidt zurück: (54) Michele Greco ist bereits rechtskräftig zu lebenslanger Haft als Auftragge‐ ber der Ermordung am 29. Juli 1983 des Untersuchungsrichters von Palermo, Rocco Chinnici, verurteilt worden. (Allgemeine Zeitung Mainz 1986) Auch hiermit liegt also ein Beispiel für die Grenzen einer Realisierung von syntaktischen Relationen durch Attribution vor. Prinzipiell sind Präpositi‐ onalattribute freier in der Nominalgruppe platzierbar als Genitivattribute. Gerade deshalb ist das Beispiel problematisch, denn das Präpositionalattri‐ but am 29. Juli 1983 wird an einer Position realisiert, an der eigentlich das Genitivattribut des Untersuchungsrichters stehen müsste. Da sich auf das Genitivattribut des Untersuchungsrichters das Präpositionalattribut von Pa‐ lermo und die Apposition Rocco Chinnici beziehen, könnte das Präpositio‐ nalattribut eigentlich erst danach platziert werden: (54‘) Michele Greco ist bereits rechtskräftig zu lebenslanger Haft als Auftragge‐ ber der Ermordung des Untersuchungsrichters von Palermo, Rocco Chin‐ nici, am 29. Juli 1983 verurteilt worden. Das Problem ist nun, dass die Präpositionalgruppe am 29. Juli 1983 an dieser Position auch als Adverbial zum Satz interpretiert werden kann, dann hätte also nicht die Ermordung des Untersuchungsrichters am 29. Juli 1983 statt‐ gefunden, sondern die Verurteilung des Tatverdächtigen. 182 Nominale Komplexität 182 18270_Hennig_Bel.indd 182 18270_Hennig_Bel.indd 182 05.02.2020 11: 02: 22 05.02.2020 11: 02: 22 Verwiesen sei hier auch auf die Analyse der Komplikation in diesem Bei‐ spiel bei Schmidt (1993: 172 ff.). Schmidt schlussfolgert: Der Beleg läßt sich vorläufig so interpretieren, daß der Schreiber in der Erwar‐ tung, das Präpositionalattribut [am 29. Juli 1983, M.H.] müßte in irgendeiner Weise in die Substantivgruppe zu integrieren sein, in Zeitnot und unter dem Zei‐ lendiktat schließlich eine Serialisierung gewählt hat, die auf Kosten der Korrekt‐ heit die Möglichkeiten von Mißverständnissen reduziert. (Schmidt 1993: 174) Dem Zitat können wir entnehmen, dass Schmidt davon ausgeht, dass be‐ stimmte Bedingungen der Produktion eines schriftsprachlichen Textes zu Attribuierungskomplikationen führen können. Wir werden darauf weiter unten zurückkommen. Laut Schmidt liegt mit Beispiel (54) ein Beispiel für eine „idealtypische Attribuierungskomplikation“ vor, die die folgenden beiden fakultativen Merkmale aufweist: Die sprachliche Korrektheit einer attributiven Erweiterung wird von verschie‐ denen Sprechergruppen divergierend beurteilt. Bei Mehrfacherweiterungen kollidieren verschiedene reguläre, d. h. von der Mehrzahl der Sprecher problemlos gehandhabte (und in den Grammatiken be‐ schriebene) Erweiterungsmöglichkeiten, oder sie unterliegen zusätzlichen Re‐ striktionen. (Schmidt 1993: 171) Wir können aus der Analyse des Beispiels schlussfolgern: Auch bei Präpo‐ sitionalattributen können sich Komplikationen ergeben, obwohl sie prinzi‐ piell auch in größerer Entfernung vom Bezugsnomen platziert werden kön‐ nen als Genitivattribute. Ein Präpositionalattribut kann also sowohl ein Genitivattribut als auch ein an‐ deres Präpositionalattribut ‚überbrücken‘ und sich auf ein weiter entferntes Sub‐ stantiv beziehen. Damit wird es möglich, auch mehrere und prinzipiell unbe‐ grenzt viele Attribute zum selben Substantiv zu haben. (Eisenberg 2013b: 263) Der Unterschied zwischen Genitivattributen und Präpositionalattributen besteht darin, dass für die Kombination mehrerer Genitivattribute nur der Komplexitätstyp Unterordnung in Frage kommt, während bei Präpositio‐ nalattributen sowohl Gleichrangigkeit als auch Unterordnung möglich ist. Die größere Flexibilität ist dadurch zu erklären, dass die Semantik der je‐ weiligen Präposition die Herstellung der Bezüge erleichtert. Dazu sei noch einmal das Beispiel für eine stark erweiterte Nominalgruppe aus der 183 Von der Komplexität zur Komplikation 183 18270_Hennig_Bel.indd 183 18270_Hennig_Bel.indd 183 05.02.2020 11: 02: 22 05.02.2020 11: 02: 22 IdS-Grammatik zitiert (1997: 1927), auf das im Kapitel „Grundbegriffe - No‐ minalgruppe“ bereits zurückgegriffen wurde: (5) die erste Durchsteigung der Nordwand der großen Zinne auf der Direttis‐ sima im Winter 1989 durch Kurt Albert und Gefährten im Rotpunkt-Stil Sämtliche Präpositionalattribute beziehen sich hier auf den Kern der maxi‐ malen Nominalgruppe Durchsteigung. Dennoch - das legen Schmidts Ana‐ lysen nahe - besteht offenbar die Tendenz, beim Lesen erst einmal einen Bezug auf das nächststehende potenzielle Bezugsnomen zu testen. Für Schmidt ist also die Serialisierung der zentrale Faktor für die Herstellung relationaler Bezüge durch Attribution. Er geht davon aus, „daß dort, wo an‐ dere formal-syntaktische Mittel keine eindeutige syntaktische Struktur kon‐ stituieren, die Serialisierung diese Funktion übernimmt.“ (Schmidt 1993: 323) Die Serialisierung übernimmt in geschriebener Sprache „in Substantivgrup‐ pen die Funktion, die in der gesprochenen Sprache den Suprasegmentalia […] zukommt“ (Schmidt 1993: 328). Die Serialisierung ist also unmittelbar konstitutiv für die Attribuierungskomplikation: „Beachten Schreiber das Serialisierungstheorem nicht […], so entsteht eine Attribuierungskompli‐ kation.“ (Schmidt 1993: 329) Diskussion: Wie ermittle ich eine Attribuierungskomplikation? Auch wenn das Konzept der Attribuierungskomplikation vor dem Hintergrund unserer Ausführungen zu nominaler Komplexität als sol‐ ches einleuchtend erscheint - die Neigung dazu, alles, was in Sätzen ausgedrückt werden kann, in einer Nominalgruppe unterzubringen, verläuft nicht immer reibungslos -, stellt die Bestimmung einer At‐ tribuierungskomplikation eine theoretische und methodische Heraus‐ forderung dar. Da es sich um ein Konzept handelt, das an der Schnitt‐ stelle von Produktion und Rezeption angesiedelt ist, ist die Bestimmung von Attribuierungskomplikationen methodisch schwie‐ rig. Aufgrund der Notwendigkeit der Berücksichtigung der Rezipien‐ tenperspektive lassen sie sich nicht wie viele andere grammatische Phänomene einfach in Korpora nachweisen. So hat Schmidt die Belege für Attribuierungskomplikation in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre schlicht mit der Unterstützung einzelner Mainzer Kollegen bei der Lektüre verschiedenster Texte gesammelt (vgl. Schmidt 1996: 174). Aber auch im heutigen Zeitalter elektronischer Korpora ließe sich eine manuelle Bestimmung von Zufallstreffern kaum vermeiden, weil at‐ 184 Nominale Komplexität 184 18270_Hennig_Bel.indd 184 18270_Hennig_Bel.indd 184 05.02.2020 11: 02: 23 05.02.2020 11: 02: 23 tributive Relationen in den Korpora kaum annotiert sind, sodass man danach nicht maschinell suchen kann. Wenn man nun trotz der Hür‐ den der Beschaffung von Belegen für Attribuierungskomplikationen über eine Sammlung potentiell komplikativer Belege verfügt, kann erst über eine Rezipientenstudie ermittelt werden, ob sich tatsächlich eine Diskrepanz zwischen wahrscheinlich intendierter (streng ge‐ nommen müsste man dazu auch den Autor befragen, das wird aber in der Regel kaum möglich sein) und dekodierter Lesart ergibt. Wie aber ist diese zu gestalten, d. h., welche Fragen können dem Rezipienten gestellt werden, damit sich Ergebnisse zur Attribuierungskomplika‐ tion ableiten lassen? Schmidt hat in seiner Studie die Rezpienten darum gebeten, die Belege in Bezug auf ihre Korrektheit, Verständ‐ lichkeit und stilistische Qualität zu bewerten. Die Bewertung in Bezug auf Korrektheit und Verständlichkeit hat er zur Grundlage für seine Schlussfolgerungen zum Komplikationsgehalt der Belege gemacht. Um dies an einem Beispiel zu illustrieren: (55) Der Hut des Großvaters mit der Reiherfeder Das Beispiel wurde auf einer Skala von 1 bis 5 in Bezug auf die Kor‐ rektheit durchschnittlich mit 2,73 bewertet sowie in Bezug auf die Verständlichkeit mit 2,06. Zum Vergleich: Bei Beispiel (54) lagen die Werte bei 4,19 und 3,64. Beispiel (54) ordnet Schmidt nun in Bezug auf die beiden Parameter Korrektheit und Verständlichkeit als stark kom‐ plikativ ein, Beispiel (55) hingegen in Bezug auf die Korrektheit als komplikativ und in Bezug auf die Verständlichkeit als nicht kompli‐ kativ. Wie ist das Verfahren zu bewerten? Einerseits stellt sich die Frage, ob Korrektheit und Verständlichkeit hinreichende Kriterien sind, um auf eine Attribuierungskomplikation zu schließen. Anderer‐ seits müssen wir bei Aufgaben zur Bewertung sprachlicher Äußerun‐ gen ein methodisches Bias einkalkulieren, d. h., es ist damit zu rechnen, dass die Probanden die Belege mit einer anderen Aufmerksamkeit be‐ werten, als sie dies in natürlicher Kommunikation möglicherweise tun würden. Dem trägt Schmidt Rechnung, indem er die Probanden un‐ terteilt in solche mit viel und solche mit wenig Leseerfahrung. Das Ergebnis der Aufteilung der Probanden in diese beiden Gruppen ist, dass die Expertengruppe (55) in Bezug auf die Korrektheit als stark komplikativ einordnet, während es durch die Probandengruppe mit 185 Von der Komplexität zur Komplikation 185 18270_Hennig_Bel.indd 185 18270_Hennig_Bel.indd 185 05.02.2020 11: 02: 23 05.02.2020 11: 02: 23 geringer Leseerfahrung auch in Bezug auf diesen Parameter nicht als komplikativ eingeschätzt wird. Wenn nun aber eine umfangreiche Le‐ seerfahrung die Voraussetzung dafür ist, dass die getesteten Items als eingeschränkt korrekt bewertet werden, bedeutet das ja, dass es ei‐ gentlich um die Voraussetzungen für das Erkennen von Ambiguitäten geht. Wenn Probanden mit niedriger Leseerfahrung Beispiele wie (55) relativ positiv bewerten, heißt das wahrscheinlich, dass sie eben doch auf common sense zurückgreifen und somit hier nicht auf die Idee kommen, dass sich die Reiherfeder am Großvater befinden könnte. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Schmidt davon ausgeht, dass Attribuierungskomplikationen auf bestimmte Produktionsbedingungen zu‐ rückzuführen sind. In einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Attribu‐ ierungskomplikation ein Phänomen der Fachsprache ist (1996), kommt Schmidt zu dem Ergebnis, dass das gerade nicht der Fall ist, sondern dass vielmehr fach‐ sprachliche Texte mit hohem Professionalisierungsgrad kaum Komplikationen aufweisen. Attribuierungskomplikationen entstehen vielmehr in Texten, „die unter engen Zeitvorgaben entstehen und in denen Informationen komprimiert übermittelt werden (einleitende Zusammenfassungen von Zeitungsartikeln, Kurztexte wie Bildunterschriften in Zeitungen, Zeitungsberichte zum Tagesge‐ schehen in Regionalzeitungen und Anzeigenblättern)“ sowie in Texten „unge‐ übter Schreiber (studentische Seminararbeiten, Briefe an Institutionen)“ (1996: 177). Die folgende Diskussion von zwei Belegen aus studentischen Seminararbeiten für missglückte Komplexität soll diese Einschätzung untermauern. (56) Er kann jedoch beispielsweise durch empirische Untersuchungen, durch Befragung einer offiziellen Sprachberatungsstelle, wie sie auch vom Duden-Verlag angeboten wird, oder einer Analyse von Wörterbüchern. (57) Sie stellt sicherlich eine Option dar, um den derzeitigen Grammatikunter‐ richt in den Schulen zu verbessern und die Mängel der verwendeten Schulbücher oder ANDERE Materialien auszugleichen. Hinter der Einordnung von Beispielen wie diesen als Fälle missglückter Komplexität steht die Einschätzung, dass sich die Schreiber oder Schreibe‐ rinnen aufgrund ihrer Einschätzung von einem für die Domäne des wissen‐ schaftlichen Schreibens angemessenen Komplexitätsgrad auf syntaktisches Glatteis begeben: Sie bilden Sätze, deren Komplexität sie nicht in ausrei‐ 186 Nominale Komplexität 186 18270_Hennig_Bel.indd 186 18270_Hennig_Bel.indd 186 05.02.2020 11: 02: 23 05.02.2020 11: 02: 23 chendem Maße kontrollieren können. Ob es sich dabei um Kompetenz- oder Performanzfehler handelt, ob also die Schreiber die Fehler bei einer sorg‐ fältigeren Textkontrolle selbst hätten identifizieren oder bereinigen können oder nicht, kann hier nicht beantwortet werden. Zu solchen Komplexitätsproblemen kann es natürlich sowohl im Bereich der Satzals auch der Nominalgruppenkomplexität kommen. So geht es in Beispiel (56) nicht um Nominalgruppenkomplexität im engeren Sinne, d. h. nicht um die Komplexität einer Nominalgruppe, sondern um eine komplexe Nominalbzw. Präpositionalgruppenverbindung (zum Begriff der Wortgruppenverbindung siehe Ágel 2017: 703). Ein intendiertes Satzglied (ich spreche hier von einem intendierten Satzglied, da man aufgrund des anakolu‐ thischen Charakters des Satzes keine genaue Satzgliedanalyse vornehmen kann) wird durch eine Verbindung mehrerer Präpositionalgruppen mit durch reali‐ siert. Es handelt sich also nicht um mehrere Satzglieder, sondern um eines (möglicherweise ein instrumentales Adverbial). Zunächst werden zwei Präpo‐ sitionalgruppen mit durch asyndetisch koordiniert. Der Kern der Nominal‐ gruppe, die den Kern der zweiten Präpositionalgruppe bildet, ist durch ein Ge‐ nitivattribut erweitert, auf das sich wiederum ein Relativsatz bezieht. Nach diesen Rechtserweiterungen der zweiten Präpositionalgruppe folgt eine wei‐ tere Koordination mit oder. Auf oder folgt aber nicht erneut die Präposition durch , sondern gleich eine Nominalgruppe. In dieser ist der Kern durch ein Präpositi‐ onalattribut erweitert. Im Anschluss daran endet der Satz, obwohl das durch das Modalverb kann projizierte Vollverb (ggf. mit weiteren von diesem geforderten Ergänzungen) noch nicht realisiert ist. Die anakoluthische Realisierung kann als ein Fall missglückter Komplexität gedeutet werden, wenn man davon aus‐ geht, dass der starke Umfang und Ausbau der Wortgruppenverbindung hier dazu geführt hat, dass die Einbettung dieser Verbindung in den Satzkontext in dem Sinne missglückt, dass die Schreiberin aufgrund der Länge (Komplexität durch Addition) den Überblick über den Satz verliert. Dennoch ist hier mit gro‐ ßer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es sich um ein Performanz‐ problem handelt, bei einer gründlichen Korrektur wäre ihr sicherlich aufgefal‐ len, dass der Satz nicht zu Ende geführt wurde. Es kann davon ausgegangen werden, dass insbesondere der attributive Ausbau des Nomens Befragung die Komplexität des Satzes in dem Maße steigert, dass es zum Abbruch kommt. Für unsere Diskussion ist vor allem das zweite Komplexitätsproblem in diesem Beispiel interessant, und zwar die offenbar genitivische Realisierung der Nominalgruppe einer Analyse von Wörterbüchern. Der Genitiv legt eine Koordination mit dem auf Befragung folgenden Genitivattribut einer offizi‐ 187 Von der Komplexität zur Komplikation 187 18270_Hennig_Bel.indd 187 