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Das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen im digitalen Wandel

2019
978-3-8233-9325-2
Gunter Narr Verlag 
Eva Burwitz-Melzer
Claudia Riemer
Lars Schmelter

Der digitale Wandel stellt die Gegenstände, Lernumgebungen, Medien, Ziele und Prozesse des Lehrens und Lernens von Fremd- und Zweitsprachen auf den Prüfstand. Das zum Teil hohe Innovationspotenzial des digitalen Wandels geht einher mit fachlichen und didaktischen Herausforderungen, die auch etablierte fachliche, didaktische und ethische Leitbilder betref­fen. Welche konzeptionellen Änderungen müssen die Fremd- und Zweitsprachendidaktik im Zuge einer zunehmenden Digitalisierung vornehmen? Welche Prioritäten sollten dabei im institutionellen Fremd- und Zweitsprachenunterricht, aber auch in der Lehrer*innenbildung gesetzt werden? Diese Fragen gilt es auch vor dem Hintergrund der Diskrepanzen zu klären, die sich zwischen den in absehbarer Zukunft vorhandenen technischen Potenzialen, den didaktisch, curricular und gesellschaftlich-bildungspolitisch geforderten Ansprüchen einerseits sowie den real in den fremd-/zweitsprachlichen Lehr-Lern- Kontexten und in der Lehrer*innenbildung vorhandenen Möglichkeiten andererseits ergeben.

Das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen im digitalen Wandel GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho Eva Burwitz-Melzer / Claudia Riemer / Lars Schmelter (Hrsg.) Das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen im digitalen Wandel Arbeitspapiere der 39. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar © 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-8325-3 (Print) ISBN 978-3-8233-9325-2 (ePDF) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Frank G. Königs (1955-2019) gewidmet Inhaltsverzeichnis Vorwort 10 Marcus Bär: Fremdsprachenlehren und -lernen in Zeiten des digitalen Wandels. Chancen und Herausforderungen aus fremdsprachendidaktischer Sicht 12 Mark Bechtel: Zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 24 Eva Burwitz-Melzer: The global village strikes back: Digitaler Wandel und interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht 34 Daniela Elsner: Digital Change im Fremdsprachenunterricht - Eine SWOT Analyse 46 Christian Fandrych: Die Transformation sprachlich-kultureller Praktiken: Sprachdidaktische Herausforderungen des digitalen Wandels 58 Hermann Funk: Feindliche Übernahme oder erweiterte didaktisch-methodische Szenarien? Fremdsprachenunterricht in Zeiten des digitalen Wandels 68 Andreas Grünewald: Digitaler Wandel - Warum überhaupt noch Fremdsprachen in der Schule lernen? 80 Andreas Guder: Chinesisch digital: Wege zu einer funktionalen Schreibkompetenz für den Chinesischunterricht? 90 Friederike Klippel: Nicht-technische Überlegungen zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 102 Jürgen Kurtz: Lehrwerkgestütztes Fremdsprachenlernen im digitalen Wandel 114 Lutz Küster: Der gesellschaftliche und digitale Wandel in soziologischer, medienpädagogischer und sprachdidaktischer Perspektive 126 Inhaltsverzeichnis 8Christiane Lütge: Digitalität und Bildung: Fremdsprachenlernen zwischen Innovation und Irritation 138 Hélène Martinez: Ein Framework for Learning Opportunities? - Zur Digitalisierung im Französisch- und Spanischunterricht 150 Nicole Marx: Zur Pseudodigitalisierung in Fremdsprachenlehrwerken 162 Grit Mehlhorn: Digitaler Wandel und Medienkompetenz. Implikationen für die Russischlehrerausbildung 173 Claudia Riemer: Fremdsprachenlernen und Fremdsprachengebrauch im digitalen Wandel. Von der Realität über die Dystopie zur Utopie (nicht nur) im Bereich Deutsch als Fremdsprache 185 Henning Rossa: Der digitale Wandel als Entwicklungsaufgabe für den Fremdsprachenunterricht. Augmenting the reality of language teaching 195 Birgit Schädlich: Und was wird dann aus den Texten? Interaktionen im Wiki als hochschuldidaktischer Ansatz und Forschungsgegenstand in der Lehrer*innenbildung 205 Lars Schmelter: Fremdsprachenlernen in Zeiten von DeepL und Co.? Potenziale und Gefahren aus der Perspektive des lernenden Subjekts 216 Torben Schmidt: Digitally empowered teaching and learning - Kompetente Fremdsprachenlehrkräfte + intelligente Technologie 228 Karen Schramm: DaF-Unterricht in Zeiten digitalen Wandels 237 Julia Settinieri: Digitaler Wandel als Prüfstein und Innovationsmotor der Fremdsprachendidaktik? 248 Carola Surkamp: Digitalisierung des Literaturunterrichts: Ebenen, Potentiale, Herausforderungen 257 Inhaltsverzeichnis 9 Britta Viebrock: Alles digital? ! Auswirkungen der Digitalisierung auf Fremdsprachendidaktik und Fremdsprachenunterricht 269 Karin Vogt: Digitaler Wandel im inklusiven Englischunterricht 281 Nicola Würffel: Fremdsprachenlernen für den Hang-Out-Space? Über den (bedenklichen) Umgang der Fremdsprachendidaktik mit dem Thema Digitalisierung 292 Adressen der Beiträger und Herausgeber 304 Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 309 Vorwort Kaum ein Thema durchdringt derzeit sämtliche gesellschaftlichen Bereiche und Prozesse des miteinander Lebens, Lernens, Arbeitens und Kommunizierens so umfassend wie der digitale Wandel, so auch das Lernen und Lehren von Fremd- und Zweitsprachen. Das zum Teil hohe Innovationspotenzial sowie die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklungen und Anwendungen gehen einher mit fachlichen und didaktischen Herausforderungen, die unsere wissenschaftlichen Disziplinen, Forschungsgegenstände, Lehr-/ Lerngegenstände, Ziele und Studiengänge umfassend betreffen, neue Fragestellungen und Möglichkeiten mit sich bringen, dabei aber auch Errungenschaften und Gewissheiten in Frage stellen. Herausforderungen für Forschung, Lehre, Studium und Unterrichtspraxis betreffen gleichermaßen die fachlich und fachdidaktisch motivierte Prüfung und Nutzung digitaler Medien und Infrastruktur innerhalb und außerhalb unterrichtlicher Lehr-/ Lernszenarien wie auch den Wandel im Bereich der (fremd-/ zweit-)sprachlichkulturellen Praktiken durch die Digitalisierung. Die 39. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts, die vom 14. bis zum 16. Februar 2019 in der Tagungsstätte der Justus- Liebig-Universität Gießen, Schloss Rauischholzhausen, stattfand, befasste sich mit diesem Themenfeld. Dem üblichen Vorgehen gemäß wurden allen Teilnehmer*innen vorab vier Leitfragen vorgelegt, zu denen sie schriftlich auf 8 bis 10 Seiten Stellung beziehen sollten. Die Leitfragen waren: 1. Der digitale Wandel stellt die Gegenstände, Lernumgebungen, Medien und Prozesse des Lehrens und Lernens von Fremd- und Zweitsprachen auf den Prüfstand. Mit welchen dieser Bereiche verbinden Sie die größten fachlichen und didaktischen Herausforderungen? Wo sehen Sie die besten Innovationspotenziale? 2. Benötigen wir ein Leitbild für digitales Lehren und Lernen und was wären hierfür wichtige fachliche, didaktische und ethische Parameter? 3. Welche konzeptionellen Änderungen müssen die Fremd- und Zweitsprachendidaktik im Zuge einer zunehmenden Digitalisierung vornehmen und welche Forschungszugänge bieten sich damit in Zukunft an? 4. Vermutlich werden in absehbarer Zukunft die technischen Potenziale, die didaktisch, curricular und gesellschaftlich-bildungspolitisch geforderten Ansprüche sowie die real in den fremd-/ zweitsprachlichen Lehr-Lern-Kontexten und in der Lehrer*innenbildung vorhandenen Möglichkeiten der Digitalisierung weiterhin auseinanderklaffen. Welche Prioritäten sollten Lehrpersonen in den Schulen und sollte die universitäre Lehrer*innenbildung in ihren jeweiligen Aufgabenfeldern setzen? 11 Die schriftlichen Statements dienten als Grundlage für die Vorbereitung der offenen Diskussion während der Konferenz, bei der die einzelnen Autor*innen auch ein kollegiales Peer-Feedback zu ihren Beiträgen erhielten. Im Anschluss wurden die Statements überarbeitet und sie werden mit diesem Band vorgestellt. Sie stellen die Vielfalt und die Überschneidungen der Meinungen und Herangehensweisen zum Thema vor und beleuchten die Perspektiven aus den unterschiedlichen Fachrichtungen. Die Beiträge bearbeiten dabei ein breites Spektrum, das das Potenzial spezifischer Technologie für das Sprachenlernen behandelt sowie mediendidaktische Ansätze und Forschungsansätze skizziert von optimischen bis hin zu pessimistischen Gegenwartsbeschreibungen und auch Zukunftsszenarien, die das Fremd-/ Zweitsprachenlernen, seine institutionelle Förderung und die Lehrer*innenbildung betreffen. Insgesamt wird deutlich, dass wir es hier mit einem Thema zu tun haben, das die Welt der Sprachlehrforschung, Fremd-/ Zweitsprachendidaktik, Lehrer*innenbildung und Praxis bereits stark verändert hat und weiter maßgeblich verändern wird. Die Veranstalter*innen sowie die Teilnehmer*innen der Frühjahrskonferenz danken der Justus-Liebig-Universität und den Verantwortlichen vor Ort für die erneut gewährte Gastfreundschaft. Diese war für den ertragreichen Verlauf der Konferenz von unschätzbarem Wert. Gießen, Bielefeld und Wuppertal, im Sommer 2019 Eva Burwitz-Melzer Claudia Riemer Lars Schmelter Fremdsprachenlehren und -lernen in Zeiten des digitalen Wandels Chancen und Herausforderungen aus fremdsprachendidaktischer Sicht Marcus Bär 1 Digitaler Wandel als Realität in Gesellschaft (und Schule) In nahezu allen Lebensbereichen unserer Gesellschaft führt eine zunehmende Digitalisierung zu Veränderungen; so bestimmt der digitale Wandel zurzeit u.a. auch den aktuellen (bildungs-)politischen Diskurs. Im Fokus der öffentlichen Debatten stehen dabei meist keine fachspezifischen oder konzeptuellen Fragen, sondern in erster Linie die materielle Ausstattung von Schulen mit digitalen Medien (vgl. u.a. die Diskussionen zum sog. „DigitalPakt Schule“). Die Logik der vorgetragenen Argumentationslinie ist stets dieselbe: Digitale Medien und Werkzeuge sind inzwischen aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken und müssen demzufolge auch stärker in den Unterricht an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen Einzug erhalten, sodass das Klassenzimmer keine analoge Gegenwelt zur Wirklichkeit darstellt (vgl. u.a. Lütge et al. 2018, 5). Die Allgegenwärtigkeit mobiler Anwendungssoftware verändert - in Teilen unbemerkt und schleichend - vor allem unsere Kommunikations- und Arbeitsabläufe und somit die traditionellen Sozialformen (vgl. u.a. Knaus 2013, 33). Wie jede Veränderung bzw. Neuerung, so löst auch der „Megatrend Digitalisierung“ (Herzig 2014, 6) bei den betroffenen Akteur/ inn/ en Emotionen aus, die sich auf einem Kontinuum zwischen Euphorie und Apokalypse verorten lassen. Während Euphoriker/ innen im digitalen Wandel eine (längst überfällige) Einbindung digitaler Medien in den Schulalltag sehen, aus der sich - quasi automatisch - eine Verbesserung der Unterrichtsqualität bzw. Optimierung des Lehrens und Lernens ergibt, halten Skeptiker/ innen - oftmals aus Unwissenheit, Unsicherheit, fehlender Motivation und/ oder aufgrund einer technisch bedingten erhöhten Störanfälligkeit - mit Fragen nach dem Mehrwert oder der Wirksamkeit digitaler Medien dagegen. Im Rahmen dieser neuralgischen Diskussion scheinen letztere ein ultimatives Kriterium für den (vermehrten) Einsatz digitaler Medien im Unterricht darzustellen, entpuppen sich aber häufig als Schutzhaltung vor der Umsetzung einer Neuerung oder Veränderung, da diese einen zusätzlichen Aufwand implizieren, der wiederum negativ konnotiert ist. In Anlehnung an Krommer (2018a) führt die Frage nach dem Mehrwert aber in eine falsche Richtung, da Fremdsprachenlehren und -lernen in Zeiten des digitalen Wandels 13 zum einen nicht nachvollziehbar ist, warum „bestimmte mediale Formen einen höheren Wert haben müssen, bevor sie legitimerweise im Unterricht eingesetzt werden“ (ebd., 3), und es zum anderen nicht darum geht, „alte Ziele schneller, einfacher, besser, nachhaltiger etc. zu erreichen“ (ebd., 4), da eine solche Sichtweise digitale Medien „in naiver Weise auf bloße Werkzeuge [reduziere]“ (ebd., 5). Auch Fragen nach der Lernwirksamkeit digitaler Medien sind „offenbar wenig sinnvoll“ (Grünewald 2017, 243), da nicht das Medium selbst zu mehr Motivation bei den Lernenden und einem effektiveren Lernen führt (vgl. Grünewald 2016, 464) bzw. digitale Medien per se keinen besseren Unterricht hervorbringen, zumal die ermittelte Effektstärke - unabhängig vom untersuchten Konzept oder der einzelnen Maßnahme - nahezu ausnahmslos eher gering ist (vgl. Schaumburg 2018, 28 ff. mit Verweis auf die Befunde der Hattie-Studie). Dennoch halten sich in der gesellschaftlichen Diskussion die Fragen nach dem Mehrwert und der Wirksamkeit hartnäckig, da sie je nach Perspektive des Betroffenen bzw. Agierenden (aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, …) ein einfaches und einprägsames Argument liefern, wenngleich in der Regel nicht ersichtlich ist, womit ein Wert verglichen wird oder wie Wirksamkeit definiert und mit welchen Instrumenten sie (angeblich) gemessen wurde. 1 Unabhängig von solchen Debatten handelt es sich bei der Digitalisierung um eine Realität, der sich - wie bereits angeklungen - die Bildungsinstitutionen nicht entziehen können und sollen. Trotz der erforderlichen enormen Initialkosten für den Aufbau der flächendeckenden Infrastruktur (Breitbandausbau, Hardwareausstattung) sowie den zu erwartenden Folgekosten (Nachbesserungsbedarf in kurzen Zyklen aufgrund der technischen Weiterentwicklung, Einstellung von hauptamtlichen IT-Beauftragten) dürfen Schulen nicht „in der Kreidezeit“ (Klein/ Munzinger 2018, 13) verharren. Vielmehr sollten die sich verändernden medialen Gewohnheiten der Lernenden aufgegriffen werden, um sich auf diese Weise einer zeitgemäßen Sprachverwendung (Jugendkultur) anzunähern(vgl. Wampfler/ Krommer 2018). 2 Informelle Berichte aus Schulen oder in entsprechenden Internetforen und Blogs machen aller- 1 Insbesondere Beteiligte, die eine wirtschaftliche Verwertung verfolgen, sind an Wirksamkeitsbekundungen interessiert, da diese als Verkaufsargument dienen (vgl. z.B. das „Wirksamkeitsverspechen“ auf der Homepage von Duolingo: „Lerne Spanisch in nur 5 Minuten am Tag mit unseren spielerischen Übungen. Duolingo erweist sich als wirksam für Anfänger und Fortgeschrittene, die ihr Lesen, Schreiben und Sprechen verbessern möchten.“). Für eine grundlegende Kritik an einer vorrangig technologie- und ökonomiegetriebenen Digitalisierung der Bildung siehe bspw. Lembke/ Leipner (2015). 2 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass es nicht um ein Aufgreifen der medialen Gewohnheiten im Sinne eines Nacheiferns oder Anbiederns geht, zumal sich Lernende (insbesondere in der Sek. I) durch ihre Sprache und Mediennutzung bewusst und explizit von den Lehrenden (und Erwachsenen im Allgemeinen) abgrenzen wollen (vgl. hierzu die sog. Zweit-Profile auf Finstagram). Marcus Bär 14 dings deutlich, dass die digitale Realität an Schulen vielerorts (noch) als trivial zu bezeichnen ist, zumal die finanziellen Mittel für Technologien ausgegeben werden, die häufig persönlich motiviert sind (Leistungsfähigkeit der Laptops, Menge an Tablets, …) und sich der Medieneinsatz auf Internetrecherchen, die Anwendung von (frei verfügbarer) Lernsoftware sowie PowerPoint-Folien begrenzt und somit bestenfalls den Stufen S(ubstitution) und A(ugmentation) des SAMR-Modells von Puentedura (2006) entsprechen (siehe hierzu weiterführend Kap. 2.2). 3 Ein solcher (auf Reproduktion reduzierter) Umgang mit digitalen Medien mag im Sinne einer sog. Nike-Pädagogik (siehe hierzu weiterführend Kap. 2.2) ein erster Schritt sein, entspricht aber in keinster Weise einem Umgang, der als vierte Kulturtechnik neben Lesen, Schreiben und Rechnen bezeichnet werden kann, wie es bspw. das Strategiepapier „Bildung in der digitalen Welt“ der KMK (2017, 7 f.) propagiert. Um eine Kompetenz im Sinne einer vierten Kulturtechnik zu erreichen, sind aus Lehrenden- und aus Lernendensicht einige (didaktische) Herausforderungen zu ‚meistern‘, die auf die Lerngegenstände, Lernumgebungen, Medien und Prozesse des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen bezogen sind. Ein großes Innovationspotenzial ist in diesem Zusammenhang im Bereich der Schaffung authentischer(er) Lernumgebungen zu sehen, worauf im Folgenden näher eingegangen werden soll. 2 Schaffung digitaler Lernumgebungen 2.1 Digitales Lehren und Lernen in aufgabenorientierten Settings Das Strategiepapier der KMK (2017, 6), welches vorrangig auf dem im Rahmen von DIGCOMP entwickelten Digital Competence Framework (Ferrari 2013) basiert, verfolgt das Ziel, dass alle Lernenden bis zum Jahr 2021 eine digitale Lernumgebung und einen Zugang zum Internet nutzen können. Dies impliziert neben einer funktionierenden Infrastruktur und der Klärung rechtlicher Fragen eine Fortentwicklung des Unterrichts im Sinne einer Entwicklung bzw. Bereitstellung digitaler Lernumgebungen, die die Stärken der Digitalisierung, nämlich Kommunikation und Kooperation, in den Mittelpunkt stellen. Das Ziel eines jeden Fremdsprachenunterrichts sollte es sein, die Lernenden zu einer kommunikativen Handlungskompetenz in der Zielsprache bzw. mit der/ den Zielkultur(en) zu befähigen. Zur Förderung dieses übergeordneten Ziels muss die Herausforderung gemeistert werden, eine digitale Lernumgebung aufgabenorientiert zu gestalten. Neben den für (Lern-)Auf- 3 (Kosten-)Frei verfügbare Lern-Apps (https: / / learningapps.org) oder Lern-Snacks (https: / / www.learningsnacks.de) entsprechen zumeist einem behavioristischen Reiz-Reaktions-Schema und lassen aufgrund einer (sehr) eingeschränkten Anzahl vorhersehbarer Antworten nur simple Feedbackroutinen zu und fallen somit hinter Offline-Produkte zurück (vgl. auch Biebighäuser et al. 2012, 33 f.). Fremdsprachenlehren und -lernen in Zeiten des digitalen Wandels 15 gaben ohnehin gültigen Merkmalen wie bspw. Lebensweltbezug, Relevanz u.v.a.m. ist bei der Entwicklung digitaler Lernumgebungen zusätzlich darauf zu achten, dass ein Fokus auf die Neuartigkeit der Organisations- und Kommunikationskultur gelegt wird. Bei der Erarbeitung eines Produktes oder bei der Lösung eines Problems erlauben Aufgaben 2.0 nicht nur eine „Entkünstlichung des Fremdsprachenlernens“ (Biebighäuser et al. 2012, 46), sondern die optimale Nutzung der Stärken der digitalen Welt, die v.a. darin begründet sind, dass „niemals zuvor (…) Fremdsprachenlernende im und außerhalb des Unterrichts so leicht einen direkten kommunikativen Kontakt zu den Sprechern anderer Sprachen aufbauen“ können (De Florio-Hansen 2018, 291). In digitalen Lernumgebungen bzw. virtuellen Räumen sind sowohl kommunikative als auch kooperative Elemente gefragt, die u.a. einen beschleunigten Informationsfluss erlauben und eine breitere Teilhabe und Mitbestimmung ermöglichen (z.B. mithilfe unmittelbarer Rückmeldefunktionen), sodass die Entwicklung gemeinsamer Lösungen erleichtert wird (vgl. auch KMK 2017, 9). 4 Ein weiterer Vorteil digitaler Lernumgebungen im Rahmen eines aufgabenorientierten Settings ist die Berücksichtigung diverser fachlicher, aber eben auch digitaler Teilkompetenzen, die im Zuge einer Problemlösung oder Produkterstellung gefördert werden können. Hier bietet u.a. der Medienkompetenzrahmen NRW (MSB NRW 2017) Anhaltspunkte, welche digitalen Teilkompetenzen im Rahmen eines aufgabenorientierten Fremdsprachenunterrichts Berücksichtigung finden könn(t)en. 5 Nicht zu vernachlässigen sind in einem solchen Diskurs auch Fragen über Verhaltensregeln und Kommunikationsmodi (Netiquette) sowie Absprachen zu Arbeitsphasen, da digitale Lernumgebungen rund um die Uhr und an jedem Ort zur Verfügung stehen und sich durch Synchronität auszeichnen und somit Änderungen, Bearbeitungen und Rückmeldungen in Echtzeit sichtbar werden. Diese Orts- und Zeitunabhängigkeit wird meist als Vorteil bezeichnet, wenngleich eine jederzeitige Verfügbarkeit sowie Echtzeit- Verfolgungen auch Stressfaktoren sein können, da an den kooperierenden 4 Als Denkanstoß seien folgende (kritische) Fragen erlaubt: Bedeutet die Nutzung von Netzwerkstrukturen, die den Informationsfluss beschleunigen und auch eine breitere Teilhabe und Mitbestimmung ermöglichen, tatsächlich einen Vorteil? Verleitet die Nutzung digitaler Medien nicht auch dazu, eine Vielzahl an (irrelevanten) Informationen zu produzieren, die dann wiederum mühsam im Sinne der Zielsetzung kanalisiert werden müssen? Erschwert ein ‚basisdemokratisches‘ Element wie die Mitbestimmung nicht auch die Kompromissfindung durch eine (zu) hohe Anzahl an Perspektiven und (Einzel-)Meinungen? 5 Der Medienkompetenzrahmen NRW (MSB NRW 2017) greift die im KMK- Strategiepapier genannten Handlungsfelder auf und gibt Teilkompetenzen vor, die wiederum in die zu überarbeitenden Lehrpläne der einzelnen Fächer zu integrieren sind, wenngleich nicht in jedem Fach jede Teilkompetenz zu fördern ist. Marcus Bär 16 Kommunikationspartner entsprechende Erwartungen gestellt werden, die bei Nicht-Erfüllung zu Frustration führen können. Zu den Herausforderungen bei der Entwicklung oder Bereitstellung digitaler Lernumgebungen gehört zweifelsohne auch die Klärung rechtlicher Fragen, die die Nutzung von Lernplattformen und/ oder Apps im Hinblick auf bspw. Datenschutz und Urheberrecht betreffen. Bei Anbietern digitaler Softwarelösungen handelt es sich i.d.R. um Unternehmen, die insgesamt eine Profitmaximierung anstreben und die nicht selbstlos bzw. ohne Gegenleistung handeln (z.B. in Form von Datengewinnung zu Zwecken der Weiterverarbeitung). Auch der Einsatz schülereigener mobiler Endgeräte nach dem BYOD-Prinzip (Bring Your Own Device) ist in dieser Hinsicht nicht unproblematisch, zumal ggf. Zugriffe auf Dienste des Schulnetzwerks erfolgen sowie schulinterne Daten unkontrolliert gespeichert und verarbeitet werden können, was wiederum nicht oder nur zum Teil im Einklang mit datenschutzrechtlichen Vorgaben steht. BYOD birgt zudem die Herausforderung, dass die digitale Infrastruktur auf alle denkbaren Betriebssysteme in den verschiedensten (Update-)Versionen vorbereitet sein muss. Und schließlich darf in diesem Zusammenhang auch die soziale Komponente nicht übersehen werden, zumal ein Zwang zum (privaten) Besitz eines ‚passenden‘ Endgeräts nicht gefordert werden kann bzw. nicht durchsetzbar ist und allein die Notwendigkeit einer Geräteausleihe vor Ort zu ‚sozialen Unverträglichkeiten‘ innerhalb einzelner Lerngruppen führen kann. 2.2 Die dienende Funktion digitaler Lernumgebungen oder: Pädagogik vor Technik vs. Nike-Pädagogik Es ist unbestritten, dass digitales Lehren und Lernen keinen Selbstzweck erfüllen darf und der Einsatz ausschließlich aus Gründen der Substitution eines nicht digitalen Mediums durch ein digitales Medium erfolgt, ohne hierbei fachlichen, didaktischen und/ oder ethischen Anforderungen gerecht zu werden. Es verwundert daher auch nicht, wenn vielfach vom sog. Primat des Pädagogischen die Rede ist, welches auch im Strategiepapier der KMK (2017, 4) als Muss-Vorgabe aufgegriffen wird und der Nutzung digitaler Lernumgebungen somit eine dienende Funktion im Sinne des schulischen Bildungs- und Erziehungsauftrags zuspricht. Eine solche dienende Rolle sollte die Nutzung digitaler Medien auch im Rahmen des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen einnehmen, da der Einsatz stets im Lichte des übergeordneten Ziels des Unterrichts insgesamt, einer Unterrichtsreihe oder einer einzelnen Unterrichtsphase bedacht werden muss. Das Leitbild „Pädagogik vor Technik“ (Zierer 2018a) impliziert somit, dass die Nutzung digitaler Lernumgebungen oder der Einsatz digitaler Medien stets einem pädagogisch bzw. didaktisch formulierten Lernziel dienen müsse, das bestenfalls im Vorfeld transparent zu machen ist. Es ist daher immer zu prüfen, ob die Technik (oder in einem Fremdsprachenlehren und -lernen in Zeiten des digitalen Wandels 17 weiteren Sinne das technisch Machbare) auch pädagogisch oder didaktisch sinnvoll ist bzw. mit lerntheoretischen Annahmen in Einklang zu bringen ist. Eine so definierte dienende Funktion des Digitalen ist auf den ersten Blick sehr gut nachvollziehbar, da sie auch eine kritisch-reflexive Auseinandersetzung mit den Potenzialen und Herausforderungen des digitalen Wandels vorsieht. Sie reiht sich zudem nahtlos in den Grundsatz des Primats der Didaktik (vgl. Klafki 1961) ein, nach dem zunächst das Lernziel festgelegt wird und in einem zweiten Schritt die Auswahl von Methoden, Medien und Sozialformen zur Erreichung dieses Ziels den Planungsprozess fortsetzen. Krommer (2018b), der den Grundsatz Pädagogik vor Technik als „bestenfalls trivial“ sowie als „semantische Seifenblase“ bezeichnet, gibt allerdings mit Recht zu bedenken, dass die realistisch erreichbaren Ziele stets auch von den zur Verfügung stehenden Mitteln und Verfahren abhängig sind: Die These, dass pädagogische Entscheidungen prinzipiell vor technischen Entscheidungen zu treffen sind, blendet ebenfalls aus, wie sehr der pädagogische Handlungs- und Entscheidungsspielraum durch die vorhandene Technik mitbestimmt wird (Krommer 2018b, 4). Die vorhandenen technischen Möglichkeiten haben zweifellos einen Einfluss auf die Lernzielbestimmungen, allerdings darf dies im Umkehrschluss nicht die Selbstverständlichkeit untergraben, dass Lehrpersonen nicht im Sinne der sog. Nike-Pädagogik (just do it) ziel- und planlos digitale Lernumgebungen und Medien einsetzen. Vielmehr kann sich im Rahmen einer Problem- oder Aufgabenlösung ein zunächst definiertes Ziel aufgrund des Einsatzes digitaler Medien erweitern und auch zu neuen (zunächst unvorstellbaren) Zielen führen. Ein solches Vorgehen steht aber dennoch im Widerspruch zu dem „Macher-Image“ der selbst ernannten „just do it-Philosophen“, die sich gegen die Theoretiker oder Kritiker und Zweifler stellen, dabei aber nicht bemerken, dass ein solches „Einfach mal machen-Prinzip“ eher im Sinne eines Reputationsmanagements erfolgt, sprich zur Beeinflussung oder Aufrechterhaltung eines bestimmten Rufs der eigenen Person oder der eigenen Institution (vgl. u.a. Krommer 2018c). Im Ergebnis müssen in solchen Fällen einzelne Applikationen oder Programme für Unterrichtsszenarien herhalten, die modern bzw. digital wirken, ohne dass dabei die Komplexität (z.B. im Hinblick auf Kommunikationskulturen) berücksichtigt wird. 6 Aus didaktischer Perspektive 6 Ein typisches Beispiel ist der (simple) Schreibauftrag, bei Twitter einen tweet von max. 140 bzw. neuerdings 280 Zeichen als Kommentar zu einem bestimmten Sachverhalt zu verfassen, ohne hierbei im Rahmen der Aufgabenstellung auf die Spezifika dieses Mediums einzugehen und die Bedeutung bzw. Funktion von hashtags, Verweisen zu anderen Nutzerprofilen, die Verwendung von Sprache (Register, Stil, …) usw. zu reflektieren (vgl. hierzu auch die Teilkompetenzen 2.3 („Informationsbewertung“) und 5.2 („Meinungsbildung“) im Medienkompetenzrahmen NRW; vgl. MSB NRW 2017). Marcus Bär 18 kann ein solches lehrerseitiges Vorgehen maximal als Vorstufe einer notwendigen Reflexion gutgeheißen werden, d.h. im Anschluss an die Durchführung muss eine kritisch-reflexive Einheit folgen, die verhindert, dass der Einsatz eines digitalen Mediums und das lehrerseitige Handeln nicht konzeptionell wertlos bleiben, da die Lehrenden die Gelingensbedingungen einer Unterrichtseinheit nicht benennen können. Erst wenn die (Miss-)Erfolgsprinzipien in der Retrospektive erkannt und benannt werden, können in der Folge Unterrichtsszenarien didaktisch sinnvoll entwickelt und die Nutzung digitaler Medien gewinnbringend eingebettet werden. Der Grundsatz Pädagogik vor Technik ist in Zeiten eines digitalen Hypes trotz seiner vermeintlichen Trivialität ein bedeutendes Prinzip, das immer wieder in Erinnerung gerufen werden muss. Zierer (2018b, 1) bezeichnet den Grundsatz als „alternativlos“ und betont, dass die Technik „dem Menschen zu dienen [habe] - nicht umgekehrt und auch nicht gleichgestellt“, zumal das technisch Mögliche nicht immer auch pädagogisch sinnvoll sei. In diesem Zusammenhang sei kurz auf das SAMR-Modell von Puentedura (2006) verwiesen, welches oftmals als Bezugspunkt bzw. Referenzmodell zur Integration von Lerntechnologie herangezogen wird. Das insgesamt vierstufige Modell zeigt auf, welche Funktion(en) Technik in einem Lernsetting einnehmen kann/ können. Es ist linear bzw. hierarchisch angeordnet (Substitution à Augmentation à Modification à Redefinition) und impliziert somit, dass die höchste Stufe das anzuvisierende Ziel darstellt und dass ein Unterricht, in dem digitale Medien analoge Medien ohne Funktionsänderung ersetzen (Stufe 1), bereits einem ‚Qualitätssprung‘ entspreche bzw. eine Verbesserung (enhancement) darstelle: It implies that redefinition is the ultimate goal. (…) Any model that places things in a hierarchy or an order is going to imply that the goal is to get to the top (Shaw 2015, 2). Das Modell sagt zudem nichts über das Verhältnis von Technologieeinsatz und Lernzielen aus, d.h. der Technologieeinsatz, der seinerseits zu einer Um-/ Neugestaltung von Aufgaben im Sinne der Stufen 3 und 4 (transformation) führt, wird unabhängig von einer kontextuellen bzw. situationellen Einbettung und einer entsprechenden Zielformulierung als besseres bzw. höherwertiges Ziel dargestellt: „I think is critically important to identify specific learning outcomes to give some context and rationale for any change in learning activities“ (ebd., 3). Es gilt daher, ein Konzept zu erarbeiten, das prinzipiell dem Grundsatz folgt, dem Einsatz digitaler Medien eine dienende Funktion zur Lösung einer inhaltlich bedeutsamen (Lern-)Aufgabe zuzuschreiben. Ein solches Konzept ist im Rahmen des Fremdsprachenlehrens und -lernens erforderlich, da am digitalen Wandel eine Vielzahl von Akteuren beteiligt ist, die unterschiedliche Interessen verfolgen (siehe hierzu auch die Ausführungen in Kap. 1 sowie Fremdsprachenlehren und -lernen in Zeiten des digitalen Wandels 19 Herzig 2014, 8). Basal ist, dass durch die Bearbeitung entsprechender Aufgaben unter Einsatz digitaler Medien bei den Lernenden eine „kollaborative Wissenskonstruktion“ einsetzt, die „den soziokulturellen und konstruktivistischen Prinzipien des Fremdsprachenlernens [entspricht]“ (Biebighäuser et al. 2012, 37). 2.3 Die ethische Dimension bei der Arbeit mit digitalen Medien Neben den genannten Dimensionen sollte ein solches Konzept auch Stellung zu ethischen Fragen der Nutzung digitaler Medien beziehen. Aus Platzgründen seien an dieser Stelle vor allem folgende Aspekte erwähnt: „Datenschutz und Informationssicherheit“ (MSB NRW 2017, 1.4), „Informationskritik“ (ebd., 2.4), „Kommunikations- und Kooperationsregeln“ (ebd., 3.2), „Kommunikation und Kooperation in der Gesellschaft“ (ebd., 3.3) sowie „Rechtliche Grundlagen“ (ebd., 4.4). Im Zuge der Förderung einer kritisch-reflexiven Medienkompetenz ist es unabdingbar, die Lernenden zum Nachdenken über das eigene Nutzungsverhalten zu animieren und dabei ethische und rechtliche Aspekte in die Selbstreflexion einfließen zu lassen (vgl. u.a. Lütge et al. 2018, 8). Dies umfasst vor allem den Umgang mit personenbezogenen Daten (Stichworte: Datensicherheit und -schutz) sowie die Regeln für soziales Kommunikationsverhalten im Internet (Stichwort: Netiquette). Auf der einen Seite muss somit aus ethischer Perspektive verhandelt werden, bis zu welchem Punkt es vertretbar ist, dass Firmen bzw. Softwareanbieter mit einem vorrangig ökonomischen Verwertungsinteresse in die (mediale) Privatsphäre der Lernenden (in einem institutionellen Umfeld! ) eindringen und eine Nutzung der Angebote bspw. nur nach Anmeldung oder Registrierung über Google- oder Facebook-Konten möglich ist: „Mit den Daten von Schülern lässt sich viel Geld verdienen, das wissen die Verlage und das wissen die globalen Player, die längst an Schul-Clouds arbeiten“ (Klein/ Munzinger 2018, 14). 3 Die Förderung von Digitalkompetenzen als Erweiterung der Dimensionen der Fremdsprachendidaktik Im öffentlichen Diskurs wird bei der Digitalisierung von einer gesamtgesellschaftlichen Querschnittsaufgabe gesprochen, was sich - wie bereits beim Thema der Inklusion - darin zeigt, dass bezogen auf den Bildungsbereich alle Fächer und Disziplinen ‚betroffen‘ sind. Das KMK-Strategiepapier legt fest, dass „jedes einzelne Fach mit seinen spezifischen Zugängen zur digitalen Welt seinen Beitrag (…) leistet“ (KMK 2017, 10). Aufgabe der einzelnen Fächer bzw. Disziplinen (insbesondere der Fachdidaktiken) ist es somit, die fachspezifischen Anknüpfungspunkte an die fachübergreifend formulierten Kompetenzziele zu definieren. Dies entspricht einer Erweiterung des Bildungsauf- Marcus Bär 20 trags, da bisherige Kompetenzziele nicht im Wert gemindert oder aufgegeben werden. Die Digitalisierung bedeutet somit auch für die Fremdsprachendidaktik eine Erweiterung ihrer Dimensionen, die sich - wie bereits bspw. bei der (lebensweltlichen) Mehrsprachigkeit oder der Inklusion - durch gesellschaftliche Wirklichkeiten ergibt und der sie sich aus diesem Grunde nicht entziehen kann und sollte. Die Erweiterung der Dimensionen führt aber i.d.R. zu immer weiteren Spezialisierungen innerhalb einer Disziplin, zumal die Vertretung der Gesamtheit der (fachdidaktisch relevanten) Themen bzw. Teilbereiche realistischerweise nicht mehr gegeben sein kann. Studierende bzw. zukünftige Lehrpersonen sollten aber nach ihrem Studium nicht nur in einem oder in wenigen (begrenzten) Lehrbereichen ausgewiesen sein, sondern breit aufgestellt sein bzw. den Überblick über die Gesamtheit nicht verlieren (vgl. Christ 2002, 38). Da zudem digitale Zugänge zum Lehren und Lernen komplex und mehrdimensional sind, ist eine Steigerung der ‚Verbundtätigkeiten‘ in Forschung und Lehre notwendig, damit die Fremdsprachendidaktik auch in Zukunft ihrer Berufung, nämlich (sprachen-/ bildungs-)politisch beratend tätig zu sein, nachgehen kann (vgl. ebd.). Hinsichtlich des digitalen Wandels ist es für die Fremdsprachendidaktik als Disziplin somit erforderlich, Kooperationen mit Vertreter/ inne/ n anderer Disziplinen wie z.B. der Sozial- und Medienpädagogik aufzubauen und in einen kontinuierlichen Dialog einzutreten. Nur auf diese Weise lassen sich sowohl inhaltliche als auch organisatorische und konzeptionelle Aspekte im Hinblick auf eine umfassende Lehrerbildung erörtern (wenngleich nicht umgehend umsetzen). Denn unabhängig hiervon ist zu erwarten, dass nach der (aufoktroyierten) Integration von fünf Leistungspunkten „inklusionsorientierter Studien“ in die Studiengänge aller Fächer in NRW demnächst weitere (fünf? ) Leistungspunkte im Sinne der Berücksichtigung digitaler Aspekte einzubinden sein werden - wohlgemerkt bei gleichbleibendem Gesamtworkload, der jedem Fach(teil) zur Verfügung steht, was im Umkehrschluss bedeutet, dass für das ‚Kerngeschäft‘ der Fremdsprachendidaktik weniger Zeit und Arbeitstiefe bleibt (trotz Nutzung aller denkbaren Kooperationsmöglichkeiten). 4 Prioritäre Aufgabenfelder von Lehrkräften an Schulen sowie Dozenten an Universitäten Da in absehbarer Zukunft trotz der im KMK-Strategiepapier genannten Zielsetzungen und trotz eines enormen Geldflusses aus den (zu erwartenden) DigitalPakten I, II, III, … aller Voraussicht nach zwischen der zur Verfügung stehenden digitalen Infrastruktur, den technischen Potenzialen sowie der lehrseitig vorhandenen Digitalkompetenzen (große) Diskrepanzen zu erwarten sind, die einen (dienenden) Einsatz digitaler Medien flächendeckend er- Fremdsprachenlehren und -lernen in Zeiten des digitalen Wandels 21 lauben werden, sind sowohl Lehrkräfte an den Schulen als auch Dozenten an den Universitäten angehalten, prioritäre Aufgabenfelder zu definieren. Vom Grundsatz her soll der Fremdsprachenunterricht die Lernenden dazu befähigen, digitale Medien zur Information, Kommunikation und Kooperation adäquat und zielführend einzusetzen (vgl. u.a. De Florio-Hansen 2018, 292). Lehrkräften obliegt es somit, die Lernenden im Sinne einer Medienerziehung auf die digitale Welt vorzubereiten, sodass sie in allen Lebensbereichen aktiv und verantwortlich teilhaben können (vgl. u.a. KMK 2017, 5). Mit anderen Worten: Schule und Lehrkräfte haben die Aufgabe, die Generation der digital natives nicht zu digital naives werden zu lassen (vgl. Klein/ Munzinger 2018, 14), d.h. insbesondere müssen Wirkungsmechanismen durchschaut und Aufgaben bearbeitet werden, die eine kritisch-reflexive Auseinandersetzung mit den und über die digitale(n) Medien erlauben und die Vor- und Nachteile des Einsatzes bzw. die fachspezifischen Vorzüge und Gefahren der Digitalisierung insgesamt thematisieren. Denn neben Wissen und Können muss auch vorrangig der Aspekt der Einstellungen und Haltungen im Sinne eines umfassenden Kompetenzbegriffs bedacht werden. Der unreflektierte Einsatz von Medien, die einem Fremdsprachenunterricht lediglich einen digitalen Anstrich nach dem trial and error-Prinzip geben, gehört mit Sicherheit nicht dazu! Stattdessen sind Lehrkräfte dazu aufgerufen, prozess- und ergebnisorientiert digitale Lernumgebungen bzw. tasks zu entwickeln, die individuelles Lernen mit digitalen Medien zulassen und einen kritischen Umgang fördern. Im Sinne einer Stärkung der schülerseitigen Kooperation könnten Bestandteile oder Module einer task bspw. in Form eines flipped classroom durchgeführt werden (siehe hierzu weiterführend z.B. Gödecke/ Roviró 2018) - ein Verfahren, bei dem digitale Medien die Lehrkräfte unterstützen, aber nicht ersetzen, zumal auch in Zukunft die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden das zentrale Element für (Miss-)Erfolg sein wird. Die obigen Ausführungen hinsichtlich der Befähigung zu einer kritischreflexiven Nutzung digitaler Medien gelten selbstverständlich auch für die universitäre Lehrerbildung, der u.a. die Aufgabe zukommt, im Sinne eines forschenden Lernens pädagogisch-didaktisch sinnvolle „(Lern-)Aufgaben 4.0“ zu entwickeln, die bestenfalls im Rahmen von Aktionsforschungsprojekten durchgeführt und evaluiert werden. Darüber hinaus sollten sich die Fremdsprachendidaktiken an der Entwicklung valider Prüfungsformate beteiligen, die digitale (Teil-)Kompetenzen im umfassenden Sinn von Wissen, Können und Einstellungen prüfen bzw. beschreiben können, zumal im jetzigen Schulsystem Prüfungen und Abschlüssen auch weiterhin eine zentrale Bedeutung im Sinne der Selektionsfunktion zukommen wird. Anders als im Strategiepapier der KMK (2017, 9) formuliert, werden sich Veränderungen bei den Prüfungsformaten nicht durch einen sich im digitalen Sinne wandelnden Unterricht ergeben, sondern umgekehrt erst neue Prüfungsformate zu einem Marcus Bär 22 ‚anderen‘ (digitalisierteren) Unterricht führen. Solche Prüfungsformate müssten u.a. sowohl Möglichkeiten der Kollaboration und/ oder Kooperation bieten als auch den Einsatz digitaler Werkzeuge erlauben - beides Aspekte, die in traditionellen (analogen) Prüfungssituationen als Betrug oder Täuschung gewertet werden. Literatur Biebighäuser, Katrin/ Zibelius, Marja/ Schmidt, Torben (2012): „Aufgaben 2.0 - Aufgabenorientierung beim Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien“. In: Biebighäuser, Katrin/ Zibelius, Marja/ Schmidt, Torben (Hrsg.): Aufgaben 2.0 - Konzepte, Materialien und Methoden für das Fremdsprachenlehren und -lernen mit digitalen Medien. Tübingen: Narr, 11-56. 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Angesichts einer zunehmend digital geprägten Welt muss auch die Schule, ob sie es will oder nicht, auf die Veränderungen reagieren und ihre gesellschaftliche Funktion, die heranwachsende Generation auf das Leben vorzubereiten, dergestalt wahrnehmen, „Schülerinnen und Schülern einen kompetenten und verantwortlichen Umgang mit Medien zu vermitteln“ ( Schaumburg/ Prasse 2019, 12). Das scheint auch deshalb unerlässlich, „weil die alltägliche Nutzung nicht notwendig in einen reflektierten und kritischen Umgang mit Medien mündet und sich die Partizipationschancen nicht automatisch mit dem Zugang zu Medien erhöhen“ ( ebd., 12). Neben der lebensweltlichen Nutzung werden digitale Medien verstärkt auch in der Schule in Ergänzung zu den traditionellen Medien (Tafel, CD-Player, OHP, usw.) als Mittel zur Unterrichtsgestaltung verwendet. Was die Ausstattung der Schulen mit digitalen Medien angeht, besteht seitens der Bildungspolitik allerdings ein erheblicher Nachholbedarf (vgl. KMK 2016, 11). Zwar haben laut JIM-Studie fast 80 Prozent der Jugendlichen den Einsatz von stationären Computern im Unterricht erlebt, etwa die Hälfte hat im Unterricht bereits mit dem Whiteboard (52 %) und dem Smartphone (47%) gearbeitet, 37 Prozent haben Erfahrungen mit dem Notebook und 20 Prozent mit einem Tablet-PC gesammelt. Betrachtet man allerdings die Häufigkeit der Nutzung, so ist diese bislang gering. Mehrmals pro Woche wurde lediglich das Whiteboard (31 %) und der Computer (22 %) nennenswert im Schulalltag eingesetzt, während Smartphones (13 %), Laptops (9 %) oder Tablet-PCs (4 %) bislang keine große Rolle spielen (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2017, 54). Die aktuelle Digitalisierungseuphorie der Bildungspolitik wird in den kommenden Jahren vermutlich zu einer besseren Ausstattung der Schulen Zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 25 mit digitalen Medien führen. Reine Ausstattungsinitiativen sind jedoch keine Garantie für eine Verbesserung des fachlichen Lehrens und Lernens. Hierzu sind gut ausgebildete Lehrkräfte nötig, die in der Lage sind, zu entscheiden, ob und wenn ja welche Medien eingesetzt werden und wie sie so in das Unterrichtsgeschehen eingebettet werden, dass sie zur Förderung des Lernens im jeweiligen Fach beitragen (vgl. Schaumburg/ Prasse 2019, 11). Ziel des Beitrags ist, für den Bereich des Fremdsprachenunterrichts aufzuzeigen, welches Innovationspotential in der Nutzung digitaler Medien für das Fremdsprachenlernen liegt und welche Herausforderungen damit verbunden sind (Kap. 2). Des weiteren wird diskutiert, ob es eines Leitbildes für den Umgang mit digitalen Medien im Fremdsprachenunterricht bedarf (Kap. 3). Abschließend skizziere ich Forschungszugänge (Kap. 4) und schlage ein Ausbildungskonzept für den Einsatz digitaler Medien im Fremdsprachenunterricht vor (Kap. 5). 2 Innovationspotenziale digitaler Medien Der digitale Wandel stellt die Gegenstände, Lernumgebungen, Medien und Prozesse des Lehrens und Lernens von Fremd- und Zweitsprachen auf den Prüfstand. Das größte Innovationspotential des Einsatzes digitaler Medien im Fremdsprachenunterricht sehe ich bei den Gegenständen und den Lernumgebungen. 2.1 Gegenstände Versteht man unter Lerngegenstand in diesem Zusammenhang das Unterrichtsthema (z.B. Frankophonie), ist über das Internet „ein über die Möglichkeiten des gedruckten Lehrwerks hinausgehender zeit- und ortsunabhängiger, zumeist kostenloser Zugriff auf ein weltweit vernetztes Angebot an authentischen, multimedialen zielsprachlichen Inhalten“ (Schmidt 2010, 282) möglich. Das Internet als Träger von Online-Artikeln, Youtube-Videos, Postcasts, Blogs kann somit dazu beitragen, das eingesetzte Lehrwerk zu aktualisieren (z.B. mit Texten neueren Datums zu Ereignissen in einem ausgewählten frankophonen Land), thematisch zu vertiefen (z.B. durch das Aufgreifen weiterer Aspekte wie z.B. Alltagsleben, Status und Gebrauch des Französischen aus unterschiedlichen Perspektiven) oder ein Unterrichtsthema neu einzuführen, das im Lehrbuch nicht vorkommt (z.B. die aktuelle Protestbewegung der gilets jaunes in Frankreich). Die Herausforderung besteht darin, aus der Vielfalt des Angebots für die jeweilige Lerngruppe von der Thematik und dem Leistungsstand her angemessene Lese- und Hör-/ Hörsehverstehensdokumente auszuwählen, die Qualität der Information kritisch zu prüfen und sie dergestalt in den Unterricht einzubetten, dass die Schüler durch geeignete Mark Bechtel 26 vorbereitende, begleitende und nachbereitende Übungen und Aufgaben mit der Authentizität der Sprache (Dichte der Information bei Lesetexten bzw. Merkmalen gesprochener Sprache) zurecht kommen und sich Strategien aneignen, selbstständig mit diesen Dokumenten umzugehen (vgl. Rösler 2010, 286). Darüber hinaus findet sich über einschlägige Internet-Portale zu aktuellen Themen auch eine Vielzahl an didaktisiertem Material. 1 Hier liegt die Herausforderung vor allem darin, die Qualität des Materials und der Aufgaben zu prüfen und ggf. für die eigene Lerngruppe anzupassen. Geht es um Grammatik als Unterrichtsgegenstand, haben digitale Medien bei der Erklärung grammatischer Phänomene und beim Üben Innovationspotential. Der Vorteil eines digitalen Erklärvideos liegt in der Visualisierung und der Animation, die Form und Gebrauch des Grammatikphänomens veranschaulichen können, worauf Rösler (2007, 133) bereits vor mehr als zehn Jahren hinwies. Dies gilt allerdings nur so lange, wie sie nicht zu einer Reizüberflutung und Ablenkung führen (vgl. Roche/ Scheller 2004, 14). Ein weiterer Vorteil gegenüber einem gedruckten Lehrbuch sieht Rösler (2007, 133) in der engen Verbindung zwischen Grammatikdarstellung und Übung, da „in Übungen an den verschiedensten Stellen Grammatikdarstellungen auf Abruf eingebaut werden können“. Zur Sicherung des Formenbestandes bieten beispielsweise lehrbuchbegleitende Lernsoftware eine Reihe von Übungen an, die auf dem Anklicken einer Lösung, einer drag-and-drop-Aktivität oder einer schriftlichen Eingabe beruhen und zu deren Ergebnis der Lerner ein Feedback und eine Fehlerstatistik erhält. Die Herausforderung besteht hier m.E. darin, die Qualität der Lernsoftware kriteriengeleitet (nach Schmidt 2010, 282 sind dies Interaktivität, Bedienbarkeit, Vielfalt der Inhalte, Vielfalt der Übungsformate, Art der Rückmeldung) zu prüfen und zu entscheiden, wie die Lernsoftware im Unterricht eingesetzt werden soll bzw. geeignete Empfehlungen zu geben, wie die Lerner sie zum Selbstlernen nutzen können. Geht es um Schreiben als Unterrichtsgegenstand, liegt das Innovationspotential digitaler Medien vor allem darin, das mitteilungsbezogene Schreiben zu fördern, und zwar, indem die Schülerinnen und Schüler beispielsweise in einem Blogbeitrag, einer E-Mail oder einer WhatsApp-Nachricht an eine/ n Austauschpartner/ in selbstbestimmt Inhalte mitteilen, die für sie relevant sind, und für deren Übermittlung die Zielsprache auch tatsächlich gebraucht wird. Die Herausforderung besteht hier darin, thematisch und altersgerechte Blogs zu finden bzw. über eine Internetplattform 2 einen digitalen Kontakt mit einer Partnerklasse herzustellen und für die Lerner relevante Schreibanlässe anzubieten. Auch das mitteilungsbezogene Sprechen kann in diesem Kontext 1 Beispielsweise in der Mediathek des frankophonen Senders TV5: https: / / enseigner.tv5monde.com/ fiches-pedagogiques-fle, Zugriff 21/ 1/ 2019. 2 Beispielsweise die europäische Plattform etwinning (https: / / www.etwinning.net) oder die Plattform des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) tele-tandem (https: / / plattforme.tele-tandem.net). Zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 27 durch den Einsatz von Voice-Chats und Skype gefördert werden (vgl. Tokaryk 2017). Konzipiert man solche Austauschprojekte nach der Tandem- Methode, bei der zwei Lerner von- und miteinander lernen, wobei die Zielsprache des einen die Muttersprache des anderen ist, können beide Lerner bei geeigneter Sprachenwahl nicht nur selbst ihre Fertigkeiten im mitteilungsbezogenen Sprechen bzw. Schreiben und Hör-/ Hörseh-Verstehen bzw. Leseverstehen schulen, sondern in einem „didaktischen Vertrag“ auch vereinbaren, wie sie dem Partner helfen können, sich sprachlich zu verbessern (vgl. Bechtel 2016). Gleichzeitig handelt es sich um eine reale interkulturelle Begegnungssituation, die die Lernpartner praktisch bewältigen lernen müssen, wodurch sie einen Beitrag zur Förderung interkultureller Kompetenzen leisten kann, ohne dass damit ein hoher finanzieller, organisatorischer und zeitlicher Aufwand verbunden wäre, der mit einem face-to-face Schüleraustausch verbunden ist. 2.2 Lernumgebungen Unter Lernumgebungen versteht Rösler (2007, 79) „Orte, an denen Lernende Zugang zu der Sprache, die sie lernen, erhalten“. Beim natürlichen Spracherwerb ist das der Alltag, in dem die Sprache kommunikativ erfahren wird, beim institutionell gesteuerten Sprachenlernen verläuft der Zugang zur Zielsprache über die Lehrperson, Lernmaterialien und Medien. Der Einsatz digitaler Medien ändert diese Lernumgebung in mehrfacher Hinsicht: a) durch den Rückgriff auf das Internet erhöht sich die Aktualität und Authentizität des zielsprachlichen Lernmaterials, b) durch die Integration von Lernsoftware erweitern sich die Möglichkeiten einer selbstgesteuerten Wissensaneignung und eines selbstgesteuerten gezielten Übens sprachlicher Mittel (z.B. bei Wortschatz, Grammatik, Aussprache), c) durch die Nutzung digitaler Kommunikationskanäle öffnet sich die Lernumgebung und bietet vielfältige Möglichkeiten zur Kommunikation und Kooperation mit Muttersprachlern, ohne dass dabei Reise- und Unterbringungskosten entstehen. Die größte Herausforderung in diesem Bereich besteht darin, ein stimmiges Gesamtkonzept der Lernumgebung zu entwickeln, bei dem digitale und analoge Medien lernergruppengerecht dergestalt mit motivierenden Inhalten, geeigneten Materialien, Aufgaben und Übungen sowie Sozialformen verknüpft werden, dass sie einen Beitrag zur Entwicklung funktional-kommunikativer, methodischer und interkultureller Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht leisten. 3 Ein Leitbild für den Umgang mit digitalen Medien beim Lehren und Lernen fremder Sprachen? Angesichts der aktuellen Digitalisierungseuphorie besteht die Gefahr, den Einsatz digitaler Medien für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen zu verabsolutieren. Ein Leitbild, das eine klare Zielvorstellung beinhaltet, wäre Mark Bechtel 28 hier von Vorteil. Als Ausgangspunkt für ein solches Leitbild könnten die fächerübergreifenden Kompetenzanforderungen dienen, die die Schülerinnen und Schüler im Laufe ihrer Schulzeit im Umgang mit digitalen Medien entwickeln sollen, so wie sie die KMK in ihrem Strategiepapier zur digitalen Bildung vorgelegt hat. Unter dem Stichwort „Kompetenzen in der digitalen Welt“ werden die Anforderungen in sechs Kompetenzbereiche unterteilt und in konkreten Kompetenzbeschreibungen ausformuliert (KMK 2016, 15-18). Aus Platzgründen sind sie hier verkürzt dargestellt (vgl. KMK 2016, 15-18): 1. Suchen, Verarbeiten, Aufbewahren (Suchen und Filtern; Auswerten und Bewerten; Speichern und Abrufen) 2. Kommunizieren und Kooperieren (Interagieren; Teilen; Zusammenarbeiten; Umgangsregeln kennen und einhalten; An der Gesellschaft aktiv teilhaben) 3. Produzieren und Präsentieren (Entwickeln und Produzieren; Weiterverarbeiten und Integrieren; Rechtliche Vorgaben beachten) 4. Schützen und sicher Agieren (Sicher in digitalen Umgebungen agieren; Persönliche Daten und Privatsphäre schützen; Gesundheit schützen, Natur und Umwelt schützen) 5. Problemlösen und Handeln (Technische Probleme lösen; Werkzeuge bedarfsgerecht einsetzen; Eigene Defizite ermitteln und nach Lösungen suchen; Algorithmen erkennen und formulieren; Digitale Werkzeuge und Medien zum Lernen, Arbeiten und Problemlösen nutzen) 6. Analysieren und Reflektieren (Medien analysieren und bewerten; Medien in der digitalen Welt verstehen und reflektieren) Für die Bestimmung eines Leitbildes müsste zunächst diskutiert werden, ob dieses Modell die nötigen Kompetenzen angemessen beschreibt, und ggf. Änderungen vorgenommen werden. Die Gesellschaft für Fachdidaktik (GFD 2018, 3) kritisiert in ihrem Positionspapier beispielsweise, dass „eine fachspezifische Reflexions- und Kritikfähigkeit über digitale Medien“ fehle. In einem zweiten Schritt wäre das Kompetenzmodell daraufhin zu prüfen, zur Entwicklung welcher digitalen Kompetenzen das fremdsprachliche Schulfach einen sinnvollen Beitrag leisten kann. Während die Schülerinnen und Schüler im Fremdsprachenunterricht sicherlich Kompetenzen in den Bereichen „Suchen und Verarbeiten“ und „Kommunizieren und Kooperieren“ entwickeln können, beispielsweise durch eine gelenkte Internetrecherche mittels ausgewählter zielsprachlicher Websites (Webquest) bzw. durch die Teilnahme an einem Telekooperationsprojekt mit einer Partnerklasse, ist der Fremdsprachenunterricht für die technischen Aspekte des Bereichs „Probleme lösen und Handeln“ offensichtlich ungeeignet. In einem dritten Schritt wäre näher zu bestimmen, welches digitale Medium einen Beitrag zur Förderung welcher für das fremdsprachliche Schulfach formulierten Kompetenzen leisten kann. So Zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 29 bietet ein Youtube-Video beispielsweise die Möglichkeit, die rezeptive Kompetenz des globalen und selektiven Hörsehverstehens mit einem authentischen Text zu schulen. Es bietet auch die Möglichkeit zur Bewusstmachung der Merkmale gesprochener Sprache und kann damit zur Förderung der Sprachbewusstheit dienen, wie Tschirner (2000) anschaulich verdeutlicht: Das digitale Video erlaubt es, kommunikative Situationen zu ‚lesen‘, wie beim echten Lesen hin- und herzuspringen, zu wiederholen und fokussiert auf die Sprache und andere Merkmale der kommunikativen Situation zu achten, denn dem Lerner bleibt Zeit zum Innehalten, zum Überlegen, zu all dem, was einer tiefen Verarbeitung sprachlicher und anderer semiotischer Daten dienlich ist und den Spracherwerbsprozess voranschreiten lässt. (Tschirner 2000, 67, zit. nach Rösler 2007). Entscheidend für ein Leitbild des Umgangs mit digitalen Medien beim Lehren und Lernen fremder Sprachen scheint mir, dass deutlich wird, dass die digitalen (wie die analogen) Medien für den Unterricht eine „dienende Funktion“ haben, das heißt sie haben keinen Wert an sich, sondern ihr Nutzen für die Fremdsprachenaneignung ergibt sich erst durch das komplexe Zusammenwirken mit anderen Strukturmomenten des Unterrichts, wie Lernziel, Inhalt, Lernaktivität, Sozialform und Phasierung. Wichtige fachliche Parameter eines Leitbildes sind m.E. die sachgerechte Nutzung der ausgewählten digitalen Medien sowie die kritische Überprüfung der mit den ausgewählten Medien transportierten Inhalte. Ein wichtiger didaktischer Parameter ist die Bestimmung, welche digitalen Medien sich für die Förderung welcher Kompetenzen eignen, welche Lernaktivitäten es im Unterricht gibt, bei denen die Arbeit mit digitalen Medien tatsächlich der Fremdsprachenaneignung dient. Weitere didaktische Parameter sind die Verlässlichkeit und Qualität der Anwendungsprogramme, das Verhältnis von individuellem Lernen, kooperativem Lernen und lehrerzentrierten Phasen, das Maß an lehrerseitiger Unterstützung sowie der Grad an Fremdbzw. Selbststeuerung. Wichtige ethische Parameter sind die Etablierung und Durchsetzung von Regeln für einen sozial verträglichen Umgang bei internetbasierter Kommunikation (Netiquette) und die Wahrung von Persönlichkeitsrechten. 4 Welche Forschungszugänge bieten sich an? Betrachtet man die Faktorenkomplexion beim Lehren und Lernen fremder Sprachen, müsste sich der digitale Wandel konzeptionell in der Neubestimmung des Faktors „Medien“ niederschlagen. Die digitalen Tools, die beim Lehren und Lernen einer Fremdsprache zum Einsatz kommen, müssten systematisch untersucht werden. Für jedes digitale Tool wären die unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten zu beschreiben und zu analysieren, wie sich ihre Nutzung auf die anderen Faktoren auswirkt. So könnte eine Übersicht erstellt Mark Bechtel 30 werden, die verdeutlicht, welche digitalen Tools zur Förderung welcher Kompetenzen (Hör-/ Hörsehverstehen, Sprechen, Schreiben, Leseverstehen, usw.) eingesetzt werden können, welche Funktionen (Motivieren, Präsentieren und Veranschaulichen, Aktivieren und Vertiefen, Differenzieren und Individualisieren, Kommunizieren und Kooperieren, vgl. Schaumburg/ Prasse 2019, 174- 208) sie erfüllen, welche Art des Lernens (imitativ, bewusstmachend, entdeckend, usw.; selbstgesteuert, fremdgesteuert) sie mit dem Einsatz welcher Sozialform (Einzelarbeit, Partnerarbeit, Gruppenarbeit, Unterrichtsgespräch, usw.) begünstigen und wie dies die Lehrerrolle beeinflusst (instruktiv, beratend, usw.). Ein interessanter Forschungszugang scheint mir in diesem Zusammenhang die Aktionsforschung als Teamforschung (Lehrkraft + Lehramtsstudierende/ r + Wissenschaftler/ in) zu sein (vgl. Altrichter/ Posch/ Spann 2018; vgl. Bechtel 2015). Auf der Grundlage einer Lehrerfortbildung bzw. eines fachdidaktischen Seminars zum Einsatz digitaler Medien im Fremdsprachenunterricht würden interessierte (erfahrende bzw. angehende) Lehrkräfte für eine konkrete Klassen a) einen Entwurf für eine Unterrichtseinheit erarbeiten, in dem der Einsatz eines ausgewählten digitalen Tools (oder mehrerer) in einem theoretisch fundierten und methodisch durchdachten Lernarrangement zur Förderung bestimmter Kompetenzen vorgesehen ist, b) den Entwurf in der Praxis erproben und c) die Erprobung unter einer zu Projektbeginn formulierten Forschungsfrage empirisch untersuchen. Für die Lehrkraft könnte hierbei interessant sein zu erfahren, wie ihre Schülerinnen und Schüler mit dem digitalen Tool umgegangen sind, worin sie sich in ihrem Nutzerverhalten unterscheiden, welche Auswirkung die Arbeit mit dem Tool auf ihre Motivation und ihre Leistung hat, welche methodischen Elemente sie als nützlich für das Arbeiten mit dem digitalen Tool einschätzen. Darüber hinaus könnten die Lehrkräfte zu ihren Schwierigkeiten beim Erstellen der Unterrichtseinheit und der Umsetzung im Unterricht befragt werden. Wenn das Nutzungsverhalten digitaler Tools der Schülerinnen und Schüler das Erkenntnisinteresse ist, sind die von Schmidt (2007, 81) verwendeten Datenerhebungsmethoden zielführend. Bei der Datenerhebung einer in den Unterricht integrierten Arbeit mit einer Lernsoftware wurden beispielsweise Videoaufnahmen, bei denen Schülerinnen und Schüler während der in Partnerarbeit erfolgenden Bearbeitung der Aufgaben gefilmt werden, kombiniert mit Aufzeichnungen des Bildschirmgeschehens, die sämtliche Tastatureingaben und Mouse- Bewegungen mittels einer Tracking-Software erfassen, sowie mit Befragungen, Lerntagebüchern und dem Einsammeln von Schülerprodukten. Zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 31 5 Wie ändern sich Anforderungen an die universitäre Lehrer*innenbildung durch digitalen Wandel? Über welche Kompetenzen sollen Lehramtsstudierende hinsichtlich des Umgangs mit neuen Medien in einem fremdsprachlichen Fach verfügen? Bei der Beantwortung dieser Frage greife ich auf das Modell von Blömeke (2003, 234) zurück. Sie fächert die medienpädagogische Kompetenz in fünf Teilkompetenzen auf (vgl. auch Schaumburg/ Prasse 2019, 241): 1. Die Fähigkeit zum reflektierten Einsatz von Medien in geeigneten Lehr- und Lernformen (mediendidaktische Kompetenz), 2. die Fähigkeit, Medienthemen im Sinn angemessener pädagogischer Leitideen im Unterricht behandeln zu können (medienerzieherische Kompetenz), 3. die Fähigkeit, die medienspezifischen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler angemessen beim medienpädagogischen Handeln zu berücksichtigen (sozialisationsbezogene Kompetenz) 3 , 4. die Fähigkeit, die personalen und institutionellen Rahmenbedingungen für medienpädagogisches Arbeiten in der Schule zu gestalten (Schulentwicklungskompetenz), 5. die Fähigkeit, Medien sachgerecht, selbstbestimmt, kreativ und sozialverträglich zu nutzen und zu gestalten (eigene Medienkompetenz). Für Blömeke gehört der Erwerb einer eigenen Medienkompetenz in einer Informationsgesellschaft zur Allgemeinbildung und sei somit eine Aufgabe, der sich die Schule stellen müsse. Wenn Studierende diesbezügliche Defizite hätten, müssten sie sich diese parallel zum Studium aneignen und die Universität müsste dementsprechende Angebote machen, es dürfe aber nicht Bestandteil des Studiums sein - anders als die anderen vier Kompetenzbereiche. Blömeke (2003) sieht für den Aufbau der medienpädagogischen Kompetenzen die drei Phasen der Lehrer*innenbildung in der Pflicht: Die Universität hat die Aufgabe, generalisiertes - wissenschaftliches Wissen zu vermitteln. Bezogen auf den Erwerb medienpädagogischer Kompetenz steht also die wissenschaftliche Grundlegung im Vordergrund. Dieses wissenschaftliche Wissen wird in der zweiten Ausbildungsphase am Studienseminar um den Erwerb praktischen medienbezogenen Handlungswissens ergänzt. In der Lehrerfortbildung geht es dann um die Aktualisierung von Theorie- und Praxiswissen, um die Aufnahme von Neuentwicklungen sowie um den Ausgleich von Defiziten (Blömeke 2003, 234). Der Konzeption einer phasenübergreifenden medienpädagogischen Kompetenzaneignung ist zuzustimmen. Die Aneignung eines praktischen medienbezogenen Handlungswissens allein der zweiten Phase zuzuordnen, scheint dagegen angesichts der verstärkten Integration von Praxisphasen in die erste Ausbildungsphase als überholt. Des weiteren plädiert Blömeke für eine nicht 3 Dazu gehört das Wissen, die Lebenswelt und das Mediennutzungsverhalten der Schülerinnen und Schüler zu kennen. Mark Bechtel 32 nur überfachliche, sondern auch fachliche und fachdidaktische Verankerung (vgl. Blömeke 2003, 235). Bei der Frage nach der Priorisierung in der universitären fachdidaktischen Ausbildung würde ich den Fokus auf den Bereich der mediendidaktischen Kompetenzaneignung legen. Dabei halte ich Seminarkonzepte für zielführend, bei denen sich die Studierenden a) wissenschaftliche Grundlagen des Lehrens und Lernens mit digitalen Medien durch entsprechende Fachliteratur aneignen (Definitionen, lerntheoretische Bezüge, Überblick über digitale Tools und ihre Funktionen, Lernszenarien, Studien zu Einstellungen und Lernwirksamkeit digitaler Medien), b) digitale Medien integrierende Unterrichtsszenarien und Sprachlernsoftware kriteriengeleitet analysieren und c) einen lerngruppenspezifischen Unterrichtsentwurf erarbeiten, in dem digitale Medien zur Förderung ausgewählter Kompetenzen zum Einsatz kommen (sozialisationsbezogene Kompetenz, mediendidaktische Kompetenz). Weiterhin sollte das Seminar so konzipiert sein, dass die Studierenden selbst Erfahrungen mit unterschiedlichen digitalen Medien sammeln, indem sie sie während des Seminars nutzen und deren Nutzung reflektieren (eigene Medienkompetenz). Ein gutes Beispiel ist aus meiner Sicht das 2008 durchgeführte Blended-Learning-Seminar „Digitale Medien im Fremdsprachenunterricht: Theorien, Methoden, Anwendung“, das an den Universitäten Hamburg, Bremen und Kiel erprobt wurde (vgl. Grünewald 2009). Das Seminar, an dem Studierende der Fächer Französisch, Spanisch, Englisch, DaF/ DaZ aus den drei Universitäten teilnahmen, folgte einem hybriden Lernarrangement, das (1) Selbstlernen mit und ohne digitale Medien kombinierte mit (2) face-toface-Partnerarbeitsphasen zur Analyse und Erstellung digitaler Übung und (3) kooperativem Arbeiten in virtuellen Lerngruppen, die aus je einem Studierenden der kooperierenden Hochschulen bestand. Literatur Altrichter, Herbert/ Posch, Peter/ Spann, Harald (2018): Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht: Unterrichtsentwicklung und Unterrichtsevaluation durch Aktionsforschung. Tübingen: UTB. 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The global village strikes back: Digitaler Wandel und interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht Eva Burwitz-Melzer People sometimes refer to the world as a global village when they want to emphasize that all the different parts of the world form one community linked together by electronic communications, especially the internet. (Collins Cobuild, Advanced English Dictionary) 1 Einleitung Trotz der erheblichen Startschwierigkeiten, die der DigitalPakt Schule in den letzten Monaten gezeigt hat, ist der digitale Wandel im Fremdsprachenunterricht nicht aufzuhalten, und das ist gut so, denn er kann das Lehren und Lernen an vielen Stellen sinnvoll und maßgeblich unterstützen, neue Lernwege aufzeigen und mit dem Einbezug der vielfältigen Medienlandschaft für eine bessere Berufsvorbereitung sorgen. Dieses Papier möchte in einem ersten Schritt einige der fachdidaktischen Bereiche und Kompetenzen ausdeuten, die besonders vom Einsatz digitaler Medien profitieren. Ein zweiter Fokus wird auf der interkulturellen kommunikativen Kompetenz liegen, die als transversale Kompetenz zwar stets bei der Digitalisierung als vermeintlich selbstverständlich mit ins Blickfeld genommen wird, doch längst nicht immer so sorgfältig eingebunden ist, wie es ratsam erscheint. 2 Auf dem Prüfstand: Das Leitbild des Fremdsprachenunterrichts und das Potenzial eines digital ausgerichteten Fremdsprachenunterrichts Die durch den digitalen Wandel bereitgestellten Informations- und Kommunikationstechnologien haben, wenn Schulen endlich ausreichend ausgestattet werden und ihr Anschluss an das digitale Netz auch in weniger stark besiedelten Gegenden der Bundesrepublik gesichert ist, ein großes Potenzial für den Fremdsprachenunterricht. Dies zeichnet sich seit fast vierzig Jahren in zunehmendem Maße ab und wird in der Fremdsprachenforschung durch viele Forschungsbeiträge, auch empirische Forschung, belegt (Müller-Hartmann 1999; Schmidt 2005). Schmidt warnt allerdings davor, von einem garantierten Nutzen der digitalen Medien auszugehen, gerade wenn es darum geht, Medienkompetenz und fremdsprachliches selbstgesteuertes Lernen zu evozieren The global village strikes back: Digitaler Wandel und interkulturelles Lernen 35 und verweist auf Schlüsselqualifikationen, die neben dem Nutzungswissen auch die Reflexionsfähigkeiten der Lernenden erfordere (Schmidt 2005, 16). Auch Grünewald gibt zu bedenken, „dass durch die Verwendung von Multimedia nicht automatisch die Motivation der Lernenden gesteigert“ werde, dass durch den Medieneinsatz in Kombination „mit geeigneten didaktischen Modellen und bei vorhandenen positiven Einstellungen allerdings das Interesse verstärkt, Neugier geweckt oder emotionale Beteiligung der Lernenden hervorgerufen werden kann“ (Grünewald 2016, 465). Es scheint also angebracht, keine übertriebenen Erwartungen beim Einsatz von digitalen Medien im FU zu hegen, gleichzeitig aber auf die Wichtigkeit und möglichen positiven Effekte der vielfältigen digitalen Tools hinzuweisen. Digitalisierung im Fremdsprachenunterricht kann erfolgreich sein, allerdings nur dann, wenn die Basis-Konzepte und das heute überwiegend genutzte und vom Common European Framework (Council of Europe 2001) geprägte europäische Leitbild des Fremdsprachenunterrichts als Grundlage verwendet werden: ein Lernparadigma des sozialen Kognitivismus, in einem interkulturell, kommunikativ und inklusiv ausgerichteten Fremdsprachenunterricht. Dieses Leitbild ist nicht neu, sondern erprobt und seit Jahren auch empirisch erforscht - einzig der Faktor der Inklusivität muss viel stärker als bisher durch verstärkt kooperative Lehr-/ Lernsituationen gefördert werden (vgl. Burwitz-Melzer et al. 2017). Ein solcher Unterricht basiert auf einer kompetenzorientierten und inzwischen differenziert ausgestalteten Task- Orientierung, die sich für den Einsatz unterschiedlichster digitaler Tools eignet. Erweitert werden muss dieses Leitbild dahingehend, dass Lernende und Lehrende innerhalb der digitalen Lernumgebungen in Zukunft ethisch besonders geschützt sind: gerade weil der Zugang der Lernenden zu den digitalen Tools unmittelbar ist, weil Kooperation Kulturen umspannt und Lernerprodukte teils direkt in Clouds gespeichert werden, muss in Zukunft gewährleistet werden, dass digitale Arbeitsschritte unter Sicherung des Datenschutzes durchgeführt werden. Dazu gehört, dass Lernende darüber aufgeklärt werden, wie sie sicher mit den bereitgestellten Tools umgehen können, wie sie sich ihrer mit Rücksicht auch auf andere Teilnehmende bedienen und welche Kenntnisse nötig sind, um Datensicherheit und -schutz herzustellen. Diese Aspekte werden im Begriff der Medienkompetenz zusammengeführt. Der Fremdsprachenunterricht wird sein Leitbild mit dem digitalen Wandel also um diesen Begriff erweitern müssen, indem er genau klärt, was er umfasst und in welchen Schritten Medienkompetenz im FU zu erreichen sein wird. Möchte man das Potenzial des digitalen Wandels genauer definieren, so zeichnet es sich bis heute besonders in drei großen Bereichen des fremdsprachlichen Lernens ab: in der Lehrwerkentwicklung (Funk 2016; Rösler 2016), beim Üben von Grammatik und Wortschatz mit adaptiven und binnendifferenzierenden Aufgabenstellungen, die auch eine Feedbackfunktion Eva Burwitz-Melzer 36 anbieten (Funk 2016; Schmidt/ Strasser 2018) und bei der synchronen oder asynchronen Kommunikation mit Partnern in der ganzen Welt, sei es per Chats oder Mails sowie beim mobile assisted language learning via Apps oder kooperativen Spielen (vgl. Schmidt/ Strasser 2018). Es gilt jedoch auch, sich bei der Einschätzung des Potenzials der Digitalisierung einen kritischen Blick zu bewahren: Viele der heute in der Fachliteratur aufgezählten vermeintlichen Neuerungen durch die digitalen Medien, z.B. die Multimodalität oder die Mehrfachkodierung von Texten, werden nämlich nicht erst seit dem Einsatz digitaler Medien im Fremdsprachenunterricht genutzt, sondern sie existieren bereits seit vielen Jahrzehnten. Besonders die Medienvielfalt und die Multimodalität von genutzten Texten im FU stellen bereits seit den 60er Jahren wichtige Phänomene dar (vgl. de Cillia/ Klippel 2016 sowie Schmidt/ Strasser 2018), finden aber erst seit gut zwanzig Jahren mit der zunehmenden Digitalisierung und den Postulaten der New London Group (1996) eine erheblich gesteigerte und angemessene Beachtung. Betrachtet man die Kompetenzbereiche, die durch den Einsatz digitaler Medien signifikant gefördert werden können im Fremdsprachenunterricht, so wird deutlich, dass sowohl produktive wie rezeptive kommunikative Kompetenzbereiche profitieren können. Die rezeptiven Kompetenzen wie Hörverstehen, Hör-Sehverstehen und Lesen sind maßgeblich durch die Vielfalt des digitalen Textangebots betroffen. Produktive Kompetenzbereiche wie das monologische und das interaktive Sprechen sowie die mündliche Mediation erhalten durch Videokonferenzen oder digitales Telefonieren eine bisher nicht gekannte, wahrscheinlich auch motivierende Authentizität und Plausibilität. Das Verfügen über sprachliche Mittel ist - wie oben bereits erwähnt - ohnehin einer der Schwerpunkte digitaler Lernprogramme. Die mündliche und schriftliche Sprachmittlung erlangt durch digitale Lernszenarien mehr Nähe mit den jeweiligen Kommunikationspartnern, denen eine fremde Kultur nähergebracht werden soll; auch bei Sprachmittlungsaufgaben können digitale Tools für lebensnahe Lernszenarien sorgen. Konferenzschaltungen ermöglichen einen Austausch mit gleich mehreren Kommunikationspartnern, die weit auf der Welt verstreut sein können und bringen so buchstäblich Kulturen einander näher. Die Text- und Medien-Kompetenz ist mit Bedacht so modelliert, dass digitale Medien in den Standards immer schon mitbedacht worden sind, hier ist die Integration von Print- und digitalen Medien gut gelungen. Eine große Unterstützung bei der Entwicklung von Sprachbewusstheit können digitale Datenbanken zur Lernersprache darstellen oder eine individuelle Übersicht über die eigene Lernentwicklung, die im Unterricht mit Partnern reflektiert werden kann. Die Sprachlernkompetenz schließlich erfährt eine Bereicherung durch e-Portfolios, die den Lernenden helfen, ihre individuellen Lernwege und Lernpläne in der Fremdsprache und zur Plurilingualität zu finden, Lernerträge abzuschließen und diese selbstständig zu überprüfen. The global village strikes back: Digitaler Wandel und interkulturelles Lernen 37 Einen Problemfall stellt in diesem Zusammenhang aber oft die interkulturelle Kompetenz dar, obwohl sie scheinbar ganz natürlich und vermeintlich automatisch durch das globalisierte Netz, die Unabhängigkeit des Lernorts, die Interaktivität der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und ihre interpersonalen Beziehungen zueinander gefördert wird (vgl. dazu auch Jones/ Stuhlmann/ Zeyer 2016, 25-30). Der Aufbau der interkulturellen Kompetenz wird seit dem Anfang des neuen Millenniums systematisch im Fremdsprachenunterricht betrieben; er wird von europäischen und deutschen bildungspolitischen Publikationen gefordert, allerdings nur durch wenige Beispiele empirischer Forschung flankiert. Neben dem Common European Framework (Council of Europe 2001), der nur wenig zum Aufbau der interkulturellen Kompetenz zu sagen hatte (vgl. Burwitz-Melzer 2003, 66-72), sind es auf europäischer Ebene vor allem der Referenzrahmen für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen CARAP/ REPA (ECML 2009), der Guide for the Development and Implementation of Curricula for Plurilingual and Pluricultural Education (Beacco et al. 2016) und zuletzt der CEFR Companion Volume With New Descriptors (Council of Europe 2018), die versuchen, das interkulturelle Lernen in Schulcurricula und Curricula für erwachsene Lernende verbindlich zu verankern. Die bisher verbindlichste und pragmatischste Lösung einer Modellierung der interkulturellen Kompetenz findet sich aber in den deutschen Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife (KMK 2014; vgl. hierzu auch Vogt 2016), die dem Aufbau dieses Kompetenzbereichs zehn Deskriptoren, die auf einer Leistungsebene angesiedelt sind, widmen. Nur selten jedoch wird dieser zentrale Kompetenzbereich direkt und mit einer methodischen Fragestellung versehen auf die Digitalisierung des Fremdsprachenunterrichts bezogen 1 . Eine digitale Lernkultur im Fremdsprachenunterricht, insbesondere das mobile language learning lässt die Welt auf den ersten Blick zu einem global village zusammenschnurren, dessen vermeintliche Nähe aber tatsächlich eine große kulturelle Hybridität und Diversität birgt. Mit den potenziellen Gesprächspartnern und Spielkolleginnen in aller Welt, die Englisch als Muttersprache, Amtssprache oder lingua franca nutzen, muss der Umgang sorgfältig erlernt werden, wenn er zielführend und erfolgreich sein soll, d.h. wenn neben dem Spracherwerb und/ oder dem handlungsorientierten Produkt der Aufgabe auch ein reflektiertes interkulturelles Ziel erworben werden soll. Aber ein solch dreifaches Ziel zu erreichen, ist nicht einfach, wie die wenigen empirischen Studien zum interkulturellen Lernen immer wieder zeigen. Bereits 2003 konnte nachgewiesen werden, dass junge Schülerinnen und Schüler (Klasse 5 bis 10, alle Schulformen) in der Lage sind, ihr interkulturelles Po- 1 Die empirische Studie von A. Müller-Hartmann (1999) stellt in diesem Zusammenhang eine frühe Ausnahme dar. Eva Burwitz-Melzer 38 tenzial auf der Grundlage des Byram-Konzepts der ICC (1997) zu erweitern, wenn sie mit authentischen Texten und bestimmten strategisch ausgeführten Aufgabenstellungen wie z.B. Perspektivenwechseln konfrontiert und gefördert werden. Besonders die abschließend durchgeführten Reflexionsstrategien erwiesen sich als fruchtbar und bewusstseinssteigernd (vgl. Burwitz-Melzer 2003). Sehr häufig wird sie aber bei der Konzeptbildung und später bei der Modellierung von Medienkompetenz, bei Aufgabenstellungen und Beispielen in einschlägigen Publikationen wenig beachtet, fast nie wird sie systematisch eingeübt oder gefördert. Dabei sind die Standards zur interkulturellen Kompetenz zumindest für die Oberstufe recht ausgefeilt und ließen sich gut mit Aufgabenstellungen, die digitale Tools einsetzen, verbinden (vgl. KMK 2014, 19-20). Als Erinnerung mag hier der Allgemeine Deskriptor dienen: Die SuS können in direkten und in medial vermittelten interkulturellen Situationen kommunikativ handeln. Dies bezieht sich auf personale Begegnungen sowie auf das Verstehen, Deuten und Produzieren fremdsprachiger Texte. Die SuS greifen dazu auf ihr interkulturelles kommunikatives Wissen zurück und beachten kulturell geprägte Konventionen. Dabei sind sie in der Lage, eigene Vorstellungen und Erwartungen im Wechselspiel mit den an sie herangetragenen zu reflektieren und die eigene Position zum Ausdruck zu bringen (KMK 2014, 19). Die Modellierung der interkulturellen Kompetenz ebnet den Weg für eine vielfache und vielseitige Nutzung mit digitalen Tools, denn sie sind bereits bei der Formulierung mitbedacht worden. Dabei ist es klar, dass die IKK stets im Verbund mit anderen kommunikativen Kompetenzen auftritt und so auch in einem Kompetenzverbund eingesetzt werden muss. Dass ein solcher Einsatz nicht einfach ist, zeigt sich im Schulalltag; dort wird die IKK noch nicht ernsthaft eingesetzt und beurteilt und in den mündlichen und schriftlichen Prüfungen ist sie bisher noch aus der Bewertung ausgeklammert. Trotz dieser Anlaufschwierigkeiten beim Einsatz der interkulturellen Kompetenz sollte sie gerade durch einen verstärkten Medieneinsatz gut gefördert werden können, denn wo sonst, wenn nicht im global village, kann man so unproblematisch Kontakt bekommen zu so vielen Menschen unterschiedlicher Kulturen? Das nächste Kapitel wird zunächst zwei empirische Beispiele zur Förderung der interkulturellen Kompetenz mit digitalen Tools vorstellen und dann versuchen, Schlussfolgerungen für eine sinnvolle und systematische Verbindung zwischen digitalem Medieneinsatz und der Förderung der interkulturellen Kompetenz zu liefern. The global village strikes back: Digitaler Wandel und interkulturelles Lernen 39 3 Interkulturalität als zentrales und ausbaufähiges Paradigma für einen digitalen Fremdsprachenunterricht: Zwei Beispiele Das erste Beispiel stammt aus der Pionierzeit des Einsatzes digitaler Medien im Englischunterricht, es handelt sich um ein sehr bekanntes Projekt, das Andreas Müller-Hartmann im Rahmen einer größeren Studie Ende der Neunziger Jahre durchgeführt hat. Diesem E-Mail Projekt wurde ein literarischer Text, die dystopische Ganzschrift The War between the Classes (2009) von Gloria D. Miklowitz in einem dreimonatigen „virtuellen Lerndreieck“ (Müller-Hartmann 1999, 170) zwischen zwei Englisch-Grundkursen in der 12. Jahrgangsstufe in Ulm und Lollar und einer Englischklasse in Lachute, Quebec, Kanada diskutiert. Dabei wurde in allen drei Klassen ein Lesetagebuch als Grundlage für den literarischen und interkulturellen Austausch angelegt. Organisatorisch verlief das Projekt so, daß nach einer Kennenlernphase - Austausch von Briefen zur Person - mehr oder weniger stabile bilaterale Partnerbeziehungen entstanden [...] dass sich jede Lerngruppe mit jeder anderen Lerngruppe austauschen konnte. Dabei bildeten sich auch kleinere Lerngruppen, die sich zu zweit oder zu dritt mit den Partnern austauschten. Die jeweiligen Partner verfolgten im Laufe der mehrwöchigen Lesephase ihre ganz spezifischen Diskussionsstränge. Die Arbeit in Paaren oder Kleingruppen wurde immer wieder durch Plenumsphasen unterbrochen, in denen bestimmte inhaltliche Aspekte aus verschiedenen Briefen bzw. einzelne besonders interessante Schülerbriefe diskutiert wurden, um so den Austausch innerhalb der Klasse zu gewährleisten und um Möglichkeiten zu schaffen, anregend und stützend in den interkulturellen Lernprozeß einzugreifen (ibid., 171). Es sind vier Aspekte, die bei diesem Projekt als besonders positiv herauszustellen sind: Müller-Hartmann plant das Projekt als einen monatelangen Austausch, also als einen interkulturellen Entwicklungsprozess, der den Lernenden Zeit gibt, sich gut kennenzulernen, um persönliche Einstellungen zur Sprache zu bringen. Dieser Aspekt war in der fachdidaktischen Diskussion bereits angedacht, aber nie in einer solch konsequenten Länge vorgeschlagen worden (vgl. Donath 1996, 21f. zitiert von Müller-Hartmann 1999, 169). Dabei wird, und dies ist der zweite als positiv zu bewertende Aspekt, das technische Medium speziell in den Blick genommen und seine Eigenheiten werden im Gebrauch der Lernenden besonders berücksichtigt. Die mehrere Wochen andauernde Beschäftigung mit einem Ganztext entspricht dem Zeitraum, den ein projektorientiertes E-Mail-Projekt benötigt, um einen wirklichen Austausch zu ermöglichen. Die Untersuchung von E- Mail-Projekten hat gezeigt, daß der Austausch oft erst nach einigen Wochen richtig in Schwung kommt. [...] Die Partnerinnen müssen sich erst finden und eine Beziehung aufbauen, die Lerngruppe muß sich in das Thema eindenken Eva Burwitz-Melzer 40 und einarbeiten und methodische Verfahren müssen zum Zug kommen, die eine intensive Zusammenarbeit ermöglichen (ibid., 169). Drittens erscheint es als besonders positiv, dass alle Kompetenzen, die hier berücksichtigt sind, miteinander verzahnt und in einem Tableau gegeneinander abgewogen werden (Lesekompetenz und literarische sowie interkulturelle Kompetenzen sowie Schreibkompetenzen und mündliche Diskussionen im jeweiligen Klassenzimmer). Erst in dieser Zusammenschau ergibt sich der Anspruch an einen verlangsamten, individuellen Leseprozess, der sich entwickeln darf, um interkulturelle Förderung zu ermöglichen. Der vierte positive Aspekt besteht in einer gründlichen Reflexion der beteiligten Kompetenzen, der Entwicklung der Arbeitsprozesse im Klassenraum unter Einbezug der technischen Möglichkeiten und der sich verändernden Lehrkraft- und Schülerrollen (vgl. ibid., 170-180). In einer erst kürzlich publizierten qualitativen Studie zu Lernaufgaben für die Entwicklung interkultureller Kompetenzen im bilingualen Geographieunterricht (Müller 2018) wurde mit Hilfe eines sehr ausgefeilten Unterrichtsplans in zwei Klassen ebenfalls nachgewiesen, dass eine sorgfältige Aufgabenstellung, die Ausbildung sprachlicher Strategien und vor allem eine Bewusstmachungsphase am Ende der Unterrichtseinheiten zu einem Lernerfolg in puncto interkulturelles Lernen führen kann. Bedauerlicherweise misslang gerade die einzige Teilaufgabe dieses Dissertationsprojekts, die mit neuen Medien durchgeführt wurde: Dies war ein Skype-Gespräch mit geplantem Interview zwischen Lernenden einer 9. Realschulklasse und drei IT-Angestellten in Indien. Es scheiterte daran, dass die Verbindung schlecht war und sich sehr negativ auf die Verstehensleistung auf der Schülerseite auswirkte, sodass weder ein sprachlicher noch ein interkultureller Erfolg bei dem Synchrongespräch verzeichnet werden konnte. Nachdem der Versuch abgebrochen, das Gespräch in einem neuen Anlauf von der Lehrkraft selbst separat durchgeführt wurde und die Schülerinnen und Schüler einen kurzen Zusammenschnitt von ein bis zwei Minuten gesehen hatten, waren sie in der Lage, mit dem Material der Videomitschnitte zu arbeiten und Arbeitsblätter auch mit interkulturellen Fragen dazu auszufüllen - zu einem weiteren Skype- Gesprächsversuch kam es nicht (Müller 2018, 310-2). Neben den störenden technischen Mängeln, die bei diesem Projekt nicht mit eingeplant gewesen waren, zeigt dieses Beispiel auch, wie schwierig es für junge Lernende im Niveaubereich um B1 sein muss, spontan sprachlich und interkulturell angemessen in der Fremdsprache zu kommunizieren. Der seinen eigenen Unterricht beforschende Müller, der aus den beiden kurzen interkulturellen Lerneinheiten insgesamt 108 „Schlussfolgerungen“ über das interkulturelle Lernen zieht, verpasst leider die Chance, auch aus diesem gescheiterten Beispiel, einen angemessenen Schluss zu ziehen: Dieser müsste m.E. lauten, dass es ungleich schwieriger ist für junge Lernende, in einem synchron stattfindenden Gespräch in der Fremdsprache mit Teilnehmern, die wahrscheinlich The global village strikes back: Digitaler Wandel und interkulturelles Lernen 41 eine dialektale Färbung des Sprachgebrauchs aufweisen, auch mit adäquater Vorbereitung Fragen zu stellen und Antworten zu verstehen sowie insgesamt interkulturell angemessen zu agieren und zu reagieren. Auch die Reflexionsphase, die sich an die Arbeitsphase anschließt, behandelt leider nicht das Scheitern des Gesprächsversuchs und eine Eruierung der diversen Gründe dafür, sondern bezieht sich ausschließlich auf das interkulturelle Verstehen des aufgezeichneten Interviews und die spätere Verwendung des Videomitschnitts für Schülertexte (ibid., 316ff.). Die positiven Aspekte aus dem Beispiel von Müller-Hartmann wurden hier nicht oder nicht ausreichend beachtet: Müller plant nur wenig Zeit für das Interview ein, von Probeversuchen oder einer sprachlichen Vorbereitung erfahren wir in der Studie nichts. Die spezielle technische Herausforderung eines Skype-Interviews mit vielleicht schlechter Verbindung und die spezielle sprachliche Herausforderung, die darin besteht dialektal eingefärbtes Englisch spontan zu verstehen und eine spontane Sprachproduktion in der Fremdsprache abzuliefern, wird nicht vorab reflektiert. Die einzelnen Kompetenzen werden insgesamt nicht aufeinander bezogen und in einem Tableau miteinander in Verbindung gebracht. Müller schlussfolgert aus diesem Beispiel etwas gewagt und ohne direkt auf die Schwierigkeiten in dem Aufgabenbeispiel einzugehen: Folgerung 92: Wenn Lernende in authentischen interkulturellen Kommunikationsaufgaben mit echten Partnern kommunizieren, dann fördert dies die Angemessenheit von Formulierungen in der interkulturellen Kommunikation. Die Lernenden prüfen ihre Kommunikationsbeiträge deutlich kritischer auf Angemessenheit als in einer gleichartigen Aufgabe ohne echten Kommunikationspartner. Folgerung 93: Je authentischer eine interkulturelle Kommunikationsaufgabe ist, desto interkulturell angemessener agieren die Lernenden. Lernende erleben Authentizität in unterschiedlichen Abstufungen. Die subjektiv erlebte Verbundenheit mit dem Kommunikationspartner beeinflusst, wie stark die Lernenden ihre Texte auf interkulturelle Angemessenheit prüfen. Je direkter der Kontakt, desto stärker achten die Lernenden auf Angemessenheit ihrer Texte. In dem vorliegenden Forschungsprojekt konnten drei Abstufungen belegt werden: Texte für den klasseninternen Gebrauch, Texte für die medial vermittelte interkulturelle Kommunikation und Texte für die direkte face-toface-Kommunikation [...] (Müller 2018, 345). Obwohl es kaum zulässig erscheint, solch verallgemeinernde Aussagen nach einem empirischen Fallbeispiel zu formulieren, und gleich eine Abstufung der ‚interkulturellen Aufmerksamkeit‘ in drei Stufen vorzunehmen, spricht doch einiges dafür, dass direkte Kommunikation und medial vermittelte Kommunikation eine andere Qualität des interkulturellen Lernens darstellen könnten als die Kommunikation, die ausschließlich auf der Ebene zwischen Lehrenden und Lernenden im Klassenzimmer abläuft. Sollte dies zutreffen, würden neben face-to face encounters auch solche Szenarios, die mit digitalisierter Un- Eva Burwitz-Melzer 42 terstützung stattfinden, vielleicht für bessere interkulturelle Lerneffekte sorgen. 