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Kritische Fremdsprachendidaktik

2020
978-3-8233-9328-3
Gunter Narr Verlag 
David Gerlach

Das Ziel dieses Sammelbands besteht darin, den Fremdsprachenunterricht durch kritische Ansätze wie Critical Literacy oder Critical Pedagogy anzureichern, um das bildungstheoretische Potential beim Lernen und Lehren von Fremdsprachen zu erhöhen. Anhand von unterschiedlichen Unterrichtsgegenständen und -beispielen wird der Frage nachgegangen, wie Fremdsprachenlernen stärker pädagogisch, sozial und werteorientiert geprägt werden kann.

Kritische Fremdsprachendidaktik David Gerlach (Hrsg.) Grundlagen, Ziele, Beispiele Kritische Fremdsprachendidaktik David Gerlach (Hrsg.) Kritische Fremdsprachendidaktik Grundlagen, Ziele, Beispiele © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISBN 978-3-8233-8328-4 (Print) ISBN 978-3-8233-9328-3 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0273-5 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 7 33 37 53 69 87 107 125 145 165 181 199 217 235 Inhalt David Gerlach Einführung in eine Kritische Fremdsprachendidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Beiträge in diesem Sammelband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan-Erik Leonhardt & Britta Viebrock Ausgewählte Materialien für einen kritisch orientierten Fremdsprachenunterricht: Jugendliteratur mit Transgender-Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frauke Matz Taking a stance: The role of critical literacies in learning with literature in a world at risk Ivo Steininger Towards a concept of Critical Digitalisation in the foreign language classroom . . . . . . Carolyn Blume & Jonathon Reinhardt Gaming as a critical language learning practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thorsten Merse Queere Interventionen in die Kritische Fremdsprachendidaktik: Theoretische Überlegungen und praxisorientierte Implementationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lotta König On beauty ideals and body norms. Schönheits- und Körpernormen als Thema in einer Kritischen Fremdsprachendidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jochen Plikat Resonanz als Konzept Kritischer Fremdsprachendidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Bonnet & Uwe Hericks Fremdsprachendidaktik pädagogisch denken - oder: Was ein Staatsanwalt mit Englischunterricht zu tun hat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Schart Gestaltungsprinzipien einer Kritischen Fremdsprachendidaktik am Beispiel eines universitären Programms im Bereich Deutsch als Fremdsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Abendroth-Timmer Kritisch-reflexive Professionalisierung von Fremdsprachenlehrenden: Ein dramapädagogisch-hochschuldidaktischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . David Gerlach & Kenneth Fasching-Varner Grundüberlegungen zu einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung . . . . . . . . Verzeichnis der Autor*innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung in eine Kritische Fremdsprachendidaktik David Gerlach If ever there was a time to reconsider the nature and purposes of education and schooling in society - it is now. - Allan Luke (2017) 1. Einleitung Ungerechtigkeit reproduziert sich selbst. In keinem anderen entwickelten Land ist der Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern derart abhängig von sozioökonomischen Faktoren wie in Deutschland (vgl. OECD 2016). Zu viele Kinder und Jugendliche in diesem Land gelten als benachteiligt und können so ihr volles Potenzial nicht ausschöpfen. Dies setzt sich fort: Wie sollen diese jungen Erwachsenen dann aufgrund mangelhafter Schul‐ bildung - auch mangels eines Bewusstseins ihres Status - eine individuelle Veränderung in ihrem Leben bewirken? Wie ist es möglich, dass in einem derart hochentwickelten Land wie Deutschland 6,8 Millionen erwachsene Menschen trotz Schulpflicht nur gering literalisiert sind (vgl. Grotlüschen et al. 2019), vor einigen Jahren gar noch als „funktionale Analphabe‐ ten“ bezeichnet wurden (vgl. Grotlüschen/ Riekmann 2012), damit basal-schriftsprachliche Fertigkeiten in ihrem Alltagsleben nicht erfüllen und damit nicht an einer durch Lesen und Schreiben dominierten Gesellschaft teilhaben können? Was wäre, wenn Schule und Bildung grundsätzlich auf den Abbau dieser Ungerechtig‐ keiten fokussieren würden? Was wäre, wenn die Fächer basal-schriftsprachliche Schwer‐ punkte stärker berücksichtigen und damit diese Teilhabe wieder ermöglichen? Und was wäre, wenn der Fremdsprachenunterricht mit seinem ihm genuinen Gegenstand - der Fremdheit von Sprache - Schülerinnen und Schülern ein Bewusstsein darüber vermittelt, dass Sprache Macht ist und Sprache machtvoll machen kann, dass Sprache Ungleichheit konstruieren, diese aber auch relativieren kann, dass Sprache diskriminieren kann, aber auch davon erlösen kann? Es scheint gleichsam, als entdecke die internationale Fremdsprachenforschung Grund‐ ansichten der Pädagogik, insbesondere der Kritischen Pädagogik, wieder. Man mag diese Wende an zwei Entwicklungen festmachen: Zum einen am social turn in der Angewandten Sprachwissenschaft z. B. auch mit den Arbeiten von Bonny Norton (2000) und - damit eng verbunden - der veränderten Positionierung von Lernenden als Identitäten, die ein investment im Sprachenlernen für sich nutzen (vgl. auch Norton 2011, Bonnet 2018). Die Hinwendung zu einer stärker pädagogisch orientierten Fremdsprachenunterrichtspraxis geht zudem im Besonderen zurück auf die 1999 erschienene Schwerpunktausgabe des TESOL Journal, in dem u. a. Alastair Pennycook (1999) sich für die Berücksichtigung kriti‐ scher Ansätze und transformatorischer Bildung im Englisch-als-Zweitsprache-Unterricht ausgesprochen hat. In der Folge ist in den vergangenen zwanzig Jahren tatsächlich eine Vielzahl fremdsprachendidaktischer Publikationen erschienen - international primär zu Englisch als Fremd- oder Zweitsprache -, die sich gerade für die Stärkung dieses kritischen Elements einsetzen (z. B. Kumaravadivelu 1999/ 2006, Abednia 2012, Jeyaraj/ Harland 2016, Banegas/ Villacañas de Castro 2016). Besonders die ohnehin einem eher kritischen Diskurs verpflichteten Ramin Akbari (2008) sowie Graham Crookes (2009/ 2010/ 2013) haben in den vergangenen Jahren die Bedeutung der Kritischen Pädagogik und postmoderner Theorien für unterschiedliche, fremdsprachenunterrichtliche Kontexte herausgearbeitet. Während sie aufzeigen, dass die Begründungslinien für den Einsatz von Konstrukten wie der Kritischen Pädagogik (s. u.) in der Vergangenheit primär für erwachsene Fremdspra‐ chenlernende bzw. Migranten und Migrantinnen in anderssprachigen (teils postkolonialen) Kontexten galt und diese ohne eine kritische Perspektive immer auch Subjekte von Benach‐ teiligung waren, betont Crookes (2009) beispielsweise die Notwendigkeit der Disziplin, ein kritisches Bewusstsein im Fremdsprachenunterricht zu fördern. Und zuletzt hat - wieder Pennycook (2018) - unter einer posthumanistischen Brille die Angewandte Linguistik danach befragt, „what it means to be human“ (ebd.: 445). Nun sollen ihre Überlegungen zu den dahinterliegenden theoretischen Konstrukten und ihre praktischen Implikationen in diesem Beitrag und Sammelband für den deutsch‐ sprachigen Kontext ebenso kritisch beleuchtet werden. Es ist die Frage danach, wie Fremdsprachenunterricht ein kritisches, pädagogisches Element dynamisch in seine Di‐ daktik integrieren und methodisch umsetzen kann. Es geht - unter anderem - um das Thematisieren und Erkennen von machttheoretischen Zusammenhängen, den Abbau von Vorurteilen, Bildung für soziale Gerechtigkeit und Demokratieerziehung. Ziel dieses einleitenden Beitrags soll es daher sein, die folgenden Fragen zu beantworten: 1. Welche theoretischen Konzepte und Annahmen können hinter einer Kritischen Fremdsprachendidaktik stehen? 2. Welches Potenzial haben aktuell dominierende kritische Konzeptionen und Theo‐ rien für die Fremdsprachendidaktik? 3. Welche methodisch-didaktischen Implikationen haben diese Konzepte und Annah‐ men für den Fremdsprachenunterricht, seine Gegenstände, Materialien und Durch‐ führung? Laurenz Volkmann (2010) hinterfragt bereits, ob die Kritische Pädagogik als weitere Bau‐ stelle nicht eher den Hochschulbereich angehe, den schulischen Fremdsprachenunterricht jedoch überfrachten könnte neben allen anderen Forderungen von der Förderung der funktional-kommunikativen Kompetenzen bis hin zum inter- und transkulturellen Lernen: „Wie ‚dekonstruktivistisch‘ im ursprünglichen Wortsinn, also wie ‚auseinandernehmend‘ oder gar alte Wahrheiten destruierend darf der Fremdsprachenunterricht sein? “ (ebd.: 15) Meine eigene Argumentation soll bereits in dieser Einleitung beginnen mit einem Mutmachen: „Heute umso mehr! “ Durch soziale und politische Verschiebungen dies- und jenseits des Atlantiks, globale und lokale Herausforderungen, die vielbeschriene Politik‐ verdrossenheit, die sich zudem in Wahlen von Extremen äußern, darf die Förderung und Emanzipierung kritischer Bürgerinnen und Bürger - und hier vor allem auch system- und 8 David Gerlach institutionenkritischer Heranwachsender - nicht nur Aufgabe von Hochschulen während des Studiums sein. Die Grundlagen dafür müssen bereits im schulischen Unterricht über das Herstellen einer kritischen Diskursfähigkeit angelegt werden, gerade vor dem Hintergrund einer offenbar wachsenden politisch-sozialen Bewusstheit junger Menschen und ihrem gestiegenen Interesse, sich gesellschaftlich zu engagieren (Stichwort: Fridays for Future). Jeder Diskurs oder allein die Auseinandersetzung mit ihm kann dabei - manchmal auf kaum vorhersehbare Weise - für einzelne Lernende sozial relevant sein und eine politische und machtbezogene Dimension erhalten. Eine der zentralen Aufgaben der Schule besteht nun darin, Lernende an Diskurse und Praktiken heranzuführen und ihnen hierdurch die Teilhabe an ihnen - das heißt auch: die Teilhabe an der Gesellschaft - zu ermöglichen. (Fäcke et al. 2017: 5) Der Fremdsprachenunterricht mit seinen Ansätzen und Unterrichtsgegenständen, den Zielen und Kompetenzen kann hier bedeutende Impulse liefern, die möglicherweise zu‐ nächst insbesondere über lehrer*innenbildende Institutionen in die Schulen hineingetragen werden könnten (vgl. z. B. Abednia 2012 und Gerlach/ Fasching-Varner in diesem Band). 2. Überlegungen zum aktuellen Stand der Fremdsprachendidaktik Herbeizurufen, dass die Fremdsprachendidaktik in einer Krise stecke, ist sicherlich über‐ trieben. Allerdings wird die Hauptfrage, der sie bis ans Ende des 20. Jahrhunderts nach‐ gegangen war, nämlich der, wie Fremdsprachen möglichst effizient gelehrt und gelernt werden können, zunehmend durch andere Konzepte abgelöst. In einem postmethodischen Zeitalter, in dem die funktional-sprachliche Methodenfrage durch die Lehrkräfte eher eklektisch denn durch eine Großmethode beantwortet wird (vgl. Bell 2007, Kumaravadivelu 2006), stehen besonders Aspekte interkulturellen (vgl. z. B. Byram 1997, Volkmann 2010) und transkulturellen Lernens (vgl. z. B. Hallet 2002, Fäcke 2006) im Vordergrund (vgl. zur Kritik am Konstrukt der interkulturellen Kompetenz: Plikat 2017). Das Erreichen der near-nativeness wurde aufgegeben zugunsten des Ziels, einen intercultural speaker aufzubauen, der mittels einer „fremdsprachlichen Diskursfähigkeit“ (Hallet 2008) bzw. „fremdsprachlichen Diskursbewusstheit“ (Plikat 2017) gesellschaftliche Teilhabe ausüben kann (vgl. Norton 2000/ 2011). Zudem scheinen verstärkt auch allgemein-gesellschaftliche bzw. allgemein-pädagogische Fragestellungen wie Inklusion und Digitalisierung in ihrer Fachlichkeit ausdekliniert zu werden, was sich in Publikationen und Konzeptentwicklun‐ gen niederschlägt. Gleichzeitig kritisiert Pennycook (1990) schon vor dreißig Jahren die zunehmend funktionalistisch ausgerichtete Fremdsprachendidaktik mit einer „trivializa‐ tion of content and an overemphasis on communicative competence“ (ebd.: 13). Es überrascht daher nicht, dass zunehmend in internationalen Diskussionen weniger von „language teaching and learning“ sondern stärker von „language pedagogy“ gesprochen wird (vgl. z. B. Burns/ Richards 2012). Dabei gerät verstärkt die ursprüngliche Bedeutung des aus dem Altgriechischen stammenden Wortes Pädagogik in den Blick: ein Kind anleiten (pais = Kind, ago = leiten, führen). Damit wird zunehmend die Abkehr von einem transmissionsorientierten bzw. sprachlich-funktional ausgerichteten Lehren und Lernen im Fremdsprachenunterricht betont. Vielmehr geht es um die erzieherische sowie transformatorische Rolle, fremdsprachliche Bildungsprozesse anzustoßen und mittelfristig 9 Einführung in eine Kritische Fremdsprachendidaktik soziale Ungleichheit abzubauen. Der Fokus im Fremdsprachenunterricht müsste damit verschoben werden auf eine „language in social contexts that goes beyond mere correlations between language and society and instead raises more critical questions to do with access, power, disparity, desire, difference, and resistance“ (Pennycook 2001: 5). Dabei überrascht für den deutschen Kontext, dass das Konstrukt „Bildung“ in einschlä‐ gigen Einführungswerken zur Fremdsprachendidaktik kaum eine Rolle zu spielen scheint (vgl. Sauer 2008). Höchstens im Zusammenhang mit der Förderung einer interkulturellen kommunikativen Kompetenz wird es thematisch (teils nur implizit) verhandelt. Die damit angestrebte Reflexionsfähigkeit, das „Fremdverstehen“ (vgl. Bredella/ Christ 1995), der nötige Perspektivwechsel und die individuell-identitär wirksame Positionierung vor dem Hintergrund kultureller (auch literaturdidaktischer) Gegenstände mögen allesamt einem fremdsprachendidaktischen Bildungsziel entsprechen. Ihre Wirksamkeit muss jedoch hin‐ terfragt werden, wenn bspw. für den englischdidaktischen Literaturunterricht attestiert werden muss, dass das Potenzial literarischer Texte nicht selten vernachlässigt wird, wenn Schülerinnen und Schüler Literatur nur als (unkritische) Rezipienten und Rezipientinnen erfahren (vgl. Gardemann in Vorbereitung). Sehr wohl wohnt den im fremdsprachen-, literatur- und kulturdidaktischen Diskurs besprochenen Konstrukten und Prozessen ein Potenzial inne, „Bildung als Transforma‐ tion grundlegender Figuren des Selbst- und Weltverständnisses“ (Koller 2018: 15) zu konstruieren (vgl. auch Plikat 2017). Allerdings geht es im bildungstheoretischen Diskurs mittlerweile stärker um die Wahrnehmung von Bildung als „negativ-reflexiven Prozess der […] Aufhebung von Selbst- und Welterfahrungsschemata zugunsten neuer und v. a. komplexerer, selbstreflexiver Perspektiven“ (Zirfas/ Jörissen 2007: 65). Diese selbstreflexive Perspektive müsste in ihrer Komplexität - neben anderen Aspekten - in meinen Augen ebenso eine Förderung der (fachlich geprägten) Kritikfähigkeit an institutionalisierten Denkweisen und sozial gewachsenen, gesellschaftlichen Strukturen vorsehen. Damit wird sie auch zu einem Gegenstand der (kritischen) Fremdsprachendidaktik. 3. Mögliche Bezugsquellen einer Kritischen Fremdsprachendidaktik Ganz bewusst wird im Folgenden die Kritische Theorie in der Tradition der Frankfurter Schule als Grundlage für die weiteren theoretischen Bezüge kurz umrissen. Dabei sollte allerdings anschließend auffallen, dass ich Kritische Erziehungswissenschaft und Kritische Pädagogik voneinander trenne: Unter ersterem Begriff skizziere ich das deutsche Verständ‐ nis einer Disziplin, die sich natürlicherweise stark anlehnt an die Vertreter der Frankfurter Schule, allerdings weitgehend die Diskussionen und Einflüsse auf einer internationalen Ebene, die der Kritischen Pädagogik im Anschluss an Paulo Freire, gleichsam zu ignorieren scheint. Daher bespreche ich beide Bereiche zunächst getrennt voneinander und versuche sie erst später wieder aufeinander zu beziehen, wenn es um die konkret fremdsprachendi‐ daktisch gedachten Konzepte gehen soll. Darüber hinaus seien die folgenden Bezugsquellen in zunehmend praxisorientierter Reihenfolge genannt: Von der Kritischen Theorie über die Kritische Pädagogik sowie Critical Literacy, die international weitestgehend im Anschluss an die Kritische Pädagogik diskutiert wird, werde ich in Grundzügen die Annahmen hinter dem (unscharfen) Kon‐ 10 David Gerlach strukt des kritischen Denkens vorstellen. Letzteres ist auch dem Umstand geschuldet, eine gewisse Abgrenzung der anderen Konstrukte zu diesem latent inflationär verwendeten Konzept zu ziehen, es gleichzeitig aber auch hinsichtlich seiner Produktivität im Hinblick auf fremdsprachendidaktische Fragestellungen zu hinterfragen. Diese Bandbreite soll es sein, die didaktisch-methodischen Implikationen für eine Kritische Fremdsprachendidaktik in Ansätzen anschließend skizzierbar zu machen. Kritische Theorie Obwohl die Kritische Theorie, und hier für Deutschland besonders bedeutsam die Frank‐ furter Schule, immer eine eher marxistisch-sozialkritische Perspektive einnahm, die die selbstbestimmte Autonomie der Bürgerinnen und Bürger betonte und gleichzeitig die nötige kritische Haltung gegenüber (totalitären) Autoritäten, lassen sich aus ihr auch erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse ziehen (vgl. Lehmann 2015). Spätestens mit Adornos Erziehung nach Ausschwitz (1971a) wird die Bedeutung einer soziologisch-kriti‐ schen Perspektive auf Bildung und Erziehung im Nachkriegs-Deutschland zentral gestellt, in der Hoffnung, totalitäre und faschistische Regime in Zukunft verhindern zu können. In seiner Vorlesung „Tabus über dem Lehrberuf “ (1971b) stellt Adorno zudem heraus, dass Bildung ohnehin ständig ideologisch gefährdet sei und gerade Schülerinnen und Schüler zu eigenständig denkenden, demokratischen Bürgerinnen und Bürgern erzogen werden müssten. Anhängerinnen und Anhänger der Kritischen Theorie zeichnet eine grundsätzliche Skepsis aus: Sie betrachten soziale Phänomene aus sich heraus und setzen sich mit ihnen in ihrer Eigenständigkeit hermeneutisch auseinander (immanente Kritik). Dadurch erhalten diese Zugänge einen Neutralitätsanspruch, der wiederum nur durch den Gegenstand selbst begründet und damit ahistorisch ist und dekontextualisiert wird. Diese Einschränkung, die die Mitglieder der Frankfurter Schule natürlich nicht als solche bezeichnen würden, kann kritisiert werden: So vernachlässigt sie (potenziell) das Einbeziehen zahlreicher sozialer oder kultureller Faktoren, möchte nicht explizit Ursache-Wirkungs-Ketten aufstellen, sondern phänomenologisch aus sich heraus beschreiben, interpretieren und kritisieren, „was Sache ist“. Selten entstehen daher konkrete Handlungsempfehlungen aus hermeneu‐ tisch-kritischen Bearbeitungen bestimmter Phänomene: Die Kritische Theorie versteht sich vielmehr als offene Methodologie mit dem Anspruch, Allgemeingültigkeit und die Neu-Entstehung von Ideologie zu vermeiden. Ausgehend unter anderem von der Prämisse, dass Sprache nicht ein Abbild der Wirk‐ lichkeit ist, sondern Menschen durch Sprache Zugang zur Wirklichkeit erhalten (vgl. Wittgenstein 2003), basieren zahlreiche weitere (postmoderne bzw. poststrukturalistische) Theorien auf marxistischen, zumindest ideologiekritischen und machttheoretischen An‐ nahmen, die besonders historisch tradierte, gesellschaftliche Benachteiligungen aufbrechen möchten. Sie betrachten hierzu den Gebrauch von Sprache und wie diese bestimmte kate‐ goriale Zuordnungen erzeugt, die dann sozial wirksam zur Konstruktion von Minderheiten oder - im Umkehrschluss - sozial überlegenen Gruppen führen. Zu diesen Theorien gehören neben anderen die feministische sowie die Queer-Theorie, welche geschlechtliche Kategorien in identitärer, sozialer wie biologischer Hinsicht hinterfragen, oder auch die Critical Race Theory, die beispielsweise die Überlegenheit Weißer vor dem Hintergrund 11 Einführung in eine Kritische Fremdsprachendidaktik eines formal auf Gleichberechtigung ausgelegten Rechtsstaats wie die Vereinigten Staaten von Amerika anprangert. Auch die Pädagogik und Erziehungswissenschaften wurden durch Annahmen der Kritischen Theorie nachhaltig beeinflusst. Kritische Erziehungswissenschaft Vielleicht am deutlichsten zeigte sich dieser Einfluss in der Kritischen Erziehungswissen‐ schaft, die als solche - im Gegensatz zur Kritischen Pädagogik (s. u.) - heute kaum noch begrifflich als Disziplin auftritt. Gemeint war damit seinerzeit der durch die Student*innen‐ bewegung der 1960er Jahre geprägte „Bezug auf Traditionen sozialistischer Pädagogik der Weimarer Republik sowie die Marxsche Theorie“ (Sünker 2007: 424). Wesentlich schließen sich die Prinzipien an diejenigen der Kritischen Theorie an, diskutieren pädagogische Konstrukte aus sich heraus, kritisieren dabei besonders die ungenügende Reflexion „der gesellschaftlichen Produktionswie Reproduktionsprozesse in ihrer Bedeutung für Bildung und Erziehung“ (ebd.: 424). Wesentlich für die Zeit ist die Kritik an Eliten und am Kapitalismus sowie an deren beider Einfluss im weiter auszugestaltenden Bildungssystem. Das eigentliche Ziel ist die wachsende Mündigkeit der Schülerinnen und Schüler, Förderung demokratischen Denkens gegen jedwede Entstehung von Machtstrukturen, die Erstarkung antiautoritärer Erziehung sowie reformpädagogischer Konzepte. Praxistheoretisch zeigte sich dies - neben den Einflüssen Adornos auf höherer Ebene - besonders durch Klafkis Kritisch-konstruktive Didaktik (2007), die er auf Basis und als Reaktion auf Kritik an seiner bildungstheoretischen Didaktik erweiterte. In „epochaltypi‐ schen Schlüsselproblemen“ sollen sich anhand besonders dringender sozialer Probleme (wie Gleichberechtigung, Krieg und Frieden, Umwelt) Fertigkeiten auf Seiten der Lernenden einstellen, die zu einem verantwortungsvollen, kritischen Umgang mit diesen bzw. auch neu auftretenden Phänomenen führen. Klafkis Prinzip der „kategorialen Bildung“ verlangt, dass ein Unterrichtsgegenstand immer zugleich einen Wert an sich sowie einen formalen Bildungsgehalt hat. Letzterer zeichnet sich dadurch aus, dass er „elementar“, „fundamental“ sowie „exemplarisch“ ist, d. h. der Unterrichtsgegenstand ist einfach vermittelbar, dabei gleichzeitig essentiell nötig für ein Weltverstehen und dabei typisch und potenziell in seinem Sinn übertragbar auf andere Zusammenhänge. Oft nur auf Einzelstunden bezogen, obwohl es Klafki immer um größere Planungszusammenhänge ging, werden Themen bzw. Gegenstände vor allem bezüglich ihrer Beispielhaftigkeit, ihrer Gegenwartssowie ihrer Zukunftsbedeutung für Lernende hinterfragt mit dem Ziel, deren „Selbstbestimmungsfä‐ higkeit, Mitbestimmungsfähigkeit, Solidaritätsfähigkeit“ ( Jank/ Meyer 2002: 231) in einem gesellschaftlichen Sinne zu fördern. Kritische Pädagogik Gängiger als der Begriff der Kritischen Erziehungswissenschaft, wie er in Deutschland ab und an zu lesen ist und wie ihn auch Klafki wiederholt genutzt hat, ist in internationalen Kontexten jener der Kritischen Pädagogik (Critical Pedagogy). Im Wesentlichen werden auch hier die Grundüberlegungen der Kritischen Theorie auf Bildung und Erziehung übertragen. Grundsätzlich gehen Vertreter und Vertreterinnen dieser Richtung davon 12 David Gerlach aus, dass Bildung immer politisch und sozial-emanzipierend sein muss und dass es kein neutrales Wissen gibt (vgl. Aliakbari/ Allahmoradi 2012, Crookes 2013). Die Diskriminie‐ rungen, die innerhalb einer Gesellschaft stattfinden z. B. in Bezug auf Klassenunterschiede, Rasse oder Geschlecht, werden wiederum innerhalb der Bildungssysteme reproduziert (vgl. Giroux 1983). Die kritische Reflexion dessen, was Bildungseinrichtungen, Schule und der Unterricht selbst anbieten, muss demnach der Kritischen Pädagogik folgend ein unabdingbarer Bestandteil des Unterrichts werden (vgl. Kincheloe 2008, Akbari 2008): Critical pedagogy is teaching for social justice, in ways that support the development of active, engaged citizens who will, as circumstances permit, critically inquire into why the lives of so many human beings, including their own, are so materially (and spiritually) inadequate, be prepared to seek out solutions to the problems they define and encounter, and take action accordingly. (Crookes 2013: 77) Als einer der Begründer Kritischer Pädagogik gilt Paulo Freire, der aus seinen Erfahrungen mit brasilianischen Arbeiter*innen, denen er Lesen und Schreiben beibrachte, eine Analyse kolonialistischer Bildungsideologie entwickelte, welche in seiner Pedagogy of the Oppressed (zuerst veröffentlicht 1970; Freire 2006) mündete. Er identifiziert ein - im Allgemeinen sicherlich auch außerhalb von Südamerika nicht unbekanntes - transmissionsorientiertes Modell von „Bildung“ („banking model of education“), das dem Primat der Vermittlung von vorgegebenen Inhalten folgt, ohne die sozialen, kontextbedingten Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen ernst zu nehmen. Dabei kommt es nach Freires Analyse zu einer Dehumanisierung nicht nur der Schülerinnen und Schüler, sondern auch der Lehrkräfte, da sie in Abhängigkeit gebracht werden von curricularen und administrativen Vorgaben sowie Lehrwerken und Materialien. Freire prägt in seinem Werk den Begriff des „kriti‐ schen Bewusstseins“ (conscientization als englischer Begriff war die direkte Übersetzung des portugiesischen conscientizaç-o), welches in einem post-marxistischen Sinne eine wachsende Kritikfähigkeit sozialer Beziehungen, Interaktionen und Machtgefüge fördern soll. Kritische Pädagogik, auch wenn Freire diesen Namen zunächst selbst nicht nutzte (dies war später Giroux), war für ihn nie eine methodologische Rezeptologie, sondern politische Erziehung zum sozial verantwortlichen Handeln. In Education: The Practice of Freedom (Freire 1976) beschreibt er ein dreistufiges, kritisch-theoretisches Konzept, das er allerdings, wie sich bei genauerer Betrachtung im Nachhinein herausstellte, von einer kirchlichen Organisation grundlegend übernommen hatte (vgl. Crookes 2009: 183), unter‐ teilt in Naming, Reflection und Action. In der Naming-Phase geht es um die Beschreibung und Identifizierung eines (sozialen, machttheoretischen) Problems oder einer Fragestellung, während der Reflection-Phase werden mögliche Ursachen hierfür ergründet, um in der letzten Phase (Action) Lösungen und Optionen zu erarbeiten. Wichtig für Freire war, dass die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler unmittelbar aufgegriffen wird, wie es heute in der Fremdsprachendidaktik als „Lerner*innenorientie‐ rung mittels authentischer Aufgaben“ bezeichnet werden würde. In didaktischer Hinsicht benutzte er dabei im beginnenden Anfangslese- und -schreibunterricht primär Wortschatz, den die Lernenden tatsächlich in ihren Alltagskonversationen benutzten. Crawford (1978) war die erste, die die Freire’schen Prinzipien auf das Fremdsprachenlernen übertrug 13 Einführung in eine Kritische Fremdsprachendidaktik und mehrere Prinzipien herausarbeitete, welche wiederum Crookes (2009: 184) wie folgt zusammenfasst: a) The purpose of education is to develop critical thinking by presenting [students’] situation to them as a problem so that they perceive, reflect and act on it; b) The content of the curriculum derives from the life situation of the learners as expressed in the themes of their reality; c) The learners produce their own learning materials; d) The task of planning is first to organize generative themes and second to organize subject matter as it relates to those themes; e) The teacher participates … as a learner among learners; f) The teacher … contributes his/ her ideas, experiences, opinions, and perceptions to the dialogical process; g) The teacher’s function is one of posing problems; h) The students possess the right to and power of decision making. Henry Giroux (1983) hat Freires Grundkonzept aufgegriffen und in einer westlichen Orientierung gewissermaßen als „Kritische Pädagogik“ massentauglich gemacht. Die Grundannahme der Kritischen Theorie, dass Bildung auch immer ein politisches Moment hat, wurde dabei übernommen. Im Gegensatz zu Vertretern der Frankfurter Schule rufen diejenigen der Kritischen Pädagogik jedoch zum kollektiven Handeln auf und setzen sich für einen transformatorischen Prozess ein. Bildung und Erziehung sind damit ein Werkzeug, soziale Gerechtigkeit aktiv herzustellen. Die Grundüberlegungen der Kritischen Pädagogik sind selbst nicht ohne Kritik geblie‐ ben. Diese neigt im einen Extrem dazu zu beanstanden, dass das Ziel sei, eine Radikalisie‐ rung junger Menschen bzw. Bürgerinnen und Bürger in sozial-gesellschaftlicher Hinsicht vorzunehmen, auf der anderen Seite wird die fundamental kritische Haltung am Status Quo häufig als institutionelle Gefahr für Bildungssystem und Curriculum angesehen. Je nach Auslegung und Radikalität der Umsetzung haben die Bedenken möglicherweise ihre Berechtigung. Allerdings soll es in dieser Argumentationslinie nicht darum gehen, einen Radikalismus zu befürworten oder gar in Schule zu implementieren. Vielmehr sind mit dem Begriff der Kritik im Freire’schen Sinne gleichzeitig Hoffnung, Respekt sowie Humanität verbunden (vgl. Akbari 2008; vgl. auch die Kritik an Akbaris Beitrag von Sowden 2008 mit dem provokanten Titel „There’s more to life than politics“). Die hinter dem Ansatz der Kritischen Pädagogik stehenden Prinzipien vermögen einen emanzipierenden und bildenden Fremdsprachenunterricht zu informieren, in dem eine allgemein-kritische Haltung angelegt und befördert wird, die aus Lernenden das hehre Ziel des mündigen Bürgers und der mündigen Bürgerin zu formen vermag. Wie Crookes (2009) allerdings betont, hat sich die Fremdsprachendidaktik, und er spricht speziell von Kontexten mit English as a Foreign oder Second Language (EFL/ ESL), wenn überhaupt nur vereinzelt einer curricularen Verankerung einer gewissen Kritischen Pädagogik verschrieben. Critical Literacy Critical Literacy findet sich im akademischen Diskurs sowie in der Praxis primär in post‐ kolonialen Kontexten wie Südamerika oder Pakistan, aber auch in Südafrika und Australien, 14 David Gerlach sowie verstärkt in Mittel- und Nordamerika (vgl. Crookes 2009, Abednia/ Crookes 2018, López-Gopar 2019). Sie geht ebenfalls auf die Frankfurter Schule und Paulo Freire zurück, dem es in seinem Bildungsanspruch von Schülerinnen und Schülern darum ging, durch das Beherrschen von (Schrift-)Sprache das „kritische Bewusstsein“ zu befördern. Neben dialogisch orientierten Unterrichtsmethoden legte Freire besonderen Wert auf die Lese- und Schreibprozesse sowie die kritische Reflexion über die Bedeutung von Sprache (vgl. Vasquez 2017): Critical literacy is about imagining thoughtful ways of thinking about reconstructing and redesigning texts, images, and practices to convey different and more socially just and equitable messages and ways of being that have real-life effects and real-world impact. (ebd.: 9) Critical Literacy folgt der Annahme, dass die Welt als soziale Konstruktion wie ein Text gelesen, interpretiert und bewertet werden kann (vgl. Janks 2014). Damit ist sie - und alle in ihr verfügbaren Texte - niemals neutral, wie auch die individuelle Bedeutungskonstruktion niemals neutral sein kann. Gleichzeitig sind sprachliche Kompetenzen, die diese Wirklich‐ keit erschließen, von besonderer Bedeutung und dadurch grundlegende Voraussetzung. Verschiedene Autorinnen und Autoren haben Modelle vorgeschlagen, wie die Förderung dieser Literalität ausgestaltet werden kann. Im Kern konzentrieren sie sich auf eine operationale, eine kulturelle und eine kritische Ebene (vgl. z. B. Janks 1991, Bigum/ Green 1993, Luke 2018). Schülerinnen und Schüler müssen zunächst lernen, die Sprache auf basal orthographischer oder phonologischer Ebene, allerdings auch hierarchiehöhere Diskurselemente dekodieren zu können. Sie müssen daraufhin die Einsicht gewinnen, dass Lernen und Texte in (eigene und fremde) kulturelle Kontexte eingebettet sind und schließlich die impliziten Strukturen kritisch bewerten, um sich damit vom vermeintli‐ chen Neutralitätsanspruch (schriftsprachlicher bzw. kommunikativer) Produkte zu lösen. Breidbach et al. (2014) diskutieren Critical Literacy als dem Konstrukt von Multiliteralität inhärenten Bestandteil. Sie adressieren dabei auch den kognitiven Anspruch, der mit der Förderung einer Critical Literacy im Fremdsprachenunterricht verbunden ist, welche in eine Methodologie des kommunikativen Ansatzes noch integriert werden müsste. Zahlreiche Studien in den letzten zwanzig Jahren untersuchen die Bedeutung dieses Konstrukts und wie es bei Schülerinnen und Schülern helfen kann, soziale Ungerechtigkeit und entsprechend nötiges Gegenhandeln bewusst zu machen (vgl. Festino 2008, Norris et al. 2012, Abednia/ Crookes 2018). Damit einher geht der zunehmend stärkere Fokus auf Identitätskonstrukte sowie die Förderung individuell wirksamer Agency innerhalb (potenziell einschränkender) sozialer Systeme (vgl. Comber/ Nixon 2014). Die feministische Kritik konnte zudem zahlreiche Beispiele von patriarchalen und hierarchischen Prakti‐ ken im Fremdsprachenunterricht in verschiedenen Ländern ausmachen und potenzielle Lösungsvorschläge erarbeiten (vgl. Pavlenko 2004, Sunderland 2004). Kritisches Denken Als streng genommen keine (kritische) Theorie, sondern vielmehr schwammiges Kon‐ strukt, gilt das kritische Denken in vielen Disziplinen und Fächern als überfachliches Ziel im Nachgang zu den PISA-Erhebungen, obwohl mittlerweile genau diese vermeintliche Überfachlichkeit als Transferkompetenz durch empirische Erkenntnisse in Zweifel gezogen 15 Einführung in eine Kritische Fremdsprachendidaktik wird (vgl. Willingham 2007). Die Argumentation geht dahin, dass kritisches Denken nicht überfachlich angelegt, vermutlich gar nicht explizit unterrichtet werden kann. Es findet nur basierend auf entsprechend ausgeprägtem Fachwissen kontextgebunden Anwendung (ebd.), was zudem je nach fachkultureller Prägung unterschiedliche Erkenntnistheorien nach sich zieht. Es gibt Anzeichen dafür, dass das grobe Erkennen von Problemstellungen als Oberflächenstrukturen tatsächlich lernbar ist, das letztendliche Lösen eines fachlich orientierten Problems auf tieferliegenden Ebenen jedoch komplexeres, disziplinspezifisches Wissen benötigt (vgl. Barnett/ Ceci 2002). Im Gegensatz zu Kritischer Pädagogik ist kritisches Denken folglich auf einer stärker rationaltheoretischen und vor allem apolitischen Ebene zu verorten, die darauf abzielt, Lösungen bzw. differenzierte, mehrperspektivische Antworten auf Fragen zu finden, welche nicht notwendigerweise sozialer oder gesellschaftlicher Natur sein müssen (aber sein können). Es kann daher auch eine sprachliche Herausforderung darstellen, sich sowohl die nötigen Informationen zur Lösung der Problemstellung zu erarbeiten, als auch eine Antwort differenziert zu formulieren und in eine Form zu bringen, welche gegenteiligen Meinungen standhält. Kritik an diesen (vermeintlich einfachen und in sich logischen) Antworten zu üben, ist einer der Kernansprüche kritischen Denkens, was dieses mit der Kritischen Theorie gemein hat. In diesem Feld ist zudem der Einsatz metakognitiver Strategien zu verorten, die auch für das Fremdsprachenlernen bedeutsam sind und eine entsprechende „Kritikfähigkeit“ wahrscheinlicher machen (vgl. Willingham 2007). Kritisches Denken wird als eines der 21st century skills angesehen und dabei nicht selten mittels der Taxonomie von Benjamin Bloom et al. (1956) bzw. ihrer Revision (vgl. Krathwohl 2002) konstruiert. Blooms Überzeugung seinerzeit war, die Taxonomie könne Folgendes bieten: • common language about learning goals to facilitate communication across persons, subject matter, and grade levels; • basis for determining for a particular course or curriculum the specific meaning of broad educational goals, such as those found in the currently prevailed national, state, and local standards; • means for determining the congruence of educational objectives, activities, and assessments in a unit, course, or curriculum; and • panorama of the range of educational possibilities against which the limited breadth and depth of any particular educational course or curriculum could be contrasted. (Krathwohl 2002: 212) Dabei wurde Wissen bzw. der Umgang mit ihm in sechs wesentliche Ebenen unterteilt von Wissen, Verstehen, Anwendung, Analyse, Synthese bis hin zur Evaluation mit jeweils ausdifferenzierten Unterkategorien. Wie jedes Stufenmodell, das zudem offensichtlich einen gewissen Gültigkeitsanspruch der Evaluierbarkeit von Kompetenz bzw. Performanz, also eine gewisse Standardorientierung, vertrat, jedoch kaum dezidiert empirisch über‐ prüft wurde, blieb es nicht ohne Kritik. Die revidierte Fassung bezieht dementsprechend zusätzlich zu einer kognitiven auch eine metakognitive Dimension ein, die einzelnen Kategorien der ersteren wurden begrifflich stark angepasst: Erinnern, Verstehen, Anwenden, 16 David Gerlach Analysieren, Evaluieren und Kreieren sind die mittlerweile gängigen Formate, nach denen Aufgaben im Sinne einer revidierten Bloom’schen Taxonomie konstruiert werden. Die Taxonomie findet ihren Niederschlag mittlerweile in zahlreichen internationalen Fremdsprachenlehrwerken, obwohl sie nicht unproblematisch ist aufgrund der bereits angesprochenen, mangelhaften empirischen Fundierung - auch bezüglich des tatsächlichen Niederschlags kritischen Denkens in fremdsprachenunterrichtlichen Settings. Es wird gleichsam angenommen, dass das stufenweise Abarbeiten von hierarchieniedrigen hin zu hierarchiehöheren „Thinking skills“, wie sie Bloom angelegt hat, kritisches Denken am fremdsprachendidaktischen Gegenstand quasi-automatisch fördert. Dies ist nicht nur vor dem Hintergrund des nur wenig ausdifferenzierten Konstrukts problematisch, sondern auch, wenn man bedenkt, dass in der Taxonomie höher angelegte Prozesse wie „Evaluie‐ ren“ durchaus sprachliche Herausforderungen für Lernende auf Niveau A1 oder A2 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens darstellen dürften. Zusammenfassend muss noch einmal betont werden, dass kritisches Denken in der Regel keine transformatorischen Ziele verfolgt im Sinne der Bildung zu sozialer Gerechtigkeit und der kritischen Diskussion bestimmter Brennpunktthemen wie es die Kritische Pädagogik tut (vgl. Burbules/ Berk 1999). Das kritische Denken ist vielmehr ein methodischer Ansatz, der das mehrperspektivische Betrachten dieser Fragestellungen befördern kann, und ist daher von Bedeutung. 4. Methodisch-didaktische Implikationen für einen kritisch orientierten Fremdsprachenunterricht Ausgehend von den theoretischen Bezügen mag die Frage gestellt werden, ob die mit ihnen verbundenen Überzeugungen und Ziele nicht zum einen sehr ambitionierten sowie ideo‐ logisch aufgeladenen Fremdsprachenunterricht führen (vgl. Jeyaraj/ Harland 2016), zum anderen, ob sie in methodisch-didaktischer Hinsicht möglicherweise utopisch und kaum umsetzbar sind. Die einfache Antwort darauf ist: Wahrscheinlich. Gleichzeitig hat Paulo Freire immer wieder herausgestellt, dass das Gegenteil eines kritischen Bewusstseins immer Stillstand, wenn nicht sogar Rückschritt wäre, Akzeptanz des Status quo unbegrenzter Gehorsam vor der Autorität (vgl. Freire 1976, Giroux 1983). Einen kritischen Geist zu entwickeln bzw. diese Kritikfähigkeit in Lernenden anzuregen, muss als ein Prozess gesehen werden, der nie abgeschlossen ist. Es ist kein Prozess, der wie fremdsprachliche Fertigkeiten standardisiert messbar oder anhand eines Referenzrahmens kompetenzorientiert abgebil‐ det werden könnte. Es sind vielmehr humanistische, politische und gesellschaftlich-soziale Überzeugungen sowie Reflexivität, die kritisches Denken anregen und damit im Fremd‐ sprachenunterricht fruchtbar integriert werden können, um Demokratieerziehung und Partizipation zu ermöglichen. Es ist eine mit dem Ziel der Partizipation ausgerichtete Fremdsprachendidaktik mit methodischer Umsetzung zur Förderung von „competencies and skills that have value in a culture, and at the same time provide the basis for critical change“ (Hallet/ Legutke 2013: 9). Damit steht eine Kritische Fremdsprachendidaktik der von Plikat (2017) entworfenen „fremdsprachlichen Diskursbewusstheit“ sehr nahe, zumal er neben diskurstheoretischen Aspekten eine „Bewusstmachung der affektiven, machtbe‐ zogenen und sprachstrukturellen Domänen“ (ebd.: 299) als nötig erachtet und diese mit 17 Einführung in eine Kritische Fremdsprachendidaktik universellen Menschenrechten sowie dem Anspruch transformatorischer Bildungsprozesse ins Verhältnis setzt. Das notwendigerweise anzuerkennende politische Moment eines derart an Demokratie und Menschenrechten orientierten Unterrichts ist in dem Zusammenhang nicht parteipo‐ litisch zu verstehen, es lässt sich nicht in „links“ und „rechts“, „konservativ“ oder „liberal“ einordnen. Es geht vielmehr um Machtkonstellationen und die Konstruktion von Macht und Ungerechtigkeit (und ihre Entlarvung) durch Sprache (vgl. Foucault 1980, Pennycook 1999). Damit ist, wie auch Fäcke et al. (2017) herausstellen, jeder Unterricht politisch, da „Bildung inhärent politisch ist“ (ebd.: 5). Ein unkritischer, d. h. apolitischer Fremdsprachenunterricht, der lediglich möglichst neutrale Themen einzubeziehen versucht (s. auch Anmerkungen zu Lehrwerken unten), verkommt laut Pennycook (1990) zu einer technologisierten und rein prozessierenden Praxis. Ein kritisch-pädagogischer Ansatz soll Grundprinzipien des Fremdsprachenunterrichts in funktional-pragmatischer, diskurs- und genretheoretischer sowie interkultureller Hinsicht keinesfalls ersetzen, ihn aber möglicherweise sinnvoll ergänzen und wertvolle neue Themen und Praktiken einführen (vgl. Morgan 1998). Entsprechend soll es im Folgenden darum gehen, mögliche didaktische wie auch metho‐ dische Überlegungen im Zusammenhang mit den oben vorgestellten kritischen Aspekten zu skizzieren, welche darüber hinaus in diesem Sammelband vertiefend anhand von Beispielen und fremdsprachendidaktischen Unterrichtsgegenständen durchgespielt werden. Lernende im Kritischen Fremdsprachenunterricht Bereits die New London Group (2000) formulierte ihr Konzept der Multiliteracies als (sprach-)didaktische Antwort auf die Notwendigkeit von Lernenden, mit einer größeren Vielzahl von Texten im weiteren Sinne umzugehen (vgl. auch Küster 2014). In Verbin‐ dung gebracht wird ein kritisches Moment hier stärker über Critical Literacy, welche aber noch nicht notwendigerweise immer ein soziales Moment berücksichtigt. Kritischer Fremdsprachenunterricht jedoch ist von den sozialen Bedürfnissen der Lernenden aus gedachter Unterricht. Dieser Anspruch lässt sich auch historisch herleiten, z. B. mit dem stärkeren Fokus auf Fragen der Lernenden im Vergleich zu Fragen der Lehrenden (inquiry education; vgl. Postman/ Weingartner 1969). Authentizität und Lerner*innenorientierung sind nicht umsonst zentrale Paradigmen der Fremdsprachendidaktik, die weiterhin hohe Bedeutung haben (vgl. z. B. zu Authentizität im Englischunterricht: Will 2018). Jedoch haben sie nicht dazu geführt, dass individuelle und soziale Herausforderungen der Lernenden real und kontextsensibel im Unterricht realisiert werden. Dies hat verschiedene Gründe: Einer davon kann die Dominanz des Lehrwerks und seine Verhandlung einer am Prinzip der political correctness ausgerichteten Themenauswahl sein (s. u.), welche sich auch in Lehrplänen (kompetenz- oder inhaltsorientiert) widerspiegelt (oder Ursache dessen ist). Ein anderer Grund könnte eine Lehrer*innenbildung sein, die ebenso unkritisch (kulturelle) Unterrichtsgegenstände rezipiert und in der Schule einbringt, ohne eine echte demokra‐ tische Teilhabe der Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen. Pennycook (1997/ 1999) merkt allerdings kritisch an, dass ein zu sehr am Konstrukt demokratischer Partizipation aufgehängter Fremdsprachenunterricht Gefahr läuft, sich methodisch in Stuhlkreisen zu verlaufen. Vielmehr müssten dezidiert kritische Themen mit lokalen Bezügen zum Gegen‐ stand gemacht, möglichst auch curricular verankert werden. Die Identitätsentwicklung 18 David Gerlach der Schülerinnen und Schüler, das Ernstnehmen ihrer sozialen Strukturiertheit bzw. eine Sensibilisierung dafür, sich für die Bedürfnisse anderer einzusetzen, muss auch fachlich ausdifferenziert werden (vgl. Norton 2011, Bonnet 2018). Dabei reicht es nicht, wie in der Vergangenheit, nur nach individuellen Faktoren oder Lernendenvariablen (wie z. B. Motivation) einen differenzierenden Unterricht zu gestalten. Die Rolle bzw. subjektive Bedeutung des investments innerhalb einer sozialen Strukturiertheit und des Kontexts des Unterrichts scheint ungleich bedeutender (vgl. Norton 2000/ 2011): „For example, a student may be a highly motivated learner, but may not be invested in the language practices of a given classroom if the practices are racist, sexist, or homophobic.” (Darvin/ Norton 2015: 37; Hervorhebung im Original) Es wird im Folgenden noch klarer werden, wie dies methodisch-didaktisch umgesetzt werden kann. Gegenstände im kritischen Fremdsprachenunterricht Die Anwendung einer Kritischen Pädagogik im Fremdsprachenunterricht geht über das häufige Beispiel für Critical Language Awareness (vgl. Fairclough 2015), das Multilitera‐ cies-Konstrukt der New London Group (2000) bzw. Critical Literacy (s. o.) hinaus. Im Zusammenhang mit der Förderung von (kritischer) Sprachbewusstheit im Unterricht wird als Beispiel nicht selten die Analyse der Wirkung von Werbung hergenommen (vgl. z. B. Fehling 2010). Hier wird die Sprache von Werbung zum Unterrichtsgegenstand gemacht, ihre manipulative Wirkung analysiert, ggf. sogar von Schülerinnen und Schüler produktorientiert eigenständig entwickelt. Im Sinne einer kritischen Didaktik ist diese Vergegenständlichung von Sprache und ihrer Funktion notwendig, allerdings geht sie nicht weit genug, da hier nicht notwendigerweise kritische Haltungen und Überzeugungen der Lernenden ernst genommen oder gar gefördert werden. Auch führt die Analyse von Werbung häufig nicht dazu, dass Ungerechtigkeiten, Machtgefüge oder Ungleichheiten aufgedeckt bzw. transformiert werden. Es geht hier eher um die Förderung einer Analyse‐ kompetenz, die sicherlich eine Voraussetzung für ein kritisches Bewusstsein bzw. das oben vorgestellte kritische Denken sein kann, aber noch nicht hinreichend an den Grundfesten der lerner*innenseitigen Überzeugungen auch im Sinne einer sozial-ideologischen Kritik anzusetzen vermag. Janks (2010/ 2014) beispielsweise zeigt vor dem Hintergrund von Critical Literacy in südafrikanischen Schulen diesen entscheidenden weiteren Schritt, denn ihr Ziel ist: „to increase students’ awareness of the way language was used to oppress the black majority, to win elections, to deny education, to construct others, to position readers, to hide the truth, and to legitimate oppression” (2010: 12). Es mag hier der Verdacht aufkommen, dass eine Kritische Fremdsprachendidaktik mit ihren oben vorgestellten Bezugstheorien eher Gegenstände aufgreifen kann, die tatsäch‐ lich in Systemen und Ländern mit sozialer (aktiver oder passiver) Repression bzw. in sozial ungerechten Kontexten vorkommen. Allerdings: „Unterricht ist [immer, D.G.] in gesellschaftliche Kontexte eingebunden, das heißt: auch in politische, historische, soziale, ökonomische etc. Daher ist eine Auseinandersetzung mit bestimmten Werten und Normen unumgänglich.“ (Fäcke et al. 2017: 6) Man muss sich nur die latente und reale Ungerech‐ tigkeit im deutschen Bildungssystem vor Augen führen, in dem in Zeiten gestiegener Heterogenität genau diejenigen Schülerinnen und Schüler abgehängt werden, denen durch 19 Einführung in eine Kritische Fremdsprachendidaktik ihr sozioökonomisch schwächer gestelltes Elternhaus oder ihre Nachbarschaft kaum ein anderer Zugang zu Bildung ermöglicht wird als derjenige, den die Schule bereitstellt (vgl. z. B. OECD 2016). Die Abhängigkeit von sozialen Systemen und Institutionen, das genaue Gegenteil verpflichtenden Fremdsprachenunterrichts mit „reflexiv-emanzipatorische[n] Ziele[n]“ (Bonnet/ Hericks 2014: 90; Hervorh. im Orig.), scheint für diese Lernenden vor‐ programmiert. Und genauso sind wachsende Reflexion und Emanzipation der sozial besser gestellten Kinder und Jugendlichen ebenso wertvolle Ziele im Fremdsprachenunterricht wie auch in institutionellen Bildungskontexten insgesamt, indem Lernende dazu ermutigt werden, Verantwortung für sich und ihre Mitlernenden zu übernehmen, denn „what happens in the classroom should end up making a difference outside the classroom“ (Baynham 2006: 28). Und: „If students are going to transform the lives of themselves and those of others, they cannot do so unless due attention is paid to their own culture in the curriculum and opportunities are provided for critical reflection on its features.“ (Akbari 2008: 279) Die De- und Rekontextualisierung z. B. der englischen Sprache als internationale lingua franca, die mehr und mehr Personen interagieren lassen, die nicht ursprünglich aus einer englischsprachigen Kultur stammen, lässt den weiterhin gültigen Fokus auf die englisch‐ sprachigen Kulturen zunehmend fraglich erscheinen (vgl. ebd.). Mit der Brille der Kritischen Pädagogik gerät die Kultur der Fremdsprachenlernenden zunehmend ins Licht - und ihr inter-/ transkultureller Vergleich der Lebenswelten z. B. mit Gleichaltrigen auf der ganzen Welt. Die Kritische Pädagogik betont daher ständig die Bedeutung lokaler Kontexte und ermutigt, die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler in den Unterricht einzubeziehen, Alltags- und Jugendthemen zu berücksichtigen und zwar nicht ausschließlich vor dem Hintergrund eines zielsprachlichen Textes oder einer Lektüre, die gelesen wird, sondern ganz ursprünglich generiert auf Basis der Sorgen und Bedürfnisse der Lernenden. Zunächst abstrakt wirkende Themen wie soziale Benachteiligung und Brennpunkte, Migration, Rassismus oder sexuelle Orientierung können allgemein eingeführt, müssen dann aber anhand lokaler oder regionaler Besonderheiten sowie besonderer Lerngruppen problemori‐ entiert durchdrungen werden, um Betroffenheit und transformatorisch-reflexives Denken befördern zu können. Volkmann (2010) warnt: Das Kernlernziel des Englischunterrichts, die interkulturelle kommunikative Kompetenz, darf keineswegs durch eine ideologische oder kulturkritische ‚Überfrachtung‘ an den Rand gedrückt werden. […] Es stellt sich überhaupt die Frage, inwieweit altersadäquat kritisches Bewusstsein vermittelt werden kann bzw. im Anfangsunterricht werden soll. (ebd.: 16) Dies ist sicherlich eine Herausforderung. Gleichzeitig verweisen Janks (1991) und Akbari (2008) auf die Bedeutung der L1 im Fremdsprachenunterricht zwecks der Erhaltung von Flüssigkeit im Unterrichtsgeschehen und des barrierefreien Klärens sprachlicher Phänomene. Das Einbringen und die Diskussion muttersprachlicher Konzepte, d. h. ins‐ besondere potenziell relevanter Themen, kann folglich in der L1 (auf einer alltagsund/ oder bildungssprachlichen Ebene) geschehen, schließlich ist die Muttersprache sehr stark identitär wirksam für jeden einzelnen Lernenden und jede einzelne Lernende: „If people are supposed to become empowered and their voices recognized and respected, then the 20 David Gerlach first step needs to be a respect for who they are and the values they represent.“ (ebd.: 280) Dennoch muss im kritischen Sinne auch in der Fremdsprache die Problemstellung oder der zu diskutierende Konflikt thematisiert werden, um kritisches Denken (in der Fremdsprache) und ein kritisches Bewusstsein fremdsprachlich zu fördern. Die Werte und Überzeugungen, die die Lernenden mit in den Unterricht bringen, können über ihre L1 im Sinne von translanguaging (z. B. transferiert von einer L1 zu Deutsch und dann in die Fremdsprache Englisch) zum Gegenstand gemacht und reflektiert werden mit dem Ziel, emanzipatorisches Denken und Handeln zu fördern. Mit dem Wissen darum, dass jedwede Vorgabe von möglichen Themen die Idee eines kritischen Fremdsprachenunterrichts fast untergräbt, sollen in Tabelle 1 dennoch zumin‐ dest thematische Felder aufgeführt werden, wie sie in der Literatur diskutiert und (grob) für verschiedene Altersgruppen vorgeschlagen werden. Crookes (2013), Janks (1991) sowie Leland/ Harste (2002) liefern einige Beispiele für besonders auf kritischen Fremdsprachen‐ unterricht zugeschnittene Themen, obwohl berücksichtigt werden muss, dass in den letzten 20 Jahren verstärkt auch im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur zahlreiche kritisch orientierte Werke erschienen sind, die als Reflexionsfolien im Fremdsprachenunterricht produktiv genutzt werden können. Altersstufe Potenzielle Themen Primarstufe Bilderbücher oder kurze Geschichten mit sozialen Themen wie Bullying, Umgang mit Trauer, Umgang mit Veränderung, Ability und Disability, (Kin‐ der-)Armut … Sekundarstufe wie oben, allerdings stärker von den Lernenden aus generierte Themen, aktuelle (lokale) Nachrichten, politische Instanzen in der Schule, Gewalt, Rassismus, Vorurteile, Macht und Machtausübung in Schule und außerhalb, soziale Klassen, Umwelt, Globalisierung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Friedenserziehung, Aktivismus, Identität, Herkunft, Gender, sexuelle Orientie‐ rung, soziale Identität, Privilegiertheit, andere Muttersprachen … Tab. 1: Mögliche Themenfelder einer kritisch orientierten Fremdsprachendidaktik. Der Fremdsprachenunterricht ist und war lange Zeit sehr bis fast ausschließlich mit der Methodenfrage beschäftigt, worum es auch im Folgenden vor dem Hintergrund Kritischer Pädagogik und Critical Literacy gehen soll. Aktuell ist die Disziplin glücklicherweise durch inter-/ transkulturelle sowie bildungstheoretische sowie literarisch-ästhetische Fra‐ gestellungen wieder stärker didaktisch geprägt (vgl. z. B. auch Beiträge in Grünewald et al. 2013, Küster et al. 2015). Auch Kritische Theorie, Kritische Pädagogik und Critical Literacy könnten hier, stärker an transformatorischer Bildung orientiert, entsprechende Schwerpunkte setzen. Methodische Überlegungen Der Fremdsprachendidaktik bietet sich in ihrem post-methodischen Zeitalter eine Vielzahl von Techniken, Prinzipien und Ansätzen, um Unterricht zu gestalten. Letztlich gilt bei der methodischen Umsetzung kritisch-didaktischer Prinzipien wie unter allen anderen didaktischen Vorbedingungen die Methodenangemessenheit: Die Methode muss zum Ziel 21 Einführung in eine Kritische Fremdsprachendidaktik passen, das didaktisch begründet vorliegt. Wenn also eines der Ziele einer Kritischen Fremdsprachendidaktik ist, ein Bewusstsein für soziale Ungleichheit zu entwickeln, muss sich dies in der Methodenwahl niederschlagen. Es müssen partizipativ orientierte Ansätze gewählt werden, die den in der Kritischen Pädagogik immer wieder betonten Dialog för‐ dern. Eine Kritische Fremdsprachendidaktik berücksichtigt dabei in besonderem Maße auf Interaktion zielende Sprachlerntheorien wie z. B. die soziokulturelle Theorie, die basierend auf den Überlegungen von Wygotski (1978) besonders durch Lantolf und Thorne (2006) für das Fremdsprachenlernen ausdifferenziert wurden. In diesem auf soziale Interaktion ausgelegten Unterricht müssen Dialogisierung und mit Kritikfähigkeit verbundene Diskus‐ sionen mit einem entsprechenden Scaffolding entlastet bzw. geübt werden. In jüngeren Lerngruppen bieten sich hier Modelltexte oder -videos an, um sprachliche und inhaltliche Charakteristika von dialogisierter Kritik transparent zu machen (vgl. Crookes 2013). Dazu gehört auch, das Stellen von relevanten Fragen zu ermutigen: Was sind die Folgen unseres Handelns? Was sind Konsequenzen, was Ergebnisse? Freire (1976), Crawford (1978), Crookes (2013) und andere betonen, dass Lernende ihr Material selbst erstellen sollen. Dabei ist nicht gemeint, dass sie Arbeitsblätter erstellen, mit denen die Gruppe dann üben soll. Vielmehr geht es darum, dass Lernende ermutigt werden, Realia, Texte, Interessen usw. in den Unterricht einzubringen, sodass die Schwerpunktset‐ zung des Unterrichts stärker von den Lernenden aus erfolgt. Die Rolle der Lehrkraft ist dabei, methodisch und sprachlich flexibel ein Scaffold zur Verfügung zu stellen, das die Bearbeitung des Lernmaterials ermöglicht. Dabei spielt das Lehrwerk weiterhin eine wichtige Rolle, es muss allerdings einer kritischen Würdigung unterzogen werden, was die ausgewählten Themen und sprachlichen Anforderungen angeht (s. u.). Weiter unten wird der kritische Umgang mit Fremdsprachenlehrwerken noch angerissen werden, gleichwohl würde ich nicht so weit gehen wie Meddings und Thornbury (2009), die den Gebrauch von Lehrwerken grundlegend verteufeln und skeptisch „an over-reliance on materials and technical wizardry in current language teaching“ (ebd.: 6) beäugen. Ganz ähnlich wie der Kritischen Pädagogik geht es ihnen darum: „The emphasis on the here-and-now requires the teacher to focus on the actual learners and the content that is relevant to them.“ (ebd.) Ihr als „Dogme“ bekannt gewordener (und heftig kritisierter) Ansatz soll primär auf die Sprachentwicklung der Lernenden eingehen, vernachlässigt dabei allerdings - in meinen Augen - die Förderung jener Kritikfähigkeit, die hier bereits breit diskutiert wurde. Lehrwerke bieten hingegen eine methodische Integration besonders der sprachlichen Fertigkeiten und gleichzeitig mit ihren Themen eine Reflexionsfläche, die von den Lehrkräften (und ihren Lernenden) kritisch genutzt werden kann. Diese Anforderungen können prozess- und produktorientiert im Unterricht integriert werden, Prinzipien von Handlungs- und Problemorientierung sind hinlänglich bekannt und werden wiederholt aufgegriffen. Auch in der Fremdsprachendidaktik aktuell domi‐ nante methodische Ansätze wie die Aufgaben- oder Genreorientierung (vgl. Hallet 2016) bieten sich an, kritisch angereichert zu werden. Im Sammelband Pedagogy and Practice in Second Language Teaching (Burns/ Richards 2012) gehören zu den pädagogisch-methodi‐ schen Ansätzen im Besonderen Aufgabenorientierung, textbasiertes Lernen und Lehren, inhaltbasiertes Lernen und Lehren (CLIL), outcome-basiertes Lernen und Lehren sowie Literacy-basiertes Lernen und Lehren. Die verschiedenen Stufen des kritischen Denkens, 22 David Gerlach selbst wenn es oben als zunächst apolitisch charakterisiert wurde, können Anhaltspunkte für die Aufgabengestaltung in diesen verschiedenen Ansätzen bieten. Breidbach et al. (2014) schlagen z. B. eine Unterscheidung nach „language curriculum“ und „curriculum of discourse“ (ebd.: 99) vor, wobei an Ersteres hierarchieniedrige Aufgaben im Sinne des Aufbaus sprachlicher Fertigkeiten geknüpft werden können, während Letzteres stärker das hierarchiehöhere, reflexive Potenzial im Sinne einer Critical Literacy berücksichtigt (vgl. auch Breidbach 2011). Die zu stellenden und zu diskutierenden Probleme in einem kritisch orientierten Fremdsprachenunterricht sollten dabei natürlicherweise nicht Probleme um ihrer selbst willen sein, sondern vor dem Hintergrund des didaktisch-kritischen Anspruchs methodisch aufbereitet werden. Die Rolle des Lehrwerks Wenn die Kritische Pädagogik im Fremdsprachenunterricht sehr stark die biographisch und identitär wirksamen Probleme der Kinder und Jugendlichen vergegenständlichen soll, heißt das auch, dass sich die Bedürfnisse von Lernenden z. B. in Städten gegenüber ländlicheren Gegenden oder in bildungsbürgerlich geprägten Vierteln gegenüber „Brennpunkten“ deut‐ lich unterscheiden. Lehrwerke vermögen diese Bandbreite an für die Lernenden relevanten Themen, die „localness“ (Akbari 2008: 280), gar nicht abzubilden. Stattdessen werden in Lehrwerken zielkulturelle Themen und Aspekte der Mittel- und Oberschicht abgebildet, die in Ansätzen teils auch interkulturell reflektiert werden (sollen), aber dennoch grundsätzlich immer durch von Lehrwerkautor*innen oder Lehrplänen relevant gesetzte Inhalte gefüllt werden: „Coursebook contents and teaching methods have been cautiously selected to make sure that only socially refined topics are addressed.“ (Akbari 2008: 278) Zudem ist in internationalen Englischlehrwerken ein Streamlining der Themen hin zur Vermeidung der PARSNIP-Konzepte zu beobachten (vgl. Gray 2002, gemeint sind: Politics, Alcohol, Religion, Sex, Narcotics, Isms wie Socialism oder Agnosticism und Pornography), obwohl gerade diese für Heranwachsende bedeutende Themen darstellen, die Sensibilisierung und Thematisierung bedürfen. Im Sammelband Gender and Language Learning (vgl. Elsner/ Lohe 2016) machen die Herausgeberinnen deutlich, dass die individuell höchst bedeutsame Frage einer inklusiven Berücksichtigung des Titelthemas im Fremdsprachenunterricht weiterhin weitgehend vernachlässigt wird - auch von einschlägigen fremdsprachendidaktischen Einführungsbänden. Ebenfalls können in didaktischer Hinsicht die sich ständig ändernden Begebenheiten und Einflüsse der Jugendlichen - mal ist es der Konsum von Pornovideos auf dem Schulhof, ein andermal Drogenprävention oder Konflikte mit anderen Schülerinnen und Schülern - einen deutlich wichtigeren Pool an (authentischen) Themen bieten im Vergleich zu kulturellen Aspekten Großbritanniens oder Frankreichs. Und gleichzeitig setze ich mich mit dieser Argumentation Kritik seitens kulturdidaktischer Vertreter*innen aus, die - durchaus nachvollziehbar - den Wert der Auseinandersetzung mit englischer, spanischer, französischer Literatur und Kultur herausstellen. Und ich möchte ausdrücklich betonen, dass ich dies hier auch im Sinne von Bildung nicht in Abrede stellen möchte. Allerdings muss in der Folge der oben dargestellten theoretischen Bezüge auch im modernen Fremd‐ sprachenunterricht eine stärkere Berücksichtigung kontextueller Faktoren Einzug halten, 23 Einführung in eine Kritische Fremdsprachendidaktik die es ermöglichen, soziale Aspekte der Lebensrealität der Lernenden zu integrieren (vgl. Gerlach/ Leupold 2019). Möglicherweise werden diese im Verlauf eines Schuljahres auch einmal deutlich wichtiger als die zielsprachlichen Kulturen oder interbzw. transkulturelles Lernen, dann wiederum treten sie pendelartig wieder zurück. Vielleicht kann beispielsweise das Thema Armut oder Obdachlosigkeit anhand deutscher, möglicherweise regionaler Projekte diskutiert werden, ohne eine perspektivische Distanz mittels der Betrachtung von Armut in einem anderen (zielsprachlichen) Land zu schaffen (vgl. Akbari 2008). Diesen Freiraum muss und sollte es geben - auch curricular und per Stundentafel berücksichtigt. Plikat (2018) stellt heraus, dass der Fremdsprachenunterricht Lernende selten auf kritische Fremdheitserfahrungen vorbereitet, dass aber - und er nimmt als theoretische Folie den Evolutionären Humanismus - dieser „es etwa ermöglichen [würde], rassistische Inhalte in Lehrbüchern zu kritisieren, da solche Inhalte für die betroffenen Menschen eine diskriminierende und leidvolle Erfahrung bedeuten“ (ebd.: 53). Wenn Lehrwerke weniger neutral-generische Themen, sondern emotional und problematisch aufgeladene behandeln, ergeben sich Reibungspunkte im Unterrichtsgeschehen: „If students can per‐ ceive the relevance of the examples to their own lives, they are more likely to be motivated to examine the language in which [the more extreme examples] are written.“ ( Janks 1991: 193) Selbst wenn die eingesetzten Lehrwerke diese Aspekte noch nicht vorhalten, zeigt Osborn (2006), wie „normale“ Themen von einer kritischen Lehrkraft entsprechend problematisiert werden können: Im Sprechen über das Wetter, Häuser und deren Inneneinrichtung kann Obdachlosigkeit bzw. Privilegiertheit ein Thema sein, an das Wortfeld Essen und Einkaufen können sich Fragen nach Konsumverhalten oder sozi‐ oökonomischem Status anschließen. Gleichzeitig müsste überlegt werden, ob „kritische“ Themen wie z. B. Gewalt, Ideologie, Geschlecht und sexuelle Orientierung mittelfristig nicht im Allgemeinen präsenter werden sollten in Lehrwerken, stellen sie doch wichtige Kategorien in der Identitätsbildung Heranwachsender dar (vgl. Norton 2011). Jedoch: Auch vermeintlich gutgemeinte Lehrwerk-Charaktere, die einem breiten Diversitätsbegriff folgend multikulturelle und multisektionale Eigenschaften mitbringen, können wiederum mit einer kritischen Brille bezüglich ihrer Wirkung (und intendierten Zusammenstellung im Lehrwerk) mit Schülerinnen und Schülern diskutiert werden. Wie Crookes (2013) überblicksartig zeigt, gibt es international einige Beispiele für kritische Fremdsprachenlehrwerke, die jedoch nicht selten auf die Initiativen einzelner Lehrerinnen und Lehrer unter bestimmten historischen und sozialen Bedingungen zurück‐ gehen und dabei in der Regel nicht von größeren Verlagshäusern vertrieben werden. 5. Fazit: Kritische Fremdsprachendidaktik oder -pädagogik? Kritische Theorien und Kritische Pädagogik beschäftigen sich mit dem Verhältnis von Welt, Weltverstehen und Sprache. Dabei ist dies alles andere als vermeintliche Kuschelpädagogik, es geht um „the messy, unpleasant aspects of social life and the people for whom such as‐ pects are part of their day-to-day reality“ (Akbari 2008: 282). Eine Kritische Fremdsprachen‐ didaktik vergegenständlicht die Kommunikation und Interaktion im fremdsprachlichen Klassenzimmer zur Förderung sozialer und demokratischer Verantwortung, zur Reflexion sozialer Ungleichheit, zum respektvollen Miteinander und zum pflichtbewussten Handeln. 24 David Gerlach Kritische Pädagogik ist auch immer die „Pädagogik der Hoffnung“ (Freire 2014), sie kritisiert nicht zum Selbstzweck, sondern möchte Zustände verändern und das Bewusstsein erweitern. Das mag stellenweise unbequem sein, gleichwohl nötig für ein (möglicherweise letztlich utopisches) Bildungsziel, das nichtsdestotrotz verfolgt und verteidigt werden sollte. Auch eine kritische Haltung gegenüber (vermeintlichen) Innovationen, neuen methodi‐ schen Ansätzen oder standardorientierten Testungen gehört in diese Konzeptualisierung einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung (vgl. Gerlach/ Fasching-Varner in die‐ sem Band) dazu mit der Grundidee, „help a person develop a philosophy of teaching“ (Crookes 2009: 21). Aber noch einmal, um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Ein solcher reflexiv-kritischer Habitus einer Lehrperson, ebenso ein kritischer Fremdsprachen‐ unterricht an sich, haben nicht zum Ziel, eine Subversion gegenüber Autoritäten zu erzeugen oder politische Überzeugungen an Lernende weiterzugeben. Auf Grundlage des Beutelsbacher Konsens (vgl. Wehling 1977) gilt das Überwältigungsverbot genauso wie eine gleichberechtigte Darstellung unterschiedlicher Sichtweisen (Kontroversitätsgebot). Häufig vernachlässigt wird in Darstellungen und Diskussionen um den Beutelsbacher Konsens allerdings die gleichzeitige Notwendigkeit, als Lehrkraft eine entsprechende Analyse- und Handlungsfähigkeit seitens der Lernenden zu fördern. Es geht also im kri‐ tisch-pädagogischen Sinne darum, zum einen aufzudecken, wenn vorgegebene Skripte und Handlungsanweisungen einem ideologischen Zweck dienen, zum anderen, Schülerinnen und Schüler zu kritischen, mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu erziehen, die ihre gemeinsame Zukunft für ein soziales und respektvolles Miteinander aktiv gestalten. Ein transmissionsorientiert ausgerichteter Fremdsprachenunterricht vermag dies in meinen Augen nicht zu leisten. Vielmehr muss dieser konstruktiv und partizipativ durch die Lehrkraft und mit den Lernenden gemeinsam strukturiert werden, Demokratiebildung be‐ rücksichtigen und auf die unmittelbare Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler eingehen. Die nachfolgende Abbildung deutet lediglich an, inwiefern theoretische Bezugsquellen in Zusammenhang stehen mit potenziellen fremdsprachendidaktisch-methodischen Ansät‐ zen. Sie ist keineswegs als normative Folie zu sehen und würde damit auch jedes kritischen Anspruchs entbehren. Vielmehr diskutieren die folgenden Beiträge im Sammelband eben‐ falls weitergehende oder unter Zuhilfenahme anderer theoretischer Konstrukte anders gelagerte Unterrichtsgegenstände und Fragestellungen. 25 Einführung in eine Kritische Fremdsprachendidaktik Abb. 1: Bezugstheorien einer Kritischen Fremdsprachendidaktik. Eine noch zu diskutierende Frage wäre abschließend, ob die Konzeptualisierung als „Kri‐ tische Fremdsprachendidaktik“ oder „Kritische Fremdsprachenpädagogik“ (vgl. Crookes 2013) nötig und nicht möglicherweise selbst „kritisch“ sein könnte in ihrer Vermittlung gegenüber Lehrerinnen und Lehrern, Lernenden, Lehrplanentwickler*innen und denjeni‐ gen, die ihre Prämissen in der Praxis zu implementieren versuchen. Es besteht die Gefahr - wie es die Kritische Pädagogik auch immer wieder wahrnimmt - als „zu politisch“ (vgl. Sowden 2008), „zu radikal“ oder gar „revolutionär“ zu wirken, obgleich die Mehrzahl der oben genannten Prinzipien mit demokratisch-emanzipierenden Bildungsprozessen und Theoriekonstrukten vollkommen in Einklang zu bringen sind, ja, sie sogar im Besonderen unterstützen und fördern könn(t)en. Dennoch ist das „Kritische“ auch immer „anders“, auch immer „neu“ und mit einem gewissen Umdenken verbunden, was wiederum Ge‐ fahr läuft, Praktikerinnen und Praktiker unnötigerweise abzuschrecken. Möglicherweise müssen die Gegenstände einer Kritischen Fremdsprachendidaktik als Demokratiebildung und Reflexivität konzeptualisiert werden. Gleichzeitig gehen sie über die Ansprüche von interkultureller kommunikativer Kompetenz im Sinne Byrams, seinem „intercultural being“ (Byram 2008), deutlich hinaus. Sie sind vielmehr zu sehen als die Förderung von „intercultural responsibility“ (Guilherme et al. 2010) und einer im Fremdsprachenunterricht ernstgenommenen Wertevermittlung. Insofern ist ein „Werterelativismus, wie ihn zum Beispiel der Gemeinsame europäische Referenzrahmen nahelegt, […] dabei weder ethisch noch pädagogisch angemessen und in keiner Weise mit dem Erziehungs- und Bildungsauf‐ trag der Schule vereinbar“ (Fäcke et al. 2017: 8). 26 David Gerlach Literaturverzeichnis Mit * versehene Werke sind als Leseempfehlungen anzusehen. Abednia, Arman (2012): Teachers’ professional identity: Contributions of a critical EFL teacher education course in Iran. Teaching and Teacher Education 28(5), S. 706-717. Abednia, Arman & Crookes, Graham V. (2018): Critical literacy as a pedagogical goal in English language teaching. 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Die Beiträge in diesem Sammelband machen die Ideen und Konzepte der einleitend vorgestellten Bezugsquellen wie z. B. der Kritischen Pädagogik für den Fremdsprachenun‐ terricht anhand von unterrichtspraktischen Umsetzungsbeispielen bzw. -gegenständen anschaulich, diskutieren aber auch auf einer Metaebene generell didaktisch-methodische und struktur- und institutionstheoretische Prinzipien. Dabei wurde darauf geachtet, dass sowohl verschiedene kritische Bezugstheorien und -perspektiven abgedeckt werden, als auch die jeweils herangezogenen Gegenstände und Bereiche verschiedene sind. Alle Bei‐ tragenden erhielten eine Entwurfsfassung des Einleitungsbeitrags vorab und wurden ganz bewusst dazu eingeladen, auch das Konzept einer Kritischen Fremdsprachendidaktik selbst und die im Einleitungsbeitrag angerissenen Ideen, Bezugsquellen und Vorschläge kritisch zu beleuchten. Dabei stellen sie offen Schwierigkeiten und Leerstellen heraus, die Anlass geben, weiter zu denken und das Konzept kritisch und konstruktiv zu hinterfragen. Die Multiperspektivität der diskutierten Ideen und Gegenstände zeigt die mögliche Bandbreite, mit der sich eine Kritische Fremdsprachendidaktik in Unterricht und Forschung in der Zukunft niederschlagen kann. Die Beiträge im Einzelnen Die ersten Beiträge in diesem Sammelband beschäftigen sich mit möglichen Gegenständen eines kritisch konzeptualisierten Fremdsprachenunterrichts und fokussieren auf literaturbzw. kulturdidaktische Gegenstände. Den Auftakt geben Jan-Erik Leonhardt und Britta Viebrock, indem sie am Beispiel von aktueller Jugendliteratur mit Transgender-Thematik exemplarisch herausstellen, wie diese für einen emanzipatorisch gedachten Literaturun‐ terricht in der Fremdsprache genutzt werden kann. Dabei spielen nicht nur inhaltliche Erwägungen eine besondere Rolle, sondern auch die jeweiligen sprachlichen Mittel, die das Anliegen der literarischen Texte zu besonders lohnenswerten Gegenständen und Diskussionsanlässen im Unterricht werden lassen. Frauke Matz sieht fremdsprachliche Bildung als politische Aktivität und moralischen Akt, die - eingebettet in eine moderne(re) Sicht auf allgemeine Bildungsziele - unter sich ändernden Vorzeichen wie der Globalisierung ständig neu gedacht werden muss. Allerdings stößt das häufig bemühte Konstrukt von interkultureller kommunikativer Kompetenz hier schnell an seine Grenzen. Die Diskursfähigkeit der Schülerinnen und Schüler muss vielmehr dazu beitragen, ein Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit nach außen zu tragen und eine Haltung einzunehmen. Am Beispiel von Young Adult Climate Fiction zeigt sie, wie dies unterrichtspraktisch und lerner*innenorientiert gelingen kann. Zwei weitere englischsprachige Beiträge beschäftigen sich mit Fragen der Digitalisie‐ rung im Zusammenhang mit kritischen Perspektiven. Ivo Steininger geht von der Prämisse aus, dass es nicht darum gehen kann, Lehren und Lernen an sich zu digitalisieren, sondern darum, die Mittel für Interaktions- und Kommunikationsprozesse ins Zentrum solcher Vorhaben zu stellen: Es müsse um ein neues Verständnis von kulturellen Praktiken gehen, die digital gedacht, gefördert und ausgeführt werden. Interessanterweise steigt er mit einem Fallbeispiel ein, in dem einer seiner Schüler*innen sich zum ersten Mal selbstwirksam als sprachkompetent erleben kann, indem er seiner Englischlehrkraft von seinen „digitalen kulturell-sprachlichen Praktiken“ beim Spielen eines Videospiels berichtet. Hier knüpfen Carolyn Blume und Jonathon Reinhardt an, wenn sie in ihrem Beitrag fragen, wie im Fremdsprachenunterricht Authentizität hergestellt werden kann, um auf ihrer Grundlage und mittels Gameplaying eine Critical Multiliteracy Competence zu fördern. Während der Einbezug von Games im Fremdsprachenunterricht im Allgemeinen noch keine größere Rolle zu spielen scheint, stellen sie heraus, welche Bedeutung Games für Kinder und Jugendliche haben und wie dieses Potenzial für die Förderung einer kritischen Literalität in den Fremdsprachenunterricht integriert werden kann. Im Anschluss diskutieren zwei Beiträge, wie z. B. seitens von Lehrwerken gesetzte Normen oder mangelhafte Darstellungen von Diversität für den Fremdsprachenunterricht kritisch-produktiv transformiert werden können. Thorsten Merse versteht Queer Theory als notwendige Bezugswissenschaft für eine kritisch orientierte Fremdsprachendidaktik, die Heteronormativität überwinden und den Einbezug von LGBTQ-Identitäten in den Unter‐ richt normalisieren muss. Er sieht neben der Sichtbarmachung dieser Identitäten besonders auch die kritische Auseinandersetzung mit Heteronormativität als einen notwendigen Unterrichtsgegenstand und überträgt diese Überlegungen auf typische Themen und Texte des Fremdsprachenunterrichts. Lotta Königs Beitrag fordert die notwendige Thematisierung der Wirkmächtigkeit von Sprache im Fremdsprachenunterricht ein - und zwar über ihre häufig nur sprachfunktional ausgerichtete Banalisierung in Lehrwerken hinaus. Am Beispiel von Schönheits- und Körpernormen, für Heranwachsende relevante, da auch medial prominent verbreitete, Themen, erarbeitet sie nicht nur das ihnen innewohnende kritisch-fremdsprachendidakti‐ sche Potenzial, sondern zeigt auch die Leerstellen der Disziplin auf. Die Überlegungen münden in eine methodisch-didaktisch ausgearbeitete Unterrichtseinheit, die beispielhaft für die Thematisierung potenziell kritischer Normen gesehen werden kann. Sich scharnierartig an die praxisbzw. materialtheoretischen Überlegungen anschlie‐ ßend beschäftigen sich die folgenden beiden Beiträge in einer kritischen Erweiterung des Einleitungsartikels mit grundlegenden Fragestellungen mithilfe sozial- und erziehungs‐ wissenschaftlicher Bezugstheorien. Ausgehend von gesellschaftlichen Kernmerkmalen wie Beschleunigung und Steigerung - und als Folge dessen für Bildung: Effizienzsteige‐ rungs- und Outputzwang - führt Jochen Plikat in das sozialwissenschaftliche Konzept der Resonanztheorie ein. Primär basierend auf den Arbeiten von Hartmut Rosa, der die 34 Die Beiträge in diesem Sammelband Resonanztheorie im deutschsprachigen Diskurs im Wesentlichen geprägt hat, zeigt er, wie Resonanz als Zugang zu gelingendem Fremdsprachenunterricht und für das Herstellen einer bildungsförderlichen Umgebung hilfreich sein könnte. Andreas Bonnet und Uwe Hericks sehen weniger inhaltliche Herausforderungen für einen kritisch-modernen Fremdsprachenunterricht im Vordergrund (das „Was“), sondern plädieren in einem Umdenken für die Perspektive des „Wie“ und einen solidarisch-päd‐ agogisch ausgerichteten Fremdsprachenunterricht. Allerdings diagnostizieren sie dem Fremdsprachenunterricht in der Folge u. a. von Standardisierung sowie einem konkur‐ renzorientierten Leistungsprinzip eine zu starke Steuerung und Schließung, während das Lernen von Fremdsprachen mit seinen sprachlichen, kulturellen sowie ästhetischen Inhaltsfeldern eigentlich stärker auf Öffnung und Anbahnung von Bildungsprozessen angelegt sein sollte. Anschließend an die stärker grundlagentheoretisch orientierten Beiträge von Plikat sowie Bonnet und Hericks, mithilfe derer auch immer mögliche Folgen für die Rolle von Fremdsprachenlehrkräften potenziell mitgedacht werden können, beschäftigen sich die letzten Beiträge stärker mit den Lehrpersonen in einem kritischen Fremdsprachen‐ unterricht. Michael Schart betont zum Beispiel die durchaus nicht ungefährliche Rolle von kritischen Deutsch-als-Fremdsprache-(DaF-)Lehrpersonen, die in diversen Kontexten arbeiten, in denen Freiheit oder Demokratie möglicherweise eingeschränkt sind. Am Beispiel eines universitären Deutschunterrichts in Japan stellt er fünf Prinzipien heraus, wie kritisches Denken zumindest angebahnt und in dialogischen Unterrichtsprozessen produktiv genutzt werden kann. Gleichzeitig betont er die Bedeutung einer Lernkultur, die immer wieder von den beteiligten Personen (also Lehrenden wie Lernenden) neu geschaffen werden muss. Dagmar Abendroth-Timmer zeigt, wie Fremdsprachenlehrer*innenbildung sowohl in‐ dividuelle Reflexion seitens der Lehramtsstudierenden anstoßen als auch ein kritisches Bewusstsein fördern kann. Auf der Basis von fallbasierten Konfliktsituationen aus Pra‐ xisphasen werden Französisch- und Spanischstudierende in einem dramapädagogischen Setting zur kritischen (Selbst-)Reflexion und gemeinsamen Peer-Reflexion angeleitet, um besonders Kognition, Emotion und Leiblichkeit im Zusammenhang mit dem Konflikt verbalisieren zu lernen. Gemeinsam mit Kenneth Fasching-Varner stelle ich abschließend Grundüberlegungen dahingehend an, wie eine kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung ausgestaltet wer‐ den könnte, welchen Prinzipien sie folgen müsste und wie sie sich - ohne größere Umstürze - in die Strukturen des deutschen Lehrer*innenbildungssystems einbinden lassen könnte. Die vielen Konjunktive sind hierbei gewollt: Entstanden ist ein Papier, das Ideen skizziert und auf internationale theoretische wie empirische Forschung rekurriert, welche erste Ver‐ suche unternommen hat, kritische Perspektiven in die Fremdsprachenlehrer*innenbildung einzubringen. Inwiefern diese Maßnahmen im deutschsprachigen Raum auf fruchtbaren Boden treffen, wird die Zukunft zeigen. 