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Epistolare Narrationen

2021
978-3-8233-9345-0
Gunter Narr Verlag 
Margot Neger

Der jüngere Plinius erweist sich nicht nur in seinen berühmten Briefen über den Vesuv-Ausbruch, verschiedene Gespensteranekdoten oder spielende Delphine als Meister der Erzählkunst. Auch zahlreiche weitere Einzelbriefe sowie Briefpaare und Briefzyklen sind als kunstvolle Erzählungen gestaltet. Die vorliegende Studie bietet erstmals eine systematische Analyse der narrativen Techniken des jüngeren Plinius und den damit verbundenen Strategien der Lektüresteuerung. Neben der Frage, wie antike Autoren und Leser das narrative Potenzial von Briefen einschätzten wird auch untersucht, inwieweit sich die Ansätze der modernen Narratologie auf eine antike Briefsammlung anwenden lassen. Im Zentrum der Analyse stehen insbesondere Briefe und Briefzyklen über Plinius als Anwalt bzw. erfolgreicher Redner, als prinzipientreuer Senator sowie schließlich als Freizeitdichter. Auch die Erzählstrategien des Epistolographen in Briefen über Mirabilien und Naturphänomene werden untersucht.

Epistolare Narrationen Studien zur Erzähltechnik des jüngeren Plinius von Margot Neger CLASSICA MONACENSIA Münchener Studien zur Klassischen Philologie Herausgegeben von Martin Hose und Claudia Wiener Band 53 · 2018 CLASSICA MONACENSIA Münchener Studien zur Klassischen Philologie Herausgegegeben von Martin Hose und Claudia Wiener Band 56 · 2021 Margot Neger Epistolare Narrationen Studien zur Erzähltechnik des jüngeren Plinius © 2021 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0941-4274 ISBN 978-3-8233-8345-1 (Print) ISBN 978-3-8233-9345-0 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0282-7 (ePub) Umschlagabbildung: Marmorsphinx als Basis. Neapel, Museo Nazionale, Inv. 6882. Guida Ruesch 1789. H: 91 cm INR 67. 23. 57. Su concessione del Ministero dei Beni e delle Attività Culturali e del Turismo - Museo Archeologico Nazionale di Napoli. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® In memoriam Maria Neger 9 11 13 I 21 1 23 2 51 2.1 57 2.2 70 2.3 77 2.4 109 II 125 1 127 1.1 127 1.2 134 1.3 153 1.4 169 1.5 191 1.6 197 1.7 219 2 239 2.1 239 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Häufig verwendete Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Narrativität der Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives . . . . . Epistolographie und Narratologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epistolare Stimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeit in den Briefen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Raum der Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adressaten und Figurenarsenal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Narrative Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht . . Gerichtsverhandlungen unter Domitian in Buch 1 . . . . . . . . . Prozesse unter Trajan: Szenen vor Gericht in Buch 2 . . . . . . . Der Prozess gegen Caecilius Classicus in Buch 3 . . . . . . . . . . . Der Bithynien-Zyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Plinius und Baebius Massa (Epist. 7,33) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . De Helvidi ultione (Epist. 9,13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhandlungen im Zentumviralgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eingelegte Schriftlichkeit: Briefe über Stimmtäfelchen und Inschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Plinius über die geheime Abstimmung im Senat (Epist. 3,20 und 4,25) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 247 2.3 255 3 269 3.1 270 3.2 275 3.3 278 3.4 282 3.5 295 4 305 4.1 305 4.2 310 4.3 342 4.4 354 4.5 376 387 395 431 Ridere und indignari: die Grabinschrift des Pallas (Epist. 7,29 und 8,6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Selbstepitaph des Verginius Rufus (Epist. 6,10 und 9,19) . Konstruieren einer Dichter-Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Plinius als Leser poetischer Produkte in der ersten Triade . . . Plinius als Dichter in Buch 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbreitung der Hendecasyllabi in Buch 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . Dichtung und Dichterbiographie in Buch 7 . . . . . . . . . . . . . . . Reflexionen über Dichter und Rezipienten in Buch 8‒9 . . . . . Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene . . . . . . . . . . . Die Quelle am Lacus Larius (Epist. 4,30) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Vesuv-Briefe (Epist. 6,16 und 6,20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Begegnungen mit Gespenstern (Epist. 7,27) . . . . . . . . . . . . Wasser-Wunder in Buch 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Delphin und Knabe (Epist. 9,33) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt Vorwort Bei der vorliegenden Monographie handelt es sich um die geringfügig überar‐ beitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im November 2018 an der Paris Lodron Universität Salzburg eingereicht wurde. Mein erster Dank ergeht an (die Namen sind natürlich praemissis titulis zu verstehen) Dorothea Weber, die als meine Mentorin an der Universität Salzburg die Entstehung der Arbeit begleitet hat, sowie an die Gutachterin Claudia Klodt und die Gutachter Gernot Michael Müller und Christopher Whitton für wertvolle Hinweise und Anregungen. Die Fertigstellung der Arbeit wurde ermöglicht durch die Förderung eines Projekts mit dem Titel „Gedichteinlagen in antiken Prosabriefen“ durch den Austrian Science Fund (FWF): P 29721-G25. Die Kapitel II.2 („Eingelegte Schriftlichkeit: Briefe über Stimmtäfelchen und Inschriften“) sowie II.3 („Konstruieren einer Dichter-Biographie“) sind diesem Projekt zuzuordnen. Für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe Classica Monacensia danke ich Claudia Wiener und Martin Hose. Den Mitarbeitern des Narr-Francke-Attempto Verlags, insbesondere Herrn Tillmann Bub und Herrn Arkin Keskin, sei für die Betreuung in der Phase der Drucklegung gedankt. Meine intensivere Beschäftigung mit Plinius dem Jüngeren begann mit einem Proseminar, das ich Sommersemester 2011 an der Ludwig-Maximilians-Univer‐ sität München abhalten durfte, und führte mich für mehrere Jahre an die Uni‐ versität Salzburg sowie zuletzt an die University of Cyprus. Vielen Kolleginnen und Kollegen an diesen und anderen Institutionen gilt mein herzlicher Dank für zahlreiche anregende Diskussionen, Gespräche und wertvolle Hinweise: Margot Geelhaar, Gottfried Kreuz, Thomas Schirren, Wolfgang Speyer und Stephanie Schmerbauch vom Fachbereich Altertumswissenschaften in Salzburg sowie Niklas Holzberg, der die Phase meiner Habilitation mit wertvollen Ratschlägen begleitet und mir zweimal die Möglichkeit geboten hat, bei der Petronian Society Munich Section über Plinius vorzutragen. Darüber hinaus bin ich auch Roy Gibson, Spyridon Tzounakas, Thorsten Fögen, Markus Janka und Judith Hindermann sowie den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Thementags „Plinius der Jüngere 2013“ (LMU München, 7.12.2013) und der Konferenz „Pliny’s Epistolary Intertextuality“ (University of Cyprus, 11. ‒12. Mai 2018) zu Dank verpflichtet für den produktiven Austausch über Plinius den Jüngeren und die antike Epistolographie. Nicht zuletzt gilt mein herzlicher Dank meiner Familie und meinem Lebens‐ gefährten für ihre Geduld und den kontinuierlichen Zuspruch während der Arbeit an dieser Studie. Gewidmet sei dieses Buch meiner 2016 verstorbenen Großmutter Maria Neger, die meine akademische Laufbahn stets mit großem Interesse verfolgt hat. Nikosia, im Januar 2021 Margot Neger 10 Vorwort Häufig verwendete Abkürzungen CEG Carmina epigraphica graeca, ed. P. Hansen, Berlin/ New York 1983‒1989. CIL Corpus inscriptionum Latinarum, 1863ff. HWRh Historisches Wörterbuch der Rhetorik, ed. G. Ueding, Tübingen 1992‒2011. ILS Inscriptiones Latinae selectae, ed. H. Dessau, Berlin 1892‒1916. LSJ H.G. Liddell/ R. Scott/ H.S. Jones (Hgg.): Greek-English Lexicon, Oxford 1940 (9. Auflage, mehrmals nachgedruckt). OLD Oxford Latin Dictionary, ed. P.G.W. Glare, Oxford 2012 (4. Auflage). ThLL Thesaurus Linguae Latinae, 1900ff. VSD Vita Suetoniana-Donatiana, recc. G. Brugnoli/ F. Stok, Vitae Vergilianae antiquae, Rom 1997, 17‒41. 1 Darüber hinaus interessieren sich sogar „garden designers and architects“ für die Briefe, wie Gibson/ Whitton (2016), 1 konstatieren. 2 In den neueren Lehrplänen an deutschen Gymnasien zählt Plinius allerdings nicht mehr zu den unangefochtenen Autoren; vgl. Häger (2015), 559‒60. 3 Gibson/ Whitton (2016), 19‒20; einen aktuellen Forschungsüberblick bietet außerdem Häger (2015) und (2019), 17‒31; zur älteren Forschung vgl. Aubrion (1989). 4 Woolf (2015). Einleitung Sed obsecro, da mi operam, ut narrem quae volo (Plaut. Truc. 722) Das Briefkorpus des Jüngeren Plinius erfreut sich in der Forschung mittler‐ weile eines relativ breiten Interesses verschiedener Disziplinen, die neben philologischen Aspekten auch archäologischen und insbesondere historischen Fragestellungen nachgehen. 1 Traditionell hat man dabei die zehn Briefbücher mehr oder weniger als Quellen betrachtet, aus denen sich Informationen über den Charakter des historischen Autors sowie sein soziales und politisches Umfeld gewinnen lassen. Trotz der intensiven Beschäftigung mit den Briefen, die sogar im Lektürekanon der Schule mehr oder weniger fest verankert sind, 2 hat man mit einer literarischen Würdigung der Sammlung erst vergleichsweise spät begonnen, wie im Folgenden kurz ausgeführt werden soll. In einem der aktuellesten Forschungsüberblicke zum Jüngeren Plinius teilen Roy Gibson und Christopher Whitton 3 in Anlehnung an Greg Woolf 4 die verschiedenen Zugangsweisen zu den Episteln grob in drei Gruppen ein: Mit „realist approach“ sind Studien gemeint, die die Briefe als Dokumente für historische Fakten auswerten; der „instrumentalist approach“ wiederum sieht in den Briefen Mittel zum Zweck der Selbstdarstellung des Autors; eine weniger zentrale Rolle spielt die Autor-Instanz hingegen beim „literary/ textual approach“, der die literarische Struktur der Briefe in den Vordergrund rückt. Freilich lassen sich die einzelnen Beiträge, wie Gibson und Whitton zu bedenken geben, nicht immer eindeutig einer dieser drei Kategorien zuordnen: „more commonly critics happily mix approaches…in differing quantities as suits their arguments and interests.“ Die vorliegende Studie ist den literarischen und insbesondere narrativen Strategien des Plinius gewidmet und verfolgt daher dem hier skizzierten Schema gemäß in erster Linie einen „literary/ textual approach“, wobei auch der „instrumentalist approach“ bzw. mitunter sogar der „realist approach“ nicht ganz außer Acht gelassen werden sollen; schließlich geht es am Ende ja auch um die Frage, wie 5 Vgl. Gibson/ Whitton (2016), 1‒2: „…the Epistles of Pliny cannot be understood without proper consideration of the historical, material, and prosopographical issues that this text raises“; vgl. Keeline (2018b), 288‒9. 6 Norden (1898), 318‒22. 7 Peter (1901), 101; auch Peters Urteil über Plinius ist nicht uneingeschränkt positiv - so stößt er sich etwa an der „Mattigkeit und Leerheit des Inhalts“ der Briefe (102). 8 Kürzere Anmerkungen zu den Briefen bieten immerhin die italienische Übersetzung Trisoglios (1973) und die französische Bilingue Zehnackers (2009‒12); nach wie vor wertvoll ist der Kommentar Gierigs (1800‒02). 9 Vgl. etwa Syme (1960), (1968), (1980b), (1985a), (1985b); die „Rivalry in Oxford“ schildert Griffin (1999), 144‒6. 10 Eine Diskussion dieser und ähnlicher Arbeiten findet sich bei Ludolph (1997), 11‒12. das literarische Projekt des Plinius in seinem historischen und sozialen Umfeld zu verorten ist. 5 Hatte Norden (1898) in seiner Abhandlung zur antiken Kunstprosa noch ein wenig schmeichelhaftes Urteil über Plinius gefällt, indem er ihn als „Durch‐ schnittsmaß“ für die Literatur der ersten Kaiserzeit bewertete und zudem weit abgeschlagen hinter seinem Zeitgenossen Tacitus einordnete, 6 wurden erste Ansätze, die Plinius-Briefe als literarische Kunstwerke zu lesen, bereits von Peter (1901) in seiner Studie zum Brief in der römischen Literatur und ausführlicher von Guillemin (1929) in ihrer Plinius und seinem literarischen Umfeld gewidmeten Monographie unternommen. So weist schon Peter darauf hin, dass den Briefen zwar Fassungen zugrunde liegen mögen, die tatsächlich einmal verschickt wurden, die uns vorliegende Sammlung sich jedoch an „das ganze gebildete Lesepublikum“ richte und vom „Streben nach einer glänzenden Außenseite“ geprägt sei. 7 Trotz dieser frühen Überlegungen zur Rolle des allge‐ meinen Lesers ließ eine systematische Untersuchung zu den literarischen Stra‐ tegien relativ lange auf sich warten. Einen wichtigen Beitrag auf diesem Gebiet lieferte Traub (1955) mit seinem Aufsatz zu den narrativen Strategien des Plinius in Briefen mit historischen Inhalten. Es sollte jedoch noch etwas länger dauern, bis sich literarische Ansätze in der Plinius-Forschung etablierten. So berück‐ sichtigt der bislang einzige moderne Gesamtkommentar, den Sherwin-White (1966) verfasste, 8 in erster Linie historische Probleme und geht nur selten auf philologische Fragen ein. Zahlreiche Beiträge zu prosopographischen und sozialhistorischen Aspekten bei Plinius verfasste auch Sherwin-Whites Kollege (oder auch Rivale) in Oxford, Sir Ronald Syme. 9 In den 1970er Jahren entstanden dann Studien, die aus den Briefen ein Charakterbild des historischen Plinius zu rekonstruieren versuchten, wie etwa die Monographien Bütlers (1970) und Trisoglios (1972). 10 Etwa um dieselbe Zeit publizierte auch Thraede seine Abhandlung zur antiken Brieftopik (1970), die nach wie vor nicht nur für 14 Einleitung 11 Zum griechischen Brief vgl. Koskenniemi (1956). 12 Vgl. auch Cova (1966) zur Literaturkritik bei Plinius und Picone (1978) zur Beredsamkeit. 13 Lefèvre (1977), (1978), (1987), (1988), (1989), (1996); vgl. Castagna/ Lefèvre (2003). 14 An einem Kommentar zu Buch 6 arbeitet Gibson (in Vorbereitung). die Erforschung der Pliniusbriefe grundlegend ist. 11 Der stilistischen Theorie und Praxis bei Plinius widmete Gamberini (1983) eine umfassende Arbeit. 12 Sowohl sozialhistorische, geistesgeschichtliche als auch literarische Aspekte behandelt Lefèvre in seinen zwischen 1977 und 1996 entstandenen Studien zu mehreren Plinius-Briefen, die später in seinem Band Vom Römertum zum Ästhe‐ tizismus (2009) nochmals abgedruckt worden sind. 13 Wichtige Überlegungen zu Chronologie und Anordnung der Plinius-Briefe sowie zu den intratextuellen Bezügen zwischen den Episteln stellt Murgia (1985) an. Einen „literary turn“ im eigentlichen Sinn erfuhr die Plinius-Forschung dann Ende der 1990er Jahre, als Ludolph in seiner Monographie (1997) die literarischen Strategien der Selbstdar‐ stellung des Plinius anhand einer Analyse der sogenannten „Paradebriefe“ 1,1‒ 1,8 aufarbeitete. Die hier angestellte Beobachtung, dass sich Plinius bei der Kom‐ position seiner Briefbücher stark an der Praxis von Dichtern (man vergleiche etwa Horazens „Paradeoden“) orientierte, löste einen richtigen „Boom“ in der literaturwissenschaftlichen Erforschung der Pliniusbriefe aus, und man hat sich in diesem Rahmen verstärkt bemüht, Aspekte wie Buchkomposition, Intertex‐ tualität, self-fashioning und Kommunikationspragmatik zu beleuchten. Zu den wichtigsten seither publizierten Monographien und Sammelbänden gehören in chronologischer Reihenfolge etwa Hoffer (1999), Beutel (2000), Henderson (2002a), Castagna/ Lefèvre (2003), Gibson/ Morello (2003), Wolff (2003), Pausch (2004), 51‒146, Méthy (2007), Marchesi (2008), Lefèvre (2009), Gibson/ Morello (2012), Winsbury (2014), Devillers (2015), Marchesi (2015), Schwerdtner (2015), Gibson/ Whitton (2016), mehrere der bei König/ Whitton (2018) versammelten Beiträge, ein längerer Abschnitt bei Keeline (2018: 277‒335), Whitton (2019) sowie Gibson (2020). Auch die Gender-Studies haben Plinius mittlerweile für sich entdeckt, wie die Monographien Carlons (2009) und Sheltons (2013) zur Darstellung der Frauen in den Briefen beweisen; dem Sozialprofil des Plinius als Senator und Aristokrat ist die althistorische Studie Pages (2015) gewidmet, während Germerodt (2015) das Konzept der amicitia in den Briefen untersucht. Literarische und sozialhistorische Ansätze kombiniert Häger (2019) in seiner Analyse des von Plinius entworfenen Bildes vom idealen Ehemann. Angesichts der in den vergangenen beiden Dekaden stetig anwachsenden Bibliographie ist es erstaunlich, dass die philologische Kommentierung der Briefbücher erst vor relativ kurzer Zeit begonnen hat - so wurde bislang nur der Kommentar Whittons (2013a) zu Buch 2 publiziert. 14 15 Einleitung 15 Vgl. die Diskussion der neueren Forschung bei Lefèvre (2009), 13‒9; zur Selbstdarstel‐ lung vgl. außerdem Offermann (1975); Radice (1978); Shelton (1987); Krasser (1993a); Ra‐ dicke (1997); Riggsby (1995); Gibson (2003); Morello (2007); Gauly (2008); Bradley (2010); Méthy (2010); Hartmann (2012); zum self-fashioning im Panegyricus Noreña (2011); allgemein zu den Strategien der Selbstdarstellung im 1. Jh. n. Chr. Weber/ Zimmermann (2003); zur Buchkomposition Meister (1924); Graf (1940); Goetzl (1952); Merwald (1964); Zelzer (1964); Whitton (2012); Whitton (2013b); Gibson (2015); Fitzgerald (2016); zur Intertextualität Hagendahl (1947); Neuhausen (1968); Görler (1979); Cugusi (1983), 91‒ 96; Krasser (1993b); Wenskus (1993); Schenk (1999); Vielberg (2003); Méthy (2004); zur Kommunikationspragmatik Radicke (2003); Krasser (2006); Krasser (2007); Fitzgerald (2007); Interpretationen einzelner Briefe bietet außerdem Beck (2012), (2013a), (2013b), (2016) und (2018). 16 Zur Kreuzung der Gattungen vgl. Kroll (1924), 202‒24; Harrison (2007) spricht von „generic enrichment“. 17 Vgl. Gibson/ Morello (2012), 13‒9; der Leser der Briefe geht sozusagen einen autobio‐ graphischen Pakt im Sinne Lejeunes (1994) ein; zu Vorläufern der Autobiographie in der Antike vgl. Misch (1949); Reichel (2005); Pelling (2009); zu Brief und Autobiographie vgl. Küppers (2005); Gibson (2013a). Ein Blick auf die jüngeren Publikationen zu Plinius zeigt, dass insbesondere die Themen Selbstdarstellung, Buchkomposition, Intertextualität und Kommu‐ nikationspragmatik das Interesse der Forscher auf sich gezogen haben. 