4 Schlussfolgerungen für interkulturelles Lernen mit digitalen Medien Aber wie müsste so ein interkulturelles Szenario mit digitalem Einsatz aufgebaut sein, um erfolgreich zu fördern, wie soll es von den Lehrkräften begleitet werden und wie könnte es evaluiert werden? Der Guide for the Development and Implementation of Curricula for Plurilingual and Pluricultural Education (kurz: Guide; Beacco et al. 2016), der sich mit der Umsetzung plurikulturellen und interkulturellen Lernens in europäische Curricula befasst, verortet das interkulturelle Lernen mit unterschiedlichen digitalen Tools in allen schulischen Lernabschnitten, vom frühkindlichen Lernen bis zum Lernen von jungen Erwachsenen (vgl. Beacco et al. 2016, 77-88). Dies wird begründet mit der gesellschaftlichen Partizipation und der sozial-verantwortlichen Rolle schulischer Erziehung: School also has a socialisation function. School has the responsibility of training future citizens and helping learners to become concerned members of society. For that purpose it must not only develop their own specific potential but also give them access to the knowledge and tools they need in order to participate in the democratic management of life in society. Thus each subject taught at school, in addition to the knowledge and skills it transmits, must also contribute to creating a culture of participation in democratic life, especially with the digitised forms of communication that now make such participation easier (ibid., 64). Digitale Tools und Medien erleichtern den Kontakt mit Anderen und Schule muss in einer strukturell sinnvollen Form auf solche Kontakte vorbereiten. Den Autorinnen und Autoren kommt es dabei auf vertikale und horizontale Kohärenz beim interkulturellen Lernen an, die Längsverbindungen im Curriculum im Sinne eines lebenslangen Lernens anbieten und auf einer Altersstufe auch Konvergenzen zwischen verschiedenen Lernfächern aufweisen, die das interkulturelle Lernen mit verschiedenen Fächertraditionen verbinden (vgl. ibid., 99-102). Da sie sich mit allen Ebenen des Lernens befassen, von der Makro- (internationalen Ebene) bis zur Nano-Ebene (individuelle Lernebene), geht es um zentrale Konvergenzen und durch Strategien geleitetes interkulturelles Lernen, die über einzelne Szenarios hinausweisen. Der Reflexion von Interkulturalität kommt dabei als Einheit stiftendem Element des Lernens eine besondere Rolle zu: By reflecting on their progress, each learning experience undergone, their linguistic cognitive and cultural acquisitions and the strategies they have used, learners can themselves assess the value of the experience in question, how The global village strikes back: Digitaler Wandel und interkulturelles Lernen 43 much weight to place on the acquisitions and how they can be extended to other experiences and learning situations (Beacco et al. 2016, 40-1). Fassen wir also die verschiedenen hier kurz vorgestellten Aspekte des Guide (Beacco et al. 2016) zusammen, so ergibt sich ein Paradigma, das interkulturelles Lernen mit digitalen Medien als besonders geeignet und besonders geboten in die heutige europäische Schullandschaft integrieren möchte. Solche strukturellen Ansätze, die dies auf horizontal und vertikal vernetzte Art und Weise tun, werden bevorzugt, da sie einen stetigen und nachhaltigen Lernprozess begünstigen. Darüber hinaus gilt es, die Erfahrungen der Lernenden regelmäßig reflektieren zu lassen, um ein optimales Lernergebnis und -bewusstsein zu erzielen. Es scheint also, dass sich die beiden empirischen Beispiele und die Vorschläge des Europarats in sinnvoller Weise zusammenfassen und ergänzen lassen: Der schulische Unterricht sollte in den Fremdsprachenfächern - aber nicht nur dort - regelmäßig und über das Gesamtcurriculum verteilt digitale Tools und Medien einsetzen, um das interkulturelle Lernen zu fördern. In Deutschland existieren bereits für die gymnasiale Oberstufe sehr gut durchdachte Bildungsstandards für diesen Kompetenzbereich, die einen solchen Einsatz gut modellieren. Somit wird auch eine Evaluation der mündlichen und schriftlichen, analogen und digitalen Schülerleistungen erleichtert. Besondere Vorsicht ist allerdings - so haben es die beiden empirischen Beispiele gezeigt - bei der Phrasierung und Ausführung der Lernaufgaben angesagt. Hier profitieren Lernende und Lehrende von einer sorgfältigen Planung, die alle beteiligten Kompetenzbereiche umfasst und interkulturelles Lernen in seinen vielfältigen Ausprägungen durch alle Lernphasen berücksichtigt. Die große Chance, die das globale Lernen für die Lernenden im Fremdsprachenunterricht darstellt, kann nur eingelöst werden, wenn Lehrende sich der vielfältigen Schwierigkeiten gerade bei der Integration der interkulturellen Kompetenz bewusstwerden. Die aktuelle Ausbildung von Lehrkräften muss also eine Antwort darauf finden, wie diese Bewusstwerdung im Studium ausgebildet werden soll. 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Digital Change im Fremdsprachenunterricht - Eine SWOT Analyse Daniela Elsner 1 Digital Change im Fremd- und Zweitsprachenunterricht Der DigitalPakt#D steht vor dem Abschluss und damit unmittelbar vor jeder Klassenzimmertüre. Bund und Länder wollen mit ihm für eine (bessere) Ausstattung der Schulen mit digitaler Technik sorgen. Ziel ist, die digitalen Kompetenzen von Schülern flächendeckend zu fördern. Der DigitalPakt ist zunächst „lediglich“ eine Finanzhilfe des Bundes an die Länder. Rund 40.000 Grundschulen, weiterführende allgemeinbildende Schulen und Berufsschulen sollen mit Breitbandanbindung, WLAN und stationären Endgeräten ausgestattet werden. Eine zentrale Strategie zum konkreten Einsatz dieser Medien an den Schulen liegt dazu allerdings nicht vor. Die konzeptionelle Umsetzung des Pakts, d.h. die inhaltliche Ausgestaltung des Unterrichts mit digitalen Medien, die Koordination des technischen Supports an Schulen, sowie die Qualifikation von Lehrkräften durch passgenaue Aus- und Weiterbildungsangebote, obliegt allein den Ländern. Der DigitalPakt setzt damit zwar eine digitale Bildungsreform in Gang, die an deutschen Schulen längst überfällig war, als revolutionäres Ereignis, das das schulische Bildungswesen von heute auf morgen auf den Kopf stellt, ist diese Reform jedoch nicht zu verkennen. Sie ist vielmehr als Auftakt eines Wandlungsprozesses zu verstehen, der Chancen und Gefahren mit sich bringen, ebenso wie er an bereits Erreichtes anknüpfen und Lücken aufdecken wird. Welche Chancen und Risiken der digitale Wandel für den Fremd- und Zweitsprachenunterricht, z.B. in Bezug auf die Weiterentwicklung von Curricula und Unterrichtsmaterialien, die methodische Gestaltung von Fremd-/ Zweitsprachenunterricht, die Einrichtung der Lernumgebung und die Aus- und Weiterbildung von Sprachenlehrkräften mit sich bringt, soll im Folgenden ebenso überlegt werden, wie die Frage, welche Stärken und Schwächen in Bezug auf den Fremdsprachenunterricht in diesem Veränderungsprozess mitberücksichtigt werden müssen. Digital Change im Fremdsprachenunterricht - Eine SWOT Analyse 47 2 Stärken, Schwächen, Gelegenheiten und Risiken des Digitalen Wandels im Fremd- und Zweitsprachenunterricht Changeprozesse gehören im Wirtschaftskontext zum Alltagsgeschäft. Doch auch hier lösen diese bei den vom Wandel Betroffenen üblicherweise zunächst einmal Unsicherheiten aus (vgl. Vahs/ Weiand 2013). Eine wichtige Quelle der Orientierung und der Motivation aller Beteiligten ist deshalb eine gute und nachvollziehbar aufbereitete Strategie. Die Entwicklung einer solchen beginnt meist mit einer Analyse der Ausgangssituation mittels einer SWOT-Analyse. Konkret geht es darum, die Stärken und Schwächen im bestehenden System zu bestimmen und die Gelegenheiten/ Chancen und Gefahren bzw. Risiken der Neuerung einzuschätzen, um auf dieser Basis entsprechende Lösungsstrategien zu erarbeiten. Im Folgenden soll eine solche SWOT-Analyse mit Blick auf den Einsatz und die Nutzung digitaler Technologien im Zusammenhang mit dem Fremd- und Zweitsprachenunterricht sowie der Ausbildung von Lehrkräften für diesen durchgeführt werden. 2.1 Stärken Der Einsatz von technischen Medien im Fremd- und Zweitsprachenunterricht ist nichts Neues. Schon zu Beginn der sechziger Jahre erfuhr der Fremdsprachenunterricht eine technische Wende (vgl. Freudenstein 2003, 395). Tonträger, das Sprachlabor, Filme und der Overheadprojektor avancierten zu wichtigen Lernmitteln, die den Unterrichtsprozess in den sprachlichen Fächern optimieren sollten. Einerseits trugen (und tragen) diese Medien dazu bei, die Unterrichtsführung zu erleichtern (vgl. Gutschow 1973, 139), andererseits erhöhten und erhöhen sie die Anschaulichkeit der kommunikativen und kulturellen Darbietungen und damit auch die Motivation der Lernenden, sich mit dem Lerngegenstand auseinanderzusetzen (vgl. Puchta/ Schratz 1984). Darüber hinaus ermöglicht(e) erst der Einsatz technischer Medien (Tonträger, Radio und Film), unterschiedliche Sprachvorbilder im Unterricht zu integrieren. Anfang der 1990er Jahre brachte der Einzug des Computers an Schulen neue Lernoptionen in Form des computergestützten Lernens (CALL, Computer Assisted Language Learning) mit sich. Die Nutzung von Lernsoftware erweiterte das Spektrum der Selbststeuerung der Lerner sowie den multimodalen Zugang zur Sprache. Mit Einzug des Internets, Anfang des Milleniums, erhöhten sich die Recherche- und Interaktionsmöglichkeiten von Lernenden und Lehrenden, sie eröffneten völlig neue Wege der Kommunikation, der Informationseinholung und -verbreitung sowie der Vernetzung von Schülern und Lehrkräften weltweit. Daniela Elsner 48 Die stetige Weiterentwicklung im Bereich neuer Technologien in den letzten 20 Jahren führte dazu, dass der Einsatz neuer Medien ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil im (Sprachen-)Unterricht geworden ist, insbesondere was den Einsatz von CDs und Filmen anbetrifft. Eine Statista-Umfrage unter knapp 1500 Lehrkräften aus dem Jahr 2016 zeigt, dass bereits 81% der Lehrkräfte an ihren Schulen fest installierte PCs vorfinden und immerhin 61% der Schulen über interaktive Tafeln verfügen (https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 180288/ umfrage/ ausstattungvon-schulen-mit-elektronischen-lehrmitteln/ (16/ 12/ 2018)). Darüber hinaus haben es auch einige mobile Endgeräte in die Klassenzimmer geschafft: 18% der Lehrkräfte können an ihrer Schule ein Tablet nutzen (ebd.), 98% der Schüler verfügen über ein Smartphone (https: / / www.mpfs.de/ fileadmin/ files/ Studien/ JIM/ 2018/ Studie/ JIM_2018_Gesamt.pdf (16/ 12/ 2018)), das sie theoretisch für das Sprachenlernen nutzen können. Blättert man die jüngsten Kataloge der großen Schulbuchverlage durch, so wird deutlich, dass sich die Angebotspalette der Sprachlehr- und -lernmaterialien, die sich mit digitalen Endgeräten aufrufen lassen, in den letzten Jahren stark erhöht hat. Lehrenden und Lernenden stehen somit eine Vielzahl an Hard- und Software zum Sprachenlernen, -lehren und Üben im Unterricht und außerhalb dessen zur Verfügung. Dass von diesem Angebot zumindest vereinzelt bereits Gebrauch gemacht wird, lässt sich anhand verschiedener Forschungsstudien erkennen, die den Einsatz digitaler Medien im Fremd- und Zweitsprachenunterricht untersuchen. Einige dieser Studien zeigen dabei, dass der Einsatz digitaler Medien für die fremdsprachliche Kompetenzentwicklung von Sprachenlernenden auf verschiedenen Ebenen gewinnbringend sein kann. So kommen Derakshan et al. (2015) in ihrem zusammenfassenden Überblick zu verschiedenen Studien mit dem Schwerpunkt auf CALL zu dem Schluss, dass Schüler sich häufig rege(r) beteiligen, wenn die fremd-/ zweitsprachliche Kommunikation über bzw. mithilfe von digitale(n) Endgeräte(n) verläuft. Bezogen auf den Fremdsprachenunterricht in Deutschland weist u.a. Cutrim-Schmidt (2018) solche Effekte beim Einsatz von Smartboards im Englischunterricht der Grundschule nach. Andere Studien zeigen, dass Schüler unter Verwendung digitaler Geräte intensiver miteinander kooperieren (vgl. Koile/ Singer 2008; Dausend 2018), ein Effekt, der sich für die Entwicklung in einer Zweit- und Fremdsprache als äußerst nützlich erweist, da hierdurch die sprachliche Interaktion der Schüler erhöht werden kann. Darüber hinaus verweisen Bernert-Rehaber und Schlemminger (2013, 46) auf das besonders für den Sprachenunterricht lernförderliche Potenzial virtueller Lernwelten und Serious Games, da mit diesen handlungsorientierte, selbstgesteuerte und entdeckend konstruktivistische Lernprozesse in der Fremdsprache initiiert werden. Eine einschränkende Erkenntnis, die aus all diesen Studien zum Einsatz digitaler Technologien im Fremd- und Zweitsprachenunterricht abgeleitet Digital Change im Fremdsprachenunterricht - Eine SWOT Analyse 49 werden kann, ist, dass „der bloße Einsatz digitaler Medien nicht zu einer gesteigerten Motivation oder zu einem effektiven Lernen führt. Entscheidend dafür ist die Auswahl des Lerngegenstands und dessen didaktischmethodische Aufbereitung“ (Grünewald 2016, 464). 2.2 Schwächen Wenngleich bereits zahlreiche Medienangebote an Schulen vorzufinden sind, ist der systematische Einsatz jüngerer Technologien in den Klassenzimmern bislang nicht an der Tagesordnung (vgl. Drossel et al. 2018), dies gilt auch für den Fremd- und Zweitsprachenunterricht. Obwohl Lehrkräfte ihren eigenen Angaben zufolge in der Lage sind, brauchbare Unterrichtsmittel im Internet zu finden (vgl. Eickelmann et al. 2014, 19), sich grundsätzlich als technikaffin einschätzen und am Einsatz digitaler Medien im Unterricht und entsprechenden Fortbildungen interessiert zeigen (Bitcom-Studie 2015), setzt derzeit nur knapp ein Drittel der Lehrkräfte in Deutschland regelmäßig neuere digitale Technologien im Unterricht ein (European Commission 2014; Drossel et al. 2018). Begründet liegt dies einerseits darin, dass die Lehrkräfte selbst dem Einsatz digitaler Technologien im Unterricht eher noch skeptisch gegenüberstehen, da sie den unmittelbaren Mehrwert in Bezug auf die Kompetenzentwicklung der Lernenden nicht erkennen (Schwanenberg et al. 2018). Andererseits mangelt es den Lehrkräften an (fachbezogenen) digitalen Kompetenzen sowie entsprechenden Planungskompetenzen zur digitalisierten Gestaltung des Fachunterrichts. So sprechen die im nordrheinwestfälischen Schulleitungsmonitor befragten Schulleiter (ebd.) ihren Lehrkräften eine nur geringe Kompetenz in Bezug auf den Einsatz digitaler Medien im Fachunterricht zu, dabei scheinen die Fremd- und Zweitsprachenlehrkräfte keine Ausnahme zu bilden. Ebenso zeigen z. B. die Ergebnisse der ICILS Studie (Eickelmann et al. 2014), dass nur 67% der Lehrkräfte sich selbst für kompetent genug halten, Unterricht, in dem digitale Medien eingesetzt werden, vorbereiten zu können. Ein positives Selbstvertrauen und die subjektive Gewissheit digitale Medien kompetent im Unterricht einzusetzen ist jedoch entscheidend für die tatsächliche Realisation (Petko 2012), ebenso wie eine aufgeschlossene Haltung gegenüber der unterrichtlichen Nutzung digitaler Medien eine wichtige Voraussetzung für die effektive Unterrichtsgestaltung unter Einbezug digitaler Medien ist (Bos et al. 2014). Der unregelmäßige und aus didaktischer Perspektive offenbar wenig spezifische oder reflektierte Einsatz digitaler Medien ist insbesondere deshalb alarmierend, weil digitale Medien vor allem in heterogenen Lerngruppen Möglichkeiten zur individuellen Förderung, z.B. durch Kompetenzerfassung, individuelle Anpassung von fachlichen Lernangeboten sowie Feedback bieten (Heinen/ Kerres 2015) und einen kognitiv aktivierenden, lernergesteuerten Fachunterricht in der Primar- und Sekundarstufe unterstützen (Irion 2018). Daniela Elsner 50 Gerade im Fremdsprachenunterricht, der auf Lernerorientierung als bedeutsames Prinzip setzt, bietet der Einsatz digitaler Medien und die durch diese mögliche Individualisierung der Lernprozesse, besonders im Hinblick auf die Förderung heterogener Gruppen, einen deutlichen Mehrwert (vgl. Schmidt/ Würffel 2018). Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die bislang für den Einsatz im Fremd- und Zweitsprachenunterricht vorhandenen digitalen Lernangebote, bislang häufig wortschatz- und rezeptionsorientiert sind und einen behavioristischen Lernzugang bieten. Insbesondere im Spielebereich sind die Inhalte häufig simplistisch und die Spielmechanismen geradlinig (vgl. Blume/ Schmidt 2017). Die Skepsis der Lehrkräfte im Hinblick auf den Mehrwert solcher Angebote ist deshalb nicht unberechtigt. Um Lehrkräfte darin zu unterstützen, Sicherheit im Umgang mit und Vertrauen zum fachspezifischen Einsatz von digitalen Medien im Fremd- und Zweitsprachenunterricht zu gewinnen, bedarf es zunächst einer konkreten Systematisierung der vorhandenen digitalen Lernwerkzeuge hinsichtlich ihres Einsatzes und des gewünschten Effekts für das fachliche Lernen seitens der wissenschaftlichen Fachvertreter, hier Fachdidaktiken. Diese Systematik sollte zwischen einer Nutzung von digitalen Medien als (niederschwellige) Anreicherung des Unterrichts und der Nutzung von digitalen Medien als Transformation von Lernprozessen unterscheiden. Schließlich müssen mediengestützte bzw. -basierte Lernaufgaben als zentrales didaktisches Gestaltungsmittel (weiter-)entwickelt und im Hinblick auf ihre fachübergreifenden und fachspezifischen Merkmale systematisiert und für den konkreten Einsatz im Unterricht detailliert beschrieben und den Lehrkräften zur Verfügung gestellt werden (Herzig/ Grafe 2011). Neben gut ausgearbeiteten Fort- und Weiterbildungskonzepten für Lehrkräfte an Schulen, werden langfristige Schulentwicklungsprozesse, die Aspekte von kollegialer Unterrichtsentwicklung einbeziehen, benötigt (u.a. Drossel et al. 2018). Solche komplexen Formen der Kooperation sind bei deutschen Lehrkräften jedoch selten zu finden (DAS-Studie 2018), obwohl diese genutzt werden könnten, um fachspezifische Digitalisierungskompetenzen im kollegialen Austausch aufzubauen. Hieraus ergibt sich neben dem Bedarf an Angeboten für die zweite und dritte Phase der Lehrerbildung auch ein Bedarf an universitären Angeboten in der Lehramtsausbildung, mittels derer sich (angehende) Lehrkräfte entsprechende fachspezifische digitale Kompetenzen kooperativ aneignen können, um längerfristige Schulentwicklungsprozesse anzustoßen. Aus lerntheoretischer und hochschuldidaktischer Perspektive sollten entsprechende Lehrformate so gestaltet werden, dass sich die (angehenden) Lehrkräfte aktiv, konstruktiv und problemorientiert in Teams mit dem Lern- und Unterrichtsgegenstand auseinandersetzen (Elsner 2015). Digital Change im Fremdsprachenunterricht - Eine SWOT Analyse 51 2.3 Gelegenheiten Die flächendeckende Ausstattung von Schulen mit digitalen Medien wird das Unterrichtserleben von Schülern langfristig verändern. Sie werden im Bestfall von einem stärker differenzierten und auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittenen Sprachenunterricht profitieren können. Insbesondere mit Blick auf den Umgang mit und die Berücksichtigung von Lernern unterschiedlicher sprachlicher Herkunft, können technologiebasierte mehrsprachige Textangebote zahlreiche Probleme lösen, die einer mehrsprachigen Förderung lange im Weg standen (Buendgens-Kosten/ Elsner 2018). Darüber hinaus können insbesondere Sprachanfänger oder leseschwache Lerner von digitalen Texten profitieren, die neben der visuellen auch eine auditive Komponente bieten und dadurch das Leseverstehen der Lernenden unterstützen, die Lesemotivation erhöhen und zum Vokabelzuwachs beitragen können (Kolb 2018, 31). Ebenso ist zu erwarten, dass die breitere Einführung und stärkere Nutzung digitaler Medien im Zweit- und Fremdsprachenunterricht das kollaborative Arbeiten befördert und damit, z.B. bei der Erstellung von Wikis, Blogeinträgen etc., auch das Maß der sprachlichen Interaktion weiter erhöht wird (Kessler 2018). Die Liste möglicher (positiver) Veränderungen ließe sich unendlich fortführen und würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Was jedoch bereits anhand dieser Beispiele deutlich wird, ist, dass die Digitalisierung im Bildungskontext Chancen auf vielen unterschiedlichen Ebenen mit sich bringt: Schüler können über digitale Technologien stärker individualisierte und ortsunabhängige Lerngelegenheiten nutzen; auch ermöglichen schulisch angeschaffte Lernprogramme unter Umständen eine Reduktion sozialer Ungerechtigkeit, insbesondere im Hinblick auf häusliche Unterstützungssysteme. Lehrkräfte können von digitalen Unterrichtsplanern und Lehrwerken in zeitlicher und organisatorischer Hinsicht profitieren. Zudem kann die regelmäßige Integration von Sprachlernprogrammen sie in ihrer Rolle als zentraler Inputprovider und Feedbackgeber entlasten. Für Zweit- und Fremdsprachenlehr-/ -lernforscher eröffnet sich mit der stärkeren Integration digitaler Technologien ein immens großes Forschungsfeld und damit verbunden die implizite Aufforderung zahlreiche Untersuchungen durchzuführen, um den Antworten auf zentrale Fragen näher zu kommen, wie u.a.: Wie lassen sich unterrichtliche Sprachlehr- und -lernprozesse nach dem Digitalpakt bestmöglich gestalten? Welche fachbezogenen digitalen Kompetenzen benötigen Lerner und Lehrkräfte, um Zweit- und Fremdsprachen effektiv zu erlernen bzw. um Zweit- und Fremdsprachen in einer globalen Welt effektiv zu nutzen? Auch Lehrende an Hochschulen stellt der Digitialpakt vor neue Herausforderungen und vor die Frage, welchen Beitrag universitäre Lehrveranstaltungen leisten können, um die fachbezogene und fachübergreifende Entwicklung digitaler Kompetenzen von Lernern und Lehrkräften optimal auszugestalten? Daniela Elsner 52 Im Kontext all dieser Fragestellungen bietet sich schließlich die Möglichkeit einer längerfristigen Verknüpfung von theoretisch begründeten Forschungsanlässen und Schul- und Unterrichtsentwicklung zur Nutzung von digitalen Technologien für fachbezogenes Lernen unterschiedlicher an der Lehrerbildung beteiligter Gruppen. 2.4 Risiken Im deutschen Kontext zeichnet der (umstrittene) Neurowissenschaftler Manfred Spitzer ein bedrohliches Bild im Hinblick auf die verstärkte Nutzung digitaler Medien im Kindes- und Jugendalter. Spitzer (2012) warnt vor Gedächtnis-, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, emotionaler Verflachung und allgemeiner Abstumpfung, die aus seiner Sicht durch die intensive Nutzung digitaler Technologien bei Kindern und Jugendlichen befördert werden. Wenngleich Spitzers Forschungsergebnisse und die von ihm hieraus abzuleitenden Konsequenzen für den Unterricht durch zahlreiche andere Studien widerlegt werden (zusammenfassend Bounin 2012), warnen auch andere Forscher, die sich mit den Chancen und Risiken des Einsatzes digitaler Technologien im Bildungskontext auseinandersetzen, vor unerwünschten Folgen der Mediennutzung. So befürchten u.a. Liebowitz und Frank (2011) die Entwicklung einer Generation von „noncritical thinkers“, die Informationen (aus dem Internet) nicht grundlegend auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen oder grundsätzlich kritisch hinterfragen. Ozuocrun und Tabak (2012) geben zu bedenken, dass sich die Lehrer-Schüler- Beziehung durch den verstärkten Einsatz digitaler Medien im Unterricht verändern wird und damit möglicherweise auch eine reduzierte Kommunikation zwischen diesen Akteuren einhergeht. Im Fremdsprachenunterricht könnte dies dazu führen, dass die Schüler seltener spontansprachliche mündliche Äußerungen tätigen und entsprechend weniger situatives Feedback von der Lehrkraft erhalten, Vorgänge, die jedoch zur Weiterentwicklung der sprachlichen Kompetenzen relevant sind. Die im Rahmen der ICILS Studie (Fraillan et al. 2013) befragten Lehrkräfte sehen dies ebenfalls als Gefahr und sie befürchten darüber hinaus, dass der häufigere Einsatz digitaler Medien im Unterricht zu einer reduzierten Kommunikation zwischen den Schülern führt. Weiterhin geben die Lehrkräfte zu bedenken, dass die Nutzung des Internets zur unterrichtsbezogenen Recherche, zur Beantwortung von Fragen oder zum Verfassen von Texten schnell zu „Copy & Paste“ verleitet. Im Kontext des Fremdsprachenunterrichts ist dies deshalb ein Risiko, da das selbstständige Verfassen von Texten eine zentrale und notwendige Komponente des Spracherwerbs darstellt, während reines Abschreiben nur wenig zur Sprachentwicklung beiträgt. Die Lehrkräfte glauben zudem, dass der verstärkte Einsatz digitaler Medien dazu führt, dass die Schüler seltener mit der Hand schreiben, was sich langfristig negativ auf ihre Digital Change im Fremdsprachenunterricht - Eine SWOT Analyse 53 Schreibkompetenzen und die Informationsverarbeitungstiefe auswirken kann. Inwiefern eine häufigere Nutzung digitaler Medien zum (eigenständigen) Verfassen schriftlicher Texte im bzw. außerhalb des Unterrichts, sich, im Gegensatz zur handschriftlichen Produktion von Texten, nachteilig auf den Spracherwerbsprozess auswirkt, bleibt allerdings abzuwarten. Als besonders kritisch stufen die Lehrkräfte schließlich die Tatsache ein, dass der Medieneinsatz im Unterricht (insbesondere Tablets und Smartphones) die Schüler aus ihrer Sicht vom Lernen ablenkt. Eine Annahme, die in verschiedenen Studien bestätigt wurde (u.a. Aufenanger 2015), bislang jedoch nicht explizit für den Einsatz von Tablets im Zweit- oder Fremdsprachenunterricht bestätigt wurde. Neben diesen, auf die sprachliche, kognitive und emotionale Entwicklung von Schülern bezogenen Risiken, die der Einsatz digitaler Medien mit sich bringt, sehe ich persönlich ein großes Risiko darin, dass das Thema Digitale Bildung derzeit eine zu große Rolle im Wissenschaftskontext einnimmt. Aus meiner Sicht befassen sich derzeit zu viele Personen mit dem Themenbereich „Umgang mit digitalen Technologien im Fachunterricht“, obwohl sie weder vertiefte Vorkenntnisse darin oder intrinsisches Interesse daran haben. Dies rührt vermutlich daher, dass sich derzeit kaum eine nationale oder regionale Ausschreibung für Forschungsfördergelder nicht auf das Thema Digitalisierung konzentriert. Wissenschaftler, die im internen und externen Wettbewerb an Hochschulen bestehen wollen, werden so stark extrinsisch motiviert, sich mit dem Thema Digitalisierung in Unterricht und Lehrerbildung konzeptionell und forschend auseinanderzusetzen. Der digitale Wandel verändert und steuert damit Forschungsaktivitäten und -schwerpunkte in noch massiverer Form als es das Thema Inklusion bereits getan hat und beschneidet, zumindest mittelbar, den Grundsatz von Freiheit der Wissenschaft in Forschung und Lehre. Das größte Risiko des digitalen Wandels im Kontext des Zweit- und Fremdsprachenunterrichts sehe ich letztlich darin, dass Schulen in Kürze mit digitalen Medien ausgestattet werden und in altbewährter Praxis, eigenständig und ohne professionelle Hilfe versuchen werden ihren Unterricht digital zu stützen. Parallel dazu entwickeln viele Personen Konzepte, die unter Umständen zu spät kommen werden. Fachdidaktiker und Bildungswissenschaftler beginnen, zu den Wirkweisen und Effekten des Einsatzes digitaler Technologien im Fachunterricht zu forschen, und stellen nach vielen Jahren fest, was nicht gut funktioniert, anstatt vor der Einführung der Medien dafür zu sorgen, dass Unterrichtsprozesse optimal gestaltet werden. 3 Abschließende Überlegungen Lehrkräfte benötigen zügig ein überschaubares und im Unterricht konkret umsetzbares Konzept für den Einsatz digitaler Technologien im Zweit- und Daniela Elsner 54 Fremdsprachenunterricht. Sie haben Bedarf an guten Beispielaufgaben für unterschiedliche Kompetenzbereiche, Inhalte und Jahrgangsstufen unter Einbindung digitaler Technologien. Die Entwicklung solcher Aufgaben sollte nicht den Schulbuchverlagen überlassen werden und sie sollte stets mit der Beforschung dieser verbunden sein. Universitäten benötigen darüber hinaus ein tragfähiges und systematisches Konzept für die fremd- und zweitsprachliche Lehreraus-, fort- und -weiterbildung in Bezug auf den digitalisierten Fachunterricht. Dazu müssen auch die an der Lehramtsausbildung beteiligten Akteure im Bereich der digital gestützten Fremd- und Zweitsprachenbildung weitergebildet werden, denn hier gibt es bislang zu wenig Experten. In den Geisteswissenschaften hat sich seit den 1970er Jahren der Bereich der Digital Humanities etabliert. Dieses Forschungsgebiet, das interdisziplinär mit Forschern aus den geisteswissenschaftlichen Fächern besetzt ist, die ebenfalls mit Verfahren, Konzepten und Standards der Informatik vertraut sind, befasst sich mit der Anwendung von computergestützten Verfahren und der systematischen Verwendung von digitalen Ressourcen in den Geistes- und Kulturwissenschaften sowie der Reflexion über deren Anwendung. Für die Begleitung und Erforschung des Digitalen Wandels im Zweit- und Fremdsprachenunterricht wäre es aus meiner Sicht sinnvoll, eine Gruppe von Fachwissenschaftlern, Fachdidaktikern, Informatikern und Personen aus den Sprachlernzentren verschiedener Universitäten zu etablieren, die sich auf das Thema digitalisierter Fremd- und Zweitsprachenunterricht spezialisiert und Konzepte für den fachspezifischen Einsatz digitaler Technologien im Unterricht und an Hochschulen entwickelt. Derzeit entstehen deutschlandweit interdisziplinäre Forschergruppen an einzelnen Universitätsstandorten, selten jedoch standortübergreifend und, da häufig im Zentrum dominiert von den fachübergreifend forschenden Bildungswissenschaften, selten mit explizitem Fachbezug. Vielleicht brauchen wir gar einen ganz neuen Wissenschaftszweig: Digitale Fachdidaktiken. 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Dabei ist die Entwicklung von einer solchen Dynamik, dass sich sichere Aussagen über ein stabiles neues medial-technologisches Bedingungsgefüge schwer tätigen lassen. Welche der neuen digitalen und vernetzten Lehr- Lernmöglichkeiten 1 sich wie im institutionellen Unterricht umsetzen lassen, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Zentral für eine didaktisch und pädagogisch sinnvolle Entwicklung scheinen mir dabei die folgenden drei Aspekte zu sein. Zunächst sind eine selbstbestimmte Mitwirkung aller Akteure und eine institutionenübergreifende Vernetzung unabdingbar. Einerseits müssen mediendidaktische Konzepte und Infrastrukturen in der jeweiligen Institution gemeinsam entwickelt und kontrolliert - und nicht etwa von oben durchgesetzt - werden; dies betrifft insbesondere die Datensicherheit und die Rechte an den Daten. Gleichzeitig müssen institutionenübergreifend praktikable didaktische Modelle, Einsatzszenarien und Kooperationsnetzwerke konzipiert werden, die sich lokal adaptieren lassen, damit interessierte Institutionen und Akteure Orientierung erhalten und anpassbare Ressourcen nutzen können. 2 Zum zweiten ist der Aufbau einer robusten technischen Ausstattung zentral, die an den Bedürfnissen der Akteure orientiert ist. Einfache und möglichst langfris- 1 Vgl. ausführlicher zu diesen Möglichkeiten etwa Würffel 2018 und Schmidt in diesem Band. 2 So bietet etwa das Framework for entry-level web literacy & 21st Century skills der Mozilla Foundation Kriterien zur Entwicklung einer selbstbestimmten digital literacy, https: / / learning.mozilla.org/ en-US/ web-literacy (20/ 01/ 2019). Die Transformation sprachlich-kultureller Praktiken 59 tige Lösungen (z.B. „Bring your own device“, ergänzt durch zentral zur Verfügung gestellte Endgeräte) sind komplexen und aufwendigen Szenarien vorzuziehen. In jedem Fall wird dauerhaft ausreichende und individuell abrufbare technischer Unterstützung benötigt. Stabile und erprobte Lösungen sollten im Regelfall Vorrang vor Orientierungslosigkeit und zu viel Innovationslust haben. Damit verbunden werden muss aber, drittens, auch die Förderung einer kritischen Medien- und Sprachkompetenz: Die neuen Kommunikationsformen und -formate bringen eine neue semiotische Qualität mit sich (vgl. Ohm 2012, 249). Die ihnen inhärenten Affordanzen und Begrenzungen sowie die veränderte Art, in welcher sie Wahrnehmung, Wirklichkeitskonstruktion und Handlungsmöglichkeiten (mit) beeinflussen, müssen thematisiert und reflektiert werden. Dazu gehören etwa: Welche Formen der sprachlich-semiotischen Selbststilisierung und Gruppenbildung werden in welchen kommunikativen Kontexten zu welchen Zwecken genutzt? Welche Konventionen und kommunikativen Muster gelten dabei bzw. bilden sich heraus? Wie wird Mehrsprachigkeit genutzt und interaktiv gestaltet, wie werden kulturelle Deutungen dynamisch verhandelt? Wie gestaltet sich das semiotische Zusammenspiel von Bild (z.B. Emojis), Text, Symbolen, hypertextueller Verknüpfung? Welche sozialen Normen und Spielregeln gilt es einzuhalten? Aus meiner Sicht bietet der dritte Punkt, also die Herausbildung neuer kommunikativer Praktiken samt ihrer fluiden und dynamischen Charakteristika (vgl. dazu z.B. Androutsopoulos 2016) auch die Chance, genauer zu reflektieren, wie Situativität, Medium und Kommunikationskonstellation die kulturell-sozialen und sprachlichen Muster beeinflussen (vgl. dazu etwa Fandrych/ Thurmair 2010; Storrer 2018). Letztlich verändern Vernetzung und Medialisierung von Sprache unser Bild von der Natur der Sprache selbst - und damit auch unsere Vorstellungen von Angemessenheit und Veränderbarkeit von Sprache (vgl. dazu ausführlich Lobin 2018). Statt als rigides Regelsystem und Kulturobjekt wird Sprache stärker als fluides und dynamisches Medium wahrgenommen, das tief in soziale und semiotische Praktiken einbettet ist. Gleichzeitig verfügen wir anders über Sprache und Sprachdaten, als dies vor Beginn des digitalen Wandels der Fall war. Daher dürfen auch die einzelnen sprachlichen Mittel (Grammatik, Wortschatz, Aussprache) nicht als abgeschlossene Systeme, sondern müssen als tendenziell dynamische, Variation unterliegende Ressourcen gesehen werden, die es hinsichtlich ihrer Funktionen und ihre Funktionalisierung in verschiedenen kommunikativen Praktiken zu thematisieren gilt. 3 Dies bedeutet auch, dass wir die Diskussion über Standard, Variation und Norm doch noch einmal viel grundlegender und unter veränderten Vorzeichen führen müssen, als das in den letzten Jahrzehnten der Fall war. Wenn man sich vor Augen führt, wie lange der de facto dem Sprachunterricht zu- 3 Entsprechende Versuche finden sich etwa bei Fandrych/ Thurmair 2016. Christian Fandrych 60 grunde liegende Standardbegriff sich als resistent gegenüber Erkenntnissen der Gesprochene-Sprache-Forschung gezeigt hat (vgl. Durrell 1999; Imo/ Moraldo 2015), wie vielfältig sich andererseits aber die sprachlichen Praktiken und kommunikativen Muster in verschiedenen Sprachgemeinschaften und sozialen Gruppen gestalten (vgl. Schramm 2017), wird deutlich, vor welcher Aufgabe wir hier stehen. Im Kontext des digitalen Wandels müssen zum einen diejenigen kommunikativen Praktiken in den Blick rücken, die für die lehr- und lernbezogene Kommunikation selbst relevant sind (sozusagen die Mittel für die Unterrichtskommunikation 2.0, wie sie auf Lernplattformen, in Chats, Foren, Kommentaren, Wikis und ähnlichem stattfindet). Zum anderen müssen die Lernenden auf kommunikative Aufgaben im digitalen Raum vorbereitet werden, die für sie in Alltag, Beruf oder Ausbildung außerhalb des Sprachlernkontextes relevant sein könnten. Hierbei gelten natürlich ähnliche Einschränkungen, wie sie Rösler (2016) für die Einbeziehung mündlicher Phänomene beschreibt: es muss aus der Perspektive von Lernenden, Lernzielen, institutioneller und zeitlicher Einschränkung sowie sprachlicher und inhaltlicher Progression gefragt werden, was in welchem Ausmaß zu welchem Zeitpunkt vermittelt werden kann, welche Schwerpunkte gesetzt werden und auch, welche medialen und kommunikativen Formen und sprachlichen Varianten berücksichtigt werden. Bei der Auswahl der medial basierten kommunikativen Praktiken ist, wie oben bereits erwähnt, dann auch nach der Rolle von sprachlichen (Gebrauchs-)Normen zu fragen. 4 Wenn man Schneider (2013) zustimmt, dass sprachliche Fehler nicht per se existieren, sondern wesentlich eine Frage der Angemessenheit im situativen Kontext darstellen, befreit einen das noch nicht von der Frage, welche Gewichtung und welchen didaktischen Ort man den verschiedenen Varianten und Spielarten der Variation im Unterricht zuweist. Eine sprachdidaktische Diskussion und Reflexion darüber steht allerdings noch weitgehend aus. Aus meiner Sicht sollte dabei auf keinen Fall vernachlässigt werden, dass standardnahe Register im Mündlichen (vgl. hierzu Butterworth/ Schneider/ Hahn 2018), im Schriftlichen und eben auch in medial vermittelter Form für viele Bildungs- und Berufskontexte nach wie vor von zentraler Bedeutung sind. Das heißt, dass die größere Variationsvielfalt nicht dazu führen darf, dass standardnahe Register vernachlässigt oder verdrängt werden. Wir benötigen daher mehr Reflexion und Arbeit zur sprach- und medienbezogenen Differenzierung im Unterricht als bisher. Diese Dimension der Digitalisierung scheint mir bisher in der Diskussion fast vollständig ausgeblendet zu sein - im Vordergrund stehen meist technische, mediale, interaktionale und daran geknüpfte methodisch-didaktische Überlegungen, kaum 4 Vgl. dazu etwa Eichinger 2018. Die Transformation sprachlich-kultureller Praktiken 61 die Sicht auf den sich stark transformierenden Gegenstand der Sprachdidaktik selbst. Dies halte ich für äußerst problematisch. 2 Entwicklung guter Vorbilder für digitales Lehren und Lernen Digitales Lehren und Lernen bedarf dringend guter Vorbilder und ethischer Grundsätze. Der Hoffnung von Vertretern lernanalytischer Verfahren, mithilfe umfassender Daten Lernwege und Lernprozesse begleitend beobachten, auswerten und so erforschen zu können, 5 steht das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gegenüber. Daher ist es im institutionellen Kontext von zentraler Bedeutung, Leitlinien nicht nur abstrakt zu formulieren, sondern es ist für die informationelle Selbstbestimmung der Lernenden eine Art Selbst-Einwahl (ein opt in) erforderlich, die es ihnen ermöglicht, Aktivitäten und Aufgaben auszuwählen, für die lernanalytische Verfahren gewünscht werden. Dabei muss sichergestellt sein, dass kommerzielle Anwender nicht ungewünscht Zugang zu personenbezogenen Daten erhalten. Lernanalytische Verfahren dürfen in keinem Fall für die Lernkontrolle durch die Institution oder die Anbieter missbraucht werden. Ein deutlich unproblematischeres Einsatzszenario für lernanalytische Verfahren stellt der Fall dar, dass Lernende lernanalytische Software und adaptive Verfahren als Selbstreflexionswerkzeug nutzen, um den eigenen Lernprozess zu evaluieren und geeignete Strategien für das weitere Vorgehen zu erkunden. Dabei muss man sich natürlich vergegenwärtigen, dass auch adaptive Systeme immer von bestimmten - impliziten oder expliziten - Sprachauffassungen, Lernkonzepten und didaktischen Normen geprägt sind. Diese müssen möglichst transparent sein, damit informierte Entscheidungen über ihren Einsatz möglich sind. Wie dies oben bereits angedeutet wurde, ist es dringend erforderlich, dass - neben weiterer Forschung und einem verstärkten Austausch zwischen Forschung und Praxis - eine Kooperation auf institutioneller Ebene stattfindet, die es erlaubt, Beispiele guter Praxis und guter Standards kennenzulernen und zu adaptieren. Es ist wichtig, dass an der Erarbeitung von Leitbildern und Konzepten zum Einsatz digitaler Instrumente alle Akteure beteiligt sind - nicht nur die technikaffinen und digital versiertesten. Gleiches gilt für die Verabschiedung von Richtlinien zur Datensicherheit und zur Kontrolle der eigenen digitalen Persona. Dringend benötigen wir daneben mehr kritische Transparenz und fachwissenschaftlich fundierte Orientierung zu vorhandenen digitalen Instrumenten und Anwendungen (vgl. Schmidt in diesem Band). 5 Vgl. etwa das vom BMBF geförderte Projekt LISA, https: / / www.technik-zummenschen-bringen.de/ projekte/ lisa (20/ 01/ 2019). Christian Fandrych 62 3 Fremd- und Zweitsprachendidaktik im Zuge der zunehmenden Digitalisierung Der digitale Wandel steht erst am Anfang und wird unsere gesamte Lebenswelt fundamental verändern: „Digitale Technologien bringen im Laufe der Zeit zwangsläufig eine Digitalkultur hervor“ (Lobin 2018, 166). Dies gilt selbstverständlich in ganz besonderer Weise für die sprachliche Kommunikation, egal ob in der L1 oder in einer L2. Zur neuen sprachbezogenen Digitalkultur gehören insbesondere die neuen Sprachressourcen, die auch der Fremdsprachendidaktik zur Verfügung stehen: Wer digital kommuniziert, kann eine Vielzahl von Hilfsmitteln nutzen, die die Kommunikation unterstützen sollen. Dazu gehören etwa das computerunterstützte Schreiben, das auf der Basis von individuellen und allgemeinen Schreibmustern (basierend auf einer enormen Datenbank) Schreibvorschläge macht und so unsere Schreibprozesse mit beeinflusst; digital verfügbare Wörterbücher und Thesauri, die teils direkt in die Apps und Programme integriert sind und das schnelle Suchen nach Formulierungsalternativen erlauben; Grammatik- und Rechtschreibhilfen, welche uns während des Formulierungsprozesses unterstützen. Die Übersetzungssoftware hat sich in den letzten Jahren sprunghaft verbessert, so dass v.a. schriftliche, aber auch mündliche Kommunikation sehr schnell in gängige andere Sprachen übertragen werden kann. All diese Entwicklungen werden aus meiner Sicht das Fremdsprachlernen nicht überflüssig machen; gerade die nicht stark institutionell und musterhaft geprägte, spontane soziale, emotionale, anspielungsreiche, kulturell aufgeladene Kommunikation wird auch in absehbarer Zeit noch nicht mithilfe von Übersetzungs- oder Dolmetschprogrammen abbildbar sein. Dennoch spielen diese Ressourcen in der täglichen Sprachnutzung der Lernenden, auch in der jeweiligen L2, eine wichtige Rolle. Sie zu thematisieren, ihr Potenzial kritisch zu erkunden, um sie produktiv nutzen zu können und ihre Grenzen zu erkennen, halte ich für ein dringendes Desiderat der Fremdsprachendidaktik. Wenn man aber weiß, wie schwer es schon war, Arbeitstechniken für die kritische und angemessene Nutzung traditioneller Wörterbücher in den Sprachunterricht zu integrieren, kann man sich vorstellen, was hier für Aufgaben vor uns liegen. Umso wichtiger ist es, den sinnvollen und kritischen Umgang mit sprachbezogenen digitalen Hilfsmitteln in den Unterricht zu integrieren. Sie sind ja meist auch auf integrale Weise mit den kommunikativen Formaten verbunden (so das computerunterstützte Schreiben in Chats und Kurztexten). Die Zahl und Vielfalt der verfügbaren digital basierten Kommunikationsformate hat sich in den letzten Jahren exponentiell vermehrt und wird sich mit Sicherheit weiter vermehren, wobei insgesamt die Funktionalitäten wachsen werden. Auch in recht stark institutionalisierten Diskursdomänen wie der Wissenschaft etabliert sich mehr und mehr die Nutzung digitaler Formate Die Transformation sprachlich-kultureller Praktiken 63 und darauf aufbauender kommunikativer Praktiken. 6 Dabei gilt hier, wie in vielen anderen Kontexten, dass sich damit auch das kommunikative Spektrum des Schreibens immer weiter ausdifferenziert, so dass es fast schon wieder zu schematisch klingt, zwischen „produktorientiertem“ und „interaktionsorientiertem Schreiben“ (Storrer 2018) zu unterscheiden. Heute finden sich eine Vielzahl von Zwischenstufen zwischen stark handlungseingebundenen Kurznachrichten und zeitlich zerdehnten, elaborierteren Statements in thematisch orientierten Foren oder Blog-Kommentaren. Für die Thematisierung und Nutzung digital basierter Kommunikationsformate im Fremdsprachenunterricht sollten einige der zentralen Erkenntnisse der Medien- und Textlinguistik berücksichtigt werden. Hierzu gehört die Unterscheidung zwischen Kommunikationsform und Textsorte (E-Mails oder Kurznachrichten sind keine Textsorten mit relativ fester kommunikativer Funktion und etablierten Textmustern, sondern zunächst Kommunikationsformen, deren Nutzung sehr vielfältig ist und deren sprachliche Umsetzung äußerst heterogen ist); die Erkenntnis, dass mediengestütztes Schreiben häufig durch eigene semiotische und graphostilistische Mittel sowie durch Multimodalität und digitale Vernetzung gekennzeichnet ist, so dass es nicht einfach als Erweiterung traditionellen Schreibens angesehen und praktiziert werden kann; sowie die starke Handlungs- und Interaktionseinbettung gerade der stärker spontanen Interaktionsformate (wie Kurznachrichten). Nimmt man diese digitalvirtuellen Kommunikations- und Veröffentlichungsformate ernst, so muss man sie - ähnlich wie die Mündlichkeit - auch in einer realitätsnahen Weise im Unterricht verwenden. Das bedeutet, dass E-Mails an Computern, Tablets oder Smartphones verfasst werden sollten, Kurznachrichten auf Smartphones mithilfe der entsprechenden Programme. Es bedeutet weiterhin, dass insbesondere stark interaktive und vernetzte Kommunikationsformate auch in interaktiv eingebundener Weise geübt und genutzt werden sollten. Es verwundert daher, wenn etwa das neue Goethe-Zertifikat A2 als Testaufgabe für das Schreiben das Verfassen einer Kurznachricht vorsieht, die eben nicht auf einem entsprechenden Endgerät (Smartphone) und mit den dort zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln (siehe oben) verfasst wird. 7 Auch ist die Aufgabe nur minimal kommunikativ, situativ und sozial einbettet, eine interaktive Vorgeschichte (etwa ein vorgängiger SMS-Verlauf) fehlt. Die Aufgabe lautet: Sie sind unterwegs in der Stadt und schreiben eine SMS an Ihre Freundin Ekaterini. Entschuldigen Sie sich, dass Sie zu spät kommen. Schreiben Sie, warum. 6 Vgl. dazu Meiler (2018) zu Blogs, Kimmons/ Veletsianos (2016) zu Twitter. 7 Vgl. Goethe-Institut: Modellsatz Schreiben des Goethe-Zertifikats A2, http: / / bfu.goethe.de/ a2_mod_2MX5/ schreiben.php (20/ 01/ 2019) sowie Hennemann/ Perlmann-Balme/ Stelter 2019. Christian Fandrych 64 Nennen Sie einen neuen Ort und eine neue Uhrzeit für das Treffen. (Goethe- Institut, Modellsatz A2 Schreiben). Bewertet werden soll dabei die Erfüllung der „Sprachfunktionen“, was hier bedeuten soll, ob die in der Aufgabenstellung genannten sprachlichen Handlungen auftreten und „situations- und partneradäquat“ umgesetzt wurden (vgl. Goethe-Institut, Modellsatz), sowie die sprachlich „angemessene“ Umsetzung (nämlich Spektrum und Beherrschung der notwendigen sprachlichen Mittel nach „Kohärenz, Wortschatz, Strukturen“, vgl. ebd.). Aus meiner Sicht sind die angelegten Bewertungskriterien einerseits sehr stark an traditionellen Schreibaufgaben orientiert, in denen man es mit Briefen oder E-Mails zu tun hatte; ohne Einbettung in einen konkreten interaktiven Kontext ist aber die Frage, ob die SMS stilistisch angemessen verfasst ist bzw. wie diese Angemessenheit bewertet werden kann, nicht sinnvoll zu beantworten. In der folgenden Beispiellösung, die die Bewertungsprinzipien und -grundlagen des Tests demonstrieren soll, werden z.B. die „fehlende Logik“ und auch die unangemessene Abschiedsformel negativ gewertet: Hallo Ekaterini Ich komme nach deiner Hause mit Bus. Aber kein Bus fahren nach deiner Hause. So im muss mit viele Büssen fahren. Halbe Stunde später bin ich da. Auf wiedersehen (vgl. Hennemann/ Perlmann-Balme/ Stelter 2019, 28). Der Satz „Aber kein Bus fahren nach deiner Hause“ sei nicht kohärent zum vorherigen Text, die Verabschiedung mit „Auf wiedersehen“ sei einer SMS nicht angemessen, insgesamt stelle dies eine Leistung „unter dem Niveau A2“ dar (vgl. ebenda). Hierzu könnte viel gesagt werden, ich begnüge mich mit der Anmerkung, dass eine solche Bewertung (trotz aller Erprobung und Validierung) notwendigerweise äußerst subjektiv und inadäquat ausfallen muss. Linguistische Forschung zum Thema Kurznachrichtenkommunikation wurde bei der Erarbeitung der Bewertungskriterien offenbar nicht zu Rate gezogen, sonst hätte man erkannt, dass Kohärenz eben gerade kein rein textimmanentes (und ausschließlich sprachliches) Phänomen ist, sondern auch die Vorgeschichte, die Situation und die Wissensbestände der Kommunikationsteilnehmer einbeziehen muss (vgl. Adamzik 2016, 111f.). Dem Kommunikationsformat entsprechend lassen sich zumindest einige der geforderten sprachlichen Handlungen (etwa die Entschuldigung) auch nonverbal durch Emoticons ausdrücken - dies wäre sogar eine äußerst typische und wohl üblichere kommunikative Vorgehensweise. Wie soll das in einer Sprachprüfung dann bewertet werden, wie mit der sehr großen stilistisch-sprachlichen Variationsbreite von informellen Kurznachrichtentexten umgegangen werden? Es stellt sich hier grundsätzlicher die Frage, ob es sinnvoll ist, derart handlungseingebundene, informelle und flüchtige kommunikative Praktiken zum Gegenstand von dekontextualisierten Präsenztests zu machen. Auch die Gesprächsfähigkeit wird heutzutage ja nicht durch das schriftliche Verfassen von Die Transformation sprachlich-kultureller Praktiken 65 Dialogbeiträgen überprüft, sondern in realen mündlichen Kommunikationssituationen (oder deren Simulation) - müssten wir dann nicht in ähnlicher Weise reale Kurznachrichten-Kommunikationssituationen nachstellen, die auch die dabei typischerweise verwendbaren Hilfsmittel zur Verfügung stellen? Oder sollten wir die Verwendung von Chats, Kurznachrichten und Kommunikation in sozialen Medien nicht stärker für prozesshafte, flüchtige Interaktion vorsehen, die dann eben nicht nach einer vermeintlichen Angemessenheit der Strukturen und des Wortschatzes bewertet wird, sondern beispielsweise hinsichtlich ihrer Funktion in projektbezogenen Kommunikationsprozessen betrachtet wird? So könnte sie Teil der Dokumentation von Kommunikations- und Kooperationsprozessen (etwa in Portfolios) sein, die letztlich stärker auf die Erarbeitung von konventionalisierten Textformaten und die damit verbundenen Sprachformen hin orientiert sind (etwa Blogeinträge und -kommentare, Webtagebücher, Ratgebertexte oder Erklärvideos etc.). Damit soll gesagt sein: Sprachliche Variation und neue kommunikative Formate sollten ihren Platz im Fremdsprachenunterricht haben, aber sie müssen in situativ und medial angemessener Weise vorkommen, und es ist nicht sinnvoll, stark variable und situativ heterogene Formate anhand scheinbar objektiv verwendbarer Angemessenheitskriterien zu bewerten. Für formalere Tests sollten aus meiner Sicht kommunikative Formate gewählt werden, die stärker am jeweiligen (Gebrauchs-)Standard orientiert sind, um überhaupt eine einigermaßen vergleichbare Bewertung zu erlauben. Ein weiteres wichtiges Forschungsfeld, in dem Fremdsprachendidaktik und didaktisch orientierte Sprachwissenschaft in Zukunft dringend enger zusammenarbeiten müssten, ist die Nutzung bestehender Sprachkorpora für die Erarbeitung von angemessenen Materialen und Aufgaben. Sprachkorpora bergen ein enormes Potenzial für die Sprachdidaktik, allerdings müssen die Nutzungsmöglichkeiten aus sprachdidaktischer Sicht deutlich erweitert und angepasst werden (vgl. Fandrych/ Meißner/ Wallner 2018) und Sprachdidaktiker im Umgang mit ihnen vertraut gemacht werden. Wichtig ist, dass Sprachkorpora leichter und intuitiver nach Parametern durchsuchbar werden, die aus der Sicht der Sprachdidaktik relevant sind, etwa nach Schwierigkeitsgrad, Standardnähe, Grad der Informalität und Interaktivität; nach bestimmten Text- und Diskursmustern (wie Erzählen, Erklären, Berichten) - möglichst auch anhand geeigneter Visualisierungen. Hier stehen Forschung und Entwicklung erst am Anfang. 8 8 Für das Deutsche hat sich das Projekt „ZuMult“ („Zugänge zu multimodalen Korpora gesprochener Sprache - Vernetzung und zielgruppenspezifische Ausdifferenzierung“) der Universität Leipzig, des IDS Mannheim und der Universität Hamburg den Ausbau nutzerbezogener Zugänge - auch für die Fremdsprachendidaktik - zum Ziel gesetzt, vgl. https: / / zumult.org/ (20/ 01/ 2019). Christian Fandrych 66 Aus dem Gesagten ergibt sich aus meiner Sicht, dass Lehrende und Studierende die Dimension des digitalen Wandels nicht als rein technischen oder äußerlichen Kommunikationswandel oder medientechnisch-didaktischen Umbruch betrachten lernen sollten, sondern als tiefgreifenden gesellschaftlich-kulturellen Wandel, der eine große Anzahl an Kulturtechniken, wissenschaftlichen Arbeits- und Denkweisen und auch unsere Vorstellung von Sprachlichkeit fundamental transformieren wird. Dies zu reflektieren und die Spuren davon in den verschiedenen digital-kommunikativen Praktiken sichtbar und erlebbar zu machen, halte ich für ein wichtiges Ziel der Aus- und Fortbildung. Zentral ist die Kompetenz, die neuen digitalen Ressourcen und Formate hinsichtlich wichtiger didaktischer Prinzipien, sprachwissenschaftlicher und pädagogischer Gütekriterien beurteilen zu können. Angehende Lehrerinnen und Lehrer müssen in die Lage versetzt werden, die verschiedenen Kommunikationsformate und -praktiken und die mit ihnen verbundenen sprachlich-funktionalen Register und Stile bezogen auf die Lernziele und Lernendenbedürfnisse angemessen einzuschätzen und entsprechend im Unterricht damit zu arbeiten - hierzu gehört auch die kritische Auseinandersetzung mit bestehenden Lehr- und Lernmaterialien sowie Testformaten. Dabei halte ich es für ein übergeordnetes Ziel, Lehrenden und Studierenden genügend Orientierung zu vermitteln und Grundstrategien an die Hand zu geben, so dass sie einerseits vor den neuen Anforderungen und Möglichkeiten nicht zurückschrecken, sie aber andererseits auch mit einer guten Portion (auf didaktischen Prinzipien basierender) Skepsis auszustatten, die verhindert, dass sie über all den digitalen Möglichkeiten den Blick für die Zielgruppenadäquatheit und die übergeordneten Lernziele und Bedürfnisse der Lernenden verlieren. Literatur Adamzik, Kirsten (2016): Textlinguistik: Grundlagen, Kontroversen, Perspektiven. Berlin u.a.: de Gruyter. Androutsopoulos, Jannis (2016): „Digitale Medien: Ressourcen und Räume für interkulturelle Praktiken“. In: Net.worx 74, https: / / www.mediensprache.net/ networx/ networx-74.pdf (20/ 01/ 2019). 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Fremdsprachenunterricht in Zeiten des digitalen Wandels Hermann Funk Lohnt überhaupt der Blick zurück, der Versuch einer Verortung der gegenwärtigen umfassenden Debatte über den digitalen Wandel der Gesellschaft und der Produktionsverhältnisse der Industrie, der Mobilität, eines großen Teils des Servicebereichs und des Einzelhandels, der Finanzmärkte und des Militärischen, der Freizeit- und Unterhaltungsindustrie sowie der Publizistik? Oder ist der allumfassende und sich offensichtlich beschleunigende digitale Wandel, der inzwischen alle Teile der Gesellschaft und damit auch den Bildungssektor umfasst, von einer derartigen revolutionären Grundsätzlichkeit, dass jeder Vergleich mit anderen historischen Umbruchsituationen unmöglich ist? Die fremdsprachentechnologischen Innovationen der Vergangenheit wirken jedenfalls wie ferne Episoden: Vor fast genau 100 Jahren wurden mit den Schellack-Platten zum Lehrwerk Études Françaises des Leipziger Teubner Verlags zum ersten Mal technische Medien zu den Lehrwerken angeboten. Vor mehr als 50 Jahren stellte Reinhold Freudenstein die verwegene Frage, ob das deutsche Gymnasium ohne Sprachlabor noch eine Zukunft habe. Die ersten digitalen Übungskompendien auf MS-DOS wurden vor ca. 40 Jahren eingeführt. Damals wie heute gilt und galt: Menschen nutzten zur Erreichung ihrer Ziele zu allen Zeiten jene (technischen) Medien, die ihnen gerade zur Verfügung standen. Das gilt auch für die Schule und damit auch für den Sprachunterricht. Sie tun dies ganz selbstverständlich, oft in Eigeninitiative, selbstständig und ohne didaktische Konzepte. Die Erinnerung an die Normalität und Kontinuität dieses Prozesses darf aber nicht den Blick auf die tiefgreifende Dimension des gegenwärtigen Wandels und die Akzeleration der digitalen Potenziale verstellen. Die ersten iPhones wurden in Deutschland vor gut 10 Jahren verkauft. Kaum jemand hat damals vorausgesehen, dass dieses Gerät den Alltag umfassend verändern würde: von den menschlichen Bewegungsabläufen, über die Kommunikationswege und -formen bis hin zu Mobilität, Leseprozessen, Gesundheitsvorsorge und Lernverhalten, um nur einige zentralen Bereiche zu nennen. Mehrwert hin, Mehrwert her - die Debatte um den Mehrwert der „neuen“ Medien - auch in Arbeiten von Fachkollegen aktuell immer noch thematisiert - hat sich in dem Maße erledigt, in dem Medien selbstverständlicher Bestandteil unseres Alltags sind. Es geht nicht mehr um das „Ob“ der Mediennutzung, sondern um das „Wie“. Kein Zweifel Feindliche Übernahme oder erweiterte didaktisch-methodische Szenarien? 69 also: (Fast) Alles wird anders. Dass es damit auch besser wird, ist nicht zwangsläufig und hängt wie immer beim Sprachenlernen von mehr als einem Faktor ab. Die grundsätzlichste der Leitfragen ist, ob wir ein Leitbild für digitales Lehren und Lernen benötigen und was hierfür wichtige fachliche, didaktische und ethische Parameter wären. Diese Grundsatzfrage ist gleichzeitig am einfachsten zu beantworten: Auch angesichts des digitalen Wandels in allen Bereichen der Gesellschaft benötigen der Fremdsprachenunterricht kein neues Leitbild. Die fachlichen und ethischen Ziele, die pädagogischen Handlungsprinzipien und didaktischen Standards sind nach wie vor vom Leitbild einer kommunikativen Fremdsprachendidaktik geprägt, wie sie in den 70 Jahren des vergangenen Jahrhunderts in der westlichen Welt entwickelt wurden - im angelsächsischen Raum eher funktional-notional und zunächst noch stark audiolingual geprägt, im deutschen Sprachraum eher unter allgemein-pädagogischen Prämissen und Zielstellungen. Diese Prinzipien und Standards sind im Sinne eines didaktisch-methodischen Leitbilds aufbauend auf diesen Grundlegungen vielfach beschrieben worden (u.a. Brown 2007; Funk 2010; Long 2011). Dazu gehören im Sinne eines Leitbilds, etwa die Handlungsorientierung, die Menschen zu rezeptiv und produktiv angemessenen Sprachhandlungen in fremdkulturellen Kontexten befähigen soll, ein Unterricht, der interaktions- und partizipationsorientiert vorgeht und dabei individuelle Lernpotenziale und -ziele berücksichtigt und in der Lage ist, Lerninhalte dementsprechend zu differenzieren und zu personalisieren. Zu diesem Zweck - und auch das ist unverändert Teil des Leitbildes - gehört es zum Ethos von Lehrkräften, Menschen dabei zu beraten und unterstützen auch durch die Anleitung zum Gebrauch von technischen und anderen Hilfsmitteln. Das jedenfalls ist nicht neu. Neu und vor allem für kompetente Lehrkräfte kein Problem ist dabei höchstens, dass sich die Lernenden in Bezug auf digitale Lernhilfen und -techniken oft besser auskennen als die Lehrenden. Ausgehend von der so beschriebenen Grundlage fremdsprachendidaktischer und -methodischer Theorie und Praxis fand um die Jahrtausendwende, also weit vor der Erfindung von Smartboards, Apps und iPhones eine erste grundsätzliche Debatte in der Fremdsprachendidaktik über den Einsatz digitaler Medien statt, deren Grundpositionen auch unter veränderten medialen Konstellationen nichts von ihrer Aktualität verloren haben 1 , wenn auch die eine oder andere euphorische Prognose, etwa vom Ende der Lehrwerke und der unmittelbar bevorstehenden digitalen Revolution, voreilig war. An diese Debatte und ihre Positionen kann an dieser Stelle angeknüpft werden, da sie uns an eine Reihe von Erkenntnissen erinnert, die forschungsbasiert, praxis- 1 Mitschian 1999; Reinmann-Rothmeier/ Mandl 2001; Rüschoff/ Wolff 1999; Tschirner/ Funk/ Koenig 2000, Rösler 2004. Hermann Funk 70 erprobt und unabhängig vom jeweiligen Stand der digitalen Technikentwicklung Gültigkeit beanspruchen können. Die erste DaF-Konferenz unter dem Titel „Schnittstellen“ zur Positionsbestimmung der Fachdidaktik fand 1999 statt und wurde von der Fachgruppe DaF im Fachverband Moderne Fremdsprachen durchgeführt (Tschirner/ Funk/ Koenig 2000). Das erste Heft der Zeitschrift Fremdsprache Deutsch zu „Neue Medien im Deutschunterricht“ (Heft 2/ 1999) enthielt u.a. die Prognose, dass das Buch noch lange Zeit als „Ankermedium“ des Unterrichts fungieren würde, was man derzeit nicht für weitere 20 Jahre prognostizieren kann. Aktuell geblieben ist aus der Debatte auch die Kritik an digitalen Programmschablonen, die eine flache Verarbeitung fördern: „Klicken statt denken“ - trial and error statt Erarbeitung von Lernstoff (Wolff / Rüschoff 1999), die Bernd Rüschoff aktuell nochmals in Bezug auf die derzeitigen digitalen Medien wiederholt und präzisiert hat (Rüschoff 2018). Aus fremdsprachenmethodischer Sicht galt die Kritik den geschlossenen Programmschablonen, der Reduktion der Komplexität der Übungsformen auf match, fill-in-the-gap, right/ wrong, drag and drop, der Vernachlässigung mündlicher Kompetenzen, sowie der Tatsache, dass in vielen Programmen keinerlei Entscheidungsspielräume für Lernende vorgesehen waren. Erkannt wurden aber auch die Chancen, die sich durch die Möglichkeiten der Förderung kognitiver Prozesse durch digitale Medien eröffneten, sowie die entscheidende Funktion der Lehrpersonen in der Organisation und Steuerung komplexer Lernumwelten. Die Formulierung von Kerres (2001) brachte es auf den Punkt: Die im Fremdsprachenunterricht eingesetzten Medien haben von vorne herein keine eigene didaktische Qualität, diese wird ihnen erst durch methodischdidaktisch überlegtes Handeln der Lehrkraft und dem daraus resultierenden Unterrichtseinsatz verliehen (Kerres 2001, 45). Die Kritik von Wolff und Rüschoff (1999) aus jener Zeit gilt nach wie vor leider auch für aktuelle Programmentwicklungen, etwa die DaF-Programme der Deutschen Welle und die meisten aktuellen Apps: Aus Sicht der Spracherwerbsforschung monierten sie, dass geschlossene Übungsformate wie z.B. multiple choice und drag & drop, fill-in-the-blank, right/ wrong, match keine Möglichkeiten der Förderung kognitiver Sprachverarbeitung anbieten (vgl. Wolff/ Rüschoff 1999, 68ff.). Als Fazit jener „frühen Jahre“ kann festgehalten werden: Hardware, Lernoberflächen und digitale Tools haben sich grundlegend verändert, die wissenschaftlichen Modelle erscheinen aber nach wie vor aktuell. Die Lernprozesse haben sich weniger verändert als die Hardware. Auch der Zeithorizont des Wandels wurde damals als viel kürzer eingeschätzt: Murphy 1 und 2: Alles dauert länger, als man denkt. Nichts ist so leicht, wie es aussieht. Die Warnungen vor digitalen „Irrwegen“ waren nicht umsonst, aber weitgehend folgenlos. Die Voraussagen von vor 15 Jahren, dass Lehrwerke bald verschwunden sein würden (Tim Cook in einer Apple- Feindliche Übernahme oder erweiterte didaktisch-methodische Szenarien? 71 Keynote: „dead-tree-books are a thing of the past“) haben sich nicht bewahrheitet. Apples iAuthor hat den Lehrwerkmarkt trotzt strategischer Allianzen in den USA nicht verändert. Die Grundidee: „Ihr liefert den Content und wir die Technik“ hat sich angesichts der Gewinn-Vorstellungen von Apple für die Verlage als durchsichtig und wenig attraktiv erwiesen, das Lehrbuch aus toten Bäumen als robuster und anpassungsfähiger als erwartet: Whiteboard- Versionen und E-books als hybride Weiterentwicklungen basieren noch auf Büchern, werden aber in den nächsten Jahren vorhersehbar nach und nach abgelöst durch digitale Lernangebote, in denen das Begleitbuch nicht mehr das Ankermedium ist. Derzeit sind zwar die Augmented Reality-Angebote zu den weit verbreiteten DaF-Lehrwerken kaum mehr als Video- und Audioangebote, die aus der Lehrwerkoberfläche mit Hilfe von QR-Codes gestartet werden, ihr Potenzial ist aber umfassender und entwicklungsfähig im Sinne von personalisierten Lernhilfen. Ihre Programmierung ist eine technische und didaktisch-methodische Herausforderung. Zu den verfrühten Prognosen gehört auch Prenskys viel zitiertes Wort von den „digital natives“, über eine Generation, die sozusagen in die Medienwelt hineingeboren wird, im Gegensatz zu den Lehrkräften, die bestenfalls in diese Welt migriert sind. Ingle und Moorhead (2016) weisen demgegenüber auf die Ungleichzeitigkeit der Entwicklung hin: Research says that kids are digital natives (Prensky 2006). Just like we made mistakes with assuming that millennial teachers would automatically know how to use technology we also made the mistake of assuming the kids would immediately know how to use the technology in an appropriate way. It became clear early on that the teachers weren’t the only ones who needed training. Our elementary students needed to learn how to care for and respect the iPads and the apps but they also needed to learn how to navigate Google, Safari, and Chrome. These search engines and web browsers may be well within our adult comfort zone but children need to understand the mechanics of how and when to use them (Ingle/ Moorhead 2016). Sie verweisen damit auf die Notwendigkeit der Entwicklung einer digital literacy in allen Fächern und können sich bestätigt fühlen durch eine Studie von Hanover Research, die 2017 zwar Veränderungen, aber in Teilbereichen noch ein fast traditionelles Bild der Mediengewohnheiten amerikanischer College- Studierender aufzeigt: Die Nutzung von Tablets und Smartphones (Jung 2014) im Unterricht ist für die Mehrheit keineswegs selbstverständlich, die studienbezogene Kommunikation erfolgt weitgehend per E-Mail. Wenn es um Prüfungsvorbereitung geht, spielen gedruckte Materialien nach wie vor eine entscheidende Rolle (vgl. Hanover Research 2017, 8). Die Nutzung von Lernoberflächen wie Moodle ist zwar inzwischen selbstverständlicher Bestandteil pädagogischer Settings, die damit verbundenen Kommunikations-Werkzeuge werden aber durchgängig so gut wie nie genutzt. Es überwiegt die Funktion des Postfaches: Arbeitsergebnisse, Präsenta- Hermann Funk 72 tionen, Aufsätze u.a. werden eingestellt und abgeholt. Den Qualitätsanforderungen an mobiles Lernen, die flexible Unterstützung von fremdsprachlicher Kommunikation können die Lernplattformen in dieser Form nicht genügen. Die Leitfrage 1 soll hier erst an zweiter Stelle angesprochen werden: Sie geht davon aus, dass der digitale Wandel potenziell alle Bereiche und Komponenten und des Lehrens und Lernens fremder Sprachen umfasst und fragt nach Herausforderungen und Innovationspotenzialen. Die Grundfrage, die wir uns als verantwortliche Fachdidaktiker und Wissenschaftler stellen, bleibt in jedem Fall: In welcher Weise können uns digitale Werkzeuge unterstützen beim Erreichen des Ziels eines kompetenten eigenständigen Gebrauchs fremder Sprachen und interkulturellen Lernens. Aktuell kann man die Herausforderungen generell und in Bezug auf das Fach Deutsch als Fremdsprache - in der DaZ-Didaktik hat diese Diskussion kaum begonnen - so beschreiben: • Die Heterogenität der Mediennutzungs-Szenarien vergrößert sich: Private Mediennutzung korrespondiert nicht mit beruflicher Medienkompetenz und -nutzung: Lernende nutzen privat extensiv Apps, lernen aber dort, wo ihnen das Ergebnis wichtig erscheint, analog. • Die Verfügbarkeit von Medien (Netz und Hardware) in Schulen wächst, ist aber weltweit regional und international sehr unterschiedlich - und dementsprechend auch der Handlungsdruck für Schulen, Ausbildung und Verlage. • Die Entwicklung von digitalen Lehr-/ Lernmitteln außerhalb des pädagogischen Planungsbereichs (Apps) erscheint weitgehend abgekoppelt von der didaktisch-methodischen Entwicklung und den Ergebnissen der Spracherwerbsforschung (vgl. Feick 2015) • Die gerade vielerorts erst eingeführten Lernplattformen sind den Anforderungen mobilen Lernens und barrierefreier Interaktion nicht gewachsen. Sie werden sich verändern oder sie sind Auslaufmodelle. • Die Lerner und ihre Gewohnheiten verändern sich weniger schnell als erwartet (siehe oben). Die „digital natives“ sind nach wie vor eher seltene Wesen. • Die Entkoppelung von Unterrichtsmaterialentwicklung und Didaktik/ Methodik führt zu traditionellen Lernarrangements (z.B. Lückenübungen) mit modernem Mediendesign, zu besichtigen in vielen aktuellen Lern-Apps sowohl von den Verlagshäusern, als auch von außerschulischen Anbietern. App-Entwickler haben kein Unterrichtskonzept. Die FS-Didaktik ihrerseits hat kein Modell zur Einbindung von Apps ins Unterrichtsgeschehen. • Während in der fremdsprachendidaktischen Diskussion Übungs- und Aufgabenformen vielfältiger, offener, differenzierter und adaptiver werden, sind die digitalen Übungsformate oft nach wie vor weitgehend auf klassische standardisierte geschlossene Formate (v.a. Lücken und Zuordnungen) beschränkt. Feindliche Übernahme oder erweiterte didaktisch-methodische Szenarien? 73 • Die DaF-Verlage reagieren in korrekter Einschätzung der Heterogenität und fehlenden didaktischen Medienkompetenz in der Praxis und der notwendig riesigen Investitionsvolumina verhalten. Dass ihre Geschäftsmodelle, Medien über Buchverkäufe zu refinanzieren, mittelfristig nicht haltbar sind, ist den Verlagen im Prinzip klar. In Bezug auf die Leitfrage ergibt sich aus all dem, dass die größte Herausforderung in der Bereitstellung einer adäquaten Unterstützung der Lehrkräfte durch eine für Lernende und Lehrkräfte handhabbare digitale Lernumwelt durch Verlage und Schulen einerseits und durch Aus- und Weiterbildungsangebote für Lehrkräfte zum Umgang mit digitalen Werkzeugen andererseits besteht. Das Ausmaß des bevorstehenden Wandels verdeutlichen Äußerungen von Schulleiterinnen und Schulleitern deutscher Auslandsschulen in einem Workshop Anfang Januar 2019 anlässlich der jährlichen Schulleiterkonferenz im Auswärtigen Amt in Berlin. Auf die Frage, welche Rolle sie für digitale Medien in ihren Schulen in 10 Jahren sehen, gaben die über 30 anwesenden Leitungspersonen unter anderem folgenden Antworten: 2 • „Learning analytics-Daten helfen mir bei der Differenzierung und Lerngruppeneinteilung.“ • „adaptive Lernsysteme“ • „Teilnahme am Unterricht von zu Hause aus ist möglich“ • „Personalisiertes Lernen mit einem System (künstliche Intelligenz), welches die Lerninhalte flexibel auf das Kind und seinen Wissensstand (wobei auch „außerschulisches“ Lernen einfließt) zugeschnittene Lernaufgaben erstellt. • „Vernetzte Schulgemeinschaft: Lehrer-Schüler-Eltern“ • „Handschrift wird eine Teilaspekt des Kunstunterrichts sein.“ • „Digitale Unterrichtsmaterialien als Regelfall, Lehrbücher als Ausnahme.“ • „Moodle, Nerdl, usw. sind Vergangenheit. An ihrer Stelle: Apps für mobiles Lernen.“ • „Wandel der Rolle des Lehrers. Didaktisierung der Digitalisierung.“ • „Es gibt keine Klassenräume mehr, sondern flexibel etablierte Lerninseln, an denen nach Kompetenzen differenzierte, themenfokussierte Angebote bearbeitet werden.“ Mag sein, dass der Veränderungsdruck in Bezug auf digital gestütztes Lernen auf deutsche Schulleitungen in Yokohama, Hongkong oder Boston größer ist als in Castrop-Rauxel, Gera oder Oberammergau - die Schulleiter 2 Wiedergabe der Workshopzitate mit Erlaubnis des Workshopleiters Martin Fugmann, (ehem.) Leiter der Deutschen Schule Silicon Valley Hermann Funk 74 und -leiterinnen beschreiben aber keine Visionen, sondern Entwicklungen, die unterwegs, bzw. in den Auslandsschulen in Planung sind, wie die im Workshop thematisierten Stufenpläne ihrer Schulen zeigen. Manches mag langsamer, manches schneller gehen als vorausgesehen. Zwei Erkenntnisse drängen sich angesichts der Aussagen aber auf: Die Entwicklung digital basierter Lernumgebungen ist eine schulische Leitungsaufgabe und wird im deutschen Auslandsschulwesen auch als solche verstanden und unterstützt. Fremdsprachenmethodische Konzepte werden sich diesen Herausforderungen der Schulentwicklung (Eickelmann et al. 2014; Eickelmann/ Gerrick 2018) stellen und aktiv eigene Vorstellungen einbringen müssen. Ermutigend an diesen Zielprojektionen digitaler Szenarien ist der Vorrang pädagogischer Werte und Ziele: Individualisierung und Personalisierung, Adaptivität des Lernmaterials, Hilfen bei selbstgesteuertem ortsunabhängigem Lernen, vernetzte Schulgemeinschaften, Auflösung starrer Klassenverbände und Zeitrhythmen. In all diesen Abläufen spielt Interaktion eine Schlüsselrolle. Für Fremdsprachendidaktiker ist das eigentlich eine gute Nachricht. Die dritte Leitfrage gilt ggf. nötigen Änderungen didaktisch-methodischer Konzepte und Forschungszugänge im Zuge der Digitalisierung. Konzeptionelle Änderungen der Didaktik erscheinen dabei weniger erforderlich als konzeptionelle Änderungen der Methodik, der Arbeit in Kursen selbst und dem Zusammenwirken von kursbasierten und außerunterrichtlichen Lernszenarien (siehe Konzepte und Szenarien digital gestützten Lernens im Band der 35. Frühjahrskonferenz zu Lernorten; Burwitz-Melzer/ Königs/ Riemer 2015). Was Forschungszugänge, -methoden und Erkenntnisinteressen betrifft, so ist die Situation ebenso komplex und im Wandel wie die Unterrichts- Methoden selbst. Zunächst zu Erkenntnisinteressen und Forschungsleitfragen: Es kann als gesichert gelten, dass Art, Umfang und Qualität der Interaktion zwischen allen Prozessbeteiligten untereinander der wesentlichste Erfolgs- (oder Misserfolgs-) -faktor im Fremdsprachenunterricht ist. Alle Modellierungen seit Bandura (1968) gehen von dieser Grundlage aus. Interaktion ist die Voraussetzung der Entwicklung pragmatischer kommunikativer Kompetenzen: Within L2 acquisition theory interaction per se is seen, from both cognitive and social theoretical perspective, as a prime context for language acquisition and development. By interaction we refer to either dyadic or multiparty talk that has a primary focus on communication meaning, rather than on language form in isolation (Philp/ Adams/ Iwashita 2014, 7). From a social perspective interaction is generally seen as essential in providing learners with the quantity and quality of external linguistic input which is required for internal processing, in focusing learner attention on aspects of their L2 that differ from target language norms or goals and in providing collaborative means for learners to build discourse structures and express meanings Feindliche Übernahme oder erweiterte didaktisch-methodische Szenarien? 75 which are beyond the current level of their linguistic competence (Saville- Troike/ Barto 2017, 112). Das Aushandeln von Bedeutung ist Teil des Interaktionsprozesses (vgl. Funk et a. 2014). Fragen formulieren, Beispiele zitieren, um Erklärungen bitten, die Probleme eines Lernpartners verstehen, eine Regelerklärung der Lehrkraft weitergeben, nachschlagen und berichten, eine eigene (Interims-)Regel formulieren - all diese unterrichtlichen Interaktionsformen können digital modelliert und gestützt werden. Vielfältige sprachliche Handlungen erleichtern variable Zugänge zum Regel-Verstehen. Interaktion wirkt als „Kognitionsverstärker“. Sabo (2017, 21) bezeichnet Interaktion daher zu Recht als Universalkonzept des Fremdsprachenlernens. Aus Sicht der Fremdsprachenmethodik ist daher der Grad der Förderung interpersonaler Interaktion zentrales Kriterium der Entwicklung digitaler Anwendungen. Dabei ist mediale Interaktivität nicht mit Interaktion zu verwechseln. Interaktivität bezeichnet das Zusammenspiel zwischen Mensch und Computer. Es folgt standardisierten Vorgaben programmierter Formate. Interaktivität in digital gestützten Sprachlernprogrammen ist stufbar nach dem Grad der Qualität und Quantität der Steuerung und Interventionsmöglichkeiten in der Interaktion Mensch/ Programm. Unter Interaktivität ist das Potenzial eines Einzelmediums zu verstehen. Interaktivitätsdesign bedeutet die Entwicklung von Interaktionsformen durch ein digital basiertes Übungsdesign (vgl. Pérez-Torneo 2017). Übungstypen und -formen bisheriger Übungstypologien erscheinen nur noch bedingt als Ordnungskategorien brauchbar, wenn ein digitales Format Ausgangspunkt der Interaktion im Kurs ist. Eine Reihe von Übungstypen und -formen der bisherigen Typologien sind nicht mehr praktikabel, andere Formate und Potenziale kommen hinzu und müssen (vgl. Funk 2017) auf ihre interaktionale Leistung sortiert werden. Eine übungstypologische Orientierung ist als auch Einführung der Lehrkräfte in die Arbeitsweise und mit digitalen Lehrmaterialien nötig. Damit wird der Schritt von einer planlosen und eher zufälligen Verwendung von Apps und digitalen Zusatzangeboten zu einer integrativen didaktisch-methodischen Konzeption digital basierten Fremdsprachenlernens unter Integration wesentlicher neuer Formate und ihrer interaktionssteuernden Potenziale möglich. Die folgende Tabelle zeigt, dass Apps in diesem Sinne stufbar sind. Hermann Funk 76 5 Stufen der Interaktivität von Apps aus Nutzerperspektive: Vom Konsumenten zum Produzenten 1. Konsumtiv: youtube, pdf, ... (als Konsument) 2. Reaktiv: richtig/ falsch-Übungen, Zuordnungen 3. Reproduktiv/ rekonstruktiv: Lücken, Textrekonstruktion, ... 4. Reproduktiv-produktiv: (lerneru. programmgesteuert): cobocards, phase 6 (Lernkartenarbeit), thinglink 5. Kollaborativ: Unterstützung bei der Texterstellung a) Wortebene: mentimeter, survey monkey b) Textebene: Jing, Voicethread, Powtoon Video, Padlet, Grammarly Aus der Nutzerperspektive lässt sich dieser Weg vom „Konsumenten“ zum „Produzenten“ als eine Progression im Sinne der Abnahme der Programm- Steuerung und der Zunahme produktiver Element lernerseits beschreiben, als zunehmende Einbindung sozialer Interaktion durch kollaborative Verfahren und Gruppenkommunikation bis hin zu einer digitalen Ergebnissicherung sozialer Kognition und dem Teilen und Publizieren von Lernprodukten. Der Vollständigkeit halber müssen an dieser Stelle auch Gamification, die Integration spielerischer Elemente und Designs in inhaltsorientieren Lernszenarien der Arbeit an inhaltlichen Zielen genannt werden 3 und Gaming, die digitalen Lernspiele (Sharples et al. 2013; Xu 2014). Die Beispiele zeigen, dass hier komplexe Interaktionsszenarien durch einen spielerischen flow gesteuert und intensiviert werden können. Die didaktisch-methodische Zielperspektive bleibt: Vermischte, aufgabenorientierte (task-supported) Lernszenarien mit medienbewussten und -kompetenten Lernenden, deren digital-gestützte Interaktion initiiert und begleitet wird von ebenso kompetenten Lehrpersonen und didaktisierten Materialien mit bewältigbaren Progressionsvorgaben. Damit sind auch inhaltlich die fremdsprachenmethodischen Forschungsschwerpunkte gesetzt. In welcher Weise die Nutzung digital-implizit erhobener Lernerdaten zu Forschungszwecken dabei möglich sein wird, ist eine offene, forschungsethisch brisante, aber für die fachdidaktische Forschung und die Entwicklung individualierten Feedbacks in digitalen Settings relevante Frage, die in diesem Kontext nicht im Detail erörtert werden kann. Studien zu rate & route von Lernvorgängen würden auf diese Weise eine neue Qualität erhalten (Herzig 2014). Im Sinne der Leitfrage zu den Konsequenzen für die Ausbildung von Lehrkräften ergeben sich zahlreiche neue Herausforderungen, wie sie Torben 3 Beispiele zu serious games und fun theory in der Ausbildung in der Autoindustrie: https: / / www.youtube.com/ watch? v=CFeeSANGGlA (16/ 05/ 2019). Feindliche Übernahme oder erweiterte didaktisch-methodische Szenarien? 77 Schmidt (in diesem Band) skizziert. Tellas (1996, 13) enthusiastischer und oft zitierter Aufruf zu Beginn der ersten Digitalisierungsdebatte „[...] the teacher should be courageous enough to step aside, from the ‘sage on the stage’ to the ‘guide on the side’“ beschreibt nur die eine Hälfte des notwendigen neuen Rollenverständnisses aller Lernprozessbeteiligten: Um die Berater- und Coach-Rolle an der Seitenlinie einnehmen zu können, reicht es nicht, sich dorthin zu begeben. Lehrkräfte müssen durch Aus- und Weiterbildung in die Lage versetzt werden, Lernende zu einem im Lernersinne effizienten und verantwortungsvollen Mediengebrauch zu erziehen - worauf sie die Ausbildungssysteme weltweit - auch nicht in digital fortschrittlicheren Ländern als Deutschland kaum vorbereiten. Ein Rollenwechsel des einen Partners im Rahmen eines Interaktionsszenarios erfordert auch den Rollenwechsel des anderen: Autonomie ist anstrengend. Sie verlangt eigenständige Urteile, Planungen und die Übernahme von Verantwortung, und Führung auch und gerade dort, wo neue digitale Werkzeuge wie „Fahrassistenzsysteme“ im Unterricht oder learning analytics versprechen, das Lehrer- und Lernerleben leichter zu machen. Die aktuelle Beschleunigung des digitalen Wandels kam keineswegs plötzlich. Nichts spricht dafür, dass unsere Bildungssysteme und Ausbildungskonzepte darauf besser vorbereitet sind, als die Gesellschaft insgesamt. Die Fremdsprachendidaktik muss sich nicht neu erfinden, die Methodik und damit auch die Ausbildung von Lehrkräften steht damit allerdings vor ihrer bisher umfassendsten Herausforderung. Literatur Bandura, Albert (1985): Social foundations of thought and action: A socialcognitive theory. Englewood Cliffs: Prentice Hall. Brown, H. Douglas (2007): Teaching by Principles. An Interactive Approach to Language Pedagogy. 3. Aufl. San Francisco State University: Pearson Longman, 50-52. 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Masterarbeit FSU Jena. Digitaler Wandel - Warum überhaupt noch Fremdsprachen in der Schule lernen? Andreas Grünewald Ende der 1930er Jahre stellte Konrad Zuse den ersten Computer in Berlin vor, damals noch so groß wie eine Zimmerwand und mit einer Speicherkapazität von 64 Wörtern. 1993 wurde der erste Internetbrowser angeboten und Ende der 1990er Jahre wurde die erste Digitalisierungsdebatte im Bildungsbereich geführt. Die Argumente für oder gegen den Einsatz digitaler Medien im Fremdsprachenunterricht sind bis heute sehr ähnlich. Warum bestimmt also erneut gerade dieses Thema die aktuelle bildungspolitische Debatte? Sicher ist dafür die „Digitale Revolution“ mitverantwortlich. Diese Entwicklung soll in Anlehnung an die „Industrielle Revolution“, die uns vor 200 Jahren in die Industriegesellschaft führte, nun in die digitale Gesellschaft führen, in der nahezu alle Lebensbereiche durch die Digitalisierung geprägt sein werden. Außerdem sind zwei weitere Gründe zu nennen, die für den Bildungssektor sehr relevant sind: Erstens erhoffen sich viele Akteure einen Innovationsschub durch den fünf Milliarden schweren „Digitalpakt Schule“, der nach schier endlosen Verhandlungen nun doch kommen soll. Zumindest möchte jeder gerüstet sein für die Zeit, in der das Geld verteilt wird. Zweitens kam es in den vergangenen fünf Jahren zu einem Entwicklungssprung im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI), einhergehend mit einer außergewöhnlich umfangreichen Erweiterung von Speichermedien, die insbesondere auch Cloudsysteme attraktiv gemacht haben. Dieser enorme Entwicklungssprung der KI gefährdet den institutionellen Fremdsprachenunterricht nachhaltig, weil er dazu führt, dass Sprachbarrieren abgebaut und basale Kommunikationsfähigkeit - häufig das in der Realität des schulischen Unterrichts der 2. und 3. Fremdsprache realistischste Ziel am Ende eines Kurses - in einer oder mehreren Fremdsprachen durch Echtzeitübersetzungsprogramme oder Übersetzungsplattformen möglich sind. Im Folgenden stelle ich zunächst Ergebnisse einer Befragung zur Rolle von digitalen Medien für den Fremdsprachenunterricht vor und umreiße in aller Kürze das innovative Potential von Computer & Internet für das Fremdsprachenlernen (sehr viel ausführlicher in Grünewald 2016; 2018; Hallet o.A.; Schmidt/ Würffel 2018; Schmidt/ Strasser 2018). Anschließend skizziere ich die sprunghafte Entwicklung der KI und diskutiere mögliche Auswirkungen für den Fremdsprachenunterricht, bis hin zu der These, dass diese Entwicklung den institutionellen Fremdsprachenunterricht obsolet machen könnte. Digitaler Wandel - Warum überhaupt noch Fremdsprachen in der Schule lernen? 81 1 Digitalisierung und Fremdsprachenunterricht Es besteht ein großes Forschungsinteresse an Erkenntnissen zur Wirkung digitaler Medien auf den fremdsprachlichen Lernprozess, aber es gibt dazu kaum verlässliche empirische Befunde. Ein Grund dafür ist in der Komplexität der Einflussfaktoren auf Lernprozesse allgemein zu sehen. Bei der Frage nach der Wirkung digitaler Medien auf den Lernerfolg lassen sich zumindest folgende Faktoren unterscheiden: erstens die digitalen Medien selbst, zweitens die Unterrichtsprozesse, in denen die Medien eingebunden sind, darüber hinaus die am Unterricht unmittelbar beteiligten Akteure, also drittens die Lehrpersonen, und viertens die Lernenden selbst (vgl. Harzig 2014). Jeder dieser Faktoren ist in sich wieder sehr komplex aufzuschlüsseln, und daher ist es kaum möglich, einzelnen Faktoren eine spezifische Wirkung für den fremdsprachlichen Lernprozess zuzuschreiben (Faktorenkomplexion). Die Frage nach den Wirkungen digitaler Medien im Unterricht ist generell nicht isoliert mit Blick auf das digitale Medium, sondern nur in der unterrichtlichen Gesamtsituation sinnvoll zu diskutieren. Das gilt für nicht nur für die digitalen Medien, sondern für alle oben aufgeführten Faktoren. Metastudien (Harzig 2014) zeigen hinreichend empirische Evidenz für spezifische lernförderliche Wirkungen digitaler Medien in Lehr- und Lernprozessen, allerdings lassen sich solche Aussagen weder auf einzelne Medienangebote „noch im Hinblick auf spezifische Lerngruppen noch im Hinblick auf spezifische Fächer oder Fachkulturen pauschalisieren“ (ebda., 22). Häufig werden daher die Akteure befragt, um daraus Aussagen über den Medieneinsatz ableiten zu können (z.B. die JIM-Studien oder der Monitor digitale Bildung). Aus diesen Befragungen wissen wir, dass • sowohl Lehrkräfte als auch Schulleiterinnen und Schulleiter digitalen Medien für den Fremdsprachenunterricht eine beutende Rolle zuschreiben. Sie sind zu 56% (L) und zu 71% (SL) der Auffassung, dass digitale Medien die Arbeit von Lehrpersonen im Fremdsprachenunterricht erleichtern (MDB 2017, 2ff.). • etwa 2/ 3 der Lehrkräfte der Meinung sind, dass sich mit digitalen Medien die Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler gut realisieren lässt. Wesentlich weniger sehen darin eine Chance, leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler besser zu fördern (40%); einen Mehrwert für Inklusion sprechen den digitalen Medien nur 30% der Lehrpersonen zu (ebda.). • nur 23% der Lehrkräfte glauben, dass der Einsatz digitaler Medien zu besseren Lernergebnissen führt. 