35 Die Beiträge in diesem Sammelband Covid-19 und kritisches (Nicht-)Wissen Die Mehrzahl der Beiträge ist unter dem Eindruck der weltweiten Corona-Pandemie in der ersten Hälfte des Jahres 2020 entstanden, welche das Berufs- und Privatleben vieler, besonders aber auch das Bildungswesen sowie den gesellschaftlichen Zusammenhalt auf die Probe gestellt hat. Auch die Forderung einer besonderen Kritikfähigkeit wurde dabei von Verschwörungsgläubigen immer wieder eingefordert. Ein Beispiel aus dem Zeitraum: Abiturienten meiner Frau förderten zu einem gewünschten Alltagsbezug in ihrer Aufgabenstellung im mündlichen Abitur ernsthaft einschlägige Verschwörungstheorien zu Tage, die sie über soziale Medien rezipiert hatten. Dieses „kritische Bewusstsein“ in seiner - derart ausgestaltet - sprachlos machenden Naivität hat natürlich nichts mit den Prinzipien von Critical Literacy oder Critical Pedagogy zu tun, wie sie grundlegend für die Beiträge in diesem Sammelband sind. Dieses kleine Beispiel zeigt jedoch, wie wichtig Wissen in unserer Gesellschaft geworden ist (und immer schon war) und dass Schule den kritischen Umgang mit Wissen und seiner Herstellung unbedingt fördern muss. Danksagung Ich danke allen Beitragenden für die große Bereitschaft mitzuwirken, ihre zuverlässige Zusammenarbeit und die fundierten sowie vielschichtigen Beiträge, die für diesen Band zusammengekommen sind. Mareen Lüke danke ich für ihre Unterstützung bei der inhaltli‐ chen und formalen Begutachtung, Kathrin Heyng und Katharina Gerhardt vom Narr-Verlag für das sorgfältige Lektorat sowie ihre bereitwillige Unterstützung für dieses Projekt. David Gerlach Marburg im August 2020 36 Die Beiträge in diesem Sammelband Ausgewählte Materialien für einen kritisch orientierten Fremdsprachenunterricht: Jugendliteratur mit Transgender-Thematik Jan-Erik Leonhardt & Britta Viebrock 1. Einleitung Ziel des vorliegenden Beitrags ist die Diskussion ausgewählter Materialien für einen kritisch orientierten Fremdsprachenunterricht. Zwar mag man zunächst meinen, dass der Ansatz kritischer Theorien und Pädagogiken, die einem ebenso orientierten Fremdspra‐ chenunterricht zugrunde liegen, eher eine grundsätzliche Haltung oder Einstellung zur Bedeutung und Gestaltung institutioneller Bildung einfordert, die über die Grenzen eines einzelnen Unterrichtsfachs hinausgeht. Zudem mag man meinen, dass sich ein kritischer Ansatz nicht in einzelnen Materialien oder spezifischen Methoden widerspiegelt. Oder anders herum gesagt: Er ließe sich mit allen möglichen Materialien realisieren, weil es auf die jeweilige Fragestellung und den methodischen oder analytischen Zugriff ankommt. Aber die Themen- und Materialauswahl, an der der sich Bildungsprozesse vollziehen sollen, und der methodische Zugang, mit dem dieses geschieht, sind eben doch nicht trivial und transportieren bereits eine bestimmte Haltung der Lehrenden, die für einen kritischen Ansatz im Fremdsprachenunterricht eher förderlich ist - oder eben nicht. In jedem Fall ist diese Auswahl politisch, selbst wenn sie nicht als solche intendiert ist (vgl. Jeyaraj/ Harland 2016: 6). In diesem Beitrag entfalten wir unsere Überlegungen daher am Beispiel ausgewählter, aktueller Jugendliteratur zu Transgender-Themen, die wir in unseren fremdsprachendidak‐ tischen Seminaren in der Lehrer*innenbildung in Gänze oder auszugsweise wiederholt eingesetzt haben, und adressieren damit auch eine wichtige Frage kritischer Ansätze, nämlich wessen Stimmen (vermittelt über literarische Repräsentationen) im Unterricht hörbar gemacht werden. Vertieft betrachten wir den Roman Symptons of Being Human ( Jeff Garvin 2016) und ziehen als Vergleichshorizonte George (Alex Gino 2015), If I Was Your Girl (Meredith Russo 2016) und The Art Of Being Normal (Lisa Williamson 2015) heran. Vielmehr als um die Begründung eines bestimmten Genres oder einer bestimmten thematischen Ausrichtung geht es uns allerdings um ein Plädoyer für eine Vielfalt der Textauswahl (vgl. hierzu auch Kirchhoff 2019), die kontext- und situationsspezifisch sehr unterschiedlich sein kann und die von Schüler*innen auch im emanzipatorischen Sinne mitbestimmt werden kann (vgl. Akbari 2008: 280). Wir wählen hier die genannten literarischen Texte zu Transgender-Themen, weil an ihnen Fragen der sprachlichen Repräsentation (z. B. die Verwendung von Pronomina oder spezifisch männlichen oder weiblichen Vornamen bzw. solchen, die eine schnelle und eindeutige Zuordnung unmöglich machen) und damit verbundene Machtstrukturen exemplarisch verdeutlicht werden können und sich hiermit zentrale Anliegen kritischer Ansätze besonders gut sichtbar machen lassen. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass nicht auch andere Genres und Textsorten, wie z. B. Film (vgl. Viebrock 2016 zu Spielfilmen; Leonhardt et al. 2020 zu Dokumentarfilmen) und Themen wie Werbung (vgl. Fehling 2010) oder die Repräsentation ethnischer oder genderbezogener Aspekte in Lehrbüchern und anderem Unterrichtsmaterial (vgl. Gray 2002) im Rahmen eines kritisch orientierten Fremdsprachenunterrichts ebenso geeignet sein können. Bevor wir im Folgenden dezidierte Überlegungen zu unseren ausgewählten Materialien anstellen (vgl. Abschnitte 4 und 5), nehmen wir zunächst eine kritische Perspektivierung der Gegenstände des Fremdsprachenunterrichts (Sprache, Literatur, Cultural Studies) vor (Abschnitt 2). Ebenso beleuchten wir die pädagogischen Perspektiven auf einen kritischen Fremdsprachenunterricht (Abschnitt 3) und leiten daraus grundsätzliche Implikationen ab, was Methoden, Materialien und Aufgabenstellungen betrifft. Diese exemplifizieren wir an einzelnen Aspekten aus den genannten Jugendromanen, bevor wir die Überlegungen in einem abschließenden Fazit (Abschnitt 6) zusammenführen. 2. Kritische Perspektivierung der spezifischen Gegenstände des Fremdsprachenunterrichts: Sprache, Literatur, Cultural Studies Bereits im einführenden Kapitel zu diesem Band macht Gerlach auf die möglichen Be‐ zugskontexte einer kritisch orientierten Fremdsprachendidaktik aufmerksam, die in der Kritischen Theorie nach Adorno (1971) und der Kritischen Pädagogik nach Freire (1976, 2014) liegen. Die Diskussion soll hier nicht wiederholt werden, wohl aber sollen einige Grundzüge kritischer Ansätze dargelegt werden, die besonders im Hinblick auf die in den sprachlichen Fächern verhandelten Inhalte und Gegenstandsbereiche, nämlich Sprache, Literatur und Cultural Studies, relevant sind. Sprache Für den Gegenstandsbereich der Sprache und Kommunikation ist zunächst die Critical Language Awareness (CLA) in der Tradition Faircloughs (2015 [1989], 1992) zu nennen, welche ein tieferes Verständnis sozialer, politischer und ideologischer Aspekte des Sprach‐ gebrauchs beschreibt und als pädagogische Anwendung einer kritischen Diskursanalyse (Critical Discourse Analysis) verstanden wird. Die kritische Diskursanalyse bezieht sich auf Foucaults (1971) Diskursbegriff, der die Regelmäßigkeiten und Strukturen fokussiert, wel‐ che eine bestimmte Sprech- und Ausdrucksweise im gesellschaftlichen Kontext bestimmen. Dabei geht es nicht um linguistische Normen, sondern um ein Verständnis sozialer diskur‐ siver Praktiken: Welcher Sinnzusammenhang wird durch eine sprachliche Darstellung erzeugt bzw. perpetuiert? Welche spezifischen Interessens- und Machtstrukturen liegen dieser Darstellung zugrunde? Im Rahmen der Critical Language Awareness bezeichnet insbesondere das Adjektiv ‚kritisch‘ (im Vergleich zur allgemeinen Language Awareness, die eher sprachspezifisches Wissen fokussiert) ein Bewusstsein für die systematischen Zusammenhänge von Macht und Sprache im gesellschaftlichen Kontext, das es zu entwickeln und in der Folge wiederum 38 Jan-Erik Leonhardt & Britta Viebrock für das eigene gesamtgesellschaftlich relevante Handeln nutzbar zu machen gilt. CLA beschäftigt sich also ebenso mit der Frage, welche sprachlichen Merkmale Macht- und Dominanzstrukturen hervorbringen und verstärken oder auch herausfordern und hinter‐ fragen. Ein zentrales Konzept in diesem Zusammenhang ist das der ‚Sprachideologie‘ (language ideology), die Razfar/ Rumenapp (2012: 349) wie folgt definieren: Language ideologies, or the ideas and beliefs about language held by a group of people, are actively performed in society. It is an effective process in which the beliefs and views held by a group of people underlies the actions and behaviours of that social group. Language ideologies include the ideas society holds towards language and how these beliefs and ideas relate to the way society uses and acts towards language […]. They represent ideas of power and identity as construed by a society […]. Auf der Basis von Sprachideologien lässt sich betrachten, wie Prozesse individueller Diskriminierung und gesellschaftlicher Marginalisierung sprachlich indiziert sein können, wenn sie nämlich auf einer Zuschreibung eines bestimmten Sprachgebrauchs zu einer ethnischen Gruppe, einer religiösen Gemeinschaft, einer sozialen Klasse oder einer Gender‐ identität basieren und diese somit die Grundlage diskriminierender bzw. marginalisierender Praktiken und Diskurse bildet. Ebenso zeigt sich, dass die pragmatische Frage, was eine angemessene Sprachverwendung ist, auf der Basis einer sprachideologischen Betrachtung nur dann sinnvoll zu beantworten ist, wenn zugleich mitreflektiert wird, wer auf welcher Grundlage diese Entscheidung trifft und was die Implikationen für die Sprecher*innen sind, die sich durch einen vermeintlich angemessenen Sprachgebrauch auszeichnen, und solche, die es nicht tun. Alles in allem ist es also das Anliegen der CLA zu analysieren, wie sich Gesellschaft und Diskurs gegenseitig formen und beeinflussen. Literatur Für den Gegenstandsbereich der Literatur findet sich kein vergleichbares Konzept, das sich beispielsweise mit einer kritischen literarischen Bewusstheit bezeichnen ließe. Wohl aber zeigen Überlegungen zur Literatur, dass diese neben einer gesellschaftsstabilisierenden Funktion, welche zwar nicht ausschließlich aber doch überwiegend affirmativ gegenüber bestehenden sozialen Ordnungen und gesellschaftlichen Praktiken ist, immer auch eine reflexive Funktion hat: „Diese Reflexion schafft im literarischen Zeugnis die Distanz zu den dargestellten Verhaltensweisen und Bewußtseinsformen und erlaubt damit dem Rezipienten die distanzierte Kenntnisnahme und Verarbeitung der Verhaltensstandards.“ (Wild 1982: 119) Mit ihrer subversiven Kraft ist diese Funktion als kritische zu bezeichnen. Literatur hat also immer schon die Fähigkeit, in gesellschaftliche Debatten einzugreifen, politisch wirksam zu sein und Diskurse zu beeinflussen. Diese Dimension der Literatur wird im Fremdsprachenunterricht allerdings eher selten zum Thema gemacht, wohl auch weil hier höchst komplexe Zusammenhänge zu erfassen wären und keine einfachen Kausalbeziehungen zwischen einem spezifischen literarischen Werk und übergreifenden gesellschaftlichen Entwicklungen hergestellt werden können. Ein kritischer Ansatz, der hingegen bereits auf textimmanenter Ebene zu erfassen ist, ist Bestandteil literarästhetischer Bildung. Das Lesen literarischer Texte wird hierbei als dialektisches Zusammenwirken von persönlicher Involvierung mit dem literarischen Text, 39 Ausgewählte Materialien für einen kritisch orientierten Fremdsprachenunterricht also einer Identifikation mit oder Alterität zu Hauptfiguren oder Inhalten, sowie kritischer Distanzierung zum Gelesenen verstanden (Delanoy 2002: 65). Das Kritische bezieht sich hier weniger auf die Dimension gesellschaftlicher Kritik als vielmehr auf eine Befähigung, die Merkmale und Wirkungsweisen der stilistischen Gestaltung und damit die Produziertheit literarischer Texte zu erfassen. Delanoy (2002: 63) sieht die Rolle der Leser*innen als aktiv, kritisch mitschaffend und im Denken gefordert. Der literaturdidaktische Ansatz rekurriert hierbei auf rezeptionsästhetische Positionen, die betonen, dass die Bedeutung literarischer Texte nicht nur der Textvorlage selbst eingeschrieben sind, sondern aktiv von den Leser*innen in ihren bestimmten Kontexten konstituiert wird (vgl. Iser 1976). Das Füllen von Leer- oder Unbestimmtheitsstellen vonseiten der Rezipient*innen ist somit Teil eines kritisch-reflexiven Verstehensprozesses, der auch in einem kritischen orientierten Fremdsprachenunterricht nutzbar gemacht werden kann. Die Möglichkeit der zu bearbeitenden Leerstellen ist abhängig von der Materialauswahl und rekurriert auf dieselbe Frage, die wir oben aufwerfen, nämlich welchen Stimmen Gehör verschafft wird. Auch hier ist also eine politische Dimension involviert. Cultural Studies Für den Gegenstandbereich der Cultural Studies finden sich wiederum Konzepte, die sich analog zu Faircloughs Konzept der kritischen Sprachbewusstheit mit Critical Cultural Awareness bezeichnen lassen (vgl. Moncada Linares 2016, Krulatz et al. 2018). Sie beziehen sich in erster Linie auf die Arbeiten von Byram (1997, 2012) und damit auf den Nexus Sprache-Kultur. Critical Cultural Awareness ist die zentrale Kategorie in Byrams Modell interkultureller kommunikativer Kompetenz und wird dort definiert als „an ability to evaluate critically and on the basis of explicit criteria perspectives, practices and products in one’s own and other cultures and countries“ (Byram 1997: 53). Während man Byrams Arbeiten durchaus eine ähnliche Wirkmächtigkeit wie den Arbeiten Faircloughs attestieren kann und es sicher ihr Verdienst ist, die relationale Positionierung eigener und fremder kultureller Erfahrungen in den Fokus zu stellen, sind sie vor allem deswegen zu kritisieren, weil sie auf einem wenig entwickelten, Binaritäten verstärkenden, länderbzw. nationen‐ basierten Kulturbegriff basieren, wie es bereits in der Definition deutlich wird. Byram selbst verhehlt dieses nicht und macht deutlich, dass es ihm (zunächst) um ein praktika‐ bles und praxisbezogenes Konzept für Fremdsprachenlehrer*innen zur Vorbereitung von Begegnungen (z. B. in Form von Studienreisen oder Schüler*innenaustauschen) geht (für eine ausführlichere Kritik vgl. Viebrock 2018). Zugleich ist aber unbestritten, dass mit dem Konzept die Möglichkeit der Reflexion kulturell diverser und komplexer Gesellschaften und deren Relation zur individuellen sozialen Identität ermöglicht und gar eingefordert wird: „[…] thus, it has become imperative to approach learners to explore cultural complexity and multiplicity, so that they face a different social identity while questioning their own“ (Moncada Linares 2016: 130). Critical Cultural Awareness hat auf einer Metaebene also immer auch die eigenen begrifflichen Voraussetzungen in den Blick zu nehmen. Eine kritische Diskussion des Kulturbegriffs (einschließlich der Konzepte der Inter- und der Transkulturalität) wird in der Fremdsprachendidaktik bereits seit über zwei Jahrzehn‐ ten geführt. Sie oszilliert zwischen Positionen, die davon ausgehen, dass eine kritische Bewusstheit, eine begriffliche Offenheit und reflexive Dimension bereits im Begriff des In‐ 40 Jan-Erik Leonhardt & Britta Viebrock 1 Ein weiterer Punkt soll hier erwähnt werden, auch wenn ihm in unserer Materialauswahl und -diskussion keine zentrale Bedeutung zukommt: Was die genannten Konzepte nicht oder jedenfalls nicht ausdrücklich überwinden, obwohl sie das Potenzial dazu hätten, ist ihre monolinguale Orien‐ tierung. Diese wird von Krulatz et al. (2018: 554) als grundsätzliche „manifestation of the nation-state ideology” ausgelegt, die zudem in einer Legitimierung des ‚nativespeakerism‘ einhergeht, also der Modellierung und Vermittlung von sprachlichen Vorbildern, die sich durch eine gewisse Perfektion in ihrer biographisch erworbenen Einsprachigkeit auszeichnen, wobei die erworbene Sprache üblicherweise mit der offiziellen Verkehrssprache bzw. der identitätsstiftenden Mehrheitssprache zusammenfällt. Eine mehrsprachige Orientierung einer kritischen Diskursbewusstheit müsste sehr viel stärker Praktiken wie code-switching, code-mixing oder translanguaging aus ideologischer Perspektive in den Blick nehmen und darüber hinaus insbesondere den Sprachimperialismus der englischen Sprache (vgl. Phillipson 1992, 2009) thematisieren. Natürlich werden multilinguale Aspekte nicht immer durch das Originalmaterial einzubringen sein, aber sie lassen sich durch ergänzendes Material (Arbeitsblätter, mehrsprachige Online-Recherchen, etc.) sowie die gewählten Methoden ergänzen. terkulturellen eingeschrieben sind und dieser daher ausreichend ist (vgl. Delanoy 2014), bis hin zu Forderungen, den Kulturbegriff gänzlich zu ersetzen, z. B. durch den Diskursbegriff im Foucault’schen Sinn, womit eine ‚fremdsprachige Diskursbewusstheit‘ (Plikat 2017) zum zentralen Anliegen eines kritischen Fremdsprachenunterrichts werden würde. Auch wenn Plikat sein Konzept selbst nicht ‚kritisch‘ nennt, rückt es mit der Aufnahme von Foucaults Diskursbegriff und einer Bezugnahme auf die oben zitierten Arbeiten Faircloughs in die Nähe der Critical Language Awareness und verdeutlicht auf diese Weise die enge Verbindung von Sprache und Kultur bzw. Diskurs. In gewisser Weise fallen Critical Language Awareness, Critical Cultural Awareness und fremdsprachige Diskursbewusstheit damit zusammen bzw. bezeichnen eine ähnliche konzeptionelle Vorstellung aus etwas unterschiedlichen Perspektiven. 1 3. Pädagogische Perspektiven auf einen kritisch orientierten Fremdsprachenunterricht Neben den fachlichen Gegenständen des Fremdsprachenunterrichts und den dort verwo‐ benen Machtstrukturen sind vor allem pädagogische Perspektiven auf einen kritisch orien‐ tierten Fremdsprachenunterricht zu betrachten. Auch diese sollen eher unter Bezugnahme auf fachspezifische Quellen präsentiert werden. Als zentrale Konzepte einer kritischen Pädagogik im Fremdsprachenunterricht nennen Phipps und Guilherme (2004: 3): „reflec‐ tion, dissent, difference, dialogue, empowerment, action and hope“, die im Folgenden knapp umrissen werden sollen. Im Gegensatz zum Ansatz der Analyse und Interpretation, zumal wenn diese sich auf vermeintliche sprachlich-kulturelle Gewissheiten oder Kollektive beziehen, ermöglicht der Ansatz der Reflexion einen expliziten Rückbezug auf individuelle persönliche Erfahrungen und deren Implikationen in der fremdsprachlichen Interaktion. Eine kritische Reflexion kann somit als grundlegende Strategie zur Schaffung einer umfas‐ senden kritischen Diskursbewusstheit dienen. Kritische Reflexion ist über das Moment des Dialogs mit der Dimension des Handelns verbunden. Den Begriff des ‚kritischen Handelns‘ definieren Phipps und Guilherme nicht im Detail, aber aus ihren Ausführungen wird deutlich, dass sie damit ein politisches Handeln mit dem Ziel gesellschaftlicher Erneuerung 41 Ausgewählte Materialien für einen kritisch orientierten Fremdsprachenunterricht 2 Bezeichnet hier das Suffix, mit dem Begriffe zur Bezeichnung gesellschaftlicher Verhältnisse, politi‐ scher oder philosophischer Ideen sowie spiritueller Bewegungen gebildet werden (z. B. feminism, socialism, environmentalism). und sozialer Transformation meinen (vgl. auch Jeyaraj/ Harland 2016). Ihren Ansatz sehen sie als somit als praktische, ethische und intellektuelle Notwenigkeit: It […] publicly and determinedly articulates the problems that persist in accepting the world as it now is. It refuses to place faith in the status quo of relations forged only in the dominant interests of global capitalism, of white hegemonic power, of world English as a supreme or first language, of a so-called ‘first world’, of patriarchal power and of heterosexuality. (Phipps/ Guilherme 2004: 2) Dieser Ansatz ist vollumfänglich kompatibel mit der Zielvorstellung einer (critical) citi‐ zenship bei Byram (1997), der Kombination aus kritischer Haltung bzw. Analyse und hieraus entspringender Handlung, die auch bei Fairclough (1992) schon eine wichtige Rolle spielt. Er erkennt - in Übereinstimmung mit dem im vorigen Abschnitt Gesagten - zudem an, dass Lerninhalte niemals neutral sein können, sondern durch ihre soziale, historische oder politische Situierung und Kontextualisierung bestimmt und damit immer schon ideologisch oder politisch perspektiviert sind. Dieses zu erkennen ist Teil einer Ermächtigung (empowerment) der Lernenden, die damit zu selbstbestimmten, autonomen und verantwortlich handelnden Subjekten werden. Vor diesem Hintergrund sind kritische, pädagogische Ansätze auch als ‚pedagogy of responsibility‘ (Giroux 1983) bezeichnet worden. Jeyaraj und Harland (2016) verweisen auf eine Reihe weiterer im akademischen Diskurs verwendeter Begriffe (z. B. ‚pedagogy of possibility‘, ‚empowering education‘, ‚pedagogy of resistance‘ der ‚emancipatory pedagogy‘) und machen auf das gemeinsame Anliegen aufmerksam: „[…] at the heart of all these varieties is the desire to provoke students to go beyond the world they know and feel comfortable in, to expand their understanding of a range of social possibilities and achieve a more equal and just future “ (ebd.: 4). Um dieses zu erreichen, sind durchaus Dissens und Differenz auszuhalten. Während bei Phipps und Guilherme (2004: 3 f.) der Dissensbegriff auf Meinungsverschiedenheiten abzielt und auch Konflikte nicht ausschließt, die es ehrlich und möglichst ausgewogen zu lösen gilt, geht der Differenzbegriff von einer größeren Diversität als Basis aller Überlegungen aus. Mit der sich ergebenden Perspektivenerweiterung ist auch ein Plädoyer für die Erweiterung von Bildungsinhalten und Lerngegenständen verbunden, das sich beispielsweise in der Zurückweisung kanonischer Literatur zugunsten anderer Stimmen ausdrückt oder in einem riskanteren Unterrichtsansatz, der beispielsweise auch PARSNIP-Themen oder die Darstellung negativer Aspekte nicht auslässt. Das Akronym bezeichnet politics, alcohol, religion, sex, narcotics, isms  2 und pornography und damit Themen, die oft als unangemessen angesehen und in (kommerziellen) Unterrichtsmaterialien bereinigt werden, die dann zwar „sanitized“ (Gray 2002: 159) sind, also in gewisser Weise „keimfrei“, damit aber insbesondere in einem kritisch orientierten Ansatz bedeutungslos. Aus dieser knappen Darstellung der Konzepte einer kritischen Pädagogik im Fremdspra‐ chenunterricht wird deutlich, dass sie eine Reihe sehr positiv konnotierter Eigenschaften und Zielvorstellungen umfasst, die sich um weitere, ebenfalls positiv konnotierte Begriffe 42 Jan-Erik Leonhardt & Britta Viebrock (wie z. B. Autonomie, Emanzipation, Demokratie) ergänzen ließe. Damit wird ein kritischer Ansatz durchaus zu einer „utopian imagination in education“ (Crookes 2013: 197), der gleichsam alle gesellschaftlichen Probleme zu thematisieren und möglicherweise zu lösen vermag. Ein solcher Anspruch dürfte einerseits im Zentrum vieler pädagogischer Bemü‐ hungen stehen und andererseits zugleich ihre Überforderung bedeuten (vgl. hierzu auch die kritischen Überlegungen Sowdens 2008). Dennoch ist die Hoffnungsbezogenheit eines kri‐ tischen Ansatzes auch für den Fremdsprachenunterricht ein wichtiges Merkmal, das jede*n dazu anhalten sollte, der zunehmenden Funktionalisierung von Bildung (einschließlich fremdsprachlicher Bildung) in einer auf ökonomisches Wachstum und Gewinnmaximie‐ rung ausgerichteten, von Neoliberalisierung gekennzeichneten, globalisierten Gesellschaft sehr wachsam gegenüber zu stehen: Critical Pedagogy requires that we detach ourselves from the order of things as they are and that we speak critically unto power. It requires refusing the language of the dominant, the functionalist, the positivist; the ways of essentialising and of simply making our own practice serve the goal of implementing things in ways which serve the smooth running of a safe system, but which never enable change or the questioning of power. (Phipps/ Guilherme 2004: 2) 4. Materialauswahl: Jugendliteratur mit Transgender-Thematik Vor diesem theoretischen Hintergrund ist es unser Anliegen, das Potenzial des Jugendro‐ mans Symptoms of Being Human (im Vergleich mit George, If I Was Your Girl und The Art of Being Normal) für einen kritischen Fremdsprachenunterricht zu diskutieren. Wie eingangs bereits erwähnt, ist es eigentlich nicht im Sinne eines kritischen Ansatzes, Themen und Materialien normativ vorzugeben. Wir verstehen die Themenwahl hier exemplarisch, deren praktische Ausführung je nach Kontext modifiziert oder auf andere Themen über‐ tragen werden kann. Die genannten Werke entstammen einem wachsenden Angebot von Jugendliteratur zu Transgender-Themen, was zu einer größeren Sichtbarkeit der Thematik beiträgt (für thematisch verwandte Roman- und Filmvorschläge vgl. die Beiträge in Eisenmann/ Ludwig 2018). Zunächst sollen die Inhalte der gewählten Romane hier knapp skizziert und ihre formalen Besonderheiten benannt werden, bevor im nächsten Abschnitt eine vertiefte Diskussion ihrer Eignung in einem kritischen Fremdsprachenunterricht vorgenommen wird. George erzählt die Geschichte eines Transgender-Mädchens, das darunter leidet, im Körper eines Jungen leben zu müssen und von ihrer Umgebung als Junge wahrgenommen zu werden. Mithilfe ihrer Schulfreundin Kelly findet sie den Mut, für eine weibliche Rolle in der Theateraufführung ihrer Klasse vorzusprechen. Und obwohl dieser Versuch, ihr wahres Selbst zu zeigen, von der Lehrerin nicht wohlwollend aufgenommen wird, ist er doch ein erster Schritt zu ihrem Coming-Out als Melissa. If I Was Your Girl handelt von Amanda, ebenfalls einem Transgender-Mädchen, das ihre geschlechtliche Identität gegenüber ihren Eltern bereits enthüllt hat und als Mädchen lebt. An ihrer neuen Schule allerdings weiß niemand von ihrer Vergangenheit als Junge, was sie unter großen Druck setzt, als sie sich in ihren Schulkameraden Grant verliebt. Wie die Wahrheit ans Licht kommt und ihre Beziehung sowie Amandas Seelenleben beeinflusst, ist der thematische Schwerpunkt des Romans. Die zentralen Charaktere in The Art of Being Normal sind zwei 43 Ausgewählte Materialien für einen kritisch orientierten Fremdsprachenunterricht Transgender-Jugendliche: Der eine ist Leo, der als Junge lebt und sich der Unterstützung seiner Familie sicher sein kann. Ebenso wie bei Amanda weiß an seiner neuen Schule aber niemand von seiner Vergangenheit. Der andere ist David, der zwar als Junge vorgestellt wird, aber einen starken Wunsch hat, als Mädchen zu leben, und im Laufe der Geschichte sein Coming-Out als Kate erlebt. Herausfordernd ist an diesem Roman der bereits im Titel aufgenommene Normalitätsbegriff, der eine kritische Auseinandersetzung mit ent‐ sprechenden Zuschreibungen verlangt und sich damit besonders gut für einen kritischen Ansatz im oben entfalteten Sinne eignet. Etwas anders perspektiviert ist der Roman Symptons of Being Human, der die Geschichte von Riley erzählt und im Untertitel bereits auf die Besonderheit dieses literarischen Charakters aufmerksam macht: „Boy or Girl? Yes.“ Riley ist genderfluid und fühlt sich an machen Tagen mehr als Mädchen, an anderen Tagen mehr als Junge. Bereits am Anfang des Romans zeigt sich, wie höchst problematisch eine gesellschaftliche Erwartungshaltung anhand binärer Geschlechteridentitäten sein kann; Riley erzählt: I’m wearing a pair of jeans and my dad’s old Ramones T-shirt, which I’ve modified to fit my smaller frame. […] I’m grateful that I don’t have to wear a uniform anymore - I remember how suffocating it was to be confined to the same identity day after day, regardless of how I felt inside. But the truth is, it still doesn’t matter how I feel - because however I show up today, people will expect me to look the same tomorrow. Including my parents. So my only choice is to go neutral. (Symptoms of Being Human: 2) Dieser kurze Einblick in Rileys Gefühlswelt zeigt, dass Riley bereits bei der Auswahl von Kleidung die eigene Identität verschleiern muss, um Stigmatisierung an der neuen Schule zu entgehen. Auch das Coming-Out gegenüber den Eltern steht noch bevor. Rileys Vater ist Kongressabgeordneter des Bundesstaates Kalifornien kurz vor einer wichtigen Wahl - ein Coming-Out zu diesem Zeitpunkt liefe damit Gefahr, in einer konservativen Gesellschaft zum Politikum zu werden. Auf Anraten einer Therapeutin beginnt Riley, einen Internetblog über persönliche Gefühle und Erfahrungen zu verfassen, der sehr erfolgreich ist und eine große Leser*innenschaft anzieht. Ein*e anonyme*r Leser*in droht allerdings damit, Rileys Identität zu enthüllen. Daraufhin ist Riley gezwungen, sich zu entscheiden, den Blog aufzugeben, um in der Anonymität zu verbleiben, oder die Risiken einzugehen, die ein Coming-Out mit sich bringt. Im Gegensatz zu den anderen Romanen wird in Symptons of Being Human zu keiner Zeit über das biologische Geschlecht Rileys gesprochen. Ebenso werden aus Rileys Erzählsicht keinerlei Pronomina verwendet, die den Leser*innen diesbezüglich einen Hinweis geben könnten. Auch aus dem Namen, der sowohl für Jungen als auch für Mädchen verwendet werden kann, lassen sich keine Schlussfolgerungen ziehen, die sich in ein binäres Gendersystem einfach einordnen lassen. Die sich ergebende Verunsicherung, keine eindeutige Kategorisierung vornehmen zu 44 Jan-Erik Leonhardt & Britta Viebrock 3 Dem*Der aufmerksamen Leser*in dürfte nicht entgangen sein, dass auch wir in der Darstellung keine Zuschreibung durch Pronomina vorgenommen haben. Das Schreiben ohne die Pronomina eines binären Systems ist dabei durchaus eine Herausforderung, die sich auch im Fremdsprachenunterricht methodisch aufgreifen lässt. So kann beispielsweise eine produktionsorientierte Aufgabe zur Grundlage einer grundsätzlicheren Reflexion über die in Sprache eingeschriebenen Machtstrukturen werden. 4 Als sehr effizient zur Verdeutlichung der Konventionalität des Sprachgebrauchs hat sich in diesem Zusammenhang auch die Übung erwiesen, in einer Lerngruppe die üblichen Adressierungen aufzu‐ brechen und beispielsweise alle männlichen Teilnehmer mit weiblichen Pronomina zu adressieren. können, wird im Roman selbst in Kommentaren der Mitschüler*innen deutlich, die Riley in herablassender Weise mit dem sächlichen Pronomen it bezeichnen. 3 […] two of the girls look up and notice me. I glance away but I feel their eyes on me, scrutinizing, categorizing. I’ve been through this before, and it shouldn’t get to me - but today, it does. […] “Oh my god,” one of the girls says, and my head involuntarily turns to look at her. She’s got long brunette hair and a small, perfect nose. “Holy shit, you guys.” She lowers her voice to a stage whisper, but I can still hear what she says: “Is that a girl, or a guy? ” […] “Yeah, but look what it’s wearing.” It. She called me it. (Symptoms of Being Human: 5, unsere Hervorhebungen) Dieser Abschnitt zeigt, wie die gesellschaftliche Erwartungshaltung an das Bild einer jungen Frau herangetragen wird, die sich - auch in Rileys Wahrnehmung - durch langes Haar und ebenmäßige Gesichtszüge auszeichnet. Zugleich reflektiert er das menschliche Verlangen, Kategorien zu bilden. „Is that a girl, or a guy? “ ist dabei die Grundfrage nach dem biologischen Geschlecht einer Person, die in einer heteronormativen Gesellschafts‐ ordnung immer wieder in dieser Binarität gestellt wird und damit genau diese Ordnung perpetuiert. Die Leser*innen können die Unzulänglichkeit der Frage im Falle Rileys sehr gut nachvollziehen, während sie zugleich mit ihrer eigenen gesellschaftlichen Prägung konfrontiert werden, wissen zu wollen, ob es sich um einen männlichen oder weiblichen Charakter handelt. Durch die Einnahme und Reflexion von Rileys Perspektive können sowohl die eigene Haltung als auch der Wunsch nach einer kategorialen (Ein-)Ordnung (und möglicherweise Hierarchisierung) der Geschlechter kritisch hinterfragt werden, vor allem, da der Roman die Frage nach Rileys biologischem Geschlecht nie aufklärt. Zugleich kann in diesem Zusammenhang die Frage diskutiert werden, warum die Bezeichnung von Riley als it noch beleidigender erscheint als eine falsche Zuordnung als he oder she. Welches Pronomen ist zu verwenden, wenn Unsicherheit darüber besteht, wie eine Person zu bezeichnen ist? 4 Im Vergleich zu Symptoms of Being Human handhaben die weiteren Romane die Verwendung der Pronomina auf andere Art und Weise. In George werden von Beginn an (also bereits vor dem Coming-Out) ausschließlich weibliche Pronomina benutzt. Das ist deswegen bedeutsam, weil beispielsweise in The Art of Being Normal das verwendete Personalpronomen dem jeweiligen sozial präsentierten Geschlecht entspricht: Solange David also äußerlich als Junge in Erscheinung tritt, werden männliche Pronomina ver‐ wendet; erst als die Transition zu Kate vollzogen ist, finden sich weibliche Pronomina 45 Ausgewählte Materialien für einen kritisch orientierten Fremdsprachenunterricht 5 Auf seiner Webseite (https: / / jeffgarvinbooks.com/ ) wird der Autor mit männlichen Pronomen bezeichnet, so dass auch wir uns dieser Sprechweise anschließen. (vgl. hierzu auch den kritischen Kommentar in Mihan 2018: 207). In If I Was Your Girl werden die Pronomina im traditionellen binären System und in Übereinstimmung mit der Geschlechtsidentität der Charaktere verwendet. Ein vergleichender Blick macht deutlich, dass es sich bei der Verwendung der Pronomina jeweils um Entscheidungen handelt, die sich insbesondere aus sprachideologischer Sicht (vgl. Abschnitt 2) diskutieren lassen: Welche gesellschaftlichen Überzeugungen werden mit dem Gebrauch männlicher und/ oder weiblicher Pronomina bzw. mit dem Verzicht darauf vermittelt? Welche Machtstrukturen werden damit jeweils (re-)produziert oder kritisiert? Welche Identitätsentwürfe sind mit welchem Sprachgebrauch möglich? Weiterhin können die jeweiligen Erzählstrukturen und -perspektiven Teil einer kriti‐ schen Sprachanalyse der Romane werden: So ist George der einzige der ausgewählten Romane, der von einem personalen Erzähler in der dritten Person erzählt wird. Die Ereig‐ nisse werden aus Sicht der Protagonistin dargestellt. Bei If I Was Your Girl und Symptons of Being Human handelt es sich um Ich-Erzählungen, die jeweils aus der persönlichen Perspektive von Amanda bzw. Riley erzählt werden. The Art of Being Normal ist insofern eine mehrperspektivische Narration, als dass sie abwechselnd von zwei Ich-Erzählern, nämlich von David/ Kate bzw. Leo, erzählt wird. Welche Möglichkeiten und Grenzen der thematischen und sprachlichen Darstellung ergeben sich aus der jeweiligen Erzählperspek‐ tive? Welche ist am ehesten zur kritischen Reflexion gesellschaftlicher Machtverhältnisse geeignet? Bedenkenswert ist darüber hinaus der (in den Printausgaben dokumentierte) biographi‐ sche Kontext der Autor*innen. Während Alex Gino und Meredith Russo in den Nachworten zu ihren Erzählungen explizit auf ihre Identitäten als Transgender-Persönlichkeiten hin‐ weisen, findet sich bei Jeff Garvin eine Anekdote über einen Gerichtsfall, der sich mit der Frage beschäftigt, welche Toiletten Transgender-Jugendliche zu benutzen haben. Die Diskussion darüber wird als Ausgangspunkt für eine intensive thematische Recherche beschrieben. Zur Genderidentität des Autors finden sich an dieser Stelle keine Angaben. 5 Lisa Williamson bezieht die Erfahrungen, die ihrem Roman zugrunde liegen, aus einer zwei‐ jährigen Tätigkeit beim Gender Identity Development Service (GIDS), einer Abteilung des National Health Service (NHS), die Jugendliche mit Herausforderungen in der Entwicklung ihrer Geschlechtsidentität unterstützt. In unterschiedlichen Ausprägungen verarbeiten alle Autor*innen biographische Erfahrungen bzw. Erkenntnisse aus Beobachtungen oder Recherchen, die biographische Erfahrungen zur Grundlage haben. Lisa Williamson wäre im Vergleich zu Alex Gino und Meredith Russo als cisgender zu bezeichnen, während zu Jeff Garvin nur auf der Basis des Romans keine Aussage getroffen werden kann. Dieser Hinweis ist deswegen wichtig, weil wir in unseren Seminaren wiederholt heftige Diskussionen der Studierenden darüber erlebt haben, welche*r Autor*in mit welcher Berechtigung wessen Stimme(n) hörbar macht. Die Studierenden haben sich teilweise mit großer Emotionalität und Vehemenz gegen Lisa Williamson als berechtigte oder glaubwür‐ dige Autorin eines Romans mit Transgender-Charakteren ausgesprochen, während sie es gleichzeitig unproblematisch fanden, dass beispielsweise eine weibliche Autorin in einer 46 Jan-Erik Leonhardt & Britta Viebrock Erzählung einem männlichen Charakter eine Stimme verleiht. Mit demselben Argumenta‐ tionsansatz ließe sich die Legitimität von Jeff Garvin als Autor eines Romans mit einem genderfluiden Charakter anzweifeln. Zu dieser Frage kam im Kontext unserer Seminare allerdings bisher keine Diskussion auf, sodass wir diesbezüglich keine Beobachtungen wiedergeben können. 5. Diskussion im Rahmen eines kritischen Fremdsprachenunterrichts und einer Kritischen Fremdsprachendidaktik Diese hier anekdotisch geschilderte Emotionalität ist einer der Gründe, warum wir die Diskussion von Jugendliteratur mit Transgender-Themen für besonders geeignet im Kon‐ text eines kritischen Fremdsprachenunterrichts und einer darauf ausgerichteten Lehrer*in‐ nenbildung halten. Gender ist - neben class und race - eine der zentralen Kategorien der Cultural Studies und aus der Perspektive der kritischen Pädagogik explizit als eine derjenigen genannt worden, für welche die bestehenden gesellschaftlichen Strukturen zu überdenken und zu transformieren sind (vgl. Abschnitt 3). Mit ihrem thematischen Fokus gehört Transgender-Literatur zu den risikoreicheren PARSNIP-Themen, aber sie hat dafür eine deutlich größere Chance, gesellschaftlich relevant oder persönlich bedeutsam zu sein. Auch dafür scheint uns die Vehemenz der studentischen Reaktionen einen Beleg zu liefern - wenngleich an dieser Stelle die kritische Arbeit erst ihren Ausgangspunkt nimmt. Anhand der Romane lassen sich sowohl genderals auch literaturbezogene Normvorstellungen aufarbeiten und neu perspektivieren: Die Studierenden (bzw. im schulischen Kontext: die Schüler*innen) bringen ihre impliziten Geschlechternormen zum Ausdruck, wie sie - auch in den Bildungsinstitutionen Universität und Schule - gesellschaftlich vermittelt und perpetuiert werden. Gesamtgesellschaftliche Hierarchien und Machtgefüge werden dort reproduziert und beeinflussen die Handlungen und Handlungsmöglichkeiten der Einzelnen. Im Rahmen eines kritischen Bildungsansatzes können sich die Lernenden dieser Mechanismen bewusst werden und sie zugunsten einer größeren Akzeptanz und Diversität aufbrechen (vgl. auch Mihan 2018: 214). Zugleich bringen die Studierenden bzw. Schüler*innen zum Ausdruck, wessen Stimme sie für repräsentationswürdig halten bzw. wer aus ihrer Sicht wessen Geschichte mit welcher literarischen Stimme erzählen darf. Auch hier beeinflussen gesamtgesellschaftliche Hierarchien und Machtgefüge ihre Wahrnehmung und Positionierung. Im Rahmen eines kritischen Ansatzes lassen sich die Limitationen von Standpunkten erkennen, denen zufolge literarische Darstellungen auf direkten persönlichen Erfahrungen gründen müssen. Ebenso lässt sich das ‚Prinzip der Vielstimmigkeit‘ (Gutenberg 2013: 113) würdigen, das sich beispielsweise auch in unerwarteten Text-Autor*innen-Beziehungen ausdrückt. Mit der Thematisierung von möglichen Konsequenzen oder Effekten, wenn beispielsweise The Art of Being Normal nicht erzählt worden wäre, lässt sich auch die Frage der gesellschaftlichen und/ oder politischen Wirksamkeit von Literatur und deren Beeinflussung von öffentlichen Diskursen relativ niederschwellig und ohne größere literaturgeschichtliche Zusammenhänge diskutieren (vgl. Abschnitt 2). Zugleich ist aber auch die Frage nach einer Bevormundung unterprivilegierter Bevöl‐ kerungsgruppen aufzugreifen. Dieser Punkt ist möglicherweise ein blinder Fleck oder 47 Ausgewählte Materialien für einen kritisch orientierten Fremdsprachenunterricht zumindest eine Ungenauigkeit einer kritischen Pädagogik oder eines kritischen Ansatzes für den Fremdsprachenunterricht: Wie genau, d. h. auf welcher Basis und aus wessen Per‐ spektive, wird gesellschaftliche Benachteiligung bestimmt, gegen die mit einer kritischen Haltung angearbeitet werden soll? Wie werden Themen, die aus kritischer Perspektive grundsätzlich legitimiert scheinen, im Einzelnen ausgewählt oder hierarchisiert? Sind transgender-bezogene Gegenstände beispielsweise wichtiger als traditionelle Gleichstel‐ lungsthemen, weil Erstere binäre Heteronormativitätsvorstellungen überwinden, Letztere aber nicht? Darüber hinaus sind grundsätzliche kritische Einschätzungen gegenüber dem Ansatz einer kritischen Pädagogik (und in der Folge Kritischen Fremdsprachendidaktik) zu bedenken, die sich zum einen darauf beziehen, dass gesellschaftliche Strukturen trotz dieses Bildungsansatzes nur geringfügig verändert werden. Zum anderen beziehen sie sich auf Inkonsistenzen und Inkohärenzen des Ansatzes selbst, d. h. “[…] it is based on post-modern notions of knowledge, yet makes universal claims; it speaks a language of care, but adopts a totalitarian view of society […]” (Sowden 2008: 284). Während also allen gesellschaftlich vertretenen Stimmen eine prinzipielle Gleichwertigkeit eingeräumt wird, bedeutet deren Thematisierung im Unterricht nicht, dass damit automatisch Ungleichheiten überwunden werden. Vielmehr lassen sich auch in einem kritischen Ansatz systemstabilisierende Tendenzen ausmachen. Diese Diskussion soll hier nicht vertieft werden. Für grundsätzliche Legitimation von Transgender-Themen im Rahmen einer heteronormativitätskritischen Haltung sei verwiesen auf Mihan (2018) oder auch schon Decke-Cornill (2004). Letztere (ebd.: 200) betont, dass die Nichtberücksichtigung von Texten außerhalb der heterosexuellen Matrix bedeuten würde, den Lernenden kulturelles Wissen vorzuenthalten, sie der Möglichkeit kritischer Reflexionen zu berauben, die Legitimität nicht normativer Identitätsentwürfe und Verhaltensweisen zu verleugnen und damit zu bestehenden Marginalisierungs- und Verleugnungsmechanismen beizutragen. Das Argument ähnelt Faircloughs (1992: 6) An‐ nahme, dass die Vernachlässigung einer kritischen Komponente der sprachlichen Bildung gleichbedeutend mit einer Fehlfunktion des Bildungsangebots sei: „People cannot be effective citizens in a democratic society if their education cuts them off from critical consciousness of key elements within their physical or social environment.“ Ein weiterer wichtiger Aspekt ist daher die Betrachtung dessen, was Pavlenko (2014: 59) „development of voice and authoritative means of self-expression“ nennt, die unmittelbar mit dem Gedanken der Ermächtigung und in der Folge mit sozialer Transformation (vgl. Abschnitt 3) verbunden sind. Zum einen erlaubt die Perspektivierung von Themen, wie sie in den ausgewählten Romanen vorgenommen wird, den Rezipient*innen eine neue individuelle wie soziale Positionierung, zum anderen stattet der dort modellhaft repräsen‐ tierte Sprachgebrauch die Leser*in/ Lerner*in mit neuen Ausdrucksmöglichkeiten (auch in der Fremdsprache) aus. Eine differenzierte Betrachtung macht allerdings deutlich, dass ein Teil der Romane zwar das binäre Gendersystem kritisiert, zugleich aber gesellschaftlichen Konventionen und dem damit verbundenen etablierten Sprachgebrauch (z. B. männliche vs. weibliche Pronomina) erliegt. Sowohl If I Was Your Girl als auch The Art of Being Normal verfolgen in gewisser Weise das Narrativ des Boy Meets Girl bzw. Girl Meets Boy, wenn auch unter veränderten Vorzeichen, da zunächst eine*r der Partner*innen eine Transition vollzogen hat. Allerdings reproduzieren die Darstellungen der jeweiligen Beziehungen 48 Jan-Erik Leonhardt & Britta Viebrock 6 Markierung, dass das Geschriebene im Modus einer Schimpftirade verfasst wurde. vielfach Stereotype und perpetuieren so Verhältnisse, die das Weibliche als das schwache und passive Geschlecht darstellen. Die in der Sprache eingeschriebene Binarität ermöglicht somit zwar die Darstellung von Transition, aber nicht die Überwindung einer Zweiteilung an sich. Diese Überwindung denkt der Roman Symptoms of Being Human deutlich weiter. Als Ich-Erzähler*in stellt Riley binäre Geschlechterrollen immer wieder in Frage. Die Einsicht in Rileys individuelle Gefühlswelt - beispielsweise anhand der Blogposts, die Riley unter dem Pseudonym Alix veröffentlicht - bietet hierfür Reflexionsräume. Riley erklärt im allerersten Post metaphorisch, was es bedeutet, genderfluid zu sein, und welcher Stigmatisierung man sich ausgesetzt sieht: Anyway, it’s not that simple. The world isn’t binary. Everything isn’t black or white, yes or no. Sometimes it’s not a switch, it’s a dial. And it’s not even a dial you can get your hands on; it turns without your permission or approval. “Okay,” people say, “but you were born one way or the other. Like, biologically. Anatomically.” As if they have a right to know! As if, since I’ve so rudely failed to make it obvious, I ought to wear a sign. Well it’s none of their damn business. You think I am unaware that my gender isn’t immediately apparent to you? You think I didn’t choose these clothes and this haircut specifically to avoid being stuffed into one pigeonhole or another? I’m gender fluid. Not stupid. / rant 6 (Symptoms of Being Human: 28) Mit starker Stimme werden hier eine binäre Geschlechterordnung und -identität in Frage gestellt. Dabei beansprucht Riley keine Deutungshoheit in Genderfragen, denn auf die Definition, was es heißt, genderfluid zu sein, folgt der Satz: „I know it’s not like that for all gender fluid people - but that’s the best way I can describe how it is for me“ (ebd.: 29). Diese Darstellung kann als Aufruf zur Toleranz von Individualität und gegen ein vereinfachendes kollektivierendes und kategoriales Denken gelesen werden. Sie ist damit mehr als nur vereinbar mit der Hoffnungsbezogenheit kritischer pädagogischer Ansätze (vgl. Abschnitt 3). Rileys Geschichte bietet auch deswegen großes Identifikationspotenzial, weil die Le‐ ser*innen gemeinsam mit der Hauptperson den Weg des Erwachsenwerdens erleben. Riley ist eben nicht reduziert darauf, genderfluid zu sein. Im Gegenteil, der Fokus der Erzählung liegt auf den Höhen und Tiefen der jugendlichen Entwicklungsphase: zum ersten Mal verliebt sein, die Schule überstehen, neue Freunde finden, Hochgefühle oder tiefe Zweifel erleben. Gleichzeitig aber fordert Rileys fluide Geschlechtsidentität zur kritischen Reflexion eigener Handlungen auf, welche besonders effektiv sein kann, wenn eine Identifikation mit der Hauptfigur stattfindet. Habe ich mich vielleicht meinen Mitschüler*innen gegenüber (unwillentlich) fehlverhalten, wie Rileys Mitschüler*innen es taten? Falle ich selbst (unbe‐ wusst) in binäre Zuschreibungen zurück, die meine Mitschüler*innen verletzen können? 49 Ausgewählte Materialien für einen kritisch orientierten Fremdsprachenunterricht Solche Fragen sind unmittelbar anschlussfähig an Prozesse des empowerment und dem kritischen Hinterfragen gesellschaftlicher Normen. Weiterhin diskussionswürdig ist die Frage, inwiefern die Aktualität der ausgewählten Romane zu einem kritischen Fremdsprachenunterricht beitragen kann. In Symptoms of Being Human stechen hier beispielsweise die prominente Rolle des Blogs hervor, die Ju‐ gendsprache Rileys und zahlreiche popkulturelle Referenzen (z. B. auf Star Wars). Sicherlich tragen diese zur Zugänglichkeit des Romans und einem erhöhten Identifikationspotenzial mit der Hauptfigur bei, vielmehr stehen unserer Ansicht nach jedoch die allgegenwärtigen anthropologischen Grundfragen - wie der Titel des Romans besagt, die Symptome des Menschseins - im Vordergrund. Auch der politische Fokus des Romans durch die Rolle von Rileys Vater als Kongressabgeordneter hat zwar in Zeiten Trumps und gesellschaftlicher Polarisierung einen besonderen Stellenwert, auch diesem Thema wohnt jedoch große Zeitlosigkeit inne. 6. Fazit Die vorangehenden Abschnitte haben gezeigt, in welcher Weise die Materialauswahl für eine Kritische Fremdsprachendidaktik von Bedeutung ist. Vor allem literarische Texte haben in einem kritischen Ansatz ein großes Potenzial, wenn sie Erfahrungen und Wert‐ haltungen der Leser*innen einerseits persönlich und emotional ansprechen, und diese andererseits vor intellektuelle Herausforderungen stellen und ein kritisches Hinterfragen eigener Haltungen oder Handlungen fördern. Alle der hier vorgestellten Jugendromane mit ihrer jeweils unterschiedlich perspektivierten Transgender-Thematik bieten Diskussi‐ onspotenzial für einen kritischen Englischunterricht. Vor allem Symptoms of Being Human sticht aufgrund seiner besonderen Erzählsprache und -perspektive hervor. Während Ge‐ orge, If I Was Your Girl sowie The Art of Being Normal binäres Geschlechterdenken nur bedingt überwinden, da sie zwar einerseits Transgender-Erfahrungen thematisieren, aber andererseits in traditionellen Darstellungen von Beziehungen und Geschlechterstereoty‐ pen verhaften, verzichtet Symptoms of Being Human auf eine eindeutige Zuordnung und die definierende Verwendung von Pronomina. Auch lernen Leser*innen nie das biologische Geschlecht der Hauptperson kennen. Vielmehr erhalten sie die Gelegenheit zu reflektieren, wie sehr sie selbst einem Kategoriendenken anheimfallen können bzw. wie stark dieses in unserer Gesellschaft und Sprache verankert ist. Neue Perspektiven ergeben sich vor allem durch einen Vergleich der ausgewählten Romane untereinander oder im Vergleich zu anderen (multimodalen) Textangeboten; liest man ausschließlich Symptoms of Being Human, fällt ein Fehlen von binären Pronomina für die Hauptperson womöglich weniger ins Auge als im Vergleich mit anderen Trans‐ gender-Romanen. Die Materialauswahl im Sinne einer Kritischen Fremdsprachendidaktik nimmt somit gerade bei mehrdeutigen oder auch kontroversen Themen immer mehr als einen Text in den Blick und betrachtet die ausgewählten Texte so kontextspezifisch wie möglich. Dieses gilt insbesondere, wenn klassische Schulbücher sensible Themenbereiche nur am Rande oder gar nicht thematisieren. Lehrer*innen müssen in der Lage sein, zusätzliches Material auszuwählen und im Sinne kritischer Ansätze zu diskutieren. Sie müssen gemeinsam mit ihren Schüler*innen festlegen, welchen Stimmen sie in ihrem 50 Jan-Erik Leonhardt & Britta Viebrock Unterricht größeren Raum geben, welchen weniger, welchen gar nicht. Hierfür braucht es ein Bewusstsein, dass die Materialauswahl eine politische Dimension beinhaltet und eine Kritische Fremdsprachendidaktik eine reflektiert-kritische Positionierung verlangt. Dem Ansatz inhärent ist die Vision einer - auch in Genderfragen - diverseren und gerechteren zukünftigen Gesellschaft. Literaturverzeichnis Adorno, Theodor W. (1971): Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959-1969. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Akbari, Ramin (2008): Transforming lives: introducing critical pedagogy into ELT classrooms. ELT Journal 62(3), S. 276-283. Byram, Michael (1997): Teaching and Assessing Intercultural Communicative Competence. Clevedon u.a.: Multilingual Matters. 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Critical pedagogy aims to do just this and more, as it “seeks empowerment and social transformation” (Banegas/ Villacañas de Castro 2016: 455). However, although aspects of critical theory have left a lasting effect on the German school curricula, critical pedagogy has yet to play a prominent role through binding curricular guidelines or regarding research within the field of English as foreign language education in general and in literature didactics in particular. 1 Nonetheless, the German curricula for learning English at higher levels do entail aspects that appear to be closely related to critical pedagogy, if not in name but in spirit. Language education is envisaged to play a significant role in enabling students to achieve the so-called overall educational aims (allgemeine Bildungsziele), amongst which are political responsibility and independent critical judgment (cf. KMK 2005: 7). Hence, it seems that German foreign language education at an advanced level already relates to the classroom context and aims at “social transformation through education” (Akbari 2008: 276). The “questions of social justice and social change”, which are at the heart of critical pedagogy, are also the underlying questions of the compulsory topics within the English as a foreign language lessons. These include “political, social and cultural realities and their historical backgrounds” as well as “global challenges and visions of the future” (QUA-LiS 2020: 4-6), which serve as the basis for teaching, learning and assessing students at higher levels. Therefore, Ramin Akbari’s (2008: 278) concern that “language teaching is viewed mainly as cognitive activity with few socio-political implications” and that even “when the social dimensions of language are acknowledged, the social reality of language learning and teaching is represented from a narrow perspective where social context is only treated as who is talking about what”, does not appear to be relevant for the German context. Unlike in other cultural contexts, in which “coursebooks used for English instruction have been anesthetized to make them politically and socially harmless” (ibid.: 281), the curricular guidelines not only aim towards encouraging students to think, question, analyse, evaluate and discuss social realities. But, in line with Wolfgang Hallet (2002), they also encourage wide, multi-/ intertextual and multimodal reading, including political texts, dystopian narratives and controversial texts, in order to challenge students’ own perspectives as well as consider someone else’s, thus fostering their ability to reflect on these complex processes in a critical way. Working with fictional texts still remains at the heart of higher-level education in German secondary texts, as “literature learning invites safe, personally meaningful, and creative experimentation with feelings, ideas and language” (Delanoy 2013: 27). This is why this contribution will look closely at the ‘moral act’ of teaching and learning with literary texts to foster students’ critical literacies. Werner Delanoy’s (2013) approach to literature didactics, which in turn is influenced by transactional theory, forms the theoretical basis of this contribution. This concept of Reader Response Criticism is, on the one hand, “rooted in pedagogical concepts of Rezeptionsästhetik” (reception aesthetics; Delanoy 2013: 22), placing its focus on “the dialogue between literary text and their readers/ learners” (ibid.). On the other hand, it is “influenced by power-critical positions with a dialogic agenda” (ibid.), which allows for the integration of concepts of critical pedagogy. A further and interconnected issue raised here is that, while the curriculum does encourage critical thinking, it may not yet succeed in enabling students to develop the critical literacies they need to become politically responsible in today’s interconnected and fluid world (cf. Baumann 2012). To illustrate this, I will refer to the domain of “global challenges and visions of the future” (QUA-LiS 2020: 4-6), which has been compulsory for English at higher levels in North Rhine-Westphalia and other German federal states for over a decade now. Dealing with global issues has gradually become an integral element of teaching this subject: Not only is it one of the prominent languages in which global discourses are conducted, it also serves as an opportunity to critically reflect on the (use of) language itself. However, in line with De Lissovoy (2009) as well as Ulrich Beck (2010), it is not only important to encourage agency, to take part in the discourse about these challenges, but it is also essential to support our students in living together in a society that respects the dignity of others and to envisage and deal with what Beck calls ‘world risks’ (cf. Beck 2010, 2012). This might entail reframing the concepts of cultural learning and of critical pedagogy itself within the context of English language education. This theoretical-conceptual article will first outline the educational guidelines at hand, paying special attention to the underlying concepts of political and cultural learning, before giving a practical outlook as to how critical literacies in the context of global issues could be fostered through learning with literature. It serves as an invitation to further discuss the role of critical literacies in literature learning and the importance of widening the theoretical framework towards global and cosmopolitan frameworks of education and to show how literature continues to “play a vital role in educating citizens of the world” (Nussbaum 2003: 88). 54 Frauke Matz 2 In this contribution, the term literacies is based on the Multiliteracies approach, as put forth by the New London Group (1996) and, in a modified form, by Kalantzis and Cope (2012), as it “attempts to explain what still matters in traditional approaches to reading and writing, and to supplement this with knowledge of what is new and distinctive about the ways in which people make meanings in the contemporary communications environment” (ibid.: 1). Hence, although often referred to in the singular (cf., for example, Hallet 2010, Lütge 2008), it is used here in the plural, as “[i]n the past, ‘literacy’ seemed enough. Today, we need to be able to navigate ‘literacies’” (Kalantzis/ Cope 2012: 5). Part I: Literacies, Discourse Competence and Educational Objectives - Outlining (Curricular) Foundations Literary texts and storytelling are particularly important for fostering students’ commu‐ nicative competence (cf., for example, Weskamp 2019: 118, Piepho 2007: 7, Hallet 2009). The teaching and learning of literature thus go beyond fostering reading as well as textand media-related competences, provided that the “focus is on language education rather than language learning” (Delanoy 2013: 32). Learning with literature invites students to participate in meaningful discourses about the texts read and should “aim for careful and (self-)critical readings as well as dialogic forms of sharing responses in order to make literature an educationally valuable experience” (ibid.: 23). In the following, I will examine the connection between communicative competence and (critical) literacies more closely, before discussing the role of literature as “a space for experimentation with feelings, ideas and language” (ibid.: 32). I.1 (Critical) Literacies, Discourse Competence and the Role of Literature In the German school context, the term literacies is closely connected to the concept of Diskursfähigkeit (discourse competence). 2 The term goes beyond the correct usage of language and can be understood as “a means of communication and representation of meanings in a broader, richer and all-encompassing sense” (Kalantzis/ Cope 2012: 4). In the context of foreign language education, “the term is linked to the idea that learners recognise and understand the role that certain domain knowledge and skills (can) play in the life world” (Hallet 2010: 67, translation F.M.). Thus, from a teaching perspective, it “emphasises the linguistic-discursive nature of all knowledge acquired in school and thus the need to enable learners to express and communicate this knowledge linguistically in the real world” (ibid.). It entails a “discursive orientation” and is “also socio-culturally dimensioned and thus carries more strongly experience-oriented and affective dispositions” (Lütge 2008: 127, translation F.M.). In this discursive orientation, the connection to the concept of Diskursfähigkeit becomes clear. As Michael Legutke (2010) points out, Diskursfähigkeit can be understood as a redefinition of the concept of Kommunikative Kompetenz, as put forth by Hans-Eberhard Piepho (1974), and is the overall goal of language learning in Germany (Legutke 2010: 70-71). Piepho bases his understanding of Kommunikative Kompetenz on Jürgen Habermas’ concept of the same (1971) and, thus, places it in the context of critical theory in the tradition of the Frankfurt School. For language education, this essentially means that students should be enabled to both 55 Taking a stance: The role of critical literacies in learning with literature in a world at risk 3 Legutke (2010) also emphasises the importance of Dell Hymes’ concept of communicative compe‐ tence concerning socio-linguistics and other aspects of pragmatics, which has helped define what it means to communicate in an appropriate and effective way. • communicate effectively with others (“kommunikatives Handeln”, Legutke 2010: 71) and • understand, explain and critically reflect on the communication itself on a metacog‐ nitive level (“Diskurstüchtigkeit”, ibid.). In Piepho’s understanding, communicative competence entails the overall goal of language education: to become a responsible citizen (ibid.). In the context of the introduction of educational standards as well as global and technical changes, this was taken further, fol‐ lowing Foucault’s concept of discourse (1973), by re-defining communicative competence as Diskursfähigkeit, meaning the ability of people to participate in multilingual and complex social processes and discourses, to be part of them and to shape them (cf. ibid.: 73). This concept was then included and defined as the main objective of studying foreign languages (English and French) as school subjects, though in slightly more functional terms: the ability to engage in oral and written discourse (“die Befähigung zum mündlichen und schriflichen Diskurs”, KMK 2012: 11). This discourse competence, in turn, is defined in the German educational standards (Bildungsstandards) as the ability to understand and communicate in a foreign language, which is goal-oriented in terms of content, appropriate and differentiated in terms of language, tailored to the addressee and pragmatically adequate (cf. KMK 2012: 11, translation F.M.). This has consequences with regard to the choice of texts, topics and tasks, as will be further discussed (in I.3). While the concept of literacies entails the discursive function, which helps illustrate its closeness to the concept of communicative competence, Legutke’s detailed definition of the concept of Diskursfähigkeit (2010) demonstrates, in turn, its close link to the concept of critical literacies. 3 In line with Stephan Breidbach, José Medina and Anne Mihan (2014), I understand this as relating “to the practices of analysis, criticism and transformation” and recognise it as “a moral and political program for education” (ibid.: 94). While the aim of critical literacies is “to help learners understand that ways of things are constructed in the world by people’s values and actions”, in relation to learning with literature, it further means that a critically literate person identifies relevant and powerful topics, analyses and documents evidence, considers alternative points of view, formulates possible solutions to problems and perhaps also tries these solutions, comes to their own conclusions and makes well-reasoned arguments to support their case. (Kalantzis/ Cope 2012: 149) Teachers should encourage their students to read and reflect critically on their reading experience. This illustrates that, if education is a moral and political act, this also holds true for education with and through literature. Martha Nussbaum (2003: 101-102) indeed states that the 56 Frauke Matz civic and evaluative approach to reading is both moral and political. It asks how the interaction between reader and text constructs a friendship and/ or community, and it invites us to discuss texts by making moral and social assessments of the kinds of communities texts create. Let me briefly return to the concept of Diskursfähigkeit in the context of literature education. In his essay on competence development, in the context of teaching and learning with novels, Hallet (2009) explicitly focuses on Diskursfähigkeit, which he divides into five different abilities: • the ability to recognise and use the linguistic and generic patterns offered; • the ability to strengthen and diversify foreign-language concepts; • the ability to recognise and critically use the models of foreign language communi‐ cation (re-)presented; • the ability to identify individual discourse components and collective discourse objects in the communication at hand; • the ability to recognise the represented and modelled discourses and their objects, relate them to life-world discourses and participate in these discourses with their own perspectives and views (ibid.: 85, translation F.M.). This complex concept of Diskursfähigkeit emphasises that social participation and empow‐ erment of the individual are at the heart of literature education. Therefore, fostering discourse competence and critical literacies are mutually dependent. Fostering students’ critical literacies while working with literary texts thus means encouraging their critical awareness, thereby helping them to become critically aware and responsible citizens, which is the aim of higher secondary school education in Germany and which is outlined in the following. I.2 Educational Objectives and their Challenges In the German school context, teaching and learning at a higher secondary school level follows the ambitious aim to “provide an education that enables people to develop and strengthen their personality, to shape their own lives in a socially responsible manner and to participate in a democratic society” (KMK 2012: 5, translation F.M.). Since foreign languages, along with German and Maths, are viewed as fundamental school subjects and are therefore especially instrumental in achieving this, the objectives of foreign language education are imbedded in the overall educational objectives for higher secondary level education (allgemeine Bildungsziele der gymnasialen Oberstufe, KMK 2005). Hence, language education in the German context plays a crucial role in educating students to become responsible and democratic citizens (cf. KMK 2012: 11). Although the 2012 document, which lays out the educational standards for foreign language learning, does not elaborate on what these overall educational objectives are, it clearly states that language education should contribute fundamentally to these educational goals (ibid.). However, in order to better understand these goals, it is indispensable to refer to the 2005 document itself. First formulated in 1973, the allgemeine Bildungsziele have since remained unchanged. According to the Kultusministerkonferenz (KMK) (2005: 7) schools are obliged to: 57 Taking a stance: The role of critical literacies in learning with literature in a world at risk • impart knowledge, skills and abilities (in the sense of competences), • enable independent critical judgment, independent action and creative activity, • promote freedom and democracy, • educate tolerance, respect for the dignity of the other person and respect for other beliefs, • awaken peaceful attitudes in the spirit of international understanding, • make ethical standards and cultural and religious values understandable, • awaken the willingness to act socially and to take political responsibility, • enable students to exercise rights and duties in society, • help students to understand the conditions in the world of work (cf. ibid., translation F.M.). To a reader familiar with critical pedagogy, having such goals - enabling independent critical judgment, promoting freedom, enabling students to take political responsibility as well as exercise rights and duties in society - might seem as if critical pedagogy and education at a higher school level can be considered emancipatory practices. But, while these objectives appear noble and ambitious, they may also appear to be rather imprecise and dated: On the one hand, teachers are not provided with more details or guidelines on how they should achieve these very broadly formulated aims. On the other hand, the world of 1973 was a very different one from the world of 2005, or even today’s world: The emergence of both globalisation and the digital age were not considered at the time and aspects such as sustainability, transculturality and 21 st century skills are, needless to say, not included in these goals. The goal of promoting democracy, for example, is not placed within the context of transnational and global developments; it does not entail the dimensions of globalisation with which students are faced today (cf. Matz forthcoming). Also, the goal of educating students to become tolerant citizens, who respect the dignity of others, is curiously disconnected from aspects of human rights education, which implies a deeper understanding of those universal principles, while encouraging students to commit “to social justice and solidarity with those whose rights are denied; the development of critical thinking skills; and skills to effect change” (Osler/ Starkey 2010: 18). Hence, awakening “peaceful attitudes in the spirit of international understanding” (KMK 2005: 7) might not be sufficient in helping students to understand globalisation “as [being] complex and dynamic local, global, and transnational intersections of people, ideas, and goods, with unclear impacts in the future” ( Jackson 2016: 18). In focusing on (inter-)national aspects, it misses the critical focus on transnational forces at play. Thus, the question arises as to whether these educational goals are still appropriate in today’s world, to equip students with the necessary skills and competences, literacies and abilities, which they might need “to consider themselves to be agents of change” (Kalantzis et al. 2016: 202). In light of the growing global interdependence and challenges humanity faces, language educators must question whether merely the objective of enabling students to become democratic citizens suffices, or whether a more cosmopolitan approach is necessary. What De Lissovoy (2009: 189) states in the context of critical education is also applicable here: “Globalization provokes questions about the new dimensions of power, as well as the new challenges and possibilities for democracy, which critical education must analyze and explore”. Educational 58 Frauke Matz 4 In the following, the Kernlehrplan für die Oberstufe will be examined, which is the binding curriculum for grades 11-13, when students are roughly between the ages of 15 and 18. objectives should aim at “preparing students to inherit an interconnected world that is complex and diverse” (Gaudelli 2002: 49). For decades, globalisation has changed and shaped language education, and it continues to do so, but it appears that educators and education are not required to shape globalisation (cf. Jackson 2016). In the following, I will examine the topics in the curriculum of English as a foreign language, which are compulsory for schools in North Rhine-Westphalia, to illustrate why these call for a more cosmopolitan approach. 4 I.3 The Contradictoriness of Teaching Global Issues following the Intercultural Paradigma Global issues play an integral role in teaching and learning English at a higher secondary level. In the context of North Rhine-Westphalia they are summarised as follows: Political, social and cultural realities and their historical backgrounds Global challenges and visions of the future • Visions of the future • Ethical issues of scientific and technologi‐ cal progress • Utopia and dystopia • The impact of globalisation on culture and communication • Globalisation and global challenges • Economic, ecological and political issues Tab. 1: Exemplary topics for English at a higher level (QUA-LiS 2020: 4-6, adapted F.M.). Despite the fact that global issues seem to play a dominant role, the curriculum neither gives a definition of globalisation nor does it explicitly include concepts of global education. Within the scope of this article, the term globalisation is thus defined as the process and condition of the cultural, political, economic, and technical meeting and mixing of people, ideas, and resources, across local, national, and regional borders, which has been largely perceived to have increased in intensity and scale during the late 20 th and early 21 st centuries. ( Jackson 2016: 2) I take the view that dealing with global issues only makes sense to educators and their students when approaching these from the perspective of global education, which, in turn, has the aim to prepare students to live in a progressively interconnected world where the study of human values, institutions, and behaviours are contextually examined through a pedagogical style that promotes critical engagement of complex, diverse information towards socially meaningful action. (Gaudelli 2002: 52) From the topics listed above, it can safely be inferred that English lessons are thus meant to address “fragility, injustice, and violence that challenges our shared future” (Gaudelli 2013: 562). To take this further, let me also argue that these global issues also touch upon human rights, as it seems impossible to deal with, for example, ethical issues of scientific 59 Taking a stance: The role of critical literacies in learning with literature in a world at risk 5 For a more detailed discussion of teaching and learning about ecological issues and education for sustainability, please refer to Römhild/ Gaudelli (forthcoming 2020). and technological progress as well as economic, ecological and political challenges, without considering the universality of human rights. They, in turn, “provide a lens through which we can critically examine situations and events” (Osler/ Starkey 2010: 28), thereby lending themselves to the teaching context. They “provide a world view and […] a discourse with which to critique and challenge current social and economic conditions” (ibid.: 43) on a global scale. 