18270_Hennig_Bel.indd 187 05.02.2020 11: 02: 23 05.02.2020 11: 02: 23 ellen Sprachberatungsstelle nahe. Intendiert war hier aber sicherlich eher eine Koordination mit Befragung , also die Realisierung eines dritten Glieds der Präpositionalgruppenverbindung (mit elliptischer Präposition): Durch em‐ pirische Untersuchungen, durch Befragungen und durch eine Analyse von Wörterbüchern kann x geschehen. Hier liegt also eine Lesartdiskrepanz vor. Während Schmidt jedoch in Bezug auf die Komplikation von einer Diskre‐ panz zwischen sprecherseitig intendierter und hörerseitig rezipierter Lesart ausgeht, handelt es sich hier wohl um eine Diskrepanz zwischen intendierter und realisierter Lesart, d. h., das Problem entsteht nicht erst bei der Rezep‐ tion, sondern bereits bei der Produktion: Der Sprecher bzw. Schreiber rea‐ lisiert nicht den intendierten Satz. Ähnliches gilt für Beispiel (57). Zur Veranschaulichung sei hier die De‐ pendenzstruktur der wahrscheinlich intendierten und der tatsächlich reali‐ sierten Lesart aufgeführt. Zur Vereinfachung werden nur der fettgedruckte Teil des Satzes sowie das Prädikat wiedergegeben. Für die Rekonstruktion der intendierten Struktur wird die Flexion des Adjektivs anderangepasst: N die Mängel der Det N verwendeten Schulbücher Part II NEK N oder ANDERER auszugleichen Adj Vinfin Intendierte Struktur: Materialien Det Abb. 31: Dependenzstrukturanalyse intendierte Lesart Beispiel (57) 188 Nominale Komplexität 188 18270_Hennig_Bel.indd 188 18270_Hennig_Bel.indd 188 05.02.2020 11: 02: 23 05.02.2020 11: 02: 23 N die Mängel der Det N verwendeten Schulbücher Part II Nek N oder ANDERE auszugleichen Adj Vinfin Realisierte Struktur: Materialien Det Abb. 32: Dependenzstrukturanalyse realisierte Lesart Beispiel (57) Die realisierte Satzstruktur enthält eine Koordination als Wortgruppenver‐ bindung auf Satzgliedebene. Andere Materialien dürfte hier als Akkusativ gelesen werden, da das Vollverb ausgleichen einen Akkusativ regiert und dieser als offenbar erster Teil der Koordination mit die Mängel auch bereits realisiert ist. Andere Materialien passt sich also als Koordinationsglied per‐ fekt in diese Struktur ein. Satzsemantisch ist eine intendierte Koordination auf der Ebene des Genitivattributs sehr viel wahrscheinlicher: Das Verb ausgleichen legt für das Akkusativobjekt ein negativ konnotiertes Substan‐ tiv / Nomen nahe. Das trifft auf andere Materialien nicht zu, das sich seman‐ tisch wunderbar in eine Koordination mit verwendete Schulbücher einglie‐ dert. Wie auch in Beispiel (60) kommt es hier also zu einer Art Koordinationsillusion: Es entsteht dadurch der Eindruck, als könne eine Ko‐ ordination quasi durch verschiedene Ebenen durchgereicht werden. Das ist aber keineswegs der Fall, eine genaue Zuordnung von koordinierten Struk‐ turen ist für das Satzverstehen essentiell. Zusammenfassung Mit den Ausführungen zu Komplexität und Komplikation haben wir im Grunde genommen heikles Terrain betreten, weil Komplexität und Kompli‐ kation keine rein produkt- und produktionsbezogenen Konzepte sind, sondern es bei Komplexität immer auch um die Frage geht, für wen etwas komplex ist (Imo / Lanwer 2017). So ist Komplexität ein relativer Be‐ 189 Zusammenfassung 189 18270_Hennig_Bel.indd 189 18270_Hennig_Bel.indd 189 05.02.2020 11: 02: 23 05.02.2020 11: 02: 23 griff, d. h., man kann im Grunde genommen kaum ein Phänomen oder eine Struktur an sich als komplex betrachten, sondern nur als komplexer oder weniger komplex als eine Vergleichsgröße. Ausgehend von dem Kernge‐ danken, dass nominale Komplexität erheblich zum Nominalstil beiträgt, ha‐ ben wir eine Festlegung getroffen, mit der wir trotz des prinzipiell relativen Charakters von Komplexität nominale Komplexität relativ einfach in den Blick nehmen können: In Anlehnung an Lötscher (2016) betrachten wir eine Nominalgruppe dann als komplex, wenn sie mindestens zwei Attri‐ bute aufweist. In Folge dessen geht es bei der näheren Betrachtung von nominaler Komplexität um die Frage, auf welche Art und Weise die Attribute in einer Nominalgruppe in Beziehung zueinander treten. In Anlehnung an Schmidt (1993) sind wir von den Grundtypen Unterordnung, Koordi‐ nation und Gleichrangigkeit ausgegangen, die im Sinne der Komple‐ mentarität von Nominalstil und Verbalstil auch als Grundtypen von Satz‐ komplexität angenommen werden können. Sicherheitshalber sei betont, dass mit dem Entwurf dieses komplementären Grundtypenmodells nur eine erste Annäherung an nominale Komplexität erfolgte, die in der Tradition grammatischer Analysen von Oberflächenphänomenen von Textprodukten ausgeht. Das für den Komplexitätsbegriff eigentlich konstitutive Verhältnis von Struktur und Verstehen blieb dabei ausgeklammert. Einen Blick über den grammatischen Tellerrand haben wir hingegen mit den Ausführungen zur Attribuierungskomplikation gewagt, weil der Begriff nach dem Schmidt’schen Verständnis einen Abgleich von Produktion und Rezeption beinhaltet. Trotz seines diskussionswürdigen methodischen Ansatzes zur Berücksichtigung der Rezipientenseite greift aber auch Schmidt stark auf Struktureigenschaften der Nominalgruppen zurück, um das Komplikationspotential einer Nominalgruppe begründen zu können. Er betrachtet dabei die Serialisierung als Schlüssel zum Verständnis attri‐ butiver Relationen. Da er dabei den Parameter common sense außen vor lässt, räumt er den Struktureigenschaften komplexer Nominalgruppen eine zentrale Funktion für das Verstehen nominaler Syntax ein. Wir sind hier von einem engen Zusammenhang von Komplexität und Komplikation ausgegangen, d. h. davon, dass Komplexität die Voraus‐ setzung für Komplikation ist. Dabei kommt es einerseits zu Komplika‐ tionen an der Schnittstelle von intendierter und dekodierter (= rezipierter) Struktur, aber gerade ungeübtes oder hastiges Schreiben kann auch dazu führen, dass der Schreiber oder die Schreiberin nicht die Struktur realisiert, die er oder sie intendiert hatte. 190 Nominale Komplexität 190 18270_Hennig_Bel.indd 190 18270_Hennig_Bel.indd 190 05.02.2020 11: 02: 24 05.02.2020 11: 02: 24 Ausbau nominaler Syntax Überblick Nachdem wir mit den Ausführungen zu den grammatischen Phäno‐ menen, die Nominalstil ausmachen, und zu nominaler Komplexität die Grundlagen für eine Auseinandersetzung mit der grammatischen Seite des Nominalstils gelegt haben, wenden wir uns nun in einer Art Ausblick zwei Phänomen zu, die illustrieren, dass die gegen‐ wartsdeutsche Neigung zum Nominalstil auch dazu führen kann, dass Phänomene in die nominale Domäne eindringen, die man bislang eigentlich nicht für nominaltauglich gehalten hatte. Um zu begründen, inwiefern es sich dabei um interessante Ausbau‐ phänomene nominaler Syntax handelt, sei hier noch einmal auf die Ausführungen zu Satzinhalten in Anlehnung an von Polenz im Ka‐ pitel „Grundbegriffe“ verwiesen. Wir hatten dort festgestellt, dass sich der Überschneidungsbereich der Inhalte von Satz und Nominalgruppe auf den propositionalen Gehalt beschränkt. Das ließ sich damit be‐ gründen, dass Nominalgruppen in der Regel in Sätze eingebettet sind und somit keinen eigenen Handlungsgehalt aufweisen. Mit Rückgriff auf von Polenz’ Einschätzung, dass das Referieren und das Prädizieren die beiden wichtigsten gegenstandsbezogenen Teilhandlungen des Satzinhalts seien (2008: 91), haben wir uns in diesem Studienbuch bis‐ her auf diese satzsemantischen Teilhandlungen beschränkt. In diesem Kapitel wird es nun darum gehen, inwiefern auch weitere Teil‐ komponenten des Satzinhalts in die nominale Domäne eindrin‐ gen können. Mit den beiden Phänomenbereichen ‚Verbalkomplexe als Partizipialattribute‘ und ‚Verknüpfungen im Bereich der At‐ tribution‘ werden die satzsemantischen Teilkomponenten ‚tempo‐ raler Zusatz‘ sowie ‚Aussagenverknüpfung‘ in den Blick genom‐ men. Beide Phänomenbereiche erfüllen die für das hier verfolgte Verständnis von Nominalstil geltende Bedingung, dass sie sich unmit‐ 18270_Hennig_Bel.indd 191 18270_Hennig_Bel.indd 191 05.02.2020 11: 02: 24 05.02.2020 11: 02: 24 telbar aus einem Übergang von verbalen in nominale Organisations‐ formen der Realisierung von Satzinhalten ergeben. Verbalkomplexe als Partizipialattribute Im Kapitel „Grammatische Merkmale des Nominalstils“ haben wir uns be‐ reits mit Partizipialattributen auseinandergesetzt und dabei den Schwer‐ punkt auf die Erweiterungen von Partizipialattributen gelegt. In satzseman‐ tischer Hinsicht haben wir dabei nicht den Kernbereich der Referenz und Prädikation verlassen. Es ist dabei deutlich geworden, dass erweiterte Par‐ tizipialattribute erheblich zur Komplexität im nominalen Bereich beitragen können. Als partizipiale Kerne wurden dabei einfache Partizipien (I und II) vorausgesetzt. Hier geht es nun hingegen nicht um Komplexität im Bereich der Erweiterungen des Partizipialattributs, sondern im Bereich des dever‐ balen Kerns. Es geht um Beispiele wie die folgenden: (58) [D]er neue Ortsvorsteher Klaus Schneider (CDU) dankte dem 15 Jahre lang gewirkt habenden SDP[sic! ]-Ortsvorsteher Klaus Mechnich für dessen intensives Engagement. ( Mannheimer Morgen 1999 ) (59) So erarbeiteten sich die kurzfristig auf Kapitän Ralf Weber (Leiste) ver‐ zichten müssenden Frankfurter zwar optische Feldvorteile […]. ( Frank‐ furter Rundschau 1999 ) (60) Japan - Ursprungsland eines in aller Welt photographierenden und pho‐ tographiert werden wollenden Volkes - hat natürlich auch eine Tradi‐ tion in der Foto-Kunst. ( Frankfurter Rundschau 1999 ) (61) Schalke hatte alle Positionen gut belegt, wie Trainer Ralf Rangnick das nennt, kontrollierte das Spiel und presste bei aller Müdigkeit so engagiert, dass der von Alessandro hätte ausgehen müssende Wolfsburger Kombi‐ nationsfußball nicht zustande kam. ( die tageszeitung 2005 ) Die Beispiele stammen aus der Dissertation von Dang (2016a), die eine em‐ pirisch untermauerte Bestandsaufnahme zu diesen Formen bietet und sie grammatiktheoretisch bewertet. Alle Beispiele sind dem Deutschen Refe‐ renzkorpus (= DeReKo) des Leibniz-Instituts für deutsche Sprache Mann‐ heim entnommen. Grundlage der Untersuchung sind insgesamt 648 Belege 192 Ausbau nominaler Syntax 192 18270_Hennig_Bel.indd 192 18270_Hennig_Bel.indd 192 05.02.2020 11: 02: 24 05.02.2020 11: 02: 24 für komplexe Partizipialattribute dieser Art. Die Korpusrecherche fand 2010 statt; zu diesem Zeitpunkt hatte das DeReKo einen Umfang von 3,8 Milliar‐ den Wortformen (zum Vergleich: der aktuelle Stand - August 2019 - beträgt 43 Milliarden Wortformen). Das bedeutet, dass es sich zwar um eine selten vorkommende Erscheinung handelt, die Anzahl der Belege und die Syste‐ matik in der Bildung dieser Formen deutet aber doch darauf hin, dass diese Möglichkeit der Erweiterung der deverbalen Kerne von Partizipialattributen von den Sprachbenutzern systematisch ausgelotet wird (vgl. auch Pakka‐ nen-Kilpiä 2004: 201 ff.). Eine Akzeptabilitätsstudie hat ergeben, dass die Formen zwar keine volle Akzeptabilität erreichen, aber auch nicht pauschal abgelehnt werden. Die Formen erreichen im Durchschnitt mittlere Akzeptabilitätswerte (die Pro‐ banden hatten die Akzeptabilität auf einer Skala von 1 bis 5 zu bewerten). Am besten schneidet der Typ PII + werden + Modalverb ab (Beispiel 60), gefolgt von Infinitiv + Modalverb (Beispiel 59), hätte + Infinitiv + Modalverb (Beispiel 61) und PII + habend (Beispiel 58) (vgl. Dang 2016a: 35 ff.). Als wei‐ tere Typen nimmt Dang an: PII + werdend , Inf. + werdend , PII + haben + Modalverb sowie PII + sein + Modalverb (in der Reihenfolge der Akzeptanz). Der Typ Infinitiv + Modalverb ist mit Abstand am häufigsten belegt (419 Belege, davon 259 mit wollen , 54 mit können und 49 mit müssen ). An zweiter Stelle steht der Typ PII + habend (178 Belege); diesem Typ widmet Dang ihre Untersuchungen zur Systemkonformität (Dang 2016a; 2016b). Was macht das Phänomen interessant für unsere Beschäftigung mit dem Nominalstil? Das Besondere an den hier diskutierten Partizipialattributen ist, dass nicht nur eine einfache Verbform Gegenstand der attributiven Ver‐ wendung ist, sondern dass ein aus mindestens zwei Elementen bestehender Verbalkomplex in ein Partizipialattribut überführt wird. Zwei Beispielpaare (in Anlehnung an Dang 2016a: 123) sollen die Unterscheidung illustrieren: (62) a. Die ihre Kinder liebende Frau sorgt sich um ihr Wohlbefinden. b. Die ihre Kinder geliebt habende Frau ist nun völlig desillusioniert. (63) a. Das schreiende Kind hat wahrscheinlich Hunger. b. Das geschrien habende Kind ist nun völlig erschöpft. Es dürfte unstrittig sein, dass zwischen den Beispielen jeweils funktionale Unterschiede bestehen: Mit den PI-Attributen in a wird Gleichzeitigkeit ausgedrückt, mit den PII + habend -Attributen in b Vorzeitigkeit. Wie man 193 Verbalkomplexe als Partizipialattribute 193 18270_Hennig_Bel.indd 193 18270_Hennig_Bel.indd 193 05.02.2020 11: 02: 24 05.02.2020 11: 02: 24 an den Beispielpaaren erkennen kann, ist das unabhängig davon, ob es sich um ein transitives Verb (62) oder ein intransitives (63) handelt. Mit der Unterscheidung zwischen Gleichzeitigkeit und Vorzeitigkeit er‐ hält eine wichtige satzsemantische Komponente Einzug in die Nominal‐ gruppe. Die besondere Leistung des PII + habend -Attributs besteht darin, dass eine eindeutige Festlegung auf Vorzeitigkeit stattfindet. PI-Attribute hingegen sind nicht auf Gleichzeitigkeit festgelegt, sie passen sich vielmehr wie ein Präsens chamäleonartig ihrer Umgebung an: (62‘) a. Die ihre Kinder liebende Frau sorgte sich um ihr Wohlbefinden. (63‘) a. Das schreiende Kind hatte wahrscheinlich Hunger. Um die Tragweite des Ausdrucks von Vorzeitigkeit innerhalb einer Nomi‐ nalgruppe bewerten zu können, greifen wir - wie im „Überblick“ bereits angedeutet - auf die im Kapitel „Grundbegriffe“ eingeführten Grundlagen zur Modellierung von Satzinhalten durch von Polenz zurück. Im Grundmo‐ dell der Satzinhalte (von Polenz 2008: 93) findet sich kein Hinweis auf Tem‐ poralität. Das liegt daran, dass es sich bei dieser semantischen Größe nicht um eine Teilkomponente des propositionalen oder pragmatischen Gehalts handelt, sondern um einen sogenannten Zusatz zu Prädikationen / Aussagen (2008: 252 ff.). Zusätze sind zunächst einmal freie Angaben im Sinne der Va‐ lenzgrammatik; temporale Zusätze können aber nicht nur als Angaben / Ad‐ verbiale realisiert werden, sondern von Polenz zählt auch klar zeitbezogene Tempusformen des Verbs dazu: „Es handelt sich dabei satzsemantisch um Aussagen-Zusätze wie VERGANGEN (P) oder KÜNFTIG (P).