15 Die vorliegende Studie möchte nun einen Aspekt untersuchen, der bislang zwar in Ansätzen, jedoch noch nicht systematisch erforscht worden ist: Pliniusʼ Rolle als Erzähler und seine narrativen Strategien im Briefkorpus. Die Analyse richtet sich hierbei einerseits auf einzelne Briefe, in denen entweder von Handlungen und Ereignissen erzählt, Personen charakterisiert oder Objekte bzw. Orte beschrieben werden, wobei sich der Leser hier mit einer breiten Palette narrativer Techniken konfrontiert sieht: Anleihen an Historiographie, Biographie, Redekunst, Epos, Drama, Exempla-Literatur, Paradoxographie und anderen Gattungen gehören zum literarischen Repertoire des Plinius, der un‐ terschiedliche Formen von Narrationen in einen epistolaren Rahmen einbettet und uns mal als distanzierter Erzähler, dann wieder als stärker involvierte Sprech-Instanz oder als handelnde Figur begegnet. Der Brief scheint für Plinius eine Art „Super-Genos“ zu sein, das mit den Konventionen anderer Gattungen - neben erzählenden Genres sei etwa auch die Lyrik und Epigrammatik genannt - spielt und experimentiert, wie in den späteren Kapiteln noch deutlicher herausgearbeitet wird. 16 Abgesehen von der Erzähltechnik in einzelnen Briefen sollen auch Briefzyklen in den Blick genommen werden, deren Einzelteile eine narrative Linie bilden, sowie schließlich das gesamte Briefkorpus, das sich als eine epistolare Autobiographie lesen lässt 17 und in dieser Form wohl als Gegen‐ entwurf bzw. Komplementär-Projekt zu zeitgenössischen narrativen Texten wie Tacitusʼ Geschichtswerken oder Plutarchs und Suetons Biographien verstanden 16 Einleitung 18 S. S. 36-9. 19 Vgl. Ludolph (1997); Marchesi (2008); Gibson/ Morello (2012); Marchesi (2015). 20 Mommsen (1869). 21 Vgl. Syme (1958), 660‒4; Sherwin-White (1966), 20‒69; Murgia (1985) 197‒202; eine Synopse der verschiedenen Datierungsversuche bietet Bodel (2015), 106‒8; skeptisch äußert sich Keeline (2018b), 289‒90. 22 Murgia (1985), 201. 23 Die Erzähltechnik des Plinius lobt etwa von Albrecht (2012), II, 973‒4. werden kann. Es soll also mit anderen Worten der Versuch unternommen werden, das Briefkorpus der Bücher 1‒9 als narrativen Makrotext zu lesen, der freilich nach ganz anderen Prinzipien strukturiert ist, als die Werke der genannten Zeitgenossen, und nicht streng chronologisch erfolgt - davon grenzt sich Plinius ja auch in Epist. 1,1 programmatisch ab. 18 Dass Plinius seine Briefbücher sorgfältig komponiert hat und sich dabei literarischer Strategien bediente, die sich auch bei den Autoren poetischer libelli beobachten lassen, darf in der modernen Forschung mittlerweile als communis opinio gelten. 19 Mit mehr Schwierigkeiten ist die Frage nach dem genauen Publikationsdatum der uns überlieferten Briefbücher verbunden: Während Mommsen von einer sukzessiven Publikation der Bücher 1‒9 in der Zeit von 96/ 97 n. Chr. bis 109 n. Chr. ausging und annahm, dass Plinius jedes Buch kurz nach dem spätesten darin enthaltenen Brief veröffentlichte, 20 setzen andere Gelehrte die Veröffentlichung v. a. der frühen Bücher etwas später an, wobei Murgia (1985: 201) sogar davon ausgeht, dass die Bücher 1‒4 erst nach 106 n. Chr. publiziert wurden und das uns vorliegende Briefkorpus der Bücher 1‒9 eine literarische Einheit bildet: 21 „In fact the evidence indicates that Books 1‒9 are meant to be considered as a unit…For Pliny, we possess nine books of private letters with a single dedicatory epistle. And each book is dependent on others for full understanding…But for the dates of original publication, and for the original form and content of the books, we can have no secure evidence.” Vom Datum der Publikation einzelner Bücher bzw. des Gesamtkorpus zu unter‐ scheiden ist der fortschreitende chronologische Rahmen, den die Bücher durch die dramatischen Daten ihre Briefe suggerieren. Murgia stellt hier die Überle‐ gung an, dass dieser chronologische Rahmen nicht unbedingt aus der Praxis des Plinius resultieren muss, jedes Buch kurz nach dem spätesten darin enthaltenen Brief zu publizieren, sondern vom Epistolographen aus literarischen Gründen bewusst gewählt worden sein könnte. 22 Das narrative Potenzial der Briefsammlung und die Erzählstrategien des Plinius wurde bislang nur in Ansätzen untersucht: 23 Eine narratologische Ana‐ 17 Einleitung 24 Zu den Vesuvbriefen s. Kap. II.4.2. 25 Gibson/ Morello (2012), 13‒9. 26 Gibson/ Morello (2012), 16‒7. 27 S. Kap. II.1.6. lyse einzelner Briefe findet sich etwa in dem oben schon erwähnten Aufsatz Traubs (1955), der das Verhältnis des Plinius zur Historiographie und insbeson‐ dere seine Erzähltechnik in den Briefen 3,16, 4,11, 6,16 und 7,33 untersucht. Moderne Erzähltheorien zieht Eco (1990) im Rahmen seiner Interpretation des Vesuv-Briefs 6,16 heran, wo er den discourse bzw. plot und die fabula einander gegenüberstellt. 24 Kroon (2002) wiederum diskutiert narrative Modi (diegetisch vs. mimetisch) am Beispiel des „Gespenster-Briefs“ 7,27. Den narrativen Strate‐ gien der Selbstdarstellung widmet Illias-Zarifopol (1994) eine Monographie, in der zwischen „historical narratives“ und „personal narratives“ geschieden wird, wobei der ersten Kategorie die Episteln 4,11, 3,16 und 7,19 und der zweiten 1,5, 3,1, 7,33 und 9,13 zugeordnet sind. Illias-Zarifopol bietet sehr lesenswerte Interpretationen der einzelnen Briefe, berücksichtigt aber kaum den Gesamt‐ kontext des Briefkorpus und die Frage, inwieweit die einzelnen Briefe als Seg‐ mente einer größeren Narration gelesen werden können. Zuletzt haben Gibson/ Morello (2012) wichtige Beobachtungen zur Organisation der Briefsammlung angestellt, deren autobiographisches Potenzial sie hervorheben: 25 Zwar sind die Briefe in den einzelnen Büchern nicht chronologisch angeordnet, doch das Briefkorpus insgesamt vermittelt den Eindruck einer zeitlichen Progression von der Phase nach Domitians Tod (97/ 98 n. Chr.) über Pliniusʼ Konsulat (100 n. Chr.) und Augurat (103 n. Chr.) bis hin zur Statthalterschaft in Bithynia-Pontus (ca. 109/ 10 n. Chr.). Somit lassen sich in den einzelnen Büchern „Zeitpools“ erkennen, die der Leser sozusagen als die jeweilige Gegenwart des Schreibens wahrnimmt; diesen „Pools“ können wiederum Briefe mit einem entsprechenden dramatischen Datum zugeordnet werden, die allerdings (gleichsam als narrative Analepsen) in ein späteres Buch integriert sind. 26 Ein Beispiel ist etwa die um 107/ 8 n. Chr. verfasste Epistel 9,13, die von den Hintergründen zur Rede De Helvidi ultione berichtet und damit ein Ereignis der Zeit um 97/ 98 n. Chr. thema‐ tisiert, 27 d. h. inhaltlich eigentlich in den „Zeitpool“ des ersten Buches passt. Der Rezipient kann also nach der Lektüre mehrerer Briefbücher narrative Lücken füllen, wobei Plinius diesen rezeptionsästhetischen Prozess der Rekonstruktion seiner Autobiographie durch den Leser teilweise bewusst zu steuern scheint. Eines der Ziele der vorliegenden Arbeit ist es, diese Strategien der Leserlenkung näher zu beleuchten. Dass die Analyse einer Briefsammlung unter narratologi‐ schen Gesichtspunkten fruchtbringend ist, zeigt eine Studie Hanaghans (2019) zum spätantiken Epistolographen Sidonius Apollinaris, der in der praefatio 18 Einleitung 28 Vgl. etwa Gibson (2011a) und (2013b). zu seinen Briefbüchern Plinius explizit als sein Vorbild erwähnt (Epist. 1,1,1) und auch sonst häufig auf die Briefe seines Vorgängers anspielt. 28 Hanaghan untersucht etwa, wie Sidonius seine persona als Briefschreiber entwirft, die Zeit in den Briefen konstruiert, die in der Sammlung auftretenden Figuren charakterisiert und in diesem Zusammenhang auch ihre Stimmen bzw. Dialoge kontrolliert sowie schließlich das Gesamtkorpus arrangiert. In der vorliegenden, von Hanaghans Monographie unabhängig enstandenen Arbeit werden ähnliche Aspekte beleuchtet. Im Folgenden soll zunächst in Teil I die theoretische Grundlage für die Fragestellung dieser Studie erarbeitet werden: Das Kapitel I.1 diskutiert das narrative Potenzial von Briefen und Briefsammlungen anhand einer Analyse von metaliterarischen Reflexionen antiker Briefschreiber, insbesondere Plinius selbst. Inwiefern lässt sich bei Plinius ein Bewusstsein für die erzähltechnischen Möglichkeiten als Epistolograph sowie das Verhältnis der Gattung zu anderen narrativen Genres erkennen? In Kapitel I.2 schließen sich dann Überlegungen darüber an, inwieweit mit Hilfe von in der modernen Erzähltheorie entwickelten Kategorien die Narrativität der Pliniusbriefe erfasst werden kann. Der Fokus richtet sich hier auf die narratologischen Kategorien der Stimme (I.2.1), Zeit (I.2.2), Raumkonstruktion (I.2.3) und der im Briefkorpus auftretenden Figuren (I.2.4). Es wird in diesem Rahmen gezeigt, dass narratologische Ansätze für die Analyse einer Briefsammlung durchaus ertragreich sind, jedoch den Konven‐ tionen der Gattung entsprechend adaptiert werden müssen. Auf die Entwick‐ lung theoretischer Grundlagen in Teil I folgt mit Teil II eine Untersuchung ausgewählter Briefe und Briefgruppen, an denen sich die vielfältigen narrativen Verfahren des jüngeren Plinius besonders gut veranschaulichen lassen und in denen wir zentralen Themenfeldern der Sammlung begegnen. Seine Fähigkeiten als Erzähler demonstriert Plinius etwa in den zahlreichen Briefen über seine Auftritte als Redner und Anwalt im Senat oder Zentumviralgericht, wo er entweder rückblickend oder im Rahmen von simultanen Narrationen, teilweise über mehrere Bücher hinweg, verschiedene Verhandlungen unter Domitian, Nerva und Trajan schildert. Diese vergleichsweise große Gruppe von Briefen wurde bisher selten in ihrer Gesamtheit analysiert, und daher widmet sich Kap. II.1. den Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht. Plinius als öffentliche Figur und Mitglied der Senatsaristokratie steht auch im Zentrum des Kapitels II.2, das sich mit drei Briefpaaren befasst, die kleine „Briefromane“ bilden und von einer geheimen Abstimmung im Senat durch Stimmtäfelchen sowie der Lektüre und Diskussion von Grabinschriften handeln. 19 Einleitung 29 Lateinische Zitate aus den Plinius-Briefen basieren auf der Ausgabe von Mynors (1963). Als Gegenstück zu den in Kap. II.1 untersuchten Narrationen über Plinius als Redner und Advokat lässt sich der Zyklus jener Briefe lesen, in dem sich Plinius als Dichter präsentiert und seine Biographie als Poet konstruiert, wie in Kap. II.3 herausgearbeitet wird. Neben seiner Rolle als Redner, Anwalt und Freizeitdichter begegnet uns Plinius schließlich in mehreren Briefen als Amateurwissenschaftler und Paradoxograph, wenn er verschiedene mirabilia wie Naturphänomene, Visionen oder Begegnungen mit Geistern schildert - diesem Themenfeld ist Kap. II.4 gewidmet. 29 20 Einleitung I Die Narrativität der Briefe 1 Thraede (1970), 27‒38; zur antiken Brieftheorie vgl. Malherbe (1988). 2 Vgl. Dem. De eloc. 223. 3 Vgl. Holzberg (2007). 4 Die Funktion des mandare (auftragen) lässt sich kommunikationstheoretisch als Son‐ derform des loqui auffassen, wie Ludolph (1997), 25 Anm. 14 argumentiert. 5 Zum narrare bzw. aliquem certiorem facere in Briefen vgl. auch Cic. Att. 7,5,4f.; 6,5,4; ad Q. fr. 1,1,37; Drecoll (2006), 33‒43 bietet einen Überblick zu antiken Reflexionen über den Brief als Nachrichtenmedium. 6 Hutchinson (1998), 78‒112. 7 Hutchinson (1998), 78. 8 Cic. Fam. 10,30; 15,4; Att. 5,21; 10,32. 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives In seiner Studie zur antiken Brieftopik hat Thraede (1970) herausgearbeitet, 1 dass Autoren wie Cicero mindestens zwei Funktionen privater Korrespondenz unterscheiden: Neben der verbreiteten Vorstellung, dass Briefe ein Gespräch ersetzen sollen 2 und demnach dem loqui bzw. iocari zwischen den räumlich getrennten Partnern dienen, spielt natürlich auch das Übermitteln von Nach‐ richten bzw. Erzählen von Ereignissen (narrare) eine bedeutende Rolle. 3 So beklagt Cicero in einem Brief an Atticus etwa (5,5,1), dass er keinen Stoff zum Schreiben habe, da er weder Aufträge für seinen Adressaten habe (nec quod mandem habeo), noch zum Scherzen aufgelegt sei (nec iocandi locus est), noch irgendwelche Neuigkeiten berichten könne (nec, quod narrem - novi enim nihil est). 4 In einem Brief an Curio wiederum (Fam. 2,4,1) stellt Cicero fest, dass es viele Arten von Briefen gebe (epistularum genera multa esse), und insbesondere eine Notwendigkeit die Epistolographie sozusagen begründet habe, nämlich das Benachrichtigen von Abwesenden (unum illud certissimum, cuius causa inventa res ipsa est, ut certiores faceremus absentis). 5 Abgesehen von derartigen theore‐ tischen Reflexionen ist auch ein Blick auf Ciceros narrative Praxis erhellend: Hutchinson (1998) widmet in seiner Studie zu Ciceros Briefen ein Kapitel dem Thema „Narrative“ 6 und weist darauf hin, dass Ciceros Korrespondenz sowohl „many arresting examples“ als auch „extremely different kinds of narrative“ 7 enthält, wie anschließend im Rahmen eines close readings ausgewählter Text‐ beispiele 8 illustriert wird. Die von Hutchinson analysierten Briefe zeichnen sich allesamt durch eine große stilistische Bandbreite sowie bewusste narrative Ge‐ staltung aus, und am Ende lautet das Fazit: „In all the letters the narrators assume 9 Hutchinson (1998), 112. 10 Hutchinson (1998), 80 betont die persuasive Funktion von Narrationen sowohl in Reden als auch Briefen. 11 Drecoll (2006), 191‒2. Die Analyse einzelner Briefe und Briefkorpora fällt bei Drecoll allerdings bisweilen recht oberflächlich aus; vgl. die kritische Rezension Fuendlings in BMCR 2006.09.26. 12 Wilson (2001), 185; zur Komposition der Briefbücher Senecas vgl. Cancik (1967); Maurach (1970); Mazzoli (1989), 1860‒3; Hachmann (1995); Davies (2010), 31‒53. stances, and put on costumes.“ 9 Die Art und Weise der Narration ist demnach eng mit dem kommunikativen Rahmen verbunden: Je nach Adressat und Thema nehmen Cicero und seine Briefpartner unterschiedliche Erzählhaltungen ein, um ein bestimmtes kommunikatives Ziel zu erreichen. 10 Anders als Hutchinson, der sich für Ciceros literarische Strategien interessiert, geht Drecoll (2006) der Frage nach, inwieweit Privatbriefe in der Antike als Nachrichtenmedien aufge‐ fasst wurden und insbesondere für die Übermittlung politischer, wirtschaftlicher und kultureller Neuigkeiten dienten. In seiner Monographie untersucht er die betreffenden Texte primär auf ihren Inhalt hin als historische Quellen und beanstandet an Studien wie derjenigen Hutchinsons, dass sie den Aspekt des Nachrichtentransportes zu wenig berücksichtigen. 11 Was die Privatkorrespondenz antiker Autoren betrifft, gibt es noch ver‐ gleichsweise wenige Studien, in denen narrative Strategien, sei es in einzelnen Briefen, Zyklen oder Briefbüchern, untersucht werden. Analysen der philoso‐ phischen Briefe Senecas an Lucilius richten ihr Interesse mittlerweile verstärkt auf die Anordnung der Briefe und Komposition der Briefbücher, wobei sich eine serielle Lektüre als besonders fruchtbar erweist. Wilson (2001) bringt hier das Konzept der „serial epistolography“ ins Spiel, das er in Bezug setzt zum Begriff der Erzählung („narrative“): „Individual Senecan epistles are not narrative in form. Nor does the collection, even when read sequentially, construct a narrative in the usual sense of the word, since there is no narrator, little physical action, and it is punctuated by continual interruptions of continuity. Yet reading the Epistles is analogous in some respects to what one experiences in reading an epistolary novel…The underlying narrative scheme is one of moral and intellectual progress. Seneca’s self-description as a proficiens rather than a sapiens…implies movement, change, development.“ 12 Wenngleich einzelne Briefe Senecas - im Unterschied zu denjenigen des Plinius - kaum narrative Elemente beinhalten und sich stärker durch philosophische Reflexion als erzählerische Darstellung auszeichnen, bilden sie in ihrer Ge‐ samtheit dennoch die Entwicklung eines Charakters nach, die der Leser bei sequenzieller Lektüre nachvollziehen kann. Ähnlich wie die Briefe Ciceros und 24 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 13 Erste Ansätze liefert etwa Holzberg (2008), der für eine lineare Lektüre des zweiten Briefbuches des Horaz eintritt; zu Ovid vgl. etwa Tola (2008). 14 Vgl. Holzberg (1997), 79‒99; Lindheim (2003); Liveley (2008), 86: „…the interplay of time and narrative in the Heroides invites us to identify the heroines’ epistles as narrating “What if ? ” stories, virtual histories, or counterfictional narratives - side shots from the established time lines and the established narratives of canonical tales and classical source texts.“ 15 Bentley (1697); die griechischen Texte sind ediert bei Hercher (1873); vgl. Costa (2001). 16 Vgl. den Überblick zu den einzelnen Sammlungen bei Holzberg (1994b), der in die frühe Kaiserzeit etwa die Briefe des Euripides, Aischines, Chion und Themistokles datiert; Trapp (2003), 27‒34 weist darauf hin, dass viele der pseudepigraphen Briefkorpora über einen längeren Zeitraum gewachsen sind, „as later writers augmented the efforts of their predecessors“ (28), und eine genaue Datierung daher oft schwierig ist. Senecas sind auch die Versepisteln des Horaz und die Exilbriefe Ovids noch wenig aus narratologischer Perspektive untersucht worden. 13 Im Gegensatz dazu haben Briefsammlungen, die deutlicher als fiktive Korrespondenz markiert sind, in dieser Hinsicht mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Insbesondere zu nennen sind hier Ovids Heroides, in denen Themen und Motive, die v. a. in der Epik und im Drama beheimatet sind, kunstvoll in einem epistolaren Rahmen variiert werden. 14 Auch die griechische fiktionale und pseudonyme Epistolographie, die durch Bentleys Nachweis der Unechtheit zahlreicher Briefe 15 lange Zeit von der Forschung vernachlässigt wurde, erfreut sich seit einiger Zeit wieder eines gesteigerten Interesses. Spätestens durch den von Holzberg herausgegebenen Band zum griechischen Briefroman (1994a) wurde eine intensivere Beschäftigung mit diesen Texten angeregt, wie etwa in dem von Hodkinson, Rosenmeyer und Bracke edierten Sammelband mit dem Titel Epis‐ tolary Narratives in Ancient Greek Literature (2013), der verschiedene Beiträge zu in längere Erzählungen eingelegten Briefen, fiktionalen bzw. pseudonymen Briefen sowie zum Briefroman vereint. Es ist in diesem Zusammenhang viel‐ leicht nicht unerheblich, dass viele dieser griechischen Briefkorpora, die sich als Werke berühmter Persönlichkeiten ausgeben, in der frühen Kaiserzeit (1./ 2. Jh. n. Chr.) und damit etwa gleichzeitig mit den Privatbriefen des Jüngeren Plinius entstanden sein dürften bzw. erweitert wurden. 16 Offenbar gab es in dieser Epoche ein verstärktes Interesse an der Konstruktion von personae und Cha‐ rakteren insbesondere im epistolaren Medium. Wenngleich die Plinius-Briefe natürlich nicht zu dieser Form fiktiver Korrespondenz gehören, dürfte es nicht abwegig sein, in den Strategien der Selbstdarstellung des Epistolographen aus Comum Berührungspunkte mit Ethopoiie und Pseudepigraphie in zeitgenössi‐ schen Briefsammlungen zu suchen. So spielen sowohl in den pseudepigraphen bzw. fiktiven Briefen als auch bei Plinius (auto-)biographische Elemente eine wichtige Rolle. Darüber hinaus entwickelt sich in der griechischen Epistolo‐ 25 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 17 Hodkinson/ Rosenmeyer (2013), 18; als Beispiele werden die Geistergeschichte bei Phlegon von Tralles und Ps.-Aischines Epist. 10 genannt; vgl. Hodkinson (2013); Morgan (2013). 18 Zur Gattung der Novelle, für die es in der Antike noch keine klare Definition gab, vgl. Kocher (2003); zur Nähe von Briefen und Novellen vgl. auch Henke (2012) zu Sidon. Epist. 3,12. 19 Atticus ist Widmungsträger von De amicitia und De senectute und taucht als Sprecher in De legibus, Brutus, Academica posteriora und De finibus auf; vgl. Horsfall (1989), 95. 