5 However, since the first formulation of the Bildungsstandards, foreign language educa‐ tion in the German context remains based on the model of Intercultural Communicative Competence (ICC), as put forth by Michael Byram in 1997. Therein lies the problem, as this intercultural approach promotes “the favourable development of the learner’s whole personality and sense of identity in response to the enriching experience of otherness in language and culture” (Council of Europe 2001: 2, emphasis added by F.M.). Hence, it is based on “binary oppositions of ’self ’ and ’other’/ ‘foreign’ as well as on the concepts of cultures as being monolithic, which is, and always has been, highly problematic” (Matz/ Rogge forthcoming; also cf. Doff/ Schulze-Engler 2011, Freitag-Hild 2010, 2019). Beck even goes as far as stating that “[i]n a world risk society, non-Western societies share with the west not only the same space and time but also - more importantly - the same basic challenges […] (in different places with different cultural perceptions)” in today’s world (Beck 2010: 218). In his opinion, stressing “this aspect of sameness - and not otherness” is an important step (ibid.). Global issues are, in essence, both transcultural and transnational issues; they concern humanity. David Held (2010: 4) summarises these issues by defining three core sets of problems - those concerned with (i) sharing our planet (climate change, biodiversity and ecosystem losses, water deficits); (ii) sustaining our humanity (poverty, conflict prevention, global infectious diseases); and (iii) developing our rule book (nuclear proliferation, toxic waste disposal, intellectual property rights, genetic research rules, trade rules, finance and tax rules). In addition to the rule book for the various issues referred to in “iii”, I would include the development and use of artificial intelligence systems. Since the model Intercultural Communicative Competence is essentially a national approach to cultural learning, it stands in contrast to the ideas of transcultural learning and global education, which are more suitable in what could therefore be called the ‘development of the learner’s whole personality and sense of identity in response to global issues and challenges in languages and cultures and as part of the global community’. Global issues simply cannot be approached in a way that does not foreground a sense of agency, which is both rooted in a global consciousness and a respect for human rights: “Young people should be directively taught against the notion that there is an easy fit among concepts of culture, race, and civilisation, as they learn to question and not assume a sense of loyalty to groups describing themselves as civilisations for political aims.” ( Jackson 2019: 25). Or, as De Lissovoy (2009: 191) clearly states: “What is needed is a critical pedagogy of the global.” Both critical pedagogy and language education in the context of globalisation 60 Frauke Matz 6 Within the framework of this article, cosmopolitanism is understood as elaborating “a concern with the equal moral status of each and every human being and creates a bedrock of interests in what it is that human beings have in common, independently of their particular familial, ethical, national and religious affiliations. It does not deny the historical social and political significance of these kinds of identity, but argues that they can obscure what it is that all people share” (Held 2010: X). 7 Beck (2012: 54) uses this term to describe the form of individualisation as being the “result of the failure of experts in the management of risks”: “people are thrown back upon themselves: disembedding without embedding is the ironic-tragic formula for this dimension of individualization in a world risk society” (ibid.). must be able to reckon with the fundamental transformations of consciousness, experi‐ ence, and identity that are central to the shift of the historical condition of globality. Not only does this mean a consciously transnational perspective, but it also implies a flexibility and innovativeness that can respond to the terrifying (and sometimes exhilarating) openings that the landscape of the global forces upon us (ibid.). I would take this point further in stating that, aside from a critical pedagogy of the global, a cosmopolitan approach to cultural learning and literature learning in language classrooms is necessary because only then could cosmopolitan solidarity be possible. Instead of focussing on otherness, on our students becoming democratic citizens in a very national sense, language education needs to enable students to be part of a cosmopolitan dialogue, a dialogue that has to be introduced and expounded on (cf. Beck 2010: 225). 6 Insofar, “globalization and globality represent more than an extended internationalism, and instead constitute a fundamentally new mode and horizon of social life“, which must be recognised in the educational context (De Lissovoy 2009: 197). Hence, the second part of this article looks more closely at how the topic of ‘political, social and cultural realities and their historical backgrounds: visions of the future - ethical issues of scientific and technological progress/ utopia and dystopia’ can be approached. Part II. Disembedding without embedding  7 : Young Adult Novels and Tragic Individualisation In the school context, the topic area ‘visions of the future’ is mostly taught with the help of dystopian narratives (cf. Grimm 2002, Matz 2013). These literary texts are essentially political texts with a very clear message. Thus, they can best be utilised in conveying global and critical perspectives: “In laying out disturbing developments in societies, which are clearly recognisable for contemporary readers, they serve as a critical reflection of destructive shifts, which occur in their respective community.” (Matz 2019: 62) Since dystopian texts focus on tragedies on a wider human scale, they are appropriate for fostering critical literacies of the global. Tragic narratives acquaint the young citizen with the bad things that may happen in a human life, long before life itself does so. […] By inviting the spectators to identify with the tragic hero, at the same time portraying the hero as a relatively good person, whose distress does not stem from deliberate wickedness, the drama makes compassion for suffering seize the imagination. (Nussbaum 2003: 93) Identifying with the tragic hero and developing what Nussbaum calls a “compassionate imagination” (ibid.: 93) might be easier for students if the characters share similar 61 Taking a stance: The role of critical literacies in learning with literature in a world at risk 8 See, for example, Arvin Ahmadi’s Girl Gone Viral (2019), Jeff Hirsch’s Unnatural Disasters (2019). 9 The journalist and blogger Dan Bloom lays claim to having coined the term Cli-Fi and has started the first blog dedicated to this genre (see: www.cli-fi.net). experiences, fears and angst as their teenage readers (cf. Hintz/ Ostry 2003: 12). Hence, reading young adult texts “might increase the willingness to engage in the suspension of disbelief, ease into these fictional dark visions of the future and let the scenarios unfold themselves” (Matz 2019: 66). There is a wide selection of texts to choose from: Ever since the turn of the millennium, the developments and trends in anglophone Young Adult Fiction appear to increasingly reflect current global issues, such as political injustice, human (and, hence, children’s) rights, the dangers and opportunities of digitalisation and environmental issues. 8 Especially contemporary dystopian fiction for young adults very clearly displays the risks, as outlined by Beck (2012), as well as the consequences they may have on a global scale. Furthermore, since literary texts can offer students a “space for safe experimentation with personally meaningful issues” (Delanoy 2013: 28), they do lend themselves to learning about global issues, offering ample opportunities to deal with visions of the future (cf. Matz 2013/ 2019). Young Adult Climate (Change) Fiction (commonly referred to as Cli-Fi, cf. Matz 2019) has recently emerged as its own distinct sub-genre of dystopian and science fiction. 9 This increasingly growing body of texts offers valuable opportunities for a critical literature education, as these literary texts not only address issues such as global politics and conflicts, economic crises and environmental injustice, but they are also very accessible to teenage students, inviting them to consider and reflect on the importance of environmental agency. Mindy McGinnis’ Not a Drop to Drink (2013) as well as Neal and Jarrod Shusterman’s Dry (2018) are examples of young adult Cli-Fi texts, which mirror a vital aspect of Beck’s concept of the world risk society. They lay out dystopian worlds in which humanity is engaged in a constant fight over the few remaining water supplies. In both texts, the teenage protagonists try to find their own way of engaging with the crisis; they struggle with taking on their responsibilities and question their own agency. Also set in the (not too distant) future, the texts appear hauntingly realistic and explore an existing risk in imagining the worst possible outcome, should global water policies not be changed and adapted. In exploring the issue of water-shortage in these dystopic dimensions, envisaging the future worlds of the teenagers who read it, where droughts determine everyday lives, they outline a possible tragedy. The texts depict that, as a consequence of not taking the risk of water shortage seriously and not acting upon it on a global scale, key institutions of society such as science, business and politics, “which are supposed to guarantee rationality and security”, are confronted with situations in which they can no longer fulfil this function (Beck 2012: 54): “As a result, these institutions are being judged completely differently - no longer as trustees but as suspects. They are no longer seen as managers of risk, but also as sources of risk.” I take the view that texts such as these are helpful starting points in implementing a critical pedagogy of the global in literature learning. Hence, when reading these texts in the classroom, it is helpful for students to first draw on their cultural knowledge: They should consider their own use of water, their background knowledge concerning the global water shortage today, as well as its causes, and the consequences this has on peoples’ lives. It is vital, in this context, to learn about the fact that the right to water has been declared a human 62 Frauke Matz right in 2010. This opens up this field up to human rights education, which in itself “provide a lense through which we can critically examine situations and events” (Osler/ Starkey 2010: 28). In discussing the context in which resolution 64/ 292, the right to water and sanitation, was imbedded in the Human Rights, students might be able to engage in further sense-making of the socio-political background of this novel and the risks it so prominently discusses. As human rights education implies “the encouragement of commitment to social justice and solidarity with those whose rights are denied; the development of critical thinking skills; and skills to effect change” (ibid: 18), it goes hand-in-hand with a critical pedagogy of the global. As Gerlach outlines in the introduction to this volume, critical language education requires participation. Aside from encouraging dialogues between students, teachers also need to encourage students to bring their own choice of texts into the classroom. In doing so, a multitextual and multimodal setting can be achieved in which the focus comes from the learners and their interests. To foster Diskursfähigkeit, students should be encouraged to participate in meaningful discussions about the challenges and issues connected to the global water shortage and what they mean for different communities. To achieve this, teachers and learners must be prepared to listen to students’ concerns and responses regarding not only those texts but also their socio-political backgrounds. In this context, though, the texts should challenge learners’ views, not draw on their angst: They should be encouraged to engage with the novels in a critical way, discussing whether they could imagine the depicted situation to be realistic in the future and what could be done to prevent this from happening. Furthermore, [r]ather than initiating students into already established “communities of practice,” or socializing students into the established habits of a stable democratic society, the centre of gravity must shift to constructing new communities of practice, new habits, and a new society. There is an important transition that must take place from incorporation to creation, from inculcating democratic culture to clearing the ground for discovery of a new culture for a new world. (De Lissovoy 2009: 202) Both novels are not neutral, as they have their own political agendas; they are firmly rooted in their respective contexts, which the students need to research, understand, analyse, evaluate and discuss in a critical way. Hence, in reading these texts, students should be engaged in a hermeneutical reading of the text. In researching the issue of water shortage in California, USA, for example, they gain a clearer understanding of the socio-political context in which the texts were written. As a final aspect, teachers also need to consider the transformative power as an aspect of reading the texts in a critical way: Students should be encouraged to understand how they can assume agency, how they could make a difference if they wish to do so, and how to take a stance. Hence, in the context of the global water shortage, the task design can be part of this process: By engaging students in writing petitions or taking part in water-projects, they not only address existing issues, they also engage in creating a more sustainable world in the context of global education (cf. Matz/ Rogge 2020). Hence, such lessons should be “organised around the voice and agency of learners” (Kalantzis/ Cope 2012: 154) to support them in creating meaning and consider themselves active participants in global contexts. To conclude as to how reading young adult Cli-Fi may contribute to the efforts of a critical pedagogy of the global, I would like to consider Beck’s statement in response to the 63 Taking a stance: The role of critical literacies in learning with literature in a world at risk question as to what could unite human beings. In his view, it is “the traumatic experiences of the enforced community of global risks that threaten everyone’s existence” (Beck 2012: 56). This traumatic experience can be imbedded within the safe space that literature can offer. Students can use these texts to see the issue of water shortage from multiple points of view, learn to question the texts at hand and interpret the human interests expressed in those texts. The orientation of young adult dystopian and Cli-Fi narratives requires critical thinking and can support them in identifying relevant topics, considering different points of view, approaching risks in an analytical way and proposing their own solutions. Conclusion: ‘Interacting with Globalisation’ In closing, I would like to return to the allgemeine Bildungsziele, which seek to “provide an education that enables people to develop and strengthen their personality, to shape their own lives in a socially responsible manner and to participate in a democratic society” (KMK 2012: 5, translation F.M.). In a world at risk, this goal should be extended to include a cosmopolitan perspective, since we all share this one world, its concerns and risks. It appears evident that educators “are no longer expected merely to react to globalization, they must purposefully interact with it, preparing students around the world to respond to globalizations’ challenges” ( Jackson 2016: 18). One way of responding to those challenges is by teaching and learning with literary texts that imagine world risks, inviting students to critically engage with these texts, thereby fostering critical literacies in a global context and a cosmopolitan framework. Learning with literature can therefore also become “a process of learning how to make meanings that place individuals in the world that change the world” (Kalantzis/ Cope 2012: 148). As outlined in this contribution, the advantage of utilising literary texts for developing students’ ability to think globally is based on the premise that a reader who thinks along the lines of the characters, sympathises and reacts with them, can safely get involved in what is portrayed, without having to act himself or herself. (Freitag-Hild 2019: 365, translation F.M.) Young Adult Cli-Fi offers students a safe space to experiment with possible risks by looking into possible future worlds where the unimaginable has already happened. Reading these texts might help students to “anticipate and prevent self-inflicted catastrophes, in short, to deal with manufactured uncertainties”, which is indeed the pressing issue in a world risk society (Beck 2012: 50). Furthermore, the world has changed significantly since the formulation of the allgemeine Bildungsziele, the Bildungsstandard and the conceptualisation of ICC. In this world risk society, young people “are moved by issues that national politics largely rules out” (Beck 2010: 225). Questions concerning environmental destruction, living with globally spread infectious diseases and the meaning of tolerance and justice in the global age “slip through the agenda of national states” (cf. ibid.). Language and literature education could prevent students from practising “a highly political disavowal of politics” (ibid.), enabling them to take a stance and to rethink democracy with a cosmopolitan consciousness. Hence, following not just a transcultural but a cosmopolitan approach to literature didactics might help open students’ “eyes to the uncontrollable vulnerability, to something that happens to us or befalls us, but at the same time prompts us to make new 64 Frauke Matz beginnings that overcome boundaries” (Beck 2012: 61). As literature teaching “is faced with the task of creating text ensembles permitting multi-perspectival and critical readings in line with a humanistic agenda” (Delanoy 2013: 24), this contribution argues that education today must enable young people to develop and strengthen their personalities in these fluid times, to shape their own lives in a world at risk in a socially and cosmopolitical responsible manner and to participate in a cosmopolitan society. This is essential, since cosmopolitanism “has unexpectedly become an everyday affair” (ibid.) and, therefore, needs to be included both in educational goals and in the teaching approaches used to achieve these goals. References Akbari, Ramin (2008): Transforming lives: Introducing critical pedagogy into ELT classrooms. ELT Journal 62(3), pp. 276-283. Banegas, Darío Luis/ Villacañas de Castro, Luis S. (2016): Criticality. ELT Journal 70(4), pp. 455-457. Baumann, Zygmunt (2012): Liquid Modernity. Cambridge: Polity Press. 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Berlin/ Boston: De Gruyter, pp. 107-134. 67 Taking a stance: The role of critical literacies in learning with literature in a world at risk Towards a concept of Critical Digitalisation in the foreign language classroom Ivo Steininger 1. Introduction As I am writing these lines in spring 2020, the COVID-19 pandemic is affecting the lives of millions of people. All over Europe, schools have been closed, and something that was rather put in second place by scholars and practitioners alike suddenly finds itself as the staple of maintaining the education system - namely digitalisation or, depending on semantics, digitisation. Throughout this article digitisation is understood as the process of transforming something into a digital format (e.g. scanning a worksheet), and digitalisation is used when referring to changes induced by the incorporation of digital means and formats with effects on the concept itself. And the conceptualisation of the latter in the field of teaching English as a foreign language is a desideratum that should at least be the outcome of this state of exception in which pupils/ students, parents and educators find themselves. One of the major premises of this article reads as follows: We cannot digitise learning and teaching, since it is based on social interaction, but we can digitise the means of interaction and communication. From this angle, digitalisation encompasses the change digital tools and text types induce in social practices. These social practices in the digital age, especially those in connection with communication, as well as the digital text types accompanying them, will be under scrutiny. Here, the potential of digitalisation for learning and teaching English as a foreign language will be of interest, incorporating perspectives of both learners and educators. In accordance with the objectives of this edited volume, the assumed perspective approaching cultural practices and digital text types is based on critical pedagogy and critical literacy (cf. Gerlach in this volume). There is a certain irony in the fact that this article on digitalisation for educational purposes in a privileged society is captioned with a concept rooted in postcolonialism and the empowerment of learners in post-imperialist societies (cf. Freire 2006). Some aspects of the approach assumed in this article are derived from critical pedagogy (cf. Crookes 2009) and critical literacy (cf. López-Gopar 2019). The former influencing concepts of self-ownership, emancipation and responsibility in education; the latter promoting cultural agency and initiating “ways of thinking about reconstructing and redesigning texts, images, and practices to convey different and more socially just and equitable messages and ways of being” (Vasquez 2017: 9). Taking the aforementioned state of exception as a so-called critical incident that will change the way we think about digitalisation and its role in foreign language education, one has to state that re-thinking the way we incorporate digitised learning material is necessary for establishing a critical perspective. Learners and educators find themselves in a situation that produces imbalances and injustices: Using digitalisation to educational advantage requires equipment, internet access as well as skills and competences in working with digital tools. Moreover, the choice of what to address in educational contexts is entirely dependent upon an asymmetrical hierarchy. It is not necessarily the learners and their experiences with digitalisation as cultural practices that play a role in foreign language teaching and learning. All too often, their experiences with the target language in digital cultural practices are neither valued nor actualised in the foreign language classroom or in teaching material (digital and analogue alike). And in this state of exception, learners and teachers are depending upon digital platforms that do not have educational but commercial objectives. And regarding the imbalances, not every teacher is prepared to manage a digital learning scenario, neither in theory nor in practice. Depending upon the experience with digital tools and platforms, both learners and teachers must face and overcome technological challenges. In consequence, this article seeks to contribute to the conceptualisation of critical digitalisation in the foreign language classroom that goes beyond technical aspects of digitisation, incorporating experiences of learners with the use of the target language in the digital world. This also entails emancipating from commercial applications and programs and turning towards an understanding of digital text types and digital formats as well as towards open source and non-profit orientated digital teaching and learning material. As anecdotal evidence, allow me to give an example of learners' experiences with the target language in the digital world: In a Year 5 English class at a German comprehensive school with an inclusive teaching setting, one of the more reluctant learners (aged 10) with problems in directing selective attention and an openly shown unwillingness to dedicated practising and studying in general, proudly spoke about communicating in English with other players of a certain game with his gaming console. Not only was this proof of instrumental aspects of learning a foreign language, for him it also represented an achievement with connection to self-efficacy. After a couple of months of getting to know each other, he once approached me (as his English teacher) and proudly announced that he had changed the system language of his console to English. In retrospect, I am glad that I could see this for what it meant to him: an unparalleled act of dedication and commitment to both the subject and to me as his teacher. From then on, connecting learning objectives of our English lessons with his experiences of using English in the digital world served as a gateway. Frankly, it was no universal remedy for all his reluctancy, but it changed the way he viewed learning English in general and English lessons in particular. Findings of one of the most comprehensive studies on the use of digital media of young people in Germany, the so-called JIM-Study: Youth, Information Media (MPFS 2019), help to contextualise the ubiquity of digital tools and media: 93 % of participants (n = 1,200 between 12-19 years old) stated that they own a smartphone, two-thirds said they have access to a personal computer or a notebook/ laptop, and 40 % said that they have a gaming console (cf. ibid.: 56). Regarding the average daily use of digital tools, the study stipulates that… 89 percent of the young people are online on a daily basis. According to their own estimates, 12 to 19-year-olds use the internet 205 minutes on an average weekday. One third of the current online use is for communication, with entertainment coming in a close second. Almost one fourth of 70 Ivo Steininger online use is used by the young people for gaming, a tenth is used on informative content. There are differences in this area between girls and boys: Communication makes up for 41 percent of the girls’ time while for boys this is only 29 percent. The difference in entertainment use is less (girls: 34 %, boys: 28 %), and both sexes devote one tenth of their online time to searching for information. Among boys, gaming accounts for 34 percent of their online time - among girls, this number is only 14 percent. (MPFS 2019: 57) 2. Digitisation of Media and the Foreign Language Classroom: A Brief History of Types of Media Regarding the historical development of types of media in the Foreign Language Classroom (FLC), the rise of auditory media (after print media as the predominant form) has to be marked with the audiolingual method of the 1960s. Auditory media, such as records and tape recordings, was predominantly used for pattern drill activities; with an emphasis on repetition (cf. Schmidt/ Strasser 2018). Visual media in turn served as supplementary teaching material. Paintings, flashcards, pictures and slides were seen as stimuli for language learning with focus on grammatical phenomena in isolated instances. With the communicative turn in the late 1970s and early 1980s, media in the FLC functioned as aids for learning and teaching, as prompts for communication, and as communicative tools (cf. ibid.). Moving from analogue multimedia systems to digital multimedia systems with the advent of the competence paradigm in the early 2000s, the form of coded storage changed and brought along limited interactivity. Fig. 1: Development of Types of Media in the FLC (© Ivo Steininger). Applying the distinction between digitalisation and digitisation, even with digital multi‐ media systems we find as commercial teaching material today (at least in Germany) or as add-on material for course books, it is in most cases safe to say that the majority is digitised material, which represents a mere digital transformation of teaching material. Interactivity can be seen as a defining factor in media technology: When seeking to describe digital media, there are certain questions to be asked within a descriptive framework (cf. Weidenmann 2002: 61): 71 Towards a concept of Critical Digitalisation in the foreign language classroom production 1. Which technological medium is used? 2. Which forms of information coding (regarding symbol system)? a. MONOCODAL: only audio b. MULTICODAL: audio files + pictures reception 3. Which sensory modalities? a. MONOMODAL: visual b. MULTIMODAL: auditory + visual At the level of production, questions are asked about the technological medium used and the respective forms of information coding, such as monocodal or multicodal representation. Reception comes into play when addressing the sensory modalities activated by the medium. And the aforementioned interactivity is especially important when it comes to assessing the language learning potential of digital media and digital tools (cf. Haack 2002), since the adjustment and the feedback offered by the digital tool distinguishes a mere replacement of media from an enhancement of FL teaching and learning (cf. ibid.): Aspects of interactivity • Navigational interaction - Adjustment offered • Didactic interaction - Feedback offered Regarding the benefits technology or a certain type of media has for educational purposes, there are several models with evaluative components (cf. Kubalska-Hule et al. 2019). One of the best known is the so-called SAMR model by Puentedura (2006/ 2016). The model “aims to enhance technology integration by aiding the analysis of technology use” (Kubalska-Hule et al. 2019: 219). Puentedura distinguishes between different technological levels of use (cf. 2006) and provides a structure of different categories within a scale: 1. Substitution is situated at the very bottom of the model: Technology “acts as direct tool substitute, with no functional change” (ibid.). 2. Augmentation as the next step from technological enhancement to transformation through technology is characterised by technology acting “as direct tool substitute, with functional improvement” (ibid.). 3. With modification (at the stage of transformation) technology use “allows for significant task redesign” (ibid.). 4. And at the last stage of transformation, redefinition as a category stands for technology use that “allows for the creation of new tasks, previously inconceivable” (ibid.). Schmidt/ Strasser (2018: 219) translate the categories of the SAMR-model to English language teaching (ELT) scenarios: 72 Ivo Steininger Fig. 2: The SAMR Model and ELT scenarios (Schmidt/ Strasser 2018: 219). For digital media to play a significant role in the digitalisation of the English as a foreign language classroom (EFLC), the level of technology use must surpass technological enhancement (substitution and augmentation) and reach transformation in terms of modification or - preferably - redefinition of technology use. As mentioned at the beginning of this article, application of digital technology in the foreign language classroom poses certain demands on all parties involved. For describing functional requirements as well as cognitive demands in dealing with digital technology the term digital literacy is often used. This concept is going to be of interest in the next chapter. When looking at types of media and their digitisation, the role of the computer in foreign language learning comes into play and should not be disregarded. For foreign language learning, one has to account for the development from Computer Assisted Language Learning (CALL) to Mobile-Assisted Language Learning or Language Use (MALL/ MALU) (cf. Falk 2019: 21-31). According to Dudeney/ Hockly (2012), one can discern three phases. In the early years of CALL - referred to as restricted CALL - the computer functioned as a replacement for paper-and-pen pattern-drill activities with decontextualized exercises and no noteworthy didactic interaction. Tools of the so-called communicative CALL - the second phase - offered differentiated feedback and interaction between computer and users, whereas the third phase of CALL - the so-called integrated CALL - entails aspects of integrating the language skills through interaction and multimodality (cf. Buendgens-Kosten/ Elsner 2018). In the light of rapid technological change, Huw and Krashen asked: “Is the term CALL still appropriate? ” (2014: 5). Answering this rhetorical question, they suggest substituting Computer for Mobile-Assisted language learning, due to the ubiquity of mobile devices in the digital age. In contrast to desktop computers (especially for teaching purposes), mobile devices offer accessibility, combine social and individual learning environments and thus facilitate opportunities of informal and formal learning (cf. Palalas/ Hoven 2016: 51). Critically, one must ask whether the development from CALL to MALL has to be seen as modification (or even redefinition) of technology use or rather as augmentation, because only the tool itself changed. Language learning with mobile apps, such as Duolingo or Busuu, to name a few, has its own unique strengths and weaknesses. According to Beatty (2015: 101-103), positive aspects comprise affordable learning opportunities, easy access, 73 Towards a concept of Critical Digitalisation in the foreign language classroom reduced test stress for users, interaction with native speakers, communicative interaction with an international learning community and, because of the barter-based system (as social capital) of some of the most popular language learning applications, MALL/ MALU offers access for financially limited learners. Negative aspects, however, are to be ascribed to the rather vague insight into the effectiveness of online learning with mobile apps (cf. ibid.). This is mostly due to the lack of external evaluation as well as questionable qualification of tutors. In light of this, one should best not forget the economic objectives of most websites and mobile applications, which also shows in the deficiency of offline resources as well as a tendency of mismatched lessons, units and courses, which often goes along with a neglect of targeted learning processes (cf. ibid.). With MALL/ MALU we often find digitisation of communication as a positive factor on the one hand and digitised pattern-drill exercises as negative factors on the other hand. As the central outcome of this chapter one can postulate that digitisation of media in foreign language learning alone is not enough to account for the necessary skill set of critically meeting the demands of the digital world. In this respect, the relation of the foreign language classroom and digitalisation is going to be of interest in the following chapters. 3. Digitalisation and Digital Literacy: Conceptualisation and Representation in Educational Documents From a critical perspective, making sense of the digital world, using it both receptively and productively, requires a certain set of skills. Primary, secondary and tertiary education need to cater to learners’ needs in the digital age. One term that is often used in pedagogical contexts to describe abilities and skills necessary for successfully dealing with demands digitalisation poses on lives of young people is digital literacy. The concept is an integral part of the multiliteracies approach coined by a group of international academics commonly referred to as The New London Group in the early 2000s as an approach to literary theory and pedagogy: First, we want to extend the idea and scope of literacy pedagogy […] to account for the multifarious cultures that interrelate and the plurality of texts that circulate. Second, we argue that literacy pedagogy now must account for the burgeoning variety of text forms associated with information and multimedia technologies. (The New London Group 2000: 9) The multiliteracies approach and with it the concept of digital literacy is still relevant today - even though 20 years have passed since the first publication. In terms of digitalisation and the effect it has on the lives of learners, the multiliteracies approach regards the human mind, human knowledge and learning as “embedded in social, cultural and material contexts” (ibid.: 30). With the critical perspective assumed throughout this article, the concept of digital literacy as part of multiliteracies involves a connection of digital material with the learners’ world, to unfold meaningfulness by referring the context to their life-situation (cf. ibid.: 31). Thus, one of the reasons for using this concept as a stepping stone for transitioning from digitisation and media technology to critical thinking in the digital age is that “as opposed to mediaor technology-oriented concepts, multiliteracies [or digital 74 Ivo Steininger 1 For the German market, I know of one commercial English course book, with which I am involved as an author, that dedicates an entire unit (or theme, as it is called in the book) to digital literacy of learners around the age of 15 (cf. Biermann et al. 2019: 76-83). Activities in the course book circle around daily uses of the internet, using the internet in a professional work environment, reflecting on applications and privacy policy and data security, apps the learners regularly use, digital awareness, gamification and the internet of things, aiming at providing enough critical aspects to be considered when finally asking the learners to design a concept for an app. literacy, IS] pedagogy focuses upon the process of meaning-making in communicative interaction” (Hallet 2018: 7). As with multiliteracies, digital literacy can be seen as an umbrella term for skills and knowledge bases related to using information technology. And the component digital “highlights how everyday digital technologies influence our cultural spaces and the ways people interact with each other in these spaces. As educators, we are particularly interested in understanding how people learn in these interactions and environments” (Sheridan/ Rowsell 2010: 5). Educational topics (cf. Wolff 2012) related to English language learning and teaching include: • Information literacy (e.g., research and distinguishing trustworthy resources), • the ethical use of resources (here under the heading of copyrights and plagiarism), • reflecting on digital traces (e.g., the traceable digital activities, of what we use, when and how often we use it), • questions of data security (what to reveal and how to secure data), and last, but definitely not least: • the handling of digital communication. From a critical perspective, engagement with these aspects needs to be connected to the learners’ real-life experiences. As we have seen before, using digital tools is part of the daily routine of young people and an everyday occurrence. In contrast, addressing digital literacy in an educational context that not only is concerned with negative effects of media use, but incorporates aspects of critically thinking about educational topics in conjunction with digital literacy and the way young people navigate in the digital world, how they use their applications, for what purposes they use them and how this affects cultural practices - synchronically as well as diachronically - is not a common thing to find. 1 From a critical perspective that is being assumed throughout this volume, the educational potential of addressing learners’ digital realities is committed to the socialisation function of school that is addressed in the Guide for the Development and Implementation of Curricula for Plurilingual and Pluricultural Education: Thus, each subject taught at school, in addition to the knowledge and skills it transmits, must also contribute to creating a culture of participation in democratic life, especially with the digitised forms of communication that now make such participation easier. (Beacco et al. 2016: 64) Looking at the Common European Framework of Reference (Council of Europe 2001) and the Companion Volume (Council of Europe 2018), as maybe the most influential educational documents for teaching English as a foreign language in Europe, confirms the impression 75 Towards a concept of Critical Digitalisation in the foreign language classroom that digital literacy and digital awareness are neglected topics. Scanning the documents for the word digital is - to put it mildly - rather disappointing. Common European Framework of Reference for Languages Companion Volume Search keyword Instances Instances digital (none) Of the total of 2 instances only 1 re‐ lates to the language user/ learner and necessary skills: Scale ‘reading for orientation’ A2: “Can understand the main infor‐ mation in short and simple descrip‐ tions of goods in brochures and web‐ sites (e.g. portable digital devices, cameras, etc.)” (2018: 62) internet Under ‘ability to learn’ one finds the following: “Skills and know-how: e.g. facility in using a dictionary or being able to find one’s way easily around a documentation centre; knowing how to manipulate audiovi‐ sual or computer media (e.g. the Internet) as learning resources” (2001: 13) Written interaction: see below Introduction to the scale ‘using tele‐ communication’: “Using telecommunications concerns use of the telephone and inter‐ net-based apps for audio and video communication” (2018: 92) Scale ‘mediating communication/ sit‐ uation (& roles)’ A2+ (personal): “interpreting on the telephone for relatives and friends when applying for a service such as internet or utilities” (2018: 219) electronic Of the total of 9 instances only 2 relate to the language user/ learner and nec‐ essary skills: “Comprehension, especially of writ‐ ten texts, can be assisted by the proper use of aids, including reference mate‐ rials such as: electronic dictionaries, grammars, spell-checkers and other aids” (2001: 92) “In written interaction (e.g. a corre‐ spondence by letter, fax, e-mail, etc.) the processes of reception and pro‐ duction remain distinct (though elec‐ tronic interaction, e.g. via the Inter‐ net, is becoming ever closer to ‘real time’ interaction)” (2001: 92) Of the total of 2 instances only 1 re‐ lates to the language user/ learner and necessary skills: Scale ‘mediating a text/ text (& dis‐ course environment)’ A2 (personal): “labels on food prod‐ ucts or electronic devices, instruc‐ tions on how to use a medicine” (2018: 202) Tab. 1: Instances of digitisation/ digitalisation in CEFR and Companion Volume. For the search keyword ‘computer’, one finds a total of 14 instances in the CEFR (under media, learning approaches, and in the appendix) and no instances at all in the Companion Volume. What adds weight to this neglect is the fact that one should not underestimate the impact the CEFR had on ELT Europe-wide (cf. Piccardo 2014), since it is particularly “the CEFR 76 Ivo Steininger concepts of the social agent and the action-oriented approach [that] represent a significant development beyond the communicative approach” (North/ Piccardo 2019: 143). This is all the more surprising, since the conceptualisation of mediation promoted in the Companion Volume as “the use of language as a tool in order to articulate thought” (ibid.: 151) supplements the notion of mediation as cross-linguistic mediation but does not exclude it. Mediation as language used to convey meaning and to ‘bring across a message’ involves the speaker as a social agent and therefore has to consider the contexts of communication, which in terms of digitalisation is represented by cultural practices that go along with digital text types. Furthermore, the digital nature of communication influences said cultural practices so that mediation as a “process to make meaning using different linguistic and semiotic resources” (Piccardo 2017: 9) should account for the cultural practices of digital communication. Because of digitalisation learners bring experiences to class that are firstly rooted in their role as a social agent, secondly contextualised thematically in their field of expertise and thirdly, because of the digital nature of communication, they are exceeding the verbal sign system. This may very well comprise the incorporation of sound and music, of moving images, of graphics, charts, diagrams and even geocoding (cf. Hallet 2018: 6). Fig. 3: Aspects of modality and codality in digital text types (© Ivo Steininger). Using the learners’ experiences with these cultural practices in the digital world as content, or subject matter respectively, of meaning-making processes in foreign language communication implies steering towards practising how to analyse and produce “semiotic entities of contemporary communication” (Kress 2010: 102). Learning with digital text types is yet to be institutionalised since it is situated mainly in “out-of-school noninstitutional realms of freely chosen digital engagement” (Thorne et al. 2009: 802). Accompanying the digitalisation of cultural practices, learners find learning opportunities in interest-driven online communities (cf. Black 2008, Lam 2006), “yet these opportunities depend on learners seeking communities to join” (Chik 2015: 342). 77 Towards a concept of Critical Digitalisation in the foreign language classroom 4. Reading the Digital: Digitalisation, Cultural Practices and Communication From a semiotic standpoint, there is an interdependency between the medium and the user. For digital communication this means that it produces new communicative practices, which then in turn affect cultural practices: The cultural practices in which our learners are involved constitute cultural norms as patterns of social interaction, of behaviour in concrete situations as well as procedural knowledge - and in addition to it, factual knowledge corresponds with both field and level of expertise - and finds representation in communication in form of digital text types. This interrelation is best described as a cycle: Since our learners communicate digitally, and digitalisation of cultural practices is an ever-evolving phenomenon, this affects both cultural norms of communicating and the evolvement of cultural practice and digital text types alike: Fig. 4: Interrelation of cultural practice and text type (© Ivo Steininger). As early as the mid-1980s, Abelson and Sussman remarked in an introductory volume to computer programming for MIT students that “the computer revolution is a revolution in the way we think and in the way we express what we think” (Abelson/ Sussman 1985: xvi). And with progress from early hypertext over augmented reality to virtual reality - as we find it in its ‘baby shoes’ already today - it is safe to say that this revolution has not come to a halt yet. Not only in respect of language learning, but with effects on the language learner, digital communication “creates a virtual culture that is redefining not only how we know, but who we are” (Kramsch 2010: 159). And this digital online self is “intricate, multimodal, and multi-aspectual and in perpetual motion” (ibid.: 183). Handling both the digital cultural practices and the accompanying digital text types semiotically is a skill set that should not be limited to the digital world, since digital media and text types feature textual elements that are relevant across media and modes (cf. Hallet 2018). The communicative function and its corresponding communicative action that we find in online comments, chats, blogs, vlogs, and digital storytelling - to name but a few - resonates with what we as cultural agents in cultural practices of the offline world frequently do: We inform, we seek to entertain, we appeal, we explain, or we initiate contact. 78 Ivo Steininger Fig. 5: Interrelation of communicative function and communicative action in digital communication (© Ivo Steininger). Looking for aspects of modality specific to digital text types, however, one has to take into consideration live chat and voice over IP (VoIP) communication often used in a variety of video games (cf. Schamroth-Abrams 2015, Jones/ Schmidt 2014) as well as social media text types (cf. Beatty 2015, Chik 2015) to be found in social networks, media sharing networks, discussion forums, reviewing networks and the like. For video games - in his qualitative study Jones (2018) even speaks of video game literacy - communicative digital practices are at least twofold: Firstly, there is the dimension of video games as action and secondly the aspect of video game as text. The former provides a “physical context for games through the three dimensions simulation, design, and actions” (Schamroth-Abrams 2015: 360). Tying this back to the anecdote about the learner in Year 5 from the beginning of this article, the physical context (though it might not be tangible - except for the controller interface) is established in and through communicative practices that take place in the game’s simulations (simulated communication) the design (specific text types) as well as the actions of the players and their avatars. This interaction between player and avatar, according to Gee (2008), leads to three different forms of identity relations gamers coordinate: the real identity of the person playing the game, the virtual identity in form of the avatar on screen and the projective identity as the “affective relationship between the player and his/ her avatar” (Schamroth-Abrams 2015: 360). With video game as text communicative actions in and around the game come into play. According to Beavis (2014), there are four sections to be distinguished: (1) knowledge about games, (2) the world in the game, (3) the world around the game and (4) the player and her/ his role in the digital cultural practice. Communicative actions that use video game as text as a starting point can make use of these different sections. By doing so, different aspects of (digital) cultural practices that revolve around video games can be addressed. Learners, for example, can use their knowledge about games to use digital text types and have something to express communicatively - as a field of expertise. The world in the game and its corresponding cultural practices can be critically evaluated as manifestations of digitalisation, and with the world around the game there is either the real-world as a framework of reference with its cultural codes, the online-world around the game with its 79 Towards a concept of Critical Digitalisation in the foreign language classroom specific forms of cultural practices (fan fiction, cosplay, art [in video games and around video games], programming and modification), or a combination of both. 5. Towards Critical Digitalisation in the Foreign Language Classroom The main idea to be presented in the following is rooted in the contexts of digitisation and digitalisation in foreign language pedagogy. Proceeding on the assumption that digitisation of learning material and along with it the use of digital tools in language learning, teaching and language use - as it is to be found in MALL/ MALU - is a well-established and studied phenomenon in the foreign language classroom with its unique benefits and limitations, the approach adopted here advocates for a broader scope that accounts for the digital cultural practices of learners in the digital world. Referring to Davies and Merchant (2014: 181), there are three situational conditions to be considered that are adduced here as stepping stones for subsequent propositions for critical digitalisation: 1. “Digital practices emerge alongside significant changes in social life”. 2. “Digital practices, particularly those that take place in online spaces, foreground issues of identity and self-presentation”. 3. “Digital competence is not evenly distributed”. Digital (cultural) practices and accompanying changes in social life heavily influence the relationship between teachers and learners. Language use of learners in digital text types can involve linguistic elements as well as topics and themes that, firstly, exceed the progression of the language course and the learning material. Secondly, they might as well exceed the thematic expertise of teachers and classmates, or coursemates respectively. By recognising the reciprocity of digital practices and changes in social life, one must acknowledge the limitations of ‘traditional’ teaching material, such as course books and supplementary material, as well as their digitised counterparts. Conceiving language proficiency and competence development as scales of operational and pre-portioned chunks falls short of acknowledging the embeddedness of both language and factual knowledge in pop-culture and, hence, in digital cultural practices, in which learners (of all ages) engage. Taken that these digital cultural practices involve issues of identity and a variety of forms (and modalities) of self-presentation, learning how to critically reflect upon the identity formation of (young) people needs to be lesson content and addressed receptively as well as productively. Especially in light of the digital tools used in digital cultural practices, with accompanying manifestations of retouching and mise-en-scène. And by recognising the uneven distribution of digital skills and knowledge, we can finally unmask the catchphrase of the ‘digital native’ for what it is: an empty word, since there is no homogenous group, not among learners nor teachers, that has the commonality of similar digital skill sets. People in general, and foreign language learners in particular, might share the same receptive experiences as consumers, but experiences in using digital tools productively varies immensely - maybe even to the extent of digital tools available. This extends to knowledge about digital tools and digital expertise of teachers. For creating learning environments that cater to the learners’ needs of engaging critically with digitalisation by initiating communication within the realm of digital cultural practices, 80 Ivo Steininger teachers (and teacher trainees) have to have certain skills. Different to the European educational documents we find for foreign language learners that neglect the aspect of digitalisation (and as we have seen in chapter 3 ignore the critical component altogether), there is the European Framework for the Digital Competences of Educators (DigCompEdu) (Redecker/ Punie 2017), using a combination of three areas to differentiate educators’ digital competences in “educators’ professional competence”, “educators’ pedagogic competences” and “learners’ competences” with corresponding subcomponents (cf. ibid.: 16), and thus adapting the PCK structure first introduced by Shulman (1986) and widely used interna‐ tionally to represent the interrelation of pedagogical knowledge, content knowledge and the combination of both as pedagogical content knowledge. DigCompEdu presents a progression model that employs the scale of the common references levels first introduced in the CEFR (from A1 to C2): At the first two stages, Newcomer (A1) and Explorer (A2), educators assimilate new information and develop basic digital practices; at the following two stages, Integrator (B1) and Expert (B2), they apply, further expand and structure on their digital practices; at the highest stages, Leader (C1) and Pioneer (C2), they pass on their knowledge, critique existing practice and develop new practices. (Redecker/ Punie 2017: 9) The progression model of the framework is neither content area specific nor prescriptive in form, it is rather designed to encourage “adaptation and modification to the specific context and purpose” (ibid.). For the specific context of critical digitalisation in the foreign language classroom, the mentioning of digital practices in all the reference levels functions as a starting point, along with the competence areas “empowering learners (5)” and “facilitating learners’ digital competence (6)” (cf. ibid.: 16). The idea is to use the connection of demands on both learners and teachers to formulate propositions for the conceptualisation of critical digitalisation in the foreign language classroom. Proposition 1: Digital cultural practices influence communication, and vice versa. Hence, learning a foreign language communicatively takes place in cultural practices and digital text types are inherent part of cultural practices. What learners actually do in informal settings with the language they learn at school for communicating - namely using it as lingua franca in inter-/ multinational online exchange - should not be disregarded in the foreign language classroom. Ideally, the cultural practices inside the foreign language classroom invite the digital cultural practices outside formal institutions together with their communicative functions and accompanying communicative actions. Those who devise communicative tasks and activities for the foreign language classroom - be it as commercial teaching material or material of individual teachers - are best advised to incorporate digital text types as input and outcome alike. If infrastructure allows it, this can be done digitally (digitisation). If not, then at least the changes in communication induced by digital text types and digital cultural practices should play a role in classroom activities (writing a text message, commenting on a blog entry, etc.), thus reflecting upon aspects of digitalisation. 81 Towards a concept of Critical Digitalisation in the foreign language classroom Proposition 2: Digital cultural practices and digital text types are embedded in communication and are communication topics themselves. The experiences of our learners with digital cultural practices should serve as communica‐ tion topics in the foreign language classroom. Teachers do not need to be familiar with every digital tool or every application their learners use daily. But because foreign language teachers are teachers of communication and text types, they should take an interest in the digital cultural practices their learners engage. Only by addressing the learners’ use of digital tools and their specific behaviour in the digital world can we as educators raise a critical awareness. This critical awareness is what leads to aspects of digital literacy that are connected with digital traces and data security. Proposition 3: Critically understanding digital cultural practices requires reflect‐ ing upon their effect on the individual (self-presentation) and societal change (weighing information and sources). As teachers and educators, we not only teach subjects or content, but we educate (young) people. Critically evaluating the digital cultural practices in which they engage and the pressure this puts on them, means to read, talk and write about self-presentation in the online-world and its effects on ‘the quest for the self ’ - namely, personality development and personal growth. Regarding societal change, evaluating and assessing digital cultural practices and their effect on communication and the democratic negotiation of meaning leads to critical awareness that comprises aspects of ‘filter bubbles’, ‘echo chambers’ and information literacy (as well as critically debunking ‘fake news’). Thus, allowing for critical cultural agency and digitalisation in the foreign language classroom. Proposition 4: Digital cultural practices span a variety of digital tools and applica‐ tions and are relevant across media and modes. Critically reflecting upon the interrelation of cultural practice, communicative function and communicative action in the digital world reveals principles of communicating in cultural contexts that are relevant for all text types, be they analogue or digital. Questions of appropriateness and grammaticality as cultural norms as well as aspects of information retrieval from sources to be assessed in terms of reliability and validity and, furthermore, the readers’ response to the effect of the depicted, and as a consequence thereof, the meaning-making processes that ideally arise and manifest as discussion and debates (with either modality) are fundamental constituents of literacy, cultural agency and critical digitalisation. With this article, hopefully, suggestions towards a conceptualisation of critical digitalisation have been put forward. And as a closing remark, let me emphasise that assuming a perspective in the foreign language classroom that incorporates the learners’ experiences and expertise in digital cultural practices allows for communicative language use in the foreign language classroom that is dedicated to communicating critically about aspects of our learner’s social reality. 82 Ivo Steininger References Abelson, Harold/ Sussman, Gerald (with Sussman, Julie) (1985): Structure and Interpretation of Com‐ puter Programs. Cambridge: MIT Press. Beatty, Ken (2015): Essentially social. Online language learning with social networks. In: Nunan, Da‐ vid/ Richards, Jack (Eds.), Language Learning Beyond the Classroom. London/ New York: Routledge, pp. 95-104. Beacco, Jean-Claude/ Byram, Michael/ Cavalli, Marisa et al. (2016): Guide for the development and implementation of curricula for plurilingual and pluricultural education. 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As Gerlach points out in his introduction to this volume, rationales for foreign language teaching have, until recently, relied heavily on notions of communicative competence, especially in light of English’s role as the primary lingua franca in an ever-in‐ creasing range of political, economic, social, cultural, civic, scientific, and academic realms. While theoretical foundations of interand transcultural education that consider these global trends provide a broader justification for the acquisition of EFL competence, this largely functional conceptualization is still too meagre a basis with which to contextualize learners’ needs to effectively participate in contemporary global literacy practices (Gerlach in this volume). This notion of English as a school subject minimizes the substantial role of language in representing and co-constructing social realities (Kramsch 2006a). In so doing, it removes the EFL classroom of its authenticity as well as its ability to meaningfully shape these realities, ignoring the complex interplay of linguistic, multimodal, and symbolic competences that are necessary for effective participation in an increasingly broad array of registers, genres, and contexts, both academic and vernacular. One vernacular context in particular, digital gaming, is often dismissed, when in fact the practice can be highly authentic, social, and semiotically rich, offering an array of EFL learning affordances, contributing to the development of individual learner autonomy, as well as addressing educational and societal inequities. The reasons why digital gameplaying is regularly overlooked, especially in German schools, stems in part from functional, communicative notions of EFL pedagogical aims (Gerlach in this volume), coupled with general attitudes towards the purposes and methods of education more universally, and a medial Habitus among the majority of Germany’s EFL teachers that is disinclined to value digital leisure activities (Blume 2019). These attitudes and preconceptions dismiss a wealth of empirical scholarship on gameplay that provide persuasive evidence for the role of games in contributing to contemporary literacy practices and discourse competences. Moreover, they perpetuate a non-critical kind of literacy that accepts pre-existing hierarchies in society at large and in the classroom in particular, which serve to delegitimize learners’ agency and identities, key factors in the efficacious development of foreign language competence. While digital gameplaying continues in vernacular contexts regardless, players who might learn through gaming may not be prepared to do so without pedagogical intervention to critically situate the practice. Moreover, the gap between many learners’ extramural vernacular digital practices and their formal language education continues to grow, widen‐ ing the distance between their personal, authentic experiences and classroom experiences that are increasingly devoid of relevance beyond the educational institution (Henry 2013). This in turn further increases the disparities between those learners who can access these affordances and activities autonomously, and those who need instructional scaffolding, in a spiraling, and ever-deepening, digital divide (cf. van Deursen/ van Dijk 2014). In terms of an equity-informed approach to language learning, these gaps threaten the ability of the latter group of learners to develop the literacy skills needed for participation in a wide range of language-mediated settings. One of the challenges in examining the impact of digital gameplaying on EFL learning is the broad range of discourses, products, and activities that are associated with digital gaming. This complexity reflects, on the one hand, their relevance to contemporary com‐ munication. On the other hand, the challenge of describing and defining what constitutes digital gameplaying in general, and meaningful digital gameplaying more specifically, is highlighted by its multifarious, i.e., broad and diverse, nature. Rather than trying to address the breadth of applications and activities associated with digital gameplaying practices, this contribution will briefly describe fundamental distinctions in approaching games in the EFL classroom before focusing on how one of these approaches, which emphasizes the use of vernacular games, facilitates the development of contemporary literacies. The emphasis will be on how digital gameplaying and related gameplay activities are essential at all levels of formal EFL education in primary and secondary schools, drawing on critical pedagogical theories on the one hand and illustrative instructional activities on the other to further demonstrate how they can fit into the language learning classroom, as it pertains specifically to German EFL instruction. 2. Vernacular Gameplaying and Gameplaying Activities in the Formal Language Learning Classroom Reinhardt/ Sykes (2014) differentiate between three types of game-related foreign language learning approaches. Whereas game-informed and game-based teaching refer to the use of game-like principles and products specifically for educational settings respectively, game-enhanced language learning focuses on the adoption for educational purposes of commercial games designed for entertainment and related activities (Reinhardt 2019: 8-9). While all three types of game-enriched language learning generate myriad affordances, the focus in this chapter is on the use of these vernacular products and practices and the opportunities (and risks) of incorporating them into the formal language learning setting. Empirical evidence and practical experience suggest that game-enhanced language learning offers substantial opportunities for authentic language learning that can address linguistic skills and multimodal literacies (see for example Reinders 2012) while facilitating learner agency and promoting learner equity. The following sections will illustrate some of the 88 Carolyn Blume & Jonathon Reinhardt ways in which game-enhanced language learning with vernacular games can achieve these significant language learning goals. Of importance is the fact that game-enhanced language learning comprises not just the gameplay itself, but its attendant practices, that is, what is done around and about gameplay. While interactions within the games themselves have been persuasively shown to contribute to the aforementioned opportunities for authentic, socioculturally based, and autonomous language learning at all levels of competence, a wide range of analyses have further documented the role in which game-related activities play an equally important role in this regard. These include such practices as the production and consumption of fan fiction and walk-throughs, as well as modding and fansubbing (Chik 2014, Vazquez-Calvo 2018). These activities contribute to what Salen/ Zimmerman (2004) define as “transformative play,” in which forms of gameplay and interactions around the game change the basic notions or structures of what constitutes the game itself. Just as “transforming” the sexual identity of a game character challenges expectations regarding normed behaviors or preferences, for example, similar interactions in the “real world” can alter existing power relationships (cf. Salen/ Zimmerman 2004: 89). In this way, game-enhanced language learning contributes to language learning beyond the acquisition of linguistic rules, moving it towards the kind of meaning-making that contributes a critical and symbolic component (Kramsch 2006b) to the notion of communicative competence. In the following sections, some of the ways in which digital gameplaying and its related activities can transform the communicative EFL classroom into a critical one will be described by focusing on the parallels between notions of critical theory, critical pedagogy, and digital gameplaying. These discussions will highlight theoretical arguments and empirical evidence that demonstrate how digital gameplaying is relevant to a critical approach to language learning. While some illustrations of potential gameplaying activities will be mentioned, these remain necessarily brief, owing to the conceptual focus of the chapter and the need to situate any implementation within a specific educational community. 3. Authenticity and Sources of Authority Central to the notion of critical pedagogy is authenticity, which, as Will (2018) points out, is a contested concept. This is true, not just in language learning in general, but in computer-assisted language learning (of which game-enhanced language learning is a key element) in particular. While Buendgens-Kosten (2013) points out that a vague notion of authenticity is often assumed to be a prima facie justification for the use of particular language learning materials or inclusion of a specific language learning activity, a critical pedagogical analysis of authenticity emphasizes its socially negotiated nature; that is, its authenticity is bound to its given audience and given purpose (Crookes 2009: 184). Buendgens-Kosten (2013: 276) argues that this entails consideration of three levels of “realness,” consisting of linguistic, cultural, and functional authenticity. While vernacular games are clearly linguistically and culturally authentic, their use in formal language learning settings raises questions regarding their functional authenticity. 89 Gaming as a critical language learning practice Linguistic authenticity in digital gaming Vernacular digital games are linguistically authentic, in that their creation and usage derive from non-language learning contexts (Buendgens-Kosten 2013: 277). While a distinction needs to be made between the language found “in game,” and the language that is produced “around games,” this differentiation does not diminish the authenticity of either type of language. The language “in game” most narrowly refers to the instructions and dialogues that are programmatically created by the game’s developers and that appear in the form of narrations, explanations, or as uttered by non-player characters. In-game language also includes the communication that takes place among players, as is frequently the case in massively multiplayer online role-playing games (MMORPGs) or any social games that allow or require player communication to achieve game goals, such as completion of a mission or a quest. While these language usages may include highly idiosyncratic formulations, they are didacticized only in the sense that they serve to engage the player and facilitate their success. They are examples of what Chik (2013: 835) refers to as “naturalistic computer-assisted language learning,” which she defines as the learners’ “pursuit of some leisure interest through a second or foreign language in digital environments in informal learning contexts, rather than for the explicit purpose of learning the language.” More implicit and incidental than intentional, these language-rich leisure activities are driven by the player-learner’s intrinsic motivation to use the target language in meaningful ways. This acquisition regularly continues beyond the game itself where players join fandoms to talk about the gameplay or produce and consume game walk-throughs that provide information about gameplay and related game activities. Many players create and disseminate fanfiction that incorporates game-related personae and themes, and engage in fansubbing, creating amateur translations of game content and related materials. All of these activities are highly dependent on language reception and production, and are thus natural sites in which authentic communicative competence is informally developed. Relevant for the EFL classroom and any critical analysis is the fact that, despite myriad instances of localized game production and gaming communities in a wide range of languages, the use of English for all these activities continues to dominate. Games produced outside of the English-speaking world may have options for subtitles or some content in, for example, Japanese or German, but they almost universally utilize English to reach a global audience (Chik 2013: 836). Communication among players in the game typically takes place in English as the lingua franca, even when the players have another language in common (Zheng et al. 2009, Chik 2013, Thorne 2008, Sundqvist/ Sylvén 2019). Fansubbing is an example of an authentically rich translanguaging game-attendant activity, in which game-related content in languages other than English is often translated into English, and English-language content is translated by players into one or more local languages (Sauro 2017, Vazquez-Calvo 2018). While the domination of English may be a positive affordance in terms of language learning objectives, the implications regarding the disuse of other national, regional, and local languages need to be considered more critically, and should be addressed in the critical EFL classroom. The fact that the language used in vernacular games does not mirror what is considered standard classroom English is, in fact, a testament to its authenticity. This is especially true as regards EFL, which current learners are most likely to use in their future professional 90 Carolyn Blume & Jonathon Reinhardt and personal lives while “online” (cf. Chun et al. 2016: 67). While some teachers may be hesitant to incorporate games because of concerns regarding its supposedly simplistic nature, Steinkuehler’s (2006) and Thorne et al.’s (2012) analyses of game dialogues reveal a high degree of linguistic sophistication in terms of vocabulary, grammatical structures, and pragmatic functions. Conversely, fears that gameplaying language is too complex for early language learners is belied by evidence of young or novice EFL users playing and communicating in English in Scandinavia (Sundqvist/ Sylvén 2014, Jensen 2017), Turkey (Turgut/ Irgin 2009), Singapore (Skoric et al. 2009), and South Korea (Peterson 2016). Indeed, what seems to be the biggest challenge for teachers is the often highly colloquial nature of communication that takes place in games, as opposed to the inauthenticity of language use in the EFL classroom (cf. Grau 2009, Henry 2013). Incorporating gameplaying in the classroom is a means to bridge this gap and, even more importantly, acknowledge the language used by gameplayers as valid. Cultural authenticity in digital gaming The cultural authenticity of gameplaying as a social practice is self-evident, emerging as it does from the “lifeworlds” (Beavis et al. 2015: 30) of adolescent learners. In fact, digital games in Germany are formally recognized as cultural artifacts, as deserving of attention as other forms of literature and art (Seufert 2017). This acknowledgement is significant, lending legitimacy to these activities and giving those who participate in them “the power to produce legitimate knowledge about the social world” (Benson 1998: 487). Not only does gameplaying reflect contemporary youth cultures; digital worlds are one of the primary ways with which EFL learners interact with the target culture in a naturalistic setting, the target culture being an online, transglobal one. This understanding of target culture, however, requires teachers to adapt their understanding of English language user cultures. Traditionally conceptualized, especially in Germany, as a dominant and monolithic culture of inner-circle countries (Kachru 1992), expanding the notion of English-speaking cultural realms to virtual worlds comprised of multilingual learners with distinct varieties of English as a lingua franca decenters reified cultural conceptions. Moreover, usage in these contexts is sometimes polylingual and often non-standard. Challenging these conceptions, based on 20th century myths of the native speaker and nation-state, opens the door to validat‐ ing non-hegemonic cultural practices throughout the “English-ing” world and learners’ own cultural authority, and legitimizes these learners as competent language users (cf. McKinney/ Norton 2008). In this way, acknowledgement of gaming’s validity as a cultural practice heavily steeped in language contributes to the adoption of a critical pedagogic perspective that recognizes cultural subgroups, validates a multiplicity of language forms, challenges notions of “Western” hegemony, and reconceptualizes the authority and role of the teacher in learning (cf. Guilherme 2006: 168). Through the adoption of their worlds, learners can alter the status quo of power relations in both micro and macro contexts (cf. McKinney/ Norton 2008: 198). 