“ (2008: 253; P = Prädikat - gekennzeichnet wird also, dass es sich um Zusätze zum Prädikat handelt.) Zur näheren Erläuterung greifen wir noch einmal auf das Beispiel zurück, mit dem wir im Kapitel „Grundbegriffe“ die zentralen Komponenten des Satzinhalts illustriert haben: (10) Ich habe dich doch darauf hingewiesen, dass Feuer gefährlich ist! Zur Analyse des propositionalen und pragmatischen Gehalts des Satzes sei auf Tabelle 3 verwiesen. Die Analyse ergibt für den Hauptsatz, dass er eine Proposition realisiert, die aus dem Prädikat hinweisen und drei Referenz‐ stellen ( ich; dich; darauf, dass ) besteht; die im Nebensatz ausgedrückte Pro‐ position enthält das Prädikat gefährlich sein und die Referenzstelle Feuer. Die 194 Ausbau nominaler Syntax 194 18270_Hennig_Bel.indd 194 18270_Hennig_Bel.indd 194 05.02.2020 11: 02: 24 05.02.2020 11: 02: 24 infiniten Verbformen hinweisen und gefährlich sein kennzeichnen, dass die durch Finitheit realisierten verbalen Kategorien kein Bestandteil der Pro‐ position sind. Mit einem finiten Verb betten wir die Proposition in den Kom‐ munikationszusammenhang ein. So gäbe es für das Beispiel (10) u. a. noch die folgenden Varianten der Kontextanpassung der Proposition durch ein finites Verb: (10‘) Ich weise dich darauf hin, dass Feuer gefährlich ist. (10‘‘) Ich wollte dich gerade darauf hinweisen, dass Feuer gefährlich ist. (10‘‘‘) Hätte ich dich darauf hingewiesen, dass Feuer gefährlich ist, wäre das Un‐ glück nicht passiert. Der propositionale Gehalt bleibt in diesen Beispielen unverändert. Mit ver‐ schiedenen temporalen und modalen Zusätzen wird die Aussage jedoch mo‐ difiziert. Um die besondere Rolle finiter Verben noch besser einordnen zu können, greifen wir auch noch einmal auf die Unterscheidung zwischen Satz und Nominalgruppe als strukturelle Domänen zurück (Czicza 2015; vgl. das gleichnamige Kapitel in diesem Buch). Czicza modelliert die strukturellen Domänen Satz und Nominalgruppe formal, relational und funktional. Auf der Formebene verweist er auf die nominale Flexion (Nominalgruppe) vs. verbale Flexion (Satz). Warum ist es wichtig, dass ein Satz über verbale Flexion verfügt? Mit den verbalen Kategorien erfolgt in folgender Hinsicht eine kontextuelle Veror‐ tung eines Satzes (vgl. Dudengrammatik 2016: 437, 557; Eisenberg 2013b: 93 ff.): ▸ Person: Als deiktische Kategorie leistet die Kategorienklasse Person einen unmittelbaren Bezug zum Sprecher / Schreiber. ▸ Numerus: Mit den Kategorien Singular und Plural nehmen wir Bezug auf die außersprachliche Kategorie Zahl. ▸ Tempus: Als deiktische Kategorie leistet die Kategorienklasse Tem‐ pus einen unmittelbaren Bezug zum Sprecher / Schreiber: Im deikti‐ schen (absoluten) Gebrauch verortet die verbale Kategorienklasse Tempus ein Geschehen aus der Perspektive des Sprechers in der Zeit. Aber auch im nicht-deiktischen, relativen Gebrauch (bspw. in Neben‐ sätzen) wird mit dem jeweiligen Tempus eine zeitliche Verortung vor‐ genommen. 195 Verbalkomplexe als Partizipialattribute 195 18270_Hennig_Bel.indd 195 18270_Hennig_Bel.indd 195 05.02.2020 11: 02: 25 05.02.2020 11: 02: 25 ▸ Modus: Mit der Entscheidung für Indikativ oder Konjunktiv nimmt ein Sprecher Stellung zum Wahrheitsanspruch bzw. Wirklichkeitsbe‐ zug seiner Äußerung. ▸ Genus verbi / Diathese: Mit Aktiv und Passiv sind unterschiedliche Perspektiven auf den beschriebenen Gegenstand verbunden. Mit dem Aktiv erfolgt prototypisch eine Fokussierung auf die Handlung, mit dem Passiv vor allem auf den Vorgang. Im nominalen Bereich verfügen nur Personal- und Possessivpronomen über die Kategorie Person. Lediglich die Kategorienklasse Numerus ist auch im nominalen Bereich systematisch vertreten; deshalb können ja auch Subjekt und finites Verb in Bezug auf Numerus kongruieren. Die folgende Übersicht fasst die verbalen und nominalen Kategorien unter funktionaler Perspektive zusammen: VERBALER BEREICH NOMINALER BEREICH Tempus: Verortung in der Zeit Person: Origobezug Numerus: Zahl Genus: Flexionsklasse teilweise mit Genus-Sexus-Kongruenz Modus: Wirklichkeitsbezug/ Wahrheitsanspruch Kasus: syntaktische Relationen im Satz Diathese: Perspektive auf Handlung oder Vorgang Abb. 33: Verbale und nominale Kategorien Auch wenn die einzelnen Kategorien unterschiedliche Funktionen haben, so ergibt sich doch insgesamt der Eindruck, dass die verbalen Kategorien einen größeren Beitrag zur kontextuellen Einbettung leisten als die nomi‐ nalen. Die Kasus sind rein syntaktische Kategorien. Genus trägt als Wort‐ kategorie zur Klassenbildung von Substantiven bei (vgl. bspw. Binanzer 2015), nur bei Personenbezeichnungen kann es eine semantische Motivation aufweisen. Verbale Kategorien hingegen beinhalten in stärkerem Maße ei‐ nen Bezug auf den Sprecher, tragen zur kontextuellen Einbettung des Ge‐ schehens aus der Perspektive des Sprechers bei. Die zentrale Bedeutung 196 Ausbau nominaler Syntax 196 18270_Hennig_Bel.indd 196 18270_Hennig_Bel.indd 196 05.02.2020 11: 02: 25 05.02.2020 11: 02: 25 verbaler Kategorien für die Satzorganisation ergibt sich dadurch, dass sie obligatorisch an Finitheit gebunden sind: Ein finites Verb (bzw. im Fall von analytischen Verbformen ein finiter Verbalkomplex) ist immer in Bezug auf die fünf verbalen Kategorienklassen bestimmt. Wenn wir im vorliegenden Studienbuch bisher davon ausgegangen sind, dass eine Komplementarität von Nominalstil und Verbalstil besteht, dann müssen wir hier noch einmal ausdrücklich betonen, dass sich diese Ein‐ schätzung nur auf ausgewählte Satzinhalte bezog, und zwar auf die von von Polenz als propositionalen Kernbereich identifizierten Satzinhalte Referenz und Prädikation. Wenn wir an manchen Stellen nominalstilistische und ver‐ balstilistische Varianten von Satzinhalten gegenübergestellt haben, dann haben wir diese Varianten also immer nur in Bezug auf einen Teilbereich der Satzinhalte verglichen. Dass bspw. die Überführung des nominalstilisti‐ schen Beispiels (1) in eine verbalstilistische Variante im Kapitel „Nominale Komplexität“ ergeben hat, dass die Variante (1‘) 8 finite Verben aufweist, während (1) nur ein finites Verb hat, bedeutet also vor dem Hintergrund der hier erfolgten Ausführungen zu verbalen Kategorien, dass die nominale Va‐ riante (1) weitestgehend ohne die durch die verbalen Kategorien ausge‐ drückten Inhalte auskommt. Eine nominalstilistische Variante bietet sich folglich dann gegenüber einer verbalstilistischen Variante an, wenn die durch die verbalen Kategorien ausgedrückten, hier als kontexteinbettend gewerteten Informationen weniger relevant sind. Das passt zu der Einschät‐ zung, dass Nominalstil für „konzentrierte Informationsvermittlung, abstra‐ hierende Begriffsbildung“ (Bußmann 2002: 472) verwendet wird. Vor dem Hintergrund der hier erfolgten Gegenüberstellung verbaler und nominaler Kategorien sowie der Ausführungen zur strukturellen Domäne Nominalgruppe im entsprechenden Kapitel können wir festhalten: Die No‐ minalgruppe verfügt strukturell über keine Formen zum Ausdruck von Temporalität, Modalität und Perspektive. Das macht die hier thematisierten komplexen Partizipialattribute so interessant: Mit der Form PII + habend dringt Temporalität in die nominale Domäne ein, mit den Formen mit Mo‐ dalverben Modalität. Ich werte das hier als einen interessanten Ansatz zum Ausbau nominaler Syntax, weil er m. E. Ausdruck des Bedürfnisses der Schreiber ist, die semantische Komplementarität von verbaler und nomina‐ ler Syntax zu erweitern: Wenn ohnehin auf der Basis einer verbreiteten Nei‐ gung zu nominalstilistischen Ausdrucksweisen vieles, was man auch durch Sätze ausdrücken kann, nominalstilistisch realisiert wird, warum dann nicht auch weitere satzsemantische Komponenten für die nominale Domäne nutz‐ 197 Verbalkomplexe als Partizipialattribute 197 18270_Hennig_Bel.indd 197 18270_Hennig_Bel.indd 197 05.02.2020 11: 02: 25 05.02.2020 11: 02: 25 bar machen? Dass es sich bei den komplexen Partizipialattributen dennoch nach wie vor um eine Randerscheinung handelt, dürfte wiederum damit zusammenhängen, dass eben die nominale Ausdrucksweise bevorzugt für abstrakte, kontextentbundene Inhalte genutzt wird. Verknüpfungen im Bereich der Attribution Auch mit dem zweiten hier im Ausblick behandelten Gegenstand wird ein Phänomenbereich in den Blick genommen, der eine semantische Erweite‐ rung nominalstilistischer Ausdrucksmöglichkeiten mit sich bringt: Es han‐ delt sich um den Bereich der Relation / Aussagenverknüpfung, den von Po‐ lenz in seinem Grundmodell der Satzinhalte zwischen dem propositionalen und pragmatischen Gehalt ansiedelt (vgl. Abbildung 6 im Kapitel „Grund‐ begriffe“). Das Themenfeld wurde im Kapitel „Nominale Komplexität“ be‐ reits berührt, indem dort Koordination von Attributen als ein Grundtyp no‐ minaler Komplexität betrachtet wurde. Hier geht es nun um einen detaillierteren Blick auf die Verknüpfung von Attributen; inwiefern wir es dabei mit Koordination zu tun haben, wird Gegenstand der weiterführenden Überlegungen sein. Eine Verknüpfung von Attributen kann erheblich zum Ausbau von Nominalgruppen beitragen, wie die folgenden Beispiele bele‐ gen: (64) Mit den zwei Fragen nach den Ursachen und nach den Auswirkungen der Besetzung des NFs (Vinckel-Roisin 2011: 381) (65) Vor einem kontextuell, d. h. durch das Tempus des Hilfsverbs, bereitge‐ stellten Zeitpunkt (Rothstein 2011: 370) (66) Eine Reihe von anregenden und weiterführenden Überlegungen wie z. B. die Berücksichtigung der paradigmatischen Achse und der Tokenfrequenz bei der Beurteilung des Synthesegrades (Ágel 2011: 406) (67) die verwendung des begriffs komplexität in der soziolinguistik, und zwar insbesondere durch Bernstein und Oevermann (Bartsch 1973: 6) (68) reaktionszeitmessungen oder gedächtnismessungen für das Verstehen bzw. Behalten von Sätzen (Bartsch 1973: 14) (69) Die bisherigen Ausführungen und Ergebnisse (Vinckel-Roisin 2011: 400) 198 Ausbau nominaler Syntax 198 18270_Hennig_Bel.indd 198 18270_Hennig_Bel.indd 198 05.02.2020 11: 02: 25 05.02.2020 11: 02: 25 Bei den Beispielen handelt es sich um Beispiele aus dem Bereich der Wis‐ senschaftssprache, sie entstammen alle der Zeitschrift für Germanistische Linguistik (die in ihrem ersten Jahrgang 1973 die konsequente Kleinschrei‐ bung verwendet hat). Die Belegsammlung wurde für eine Studie zur „Junk‐ tion in der Attribution“ erstellt (Hennig / Niemann 2015), in der sie unter verschiedenen Gesichtspunkten analysiert wurde (etwa grammatiktheore‐ tisch (Czicza 2015), psycholinguistisch (Pepouna 2015), wissenschafts‐ sprachlich (Niemann 2015) sowie in Bezug auf ihre Komplexität (Hennig 2015b). Die in Hennig (2015a) vorgelegte Bestandsaufnahme ergibt folgende Mus‐ ter der Junktion in der Attribution: ▸ Verknüpfung von Attributen (64, 65, 66, 67, 68); ▸ Verknüpfung einer Apposition oder eines Attributs mit dem Bezugs‐ nomen (66, 67); ▸ Verknüpfung der Kernnomen, auf die sich ein Attribut bezieht (68, 69). Eine Gegenüberstellung der Koordinationen auf der Ebene von Präpositio‐ nalattributen in (64) nach den Ursachen und nach den Auswirkungen der Besetzung des NFs sowie (67) durch Bernstein und Oevermann und (68) für das Verstehen bzw. Behalten von Sätzen lässt erkennen, dass Attribute einer‐ seits vollständig verknüpft werden können (in (64) werden zwei Präpositi‐ onalattribute mit je einer Präposition koordiniert), andererseits auch (in (67) und (68)) die Verknüpfung auf der Ebene der nominalen Kerne der Präpo‐ sitionalgruppe innerhalb eines Präpositionalattributs mit nur einer Präpo‐ sition vorgenommen werden kann (vgl. Lotzow 2015). Prinzipiell stehen der attributiven Junktion die gleichen semantischen Relationen zur Verfügung wie der Satzverknüpfung. In den hier zitierten Beispielen sind die folgenden semantischen Relationen belegt: ▸ kopulativ (64, 66, 67, 69); ▸ explikativ (65, 66, 67, 68); ▸ disjunktiv (68). Welche semantischen Relationen genutzt werden, hängt stark von der kom‐ munikativen Domäne ab. Da die Belegsammlung aus der Wissenschafts‐ sprache stammt, ist es nicht verwunderlich, dass die explikative Relation eine wichtige Rolle spielt und eine hohe Varianz der verwendeten Junktoren aufweist (neben den hier belegten beispielsweise noch also, wie etwa, näm‐ lich ). 199 Verknüpfungen im Bereich der Attribution 199 18270_Hennig_Bel.indd 199 18270_Hennig_Bel.indd 199 05.02.2020 11: 02: 25 05.02.2020 11: 02: 25 In der Bestandsaufnahme in Hennig (2015a) geht es um das Phänomen der Verknüpfung von Attributen allgemein, es erfolgt kein expliziter Bezug auf Nominalstilfragen. Mit anderen Worten: Bei einer Verknüpfung wie (70) a. das intelligente und liebe Mädchen b. der Mann mit dem alten Hut und dem neuen Fahrrad liegt eine Koordination von Attributen vor, die Nominalgruppen enthalten aber keine Nominalstilphänomene im hier diskutierten Sinne, d. h., wir ha‐ ben es nicht mit einem Übergang von Verbalstil zu Nominalstil zu tun. Zwar wären auch hier verbalstilistische Varianten denkbar: (70‘) a. Das Mädchen ist intelligent und lieb b. Der Mann hat einen alten Hut und ein neues Fahrrad Die Möglichkeit der Bildung dieser Varianten hängt hier aber mit systema‐ tischen Eigenschaften der Attribute zusammen (Prädikation in 70a und Pos‐ session in 70b). Bei den Beispielpaaren (70) und (70‘) handelt es sich also nicht um Ausdrucksvarianten mit Vollverb und von diesem abgeleiteten Verbalabstraktum. Die Diskussion der Beispiele (64-69) soll zeigen: Junktion in der Attribu‐ tion ist ein produktives Mittel des Ausbaus von Nominalgruppen und trägt somit allgemein zum Ausbau nominaler Komplexität bei. Für das in diesem Studienbuch entwickelte Verständnis von Nominalstil ist das Phänomen be‐ sonders dann interessant, wenn es mit weiteren nominalstilistischen Merk‐ malen einhergeht. Zu den hier herangezogenen Beispielen lässt sich dies‐ bezüglich Folgendes festhalten: ▸ verknüpfte Attribute können sich auf ein deverbales Nomen beziehen ( Frage in (64), Überlegungen und Berücksichtigung (als nominaler Kern, auf den sich ein koordiniertes Genitivattribut bezieht) in (66), Verwendung in (67), Messungen in (68)); ▸ deverbale Nomen können als Konjunkte (= Teile der Junktionsrela‐ tion) fungieren, d. h., die Attribute können deverbale Nomen enthal‐ ten ( Auswirkungen in (64), Berücksichtigung (als auf den nominalen Kern Überlegungen bezogene Apposition) in (66), Verstehen und Be‐ halten in (68), Ausführungen in (69)); ▸ verknüpfte Attribute können sich auf Partizipialattribute beziehen ( bereitgestellt in (65)); 200 Ausbau nominaler Syntax 200 18270_Hennig_Bel.indd 200 18270_Hennig_Bel.indd 200 05.02.2020 11: 02: 25 05.02.2020 11: 02: 25 ▸ Partizipialattribute können als Konjunkte fungieren ( anregend und weiterführend in (66)). Die Zuordnung