81% aber sind sich sicher, dass ihnen eine bessere IT-Struktur in der Schulverwaltung Entlastung bringt. Nur 15% sind versierte Nutzer (ebda.). • der Einsatz digitaler Medien in der Schule von 80% der Lehrkräfte als motivierend beschrieben wird. Mehr als die Hälfte der Lehrpersonen Andreas Grünewald 82 schätzen den Medieneinsatz als teuer ein, und nur wenige messen den digitalen Medien einen Mehrwert gegenüber klassischen Medien hinsichtlich der Lehr- und Lernqualität bei (ebda.). Das bedeutet, dass digitalen Medien gerade für den Fremdsprachenunterricht eine hohe Relevanz zugesprochen wird, dass ihnen das Potential zugeschrieben wird, eher leistungsstarke als leistungsschwache Schülerinnen und Schüler zu fördern, dass Lehrpersonen den Mehrwert eher für die eigene Unterrichtsvorbereitung sehen und den digitalen Medien wenig Potential zusprechen, den fremdsprachlichen Lernprozess positiv zu beeinflussen; ein Mehrwert gegenüber dem Einsatz klassischer Medien wird nur von wenigen gesehen. Ein Großteil misst dem Einsatz digitaler Medien jedoch eine motivationssteigernde Funktion zu. Schon dieser knappe Einblick in Forschungsergebnisse zur Wirkung digitaler Medien macht deutlich, wie heterogen die Befundlage ist. Einerseits wird dem Medieneinsatz ein deutlicher Effekt zur Steigerung der Lernmotivation bescheinigt, einhergehend mit einem hohen Potential für den differenzierenden Unterricht. Andererseits messen nur wenige den digitalen Medien einen Mehrwert gegenüber den klassischen Medien bei. Nur ein Drittel sieht Vorteile des Einsatzes digitaler Medien für die Inklusion. Sie seien eher dazu geeignet leistungsstarke Schülerinnen und Schüler zu fordern. Wir brauchen unbedingt größer angelegte Studien mit repräsentativen Stichproben, um endlich aussagekräftigere Ergebnisse zur Wirkung des Medieneinsatzes im Fremdsprachenlernprozess zu erhalten. Darüber hinaus ist festzustellen, dass gerade die beliebteste Nutzungsart digitaler Medien durch Schülerinnen und Schüler in ihrer Freizeit, im Schulalltag kaum eingesetzt wird: Soziale Medien wie WhatsApp, Instagram, SnapChat usw., bei den Lernenden äußert beliebt, werden kaum in Lehr- und Lernprozesse integriert und ihr Einsatz wird nicht reflektiert (MDB 2017, 25f.). Das gilt für Software wie auch für Hardware: So prägen Whiteboards und Beamer das mediale Geschehen im Klassenraum, während Tablets und vor allem Smartphones den Freizeitbereich dominieren. 50% der Schülerinnen und Schüler verfügen heute über Tablets oder Laptops mit Touchscreen, nahezu jede/ r über ein Smartphone oder Handy. Rund 60% der Schülerinnen und Schüler nutzen diese Geräte auch für die Hausaufgaben. In der Schule kommen Smartphones hingegen nur bei 22% der befragten Schülerinnen und Schüler im Unterricht zum Einsatz (MDB 2017, 46). Vielfach ist die Nutzung des Smartphones durch Schulregeln im Unterricht verboten. Unbestritten führt die Digitalisierung zu tiefgreifenden Veränderungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und damit auch zur Veränderung des schulischen Unterrichts. Doch inwieweit sind diese Veränderungen fremdsprachenspezifisch bzw. überhaupt relevant für den Fremdsprachenunterricht? Digitaler Wandel - Warum überhaupt noch Fremdsprachen in der Schule lernen? 83 Die Digitalisierung schafft zwar neue Formen und Genres der Kommunikation, diese betreffen aber alle Schulfächer und sollten in allen Fächern angewendet und reflektiert werden. Das gilt für viele digitale Kompetenzen wie etwa die Reflexion der eigenen digitalen Kommunikation (die ja außerhalb von Schule meist ohnehin nicht in der Fremdsprache stattfindet) und die Reflexion über die Formen der Selbstpräsentation im sozialen Netz. Ebenso sind digitale Präsentations- und Kommunikationstechnologien (Whiteboard, Beamer, Lernplattformen) nicht an den Fremdsprachenunterricht gebunden. Das Potential der Digitalisierung wird häufig auf die Verfügbarkeit so genannter authentischer Materialien reduziert. Im Internet findet man tatsächlich eine Vielfalt von authentischen Materialien (Texte, Bilder, Töne, Filme) zu Landeskunde, Literatur, Grammatik usw., die neue Arbeitsmöglichkeiten im Fremdsprachenunterricht eröffnen. Das Internet bietet Unterrichtenden schnellen und ortsunabhängigen Zugang zu authentischen fremdsprachigen Webseiten, zu Podcasts, Videopods, zielsprachigen Radiosendern, Kurzfilmen, Tageszeitungen etc. und erleichtert damit die Unterrichtsvorbereitung enorm und leistet einen Beitrag zu einem lernerorientierten und kommunikativen Fremdsprachenunterricht. Rechercheaufgaben sowie Web-Quests (erkundungsorientierte Web-Aktivität) können den Unterricht zum jeweiligen Sprachraum öffnen. Die Digitalisierung des Fremdsprachenunterrichts eröffnet also den Zugang zu zielsprachigen Materialen und hilft dabei, den Unterricht zeitgemäß und nach Einschätzung des Großteils der Lehrkräfte motivierend zu gestalten. Gleichzeitig stellt die Digitalisierung auch eine Bedrohung des Fremdsprachenunterrichts, so wie wir ihn kennen, dar. Das werde ich im Folgenden durch die Skizzierung einer Dystopie verdeutlichen, die zeigt, dass Digitalisierung auch dazu beitragen kann, dass das Fremdsprachenlernen an Schulen keine Zukunft mehr hat. 2 Künstliche Intelligenz ermöglicht die Kommunikation in der Fremdsprache Den oben angedeuteten Entwicklungssprung der KI werde ich im Folgenden an zwei Beispielen explizieren: Mit dem von IBM entwickelten Schachcomputer Deep Blue konnte erstmals 1996 eine Maschine einen Schachweltmeister besiegen. Während der Riesenrechner pro Sekunde 200 Millionen Züge durchsuchen konnte, vermochte sein unterlegener Kontrahent Garri Kasparow in diesem Zeitraum höchstens fünf oder sechs Varianten zu überprüfen (vgl. Meusers 2015). Deep Blue war allerdings kein eigenständig lernendes System; das IBM-Team änderte während des Wettkampfes die Codes und eliminierte Fehler. Überspitzt gesagt waren hier Menschen in der Maschine verborgen (vgl. Maruschat 2016). Der Computerforscher und Schach-Enthusiast Matthew Lai vom Im- Andreas Grünewald 84 perial College in London entwickelte wiederum eine künstliche Intelligenz (KI) namens Giraffe, die schon nach drei Tagen Training besser spielte als viele Profis. Bei Giraffe handelt es sich um ein sogenanntes neuronales Netzwerk, dem Lai die Regeln des Schachspiels anhand vieler Beispielpartien beigebracht hat. Giraffe analysierte mehr als fünf Millionen Spielzüge, diese wurden dann im Netzwerk auf mehreren neuronalen Ebenen verarbeitet. Bemerkenswert ist in diesem Fall, dass sich die KI die Perfektionierung des Schachspiels selbst angeeignet hat. Auch für unseren Gegenstand, das Fremdsprachenlernen, sind die Auswirkungen dieses Entwicklungssprungs der KI deutlich bemerkbar. Wer vor wenigen Jahren mit Übersetzungsprogrammen wie Google Translator gearbeitet hat, dem empfehle ich heute, die App auf dem Smartphone erneut zu installieren und einen Vergleich zu wagen. Das Programm erkennt Straßenschilder und übersetzt diese in jede beliebige Sprache. Man kann Sätze einsprechen und diese übersetzen lassen, Texte in das Eingabefeld hineinkopieren und erhält dabei erstaunlich gute Übersetzungsergebnisse. Ein weiteres Beispiel ist der Online-Dienst DeepL, ein Übersetzungsprogramm, das kostenfrei im Internet zugänglich ist. Die Kölner Programmierer von DeepL stellen eine Plattform zur Verfügung, die in Millisekunden überraschend gute Übersetzungen von z.B. aktueller Tagespresse auf Knopfdruck ausgibt. Das ist mit Sicherheit nicht das Ende der Entwicklung. Die Sprachsteuerung in Form von Alexa und Siri steht erst am Anfang, wird aber sicher dazu führen, dass wir in Zukunft Texte nicht mehr in den Computer eintippen, sondern sie einsprechen. Auch im Alltag setzt sich Sprachsteuerung mehr und mehr durch, z.B. in der Autoindustrie, in der Unterhaltungselektronik oder weniger beliebt, in Callcentern. Da Sprachsteuerungssysteme unterschiedliche Sprachen beherrschen, besteht immer die Möglichkeit, seine Fremdsprachenkenntnisse anzuwenden. Haben Sie mit Alexa oder Siri schon mal Französisch gesprochen? Funktioniert gut! Es ist kein großer Schritt mehr zu dem Szenario, das sich Douglas Adams in seinem Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ ausgedacht hat: Er beschreibt etwas, das er Babelfisch nennt; jeder, der es im Ohr trägt, versteht alle Sprachen der Welt. Was im Erscheinungsjahr 1979 noch reine Science- Fiction war, ist heute im Bereich des Möglichen: Die Entwickler der Übersetzungsplattform iTranslate oder Mymanu Translator haben die Übersetzungssoftware in einen drahtlosen Kopfhörer integriert und damit tatsächlich im menschlichen Ohr untergebracht. Dieser „Echtzeit-Übersetzer“ für unterwegs überträgt fremdsprachliche Äußerungen des Gesprächspartners in eine beliebige Sprache und kann durch Kopplung mit dem Smartphone auch die eigenen Äußerungen selbst dann als Audiotext übersetzen, wenn der Gesprächspartner kein entsprechendes Übersetzungsprogramm „am Ohr trägt“. Microsoft bietet mit einer vergleichbaren Softwarelösung die Simultanübersetzung von Telefonmeetings an; es wird live übersetzt, was die anderen Teil- Digitaler Wandel - Warum überhaupt noch Fremdsprachen in der Schule lernen? 85 nehmerinnen und Teilnehmer sagen. Die Technik ist bereits beim Internet- Telefonie-Anbieter Skype im Einsatz. Auch wenn diese Übersetzungsprogramme noch nicht perfekt sind - beispielsweise verstehen sie keine Metaphern, beziehen zu wenig den Kontext der sprachlichen Äußerung mit ein oder sind nicht in der Lage, kulturelle Einflüsse auf Sprache zu berücksichtigen -, deutet diese Entwicklung an, was in wenigen Jahren möglich sein könnte: Sprachbarrieren technisch durch automatisierte Simultanübersetzung zu überwinden. Fremdsprachenlernen, insbesondere mit einem so großen Aufwand verbunden wie im institutionellen Kontext, wird dann nicht mehr notwendig sein, um eine basale Kommunikationsfähigkeit herzustellen. Fremdsprachen (auch im institutionellen Kontext) werden bisher aber gerade deshalb gelernt, um mit Sprecherinnen und Sprechern dieser Sprachen kommunizieren zu können, um Wirtschaftsbeziehungen eingehen zu können (ohne dass Sprachbarrieren eine einschränkende Rolle spielen), um internationale Karrieremöglichkeiten zu schaffen, aber auch einfach wegen der Freude, andere Sprachen und Kulturräume kennen zu lernen und eventuell in anderen Sprachräumen leben zu können. Berücksichtigt man zudem die schwierigen Umstände, unter denen der Fremdsprachenunterricht (zumindest in der 2. und 3. Fremdsprache) in der Schule stattfindet - darunter die wenigen, dafür häufig ungünstig platzierten Unterrichtsstunden, der zunehmende Wegfall von Hausaufgaben und die damit verbundene stark begrenzte Auseinandersetzung mit der Fremdsprache außerhalb des Schulunterrichts, die eingeschränkten Anwendungsmöglichkeiten und die damit einhergehende fehlende Relevanz -, dann muss die Frage gestellt werden, wie der Fremdsprachenunterricht auch in Zukunft ein attraktives Fach im schulischen Fächerkanon sein kann. Anders formuliert: Lohnt sich aus Sicht der Schülerinnen und Schüler der hohe Aufwand, der mit dem Fremdsprachenunterricht in der Schule verbunden ist, für den mitunter geringen Nutzen (bzw. Erfolg), wenn gleichzeitig durch die rasante Entwicklung der KI digitale Hilfsmittel eine basale Kommunikationsfähigkeit in Fremdsprachen sicherstellen? Konkret: Wenn Schülerinnen und Schüler nach 3 Jahren Fremdsprachenunterricht, in dem sie Woche für Woche mindestens 135 Minuten zusammengekommen sind, nicht einmal auf dem Niveau eines automatisierten Übersetzungsprogrammes kommunizieren können, dann stellt sich die Frage, ob sie die Zeit nicht anderweitig sinnvoller hätten nutzen können. Fremdsprachenunterricht muss mehr leisten als die Herstellung von Kommunikationsfähigkeit oder die Ermöglichung der Teilhabe an fremdsprachlichen Diskursen. Auf dieses reduzierte Ziel scheint der aktuelle Fremdsprachenunterricht allerdings vielerorts ausgerichtet zu sein. Die Frage nach der Digitalisierung des Fremdsprachenunterrichts darf sich nicht nur um die Aufbereitung und Zugänglichkeit bisher längst etablierter Inhalte Andreas Grünewald 86 drehen, sie muss zur Diskussion über Ziele, Inhalte und methodische Ausrichtung sowie deren Weiterentwicklung führen. Die beiden folgenden Beispiele demonstrieren anschaulich, wie die Digitalisierung zur Diskussion über Inhalte im Fremdsprachenunterricht führt: Kein fremdsprachliches Lehrwerk kommt ohne Übungen und Wortschatz zum Thema „Nach dem Weg fragen“ oder „Wegbeschreibung“ aus. Dabei werden chunks gelernt, Ordnungszahlen eingeführt und spezifische Lexik vermittelt. Doch wie wahrscheinlich ist es noch, dass Schülerinnen und Schüler eine Wegbeschreibung einholen? Wir nutzen wahrscheinlich alle Apps wie Google-Maps oder Karten, die zu jedem beliebigen Ort auch mit Hilfe von Sprachsteuerung führen, egal ob im Auto, zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem ÖPNV. Diese Nutzung hat sich durchgesetzt, weil sie unkompliziert und kostenlos ist. Sie stellt damit die als Teil der außerschulischen Lebensrealität vermutete Kommunikationssituation „Nach dem Weg fragen“ in Frage. Ebenso verhält es sich mit der Teilkompetenz „Sprachmittlung“. Diese Teilkompetenz, noch gar nicht so lange im Fokus der Fremdsprachenvermittler, wird meist ebenfalls als nah an der Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler beschrieben und in entsprechende Kommunikationssituationen eingebettet: Da muss entweder für die nicht Französisch sprechenden Eltern auf dem Campingplatz gemittelt werden oder der Freund braucht dringend eine schnelle Übersicht zu einer spezifischen Textart (Mietvertrag, E-Mail usw.). Wie oben bereits angedeutet erledigen das Übersetzungsplattformen wie z.B. DeepL für schriftliche Texte und Apps wie z.B. Google-Translator für mündliche Texte schnell und erstaunlich erfolgreich. Die als realistisch angenommene Kommunikationssituation ist also durch die Digitalisierung in Frage gestellt. In letzter Konsequenz folgt daraus, dass den Schülerinnen und Schülern die effektive und sinnvolle Nutzung dieser Apps und Plattformen vermittelt werden muss, dass über deren Möglichkeiten aber vor allem auch über deren Grenzen reflektiert werden muss, um so die durch den Einsatz gewonnen Ergebnisse kritische bewerten zu können, bevor diese zum Einsatz kommen. 3 Fazit: Digitalisierung fordert eine Neuakzentuierung von Inhalten und Zielen des Fremdsprachenunterrichts Im Rahmen dieses Beitrages ist es nicht möglich, die Ziele, Inhalte und methodische Konzeption des modernen Fremdsprachenunterrichts ausführlich darzulegen und zu diskutieren. Unbestritten ist, dass mit der kommunikativen Wende in den 1970er Jahren die kommunikative Kompetenz, verstanden als die Fähigkeit, sich selbst, eigene Absichten, Interessen oder Bedarfe in sozialer Interaktion einem Kommunikationspartner zu vermitteln, als Leitziel des Fremdsprachenunterrichts anzusehen ist. Weitere übergeordnete Ziele des Fremdsprachenunterrichts liegen meiner Auffassung nach in den sprachlichen Gegenständen selbst (Phonetik, Lexiko-Semantik, Morpho-Syntax, Digitaler Wandel - Warum überhaupt noch Fremdsprachen in der Schule lernen? 87 alltagsbezogene Pragmatik, mündlicher Diskurs sowie Literalität und Textkompetenz (vgl. Fandrych 2016, 34) und in der Vermittlung Interkultureller Kompetenz mit einer kognitiven Dimension (Wissen), einer kognitivaffektiven bzw. kognitiv-attitudinalen Dimension (Einstellungen) und einer pragmatischen Dimension (Verhalten) (vgl. Grünewald/ Küster/ Lüning 2011, 50). Das Erlernen einer Fremdsprache wird immer auch als kulturelles Lernen und als Begegnung mit anderen Kulturen aufgefasst (vgl. Hallet 2016, 39). In einem weit verstandenen Kulturbegriff werden Texte und andere mediale Erzeugnisse als Repräsentation von Kulturen im Fremdsprachenunterricht verstanden und als solche auch rezipiert. Als weitere Ziele sind Sprachbewusstheit sowie Sprachlernkompetenz zu nennen. Diese Aufzählung ist aus den oben genannten Gründen sehr verkürzt und unvollständig, zeigt aber bereits ein Problem auf: Wenn das Leitziel des modernen Fremdsprachenunterrichts die kommunikative Kompetenz ist, die KI aber Werkzeuge bereitstellt, die eine basale Kommunikationsfähigkeit ermöglichen, dann müssen die Ziele im Fremdsprachenunterricht neu akzentuiert werden. Spracherkennung und automatisierte Übersetzungen sind im digitalen Raum fest etabliert. Das wird ganz sicher auch den schulischen Fremdsprachenunterricht verändern. Folgt man der oben skizzierten Dystopie, muss der schulische Fremdsprachenunterricht anderes leisten als die Vermittlung basaler Kommunikationsfähigkeit in der Zielsprache. Für die 2. und insbesondere die 3. Fremdsprache ist allerdings selbst die Vermittlung basaler Kommunikationsfähigkeit in vielen Schulformen ein ambitioniertes Ziel. Geht man also davon aus, dass die KI in Zukunft wirkungsvolle Instrumente zur Überwindung von Sprachbarrieren bereitstellt, ist es eine Aufgabe des Fremdsprachenunterrichts (zumindest der 2. und 3. Fremdsprachen), die Verwendung der Technologien zu üben, welche die Kommunikation in der Fremdsprache, wenn nicht ganz übernehmen, dann zumindest stark vereinfachen können. Dazu gehören dann beispielsweise die reflektierte Nutzung von Übersetzungsprogrammen wie DeepL, iTranslate usw. Außerdem muss der Fremdsprachenunterricht die Inhalte und Ziele fokussieren, die durch die technologischen Hilfsmittel nur unzureichend abgedeckt sind. Sprache ist weit mehr als ein Verständigungsmittel. Spracherkennung und Übersetzungssoftware werden vieles übernehmen, sie werden fremdsprachliche Kommunikation aber immer nur als Zeichenübertragung umsetzen können. Sie werden nicht ersetzen können, was menschliche Kommunikation ausmacht: zwischenmenschliche Nähe, Einbezug nonverbaler Zeichen in den Verstehensprozess der mündlichen Kommunikation, Einfluss von Emotionen oder kulturellen Hintergründen usw. Damit rückt z.B. die Vermittlung interkultureller Kompetenzen noch mehr in den Mittelpunkt, darunter die Anbahnung von Perspektivenwechsel und der Nachvollzug der kulturellen Einbettung des Kommunikationspartners; affektive und emotionale Aspekte der Kommunikation ebenso wie lan- Andreas Grünewald 88 deskundliches Wissen gewinnen damit an Bedeutung. Im Fremdsprachenunterricht müssen die Fähigkeiten vermittelt werden, die es den Schülerinnen und Schülern erlauben, den kulturellen Hintergrund des Gesprächspartners einzuschätzen und diesen sowie kontextuelles Wissen um die Gesprächssituation in den Verstehensprozess mit einzubeziehen. Die Reflexion über gelungene oder nicht gelungene Sprachmittlung oder automatisierte Übersetzung gewinnt ebenso an Bedeutung wie die Rezeption von Texten als Träger kultureller Informationen. Dabei werden allerdings die digitalen Werkzeuge selbstverständlich genutzt, also kann beispielsweise die Übersetzung unterschiedlicher Software zur Sprachreflexion genutzt werden oder Übersetzungsplattformen zur Rezeption von fremdsprachlichen Texten. Im Mittelpunkt des fremdsprachlichen Klassenzimmers muss darüber hinaus soziale Interaktion stehen, weil es genau das ist, was die digitale Technik (bisher) nicht leisten kann. Das bedeutet, dass sich die Lehrperson gerade nicht aus dem Unterrichtsgeschehen zurückziehen und die Interaktion überwiegend digitalen Medien überlassen kann. Einen Mehrwert wird der Einsatz digitaler Medien im Fremdsprachenunterricht erst dann bringen, wenn diese nicht dafür eingesetzt werden, herkömmliche Unterrichtskonzeptionen zu ergänzen, sondern neue Realisierungen mit neuen Schwerpunkten und Zielsetzungen zu ermöglichen. Hierin sehe ich die eigentliche Herausforderung der Digitalisierung des Fremdsprachunterrichts. Literatur Burwitz-Melzer, Eva/ Mehlhorn, Grit/ Riemer, Claudia/ Bausch, Karl- Richard/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) (2016): Handbuch Fremdsprachenunterricht (6., völlig überarbeitete und erweiterte Aufl.). Tübingen: Francke. Fandrych, Christian (2016): „Fokus: Sprache“. In: Burwitz- Melzer/ Mehlhorn/ Riemer/ Bausch/ Krumm (Hrsg.), 39-44. Grünewald, Andreas (2016): „Digitale Medien und soziale Netzwerke im Kontext des Lernens und Lehrens von Sprachen“. In: Burwitz- Melzer/ Mehlhorn/ Riemer/ Bausch/ Krumm (Hrsg.), 463-466. Grünewald, Andreas/ Küster, Lutz/ Lüning, Marita (2011): „Kultur und Interkulturalität“. 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Andreas Guder Chinas zunehmende globale wirtschaftliche und politische Bedeutung, aber auch seine kulturelle Fremdheit und die damit einhergehende Faszination haben dazu geführt, dass sich in den letzten 20 Jahren die Fremdsprache Chinesisch als Schulfach etablieren konnte. Heute ist Chinesisch an etwa 80 Schulen in 13 Bundesländern als Wahlpflicht-Fremdsprache etabliert und kann als mündliches Abiturfach, in einigen Bundesländern auch schon als schriftliches Abiturfach belegt werden (aktuelle Daten auf www.fachverbandchinesisch.de). Damit ist Chinesisch die größte außereuropäische Fremdsprache in unserem Bildungssystem, während man feststellen muss, dass zu Fragen sprachlich-kommunikativer Lernziele, soziokultureller bzw. interkultureller Inhalte oder auch der gesellschaftlichen Implikationen eines solchen Schulfachs in Europa noch kaum wissenschaftlich gearbeitet wird: Chinesisch ist ein Schulfach, das in unserem Bildungssystem angekommen ist, bevor es überhaupt eine konsensuale Fachdidaktik gibt. Derzeit besteht die Aufgabe des Schulfachs Chinesisch - neben der zentralen Fähigkeit zum kulturellen Perspektivenwechsel - vor allem darin, die Lerner/ SuS in der zur Verfügung stehenden Zeit dazu zu befähigen, sich in einem chinesischsprachigen Umfeld bewegen zu können (das sich inzwischen durchaus auch innerhalb Europas finden lässt) und entsprechende mündliche und schriftliche Handlungsaufgaben zu bewältigen. Für diese Lernziele stehen uns in den Schulen meist deutlich weniger als 400 Unterrichtseinheiten zur Verfügung, auch in einem chinawissenschaftlichen BA-Studium meist weniger als 800 Stunden (vgl. Klöter 2016; zu China- und Chinesischkompetenz in Deutschland im weiteren Sinne die MERICS-Studie 2018). Ich möchte mich in diesem Papier auf die im engeren Sinne sprachkompetenzbezogenen Lernprozesse konzentrieren, bei denen die „distante“ (Guder 2006; 2008) Fremdsprache Chinesisch mit grundlegenden Fragestellungen konfrontiert ist, in deren Zusammenhang das Thema „Digitalisierung“ mehr als bei europäischen, „affinen“ Fremdsprachen einen Paradigmenwechsel hinsichtlich der Unterrichtsplanung bedeuten könnte. Chinesisch digital: Wege zu einer funktionalen Schreibkompetenz 91 1 Zwei Schriftsysteme für den Chinesischunterricht Die Tatsache, dass Chinesisch nicht - wie nahezu alle anderen Sprachen der Welt - mit einem phonographischen, meist aus weniger als 50 Graphemen bestehenden Schriftsystem geschrieben wird, sondern mit einem morphosyllabischen Schriftsystem, bei dem erst mit etwa 2400 Schriftzeichen 99% eines Textes abgedeckt werden (vgl. Taylor/ Taylor 1995, 54), hat nicht nur enorme Auswirkungen auf die Definition und Realisation schriftlicher, sondern auch der meisten mündlichen Lernziele, da (im Unterricht mit Jugendlichen und Erwachsenen) auch für das Erreichen mündlicher Lernziele nicht auf eine Form von Schriftlichkeit (in Form von Vokabellisten, Notizen beim Hörverstehen, Erläuterung syntaktischer Strukturen etc.) verzichtet werden kann. Während aber in den meisten Fremdsprachen die schriftliche Repräsentation von Wörtern einen vergleichsweise engen Bezug zur gesprochenen Sprache besitzt, verfügt im Chinesischen zwar ein großer Teil (ca. 85-90%) der Schriftzeichen (Sinographeme) über sogenannte Phonetika, d.h. Subgrapheme mit phonetischer Funktion, jedoch existieren von diesen weit über 1000, und sie verfügen aufgrund ihrer jahrtausendealten Entwicklungsgeschichte heute auch nur noch selten über eine eindeutige Phonetizität (vgl. Schindelin 2007). Für eine phonographische Verschriftlichung der chinesischen Hochsprache (Mandarin, Putonghua) steht uns das von der Volksrepublik China 1956 etablierte, auf dem lateinischen Alphabet basierende, die Töne mit diakritischen Zeichen markierende Transkriptionssystem Hanyu Pinyin zur Verfügung, das sich seit den 1980er Jahren weltweit gegenüber den ursprünglich zahlreichen Transkriptionen für das Hochchinesische durchgesetzt hat. Mit ihm lässt sich die chinesische Sprache verschriftlichen, was (in korrekter Orthographie 1 ) folgendermaßen aussehen kann: W ǒ men zhīdao, Déguó Hàny ǔ xuésheng de rénshù zhúnián zēngjiā. Jù gūjì, mùqián quán Déguó z ǒ nggòng yuē y ǒ u bāshí duō su ǒ xuéxiào shèy ǒ u Hàny ǔ kèchéng, ér miànduìzhe zhème duō xuéxí Hàny ǔ de xuésheng bùjīn sh ǐ w ǒ 1 Die meisten chinesischen Muttersprachler beherrschen allerdings nicht die Regeln der Groß- und Kleinschreibung sowie der Getrennt- und Zusammenschreibung des Pinyin (diese werden weder im Primarschulunterricht noch für die digitale Eingabe benötigt; gleiches gilt für die diakritischen Tonzeichen), was in vielen Lehrwerken für Muttersprachler zu einer der Struktur der chinesischen Schrift stärker entsprechenden, jedoch westlichen Lernern deutlich weniger Orientierungshilfe bietenden Schreibung führt (hier mit Tonzeichen): W ǒ men zhī dao, dé guó hàn y ǔ xué sheng de rén shù zhú nián zēng jiā. Jù gū jì, mù qián quán dé guó z ǒ ng gòng yuē y ǒ u bā shí duō su ǒ xué xiào shè y ǒ u hàn y ǔ kè chéng, ér miàn duì zhe zhè me duō xué xí hàn y ǔ de xué sheng bù jīn sh ǐ w ǒ chù j ǐ ng shēng qíng, yě ràng rén g ǎ n shòu dào “b ǎ i wén bù rú yī jiàn” de shēn kè hán yì. Andreas Guder 92 chùj ǐ ngshēngqíng, yě ràng rén g ǎ nshòudào “b ǎ i wén bù rú yī jiàn” de shēnkè hányì. 2 Dieses Hanyu Pinyin ist nicht nur Lehrstoff in allen Grundschulen Chinas, sondern auch eines der verbreitetsten Eingabeverfahren, um Chinesisch mit digitalen Geräten zu schreiben (es existieren daneben auch grafisch basierte und hybride Eingabesysteme). Obwohl dieses alphabetbasierte Transkriptionssystem daher jedem chinesischen Muttersprachler bekannt ist, wird kaum einer von ihnen den obigen Text als „Chinesisch“ akzeptieren. Auch in Lehrwerken für Chinesisch als Fremdsprache (ChaF) ist Hanyu Pinyin zwar zum Standard geworden, beschränkt sich jedoch fast überall auf eine unterstützende Funktion für den Erwerb von Phonetik und Wortschatz. In der Einführungsphase von Lehrwerken findet sich häufig auch eine Visualisierung sprachlicher Inputs in Pinyin, jedoch wird fast überall angestrebt, möglichst rasch auf das chinesische Schriftzeichensystem zu wechseln und Hanyu Pinyin jenseits der phonetischen Annotation von Vokabellisten nicht mehr zu verwenden. Lerner des Chinesischen müssen in der Elementarstufe also unabhängig von der chinesischen Schrift zunächst Kenntnisse über die Phonem- Graphem-Beziehungen dieses Pinyin-Alphabets erwerben, das verglichen mit der französischen oder englischen Orthographie bis auf einzelne Phoneme und die Tonalität vergleichsweise flach und damit transparent und erlernbar ist. Um mündlich-kommunikative Lernziele zu realisieren, wäre ein Chinesischunterricht, dessen schriftliche Materialien ausschließlich in Pinyin vorliegen, theoretisch durchführbar. Dieser führt zu vergleichsweise raschen Erfolgen in der mündlichen Kommunikationsfähigkeit, bedeutet aber, dass keine Schreib- und Lesefähigkeit im Chinesischen entwickelt wird, mithin also nur zwei der vier grundlegenden Sprachkompetenzen ausgebildet werden können. Im Allgemeinen hat Chinesischunterricht jedoch - unseren eng mit Schriftlichkeit verflochtenen Bildungskonzepten entsprechend - auch Lese- und Schreibkompetenz zum Ziel. Dies stärkt wiederum die traditionelle, vorwiegend von Muttersprachlern durchgeführte Form des Chinesischunterrichts, in dem bei jeder neuen Vokabel der Erwerb des entsprechenden Schriftzeichens als selbstverständlich betrachtet wird. Insbesondere in China sozialisierte Lehrkräfte sind durch ihren eigenen Schrifterwerb geprägt, bei 2 Originaltext aus einem eigenen Redemanuskript: 我 们 知道, 德国 汉语 学生的人数逐年增加 。据估 计 , 目前全德国 总 共 约 有八十多所学校 设 有 汉语课 程,而面 对 着 这 么多学 习汉语 的学生不 仅 使 我触景生情, 也 让 人感受到“百闻不如一 见 ” 的深刻含 义 。 („Wir wissen, dass die Anzahl der Chinesischlernenden in Deutschland unaufhörlich zunimmt. Nach Schätzungen haben zurzeit bundesweit etwa 80 Schulen das Fach Chinesisch eingerichtet, und diese vielen Chinesischlerner erfüllen uns nicht nur mit Freude, sondern lassen uns auch die tiefere Bedeutung der Redewendung ‚einmal selbst erfahren ist besser als hundertmal hören‘ empfinden.“) Chinesisch digital: Wege zu einer funktionalen Schreibkompetenz 93 dem sie sich innerhalb von 6 Schuljahren 3000 Schriftzeichen und deren manuelle Schreibung von Hand eingeprägt haben - für sie liegt eine Vermittlung von „Chinesisch“ ohne das handschriftliche repetitive Üben der einzelnen Schriftzeichen außerhalb ihrer Vorstellungen von „Bildung“, die auch in China mit Schriftlichkeit verbunden wird: Jedes Schriftzeichen muss nicht nur erkannt, sondern von Hand und in der richtigen Strichfolge geschrieben werden können, um im chinesischen Sinne als literat gelten zu können. Abb.1: Strichfolge des Zeichens 感 găn „fühlen, empfinden“ Das „Lernen“ bzw. der Erwerb jedes einzelnen Schriftzeichens besteht dabei aus fünf sinnvollerweise in folgender Abfolge zu bewältigenden kognitiven Leistungen: • Ich kann dem Schriftzeichen eine phonetische Realisation / Aussprache zuordnen (hier: găn) • Ich kenne das lexikalische Bedeutungskonzept des Schriftzeichens in seiner Funktion als selbständiges Wort oder als Wortkompositum (Morphem). (hier: „fühlen, empfinden“ in 感冒 g ǎ nmào „Erkältung, sich erkälten“, 感觉 g ǎ njué „Empfindung, verspüren“, 感动 g ǎ ndòng „emotional bewegend“, 预感 yùg ǎ n Vorahnung u.a.) • Ich kann das Schriftzeichen beim Lesen erkennen und im entsprechenden Kontext inhaltlich verstehen. Für die Schritte a) - c) kann die Zerlegung des Schriftzeichens in funktionstragende Subgrapheme (phonetische vs. semantische Subgrapheme) häufig gedächtnisunterstützend wirken (im Beispiel 咸 xián phonetisch, 心 „Herz → Emotion“ semantisch). • Ich kann das Schriftzeichen von Hand in für andere lesbarer Form reproduzieren. • Ich kann das Schriftzeichen in der konventionalisierten richtigen Strichfolge reproduzieren (vgl. Abb. 1; diese Strichfolge ist zwar kein entscheidendes Kriterium für Lesbarkeit, jedoch als kulturelle Praxis konventionalisiert, weshalb nicht zuletzt für das Lesen von individueller Handschrift und Kalligraphie die Kenntnis der Strichfolge konstitutiv ist.) Andreas Guder 94 Die Verwendung eines solchen Schriftsystems, das vom Lerner tausendfach das Einprägen von graphisch zunächst arbiträr anmutenden, aus bis zu 30 Strichen zusammengesetzten Graphemen einfordert, verlangsamt den Spracherwerbsprozess in einem Maße, das uns aus Alphabetsprachen unbekannt ist. „Schreiben“ im Chinesischunterricht der Grundstufe besteht daher vor allem in der Vermittlung von Graphemkompetenz: Die „Schreibaufgaben“ des Sprachunterrichts der Grundstufe bestehen - analog zu Lernzielen des Primarschulunterrichts in China - im Schreiben von einzelnen Zeichen und Fragen der Strichfolge (wofür bereits ebenfalls digitale Lerntools bereit stehen, vgl. z.B. McLaren/ Bettinson 2015). Diese, für das Verfassen von chinesischen Sätzen und Texten als notwendig vorausgesetzte Didaktisierung und manuelle Einübung jedes einzelnen Schriftzeichens führt dazu, dass produktive Schreibkompetenz im Sinne kommunikativer Fremdsprachendidaktik in der Grundstufe wenig gefördert und geleistet werden kann und kaum über kurze Sätze hinausgeht, da sie gewissermaßen durch das benötigte Schriftsystem selbst ausgebremst wird. Galal Walker, einer der wenigen Sinologen, die sich früh im Feld ChaF / CFL (Chinese as a Foreign Language) engagierten, stellte bereits 1989 im Rahmen der Entwicklung eines Chinesischcurriculums in den USA fest: Chinese orthography is a major factor in the difficulty of learning to function in Chinese. Moreover, writing is the most time-consuming activity for the learner, but the return to the learner for the hundreds of hours spent writing characters has a smaller payoff in terms of functioning as a participant in a Chinese society than the work he puts into any other of the skill areas (Walker 1989, 43). Joseph Allen, Professor für chinesische Literatur in Minnesota, schrieb 2008 unter dem provozierenden Titel „Why learning to write Chinese is a waste of time“: Chinesisch von Hand schreiben zu lernen sei inefficient for a very straightforward reason: The time necessary to learn to write the characters is inversely proportionally to the usefulness of that skill. The inefficiency is twofold. First, learning to write Chinese characters consumes an extraordinary amount of time, particularly at the early stages of language learning when the student has no linguistic frame onto which to attach the rote memory; at the same time, opportunities that students will have to practice this skill in any natural fashion are extremely limited in the early (and maybe most) stages of language learning (Allen 2008, 237). Die dahinter stehende Frage nach einer möglichst anwendungsorientierten Ausdifferenzierung des Lernziels „Schreiben“ im Chinesischunterricht erfordert also zunächst, bei der Kompetenz „Schreiben“ (chin. 写 xiě oder 书写 shūxiě) zwischen der manuellen „Schriftzeichen-Schreibkompetenz“ (写字能 Chinesisch digital: Wege zu einer funktionalen Schreibkompetenz 95 力 xiězì nénglì) einerseits und Schreibkompetenz im europäischen Sinne von „Texte verfassen“ (写作能力xiězuò nénglì) andererseits zu unterscheiden. 3 Tatsächlich besteht die große Mehrheit der Wörter des modernen Chinesisch aus zwei Morphemen/ Schriftzeichen, so dass sich die Rekurrenz vertrauter Morpheme/ Schriftzeichen im Wortschatz mit zunehmender Lese- und Schreibkompetenz allmählich erhöht. Für die Grundstufe muss jedoch festgestellt werden, dass - sofern eben nicht nur mündliche, sondern auch schriftliche Kompetenzen entwickelt werden sollen - für jedes neue chinesische Wort auch der Erwerb eines oder sogar zweier neuer Schriftzeichen erforderlich ist: Quantitative Untersuchungen zeigen, dass für die ersten 500 Lexeme die Anzahl der dafür zu erwerbenden Schriftzeichen ebenfalls etwa 500 beträgt und im fortlaufenden Lernprozess etwas abflacht, so dass bei 1000 Lexemen etwa 700-800, für die 2000 Lexeme eines Grund- und Aufbauwortschatzes (ca. Niveau B1) ca. 1500 Schriftzeichen erforderlich sind (vgl. Liu Yinglin 1992; Xiandai Hanyu Pinlü Cidian 1988; Schindelin 2005). Diese fundamentale Problematik des chinesischen Schriftsystems wird in den Kerncurricula für Chinesisch der meisten Bundesländer (noch) ignoriert. Sie betonen zwar zumeist den Schwerpunkt der Mündlichkeit, dennoch gehören Lese- und Schreibkompetenz überall ebenfalls zu den curricularen Lehrzielen, ohne dass das Verhältnis zwischen Pinyin-Schriftlichkeit und Schriftzeichen-Schriftlichkeit ausreichend thematisiert würde. Die Frage, in welchem Umfang die Lese- und Schreibkompetenz tatsächlich mit Schriftzeichen erworben werden kann und soll, wird nicht beantwortet oder ihr wird ausgewichen - es können im Rahmen von Lese- und Schreibaufgaben auch Pinyin-Texte verfasst werden bzw. zur Überprüfung des Leseverstehens herangezogen werden - was angesichts der von europäischen Fremdsprachen hergeleiteten Anforderungen verständlich und nachvollziehbar ist, aber deutlich macht, in welchem Dilemma sich nicht nur die Autoren von Chinesisch- Rahmenlehrplänen befinden. 2 Digitales Chinesisch: Die Lösung des Problems? Lehrkräfte des Chinesischen sehen sich also zerrissen zwischen dem Primat der (mittels Hanyu Pinyin verschriftbaren) Mündlichkeit und der Frage, welche schriftlichen (d.h. schriftzeichenbasierten) Lernziele überhaupt im Rahmen der knappen Unterrichtszeit realisierbar sein können. Zwischen der 3 Eine solche Differenzierung wird im Rahmen des Projekts EBCL „European Benchmarks for the Chinese Language“ (2012; deutsch 2015) vorgenommen, dessen Can-Do-Deskriptoren zwischen „Kompetenzen bezüglich des Transkriptionssystems Hanyu Pinyin“ und „Graphemischer und orthographischer Kontrolle“ (= Sinographemkompetenz, manuell und digital) klar differenzieren. Für alle Lernziele der Kompetenz „Schreiben“ in EBCL gilt, dass sie auch mittels digitalem Schreiben erreicht werden können (EBCL 2015, 18). Andreas Guder 96 beschriebenen Tradition der ausführlichen manuellen Schriftzeichenvermittlung in der chinesischen Primarschule und dem zeitlich ungleich begrenzteren Lernzeitraum europäischer Schülerinnen und Schüler (zumeist ca. 100 Unterrichtsstunden/ Schuljahr) besteht ein Konflikt, der außerdem durch die Tatsache geprägt ist, dass heute die meisten Textsorten im realen Alltag per Tastatur und nur selten von Hand verfertigt werden. Und alle Chinesischlerner und auch viele Muttersprachler geben gerne zu, dass ihnen das digitale Schreiben des Chinesischen deutlich leichter als das manuelle Schreiben fällt: Moderne chinesische Textverarbeitung der ersten Generation bietet bei Eingabe des alphabetischen Pinyin-Wortes (ohne Angabe des Tones) eine Auswahl der dieser Transkription zugewiesenen Wörter, unter denen das gewünschte mittels Cursor oder Nummerneingabe anzuwählen ist: Eingabe via Alphabet-Tastatur: erzeugt Auswahl: beijing (1) 北京 (2) 背景 (3) 背静 běijīng Peking bèijĭng Hintergrund bèijing still und abgeschieden Neuere Textverarbeitungssoftware antizipiert allerdings bereits auf Basis des jeweiligen Kontextes, welche Schriftzeichen/ Morpheme zu erwarten sind, und schreibt mit hoher Verlässlichkeit automatisch das korrekte Schriftzeichen bzw. Wort auf Basis der Eingabe von Pinyin-Texten. Reduzierte man also Schreib-Lernziele im Chinesischunterricht auf das ausschließlich digitale Verfassen von Texten, würden die Anforderungen einer korrekten manuellen Schreibung entfallen (d.h. die kognitiven Leistungen d) + e) in Abschnitt 1), und als Lernziele blieben die rezeptive Kenntnis der grafischen Struktur (das Zeichen muss gelesen bzw. erkannt werden) sowie die Kenntnis von Aussprache und Bedeutung der jeweiligen Schriftzeichen übrig. Dies führt zu der Annahme, dass eine verstärkte Wendung zu digitalen Schreibaufgaben den aktiven Umgang mit der chinesischen Sprache deutlich beflügeln würde. Auch wenn die manuelle Einübung von Zeichenstrukturen ohne Frage von zentraler Bedeutung für die Aneignung des Schriftzeichensystems (für das ja erst einmal eine kognitiv-visuelle Grundlage geschaffen werden muss) im mentalen (visuellen) Lexikon ist, dürfte die Tatsache, dass beim digitalen Schreiben die jeweiligen Zeichen nur wiedererkannt, aber nicht manuell geschrieben werden, ein schnelleres und damit stärker auf Textualität bzw. Syntax, Wortschatz und Textkohärenz orientiertes Arbeiten mit der chinesischen Sprache ermöglichen. Beispielsweise könnte die Verwendung von Messengerdiensten bereits in der Grundstufe zu (digitalen) Aufgabenstellungen führen, die zwar schriftlich sind, aber dennoch ein hohes Maß an umgangssprachlicher Authentizität besitzen und damit die Handlungsorientierung des Sprachunterrichts stärken könnten. Chinesisch digital: Wege zu einer funktionalen Schreibkompetenz 97 Insbesondere im US-amerikanischen Umfeld beschreiben einige Studien die Effizienz eines solchen auf Digitalität beschränkten Ansatzes der Vermittlung schriftlicher Kompetenzen (Xu/ Jen 2005; He/ Jiao 2010), insgesamt lässt sich jedoch in der Fachliteratur überraschend wenig zu diesem Thema finden, was wohl wiederum auf die oben beschriebene „kulturelle Praxis“ chinesischer Muttersprachler zurückzuführen ist. Gleichwohl fordert der USamerikanische Advanced Placement Chinese Test für Chinesisch das Verfassen eines chinesischen Textes (etwa B1-Niveau) nur in digitaler Form, und auch die offizielle Prüfung der VR China zum Nachweis von Chinesischkenntnissen HSK kann (noch nicht an allen Standorten) in digitaler Form abgelegt werden. Allmählich zeigen sich auch in Europa erste Fürsprecher einer (zumindest teilweisen) Digitalisierung des Chinesischunterrichts: Im Juni 2012 fand in Amsterdam eine Fachkonferenz zum kontroversen Thema „manuelles vs. digitales Schreiben Chinesisch“ statt. Dort trat die sinologische Fachvertreterin für das Schulfach Chinesisch in den Niederlanden für eine hybride Didaktik ein, die mit digitalem Schreiben beginnt, bevor einige Wochen oder Monate später auch handschriftliche Schreibaufgaben formuliert werden (Smulders 2012, 17). Meine eigenen Gespräche und Mailaustausch mit Kollegen zu diesem Thema zeigen ebenfalls, dass das digitale Schreiben sich bereits vielerorts zu einem zentralen Aufgaben- und Übungsformat entwickelt hat. Es optimiert die Schreibprozesse und fördert die rezeptiven Schriftzeichenkenntnisse, wenngleich die Kollegen die Gewichtung der beiden Schriftsysteme nach wie vor sehr unterschiedlich vornehmen, insbesondere wenn es um Prüfungsformate geht: Denn nur wenn auch Abiturprüfungen oder Klausuren ebenfalls digital geschrieben werden, kann eine in diesem Sinne umfassende Digitalisierung des Chinesischunterrichts stattfinden. Solange in Prüfungen handschriftlich gearbeitet werden muss, werden auch die meisten unterrichtlichen Schreibaufgaben aus Trainingsgründen manuell verfasst werden, um im Prüfungsfalle den entsprechenden Anforderungen schriftsystemisch und zeitlich gewachsen zu sein. 4 4 Auch ist in Prüfungen nach wie vor nur das Nachschlagen in Printwörterbüchern gestattet. Der Erwerb von Grundkompetenzen in chinesischer Lexikographie im Zusammenhang mit Printwörterbüchern stellt jedoch ebenfalls einen enormen Lernaufwand dar (wie finde ich in einem nicht-alphabetischen Schriftsystem ein mir unbekanntes Schriftzeichen im Wörterbuch? ). Im Internet oder entsprechenden lexikographischen Apps kann das Nachschlagen unbekannter Schriftzeichen über copy+paste oder Touchpads hingegen vergleichsweise mühelos realisiert werden. Andreas Guder 98 1. passiver mündlicher Wortschatz: verstehe ich korrekt, kann ich aber nicht anwenden, Beispiel chéng xiăozú ("Gruppen bilden") 2. aktiver mündlicher Wortschatz: kann ich nur mündlich anwenden; Schriftzeichen sind mir unbekannt, Beispiel chuānghu ("Fenster") 3. mündlicher und schriftlicher Wort- und Zeichenschatz: kann ich auch lesen und digital schreiben, Beispiel 谢谢 xièxie ("danke") 4. mündlicher und schriftlicher Wort- und Zeichenschatz: kann ich lesen und auch manuell schreiben, Beispiel 中国 Zhōngguó ("China") MEIN CHINESISCH- WORTSCHATZ 3 Fazit und Forschungsdesiderata Lese- und Schreibkompetenz im Chinesischen erfordern die Kenntnis einer großen Menge chinesischer Schriftzeichen. Bei einem Spracherwerb, der sich auf Mündlichkeit fokussiert und nicht jede neue Vokabel mit ihrer Schriftzeichen-Repräsentation verknüpft, ist davon auszugehen, dass sich in den Köpfen von Lernern (wie auch von L1-Sprechern) eine vergleichsweise hohe Anzahl von Vokabular befindet, deren graphemische Realisation nicht in Schriftzeichen abrufbar ist. So wie der aktive Wortschatz immer eine Teilmenge des passiven Wortschatzes darstellt, dürfte im Chinesischen auch der mündliche (pinyin-basierte) Wortschatz umfangreicher sein als der schriftzeichenbasierte Wortbzw. Zeichenschatz, und wiederum der passive (=digitale) Zeichenschatz deutlich größer als der aktive (=manuelle) Zeichenschatz, so dass sich der Gesamtwortschatz eines fiktiven Lerners in etwa folgendermaßen darstellen ließe: Abb.2: Lexikalisches Kompetenzmodell für Chinesisch Die traditionelle Erwartung, dass alle Vokabeln in diesem individuellen Lernerwortschatz zum hier dunkel markierten, in Wort und Schrift aktivierbaren Wortschatz (4) zählen, entspricht nicht der Realität eines Lerners (und auch nicht des Muttersprachlers). Bei einem digital orientierten Chinesischunterricht könnte der mittlere Teil (3) überwiegen: Wortschatz, den der Lerner auch in Schriftzeichen dekodieren und in digitalen Schreibaufgaben anwenden, aber nicht manuell reproduzieren kann. Für die am Ende von Abschnitt 1 vorgenommene Differenzierung zwischen Schriftzeichen-Schreibkompetenz und Text-Schreibkompetenz ist also noch eine Schreibmedium-bezogene Differenzierung von Kompetenzen vor- Chinesisch digital: Wege zu einer funktionalen Schreibkompetenz 99 zunehmen: Neben der Fertigkeit des manuellen Schreibens (手写能力 sh ǒ uxiě nénglì) existiert die Fertigkeit, Schriftzeichen und Texte mittels digitaler Hilfsmittel zu schreiben (键写能力 jiànxiě nénglì) - und über beide Wege lässt sich zum eigentlichen Lernziel des Verfassens von Sätzen und Texten gelangen. Auf der anderen Seite ist zu vermuten, dass die Einprägung der Gestalt von Schriftzeichen mittels manuellem Schreiben eine wichtige Rolle bei der kognitiven Entwicklung eines Schriftzeichen-Gedächtnisses spielt, weshalb es sinnvoll erscheint, vor allem in der Grundstufe auch das Schreiben von Hand zu fordern und zu fördern (was mit modernen Touchpads ebenfalls möglich wäre). Auch ob und in welchem Ausmaß das manuelle Schreiben von Schriftzeichen den Lernerfolg (und die Motivation) erhöht, ist unbekannt. Ob Chinesischunterricht also vollkommen auf den zeitraubenden Erwerb des manuellen Schreibens verzichten sollte, will daher gut überlegt sein. Wir benötigen empirische Forschung, die zunächst die Entwicklung von Kompetenzmodellen kommunikativer Lehr- und Lernziele im Chinesischen entwickelt, deren Definition sich wiederum, wie gezeigt, aufgrund der zwei Schriftsysteme komplexer als im Unterricht alphabetverschrifteter Fremdsprachen gestaltet. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn sich die etablierte Bildungs- und Fremdsprachenforschung auf Chinesisch einließe und mit der entsprechenden Fachdidaktik gemeinsam Forschungsprojekte ins Visier nähme, die sich mit der Digitalisierung von Chinesischunterricht befassten und dabei auch die hier formulierte Hypothese überprüften, dass eine Fokussierung auf digitales Arbeiten zu einer früheren aktiven Textproduktion im Chinesischunterricht führen kann. Entsprechende zentrale Forschungsfragen lauten daher: - Erhöht der Einsatz digitaler Schreibformate den Text-Output und den aktiven Lernerwortschatz im Chinesischunterricht? - Inwieweit stützt manuelles Schreiben von Schriftzeichen die Entwicklung eines Schriftzeichen-Gedächtnisses gegenüber digitalem Schreiben? bzw. Führt ein frühzeitiger Verzicht auf manuelles Schreiben des Chinesischen zu einem Verlust an Lese- und (Text-)Schreibkompetenz? - Welche Auswirkungen hat der Einsatz der beschriebenen digitalen Tools und Aufgabenstellungen auf die Motivation der Lerner? - Lesen: Kann ein von digitalen Hilfsmitteln (lexikographischen Tools) assistiertes Lesen von authentischen Texten mit einer vergleichsweise hohen Zahl unbekannter Lexeme/ Schriftzeichen zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit China und der chinesischen Sprache bzw. zu einer Erhöhung der Lesekompetenz führen? In jedem Fall sollten die Möglichkeiten der Digitalisierung für den Chinesischunterricht in Europa als Chance begriffen werden - eine Chance, Chinesisch mehr als bisher als lebende Kommunikationssprache zu verwenden. Die Andreas Guder 100 Möglichkeit, eigene Gedanken und Äußerungen zu einem früheren Zeitpunkt in der Lernbiographie schriftlich formulieren zu können, dürfte Motivation und Selbstvertrauen erhöhen - umso mehr, wenn es konkrete Adressaten für geschriebene Mitteilungen gibt (Mitschüler, chinesische Muttersprachler). Die Hemmschwelle, auf Chinesisch zu kommunizieren (die vor allem im mündlichen Bereich erfahrungsgemäß sehr hoch ist), dürfte durch die zeitlich flexibleren Möglichkeiten, die eine schriftliche Kommunikation (z.B. per Messenger) bietet, deutlich sinken. Online verfügbare Wörterbücher und Tools können dabei helfen, benötigte Vokabeln selbst zu finden, und daher Motivation und autonomes Lernen zusätzlich unterstützen. Während für die Didaktik alphabetverschrifteteter Fremdsprachen der Nutzen einer Digitalisierung oft und zu Recht eher kritisch betrachtet wird (vgl. andere Beiträge in diesem Band), bin ich davon überzeugt, dass eine Hinwendung des Chinesischunterrichts zu einer digitalen Realisation von Lernzielen nicht nur die Lerner enorm motivieren würde, sondern auch den Chinesischunterricht in Deutschland und Europa als „modernes“ Sprachfach, das selbstverständlich mit digitalen Geräten arbeitet, deutlich stärken könnte. Ob es sich dabei um Pads mit aufgespieltem Wörterbuch oder um frei das Internet nutzende Geräte handelt, ist dabei zunächst sekundär - entscheidend scheint mir die damit einhergehende Eigenverantwortung und Binnendifferenzierung für den Lernprozess zu sein, die Lernern mit der Zulassung digitaler Geräte in die Hand gegeben werden könnte. Für eine solche Reform ist jedoch nicht nur bei Lehrkräften, sondern auch seitens der Kultusministerien und Schulleitungen eine entsprechende Bereitschaft zu Innovation erforderlich. Beim angekündigten „Digitalpakt“ für die Schulen sollten sich Chinesischlehrerinnen und -lehrer in die erste Reihe stellen - die Digitalisierung unserer Schulen böte uns enorme Chancen für einen kreativeren Chinesischunterricht. Literatur Allen, Joseph R. (2008): „Why learning to write Chinese is a waste of time: A modest proposal“. In: Foreign Language Annals 41, 237-251. EBCL = Guder, Andreas/ Fachverband Chinesisch (Hrsg.) (2015): European Benchmarks for the Chinese Language (EBCL) / Europäischer Referenzrahmen für Chinesisch als Fremdsprache (欧洲汉语能力基准项目). München: Iudicium. https: / / refubium.fu-berlin.de/ handle/ fub188/ 15346 (06/ 03/ 2019). 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Das ist im Übrigen kein neues Phänomen: Als man in den 1970er Jahren die Schulen mit Sprachlabors ausstattete, um das vermeintlich viel erfolgreichere programmierte Lernen zu fördern, wurden Lehrerinnen und Lehrer mit Nachdruck dazu verpflichtet, die teuren Geräte zu nutzen, die die Ergebnisse des Sprachunterrichts zweifelsohne dramatisch steigern würden. Den überragenden Fortschritt, der mit den akustischen Drillprogrammen im Fremdsprachenunterricht selbstverständlich zu erwarten war, durfte man nicht in Frage stellen. Seit dem ersten Einsatz von technischen Medien und Computern im Fremdsprachenunterricht in den 1960er Jahren hat die internationale fremdsprachendidaktische Forschung untersucht, in welcher Art und Weise elektronische Medien den Fremdsprachenerwerb unterstützen können. Yim et al. (2018) unterscheiden drei große Phasen dieser Entwicklung, die nicht nur durch die technischen, sondern in erster Linie durch die konzeptuellen und kontextuellen Veränderungen gekennzeichnet sind: In den 1960er und 1970er Jahren wurden technische Medien vor allem genutzt, um Übungsmöglichkeiten und Feedback zu Vokabel- und Grammatikarbeit unter dem Aspekt der sprachlichen Korrektheit (accuracy) zu schaffen. Im Rahmen des kommunikativen Ansatzes dienten sie in den 1980er und 1990er Jahren dazu, kommunikative Aktivitäten unter dem Aspekt von fluency sowie sprachanalytische Aufgaben (z.B. Arbeit an Konkordanzen) zu realisieren. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts etabliert sich Yim et al. (2018) zufolge ein sozio-kognitiver Ansatz, innerhalb dessen die digitalen Medien vor allem authentische Kontexte für den direkten Austausch liefern, Möglichkeiten schaffen, dass auch Fremdsprachenlernende Teil einer Diskursgemeinschaft werden und ihnen dadurch Nicht-technische Überlegungen zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 103 ein Gefühl der Selbstwirksamkeit (agency) vermittelt wird. Die Autoren verstehen diese Phasen als kumulativ, indem jede spätere Phase die Möglichkeiten der vorhergehenden einschließt. Eine etwas andere Einteilung der Entwicklung findet sich bei Hockly (2016, 14-18), die für diesen Zeitraum die Reihenfolge „structural CALL“, „communicative CALL“ und „integrative CALL“ unterscheidet. Beide Darstellungen gehen also von einer positiven Entwicklung aus, die von dem Werkzeugcharakter der Medien früher heute zu Medien als interaktiven Partnern geführt habe. Denkt man in dieser Linie weiter, dann blüht uns in diesem Jahrhundert eventuell doch, dass Lehrkräfte durch Roboter ersetzt werden, wie es Isaac Asimov schon 1954 in seiner bekannten Kurzgeschichte „The fun they had“ geschildert hat. Die Geschichte spielt im Jahr 2157, wenn jedes Kind einen individuell eingestellten mechanischen Lehrer hat: Margie went into the schoolroom. It was right next to her bedroom, and the mechanical teacher was on and waiting for her. It was always on at the same time every day except Saturday and Sunday, because her mother said little girls learned better if they learned at regular hours. The screen was lit up, and it said: “Today's arithmetic lesson is on the addition of proper fractions. Please insert yesterday's homework in the proper slot.” Margie did so with a sigh. She was thinking about the old schools they had when her grandfather's grandfather was a little boy. All the kids from the whole neighborhood came, laughing, and shouting in the schoolyard, sitting together in the schoolroom, going home together at the end of the day. They learned the same things, so they could help one another on the homework and talk about it. And the teachers were people... The mechanical teacher was flashing on the screen: “When we add the fractions 1/ 2 and 1/ 4...” Margie was thinking about how the kids must have loved it in the old days. She was thinking about the fun they had (Asimov [1954] 1973, 182). Wir müssen die Entwicklung der digitalen Möglichkeiten konstruktiv, kritisch und mit Blick auf Zweck und Sinn von schulischer und (fremd)sprachlicher Bildung begleiten. Herausforderungen für Gegenstände, Kontexte und Lehr-/ Lernprozesse Die Nutzung digitaler Medien ist eine heute unerlässliche Kulturtechnik, die alle Bereiche des Lebens und unserer Gesellschaft erfasst, auch die Schule. Die Frage, inwieweit die Schule aktuelle Verhaltensweisen und Interessen in den Unterricht einbeziehen kann und muss, um Kinder und Jugendliche in die Gesellschaft zu sozialisieren und ihnen angemessene persönliche Entfal- Friederike Klippel 104 tungsmöglichkeiten zu gewähren, ist nicht neu. Schule zielt zum ersten „auf die Internalisierung von kulturellen Grundüberzeugungen und auf die Weitergabe von Wissen und Fertigkeiten“ (Fend 2009, 29). Zum zweiten hat sie neben „der gesellschaftlich-kulturellen Reproduktion […] die individuelle Funktion der Herstellung von Handlungsfähigkeit, die sich in Qualifikationserwerb, Lebensplanung, sozialer Orientierung und Identitätsbildung entfaltet“ (Fend 2009, 53). Schulische Inhalte repräsentieren daher den jeweils aktuellen Konsens zu den Weltanschauungen in der betreffenden Kultur. Diese sind im Wandel begriffen und müssen im politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs neu bestimmt werden. Dies geschieht momentan im Hinblick auf die digitalen Medien. Für den Englischunterricht bringt die Digitalisierung eine ganze Reihe von neuen Herausforderungen und Chancen. Allgemeine Lehr- und Erziehungsziele, wie etwa die Entwicklung der Persönlichkeit, die Erziehung zur Demokratie und zum respektvollen Miteinander sowie eine allgemeine Medienkompetenz werde ich im Folgenden nicht berücksichtigen. Zuerst zu den Gegenständen des Englischunterrichts im engeren Sinne, also der englischen Sprache sowie den Kulturen und Literaturen englischsprachiger Länder: Hier liegen die Herausforderungen vor allem in einer massiven Ausweitung des potentiellen sprachlichen Inputs für das Lernen, Üben und Anwenden der englischen Sprache innerhalb und außerhalb der Schule. Schüler und Schülerinnen kommen anders als vor fünfzig Jahren, als ihnen Englisch fast ausschließlich in der Schule begegnete und dort durch die Lehrperson und das Lehrbuch vermittelt wurde, durch die digitalen Medien in viel größerem Umfang und in ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen mit der englischen Sprache in Kontakt. Dabei treffen sie auf muttersprachliche mündliche und schriftliche Texte aller Genres, Register und Varietäten ebenso wie auf unzählige Variationen von Lingua-Franca-Englisch. Diese sprachliche und textliche Vielfalt ist für Fremdsprachenlehrkräfte und -lernende sowohl eine wahre Fundgrube als auch eine Überforderung. Lehrkräfte haben Probleme, das reiche Angebot und seine Potentiale auch nur annähernd zu überblicken und didaktisch zu analysieren; Lernende können weder die sprachliche noch die inhaltliche Qualität oder den Lernnutzen wirklich einschätzen. Die digitalen Medien erweitern also das Spektrum dessen, was im Englischunterricht gelernt werden muss, wenn der Unterricht die Heranwachsenden auf den souveränen Umgang mit englischsprachigen Texten und die Kommunikation in der digitalen Welt vorbereiten soll. Gleichzeitig werden die traditionellen Inhalte nicht unwichtig, denn Ziel des Fremdsprachenunterrichts ist es ja auch, die überlieferten analogen Texte verstehen zu können. Da zudem das Medium selbst die sprachliche Gestaltung und die Darbietungsformen beeinflusst, ohne dass uns das immer bewusst ist, und neue Textsorten und Kommunikationsformen schafft, erweitert sich auch in dieser Nicht-technische Überlegungen zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 105 Hinsicht der Gegenstandsbereich des Unterrichts. In zahlreichen Sprachverwendungskontexten, insbesondere in den sozialen Netzwerken, stehen Kürze und Verständlichkeit im Zentrum und nicht grammatisch-lexikalische Korrektheit oder soziopragmatische Angemessenheit. Der digitale Wandel erfordert daher eine stärker differenzierte, rezeptive und produktive Textkompetenz. Wenn man einen Vergleich ziehen möchte, so ähnelt das digitale Angebot für die Inhalte des Englischunterrichts heute dem eines großen Einkaufszentrums, während der Englischunterricht der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts eher mit einem Tante Emma-Laden verglichen werden kann, in dem die Auswahl begrenzt und vertraut war. Je größer und differenzierter allerdings das Angebot ist, desto schwerer ist es, geeignete Dinge zu finden und diese informiert einzuschätzen, desto spannender ist aber auch das Entdecken von Neuem. Dennoch bleiben die Basisprodukte aus dem Tante Emma-Laden, nämlich die sprachlichen Fertigkeiten sowie Aussprache, Wortschatz, Grammatik und Pragmatik weiterhin wichtig. Zum zweiten erweitern sich durch die digitalen Medien die Lernkontexte: schulisches und außerschulisches Lernen ist nicht mehr auf das individuelle Arbeiten mit Lehrbuch, Lesetexten, Grammatik und Wörterbuch konzentriert, denn sowohl die Zahl als auch die Arten der Interaktions-, Übungs-, Nachschlage-, Anwendungsgelegenheiten für die Fremdsprache haben sich vervielfältigt. Auch hier bietet die digitale Welt ein extensives Menü an Apps, Lernplattformen, Spielen, Portalen, Fan-Seiten, Blogs etc. (vgl. z.B. Levy 2009; Hockly 2016). Wer aus eigenem Antrieb lernen möchte, findet reichlich Angebote. Besonders stark ausgeweitet haben sich die Möglichkeiten zur weltweiten Kommunikation unterschiedlichster Art. Während man in den sechziger Jahren einen Luftpostbrief an einen penpal schickte, um vielleicht einige Wochen später eine briefliche Antwort zu erhalten, ist heute spontane und synchrone Kommunikation mit anderen Menschen (fast) überall möglich. Dietmar Rösler (2019) plädiert deshalb dafür, im Unterricht weniger Zeit auf die Inszenierung von Kommunikationsaufgaben zu verwenden, da die Lernenden diese aus eigenem Antrieb mit unterschiedlichen Partnern außerhalb des Unterrichts motivierter und gezielter angehen können, als dafür, ihnen im Unterricht das benötigte fremdsprachliche Rüstzeug in Bezug auf Grammatik und Wortschatz für die Kommunikation zu verschaffen. Damit wird das Prinzip des „Focus on Form“ (Long 1991) neu interpretiert. Auch Kessler (2017) weist darauf hin, dass Fremdsprachenlernende beim Arbeiten mit digitalen Medien erkennen, dass bestimmte Anforderungen an sprachliche Korrektheit oder Adressatenbezug (z.B. bei Wikis) erfüllt werden müssen, was zu dementsprechenden Lernmotivationen führen kann. Drittens sind auch die Lehrprozesse vom digitalen Wandel betroffen, denn das methodische Repertoire wird erweitert, wenngleich die etablierten Formen der Präsentation, Übung und Anwendung weiterhin Bestand haben. Das Friederike Klippel 106 Unterrichten sollte sich so verändern, dass die besonderen Potentiale der digitalen Medien zielgerecht genutzt werden können. Das betrifft insbesondere die Möglichkeiten zur Differenzierung und Individualisierung, auch unter der Maßgabe immer stärker heterogener Schülerpopulationen. Allerdings sollte man sich angesichts der ständig wachsenden Anforderungen an die Lehrkräfte bei gleichbleibenden Ausgangsbedingungen von Klassenstärken und Arbeitszeit bewusst sein, dass solche Erweiterungen von Lehrerkompetenzen nicht noch zusätzlich verlangt werden können, sondern Entlastungen für individuelle Weiterbildung mit sich bringen müssen. Was die Lernprozesse betrifft, so führt der Einsatz digitaler Medien nicht immer und vor allem sicherlich nicht automatisch zu positiven Veränderungen, zumal gerade in diesem Bereich noch ein erheblicher Forschungsbedarf besteht. Vermutlich macht es für das Lernergebnis keinen großen Unterschied, ob ich meinen fremdsprachigen Wortschatz mithilfe einer App, eines web-basierten Spiels oder eines Korpus erweitere oder aber in traditioneller Weise mit Wörterbuch und mind map auf Papier arbeite, vielleicht abgesehen von der Aussprache, die mir die Medien liefern können, wenn ich die phonetische Umschrift nicht beherrsche. Die Speicherungsvorgänge im Langzeitgedächtnis dürften weitgehend unabhängig vom Medium und Material des Lernens sein. Die größte Herausforderung des digitalen Wandels für den Englischunterricht liegt zunächst in der technischen Kompetenz der Lehrkräfte. Wer digitale Medien im Unterricht verwenden will, muss sie kennen und “können”. Dazu existieren Leitlinien und Standards, etwa das European Framework for the Digital Competence of Educators: DigCompEdu (Redecker/ Punie 2017). Eine zweite Herausforderung liegt in der unübersehbaren Fülle digitaler Möglichkeiten und medialer Inhalte und der daraus für einzelne Lehrkräfte resultierenden Schwierigkeit, sich einen Überblick zu verschaffen, die Spreu vom Weizen zu trennen, die Implikationen realistisch einzuschätzen und gezielt für die jeweilige Klasse oder Gruppe auszuwählen. Anders als bei den herkömmlichen Schulbuchverlagen gibt es im Netz keine Qualitätskontrolle, und man benötigt viel Zeit zur Sichtung. Eine solche Auswahl kann nur treffen, wer eine klare Vorstellung von den Zielen des Unterrichts, breite Kenntnis von effektiven methodischen Vorgehensweisen und genauen Einblick in die Voraussetzungen der Lernenden besitzt. Bislang verkörpert das Lehrwerk im Englischunterricht die Ziele und Methoden, die zu der jeweiligen Zeit als Konsens gelten, so dass auch Lehrkräfte, die sich weniger intensiv mit der aktuellen Konzeption des Faches auseinandersetzen, akzeptablen Unterricht halten können. Wer aus eigenem Antrieb eine weitere Sprache lernen möchte, der findet heute ein riesiges digitales Angebot. Individuelle Lernpräferenzen können bedient, inhaltliche und prozedurale Interessen befriedigt werden. Und hier besteht wohl das größte Innovationspotential, nämlich in einer Individualisierung und Personalisierung des Sprachenlernens für souveräne, autonome Nicht-technische Überlegungen zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 107 Individuen, die sich im Datendschungel der Angebote und Apps zurechtfinden. Man kann sich darin aber auch verirren und letztlich weniger effektiv lernen als in einer traditionellen Lerngruppe. Inwieweit das staatliche Schulwesen diesen Trend zur Personalisierung und Individualisierung aufgreifen mag und kann, ist jedoch eine andere Frage. Anders als bei Erwachsenen, die eine neue Sprache oftmals gezielt für bestimmte Zwecke lernen und ihren Lernweg und die Lerninhalte daran ausrichten können, gilt für die Schule die Vorgabe, dass sie die Basis für alle möglichen beruflichen und privaten Entwicklungen bereiten sowie generell eine Vergleichbarkeit der Anforderungen beachten muss und daher nur in begrenztem Umfang individualisieren kann. Schulischer Englischunterricht muss daher einen Weg zwischen Standardisierung - in Zielen, Verfahren, Materialien, Lehrerbildung - und individueller Förderung finden. Und es dürfte weiterhin die Aufgabe der Lehrkräfte sein, geeignete Optionen für Kommunikation, Kollaboration und das Arbeiten mit Medienformaten denjenigen Schülerinnen und Schülern zu eröffnen, die dies aus eigenem Antrieb nicht tun können oder wollen. Ziel: verantwortungsbewusster Umgang Wie sieht die Person aus, die souverän mit den digitalen Medien umgeht, die sie beherrscht, aber nicht von ihnen beherrscht wird? Werden wir nicht durch die ständig neuen Skandale daran erinnert, dass die digitale Welt - genauso wie die analoge - zu Straftaten missbraucht, zum Schaden Einzelner ausgenutzt und zu betrügerischen Aktivitäten verwendet werden kann? Und wissen wir nicht auch, dass digitale Medien entmündigen, unselbstständig und abhängig machen können? Wie jedes Werkzeug muss auch das digitale sachgerecht und ohne andere zu schädigen eingesetzt werden. Menschen benötigen daher neben der technischen Kompetenz, die eine kritische Aufmerksamkeit für die Schwachstellen der eigenen Umgehensweise mit den digitalen Medien ebenso einschließen muss wie eine gesunde Einschätzung dessen, was diese Medien leisten oder auch nicht leisten können, auch genügend sicheres Wissen, um Informationen einschätzen und sich auch angesichts der Datenfülle stets ein eigenes Urteil bilden zu können (so etwa Nida-Rümelin/ Weidenfeld 2018, 156f.). Für den Fremdsprachenunterricht und das Sprachenlernen bedeutet dies auf der fachlichen Ebene etwa, dass man die Verantwortung für die Korrektheit der eigenen Sprachproduktion nicht einfach an automatisierte Programme abtritt, auch wenn die Übersetzungsprogramme immer besser werden. Es heißt, dass man Informationen und Texte im Hinblick auf die Zuverlässigkeit der Quellen in faktischer und sprachlicher Hinsicht und auf deren Wahrheitsgehalt überprüft und dass man in der Kommunikation mit anderen Menschen Regeln von Respekt und Höflichkeit einhält. Automatisierte Programme können jedoch helfen, bestimmte Routinehandlungen zu verbessern. Friederike Klippel 108 So ermöglicht es das mehrstufige Verfahren von Edword (https: / / www.easy correct.com/ ), dass sich Lernende mit dem Feedback zur ihren Textproduktionen auch tatsächlich auseinandersetzen und demonstrieren, dass sie daraus gelernt haben. Ob sich dadurch die Arbeit für die Lehrkraft allerdings reduziert, zumal sich Lehrkraft und Lernende erst in das Programm einarbeiten müssen, und ob das Feedback auch psychologisch individuell passend ist, ist eine andere Frage. Eine weitere Möglichkeit zur Erhöhung der Übungszeit besteht im Einsatz von social robots, mit denen Menschen kommunizieren und interagieren können. Erste Forschungsergebnisse (vgl. den Überblick über 33 empirische Studien in van den Berghe et al. 2019) vermitteln ein uneinheitliches Bild: einige Lernresultate, die durch die Interaktion mit Robotern entstanden, übertrafen diejenigen der Kontrollgruppen, andere Experimente zeigten keine Unterschiede oder gegenteilige Resultate. Insgesamt scheinen die Roboter noch weit davon entfernt zu sein, menschliche Lehrpersonen ersetzen zu können. Unter didaktischen Gesichtspunkten sollte der Einsatz digitaler Medien vor allem dann erfolgen, wenn man nur durch sie bestimmte Ziele (besser) erreichen kann, und sei es die Abwechslung beim Vokabellernen. Die Merkmale guten Unterrichts (z.B. Helmke 2009) gelten für den digital gestützten Unterricht ebenfalls. Sprachenlernen ist ein individueller und ein sozialer Akt, der in einem menschlichen Umfeld stattfindet. Digitale Medien sind sowohl Hilfsmittel, um diese zu bewältigen, als auch Realisierungen von Sprache, auf die es im Fremdsprachenunterricht vorzubereiten gilt. Die Befürwortung eines Einsatzes digitaler Medien im Sprachunterricht sollte nicht dadurch motiviert sein, dass es bestimmte technische Möglichkeiten eben gibt - it's there, let's use it -; vielmehr muss dieser Einsatz didaktisch-methodisch begründet sein. Im Fokus steht immer das Lernen, das im Unterricht (und sicherlich auch im Selbstunterricht) möglichst effektiv, also gründlich und nachhaltig, und möglichst effizient, also mit dem geringstmöglichen Aufwand an Zeit und Energie erfolgen soll. Alle Hilfsmittel müssen diesem Ziel dienen. Wenn man also Fremdsprachenunterricht konzeptuell entwickelt, dann ist zunächst von linguistischen sowie spracherwerbstheoretischen Grundlagen und gesellschaftlichen bzw. individuellen Zielvorstellungen auszugehen, zu deren Erreichen dann die unterschiedlichen technischen Hilfsmittel und methodischen Verfahren zielgerecht eingesetzt werden. Es ist allerdings zu fragen, ob die Digitalisierung die Sprache und die interpersonale Kommunikation so verändert (hat), dass wir ganz grundsätzlich über einige Konzepte unserer Wissenschaft neu nachdenken müssen. Müssen die bekannten Spracherwerbstheorien ggf. angepasst werden? Spielen interkulturelle Aspekte in der digitalen Kommunikation eventuell eine andere Rolle als in der direkten Begegnung? Inwieweit verführt die Tatsache, dass man persönliche Informationen und Meinungen jederzeit online veröffentlichen und von anderen bewerten lassen kann, zu einer verstärkten Monologi- Nicht-technische Überlegungen zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 109 sierung und nicht zum Dialog, für den man die Äußerungen genau lesen müsste? Man kann weiterhin fragen, ob auch der gängige Katalog der sprachlichen Fertigkeiten (rezeptiv-produktiv) erweitert werden muss, weil digital gestützte Kommunikationsformen weitere, bisher nicht berücksichtigte Fähigkeiten erfordern? Auch Konzepte wie Sprachflüssigkeit oder Kohärenz bedürfen angesichts von Twitter & Co eventuell der Modifizierung. Schließlich ist auch zu bedenken, dass Algorithmen dafür sorgen, dass wir bestimmte Dinge sehen, andere nicht und dass vieles, was uns digital erreicht, gefiltert ist. Globalization and networked technologies have created the conditions for ever more explicit confrontation of discourse worlds. The problem with the Internet is not only that it filters and transforms information, but also that it makes it difficult to fully contextualize meanings and this is particularly relevant in the case of foreign language learning. Engaged in the moment-tomoment decisions involved in communication and interpretation, and having only a very partial (or sometimes distorted) sense of context, students can easily lose sight of the foreignness in the words, gestures, notions, and practices of their interlocutors, and also fail to see themselves as foreign in relation to them. However, the poison just might also be the remedy in this case. By making it possible to textualize and re-contextualize language use, technology holds the potential to defamiliarize the familiar, to itself induce a certain foreignness that can cause language learners to de-automatize their perceptions, leading them to new insights and understanding (Kern 2014, 354). Nun hat der Fremdsprachenunterricht nicht nur die Aufgabe, die Lernenden möglichst umfassend auf deren zukünftige produktive Sprachverwendung vorzubereiten, auch die sprachlichen Erscheinungsformen der Vergangenheit in Form von Texten aller Art müssen weiterhin - zumindest von einigen - rezipiert und verstanden werden. Das heißt, dass traditionelle Inhalte des Fremdsprachenunterrichts auch weiterhin sinnvoll und erforderlich sind. Forschung und Fremdsprachendidaktik Für die fremdsprachendidaktische Forschung liefern die digitalen Medien eine Fülle an neuen Zugriffsmöglichkeiten, die in den ständig zunehmenden Publikationen, die kein Mensch mehr überblicken kann, vorgeführt werden. Die immer kleinteiliger werdenden Forschungsfragen, deren Beantwortung letztlich für immer weniger WissenschaftlerInnen relevant ist, kennzeichnen meiner Meinung nach eine Zersplitterung der Forschungslandschaft. Mich interessiert daher eher die Frage, inwieweit die digitalen Medien dabei helfen können, unser Fachgebiet insgesamt und in seinen Grundfragen besser zu erforschen und zu verstehen. Große Metastudien sind hierzu hilfreich. Wenn man beispielsweise herausfindet, dass man dann mehr behält, wenn man informative Texte in Papierform liest und nicht digital (Delgado et al 2018), Friederike Klippel 110 dann spricht das gegen die vollständige Digitalisierung des Fremdsprachenklassenzimmers. Als Historikerin des Faches begrüße ich die Digitalisierung vieler Quellen, zu deren Einsicht man sonst aufwendige Archiv- und Bibliotheksreisen unternehmen müsste. Ich gewinne dadurch einen raschen Zugriff auf einige alte Veröffentlichungen; ich verliere allerdings das haptische Vergnügen, ein altes Buch in der Hand zu halten und eventuell eingelegte Notizen zu entdecken. Eine weitere Aufgabe für Forschung und Entwicklung sehe ich in der Entlastung der Lehrkräfte bei bestimmten Lehrtätigkeiten und in der Förderung individuellen Lernens durch digitale Angebote. Selbst erfahrene Lehrkräfte sind nicht in allen Lehreraufgaben und nicht für alle Schüler-Lerntypen gleich gut. Zudem gibt es vielfach Quereinsteiger im Lehramt oder fachfremd unterrichtende Lehrkräfte, die Hilfen benötigen. Ihnen und ihren SchülerInnen könnten beispielsweise Erklärvideos zu sprachlichen und kulturellen Phänomenen und unterschiedliche Übungsprogramme helfen. Gerade analytische Lerner werden in einem aufgabenbasierten Fremdsprachenunterricht vernachlässigt; sie können so die für sie wichtigen Einsichten in die Sprachstruktur erhalten, ohne dass man wertvolle Kontaktzeit im Unterricht mit grammatischen Erläuterungen verbringen muss, die für andere SchülerInnen eventuell wenig hilfreich sind, weil sie eher durch Übung und Anwendung lernen. Das Angebot an Apps und Programmen zum selbstständigen Sprachenlernen ist riesig und wächst ständig. Wenn ich ein groß angelegtes Forschungsprogramm planen dürfte, dann würde ich Gelder für einen Forschungsverbund von fünf bis zehn fremdsprachendidaktischen Professuren an unterschiedlichen Universitäten und Hochschulen bereitstellen, die für die einzelnen Sprachen daran zusammenarbeiten, • die existierenden Forschungsergebnisse zu sichten und auf ihre Übertragbarkeit zu prüfen, • das bestehende digitale Angebot für die einzelnen Sprachen zu analysieren und darüber aktuell zu berichten, • Praxiserfahrungen aus anderen Ländern auszuwerten, • Module für die Lehrerbildung zu entwickeln und zu erproben, • empirische und theoretische Forschungsarbeiten zum Themenfeld zu koordinieren und zu betreuen (Doktoranden, Habilitanden, Einzel und Teamforschungsprojekte). Dieser Forschungsverbund müsste seine Arbeitsergebnisse regelmäßig im open-access bekanntgeben, so dass alle Interessierten im Bildungswesen darauf zugreifen können. Zusätzlich sollte es kleinere und größere Arbeitskonferenzen geben unter Einbeziehung von • interessierten Lehrkräften und AusbilderInnen der zweiten Phase • Fremdsprachenlernenden unterschiedlicher Bildungsinstitutionen • Eltern Nicht-technische Überlegungen zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 111 • SoftwareentwicklerInnen, InformatikerInnen, PädagogInnen, PsychologInnen, KünstlerInnen • VerlagsvertreterInnen • LandespolitikerInnen In diesen Arbeitstagungen könnten denen je nach Zusammensetzung sowohl grundsätzliche Fragen der Mediennutzung als auch Detailfragen der Mediengestaltung für den Fremdsprachenunterricht bearbeitet werden. Auch die Ergebnisse dieser Treffen sind zu veröffentlichen und damit dem pädagogischen, politischen und wissenschaftlichen Diskurs zuzuführen. Nach etwa fünf bis acht Jahren intensiver Arbeit lägen sicherlich eine Reihe von aufschlussreichen Untersuchungen und praktikablen Modellen vor; der Kreis der Informierten und Informierenden wäre stark gewachsen, und es gäbe interessante inhaltliche und technische Entwicklungen. Prioritäten Innovationen sind nur dann erfolgreich, wenn sie von der Basis getragen und dort aus eigener Entscheidung umgesetzt werden, weil man daran glaubt, durch diese Innovation die anstehenden Aufgaben besser, schneller oder zielgerechter erledigen zu können. Wenn es also bildungspolitisch erwünscht ist, digitale Medien im Fremdsprachenunterricht einzusetzen, dann müssen Lehrerinnen und Lehrer ebenso wie SchülerInnen und deren Eltern davon überzeugt sein und werden, dass dies sinnvoll und zielführend ist. Schulen und Universitäten benötigen dafür als erstes eine zuverlässige technische Infrastruktur inklusive technischem Support. Wenn wir aus der Vergangenheit (Beispiel: Sprachlabor) lernen, dann ist es wichtig, dass Lehramtsstudierende, die in ihrer eigenen Schulzeit noch kaum oder gar nicht mit digitalen Medien gearbeitet haben, sich in Studium und zweiter Ausbildungsphase intensiv damit befassen. Das wiederum bedeutet, dass die Ausbilder an Hochschulen und Schulen über breite Kompetenzen verfügen müssen, um unterschiedliche digitale Medien sinnvoll in die Lehre zu integrieren, so dass es nicht nur um Informationen zu digitalen Medien, sondern auch um Lehre und Ausbildung mit digitalen Medien geht, dem altbekannten Spruch folgend: Teachers teach as they were taught, and not as they are taught to teach. Für die bereits im Schuldienst befindlichen Lehrkräfte muss ein breites, verpflichtendes Weiterbildungsprogramm entworfen werden, dass auch Skeptiker überzeugt. Für alle diese Maßnahmen ist einerseits die nötige technische Ausstattung bereitzustellen, andererseits muss man allgemein zugängliche Informationen über Medien, Programme, Apps und Daten finden, die im jeweiligen Kontext eingesetzt werden können. Das bedeutet, dass es auch so etwas wie ein Qualitätsmanagement geben muss, denn nicht alles ist für Fremdsprachenunterricht oder Fremdsprachenlehrerbildung zielführend, und man sollte die Ent- Friederike Klippel 112 wicklung vielleicht nicht ausschließlich den Lehrbuchverlagen oder Softwareunternehmen überlassen. Und dennoch wird es und sollte es auch weiterhin möglich sein, dass Fremdsprachenlehrkräfte den Unterricht auf ihren eigenen Stärken aufbauen können. So wie es jetzt Lehrkräfte gibt, die mehr als andere mit Musik oder Film arbeiten, die viele spielerische Elemente einsetzen oder immer wieder neue interessante Texte finden, die grammatische Phänomene hervorragend erklären können und einen intensiven kommunikativen Austausch in ihren Klassen pflegen, so wird es auch in Zukunft Lehrkräfte geben, die digitale Medien sporadisch einsetzen, während andere ihren gesamten Unterricht damit bestreiten und Schülerinnen und Schüler intensiv zu eigenem medial gestützten Üben und Anwenden anleiten. Wichtig wäre es daher, fachspezifische Minimalanforderungen für Lehrkräfte und deren AusbilderInnen an Universitäten, Hochschulen und in der Praxis zu definieren. Diese müssten technische ebenso wie ethische, didaktische ebenso wie ästhetische Aspekte umfassen. Aufbauen ließe sich auf bereits bestehenden Katalogen aus den USA für Englischlehrkräfte (TESOL, Healy 2011) oder Lehrerbildner (http: / / site.aace.org/ tetc) sowie auf dem europäischen Kompetenzrahmen (Redecker/ Punie 2017). Wir brauchen eine Entwicklung mit Augenmaß. Literatur Asimov, Isaac [1954]: „The fun they had“. In: Asimov, Isaac (1973): The Best of Isaac Asimov. London: Sphere, 180-182. Delgado, Pablo/ Vargas, Cristina/ Ackerman, Rakefet/ Salmerón, Ladislao (2018): „Don't throw away your printed books: A meta-analysis on the effects of reading media on reading comprehension“. In: Educational Research Review 25, 23-38. Fend, Helmut (2009): Neue Theorie der Schule. 2. durchgesehene Aufl., Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Healy, Deborah (2011): TESOL Technology Standards. http: / / www.deborahhealey.com/ tesol2011/ tech_standards_tesol2011.html (07/ 03/ 2019). Helmke, Andreas (2009): Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität (2. aktualisierte Aufl.). Stuttgart: Klett Kallmeyer. Hockly, Nicky (2016) Focus on Learning Technologies. Oxford: Oxford University Press. Kern, Richard (2014): „Technology as ‘Pharmakon’. The Promise and Perils of the Internet for Foreign Language Education“. In: The Modern Language Journal 98, 340-357. Kessler, Greg (2018): „Technology and the future of language teaching“. In: Foreign Language Annals 51, 205-218. Levy, Mike (2009): „Technologies in Use for Second Language Learning“. In: The Modern Language Journal 93, 769-783. Nicht-technische Überlegungen zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 113 Long, Michael (1991): „Focus on form: A design feature in language teaching methodology“. In: De Bot, Kees/ Ginsberg, Ralph/ Kramsch, Claire (Hrsg.): Foreign language research in cross-cultural perspective. Amsterdam: John Benjamins, 39-52. Nida-Rümelin, Julian/ Weidenfeld, Nathalie (2018): Digitaler Humanismus. Eine Ethik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. München: Piper. Redecker, Christine/ Punie, Yves (2017): European Framework for the Digital Competence of Educators: DigCompEdu. DOI: 10.2760/ 159770 (online) (08/ 03/ 2019). Rösler, Dietmar (2019): „Grammatik, Kommunikation, Inhalt - Freunde, nicht Gegner“. In: Peyer, Elisabeth/ Studer, Thomas/ Thonhauser, Ingo (Hrsg.): IDT 2017. Band 1: Hauptvorträge. Berlin: Schmidt, 112-122. van den Berghe, Rianne/ Verhagen, Josje/ Oudgenoeg-Paz, Ora/ van der Ven, Sanne/ Leseman, Paul (2019): „Social robots for language learning: A review“. In: Review of Educational Research 89, 259-295. Yim, Sorbin/ Saito-Stehberger, Dana/ Warschauer, Mark (2018): „The long view“. In: Liontas, John I. (Hrsg.) The TESOL Encyclopedia of English Language Teaching. Wiley. (online). Lehrwerkgestütztes Fremdsprachenlernen im digitalen Wandel Jürgen Kurtz πάντα ῥεῖ (Heraklit zugeschr.) 1 Einleitung und Problemaufriss Vor ungefähr einem Vierteljahrhundert befasste ich mich als Englischlehrer an der Gustav-Heinemann-Gesamtschule (GHG) in Dortmund, einer integrierten Gesamtschule mit Ganztagsbetrieb, mit der für mich nach wie vor noch aktuellen Frage, wie sich das großenteils lehrwerkorientierte, vom Lehrbuch als Printmedium ausgehende Lehren und Lernen der englischen Sprache in der Sekundarstufe I mit und über elektronische Informations- und Kommunikationstechnologien aufwerten ließe (hier und im Folgenden als IKT bezeichnet). Die GHG hatte zu Beginn der 1990er Jahre schon ein Klassenzimmer mit 30 fest installierten Computerarbeitsplätzen für die Lernenden sowie mit einem ebenso gut gesicherten Master-PC für die Lehrperson ausstatten können. Alle Computer in diesem Klassenzimmer waren internetfähig und miteinander vernetzt. In seiner räumlichen Gestaltung erinnerte dieser, als Informatik- oder Internetraum bezeichnete, technologisch hoch gerüstete Lernort, der durch einbruchsichere Fenster und eine schwere Eingangstür geschützt war, an ein Sprachlabor der audiolingualen Hochphase des Englischunterrichts (vgl. Kurtz 2001, 92). Ausschlaggebend für meine Entscheidung, einen Versuch in Richtung einer systematischen Einbindung digitaler Technologien und Medien in den Englischunterricht zu wagen und den sog. Informatikbzw. Internetraum für eine Unterrichtsstunde pro Woche zu nutzen (mehr war unter den damaligen Rahmenbedingungen nicht möglich), war meine Unzufriedenheit insbesondere mit der zweiten Lektion des Lehrwerks Learning English - Orange Line 4 für Erweiterungskurse der Jahrgangsstufe 8 an Gesamtschulen und anderen differenzierenden Schulformen (vgl. Arendt et al., 1990, 23-31). Meine Kritik daran fasste ich später folgendermaßen zusammen (Kurtz 2001, 83): [D]ie rigide, einseitig auf die Grammatikvermittlung abhebende Funktionsbindung des Lektionseinstiegs, die einhergeht mit einem erheblichen Mangel an authentischer Situativität, an sprachlicher Varianz sowie an fremdkultureller Relevanz (für die Lernenden) wirkt sich in Verbindung mit einer sprunghaften Sequenzierung des Lehr- und Lernprozesses und einer Ballung von ge- Lehrwerkgestütztes Fremdsprachenlernen im digitalen Wandel 115 schlossenen Übungsformen in der Regel ungünstig auf den Lernwillen und das unterrichtliche Engagement der Schülerinnen und Schüler aus. Hinzu kommt, dass die im Leitmedium vorzufindende grammatikzentrierte Instrumentalisierung des Lektionsthemas nur mit erheblichem Arbeits- und Zeitaufwand von den Lehrenden aufgehoben werden kann, da das Lehrbuch die hierzu benötigten Ressourcen in Form von weiterführenden Sprachmitteln, von variablen Äußerungsmustern, von authentischem landeskundlichen Anschauungsmaterial, von zielsprachlich breiter gefächerten, nicht nur auf Grammatik ausgerichteten Übungsmaterialien, von spielerisch-ganzheitlichen Aktivitäten, u.v.m. nicht bereitstellt und sich zudem im Lehrerhandbuch keine Hinweise finden, wo gegebenenfalls entsprechende Ressourcen rasch aufgefunden und wie sie im Englischunterricht verwertet werden könnten. Es ging mir seinerzeit vor allem darum, eine stärker schüler- und handlungsorientierte, mit dem explorativen landeskundlichen Lernen verknüpfte Lernumgebung unter Verwendung von Print- und Digitalmedien zu schaffen, die sich nicht vollends vom Lehrwerk und der dort vorgezeichneten Progression trennt. Im Wesentlichen interessierte ich mich dafür, […] wie das Internet (insbesondere die im World Wide Web verborgenen Ressourcen) im Verbund mit dem Lehrbuch und den daran gekoppelten traditionellen audiovisuellen Medien und Materialien genutzt werden könnte, um funktional geschlossene und zu einseitig ausgerichtete, in ihrer Darbietung, Anordnung und Stufung fragwürdige und in ihrer fremdkulturellen Eindrucksbreite und Eindruckstiefe problematische Lehrbuchinhalte didaktischmethodisch aufzuwerten, so dass eine vielseitigere, besser auf die Fähigkeiten, Kenntnisse, Bedürfnisse und Interessen der jeweiligen Lerngruppe und die persönlichen Voraussetzungen und Erfahrungen der jeweiligen Lehrperson abgestimmte Unterrichtsgestaltung möglich wird (Kurtz 2001, 81). Im Großen und Ganzen versuchte ich - dem Stand der damaligen fremdsprachendidaktischen Diskussion entsprechend - die Leitideen der Instruktion (Transmission), der Konstruktion, der Progression, der Variation sowie auch der Differenzierung und Individualisierung miteinander in Beziehung zu bringen, um einen Mehrwert in Richtung Lernerlebnis und Lernertrag zu generieren. Ich entwickelte und erprobte schließlich eine mehrstündige Unterrichtssequenz, die das Englischlernen mit Print- und Digitalmedien, verbunden mit einem Wechsel des Lernorts (physisch vom Klassenzimmer in den Computerraum und zurück; medial vom gedruckten Lehrbuch in die digitale Sphäre des World Wide Web und zurück) voranzubringen versuchte. Im Mittelpunkt standen dabei einige (vorrangig thematisch) differenzierte Lehr- und Lernpfade, die darauf abhoben, das lehrwerkgebundene mit dem lehrwerkungebundenen Lernen zu verknüpfen. Heutzutage würden diese Lehr- und Lernpfade als aufgabenorientierte, vom Lehrwerk ausgehende und dorthin wieder Jürgen Kurtz 116 zurückkehrende Webquests bezeichnet werden können (vgl. Kurtz 2001, 84- 88). 