91 Gaming as a critical language learning practice Functional authenticity in digital gaming While digital gameplaying in classroom settings is thus culturally and linguistically authentic, the third type of authenticity, the notion of functional authenticity, is called into question by the integration of games, gameplaying activities, or game analysis in the EFL classroom. Functional authenticity, which assumes that objects of the target language and culture are used in the manner in which they are intended, is lost when these objects become didacticized for educational aims (Buendgens-Kosten 2013: 279). Thus, while gameplaying itself is authentic, using games to make the language classroom more authentic paradoxically may deprive them of their inherent authenticity. This is more so the case when activities are incorporated that do not reflect real-life usages by learners when playing “in the wild” (Sauro 2017), such as when students are interrupted in their gameplay to document content, language usage, or learning processes. “Bridging activities” (Thorne/ Reinhardt 2008), which frame gameplay with pre-play preparation, analysis, and subsequent creative participation, maintain a distance between the game and the classroom that serves to protect the functional authenticity of gameplay itself. Such approaches are necessary to avoid undermining the authenticity and potential redistribution of power inherent in gaming, maintaining them as significant elements of a critical language learning classroom instead of “domesticating” them as innocuous pedagogical instruments (McKinney/ Norton 2008: 198, 201). While calls for authenticity in language education have long emphasized the need for using themes and resources relevant to the learners’ extramural worlds, a reliance on static resources in the past has made this desideratum a challenge to accommodate in both traditional and critical classrooms. Digital games, by virtue of their dynamic nature in which action unfolds on the basis of players’ interactions with the environment, are more able to be responsive to learners’ interests and motivational, as well as developmental, needs. Moreover, the complexity of many of these games avoids the necessary simplification that often robs other didacticized materials of their nuances of meaning, their ability to reflect multiple contingencies, and ultimately, their interest for learners (Lankshear et al. 1996). Finally, authentic games avoid the problems faced by early attempts to infuse curricula with relevant, albeit critical themes, as gameplaying practices can be global, as well as local, in scope and thus provide context, community, and audience for themes both within and beyond those of immediate interest for the learners in a single given classroom. At the same time, by participating in these global gaming activities and discourses, learners become part of a glocalized community, in which their interests, identities, and issues are integrated into more universal discourses. 4. Two Critical Sociocultural Practices: Language Learning & Use and Gameplaying There are clear parallels between concepts and methods of critical theory, critical foreign language pedagogy and gameplaying practices that support the adoption of digital game‐ playing as part of a foreign language curriculum. Both competence-oriented language learn‐ ing and types of complex gameplaying rely on sociocultural interaction as a foundation. While critical theory relies on the notion that sociocultural interactions in language mediate 92 Carolyn Blume & Jonathon Reinhardt relationships between interlocutors, including those of (dis)empowerment and authority, critical foreign language pedagogy emphasizes that the situated relations that exist among and between learners mediate their language acquisition (Gerlach in this volume). Both crit‐ ical theory and critical foreign language pedagogy recognize the significance of situated in‐ teraction, in which the interactants communicate on the basis of historic and contemporary expectations related to issues of status, prior knowledge, gender, and legitimacy as members of a particular linguistic and/ or cultural community (Crookes 2016). Likewise, gameplay practices provide participants an entrée into specialized communities, which have their own expectations regarding status markers, peer relationships, expert-novice interactions, and communicative norms. Problematically, these communities are not immune to extremism, sexism, and racial or ethnic bias, and in fact can be highly exclusionary. Nevertheless, opportunities to engage in productive gameplaying communities abound for almost all players, who may, in many games, play as genders, races, or other identities they are not ascribed in real life, which they can share selectively. Despite the dangers posed by hostile communities, digital communication practices “level the playing field” (cf. Kramsch 2014); this reflects a pedagogy of critical inquiry in that it eliminates hierarchies and positions of authority and replaces them with the notion of affinity-centered learner communities in which the teacher is a learner among other learners. As Thorne (2008: 323) notes, “research on informal learning suggests the more radical notion that knowledge production can and does occur outside of conventional expert-novice configurations.” Quoting Sawchuk (2003), he highlights the radically democratic nature of such computer-mediated interactions, in which traditional notions of teacher and learner are challenged by the distributed nature of knowledge that emerges during gameplay activities. Such educational structures mirror basic precepts of critical foreign language pedagogy. Sociocultural language learning in gameplaying Gameplaying practices incorporate the interaction that is the basis of sociocultural language learning. In these games, real cultures are created and re-created as “novices interact … with established members of speech communities to develop recognized semiotic repertoires and sensitivity to expected forms of communication, normative patterns of interaction, and statusand situation-appropriate presentations of identity” (Reinhardt/ Thorne 2017). Online interactions in playful spaces serve to broaden learners’ understanding of their multiple - including offline - worlds, fomenting the stance that defines a critical language learning environment. Online, players encounter unfamiliar language usage and norms that call into question their received knowledge about language norms, appropriate patterns of interaction, and the supposed universality of pre-existing cultural assumptions (Blume 2019: 26). In this way, online gameplaying and its attendant practices may resemble cultural exchange trips, involving language learners in interactions that lead to new ways of seeing both the world they are visiting and the world from whence they came (Thorne 2008). Central to critical theory, such encounters disrupt existing patterns of reproduction (Darvin/ Norton 2015: 43), and allow for the emergence of new ones. The range of sociocultural language learning activities that occur naturalistically among digital gameplayers echoes principles of “best classroom practice,” including incidences of negotiation of meaning, distributed role-taking, reference to external sources of expertise, 93 Gaming as a critical language learning practice explicit feedback, translanguaging, low-stakes risk-taking opportunities, and shifting expert-novice roles (Thorne 2008, Zheng et al. 2009, Reinhardt/ Thorne 2017). However, in contrast to many traditional tasks in language learning classrooms, collaborative gameplaying relies not only on linguistic skills, but on game literacies as well; these can be understood as competences in a range of social semiotic practices associated with games and gaming, including awareness of games as playful, designed systems, or recognition that they “denote complex interactions between texts, practices, and experiences, underlain by dynamic, structured, and complex-rule-based systems” (Reinhardt et al. 2014: 163). Gaming literacies allow experienced gameplayer language learners to participate on terms equal to those of their more linguistically-able interlocutors, sharing responsibility for goal achievement in a participatory and equitable manner (cf. Zheng et al. 2009). In the language learning classroom, collaborative activities can be constructively designed to generate similar interactions around games (Ranalli 2008). Empirically proven methods of how to facilitate this process in the classroom are just beginning to emerge, with deHaan (2019) providing a detailed illustration of what this could look like in practice while simultaneously calling for more “work [that explores] how teachers integrate technology, values and pedagogy to scaffold students from playing to participation in various spheres of life” (3). Although focusing on board games, he shows both how challenging it is to move learners from other-regulated to self-regulated language usage in a complex, unpredictable process, and ways in which this can transpire. Critical foreign language gameplaying pedagogy Gerlach (in this volume), in line with precepts of emancipatory education, emphasizes the importance of selecting a methodological approach that is consistent with the learning environment’s overarching aims. Thus, a critical language pedagogy must incorporate par‐ ticipative and interactive approaches that generate scaffolded opportunities for dialogue, shifting loci of control, and various sources of expertise. In keeping with sociocultural theory, this scaffolding serves to locate the dialogue in the learner’s Zone of Proximal Development, which Shor (2014: 22) argues is more precisely a “contact zone” (Pratt 1991) that must incorporate specific “rhetorical and pedagogical arts which […] make the zone critical, democratic, and transformative instead of unequal, colonizing, and oppressive.” Gaming practices are inherently participatory, forefronting inquiry as a method of learning how to play a game and be a member of a game community. Moreover, incorporating gaming into the EFL classroom can connect foreign language pedagogy to a number of wider social issues and discourses regarding, for example, technology, power, and gender, and thus encouraging the kind of transformative learning sought by critical pedagogues (cf. Giroux/ McLaren 1989). This might be especially relevant as regards socioeconomic differences that are frequently highly visible among adolescents, a documented source of pervasive inequity in German schooling. While gaming itself is in some ways a ubiquitous and everday practice, the types of gameplaying that occur are informed by socioeconomic status. Differences in access to high-speed Internet and costly consoles, as well as attitudes towards gameplaying that vary by familial habitus, often mean that players from more impoverished backgrounds play more frequently, but with fewer forays into the kinds of multimodal meaning-making processes associated with the complex and sophisticated 94 Carolyn Blume & Jonathon Reinhardt gameplay of those who have both leisure time and financial means to engage in such activities (Blume 2019). It is for these reasons as well that it is critical - in the transformative sense of the word - that gameplay practices are thematized in the classroom. 5. Gameplaying as a Critical Multiliteracy Competence The concept of multiliteracies derives from the argument that human communication reflects increasingly complex and heterogeneous semiotic qualities, including multiand transmodal forms, and that participation in contemporary settings requires learners to have some mastery over some of these qualities and forms (The New London Group 1996). Although the concept of multiliteracies was not originally conceptualized in reference to foreign language learning, the relevance of multiliteracies in precisely this area is apparent. Like foreign language teaching, multiliteracies education seeks to ensure that learners have the ability to actively participate in a wide range of social and cultural discourses (cf. Hallet 2008). In order to make this possible, advocates of multiliteracy education argue that learners need access to a broader range of communicative forms and a broader range of linguistic and semiotic modes. Critical English as a foreign language means multiple Englishes as foreign language Thus, while multilingualism has traditionally referred to knowledge of more than one language, such as German and English, the concept of multilingualism in a multiliteracy approach argues for knowledge of, and respect for, multiple kinds of Germans and Englishes, and includes an understanding of the multiplicity of cultures these entail. Although these differences are acknowledged, to some degree, in references to varying dialects and registers, the concept of multiliteracies advocates for a more expansive understanding of language differences based on contemporary usages, such as those found in digital gameplaying practices, that reflect transcultural norms and new digital registers. Although some curricula argue for a more inclusive stance towards EFL, requiring one of several varieties of English, the majority of materials and practices in use today in German schools foreground a standardized British English, with some comparisons to a theoretically monolithic American English in selected sequences (cf. Volkmann 2010). This nod toward the ways in which English is produced and utilized in other offline worlds does little to prepare learners for participation in myriad online worlds with new kinds of “native speakers” using sometimes exclusionary discourses (cf. Lotherington et al. 2009). Yet being able to communicate successfully in interor transcultural settings is a kind of literacy, and understanding these language differences is essential to actual communicative competence in its contemporary sense. Although Canagarajah (2013: 219) does not focus on online environments, his findings that multilingual interactants “bring an ethos of solidarity, consensus, and supportiveness” to their interactional attempts, and that various modes of communication, such as speech and digital texts, are utilized to bridge communication gaps, likely reflect some of the attitudinal and strategic competences necessary for successful multilingual gaming practices. 95 Gaming as a critical language learning practice Translingualism: Multiple modalities and multiple languages The second dimension of multiliteracies focuses on the multimodality within and through which contemporary communication takes place. Digital media have given rise to new forms of communication in which multilingual orthographies, graphics, animations and other semiotic symbols interweave fluidly and simultaneously. Existing forms of commu‐ nication become modified, and long-held notions of what constitutes, for example, spoken interaction, become unclear. Chun et al. (2016: 67f.) describe, for example, how chats combine features of both synchronous speech and written text, creating new shorthand to facilitate speed and ease processing, and in so doing create new linguistic and hybrid semiotic forms. Likewise, narratives in adventure games have become infinitely complex, branching stories that, reliant on user interaction, can never be replicated in the exact same way twice. Perhaps better understood as translingualism because of its hybrid and fluid qualities (Gevers 2018), multilingualism and multimodality cannot be separated from one another; the plethora of language forms language users encounter are visible precisely because of the multimodal means with which they are communicated. Digital media has given rise to new kinds of language usage which, in turn, have created new language forms. Although he does not focus on digital gaming practices specifically, Plikat (2012: 110) argues it is precisely the foreign language classroom where such participation needs to be grounded: Dem Fremdsprachenunterricht scheint beim Einsatz von Medien eine besonders wichtige Rolle zuzufallen […] Eines der Hauptmerkmale der digitalen Welten [ist] ihre Mehrsprachigkeit. Die vorwiegend einsprachige und auf der Schrift als Leitcode basierende mediale Umgebung des Gutenberg-Zeitalters hat in der sogenannten Turing-Galaxis, in der nicht mehr das Buch, sondern der vernetzte Computer das Leitmedium darstellt, einer mehrsprachigen, meist mit mehrfach kodierten Texten operierenden Praxis Platz gemacht. Dem Fremdsprachenunterricht fällt bei der Erschließung des vielsprachigen Textuniversums Internet naturgemäß eine zentrale Rolle zu. As Plikat points out, learners need competence with an increasing number of multimodal and hybrid language forms, including the abilities to produce, consume, and reuse a broad range of semiotic resources. Games, and the activities around gameplaying, are one kind of text that learners need to be able to read, interpret, and produce (cf. Lotherington/ Jenson 2011). This active participation is core to the original intention of a “pedagogy of multili‐ teracies” (The New London Group 1996), reflecting the fact that hierarchies of knowledge have been flattened and that authority is thus polyfocal and distributed. A gameplaying pedagogy of multiliteracies for the EFL classroom Despite limitations potentially imposed by mediocre language skills, EFL gaming relies on gameplay logic and literacies that cut across linguistic boundaries. Incorporating games as sites of critical foreign language work provides an alternative to the idea of distinguishing between a language curriculum and “a language of discourse” (Breidbach et al. 2014: 99), with the latter component being at risk of falling victim to limited time, narrowly conceptualized curricular goals, or mandates that require the use of only the target language in formal settings. Instead of relegating a critical foreign language pedagogical 96 Carolyn Blume & Jonathon Reinhardt approach to those learners with more sophisticated (traditional) English competencies or reserving critical discussions to exceptional moments when learners can freely use languages in which they are fluent, gameplaying activities in the EFL classroom can open the door to critical multiliteracy work from the earliest language learning levels. 6. Gameplaying as an Agentive, Critical, Foreign Language Pedagogic Practice Central to the notion of both critical pedagogy and foreign language learning is the concept of agency. Agency refers to the learner’s ability to act, which is mediated by sociocultural contexts (cf. van Lier 2008). Thus, the decision of how to participate is not solely dependent on the learner as an individual, but rather is co-constructed in concert with their surroundings and society more generally, echoing overarching theories of sociocultural learning. It is thus aligned with concepts of critical pedagogy, which highlight the imperative of sociocultural co-construction of educational environments and experiences. Moreover, agency cannot be considered separate from language, as it is co-constructed and mediated by language (cf. Norton Pierce 1995: 13). In language learning settings, therefore, agency is shaped - in any one of an array of possibilities that include everything from overt resistance to visible enthusiasm - by classroom structures, the teacher’s pedagogy, institutional and national discourses on language learning, available materials, and peers in the class. It is also shaped by the learner’s competences and the skills they have at their disposal to co-construct this environment. Finally, it emerges in the interaction among learners, and the teacher, in a given setting (Lantolf/ Thorne 2018). In everyday leisure settings, agency is likewise shaped by norms regarding behavior in light of the learner’s habitus (Bourdieu/ Wacquant 1992), the environment that has certain implicit or explicit expectations regarding free time activities, independent learning, or media consumption and production (cf. Papacharissi/ Easton 2013). As Giroux points out, these informal learning spaces have grown in significance with the advent of digital media: “In the past, education was limited to schooling, but it has become clear that most of the education that takes place today, … takes place in a broader number of sites including screen culture, popular culture, the Internet, and in the all-encompassing old and new media” (Guilherme 2006: 171). These environments interact with the learner’s position as an individual who is identified as having a particular set of competences, interests, (dis)abilities, and set of beliefs, and belongs to a specific gender, socioeconomic class, and ethnic group (Hempel-Jorgensen 2015). Thus, just as critical pedagogy in general relies on sociocultural mediation of knowledge, learner agency is also mediated by social discourses. Authenticity and agency are mutually reinforcing, and are both significant elements of a critical pedagogical approach in formal educational settings. Papacharissi/ Easton (2013: 174) highlight the fact that cultural, linguistic, or social capital is the currency of agency, and that the more relevant capital an agent acquires, the more agency they possess. Thus, an EFL curriculum that incorporates the capital of learners, such as their gameplaying practices, accords these learners increased agency, or the ability to act in ways that allows them to determine what is significant. In this way, authenticity, agency, and critical pedagogy are mutually reinforcing. 97 Gaming as a critical language learning practice Social theories of agency highlight the transformative nature of the construct, and as such, places it within the framework of critical theory. Agentive persons have the ability to “act otherwise,” shaping conditions or processes, in order to “make a difference” (Giddens 2017/ 1986: 14). A critical pedagogy thus needs to enable learners to give them the skills and the capacity to change the status quo in meaningful ways. While the notion of “giving” learners agency is paradoxical (cf. Mayes 2010), agency can be cultivated to some degree by offering learners meaningful choices with challenging content, demonstrating respect for their areas of expertise and incorporating the discourses that they find personally relevant, i.e., authentic, into formal learning settings. Examples of how learners exhibit agency with gameplaying and around gameplaying abound. Well-designed games help players navigate within their Zone of Proximal Devel‐ opment (Vygotsky 1978), contributing to a feeling of competency and thus generating a sense of agency (Reinhardt 2019: 68). Another aspect of digital gameplaying that engenders agency relates to interactivity of games, which results in immediate feedback to the player, at just the moment and in the exact amount needed (Sykes/ Reinhardt 2013). Likewise, games are goal-oriented and based on structures, such as rules giving players limited but controllable choices, that generate agentive dispositions (Reinhardt 2019: 79, 152). In terms of language learning more specifically, players take advantage of in-game chats, repeat key vocabulary, or try to use the context of terms to understand their meaning (Chik 2015, Piirainen-Marsh/ Tainio 2009). They engage in translanguaging behaviors that help clarify their understanding and serve to negotiate meaning with others (Thorne 2008, Zheng et al. 2009). Beyond the game, learners may engage in fansubbing, translating the game to or from the target language (Sauro 2017), research what they want to say to reflect on gameplay (York et al. 2019), and pursue further related language learning opportunities because of their game-related interests (Smith/ Deitsch 2007). Gaming and its attendant activities are, in these ways, critical agentive practices. They do not merely replicate existing structures, but rather, require players to co-construct these structures in new ways. By re-mixing cultures in game, and by bringing various cultural participants to game-related practices, they can contribute to the development of pluralistic cultural worlds that challenge pre-existing notions of dominant cultures and what it means to be “of ” those cultures (Reinhardt 2019: 29). In defining agentive participation, Ronda/ Lotherington (2014: 20) emphasize that these activities, which include “accessing, creating, sharing and remixing purposeful content” leads to “authority [being] reimagined.” These digital literacies “pave the road to agency” (Papacharissi/ Easton 2013: 181). 7. Caveats and Conclusions The unpredictable nature and diversity of digital games and gameplaying practices is what makes it difficult to incorporate these artefacts into the standard and standard-oriented EFL classroom. However, it is precisely this unpredictability, in which the players co-construct the worlds that allow for participation in socially mediated ways, which can make EFL instruction relevant in terms of a critical pedagogical approach. As objects of learners’ cultural and linguistic capital, playing games in the EFL classroom draws on the authenticity of this activity to create settings in which the learners’ own socioculturally embedded 98 Carolyn Blume & Jonathon Reinhardt practices generate competences that contribute to necessary multiliteracies. In this way, critical pedagogical practices give rise to critical foreign language literacy skills that move beyond functional competence and generate interand transcultural competences based on shared expertise and validation of pluralistic English-speaking cultures. In so doing, such a critical foreign language pedagogy legitimizes EFL learners and the EFL classroom itself. However, these affordances do not automatically emerge when games are unboxed in the classroom without further reflection. If games and gameplaying practices are not pedagogically and conceptually theorized and implemented as a critical practice, their use in EFL settings can give rise to a range of contradictions that can subvert their potential efficacy as opportunities to incorporate authenticity, legitimize additional loci of expertise, and develop learner multiliteracies and agency. As with any informal, vernacular practice leveraged for formal purposes, gaming can become ineffectual if not approached critically and reflectively. Learners’ skepticism One of the dilemmas of introducing games and gameplaying activities in the EFL classroom is that such approaches are not necessarily welcomed by learners, for a variety of reasons (Grau 2009, Jones 2018, Reinhardt et al. 2014). If the decision is made to introduce gameplaying without consulting with learners, they are deprived of any potential agency and may resist and resent the encroachment of the didactic into their leisure spaces. A potential reason for this desire to compartmentalize gaming activities as an extramural practice could be in part due to a fear that players’ interests might be co-opted by an existing habitus that typically or traditionally denigrates these very interests. Putting learners in the position of (anticipating) having to defend or disavow their gameplaying practices by, for example, requiring them to debate the value of games, can cause resistance, rather than agency (cf. Jones 2018). Barring criticality, this co-option of games as a foil for debate is tantamount to what Dooley (2008) describes as a “colonizing act” (Lotherington/ Jenson 2011: 239). Trivializing gaming in this way challenges not just the validity of the learners’ behaviors, but acceptance of their identities as well. A further source of resistance may come from learners who themselves question the value of gameplaying as a valid activity worthy of study (Reinhardt et al. 2014). Having been inculcated with a habitus skeptical of gameplaying and exposed to a range of games of considerably divergent quality, it may be difficult for learners to recognize the linguistic and cultural capital it may afford. An examination of games in the EFL classroom may need to be introduced with an analysis of what literacy entails and the kinds of linguistic and literacy-relevant activities that occur in gaming and game-related activities, as contrasted to those literacies that are normally privileged in academic domains (cf. Sanford/ Madill 2007b). Some learners may not be gameplayers and may be uncomfortable with the assumption that these activities are relevant to them. Given that some features of this divide often run along gender lines, one approach to examining games critically is to consider existing assumptions about gender differences and their gameplay (cf. Buendgens-Kosten 2016). Such an approach will consider games, but also the different ways in which men, women, and diverse individuals practice literacy more broadly, and why some of these forms of 99 Gaming as a critical language learning practice literacy practice are considered more valuable than others. Social roles that construct expectations regarding gender and the activities connotated as “male” or “female” can further expand the critical conversation (cf. Sanford/ Madill 2007a: 287f.). Learners’ critical capacities Another challenge to introducing games in formal language learning settings is that, as with critical pedagogy in general, learners may not have the requisite skills, attitudes, or resources that are necessary for such approaches. Understanding the role of sociocultural mediation in critical inquiry is something that needs to be explicitly addressed if critical pedagogy is to be fruitful. Likewise, learners who have not had educational opportunities to demonstrate agency need scaffolding to avoid being overwhelmed by a perceived lack of structure (Reinhardt 2019: 177). In both of these cases, the role of the teacher becomes apparent. While authority in the critical foreign language classroom is redistributed, it is the teacher’s continued role to provide the organizing principles and structures through which critical inquiry can take place. The goal of the teacher using their authority in this way is to empower learners to collaboratively determine the purposes to which particular activities should take place in the language learning classroom. To do this effectively, however, the teacher needs to convince the learners that their authentic interests, their habitus, and their sociocultural interactions are legitimate sources of EFL learning. Critical games In addition to the examples of critical foreign language gameplaying approaches that are described in the preceding sections, using games deliberately designed to provoke reflection can be used to co-construct a critical foreign language classroom. Critical games are a genre that center the issues commonly associated with critical inquiry, such as issues of race, class, gender, and power, in the game’s design, narrative, art, or mechanics. Flanagan (2016) provides the example of “Unmanned” (2012) as an illustration. In this game, overly simplistic graphics and a split screen force the player to question the typical nature of most “war” games in which violence is visually, audibly, and narratively glorified. Critical games differ from serious games, which may address critical themes, but which are created with a purely pedagogical intent. The casual simulation game “Third World Farmer,” for example, has players act as subsistence farmers in underdeveloped nations and cope with random, life-threatening events. Both types of games can challenge players to question their assumptions, and analyses of how they interrogate existing discourses can open the door to the critical examination of other games or gameplaying practices. Organizations like ‘Games for Change’ (gamesforchange.org) are dedicated to the creation of critical and serious games, which are usually created by independent game designers rather than the large international game developers with which most gamers are familiar. Teaching games for criticality While EFL teachers are competent with traditional forms of literacy, gameplaying and game-related activities rely on multiliteracies. In gaming and related digital literacies, many learners will be more skilled than teachers. This shift in competence, which recognizes 100 Carolyn Blume & Jonathon Reinhardt learners’ authentic interests and expertise, carries with it an opportunity for a shift in authority. Centering learners’ interests in a way that they are the experts for their own learning reflects not only sociocultural understandings of language acquisition, but also basic tenets of critical pedagogy. Asking learners to co-construct the EFL classroom in this way can lead to opportunities that, instead of being critical of gameplaying, analyze gameplaying critically. References Beavis, Catherine/ Walsh, Christopher/ Bradford, Clare/ O’Mara, Joanne/ Apperley, Thomas/ Gutierrez, Amanda (2015): ‘Turning around’ to the affordances of digital games: English curriculum and students’ lifeworlds. English in Australia 50(2), pp. 30-39. 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Ein Befragen und Transferieren dieser Denkrichtungen auf die Fremdsprachendidaktik birgt dabei das besondere Potenzial, Fremdsprachenunterricht als Ort der Auseinandersetzung mit der Diversität fremdsprachiger Kulturen und des sensiblen Umgangs mit Sprache unter queerem Blickwinkel zu perspektivieren - und somit die Auseinandersetzung mit sexueller und geschlechtlicher Diversität für die Unterrichtspraxis und für die Forschung begreifbar zu konzeptualisieren. Als reflektierender Einstieg in die Frage, wie es grundsätzlich um sexuelle und ge‐ schlechtliche Identitäten in Forschung und Praxis bestellt ist, eignet sich ein kritischer Impuls von Nelson (2006: 1): „In the vast majority of language education literature, […] we have been collectively imagining a monosexual community of interlocutors.“ Sie ergänzt: „[C]lassroom cohorts and curricula tend to be constructed as domains in which straight people are interacting exclusively with other straight people.“ (ebd.) Selbst dreizehn Jahre später bestätigt Paiz (2019: 266) Nelsons Kritik, indem er scharf formuliert: „[S]exual iden‐ tity has no bearing on ELT.“ Diese Befunde aus der internationalen Forschung deuten darauf hin, dass Fremdsprachenunterricht und -forschung als monosexuell - sprich: heterosexuell - konstruiert sind. Vom Lehrplan bis zum Schulbuch oder von kulturellen Themen bis zum Lektürekanon erscheint Heterosexualität per default die privilegierte und einzig sichtbare Form von Sexualität zu sein, was sich z. B. in Darstellungen von Familienstrukturen und Liebesbeziehungen widerspiegelt. Gleichwohl scheint dieser Umstand selten explizit thematisiert zu werden, sodass sexuelle Identität per se als Unterrichtsgegenstand nicht in den Fokus rückt - und somit weder Heterosexualität noch andere sexuelle Identitäten wie schwul, lesbisch oder bisexuell bewusst besprochen und reflektiert werden. Diese Kritik an der heterosexuellen Setzung - und des Ausschlusses ‚anderer‘ Identitäten - innerhalb von Forschung und Praxis muss meines Erachtens selbst kritisiert werden. Sie wird dann problematisch, wenn sie als Generalanschuldigung im Raum stehen bleibt und somit alle Forscher*innen und Lehrer*innen im Verdacht stehen, beständig und aktiv solche „monosexualizing tendencies“ (Nelson 2006: 1) zu perpetuieren. Zweifelsohne steht ja gerade eine ganze Reihe beständig zunehmender Publikationen dafür, dass dieser Themenkomplex nicht mehr ignoriert, sondern in den Fokus gerückt und somit zum Thema wird (z. B. Eisenmann/ Ludwig 2018, Gray 2013, König 2018a, Lütge/ Merse 2020, Merse 2015/ 2017, Nelson 2009, Pawelczyk et al. 2014). Daher ist die Kritik von Nelson und Paiz im produktiveren Sinne als kontinuierliche Reflexionsfolie für die Profession zu begreifen, in welchen Kontexten und durch welche Entscheidungen möglicherweise Tendenzen der Monosexualisierung unkritisch aufrechterhalten werden - oder zu durchbrechen sind (z. B. in der Lehrer*innenbildung, in Lehrmaterialien oder in der Wahl von Forschungsthemen). Darüber hinaus beziehen sich Nelson und Paiz vor allem auf den internationalen ELT/ ESL-Kontext, weswegen ihre Beobachtungen für den deutschen Kontext nicht genauso gel‐ ten müssen und sich daher eine Überprüfung lohnt. Tatsächlich habe ich selbst (Merse 2017) in meiner Analyse von Bildungsplänen, Schulgesetzen, Richtlinien zur Sexualerziehung und Englischlehrplänen gezeigt, dass in vielen Bundesländern die Beschäftigung mit der Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten als fächerübergreifende Querschnittsaufgabe formuliert ist - und somit auch für den Englischunterricht relevant ist. Auch in einigen Englischlehrplänen selbst wird dieser Themenkomplex neuerdings eingefordert, was die vermeintliche Monosexualität von Curricula widerlegt. So heißt es beispielsweise im niedersächsischen Kerncurriculum (NsK) für das Gymnasium der Schuljahrgänge 5 bis 10: Das Fach Englisch thematisiert soziale, ökonomische, ökologische, politische, kulturelle und interkulturelle Phänomene, Probleme der nachhaltigen Entwicklung sowie die Vielfalt sexueller Identitäten und trägt dazu bei, wechselseitige Abhängigkeiten zu erkennen und Wertmaßstäbe für das eigene Handeln sowie ein Verständnis für gesellschaftliche Entscheidungen zu entwickeln. (NsK 2015: 6) Interessanterweise wird somit die Thematisierung sexueller Vielfalt zur curricularen Anforderung, anstatt durch ein Ignorieren übersehen oder nur zur Option für besonders engagierte Lehrkräfte zu werden. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass die oben genannten Forschungsarbeiten darauf hinweisen, dass es sich hier um einen oftmals (noch) tabuisierten Themenbereich handelt, der in der konkreten unterrichtspraktischen Umsetzung schwierig sein mag. In jedem Fall ist es notwendig - auch im Sinne einer Kritischen Fremdsprachendidaktik - eine konzeptuelle Basis für eine Hinwendung zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in Forschung und Praxis zu entwickeln, die im folgenden Abschnitt dieses Beitrags in queertheoretischen Ansätzen lokalisiert wird und in ‚queeren Interventionen‘ Ausdruck findet. 2. Queere Interventionen: Theoretische Grundlagen und Anknüpfungspunkte für eine Kritische Fremdsprachendidaktik Die Befragung queertheoretischer Denkmodelle spiegelt grundsätzlich die Interdiszipli‐ narität der Fremdsprachenforschung wider, deren Bedeutung in jüngster Zeit durch Rossa und Wilden (2019) deutlich hervorgehoben wurde, um durch inhaltlichen Rück‐ griff auf Bezugswissenschaften die eigene Disziplin weiterzuentwickeln. Das Interesse 108 Thorsten Merse an Bezugswissenschaften, die selbst ganz unterschiedliche Disziplinen repräsentieren können, „gründet in der Überzeugung, dass zur Bearbeitung komplexer Gegenstandsberei‐ che eine Verwendung der Wissenschaftslogiken, Theorien und Methoden verschiedener Fachrichtungen notwendig ist“ (ebd.: 8). Zur Bearbeitung des Gegenstandsbereichs der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt in der Fremdsprachenforschung erscheint dabei die Queer Theory als besonders geeignete Bezugsdisziplin, da sie sich von Haus aus mit sexuellen und geschlechtlichen Identitäten und den damit verknüpften gesellschaftlichen Normierungen und Machtverhältnissen auseinandersetzt. Jedoch weisen Rossa und Wilden ausdrücklich darauf hin, dass es in interdisziplinären Ansätzen nicht darum geht, die jeweilige Bezugswissenschaft unverändert, unkritisch oder vollständig zu übernehmen, sondern sie „für spezifisch fremdsprachendidaktische Erkenntnisinteressen zu nutzen und dabei die verschiedenen Perspektiven zu integrieren“ (ibid.). Somit ergibt sich auch für die Befragung der Queer Theory im Kontext der Fremdsprachenforschung, dass diese nicht vollständig übertragen werden muss bzw. kann, und dass produktive Überschneidungen kritisch überprüft und entziffert werden müssen. Um die Queer Theory zunächst zu erfassen, ist die Bedeutung des Wortes ‚queer‘ erklärungsbedürftig, da die semantische Vielfältigkeit dieses englischen Begriffs keine einfache Entsprechung im Deutschen besitzt und die kulturell spezifische Verortung im anglophonen Raum eine Übertragung in andere Sprachen und Kulturen erschwert (vgl. Kraß 2009: 7, Hall/ Jagose 2013: XVII). Sprachhistorisch bezeichnete ‚queer‘ lange Zeit etwas Negatives, ohne bereits mit Sexualität verknüpft zu sein. Eine Suche im Oxford English Dictionary unter dem Eintrag ‚queer‘ ergibt z. B. Bedeutungen als Adjektiv wie odd, strange, peculiar, untrustworthy, oder als Verb to make a fool of, to ridicule, to swindle oder to puzzle. Mit dem Ballast dieser negativen Semantik ergibt sich dann an der Wende zum 20. Jahrhunderts eine sprachliche Verengung, die Jagose (1996) und Rauchut (2008) nachzeichnen. Nun wird ‚queer‘ vornehmlich als Schimpfwort und Beleidigung gegen Menschen mit nicht-heterosexuellen Identitäten bzw. unkonformen Gender-Identitäten verwendet, die heute oftmals im Begriff LGBT zusammengefasst werden (lesbian, gay, bisexual, transgender). Damit ergibt sich durch die Verwendung des Wortes ‚queer‘ eine diskursive Praxis des Herabsetzens der sexuell und geschlechtlich ‚Anderen‘, wie Butler es treffend benennt: The term ‘queer’ has operated as one linguistic practice whose purpose has been the shaming of the subject it names or, rather, the producing of a subject through that shaming interpellation. ‘Queer’ derives its force precisely through the repeated invocation by which it has become linked to accusation, pathologization, insult. This is an invocation by which a social bond among homophobic communities is formed through time. (Butler 2013: 19) Der Effekt dieser Beleidigung ist somit nicht nur das negative Markieren einer bestimmten Personengruppe, sondern auch die Betonung des sexuell und geschlechtlich ‚Normalen‘, das in Abgrenzung zum ‚Anderen‘ als natürlich erscheint (vgl. Hark 2005). Zweifelsohne erscheint diese Begrifflichkeit als Nomenklatur für die Fremdsprachendidaktik als hoch problematisch und provokant, da genau diese diskursiven Praktiken ja nicht in die eigene Disziplin importiert werden sollen. Daher sind vor allem jene - positiver besetzten - 109 Queere Interventionen in die Kritische Fremdsprachendidaktik Bedeutungen des Begriffs ‚queer‘ relevant, die sich mit identitätsbezogener Selbstbezeich‐ nung, politischem Aktivismus und theoretischen Denkmodellen assoziieren. Im Kontext des politischen Aktivismus gegen Ende der 1980er Jahre in den USA, in dem sich v. a. im Kampf gegen AIDS und der damit verbundenen politischen Gleichgültigkeit gegenüber LGBT-Personen sowie deren starker Marginalisierung neue Koalitionen zum Kampf für Gleichberechtigung und Anerkennung bildeten (vgl. Hall 2003, Hark 2005), erlebte der Begriff ‚queer‘ eine semantische Wende: [Q]ueer was an immediate response to the anti-gay hostilities that resurfaced with the [e]vent of AIDS. By appropriating a term once considered the vilest epithet, factions of the LGBTQ community reclaimed strategically important rhetorical ground. […] queer gained momentum by identifying its constituency, then retroactively encompassing factionalized groups (gay, lesbian, bisexual, transgender, and the questioning) into an empowered collectivity. (Sewell 2012: 301) Durch diese strategische Rückaneignung eines vormals beleidigenden Begriffs ergaben sich neue, mit Stolz verbundene gesellschaftliche Sichtbarkeiten der LGBTQ community - „to denote one’s difference, one’s ‘strangeness’, positively” (Sullivan 2003: V), und „to celebrate, rather than castigate, difference from the ‘norm’“ (Hall 2003: 55) -, wobei die nachklingenden negativen Bedeutungen des Begriffs einen bewusst provokativen Effekt hatten, um den ‚heteronormativen Mainstream‘ herauszufordern und die Marginalisierung der LGBTQ community zu überwinden (vgl. Richardson 2000: 42-43). Somit ergaben sich spezifische Nuancierungen des Begriffs ‚queer‘. Zum einen wurde (und wird) er verwendet als „auto-descriptive“ ( Jagose 1996: 97), um der eigenen nicht-normativen sexuellen oder geschlechtlichen Identität ein ‚Label‘ zu geben - verbundenen mit einem „inherent right to sexually self-define as we wish“ (Hall 2003: 3). Somit avancierte ‚queer‘ gewissermaßen zu einem Identitäts-Sammelbegriff, unter dem sich LGBTQ-Identitäten zusammenfassen bzw. mit dem sich offene (und weniger kategoriale) Identitäten markieren lassen - auch für politische Zwecke. ‚Queer‘ lässt sich aber nicht nur auf ein Synonym für LGBTQ reduzieren. Gerade weil damit auch identitätskritische Positionen verbunden sind, entwickelte er sich zu einem analytisch-theoretischen Fachterminus, in dem sich ein radikales aktivistisch-po‐ litisches Bewusstsein und radikale Theorieansätze verbinden, aus denen sich die Queer Theory entwickelte (Kraß 2009: 8, Hall 2003: 52-53). Die akademische Bühne betritt die Queer Theory erstmals in dieser Bezeichnung auf einer Konferenz im Jahre 1990 an der University of California in Santa Cruz, wo Teresa de Lauretis diese theoretische Zusammenführung prägte und über eine konferenzbezogene Publikation im Journal differences einem breiteren Publikum zugänglich machte (vgl. de Lauretis 1991). Im Kern war das queertheoretische Anliegen de Lauretis’ darauf bezogen, schwule und lesbische Sexualitäten als eigenständige kulturelle Formen zu legitmieren, die nicht mehr nur als Abweichung zu natürlicher, sprich: heterosexueller, Sexualität gesehen werden. Somit arbeitete de Lauretis schon früh gegen kulturelle Homogenisierungen und Binarisierungen an, in denen sexuelle Identitäten hierarchisch in einem System aus Dominanz und Ausschluss organisiert sind. In den Folgejahren vergrößerte sich durch einführende Übersichtspublikationen die Rezeption der Queer Theory im akademischen Feld (v. a. durch Jagose 1996, Hall 2003, Sullivan 2003, Hall/ Jagose 2013), bis sie etwas zeitversetzt auch im deutschsprachigen Kontext auf größeres Interesse stieß (v. a. zum Beispiel durch 110 Thorsten Merse Hark 2005, Degele 2008, Kraß 2009 und zuletzt Kauer 2019). Als Herausforderung für die Fremdsprachendidaktik muss dabei gelten, dass die Queer Theory nicht von Haus aus eine fremdsprachendidaktisch geprägte Denkrichtung darstellt - als offen angelegte Theorieströmung aber für die Fremdsprachendidaktik relevant gemacht werden kann und auch muss, um dort als Bezugswissenschaft produktiv wirken zu können. Mehrere Forschungsarbeiten aus internationalen und deutschsprachigen Kontexten arbeiten bereits an dieser Transferleistung (z. B. Nelson 2002/ 2006/ 2009, Gray 2013, Merse 2015/ 2017, König 2018a, Lütge/ Merse 2020, Paiz 2019). Wenn es nun darum geht, die theoretischen Anliegen der Queer Theory zu umreißen, so muss zunächst als ihre grundsätzliche Leistung angesehen werden, sexuelle und ge‐ schlechtliche Identitäten, Binaritäten und Normierungen als zentrales und bedeutsames kulturell-gesellschaftliches Organisations- und Regulationsprinzip sichtbar zu machen, wie es Sedgwick (1990: 1) treffend zusammenfasst: „[A]n understanding of virtually any aspect of modern Western culture must be, not merely incomplete, but damaged in its central substance to the degree that it does not incorporate a critical analysis of modern homo/ heterosexual definition”. Was daraus folgt ist, dass sich auch Fremdsprachenunterricht und Fremdsprachendidaktik nicht außerhalb sexuell-geschlechtlicher Systeme bewegen können, auch wenn dies auf den ersten Blick nicht sofort ersichtlich sein mag (z. B. wenn die Literaturauswahl für den Unterricht ‚natürlicherweise‘ Geschichten mit heterosexuellem Setting präferiert und Erzählungen mit LGBTQ-Inhalten ausschließt). Eine weitere Festle‐ gung der Anliegen der Queer Theory bieten Hall und Jagose: In broad stroke, queer studies is the institutionalization of a new - or at least newly visible - paradigm for thinking about sexuality that emerged simultaneously across academic and activist contexts in the early 1990s, constituting a broad and unmethodical critique of normative models of sex, gender and sexuality. […] More than shorthand for ‘lesbian/ gay’ - or even the more capacious but still identity-bound LGBT - queer speaks to the unintended but profound naturalization of the dominant system of sexual classification […]. (Hall/ Jagose 2013: XVI) Für die fremdsprachendidaktische Perspektive ergibt sich daraus, dass eine queere Herange‐ hensweise nicht nur (aber auch) auf die Sichtbarkeit bzw. Sichtbarmachung von LGBT-bezo‐ genen Identitäten abzielt, sondern eine vertiefte Auseinandersetzung mit normativen Modellen einfordert, in denen sich körperliches Geschlecht, Gender und Sexualität organisieren. Dabei betonen Hall und Jagose (2013: XVI) in aller Deutlichkeit, dass sich der „scope of its inquiry“ nicht „in advance“ festlegen lässt - was eine fremdsprachendidaktische Lesart der Queer Theory erst ermöglicht, aber gleichzeitig bedeutet, dass sich kein methodisch festgelegtes Instrumentarium bietet, das den Transfer in diese Disziplin a priori leiten könnte. Erschwerend kommt als Herausforderung hinzu, dass die Queer Theory in ihrer Selbst‐ darstellung fast schon apologetisch jede definitorische Festlegung verweigert bzw. ablehnt. Schon auf der ersten Seite ihrer Einführung postuliert Jagose (1996: 1), „part of queer’s semantic clout […] depends on its resistance to definition“, was sich z. B. auch in Sullivans (2003) Ausführungen zu Queer Theory fortsetzt. Kauer (2019: 11) kritisiert, dass solche Setzungen für Studierende - und hier lassen sich Lehramtsstudierende und auch praktizie‐ rende Lehrkräfte mit einschließen - in der Erstbegegnung mit Queer Theory frustrierend sein können, da eine Systematisierung queertheoretischer Anliegen und Denkrichtungen 111 Queere Interventionen in die Kritische Fremdsprachendidaktik erschwert, wenn nicht unmöglich erscheint. Auch Paiz (2019: 267) richtet sich aus der Perspektive der ELT-Forschung dezidiert gegen dieses Unbehagen der Queer Theory, ihren Gegenstandsbereich genauer festlegen zu wollen. Er spricht sich stattdessen deutlich dafür aus, den Begriff ‚queer‘ auch für die Fremdsprachenforschung und den Fremdsprachen‐ unterricht zu operationalisieren, damit eine ernsthafte intellektuelle Arbeitsgrundlage entsteht, die portabel ist und sich in die Fremdsprachendidaktik - vor allem in eine Kritische Fremdsprachendidaktik - übertragen lässt. In den folgenden Abschnitten wird nun skizziert, wie eine solche Systematisierung und Operationalisierung aussehen könnte. Dabei werden drei queer-informierte Interventionen eingeschlagen: (1) die affirmative Sichtbarmachung von LGBTQ-Identitäten, (2) die kritische Auseinandersetzung mit Hete‐ ronormativität als typisch queere Denkbewegung sowie (3) die sprachliche Aushandlung sexueller und geschlechtlicher Identitäten. Affirmative Sichtbarmachung von LGBTQ-Identitäten Als erste queere Intervention in die Fremdsprachendidaktik geht es ganz grundsätzlich darum, sich mit der Repräsentation nicht-normativer Sexualitäten, Gender und Körper auseinander‐ zusetzen. Diese Intervention ist mit dem ‚queer‘ inhärenten „determined push for visibility“ (Pilcher/ Whelehan 2004: 129) verbunden, bei dem es v. a. politisch-aktivistisch darum geht, sich für die affirmative Sichtbarmachung und Bestätigung von LGBTQ-Personen und mit LGBTQ verbundenen gesellschaftlichen Erfahrungen einzusetzen. Hier ist es lohnenswert, sich die Bedeutung des Akronyms LGBTQ noch einmal vor Augen zu führen, wodurch eine balancierte Repräsentation von lesbian, gay, bisexual, transgender und queer/ questioning in den Fokus rückt. Gleichzeitig ist dieses Akronym offen angelegt, wodurch sich über Buchstabenergänzungen wie I für intersex oder A für asexual der notwendige ‚push for visibility‘ auch fortlaufend verschieben kann. Im Bildungskontext verfolgt diese Intervention den Zweck, den Ausschluss, die Marginalisierung oder die Unsichtbarkeit von LGBTQ zu überwinden und einer „culture of silence about nonheterosexuality“ (Bedford 2002: 13) entgegenzuwirken. Wie eingangs bereits kritisiert wurde, gilt dies nicht als Generalverdacht gegen alle Schulen und Lehrkräfte, diese ‚culture of silence‘ beständig und aktiv zu reproduzieren oder sogar einzufordern. Vielmehr ist es nützlich, eine mögliche ‚culture of silence‘ als Heuristik zu nehmen und in einem individuellen mikroskopischen Blick zu prüfen, wie die Repräsentation von LGBTQ-Diversität bereits oder noch nicht umgesetzt ist (vgl. Merse 2017: 190): • Wie ist die Repräsentation von LGBTQ in Lehr- und Lernmaterialien angelegt? Wenn Personen gezeigt und gesellschaftliche Fragen thematisiert werden, gibt es erkennbare Bezüge zu LGBTQ? • Erlaubt die Auswahl von literarischen Texten, Filmen, Videomaterial, digitalen Res‐ sourcen, Zeitungsartikeln etc. Einblicke in LGBTQ-Welten und nicht-heterosexuelle bzw. nicht gender-binäre Identifikationsangebote? • Wie ist der classroom discourse gestaltet? Wenn Lernende LGBTQ-Themen selbst einbringen, wird das Thema vertieft und reflektiert? Sind die Fragen der Lehrperson offen und inklusiv gestellt, sodass Lernenden vielfältige Antworten möglich sind (z. B. bei der Thematisierung eigener Familienstrukturen)? 112 Thorsten Merse Diese LGBTQ-bezogene Tendenz zur Diversifizierung und Repräsentation lässt sich aus Sicht der kulturdidaktischen Fremdsprachenforschung sinnvoll in aktuelle Entwicklungen des inter- und transkulturellen Lernens einbetten. Um mit Blell und Doff (2014: 80) zu sprechen: „Cultural realities for most people in the world are much more complex than simplistic notions of national ‚cultures‘ as irreducibly different symbolic worlds of their own seem to suggest.“ Auch Lütge (2013: 166-167) und Alter (2015: 44) plädieren für neue Nuancierungen im kulturellen Lernen, damit die Erfahrung von und Beschäftigung mit kultureller Differenz und kulturellen Identitäten nicht nur entlang nationaler oder ethnischer Linien verläuft, sondern eine größere Inklusivität und Komplexität berück‐ sichtigt wird, die auch Gender, sexuelle Orientierungen, religiöse Vorstellungen, Alter, Behinderungen oder Klassenzugehörigkeiten mit einschließt. Schlussendlich muss die Fremdsprachendidaktik eigene plurale Paradigmen einlösen, wenn folgende Einordnungen nicht als bloßes Lippenbekenntnis gemeint sind: Die Pluralität, Heterogenität und Hybridität von kulturellen Lebensformen und Identitätsentwür‐ fen in heutigen Gesellschaften erfordern es, bei den Lernenden ein zeitgemäßes Verständnis der englischsprachigen Kulturen zu entwickeln, das der Vielstimmigkeit und der Komplexität von Kultur(en) und Identität(en) Rechnung trägt. Diese Zielsetzung beinhaltet, die Vielfalt kultureller Lebensformen und individueller bzw. kultureller Identitätsentwürfe im Fremdsprachenunterricht zugänglich zu machen und eine nachhaltige Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspek‐ tiven anzuregen. (Freitag-Hild 2010: 3) Dennoch ergibt sich für die Beschäftigung mit kultureller Diversität im Allgemeinen und LGBTQ im Besonderen (v. a. wenn das Akronym offen erweiterbar ist) auch eine Grenze der Repräsentierbarkeit, da nicht alle möglichen oder theoretisch denkbaren Identitäten im begrenzten Stundenkontingent des Englischunterrichts abgebildet werden können. Vielmehr schlagen Lütge und Merse (2020: 189-190) vor, die Repräsentation von Diversität als „moving target“ zu begreifen, das sich beständig verschiebt und das man niemals vollständig erreichen kann, sondern nur in asymptotischer Annäherung. Jede vorgenommene Repräsentation oder Thematisierung kann daher immer auch nur einen exemplarischen Einblick in komplexe Lebenswelten bieten - und das schließt Identitäten, Lebenswelten und Erfahrungen aus dem breiten LGBTQ-Spektrum mit ein. Kritische Auseinandersetzung mit Heteronormativität Sicherlich ist die affirmative Sichtbarmachung von LGBTQ ein erster, vor allem auch pädagogisch notwendiger Schritt, um Repräsentation und Akzeptanz für Personen zu schaffen, die sich in Modellen von Heterosexualität oder Zweigeschlechtlichkeit nicht wiederfinden (vgl. Kauer 2019: 13). Jedoch wäre ein alleiniger Fokus auf diese Interven‐ tion gerade aus kritisch-queertheoretischer Perspektive nicht ausreichend, da laut Kauer dadurch Identitäten zwar bestärkt, sie aber nicht weiter - auch im Zusammenhang mit regulierenden Normen - hinterfragt werden (ebd.). Auch Nelson (2009: 206) merkt kritisch an, dass eine queere Inklusion allein nicht zu tiefergehenden Lernprozessen führt, durch die alle sexuellen und geschlechtlichen Identitäten kritisch reflektiert werden können. Sie schlägt daher vor, neben queerer Inklusion auch „queer inquiry“ (ebd.) als pädagogisches Prinzip im Englischunterricht zu nutzen. ‚Queer inquriy‘ 113 Queere Interventionen in die Kritische Fremdsprachendidaktik means turning our attention to sexual matters (identities, norms, relationships) within everyday patterns of thinking, speaking, learning, and working, with a view to understanding the complex sociosexual dimensions and meanings that are part of day-to-day interactions, cultural practices, and social structures. (Nelson 2009: 206) Damit skizziert Nelson ein breites, über Inklusion herausgehendes Spektrum, sich mit ganz alltäglichen Fragen und Normen von Sexualität zu beschäftigen. Dadurch schafft sie einen deutlichen queertheoretischen Bezug zum Konzept der Heteronormativität, ohne das jedes queere Hinterfragen unvollständig wäre. Heteronormativität als wichtigste Analyserubrik der Queer Theory geht zurück auf die Arbeit von Michael Warner, der in seinem 1993 erschienenen Buch Fear of a Queer Planet den normkritischen Impetus der Queer Theory so umreißt: „The preference of ‚queer‘ represents […] an aggressive impulse of generalization; it rejects a minoritizing logic of toleration or simple political interest-representation in favor of a more thorough resistance to regimes of the normal.“ (Warner 1993: XXVI) Damit rückt der Fokus der Queer Theory vom Kampf um Toleranz für LGBTQ-Identitäten als alleiniges Ziel ab, sondern wendet sich zusätzlich der Kritik heterosexueller und zweigeschlechtlicher Identitäten zu, die im normalisierenden sozialen Regime als ‚natürlich‘ gelten. Damit ergibt sich - trotz aller Widerstände der Queer Theory, das eigene Arbeitsfeld zu definieren - ein sehr deutliches Anliegen: [T]he inflection of queer that has proved most productive […] is the one that problematizes normative consolidations of sex, gender and sexuality - and that, consequently, is critical of all those versions of identity, community and politics that are believed to evolve ‘naturally’ from such consolidations. ( Jagose 1996: 99) Für die pädagogische und fremdsprachendidaktische Arbeit lässt sich demnach Heteronor‐ mativität als individuelles Denkmuster und als gesellschaftlich-kulturelles Regulationssys‐ tem bezeichnen, das Heterosexualität und eine klar erkennbare Geschlechterdichotomie zwischen männlich und weiblich (v. a. auch in ihrem heterosexuellen Begehren zueinander) naturalisiert, privilegiert und als ‚normal‘ erscheinen lässt, wodurch eine Hierarchie erzeugt und perpetuiert wird, die alles ‚Andere‘ marginalisiert und abwertet, was nicht ihrer eigenen Logik entspricht (vgl. Merse 2017: 205, König 2018b: 199, Yep 2005, auch: Kauer 2019: 14, 17). Zwar ist somit zunächst eine pädagogisch-didaktische Programmatik recht klar umrissen, in der man mit Sullivan (2003: VI) ‚queer‘ als Verb ‚to queer‘ begreift, das als Ziel verfolgt, „to make strange, to frustrate, to counteract, to delegitimize […] heteronormative knowledges and instutions, and the subjectivities and socialities that are (in)formed by them and that (in)form them“. Dennoch ist damit noch nichts über methodisch-didaktische Vorgehensweisen gesagt, wie man Lernende an ein kritisches Erkennen und Reflektieren von Heteronormativität heranführen kann - wofür dieser Artikel an späterer Stelle konkrete Vorschläge anbietet. Zur Legitimierung dieser queeren Schwerpunktsetzung auf das kritische Reflektieren von Heteronormativität lässt sich erneut ein produktiver Bezug zu Ansätzen des interkul‐ turellen Lernens herstellen, insbesondere zu Byrams (1997) Modell der interkulturellen kommunikativen Kompetenz. Ohne die Dimensionen seines Modells vollständig zu reka‐ pitulieren, so ist vor allem die Entwicklung einer critical cultural awareness an dieser Stelle interessant, mit der Lernende einen Perspektivenwechsel vollziehen können - ‚to 114 Thorsten Merse evaluate critically […] perspectives, practices and products in one’s own and other cultures and countries‘ (Byram 1997: 53). Dadurch sollen Lernende ein Bewusstsein dafür entwi‐ ckeln, dass die eigenen kulturellen Weltsichten nicht die einzig verfügbaren - oder sogar überlegenen - Weltsichten sind. Im Abgleich mit der Erfahrung kultureller Differenzen hinterfragen und relativieren Lernende die kulturellen Normen und Werte, in die sie bisher sozialisiert worden sind - ein Vorgang, den Byram (1997: 34) mit der „ability to ‚decentre‘“ beschreibt. Nun müssen sich diese Normen und Weltsichten nicht notwendigerweise zwi‐ schen unterschiedlichen ‚countries‘ lokalisieren. Auch die Heteronormativität als relevante und zentrale soziokulturelle Norm kann zu jenen Weltsichten gezählt werden, mit denen sich Lernende im Prozess des ‚decentering‘ auseinandersetzen können. Somit kann ein kritisches Bewusstsein für Heteronormativität eine wesentliche Komponente einer critical cultural awareness nach Byram werden, die sich in interkulturellen Lernprozessen im Abgleich von Weltsichten und Normen entwickeln kann. Sprachliche Aushandlung sexueller und geschlechtlicher Identitäten Logischer und notwendiger Aspekt einer Kritischen Fremdsprachendidaktik ist selbstre‐ dend auch eine kritische Reflektion der Wirkweisen und Funktionen von Sprache und eine Beschäftigung „mit dem Verhältnis von Welt, Weltverstehen und Sprache“ (Gerlach in diesem Band: 24). Sexuelle und geschlechtliche Identitäten - und die sie normierenden Denkmuster und kulturellen Praktiken - sind als Teil von Welt und Weltverstehen ohne Sprache undenkbar, da sie durch Sprache erzeugt und verstehbar werden. So überrascht es auch nicht, wenn Nelson (2009: 12) über sexuelle und geschlechtliche Identitäten sagt, sie seien „not facts of life, but acts of discourse“. Damit lassen sich im Unterricht sprachliche Praktiken erforschen und reflektieren, mit denen Identitäten und Normen, Machtpositionen und Privilegien sowie auch Ausschlüsse und Diskriminierungen diskursiv hergestellt, aber auch verworfen und untergraben werden. Somit kann Lernenden ein Be‐ wusstsein dafür vermittelt werden, „dass Sprache Macht ist und Sprache machtvoll machen kann, dass Sprache Ungleichheit konstruieren, diese aber auch relativieren kann, dass Sprache diskriminieren, aber auch davon erlösen kann“ (Gerlach in diesem Band: 7). Diese Fokussierung auf Sprache ist somit notwendiger Bestandteil queerer Interventionen in der Fremdsprachendidaktik, um jene Diskurse in den Blick zu bekommen, die gesellschaftliche Wahrnehmungsmuster im Kontext von heteronormativer Regulierung konstruieren (vgl. Degele 2005: 18). Um dieses Ziel zu erreichen, lenkt Nelson (2009: 3, 206) den Blick darauf, was der Fremdsprachenunterricht leisten kann: • Vermittlung sprachlicher Mittel, mit denen sprachliche Bedeutungen in Bezug auf sexuelle und geschlechtliche Identitäten und Normen verstanden, produziert und reflektiert werden können, • Kommunikation über und Aushandlung von (eigenen oder anderen) sexuellen und geschlechtlichen Identitäten sowie gesellschaftlichen Diskursen über LGBTQ-Di‐ versität und Heteronormativität, • Sensibilisierung dafür, wie Sprache ausgrenzend und diskriminierend oder inkludie‐ rend und empowering sein kann. 115 Queere Interventionen in die Kritische Fremdsprachendidaktik In der Forschung wird dieses Spektrum an sprachlichen und diskursiven Fähigkeiten auch mit dem Begriff sexual literacy gefasst, wodurch Lernende Sexualitäten als „complex literacy event“ (Alexander 2008: 1) verstehen lernen, um „the complex connections between discourse, information, identity, and community represented by the term sexuality“ (Alex‐ ander/ Banks 2004: 288) zu erfassen. Diese sprachlich-kritische Perspektive auf sexuelle und geschlechtliche Identitäten bzw. Normen ist insgesamt als ein realistischer Kompromiss zu der radikalsten Forderung der Queer Theory zu betrachten, die sich im pädagogischen Kontext nur schwer umsetzen lässt: die Verweigerung jeglicher identitätsbasierter Kategorien und die Auflösung sexueller und geschlechtlicher Identitätssysteme (vgl. Hall/ Jagose 2013: XVI, Richardson 2000: 40). Diese von Giffney (2009: 2) als anti-identitäre Position innerhalb der Queer Theory bezeichnete Denkrichtung mag aus postmoderner Theorieströmung heraus als reizvoll erscheinen, da sich somit jene Systeme und Binaritäten aushebeln bzw. dekonstruieren lassen, die sexuelle und geschlechtliche Identitäten und damit verbundene Privilegien und Diskriminierungen überhaupt erst erzeugen. Jedoch zeigen Lütge und Merse (2020: 188) auf, dass diese Position in der Fremdsprachendidaktik nicht zu halten ist, da es hier ja auch gerade darum geht, heranwachsende Menschen in ihrer Identitätsfindung und -aushandlung zu stärken, anstatt von vornherein jede Möglichkeit der Selbst-Identifikation zu verwischen oder gar zu verbieten. Auch in der Queer Theory selbst wird diese Position kritisch gesehen: „Identity persists because of a will to meaning”, postuliert Giffney (2009: 6) recht pragmatisch, und auch Kilian (2012: 211) kritisiert, dass solche Interventionen dem marginalisierten Subjekt wenig nützen, „whose very survival might depend on some degree of stability and ancho‐ ring“. Wenn diese radikalste Position der Queer Theory in der fremdsprachendidaktischen Begutachtung dieser Bezugswissenschaft somit als wenig salonfähig erscheint, so lässt sich die oben skizzierte, auf Sprache fokussierte queere Intervention als Kompromiss betrachten, da mit ihr der queer-kritische Impuls zur Reflexion und Hinterfragung von Identitäten und Normen beibehalten werden kann, ohne aber das Anrecht auf Identität zu hintergehen (vgl. auch Jagose 1996: 132). 3. Queere Implementationen: Überlegungen für die Praxis des Fremdsprachenunterrichts Die vorgestellten queeren Interventionen bieten ein theoretisches Amalgam an Optionen, wie sich die Anliegen der Queer Theory - hier verstanden als produktive Bezugsdisziplin für die Fremdsprachenforschung - mit einer sich aktuell entwickelnden und neu konturieren‐ den Kritischen Fremdsprachendidaktik verknüpfen lassen. Um neben diesen theoretischen Grundsatzüberlegungen aber auch einen Transfer in die Praxis des Fremdsprachenunter‐ richts zu erreichen, braucht es konkrete und praxisorientierte, methodisch-didaktische Überlegungen, welche die queeren Interventionen in den Unterricht übertragbar und dort anwendbar machen. In den folgenden Abschnitten wird dieser Praxistransfer entlang von zwei Linien entfaltet: der Setzung von Themen und der Auswahl von Texten, wobei jeweils Anregungen für Aufgaben zur Nutzung dieser Themen und Texte vermittelt werden. 116 Thorsten Merse Themen Durch die Perspektivierung kritischer Theorien für die Fremdsprachendidaktik ergeben sich neue inhaltlich-thematische Impulse, die der von Pennycook (1990: 13) kritisierten Trivialisierung von Inhalten entgegenwirken können. Aus Sicht der Queer Theory lassen sich somit Großthemen wie sexuelle Orientierungen, geschlechtliche Identitäten und Hete‐ ronormativität für den Unterricht legitimieren, die aber zweifelsohne zu groß und abstrakt sind, um direkt ‚als Thema‘ umgesetzt werden zu können. Sie bedürfen daher exemplari‐ scher Spezifizierungen, welche diese Großthemen für Lernende und Lehrende greifbarer machen. Gleichzeitig stellt das Hinzufügen neuer Themen in inhaltlich bereits gefüllte Lehr- und Unterrichtspläne eine große Herausforderung dar, wie Kumashiro (2000: 34) anmerkt: „[T]here is only so much time in the school year, and it is literally impossible to teach adequately about every culture and every identity, especially given the multiplicity of experiences within any cultural community.“ Als Strategie sieht Kumashiro daher vor, neue thematische Schwerpunkte nicht einfach additiv zu ergänzen, sondern in bereits bestehende Themengebiete zu verankern, um inhaltliche Schnittmengen produktiv zu nutzen. In der folgenden Tabelle (siehe Tabelle 1) werden daher einige typische Themengebiete des Fremdsprachenunterrichts aufgelistet und mit queer-fokussierten Spezifizierungen versehen, um die Verankerung queerer Perspektiven im Unterricht zu erleichtern. Gängige Themen des Fremdsprachen‐ unterrichts Queere inhaltliche Spezifizierungen Berühmte Menschen Oftmals werden im Fremdsprachenunterricht berühmte Menschen the‐ matisiert, die für ihre gesellschaftlichen Leistungen gewürdigt werden, z. B. Nelson Mandela oder Emmeline Pankhurst. In dieses Mosaik be‐ rühmter Menschen lassen sich exemplarisch Personen einfügen, die sich z. B. für die Gleichstellung und Anerkennung von LGBTQ einsetzen oder eingesetzt haben. Als Beispiel lassen sich hier Harvey Milk und Anne Kronenberg nennen. Harvey Milk gilt als erster öffentlich lebender Schwuler, der in seiner Funktion als Stadtrat von San Franscisco in ein politisches Amt gewählt wurde, während Anne Kronenberg, eine lesbi‐ sche LGBTQ-Aktivistin, mit großem Erfolg als Kampagnen-Managerin für Harvey Milk gearbeitet hat. Familienleben Ein frühes Thema des Fremdsprachenunterrichts (oftmals in der Jahr‐ gangsstufe 5 oder bereits in der Primarstufe) ist das Zusammenleben in Familien, das oft durch einen heteronormativ zusammengesetzten Familienstammbaum und damit verbundenen Geschichten eingeführt wird. Um das Thema Familie generell zu vervielfältigen, bietet es sich an, verschiedene Familienstammbäume zu zeigen oder zu entwickeln bzw. verschiedene Familiengeschichten zu behandeln, in denen neben Patch‐ work-Familien und alleinerziehenden Eltern z. B. auch gleichgeschlechtli‐ che Eltern, transidente Geschwister, schwule Onkel oder lesbische Tanten vorkommen. Sport Sport ist ein gängiges Thema im Fremdsprachenunterricht, das sich durch die Jahrgangsstufen zieht, wobei bestimmte Sportarten oftmals im Kontext spezifischer englischsprachiger Kulturen präsentiert werden. Im Kontext von Sport lässt sich z. B. die Herausforderung eines Coming Outs thematisieren, das im Profisport oftmals noch tabuisiert ist, oder die Logik zweigeschlechtlicher Wettkampfaufteilungen, die Teilnahmen für 117 Queere Interventionen in die Kritische Fremdsprachendidaktik transidente oder intersexuelle Personen (oder für als solche gehaltene) erschweren. Falls konkrete Personen in den Fokus rücken sollen, können Caster Semenya aus Südafrika, Tom Daley aus Großbritannien oder Thomas Hitzslperger aus Deutschland als Beispiele gelten. Kosmopolitische Großstädte In fast allen Lehrwerken werden im Sinne des interkulturellen Lernens wichtige Großstädte wie London oder New York vorgestellt. Oftmals wird dabei auch die kulturelle Diversität dieser Städte hervorgehoben, was sich z. B. sinnvoll mit der kulturellen Bedeutung von LGBTQ-Communities in diesen Städten ergänzen lässt. Für London ist z. B. der LGBT History Month des Museum of London von Bedeutung, während für New York die sogenannten Stonewall Riots aus den späten 1960er Jahren in der Christopher Street relevant sind, woraus sich die aktivistische Tradition der pride parades entwickelt hat (die in Deutschland lange Zeit unter dem Titel Christopher Street Day organisiert wurden). Globalisierung Im Kontext einer globalisierten und zusammenwachsenden Welt können Lernende auch LGBTQ-spezifische Themen recherchieren, z. B. wie es weltweit um die Gleichstellung von LGBTQ bestellt ist, wie NGOs dazu human rights campaigns entwickeln, oder wie die Regenbogenflagge als weltweit erkennbares LGBTQ-Symbol funktioniert. Tab. 1: Auswahl gängiger Themen des Fremdsprachenunterrichts mit queer-fokussierten inhaltlichen Spezifizierungen. Texte In der gender- und queer-orientierten Fremdsprachenforschung wird die besondere Be‐ deutung von Texten als kulturelle Bedeutungsträger betont, da in ihnen sexuelle und geschlechtliche Bedeutungen, Identitäten und Normen encodiert und repräsentiert sein können (vgl. König 2018a, Merse 2018). Sie eignen sich somit, als LGBTQ identifizierte Personen persönlich oder gesellschaftlich im Unterricht sichtbar und für Lernende erfahr‐ bar (und auch hinterfragbar) zu machen. Vor allem literarischen Texten wird wegen ihrer Fiktionalität ein hoher Wert zugesprochen, denn sie bieten Lernenden „a way to explore possibilities and help [them] find themselves, imagine others, value difference, and search for social justice“ (Renzi et al. 2012: 119). Gleichwohl eignen sich auch nicht-fiktionale oder autobiographische Texte, um z. B. Einblicke in historische Zusammenhänge, politische Entwicklungen und authentische persönliche Lebensumstände zu bekommen. Darüber hinaus weist Kauer (2019: 15) darauf hin, dass auch Texte, in denen LGBTQ-Personen oder LGBTQ-Erfahrungen nicht explizit und sichtbar vorkommen, sich aus queerer Perspektive für eine Auseinandersetzung eignen, da in ihnen auch ohne klare queere Artikulatio‐ nen stets heteronormativ geprägte Vorstellungen von Geschlechtlichkeit, Sexualität und Zusammenleben greifbar werden können - eben weil diese als kulturelle Normen so wirkmächtig und verbreitet sind (vgl. Kauer 2019: 15). Mit einem weiten Textverständnis, das auch z. B. Bilder und Filme als bedeutungstragende Medien einschließt, werden in folgender Tabelle (siehe Tabelle 2) Vorschläge für eine queer-fokussierte Textauswahl vorgenommen. 