ergibt, dass die attributive Junktion in allen der Beispiele mit weiteren Nominalstilmerkmalen einhergeht. Insofern lässt sich die im Überblick zu diesem Kapitel formulierte Hypothese, dass es sich um ein Phänomen am Übergang von verbalen in nominale Organisationsformen der Realisierung von Satzinhalten handelt, wie folgt präzisieren: Junktion in der Attribution ist kein Nominalstilphänomen in dem Sinne, dass jede Verknüp‐ fung von Attributen nominalstilistisch ist (vgl. Bsp. 70); aber es lässt sich eine starke Tendenz zur Verwendung der Möglichkeiten attributiver Junk‐ tion in nominalstilistischen Kontexten erkennen. Wir wenden uns nun der Frage zu, ob es sich bei der Verknüpfung von Attributen grundsätzlich um Koordination handelt. In den Beispielen (64) bis (67) sieht die Grundstruktur der Junktion in der Attribution folgender‐ maßen aus: Attribut 1 (= Konjunkt 1) Junktor Attribut 2 (= Konjunkt 2) ‚Junktion‘ wird in der Forschungsliteratur als eine durch eine Junktions‐ technik indizierte Relation zwischen zwei Sachverhalten definiert (Ágel / Diegelmann 2010: 346; in Anlehnung an Raible 1992). In Hennig / Niemann (2015) ist der Begriff weiter gefasst, dort ist das Vorliegen von Sachverhalten keine Bedingung für die Annahme von Junktion. Vielmehr wird mit ‚Junk‐ tion in der Attribution‘ der Versuch unternommen, „den Junktionsgedanken von der Satzebene auf die Ebene der Attribution zu übertragen“ (2015: 2). Was bedeutet es, dass eine Analogie zwischen Junktion auf Satzebene und Junktion auf der Ebene der Attribution hergestellt werden kann? Czicza (2015: 125 f.) modelliert Analogie auf der Ebene der Produktion als eine be‐ wusste Nutzung verbaler Prädikationen als Muster bei der Herstellung kon‐ densierter Nominalgruppen sowie auf der Ebene der linguistischen Analyse als Beschreibung der Merkmale von komplexen Nominalgruppen analog zu verbalen Mustern. Mit anderen Worten: Satzverknüpfung dient als Muster für Attributverknüpfung. Für die Verknüpfung von Sachverhalten stehen verschiedene Junktions‐ techniken zur Verfügung (Ágel / Diegelmann 2010: 355 ff.). Ágel / Diegel‐ mann nehmen als Junktionsklassen an: 201 Verknüpfungen im Bereich der Attribution 201 18270_Hennig_Bel.indd 201 18270_Hennig_Bel.indd 201 05.02.2020 11: 02: 25 05.02.2020 11: 02: 25 Koordination (71) Peter geht nicht zur Schule. Er ist nämlich krank. Subordination (72) Weil Peter krank ist, geht er nicht zur Schule. Inkorporation (73) Wegen seiner Erkrankung kann Peter nicht zur Schule gehen. Unifikation (74) Seine Erkrankung ist der Grund dafür, dass Peter nicht zur Schule gehen kann. Die Technik der Inkorporation ist eine nominalstilistische Junktionstech‐ nik: Es handelt sich um das Phänomen, das Möslein (1981: 289) als „nominale Gruppe als Nebensatzäquivalente“ und Pohl (2007: 410) als „satzwertige Substantivgruppe“ bezeichnet (vgl. Kapitel „Satzbaupläne und Nominal‐ gruppenbaupläne“). Als solche ist sie per se nominalstilistisch, steht aber nicht als Junktionstechnik für die Verknüpfung von Attributen zur Verfü‐ gung. Bei der Unifikation handelt es sich um eine spezifische Technik, die durch das Vorkommen von satzförmigen, unifizierenden Junktoren geprägt ist: D. h., der kausale Junktor ist in (74) selbst satzförmig bzw. ein Prädikatsausdruck (Ágel / Diegelmann 2010: 357). Unifikation kommt als peri‐ phere Junktionstechnik für die Verknüpfung von Attributen nicht in Frage. Es bleiben also Koordination und Subordination als potentielle Junkti‐ onstechniken für die Verknüpfung von Attributen. Im Kapitel „Nominale Komplexität“ haben wir in Anlehnung an Schmidt (1993) Koordination als einen Grundtyp für das Verhältnis von zwei Attributen in einer Nominal‐ gruppe angenommen. Zwar gilt Unterordnung als ein weiterer Grundtyp, doch ist damit nicht die Unterordnung mit einem Junktor gemeint, sondern vielmehr die Unterordnung eines Attributs unter ein anderes im Sinne eines Dependenzverhältnisses wie etwa in Beispiel (1). Handelt es sich bei Verknüpfungen von Attributen also prinzipiell um Koordination? Koordination wird allgemein als eine Form der syntaktischen Nebenordnung betrachtet, für die gilt: 202 Ausbau nominaler Syntax 202 18270_Hennig_Bel.indd 202 18270_Hennig_Bel.indd 202 05.02.2020 11: 02: 26 05.02.2020 11: 02: 26 Die Konjunkte sind formal aufeinander abgestimmt, wobei der Identitätsbezie‐ hung eine besondere Bedeutung zukommt. Koordinierte Nominale beispielsweise stehen im selben Kasus und erfüllen damit eine notwendige Bedingung für das Auftreten in derselben syntaktischen Funktion. (Eisenberg 2006a: 368) Wenn wir die hier von Eisenberg formulierten Bedingungen auf unsere Ausgangsbeispiele anwenden, so ergibt sich: ▸ Beispiel (64): Die Konjunkte sind Präpositionalgruppen mit der Prä‐ position nach. Die Bedingung der Identität ist erfüllt, es liegt Koordi‐ nation vor. ▸ Beispiel (65): Für die durch d. h. verbundenen Konjunkte ist die Be‐ dingung der Identität nicht gegeben. Es ist folglich fraglich, ob von Koordination ausgegangen werden kann. ▸ Beispiel (66): Mit und werden zwei formal identische Adjektivattribute verknüpft. Die Bedingung der Identität ist gegeben, es liegt Koordi‐ nation vor. Das Gleiche gilt für die zweite Koordination mit und in diesem Beispiel: Koordiniert werden hier zwei Genitivattribute, also zwei Nominalgruppen im gleichen Kasus. Bei der Verknüpfung von Überlegungen und die Berücksichtigung mit wie z. B. liegt hingegen keine Kasusidentität vor, es handelt sich offenbar nicht um Koordi‐ nation. ▸ Beispiel (67): Auch hier liegt bei der Verknüpfung mit und zwar keine formale Identität zwischen Verwendung und durch Bernstein und Oevermann vor, hingegen durchaus bei der Verknüpfung von Bern‐ stein und Oevermann. ▸ Beispiel (68): Bei den Verknüpfungen mit oder und mit bzw. liegt Iden‐ tität der verknüpften Nomen vor. Es handelt sich also offenbar um Koordination. ▸ Beispiel (69): Auch hier kann von formaler Identität der Konjunkte gesprochen werden. Die Beispieldiskussion zeigt uns: Die für Koordination formulierten Bedin‐ gungen treffen auf viele der Verknüpfungen zu. Dabei ist es nicht ausschlag‐ gebend, dass es sich um eine kopulative Verknüpfung mit und handelt; auch weitere Inhaltsrelationen sind koordinationsaffin (etwa disjunktiv). Es gibt hingegen auch zwei Typen von Fällen, für die die Bedingung der Identität der Konjunkte nicht zutrifft und die deshalb Kandidaten für die Diskussion der Frage sind, ob es in der Nominalgruppe auch Subordination geben kann: 203 Verknüpfungen im Bereich der Attribution 203 18270_Hennig_Bel.indd 203 18270_Hennig_Bel.indd 203 05.02.2020 11: 02: 26 05.02.2020 11: 02: 26 1. Bezug eines Attributs auf ein Bezugsnomen mit einem Junktor ((66) wie z. B. ; (67) und zwar ). Die Besonderheit dieser Form der Unterord‐ nung gegenüber anderen Unterordnungsverhältnissen in der Attri‐ bution ist, dass es sich nicht um eine Dependenzbeziehung handelt (Hennig 2015a: 50). Die explikativen Junktoren wie z. B. und und zwar sind hier also allein unterordnungsauslösend. Das rückt sie in die Nähe von nebensatzeinleitenden Subjunktoren. 2. Unterordnung eines Attributs unter ein anderes Attribut mit einem Junktor ( d. h. in (65)). Mit durch das Tempus des Hilfsverbs wird hier eine nähere Erläuterung zu kontextuell gegeben. Es besteht folglich ein semantisches Unterordnungsverhältnis, das allgemein für die ex‐ plikative Relation angenommen werden kann. Auch hier gilt: Eine Dependenzbeziehung besteht nicht, der Junktor d. h. ist unterord‐ nungsauslösend. In Hennig (2015a) habe ich in Anlehnung an Breindl (2012) dafür plädiert, die Spezifik dieses Verknüpfungsverhaltens mit dem für die Satzverknüp‐ fung etablierten Terminus Subordination zu erfassen. Natürlich kann Sub‐ ordination hier nicht wie auf Satzebene an Verbendstellung festgemacht werden. Neben der bereits herausgearbeiteten Eigenschaft, dass die Junk‐ toren unterordnungsauslösend sind, also kein Dependenzverhältnis wie bei untergeordneten Genitiv- oder Präpositionalattributen vorliegt, spricht die feste Position der Konjunkte dafür, hier dennoch von Subordination auszu‐ gehen: Die Konjunkte können nicht wie bei einer Koordination ausgetauscht werden: (65‘) ? Vor einem durch das Tempus des Hilfsverbs, d. h. kontextuell bereitge‐ stellten Zeitpunkt (66‘) *Eine Reihe von die Berücksichtigung der paradigmatischen Achse und der Tokenfrequenz bei der Beurteilung des Synthesegrades wie z. B. anregenden und weiterführenden (67‘) *durch Bernstein und Oevermann und zwar insbesondere die verwendung des begriffs komplexität in der soziolinguistik Bei den Beispielvarianten (66‘) und (67‘) ergeben sich durch einen Austausch der Konjunkte eindeutig ungrammatische Sätze. Das liegt quasi in der Natur der Dinge eines Verhältnisses zwischen Kernnomen und Attribut. Die Bei‐ spielvariante (65‘) ist hingegen nicht ungrammatisch, allerdings belegt auch 204 Ausbau nominaler Syntax 204 18270_Hennig_Bel.indd 204 18270_Hennig_Bel.indd 204 05.02.2020 11: 02: 26 05.02.2020 11: 02: 26 dieser Test eine eingeschränkte Austauschbarkeit der Konjunkte, denn der Austausch ergibt eine Bedeutungsveränderung: Erklärt wird nun mit kon‐ textuell das Konjunkt durch das Tempus des Hilfsverbs , während in der Aus‐ gangsvariante durch das Tempus des Hilfsverbs das Konjunkt kontextuell erläutert. Warum ist die Diskussion zu Koordination vs. Subordination hier über‐ haupt relevant? In diesem Kapitel geht es ja darum, mit zwei ausgewählten exemplarischen Phänomenbereichen zu zeigen, dass die gegenwartssprach‐ liche Neigung zu Nominalstil dazu führt, dass bestimmte Phänomene in die nominale Domäne eindringen, die über die allgemein mit Nominalstil asso‐ ziierten Standardphänomene hinausgehen. Deshalb ist es aufschlussreich, wenn nicht „nur“ das Phänomen der Aussagenverknüpfung als solches in der nominalen Domäne nachweisbar ist, sondern auch Indizien für eine Übertragbarkeit der satzsyntaktischen Unterscheidung zwischen Koordina‐ tion und Subordination angenommen werden können. Zusammenfassung Mit den beiden im Ausblick diskutierten Phänomenbereichen wurde illus‐ triert, wie im Gegenwartsdeutschen die Grenzen des nominal Sagbaren weiter ausgelotet werden. Während der Phänomenbereich der Junktion in der Attribution dabei als ein gut ausgebautes Mittel der nominalen Syn‐ tax betrachtet werden kann, das bislang allerdings als „weißer Fleck auf der linguistischen Landkarte“ (Hennig / Niemann 2015a: 2) wenig Aufmerksam‐ keit auf sich gezogen hat, handelt es sich bei den aus Verbalkomplexen ab‐ geleiteten komplexen Partizipialattributen um ein Randphänomen der deutschen Grammatik. ‚Nominalstil‘ wurde im vorliegenden Studienbuch als Komplemen‐ tärbegriff zu ‚Verbalstil‘ gefasst. Als tertium comparationis wurde das Modell der Satzinhalte von von Polenz herangezogen. Der Schwerpunkt lag dabei auf den laut von Polenz „wichtigsten gegenstandsbezogenen Teil‐ handlungen des Satzinhalts“ (2008: 91) ‚Referieren‘ und ‚Prädizieren‘. In diesem Ausblick haben wir eruiert, inwieweit auch weitere Teilhandlun‐ gen des Satzinhalts überführbar in die nominale Domäne sind. Wenn wir uns nun die in der unten stehenden Abbildung gekennzeichneten Teilhand‐ lungen des Satzinhalts ansehen, die in diesem Studienbuch mit Nominalstil in Verbindung gebracht wurden, fällt auf, dass der pragmatische Gehalt 205 Zusammenfassung 205 18270_Hennig_Bel.indd 205 18270_Hennig_Bel.indd 205 05.02.2020 11: 02: 26 05.02.2020 11: 02: 26 ausgeklammert bleibt. Wenn das daran liegt, dass Nominalgruppen meist in Sätze eingebettet sind und somit mit ihnen keine eigenständigen Sprach‐ handlungen ausgeführt werden, liegt hier möglicherweise tatsächlich die Grenze der Überführbarkeit von Satzinhalten aus der Domäne Satz in die Domäne Nominalgruppe. Satzinhalt Propositionaler Gehalt/ Aussagegehalt Pragmatischer Gehalt/ Handlungsgehalt Relation/ Aussagenverknüpfung Prädikation/ Aussage Prädikat/ Aussagekern Referenz/ Bezug Quantifizierung/ Größenbestimmung Illokution/ Sprecherhandlung Perlokution/ Bewirkungsversuch Propositionale Einstellung/ Sprechereinstellung Kontakt und Beziehung (temporaler) Zusatz Abb. 34: Verortung der Nominalstilphänomene in von Polenz’ Modell der Satzinhalte 206 Ausbau nominaler Syntax 206 18270_Hennig_Bel.indd 206 18270_Hennig_Bel.indd 206 05.02.2020 11: 02: 26 05.02.2020 11: 02: 26 Anhang Der Anhang bietet detaillierte Analysen der im Text verwendeten Beispiel‐ texte, damit die in den Text aufgenommenen Analyseergebnisse nachvoll‐ zogen werden können. Nominalstil: Begriffsverständnis Grundstruktur der Beispieltexte Erläuterungen zur Darstellungsform: Im Folgenden erfolgt eine grobe Ana‐ lyse der Beispieltexte, die in erster Linie nachvollziehbar machen soll, wie die Ermittlung der durchschnittlichen Satzlänge erfolgte. Bei Text 1 weist Satz 3 eine extreme Länge auf, die nur verstehbar wird, wenn man die In‐ tegration der Aufzählungspunkte 1-3 in die Nominalgruppe mit dem Kern Inhalt nachvollzieht. Deshalb wird im Anschluss an die Bestandsaufnahme zur Satzlänge bei Text 1 die Grundstruktur dieser Nominalgruppe als ver‐ einfachtes Dependenzschema wiedergegeben. Text 1: Patentrecht Eine Erfindung gilt als neu, [wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört.] Satz 1 = 13 Wortformen Satzgefüge mit einem Nebensatz Der Stand der Technik umfaßt alle Kenntnisse, [die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind.] Satz 2 = 34 Wortformen Satzgefüge mit einem Nebensatz Als Stand der Technik gilt auch der Inhalt folgender Patentanmeldungen mit äl‐ terem Zeitrang, [die erst an oder nach dem für den Zeitrang der jüngeren Anmel‐ dung maßgeblichen Tag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind: ] 1. der nationalen Anmeldungen in der beim Deutschen Patentamt ursprüng‐ lich eingereichten Fassung; 18270_Hennig_Bel.indd 207 18270_Hennig_Bel.indd 207 05.02.2020 11: 02: 26 05.02.2020 11: 02: 26 2. der europäischen Anmeldungen in der bei der zuständigen Behörde ur‐ sprünglich eingereichten Fassung, [wenn mit der Anmeldung für die Bun‐ desrepublik Deutschland Schutz begehrt wird] und [die Benennungsgebühr für die Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 79 Abs. 2 des Europäi‐ schen Patentübereinkommens gezahlt ist] und, [wenn es sich um eine Euro-PCT-Anmeldung (Artikel 153 Abs. 2 des Europäischen Patentüber‐ einkommens) handelt,] [die in Artikel 153 Abs. 5 des Europäischen Patent‐ übereinkommens genannten Voraussetzungen erfüllt sind; ] 3. der internationalen Anmeldungen nach dem Patentzusammenarbeitsver‐ trag in der beim Anmeldeamt ursprünglich eingereichten Fassung, [wenn für die Anmeldung das Deutsche Patentamt Bestimmungsamt ist.] Satz 3 = 137 Wortformen Satzgefüge mit sechs Nebensätzen Tab. A1: Sätze im Text „Patentrecht“ Der Text enthält insgesamt 184 Wortformen. Bei nur 3 Sätzen führt das zu einer durchschnittlichen Satzlänge von 61,3 Wortformen. Die folgende Ab‐ bildung soll das Verständnis der Grundstruktur des außerordentlich langen dritten Satzes erleichtern. Aufgrund des Satzumfangs sind dafür Kürzungen erforderlich. Die Abbildung zur Grundstruktur (Abbildung A1) wird durch eine Dependenzanalyse der Erweiterungen eines der koordinierten Geniti‐ vattribute ergänzt (Abbildung A2). 