1 Zusammenfassend lässt sich hervorheben, dass es mir seinerzeit keinesfalls darum ging, ein ‚radikal digital‘ angelegtes Leuchtturmprojekt zu entwickeln, das letztlich kaum mehr an die großenteils lehrwerkorientierte Alltagspraxis des Englischunterrichts anschlussfähig gewesen wäre. Vielmehr versuchte ich, Kontinuität (Bewährtes) und Innovation (Neuartiges) unter den gegebenen schulischen Rahmenbedingungen so zusammenbringen, dass es zu möglichst wenig Disruption in Bezug auf das Englischlernen kommt, das damals schon an ein schulinternes, vorrangig lernziel- und lerninhaltsorientiertes Curriculum gebunden war. Die Erfahrungen, die ich seinerzeit habe sammeln können, haben mich sicherlich nachhaltig geprägt. So verstehe ich den digitalen Wandel bis heute nicht als einen radikalen Umbruch (radical, discontinuous change), sondern als eine sukzessive, kontinuierliche Entwicklung (gradual, continuous change). Diese zieht sich immerhin schon über ein Vierteljahrhundert hin. Die Fremdsprachendidaktik ist gut beraten, wenn sie in Anbetracht dessen von unausgewogenen, überzogenen, unrealistischen und praxisfernen Vorstellungen, Ansprüchen und Erwartungen an das fremdsprachliche Lehren und Lernen im digitalen Wandel Abstand nimmt. An radikaleren, zumindest deutlich optimistischeren Vorstellungen zum digitalen Wandel und zur Wandlungsfähigkeit des schulischen Englischbzw. Fremdsprachenunterrichts hat es indes nicht gemangelt. Ich möchte im Folgenden kurz darauf eingehen. Dabei beziehe ich die vier Leitfragen der diesjährigen Frühjahrskonferenz mit ein. 2 Der digitale Wandel - optimistisch gesehen Nahezu zeitgleich zu meinen bescheidenen Bemühungen, das Englischlehren und -lernen mit neuartigen, digitalen Technologien und Medien aufzuwerten, 1 Es sei hier in einer ersten, etwas längeren Fußnote (Fn) darauf verwiesen, dass Byrams (1997) Modell der interkulturellen kommunikativen Kompetenz in jenen Jahren erst entstand, so dass ich mich daran nicht orientieren konnte. Bennetts (1993) Modell der Entwicklung interkultureller Sensitivität war mir gänzlich unbekannt. Das Englischlehren und -lernen fand zudem unter deutlich anderen bildungspolitischen Vorzeichen statt. So musste ich mich seinerzeit noch nicht mit den neoliberalen Paradoxien einer deregulierten Regulierung von Schule und Unterricht über Leitbilder, Bildungsstandards und Kerncurricula, mit einer dahingehend instrumentalisierten, vorrangig Outcome-orientierten Fremdsprachendidaktik sowie mit einer auf die Messbarkeit von Lernleistungen ausgerichteten Kompetenzschule befassen, in der die Aufgabenorientierung den Königsweg des fremdsprachlichen Lernens repräsentieren soll. Ein Leitbild zum fremdsprachlichen Lernen im digitalen Wandel gab es nicht; es wurde von mir auch nicht vermisst. Lehrwerkgestütztes Fremdsprachenlernen im digitalen Wandel 117 formulierten Rüschoff/ Wolff (vgl. 1999, 50-51) die folgenden Hypothesen, Hoffnungen oder Erwartungen: Digitale Medien und Technologien, so nahmen sie an, seien • dazu prädestiniert, Veränderungen im schulischen Fremdsprachenunterricht einzuleiten; • durch sie könnten etablierte Positionen der Fremdsprachendidaktik künftig infrage gestellt werden; • sie könnten vielleicht sogar zu einer völligen Neubewertung herkömmlicher Ansätze bzw. zu einer Abkehr von ihnen beitragen; • ihr Einsatz könnte letztlich lerneffektiver sein, zumal sie zeit- und ortsungebunden Verwendung finden können und eine stärkere Diversifizierung im Hinblick auf individuelle Lernende ermöglichen. Mir war damals allerdings schon einigermaßen klar, dass der digitale Wandel nicht vorrangig (oder gar einzig und allein) von den digitalen Technologien und Medien ausgedacht werden kann. Auch erschien es mir wenig sinnvoll zu sein, lediglich die innovativen Potenziale der Digitalisierung in den Blick zu nehmen und die disruptiven bzw. risikobehafteten weitgehend außer Acht zu lassen. Dass die Lehrenden als wesentliche unterrichtliche Akteure hier weitgehend ausgeklammert wurden, konnte ich als Englischlehrer kaum nachvollziehen. Heute scheint in der fremdsprachendidaktischen Diskussion ein Konsens zumindest darin zu bestehen, dass die Digitalisierung des Fremdsprachenlernens nur dann lernförderlich greifen kann, wenn sie unter Berücksichtigung des komplexen Beziehungsgefüges von Theorie (Wissenschaft/ Forschung) und Praxis (Unterricht) unter Einbeziehung aller beteiligten Akteure, Institutionen und Instanzen modelliert, erprobt und umgesetzt wird. Mit dem Leitbild der Landesregierung Nordrhein-Westfalens (2016) zum Lernen im digitalen Wandel sollte (eigentlich) ein erster Schritt in diese Richtung unternommen werden. 3 Der digitale Wandel - naiv gesehen „Die Perspektive des Schulbuchs ist digital“, ist dem Leitbild 2020 der nordrhein-westfälischen Landesregierung zum Lernen im digitalen Wandel bzw. zur schulischen Bildung in Zeiten der Digitalisierung zu entnehmen (Landesregierung NRW 2016, 8 u. 25). Doch was mag damit gemeint sein? Kann eine derart vage Feststellung dem schulischen Englischbzw. Fremdsprachenunterricht in seiner Weiterentwicklung Orientierung bzw. Substanz geben? Die Perspektive des Automobils ist immerhin wohl auch digital, ebenso wie zum Beispiel die des Finanzbzw. Bankwesens. Lässt sich daraus bereits irgendein Mehrwert (für die Lernenden, die Autofahrer, die Bankkunden, u.a.) ableiten? Dies bleibt abzuwarten. Jürgen Kurtz 118Ergänzend zu der Feststellung, dass die ‚Perspektive‘ des Schulbuchs digital sei, finden sich in dem NRW-Leitbild die folgenden Behauptungen (dort als Thesen bezeichnet): Mit zunehmendem Angebot an vielfältigen digitalen Lernmitteln wird Lernen aktiver und individueller (ebda.). Gedacht ist in diesem Zusammenhang auch an frei zugängliche, open access- Materialien aus dem World Wide Web, u.a. an solche, wie sie auf dem Server learn: line NRW (http: / / www.learnline.schulministerium.nrw.de) seit vielen Jahren schon bereitgestellt werden. Progressionsbezogene Überlegungen und Erwägungen, die für den schulisch organisierten Englischbzw. Fremdsprachenunterricht unabdingbar sind, auch und gerade im Zeitalter der Kompetenz-, Standard- und Testorientierung, finden hier keinerlei Berücksichtigung. Digitale Lernmittel tragen zu einer Flexibilisierung von Lernangeboten bei (ebda.). Das mag sein, jedoch darf hierbei nicht aus dem Blick geraten, dass heutige Lehrwerke für den Englischunterricht der Sekundarstufe I bereits zahlreiche digitale Komponenten enthalten. Ob diese überhaupt genutzt werden, und inwieweit sie zu einer Flexibilisierung des Lehrens und Lernens beitragen (können), lässt sich in Ermangelung entsprechender wissenschaftlicher Untersuchungen und Erkenntnisse kaum seriös beantworten. Zur Verdeutlichung, wie weit die Digitalisierung im englischunterrichtlichen Lehrwerkbereich bereits fortgeschritten ist, sei exemplarisch auf das Lehrwerk Notting Hill Gate 1 (Edelhoff/ Schmidt 2015) verwiesen: Lehrwerkgestütztes Fremdsprachenlernen im digitalen Wandel 119 Für Schüler Für Lehrkräfte Software für Unterricht und Vorbereitung Notting Hill Gate Band 1 - Textbook - Workbook mit Audio-CD - Workbook mit Lernsoftware und Audio- CD - Vocab-App - Zoom-App - Trainingsheft ‚besser lesen‘ - Inklusions- und Fördermaterialen mit Audio-CD - Lernsoftware - Teachers‘ Manual - Lehrerfassung zum Textbook - Workbook mit Lösungen und Audio-CD - Audio-CD für Lehrkräfte - DVD für Lehrkräfte - Kopiervorlagen - Wordbildkarten - Lehrpaket - Interaktive Whiteboard- Software - Differenzierung und Inklusion digital - BiBox - Digitale Unterrichtsmaterialien Abb. 1: Komponenten des Englischlehrwerks Notting Hill Gate 1 Auffällig ist hier, ebenso wie bei vergleichbaren Lehrwerken anderer Verlage, dass sich die Digitalisierung englischunterrichtlicher Lehr-/ Lernmedien und -materialien bis heute vor allem auf den Bereich des computer-assisted language learning (CALL) mit in der Regel strikter Programmführung und relativ simplem Feedback sowie auf die Entwicklung von classroom management tools für die Lehrenden beschränkt hat. Die Potenziale von computermediated communication (CMC) in synchronen und asynchronen Lehr-/ Lernumgebungen sind für die Lehrwerkentwicklung bis heute ebenso wenig fruchtbar gemacht worden wie die des mobile-assisted language learning (MALL). Hierfür gibt es viele Gründe, u.a. auch wirtschaftliche, auf die ich im Rahmen meines Statements nicht näher eingehen kann. Die Qualität und die Vielfalt der Lernmittel wirken sich auf die Qualität von Unterricht aus (Landesregierung NRW 2016, 25). Auch diese Feststellung lässt sich empirisch nicht untermauern, zumindest nicht für den schulischen Englischunterricht. Die dahinterstehende Vermutung, Lehrwerke bzw. digitale Lernmittel könnten als agents of change (vgl. Hutchinson/ Torres 1994) fungieren, ist wissenschaftlich längst nicht hinreichend belegt. Ob sich die Qualität des Englischlehrens und -lernens durch die Hinzunahme von open access-Materialien aus dem Word Wide Web verbessern lässt, ist in Anbetracht der aktuellen Lehrmittelverwendungsforschung reine Spekulation. Jürgen Kurtz 120 Digitale Schulbücher bieten multimediale Vielfalt und eine Fülle von Themen und Themenzugängen, Bearbeitungssowie Aufgabenmöglichkeiten; sie können das gemeinsame Arbeiten, die Kreativität und die Individualisierung der Lernprozesse unterstützen (Landesregierung NRW 2016, 25). Was aber ist ein digitales Schulbuch, was unterscheidet es von einem gedruckten? Wie sollte es sich davon unterscheiden? In den vergangenen Jahren ist immer wieder von fremdsprachenunterrichtlichen Lehrwerken im Sinne von medialen Verbundsystemen (digital, print) die Rede gewesen (vgl. beispielsweise Nieweler 2017, 206). Treffender wäre es, von medialen Mehrkomponentensystemen zu sprechen, die von den unterrichtlichen Akteuren unter Berücksichtigung der jeweils vorgefundenen Rahmenbedingungen und der konkret anvisierten Lernziele erst sinnvoll miteinander in Verbindung gebracht werden müssen. Dass Lehrende keinen Sinn darin sehen, digitalisierte Schulbücher zu verwenden, die sich kaum von ihren gedruckten Vorbildern unterscheiden, deutet sich in der gerade erst aufkeimenden internationalen Lehrwerkverwendungsforschung an: A complaint that was often heard from the teachers is that there is too little digital material available that is good enough to replace the books: ‘Digital material is often just a scanned book, so why should I use that, instead of a book? I can always use a book, because it does not have any technical complications. Digital material does not really add something now.’ (Westdijk 2016, 55). Die Lizenzformen digitaler Lernmittel sollen konsequent auf die Anforderungen des Unterrichts- und Lernprozesses ausgerichtet sein. Die Vielfalt frei zugänglicher digitaler Medien und Lernangebote bietet allen Kindern und Jugendlichen auch jenseits der Schule Lernmöglichkeiten (Landesregierung NRW 2016, 25). Dies mag hinsichtlich der sog. Lizensierung digitaler Medien plausibel erscheinen. Es lässt in Bezug auf die bildungspolitisch favorisierte und forcierte Schulentwicklung in Deutschland, die stark auf die Etablierung der Ganztagsschule zugeschnitten ist, aber völlig unberücksichtigt, dass Kinder und Jugendliche außerschulische Freiräume benötigen, um sich zu lebensbejahenden (unter anderem auch arbeitsmotivierten) Persönlichkeiten zu entwickeln. Der folgenden, im NRW-Leitbild zu findenden These vermag ich hingegen zuzustimmen, auch wenn ich das Lehren der englischen Sprache nicht als einen Ausbildungsberuf verstehe (vgl. hierzu Kurtz 2018a): Die Digitalisierung verändert den Beruf von Lehrerinnen und Lehrern. Ausbildung und unterstützende Fortbildung werden gezielt und systematisch auf die Anforderungen in der digitalen Welt ausgerichtet und ausgeweitet (Landesregierung NRW 2016, 26). Lehrwerkgestütztes Fremdsprachenlernen im digitalen Wandel 121 Hierzu bedarf es allerdings einer hinlänglichen Grundfinanzierung und -ausstattung der Universitäten und Pädagogischen Hochschulen. 2 4 Der digitale Wandel - realistisch gesehen Der technologische Wandel der letzten Jahre bzw. Jahrzehnte hat sich in der Wahrnehmung vieler Menschen rasant vollzogen. Von daher ist es wichtig, nicht lediglich den tatsächlichen Wandel im Bereich der digitalen Technologien und Medien, sondern auch und insbesondere dessen individuelle Wahrnehmung und Deutung durch die Lehrenden und die Lernenden - im Spannungsfeld unterrichtlicher und außerunterrichtlicher Notwendigkeiten und Möglichkeiten - zu berücksichtigen. Den vier Leitfragen vermag ich diese Perspektivierung nur indirekt zu entnehmen. Eine einigermaßen realistische Einschätzung der Möglichkeiten, Notwendigkeiten und Grenzen des digitalen Wandels kann wohl nur dann gelingen, wenn dieser im Gesamtzusammenhang aller anderen Wandlungsprozesse (gesellschaftlich, schulisch, unterrichtlich, u.a.m.) betrachtet wird. Wie in der vierten Leitfrage zum Ausdruck gebracht, bedarf es eines vertieften Verständ- 2 Ich möchte an dieser Stelle eine weitere, etwas längere Fn einfügen, die sich mit dem Sinn und Nutzen von Leitbildern befasst. Wer hat ein Interesse daran, Leitbilder zu formulieren? Für wen sind sie erstrebenswert? Wie viele Leitbilder für Schule und Unterricht gibt es schon (ich denke hier an die Friedens-, Verkehrs- oder Gesundheitserziehung)? Wie viele weitere werden noch benötigt? Wer nimmt sie wahr und orientiert sich daran? Im NRW-Leitbild steht der ökonomische Wert von Bildung („Wozu wir lernen - gestern, heute, morgen“) im Vordergrund, hier vor allem zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen bzw. zur Steigerung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit des Landes (vgl. Landesregierung NRW 2016, 3-4). Dieser Grundgedanke ist - auch und gerade in einem Bundesland, das sich nach wie vor im post-industriellen Strukturwandel befindet - sehr wichtig. Allerdings sollten Leitbilder keine bildungspolitischen PR-Aktionen sein, die, ganz im Sinne des heutigen Leitbilds aller Leitbilder, nämlich dem der deregulierten Regulierung, in vornehmlich neoliberal-unternehmerisch-marktwirtschaftlicher Konturierung, in eine für die Lehrenden und Lernenden nicht wünschenswerte Bevormundungsdidaktik münden (können). Die Gefahr der De-Professionalisierung der Lehrenden (zum Beispiel über zentral bereitgestellte Pools von kompetenzorientierten Lern- und Testaufgaben) darf nicht unterschätzt werden. Hat die Bildungspolitik etwa kein Vertrauen mehr in die Lehrerbildung, die sie als eine möglichst wenig kostenintensive, an die schwankenden Bedarfe des Lehrerarbeitsmarkts gekoppelte Ausbildung verstanden wissen will? Werden Leitbilder, Bildungsstandards, Kerncurricula, Lernaufgabenpools und Vergleichsarbeiten womöglich benötigt, um die sich andeutenden Schäden zu reparieren, die durch eine (ebenfalls) unternehmerisch-marktwirtschaftlich ausgerichtete universitäre Forschung bzw. Forschungsförderung und eine modularisierte, kompetenzorientierte Lehre bereits entstanden sind? Im englischen Sprachraum wird in diesem Zusammenhang, allerdings vor dem Hintergrund eines in vielerlei Hinsicht anderen Bildungsbzw. Schulsystems, vor einer gesellschaftlichen Abwertung bzw. vor der ‚Proletarisierung‘ der Sprachlehrberufe gewarnt (vgl. beispielsweise Block 2017, 35). Jürgen Kurtz 122 nisses der vielschichtigen Inkongruenzen, die sich aus dem rasant wahrgenommenen Wandel im Bereich der digitalen Technologien und Medien einerseits, und dem vergleichsweise bedächtigen, unter Praxisgesichtspunkten womöglich sinnvoll zurückhaltenden Wandel des schulischen Lehrens und Lernen fremder Sprachen andererseits ergeben. Erst davon ausgehend lassen sich tragfähige fremdsprachendidaktische Theorien und Modelle entwickeln. Ich halte es für wenig sinnvoll, das schulische Fremdsprachenlehren und -lernen im digitalen Wandel vorrangig top-down über kompetenz- und aufgabenorientierte Ansätze modellieren zu wollen. 3 Gedruckte Lehrwerke sind für die Alltagspraxis des schulischen Englischunterrichts nach wie vor von großer Bedeutung, vor allem in der Sekundarstufe I. Es mag vor diesem Hintergrund besonders innovativ erscheinen, die sog. Perspektive des Schulbuchs, was auch immer damit gemeint sein soll, ‚digital‘ zu denken. Dass in Bezug auf die diesbezüglich erwünschte Forschung im NRW-Leitbild hervorgehoben wird, es sollen vor allem solche Projekte konsequent gefördert werden, die auf die Entwicklung digitaler Schulbücher und deren Einsatz im (Fremdsprachen-)Unterricht zugeschnitten sind (vgl. Landesregierung NRW 2016, 8), ist fragbzw. unglaubwürdig, vor allem dann, wenn man den Zustand mancher Schulgebäude und Unterrichtsräume sowie deren vielerorts unzureichende IKT-Ausstattung mit einbezieht. Es wird diesbezüglich zwar angemerkt, dass es einer ‚digitalen Basis-IT- Infrastruktur für die Schulen‘ in Nordrhein-Westfalen bedarf, um das Lehren und Lernen im digitalen Wandel zu befördern (vgl. Landesregierung NRW 3 In einer letzten längeren Fn möchte ich hervorheben, dass der Kompetenzbegriff kein Lernbegriff und eine Kompetenztheorie keine Lerntheorie ist. Die Aufgabenorientierung ist auch keine Lerntheorie, sondern allenfalls eine im Wesentlichen am problemlösenden Lernen orientierte Unterrichtstheorie, die in Anbetracht der zahlreichen Faktoren, die Einfluss auf das fremdsprachenunterrichtliche Lehren und Lernen nehmen, keinen Anspruch auf Überlegenheit gegenüber anderen, zum Teil über Jahrhunderte erprobten und kontrovers diskutierten Unterrichtsansätzen und Verfahrensweisen beanspruchen kann. Die angedachte lebensweltliche Nähe, der die Aufgabenorientierung über sog. real world-tasks nahekommen will, kann bzw. sollte nicht auf einen fortwährenden Prozess der lebensweltlichen Aufgabenbewältigung und Problemlösung reduziert werden, schon gar nicht in einer Zeit, in der viele Menschen von der ihrerseits so wahrgenommenen, zunehmenden Vereinnahmung ihres Lebens durch (vor allem berufliche) Aufgaben Abstand gewinnen wollen und ihr Dasein anders zu gestalten suchen. Es wäre letztlich unrealistisch anzunehmen, eine kompetenz- und aufgabenorientierte, auf ausschließlich digitale Lehr-/ Lernmedien und -materialien bezogene Fremdsprachendidaktik könne dem fremdsprachlichen Lehren und Lernen besonders zuträglich sein. Womöglich verhält es sich genau umgekehrt. Um dies zu klären, bedarf es einer vorrangig qualitativ ausgerichteten, entideologisierten empirischen Forschung, in der die Kompetenz-, Standardbzw. Aufgabenorientierung nicht verabsolutiert wird. Lehrwerkgestütztes Fremdsprachenlernen im digitalen Wandel 123 2016, 27). Kaum Berücksichtigung findet jedoch, dass die flächendeckende Ausstattung aller Schulen mit moderner IKT weitere, nicht zu unterschätzende, dauerhafte Kosten nach sich ziehen wird, hier zum einen in Bezug auf die Wartung und Instandhaltung der Hardware sowie der Aktualisierung der Software. Hierzu bedarf es entsprechend ausgebildeter IKT-Fachkräfte, die eben nicht nur den einen oder anderen Computer reparieren können. Es geht vielmehr um Fachkräfte, die die IKT-Infrastruktur den unterrichtsfachlichen Ansprüchen und Notwendigkeiten anpassen können. Diese gleichermaßen anspruchswie verantwortungsvolle Aufgabe lässt sich nicht weitgehend kostenneutral über entsprechend motivierte und engagierte Lehrerinnen und Lehrer lösen. Auch bedarf es kostenintensiver, kontinuierlicher, in immer rascherer Taktung gestalteter Ausbzw. Fortbildungsmaßnahmen, um die Lehrenden auf den jeweiligen Stand von Forschung und Technik zu bringen. Es ist irritierend zu sehen, dass in Nordrhein-Westfalen und in den anderen Bundesländern bislang noch kaum darüber nachgedacht wird, welche Brückentechnologien ggf. geeignet sein könnten, um das englischbzw. fremdsprachliche Lehren und Lernen an Schulen mittels adaptiver Lehrwerke behutsam und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Augmented Reality könnte eine solche (hybride, Print- und Digitalmedien verknüpfende) Technologie sein (vgl. hierzu im Detail Kurtz 2018b). 5 Schlussbemerkung und Ausblick In Anbetracht einer fremdsprachendidaktischen Diskussion in Deutschland, die sich meiner Wahrnehmung nach zu wenig mit der Gefahr der Indoktrination oder, weniger dramatisch gefasst, mit ihrer subtilen Instrumentalisierung durch Politik und Wirtschaft befasst, und die den internationalen bildungssoziologischen Diskurs diesbezüglich noch kaum zur Kenntnis genommen hat (vgl. beispielsweise Furlong 2013; Ushioda/ Dörnyei 2017; Flubacher/ Del Percio 2018; Gray/ O’Regan 2018), habe ich mich sehr schwer damit getan, ein Statement für die diesjährige Frühjahrskonferenz zu verfassen. Ich habe den Versuch unternommen, meine Überlegungen zum lehrwerkgestützten fremdsprachlichen Lehren und Lernen im digitalen Wandel von den bildungspolitischen bzw. -soziologischen Erwägungen zu trennen, indem ich einige längere, der Lesbarkeit meines Beitrags womöglich nicht zuträgliche Fußnoten hinzugefügt habe. Ausschlaggebend hierfür war insbesondere die dritte Leitfrage, in der es um die Sinnhaftigkeit, Notwendigkeit und inhaltliche Ausgestaltung eines Leitbilds für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen im digitalen Wandel geht. Ich spreche mich nun keineswegs gegen eine an demokratischen Leitbildern ausgerichtete Schul- und Unterrichtsentwicklung aus. Gleichwohl aber habe ich Sorge, dass vornehmlich neoliberal-marktwirtschaftlich-unternehmerisch ausgerichtete Leitgedanken, in Verbindung mit weiteren zentralen Jürgen Kurtz 124 Steuerungs- und Regulierungsmaßnahmen (Referenzrahmen, Bildungsstandards, Kerncurricula, Vergleichsarbeiten, etc.) in eine kritikimmune ‚Leitkultur‘ des fremdsprachlichen Lehrens und Lernens im digitalen Wandel bzw. in eine rigide (nicht zuletzt auch über digitale Lehrwerke und Materialiensammlungen) gesteuerte Bevormundungsdidaktik übergehen könnten (vgl. hierzu bereits Gray 2010). Vor etwa einem halben Jahrhundert waren zahlreiche Fremdsprachendidaktiker/ -innen davon überzeugt, dass die Einrichtung von Sprachlaboren - die Leitideen des Behaviorismus und des Audiolingualismus verabsolutierend - eine gute Idee sei, und es wurden in der Folge erhebliche Finanzmittel bereitgestellt, um die Schulen in Deutschland technologisch entsprechend auszurüsten. Heute stellt sich dies als ein kostspieliger Irrweg dar. Was ist daraus zu lernen? Literatur Arendt, Ruth/ Beile, Werner/ Beile-Bowes, Alice et al. (1990): Learning English - Orange Line 4. Erweiterungskurs. Unterrichtswerk für Gesamtschulen und andere differenzierende Schulformen. Stuttgart: Klett. Bennett, Milton (1993): „Towards ethnorelativism: A developmental model of intercultural sensitivity“. In: Paige, Michael R. (Hrsg.): Education for the intercultural experience. Yarmouth, ME: Intercultural Press, 21-71. Block, David (2017): „Journey to the center of language teacher identity“. In: Barkhuizen, Gary (Hrsg.) (2017): Reflections on language teacher identity research. Oxon: Routledge, 31-36. Byram, Michael (1997): Teaching and assessing intercultural communicative competence. Clevendon: Multilingual Matters. Edelhoff, Christoph / Schmidt, Torben (Hrsg.) (2015): Notting Hill Gate 1. Für Klasse 5 an Gesamtschulen und anderen integrierenden Schulformen. Bildungshaus Schulbuchverlage. 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Der gesellschaftliche und digitale Wandel in soziologischer, medienpädagogischer und sprachdidaktischer Perspektive Lutz Küster 1 Vorbemerkung Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, nach den Herausforderungen zu fragen, die sich für Schule und Unterricht generell und somit auch für den Fremdsprachenunterricht vor dem Hintergrund jener tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen ergeben, die mit der Verbreitung digitaler Technologie verbunden sind. Zu den äußerst vielfältigen Möglichkeiten, digitale Medien für Sprachlern- und -erwerbsprozesse zu nutzen, ist bereits viel geforscht worden, 1 und nicht zuletzt liefert der vorliegende Band hierzu anregende Beiträge. Der Fokus im Folgenden wird jedoch ein anderer sein. Im Rekurs auf soziologische Studien und medienpädagogische Positionierungen soll erörtert werden, welche Werteorientierungen den schulischen Fremdsprachenunterricht leiten können und wie diese sich mit fachdidaktischen Zielen, Inhalten und Verfahren verbinden lassen. 2 Annäherungen an Kernelemente des digitalen und sozialen Wandels Der Leitbegriff des digitalen Wandels, um den sich die hier versammelten Beiträge ranken, ist zwar einerseits „catchy“, andererseits aber auch vielschichtig und schillernd. Daher möchte ich mich ihm zunächst heuristisch annähern: Was ist im Einzelnen mit diesem Terminus gemeint, welche Kernelemente lassen sich herausstellen und wie betreffen diese uns schon jetzt und vermutlich in absehbarer Zukunft? Hier sind zum einen die weitreichenden, rapiden Veränderungen auf der Ebene der Kommunikationstechnologien in nahezu allen Bereichen des privaten, beruflichen und öffentlichen Lebens zu nennen. Sie lassen sich sowohl in unidirektionalen (Fernsehen, Radio, Pressewesen etc.) als auch und 1 Für einen geschichtlichen Rückblick auf die frühen Jahre vgl. Volkmann (2005). Zu aktuellen Forschungen sei auf den von Torben Schmidt und Nicola Würffel (2018) betreuten Themenschwerpunt des Heftes 2, 47. Jahrgang, der Zeitschrift Fremdsprachen Lehren und Lernen verwiesen. Einen wertvollen Überblick über den Stand der Unterrichtsentwicklungen im Bereich der digitalen Medien liefert zudem Grünewald (2017, 227-245). Der gesellschaftliche und digitale Wandel 127 vor allem in bi- und multidirektionalen medialen Kommunikationen (Stichwort: „soziale Medien“) beobachten. Wesentliche Charakteristika des Wandels sind die Beschleunigung der Abläufe (eine wesentliche Voraussetzung aktueller Globalisierungsprozesse) und die exponentiell wachsende Menge an verfügbaren Informationen, die ihrerseits deutlich weniger als zuvor hinsichtlich ihrer Richtigkeit und Relevanz überprüft werden (Stichwörter: fake news, Banalität der Gegenstände etc.). Nach anfänglicher Euphorie über die immense Erweiterung interpersonaler Kontaktmöglichkeiten und individueller Partizipation an kollektiven Entscheidungsfindungen (weswegen dem Netz 2.0 schon ein demokratischer Wesenszug zugesprochen wurde), hat sich angesichts mancher problematischer Entwicklungen (Cyber-mobbing, Verbreitung rassistischer Propaganda, Weltpolitik per Twitter etc.) heute mehr Skepsis breit gemacht. Ambivalenzen zeigen sich auch im Hinblick auf ein anderes Merkmal digitaler Kommunikation. Lässt sich die gewachsene Bedeutung des Visuellen und des Akustischen in digitalen Medientexten einerseits aufgrund der breiteren Einbeziehung unterschiedlicher Sinneskanäle begrüßen, so lassen sich andererseits auch gegenläufige Auswirkungen beobachten, insofern als die bildschirmfixierte Kommunikation bei intensiver Nutzung zugleich eine verstärkte Entsinnlichung und Entkörperung des Wirklichkeitsbezugs zur Folge hat. Des Weiteren sind v.a. die Entwicklungen auf der Ebene der Verfahrenstechnologien hervorzuheben. Sie führen zu einer Verschlankung und Akzeleration von Produktions- und Distributionsabläufen im Wirtschaftsleben sowie zu einer wachsenden Verlagerung von körperlicher hin zu mentaler Arbeit. In ihrer Folge tritt der Faktor Mensch tendenziell zurück. So führt die computergesteuerte Automatisierung von Produktion insbesondere dort, wo Manpower lediglich in der Kontrolle von Maschinen erforderlich ist, zu einem Sinken der Beschäftigungszahlen; andere Arbeitsmarktsektoren wiederum entstehen neu. Auf jeden Fall bedeutet der technologische Wandel, dass sich ihm viele Menschen im Erwerbsleben in immer schnelleren Adaptationszyklen anpassen müssen (Stichwörter: lebenslanges Lernen, berufliche Mobilität). Auf beiden genannten Ebenen wird deutlich, dass der technologische Wandel mit einem massiven sozialen Wandel einhergeht, ihn z.T. bedingt. Dies haben im Anschluss an die Arbeiten Richard Sennetts (1998) die soziologischen Analysen von Hartmut Rosa (2005; 2016) und Andreas Reckwitz (2017) in vielen Facetten herausgearbeitet. 2 2 In vielerlei Hinsicht polemisch überspitzt, aber dennoch bedenkenswert sind in meinen Augen die Ausführungen Frank Schirrmachers (2009) in seinem Buch Payback. Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen. Darin schildert er auf wissenschaftliche Quellen gestützt, wie die Computernutzung droht, unsere Gehirn- und Denkstrukturen nachhaltig zu verändern. Lutz Küster 128 3 Soziologische Studien zum gesellschaftlichen Strukturwandel Noch vor der massiven Verbreitung des Internet machte Richard Sennett in Der flexible Mensch (1998) eindrucksvoll deutlich, welche Konsequenzen die ökonomische Globalisierung auf die Arbeitsorganisation und damit auf die Lebenswelt vor allem der abhängig Beschäftigten hat. Die zunehmende Notwendigkeit beruflicher Mobilität sowohl hinsichtlich der Art als auch des Orts der Beschäftigung führt, so Sennett, zu einer Destabilisierung individueller Identitäten und zu Empfindungen einer Sinnentleerung. Insofern ist der Originaltitel Corrosion of Character noch aufschlussreicher als seine deutsche Entsprechung. 3 Während Sennett die Triebkräfte des globalisierten Kapitalismus als vorrangig ursächlich für Phänomene des sozialen Wandels ansieht, kommen in der von Hartmut Rosa (2005) publizierten Habilitationsschrift Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne weitere „Motoren“ in den Blick: Neben dem ökonomischen Motor mit seiner Implikation einer technischen Beschleunigung führt er in einem Strukturmodell (ebd., 309) den kulturellen Motor mit seiner Folge einer Akzeleration des Lebenstempos und den sozialstrukturellen Motor mit seiner Konsequenz einer wachsenden funktionalen Differenzierung gesellschaftlicher Teilbereiche und daraus resultierend einer Beschleunigung des sozialen Wandels auf. Letztere, so eine seiner zentralen Thesen, sei „zu einem sich selbst antreibenden Prozess geworden [ … ] , der in gleichsam zirkulärer Form die drei Beschleunigungsbereiche in ein wechselseitiges Steigerungsverhältnis setzt“ (ebd., 243; Hervorh. im Original). Ohne sich einer vordergründigen Entschleunigungs-Ideologie zu verschreiben, illustriert der Jenaer Soziologe, in welch komplexen und oft auch dialektischen Spannungsverhältnissen die Verknappung der Zeitressourcen den Menschen in der Ära der Spätmoderne beeinflussen (vgl. v.a. ebd., 471f.). Zentral im Zeiterleben handelnder Subjekte sei das Gefühl einer schneller vergehenden Zeit, kombiniert mit Empfindungen von Zeitnot und Stress (vgl. ebd., 214). Hierbei spielen, wie Rosa im Anschluss an Castells, Giddens und Urry darlegt, die Einflüsse der „Informations- und Kommunikationsrevolution“ (ebd., 168) eine wichtige Rolle. Für die „eigentlich“ wertvollen Tätigkeiten bliebe im Zuge dieser Entwicklung keine Zeit (vgl. ebd., 221), was wiederum zu konstanter Unzufriedenheit der Akteure führe, zumal in den wenigen frei verfügbaren Zeitfenstern kaum mehr Energie für befriedigende Freizeitgestaltung vorhanden sei (vgl. ebd., 222f.). 3 Ähnliche Zeitdiagnosen entwickelte zuvor bereits Ulrich Beck (1986) in Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Der gesellschaftliche und digitale Wandel 129 Mit seiner 2016 veröffentlichten, groß angelegten Arbeit Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehungen 4 unternimmt Rosa den Versuch, ein soziologisch fundiertes Gegenmodell gelingenden Lebens zu entwerfen, das eine Antwort auf die Herausforderungen des gesellschaftlichen und digitalen Wandels darstellen könnte. Anknüpfend an Beschleunigung geht er darin ausführlich auf die Veränderung der individuellen Selbst- und Weltverhältnisse ein, die infolge des gesellschaftlichen Wandels in breitem Umfang zu beobachten seien. Dominant sind in seiner Sicht Tendenzen einer Entfremdung bzw. - in seiner der Akustik entlehnten Metaphorik - eines „Verstummens“ der Welt, die auf verschiedenen Ebenen zu subjektiven Erfahrungen eines Selbst- und Weltverlustes führten (vgl. Rosa 2016, 401). Doch auch gegenläufige Tendenzen ließen sich beobachten. Am Beispiel einer Stimmgabel, bei der beide Enden in Schwingung geraten und so erst zu klingen beginnen, versinnbildlicht er sein Verständnis von „resonanten“, d.h. wechselseitigen Antwortbeziehungen zwischen dem Einzelnen und seiner soziokulturellen und dinglichen Umwelt. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sich die Subjekte „nicht nur berühren lassen, sondern ihrerseits zugleich berühren, das heißt handelnd Welt zu erreichen vermögen“ (ebd., 270; Hervorh. im Original). Unter Verweis auf Bandura betrachtet Rosa intakte Selbstwirksamkeitserwartungen als Voraussetzung dafür, dass Individuen derartige Resonanzbeziehungen aufbauen können (vgl. ebd., 270-278). Die soziologische Ausrichtung seiner Analysen macht sich daran fest, dass sich seiner Überzeugung nach eine andere Art des In-der-Welt-Seins „nur als das Ergebnis einer simultanen und konzertierten politischen, ökonomischen und kulturellen Revolution realisieren“ (ebd., 56) lasse. Eine schlüssige Antwort darauf, wie eine solche Umwälzung zu bewerkstelligen sei, bleibt er indes weitgehend schuldig. Stimmig erscheinen demgegenüber seine Entwürfe, wie unter den gegebenen sozialen Bedingungen es schon jetzt möglich sei, „Resonanzoasen“ zu schaffen. Für unsere Kontexte sind diesbezüglich insbesondere die Ausführungen zur Schule als Resonanzraum von Interesse (vgl. ebd., 402-420), dazu Näheres weiter unten. Die Angreifbarkeit normativer Setzungen vermeidend, konzentriert sich Andreas Reckwitz (2017) in Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne konsequent auf eine Analyse des Bestehenden (vgl. ebd., 23). Wie der Titel seines Werks bereits erkennen lässt, sind für ihn vor allem Erscheinungsformen der Singularisierung und eines Kults des Besonderen kennzeichnend für die Gesellschaftsformationen der Spätmoderne. In ihr entwickelten sich „Ökonomie und Technologie historisch erstmals zu großflä- 4 Eine kompakte Einführung in die Grundgedanken des Werks liefern Christian Helge Peters und Peter Schulz (2017) in der Einleitung eines von ihnen herausgegebenen Bandes, in dem soziologische Fachkolleg/ inn/ en kritisch Stellung zu Resonanz beziehen, ergänzt um eine Antwort Rosas auf die vorgebrachten Kritiken. Lutz Küster 130 chig wirkenden Singularisierungsgeneratoren, zu paradoxen Agenten des massenhaft Besonderen“ (ebd., 15; Hervorh. im Original). Die Ökonomie betreffend beobachtet Reckwitz einen strukturellen Bruch im Übergang von der industriellen Moderne zum Kulturkapitalismus der post-industriellen Ära, insofern als Produktion und Zirkulation nunmehr auf kulturelle (Singularitäts)Güter ausgerichtet seien. Darunter versteht er „Dinge, Dienste, Ereignisse oder Medienformate, deren Erfolg beim Konsumenten davon abhängt, als einzigartig anerkannt zu werden“ (ebd., 16). Ein weiterer struktureller Bruch werde durch die digitale Revolution verursacht, deren Erscheinungsformen (data tracking der Profile, Personalisierung des digitalen Netzes etc.) ebenfalls zur Singularisierung beitrügen (vgl. ebd.). Als Kernelemente kultureller Praktiken, die sich auf diese Weise etablierten, hebt er Valorisierung und Entvalorisierung hervor. In ihnen spielten Affektqualitäten der Wertungen eine große Rolle: Die Valorisierungen von Objekten, Subjekten, Ereignissen und Kollektiven als einzigartig und die Affizierbarkeit durch sie sind untrennbar miteinander verbunden. [ … ] Was wertvoll und besonders erscheint, wirkt affizierend, weil es wertvoll und besonders ist. Und was erheblich affiziert, scheint wertvoll und besonders, weil es so stark affiziert (ebd., 83, Hervorh. im Original, vgl. auch ebd., 227). In einem gesonderten Kapitel geht Reckwitz auf die spezifische Bedeutung der Digitalisierung ein (vgl. ebd., 225-271 ) . In Abgrenzung von Apologeten einer Wissensgesellschaft betrachtet er das Internet im Wesentlichen als eine Affektmaschine, deren Inhalte primär auf emotionale Reaktionen (Entspannung und Unterhaltung ebenso wie Entrüstung und Hass) ausgerichtet seien (vgl. ebd., 234 f.). Dies gelte besonders für die omnipräsent gewordene Bilderwelt, doch auch Schrifttexte wiesen vermehrt eine Tendenz zu „Entinformationalisierung“ und Emotionalisierung auf (vgl. ebd., 235 f.). Die notwendigerweise extrem verkürzenden Bemerkungen zu den angeführten soziologischen Studien müssen an dieser Stelle genügen, um zu illustrieren, dass die technologische Innovation in einem sehr viel umfassenderen Kontext zu verorten und zu verstehen ist, als dies zunächst unter einer rein fachdidaktischen Perspektive erscheinen mag. Alle vier angerissenen Deutungsansätze (die Unterwerfung des Einzelnen unter die Anpassungsdiktate des spätkapitalistischen Arbeitsmarkts bei Sennett, die Akzeleration aller Vollzüge des beruflichen und privaten Lebens und die Entfremdungsprozesse als Folge „stummer“ Selbst- und Weltbeziehungen bei Rosa sowie der Kult des Besonderen im Zuge einer dominanten Tendenz der Singularisierung bei Reckwitz) geben Aufschluss über Triebkräfte und Erscheinungsformen eines sozialen Wandels, auf den die digitale Revolution einen tiefgreifenden Einfluss ausübt. Der gesellschaftliche und digitale Wandel 131 Kinder und Jugendliche auf die veränderten und sich stets neu verändernden gesellschaftlichen Wirklichkeiten bestmöglich vorzubereiten, muss Aufgabe von Schule und Unterricht sein. In einer humanistischen und kritischemanzipatorischen Perspektive kann diese Aufgabe freilich nicht zentral darin bestehen, die nachwachsenden Generationen einseitig an die Imperative des Marktes anzupassen und sie zu „flexiblen Menschen“ zu formen. Doch welche Ziele könnte und müsste das Bildungswesen verfolgen, wenn es den Einzelnen im Gegenteil zu größtmöglicher Selbstbestimmung verhelfen will? Hierzu sind in Vergangenheit und Gegenwart in der Medienpädagogik Antworten gesucht und entwickelt worden. 4 Ausgewählte medienpädagogische Positionierungen Auf dem 16. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) zum Thema „Medien-Generation“ im Jahre 1998 hielt Hartmut von Hentig eine viel beachtete Rede, deren Thesen mir heute, über zwanzig Jahre danach, noch immer Gültigkeit zu haben scheinen. Ein Satz daraus, der mir nachhaltig in Erinnerung blieb, betrifft die von ihm eingeforderte kompensatorische Funktion der Schule. Er lautet: „Sie [die Schule, LK] muss vor allem lehren, was das Leben nicht lehrt, was aber für seine Erhaltung und Würde notwendig ist.“ (Hentig 1999, 39). 5 Was das Leben im Umgang mit digitalen Medien lehrt, ist gewiss die unmittelbare technische Handhabung. Hier sind Jugendliche Erwachsenen ohnehin schon jetzt meistens weit voraus. 6 Was es hingegen in der Regel nicht oder nur unzureichend lehrt, ist eine kritische Distanz und eine differenzierte Bewertung der Computernutzung. Auf den letztgenannten Aspekt machte am Ende seiner Eröffnungsrede zu dem besagten DGfE-Kongress Dieter Lenzen (1999, 16) aufmerksam, wenn er sagte: „Zur Medienkompetenz gehört […] etwas zu tun, was leider auch viele unse- 5 Die Schule müsse, so führt von Hentig (ebd.) aus, „die Schwächen der Medienwelt […] aufwiegen“. Diese Schwächen sieht er zum einen in der Tendenz, dass die virtuelle Welt in den Köpfen der Menschen eine eigene Wirklichkeit gewinne, die sich von der empirisch überprüfbaren Welt deutlich unterscheide, aber wirkmächtiger als diese werde (Symptom „Schein“). Zum anderen kritisiert er die Banalität und das niedrige Anspruchsniveau massenmedial vermittelter Inhalte (Symptom „Schrott“) (vgl. ebd.). 6 Stefan Aufenanger (2008) sieht in dieser Disparität die Chance einer intergenerationellen Kooperation, in der die Erwachsenen von den Jungen und diese von den Erwachsenen lernen. Die Stärken der letzteren verortet er in den „[…] Domänen des Moralischen, des Sozialen und des Ästhetischen. Wir können“ - so schreibt er weiter - „der jüngeren Generation zeigen, wie man komplexe Aufgaben strukturiert und methodisch geleitet angehen kann, wie man Beurteilungskriterien entwickelt oder wie man die Kraft des Schönen für Erkenntnisprozesse nutzt“ (ebd.,16 f.). Lutz Küster 132 rer Studenten bereits verlernt hatten, bevor es Computer gab: zu interpretieren.“ Die Aktualität des vor 20 Jahren Gedachten und Geäußerten verweist darauf, dass im Kontext der sog. digitalen Revolution technologische Neuerungen nicht automatisch nach neuen pädagogisch-didaktischen Antworten verlangen. In einem unterrichtlichen Rahmen gilt es vielmehr den Blick zu schärfen für jene Werte, die Orientierung über den Moment hinaus vermitteln können, wie Hentigs „Erhalt und Würde des Lebens“. Ich würde die Formulierung allerdings etwas abwandeln und lieber vom Erhalt des Lebens und der Würde des Menschen sprechen. Wie viele andere auch erfüllt mich der Anstieg populistischer Strömungen in Europa, Nord- und Südamerika mit ihren Tendenzen der Abschottung, der Diskriminierung von Minderheiten, der Verbreitung von Hass bis hin zu Gewalt und ihrem Angebot einfacher Antworten auf komplexe Herausforderungen mit großer Sorge. Mit Reckwitz (2017) gehe ich davon aus, dass die sozialen Netzwerke an deren Propagierung großen Anteil haben, fördern sie doch die Entstehung sog. Filterblasen, in denen Menschen ihre Informationen (oder das, was sie dafür halten) nur noch sehr einseitigen Medienangeboten entnehmen und sich von diesen affektiv stark beeinflussen lassen. Der Kampf um Eindämmung dieser Tendenzen muss auf vielen Ebenen stattfinden, will unser demokratisches Gemeinwesen nicht massiv Schaden nehmen. Dies zu erkennen und zu beurteilen, ist ein wichtiger Bestandteil kritischer Medienkompetenz bzw. einer critical literacy oder einer critical media awareness. Während kritische Ansätze gemeinhin eher kognitiv-analytische Fähigkeiten und Praktiken in den Blick nehmen, gehen Grundgedanken einer Werteerziehung insofern weiter, als sie auf ethische Haltungen abzielen, die auch die emotional-affektive Ebene mit einbeziehen. In dieser Hinsicht können aus meiner Sicht Prinzipien der Anerkennung im Sinne Axel Honneths (1992) 7 richtungsweisend sein, denen zufolge die Achtung des Menschen in seinem Anders-Sein Grundlage eines jeden sozialen Handelns sein sollte. Dies gilt insbesondere in den von Verwahrlosung bedrohten und oft bereits gekennzeichneten sozialen Kontakträumen des Internet. Dass hier die Würde des Einzelnen heutzutage oft massiv und vor großem Publikum verletzt wird, wissen die Nachrichten in Fernsehen, Rundfunk, Presse etc. immer wieder zu berichten, Phänomene des Cyber-mobbing gerade unter Jugendlichen sind vielfach belegt. 7 Ich folge darin Honneth (2013), der es gegen neuere Demokratietheorien und mit Kant, Dewey und Durkheim sowie gestützt auf nicht namentlich genannte empirische Befunde im Gefolge von PISA (vgl. ebd., 43) als Aufgabe der Institution Schule erachtet, zu demokratischer Erziehung beizutragen. In diesem Rahmen führt Honneth zwei vorrangige Herausforderungen an, vor die die demokratische Öffentlichkeit heute gestellt sei: die digitale Revolution und die wachsende Heterogenität der Bevölkerung (vgl. ebd., 55). Der gesellschaftliche und digitale Wandel 133 Dem Zwang zu Flexibilität und den gesellschaftlich wirksamen Beschleunigungs- und Singularisierungslogiken werden sich die nachwachsenden Generationen nicht entziehen können. Sich der Auswirkungen solcher externer Beeinflussungen bewusst zu werden, kann in meinen Augen jedoch dazu beitragen, die eigene Würde zu wahren und eine größtmögliche Unabhängigkeit des Denkens und Handelns zu gewinnen. Reflexivität wäre demzufolge eine zentrale Antwort auf den Flexibilitätszwang. Da soziale Gegebenheiten immer von Menschen gemacht sind, kann der Einzelne zugleich aber auch aktiv auf sie einwirken und somit soziale Verantwortung wahrnehmen. Im Sinne einer von Hentig propagierten kompensatorischen Funktion können insbesondere Schule und Unterricht Foren des Innehaltens bereitstellen, in denen sowohl kritische Bewusstwerdung als auch ästhetische Erfahrungen Raum finden. Den von Rosa beschriebenen Tendenzen eines Verstummens von Selbst- und Weltverhältnissen vermag Schule auf vielerlei Weisen entgegenzuwirken: Auch wenn manche diesbezüglichen Vorstellungen Rosas idealistisch klingen, unbestreitbar gewinnt Unterricht, wenn es ihm gelingt, seine Gegenstände „zum Klingen zu bringen“, indem er an die Neugier der Lernenden anschließt. Gleiches trifft zu, wenn sowohl im Verhältnis der Schüler/ innen untereinander als auch in ihrer Kommunikation mit den Lehrkräften Resonanz entsteht, d.h. wenn die Akteure sich wechselseitig berühren und befragen. 8 Hierzu bedarf es allerdings Strukturen des Unterrichts, welche Kooperation und Interaktion Vorrang gewähren vor monodirektionaler Stoffvermittlung. Im Sinne einer critical media awareness bietet jeglicher Fachunterricht ferner einen Rahmen dafür, Chancen und Gefahren digitaler Kommunikationspraktiken gleichermaßen zu thematisieren und Schüler/ innen so zur Entwicklung einer reflektierten eigenen Haltung zu verhelfen, die auch nach Konsequenzen auf der Verhaltensebene verlangt. 5 Anschlussmöglichkeiten für den fremdsprachlichen Unterricht und die Fremdsprachendidaktik Die obigen Überlegungen sind genuin allgemeinbzw. medienpädagogischer Natur, und man könnte einwenden, dass Fremdsprachendidaktik andere Prioritäten zu setzen habe als rein pädagogische. Ich meine jedoch, dass sprachdidaktische Positionierungen zumindest in einem schulischen Kontext 8 Im Gespräch mit dem Wissenschaftsjournalisten Wolfgang Endres erläutert Rosa in einem Buch mit dem Titel Resonanzpädagogik. Wenn es im Klassenzimmer knistert (Rosa/ Endres 2016) praxisbezogener als zuvor in Resonanz (Rosa 2016, 402-420) seine pädagogischen Vorstellungen, die in vielerlei Hinsicht an Humboldt anschließen, so v.a. wenn Bildung verstanden wird als Klärung von Selbst- und Weltverhältnissen. Anschaulich stellt er ein „Entfremdungsdreieck“ misslungenen Unterrichts einem „Resonanzdreieck“ gegenüber (vgl. Rosa/ Endres 2016, 45f.) Lutz Küster 134 den Rückhalt in einer pädagogischen Fundierung benötigen, zumal beide Felder einander überlappen und ergänzen. So gelten in fremdsprachendidaktischer Perspektive im Anschluss an Prinzipien soziokultureller Lerntheorie Verfahren interaktiven und kooperativen Lernens als besonders förderlich zur Optimierung fremdsprachlicher Erwerbs- und Lernprozesse, gleichzeitig eignen sie sich aber auch bestens zur Einübung sozial-integrativer Verhaltensweisen. An dieser Stelle verbinden sich folglich die medienpädagogischen mit fachlichen und fachdidaktischen Aspekten. Digitale Lernumgebungen bieten z.B. viele im Vergleich zur vordigitalen Ära erweiterte Möglichkeiten, den Prinzipien der Interaktions-, Produkt-, Handlungs- und Aufgabenorientierung zur Anwendung zu verhelfen. Sie erleichtern z.B. die Bildung von Sprachentandems sowie die Einrichtung und Realisierung von Schüleraustausch (z.B. über eTwinning; vgl. Schlegel 2013). Ein weiteres Beispiel: Der Kanon fremdsprachendidaktisch relevanter Zielkompetenzen in den deutschen Bildungsstandards umfasst auf der Sekundarstufe I (KMK 2004) bekanntlich die interkulturelle und die Medienkompetenz bzw. auf der Sekundarstufe II (KMK 2014) die Text- und Medienkompetenz; die sog. Abiturstandes weisen zudem der Sprachbewusstheit und der Sprachlernkompetenz eine transversale Stellung zu. Es fällt auf, dass in all diesen Teilbereichen die Fähigkeiten des Urteilens und Bewertens von hoher Bedeutung sind. Sie gemeinsam mit den funktional-kommunikativen Kompetenzen integrativ auszubilden, zu festigen und zu vertiefen, scheint mir im Hinblick auf die eingangs von Dieter Lenzen (1999) zitierten Defizite der Schüler/ innen im Umgang mit den digitalen Medien ein zentrales Desiderat zu sein. Sprachgebrauch und Sprachenlernen finden bekanntlich stets in einem kulturellen und medialen Kontext statt. Dies gilt es im Blick zu behalten, wenn Texte jedweder Art behandelt werden, denn erst die Einbettung in situative, soziale Kontexte stellen die Voraussetzung dafür dar, dass im Spracherwerbsprozess sachgerechte Bedeutungszuweisungen (meaning making) vorgenommen werden. Das erfordert ein Vorgehen, das sich den scheinbar objektiven Zwängen der Beschleunigung widersetzt und Zeit für Vertiefungen lässt. Die Themenfreiheit des Fremdsprachenunterrichts bietet hierbei den Raum für den sprachlichen Austausch über Fragen, die die Jugendlichen bewegen. Diesen Freiraum sinnvoll, d.h. nicht zuletzt adressatengerecht zu gestalten, stellt gewiss eine hohe Herausforderung an die Alltagsarbeit aller Lehrenden dar. Fragen des Umgangs mit den (sozialen) Medien dürften bei den Schüler/ innen insbesondere des fortgeschrittenen Fremdsprachenunterrichts jedoch auf viel Interesse stoßen, da diese sie in ihrer Lebenswelt unmittelbar betreffen. Insofern schließen einander auch hier sprachdidaktische und medienpädagogische Zielsetzung keineswegs aus. Was die Theorieentwicklung der Fachdidaktik betrifft, hat sich v.a. in Bezug auf den Umgang mit digitalen Medien der bereits vor über 20 Jahren Der gesellschaftliche und digitale Wandel 135 entwickelte Ansatz einer Multiliteralitätsdidaktik bzw. einer pedagogy of multiliteracies (vgl. NLG 1996; Cope/ Kalantzis 2000) als fruchtbar erwiesen (vgl. u.a. Hallet 2011 und Collier/ Rowsell 2014). Er geht von der Feststellung aus, dass der digitale Wandel zu einem tiefgreifenden und umfassenden Strukturwandel von Öffentlichkeit geführt hat, der ein erweitertes Textverständnis erfordert. 9 In ihm spielen nicht nur die digital vermittelte Multimodalität und die Multilingualität von Kommunikation in einer globalisierten Welt eine Rolle, sondern auch Zielsetzungen einer visual literacy und einer critical literacy. Erstere zu entwickeln bzw. unterrichtlich anzubahnen, ist angesichts der Tatsache, dass ein in dieser Hinsicht nicht-geschulter Blick in hohem Maße anfällig ist für Fehldeutungen, von einer kaum zu überschätzenden Bedeutung. Für die Entwicklung von critical (media) literacy lässt sich Gleiches sagen, wie u.a. Britta Viebrock (2010) und Breidbach/ Medina/ Mihan (2014) in einem fremdsprachendidaktischen Kontext herausgearbeitet haben. Da die pedagogy of multiliteracies einen kombiniert sprach- und mediendidaktischen sowie medienpädagogischen Ansatz verfolgt, entspricht sie der oben befürworteten integrativen Verfolgung erzieherischer und pragmatischer Zielsetzungen (vgl. hierzu auch Volkmann 2012, 31). Dass die technische Entwicklung schnell voranschreitet, kann nicht bedeuten, dass die Didaktik ihr hinterherjagen sollte. Zwar ist es zweifellos wichtig, dass sich alle Akteure des Fremdsprachenunterrichts den technologischen Neuerungen als Gegenstände und Mittel fremdsprachlichen Lernens und Lehrens öffnen. Dies sollte allerdings einhergehen mit einem kritischen Blick, der stets nach dem fragt, was für das lernende Individuum und die Lerngruppe förderlich ist. Der Arbeit mit den digitalen Werkzeugen (unabhängig ob mit Smartphone, Tablet, PC oder interaktivem Whiteboard) gebührt der Interaktion zwischen Menschen Vorrang vor der Interaktivität zwischen Mensch und Maschine - und dies sowohl aus (medien)pädagogischen als auch aus spracherwerbsbzw. lerntheoretischen Gründen. 9 Die Verbreitung und Ausdifferenzierung sog. diskontinuierlicher Texte stellt zweifelsohne ein wesentliches Merkmal von Texten im digitalen Zeitalter dar. Gemeint sind damit im wesentlichen Bild-Schrift-, Ton-Schrift- und Bild-Ton- Schrift-Kombinationen. Rezeption und Produktion derartig hybrider Texte erfordern andere, weiter gefächerte Literalitäten als jene, die im Rahmen rein schriftbasierter Kommunikationsformen geeignet waren und sind. Reckwitz (2017, 235) unterstreicht dies, wenn er auf die immens gewachsene Bedeutung des Visuellen in digitaler Kommunikation hinweist. 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Die Pendelausschläge finden sich dabei in alle Richtungen: euphorisch überhöhte Heilserwartungen an das digitale Lernen scheinen allerdings genauso wenig hilfreich zu sein wie reflexhafte Medienskepsis (vgl. Lütge/ Merse/ Owczarek 2018). Dabei sollte es ausdrücklich nicht um die Frage gehen, ob digitales Lernen oder nicht-digitales Lernen besser für den (Fremdsprachen-)Unterricht ist, weil Digitalisierung keinen Selbstzweck erfüllt. Sie vermag wohl aber Bekanntes neu zu perspektivieren und Neues in bekannten Kontexten zu hinterfragen. Der Diskurs über Bildung und Digitalisierung wirft aber in der Tat viele Fragen auf. Er ist vor allem geprägt durch einen Dreiklang aus Einsprüchen, Widersprüchen und Ansprüchen, die sich auf mediale, inhaltliche oder methodische Aspekte beziehen können, auf das Lehren und Lernen im Allgemeinen und auf das Fremdsprachenlernen im Besonderen. Mehrwertdiskussionen im Kontext des digitalen Wandels werden dabei häufig flankiert von einem neuen Diskurs der Verlustängste, weil Tempo und Dynamik des Prozesses nicht nur ein hohes Innovations-, sondern auch Irritationspotenzial bergen. Neue und unnötig dichotome Frontstellungen zwischen digitalen und analogen Lernkontexten verstellen dabei gelegentlich den Blick darauf, dass sich der digitale Wandel sowohl auf Gegenstände, Lernumgebungen, Medien und Prozesse beziehen kann. Digitale Lernkontexte werden dabei häufig stark verkürzt vor dem Hintergrund ihrer technologischen Realisierung betrachtet, bei der Medien und Lernumgebungen im Fokus stehen. Digitalität und Bildung: Fremdsprachenlernen zwischen Innovation und Irritation 139 Die vielleicht größten Herausforderungen, gleichzeitig aber auch Potenziale scheinen mir mit veränderten Lerngegenständen als auch Lernprozessen verbunden zu sein. In der Loslösung vom Papierdenken der analogen Bücher besteht ein enormes Potenzial für die Erweiterung der Spielräume visueller Inszenierung in Bildern und Texten. Die mehrdimensionale Vernetzung und Dynamisierung narrativer Elemente eröffnet neue Spielräume für die literarästhetische Gestaltung, aber sie eröffnet natürlich auch Herausforderungen für die (Literatur-)Didaktik. Die fast schon unüberschaubare Menge digitaler Formate, anderer neuer Lerngegenstände und ihrer Implikationen für das Lehren und Lernen ist Herausforderung und Chance gleichzeitig, führt aber auch zu Fragmentierung und Diversifizierung, gelegentlich womöglich auch zu subjektiver Überforderung und nostalgischer Rückzugssehnsucht nach vermeintlich überschaubaren analogen Lernwelten. Das Digitale bildet allerdings nicht zwangsläufig eine virtuelle Parallelwelt - zumindest solange wir sie nicht als eine solche konstruieren. Vielmehr eröffnet sie vielfältige Potenziale, z.B. konstituiert sie neue Formen der Verflechtung zwischen Individuum, Gesellschaft und Welt (vgl. Allert/ Asmussen/ Richter 2017, 13). In Ergänzung der vielzitierten Analyse Clay Shirkys, dass Kommunikationsmittel erst dann sozial interessant werden, wenn sie technisch langweilig werden (vgl. Stalder 2016, 5), ließe sich anmerken, dass sie vermutlich erst dann für Bildungsprozesse interessant werden, wenn der Blick für ihre Potenziale frei wird. In einer künstlich konstruierten Frontstellung von Pädagogik und Technik, von Digitalem und Analogem, die unter anderem ausblendet, wie sehr auch pädagogische Entscheidungsfelder durch die vorhandene Technik mitbestimmt werden, können weder Lerngegenstände noch Lernprozesse angemessen reflektiert werden. Zweierlei sollte deshalb berücksichtigt werden: - Der digitale Wandel sollte nicht aus einer (rein) technizistischen Perspektive gedacht werden, bei der Bildungsprozesse zunehmend quantifizierbar und positivistisch verkürzt werden und eine dualistische Opposition aus Digitalem und Analogem konstruiert wird. - Digitalität sollte auch als Thema, nicht nur als technologische Praxis, eine wichtige Rolle spielen. In der Lehrerbildung allgemein, in der Fremdsprachenforschung und in den Geisteswissenschaften kann die Thematisierung des Digitalen als Topos - etwa in der Literatur - Ausgangspunkt für medienkritische Reflexionen sein. Die Entwicklung fremdsprachlicher Kompetenzen wird zwar nicht qua Automatismus durch den digitalen Wandel beschleunigt. Das Potenzial, das durch innovative Formate, neue Möglichkeiten der Kollaboration, der Indivi- Christiane Lütge 140 dualisierung auch von Fehlerkorrektur und Feedbackschleifen entsteht, ist aber ebenso relevant wie die Verfügbarkeit von Audiodateien, Filmen und anderen Daten und Vokabellernprogrammen, die z.T. längst fest etablierte Bestandteile des Fremdsprachenunterrichts sind. Medienverbünde, die digitale und analoge Lernkontexte verbinden, werden in den nächsten Jahren vermutlich auf mehr Akzeptanz stoßen als einseitige Fokussierungen auf den Einsatz von Tablets. Langfristig werden Konzepte rund um die Entwicklung von digital literacy besonders die Fähigkeit zur Entwicklung einer Filterfunktion von Datenfluten fördern. Kollaboratives Schreiben, neue Formen extensiven Lesens von kombinierten Bild-Text-Formaten und kreative Zugänge zu mehrsprachigen Textverbünden können dabei innovative Möglichkeiten bieten. 2 Digitales Lehren und Lernen: Kompetenzen, Modelle, Leitbilder (Fach-)inhaltliche, pädagogische und technologische Kenntnisse und ihre diversen Schnittmengen machen die Komplexität digitalen Lernens deutlich. Die Sensibilisierung für das Potenzial digitaler Technologien zur Optimierung sowohl inhaltlicher wie auch pädagogischer Inhalte ist dabei zentral. Im deutschen Kontext wird das Lernen in der digitalen Welt zunehmend als wichtige Bildungsaufgabe gesehen (vgl. KMK 2016). Dabei geht es auch um die systematische Entwicklung von Zielkompetenzen der Lernenden sowie um die Ausbildung von medienbezogenen Kernkompetenzen der Lehrkräfte. Diese lassen sich in Anlehnung an das KMK-Konzept in folgender Weise strukturieren (vgl. Schultz-Pernice et. al. 2017 und für den Fremdsprachenunterricht folgendermaßen modellieren: Digitalität und Bildung: Fremdsprachenlernen zwischen Innovation und Irritation 141 Abb. 1: Digitales Lernen im Fremdsprachenunterricht (Lütge/ Merse/ Owczarek 2018) Sprachliche, kulturelle, literarische und kritisch-reflektierende Aspekte bilden dabei wichtige fachliche Säulen für digitales Lehren und Lernen im Fremdsprachenunterricht. Die Arbeit mit digitalen Medien, die mit dem teilweise etwas schillernden Begriff „Digitale Bildung“ beschrieben wird, muss ganz unterschiedlichen Anforderungen gerecht werden. Ein bekanntes Modell zur Integration neuer Technologien ist das TPACK framework (Mishra/ Koehler 2006), das für Technological Pedagogical Content Knowledge steht und sowohl die einzelnen Bereiche als auch ihre Schnittmengen im Zusammenspiel berücksichtigt. Die Ausdifferenzierung von fachspezifischen und fächerübergreifenden lehrbezogenen Medienkompetenzen (Schultz-Pernice et al. 2017) wird zukünftig noch eine wichtige Rolle in allen Fächern spielen. Ob in der Tat ein Leitbild für digitales Lernen entwickelt werden sollte, mag man zwiespältig sehen und bereits begrifflich hinterfragen. Andererseits können aber auch die normativen Verengungen, möglichen Doppelungen in mehreren (Unterrichts-)Fächern und vor allem der statische Charakter eines Leitbildes der Christiane Lütge 142 Dynamik des digitalen Wandels möglicherweise nicht wirklich gerecht werden. Ein „Orientierungsrahmen für digitale Bildung“ könnte sich auf globaler Ebene dem Unterrichten mit Medien im jeweiligen Fach als auch dem Unterrichten über Medien widmen und sowohl die technologische Perspektive („Wie funktioniert das? “), die gesellschaftlich-kulturelle Perspektive („Wie wirkt das? “) und die anwendungsbezogene Perspektive („Wie nutze ich das? “) in den Blick nehmen(vgl. Honegger 2017). Dass dabei fachliche, didaktische und auch ethisch relevante Parameter eine Rolle spielen, darf nicht übersehen werden. Kritisch-reflexive Kompetenz schließt auch das Nachdenken über die eigene Nutzung digitaler Medien ein. Dieser Aspekt ist unter dem Begriff digital citizenship education zusammengefasst, welcher das Vermitteln von „norms of appropriate, responsible behaviour with regard to technology use“ (Ribble 2015, 15) beschreibt. Dazu zählt der verantwortungsvolle Umgang mit den eigenen Daten und Bildern ebenso wie die Netiquette in sozialen Netzwerken. Als Querschnittaufgabe für alle Fächer, aber besonders auch als Auftrag an die geisteswissenschaftlichen Fächer werden damit Fragestellungen berührt, die dazu angetan sind, das ambivalente Verhältnis von Bildung und Digitalität zu reflektieren. 3 Kulturen der Digitalität: konzeptionelle Änderungen und neue Forschungszugänge Englischdidaktische und fremdsprachendidaktische Forschung zu digitalen Lernumgebungen im internationalen Kontext bezieht sich zum großen Teil auf Wortschatzerwerb, teilweise auch auf Lesekompetenz sowie Hörverstehen. Im deutschsprachigen Bereich sind dabei besonders die Arbeiten von Diehr/ Gießler/ Kassel (2016) und Heinz (2018) zu bayerischen iPad-Klassen im Englischunterricht zu nennen. Zudem finden sich fächerübergreifende Studien zu allgemeinen Themen der Pädagogik und der empirischen Psychologie, Implementationsstudien zum Tablet-Einsatz und Wirkungsforschung zum Bereich Mobile Assisted Learning (MALL) sowie Untersuchungen zu Einstellungen und Motivation von Schülerinnen und Schülern bzw. Lehrkräften. Ernüchterung macht sich allerdings breit, wenn man Metaanalysen studiert, die die Ergebnisse einer Vielzahl von empirischen Studien zum Sprachenlernen mit digitalen Medien bündeln. Einerseits gibt es hier höchst widersprüchliche Befunde und forschungsmethodologische Probleme, die die Validität beeinflussen. Wie Burston in seinem aktuellen Forschungsüberblick ausführt: Almost without exception, MALL implementation studies have fallen into the trap of attempting to attribute learning gains to the technology itself rather Digitalität und Bildung: Fremdsprachenlernen zwischen Innovation und Irritation 143 than to the way the technology was manipulated to affect achievement (Burston 2017, 271). Auch Kukulska-Hulme/ Shield (2008, 250) weisen darauf hin, dass „for the most part uses of mobile devices were pedestrian, uncreative, and repetitive and did not take advantage of the mobility, peer connectivity, or advanced communication features of mobile devices“. Forschungsmethodologisch ergibt sich so eine gewisse Zirkularität, die sich folgendermaßen beschreiben lässt: Der Einsatz von digitalen Medien wird häufig skeptisch gesehen, sein tatsächlicher Nutzen müsse in empirischen Studien erst noch nachgewiesen werden, die wiederum dann oft nicht vergleichbar sind. Um vergleichbar zu werden, wird der Untersuchungsfokus auf unterkomplexe und technisch abbildbare Prozesse gelegt, die das innovative Potenzial aber nicht angemessen berücksichtigen, digitale Lerngegenstände und Prozesse nicht in ihrer ganzen Bandbreite erfassen. Damit mag - ungewollt - ein Dualismus aus Digitalem und Analogem weiter verschärft werden, wenn sich die Forschungszugänge nicht an der jeweiligen Fachspezifik orientieren und die technologische Komponente einseitig überbetonen. Neue Forschungszugänge - insbesondere in den Fremdsprachendidaktiken - sollten z.B. den Blick in die Literaturdidaktik richten, z.B. auf narrative Texte, etwa hinsichtlich der grundsätzlichen Vergleichbarkeit von Rezeptionsmodi von analogen und digitalen Leseangeboten. Interaktives Erzählen mit digital inszenierter Literatur bewegt sich zwischen zwei Polen (vgl. Dawidowski 2013): einer tendenziellen Trivialisierung von Literatur in neuen Medien auf der einen Seite: interaktives Erzählen wird dabei häufig als Etikettenschwindel bezeichnet. Die Hypertextualisierung würde demnach die Erzählung sehr viel mehr beschneiden, als dass sie dieser neue Dimensionen eröffnen könne, einer veränderten Anforderungssituation an das Lesen in solchen Medien auf der anderen Seite: die Lesesozialisationsforschung erkennt hier das Potenzial der digitalen Inszenierung von Literatur gerade als Einstieg in die Buchkultur. Zunehmend finden sich auch digitale Literaturformate, die zukünftig im Fremdsprachenunterricht eine Rolle spielen werden. Hier sollte zunächst aber genau in den Blick genommen werden, welche Funktion die technologischdigitalen Parameter dabei einnehmen. Dazu erscheint insbesondere Ruben Puenteduras SAMR Modell (Puentedura 2015) als besonders geeignet. Es basiert als Akronym auf vier elementaren Stufen (Substitution, Augmentation, Modification, Redefinition), mit denen eine für didaktische Zwecke sehr hilfreiche Kategorisierung vorgenommen wird, die es erlaubt, die narrative Struktur einer App genauer zu charakterisieren. Das SAMR-Modell zeigt Christiane Lütge 144 dabei insbesondere auf, dass „some uses of new technologies lead at most to an enhancement of education, while other uses lead to real transformation“ (Dudeney/ Hockly/ Pegrum 2013, 46). Damit kann es auch besser gelingen, zwischen einer Erweiterung bzw. einer Transformation der Unterrichtsverfahren durch digitale Medien zu differenzieren (vgl. Lütge 2018). Auf der Ebene der Erweiterung (enhancement) kann man zwischen zwei Ebenen unterscheiden: - Substitution: technologische Komponente fungiert als Ersatz analoger Funktionalitäten, aber es gibt keine funktionale Erweiterung bisheriger Anwendungsoptionen (z.B. e-books, die auf entsprechenden Reader- Geräten gelesen werden können, aber keine funktionalen Erweiterungen ermöglichen), - Augmentation: technologische Komponente fungiert als Ersatz analoger Funktionalitäten, erweitert diese aber in den Anwendungsoptionen. Auf der Ebene der Transformation finden sich innerhalb des SAMR Modells wiederum zwei Ebenen: - Modification: technologische Komponente ermöglicht substantielle Veränderungen auf der Ebene des task design (z.B. sind in der Kinderliteratur-App Wuwu & Co (Step In Books 2016, französisch, deutsch und englisch) Rätselaufgaben eingebettet, die während des Lesens gelöst werden müssen); - Redefinition: technologische Komponente ermöglicht völlig neue und bisher unerreichte Möglichkeiten auf der Ebene des task design (z.B. erlaubt 80 Days (inkle 2016), eine digitale Adaption des Klassikers von Jules Verne, die Generierung individueller Lesepfade in einer hochkomplexen Storyworld). Die Evolution digitaler Literatur stellt im Kontext aktueller literarischdigitaler Entwicklungen den Fremdsprachenunterricht und die fremdsprachendidaktische Forschung vor die Herausforderung, diesen neuen Gegenstandsbereich mit seinen didaktischen Potenzialen systematisch zu erfassen und zu modellieren. Die Dimensionen der Funktionalität, Interaktivität, Narrativität und der Leser-Lerner-Rolle können hier Ausgangspunkt für eine systematische Erfassung und Typologisierung, z.B. von Literatur-Apps sein (vgl. Abb. 2). Darauf aufbauend lassen sich folgende Forschungsperspektiven skizzieren die Konzeptualisierung und Formulierung digital-literarischer Kompetenzen, die der sich verändernden Natur von digitaler Literatur gerecht Digitalität und Bildung: Fremdsprachenlernen zwischen Innovation und Irritation 145 werden und sich zur Modellierung kompetenzorientierter Lernaufgaben eignen; empirischer Erkenntnisgewinn zum Nutzerverhalten und zu Einstellungen Studierender und Lernender zu digitaler Literatur, gekoppelt mit der Erprobung digitaler Literatur konsequente Etablierung digital-literarischer Komponenten in der Lehrerbildung und Arbeit mit einem Korpus digitaler Literatur. Abb. 2: Dimensionen literarischer Kompetenz (Lütge/ Merse/ Stannard 2018) Insbesondere der Einsatz von digital narratives (vgl. Lütge/ Merse/ Stannard 2018), die häufig auch den Bereich des digital games based learning berühren, bietet ganz neue Möglichkeiten für alle Altersstufen. 4 Zwischen Innovation und Irritation: Ansprüche an die Lehrerbildung Erfahrungen in Lehrerfortbildungskontexten verweisen immer wieder auf eine grundlegende Problematik, die die gefühlte Schere zwischen dem gewaltigen Innovationsschub digitaler Möglichkeiten und dem zunehmenden Irritationspegel hinsichtlich praktischer Anwendungen offenbart: Klagen über Zeitmangel, Informationsüberflutung, technische Unzulänglichkeit der Ausstattung und mangelnde Fortbildungsmöglichkeiten stehen dabei regelmäßig im Vordergrund. Digitalisierungsoffensiven, die insbesondere die technische Christiane Lütge 146 Ausstattung in den Blick nehmen, sind dabei keineswegs immer dazu angetan, die Ansprüche an fremdsprachliches Lehren und Lernen in der digitalen Welt angemessen umsetzen zu können, denn dies geht oft einher mit der „Reduktion einer Idee von Bildung auf die medientechnische Verfügbarkeit von Inhalten - auf das, was produzierbar und distribuierbar, planbar und verwaltbar ist“ (Allert/ Asmussen/ Richter 2017). Irritationen hinsichtlich des digitalen Wandels manifestieren sich in vielfältigen Abwehrreflexen, die wiederum kritisch hinterfragt werden können und Herausforderungen für die Lehrerbildung beinhalten: Für Bildung wird Digitalisierung zuweilen als eine neutrale Plattform zur Verteilung von Lernmaterialien verstanden, während gleichzeitig für andere gesellschaftliche Bereiche erhebliche Transformationen erwartet werden (Allert/ Asmussen/ Richter 2017). Daraus ergibt sich eine Reihe von Ansprüchen an die universitäre Lehrerbildung und hier insbesondere an die Fachdidaktiken der Philologien: - Veränderungen des Fachlichen durch digitalen Wandel sollten stärker rezipiert werden (z.B. digitale Literatur). Die enge Verbindung der Fachlichkeit und Medialität über neue digitale Formate sollte konzeptionell begleitet werden, z.B. mit Blick auf die Entwicklung neuer Literatur-Apps. - Positivistischen Trends der Quantifizierbarkeit durch digitale Methoden sollte kritisch begegnet werden. Insbesondere der Rückfall in behavioristische Lernkontexte durch den Einsatz simplifizierender digitaler Formate sollte vermieden werden. - Als Heuristik für die Weiterentwicklung literatur- und mediendidaktischer und auch allgemein fachdidaktischer Modelle der Kompetenzentwicklung kann der digitale Wandel mit seinen weitreichenden Folgen wichtige Anstöße für die Lehrerbildung geben. Hier sind z.B. Ansprüche an das literarische Lernen in der digitalen Welt zu formulieren, und zwar auch explizit mit Blick auf analoge Lernkontexte sowie Medienverbünde. Im Kontext der Lehrerbildung gehe ich von einem breiten Digitalitätsbegriff aus, der die Kompetenzentwicklung auf den verschiedenen Stufen umfassend in den Blick nimmt. Wichtige Prinzipien für alle Phasen der Lehrerbildung umfassen m.E.: - Interaktivität (im Umgang mit den Funktionen digitaler Formate), - Kreativität (in individuell ausgestaltbaren Aufgabenformaten), - Kollaboration (mit anderen Lernern, Lesern oder Spielern in interaktiven Formaten). Digitalität und Bildung: Fremdsprachenlernen zwischen Innovation und Irritation 147 Die Entwicklung, Verfeinerung und Konkretisierung solcher Kompetenzrahmen - etwa mit Blick auf das Fremdsprachenlernen sollte in der ersten Phase der Lehrerbildung einen breiten Raum einnehmen - auch um die Dynamik des Prozesses rund um den digitalen Wandel angemessen zu reflektieren. Prioritäten für den schulischen Anwendungsbezug sind dann besonders in diesen Aspekten zu sehen: - Exemplarizität: digitale fremd-/ zweitsprachliche Lehr-/ Lernkontexte sollten exemplarisch entwickelt werden für verschiedene Klassenstufen und Kompetenzniveaus. Beispiele für die Unterstützung sprachlichen Lernens, kulturellen und literarischen Lernens sowie für den kritischreflektierenden Umgang mit digitalen Medien können dabei ohne Anspruch auf Vollständigkeit sowohl exemplarisch Lerngegenstände (digitale Formate) als auch methodische Anregungen bei der Ausgestaltung digitaler Lehr-Lern-Arrangements umfassen (vgl. Lütge/ Merse/ Owczarek 2018). - Fallvignetten: Die Individualität der Lehrenden wird häufig nicht angemessen berücksichtigt. Vorerfahrungen, spezifische Affinitäten, aber auch Aversionen bei dieser Thematik können am besten berücksichtigt werden, wenn unterschiedlichen Lehrendentypen stärker Rechnung getragen wird. So können Fallvignetten helfen, über Typenbildung konkrete Vorschläge für einen Zugang zum digitalen Lehren zu ermöglichen, der nicht für alle der gleiche Weg sein muss (z.B. wird für eine erfahrene Lehrkraft, die eine geringe Affinität zu digitalen Medien bei aber grundsätzlichem Interesse ein anderes Fortbildungsszenario zu nutzen sein als für eine medienaffine Lehrkraft, die selbst Programmiererfahrung hat). Hier lohnt es sich, eine Vielzahl von Wegen und Möglichkeiten der digitalen Kontexte, Zugänge und Materialien in den Blick zu nehmen. - Best practice: Wenn es um die Qualität von Bildungsmedien geht, ist in erster Linie die Passung der Inhalte und der medialen Umsetzung von Relevanz. Wie häufig deutlich wird, geht technische Überkomplexität gelegentlich durchaus mit fachlicher Belanglosigkeit einher, etwa dann, wenn extrem überladene Literatur-Apps mit aufwändigen Visualisierungen überfrachtet werden, aber wenig didaktisch sinnvolle Funktionalität zu bieten haben. Diesbezüglich Diskrepanzen zu entdecken und best-practice-Beispiele konkret anzuwenden, schärft das kritische Bewusstsein für den Sinn und Unsinn eines digitalen - oder analogen - Lehr-Lernkontextes. Zu lange ist die Diskussion um Bildung und Digitalität entweder aus einem Abwehrreflex heraus geführt worden oder aus einem indifferenten Bemühen, eine möglichst große Menge von Daten, Formaten und Texten digital zu erfassen und zu sortieren, sich der kleinteiligen, aber auch kleingeistigen Auf- Christiane Lütge 148 gabe der Verwaltbarkeit zu widmen statt wirklich Akzente für die Bildung zu setzen. Die Rolle der Digital Humanities in diesem Prozess mag noch umstritten sein; wünschenswert erscheint aber in jedem Fall, dass die Fachdidaktiken der Geisteswissenschaften sich der Diskussion nicht verschließen, Bildungsprozesse neu denken und in allen Phasen der Lehrerbildung kompetenzorientiert verankern - ob digital, analog oder in Medienverbünden. 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Zur Digitalisierung im Französisch- und Spanischunterricht Hélène Martinez 1 Der digitale Wandel: Lerngelegenheiten als Innovationspotenziale Digitalisierung steht [...] für eine komplette Veränderung der Art und Weise, wie wir in Zukunft leben werden: Wie wir unseren Alltag gestalten, wie wir miteinander kommunizieren, wie wir arbeiten, lernen, unterwegs sind [und damit auch wie Fremdsprachen gelehrt und gelernt werden; HM] (Schmitt 2016, o.S. zitiert nach Wampfler 2017, 16). Alle Ebenen des Fremdsprachenunterrichts sind von dieser Transformation betroffen: Gegenstand, Lernumgebungen, Medien, Lehr- und Lernprozesse: Sprache und Kultur als Lerngegenstände des Fremdsprachenunterrichts werden durch den Einsatz digitaler Medien für Schülerinnen und Schüler ‚erfahrbar‘. Sprachkontakt und Kommunikation mit ‚echter‘ Sprache und ‚echten‘ Vertretern der jeweiligen Sprache erhalten durch Digitalisierung neue Dimensionen. Im Idealfall entfaltet sich Authentizität in drei Dimensionen: Kommunikation ist linguistisch und kulturell authentisch, [weil] sie sich nicht an den Idealen und Stereotypen des Lehrbuchs, sondern an der sprachlichen und kulturellen Realität orientiert. Sie ist funktional authentisch, weil es einen echten Anlass gibt, mit anderen Personen in Kontakt zu treten und [weil] der Austausch nicht nur einem curricularen Ziel dient, sondern für die Beteiligten auch persönlich bedeutsam ist (Krommer 2018, 2; für eine differenzierte Analyse von Authentizität siehe Bündgens-Kosten 2013). Die Grenzen zwischen dem Lernen innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers verschwinden und führen zu „einer weitgehenden Überwindung räumlicher und/ oder zeitlicher Distanzen“ (Volkmann 2012, 28). Das mobile Lernen sowie die Arbeit an Lernplattformen ergänzen die Arbeit im traditionellen Klassenzimmer. Informelles, in der Regel außerschulisches und selbstgesteuertes Lernen, ergänzt formales schulisches Fremdsprachenlernen. 1 In Anlehnung an Crabbe (2003). Ein Framework for Learning Opportunities? 151 Das Lehrbuch entwickelt sich zu einem digitalen Medium mit Vorteilen für die Lehrervorbereitung, den Prozess des Lehrens sowie das individuelle Fremdsprachenlernen. Das Whiteboard ersetzt die Tafel, Tablets werden zu Lehr- und Lerninstrumenten. Digitale Klassenbücher mit augmented reality (vgl. Kurtz 2018), Softwares zur Abwicklung von Verwaltungsabläufen erfahren Verbreitung (vgl. Würffel 2018). Lehr- und Lernprozesse werden digital unterstützt: Wortschatz wird mit Hilfe von Lernapps auf dem Smartphone oder dem I-Pad gelernt, schriftliche Texte werden mit Hilfe von Wikis kollaborativ verfasst und redigiert, Schüleraustausch findet via Videokonferenz statt und alternative Vermittlungsformen entstehen (Stichwort: flipped classroom). Diese schematische Auflistung verweist darauf, dass die Digitalisierung Möglichkeiten für einen „flexiblen, zeit- und ortsunabhängigen [aktiven, kollaborativen und ebenso selbstständigen; HM] Fremdsprachenerwerb“ eröffnet (vgl. BMBF 2016). Für den Unterricht der romanischen Sprachen liegt das größte Innovationspotenzial in der Ausweitung des Klassenzimmers zu einem authentischen und erweiterten Sprach- und Lernraum. Der digitale Wandel ermöglicht neue Formen der direkten und medial vermittelten (inter)kulturellen Begegnungen und Informationsaustausche (vgl. Legutke 2015). Mit dem Einsatz digitaler Medien setzt sich der Lerner verstärkt einer authentischen lebendigen Sprache aus mit der Möglichkeit, die Zielsprache in echten Kontexten zu lesen, zu hören, zu schreiben und zu sprechen und Kontakt mit ihren Sprechern zu erhalten. Mit Bezug auf die Diskussion über außerschulische Lernorte haben Legutke (u.a. 2015) sowie Grau und Legutke (2013) den Begriff der Lernorte konzeptuell differenziert. Sie plädieren dafür, „den Lernraum selbst neu zu denken, nämlich als einen Raum vernetzter Lernorte, unter denen dem traditionellen Klassenzimmer als Kernzone eine besondere Funktion zukommt“ (ebd., 4). Der Mehrwert dieses Raumes vernetzter Lernorte wird potenziert, wenn man Funktionen, die dem Lernort zugeschrieben werden, und Digitalisierung zusammendenkt: von der Individualisierung des Lernorts als Trainingsplatz bis zu seiner Immersionsfunktion als Begegnungsraum oder Kommunikationszentrum (Legutke 2015). Mit Rückgriff auf die pädagogische Literatur wird in diesem Rahmen zwischen primären und sekundären Lernorten unterschieden. Während Erstere „mit pädagogischen Lernzielen eingerichtet wurden und deshalb didaktische Elemente [aufweisen], wie das bei Museen, Gedenkstätten oder Zoos der Fall ist“, sind sekundäre Lernorte Orte „ohne didaktische Intentionen ihrer Anlage“ (Grau/ Legutke 2013, 4). In Bezug auf Digitalisierung lässt sich eine weitere Dimension von Lernorten identifizieren, die man als tertiäre Lernorte bezeichnen könnte. Es sind diejenigen (virtuellen) Lernorte ohne didaktische Intentionen, die keine direkte und explizite Rückbindung an den Fremdspra- Hélène Martinez 152 chenunterricht implizieren. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Lerner durch Online-Spiele oder Tutorials außerhalb des Klassenzimmers informell und inzidentell lernen und so ihre fremdsprachlichen Kompetenzen erweitern, dieser Prozess und das Lernergebnis aber nicht als Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts wiederaufgegriffen bzw. vor- oder nachbereitet werden. Dieses Lernen in virtuellen Lernorten hat dennoch indirekt einen Bezug zum Fremdsprachenunterricht, indem die Lerner möglicherweise über erweiterte Kompetenzen verfügen und dementsprechend motivierter sind, die jeweilige Fremdsprache zu lernen (Sundqvist 2011; Hannibal Jensen 2019). Die Analyse von Lernorten nach den Dimensionen location, formality, pedagogy und locus of control (vgl. Benson 2017; Martinez 2015a) und die damit gemeinte graduelle didaktische Steuerung von Lernorten legt also nahe, diese weitere Dimension nicht zu vernachlässigen. Die Ausdehnung des Klassenzimmers zu einem erweiterten Sprach- und Lernraum erscheint mir um so relevanter als gerade der mangelnde oder gänzlich fehlende Kontakt zu den Fremdsprachen Französisch und Spanisch und die fehlende Anwendbarkeit der Zielsprache von vielen Schülerinnen und Schülern als Hindernis beim Erlernen gesehen wird (vgl. Fritz 2018, 20). Lässt man die Schüler zu Wort kommen, so wird deutlich, dass der Unterricht der 2. Fremdsprache nach Englisch darunter leidet, dass die Sprachen Französisch und Spanisch im Vergleich zu Englisch in den Medien - und auch im Unterricht - ungenügend präsent sind. Digitale Angebote könnten dem entgegenwirken und zu der von den Schülerinnen und Schülern erwünschten und zurzeit defizitär empfundenen Kommunikationsfähigkeit beitragen. Digitalisierung ermöglicht eine Erweiterung des Sprach- und Lernraums, die sich gewöhnlich in 3 Kategorien differenzieren lässt: a) eine Erweiterung des Raums der Informationen und des Wissens (fremdkulturelle und fremdsprachliche Informationen sind direkt über Internet zugänglich und), b) eine Erweiterung des Raums der Waren und Dienstleistungen (E-Books, Podcasts etc. können heruntergeladen werden) und c) eine Erweiterung des Raums der Begegnung und Beziehungen (Videokonferenzen, Chats, Skype-Gespräche etc.). Sie stellen vielfältige Lernmöglichkeiten bzw. -gelegenheiten dar, die es wahrzunehmen gilt und effizient zu nutzen. Zugleich gehen diese digitalen Erweiterungen mit großen Herausforderungen einher, denn sie implizieren die Fähigkeit, lehrer- und lernerseitig das Potenzial des digitalen Lernens innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers wirksam aufgreifen zu können (Chik 2018; Pierozak 2007). „Only the most independent of learners finds it easy to take up und make effective use of language learning opportunities without some guidance.” (Crabbe 2003, 18). Die Wahrnehmung von language learning opportunities innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers ist von affektiven Faktoren, individuellen Faktoren (z.B. Lernstilen) und Lernerfahrungen sowie von den Motiven des jeweiligen Lerners abhängig. Auch die Wahrnehmung der eigenen Fortschritte bestimmt, inwiefern ein Lerner nach Ein Framework for Learning Opportunities? 153 neuen Lerngelegenheiten suchen wird. (vgl. Crabbe 2003, 20). Die Wahrnehmung und effektive Nutzung von (digitalen) Lerngelegenheiten bedarf der Unterstützung seitens der Lehrkraft im Sinne von Scaffolding und eröffnet neue Aufgabenfelder. 2 Digitale Lerngelegenheiten: Notwendigkeit ‚neuer‘ Forschungsansätze und Chance für ‚neue‘ Forschungswege Digitale Medien (Web 2.0) eröffnen neue Räume für individuelles und kollaboratives (Fremdsprachen-)Lernen (vgl. Wampfler 2017, 136). Digitale Werkzeuge werden zu Hilfsmitteln bei dem Erwerb von Kompetenzen (Einsatz von Übersetzungsprogrammen, Wörterbüchern etc.), neue Formen der Kommunikation finden Eingang in den Fremdsprachenunterricht und informelles Fremdsprachenlernen (bei serious games, bei der Nutzung von Tutorials etc.) ergänzt das formale (schulische) Lernen. Damit entsteht eine Lehr- und Lernkultur, die von der passiven Belehrung zur aktiven Aneignung der Fremdsprache gekennzeichnet ist. Der Aneignungsprozess durch die Lernenden - und nicht der Lehrprozess/ Vermittlungsprozess - steht im Vordergrund, was Lernfähigkeit und selbstständiges Lernen erfordert. Mit der Sinnverschiebung der traditionellen Lehrer- und Lernerrollen und des jeweiligen Rollenverständnisses wird der Schüler zu einem „apprenant-usager“ [qui: HM] peut participer, en situation formelle d’enseignementapprentissage, à des interactions sociales qui dépassent celles du cadre institutionnel. L’apprenant peut contribuer à des forums sur lesquels discutent des internautes dont la préoccupation n’est pas l’apprentissage ou l’enseignement de la langue. Il peut participer à l’élaboration de sites collaboratifs, etc. L’usage de la langue n’est plus repoussé à un moment ultérieur, il est possible pendant la période même de celui-ci (Ollivier 2018, 42). Dementsprechend sollte die Lehrkraft über erweiterte Kompetenzen verfügen, über „nouveaux savoir-faire : il doit ainsi savoir corriger des travaux en ligne, répondre à des courriers électroniques ciblés sur des points précis de langue, savoir manipuler les Environnements Numériques de Travail“ (Baussan 2012, 16). Digitalisierung geht mit einer Orientierung am Lerner bzw. an einer Stärkung der Lernerrolle (als language user) und seiner Sprachlernkompetenz sowie einer Infrage-Stellung der traditionellen Rolle der Lehrkraft einher. „C’est en cela que l’intégration des TIC possède un caractère disruptif qui oblige les enseignants à adopter - ou pas dans le cas d’un abandon - un nouveau positionnement“ (Guichon 2012, 90). Baumgartner und Herber (2013) schlussfolgern, dass [d]er Einsatz neuer Technologien generell das Unterrichtsgeschehen komplexer und damit fehleranfälliger und weniger transparent [macht]. Es treten zu- Hélène Martinez 154 sätzliche Komponenten in den [Lehrund: HM] Lernprozess, die gelernt, beherrscht und orchestriert bzw. integriert werden müssen (Baumgartner/ Herber 2013, 331). Die Fremdsprachenforschung hat z.B. vereinzelt Vorteile der informellen Teilnahme an Webseiten (sites de fanfiction oder écriture de texte en ligne) empirisch erhoben (vgl. Ollivier 2018). Es fehlt allerdings an Grundlagenforschung, die den Umgang mit dem komplex gewordenen Lehr- und Lerngeschehen erfasst und exploriert. Dieses Defizit ist für den Unterricht romanischer Sprachen besonders deutlich - im Gegensatz zu zahlreichen Forschungsaktivitäten im Fach Englisch und in englischsprachigen Publikationen. Im Einzelnen sollten z.B. die digital unterstützten Übungs- und Aufgabenformate systematisch erforscht und weiterentwickelt werden. Digitalisierung besitzt großes Potenzial zu einer sinnvollen Erweiterung des Repertoires an Übungen und Aufgaben, allerdings scheinen immer noch einfachste drag and drop-Formate oder Multiple-Choice-Aufgaben mit einer simplen richtig/ falsch-Lösung zu dominieren. Vielmehr soll gerade die gesteigerte Möglichkeit, Feedback zu geben und kollaborieren zu können, die Idee also, dass Lernende die Lernprozesse ihrer Peers verbessern, Ausgangspunkt von Übungssequenzen sein.