118 Thorsten Merse Textsorten Beispiele und Erklärungen Lehrwerke Das fremdsprachliche Lehrwerk ist als Textsorte für den Unterricht so relevant, da es nach wie vor ein verbreitetes Lehr-Lernmedium ist und sich folglich die Frage nach einem sinnvollen, queeren Umgang damit stellt. Gerade weil Lehrwerke in der Forschung oftmals für ihre heteronormative Konstruktion und ihre Unsichtbarkeit von LGBTQ kritisiert werden (vgl. Gray 2013), kann man sich diesen Umstand zunutze machen und das Lehrwerk selbst zum Unterrichtsgegenstand machen. So lassen sich z. B. Familiendarstellungen in Lehrwerken zusammen mit Lernenden auf ihren heteronormativen Charakter hin untersuchen - und ob die dort vorgefundenen Familienwelten den von Lernenden bekannten Familienwelten entsprechen. Bilder Bilder eignen sich im Unterricht gut dafür, ihre prägnanten Botschaften durch Bildbeschreibungen und Bildinterpretationen zu entschlüsseln. So können z. B. Fotographien queerer Proteste ausgewählt werden, wie Tilda Swindons Regenbogenflaggen-Foto vor der Basilius-Kathedrale am Moskauer Kreml oder regenbogenfarbene Treppenstufen in Istanbul bzw. Zebrastreifen vor Botschaften homophober Nationen. Über Bildanalysen lässt sich dann der symbolische Gehalt dieser Bilder beschreiben, während weitere Recherchen die Bilder in ihren lokalen Kontexten verorten können. Daneben können Lernende auch selbst dem Unterricht Bilder beisteuern, z. B. von Regenbogenflaggen an Geschäften und Restaurants vor Ort. Filme Aus dem breiten Spektrum an Filmen mit LGBTQ-Thematik haben z. B. Broke‐ back Mountain (Lee, 2005), Milk (Van Sant, 2008) oder Transamerica (Tucker, 2005) ein größeres Mainstream-Interesse erzielt. Für den Unterricht sind diese Filme geeignet, da sie neben der Thematisierung von LGBTQ auch den Fokus auf Heteronormativität lenken, die das Leben der Protagonist*innen reguliert. Über Brokeback Mountain lässt sich also nicht nur eine schwule Liebesbeziehung thematisieren, sondern auch der restriktive gesellschaftliche Kontext, der diese Liebesbeziehung scheitern lässt. Transamerica erlaubt nicht nur Einblicke in die Identitätsentwicklung einer transsexuellen Frau, sondern auch in die Ablehnung, die sie in ihrer von traditionellen Geschlechterbildern geprägten Familie erfährt. In Milk werden nicht nur die politischen Kämpfe der gay liberation um Bürgerrechtler Harvey Milk erfahrbar, sondern auch die konservativen anti-gay campaigns gegen diese politischen Befreiungskämpfe. Literarische Texte Es erscheint als nahezu unmöglich, aus den mittlerweile zahlreich verfügbaren LGBTQ-Literaturen eine kondensierte Auswahl zu empfehlen. Daher sei die Organisation Lambda Literary erwähnt, über die sich nach Genres und Themen passgenau kurze und längere Texte auswählen lassen. Zahlreiche weitere Bei‐ spiele für engagierende literarische Texte finden sich in der Herausgeberschaft Queer Beats - Gender and Literature in the EFL Classroom (Eisenmann/ Lud‐ wig 2018). Aus meiner eigenen universitären Praxis der Lehrer*innenbildung heraus kann ich David Levithan’s Kurzgeschichte „Princes“ empfehlen. Die schwule Identitätsentwicklung des jugendlichen Protagonisten, dessen Hobby Ballett ist und der aus einer jüdischen Familie stammt, eignet sich zur kritischen Reflektion genderbezogener Rollenbilder, der Notwendigkeit eines Coming Outs und der allmählichen Akzeptanz innerhalb einer anfänglich in heteronor‐ mativen Erwartungen verstrickten Familie (vgl. dazu Marks/ Merse 2018). Autobiographi‐ sche Erzählungen und oral histories Das Internet und Online-Medien sind eine gute Quelle für autobiographische Erzählungen von LGBTQ-Jugendlichen, in denen sie ihre Erfahrungen mit der eigenen LGBTQ-Identität schildern und dabei auch die heteronormativen und zweigeschlechtlichen Kontexte mit reflektieren, in denen sich ihre Identitäts‐ erfahrungen entfaltet haben. Diese authentischen Texte bieten sinnstiftende Anlässe für Perspektivenwechsel, in denen Lernende den Effekten einer hete‐ ronormativ geprägten Gesellschaft nachspüren können. Geeignete Beispiele für solche Online-Ressourcen sind das fotojournalistische Interviewprojekt 119 Queere Interventionen in die Kritische Fremdsprachendidaktik We Are the Youth - Sharing the Stories of LGBTQ Youth in the United States (http: / / wearetheyouth.org/ ), das Story- und Videoprojekt It Gets Better (https: / / itgetsbetter.org/ ) oder das LGBTQ-Archiv I’m From Driftwood (https: / / imfromdriftwood.com/ ). Empfehlenswert sind auch die online verfüg‐ baren oral histories zu den Stonewall Riots, in denen LGBTQ-Zeitzeugen über ihre Protesterlebnisse berichten und somit dieses zentrale historische Ereignis für die LGBTQ-Bewegung für Lernende wieder zum Leben erwecken (https: / / gaycenter.org/ stonewall-histories/ oder https: / / stonewallhistory.ome ka.net/ ). Tab. 2: Beispiele für eine queer-fokussierte Textauswahl. Fazit Wenn es in der sich formierenden Kritischen Fremdsprachendidaktik darum geht, kritische und pädagogische Konzeptionen in die didaktische Forschung und Theoriebildung zu integrieren, so hat sich die Queer Theory als eine vielversprechende Bezugswissenschaft etabliert, mit der sich in der Fremdsprachendidaktik die Beschäftigung mit sexuellen und geschlechtlichen Identitäten und dem Phänomen der Heteronormativität rahmen lässt. Auch wenn die Queer Theory sich in ihrem Widerstand der eigenen Disziplinierung schwer fassen lässt und nicht jeder ihrer theoretischen Annahmen anstandslos in die Fremdsprachendidaktik übertragbar ist, so lassen sich doch sinnstiftende queere Interven‐ tionen ableiten, mit denen sich in Bezug auf sexuelle sowie geschlechtliche Identitäten und Normen die gesellschaftliche Wirksamkeit von Sprache und kulturellen Kategorien kritisch reflektieren und hinterfragen lässt. Grundsätzlich muss es einer an queeren Interventionen orientierten Kritischen Fremdsprachendidaktik dann darum gehen, über die Auswahl geeigneter Themen, Texte und Aufgaben Lernende eine Überprüfung ihres Selbst- und Weltverständnisses zu ermöglichen, in dem als zentrale kulturelle Denkmuster und Organisationsprinzipien sexuelle und geschlechtliche Normen sowie Identitäten stets eingebettet sind. Für die Zukunft ergeben sich aus der Schnittstelle von Queer Theory und Kritischer Fremdsprachendidaktik mögliche Revisionen und Neuorientierungen in der Lehrer*innenbildung, für die es innovative Konzepte benötigt, sowie aktuell größtenteils noch fehlende Perspektiven zur empirischen Erforschung konkreten ‚queeren‘ Unterrichts. Literaturverzeichnis Alexander, Jonathan (2008): Literacy, Sexuality, Pedagogy. Theory and Practice for Composition Studies. Utah: Utah State University Press. Alexander, Jonathan/ Banks, William P. 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Einen Anlass, über die fremdsprachendidaktische Ausrichtung von Inhalten und Herangehensweisen nachzu‐ denken, bietet z. B. die Lehrwerksseite eines Englischbuchs für die Berufsschule, bei dem die Lexis für Körperteile und Sätze in Verneinung oder mit der Konstruktion ‚is too + Adjektiv‘ wiederholt wird (vgl. Abb. 1). Illustriert wird die Seite zum einen durch zwei Unterwäschemodel-Fotos, zum anderen durch eine Karikatur. Zur Frage, warum die beiden karikierten Figuren wohl keine idealen Kandidat*innen für Schönheitswettbewerbe seien, kommt die Aufforderung: „Say what is wrong with them“ und die Frage: „What could the two people change with the help of cosmetic surgery? “ (Stevens 2007: 77). 1. Zur Einführung: Ausgangspunkte für eine Kritische Fremdsprachendidaktik An diesem (in der komplett überarbeiteten Ausgabe von 2010 übrigens nicht mehr enthal‐ tenen) Beispiel lassen sich einige Ausgangspunkte für eine Kritische Fremdsprachendidak‐ tik festmachen, die in diesem Beitrag aufgegriffen werden sollen. Die fremdsprachlichen Curricula sind seit der Output-Orientierung durch die Bildungsstandards auf Kompetenzen ausgerichtet, inhaltlich jedoch vergleichsweise offen. Fachschaften, Lehrer*innen und Lehrwerksautor*innen sind zur Unterstützung des Spracherwerbs im Sinne eines interkul‐ turell-kommunikativen Fremdsprachenunterrichts auf der Suche nach Gesprächsanlässen, die für die Schüler*innen relevant sind. Humorige Karikaturen, gerade auch ein wenig pro‐ vokante, werden dabei gerne genommen. Das Thema Schönheits- und Körpernormen, da‐ von lässt sich ausgehen, ist in der Lebenswelt von Jugendlichen und jungen Erwachsenen hoch relevant. Es besteht jedoch nicht notwendigerweise der Anspruch einer inhaltlich offenen, mehrperspektivischen und möglicherweise kritischen Auseinandersetzung, wie das Lehrwerksbeispiel zeigt. Vielmehr zielt insbesondere die Frage, was an den Personen nicht stimmt, vornehmlich auf die Einübung vorgegebener sprachlicher Strukturen durch Wiederholung und Kombination ab. Die gebetsmühlenartige Beschreibung von Körperteilen, die vorgegebenen Ansprüchen nicht genügen, wird problematisch, wenn wir Sprache und kulturelle Normen als perfor‐ mativ verstehen: Indem vielfach kulturelle Normen aufgerufen werden, nach denen diese Abb. 1: Auszug aus Lehrwerk Keep Going von Cornelsen (Stevens 2007: 77). 126 Lotta König Körper als defizitär zu beschreiben sind, macht die fremdsprachendidaktische Übung diese Abwertungen mit und reproduziert machtvolle Normen, die die körperliche und psychische Entwicklung der Lernenden maßgeblich beeinflussen. Das zitierte Beispiel verdeutlicht Tendenzen, die weniger offensichtlich auch in anderen Aufgabenbeispielen und Unter‐ richtsszenarien zu finden sind (vgl. Gray 2013) und das Desiderat einer Kritischen Fremd‐ sprachendidaktik unterstreichen. In diesem Beitrag soll daher betrachtet werden, wie das Thema ‚Schönheits- und Körpernormen‘ im Rahmen einer Kritischen Fremdsprachendidaktik ausgestaltet werden könnte. Dafür werden zunächst einige thematisch relevante kulturwissenschaftliche, sozio‐ logische und erziehungswissenschaftliche Untersuchungen herangezogen. Anschließend wird aufgezeigt, welche bereits bestehenden konzeptionellen kulturdidaktischen Ansätze Anknüpfungspunkte für die kritische Thematisierung von Schönheits- und Körperthemen bieten. Diese vor allem der Critical Literacy zuzurechnenden Theorien werden sodann um Überlegungen zu konkreten Herangehensweisen unter Bezug auf Ansätze der Critical Pedagogy ergänzt. Die grundlegenden Überlegungen werden schließlich am Beispiel einer Unterrichtsreihe für den Englischunterricht exemplifiziert, die auf unterrichtspraktischen Erfahrungen mit einer 9. Gesamtschulklasse basieren. 2. Schönheits- und Körpernormen - ein furchtbar lebensweltnahes Thema Im Laufe der Schulzeit werden Kinder zu jungen Erwachsenen und ihre Körper verändern sich. Dies geschieht jedoch nicht einfach von allein, nur ‚natürlich‘, sondern ebenso ‚kultürlich‘: Die Jugendlichen richten sich in dieser Entwicklung an gesellschaftlichen Normen aus und versuchen diese im wahrsten Sinne des Wortes zu ‚verkörpern‘. Diese Verknüpfung von symbolischer Ordnung und materiellen Praxen lässt sich als die Entwick‐ lung von ‚Körperstilen‘ (Tervooren 2007: 90) beschreiben, die z. B. in Körperhaltung, Mimik, Kleidung oder in Haarpraktiken ausgedrückt werden. Dabei erfolgt im Laufe der Pubertät eine Ausrichtung an gängigen Schönheitsidealen, auch wenn - pauschal ausgedrückt (vgl. Zirfas 2008: 85) - 99,9% der Bevölkerung diese nicht erfüllen und höchstens die Hälfte dem gesellschaftlichen Normalbild von Körpern entsprechen. Dennoch geht mit der körperlichen Entwicklung während der Pubertät häufig ein Defizitgefühl einher, was sich bei Mädchen vor allem auf ihr Gewicht, bei Jungen auf Muskeln und Körpergröße bezieht (vgl. Flaake 2019: 124 ff.). Zu der normativ ausgerichteten Gestaltung von Körpern wird (nicht nur) von Jugendlichen auf Hilfsmittel wie Diäten, Nahrungsergänzungsmittel und Krafttraining, Make-up und andere Stylingprodukte zurückgegriffen. Der Selbstopti‐ mierungswille führt bis hin zu Essstörungen, selbstverletzendem Verhalten, körperlicher Gewalt und zunehmend zu (Wünschen nach) den im Lehrwerksbeispiel so nonchalant eingebrachten Schönheitsoperationen (vgl. Villa 2008: 245). 2.1 Einflussfaktoren: Mediale Körperbilder im Fokus Maßgebliche Einflussfaktoren sind neben der Welt der Erwachsenen, an denen sich die Heranwachsenden orientieren, ihre Peers (vgl. Tervooren 2007: 99). Die von Karin Flaake (2019: 167) zusammengestellten Studien verdeutlichen eindrücklich die Anerkennungs- und Abwertungspraktiken unter Jugendlichen, die als Resonanzraum für Körperinszenie‐ 127 Schönheits- und Körpernormen als Thema in einer Kritischen Fremdsprachendidaktik rungen fungieren - auf dem Schulhof und online. Die Medien sind ein starker Einflussfaktor auf Schönheitsideale und Körpernormen: Es lässt sich vermuten, dass insbesondere die Selbstinszenierungspraktiken in den Sozialen Medien in den letzten Jahren die fokus‐ sierte Wahrnehmung von Schönheitsnormen und Körperstandards bei Jugendlichen noch verstärkt haben (vgl. ebd.: 175 ff.). Ähnliches gilt für den Effekt von Castingshows für Laien-Models, die darauf ausgerichtet sind, Körpernormen zu erfüllen bzw. ihre Erfüllung zu bewerten (vgl. Götz/ Gather 2010: 57). Dabei zeigt sich, dass nicht nur die Erfüllung der Körpernormen, sondern auch die Inszenierungspraktiken selbst Gegenstand der Bewertung sind: Es geht nicht nur darum, als wie schön ein Körper bewertet wird, sondern auch darum, inwiefern er vorteilhaft in Szene gesetzt wird (vgl. ebd.: 56). Auch der online inzwischen jederzeit und vielfältig mögliche Zugang zu Pornos spielt eine Rolle in der Entwicklung von Körperbildern: Dadurch erstrecken sich visuell verbreitete - und qua Genre besonders inszenierte - Körpernormen inzwischen auch auf Genitalien (vgl. Tuider 2012: 20). Die gesellschaftliche Ausrichtung an Idealen und Normen ist an sich nichts Neues. Die Technologien, diese Normen darbzw. herzustellen, erweitern sich jedoch von der Fotografie über Computertechnologien und tragen dazu bei, dass aus Schönheitsidealen ‚Normalavatare‘ abgeleitet werden, die durch die Kraft der Bilder jene Körpernormen weiter verobjektivieren (vgl. Zirfas 2008: 85). Die genannten Medien und ihre Nutzung sollen in diesem Beitrag jedoch nicht verurteilt, sondern als Bestandteil jugendlicher Lebenswelten ernstgenommen werden - einschließlich ihres Potenzials zur (selbstständigen) Auseinan‐ dersetzung oder für (sub-)kulturelle Ausdrucksmöglichkeiten. 2.2 Kulturelle Kategorien von Körpernormen Körpernormen sind eng verknüpft mit zentralen gesellschaftlichen Differenzkategorien und deren kultureller Konstruktion. Besonders deutlich wird das beim Geschlecht, denn was als schön gilt, hängt in hohem Maße mit Geschlechternormen in einem System der Zweigeschlechtlichkeit zusammen. Am Beispiel der Haarpraktiken: Während, zugespitzt formuliert, möglichst lange Haare auf dem Kopf und möglichst wenig Gesichts- und Körperbehaarung für Weiblichkeit als schön gelten, gilt der umgekehrte Fall als männlich. Ähnlich diametral entgegengesetzte Körperstandards im Hinblick auf Geschlecht gelten aber auch für Körpergröße, Muskelbildung, Knochenstruktur usw. Die genaue Ausprägung ist immer auch modeabhängig und daher wandelbar, worin sich der kulturelle Konstrukt‐ charakter von Geschlecht wie von Schönheitsnormen zeigt. Dazu gehört durchaus auch eine gewisse Flexibilität dieser Normen. Dennoch verbleiben diese Vorstellungen in einem System der Zweigeschlechtlichkeit und reproduzieren es. Für nicht-binäre Jugendliche und trans*Schüler*innen wird gerade der Körper angesichts dieses ausschließlich binären Angebots häufig zur Kampfzone. Die dichotome geschlechtsspezifische Prägung von dem, was als schön gilt, bildet sich auch sprachlich ab, wie die unterschiedliche Konnotation von Adjektiven für gutes Aussehen zeigen: hübsch und gutaussehend, pretty und handsome sind geschlechtsspezifisch zuzuordnen. Eine Definition über Äußeres und Schönheit ist dabei insbesondere mit Weiblichkeit verknüpft (vgl. Flaake 2019: 135), in eigener wie fremder Wahrnehmung (vgl. ebd.: 123 ff.). Dennoch ist Schönheitshandeln nicht nur „Frauensache“ (Degele 2004: 29), weder historisch (vgl. ebd. 29 ff.) noch heutzutage. Vielmehr lassen sich Tendenzen erkennen, dass auch 128 Lotta König für Männlichkeiten der Druck steigt, sich äußerlichen Körpernormen anzupassen (vgl. Abraham 2011), bzw. dass die „Ästhetisierung der Körper noch nie da gewesene Ausmaße erreicht hat und beide Geschlechter sowie alle Klassen der Gesellschaft an diesem Verschö‐ nerungsboom beteiligt sind“ (Penz et al. 2008: 7). Dieses Zitat verweist bereits auf die intersektionale Verschränkung von gender mit einer anderen ausschlaggebenden gesell‐ schaftlichen Kategorie, die vielleicht durch eine Kritische Fremdsprachendidaktik stärker in den fachdidaktischen Blick rücken könnte - auch und gerade weil sie weniger ,sichtbar‘ ist als Geschlecht: class. Schönheitsideale und -praktiken sind stark vom kulturellen und ökonomischen Kapital abhängig und differenzieren dadurch auch, was als besonders schön bei Männern oder Frauen gilt (vgl. ebd.). Geschlechtsspezifische Körpernormen und eine ihnen entsprechende Gestaltung von Körpern bringen nach Judith Butlers Performativitätstheorie (vgl. Tuider 2012: 22) nicht nur das System der Zweigeschlechtlichkeit maßgeblich mit hervor, sondern konsolidieren auch eine heterosexuelle Begehrensordnung (ebd.: 25) bzw. - in dieser Verschränkung von Ge‐ schlecht und Sexualität - Heteronormativität. Männliche und weibliche Schönheitsideale sind auf ein Begehrt-Werden durch das andere dieser zwei Geschlechter ausgelegt. Es gibt (inzwischen) durchaus auch homosexuell geprägte Ideale von Körperlichkeit, die jedoch als das Andere fungieren, von dem sich die heterosexuelle Norm abgrenzt (ebd.: 24). Viele weitere gesellschaftliche Kategorien ,durchziehen‘ die Körper. So zeigen die Disa‐ bility Studies auf, wie gesunde Körper zur Norm gemacht werden, und Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen durch diese Norm behindert werden. Die Barrieren zu gesellschaftlicher Teilhabe gehen weit über die medizinischen Beeinträchtigungen hinaus und die damit verbundenen Ausgrenzungen und Ungleichheiten sind kulturell tief verankert. Versehrte Körper dienen der Abgrenzung von dem, was als schön gilt, sie sind also insofern maßgeblich für Schönheitsnormen als sich Letztere über diesen Ausschluss konstituieren (Zirfas 2008: 82 f.). Ähnliche Dynamiken werden in Bezug auf Körpergewicht jüngst in den Fat Studies (vgl. z. B. Rose/ Schorb 2017) untersucht. Bereits seit langem verweisen postkoloniale Studien und Critical Racebzw. Critical Whiteness-Ansätze auf die identitätsstörende Internalisierung solcher Normen, wenn z. B. das koloniale Erbe in Schönheitsidealen von heller Haut und glatten Haare fortdauert (vgl. z. B. Dießelmann 2016). 2.3 Schönheitsideologien, Körperarbeit und Macht Die kulturellen Kategorien, die sich (unter anderem) in Schönheitsidealen und Körpernor‐ men ausdrücken, sind untrennbar verbunden mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Wie der kurze Überblick über die verschiedenen kulturellen Kategorien gezeigt hat, funk‐ tionieren diese Normen über Abgrenzung und Ausschluss bzw. Anerkennung (als Subjekt) und dem Dazugehören zur sozialen Norm. Der Grad der Erfüllung hat unmittelbare soziale Auswirkungen auf den Status einer Person. Die Soziologin Nina Degele (2004) fasst die individuelle Arbeit am Körper zur Ausrichtung an diesen Normen als „Schönheitshandeln“ (ebd.: 11) und versteht dieses explizit als soziale Positionierung und den Versuch der Teilhabe an sozialer Macht: Degele zeigt, dass Schönheit auch historisch immer schon Status bedeutet hat, bzw. dass die Herrschenden Schönheitsnormen festgelegt haben (vgl. ebd.: 14). In heutigen Gesellschaften kommt der Leistungsaspekt hinzu, da Schönheit durch diverse 129 Schönheits- und Körpernormen als Thema in einer Kritischen Fremdsprachendidaktik Hilfsmittel und Inszenierungstechniken ,gemacht‘ werden kann - und daher auch immer mehr gemacht werden muss, um sozial erfolgreich zu sein (vgl. ebd.: 15). Ziel des Sich-schön-Machens ist dabei nicht in erster Linie Ästhetik, sondern vielmehr Anerkennung (ebd.: 11) - auch wenn dies den ‚Schönheitshandelnden‘ durchaus nicht immer bewusst ist. Es gehört vielmehr zur Ideologie von Schönheit, dass Schönheitshandeln etwas ist, das man für sich selbst tut, das also Privatsache ist, das zum Wohlbefinden beiträgt und eher etwas oberflächlich ist. Wie Degele auf der Grundlage von Gruppendiskussionen zeigt, findet Schönheitshandeln allerdings heute - gerade auch bei den Jüngeren - so öffentlich statt wie nie zuvor (vgl. ebd.: 13), ist harte Arbeit mit hohen (zeitlichen, finanziellen und körperlich schmerzhaften) ,Kosten‘ und nicht so sehr oberflächlich als vielmehr zutiefst identitätsstiftend (vgl. ebd.: 24). Hinter dem Streben nach Anerkennung steht der Wunsch, als Subjekt wahrgenommen zu werden und sozial lesbar oder intelligibel und erfolgreich zu sein. So werden soziale Normen zum Teil der Körpersozialisation. Theoretisch lässt sich dies mit verschiedenen soziologischen und kulturwissenschaftlichen Ansätzen fundieren (vgl. Degele 2004: 15 ff.): Michel Foucault und Norbert Elias haben dekonstruktivistisch gezeigt, wie Körper und Sexualität Objekte gesellschaftlicher Disziplinierung werden und unumgänglichen Einfluss auf Identitätskonstruktionen haben. Die konstruktivistischen Studien Harold Garfinkels, Erving Goffmans und Pierre Bourdieus fokussieren den Anteil der Akteure und die Performanz von kulturellen Kategorien einschließlich der damit verbundenen sozialen Un‐ gleichheiten in alltäglichen Interaktionen, in denen soziale Beziehungen und Hierarchien nicht nur dargestellt, sondern zugleich damit auch hergestellt werden (vgl. ebd.). Judith Butler schließlich hat am Beispiel insbesondere von Geschlecht Performativität als das Prinzip der Materialisierung von machtvollen kulturellen Kategorien konzeptionalisiert: Butler zeigt auf, wie durch sich ständig wiederholendes Zitieren normativer Diskurse die vermeintlich natürlichen Gegebenheiten wie körperliche (Geschlechts-)Merkmale erst bedeutsam gesetzt und somit diskursiv hervorgebracht werden (vgl. z. B. Butler 1993). Die eingangs angeführte Lehrwerksseite kann gewissermaßen als ein grob vereinfachtes Beispiel für die sonst ungleich subtileren Dynamiken von Performativität dienen - und welche Rolle Sprache dabei spielt: Normative Vorstellungen von Körpern werden in Variationen immer wieder wiederholt, bis schließlich die dargestellten (karikierten) Körper soweit marginalisiert sind, dass sich in dieser Diskurslogik nur noch die Frage anschließen kann, was diese Personen mithilfe von Schönheitsoperationen ändern könnten. Das Beispiel zeigt auch, dass Sprache und Sprachenlernen unvermeidlich mit der (Re-)Produktion von kulturellen Diskursen verbunden ist. 3. Gründe für eine kritische Thematisierung von Körpernormen im Fremdsprachenunterricht Aus den Einblicken in Schönheits- und Körpernormen als verbunden mit machtvollen und sprachlich-diskursiv gestalteten kulturellen Kategorien ergeben sich Gründe für eine kritische Thematisierung im Fremdsprachenunterricht. Dazu gehört erstens fächerüber‐ greifend der schulische Bildungsauftrag, der laut Bildungsstandards auf die Persönlich‐ keitsentwicklung und Weltorientierung (vgl. Kultusministerkonferenz der Länder 2003: 3) der Schüler*innen abzielt. Da die Auswirkungen von kulturellen Körpernormen die Per‐ 130 Lotta König sönlichkeitsentwicklung im Sinne der Subjektwerdung maßgeblich beeinflussen und in den ungesunderen Formen bis hin zu Essstörungen, übermäßiger Einnahme von Muskel‐ aufbaumitteln oder medizinisch nicht notwendigen operativen Eingriffen reichen kann, ist es pädagogisch geboten und didaktisch möglich, im Rahmen von schulischem Unterricht auch eine kritische Perspektive auf diese Normen zu ermöglichen. Damit ist - dies sei ebenfalls im Sinne von Persönlichkeitsentwicklung an dieser Stelle vorausgeschickt - nicht gemeint, dass Schüler*innen, die sich stark an den aktuellen Schönheits- und Körpernormen ausrichten, abgewertet werden sollen. Wie bereits deutlich geworden ist, stecken viele Mühen, Kompetenzen und Identifikationsprozesse hinter Schönheitshandeln. Doch die zugrundeliegenden Normen als solche erkennbar zu machen, kann dazu beitragen, diese Schüler*innen und auch jene, die diesen Normen nicht entsprechen (wollen), zu entlasten. Eine solche Entlastung und kritische Betrachtung werden zweitens durch den Anspruch an einen inklusiven (Fremdsprachen-)Unterricht unterstrichen. Körpernormen machen sich, wie aufgezeigt, an eben jenen kulturellen Kategorien wie class, race, gender, sexuality, ability fest, die im Sinne eines weiten Inklusionsbegriffs explizit im schulischen Unterricht auf eine Weise repräsentiert werden sollen, die allen Schüler*innen einen gleichberechtig‐ ten Zugang zu Bildung zu erlauben (vgl. Gerlach/ Schmidt in Vorbereitung). Im Sinne des engeren Inklusionsbegriffs bei Kindern mit körperlich-motorischem Förderbedarf sind Kö‐ pernormierungen besonders einschränkend und sollten als solche von allen Schüler*innen reflektiert werden. Ein spezifisch fremdsprachendidaktischer Grund für das Sprechen über Schönheits- und Körperideale schließlich ist, dass der Fremdsprachenunterricht dazu befähigen soll, an kul‐ turellen Diskursen in der Fremdsprache teilzuhaben. Schönheitsideale und Körpernormen bieten sich dafür an, weil sie in der Lebenswelt der Lernenden relevant sind und somit einen authentischen Sprechanlass bieten, anhand dessen inhaltlich-kulturelles und sprachliches Lernen integral stattfinden können. 4. Konzeptionelle Anknüpfungspunkte - und Lücken: Kritisches kulturelles Lernen über Schönheits- und Körpernormen Eine kritische Thematisierung von Schönheits- und Körpernormen kann an bestehende kulturdidaktische Ansätze anknüpfen. Zugleich können Überlegungen dazu, was zu einer kritischen Auseinandersetzung mit diesem Thema gehört, eventuelle Lücken bzw. konzep‐ tionelle Anforderungen an eine Kritische Fremdsprachendidaktik verdeutlichen. 4.1 Anknüpfungspunkte … Die Teilhabe an kulturellen Diskursen wird beispielsweise umfassend in Wolfgang Hallets Konzept von Diskursfähigkeit (vgl. z. B. Hallet 2008a) konturiert. Damit wird als das Ziel von Fremdsprachenunterricht formuliert, dass Lernende an gesellschaftlich bedeutsamen The‐ men, die lebensweltliche wie fremdsprachliche Sphären überspannen und sich aus vielfäl‐ tigen Perspektiven und Modi zusammensetzen, teilhaben und sich selbst darin positionieren können (vgl. ebd.). Der Diskursbegriff bei Hallet ist eine Zusammenführung verschiedener Theorien, die für fremdsprachendidaktische Zwecke relevant sind: der angewandt-lingu‐ istisch begründete discourse-Begriff von gesprochener Sprache (im Klassenraum); mit 131 Schönheits- und Körpernormen als Thema in einer Kritischen Fremdsprachendidaktik dem Foucault’schen Diskursverständnis von Diskursen als machtvollen, gesellschaftlichen Strukturen, die das kulturell Sagbare festlegen, aber auch marginalisieren können; und schließlich dem Diskursverständnis bei Habermas als dem Teil von Kommunikation, bei dem auf der Meta-Ebene die Regeln über Kommunikation ausgehandelt werden (vgl. ebd.). In diesen letzteren beiden Dimensionen liegt das kritische Potenzial für die Thematisierung von Körpernormen, die nicht nur ein Sprechen über Körpernormen vorsieht (wie es auch das Lehrwerksbeispiel umsetzt), sondern auch ein Bewusstmachen der ein- und ausschließenden Dynamiken und überhaupt ein Verständnis für die kulturelle Prägung - und eigene diskursive Mitgestaltung - von kulturellen Repräsentationen eines Themas. Es lässt sich aber fragen, inwieweit diese Potenziale von Diskursfähigkeit gerade auch in der unterrichtspraktischen Anwendung des Konzepts ausreichend Berücksichtigung finden. Im Prinzip der Multiperspektivität zur Anbahnung von Diskursfähigkeit (vgl. ebd.) liegt jedenfalls nicht nur die Chance einer vielfältigen Repräsentation, sondern auch der Schlüssel zum Bewusstmachen subjektiver kultureller Prägungen: Im Vergleich und Zusammenspiel unterschiedlicher Perspektiven auf Körpernormen wird - ähnlich wie beim interkulturellen Lernen, nur vielfältiger und weniger nationalkulturell gedacht -, die kulturelle Geprägtheit verschiedener Diskurse deutlich. Neben kulturellen können auch historische Vergleiche einen solchen Effekt haben, wie gleich deutlich wird, wenn man sich Schönheitsideale und die sie unterstreichenden Moden im Wandel der Zeiten vor Augen ruft (vgl. auch Degele 2004: 26 f.). Die Veränderungen verdeutlichen dabei sowohl den Konstruktcharakter kultureller Normen als auch ihre Veränderbarkeit. Gerade auch wegen der visuellen und räumlichen Dimension von Körpernormen ist zudem das Prinzip der Multimodalität zur Förderung von Diskursfähigkeit bezüglich Schönheitsvorstellungen von zentraler Bedeutung. Es muss bei diesem Thema immer auch um Einbezug und Analyse verschiedener Zeichensysteme gehen, die auch produktiv eingesetzt werden können. Insbesondere der Inszenierungscharakter von Schönheitshandeln und medialer Selbst‐ darstellung, die Körpernormen mit hervorbringen, verweist auf die Notwendigkeit einer verstärkten Berücksichtigung der performativen Dimension. An anderer Stelle hat Hallet (2008b) dieses als Lernziel unter dem Schlagwort der ‚performativen Kompetenz‘ konzep‐ tionalisiert. Darin werden die Parallelen von Theater und sozialer Inszenierung des Alltags fokussiert. Das Hervorbringen kultureller Bedeutung durch Inszenierungen, so Hallet, lässt sich am Beispiel literarischer, insbesondere dramatischer, Texte besonders gut mit Lernenden nachvollziehbar machen (vgl. ebd.). Dieses Prinzip lässt sich durchaus auch auf andere Textsorten, insbesondere audiovisuelle Texte, übertragen: Die Inszenierung und Stilisierung von Körpern am Beispiel von Filmen oder Werbung zu analysieren, kann dazu dienen, sich alltäglicher Inszenierungsmuster bewusst zu werden. Videos in den social media liegen an der Schnittstelle von generisch als ästhetisch inszeniert verstandenen Texten und alltäglichen Inszenierungen von Körpernormen. Von Bedeutung für die Thematisierung von Körpernormen sind zudem die szenischen Zugangsformen, denn vor allem dramapädagogische Methoden, die Körpersprache, Gestik und Mimik mit einbeziehen, können ein Verständnis von der Entwicklung von ‚Körperstilen‘ und dem tiefen Einschreiben dieser Normen in Körper ansatzweise nachvollziehbar machen. 132 Lotta König Um ein Verständnis für die kulturelle Bedeutungsherstellung durch Individuen zu we‐ cken, ist zudem Claire Kramschs Konzept der symbolic competence für eine Thematisierung von Schönheits- und Körpernormen von Interesse. Symbolische Kompetenz basiert auf der Annahme, dass es bei Kommunikation in einer globalisierten Welt nicht mehr nur um den Austausch von Bedeutungen, sondern ein Verständnis der Bedeutungsherstellung selbst geht (vgl. Kramsch 2006: 251). Für multilinguales und -kulturelles Lernen wird also die Analyse der symbolischen Form bedeutsam. Dazu gehört, die sozialen Positionierungen, Ideologien und Erinnerungen eines - fiktionalen oder realen Gegenübers - rekonstruieren zu lernen (vgl. ebd.). Für Körpernormen kann dies z. B. bedeuten, dass die kulturellen Kategorien - z.B. gender, class, sexuality - die hinter den spezifisch geprägten Schönheits‐ vorstellungen stehen (vgl. Abschnitt 2.2.), in den Inszenierungen erkannt werden. Immer zentraler werden bei Kramsch dabei die Machtstrukturen, die mit diesen Kategorien verbunden sind, also die Analyse von symbolic power (Kramsch 2018). An empirischen Beispielen von multilingualen Kommunikationssituationen zeigt sie, wie darin die Bedeu‐ tungen nicht nur rekonstruiert werden, sondern immer auch zur Aushandlung von sozialer (Deutungs-)Macht dienen. Dieses Verständnis von fremdsprachiger Kommunikation ist für die Thematisierung von Körpernormen wichtig, um die Abwertungsdynamiken und sozialen Positionierungen und Versuche der Teilhabe an Macht zu verstehen, die mit den Inszenierungen verbunden sind. 4.2 … und Lücken Allerdings handelt es sich bei den Texten zu symbolischer Kompetenz vor allem um Analysen von Kommunikations- oder literarischen Rezeptionssituationen, sie haben noch wenig Eingang in Überlegungen zu oder gar Anwendung in unterrichtspraktischen Umsetzungen gefunden. Auch wurde kritisiert, dass aus den Rekonstruktionen sozialer Machtverhältnisse noch nicht erkenntlich wird, wie Lernende auf dieser Grundlage handeln und eine eigene agency entwickeln können und mit welchem Diskursverständnis eine solche Handlungsmöglichkeit entworfen werden kann (vgl. Plikat 2017: 170 ff.). Von den als Anknüpfungspunkten beschriebenen Ansätzen ist die kulturelle Handlungsdimension am ehesten in den dramapädagogischen Methoden im Rahmen einer performativen Kompetenz konzeptionalisiert: Hier ist es das probende Handeln im Schutz von Rolle, Spiel und Fiktionalität. Die Ziele symbolischer Kompetenz und Diskursfähigkeit, so soll jedoch auch festgehalten werden, ergänzen sich in vieler Hinsicht sehr gut. Durch die Förderung von Diskursfä‐ higkeit wird gewissermaßen auf der Makroebene das Zusammenspiel von Diskursen fokussiert, deren Wirkmächtigkeit auf der individuellen Mikroebene durch symbolische Kompetenz sichtbarer wird. Dabei bezieht Kramsch explizit kulturelle Machtverhältnisse als Bestandteil der Wirkung von Diskursen ihrer Herstellung durch individuelle Subjekte mit ein. Durch Diskursfähigkeit wird der Bezug auf übergreifende kulturelle Themen vor allem auch in ihrer Mehrperspektivität und Multimodalität verdeutlicht. Außerdem ist dieser Ansatz schon stärker unterrichtspraktisch verankert (vgl. z. B. Hallet/ Genetsch 2010) und seine Umsetzung inzwischen in der Unterrichtspraxis kritisch empirisch überprüft (vgl. Schäfer/ Tödter in Vorbereitung). 133 Schönheits- und Körpernormen als Thema in einer Kritischen Fremdsprachendidaktik Beide Ansätze sind jedoch vor allem kognitiv und analytisch-reflexiv angelegt - und sind somit Ansätzen von Critical Literacy zuzuordnen. Ein handelnder Umgang mit einer Vielfalt der Texte ist zwar bei Diskursfähigkeit vorgesehen, dieser ist jedoch vor allem als aktive Beteiligung an Diskursen konzeptionalisiert. Die Kompetenz ist bei Kramsch insbesondere symbolisch, was auch daran liegt, dass dieser Ansatz im anglophonen Raum entstanden ist und nicht den Weinert’schen Kompetenzbegriff zugrunde legt, der im deutschen Bildungssystem durch die Bildungsstandards Verbreitung gefunden hat. Eine attitudinale Dimension hat symbolische Kompetenz zwar durchaus mit der Betonung der Förderung von Ambiguitätstoleranz, also dem inneren Aushalten unterschiedlicher Positionen und nicht abschließbarer Aushandlungsprozesse (vgl. Kramsch 2006). Die affektive Dimension jedoch, die in Ansätzen interkulturellen Lernens und vor allem dem des Fremdverstehens so zentral sind, die Förderung von Empathie und Perspektivenwechsel, tritt in diesen analytisch-reflexiv ausgerichteten Ansätzen in den Hintergrund. Das mag damit zu tun haben, dass eine uneingeschränkte Perspektivenübernahme gerade bei der verstärkten Berücksichtigung von diskursiven Machtverhältnissen problematisch sein kann (vgl. König 2018a und 2020): Am Beispiel von Körpernormen wird schnell deutlich, dass die Übernahme beispielsweise eines abwertenden männlichen Blicks auf einen Frauenkörper, eines wei‐ ßen auf einen schwarzen, eines reichen und gesunden auf einen armen oder kranken Körper Machtverhältnisse reproduzieren kann. Dazu gehört, dass die Subjektposition der Lerner*innen, auf die jeweils eher letztere Positionen zutreffen, dadurch einmal mehr negiert werden und sie anstelle positiver Identifikationsmöglichkeiten eine Abwertung bestätigt sehen. Dennoch sind es gerade auch diese Prozesse, die wiederum bei einer Übernahme marginalisierter Perspektiven durch Empathie zu einer Infragestellung und kritischen Reflexion der zugrundeliegenden Normierungen führen und Einblicke in die problematischen Auswirkungen von Diskriminierungen geben können. Ebenso gut können affektiv ansprechende Einblicke einen positiven oder subversiven Umgang mit solchen Zuschreibungen bieten oder zeigen, wie trotzdem Handlungsspielräume eröffnet werden, wenn z. B. widerständige Praktiken gegen Rassismus, Sexismus oder Lookismus entwickelt werden. Eine Thematisierung von Körpernormen bedarf also durchaus auch affektiver Zugänge. Diese sollten jedoch stets durch analytisch-reflexive Zugänge ergänzt werden. Schließlich bleibt die Frage nach der Dimension des Handelns, also des Transfers und der Anwendung der empathisch und analytisch gewonnenen Einblicke. In dieser Frage können zusätzlich zu den bisherigen, eher der Critical Literacy zuzuordnenden, kulturdidaktischen Ansätzen die im Einführungsbeitrag (vgl. Gerlach in diesem Band) vorgeschlagenen Konzepte der Critical Pedagogy gewinnbringend herangezogen werden. 5. Implikationen für die Thematisierung von Körpernormen in der Fremdsprache In der Kritischen Pädagogik werden explizit emanzipatorische und transformatorische Ziele gesetzt und Bildung wird stets als politisch verstanden, weil sie ohnehin nicht neutral sein kann (vgl. Gerlach in diesem Band). Das bereits aufgezeigte Ausmaß und die Auswir‐ kungen von Schönheitsidealen und Körpernormen auf die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen sind ein gegebener Anlass für eine Kritische Pädagogik, wie 134 Lotta König sie Crookes (2013: 77, zitiert ebd.) formuliert: Als kritische Auseinandersetzung mit den Gründen, aus denen sich so viele Menschen so unzureichend („inadequate“, ebd.) fühlen und als Suche nach Lösungen und Handlungsmöglichkeiten. Gerade dieses Gefühl der Unzulänglichkeit und des Defizits kennen Jugendliche in Bezug auf ihre Körper meist nur zu gut, fast unabhängig davon, wie sie tatsächlich aussehen. Auch könnten viele sicherlich besser benennen, was sie an ihren Mitschüler*innen schön finden als an sich selbst. Ziele einer pädagogischen Perspektive der Persönlichkeitsentwicklung sind also auch ein klassisches Bestärken, empowerment, und Solidarität untereinander. In einem kleinen Nebensatz schränkt Crookes allerdings ein, dass diese kritische Auseinandersetzung nur angeregt werden kann, sofern die Umstände das erlauben (vgl. ebd.). Die Umstände im Fremdsprachenunterricht sind für eine Thematisierung von Körper- und Schönheitsnormen insofern günstig, als die lebensweltliche Relevanz des Themas dazu beitragen kann, dass ein tatsächlicher Sprechanlass entsteht und die Lernenden durch die Dringlichkeit des Inhalts die zu lernende Sprache nutzen wollen. Dabei können Hürden im Ausdrucksvermögen entstehen, die im Einführungsartikel zu diesem Band zu Überlegun‐ gen zum Einbezug auch der L1 bzw. translanguaging veranlassen, was in den Kerncurricula der Länder am ehesten in Sprachmittlungsaufgaben abgebildet ist. Tatsächlich wäre aber auch zu überlegen, ob insbesondere eine abschließende Meta-Reflexion über die Wirkmächtigkeit kultureller Diskurse zu Körpernormen in klar abgegrenzten Phasen in der L1 geführt werden dürfen, um allen unabhängig von ihren fremdsprachlichen Kompetenzen eine Beteiligung zu ermöglichen (vgl. König/ Ruf in Vorbereitung). Dennoch sollte vorrangig das Ziel sein, in der Erarbeitung Fremdsprache und Thema integral zu verstehen und entsprechend erforderliches Scaffolding und language loops zu berücksichtigen. Die Fremdsprache hat zudem ein eigenes Potenzial bei der Thematisierung von persön‐ lich so sensiblen Themen wie kulturellen Normierungen bzgl. Körpern und hinsichtlich der Frage, wie diese dennoch in der Klassengemeinschaft thematisiert werden können: Gerade weil sie nicht die Sprache ist, in der diese Normen hauptsächlich an die Schüler*innen herangetragen wurden, kann es auch erleichtern, die kulturell aufgeladenen Themen im Unterricht aufzugreifen; die Fremdsprache kann gewissermaßen als „Schon- und Distanzraum“ (Decke-Cornill 2009: 15) fungieren (vgl. König 2018a: 36 ff. und 328 ff. für eine auf Unterrichtsbeobachtungen basierende Differenzierung, worin dieser Schonraum im Fremdsprachenunterricht bestehen kann). Um die Ausrichtung auf soziale Erwünschtheit soweit wie möglich zu reduzieren und tatsächliche Aushandlungen zu ermöglichen, die möglichst nahe an der Lebenswelt der Ler‐ nenden des jeweiligen schulischen Kontexts sind, lässt sich methodisch und didaktisch auf die Prinzipien der Kritischen Pädagogik aufbauen, die denen der Lerner*innenorientierung naheliegen (vgl. Gerlach in diesem Band in Anschluss an Crookes 2009: 184): Die Themen und Gegenstände sowie ihre Bearbeitung sollen von den Lernenden selbst basierend auf ihrer Lebenswelt generiert werden. Aufgabe der Lehrperson ist es, diese Themen als Problemstellungen zu formulieren und Bearbeitungsmöglichkeiten zu strukturieren, die jedoch von den Lernenden selbst gefüllt werden. Ziel und sich daraus ergebender methodischer Dreischritt einer Kritischen Pädagogik nach Crookes (2009: 183) ist es, lebensweltliche Probleme - wie Körpernormierungen - benennen, reflektieren und auf dieser Grundlage handeln zu können. Unter Rückgriff 135 Schönheits- und Körpernormen als Thema in einer Kritischen Fremdsprachendidaktik auf die (inter-)kulturellen Methoden und um Solidarität zu fördern, sollen in Ergänzung zudem auch explizit empathiefördernde Zugänge ermöglicht werden. Als Feld langjähriger praktischer Umsetzung von Ansätzen Kritischer Pädagogik kann die außerschulische Bildungsarbeit gelten, aus der Methoden antirassistischer oder geschlechterreflektierender Pädagogik aufgegriffen werden können (vgl. König 2018a: 195 ff.). Die lehrer*innenseitigen Angebote sollten als Implikation aus den zuvor dargestellten fremdsprachendidaktischen Diskussionen möglichst multiperspektivisch, multimodal und zumindest teilweise auch fiktional sein. Wie diese Überlegungen in einer Unterrichtsreihe zu Schönheitsidealen und Körpernormen umgesetzt werden können, wird im Folgenden exemplarisch gezeigt. 6. On beauty ideals and body norms - Eine Unterrichtsreihe Die im folgenden vorgestellten Unterrichtsvorschläge gehen größtenteils auf eine Unter‐ richtsreihe zurück, die ich in einer 9. Klasse einer Gesamtschule durchgeführt habe. Die Schule liegt in der Nähe einer Universitätsstadt und hat im Vergleich zu den städtischen Gesamtschulen eine schlechtere (z. B. technische) Ausstattung und eine eher weniger privilegierte Schüler*innenschaft, aus der viele bereits aus anderen Schulen wechseln mussten. Diese Struktur sei hier erwähnt, um der im Einführungsbeitrag geforderten Kontextsensibilität von kritischem Fremdsprachenunterricht Rechnung zu tragen. In einer Schule, an der - trotz der Bemühungen eines engagierten Kollegiums - verbale Abwertungen auf dem Schulhof zur Tagesordnung gehören, wünschte sich diese 9. Klasse von sich aus das Thema Abwertungen aufgrund von Körpernormen. Ausgangspunkt für diese Entscheidung war eine längere lehrwerksbasierte Einheit mit dem Titel „Respect“ zum Thema Mobbing (vgl. Cornelsen Lighthouse 5, Unit 2). Abschließend wurden die Lernenden gefragt, in Bezug auf welche Kategorien sie solche Diskriminierungen aus ihrem eigenen Leben kennten - und mit welchen sie sich noch näher im Englischunterricht beschäftigen wollten. Der Kurs entschied sich mehrheitlich für Abwertungen aufgrund von Aussehen (bzw. gleichauf mit Homophobie, wozu eine weitere Einheit stattfand). Damit ist nach der Kritik an einem konkreten Lehrwerksbeispiel zu Beginn dieses Beitrags ein positives Beispiel zu nennen, wie ein Lehrwerk auch als Impulsgeber für - ggf. darüber hinausgehende - kritische Auseinandersetzungen dienen kann. Zugleich zeigt sich, wie Lernende ihre eigenen Themen einbringen können und es auch tun. 6.1 Name - Schönheitsideale und Körpernormen benennen können Um das Benennen der Auswirkungen von Körpernormierungen anzubahnen und die Relevanz und ‚Gegenstände‘ durch die Schüler*innen selbst erschaffen zu lassen, erfolgt der Einstieg in die Einheit über eine Abwandlung des Gesellschaftsspiels Privacy, das auf dem Prinzip basiert, ‚hot topics‘ zum Partygespräch zu machen. Dabei erhalten alle Teilnehmer*innen zwei verschiedenfarbige Steinchen oder Zettel als Ja-/ Nein-Stimmen. Zentral gestellte Fragen werden verdeckt beantwortet, so dass niemand öffentlich Stellung beziehen muss. Bevor die Auflösung erfolgt, schätzen die Teilnehmer*innen, wie viele in der Gruppe wohl mit „Ja/ Nein“ geantwortet haben - was dann nach der Auflösung inter‐ essante Diskussionsanlässe bietet. Zum Thema Schönheits- und Körpernormen können beispielsweise Einschätzungen zu folgenden Statements eingeholt - und beliebig ergänzt 136 Lotta König - werden. (Die Zahlen in Klammern sind die Angaben der 19 bzw. später 20 anwesenden Schüler*innen in der Klasse, in der die Einheit durchgeführt wurde, jeweils die ‚Ja‘-Stimmen zuerst. Die Aussagen ohne Angaben konnten aus Zeitgründen nicht mehr gestellt werden.) • I dislike certain parts of my body. (18/ 1) • I’m happy with my weight. • I do sports because I want to lose weight and/ or get more muscles. (14/ 5) • I think half of the class look better than me. (14/ 5) • If technology or minor surgery can/ could help me change the parts of my body that I don’t like, I would or will do it, e.g. fat reduction, electric muscle training, breast implants, nose job etc. (3/ 16) • Friends or family have made comments about my body which made me feel ugly. (7/ 13) • I’ve said or written things about the bodies of my friends and family which probably made them feel ugly. (7/ 13) • In my ideas about what is beautiful I’m influenced by the advertisements I see. • In my ideas about what is beautiful I’m influenced by the movies and videos I watch. Mit den Fragen und Antwortverhältnissen, der Bestätigung oder Abweichung von den geschätzten Zahlen und der Anschlusskommunikation ist das Feld der Thematisierung von Schönheits- und Körpernormen gleich gesteckt. Zum Benennen und als Vorbereitung des weiteren Arbeitens gehört zum Fremdspra‐ chenunterricht auch das sprachliche Scaffolding, was (im Falle der Beispielklasse) auch im Wiederholen der Lexik zu Körperteilen sowie geeigneten Adjektiven besteht. Ähnlich, aber eben anders als im Falle des eingangs zitierten Lehrwerksbeispiels, lassen sich dafür jedoch Abbildungen nutzen, die nicht gleich hegemoniale Schönheitsnormen reproduzieren. Die anschließenden Diskussionsfragen sollten außerdem bereits Normen als solche benennen und offene Reflexionsanlässe bieten, z.B.: • Name today’s beauty ideals for at least five body parts (e.g. muscular chest, long legs, thin waist etc.). • Please compare: Have these ideals always been the same? Are they the same everywhere? • Let’s discuss: What do you think about these beauty ideals? Looking at people in general: Are they realistic? 6.2 Reflect - Die kulturelle Gemachtheit von Schönheitsnormen analysieren und reflektieren Das Benennen von Schönheitsnormen als Normen ist eine wichtige Voraussetzung für eine kritische Auseinandersetzung, kann jedoch zunächst durch das Aufrufen dieser Normen im Sinne einer performativen Hervorbringung auch zu einer Reproduktion von Machtver‐ hältnissen führen. Daher wird an das Benennen eine Phase der Reflexion angeschlossen. Dabei eignen sich z. B. historische Unterschiede in Schönheitsidealen, um über die zeitliche Distanz die Gemachtheit und Wandelbarkeit von solchen Vorstellungen besser verstehen zu können. Zur Förderung einer solchen Diskursfähigkeit werden verschiedene Epochen aufgeteilt und arbeitsteilig nach Bildern und darauf repräsentierten Schönheitsidealen jeweils für Frauen und Männer gesucht und diese beschrieben: 137 Schönheits- und Körpernormen als Thema in einer Kritischen Fremdsprachendidaktik • Search for pictures of ‚your‘ historical period. • Choose one or two pictures which represent the beauty ideals and body norms of ‚your‘ historical period and copy them on one page in a Powerpoint presentation. • Describe the body norms in key words, e.g. high forehead, pale skin etc. Nachdem alle Schüler*innenprodukte zusammengefügt und gemeinsam angeschaut sind, folgt eine gemeinsame Reflexion des Gesehen anhand der Frage: What do your results tell us about the nature of beauty ideals and body norms? Dabei fällt vor allem die historische Veränderlichkeit auf, die bereits an sich eine erhellende Erkenntnis bzw. Entlastung sein kann, wenn die häufig als absolut wahrgenommenen aktuellen Standards so relativiert werden. Aber auch die stets geschlechtsspezifische und -dichotome Ausgestaltung können genannt und Überlegungen dazu angestellt werden, wer und wie Menschen abgebildet wurden: besonders reiche, berühmte oder überdurchschnittlich Schönheitsnormen entspre‐ chende Menschen, die sich bildliche Darstellungen leisten oder später mit den Mitteln der Fotografie in Szene setzen lassen konnten. Daraus kann die Frage erwachsen, wie realistisch und wie gemacht diese Vorstellungen von schönen Körpern sind. Zur Reflexion der medialen Inszenierung und Manipulation von Körpern können einige einschlägige Werbeclips dienen, die eben diese Tendenzen explizit machen. Audiovisuelle Texte eignen sich besonders, um die vielfachen Dimensionen und Formen von Schönheits‐ handeln zu verdeutlichen und diese als Anlass zur Förderung performativer Kompetenz zu nehmen. Für die Inszenierung von Weiblichkeit gibt es z. B. Werbeclips des Dove Self-Esteem Fund: Der Spot ‚Evolution of a model‘ (2006) zeigt im Zeitraffer, wie zunächst mit Makeup und Styling und dann in der Nachbearbeitung am Rechner ein Schönheitsideal hervorgebracht wird. In dem Dove-Video ‚Onslaught‘ (2007) wird in hoher Bilddichte gezeigt, mit welchen Bildern von überinszenierten Schönheitsanforderungen ein Mädchen an der Schwelle zur Pubertät überflutet wird. Auf den Seiten des UK Dove Self-Esteem Fund sind inzwischen noch viele weitere Kampagnen, Videos und Materialsammlungen für Lehrer*innen zusammengestellt. Diese sind vor allem auf die Stärkung von Mädchen ausgerichtet (übrigens werden dafür vor allem Mütter, nicht aber Väter angesprochen), für Jungen gibt es in dieser Hinsicht bisher wenig. Die Thematisierung von männlichen Schönheits- und Körpernormen wäre also auch noch eine Lücke, an die sich im Unterricht produktiv anknüpfen ließe. Es entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Werbefilme von Konzernen für Kosmetik eine kritische Reflexion zu Körpernormen veranlassen sollen (und ist ein gutes Beispiel für Foucaults These, dass hegemoniale Diskurse auch Kritik und Subversion absorbieren können). Dieses Paradox kann mit älteren Schüler*innen ggf. auch reflektiert werden, zugleich lassen sich die Clips auch als Anlass für eine Analyse von anderer Werbung (z. B. auch dieser Konzerne) nutzen. Ein stärker auf die Lernenden selbst ausgerichteter Zugang im Sinne performativer Kompetenz ist es, über dramapädagogische Mittel nachzuvollziehen, wie sich gesellschaft‐ liche Vorstellungen in den Körper ‚einschreiben‘ (vgl. näher König 2018a: 203 ff.). Dafür können Methoden der geschlechterreflektierenden außerschulischen Bildungsarbeit ge‐ nutzt werden, bei denen verschiedene Sitzhaltungen ausprobiert und im Hinblick auf ihre zugrundeliegenden kulturellen Vorstellungen (z. B. von gender oder class) und Erfahrungen reflektiert werden (vgl. Autor_innenkollektiv DGB-Jugend 2010: 5.4.1.2). 138 Lotta König Wie sich kulturelle Erwartungen materialisieren und wie gerade auch Stereotype und Klischees individuelle Reaktionen prägen, so dass sie unter Umständen in Interaktionen ‚mitgemacht‘ werden, wird durch eine Methode namens ‚Etikettenschwindel‘ besonders deutlich (vgl. Timmermanns et al. 2004: 68 f.). Dabei bekommen alle Schüler*innen knapp formulierte, hier möglichst auf körperliche Merkmale bezogene Zuschreibungen auf den Rücken oder die Stirn geklebt. Die Lernenden selbst wissen nicht, wen sie darstellen, sollen dann aber auf die Reaktionen der anderen achten, wenn sie sich im Raum begegnen. Dabei zeigen auch sie selbst - durchaus stereotype - Reaktionen auf die Identitäten, denen sie begegnen. Sodann erhalten sie kleine Aushandlungsaufgaben (wie z. B. sich auf einen Film, ein Reiseziel oder ein Essen zu einigen), wobei Machtverhältnisse und Deutungshoheiten eine Rolle dabei spielen, wer sich zum Schluss durchsetzt. In diesen Interaktionen sollen die Lernenden verstärkt den Zuschreibungen entsprechend reagieren und auf die Reaktionen der anderen achten. Erfahrungsgemäß ergibt sich dabei nicht selten der Effekt, dass erwartetes Verhalten verstärkt wird (das gilt für als positiv ebenso wie für als negativ empfundenes Verhalten). Meist gewinnen die Teilnehmenden durch diese Reaktionen eine ziemlich präzise Vorstellung davon, welche Position sie innehaben, noch bevor dies am Ende der Übung durch Erraten aufgelöst wird. Mit diesen dramapädagogischen Übungen wird die symbolische Kompetenz der Lernen‐ den gefördert, denn sie reagieren auf individuelle Positionierungen und ihre Machtverhält‐ nisse. Dabei sind sie Rezipient*innen ebenso wie Produzent*innen der symbolischen Re‐ präsentation und Aushandlungen dieser Rollen und können eventuelle Diskriminierungs- und Stereotypisierungseffekte am eigenen Körper erfahren und anschließend reflektieren. In der letzten Phase wäre in jüngeren oder sprachlich noch nicht weit fortgeschrittenen Lerngruppen auch ein Wechsel in die L1 möglich. Mit diesen letzten Übungen ist zudem schon ein Übergang zu dem für die Thematisierung von Körpernomen ebenfalls als notwendig begründetem einfühlenden Nachvollziehen geschaffen. 6.3 Empathize - Die Auswirkungen von Körpernormen nachvollziehen Um Auswirkungen von Schönheitsnormen auf die Persönlichkeitsentwicklung auch auf der affektiven Ebene nachvollziehen zu können und die symbolische Kompetenz weiter zu schärfen, bedarf es Einblicke in individuelle Geschichten. Da nicht alle Jugendlichen ihre eigenen Geschichten in der Klassengemeinschaft teilen mögen und um zudem viel‐ fältige Identitäten und Körpererfahrungen zu repräsentieren, bietet sich die Arbeit mit literarischen Texten an. Am Beispiel literarischer Charaktere kann der subjektive Umgang mit diesen Normen im Schonraum der Fiktionalität nachvollzogen werden und an diesen Beispielen ausgehandelt werden. In Tabelle 1 werden hier nur überblicksartig einige Texte vorgestellt, deren Protagonist*innen auf unterschiedliche Weise mit Normierungen von Körpern zu kämpfen haben. 139 Schönheits- und Körpernormen als Thema in einer Kritischen Fremdsprachendidaktik Autor*in: Titel, Jahr (Genre) Thematischer Fokus bzgl. Körpernormen Kurze Erläuterung und weiterführende Hinweise David Levithan (2015): Every Day ( Jugendro‐ man) Schönsein (Tag 6007) Trans*sein (Tag 6023) Dicksein (Tag 6035) Der Fantasy-Twist dieses Romans, dass die Ich-Erzählstimme jeden Tag in einem anderen Teenager-Körper erwacht, prädestiniert sie für Einblicke in Körpererfahrungen (vgl. näher Kö‐ nig 2018b) - darunter im Übrigen auch die Er‐ fahrung, besonders schön zu sein (und darauf reduziert zu werden). Der Tag im Körper eines übergewichtigen Jungen ist allerdings nicht sehr empowernd. Zepaniah, Benjamin (1999): Face ( Jugendro‐ man) Gesichtsentstellung (auch in Cornelsen Lehrwerken für die 10. Klas‐ sen in gekürzter und adaptierter Form vertreten, z. B. Highlight 6) Prince, Liz (2014): Tom‐ boy (graphic novel) Geschlechtsspezifi‐ sche Körper- und Klei‐ dungsnormierungen Autobiographisch inspirierte Co‐ ming-of-age-Geschichte, in der Liz und ihr Bru‐ der in der Schule geschlechtsstereotypen Erwar‐ tungen ausgesetzt sind. Tamaki, Jillian & Ta‐ maki, Mariko (2015): This One Summer (Gra‐ phic Novel) Dicksein Szenen eines Jugendsommers, vgl. dazu näher Amato 2019. Murphy, Julie (2015): Dumplin’. Go big or go home ( Jugendroman) Dicksein Coming-of-age-Geschichte mit empowernder fat positivity, vgl. dazu näher Amato 2019. Tennessee Williams (1944): The Glass Me‐ nagerie (Drama) Körperliche und gesellschaftliche Ein‐ schränkungen Klassisches Südstaatendrama, das soziale Ab‐ hängigkeiten illustriert, die aufgrund von class, gender und disability entstehen. Morrisson, Toni (1970): The Bluest Eyes (Ro‐ man) Rassistisch geprägte Schönheitsideale Debütroman der Nobelpreisträgerin, in dem die Internalisierung von rassistischen Schönheits‐ idealen schmerzhaft deutlich wird. Tab. 1: Textvorschläge für die Thematisierung von Schönheits- und Körpernormen mit Literatur. Bei der didaktischen Umsetzung ist die Form literarischer Texte von Bedeutung: Rein schriftsprachliche Texte haben bei dem Thema Schönheits- und Körpernormen den Vorteil, dass der Fokus gerade nicht auf dem Betrachten des Äußeren (wie bei den zuvor erwähn‐ ten audiovisuellen Texten), sondern im Imaginieren und inneren Nachvollziehen liegt. Andererseits haben visuelle Repräsentationen auch das Potenzial, normative Vorstellungen und Rezeptionsgewohnheiten auf mehreren Kanälen besonders effektiv zu durchbrechen, so dass auch einige Graphic Novels repräsentiert sind, die mit Bildern von Gender und Körpergewicht spielen. Die ersten vier Texte lassen sich ab der oberen Sekundarstufe I (z.T. ausschnittsweise), die letztgenannten eher in der Oberstufe lesen. Auch ein differenzierter bzw. individualisierter Zugang ist möglich, bei dem die Lernenden sich je nach inhaltlichem Interesse einen der - oder weitere, selbst eingebrachte - Texte für eine längere individuelle Lesephase auswählen und anschließend ihren Mitschüler*innen vorstellen. So werden die Materialien des Unterrichts im Sinne einer Kritischen Pädagogik von Lernenden 140 Lotta König mitgestaltet - eine Tendenz, die schließlich in der (Aus-)Handlungsphase noch ausgebaut werden soll. 6.4 Act - Körpernormen kritisch be-/ aushandeln In der Frage, was aus dem Benennen und Reflektieren von sowie dem Einfühlen in die Auswirkungen von Schönheitsnormen im Rahmen von Unterricht folgt, gilt es, die Schüler*innen darin zu unterstützen, eigene Schlussfolgerungen zu ziehen. Im Sinne Kritischer Pädagogik und der Unterstützung individueller agency kann jedoch zu einem Handeln in der Fremdsprache angeregt werden, das zu einem aktiven Umgang mit Körpernormen ermutigt. In welchem Maße ein transformatorisches (Aus-)Handeln im Schutzraum des Fiktionalen erfolgt oder in die eigenen Lebenswelten hinwirkt, bleibt den Lernenden überlassen. Sprachlich bewegen sich diese Aushandlungen je nachdem im Bereich des vielleicht Möglichen, ggf. auch des Möglichen, wenn es anders gewesen wäre (Wiederholung von if-Sätzen, wie bei der erwähnten 9. Klasse) oder des Zukünftigen. Unter Umständen kann aber auch nur spärlich mit sprachlichen Repräsentationen und stattdes‐ sen mit visuellen Darstellungsformen gearbeitet werden, bei denen die Lernenden ihre Inszenierungsexpertise einbringen können. Auch thematisch bestimmen die Lernenden ihre Schwerpunkte und Materialien selbst, wobei sie an jene Inhalte der vorangegangenen Reihe anknüpfen können, die sie am meisten beschäftigt haben. Mögliche Anregungen seien daher hier nur angedeutet: • Privacy-Fragen oder eigene Fragen zu den Körpernomen zum Forschendem Lernen nutzen und Umfragen im eigenen Umfeld durchführen, auswerten und darstellen; • historische PowerPoint weitergestalten, in die (utopische? ) Zukunft; • aktuelle Werbung analysieren, Werbemechanismen aufzeigen - oder kreativ umge‐ stalten; • Umfrage/ Mini-Dokumentationsfilm oder -text über die Anforderungen an männli‐ che Körper ergänzen, von denen es bisher wenige gibt; • nicht nur normierende, sondern auch einige der zahlreichenden kritischen oder empowernden Beispiele aus eigenen literarischen, audiovisuellen und social me‐ dia-Texten einbringen - oder selbst produzieren (ein produktiv-parodierendes generisches Beispiel sind die Instagram-Bilder von Celeste Barber, auf denen sie klassische Modelfotos nachstellt); • um Solidarität und body positivity zu stärken (wenn das Klassenklima stimmt und die Schüler*innen das von sich aus wollen): ‚Honigdusche‘, bei der sich alle gegenseitig sagen (oder schreiben), was sie aneinander schön finden - in Abgrenzung zu dem eingangs zitierten Lehrwerksbeispiel: „Say what is right with them“; • bei dramapädagogischem Interesse und im Anschluss an die von den Schüler*innen benannten Situationen der familiären Normierung oder der fiktionalen Beispiele diese szenisch erspielen und im Spiel andere Situationsverläufe erproben; • handlungs- und produktionsorientierte bestärkende Weiter-/ Umarbeitungen der literarischen Texte; • Aufgreifen jeglicher Lücken oder Impulse, die während Benennungs-, Reflexions- und Einfühlungsphase aufgekommen sind. 141 Schönheits- und Körpernormen als Thema in einer Kritischen Fremdsprachendidaktik Auf der Basis und Präsentation der so entstehenden Produkte kann die Frage aus dem eingangs zitierten Lehrwerksbeispiel schließlich im Sinne eines kritischen Fremdsprachen‐ unterrichts abgewandelt und auf vielfältige Weise beantwortet werden: ‚What could be changed so they do not need the help of cosmetic surgery? ‘ Literaturverzeichnis Abraham, Anke (2011): Körper und Geschlecht. 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Einleitung: Steigerungs- und Beschleunigungszwang als Kernmerkmale der Moderne Der Beginn der Moderne wird zu historisch ganz unterschiedlichen Zeitpunkten verortet. Je nachdem, welche Modernisierungsschübe man in den Blick nimmt, beginnt die Moderne im 15. Jahrhundert mit der Renaissance, Ende des 18. Jahrhunderts mit der Französischen Revolution oder auch Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Industrialisierung (zum Begriff der Moderne vgl. Gumbrecht 1978). In jedem Fall aber scheint es ein zentrales Merkmal von gesellschaftlichen Umbrüchen zu sein, die als Modernisierungen bezeichnet werden, dass diese die Optionen und Ressourcen von Individuen und Gruppen steigern. Die ökonomischen und sozialen Tendenzen der Moderne hin zu Ressourcenvermeh‐ rung, Individualisierung und Reichweitenvergrößerung haben sich in den vergangenen Jahrzehnten durch Digitalisierung und Globalisierung noch einmal massiv verstärkt, ein Trend, der bis in die Gegenwart anhält. Der Soziologe Anthony Giddens (1992) verwendet für diese bis heute andauernde Epoche den Begriff ‚Spätmoderne‘. Die Frage, was die Moderne und was eine moderne Gesellschaft ausmacht, beschäftigt die Soziologie seit Mitte des 20 Jahrhunderts, und sie ist bis heute nicht abschließend beantwortet. Als gemeinsamer Nenner verschiedener Theorien lässt sich aber feststellen, dass sie […] die Moderne als einen (mehr oder minder gerichteten) Prozess der Transformation [konzeptu‐ alisieren], als deren Kern dann in der Regel fortlaufende soziale Differenzierung, Rationalisierung, Individualisierung oder Domestizierung (Naturbeherrschung) ausgemacht wird (Rosa 2016: 672). In historischer Perspektive sind die Optionen und Ressourcen der meisten heute lebenden Menschen beeindruckend, zumindest in den Industrienationen. Und doch scheint der Blick auf diese Parameter als Indikatoren für Lebensqualität in keiner Weise hinreichend zu sein. So gibt es in reichen Gegenden dieser Welt massive Probleme mit Burnout, Depressionen und Selbstmorden. In Japan ist die Arbeitsbelastung in manchen Firmen so hoch, dass es sogar zu plötzlichen Todesfällen am Arbeitsplatz kommt - ein Phänomen, für das es im Japanischen ein eigenes Wort gibt: Karoshi (vgl. Weller 2017). Permanenter Druck und Überlastung haben in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur das Klima in Unternehmen, sondern zunehmend auch jenes in Schulen und Universitäten geprägt. So ist es traurige Realität, dass Singapur zwar in den PISA-Studien immer wieder auf den Spitzenplätzen landet, aber auch eine der weltweit höchsten Suizidraten unter Jugendlichen aufweist (vgl. Struck 2018). Auch wenn dieses Problem in Deutschland (noch) nicht so gravierend ist, so sind doch auch hierzulande die Burnout-Fallzahlen in allen Altersgruppen erschreckend hoch (vgl. Hombach/ Jacobs 2019). Der Gedanke liegt nahe, dass dies zumindest in Teilen mit dem permanenten Steigerungs- und Beschleunigungszwang zusammenhängt, welcher der Funktionsweise moderner ka‐ pitalistischer Gesellschaften tief eingeschrieben ist. Dieser Zwang kann in Unternehmen eine unerbittliche Dynamik entfalten: So wird ein besonders produktives Geschäftsjahr nicht etwa durch Entlastung der Belegschaft belohnt, sondern die Produktivität muss selbstverständlich im Folgejahr noch einmal gesteigert werden. Gleiches gilt für ganze Volkswirtschaften. Rosa (2016: 671 ff.) bezeichnet dies als „dynamische Stabilisierung“ (ebd.: 58), ein Phänomen, in dem er ein weiteres zentrales Merkmal der Moderne sieht (vgl. ebd.: 673): Ganz gleich, wie erfolgreich wir in diesem Jahr individuell und kollektiv gelebt, gearbeitet und gewirtschaftet haben, nächstes Jahr müssen wir noch ein wenig schneller, effizienter, innovativer und besser werden, um unseren Platz in der Welt zu halten - und im darauffolgenden Jahr hängt die Latte dann noch ein Stückchen höher. (ebd.: 677 f.) Angesichts dieser unerbittlichen Steigerungs- und Beschleunigungslogik sind die in vielen Industrienationen alarmierenden Burnout-, Depressions- und Suizidraten keine Überra‐ schung. Rosas Antwort auf die allumfassende Beschleunigungsproblematik ist aber gerade nicht Entschleunigung, auch wenn er in den Medien bisweilen als „Entschleunigungsguru“ (Rosa 2016: 13) bezeichnet wurde. 2. Resonanz als Konzept für ein gelingendes Leben Wenn die Qualität des menschlichen Lebens an den individuellen und kollektiven Mög‐ lichkeiten sowie am Zugriff auf verschiedene Ressourcen gemessen werden könnte, dann hätten viele Industrienationen längst zu Inseln der Glückseligkeit erklärt werden müssen. Dies wäre jedoch, wie sich an vielen Indikatoren ablesen lässt, mehr als unangemessen, denn hier sind Probleme wie Burnout, Depressionen, Drogenmissbrauch und Selbstmord besonders verbreitet. Ausgangspunkt von Rosas Überlegungen ist daher „[…] die Überzeu‐ gung, dass die Qualität des menschlichen Lebens (und der sozialen Verhältnisse) nicht einfach an den Optionen und Ressourcen gemessen werden kann, die zur Verfügung stehen […]“ (Rosa 2016: 52). Als besser geeigneten Gradmesser für ein „gelingendes Leben“ (ebd.: 19) schlägt Rosa ein Konzept vor, das er aus der Physik entlehnt: Resonanz. Unter Resonanz versteht man in der Physik das Phänomen, dass sich zwei Körper unter bestimmten Bedingungen gegenseitig in Schwingung versetzen können. Am einfachsten lässt sich dies an zwei Stimmgabeln veranschaulichen: Wenn man eine Stimmgabel in der Nähe einer anderen Stimmgabel anschlägt, beginnt diese mit der ersten mitzuschwingen. Wenn beide Stimmgabeln dabei auf einem Resonanzkasten montiert sind, ist das Resonanzphänomen sogar deutlich hörbar. Dieses gegenseitige In-Schwingung-Versetzen ist nun die zentrale Metapher der Reso‐ nanztheorie. Sie basiert auf der Feststellung, dass wir als Menschen „von Natur aus Resonanzwesen“ sind (Rosa et al. 2018: 42). Wir haben jedoch nicht nur eine stark ausge‐ prägte Fähigkeit dazu, sondern ein ebenso starkes Bedürfnis danach, mit anderen Menschen 146 Jochen Plikat und mit der Welt in Resonanzbeziehungen zu treten. Bei den hierfür erforderlichen neurologischen und psychologischen Grundlagen scheinen sogenannte Spiegelneuronen eine zentrale Rolle zu spielen (vgl. Bauer 2006). Möglichkeiten für den Aufbau von Resonanzverhältnissen begegnen uns im Leben auf Schritt und Tritt - immer dann, wenn wir uns der Welt öffnen, uns auf sie einlassen und ein gegenseitiges „Einschwingen“ zulassen (Rosa 2016: 33): Wenn wir am WG-Küchentisch eine leidenschaftliche Diskussion führen; wenn wir beim Wandern einen Gipfel in malerischer Berglandschaft erklimmen; wenn wir beim Musizieren, Singen oder Tanzen die Zeit vergessen; wenn wir ganz in einem Roman, einem Film, einem Musikstück oder einer Partie Schach aufgehen. Entscheidend für Resonanzverhältnisse ist nun der Umstand, dass sie nur gelingen können, wenn man sich ihnen individuell öffnet. Die äußerlich exakt gleiche Situation kann individuell auch Gleichgültigkeit oder sogar Ablehnung hervorrufen. Wenn mir in der WG alle auf die Nerven gehen, mich der immer gleiche Wanderurlaub anödet und mir die früher heiß geliebte Popband prätentiös und kitschig vorkommt, dann kommt es gerade nicht zu Resonanzen. Die unterschiedlichen Beziehungsmodi, die sich aus diesen Überlegungen ergeben, sind für die Resonanztheorie insgesamt zentral: Resonanz, Indifferenz und Repulsion (vgl. Beljan 2019: 12 f.). Die menschliche Sehnsucht nach Resonanz im Sinne eines gegenseitigen ‚Einschwin‐ gens‘ von Subjekt und Welt wurde in der Romantik zum zentralen kulturgeschichtlichen Leitmotiv - ebenso wie das Gegenteil von Resonanz, Entfremdung und Repulsion. So findet sich eines der berühmtesten literarischen Beispiele für das Gefühl des Verlassenseins in einer kalten, abweisenden Welt im ersten Vers von Wilhelm Müllers Gedicht „Winterreise“, das Franz Schubert 1827 an den Beginn seines gleichnamigen Liederzyklus stellte: Nun ist die Welt so trübe, / Der Weg gehüllt in Schnee (vgl. Rosa 2016: 484). Entfremdung und Repulsion kennzeichnen hier die Gefühlswelt des lyrischen Ich - und ungebrochen ist seine Sehnsucht, die Welt erneut zum Klingen zu bringen. In der Romantik wird diese Fähigkeit vor allem der Musik und der Dichtung zugeschrieben, und eine zentrale Rolle spielt dabei Sprache als vermittelnde Instanz. So heißt es in dem ebenso berühmten Gedicht Wünschelrute von Joseph von Eichendorff: Und die Welt hebt an zu singen, / Triffst du nur das Zauberwort (vgl. Rosa 2016: 387 f.). Resonanzerfahrungen sind seither zu einem zentralen Motiv der Literatur-, Musik- und Filmgeschichte geworden. Gleiches gilt für das Gegenteil von Resonanz, Repulsion, die jedoch häufig als Kontrastfolie für eine starke Resonanzsehnsucht und starke Resonanzer‐ lebnisse geschildert wird. Man denke hier etwa an das Buch Into the Wild von John Krakauer (2007), in dem er die Geschichte des jungen Amerikaners Chris McCandless erzählt. Dieser empfand 1992 seine Lebenswelt in der US-amerikanischen Mittelschicht als abweisend und die Perspektive auf ein Leben in der Konsumgesellschaft als öde und sinnlos. So machte er sich auf, um in der Wildnis Alaskas in völliger Einsamkeit intensive Naturerfahrungen zu machen - ein beeindruckendes Beispiel für die Resonanzsehnsucht eines jungen Menschen. Das Beispiel des jungen Aussteigers verdeutlicht aber auch, dass Resonanz keineswegs mit Harmonie verwechselt werden darf. Die stärksten Resonanzerlebnisse stellen sich offenbar gerade dann ein, wenn wir die Welt als widerständig und herausfordernd, aber gleichzeitig als grundsätzlich resonanzoffen erleben (vgl. Rosa 2016: 321). Es leuchtet 147 Resonanz als Konzept Kritischer Fremdsprachendidaktik daher unmittelbar ein, dass die Resonanzsehnsucht eines jungen Amerikaners aus der Mittelschicht am Pool eines All-Inclusive-Hotels in Acapulco viel weniger gestillt werden dürfte als in der harschen, aber auch majestätischen Wildnis Nordamerikas. Das menschliche Resonanzbedürfnis kann aber glücklicherweise auch unter ganz alltäg‐ lichen Umständen gestillt werden. Rosa bezeichnet die Lebensbereiche, die in zuverlässiger Weise für Resonanzerfahrungen sorgen, als „Resonanzachsen“ (ebd.: 59 und passim). Stabile Resonanzachsen können sogar zu „Resonanzoasen“ werden (ebd.: 198 f.). Sie können zur Familie oder zu Freunden entstehen, zum Mountainbikeverein oder zur Skateboard-Clique, zum Meer oder zu den Bergen, zu einer Gitarre oder zur Literatur: Lebensführung entwickelt sich in dieser Perspektive aus der Suche nach jenen konstitutiven Reso‐ nanzoasen und aus dem komplementären Bestreben, die Wiederholung der Wüstenerfahrungen zu vermeiden. (ebd.: 35) Rosas Analyse der Moderne erschöpft sich jedoch nicht in einer platten Kritik an ihrer Steigerungs- und Beschleunigungslogik und der Entwicklung des Resonanzkonzeptes im Sinne eines Feelgood-Allheilmittels. Vielmehr liegt auch für ihn auf der Hand, dass die Moderne durch die enorme Anhebung des durchschnittlichen Lebensstandards, durch allgemeine Schulbildung, medizinische Fortschritte, geregelte Arbeitszeiten, Kranken- und Rentenversicherungen und vieles mehr das Streben nach Resonanzerfahrungen für viele Menschen erst möglich gemacht hat: Die Moderne kann nicht einfach als Geschichte einer beschleunigungsbedingten ‚Resonanzkata‐ strophe‘ erzählt werden, denn sie hat zugleich die Resonanzsensibilitäten gewaltig gesteigert und in vielerlei Hinsicht spezifische Resonanzfähigkeiten erst hervorgebracht. (ebd.: 57) Rosa ordnet seine Kritik der Moderne daher weniger der Argumentationslinie der radikalen Kritik Theodor Adornos zu (s. auch Gerlach in diesem Band), sondern sieht sie eher in der Nachfolge der jüngeren Kritischen Theorie, wie sie z. B. von Jürgen Habermas und Axel Honneth vertreten wird. Seiner Auffassung nach „[…] rekonstruieren [diese] die Moderne […] im Kern als Prozess der Steigerung von Resonanzsensibilitäten und Resonanzfähigkeit - auch wenn sie dafür natürlich andere Begriffe verwenden“ (ebd.: 586 f.). Ein im Sinne des zeitgenössischen Machbarkeitsgedankens naheliegender Weg aus der Krise der Moderne bestünde nun darin, Resonanz systematisch herzustellen. Resonanz würde somit zum Imperativ für ein gelingendes Leben. Sehr leicht kann man sich in diesem Sinne Resonanzseminare für ausgebrannte Angestellte, Resonanzfortbildungen für das Führungspersonal in Unternehmen und Behörden sowie im Internet herunterladbare Checklisten für mehr Resonanz im Leben vorstellen (vgl. ebd.: 318). Eine Besonderheit von Resonanz liegt aber gerade in ihrer Eigenschaft, sich nicht instrumentell herstellen zu lassen. Im Gegenteil: Eine wie auch immer geartete Resonanz-Rezeptologie, eine Reso‐ nanzgarantie oder gar ein Resonanzzwang wird das Entstehen von Resonanzverhältnissen sogar mit großer Wahrscheinlichkeit unterlaufen. Um dies zu verstehen, lohnt es sich, einen weiteren zentralen Begriff der Resonanztheorie zu betrachten. 148 Jochen Plikat 1 Online verfügbar: https: / / youtu.be/ hjf Y1lSjfzg (16.7.2020) 3. Unverfügbarkeit als Bedingung für Resonanzverhältnisse Ein besonders faszinierender Aspekt des Resonanzphänomens liegt in dem Umstand, dass Resonanz auf ein Gegenüber angewiesen ist, das „mit eigener Stimme“ (Rosa 2016: 298) spricht. Dieses Gegenüber kann ein Mensch, aber auch ein Tier, ein Objekt und vieles mehr sein - in einem Wort: die Welt. Alles, was uns eine eigene Antwort zu geben vermag, kann zum resonanten Gegenüber werden. Damit wird deutlich, dass eine Resonanzbeziehung keine Echobeziehung ist (vgl. ebd.: 191). Vielmehr kann Resonanz nur dann entstehen, wenn das antwortende Gegenüber mit zumindest partieller Autonomie ausgestattet ist. Das heißt, dass in einer Resonanzbeziehung die Antwort auch ganz anders als erhofft ausfallen oder sogar ganz ausbleiben kann. Rosa (2018) nennt diese inhärente Eigenschaft von Resonanzbeziehungen ‚Unverfüg‐ barkeit‘. Am besten lässt sich Unverfügbarkeit vielleicht am Phänomen des Schnees veranschaulichen. Aus Rosas Sicht (ebd.: 7) ist Schneefall geradezu „die Reinform einer Manifestation des Unverfügbaren“. Wir können Schnee nicht herstellen (es sei denn in kleinen Mengen und in minderer Qualität), wir können ihn nicht festhalten und nicht konservieren. Ob er da ist oder nicht und wie lange er bleibt, entzieht sich vollständig unserer Kontrolle. Doch gerade das macht seinen Reiz aus: In unserem Verhältnis zum Schnee spiegelt sich das Drama des modernen Weltverhältnisses wie in einer Kristallkugel: Das kulturelle Antriebsmoment jener Lebensform, die wir modern nennen, ist die Vorstellung, der Wunsch und das Begehren, Welt verfügbar zu machen. Lebendigkeit, Berührung und wirkliche Erfahrung aber entstehen aus der Begegnung mit dem Unverfügbaren. Eine Welt, die vollständig gewusst, geplant und beherrscht wäre, wäre eine tote Welt. (ebd.: 8) Da Resonanzverhältnisse mit (oft starken) Emotionen verbunden sind, sind sie längst zum Bestandteil von Werbebotschaften geworden. Die Werbebranche hat in den vergangenen Jahrzehnten die Kunst, den Kauf eines bestimmten Produktes mit starken Emotionen und dabei auch mit starken Resonanzversprechen zu verknüpfen, geradezu perfektioniert. So setzt etwa der italienische Nudelhersteller Barilla seit den 1980er-Jahren systematisch auf Werbebotschaften, die eindeutige Resonanzversprechen transportieren. Dabei wird stets die Assoziationskette Liebe/ Familie/ Zuhause - Geborgenheit - Barilla-Nudeln in den Mittelpunkt gestellt („Dove c’è Barilla, c’è casa“ - „Wo es Barilla gibt, da ist zuhause.“). 