20 Nepos lag offenbar eine andere Form der Atticus-Briefe vor, als sie uns heute mit dem sechzehn Bücher umfassenden Korpus erhalten ist; Shackleton Bailey (1965‒70), I, 72 und Horsfall (1989), 96 gehen davon aus, dass es sich bei diesen elf Büchern um eine Auswahl handelte, die Atticus privat für interessierte Freunde zusammengestellt hatte. graphie der Kaiserzeit auch eine Form, die Hodkinson und Rosenmeyer als „self-contained short stories“ bzw. „prose miniature“ bezeichnen und mit den literarischen Trends der Zweiten Sophistik in Verbindung bringen. 17 Derartige epistolare Kurzgeschichten und Novellen 18 finden wir auch bei Plinius an zahl‐ reichen Stellen, wie etwa in den Vesuv-Briefen (6,16 und 6,20), dem Gespenster- und Delphin-Brief (7,27; 9,33), den Erzählungen über Arria (3,16), die Vestalin Cornelia (4,11), spektakuläre Selbstmorde (1,12; 6,24) oder auch einige Prozesse (1,5; 9,13) und an vielen anderen Stellen. Auch weniger handlungsintensive und stärker ekphrastische Briefe wie etwa die Villenbeschreibungen (2,17; 5,6) oder Schilderungen von Naturphänomenen (4,30; 8,8; 8,20) lassen sich hier anführen. Alle diese Formen bieten dem Briefschreiber die Möglichkeit, sein erzähltechnisches Können zu entfalten. Was das narrative Potenzial der Epistolographie betrifft, bilden nicht nur einzelne Briefe einen geeigneten Gegenstand der Analyse, sondern auch ganze Briefsammlungen und deren Anordnungsprinzipien. So belegt bereits eine Bemerkung des Cornelius Nepos in seiner Atticus-Vita, dass die ihm zugäng‐ lichen Briefe Ciceros an Atticus wie ein zusammenhängender Abriss von Zeitgeschichte gelesen werden können (Att. 16,3): ei rei sunt indicio praeter eos libros, in quibus de eo facit mentionem, qui in vulgus sunt editi, undecim volumina epistularum ab consulatu eius usque ad extremum tempus ad Atticum missarum; quae qui legat, non multum desideret historiam contextam eorum temporum. Für die enge Freundschaft zwischen Atticus und Cicero führt Nepos als Belege sowohl jene publizierten Bücher Ciceros an, in denen Atticus erwähnt wird, 19 als auch ein Korpus von elf Briefbüchern, 20 deren Inhalt sich als eine historia contexta des betreffenden Zeitraums von Ciceros Konsulat bis zu seinem Le‐ bensende lesen lasse. Mit dem Begriff indicium ist der Aspekt der Authentizität 26 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 21 Vgl. Gibson/ Morello (2012), 12. 22 S. S. 36-9. 23 Auf die Atticus-Briefe verweist Seneca außerdem in Epist. 21,4; 97,4; Brev. vit. 5. 24 Tu velim saepe ad nos scribas. si rem nullam habebis, quod in buccam venerit, scribito. 25 Zu Senecas Einstellung zur Brieftopik vgl. Thraede (1970), 64‒74. 26 Vgl. Epist. 3,20,10‒12; zu Plinius und Cicero vgl. etwa Nutting (1925/ 26); Korfmacher (1946); Pflips (1973); Winniczuk (1982); Weische (1989); Rudd (1992); Riggsby (1995); Lefèvre (1996); Leach (2006); Marchesi (2008), 207‒40 und 252‒7; Gibson/ Steel (2010); Gibson/ Morello (2012), 74‒103; Keeline (2018b), 277‒335. 27 Thraede (1970), 75. von Briefen, die dem Biographen als Dokumente dienen können, angedeutet. Neben der Funktion der Freundschaftsbildung bzw. -pflege verweist Nepos in der zitierten Passage auch auf das narrative Potenzial der Briefsammlung. 21 Wie weiter unten genauer ausgeführt werden soll, rekurriert Plinius in seiner ersten Epistel (1,1) auf diesen Abschnitt der Atticus-Vita, wenn er die Organi‐ sationsprinzipien seiner eigenen Briefsammlung darlegt. 22 Nach Nepos werden Ciceros Briefe an Atticus dann wieder bei Seneca erwähnt, der sich in Epist. 118 sowohl von Ciceros Praxis, mit seinen Adressaten nur um des loqui/ iocari willen zu kommunizieren, als auch von dessen Berichten über Tagespolitik und Zeitgeschichte abgrenzt (1‒2): 23 nec faciam, quod Cicero, vir disertissimus, facere Atticum iubet, ut etiam ‘si rem nullam habebit, quod in buccam venerit’ scribat. numquam potest deesse, quod scribam, ut omnia illa, quae Ciceronis implent epistulas, transeam: quis candidatus laboret; quis alienis, quis suis viribus pugnet; quis consulatum fiducia Caesaris, quis Pompei, quis arcae petat; quam durus sit fenerator Caecilius, a quo minoris centesimis propinqui nummum movere non possint. Seneca zitiert hier zunächst aus Cic. Att. 1,12,4, 24 um sich von derartigen Formen leeren Wortgeplänkels in den Briefen zu distanzieren, und führt andererseits auch Beispiele für Nachrichtenaustausch und politischen Klatsch an, worauf er in seinem epistolaren Projekt ebenfalls verzichten will. 25 Ähnlich wie Nepos und Seneca weist auch Plinius auf den politischen Gehalt der Cicero-Briefe hin, wenn er konstatiert, dass sein Vorgänger im Unterschied zu ihm selbst nicht nur über ein copiosissimum ingenium verfügt habe, sondern auch auf einen reichhaltigen Stoff für seine Briefe zurückgreifen konnte (9,2,2: par ingenio qua varietas rerum qua magnitudo largissime suppetebat). 26 Thraede bemerkt in seiner Studie zur antiken Brieftopik, dass „die Ausbeute an briefspezifischen Motiven bei Plinius doch bemerkenswert dürftig“ sei. 27 Diese Beobachtung ist m. E. jedoch nicht ganz zutreffend: Zwar bietet uns Plinius freilich keine kohärente Brieftheorie, doch zahlreiche explizite und implizite 27 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 28 Vgl. Wolff (2003), 47; Fögen (2018) und (2020). 29 Zu Pliniusʼ theoretischen Aussagen über die Epistolographie vgl. Gamberini (1983), 122‒78. 30 Ersatz für ein Gespräch: 1,11; 2,2; 2,5,13; 2,11,25; 3,17; 4,13,2; 5,7,5‒6; 6,17,1; 6,27,1; Ersatz für persönliche Gegenwart: 2,18,3; 5,6,40‒44; 5,21,6; 6,1; 6,7,2; 6,33,7. 31 Sherwin-White (1966), 404 identifiziert ihn als C. Bruttius Praesens. 32 Zu diesem Brief s. S. 86-95. 33 Zu diesem Brief s. S. 232-7. 34 Zu den Prozess-Schilderungen bei Plinius s. Kap. II.1. Äußerungen des Epistolographen über sein Genre liefern wertvolle Hinweise darauf, wie Plinius die Funktionen, Möglichkeiten und Grenzen seiner Gattung einschätzte. 28 Diese immanente Gattungstheorie 29 sei hier deshalb insbesondere im Hinblick auf das narrative Potenzial von Briefen beleuchtet: Die Idee, dass der Brief als Ersatz für ein Gespräch sowie das persönliche Zusammensein der Briefpartner dient, wird auch bei Plinius häufig thematisiert. 30 Mit diesem in der epistolographischen Theorie und Praxis fest verankerten Topos spielt Plinius sogar in einem Brief, den er an einen gewissen Praesens richtet und in dem er den Adressaten dazu auffordert, endlich von seinen Landgütern in Lukanien und Kampanien nach Rom zurückzukehren (7,3,1-2: iusta causa longioris absentiae, non perpetuae tamen. Quin ergo aliquando in urbem redis? ). Bei Praesens dürfte es sich um eine historische Figur handeln, 31 deren Namen sich aber wunderbar für ein epistolographisches Wortspiel anbietet: Praesens soll sich durch seine lange Abwesenheit nicht in einen Absens verwandeln. Über die verschiedenen Möglichkeiten, einen absens in einen praesens zu transformieren, äußert sich Plinius etwa im Zusammenhang mit der besonders anschaulichen Schilderung von Objekten oder Ereignissen, wie etwa im Falle der Villen-Ekphrasis in Epist. 5,6 (41: nisi proposuissem omnes angulos tecum epistula circumire) 32 oder der Erzählung über den Prozess der Attia Viriola (6,33,7: interesse iudicio), wo die Adressaten bei der Lektüre gleichsam in die Rolle von Betrachtern bzw. Zu‐ schauern schlüpfen. 33 Briefe haben neben der gedanklichen Zusammenkunft mit dem Adressaten die Funktion, sowohl über Taten und Ereignisse zu berichten als auch über weitere Pläne zu informieren, wie Plinius etwa in Epist. 1,5,17 betont (haec tibi scripsi, quia aequum erat te pro amore mutuo non solum omnia mea facta dictaque, verum etiam consilia cognoscere). In Epist. 3,9 kündigt Plinius einen ausführlichen Bericht über den Prozess gegen Caecilius Classicus an (1: possum iam perscribere tibi, quantum…laboris exhauserim), und einem ähnlichen Zweck dienen auch die Briefe 5,13 (1: …ego promisi…scripturum me tibi, quem habuisset eventum) und 9,13 (1: …postulas, ut perscribam tibi…). 34 Mehrmals weist Plinius zudem darauf hin, dass seine Briefe - häufig handelt es sich um solche mit narrativem Charakter - den Adressaten zur Nachah‐ 28 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 35 Ermahnung ist auch das Ziel von Epist. 8,24, die allerdings weniger narrativ als paränetisch gestaltet ist. 36 Zu Epist. 6,16 und 6,20 s Kap. II.4.2; zu 7,33 Kap. II.1.5; zu 9,33 Kap. II.4.5. 37 Vgl. etwa Gibson/ Morello (2012), 78. 38 S. Kap. II.2.3. mung anspornen oder belehren sollen, wie etwa in 3,5 über Bibliographie und Tagesroutine des Älteren Plinius (20: extendi epistulam…quae…ad simile aliquid elaborandum possunt aemulationis stimulis excitare), in 4,24 über Pliniusʼ Karriere vor dem Zentumviralgericht (7: isdemque te vel praeceptis vel exemplis monere), in 6,22 über den Rechtsstreit des Provinzstatthalters Bruttianus (7: quod tibi scripsi, ut te sortitum provinciam praemonerem), in 7,1 über das Verhalten während einer Krankheit (7: quae tibi scripsi…ut te non sine exemplo monerem), in 8,18 über das Testament des Domitius Tullus (12: ad rationem vitae exemplis erudimur) und in 9,12 über einen strengen Vater (2: haec tibi admonitus immodicae severitatis exemplo pro amore mutuo scripsi…). 35 Sofern der Adressat selbst literarisch tätig ist, können Briefe zudem den Stoff für historiographische oder poetische Darstellungen liefern, wie uns etwa in Epist. 6,16, 6,20 und 7,33 an Tacitus oder in 9,33 an den Dichter Caninius Rufus suggeriert wird. Eine nähere Analyse der betreffenden Texte wird jedoch verdeutlichen, dass diese Charakterisierung von Briefen als „Hilfsmaterial“ für literarisch anspruchsvollere Werke lediglich eine Variante des rhetorischen Bescheidenheitstopos darstellt und diese Episteln tatsächlich den Anspruch er‐ heben, in Wettstreit mit den jeweiligen Gattungen zu treten. Plinius weist zudem mehrmals darauf hin, dass seine Briefe dazu dienen, Zusatzinformationen zu seinen eigenen literarischen Aktivitäten als Redner oder Dichter zu liefern und die Genese, Verbreitung und den Anklang der betreffenden Werke beim Publikum zu schildern; auch in diesem Rahmen reflektiert Plinius über das Verhältnis der Epistolographie zu den betreffenden Genres. 36 Aufschlussreich sind auch Pliniusʼ Bemerkungen zum Themenspektrum, das sich in Briefen behandeln lässt: Es wurde bereits mehrfach beobachtet, dass die Plinius-Briefe im Gegensatz zu denjenigen Ciceros zumeist um einen einzigen Gegenstand kreisen, 37 ein Merkmal, über das sich Plinius sogar selbst in Epist. 2,1 über Verginius Rufus äußert, 38 wo es am Ende heißt (12): volui tibi multa alia scribere, sed totus animus in hac una contemplatione defixus est. Ereignisse wie das Staatsbegräbnis des Verginius Rufus gehören überdies zu den res urbanae, die zusammen mit res peregrinae auch an anderen Stellen den Inhalt der Korrespondenz mit abwesenden Adressaten bilden; so etwa in 2,11 über den Prozess gegen Marius Priscus (25: habes res urbanas; invicem rusticas 29 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 39 S. S. 134-144. 40 Die Grenze zwischen Öffentlich und Privat dürfte jedoch bei einem römischen Aristo‐ kraten weniger deutlich gewesen sein als man sie in der Moderne zu ziehen pflegt; Page (2015), 59: „Die Existenz eines Senators kannte keine rein privaten Elemente, mehr noch: sie konnte sich überhaupt erst in der Öffentlichkeit voll entfalten.“ 41 Zu diesem Brief vgl. Williams (2005/ 06). 42 Vgl. Ash (2003); Tzounakas (2007). scribe! ) 39 oder in 4,11 über den Inzestskandal um die Vestalin Cornelia und seine Folgen (15: qui non solum res urbanas, verum etiam peregrinas tam sedulo scribo, ut altius repetam); auf seinem tuskischen Landgut wünscht sich Plinius von seinem Adressaten wiederum Berichte über die Ereignisse in der Stadt (9,15,3: nobisque sic rusticis urbana acta perscribe). Dass Briefe nicht nur Privates, sondern auch den Staat Betreffendes thematisieren sollen, fordert Plinius in 3,20 über kürzlich erfolgte Beamtenwahlen im Senat, wo er auch den Aspekt der Neuigkeit betont (10‒11: haec tibi scripsi, primum ut aliquid novi scriberem, deinde ut non numquam de re publica loquerer…habeant nostrae quoque litterae aliquid…nec privatis rebus inclusum). 40 Neuigkeiten bzw. Stadtgespräche soll auch der oben schon erwähnte Brief 8,18 über das Testament des Domitius Tullus liefern (11: habes omnes fabulas urbis), und als eine Art Klatschgeschichte gibt sich auch der Brief 4,7 über Regulus’ Schrift auf seinen verstorbenen Sohn (6: habesne, quo tali epistulae gratiam referas? ). Dass die Darstellung grausamer Ereignisse die Ressourcen eines Briefes übersteigt, deutet Plinius in 3,14 über die Ermordung des Larcius Macedo an (1: Rem atrocem nec tantum epistula dignam…). 41 Umgekehrt sei das in Epist. 6,20 geschilderte Schicksal des Plinius und seiner Mutter während des Vesuv-Ausbruchs im Gegensatz zum Tod des älteren Plinius (6,16) einer geschichtlichen Darstellung durch Tacitus nicht würdig (6,16,21: nihil ad historiam; 6,20,20: nequaquam historia digna), ja verdiene möglicherweise nicht einmal einen Brief (6,20,20: digna ne epistula quidem). Auch richten sich Historiographie und Brief angeblich an verschiedene Zielgruppen, wie der Epistolograph Tacitus gegenüber konstatiert (6,16,22): aliud est enim epistulam, aliud historiam, aliud amico, aliud omnibus scribere. Die Tatsache, dass Plinius seine Briefe selbst publizierte und somit ebenfalls einer allgemeinen Leserschaft (omnibus) zugänglich machte, spricht allerdings dafür, dass er seine Sammlung als eine Art Konkurrenzunternehmen zu einer Historie auffasste - ungeachtet der programmatischen Abgrenzung von dieser Gattung in Epist. 1,1 (1: neque enim historiam componebam). 42 Literarisch anspruchsvolle Briefe bedürfen überdies eines gewissen Maßes an otium, wie Epist. 1,10 impliziert, wo Plinius die zahlreichen und lästigen Verpflichtungen, denen er nachkommen muss, aufzählt (9): sedeo pro tribunali, 30 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 43 Sherwin-White (1966), 109‒10 zufolge passen die hier beschriebenen Tätigkeiten gut zu Plinius’ Amt als Präfekt des aerarium Saturni. 44 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 103. 45 Er erhält insgesamt acht Briefe (1,5; 3,13; 6,15; 6,33; 8,8; 9,7; 9,28) und nimmt somit in der „Rangliste“ der Adressaten Platz drei hinter Tacitus und Calpurnius Fabatus ein, wobei die betreffenden Briefe auch bedeutende Themen behandeln; vgl. Whitton (2013a), 66‒7. 46 Damit scheint ein Bezug zu den in Epist. 1,16 erwähnten Briefen des Pompeius Saturninus bzw. seiner Frau im Stile eines Plautus und Terenz hergestellt zu sein, denn die beiden Komödiendichter werden bei Quintilian mit ganz ähnlichen Worten charakterisiert wie die Briefe des Voconius Romanus bei Plinius (Inst. 10,1,99): licet Varro Musas…Plautino dicat sermone locuturas fuisse, si Latine loqui vellent…licet Terentii scripta…quae tamen sunt in hoc genere elegantissima. Auch Plinius selbst lässt Elemente der Komödie in seine Briefe einfließen, wie Fögen (2017) an Epist. 9,12 zeigt. 47 Er war Vorgänger des Plinius in der cura Tiberis; vgl. Sherwin-White (1966), 417. 48 Fögen (2017), 29‒30 zeigt anhand einer stilistischen Analyse dieses Briefes, dass man das über Ferox Gesagte auch auf die Briefe des Plinius übertragen kann. 49 Pedanius Fuscus Salinator taucht ab Buch 6 der Briefe als eine Art Schüler des Plinius auf; vgl. Sherwin-White (1966), 386. subnoto libellos, conficio tabulas, scribo plurimas, sed inlitteratissimas litteras. 43 Keineswegs unliterarisch sind hingegen die Briefe verschiedener Zeitgenossen, deren stilistische Qualität von Plinius gelobt wird: Die Briefe der Gattin des Pompeius Saturninus, 44 die aber auch von diesem selbst verfasst sein könnten, lassen sich wie Plautus oder Terenz in Prosa lesen (1,16,6). Voconius Romanus wiederum, der zu den häufigsten Adressaten des Plinius zählt, 45 schreibt so elegante Briefe, dass man die Musen selbst Latein sprechen zu hören meint (2,13,7: ut Musas ipsas Latine loqui credas); an anderer Stelle beschreibt Plinius die Briefe des Romanus als ausgesprochen geschmackvoll und liebevoll (9,28,1: elegantissimas amantissimas) 46 und gibt den Inhalt dreier Briefe wieder, die er alle gleichzeitig von seinem Freund erhalten hat. Unter anderem habe Romanus geschrieben, dass er sich beim Diktieren und Schreiben Plinius vor Augen stelle (9,28,3: altera epistula nuntias multa te nunc dictare, nunc scribere, quibus nos tibi repraesentes). Abgesehen von den drei bereits zugestellten Briefen habe Romanus noch einen weiteren geschickt, der noch sorgfältiger verfasst wurde (9,28,5: curiosius scriptas), jedoch noch nicht bei Plinius ankam (9,28,5: non accepi). Das ausführliche Lob der Briefe des Romanus fällt nicht zuletzt auf Plinius selbst zurück, den sich Romanus angeblich zum Vorbild nimmt, wie er es in seinem Brief zugegeben haben soll. Form und Inhalt widersprechen sich in einem Brief, den Plinius von Iulius Ferox 47 erhalten hat: Dieser behauptet zwar, sich nicht auf literarische Aktivitäten zu konzentrieren, wird aber allein durch die stilistische Qualität desselben Schreibens widerlegt (7,13,2: est tam polita, quam nisi a studente non potest scribi). 48 Seinem jüngeren Zeitgenossen Fuscus Salinator 49 gibt Plinius auf dessen Wunsch hin Anweisungen für die 31 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 50 Quintilian empfiehlt neben der historia auch das Verfassen von Dialogen (Inst. 10,5,15); zu Plin. Epist. 7,9 vgl. Keeline (2013); s. auch S. 292-5. 51 Quintilian bringt die Adjektive pressus und integer mit dem attischen Redestil in Ver‐ bindung, während der Asianismus mit den Begriffen inflatus und inanis charakterisiert wird (Inst. 12,10,16: hi pressi et integri, contra inflati illi et inanes); purus wiederum dürfte das Ideal der Latinitas bezeichnen, für das auch Plautus und Terenz von antiken Kritikern gerühmt wurden (vgl. Plin. Epist. 1,16,6); vgl. Gamberini (1983), 171‒5; Keeline (2013), 252; Kürze und Einfachheit ist auch Demetrios zufolge ein wesentliches Merkmal des Briefstils (De eloc. 231). 52 Auch die historia klassifiziert Quintilian bekanntlich als proxima poetis und carmen solutum (Inst. 10,1,31); vgl. Foucher (2000); zu den nahezu poetischen descriptiones locorum in einer Rede des Plinius vgl. Epist. 2,5,5. 53 Keeline (2013), 251: „…such examples of enallage are much more common in po‐ etry…and so Pliny again matches form and content as he exhorts Fuscus to poetry in poetic prose.“ 54 Gamberini (1983), 122 sieht hierin nicht nur einen Hinweis darauf, dass die betreffenden Briefe mit mehr Sorgfalt verfasst waren, sondern „the technical denomination of a new type of letter“, d. h. eine neue epistolographische Subgattung von epistulae curatius scriptae; zu Epist. 1,1 s. S. 36-9. studia im secessus und listet eine Reihe literarischer Gattungen auf, von denen man als Redner profitieren kann. Dazu gehört auch die Komposition von historiographischen Texten und Briefen (7,9,8): 50 Volo interdum aliquem ex historia locum adprendas, volo epistulam diligentius scribas. nam saepe in oratione quoque non historica modo, sed prope poetica descriptionum necessitas incidit, et pressus sermo purusque ex epistulis petitur. Epistolographie und Historiographie werden hier in einem Atemzug genannt, wenn es um die descriptiones geht, die man bisweilen in eine Rede einbauen muss. Der pressus sermo purusque ist dabei Plinius zufolge der für die Epistolo‐ graphie spezifische Stil, 51 der demjenigen der Historiographie gegenübergestellt und in die Nähe der Dichtung gerückt wird. 52 Seine theoretischen Ausführungen untermalt Plinius auch im Text selbst, indem er seinen Gedanken im Rahmen einer Enallage ausdrückt (historica…poetica descriptionum necessitas). 