“ (Wampfler 2017, 45). 2 Empirische Untersuchungen und Ansätze zum mediengestützten aufgabenorientierten Lernen und Lehren scheinen in dieser Hinsicht vielversprechend (Becker et al. 2016; Ollivier 2018). Darüber hinaus wäre eine kontinuierliche Erforschung der Wirkung der Digitalisierung auf die Lehr- und Lernprozesse und eine Erforschung der Vorstellungen und des Selbstverständnisses von Lehrkräften (vgl. u.a. Guichon 2012) und Lernern von Nöten. Damit ist auch die Frage der Entwicklung von Forschungsmethoden und -wegen angesprochen, mit denen sich die genannte Komplexität erfassen lässt. Digitale Medien eröffnen z.B. neue Möglichkeiten, Daten über Lernende und ihr Lernen zu sammeln (Stichwort: Learning Analytics), so dass mit diesen Datensätzen wiederum eine Optimierung von digitalen Lehr- und Lernprozessen erreicht werden kann (z.B. in der Herstellung adaptiver Lernmaterialien) (vgl. Hussherr/ Hussherr 2017; Würffel 2018). Zugleich erlaubt Digitalisierung einen neuen Zugang zur Forschung selbst: Appel à projets werden über digitale Plattformen verbreitet, Projekte über Videokonferenzen diskutiert, Softwares erleichtern die Analyse und die Auswertung digitaler Daten etc. All dies könnte durch das Bilden von Interessengruppen kollaborative Forschungsaktivitäten fördern. Will man digitales Lehren und Lernen 2 Das SAMR-Modell nach Puentedura (2006) kann im Hinblick auf die Gestaltung von Aufgaben eine gute Hilfestellung sein. Ein Framework for Learning Opportunities? 155 fördern, so müssen verstärkt kollaborative Forschungsaktivitäten zwischen Schule und Universität geplant werden - mit der Erprobung ausgewählter Projekte und der wissenschaftlichen Begleitung und Reflexion unter Einbezug aller beteiligten Akteure (Lehrkräfte, Lerner, Forscher). 3 Herausforderungen in der Lehrerbildung: Lerngelegenheiten für angehende und praktizierende Lehrkräfte schaffen In Anlehnung an den GeR ist ein europäischer Referenzrahmen für digitale Kompetenzen (DigComp) erarbeitet worden, der 2013 in seiner ersten Fassung erschien und 2017 in der Version 2.1 aktualisiert wurde. Er beschreibt die Kompetenzen eines digital kompetenten Nutzers und soll als Orientierungshilfe für die europäische Kommission und die Mitgliedsstaaten sowie ihre Bürger dienen mit dem Ziel, digitale Technologien in der Ausbildung zu verankern. Für Lehrkräfte wurde eine adaptierte Version des digitalen Kompetenzrahmens „DigCompEdu“ bzw. „DigCompLehr“ erstellt. DigCompLehr zielt darauf ab, Lehrkräften bewusst zu machen, „welche Kompetenzen sie benötigen, um die ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schüler in eine möglichst erfolgreiche Zukunft als Mitgestalter der Welt von Morgen zu begleiten und sich selbst beruflich auf der Höhe der Zeit zu bewegen“ (Voessner 2018). DigCompEdu (Redecker 2017, 16) unterscheidet sechs Kompetenzfelder, die mit Hilfe von Deskriptoren beschrieben sind: 1) Professional Engagement (Using digital technologies for communication, collaboration and professional development); 2) Digitale Resources (Sourcing, creating, sharing digital resources); 3) Teaching and Learning (Managing and orchestrating the use of digital technologies in Teaching and Learning); 4) Assessment (Using digital technologies and strategies to enhance assessment); 5) Empowering Learners (Using digital technologies to enhance inclusion, personalisation and learners’ active engagement); 6) Facilitating Learners’ Digital Competence (Enabling learners to creatively and responsibly use digital technologies for information, communication, content creation, wellbeing and problem-solving). Zugleich stehen Schulleitungen und Lehrkräfte unter enormen Druck, Digitalisierung umzusetzen. Falck (2019) hat die Ansprüche, die an die Lehrkraft von morgen gestellt sind, pointiert formuliert: Überspitzt ausgedrückt behält [die Lehrkraft von morgen] den Überblick und vermag, Hype und Trends von sinnvollen didaktischen Erweiterungen zu unterscheiden. Sie erkennt den Mehrwert für Ihre Schüler*innen und weiß, die Kultur der Digitalität mitsamt einem weit über die Schule hinausreichenden Leitmedienwechsel im Unterricht abzubilden. Ihr gelingt das, weil sie keine Einzelkämpfer*in, sondern lokal, regional, national und vielleicht sogar inter- Hélène Martinez 156 national vernetzt ist. Zunehmende Innovationsdynamik ängstigt sie nicht. [...] Die Lehrkraft von morgen absorbiert und produziert eine Menge an Daten und kann Software zur eigenen Effizienzsteigerung mühelos einsetzen [...]. Sie ist davon überzeugt, ihren Schüler*innen Zugang zur Bildung des 21. Jahrhunderts ermöglichen zu müssen. Und sie weiß, dass es dabei hauptsächlich auf sie ankommt und die Technik allein noch keinen besseren Unterricht macht ( Falck 2019, 8). Aufgabe der Lehrerbildung ist es dementsprechend, die digitale Kompetenz der angehenden (und praktizierenden) Lehrer/ innen zu fördern. Fasst man digitale Kompetenzen als die Fähigkeit, savoirs, savoir-faire, savoir-être und nicht zuletzt savoir-apprendre zu mobilisieren, um eine bestimmte Aufgabe zu lösen, so geht es darum, den Studierenden Lerngelegenheiten anzubieten, Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen 3 in Bezug auf Digitalisierung zu erwerben (vgl. Martinez 2015b). Dementsprechend sind Lerngelegenheiten zu entwickeln, in denen Digitalisierung bzw. digitales Fremdsprachenlernen sowohl theoretisch durchdrungen als auch handelnd erfahrbar gemacht und jeweils kritisch reflektiert werden (vgl. Königs 2008, 13). Dafür sind alternative Formen in der Lehre zu implementieren, die auf einer engen Zusammenarbeit zwischen ‚universitärer‘ Theorie und schulischer Praxis beruhen und zu einem aktiven Austausch aller Beteiligten führen. Anzustreben ist m.E. eine erfahrungsbasierte und reflexive Auseinandersetzung mit mediengestützten Aufgabenformaten zum Auf- und Ausbau professioneller Medienkompetenz - sowohl bei den Studierenden als auch bei den beteiligten Lehrkräften. In Bezug auf Digitalisierung könnten Lehrangebote beispielsweise folgende drei Bestandteile integrieren: a) Theorie zur Digitalisierung im Französisch- und Spanischunterricht: Überblick über Potenziale und Grenzen des digitalen Wandels für den Unterricht romanischer Sprachen, speziell für die Entwicklung der kommunikativen und interkulturellen Kompetenzen unter Berücksichtigung der einschlägigen Literatur; b) Praxisbezogene Phase: Kennenlernen und Testen verschiedener, bereits vorhandener digitaler Werkzeuge, digitaler Kommunikationsformen etc.; Sichtung und kritische Analyse mediendidaktischer Aufgabenformate im Französisch-/ Spanischunterricht; Konstruktion von ‚eigenen‘ digitalen kompetenzorientierten Lernaufgaben (task as workplan); c) Reflexiv-forschende Phase: Einsatz und Erprobung der von den Studierenden konstruierten digitalen Lernaufgaben (task in process) so- 3 Ferrari (2012, 3f.) spricht von „[a] set of knowledge, skills, attitudes (thus including abilities, strategies, values and awareness) that are required when using ICT and digital media to perform tasks; solve problems; communicate; manage information; collaborate; create and share content; and build knowledge […] for work, leisure, participation, learning, socialising, consuming, and empowerment“. Ein Framework for Learning Opportunities? 157 wie Erforschung der Umsetzung der digitalen Aufgaben in den jeweiligen Französisch- und Spanischgruppen an Schulen. Solche didaktischen Projektseminare orientieren sich am Prinzip des forschenden Lernens und Lehrens und beruhen auf der Annahme, dass die Entwicklung der (Selbst-)Reflexion im Sinne von reflective teaching bzw. learning von grundlegender Bedeutung für die Professionalisierung von (angehenden) Lehrkräften ist. Sie binden gezielt Elemente der empirischen Forschung sowie der Handlungsforschung ein. Am Institut für Romanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen besteht seit mehreren Jahren die Möglichkeit, eine Veranstaltung dieser Art anzubieten. Insgesamt zeigt die Evaluation der projektorientierten bzw. aufgabenorientierten Seminare, dass die Studierenden das mediendidaktische Lehrangebot grundsätzlich begrüßen, zum Teil aufgrund einer gewissen Unsicherheit in Bezug auf die Arbeit mit digitalen Medien im Fremdsprachenunterricht und weil ihnen natürlich bewusst ist, dass der routinierte Umgang damit in der heutigen Zeit unabdingbar ist und somit auch Bestandteil der Lehrerausbildung sein sollte. Die Evaluation der Projektseminare macht deutlich, dass die Verbindung zwischen Theorie und Praxis fruchtbare Ergebnisse fördert und zu einer differenzierten und reflektierten Einstellung im Umgang mit digitalen Medien führt. Bei der Umsetzung der jeweiligen Projekte wurde deutlich, dass die Beschäftigung mit Digitalisierung und der Implementierung im Französisch- und Spanischunterricht zwar ein komplexes Unterfangen ist, dass sich der Aufwand aber lohnt. Die Lehrkräfte - und die Schüler - stehen diesen Experimenten bisher sehr offen gegenüber und die Zusammenarbeit zwischen ihnen und den Studierenden hat sich als positiv erwiesen. Eine Vorstellung aller in den Französisch- und Spanischklassen durchgeführten Projekte, zu der auch die am Projekt beteiligten Lehrkräfte eingeladen werden, findet am Ende des jeweiligen Seminars statt. In diesem Rahmen entstand die Idee, gemeinsam mit den Studierenden ein Weiterbildungsangebot zu organisieren. So fand in diesem Jahr ein von den Studierenden durchgeführter Workshop für die am Projekt beteiligten Lehrkräfte statt. Dieses Veranstaltungsformat wurde gleichermaßen als informativ und praxisorientiert und damit als ausgesprochen nützlich für alle Beteiligten empfunden. Im Sinne einer systematischen Sozialisierung neuerer Entwicklungen in Form einer digitalen Plattform und unter Berücksichtigung des Potenzials neuer Kommunikationsformen und -wege ist momentan eine Homepage für eine Archivierung der mediengestützten Aufgaben in Arbeit, so dass die erstellten Aufgaben in die Konzeption von Folgeseminaren integriert und eventuell auch Lehrkräften zur Verfügung gestellt werden können. Darüber hinaus sind aus dem Workshop didaktische Tutorials für die Lehrkräfte entstanden. Hélène Martinez 158Szenarien dieser Art können einen kollaborativen Lernraum für angehende und praktizierende Lehrerinnen und Lehrer eröffnen und auch auf einer solchen Ebene Prozesse gegenseitigen Coachens ermöglichen, vielleicht sogar gemeinsame Veröffentlichungen als Rekonstruktion und Dokumentation von Unterrichtsprojekten. Dies erscheint um so wichtiger als die „communautés de pratiques“ scheinbar eine entscheidende Rolle in der Implementierung digitaler Medien spielen: C’est aussi grace aux collègues, les pionniers qui ont fait le chemin avant moi et qui ont eu la bonne idée de publier leurs travaux sur internet... Ceux sont des gens qui dès le départ, dès qu’ils s’y sont mis, ont publié, on fait des choses, ont partagé. C’est ce qui a fait aussi que j’ai voulu faire pareil. Il ne suffit pas de prendre, il faut rendre aussi (Guichon 2012, 95). 4 Leitbild für digitales Lehren und Lernen: Chance, das Lernen und Lehren von Fremdsprachen in neuen Dimensionen zu erfassen Untersuchungen zum Einsatz digitaler Medien legen den Schluss nahe, dass entscheidende Kriterien die Art und Weise, die didaktische Funktionalität und die Passung zu der jeweiligen Lernsituation sind. Ein Leitbild ist zunächst als Korrektiv bzw. Maßnahme zu sehen gegen eine blinde Euphorie der „Verdigitalisierung“ 4 des Klassenzimmers und notwendig als Plädoyer für einen reflektierten und undogmatischen Umgang mit digitalen Medien im Fremdsprachenunterricht. Zum Beispiel, wenn digitale Medien als Selbstweck definiert werden oder als Ersatz für Lehrkräfte im Sinne einer (digitalen) Lehrmaschine. „Ein vollständiger digitaler Unterricht, in dem ich im schlimmsten Fall keinen Lehrer mehr brauche, sondern eine Software - das ist weder realistisch noch wünschenswert“ (Tobien/ Wegener 2019). Ein reflektierter und undogmatischer Umgang mit digitalen Medien geht mit dem „Primat der Pädagogik“ einher: Der Mehrwert der Digitalisierung im Fremdsprachenunterricht muss sich an den didaktischen Zielen messen und nicht an der technischen Umsetzung. Nicht zuletzt erscheint ein Leitbild notwendig, um nicht nur auf gesellschaftliche und bildungspolitische Impulse und Forderungen (KMK 2016; BMBF 2016) zu reagieren, sondern als didaktische Disziplin bewusst agieren zu können. Zurzeit entstehen im Zug der aktuellen Medienkonzept-Initiative, bei der alle Schulen aufgefordert sind, Medienkompetenz-Curricula zu erstellen und einzuhalten, erste Curricula. Der Medienkompetenz-Rahmen von NRW findet z.B. über die Verlage Verbreitung. Bis nationale Standards ent- 4 In Anlehnung an den Begriff „Vercomputerisierung“ (Focus Online, Nr. 36, 2002). https: / / www.focus.de/ digital/ internet/ internet-blinde-euphorie_ aid_204369.html (15/ 04/ 2019). Ein Framework for Learning Opportunities? 159 stehen, ist es eine Frage der Zeit (vgl. KMK 2016). Es ist daher wichtig, dass sich die Fremdsprachendidaktik als Disziplin über eigene Grundprinzipien und Handlungsziele (eigentlich über das eigene Selbstverständnis) verständigt und dass sie Ziele und Wege der Förderung von Digitalisierung im Hinblick auf den Erwerb fremder Sprachen differenziert definiert sowie wissenschaftlich und empirisch fundiert konzeptualisiert. Finally, as Erstad (2013, 3) argues, rather than thinking of digital practices as merely updates and advancements to traditional practices, we can reconceptualize these digital practices as ‘door openers’ (Bruner 1996) to understanding language learning in new lights (Chik 2018, 89). Di gitalisierung steht für eine komplette Veränderung der Art und Weise, wie wir in Zukunft Fremdsprachen lernen und lehren werden - und es gilt diesen Paradigmenwechsel als Chance für eine Rekonzeptualisierung des Lernens und Lehrens des Französischen und des Spanischen zu sehen - über strukturelle und ethische Probleme des digitalen Wandels hinaus. Zurück in die analoge Welt - Fazit und Ausblick: Annabelle lernt Englisch als 1. Fremdsprache und Französisch als 2. Fremdsprache in einer deutschen Schule in Hessen. Sie plant ihre 10. Klasse im Ausland zu verbringen, höchstwahrscheinlich in Australien. Auf die Frage, warum denn Australien und nicht ein französischsprachiges Land, antwortet sie, dass sie im Englischen flüssiger und sicherer sei, weil sie neben dem Unterricht Filme, Tutorials etc. im Internet schaue und das Englische so viel präsenter sei. Ihr Fall ist selbstverständlich nicht repräsentativ, aber er veranschaulicht, dass digitale Opportunities außerhalb des Französischunterrichts offensichtlich nicht ausreichend wahrgenommen, vielleicht auch im Unterricht ungenügend thematisiert werden. Der Beitrag diskutiert daher bewusst digitale Potenziale und Lerngelegenheiten und skizziert Eckpunkte eines Frameworks for learning opportunities. Bibliographie Baumgartner, Peter/ Herber, Erich (2013): „Höhere Lernqualität durch interaktive Medien? - Eine kritische Reflexion“. In: Erziehung und Unterricht 3-4, 327- 335. Baussan, Sandrine (2012): „Bons et mauvais usages de l’interaction en ligne. Les TICe, vecteur de motivation ou source d’ennui“. In: Le Langage et l’Homme Vol. XXXXVII/ 1, 5-17. Becker, Carmen/ Blell, Gabriele/ Rössler, Andrea (Hrsg.) (2016): Web 2.0 und komplexe Kompetenzaufgaben im Fremdsprachenunterricht. Frankfurt a.M.: Lang. Benson, Phil (2017): „Language Learning Beyond the Classroom: Access all Areas“. 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Der Eindruck, dass sich neue (Lern-)Möglichkeiten durch neue Technologien eröffnen, bleibt bestehen, genauso wie der Eindruck, dass Curriculumsentwickler, Didaktiker und Lehrmaterialiengestalter diese nicht gebührend zeitgemäß wahrnehmen - was u.a. an der Themenwahl der Frühjahrskonferenz 2019 abgelesen werden kann. Ein Blick in aktuelle Lehrmaterialien zeigt ein zu differenzierendes Bild. Zwar scheint es zunächst so, dass digitale Medien die Lehrmittelgestaltung nachhaltig geprägt haben und einen nicht wegzudenkenden Teil des Fremdsprachenunterrichts darstellen. Eine nähere Analyse der betroffenen Übungen und Aktivitäten deutet allerdings viel eher auf eine Umbenennung alter Formate als auf einen Einbezug neuer Möglichkeiten hin. Im Folgenden soll es v.a. um den Einsatz von Gegenständen im Rahmen des digitalen Wandels gehen, bevor auf dieser Basis weitere Potenziale für die Fremdsprachendidaktik aufgegriffen werden. Dabei werden einige exemplarische Bereiche anhand der Fertigkeit Schreiben in aktuellen Lehrwerken für Deutsch als Fremdsprache diskutiert. 2 Erste Überlegungen zum Einsatz digitaler Medien im FSU Ein zentrales Versprechen der „neuen Medien“ war es stets, dass sich nicht nur ein Medium im (Fremdsprachen-)Unterricht ändert, sondern auch, dass neue Lernumgebungen geschaffen werden. Schon Ende der 1990er Jahre - also bereits vor zwei Jahrzehnten - haben namentliche Forschende wie Richard Kern (1995), Steven Thorne (2000) oder Mark Warschauer (u.a. 1996) die Potenziale von Offlinesowie Online-Medien im Fremdsprachenunterricht erforscht und erläutert; auch in Deutschland wurden relevante Fragen aufgegriffen (exemplarisch Rüschhoff/ Wolff 1999). Dazu gehörten u.a. sogenannte microworlds wie A la rencontre de Philippe (ein Projekt, das bereits 1985 an der MIT implementiert wurde, also schon vor fast 35 Jahren! ), und weitere Serious Games (vgl. auch EU-DO-IT, das nach ähnlichen Prinzipien wie A la recontre de Philippe fungiert) multimediale hypertext books, (Lern-)Spiele, berühmt-berüchtigte Übungsmaterialien (am besten unter Zur Pseudodigitalisierung in Fremdsprachenlehrwerken 163 ihrem Spitznamen „drill-and-kill“ bekannt) und auch synchrone wie asynchrone digitale Kommunikationsmöglichkeiten wie E-Mails, Chats und threaded discourse, die nicht nur das Sprachenlernen unterstützen sollten, sondern insbesondere Möglichkeiten zum interkulturellen Austausch darbieten (s.a. Burwitz-Melzer in diesem Band). Die anfängliche Begeisterung über die Potenziale der digitalen Medien (resümierend u.a. Warschauer/ Healey 1998) ist im Laufe der Zeit zwar nicht abgeflacht - dennoch ist in vielerlei Hinsicht und trotz deutlicher Forschungssowie Praxisinteressen eine stagnierende Kreativität zu verzeichnen (problematisierend u.a. Grünewald 2016; Rösler 2010; Schmidt 2010). Dies betrifft nicht zuletzt Produkte von Verlagen, die bislang nur wenige (und wenig innovative) Möglichkeiten ausgeschöpft haben. So werden digitale Technologien außerhalb des Klassenzimmers v.a. zum Üben bereits gelernten Stoffes verwendet. Dies betrifft i.d.R. Online- oder App-Übungen, die zwar dank verbesserter Animationen etwas schicker aussehen, jedoch in der Konzeption und Ausführung geschlossene Varianten von vor gut 20 Jahren wie Lückentexte, Matching-Übungen, Mehrfachantwortfragen, Drag-and-Drop- Übungen etc. fortführen. Trotz ihrer Vorteile (zu denen ohne Zweifel die zügige und fehlerfreie Korrektur gehört) stoßen sie schnell an Grenzen. So sind sie nicht nur oft eintönig (wie jeder weiß, der schon selber eine Fremdsprache damit geübt hat), sondern sie zeigen methodisch kaum einen Vorsprung gegenüber dem, was jede Lehrperson schon in den 1990er Jahren mit Hilfe des Programms HotPotatoes selber hätte entwickeln können (s.a. Blume/ Schmidt 2017; Grünewald 2016, 466) - oder sogar gegenüber traditionellen Materialien und Lernumgebungen. Es scheinen sich die Lernprozesse wirklich weniger verändert zu haben als die Hardware (vgl. Funk in diesem Band). Und das, obwohl es durchaus empirische Belege für die förderliche Unterstützung digitaler Medien beim Sprachenlernen gibt (in Deutschland z.B. Scheller 2009; Schmidt 2007; Wilden 2008). Etwas interessanter sind die Möglichkeiten, die sich durch den Einsatz von Online- oder elektronischen Lehrwerken ergeben. Aber auch hier zeigt sich in nicht-systematischen Gesprächen mit in der Praxis tätigen Lehrkräften an Schulen und Universitäten bzw. Weiterbildungseinrichtungen häufiger Enttäuschung. Abgesehen von technischen Pannen (von den Verlagen eingerichtete, virtuelle Klassenzimmer sind zeitweilig nicht aufzurufen; ausgeführte Übungen werden nicht kontrolliert; die Lernprogression der Lernenden wird nicht an die Lehrkräfte vermittelt etc.) werden solche Lehrwerke i.d.R. so eingesetzt wie traditionelle Lehrwerke; weiteren, v.a. interaktiven Möglichkeiten wird kaum Beachtung geschenkt (s.a. Bär in diesem Band) und Lehrkräfte im Umfang mit den neuen Formen nicht ausgebildet bzw. begleitet. Auch das mit dem Lehrwerk verknüpfte Smartboard wird eher wie eine Kombination aus Folie und Tafelbild benutzt, anstatt die vielen Potenziale auszuschöpfen. Nicole Marx 164Der Eindruck wird nun bestätigt, wenn solche unterrichtlichen Möglichkeiten im Rahmen von Modellen wie z.B. dem SAMR-Modell (zuletzt Puentedura 2015) analysiert werden. Das Modell ermöglicht eine Kategorisierung des Einsatzes von Technologie in Lernumgebungen und sortiert diese auf vier Ebenen nach Verarbeitungs- und Erweiterungspotenzial ein. Diese reichen von Schritten des „Enhancement“ bis zur „Transformation“. Zu Ersterem gehören in der einfachsten Stufe die bloße (S)ubstitution bestehender Materialien durch digitale Medien ohne erkennbare funktionale Erweiterung sowie die darüber hinausgreifende (A)ugmentation, bei der die Substitution eine erkennbare Funktion hat. Eine „Transformation“ wird erst in der dritten und vierten Stufe ermöglicht, bei der durch die (M)odification der Einsatz digitaler Medien eine sinnvolle Änderung im Task ermöglicht, oder durch die (R)edefinition sogar neue, bislang unvorstellbare Tasks entwickelt werden. Das Modell ist v.a. deswegen von Interesse, weil die steigernde Effektivität von Materialien von der Substitution bis zur Redefinition nachgewiesen werden konnte: Werden Lernumgebungen mit Begleitstudien nach dem SAMR- Modell rekategorisiert und -analysiert, zeigt sich, dass substitutiv kategorisierte Materialien keinen didaktischen Mehrwert aufwiesen (Effektstärken um d = 0,03). Dagegen vergrößert sich der Lernerfolg mit jeder neuen Stufe bis hin zur Redefinition (d = 1,56) (Ibid., 11-12). Ebenso von Interesse ist, dass schon ein kursorischer Blick auf (vermeintlich) digitale Anteile und Verweise in Sprachlehrwerken die Hypothese unterstützt, dass in vielen Fällen die gegenüber früheren Ausgaben durchgeführten Änderungen nicht über eine Substitution hinausgehen. Schlussfolgernd: Die Möglichkeit, durch den digitalen Wandel neue Lehr- und Lernpotenziale zu erschaffen, ist zwar seit einigen Jahrzehnten technisch gegeben - es ist aber noch viel Luft nach oben. So werden digitale Medien auf eine Art und Weise eingesetzt, die an die alten Tafelbilder und Audios auf Tonband erinnern. Es scheint sich m.E. in vielen Fällen um eine horizontale statt vertikale Progression zu handeln - das Medium hat sich ggf. geändert, der Umgang damit jedoch nicht. Dies soll im Folgenden insbesondere mit Bezug auf Lerngegenstände im Unterricht Deutsch als Fremdsprache geprüft werden. 3 Gegenstände im Rahmen des digitalen Wandels: A rose by any other name Im Rahmen des digitalen Wandels in der Fremdsprachendidaktik sind (zumindest potenziell) neue (Lern-)Gegenstände entstanden, die u.a. auf Grund des Wunsches nach Authentizität in der kommunikativen Fremdsprachendidaktik einbezogen werden. Diese spielen auch in der digitalen Lebenswirklichkeit der Lernenden eine nicht unwesentliche Rolle. Dabei ist die Frage zu stellen, ob diese vermeintlich neuen Lerngegenstände erstens überhaupt neue Zur Pseudodigitalisierung in Fremdsprachenlehrwerken 165 Formen repräsentieren (also überhaupt die Stufe der Substitution erreichen), und zweitens ob sie ein besonderes Lernpotenzial bergen (also mindestens die Stufe der Augmentation und somit einer erweiterten Funktion erreichen). Dies soll am Beispiel des Textschreibens und dem Verfassen digitaler Textsorten näher erläutert werden. Das Schreiben eignet sich in diesem Zusammenhang besonders gut, weil es „die selbstständige Produktion von kommunikativ angemessenen und inhaltlich bedeutungsvollen Texten“ (Bachmann/ Becker-Mrotzek 2017, 25-26) erfordert und somit eine echte, geplante, sprachlich-kommunikative Tätigkeit darstellt, die über den Einsatz vorgefertigter Formulierungen hinausgeht. Dabei werden einzelne, exemplarische Schreibaufgaben als besonderer Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts beispielhaft diskutiert. Der digitale Wandel hat neue schriftliche Textsorten ins Leben gerufen, die beim Aufkommen des kommunikativen Ansatzes kaum vorhergesehen werden konnten. Besonders in Bezug auf Social Media sorgen diese Formen für Aufsehen. Hierzu zählen Formate, die auch im (privaten) Alltag stark präsent sind, u.a. SMS und weitere Kurznachrichtendienste (WhatsApp, Twitter etc.) sowie E-Mails, aber auch Blogbeiträge, themenbezogene Textsammlungen wie in Wikipedia oder persönliche Vorstellungstexte in Partnerschaftsbörsen. (Instagram, Pinterest und Co. zähle ich hier nicht zu den neuen Textsorten, da sie fast ausschließlich bildbasiert sind und außer der Verwendung von Hashtags kaum einer sprachlichen Form bedürfen.) Eine Sichtung von fünf derzeit eingesetzten DaF-Lehrwerken 1 für Jugendliche und Erwachsene zeigt, dass solche Textformen einen nicht unwesentlichen Einzug in Schreibaufgaben eingenommen haben. Hierbei sind am häufigsten E-Mails, Foren- und Blogbeiträge und Kurznachrichten zu verzeichnen. Zunächst zu den E-Mails. Schon in Lehrwerken, die das Niveau A1 zum Ziel haben, werden E-Mails als Textsorte in Aufgaben präsentiert. Diese Form steht eindeutig hoch im Kurs. Unter den vielen echten Schreibaufträgen kommt das „Vorgängermodell“ Brief (bzw. Postkarte) zwar noch vor - nur seltener. So liegt das Verhältnis der Textsorten Brief bzw. Postkarte zu E-Mails (bzw. „Chatnachrichten“, sofern diese in der Aufgabenstellung als diachrone Kommunikationsform präsentiert werden) in den Lehr- und Arbeitsbüchern auf den GeRS-A-Niveaus in den Lehrwerken Prima und Schritte international bei 1: 4. Damit ist immer noch keine authentische Verteilung erreicht, dennoch beachten Lehrwerke ohne Zweifel diese häufigen Kommunikationsformen. Was sie jedoch offensichtlich wenig beachten, sind die wesentlichen Charakteristika von E-Mails. Der dialogisch-kommunikative Anlass, die Erwar- 1 Um das Literaturverzeichnis nicht zu überfrachten seien hier nur die Lehrwerktitel kurz genannt: Prima A1, A2; Schritte international, A1, A2; Menschen, A1, A2, B1; Aspekte neu B1, B2, C1; Sicher! , B1, B2, C1, jeweils Kurs- und Arbeitsbücher. Nicole Marx 166 tung einer zeitnahen und angemessenen Rückmeldung, der enge intertextuelle Bezug zur Vorläuferkorrespondenz (die oft sogar interlinear geschieht) u.a. entfallen. In vielen Fällen wird nicht einmal die Medialität dieses Mediums thematisiert, und E-Mails sollen „ins Heft“ geschrieben werden. Noch weiter wird die angestrebte Authentizität geschwächt, wenn Lehrwerke es versäumen, Aufgaben zu kontextualisieren. Es fehlt eine erkennbare kommunikative Funktion; in manchen Fällen wird nicht einmal ein Adressat vorgeschlagen. So werden mitunter Aufgaben gestellt mit der Aufforderung, nach dem Lesen kleiner Vorstellungstexte der Kategorie „asynchroner Internet-Chat“, „deinen Chat-Text“ ohne (auch hypothetischen) Adressaten zu verfassen (vgl. Prima A1, Band 1, Kursbuch, S. 10). Oder es soll in einer E-Mail ohne benannten Adressaten ein Fest beschrieben werden (vgl. Schritte international A2.1, Arbeitsbuch, S. 82). Die zwei Beispiele deuten an, dass in vielen Fällen die Textsorte E-Mail im Fremdsprachenunterricht nicht nur die Textsorte Brief ersetzen soll, sondern auch die Textsorte Bericht bzw. Aufsatz. Dies wird noch deutlicher in diversen Beispielen wie: „Schreiben Sie eine E-Mail an eine deutsche Bekannte / einen deutschen Bekannten zum Thema: ‚Arbeit und Freizeit in meinem Land‘“ (Schritte international A2.1, Arbeitsbuch, S. 50). In solchen Fällen verschwindet der besondere Charakter einer E-Mail vollends, die Zieltextsorte ist ein Aufsatz mit der Funktion des Beschreibens. Ohne (vermeintliche) dialogische Situierung, dennoch ähnlich problematisch, verhält es sich mit monologischen Textsorten wie Blogs oder Forumsbeiträgen. Diese Textsorten erscheinen in Lehrwerken erst ab einem Niveau, bei dem längere, zusammenhängende Texte zu alltäglichen, dennoch nicht personenbezogenen Themen verfasst werden, i.d.R. also mit dem Zielniveau B1. Auch hier handelt es sich um Formate, die erst durch die Verbreitung des Internets entstanden sind. Und auch hier zeigt sich, dass die eigentlichen Vorteile solcher Textsorten kaum genutzt werden. Hierfür soll die Textsorte Blog im Fremdsprachenunterricht beispielhaft näher erläutert werden. Obwohl diese Textsorte vielen rezeptiv bekannt ist, macht der Großteil der Internetnutzer kaum selber Gebrauch davon; nach Statista betreiben zwischen 1,5% und 4% aller Internetnutzer in Deutschland einen eigenen Blog (Statista o.J.). Ein Blog (Weblog) ist eine „tagebuchartig geführte, öffentlich zugängliche Webseite, die ständig um Kommentare oder Notizen zu einem bestimmten Thema ergänzt wird“ (Duden 2015, 1990). Diese Definition deutet schon auf einige besondere Charakteristika von Blogs hin. Erstens behandeln sie ein bestimmtes (für den Schreibenden und vermeintlich auch den Lesenden interessantes) Thema, und zwar nicht nur sachlich, sondern auch oft wertend; zweitens greifen sie unterschiedliche, dennoch verwandte Themen auf; drittens sind sie flüchtig und dynamisch, werden darin veröffentlichte Texte von den Schreibenden revidiert, ergänzt, modifiziert oder auch in Teilen oder im Ganzen gestrichen; und viertens ist eine Interaktion mit Lesenden durch Kommentar- oder Antwortfunktionen gege- Zur Pseudodigitalisierung in Fremdsprachenlehrwerken 167 ben. Damit unterscheiden sich Blogbeiträge wesentlich von bildungsinstitutionellen Textsorten wie Aufsätzen. Als tagebuchartige Textsammlung wären hier erwartungsgemäß Beiträge zu finden, die mit spezifischem, thematischem Schwerpunkt über mehrere Texte hinweg Erfahrungen berichten oder Meinungen zu unterschiedlichen, für die Lernenden zentralen Themen äußern. Angesichts der schwachen Passung zwischen E-Mail und Brief überrascht es nicht, dass auch hierfür v.a. das Vorgängermodell Aufsatz Pate zu stehen scheint. Anstatt tagebuchartiger oder dynamischer Texte sollen Lernende einmalig Texte zu Themen schreiben, zu denen sie u.U. keinen persönlichen (Interessens-)Bezug haben. Diese werden nicht weiterverfolgt oder ergänzt, sie werden von anderen nicht kommentiert, und sie werden nicht veröffentlicht - vermutlich nicht einmal im eigenen Sprachkurs. Im Einzelfall nimmt dies kuriose Gestalt an. So soll z.B. in Sicher! C1.2 (Kursbuch, S. 102) im Rahmen eines einseitigen Schreibtrainings ein Blogbeitrag entstehen. Dabei sollen Informationen aus einem Balkendiagramm rezipiert und dann in „mindestens 180 Wörter“ zusammengefasst werden; es werden auch Schreibmittel wie „Im vorliegenden Schaubild geht es um das Thema…“ zur Verfügung gestellt. Es geht offenbar ausschließlich um die Beschreibung und Zusammenfassung eines diskontinuierlichen Textes (grafische Abbildung einer statistischen Verteilung), die in C1-Prüfungen (und außerhalb des Fremdsprachenunterrichts auch z.B. in akademischen Hausarbeiten) gefordert wird. Es ist dennoch keine besonders gute Gelegenheit, Lernende über die Gepflogenheiten von Blogbeiträgen und deren Unterschiede zu anderen Textsorten aufzuklären. Neben Blogbeiträgen werden auch Forenbeiträge gerne als Textsorte herangezogen. Bei diesen stehen zwei charakteristische Eigenschaften (Intertextualität und Darstellung persönlicher Meinungen zu individuell relevanten Themen) stark im Vordergrund. In Lehrwerken entfallen aber gerade diese Funktionen. Ein Beispiel: Es werden Forenbeiträge zu Fernsehsendungen gefordert, die die Lernenden nie gesehen haben, zu denen sie trotzdem einen Beitrag leisten sollen in Aufgaben wie: „Sie haben im Fernsehen eine Diskussionssendung zum Thema […] gesehen.“ (z.B. Menschen B1.2, Kursbuch S. 70). Hier werden gerade Potenziale der Dialogizität der authentischen Textsorte Forumsbeitrag annulliert, ebenso wird die erwünschte emotionale Teilnahme der Schreibenden missachtet. Somit ist vorerst daraus zu schließen, dass in vielen Fällen die Funktionen und besonderen Charakteristika von digitalen Textsorten wie E-Mails, Forenbeiträgen und Blogbeiträgen verkannt werden. Stattdessen werden sie auf nichtdigitale oder bestenfalls pseudodigitale Formen reduziert, womit ihr besonderes Potenzial (Dialogizität, Intertextualität, Veränderlichkeit der Informationen, emotionale Teilhabe u.a.) entfällt. Im Übrigen: In keinem der Nicole Marx 168 untersuchten Lehrwerke sollte ein authentischer Blog gelesen werden oder wird der Besuch eines Online-Forums angeregt. Eine letzte und besondere Position nimmt die Textsorte SMS bzw. Kurznachricht ein, die auch in Lehrwerke auf höheren Niveaus langsam Einzug hält (u.a. Schritte international A1.2, Arbeitsbuch, S. 137; Aspekte neu B2, Lehr- und Arbeitsbuch 2, Teil 1, S. 34). Diese Textsorte hat aus unterschiedlichen Gründen in den letzten Jahren im Alltag besonders an Bedeutung gewonnen und ist zumindest in Deutschland v.a. bei der Nutzung von Diensten wie WhatsApp, Telegramm oder Facebook Messenger sehr beliebt (so nutzen 95% aller Jugendlichen zwischen 12-19 Jahren in Deutschland 2018 WhatsApp mehrmals pro Woche, s. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, o.J.). Hier ist nicht nur eine multimodale Vermittlung von Inhalten möglich (neben Text und diversen Emojis auch Bild-, Ton- und Videoaufnahmen), sondern auch eine gleichzeitige Vermittlung von für eine spezifische Zielgruppe intendierten Mitteilungen als Gruppennachricht. Charakteristisch hierfür sind eine (tendenzielle, auch dies löst sich derzeit auf) extreme Kürze sowie ein enger intertextueller Bezug. Auch hier zeigt sich, dass die Aufgaben und Musterbeispiele wenig an authentische Kommunikationsformen erinnern. So sollen u.U. Anrede und Schlussformel formuliert, syntaktisch vollständige Sätze verfasst und z.T. ausführliche Argumente eingeführt werden. Noch problematischer erscheint im Kontext des Fremdsprachenunterrichts das recht diffuse Lernziel. Handelt es sich um das Üben von spezifischen sprachlichen Handlungen wie Absprachen/ Verabredungen und entsprechendem Wortschatz auf noch sehr niedrigen Sprachniveaus, ist der wenig authentische Einsatz ggf. noch zu verzeihen. Als Schreibanlass mit dem Ziel des Kennenlernens neuer Formate bzw. des Ausbaus neuer oder von der Erstsprache divergierender Textsorten und Textmuster ist sie aber ungeeignet. Sie bietet erstens zu wenig sprachliches Material, um eine vertiefte Auseinandersetzung mit sprachlichen Mitteln zu ermöglichen. Zweitens täuscht sie Lernenden eine Textform vor, die es weder im Deutschen noch (vermutlich) in der Erstsprache gibt. Das liegt darin begründet, dass Kurznachrichten faktisch nur mit Personen getauscht werden, zu denen wenig (physische sowie i.d.R. emotionale) Distanz besteht. Schreiben Lernende also Nachrichten dieser Art, dann handelt es sich um eine Situation, bei der sie im Zielsprachenland mit Bekannten (meist Freunden) kommunizieren - und just die damit verbundenen Spezifika sind am besten in der eigentlichen Situation von echten Akteuren zu erlernen. Resümierend werden bei den genannten Textsorten im Fremdsprachenunterricht v.a. drei Kritikpunkte evident. Erstens scheinen diese höchstens traditionellen Formaten zu entsprechen und die vielfältigen Möglichkeiten genauso wie die spezifischen Charakteristika echter digitaler Medien außer Acht zu lassen. Damit wird eine Digitalisierung vorgetäuscht, die bestenfalls an der Sache vorbei unterrichtet, schlimmstenfalls ein falsches Verständnis Zur Pseudodigitalisierung in Fremdsprachenlehrwerken 169 der Charakteristika dieser Formate zur Folge hat. Sie kommen somit nicht über die erste Ebene der Substitution hinaus. Weiter: Auch diese erste Ebene wird zweitens in den oben besprochenen Tendenzen und Beispielen nicht erreicht, denn Lernende werden nicht nur mit keinen neuen Funktionen und Formen konfrontiert - sie üben sich auch nicht in den Neuen Medien. Die digitale Technologie kommt im Großteil der Beispiele nicht einmal zum Einsatz, sondern es wird nur so getan, als ob man am Rechner sitzen würde, als ob man eine Kurznachricht schreiben würde, als ob man sich im Forum informieren und austauschen würde. Und drittens ist die Funktion bestimmter Textsorten im Fremdsprachenunterricht überhaupt fraglich. Ein Blog, ein Forumsbeitrag, eine Kurznachricht oder eine E-Mail erfordern eine für Lernende ersichtliche, zumindest potenzielle und zudem öffentliche Interaktivität, gar Dialogizität, in einer digitalen Umgebung. Und gerade das wird bei den untersuchten Lehrmaterialien nicht evident. 4 Potenziale des digitalen Wandels Dass der digitale Wandel Potenziale für den Fremdsprachenunterricht birgt und Möglichkeiten eröffnet, die im nicht-digitalisierten Fremdsprachenunterricht entfallen, steht außer Frage und ist Thema vieler Beiträge im vorliegenden Band. Wie dies ermöglicht wird, ohne auf pseudodigitalisierte Optionen als Substitution für traditionelle Medien zu verharren, ist eine schwierigere Frage. Hier sehe ich v.a. einen sinnvollen Einsatz und eine Weiterentwicklung bei solchen sprachlichen Handlungen und Kontexten, die im regulären Fremdsprachenunterricht nicht behandelt werden können bzw. müssten. Dies bedürfte gleichzeitig konzeptioneller Änderungen des Fremdsprachenunterrichts, indem bestimmte Lernbereiche ausgelagert werden, um andere im Unterricht intensiver behandeln zu können. Insbesondere Gelegenheiten zur Festigung neuer struktureller oder lexikalischer Informationen im Selbststudium sowie Möglichkeiten zum Üben synchroner Kommunikation sind hier denkbar, die aber an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden - sie sind Thema mehrerer Beiträge in diesem Band. Digitalisierungspotenziale in Lehrwerken ergeben sich - mit Bezug auf den Schwerpunkt dieses Beitrags - im Bereich der Textarbeit und insbesondere dem Schreiben. Da der digitale Wandel eine größere thematische Breite leicht zugänglich macht, müsste nicht nur ein Thema gleichzeitig von allen Lernenden behandelt werden. Vielmehr können Lernende z.B. über mehrere Wochen oder Monate hinweg für sie persönlich interessante Themen verfolgen und sich an unterschiedlichen Chaträumen oder themenspezifischen Onlineforen beteiligen, in denen sie sich in authentischen Umgebungen über Sportmannschaften, Fernsehserien oder Bastelprojekte u.v.a. - je nach persönlichem Interesse - austauschen können. Solche Projekte verleihen dem Verfassen von Blog- und Forenbeiträgen eine Authentizität und persönliche Nicole Marx 170 Bedeutung, die in konstruierten Lehrwerksaufgaben kaum möglich wäre - und reagieren auf die Hauptkritikpunkte, die pseudodigitale Schreibaufgaben betreffen. Es bleibt zu konstatieren, dass der digitale Wandel sinnvolle Möglichkeiten für das Fremdsprachenlernen eröffnen könnte, indem authentische Verwendungsmöglichkeiten von Sprache angeboten werden. Hierfür bedarf es allerdings i.S. Klafkis einer sorgfältigen Prüfung des „Primats der Didaktik“ (Klafki 1963, 23), d.h. der Sinnhaftigkeit unterschiedlicher Themen, Medien und Aufgabenformate, um einen angemessenen, d.h. lern- und motivationsförderlichen Einsatz digitaler und nichtdigitaler Formen zu ermöglichen. 5 Fazit Der digitale Wandel birgt nach wie vor viel Potenzial für den Fremdsprachenunterricht. Neue Lernumgebungen, neue Gegenstände und neue Medien führen dazu, dass diverse, auch noch vor wenigen Jahren kaum denkbare Aktivitäten in den Unterricht gelangen (können). Bei aller Begeisterung gilt jedoch, dass Lernende genau dies bleiben: Lernende. Sie sollen sich also mit Inhalten, Formen, Funktionen, Registern usw. auseinandersetzen, die sie noch nicht (oder noch nicht ausreichend) kennen (Fandrych sowie Funk in diesem Band). Und sie sollen dies in solchen Situationen erfahren, die möglichst funktional angemessen sind, so dass ein passender Sprachgebrauch gefördert wird. Dazu gehört, dass digitale Textsorten möglichst auch digital erstellt und ausgetauscht werden sollen und dass die Nutzung Digitaler Medien i.S. z.B. des SAMR-Modells reflektiert wird. Wie Warschauer und Healey bereits vor über 20 Jahren formulierten: „the question might become less ‘what is the role of information technology in the language classroom’ and more ‘what is the role of the language classroom in the infornation [sic] technology society’” (1998, 11) - und wie sich beide Aspekte gerecht werden. Literatur Bachmann, Thomas/ Becker-Mrotzek, Michael (2017): „Schreibkompetenz und Textproduktion modellieren“. In: Becker-Mrotzek, Michael/ Grabowski, Joachim/ Steinhoff, Torsten (Hrsg.): Forschungshandbuch empirische Schreibdidaktik. Münster: Waxmann, 25-53. Bär, Marcus (in diesem Band): „Fremdsprachenlehren und -lernen in Zeiten des digitalen Wandels. Chancen und Herausforderungen aus fremdsprachendidaktischer Sicht“, 12-23. Blume, Carolyn/ Schmidt, Torben (2017): „One size fits none: Adaptivity in digital games for language learning“. In: Appel, Joachim/ Jeuk, Stefan/ Mertens, Jürgen (Hrsg.): Sprachen Lehren: 26. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung in Ludwigsburg, 30. September 2015 - 3. Oktober 2015: Kongressband. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 53-68. Zur Pseudodigitalisierung in Fremdsprachenlehrwerken 171 Burwitz-Melzer, Eva (in diesem Band): „The global village strikes back: Digitaler Wandel und interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht“, 34-45. Duden (2015): Duden Deutsches Universalwörterbuch. Berlin: Dudenverlag. Fandrych, Christian (in diesem Band): „Die Transformation sprachlichkultureller Praktiken: Sprachdidaktische Herausforderungen des digitalen Wandels“, 58-67. Funk, Hermann (in diesem Band): „Feindliche Übernahme oder erweiterte didaktisch-methodische Szenarien? Fremdsprachenunterricht in Zeiten des digitalen Wandels“, 68-79. Grünewald, Andreas (2016): „Digitale Medien und soziale Netzwerke im Kontext des Lernens und Lehrens von Sprachen“. In: Burwitz-Melzer, Eva/ Mehlhorn, Grit/ Riemer, Claudia/ Bausch, Karl-Richard/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 6., völlig überarbeitete und erweiterte Aufl. Tübingen: Francke, 463-466. Kern, Richard (1995): „Restructuring classroom interaction with networked computers: Effects on quantity and characteristics of language Production“. In: Modern Language Journal 79/ 4, 457-476. Klafki, Wolfgang (1963): „Das Problem der Didaktik“. In: Präsidium des Pädagogischen Hochschultages (Hrsg.), Das Problem der Didaktik. 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In Deutschland verständigten sich die Bundesländer im Jahre 2016 auf einen verbindlichen Rahmen „Bildung in der digitalen Welt“ und verpflichteten sich, dafür Sorge zu tragen, dass alle Schülerinnen und Schüler (SuS), die zum Schuljahr 2018/ 2019 in die Grundschule eingeschult werden oder in die Sek I eintreten, bis zum Ende der Pflichtschulzeit die in diesem Rahmen formulierten Kompetenzen erreichen können (KMK 2016, 18). Der Erwerb der postulierten Kompetenzen durch die Lernenden setzt voraus, dass die Lehrkräfte selbst über die nötigen digitalen Kompetenzen verfügen (Europäische Union 2017), was jedoch auch bei der jungen Generation der Lehrenden nicht ohne Weiteres automatisch vorausgesetzt werden kann. So formuliert die „Strategie zur Digitalisierung in der Hochschulbildung“ (SMWK 2018) als Lernziel für Studierende u.a. den „Erwerb von notwendigen Kompetenzen für eine digital geprägte Arbeitswelt“ (ebd., 6). Neben den fächerübergreifenden Medienkompetenzen, die Lehrpersonen aller Fächer besitzen sollen, ist es wichtig, insbesondere aus der Fachperspektive zu wissen, wie Medien eingesetzt werden können, damit das Lernen eines konkreten Unterrichtsfaches unterstützt und gefördert wird (vgl. GFD 2018). Kenntnisse in Bezug auf die Nutzung moderner Medien im Fremdsprachenunterricht gehören zu den fachspezifischen Kompetenzen von Fremdsprachenlehrenden (vgl. KMK 2017, 44-46) und sollten daher auch im Fokus der Russischlehrerausbildung stehen (vgl. Wapenhans 2014, 257). Medienkompetenz wird in der Regel als ein mehrdimensionales Konstrukt aufgefasst. Die aktuellen Definitionen (u.v.a. Grünewald 2017) gehen auf Baacke (1997) zurück, der vier verschiedene Dimensionen von Medienbildung herausstellte: Medienkunde, -nutzung, -gestaltung und -kritik. Für die Russischlehrerausbildung stellen die Bereiche technische Medienkompetenz, kritische Medienkompetenz sowie die Mediennutzung für den Russischunterricht und die eigene Fortbildung wichtige Schwerpunkte dar. Diese lassen sich Grit Mehlhorn 174 in die folgenden Unterkategorien aufschlüsseln (vgl. Drackert/ Mehlhorn/ Wapenhans erscheint): 1. Umgang mit Hard- und Software sowie webbasierten Diensten zum Sprachenlernen und -lehren - Hardware / PC / Handy - Software (zum Präsentieren, zur Textverarbeitung, zum Lernen) - Webbasierte Dienste / Anwendungen 2. Kritischer Umgang mit Quellen und Informationen - Rechtliche Grundlagen - Prüfen und Bewerten von Quellen und Informationen - Vergleich von Informationen aus verschiedenen Quellen 3. Nutzung von Medien für die eigene Fortbildung, die Unterrichtsvorbereitung und -durchführung - Finden und Adaptieren geeigneter Lernmaterialien und Ressourcen - Kennen und Nutzen von Tools für die Unterrichtsvorbereitung / Erstellung von Lernmaterialien 2 Fachliche und didaktische Herausforderungen des digitalen Wandels Neue Technologien bieten großes Potenzial für den Fremdsprachenunterricht und das individualisierte Lernen, aber auch technische Herausforderungen und Motivationsprobleme (vgl. Buchberger/ Chardaloupa/ Perperidis/ Heckmann 2013, 6). Insbesondere Lehrkräfte laufen Gefahr, zu sog. digital Immigrants zu werden, wenn sie mit dem zunehmenden Tempo der technischen Veränderungen nicht Schritt halten und nicht mehr in der Lage sind, Lernprozesse für die Generation der digital Natives 1 zu gestalten. Im Zusammenhang mit den fachlichen Herausforderungen stehen die Diagnosekompetenzen von Lehrenden: Während deutsche SuS in der ICILS- Studie, in der die computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Jugendlichen der Jahrgangsstufe 8 gemessen wurden, im internationalen Vergleich eher mittelmäßig abgeschnitten haben (vgl. Bos et al. 2014), zeigt die Studie „Schule digital“ (Vodafone Stiftung Deutschland 2017), dass Lehrende die Medienkompetenzen ihrer SuS in signifikanter Weise überschätzen (vgl. auch Gailberger 2018a, 33), vermutlich auch, weil Medienbildung häufig auf technische Kompetenzen bzw. den häufigen Umgang mit dem Smartphone 1 Die Metapher der digital Natives bezieht sich auf den technischen Aspekt der Medienkompetenz, da die junge Generation mit digitalen Medien aufgewachsen ist und diesbezüglich keine Berührungsängste hat. Im Bereich der kritischen Medienkompetenz haben jedoch sowohl SuS als auch Studierende Lernbedarf. Digitaler Wandel und Medienkompetenz 175 verkürzt wird. Hier wäre ein differenzierterer Blick auf verschiedene Qualitäten des Lernens mit digitalen Medien (vgl. das „Lernen 4.0“ bei Zierer 2018) nötig. Im Gegensatz zum Englischen spielen die zweiten und dritten Fremdsprachen, darunter auch Russisch, eine geringere Rolle im außerunterrichtlichen Medienkonsum von Jugendlichen. Riemer (in diesem Band) verweist zu Recht darauf, dass selbstbestimmtere Formen der Motivation erst dann entstehen, wenn den Lernenden Sprachkenntnisse auch außerhalb des Unterrichts als wertvoll und für das weitere Leben relevant erscheinen. Russischlehrkräfte sollten digitale Formate für den Unterricht daher vor allem als Chance begreifen. Eine didaktische Herausforderung besteht darin, Medien für den Fremdsprachenunterricht sinnvoll auszuwählen und zu verwenden sowie eine gewisse Ausgewogenheit des Medieneinsatzes zu erreichen. Zierer (2018) zufolge gilt es, Szenarien entgegenzuwirken, in denen Digitalisierung Lernen verhindert, und sich auf Potenziale des digitalen Wandels für das Fremdsprachenlernen zu konzentrieren. 3 Potenziale des digitalen Lehrens und Lernens für den Russischunterricht Auch wenn die Digitalisierung unsere Lebenswelt verändert und Kinder und Jugendliche heute teilweise anders und Anderes lernen als noch ihre Eltern und Großeltern, ist fraglich, ob damit eine Revolutionierung des Fremdsprachenlernens einhergeht. Zwar ist es heute leichter als jemals zuvor, aktuelle, authentische und interessante Lernmaterialien für den Unterricht einzusetzen, aber die SuS sind aufgrund ihres regelmäßigen Medienkonsums auch anspruchsvoll: Die Verwendung einer Filmsequenz oder des Handys im Unterricht ist keine Garantie dafür, dass die Lernenden die gestellten Aufgaben aufmerksam und motiviert bearbeiten. Das Vorhandensein von Vokabel- Apps entbindet nicht vom Lernen, und Online-Übungen sind nicht per se besser als solche aus dem gedruckten Lehrwerk. Grundlegende Lehr- und Lernprinzipien bleiben bestehen. Vielmehr geht es darum, die bereits existierenden Grundsätze auf die Realität des digitalen Wandels anzuwenden. Dabei kann sich eine Art Leitbild für das digitale Lehren und Lernen als durchaus nützlich erweisen. Zierer (2018) macht mit seinem Motto „Pädagogik vor Technik“ deutlich, dass der erste Schritt bei der Unterrichtsplanung nach wie vor die Frage nach dem Lernziel sein sollte, dem alle weiteren Planungsschritte nachgeordnet werden müssen. Auch Medieneinsatz muss gut begründet erfolgen. Was im Bereich der Digitalisierung entwickelt wird, sollte an bestehende fremdsprachendidaktische Konzepte anschlussfähig sein, denn nur so lassen sich zielorientierte didaktische Unterrichtsvorschläge unterbreiten. Potenziale für digitale Medien im Russischunterricht und die Unterrichtsvorbereitung sehe ich z.B. in Grit Mehlhorn 176 - Lernvideos zur Veranschaulichung grammatischer Phänomene (vgl. Hirschfelder 2018) oder für die Vorbereitungsphase des sog. Flipped Classroom (vgl. Buchner 2019), der Nutzung von Online-Nachschlagewerken bei grammatischen Zweifelsfällen, der Wortakzentposition im Russischen oder der Aussprache von Vokabeln, der Erkundung des Fügungspotenzials oder des Gebrauchs eines Suchworts in Online-Korpora für die Verbesserung der eigenen Sprachproduktion (vgl. Guhl 2018), visible speech zur Bewusstmachung der zielsprachigen Artikulation und Interaktion (vgl. Hardison 2004; Mehlhorn/ Trouvain 2007), - Lernsoftwares als Unterstützung binnendifferenzierten Rechtschreibunterrichts für Herkunftssprecher (vgl. Fay 2018), authentischen Lernmaterialien wie Webvideos zum Training des Hörsehverstehens und als Sprechanlass (vgl. Gnädig/ Pohlmann 2018), russischen semi-narrativen Musikvideos, Sitcoms und Serien für die Vermittlung interkultureller Kompetenz (vgl. Caspers 2018), der Nutzung von Online-Formaten für Sprachenportfolios und Lesetagebücher (vgl. Haferlandt 2018), digitalen Unterrichtsmanagern zu aktuellen Lehrwerken, authentischer Landeskunde, wenn mit Street View, Webcam und 360 Grad-Bildern das weit entfernte Russland ins Klassenzimmer geholt werden kann (vgl. Kolodzy 2018), - Podcasts zum Üben des Hörverstehens mit Originaltexten, erweiterten Möglichkeiten des literarischen Lesens und literarischen Hörens (vgl. Gailberger 2018b), der Aufnahme eigener russischsprachiger Textproduktionen der SuS über die Diktierfunktion des Handys, der Recherche, Informationsbeschaffung und -verarbeitung mithilfe russischer Internetseiten im Rahmen von Projektarbeit, der Nutzung von Software (z.B. Publisher, Audacity, Moviemaker) für die Erstellung und Bearbeitung von Produkten in der Zielsprache, der medienvermittelten Kommunikation und virtuellen Begegnungen mit Muttersprachlern, z.B. Teletandem (vgl. Akiyama/ Cunningham 2018). Digitale Formate eignen sich insbesondere dann, wenn die SuS unter hoher kognitiver und sozialer Vernetzung arbeiten, wenn die Bearbeitung einer Aufgabe mehrere Personen involviert und deren Ideen und Gedanken aufgegriffen werden (vgl. Zierer 2018, 37). Digitaler Wandel und Medienkompetenz 177 4 Konzeptionelle Änderungen in der Fremdsprachendidaktik Das Modell des Inverted Classroom stellt ein vergleichsweise neues Konzept dar, bei dem die SuS sich auf den Unterricht mithilfe von - zumeist online - zur Verfügung gestellten Lernmaterialien vorbereiten, woraufhin in der Präsenzphase das Gelernte mit Unterstützung der Lehrperson geübt und vertieft wird (vgl. Buchner 2019). Von diesem „umgedrehten Unterricht“ verspricht man sich eine Aufwertung der Präsenzzeit, mehr Zeit für Interaktion in Partner- und Gruppenarbeit und eine Erhöhung der Sprechanteile der SuS im Fremdsprachenunterricht. Die Innovation wird v.a. in der Digitalisierung der Vorbereitungsphase, bspw. durch die Bereitstellung selbst gedrehter Erklärvideos und LearningApps, sowie der Verzahnung beider Phasen gesehen. Die Lernenden können sich so in ihrem eigenen Tempo die Inhalte erschließen. Von den Lehrkräften verlangt das Modell umfassende Medienkompetenzen (z.B. für die Videoproduktion und die Erstellung von Online-Übungen) und eine langfristige Unterrichtsplanung, von den SuS eine gewisse Lernerautonomie und die Bereitschaft, sich gewissenhaft auf den Unterricht vorzubereiten.Der digitale Wandel bringt Änderungen von Textsorten mit sich, die für die Lebenswelt der SuS und somit auch für den FSU relevant sind. So stellt das Verfassen von Blogeinträgen oder das Zusammenfassen eines deutschen Textes in Form eines Blogeintrags in der Zielsprache (Sprachmittlung) bereits seit geraumer Zeit ein beliebtes Format in schriftlichen Abiturprüfungsaufgaben dar. Dabei gilt es, an die Erfahrungen der Lernenden anzuknüpfen, indem bspw. literarische Blogs analysiert, individuelle Bewertungen von Audiobüchern oder Lektüreempfehlungen vorgenommen werden. Koebe und von Brand (2018) zeigen exemplarisch auf, wie das Verfassen von Blogtexten durch individuelles, kommunikatives, kooperatives oder subsidiäres Arbeiten auf motivierende und differenzierte Weise gestaltet werden kann. Aus Sicht der zweiten und dritten Fremdsprachen scheint mir v.a. die Nutzung von Blogs zur Leseförderung, die regelmäßige Überprüfung der Formulierungssicherheit und die Stärkung der Schreibkompetenz relevant. So kann gemeinsam ein Lesetagebuch als Mittel zur Dokumentation gelesener Bücher und zur Reflexion des Gelesenen erstellt werden; dabei sollte auf vorherige Posts eingegangen werden, es können Fragen an den Autor oder generell Fragen mit der Bitte um Reaktion gestellt werden. Die Kommunikation im Internet verlangt nach Einhaltung einer gewissen Netiquette, die insbesondere in der Fremdsprache explizit vermittelt werden muss. Dazu gehört aus meiner Sicht auch die Bewusstmachung konzeptioneller Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit von digitalen Texten. Im schulischen Russischunterricht ist das insbesondere für russischsprachige SuS (Herkunftssprecher/ innen) relevant, für die WhatsApp-Nachrichten meist die einzige genutzte Textsorte sowie Lese- und Schreiberfahrung im Russischen darstel- Grit Mehlhorn 178 len, was häufig dazu führt, dass das dort verwendete Register auch auf Textsorten übertragen wird, in denen eher Bildungssprache erwartet wird. Der massive Wandel in der Sprachverwendung und die Veränderungen von Sprachnormen durch den Einfluss der digitalen Medien betreffen jedoch den Input von Fremdsprachenlernenden generell und müssten auch bei der Bewertung von Lernertexten berücksichtigt werden. Fachdidaktische Überlegungen hierzu stehen noch ganz am Anfang und sollten viel stärker diskutiert werden (vgl. dazu auch Fandrych in diesem Band). Medienkompetenz muss auch in fachdidaktischen Veranstaltungen vermittelt werden, denn für eine Erziehung der SuS zu kundigen und mündigen Bürgern ist ein sicherer und reflektierter Umgang mit digitalen Medien durch die Lehrkräfte Voraussetzung. Angehende Lehrende sollten in der Lage sein, sowohl das Potenzial als auch die Grenzen von fertigen Online-Materialien, Lernspielen und Webtools wie LearningApps, Kahoot® und Flashcard Maker® (vgl. Busch 2018; Strasser 2018) für den Fremdsprachenunterricht einschätzen zu können. Die Ergebnisse maschineller Übersetzung durch Online-Dienste wie Google-Übersetzer und DeepL wurden in jüngster Zeit stark verbessert, sind jedoch für die morphologisch komplexen slawischen Sprachen längst noch nicht so weit ausgereift wie bspw. das Englische. Die bisher stark begrenzten Möglichkeiten, mithilfe künstlicher Intelligenz Informationen z.B. zum Genus aus Ausgangstexten zu entnehmen, führen bei der Online-Übersetzung regelmäßig zu gravierenden Fehlern etwa bei der pronominalen Aufnahme zuvor eingeführter Referenten. Die Fehlerkorrektur automatisch ins Russische übersetzter Texte wird auch auf absehbare Zeit von Menschen vorgenommen werden müssen. Eine kritische Auseinandersetzung mit maschinellen Übersetzungsprodukten in der Lehrerausbildung kann Sprachbewusstheit anbahnen und dazu beitragen, Grenzen von Online-Diensten zu erkennen und ihre Potenziale reflektierter zu nutzen. Das erfordert jedoch ein Umdenken auch in Bezug auf die zu erreichenden Lernziele für den schulischen Fremdsprachenunterricht: SuS sollten in die Lage versetzt werden, Online- Wörterbücher, Korpora und auch Übersetzungsdienste strategisch sinnvoll für ihre Sprachproduktion zu nutzen, in Zweifelsfällen alternative Nachschlagewerke zu Rate ziehen, verschiedene Übersetzungsvorschläge kritisch vergleichen und einschätzen lernen, welchen Quellen sie eher vertrauen können. Das müsste auch dringend mit einer Veränderung der bisherigen standardisierten, analogen Prüfungskultur einhergehen, insbesondere bei den Formaten der schriftlichen Sprachmittlung, die weit von der außerschulischen Parallelwelt der Lernenden entfernt ist (vgl. auch das kritische Hinterfragen der Authentizität digitaler Aufgabenformate in Lehrwerken bei Marx in diesem Band). Digitaler Wandel und Medienkompetenz 179 5 Forschungszugänge Konzeptionelle Änderungen in der Fremdsprachendidaktik erfordern passende Forschungszugänge. Untersuchungen zum Mediennutzungsverhalten von Jugendlichen wie die JIM-Studie geben Hinweise darauf, wie man durch die Digitalisierung des Unterrichts an die Lebenswelt von SuS anknüpfen kann. Experimente wie die von Mueller und Oppenheimer (2014) „The pen is mightier than the keyboard“ verdeutlichen, in welchen Bereichen des Lernprozesses eine unreflektierte Mediennutzung sich als kontraproduktiv erweist. Im Bereich der adaptiven Technologien lohnt sich Forschung zu Möglichkeiten der Binnendifferenzierung und Individualisierung beim Fremdsprachenlernen (vgl. Würffel 2017, 134-136). 2 Entwicklungsforschung ist dringend geboten, auch um digitale Angebote in Lehrwerken zu verbessern (vgl. Schmidt in diesem Band). Hilfreich wäre eine Art Typologie der digitalen Ressourcen mit begründeten Einschätzungen, was welche Arten von Medien und digitalen Werkzeugen für den Fremdsprachenunterricht leisten können und wie sinnvolle Lernszenarien mit digitalen Medien gestaltet werden sollten. Aber auch Bestandsaufnahmen zu den Medienkompetenzen und Einstellungen (angehender) Lehrender zur Digitalisierung im Unterricht sind erforderlich. Die Studie „Schule digital“ (Vodafone Stiftung 2017) zeigt eine distanzierte Haltung von Lehrenden zu digitalen Medien im Unterricht, die offensichtlich auch mit Unsicherheiten bzgl. der Medienkompetenzen der Lehrpersonen zu tun hat (vgl. Gailberger 2018a, 26). Drackert et al. (erscheint) haben im Sommersemester 2018 (jeweils zu Semesterbeginn und Semesterende) in einer Online-Fragebogenstudie Studierende des Lehramts Russisch an drei Ausbildungsstandorten (Berlin, Bochum, Leipzig) zu ihren Medienkompetenzen befragt. Ziel der Studie war eine Bestandsaufnahme der Medienkompetenzen angehender Russischlehrender, um eine evidenzbasierte Entscheidung darüber zu ermöglichen, welche Kompetenzen in den Vordergrund der Ausbildung gerückt werden sollen. Außerdem sollte untersucht werden, was in unterschiedlichen Ausbildungskontexten im Laufe eines Semesters an Zuwachs im Bereich der Medienkompetenzen erreicht werden kann. Insgesamt waren v.a. bei der kritischen Medienkompetenz Zuwächse zu verzeichnen. Ihre Fähigkeit zur Einschätzung von Texten und Materialien sowie der Authentizität von Quellen konnten die Studierenden während des Semesters ausbauen. Lernbedarf 2 Abgesehen von forschungsethischen Fragen halte ich es jedoch in Bezug auf die Lernerautonomie für bedenklich, wenn selbstlernende Systeme die Selbststeuerung von Lernenden einschränken, indem sie die Lernziele oder die nächste zu erreichende Stufe vorgeben und gleichzeitig alternative Lernwege und -ziele ausschließen. Inwieweit und unter welchen Bedingungen man mit adaptiven Technologien tatsächlich selbstgesteuert lernen kann, wäre ein weiteres interessantes Forschungsfeld. Grit Mehlhorn 180 sehen die angehenden Russischlehrenden bei sich insbesondere bzgl. der rechtlichen Grundlagen und des Prüfens von Quellen und Informationen. Im Großen und Ganzen zeigen die Ergebnisse eine aufgeschlossene Grundhaltung der Lehramtsstudierenden gegenüber Neuem im Bereich Medienkompetenz. Einige Studierende sind jedoch davon überzeugt, dass bestimmte Bereiche der Medienkompetenz für den schulischen Russischunterricht irrelevant sind. Im Sinne der kritischen Medienkompetenz ist es notwendig, dass Fremdsprachenlehrende Kommentare anderer Internetnutzer auf diversen Plattformen und in sozialen Medien bezüglich ihrer Relevanz, Aussagekraft und ihres Wahrheitsgehalts einschätzen können. Wenn die SuS sich im russischen Internet bewegen, sollten sie wissen, welche Quellen als vertrauenswürdig gelten, wie sie Werbung umgehen können, welche Online-Wörterbücher besser als andere geeignet sind, und die Russischlehrkraft sollte ihnen dieses Wissen vermitteln können. Die erwähnte Befragung zu den Medienkompetenzen (Drackert et al. erscheint) könnte longitudinal über einen längeren Studienabschnitt sowie auf weitere Fremdsprachen bzw. Lehramtsfächer ausgeweitet werden. Gerade in Bezug auf Digitalisierung bieten sich gemeinsame hochschulübergreifende Projekte in der Lehrerausbildung an. So konnten die Befragten der drei Ausbildungsstandorte der o.g. Studie im Folgesemester gemeinsam an einem Webinar zu „interaktiven Helfern“ im Russischunterricht teilnehmen. Die Liste der Studierenden in Bezug auf wünschenswerte Medienkompetenzen kann ein Ausgangspunkt für die systematische Medienkompetenzvermittlung in der Russischlehrerausbildung sein. Beispielsweise haben die Leipziger Studierenden des Moduls „Didaktik der slawischen Sprachen 3“ im Sinne der alternativen Methode Lernen durch Lehren (LdL) im Laufe des Wintersemesters 2018/ 19 jeweils eine kleine Mini-Präsentation von 3-5 min übernommen, in der sie ihren Kommilitonen eine Medienteilkompetenz vorgestellt und vermittelt haben, die sie sich selbst vor kurzem angeeignet haben, bspw. die Ergänzung eines Wikipedia-Eintrags mit Bezug zur russischen Sprache, die Erstellung eines Lexikoneintrags einer bisher noch fehlenden Vokabel in einem Online-Wörterbuch, das Hinzufügen von Untertiteln zu einem russischen Trickfilm, die Erstellung eines Lernvideos für den Russischunterricht u.v.m. Im Rahmen des Seminars wurden Online-Übungen auf der Plattform https: / / learningapps.org analysiert und die Studierenden erstellten selbst eine solche Übung mit einem konkreten Lernziel für den Russischunterricht. Schließlich wurden die Dozentinnen durch die Ergebnisse der Erhebung stärker für die Lernbedürfnisse ihrer Studierenden im Bereich Medienkompetenz sensibilisiert. Ein einziges Seminar allein kann diese Querschnittsaufgabe für die Lehrerausbildung jedoch nicht bewältigen; Medienkompetenzen sollten in allen Veranstaltungen der Russischdidaktik und der Fachwissenschaften mitgedacht und weiterentwickelt werden. Digitaler Wandel und Medienkompetenz 181 Für die begleitende Erforschung des lernförderlichen Einsatzes digitaler Medien im FSU und die Erprobung neuer Konzepte in konkreten Unterrichtskontexten ist Aktionsforschung von praktizierenden oder auch angehenden Lehrenden ein guter Ansatz (vgl. Altrichter et al. 2018). Neuere Aktionsforschungsprojekte mit Bezug zum Russischunterricht beschäftigen sich z.B. mit Blended Learning-Szenarios im Rahmen der binnendifferenzierenden Sprachpraxisausbildung von Lehramtsstudierenden (Mehlhorn/ Waschik 2015) und der Anwendung des Inverted Classroom-Modells im schulischen Russischunterricht (Hirschfelder 2018). 6 Prioritäten in den Aufgabenfeldern der Digitalisierung Die mangelnde Medienintegration, die deutschen Schulen momentan bescheinigt wird, deutet darauf hin, dass die technischen Potenziale, die didaktischen, curricularen und gesellschaftlich-bildungspolitischen Ansprüche sowie die tatsächlich in den fremdsprachlichen Lehr-/ Lernkontexten und der Lehrerbildung vorhandenen Möglichkeiten der Digitalisierung auch in absehbarer Zukunft auseinanderklaffen werden. Schulen und Hochschulen sollten jedoch auf moderner technischer Ausstattung bestehen, diese bei Verfügbarkeit auch nutzen sowie die Vor- und Nachteile von BYOD (Bring your own device) berücksichtigen (vgl. Gailberger 2018a, 54f.). Neben der Bereitstellung lernförderlicher Infrastrukturen für die Informationstechnik besteht meines Erachtens derzeit die wichtigste Aufgabe darin, (angehende) Lehrende in medientechnischer und mediendidaktischer Hinsicht zu professionalisieren. Professionalisierung in der Lehrerbildung ist ein nie abgeschlossener Prozess und in der digitalisierten, sich ständig verändernden Welt wichtiger denn je. Voraussetzung dafür ist die volitionale Bereitschaft, sich auch wirklich mit digitalen Medien auseinandersetzen zu wollen. Eine offene, aber gleichzeitig medienkritische Haltung gegenüber Digitalisierung im Unterricht muss bereits bei Lehramtsstudierenden angebahnt werden. In einem zweiten Schritt und darauf aufbauend sollten die SuS - fächerübergreifend und fächerspezifisch - digital kompetent gemacht werden. Literatur Akiyama, Yuka/ Cunningham, D. Joseph (2018): „Synthesizing the practice of SCMC-based telecollaboration: A scoping review“. In: Calico Journal (Computer Assisted Language Instruction Consortium) 35/ 1, 49-76. Altrichter, Herbert/ Posch, Peter/ Spann, Harald (2018): Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht (5. Aufl.). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Baacke, Dieter (1997): Medienpädagogik. Tübingen: Niemeyer. Bos, Wilfried/ Eickelmann, Birgit/ Gerick, Julia/ Goldhammer, Frank/ Schaumburg, Heike/ Schwippert, Knut/ Senkbeil, Martin/ Schulz-Zander, Renate/ Wendt, Grit Mehlhorn 182 Heike (2014): ICILS 2013. Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in der 8. Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich. Münster, New York: Waxmann. 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Fremdsprachenlernen und Fremdsprachengebrauch im digitalen Wandel Von der Realität über die Dystopie zur Utopie (nicht nur) im Bereich Deutsch als Fremdsprache Claudia Riemer Vorbemerkung Mein Beitrag reflektiert und antizipiert die Bedeutung des digitalen Wandels für unsere wissenschaftliche Disziplin - auf der Basis vorwissenschaftlicher Behauptung, Spekulation sowie erfahrungsbasierter Episoden und Beobachtungen in einer Arbeits- und Kommunikationswelt, in der durch Digitalisierung sämtliche Lebensbereiche einem grundsätzlichen Wandel zu unterliegen scheinen. Dies hat mich zur Frage verleitet, wer in 20 (? ) Jahren noch Fremdsprachen lernen wird. Ist (schulisches) Fremdsprachenlernen dann noch so verbreitet wie heute oder durch Technologie breit ersetzt und/ oder nur mehr auf spezifische Privatinteressen, hochspezialisierte Berufe oder vereinzelte Domänen (z.B. in Kultur und Wissenschaft) beschränkt? Das, was ich für die Zukunft des Fremdsprachenlernens und des Fremdsprachengebrauchs antizipiere, lässt sich derzeit (noch? ) nicht bzw. erst in frühen Ansätzen beobachten (und daher nicht erforschen), weder in der durch rasanten technologischen Fortschritt gekennzeichneten Welt der Kommunikation und Datenanalyse noch im real existierenden Fremdsprachenunterricht. Als wir uns in der mit kostbaren analogen Artefakten ausgestatteten ehrwürdigen Bibliothek des Schlosses Rauischholzhausen im Februar 2018 auf das Thema der Frühjahrskonferenz 2019 einigten, skizzierte ich in Gedanken bereits diesen Beitrag, der von der schönen neuen Welt der Möglichkeiten eines durch digitale Hilfsmittel angereicherten lernerorientierten und diversitätssensiblen Fremdsprachenunterrichts und von einer Welt des Fremdsprachenlernens handeln sollte, in der die Kinderkrankheiten und unbeabsichtigten Nebenwirkungen von frühem CALL und Nachfolgetechnologien zunehmend überwunden werden. Ein Beitrag sollte es werden, der von einem Fremdsprachenlernen handelt, das die engen Grenzen von durch Klassenzimmer und Lehrwerke zur Verfügung gestellten Lernräumen sowie Lern- und Kommunikationsangeboten endgültig verlässt und die Lebenswirklichkeit, Interessen sowie Ambitionen von L2-Lerner*innen angemessener berücksichtigt, als dies heute in der Regel geschieht und/ oder möglich ist. Das ganze Jahr hinweg sammelte ich immer wieder Beiträge von Kolleg*innen, die Claudia Riemer 186 sich in diesem Feld viel besser auskennen und z.T. äußerst kreative und innovative Vorschläge zur Nutzung digitaler Werkzeuge, Plattformen, sozialer Netzwerke und multimodaler Texte zum Fremdsprachenlernen und zur Verbesserung der Fremdsprachenvermittlung machen und die auch digitale Genres und Kommunikationspraktiken in sozialen Netzwerken zu neuen Lerngegenständen erklären. Und ich hielt auch Ausschau nach entsprechenden Untersuchungen, die das Lernpotenzial entsprechend angereicherter Lernarrangements auf den Prüfstand stellen (vgl. exemplarisch die Beiträge in Chapelle/ Sauro 2017; Farr/ Murray 2016; Reinhardt 2019 und Schmidt/ Würffel 2018). Dann aber hatte ich ein Schlüsselerlebnis mit Nachwirkungen, das es mir nicht mehr möglich machte, diesen Beitrag wie geplant zu schreiben: Ich las im Mai 2018 im Magazin Spiegel einen Beitrag über DeepL, ein deutsches Start-up, das angeblich die Sprachübersetzung (für inzwischen neun Sprachen; Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Italienisch, Niederländisch, Polnisch, Russisch) revolutioniert. Ich konnte nicht glauben, was ich las, und voller Neugier, die mit einer guten Dosis menschlicher Arroganz einer in geisteswissenschaftlicher Argumentation geschulten Fremdsprachenwissenschaftlerin gegenüber künstlicher Intelligenz gepaart war, erprobte ich auf https: / / www.deepl.com/ translator [letzter Zugriff 09/ 04/ 2019] die kostenlose Möglichkeit, ein paar Seiten eines Fachartikels, den ich gerade geschrieben hatte, maschinell ins Englische übersetzen zu lassen - und war vom Ergebnis schockiert. Meine durch Lektüre der internationalen Zweitsprachenerwerbsforschung einigermaßen geschulte rezeptive Englischkompetenz fand das Ergebnis erstaunlich gut (Erstsprachler*innen und near-native speaker des Englischen mögen hier zu anderen Einschätzungen gelangen). Und als ich von einem anderen PC aus die Rückübersetzung ins Deutsche vornehmen ließ, fand ich im Ergebnis meinen Ausgangstext relativ unentstellt wieder, und zum Teil sogar klarer. Ein mir nahestehender Kollege wiederholte den Test mit einem eigenen Artikel und bestätigte das Ergebnis, wenngleich er z.B. für den Wissenschaftsbereich der Landeskunde insbesondere terminologischen Optimierungsbedarf erkannte, dies aber als langfristig überwindbares Problem der Datenbasis des Systems einschätzte. Mittlerweile scheue ich mich nicht mehr, DeepL zu nutzen, wenn es z.B. darum geht, schnell eine englischsprachige Mail zu versenden und ich mal wieder unsicher z.B. bzgl. der Präpositionen oder der Wortwahl bin. Noch wirkt vorhandene Fremdsprachenkompetenz bei mir als Filter; ich würde es nicht wagen, DeepL für Übersetzungen in Fremdsprachen zu nutzen, die in meinem Sprachenrepertoire nicht vorkommen. Eines ist sicher: Die Entwicklung der maschinellen Übersetzung wird weitergehen, vorangetrieben auch durch die Konkurrenz der Anbieter (vgl. etwa den Google-Übersetzer mit seinem sehr umfangreichen, auch kleinere Sprachen umfassenden Sprachenangebot). Fremdsprachenlernen und Fremdsprachengebrauch im digitalen Wandel 187 Parallel kam mir die (wie ich ursprünglich fand) etwas unverschämte Aussage eines mir gut bekannten Kollegen aus der Professorenschaft der Informatik in den Sinn, der schon vor einigen Jahren die lapidare Bemerkung hatte fallen lassen, die Spracherkennung sei erst dann richtig in Schwung gekommen, als sie (die Informatiker) aufgehört hätten, auf die Sprachwissenschaftler zu hören. Ohne zu wissen, wie es die Informatik genau geschafft hat und wie die Algorithmen funktionieren: Heutzutage sind wir schon recht gut daran gewöhnt, dass Spracherkennung gesprochene Sprache verarbeiten und z.B. verschriftlichen kann. Ich kenne User, die E-Mails nicht mehr schreiben, sondern ihre Texte einsprechen und den Rest durch die Spracherkennung ihrer Smartphones oder Tablets erledigen lassen. Und Smartphone-Apps, wie etwa der Google-Übersetzer, die Spracherkennung mit Live-Übersetzung verbinden und in interkulturellen Face-to-Face-Begegnungen eingesetzt werden können (WLAN-Zugriff vorausgesetzt), sind in unterschiedlicher Qualität bereits verfügbar. Ich gehöre einer Generation an, die, noch komplett analog sozialisiert, nach und nach die technologischen Errungenschaften zur Erleichterung und Beschleunigung schriftlicher Arbeit und Kommunikation begrüßte (und heute über manche Nebenwirkung jammert). Mit dem Netz verbundene Notebooks, Tablets, digitale Stifte, in Clouds abgelegte Daten und Textmassen sind aus unserem Arbeitsalltag nicht mehr wegzudenken. Die digitale Medienkompetenz ist dabei eine fortwährend weiterzuentwickelnde Schlüsselkompetenz geworden. So kann ich mittlerweile meine Arbeitsprozesse nahezu perfekt digital abbilden (wenngleich die Existenz von schnellem Internet, ausgebauten WLAN-Netzen und Elektrizität unverzichtbar ist - woran DaFler*innen während ihrer Dienstreisen manchmal unliebsam erinnert werden). Wer sich wie ich noch daran erinnern kann, wie mühselig das Schreiben und Korrigieren auf mechanischen Schreibmaschinen war, wie aufwendig das Anfertigen von Matrizen für Unterrichtsmaterial war, wie viele Stunden wir mit dem Recherchieren, Lesen und Kopieren von Fachartikeln in der Bibliothek verbracht haben und wie wir uns Systeme ausgedacht haben, die vielen Texte geordnet und wiederauffindbar abzulegen, wie lange wir auf Antworten auf Briefe gerade im internationalen Kontext warteten - und wenn man dann das alles mit der heutigen Situation vergleicht, in der wir von Jüngeren zweifelnd gefragt werden, wie wir eigentlich ohne Internet leben konnten, unaufwändig kommunizieren konnten und wie wir an Informationen kamen, dann stellen wir fest, dass wir Zeitzeugen und Versuchskaninchen einer unglaublichen technologischen Revolution waren - und sind. Und ich vermute wie viele andere auch: Was in den letzten vielleicht 30 Jahren passiert ist, das war erst der Anfang. Diese Entwicklung geht weiter und verläuft exponentiell. Die Künstliche Intelligenz wird Barrieren in der menschlichen Kommunikation weiter abbauen, wird immer mehr Informationen zeit-, raum- und personenunabhängig zur Verfügung stellen, immer Claudia Riemer 188 intuitiver verwendbare, zunehmend unauffällige und alltagstaugliche Assistenzsysteme entwickeln und schließlich die Mensch-Maschine-Barriere irgendwann überwinden. Dabei wird sie auch einige (vielleicht nicht alle) Barrieren abschaffen, die durch Fremdsprachen bestehen. Ich frage mich daher heute, ob (über-)morgen überhaupt noch Sprachen, so wie wir es kennen, gelernt werden (müssen), um die Ziele zu erreichen, die gewöhnlich mit dem Lernen von Sprachen verbunden werden, nämlich auf der Basis einer erarbeiteten und sich weiter entwickelnden individuellen fremdsprachlichen Kompetenz in der Zielsprache angemessen kommunizieren zu können. Meine Antwort lautet: Nein, und das ist auch gut so. Im Folgenden möchte ich ausführen, was mich zu diesen Gedankengängen und Provokationen veranlasst und anhand von drei Gegenwarts- und Zukunftsszenarien die Leitfragen der diesjährigen Frühjahrskonferenz bearbeiten. Von der Realität (nicht nur) des DaF-Unterrichts und von digitalen Hoffnungen … Fremdsprachenlernen ist - salopp ausgedrückt - ein immer auch mühevolles und langwieriges Geschäft. Wer nicht mit einer hohen Sprachlerneignung und einer unerschütterlichen intrinsischen Motivation gesegnet ist, auch ansonsten nicht den Idealen des good language learners entspricht, empfindet es nicht als Freude per se, über Jahre und Jahre den Ambiguitäten und Überraschungen fremder Sprachsysteme (nicht ausschließlich, aber insbesondere in den Bereichen Bereich Lexik und Grammatik) ausgeliefert zu sein und sich diese Stückchen für Stückchen über Übungen, Aufgaben, Regeln und gerahmt von normierten Leistungskontrollen aneignen zu müssen. Diesen Prozess der Aneignung der Fremdsprache möglichst gut zu unterstützen und zum Ziel der kommunikativen Kompetenz zu führen, ist das Ziel des Fremdsprachenunterrichts. Wir arbeiten u.a. im Rahmen der Frühjahrskonferenzen am Bild des guten Fremdsprachenunterrichts, seinen notwendigen Rahmenbedingungen inkl. professioneller Lehrer*innen, die wir möglichst gut aus- und fortbilden, seinen Kompetenzzielen und Lerngegenständen. Wir erforschen Lehr- und Lernprozesse u.a. im Unterricht, konstatieren Entwicklungen und Limitationen und befassen uns mit Bildungspolitik und gesellschaftlichen Entwicklungen. Daher steht es uns gut zu Gesicht, dass wir uns darüber verständigen, welchen potenziellen Mehrwert Instrumente der technologischen Entwicklung für das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen besitzen und inwiefern die technologischen Potenziale und die tatsächlich in den Lehr-Lern-Kontexten vorhandenen technischen Möglichkeiten (zu weit) auseinanderklaffen. Für solche Diskussionen benötigen wir m.E. einen breiten Digitalisierungsbegriff, der nicht nur die digitale Infrastruktur, sondern sämtliche Be- Fremdsprachenlernen und Fremdsprachengebrauch im digitalen Wandel 189 reiche von Lehren und Lernen umfasst, einschließlich der Digitalisierung von Material, Information, Arbeitsprozessen, Kommunikation, Feedback, Diagnose und auch von Zusammenarbeit. Meine Haltung dazu ist (ähnlich ist es auch für den Bereich der Hochschuldidaktik), dass wir uns viel stärker an der Lern- und Lebenswelt von Lernenden und Studierenden orientieren müssen, z.B. mobile internetfähige Geräte nicht als Störquelle, sondern als selbstverständliche bring your own devices (BYOD) zur Förderung von mehr (interaktiver) Lernendenbeteiligung in Lehr-Lern-Konstellationen betrachten sollten. Dabei gilt es, Barrieren abzubauen, die z.B. durch unterschiedliche Software auf den BYODs oder fehlende Nutzungsregelungen bestehen, und die rasante Entwicklung von Hard- und Software im Blick zu behalten. Es wird nicht möglich sein, alle Neuentwicklungen selbst zu prüfen und zu adaptieren (hier gilt es, in Fachgruppen an Digitalisierungsstrategien zu arbeiten). Wenn ich aber eine Priorität setzen würde, dann wären es die Schaffung von obligatorischen curricularen Elementen zur Medienkompetenz (auch im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts) in unseren Studiengängen sowie entsprechende hochschuldidaktische Angebote für Lehrende, die auch aktuelles Wissen über empfehlenswerte digitale Lernangebote und Datenschutz/ Datensicherheit einschließen. Insbesondere für das distante Fremdsprachenlernen mit wenig bis gar keiner authentischen Kommunikation in der Fremdsprache - und dazu gehört in weiten Regionen der Welt das Deutschlernen - bieten digitale Technologien riesige Innovationsmöglichkeiten (vgl. Guder in diesem Band), von der lehrwerkunabhängigen Informationsbeschaffung über zielsprachliche Strukturen und zielsprachliche Regionen mit allen denkbaren kulturellen Entitäten bis hin zu Chancen der aktiven Teilhabe an fremdsprachigen Communities. Aber: Die Verfügbarkeit digitaler Werkzeuge und digitaler Infrastruktur ist an soziale Variablen und Variablen der bildungs- und gesellschaftspolitischen und technologischen Entwicklung vor Ort gebunden. In vielen Regionen der Welt ist der Besuch von Schulen, die digitale Lehr-Lern-Konzepte umsetzen und die hierfür notwendige Personal- und technische Infrastruktur vorhalten und den Schüler*innen zur Verfügung stellen können, wenn überhaupt vorhanden, nur ausgewählten Schüler*innen möglich, z.B. wenn ihre Eltern es sich leisten können, sie auf entsprechend ausgestattete Privatschulen zu schicken. Auch die Anschaffung internetfähiger Mobilgeräte und die Begleichung der regelmäßig anfallenden Kosten für den Internetzugang sind nicht allen möglich. Teilhabe an der digitalisierten Welt setzt in vielen Regionen der Welt gleichzeitig die Teilhabe an gesellschaftlichen Privilegien voraus. Ein Beispiel: Neulich besuchte mich eine kamerunische Doktorandin, die an einer süddeutschen Universität promoviert und mit mir diskutieren wollte, auf welche Weise sie am besten die Wirksamkeit einer Deutschlern-App für kamerunische Schüler*innen erforschen könne. Auf meine die Realität des kamerunischen Deutschlernens betreffenden Rückfragen verwies sie auf die Claudia Riemer 190 Chance, dass mit Hilfe der App die Schüler*innen außerhalb des Unterrichts Deutsch sprechen könnten (wofür sie ansonsten, selbst innerhalb des Klassenraums, so gut wie keine Gelegenheit hätten). Solche außerunterrichtlichen Lernmöglichkeiten würden den Schüler*innen endlich vermitteln, dass es einen Sinn habe, Deutsch zu lernen, weil es dann nicht nur Grammatiküben in einer angstbesetzten Lernumgebung sei und man die Sprache endlich auch mal anwenden könne. Sie plane außerdem, die Untersuchung an einer Privatschule durchzuführen, da sie davon ausginge, dass dort (und nicht zwingend an anderen Schulen) die meisten Schüler*innen ein Smartphone besäßen. Diese Episode passt zu vielen Gesprächen mit jungen Deutschlehrer*innen und internationalen Doktorand*innen, die den Deutschunterricht in ihren Ländern verbessern möchten und dafür auch die technologischen Entwicklungen in den Blick nehmen. Die zunehmende Verbreitung von Smartphones kommt dieser Entwicklung entgegen, führt allerdings auch zu Entwicklungen, die weniger zu Innovationen innerhalb des fremdsprachlichen Klassenzimmers anregen, sondern eher (oft nette) außerunterrichtliche Add-ons darstellen. Als Ergebnis vieler Reisen, Hospitationen und Gespräche mit Kolleg*innen weltweit bin ich relativ ernüchtert, was die Rahmenbedingungen und Ausgestaltung des DaF-Unterrichts in vielen Regionen der Welt betrifft. Ohne Negierung des engagierten und professionellen Wirkens an vielen Schulen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung bleibt im Kern die Beobachtung eines stark grammatikorientierten, lehrwerkgebundenen und die Lerner*innen disziplinierenden Unterrichts mit größeren oder kleineren kommunikativen Anteilen. Nicht zu vergessen: 87 % der insgesamt 15,4 Mio. Deutschlerner*innen weltweit sind Schüler*innen v.a. an Sekundarschulen in Ländern, die aus unterschiedlichen Gründen (u.a. Förderung europäischer Mehrsprachigkeit, traditionelles Sprachfach, postkoloniale Traditionen) Deutsch einen Platz in ihren Bildungsplänen zuweisen (s. die Ergebnisse der Datenerhebung des Netzwerks Deutsch aus dem Jahr 2015; vgl. Auswärtiges Amt o.J.). In meinen Studien (vgl. Riemer 2016) habe ich ermittelt, dass aus dem Pflichtbzw. Wahlpflichtcharakter des Schulfachs Deutsch vorrangig extrinsische und instrumentelle Motivationen resultieren und selbstbestimmtere Formen der Motivation erst dann entstehen, wenn Sprachkenntnisse auch außerhalb des Unterrichts als wertvoll und für das weitere Leben von Relevanz erscheinen. Ammon (2015, 2) konstatierte: „Wären Deutschkenntnisse nicht auch ein Vorteil für Fremdsprachler, so würde sich über kurz oder lang fast niemand mehr die Mühe machen, Deutsch als Fremdsprache zu lernen“. Was bedeuten diese Fakten für die Zukunft (nicht nur) des Deutschlernens? Kann man die Argumentationskette, zukünftige Entwicklungen antizipierend, auch umdrehen? Wenn das Deutschlernen, allgemein das Fremdsprachenlernen bzw. der Gebrauch von Fremdsprachen, nun weniger Mühe machen würden, würden dann mehr Menschen den Vorteil der Teilhabe an Fremdsprachenlernen und Fremdsprachengebrauch im digitalen Wandel 191 fremdsprachigen Kommunikationswelten erkennen und nutznießen wollen? Was wäre also, wenn das Deutschlernen weniger Mühe in dem Sinn machen würde, sich die sprachlichen Strukturen der Zielsprache kleinteilig aneignen zu müssen bzw. wenn durch Zugriff auf Technologie eine Kommunikation in der Fremdsprache möglich würde, die nicht auf individuelle formale Sprachkompetenz angewiesen ist? Was wäre, überspitzt ausgedrückt, wenn es mittelbis langfristig gelingt, Fremdsprachengebrauch und fremdsprachliche Kompetenz voneinander zu entkoppeln? Wenn Teilhabe an (auch wissenschaftlichen) Communities bis hin zur gesellschaftlichen Teilhabe und Wirkmächtigkeit nicht mehr die individuell-kognitive Bemächtigung der Kommunikationssprache voraussetzt, wenn individuelle Sprachkompetenz (auch in integrationspolitischen Kontexten) endgültig als Schimäre enttarnt würde? … zur Dystopie überflüssig werdender Klassenzimmer … Zunächst würde m.E. ein Zwischenstadium erreicht, in dem - dystopische Szenarien antizipierend - das Fremdsprachenlernen und der Fremdsprachenunterricht in der Form, wie wir ihn kennen oder anstreben, zunehmend obsolet würden. Vielleicht wird es ein Zwischenstadium geben, in dem besondere, die sprachlichen Strukturen beherrschende Expert*innen benötigt werden, was vielleicht eine gewisse Motivation aufrechterhält, sich die Sprachstrukturen individuell anzueignen. Oder Sprachenlernen wird mehr und mehr zum privaten Hobby des Analyse- und Gedächtnistrainings („sudokisches“ Fremdsprachenlernen) bzw. zur persönlichen Ambition, wofür zeitlich und räumlich ungebunden immer intelligentere, auf individuelle Bedarfe und Lernfortschritte zugeschnittene digitale Lerntools genutzt werden, die u.a. mittels auf big data analytics beruhender Lernfortschrittskontrollen individuelle Lernverläufe optimieren. Dystopische Sorgen würden aber eher andere Szenarien antizipieren: So zum Beispiel, dass insbesondere die großen Kommunikationssprachen wirtschaftlich starker Länder der Welt sukzessive und immer besser von Spracherkennungs- und Übersetzungsmaschinen erfasst werden und diese Entwicklung zunehmend in Frage stellt, sich überhaupt noch mit Fremdsprachenlernen zu belasten. Regionale Sprachen, Minderheitensprachen und individuelle Mehrsprachigkeit könnten zunehmend in den rein privaten Bereich verortet werden. In Ländern, in denen es der Deutschbereich sowieso schwer hat, seine Existenz zu legitimieren, könnte das Schulfach Deutsch (analog der Fremdsprachenunterricht anderer Sprachen in anderen Ländern; vgl. Grünewald in diesem Band) unter erheblichen Druck geraten, wenn immer offensichtlicher wird, dass jahrelanger Unterricht doch nur Kompetenzen erzeugt, die ein maschinelles Spracherkennungs- und Übersetzungsprogramm besser, Claudia Riemer 192 blitzschnell und von Personalressourcen unabhängig zu produzieren imstande ist. Dieses Zwischenstadium könnte mit sich bringen, dass Maschinen und andere hochentwickelte Erzeugnisse der Robotik professionelle menschliche Lehrkräfte ergänzen bis ersetzen sowie (auch selektive) Aufgaben der Sprachdiagnostik vermeintlich objektiver übernehmen. (Ein Horrorszenario wäre: Maschinen werten Deutschtests für Zugewanderte aus und liefern Entscheidungsgrundlagen für die Einbürgerung.) Weitere dystopische Spekulationen: Technologie könnte auch weidlich dafür ausgenutzt werden, nicht nur fremdsprachliche Inkompetenz zu verschleiern, sondern auch Urheberschaft. Wann werden unsere Student*innen zum Beispiel erkennen (haben sie wahrscheinlich längst), dass DeepL und Google Translator auch dafür genutzt werden können, fremdsprachige wissenschaftliche Fachtexte mal eben ins Deutsche (oder andersherum) übersetzen zu lassen und damit ihre akademischen Arbeiten anzureichern? Und wir alle würden uns in Folge der schnelllebigen und letztlich undurchschaubaren Entwicklungen mehr und mehr mit Ängsten der Entfremdung auseinandersetzen müssen, insbesondere dann, wenn - wie ich oben antizipiert habe - Assistenzsysteme immer besser und alltäglicher werden und schließlich die Mensch-Maschine-Barriere überwunden wird. … zur Utopie der interkulturellen Handlungsfähigkeit Dieser Dystopie möchte ich bewusst eine Utopie entgegensetzen. Mit einer solchen Utopie verbinde ich - trotz aller Ambiguität, die dem Utopiebegriff immer innewohnt - eine grundlegend optimistische Haltung. Ich erhoffe vom digitalen Wandel langfristig die echte Realisierung der kommunikativpragmatischen Wende für das Fremdsprachenlernen und den Fremdsprachengebrauch. Stellen wir uns kurz einmal vor, sprachliche Formen und Muster stünden Fremdsprachenanwender*innen barrierefrei bereit. Aufgrund intuitiv vorhandener Sprachtechnologie in Form intelligenter Brillen, Kopfhörer oder anderer Geräte, die ich mir noch gar nicht vorzustellen vermag, müssten Fremdsprachenanwender*innen nicht auf die grammatische Korrektheit von Äußerungen achten und sie könnten im Groben auch darauf vertrauen, lexikalisch angemessene Sprachformen geliefert zu bekommen - was besser akzeptiert werden wird, wenn individuelles grammatisch-lexikalisches Strukturwissen im Sinne von language awareness vorhanden ist. Im Rahmen schriftlicher Kommunikation dürfte dieses Szenario deutlich schneller als für mündliche Kommunikation möglich werden. Solche maschinell gelieferten Services werden allerdings an Grenzen stoßen. Ein durch Technologie bereitgestellter, grammatisch und lexikalisch formal korrekter Text wird bei seinen Adressaten nicht die intendierte kom- Fremdsprachenlernen und Fremdsprachengebrauch im digitalen Wandel 193 munikative Wirkung entfalten, wenn er kulturellen Diskurserwartungen und persönlichen Sprachhandlungsintentionen nicht entspricht, wenn er Missverständnisse auslöst und/ oder wenn er nicht durch para- und nonverbale Kommunikation angemessen gerahmt ist. Dieses zu erlernen, würde keineswegs obsolet. Der Fremdsprachenunterricht könnte sich, diese Entwicklungen aufgreifend, grundsätzlich wandeln. Keine mehr oder weniger geheime formalistische Grammatikprogression sowie in Referenzrahmen festgelegte Wortschatzspektren würden das Fremdsprachenlernen konfundieren. Sprachenlernen könnte sich im Kern darauf konzentrieren, Fremdsprache als sprachlich-pragmatischen und v.a. kulturellen Lerngegenstand zu begreifen, sprich: interkulturelle pragmatische Kompetenz, soziolinguistische und Diskurskompetenz zu entwickeln. Fremdsprachenunterricht könnte der Ort werden, an dem nicht länger - wie es heute noch vielfach im Zentrum steht - Formen und Muster der L2 in bestenfalls quasi-authentischer, aufgabenorientierter Kommunikation eingeübt werden (müssen). Sondern Fremdsprachenunterricht würde zum fachlichen Resonanzraum, in dem der Zusammenhang aller linguistischen Aspekte von Sprache einschließlich Pragmatik sowie die außerunterrichtliche Kommunikationspraxis reflektiert würden. Mehr und mehr würde das fremdsprachliche Klassenzimmer ein Ort werden, an dem außerunterrichtliches Lernen begleitet und gerahmt sowie Lernendenautonomie gefördert würde. Language awareness und interkulturelles Lernen im Rahmen handlungsorientierter Unterrichtsansätze würden den Stellenwert erhalten, den sich die Fremdsprachendidaktik schon lange wünscht. Nebenbemerkung: Der oben erwähnte, mir bekannte Informatiker meinte, „Kultur“ könnte der Bereich sein, den Technologie noch lange Zeit nicht angemessen verarbeiten kann. Die Unmöglichkeit, interkulturelle Handlungsfähigkeit derzeit in Kompetenzrastern angemessen und auf feiner Granularitätsebene ausdifferenziert abzubilden und damit auf lange Sicht technologisch modellierbar zu machen, könnte sich noch als Vorteil erweisen. Und ein anderer Diskussionsstrang, der immer wieder in der Fremdsprachenlehrer*innenbildung mit Bezug auf den non-native teacher geführt wird, würde seine Basis verlieren: Fremdsprachenlehrer*innen müssten im Kern ihres professionellen Profils nicht mehr ihre individuelle Kompetenz mit hohem Perfektionsanspruch ausbilden und beweisen, Fremdsprache(n) grammatisch, lexikalisch und phonetisch korrekt zu produzieren und zu vermitteln. Es wäre dann vielleicht langfristig auch weniger der Typus eine*r Fremdsprachenlehrer*in gesellschaftlich akzeptabel, der dazu neigt, seine eigene, hohe fremdsprachliche Kompetenz in Form von die Schüler*innen demotivierender Fehlerkorrektur auszuleben. Sondern Fremdsprachenlehrer*innen wären vorrangig als echte Kulturvermittler*innen gefragt, als Expert*innen interkultureller Pragmatik und interkultureller Kommunikation, die landeskundliche, kultur- und diversitätssensible Wissensvermittlung und Claudia Riemer 194 Bewusstheitsbildung mit dem Ziel der Entwicklung von Handlungsbefähigung und Wirksamkeit in der fremdsprachigen und fremdkulturellen Kommunikationswelt ins Zentrum ihrer Lehr-Lern-Szenarien stellen. Ob als Konsequenz der oben ausgeführten Spekulationen ganz neue schulische Unterrichtsfächer, Lernangebote in der analogen und digitalen Bildungswelt sowie entsprechend inhaltlich völlig anders geartete Aus-, Fort- und Weiterbildungen für die Lehrexpert*innen notwendig werden, hier stößt meine Vorstellungskraft an ihre Grenzen. Dass dann Veränderungen zwingend anstünden, kann m.E. nicht von der Hand gewiesen werden. Für den Moment am wichtigsten finde ich, dass wir uns mit unseren wissenschaftlichen Disziplinen auf die kommenden Veränderungen langfristig einstellen, nicht den technologischen Entwicklungen, die wir vermutlich kaum beeinflussen können, hinterherhinken oder sie lediglich kritisch begleiten, geschweige denn offenen Auges zusehen, wie unsere Fächer mehr und mehr gesellschaftlich entwertet werden und andere Bereiche sich unserer Gegenstände bemächtigen. Und dazu gehört m.E., dass wir uns mitten in Zeiten des digitalen Wandels mit unseren Grundannahmen zum Lehren und Lernen von Fremdsprachen befassen und diese regelmäßig mit den technologischen Fortschritten abgleichen. Literatur Ammon, Ulrich (2015): Die Stellung der deutschen Sprache in der Welt. Berlin u.a.: De Gruyter. Auswärtiges Amt (o.J.): Deutsch als Fremdsprache weltweit. Datenerhebung 2015. Berlin. https: / / www.goethe.de/ resources/ files/ pdf37/ Bro_Deutschlernerhe bung_final2.pdf (01/ 04/ 2019). 