1 Ein plakativeres Versprechen auf eine Resonanzoase in einer ansonsten als abweisend dargestellten Welt ist schwer vorstellbar. Von Barilla über Duracell („The ones you love are always there“), Nokia („Connecting people“) und Bacardi („Bacardi feeling“) bis hin zu Hornbach („Finde Deine Liebe“) - es dürfte sich kaum ein Unternehmen finden, das nicht schon einmal einen Werbeslogan mit einem Resonanzversprechen verknüpft hat. Der oben umrissene Umstand, dass Resonanzverhältnisse zwingend auf Unverfügbarkeit angewiesen sind, macht jedoch klar, dass Waren die Resonanzversprechen, mit denen sie zu Werbezwecken verknüpft werden, nicht immer erfüllen können, ja oft sogar unweigerlich enttäuschen müssen. Eine Ware ist per Definition gegen den entsprechenden 149 Resonanz als Konzept Kritischer Fremdsprachendidaktik Geldbetrag verfügbar. Das Resonanzversprechen, das in der Werbung abgegeben wird, verfängt trotzdem. Der Grund dafür dürfte sein, dass Werbung es schafft, unterhalb der Wahrnehmungsschwelle von Konsumenten das Objektbegehren an die Stelle des Resonanzbegehrens zu setzen (vgl. Rosa 2016: 431 f.). Die Enttäuschung, welche diese Kommerzialisierung und Verfügbarmachung von Reso‐ nanzerlebnissen mit sich bringen kann, illustriert die polnischstämmige deutsche Autorin Alexandra Tobor in ihrem Podcast mit dem schönen Titel „In trockenen Büchern“. In der Folge, die sie Rosas Buch zum Thema Unverfügbarkeit widmet (vgl. Tobor 2019), beschreibt sie am Beispiel zweier Begegnungen mit Tieren den Unterschied zwischen garantierter, aber Resonanz potenziell abtötender Verfügbarmachung einerseits und Resonanz begüns‐ tigender Unverfügbarkeit andererseits: Sie habe einmal den Affenberg in Salem besucht, in dem es eine Art „Affenkontaktgarantie“ gebe. Besucher können sich am Parkeingang Popcorn kaufen und sich dadurch sicher sein, dass es im Park einige Affen geben wird, die es ihnen aus der Hand holen werden. Die erwartete Resonanzerfahrung stellte sich in Tobors Fall aber nicht ein: Ich bin ein großer Fan von Affen. Aber als die Berberaffen mir das Popcorn aus der Hand klaubten, spürte ich, ehrlich gesagt - nichts. Keine Aufregung, kein Erstaunen, keine Verzauberung. Vielmehr ärgerte ich mich, dass sie für das Selfie mit mir nicht stillhalten wollten. (Tobor 2019: 11‘30‘‘ bis 11‘48‘‘) Ganz im Gegensatz zu diesem Erlebnis hat die Autorin die Zufallsbegegnung mit einem Fuchs wahrgenommen, zu der es bei anderer Gelegenheit bei einem Spaziergang durch die Natur kam: Ich hatte noch nie einen Fuchs in freier Wildbahn erlebt. Er schaute mich ein paar Sekunden lang an, aber bevor ich die Kamera rausholen konnte, war er auch schon weg. Und ich hatte den ganzen Tag über glänzende Augen und war ganz beseelt. Dass ich die beiden Begegnungen mit der Tierwelt so unterschiedlich erlebt habe, hat etwas mit Resonanz zu tun. (ebd.: 11‘58‘‘ bis 12‘20‘‘) Resonanz und Unverfügbarkeit sind somit verbunden wie die zwei Seiten einer Medaille. Eine Ironie, aber auch eine Tragik der Spätmoderne liegt in dem Umstand, dass die enormen ökonomischen Anstrengungen, die unternommen werden und für die Resonanzerwartun‐ gen eine zentrale Triebkraft sind, zur tatsächlichen Erfüllung dieser Erwartungen nicht nur nicht unbedingt etwas beitragen, sondern sie sogar unterlaufen können. Die Versuche des spätmodernen Menschen, die tief in ihm verankerte Resonanzsehnsucht durch die Verfügbarmachung und Kontrolle immer größerer Weltausschnitte zu stillen, erinnert in diesem Licht an eine populäre Definition von Wahnsinn, die zum Internet-Meme wurde: „Insanity is doing the same thing over and over again, but expecting different results.“ Schließlich ist noch die Bedeutung von Affekten und Emotionen für die Resonanztheorie zu unterstreichen. Unter Affekten versteht Rosa in diesem Sinne den Vorgang, wenn man sich von der Welt kognitiv, emotional und leiblich erreichen und berühren lässt, und unter Emotion versteht er umgekehrt die Bewegung, die in diesen unterschiedlichen Dimensionen vom Menschen ausgeht und auf die Welt einwirkt. Zusammenfassend definiert Rosa (2016: 298) Resonanz mit folgenden Worten: 150 Jochen Plikat 2 Während die Bologna-Erklärung tatsächlich im norditalienischen Bologna unterzeichnet wurde, handelt es sich bei PISA bekanntlich um ein Akronym, das für Programme for International Student Assessment steht. 3 Online verfügbar: www.oecd.org/ berlin/ themen/ pisa-studie/ (16.7.2020). Resonanz ist eine durch Af←fizierung und E→motion, intrinsisches Interesse und Selbstwirk‐ samkeitserwartung gebildete Form der Weltbeziehung, in der sich Subjekt und Welt gegenseitig berühren und zugleich transformieren. Resonanz ist keine Echo-, sondern eine Antwortbeziehung; sie setzt voraus, dass beide Seiten mit eigener Stimme sprechen, und dies ist nur dort möglich, wo starke Wertungen berührt werden. Resonanz impliziert ein Moment konstitutiver Unverfügbarkeit. Resonanzbeziehungen setzen voraus, dass Subjekt und Welt hinreichend ‚geschlossen‘ bzw. konsistent sind, um mit je eigener Stimme zu sprechen, und offen genug, um sich affizieren oder erreichen zu lassen. Resonanz ist kein emotionaler Zustand, sondern ein Beziehungsmodus. Dieser ist gegenüber dem emotionalen Inhalt neutral. Daher können wir traurige Geschichten lieben. Nachdem somit zentrale krisenhafte Aspekte der (Spät-)Moderne umrissen und wichtige Begriffe der Resonanztheorie vorgestellt sind, geht es nun um die Frage, welche Bedeutung diese Überlegungen für Bildungskontexte haben. 4. Bildungseinrichtungen nach Bologna und PISA: Outputorientierung, Effizienzsteigerung und NPM Die PISA-Studie und die Bologna-Erklärung setzten zu Beginn des 21. Jahrhunderts den Startschuss für eine tiefgreifende, bis heute andauernde Transformation europäischer Bildungssysteme. Seither haben die Namen der beiden italienischen Städte, die einst nach Architekturschätzen, altehrwürdigen Universitäten und Bildungsreisen klangen, den Beigeschmack von Statistiken, Rankings und Benchmarking bekommen. 2 Den Beginn des sogenannten Bologna-Prozesses markiert die gemeinsame Erklärung der europäischen Bildungsminister von 1999, in der sie die Absicht erklären, einen ge‐ meinsamen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Kernstücke dieses Hochschulraums sind zwei Abschlüsse auf undergraduate- und graduate-Niveau, eine Vorgabe, die von den meisten Universitäten mit der Einrichtung von Bachelor- und Master-Studiengängen umgesetzt wurde. Weiterhin wird in der Erklärung die Einführung eines europäischen Leis‐ tungspunktesystems angestoßen, das auf sogenannten ECTS-Punkten basiert (European Credit Transfer System) (vgl. Gemeinsame Erklärung der Europäischen Bildungsminister 1999). Bei der PISA-Studie handelt es sich bekanntlich um eine von der OECD in Auftrag gegebene und seit 2000 alle drei Jahre durchgeführte internationale Vergleichsstudie, welche die Kompetenzen von 15-jährigen Schülerinnen und Schülern in den Bereichen Mathematik, Lesefähigkeit und Naturwissenschaften untersucht. 3 Durch das Ranking und die Art der Berichterstattung wird PISA in der Öffentlichkeit zwangsläufig als eine Art Bildungs-Weltmeisterschaft wahrgenommen. Wie bei jeder Meisterschaft gibt es dabei Sieger und Verlierer - „PISA-Sieger“ und „PISA-Verlierer“. Dem internationalen Vergleich 151 Resonanz als Konzept Kritischer Fremdsprachendidaktik wird hierzulande immer ein nationaler Binnenvergleich der Bundesländer zur Seite gestellt, eine Art Deutsche Meisterschaft der Bundesländer. Deutsche Schülerinnen und Schüler erreichten bei der ersten PISA-Studie 2000 im internationalen Vergleich die Plätze 21-25, je nach Aufgabengebiet. Da viele Deutsche in ziemlich ausgeprägter Selbstüberschätzung mit einem Spitzenplatz rechneten, löste das allenfalls mittelmäßige Abschneiden bei der PISA-Studie einen nationalen Schock aus, der als „PISA-Schock“ einen festen Platz im kollektiven Gedächtnis eingenommen hat. Der Vergleich der Bundesländer ergibt jedoch ein differenzierteres Bild. In ihm dominieren immer wieder einzelne ‚Spieler‘ das Feld, wie z. B. Bayern und Sachsen. In der Berichterstattung wird in diesem Zusammenhang stets hervorgehoben, dass diese, wenn sie denn als unabhängige Staaten an der Studie teilnehmen dürften, im internationalen Vergleich vordere Plätze belegen würden. Mit anderen Worten: Deutschland ist zwar kein ‚Bildungsweltmeister‘, verfügt aber über mehrere ‚Mannschaften‘, die in einer Champions League der Schulen sehr gut abschneiden würden. Bei der ersten PISA-Studie überwog jedoch bei weitem der negative Gesamteindruck, und so entstand zumindest bei den politisch Verantwortlichen in Deutschland innerhalb kurzer Zeit ein Konsens darüber, dass auch im Schulwesen tiefgreifende bildungspolitische Reformen überfällig seien. Die hierfür notwendigen Entscheidungen wurden unter massi‐ vem Einfluss von Organisationen wie der OECD, Unternehmensberatungen wie McKinsey und Stiftungen wie der Bertelsmann-Stiftung getroffen. Was auf der Hochschulebene in Bezug auf den Bologna-Prozess bereits zwei Jahre früher angestoßen worden war, wurde nun in Folge des PISA-Schocks zumindest in Teilen auch für deutsche Schulen auf den Weg gebracht. Erklärte Leitgedanken der Schul- und Hochschulreformen, die im Fahrwasser der Bologna-Erklärung und der PISA-Studie initiiert wurden, waren Effizienzsteigerung und „Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit“ (Gemeinsame Erklärung der Europäischen Bildungsminister 1999: 3). Dabei geht es im Kern um nichts weniger als um die Transformation von Schülerinnen, Schülern und Studierenden in Humankapital und um die Transformation von Universitäten in Unternehmen. Die in diesem Kontext vielleicht augenfälligste Veränderung in Schulen, vor allem aber in Universitäten ist der heutzutage allgegenwärtige Anspruch, die jeweilige Qualität von Bildungseinrichtungen zu quantifizieren. In der Verwaltung von Universitäten werden hierfür die Prinzipien des sogenannten New Public Management (im Folgenden: NPM) umgesetzt: Durch Globalbudgets, die die bisherige Steuerung über kleinteilige Haushaltstitel ablösen, erhalten sie [die Hochschulen] neue Freiheitsgrade, werden aber zugleich unter eine strikte Ergebnisver‐ antwortung gestellt. Ihre Leistungen werden in der Logik eines Produktionsprozesses betrachtet, in dem verschiedene Stufen zu unterscheiden sind, nämlich der Input, der Prozess selbst, das Produkt und die Wirkungen, die in der externen Umwelt der Organisation erzeugt werden. Als Input werden vor allem Geld, Personal, Räume und Bibliotheken angesehen, als Prozesse gelten Lehre, Forschung und die sie unterstützenden administrativen Dienstleistungen. Dies alles führt dann zu Studienplätzen und Absolvent(inn)en, Dissertationen, Publikationen, Patenten, Wissenstransfer, also den Produkten oder dem Output der Hochschule, was wiederum in ihrer Umwelt zu geringerer Akademikerarbeitslosigkeit, höherer Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft oder einem höheren 152 Jochen Plikat Reflexionsniveau in der Gesellschaft, also Wirkungen führen soll, die als „Impact“ oder „Outcome“ bezeichnet werden. (Zechlin 2015) Die mit diesen Quantifizierungsprozessen untrennbar verbundene Logik von Rangfolgen hat dazu geführt, dass quantifizierbare Aspekte auch bei den Forschungsinhalten sehr stark aufgewertet wurden. So wurden erhebliche Anreize für Institutionen sowie für einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geschaffen, in erster Linie eine hohe Zahl von Publikationen und eine hohe Zahl von Zitierungen zu erreichen - was aber keineswegs mit innovativer Forschung gleichzusetzen ist (vgl. Kieser 2020: 589). Im Gegenteil: Im Sinne einer möglichst positiven Begutachtung im Peer-Review-Verfahren kann es für Forscherinnen und Forscher sogar lohnend sein, gängige Positionen nicht in Frage zu stellen. Wissenschaftlicher Fortschritt zeichnet sich aber oft durch das exakte Gegenteil aus: Bedeutende wissenschaftliche Innovationen bewirken Paradigmenwechsel, in deren Verlauf nicht mehr tragfähige grundlegende Annahmen von Theorien ersetzt werden. Eine solche Forschung schlägt sich nicht selten in Aufsätzen nieder, welche die Gutachter arrivierter Zeitschriften zurückweisen. (ebd.) Angesichts der vielfältigen neuen Optimierungszwänge, die sich aus dem Bologna-Prozess und dem NPM ergaben, waren zwar bald auch zahlreiche kritische Stimmen zu hören (vgl. z. B. Liessmann 2006, Münch 2009). Eine nennenswerte politische Gegenbewegung zur Transformation von Universitäten in Unternehmen hat sich allerdings nie formiert, und so hat sich die „Entfesselung deutscher Hochschulen“ (Kieser 2020: 588) flächendeckend durchgesetzt: Erleichtert wird diese tiefgreifende Transformation dadurch, dass sie auf dem Weg einer self-fulfilling prophecy genau diejenigen Legitimations-, Erwartungs-, Sozialisations- und Gover‐ nance-Strukturen erzeugt, auf die sie angewiesen ist. (Münch 2009: 31) In deutschen Schulen hat der beschriebene Ökonomisierungs- und Optimierungsdruck nicht in vergleichbarer Weise Fuß gefasst. Dennoch haben die Kultusministerien der Länder in dieser Zeit auch zahlreiche Schulreformen durchgeführt. In diesem Licht ist beispielsweise der Übergang der meisten westlichen Bundesländer vom 9-jährigen zum 8-jährigen Gymnasium zu sehen, denn die Reduzierung der Schulzeit um ein Jahr bedeutet zunächst einmal eine erhebliche Effizienzsteigerung. Dass sich der erhoffte Outcome jedoch nicht in der gewünschten Weise einstellte, zeigt der Umstand, dass mehrere Bundesländer inzwischen zu G-9 zurückgekehrt sind. Eine verstärkte Berücksichtigung (bildungs-)ökonomischer Aspekte lässt sich nicht nur an äußeren Fragen der Schulorganisation ablesen, sondern sie betrifft auch grundlegende pädagogische Konzepte wie die Kompetenzorientierung. Der in diesem Zusammenhang grundlegende Begriff der Outputorientierung ist direkt aus der Betriebswirtschaftslehre übernommen. Dem Ansatz liegt die - oft unausgesprochene - Erwartung zugrunde, dass mit gesteigerter Kompetenz und erhöhtem Output auch eine verbesserte Bildung einhergehe. Diese Erwartung wurde in der erziehungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Forschung verschiedentlich in Frage gestellt (vgl. u. a. Küster 2006, Bonnet/ Breidbach 2013, 153 Resonanz als Konzept Kritischer Fremdsprachendidaktik Biesta 2014). Dabei wurde etwa die mit der Outputorientierung verbundene implizite Erwartung kritisiert, erfolgreiche Bildungsprozesse müssten sich auch gleich messen und belegen lassen. So gibt Lutz Küster (2015: 17) zu bedenken: Vieles von dem, was in schulischem Unterricht angestoßen wird, zeigt und entfaltet sich - im Guten wie im Schlechten - oft erst mit deutlicher Verzögerung im Rahmen eines lebenslangen Lernens und kann nicht kurzfristig abgerufen werden. Gerade nicht normierbare und daher nicht in engerem Sinne mit der Standardorientierung kompatible Bildungsinhalte und -prozesse haben einen eigenständigen Gültigkeitsanspruch. Der didaktische Paradigmenwechsel hin zu Kompetenz- und Standardorientierung hat ohne Zweifel eine fruchtbare Diskussion angestoßen und (auch) zahlreiche positive Effekte entfaltet. Diese können jedoch in ihr Gegenteil umschlagen, wenn gleichzeitig der oben beschriebene Steigerungs-, Beschleunigungs- und Optimierungszwang Einzug hält. Die Kombination dieser Faktoren kann bei allen an Bildungsprozessen Beteiligten zu Entschei‐ dungen führen, von denen, spieltheoretisch gesprochen, jede für sich unter den gegebenen Umständen rational ist, die in der Gesamtwirkung jedoch die Qualität der Bildungsprozesse, um die es geht, reduziert (zur Spieltheorie vgl. einführend Dixit/ Nalebuff 2010). Hierdurch kann es zu einer fatalen Verschiebung von Prioritäten kommen: Wenn wir zunehmend messen, was wir wertschätzen, kann das dazu führen, dass wir nur noch das wertschätzen, was wir messen können (vgl. Biesta 2014). Für den Fremdsprachenun‐ terricht bedeutet dies, dass die ‚harten‘, leicht(er) messbaren Kompetenzen gegenüber den ‚weichen‘, schwer(er) messbaren Kompetenzen im Unterrichtsalltag bevorzugt werden (zur Unterscheidung zwischen harten und weichen Kompetenzen vgl. Tesch et al. 2008). Aber selbst innerhalb einzelner sprachlich-funktionaler Kompetenzen kann es zur Verschiebung der Gewichtungen kommen. So hat Daniela Caspari (2013) herausgearbeitet, dass in den KMK-Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss (vgl. KMK 2003) im Bereich Lesekompetenz fast ausschließlich das (gut messbare) sinnentnehmende Lesen eine Rolle spielt, im Gegensatz zum (schwer messbaren) literarischen Lesen. In Bezug auf die beschriebenen Quantifizierungstendenzen wurde in der erziehungs‐ wissenschaftlichen und fachdidaktischen Diskussion daher bereits vielfach thematisiert, dass die Förderung von Bildungsprozessen mehr erfordert als die Fixierung auf messbare Ergebnisse. Vielmehr müssten sich schulischer Unterricht allgemein und besonders der Fremdsprachenunterricht (auch) auf die Förderung von Bildung besinnen (vgl. u. a. Küster 2003, Breidbach 2007, Koller 2012). Daher steht die Frage im Raum, wie der offensicht‐ lich wünschenswerte Brückenschlag zwischen Kompetenzorientierung einerseits und Bildungsorientierung andererseits gelingen kann. 154 Jochen Plikat 4 Die Geschichte des Bildungsbegriffs in der Tradition Wilhelm von Humboldts sowie seine ak‐ tuelle Weiterentwicklung als transformatorische Bildung durch den Erziehungswissenschaftler Hans-Christoph Koller habe ich an anderer Stelle ausführlich beschrieben und in Bezug auf das Konzept ‚Fremdsprachliche Diskursbewusstheit‘ analysiert (vgl. Plikat 2017: 263-291). 5. Gegen den Ökonomisierungstrend: Resonanz und Bildung Ein zentraler Aspekt für den Bezug zwischen bildungstheoretischen Überlegungen 4 und der hier diskutierten Resonanztheorie besteht darin, dass Bildungsprozesse auf eine Wechselwirkung zwischen Subjekt und Welt angewiesen sind. In den Worten Humboldts (1960-1981, Bd. III: 426) bedarf Bildung der „[…] Verknüpfung unsres Ichs mit der Welt zu der allgemeinsten, regesten und freiesten Wechselwirkung.“ Koller (2012) betont in seiner Diskussion des Bildungsbegriffs im Anschluss an Humboldt zudem die zentrale Rolle der Sprache. Sprache ermögliche es einerseits, in Kontakt zur Welt zu treten, und präge dabei gleichzeitig die Beschaffenheit der so entstehenden Verhältnisse. Andererseits ermögliche und präge sie aber auch die Verhältnisse des Menschen zu sich selbst. Im Mittelpunkt von Bildungsprozessen steht daher nicht der Wissenserwerb, sondern es geht in erster Linie um die Gestaltung der „Welt- und Selbstverhältnisse“ (ebd.: 16) der Lernenden. Weiterhin stellt Koller den Begriff der Transformation von Welt- und Selbstverhältnissen ins Zentrum seiner Überlegungen. Entscheidend sei dabei, so Koller, Bildung von Lernen zu unterscheiden. Während beim Lernen bestehende Welt- und Selbstverhältnisse nicht in Frage gestellt und somit nicht transformiert würden, seien Transformationen ein geradezu konstitutives Merkmal von Bildungsprozessen: Bildungsprozesse bestehen demzufolge also darin, dass Menschen in der Auseinandersetzung mit neuen Problemlagen neue Dispositionen der Wahrnehmung, Deutung und Bearbeitung von Problemen hervorbringen, die es ihnen erlauben, diesen Problemen besser als bisher gerecht zu werden. (ebd.) Die Resonanztheorie steuert nun in diesem Zusammenhang die grundlegende These bei, dass Bildungsprozesse auf Resonanzverhältnisse angewiesen sind. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass Bildungsprozesse scheitern, wenn die bestehenden Verhältnisse von Indifferenz oder gar Repulsion geprägt sind. Diese Beobachtung verdeutlicht einen wichtigen Unterschied zwischen Kompetenzer‐ werb und Bildung. Kompetenzerwerb ist im Sinne einer „effektiven, effizienten und stummen Stoffbeherrschung“ (Beljan 2019: 14) prinzipiell auch ohne Resonanzverhältnisse denkbar, Bildungsprozesse sind es dagegen nicht. So kommt es bei Indifferenzverhältnissen gerade nicht zu der für Bildung notwendigen Wechselwirkung im Sinne eines Sich-Ein‐ lassens und Sich-Einschwingens auf die Welt: die Welt berührt den Schüler oder die Schülerin nicht. Dies gilt umso mehr für feindliche, repulsive Verhältnisse. Wer die Welt als Bedrohung wahrnimmt, verschließt sich. Lernende - und Lehrende! - ziehen sich zurück oder gehen in den Kampfmodus. Eine „Verknüpfung unsres Ichs mit der Welt zu der allgemeinsten, regesten und freiesten Wechselwirkung“ im Sinne Humboldts (1960-1981, Bd. III: 426) ist unter diesen Bedingungen ausgeschlossen. Der für Bildungsprozesse konstitutive Gedanke der Transformation wird in der Reso‐ nanztheorie mit dem sehr anschaulichen Begriff der Anverwandlung benannt. Während 155 Resonanz als Konzept Kritischer Fremdsprachendidaktik der in Lehr-/ Lernkontexten gängige Begriff der Aneignung (vgl. Plikat 2020, erscheint) eher auf ein instrumentelles, auf Verfügbarkeit und Kontrolle ausgerichtetes Verhältnis verweist, deutet Anverwandlung darauf, dass Bildung das Subjekt verwandelt, verändert, transformiert - und potenziell auch die Weltausschnitte, mit denen es in Wechselwirkung steht (vgl. Rosa 2016: 53 und passim, Beljan 2019: 14 und passim). In der Literatur, in Filmen und in der Popmusik werden Schulen jedoch häufig ge‐ rade nicht als Orte der Öffnung von Resonanzachsen dargestellt, sondern als Orte, an denen den Schülerinnen und Schülern die Resonanzsensibilität der Kindheit geradezu ausgetrieben wird. Werke, welche von der Resonanzfeindlichkeit der Schule und der gleichzeitigen Resonanzsehnsucht der Lernenden handeln, genießen bezeichnenderweise ihrerseits eine geradezu überwältigende Popularität beim Publikum. So thematisiert die Band „Supertramp“ in ihrem „Logical Song“ (1979), der zu einem der erfolgreichsten Pop-Songs der frühen 1980er-Jahre wurde, den Übergang des lyrischen Ichs aus der (resonanzfreundlichen) Kindheit in die (als kalt, berechnend, ‚logisch‘ wahrgenommene) Welt der Erwachsenen (vgl. Rosa 2016: 406): When I was young, it seemed that life was so wonderful A miracle, oh it was beautiful, magical And all the birds in the trees, well they’d be singing so happily Oh joyfully, playfully watching me But then they sent me away to teach me how to be sensible Logical, oh responsible, practical And they showed me a world where I could be so dependable Oh clinical, oh intellectual, cynical Während das Stummwerden der Welt hier als Phänomen dargestellt wird, unter dem in erster Linie Kinder und Jugendliche zu leiden haben, leiden im französischen Roman Entre les murs (Bégaudeau 2006), der den Alltag an einer Pariser Schule schildert, alle Beteiligten an einer weitgehend kalten und feindseligen Schulatmosphäre. Kraftraubende Auseinandersetzungen prägen den Alltag. So bezweifelt der Protagonist, ein Lehrer, in einem seiner zahlreichen Wortwechsel mit der Klasse, dass zwei Schülerinnen schon jemals aus ihrem quartier herausgekommen seien, um z. B. die Galeries Lafayette zu besuchen. Die Schülerinnen weisen die Behauptung entrüstet zurück: - Alors là rien à voir m’sieur, moi mon copain il est dans le dix-sept. Aviation soutenant l’artillerie, Hinda est intervenue. - C’est pas du mytho m’sieur, son copain il est dans le dix-sept, c’est pour ça elle y va tout le temps. Je n’avais qu’à battre en retraite ou faire diversion (ebd. : 51 f.). Aviation, artillerie, battre en retraite, faire diversion - das Klassenzimmer wird hier als Kriegsgebiet beschrieben. Dies liegt aber nicht nur an dem oft gereizten und sich in vielen Situationen unprofessionell verhaltenden Lehrer - auch die Schülerinnen und Schüler selbst tragen bei jeder Gelegenheit dazu bei, dass immer neue verbale Schlagabtausche geführt werden. Im besten Fall kommt es unter solchen Bedingungen zu (bescheidenen) Lernfortschritten. Bildungsprozesse im Sinne einer herausfordernden, aber auch freudigen 156 Jochen Plikat 5 An diesem Kapitel wirkte auch Daniela Caspari mit. Erschließung der Welt können in einem solchen Klassenzimmer allerdings kaum in Gang kommen. Auch wenn viele der Szenen in Entre les murs aus dramaturgischen Gründen überzeichnet sein mögen, so sind Angst, Mobbing und latente oder offene Gewalt doch auch an deutschen Schulen Alltagsphänomene. So berichtet Beljan (2019: 238) unter Berufung auf aktuelle empirische Studien: Zwar fühlen sich die meisten Schüler in der Schule sicher und aufgehoben, allerdings sinkt die Hemmschwelle, auf Provokationen mit verbaler und körperlicher Gewalt zu reagieren. Dem ent‐ spricht der Befund, dass es zwar nur selten zu extremen Gewaltakten, wie z. B. Körperverletzung, Erpressung oder sexueller Belästigung kommt, dafür aber umso häufiger zu verbalen Aggressionen (Beschimpfungen, Beleidigungen, Provokationen, jemanden lächerlich machen). Mehr als die Hälfte der Schüler (53 Prozent) und noch mehr Lehrer (63 Prozent) beobachten recht häufig Beschimpfungen und gemeine Ausdrücke von Schülern gegenüber anderen Schülern sowie von Schülern gegenüber Lehrenden. Die fast durchgehend düstere und bedrückende Schulatmosphäre von Entre les murs ist für das Genre jedoch eher untypisch. Viel häufiger stehen positiv dargestellte Lehrkräfte im Mittelpunkt, denen es gelingt, eine zunächst kalte, abweisende und feindselige Schulwelt durch ihre Menschlichkeit, Warmherzigkeit und - nicht zuletzt - Begeisterung für die Lerninhalte zu verwandeln. Viele Filme mit dieser Grundstruktur waren durchschlagende Publikumserfolge auf dem jeweiligen nationalen und teilweise auch auf dem internationa‐ len Filmmarkt: Dead Poets Society (USA 1989), La lengua de las mariposas (Spanien 1989), Dangerous Minds (USA 1995), Les choristes (Frankreich/ Schweiz 2004), Take the Lead (USA 2006) - die Thematik ist äußerst beliebt und erfolgreich. Die deutsche Produktion Fack ju Göhte (2013) war sogar der erfolgreichste Film des Jahres in deutschen Kinos. Neben diesen Spielfilmen ist auch der mehrfach ausgezeichnete Dokumentarfilm Rhythm is it! (Deutschland 2006) zu nennen. Die Einsicht, dass das Gelingen von Bildungsprozessen sehr viel mit einem positiven Schul- und Klassenklima und diese wiederum mit der Herstellung möglichst gesunder, wohlwollender Beziehungen zwischen allen am Bildungsprozess Beteiligten zu tun hat, ist auch in der Erziehungswissenschaft und den verschiedenen Fachdidaktiken nicht neu. Bei‐ spielhaft sei hier ein Beitrag von Alfred Holzbrecher (2013) genannt, der sich mit der Frage beschäftigt, wie sich die „Professionalität im (Französisch-)Unterricht entwickeln“ (ebd.: 8) lässt. Holzbrecher erläutert in diesem Zusammenhang die zentrale Bedeutung von As‐ pekten wie z. B. „Lernerorientierung“ (u. a. „Emotionale Qualität des Lerngegenstands bzw. Kompetenzbereichs“, „Wunsch nach Anerkennung/ Feedback-Qualität“, „Identifikation mit der Lehrperson“, ebd.: 10-13), „Schulentwicklung“ (u. a. „Kooperationen im Bildungsraum […]“, „Partizipation von Schülern und Eltern erweitern“, ebd.: 13-15) und „Unterrichtsent‐ wicklung“ 5 (u. a. „Wertschätzende Kommunikation“, ebd.: 15-18). Solche Forderungen zur Professionalitäts- und Schulentwicklung lassen sich aus resonanztheoretischer Perspektive geradezu als Ideenkataloge für die Herstellung von Resonanzverhältnissen lesen. 157 Resonanz als Konzept Kritischer Fremdsprachendidaktik Da Resonanzverhältnisse somit eine entscheidende Bedeutung für das Zustandekommen von Bildungsprozessen zu haben scheinen, lässt sich das didaktische Dreieck (vgl. z. B. Bönsch 2006: 149 f.) zu einem „Resonanzdreieck“ umgestalten (vgl. Rosa 2016: 411, Beljan 2019: 112-120): Abbildung 1: Das Resonanzdreieck nach Hartmut Rosa (2016: 411). Rosas Interesse an bildungssoziologischen und erziehungswissenschaftlichen Problemstel‐ lungen zeigt sich nicht nur in dem Umstand, dass er in seinen Veröffentlichungen zur Resonanztheorie direkt auf solche Problemstellungen eingeht (vgl. Rosa 2016: 402-420, 659-662 und passim, Rosa 2018: 75-80), sondern auch in seinem jahrelangen Engagement in der Förderung begabter Schülerinnen und Schüler im Rahmen der Deutschen Schüleraka‐ demie. Weiterhin hat er sich in mehreren Publikationen direkt mit der Bedeutung der Resonanztheorie für Schulen auseinandergesetzt (vgl. Rosa/ Endres 2016, Rosa et al. 2018). Mit diesem Themenfeld beschäftigt sich auch sein Schüler Jens Beljan in mehreren Beiträ‐ gen aus dezidiert erziehungswissenschaftlicher und schultheoretischer Perspektive (vgl. Beljan 2019, Beljan/ Winkler 2019). Vielversprechende Anfänge einer Weiterentwicklung der Resonanztheorie zu einer Resonanzpädagogik sind somit gemacht. Als Konzept, das neben den oben genannten vorwiegend allgemeindidaktischen und schulpädagogischen Aspekten auch die spezifischen Belange des schulischen Fremdspra‐ chenlernens befruchten könnte, spielt die Resonanztheorie dagegen bislang keine Rolle. In einigen abschließenden Überlegungen sollen Potenziale der Resonanztheorie für eine kritische Weiterentwicklung des Fremdsprachenunterrichts aufgezeigt werden. Ein solcher resonanzorientierter Fremdsprachenunterricht hat das Potenzial, nicht nur die fremd‐ sprachliche Bildung der Schülerinnen und Schüler zu fördern, sondern auch einen positiven Beitrag zur Schulentwicklung insgesamt zu leisten. 158 Jochen Plikat 6 Für Lehr-/ Lernkontexte scheint daher ‚Halbverfügbarkeit‘ ein passenderer Terminus zu sein als ‚Unverfügbarkeit‘. Rosa (2018: 52) führt den Begriff in der Weiterentwicklung seiner Resonanztheorie selbst ein. 6. Resonanzorientierung im Fremdsprachenunterricht Die oben entwickelten Überlegungen machen deutlich, dass sich Resonanzverhältnisse nicht instrumentell herstellen lassen. Somit sperrt sich auch eine resonanztheoretisch inspirierte Pädagogik und Didaktik gegen jede Rezeptologie. Dennoch lassen sich - ähnlich wie bei Bildungsprozessen - Aussagen darüber treffen, welche Prinzipien, Zielsetzungen und Inhalte Resonanzverhältnisse tendenziell fördern. Umgekehrt lassen sich Praktiken des Fremdsprachenunterrichts aus resonanztheoretischer Perspektive kritisch reflektieren und weiterentwickeln. Bekanntlich herrscht in der erziehungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Dis‐ kussion ein großer Konsens darüber, dass bestimmte pädagogische und didaktische Prin‐ zipien (z. B. Differenzierung, mehrkanaliges Lernen, ein angstfreies Lernklima etc., vgl. Abschnitt 5 in diesem Beitrag) als lernförderlich anzusehen sind, und diese Einschätzung liegt aus resonanztheoretischer Perspektive ebenfalls nahe. So lässt sich etwa die Forderung nach differenzierendem Unterricht auch resonanztheoretisch wenden: Was vollständig gekannt und beherrscht wird und somit verfügbar ist, unterfordert Schülerinnen und Schüler; was weit außerhalb ihrer Kompetenzen liegt, überfordert sie. In beiden Fällen bleiben Resonanzverhältnisse in der Regel aus. Was jedoch in Reichweite der Lernenden liegt - konstruktivistisch gesprochen: in der Zone ihrer proximalen Entwicklung -, hat das Potenzial, sie anzusprechen, sie herauszufordern und Resonanzverhältnisse entstehen zu lassen. 6 Differenzierender Unterricht hat somit das Potenzial, Resonanzverhältnisse zu fördern. Im Gegensatz zu den oben genannten Prinzipien ist eine Einschätzung der Kompetenz‐ orientierung aus resonanztheoretischer Perspektive schwieriger. Wenn Kompetenzorien‐ tierung im Fremdsprachenunterricht für die Verfügbarmachung der Welt steht - konkret: der Fremdsprache und der in ihr vermittelten Inhalte -, dann kann es leicht dazu kommen, dass der Ausbau instrumenteller Fähigkeiten und Fertigkeiten dominiert. Wenn Unterricht dabei zunehmend unter Optimierungs- und Steigerungszwänge gestellt wird, welche in erster Linie auf das Abarbeiten von Schulcurricula, Lehrplanvorgaben und Lehrwerksinhal‐ ten abzielen, besteht die Gefahr, dass im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht keine Resonanzverhältnisse entstehen oder schon bestehende in Indifferenz- oder gar Repulsionsverhältnisse umschlagen. Die Folge kann sein, dass der Unterricht die Lernenden unter diesen Bedingungen nicht erreicht und sie kalt lässt. Im besten Fall erledigen sie dann noch ihren „Schülerjob“ (vgl. Breidenstein 2006) - und wählen die betroffene Sprache ab, sobald sie die Möglichkeit dazu haben. Zunehmende Abwahltendenzen, die in den romanischen Schulfremdsprachen zu beklagen sind (vgl. Caspari in Vorbereitung), lassen Zweifel daran aufkommen, dass Kompetenzorientierung ein hinreichendes Kriterium für guten Fremdsprachenunterricht ist. Kompetenzorientierung im Fremdsprachenunterricht kann und sollte jedoch mehr sein als eine instrumentelle Erschließung und Verfügbarmachung einer neuen Sprache. Dies 159 Resonanz als Konzept Kritischer Fremdsprachendidaktik 7 Online verfügbar: www.playingclil.eu/ de/ (10.07.2020). zeigen Ansätze für den Fremdsprachenuntericht, die bereits in einer Vielzahl von Beiträgen als förderlich für fremdsprachlichen Kompetenzerwerb und fremdsprachliche Bildung empfohlen wurden. Sie sind auch aus resonanztheoretischer Sicht vielversprechend und haben das Potenzial, im Fremdsprachenunterricht ‚Resonanzoasen‘ entstehen zu lassen: • Stärkung der ästhetisch-literarischen und der leiblichen Dimension des Fremdsprachen‐ lernens: Menschen beschäftigen sich aus freien Stücken mit Kunstwerken, die ihnen ‚etwas zu sagen haben‘ und zu denen sie daher Resonanzverhältnisse aufbauen können. Die unterrichtliche Arbeit an Inhalten aus den Bereichen Musik, Film, Literatur, Theater, bildende Kunst (z. B. Lieder, Videoclips, bandes dessinées, Fotogra‐ fie, etc.) kann Lernende an solche Inhalte aus dem zielsprachlichen Kulturraum heranführen und gleichzeitig zur Reflexion der eigenen Lerneridentität(en) anregen (zur Fotografie vgl. z. B. Holzbrecher in Vorbereitung). Entscheidend ist dabei eine Herangehensweise, welche sie nicht nur auf der kognitiv-analytischen, sondern auch auf der sinnlich-ästhetischen Ebene herausfordert und dabei ihre Kreativität anregt. Küster (2015: 18-28) diskutiert in diesem Zusammenhang das Spannungsfeld von Zweckfreiheit vs. Zweckdienlichkeit ästhetisch-literarischen Fremdsprachen‐ lernens: Während kulturgeschichtlich der Gedanke der Zweckfreiheit ästhetischer Erfahrungen eine Schlüsselrolle spielt, haben im Fremdsprachenunterricht - wie in jedem Unterricht - auch Überlegungen zu deren Zweckdienlichkeit durchaus ihren Platz. Entscheidend ist dabei jedoch, dass tatsächlich die Inhalte, nicht die durch sie zu fördernden funktionalen kommunikativen Kompetenzen im Mittelpunkt stehen: In diesem Fall lassen die individuelle Bedeutsamkeit der Gegenstände und Inhalte die unter‐ richtlich gesteuerte Kommunikation in der Fremdsprache und damit das fremdsprachliche Lernen als Unterrichtsziel scheinbar oder real in den Hintergrund treten. Lernen geschieht implizit, scheinbar mühelos, en passant. (ebd.: 26) Der irisch-amerikanische Autor Frank McCourt, der 30 Jahre als Lehrer an ver‐ schiedenen high schools in New York City gearbeitet hat, schildert eindrücklich, wie er einen solchen Resonanzmoment im (muttersprachlichen) Englischunterricht erlebte - in einer Klasse, in der Fehlzeiten und gefälschte Entschuldigungsschreiben Dauerprobleme waren: What I’d like you to write is… I wrote it on the board: “An Excuse Note from Adam to God” or “An Excuse Note from Eve to God.” The heads went down. Pens raced across paper. […] The bell rang, and for the first time in my three and a half years of teaching, I saw high school students so immersed they had to be urged out of the room by friends hungry for lunch. (McCourt 2005: 105 f.) Theaterpädagogische Ansätze sind in diesem Kontext ebenfalls vielversprechend, da sie kreatives und ästhetisches Lernen mit einer leiblichen Ebene verbinden und somit auch das Entstehen von Resonanzverhältnissen in besonderem Maße fördern können (vgl. z. B. Wieland/ Unterstab 2013 sowie das Handbuch Playing CLIL  7 ). 160 Jochen Plikat • Ausbau direkter Kontakte mit Sprecherinnen und Sprechern der Zielsprache: Es dürfte kaum eine Erfahrung für Fremdsprachenlernende geben, die stärkere Resonanz‐ verhältnisse anbahnt als der direkte Kontakt zu Muttersprachlerinnen und Mutter‐ sprachlern. Neben den klassischen Schulaustauschen lassen sich solche Kontakte heutzutage auch online herstellen und pflegen - mit viel geringerem organisatori‐ schem und finanziellem Aufwand. So berichten Dagmar Abendroth-Timmer und Barbara Thomas (2019) von „identitätsstiftender Kommunikation“, die Barbara Thomas in ihrer Studie über ein Skype-Projekt mit deutschen und spanischen Schülerinnen und Schülern beobachten konnte. Die Worte, mit denen eine Schülerin den Umgang mit Missverständnissen schildert, sind aus resonanztheoretischer Perspektive eindeutig: Also wir haben gelacht. Mehr nicht. Wir konnten schon gut damit umgehen, weil wir, sozusagen, schon eine Beziehung hatten. […] So als Freunde. (ebd.: 163) Die Äußerung zeigt deutlich, dass auch im digitalen Kontakt Resonanzverhältnisse entstehen können. Dass solche Verhältnisse nicht zuletzt starke Faktoren bei der Motivation zum Fremdsprachenlernen sein können, leuchtet nicht nur unmittelbar ein, sondern hat auch handfeste neurobiologische Gründe. Bauer (2008: 23) sieht in der Sehnsucht nach Resonanz sogar einen zentralen Faktor für menschliche Motivation: Wir sind - aus neurobiologischer Sicht - auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen. Kern aller menschlichen Motivation ist es, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung oder Zuneigung zu finden und zu geben. 7. Ausblick Die Rezeption der soziologischen Resonanztheorie für die Belange des Fremdsprachenun‐ terrichts zeigt sich zumindest in einer ersten Annäherung als vielversprechend, da sie eine kritische Reflexion gängiger fremdsprachendidaktischer Theorien und schulischer Praktiken ermöglicht. Eine vertiefte Rezeption der Resonanztheorie würde jedoch nicht nur die Entwicklung einer Kritischen Fremdsprachendidaktik begünstigen, sondern gleich‐ zeitig würden sich auch Perspektiven für eine kritische Diskussion der Resonanztheorie selbst eröffnen. Auch hier ist ein Anfang bereits gemacht, sowohl aus soziologischer (vgl. Peters/ Schulz 2017) als auch aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive (vgl. Beljan/ Winkler 2019). Auf diese Weise könnten auch von fremdsprachendidaktischen Diskursen Impulse zur Weiterentwicklung der Resonanztheorie ausgehen. Resonanztheorie und Fremdsprachendidaktik könnten so ihrerseits in ein Resonanzverhältnis treten. Eine Frage der Theorieebene, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist das Verhältnis von Resonanz, Bildung, Bewusstheit und Reflexivität. Resonanzverhältnisse scheinen sich besonders in Momenten einzustellen, in denen Menschen ganz in einer Tätigkeit aufgehen - also gerade nicht über ihr aktuelles Handeln reflektieren. Gleichwohl spielt die Förderung von Bewusstheit und Reflexivität eine zentrale Rolle in bildungstheoretischen Überlegungen, die auch für das Fremdsprachenlernen rezipiert worden sind (vgl. u. a. Breidbach 2007). Es wäre daher zu diskutieren, inwieweit sich der scheinbare Widerspruch 161 Resonanz als Konzept Kritischer Fremdsprachendidaktik zwischen Resonanzorientierung einerseits sowie Reflexivität und Bewusstheit andererseits produktiv wenden und bildungstheoretisch integrieren lässt. Weiterhin wäre auch zu diskutieren, inwieweit Resonanzverhältnisse empirisch zugäng‐ lich gemacht werden können. Klar ist, dass sich Resonanz - ganz ähnlich wie Bildung - einem quantifizierenden Zugriff entzieht. Vielversprechend erscheinen hier jedoch rekonstruktive Verfahren, wie sie in der Fremdsprachenforschung zunehmend zum Einsatz kommen (vgl. Gerlach/ Tesch 2020). Auch in Bezug auf ihre empirische Erforschung zeichnet sich somit ab, dass man auf die Unverfügbarkeit oder allenfalls Halbverfügbarkeit von Resonanzverhältnissen stoßen wird. Gerade darin könnte jedoch ihr besonderer Reiz liegen. 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Kritik meint zunächst einmal aber auch die grundlegende und kategoriale Analyse einer Sache. Jeder sich selbst als kritisch bezeichnende Ansatz erzeugt mit dieser Benennung blinde Flecken. Insofern dürfte dem sogenannten kritischen Ansatz am meisten damit geholfen sein, ihm kritisch, und das heißt analytisch und im Modus des Zweifels zu begegnen. Einerseits finden wir es sehr verdienstvoll, unter der Überschrift einer Kritischen Fremd‐ sprachendidaktik Ansätze zu versammeln, die nicht primär psycholinguistisch argumen‐ tieren oder auf den Erwerb testbarer skills fokussieren, sondern einer Dehumanisierung des Fremdsprachenunterrichts entgegenwirken und die Schüler*innen als Individuen stärken wollen. Andererseits birgt die Verwendung des plakativen Labels „kritisch“ die Gefahr einer „Sloganisierung“ (Schmenk 2008, Schmenk et al. 2018), durch die lediglich terminologisch Ähnliches unter ein gemeinsames Dach subsumiert wird, dabei aber notwendige Differen‐ zierungen verwischt oder sogar Widersprüche negiert werden. Die Bandbreite der Ansätze, die im Einführungsaufsatz dieses Bandes zusammengespannt werden, ist erheblich, ein einheitlicher Begriffskern schwer zu erkennen. Viele der genannten Ansätze, wie z. B. critical language awareness oder Lebensweltorientierung, sind seit langem bekannt. Wir möchten daher in diesem Aufsatz zwei Fragen nachgehen. Uns erscheint erstens das Pädagogische als der gemeinsame Kern vieler der genannten Ansätze; die Frage „Fremdsprachendidaktik vs. foreign language pedagogy“ wird im Grundlagenbeitrag explizit gestellt. Was wir grundsätzlich darunter verstehen, Unterricht und Schule pädagogisch zu denken und damit Fachdidaktik erziehungswissenschaftlich zu rahmen, möchten wir im Folgenden erläutern. Es wird deutlich werden, dass aus dieser Perspektive ein kritischer Fremdsprachenunterricht weniger eine Frage thematischer Entscheidungen, sondern viel‐ mehr eine Frage der Interaktionsgestaltung zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen ist. Ein kritischer, weil den Schüler*innen als kompetenten Laien und den Lehrer*innen als kommunikativen Expert*innen eine Stimme gebender und damit demokratiefördernder Unterricht ist nicht primär auf bestimmte Themen angewiesen, sondern basiert auf einem 1 Der Begriff „Anerkennung“ darf hier nicht alltagssprachlich verkürzt im Sinne einseitig positiver Wertschätzung verstanden werden. Insbesondere Norbert Ricken (2009, 2013) weist auf die Untiefen und die Ambivalenz dieses Begriffes hin. Für uns ist an dieser Stelle vor allem der Aspekt der Reziprozität, der Gegenseitigkeit von Anerkennung wichtig. komplexen Verhältnis gegenseitiger Anerkennung. 1 Interessanterweise taucht dabei auch das Wort „kritisch“ auf - nämlich im Konzept des Bildungstheoretikers Helmut Peukert. Zweitens steht die Frage im Raum, warum sich die lange bekannten Ansätze, die hier noch einmal unter dem Label kritisch versammelt werden, in der Praxis nicht durchsetzen. Mit großer und sehr sympathischer Energie verweist David Gerlach im Grundlagenbei‐ trag immer wieder auf die Notwendigkeit, Fremdsprachenunterricht auf Grundlage der genannten Ansätze und Inhalte zu gestalten. Ganz zurecht weist er darauf hin, dass die praktische Nichtberücksichtigung dieser Ansätze deren Fundiertheit, Berechtigung und Funktionalität keinesfalls in Frage stellt. Er ruft daher mit Nachdruck dazu auf, die Ansätze auszugestalten und in die Schulen zu tragen. Dabei bleibt aber ein wesentlicher Punkt offen: Wenn Fremdsprachenunterricht ernsthaft kritisch und damit pädagogisch sein soll, dann müssen wir die Hindernisse, die dem im Weg stehen, sehr ernsthaft betrachten. Dies ist die zweite Frage, mit der sich unser Aufsatz beschäftigt. Wir werden sie mit Verweis auf empirische Ergebnisse aus Deutschland und den USA diskutieren. Kurz gesagt: Wir werden in unserem Aufsatz erläutern, was wir unter einer erziehungswissenschaftlich-pädagogi‐ schen Perspektive auf Fremdsprachenunterricht verstehen, wo wir die Hindernisse zu ihrer praktischen Umsetzung sehen und - sehr vorsichtig und nachgeordnet - wie man diese Hindernisse abbauen könnte. 2. Das Pädagogische als die Notwendigkeit intergenerationeller Kommunikation und transformatorischer Bildung Der Grundlagenaufsatz dieses Buches benennt zahlreiche Bezugsansätze. Immer wieder und insgesamt am häufigsten tauchen die beiden folgenden Ziele auf: die Überwindung von Ungleichheiten im deutschen Bildungssystem und die „Förderung und Emanzipierung kritischer Bürgerinnen und Bürger“ (Gerlach in diesem Band: 8). Damit sind zugleich die systemische Makroebene als auch die individuelle Mikroebene angesprochen. Wir lesen den Einführungsaufsatz als ein Plädoyer für die Ermächtigung der vielfältigen individuellen Interessen und Bildungswege der Lernenden gegenüber einer instruktivistischen Verabrei‐ chung gleichgemachter und damit gerade nicht gleichmachender, sondern Ungleichheit reproduzierender Inhalte. Die Zielrichtung dieses Plädoyers teilen wir. Wir können uns aber des Eindrucks nicht erwehren, dass es letztlich der Versuchung jedes „Ansatzes“ erliegt, die erwünschten Wirkungen durch eine Veränderung der Inhalte des Unterrichts erreichen zu wollen, also durch eine Veränderung des „Was“. Unsere Vermutung hingegen ist, dass es mindestens genauso sehr - und wahrscheinlich sogar vorrangig - auf eine Veränderung der schulischen Verfahrensweisen ankäme, dass also das „Wie“ der Praxis des Fremdsprachenunterrichts in den Blick kommen müsste. Um zu einer Vorstellung zu gelangen, wie dieses „Wie“ zu gestalten wäre, möchten wir unsere Auseinandersetzung mit dem Programm einer Kritischen Fremdsprachendidaktik mit einer Reflexion des 166 Andreas Bonnet & Uwe Hericks Verhältnisses von gesellschaftlicher und individueller Ebene und damit des Verhältnisses von Erziehung und Bildung beginnen. Der Ausgangspunkt ist dabei die Frage, wozu Erziehung überhaupt benötigt wird. Im Kern geht es dabei um intergenerationelle Kommunikation: „The primary ineluctable facts of the birth and death of each one of the constituent members in a social group determine the necessity of education.“ (Dewey 2008, zuerst 1916: 8) Im Sinne der Weitergabe von Wissen und des Fortbestands von Institutionen hat Erziehung also notwendig einen transmissiven Anteil: Die nachwachsende Generation wird „initiated into the interests, purposes, information, skills and practices of the mature members: otherwise the group will cease its characteristic life“ (ebd.). Was als solche verstanden werde, definiere sich in einer demokratischen Gesellschaft als community über Aushandlungsprozesse, in denen festgestellt werde, was im gemeinsamen Interesse sei: „If, however, they were all cognizant of the common end and all interested in it so that they regulated their specific activity in view of it, then they would form a community.“ (ebd.: 10) Diese interaktive Herstellung von Gemeinschaft bezeichnet Dewey als „communication“; demokratisch werde das ganze Unterfangen dadurch, dass es eben keine Einbahnstraße von Anweisungen sei, sondern auf Gegenseitigkeit beruhe, auf der Feststellung von „mutual interest“ (ebd.: 79). Hier setzt das Konzept transformatorischer Bildung des Erziehungswissenschaftlers Helmut Peukert (1998) an. Er spricht nicht von Erziehung, sondern von Bildung und verschiebt schon damit begrifflich das Gewicht in Richtung des sich bildenden Individuums. Er sieht in Bildungsprozessen „die Sollbruchstellen bei der Weitergabe einer Kultur“ (ebd.: 17). Diese bedeuteten stets „Dekonstruktion, Rekonstruktion und Neukonstruktion zugleich, und zwar aus der Lebensperspektive von Individuen, die mit der Perspektive von Gruppen und von ganzen Gesellschaften verschränkt sind“ (ebd.). Aus diesem Grunde sieht er das Generationenverhältnis angesichts der Herausforderungen der reflexiven Moderne und postindustrieller Risikogesellschaften weniger transmissiv als vielmehr reflexiv und transformatorisch. Im Kern steht der Gedanke, dass die Beschleunigung zahlreicher Prozesse der Wissensgewinnung und -verarbeitung mit der zugehörigen Verkürzung der Innovationszyklen in allen Bereichen dazu führe, dass jede Generation mit krisenhaften gesellschaftlichen Transformationsprozessen konfrontiert ist. Da die erwachsene Generation in der reflexiven Moderne noch weniger als früher in der Lage sei, dasjenige Wissen zu bestimmen, das nachfolgende Generationen benötigen werden, und die Basis des Zusammenlebens schon jetzt fragwürdig sei, sind die Generationen zwangsläufig mit unterschiedlichen Entwicklungsnotwendigkeiten konfrontiert. Peukert weist auf das in (post-)industriellen Gesellschaften verschärfte Problem hin, dass „moderne Gesellschaften eine Dynamik entfalten, die einerseits mehr Menschen als jemals zuvor Leben ermög‐ licht, gleichzeitig aber ihre Lebensgrundlagen bedroht …“ (ebd.: 29). Im Angesicht des Klimawandels, sich global ausbreitender Krankheiten oder der exponentiell wachsenden Ungleichverteilung von Reichtum kann man dem nur zustimmen. Der Entwicklungsbedarf ist eindeutig, die Zukunft offen: „Entwicklungserfahrungen sind verschärfte Erfahrungen von Kontingenz und von Freiheit, von Beschränkungen und von neuen Möglichkeiten, deren Sinn erst erkundet werden muß.“ (ebd.: 25) Weil es für die erwachsene Generation damit eben nicht mehr möglich sei zu entscheiden, welches Wissen und welche Umgehensweisen sich als zukunftsfähig erweisen, könne auch 167 Fremdsprachendidaktik pädagogisch denken Bildung nicht länger inhaltlich, d. h. vom Was her bestimmt werden. Vielmehr gehe es darum, sie vom Wie her zu bestimmen und damit „die Interaktionsweisen zu klären, die gerade die krisenhaften Übergänge ermöglichen.“ (ebd.: 25; Hervorhebung im Original) Peukert argumentiert folglich auch diskursethisch und formuliert mit Habermas sehr analog zu Dewey - und interessanterweise nun auch unter Verwendung des Adjektivs „kritisch“: Die grundlegende Aufgabe einer Erziehungstheorie wie einer Demokratietheorie ist es, einen kritischen Begriff von Kommunikation zu entwickeln, der imstande ist, die Struktur transformato‐ rischer Lernprozesse und kollektiver, nichtideologischer Entscheidungsprozesse aufzuhellen und kritisch anzuleiten. (ebd.: 28) Diese grundlegende Aufgabe schließlich erfordere es, dass die mit Bildung befassten Institutionen einer Gesellschaft reflexiv agieren. Dabei müssen die Mechanismen solcher Institutionen selbst immer wieder lernend überprüft werden. Es geht also auch um die gesellschaftliche Verankerung von Prozessen des Lernens über kollektives Lernen, von Lernprozessen zweiter Ordnung. (ebd.: 28; Hervorhebung im Original) Helmut Peukert spricht als Bildungstheoretiker. Sein Metier wird im Englischen als „phi‐ losophy of education“ bezeichnet, und als Philosoph wird von ihm nicht erwartet, konkrete Aussagen über Schulsysteme zu machen. Inwiefern finden sich die bis hierher angestellten Überlegungen in der Schultheorie? Helmut Fend drückt in der Zusammenfassung der grundlegenden Überlegungen seiner Neuen Theorie der Schule die doppelte Funktion der Schule wie folgt aus: Resümierend ergibt sich, dass aus gesamtgesellschaftlicher Sicht das Bildungswesen vor allem die Funktion der Reproduktion und Innovation von Strukturen von Gesellschaft und Kultur beim biologischen Austausch der Mitglieder einer Gesellschaft erfüllt. Jede neue Generation wird über das Bildungswesen an den Stand der Fähigkeiten, des Wissens und der Werte herangeführt, der für das Fortbestehen der Gesellschaft erforderlich ist. In sich rasch wandelnden Gesellschaften wird das Bildungswesen gleichzeitig zu einem Instrument des sozialen Wandels, wenn es darauf ausgerichtet wird, neue Qualifikationen zu vermitteln, um zukünftige Aufgaben bewältigen zu können. (Fend 2006: 49) Zwar spricht Helmut Fend hier sowohl von Reproduktion als auch von Innovation. Da er aber im letzten Satz von der Vermittlung neuer Qualifikationen spricht, klingt hier deutlich eine Vorstellung von Transmission durch. Schule ist zwar ein Ort, der innovativ im Sinne der Gestaltung gesellschaftlichen Wandels wirken muss. Sie wird aber nicht als derjenige Ort gedacht, an dem intergenerationell darüber verhandelt wird, welches Wissen zur Gestaltung des Wandels in der Zukunft (vielleicht) benötigt wird. Diese Funktion habe die Universität, in der das Bildungssystem und das Wissenschaftssystem zusammenkämen: „Auf der obersten Stufe des Bildungswesens, in Universitäten, wird gleichzeitig Wissen vermittelt und geschaffen.“ (ebd.: 49) Ex negativo macht er damit klar, dass Schule ein Ort zu sein habe, an dem wissenschaftliches Wissen durch „Resubjektivierung“ (ebd.: 48) verfügbar gemacht werde, nicht aber intergenerationell neues Wissen hervorgebracht werde. In dieser Differenz zwischen Peukert und Fend zeichnet sich somit ab, was in Peukerts Sinne unter kritischer Bildung zu verstehen ist. 168 Andreas Bonnet & Uwe Hericks Einer der kritischsten, streitbarsten und gleichzeitig demokratischsten und moralisch integersten Menschen, sowie zentraler Funktionsträger Nachkriegsdeutschlands, der 1968 verstorbene hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, kommt hier zu einer sehr eindeu‐ tigen Antwort. Sein Handeln als Jurist war durchdrungen von der Frage, wie es zur moralischen Katastrophe des Dritten Reiches kommen konnte und wie Totalitarismus zukünftig verhindert werden kann. In diesem Sinne hat er den 1963 in Frankfurt begin‐ nenden Auschwitz-Prozess pädagogisch gedacht: „Fritz Bauer verstand die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen als pädagogische Maßnahme und den Gerichtsprozess selbst als gesellschaftliches Lehrstück.“ ( Johst 2016: 3) Als Jurist hat er stets argumentiert, dass Gesetze, die - wie z. B. die Rassengesetze des NS-Staats - gegen grundlegende Prinzipien der Menschlichkeit verstoßen, unrecht sind und nicht befolgt werden müssen. Darüber hinaus hat er immer wieder die Frage gestellt, wie eine Erziehung beschaffen sein müsse, aus der Menschen hervorgehen, die derartiges Unrecht benennen und sich dagegen auflehnen. In dieser Frage war er der unerschütterlichen Überzeugung, dass nur wer in eine Haltung der Kritik, der Opposition und des Widerspruchs einsozialisiert worden sei, in der Lage wäre, sich mit Zivilcourage gegen Unrecht zu stellen und notwendigen Widerstand gegen die Staatsgewalt zu üben: Die Prozesse müssen nicht zuletzt auch eine Schulstunde für uns alle sein. […] Wenn mit den antinazistischen Prozessen eine Epoche ein für alle mal abgeschlossen sein soll, muss die Tugend des Ungehorsams gegen das staatsverordnete Böse aus ihnen deutlich werden und in Fleisch und Blut aller künftigen Generationen übergehen. (Bauer 1964) Die damit angesprochene Einsozialisierung in eine kritische Haltung sah Fritz Bauer eindeutig als eine Aufgabe von Schule und Familie. Deren Interaktionsstruktur sei so zu gestalten, dass Widerständigkeit nicht als Insubordination bestraft, sondern zu ihr als erster Bürgerpflicht geradezu ermutigt werde. Was aber bedeutet dies für den Unterricht und damit die schulische Mikroebene? Auch wenn Helmut Peukert nicht schul- und schon gar nicht unterrichtstheoretisch argumentiert, so hat seine Diskursethik sehr wohl praktische Implikationen für die Inter‐ aktion auf der Mikroebene, und liefert damit eine Antwort auf die gestellte Frage. Zentrales Kriterium einer zukunftsfähigen pädagogischen Interaktion ist seines Erachtens eine Form, „in der die Andersheit des Anderen anerkannt ist, in der gleichzeitig der universalistische Anspruch auf Gleichheit aber nicht aufgegeben wird“ (Peukert 1998: 27). Die Herausforde‐ rung dieser Anerkennung verschärft sich in der intergenerationellen Kommunikation, weil erwachsene und nachwachsende Generationen eben keine identischen Lebensvorstellun‐ gen besitzen. Dies auszuhalten und das Spannungsverhältnis zwischen den berechtigten Bedürfnissen der Generationen sowie zwischen Individuen und Gruppen auszutarieren, bedürfe einer Haltung der elementaren Solidarität, die die Erwachsenengeneration den nachwachsenden Generationen entgegenbringen sollte. Elementare Solidarität in diesem von Peukert beschriebenen weitgespannten Sinne bedarf innerhalb der Schule einer bestimmten handhabbaren Realisierungsform (vgl. Hericks 2007, 2008), um praktisch werden zu können. Der strukturelle Ort hierfür ist eine pädagogische Kommunikation über die Sache, sprich: ein Fachunterricht, der sich der Mitbeteiligung und Partizipation der Lernenden öffnet. Aus den inneren Merkmalen dieses 169 Fremdsprachendidaktik pädagogisch denken 2 Die Unterscheidung zwischen formaler und materialer Solidarität nimmt gedanklich die alte Unter‐ scheidung zwischen einer formalen und materialen Chancengleichheit von Herwig Blankertz auf (vgl. Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen 1972: 21). Ortes folgt, dass praktische (intergenerationelle) Solidarität in der Schule stets eine formale und materiale Seite aufweist. Formale Solidarität eröffnet den Schüler*innen Möglichkeiten und Freiräume, über Methoden und Sozialformen, zeitliche Strukturen und Prüfungsformen des Unterrichts altersangemessen, aber ernsthaft mitentscheiden zu können. Der Begriff des Formalen sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier gedanklich bereits recht weitgehende Formen der Partizipation in den Blick kommen. Erst materiale Solidarität aber würde die Schüler*innenorientierung verbindlich und unumkehrbar in Richtung einer elementaren Solidarität ausgestalten. 2 Materiale Solidarität würde den Schüler*innen über die genannten formalen (gleichwohl weitreichenden) Mitbestimmungsmöglichkeiten hinaus Freiräume eröffnen, ihre eigenen (in aller Regel alltagssprachlich ausgeformten) Bedeutungszuschrei‐ bungen, Sinngebungen und Fragen zur Sache gleichberechtigt in das Unterrichtsgespräch einzubringen. Eine solche materiale Solidarität würde nicht dazu führen, die fachlichen Gegenstände des Unterrichts quasi ins Beliebige aufzulösen; vielmehr würden diese über‐ haupt erst in ihrem Eigenrecht, d. h. in der Eigentümlichkeit ihres Weltzugangs, als etwas Fremdes mit eigenem Anspruch erfahrbar. Umgekehrt fänden die Schüler*innen mit ihren eigenen Zugängen zur Wirklichkeit Anerkennung als Protagonisten des Neuen (vgl. Bonnet/ Hericks 2020). Die Pointe für den Fachunterricht ist dabei, dass die solidarische Haltung vor den Unterrichtsgegenständen gerade nicht Halt macht. Die transmissive Vorstellung von Bildung unterstellt, dass die eigentliche Bedeutung der Sache vorab wissenschaftlich geklärt wurde. Schüler*innen sind darin defizitäre Nicht-Expert*innen, die belehrt werden müssen. In einer zynischen Ausdeutung gehen Lehrer*innen davon aus, dass jene diesen Status auch nie verlassen werden können. In einer konstruktiven Ausdeutung gehen sie davon aus, dass Schüler*innen Noch-Nicht-Expert*innen sind und sich durch die Auseinandersetzung mit der Sache das zugehörige - aber eben schon bekannte - Wissen aneignen können. Beides entspricht nicht dem Kern der von Peukert umrissenen elementaren Solidarität. Diese erfordert vielmehr, dass Schüler*innen und Lehrer*innen sich gegenseitig einen sinnhaften Umgang mit der Sache unterstellen, gemeinsam dafür sorgen, dass die Ge‐ genstände des Unterrichts für sie selbst relevant und für Bildungsprozesse funktional bearbeitbar sind. Die Umsetzung dieser kritischen Kommunikation erfordert abwechselnde Schritte des Vorschlagens von Inhalten und Verfahrensweisen sowie deren kritische Kommentierung. Wenn die Lehrer*innen den Anfang machen sollen, könnte das Verfahren etwa in folgenden Schritten verlaufen: a) Im Sinne der reproduktiven Funktion wählen zunächst die Lehrer*innen die Gegen‐ stände des Unterrichts und die angemessenen Weisen des Umgangs mit ihnen nach bestem Wissen in Bezug auf Relevanz und Bildungsertrag für die Schüler*innen aus und inszenieren sie entsprechend. In dem in diesem Buch vertretenen kritischen Ansatz kann dies nach den im Grundlagenaufsatz genannten Kriterien erfolgen. 170 Andreas Bonnet & Uwe Hericks b) Die Schüler*innen akzeptieren diese Einladung zu einer ernsthaften Auseinanderset‐ zung mit dem vorgeschlagenen Angebot und entwickeln die aus ihrer Lebenswelt sich plausibel ergebenden Anschlüsse und Sinnkonstruktionen, z. B. in Form von Anschlusskommunikation an literarische Texte. c) Die Lehrer*innen wiederum nehmen die von den Schüler*innen als fachlichen Laien erzeugten eigensinnigen Anschlüsse in Form individueller Sinnkonstruktionen ernst und unternehmen den Versuch, diese Sinnkonstruktionen in ihrer Eigenlogik zu verstehen und zu den von ihnen selbst vertretenen fachlichen Wissensbeständen in ein Verhältnis zu setzen. Dieses Verhältnis machen sie sodann den Schüler*innen gegenüber in altersangemessener Weise transparent. d) Im vierten Schritt wären nun wiederum die Schüler*innen am Zug, sich zu der angebotenen Verhältnissetzung selbst noch einmal zu verhalten - in interessierten Rückfragen, Irritationen, Widerspruch, Zurückweisung, Zustimmung. Ästhetische und kulturelle Gegenstände, für die Unbestimmtheit, Sinnüberschuss und Mehrdeutigkeit konstitutiv sind, erscheinen für einen derartigen (Fremdsprachen-)Unter‐ richt besonders geeignet. Die solchen Gegenständen zugeordneten Bildungsziele erfüllen diese Aspekte ebenfalls. Sowohl im ästhetischen als auch im kulturellen Bereich ist mit dem Konzept der Ambiguitätstoleranz der produktive Umgang mit Ungewissheit explizites Unterrichtsziel. Dies muss aber auch in Bezug auf die Sprache Englisch als Medium und Gegenstand des Unterrichts gelten. Materiale Solidarität in Bezug auf die Sprache bedeutet beispielsweise, dass 1. die Lerner*innensprache auf der jeweiligen Entwicklungsstufe als funktionale inter‐ language (vgl. z. B. Keßler/ Plesser 2008) mit höchster Fehlertoleranz akzeptiert und die Kommunikationsversuche der Lernenden anerkannt werden; 2. die sprachliche Form - insbesondere Grammatik - funktional betrachtet und nicht durch eine überzogene Korrektheitsorientierung künstlich standardisiert wird. Andernfalls entstünde nämlich das verzerrte Bild eines statischen und eindeutigen Sprachsystems, dessen korpuslinguistisch beschreibbare Dynamik und Vielgestal‐ tigkeit (vgl. z. B. Schlüter 2002, Herbst 2013) negiert wird. 3. den Herkunftssprachen und hybriden Identitäten der Lernenden durch Methoden wie translanguaging, linguistic landscaping oder digital storytelling Raum gegeben wird. 3. Das Problem: Schließung allenthalben Während eine solche praktische Solidarität zu einer prinzipiellen Offenheit des Unterrichts in Bezug auf die darin erzeugten Sinnkonstruktionen führen würde - etwa in Bezug auf die Füllung der semantischen Leerstellen literarischer Texte - sieht die Realität anders aus. Nicht nur im Fach Englisch scheint Unterricht genau das Gegenteil zu tun. Fachunterricht neigt zur Subsumtion, zur Schließung, d. h. zur Konstruktion von Gewissheit: In verschie‐ dener Weise werden Sinnüberschuss generierende Anschlüsse der Schülerinnen und Schüler interaktional abgeblockt oder in Richtung scheinbar eindeutiger fachdisziplinärer Sinnkonstruktionen umgedeutet (vgl. Breidenstein 2006, 2013; Paseka/ Schrittesser 2018; 171 Fremdsprachendidaktik pädagogisch denken Proske 2006). Durch die aus Schließungen und einer Überdidaktisierung resultierende Trivialisierung verschwinden dabei nicht nur die Sinnkonstruktionen der Schülerinnen und Schüler, es verschwindet auch die Sache selbst, wie etwa Gruschka (z. B. 2013) empirisch zeigt. Seine Studien belegen eine spätestens in der Sekundarstufe zwischen Lernenden sowie Lehrenden etablierte normalisierte Praxis, in der Irritation und Sinnüberschuss von beiden Seiten zugunsten arbeitsökonomischer Reibungslosigkeit vermieden werden. In dieser Praxis werden Schließungen von Lehrpersonen und Lernenden gleichermaßen vor‐ genommen. Dies geschieht sowohl jeweils wechselseitig als auch ko-konstruktiv. Natürlich sind wir nicht naiv und halten jedwede Schließungen für dysfunktional. Insbesondere die systemtheoretische Unterrichtsforschung (z. B. Meseth et al. 2011) hat nachhaltig darauf hingewiesen, dass jedes unterrichtliche Handeln notwendigerweise auf einer Schließung als Auswahl aus Interaktionsalternativen beruht. Auch die oben angedeutete idealtypische Schrittfolge einer gemeinsamen sinnkonstruierenden Verhandlung über die Sache bedarf irgendwann einer Schließung, wenn sie nicht in einen infiniten Regress einmünden soll. An dieser Stelle aber geht es uns darum, dass Lehrer*innen und Schüler*innen nicht nur interaktionale, sondern auch vorschnelle inhaltliche Schließungen vornehmen. So wird verhindert, dass eine vorzunehmende Schließung kollektiv verhandelt bzw. die Interaktion solange offen gehalten wird, wie im geteilten Verständnis der Sache noch gravierende Un‐ stimmigkeiten bestehen. Auch dies ist ein Teil der oben diskutierten materialen Solidarität, insofern die Frage, wie weit die Herstellung eines gemeinsam geteilten Verständnisses der Sache im Unterricht getrieben werden sollte, eben auch kollektiv, d. h. von Lehrenden und Lernenden gemeinsam zu klären wäre. Wenn nämlich die Lernenden - z. B. bei der Vorbereitung auf unumgängliche Prüfungen wie ESA, MSA oder Abitur - ganz bewusst um Schließungen bitten, die ihnen für die Prüfungen hilfreich erscheinen, so wäre es lehrer*innenseitig unsolidarisch, sich dem zu verweigern. Der Fremdsprachenunterricht bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme. In unserer Studie zu kooperativem Lernen im Englischunterricht (vgl. Bonnet/ Hericks 2020), in der wir Englischunterricht in den Klassen 5, 6 und 7 über drei Jahre mittels Videographien und Lehrer*inneninterviews begleitet haben, überwogen Schließungen bei weitem. Zentraler Gegenstand des beobachteten Unterrichts war die englische Sprache selbst, die v. a. unter dem Aspekt ihrer phonetischen, lexikalischen oder grammatischen Form thematisiert wurde. An zweiter Stelle folgte das Training von Teilfertigkeiten (skill-Orientierung) und mit Abstand an letzter Stelle stand die Umsetzung kommunikativer Absichten, also eine inhaltsbezogene Mitteilungsorientierung. Für deren Scheitern fanden sich in den Daten drei Muster: Erstens wurde lehrer*innenseitig immer wieder ein vorgeblicher Lebensweltbezug inszeniert, der sich aufgrund fehlender Ernsthaftigkeit nicht etablieren konnte. Wir nen‐ nen dieses Muster Mitteilungsorientierung als völlige Leerformel. Die Mitteilungsbzw. Inhaltsorientierung wird von den Lehrenden für eine folgende Phase des Unterrichts explizit angekündigt. Es erweist sich aber sehr schnell, dass die folgende Phase nicht an den Inhalten, sondern an reiner Form oder am Training einer Teilfertigkeit orientiert ist, so dass sich die angekündigte Mitteilungsorientierung gar nicht realisiert. Das zweite Muster ist Mitteilungsorientierung als wirkungslose Bemäntelung von Formorientierung. In dieser Spielart wird lehrer*innenseitig eine im Lehrbuch präsentierte Geschichte mit Bezug 172 Andreas Bonnet & Uwe Hericks auf ihren Inhalt thematisiert. In allen derartigen Situationen weisen die Schüler*innen diese mitteilungsorientierte Rahmung der Unterrichtsphase aber zurück, weil sie schon wissen, dass dieser Inhaltsbezug nicht ernst gemeint ist, sondern nur als Rahmung der folgenden Grammatikarbeit dient. Schließlich tritt ein drittes Muster der Verhinderung von Mitteilungsorientierung auf, die wir als Zurückweisung mitteilungsorientierter Anfragen der Schüler*innen bezeichnen. In derartigen Situationen greifen die Schüler*innen für sie inhaltlich interessante Aspekte auf und richten mitteilungsorientierte Nachfragen an Mitschüler*innen oder die Lehrenden, doch werden diese Nachfragen zurückgewiesen oder offen vertagt, was jedes Mal de facto einer Zurückweisung entspricht. Lehrer*innenseitige Schließungen finden sich aber auch im Bilingualen Unterricht. In einer Studie zu Diskursfunktionen im englischsprachigen Fachunterricht konstatiert Christiane Dalton-Puffer (2007) ein Verbleiben des Unterrichts auf dem reproduktiven und damit am leichtesten schließbaren Niveau, wodurch höherwertige Lerngelegenheiten nicht realisiert werden können. Auch im Literaturunterricht (vgl. Bracker 2015) und Bilin‐ gualen Politikunterricht (vgl. Schneider 2018) bilden eigenständige schüler*innenseitige Sinnkonstruktionen die Ausnahme. In beiden Studien wurde den Schüler*innen über offene Aufgabenformate die Möglichkeit eröffnet, biographisch relevante Anschlüsse herzustel‐ len, z. B. die eigene Migrationsgeschichte einzubringen. Mal sind es die Schüler*innen selbst, die „das offen angelegte Aushandlungssetting als schulisches Aufgabenszenario rahmen“ und damit eine „Erstarrung des Interaktionsflusses“ herbeiführen (Bracker 2015: 240). Mal ist es die Lehrperson, deren Hinzutreten zur Gruppenarbeit die biographisch relevante und individuelle Auseinandersetzung beendet und zur aufgabenbezogenen Präsentation eines Scheinkonsens in Gruppenarbeiten führt (vgl. Schneider 2018: 289-299). Die negativen Wirkungen dieser Schließungen potenziell offener und gerade in ihrer Offenheit bildender Unterrichtsgegenstände zeigt sich unter anderem im Bereich der Lesesozialisation. Almut Küppers (1999) rekonstruiert die Wirkung stark schließender Unterrichtsverfahren, welche literarische Texte durch „Leseunarten“ (ebd.: 366) wie das Fehlerlesen auf ihre bloße Form reduzieren: „Auf einer motivationalen Ebene und für die Ausbildung stabiler Lesegewohn‐ heiten scheint diese Vorgehensweise […] fatal.“ (ebd.: 366) 4. Die Ursache: Durchprozessierungslogik durch konkurrenzorientiertes Leistungsprinzip Dies entspricht ganz und gar nicht den Vorstellungen einer pädagogisch orientierten oder kommunikativen oder auch Kritischen Fremdsprachendidaktik, die den Englischunterricht aus der Perspektive der Lerner*innen betrachtet. Um die Frage zu beantworten, wie man diese Situation ändern könnte, ist es erforderlich, den Ursachen auf den Grund zu gehen und somit noch kritischer im analytischen Sinne zu werden. Am Ende ihrer Studie zum Literaturunterricht in der Oberstufe vermutet Almut Küppers: Nicht über die didaktischen Theorien scheint das laute Lesen im Unterricht maßgeblich gesteuert zu werden. Handlungsleitende Instanz scheint bei den Lehrenden in viel stärkerem Maße, als ihnen dies z.T. bewußt ist, eine verinnerlichte schulische Norm zu sein, die über die Prüfungsan‐ forderungen im Abitur legitimiert ist. (ebd. 365) 173 Fremdsprachendidaktik pädagogisch denken Unsere Studie zu kooperativem Englischunterricht in der Mittelstufe (vgl. Bonnet/ Hericks 2020) bestätigt diese Vermutung mit Nachdruck. Für den Unterricht wurde von uns als primäre Unterrichtstruktur eine formorientierte Durchprozessierung der Schüler*innen durch das Lehrbuch rekonstruiert. Sowohl die Unterrichtsvideographien als auch die Lehrer*in‐ neninterviews verweisen darauf, dass diese Struktur weder inhaltlichen Erwägungen der Lehrer*innen folgt noch einer fachsystematischen Logik der Linguistik oder Literaturwis‐ senschaft entspricht. Der kleinschrittig formorientierte Unterrichtsverlauf ist vielmehr am verlässlichsten geeignet, verobjektivierbare Prüfungsinhalte zu generieren. Der primäre Orientierungsrahmen des Unterrichts ist also weder lern- oder bildungsbezogen, noch ist er fachbezogen. Vielmehr folgt der Unterricht primär einer leistungsbezogenen Strukturlogik. Derartiger Unterricht ist nicht nur in fachlicher Hinsicht, sondern auch in Bezug auf das übergeordnete Ziel der Demokratiebildung oder, in den Worten der strukturfunktiona‐ listischen Schultheorie, der „Integrationsfunktion“ (Fend 2008: 59) von Schule, reichlich problematisch. So spricht Freerk Huisken (2016) in seiner Kritik an Erziehungswissenschaft und Schulsystem im Kapitalismus von einer doppelt abträglichen Wirkung. Wenn nämlich konkurrenzorientierte Leistungserbringung und -bewertung zum primären Ziel von Schule wird, dann werde schüler*innenseitig die „interessierte Gleichgültigkeit“ (ebd.: 217) die Voraussetzung für hohe Leistung; dies verfehle nicht nur die fachlichen Gegenstände, sondern erzeuge auch „geistigen Opportunismus“ (ebd.: 219). Dies betrifft keineswegs nur den Englischunterricht. Johannes Meyer-Hamme (2009) dokumentiert etwa für den Geschichtsunterricht der gymnasialen Oberstufe eine Situation, in der der Schüler Dzenan der fachlichen Position seiner Lehrerin zustimmt, obwohl er von dieser keineswegs über‐ zeugt ist. Zum Ausdruck kommen darin, wie Meyer-Hamme genauer ausführt, „Dzenans Autonomie seiner historischen Orientierung und das Spannungsverhältnis zwischen einer Lehrenden im Kontext der Institution Schule und den eigenen, individuellen Deutungen der Jugendlichen“ (2009: 167 f.). Und weiter: „Dzenan zeigt sich der Machtstrukturen im Unterricht bewusst, wenn er darauf hinweist, ‚das Problem war, dass ich aufgehört habe, zu denken‘. Deshalb habe er nicht widersprochen, obwohl er auch nach dem Ende des Unterrichts bei seiner Deutung bleibt“ (ebd.: 167; Hervorhebung im Original). Genau damit aber leistet die Schule keinen konstruktiven Beitrag zum Fortbestand einer demokratischen Gesellschaft, denn weder wird die Sache so geklärt, noch werden die Menschen zur Abwehr totalitärer Tendenzen gestärkt. 5. Wie wird die Situation aufrechterhalten? Man könnte nun leicht die Verantwortung für die Aufrechterhaltung dieses Zustands einseitig den Lehrer*innen zuschreiben, denn sie sind es, die die Unterrichtsdurchführung formal zu verantworten haben. Sie agieren aber nicht als Solisten, sondern sind in organi‐ sationale und institutionelle Strukturen eingebunden. Die Wirksamkeit dieser Strukturen ist einerseits äußerlich. Dies ist in den USA zu beobachten, in denen der Unterricht spätestens seit der Einführung des rigiden Sanktionierungssystems des No-child-left-be‐ hind-Programms intensiv durch high-stakes-testing und accountability beeinflusst wird. Indem dabei die Ausstattung von Schulen und die Arbeitsplatzsicherheit von Lehrer*innen per Bestrafungssystem an die Leistungen ihrer Schüler*innen geknüpft wird, hat sich 174 Andreas Bonnet & Uwe Hericks ein flächendeckendes teaching to the test etabliert. Dagegen regt sich auch in den USA intensiver Widerstand, den wir hier nicht umfassend wiedergeben können (vgl. aber Byrne-Bausell/ Glazier 2018). Die Wirkung dieses Sanktionsregimes aber ist eindeutig. Im Bereich des Content and Language Integrated Learning (CLIL) als Innovationsbereich des Fremdsprachenunterrichts ist zu beobachten, wie die Testorientierung Unterrichtsinhalte trivialisiert, an den Ab‐ schlusstests ausrichtet und zu einer starken Lehrpersonenzentrierung führt. Dies ist umso bemerkenswerter, als Lehrer*innen, die in diesem Bereich tätig sind, damit zunächst einmal eine starke Orientierung an Innovation und Weiterentwicklung zeigen. Sie scheinen sich daher die äußeren Normen nicht einfach zu eigen zu machen, sondern ringen mit den von ihnen wahrgenommenen Spannungen zwischen „formal and informal policy pressures“ einerseits und „authentic pedagogies“ andererseits (Palmer/ Snodgrass Rangel 2011: 616-617). Dementsprechend ist auch der lehrer*innenseitige Verbleib in CLIL beson‐ ders hoch, wenn Lehrer*innen ein Mindestmaß an Autonomie und ownership erfahren (vgl. Massler 2012) und wenn curricular pressures und accountability suspendiert werden (vgl. Hunt 2011; Hüttner et al. 2013). Eine Langzeitstudie mit Berufseinsteiger*innen in North Carolina (USA) (vgl. Byrne-Bausell/ Glazier 2018) rekonstruiert eindrucksvoll, was geschieht, wenn diese Freiheit nicht besteht. Dann nämlich machen sich selbst Lehrer*innen, die high-stakes-testing und accountability zu Beginn ihrer Berufstätigkeit dezidiert kritisch gegenüberstanden, die Leistungsorientierung graduell zu eigen. Sprachen sie zu Beginn noch von individuellen Schüler*innen, so setzt sich über die Jahre eine Reduktion der Schüler*innen auf Kompetenzlevel und Schwellenwerte durch. Dass sich in den Gruppendiskussionen zahlreiche Sequenzen finden, in denen die Lehrer*innen diese Reduktion gegenseitig aktiv einfordern - die Autor*innen sprechen hier von „policing“ - deutet darauf hin, dass es sich um einen kollektiven Sozialisationsprozess handelt. Zu Beginn der Berufstätigkeit liegen diese gegensätzlichen Orientierungen mindestens teilweise offen. Sie manifestieren sich auch in Praktikumssituationen während des Lehr‐ amtsstudiums, in denen in einem bestimmten Typ der Mentor-Mentee-Konstellation durch Studierende vertretene Normen der Schüler*innenorientierung von Englischunterricht mit der Durchprozessierungslogik der Praxis kollidieren (vgl. Rosemann/ Bonnet 2018). Mit fortdauernder Berufstätigkeit ist das Primat der Leistungsorientierung dann aber soweit internalisiert, dass die Struktur als habitualisierte Norm von innen wirkt. Die nach wie vor bestehenden Spannungen zwischen konkurrenzorientierter Leistungsorientierung und individualisierender bzw. kooperativer Schüler*innenorientierung werden dann nicht mehr diskursiv ausgetragen. Die Lehrer*innen verspüren und bearbeiten sie vielmehr als innere Widersprüche mit sehr unterschiedlichen Anteilen, so wie es eine Lehrerin in unserer Studie mit der vielschichtigen Metapher der „Messbarkeitsphobie“ als impliziter Reflexion prägnant zum Ausdruck bringt (vgl. Bonnet/ Hericks 2019, 2020). Noch bestehen äußerlich wichtige Unterschiede zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Bildungssystem. So ist die Testorientierung in Deutschland noch lange nicht in derselben hohen Intensität ausgeprägt wie in den USA. Außerdem lässt der eine relativ hohe Autonomie verbürgende Beamtenstatus deutschen Lehrer*innen im Vergleich zu amerikanischen Kolleg*innen noch erhebliche Freiheiten. Die innere Wirksamkeit der Leistungsorientierung und die zunehmende Standardisierung und Kompetenzorientierung mit einem dadurch schon jetzt 175 Fremdsprachendidaktik pädagogisch denken spürbaren normative backwash lassen aber auch Deutschland auf einem ähnlichen Weg wie die USA erscheinen und weisen in eine für Lerner*innenorientierung ungünstige Richtung (vgl. Bonnet et al. 2020). 