53 Die in den eben betrachteten Passagen wiederholt hervorgehobene Qualität des diligentius/ curiosius/ polite scribere wird auch als wesentliches Merkmal der Pli‐ nius-Briefe angekündigt, wie aus Epist. 1,1 hervorgeht: Aus seiner ursprünglich offenbar umfangreicheren Korrespondenz hat Plinius, so wird uns suggeriert, gerade die sorgfältiger verfassten Briefe (1: si quas paulo curatius scripsissem) ausgewählt. 54 Abgesehen von stilistischer Sorgfalt können Briefe auch „in der Art der Geschichtsschreiber“ (9,16,1: historicorum more) komponiert sein, wie es Plinius 32 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 55 Sherwin-White (1966), 500 identifiziert ihn als T. Pomponius Mamilianus, Suffektkonsul des Jahres 100 n. Chr. 56 Er ist auch Adressat der ebenfalls einem rhetorischen Thema gewidmeten Epist. 2,5; vgl. Sherwin-White (1966), 150. 57 Zu diesem Brief vgl. u. a. Gamberini (1983), 45‒9; Cugusi (2003); Whitton (2015b). 58 Es handelt sich um den letzten langen Brief innerhalb der Sammlung, der zudem thematisch mit dem langen Brief 1,20 korrespondiert; vgl Whitton (2013a), 111. 59 Vgl. Demetr. De eloc. 228: αἱ δὲ ἄγαν μακραί, καὶ προσέτι κατὰ τὴν ἑρμηνείαν ὀγκωδέστεραι, οὐ μὰ τὴν ἀλήθειαν ἐπιστολαὶ γένοιντο ἄν, ἀλλὰ συγγράμματα. 60 Zu den Zitaten in diesem Brief vgl. Schenk (1999); Schwerdtner (2015), 133‒9. 61 Gamberini (1983), 151‒2 bietet eine statistische Übersicht zum Umfang der Briefe; die Spitzenplätze mit über 100 Zeilen in der Oxford-Ausgabe von Mynors (1963) werden belegt von Epist. 5,6, 3,9, 2,17, 8,14, 1,20, 2,11, 8,6 und 9,13; vgl. Fögen (2020), wo in der Appendix (226‒8) ebenfalls ein Überblick zur Länge der Briefe in Buch 1‒9 geboten wird. am Schreiben eines gewissen Mamilianus 55 beobachtet, der über seine ergiebige Beute bei einer Jagd berichtet hat. Beispiele für einen Stil, der dem Gebot der Kürze und Einfachheit für Briefe zuwiderläuft, führt Plinius in Epist. 9,26 an, wo er sich selbst als „Übeltäter“ enttarnt. Dieser Brief an einen gewissen Lupercus, 56 der in einer Rede des Plinius einige Passagen als zu schwülstig und übertrieben angestrichen hat (9,26,5: ut tumida…ut improba), versucht die Notwendigkeit von rhetorischer sublimitas zu rechtfertigen 57 und vergleicht in diesem Zusam‐ menhang den stilistischen Wagemut eines Redners mit den Gefahren, denen sich ein Steuermann während eines Seesturms aussetzt (9,26,4): at, cum stridunt funes, curvatur arbor, gubernacula gemunt, tunc ille clarus et dis maris proximus. Nicht nur durch seinen Umfang entspricht dieser Brief eher einem Traktat, 58 sondern er übersteigt auch durch die darin verwendeten Ausdrücke die Grenzen der Epistolographie. 59 Plinius ist sich dessen durchaus bewusst, denn am Ende des Briefes bittet er den Adressaten, auch hier unpassende Wortgebilde zu korrigieren (9,26,13): Exspecto, ut quaedam ex hac epistula, ut illud ʻgubernacula gemuntʼ et ʻdis maris proximusʼ, isdem notis quibus ea, de quibus scribo, confodias. intellego enim me, dum veniam prioribus peto, in illa ipsa, quae adnotaveras, incidisse. Geschwollene Ausdrücke, an denen sich Puristen bereits in einer Rede stören können, sind in einem Brief offenbar erst recht unpassend. Abgesehen davon wird auch durch die ungewöhnlich hohe Anzahl griechischer Zitate aus den Reden des Demosthenes und Aischines sowie aus Homer 60 das in Epist. 7,9 propagierte Ideal des sermo purus unterminiert. Neben Inhalt und Stil bringt auch der Umfang einen Brief an seine gene‐ rischen Grenzen: 61 So reflektiert Plinius in Epist. 4,17 über den Unterschied 33 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 62 Er taucht in mehreren Briefen als Mentor und role model für Plinius auf; vgl. Sherwin-White (1966), 111‒2 zu Epist. 1,12; s. S. 64. 63 Zu diesem Brief s. S. 220-1. 64 Zu diesem Brief, der in Epist. 9,26 sein Gegenstück hat, vgl. Cugusi (2003); Schwerdtner (2015), 123‒47; Keeline (2018b), 299‒303. 65 Dazu Whitton (2013a), 110‒20. 66 Whitton (2013a), 119‒20 erkennt hier eine Anspielung auf das Ende von Quintilians erstem Buch der Institutio oratoria (Inst. 1,12,19): sed nos haec ipsa dulcedo longius duxit. 67 S. S. 178-82. zwischen Brief und Rede, wenn er seinem Adressaten gegenüber angkündigt, dass er Corellia, die Tochter des Corellius Rufus, 62 in einem Rechtsstreit ver‐ treten werde. Seine Argumente, die sich im Brief nur kurz umreißen lassen, werde er in der Prozessrede breiter ausführen können (4,17,11: si haec eadem in actione, latius scilicet et uberius, quam epistularum angustiae sinunt…dixero). 63 In Epist. 1,20 an Tacitus 64 führt Plinius aus, warum seiner Meinung nach lange Reden mehr Überzeugungskraft besitzen als kurze, und fordert diesem Gedanken entsprechend am Ende von seinem Adressaten ein besonders langes Antwortschreiben, sollte dieser anderer Meinung sein (25: proinde, si non errare videor, id ipsum quam voles brevi epistula…scribe…; si erraro, longissimam para! ). Analog zu einer Rede kann auch ein Brief dieser Logik zufolge besser überzeugen, je ausführlich er ist. Epist. 2,5 ist ebenfalls einem rhetorischen Thema gewidmet, denn hier kommentiert Plinius eine Rede, die er seinem Adressaten zusammen mit dem Brief geschickt hat. 65 Sein Schreiben beschließt Plinius mit der Feststellung, dass ihn die Freude an der Unterhaltung mit seinem Freund schon zu weit geführt habe (13: longius me provexit dulcedo quaedam tecum loquendi) 66 und er nun eine Ende setzen werde, um den Brief nicht länger auszudehnen als die Rede (13: ne modum, quem etiam orationi adhibendum puto, in epistula excedam). Auch Epist. 4,5 gibt sich als Begleitschreiben zu einer Rede aus, deren Umfang es nicht gestatte, dass sich auch der Brief in die Länge ziehe (3: non sinit me longiore epistula praeloqui), da die Möglichkeit zur brevitas auch ihre Notwendigkeit mit sich bringe (4: oportet enim nos in hac certe, in qua possumus, breves esse). Ein Begleitbrief bringe zudem die Gefahr mit sich, dass er bei allzu großer Geschwätzigkeit die Neugier auf die oratio mindere (5,20,8: ne gratiam novitatis et florem…epistulae loquacitate praecerpam). 67 Wenn es sich noch dazu um Gedichte handle, dann sei eine lange Vorrede in Form eines Briefes ohnehin überflüssig (4,14,8: nam longa praefatione vel excusare vel commendare ineptias ineptissimum est). Die Hintergründe zu seiner Rede De Helvidi ultione schildert Plinius in der langen Epistel 9,13, an deren Ende er bemerkt, dass der Brief nun beinahe gleich umfangreich geworden sei wie die Rede selbst (26: habes epistulam, si modum epistulae cogites, libris, 34 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 68 Zu Epist. 9,13 s. Kap. II.1.6. 69 Ähnlich argumentiert Sidonius Apollinaris (Epist. 5,17,2): tibi potius vitio verte, quod loquacior erit opere praefatio. 70 S. S. 86-95. 71 Plinius freut sich hier über die Nachricht, dass Cornutus Tertullus mit der cura viae Aemiliae beauftragt wurde; vgl. Sherwin-White (1966), 343‒6; bei Sidonius Apollinaris sind die Zuneigung zum verstorbenen Rhetor Lampridius und die Trauer über dessen Tod für einen langen Brief verantwortlich (Epist. 8,11,14: longiuscule me progredi amor impulit, cuius angorem silentio exhalare non valui). 72 Lange Briefe fordert Plinius auch in Epist. 2,11,25; 4,11,16; 9,32; vgl. 9,20. 73 S. Kap. II.1.3. 74 Zur Konstruktion des Lesers bei Martial und in der griechischen Epigrammatik siehe Höschele (2010), 100‒46. quos legisti, non minorem). 68 In der didaktischen Epist. 7,9 behauptet Plinius am Ende seiner Ausführungen, er habe den Brief bereits zu sehr ausgedehnt (16: immodice epistulam extendi) und dadurch seinem Adressaten wertvolle Studienzeit geraubt (16: ut…studendi tempus abstulerim). Der Empfänger kann wiederum selbst schuld daran sein, wenn der betreffende Brief etwas länger ausfällt, nachdem um die Darstellung eines bestimmten Sachverhalts gebeten worden ist (9,13,1; 26: postulas, ut perscribam tibi…; sed imputabis tibi). 69 Sowohl die Länge einer Rede als auch eines Briefes lässt sich mitunter durch die Größe bzw. Bedeutung des darin thematisierten Gegenstandes rechtfertigen - dies gilt etwa für die in Epist. 4,5 beschriebene oratio (4: non tamen ultra causae amplitudinem), den Prozess-Bericht in Epist. 3,9 (27: memento non esse epistulam longam, quae tot dies, tot cognitiones…complexa sit) oder die Villen-Ekphrasis in Epist. 5,6, dem längsten Brief innerhalb des Korpus (5,6,44): non epistula, quae describit, sed villa, quae describitur, magna est. 70 Abgesehen vom Thema sind auch Emotionen des Briefschreibers, wie z. B. Freude, mögliche Gründe für die Ausdehnung einer epistula (Epist. 5,14,7: in infinitum epistulam extendam, si gaudio meo indulgeam). 71 Es zeuge überdies von größter Zuneigung, wenn man von seinen Freunden lange Brief erwartet (9,2,5: est enim summi amoris negare veniam brevibus epistulis amicorum). 72 Bisweilen lässt Plinius auch sein Gegenüber als interlocutor zu Wort kommen und sich über den Umfang eines Briefes beschweren; so etwa in der langen Epistel 3,9 über den Prozess gegen Caecilius Classicus, 73 wo folgende Leserre‐ aktion inszeniert wird (27): Dices ‘non fuit tanti; quid enim mihi cum tam longa epistula? ’ Durch die (antizipierte) direkte Rede des Adressaten verschwimmen die Grenzen zwischen Brief und Dialog; zudem konstruiert Plinius hier den Typus des „faulen“ Lesers, wie wir ihn insbesondere aus den Epigrammen Martials kennen. 74 Auch dort stoßen wir häufig auf negative Reaktionen von 35 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 75 Zur Strategie des inszenierten reader response in der römischen Dichtung siehe Holzberg (2006b). 76 Zu Intertextualität zwischen Plinius und Martial siehe Neger (2015b), 139‒40; Canobbio (2015); Mratschek (2018). 77 Zu den Adressaten s. Kap. I.2.4. 78 Er dürfte ein Altersgenosse des Plinius gewesen sein, der dem Ritterstand angehörte; Sherwin-White (1966), 85. Lesern, 75 vor allem wenn sie es mit längeren Gedichten zu tun haben oder mit einer Vorrede konfrontiert werden. Plinius scheint in seinem Brief auf die Prosaepistel zu Martials Buch 2 anzuspielen, deren Adressat Decianus heftig gegen die Kombination von Epigrammbüchern mit Prosavorreden protestiert (Mart. 2 praef. 1: ‘Quid nobis’ inquis ‘cum epistola? ’) und dadurch angeblich verhindert, dass der Brief zu lange wird (14‒15: Debebunt tibi si qui in hunc librum inciderint, quod ad primam paginam non lassi pervenient). 76 Eine Variation des Motivs vom faulen Leser findet sich bei Plinius in Epist. 7,2, deren Adressat zwar nicht so unwillig reagiert wie die zuvor betrachteten Charaktere - ganz im Gegenteil fordert er sogar die Schriften des Plinius zur Lektüre -, jedoch von so vielen Verpflichtungen eingenommen wird (7,2,1: adsiduis occupationibus impediri), dass Plinius ihm lieber nur kurze Briefe schreiben will (7,2,3: interim abunde est, si epistulae non sunt molestae; sunt autem, et ideo breviores erunt). Die in den Büchern 1‒9 gesammelten Briefe an verschiedene Adressaten bilden ein Konglomerat an unterschiedlichen Narrationen epistolarer Korre‐ spondenz zwischen Plinius und seinen Zeitgenossen. 77 Zwar sind uns, abge‐ sehen von den Briefen Trajans in Buch 10, keine Antwortschreiben erhalten, doch verweist Plinius sehr oft am Beginn eines Briefes auf die vorausgehende Korrespondenz, deren Inhalt er häufig auch kurz paraphrasiert, oder er kündigt am Ende eine Fortsetzung des Briefwechsels an. So kann der Leser bei jedem Adressaten, dem er im Zuge der Lektüre begegnet, eine Geschichte der Interak‐ tion zwischen Plinius und der betreffenden Figur rekonstruieren. Dies beginnt schon im allerersten Brief des Korpus, der mit den Worten frequenter hortatus es, ut epistulas…colligerem publicaremque beginnt (Epist. 1,1,1). Der Leser des ersten Buches taucht also in eine bereits laufende Konversation zwischen Plinius und Septicius Clarus 78 ein, der Plinius schon oftmals (frequenter) aufgefordert haben soll, seine Briefe zu sammeln und zu publizieren. Das Adverb frequenter weist dabei nicht nur auf die Intensität der Kommunikation zwischen den beiden Briefpartnern hin, sondern dürfte zu Beginn des Werkes auch das literarische Programm der Briefsammlung ankündigen, indem es eine lateinische Überset‐ zung des griechischen πολλάκι liefert, das wir am Anfang des kallimacheischen 36 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 79 Überliefert ist nur das ι, doch herrscht in der Forschung mehr oder weniger Einigkeit, dass πολλάκι zu ergänzen ist; Cameron (1995), 339; Barchiesi (2005), 333‒6; Harder (2012), II, 12‒3; Abwandlungen des Adjektivs πολύς bzw. das Adverb πολλάκις finden sich zudem häufig bei attischen Rednern, wie Fraenkel (1960) herausarbeitet; neben Plinius greifen auch Tacitus (Dial. 1,1: Saepe ex me requiris) und Cicero (De orat. 1,1: Cogitanti mihi saepenumero) auf diese πολλά-Formel zurück. 80 Zur Rezeption des recusatio-Topos bei den Römern vgl. Wimmel (1960); Hunter (2006). 81 Gildenhard (2013), 242: „…the composition of dialogues with a historical setting emerges as the Ciceronian alternative to a genre that he felt unable to make truly his own“; vgl. Steel (2005), 41‒2. 82 Zu deren Datierung zwischen 110 und 115 n. Chr. vgl. Hamilton (1969), xxxvii. Aitien-Prologs (Kall. fr. 1,1 Pf.) finden. 79 Während der hellenistische Dichter seine Aitia gegen Neider, die von den Telchinen verkörpert werden, verteidigen muss (fr. 1,1 Pf.: Πολλάκι μοι Τελχῖνες ἐπιτρύζουσιν ἀοιδῇ), ist bei Plinius das invidia-Motiv in einen Diskurs der Zustimmung und Ermunterung verwan‐ delt. Der Epistolograph muss nicht erst gegen den Widerstand von Kritikern ankämpfen, sondern publiziert sein Werk nach mehrfacher Aufmunterung durch einen Freund. Der von Kallimachus geprägte recusatio-Topos, bei dem die poetische Kleinform mit dem ἓν ἄεισμα διηνεκές (fr. 1,3 Pf.) kontrastiert wird, 80 findet sich in abgewandelter Form auch bei Plinius, der seine angeblich aufs Geratewohl und nicht chronologisch zusammengestellten Briefe von der Historiographie abgrenzt (Epist. 1,1,1): collegi non servato temporis ordine - neque enim historiam componebam -, sed ut quaeque in manus venerat. Gerade diese recusatio der Historiographie zu Beginn der Briefsammlung animiert den Leser dazu, über das Verhältnis der beiden Gattungen nachzudenken. So bemerkt Tzounakas (2007: 46‒7) in seiner Analyse von Epist. 1,1 treffend: „By drawing attention to the fact that his work differs from that of historiography only in that ist lacks chronological order, Pliny is implying that in all other aspects there is not much difference.“ Plinius bietet mit seiner Briefsammlung also eine Art Alternativ-Projekt zu einem historiographischen Werk, und die Briefe erfüllen damit vielleicht eine ähnliche Funktion wie Ciceros Dialoge, die man Gildenhard (2013) zufolge als „Historiography Manqué“ lesen könne. 81 Die Reflexionen über Briefsammlung und Historie in Plinius’ Epist. 1,1 berühren sich außerdem mit ähnlichen Aus‐ sagen in der zeitgenössischen Biographie und Buntschriftstellerei. So begegnen wir etwa in Plutarchs Alexander-Vita 82 einer ganz ähnlichen Ankündigung, die auch in ihrem Wortlaut derjenigen bei Plinius verblüffend ähnlich ist (1): οὔτε γὰρ ἱστορίας γράφομεν ἀλλὰ βίους. Plutarch rechtfertigt sich am Beginn dieser Vita, dass er das Leben Alexanders nicht umfassend schildert und nicht alle 37 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 83 Vgl. Chrysanthou (2018), 29‒31. 84 Epist. 1,13; 4,4; vgl. Sherwin-White (1966), 114‒5; ähnlich wie die Plinius-Briefe ent‐ halten auch die Quaestiones convivales autobiographische Elemente, da der Autor Plutarch zugleich als Erzähler und handelnde Figur auftritt, wobei seine Rolle als Figur weitaus schwächer ausgeprägt ist als wir es bei Plinius beobachten können; vgl. Klotz (2014), 210: „…the Table Talk is semi-autobiographical and Plutarch has a complicating, central presence. Indeed, “Plutarch” divides in two; as a narrator, telling the reader what happened at these parties, and as a character who attended them. The Plutarchan character is harder to pin down than might at first appear. Other guests never address him directly, nor does he refer to himself by name“. Eine systematische Untersuchung des Verhältnisses zwischen Plinius und Plutarch stellt nach wie vor ein Desiderat dar; vgl. König (2013); unter dem Namen des Minicius Fundanus, eines der Adressaten bei Plinius und Konsul des Jahres 107 n. Chr., ist ein in der Zeit Domitians spielender Dialog mit dem Titel C. Minici Fundani Dialogus de Graecorum et Romanorum Moribus überliefert, an dem sowohl Plinius als auch Plutarch und Sosius Senecio teilnehmen; sprachliche und stilistische Indizien deuten allerdings darauf hin, dass dieser Dialog aus einer späteren Zeit stammt und es sich um „imaginative fiction“ handelt; Gibson (2018). 85 Jones (1966), 72‒3 datiert die Quaestiones convivales in die Zeit zwischen 99 und 116 n. Chr.; vgl. Egelhaaf-Gaiser (2013), 303 Anm. 37 zum Jahr 95 n. Chr. als terminus post quem. Zur Datierung der Plinius-Briefe s. S. 17-8. militärischen Taten des berühmten Makedonen berücksichtigt, sondern vieles davon auslässt (1: ἐπιτέμνοντες τὰ πλεῖστα) und sich stattdessen auf Worte und Taten konzentriert, die den Charakter beleuchten (1: ἔμφασιν ἤθους). 83 Biographie und Epistolographie haben also diesen recusationes zufolge einen ähnlichen Status, wenn sie mit der Geschichtsschreibung verglichen werden. Zur Behauptung des Plinius, er habe seine Briefe mehr oder weniger nach dem Zufallsprinzip gesammelt und ediert, findet sich ebenfalls eine Entsprechung bei Plutarch; im zweiten Buch der Quaestiones convivales heißt es über die geschilderten Tischgespräche (Quaes. Conv. 2,1 = Mor. 629d): σποράδην δ᾽ ἀναγέγραπται καὶ οὐ διακεκριμένως ἀλλ᾽ ὡς ἕκαστον εἰς μνήμην ἦλθεν. Neben der Biographie lassen sich somit auch im Symposialdialog ähnliche Reflexionen zum Aufbau der Quaestiones convivales finden, die zudem ebenfalls aus 9 Büchern zusammengesetzt und Sosius Senecio gewidmet sind, der auch zu Plinius’ Adressaten zählt. 84 Das genaue Zeitverhältnis zwischen Plutarch und Plinius lässt sich nicht eindeutig bestimmen, sodass es schwierig ist zu beurteilen, wer sich auf wen bezieht. 85 Das Understatement, mit dem beide auf den Entstehungsprozess ihrer Werke verweisen, ruft die Worte Ovids in einem seiner Exil-Briefe ins Gedächtnis (Pont. 3,9,53‒54): Postmodo conlectas utcumque sine ordine iunxi: hoc opus electum ne mihi forte putes. 38 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 86 Zu dieser Parallele vgl. Syme (1985b), 176; Gibson/ Morello (2012), 260. 87 Zur Gattung der Versepistel vgl. Wulfram (2008). 88 Gibson/ Morello (2012), 83‒4 und 136‒7; s. S. 26-7. 