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Fremdsprachen Lehren und Lernen 47/ 2. Der digitale Wandel als Entwicklungsaufgabe für den Fremdsprachenunterricht Augmenting the reality of language teaching Henning Rossa Rapidly, we approach the final phase of the extensions of man - the technological simulation of consciousness, when the creative process of knowing will be collectively and corporately extended to the whole of human society, much as we have already extended our senses and our nerves by the various media. (Mc Luhan 1964, 19) 1 Einleitung in Thesenform 1. Das Ausmaß der Integration digitaler Technologien in fremdsprachliche Lernarrangements ist sowohl auf konzeptioneller Ebene als auch in der Alltagspraxis nicht annähernd so weit fortgeschritten wie in den gesellschaftlichen Realitäten außerhalb des Klassenzimmers. 2. Das zentrale Prinzip der Orientierung an lebensweltlich relevanten Inhalten und realen Situationen der Sprachverwendung bedingt, dass die ökologisch verstandene Konzeption eines kommunikativen Fremdsprachenunterrichts die veränderten, zunehmend digital geprägten Bedingungen gesellschaftlicher Bereiche (z.B. außerschulisches Lernen, Gesundheit, Mobilität, politische Partizipation, Kommunikation, Arbeit) berücksichtigen muss. 3. Der mediendidaktisch informierte Diskurs zum Mehrwert digitaler Medien im Unterricht (postulierte Wirksamkeit digital gestützter Lehr-Lernarrangements abzgl. organisatorischer, finanzieller, zeitlicher Aufwendungen) ist angesichts der umfassenden Relevanz der Digitalisierung für gesellschaftliche Veränderungen nicht zielführend im Sinne von These 1. 4. Medien stellen konstituierende Formen des Unterrichts dar. Daraus folgt, dass die Integration digitaler Technologien und digital vermittelter Lehr-Lernprozesse eine Veränderung und Erweiterung der Gegenstände, Aushandlungsprozesse und Ziele des Fremdsprachenunterrichts herausfordert. 5. Die Potenziale digital gestützter Lehr-Lernkonzeptionen können - unter Annahme einer größeren konzeptionellen Flexibilität und curricularer Freiräume zum Experimentieren - als Impulse für Unter- Henning Rossa 196 richts- und Schulentwicklung genutzt werden. So könnte eine stärkere Öffnung des Fremdsprachenunterrichts für bedeutsame Inhalte, projektbezogenes Arbeiten und lebensnahe Aushandlungsprozesse und gleichsam eine Überwindung der Einzelkämpferrolle von Lehrkräften hin zu mehr Austausch und Zusammenarbeit erreicht werden. 2 Zur Notwendigkeit fremdsprachliche Lehr-Lernarrangements unter den Bedingungen der Digitalisierung weiterzuentwickeln In den öffentlichen Diskursen zur Digitalisierung werden Begriffe wie Transformation, Revolution, Zeitenwende und Paradigma benutzt, die das Ausmaß des digitalen Wandels betonen und implizit mit dem logischen Schluss verknüpfen, dass es angesichts der allumfassenden und unaufhaltsamen Auswirkungen dieses Wandels notwendig sei, sich anzupassen. Der Begriff der Digitalisierung verweist dabei im Kern auf die Umwandlung und Abspeicherung von Informationen in digitaler Form, im weiteren Sinne geht es aber um die Dimension datenbasierter, vernetzter technologischer Innovationen (Internet: Zugang zu und Weitergabe von Informationen; Web 2.0: peer-to-peer Plattformen, social media; Blockchain: peer-to-peer Interaktion ohne Plattform), die den räumlich und zeitlich entgrenzten Zugang zu Daten und Informationen und gleichsam die Generierung neuen Wissens möglich machen. Die gegenwärtigen Erkenntnisse zur Frage, inwiefern der digitale Wandel die Praxis schulischer Bildung bereits verändert hat, zeichnen das Bild eines Systems, das sich für die Digitalisierung zwar prinzipiell öffnet (Schmid/ Goertz/ Behrens 2017), während die Integration von digitalen Medien in den Unterricht aber im internationalen Vergleich - insbesondere im Fachunterricht - nur sehr gering ausgeprägt ist (Bos et al. 2014). Und wie sieht die Alltagspraxis des Fremdsprachenunterrichts an deutschen Schulen heute aus? Ich sehe im Englischunterricht interactive whiteboards statt Kreidetafeln, Tablets statt gedruckter Lehrwerksmaterialien, Powerpoint statt Overheadfolien, PDF-Dokumente statt Arbeitsblätter, behavioristisch entworfene Wortschatz-Apps statt Vokabeltests. Diese episodenhafte und oberflächliche Betrachtung lässt die Hypothese zu, dass hier mit digitalen Mitteln ein im doppelten Wortsinn analoger Unterricht inszeniert wird, der in seiner grundsätzlichen, seit Jahrzehnten fest etablierten Ausrichtung unverändert bleibt. Diese bekannte Beharrlichkeit gegenüber Entwicklungsimpulsen von außen wird angesichts des atemberaubenden Tempos der technologischen Entwicklung in der Welt außerhalb der Klassenzimmer nun noch deutlicher offenbar. Goethe: Schule als pädagogische Provinz? Schon die vorangegangenen, nach der Jahrtausendwende initiierten Reformbestrebungen der Outputbzw. Kompetenzorientierung (ab 2001) und der Verwandlung eines an Auslese und Separierung ausgerichteten Schulsystems in einen inklusiven Bildungsraum für Alle (ab 2009) wurden in der Pra- Der digitale Wandel als Entwicklungsaufgabe für den Fremdsprachenunterricht 197 xis und in den fremdsprachendidaktischen Diskursen eher kritisch bis ablehnend rezipiert. Doch der gesellschaftliche und politische Druck auf die Akteure im Bildungssystem nimmt zu. Die Notwendigkeit auf den digitalen Wandel der Gesellschaft durch eine Anpassung der Lehr- und Lernkonzeptionen und -praktiken zu reagieren wird von einer einflussreichen und einschlägige Interessen verfolgenden Allianz (KMK 2017); Hochschulforum Digitalisierung: BMBF, CHE, HRK; Forum Bildung Digitalisierung: Telekom, Bertelsmann, Bosch, Siemens, Mercator u.a.) vertreten und stellt mittelbar auch den Fremdsprachenunterricht als pädagogische Praxis und didaktische Konzeption auf den Prüfstand. Während in mediendidaktisch informierten Diskursen im Kontext des deutschen Bildungssystems immer noch nach dem „Mehrwert“ (Schmidt/ Würffel 2018, 3) des unterrichtlichen Einsatzes digitaler Medien gefragt wird, durchdringt und prägt die Digitalisierung schon selbstverständlich weite Teile öffentlicher und privater Lebensbereiche. Digitale Medien verändern die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen, die täglich mobile Geräte nutzen, um mit ihren Peers zu kommunizieren, zur Unterhaltung, zur Selbstdarstellung und auf der Suche nach Informationen. Aus einer ökologischen Perspektive auf den Fremdsprachenunterricht lassen sich diese Veränderungen durchaus als etwas bezeichnen, das Havighurst als Auslöser für einen Prozess identifiziert, der zur Bewältigung einer Entwicklungsaufgabe führt: „cultural pressure“ (Havighurst 1956, 215). Eine konzeptionelle Weiterentwicklung des Fremdsprachenunterrichts müsste demnach vornehmlich einen engeren Bezug zu den digital geprägten Kommunikationsgewohnheiten der Lernenden ermöglichen und die veränderten Wege berücksichtigen, auf denen die Lernenden sich digital gestützt neue Themen und Lerngelegenheiten erschließen. Diese Veränderung berührt also den Kern fremdsprachendidaktischer Überlegungen: die Ziele und Methoden des Unterrichts. Was bedeutet kommunikatives Handeln in der Fremdsprache heute? Welche Zugänge öffnen wir im Unterricht zu den bedeutsamen Gegenständen, über die es sich überhaupt zu kommunizieren lohnte? 3 Potenziale der Integration digitaler Medien für die Weiterentwicklung des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts Die Frage nach dem Mehrwert digitaler Medien im Unterricht ist charakteristisch für den Mainstream des gegenwärtigen Diskurses zur Digitalisierung im Kontext des Lehrens und Lernens (Baumgartner/ Herber 2013; Blume 2018; Krommer 2018b; 2018c; Schaumburg 2015). Dieser Ansatz spiegelt eine tendenziell eher skeptische Haltung bzgl. der Frage wider, inwiefern digitale Medien in der schulischen Unterrichtspraxis zum Einsatz kommen sollten. Diese Perspektive impliziert außerdem die Idee, dass digital gestützte Lern- Henning Rossa 198 formen bereits etablierte Formen ersetzen sollen. So wird eine Rechnung aufgemacht, wonach sich dieser Tausch und die damit für die Beteiligten verbundenen Anstrengungen nur lohne, wenn ein didaktischer Mehrwert erkennbar sei. So wird etwa in einer Metastudie zur Wirksamkeit digitaler Medien im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht der Sekundarstufe eine Lehrperson folgendermaßen zitiert: „Digitale Medien nur aus dem Grund einzusetzen, weil man sie hat, finde ich ungünstig. Man sollte sich vorher wirklich überlegen, welchen Mehrwert sie haben“ (Hillmayr/ Reinhold/ Ziernwald/ Reiss 2017, 10). Aus dieser Perspektive wird meines Erachtens der Werkzeugcharakter digitaler Medien einseitig betont und gleichzeitig unterschätzt, inwiefern Medien selbst im Sinne McLuhans (1964) Gegenstände und Lernwege bestimmen und somit als „konstituierende Formen des Unterrichts“ (Krommer 2018b) verstanden werden müssen. Als fächerübergreifende Zielgröße für einen zusätzlichen Lerneffekt, der dem Einsatz digitaler Medien zugeschrieben werden kann, bietet sich vermutlich das Konstrukt der informatischen Kompetenz an: „Wenn es im Unterricht darum geht, Schülern die Möglichkeit zu geben zu lernen, ist der Mehrwert, dass sie ganz nebenbei lernen, wie die Welt, in der sie leben, funktioniert“ (Blume 2018). Hinzu kommt, dass die Potenziale digitaler Medien längst über die Möglichkeiten traditioneller Medien hinausweisen; mit ihnen lässt sich etwa mit Blick auf mobiles Lernen, Augmented Reality und game-based learning (Dudeney/ Hockly 2012; Kurtz 2018) bislang Unmögliches im Unterricht umsetzen. Eine Integration digitaler Medien als selbstverständliche Merkmale von Unterricht erfordert somit auch eine Erweiterung und Weiterentwicklung der (Fach-)Didaktik: A technology has reached its fullest possible effectiveness in language education when it has arrived at the stage of ‘normalisation’, namely when it is used without our being consciously aware of its role as a technology, as a valuable element in the language learning process (Bax 2011). Der Prozess der Integration und Normalisierung nutzt offensichtliche Potenziale digitaler Lernformen, nach Bax (2011, 12) „access to knowledge, participation and interaction“, und verbindet sie mit übergreifenden didaktischen Konzepten wie „elements of mediation such as expert intervention, scaffolding, modelling and critique“ (ibid.). Eine Fremdsprachendidaktik, die digitales Lehren und Lernen als selbstverständlich begreift, würde z.B. „digitale Kommunikation als eine Chance sehen, dem Fremdsprachenunterricht einen möglichst hohen Grad an linguistischer, kultureller und funktionaler Authentizität zu verleihen“ (Krommer 2018a). Dieses naheliegende Beispiel verweist auf ein offenkundiges Risiko, das mit dem Einsatz digitaler Medien im Unterricht verbunden ist: Wenn das Ziel darin besteht, einen möglichst lebensnahen, problemorientierten und Der digitale Wandel als Entwicklungsaufgabe für den Fremdsprachenunterricht 199 ergebnisoffenen Umgang mit digitalen Medien im Unterricht zu ermöglichen, verliert die Lehrperson die Kontrolle über die Inhalte und Materialien, die die Lernenden mithilfe ihrer digitalen Werkzeuge entfalten und verarbeiten. Tatsächlich würde eine stärker am traditionellen, im industriellen Paradigma entwickelten Lehr-Lernmodell orientierte Praxis (Lernende bearbeiten anhand vorgegebener Materialien eine vorgegebene Reihe von Instruktionen ab) dieses Risiko vermutlich minimieren. Die genuinen Merkmale digitaler Medien (Zugang zu Allem für Alle) könnten dann aber absurderweise nicht wirksam werden. Offenbar benötigt die digital erweiterte Realität des Fremdsprachenunterrichts eine neue Qualität des Zutrauens in die Beziehung zwischen der Lehrperson und den Lernenden und in die Tragfähigkeit ihrer Vereinbarungen zur Lernarbeit im Unterricht: Kontrollverlust-Erlebnisse und die Angst davor sind verständlich und typisch für die Schule. Es braucht eine Menge an Erfahrung mit dem neuen Medium und Mut, um daraus eine Erkenntnis zu bilden: Kontrolle darüber, was in den Köpfen wirklich vorgeht, hatten wir doch nie (Scholl 2016). Die Weiterentwicklung des Fremdsprachenunterrichts unter den Bedingungen der Digitalisierung mag neben den heute noch schwer zu erkennenden Erweiterungen und Veränderungen schließlich dazu führen, dass auch die im fremdsprachendidaktischen und - in großen Teilen - auch im allgemeindidaktischen Diskurs bereits etablierten Perspektiven auf das Konstrukt Unterrichtsqualität (stärkere Handlungsorientierung, Öffnung des Unterrichts, Schüleraktivierung durch adaptives und individualisiertes Lernen, Zusammenarbeit und Kooperation, Problemlösungen in tasks entwickeln und auswerten) wirkungsvoller als bisher in die Alltagspraxis integriert werden können (Rosa 2016; van Ackeren et al. 2019, 4). Die zweite Ebene notwendiger Anpassungen betrifft die veränderten Rollen der Lehrpersonen: Digitales Lehren und Lernen zum Gegenstand von Unterrichtsbzw. Schulentwicklung zu machen, erfordert einen intensiven kollegialen Austausch und unterstützt damit die Überwindung des Einzelkämpfertums der Lehrpersonen. So sind etwa offene Bildungsressourcen (OER, open educational resources) nicht nur als kollaborativ aufbereitete Materialsammlung zu begreifen, sie implizieren auch die „Entwicklung einer kooperativen Haltung, indem insbesondere eine Kultur des Teilens im Sinne sog. offener Bildungspraktiken mitgedacht wird“ (van Ackeren et al. 2019, 10).Diesen Potenzialen und Entwicklungszielen, die auf methodischer und inhaltlicher Ebene stark durch das Prinzip der Offenheit bestimmt werden, steht eine ganze Reihe pragmatischer Probleme gegenüber, „die bislang eine überzeugende Form digitalen Wandels in der Schule verhindert“ haben (Scholl 2016). Von zentraler Bedeutung sind aus meiner Sicht verfügbare Ressourcen und Spielräume zur Gestaltung digitaler Lernkontexte: Henning Rossa 200Welche Schule verfügt unter den Bedingungen neoliberal betriebswirtschaftlich organisierter Bildung über die nötigen Ressourcen an Zeit und Personal sowie den curricularen Freiraum, um mit dem neuen Medium ausgiebig zu experimentieren und mit offenem Ausgang dessen Möglichkeiten zu erkunden? (ibid.) 4 Referenzpunkte eines Leitbildes für digitales Lehren und Lernen Ein Leitbild für digitales Lehren und Lernen im Fremdsprachenunterricht sollte meines Erachtens die folgenden Aspekte berücksichtigen: 1. die Entwicklung der Unterrichtskonzeption unter den Bedingungen der Digitalisierung 2. die Qualität der intendierten Lernprozesse 3. die neu zu fassenden Rollen der Lehrenden und der Lernenden 4. die ethischen Risiken Als hilfreiches Arbeitsmodell für die Integration digitaler Medien in den Unterricht hat sich das SAMR-Modell von Puentedura (2006) erwiesen (vgl. Zierer 2017, 73-75). Das Modell (siehe Abb. 1) unterscheidet vier Ebenen der Digitalisierung, die verschiedene Ausprägungen eines Veränderungsprozesses darstellen. Demnach liegt die Herausforderung für die Weiterentwicklung des Unterrichts darin, die Integration digital gestützter Lernformen von einem bloßen Austausch traditioneller Medien durch digitale Medien in eine Neuinterpretation bestehender Konzepte zu verwandeln. Enhancement Transformation Substitution > Augmentation > Modification > Redefinition Ersatz > Erweiterung > Veränderung > Neuinterpretation Verbesserung Wandlung Abb. 1: Das SAMR-Modell von Puentedura (2006; meine Darstellung und Übersetzung) Fremdsprachendidaktische Überlegungen zu den unterrichtlich intendierten Lernprozessen und zu den Veränderungen, die durch den Einsatz digitaler Techniken angestoßen werden könnten, werfen auch die grundlegende Frage auf, wie wir die Zieldimensionen des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts heute interpretieren und weiterentwickeln. Als fachübergreifende Perspektive bieten sich die sogenannten 21st-century skills als Referenzpunkte an, wie sie etwa von der OECD formuliert werden: Creativity, Critical thinking, Communication, Collaboration (Schleicher 2012, 35). Im Kontext der Diskussion um Mehrsprachigkeit, Mehrkulturalität und das Konzept der pluriliteracies verweisen Meyer, Coyle und Schuck (2018) auf Der digitale Wandel als Entwicklungsaufgabe für den Fremdsprachenunterricht 201 Rollen, in die Lernende in digital gestützten Lernumgebungen wachsen können: „Empowered Learner […] Digital Citizen […] Knowledge Constructor […] Innovative Designer […] Computational Thinker […] Creative Communicator […] Global Collaborator“ (International Society for Technology in Education 2016; zitiert in Meyer et al. 2018, 27). Die hier beschriebenen Ziele beziehen sich auf die Annahme, der digitale Wandel im Unterricht könne Möglichkeiten für ein tiefergehendes, persönlich bedeutsames, selbstreguliertes Lernen schaffen: While it is possible to teach for deeper learning without technology, it is hard to imagine how our schools will scale up such instruction without support from digital tools and media (Dede 2014, 4). Von besonderer Wichtigkeit für ein Leitbild ist ein bewusster und ethisch verantwortungsvoller Umgang mit den Risiken und Bedrohungen, die sich aus der notwendigen Öffnung des Unterrichts für die digitale Welt ergeben. Die Sammlung und Verarbeitung von Daten auf digitalen Plattformen bedroht die fundamentalen Werte der Selbstbestimmung und Autonomie. Dies gilt auch für Technologien, die das Ziel verfolgen auf der Grundlage einer algorithmischen Analyse von Lernerdaten individuelle, adaptive Lernumgebungen zu gestalten. So wurden etwa mobile EEG-Messgeräte der Firma BrainCo (Harvard Innovation Lab, Massachusetts, USA), die über eine LED- Anzeige Lehrenden Hinweise zum gegenwärtigen Grad der Aufmerksamkeit der Lernenden geben sollen, in China an 10.000 Schülerinnen und Schülern im Alter von 10 bis 17 Jahren getestet (Ye 2019). Auf der Webseite von BrainCo werden die Vorzüge dieser Technologie (real-time brainwave feedback and visualisation) auf eine Weise beschrieben, die - abgesehen von den neurowissenschaftlich fragwürdigen Analysen von Hirnströmen zur Erfassung von Aufmerksamkeitszuständen - an die dystopischen Visionen von Orwell und Huxley erinnert: With BrainCo’s brainwave-detecting headbands and software platform, educators can track student engagement and class attention levels as they’re happening. The FocusEDU platform provides insight into individual student and full classroom engagement (BrainCo 2019). Lernende müssen vor derartigen Übergriffen und Verletzungen ihrer Grundrechte geschützt und gleichsam in der Entwicklung einer kritisch-reflektierten Medienkompetenz unterstützt werden. Diese Kompetenz ist von fundamentaler Bedeutung und betrifft auch die private Mediennutzung. Die Lernenden treffen in den von multinationalen Firmen zur Profitgenerierung unterhaltenen sozialen Netzwerken auf Hass, Belästigungen, extreme Gewaltdarstellungen und Propaganda und müssen passende Abwehr- und Umgangsstrategien entwickeln (vgl. Hochschulforum Digitalisierung 2018). Henning Rossa 202 5 Bridging the gap: Zwischen Ansprüchen, Potenzialen und dem status quo Der digitale Wandel verändert schulische Bildungsprozesse, und die technologischen Entwicklungen bieten in immer kürzeren Zyklen eine unüberschaubare Zahl von Möglichkeiten, die Gestaltung von Lehr-Lernformen im Unterricht neu zu denken und auf erweiterte Zieldimensionen (Kreativität, Kommunikation, kritisches Denken, Kollaboration) hin auszurichten. Dabei müssen Lernende in die Lage versetzt werden, mit den digitalen Medien kompetent, kritisch und reflektiert umzugehen. Diesen Ansprüchen gegenüber stehen eine mangelhafte technische Infrastruktur (notwendig: stabiler, schneller Internetzugang per Wireless Local Area Network, Schulnetz mit Server und Lernbzw. Managementplattformen) und eher skeptische Haltungen der Lehrpersonen. Lehrerinnen und Lehrer erkennen durchaus Potenziale digitaler Medien für das Lehren und Lernen, im internationalen Vergleich werden allerdings „in allen anderen ICILS-2013-Teilnehmerländern die Potenziale digitaler Medien höher eingeschätzt“ (Eickelmann/ Gerick/ Bos 2014, 19). Ein zweiter Befund der ICILS-Studie, der für eine Einschätzung der gegenwärtigen Lage des digitalen Lehrens und Lernens an deutschen Schulen relevant ist, bezieht sich auf die Bereitschaft der Lehrenden miteinander zu kooperieren: Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass Lehrkräfte an Schulen in Deutschland hinsichtlich aller in ICILS 2013 abgefragten Kooperationsformen (u.a. gegenseitige Unterrichtsbeobachtungen, gemeinsame Entwicklung von Unterrichtskonzepten zur Nutzung digitaler Medien) die niedrigsten Zustimmungsraten aufweisen (Eickelmann/ Gerick/ Bos 2014, 19). Vor diesem Hintergrund ist zu erkennen, dass die Professionalisierung der Studierenden in der Lehramtsausbildung und die Weiterbildung der Lehrpersonen mit Blick auf einen kritisch-reflexiven, didaktisch und pädagogisch informierten Umgang mit digitalen Techniken, Medien und Werkzeugen von herausragender Wichtigkeit sind, wenn die Lücke zwischen den formulierten Ansprüchen und den Realitäten in der Schule verkleinert werden soll. Ein wichtiger Ansatzpunkt für diesen Impuls liegt darin, die Bedeutung der Lehrpersonen für das Gelingen digital gestützter Lernarrangements zu betonen. Der digitale Wandel fordert eine Weiterentwicklung didaktischer Unterrichtskonzepte heraus, aber die Probleme, denen sich Lehrende im Unterricht stellen müssen, lassen sich nicht durch Algorithmen lösen. Lehr-Lernprozesse können durch eine stärkere Integration digital gestützter Lernformen verändert und erweitert werden, sie bleiben aber fundamental abhängig von der Qualität menschlicher Beziehungen sowie sozialer Interaktion und Kooperation. Der digitale Wandel als Entwicklungsaufgabe für den Fremdsprachenunterricht 203 Literaturverzeichnis Baumgartner, Peter/ Herber, Erich (2013): „Höhere Lernqualität durch interaktive Medien? Eine kritische Reflexion“. In: Erziehung & Unterricht 163/ 3-4, 327- 335. Bax, Stephen (2011): “Normalisation revisited: The effective use of technology in language education”. In: International Journal of Computer Assisted Learning and Teaching 1/ 2, 1-15. Blume, Bob (2018): DIGITAL: Nicht noch ein Artikel über den „Mehrwert“. https: / / bobblume.de/ 2018/ 09/ 19/ digital-nicht-noch-ein-artikel-ueber-denmehrwert/ (11/ 02/ 2019). 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Begeisterten Lobgesängen auf die Generation der „kleinen Däumlinge“ - Petite Poucette, la génération mutante (Serres 2012) -, die demokratisch und partizipativ Wissen teilen und hervorbringen, stehen skeptische Sichtweisen gegenüber, die beispielsweise wirtschaftliche Interessen als Kehrseite eben nur vermeintlicher Demokratisierung digitaler Bildungsangebote erkennen und kritisieren (z.B. Schulmeister 2013). Der digitale Wandel - und vor allem die Geschwindigkeit, mit der er derzeit voranzuschreiten scheint - stellt Fremdsprachenforscher*innen vor die Herausforderung, sich in einem Feld zu positionieren und eine reflektierende Metaperspektive einzunehmen, in dem sie gleichzeitig immer auch Lernende sind. Computergestützten Anwendungen für das Fremdsprachenlernen seit den 1990er Jahren unterlagen häufig hinter ansprechenden Oberflächen letztlich weiterhin behavioristische Prinzipien, die allenfalls automatisierende Anteile sprachlichen Lernens unterstützen konnten, jedoch keine komplexeren kommunikativen Prozesse. Spätestens seit dem Web 2.0 haben sich jedoch die Anwendungsmöglichkeiten, Programme und Lernräume dahingehend verändert, dass sie für die Unterstüzung mehrdirektionaler, dynamischer und partizipatorischer Kommunikation geeignet erscheinen (vgl. Chun/ Kern/ Smith 2016, 72). Obgleich der digitale Wandel dieses Stadium längst hinter sich gelassen hat hat und weitere Aspekte wie mobiles Fremdsprachenlernen, neue Textgenres und mit ihnen verbundene Literalitäten (vgl. Chun/ Kern/ Smith 2016, 65 und Lütge in diesem Band) sowie selbst lernende Systeme (vgl. Grünewald und Riemer in diesem Band) den Fremdsprachenunterricht beeinflussen und verändern, erscheint es nach wie vor sinnvoll, nach dem di- Birgit Schädlich 206 daktischen Potenzial von Lernumgebungen und Kommunikationsformen zu fragen, die „typisch“ für das Web 2.0 sind. So schreiben Miras und Narcy- Combes (2018) ‚entmaterialisierten‘ Lehr-/ Lernformaten vor allem im Kontext emergentistischer und sozialkonstruktivistischer Theorien das Potenzial zu, der Komplexität sprachlicher Lernprozesse entgegenzukommen. Kollaborative Bedeutungsaushandlung im Umgang mit Aufgaben kann ihrer Ansicht nach in virtuellen Umgebungen in besonderer Weise gefördert werden: L’utilisation des outils dématérialisés en didactique des langues peut se justifier dans un cadre théorique et pratique qui intègre les théories émergentiste et sociocontructiviste et se traduit par une approche par tâches (Miras/ Narcy- Combes 2018, 199). Mit diesem Fokus wird weiter unten (Leitfrage 4) ein hochschuldidaktisches Szenario im Kontext der Lehrer*innenbildung vorgestellt. Leitfrage 2: Leitbild - fachliche, didaktische und ethische Parameter In fachlicher und didaktischer Hinsicht erscheint mir für ein Leitbild die Diskussion darüber wichtig, welche spracherwerblichen und fremdsprachendidaktischen Prinzipien in welchen digitalen Kontexten auf welche Art und Weise gestaltbar sind (vgl. Chun/ Kern/ Smith 2016, 70). Dabei geht es sowohl um die Frage eines möglichen Mehrwerts für das Fremdsprachenlernen, als auch um die Frage, wie Digitalisierung das Sprachenlernen selbst verändert, welche neuen Gegenstände sie hervorbringt und wie Fremdsprachendidaktik und -forschung darauf reagieren. In ethischer Hinsicht sind die kritische Begleitung von Entwicklungsprozessen hinsichtlich der Frage möglicher Interessen, die Akteure mit Digitalisierungsprozessen verbinden (z.B. wirtschaftlicher Profit, politische Einflussnahme) relevant, sowie rechtliche Fragen des Datenschutzes, wird doch zunehmend unüberschaubar, was mit Daten vor allem aus Anwendungen sozialer Netzwerke geschieht, wer sie für welche Kontexte nutzt und ob überhaupt potenzielle Nutzungen immer vollständig antizipierend berücksichtigt werden können. Dies stellt auch für das vorgestellte Projekt (Leitfrage 4) ein zu reflektierendes Problem dar. Leitfrage 3: Konzeptionelle Änderungen und Forschungszugänge In erster Linie erscheinen Forschungsarbeiten notwendig, die Distanz zu (vielleicht nur vermeintlichen) Anpassungszwängen „der“ Fremdsprachenforschung an „die“ Digitalisierung herstellen und Aspekte des digitalen Wandels erkennbar zu machen versuchen, die nicht primär mit Bildungsprozessen zu tun haben, diese aber sekundär beeinflussen können. Welche Gegenstände der digitale Wandel auf welche Weise verändert oder auch neu hervorbringt, sollte Gegenstand systematisierender, theoretischer Forschungsarbeiten sein. Und was wird dann aus den Texten? 207 Daneben erscheinen Arbeiten notwendig, die Entwicklungen der Digitalisierung systematisch hinsichtlich ihres Veränderungspotenzials für fremdsprachendidaktische Kontexte diskutieren. Drittens sind konzeptionelle Arbeiten ein Desiderat, die Anwendungskontexte entwickeln und in weiteren Schritten ihre Realisierung empirisch begleiten und evaluieren. Für das im nächsten Abschnitt vorgestellte Projekt sollen diesem Sinne in hochschuldidaktischer Hinsicht konzeptionelle Ansätze für die Gestaltung von Lehr-/ Lernszenarien der Lehrer*innenbildung beschrieben werden und in forschungsorientierter Hinsicht methodologische Ansätze zur Auswertung von interaktionalen Wissenskonstruktionen in digitalen Umgebungen. Leitfrage 4: Anspruch und Möglichkeiten - Prioritäten für Lehrpersonen und universitäre Lehrer*innenbildung Angehende Lehrkräfte sollten sich während der verschiedenen Phasen ihrer Professionalisierungsbiographie Wissen über digitale Werkzeuge und Digitalität als Thema (vgl. Lütge in diesem Band) aneignen können. Für Lehrpersonen erscheint die Beschäftigung mit und die Nutzung von digitalen Gegenständen prioritär, die es ermöglichen, lerntheoretische und fachdidaktische Prinzipien in lernförderlichen Praktiken zu realisieren und gleichzeitig die angenommene Förderlichkeit empirisch zu evaluieren und didaktisch zu reflektieren. In Szenarien forschungsorientierter Lehre, beispielsweise im Rahmen von Forschungspraktika oder Lehrforschungsprojekten sollten Studierende Möglichkeiten zum Probehandeln und seiner Reflexion erhalten um das, was Helsper (2011) eine „doppelte Professionalisierung“ nennt, anbahnen zu können. Im Kontext eines Moduls des Master of Education Französisch der Universität Göttingen werde ich im Folgenden diskutieren, inwieweit (einzelne) Elemente von Digitalisierung für hochschuldidaktische Entscheidungen in der Lehre sowie auch für die Erforschung professionalisierender Prozesse funktional sind. Konkret stehen Konzeption und Analyse interaktionaler Wissenskonstruktion in Wikis 1 im Zentrum. Ich interessiere mich - entsprechend dem Titel dieses Beitrags - dafür, was aus gemeinsam erarbeiteten Seminarlektüren wird, wenn sie vor Fragen der Unterrichtspraxis transformiert werden. Das beschriebene Modul ist ein fachdidaktischer Kurs, bei dem nicht - wie in sprachpraktischen Lehrveranstaltungen - der Ausbau fremdsprachlicher Kompetenzen der Studierenden im Mittelpunkt steht, sondern die Aneignung und Reflexion fachdidaktischer Inhalte, für die jedoch - so die Annahme - ähnliche lerntheoretische Prinzipien relevant sind. Dabei gehe ich davon aus, 1 Im Projekt wird die Wiki-Funktion des Campusmanagementsystems StudIP genutzt. Birgit Schädlich 208 dass fachdidaktische Gegenstände nicht nur instruktiv „zu vermittelnde“ Inhalte darstellen, sondern dass diese in den Kursen der Lehrer*innenbildung in der Auseinandersetzung mit Aufgaben situativ konstruiert werden, wie oben mit Miras/ Narcy-Combes (2018) ausgeführt. Im Rahmen des Ebenenmodells von Hallet (2018) verorte ich den Ansatz auf der Ebene, die er „The digitilization of classroom communication and discourse“ nennt (vgl. Hallet 2018, 5). Kontext ist ein Praktikumsmodul, in dem ein vierwöchiges Forschungspraktikum durch vor- und nachbereitende Seminarveranstaltungen begleitet wird. Diese werden als Präsenzsitzungen gestaltet und punktuell durch durch asynchrone Diskussionen im Wiki flankiert. Die Struktur ähnelt dem vom Handtke (2018, 11) als „Kamm-Modell“ bezeichneten blended-learning- Szenario. In den Präsenzsitzungen werden drei Schwerpunkte verfolgt: erstens die Diskussion der Seminarliteratur, zweitens die Entwicklung, Durchführung und Reflexion von Microteachings und drittens die Auseinandersetzung mit Ansätzen empirischer Unterrichtsforschung. Thematisch steht die Beschäftigung mit Mehrsprachigkeit im Zentrum (vgl. Schädlich erscheint), forschungsmethodisch eine Einübung in die systematische Beobachtung von Fremdsprachenunterricht (vgl. Schramm/ Schwab 2016; De Boer/ Reh 2012). Ziel des Moduls ist eine Sensibilisierung der Studierenden für unterschiedliche Aspekte von Mehrsprachigkeit und die Rekonstruktion von für den Gegenstand relevanten Praktiken im Französischunterricht. Gefördert werden soll die Entwicklung fachdidaktischer Reflexionsfähigkeit im Sinne eines „doppelten Habitus“ (vgl. Helsper 2011, 10-11), wobei einerseits unterrichtspraktisches Handlungswissen eingeübt, gleichzeitig aber auch distanzierende und umperspektivierende Reflexion initiiert und begleitet wird. In den Präsenzphasen werden thematische und forschungsmethodische Texte diskutiert und hinsichtlich der Planung und Beobachtung von Unterricht transformiert, was mit konkreten Aufgaben verbunden wird. Die Texte decken verschiedene Mehrsprachigkeitsbegriffe sowie fachdidaktisch relevante Forschungsarbeiten und Unterrichtsmaterialien ab. Die Aufgaben finden sowohl in Präsenzphasen wie auch - dem Kamm-Modell entsprechend - in asynchronen Diskussionen im Wiki statt. Sie haben das Ziel, die textbezogene Seminardiskussion vor Fragen der Praxis (Unterrichtsplanung und -beobachtung im Praktikum) zu transformieren und dabei Handlungsmöglichkeiten gleichermaßen auszuloten wie aus einer distanzierten Perspektive zu analysieren. Exemplarisch sollen im Folgenden eine der Wiki-Diskussionen genauer beschrieben und in Form eines Erfahrungsberichts erste - noch sehr vorläufige - Beobachtungen zu den Interaktionen referiert werden. Die Aufgabe, die im Wiki bearbeitet wurde, bestand in einer fokussierten Zusammenschau der Inhalte der ersten Seminarsitzungen vor der Frage ihrer Relevanz für das Praktikum. Der Impuls für die Wiki-Diskussion lautete: „Fassen Sie knapp Und was wird dann aus den Texten? 209 zusammen, was Sie aus den ersten Sitzungen des Seminars für das Praktikum ‚mitnehmen‘. Kommentieren Sie auch gerne die Ausführungen Ihrer Kommilitoninnen oder stellen Rückfragen.“ Die Arbeit im Wiki erlaubt es auf der hochschuldidaktischen Ebene, kollaborative Wissenskonstruktionen zu initiieren und zu begleiten, auf der Ebene der Professionsforschung ermöglicht die Analyse der Einträge Einblicke in die Konstruktionsprozesse und Merkmale ihrer gegebenenfalls typischen Verläufe. Hierbei liegt das zentrale Erkenntnisinteresse bei der Frage, wie die Studentinnen 2 Textwissen über Mehrsprachigkeit bei der Bearbeitung praxisbezogener Aufgaben transformieren und wie sie welche Aspekte des Gegenstands ‚Mehrsprachigkeit‘ miteinander in Zusammenhang bringen. Bei der hochschuldidaktischen Entwicklung des Settings war die Frage zentral, wie Aushandlungsprozesse über digitale Anwendungen gestaltet werden können und wie dabei Differenzierung und Diagnostik als Prinzipien (vgl. Schmidt/ Würffel 2018, 2) verfolgt werden können. Vor dem Ziel der Binnendifferenzierung sollte im Wiki ein virtueller Raum geöffnet werden, in dem auch in der Präsenzlehre zurückhaltendere Teilnehmerinnen sich äußern können und alle mehr Zeit haben, sich mit den Beiträgen der Kommilitoninnen zu beschäftigen und den eigenen Beitrag im Diskurs zu kontextualisieren (vgl. Würffel 2008, 16-17). Foren und Wikis erscheinen gerade vor dem Anspruch interaktionaler und adaptiver Bedeutungsaushandlung geeignete Kommunikationsformate. Würffel (2008, 3) charakterisiert Wikis als prozeptive Umgebung, in der Schreibende gleichzeitig auch Lesende sind. Dadurch können gegebenenfalls neue, unerwartete Perspektiven emergieren, die auch neue Fragen der Handlungspraxis gegenüber hervorbringen können. Auch die Rolle der Lehrkraft verändert sich bei der kollaborativen Wissenskonstruktion, sie erhält eher die Funktion einer Moderation (vgl. Linke 2013, 48) als die der Wissenspräsentation. Ihre ebenfalls prozeptiv zu verstehenden Diskussionsbeiträge im Wiki verfolgen entsprechend nicht das Ziel, die Beiträge der Studentinnen zu evaluieren oder das neue Wissen zu ‚überprüfen‘. Vielmehr geht es um adaptives Interagieren, das Prozesse der Wissenskonstruktion iterativ - im Sinne eines unabgeschlossenen Prozesses der Maximierung immer wieder neu fokussierter Beiträge - unterstützt. Die „Progression“ folgt dabei weniger einer durch die Lehrkraft antizipierten Linearität, als vielmehr der reflektierten Reaktion auf die im Prozess beobachteten Wissenskonstruktionen. Die Interaktionsanalyse zielt darauf ab, das differenzierende Setting zu diagnostischen Zwecken zu nutzen, um Antworten auf die Frage zu erhalten, 2 An der Veranstaltung, in der die Daten erhoben wurden, haben ausschließlich Studentinnen teilgenommen; für die folgende Darstellung wird daher die weibliche Form verwendet. Birgit Schädlich 210 wie Mehrsprachigkeit als fachdidaktisch relevanter Gegenstand von den Studentinnen im Hinblick auf Situationen der Praxis konstruiert wird. Die Interaktionsanalyse (vgl. Börner 2000; Cicurel 2011) kann dabei auch als Ansatz verstanden werden, auf das Problem der Überprüfung von Wirksamkeiten (vgl. Grünewald 2012, 211-212) zu reagieren: Aufgrund der Faktorenkomplexion ist es im Vergleich kontrastiver Settings (z.B. analoge vs. digitale Bearbeitung einer Aufgabe) nahezu unmöglich nachzuweisen, „ob eine Veränderung tatsächlich auf das eingesetzte Medium zurückzuführen ist“ (Grünewald 2012, 211). So geht es auch bei der Interaktionsanalyse weniger um den Nachweis der Wirksamkeit des Aufgabensettings im Wiki als vielmehr um den verstehenden Nachvollzug der Konstruktionsprozesse aus einer distanzierten Perspektive (vgl. Cicurel 2011, 41). Problematisch bleibt dabei die Verschränkung der Rollen als (involvierte) Dozentin und (distanzierte) Forscherin. Die asynchrone Arbeit im Wiki ermöglicht jedoch auch einen veränderten Blick auf die problematische Positionalität (vgl. Herr/ Anderson 2015, 40f.), vermag sie doch die Schönschen Konzepte von reflection in action und reflection on action (Schön 1983) einander anzunähern: Während in der Präsenzlehre Reflexion in der Handlungssituation immer von Komplexität und Zeitdruck geprägt ist, die nachgängige Reflexion hingegen ihre Ergebnisse allenfalls mittelbar in den Unterricht zurückspielen kann, ermöglicht die asynchrone Arbeit eine Handlungsveränderung in action, die gleichzeitig auf der distanzierten reflection on action basiert. Insofern stellen asynchrone Kommunikationsformate einen Raum bereit, in dem die Rückbezüglichkeit handlungspraktischen Erprobens und distanznehmender Reflexionen auch der Lehrperson gestaltet werden kann. Eine Antwort auf die Frage, „was dann aus den Texten wird“, möchte ich vorläufig so skizzieren: In den Wiki-Aufgaben zeigen sich deutliche Reflexe der in den Präsenzsitzungen diskutierten Texte und Fragestellungen. Vor der Frage, was die Studentinnen aus den ersten Sitzungen für das Praktikum ‚mitnehmen‘, seien hier erste Beobachtungen referiert: Die Texte zu Mehrsprachigkeit werden so transformiert, dass die Beiträge im Wiki auf die Fragen „was sollen Lehrkräfte tun? “ und „wie kann das Sprachenlernen vereinfacht werden? “ reagieren. Dies ist insofern bemerkenswert, als nicht alle Seminarlektüren Aussagen dazu beinhalten. Vielmehr scheinen die Texte „passend gemacht“ zu werden für Fragen, die von den Studentinnen als impliziter Fluchtpunkt für die Wissenskonstruktion eingebracht werden: Hier ordnen sie neues Wissen in vorgängige Repräsentationen zu sprachlichen Lehr-/ Lernprozessen ein und verändern es dadurch. Was Börner (2000) in Interaktionen beim Bearbeiten von Lernaufgaben beobachten konnte, wird auch hier sichtbar. Zu interaktionalen Aushandlungsprozessen stellt er fest, dass diese konstruktive Prozesse sind, bei denen „der Lerner einerseits Verarbeitungshinweise aus der Aufgabe interpretiert, andererseits eigenes Sprach- Und was wird dann aus den Texten? 211 wissen über formale und inhaltliche Lösungsstrategien aktiviert und beides in einem Lösungsergebnis zusammenführt“ (Börner 2000, 49). An einem Beispiel mag deutlich werden, welche Interpretationen hier in der Auseinandersetzung mit der Aufgabe im Wiki erkennbar werden. Im Kurs wurde beispielsweise die Arbeit mit sprachenbiographischen Daten thematisiert und die Studentinnen haben mit Sprachenportraits gearbeitet, die mit den Begriffen von Mehrsprachigkeit, Repertoire und Spracherleben (vgl. Busch 2013) linguistisch und forschungsmethodologisch kontextualisiert wurden. Es handelt sich um eine Perspektive auf Mehrsprachigkeit, der hohe Relevanz für Sprachlernprozesse zugeschrieben werden kann, die aber nicht unmittelbar in Unterrichtshandlungen überführbar ist. In der Wiki-Aufgabe werden die Sprachenportraits nun als Instrument reflektiert, das den „Wert“ von Mehrsprachigkeit akzentuiert und identitätsbezogene und emotionale Aspekte von Sprachlichkeit sichtbar machen kann. Dabei werden diese Aspekte an vielen Stellen so transformiert, dass sie weniger als (Forschungs-)instrument verstehender Deskriptivität gezeichnet, sondern normativ gewendet mit lernökonomischen und motivationalen Zielsetzungen assoziiert werden. Dies zeigt sich beispielsweise in Beiträgen wie „ [ ... ] da Sprachvergleiche [ ... ] nicht nur interessant sind, sondern auch das Lernen vereinfachen können“ oder „Die Lehrkraft sollte die Mehrsprachigkeit der SuS effektiv in den Unterricht integrieren“ oder „ [ ... ] Sprachen der SuS können genutzt werden, um Eselsbrücken zu bauen oder beim Lernen zu motivieren“ (Auszüge Wiki, Kursivsetzung B.S). Was hier auffällt, ist die Überschneidung zweier - um erneut an die Terminologie Börners (2000) anzuknüpfen - Diskurswelten, deren eine als subjektive Theorie vom Fremdsprachenunterricht als Interpretationshorizont für die andere verstanden werden kann: Die Texte zu Sprachenportraits werden innerhalb einer bestimmten Erwartung reproduziert und dabei werden ihnen auch Inhalte beigeordnet, die in den linguistischen Texten anders oder gar nicht thematisiert werden. Bei der Auseinandersetzung mit den Sprachenportraits war dies für mich besonders augenfällig, denn die mehrsprachigkeitstheoretischen Überlegungen bei Busch (2013) werden in erster Linie deskriptiv sowie sprachideologisch kritisch entwickelt, wobei sie allenfalls mittelbar Relevantes für die Planung von Fremdsprachenunterricht implizieren. Die Transformation im Wiki jedoch „überspringt“ sozusagen die entsprechende Relevanzdiskussion und nimmt stattdessen unmittelbare Festlegungen vor, die stark normativ formuliert sind, gleichzeitig aber auf der Handlungsebene vage bleiben. Sie entsprechen also weder dem reflexiven noch dem praxisbezogenen Anspruch von Professionalisierung (vgl. Helsper 2011). Dominant sind stattdessen Beiträge mit Modalverben oder imperativischen Formulierungen wie beispielsweise: „ [ ... ] darauf gilt es als Lehrkraft angemessen zu reagieren“; „Mehrsprachigkeit sollte für den Fremdsprachenunterricht als Bereicherung [ ... ] angesehen werden“ (Auszüge Wiki, Kursivsetzung B.S.). Als Weiterführung der und implizite Rück- Birgit Schädlich 212 meldung zu den Seminardiskussionen war dies für mich als Dozentin insofern interessant, als sowohl die Texte wie auch die Seminardiskussionen stark fragenden und problematisierenden Charakter hatten, deren Ziel darin bestand, für Handlungsalternativen und Entscheidungsdilemmata zu sensibilisieren, wobei konkrete Fallbeispiele ausgestaltet wurden. Als Dozentin hatte ich erwartet, dass sowohl die konkreten wie auch die fragenden Elemente im Wiki „weitergesponnen“ würden. Tatsächlich aber besteht eine dominante Praktik der Wissenstransformation in einer beobachtbaren Engführung der im Seminar reflexiv offen gehaltenen Fragen. Wenn Interaktion als „wechselseitige Beeinflussung von Individuen oder Gruppen in aufeinander bezogenen Handlungen“ (Börner 2000, 45) verstanden wird, reagieren die Studentinnen auf den Impuls „ [ ... ] was Sie aus den ersten Sitzungen des Seminars für das Praktikum ‚mitnehmen‘ (Auszug Wiki, Kursivsetzung B.S.) mit einer Interpretation, die ‚mitnehmen‘ in einer bestimmten Art und Weise ausgestaltet und damit auf bestimmte Bezugspunkte - hier nämlich Verfahren der Vereindeutigung - verweist. Ein möglicher Deutungsansatz für diese Interaktion wäre, dass durch die Formulierung ‚mitnehmen‘ eine Praxissituation evoziert wurde, welche die Verengung der Reflexion gegebenenfalls selbst hervorgebracht hat. Unabhängig von der Intention einzelner Beiträge wird an der Reaktion auf sie sichtbar, wie einzelne Begriffe interpretiert und weitergeführt werden. Die Analyse ermöglicht eine distanznehmende Reflexion dieser Fortführungen und damit auch die Konstruktion alternativer Formulierungen, die andere Rahmungen für andere Reaktionen ermöglichen können. Zusammenfassend sei festgehalten, dass Wiki-Diskussionen einerseits kollaborative und komplexe Aushandlungsprozesse in der Auseinandersetzung mit Aufgaben initiieren können. Die mehrdirektionale Interaktion (vgl. Chun/ Kern/ Smith 2016, 72) zwischen Lehrperson und Gruppe sowie zwischen einzelnen Teilnehmerinnen sowie zwischen Lehrperson und einzelnen Teilnehmerinnen scheint die vielfältige Vernetzung der Beiträge und gegenseitige Bezugnahmen aufeinander zu begünstigen, so dass Mehrsprachigkeit als fachdidaktisch relevanter Gegenstand facettenreich konstruiert wird. Obwohl dies im beschriebenen Setting nicht systematisch kontrastiert wurde, so scheinen diese Beobachtungen maximierter Interaktion insofern auf das Format „Wiki“ rückführbar, als ähnliche Ansätze und Aufgaben, die in vergangenen Semestern in Foren bearbeitet wurden, weitaus weniger Interaktionen hervorgebracht haben. Möglicherweise ist dies mit der umfassenden und gleichzeitigen Sichtbarkeit aller Beiträge und der geringeren Anzahl notwendiger „Klicks“ erklärbar. Die leichte Editierbarkeit hält beispielsweise Linke (2013, 48) für ein typisches Merkmal von Wikis. Gleichzeitig jedoch können die Beiträge von dem Dilemma geprägt sein, auch problematische Überzeugungen aufzurufen und gegebenenfalls durch die maximierte Interaktion sogar zu verfestigen, ähnlich dem Phänomen von Und was wird dann aus den Texten? 213 Echoräumen in sozialen Netzwerken, in denen nur die Pfade angenommen und weitergeführt werden, die den individuellen Erwartungen und Meinungen entsprechen. Vor dem Anspruch der „doppelten Professionalisierung“ (vgl. Helsper 2011) bedeutet dies eine tendenzielle Ausblendung reflektierender Anteile und eine Verstärkung verallgemeinert formulierter Ansprüche an „die“ Praxis. In der hier analysierten Interaktion werden Deskriptivität in normative Formulierungen transformiert und offene Fragen stark geglättet. Beiträge zu potenziellen Widersprüchen, die Lehrerhandeln grundsätzlich rahmen und Impulse zu deren Reflexion wurden meist nicht weitergeführt. Insofern wäre es naiv zu glauben, die mehrdirektionale und partizipationsfördernde Offenheit von Wiki-Diskussionen wäre „an sich“ ein Gewinn für Professionalisierungsprozesse. Vielmehr birgt sie gerade in dieser Anlage auch das Problem der möglichen Verfestigung von Praktiken der Didaktisierung, die vor den Ansprüchen reflexiver, strukturtheoretisch ausgerichteter Lehrerbildung (z.B. Helsper 2011) problematisch erscheinen müssen. Der Mehrwert des Wikis besteht hier jedoch darin, dass diese Praktiken sichtbar und ihrerseits durch Neukontextualisierung oder Reframing (im Sinne Schöns) der Reflexion zugänglich gemacht werden können. Als Ausblick seien für die formative Weiterentwicklung der Arbeit mit Wikis zwei Linien skizziert: In hochschuldidaktischer Hinsicht sind Analysen hinsichtlich folgender Aspekte vorgesehen: Erstens die Veränderung des Aufgabenimpulses dahingehend, diesen so zu formulieren, dass er weniger verengende Reaktionen begünstigt und daraufhin die interaktionalen Anschlüsse auf verschiedene Formulierungsalternativen zu beobachten. Darüber hinaus sollen Interaktionen in anderen Kommunikationsformaten untersucht und mit den Wiki-Interaktionen verglichen werden. So wurden bereits Audioaufnahmen von Diskussionen in Präsenzphasen angefertigt, die bei der Rekonstruktion der Interaktionsprozesse als Vergleichsdaten genutzt werden sollen. Als kontrastierendes Szenario im virtuellen Raum sollen in weiteren Durchgängen kollaborative Annotationsprogramme wie e-comma (vgl. Chun/ Kern/ Smith 2016, 73) zum Einsatz kommen. In Prozessen des social reading kann gegebenenfalls nachvollzogen werden, in Reaktion auf welche Inhalte oder Formulierungen die oben beschriebenen Überlagerungen von Diskurswelten und Verengungen didaktischer Reflexion typischerweise auftreten und welche Mechanismen sie bedingen. Literatur Börner, Wolfgang (2000): „Interaktion in Lernaufgaben“. In: Bausch, Karl- Richard/ Christ, Herbert/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Interaktion im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 20. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr, 45-50. Busch, Brigitta (2013): Mehrsprachigkeit. Wien: facultas. Birgit Schädlich 214 Chun, Dorothy/ Kern, Richard/ Smith, Bryan (2016): „Technology in language use, language teaching, and language learning“. 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Der digitale Wandel beruht auf dem im Mooreschen Gesetz (Moore 1965) beschriebenen Phänomen, nach dem „sich die Verarbeitungskapazität von elektronischen Komponenten seit der Erfindung der Computertechnik in den 1940er Jahren regelmäßig [...] bei unveränderten Komponentenkosten“ verdoppelt (Schaar 2018, 74). Als ein Resultat dieser Leistungssteigerung bei gleichzeitig gleichbleibenden Kosten haben digitale Techniken in vielen Bereichen analoge Verfahren ergänzt, wenn nicht gar völlig verdrängt. Bisweilen lässt sich eine mehr oder weniger systematische Verknüpfung analoger und digitaler Verfahren beobachten, die je nach Person auch individuelle Züge aufweist. Insbesondere den Umgang mit Informationen haben die digitalen Techniken in quantitativer und qualitativer Weise erheblich verändert, indem sie das Protokollieren, Dokumentieren, Transportieren und damit Kommunizieren, das Suchen und Finden, das Verknüpfen, Analysieren und damit das Erkennen von Zusammenhängen zwischen Informationen, das Gestalten, Regulieren und schließlich auch das Kontrollieren und Manipulieren von Informationen schneller, orts- und personenunabhängiger und bei all dem auch umfangreicher und damit z.T. überhaupt erst für die Allgemeinheit möglich gemacht haben. Bei der Übermittlung und beim Abruf digital gespeicherter und genutzter Informationen werden darüber hinaus als Nebenprodukt neue Informationen produziert, die wiederum den gerade aufgezählten Prozeduren zugeführt werden können. Digitale Informationsspeicherung, -bereitsstellung und -abfrage usw. können mittlerweile - und zum Teil, ohne dass dies von der einzelnen Person noch kontrolliert werden kann - in nahezu allen Lebensbereichen erfolgen (Stichwort: mithörende (Radio-)Lautsprecher, Fitness-Armbänder und Kamera-Überwachung des öffentlichen Raums) und haben - auch aufgrund der kontrollierenden oder manipulativen Nutzung von Informationen - das Potenzial, nicht nur die informationale Selbstbestimmung der Person anzugreifen oder gar aufzuhe- Fremdsprachenlernen in Zeiten von DeepL und Co.? 217 ben (vgl. u.a. Nida-Rümelin/ Weidenfeld 2018; Schaar 2018) 1 . Zugleich verfügen die gleichen Charakteristika des Umgangs mit Daten über Potenziale, die bei entsprechend reflektierter Nutzung in vielen Bereichen des Lebens zu einer Bereicherung führen können. Diese Dialektik gilt es auch mit Blick auf das Lehren und Lernen von Sprachen unter digitalen Bedingungen didaktisch zu betrachten. 2 Lehren und Lernen von Sprachen digital weiterentwickelt Zunächst einmal setzt der sog. digitale Wandel mit anderen Mitteln im Bereich Lehren und Lernen von Sprachen eine längerfristige Entwicklung fort. War das Lernen von fremden Sprachen und Kulturen anfänglich auf die Gegenwart von kundigen Sprechern bzw. Lehrern zwingend angewiesen, so haben nach und nach verschiedene Schrift-, Ton- und Bild-Ton-Träger diese enge Anbindung des Sprachenlernens an eine konkrete, räumlich anwesende Person zunehmend gelockert. Was eingeschränkt mit dem analogen Buch über Jahrhunderte hinweg möglich war, entwickelte sich seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert weiter. Die Sprache konnte hörbar, kulturelle Praktiken konnten sichtbar gemacht werden. Zunehmend konnten auch interaktivkommunikative Kontakte zu räumlich nicht präsenten Sprachen und Kulturen medial und damit ohne Ortsveränderung der Lerner hergestellt und für das Lernen und Lehren dieser Sprachkulturen genutzt werden. Stand am Anfang der allein schriftliche Austausch, konnte durch medientechnologische Weiterentwicklungen der interaktiv-kommunikative Kontakt mit Sprachen und Kulturen außerhalb des eigenen Lebensbereichs erweitert werden (z.B. Telefon, postalischer Versand von auditiven bzw. audio-visuellen Aufzeichnungen) (vgl. Germain 1993). Diese Entwicklung erfährt mit den digitalen Datenträgern und Kommunikationsmöglichkeiten einen weiteren quantitativen Schub und in Teilen auch qualitative Veränderungen. Denn durch digitale Verfahren haben sich die Möglichkeiten des rezeptiven, des übenden, insbesondere aber des interaktiv-kommunikativen Umgangs mit fremden Sprachen und Kulturen vervielfältigt. Digitale Medien bieten dabei die Möglichkeit, verschiedene Wahrnehmungs- und Kommunikationsmodalitäten miteinander zu verknüpfen. Kommunikation und Interaktion können Schrift-, Bild- und Mündlichkeit synchron und asynchron nutzen bzw. verschiedene Mischformen dieser Modalitäten haben (z.B. Begleitung durch statische oder bewegte Bilder, Symbole, Einbezug verschiedener Schriften, Musik und Ton). Die von den interagierenden Personen erreichte Kompetenz in der bzw. den gemeinsam genutzten Sprache(n) kann in diesen Kommunikationen differieren. So können Fremdsprachenlerner mit Erst- oder Zweitsprachensprechern im Land der Zielsprache oder mit ande- 1 Siehe zu Folgen und Gefahren der Digitalisierung auch Küster (in diesem Band). Lars Schmelter 218 ren Lernern der Fremdsprache im Zielsprachenland, im eigenen Land oder anderenorts in Kontakt treten. Ihre Kommunikation kann bei Bedarf durch die Nutzung digitaler oder analoger Hilfen (z.B. Wörterbücher, Grammatiken, Konkordanzen, Paralleltexte in der eigenen Sprache) begleitet werden. Mehr noch: Stand zuvor bei Kommunikationsbzw. Verstehensschwierigkeiten in letzter Not ggf. eine lehrende bzw. sprachmittelnde Person zur Verfügung, so kann die Kommunikation zwischen Sprechern unterschiedlicher Erst-, Zweit- und Fremdsprachen heute zumindest in einigen Sprachkombinationen durch Übersetzungsprogramme (beispielsweise DeepL) auf einem durchaus ansehnlichen Sprachniveau gebzw. vermittelt werden (siehe ausführlicher u.a. Grünewald in diesem Band). Folglich ist die auf das Lernen einer Fremdsprache abzielende Kommunikation und Interaktion nicht mehr zwingend in Unterrichtskontexte eingebettet. Dennoch sollte nicht übersehen werden, dass auch die durch digitale Medien ge- und vermittelte Kommunikation diese im Vergleich zum realphysischen Kontakt noch immer auf einige wenige kognitive Aspekte reduziert. Für die Qualität des Lernens (und Lehrens) von Sprachen wichtige Faktoren - wie beispielsweise die zeitlichen, räumlichen und leiblichen Erfahrungen sowie die sozio-kulturelle Einbettung der Kommunikation und der mit ihr verbundenen Lehr-Lernprozesse - erhalten eine andere Ausprägung und führen daher aus einer subjektwissenschaftlichen Perspektive betrachtet wahrscheinlich zu anderen Lernanstrengungen und -erfolgen, und zwar in beide Richtungen: Das Lernen von Sprachen aufgrund dieser digital-medial gestützten Kommunikationen wird sowohl anders verlaufen als ein Lernen, das weitgehend im zielsprachlichen Kontext erfolgt, als auch ein Lernen, das nahezu ausschließlich in unterrichtliche Kontexte eingebettet ist und dessen sprachlicher Input sich auf Lehrpersonen und -materialien beschränkt. Für das Lehren und Lernen von Sprachen können - so kann an dieser Stelle zusammengefasst werden - mittlerweile zu allen relevanten Bereichen Informationen (u.a. beispielhafter Sprachgebrauch, strukturierte und ggf. adaptierte Sprachbeschreibung; nicht-sprachliche Informationen aus allen Lebensbereichen der Zielkultur (in unterschiedlichen Sprachen)) in „Rohform“ bzw. in didaktisch und methodisch für unterschiedliche Kontexte, Zielperspektiven und -gruppen sowie in auf unterschiedlichem Niveau aufbereiteter Form recherchiert und genutzt werden. Zudem können dank digitaler Kommunikationstechniken fremdsprachliche Kommunikations- und Austauschmöglichkeiten, die zuvor nur durch Reisen bzw. langwierige Versandverfahren geschaffen und aufrechterhalten werden konnten, jetzt ohne diese (z.T. sicherlich auch motivationalen) Hindernisse im Klassenzimmer hergestellt werden und reale Kontakte vor- und nachbereiten. Fremdsprachenlernen in Zeiten von DeepL und Co.? 219 2 Herausforderungen des digitalen Lehrens und Lernens von Fremdsprachen Diese immens gewachsene Vielfalt an Möglichkeiten der Gestaltung, Begleitung, aber auch des Protokollierens und Evaluierens von sprachlichen Lernprozessen verlangt Lehrpersonen und Lernern - gerade auch weil die Möglichkeiten zumeist schnell und unkompliziert zugänglich, vor allem aber zahlreich sind - einiges ab. Wo es früher keine Alternativen gab, muss jetzt aus den unzähligen Angeboten das jeweils passende ausgewählt werden. Die Frage, welche der vielen Möglichkeiten mit Blick auf welche Lehr- Lernkontexte, welche Bedarfe, Bedürfnisse und Zielsetzungen in welcher Form und aus welchen Gründen angemessen sind, lässt sich in den seltensten Fällen zweifelsfrei oder aufgrund reflektierter praktischer Erfahrung unmittelbar einschätzen und beantworten. Nur teilweise kann hier an Wissen angeknüpft werden, das noch in analogen Zeiten gewonnen wurde. Denn schon die Nutzung portabler Wörterbücher weist gegenüber den analogen Vorgängern Besonderheiten auf (Diehr/ Gießler/ Kassel 2016). Die Digitalisierung ersetzt also nicht nur alte Medien der Informationsbeschaffung, der Vermittlung und des Lernens, sondern sie kann auch neue Vermittlungsstrategien ermöglichen. Vermutlich muss aber bei der Bewertung dieser Vermittlungsstrategien auch von Veränderungen der kognitiven Rezeptions- und Verarbeitungsprozesse und folglich auch der Kompetenzaneignung ausgegangen werden. So verändert sich offensichtlich das informationsentnehmende, kritische Lesen, wenn es am Bildschirm und nicht vor bedrucktem Papier stattfindet, in Verlauf und Ergebnis (vgl. die Stavanger-Erklärung des Forschernetzwerks E- Read 2019 2 ). Auch das Schreiben mit Stift und Papier zeitigt offensichtlich zumindest in bestimmten Kontexten und Aufgaben andere Effekte als das Schreiben am Bildschirm; insbesondere dann, wenn ein Programm zur Wortbzw. Zeichenvervollständigung das aufwändige produktive eigenständige Erinnern durch ein zumindest annäherungsweises Wiedererkennen zunehmend ersetzt (vgl. u.a. Guder in diesem Band). Die digital ermöglichten Gestaltungsvarianten von institutionellen und informellen sprachlichen Lehr- und Lernkontexten ergeben folglich im Wechselspiel mit den institutionellen und personalen Rahmungen komplexe Effekte (vgl. Arnold u.a. 2015, 50-54). Diese im Einzelnen zu überschauen und zu bewerten, um daraus adäquate Lehr-Lern-Kontexte zu gestalten, müsste einerseits jeweils neu und vor Ort von den Lehrpersonen und Lernern übernommen werden. Diese dezentrale, lokalisierte und individualisierte Gestaltung der Lehr- und Lernmaterialien und -kontexte wäre zwar pädagogisch und didaktisch, möglicherweise auch bildungspolitisch wünschenswert. An- 2 Reaktionen auf diese Experten-Erklärung referiert Küchemann (2019). Lars Schmelter 220 dererseits besteht dabei immer die Gefahr, zu unprofessionellen Ergebnissen zu kommen. Denn ein Großteil der grundsätzlich und für den spezifischen Lehr-Lernkontext zu beantwortenden methodisch-didaktischen Fragen kann vermutlich nicht einmal die professionelle Fremdsprachenforschung angemessen beantworten, so dass die individuellen Lehrpersonen bzw. die Lernenden mit diesen Fragen überfordert sein könnten. Didaktisch-methodische Herausforderungen für die Gestaltung des Lehrens und Lernens (von Sprachen) ergeben sich letztlich erst in Abhängigkeit der Zielsetzungen, die mit dem Unterrichten bzw. dem Aneignen verfolgt werden (sollen). Insofern werden die durch die Digitalisierung provozierten Herausforderungen noch größer, wenn man berücksichtigt, dass sich mit ihr nicht mehr nur neue Lehr- und Lernverfahren bei der Aneignung weitgehend bekannter fremdsprachlicher Kompetenzen und damit beim Erreichen mehr oder weniger althergebrachter Lehrziele zur Verfügung stehen. Mit der Digitalisierung sind Kommunikations- und Interaktionsformen möglich gewordenen, die die Relevanz der bisherigen Lehrziele des Fremdsprachenunterrichts erheblich infrage stellen (vgl. auch die Dystopien bei Grünewald und Riemer in diesem Band). Dirk Siepmann (2018) stellt die Kernfrage in aller Schärfe: Wozu sollte man sich intensiv mit dem mühevollen Lernen einer Fremdsprache auseinandersetzen, wenn DeepL einem die Arbeit abnehmen kann? (Siepmann 2018). Wozu sollten erhebliche Ressourcen in schulische Vermittlungsbemühungen investiert werden, wenn die damit zu erreichende kommunikative Basiskompetenz in einer Fremdsprache auch kostengünstiger erreicht werden kann? Vor dem Hintergrund der in seinen Augen dürftigen Ergebnisse des kompetenzorientierten Fremdsprachenunterrichts sieht Siepmann denn auch die Fremdsprachendidaktik in Schule und Hochschule der Politik gegenüber unter Rechtfertigungsdruck. Seiner Ansicht nach wird die reine Kompetenzschulung [...] um eine stärkere bewusste Durchdringung sprachlicher Regelmäßigkeiten und um eine Besinnung auf den Bildungsauftrag des Fremdsprachenunterrichts ergänzt werden müssen, also um die verstärkte Lektüre literarischer, philosophischer und journalistischer Originaltexte, um Landeskunde und Kulturstudien (Siepmann 2018). Angesichts dieser komplexen Veränderungen, die sich aufgrund digitaler Möglichkeiten für fremdsprachige Kommunikation und Interaktion ergeben können, reicht es aus fremdsprachdidaktischer Perspektive nicht mehr aus, die digitalen Medien und Medienverbünde hinsichtlich ihrer Effizienz für das traditionelle Lehren und Lernen von Fremdsprachen zu prüfen. Vielmehr geht es darum, didaktisch und bildungstheoretisch begründete Vorschläge für die Berücksichtigung dieser Veränderungen in den Curricula zu machen. Aktuelle bildungspolitische Papiere zur Digitalisierung (BMBF 2016; KMK Fremdsprachenlernen in Zeiten von DeepL und Co.? 221 2016) gehen an den hier nur skizzierten zentralen Herausforderungen vorbei (vgl. zur kritischen Auseinandersetzung u.a. GFD 2018). Hier werden zumeist nur die vergleichsweise einfachen Effekte des digitalen Wandels sowie die Aspekte der sog. ‚employability‘ thematisiert. Die Überlegungen der EU (vgl. Vuorikari u.a. 2016) bzw. der UNESCO (2018) zu einem digitalen Kompetenzprofil reichen ebenfalls kaum darüber hinaus. Der Companion zum Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (Council of Europe 2017) bleibt m.E. in dieser Frage sogar hinter den genannten Papieren zurück. 3 Emanzipatorisches Potenzial der Digitalisierung vs. Funktion von Schule? Vor dem Hintergrund der skizzierten Informations-, Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeiten mit den diversen Sprachen dieser Welt erwächst - wie bereits angeklungen - für die didaktische Gestaltung von fremdsprachlichen Lehr- und Lernprozessen ein großes Potenzial, das es zu reflektieren und ggf. funktional adäquat zu nutzen gilt. Dies gilt auch für die einzelne Person, die unabhängig von institutionellen oder beruflichen Vorgaben oder gerade parallel dazu sich einer fremden Sprache und Kultur lernend nähert; oder sie lediglich für kommunikative oder konsumierende Zwecke nutzt. Die Auseinandersetzung mit bzw. die Nutzung von fremden Sprachen und Kulturen kann sich aufgrund der Vielfalt sowie der Dynamik und Flexibilität der digitalen Zugänge enger an den Bedürfnissen, Bedarfen und vorhandenen Handlungsmöglichkeiten der lernenden Person orientieren, als dies z.B. mit dem klassischen Lehrwerk oder in traditionellen Lehr-Lernkontexten möglich war und ist. Lehrpersonen können ihre lehrenden Vermittlungsbemühungen anreichern, Phasen des Präsenzunterrichts für die Tätigkeiten nutzen, die bei medialer Vermittlung weniger gut gelingen, und entsprechend durch eigenständige Vor- und Nachbereitung der Lerner rahmen lassen. Lerner können ihrerseits den Fremdsprachenunterricht unabhängig von vorgegebenen, im Unterricht eingesetzten Lehr-Lern-Materialen mit selbstgewählten Themen, Übungen, Kommunikationen und Interaktionen ergänzen. Sie können leichter als bislang Sprachen lernen, für die es lokal keine Lehrangebote gibt. Fremdsprachenlernen wird damit in Teilen unabhängiger von den Lehrangeboten, die zwangsweise besucht werden müssen bzw. die lokal (nicht) vorhanden sind. Die digitale Welt des Fremdsprachenlernens bietet so betrachtet Möglichkeiten der Emanzipation und Selbstbestimmung der Person, die in diesem Ausmaß bislang nicht oder nur sehr wenigen, zumeist finanziell und sozial Privilegierten zur Verfügung standen. Betrachtet man vor diesem Hintergrund die tatsächliche Nutzung digitaler Medien im (schulischen) Fremdsprachenunterricht, so drängt sich der Eindruck auf, dass die inneren Widersprüche der verschiedenen Funktionen des Lars Schmelter 222 Bildungssystems 3 deutlicher als bislang hervortreten. Einerseits soll der schulische Fremdsprachenunterricht u.a. durch die Vermittlung von Sprachlernstrategien das selbstständige (Weiter-)Lernen von Sprachen befördern. Die Nutzung von Hilfsmitteln für die fremdsprachliche Rezeption und Produktion wäre folglich systematisch zu thematisieren und ihr Nutzen für die Aneignung fremdsprachlicher Kompetenz zu reflektieren. Andererseits kann weder die systematische Einführung in die Nutzung von Wörterbüchern und Grammatiken noch das Schreiben unter zur Hilfenahme von Rechtschreibe- und Korrekturprogrammen als Standard realer schulischer Vermittlungspraxis beobachtet werden. Dieser wenn nicht systematische, so zumindest doch symptomatische Ausschluss von Hilfsmitteln, die zur außerschulischen Praxis gehören, ist weder handlungsnoch kompetenzorientiert, lässt sich jedoch vor dem Hintergrund von Prüfungen und Bewertungen, d.h. mit Blick auf die Bewertungs- und Allokationsfunktion von Schule erklären. Prüfungen - und mit ihnen der Unterricht selbst - zielen auf ein stark individualisiertes Verständnis von Leistung ab. Schulische Leistungen müssen nur bedingt den realen sozialen Praktiken und Handlungszusammenhängen entsprechen. 4 Folglich werden vermutlich auch in absehbarer Zukunft digitale Wörterbücher, Übersetzungsprogramme usw. nicht zum Gegenstand schulischen Fremdsprachenunterrichts gemacht. Schule ist so betrachtet gerade kein Schonraum, in dem aus einer reflektierten und didaktisch methodisch gestalteten Distanz heraus individuelle Bildungsprozesse mit Blick auf Alltagsfragen und -gegenstände angebahnt und vermittelt werden, sondern Schule verhindert durch den Ausschluss dieser Gegenstände und Verfahren geradezu die kritisch-reflektierte und vor allem konstruktive Auseinandersetzung mit den digitalen Möglichkeiten. Damit ist im Umkehrschluss nicht gefordert, dass der Fremdsprachenunterricht sich allein auf die effiziente Nutzung von DeepL & Co. festlegen sollte. Wenn aber das Lernen von 2. und 3. Fremdsprachen offensichtlich schon jetzt bei vielen Schülern nur widerwillig erfolgt und beendet wird, sobald die schulische Auflage dazu aufgehoben ist, dann wird deutlich, welche Lernwiderstände schulischer Fremdsprachenunterricht in naher Zukunft erwarten muss; und zwar gerade auch aufgrund der offensichtlichen inklusiven, individualisierenden und emanzipatorischen Potenziale, die in einer tatsächlich an der Bildung der Person orientierten Nutzung digitaler Möglichkeiten liegen. Die digital vermittelten Zugriffe auf fremde Sprachen und Kulturen, die Vielfalt der durch sie zu Lehr- und Lernzwecken nutzbaren Inhalte und Kommunikationsmöglichkeiten, bieten ja gerade das Potenzial, u.a. den „Gleichlauf von Lernzeiten und Lerngeschwindigkeiten“ (Faulstich 2013, 3 Vermittlung und Anleitung individueller Bildungsprozesse, Wertevermittlung, Inklusion, aber auch Allokationsfunktion, Standardisierung usw. 4 Siehe zum Leistungsbegriff u.a. Schäfer/ Thompson (2015) und Verheyen (2018). Fremdsprachenlernen in Zeiten von DeepL und Co.? 223 137), der Schulen als „Disziplinanlagen des Lernens“ (ebd.) im Sinne von Foucault (1975) erscheinen lässt, aufzubrechen. Wenn zwischen dem Aufwand, den ich zu betreiben habe, und dem, was für mich herauskommt, eine Diskrepanz besteht, wenn die Sinnhaftigkeit von Lernanstrengungen und Lernbemühungen nicht gegeben ist, dann sind Lernwiderstände berechtigt. Wie wir als Lernende entscheiden, welche Maßstäbe wird anlegen, um festzustellen, ob das Verhältnis von Lerneinsatz und Lernerfolgen akzeptabel ist, hängt von unseren biographischen Erfahrungen, von den Einstellungen und Interessen ab. Es handelt sich dabei um Werthaltungen, die sich als geronnene Erfahrungen in Lebenszusammenhängen gebildet haben (Faulstich 2013, 139). Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die biographischen Rahmenbedingungen „an milieuspezifische Horizonte rückgebunden sind“ (ebd.) 5 . Wenn der Nutzen des Fremdsprachenlernens z.B. durch reale oder medial vermittelte Kontakte zu Sprechern der fremden Sprache nicht unmittelbar erfahrbar wird, wenn zudem offensichtlich im außerschulischen Bereich gängige Hilfsmittel in der schulischen Klausur 6 systematisch ausgeschlossen werden bzw. ihre Nutzung unterbunden wird, dann verspricht der Aufwand des Fremdsprachenlernens wenn überhaupt erst in ferner Zukunft ein evtl. besseres Leben. Insofern sind meine Lernanstrengungen in Teilen auch abhängig von den herkunftsbedingten Einsichten in den Nutzen fremdsprachlicher Kompetenz. Familienurlaub im fremdsprachigen Ausland, Sprachschulferien usw. werden folglich weiterhin die milieubedingten Horizontbeschränkungen verstärken. Insofern verfestigt ein weitgehend analog gestalteter schulischer Fremdsprachenunterricht im digitalen Zeitalter die allokative und damit ‚wahre‘ Funktion von Schule. Die sieht Didier Eribon (2009/ 2018) unter Bezug auf die Arbeiten von Bourdieu (1993) und Foucault (1975) nach wie vor in der Reproduktion sozialer und wirtschaftlicher Machtverhältnisse: [...] rejeter les enfants des classes populaires, perpétuer et légitimer la domination de classe, l’accès différentiel aux métiers et aux positions sociales. Une guerre se mène contre les dominés, et l’École en est donc l’un des champs de bataille. Les enseignants font de leur mieux ! Mais ils ne peuvent rien, ou si peu, contre les forces irrésistibles de l’ordre social, qui agissent à la fois souterrainement et au vu de tous, et qui s’imposent envers et contre tout (Eribon 2009, 124). 5 Siehe hierzu auch die Darstellung und Analyse der eigenen Schul- und Sprachlernbiographie bei Eribon (2009/ 2018, 143-184) 6 Der Begriff ergibt hier in seiner doppelten Bedeutung einen Sinn. Lars Schmelter 224 4 Leitlinien eines emanzipatorischen Fremdsprachenunterrichts in Zeiten von DeepL Leitlinie für Schule sollte m.E. daher weiterhin ein recht traditionelles und eingestandenermaßen idealistisches Bildungsverständnis sein, das auf eine gerechte, vor allem aber auch mündige und damit kritisch-reflektierte Beteiligung an gesellschaftlichen Wertschöpfungs- und Entscheidungsprozessen abzielt. Die unmittelbare ökonomische Verwertbarkeit, die bei vielen aktuellen bildungspolitischen Initiativen zur Digitalisierung durchscheint, hat voraussichtlich eine geringere Haltbarkeit als die kritisch reflektierte Mündigkeit im Umgang mit allem Neuen. Im Mittelpunkt eines solchen Bildungsbegriffes stünde das lernende Subjekt (u.a. die Beiträge in Allespach/ Held 2015, hier insbesondere Zimmer 2015). Lehrkontexte hätten entsprechend Angebote zu machen, die es dem Subjekt ermöglichen, die in den Gegenständen und Aufgaben manifesten Handlungsanforderungen und Entwicklungspotenziale z.B. durch Diskrepanzerfahrungen zu erkennen und zugleich expansiv zum Ausbau je eigener Möglichkeiten zu nutzen und sich nicht bloß das aufgrund situativ-institutioneller Zwänge Notwendige defensiv lernend anzueignen. Fremdsprachenunterricht wäre in diesem Bildungsverständnis ein solches Angebot, das es u.a. auch ermöglicht, mit den Potenzialen, aber gerade auch mit den Limitationen maschineller Übersetzungen kritisch-reflektiert und damit mündig umzugehen. Dies kann wiederum nur gelingen, wenn zumindest in einer, besser aber in mehr als einer Sprache so umfangreiche Kompetenzen erworben wurden, die eine kritische Einschätzung von maschinellen Übersetzungen überhaupt erst ermöglichen. Insofern gilt es, bei der Berücksichtigung der digitalen Angebote immer zu prüfen, wo sie die individuellen Lernanstrengungen sinnvoll entlasten, erleichtern oder eben auch ggf. unnötig machen können. Wer gelernt hat, auf der Basis eigener, gut ausgebauter Fremdsprachenkenntnisse komplexere Sachverhalte mit Hilfe von Online- Lexika und Korpora oder Übersetzungsprogrammen kommunikativ auszuhandeln, und dabei gelernt hat, mit evtl. Missverständnissen - die sich im Übrigen auch bei analog gedolmetschten oder übersetzten Interaktionen ergeben können - umzugehen, der wird die Übersetzungshilfen auch kritisch und mündig in anderen Sprachen, die er nur ansatzweise oder gar nicht beherrscht, nutzen können und wollen. 5 Gefahren im lehrenden, lernenden und forschenden Umgang mit digitalen Medien Die Protokollier- und Datenanalyse-Kapazitäten der digitalen Informationstechnologien werden immer wieder auch mit Blick auf eine individualisierte Diagnostik und der darauf aufbauenden differenzierten und diversifizierten Fremdsprachenlernen in Zeiten von DeepL und Co.? 225 Gestaltung von Lehr- und Lernprogrammen hervorgehoben. Sicherlich bergen diese Kapazitäten das Potenzial in sich, z.B. die individuelle Lernersprachen-Entwicklung genauer und präziser zu protokollieren und anschließend durch komplexe Algorithmen zu analysieren. Auf diese Weise könnten ggf. auch komplexere Zusammenhänge zwischen verschiedenen Formen des Inputs, seiner Bewusstmachung und ggf. metasprachlichen Aufbereitung, Lernaufgaben und Rückmeldungen durch andere Lerner und Lehrpersonen „errechnet“ werden. Die Faktorenkomplexion verlöre so evtl. an Größe und die Fremdsprachenforschung käme vielen bislang nicht zu lösenden Fragen ein Stück weit näher. Der so gläsern gewordene Lerner aber verlöre auf diese Weise seine informationale Selbstbestimmung. Unter ethischen Gesichtspunkten des Datenschutzes und des Schutzes von Persönlichkeitsrechten von Schülern und Studenten bin ich fast wieder froh, dass Schule und Universität so anachronistisch veranlagt sind. Denn während die differenzierte, personenzentrierte, möglicherweise passgenauere und damit idealerweise auch erfolgsversprechendere und effizientere Gestaltung von fremdsprachlichen Lehr-Lernprozessen wünschenswert und pädagogisch wie ethisch vertretbar erscheint, stellt sich zugleich die Frage, wer außer den Lernern und ihren Lehrpersonen soll noch Zugriff auf die gespeicherten Lernverläufe, Sprachstandsanalysen, Log-Daten in Lehrprogrammen usw. haben. Wie lang? Und für welche Zwecke? Wie sicher geschützt vor unbefugtem Zugriff sind diese Daten? Auch mit Blick auf diese Fragen gilt es immer die Nutzung von digitalen Medien insbesondere im schulischen Fremdsprachenunterricht, aber auch in der empirischem Fremdsprachenforschung zu bewerten; insbesondere dann, wenn Wirtschaftsunternehmen die Technologie freundlicherweise kostengünstig oder -frei zur Verfügung stellen. Vor dem Hintergrund einiger im Rahmen der 14. 