6. Wie könnte die Situation verändert werden? Der Grundlagenaufsatz zu diesem Band ist ausgesprochen sympathisch in seinem Bekennt‐ nis, es nicht dabei belassen zu wollen, dass eine Kritische - und wie wir es deuten: erziehungswissenschaftliche und damit pädagogische - Fremdsprachendidaktik gegen die Routinen der Praxis keine Chance habe. Mit unserem analytischen Blick ins Glas der Routine wollten wir auch keinesfalls Trübsal verbreiten. Vielmehr ermöglicht dies, genauer zu sagen, was erforderlich wäre, um einen Fremdsprachenunterricht zu ermöglichen, in dem intergenerationelle Kommunikation eine Chance hat. Wir können dies an dieser Stelle allerdings nur andeuten. Zunächst muss dazu die Bildungspolitik klären, ob sie das Problem überhaupt als Problem wahrnimmt und es lösen will. Wenn die aktuellen Bestrebungen in Richtung zunehmen‐ der Standardisierung fortgeführt werden, wird ein von den Lernenden her gedachter Fremdsprachenunterricht zunehmend unmöglich. Selbst wenn diese Bestrebungen nicht fortgesetzt werden, ist seitens der Lehrpersonen ein Unterricht, in dem Schüler*innen als fachliche Laien anerkannt werden sollen, immer damit verbunden, sich mit der Organisation und Institution Schule auseinanderzusetzen. Lehrer*innen begeben sich dann in die „Kampfzonen mit den Organisationsvorgaben, in denen die Organisation nicht mehr als routinisierte Entlastung, sondern als routinisierte Erstarrung erfahren wird“ (Helsper 1996: 535). Dies erfordert eine Berufsauffassung, die in Bezug auf den eigenen Beamtenstatus nicht dessen Charakter als Administrator staatlicher Vorgaben betont, sondern die durch ihn gewährte Arbeitsplatzsicherheit als Garant des eigenen professionellen Ermessensspielraums in den Vordergrund rückt und diesen Spielraum im Sinne der Kinder und Jugendlichen nutzt. Schüler*innen als fachliche Laien anzuerkennen bedeutet, die Eigensinnigkeit der Schü‐ ler*innen in den verschiedenen Inhaltsbereichen des Fremdsprachenunterrichts, also im sprachlichen, kulturellen und ästhetischen Bereich zuzulassen (vgl. Abschnitt 2). Die dazu notwendige Distanz zu kanonisierten Vorgaben können Lehrer*innen aber nur erlangen, wenn sie sich in Bezug auf die fachlichen Inhalte und die damit erreichbaren Bildungsziele im Studium und nachfolgend eine fundierte eigene Position und damit Souveränität gegenüber Kolleg*innen, Eltern, Wissenschaft und Schuladministration erarbeiten. Diese Souveränität ist umso notwendiger im Umgang mit einer ganz besonderen Art schüler*innenseitiger Anschlüsse; Anschlüsse nämlich, die den schulischen Rahmen als solchen ablehnen und gestellte Aufgaben durch offene Infragestellung, Ironisierung oder Subversion zurückweisen (für Beispiele vgl. z. B. Bonnet 2004, Bracker 2015). Derartiger Boykott wird regelhaft als Unterrichtsstörung betrachtet und lehrer*innenseitig routine‐ mäßig als Insubordination sanktioniert. Bevor man dies als Lehrer*in aber tut, sollte man - bei aller Schwierigkeit, hierzu im Alltag die notwendige Distanz aufzubringen - prüfen, ob in der konkreten Situation nicht ebenfalls ein dem Prinzip der Solidarität folgender Weg möglich wäre. Die Widerständigkeit der Schüler*innen könnte nämlich auch 176 Andreas Bonnet & Uwe Hericks als deren Entscheidung akzeptiert oder als Einladung zur Reflexion auf den schulischen Rahmen angenommen werden. Erfolgt das in der Zielsprache wie z. B. Englisch, ist ein relevanter und authentischer Gesprächsanlass mit offenem Ausgang garantiert. Dies hat eine motivationspsychologische Pointe. Durch die ernst genommene Entscheidung und gemeinsam durchgeführte Kritik des schulischen Rahmens wird nämlich das Hierarchie‐ gefälle zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen erheblich reduziert. Dadurch entsteht ernsthafte Teilhabe der Schüler*innen, aus der sich „ownership“ und nachfolgend „motiva‐ tion“ ( Johnson/ Johnson 2003: 138) ergeben. Autonomie als Fähigkeit zur Teilhabe an einem demokratischen Gemeinwesen kommt dann gerade dadurch zustande, dass Schüler*innen die Beteiligung an einem Unterricht, den sie nicht als bedeutsam erleben, temporär aufkündigen (und diese Aufkündigung nachfolgend thematisiert wird). Sich als Lehrer*in dadurch mit der potenziellen Verzichtbarkeit des den Schüler*innen offerierten Lernange‐ bots für deren Bildung konfrontieren zu lassen, ist im institutionellen Rahmen schulischen Gleichschritts organisational hinderlich und persönlich möglicherweise verstörend. Es ist aber insofern ausgesprochen pädagogisch, als es das fundamentale Prinzip und finale Gelingenskriterium der Erziehung ist, sich selbst überflüssig zu machen. Herwig Blankertz (1982) spricht pointiert davon, dass der „Maßstab für Mündigkeit“ nicht willkürlich gesetzt, sondern in der „Eigenstruktur der Erziehung“ enthalten sei: Denn auch dann, wenn die Erwachsenen nur die Bewahrung des Vorgegebenen wünschen, nur Gehorsam, Einübung, Nachahmung und Nachfolge verlangen, liegt das Ziel in der Freigabe der Erzogenen. Denn der Nachwuchs muss das Tradierte schließlich selbständig, in eigener Verantwortung und unter Berücksichtigung im einzelnen nicht vorhersehbarer Situationen ver‐ walten, interpretieren und verteidigen. […] Wer pädagogische Verantwortung übernimmt, steht im Kontext der jeweils gegebenen historischen Bedingungen unter dem Anspruch des unbedingten Zweckes menschlicher Mündigkeit - ob er das will, weiß, glaubt oder nicht, ist sekundär. (Blankertz 1982: 206 f.) Was ist dazu notwendig? In Bezug auf die Bildung von Fremdsprachenlehrer*innen erinnert Howard Altman schon 1983: „Teacher trainers must not forget the age-old pedagogical dictum that ‘teachers teach as they were taught, not as they were taught to teach’.“ (Altman 1983: 24) Er meinte damit nicht, dass Lehrer*innen einfach ihren Schüler*innen‐ habitus reproduzieren, geschweige denn reproduzieren sollen. Vielmehr wollte er darauf aufmerksam machen, dass die praktischen Bildungserlebnisse, also das „Wie“ des Studierens angehender Lehrer*innen an ihren Universitäten, großen Einfluss auf ihre zukünftige Lehrtätigkeit haben. Die ökonomisierte Verschulung der Post-Bologna-Universität schafft für Eigensinnigkeit einen denkbar schlechten Rahmen. Im Sinne unserer Überlegungen fordert Altmans Erinnerung aber dazu auf, dass Lehrerbildner*innen ihre Studierenden und Referendar*innen eben auch als fachliche Laien ernst nehmen, d. h. sie gerade nicht beleh‐ ren, sondern ihnen in einer Haltung praktischer Solidarität begegnen. Dies verlangt nach einer reflexiven, biographisch bedeutsamen und erfahrungsbasierten Lehrer*innenbildung. Dafür scheinen Fallarbeit (vgl. Hummrich et al. 2016, Pieper et al. 2014) und Erkundung des eigenen informellen Lernens durch outward bound oder außerinstitutionelle Spracher‐ werbserfahrungen im Ausland (vgl. Heinemann 2018: 208) sowie ein den universitären 177 Fremdsprachendidaktik pädagogisch denken Disziplinen und ihren Bildungspotenzialen gegenüber reflexives Studium (vgl. Hericks et al. 2019) sehr geeignet zu sein. Literaturverzeichnis Altman, Howard (1983): Training foreign language teachers for learner-centered instruction: deep structures, surface structures, and transformations. 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Hägi-Mead 2017). Wer als DaF-Lehrkraft den Blick der Lernenden auf Aspekte wie Freiheit, Demokratie, Menschen- und Minderheitenrechte oder Gerechtigkeit lenkt, riskiert demnach vielerorts weitaus mehr als nur eine missglückte Unterrichtseinheit. Im Bereich Deutsch als Fremdsprache geht eine Kritische Fremdsprachendidaktik, wie sie Gerlach in seinem einführenden Beitrag zu diesem Band umreißt, nicht selten einher mit sehr realen Gefahren für die Lernenden und ihre Familien, für die jeweiligen Institutionen und nicht zuletzt für die Lehrkräfte selbst. Und somit würde sich die Fachwissenschaft auch in einen offensichtlichen Widerspruch manövrieren, wenn sie aus einer theoretischen Perspektive heraus das Bildungspotenzial dieses ambitionierten didaktischen Konzepts betonte, es aber zugleich anderen überließe, die weitreichenden Konsequenzen seiner praktischen Umsetzung zu tragen. Ein Übermaß an Sendungsbewusstsein erscheint jedenfalls gerade bei diesem Thema fehl am Platz. Letztlich liegt es allein in der Verantwortung der Lehrerinnen und Lehrer, sehr kritisch abzuwägen, inwieweit sich eine Kritische Fremdsprachendidaktik mit ihrem Arbeitsumfeld überhaupt vereinbaren lässt. Angesichts der Vielfalt an lokalen Bedingungen, unter denen Deutsch weltweit gelernt und gelehrt wird, kann der akademische Betrieb Lehrende dabei zwar ermutigend unterstützen, sollte sich aber davor hüten, praktische Handlungsempfeh‐ lungen zu geben. Entsprechend bescheiden ist das Ziel, das sich dieser Beitrag setzt. Er wird sich auf einen konkreten lokalen Kontext konzentrieren und am Beispiel eines Deutschprogramms an einer japanischen Universität darstellen, wie die Idee einer Kritischen Fremdsprachendi‐ daktik in alltägliche Praxis übersetzt werden kann. Das im Folgenden vorgestellte Konzept zeichnet sich durch eine enge Verzahnung von herausfordernden Inhalten, anspruchsvollen Aufgaben und dialogischen Lernprozessen aus, die über alle Niveaustufen hinweg den Un‐ terricht charakterisiert. Der Beitrag beschreibt Relevanz, Kohärenz, Diskrepanz, Diversität und Dialog als die zentralen didaktischen Prinzipien des Programms und veranschaulicht exemplarisch die Gestaltung von Materialien und unterrichtlicher Interaktion. Trotz der nachvollziehbaren und auch berechtigten Bedenken, die sich aus der Perspektive von Deutsch als Fremdsprache gegen eine Kritische Fremdsprachendidaktik anführen lassen, plädiert dieser Beitrag also dafür, die Handlungsoptionen zu ergründen und auch auszu‐ testen, die sich in demokratischen Gesellschaften dem DaF-Unterricht öffnen. 2. Kontext Abgesehen von einer sehr überschaubaren Zahl an Programmen in Mittel- und Oberschulen bietet das japanische Bildungssystem Schülerinnen und Schülern keine Möglichkeiten, neben Englisch eine zweite Fremdsprache zu erlernen. Diese Aufgabe bleibt dem tertiären Bildungsbereich vorbehalten und so finden weit über 90 Prozent des Deutschunterrichts in Japan an den Universitäten statt (vgl. JGG-Komitee 2013/ 2015: 19). Wie in anderen ostasiatischen Ländern handelt es sich bei den Deutschlernenden demnach vor allem um junge Erwachsene (ca. 18-22 Jahre), die einen akademischen Abschluss anstreben. Darüber hinaus verstehen sich Länder wie Japan, Südkorea oder Taiwan als demokratisch verfasste Gemeinwesen. Man könnte aufgrund dieser günstigen Bedingungen also annehmen, dass man auch im Umfeld des Deutschunterrichts auf eine gewisse Aufgeschlossenheit gegenüber einer Didaktik stößt, die sich an Aspekten wie Emanzipation, Mitbestimmung, Gerechtigkeit und Selbstverantwortung orientiert. Ein Blick in die unterrichtliche Realität führt in dieser Hinsicht jedoch zu ernüchternden Erkenntnissen. An japanischen Universitäten wird Deutsch vor allem an Sprachenzentren oder in den speziellen Fremdsprachenprogrammen der einzelnen Fakultäten als Bestandteil des Studium Generale angeboten. In beiden Fällen unterrichten dort zumeist Lehrende, die sich eigentlich als Germanisten verstehen und nur sehr selten über eine Ausbildung für den Lehrberuf verfügen. Der Deutschunterricht wird daher tendenziell als ein Anwendungsfall für germanistische Fachexpertise betrachtet, was sich sehr deutlich in der Struktur von Curricula, Lehrwerken und Prüfungen widerspiegelt: In den unteren Niveaustufen - über die die Mehrzahl der Lernenden nicht hinauskommt - liegt der Fokus auf systematischem Sprachwissen. Es handelt sich um ein Modell von Fremdsprachenunterricht, das auf eine möglichst neutrale Vermittlung von Strukturen und Wortschatz der deutschen Sprache zielt, angereichert mit kommunikativen Versatzstücken und landeskundlichen Informatio‐ nen. Wenn Steidele (2016: 11) mit Blick auf den Deutschunterricht an Universitäten in Taiwan und Südkorea das „Kleben an Lehrbüchern mit bedeutungslosen Inhalten“ sowie die „maßlose Überbewertung der Alltagskommunikation“ beklagt, so lässt sich seine Kritik also unmittelbar auf die derzeitige Situation in Japan übertragen. Dieses sehr begrenzte Verständnis der Aufgaben universitären Deutschunterrichts führt unweigerlich dazu, dass dessen Potenzial für eine kritische Auseinandersetzung der Lernenden mit der eigenen Identität und dem gesellschaftlichen Umfeld nicht ausgeschöpft wird (vgl. Auerbach 1995: 9). Im Intensivprogramm für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokyo wurde deshalb bereits in den 1990er Jahren ein Prozess der curricula‐ ren Weiterentwicklung in Gang gesetzt (vgl. Sambe 1996). An dessen Beginn stand die Überlegung, dass universitärer Deutschunterricht sich nicht darauf beschränken dürfe, 182 Michael Schart 1 siehe: www.admissions.keio.ac.jp/ fac/ policy; www.law.keio.ac.jp/ en/ [01.08.2020]. Kenntnisse der deutschen Grammatik zu vermitteln, Fähigkeiten zur Alltagskommunika‐ tion zu fördern und oberflächliches Wissen zu Land und Leuten darzubieten. Über die letzten drei Jahrzehnte hinweg entstand aus diesem Impuls ein Deutschprogramm, in dem der Beschäftigung mit Themen, denen die Studierenden auch in den fachwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen der Fakultät begegnen und die somit ihren Interessen und ihrem intellektuellen Niveau entsprechen, ein besonderer Stellenwert zukommt. Das Intensivprogramm orientiert sich explizit an dem Bildungsauftrag, den die Juristi‐ sche Fakultät der Keio Universität Tokyo für sich formuliert. 1 So sieht der von der Institution gesetzte curriculare Rahmen vor, dass die Studierenden im unabhängigen, kreativen und kritischen Denken geschult werden. Die Zeit des Studiums soll ihnen dabei helfen, Selbst‐ wertgefühl, Verantwortungsgefühl, Kooperationsbereitschaft und Führungsqualitäten zu entwickeln. Die Fakultät betrachtet es als ein wichtiges Bildungsziel, die Studierenden zu befähigen, gesellschaftliche Prozesse aus fachlicher Perspektive analysieren und bewerten zu können. Und nicht zuletzt geht es ihr darum, jungen Menschen internationale Perspekti‐ ven und damit neue Räume für die individuelle Entfaltung zu öffnen. Das Intensivprogramm leistet einen unverkennbaren Beitrag zur Ausgestaltung dieses curricularen Rahmens, da es das besondere Potenzial beisteuert, das fremdsprachlichen Lehr- und Lernprozessen eigen ist: die Erweiterung des Selbst über die Begegnung mit bisher unbekannten Formen des Sprechens, Deutens und Erlebens. Vor diesem Hintergrund kann sich die Bestimmung des Programms nicht darin erschöp‐ fen, einen neutralen Transfer von sprachlichen Fertigkeiten und Wissen zu organisieren. Die fremde Sprache wird als ein Lerngegenstand betrachtet und bildet zugleich das Medium, in dem sich die Teilnehmenden über Inhalte von individueller und gesellschaftlicher Relevanz verständigen. Die Studierenden werden dabei in ihrer Fachkompetenz ebenso angesprochen wie in ihrer „Identitätskompetenz“ ( Jakobsone u. a. 2005). Sie setzen sich beispielsweise mit eigenen und fremden Wertvorstellungen und Lebensentwürfen ausein‐ ander und reflektieren die Konstruktion kollektiver Identitäten (Generation, Geschlecht, Nation etc.) in unterschiedlichen kulturellen Kontexten. Sie werden in den Lehrveranstal‐ tungen dazu eingeladen, gesellschaftliche Ereignisse, Prozesse und Strukturen aus verschie‐ denen und vor allem ungewohnten Perspektiven zu betrachten, sich selbstständig neue Interpretationsmöglichkeiten zu erschließen und im Austausch mit anderen alternative Denk- und Handlungsweisen oder Konfliktlösungen auszuarbeiten. In solchen Lernprozessen zeigen sich die Wesenszüge kritischen Denkens, wie sie Willingham (2007: 11) beschreibt: die Offenheit für das Neue und Ungewohnte, die Originalität der Herangehensweise an eine Problemstellung sowie die Selbstbestimmtheit der handelnden Personen. Als eine Variante Kritischer Fremdsprachendidaktik versteht sich das Konzept des Intensivprogramms darüber hinaus aber auch, weil es jenen Aspekten eine zentrale Rolle zuweist, die Gerlach in seinem einführenden Beitrag als Merkmale kri‐ tischer Pädagogik herausstellt. Wie ich weiter unten noch an Beispielen veranschaulichen werde, erhalten die Studierenden vielfältige Möglichkeiten, sich als mündige Individuen einzubringen, ihr Bewusstsein für das eigene Potenzial und die gesellschaftlichen Zustände zu weiten und sich in Partizipation und Kooperation zu üben. Es geht also letztlich darum, 183 Gestaltungsprinzipien einer Kritischen Fremdsprachendidaktik auch im Fremdsprachenunterricht Fähigkeiten weiterzuentwickeln, die die Grundlage des respektvollen Miteinanders in einer Demokratie darstellen (Brookfield 2003: 143). 3. Inhalte 3.1 Vignette Bevor ich von der Ebene der Bildungsziele zu den Gestaltungsprinzipien übergehe, möchte ich einen Einblick in das Unterrichtsgeschehen geben. Ich habe dafür ein Beispiel aus den ersten Lernmonaten gewählt, weil sich gerade anhand des „Sprachstandsnotgebietes A“ (Rösler 2013) am eindrücklichsten zeigen lässt, wie die Idee einer Kritischen Fremdspra‐ chendidaktik im Intensivprogramm konkret interpretiert wird. Während der ersten drei Monate ihres Lernprozesses im Intensivprogramm hat sich eine Lerngruppe mit der personalen Identität beschäftigt, wobei an verschiedenen Stellen der Aspekt der Geschlechtsidentität gestreift wurde. Mehrere Studierende machen daraufhin den Vorschlag, dieses Thema zu vertiefen. Als eine der beiden verantwortlichen Lehrpersonen greife ich diese Anregung gerne auf und entwickle ein entsprechendes Material. Wie bei den meisten anderen im Intensivprogramm behandelten Themen stellen dabei kommerzielle Lehrwerke keine Hilfe dar. Zum einen umgehen sie aus nachvollziehbaren Gründen alle Gegenstände, die in irgend‐ einer Form als anstößig empfunden werden könnten (s. Gerlach in diesem Band, Gray 2013). Zum anderen passt das Vorhaben, Geschlechtsidentität auf der Niveaustufe A1 zu thematisieren nicht zur weit verbreiteten Fehleinschätzung, es gäbe so etwas wie einen bestimmten Wortschatz, der für alle Anfänger besonders sinnvoll sei. Ich setze mir zum Ziel der mehrstündigen Einheit, mit den Studierenden die verschiedenen Facetten von Geschlechtsidentität (biologisches Geschlecht, sexuelle Orientierung, soziales Geschlecht etc.) vertraut zu machen, die Problematik der Definition und gegenseitigen Abgrenzung von solchen Kategorien zu verdeutlichen und zugleich die gesellschaftliche Tragweite der Thematik in den Blick zu nehmen. Für das Lehrmaterial stelle ich zunächst 20 Abbildungen zusammen, die jeweils einen Aspekt von Geschlechtsidentität zum Ausdruck bringen, etwa das Foto einer Hermaphroditus-Statue für Intersexualität, zwei Fotos der bayrischen Politikerin Tessa Ganserer für Transsexualität, das Bild eines österreichischen Reisepasses mit einem „X“ als Geschlechtsangabe für nicht-binäre Geschlechtsidentitäten usw. Die Aufgabe für die Studierenden besteht zunächst darin, in kleinen Gruppen eine Ordnung in diese Abbildungen zu bringen: Welche der dargestellten Aspekte von Geschlechtsidentität gehören zu einer Kategorie, welche Unterkategorien lassen sich bilden? Die unterschiedlichen Lösungsansätze werden im Plenum vorgestellt und diskutiert, wobei den Studierenden sehr schnell deutlich wird, dass es verschiedene Varianten der Anordnung gibt und individuelle Geschlechtsidentitäten komplex konstruiert sein können. Bereits darin liegt für viele in dieser Gruppe ein großer Erkenntnisgewinn. 184 Michael Schart Im Anschluss wählen sich die Studierenden wiederum in Kleingruppen eine der (Unter)Kategorien und gehen der Frage nach, in welchen Bereichen des persönli‐ chen und gesellschaftlichen Lebens aufgrund einer bestimmten Geschlechtsidentität Probleme entstehen (z. B. Toiletten für sich nicht-binär definierende Menschen). Zum Unterrichtmaterial gehört auch ein mit Lesehilfen versehener Zeitungsartikel, der sich kritisch mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts befasst, intersexuellen Menschen die Option auf ein drittes Geschlecht im Geburtsregister zu ermöglichen. Dieser Text lenkt den Blick auf die problematischen Folgen, die sich ergeben können, wenn eine Gesellschaft die Rechte von Minderheiten anerkennt. Die Studierenden sind angehalten, die Argumente des Textes für und gegen die juristische Anerkennung eines dritten Geschlechts zu extrahieren und mit eigenen Argumenten zu ergänzen. Als Abschluss der Einheit recherchieren die Studierenden über die vorlesungsfreie Zeit hinweg die Situation einer Minderheit in Japan und/ oder Deutschland und betrachten diese aus der Perspektive ihres jeweiligen Fach‐ studiums. Sie schreiben einen Essay über ihre Ergebnisse und stellen diese in Form einer ca. zehnminütigen Präsentation vor. Als Themen wählen die Studierenden beispielsweise die rechtliche Situation von eingetragenen Lebenspartnerschaften, die Lage von männlichen Vergewaltigungsopfern oder Homophobie im Fußball. Aber sie erweitern das Thema auch auf Themen wie den Vergleich von Sorben in Deutschland und der Volksgruppe der Ainu in Japan oder die Kinderarmut in beiden Ländern. Am Beginn des zweiten Semesters wird das Thema mit der gegenseitigen Rezeption der Essays über die Lernplattform sowie den Präsentationen und Diskussionen im Plenum abgeschlossen. 3.2 Relevanz Wie diese Vignette illustriert kommt dem inhaltlichen Aspekt eine maßgebliche Bedeutung bei der Programmgestaltung zu. Die behandelten Themen werden weder als ein schmü‐ ckendes Beiwerk betrachtet noch als ein Mittel zum Zweck. Die Lernenden sollen also nicht mit Hilfe der Inhalte effektiver motiviert werden, sich auf den mühevollen Prozess des Deutschlernens einzulassen. Sie stellen auch mehr dar als Gegenstände, an denen die Lernenden ihre fremdsprachlichen Fertigkeiten trainieren können. Die Inhalte bilden vielmehr eine tragende Säule der Konzeption und die Auseinandersetzung mit ihnen somit ein zentrales Programmziel. Möglich wird dieser Ansatz von Fremdsprachenunterricht, indem das Prinzip der inhaltlichen Relevanz die Planungsprozesse leitet. Für Konzepte fremdsprachlichen Lehrens und Lernens, die den Inhalten eine derart dominierende Stellung einräumen, hat sich in den zurückliegenden Jahren ein unüber‐ sichtliches Begriffsfeld herausgebildet. Im europäischen Raum stößt man häufig auf die Label CLIL (Content and Language Integrated Learning) oder ICLHE (Integrated Content and Language in Higher Education), im nordamerikanischen Diskurs hingegen dominieren eher Begriffe wie CBI (Content-Based Instruction) oder EMI (English Medium Instruction). Ihre Differenzierung fällt allerdings schwer und ist häufig keine Frage konzeptioneller Divergenzen. Als wesentliches Kriterium der Unterscheidung kann gelten, ob die Lehr- 185 Gestaltungsprinzipien einer Kritischen Fremdsprachendidaktik und Lernprozesse eher aus der Perspektive eines Sachfachs entworfen werden oder eher von fremdsprachendidaktischen Überlegungen geprägt sind. Dieser gesamte Bereich des fach- und sprachintegrierten Unterrichts entfaltet sich also entlang eines Kontinuums. Den Extrempunkt auf der einen Seite bilden fachdominierte Konzepte wie etwa die auf Englisch gehaltenen Fachvorlesungen an deutschen Universitäten. Das Ende des Kontinuums auf der anderen Seite markieren fremdsprachendidaktisch geprägte Programme wie beispielsweise themenbasierte Kursangebote (z. B. Brinton/ Snow 2017: 8). Ein solches Kontinuum halte ich für ein sehr hilfreiches gedankliches Konstrukt, denn es ermöglicht nicht nur eine erste Orientierung in diesem unübersichtlichen Bereich, sondern es eignet sich in seiner Flexibilität auch als ein heuristisches Instrument, um Programme, Kurse oder einzelne Unterrichtsstunden zu charakterisieren. So lässt sich vor dieser Folie erklären, weshalb sich die Zuordnung des hier vorgestellten Programms schwierig gestaltet, denn es deckt ein relativ breites Spektrum dieses Kontinuums ab. Mit dem Übergang von einer Niveaustufe in die nächste verschiebt sich zugleich auch der Schwerpunkt von einem eher fremdsprachendidaktisch angelegten Angebot hin zu einem fachlich orientierten, wobei aber auch die Position der einzelnen Kurse durchaus variieren kann. Das grundlegende Problem bei der inhaltlichen Ausrichtung des Programms besteht darin, dass an ihm Studierende der beiden Fächer Jura und Politikwissenschaft teilnehmen. Je fachspezifischer die Unterrichtsthemen gewählt werden, desto wahrscheinlicher wird es, die Interessen eines Teils der Studierenden zu verfehlen. Das Intensivprogramm kann bei der thematischen Gestaltung demnach nicht systematisch die Struktur der Studienfächer Jura und Politikwissenschaft abbilden. Für die Konzeption des Programms ist vielmehr der Überschneidungsbereich dieser beiden Fachgebiete von besonderem Interesse. In den Vordergrund rückt die Frage, wie sich an ausgewählten politischen und juristischen Schwerpunkten, fachlich orientiertes, kritisches Denken und das Erlernen der Fremdspra‐ che verknüpfen lassen. Von den Studierenden als relevant empfundene Inhalte in konsequenter Art und Weise zum Ausgangspunkt des fremdsprachlichen Lernprozesses zu nehmen, führt zu nachhal‐ tigeren Sprachlernprozessen, einem authentischeren Sprachgebrauch und nicht zuletzt auch zu motivierenden Effekten auf Seiten der Lernenden (Brinton/ Snow 2017: 4). Diese grundlegende Annahme vieler fach- und sprachintegrierter Unterrichtsmodelle konnte auch im hier vorgestellten Intensivprogramm mit mehreren empirischen Studien bestätigt werden (vgl. die Übersicht bei Schart 2020: 88 ff.). Da eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse im Rahmen dieses Beitrags nicht möglich ist, möchte ich mich an dieser Stelle auf die beiden zentralen Erkenntnisse beschränken. Zum einen verdeutlichen diese Studien, dass sich die Studierenden sehr schnell in den inhaltsbasierten Fremdsprachen‐ unterricht einfinden und ihn als eine effektive und anspruchsvolle Form universitärer Lehre wahrnehmen. Zum anderen wird aber auch deutlich, dass sie im Hinblick auf ihre fremdsprachliche Entwicklung keineswegs schlechtere Resultate erzielen als ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen, die sich in parallel laufenden Kursen vor allem mit systematischer Grammatikarbeit und Fertigkeitstraining beschäftigen. 186 Michael Schart 2 Die Kommentare wurden von Studierenden am Ende des ersten Studienjahres anonym verfasst und aus dem Japanischen übersetzt. In Klammern stehen die Nummer der Fundstelle sowie das Studienjahr. Alle Kommentare sind auf der Projekt-Homepage einsehbar http: / / forschung.id-keio.o rg/ unterrichtsforschung/ clil. Mit einigen Rückmeldungen aus den studentischen Lehrveranstaltungsevaluationen, die von Orlando/ Hamano (2020) in einer longitudinal angelegten Studie analysiert wurden, möchte ich diese ermutigenden Ergebnisse veranschaulichen. 2 „Anders als beim Sprachenlernen in der Oberschule habe ich nicht einfach nur Informationen von der Lehrperson bekommen. Ich musste selbst meine Meinung formulieren und diese Art des Unterrichts empfand ich als interessant. Wenn man seine Meinung ausdrückt, übt man gleichzeitig Deutsch, und nicht nur das: im Unterricht ging es nicht nur um Fremdsprachenlernen, sondern darum, die Denkfähigkeiten zu entwickeln.“ (396, 2013) „Nicht nur im Hinblick auf das Fremdsprachenlernen, sondern auch hinsichtlich des persönlichen Wachstums bietet das Programm eine ideale Lernumgebung.“ (16, 2009) „Die Themen, die wir im Unterricht behandelten, waren sehr interessant. Da wir als Studierende alle unsere eigene Meinung haben und überzeugende Gründe dafür anführen können, führten auch abstrakte Themen zu tiefgehenden Diskussionen.“ (588, 2015) 3.3 Kohärenz Die Vignette in Abschnitt 3.1 ermöglicht einen ersten Eindruck davon, wie im Intensivpro‐ gramm die Inhalte strukturiert werden. So erstrecken sich die thematischen Einheiten immer über mehrere Lehrveranstaltungen und integrieren dabei verschiedene Perspektiven in einer für Lernende nachvollziehbaren Weise. Die folgende Tabelle soll einen Überblick über die thematischen Schwerpunkte des gesamten Programms ermöglichen. Den Leitthe‐ men der drei Niveausstufen sind exemplarisch Unterrichtseinheiten zugeordnet, deren Bearbeitung sich jeweils über mehrere Wochen bis hin zu einem gesamten Semester erstreckt. Die konkrete Gestalt dieser Unterrichtseinheiten ergibt sich immer erst durch die Beteiligung der Studierenden in den einzelnen Lerngruppen. Studienjahr (Niveaustufen) Thematische Leitbegriffe Rahmenthemen für Unterrichtseinheiten mit Bei‐ spielen für exemplarische Schwerpunkte 1. Studienjahr (A0-A1/ 2) Identität • personale Identität und soziale Rollen (z. B. ge‐ schlechtliche Identität) • Dinge und Werte (z. B. Wohlstand und Glück) • Soziale Beziehungen (z. B. Familienformen/ familiäre Rollen) • Orte (z. B. nationale Identität) • Zeiten (z. B. Zeitkulturen) 2. Studienjahr (A1/ 2-B1) Generation • Lebensabschnitt Adoleszenz (z. B. „Erwachsen wer‐ den“ in Deutschland und Japan) • Lebensziele, Lebenswege und gesellschaftliches En‐ gagement (z. B. Freiwilligendienste) • Geschlechterbeziehungen (z. B. Partner*innenwahl) 187 Gestaltungsprinzipien einer Kritischen Fremdsprachendidaktik 3./ 4. Studienjahr (B1-B2/ C1) Gerechtigkeit • Politische Kultur (z. B. Partizipationsformen in der Demokratie) • Rechtskultur und soziale Gerechtigkeit (z. B. Gerech‐ tigkeitsempfinden) • Migration und Integration (z. B. Migrationsge‐ schichte) • Demografischer Wandel und Bevölkerungspolitik (z. B. Folgen der demografischen Entwicklung in ein‐ zelnen Regionen, Verhältnis Land - Stadt) • Geschichts- und Identitätspolitik (z. B. Erinnerungs‐ kultur) Tab. 1: Thematisches Konzept des Intensivprogramms für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokio (pro Semester ca. 60 Lehrveranstaltungen/ 8 SWS). Wie aus dieser Übersicht hervorgeht, bezieht sich die inhaltliche Planung im ersten Studienjahr schwerpunktmäßig auf die verschiedenen Facetten von Identität. Dabei werden Themen behandelt, die sich auch in Lehrwerken finden und von Neuner (1994) als „uni‐ versale Daseinserfahrungen“ beschrieben wurden. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass die einzelnen Themen umfassender, tiefgründiger und multiperspektivischer aufbereitet werden. In dieser Hinsicht weist das Intensivprogramm deutliche Parallelen zu Altmayers (2016) Konzept einer „diskursiven Landeskunde“ auf. Die Studierenden im ersten Studienjahr beschäftigen sich beispielsweise beim Themenkomplex „Dinge“ nicht nur mit der (symbolischen) Bedeutung, die sie einzelnen Gegenständen zuweisen. Es geht auch um gesellschaftliche Bewegungen wie Minimalismus, um politische Aspekte wie die Bestimmung von Wohlstandsindikatoren oder juristische Probleme wie die rechtlichen Regelungen zum Pfänden und die Frage, wie sich diese mit der im Grundgesetz verbrieften Würde des Menschen vereinbaren lassen (siehe das Beispiel in 4.3.). Ab dem zweiten Studienjahr nehmen dann fachliche Aspekte einen immer größeren Raum ein. So entfaltet sich im zweiten Studienjahr die thematische Gestaltung anhand des Leitbegriffs „Generation“. Der Lebensabschnitt Adoleszenz wird aus der persönlichen Perspektive der Studierenden ebenso betrachtet wie aus einer politisch/ juristischen (z. B. Wahlrecht) oder einer soziologischen (z. B. Veränderung der Adoleszenz, Entwicklungsauf‐ gaben). In den letzten beiden Studienjahren stehen unter dem Leitbegriff „Gerechtigkeit“ und Themen wie „Soziale Gerechtigkeit“ oder „Politische Kultur“ die Fachinhalte im Vordergrund. Sie werden jeweils über ein gesamtes Semester oder auch Studienjahr hinweg bearbeitet. Für alle Niveaustufen gilt jedoch, dass sich die Lehrenden bei der inhaltlichen Gestaltung nicht auf kommerzielle Lehrmaterialien verlassen können. Sie müssen jede Unterrichts‐ einheit selbst entwerfen und dabei immer wieder aufs Neue abwägen, in welcher Form das gewählte Thema über einen längeren Zeitraum tragfähig ist, ob es also von den Studierenden als interessant und anspruchsvoll wahrgenommen wird und ausreichend Impulse bietet, um Denk- und Austauschprozesse in Gang zu halten. Damit rückt jedoch unvermeidlich neben den Gegenständen auch das unterrichtliche Geschehen in den Blickpunkt, denn die didaktische Herausforderung erschöpft sich nicht darin, relevante Inhalte in einer nachvollziehbaren Systematik anzuordnen. Nicht weniger bedeutsam ist, dass es gelingt, diese Gegenstände mit Aufgabenstellungen, Lernaktivitäten und Interak‐ 188 Michael Schart tionsformen zu einem überzeugenden Gesamtkonzept zu verschmelzen. Eine Kritische Fremdsprachendidaktik sollte sich daher als ein umfassender Ansatz verstehen, der von den Inhalten ebenso charakteristisch geprägt wird wie von den Unterrichtsprozessen (vgl. Crookes 2013: 46 ff). Welche Prinzipien sich bei deren Gestaltung im Intensivprogramm als hilfreich erwiesen haben, möchte ich im folgenden Abschnitt darlegen. 4. Unterrichtsprozesse 4.1 Diskrepanz Das Wesen des kritischen Denkens - so formuliert es Dewey (1951: 78) - bestehe darin, das spontane Urteil aufzuschieben, um die Natur des Problems besser erkennen zu können. Dieser Idee folgend steht im Intensivprogramm am Beginn der Arbeit an einem neuen Gegenstand daher häufig ein verunsichernder Impuls. Er zielt darauf, die Lernenden zum Innehalten anzuregen und ihre Neugier zu wecken. Sie sollen motiviert werden, die „Komfortzone ihres Wissens“ ( Jahn 2019: 926) zu verlassen und sich ungewohnten Denk- und Wahrnehmungsmustern gegenüber zu öffnen. In der Literatur zum kritischen Denken trägt diese Initialphase verschiedene Bezeichnun‐ gen. Sie wird Pertubation genannt, Ambiguitätserfahrung, disorienting dilemma; produktive Irritation u. a. m. (vgl. Baumgartner 2019: 69, Jahn 2019: 921). Altmayer (2016: 17) spricht von „Irritationsmomenten“. Aber wie man es auch bezeichnet, das Prinzip gleicht sich: die Lernenden sollen über die Aufgabenstellungen mit einem kognitiven Konflikt konfrontiert werden. Die Vignette in Abschnitt 3.2 ist dafür ein Beispiel, denn erst der Arbeitsauftrag löst eine systematische Beschäftigung mit den Abbildungen aus. Er motiviert die Studierenden dazu, Ordnung in die auf den ersten Blick verwirrende Vielfalt an Perspektiven zum Thema Geschlechtsidentität zu bringen. In diesem Sinne orientiert sich die unterrichtliche Planung im Intensivprogramm daran, Diskrepanzerfahrungen zu ermöglichen (vgl. Gillies 2014: 795). Im Einklang mit der inhalt‐ lichen Relevanz und Kohärenz liegt hierin eine grundlegende Voraussetzung dafür, dass die Lernenden animiert werden, sich einer Thematik zu stellen und die Aufgabenstellungen engagiert anzugehen. 4.2 Diversität Ein weiteres grundlegendes Prinzip der Unterrichtsgestaltung im Intensivprogramm be‐ steht darin, Vielfalt wertzuschätzen, zu fördern und auch gezielt für die Lernprozesse zu nutzen. Ins Zentrum der didaktischen Überlegungen rückt daher die Heterogenität und Individualität der Lernenden: Sie sind kontinuierlich angehalten, sich mit ihren Ideen und Kompetenzen einzubringen und erhalten zugleich große Freiräume, um ihre fremdsprach‐ lichen Fähigkeiten auf individuellen Lernwegen zu entwickeln. Die Auswirkungen dieses Prinzips auf das Geschehen in den Lehrveranstaltungen sind weitreichend. Es fehlen viele Elemente, die für den Fremdsprachenunterricht gerne als selbstverständlich betrachtet werden, formale Syllabi beispielsweise, Übungsformate zu isolierten fremdsprachlichen 189 Gestaltungsprinzipien einer Kritischen Fremdsprachendidaktik Phänomenen, ein einheitlicher Lernwortschatz oder kontextloses Training einzelner Fer‐ tigkeiten. Das didaktische Konzept des Intensivprogramms lässt sich somit als eine sehr konse‐ quente Realisierung aufgabenbasierter Lehr- und Lernprozesse verstehen, wie sie z. B. von Long (2016: 7) und Ellis (2018: 175) theoretisch gefasst wurden. Die folgenden Merkmale sind für den Unterricht auf allen Niveaustufen prägend: 1. Die Triebkraft bilden die Inhalte im Zusammenspiel mit grundsätzlich offen gestal‐ teten Impulsen (Aufgaben), die einen kreativen, selbstständigen und zielgerichteten Gebrauch der Fremdsprache begünstigen. 2. Das sich aus der Vielfalt von Meinungen, Ideen, Argumentationen oder Lösungsan‐ sätzen ergebende Potenzial für den Austausch und das Lernen wird planvoll genutzt. 3. Der Unterricht zielt auf die Verknüpfung von Sprachgebrauch und Sprachlernen. Systematische Sprachbetrachtungen erfolgen immer eingebunden in einen inhalt‐ lichen Kontext und sind der Beschäftigung mit den Gegenständen unterbzw. nachgeordnet. 4. Die individuellen Lernwege der Lernenden werden respektiert und gefördert. Sie erhalten vielfältige Möglichkeiten, ihre sprachlichen und nicht-sprachlichen Kompetenzen einzubringen und weiterzuentwickeln. 5. Zugleich wird das Potenzial kooperativen Lernens intensiv genutzt. Es werden permanent Räume geschaffen, in denen die Lernanlässe von den Lernenden selbst ausgehen und sich Aushandlungsprozesse unter den Beteiligten vollziehen können. 6. Die Materialien zeichnen sich durch reichhaltigen, elaborierten und anspruchsvollen sprachlichen Input aus. Van Lier (2004: 223) hat mit seinem ecological approach dieses Verständnis von Fremd‐ sprachenunterricht sowie das ihm zugrunde liegende Bild der Lernenden eindrücklich charakterisiert: Die Lernenden werden nicht als „Grammatik-produzierende Einheiten“ betrachtet, sondern als selbstständig denkende und handelnde Persönlichkeiten ernst genommen. Für den Unterricht bedeutet dieser Ansatz eine entschiedene Abkehr von kleinschrittiger, eng führender Planung vor der Folie einer bestimmten Systematik der Fremdsprache. Stattdessen zielt die Planung von Beginn an darauf, durch niveaustufenge‐ rechte und zugleich komplexe Texte vielfältige Anknüpfungspunkte für selbstständiges Lernen zu bieten (vgl. Allwright 2005). Dadurch sollen Lernräume entstehen, in denen die Lernenden der fremden Sprache, ihren Formen und Funktionen, in unterschiedlichen Verwendungssituationen begegnen. Sprachliche Phänomene bleiben dadurch immer ein‐ gebunden in einen thematischen Kontext und werden im Sinne von Longs (1991) Konzept des Focus on Form nur dann isoliert betrachtet, wenn das Erschließen von Inhalten und das Ausdrücken von Ideen es erfordert. Bei den Inhalten findet das Prinzip der Diversität seinen Niederschlag beispielsweise darin, dass möglichst unterschiedliche Perspektiven auf einen Gegenstand integriert werden. Und auch auf die Aufgabenstellungen wirkt es sich nachhaltig aus. Sie folgen sehr häufig dem Prinzip der Lücke (Ellis 2018: 159), das heißt, sie setzen auf die Spannung, die das Zusammentreffen von Unterschieden erzeugen kann. Mit Hilfe von Lückenaktivitäten (gap activities) lassen sich sehr effektiv Situationen arrangieren, in denen die Lernenden 190 Michael Schart ihre eigenen Ideen, Meinungen oder Lösungen einbringen können und sich zugleich mit anderen abstimmen müssen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. In manchen Aufgaben wird die bereits vorhandene Vielfalt der Lerngruppe genutzt, etwa wenn sie dazu anregen, persönliche Meinungen oder Erfahrungen mit den anderen zu teilen. Andere Aufgaben sind so gestaltet, dass sie Differenzen selbst erst generieren, beispielsweise indem sich die Lernenden zunächst voneinander abweichende Informationen erarbeiten, diese vergleichen, diskutieren oder in einer Synthese zusammenführen (z. B. in Form der Think-Pair-Share-Technik). Weshalb das Prinzip der Diversität vor allem für eine Fremdsprachendidaktik, die sich als kritisch interpretiert, eine so zentrale Rolle spielt, lässt sich mit Jahn (2019: 921) wie folgt zusammenfassen: Kritisch denkende Personen sind offene, interdisziplinäre, interkulturell aufgeschlossene und geschichtsbewusste Ideensammler*innen und Annahmenprüfer*innen. Der Prozess des kritischen Denkens fordert folglich dazu auf, sich je nach Sachlage und Kontext verschiedenartigen Zugang zu einem Sachverhalt zu verschaffen (induktiv, deduktiv, empirisch, kreativ, spirituell, hermeneu‐ tisch etc.), sei es durch Wissenschaft, Kunst, der Weltsicht anderer Kulturen, Spiritualität, Einge‐ bungen usw. Perspektivität ist ein wichtiges Kriterium für die Qualität kritischer Denkprozesse. 4.3 Dialog Während das Prinzip der Diversität die Individualität der Lernenden betont, rückt das Prinzip des Dialogs die miteinander und voneinander lernende Gemeinschaft ins Zen‐ trum der Aufmerksamkeit. Insbesondere den soziokulturell orientierten Ansätzen ist es zu verdanken, dass die Fremdsprachendidaktik seit den 1990er Jahren die sozialen Aspekte des Lernens und der Wissensgenerierung zunehmend bewusster wahrnimmt. Individuelle Entwicklungen werden aus soziokultureller Perspektive als das Ergebnis einer Interaktion von Individuen mit ihrer kulturell geformten Umwelt gedeutet (s. dazu auch Sloman/ Fernbach 2017: 107 ff). Sprache stellt daher weitaus mehr als Input dar, der Lern- oder Denkprozesse auslöst. Sie ist die Ressource, die es den Individuen erst ermöglicht, aktiv am Gruppengeschehen teilzuhaben. Das Erlernen einer Fremdsprache und ihre Verwen‐ dung lassen sich daher aus soziokultureller Sicht nicht voneinander trennen: Das Lernen vollzieht sich gleichsam zwischen den an einem Unterricht beteiligten Personen, in ihrem Austausch, dem gemeinsamen Ringen um Verstehen und dem Suchen nach Erklärungen und Lösungen. Dabei wird nicht nur vorhandenes Wissen übernommen oder angewendet. Indem die Lernenden ihre Fähigkeiten bündeln, schaffen sie neues Wissen. Von einem soziokulturellen Standpunkt aus betrachtet gilt daher die selbstbestimmte Teilnahme an der Interaktion in einer Gruppe als der wichtigste Schlüssel zu den Lernprozessen. Dieser Sicht auf die Lehr- und Lernprozesse kann sich gerade eine Kritische Fremdspra‐ chendidaktik nicht verschließen. Gesprächskompetenz zu entwickeln, also die Fähigkeit, in komplexen und inhaltlich anspruchsvollen Dialogen angemessen zu agieren und sich in die kollektive Entscheidungsfindung und Meinungsbildung einzubringen, gehört schließ‐ lich zu den Kernaufgaben des Bildungssystems in demokratischen Gesellschaften (vgl. Ruf 2008). Und dieser Prozess lässt sich nur sehr eingeschränkt als eine Trockenübung organisieren, ob er sich nun in der Muttersprache vollzieht oder in einer Fremdsprache. 191 Gestaltungsprinzipien einer Kritischen Fremdsprachendidaktik Wer es sich also zum Ziel gesetzt hat, kritische Denkprozesse zu fördern, kommt nicht umhin, den Unterricht so zu gestalten, dass die Lernenden diese Erfahrung auch tatsächlich durchleben. In Publikationen zu einer kritischen Didaktik wird daher dem dialogischen Prinzip eine prominente Stellung zugewiesen (vgl. Auerbach 1995: 12, Chun 2018: 6, Cranton/ Hoggan 2012: 512, Formenti/ Jorio 2019). Zugleich muss man sich jedoch vor Augen halten, dass ein Unterricht, der dialogisches Miteinander zulässt und fördert, einen vollkommen anderen Charakter trägt als ein von enger Steuerung durch die Lehrperson gekennzeichnetes Klassenraumgeschehen. Es ist daher folgerichtig, dass Begriffe wie dia‐ logische Wende (dialogic turn) bzw. dialogische Haltung (dialogic stance) geprägt wurden, um die grundsätzliche Verschiedenartigkeit des Interagierens zu markieren, die aus einem solchen Ansatz erwächst (vgl. Wells/ Ball 2008). Der Begriff des Dialogs bezieht sich dabei - seiner ursprünglichen Bedeutung entspre‐ chend - auf ein „Fließen von Worten“ zwischen allen am Unterricht beteiligten Personen und lässt sich wie folgt charakterisieren (vgl. Alexander 2008, Chappell 2016: 134): 1. Die Interaktion wird kollektiv gestaltet und richtet sich auf ein gemeinsames, für alle nachvollziehbares Ziel. Die Aufmerksamkeit ist auf die Bewältigung dieser Aufgabenstellung fokussiert. 2. Alle Beteiligten können ihre Ideen, Vorstellungen und Erkenntnisse selbstbestimmt und gleichberechtigt einbringen. 3. Die einzelnen Äußerungen beziehen sich wechselseitig aufeinander. Man hört einander zu, geht auf die Ideen der anderen ein, führt diese fort oder hinterfragt sie. 4. Als ein kohärenter und kumulativer Prozess münden das gemeinsame Denken und Aushandeln in neuem Wissen, das mehr umfasst als die Summe dessen, was die Einzelnen einbringen. Es handelt sich demnach um eine Form von Unterricht, die emergentes Lernen fördert. Littleton/ Mercer (2013) sprechen in diesem Zusammen‐ hang von interthinking. 5. Die Beteiligten können sich auf das Wohlwollen der anderen verlassen. Sie wissen, dass ihre Stimme gehört und ernst genommen wird. 6. Alle Lernenden und die Lehrperson teilen sich die Verantwortung dafür, dass man sich gegenseitig unterstützt. 7. Der dialogische Austausch verläuft auf der Grundlage der Inhalte und Aufgaben planvoll und zielgerichtet. Es geht also nicht darum, Räume für Smalltalk zu schaffen. Das Konzept des Intensivprogramms ist darauf gerichtet, das Prinzip des Dialogs, wie es in diesen Merkmalen zum Ausdruck kommt, auf allen Niveaustufen umzusetzen. Dafür reicht es nicht aus, dass sich die Lehrenden aus der dominierenden Rolle in der Interaktion zurückziehen. Ihnen fällt die Aufgabe zu, den Übergang zu einer alternativen Form des Austausches aktiv zu planen, zu begleiten und zu fördern. Das reicht von der Etablierung neuer Regeln für das Miteinander, über einen bewussten Einsatz von Sprache - der gerade den Lernenden auf den unteren Niveaustufen als Modell dienen kann - bis hin zum Öffnen von Räumen, in denen sich zum Beispiel durch die Art der Aufgabengestaltung oder die Formulierung von Fragen und Feedback die Interaktion entfalten kann (Mercer/ Howe 2012, Palmer et al. 2014). 192 Michael Schart 3 Die Transkription der kompletten Unterrichtseinheit, die Transkriptionsregeln sowie alle Analyse‐ instrumente zu diesem Projekt finden sich auf der Seite http: / / forschung.id-keio.org/ unterrichtsfor schung/ clil. Das Kritische an der Fremdsprachendidaktik im Intensivprogramm beginnt also damit, die Machtstrukturen des Unterrichts neu zu ordnen. Die Studierenden werden nicht nur in die inhaltliche Gestaltung einbezogen, wie die Vignette in Abschnitt 3.1. verdeutlicht, sie wirken auch aktiv an den Regeln mit, die für den Austausch gelten. So wird beispiels‐ weise gemeinsam geklärt, wie Rederechte zu verteilen sind, wie man sich im Gespräch gegenseitig unterstützen kann oder welche Rolle der Muttersprache zukommen sollte. Und in den höheren Niveaustufen gehört es inzwischen zur Tradition des Programms, dass die Studierenden am Beginn eines Studienjahres eine eigene „Verfassung“ ausarbeiten und verabschieden. Das alles zielt letztlich darauf, ein Lernklima zu schaffen, das den Studierenden die notwendige Sicherheit verleiht. Denn dialogisches Lernen wird erst dann wahrscheinlich, wenn sich die Lernenden dazu ermutigt fühlen, sich auch mit solchen Beiträgen einzubringen, die sprachlich wie inhaltlich möglicherweise noch unausgereift sind. Was diese recht abstrakte Beschreibung dialogischen Lernens für den Fremdsprachen‐ unterricht bedeuten kann, möchte ich abschließend an einem Beispiel aus einer Studie veranschaulichen, die mit zwei Lerngruppen auf Niveaustufe A durchgeführt wurde (Schart 2020). Die folgende Episode ist ein Ausschnitt aus einem Plenumsgespräch einer Lerngruppe mit 12 Beteiligten (eine Lehrperson, elf Studierende). In der betreffenden Unterrichtseinheit beschäftigen sich die Studierenden mit den gesetzlichen Regelungen zum Pfänden. Nachdem sie sich - der oben beschriebenen Think-Pair-Share-Technik folgend - zunächst als individuelle Vorbereitung zuhause und dann in kleineren Gruppen die entsprechenden Gesetze in Japan und Deutschland angesehen haben, diskutieren sie nun im Plenum mögliche Formulierungen, die in der Rechtspraxis zu Problemen führen könnten. Es entwickelt sich ein Austausch, an dem sich fast die Hälfte der anwesenden Personen aktiv mit längeren oder kürzeren Redebeiträgen beteiligt. Beispiel: U8, Plenum III (3: 15 min) 3 12 l ok gibt es andere ideen? 13 sb08 mhm 14 l ja bitte herr p [sb08] 15 sb08 ich kann nicht ah ich weiß nicht wie wie viel ist 一か月間の生活に必要な 食料及び燃料 (die für einen Monat notwendige Menge an Lebensmitteln und Brennmaterial) [liest aus dem Gesetzestext vor] 16 ss [lachen] 17 sb08 oder 二か月間の必要生計費 (notwendiger Geldbetrag für den Lebensunterhalt für zwei Monate) [liest aus dem Gesetzestext vor] 18 sb04 auf deutsch auf deutsch 193 Gestaltungsprinzipien einer Kritischen Fremdsprachendidaktik 19 l genau 20 sb08 neteh nötig nötig geld 21 l nötiges geld 22 sb08 nötiges geld zu leben zwei monat (.) wieich weiß nicht wie viewie viel ist das (.) ja 23 sb13 ja aber zu zu konkret gesetz ist nicht gut 24 sb08 aber 25 sb04 ja ja ja 26 sb08 aber weil das ist nicht konkret ich ich mein das ist zu wenig oder zu viel werden kann 27 sb03 kannst du noch einmal noch einmal wiederholen bitte 28 sb08 wawenn das gesetz ist nicht konkret man kann nicht verstehen wie wenig wenig geld oder wie viel geld kann 29 sb13 ja ich verstehe das idee aber zu konkret ist nicht gut 30 sb08 wawarum nicht gut? ich möchte das grund wissen 31 sb013 es gibt viele leute also ein gesetz kann nicht ein zu konkret gesetz kann nicht ah (2) なんだろう (Wie kann ich das sagen? ) passen zu viele person (2) zum beispiel 32 sb05 schreiben alles? 33 sb013 ja vielleicht 34 sb03 wenn es war wenn das gesetz war zu konkret es kann nicht gehört zu alle leute? 35 sb013 ja ja ja und vielleicht ein person kann benutzen das konkret gesetz und und な んだろう (Wie kann ich das sagen? ) zum beispiel in in in ein gesetz wenn in ein gesetz steht ein gold ist gold kann zum beispiel ein gold kann eh pfänden kann denn ein person kann haben silver silver 銀って何 (Was ist Silber? ) 36 sb08 ah 37 l silber 38 ss silber 39 l ja ja ja ein gutes beispiel (5) Tab. 2: Auszug aus einem Plenumsgespräch, Lerngruppe mit 11 Studierenden auf dem Niveau A1.2, 17. Nov. 2015; 21. Unterrichtswoche. Auffällig an dieser Episode ist zunächst, dass der Lehrperson besondere Rechte zufallen: Sie eröffnet die Sequenz und erteilt einem Studenten (sb08) das Rederecht (Zeile 12 bzw. Zeile 14). Sie korrigiert spontan und ungefragt (Zeilen 21 und 37) und sie schließt letztlich auch die Sequenz ab (Zeile 39). Es sind also traditionelle Aufgaben, die die Lehrperson wahrnimmt. Und dennoch unterscheidet sich dieser Ausschnitt merklich von einem Unterricht, der durch das Frage-Antwort-Bewertungsmuster geprägt ist, denn die 194 Michael Schart Studierenden ergreifen spontan das Wort, wobei sie das zuvor Gesagte unterstützen (Zeile 25), in Frage stellen (Zeile 23) oder um Präzisierungen bitten (Zeilen 30; 32). Sie übernehmen auch unbefangen traditionell eher der Lehrperson zufallende Aufgaben, indem sie andere ermahnen (Zeile 18) und Rückmeldungen geben (Zeile 25). Der gesamte Ausschnitt ist durchzogen von Signalen, die den jeweils Sprechenden versichern, dass ihr Beitrag Gehör findet. Bereits an dieser relativ kurzen Sequenz wird somit ersichtlich, was einen kollektiven und wechselseitigen Prozess des interaktiven Denkens auszeichnet. Und es lässt sich ebenfalls erkennen, wie daraus neues Wissen hervorgehen kann. In diesem Beispiel ist es vor allem dem kritischen Nachfragen von Student sb13 zu verdanken, dass die ursprüngliche Idee des Studenten sb08 in ihrer Überzeugungskraft relativiert wird und sich im Austausch eine neue Perspektive auf die komplexe Beziehung zwischen der notwendigen Abstraktheit rechtlicher Formulierungen und der Vielfalt der konkreten Lebenswelt von Rechtssubjekten eröffnet. Die gerne zitierte Kritik von Seedhouse (2010) nach der institutionell festgelegte Macht‐ unterschiede dialogische Kommunikationssituation verhinderten, lässt sich nicht von der Hand weisen. Aber sie greift zu kurz, wie dieser Ausschnitt aus einem dialogisch geführten Plenumsgespräch demonstriert, denn sie übersieht den wichtigen Unterschied, der sich zwischen Gleichheit und Symmetrie treffen lässt. Die Kontrolle der Unterrichtsprozesse durch die Lehrperson und ein sehr hohes Maß an Initiative durch die Lernenden schließen sich keineswegs aus (vgl. van Lier 2013). Lehrende können also den Raum für dialogisches Lernen schaffen und den Lernenden im Gespräch auf Augenhöhe begegnen, ohne dafür ihre berufliche Rolle und Verantwortung ausblenden zu müssen. Und auch wenn immer wieder unvorhersehbar ist, in welche Richtung sich ein dialogischer Austausch entwickelt, so lassen sich die Interaktionsprozesse doch anbahnen und handhaben. An dieser Stelle möchte ich abschließend nochmals die Studierenden zu Wort kommen lassen, um zu verdeutlichen, dass die Argumentation in diesem Beitrag sich auf reichhaltige Evidenz stützen kann (zu den Zitaten siehe Fußnote 2): „Das Schöne am Sprechen in der GB (Kursname) war, dass sich alle gegenseitig zuhörten. Auch Studierende, die sich nicht so aktiv beteiligten, wendeten den Kopf zu den Sprechenden, sahen sie an und hörten zu. Das war in den meisten Unterrichten eine sehr gute Atmosphäre. Man konnte auch sofort fragen, wenn etwas unklar war.“ (644, 2015) „Die Diskussionen bei der Gruppenarbeit liefen komplett auf Deutsch. Das war ein Zeichen für unsere Fortschritte und ich fand das einfach toll. Wenn jemand aus der Gruppe etwas nicht ver‐ stand, musste man versuchen, es anders zu formulieren. Das war nicht nur gut, um Paraphrasieren zu üben. Wir haben auch die Einstellung trainiert, uns durch Kooperation verständlich zu machen.“ (412, 2013) 6. Ausblick Die Entscheidung für eine Kritische Fremdsprachendidaktik ist eine politische Entschei‐ dung. Zu Beginn dieses Beitrags habe ich darauf verwiesen, weshalb gerade Lehrerinnen und Lehrer für Deutsch als Fremdsprache mögliche Konsequenzen für alle Beteiligten sehr genau bedenken müssen, bevor sie in ihrem Arbeitskontext eine derart grundlegende 195 Gestaltungsprinzipien einer Kritischen Fremdsprachendidaktik Änderung ins Auge fassen. Aber sie sollten sich bewusst sein, dass die vorschnelle Zurück‐ weisung eines Unterrichtsansatzes, wie ich ihn in diesem Beitrag in seinen Grundzügen beschrieben habe, ebenfalls eine politische Entscheidung darstellt (vgl. Benesch 1999: 574). Denn eine neutrale Art und Weise, Fremdsprachenunterricht zu organisieren, gibt es nicht. Dieser Beitrag hat aufgezeigt, welche Unterrichtsgegenstände sich exemplarisch anbie‐ ten, um ein kritisches Bewusstsein seitens der Lernenden zu fördern. Mit der Relevanz und Kohärenz der Inhalte sowie der Diskrepanz, der Diversität und dem Dialog bei den Unterrichtsprozessen wurden fünf Prinzipien formuliert, die sich im dargestellten Unterrichtskontext als wirksam erwiesen haben, um transformative Bildungsprozesse anzubahnen. Diese fünf Prinzipien lassen sich in der hier beschriebenen Ausprägung nicht in andere Programme übertragen, da eine kontextsensible Umsetzung Kritischer Fremdsprachendidaktik immer nur von den Handelnden vor Ort geleistet werden kann. Es sollte jedoch an den Beispielen in diesem Beitrag deutlich geworden sein, dass bestimmte kulturelle Eigenheiten kein unüberwindliches Hindernis darstellen müssen. Lernkulturen bilden sich letztlich immer auf der Ebene des Klassenraums und werden dort - nicht selten unbewusst - von allen Beteiligten ausgehandelt. Für den Erfolg einer Kritischen Fremd‐ sprachendidaktik halte ich es daher für entscheidend, wie die Lernenden in die Gestaltung des Unterrichts eingebunden werden, ob es beispielsweise gelingt, mit ihnen eine Vision für die gemeinsame Arbeit zu entwerfen und sie damit in die Verantwortung zu nehmen. Wie die Erfahrungen mit dem hier vorgestellten Programm nahelegen, lassen sich mit systematischen Bemühungen und einem langen Atem der Lehrenden viele jener Prägungen „überschreiben“, die Lernende aus langjähriger Unterrichtserfahrung mitbringen. Literaturverzeichnis Alexander, Robin J. (2008): Towards Dialogic Teaching: Rethinking Classroom Talk. Thirsk: Dialogos. Altmayer, Claus (Hrsg.) (2016): Mitreden. Diskursive Landeskunde für Deutsch als Fremd- und Zweit‐ sprache. Stuttgart: Klett. Allwright, Dick (2005): From teaching points to learning opportunities and beyond. TESOL Quarterly 39(1), S. 9-31. Auerbach, Elsa R. 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Im Anschluss folgt eine Auseinandersetzung mit der Erweiterung reflexiver Fremdsprachenlehrer*innenforschung durch Impulse der Kritischen Pädagogik. 1.1 Professionalisierung in der Fremdsprachenlehrer*innenbildung Forschung zur Professionalisierung von Lehrenden teilt sich ein in kompetenztheoretische, strukturtheoretische und (berufs)biographische Ansätze (vgl. Terhart 2011: 206-210). Während kompetenztheoretische Professionalisierungsforschung tendenziell normativ und quantifizierend ausgerichtet ist, erfassen strukturtheoretische Ansätze meist über einen qualitativen Zugriff die Kontexte und strukturellen, d. h. institutionellen und gesell‐ schaftlichen Bedingungen und Einflussgrößen auf das berufliche Lehrer*innenhandeln, aber auch auf die damit verbundenen beruflichen Selbstkonzepte. Der (berufs)biographi‐ sche Ansatz wiederum betrachtet all diese Aspekte ebenfalls, stellt aber die Lehrperson in den Mittelpunkt und sieht sie nicht nur in ihren beruflichen Zusammenhängen, sondern auch hinsichtlich ihrer Persönlichkeit und außerberuflichen Einflussfaktoren, die für den Professionalisierungsprozess eine Rolle spielen bzw. gespielt haben. Fremdsprachen als Unterrichtsmedium und -gegenstand stellen dabei ein besonderes Fach dar, da die außerschulische sprachliche Sozialisierung eine wichtige Rolle für die Lehrenden- und Lernendenpersönlichkeit spielt. Zunächst ist aber zu definieren, was hier als Profession oder professionelle Identität und was unter Professionalisierung verstanden werden soll. Der Lehrberuf wird als Profession bezeichnet, da er u. a. einhergeht mit einem Verständnis von beruflicher Autonomie, einer Berufsethik, dem Dienst für die Gesellschaft und Reflexivität im Umgang mit wider‐ sprüchlichen Problemlagen (vgl. Roters 2012, Terhart 2011, Viebrock 2014). Demgemäß bezeichnet professionelle Identität nach Schultze (2018: 78) „einen reiterativen Prozess der Verschiebung grundlegender narrativer Figuren des professionellen Selbst- und Weltver‐ hältnisses (insbesondere des Verhältnisses von Lerner_innen- und Lehrer_innenidentitäten […] angesichts der Konfrontation mit neuen Problemlagen“. Grundlage des Professionali‐ sierungsprozesses ist es demgemäß, dass die Lehrperson ihre eigenen Beweggründe und Verhaltensweisen hinterfragt, was hoch komplex und emotional durchaus heikel ist. Dies sind nur einige beschreibende Merkmale, die aber im Kontext der Begründung hin zu einer kritisch-reflexiven Lehrer*innenbildung als zentral erscheinen. Die Lehrperson hat die Autonomie und Verantwortung zu entscheiden, was im Sinn eines demokratischen Bildungsziels für die ihr*ihm anvertrauten Schüler*innen und ihrer Hinführung zur gesell‐ schaftlichen Partizipation relevant ist. Widersprüchliche berufliche Problemlagen gibt es viele. Scheinbar muss sich die Lehrkraft immer wieder entscheiden zwischen der Herbeifüh‐ rung (messbzw. bewert- und lernbarer) fachlicher Kompetenzen und der Thematisierung des gerade im Unterricht strukturtheoretisch Angesagten (persönliche Problemlagen der Schüler*innen, vermeintliche Störungen, Verweigerungen, Beschwerden, verbal oder kör‐ perlich ausgetragene Konflikte der Lernenden untereinander oder gegen die Lehrkraft gerichtet usw.). Dies soll Phänomene wie Demotivation, Störungen oder Konflikte weder negieren noch verharmlosen. In einigen Situationen werden diese auch nur außerhalb des Unterrichts in einem multidisziplinären Team aufzufangen sein, sodass die Schule und die Lehrkraft nicht in der alleinigen Verantwortung dieser strukturtheoretischen Problemlagen stehen. Im Vorgriff auf das anekdotische Beispiel im abschließenden Artikel zu diesem Sammelband (s. Gerlach/ Fasching-Varner in diesem Band) kann festgestellt werden, dass Lehrkräfte zuallererst Schüler*innen und nicht etwa ein Fach unterrichten. Für Professionalisierung erscheint es dabei entscheidend zu sein, Lehrende anzuleiten, verschiedene Verhaltensweisen und Beweggründe ihrer Schüler*innen zu erkennen, zu ergründen und einordnen zu lernen. Hierzu benötigen sie selbstverständlich fachliches (d. h. sprachliches, literatur- und kulturwissenschaftliches etc.), pädagogisches und (fremdspra‐ chen)didaktisch-methodisches Wissen und entsprechende Handlungskompetenzen. Für Fremdsprachenlehrer*innen ist dabei ein positives sprachliches Fähigkeitsselbstkonzept besonders wichtig (vgl. Valadez Vazquez 2014: 412, 418). Dass die drei Wissensbereiche als jeweils getrennt voneinander zu verstehen sind und ihr Aufeinanderwirken schwer erfassbar oder nachweisbar ist, kann inzwischen in der Lehrer*innenforschung als Konsens gelten (vgl. Neuweg 2014: 587, Schädlich 2019). Hier setzt die reflexive Lehrer*innenbildung an, die nachfolgend im Hinblick auf Kritische Pädagogik betrachtet wird. 1.2 Kritische Pädagogik und kritisch-reflexive Fremdsprachenlehrer*innenbildung Die Kritische Pädagogik, so wie sie von Akbari (2008), Giroux (2011) oder Pennycook (1999) beschrieben wird, steht für eine kritische Herangehensweise an kulturell oder politisch geprägte Machtgefüge mit dem Ziel der Befähigung von Lehrenden und Lernenden, diese Strukturen zu erkennen, zu hinterfragen und unter demokratischen Bedingungen zu verändern. Insofern geht es für Lehrende bzw. Fremdsprachenlehrende nicht mehr um eine Prioritätenentscheidung (pädagogischer Auftrag versus Kompetenzvermittlung), sondern um die Entwicklung einer den Lernenden zugewandten respektvollen Haltung, 200 Dagmar Abendroth-Timmer die es dann mit sich bringt, dass Themen anders und generell andere Themen auch im Fremdsprachenunterricht relevant werden (vgl. Jeyaraj/ Harland 2016: 588 ff.). Zu behan‐ delnde Themen müssen sich aus dem unmittelbaren sozialen, kulturellen und politischen Umfeld der Lernenden ableiten (z. B. wie gestaltet sich Mehrsprachigkeit im familiären und städtischen Lebensumfeld der Lernenden, wie wird sie gelebt, wie wird mit Sprache im öffentlichen Raum umgegangen, warum wäre etwas zu ändern und was wäre zu ändern? ). So hebt Akbari (2008: 280) hervor, dass Kritische Pädagogik (CP) vom lokalen Kontext ausgehend Inhalte definiert, „and local here includes the overall actual life experiences and needs of learners. Learners‘ needs in CP are defined not just linguistically or in terms of tasks, but in terms of the purposes they serve in the social mobility and activism of students.“ Zugleich strebt Kritische Pädagogik an, Lernende zu befähigen, gegebene Strukturen zu hinterfragen, zu verhandeln und aktiv zu verändern. Themen anders zu behandeln bedeutet damit, Lernende zum autonomen Handeln anzuregen, z. B. über eigenständig entwickelte Projekte, Diskussionen und Partizipation an der Unterrichtsorganisation usw. (vgl. Crookes 2013: 46 ff., Giroux 2011). Es geht also nicht nur um die kritische Positionierung zum außerschulischen Kontext, sondern auch um innerinstitutionelle Machtkonstellationen. Dabei ist es erforderlich, dass Lehrende ihre eigenen Wertvorstellungen hinterfragen (vgl. Jeyaraj/ Harland 2016). Jeyaraj/ Harland (2016: 594) weisen nach, dass die Selbstreflexion der Lehrenden mit der Förderung des kritischen Denkens der Lernenden einhergeht, und stellen Folgendes fest: They were aware that they were not neutral and wanted to openly acknowledge their beliefs and commitments to teaching a language in the context of contemporary social concerns. From then on, they sought to empower students as free thinkers and ensure that critical thinking and critical pedagogy went hand in hand. Dabei ist meines Erachtens davon auszugehen, dass mit dem Bestreben nach einer Ko-Kon‐ struktion kritischen Wissens und kritischer Haltungen (Abraham 2014: 95) auch eine (sozial) kontextualisierte und ganzheitliche Sicht auf die Lernenden und eine (selbst)kriti‐ sche flexible professionelle Haltung einhergeht. Dadurch entsteht bestenfalls ein proaktives Arbeitsklima (Salutogenese) für Lehrende und Lernende. Wie dies in Zusammenhang mit reflexiver Fremdsprachenlehrer*innenbildung steht, soll nachfolgend diskutiert werden. Reflexive Lehrer*innenbildung geht basierend auf einem (berufs)biographischen Ansatz davon aus, dass (angehende) Lehrende zu ihren berufsbezogenen Erfahrungen und Annahmen in eine kritisch-reflexive Distanz treten sollten, um eine Offenheit für neue Theorien und praktische Konzepte zu entwickeln und diese als persönlich relevant einzuschätzen. Dazu müssen sie sich mit ihren Lern- und Lehrbiographien auseinandersetzen und es wagen, ihre eigenen Lernwege und ihre eventuell entwickelten unterrichtlichen Handlungsroutinen zu hinterfragen. Hierzu zählt für Fremdsprachenlehrende, ihre (Norm)Vorstellungen von Sprache und Mehrsprachigkeit sowie von Spracherwerbs- und -vermittlungsprozessen kritisch zu beleuchten. Zum Zweck einer solchen Reflexion liefert Meier (2017: 155) eine Gegenüberstellung gegensätzlicher Konzepte wie strukturalistische Konzepte von Sprache als geschlossenes beschreibbares System gegenüber postmodernen Vorstellungen von Sprachlichkeit als „transmodal per‐ formance“ bzw. Sprache als Prozess sozialen Handelns (Pennycook 2007: 63). 201 Kritisch-reflexive Professionalisierung von Fremdsprachenlehrenden Insofern Kritische Pädagogik Kontexte und Werdungsprozesse von Normvorstellungen und Machtstrukturen zum Reflexionsgegenstand macht, erscheint der strukturtheoretische Ansatz der Lehrer*innenbildung relevant, da auch hier die persönliche und berufliche Eingebundenheit in gesellschaftliche und institutionelle Strukturen aufgedeckt wird, um so zu ergründen, welchen Einfluss diese auf Haltungen von Lehrenden haben. Lehrende werden, wenn sie dies zum Reflexionsgegenstand machen, ihre eigene kritische Position zu schulischen und (fremdsprachen)didaktischen wie pädagogischen Prämissen und Struktu‐ ren besser erfassen können. So betont Crookes (2013: 52) “that a teacher who is starting to explore the possibilities provided by critical language pedagogy may equally be exploring what his or her values are.“ Dabei werden Lehrende auf Antinomien (vgl. Helsper 2004) treffen, die es abzuwägen gilt und zu denen sie sich positionieren können (beispielsweise der Antinomie zwischen einer bildungspolitisch vorgegebenen unterrichtlichen Standardisierung gegenüber dem Wunsch nach Individualisierung und Kontextualisierung des Unterrichts im Sinne der Kri‐ tischen Pädagogik). Dies kann gegebenenfalls mit der weiteren Beschäftigung mit pädago‐ gischen, didaktischen und unterrichtsmethodischen Konzepten einhergehen. Ausgehend von verschiedenen empirischen Projekten, die (angehende) Lehrende über unterschiedliche Methoden zur Reflexion ihrer professionellen Identität und ihrer fremdsprachendidakti‐ schen Kompetenzen anregten, wurde folgendes Modell von Reflexion entwickelt: Abb. 1: Modell zur Definition von Reflexion (Abendroth-Timmer 2017: 111) Im Zentrum steht die Lehrkraft. Äußere Bezugspunkte der Reflexion sind die Lernenden, Sprachen und Kulturen, der gesellschaftliche und institutionelle Rahmen, frühere Lehr‐ personen, peers, die Lehrer*innenausbildende und Forschende, Sprachen und Kulturen und schließlich Instrumente und Kontexte der Reflexion. Als Inhalte und Ziele von Reflexion, die wiederum der Lehrperson inhärent sind, können folgende benannt werden: Persönlichkeit, Haltungen, Erfahrungen, theoretisches Wissen und Können, praktisches Handeln, auf die Zukunft projiziertes Handeln, berufliches Selbstkonzept, Emotionen, Motivation und Leiblichkeit (vgl. ebd.: 111). 202 Dagmar Abendroth-Timmer All diese Aspekte sind zum einen Inhalte und damit Gegenstände der Reflexion. Zum anderen wirken sie selbst auf den Prozess der Reflexion und auf ihre Ergebnisse ein. Neben dieser kognitiven Ebene der Reflexion muss betont werden, dass Reflexion und Handlungsänderung immer auch mit Emotionen einhergehen. In der Reflexion selbst werden die erlebten Emotionen zudem erneut hervorgerufen. Dies führt gegebenenfalls zur Verunsicherung und kann den Abbruch der Reflexion auslösen. Weiterhin ist die Rolle der Leiblichkeit im Reflexions- und Professionalisierungsprozess zu berücksichtigen. Demgemäß wird nachfolgend davon ausgegangen, dass Leiblichkeit (vgl. Fuchs 2015) zur Bewusstmachung beitragen kann, dass sie aber besonders die Entwicklung des Hand‐ lungsrepertoires von Lehrenden befördern kann. Nicht zuletzt hat Leiblichkeit einen unmittelbaren Bezug zu Sprache und Emotionen als wesentliche Komponenten im Fremd‐ sprachenerwerb, im Fremdsprachenunterricht und schließlich in der Reflexion über eigene fremdsprachliche Lehr- und Lernprozesse. Alle drei Parameter können nicht voneinander losgelöst betrachtet werden und befördern sich gegenseitig (vgl. Abendroth-Timmer 2017: 106 ff.). Dies wird in Kapitel 2 noch genauer besprochen. Das vorgestellte Modell von Reflexion kann im Hinblick auf eine kritisch-reflexive Professionalisierung von Fremdsprachenlehrenden beleuchtet und ergänzt werden. In dem Sinne werden Lehrende dazu befähigt, die Strukturen, innerhalb derer sie und die Lernenden sich bewegen, kritisch zu erfassen. Dies gilt - wie bereits im Modell angelegt - nicht nur in Bezug auf die gesellschaftlichen und beruflichen Rahmenbedingungen, sondern darüber hinaus auch auf die Kontexte und Instrumente der Reflexion. In Anlehnung an die Kritische Pädagogik geht es aber nicht allein um Selbstreflexion und professionelle Weiterentwicklung, sondern auch um die Ermächtigung (empowerment/ liberation) von Lehrenden und Lernenden in der gemeinsamen Aktion und im gemeinsamen Dialog (vgl. Freire 2005: 65). So stellen Banegas/ Villacañas de Castro (2016: 456) fest: Thus, by becoming more critically aware of language planning and policies, and of the educational, market, and sociolinguistic forces that shape and are shaped by the field of ELT itself, teachers can pursue decentralization and their own, as well as their students’, empowerment. Zu unterscheiden sind dabei inhaltliche und strukturelle Ebenen des empowerment. Handelt es sich um das gemeinsame Streiten für eine schul- oder gesellschaftspolitische Sache - wie z. B. die Etablierung einer gelebten mehrkulturellen Schulgemeinschaft, „Schule ohne Rassismus“ oder die Gestaltung von Aktivitäten wie Fridays for Future - so sind dies andere Anliegen als das Unterfangen, institutionell vorgeformte hierarchische Beziehun‐ gen zwischen Lehrenden und Lernenden zu hinterfragen, da deren Aufbrechen immer wieder an strukturelle Grenzen stoßen wird. Ein Bewusstsein hierfür zu schaffen und darüber Haltungen zur eigenen Rolle und zu den Lernenden zu verändern, stellt aber einen wesentlichen ersten Schritt in diese Richtung und zur Schaffung partizipativer Bildungskontexte dar. Dieses Ziel verfolgt ein Projekt zu dramapädagogischen Verfahren in der Fremdsprachenlehrer*innenbildung, bei dem (angehende) Fremdsprachenlehrende schulische fachbezogene Konfliktsituationen bearbeiten und alternative Analysezugänge und neue Handlungsmöglichkeiten entwickeln. Nachfolgend soll genauer beleuchtet wer‐ den, welches Potenzial die Dramapädagogik birgt. 203 Kritisch-reflexive Professionalisierung von Fremdsprachenlehrenden 2. Dramapädagogik in der Fremdsprachenlehrer*innenbildung Dramapädagogik ist in der Fremdsprachenlehrer*innenbildung im deutschsprachigen Raum ein meines Erachtens bislang wenig beachtetes Konzept. Mit der Dissertation von Haack (2017) und einem Kapitel in dem von Hallet und Surkamp (2015) herausgegebenen Handbuch Dramendidaktik und Dramapädagogik im Fremdsprachenunterricht liegen erste Konzepte und empirische Daten vor. Zugleich mehren sich die Tagungen und Publikationen zur Dramapädagogik im Fremdsprachenunterricht, verbunden mit dem internationalen Netzwerk Scenario und der damit assoziierten Online-Zeitschrift oder den Konstanzer Dramapädagogischen Tagen. Als einer der Wegbereiter der Dramapädagogik im Fremdspra‐ chenunterricht ist Schewe (2000) zu nennen, der Methoden für den Deutsch-als-Fremdspra‐ chenunterricht entwickelte. Das dramapädagogischen Ansätzen zugeschriebene Potenzial lässt sich durchaus auf die Fremdsprachenlehrer*innenbildung übertragen. So bemerkt Kurtz (2008: 415) für Im‐ provisationen im Fremdsprachenunterricht, dass diese „Entscheidungs-, Interpretations-, Verhaltens- und Erlebnisfreiräume [eröffnen]“. Das Spiel mit Sprachen, Rollen und sozialen Interaktionen kann dabei ebenso biographisch nah und realistisch sein und dabei auf Kommunikationssituationen vorbereiten wie hiervon weit entfernt und fiktiv sein, was wiederum neue Handlungsspielräume erfahrbar macht. Theaterspiel oszilliert zwischen Grenzsetzung und Grenzüberschreitung. Das Spiel ist wie authentische Sprachhandlungen durch „Unvorhersehbarkeit und Augenblicklichkeit“ (Kurtz 2008: 415) geprägt. Durch die Möglichkeiten des Spiels bleiben die Lernenden aber frei in ihrer Sprachproduktion, was wiederum ein beachtliches Potenzial auch für den inklusiven Fremdsprachenunterricht birgt (vgl. hierzu auch Buck 2018, Delius 2018). Wendet man einen postmodernen Sprach‐ begriff an, wird Sprache als Prozess in der sozialen Interaktion und als „culturally embodied use“ verstanden (Pennycook 2007: 63). Insofern sind Theaterspiel und Dramapädagogik zuallererst Körperarbeit. Dabei gilt es zwischen Körper und Leib zu unterscheiden: Der Leib als Medium vermittelt uns mit der Welt, ohne dass wir ihn bemerken. Die unwillkürliche, gelebte Leiblichkeit ist eingebettet in die natürliche und soziale Umwelt und in ständigen Wechselbeziehungen mit ihr verbunden. […] Der Körper ist das, was sich aus dem Lebensprozess heraus fortwährend bildet, ablagert und verfestigt, während der Leib immer auf die Gegenwart und in die Zukunft gerichtet ist. (Fuchs 2015: 149) Der Körper ist die materielle Ebene, auch das von außen Wahrgenommene oder die Vorstellung des Subjekts dieser Außenwahrnehmung (vgl. ebd.: 149). Leiblichkeit hingegen ist das subjektiv Gelebte, das Sein des Individuums, und mit seiner Identität verbunden (vgl. ebd.: 147). Eine kognitive und körperliche Bewusstheit des Handelns als Lehrperson zu erlangen, bezeichnet van Manen (1995: 13) als eine internalisierte, verkörperlichte Überlegtheit („embodied thoughtfulness“) in der Handlung. In der Lehrer*innenbildung kann festgestellt werden, dass angehende Lehrkräfte durchaus über eine Bewusstheit über alternative Handlungsmöglichkeiten verfügen, diese aber nicht zwingend körperlich umsetzen (können). Umgekehrt kann angenommen werden, dass durch das körperliche Erproben von Handlungen und Interaktionen sowie das Erleben damit verbundener Emo‐ tionen, neue Erkenntnisprozesse und neue Handlungsmöglichkeiten entwickelt werden. 204 Dagmar Abendroth-Timmer Daher sind neben selbstreflexiven Komponenten praktische Verfahren zu verwenden, um (neue) Routinen zu entwickeln, diese auf einer körperlichen und interaktionalen Ebene zu erfahren und dieses Erleben zu reflektieren (vgl. Johnson 1994: 450). Dieses Vorgehen kann dann im Sinne der Ermächtigung im Rahmen einer kritischen Fremdsprachenleh‐ rer*innenbildung verstanden werden und sich der macht- und gesellschaftskritischen Herangehensweisen der Kritischen Pädagogik bedienen (vgl. Abraham 2014, Crookes 2013: 46 ff., Jeyaraj/ Harland 2016). Hier kann ein Bezug zwischen der Kritischen Pädagogik und dem Forumtheater nach Boal hergestellt werden. Die Wurzeln dieser Theaterform liegen - wie jene der Kritischen Pädagogik (vgl. Freire 2005) - im politischen Bestreben der Emanzipierung von unterdrü‐ ckenden Strukturen: „Beide [Boal und Freire] einte das Ziel, die ‚Kultur des Schweigens‘ aufzubrechen, einen neuen Menschen zu schaffen, einen fragenden und kritisch agierenden Bürger.