89 Ciceros Briefsammlungen dürften spätestens Ende des 1. Jh. n. Chr. publiziert worden sein; in der handschriftlichen Überlieferung scheinen Adressaten bzw. auch Themen das vorherrschende Prinzip der Anordnung darzustellen; moderne Herausgeber wie Tyrell/ Purser (1879‒1933) ordneten die Briefe jedoch chronologisch an; Beard (2002) hingegen spricht sich dafür aus, den originalen Kontext der Bücher und Sammlungen, so wie sie überliefert sind, beizubehalten: „…there is a strong cultural logic in the order of the letters preserved in the manuscripts“ (115). 90 Zu diesem Brief vgl. Ludolph (1997), 107‒20. 91 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 86. Zumindest Plinius dürfte bewusst auf Ovid anspielen und dessen Poetik der li‐ terarischen Selbstunterminierung für sein Prosawerk adaptiert haben; 86 dadurch stellt er indirekt eine Verbindung zwischen seinem Œuvre und einem Vorgänger innerhalb der Gattung her, in diesem Fall der Subgattung der Versepisteln. 87 Die Parenthese neque enim historiam componebam lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers zudem auf ein weiteres epistolographisches Vorbild: In der vorhin schon betrachteten Atticus-Vita des Cornelius Nepos sagt der Biograph über Ciceros Briefe an Atticus, dass sie einer historia contexta der betreffenden Zeit ähneln (Att. 16.3). 88 Im Unterschied zu Ciceros Briefen an Atticus, die offenbar von Lesern wie Nepos als eine zusammenhängende Darstellung der Zeitgeschichte rezipiert werden konnten, lehnt Plinius einen solchen Lektüreansatz für seine Briefe ab. Die Anspielungen auf Nepos und Ovid im ersten Brief der Sammlung signalisieren dem Leser, wie sich Plinius in der Tradition der Epistolographie verortet: Sein Prosawerk hat einerseits vieles gemeinsam mit poetischen Brief‐ sammlungen wie denjenigen Ovids und unterscheidet sich andererseits von prosaischen Gattungsvorläufern wie Cicero insbesondere durch die Anordnung der Briefe im Gesamtkorpus. 89 Anstelle einer historia contexta bieten die Plinius-Briefe eine historia fragmen‐ tata vom Leben und Wirken des Epistolographen. In jedem Brief taucht der Leser sozusagen in eine bestimmte Phase der Konversation mit einem Adressaten ein, mit dem Plinius, wie immer wieder angedeutet wird, schon länger interagiert. Dies geht auch aus Epist. 1,2 hervor, 90 wo Plinius auf frühere Briefe verweist, in denen er seinem Adressaten Arrianus 91 ein Buch bzw. eine Rede versprochen hat (1: librum, quem prioribus epistulis promiseram). Gleichzeitig wird mit der Wendung quia tardiorem adventum tuum prospicio (1) der Blick in die Zukunft gelenkt und suggeriert, dass Plinius und sein Freund sich in naher bzw. mittlerer Zukunft auch persönlich treffen werden. Sowohl die früheren Briefe als auch das avisierte Treffen liegen außerhalb der Gegenwart der publizierten Briefe, und 39 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 92 Vgl. etwa in Buch 1 neben Epist. 1,1,1 und 1,2,1 auch 1,7,1; 1,8,1; 1,14,1; 1,18,1; 1,23,1. 93 Marchesi (2008), 25: „These letters…also construct a forward-moving reader who cannot help being caught in the development of a plot.“ 94 Dass derselbe Adressat in zwei unmittelbar hintereinander stehenden Briefen auf‐ taucht, ist bei Plinius eine Ausnahme; zu einer ausführlicheren Analyse dieses Brief‐ paars s. S. 134-44. 95 Vgl. 2,12,1: quod…proxime scripseram. 96 S. Kap. II.4.2. der Leser wird dazu angeregt, einen chronologischen Ablauf des Verhältnisses zwischen Plinius und Arrianus zu rekonstruieren. Abgesehen von den zahlreichen Stellen, an denen Plinius auf eine nicht ins Briefkorpus inkludierte, frühere Korrespondenz mit einer bestimmten Adres‐ satenfigur verweist, 92 gibt es auch Querverweise zwischen solchen Schreiben, die in die Sammlung aufgenommen wurden. Bei einer linearen Lektüre der Briefsammlung stößt der Leser sozusagen auf kleinere Binnen-Narrationen zu verschiedenen Themen, 93 wobei die zwischen den betreffenden Briefen imagi‐ nierten Zeiträume - sofern sie denn angedeutet werden bzw. sich irgendwie rekonstruieren lassen - unterschiedlich lang sein können. So ist etwa nach Epist. 1,2 auch das Briefpaar Epist. 2,11‒12 über den Prozess gegen Marius Priscus an Arrianus gerichtet, 94 und im zweiten der beiden Briefe nimmt Plinius auf den ersten Bezug (2,12,6): Implevi promissum priorisque epistulae fidem exsolvi, quam ex spatio temporis iam recepisse te colligo. 95 In Epist. 2,11 hatte Plinius nach dem langen Bericht über den Prozessverlauf angekündigt, dass in dieser Sache noch einiges an Arbeit bevorstehe (2,11,23: superest tamen λιτούργιον non leve), die dann in Brief 2,12 bereits abgeschlossen ist (2,12,1: λιτούργιον illud). Zwischen den beiden juxtaponierten Briefen muss sich der Leser nun ein spatium temporis vorstellen, das lang genug dauert für die Zustellung des ersten Briefes durch einen schnellen Boten (2,12,6: et festinanti et diligenti tabellario). Der Hinweis, dass der Prozess um Marius Priscus, bei dem Plinius die Gegenseite vertrat, im Senat geführt wurde (2,11,1: in senatu), signalisiert zudem, dass sich Plinius zum Zeitpunkt der Abfassung in Rom befindet, wohingegen der genaue Aufenthaltsort des Arrianus unerwähnt bleibt. Das wohl bekannteste Beispiel für Querverweise zwischen Briefen ist das Briefpaar 6,16/ 20 an Tacitus über den Vesuv-Ausbruch. 96 Während bereits der erste der beiden Briefe angeblich auf Bitten des Historikers den Tod des älteren Plinius schildert (1: Petis, ut tibi avunculi mei exitum scribam), sei Tacitus durch dieses Schreiben neugierig geworden, wie es Plinius und seiner Mutter inzwischen in Misenum ergangen sei (6,20,1: adductum litteris) - davon zu berichten hatte Plinius in Epist. 6,16 unterbrochen (21: interim Miseni ego et mater - sed nihil ad historiam). Mit diesem eigebauten reader response des Tacitus 40 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 97 Vgl. 6,20,20. 98 Weder Adressat noch Datum der beiden Briefe lassen sich genauer bestimmen; Sherwin-White (1966), 505. 99 Die Handhabe für einen Herrn gegenüber Freigelassenen war deutlich eingeschränkter als gegenüber Sklaven; während letztere körperlich bestraft werden konnten, blieb für erstere nur die Verbannung aus dem Haus bzw. aus der Stadt Rom; vgl. Tac. Ann. 13,26; Sherwin-White (1966), 505. 100 Cn. Fuscus Salinator taucht in mehreren Briefen als Protegé bzw. Schüler des Plinius auf: vgl. Epist. 6,11; 6,26; er ist außerdem Adressat der Briefe 9,36 und 40, mit denen Epist. 7,9 offenbar einen Zyklus bildet; vgl. Sherwin-White (1966), 386; Leach (2006), 262‒6; Keeline (2013), 230‒1. suggeriert uns Plinius, dass nicht nur das Schicksal seines Onkels, sondern auch sein eigenes einen für die Historiographie geeigneten Stoff bietet - trotz aller Bescheidenheitsfloskeln, mit denen Plinius das Gegenteil behauptet. 97 Nicht nur zeitgeschichtlich relevante Themen, sondern auch Handlungen, die sich im privaten Kontext abspielen, werden in solchen Briefserien sozu‐ sagen „inszeniert“. So bildet etwa das Briefpaar 9,21/ 24 eine kleine Narration vom Zorn, der sich durch die Fürsprache des Plinius besänftigen lässt. Beide Schreiben sind an einen gewissen Sabinianus 98 gerichtet, der - so geht aus Epist. 9,21 hervor - aus irgendeinem nicht näher genannten Grund seinem Freigelassenen zürnt und diesen wohl verbannt hat, weshalb der libertus sich an Plinius um Hilfe wandte. In Epist. 9,21 versucht Plinius mit verschiedenen Argumenten, seinen Freund Sabinianus zum Einlenken zu bewegen, und er hat tatsächlich Erfolg, wie wenig später aus Epist. 9,24 ersichtlich wird: Sabinianus hat seinem Freigelassenen vergeben und ihn wieder bei sich aufgenommen, 99 und zwar reducentibus epistulis, d. h. durch die Vermittlung des Briefes 9,21, der den libertus sozusagen „zurückgeführt“ hat ins Haus und Herz seines patronus. Die Positionierung der beiden Schreiben in Buch 9 - sie sind durch nur zwei Briefe getrennt - erweckt beim Leser den Eindruck, dass zwischen Plinius’ brieflicher Intervention und der Reaktion des Adressaten ein eher kurzer Zeitraum liegt. Ähnlich gering dürfte das spatium temporis zwischen zwei weiteren Schreiben in Buch 9 sein, die explizit aufeinander bezogen werden: Epist. 9,36 über Plinius’ Tagesablauf auf seinem tuskischen Landgut im Sommer ist angeblich auf Bitten seines jungen Freundes Fuscus Salinator entstanden (1: Quaeris, quemadmodum in Tuscis diem aestate disponam). 100 Wenige Briefe später wird in Epist. 9,40 vorausgesetzt, dass Fuscus das Schreiben 9,36 bereits gelesen hat und nach einer Fortsetzung des Berichtes über die Gewohnheiten seines Mentors auf dem Land verlangt hat (9,40,1): Scribis pergratas tibi fuisse litteras meas, quibus cognovisti, quemadmodum in Tuscis otium aestatis exigerem; requiris, quid ex hoc in Laurentino 41 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 101 Zur den closure-Motiven in 9,40 vgl. Whitton (2013b), 51‒4; Fuscus („der Dunkle“) im letzen Brief kontrastiert mit Clarus („der Helle“) in Epist. 1,1; Barchiesi (2005), 330‒2; Marchesi (2008), 249‒50; Gibson/ Morello (2012), 238‒9. 102 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 259‒60. 103 Sherwin-White (1966), 259 vermutet, dass zwischen den beiden Briefen etwa ein Jahr liegt und Epist. 3,20 auf Januar 103 oder 104 n.Chr zu datieren ist, Epist. 4,25 auf Anfang 105 n. Chr. 104 Für eine ausführlichere Analyse des Briefe 3,20 und 4,25 s. Kap. II.2.1. 105 S. Kap. II.1.4. 106 Er erhält mehrere den Varenus-Fall betreffende Briefe; s. S. 178-83. 107 Sherwin-White (1966), 359 vermutet zwischen den beiden Briefen „a fortnight“, also etwa vierzehn Tage. 108 Über ihn ist nicht viel bekannt, wie Sherwin-White (1966), 438 ausführt. hieme permutem. Es handelt sich bei Epist. 9,40 um den letzten Brief der Sammlung an verschiedene Adressaten, und wie mehrere Gelehrte bereits beobachtet haben, dürfte sowohl der Name des Adressaten als auch die im Schreiben imaginierte Jahreszeit - der Winter - bewusst für das Ende gewählt worden sein. 101 Derartige Querverweise auf Briefe bilden nicht nur kleinere Narrationen innerhalb desselben Buches, sondern auch über die Buchgrenzen hinaus. So berichtet Plinius in Epist. 3,20 seinem Adressaten Maesius Maximus 102 über die kürzliche Einführung geheimer Abstimmung bei Wahlen im Senat (2: nunc in senatu) und verleiht seiner Sorge Ausdruck, dass einige Senatoren dadurch zu unverschämtem Verhalten verleitet werden könnten (8: est enim periculum, ne tacitis suffragiis impudentia inrepat. nam quoto cuique eadem honestatis cura secreto quae palam? ). Der Brief 4,25 an denselben Adressaten setzt dann voraus, dass es bei einer der folgenden Wahlen tatsächlich zu schamlosen Späßen im Rahmen der Anonymität einer geheimen Abstimmung gekommen ist (1): Scripseram tibi verendum esse, ne ex tacitis suffragiis vitium aliquod exsisteret. factum est. Plinius nimmt explizit auf das vorangehende Schreiben Bezug, ohne jedoch den Zeitraum, der zwischen den beiden Briefen liegt, näher zu bestimmen. 103 Der in Epist. 4,25 geschilderte Skandal ereignete sich Plinius zufolge proximis comitiis (1), und somit behandelt der Brief wie schon Epist. 3,20 ein aktuelles Ereignis aus der Tagespolitik. 104 Auch im Rahmen der Erzählung vom Prozess des Varenus 105 konstruiert Plinius eine narrative Entwicklung über mehrere Bücher, indem er etwa in Epist. 6,5 auf Epist. 5,20 zurückverweist - beide Briefe sind an Cornelius Ursus gerichtet 106 - und sich dabei selbst wörtlich zitiert (6,5,1: Scripseram tenuisse Varenum, ut sibi evocare testes liceret; vgl. 5,20,2: Varenus petit, ut sibi…evocare testes liceret). 107 Die Bücher 7 und 8 wiederum sind unter anderem durch einen Briefwechsel mit einem gewissen Montanus 108 verkettet, in dem Plinius seine Entrüstung über die Inschrift auf dem Grabmal für Pallas, libertus und a 42 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 109 Vgl. Sherwin-White (1966), 438. 110 Ein präzises Datum lässt sich Sherwin-White (1966), 438 zufolge nicht ermitteln; zu den beiden Briefen s. Kap. II.2.2. 111 Vgl. Tac. Ann. 12,53; Sherwin-White (1966), 438‒9. 112 Indignatio ist die antreibende Kraft für die Satiren Juvenals (1,79): facit indignatio versum; vgl. Courtney (2013), 62. 113 Vgl. Epist. 2,1; Klodt (2015). 114 Vgl. Leach (2013), 126. 115 Vgl. Sherwin-White (1966), 142‒3 ad Epist. 2,1,2. rationibus unter Kaiser Claudius, 109 kundtut; im ersten Brief berichtet Plinius von seiner kürzlichen Entdeckung des Grabsteins während einer Reise auf der Via Tiburtina (7,29,2: proxime adnotavi), im zweiten Schreiben nimmt er erneut darauf Bezug (8,6,1: Cognovisse iam ex epistula mea debes adnotasse me nuper monumentum Pallantis), wobei der zeitliche Abstand zwischen den beiden Briefen offenbar nicht allzu groß ist, da die Auffindung des Grabes im späteren Schreiben immer noch als jüngeres Ereignis (nuper) markiert ist. 110 Die Inschrift auf Pallas, die in beiden Briefen zitiert wird, erwähnt den Senatsbeschluss, demzufolge Pallas neben einer Summe von fünfzehn Millionen Sesterzen die ornamenta praetoria zuerkannt wurden. 111 Aus der Sicht des Plinius ist es nicht nur besonders empörend, dass der Senat einem Freigelassenen bzw. „Schurken“ (7,29,3: ille furcifer) eine derartige Ehre zugestand, sondern dass dieser unter dem Anschein der Mäßigung das Geld ablehnte und sich mit der Ehre allein zufrieden gab. Noch mehr als über Pallas ärgert sich Plinius über das kriecherische Verhalten des Senats, das er in Epist. 8,6 mit nahezu satirischer Schärfe brandmarkt. Dass er mit seinem Brief an die Grenze zu Satire oder Diatribe gelangt ist, scheint Plinius durchaus bewußt zu sein: Möglicherweise, so bemerkt er zum Schluss (8,6,17), habe er mit seiner Entrüstung (indignatio) an manchen Stellen das Maß eines Briefes überschrietten (ultra epistulae modum). 112 Wohl in bewusstem Gegensatz zu den Pallas-Briefen wurde das Brief-Paar 6,10 und 9,19 verfasst, in dem es ebenfalls um eine Grabinschrift geht: Diesmal handelt es sich um das positive Exemplum des im Jahre 97 n. Chr. verstorbenen und von Plinius bewunderten Verginius Rufus. 113 Die Narration über den „Anti-Helden“ Pallas in Buch 7‒8 wird somit von der Erzählung über das Grabmal eines role-models des Plinius in Buch 6 und 9 umrahmt. 114 Anders als im Falle des Pallas ist Plinius hier nicht über den Inhalt der Grabinschrift entrüstet, sondern über deren Fehlen, das aus der Vernachlässigung des Grab‐ mals zehn Jahre nach dem Tod des Verginius herrührt (6,10,3: post decimum mortis annum). Die von Verginius zu Lebzeiten noch selbst in Auftrag gegebene Inschrift, die seinen Sieg über Vindex und seinen Verzicht auf die Herrschaft thematisieren sollte, 115 wurde nach zehn Jahren noch immer nicht auf dem 43 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 116 Über ihn wissen wir kaum etwas; vgl. Sherwin-White (1966), 365. 117 Vermutlich Cremutius Ruso, vgl. Sherwin-White (1966), 502. 118 Es handelt sich um Sextus Iulius Frontinus, Autor von De aquis und Strategemata; sein genaues Todesjahr ist schwierig zu bestimmen; vgl. Plin. Epist. 4,8,3; 5,1,5; Pan. 61; Sherwin-White (1996), 273 und 503. 119 Vgl. Marchesi (2008), 239‒40. 120 Vgl. Rosenmeyer (2001); Morello (2006); Trapp (2007); Galtier (2008); Ash (2013b); Hodkinson/ Rosenmeyer/ Bracke (2013); Barbiero (2014); Neger (2018a). 121 Vgl. Hodkinson/ Rosenmeyer/ Bracke (2013), 14‒5. Grabstein angebracht (6,10,3: sine titulo). Plinius zitiert die Inschrift sowohl in Epist. 6,10 an einen gewissen Albinus 116 als auch im Brief 9,19, der an Ruso gerichtet ist. 117 Hier haben wir es nun also mit zwei verschiedenen Adressaten zu tun, denen Plinius über dasselbe Thema schreibt. Überdies beginnt die spätere Epist. 9,19 mit folgenden Worten: (1): Significas legisse te in quadam epistula mea iussisse Verginium Rufum inscribi sepulcro suo…; es folgt dann abermals das Zitat der Inschrift, an der Ruso offenbar Anstoß genommen (1: reprehendis, quod iusserit) und ihr das Beispiel des Iulius Frontinus 118 entgegengehalten hatte, der ganz auf ein monumentum verzichtete. Plinius versucht nun, seinem Adressaten gegenüber das Epitaph des Verginius zu rechtfertigen. Wie konnte nun Ruso Einblick in Plinius’ früheren Brief an Albinus erhalten? Es wäre natürlich möglich, dass ihm das Schreiben von diesem zur Lektüre überlassen wurde; denkbar ist jedoch auch, dass es sich hier um einen literarischen Kunstgriff handelt und Plinius - wohl nicht zufällig im letzten Buch - einen reader response einbaut, der Ruso nicht nur als Adressaten eines einzelnen Briefes, sondern zugleich als Leser der publizierten Sammlung auftreten lässt. 119 Wie aus dem Gesagten deutlich geworden sein dürfte, bietet das Medium Brief vielfältige Möglichkeiten, narrative Linien zu konstruieren. Neben den bereits beschriebenen Techniken seien noch solche Fälle betrachtet, in denen Briefe in eine Erzählung eingebettet und für den Handlungsverlauf von Bedeutung sind. Dem Phänomen der embedded letters begegnen wir sehr oft in narrativen Gattungen wie Historiographie, Biographie, Epos, Drama und Roman. 120 Hier dienen eingelegte Briefe etwa dazu, Ereignisse zu illustrieren, ihre Authenti‐ zität zu unterstreichen, 121 Personen näher zu charakterisieren, Handlungsschau‐ plätze miteinander zu verbinden und dergleichen mehr. Auch der Prozess des Abfassens, Sendens, Lesens oder gar Abfangens eines Briefes kann dabei unterschiedlich stark gewichtet werden. Je nach Intention der Darstellung liegt der Schwerpunkt einmal mehr auf dem Inhalt eines Briefes, der uns in indirekter oder direkter Rede präsentiert wird, oder aber auf den mit der Korrespondenz verbundenen materiellen Aspekten. Insbesondere bei Wiedergabe des Briefin‐ halts handelt es sich um eine „Erzählung in der Erzählung“, die von einem 44 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 122 Zu Figurenreden in der Historiographie vgl. etwa Pausch (2010). 123 S. Kap. II.1.1. 124 Zu Regulus vgl. neben Epist. 1,5 noch 1,20,14; 2,11,22; 2,20; 4,2; 4,7; 6,2; Sherwin-White (1966), 93‒4; Ludolph (1997), 142; Ash (2013a); er taucht stets als negatives Gegenbild zu Plinius, jedoch niemals als Adressat auf. 125 Trebonius Proculus Mettius Modestus war unter Domitian wegen maiestas minuta ins Exil geschickt worden, vgl. Sherwin-White (1966), 97; Drecoll (2006), 60. 126 Sherwin-White (1966), 93. 127 Es handelt sich um den Amtsantritt des Prätors am 1. Januar 97 n. Chr. (1,5,11); Sherwin-White (1966), 98. 128 Sherwin-White (1966), 99. internen Verfasser für einen internen Rezipienten geschrieben ist. In dieser Hinsicht ähneln Briefe den mündliche Figurenreden, die häufig in Erzähltexte eingelegt sind und zur Fokalisierung und Dramatisierung dienen. 122 Während die mündliche Rede eine räumliche Nähe von Sprecher und Zuhörer voraussetzt, ist für die Briefkorrespondenz die Distanz der Dialogpartner sowie eine zeitliche Verzögerung zwischen dem Äußern und Rezipieren der Worte konstitutiv, was sich im Rahmen einer Narration auf vielfältige Weise ausschöpfen lässt. Auch bei Plinius finden sich in einigen narrativen Episteln Beispiele, wo Briefe anderer Verfasser in die Erzählung eingelegt und für die Handlung von Bedeutung sind. In der später noch eingehender zu analysierenden Epist. 