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Begriffe wie bring your own device, mobile based language learning, Tablet-Klassen, gamification, educational apps, blended learning, künstliche Intelligenz und learning analytics sind dabei in aller Munde und stehen - jeder für sich genommen - für weitreichende, bezüglich Wirkungen und Ausgestaltung teilweise noch recht unbeforschte, Veränderungen im didaktischen Dreieck zwischen Lehrenden, Lernenden und Lerninhalten. Von technologischen Werkzeugen wie digitalen Klassenbüchern, Software zur Prüfungsorganisation und -durchführung oder Softwaresystemen zur Abwicklung aller Verwaltungsabläufe für Schulen und Lehrkräfte, bis hin zu Lernplattformen, adaptiven Lernprogrammen und multimedialen, interaktiven Schulbüchern für Schüler_innen werden zukünftig zunehmend Lösungen, Assistenzsysteme, Werkzeuge und intelligente tutorielle Systeme entwickelt, die Prozesse vereinfachen und fachliches Lernen datengeleitet optimieren können. Speziell mit Blick auf den Fremdsprachenunterricht können sich zudem durch die Nutzung digitaler Medien verbesserte Möglichkeiten ergeben, Lernende an reale fremdsprachliche Kommunikation (rezeptiv und produktiv) heranzuführen und sie an medialen Diskursen partizipieren zu lassen. Zusätzlich bieten Technologien wie virtual reality neuartige Möglichkeiten des virtuellen Eintauchens in die Zielkultur und Sprache. Kurzum: Das Fremdsprachenlehren und -lernen befindet sich derzeit in einem rasanten, von neuen Technologien und Anwendungen getriebenen Veränderungsprozess, der außerhalb der Institution Schule bereits seine volle Dynamik entfaltet hat; Digitalisierung kann dabei ein Mehr an Individualisierung, Adaptitvität, Authentizität, kommunikativer Realität und Immersion schaffen. Allerdings stellen sich diese Mehrwerte keineswegs automatisch ein und die Diskussion sollte weder zu optimistisch und ausschließlich von neuen Anwendungen und ihren vermuteten Möglichkeiten geprägt sein, noch zu pessimistisch und defizitorientiert, z.B. bezüglich der immer noch mangelhaf- Digitally empowered teaching and learning 229 ten Ausstattung der Schulen (was sich durch den 5 Milliarden schweren Digitalpakt Schule des Bundes hoffentlich ändert) oder generellen Gefahren der Mediennutzung (vgl. Spitzer 2012), geführt werden. Vielmehr bedarf es einer stark aus den Fächern heraus geführten kompetenzorientierten Digitalisierungsdebatte. Um den digitalen Wandel in Schule und Unterricht erfolgreich zu gestalten, braucht es neben der digitalen Infrastruktur als Grundvoraussetzung 1. gut ausgebildete und in ihrer Mediennutzung kompetente, kritische und reflektierte Fachlehrkräfte, 2. bezüglich ihrer Wirkung empirisch erprobte, an den Bedarfen des Unterrichts und der zu vermittelnden Kompetenzen ausgerichtete, sehr gut konstruierte Lernmedien und 3. intelligente mediale Nutzungsszenarien, die das digital unterstützte Lernen und Arbeiten mit bewährten anderen Methoden und Inhalten des Unterrichts verknüpfen (vgl. Schmidt/ Strasser 2016). Die derzeit ausgeschriebenen Förderprogramme „Forschung zur Gestaltung von Bildungsprozessen unter den Bedingungen des digitalen Wandels“ sowie das Zusatzprogramm „Digitalisierung“ der Qualitätsoffensive Lehrerbildung stellen wichtige Schritte dar, um die Digitalisierung als zentrale Aufgabe anzugehen und die Grundlagen für einen erfolgreichen digitalen Wandel in Schule und Lehrerbildung zu schaffen. Dieser Beitrag geht von der Grundannahme aus, dass auch im Zentrum eines jeden guten digital angereicherten Fremdsprachenunterrichts zukünftig eine kompetente Lehrkraft steht, die in den Bereichen Unterrichten, Erziehen, Beurteilen, Innovieren (vgl. KMK 2004) sehr gut ausgebildet ist und „in ihrem jeweiligen Fachunterricht professionell und didaktisch sinnvoll“ digitale Medien einsetzt „sowie gemäß dem Bildungs- und Erziehungsauftrag inhaltlich reflektieren“ kann (KMK 2016, 25). Nachfolgend soll herausgearbeitet werden, wie kompetente Fremdsprachenlehrkräfte durch intelligente technologische Unterstützung in typischen Lehr-/ Lerntechniken und -prozessen unterstützt und somit im Sinne eines digitally empowered teaching and learning Mehrwerte erzeugt werden können. Hierzu soll der Fokus auf den Bereich des digital unterstützten Übens gelegt werden, der besondere Innovationspotenziale aber auch besondere Herausforderungen durch den Einsatz digitaler Technologien bietet und die Potenziale zur Verbesserung von Lehrkräften in den zentralen Bereichen Diagnose, Förderung und Feedback verdeutlicht. Im letzten Teil des Beitrags soll dann ein Modell für eine kompetenzorientierte Lehrerbildung vorgestellt werden, die Lehrkräfte gezielt auf die Herausforderungen des Lehrens und Lernens mit und über Medien vorbereitet. 2 Differenziertes Üben unterstützt durch Computerlinguistik und künstliche Intelligenz Ein Bereich, der besondere Chancen und Innovationspotenziale durch die Möglichkeiten der Digitalisierung bietet und von den Anforderungen des Schulalltags her begründet ist, stellt das Üben im Fremdsprachenunterricht Torben Schmidt 230 dar. Anhand von zwei Beispielen (und Problemstellungen) soll hier verdeutlicht werden, wie durch digitale Unterstützung ein Mehrwert gegenüber heute noch üblichen Verfahren erzeugt werden kann, um Anforderungen schulischer Heterogenität und Inklusion besser zu bewältigen und individualisierte und personalisierte Lernangebote bereitzustellen: 1. Im Lehrwerk findet sich in einer Unit ein Text zu einer bestimmten Thematik, der in der Regel von einem/ r Lehrwerkautor_in entweder basierend auf einem authentischen Text (der z.B. durch eine Internetsuche gefunden wurde) für eine/ n angenommene/ n Durchschnittsschüler_in einer bestimmten Klassenstufe und Schulform basierend auf subjektiven Erfahrungswerten vereinfacht und umgeschrieben oder komplett frei erfunden wurde. Die Rückmeldung eines/ r Redaktionskollegen_in, es müsse aber noch etwas mehr indirekte Rede in den Text, weil das in der Unit ja auch vorkommt, wird natürlich noch beim Umbau berücksichtigt. Für das zusätzlich erhältliche Schülerbuch für Lerner_innen mit besonderen Förderbedarfen hat dann ein/ e andere/ r Autor_in noch eine vermeintlich einfachere Variante des Textes geschrieben, indem einige Sätze verkürzt, als kompliziert empfundene Vokabeln und grammatische Strukturen ersetzt und insgesamt mehr Absätze eingefügt wurden. Dieses sicherlich keineswegs untypische Vorgehen beim Finden und Aufbereiten von fremdsprachlichen Texten, das auch unabhängig von den Lehrwerktexten zum Alltagsgeschäft von Lehrkräften zählt, kann mit computerlinguistischen Verfahren deutlich optimiert werden. So können etwa mithilfe der Suchmaschine FLAIR (Chinkina/ Meurers 2016, http: / / sifnos.sfs.uni-tuebingen.de/ FLAIR/ ) authentische Texte auf einem bestimmten Sprachniveau gefunden werden, die ausgewählte Zielkonstruktionen möglichst reich repräsentieren. Durch die Möglichkeit des input enhancement (vgl. Sharwood Smith 1993) können diese dann auf Wunsch als Lerngelegenheit für noticing-Prozesse visualisiert und in weiteren Programmen dann etwa gezielt zu Übungsgelegenheiten aufbereitet werden. Auch eigene Texte und Korpora können mit diesem System analysiert werden. Insgesamt können mithilfe dieser sprachsensiblen Such- und Visualisierungstechnologie deutlich passgenauere authentische Texte für den Unterricht und den individuellen Lernenden gefunden werden, was eine große Unterstützung für Lehrkräfte und Lehrwerkautor_innen darstellt, sie für Herausforderungen und Schwierigkeiten von Texten sensibilisiert und schließlich auch dazu führen kann, dass Lehrkräfte demzufolge individuellere Unterstützungsangebote für die Arbeit mit dem Text bereitstellen können. Digitally empowered teaching and learning 231 2. In Klasse 10 will die Lehrkraft mit ihrer Klasse noch einmal verstärkt die Verbzeiten des Englischen üben. Sie hat durch die letzte Klassenarbeit und die Kommunikation im Unterricht den Eindruck gewonnen, dass die Schüler_innen häufig falsche Zeitformen wählen oder bei der Bildung einzelner Zeitformen schriftlich wie mündlich Probleme haben. Die etwa 20 Übungen aus dem Schülerbuch und Workbook (überwiegend Lückentextübungen zu vermischten Zeitformen) ergänzt sie durch Arbeitsblätter mit Übungen, die sie aus anderen Schulbüchern zusammenstellt. Auch hier stellt sich wieder die Frage, wie dieses Vorgehen technologiegestützt verbessert werden kann, um anstelle eines ‚Viel-hilft-viel‘-Prinzips mit wenig Differenzierung ein passgenaueres, adaptives Üben im Sinne einer dynamic difficulty adaptation (Wauters et al. 2010) zu ermöglichen. An der Leuphana Universität wird derzeit ein solches, auf künstlicher Intelligenz basierendes Übungssystem entwickelt (Pandarova et al. 2019), das • ein kontinuierliches Assessment und Monitoring der grammatischen Kompetenz der/ des Lernenden im Bereich der englischen Verbzeiten durchführt, • vielfältige Gelegenheiten für das strukturierte Üben mit authentischen Übungssätzen anbietet, • dabei Sequenzierung und Schwierigkeitsgrad der Übungssätze kontinuierlich für die/ den einzelne/ n Lernende/ n anpasst (basierend auf einer detaillierten Analyse der gemachten Fehler und mit dem eingebauten, empirisch validierten Wissen über schwierigkeitsbestimmende Faktoren jedes Übungselements), • dynamisches und personalisiertes Feedback anbietet, • über eine Sensitivität bzgl. (sich ändernder) Lernziele und -präferenzen verfügt, • einer betreuenden Lehrkraft Einblicke in den Lernfortschritt, die Stärken und Schwächen des einzelnen Lernenden und der gesamten Klasse bietet und • Empfehlungen für die Unterstützung und Förderung im Unterricht gibt. Insgesamt stellt die Entwicklung solcher Systeme (wie im beschriebenen Fall zudem nur für eine recht kleine Inhaltsdomäne) ein sehr kosten- und zeitintensives interdisziplinäres Forschungs- und Entwicklungsprojekt dar. Jedoch sind bei der Arbeit mit solchen Lernsystemen besondere Mehrwerte für den Unterricht in den Bereichen Diagnose, Übungsauswahl und Feedback zu erwarten. Die Lernenden profitieren, da sie entsprechend ihrem Leistungsniveau besser herausgefordert werden. Durch das automatische, direkte Feedback während des Lösungsversuchs werden die Schüler_innen im Übungsprozess Torben Schmidt 232 ideal unterstützt und über den Lernerfolg informiert, was insbesondere auch die Benachteiligung von Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern reduziert, die weniger Unterstützung etwa bei der Bearbeitung der Hausaufgaben erfahren. Die Lehrkräfte profitieren insbesondere, da sie bei der Übungsauswahl und Korrektur entlastet werden, durch die Systemdiagnose zu Fähigkeiten und typischen Problemen informiert werden und so die Arbeit in der Klasse am gemeinsamen Lerngegenstand besser beispielsweise hinsichtlich der Verknüpfung der Übungsphasen mit kommunikativen Aufgabenzyklen und Anwendungskontexten vorbereiten können. Insgesamt wird durch diese technologische Unterstützung ein binnendifferenziertes Üben mit deutlich reduziertem Aufwand für Lehrkraft und mehr Effizienz des Lernens ermöglicht. Die beiden Beispielszenarien und -anwendungskontexte verdeutlichen, wie in ausgewählten Bereichen des Fremdsprachenlehrens und -lernens durch hochgradig kompetente digitale Anwendungen, Werkzeuge, Hilfs- und Assistenzsysteme (Diagnose, Fehlerkorrektur, Feedback, Übungsauswahl) etabliert werden können, die die Kompetenzen von Lehrkräften erweitern und Übungsprozesse deutlich effizienter werden lassen. Überflüssig wird die Lehrkraft hier keineswegs. Ganz im Gegenteil braucht es hochkompetente Lehrkräfte, die diese Möglichkeiten der Digitalisierung gekonnt in einen aufgabenorientierten, kommunikativen Fremdsprachenunterricht mit interessanten Themen und Inhalten einbinden und die Technologie nutzen um besser diagnostizieren und fördern zu können. Im abschließenden Teil dieses Beitrags soll nun der Frage nachgegangen werden, wie die Lehrerbildung entsprechende Kompetenzen für das Unterrichten in digital angereicherten Lehr-/ Lernumgebungen vermitteln kann. 3 Forderungen für die Lehrerbildung - Erprobungsräume, Theorie- Praxis-Verzahnung und kompetenzoriente Technologienutzung Damit die Lehrerbildung angehende Lehrkräfte angemessen und ganzheitlich auf das Unterrichten mit digitalen Medien vorbereitet, ist eine kompetenzorientierte, phasenübergreifende Herangehensweise nötig. Basierend auf einer klaren Vorstellung davon, wann welche Medien mit welcher Zielsetzung fachliche und überfachliche Lehr- und Lernprozesse verbessern können und welche Kompetenzen Lehrkräfte brauchen, um entsprechende Prozesse zu initiieren, zu koordinieren und zu evaluieren, sollte die universitäre Lehrerbildung (vgl. DigiCompEdu-Rahmen, Redecker/ Punie 2017, sowie die KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“, 2016) - in Formaten, die eine enge Verbindung von Theorie und Praxis gewährleisten - Wissen, Fähigkei- Digitally empowered teaching and learning 233 ten und Fertigkeiten zur Bewältigung des späteren Berufsalltags in einer zunehmend digitalen Welt sukzessive entwickeln und Wege zur Professionalisierung und zur Ausbildung von TPACK (Mishra/ Koehler 2006; Koehler/ Mishra 2008) ebnen. Hierzu reicht eine Beschränkung auf die Fachdidaktik nicht aus. Fachwissenschaften, Bildungswissenschaften, Psychologie und Schulpraxisphasen müssen hier in Form von kohärenten Gesamtkonzepten diese zentrale Entwicklungsaufgabe der Lehrkräftebildung adressieren und geeignete Erprobungsorte bereitstellen (vgl. Benitt/ Schmidt/ Legutke 2019). Am Beispiel des Lüneburger Modells der Lehrerbildung und speziell der Umsetzung in der Englischdidaktik lässt sich verdeutlichen, wie solche Maßnahmen konkret aussehen können. Hierbei ist es an der Leuphana nicht die Zielsetzung, eine komplett neue Veranstaltung mit einem ausschließlichen Fokus auf Digitalisierung als Add-On im Curriculum zu etablieren, sondern vielmehr soll die Nutzung digitaler Technologien flächendeckend in der Lehre ankommen und auf ein kompetenzorientiertes Fundament im Zusammenspiel mit anderen zu vermittelnden Kompetenzen der angehenden Lehrkräfte gestellt werden. So wird an der derzeit vom Zukunftszentrum Lehrerbildung und dem Dekanat koordiniert ein Qualifizierungsprogramm „Digitale Bildung“ installiert, bei dem angelehnt an die oben genannten Strategien und Kompetenzmodelle unter Beteiligung aller Fächer Angebote zur systematischen Entwicklung relevanter Kompetenzbereiche von der medienpädagogischen Einführungsvorlesung bis hin zum fachspezifischen Forschungsseminar im Masterstudium etabliert werden, die aufeinander aufbauen und ineinander greifen sollen. Ein intensiver Austausch zwischen den Lehrenden bezüglich der Inhalte, Methoden, Produkte und Ziele der Angebote ist hierfür essenziell. Zusätzlich wird als infrastrukturelle Maßnahme eine digitale Didaktik-Werkstatt eingerichtet, die als Lern- und Erprobungsort für Seminare und Schulklassen (auch in Kombination) dient und von der Medienerstellung (z.B. Greenscreen-Videoproduktion), einem interaktivem Whiteboard, einem Mobile Solution Theatre für komplexe Simulationsprojekte, Tablets mit fachspezifischer Lernsoftware, einem Videokonferenzsystem für Live-Schaltungen in Partnerklassen und VR-Brillen) sowie als Diskursraum für Lehrende breite Nutzungsmöglichkeiten bietet. Ziel dieses Ortes ist es, Studierende nach dem Modell eines Future Learning Labs, wie es etwa auch an der PH Wien realisiert wurde, an ausgewählte Technologien heranzuführen und sie auf Herausforderungen und Risiken des Medieneinsatzes in praxisnahen Anwendungskontexten vorzubereiten. Hinsichtlich der Nutzung digitaler Technologien auf Fachebene werden an der Leuphana unterstützt vom Lehrservice verschiedene übergeordnete Maßnahmen für die Lehrerbildung umgesetzt: (1) Entwicklung und Einsatz digitaler, fachspezifischer Lernbausteine zu Kernthemen wie „Umgang mit Heterogenität und Inklusion“, „kompetenzorientierter Unterricht“ und Torben Schmidt 234 „computergestütztes Lernen“ basierend auf multiperspektivischen Unterrichtsvideos (multiview.leuphana.de). (2) Phasenübergreifende Nutzung eines E-Portfolios als digitales Dokumentations-, Reflexions- und Präsentationsinstrument (Nutzung von Selbstvideos, entwickelten Unterrichtsentwürfen, Selbsteinschätzungen etc.) sowie Integration in Coaching- und Mentoringprozesse zur Begleitung der Kompetenzentwicklung. (3) Umsetzung von Lehrkonzepten, in denen Studierende digitale Medien in Fachkontexten theoriegeleitet, forschungsorientiert und reflektiert einsetzen und evaluieren lernen, oder selbst entwickeln, um kompetenzorientierte Lehr-/ Lernprozesse zu initiieren. (4) verstärkte Umsetzung digital angereichter Lernsettings in den Schulpraktika. (5) Möglichkeit der Teilhabe der Studierenden an laufenden Forschungs- und Entwicklungsprojekten im Bereich digitales Lernen. Einen exemplarischen Umsetzungskontext stellt das Englischdidaktikseminar „Unterstanding and Teaching Texts“ im 6. Bachelorsemester dar. Hierbei werden neben der Auseinandersetzung mit Forschungsliteratur zur Erklärkompetenz sowie der gemeinsamen Entwicklung von Qualitätskriterien des Erklärens zunächst verschiedene Online-Erklärvideos aus fachdidaktischer, pädagogischer und medienpsychologischer Sicht analysiert und die Videos als Werkzeug für Differenzierung und Individualisierung eingeschätzt. Nach einem anschließenden Schulbesuch und einer auf Gesprächen mit Lehrkräften und Schüler_innen der Campusschule basierenden Bedarfsanalyse für die Erstellung von Videos zur Einbindung in die schulischen Englisch-Lernbüros sowie als Selbstlernmaterialien für die Endgeräte der Lernenden, folgt die Phase der Erstellung eigener Erklärvideos (z.B. zum Thema „Shopping Dialogues“ 1 ). In dieser Phase setzen sich die Studierenden mit verschiedenen fachdidaktischen Konzepten - vor allem mit Möglichkeiten der Differenzierung innerhalb der Videos - auseinander, tauchen in Sachanalysen tief in den zu erklärenden Inhalt ein und lernen unterschiedliche mediale Realisierungsformen und Techniken (von Animationen bis Videoschnitt) in Kooperation mit dem universitären Medienzentrum kennen. Die gemeinsame Entwicklung eines Bewertungskatalogs für die Videos, die Präsentation und Übergabe der fertigen Videos an die Lernenden und Lehrkräfte in der Schule sowie die Entwicklung von großen Unterrichtsentwürfen (als Prüfungsleistung), in die der eigene Erklärvideo-Ansatz sinnvoll eingebettet sein muss, schließen das Seminar ab. In dreisemestrigen Forschungsprojekten im anschließenden Masterstudium setzen sich einige Studierende dann z.B. vertiefend mit der Nutzung der Videos im Schul- und Unterrichtskontext auseinander und arbeiten an einer Weiterentwicklung des Einsatz-Settings mit. Resümierend sollte es ein zentrales Ziel der Lehrerbildung sein, von den jeweils zu erwerbenden Kompetenzen der Schüler_innen aus denkend, hoch- 1 https: / / www.lzplay.de/ index.php/ 2018/ 06/ 15/ leuphana-lernvideo-lets-goshopping/ (20.12.2018) Digitally empowered teaching and learning 235 schuldidaktische Formate zu entwickeln, die den Studierenden in authentischen Theorie-Praxis-Settings (vgl. Vilinger/ Trautwein 2015) eine kritische und reflektierte Auseinandersetzung mit dem Medieneinsatz ermöglichen, sie sukzessive an eine fachdidaktisch begründete Mediennutzung heranführen und bei jedem Einsatz im Blick behalten, dass die Digitalisierung nur da erfolgreich sein kann, wo sie auf Mechanismen des Fremdsprachenlernens sinnvoll aufbaut und gezielt dort eingesetzt wird, wo ein Lernprozess sinnvoll unterstützt werden kann. Literatur Benitt, Nora/ Schmidt, Torben/ Legutke, Michael K. (2019): „Teacher Learning and Technology-Enhanced Teacher Education“. In: Gao, Xuesong (Hrsg.): Second Handbook of English Language Teaching. Springer International Handbooks of Education. Cham: Springer. https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-319- 58542-058-1 (04/ 01/ 2019). Chinkina, Maria/ Meurers, Detmar (2016): „Linguistically-Aware Information Retrieval: Providing Input Enrichment for Second Language Learners“. 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DaF-Unterricht in Zeiten digitalen Wandels Karen Schramm 1 Medienkompetenz und digitale Souveränität im DaF-Unterricht Die tiefgreifenden Veränderungen des menschlichen Lebens durch den digitalen Wandel, wie sie in Begriffen wie ‚Industrie 4.0‘ oder ‚Gesellschaft 5.0‘ pointiert werden, machen den Erwerb neuer Kompetenzen erforderlich, um in Zukunft individuelle Selbstbestimmtheit und gesellschaftliche Partizipation zu gewährleisten. Dass diesbezüglich Handlungsbedarf zur Veränderung der Bildungsangebote und deshalb insbesondere auch der Lehrer(innen)bildung besteht, gilt inzwischen auf nationaler und europäischer Ebene als Konsens. Nur schlaglichtartig sei auf den D21 Digital Index 2017/ 2018 (Initiative D21 e.V. 2018, 8f.) verwiesen, demzufolge in Deutschland derzeit 12 Millionen Bundesbürger(innen) „digital abseitsstehend“ sind und „[i]n der Begriffswelt der Digitalisierung [...] maximal die Hälfte der Bevölkerung mitreden [kann]“. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die Konzepte der Medienkompetenz und der digitalen Souveränität. Der Begriff ‚digitale Souveränität‘ wird vor allem mit Bezugnahme auf die in einer Gesellschaft lebenden Personen und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die einen souveränen Umgang mit digitalen Medien gewährleisten, verwendet. Der Begriff ‚Medienkompetenz‘ ist hingegen auf Wissen, Handlungskompetenz und Lernprozesse des Individuums bezogen und gilt für dessen Umgang mit konventionellen und digitalen Medien gleichermaßen. (Blossfeld et al. 2018, 12) Während der Begriff ‚Medienkompetenz‘ das Individuum fokussiert, nimmt der Begriff der ‚digitalen Souveränität‘ die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den Blick. Digitale Souveränität im Fremdsprachenunterricht und speziell im DaF-Unterricht anzustreben bedeutet also nicht nur, entsprechende Kompetenzen der Lernenden und auch Lehrenden auf hohem Niveau zu entwickeln, sondern auch Unterrichtsbedingungen zu schaffen, die einen gelingenden Umgang mit digitalen Medien sicherstellen. In Bezug auf die Medienkompetenz der Individuen sind laut dem europäischen Kompetenzraster DigComp 2.0 (Carretero/ Vuorikari/ Punie 2017) die Kompetenzfelder (1) information and data literacy, (2) communication and collaboration, (3) digital content creation, (4) safety und (5) problem solving zentral zu beachten. Karen Schramm 238Die Deskriptoren zum Kompetenzfeld 1 (Informations- und Datenliteralität) werden in den Bereichen (a) browsing, searching, filtering data, information, and digital content, (b) evaluating data, information, and digital content und (c) managing data information, and digital content entfaltet. Hier ist kontinuierlich curricular zu prüfen, inwieweit sich Lerngegenstände durch den digitalen Wandel verändern und inwieweit sich diese Veränderungen auf den Bedarf an digitalen Kompetenzen von Lernenden und Lehrenden auswirken. Als Ausgangspunkte für entsprechende Überlegungen können digitale Arbeitsmittel (z.B. digitale Wörterbücher, korpuslinguistische Tools, maschinelle Übersetzungsangebote), assistive Technologien 1 und digitale Quellen (z.B. Hypertexte, vgl. Suñer Muñoz 2011) dienen. Gleichzeitig muss ein autonomiefördernder DaF-Unterricht zukünftig Lernende auch in die Lage versetzen, die zahlreichen digital bereitgestellten Lernangebote in ihrer Qualität und individuellen Passung zu beurteilen. Das Kompetenzfeld 2 ‚Kommunikation und Kollaboration‘ mit seinen Bereichen (a) interacting through digital technologies, (b) sharing through digital technologies, (c) engaging in citizenship through digital technologies, (d) collaborating through digital technologies, (e) netiquette, (f) managing digital identity weist für das Fach Deutsch als Fremdsprache ein besonders großes Innovationspotenzial auf. Zu nennen sind hier bspw. Online-Tutorien (Rösler 2014) und Chats (Marques-Schäfer 2013; Biebighäuser/ Marques-Schäfer 2017), das kollaborative Schreiben in digitalen Umgebungen, der Lerngruppen- Austausch mittels Videokonferenzen (Schlickau 2009; Hoshii/ Schumacher 2017), das individuelle Lernen in e-Tandems (Renner/ Fink/ Volgger 2016; Funk/ Gerlach/ Spaniel-Weise 2017), die Begegnung in virtuellen Welten wie Second Life (Biebighäuser 2014) und Videospiele sowie auch das immersive Lernen. Seltener ausgeleuchtet wurde im Fach Deutsch als Fremdsprache bisher das Kompetenzfeld 3, die ‚Erstellung digitaler Inhalte‘ mit den Bereichen (a) developing content, (b) integrating and re-elaborating digital content, (c) copyright and licenses und (d) programming. Das Projekt AaMol 2 bietet mit schülerseitig produzierten Lernvideos zum vorwissenschaftlichen Schreiben richtungsweisende DaF-Beispiele; sie werden im AaMol-Projekt mit lehrpersonenseitigen Modellvideos zum Schreibprozess kombiniert (Dawidowicz/ Reitbrecht 2018). Auch die Untersuchung von Peuschel (2012) zur Erstellung von Podcasts im DaF-Unterricht oder die Studie von Feick (2016) 1 Würffel (2019, 134) nennt als Beispiele „Spracherkennungssoftware, Schreibhilfe- Software (z.B. „Penfriend“), audio-digitale Vorlesestifte, Rechtschreibhilfe einer Textverarbeitungssoftware, SMS-Funktion oder Aufnahmefunktion des Handys, Untertitel für Hörgeschädigte“. 2 „AaMol“ steht für den Projekttitel „Am Modell lernen, als Modell lernen. Ein schreibdidaktisches Konzept für den wissenschaftspropädeutischen Unterricht“, vgl. die Projekthomepage https: / / www.univie.ac.at/ aamol/ (14/ 04/ 2019). DaF-Unterricht in Zeiten digitalen Wandels 239 zu Handy-Videoprojekten deuten auf das Kreativitätspotential hin, das in diesem Bereich, insbesondere in Verbindung mit Projektarbeit, für den DaF- Unterricht nutzbar gemacht werden kann. Das Innovationspotential für den DaF-Unterricht, das sich in den Kompetenzfeldern 4 „Sicherheit“ (protecting devices, protecting personal data and privacy, protecting health and well-being, protecting the environment) und 5 „Problemlösungen“ (solving technical problems, identifying needs and technological responses, creatively using digital technology, identifying digital competence gaps) ergibt, gilt es noch auszuloten. Hier sind in der DaF-Forschung in den kommenden Jahren entsprechende Grundlagen zu schaffen. In Bezug auf die Unterrichtsbedingungen im Sinne digitaler Souveränität ist u.a. an Formen des Blended Learning (Bärenfänger 2014), an Selbstevaluation auf Basis digitaler Rückkopplung und die Adaptivität von Übungsangeboten (z.B. Software, Bots) zu denken. Es existieren bereits zahlreiche digitale Lernangebote, die gezielt und differenzierend in den DaF-Unterricht eingebunden werden können, wie beispielsweise • Apps (Mitschian 2010), • Sprachlernsoftware (Todorova 2009), • Webquests, • Lernspiele (wie Die Stadt der Wörter), • Serious Games (wie Die Himmelsscheibe von Nebra), • Kursangebote zum tutorierten Selbstlernen (wie Ich will Deutsch lernen), • Youtube-Kanäle (wie 24h Deutsch - Deutschlernen mit Ida), • Online-Communities (wie Deutsch für Dich vom Goethe-Institut oder Community D von der Deutschen Welle), • augmented reality in Lehrwerken und • Computeranimationen bei grammatikalischen Erklärungen (Scheller 2009; Kanaplianik 2016). Selbstverständlich gilt es diese Entwicklungen mit Blick auf digitale Souveränität kritisch zu bewerten und kontinuierlich zu verbessern. Würffel (2019) konstatiert diesbezüglich: Um Digitalisierung und Differenzierung stärker zusammenzudenken, muss man deshalb nicht auf die Weiterentwicklung der adaptiven Technologien, der Künstlichen Intelligenz und den Learning Analytics (und der Lösung von deren Datenschutzproblemen) warten, man darf aber selbstverständlich sehr gespannt sein, wie und wann sich deren Versprechungen in konkrete Anwendungen umsetzen und wie diese den Fremdsprachenunterricht bereichern werden (Würffel 2019, 137). Karen Schramm 240 2 Europäische Referenzrahmen Wegweisend für die europäische Fremdsprachendidaktik sind drei Referenzrahmen zum digitalen Wandel, die im Auftrag der Europäischen Kommission entwickelt wurden: das oben bereits erwähnte DigComp 2.0 (Carretero/ Vuorikari/ Punie 2017) sowie auch DigCompEdu (Redecker 2017) und DigCompOrg (Kampylis/ Punie/ Devine 2015), die im Folgenden kurz vorgestellt werden. Der Referenzrahmen DigComp 2.0 modelliert auf acht Niveaustufen (wünschenswerte) digitale Kompetenzen europäischer Bürger(innen) in den fünf genannten Bereichen (vgl. auch darauf aufbauend UNESCO-UIS 2018). Damit liegt ein Deskriptoren-Raster vor, das es kritisch zu diskutieren, vor allem aber auch fremdsprachendidaktisch zu konkretisieren gilt. Dabei ist für den DaF-Unterricht zielgruppenspezifisch zu fragen, welche konkreten Kompetenzen sinnvollerweise in das jeweilige Curriculum zu integrieren sind und wie die sprachliche (GER-) und die digitale (DigComp-)Progressionslinie dabei in einem handlungsorientierten Ansatz miteinander verflochten werden können. DigCompEdu modelliert in Anlehnung an den GER sechs Stufen (A1-C2) für digitale Kompetenzen von Lehrpersonen: As professionals dedicated to teaching, they need, in addition to the general digital competences for life and work, educator-specific digital competences to be able to effectively use digital technologies for teaching. The aim of the DigCompEdu framework is to capture and describe these educator-specific digital competences (Redecker 2017, 15). Für die fremdsprachendidaktische Lehrer(innen)bildung wäre es hilfreich, die vorliegenden fächerübergreifenden Deskriptoren zu den sechs Kompetenzfeldern professional engagement, digital resources, teaching and learning, assessment, empowering learners und facilitating learners‘ digital competence fachspezifisch an Beispielen zu konkretisieren und modellhaft verschiedenen Phasen der Lehrer(innen)bildung zuzuordnen. Eine solche Konkretisierung ginge deutlich über das bisher einschlägige Europäische Profilraster für Sprachlehrende (European Profiling Grid 2013; vgl. dort den Bereich „Medienkompetenz“) hinaus. Der dritte europäische Referenzrahmen, DigCompOrg, bezieht sich auf Bildungseinrichtungen und definiert die Ziele folgendermaßen : The primary purposes of DigCompOrg are (i) to encourage self-reflection and self-assessment within educational organisations as they progressively deepen their engagement with digital learning and pedagogies (ii) to enable policy makers (at local, regional, national and international level) to design, implement and appraise programmes, projects and policy interventions for the in- DaF-Unterricht in Zeiten digitalen Wandels 241 tegration of digital learning technologies in E&T systems (Kampylis/ Punie/ Devine 2015, 6). Auch dieser Rahmen kann als mögliches Leitbild für die Entwicklung von Bildungsinstitutionen, die Fremdsprachen anbieten oder Fremdsprachenlehrende ausbilden, auf wertvolle Impulse geprüft werden. Insgesamt steht angesichts solcher Referenzrahmen, die im besten Fall Orientierung für die selbstbestimmte, kontextspezifische Weiterentwicklung von Personen, Lehrer(innen)bildungsangeboten und Institutionen bieten, die Gefahr im Raum, dass sie - ähnlich wie wir es beim GER erlebt haben - trotz entsprechender Warnungen seitens der Verfasser(innen) in präskriptiver und normativer Weise genutzt werden. Unreflektierte Übernahme statt ermächtigender Aneignung zu eigenverantwortlichem sprachlichem Handeln, Lernen und Lehren und Ausschluss aufgrund fehlender digitaler Kompetenzen in Zuwanderungs-, Zulassungs- oder Arbeitskontexten statt entsprechender Bildungsangebote sind die Schattenseiten solcher supranationalen curricularen Dokumente, die es in die Debatte einzubringen gilt. 3 Konzeptionelle Veränderungen der DaF-Didaktik im Zuge einer zunehmenden Digitalisierung Es steht zu erwarten, dass sich im Zuge einer zunehmenden Digitalisierung grundlegende konzeptionelle Änderungen der Fremd- und Zweitsprachendidaktik ergeben werden. Prioritäten bei der Entwicklung von DaF-Kursangeboten sollten meines Erachtens in den Bereichen „Kommunikation und Kollaboration“ und „Erstellung digitaler Inhalte“ sowie der Sprachlernberatung in Bezug auf die Auswahl qualitativ hochwertiger Angebote für das autonome DaF-Lernen liegen. Richtungserweisend erscheinen u.a. folgende Aktivitäten: kollaboratives Schreiben in digitalen Umgebungen; telekollaborative Projekte, in denen die Kommunikation zwischen den Lernenden dokumentiert und für das explizite Lernen genutzt wird; E-Tandems und Videokonferenzen sowie auch Projekte zur Erstellung von online-Publikationen (Blogs, Videos, Podcasts etc.). Insgesamt geht es dabei um eine explizite Anwendung authentischer, zeitgemäßer und zielgruppenrelevanter digitaler Medien. Rösler (2019) entwirft das folgende Bild eines veränderten Fremdsprachenunterrichts der Zukunft: Wenn Menschen unabhängig davon, wie viele Flugstunden sie von einem Ort, an dem die Zielsprache gesprochen wird, entfernt sind, nun viel mehr als früher medial in dieser Sprache kommunizieren können, dann könnten sie auch viel früher und viel intensiver nicht nur Sprachlernende, sondern auch inhaltlich selbstbestimmte Sprachnutzer/ innen sein. Und dann ließe sich viel früher und viel intensiver als bisher das Sprachenlernen mit Inhalten, die die konkreten Lernenden tatsächlich interessieren, und mit sprachlichen Handlungen, die sie tatsächlich ausführen möchten, verbinden. Es ist also eine Entwicklung Karen Schramm 242 des Fremdsprachenlernens vorstellbar, die konsequent von Kommunikationsabsichten und tatsächlichen inhaltlichen Lernerinteressen ausgeht. Beiläufiges Lernen und der natürliche Erwerb von Weltwissen und Wortschatz würden dabei eine größere Rolle spielen (Rösler 2019, 118f.). Seine Überlegungen zu den veränderten Kommunikationsmöglichkeiten für DaF-Lernende münden in einer Neubestimmung der Funktion von Unterrichtsphasen: Wenn es gelingen sollte, durch die sozialen Medien schon sehr früh mitteilungsbezogene Kommunikation zum Ausgangspunkt des Lernens einer Fremdsprache zu machen und in das gesteuerte Lernen zu integrieren, dann muss der Unterricht verstärkt Unterstützungsarbeit beim Formerwerb leisten, nicht mehr wie früher als Vorratslernen, sondern als Voraussetzung dafür, dass die Lernenden eine Chance haben, in der Zielsprache differenziert zu kommunizieren. Das ist für mich dann eindeutig wieder eine dienende Funktion der Grammatikvermittlung, aber diesmal wäre dies keine Grammatikvermittlung, die sich kommunikativ tarnen muss, sondern eine, die selbstbewusst Formarbeit leistet, weil sie weiß, dass sie mitten drin im kommunikativen Handeln steht. Dies ist mein sehr schönes Paradox: Je mehr wir es schaffen, im Rahmen des institutionellen Fremdsprachenlernens echte Kommunikation zu befördern oder auf außerhalb des Klassenzimmers produzierte echte Kommunikation einzugehen, desto stärker kann der Unterricht sich von der Simulation und Initiation von Kommunikation, die wir zurzeit als seine Hauptaufgabe betrachten, wegbewegen, hin zu den formbezogenen Unterstützungsarbeiten, die für das Gelingen von Kommunikation wichtig sind (Rösler 2019, 121). Diese Überlegungen deuten auch darauf hin, dass in Zeiten digitalen Wandels konzeptionelle DaF-Forschung, also das Erdenken innovativer Unterrichtsformen, von besonderer Bedeutung sein wird - ein möglicherweise wichtiger Hinweis auf die Bedeutung nicht nur von Empirie, sondern auch von konzeptioneller Kreativität in aktuellen Ausbildungsprogrammen im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Doch insbesondere auch für eine empirische DaF-Didaktik ergeben sich in vielen Themenfeldern neue Forschungszugänge, von denen hier einige beispielhaft angeführt seien. In der Lernersprachenforschung und der kontrastiven Kommunikationsforschung eröffnen sich durch digitale Korpora neue Möglichkeiten, wie sie beispielsweise das schriftliche Falko-Korpus 3 oder das 3 „Falko“ steht für den Projekttitel „Fehlerannotiertes Lernerkorpus des Deutschen als Fremdsprache“, vgl. die Projekthomepage https: / / www.linguistik.hu-berlin.de/ de/ institut/ professuren/ korpuslinguistik/ forschung/ falko/ standardseite (14/ 04/ 2019). DaF-Unterricht in Zeiten digitalen Wandels 243 mündliche GeWiss-Korpus 4 illustrieren. Im Bereich der Lernforschung rücken Fragen der Differenzierung, des mobilen Lernens und der Inklusion in den Vordergrund (z.B. Blume/ Würffel 2018). Von der kriteriengeleiteten Lehrwerkanalyse führt der Weg zu einer Rezeptionsforschung digitaler Lehr- und Lernmaterialien; augmented reality, Adaptivität und learning analytics sind hier Schlagworte, die künftige Forschungsdesiderata anreißen. 4 Neue Anforderungen an die DaF-Lehrer(innen)bildung Für die DaF-Lehrer(innen)bildung ist an den jeweiligen Standorten weltweit kontextabhängig zu prüfen, welche Kompetenzen in den verschiedenen Phasen verankert werden sollen. In Deutschland fordert die KMK (2017, 19) „in der fachspezifischen Lehrerbildung für alle Lehrämter die Entwicklung entsprechender Kompetenzen verbindlich festzulegen“ und zu verankern: Bei der curricularen Ausgestaltung für die jeweilige Phase der Lehrerbildung ist darauf zu achten, dass die fachdidaktische Kompetenz zur Nutzung digitaler Medien verstärkt verankert wird. Das bedeutet nicht nur die inhaltliche und methodische Adaption der Ausbildung, sondern daraus folgend auch eine mögliche Implementierung neuer Arbeits- und Prüfungsformate (KMK 2017, 23). Als ein Beispiel solcher neuen Arbeits- und Prüfungsformate für internationale DaF-Studiengänge sei hier die videobasierte Lehrer(innen)bildung angeführt. Inspiriert von anderen Fachdidaktiken, insbesondere der Mathematik- und Physikdidaktik, exploriert die Fremdsprachendidaktik derzeit Formen der videobasierten Lehre, die sich zumeist auf das Konstrukt der professionellen Unterrichtswahrnehmung beziehen und vielversprechende Formen der Theorie-Praxis-Verschränkung erproben. Schramm und Bechtel (2019) geben einen kurzen Überblick über die vielfältigen fremdsprachendidaktischen Versuche, Videos als Referenzobjekte, als Grundlage der professionellen Reflexion des Lehrerhandelns und als Fälle für die fremdsprachendidaktische Lehrer(innen)bildung zu nutzen. Das LEELU-Projekt (https: / / leelu.eu) vernetzt beispielsweise achtzehn angehende und erfahrene DaF-Lehrpersonen in Italien, den Niederlanden und Ungarn, die sich per social video über ihren videografierten Unterricht mittels Annotationen und Videokonferenzen austauschen (Dawidowicz et al. 2017). Großes Potential bieten auch entsprechende innovative Prüfungsformate; eine Vorreiterrolle für die Fremd- und Zweitsprachendidaktik nimmt dabei das Projekt DazKom Video ein, in dem auf der 4 „GeWiss“ steht für den Projekttitel „Gesprochene Wissenschaftssprache“, vgl. die Projekthomepage https: / / gewiss.uni-leipzig.de/ (14.04.2019). Karen Schramm 244 Grundlage eines entsprechenden Kompetenzmodells digitale videobasierte Prüfungsformate für angehende DaZ-Lehrpersonen entwickelt werden. 5 Als zweites Beispiel sei der Bereich der Online-Weiterbildungsangebote angeschnitten. Videotutorials zu methodisch-didaktischen Fragen, Dokumentationen von Fachvorträgen und Konferenzen (z.B. die DaFWebCon), Angebote im E- oder Blended Learning-Format (z.B. das Programm „Deutsch Lehren Lernen“, vgl. Legutke/ Rotberg 2018) verändern und flexibilisieren die Weiterbildungsmöglichkeiten von DaF-Lehrpersonen (vgl. auch Würffel/ Padrós 2012). Hier wird in Zukunft sowohl eine Qualitätsprüfung digitaler Weiterbildungsangebote als auch eine entsprechende wissenschaftliche Begleitforschung wichtig sein. 5 Fazit Kerres (2014) warnt davor, einfache Wirkungszusammenhänge zwischen digitalem Wandel und anderen Variablen zu postulieren, und betont vielmehr die Gestaltungsoptionen, die sich für jede(n) einzelne(n) ergeben - sowie auch die damit einhergehende Verantwortung der Akteure. Folgt man seiner Argumentation, dass es darum geht, die Wege in die digitale Epoche in einer Weise zu ebnen, dass sie nicht in eine postdemokratische Gesellschaft, sondern zu demokratischer Teilhabe führen, ergibt sich für die Fremdsprachendidaktik ein dringender Nachholbedarf, den Beitrag der Sprachenfächer zu diesen übergreifenden Erziehungszielen zu benennen, konzeptionell zu gestalten, in Praxisverbünden zu entwickeln und in der Lehrer(innen)bildung zu verankern. Literatur Bärenfänger, Olaf (2014): Blended Learning im Fach Deutsch als Fremdsprache. Modelle, Elemente und Potenziale. Universität Leipzig: Habilitationsschrift. Biebighäuser, Katrin (2014): Fremdsprachenlernen in virtuellen Welten: Empirische Untersuchung eines Begegnungsprojekts zum interkulturellen Lernen. Tübingen: Narr. 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Ähnliches gilt auch für (andere) digitale Lehrlernszenarien, wobei schnell die Frage im Raum steht, inwiefern diese über einen offensichtlichen Novitätseffekt hinaus tatsächlich eigene, neue Potenziale mit sich bringen bzw. welche dies genau sein könnten. Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden. Der Fokus liegt dabei auf didaktischen bzw. erwerbstheoretischen Vor- und Nachteilen und klammert rein pragmatische, offen auf der Hand liegende (wie bspw. Materialienvielfalt in maximaler Aktualität, Distanzüberbrückung, schnelle Distribution, Portabilität, Lesbarkeit o.Ä.) explizit aus. Dabei werden unter dem Oberbegriff Digitale Medien i.w.S. zunächst „alle elektronischen Medien, die auf der Basis digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien arbeiten“ (Grünewald 2016, 463), gefasst. Diese können auf technischer Ebene weiter ausdifferenziert werden in Onlinevs. Offline-Medien, auf inhaltlicher Ebene in ein Medium i.e.S. (mit Inhalt) vs. ein Werkzeug (ohne Inhalt) und schließlich auf didaktischer Ebene in authentisches, nicht-didaktisiertes vs. didaktisiertes (hier noch einmal unterschieden in adaptiertes vs. methodisiertes) Medium (Grünewald 2016, 463; Rösler/ Würffel 2013, 253ff.; vgl. auch die tabellarische Übersicht mit Anwendungs- 1 Vgl. allerdings Grünewald, Riemer und Schmelter in diesem Band, die grundsätzlich die Frage aufwerfen, ob in der Regel sehr aufwändig erworbene humane Sprachmittelkompetenzen in Zeiten von Übersetzungstools wie DeepL nicht bald obsolet erscheinen könnten. Digitaler Wandel als Prüfstein und Innovationsmotor der Fremdsprachendidaktik? 249 beispielen bei Würffel 2010, 1229 sowie die Übersicht bei Bade et al. 2017, 227ff. am Beispiel des Spanischunterrichts). 2 Potenziale und Herausforderungen 2.1 Digitaler Wandel als Wechsel der Darstellungsform Wie jede „Revolution“, die etwas auf sich hält, stellt auch der digitale Wandel Althergebrachtes grundlegend in Frage, worin immer auch eine große Chance zur Weiterentwicklung besteht. So diskutiert z.B. Würffel (2018) am Beispiel von Hausaufgaben, welches didaktische Potenzial im Einbezug digitaler Formen wie Flipped Classroom oder Blended Learning liegen könnte. Roche und El-Bouz unter Mitarbeit von Leuchte (2018) zeigen auf Grundlage kognitionsdidaktischer Überlegungen auf, inwiefern Grammatikanimationen (digital oder auch „live“ im sprachbildenden Sportunterricht) erwerbsfördernd wirken können. Sowohl im Falle von Hausaufgaben als auch in Bezug auf Grammatikerklärungen kann man wohl sagen, dass sie zu den „klassischsten“ Gegenständen der Fremdsprachendidaktik gehören. Gleichwohl erscheinen sie bei genauerer Betrachtung - vielleicht gerade aufgrund der Tatsache, dass sie quasi als gesetzt gelten und daher nie grundlegend in Zweifel gezogen wurden - überraschend unerforscht. Im Zuge der Digitalisierung erscheinen sie jedoch in neuem Licht und rücken so auch stärker in den Forschungsfokus. In entsprechender Weise könnte man fragen, wie sich Erwerbsprozess und -ergebnisse unterscheiden, wenn Vokabeln bspw. mittels Vokabelheft oder mittels Handy-Vokabeltrainier gelernt werden, wenn anstelle einer traditionellen Projektarbeit ein WebQuest durchgeführt wird usw. Leisen (2013, 33-40) spricht in Bezug auf den sprachsensiblen Fachunterricht vom Wandel der Darstellungsform, den er als eine hilfreiche Scaffolding- Maßnahme betrachtet. Er unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen gegenständlichen, bildlichen, sprachlichen, symbolischen und mathematischen Darstellungsformen, wobei jede dieser Darstellungsformen einen etwas anderen Zugang zu den Lerninhalten bietet. Übertragen auf fremdsprachliche Lehrlernmaterialien würde das bspw. bedeuten: Während (Lehrwerk-)Texte bspw. durch Explikation, Zusammenhang und sprachliche Elaboriertheit zum Gegenstandsverstehen beitragen können, können dies Online-Darstellungen bspw. durch Animationen, Gegliedertheit und Nicht-Linearität. Jede Darstellungsform birgt dabei ihre spezifischen didaktischen bzw. erwerbstheoretischen Potenziale und Herausforderungen, die es auszuloten gilt. Insgesamt geht es also nicht um die Frage nach einem absoluten Mehrwert digitaler Medien für die Fremdsprachendidaktik, sondern vielmehr um die spezifischen Vor- und Nachteile unterschiedlicher Lehrlernszenarien. Julia Settinieri 250 2.2 Beispiel Sprachdiagnostik Angesichts der großen Formenvielfalt digitaler Medien soll im Folgenden nur ein Bereich exemplarisch herausgegriffen werden, und zwar die Sprachdiagnostik bzw. das Testen und Prüfen. Im Bereich der Sprachdiagnostik ist zunächst festzustellen, dass der digitale Wandel die diagnostischen Möglichkeiten insgesamt stark erweitert hat. Dies beginnt mit den selbstdiagnostischen Möglichkeiten, wie bspw. Korrekturprogramm oder Thesaurus. Auch sind von zahlreichen Tests, wie z.B. dem C-Test, Online-Versionen entstanden, die nicht nur eine reliablere (und auf rein pragmatischer Ebene auch schnellere) Auswertung garantieren sowie unterschiedliche statistische Vergleichswerte (wie bspw. den Klassendurchschnitt) automatisch generieren, sondern in diesem Fall auch eine adaptive Testversion (vgl. Grotjahn 2019 für einen Überblick über C-Test-Formate), die den Schwierigkeitsgrad des Tests im Verlauf der Testung immer genauer an das Sprachkompetenzlevel der Testpersonen angleicht. Auf diese Weise werden Floor- und Ceiling-Effekte vermieden und Testabnehmer*innen wird erspart, ggf. mehrere Tests durchlaufen zu müssen, bis endlich einer das passende Niveau aufweist. Mit Hilfe von Autorenprogrammen, wie bspw. LingoFox (http: / / www.lingofox.de/ index. php), lassen sich gerade C-Tests auf Basis von Lehrenden ausgewählter, zum aktuellen Unterricht passender Texte außerdem schnell automatisch auch zu Übungszwecken generieren. Einen Beitrag zur stärkeren Standardisierung und damit zur Reliabilität der Testung mündlicher Kompetenzen leistet das SOPI (simulated oral proficiency interview), wie es bspw. der TestDaF einsetzt (Eckes 2010). Im Bereich der Aussprachediagnostik, um ein drittes Beispiel zu nennen, ermöglichen Sprachanalyse-Tools wie bspw. PRAAT, zusätzlich zur auditiven Analyse eine akustische durchzuführen. Insbesondere im Bereich des Melodieverlaufs kann es sehr hilfreich sein, solche Formen von visual speech zur Bewusstmachung zu nutzen (vgl. genauer bspw. Mehlhorn/ Trouvain 2007). Andere Diagnose-Verfahren, wie bspw. die Online-Diagnose Deutsch 5 2 , gehen noch einen Schritt weiter und leiten aus der Diagnose einen „individuellen Förderplan“ ab, zu dem auch gleich passende Fördermaterialien bereitgestellt werden. Nach Bearbeitung der Fördermaterialien steht zudem ein Nachtest zur Verfügung, der den Lernfortschritt prüfen soll. Das klingt zunächst nach einer großen Arbeitserleichterung für Lehrerinnen und Lehrer. Diese berichten jedoch, dass die Schülerinnen und Schüler teilweise große Probleme mit der Bearbeitung des Tests am PC haben, da in der Bedienung einer Tastatur nicht alle gleichermaßen geübt sind. Auch sei der Test nicht LRS-sensitiv. Daher werde er lediglich ergänzend in die Schuleingangsdiag- 2 Die folgenden Informationen sind der Verlagshomepage entnommen: https: / / www.westermann.de/ grundschule/ reihe/ ONLINEDIA5/ Online-Diagnose- Deutsch (21/ 04/ 2019). Digitaler Wandel als Prüfstein und Innovationsmotor der Fremdsprachendidaktik? 251 nostik am Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I einbezogen. Und hier offenbart sich ein grundsätzliches Problem der digitalisierten Sprachdiagnostik: Sie erschöpft sich in der Regel in geschlossenen Testitems, gefolgt von Richtig-Falsch-Rückmeldungen. 3 Diese können zwar quantitativ teilweise sogar bestimmten Fehlertypen (i.S.v. Kompetenzfehlern) zugeordnet werden, die jedoch (bislang) qualitativ nicht weitergehend analysiert werden können. Somit sind zwar in einigen Bereichen grobe Förderschwerpunkte ableitbar, zu denen Lerner*innen dann auch gezielt weitere Übungen zur Verfügung gestellt werden können; die Durchführung einer fundierten Lernersprachenanalyse erfordert jedoch (noch) Handbzw. Kopfarbeit. With open exercises and tasks, by which the learners have to type their own texts, the programmed analysis fails; all that can be given here as automatically generated feedback are sample solutions, or the texts are sent on to a human corrector who is available online. A new level of quality of feedback can only be achieved if artificial intelligence is introduced into the game and CALL becomes ICALL (Lobin/ Rösler 2012, 577). Anwendungen künstlicher Intelligenz entwickeln sich jedoch rapide weiter, so dass in absehbarer Zeit vermutlich auch im Bereich der Lernersprachenanalyse immer bessere Anwendungen zur Verfügung stehen werden (vgl. Lobin/ Rösler 2012, 580ff. für erste Ansätze sowie Würffel 2010, 1232 für einen Überblick zu digitalen Feedbackformen). Zusammenfassend könnte für den Bereich der Sprachdiagnostik bzw. des Testens und Prüfens tentativ festgehalten werden, dass Potenziale der Digitalisierung in der Selbststeuerung durch erweiterte Möglichkeiten der Selbstevaluation, einer erhöhten Reliabilität durch Automatisierung und Standardisierung, der Individualisierung durch Adaptivität sowie im Sinne eines Wandels der Darstellungsform in Formen von visual speech liegen. Die größte Herausforderung stellen aktuell die qualitative Fehlerdiagnose sowie damit verbunden erwerbsförderliche Rückmeldeformen dar. Für andere Bereiche des Fremdsprachenunterrichts können jedoch ganz andere Potenziale und Herausforderungen entstehen. Während Individualisierung, Adaptivität und Selbststeuerung in der Diskussion einzelner Anwendungen häufig eine Rolle spielen, werden in anderen Zusammenhängen bspw. auch die Überwindung der Klassenraumgrenzen, Kooperation, authentische Kommunikation oder auch Projektorientierung als positive Effekte des digitalen Wandels angeführt. Hier ist ein differenzierter Blick auf die jeweils konkreten digitalen Lehrlernszenarien erforderlich. 3 Im Bereich der Zuweisungsdiagnostik ist das häufig absolut zielführend, wie am Beispiel des C-Tests bereits angesprochen. In förderdiagnostischen Zusammenhängen reicht eine quantitative Diagnostik hingegen nicht aus. Julia Settinieri 252 3 Gute Praxis 3.1 Didaktische Kriterien Auch wenn die Vielfalt an Lehrlernmaterialien im Zuge des digitalen Wandels noch einmal sprunghaft angestiegen ist, gelten grundsätzlich die gleichen Qualitätskriterien, da diese auf allgemeinen Erkenntnissen zum Spracherwerb beruhen und damit nicht medienabhängig sind. So wird eine Pattern-Drill- Aufgabe in Form eines Arbeitsblattes dadurch, dass sie in einen Online- Selbsttest umgewandelt wird, grundsätzlich weder besser noch schlechter (vgl. auch die Beiträge von Fandrych und insbesondere Marx in diesem Band, die den Aspekt der „Pseudodigitalisierung“ genauer in den Blick nehmen). Exemplarisch kann hier auf Funk (2016, 439) verwiesen werden, der Handlungsorientierung, integrative Fertigkeitsvermittlung, Inhaltsorientierung, Aufgabenorientierung, Individualisierung, themenzentrierte Interaktionsorientierung, Autonomieförderung durch Offenheit und Projektorientierung, Förderung von Sprachbewusstheit, Einbezug von Mehrsprachigkeit sowie Automatisierung als zentrale Prinzipien zeitgemäßen Fremdsprachenunterrichts benennt. Im Zuge des digitalen Wandels weiter an Bedeutung verloren hat lediglich das Prinzip der Authentizität. In Zeiten, in denen auch Hunde Facebook-Profile haben können und Fake News in aller Munde sind, wird das Kriterium ohnehin noch weniger operationalisierbar (vgl. auch Funk 2016, 437). An seine Stelle rückt vielmehr die Verortbarkeit von Unterrichtsaktivitäten in der „realen Welt“: Nicht das Material selbst muss authentisch sein, sondern die damit verbundene Sprachhandlung muss realistisch erscheinen. Waren digitale Anwendungen in ihren Anfängen stark durch geschlossene und nahezu behavioristisch anmutende Übungsformate wie Richtig-Falsch- Aufgaben, Zuordnungsaufgaben, Lückentexte u.Ä. charakterisiert, so hat aktuell, auch durch die verstärkte Nutzung sozialer Medien, erfreulicherweise ein Wandel von „reaktiv-reproduktiven“ zu eher „kollaborativ-problemlösende[n]“ (Funk 2016, 436) Lehrlernangeboten stattgefunden. Schwieriger gestaltet sich allerdings im digitalen Zeitalter die Qualitätskontrolle. Während traditionellerweise Materialien, die von Verlagen produziert wurden, sprachliche, inhaltliche und formale Qualitätskontrollen durchlaufen, gilt für die Flut der Online-Medien, dass „die Qualitätskontrolle und Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit der Texte von den Lehrenden und Lernenden vor Ort vorgenommen werden“ (Rösler/ Würffel 2013, 257) muss. Im Unterrichtskontext wird es dadurch zunehmend wichtig, mit den Lerner*innen gemeinsam zu erarbeiten, woran qualitativ hochwertige Quellen erkennbar sind und welche Anzeichen andererseits für eine weniger zuverlässige Quelle sprechen. In diesem Zuge sollten auch Suchstrategien mit den Lerner*innen trainiert werden, um der geringen Strukturiertheit des Netzes und einer daraus resultierenden Überforderung der Lerner*innen entgegen- Digitaler Wandel als Prüfstein und Innovationsmotor der Fremdsprachendidaktik? 253 zuwirken (vgl. Roche 2014, 359). 4 Des Weiteren können Lehrer*innen eine zielgruppenspezifische Auswahl digitaler Selbstlernmöglichkeiten (z.B. Apps, Podcasts, digitale Wörterbücher und Online-Grammatiken) zur Verfügung stellen, um so besondere Empfehlungen auszusprechen, die ebenfalls eine erste Orientierung bieten können. 3.2 Rechtliche und ethische Kriterien Weitere sensible Bereiche, die das Erstellen von Leitlinien bzw. das Erfordernis gesetzlicher Grundlagen mit sich bringen, sind Copyright und Datenschutz. Während Copyright-Fragen i.d.R. relativ klar gesetzlich geregelt sind (vgl. auch die Hinweise bei Bade et al. 2017, 233), gehen Datenschutzbzw. Persönlichkeitsschutz der Lerner*innen häufig über das rein Rechtliche hinaus. So warnt Rösler (2010, 1211) bspw., dass von Lerner*innen erstellte Blogeinträge zwar einen Lernerfolg dokumentieren, einer späteren Arbeitssuche jedoch möglicherweise weniger zuträglich sein können. 4 Individualisierung von Lernwegen als forschungsmethodologische Herausforderung Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die Vielfalt der Lehrlernformen stark zugenommen hat und die Lehrlernwege damit immer heterogener werden. Was die Forschungszugänge betrifft, so wird es durch die Individualisierung der Sprachaneignung mit Blick auf Lernorte und Lernwege (vgl. Funk 2016, 439) und die damit verbundene Multimedialität immer schwieriger, Spracherwerbsprozesse in ihrer Komplexität zu erfassen und zu analysieren, auch wenn Tracking-Verfahren genutzt werden können. Gleichzeitig wird auch die Rückführung von Lernergebnissen auf Lehrlernformate immer fragwürdiger, da die Lernenden zunehmend selbstgesteuert ihren individuellen Erwerbsprozess gestalten. Möglicherweise wird dies zu einer Fokussierung der Forschung auf eng abgrenzbare, ausgewählte Phänomene führen, wie z.B. die Nutzung einer bestimmten App oder Chat-Funktion. Inwiefern dadurch die Gefahr entsteht, den Gesamtzusammenhang aus dem Blick zu verlieren, wird die Zukunft zeigen. In jedem Fall gilt für digitale wie für alle anderen Formen der Fremdsprachendidaktik, dass evidenzbasiertes Qualitätsmonitoring auch weiterhin eine zentrale Forderung darstellt (vgl. auch Rösler 2010, 1211f.). 4 Auch die Kultusministerkonferenz (KMK) (2017: 10-13) führt entsprechend „Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren“ als erste von sechs zentralen „‚Kompetenzen in der digitalen Welt‘“ (gefolgt von „Kommunizieren und Kooperieren“, „Produzieren und Präsentieren“, „Schützen und sicher Agieren“, „Problemlösen und Handeln“ sowie „Analysieren und Reflektieren“) auf. Julia Settinieri 254 5 Lehrerausbildung und Schulen im digitalen Wandel Der universitären Lehrerausbildung kommt in Bezug auf den digitalen Wandel dabei dieselbe Aufgabe zu, die sie in Bezug auf alle Ausbildungsinhalte innehat. Sie sollte einen Überblick über die Möglichkeiten des digital classrooms bieten, Potenziale und Herausforderungen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse mit den Studierenden diskutieren und exemplarisch einige Anwendungen im Seminar erproben. Gleichzeitig sollte die Lehre grundsätzlich in ähnlicher Weise digital gestaltet sein, wie es der spätere Unterricht sein sollte. D.h., wenn die Studierenden später in einem Flipped-Classroom- Szenario unterrichten können sollen, ist es hilfreich, wenn auch das universitäre Seminar zum Thema diesem Prinzip folgt usw. Was davon die Studierenden später als Lehrerinnen und Lehrer in der Schule tatsächlich umsetzen können, wird tatsächlich (auch) von der jeweiligen Ausstattung der Schulen abhängen. Eine Lehrkraft, die vom Mehrwert eines digitalen Mediums oder Werkzeugs überzeugt ist und sich zutraut, es in ihrem Unterricht gewinnbringend einzusetzen, wird sich jedoch sicherlich mit höherer Wahrscheinlichkeit auch dafür einsetzen, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Einige Schulen haben hier mit BYOD (bring your own device) in Verbindung mit Maßnahmen zur sozialen Abfederung bereits gute Erfahrungen gemacht. Anstelle des früher obligatorisch anzuschaffenden grafikfähigen Taschenrechners werden so bspw. Tablets angeschafft, die zwar etwas teurer sind, dafür aber vielfältiger in allen Fächern nutzbar. Durch die Nutzung eigener Geräte wird gleichzeitig auch der Forderung nach alltagsnahem, „authentischem“ Gebrauch digitaler Medien und Werkzeuge (s. weiter oben) automatisch Rechnung getragen. Weitere konkrete Maßnahmen zur Ausstattung der Schulen werden auch von der Kultusministerkonferenz (KMK) (2017, 29ff.) benannt, die als ehrgeizig erscheinende Zielsetzung formuliert, dass „möglichst bis 2021 jede Schülerin und jeder Schüler, wenn es aus pädagogischer Sicht im Unterrichtsverlauf sinnvoll ist, eine digitale Lernumgebung und einen Zugang zum Internet nutze können sollte“ (KMK 2017, 51). 6 Schlussfolgerungen Während humanoide Roboter noch nicht selbstverständlich zu unserem Alltag gehören, ist dies für digitale Medien zweifelsfrei der Fall. Damit ist klar, dass die Digitalisierung auch in der Fremdsprachendidaktik ihren Platz haben sollte. Funk (2016, 435) verweist in diesem Zusammenhang auf Comenius‘ „Prinzip der Untrennbarkeit von Lebenswelt und Lernumwelt“, das auch einschließt, das Fremdsprachenlehren- und -lernen im Medienalltag der Lerner*innen zu verorten (vgl. auch Bär in diesem Band). Ähnlich fordert auch Roche (2014): Digitaler Wandel als Prüfstein und Innovationsmotor der Fremdsprachendidaktik? 255 Es sollte nicht so sehr darum gehen, traditionelle Kommunikations- und Unterrichtsformen elektronisch zu ersetzen oder weitere kontextlose Übungen zu generieren, sondern die zunehmend die Alltagskommunikation bestimmenden e-Medien und e-Werkzeuge auch authentisch im Unterricht abzubilden und einzusetzen. Das schließt die modernen e-Kommunikationsformen ein (Roche 2014, 366). Darüber hinaus ist zu klären, welche Medien und Werkzeuge spezifisch den fremdsprachendidaktischen Unterricht bereichern können, worin genau also die Potenziale und Grenzen der unterschiedlichen digitalen Darstellungsformen liegen und „welchen Beitrag die Medien zur Lösung von Fragen leisten, die sich der Fremdsprachendidaktik generell stellen“ (Rösler 2010, 1205). Deren (Weiter-)Entwicklung, Erprobung und systematische Evaluation stellt auch weiterhin ein zentrales Desiderat dar. Gleichwohl gilt für digitale, wie für alle anderen Medien auch: Wunder werden immer wieder vom Fremd- und Zweitsprachenunterricht erwartet. Und da er sie nur schwer erbringen kann, projizieren Lehrerinnen/ Lehrer, Lerner, Eltern und Verlage ihre Hoffnungen gerne auf externe Götter, nämlich die Medien (Roche 2014, 357). Literatur Bade, Peter/ Grünewald, Andreas/ Hinger, Barbara/ Koch, Corinna/ Kräling, Katharina/ Küster, Lutz/ Plikat, Jochen (2017): Fachdidaktik Spanisch. Das Handbuch für Theorie und Praxis. Stuttgart: Klett. Bär, Marcus (in diesem Band): „Fremdsprachenlehren und -lernen in Zeiten des digitalen Wandels. Chancen und Herausforderungen aus fremdsprachendidaktischer Sicht“, 12-23. Burwitz-Melzer, Eva/ Mehlhorn, Grit/ Riemer, Claudia/ Bausch, Karl-Richard/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 6., völlig überarbeitete und erweiterte Aufl. Tübingen: Francke. 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Die Diskussion um Potentiale und Herausforderungen der Digitalisierung in Bildungsprozessen verläuft dabei allerdings auf unterschiedlichen Ebenen, die zudem häufig miteinander vermischt werden, ohne dass dies immer hinreichend geklärt bzw. markiert ist. Eine Sensibilisierung für unterschiedliche Ebenen der Digitalisierung sollte daher unsere erste Aufgabe sein. Wolfang Hallet (2018a; 2018b) hat eine solche Unterscheidung jüngst versucht und eine Differenzierung in sechs Ebenen vorgenommen, die alle einen Einfluss auch auf den Fremdsprachenunterricht haben. Die erste Ebene umschließt die ‚Digitalisierung der Lebenswelt und der Alltagskommunikation‘ und soll dem Umstand Rechnung tragen, dass ein Großteil unserer lebensweltlichen Interaktionen, kommunikativen Akte und (Selbst-)Repräsentationen digitalisiert abläuft. Fremdsprachen und insbesondere Englisch als globale Internetsprache spielen dabei eine wichtige Rolle. Damit Lernenden eine umfassende Teilhabe an gesellschaftlichen Diskursen möglich wird, ist daher eine Konsequenz aus der Digitalisierung die Förderung einer digitalen Äußerungs- und Diskursfähigkeit auch in der Fremdsprache. Es geht also mit dieser Ebene um eine Zieldimension des Fremdsprachenunterrichts. Eng damit verknüpft ist die zweite Ebene, die Hallet (ebd.) als ‚Digitale Bildung‘ beschreibt und die die Vervielfältigung der Äußerungsformen im Zeitalter der Digitalisierung bei der Formulierung von Zieldimensionen berücksichtigt: Da Kommunikation heute multimodal abläuft, gilt es, über die bisherigen kommunikativen Fertigkeiten für fremdsprachliche Bildung hinaus auch die Förderung neuer, multipler und digitaler literacies zum festen Bestandteil des Unterrichts zu machen. Die dritte Ebene betrifft die ‚Digitalisierung von Un- Carola Surkamp 258 terrichtstechnologien‘, d.h. den Einsatz von digitalen Präsentations- und Kommunikationstechnologien, von mobilen Endgeräten und elektronischen Plattformen zur Unterstützung von Lernprozessen. Die ‚Digitalisierung des Sprachenlernens‘ selbst kommt mit einer vierten Ebene in den Blick, auf der es um spezifische Sprachlernsoftware, digitale Lehrwerke, Datenbanken zum ‚data-driven language learning‘ sowie die Gamifizierung des Sprachenlernens geht. Dass sich mit dem Einsatz digitaler Unterrichtstechnologien (Stichwort ‚elektronisches Klassenzimmer‘ oder ‚flipped classroom‘) das Lernen, die Interaktionen im Klassenzimmer sowie die Rolle der Lehrkraft verändern, wird mit einer fünften Ebene ‚Digitalisierung der Unterrichtskommunikation‘ abgebildet. Sechstens schließlich gehört mit der Ebene ‚Reflexion digitaler kommunikativer und sozialer Praktiken‘ auch das Nachdenken über und die Artikulation von Positionen zu Digitalisierungsprozessen - also die Digitalisierung als Gegenstand - mit zum Thema ‚Digitalisierung des Fremdsprachenunterrichts‘. Eine weitere Ebene, die Hallet nicht anführt, die aber für die Frage nach den Implikationen des digitalen Wandels für die Fremdsprachendidaktik ebenfalls zentral ist, ist die nach der ‚Digitalisierung der Fremdsprachenlehrer*innenbildung‘. Zum einen besteht dringender Aushandlungsbedarf in Bezug auf die Frage, welche fachspezifischen Kompetenzen Fremdsprachenlehrende im Bereich der Digitalisierung benötigen, die über allgemeine, fächerübergreifend relevante digitale Basiskompetenzen hinausgehen. Zum anderen muss aus hochschuldidaktischer Perspektive geklärt werden, wie diese fachspezifischen digitalen Kompetenzen an der Universität gefördert werden können, inwiefern also auch die Inhalte und Gegenstände sowie die Methoden und Unterrichtsszenarien der fremdsprachlichen Lehrer*innenbildung digitalisiert sein sollten. Das Denken in verschiedenen Ebenen der Digitalisierung legt neben der Notwendigkeit der Präzisierung unseres Diskussionsgegenstandes eine weitere Herausforderung offen, der wir in der Auseinandersetzung um Digitalisierungsprozesse im Fremdsprachenunterricht begegnen: nämlich die nicht ganz triviale Aufgabe, die Potentiale der Digitalisierung auf jeder dieser Ebenen aus einer fachspezifischen Perspektive zu bestimmen (vgl. auch das Positionspapier der GFD von 2018). In den letzten Jahren sind vor allem zwei Entwicklungen zu beobachten, die dies nahelegen. Zum einen sind eine Reihe von allgemeinen pädagogischen bzw. didaktischen Rahmentexten entstanden, die grundlegende digitale Kompetenzen formulieren - in der Regel in den Bereichen ‚Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren‘, ‚Kommunizieren und Kooperieren‘, ‚Produzieren und Präsentieren‘, ‚Schützen und sicher Agieren‘, ‚Problemlösen und Handeln‘ sowie ‚Analysieren und Reflektieren‘ (vgl. z.B. KMK 2016, 15ff.). Nicht zuletzt in Ermangelung eines eigenen Schulfachs zur Ausbildung von Medienkompetenzen muss die Förderung dieser Kompetenzen bei Schüler*innen fächerübergreifend erfolgen, d.h., alle Fächer müssen dazu Digitalisierung des Literaturunterrichts 259 beitragen. Dies ist schon allein deshalb erforderlich, weil es konkreter Inhalte und Gegenstände bedarf, an denen digitale Kompetenzen zur Anwendung kommen können (vgl. GFD 2018, 2). Wie die Förderung digitaler Kompetenzen also, wie auch von der KMK (2016, 12f., 15f., 19) gefordert, durch den Einsatz digitaler Formate im Fachunterricht im Einzelnen realisiert werden kann, muss mit einem Fokus auf fachspezifischen, in unserem Fall also fremdsprachendidaktischen, Zielen und im Abgleich mit vorliegenden fremdsprachendidaktischen Konzepten geklärt werden. Zum anderen hat im Zuge verschiedener Bildungsoffensiven auf infrastruktureller Ebene eine Digitalisierung vieler Schulen stattgefunden - u.a. durch die Etablierung von sog. Tablet-Klassen -, ohne dass jedoch bislang hinreichend fachspezifische Ansätze für den Einsatz dieser digitalen Medien im jeweiligen Fachunterricht vorliegen. Innerhalb der Fremdsprachendidaktiken hat der Einsatz unterschiedlicher Medien zur Unterstützung fremdsprachlicher Lehr-/ Lernprozesse eine lange Tradition. Vieles ist schon diskutiert und entwickelt worden, auch im Bereich des Digitalen. Allen voran sind hier das E-Learning und das computerunterstützte Fremdsprachenlernen zu nennen (CALL), „in dessen Mittelpunkt das interaktive und individualisierte Fremdsprachenlernen steht“ (Grünewald 2017, 37). Allerdings ist trotz dieser verschiedenen Entwicklungen auch festzustellen, dass die Potentiale digitaler Medien für den Fremdsprachenunterricht vielfach vorschnell auf die technischen Innovationen reduziert werden, die z.B. Computer oder das Internet für den Unterricht eröffnen. Weitere Ebenen der Digitalisierung werden dabei nicht immer in den Blick genommen. Dies hat zur Folge, dass die digitalen Formate vornehmlich als Hilfsmittel des Sprachenlernens und damit als getrennt von den Inhalten, Bedeutungen und Kommunikationsakten, die durch sie vermittelt oder ermöglicht werden, betrachtet werden (vgl. Hallet 2018b, 1). Ob und wie die Gegenstände, Zieldimensionen und Lernprozesse des Fremdsprachenunterrichts durch die Digitalisierung verändert werden, sind daher innerhalb der Fremdsprachendidaktik noch weitgehend ungeklärte Fragen. 2 Fachbezogene Handlungsfelder als Ausgangspunkt für unterrichtliche Digitalisierungsprozesse Das beste Innovationspotential des digitalen Wandels für den Fremdsprachenunterricht mag sich folglich insbesondere dann erschließen, wenn bei der Frage nach den Implikationen dieses Wandels die Blickrichtung geändert wird. Es sollte nicht ausgehend von digitalen Formaten - also mobilen Endgeräten, Software oder sozialen Kommunikationsdiensten - diskutiert werden, wie diese auch in den Fremdsprachenunterricht integriert werden können, sondern ausgehend von verschiedenen Handlungsfeldern des Fremdsprachenunterrichts - also z.B. der Förderung von Mündlichkeit oder des Schrei- Carola Surkamp 260 bens, der Wortschatzarbeit, des interkulturellen Lernens oder des Literaturunterrichts - sollte analysiert werden, was die Digitalisierung für die Gegenstände, Ziele und Prozesse des Lernens in den Handlungsfeldern jeweils leisten kann (vgl. Surkamp/ Khuen 2018). Ein solcher Perspektivwechsel ermöglicht nicht zuletzt, dass die Arbeit mit digitalen Medien nicht in erster Linie als methodische Abwechslung angesehen, sondern funktional eingebettet wird (vgl. Diehr et al. 2018). Des Weiteren ist ein solcher Perspektivwechsel notwendig, weil er ermöglicht, dass auch andere fremdsprachendidaktische Handlungsfelder jenseits des Grammatik- oder Wortschatzlernens beim Thema Digitalisierung in den Blick kommen. Bislang wird die Digitalisierung des fremdsprachlichen Lernens etwas verengend auf das rein sprachliche Lernen fokussiert. Diskutiert werden die Potentiale von sprachlicher Lernsoftware, von adaptiven Systemen und Programmen zur Fehlerkorrektur. Dabei hat die Digitalisierung auch Auswirkungen auf andere Bereiche des Fremdsprachenunterrichts, z.B. auf den Literaturunterricht. Aus der Perspektive der fremdsprachlichen Literaturdidaktik stellen sich mit Blick auf das Innovationspotential der Digitalisierung für den Unterricht insbesondere die folgenden Fragen: • Welche Möglichkeiten bietet die Digitalisierung für die Förderung motivational-attitudinaler, ästhetisch-kognitiver sowie sprachlichdiskursiver Kompetenzen im Literaturunterricht und welche digitalen Formate bieten sich für welche dieser Teilziele an? • (Wie) verändert der digitale Wandel die Gegenstände und Konzepte des Literaturunterrichts? • (Wie) verändert sich die literarische Kommunikation im institutionalisierten Rezeptionskontext Unterricht durch digitale Medien? Zur Einordnung der verschiedenen Potentiale der Digitalisierung im Literaturunterricht ist es hilfreich, zwischen der Arbeit mit digitalen Texten einerseits und der Nutzung von digitalen Kommunikationsformen andererseits zu unterscheiden (vgl. Leubner 2014; Surkamp erscheint). Zu digitalen Texten gehören Modifizierungen etablierter Genres wie der Handyroman, Webcomics oder Twitter-Lyrik sowie neu geschaffene Formate wie Hyperfiktion und interaktive Texte (vgl. Deubel 2007; Hodson 2014). Mit digitalen Kommunikationsformen sind Internetplattformen, Online-Diskussionsgruppen, Blogs und Vlogs gemeint, über die Reaktionen auf Texte kommuniziert sowie eigene Texte produziert und publiziert werden können. Sowohl digitale Texte als auch digitale Kommunikationsformen erweitern die Möglichkeiten literarischer Vermittlung. Durch ihren Einsatz können daher neben grundlegenden digitalen Kompetenzen auch rezeptive und produktive literaturbezogene Kompetenzen gefördert werden. Rezeptive Kompetenzen werden gefördert, weil durch audio-visuelle Texte wie Online-Lesungen, aufgezeichnete Theateraufführungen oder spezielle Digitalisierung des Literaturunterrichts 261 Apps mit Vorlesefunktion (z.B. zu Shakespeares Sonetten; vgl. Bajor/ Heinz 2014) Literatur über verschiedene Sinne aufgenommen werden kann. Auch erweiterte E-Books fordern Leser*innen durch Illustrationen, Vertonungen und Animationen zur multimodalen Rezeption auf. Texte mit interaktiven Elementen (z.B. „Inanimate Alice“) laden zudem zur aktiven Rezeption ein, indem sie Wahlmöglichkeiten zum Fortgang der Geschichte anbieten oder Rezipient*innen in eine Rolle schlüpfen lassen. Wenn Lernende auf diese Weise aktiv Vermutungen darüber anstellen, wie eine Geschichte weitergeht, werden ihre Fähigkeit zur Hypothesenbildung und ihre Imaginationskraft gefördert (vgl. Thomas/ White/ Lippis 2014). Im Internet lassen sich zu vielen gedruckten Texten außerdem verschiedene digitale Paratexte finden, die zum Weiterlesen, -hören oder -sehen in der Fremdsprache und zur Kontextualisierung auffordern. Solche Paratexte beinhalten z.B. zusätzliche Informationen zu einem literarischen Werk und seiner Autorin bzw. seinem Autor, alternative Kapitel auf Fan Fiction-Seiten, Visualisierungen oder auch den öffentlichen Austausch von Autor*innen und Kritiker*innen über Twitter oder Instagram. Lernende können so zusätzliches Wissen erwerben, Einblicke in literaturbezogene Orte erhalten (z.B. durch einen virtuellen Blick hinter die Kulissen von Shakespeares Globe) oder Autor*innen in Interviews oder virtuellen Lesungen auch als Personen kennenlernen. Solche Kontextualisierungen können zum einen motivierend wirken; zum anderen sind sie gerade bei fremdsprachigen Texten wichtig, weil ohne das dadurch erworbene Wissen Anspielungen in einem Text sowie kulturell geprägte Verhaltensweisen oder Werte von Figuren oftmals gar nicht zu verstehen sind. Darüber hinaus werden durch solche Kontextualisierungen, die in Form von WebQuests stattfinden können (vgl. Genetsch 2018), digitale Basiskompetenzen im Bereich ‚Suchen und Verarbeiten‘ trainiert. Lernende können mittels digitaler Formate aber auch sprachlichproduktiv tätig werden. Spezielle Anwendungen wie „Little Bird Tales“ oder der „Book Creator“ zur Erstellung eines eigenen enhanced E-Books ermöglichen die Produktion von digitalen Geschichten und das Experimentieren mit multimodalen Darstellungsformen. Dies fördert Vorstellungskraft und Kreativität. Über digitale Kommunikationsformen erhalten Lernende wiederum über das Klassenzimmer hinausgehende Gelegenheiten, ihre Reaktionen auf einen literarischen Text mit anderen zu teilen (z.B. in Form von Internet- Rezensionen, Diskussionsbeiträgen in Foren oder Kurzfilmen auf YouTube), Interpretationsansätze von anderen zu kommentieren oder eigene kreative Produkte einzustellen. Lazar (2008, 159) zufolge lässt die hohe Beteiligungsquote auf Fan Fiction-Seiten vermuten, dass diese Form des sprachlichliterarischen Outputs die Lesemotivation steigert, die Distanz zwischen einem Werk und seinen Rezipient*innen verringert und Interpretationshandlungen anstößt. Neue sprachliche Anwendungsmöglichkeiten entstehen aber auch durch Anschlusshandlungen, die über traditionelle Anschlusskommunikatio- Carola Surkamp 262 nen zu literarischen Texten hinausgehen. In digitalen Schreibspielen z.B. wird das in einem Text dargestellte Geschehen nachgespielt oder Variationen der Originalhandlung werden gemeinsam konstruiert (vgl. Schlachter 2013). In einem Literaturunterricht, der sowohl digitale Texte als auch Kommunikationsformen einbindet, findet Lernen daher auf unterschiedlichen Digitalisierungsebenen statt. So eignen sich Schüler*innen prozedurales technisches Wissen an, wenn sie im Literaturunterricht mit digitalen Technologien arbeiten und die Unterrichtskommunikation über literarische Texte auch digital abläuft (Ebenen 3 und 5 nach Hallet). Durch die Beschäftigung mit digitalen Texten bilden sie multiple literacies aus (Ebene 2). Dies ermöglicht es ihnen, im Handlungsfeld Literatur mitzuwirken und an vielfältigen literarischen und kulturellen Diskursen - gerade auch in digitalen Medien - teilzunehmen (Ebene 1). Außerdem erlangen sie deklaratives Wissen darüber, was die Digitalisierung für die Literaturproduktion und -rezeption heute bedeutet, d.h. sie erfahren digitale Bildung auch jenseits von sprachlichen und technischen Fähigkeiten. Dies schließt die Entwicklung kritischer Reflexionskompetenz ein (Ebene 6), wenn z.B. thematisiert wird, wie die Digitalisierung den Buchmarkt verändert. Mittels einer ethnografischen Aufgabe (vgl. König erscheint) können die Lernenden dabei selbst zu Forschenden werden, z.B. durch die Bearbeitung der Fragen, wie ein Buch digital vermarktet wird und welche Wirkungen dies auf Rezipient*innen hat. Über Letzteres geben Nutzeraktivitäten im Netz Aufschluss. Durch ein solches Vorgehen wird nicht zuletzt einer kulturwissenschaftlich orientierten Literaturdidaktik Rechnung getragen, die auch Rezeptionskontexte als Unterrichtsgegenstände einbezieht. Kritische Reflexionskompetenz in Bezug auf digitale Praktiken wird aber auch dann gefördert, wenn das Digitale über die Textarbeit als Thema Eingang in den Literaturunterricht findet (vgl. Lütge in diesem Band). 3 Einflüsse der Digitalisierung auf literaturdidaktische Konzepte und Implikationen für die Forschung Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, beeinflussen und formen digitale Technologien und das Internet nicht nur unsere Alltagskommunikation, sondern auch literarische Praktiken. So verändern sich durch digitale Formate und Partizipationsmöglichkeiten die Rollen von Autor*innen und Rezipient*innen ebenso wie das Konzept der individuellen Autorschaft. Auf Literaturplattformen z.B. kann jeder Nutzer zugleich Autor, Leser und Kritiker sein und diese Rollen auch wechselseitig einnehmen (vgl. Boesken 2010, 16). Anschlusskommunikationen finden im Internet zudem nicht nur zwischen Rezipient*innen, sondern auch zwischen Autor*innen und Leser*innen statt, was wiederum Einfluss auf die Literaturproduktion haben kann (vgl. ebd., 22). Diese erfolgt zudem oftmals kollaborativ, wenn mehrere Personen zur Entstehung eines Textes beitragen. Des Weiteren verändert die Digitalisie- Digitalisierung des Literaturunterrichts 263 rung Konzepte von ‚Lesen‘. Das ‚individuelle Lesen‘ geht in ein ‚soziales Lesen‘ (social reading) über (vgl. Pleimling 2012). Darunter wird der online- Austausch über Texte verstanden, wie er in sozialen Medien, Blogs, Fan- Foren und Buch-Communities sowie auf Literaturplattformen und Webseiten von Verlagen zu finden ist. Insgesamt verändert sich also die Kommunikation über Literatur: Sie ist durch die Digitalisierung öffentlicher und für viele zugänglicher geworden, so dass Rezipient*innen leichter an literarischen Diskursen teilhaben können. Dies sollte insofern auch Konzepte der Literaturdidaktik verändern, als durch digitale Formate die Partizipationsmöglichkeiten im fremdsprachlichen Literaturunterricht erweitert werden. Die Digitalisierung ermöglicht vielfältige sprachliche und kulturelle Begegnungen der Lernenden mit unterschiedlichen Texten, Inszenierungen und Personen, die über einen auf Textverstehen ausgerichteten Unterricht und die typischerweise im Klassenzimmer vorzufindende Kommunikationssituation hinausgehen. Daher müsste erstens der im fachdidaktischen Kontext schon erweiterte, unterschiedliche Vermittlungsmodi einschließende Textbegriff weiter ausgeschärft werden. Zweitens gilt es, Implikationen des digitalen Lesens und Schreibens für Rezeptionsstrategien, Interpretationsmethoden und die eigene Textproduktion bei der Beschäftigung mit zunehmend multimodalen Texten sowie Texten mit nichtlinearer Ästhetik, in denen Bedeutung durch das Verfolgen von Links kreiert wird, herauszuarbeiten (vgl. Unsworth 2006, Kap. 2). Bestehende Kompetenzbeschreibungen, auch im Bereich des Digitalen, sollten daher in Richtung der Ausbildung von multiliteracies (vgl. Cope/ Kalantzis 2009) aus fachlicher Perspektive erweitert werden. 1 Drittens schließlich müsste von einem umfassenderen Konzept von Lesen ausgegangen werden, das verschiedene Formen der Anschlusskommunikation einschließt - von Internet-Rezensionen über das Schreiben von Fan Fiction bis zur Teilnahme an Role Play Games. Für die Beurteilung der Notwendigkeit konzeptioneller Änderungen innerhalb der Literaturdidaktik bedarf es einer näheren Beschäftigung mit digitalen Formen der Literaturrezeption und -produktion. Dafür sollte auf Erkenntnisse der Literaturwissenschaft bei der Erforschung des aktuellen Literaturbetriebs zurückgegriffen werden. In diesem Feld untersucht die Literaturwissenschaft Prozesse des Umwandelns von analogen Medienformaten in digitale sowie deren Verbreitung. Es steht die Frage im Fokus, welche Einflüsse die Digitalisierung auf die Produktion, Vermittlung und Rezeption von Literatur hat, also auf Texte, Akteur*innen sowie die Institutionen des Literaturbetriebs. Eine wichtige Erkenntnis ist z.B., dass das Internet bei all diesen 1 In ihrem Positionspapier betont die GFD (2018, 2), dass mit dem digitalen Wandel „neue digitale fachliche Kompetenzanforderungen entstehen“ und dass eine Aufgabe der Fachdidaktiken in der „theoretischen Modellierung, empirischen Erforschung und praxisnahen Vermittlung des sich im Prozess der Digitalisierung verändernden fachlichen Lehrens und Lernens“ besteht. Carola Surkamp 264 Prozessen eine immer wichtigere Rolle spielt (vgl. Hodson 2014; Winko 2016) und dass Literatur heute als „Teil der aktuellen Partizipationskultur“ (ebd., 2) angesehen werden kann. Literaturwissenschaftliche Studien zu den verschiedenen Nutzungsvarianten digitaler Angebote legen verschiedene Formen der Anschlusskommunikation zudem überhaupt erst offen, die dann im Sinne eines lebensweltnahen Literaturunterrichts, der Lernende zur Teilhabe befähigt, Eingang in Klassenzimmer finden können. Außerdem wird durch sie erst deutlich, dass sich literarische Rezeption im Zeitalter der Digitalisierung angemessener als „literarisches Handeln“ (Boesken 2010) beschreiben lässt, womit „jegliches Handeln ‚an, mit und für Literatur‘“ (ebd., 22) gemeint ist. Ein gemeinsamer Blick von Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik kann daher dazu beitragen, Literatur als kulturelles Handlungsfeld (sensu Abraham/ Kepser 2016, 19ff.) weiter auszudifferenzieren, in dem sich dank neuer Texte, computervermittelter Kommunikationswege und vielfältiger Wahlmöglichkeiten von Handlungsrollen auch die Lernenden bewegen können. Im Hinblick auf Forschungszugänge ist daher in Zukunft ein intensiver Dialog zwischen der Literaturdidaktik und ihrer wichtigsten Bezugsdisziplin, der Literaturwissenschaft, notwendig. Darüber hinaus werden in Zukunft verstärkt empirische Forschungsarbeiten benötigt, da viele Beschreibungen von Potentialen der Digitalisierung für den Fachunterricht bislang auf Annahmen beruhen. Im Prinzip besteht zurzeit das generelle Problem, dass erst noch genauer untersucht werden müsste, was digitale Formate z.B. für die Rezeption von Texten leisten können, bevor darüber nachgedacht werden kann, wie sie im Unterricht zum Einsatz kommen sollten. Erste empirische Erkenntnisse zu E-Books deuten darauf hin, dass digitale Trägermedien durchaus Leseanreize bieten können (vgl. Ehmig/ Heymann 2012, 259). Zusätzliche Elemente im E-Book können zu einem erweiterten Erleben der Geschichte führen, wenn die Rezipient*innen über diese Elemente auch auditiv und bildlich an der dargestellten Welt teilhaben (vgl. Lange 2019, 105f.). Auch die Entwicklung eines mentalen Modells von der erzählten Welt wird erleichtert, wenn Leser*innen z.B. über Infoboxen oder Kartenmaterial zusätzliche Informationen zu den Figuren, den Figurenkonstellationen oder den Schauplätzen einer Geschichte erhalten (vgl. ebd.). Durch ihre Erlebnisorientierung bei der Rezeption können E-Books in Phasen des Spracherwerbs zudem sprachkompetenzfördernd wirken (vgl. Korat/ Segal-Drori 2016). In Bezug auf Online-Diskussionen führen Locke und Andrews (2004, 137) Studien auf, die nachweisen, dass digitale Kommunikationsformen Lesende dazu ermutigen, mit anderen in einen Austausch über literarische Texte zu treten und dafür neue Formate auszuprobieren. Es gibt aber auch Forschungsergebnisse, die einen kritischen Umgang mit digitalen Formaten im Literaturunterricht nahelegen. Wie Krommer (2016, 56) z.B. für den Deutschunterricht aufzeigt, können E-Books „durch die Mög- Digitalisierung des Literaturunterrichts 265 lichkeiten dynamischer Textanordnung und symmedialer Modularisierung die Tendenz zum nicht-linearen, oberflächlich-überfliegenden Lesen“ fördern und damit einem Lesemodus Vorschub leisten, den der Literaturunterricht gerade nicht anstrebt. Außerdem bieten nicht alle digitalen Erweiterungen, die in E-Books zu finden sind, zusätzliches erzählerisches Potential, so dass Immersions- und Imaginationsprozesse durch modale Wechsel während der Rezeption auch gestört oder gar verhindert werden können (vgl. ebd., 63). Für den fremdsprachlichen Literaturunterricht liegen Studien zu den Wirkungen und Potentialen des digitalen Lesens und Handelns bislang allerdings noch nicht vor. 4 Anforderungen an die Lehrer*innenbildung Bildungspolitisch wird zu Recht gefordert, die Potentiale der Digitalisierung für Lehr-/ Lernprozesse auch in der Lehrer*innenbildung zu berücksichtigen. Dies sollte nicht nur aus allgemein-pädagogischer und -didaktischer Perspektive erfolgen. Wie in diesem Beitrag dargelegt wurde, verspricht die Digitalisierung Potentiale gerade auch für fachspezifische Lehr- und Lernziele. Dementsprechend muss sie in der Ausbildung von Fachlehrkräften Eingang in Curricula und Lehrveranstaltungen an der Universität finden - und zwar mit einem Fokus auf verschiedene fachspezifische Handlungsfelder. Bevor jedoch über konkrete Einsatzmöglichkeiten von digitalen Technologien und Formaten in universitären Kursen der Lehrer*innenbildung nachgedacht wird, muss die Frage beantwortet werden, welche Kompetenzen Lehrende für das Unterrichten ihrer Fächer im digitalen Zeitalter eigentlich aus fachspezifischer Sicht erwerben sollten. Anknüpfend an allgemeine, fächerübergreifend relevante digitale Basiskompetenzen, wie sie z.B. im European Framework for the Digital Competence of Educators: DigCompEdu (Redecker 2017) formuliert werden, sind also fachspezifische (d.h. hier literaturwissenschaftliche und -didaktische) Vertiefungskompetenzen zur Digitalisierung zu formulieren (vgl. Schultz-Pernice et al. 2017). Im Hinblick auf die Arbeit im fremdsprachlichen Literaturunterricht sollten Lehrende z.B. die folgenden Kompetenzen entwickeln, um digitale Medien gemäß den Zielen des fremdsprachlichen literarischen Lernens didaktisch sinnvoll einsetzen zu können: • Wissen über neue literarische Genres und Kommunikationsformen, die durch die Digitalisierung eröffnet werden • Fähigkeiten zum Einsatz digitaler Texte und Kommunikationsformen zur Förderung rezeptiver und produktiver Kompetenzen von Lernenden • Fähigkeiten zur Reflexion über und Evaluation von digitalen Formaten aus literaturwissenschaftlicher, literaturdidaktischer und fremdsprachendidaktischer Sicht (Befähigung zu fachdidaktischen ‚Qualitätschecks‘) Carola Surkamp 266 In einem weiteren Schritt müssen - auch unter Einbeziehung fachwissenschaftlichen Wissens - universitäre Lehr-/ Lernkonzepte erarbeitet werden, die zur Förderung dieser Kompetenzen beitragen und in bestehende fachdidaktische und fachwissenschaftliche Module des Lehramtsstudiums integriert werden. Es sollte also nicht primär um die Neukonzeptualisierung ganzer Kurse gehen, sondern um Anschlusspotentiale der Digitalisierung an bestehende hochschuldidaktische Konzepte, z.B. in Form von flexibel einsetzbaren Bausteinen (ansonsten droht eine Überfrachtung der fachdidaktischen Anteile des Lehramtsstudiums; vgl. Bär in diesem Band). Umfassen sollten diese Bausteine sowohl inhaltliche als auch methodische digitale Elemente, so dass im Fall einer literaturdidaktischen Veranstaltung neben der Beschäftigung mit und der Reflexion über digitale Texte auch der Einsatz von digitalen Werkzeugen und Kommunikationsformen bei der Arbeit mit analogen literarischen Texten eingeübt wird. Gemäß dem Prinzip des forschenden Lernens könnten Studierende des Weiteren Lernaufgaben für einen digitalisierten fremdsprachigen Literaturunterricht entwickeln und in der Praxis mit Schüler*innen erproben und evaluieren (z.B. im Praktikum, in Kooperationsprojekten mit Schulen oder im Lehr-/ Lernlabor). Auf diese Weise erlangen Studierende nicht nur kompetenzfördernde Einsichten in die Potentiale und Herausforderungen digitaler Formate in der Unterrichtspraxis, sondern sie werden auch an der Beantwortung der oben skizzierten Fragen zum digitalen Lernen im Literaturunterricht und damit am fremdsprachendidaktischen Forschungsprozess beteiligt. Literatur Abraham, Ulf/ Kepser, Matthis (2016): Literaturdidaktik Deutsch. Eine Einführung. 