208 Anhang 208 18270_Hennig_Bel.indd 208 18270_Hennig_Bel.indd 208 05.02.2020 11: 02: 27 05.02.2020 11: 02: 27 Det N der Inhalt folgender Patentanmeldungen N Adj mit älterem Zeitrang, Präp N Adj die C […] Vfin gemacht worden sind: Nek 1. der Det N nationalen Adj Anmeldungen 2. Nek Det der europäischen Anmeldungen Adj N Nek 3. Det der N Adj internationalen Anmeldungen Abb. A1: Grundstruktur stark erweiterte Nominalgruppe Satz 3 209 Anhang 209 18270_Hennig_Bel.indd 209 18270_Hennig_Bel.indd 209 05.02.2020 11: 02: 27 05.02.2020 11: 02: 27 Det N Adj der nationalen Anmeldungen Präp in Det N der bei Präp Deutschen Patentamt ursprünglich eingereichten Fassung Part I Advtemp EPräp Det N Adj / m Abb. A2: Exemplarische Struktur der Erweiterungen von einem der koordinierten Genitivattribute Text 2: Patente GEOlino Was passiert eigentlich, [wenn man etwas erfunden hat? ] Satz 1 = 8 Wortformen Satzgefüge mit einem Nebensatz Wann bekommt man ein Patent? Satz 2 = 5 Wortformen Einfacher Satz Und was genau ist das eigentlich? Satz 3 = 6 Wortformen Einfacher Satz Thomas Späth hat die Antworten. Satz 4 = 5 Wortformen Einfacher Satz Rund 60000 Anträge reichen Erfinder und Unternehmen jedes Jahr beim Deut‐ schen Patent- und Markenamt ein. 210 Anhang 210 18270_Hennig_Bel.indd 210 18270_Hennig_Bel.indd 210 05.02.2020 11: 02: 27 05.02.2020 11: 02: 27 Satz 5 = 15 Wortformen Einfacher Satz Dort überprüfen der Elektrotechniker Thomas Späth, 44, und seine Kollegen, [ob die Idee wirklich neu ist.] Satz 6 = 16 Wortformen Satzgefüge mit einem Nebensatz Im Interview erzählt er, [wozu ein Patent gut ist] und [welche verrückten Erfin‐ dungen auf seinem Schreibtisch landen.] Satz 7 = 17 Wortformen Satzgefüge mit zwei Nebensätzen Was genau ist das - ein Patent? Satz 8 = 6 Wortformen Einfacher Satz Es ist der Nachweis, [dass ich eine Idee zuerst hatte] und [damit der Besitzer dieser Idee oder Erfindung bin.] Satz 9 = 19 Wortformen Satzgefüge mit zwei Nebensätzen So wie ein Fahrzeugbrief belegt, dass ich der Besitzer eines bestimmten Autos bin. Satz 10 = 13 Wortformen Satzgefüge mit einem Nebensatz Und wozu braucht ein Erfinder das Patent? [Um sich gegen Nachahmer zu schüt‐ zen.] Satz 11 = 13 Wortformen (Interaktives) Satzgefüge mit einem Nebensatz [Wenn ich ein Patent habe,] kann ich anderen entweder verbieten, [diese Idee zu nutzen.] Satz 12 = 14 Wortformen Satzgefüge mit zwei Nebensätzen Oder ich kann Geld für deren Nutzung verlangen. Satz 13 = 8 Wortformen Einfacher Satz Was passiert, [wenn jemand meine Idee trotzdem nutzt? ] Satz 14 = 8 Wortformen Satzgefüge mit einem Nebensatz 211 Anhang 211 18270_Hennig_Bel.indd 211 18270_Hennig_Bel.indd 211 05.02.2020 11: 02: 27 05.02.2020 11: 02: 27 Zunächst einmal muss der Erfinder selbst bemerken: Satz 15 = 7 Wortformen Einfacher Satz da baut jemand genau das nach, [was ich erfunden habe.] Satz 16 = 10 Wortformen Satzgefüge mit einem Nebensatz Dann kann er den Ideendieb verklagen. Satz 17 = 6 Wortformen Einfacher Satz Tab. A2: Sätze im Text „Patente GEOlino“ Die analysierten Sätze enthalten insgesamt 176 Wortformen. Bei 17 Sätzen ergibt das eine durchschnittliche Satzlänge von 10,4 Wortformen. Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax Das Kapitel „Nominalstil zwischen verbaler und nominaler Syntax“ wird mit einer Textanalyse abgeschlossen, die die erarbeiteten Grundlagen zur Va‐ lenzvererbung und zu Nominalgruppenbauplänen an authentischem Text‐ material erproben soll. Die Voraussetzung für die Analyse von auf Valenz‐ vererbung beruhenden Nominalgruppenbauplänen ist die Identifizierung von Verbalabstrakta und Adjektivabstrakta: Erst wenn geklärt ist, dass der Kern einer Nominalgruppe ein deverbales Nomen ist oder ein deadjektivi‐ sches Nomen, das in Kopulasätzen Valenzpotenz besitzt, ist die Grundlage für die Annahme einer Valenzvererbung gegeben. Die Entscheidung, ob ein solches Verbal- oder Adjektivabstraktum vorliegt, ist aus den folgenden bei‐ den Gründen nicht immer ganz einfach: 1. Die Lexikalisierung kann in einzelnen Fällen so weit vorangeschritten sein, dass das Nomen sozusagen ein „Eigenleben“ entwickelt hat, das sich vom verbalen oder adjektivischen Ausgangspunkt entfernt hat (vgl. auch die Ausführungen dazu im Kapitel „Grundbegriffe - No‐ minalisierung“). 2. Die Ableitungsrichtung ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar: Handelt es sich wirklich um ein von einem Verb abgeleitetes Nomen oder umgekehrt um ein auf der Basis eines Substantivs gebildetes Verb? 212 Anhang 212 18270_Hennig_Bel.indd 212 18270_Hennig_Bel.indd 212 05.02.2020 11: 02: 27 05.02.2020 11: 02: 27 Um vor dem Hintergrund dieser Problematik transparent zu machen, wie die Diagnose der 10 Verbalabstrakta und 12 Adjektivabstrakta in der Textanalyse des oben genannten Textes zustande gekommen ist, wird hier eine genauere Analyse derjenigen Lexeme vorgenommen, die potentiell als Verbal- oder Ad‐ jektivabstrakta in satzwertigen Nominalbzw. Präpositionalgruppen in Frage kommen. Da es in dem Kapitel um die Überführung von Satzinhalten von Sät‐ zen in Nominalgruppen geht, wird ein Satztest angewendet, um zu überprü‐ fen, welche der Kandidaten für Verbal- und Adjektivabstrakta tatsächlich als solche eingestuft werden können. Als ein wichtiges Indiz für die Satzwertig‐ keit einer Nominal- oder Präpositionalgruppe kann die Attribuierung angese‐ hen werden, da sie ja das zentrale Mittel der Realisierung von valenzgebunde‐ nen Gliedern in der Nominalgruppe ist. Deshalb wird diese als Kriterium in der Tabelle berücksichtigt. Da Possessivartikel eine Möglichkeit für die Realisie‐ rung einer Ergänzung bereitstellen, werden sie hier wie in der Dudengramma‐ tik zu den Attribuierungen gerechnet. Kandidat Nominali‐ sierungs‐ typ Attri‐ buie‐ rung Satztest Fazit Deverbale Nominalisierungen Differenzie‐ rung Explizite Derivation + Wir differenzie‐ ren uns gegen an‐ dere Wesen Satzwertige Nominal‐ gruppe Beobach‐ tung Explizite Derivation + Wir beobachten ihre Verschieden‐ heiten Satzwertige Nominal‐ gruppe Stellung Explizite Derivation + Wir stehen unter ihnen Satzwertige Nominal‐ gruppe Interesse - + ? Wir interessie‐ ren uns praktisch Laut Grimmwörter‐ buch ist das Verb inter‐ essieren aus dem Sub‐ stantiv Interesse abgeleitet, folglich keine satzwertige No‐ minalgruppe Handeln Infinitiv‐ konversion + Wir handeln, in‐ dem wir vor‐ schreiten Satzwertige Nominal‐ gruppe 213 Anhang 213 18270_Hennig_Bel.indd 213 18270_Hennig_Bel.indd 213 05.02.2020 11: 02: 27 05.02.2020 11: 02: 27 Verkehr Stammkon‐ version + Darwin verkehrt mit Tierzüchtern Laut Grimmwörter‐ buch ist das Nomen Verkehr vom Verb ver‐ kehren abgeleitet; folg‐ lich satzwertige Nomi‐ nalgruppe Abstam‐ mung Explizite Derivation + Die Arten stam‐ men von einem gemeinsamen Ur‐ sprung ab Satzwertige Nominal‐ gruppe Abwei‐ chung Explizite Derivation + Die gezüchtete Spielart weicht von anderen Ar‐ ten ab Satzwertige Nominal‐ gruppe Bewusst‐ sein Komposi‐ tum mit In‐ finitivkon‐ version - - Hoher Grad der Lexi‐ kalisierung, im vorlie‐ genden Kontext nicht sinnvoll auf eine ver‐ bale Struktur rückführ‐ bar, folglich keine satz‐ wertige Nominalgruppe Individuali‐ sierung Explizite Derivation + Ich individuali‐ siere mich gegen‐ über der Allge‐ meinheit Satzwertige Nominal‐ gruppe Vorstellung Explizite Derivation + X stellt sich Ver‐ schiedenheit vor Satzwertige Nominal‐ gruppe Absonde‐ rung Explizite Derivation + Die Lutheraner sonderten sich gegen den Katho‐ lizismus ab Satzwertige Nominal‐ gruppe Deadjektivische Nominalisierungen Thätigkeit Explizite Derivation + Wir sind tätig Satzwertige Nominal‐ gruppe Verschie‐ denheit Explizite Derivation + Sie sind verschie‐ den Satzwertige Nominal‐ gruppe Gleichheit Explizite Derivation - Die Spielart ist nicht gleich mit anderen Rassen Satzwertige Nominal‐ gruppe Differen‐ ziertheit Explizite Derivation + Der Besitz ist dif‐ ferenziert Satzwertige Nominal‐ gruppe 214 Anhang 214 18270_Hennig_Bel.indd 214 18270_Hennig_Bel.indd 214 05.02.2020 11: 02: 28 05.02.2020 11: 02: 28 Wichtigkeit Explizite Derivation + Die Gleichheit mit einer Allge‐ meinheit ist gleich wichtig Satzwertige Nominal‐ gruppe Gleichheit Explizite Derivation + Das Ich ist gleich mit der Allge‐ meinheit Satzwertige Nominal‐ gruppe Allgemein‐ heit Explizite Derivation - - Hoher Grad der Lexi‐ kalisierung, im vorlie‐ genden Kontext nicht sinnvoll auf eine Kopu‐ lastruktur rückführbar, folglich keine satzwer‐ tige Nominalgruppe Unbewusst‐ heit Explizite Derivation - Erstere sind un‐ bewusst Im Gegensatz zu Be‐ wusstsein lässt sich der Satztest hier anwen‐ den; folglich satzwer‐ tige Nominalgruppen Bewusst‐ heit Explizite Derivation - Letztere sind be‐ wusst Zweckmä‐ ßigkeit Explizite Derivation + Das Bewusstsein ist (nicht) orga‐ nisch zweckmä‐ ßig Satzwertige Nominal‐ gruppe Verschie‐ denheit Explizite Derivation - X und y sind ver‐ schieden Satzwertige Nominal‐ gruppe Gleichheit Explizite Derivation - X und y sind gleich Satzwertige Nominal‐ gruppe Streitigkeit Explizite Derivation + Die Lutheraner und Reformierten streiten Satzwertige Nominal‐ gruppe Ganze Explizite Derivation - - Hoher Grad der Lexi‐ kalisierung, im vorlie‐ genden Kontext nicht sinnvoll auf eine Kopu‐ lastruktur rückführbar, folglich keine satzwer‐ tige Nominalgruppe Tab. A3: Deverbale und deadjektivische Nominalisierungen als Kandidaten für Kerne satzwertiger Nominalgruppen 215 Anhang 215 18270_Hennig_Bel.indd 215 18270_Hennig_Bel.indd 215 05.02.2020 11: 02: 28 05.02.2020 11: 02: 28 Nominale Komplexität Text 1: Gugutzer Erläuterungen zur Darstellungsform: Im Folgenden werden Satz für Satz die Nominalgruppen mit komplexer Attribution analysiert, die Konstituenten des Satzes sind. Als Nominalgruppe mit komplexer Attribution gelten solche Nominalgruppen, die mindestens zwei Attribute aufweisen. Bei der Wiedergabe der Nominalgruppen wird der Kern fett gedruckt, die sich unmittelbar auf den Kern beziehenden Attribute kursiv. Auf eine typo‐ graphische Kennzeichnung der Unterordnungsstrukturen von Attributen wird aus Gründen der Überschaubarkeit verzichtet. Die interne Struktur der Attribute wird in knapper Form paraphrasiert. Zu Anschauungs- und Übungszwecken kann zu jeder der analysierten Nominalgruppe eine De‐ pendenzstruktur nach Eroms oder eine Konstituentenstruktur nach Eisen‐ berg ausgearbeitet werden. Satz 1 Seit [den grundlagentheoretischen Arbeiten von Alfred Schütz] zählt die Phänomenologie zu [den wichtigsten philosophischen Disziplinen] in‐ nerhalb der Soziologie. Satz 1 = 18 Wortformen Einfacher Satz den grundlagentheoretischen Arbeiten von Alfred Schütz Nominalgruppe 1 mit komplexer Attribution: Pränominales Adjektivattribut, postnominales Präpositionalattribut den wichtigsten philosophischen Disziplinen Nominalgruppe 2 mit komplexer Attribution: Zwei pränominale Adjektivattribute mit Unterordnung von Adjektivat‐ tribut 1 Ambiguität: innerhalb der Soziologie kommt auch als Attribut zu Diszi‐ plinen in Frage. Es kann aber auch selbstständiges Satzglied sein. Satz 2 Neben [ihrer fundamentalen Bedeutung für die im Anschluss an Schütz so genannte phänomenologische Soziologie] zeigt sich der Einfluss der Phänomenologie besonders in der Ethnomethodologie, der Wissensso‐ ziologie und [der Methodologie qualitativer Sozialforschung], Satz 2 = 31 Wortformen Einfachsatz ihrer fundamentalen Bedeutung für die im Anschluss an Schütz so ge‐ nannte phänomenologische Soziologie 216 Anhang 216 18270_Hennig_Bel.indd 216 18270_Hennig_Bel.indd 216 05.02.2020 11: 02: 28 05.02.2020 11: 02: 28 Nominalgruppe 1 mit komplexer Attribution: Pränominales Adjektivattribut und postnominales Präpodisionalattribut Interne Struktur des nominalen Kerns des Präpositionalattributs: Pränominales Adjektivattribut phänomonologische , erweitert durch das Partizipialattribut genannte , auf das sich wiederum das Adverb so und die Präpositionalgruppe im Anschluss an Schütz ( an Schütz ist dabei dem Nomen Anschluss untergeordnet) bezieht. der Methodologie qualitativer Sozialforschung Nominalgruppe 2 mit komplexer Attribution: Postnominales Genitivattribut mit untergeordnetem Adjektivattribut Satz 3 aber auch in Luhmanns Systemtheorie, Habermas’ Kritischer Theorie oder Giddens’ Strukturationstheorie hat sie Eingang gefunden. Satz 3 = 15 Wortformen Einfacher Satz Keine Nominalgruppe mit komplexer Attribution Satz 4 Auffällig ist dabei, dass [die soziologische Auseinandersetzung mit der phänomenologischen Philosophie] auf [einen engen Kreis an Autoren und Themen] begrenzt ist. Satz 4 = 21 Wortformen Satzgefüge mit einem Nebensatz die s oziologische Auseinandersetzung mit der phänomenologischen Phi‐ losophie Nominalgruppe 1 mit komplexer Attribution: Pränominales Adjektivattribut und postnominales Präpositionalattribut (erweitert durch ein Adjektivattribut) einen engen Kreis an Autoren und Themen Nominalgruppe 2 mit komplexer Attribution: Pränominales Adjektivattribut und postnominales Präpositionalattribut mit Kernkoordination Satz 5 Seit [den wegweisenden Untersuchungen von Schütz] bildet die Trans‐ zendentalphänomenologie von Edmund Husserl [den unumstrittenen Referenzpunkt für die Soziologie] Satz 5 = 18 Wortformen Einfacher Satz den wegweisenden Untersuchungen von Schütz Nominalgruppe 1 mit komplexer Attribution: Pränominales Adjektivattribut und postonominales Präpositionalattribut 217 Anhang 217 18270_Hennig_Bel.indd 217 18270_Hennig_Bel.indd 217 05.02.2020 11: 02: 28 05.02.2020 11: 02: 28 den unumstrittenen Referenzpunkt für die Soziologie Nominalgruppe 2 mit komplexer Attribution: Pränominales Adjektivattribut und postnominales Präpositionalattribut Satz 6 [Kernthemen der durch Husserl inspirierten phänomenologischen So‐ ziologie] sind [die bewusstseinsmäßige Konstitution sinnhaften Han‐ delns] und [die soziale, vor allem wissensbasiert-kommunikative Kon‐ struktion gesellschaftlicher Wirklichkeit], [die Problematik des Fremdverstehens und der Intersubjektivität] sowie die Lebensweltthe‐ matik. Satz 6 = 32 Wortformen Einfacher