1,5 123 etwa berichtet Plinius vom Verhalten des berüchtigten Anklägers M. Aquilius Regulus sowohl während der Regierungszeit Domitians als auch nach dem Tode des Kaisers. 124 In einem Prozess, der unter der Herrschaft Domitians stattfand, habe Regulus seinen Kontrahenten Plinius arg in Bedrängnis zu bringen versucht, indem er ihn wiederholt nach seiner Meinung über den vom Kaiser verbannten Mettius Modestus fragte (1,5,5‒7). 125 Nachdem Domitian ermordet worden ist - die Gegenwart des Briefes lässt sich auf Anfang 97 n. Chr. datieren 126 -, ist Regulus in Angst vor Plinius’ Zorn und versucht bei einem persönlichen Treffen, 127 seine damalige Verhörtechnik zu rechtfertigen (13): Interrogavi, non ut tibi nocerem, sed ut Modesto. Regulus führt für seine Absicht, dem bereits Verbannten zu schaden, einen „vortrefflichen Grund“ an (14): subiunxit egregiam causam: ‘scripsit’, inquit, ‘in epistula quadam, quae apud Domiti‐ anum recitata est: »Regulus, omnium bipedum nequissimus«’; quod quidem Modestus verissime scripserat. Der betreffende Brief wurde vermutlich während der Gerichtsverhandlung über Modestus’ Verbannung vor Domitian als Richter verlesen. 128 Im Rahmen der Charakterisierung des Regulus in Epist. 1,5 lässt Plinius diesen sowohl in direkter Rede sprechen als auch eine Passage aus dem Brief des Modestus 45 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 129 Vgl. Ludolph (1997), 162; Keller (1887) sieht in dem Briefzitat ein Wortspiel mit dem unter den Vögeln ebenfalls als nequissimus geltenden Zaunkönig (regulus). 130 Arulenus Rusticus und Herennius Senecio, die Helden der stoischen Opposition gegen Domitian, wurden 93 n. Chr. verurteilt und hingerichtet; vgl. Sherwin-White (1996), 95 und 444‒5. 131 S. Kap. II.1.3. 132 Vgl. Cic. De orat. 2,240, wo im Rahmen der Erörterungen über den Witz eine Anekdote von Memmius und Largius erzählt wird, die in Tarracina um eine amicula gerauft haben sollen. 133 Vgl. OLD, 963 s.v. io; Pflips (1973), 230. 134 Sherwin-White (1966), 233. zitieren. Damit wird dem Leser ein schriftlicher Beleg geliefert, der die negativen Wesenszüge des Regulus untermauern soll - Plinius zufolge war die Aussage des Modestus ja auch ganz und gar zutreffend. 129 Das gegen Ende der Epist. 1,5 eingefügte Brief-Zitat mit dem Spott auf Regulus stellt zudem eine Art Gegenpol dar zu den am Beginn des Briefes zitierten Schmähungen, die Regulus gegen Arulenus Rusticus 130 ausgesprochen hatte (1,5,2: ‘Stoicorum simiam’…‘Vitelliana cicatrice stigmosum’). Auch in Epist. 3,9 über den Repetundenprozess der Provinz Baetica gegen den bereits verstorbenen Caecilius Classicus finden wir einen in die Narration eingelegten Brief. 131 Plinius, der die Provinz vertrat und die Helfer und Genossen des Classicus zur Rechenschaft ziehen wollte, schildert in dem Brief seine Taktik: Zuerst einmal war es wichtig, die Schuld des Classicus nachzuweisen, um dann auch gegen seine Mittäter vorgehen zu können. Hier konnte sich Plinius neben anderen Schriftstücken auch auf einen Brief des Classicus stützen, den dieser an seine Geliebte in Rom geschickt hatte (Epist. 3,9,13): Miserat etiam epistulas Romam ad amiculam quandam iactantes et gloriosas his quidem verbis: ‘io io, liber ad te venio; iam sestertium quadragiens redegi parte vendita Baeticorum.’ In den ansonsten eher ernsten Brief 3,9 ist der Briefwechsel eines Liebespaares eingebettet, und mit der despektierlichen Bezeichnung der Adressatin als amicula quaedam gibt Plinius der Episode einen anrüchigen Anstrich. 132 Zudem kritisiert er den prahlerischen Ton des Schreibens (epistulas…iactantes et glori‐ osas) und zitiert dann wörtlich daraus. Der Ausruf io io liber at te venio enthält ein Wortspiel, das Classicus sowohl als Bacchus (Liber), zu dem der Kultruf io passt, als auch schuldenfrei (aere alieno liberatus) charakterisiert. 133 Classicus hat angeblich vier Millionen Sesterzen durch den Verkauf von halb Baetica einge‐ nommen, was der höchste Betrag ist, den Plinius im Zusammenhang mit einem Repetundenprozess anführt. 134 Briefe wurden in antiken Gerichtsreden nicht 46 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 135 Vgl. Klauck (1998), 166. 136 Vgl. Pflips (1973), 228‒9; Trapp (2003), 172‒77 und 314‒6. 137 Eine ähnliche Taktik wie Cicero wendet Plinius in Epist. 8,6 an, wo er das Pallas betreffende senatus consultum kommentiert; s. Kap. II.2.2. 138 Die beiden Figuren sind ansonsten unbekannt; vgl. Sherwin-White (1966), 382. 139 Das moderne Civitavecchia; das Treffen dürfte im Sommer 107 n. Chr. stattgefunden haben; vgl. Sherwin-White (1966), 391; zu Epist. 6,31 vgl. Lefèvre (2009), 235‒7. 140 Lefèvre (2009), 235. 141 Zu Gallitta vgl. Carlon (2009), 201‒4; Shelton (2013), 173‒5. 142 Sherwin-White (1966), 393 vermutet, dass der Status des Gatten als laticlavius und der Rang der Ehefrau den Konsularlegaten (d. h. Statthalter einer kaiserlichen Provinz) dazu bewogen, den Fall an den Kaiser weiterzuleiten. selten als Beweismittel herangezogen, 135 und Plinius dürfte hier insbesondere Cicero imitieren, der sich in Buch 3 der (niemals gehaltenen) actio secunda gegen Verres ausführlich mit einem Brief von Verres’ Gefolgsmann Timarchides an den decumanus Apronius auseinandersetzt (Verr. 2,3,154‒7). 136 Während Cicero den Brief Satz für Satz durchgeht, um Adressanten und Adressat zu diskreditieren, 137 genügt bei Plinius ein kurzes Zitat zur Überführung des Caecilius Classicus. Wie Plinius in den Besitz des Briefes kam, bleibt allerdings offen. Auch in anderen Schilderungen iuristischer Probleme spielen Briefe eine nicht unerhebliche Rolle: So etwa in Epist. 6,22 über den Prozess des Pro‐ vinzstatthalters Lustricius Bruttianus gegen seinen Gefolgsmann Montanius Atticinus. Bruttianus hatte seinen Assistenten bei vielen Schandtaten (2: in multis flagitiis) ertappt und daraufhin dem Kaiser brieflich davon berichtet (2: Caesari scripsit). 138 Genaueres erfahren wir hier nicht über den Inhalt besagten Briefes, doch für die weitere Handlung ist er insofern von Bedeutung, als Atticinus nun seinerseits Bruttianus anklagt, was in den Augen des Plinius als ein weiteres flagitium zu werten ist (2: Atticinius flagitiis addidit, ut quem deceperat, accusaret). Epist. 6,22 erzählt dann in weiterer Folge vom Verlauf des Prozesses und letztendlich dem Freispruch des Bruttianus. Kaiser Trajan ist auch Adressat weiterer „Briefe im Brief “, von denen etwa in Epist. 6,31 über das consilium Traiani in Centum Cellae berichtet wird. 139 Plinius schildert hier „nach dem Gesetz der wachsenden Glieder“ 140 drei Verhandlungen, von denen jede einen Tag einnahm. Am zweiten Tag wurde der Ehebruch einer gewissen Gallitta mit einem Zenturio untersucht (4‒6): 141 Gallitta war mit einem angehenden Militärtribun verheiratet und befleckte, wie es heißt, durch die Affäre die Ehre ihres Mannes (4: mariti dignitatem…maculaverat). Der betrogene Gatte berichtete daraufhin in einem Brief seinem Konsularlegaten von der Sache, dieser wiederum schrieb an den Kaiser (4: maritus legato consulari, ille Caesari scripserat). 142 Auch hier erfahren wir nur indirekt vom Inhalt der Briefe - 47 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 143 Zu den juristischen Hintergründen vgl. Sherwin-White (1966), 393‒4. 144 Vgl. Sherwin-White (1966), 394‒5. 145 Zu den mit diesem Brief verbundenen logischen Brüchen in der Erzählung s. S. 319-21. 146 Dazu s. S. 196. 147 Über die hier genannten Personen ist nichts bekannt; vgl. Sherwin-White (1966), 385. Plinius fasst die Sachlage kurz zusammen (4) -, deren Sendung für die beteiligten Personen allerdings ernste Folgen hatte: Trajan entließ nicht nur den ehebreche‐ rischen Zenturio aus dem Dienst und verbannte ihn (5: centurionem exauctoravit atque etiam relegavit), sondern forderte auch den gehörnten Ehemann, der seiner Frau gegenüber inzwischen wieder nachsichtiger geworden war, dazu auf, die Anklage zum Ende zu führen, was dieser nur widerwillig tat. Gallittas Strafe bestand nach der Lex Iulia im Verlust eines Teils ihres Vermögens sowie der relegatio. 143 Ein Brief an den Kaiser führte auch zu der dritten Verhandlung in Centum Cellae, diesmal eine Erbschafts-Angelegenheit (7‒12), die schon vorher in Gerüchten und Gerede die Runde gemacht hatte (7: multis sermonibus et vario rumore iactata): das Testament des Iulius Tiro enthielt einen Nachtrag, der von den Erben als eine Fälschung des Ritters Sempronius Senecio und des Freigelassenen Eurythmus angesehen wurde. Während Trajans Aufenthalt in Dakien hatten die Erben den Kaiser in einem Brief um eine Untersuchung der Sache gebeten, doch bis dieser zurückkehrte und einen Verhandlungstermin festsetzte, wollten einige der Kläger bereits wieder abspringen, wohl weil sie eine Gegenklage wegen calumnia (falscher Anklage) fürchteten. 144 Eine wichtige Funktion für die Entwicklung der Handlung hat in Epist. 6,16,8 der Brief der Rectina, die den älteren Plinius um Rettung aus der Gefahrenzone während des Vesuv-Ausbruchs bittet und ihn so zur Änderung seiner Pläne bewegt (9: vertit ille consilium). 145 Weniger für die Handlung als für die Selbst‐ darstellung des Plinius ist der Brief Nervas relevant, aus dem Plinius in Epist. 7,33,9 zitiert: Nachdem sich Plinius im Prozess gegen Baebius Massa mutig an die Seite des Herennius Senecio gestellt hatte, wurde er von Nerva als exemplum simile antiquis bezeichnet, wie Plinius mit dem Zusatz sic enim scripsit belegt. 146 Ein Überblick über die narrativen Briefe, in denen Plinius von der Briefkor‐ respondenz verschiedener Protagonisten erzählt, macht deutlich, dass solche „erzählten Briefe“ oft in den Kontext von Spott, illegitimer Liebe oder Betrug eingebettet sind; diese Briefwechsel geben der Erzählung sozusagen eine ge‐ wisse Würze oder bringen eine pikante Geschichte in Gang. Auch kann es sich um wahre „Krimis“ handeln, in denen Briefe (oder besser gesagt, fehlende Briefe) eine Rolle spielen: Epist. 6,25 berichtet vom mysteriösen Verschwinden eines gewissen Robustus und Metilius Crispus; 147 zweiterem hatte Plinius die Stelle eines Zenturio verschafft und 40000 Sesterze geschenkt, nach seiner Abreise 48 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives jedoch nichts mehr von ihm gehört (3): nec postea aut epistulas eius aut aliquem de exitu nuntium accepi. Möglicherweise wurden Crispus und auch Robustus Opfer eines Überfalls oder sonstigen Verbrechens, da auch keine ihre Sklaven mehr auftauchten (4). Darüber hinaus sind Briefe, wie etwa in Epist. 6,16, wichtige Requisite, die den Verlauf einer Handlung beeinflussen. Schließlich dienen solche eingelegten Briefe nicht nur der Charakterisierung ihrer Verfasser (wie etwa des Caecilius Classicus in 3,9,13), sondern auch des Plinius selbst, der mit dem Brief Nervas in Epist. 7,33,9 ein iudicium alienum über seine Person zitiert. Die hier kurz skizzierte Art und Weise, wie Plinius den „Brief im Brief “ auf narrativer Ebene funktionalisiert, erinnert an ähnliche Techniken bei antiken Historiographen, Biographen oder auch in dramatischen Texten. Nach dem Überblick zu antiken Reflexionen über das narrative Potenzial von Briefen sei im Folgenden betrachtet, inwiefern die moderne Erzähltheorie dazu beitragen kann, die Narrativität der antiken Epistolographie zu analysieren. 49 1 Narrare in der antiken Epistolographie - epistolary narratives 1 Genette (1994); Bal (1997); Schmitz (2002), 55‒75; einen Überblick zur Entwicklung der Erzähltheorie von einer „Formierungsphase“ Ende des 19. Jhdts. über eine „Etablie‐ rungsphase“ von den 1950er bis 1970er Jahre bis hin zu einer „Pluralisierungsphase“ seit den 1990er Jahren bieten Köppe/ Kindt (2014), 15‒23. 2 Wie de Jong (2014), 9 konstatiert, ist die Anzahl der Studien mittlerweile kaum mehr zu erfassen: „…the number of narratologically based studies is at present growing so rapidly that it is no longer possible to give a comlete picture…“; von den einschlägigen Arbeiten in der Klassischen Philologie siehe allgemein: de Jong/ Nünlist/ Bowie (2004); de Jong/ Nünlist (2007); Grethlein/ Rengakos (2009); de Jong (2012); zu Homer: de Jong (1987); Richardson (1990); de Jong (2001); Grethlein (2006); zu Hesiod: Stoddard (2004); zu Apollonios von Rhodos: Fusillo (1985); zum Roman: Hägg (1971); zum Drama: de Jong (1991); Markantonatos (2002); zur Historiographie: Grethlein/ Krebs (2012); zu Thuky‐ dides: Hornblower (1996); Rood (1998); zu Herodot: Munson (2001); zu Livius: Pausch (2011); zu Plutarch: Chrysanthou (2018); zu Apuleius: Paardt (1978); Winkler (1985); zu Lukrez: Gale (2004); zu Vergil: Fowler (1990); zu Ovids Metamorphosen: Wheeler (1999); Wheeler (2000); Barchiesi (2002); Rosati (2002); Tsitsiou-Chelidoni (2003); Nikolopoulos (2004); zur Elegie: Liveley/ Salzman-Mitchell (2008); zu den Horaz-Oden Lowrie (1997); zum Panegyricus vgl. Rees (2010). 3 Vgl. Holzberg (1994); Rosenmeyer (2001); Hodkinson/ Rosenmeyer/ Bracke (2013). 4 Vgl. Eco (1994); Illias-Zarifopol (1994). 2 Epistolographie und Narratologie Moderne Erzähltheorien haben sich in der Klassischen Philologie mittlerweile gut etabliert, insbesondere die Methoden der narratologischen Analyse, wie sie etwa Gérard Genette entwickelte, erweisen sich auch für die Arbeit mit antiken Texten als fruchtbar. 1 So existieren inzwischen zahlreiche Studien, in denen Epen, Dramen, historische und biographische Werke, Reden, Romane sowie gelegentlich auch kleinere poetische Genres unter Zuhilfenahme narratologi‐ scher Ansätze analysiert werden. 2 Was die antike Epistolographie betrifft, hat man sich hier insbesondere auf Briefromane und fiktionale Briefe konzentriert, 3 wohingegen Sammlungen von Privatbriefen wie diejenige des jüngeren Plinius noch wenig aus der Perspektive der modernen Erzählforschung untersucht worden sind, wenn man von Interpretationen einzelner Briefe einmal absieht. 4 Dies liegt einerseits sicherlich daran, dass dieses Briefkorpus lange Zeit eher als historische Quelle denn als literarischer Text angesehen wurde, und andererseits an der formalen Struktur der Briefsammlung. Im Gegensatz zu durchgängig narrativen Texten wie Epen, Historien oder Romanen, die in der Regel den Gegenstand narratologischer Analysen bilden, zerfallen Briefsammlungen in zahlreiche Einzeltexte, die sich an unterschiedliche Adressaten richten können, je nach Thema und Adressat durch verschiedene Sprechhaltungen des Brief‐ 5 Hutchinson (1998), 78. 6 Vgl. Hutchinson (1998), 4; Beard (2002); White (2010), 31‒61. 7 S. S. 17. 8 Liveley/ Salzman-Mitchell (2008), 2. 9 Vgl. Butrica (1996), 99 über die Elegien des Properz: „There is no narrative thread as such…rather the reader is left to extract the cumulative meaning from the multiple schreibers auszeichnen und in denen jeder Brief räumlich und zeitlich ganz unterschiedlich verortet sein kann. In seiner Studie zu Ciceros Briefen weist Hutchinson (1998) auf die Schwierigkeit hin, epistolare Narrationen mit den gängigen modernen Theorien zu erfassen: „These narrative letters…cut across the categories of narrative most considered by modern discussions…the narratives that we find in the letters look a peculiar mixture. Here we find accounts of actual events, but narrated from shortly after them, and often by a first person identified both with a principal character in the action and with the writer.“ 5 Durch ihren kommunikativen Rahmen unterscheiden sich briefliche Narrati‐ onen zwar von anderen Gattungen, machen sich jedoch auch die Konventionen dieser Genres zunutze. Ciceros Briefe wurden in der Form, wie sie uns überliefert sind, wohl nicht vom Verfasser selbst publiziert, sondern von späteren Heraus‐ gebern zusammengestellt. 6 Anders verhält es sich mit dem Briefkorpus des jüngeren Plinius, der sein Werk selbst edierte; neben den einzelnen „narrative letters“ muss bei Plinius somit auch der Buchbzw. Sammlungskontext mitbe‐ rücksichtigt werden. Eine narratologische Untersuchung der auf den ersten Blick heterogen wirkenden Plinius-Briefe kann nach ähnlichen Kriterien er‐ folgen, wie es Liveley und Salzman-Mitchell (2008: 2) am Korpus der römischen Elegien demonstriert haben: „Although this body of literature does not tell a continuous story in the sense of Callimachus’ ’aisma dienekes [sic], yet many stories surface in the web of the poems at different narrative levels…Throughout elegy there are many embedded tales - narratives in their own right - located within and interacting with the primarily nonnarrative structure of the external frame-text.“ Auch im Fall des Jüngeren Plinius, der sein Briefkorpus in Anlehnung an Gedichtbücher bewusst komponiert und arrangiert sowie selbst publiziert hat, 7 dürfte eine narratologische Analyse lohnend sein. Ähnlich wie das elegische „web of poems“ 8 weist auch das dem Prinzip der variatio verpflichtete „web of letters“ des Plinius mehrere narrative Linien auf, die der Leser im Zuge der Lektüre zu rekonstruieren animiert wird. 9 Anstelle einer linearen Narration 52 2 Epistolographie und Narratologie resonances created by sequence, juxtaposition, echoing, or cross-reference within the whole.“ Ähnliches gilt Hodkinson/ Rosenmeyer (2013), 4 zufolge für die griechische Epistolographie: „…fragmented, limited, sometimes even wilfully obscure nature of epistolary narratives which omit vital information in the name of verisimilitude and thus frustrate the reader’s desire for a coherent and neat narrative.“ 10 Altman (1982), 207. 11 Newlands (2010), 109. 12 Ash (2013a), 208‒9; die Adressaten der Briefe über Regulus sind Voconius Romanus (1,5), Tacitus (1,20), Arrianus Maturus (2,11 und 6,2), Calvisius Rufus (2,20), Attius Clemens (4,2) und Catius Lepidus (4,7). 13 Für den Hinweis auf McHales Ausführungen zur „weak narrativity“ bin ich Roy Gibson zu Dank verpflichtet, der diesen Ansatz im Zusammenhang mit der narratologischen Analyse antiker Briefkorpora bei der Tagung „Epistula Narrans: Narrative Modelling in Latin Epistolography“ and der Universität Tübingen (5.‒7. Juli 2018) zur Diskussion gestellt hat. haben wir es dabei meist mit einer fragmentierten bzw. elliptischen Form der Erzählung zu tun. So betont etwa Altman (1982): „Letter narrative is elliptical narration. Paradoxically many of its narrative events may be nonnarrated events of which we see only the repercussions.“ 10 Newlands (2010) argumentiert, dass die Briefe des Plinius sich, ähnlich wie die Silvae des Statius, mit Zeitgeschichte befassen, jedoch nicht „in a grand narrative“, sondern „as a series of isolated occasions“. 11 Ash (2013a) weist im Rahmen ihrer Analyse des Briefzyklus über Regulus darauf hin, dass die Briefsammlung unterschiedliche Modi der Lektüre suggeriert: Während der Leser der publizierten Bücher eine sich von Buch 1 bis Buch 6 erstreckende „Regulus narrative“ mitverfolgen kann, erhalten die verschiedenen Adressaten dieser Briefe nur die Fragmente dieser Narration. 12 Ähnliches gilt auch für andere Briefzyklen, die sich über das Korpus erstrecken und die einzelnen Bücher miteinander verbinden. Die narrative Organisation des epistolaren Korpus sowie einzelner Bücher, wo narrative Linien zwar angedeutet, jedoch nicht stringent durchgezogen werden, lässt sich mit dem Konzept der „weak narrativity“ beschreiben, wie es von McHale (2001) entwi‐ ckelt wurde. 