4. Aufl. Berlin: Schmidt. Bär, Markus (in diesem Band): „Fremdsprachenlehren und -lernen in Zeiten des digitalen Wandels. Chancen und Herausforderungen aus fremdsprachendidaktischer Sicht“, 12-23. Bajor, Stephanie/ Heinz, Susanne (2014): „Shakespeare multimedial. The Sonnets App für Tablets“. In: Praxis Fremdsprachenunterricht Englisch 2, 4-7. Boesken, Gesine (2010): Literarisches Handeln im Internet. Schreib- und Leseräume auf Literaturplattformen. Konstanz: UVK. Cope, Bill/ Kalantzis, Mary (2009): „,Multiliteracies‘. New Literacies, New Learning“. 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Die Herausforderung, die beide Gruppen zu bewältigen hatten, war eine Verfremdung ihres gewohnten Alltags. Die digital natives mussten ohne moderne Medien und digitale Technik auskommen und beispielsweise ihre Mahlzeiten mithilfe eines Kochbuchs und einer analogen Waage zubereiten, ihre Wäsche ohne Waschmaschine reinigen oder sich ohne Navi in einer fremden Umgebung orientieren. Die Senioren hingegen wohnten in einem Smart-Home mit zahlreichen technischen Finessen, die es ihnen erlaubten, die Einkäufe per Internetorder ihres Kühlschranks zu erledigen, ihre Mahlzeiten mithilfe eines digitalen Bestecks zu verzehren, das die Essgeschwindigkeit kontrollierte, oder per virtual reality-Brille „in den Urlaub zu reisen“. Der Kulturschock, den beide Gruppen erlebten, ist leicht nachvollziehbar. Jeder dürfte in seiner sozialen Umgebung Personen kennen, die in manchen Bereichen (noch) eher analog arbeiten, und anders herum solche, die digital an vorderster Entwicklungslinie stehen. Warum ist dieses Beispiel für den schulischen Fremdsprachenunterricht interessant? Aus meiner Sicht verdeutlicht die überzeichnete und polarisierte Darstellung einige der Grundbedingungen, die auch für den schulischen Unterricht gelten: 1. Die digitalen Vorkenntnisse dürften bei den beteiligten Akteuren (Lehrkräfte und Schüler/ innen) generationsbedingt unterschiedlich sein, auch wenn die jüngeren Lehrkräfte eher zu den digital Versierten zu zählen sind. Britta Viebrock 270 2. Die umfassende Digitalisierung der jüngeren Generation ist eine Realität, der sich das schulische Lernen in allen Fächern stellen muss, wenn es für die Lerner bedeutsam bleiben will. Die technische Ausstattung vieler Schulen dürfte sich allerdings stark von der privaten Ausstattung der Lerner unterscheiden. 3. In erster Linie ist die Digitalisierung ein Kommunikations- und Informationsmodus, der sich beobachten und beschreiben lässt und aus dem sich auch für den Fremdsprachenunterricht didaktische und methodische Schlussfolgerungen ableiten lassen. 4. Während in prädigitalen Zeiten nur ein analoger Modus zur Verfügung stand, sind jetzt Abwägungen und ggf. Entscheidungen gegen oder für einen digitalen Modus zu treffen und begründen. Zukünftig wird in manchen Bereichen vielleicht kein analoger Modus mehr zur Verfügung stehen bzw. die Binarität zwischen analogem und digitalem Modus überwunden sein. Digitalisierung ist mit Blick auf den Fremdsprachenunterricht also mindestens in vier Dimensionen zu betrachten, die in den folgenden Abschnitten anhand von Beispielen verdeutlicht werden sollen. Erstens geht es um die Entwicklung von Medienkompetenz im Sinne des Multiliteracies-Ansatzes (vgl. New London Group 2000; Elsner/ Viebrock 2013). Zweitens bedeutet die Anerkennung des Prinzips der Schülerorientierung und des erfahrungsbasierten Lernens, dass sich auch der Fremdsprachenunterricht ernsthaft mit den privaten digitalen Informationsbeschaffungs- und Kommunikationsformen der Lernenden auseinandersetzen und diese für unterrichtliche Prozesse aufgreifen muss. Dieses kann drittens beispielsweise in Form entsprechender Lerntechniken und -strategien geschehen (vgl. Schmidt/ Strasser 2018). Wenngleich digitale und analoge Realisation somit auf denselben lerntheoretischen Grundlagen beruhen und möglicherweise eine ähnlich hohe kognitive Anstrengung verlangen, liegt die digitale Ausführung näher an dem alltäglichen Kommunikationsmodus der Lerner. Zu verstehen, an welcher Stelle digitale tools tatsächlich eine Hilfe sind und an welcher Stelle sie das Lernen eher behindern, wäre viertens Teil einer critical (digital) literacy, also der Fähigkeit, die unterliegenden Strukturen, Ziele und Zwecke von Texten aller Art oder auch digitalen Anwendungen zu durchschauen ebenso wie deren Potenziale und Grenzen. Zur Erörterung der genannten vier Dimensionen werden im folgenden Abschnitt zunächst ausführlich die grundsätzlichen fachlichen und didaktischen Herausforderungen des digitalen Wandels für den Fremdsprachenunterricht unter Einschluss der notwendigen Fähigkeiten (v.a. die schon benannte critical literacy) diskutiert, bevor die Frage eines spezifischen Leitbilds für digitales Lehren und Lernen in den Blick genommen wird. Es folgen eini- Alles digital? ! Auswirkungen der Digitalisierung 271 ge kurze Überlegungen zu den Forschungsperspektiven und eine Zusammenfassung. 2 Fachliche und didaktische Herausforderungen des digitalen Wandels für den Fremdsprachenunterricht Die erste Leitfrage zur Diskussion des digitalen Wandels geht davon aus, dass dieser „die Gegenstände, Lernumgebungen, Medien und Prozesse des Lehrens und Lernens von Fremd- und Zweitsprachen auf den Prüfstand [ stellt ] “. Diese Annahme ist zweifelsohne zu bestätigen. Welche fachlichen und didaktischen Herausforderungen sich im Einzelnen ergeben, hängt allerdings auch von einigen grundlegenden strukturell-institutionellen Überlegungen ab: Stellen wir uns den Fremdsprachenunterricht der Zukunft nach wie vor als Unterricht im Klassenzimmer vor, der auch auf zwischenmenschliche Interaktion setzt? Dann begrenzt diese institutionelle Setzung die Einflussmöglichkeiten der Digitalisierung. Ihr kommt eine dienende Funktion in einem Setting zu, das neben individueller Kompetenzentwicklung auch stark auf persönlichkeitsbildende Aspekte und soziales Lernen setzt. Stellen wir uns den zukünftigen Fremdsprachenunterricht allerdings mehr oder minder frei von institutionellen Anforderungen vor, kann die Digitalisierung deutlich größere und revolutionärere Einflüsse ausüben. Dass solche Überlegungen nicht mehr utopisch sind, zeigt eindrücklich das Beispiel des ersten Massive Open Online Course (MOOC), der 2011 mit 190.000 internationalen Teilnehmer/ inne/ n an der amerikanischen Stanford University angeboten wurde. 23.000 Kursabsolvent/ inn/ en bestanden die Abschlussprüfung, von den 400 erfolgreichsten gehörte keine/ r zur eingeschriebenen Studierendenschaft der prestigeträchtigen Universität (vgl. Dräger/ Müller-Eiselt 2017, 16). Vormals exklusive Bildungsinhalte können also mithilfe der Digitalisierung einer sehr viel größeren Lernergruppe zugänglich gemacht und damit demokratisiert werden. Mit Blick auf die Gliederung des deutschen Schulsystems und den oft beklagten Zusammenhang zwischen dem elterlichen Bildungshintergrund und der schulischen Laufbahn der Kinder, lassen sich analog zum genannten MOOC Szenarien denken, die es Lernern ermöglichen, ihre Leistungen in unterschiedlichen Disziplinen begabungsgerecht und unabhängig von gesellschaftlichen und institutionellen Strukturen zu entwickeln. Der Gedanke an individuelle Lehrpläne auf der Basis von digital erhobenen und ausgewerteten Erkenntnissen zur vorhandenen Kompetenz, zum Lernfortschritt und zu potenziellen Problembereichen (Stichwort: learning analytics, Ebner/ Ebner 2018) liegt nicht fern. Die Diskussion um den Bildungsbegriff in Zeiten von Standardisierung, Kompetenzorientierung und der Testung leicht abprüfbaren diskreten Wissens soll an dieser Stelle nicht aufgemacht werden. Das Beispiel beschreibt vor allem den potenziellen Spielraum, der sich für die Britta Viebrock 272 Konzeptionalisierung von Lernen, auch Fremdsprachenlernen, zwischen den Polen der Institutionalisierung (mit gesellschaftlichem Bildungsauftrag auch zum sozialen Lernen) und der Digitalisierung (zum individuellen Kompetenzerwerb) ergibt. Inwieweit sich - wie in der Leitfrage angenommen - die Lernumgebungen und Prozesse ändern, hängt also von einigen Grundsatzentscheidungen ab. Es ließe sich auch ein vollständig individualisiertes und digitalisiertes Lernen vorstellen, das beispielsweise nur noch aus geprüften und akkreditierten internetbasierten Lernpaketen besteht. Da ich diese Vorstellung zwar als Gedankenspiel reizvoll, insgesamt aber wenig sympathisch finde, werde ich für die weitere Diskussion von den bestehenden institutionellen Strukturen ausgehen und die Herausforderungen und Innovationspotenziale in dem gegebenen Rahmen betrachten. Zentrale Lernumgebung bleibt nach wie vor das Klassenzimmer. Im Gegensatz zu prä-digitalen Zeiten kann es aber sehr leicht durch außerschulische, auch internetbasierte Lernorte oder Ansätze mobilen Lernens geöffnet werden (vgl. Wilden 2018). Was die Gegenstände des Fremdsprachenunterrichts betrifft, erwarte ich zwar gewisse Anpassungen, die sich durch die Digitalisierung ergeben, nicht aber grundsätzliche Änderungen. Traditionell bestehen die fachlichen Inhalte des Fremdsprachenunterrichts aus der Sprache selbst (im Sinne einer linguistischen Betrachtung oder sprachpraktischer Übungen), aus landeskundlichen Themen und Cultural Studies sowie aus literarischen Texten (in unterschiedlichen medialen Realisierungsformen, z.B. auch als Hypertext, Internetserie oder Film). Wenn der Fremdsprachenunterricht weiterhin einen allgemeinen Bildungsauftrag verfolgt, wird sich an diesen Grundbestandteilen nichts ändern, die Verschiebungen sind eher gradueller Natur. Selbstverständlich wird der Gebrauch der Sprache durch ihre mediale Realisierung beeinflusst. Merkmale von ‚konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit‘ (Koch/ Oesterreicher 1997) vermischen sich in manchen digitalen Kommunikationsformen und fordern zu einer differenzierteren Sprachbetrachtung auf (z.B. in allen möglichen Chat-Varianten, vgl. Mishan 2007). Ausgehend vom Prinzip der Schülerorientierung finden somit von der Digitalisierung beeinflusste oder hervorgebrachte Textsorten Eingang in den Unterricht (nämlich z.B. ein reales Chat-Protokoll anstelle eines vormals analogen Briefes o.ä.), aber es bleibt trotzdem die Sprache, die in ihren Strukturen und ihrer Verwendungsweise untersucht wird, ggf. sogar in diachroner Perspektive, um Unterschiede und Entwicklungen zu verdeutlichen. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass gewisse Textsorten (z.B. Bewerbungsschreiben) hoch konventionalisierten formalen Anforderungen unterliegen, die sich trotz des digitalen Wandels kaum geändert haben. Auch auf diese hat schulischer Unterricht vorzubereiten. Und nicht zuletzt gehört zu seinen Aufgaben die Hinführung zur Bildungssprache, welche spezifische sprachliche und diskursbezogene Merkmale aufweist (Fachbegriffe und fachspezifische Abkürzungen, Alles digital? ! Auswirkungen der Digitalisierung 273 unpersönliche Ausdrucksweise, Nominalisierungen und Komposita, erweiterte Nominalphrasen, verkürzte Nebensatzkonstruktionen, fachspezifische Darstellungsformen, Bezugnahme auf Autoritäten oder empirische Evidenz und dergleichen). Bildungssprache kann natürlich in digitaler Form abgebildet sein (z.B. in Form eines digitalen Schulbuchs), aber sie setzt grundsätzlich die gleichen Anforderungen und konzeptionellen Kenntnisse voraus wie es gedruckte akademische Texte schon immer getan haben. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass eine gewisse Akzentverschiebung und auch Erweiterung der Textsorten und ihrer sprachlichen Realisierung stattfinden, die im Unterricht zu betrachten sind, aber keine grundsätzliche Änderung dieses Fachinhalts. Ähnliches gilt für die landeskundlichen und literarischen Unterrichtsinhalte. Auch hier übt die Digitalisierung einen Einfluss aus, der aufzugreifen ist, aber er stellt die Unterrichtsinhalte nicht grundsätzlich in Frage. Wenn in der Oberstufe beispielsweise tagespolitische Themen der USA behandelt werden, ist es sicher wichtig, Präsident Trumps Medienverhalten in den einschlägigen Kurznachrichtendiensten zu analysieren und die Wirkungsweise dieser Textsorte zu diskutieren, denn das ist - wie das eingangs geschilderte Beispiel eindrücklich gezeigt hat - die Lebenswelt, in der sich die Jugendlichen heutzutage aufhalten und deren Mechanismen sie im Sinne einer critical digital literacy kennen und verstehen sollten. Ebenso wichtig dürfte es aber sein, die ausführlichere Darstellung von Sachverhalten in anerkannten Printmedien oder Nachrichtenmagazinen zu untersuchen, um sowohl zu einem vertieften inhaltlichen Verständnis als auch zu elaborierteren Sprachkompetenzen zu gelangen. Genauso verhält es sich mit literarischen Texten, die heutzutage sehr viel variantenreicher sind und deshalb eine genauere Auswahlbegründung verlangen. Je nach medialer Realisationsform setzen sie beispielsweise Lesekompetenzen und literarästhetische Textverstehenskompetenzen oder Kompetenzen im Hör-Sehverstehen und visual oder film literacy voraus bzw. fördern diese. Multimodale Literaturformen, welche die Strukturen des Internets und die Möglichkeiten der Digitalisierung für ihre Erzählung nutzen verlangen dem Leser/ der Leserin neue Rezeptionskompetenzen ab (vgl. auch Lütge in diesem Band). Aber wenn man es genau nimmt, hat es innovative (beispielsweise hypertextartige) Erzählansätze auch schon zu prädigitalen Zeiten gegeben (man denke an Margaret Atwooods Kurzgeschichte Happy Endings aus dem Jahre 1983, eine metafiktionale, zwar chronologisch aufgeschriebene, aber in sechs Alternativen A-F zu lesende Erzählung mit entsprechenden Querverweisen: „If you want a happy ending, try A.“ oder „… and everything continues as in A.“). Wiederum gilt es also, den Einfluss der Digitalisierung auf literarische Repräsentationsformen aufzugreifen und zu modellieren. Neue Textformen sind im Fremdsprachenunterricht zu thematisieren. Dieses schließt Reflexionen sich ändernder Lese- und Sehgewohnheiten Britta Viebrock 274 mit ein. Aber literarische Texte als Unterrichtsinhalt werden damit nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Der Bereich, in dem der Einfluss der Digitalisierung am deutlichsten sichtbar geworden ist, ist der der Unterrichtsmedien. Sie haben sich im Fremdsprachenunterricht über die Jahrzehnte vom klassischen Textbuch über das Sprachlabor hin zum interactive whiteboard oder zur Nutzung virtueller Welten (z.B. Raith 2008) entwickelt. Ebenso gibt es zahlreiche, für das Fremdsprachenlernen entwickelte internet-basierte Serious Games, z.B. The Language Magician (https: / / www.thelanguagemagician.net/ de/ ), ein Spiel zur Lernstandserhebung im Primarbereich, bei dem die Lerner mit ihren Sprachkenntnissen helfen müssen, verzauberte Türen wieder zu öffnen, oder EU·DO·IT ( http: / / eudoit.eu/ melang-e), einer virtuellen Reise durch Europa, auf der die Lerner verschiedene kommunikative Aufgaben lösen müssen. Solche Serious Games sind eng mit den lebensweltlichen (Spiel-) Erfahrungen der Lerner verknüpft und nutzen den Modus der digitalisierten Kommunikation für Sprachproduktion. Sie können angesichts ihrer Fokussierung auf Sprachlernen (und eben nicht nur zweckfreies Spielen) und der zu bewältigenden Aufgaben in gewisser Weise als digitale Variante des klassischen Dialogschreibens/ -sprechens angesehen werden. Dieses ist allerdings in eine deutlich anspruchsvollere und für die heutige Lernergeneration ansprechendere virtuelle Welt eingebettet. Vor diesem Hintergrund lässt sich sagen, dass ich die fachlichen Herausforderungen der Digitalisierung vor allem an der Stelle für recht groß halte, wo es darum geht, bisher nur in analoger Form vorliegende Inhalte in interaktive und vor allem adaptive Lehrbücher oder Serious Games-Formate zu überführen. Dort, wo digitales Material in der fremdsprachlichen Welt bereits vorhanden und vor allem durch (digitale) Annotationen, Erläuterungen und Aufgaben aufzubereiten ist, ergeben sich didaktische Herausforderungen aus der beschriebenen digitalen Dynamik. Im Gewand neuer medialer Realisierungen erscheinen Inhalte in einem neuen Licht und verlangen auch neue Überlegungen, wie mit ihnen im Unterricht umzugehen ist. Genau genommen hat es diese Art von Herausforderungen aber schon immer gegeben, wie sich an der Entwicklung der Unterrichtsmedien über die Jahrzehnte ablesen lässt. Zum einen können die notwendigen Überlegungen eher methodischer Natur sein, z.B. hinsichtlich der Frage, wie sich bestimmte Lernprozesse mithilfe digitaler Medien vereinfachen oder zumindest realitätsnäher für die heutige Lernergeneration gestalten lassen. Zum anderen ergeben sich auch originär neue Themen aus der Digitalisierung (z.B. fake realities oder fake publics, vgl. auch Leonhardt/ Viebrock erscheint), die auch im Fremdsprachenunterricht mit jeweils fachlicher Anbindung aufzugreifen sind. Insgesamt zeigen sich also sowohl methodische als auch didaktische Innovationspotenziale, die ich allerdings nicht grundlegend anders einschätze als solche Innovationspotenziale, die sich aus neueren thematischen Entwicklungen z.B. Alles digital? ! Auswirkungen der Digitalisierung 275 in der Politik oder im kulturellen Leben ergeben. Auch hier ist immer wieder die Frage zu stellen, ob und in welcher Weise (auch in welcher medialen Realisierung) ein neuer Inhalt aufzunehmen ist. Für mich gehören die Herausforderungen, die sich aus der Digitalisierung ergeben, somit zur grundlegenden Vitalität der Lehrprofession. 3 Ein Leitbild für digitales Lehren und Lernen? Die Frage, ob die Digitalisierung ein eigenes Leitbild für das Lehren und Lernen verlangt, wäre angesichts dieser Positionierung eher zu verneinen. Digitalisierung könnte - wie andere Entwicklungen und Themen auch - in einem allgemeinen Leitbild Lehre ihren Platz finden. Andererseits ist die besondere Herausstellung des digitalen Wandels für die gesellschaftlichen Strukturen auf allen Ebenen (Berufswelt, soziale Beziehungen, Kommunikation und Informationsverbreitung etc.) eher ein Argument für die Erstellung eines Leitbilds für digitales Lehren und Lernen. Dieses dürfte angesichts erster Untersuchungen (vgl. Stiftung Kind und Jugend 2017) zu den gesundheitlichen und sozialen Risiken der permanenten Nutzung digitaler Medien (z.B. Bewegungsmangel, Haltungsschäden, Suchterscheinungen, Vereinsamung, Konzentrationsstörungen, psychischer Stress durch Dauererreichbarkeit) allerdings nicht nur affirmativ ausfallen, sondern sollte auch grundsätzliche medienkritische Aspekte enthalten, die reale Handlungsfolgen im Sinne einer selektiven Mediennutzung oder gar eines Medienverzichts nach sich ziehen. Im bundesweit ersten politischen Leitbild für Lernen im Digitalen Wandel des Landes NRW (2016) wird diese Forderung aufgegriffen. Neben der Betonung des Werts der Allgemeinbildung werden ‚digitale Schlüsselkompetenzen‘ beschrieben, die auf einem erweiterten Verständnis einer critical digital literacy basieren: • Medienkompetenz, die eine kritische Urteilsfähigkeit sowie Analyse und Einordnung von vermittelten Inhalten in soziale Zusammenhänge ermöglicht und damit dazu beiträgt, alle Chancen einer digitalisierten Welt nutzen und gleichzeitig mögliche Risiken erkennen und abwenden zu können. • Anwendungs-Know-how, das für einen selbstständigen und sicheren Umgang mit digitalen Medien und Werkzeugen notwendig ist. Hierzu gehört auch die Kenntnis über technische Gefahren und Risiken, über wirksame Schutzmaßnahmen sowie über Grundlagen der Verschlüsselung. […] (Landesregierung NRW 2016, 5) Zu einem der zentralen Risiken der Digitalisierung gehört zweifelsohne die Frage der Datensicherheit. Wie kann diese bei digitalisierten Arbeitsbüchern sichergestellt werden? Auf wessen Server liegen Nutzerdaten und Lernergebnisse? Sind sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines internetbasierten Britta Viebrock 276 Lernspiels bewusst, welche Daten von ihnen gespeichert und für welche Zwecke diese verwendet werden? Wissen die Lehrkräfte, welchen (Daten-) Preis sie und ihre Lerner für gewisse Anwendungen bezahlen? Die Attraktivität der digitalen Angebote für die Lerner sowie deren komfortable Nutzung für die Lehrkräfte, mit der explizit geworben wird, scheint bisweilen den Blick auf nutzungsethische oder auch forschungsethische Aspekte zu verstellen. The Language Magician, beispielsweise erhebt recht umfangreiche Daten und nennt diese im privacy statement (vgl. https: / / www.the languagemagician.net/ privacy/ ). Der Hinweis, dass sie auch zu Forschungszwecken genutzt werden, findet sich allerdings nicht dort, sondern an anderer Stelle auf der Projektwebseite. Das Zur-Verfügung-Stellen von Forschungsdaten ist also untrennbar mit der Nutzung des Spiels verbunden. Setzt eine Lehrkraft dieses Spiel also zur Sprachstandsdiagnose ein, werden die Lerner damit gleichsam zu Teilnehmer/ inne/ n eines Forschungsprojekts gemacht. De facto können mit den vorhandenen technischen Mitteln aufwändige formale Genehmigungen und die gesonderte Zustimmung der Erziehungsberechtigten minderjähriger Teilnehmer/ inne/ n umgangen werden, die bei der Nutzung digitaler Anwendungen nicht eingeholt werden, die für andere, explizit als solche gekennzeichnete Forschungsprojekte in Schulen hingegen unerlässlich sind. Kritisch zu fragen ist also, ob digitale Spiele, die zugleich Daten erheben/ speichern, wichtige Prüf- und Genehmigungsprozeduren aushebeln? Anhand dieses Beispiels ist grundsätzlich zu fragen, ob die Entscheidung für digitale Lerninhalte, tools oder Prüfungsmethoden individuell zu treffen und zu verantworten ist, ob also datenbezogene Aspekte von der einzelnen Lehrkraft umfassend beurteilt werden können. Oder muss für internetbasierte tools - ähnlich wie für klassische Schulbücher - eine Begutachtung und Freigabe auf bildungspolitischer Ebene erfolgen? Bock und Probst (2018) plädieren diesbezüglich für ein integriertes Konzept auf allen Ebenen: Während der Schulträger vornehmlich rahmt, welche Infrastruktur in den Klassenräumen zur Verfügung steht, wird die Bildungspolitik sich eher Gedanken darum machen müssen, welche Impulse sie für die zukünftige Ausgestaltung der Inhalte setzen möchte (Stichworte freie bzw. proprietäre Bildungsmedien, KMK-Empfehlungen zu digitalen Kompetenzen etc.). Zudem sind auf Länderebene Fragen der Lehrkräfteausbildung und Schulung im Umgang mit digitalen Medien verortet. Handlungsimplikationen für die konkrete Gestaltung der Verwendung und den Umgang mit den mobilen Endgeräten im Fachunterricht richten sich hingegen vor allem an die Personen, die mit den Bildungsmedieninhalten lehren und lernen (Bock und Probst 2018, 18f.). Eine solche Sichtweise sollte meiner Ansicht nach auch für ein Leitbild digitalen Lernens in den fremdsprachlichen Fächern gelten, denn für die einzelne Lehrkraft ist die Vielfalt der freien Angebote mit ihren Implikationen hinsichtlich der Datensicherheit sonst kaum zu überblicken. Natürlich sind diag- Alles digital? ! Auswirkungen der Digitalisierung 277 nostische tools wie The Language Magician hilfreich und bisweilen genauer als der Blick der Lehrkraft. Zugleich darf aber nicht vergessen werden, dass hier überwiegend diskrete Elemente in den Blick genommen werden, fremdsprachliche Bildung aber ein sehr viel umfassender Prozess ist. Deshalb müssen die lebensweltlich verfügbaren technischen Potenziale der Digitalisierung nicht vollumfänglich im Klassenzimmer abgebildet sein. Priorisiert werden sollte in einem Leitbild des digitalen Lernens für Fremdsprachenunterricht vielmehr eine grundsätzliche Berücksichtigung des Modus der Digitalisierung sowie eine umfassende Reflexionskompetenz der Lerner im Sinne einer critical digital literacy. 4 Forschungsperspektiven Im Zuge der Digitalisierung ergeben sich unzählige Forschungsperspektiven für die Fremdsprachendidaktik. Mit der oben bereits betonten kritischen Sicht u.a. auf Fragen der Datensicherheit z.B. bei frei zugänglichen internetbasierten Sprachlernressourcen verbieten sich allerdings einige Forschungsvisionen, wenngleich sie sich technisch sehr leicht realisieren lassen. Insgesamt scheint es mir angezeigt, hier eine grundlegende forschungsethische Position einzunehmen (vgl. Viebrock 2015) und sehr genau abzuwägen, welche Forschungsfragen vertretbar und sinnvoll sind und eine Untersuchung lohnen. Auch der latent unterliegende Gedanke einer Effizienzsteigerung (schneller, mit weniger Aufwand) sowohl beim Fremdsprachenlernen als auch bei dessen Erforschung, der sich mit den zahlreichen technischen Möglichkeiten aufdrängt, ist aus meiner Sicht kritisch zu prüfen. Grünewald (2017) weist in diesem Zusammenhang zudem auf die forschungsmethodologischen Probleme hin, die komparative Studien (analog vs. digital) mit sich bringen: In vergleichenden empirischen Studien, in denen Unterricht mit und ohne digitale Medien untersucht wird, bleibt meist unklar, ob eine Veränderung tatsächlich auf das eingesetzte Medium zurückzuführen ist oder nicht (Faktorenkomplexion). Das liegt daran, dass in der Forschung zur Wirkung digitaler Medien im Schulunterricht mediale und unterrichtsmethodische Einflüsse nicht auseinander gehalten werden können (Grünewald 2017, 212). Mir scheint allerdings, dass viele der gegenwärtigen Forschungsarbeiten beispielsweise auch im Zuge der Qualitätsoffensive Lehrerbildung den Ansatz verfolgen, die Überlegenheit des Digitalen herauszustellen. Mit Bezug auf das eingangs geschilderte Beispiel halte ich es hingegen für sinnvoller, den Modus des Digitalen als eine grundsätzliche gesellschaftliche Entwicklung anzuerkennen und auf seine Potenziale oder auch Herausforderungen hin zu betrachten, ohne jedoch von Vorherein von einer Überlegenheit in lerntheoretischer Hinsicht auszugehen. Vielfältige digitale Bildungsangebote (Lernplattformen und Content Management Systeme, die Aufzeichnung von Britta Viebrock 278 Vorlesungen oder Unterrichtsvideographien, Webinare und digitale Lernmodule) gehören ohnehin bereits zum Standardprogramm zahlreicher Bildungseinrichtungen. Forschungsbemühungen sollten sich allerdings nicht nur darauf beziehen, weitere digitale tools für den Fremdsprachenunterricht zu entwickeln und zu evaluieren bzw. die vorhandenen weiterzuentwickeln, sondern auch auf die Konzipierung von Fortbildungen und Schulungen für Lehrkräfte. Besondere Potenziale der digitalen Transformation für Unterrichts- und Lehrerbildungszwecke liegen sicher in einer noch stärkeren Bedarfsorientierung, Flexibilisierung und Individualisierung von Bildungsangeboten, die in den genannten Dimensionen jeweils hinsichtlich ihrer Akzeptanz, Wirksamkeit und Nachhaltigkeit zu untersuchen sind. Auch hier allerdings ist die systemische Komponente zu berücksichtigen: Ohne eine Veränderung und neue Impulse in der Bildungspolitik in Bezug auf digitales Lernen stagniert auch das Innovationspotential vonseiten der Lehrer*innen und Forscher*innen, da der Einsatz digitaler Medien von zahlreichen Lehrkräften nach wie vor als Zusatzbelastung und Mehraufwand beschrieben wird (Bock/ Probst 2018, 19). Für eine Forschungsperspektive auf Fragen digitaler Bildungsprozesse auch im Bereich der Fremdsprachenlehrerbildung und des Fremdsprachenlernens eignet sich daher ein Modell, welches ein sinnvolles Zusammenspiel von Didaktik, Organisation, Individuum und Technik in den Blick nimmt (Ulich 2005). Die Organisationsdimension schließt dabei die bildungspolitische Rahmung mit ein. Ein solches Modell erlaubt zum einem die Fokussierung einzelner Elemente (z.B. die Einstellungen oder Kompetenzen von Lehrkräften) oder Faktorenbereiche, ohne jedoch den Gesamtkontext aus den Augen zu verlieren. Zugleich macht es jedoch deutlich, dass die „großen“ Digitalisierungsfragen (und hier meine ich vor allem artificial intelligence, selbstlernende Systeme und dergleichen) nicht oder nur dann in der Fremdsprachendidaktik diskutiert werden, wenn diese auf Partner mit entsprechender technischer Expertise zurückgreifen kann. Inwieweit dann allerdings noch didaktische Fragen und nicht technisch-wirtschaftliche eine zentrale Rolle spielen, bleibt anzuzweifeln. 5 Zusammenfassung Ziel meines Beitrags war es, einige grundsätzliche Überlegungen zur Digitalisierung von Bildungsprozessen im Fremdsprachenunterricht, in der Fremdsprachendidaktik und in der Fremdsprachenforschung anzustellen. Die Annahme, dass die Digitalisierung unausweichlich zu einer „Bildungsrevolution“ (Dräger/ Müller-Eiselt 2017) führt, teile ich nicht vollumfänglich. Vielmehr bestimme ich die beiden Dimensionen ‚Digitalisierung‘ und ‚Institutionalisierung‘ als Gegenpole eines Kontinuums. Je nachdem, aus welcher Perspektive Alles digital? ! Auswirkungen der Digitalisierung 279 man sich der Thematik nähert, ergeben sich unterschiedliche Potenziale und Herausforderungen. Grundsätzlich ist der Modus der Digitalisierung als gesellschaftliche Entwicklung anzuerkennen und in den Bildungsinstitutionen aufzugreifen. Wenn diese allerdings auch als Orte des gemeinsamen und sozialen Lernens sowie der Persönlichkeitsbildung bestehen bleiben sollen, wird der Einfluss der Digitalisierung sich eher auf technische und methodische Aspekte konzentrieren. Mögliche Orientierungen in Form eines Leitbilds müssen daher aus meiner Sicht auch eine deutliche medienkritische Komponente umfassen. Die Digitalisierung führt zu einer Erweiterung der Lehr- und Lerninhalte auch im Fremdsprachenunterricht, da sie beispielsweise neue Textformen hervorbringt, deren Funktions- und Wirkungsweisen zu analysieren und zu verstehen sind. Allerdings ließe sich argumentieren, dass es vergleichbare Entwicklungen und Innovationspotenziale bereits in früheren Jahrzehnten gegeben hat und Bildungsprozesse immer auch eine erwartbare Reaktion auf und Antizipation von gesellschaftliche(n) Entwicklungen sind. Diese sind in ihrer Spezifität zu beforschen, aber nicht in komparativer Form. Das eingangs geschilderte Beispiel hat gezeigt, dass es sich bei analogen vs. digitalen Zugangsweisen oft schlicht um unterschiedliche Modi handelt, die auf den jeweiligen technischen Möglichkeiten beruhen und deren Kenntnis/ Beherrschung bisweilen generationsbzw. erfahrungsabhängig ist. In diesem Sinne lautet das abschließende Fazit meines Beitrags mit Blick auf Fremdsprachenunterricht und Fremdsprachendidaktik, trotz der vermeintlich großen Anforderungen der Digitalisierung, Besonnenheit walten zu lassen und der Komplexität des Gegenstandes angemessene, fundierte Entscheidungen zu treffen, manchmal auch ganz analog! 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Digitaler Wandel im inklusiven Englischunterricht Karin Vogt 1 Digitaler Wandel: Herausforderungen und Innovationspotenziale für den inklusiven Englischunterricht Der digitale Wandel erfasst in seinem Einfluss alle Lebensbereiche und prägt als fortlaufender Veränderungsprozess nachhaltig auch Lehr- und Lernprozesse etwa mit der ubiquitär verfügbaren Nutzung von digitalen Anwendungen und Services und damit zusammenhängend der Entstehung neuer Gewohnheiten. Er impliziert grundsätzlichen Wandel in der Verbreitung von Daten und in der sofortigen Verfügbarkeit von Informationen und Wissen. Dies betrifft ebenfalls die Rollen von Lernenden und Lehrenden und hat bezogen auf schulische Kontexte Einfluss u.a. auf die Gestaltung von Lernumgebungen und die Lehrer/ innenbildung. Digitale Medien spielen im Fremdsprachenunterricht seit den 1980er Jahren eine Rolle (historischer Überblick in Davies/ Otto/ Rüschoff 2013) und werden in unterschiedlichen Bildungskontexten beforscht (exemplarisch zum Selbstlernen Nandorf 2004; Würffel 2005; zur Integration von Lernsoftware Schmidt 2007; zu portablen elektronischen Wörterbüchern Diehr et al. 2016; zum kollaborativen Fremdsprachenlernen und -lehren in virtuellen Welten Biebighäuser 2014; Ludewig/ Vogt 2010; Zibelius 2014; zu Gamifizierung von Fremdsprachenlernen Dale Jones 2018). Obwohl digitale Medien auch in der Fremdsprachendidaktik verwendet (exemplarisch Martin 2015; Stanley 2013; Strasser 2012) und beforscht werden und sich etwa mit der Telekollaboration ein ganzer Forschungszweig etablierte (exemplarisch Guth/ Helm 2010; O’Dowd/ Lewis 2016), konnten sich digitale Medien vor allem in der Praxis des schulischen Fremdsprachenlernens nicht flächendeckend und nachhaltig durchsetzen. So konstatieren Torben Schmidt und Nicola Würffel (2018, 3), dass „von einer breiten und nachhaltigen Digitalisierung des Fremdsprachenunterrichts noch nicht die Rede sein [kann]“ (vgl. Würffel in diesem Band). Die Kultusministerkonferenz betont die Wichtigkeit von Digitalisierung im Zusammenhang mit der Entwicklung von Medienkompetenz, die als weitere Kulturtechnik beschrieben wird (KMK 2016). Dabei wird das Potenzial von digitalen Lernumgebungen betont für kollaboratives Lernen, individualisierte Lernszenarien, die von der Lehrkraft geschaffen werden, und die Verantwortung, die Lernende für ihr eigenes Lernen übernehmen können im Sinne von Lernerautonomie. Dieses Potenzial kann im Sinne von individuali- Karin Vogt 282 sierenden Lernumgebungen in einem inklusiven Fremdsprachenunterricht sehr gut genutzt werden. Trotz teils herausfordernder Hürden im Bereich der Infrastruktur und rechtlich-organisatorischer Rahmenbedingungen scheint der digitale Wandel gerade für das inklusive Fremdsprachenlernen und -lehren Vorteile zu bieten (z.B. Schmidt/ Strasser 2016; Strasser 2012). Die Ubiquität und sofortige Verfügbarkeit von Informationen ermöglicht differenzierende und individualisierende Lernarrangements innerhalb und außerhalb der Unterrichtszeit und des Klassenverbandes, etwa für notwendige hochfrequente Übungen für eine Kleingruppe oder individuelle Lernende. Die örtliche und zeitliche Unabhängigkeit der Nutzung bringt die Möglichkeit der Auslagerung von Arbeitsschritten z.B. zur Vorbereitung einer Rechercheaufgabe im Internet, zur visuellen Aufbereitung von Arbeitsergebnissen, zum Sammeln von individuellen Arbeitsergebnissen auf der digitalen Pinnwand Padlet oder zur Vorbereitung von begleitenden Übungen, die die Lernenden erstellen. Damit geht eine (potenziell) veränderte Qualität des Lernens einher, die diversitätssensibel die Potenziale der Lernenden aufgreift und (wo möglich und sinnvoll) in medial unterstützte fremdsprachliche Lernumgebungen überführt. Wenn Lernende mittels digitaler Tools die Gestaltung von Übungen, Aktivitäten zum Focus on form etc. für andere Lernende oder Gruppen übernehmen, übernehmen sie Verantwortung für Lernprozesse innerhalb der Gruppe, und es eröffnet sich die Möglichkeit der Verfolgung individualisierter Lernziele. Die Verbindung von virtuellen außerschulischen Lernorten mit dem fremdsprachlichen Klassenzimmer bedeutet für Lernende mit schwierigem sozioökonomischem Hintergrund oder körperlichen Beeinträchtigungen die Ermöglichung medial vermittelter Primärerfahrungen, die sie sonst ggf. nicht sammeln könnten. Insbesondere medial vermittelte Kommunikationsmöglichkeiten in der Fremdsprache durch das Erlebnis des direkten Austausches mit Sprecher/ innen der Zielsprache fördern die Neugier auf die Fremdsprache. Sie fungieren ggf. als Motivationshilfe für Lernende in heterogenen Lerngruppen, wenn sie in Unterstützungssysteme im Fremdsprachenunterricht eingebettet sind, z.B. Hilfe für Antworten in einem Telekollaborationsprojekt oder in der Gruppe verfasste Texte für die Kommunikation. Nicht nur, aber insbesondere für den inklusiven Fremdsprachenunterricht greift das Argument der Teilhabe an der digitalen Gesellschaft, die im Unterricht befördert werden soll (Windmüller-Jesse/ Talarico 2018; allgemein Filk 2019). Es besteht Konsens in der Literatur in der fremdsprachlichen Fachdidaktik (Grünewald 2006; Schmidt/ Strasser 2016) und Mediendidaktik (Kerres 2018) einerseits sowie bildungspolitischen Dokumenten (KMK 2016) andererseits darüber, dass bei digital unterstütztem Lernen der Primat der Didaktik bzw. Pädagogik gilt (KMK 2016, 4): „Lehren und Lernen in der digitalen Welt [muss] dem Primat des Pädagogischen folgen (…)“. Kerres (2008) benennt die Gefahr der beliebigen und unreflektierten Anwendung von digitalen Me- Digitaler Wandel im inklusiven Englischunterricht 283 dien ohne ein (fach-)didaktisches Konzept, auf der die Anwendung basiert. In der fremdsprachendidaktischen Forschung ist das Leitziel von Diskursfähigkeit in der Fremdsprache konsensuell, dem wir verpflichtet sind. Didaktische Konzepte zum Fremdsprachenlernen müssen digitale Medien mit einbeziehen, d.h. einbetten in vorhandene sinnvolle fremdsprachendidaktische Ansätze und Lernkontexte. Handlungsleitend sollten nach wie vor die Gütebzw. Qualitätskriterien für guten (Fremdsprachen)Unterricht sein. Für den inklusiven Fremdsprachenunterricht etwa spielen Ansätze der Aufgabenorientierung eine Rolle (exemplarisch Reckermann 2017), die bereits auf ihr Potenzial hin für digital gestütztes Fremdsprachenlernen untersucht wurde (Biebighäuser et al. 2012). Auch deren Potenzial für Differenzierung und Individualisierung des Unterrichts in inklusiven Lernsettings ist insbesondere in Verbindung mit Feusers (2011) inklusiver Didaktik „Lernen am Gemeinsamen Gegenstand“ bereits analysiert worden (Bartosch/ Köpfer 2015; Blume et al. 2018; Chilla/ Vogt 2017; Vogt 2017). Das Potenzial für Individualisierung und Differenzierung kann verstärkt werden durch den Einsatz digitaler Medien, um die Effizienz des Fremdsprachenunterrichts zu steigern und Lernenden in ihrer Diversität zunehmend gerecht zu werden (Blume/ Würffel 2018; für Beispiele aus der Grundschule Dausend/ Nickel 2017; Windmüller-Jesse/ Talarico 2018). Ein wichtiger Faktor, den man ggf. als ethischen Parameter charakterisieren kann, besteht in der Notwendigkeit der systematischen Implementierung von digitalen Medien im Rahmen von Teilhabe an einer Gesellschaft, die von digital geprägten Arbeits- und Lebensgewohnheiten geprägt ist. Das Argument der Teilhabe ist für alle zutreffend, insbesondere gilt es für Lernende mit Beeinträchtigungen und umfasst selbstverständlich auch den Bereich der assistive technology, der hier allerdings nicht im Vordergrund stehen soll. Auch der (schulische) Fremdsprachenunterricht sollte von diesem Bestreben geprägt sein, unter Berücksichtigung von sinnvollen fremdsprachendidaktischen Lernarrangements. Mit Aufgabenorientierung und Lernen am Gemeinsamen Gegenstand als didaktisch-methodischem Rahmen lässt sich die sukzessive und schwelleninduzierte „digitale Anreicherung“ des fremdsprachlichen Klassenzimmers (Schmidt/ Strasser 2016, 5) auf einer sinnvollen fremdsprachendidaktischen Basis realisieren, wobei empirische Forschung besonders im Bereich der Affordanzen von digitalen Medien im inklusiven Fremdsprachenunterricht noch weitgehend aussteht. 2 Einbettung digitaler Medien in den inklusiven Fremdsprachenunterricht Gesellschaftliches Leben und digitale Mediennutzung greifen so ineinander, dass sie untrennbar voneinander sind. In unterrichtlichen Kontexten und Karin Vogt 284 auch im Fremdsprachenunterricht kommen sie schon länger zum Einsatz (Grünewald 2016), wenn auch nicht systematisch. Daher stellt sich nicht die Frage, ob Medien zum Einsatz kommen sollten im (Fremdsprachen)Unterricht, sondern die Frage muss sein, wie Medien fremdsprachliche Lernprozesse unterstützen können und hier eine Rolle spielen können, die analoge Medien nicht einnehmen können. Interessant ist in diesem Zusammenhang der SAMR-Ansatz (Puentedura 2018), den Schmidt und Strasser (2018) auf den Einsatz digitaler Medien im Fremdsprachenunterricht übertragen und den ich bezogen auf einen inklusiven Englischunterricht weiterentwickeln und illustrieren möchte. Auf einer relativ basalen Ebene (Substitution) startend, tauscht die Lehrkraft lediglich analoge durch digitale Medien aus. Auf den Englischunterricht bezogen wäre das beispielsweise ein Youtube-Video zum Notting Hill Carnival, das die Lehrwerksunit komplettiert und ein analoges Video ersetzt, oder die Lehrkraft gibt den Lernenden eine (statische) Website zum Thema zu lesen statt eines gedruckten Textes. Die Funktion des eingesetzten Mediums ändert sich hier nicht. Es besteht die Möglichkeit, Zusatzfunktionen des digitalen Mediums lernfördernd und individualisierend zu nutzen. Für den inklusiven Englischunterricht könnte die (in Größe und Farbe anpassbare) Untertitelfunktion von YouTube-Videos verwendet werden, um den Lernenden, die dies benötigen, eine zusätzliche Verständnishilfe bereitzustellen, wobei damit die Grenzen zur nächsten Stufe fließend werden. Auf der folgenden Ebene des Modells wird Notting Hill auf Google Maps gesucht, um den Lernenden einen konkreten Eindruck zu Notting Hill als Stadtteil, zur Lage und Umgebung etc. zu geben. Hier ersetzt die Anwendung ebenfalls das analoge Medium Karte, jedoch gibt es eine funktionale Verbesserung (Augmentation), indem gewechselt werden kann zwischen der Satellitenansicht und der kartografischen Ansicht, man mit Street View auch eine 360°-Sicht der Örtlichkeiten erhält etc. Auch hier ergeben sich die Möglichkeiten von zusätzlichen individualisierenden Funktionen, wenn z.B. die Gruppen von Lernenden mittels Google Maps eine ansatzweise Sozialtopografie des Stadtteils erstellen, der dessen Gentrifizierung darstellt. Mittels (einfach zu differenzierenden) Fragen nach den Gegebenheiten im Stadtteil (Was gibt es für Restaurants, Geschäfte, Hotels? Wie heißen sie? Wie teuer sind sie? Wie sehen die Wohnhäuser aus? Wie hoch ist dort wohl die Miete? Welche anderen Dinge gibt es zu tun (leisure centre, youth club)? ) tragen die Lernenden arbeitsteilig und nach ihren Möglichkeiten und Interessen die Informationen zusammen, auf deren Basis man gemeinsam nachzeichnet, welche Entwicklung der Stadtteil seit den Anfängen des Notting Hill Carnival genommen hat. Auf der nächsten Ebene ermöglicht der Einsatz der Technologie eine Erweiterung der Aktivität oder Aufgabe. Um beim Beispiel zu bleiben, würden die Lernenden das Video zum Notting Hill Carnival mittels der Kommentar- Digitaler Wandel im inklusiven Englischunterricht 285 funktion bewerten oder kommentieren und so die Fremdsprache verwenden, um einen Text für ein potenziell großes (und zielsprachiges) Publikum zu verfassen. Auf der Ebene der Lernziele würde dies weit über die rezeptiven Kompetenzen des fremdsprachlichen Hör-/ Sehverstehens hinausgehen. Diese Aktivität kann wiederum für den inklusiven Fremdsprachenunterricht unterstützt werden mit Tools wie dem Übersetzungsprogramm DeepL (das Übersetzungsergebnis wird gemeinsam vor dem Abschicken auf Angemessenheit kontrolliert) und je nach geplantem Beitrag unterschiedliche Komplexitätsgrade aufweisen. Alternativ können Gruppen Beiträge (ohne Hochladen) verfassen, wobei der beste als „Gruppenkommentar“ von der Lehrkraft hochgeladen wird. Die letzte Stufe des Modells (Redefinition) impliziert die Möglichkeit des Einsatzes neuer (und andersartiger) Aufgaben, die ohne den Technologieeinsatz nicht darstellbar wären. Auf der Stufe der Redefinition würden die Lernenden z.B. mittels einer Animationssoftware (Powtoon, Explainity o.ä.) ausgehend von den Informationen in Film und Lehrwerk einen Erklärfilm über den Notting Hill Carnival machen und wählen, ob sie etwa Videosnippets einbinden. In einer inklusiven Lerngruppe wären die möglichen Erklärvideos alle über Notting Hill als Gemeinsamem Gegenstand mit unterschiedlichen Ausprägungen hinsichtlich Länge, sprachlicher und inhaltlicher Komplexität sowie thematischem Schwerpunkt. In diesem Modell sind die beiden letzten Stufen als Ziel von digitalisiertem Fremdsprachenunterricht zu bezeichnen, wobei sich der Übergang insbesondere in technikkritischen Umgebungen fließend gestalten sollte. Das Vorhandensein der notwendigen didaktischen Konzepte für einen inklusiven Fremdsprachenunterricht stellt eine notwendige Voraussetzung dar. 3 A future that arrived early - Forschungsdesiderata für den „digitalen“ inklusiven Fremdsprachenunterricht und Konsequenzen für die hochschulische Lehrer/ innenbildung Insgesamt stellt digital unterstütztes Fremdsprachenlehren und -lernen ein sehr umfassendes Forschungsfeld dar, das sowohl national als auch international bereits seit mehreren Dekaden bearbeitet wird. Bei einem Blick in die einschlägigen Fachzeitschriften wird deutlich, dass sich das Feld enorm differenziert hat. Zu betonen ist das kommunikative Element des Fremdsprachenunterrichts, das sich in der Einbeziehung telekollaborativer Elemente niederschlägt und recht gut beforscht ist (Überblick in O’Dowd 2018). Dennoch entsteht der Eindruck, dass die fremdsprachendidaktische Forschung kaum Schritt zu halten vermag angesichts der dynamischen Entwicklungen im technischen Bereich. Karin Vogt 286 Schmidt/ Strasser (2018) identifizieren vier große technologische und pädagogische Trends, nämlich mobile learning (Mitschian 2010; Stockwell 2013), big data, learning analytics und game-based digital language learning (Sykes/ Reinhardt 2013). Meines Wissens gibt es noch gar keine empirisch basierten Erkenntnisse zu big data und learning analytics in der Fremdsprachenforschung, so dass Forschungsvorhaben hier nur in Kooperation mit in diesen Bereichen weiter fortgeschrittenen Disziplinen wie Informatik oder Psychologie durchgeführt werden können. Mobile learning und game-based digital language learning stellen Bereiche dar, in denen es bereits fremdsprachendidaktische Forschung im deutschsprachigen Kontext gibt, die jedoch für den Bereich von digital game-based learning noch ausgeweitet werden kann, z.B. in Hinblick auf das individualisierende Potenzial von digital game-based learning (Blume et al. 2017). Exemplarisch möchte ich mobiles Lernen, besonders Bring Your Own Device (BYOD), herausgreifen und Forschungsdesiderata insbesondere für den inklusiven Fremdsprachenunterricht zuspitzen. Laut Feick (2014; 2018) hat mobiles Lernen (auch Mobile-Assisted Language Learning, MALL) aufgrund seiner Multifunktionalität die Möglichkeit zur Verbindung institutioneller Lernorte wie der Schule und der Lebenswelt der Lernenden, da die Anwendungen, die sie aus dem Alltag kennen, eine Funktion für das Fremdsprachenlernen erhalten. Das Alltagsgerät Smartphone bzw. Tablet verändert sich hin zu einem Wissensinstrument, mit dem u.a. Fremdsprachen gelernt werden, und zwar mit der gesamten Bandbreite der verfügbaren multimedialen Anwendungen und Services. Angelehnt an Feick (2014, 20f.) kann das Handy charakterisiert werden als Textmedium (z.B. Whatsapp/ Instant Messaging), als Bildmedium (z.B. Fotos für Bildergeschichten, Fotosafari, Bilder als Sprech-/ Schreibanlass für eine Aufgabe in einem digitalen Portfolio), als Audiomedium (z.B. Podcasts, Musik in der Zielsprache, Interviewprojekte), als Videomedium (z.B. Aufzeichnung von Dialogen, Erklärvideos, digital storytelling), als Universalmedium mit Alltagsanwendungen, die zum Fremdsprachenlernen genutzt werden können (z.B. Skype, Twitter, Microblogs, Apps). Hier können die Anwendungen mobilen Lernens inhaltliche Differenzierung interessengeleitet ermöglichen, Tools zur Hilfestellung bei der Bewältigung kommunikativer Aufgaben (Wörterbuch, Erklärvideos) bereitstellen und so unterschiedliche Lernausgangslagen einbeziehen. Auch neuere Arten von mobilem Lernen wie Augmented Reality können realisiert werden und befördern potenziell die Kompetenzentwicklung in der Fremdsprache im inklusiven Fremdsprachenunterricht, wo etwa die Multimodalität i.S.v. multisensorischem Fremdsprachenlernen eine lernförderliche Rolle spielen kann. Heinz (2018) stellt eine Diskrepanz fest zwischen angenommenem Lerneffekt und tatsächlicher Evidenzbasierung in diesem Bereich. Ähnlich identifizieren Duman et al. (2015) in ihrem Forschungsüberblick zu MALL von 2000 bis 2012 einen Schwerpunkt auf Wortschatzlernen, während sie Aspekte Digitaler Wandel im inklusiven Englischunterricht 287 wie Schreibprozessunterstützung und Grammatikerwerb nur selten ausmachen können und zahlreiche Bereiche nahezu nicht präsent sind, z.B. pädagogisch-didaktische Konzepte, Lernerstrategien und -präferenzen in digitalen Lernumgebungen. Fragen der Professionalisierung von Lehrkräften in den unterschiedlichen Phasen der Lehrer/ innenbildung sind noch nicht beforscht und stellen gerade für den inklusiven Fremdsprachenunterricht, der zusätzlich noch die Gegebenheiten der interbzw. multiprofessionellen Teams berücksichtigen muss, ein Forschungsdesideratum dar. Bezogen auf das mobil assistierte Fremdsprachenlernen von Lernenden mit speziellen Förderbedarfen bzw. unterschiedlichen Lernvoraussetzungen gibt es laut Duman et al. (2015) kaum evidenzbasierte Erkenntnisse. Hier interessiert insbesondere die Frage, wie Synergien zwischen MALL und inklusivem Fremdsprachenunterricht geschaffen werden können. Wie können Smartphones lernförderlich und eingebettet in differenzierende Lernaufgaben am Gemeinsamen Gegenstand eingesetzt werden? Welche Strategien verfolgen unterschiedliche Lernende mit verschiedenen Lernvoraussetzungen beim MALL und wie können sie in ihrem individuellen fremdsprachlichen Kompetenzerwerb unterstützt werden? Welche Rolle spielen dabei die Lehrkräfte in multiprofessionellen Teams? Die Formulierung dieser Auswahl von Forschungsfragen zeigt, dass MALL eingebettet in einem größeren Lernkontext betrachtet und beforscht werden muss. In einer neueren Studie zu MALL in Deutschland von Heinz (2018), in der sie 17 Schulklassen (Tablet-Klassen) an bayerischen Sekundarschulen und deren Englischlehrkräfte zu deren Bewertung des Tablet-Einsatzes im Englischunterricht befragte, zur Unterrichtswirklichkeit des Englischunterrichts mit mobilem Lernen und zu Kompetenzbereichen, die tabletgestützt unterrichtet werden. Zwar ist das Forschungsprojekt nicht auf inklusive Kontexte bezogen, es lassen sich aber aus den Ergebnissen einige Aussagen zum Potenzial von MALL für individualisiertes Fremdsprachenlernen ableiten. Lernende können etwa im Bereich des Hör-/ Hör-Seh-Verstehens mittels MALL im eigenen Tempo Hörtexte oder Filme in ihrem eigenen Tempo rezipieren, Hilfsmittel wie elektronische Wörterbücher sofort zu Hilfe ziehen und ganz allgemein die Affordanzen der multimodalen Anwendungen positiv für ihre Lernpräferenzen nutzen. Insofern identifiziert sie Potenzial von MALL für individualisiertes Fremdsprachenlernen, was eine Voraussetzung für inklusive Kontexte ist. Heinz (2018) betont jedoch auch die Rolle der Lehrkraft als Impulsgeber/ in und Gestalter/ in von digitalen Lernszenarien. Sie unterstreicht ebenso die Wichtigkeit der Unterrichtsqualität im Sinne einer sinnvollen didaktischen Einbettung des Tools. Die Rolle der Lehrkraft in inklusiven Kontexten ist noch zu explorieren (nicht nur in Verbindung mit MALL). Daran schließen sich weitere Forschungsfragen im größeren Kontext von inklusivem Fremdsprachenunterricht an. Wie können (zukünftige) Fremdsprachenlehrkräfte auf digitales Karin Vogt 288 Fremdsprachenlernen in inklusiven Kontexten gut vorbereitet werden? Welche Perzeptionen seitens der Lehrenden und Lernenden sind vorhanden beim Einsatz von digitalen Medien im inklusiven Fremdsprachenunterricht? Haben BYOD-Konzepte im inklusiven Fremdsprachenunterricht motivationale Vorteile (wie die Ergebnisse von Heinz (2018) andeuten), und für welche Arten von Lernenden (z.B. Förderbedarf Lernen) trifft dies unter welchen Umständen mit welchen Inhalten und Aufgabenformaten zu? Sind durch den Einsatz von z.B. MALL vermehrte Kompetenzzuwächse zu verzeichnen und bei wem in welchen Bereichen? Welche Möglichkeiten der Individualisierung lassen sich sinnvoll BYOD-gestützt durchführen und mit welchem Ergebnis? Lassen sich eher simplistisch strukturierte Anwendungen mit komplexen Lernaufgaben am Gemeinsamen Gegenstand verbinden und wenn ja, wie? Es wird an dieser Stelle sehr deutlich, dass es noch erheblichen Forschungsbedarf gibt. Welche Konsequenzen hat die Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit für die universitäre Lehrerbildung? Für Lehrkräfte in der ersten Phase sind digitale Anwendungen m.E. am geeignetsten für den Einsatz, die an den jeweiligen mediendidaktischen Kompetenzständen anknüpfen und die ihre lebensweltlichen Erfahrungen mit aufnehmen, um ggf. Ängste abzubauen und Selbstwirksamkeit in medialer Hinsicht erfahrbar zu machen. Hier kann bei der Erschaffung von digital unterstützten fremdsprachendidaktischen Lernumgebungen auf das zuvor beschriebene SAMR-Modell rekurriert werden, um den Einsatz digitaler Medien flexibel an die technischorganisatorischen Gegebenheiten, hochschuldidaktischen Lernvoraussetzungen und -ziele etc. anzupassen. Vorstellbar und wünschenswert in hochschulischen Kontexten, die über eine vergleichbar bessere Infrastruktur verfügen, ist eine kooperative Herangehensweise, zwischen den Peers untereinander oder unterschiedlichen Phasen der Lehrer/ innenbildung (erste und dritte Phase). Bezogen auf inklusive Lernkontexte beträfe die Kooperation auch die digital gestützte interprofessionelle Zusammenarbeit, um kooperative Lernformen zu gestalten, die durch mediale Lernumgebungen (Lernplattformen, Videokonferenzen, Onlinemeetings, etc.) erst möglich werden. Damit würde die Gegenwart vielleicht nicht ganz so schnell von der Zukunft eingeholt. Literatur Bartosch, Roman/ Köpfer, Andreas (2015): „Stadtnatur als Gemeinsamer Gegenstand im inklusiven Englischunterricht - Spannungsfelder und Möglichkeiten in der didaktischen Fachdiskussion“. In: Bongartz, Christiane M./ Rohde, Andreas (Hrsg.): Inklusion im Englischunterricht. Frankfurt a.M.: Lang, 195-208. Biebighäuser, Katrin/ Zibelius, Maja/ Schmidt, Torben (Hrsg.) (2012): Aufgaben 2.0 - Konzepte, Materialien und Methoden für das Fremdsprachenlernen. Tübingen: Narr. Digitaler Wandel im inklusiven Englischunterricht 289 Biebighäuser, Katrin (2014): Fremdsprachenlernen in virtuellen Welten. 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Ausgangspunkt ist hier also nicht primär die Betrachtung der ‚neuen Medien‘ und die Frage, wie sie das Fremdsprachenlernen unterstützen können, sondern Ausgangspunkt ist die Forderung einer tiefgehenden Veränderung des FUs, die Realisierung neuer Formen des fremdsprachlichen Lernens, die aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen nötig erscheinen. Für die Autoren gehen diese nötigen neuen Formen einher mit einer stärkeren Betrachtung der Prozesshaftigkeit von Unterricht, einer Stärkung der Selbststeuerung der Lernenden (im Sinne eines eigenverantwortlichen Lernens) sowie einem methodischen Wechsel hin zu einer konsequenteren Integration von authentischen Aufgaben, authentischen Interaktionen und des sozialen Lernens (vgl. ibid., 247-250). Den damals noch recht neuen Technologien schrieben Rüschoff und Wolff für die Umsetzung der von ihnen geforderten neuen Formen des fremdsprachlichen Lernens eine entscheidende Rolle zu (vgl. ibid., 51-54): • Neue Technologien hätten einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft und böten so die nötige Antriebskraft für weitgehende Veränderungen. • Sie sprächen durch ihre Multimedialität mehrere Sinne gleichzeitig an und seien deshalb lerneffizienter. • Sie machten eine praktisch unbegrenzte Informationsmenge und -vielfalt in den unterschiedlichsten perzeptuellen Modalitäten zugänglich und böten deshalb ein hohes Potential als Lernressource. Fremdsprachenlernen für den Hang-Out-Space? 293 • Sie zeichneten sich durch ihre Interaktivität und ihre Hypertextstruktur aus. • Die Arbeit mit ihnen wäre zeit- und ortsunabhängig. • Sie passten sich der individuellen Lerngeschwindigkeit der Nutzenden an. Ähnliche Erwartungen finden sich in einem Artikel von Michael Legutke aus demselben Jahr (in der Veröffentlichung der Frühjahrskonferenz, die sich 1999 mit der Erforschung von Lehr- und Lernmaterialien beschäftigte). Sein Artikel setzt sich mit dem Thema der digitalen Medien und der Produktion von komplexen Lernwelten auseinander und beginnt mit der Darstellung von sechs Tendenzen, die er in Bezug auf die Weiterentwicklung von Lehrwerken wahrzunehmen meinte und in engen Zusammenhang mit der Verbreitung der digitalen Medien brachte. In den sechs Tendenzen beschreibt er in ähnlicher Weise, wie es Rüschoff und Wolff tun, die für den FU wichtigen Charakteristika der neuen digitalen Medien. Er prognostiziert, dass mithilfe der vielen zugänglichen Texte im Internet sowie den Bearbeitungsmöglichkeiten digitaler Werkzeuge Lehrende und vor allem Lernenden zukünftig viel aktiver und kreativer an der Schaffung der gemeinsamen Lernwelten beteiligt werden würden. Damit sei die Zeit des Monopols der Lehrenden und vor allem des Lernwerks als oft primärer und einziger Textquelle zu Ende. Er unterstreicht zudem, dass die neuen Möglichkeiten zur direkten Kontaktaufnahme mit Zielsprachensprechenden dem FU die Schaffung neuer Interaktionsräume eröffneten, die direkt in den Unterricht integriert werden und diesen damit nach außen öffnen könnten (vgl. ibid., 129-131). Im Grunde war damit schon 1999 (fast) alles Wichtige gesagt. 2 Aktuelle Einschätzungen zu den Potenzialen digitaler Medien für den Fremdsprachenunterricht Die Einschätzung der Potenziale der digitalen Medien für den FU haben sich seitdem stark auseinanderentwickelt: Liest man praxisnahe Publikationen (wie z.B. in Fremdsprache Deutsch 53 von 2015; Praxis Fremdsprachenunterricht Russisch 14/ 4; Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 51/ 149; Englisch 5 bis 10 2/ 38 oder Französisch heute 48/ 2, alle von 2017), so wird im Kern auf ähnliche Potenziale hingewiesen, wie sie am Ende der 1990er Jahre schon festgestellt wurden. Besonders beliebt sind Vorschläge zu folgenden Einsatzszenarien: • Internetrecherchen, zum Teil auch stärker gesteuert durch die Nutzung des Aufgabenformats der Webquests, • Einsatz von digitalen Medien in Projekten - dort vor allem die produktive Nutzung von digitalen Werkzeugen zur Erstellung von Text-, Bild-, Audio- oder Videobeiträgen, Nicola Würffel 294 • Einsatz und Didaktisierung von Kurzfilmbeiträgen (meist YouTube- Videos) im Unterricht, • Nutzung von Wikis und Blogs, um das (kooperative oder selbstreflexive) Schreiben der Lernenden zu fördern, • Gebrauch von digitalen Spielen, • Anwendung von Blended-Learning-Szenarien. Die Darstellung der Potenziale erfolgt, anders als am Ende des 20. Jahrhunderts, häufig ohne eine gleichzeitige Forderung nach einer tiefergehenden Veränderung des FUs bzw. -lernens. Es finden sich vielmehr sehr pragmatische Vorschläge, wie digitale Medien in den bestehenden Unterricht eingepasst werden, wie sie die Arbeit mit Lehrwerken ergänzen können etc. - ganz im Sinne eines Anreicherungskonzepts, in dem der offensichtlich immer noch als Normalfall angesehene Präsenzunterricht ohne digitale Medien durch einen Einsatz dieser erweitert wird. Ein Mehrwert wird dabei nicht immer deutlich, im Gegenteil: Man fragt sich bei vielen Vorschlägen, wieso hier überhaupt digitale Medien eingesetzt werden und nicht auf nicht-digitale zurückgegriffen wird, die vorher für dieselben Lernziele eingesetzt worden sind. Mir scheint, dass aktuell in praxisnahen Zeitschriften und auch in Fortbildungen das Ziel verfolgt wird, auf diese Weise möglichst niederschwellige Angebote zu machen, um auch nicht medienaffine Lehrende zum Einsatz digitaler Medien anzuregen. Das erscheint durchaus sinnvoll - es kann aber auch das Gegenteil bewirken, weil die Lehrenden dann zu Recht fragen, wieso überhaupt ein Medienwandel stattfinden muss, wenn die angestrebten Lernziele genauso gut (oder sogar besser) ohne digitale Medien erreicht werden können oder sich nur geringfügige Vorteile ergeben (bei häufig erhöhten zeitlichen Aufwand). Differenziertere Einschätzungen zu den Potenzialen digitaler Medien für das Fremdsprachenlernen finden sich in forschungsorientiert(er)en Überblickswerken, vor allem aus dem englischsprachigen Raum (vgl. Chapelle/ Sauro 2017; Farr/ Murray 2016; Hockly 2016). In diesen Zusammenfassungen finden sich erstens Beiträge, die den Nutzen digitaler Medien für die Unterstützung der klassischen Bereiche des FUs darstellen; zweitens gibt es Beiträge, die methodische Ansätze diskutieren, die durch digitale Medien erst ermöglicht oder zumindest stark ausgeweitet worden sind (Blended Learning, korpusbasiertes Lernen und data driven learning, Telekollaboration, Lernen in virtuellen Welten, mobiles Lernen, spielerisches Lernen bzw. Gaming, fachsprachenbezogenes Lernen); und drittens werden Forschungsfragen und -zugänge thematisiert (vgl. hierzu vor allem den Überblicksartikel von Levy 2016). Von besonderem Interesse sind aus meiner Sicht in diesen Bänden insbesondere zwei Formen von Beiträgen: Die, die sich grundlegend mit den Forschungsfragen und -zugängen beschäftigen (vgl. hierzu Kapitel 5), und die, in denen die eingesetzten Medien bzw. die dargestellten Szenarien einen echten Fremdsprachenlernen für den Hang-Out-Space? 295 Mehrwert erkennen lassen. Unter einem echten Mehrwert verstehe ich, dass sich mithilfe des Mediums im Unterricht bzw. beim Lernen fundamental etwas ändert - ein neues Lernziel gesetzt und erreicht werden kann, neue Lernmöglichkeiten geschaffen und/ oder Lernprozesse deutlich erleichtert, beschleunigt oder effizienter gestaltet werden können, neue Arbeits- und Interaktionsformen eröffnet werden etc. - immer im Vergleich zu einem Unterricht/ einem Lernen, die ohne digitale Medien realisiert werden. Ich möchte nur auf zwei Anwendungen beispielhaft eingehen, auf die Bedeutung bzw. den Mehrwert des Einsatzes elektronischer Korpora und den des Einsatzes von Audio- und Videokonferenzsystemen. Die Nutzung von elektronischen Korpora (häufig in Kombination mit Konkordanzprogrammen) eröffnet für verschiedene Bereiche des Fremdsprachenlernens neue Möglichkeiten; hingewiesen wird auf die Potenziale für den selbstgesteuerteren Umgang mit der Sprache, indem Lernende sich in einem Prozess des data driven learning z.B. Grammatikstrukturen oder Wortbedeutungen selbstentdeckend aneignen, ihre language awareness steigern, ihr Schreiben verbessern etc. (vgl. Cotos 2017). Inzwischen sind zu elektronischen Korpora viele zusätzliche Anwendungen entwickelt worden, einige davon arbeiten mit natural language processing (NLP). Die Kombination aus beiden ermöglicht nicht nur eine noch zielgerichtetere Nutzung diverser Korpora (besonders zur Unterstützung des textsortenangemessenen Schreibens, vgl. Cotos 2017, 256-259), sondern sie erlaubt auch das Generieren von (besserem) interaktivem Feedback und die Entwicklung intelligenterer adaptiver Systeme. So werden u.a. auf dieser Grundlage für wohldefinierte Bereiche inzwischen gut funktionierende Chatbots entwickelt (wie sie einem in vielen Hotlines begegnen). Für das Erlernen von Sprachen stellt sich die Lage allerdings nicht so einfach dar, da es sich bei Sprache als zu erlernendem Gegenstand um keine wohldefinierte Domäne handelt. In dem oben genannten Beispiel dürfen und sollen Chatbots sprachliche Fehler und Charakteristika der sprachlichen Entwicklung robust ignorieren. Entwickelt man Chatbots für Sprachenlernende, stellt sich die Situation aber ganz anders dar: Die Chatbots müssen so programmiert sein, dass sie als adaptive Systeme gerade auf die Fehler und Charakteristika der sprachlichen Entwicklung der Lernenden mit einem geeigneten Feedback reagieren (vgl. Meurers et al. 2018, 67). Damit sie das können, müssten sie die fehlerhaften Äußerungen analysieren können. Dafür wurden aber die computerlinguistischen Analysemethoden, die bislang von Chatbots genutzt werden, nicht entwickelt und optimiert Es bedarf also sowohl der Schaffung großer (fremdsprachiger) Lernerkorpora als auch der spezifischen Anpassung der Analysemethoden (oder einer Unterlegung fehlerhafter fremdsprachiger Äußerungen mit einer normgerechten ‚Übersetzung‘, die dann für die Analyseprogramme automatisiert erkennbar und untersuchbar Nicola Würffel 296 ist; vgl. für ein erstes solches Projekt das MERLIN Korpus und die Ausführungen dazu in Abel et al. 2014). Besonders schwierig ist es zudem, intelligentes Feedback für Aufgaben zu erzeugen. Meurers et al. (2018) weisen darauf hin, dass die langsame Entwicklung hier u.a. darin begründet sei, dass die in der ICALL-Forschung entwickelten Anwendungen Ergebnisse aus der Fremdsprachenforschung zu sinnvollen Aufgaben- und Feedbacktypen und zu Lernenden nur unzureichend berücksichtigt hätten und zudem nie in realen Kontexten getestet worden seien - ein Desiderat, dem Meurers und Kollegen sowie Kolleginnen durch ihre Arbeiten begegnen wollen (vgl. ebd.). Die Möglichkeiten, die sich durch die Entwicklung adaptiver Technologien wiederum für das Fremdsprachenlehren und -lernen ergeben können, werden aus meiner Sicht aktuell nicht ausreichend wahr- oder ernstgenommen. Sie gehen weit über eine auf das Grammatiklernen oder das selbstgesteuerte Lernen beschränkte Anwendung hinaus und betreffen sowohl das Thema Differenzierung und individuelle Förderung von Lernenden (vgl. hierzu Schmidt/ Würffel 2018) als auch die Unterstützung der diagnostischen Fähigkeiten von Lehrenden. Die unzureichende Wahrnehmung bzw. das fehlende Engagement, hier maßgeblich voranzukommen, mag damit zusammenhängen, dass es bislang erst wenige Anwendungsbeispiele gibt, von denen man berechtigterweise in absehbarer Zeit eine Marktreife erwarten kann. Das liegt aber - anders als noch Anfang der 2000 Jahre - nicht daran, dass es die nötige Technik nicht gibt. Es liegt eher daran, dass die Erstellung zeit- und ressourcenintensiv ist und in kleineren Projekten eben auch nur überschaubare Ergebnisse erzielt werden können. Ich stimme deshalb Meurers et al. (2018) zu, die darauf hinweisen, dass „ein nachhaltiger Fortschritt in der Forschung und Entwicklung solcher Systeme […] spezifische Förderprogramme und gesetzliche Vorgaben“ benötigt (ebd., 80). Spricht man in der Fremdsprachendidaktik über Telekollaborationsprojekte, so erscheint das fast schon als alter Hut - gibt es diese doch seit Mitte der 1980er Jahre. Wurden sie zu Beginn vor allem als E-Mail-Projekte zur Unterstützung des Schreibens und des interkulturellen Lernens durchgeführt, haben sich die Zielsetzungen und die Nutzung der eingesetzten Kommunikations- und Kooperationswerkzeuge deutlich erweitert. Forschung zu den inzwischen häufig als virtual exchange benannten virtuellen Austauschprojekten zwischen L2-Lernenden und L1-Sprechenden oder zwischen lokal entfernten Gruppen von L2-Lernenden zeigt, dass diese Projekte zwar häufig organisatorisch für Lehrende (und zum Teil auch für Lernende) eine Herausforderung darstellen, von L2-Lernenden aber fast immer als lernwirksam wahrgenommen werden - und als klarer Zugewinn zum ‚normalen‘ Unterricht (für vielfältige Beispiele vgl. die eTwinning-Plattform oder für einen Überblick zu virtual exchanges in der Ausbildung von Lehrenden vgl. Würffel 2016). Fremdsprachenlernen für den Hang-Out-Space? 297 3 Einschätzung der aktuellen Nutzung digitaler Medien für den FU Seit knapp zwei Jahrzehnten liegen also Erwartungen und Hoffnungen bezüglich nützlicher Charakteristika digitaler Technologien für den FU auf dem Tisch der Fremdsprachendidaktik, die vor allem in den Anfangsjahren stark mit Visionen eines veränderten FUs verbunden waren. Wie stellt sich die Unterrichtswirklichkeit 2019 dar? Um es vorweg zu sagen: Die in Kapitel 1 genannten Autoren waren mit ihren Hoffnungen auf einen Paradigmenwechsel bzw. auf eine sich grundlegend verändernde Unterrichtswirklichkeit der Zeit weit voraus; und Projekte von Detmar Meurers (und Kolleginnen und Kollegen) in Tübingen oder auch von Torben Schmidt (und Kolleginnen und Kollegen) in Lüneburg gehören zu den wenigen, die im Bereich der Entwicklung adaptiver Systeme für das Fremdsprachenlernen in Deutschland arbeiten und forschen. In der Fläche sehen der fremdsprachliche Unterrichtsraum und das Fremdsprachenlernen vieler Lernender noch sehr ähnlich aus wie vor der starken Verbreitung der digitalen Medien in der Gesellschaft. Von einer tiefergreifenden Veränderung kann nicht die Rede sein - wenn, dann sind die Veränderungen nur gradueller Natur. Wieso kommen die wirklich innovativen, d.h. verändernden Einsatzszenarien nicht flächendeckender in der Praxis an? Zunächst muss man betonen, dass die unbefriedigende Entwicklung zumindest in Deutschland natürlich auch mit einer weiterhin schlechten finanziellen Förderung von staatlicher Seite (in allen Bereichen: der Ausstattung, dem Support, der Förderung von Entwicklungen und Forschungsprojekten) zu tun hat, die vieles hemmt. Es gibt aber auch noch andere Gründe. Um den aktuellen Status quo des Einsatzes digitaler Medien in Lehr- und Lernzusammenhängen in Deutschland zu beschreiben, wählt der Deutschdidaktiker Axel Krommer (2017) den provokativen Begriff der „palliativen Technik“. Unter diesem von ihm geschaffenen Neologismus möchte Krommer Folgendes verstanden wissen: Zusammenfassende Bezeichnung für technische Maßnahmen (Tools, Apps, Whiteboards etc.), die nicht das Ziel verfolgen, das Schulsystem im Zeichen der Digitalisierung grundlegend zu verändern (bzw. zu „heilen“), sondern lediglich dazu beitragen, dass die Schüler(innen) im traditionellen (bzw. als „krank“ empfundenen) System bestmöglich angepasst sind. In einer schwächeren Lesart stützt sich der Begriff auf die Bedeutung des lateinischen Verbs „palliare“, das „ummanteln“ meint. Palliative Technik ist dann digitale Technik, mit der Analoges nur ummantelt, nicht aber grundlegend verändert wird (vgl. Krommer 2017 o.S.). Ein Hauptproblem des aktuellen (mehr geforderten, statt umgesetzten) digitalen Wandels in der Pädagogik und den Fachdidaktiken sei, dass es so lange gar keinen Wandel geben könne, wie der Rahmen, in dem die Pädagogik und Nicola Würffel 298 Didaktik denken, noch immer der ‚Gutenbergsche‘ sei, also einer, der die Buchkultur als Normalität setze und deshalb diese für alle didaktischen Überlegungen als Maßstab nutze. Ein digitaler Wandel könne erst stattfinden, wenn der Bezugsrahmen neu bestimmt werde und dieser Bezugsrahmen die Veränderungen, die digitale Medien in Bezug auf das Lernen schon angestoßen haben oder dabei sind anzustoßen, realisiere. Krommer (2017) versteht dies als notwendigen Paradigmenwechsel - womit sich eine spannende Nähe zu den Äußerungen von Rüschoff und Wolff (1999) auftut. Damit ein Paradigmenwechsel stattfinden könne, müsse die Rolle der Technik anders gewertet werden - auch dies eine interessante Überschneidung zwischen Rüschoff, Wolff und Krommer: Wie oben ausgeführt, sahen Rüschoff und Wolff die digitalen Medien als Motor für Veränderungen. Damit war aber eben nicht gemeint, dass die Veränderung in der neuen Technik bestehe und dass es reiche, analoge durch digitale Medien zu ersetzen, um guten Unterricht in einer digitalen Welt zu machen. So weist Krommer (2018) darauf hin, dass eine Äußerung wie der (gerade auch in der Tagespresse mehrfach zitierte) Grundsatz „Pädagogik vor Technik“ von Zierer (2017) im besten Fall trivial sei (da ihm kein/ e Bildungswissenschaftler/ in oder Didaktiker/ in widersprechen würde) oder im schlimmsten Fall verschleiernd und hemmend wirke, weil er verkenne, wie stark didaktische Entscheidungen und Handlungen durch die genutzte Technik (und das kann auch Buch und Schrift sein) bestimmt würden. Es ist also an der Zeit, stärker über die Veränderungen der Kontexte - vor allem der Kontexte der fremdsprachlichen Anwendungs- und Handlungskontexte, die sich durch die Digitalisierung weiter Teile unseres Alltagswie auch Berufslebens schon verändert haben - und damit auch über die Veränderungen von Lernzielen nachzudenken: Denn die veränderten bzw. sich verändernden Kontexte erfordern eine Anpassung der Kompetenzbeschreibungen für das Fremdsprachenlernen (und damit meine ich jetzt nicht einmal eine allgemeine digital literacy, sondern auch sprachspezifische Kompetenzen wie z.B. eine sprachliche und interkulturelle Nutzungskompetenz für Übersetzungsapps, die es ermöglicht, die aktuellen Schwächen solcher Übersetzungssysteme einzuschätzen, im Vollzug zu bemerken und durch geeignete Strategien auszugleichen), für Inhalte, Methoden und damit eben auch von Lernzielen eines modernen, postmodernen oder zukünftigen FUs. In den letzten 20 Jahren konnte man stattdessen beobachten, dass häufig die Technik mit der Hoffnung (oder auch der Angst) überfrachtet wurde, dass sie die Unterrichtswirklichkeit grundlegend ändern würde. Das aber konnte nur kontraproduktiv sein: Wenn man nur die genutzten Medien bzw. die Technik austauscht, sonst aber nichts ändert, findet keine wirkliche Entwicklung statt. Zudem kann man mit den völlig unterschiedlichen digitalen Medien alle Prinzipien und Methoden des FUs unterstützen - eine Digitalisierung kann also genauso gut für den Ausbau bestimmter Prinzipien genutzt werden Fremdsprachenlernen für den Hang-Out-Space? 299 wie zur Fortführung eines Methodeneklektizismus. Letzteres wiederum ist genau das, was aus meiner Sicht in den letzten 20 Jahren häufig passiert ist (vgl. Würffel 2018b). Eine Transformation des FUs kann und wird nur stattfinden, wenn Lehr- und Lerngewohnheiten umfassend geändert, eingeübte Verhaltensmuster abgeändert oder aufgegeben, neue Routinen und neue methodische Ansätze entwickelt oder auch schon entwickelte konsequent(er) umgesetzt werden. In einem grundsätzlichen Sinne geht es also darum, die sogenannten Prinzipien eines modernen FUs (wie die Lernerorientierung, die Förderung der Selbststeuerung von Lernenden, die Handlungsorientierung) und die anerkannten Makromethoden (wie die kommunikativen Methode) ‚im Sinne der Erfinder‘ umzusetzen. In einem weniger grundsätzlichen Sinne geht es z.B. darum, dass Lehrende ihre Korrekturroutinen verändern, die sie automatisch und quasi unbewusst auch in Phasen korrigieren lassen, in denen sie eigentlich gar keinen Fokus auf die Form setzen, sondern einen inhaltlichen Austausch fördern wollen. Dieses verinnerlichte Festhalten an der (einen) sprachlichen Norm (bzw. dem, was man dafür hält) und dem damit einhergehenden Kontrollwillen über alle Lerneräußerungen, vor allem über die, die schriftlich festgehalten werden, behindern u.a. viele kooperative Schreibprojekte im Internet - um nur ein Beispiel zu geben. Über die nötigen Transformationen bzw. über die dafür nötigen Schritte sollten man sich bald verständigen, statt sich - im Zusammenhang mit den digitalen Medien - in immer wieder gleichen Diskussionen über den Mehrwert bestimmter digitaler Medien zu verkämpfen, die sich noch dazu häufig nur auf die Ersetzung eines analogen durch ein digitales Medium zur Erreichung des immer gleichen Lernziels beziehen. Man muss z.B. auch darüber nachdenken, wie man - am besten auch gemeinsam mit den Verlagen - von der sich seit Jahrzehnten wenig verändernden Gestaltung von Lehrwerken wegkommen kann, die den Fremdsprachenunterricht ins immer gleiche Korsett zwingt. Ich glaube, dass es genau dieses Korsett ist, das u.a. eigentlich gar nicht so neue Visionen eines Unterrichts, in dem von Beginn an die echte (authentische) Kommunikation mit Zielsprachensprechenden (die durch die heutigen digitalen Medien zumindest virtuell so einfach herzustellen ist) von Beginn an der Dreh- und Angelpunkt des Unterrichts ist, so schwierig zu realisieren erscheinen lässt, obwohl es inzwischen genügend Beispiele gibt, die zeigen, wie und dass es funktionieren kann (vgl. Würffel 2018b). Dann könnten Legutkes Visionen von 1999 endlich Wirklichkeit werden - wobei mir auch bewusst ist, dass die geforderten Veränderungen von so grundlegender Art sind, so sehr verbunden mit den gesellschaftlichen Systemen, in denen wir und in denen unsere Lernenden leben, dass sie nicht allein und nicht unabhängig von der Fremdsprachendidaktik geleistet oder auch nur angestoßen werden können. Das sollte aber kein Nicola Würffel 300 Grund sein, sich nicht zu bewegen und nicht aktiv an den Veränderungen mitzuarbeiten. 4 Forschungs- und Entwicklungsbedarf Die Situation der Forschung zum Bereich des computergestützten Lernens in Deutschland ist alarmierend - alarmierend schlecht. Wie schon oben angesprochen, wird durchaus geforscht, aber zu häufig nur oder zu anwendungsorientiert und oftmals nur in Bezug auf einzelne technische Werkzeuge. Es gibt keine ausreichende Grundlagenforschung und dementsprechend auch keine systematische Theoriebildung (inklusive der Entwicklung von Forschungsstandards). Es fehlt im deutschsprachigen Raum an substantiellen forschungsorientierten Überblickswerken zum Thema oder -artikeln zu Teilthemen (wie z.B. Schmidt/ Würffel 2018; Würffel 2008; 2014; 2018a; 2018b), was dazu führt, dass viele grundlegende Ergebnisse, die in den letzten 30 Jahren erarbeitet worden sind, nicht ausreichend wahrgenommen werden. Dadurch können Forschungsergebnisse nicht aufeinander aufbauen oder nicht aufeinander bezogen werden, eine Weiterentwicklung wird massiv gehemmt (ein Problem, was aber nicht nur im deutschsprachigen Raum besteht, vgl. Levy 2016). Zudem mangelt es an Metastudien und an größeren und längerfristigen Forschungsprojekten (was natürlich alles miteinander zusammenhängt und sich auch gegenseitig negativ beeinflusst). Die Folge davon ist, dass in Deutschland keine Forschungszentren für das computergestützte Fremdsprachenlehren und -lernen existieren. Es gibt in ganz Deutschland z.B. im Bereich DaF/ DaZ aktuell keinen einzigen Lehrstuhl, der explizit und als deutlichen Schwerpunkt das computergestützte Lernen in der Denomination stehen hat - dabei gab es solche Professuren in den vergangenen Jahren durchaus (wenn auch wenige), sie sind nur inzwischen alle anders ausgerichtet worden (in anderen Fremdsprachendidaktiken mag die Lage ein klein wenig besser aussehen, der bundesweite hochschulpolitische und fachpolitische Wille zu einer deutlichen Schwerpunktbildung fehlt aber auch hier). Die Tatsache, dass die Nachbesetzung von Stellen, die (auch) computergestütztes Lernen mitabdecken oder schwerpunktmäßig behandeln sollen, sich schon seit Jahren als äußerst schwierig erweist, mag dabei auch eine Rolle gespielt haben; es liegt aber vor allem daran, dass diesem Bereich weiterhin zu wenig Bedeutung beigemessen wird. Die konkreten Auswirkungen dieser Missstände zeigen sich auf verschiedenen Ebenen; ich möchte nur ein kleines Beispiel nennen: Ein Blick in die Überarbeitungen des GERs (Council of Europe 2018) zeigt, dass bei denen, die am GER mitgearbeitet haben, offensichtlich nicht genügend systematisches Expertenwissen zum Bereich CALL vorhanden war. In der Überarbeitung sind zwar neue Kompetenzen bzw. Teilkompetenzen mit aufgenommen worden, die mit der Digitalisierung in Verbindung gebracht werden können Fremdsprachenlernen für den Hang-Out-Space? 301 oder müssen; sie finden sich vor allem beim Kompetenzbereich der Online- Interaktion. Leider wirken sie wenig systematisch und zum Teil eher unprofessionell. Auf Beschreibungsstandards, die sich in Publikationen wie dem jährlichen Horizon-Report, dem DigComp 2.1 des Europarats (European Commission 2017) o.ä. finden, scheint bei der Erstellung nicht zurückgegriffen worden zu sein; eher scheinen eigene Erfahrungen mit spezifischen Anwendungen eine Rolle gespielt zu haben. Da diese aber häufig schnell durch neue abgelöst werden (und schon heutige Studierende kaum noch wissen, was Second Life war), erscheinen Deskriptoren wie der folgende eher unglücklich: „can express him/ herself […] in a hang-out-space for coresearchers at a university“, (vgl. Council of Europe 2018, 155). Dagegen fehlen wichtige Kompetenzbereiche, die in Kompetenzrastern zu Medienkompetenzen oder zur digital literacy zum Standard gehören - wie z.B. „Managing digital identity“ (European Commission 2017, 31): Diese sind so grundlegend mit sprachlichem Handeln verbunden, dass man sie nicht mit dem Hinweis abtun kann, sie könnten nicht zu den fremdsprachlichen Kompetenzen gezählt werden, gehörten deshalb nicht in den GER und müssten auch nicht durch den FU gefördert werden. Wir müssen in den Bereichen Forschung und Lehre in Deutschland endlich damit beginnen, nicht nur auf den digitalen Wandel zu reagieren, sondern zu agieren und ihn aktiv mitzugestalten; d.h. auch, dass wir uns mit Themen wie Big Data, Deep Learning, Smart Assistants, Internet of Things, Speech Recognition oder Machine Translation (vgl. Massion 2017) und ihren Folgen (aber auch Möglichkeiten) für unsere Profession auseinandersetzen müssen - wir sind schon jetzt in vielen Feldern (fast) abgehängt. Was wir nicht weiter tun sollten, ist, den FU als einen Ort zu inszenieren, der ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein scheint, der sich nicht darum kümmert, dass die Welt längst anders aussieht, als er es in seinen Lehrbüchern darstellt, und der meint, dass er sich das leisten kann, weil sich sein Gegenstand - die Sprache - nur in unwichtigeren Randbereichen ändere, im Kern aber immer dieselbe bleibe und deshalb mit einem Lehrwerk und den Methoden aus den 70er, 80er, 90er Jahren noch genauso gut erworben werden könne wie in einer mit Hilfe digitaler (und nicht-digitaler Medien) von Lehrenden und Lernenden gemeinsam produzierten Lernumwelt. Um das wiederum alles anzustoßen, müssen wir vor allem an der Haltung der Forschenden und Lehrenden (und das sind auch wir) ansetzen, da sie den Einsatz digitaler Medien entscheidend beeinflusst (vgl. u.a. Hockly 2016, 91). 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Dr. Dr. h.c. Friederike Klippel Lehrstuhl für Didaktik der englischen Sprache und Literatur Department für Anglistik und Amerikanistik Ludwig-Maximilians-Universität Münschen Schellingstr. 3 80799 München Prof. Dr. Jürgen Kurtz Justus-Liebig-Universität Gießen Institut für Anglistik/ Didaktik des Englischen Otto-Behaghel-Straße 10 B 35394 Gießen Prof. Dr. Lutz Küster Humboldt-Universität zu Berlin Philosophische Fakultät II Institut für Romanistik Unter den Linden 6 10099 Berlin Adressen der Beiträger und Herausgeber 306 Prof. Dr. Christiane Lütge Lehrstuhl für Didaktik der englischen Sprache und Literatur Department für Anglistik und Amerikanistik Ludwig-Maximilians-Universität München Schellingstr. 3 VG 80799 München Prof. Dr. Hélène Martinez Justus-Liebig-Universität Gießen Institut für Romanistik Karl-Glöckner-Straße 21 G 35394 Gießen Prof. Dr. Nicole Marx Universität zu Köln Philosophische Fakultät Institut für Deutsche Sprache und Literatur II Albertus-Magnus-Platz 1 50923 Köln Prof. Dr. Grit Mehlhorn Universität Leipzig Institut für Slavistik Beethovenstr. 15 04107 Leipzig Prof. Dr. Claudia Riemer Universität Bielefeld Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Postfach 10 01 31 33501 Bielefeld Prof. Dr. Henning Rossa Universität Trier Fachbereich II: Anglistik Universitätsring 15 54296 Trier Adressen der Beiträger und Herausgeber 307 Prof. Dr. Birgit Schädlich Georg-August-Universität Göttingen Seminar für Romanische Philologie Didaktik der Romanischen Sprachen Humboldtallee 19 37073 Göttingen Prof. Dr. Lars Schmelter Bergische Universität Wuppertal Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften Romanistik Gaußstr. 20 42119 Wuppertal Prof. Dr. Torben Schmidt Leuphana Universität Lüneburg Fakultät Bildung: Institute of English Studies Universitätsallee 1, C5.135 21335 Lüneburg Prof. Dr. Karen Schramm Institut für Germanistik der Universität Wien Fachbereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Porzellangasse 4/ 4 1090 Wien, Österreich Prof. Dr. Julia Settinieri Universität Paderborn Fakultät für Kulturwissenschaften Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft Deutsch als Zweitsprache/ Deutsch als Fremdsprache Warburgerstr. 100 33100 Paderborn Prof. Dr. Carola Surkamp Universität Göttingen Seminar für Englische Philologie Fachdidaktik Englisch Käte-Hamburger-Weg 3 37073 Göttingen Adressen der Beiträger und Herausgeber 308 Prof. Dr. Britta Viebrock Goethe-Universität Frankfurt Fachbereich 10 Institut für England- und Amerikastudien Norbert-Wollheim-Platz 1 60629 Frankfurt am Main Prof. Dr. Karin Vogt Pädagogische Hochschule Heidelberg Institut für Fremdsprachen und ihre Didaktik Im Neuenheimer Feld 561 69120 Heidelberg Prof. Dr. Nicola Würffel Universität Leipzig Philologische Fakultät Herder-Institut Beethovenstr. 15 04107 Leipzig Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz K.-R. 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