Satz Kernthemen der durch Husserl inspirierten phänomenologischen Sozio‐ logie Nominalgruppe 1 mit komplexer Attribution: Postnominales Genitivattribut mit erweitertem Adjektivattribut Interne Struktur des Genitivattributs: Pränominales Adjektivattribut phänomenologischen , erweitert durch das Partizipialattribut inspirierten , auf das sich wiederum die Präpositionalgruppe durch Husserl bezieht die bewusstseinsmäßige Konstitution sinnhaften Handelns Nominalgruppe 2 mit komplexer Attribution: Pränominales Adjektivattribut und postnominales Genitivattribut (er‐ weitert durch ein Adjektivattribut) die soziale, vor allem wissensbasiert-kommunikative Konstruktion ge‐ sellschaftlicher Wirklichkeit Nominalgruppe 3 mit komplexer Attribution: Pränominale koordinierte Adjektivattribute und postnominales Geni‐ tivattribut (erweitert durch ein Adjektivattribut) die Problematik des Fremdverstehens und der Intersubjektivität Nominalgruppe 4 mit komplexer Attribution: Koordinierte postnominale Genitivattribute Satz 7 In Fortführung der Husserl-Schütz-Tradition präsentiert sich die phä‐ nomenologische Soziologie gegenwärtig vor allem als Lebenswelt-, All‐ tags- und Wissenssoziologie. Satz 7 = 17 Wortformen Einfacher Satz Keine Nominalgruppe mit komplexer Attribution 218 Anhang 218 18270_Hennig_Bel.indd 218 18270_Hennig_Bel.indd 218 05.02.2020 11: 02: 28 05.02.2020 11: 02: 28 Satz 8 Neben Husserls Transzendentalphänomenologie dürfte die Wahrneh‐ mungsphänomenologie von Maurice Merleau-Ponty [die von der Sozio‐ logie bevorzugteste phänomenologische Philosophie] sein. Satz 8 = 17 Wortformen Einfacher Satz die von der Soziologie bevorzugteste phänomenologische Philosophie Nominalgruppe 1 mit komplexer Attribution: Pränominales Adjektivattribut, erweitert durch das Partizipialattribut bevorzugteste , auf das sich wiederum die Präpositionalgruppe von der Soziologie bezieht Satz 9 Die Soziologie rekurriert auf Merleau-Ponty insbesondere dann, wenn [das Verhältnis von Leiblichkeit / Sinnlichkeit und Intersubjektivität / Sozialität] in Frage steht Satz 9 = 19 Wortformen Satzgefüge mit einem Nebensatz das Verhältnis von Leiblichkeit / Sinnlichkeit und Intersubjektivität / So‐ zialität Nominalgruppe 1 mit komplexer Attribution: Postnominales Präpositionalattribut mit Kernkoordination Satz 10 Das soziologische Interesse gilt hierbei vor allem [Merleau-Pontys Konzept der „Zwischenleiblichkeit“], das vorzugsweise für [eine Kritik an Schütz’ egologischem Ansatz] und die Entwicklung einer Sozialitätstheorie ge‐ nutzt wird, deren Fundament die fungierende Leiblichkeit ist: Der Leib als Medium des Handelns und als [Vermittler zwischen Ich und Welt]. Satz 10 = 46 Wortformen Satzgefüge mit zwei Nebensätzen Merleau-Pontys Konzept der „Zwischenleiblichkeit“ Nominalgruppe 1 mit komplexer Attribution: Pränominales und postnominales Genitivattribut eine Kritik an Schütz’ egologischem Ansatz Nominalgruppe 2 mit komplexer Attribution: Postnominales Präpositionalattribut, das durch ein Adjektivattribut er‐ weitert ist, auf das sich wiederum das vorangestellte Genitivattribut Schütz‘ bezieht Vermittler zwischen Ich und Welt Nominalgruppe 3 mit komplexer Attribution: Postnominales Präpositionalattribut mit Kernkoordination 219 Anhang 219 18270_Hennig_Bel.indd 219 18270_Hennig_Bel.indd 219 05.02.2020 11: 02: 29 05.02.2020 11: 02: 29 Satz 11 Des Weiteren finden [Merleau-Pontys leibphänomenologische Überlegun‐ gen] große Resonanz i[m Kontext der jüngeren Körpersoziologie], allen voran in [den Diskussionen um eine körperbasierte, embodied sociology]. Satz 11 = 23 Wortformen Einfacher Satz Merleau-Pontys leibphänomenologische Überlegungen Nominalgruppe 1 mit komplexer Attribution: Pränominales Adjektivattribut, auf das sich wiederum ein pränominales Genitivattribut bezieht m Kontext der jüngeren Körpersoziologie Nominalgruppe 2 mit komplexer Attribution: Postnominales Genitivattribut (erweitert durch ein Adjektivattribut) den Diskussionen um eine körperbasierte, embodied sociology Nominalgruppe 3 mit komplexer Attribution: Postnominales Präpositionalattribut (erweitert durch koordinierte Ad‐ jektivattribute) Satz 12 Verglichen mit [dem zentralen Stellenwert der Phänomenologien von Husserl und Merleau-Ponty] sind [jene von Scheler, Heidegger, Sartre, Levians, Ricoeur oder Waldenfels] wie auch [die derzeit besonders po‐ puläre „enactive phenomenology“ von Gallagher] soziologisch rand‐ ständig. Satz 12 = 33 Wortformen Einfacher Satz dem zentralen Stellenwert der Phänomenologien von Husserl und Mer‐ leau-Ponty Nominalgruppe 1 mit komplexer Attribution: Pränominales Adjektivattribut und postnominales Genitivattribut, das wiederum durch ein Präpositionalattribut mit Kernkoordination erwei‐ tert ist jene von Scheler, Heidegger, Sartre, Levians, Ricoeur oder Waldenfels Nominalgruppe 2 mit komplexer Attribution: Postnominales Präpositionalattribut mit Kernkoordination die derzeit besonders populäre „enactive phenomenology“ von Gallagher Nominalgruppe 3 mit komplexer Attribution: Pränominales Adjektivattribut (erweitert durch das Intensitätsattribut besonders und das Adverb derzeit ) und postnominales Präpositionalat‐ tribut 220 Anhang 220 18270_Hennig_Bel.indd 220 18270_Hennig_Bel.indd 220 05.02.2020 11: 02: 29 05.02.2020 11: 02: 29 Satz 13 Nahezu außerhalb des Wahrnehmungsfeldes der Soziologie befindet sich schließlich die Neue Phänomenologie von Hermann Schmitz. Satz 13 = 15 Wortformen Einfacher Satz Tab. A4: Sätze und komplexe Nominalgruppen im Text „Gugutzer“ Auf zwei grundsätzliche Probleme der Analyse sei hier verwiesen: 1. In einigen Fällen ist es schwer zu entscheiden, ob eine Nominalgruppe mit einem Attribut vorliegt oder ob es sich bei der Verbindung von Nomen und Attributkandidat bereits um einen festen Begriff handelt, sodass eine Attributanalyse wenig sinnvoll ist, etwa: phänomenologi‐ sche Soziologie, Kritische Theorie, enactive phenomenology. Die Ent‐ scheidungen wurden hier auf der Basis folgender Kriterien getroffen: Bei Kritischer Theorie und Neue Phänomenologie wurde die Groß‐ schreibung als Indiz für den terminologischen Status der Verbindung angesehen, kritisch wurde folglich nicht als Adjektivattribut analy‐ siert. Bei phänomenologische Soziologie kann nicht nur die Klein‐ schreibung als Indiz für den Adjektivattributstatus gewertet werden, sondern auch die Tatsache, dass als nominaler Kern hier neben Sozio‐ logie auch Philosophie im Text vorkommt, was auf eine freiere Kom‐ binierbarkeit hindeutet. Enactive phenomenology schließlich wurde hier als Fremdwort als ein Begriff ohne interne Struktur gewertet; die verwendeten Anführungszeichen unterstützen diese Analyse. 2. Die Analyse geht davon aus, dass ein Attribut jeweils einem Kern untergeordnet ist. So gestaltet sie sich bspw. für die wichtigsten phi‐ losophischen Disziplinen wie folgt: 221 Anhang 221 18270_Hennig_Bel.indd 221 18270_Hennig_Bel.indd 221 05.02.2020 11: 02: 29 05.02.2020 11: 02: 29 NGr N N N N nuk AdjGr die wichtigsten philosophischen Disziplinen hd attr attr nuk Abb. A3: Kernbezogene Attributanalyse Die folgende Übersicht illustriert eine alternative Interpretation der attri‐ butiven Bezüge in der Nominalgruppe: NGr N N N N nuk die wichtigsten philosophischen Disziplinen hd attr attr Abb. A4: Attributanalyse mit komplexem Kern Diese Analyse geht davon aus, dass sich das Adjektivattribut wichtigsten nicht auf das Adjektiv philosophischen bezieht, sondern auf philosophischen Disziplinen , die quasi einen komplexen Kern der Nominalgruppe bilden. Al‐ ternativ (so bei Fuhrhop / Thieroff 2005: 328) könnte auch philosophischen Disziplinen wiederum als Nominalgruppe betrachtet werden, auf die sich dann ebenfalls das Adjektivattribut wichtigsten beziehen würde. In der Tabelle wurde die aus der Perspektive dieser Diskussion vereinfa‐ chend wirkende Analysevariante 1 angewendet, da es hier darauf ankam, einen möglichst überschaubaren Überblick über die Formen komplexer At‐ tribution im Text zu vermitteln. 222 Anhang 222 18270_Hennig_Bel.indd 222 18270_Hennig_Bel.indd 222 05.02.2020 11: 02: 29 05.02.2020 11: 02: 29 Nachdem in einer ersten Annäherung an die Strukturen der Nominalgrup‐ pen mit komplexer Attribution eine Bestandsaufnahme der Attribuierungs‐ strukturen im Text erfolgte, sollen nun in einem zweiten Schritt die im Fließtext angesprochenen Komplexitätstypen betrachtet werden. Satz 1 den grundlagentheoretischen Arbeiten von Alfred Schütz Gleichrangigkeit: Das Adjektivattribut grundlagentheoretischen und das Präpositionalattribut von Alfred Schütz beziehen sich gleichrangig auf den Kern Arbeiten. den wichtigsten philosophischen Disziplinen Unterordnung: Das Adjektivattribut wichtigsten ist dem Adjektivattri‐ but philosophischen untergeordnet. (Siehe aber das oben unter 2. beschriebene Problem mit Abb. A3 und A4. Aber auch bei einer anderen Interpretation der Abhängigkeitsverhält‐ nisse gilt, dass die beiden Adjektivattribute einen unterschiedlichen Stellenwert haben und wichtigsten untergeordnet ist.) Satz 2 ihrer fundamentalen Bedeutung für die im Anschluss an Schütz so ge‐ nannte phänomenologische Soziologie Gleichrangigkeit: Das Adjektivattribut fundamentalen und das Präpo‐ sitionalattribut für die […] Soziologie beziehen sich gleichrangig auf den Kern Bedeutung. Unterordnung: Dem nominalen Kern des Präpositionalattributs Sozio‐ logie ist das Adjektivattribut phänomenologische untergeordnet. Unterordnung: Dem Adjektivattribut phänomenologische ist das Parti‐ zipialattribut genannte untergeordnet. Unterordnung: Dem Partizipialattribut genannte ist das adverbiale At‐ tribut so untergeordnet. Unterordnung: Dem Partizipialattribut genannte ist das Präpositional‐ attribut im Anschluss untergeordnet. Gleichrangigkeit: Das Präpositionalattribut im Anschluss und das ad‐ verbiale Attribut so sind gleichrangig dem Partizipialattribut genannte untergeordnet. Unterordnung: Dem nominalen Kern des Präpositionalattributs An‐ schluss ist das Präpositionalattribut an Schütz untergeordnet. der Methodologie qualitativer Sozialforschung Unterordnung: Dem Genitivattribut Sozialforschung ist das Adjektiv‐ attribut qualitativer untergeordnet. Satz 4 die soziologische Auseinandersetzung mit der phänomenologischen Phi‐ losophie 223 Anhang 223 18270_Hennig_Bel.indd 223 18270_Hennig_Bel.indd 223 05.02.2020 11: 02: 29 05.02.2020 11: 02: 29 Gleichrangigkeit: Das Adjektivattribut soziologische und das Präposi‐ tionalattribut mit der […] Philosophie beziehen sich gleichrangig auf den Kern Auseinandersetzung. Unterordnung: Dem nominalen Kern des Präpositionalattributs Philo‐ sophie ist das Adjektivattribut phänomenologischen untergeordnet. einen engen Kreis an Autoren und Themen Gleichrangigkeit: Das Adjektivattribut engen und das Präpositional‐ attribut an Autoren und Themen beziehen sich gleichrangig auf den Kern Kreis. Koordination: Das Präpositionalattribut weist eine Kernkoordination auf ( Autoren und Themen ). Satz 5 den wegweisenden Untersuchungen von Schütz Gleichrangigkeit: Das Adjektivattribut wegweisenden und das Präpo‐ sitionalattribut von Schütz beziehen sich gleichrangig auf den Kern Un‐ tersuchungen. den unumstrittenen Referenzpunkt für die Soziologie Gleichrangigkeit: Das Adjektivattribut unumstrittenen und das Präpo‐ sitionalattribut für die Soziologie beziehen sich gleichrangig auf den Kern Referenzpunkt. Satz 6 Kernthemen der durch Husserl inspirierten phänomenologischen Sozio‐ logie Unterordnung: Dem Genitivattribut der Soziologie ist das Adjektivat‐ tribut phänomenologischen untergeordnet. Unterordnung: Dem Adjektivattribut phänomenologischen ist das Par‐ tizipialattribut inspirierten untergeordnet. Unterordnung: Dem Partizipialattribut inspirierten ist das Präpositio‐ nalattribut durch Husserl untergeordnet. die bewusstseinsmäßige Konstitution sinnhaften Handelns Gleichrangigkeit: Das Adjektivattribut bewusstseinsmäßige und das Genitivattribut Handelns beziehen sich gleichrangig auf den Kern Kon‐ stitution. Unterordnung: Dem Kern des Genitivattributs Handelns ist das Adjek‐ tivattribut sinnhaften untergeordnet. die soziale, vor allem wissensbasiert-kommunikative Konstruktion ge‐ sellschaftlicher Wirklichkeit Gleichrangigkeit: Die Adjektivattribute soziale, vor allem wissensba‐ siert-kommunikative und das Genitivattribut Wirklichkeit beziehen sich gleichrangig auf den Kern Konstruktion. Koordination: Die Adjektivattribute soziale, vor allem wissensba‐ siert-kommunikative sind koordiniert. 