13 McHale konstatiert im Rahmen der Analyse von Lyn Hejinians Gedicht Oxota: a Short Russian Novel (Great Barrington, MA, 1991) Folgendes (McHale 2001: 162): „Oxota lacks a “main” narrative; rather, it incorporates a proliferation of “minor” narrative genres: anecdotes, gossip and hearsay, jokes, dream narratives, ekphrases of paintings with a narrative content. Moreover, it fragments these minor narratives and disperses them across noncontinguous lines or even noncontinguous chapters, interleaving alien materials. To us readers, then, falls the task of determining what belongs with what, of reassembling the scattered narrative fragments.“ 53 2 Epistolographie und Narratologie 14 Sie verweist auf Genette (1980) und (1988). 15 S. S. 16. 16 Dazu de Jong (2014), 27‒9; vgl. Schmitz (2002), 55‒6. Das von McHale Gesagte lässt sich auch an Briefsammlungen wie derjenigen des jüngeren Plinius beobachten, in der wir anstelle einer „main narrative“ mehrere „minor narratives“ vorfinden. Von der „weak narrativity“ eines Brief‐ buches oder Briefkorpus, das in chronologischer, räumlicher und thematischer Hinsicht heterogene Texte vereint, ist jedoch die „narrativity“ einzelner Briefe zu unterscheiden, die man mitunter keinesfalls als „weak“ bezeichnen kann: So bilden etwa Plinius’ Berichte über Prozesse, verschiedene Mirabilien und andere Vorfälle stringente und in sich geschlossene Erzählungen, wie in den folgenden Kapiteln noch stärker herausgearbeitet werden soll. Eine narratologische Analyse ausgewählter Pliniusbriefe unter Rekurs auf die theoretischen Ansätze Genettes hat Illias-Zarifopol (1994) unternommen. 14 Ge‐ genstand ihrer Arbeit sind die Briefe 4,11, 3,16 und 7,19 („Historical Narratives“) bzw. 1,5, 3,11, 7,33 und 9,13 („Personal Narratives“), in denen immer wieder die Regierungszeit Domitians ein zentrales Thema darstellt. Illias-Zarifopol bietet überzeugende Interpretationen der einzelnen Episteln, in denen sie narrative Strategien aufdeckt und darlegt, wie Plinius „the reader’s perception of the material“ (3) kontrolliert. Die Untersuchung konzentriert sich allerdings stark auf einzelne Briefe, die als „self-conscious narrative entities“ bezeichnet werden (3). Auf den Buchkontext und die Organisation bzw. lineare Entfaltung dieser „Domitian-Narration“ sowie ihre Interaktion mit weiteren narrativen Linien bzw. Briefzyklen im Korpus wird hingegen wenig Rücksicht genommen. Die vorliegende Arbeit verdankt der Studie von Illias-Zarifopol wertvolle Anre‐ gungen und hat unter anderem das Ziel, die dort angestellten Beobachtungen weiterzuführen und zu vertiefen. Mehrere Forscher haben bereits darauf hingewiesen, dass die Briefsammlung, in der die Selbstdarstellung des Epistolographen eine wichtige Rolle spielt, an eine Autobiographie erinnert 15 und die Lektüre dieses Makrotextes durch die Anordnung der Briefe gesteuert wird. Unter Rückgriff auf die narratologische Terminologie könnte man also zwischen den drei vertikalen narrativen Ebenen text (der Text, den ein Leser/ Hörer rezipiert), story (die vom Erzähler präsentierte Geschichte) und fabula (die der story zugrunde liegenden Ereignisse, die der Rezipient selbst rekonstruiert) 16 unterscheiden, d. h. zwischen den literarischen Strategien, mit denen der Epistolograph verschiedene Aspekte seiner Vita und sozialen Interaktionen durch Auswahl und Anordnung einzelner Texte präsentiert (story) sowie der Biographie des Plinius, die der Rezipient durch die Lektüre des Briefkorpus chronologisch rekonstruiert und ergänzt (fabula). In 54 2 Epistolographie und Narratologie 17 Vgl. dazu Gibson/ Morello (2012), 53. 18 Ludolph (1997); Marchesi (2008); Gibson/ Morello (2012). 19 Altman (1982), 4; vgl. Gibson/ Whitton (2016), 28‒9. 20 Eine strenge terminologische Unterscheidung zwischen „Brief “ und „Epistel“ nahm Deissmann (1923), 157‒70 vor und prägte damit lange Zeit die Forschung: Als Brief bezeichnete er tatsächlich abgeschickte bzw. unliterarische Schreiben, als Epistel literarische Kunstwerke; vgl. Luck (1961). diesem Zusammenhang sind nicht nur solche Briefe relevant, die nach antiker Auffassung die Funktion des narrare erfüllen, indem sie von konkreten Hand‐ lungen und Ereignissen berichten, sondern auch solche Schreiben, die stärker dem Prinzip des loqui/ iocari verpflichtet sind; innerhalb der die Briefsammlung durchziehenden bzw. vom Leser rekonstruierten narrativen Linien können somit auch Briefe der letzteren Kategorie - nicht selten hat man sie als bloße „Fülltexte“ abgetan und nicht weiter beachtet 17 ‒ wichtige Informationen liefern (indem sie z. B. verschiedene Stimmungen und Emotionen ausdrücken), wenn man sie im Kontext liest. Sowohl die Struktur der Briefsammlung macht es nötig, narratologische Ansätze entsprechend zu adaptieren, als auch das Problem, dass wir die Pli‐ nius-Briefe weder eindeutig als fiktionale noch rein faktuale Texte klassifizieren können. In seiner Korrespondez mit verschiedenen Zeitgenossen sowie Kaiser Trajan suggeriert Plinius dem Leser, dass es sich hier um authentische Briefe handelt, die der Epistolograph, wie er in Epist. 1,1 betont, auf Wunsch eines Freundes gesammelt und publiziert hat, ohne sich um eine weitere Überarbei‐ tung oder Organisation der Texte zu bemühen. Der Rezipient nimmt somit in weiterer Folge die Rolle des stummen Zeugen verschiedener Phasen der Kommunikation zwischen Plinius und seinen Briefpartnern ein. In Spannung zu diesem Eindruck von Authentizität stehen Pliniusʼ literarische Kunstgriffe und seine wiederholten Anleihen an poetischen Werken. 18 Zudem kann der Leser der Briefsammlung Zusammenhänge zwischen den einzelnen Texten herstellen, die sich den jeweiligen Adressaten nicht erschließen. Dass eine eindeutige Scheidung zwischen „real“ oder „fiktiv“ im Falle der Plinius-Briefe schwierig ist, betont etwa Shelton (1990: 171): „The debate about whether Pliny’s letters are real or fictitious has no objective solution“. Einen Mittelweg zwischen den beiden Gegensätzen schlägt Altman (1982) in ihrer Studie zum Briefroman mit dem Konzept der „epistolarity“ ein, das sich auch für die Untersuchung der Korrespondenz des Plinius als nützlich erweist: Unter dem Begriff „epistolarity“ versteht Altman „the use of the letter’s formal properties to create meaning“. 19 An die Stelle der Einordung eines Briefes bzw. eines darin behandelten Ereignisses als entweder real oder fiktiv 20 tritt hier die Frage, wie die 55 2 Epistolographie und Narratologie 21 Vgl. Quint. Inst. 10,1,31: historia…est enim proxima poetis, et quodam modo carmen solutum est, et scribitur ad narrandum, non ad probandum; Pausch (2011), 9; Plinius’ Verhältnis zur Historiographie behandeln Traub (1955); Cova (1969); Ussani (1970) und (1971); Cova (1975); Ash (2003); Baier (2003); Tzounakas (2007); Whitton (2012); Woodman (2012). . 22 Barthes (1967); White (1978); Genette (1991) und (1992). 23 Cohn (1999). 24 Einen Überblick zur Debatte um Narratologie und Historiographie liefern Pausch (2011), 9‒12; de Jong (2014), 167‒72. 25 De Jong (2014), 39 zufolge lässt sich diese Einteilung der vertikalen Struktur einer Erzählung in vier Ebenen für die Analyse aller antiken narrativen Texte fruchtbar machen, insbesondere was intertextuelle Bezüge betrifft. 26 Vgl. Genette (1992), 80‒1: „Bleibt noch die Beziehung zwischen Autor und Erzähler. Mir scheint, daß ihre strenge Identität (A = N), soweit man sie feststellen kann, die faktuale Erzählung definiert … Umgekehrt definiert ihre Dissoziation (A ≠ N) die Fiktion…“ 27 De Jong (2014), 168‒172. Gattungskonventionen der Epistolographie die Darstellung von Handlungen, Personen, Gegenständen etc. beeinflussen. Dadurch, dass Pliniusʼ Prosabriefe zwar vorgeben, reale Ereignisse zu thematisieren, dabei aber verschiedene literarischer Kunstgriffe anwenden, sind sie in mancherlei Hinsicht mit der antiken Historiographie vergleichbar, deren Nähe zur Poesie bereits von antiken Lesern konstatiert wurde. 21 Dafür, dass sich historiographische Erzählungen nach denselben narratologischen Kriterien untersuchen lassen wie fiktionale Texte, haben sich Theoretiker wie Roland Barthes, Hayden White und Gérard Genette 22 ausgesprochen, wohingegen Dorrit Cohn 23 dafür plädierte, zwischen fiktionalen und nicht-fiktionalen Werken bei folgenden Aspekten („signposts of fictionality“) stärker zu differenzieren: 24 Den drei vertikalen narrativen Ebenen text, story und fabula müsse bei historiographischen Texten noch eine vierte hinzugefügt werden, die sie als material bezeichnet, und die Quellen, Prätexte, frühere Versionen und dergleichen umfasst. 25 Auch in Bezug auf die Organisa‐ tion der Zeit sowie die Möglichkeiten zur Fokalisierung unterscheiden sich Cohn zufolge fiktionale und nicht-fiktionale Erzählungen; zudem müsse man in nicht-fiktionalen Texten nicht zwischen Autor und Erzähler unterscheiden, wie es bei fiktionalen Texten üblich ist. 26 Diesen Forderungen hat Irene de Jong entgegengehalten, dass sich in der antiken Historiographie sehr wohl diejenigen Merkmale beobachten lassen, die Cohn nur fiktionalen Texten zusprechen will: Dazu gehören etwa vielfältige Methoden der Fokalisierung, Dramatisierung und Einbettung bühnenhafter Szenen, das Auschmücken von Ereignissen (amplifi‐ catio) und auch das Konstruieren einer persona des Historiographen, die sich nicht ohne weiteres mit dem historischen Autor gleichsetzen lässt. 27 Allerdings zeichnen sich John Marincola zufolge historiographische Werke eben dadurch 56 2 Epistolographie und Narratologie 28 Marincola (1997), 128‒174. 29 Siehe de Jong (2014). 30 S. S. 15. 31 Zur Trennung zwischen historischem Autor und literarischem Ich vgl. Ludolph (1997), 17 und 36‒40. 32 Zu den Brieftypen vgl. Sherwin-White (1966), 42‒52. 33 Ludolph (1997), 40. aus, dass der Autor zwar eine den historischen Stoff vermittelnde persona kreiert, der Text seine Glaubwürdigkeit jedoch dadurch generiert, dass der Leser diese persona mit dem realen Autor identifiziert. 28 Wie im Laufe der Analyse der Plinius-Briefe ersichtlich wird, lässt sich auch das Briefkorpus mit ähnlichen narratologischen Fragestellungen untersuchen, wenngleich an die Stelle einer durchgängigen Historie die fragmentierte Textu‐ alität einer Sammlung von Einzelbriefen sowie das die Darstellung bestimmende Prinzip der „epistolarity“ tritt. Im Folgenden sei das Briefkorpus im Hinblick auf zentrale Kategorien, die in narratologischen Studien immer wieder diskutiert werden, 29 kurz skizziert: Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen Autor, Sprecher/ Erzähler und Rezipient (narrator/ narratee)? Welche Techniken der Perspektivierung bzw. Fokalisierung wendet Plinius an? Wie sind Zeit und Raum im Briefkorpus organisiert? Wie werden Adressaten und handelnde Figuren charakterisiert? 2.1 Epistolare Stimmen Der epistolare Rahmen der Briefsammlung bringt es mit sich, dass wir mehrere Ebenen der Kommunikation zwischen Autor bzw. Erzähler und Rezipient unterscheiden können: Zunächst einmal ist da ein Autor namens C. Plinius Caecilius Secundus, der ein Briefkorpus publiziert hat, um damit einen größeren Leserkreis anzusprechen. Das Briefkorpus insgesamt dürfte nicht zuletzt auf die positive Selbstdarstellung dieses Plinius vor seinen Zeitgenossen sowie der Nachwelt abzielen. 30 Auf einer zweiten Ebene finden wir dann sozusagen das epistolographische Ich bzw. die persona dieses Plinius, d. h. den Schreiber, der auch Sprecher der einzelnen Briefe ist, die an unterschiedliche Adressaten gerichtet sind. 31 Wenngleich die Einzelbriefe verschiedene Themen behandeln und sich auch durch unterschiedliche Sprechhaltungen der persona des Brief‐ schreibers auszeichnen, 32 fällt dennoch auf, dass diese persona über die gesamte Briefsammlung hinweg relativ einheitlich charakterisiert ist. 33 Dies trägt zur Kohärenz des Gesamtkorpus bei und animiert den Leser außerdem, aus den 57 2.1 Epistolare Stimmen 34 Vgl. de Jong (2014), 19‒20: „The narrator who recounts the main story, and whose voice is usually the first we hear when the story begins, is the primary narrator.“ 35 Vgl. de Jong (2014), 19. 36 Wendet man das kommunikative Schema von „narrator-narratee“ auf eine Briefsamm‐ lung an, muss also modifiziert werden, was de Jong (2014), 28 zum „internal primary narrator“ ausführt: „An internal primary narrator usually has no corresponding internal primary narratee, but tells his story either to no one in particular or to an external primary narratee“; bei Plinius nehmen die Adressaten die Rolle des „internal primary narratee“ ein. 37 Zu Epist. 1,1 s. S. 36-9. Briefen eine Biographie des Sprechers zu rekonstruieren. Da es sich hier auch um die Stimme handelt, die das Briefkorpus dominiert, können wir sie mit dem „primary narrator“ einer Erzählung wie in Epos, Roman oder Geschichts‐ werk vergleichen. 34 Das epistolographische Ich bzw. der „primary narrator“ ist zugleich auch ein „internal narrator“ oder gar autodiegetischer Erzähler, da seine Person im Zentrum steht und er in zahlreichen Briefen als handelnde Figur auftritt, 35 die auf intradiegetischer Ebene immer wieder mit anderen handelnden Figuren kommuniziert - dies geschieht allerdings zumeist mündlich, sodass wir in die schriftliche Korrespondenz auf der Ebene des „primary narrator“ häufig eine mündliche Kommunikation zwischen einem „secondary narrator“ und „secondary narratee“ eingebettet haben. Im Rahmen der Briefsammlung hat der „internal primary narrator“ mit den verschiedenen Briefadressaten zahlreiche korrespondierende „internal primary narratees“, an die er seine Ausführungen richtet; zugleich werden diese Kommunikationsakte vom allgemeinen Leser als „external narratee“ mitverfolgt, 36 der die einzelnen Briefe in eine größere Narration von Pliniusʼ Biographie einzuordnen und sein soziales Netzwerk zu überblicken versucht. Einen besonderen Status in diesem kommunikativen Geflecht nimmt der bereits oben diskutierte Brief 1,1 ein, mit dem Plinius seine Sammlung eröffnet und in dem er sich zur Publikation der Briefe äußert. 37 Zwar ist dieser Brief, der zugleich die Funktion einer praefatio hat, nicht explizit an den allgemeinen Leser, sondern an Septicius Clarus gerichtet, doch lassen die meta-epistolaren Aussagen den Rezipienten glauben, hier den realen Autor des gesamten Korpus sprechen zu hören, nicht nur den Verfasser einzelner Briefe. Die Konstellation ist hier mit derjenigen vergleichbar, die Pausch (2011) am Geschichtswerk des Livius beobachtet hat: Ihm zufolge lassen sich in Ab urbe condita zwei Stimmen des Livius unterscheiden, nämlich die des Erzählers, der aus einer allwissenden Perspektive von der römischen Geschichte handelt, und die des Autors, der sich in den praefationes zur Genese seiner Historie äußert oder im Zuge 58 2 Epistolographie und Narratologie 38 Pausch (2011), 11‒12. 39 Zur Buchkomposition s. S. 15-7. 40 Zur immanenten Gattungstheorie s. Kap. I.1. 41 Genette (1992), 82‒3; diese Gleichung bezieht sich, wie gesagt, auf die „narrative Identität…, nicht die numerische Identität im Sinne des Personenstands, sondern die ernsthafte Beglaubigung einer Erzählung durch den Autor, der für ihren Wahrheitsge‐ halt bürgt“ (85). 42 Demetr. De eloc. 227: πλεῖστον…τὸ ἠθικόν…εἰκόνα…τῆς ἑαυτοῦ ψυχῆς; Thraede (1970), 23‒4; Müller (1980); Radicke (1997), 466. der Narration verschiedene Überlieferungsvarianten diskutiert. 38 Bei Plinius können wir möglicherweise sogar drei verschiedene Stimmen unterscheiden: Die des Autors Plinius, der sich zur Genese seiner Briefbücher 39 sowie zu den Konventionen seiner Gattung 40 äußert, die des Verfassers einzelner Briefe an einzelne Adressaten sowie die des Plinius als handelnde Figur in einzelnen Erzählungen. Der Rezipient freilich bezieht all diese Stimmen auf dieselbe Person, sodass wir im Fall der Briefe eine ähnliche narrative Identität vorliegen haben, wie sie Genette zufolge für die Autobiographie typisch ist: Autor (A) = Erzähler (N) = Person (P). 41 Wie oben ausgeführt wurde, dominiert in der Briefsammlung diejenige Stimme, die sich an verschiedene Adressaten zu verschiedenen Themen und mit unterschiedlicher Sprechhaltung richtet, wohingegen die Stimme des Autors des gesamten Briefkorpus lediglich einmal an programmatischer Stelle in Epist. 1,1, durchscheint. Will man die den Makrotext beherrschende Stimme des Verfassers einzelner Briefe mit derjenigen eines homobzw. autodiegetischen Erzählers oder „internal primary narrator“ gleichsetzen, dann fällt als erstes ins Auge, dass wir es nur selten mit einem distanzierten bzw. allwissenden Erzähler zu tun haben, viel häufiger jedoch mit einem Sprecher, der seine Adressaten (sowie den allgemeinen Leser) an seiner Wahrnehmung der Dinge sowie an seinen Gedanken, Zweifeln und Emotionen teilhaben lässt. Die Gattung Brief setzt also von vornherein einen gewissen Grad an Perspektivierung und Fokalisierung voraus, und dies umso mehr, als man in der antiken Theorie den Brief bekannt‐ lich als „Spiegel der Seele“ sowie als Zeugnis für den Charakter des Verfassers betrachtete. 42 Man kann also sagen, dass mehr oder weniger jeder Brief einen Akt der Fokalisierung darstellt, indem sich der Sprecher abwechselnd freudig, besorgt, traurig, wütend, zweifelnd, nachdenklich, neugierig, selbstsicher, stolz usw. oder auch relativ neutral bzw. distanziert präsentiert. Häufig finden sich schon am Anfang des betreffenden Briefes Hinweise auf die Gemütslage des Sprechers, wie etwa in Epist. 1,15 an Septicius Clarus, der einer Einladung zum Abendessen nicht nachgekommen ist: Mit dem Ausruf heus tu! und der Frage promittis ad cenam nec venis? (1) bringt Plinius (scherzhaft) seine Empörung 59 2.1 Epistolare Stimmen 43 S. S. 134-44. 44 S. Kap. II.1.6. 45 S. S. 127-30. 46 S. Kap. II.4.2. zum Ausdruck. In anderen Briefen wiederum begegnen wir ihm in besorgter oder gar angstvoller Stimmung, etwa wenn es um den Gesundheitszustand von Freunden geht (1,22,1: perturbat me longa et pertinax valetudo Titi Aristonis; 7,1,1: terret me haec tua tam pertinax valetudo; 7,19,1: angit me Fanniae valetudo), oder in Trauer über den Tod verschiedener Personen (1,12,1: iacturam gravissimam feci…decessit Corellius Rufus…quod dolorem meum exulcerat; 7,30,1: torqueor, quod discipulum…amisisti; 8,23,1: …dolor, quem ex morte Iuni Aviti gravissimum cepi). Erfreut zeigt sich Plinius etwa über die Freundschaft zwischen Saturninus und Priscus (7,7,1: …est enim mihi periucundum; 7,8,1: exprimere non possum, quam iucundum est mihi), von Sehnsucht gequält präsentiert er sich in einem Brief an seine Gattin Calpurnia, die in Kampanien weilt (7,5,1: incredibile est, quanto desiderio tui tenear). Eine Art Schadenfreude scheint der Sprecher in Epist. 1,5 gegenüber Regulus zu empfinden, der sich nach dem Tod Domitians ängstlich und kriecherisch verhält (1,5,1: vidistine quemquam M. Regulo timi‐ diorem, humiliorem post Domitiani mortem? ). Verächtlich und zugleich verärgert zeigt sich Plinius, als er über die Ehreninschrift für Pallas, den Freigelassenen des Kaisers Claudius, berichtet (7,29,1: ridebis, deinde indignaberis, deinde ridebis; vgl. 8,6). In denjenigen Briefen, die stärker dem Prinzip des narrare verpflichtet sind und in denen handelnde Figuren auftreten, wird mitunter auf die Perspektive dieser Figuren fokalisiert - sei es, dass Plinius selbst als handelnde Person in Erscheinung tritt, sei es, dass andere Figuren betroffen sind. So schildert Plinius etwa in Epist. 