“ (Gipser 2009: 5) Das Forumtheater ist eine Form des Theaters der Unterdrückten oder des Theaters der Befreiung. Ausgehend von politischen Bestrebungen Boals in Brasilien erfuhr es international unterschiedliche Rezeption, so dass die Schwerpunkte mal eher gesellschaftspolitischer, mal eher pädagogisch-psychologischer Natur sind (vgl. Ruping/ Weintz 1999: 5). Als wirkliches politisches Theater mit gesellschaftsveränderndem Impetus auf der Bühne hat es sich aber in Europa oder mindestens im deutschsprachigen Raum weniger etabliert, sondern eher als Methode und im Kontext von Workshops. Letsch (1999: 13) merkt diesbezüglich den Zusammenhang zum Psychodrama an, das Feldhendler (1992) in den Fremdsprachenunterricht übertragen hat. Das Theater der Unterdrückten hat verschiedene, bisweilen miteinander kombinierte Ausrichtungen, wie das Bildertheater (Arbeit mit Standbildern), das Theater des Unsichtbaren (Spiel im öffentlichen Raum), das Forumtheater, das Zeitungstheater (siehe zum Fremdsprachenunterricht Schumann 2016) oder das Legislative Theater (vgl. Boal 2013). Alle Formen eint der Einstieg über ein Problem oder ein Scheitern. Nachdem dies im Forumtheater von Schauspieler*innen dargestellt wurde, wird das Publikum über offene Fragen animiert, als Zuschauspieler*innen in die Szene einzugreifen und gemeinsam mit den Schauspieler*innen darstellerisch Lösungen zu entwickeln (vgl. Ruping/ Weintz 1999). Die Schauspieler*innen bleiben dabei bemüht, an der alten unterdrückenden Ordnung festzuhalten und damit der Macht der Strukturen gegenüber den veränderungswilligen Zuschauspieler*innen Nachdruck zu verleihen (vgl. Boal 2013: 67 ff.). Die Grundbotschaft ist folgende (Boal 2013: 69): Wenn es ihnen nicht gelingt, die Welt zu verändern, wird alles so bleiben, wie es ist. Und wenn sie die Welt verändern wollen - niemand wird es an ihrer Stelle tun! -, können sie jetzt damit beginnen, Veränderungen zu proben. […] Wir können uns besser vorbereiten auf eine notwendige Handlung in der Zukunft, wenn wir in der Gegenwart dafür proben. Die Methoden Boals finden Anwendung in sozialen Arbeitsfeldern, aber auch Erfahrungen aus dem universitären Bereich liegen längst vor und bestätigen Wirkungen von Dramapä‐ dagogik, die auch für reflexive Lehrer*innenbildung relevant sind: Neben der praktischen Nutzbarkeit ([…] in der Schule, in der Erwachsenenbildung, und so weiter) gewinnen die Studierenden an kritischem Bewußtsein, Selbstwertgefühl und Mut zur Selbstbehauptung, Kreativität, politischem Engagement. (Gipser/ Ruping 1999: 3) 205 Kritisch-reflexive Professionalisierung von Fremdsprachenlehrenden 1 Daniel Al-Kabbani setzt diese Methode in seinem hochschuldidaktischen Workshop „Improtheater in der Lehre“ ebenfalls ein (Universität Siegen, 14.-15.10.2019). Er gibt der Gruppe für die Bearbeitung beruflicher Konfliktsituation an der Universität jedoch immer wieder seinerseits Impulse vor, anhand derer die Szene variiert werden soll (z. B. über die Vorgabe von Emotionen). Im hier vorgestellten Projekt wurde die Lösungsfindung allein den Gruppen überlassen. Das im Folgenden dargestellte Projekt ist anschlussfähig an die Grundidee Boals und integriert Elemente des Improvisationstheaters und Coachings. 3. Das Projekt DramBild - Dramapädagogische Ansätze in der Lehrer*innenbildung In mehreren universitären Veranstaltungen zum Praxissemester wurde mit angehenden Spanisch- und Französischlehrer*innen zu unterrichtlichen Konfliktsituationen gearbeitet. Im Folgenden werden die hochschuldidaktischen Methoden sowie die Erhebungsverfahren der Begleitstudie zu Reflexionsprozessen dargestellt. 3.1 Projektdesign In dem Projekt DramBild wird erprobt, welche Rolle Leiblichkeit für die Reflexion von konfliktträchtigen Unterrichtssituationen im Fremdsprachenunterricht spielt. Es geht darum herauszufinden, wie das leibliche Einnehmen fremder Handlungsweisen und die Verbalisierung möglicher kognitiver Prozesse in einem darstellerischen Spiel Reflexions‐ prozesse beeinflusst. Dazu bringen die angehenden Lehrenden (Studierende im bzw. nach dem Praxissemester und Referendar*innen) eine selbst erlebte Konfliktsituation ein. Diese wird von einer Gruppe von peers nachgespielt. In einer nächsten Runde stellt sich an die Seite jeder Person ein*e Doppler*in. Die Aufgabe der Doppler*innen ist es, zu einem selbst gewählten Zeitpunkt „Stopp“ zu rufen. Sodann friert die Situation ein und die Doppler*innen verbalisieren einen möglichen inneren Dialog der Protagonist*innen (vgl. Elis et al. 2015: 320, Schaffner 2014: 68-73). 1 Auf diese Weise sollen die angehenden Lehr‐ personen angeregt werden, mögliche Gedanken, Emotionen und vor allem Beweggründe aller Parteien in einem Konflikt zu ergründen. Dazu müssen sich alle Teilnehmer*innen darauf einlassen, Personen zu spielen oder sich in ihre Gedankenwelt einzudenken, mit denen sie sich auf den ersten Blick vielleicht nicht identifizieren können oder wollen. Dieses Verfahren wird im Projekt DramBild verglichen mit Reflexionen, die durch Gruppendiskussionen mit peers ausgelöst werden. Bezogen auf die Diskussion mit peers wird Reflexion als soziale Praxis verstanden. Durch die Verbalisierung für die peers oder das sogenannte „thinking out loud“ (Candy et al. 1985: 102) wird sich der*die Reflektierende bestimmter Dinge erst bewusst. Daher nennen Candy et al. (1985: 102) diese Kommunika‐ tion auch „learning conversations“. Die Studierenden und Referendar*innen werden im Verlauf und Anschluss aufgefordert, über ihre Erfahrungen mit den beiden Methoden zu reflektieren und die dabei ausgelösten Gedanken und Emotionen in einem Fragebogen mit offenen Fragen zu benennen bzw. ausführlich zu beschreiben. 206 Dagmar Abendroth-Timmer 2 Dies bleibt jedoch bei unterschiedlichen Personengruppen nur quasi-longitudinal. Zudem sind weitere Daten von erfahrenen Lehrkräften zu ergänzen. Diese Erhebung konnte aufgrund von sys‐ tembedingtem Zeitmangel möglicher Proband*innen bislang nicht durchgeführt werden. Dennoch kann anhand der vorliegenden Daten bereits festgestellt werden, dass die Referendar*innen eine Tendenz zur Rollenbestätigung als Lehrkraft und dadurch mitunter eine geringere Bereitschaft zur Perspektivübernahme im Hinblick auf die Schüler*innenperspektive haben. Dahingegen reaktivieren die Studierenden schneller eigene Erfahrungen und damit verbundene Emotionen aus der Schulzeit. 3 Die Studierenden wurden gebeten, für ihre Fragebögen einen von ihnen wiederherstellbaren Code aus Buchstaben und Zahlen zu vergeben. Mit Unterstrich wird hier immer noch das Erhebungsver‐ fahren ergänzt. Das Erhebungsverfahren 1 (Ev1) hat die Reihung Diskussion dann Dramapädagogik, das Erhebungsverfahren 2 (Ev2) hat die umgekehrte Reihung. Die Textzitate aus den Fragebögen werden unbereinigt übernommen. An dem Projekt haben zwischen 2017 und 2019 insgesamt 80 Personen teilgenommen. Dabei wurden die beiden Verfahren in unterschiedlicher Reihung und mit einer Gruppe Masterstudierender auch zu verschiedenen Zeitpunkten (vor und nach dem Praxissemester) sowie mit Referendar*innen erprobt. Für die nachfolgende Auswertung werden zwei gut vergleichbare Gruppen gewählt. Die Gruppen haben beide ausschließlich im Anschluss an das Halbjahrespraktikum unterrichtliche Konflikte bearbeitet. Die erste Kohorte hat dabei zunächst die Gruppendiskussion geführt und dann gespielt, wohingegen die zweite Kohorte mit dem Spiel begonnen hat. Während ein Vergleich der Masterstudierenden und der Re‐ ferendar*innen eher dazu dienen kann, mögliche berufsbiographische Entwicklungsphasen nachzuzeichnen 2 , fokussiert der hier angestrebte Vergleich die angewandten Methoden in diesem dramapädagogisch-hochschuldidaktischen Setting. Für die Analyse wurden nachfolgende Forschungsfragen formuliert: • Welche Reflexionsprozesse lösen die Verfahren der peer to peer-Diskussion versus der dramapädagogischen Darstellung unterrichtlicher Konfliktsituationen bei (an‐ gehenden) Lehrenden aus? • Wo liegen aus Sicht der Teilnehmenden die Vor- und Nachteile der Methoden? • Unterscheidet sich die Wirkung der Methoden durch ihre Aufeinanderfolge? 3.2 Einblicke in die Projektergebnisse Die Einblicke in die Projektergebnisse erfolgten in der Reihung wie die Erhebung durch‐ geführt wurde. Zunächst war mit einer Kohorte die Reihung Diskussion gefolgt von Dramapädagogik durchgeführt worden. Mit einer zweiten Kohorte wurde in umgekehrter Reihenfolge verfahren. 3.2.1 Erhebungsverfahren 1: Diskussion gefolgt von Dramapädagogik Zunächst wird das Erhebungsverfahren 1 anhand einer Untersuchungsgruppe (Gruppe 13, UA2R 3 , SA1X, BA2, AM1) betrachtet. Die Studierenden haben zunächst die ausgewählte Situation diskutiert und dann gespielt. Bei dem von den Studierenden ausgewählten Konflikt handelt es sich um eine Situation, die eine der Studierenden erlebt hat und wie folgt beschreibt: 207 Kritisch-reflexive Professionalisierung von Fremdsprachenlehrenden Bei der ausgewählten Stunde handelt es sich um den Französischunterricht der 6. Klasse. Der Lehrer übt die frz. Aussprache mit seinen Schülern, indem ein zuvor gehörter Lektionstext mehrfach in verteilten Rollen im Plenum gelesen wird. Die Mehrheit der Schüler nimmt die Aufgabe ernst und strengt sich an; einige wenige andere sehen die Aufgabe als Gelegenheit, sich vor ihren Mitschülern zu profilieren und lesen absichtlich falsch vor. Auch nach mehreren Korrekturen seitens des Lehrers ändert sich die Situation nicht. Letztendlich reicht es dem Lehrer und er nimmt einen anderen Schüler dran. (UA2R_1Dis_2Dram_Ev1) In der Diskussion erklären sich die Studierenden das Verhalten der störenden Schüler*innen wie folgt: • die Schüler*innen suchen nach Anerkennung der Mitschüler*innen • die Schüler*innen sind unsicher • die Schüler*innen testen Grenzen aus • die Schüler*innen nehmen den Unterricht nicht ernst • die Schüler*innen haben wenig Interesse Bezüglich der Lehrperson wird einerseits vermutet, dass diese das Verhalten des Schü‐ lers ernst nimmt, gleichzeitig aber wird angegeben, dass die Lehrperson die störenden Schüler*innen zu ignorieren versucht. Auf das Fragebogenitem, welche Emotionen und Gedanken den Studierenden bei der Diskussion aufkamen, erwähnen diese ihr Verständnis für die Lehrperson und Wut über das Verhalten des Schülers. Zugleich stellen die Studie‐ renden Vergleiche mit ihrem eigenen früheren Verhalten als Schüler*in an. Zunächst war ich sehr wütend und schon beim Gedanken an die Situation sehr genervt. Meine Gedanken kreisen um die Frage nach dem ‚Warum? ‘; für mich ist ein solches Verhalten nicht zu verstehen, weil ich mich (in dem Alter) niemals so verhalten hätte. Die Wut kommt wahrschein‐ lich daher, dass ich ein solches Verhalten als mangelnden Respekt und mangelnde Höflichkeit gegenüber meiner Person werten würde. Dies sind beides Aspekte, die mir auch im Alltag sehr missfallen. (BA2_1Dis_2Dram_Ev1) Es zeigt sich hier eine starke Wertung, ohne zuvor eine Analyse durchzuführen. Die Studieren‐ den beziehen den Fall direkt auf sich und empfinden auch in der Diskussion starke Emotionen. Gegenüber den Lösungsvorschlägen der Studierenden, die den Fall eingebracht hat, zeigen sich die anderen Gruppenmitglieder skeptisch. Auch sie selbst stellt fest, sehr an dem realen Fall verhaftet zu bleiben (UA2R_1Dis_2Dram_Ev1). Als alternative Handlungsmöglichkeit entwickeln die Studierenden bereits in der Diskussion die Idee, dass die Lehrperson die falsche Aussprache als Beispiel für einen deutschen Akzent annimmt, dann eine*n andere*n Schüler*in um eine korrekte französische Aussprache bittet, um später gemeinsam einen Sprachvergleich vorzunehmen und Sprachbewusstheit zu entwickeln. Nach der Diskussion schloss sich die dramapädagogische Bearbeitung des Falls an und die Studierenden beantworteten die gleichen Fragen hierzu. Nun kommt bezüglich der Si‐ tuationsanalyse die Erklärung hinzu, dass der Schüler eventuell unsicher war. Alle anderen Annahmen, die in der Diskussion entwickelt wurden, werden bestätigt. Im Spiel empfinden die Studierenden nun Mitleid mit der Lehrperson. Das Verhalten des störenden Schülers wird als unangenehm erlebt. Solche starken Emotionen (wie Mitleid, Unwohlsein oder sogar Wut) müssen durch die angehenden Lehrpersonen wahrscheinlich zunächst ausgelebt 208 Dagmar Abendroth-Timmer werden, bevor sie in der Lage sind, sich auf einen Perspektivwechsel einzulassen. Im Spiel wird dann auch den Studierenden deutlich, dass sie eigentlich weitere Informationen über die Hintergründe des Schülerverhaltens ermitteln müssten. Von Bedeutung ist, dass sich die Person, die die Lehrperson spielt, bei der Entwicklung einer Handlungsalternative im Spiel wohler fühlt: Gleichzeitig hatte die Darstellung des Lösungsvorschlags einen positiven und motivierenden Einfluss auf mich. (UA2R_1Dis_2Dram_Ev1) Erneut handelt es sich hierbei um die Studierende, die den Fall eingebracht hat. Es mag für sie zukünftig motivierend sein, dass eine Erprobung von Handlungsalternativen positive Emotionen auslösen kann. Die zuvor entwickelte Handlungsalternative wird nach dem Spiel nicht verändert, sondern durch das Spiel getestet: Wir haben ausprobiert, wie die SuS reagieren könnten, wenn der Lehrer diesen Spaß 1x mitmachen würde und anschließend erklären würde, warum die Wörter nicht so ausgesprochen werden, wie sie geschrieben werden. (SA1X_1Dis_2Dram_Ev1) Die Studierenden schlussfolgern, dass sie in der Diskussion bereits schnell eine Lösung gefunden haben. Ihre Einstellung zum Fall hat sich dabei nicht geändert. Bezüglich der dramapädagogischen Darstellung erachten sie es als hilfreich, das alternative Lehrer*innen‐ verhalten auszuprobieren. Sie bemerken dabei, wie sehr sich Lehrpersonen immer wieder an unterschiedliches Schüler*innenverhalten anpassen müssen, und finden es nützlich, verschiedene Reaktionen hierauf durchzuspielen und so Sicherheit im eigenen Verhalten zu entwickeln. Ein Studierender nimmt sich vor, die alternative Lehrer*innenreaktion einmal in der Praxis zu erproben (AM1_1Dis_2Dram_Ev1). 3.2.1 Erhebungsverfahren 2: Dramapädagogik gefolgt von Diskussion Mit einer weiteren Gruppe von Studierenden wurde ebenfalls nach dem Praxissemester das Verfahren in umgekehrter Reihenfolge durchgeführt, zuerst erspielten die Studierenden die Situation und dann erst diskutierten sie. Da - um die Gruppenarbeit nicht zusätzlich zu beeinflussen - keine Video- oder Audioaufzeichnungen vorgenommen wurden und die Dozentin und Forscherin nicht bei allen Gruppen gleichzeitig zugegen sein konnte, ist nicht ausgeschlossen, dass die Studierenden im Verlauf des Spiels immer mal über potenzielle Lösungsansätze gesprochen haben. Sie wurden aber wiederholt daran erinnert, dies zu vermeiden. Die für die weitere Analyse ausgewählte Gruppe 22 (BTDS2, DSUO2, FCSG3, PLMH31) beschließt, folgenden Fall zu bearbeiten, der auch hier aus der Sicht der Studierenden zitiert wird, die den Fall eingebracht hat: Die Vorgabe im Französischunterricht lautete, dass nur Französisch gesprochen wird. Sobald ein Schüler auf Deutsch spricht, erhält er einen Ball. Der Ball wandert von Schüler zu Schüler, wenn deutsch gesprochen wird. Am Ende der Stunde muss der Schüler, der den Ball hat, eine Zusatzaufgabe bearbeiten. Die Lehrkraft bestimmt, wann der Ball weitergegeben wird. Der Schüler, der den Ball hat fühlt sich ungerecht behandelt. (FCSG3_1Dram_2Dis_Ev2) 209 Kritisch-reflexive Professionalisierung von Fremdsprachenlehrenden Die Studierenden stellen anhand der dramapädagogischen Darstellung bezüglich der Schüler*innen fest, dass sich diese ungerecht behandelt fühlen und sie nicht noch mehr für die Schule erledigen wollen. Aus Sicht der Lehrperson stellen die Studierenden zum einen fest, dass eine Bestrafung keine gute Methode ist. Zum anderen verteidigen sie die Methode mit dem Ziel, den Gebrauch des Französischen auf diese Weise zu automatisieren, zumal zuvor die Regeln durch die Lehrperson transparent gemacht wurden. Aus ihrer Perspektive wollen die Schüler*innen nur stören oder diskutieren. Im Spiel fühlen sich die Studierenden in der Lehrer*innenrolle angegriffen. Sie wollen sich als Autoritätsperson gegenüber den Schüler*innen durchsetzen. In der Schüler*innen‐ rolle fühlen sie sich genervt und von der Lehrperson nicht gemocht. Auf die Frage nach Gefühlen und Gedanken im Spiel schreibt eine Studierende Folgendes: „Warum gibt es diese Bestrafung überhaupt? Wir haben gar nicht genug Sätze/ Fragen gelernt, um ständig auf Französisch zu sprechen. Können wir nicht einfach mal eine Übersicht bekommen? Dann können wir auch mehr auf Französisch sagen/ fragen.“ (BTDS2_1Dram_2Dis_Ev2) Auffällig an diesem Zitat - und das ist beispielhaft für viele Fragebogenaussagen zur dramapädagogischen Methode - ist die Tatsache, dass hier in der direkten Rede die vermutete Sicht der Lernenden geäußert wird. Es kann demzufolge empirisch die Einnahme einer anderen Perspektive nachgewiesen werden. Die Studierenden äußern sich also nicht über die Situation und ihre Emotionen im Hinblick auf diese, sondern sie beschreiben ihre Gefühle in der Situation und gegebenenfalls sogar aus der Sicht einer anderen Person. Bereits nach der dramapädagogischen Darstellung gelangen die Studierenden zu folgen‐ den Lösungen des Falls (PLMH31_1Dram_Ev2): 1. Alle Schüler dürfen den Ball werfen, wenn sie hören, dass jemand Deutsch spricht > mehr Ohren, Lehrerentlastung (der Lehrkraft kann keine Subjektivität vorgeworfen werden) 2. Erstellung eines Rasters: wie fragt man nach Vokabeln, Gesprächsführung … > Vermeidung der Notwendigkeit Deutsch zu sprechen 3. Statt Bestrafung > Belohnungssystem: Gruppe, in der am wenigsten Deutsch gesprochen wird, muss nicht vorstellen Die aus der folgenden Diskussion hervorgehende Situationsanalyse ähnelt der ersten. Die Studierenden meinen, dass sich die Schüler*innen ungerecht behandelt fühlen und weniger Bestrafungen fordern. Bezüglich der Lehrperson stellen die Studierenden fest, dass diese ihre Autorität wahren muss und die Methode schützen will, um den Französischgebrauch zu automatisieren. Es kommt als Erklärung hinzu, dass sie unter Zugzwang zu stehen scheint, ihr angekündigtes Verhalten umzusetzen. Bezüglich der Gedanken und Emotionen in der Falldiskussion bemerken die Studieren‐ den, im Nachgang mehr Verständnis für die Lehrperson entwickelt zu haben. Sie stellen aber auch fest, dass die angewandte Methode nicht optimal ist und somit Schüler*innen wie Lehrer*in recht haben. Es kommt also zu einer leichten Relativierung der Ausgangshaltung der Studierenden. Dies fasst eine Studierende folgendermaßen zusammen: Ich konnte ganz anders mich in die beiden Personen versetzen, als ich es ohne theaterpädagogische Darstellung gekonnt hätte. Ich habe Empathie und den Wunsch nach einer Revolutionierung der Kommunikation in Schulen o. Universitäten verspürt. […] Ich war vorher sehr auf der Seite des 210 Dagmar Abendroth-Timmer Schülers. Mittlerweile verstehe ich beide Sichten und habe versucht in der Diskussion passable, gerechte und gute Lösungen für den Konflikt zu finden. (DSUO2_1Dram_2Dis_Ev2) Schließlich werden in der Diskussion die zuvor entwickelten Handlungsalternativen ergänzt. Es soll eine Strichliste an der Tafel geführt werden, die Schüler*innen bei Gebrauch des Französischen belohnt werden und ein Plakat soll mit französischen Formulierungen für den Klassenraumdiskurs den Schüler*innen eine Hilfestellung bieten. Im Vergleich der beiden Methoden stellen die Studierenden im Fragebogen fest, dass sie durch die dramapädagogische Arbeit die Situation und auch die Gefühle aller Beteiligten besser nachvollziehen bzw. nachempfinden konnten. In der Diskussion hingegen war es ihnen besser möglich, Handlungsalternativen zu entwerfen. Auch in der Diskussion konn‐ ten sie beide Seiten nachvollziehen, haben aber besonders über das Lehrer*innenverhalten nachgedacht. 4. Vergleich der beiden Ansätze Nach der Einsicht in zwei Einzelfälle soll nun quer durch die Datensätze die Wirkung der beiden Methoden für die Reflexionsprozesse der Studierenden betrachtet werden. Das Erhebungsverfahren 1 wurde mit 8 Gruppen und insgesamt 32 Studierenden durchgeführt, das Erhebungsverfahren 2 wurde mit 5 Gruppen und insgesamt 18 Studierenden erprobt. Allgemein zeigt sich bei der Gegenüberstellung der Wirkung der beiden Methoden, dass die Diskussion aufgrund des Meinungsaustausches besonders geschätzt wird im Hinblick auf die Entwicklung von Handlungsalternativen. Auch wird die Sicht der Lehrperson verstanden, mit der sich die Studierenden besonders befassen. Hingegen ändern die Studierenden durch die Diskussion zumeist nicht mehr ihre Einstiegsmeinung bezüglich der analysierten Situation. Eine emotionale Wirkung kann stärker der Methode der Darstellung attestiert werden. Die Gedanken und Gefühle der am Konflikt beteiligten Personen werden von den befragten Studierenden nach ihren Angaben besser nachempfunden, so dass ein tieferes Verständnis der gesamten Situation gelingen kann. Hierbei entwickeln sie zugleich Empathie, die sich in den Fragebögen mehrfach durch die Formulierung der Gedanken und Emotionen der gespielten Person nachweisen lässt. Nicht zu unterschätzen ist aber die emotional eventuell belastende Folge der Übernahme einer Rolle, mit der keine Identifikation möglich ist oder die negative Erinnerungen hervorruft. Betrachtet man noch einmal die Reihenfolge der Methoden, stellt eine Person zu Erhebungsverfahren 1 fest: Die Lösungsansätze in der Gruppendiskussion waren eher abstrakt und nicht sehr konkret. Durch das genaue Erleben und Nachempfinden der Stunde konnte man die Lösungsansätze besser auf ihre Plausibilität untersuchen. Die Durchführbarkeit wurde anhand der Darstellung zusätzlich nochmal deutlicher. (MT2_1Dis_2Dram_Ev1) Hier zeigt sich, dass in der Tat in der Diskussion Lösungen gefunden werden, aber die Darstellung die Studierenden näher an die Beteiligten in der Situation führt. Dies verdeutlicht auch das nachstehende Zitat: 211 Kritisch-reflexive Professionalisierung von Fremdsprachenlehrenden Bei der Gruppendiskussion hat man keinen Perspektivwechsel vollzogen, sondern lediglich sub‐ jektive Meinungen ausgetauscht. Dieser Meinungsaustausch könnte zu einem Perspektivwechsel anregen, aber dazu waren die Meinungen innerhalb der Gruppe zu undifferenziert und es war zu wenig Zeit ausgiebig zu diskutieren. Im Vergleich dazu hat man in der Darstellung der Unterrichtssituation diese sehr viel intensiver wahrgenommen und ganz direkt durch den Rollentausch einen Perspektivwechsel vollzogen. (GAWR3_B_Ref) Dies bestätigt auch die bereits vorgenommene Analyse der direkten Rede in den Fragebögen zur dramapädagogischen Darstellung. Einiges spricht dafür, daher mit der Konkretisierung und Emotionalisierung durch das Spiel zu beginnen und dann erst die Diskussion anzu‐ schließen, wie auch eine Studierende im Fragebogen anmerkt: In der Darstellung der Unterrichtssituation konnte man den Konflikt gut erkennen und durch die Rollen der Doppler wurde man auf eine tiefere, emotionalere Ebene aufmerksam. Dies war eine gute Grundlage, um die Situation zu reflektieren und darüber zu diskutieren. In der Diskussion konnte man dann konkrete Lösungsvorschläge formulieren. (RAML29_2Dis_Ev2) 5. Ausblick Insgesamt kann aus den empirischen Daten geschlossen werden, dass die beiden Methoden in unterschiedlicher und sich ergänzender Weise die Reflexion der angehenden Lehrper‐ sonen anregen. Im Spiel gelingt es ihnen, sich die Situation gut vorzustellen, sich in die Beteiligten einzufühlen und die Perspektiven zu hinterfragen. In der Diskussion gelangen sie auf einer kognitiven Ebene relativ schnell zu Handlungsalternativen. Ihre leibliche Erprobung im Spiel wird aber als wertvoll eingestuft, die Lösungen werden dabei auf ihre Plausibilität hin eingeschätzt und die Erprobung motiviert dazu, das entwickelte Verhalten in der Praxis umzusetzen. Insofern wird das verfügbare Handlungsspektrum der angehenden Lehrpersonen erweitert. Weiterhin scheint die Diskussion im Anschluss an die Darstellung mehr Tiefe zu erzielen. Es kann daraus geschlossen werden, dass die Kombination von Kognition, Emotion und Leiblichkeit angehende Lehrende dazu anregen kann, verschiedene Perspektiven zu übernehmen, und zwar auch solche, denen die Studierenden erst skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Sie werden veranlasst, ihre Sichtweise zu überdenken und neue Hand‐ lungsmöglichkeiten anzudenken und zu erproben. Damit entwickeln sie langfristig eine professionelle Flexibilität. Anhand des großen Fundus an Übungen Boals (2013) für das Forumtheater könnte der hier dargestellte Ansatz mit jeweiligem Fokus auf diese drei Dimensionen Kognition, Emotion und Leiblichkeit weiterentwickelt werden. Hier ist zu denken an die Befragung einzelner Darsteller*innen (auch bekannt als Heißer Stuhl), die präzise Definition des im Spiel zu verfolgenden Willens, der expliziten emotionalen Erinnerung an ähnliche Situationen, die Befragung durch den/ die Spielleiter*in und vieles mehr (vgl. ebd.). In Anlehnung an die Kritische Pädagogik dienen die hier erprobten Verfahren dazu, Studierenden systemische hierarchische Strukturen sowie individuelle Positionen, Norm‐ vorstellungen und Handlungsmuster bewusst zu machen. Dabei stellt das Instrument des offenen Fragebogens selbst ein zusätzliches Moment der Veranlassung von Reflexion 212 Dagmar Abendroth-Timmer dar. Die Wirkung konnte insbesondere bei der Erfragung der Emotionen und Gedanken im Spiel und in der Diskussion herausgearbeitet werden. Indem die Studierenden in diesen reflexiven Verfahren also lernen, alle in der Situation vertretenen Sichtweisen und Handlungswege zu hinterfragen (d. h. nicht nur die ihnen zunächst naheliegende und sympathische Sichtweise), entwickeln sie eine professionelle Analysekompetenz. Durch das Spiel erleben sie sich zudem in anderen, eventuell befremdlichen Rollen und beim Spiel der Lösungsansätze auch in motivierenden Handlungsmustern. Dies fördert eine kritisch-reflexive Handlungskompetenz und führt im besten Fall zu empowerment im Lehrberuf und zur Fähigkeit, die eigene Rolle in der Arbeit mit den Lernenden zu überdenken. Allerdings zeigt auch ein Student Grenzen der institutionell veranlassten Reflexion und verweist hiermit auf die hierarchische Situation zwischen Dozent*innen / Student*innen und Forscher*in und Beforschten: Mir fällt es schwer, mich selbst oder eine Situation zu reflektieren, wenn mir die Reflexion durch einen Arbeitsauftrag im Rahmen der Universität auferlegt wird. Eine Reflexion muss für mich von innen heraus hervorgerufen werden, um eine tatsächliche Reflexion zu sein. Löse ich den Arbeitsauftrag, reflektiere ich nicht, sondern versuche so zu antworten, wie es mein/ e Dozent/ in für richtig und didaktisch wertvoll halten könnte. Wahrhaftiger Initiator einer Selbstreflexion kann zwar durchaus von „Außen“ hervorgerufen werden - z. B. wenn ich merke, dass ich etwas falsch gemacht haben könnte und versuche, aus meiner eigenen Intention heraus, den vermeintlichen Fehler zu finden -, allerdings muss dies aus einer Alltagssituation heraus geschehen, auf die ich persönlich und selbstständig reagieren kann. (MA1) Dies stellt nicht die Verfahren in Frage, veranlasst aber Lehrerbildner*innen und For‐ scher*innen ihre eigenen Normsetzungen immer wieder kritisch zu reflektieren und offenzulegen. Literaturverzeichnis Abendroth-Timmer, Dagmar (2017): Reflexive Lehrerbildung und Lehrerforschung in der Fremdspra‐ chendidaktik: Ein Modell zur Definition und Rahmung von Reflexion. Zeitschrift für Fremdspra‐ chenforschung 28(1), S. 101-126. Abraham, Getahun Yacob (2014): Critical pedagogy: Origin, vision, action & consequences. KAPET 10(1), S. 90-98. 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Dabei greifen wir auf unterschiedliche Erfahrungen zurück: Kenny ist selbst kritischer Pädagoge, hat zu Critical Race Theory promoviert und beschäftigt sich in Forschung und Lehre mit der kritischen Analyse erziehungswissenschaftlicher Strukturen mit einem Fokus auf Identität und Differenz aus einer globalen Perspektive. David andererseits kommt stärker aus den Bereichen inklusiver Bildung, der methodischen Gestaltung von Fremdsprachenunterricht sowie der fremdsprachendidaktischen Professionsforschung. Im Rahmen gemeinsamer Projekte diskutieren wir ständig kritische Perspektiven, das Aufbauen partizipativer und demokratischer Strukturen in Schule und Hochschule und haben trotz der unterschiedlichen Systeme und Länder, in denen wir arbeiten, ähnliche Erfahrungen und Problemstellen identifiziert. Die nachfolgenden Ausführungen verstehen sich folglich als ein theoretischer Aufschlag zum Potenzial einer kritischen Fremdsprachen‐ lehrer*innenbildung, gleichzeitig greifen wir auf Konzepte und empirische Erkenntnisse von Kolleginnen und Kollegen zurück und skizzieren stichprobenartig unsere Erfahrungen und Ideen zur Förderung eines kritischen Bewusstseins bei (angehenden) Fremdsprachen‐ lehrerinnen und -lehrern. 1. Das Verhältnis Fremdsprachenlehrperson - Kritische Fremdsprachendidaktik Es ist nicht ungewöhnlich, dass Lehramtsstudierende sagen, „I teach French“ - wobei French auch durch jede andere Fremdsprache oder jedes beliebige andere Fach ersetzt werden könnte. Sobald wir dieses framing wahrnehmen, erwidern wir schnell: „No, you teach children“, und versuchen damit einen Reflexionsimpuls zu setzen, der den Studierenden ermöglicht, ihre Perspektive zu erweitern weg vom Fachlichen hin zu den Lernenden. Während Sprache als ein an sich lebendiges und formbares Konstrukt betrachtet wird, existiert die lebendige Natur der Sprache nur in dem Maße, wie Menschen Sprache benut‐ zen, formen und inszenieren. Französisch kann in dem Sinne nicht gelehrt werden, aber jede Person kann Französisch lernen. Beim Erlernen einer Sprache hat der Mensch dann die Fähigkeit, an der soziokulturellen Gestaltung der Sprache mitzuwirken. Unser Impuls zur Verlagerung des Diskurses in unseren Seminaren und in unserer Praktikabetreuung ist eine Mikrointervention, die darauf abzielt, das Bildungskonzept der angehenden Lehrkräfte von einem technokratischen zu einem menschlich-sozialen umzugestalten. Wir verwenden den Ausdruck Mikrointervention, um zu suggerieren, dass das Gespräch selbst vielleicht nicht die gesamte Unterrichtslandschaft verändert, aber wir sehen es als ein leises und vehementes Flüstern im Ohr der Lehrperson, das sie dazu veranlasst, anders zu denken, wenn er oder sie sich selbst oder jemand anderem dabei zuhört, wie er/ sie diesen frame nutzt, um sich weiterzuentwickeln. Wir begreifen unsere eigene Sprachintervention als eine Bewegung weg von der Lehrkraft als Vermittler*in hin zum menschlich interagierenden „change agent“. Ein kritischer Fremdsprachenunterricht mit seinen Prinzipien, wie er in den Beiträgen dieses Bandes dargelegt wurde, fordert dabei seinen Lehrkräften einiges ab: neue bzw. andere Interaktionen und Verhältnisse zu Schülerinnen und Schülern, ein stärker demo‐ kratisch verstandenes Unterrichtsgeschehen, das Hinterfragen und Neukonzeptionieren von Materialien … Es schleicht sich der Verdacht ein, dass hiermit ein Mehraufwand verbunden ist, der einige Kolleginnen und Kollegen abschrecken könnte. Und gleichwohl muss angemerkt werden: Es ist zumindest einiges „anders“, aber nicht unbedingt „mehr“. Im Folgenden soll ein erster Versuch unternommen werden zu skizzieren, wie Lehrkräfte vor dem Hintergrund einer so gedachten Kritischen Fremdsprachendidaktik (aus)gebildet werden könnten. Was muss Fremdsprachenlehrer*innenbildung leisten, um Lehrpersonen für diese Art von Unterricht zu sensibilisieren? Was macht eine „kritische Fremdsprachen‐ lehrperson“ überhaupt aus? Und was wissen wir aus der Forschung zur Professionalisierung von Lehrkräften und wie passt dies zu eben jenem angestrebten Bild einer ständig den Status quo hinterfragenden, den Lernenden zugewandten Person? 2. Was macht eine kritische Fremdsprachenlehrperson aus? Norton (2005) betont, dass angehende Fremdsprachenlehrkräfte nicht selten ihr Studium mit Fragen beginnen wie „Was soll ich unterrichten? “ und „Wie unterrichte ich das? “ Viel wichtiger erscheinen ihr die Fragen: „Warum unterrichten wir das, was wir unterrichten? “ und „Warum unterrichten wir, wie wir unterrichten? “ Eine kritische Fremdsprachenleh‐ rer*innenbildung wäre in diesem Sinne zunächst einmal nicht (nur) das Vermitteln und Eintrainieren benötigter (Lehr-)Kompetenzen, sondern auch Habitustransformation und Identitätsentwicklung, welche berufsbiographisch und strukturtheoretisch konstruiert werden müssen (vgl. Abednia 2012, Norton 2005, de Costa/ Norton 2017, Gray 2019). Kri‐ tische Fremdsprachendidaktik verschiebt den Fokus von einer leidenschaftslosen Metho‐ denlehre hin zu einem intersektionellen Ansatz, der die Lernenden sowohl ins Zentrum als auch an die Außengrenzen eines Settings stellt, bei dem Macht, framing, kulturelle Werte, gesellschaftspolitische, historische und moralische Erwägungen von größerer Bedeutung sind (vgl. Ladson-Billings 2006). Die zentrale Frage des Unterrichts ist dann neben dem Was, dem Gegenstand des Unterrichts, vor allem auch die Frage des Wie, der Interaktion zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern (vgl. Bonnet/ Hericks in diesem Band) und wie diese Fokusverschiebung angehenden Lehrkräften im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar und zugänglich gemacht werden kann. 218 David Gerlach & Kenneth Fasching-Varner 2.1 Praxis: Professionelles Handeln in Strukturen und Institutionen Pessimisten mögen argumentieren, dass sich die Struktur von „Schule - Lehrperson - Lernenden“ ohnehin ständig in ihrem Habitus reproduziert, dass Veränderung (gar Innovation) und damit z. B. das Einbringen einer kritischen Perspektive gar nicht in der Mühle der Institutionen umsetzbar wäre. Wir weigern uns, das zu glauben. Und es wäre gleichzeitig ein Armutszeugnis für die akademisch ausgerichtete Lehrer*innenbildung. Beispiele kritischer Fremdsprachenlehrer*innenbildung in anderen Ländern und Kontexten bestätigen zudem im Gegenteil, dass gerade durch ein kritisches Bewusstsein Innovation in ein Bildungssystem nachhaltig eingebracht werden kann (vgl. Lin 2004, Abednia 2012, s. u.). Ferner die Annahme, dass die Ideen Kritischer Pädagogik nur in solchen Gesellschaften und Kulturen fruchtbar eingesetzt werden können (oder sollten), die an sich bereits unter den Folgen von Repression und Benachteiligung gelitten haben (oder weiterhin leiden), halten wir für grundlegend falsch. Auch in westlichen, europäischen Klassenzimmern finden sich ständige Ausformungen und Praktiken von Benachteiligung und Machtkämpfen, das Leben der Lernenden außerhalb von Schule und Unterricht ist von Konflikten, Ängsten, Diskri‐ minierungen, aber auch Chancen, Hoffnungen und Möglichkeiten geprägt, die von Sprache und auch der Fremdsprache geleitet, verstanden, durchdrungen und ausgehandelt werden sollten. Dies kann auch auf einer hierarchiehöheren Ebene des Bildungssystems betrachtet werden, wenn beispielsweise durch neoliberale Kräfte, wie Gray (2019) am Beispiel des Vereinigten Königreichs deutlich macht, Bildung und Lehrer*innenbildung der Gefahr ausgesetzt sind abgewertet zu werden und kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung den Akteur*innen dann eine Stimme geben kann. Um kritischen Fremdsprachenunterricht als kritische Lehrperson gestalten zu können, bedarf es eines grundständigen und umfassenden Wissens. Wie bereits dargelegt wurde (s. Gerlach in diesem Band) ist Kritikfähigkeit bzw. kritisches Denken nur vor dem Hintergrund einer breiten Wissensbasis und Kompetenzen möglich. Im kompetenztheore‐ tischen Sinne ist daher eine intensive Auseinandersetzung mit theoretischen Konzepten von Spracherwerb und Sprachenlernen, Literatur, Kultur und Erziehungswissenschaft für kritische Lehrkräfte unbedingt nötig. Fehlen diese, besteht die Gefahr, dass Kritik unbe‐ gründet und nur um ihrer selbst willen produziert wird. Damit bleibt sie aber unproduktiv und reflektiert keine Alternativen zum Status quo. Ein kritisches Bewusstsein mitsamt der Entwicklung von Moralvorstellungen und Selbstwirksamkeit scheinen als sozusagen „metakognitives Wissen“ notwendige Kriterien zu sein, damit Fremdsprachenlehrpersonen adaptiv und innovativ auf ihr „Kerngeschäft“ reagieren können (vgl. Kubanyiova/ Croo‐ kes 2016, Gerlach/ Leupold 2019). Diese Fähig- und Fertigkeiten hängen eng zusammen mit der Motivationslage der Lehrpersonen (vgl. z. B. Dörnyei/ Kubanyiova 2014), ob sie beispielsweise ihren Job aus einer gewissen „Berufung“ heraus ergreifen, ob sich diese Motivation vermittels der Ausbildung einstellt und/ oder ob sie (möglicherweise) trotz gewisser institutionalisierter Strukturen und Sinnhaftigkeiten erhalten bleibt (oder nicht). Die von den Lehrpersonen individuell wahrgenommene Veränderung der Fremdsprachen, des Fremdsprachenlernens und der Fremdsprachenlernenden durch Technologisierung, Globalisierung sowie die Mobilität der Menschen gehören zum Kern reflexiv-kritischen Fremdsprachenlehrer*innenhandelns. Wie in internationalen Beispielen immer wieder hervorgehoben wird, ist es gerade das kritische Bewusstsein und die ständige Reflexion, die 219 Grundüberlegungen zu einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung langfristig Zufriedenheit im Beruf aufrechterhalten (vgl. z. B. Kubanyiova/ Crookes 2016, Sardabi et al. 2018). 2.2 Haltung: Entwicklung eines kritischen Bewusstseins Internationale Forschung zu kritischen Fremdsprachenlehrkräften konzeptualisiert diese als „transformative intellectuals“ (Giroux 1988, Kumaravadivelu 2003) bzw. „cultural workers“ (Freire 2005, vgl. auch Abednia 2012). Das nötige wachsende Bewusstsein um Machtstrukturen haben Pennycook (2004) und Hawkins/ Norton (2009) besonders hervorgehoben, gleichwohl angemerkt werden muss, dass sie sich in der Regel nicht auf westliche Kontexte beziehen. McDonald und Zeichner (2008) setzen sich - in einer eher westlichen Perspektive - für eine Weiterentwicklung der „multicultural teacher education“ zu einer „social justice teacher education“ ein. Sie gehen davon aus, dass eine auf Multikulturalität ausgerichtete Lehrer*innenbildung zwar Diversität positiv herausstellt, aber immanente Machtstrukturen weniger problematisiert als ihr in sozialer Hinsicht weiterentwickelter Schwerpunkt. Kritische Fremdsprachenlehrkräfte sind damit „kritische Pädagog*innen“ mit einem transformativen Anspruch (vgl. Akbari 2008) und zeigen eine gewisse Haltung zum Unterricht(en) (vgl. Pennycook 2001), sehen sich selbst und ihre Lernenden als Ressourcen, um Wandel und Veränderung herbeizuführen (vgl. Zeichner 2011, Janks 2014). Diese Haltung ist damit sehr ähnlich zum oben bereits angedeuteten „kritischen Bewusstsein“, kann daher auch kompetenztheoretisch begriffen werden und ist damit „förderbar“. Sich Kritische Pädagogik und Critical Literacy zu eigen zu machen, wie sie im Einfüh‐ rungsbeitrag zu diesem Sammelband und einigen der Beiträgen beschrieben wurden, und sie in den eigenen Fremdsprachenunterricht einfließen zu lassen, bedeutet nicht, eine Ideologie oder Theorie zu adaptieren. Vielmehr geht es um eine Haltung zur Gestaltung von Unterricht, die praxisorientierter kaum sein könnte. Nun gelten Haltungen und Überzeugungen als relativ starr, wenn auch in „jüngeren“ Berufsjahren möglicherweise noch eher offen und positiv: In working with young language teachers, I have noticed that the aspirations of these individuals are often far more humanistic than the institutions from which they themselves graduated. If they have, or acquire a broader, more sociopolitical dimension to their thinking and pedagogy while they are doing advanced professional studies, they also sometimes acquire greater frustration. (Crookes 2009: 336) Einstellungen und Haltungen sind biographisch geprägt und konstituieren sich im Rahmen einer individuellen Identitätsentwicklung (s. u.). Forschung dazu, inwiefern diese kritische Haltung z. B. durch Fallarbeit, Reflexion oder Konfrontation mit kritischen Gegenständen gefördert werden kann, steckt noch weitgehend in den Kinderschuhen (vgl. Kubanyi‐ ova/ Crookes 2016). Die langfristig angelegte, biographieorientierte Betrachtung dieser Haltung und der Entwicklung (oder möglicherweise auch die Rückentwicklung) eines kritischen Bewusstseins scheint durchaus lohnenswert. 220 David Gerlach & Kenneth Fasching-Varner 2.3 Identität(sentwicklung) Kritische Fremdsprachenlehrpersonen zeichnen sich neben einer entsprechenden Haltung und professionellem Handeln auf Basis von breitem Wissen und Kompetenzen zunächst einmal als Menschen aus, die multiple Identitäten in sich tragen und sich dessen bewusst sind. Diese Identitäten werden im privaten wie im beruflichen Feld wirksam, zeigen sich auf verschiedenen Reflexionsebenen abhängig von einer gewissen Berufung, formen Glaubens‐ sätze und Haltungen und können damit auch Wissens- und Kompetenzerwerb beeinflussen (vgl. Korthagen/ Vasalos 2005). Identität ist dabei ein sehr weiter, teils im wissenschaftlichen Diskurs um Fremdsprachenlehrpersonen durchaus schwammiger Begriff (vgl. Barkhuizen 2017, Schultze 2018). Gleichwohl ist er in einer kritischen Perspektive höchst bedeutsam: Das Bewusstsein dessen, dass man durch seine eigene Biographie, das soziale Umfeld, Kultur und Politik beeinflusst wird, erlaubt es, eine kritische Distanz zu diesen Faktoren aufzubauen und sie gleichzeitig als potenziell wirkmächtig für Schule und Unterricht differenziert wahrzunehmen (vgl. Bercaw/ Stooksberry 2004, McDonald/ Zeichner 2008, Gerlach/ Leupold 2019). Wenn gesellschaftlich-demokratische Partizipation auf Seiten der Lernenden ein Ziel kritischen Fremdsprachenunterrichts sein soll, leben ihnen die Lehrpersonen dieses Prinzip vor. Dazu gehört die kritische Reflexion der eigenen Rolle in der Gesellschaft sowie die Reflexion gesellschaftlicher und politischer Normen und Werte, die Veränderungen unterworfen sein können. Im Folgenden soll anhand der aktuellen Strömungen in der Professionsforschung zu Lehrerinnen und Lehrern gezeigt werden, wie anschlussfähig diese sein könnte für die Gestaltung von Professionalisierungsprozessen, um ein kritisches Bewusstsein seitens der Lehrkräfte zu fördern. 3. Professionstheoretische (Zwischen-)Überlegungen Ziel der aktuellen erziehungswissenschaftlichen Professionsforschung ist es, „in je spe‐ zifischen Kontexten Prozesse der Professionalisierung und Deprofessionalisierung zu rekonstruieren, für begrenzte Bereiche notwendige Kompetenzen der Professionellen zu bestimmen und Wege zu deren Erwerb zu skizzieren“ (Hericks et al. 2019: 598). Um dieses Ziel zu verfolgen, haben sich drei Bestimmungsansätze von Professionalität im Lehrberuf in der teils widersprüchlichen schulpädagogischen Professionsdebatte etabliert (vgl. z. B. Terhart 2011), auf die auch Dagmar Abendroth-Timmer (s. Beitrag in diesem Band) schon hingewiesen hat. Sie sollen hier in der gebotenen Kürze nochmal ausgeführt werden, um im Anschluss darstellen zu können, wie ihre scheinbare Widersprüchlichkeit mittels einer kritischen Perspektive aufgelöst werden könnte (vgl. auch Gerlach et al. 2020). Der strukturtheoretische Bestimmungsansatz von Professionalität bettet professionelles Handeln in dessen Struktur ein, d. h. es wird versucht, das professionelle Handeln bzw. die Handlungsprobleme mithilfe der Strukturlogik zu verstehen und zu interpretieren (vgl. Oevermann 2002, Helsper 2011). So werden Widersprüche und Spannungen im professionellen Handeln von Lehrkräften nicht bewusst erzeugt, sondern sind auf die grundsätzlich antinomische Struktur von Schule bzw. die diffus-ganzheitlichen und gleich‐ zeitig spezifisch-rollenförmigen Beziehungsstrukturen zurückzuführen (vgl. Oevermann 221 Grundüberlegungen zu einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung 2008, Oevermann 1996, Helsper 2002, s. auch Terhart 2011), welche seitens der Lehr‐ kraft reflektiert werden müssen. Der kompetenztheoretische Bestimmungsansatz sieht Professionalität von Lehrkräften darin, dass sie über Handlungskompetenzen verfügen, mit denen sie die genau definierten Anforderungen des situativ unsicheren Unterrichts bewältigen können (vgl. Terhart 2011, Baumert/ Kunter 2006). Dieser Bestimmungsansatz rechtfertigt den Ausbildungsprozess für den Kompetenzerwerb von Lehrpersonen in einer institutionellen Lehrer*innenbildung (vgl. Cramer 2012). Der berufsbiographische Ansatz erachtet zuletzt Professionalität, „als [ein] berufsbiografisches Entwicklungsproblem“ (Terhart 2001: 56). Damit steht die Professionalisierung (natürlich auch die Deprofessionali‐ sierung) in Verbindung mit der eigenen privaten und beruflichen Biographie, wodurch eine „lebensgeschichtlich-dynamische Sichtweise“ (Terhart 2011: 12) eingenommen wird, die einer ständigen Reflexion bedarf (vgl. Bonnet/ Hericks 2014). Wie Terhart (2011) konstatiert, sind insbesondere „[l]ängerfristige Kompetenzentwicklung, Weiterbildungserfahrungen, Karrieremuster, kritische Lebensereignisse und ihre beruflichen Folgen, aber auch Belas‐ tungserfahrungen und Belastungsbewältigung […] zentrale Themen dieses Ansatzes“ (ebd.: 208). So widersprüchlich die Bestimmungsansätze - auch aufgrund Terharts ursprünglicher Untergliederung - häufig dargestellt werden, so zeigen sie in vielerlei Hinsicht ihre, teils auch ineinander verschränkte Relevanz: Zum einen der Drang (und Wunsch) nach dem Aufbau von (Handlungs-)Wissen (Kompetenzen), zum anderen die nötige (und ständige) Reflexion des eigenen Handelns vor dem Hintergrund von Krisen und Unerwartetem. Für einen kritischen Fremdsprachenunterricht dürfte letzteres der Normalfall sein. Es bedarf folglich einer gewissen - im kompetenztheoretischen Sinne - Motivation und Selbstwirksamkeit auf Seiten einer Lehrkraft, sich dieser Konzeption von Fremdsprachen‐ unterricht zu stellen. Und dies muss insbesondere vor dem Hintergrund der je individuellen Biographie als Fremdsprachenlernende*r und der (sich entfaltenden) Berufsbiographie als (angehende) Fremdsprachenlehrkraft geschehen. Hier sind in einer Zusammenführung eines strukturtheoretischen und berufsbiographischen Ansatzes die letzten Diskussionen zum Lehrer*innenhabitus zu sehen (vgl. Kramer/ Pallesen 2019). In der internationalen Fremdsprachenforschung wird allerdings seltener mit Bourdieus Habitusbegriff gearbeitet, wenn es um die Lehrkräfte geht. Vielmehr geht es um identity als Konstrukt (meist „multiple Identitäten“), die eine biographische Perspektive aufweisen (vgl. Barkhuizen 2017). Schultze (2018) sucht für „professionelle Identitätsbildungsprozesse“ im Anschluss an Kollers transformatorischen Bildungsbegriff (Koller 2018) und Butlers Subjektivationsthe‐ orie (Butler 2001) nicht nach Brüchen und Krisen, wie sie häufig in strukturtheoretischen Arbeiten mit der Habitustheorie im Vordergrund stehen, sondern nach Bewegungen und Wiederholungen, „Verschiebungen grundlegender narrativer Figuren des professionellen Selbst- und Weltverständnisses“ (Schultze 2018: 271). Für Lehrer*innenbildung muss die Frage gestellt werden, wie Identitätsbildung oder -entwicklung aufgegriffen und mit ihrer kritischen Perspektive gefördert werden kann, wenn man gleichzeitig berücksichtigt, dass die Identitätsentwicklung von Lehrpersonen vom Individuum ausgehen muss und Aussowie Fortbildung lediglich „Möglichkeiten und Anreize“ (Legutke/ Schart 2016: 27) schaffen kann. In der internationalen Fremdspra‐ chenlehrer*innenbildung werden kritische Ansätze bereits deutlich länger diskutiert und 222 David Gerlach & Kenneth Fasching-Varner auch ihre Implementation in Professionalisierungsprozesse empirisch fundiert und beglei‐ tet. Hawkins/ Norton (2009) sowie Abednia (2012) ordnen die Forschung hierzu in drei große (allerdings nicht immer ganz trennscharfe) Strömungen ein: Studien, die 1) der übergeordneten Frage nachgehen, wie angehende Lehrkräfte ein kritisches Bewusstsein hinsichtlich gesellschaftlicher Machtgefüge und Ungleichheiten entwickeln können, 2) die (angehenden) Lehrkräfte zur kritischen Reflexion der eigenen Identität und Positionierung in der Gesellschaft anregen und 3) die Ausbildungspraxis - insbesondere die Machtgefüge zwischen angehenden Lehrkräften und Lehrerbildner*innen - kritisch betrachten. Unter 1) anzusiedeln ist z. B. die Arbeit von Goldstein (2004), die durch die Implementie‐ rung von „performed ethnography“ zeigt, wie angehende Fremdsprachenlehrkräfte Span‐ nungen in multilingualen und -kulturellen Schulen gerechter begegnen können, sodass die Lehrkräfte letztlich existierende soziale Ungerechtigkeiten erkennen und verändern (für weitere Studien in diesem Schwerpunkt s. z. B. Pennycook 2004, Hawkins 2004 oder Sharma/ Phyak 2017). Unter 2) ist z. B. die Arbeit von Abednia (2012) zu sehen, in der gezeigt wird, dass sich die Identitäten von Fremdsprachenlehrkräften nach einer kritisch ausgerichteten Lehrveranstaltung in drei Richtungen verschieben: from conformity to and romanticization of dominant ideologies to critical autonomy, from no orientation or an instrumentalist orientation to a critical/ transformative orientation of teaching, and from a linguistic and technical view to an educational view of second language education. (ebd.: 706) Weitere ähnliche Studien sind z. B. die von Kubanyiova/ Crookes (2016), Crookes (2015), Yazan (2019), Lin (2004), Stein (2004), Pavlenko (2003) oder auch Sardabi et al. (2018). Unter 3) fällt das Paper von Crookes/ Lehner (1998), die einen Kurs für Fremdsprachenlehrkräfte beschreiben, in dem im Sinne Kritischer Pädagogik alle Teilnehmenden gleichermaßen für die (inhaltliche) Kursgestaltung und den Lernerfolg verantwortlich waren und der u. a. zu einer kritischen Reflexion der eigenen Rollen als „teacher educators“ sowie einer Umstrukturierung des Curriculums führte. Weitere Forschungsarbeiten, die überwiegend der dritten Kategorie zugeordnet werden können, sind diejenigen von Block/ Gray (2016), West/ Crookes (2017), Crookes/ Lehner (1998), Willett/ Miller (2004) und Toohey/ Waterstone (2004). Es drängt sich ob der Studienlage und ihrer Schwerpunkte die Frage auf: Wie wichtig ist (überhaupt) „Wissen“ für eine kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung? Für kritisches Denken wird ein hohes Maß an domänenspezifischem Wissen benötigt (vgl. Willingham 2007, Gerlach in diesem Band), d. h. für ein kritisches Fremdsprachenlehrer*innenhan‐ deln ist (kompetenztheoretisch) ein breiter Kenntnisstand über didaktisch-methodische Ansätze, linguistisches, kulturelles und literarisches Fachwissen sowie fachdidaktisches und pädagogisches Wissen vonnöten. Allerdings zeigt die Professionsforschung auch, dass gerade implizite Wissensbestände (Orientierungen, beliefs, Glaubenssätze) einen enormen Einfluss auf das professionelle Lehrer*innenhandeln haben (vgl. Bohnsack 2020, Caspari 2003/ 2014). Und dies dürfte sich folglich im Rahmen einer Professionalisierung hin zu einer kritischen Fremdsprachenlehrkraft äußern: Wie „kritisch“ sind die (angehenden) Lehrkräfte überhaupt selbst eingestellt? Wie äußert sich diese Kritikfähigkeit? Hinterfragen sie ihr eigenes Handeln (produktiv)? Mithilfe welcher Wissensbestände hinterfragen sie 223 Grundüberlegungen zu einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung es? Welche Erfahrungen haben in der (Berufs-)Biographie dazu geführt, dass (angehende) Lehrkräfte (un)kritischer sind und gewisse Inhalte und Strukturen (nicht) hinterfragen? Und: Wie kann ein kritisches Bewusstsein auf Seiten einer (angehenden) Fremdspra‐ chenlehrkraft überhaupt gefördert und Bestandteil impliziter Orientierungen werden, um Praxisrelevanz zu erhalten? 4. Kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung Im Folgenden skizzieren wir Ideen, um das kritische Potenzial von (angehenden) Fremd‐ sprachenlehrkräften zu wecken und zu fördern. Wir versuchen an dieser Stelle ganz bewusst - aufgrund der Zielgruppe dieses Sammelbandes - unsere Erfahrungen und Ideen auf das deutsche Lehrer*innenbildungssystem anzuwenden. Es mag allerdings gleichsam anachronistisch wirken, dass diese Ideen vor dem Hintergrund der aktuell dominierenden Phasierung von Hochschulbildung, Vorbereitungsdienst und Fort-/ Weiterbildung vorge‐ stellt werden und nicht etwa an den Grundfesten dieser Phasen gerüttelt wird. Es gebe doch genug Kritikwürdiges an Bologna-optimierten Modulen, einem kaum auf Partizipation sei‐ tens der angehenden Lehrkräfte ausgerichteten Lehrer*innenbildungssystem (Block/ Gray 2016) und einem stressigen, kaum „(Lehrer*innen-)Bildung“ erlaubenden Referendariat (vgl. Gerlach 2020b). Man könnte dem entgegnen: „One step at a time …“ - und dabei muss es gar nicht so revolutionär daherkommen. Auch die aktuellen Strukturen von Lehrer*innenbildung erlauben - mit leichten Flexibilisierungen sowie einer Verschiebung des Fokus - Möglichkeiten für eine zunehmend Kritische Fremdsprachendidaktik, die von ihren kritischen Lehrkräften im interaktiven Austausch mit den Lernenden als Unterricht gestaltet wird. Die Ausführungen sind - wie einige in diesem Sammelband - konzeptionell-theoretisch und aufgrund der mangelnden empirischen Evidenz ob ihrer Praktikabilität (oder gar Wirk‐ samkeit) wiederum (zunächst) in Teilen äußerst kritikwürdig. Man mag sogar so weit gehen zu fragen, ob man überhaupt eine an „Kritikfähigkeit“ ausgerichtete Lehrer*innenbildung braucht oder ob das nicht einen Berufsstand überfordert bzw. die auf Standardisierung ausgerichtete Schullandschaft konterkarieren würde (vgl. Block/ Gray 2016, Gray 2019). Vielleicht lassen wir es darauf ankommen, wie sich Fremdsprachenunterricht durch seine Lehrkräfte verändern lässt (oder nicht). Dass solche Maßnahmen oder Fokusverschiebun‐ gen einer wissenschaftlichen Begleitung bedürfen, steht außer Frage. Entsprechende Forschung muss in den nächsten Jahren angestrebt und umgesetzt werden (s. u.). Grundeinstellungen Phasenübergreifend gehört zu einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung die Förderung eines reflexiv-kritischen Habitus, der Hochschule, Schule und Unterricht als Organisation und die Strukturen in ihnen - seien sie formalistisch oder sozial - hinterfragt (vgl. Hawkins/ Norton 2009, de Costa/ Norton 2017). Damit geht eine kritische Lehrer*innenbildung weniger der Frage der didaktischen Vergegenständlichung oder der methodischen Vermittlung nach, sondern überprüft, warum etwas vermittelt und zum Gegenstand gemacht wird und wer die (angehenden) Lehrkräfte in ihrer biographischen Subjektiviertheit überhaupt sind (vgl. Norton 2005). Es mag nicht überraschen, dass die 224 David Gerlach & Kenneth Fasching-Varner für die Professionalisierung international als positiv gesehene Beforschung des eigenen Handelns im Klassenzimmer (Aktionsforschung) auch den kritisch-pädagogischen Diskurs hinsichtlich der Frage nach zielführender Lehrer*innenbildung dominiert (vgl. Crookes 2013). Der Begriff der „praxis“ ist hiermit eng verbunden, der in der englischsprachigen Literatur als situierte Verknüpfung von Theorie und Praxis definiert wird mit der Idee, dass Praxis auch immer wieder Theorie erzeugt. Ein Fokus auf die Überformung eines Schüler*innenhabitus zum Lehrer*innenhabitus sowie die umfassende Entwicklung der Fremdsprachenlehrer*innenidentität (vgl. Schultze 2018, Legutke/ Schart 2016) scheinen weitere Desiderate einer strukturierten Fremdspra‐ chenlehrer*innenbildung in einer kritischen Perspektive zu sein. Wie Kanno/ Stuart (2011) aus einer internationalen Perspektive ebenfalls anmerken: Our findings compel us to claim that the central project in which novice L2 teachers are involved in their teacher learning is not so much the acquisition of the knowledge of language teaching as it is the development of a teacher identity. (ebd.: 249) Gleichwohl gilt: Wenn davon ausgegangen wird, dass besonders implizite Orientierungen und Überzeugungen unser Handeln lenken (s. o.), muss eine (kritische) Lehrer*innenbil‐ dung diese Wissensformen greifbar bzw. begreiflich machen. Lehrpersonenbildner*innen unterstützen diese Bewusstmachung durch die Schaffung von Reflexionsgelegenheiten und Unterstützungsangeboten (vgl. Gerlach 2020a/ b). Ihnen wird hier eine zentrale Rolle zuteil werden, die noch weiter ausdifferenziert werden muss. Erste Ideen zu dieser Rolle liefert Kumaravadivelu (2006), der die Aufgaben und Haltungen von „postmethod teacher educators“ wie folgt beschreibt: The task of the postmethod teacher educator is to create conditions for prospective teachers to acquire necessary authority and autonomy that will enable them to reflect on and shape their own pedagogic experiences, and in certain cases transform such experiences. (ebd.: 182) Ferner unterstreichen West/ Crookes (2017) die Notwendigkeit von „Participatory Action Research“, da sich hier Lehrkräfte, Forschende/ Professionalisierende und ggf. weitere schulische Akteur*innen (z. B. Eltern) gemeinsam auf Augenhöhe begegnen und an einer kritischen Agenda (ab)arbeiten können. Nur eine Forschungs- und Ausbildungspraxis, die demokratische und partizipatorische Diskurse zwischen Lehrkräften, Lehrpersonen‐ bildner*innen und Forschenden zulässt, kann eine kritische Fremdsprachenlehrer*innen‐ bildung erschaffen (vgl. ebd., s. auch Toohey/ Waterstone 2004). Hawkins und Norton (2009) identifizieren fünf Prinzipien für Critical language teacher education: 1. Fremdsprachenlehrer*innenbildung muss situiert und gebunden sein an den Kon‐ text, in dem die Lehrkräfte tätig werden mitsamt dem nötigen kulturellen und historischen Wissen, das auch für Lernende relevant sein könnte. 2. Lehrerbildner*innen nehmen die Bedürfnisse und Hintergründe ihrer angehenden Fremdsprachenlehrkräfte wahr und knüpfen an diese in der Ausbildung an. 3. Kollaborativer Dialog ist das Hauptmedium, in dem Lehrerbildner*innen und ange‐ hende Lehrkräfte sich austauschen, um explizit-kritisches Bewusstsein über soziale Gerechtigkeit (social justice issues) zu reflektieren und auf die Praxis anzuwenden. 225 Grundüberlegungen zu einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung 4. Reflexivität auf Seiten der Lehrerbildner*innen über ihre eigene Ausbildungspraxis ist deutlich ausgeprägt. 5. Kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung greift das Verständnis von praxis auf, das eine Theorie-Praxis-Reflexion im Hinblick auf soziale Veränderung (social change) anstrebt. Damit müssen die Strukturen, in denen Lehrer*innenbildung stattfindet partizipativ und demokratisch ausgerichtet, also unter Einbezug von Lehramtsstudierenden, Referendar*in‐ nen und Lehrpersonen im Diskurs ausgestaltet werden, um ein transformatives Potenzial zu entwickeln (vgl. Block/ Gray 2016). Universitäre Phase Die erste Phase der Lehrer*innenbildung ist gerade deswegen herausfordernd, da der reale Workload und die Seminare in fremdsprachendidaktischer, d. h. quantitativer, Hinsicht weiterhin als relativ gering anzusehen sind. Die realen Kontaktzeiten mit Fremdspra‐ chendidaktiker*innen sind entsprechend kurz und stehen gleichzeitig unter dem Druck eine Vielzahl an didaktischen Gegenständen und methodischen Ansätzen vermittelbar zu machen. Fäcke et al. (2017) stellen im Zusammenhang mit der Bedeutung politischer Bildung für Spanischlehrkräfte heraus: Für die erste und zweite Phase der Lehrerbildung ist allerdings zu konzedieren, dass Studierende in Praxisphasen vor der Herausforderung stehen, ihre Rolle als Lehrkraft zu entwickeln und ihr bis dahin erworbenes fachliches, fachdidaktisches und erziehungswissenschaftliches Wissen zu integrieren und in berufliches Handeln umzusetzen. (ebd.: 87-88) Dem möchten wir etwas einschränkend widersprechen: Ja, es ist richtig, dass Lehramtss‐ tudierende in dieser Zeit der ersten Phase eine Rollenfindung durchmachen, die den Schüler*innenhabitus und eigene Vorstellungen irritieren (sollen). Lehramtsstudierende sollen merken, dass die ständig und weiterhin beklagte Lücke zwischen Theorie und Praxis in wissens- und praxistheoretischer Hinsicht keine wirkliche Lücke ist (vgl. Radtke 1996, Neuweg 2014). Allerdings sind wir davon überzeugt, dass bereits in der ersten Phase Lehramtsstudierende für ein kritisches Bewusstsein sensibilisiert werden können - fernab von der Frustration vermeintlich praxisferner Unitheorie. Dies lässt sich primär über die Gegenstände in den fremdsprachendidaktischen Seminaren gestalten: Lasse ich die Studierenden generische Unterrichtsbeispiele bearbeiten, an denen sie (potenziell) später funktional-pragmatische Kompetenzen ihrer Lernenden ausmachen und fördern können? Oder nutze ich bereits kritisch aufgeladene Themen und lasse implizit die sprachlichen Strukturen dafür nutzbar machen (wie es theoretisch für modernen, kommunikativen Unterricht ohnehin angedacht ist)? Die Konfrontation mit kritischen Aspekten, die im besten strukturtheoretischen Sinne für Krisen sorgen, und ihre gemeinsame Reflexion mit Studierenden anhand von Fällen sind - aus unserer Lehrerfahrung heraus - die fruchtbarsten Settings für ein kritisches Bewusstsein. Hierzu gehören auch Experimente, um implizites (Erfahrungs-)Wissen her‐ vorzuholen, z. B. wenn wir Studierende in Einführungsveranstaltungen bitten, sich selbst im fremdsprachlichen Klassenzimmer zu zeichnen: Was (oder wen) zeichnen sie zuerst? 226 David Gerlach & Kenneth Fasching-Varner Wie groß zeichnen sie sich im Verhältnis zu Lernenden? Lässt sich ein methodisches Setting erkennen? Gibt es ein Lehrwerk? Und vor allem: Ist das die Wunschvorstellung von Fremdsprachenunterricht oder derjenige, den die Studierenden selbst als Schüler*innen erlebt haben? Mit solchen Diskussionen eröffnet man individuelle Reflexion unterschied‐ licher identitärer Ebenen (vgl. Korthagen/ Vasalos 2005), welche zudem berufsbiographisch bedeutsam sind und werden (vgl. Bonnet/ Hericks in diesem Band). Nach dem anfänglichen Kratzen an der Oberfläche offenbaren sich nicht selten Überzeugungen, die manche Studierende selbst überraschen und an sich zweifeln lassen. Lehrerbildner*innen sind dann gefragt, (kompetenztheoretisch) Optionen zur Lösung anzubieten und diese Zweifel aus dem Weg zu räumen. Für die Implementation und die vertiefende Reflexion und Entwicklung der eigenen Lehrer*innenidentität (bzw. den langsamen Aufbau hin zu einem Lehrer*innenhabitus) eignen sich Portfolios, wie sie z. B. Burwitz-Melzer (2018) vorgeschlagen hat: Diese sind so langfristig angelegt, dass sie Lehramtsstudierende im Idealfall über alle Phasen begleiten, Entwicklung (und damit Erfolge) offenbaren und auf mehreren Identitätsebenen (implizite) Reflexion ermöglichen (vgl. Gerlach/ Leupold 2019, Gerlach 2020a). Vorbereitungsdienst und Berufseinstieg Der nicht selten als „Einnorden“ (Dzengel et al. 2012) wahrgenommene Vorbereitungsdienst birgt ein gewisses Risiko für kritische Fremdsprachenlehrkräfte: Ist dies der Ort, um kritisch gegenüber Strukturen und Inhalten zu sein? Oder eher einer der Unterordnung der herr‐ schenden Normen - seien sie curricular oder von Fachleiter*innen und Lehrerbildner*innen vorgegeben? Im Verhältnis zwischen Referendar*innen und dem Ausbildungspersonal sehen wir in der Tat sowohl die größte Gefahr als auch die größte Chance. Die erfolgreiche Implementation einer Kritischen Fremdsprachendidaktik ist davon abhängig, ob eine „Passung“ (vgl. Košinár 2014) zwischen den beiden Personengruppen hergestellt werden kann, d. h. ob sie „miteinander können“ und im Laufe des Referendariats ein professio‐ nell-vertrauensvolles Verhältnis aufbauen. Sind beispielsweise einem sehr transmissionso‐ rientierten Lehrerbildner ausschließlich standardisierte Sprachkompetenzen wichtig, wird es schwer(er) sein, kontroverse Themen in den eigenen Unterricht einzubringen - es sei denn, man kann vielleicht das Thema „sexual abuse“ mit Zeit- und Modalformen überzeugend unterfüttern … Eine Chance liegt in der zweiten Phase in der Tat auf Seiten der Lehrpersonenbildner*in‐ nen, denn sie gestalten ihre Seminar- und Ausbildungspraxis weitgehend autonom (vgl. Gerlach 2020b). Wenn sie für sich erkennen, dass eine Kritische Fremdsprachendidaktik und entsprechend handelnde Lehrerinnen und Lehrer eine sinnvolle Entwicklung darstellen, werden sie diese Grundideen in ihre Seminare tragen und sicherlich einige Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst für die Idee gewinnen, ein kritisches Bewusstsein sowie Selbstwirk‐ samkeit zu fördern. Analog zur ersten Phase gilt hier jedoch verstärkter: Der Druck über die Strukturen und das System auf die einzelnen Lehrpersonen steigt - auch mit wachsender Verantwortung. Es muss weiter Identitätsentwicklung stattfinden, d. h. die Lehramtskan‐ didat*innen müssen in die Lage versetzt werden, ihre Überzeugungen zu hinterfragen, an im Studium Erlebtes und Erlerntes z. B. mittels Portfolioarbeit anzuschließen und ihre Entwicklung als berufsbiographisches „Problem“ wahrzunehmen. 227 Grundüberlegungen zu einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung Fort- und Weiterbildung In the last decades, [the] world has changed to such an extent that language teachers are no longer sure of what they are supposed to teach nor what real world situations they are supposed to prepare their students for. (Kramsch 2014: 296) Interpretieren Lehrkräfte ihre eigene fortdauernde Professionalisierung (und deren Nie-Ab‐ geschlossenheit) als berufsbiographisch und identitär wirksam, ergeben sich mindestens aus inhaltlicher Perspektive im Laufe der Berufstätigkeit immer neue mögliche (kritische) Themen, die für den eigenen Fremdsprachenunterricht relevant und für Lernende inter‐ essant sein können. Wenn man zudem bedenkt, dass die digitalen Medien, mit denen wir heute so selbstverständlich umgehen, in Menschenjahren gerade erst in der Pubertät angekommen wären, kann man sich vielleicht eine Vorstellung davon machen, dass sich Schule und Bildung (vor allem auch Lernende und ihre Bedürfnisse) auch in den nächsten 15, 25 und 50 Jahren weiterentwickeln werden. Wie Fort- und Weiterbildung ob dieser Aussicht gestaltet wird, ist jedoch eine ganz andere Frage. Die Effekte von Fortbildungen auf den Unterricht sind meist eher ernüchternd (vgl. z. B. Lipowsky 2014). Es besteht wenigstens Konsens darüber, dass eine Fortbildungs‐ maßnahme zu einem bestimmten Schwerpunkt einen längeren Zeitraum benötigt und von einer punktuellen Veranstaltung kein Effekt erwartet werden darf (vgl. Timperley et al. 2007). Die Implementation von aktionsforschenden Ansätzen scheint gerade für den Fremdsprachenunterricht lohnenswert und bekommt eine immer breitere empirische Basis (vgl. Legutke/ Schart 2016). Von einer (schon) kritischen Fremdsprachenlehrkraft könnte man erwarten, dass sie ohnehin ständig auf der Suche nach Neuem ist, ihren Unterricht ständig reflektiert und in den pädagogischen Gesprächen mit ihren Schülerin‐ nen und Schülern (kontext-)sensibel für (gesellschaftliche und politische) Entwicklungen ist. In dieser kontextsensibel gedachten Professionalität entwickeln sich Lehrerinnen und Lehrer vermutlich weniger über instruktivistische Fortbildungen, sondern formen mit Peers Gemeinschaften, Communities of practice, um ihren Unterricht zu entwickeln. Sie hospitieren sich gegenseitig im Unterricht, entwickeln gemeinsam Material und tauschen dieses aus, öffnen dabei ihren Unterricht für vormals undenkbare Themen und Inhalte (vgl. Gerlach/ Leupold 2019). Im Zusammenhang mit Fort- und Weiterbildung bleibt noch die Frage, wie man die Lehrkräfte erreicht, die weder einen Fortbildungsbedarf im Hinblick auf kritische Perspek‐ tiven sehen, noch unbedingt bereit sind, sich weiter zu professionalisieren. Wir gehen optimistisch davon aus, dass dies eine kleine Minderheit ist. Lohnt es sich, diese Lehrper‐ sonen - gegen ihre Überzeugungen und impliziten Werthaltungen - von einem Konzept zu überzeugen, dass möglicherweise die Grundfesten ihrer fremdsprachenunterrichtlichen Prinzipien erschüttert? Vermutlich nicht. Es erscheint uns zielführender, bereits in frühen Phasen, gleichsam „bottom up“, Lehrkräfte für dieses Konzept von Fremdsprachenunter‐ richt zu sensibilisieren und sie hineinwachsen zu lassen. Damit stellen wir uns gleichzeitig auf einen langen Prozess von Unterrichts- und mittelfristig vielleicht Schulentwicklung ein - gleichwohl ein Weg, der sich in unseren Augen zu beschreiten lohnen dürfte vor dem Hintergrund von Bildung, Demokratieerziehung und Wertevermittlung. 228 David Gerlach & Kenneth Fasching-Varner 5. Die Forschungsperspektive Aus einer Forschungsperspektive haben wir zwar einige (wenige) empirische Erkenntnisse und (etwas mehr) theoretisch-konzeptionelle Arbeiten aus der internationalen Fremdspra‐ chenforschung vorliegen (s. o.), zahlreiche Desiderate und Fragen bleiben aber weiter offen. Der practice turn in der geisteswissenschaftlichen Forschung allgemein (vgl. Schatzki et al. 2001) und die soziokulturelle Wende in der Fremdsprachenforschung im Besonderen münden allerdings gerade darin herauszuarbeiten - zu rekonstruieren -, wie verschiedene Ebenen aus sich heraus funktionieren bzw. miteinander interagieren. Wenn kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung untersucht und begleitet werden soll, wird man nicht umhinkommen, alle Ebenen in den Blick zu nehmen: das Individuum mit multiplen Identitäten, Interaktionen mit Kolleg*innen und Lernenden, das Funktionieren, Reüssie‐ ren oder Innovieren innerhalb von Institutionen uvm. Es bedarf größerer Anstrengung (wie auch der Untergliederung, Auffächerung und Fokussierung auf einzelne Elemente), dies als Forschungsprogramm ernsthaft zu betreiben. Begründetes Fallverstehen und narrative inquiry (vgl. Norton 2005, Barkhuizen 2017), wie es auch die rekonstruktive Fremdsprachenforschung verfolgt (vgl. Bonnet 2020), kann hier mit ihrer Methodologie und den Methoden Zugänge ermöglichen. Forschung zum Lehrer*innenhabitus (vgl. Kramer/ Pallesen 2019) scheint mitsamt seines strukturtheoretisch-berufsbiographischen Zugangs im deutschsprachigen Raum sehr produktiv (vgl. auch Bohnsack 2020). Allerdings sollte zudem das hierzulande nur selten (beispielhaft: Valadez Vazquez 2014, Schultze 2018), im internationalen Raum allerdings sehr häufig bemühte Konstrukt von Identität (vgl. z. B. Barkhuizen 2017) im Feld der (nicht nur fremdsprachendidaktischen) Profes‐ sionsforschung auf sein Potenzial befragt werden: Schließlich kann es als ein fluide, individuell verortbare und biographisch bedeutsame Hintergrundfolie von Professionalität und Professionalisierung angesehen werden, welche empirisch durch die Rekonstruktion „narrativer Verschiebungen“ (Schultze 2018: 167) der Lehrkräfte im Sprechen über ihr Handeln Identitätsbildungsprozesse sichtbar machen lässt. 6. Fazit und Ausblick: Die Haltungsfrage In Seminaren, in denen wir ein Umdenken seitens unserer Lehramtsstudierenden anbahnen möchten, nutzen wir häufig als Einstieg ein Gedankenexperiment. Wir präsentieren den Studierenden den folgenden Auszug aus Neil Postmans und Charles Weingartners Teaching as a Subversive Activity (1969) und lassen sie reflektieren, was sie in der folgenden Situation unternehmen würden: Suppose all the syllabi and curricula and textbooks in the schools disappeared. Suppose all of the standardized tests - citywide, statewide and national - were lost. In other words, suppose that the most common material impeding innovation in the schools simply did not exist. Then suppose that you decided to turn this ‘catastrophe’ into an opportunity … What would you do? (ebd.: 59) Wir enden damit, wo wir einleitend begonnen haben: Es geht um ein framing und reframing, ein Dekonstruktieren und Rekonstruieren davon, was es bedeutet (Fremdsprachen-)Unter‐ richt und (Fremdsprachen-)Lehrer*innenbildung zu gestalten. 229 Grundüberlegungen zu einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung Gleichwohl möchten wir diesen Beitrag mit kritischen Gedanken beenden, welche wiederum in professionstheoretischer Hinsicht an den Grundfesten einer Kritischen Fremdsprachendidaktik rütteln dürften: Wer sagt z. B. überhaupt, dass ein „kritischer Fremdsprachenunterricht“ besser sei als ein „unkritischer“ - und „kritische Fremdspra‐ chenlehrkräfte“ gegenüber „unkritischen“ einen besseren (weil: demokratischen und wer‐ teorientierten) Unterricht erteilen? Und: Sind nicht für die meisten angehenden Lehrkräfte möglicherweise eine gewisse Jobsicherheit und Geldverdienen übergeordnete Ziele (vgl. Abednia 2012) und weniger das Hinterfragen von Strukturen, die ihnen gerade diese Sicherheiten bereitstellen sollen? Die Antwort lautet: Möglicherweise - gleichzeitig nötigt der schulische Bildungsauftrag einem das Herstellen von Bildungsprozessen auf Seiten der Lernenden sowie die individuelle Reflexion der eigenen Vorstellungen und des eigenen Handelns ab - und zwar nicht trotz, sondern wegen der Strukturen, in denen man arbeitet. Ein kritisches Bewusstsein, geleitet vom Reflektieren der eigenen Praxis, eine gewisse Haltung und die sich fortwährend entwickelnde Lehrer*innenidentität gehören für uns selbstverständlich zur Jobbeschreibung einer (Fremdsprachen-)Lehrkraft. Literaturverzeichnis Abednia, Arman (2012): Teachers’ professional identity: Contributions of a critical EFL teacher education course in Iran. Teaching and Teacher Education 28(5), S. 706-717. Akbari, Ramin (2008): Transforming lives: introducing critical pedagogy into ELT classrooms. ELT Journal 62(3), S. 276-283. 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Andreas Bonnet, Dr. phil., Professor für Didaktik der englischen Sprache und Literatur an der Universität Hamburg; Arbeitsschwerpunkte: Content and Language Integrated Learning (CLIL), kooperatives Lernen im Englischunterricht, Methodologie und Methoden empirischer Forschung (Schwerpunkt: Rekonstruktive Verfahren), Professionsforschung. Kenneth J. Fasching-Varner, Ph.D., Associate Professor für Literacy Education im Depart‐ ment Teaching and Learning der University of Nevada (Las Vegas); Arbeitsschwerpunkte: White Racial Identity und Critical Race Theory, Culturally Relevant Pedagogy und Bildung in internationalen Kontexten. David Gerlach, Dr. phil., wissenschaftlicher Mitarbeiter in der AG Fremdsprachenfor‐ schung an der Philipps-Universität Marburg; Arbeitsschwerpunkte: fremdsprachendidak‐ tische Professionsforschung, Sprachdidaktik (bes. Lese- und Schreibkompetenz), Fremd‐ sprachenlernen und Lernschwierigkeiten sowie inklusiver Fremdsprachenunterricht. Uwe Hericks, Dr. phil., Professor für Allgemeine Didaktik, Schul- und Bildungstheorie an der Philipps-Universität Marburg; Arbeitsschwerpunkte: Professionsforschung, Bildungs‐ gangforschung, qualitative Schul- und Unterrichtsforschung. Lotta König, Dr. phil., Professorin für die Didaktik englischsprachiger Literaturen und Kulturen an der Universität Bielefeld; Arbeitsschwerpunkte: Kritisches kulturelles Lernen, Fremdsprachenerwerb an außerschulischen Lernorten, Konzepte von Sprachmittlung und diversitätssensible Literaturdidaktik. Jan-Erik Leonhardt, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Englischdidaktik der Goe‐ the-Universität Frankfurt und Lehrer für die Fächer Englisch und Deutsch an der Weibel‐ feldschule Dreieich, einer Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe; Arbeitsschwerpunkte: Multiliteralität im Fremdsprachenunterricht, der Einsatz von Film im Fremdsprachenun‐ terricht sowie handlungs- und produktionsorientierter Fremdsprachenunterricht. Frauke Matz, Dr. phil., Professorin für englische Fachdidaktik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster; Arbeitsschwerpunkte: Literarisches und kulturelles Lernen im Englischunterricht, digitale Medien und Multiliteracies, Assessment sprachlicher Leis‐ tungen. Thorsten Merse, Dr. phil., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Englischdidak‐ tik an der Ludwig-Maximilians-Universität München; Arbeitsschwerpunkte: Kulturelles und literarisches Lernen, Queer Theory im Englischunterricht, digitales Lernen, Multilite‐ racies und Global Education. Jochen Plikat, Dr. phil., Juniorprofessor für Didaktik der Romanischen Sprachen (Fran‐ zösisch/ Italienisch) an der Technischen Universität Dresden; Arbeitsschwerpunkte: Inter‐ kulturelle Kompetenz und Diskursbewusstheit, Lexik, fremdsprachliche Kompetenzen, Resonanztheorie. Jonathon Reinhardt, Ph.D., Associate Professor an der University of Arizona; Arbeits‐ schwerpunkte: Computer-Assisted Language Learning, Digital Game-Based Language Lear‐ ning, Englischsowie Fremdsprachenpädagogik. Michael Schart, Dr. phil., Associate Professor an der Juristischen Fakultät der Keio Uni‐ versität Tokyo, Fachbereich Deutschlandstudien; Arbeitsschwerpunkte: Unterrichts- und Aktionsforschung, Aus- und Fortbildung von DaF-Lehrenden, Curriculumsentwicklung und Implementationsforschung. Ivo Steininger, Dr. phil., Vertretungsprofessor für die Didaktik der englischen Sprache und Literatur an der Justus-Liebig-Universität Gießen; Arbeitsschwerpunkte: Professionalisie‐ rung von Englischlehrpersonen, Literatur- und Kulturdidaktik. Britta Viebrock, Dr. phil., Professorin für die Didaktik der englischen Sprache und Literatur an der Goethe-Universität Frankfurt; Arbeitsschwerpunkte: Content and Language Integrated Learning, Literatur-, Kultur- und Filmdidaktik, Forschungsethik in der Fremd‐ sprachenforschung. 236 Verzeichnis der Autor*innen Das Ziel dieses Sammelbands besteht darin, den Fremdsprachenunterricht durch kri� sche Ansätze wie Criti cal Literacy oder Criti cal Pedagogy anzureichern, um das bildungstheore� sche Potenzial beim Lernen und Lehren von Fremdsprachen zu erhöhen. Anhand von unterschiedlichen Unterrichtsgegenständen und -beispielen wird der Frage nachgegangen, wie Fremdsprachenlernen stärker pädagogisch, sozial und werteorien� ert geprägt werden kann. ISBN 978-3-8233-8328-4