224 Anhang 224 18270_Hennig_Bel.indd 224 18270_Hennig_Bel.indd 224 05.02.2020 11: 02: 29 05.02.2020 11: 02: 29 Unterordnung: Dem Genitivattribut Wirklichkeit ist das Adjektivattri‐ but gesellschaftlicher untergeordnet. die Problematik des Fremdverstehens und der Intersubjektivität Koordination: Die Genitivattribute des Fremdverstehens und der Inter‐ subjektivität sind koordiniert. Satz 8 die von der Soziologie bevorzugteste phänomenologische Philosophie Unterordnung: Dem Adjektivattribut phänomenologische ist das Parti‐ zipialattribut bevorzugteste untergeordnet. Unterordnung: Dem Partizipialattribut bevorzugteste ist das Präpositi‐ onalattribut von der Soziologie untergeordnet. Satz 9 das Verhältnis von Leiblichkeit / Sinnlichkeit und Intersubjektivität / So‐ zialität Koordination: Das Präpositionalattribut weist eine Kernkoordination auf ( Leiblichkeit / Sinnlichkeit und Intersubjektivität / Sozialität ). Satz 10 Merleau-Pontys Konzept der „Zwischenleiblichkeit“ Gleichrangigkeit: Das prä- und das postnominale Genitivattribut be‐ ziehen sich gleichrangig auf den Kern Konzept. eine Kritik an Schütz’ egologischem Ansatz Unterordnung: Dem nominalen Kern des Präpositionalattributs ist das Adjektivattribut egologischem untergeordnet. Unterordnung: Dem Adjektivattribut egologischem ist das Genitivat‐ tribut Schütz ’ untergeordnet. (Achtung: Im Sinne des oben unter 2. beschriebenen Problems handelt es sich hierbei um eine Vereinfachung). Vermittler zwischen Ich und Welt Koordination: Das Präpositionalattribut weist eine Kernkoordination auf ( Ich und Welt ). Satz 11 Merleau-Pontys leibphänomenologische Überlegungen Unterordnung: Dem Adjektivattribut leibphänomenologische ist das Genitivattribut Merleau-Pontys untergeorndet. (Achtung: Im Sinne der oben geführten Diskussion unter 2. handelt es sich hierbei um eine Vereinfachung). im Kontext der jüngeren Körpersoziologie Unterordnung: Dem Genitivattribut der […] Körpersoziologie ist das Adjektivattribut jüngeren untergeordnet. den Diskussionen um eine körperbasierte, embodied sociology 225 Anhang 225 18270_Hennig_Bel.indd 225 18270_Hennig_Bel.indd 225 05.02.2020 11: 02: 30 05.02.2020 11: 02: 30 Unterordnung: Dem nominalen Kern des Präpositionalattributs socio‐ logy sind die Adjektivattribute körperbasierte, embodied untergeordnet. Koordination: Die Adjektivattribute körperbasierte, embodied sind ko‐ ordiniert. Satz 12 dem zentralen Stellenwert der Phänomenologien von Husserl und Mer‐ leau-Ponty Gleichrangigkeit: Das Adjektivattribut zentralen und das Genitivattri‐ but der Phänomenologie beziehen sich gleichrangig auf den Kern Stel‐ lenwert. Unterordnung: Dem Kern des Genitivattributs Phänomenologien ist das Präpositionalattribut von Husserl und Merleau-Ponty untergeordnet. Koordination: Das Präpositionalattribut weist eine Kernkoordination auf ( Husserl und Merleau-Ponty ). jene von Scheler, Heidegger, Sartre, Levians, Ricoeur oder Waldenfels Koordination: Das Präpositionalattribut weist eine Kernkoordination auf ( Scheler, Heidegger, Sartre, Levians, Ricoeur oder Waldenfels ). die derzeit besonders populäre „ enactive phenomenology “ von Gallag‐ her Gleichrangigkeit: Das Adjektivattribut populäre und das Präpositio‐ nalattribut von Gallagher beziehen sich gleichrangig auf den Kern „ enac‐ tive phenomenology “. Unterordnung: Dem Adjektivattribut populäre ist das Intensitätsattri‐ but besonders untergeordnet. Unterordnung: Dem Adjektivattribut populäre ist das adverbiale At‐ tribut derzeit untergeordnet. Tab. A5: Komplexitätsphänomene in Nominalgruppen im Text „Gugutzer“ Text 2: Kant Der zweite Text im Abschnitt „Textanalyse“ im Kapitel „Nominale Komple‐ xität“ wurde als Beispiel für die Analyse komplexer Satzstrukturen heran‐ gezogen. Aus diesem Grunde werden in der folgenden Tabelle nicht die komplexen nominalen Strukturen, sondern die komplexen Satzstrukturen analysiert. Satz 1 Es gibt Gelehrte, denen die Geschichte der Philosophie (der alten sowohl als neuen) selbst ihre Philosophie ist, Satz 1 = 17 Wortformen 226 Anhang 226 18270_Hennig_Bel.indd 226 18270_Hennig_Bel.indd 226 05.02.2020 11: 02: 30 05.02.2020 11: 02: 30 Satzgefüge mit einem Nebensatz Satz 2 vor diese sind gegenwärtige Prolegomena nicht geschrieben. Satz 2 = 7 Wortformen Einfacher Satz Satz 3 Sie müssen warten, bis diejenigen, die aus den Quellen der Vernunft selbst zu schöpfen bemühet sind, ihre Sache werden ausgemacht haben, Satz 3 = 21 Wortformen Satzgefüge mit zwei Nebensätzen Unterordnung: Der Relativsatz die […] bemühet sind ist dem Tempo‐ ralsatz bis […] werden ausgemacht haben untergeordnet. Satz 4 und alsdenn wird an ihnen die Reihe sein, von dem Geschehenen der Welt Nachricht zu geben. Satz 4 = 16 Wortformen Satzgefüge mit einem Nebensatz (Infinitivsatz) Satz 5 Widrigenfalls kann nichts gesagt werden, was ihrer Meinung nach nicht schon sonst gesagt worden ist, Satz 5 = 15 Wortformen Satzgefüge mit einem Nebensatz Satz 6 und in der Tat mag dieses auch als eine untrügliche Vorhersagung vor alles Künftige gelten; Satz 6 = 15 Wortformen Einfacher Satz Satz 7 denn, da der menschliche Verstand über unzählige Gegenstände viele Jahrhunderte hindurch auf mancherlei Weise geschwärmt hat, so kann es nicht leicht fehlen, daß nicht zu jedem Neuen etwas Altes gefunden werden sollte, was damit einige Ähnlichkeit hätte. Satz 7 = 37 Wortformen Satzgefüge mit drei Nebensätzen Gleichrangigkeit: Der Kausalsatz da […] geschwärmt hat und der Sub‐ jektsatz daß […] gefunden werden sollte beziehen sich gleichrangig auf den Hauptsatz so kann es nicht leicht fehlen. Unterordnung: Dem Subjektsatz daß […] gefunden werden sollte ist der Relativsatz was […] hätte untergeordnet. Satz 8 Meine Absicht ist, alle diejenigen, so es wert finden, sich mit Metaphysik zu beschäftigen, zu überzeugen: daß es unumgänglich notwendig sei, ihre Arbeit vor der Hand auszusetzen, alles bisher Geschehene als un‐ 227 Anhang 227 18270_Hennig_Bel.indd 227 18270_Hennig_Bel.indd 227 05.02.2020 11: 02: 30 05.02.2020 11: 02: 30 geschehen anzusehen, und vor allen Dingen zuerst die Frage aufzuwer‐ fen: „ob auch so etwas, als Metaphysik, überall nur möglich sei.“ Satz 8 = 51 Wortformen Satzgefüge mit 8 Nebensätzen Unterordnung: Dem Attributsatz alle diejenigen […] zu überzeugen ist der Relativsatz so es wert finden untergeordnet. Unterordnung: Dem Attributsatz alle diejenigen […] zu überzeugen ist der Objektsatz daß es unumgänglich notwendig sei untergeordnet. Gleichrangigkeit: Der Relativsatz so es wert finden und der Objektsatz daß es unumgänglich notwendig sei sind gleichrangig dem Attributsatz alle diejenigen […] zu überzeugen untergeordnet. Unterordnung: Dem Relativsatz so es wert finden ist der Objektsatz sich mit Metaphysik zu beschäftigen untergeordnet. Unterordnung: Dem Objektsatz daß es unumgänglich notwendig sei ist der Subjektsatz ihre Arbeit […] auszusetzen untergeordnet. Unterordnung: Dem Objektsatz daß es unumgänglich notwendig sei ist der Subjektsatz alles […] anzusehen untergeordnet. Unterordnung: Dem Objektsatz daß es unumgänglich notwendig sei ist der Subjektsatz […] die Frage aufzuwerfen untergeordnet. Koordination: Die drei Subjektsätze ihre Arbeit […] auszusetzen, alles […] anzusehen und […] die Frage aufzuwerfen sind koordiniert. Unterordnung: Dem Subjektsatz und […] die Frage aufzuwerfen ist der Attributsatz ob […] möglich sei untergeordnet. Satz 9 Ist sie Wissenschaft, wie kommt es, daß sie sich nicht, wie andre Wis‐ senschaften, in allgemeinen und daurenden Beifall setzen kann? Satz 9 = 20 Wortformen Satzgefüge mit zwei Nebensätzen Gleichrangigkeit: Dem Hauptsatz wie kommt es sind gleichrangig der (uneingeleitete) Konditionalsatz Ist sie Wissenschaft und der Subjektsatz daß […] setzen kann untergeordnet . Satz 10 Ist sie keine, wie geht es zu, daß sie doch unter dem Scheine einer Wis‐ senschaft unaufhörlich groß tut, und den menschlichen Verstand mit niemals erlöschenden, aber nie erfüllten Hoffnungen hinhält? Satz 10 = 30 Wortformen Satzgefüge mit 3 Nebensätzen Gleichrangigkeit: Dem Hauptsatz wie geht es zu sind gleichrangig der (uneingeleitete) Konditionalsatz Ist sie keine und die Subjektsätze daß […] groß tut und und […] hinhält untergeordnet. Koordination: Die Subjektsätze daß […] groß tut und und […] hinhält sind koordiniert. Satz 11 Man mag also entweder sein Wissen oder Nichtwissen demonstrieren, so muß doch einmal über die Natur dieser angemaßten Wissenschaft etwas Sicheres ausgemacht werden; 228 Anhang 228 18270_Hennig_Bel.indd 228 18270_Hennig_Bel.indd 228 05.02.2020 11: 02: 30 05.02.2020 11: 02: 30 Satz 11 = 23 Wortformen Satzgefüge mit einem Nebensatz Satz 12 denn auf demselben Fuße kann es mit ihr unmöglich länger bleiben. Satz 12 = 11 Wortformen Einfacher Satz Satz 13 Es scheint beinahe belachenswert, indessen daß jede andre Wissenschaft unaufhörlich fortrückt, sich in dieser, die doch die Weisheit selbst sein will, deren Orakel jeder Mensch befrägt, beständig auf derselben Stelle herumzudrehen, ohne einen Schritt weiterzukommen. Satz 13 = 35 Wortformen Satzgefüge mit 5 Nebensätzen Unterordnung: Dem Subjektsatz sich in dieser […] herumzudrehen ist der Temporalsatz indessen daß […] fortrückt untergeordnet. Unterordnung: Dem Subjektsatz sich in dieser […] herumzudrehen ist der Relativsatz die doch die Weisheit selbst sein will untergeordnet. Unterordnung: Dem Subjektsatz sich in dieser […] herumzudrehen ist der Relativsatz deren Orakel jeder Mensch befrägt untergeordnet. Unterordnung: Dem Subjektsatz sich in dieser […] herumzudrehen ist der Irrelevanzkonditionalsatz ohne […] weiterzukommen untergeordnet. Gleichrangigkeit: Der Temporalsatz indessen daß […] fortrückt , die Re‐ lativsätze die […] sein will sowie deren Orakel […] befrägt und der Irre‐ levanzkonditionalsatz ohne […] weiterzukommen sind gleichrangig dem Subjektsatz sich in dieser […] herumzudrehen untergeordnet. Koordination: Die Relativsätze die […] sein will, deren Orakel […] be‐ frägt sind koordiniert. Tab. A6: Komplexitätsphänomene in Sätzen im Text „Kant“ 229 Anhang 229 18270_Hennig_Bel.indd 229 18270_Hennig_Bel.indd 229 05.02.2020 11: 02: 31 05.02.2020 11: 02: 31 18270_Hennig_Bel.indd 230 18270_Hennig_Bel.indd 230 05.02.2020 11: 02: 31 05.02.2020 11: 02: 31 Literaturverzeichnis Primärquellen Á G E L , Vilmos (2011): Analyse und Synthese - ein Diskussionsbeitrag. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 39, S. 405-421. B A R T S C H , Renate (1973): Gibt es einen sinnvollen begriff linguistischer komplexität? In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 1, S. 6-31. B I C H S E L , Peter (1995): Ein Tisch ist ein Tisch. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. B U ND E S MINI S T E R I UM D E R J U S TIZ U ND FÜR V E R B R AU C H E R S C HU TZ (2017): Patentgesetz. https: / / www.gesetze-im-internet.de/ patg/ BJNR201170936.html [abgerufen am 15.10.2019]. D E R E K O = Deutsches Referenzkorpus. Sammlung elektronischer Korpora der deutschen Gegenwartssprache. 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64, 65 Aktiv 196 Akzeptabilität 193 Analogie 24, 25, 121, 164, 201 Angabe 38, 40, 57, 78, 84, 129, 159, 161, 194 Apposition 35, 182, 199, 200 Argument 43, 112, 120 Artikel 24, 25, 26, 30, 31, 33, 56, 69, 76, 108, 114, 121, 157 Attribuierung 60, 162 Attribuierungsgrad 97 Attribuierungskomplexität 92, 155, 162, 164, 166, 168, 169, 170 Attribuierungskomplikation 176, 182, 183, 184, 185 Attribut 30, 58, 77, 89, 126, 133, 176, 178, 187, 193, 199 adjektivisch 162 postnominal 58, 141 substantivisch 162 Attribution 57, 84, 87, 88, 90, 92, 95, 101, 119, 120, 160, 162, 163, 168, 173, 182, 184, 6, 199, 200, 201, 204 Attributkoordination 160 Attributrelation 35, 177 Attributsatz 59, 86, 97, 98, 154 Attributstruktur 29, 152 Attributverknüpfung 201 Augenblickskompositum 74 Aussagegehalt 42, 46 Aussagenverknüpfung 198, 205 Bestimmungswort 72 Bezugsnomen 36, 104, 133, 141, 156, 174, 179, 183, 199, 204 Bezugsstelle 43, 56 common ground 180 common sense 141, 181, 186 Dativ 26 Deagentivierung 105 18270_Hennig_Bel.indd 243 18270_Hennig_Bel.indd 243 05.02.2020 11: 02: 33 05.02.2020 11: 02: 33 Deixis 105, 195 Deklination 26, 36, 71, 76, 161 Dekodierung 70, 176, 177, 180 denotativ-semantisch 48 Dependens 163, 164, 179 Dependenz 33, 35 Dependenzgrammatik 32, 33, 77, 163, 177 Dependenzrelation 33, 35 Dependenzstruktur 33, 163, 164, 176, 178, 188 dekodiert 177 Derivation 19, 20, 21, 22, 71, 142 explizit 22, 23, 147, 149 implizit 22 Determination 111, 114, 120 Domäne funktional 111, 182 kommunikativ 53, 165, 199 nominal 21, 22, 84, 85, 88, 113, 119, 129, 134, 197, 205 strukturell 5, 108, 110, 113, 116, 121, 130, 181, 182, 195, 197 durativ 65 Eigenschaftsprädikat 47, 150 Einbettung 35, 44, 45, 50, 56, 75, 77, 120, 123, 125, 128, 148, 149, 150, 153, 160, 162, 187, 196 Einbettungstiefe 162, 179 Einheitenkategorie 112, 114 Einstellung, propositional 45 Ellipse 38 Ergänzung 31, 38, 40, 41, 43, 57, 62, 68, 69, 72, 76, 77, 81, 84, 85, 86, 87, 90, 126, 129, 132, 134, 139, 141, 148, 150, 160, 161, 187 Erstglied 68, 69, 71 Felderstrukturmodell 41 Femininum 26 Finitheit 81, 195 Finitum 40 Flexion 111, 188, 195 Flexionskategorie 18, 114 Flexiv 26 Funktionsverbgefüge 51, 52, 57, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 84, 85, 86, 87 Gattungsprädikat 47 Geberlexem 23 Gehalt, propositional 39, 42, 45, 50, 195 Genitiv 26, 187 Genitivattribut 33, 35, 52, 56, 57, 86, 90, 109, 119, 120, 128, 133, 140, 141, 156, 160, 174, 176, 178, 179, 181, 182, 183, 187, 189, 200, 203, 204 diskontinuierlich 98, 104 postnominal 169 pränominal 82 Genitivus obiectivus 86, 119, 120, 123, 128, 139, 143, 148, 174, 176 Genitivus subiectivus 119, 123, 129, 140, 141, 143, 174, 176 Genus 18, 19, 26, 114, 196 Genus verbi 196 Gleichrangigkeit 163, 164, 168, 172, 173, 181 Gleichzeitigkeit 193 Grundwort 71 Handlungsgehalt 42, 45 Handlungsprädikat 47, 49, 50, 93, 150, 196 Hauptmerkmalträger 26 Hauptsatz 40, 194 hierarchisch 35, 41, 97, 160, 161 Hilfsverb 81, 198, 204 Illokution 39, 45, 111 inchoativ 65 244 Register 244 18270_Hennig_Bel.indd 244 18270_Hennig_Bel.indd 244 05.02.2020 11: 02: 33 05.02.2020 11: 02: 33 Indefinitpronomen 105 Indikativ 196 Infinitivgruppe, satzwertige 92 Infinitivkonstruktion 171, 173 Infinitivkonversion 19, 22, 102, 147 Inhaltsrelation 203 Inkorporation 90, 126, 142, 202 Integration 153, 154, 155, 156, 159, 160, 161, 182 Junktion 199, 200, 201 Junktionsrelation 200 Junktionstechnik 201, 202 Junktor 169, 199, 201, 202, 204 Kasus 18, 26, 49, 113, 114, 196, 203 Kasuskongruenz 35 Kasusmarkierung 18 Kategorie 66, 123, 195 deiktisch 195 grammatisch 26, 33, 63, 66 nominal 26, 56, 111, 196 syntaktisch 196 verbal 56, 93, 105, 123, 195, 196 Kategorienklasse 195 Kausativierung 64 Kausativität 64 Kern 19, 22, 24, 28, 30, 31, 33, 36, 52, 56, 77, 79, 81, 84, 86, 97, 111, 113, 156, 157, 160, 161, 166, 184, 187 deadjektivisch 115, 116, 148 deverbal 29, 46, 87, 115, 116, 124, 133, 148, 192, 193 komplex 30 nominal 58, 65, 76, 79, 168, 170, 199, 200 nominalisiert 119 partizipial 192 Kernkoordination 165 Kernnomen 32, 36, 58, 119, 120, 123, 140, 141, 143, 160, 179, 199, 204 Kollokation 65 Kollokationspotenzial 127 kommunikative Minimaleinheit 38, 113 Kompetenz 187 komplementär 36, 82, 93, 94, 155, 197 Komplexität 30, 53, 79, 80, 5, 152, 153, 154, 170, 171, 5, 186, 192 nominal 155, 162, 163, 164, 166, 184, 198, 200 strukturell 154, 155, 159 verbal 5, 155, 163, 165, 173 Komplikation 5, 177, 180, 183, 188 Komposition 95, 141 Kompositionalität 68 Kompositionalitätsprinzip 68, 69, 70 Kompositionsglied 90 Kompositum 51, 57, 59, 67, 68, 69, 71, 72, 73, 80, 82, 84, 88, 90, 92, 96, 102, 169 komprimiert 20, 51, 53, 79, 90, 95, 126, 186 Kongruenz 87, 111, 112, 114, 115, 178 Konjunkt 200, 201, 203, 204 Konjunktiv 196 Konjunktor 161, 163, 164, 180 Konstituente 28, 40, 98 unmittelbar 28, 32, 70, 71, 76 Konstituentenkategorie 27, 29, 35, 112, 113 Konstruktionsgrammatik 67, 110 Konversion 19, 21, 22, 59, 129, 142 morphologisch 19, 68 syntaktisch 19 245 Register 245 18270_Hennig_Bel.indd 245 18270_Hennig_Bel.indd 245 05.02.2020 11: 02: 33 05.02.2020 11: 02: 33 Koordination 40, 102, 160, 163, 164, 165, 168, 171, 172, 179, 187, 189, 198, 200, 201, 202, 203, 204, 205 asyndetisch 163, 164, 180 syndetisch 170 Koordinationsellipse 40 Koordinationsillusion 189 Kopf 18, 24, 26, 28, 30, 31, 79, 111, 113, 115, 157 Kopf-Modifikator-Konstruktion 110 Kopulaverb 82 Korrespondenz 112 Lesart 32, 62, 70, 72, 134, 176, 178 dekodiert 185 intendiert 180, 181 realisiert 188 rekonstruiert 181 rezipiert 188 Lexem 19, 68, 169 Lexemklasse 19, 21, 22 lexikalische Dichte 156, 160 Lexikalisierung 21, 23, 59, 70, 73, 84, 88, 97, 103, 142 Lexikon 19, 67, 72, 84, 88 Lexikoneinheit 73 Lexikonwort 68, 74 linear 41 Linearstruktur 40, 41, 112, 113, 123, 177 Markierungskategorie 123 Maskulinum 26 Matrixsatz 126, 133 Modalität 69, 93, 111, 112, 197 Modifikation 30, 111, 114, 120 Modus 196 Nebensatz 27, 40, 44, 45, 56, 92, 93, 104, 127, 148, 163, 164, 170, 171, 172, 194 Nebensatzkomplexität 164 Nomen 17, 19, 20, 22, 24, 25, 29, 30, 31, 33, 36, 71, 76, 114, 187, 203 deadjektivisch 23 deverbal 21, 71, 84, 174, 200 Nomen-Verb-Verbindung 61, 65, 66 Nominalgruppe 19, 22, 23, 26, 27, 28, 29, 30, 33, 36, 56, 58, 76, 84, 101, 5, 108, 110, 115, 120, 122, 125, 139, 148, 160, 161, 166, 170, 174, 181, 182, 183, 194, 195, 203 deverbal 124 eingebettet 45, 125 maximal 29, 35, 97, 98 satzwertig 93, 126, 127, 128, 129, 148 Nominalgruppenbauplan 148 Nominalgruppenkomplexität 153, 187 Nominalgruppensemantik 114 Nominalisierung 18, 20, 21, 22, 40, 52, 56, 57, 60, 61, 81, 82, 84, 85, 88, 95, 5, 119, 120, 123, 125, 126, 142 deadjektivisch 23 deverbal 20, 21, 22, 23, 31, 87, 97, 102, 129 satzwertig 23 Nominalisierungsverb 60 Nominalisierungsverbgefüge 60, 84 Nominalklammer 111 Nominalphrase 18, 23, 25 Nominalstil 39, 40, 41, 49, 5, 51, 52, 53, 56, 70, 72, 5, 82, 5, 93, 95, 151 Nomination 111, 114, 120 Nominativ 26, 49, 85, 108 Numerus 26, 114, 123, 195 Objekt 37, 47, 49, 66, 72, 73, 85, 90, 109, 113, 139, 176 Objektsprädikativ 135 Ontogenese 83 orthographisch 38 246 Register 246 18270_Hennig_Bel.indd 246 18270_Hennig_Bel.indd 246 05.02.2020 11: 02: 34 05.02.2020 11: 02: 34 Paradigma 18, 26 Paraphrase 62, 69 Partizip 31, 36, 76, 77, 79, 192 Partizipialattribut 35, 57, 59, 76, 77, 79, 80, 92, 96, 102, 149, 157, 159, 160, 169, 182, 5, 193, 201 erweitert 35, 52, 75, 76, 116, 129, 161, 192 komplex 197 Passiv 81, 105, 120, 196 Perfekt 81, 105, 123 Perlokution 45 Person 93, 102, 105, 195 Perspektive 22, 196, 197 Phrasenderivat 75 Phrasenkompositum 74, 88 Phraseologismus 65 Phylogenetisch 83 PI-Attribut 193 PII + habend-Attribut 193 Plural 26, 195 Possession 111, 200 Possessivartikel 31, 139 Possessivpronomen 196 Prädikat 18, 37, 40, 43, 46, 50, 66, 77, 79, 87, 108, 110, 112, 123, 129, 135, 171, 188, 194 Prädikat-Argument-Konstruktion 110, 121 Prädikatenlogik 43 Prädikation 42, 50, 80, 82, 112, 121, 123, 124, 125, 148, 149, 181, 192, 194, 197, 200, 201 eingebettet 125 nominalisiert 45 Prädikationsrahmen 133, 134, 148, 150 Prädikativ 140 Prädikatsausdruck 43, 60, 202 Prädikatsklasse 46, 133, 135, 148, 150 Prädizieren 46, 113, 126 pragmatisch 37, 39, 45, 50, 198 pragmatischer Gehalt 42, 45, 46, 194 Präposition 28, 33, 35, 71, 85, 126, 128, 157, 160, 165, 169, 183, 187, 199, 203 Präpositionalattribut 35, 36, 57, 82, 86, 120, 133, 141, 154, 157, 160, 161, 165, 168, 169, 170, 173, 176, 182, 183, 199 Präpositionalgruppe 27, 29, 30, 35, 60, 62, 77, 85, 97, 127, 140, 148, 157, 161, 182, 187, 199, 203 satzwertig 126, 147, 149 Präpositionalgruppenverbindung 187, 188 Produktion 108, 174, 183, 184, 188, 201 Pronomen 19, 31 Proposition 39, 42, 44, 56, 126, 127, 194 Prototyp 18, 40, 41, 46, 48, 108, 109, 110, 115, 120, 182 Prototypenansatz 67 Quantifikation 111 Recycling 32, 33, 36, 57, 123, 161 Referenz 43, 46, 108, 111, 121, 125, 181, 182, 192, 197 Referenzobjekt 181 Referenzstelle 43, 46, 47, 48, 50, 125, 133, 194 Referieren 46, 113 Reflexivpronomen 79 Regens 115, 163, 164 Rektion 111, 114, 115 Rektionskompositum 72, 73, 89 Rektionsrelation 115 rekursiv 58, 179, 180 Relation 72, 108, 110, 111, 121, 195, 199, 201, 204 semantisch 199 247 Register 247 18270_Hennig_Bel.indd 247 18270_Hennig_Bel.indd 247 05.02.2020 11: 02: 34 05.02.2020 11: 02: 34 syntagmatisch 113, 114, 115 syntaktisch 25, 112, 113, 182 Relativpronomen 179 Rezeption 53, 108, 174, 184, 188 Sachverhaltsdarstellung 126 Satz 25, 36, 37, 40, 45, 50, 57, 75, 85, 101, 5, 108, 110, 112, 115, 125, 182, 195 grammatisch 40, 59, 104, 173 orthographisch 39, 40, 59 Satzbauplan 108, 5, 129, 132, 134, 139 Satzgefüge 40, 41, 92, 93, 104, 164, 170, 173 Satzglied 24, 27, 41, 49, 52, 57, 77, 78, 79, 82, 85, 89, 101, 108, 112, 119, 120, 123, 141, 173, 187 sekundär 32 Satzgliedbegriff 25, 31 Satzgliedfunktion 27, 29, 30, 78 Satzgliedkomplexität 155 Satzinhalt 39, 40, 41, 42, 44, 46, 49, 50, 75, 78, 80, 82, 84, 85, 88, 90, 95, 113, 115, 116, 127, 128, 129, 133, 162, 182, 194, 197, 198, 201 Satzkomplexität 155, 163, 170 Satzkonstituente 29, 113 Satzlänge 93, 104, 170, 173 Satzschema 109, 113, 125 Satzschlusszeichen 38, 39 Satzsemantik 39, 42, 43, 49, 93, 95, 104, 113, 114, 121, 124, 125, 126, 127, 133, 147, 192, 194, 197 Satzstruktur 41, 81, 87, 95, 140, 189 Schema 108, 109, 112 semantische Rolle 47, 48, 49, 133, 134, 135, 148 Serialisierung 135, 177, 178, 183, 184 Serialisierungsprinzip 181 signifiant 37 signifikativ-semantisch 48 Singular 26, 195 Sprechakttheorie 42, 43, 50, 113 Stammkonversion 22, 147 Stil 52, 53 Struktur, hierarchische 40 Strukturschema 108, 109 Subjekt 27, 29, 33, 43, 49, 62, 77, 79, 82, 85, 87, 108, 110, 112, 113, 119, 120, 129, 133, 139, 150, 171, 196 formal 127 Subjektergänzung 140 Subjektsprädikativ 171 Subjunktor 18, 31, 56, 127, 165, 204 Subordination 57, 154, 202, 203, 204, 205 Substantiv 17, 19, 20, 26, 29, 31, 47, 51, 52, 53, 60, 70, 76, 77, 92, 108, 110, 126, 179, 196 Substantivgruppe 20, 92, 125, 183 satzwertig 202 Substantivierung 20, 21 Substantivität 22 Substantivkompositum 68, 70, 71, 72 Substantiv-Verb-Verbindung 66 Substitution 153, 154, 155 Suffix 21, 22, 147, 149 Supplement 31, 38 synkretistisch 26 Systemkomplexität 153 Teilsatz 150, 171 Temporalität 33, 62, 93, 105, 111, 112, 123, 194, 195, 197 Tempus 123, 195, 198, 204 Textwort 73, 74 Umverpackung 95, 115, 116, 127, 128, 129, 133 Unifikation 202 248 Register 248 18270_Hennig_Bel.indd 248 18270_Hennig_Bel.indd 248 05.02.2020 11: 02: 34 05.02.2020 11: 02: 34 Univerbierung 73, 75 Unterordnung 58, 141, 152, 154, 163, 164, 168, 169, 172, 179, 183, 202, 204 Valenz 62, 81, 119 valenzgebunden 31, 40 Valenzgrammatik 78, 84, 115, 194 Valenzpotenz 32, 38, 40, 77, 85 Valenztheorie 38, 129 Valenzträger 112 Valenzvererbung 81, 110, 5, 115, 116, 120, 121, 123, 134, 142 Verb 18, 19, 52, 53, 57, 60, 62, 68, 71, 72, 75, 76, 84, 140 finit 37, 52, 56, 92, 93, 104, 195, 196 infinit 112 intransitiv 72, 194 nominalisiert 81 nullwertig 127 perfektiv 143 transitiv 72, 194 Verbalabstraktum 19, 21, 23, 65, 85, 86, 97, 116, 126, 128, 142, 147, 148, 149, 150, 200 Verbalklammer 112 Verbalkomplex 5, 193, 197 Verbalstil 36, 39, 40, 41, 49, 56, 72, 82, 91, 94, 95, 104, 105 Verbvalenz 37 Verknüpfung 93, 95, 104, 126, 161, 170, 6, 199, 200, 201, 202, 203 Vollverb 38, 40, 41, 62, 64, 81, 82, 87, 119, 123, 129, 141, 161, 187, 189, 200 Vorfeld 178 Vorgangsprädikat 47, 49, 196 Vorzeitigkeit 193 Wortart 19, 35, 36, 71, 113 Wortgruppe 24, 30, 32, 36 Wortgruppenfunktion 25 Wortgruppenglied 24, 25, 26, 31, 36 Wortgruppenkategorie 35, 36 Wortgruppenverbindung 187, 189 Wortkategorie 18, 114, 196 Zusammenrückung 74, 89 Zusatz 194 Zustandsprädikat 47, 150 Zweitglied 68, 69, 71, 72 249 Register 249 18270_Hennig_Bel.indd 249 18270_Hennig_Bel.indd 249 05.02.2020 11: 02: 34 05.02.2020 11: 02: 34 18270_Hennig_Bel.indd 250 18270_Hennig_Bel.indd 250 05.02.2020 11: 02: 34 05.02.2020 11: 02: 34 Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Nominalgruppen als Satzkonstituenten . . . . . . . . . . . . . 27 Abb. 2: Nominalgruppen als Konstituenten von Präpositionalgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Abb. 3: Attributanalyse im Format der Dependenzgrammatik (Eroms 2000) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Abb. 4: Attributanalyse im Format der Konstituentenstrukturgrammatik (Eisenberg 2013) . . . 34 Abb. 5: Inhaltsseite als tertium comparationis . . . . . . . . . . . . . . 42 Abb. 6: Satzinhalte (von Polenz 2008: 93) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Abb. 7: Nominalstil und Verbalstil als auf Auswahl basierende Bündelungen sprachlicher Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Abb. 8: Attributstruktur in Beispiel (1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Abb. 9: Funktionsverbgefüge: Grundstruktur und Funktion . . 63 Abb. 10: Vollverb vs. Funktionsverbgefüge (Fabricius-Hansen 2006: 260) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Abb. 11: Grundstruktur einer Nominalgruppe mit erweitertem Partizipialattribut (Lötscher 1990: 14) . . . . . . . . . . . . . . . 76 Abb. 12: Dependenzstruktur erweitertes Partizipialattribut (Eroms 2000: 277) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Abb. 13: Überführung Satz → Nominalgruppe Bsp. 23c . . . . . . . 78 Abb. 14: Überführung Satz → Nominalgruppe Bsp. 23d . . . . . . . 79 Abb. 15: Nominalstil im engeren und weiteren Sinne . . . . . . . . . 94 Abb. 16: Komplementarität von Verbalstil und Nominalstil . . . . 94 Abb. 17: Strukturelle Domäne Satz (Beispiel) . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Abb. 18: Strukturelle Domäne Nominalgruppe (Beispiel) . . . . . . 114 Abb. 19: Beispielvariante Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 18270_Hennig_Bel.indd 251 18270_Hennig_Bel.indd 251 05.02.2020 11: 02: 34 05.02.2020 11: 02: 34 Abb. 20: Beispielvariante Nominalgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Abb. 21: Valenzvererbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Abb. 22: Eingebettete Prädikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Abb. 23: Konstituentenstrukturanalyse von Nominalgruppe 6 . 158 Abb. 24: Dependenzstrukturanalyse von Nominalgruppe 6 . . . . 159 Abb. 25: Grundtypen nominaler und verbaler Komplexität . . . . 165 Abb. 26: Dependenzstrukturanalyse von Beispiel (46) . . . . . . . . . 168 Abb. 27: Dependenzstrukturanalyse von Beispiel (51) . . . . . . . . . 175 Abb. 28: Dependenzstrukturanalyse intendierte Lesart Beispiel (52) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Abb. 29: Dependenzstrukturanalyse dekodierte Lesart Beispiel (52) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Abb. 30: Konstituentenstrukturanalyse rekursiver Genitivattribute bei Eisenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Abb. 31: Dependenzstrukturanalyse intendierte Lesart Beispiel (57) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Abb. 32: Dependenzstrukturanalyse realisierte Lesart Beispiel (57) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Abb. 33: Verbale und nominale Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Abb. 34: Verortung der Nominalstilphänomene in von Polenz’ Modell der Satzinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Abb. A1: Grundstruktur stark erweiterte Nominalgruppe Satz 3 209 Abb. A2: Exemplarische Struktur der Erweiterungen von einem der koordinierten Genitivattribute . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Abb. A3: Kernbezogene Attributanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Abb. A4: Attributanalyse mit komplexem Kern . . . . . . . . . . . . . . 222 252 Abbildungsverzeichnis 252 18270_Hennig_Bel.indd 252 18270_Hennig_Bel.indd 252 05.02.2020 11: 02: 35 05.02.2020 11: 02: 35 Tabellenverzeichnis Tab. 1: Exemplarische Paradigmen deutscher Substantive . . . . . . 25 Tab. 2: Bestandteile von Sätzen, Verwendungstraditionen von Termini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Tab. 3: Satzinhalte im Beispielsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Tab. 4: Satzinhalte in der Beispielnominalgruppe . . . . . . . . . . . . . . 45 Tab. 5: Attributanalyse Beispieltext „Patentrecht“ . . . . . . . . . . . . . 98 Tab. 6: Attributanalyse Beispieltext „Patentrecht GEOlino“ . . . . . 102 Tab. 7: Nominalstilphänomene im weiteren Sinne in beiden Texten im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Tab. 8: Abstrakte Schemata Nominalgruppe und Satz: Beispiele . 109 Tab. 9: Satzbaupläne vs. Nominalgruppenbaupläne I . . . . . . . . . . . 130 Tab. 10: Satzbaupläne vs. Nominalgruppenbaupläne II . . . . . . . . . . 132 Tab. 11: Prädikationsrahmen als tertium comparationis . . . . . . . . . 134 Tab. 12: Satzbaupläne, Nominalgruppenbaupläne, Prädikationsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Tab. 13: Verteilung der Modelle bei Möslein (1981: 295) . . . . . . . . . 142 Tab. 14: Nominalgruppenbaupläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Tab. 15: Satzwertige Präpositionalgruppen im Beispieltext . . . . . . . 147 Tab. 16: Satzwertige Nominalgruppen im Beispieltext . . . . . . . . . . . 148 Tab. 17: Adjektivabstrakta im Beispieltext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Tab. A1: Sätze im Text „Patentrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Tab. A2: Sätze im Text „Patente GEOlino“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Tab. A3: Deverbale und deadjektivische Nominalisierungen als Kandidaten für Kerne satzwertiger Nominalgruppen . . . . 213 Tab. A4: Sätze und komplexe Nominalgruppen im Text „Gugutzer“ 216 18270_Hennig_Bel.indd 253 18270_Hennig_Bel.indd 253 05.02.2020 11: 02: 35 05.02.2020 11: 02: 35 Tab. A5: Komplexitätsphänomene in Nominalgruppen im Text „Gugutzer“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Tab. A6: Komplexitätsphänomene in Sätzen im Text „Kant“ . . . . . . 226 254 Tabellenverzeichnis 254 18270_Hennig_Bel.indd 254 18270_Hennig_Bel.indd 254 05.02.2020 11: 02: 35 05.02.2020 11: 02: 35 Das Studienbuch bietet die erste umfassende Überblicksdarstellung zum weit verbreiteten Phänomen des Nominalsti ls. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der grammati schen Seite des Phänomens. Da ‚Nominalsti l‘ als Komplementärbegriffzu ‚Verbalsti l‘ begriffen wird, wird ein systemati scher Vergleich der verbalsti listi schen und nominalsti listi schen Realisierung von Satzinhalten vorgenommen. Zentrale Theoriebausteine sind die Satzsemanti k von von Polenz (2008), die Betrachtung von Satz und Nominalgruppe als strukturelle Domänen (Czicza 2015) sowie die Überlegungen zur Valenzvererbung von Welke (2011). Den Phänomenen Nominalisierung und A� ributi on widmet das Studienbuch besondere Aufmerksamkeit, weil sie zentral für die Überführung von Satzinhalten von verbalen in nominale Strukturen sind. Auf der Basis von Überlegungen zu nominaler Komplexität werden auch die Grenzen des nominal Sagbaren (Sti chwort ‚Komplikati on‘) diskuti ert. Das Buch bemüht sich auf diese Weise um eine kohärente Begriffsbesti mmung und bietet gleichzeiti g mit detaillierten Beispielanalysen Anschauungsmaterial für die akademische Lehre. ISBN 978-3-8233-8270-6 Hennig Nominalsti l Nominalsti l Mathilde Hennig Möglichkeiten, Grenzen, Perspekti ven 18270_Umschlag.indd 1-3 18270_Umschlag.indd 1-3 05.02.2020 11: 45: 18 05.02.2020 11: 45: 18