2,11 seine Aufregung vor seinem Auftritt als Redner vor Kaiser und Senat im Prozess gegen Marius Priscus (11): imaginare, quae sollicitudo nobis, qui metus…tunc me tamen ut nova omnia novo metu permovebant. 43 In Epist. 9,13 gewinnen wir Einblick in die Gedanken des Plinius vor der Anklage des Publicius Certus im Senat. 44 Ein schlechter Traum sucht den jungen Plinius in Epist. 1,18 vor einem Prozess heim, in dem er einen gewissen Iunius Pastor vertritt. In Epist. 1,5 wird die Furcht des M. Aquilius Regulus vor Plinius nach dem Tode Domitians durch direkte und indirekte Rede zum Ausdruck gebracht. 45 Der Brief 2,20 wiederum charakterisiert Regulus als üblen Erbschleicher und gibt in diesem Zusammenhang dessen Gedanken und Überredungsversuche wieder. Epist. 6,16 schildert die Beweggründe des älteren Plinius, den Vesuvausbruch näher zu untersuchen, zum Teil aus dessen Perspektive. 46 60 2 Epistolographie und Narratologie 47 Besonders die Briefe 1,5; 2,6; 3,9; 3,16; 4,11; 4,13; 5,1; 6,20; 7,6; 7,33; 9,13 und 9,23 stechen hier heraus; Carlon (2009), 46‒7. 48 Zu Epist. 1,5 s. ausführlicher S. 127-30; zum Brief des Modestus s. S. 45-6. 49 Zu Epist. 3,9 s. ausführlicher Kap. II.1.3. 50 Zu Epist. 5,1 s. S. 82-4 und 223-8. Ein Mittel, durch das immer wieder stärker auf die Perspektive einer handelnden Figur fokalisiert wird und Plinius als Erzähler-Instanz in den Hintergrund tritt, ist das der indirekten und direkten Rede. Insbesondere die direkte Rede verleiht der Darstellung einen stärker mimetischen Charakter, und Plinius macht in mehreren seiner Briefe ausführlich davon Gebrauch, wenn er Dialoge zwischen handelnden Figuren, zu denen auch er selbst gehört, in einen epistolaren Rahmen integriert. 47 Der Brief 1,5 etwa enthält einen Wortwechsel zwischen Plinius und seinem Kontrahenten Regulus vor Gericht (5‒7), sowie weitere Dialoge zwischen Regulus und Spurinna (8), Plinius und Spurinna (9‒10) und abermals Plinius und Regulus (11‒14); die beiden Dialoge zwischen Plinius und Regulus stehen einander diametral gegenüber, der erste Wortwechsel spielt in der Zeit Domitians und illustriert die Gefährlichkeit des Regulus als Ankläger, der zweite fällt in die Zeit nach dem Tod des Kaisers und zeigt Regulus voll Angst vor dem Zorn des Plinius. Zudem werden in diesem Brief die mündlichen Reden durch Zitate aus Schriftstücken ergänzt, einmal aus einem liber des Regulus, wo dieser über Arulenus Rusticus herzieht (2: Stoicorum simiam…Vitelliana cicatrice stigmosum), und als Gegenstück dazu aus einem Brief des Mettius Modestus, der Regulus als omnium bipedum nequissimus bezeichnet (14). 48 Besonders in Briefe, die über Prozesse berichten, streut Plinius häufig direkte Reden ein, insbesondere seine eigenen Worte, die seine rhetorische Schlagfer‐ tigkeit illustrieren: So etwa in Epist. 3,9 über den Fall des Caecilius Classicus, wo Plinius neben einem Ausspruch der Baetiker (3: dedi malum et accepi) und einem virtuellen Dialog aus seiner Rede (21: dicet aliquis ‘iudicas ergo? ’; ego vero non iudico, memini tamen me advocatum ex iudicibus datum) seine Antwort auf den Einwand eines Richters (25) sowie die Worte des Adressaten als Interlokutor (27) wiedergibt. 49 Auch Epist. 5,1, wo es um eine Erbschaft und einen Prozess vor dem Zentumviralgericht geht, ist durch mehrere direkte Reden angereichert, die vor allem Gespräche zwischen Plinius und dem von seiner Mutter enterbten Asudius Curianus betreffen, wobei wir hier in erster Linie die Worte des Plinius vernehmen (4‒6; 9‒10). 50 In Epist. 7,6 über die Verteidigung des Varenus gegen die Bithynier streut Plinius seinen Wortwechsel mit dem gegnerischen Anwalt Nigrinus ein, wobei hier in direkter Rede ausgerechnet die Gründe des Plinius, sich im Prozess in Schweigen zu hüllen, vorgetragen werden (4‒5). In den Brief über die Verhandlung des Varenus ist außerdem eine Digression über einen 61 2.1 Epistolare Stimmen 51 Zu Epist. 7,6 s. S. 185-90. 52 Zu Epist. 7,33 s. ausführlicher Kap. II.1.5. 53 Zu Epist. 9,13 s. Kap. II.1.6. 54 Verg. Aen. 6,105. 55 Hom. Il. 8,102. früheren Prozess eingelegt (8‒13), bei dem Plinius ebenfalls durch Schweigen triumphieren konnte. Auch diese Narration enthält neben einem Bonmot des Passienus Crispus (11) direkte Reden des Anwalts Iulius Africanus und des Plinius (11‒12). 51 Wie ein kleines Gerichts-Drama liest sich auch Epist. 7,33, wo Plinius von seinem gemeinsamen Auftritt mit Herennius Senecio gegen den Delator Baebius Massa während der Herrschaft Domitians berichtet: Auf einen Dialog des Senecio mit Plinius (4‒6) folgt ein Wortwechsel in indirekter Rede zwischen Plinius, Senecio und Massa, in dem Senecio von Massa wegen impietas belangt wird (7). Dies ruft allgemeines Entsetzen hervor, doch Plinius hebt sich davon durch eine schlagfertige Antwort ab, die im Brief wieder in direkter Rede erfolgt. Auch hier werden die mündlichen Figurenreden durch ein Zitat aus einem Schriftstück ergänzt, diesmal ist es der schon in anderem Zusammenhang erwähnte Brief Nervas (9). 52 Dramatische Elemente weist auch Epist. 9,13 auf, wo Plinius die Hintergründe zu seiner Rede De Helvidi ultione erläutert: 53 Zunächst erfolgt ein Dialog des Plinius mit der Witwe des Helvidius, Anteia, die er über seinen Entschluss informiert, den Tod des Helvidius zu rächen (4‒5). Wir vernehmen hier lediglich die Worte des Plinius in direkter Rede, während Anteia stumm bleibt. Abgesehen von Plinius selbst kommen auch mehrere Senatoren in direkter Rede zu Wort, als Plinius im Senat andeutet, Publicius Certus belangen zu wollen und sich mit protestierenden Zwischenrufen konfrontiert sieht (7). Nach einem kurzen Dialog des Plinius mit dem Konsul (8‒9) treten mehrere Warner auf, die Plinius von seinem Vorhaben abzubringen versuchen (10‒12) - ihre Worte sowie die Antworten des Plinius stehen erneut in direkter Rede, auch ein Zitat aus der Aeneis gehört dazu. 54 Aus der Diskussion während der Abstimmung über die Frage, ob eine Klage gegen Publicius Certus zugelassen werden soll (13‒17), gibt Plinius lediglich die Worte des Satrius Rufus wieder, der sich für Certus ausspricht (17). Nachdem Plinius seine Rede gehalten und alle auf seine Seite gezogen hat (18), versucht nur noch Veiento, ihm zu antworten, wird aber von den restlichen Senatoren übertönt - den Wortwechsel zwischen Veiento und dem Tribun Murena sowie das anschließende Homer-Zitat, 55 mit dem Veiento seine Niederlage eingesteht, lesen wir in direkter Rede (19‒20). Am Ende seiner langen Narration zitiert sich der Autor und Erzähler Plinius abermals selbst, wenn er im Brief die Schlussworte seiner oratio einstreut (23). 62 2 Epistolographie und Narratologie 56 Zu diesem Brief vgl. Cova (1972); Philips (1976); Leach (2006); Fögen (2017), 45‒50. 57 Diesen Brief analysieren Augoustakis (2005/ 06); Vössing (2006); Niemann (2007); Eisner (2014), 28‒33. 58 Zu den Vesuv-Briefen s. Kap. II.4.2. 59 Analysen dieses Briefes bieten Illias-Zarifopol (1994), 46‒68; Carlon (2009), 43‒8 und 179‒80; Shelton (2013), 15‒41; Fögen (2015), 33‒6. 60 Vgl. Carlon (2009), 46‒7: „Pliny’s decision to present so many of Arria’s words serves two major functions: first, it tightens his reader’s perception of his bonds with Fannia and her family and, second, it elucidates his view that one’s greatest deeds can easily be unknown outside of one’s intimate circle“ (47). Es dürfte deutlich geworden sein, dass Plinius insbesondere in Briefen, die seine Leistungen als Anwalt und Redner ins Zentrum stellen, häufig seine eigenen Worte als handelnde Figur wiedergibt und somit seine rhetorischen Fähigkeiten nicht nur im narrativen, sondern auch mimetischen Modus inszeniert. Abgesehen vom Schauplatz Gericht gibt es noch andere Kontexte, in denen wir Plinius in direkter Rede sprechen hören: So etwa in Epist. 2,6, wo er sich bei einer cena mit einem anderen Teilnehmer über die unterschiedliche Behandlung von Gästen je nach sozialem Status unterhält und seine eigenen, dem Prinzip der humanitas verpflichteten Gewohnheiten erläutert (3‒4). 56 Seinen Dialog mit einem Vater und dessen Sohn aus Comum, der wegen Lehrermangels zum Studieren nach Mailand reisen muss, streut Plinius in Epist. 4,13 an Tacitus ein (3‒9), wobei wir hauptsächlich ihn selbst sprechen hören, wenn er seine Beweggründe für die finanzielle Unterstützung bei der Anstellung von Lehrern in Comum ausführt. 57 Im Rahmen dieser langen direkten Rede charakterisiert sich Plinius als Freund der Bildung und Wohltäter seiner Heimat. Mehrere direkte Reden enthält auch der Vesuv-Brief 6,20, wo wir neben dem Gastfreund aus Spanien, der Plinius und seine Mutter zur Flucht auffordert (10), die Worte des achtzehnjährigen Plinius vernehmen, der seine Mutter während der allgemeinen Panik dazu auffordert, von der Straße abzubiegen (13). In Epist. 6,16 über den Tod des Onkels hingegen findet sich nur eine direkte Rede, wenn wir den älteren Plinius während der Bootsfahrt im Golf von Neapel sprechen hören (11). 58 Auch Narrationen, in denen Plinius selbst nicht als handelnde Figur auftritt bzw. im Vordergrund steht, sind des Öfteren durch direkte Reden angereichert, wie etwa Epist. 3,16 über Leben und Selbstmord der älteren Arria, 59 wo sich neben Epist. 1,5 und 9,13 die meisten direkten Reden finden; Arria wird in diesem Brief acht Mal zitiert - kein anderes Individuum enthält im Briefkorpus so viel Redeanteil, abgesehen von Plinius selbst. 60 Eingelegt sind Arrias Worte in eine Epistel, die sich als Bericht eines mündlichen Gesprächs mit Fannia, der Enkelin der berühmten Arria, präsentiert (2: hesterno Fanniae sermone), sodass es sich genaugenommen um Doppelzitate handelt. Insgesamt sechs direkte Reden 63 2.1 Epistolare Stimmen 61 Zu diesem Brief vgl. Traub (1955), 213‒17; Illias-Zarifopol (1994), 28‒45; Carlon (2009), 196‒201; Beck (2012); Schwerdtner (2015), 164‒73; s. S. 114-21. 62 Eurip. Hec. 569. 63 Hom. Il. 18,20. 64 Zu Epist. 1,12 vgl. Tzounakas (2011); Fögen (2015), 24‒7; Wenskus (2015). 65 Zu Epist. 4,22 vgl. Sherwin-White (1966), 298‒301; zu Iunius Mauricus s. S. 111. 66 Zu diesem Brief s. S. 147-53. 67 Zu diesem Brief vgl. Eisner (2014), 76‒9; Tzounakas (2017); Keeline (2018b), 297; Whitton (2019), 407‒13. 68 S. S. 75 und 322-3. enthält Epist. 4,11 über den Inzest-Skandal um die Vestalin Cornelia. 61 Nach den Worten des in den Skandal verwickelten und nach Sizilien verbannten Valerius Licinianus, der dort sein Dasein als Redelehrer fristet (3), spricht auch die der Unzucht beschuldigte Vestalin (7) sowie der römische Ritter Celer, der Cornelia entehrt haben soll, bei seiner Auspeitschung (10); auch Herennius Senecio, der Anwalt des Valerius Licinianus, kommt zu Wort (12), ebenso wie der Kaiser Domitian (13: absolvit nos Licinianus). Abgesehen von direkten Reden schmücken auch Dichter-Zitate den Brief, wie etwa aus der Hekabe des Euripides (9) 62 und der Ilias (12). 63 Plinius’ Freunde und Mentoren, von denen einige als Heroen der stoischen Opposition gegen Domitian dargestellt werden, äußern sich ebenfalls in direkter Rede, etwa wenn Corellius Rufus in Epist. 1,12 das lange Erdulden seiner Krankheit kommentiert mit den Worten cur…me putas hos tantos dolores tam diu sustinere? ut scilicet isti latroni vel uno die supersim (8) und dann seinen Selbstmord mit dem Ausspruch κέκρικα besiegelt. 64 Auch der von Domitian verbannte Iunius Mauricus wird u. a. durch direkte Rede charakterisiert, wenn er sich in Epist. 4,22 gegen Sportwettkämpfe in Vienne und Rom (3) oder Domitians gefürchteten Denunzianten Catullus Messalinus äußert (6). 65 Ein weiterer Protagonist, den Plinius in oratio recta zu Wort kommen lässt, ist Quintilian in Epist. 2,14, wo es um das Aufkommen des Claqueur-Wesens geht und Quintilian eine Anekdote über Domitius Afer erzählt (10‒11), der seinerseits in direkter Rede spricht (11). 66 Auch Tacitus tritt in Epist. 9,23 sowohl als Erzähler einer Anekdote als auch handelnde Figur derselben in einem Dialog mit einem Zuseher im Zirkus auf, der ihn nach seiner Identität fragt (2: Tacitus es an Plinius? ). 67 Schließlich sei noch der ältere Plinius erwähnt, der sich sowohl in Epist. 3,5 (12; 16) als auch 6,16 (11) in direkter Rede äußert. 68 Aussprüche und Dialoge handelnder Figuren in den Briefen verleihen den jeweiligen Narrationen eine stärkere Lebendigkeit und dramatischeren Cha‐ rakter. Doppelzitate wie in Epist. 2,14 (Quintilian zitiert Domitius Afer) und 3,16 (Fannia zitiert Arria), wo Plinius erzählte Reden wiedergibt, dienen aufgrund 64 2 Epistolographie und Narratologie 69 Spahlinger (2005), 23 kategorisiert Ciceros philosophische Dialoge als fiktionale Sachtexte. 70 Zu diesem Brief vgl. Shackleton Bailey (1977), II, 423‒4. 71 Cic. Att. 13,12‒16; 19‒20; 23; 25; vgl. Att. 12,5b; 13,30; Cato 3; Lael. 4; Steel (2013), 226: „These letters demonstrate what we might have otherwise hypothesised: Cicero’s dialogues are fictional“; Gildenhard (2013), 253: „The basic fiction that sustains Cicero’s dialogues is that they are not fictions, but the record of historical events“. 72 Demetr. De eloc. 223: εἶναι γὰρ τὴν ἐπιστολὴν οἷον τὸ ἕτερον μέρος τοῦ διαλόγου; vgl. S. 28. 73 Zur Funktion des Interlokutors in der antiken Epistolographie vgl. Thorsteinsson (2003), bes. 134‒44; das rhetorische Mittel der occupatio wird bei Cic. De orat. 3,205, Or. 138 und Quint. Inst. 4,1,49 diskutiert; Whitton (2013a), 99 zu Plin. Epist. 2,3,9. 74 Zu Epist. 1,6 vgl. Lefèvre (1978); Ludolph (1997), 167‒72; Edwards (2008); Marchesi (2008), 118‒31; Eisner (2014), 10‒6. der Charakterisierung der Erzählinstanzen zweiten Grades als Zeitzeugen zur Beglaubigung der Ereignisse. Generell stellt sich bei den in die Briefe eingelegten Reden, ähnlich wie im Fall literarischer Dialoge wie etwa derjenigen Ciceros, die Frage nach der Historizität solcher Gespräche und Äußerungen. 69 Cicero selbst erörtert den mos dialogorum in einem Brief an Varro, der als Begleitschreiben zu den vier Büchern Academica, in denen Varro selbst als Gesprächsteilnehmer auftritt, charakterisiert ist (Fam. 9,8,1 = 254 SB): puto fore ut, cum legeris, mirere nos id locutos esse inter nos, quod numquam locuti sumus; sed nosti morem dialogorum. 70 Auch mehrere Briefe an Atticus thematisieren die Fiktionalität der Dialoge. 71 Es ist anzunehmen, dass auch Plinius sich der von Cicero diskutierten Konventionen der Gattung Dialog bewusst war und die in die Briefe eingelegten Gespräche handelnder Figuren nach dem Prinzip des veri simile gestaltet hat. Dies dürfte auch für die Dialoge auf einer anderen Ebene der Kommunikation gelten, und zwar die Konversation des Briefschreibers mit seinen Adressaten, die ja der antiken Theorie zufolge als „halbierter Dialog“ auf Distanz betrachtet wurde. 72 Epistolographen wie Plinius kreieren die Fiktion vom Brief als Ge‐ spräch etwa dadurch, dass sie in ihren Texten den Adressaten als epistolaren Interlokutor auftreten und verschiedene Bemerkungen, Einwände oder Fragen artikulieren lassen bzw. diese zumindest antizipieren. 73 Häufig weisen Verben wie dices oder inquis auf eine solche imaginäre Wortmeldung hin, bisweilen können sie jedoch auch wegbleiben. In seinen Reaktionen auf diese Einwände wiederholt Plinius in der Regel einzelne Wörter oder Wortfolgen, wie etwa in Epist. 1,6, wo uns Tacitus, der in Epist. 9,23 sowohl als interner Erzähler als auch handelnde Figur in der Arena auftaucht, als Adressat begegnet und Plinius ihn auch in dieser Funktion zu Wort kommen lässt (1): ego ille, quem nosti, apros tres et quidem pulcherrimos cepi. ‘ipse? ’ inquis. ipse. 74 Fabius Iustus, der Empfänger der Epist. 1,11, entschuldigt sich für das Ausbleiben seiner Briefe mit den Worten 65 2.1 Epistolare Stimmen 75 Vgl. Thraede (1970), 75; zu Fabius Iustus vgl. Sherwin-White (1966), 111. 76 Vgl. Whitton (2013a), 99; zu Epist. 2,3 s. S. 145-6. 77 Nepos steht hier offenbar kurz davor, in eine nicht näher genannte Provinz aufzubre‐ chen (4,26,2: maximae provinciae praefuturus); Sherwin-White (1966), 306 denkt an Asia oder Afrika. 78 Vgl. Whitton (2013a), 118. 79 Zu Epist. 3,9 s. ausführlicher Kap. II.1.3. 80 Zu Epist. 4,9 s. S. 171-8. 81 Vgl. Whitton (2013a), 151‒2. nihil est…quod scribam (1), was Plinius zu einer Diskussion der Konventionen epistolarer Korrespondenz veranlasst (1: at hoc ipsum scribe, nihil esse, quod scribas…). 75 Der Aufforderung, nach Rom zu kommen und den Redner Isaeus zu hören, lässt Plinius in Epist. 2,3 seinen Adressaten Nepos entgegenhalten habeo hic, quos legam, non minus disertos, woraufhin er selbst wiederum erwidert etiam, sed legendi semper occasio est, audiendi non semper (9). 76 Es ist durchaus denkbar, dass zu den diserti, deren Reden Nepos auch bei sich zuhause lesen kann, Plinius selbst gehört, wie die ebenfalls an Nepos gerichtete Epist. 4,26 suggeriert: Dort erfahren wir, dass Nepos die Schriften des Plinius angeschafft hat (1: libellos meos, quos studiosissime comparasti) und sie überall mit sich her‐ umträgt (2-3: tanti putes scripta nostra circumferre tecum…comites istos). 77 Das Lob auf Isaeus in Epist. 2,3 weitet sich somit zum (Selbst-)Lob auf Plinius durch Nepos aus, den der Epistolograph in Epist. 4,26 als einen Bewunderer seiner Werke charakterisiert. In Epist. 2,5 nimmt Plinius einen möglichen Einwand seines Adressaten Lupercus vorweg, der lieber eine vollständige Rede als nur deren Einzelteile lesen möchte (10: dices te non posse satis diligenter id facere, nisi prius totam actionem cognoveris). 78 Dass ein langer Brief über einen Prozess wie denjenigen gegen Caecilius Classicus den Adressaten ermüden kann, geht aus der imaginierten Bemerkung des Cornelius Minicianus in Epist. 3,9 hervor (27: dices: ‘non fuit tanti; quid enim mihi cum tam longa epistula? ’). 79 In Epist. 4,9 über das Gerichtsverfahren des Iulius Bassus kommt die Verwunderung des Adressaten Cornelius Ursus darüber zum Ausdruck, dass zwei Meinungen, auch wenn sie einander widersprechen, richtig sein können (16: ‘qui fieri potest’, inquis, ‘cum tam diversa censuerint? ’). 80 Auch in Briefen mit literarkritischem Inhalt hören wir häufig die Stimme des Adressaten: Octavius Rufus, den Plinius in Epist. 2,10 zur Publikation seiner Werke auffordert, entgegnet, dass sich seine Freunde darum kümmern sollen (5: dices, ut soles: ‘amici mei viderint! ’), woraufhin ihm Plinius derartig zuverlässige und eifrige Freunde wünscht (5: opto equidem amicos tibi tam fideles…tam laboriosos…). 81 Im Nachruf auf den Dichter Martial (Epist. 3,21), der ein Epigramm auf Plinius verfasst hat (Mart. 10,20[19]), fragt sich der 66 2 Epistolographie und Narratologie 82 Zu Epist. 3,21 s. ausführlicher S. 272-5. 83 Zu diesem Brief s. S. 275-7. 84 Zu Epist. 5,8 siehe ausführlicher S. 97-100. 85 Eine Analyse der Epist. 9,26 bieten Prete (1948), 57‒63; Quadlbauer (1948), 12‒20; Quadlbauer (1958), 108‒9; Cova (1966), 89‒90; Cugusi (1974), 20‒1; Aubrion (1975), 106; Picone (1977), 72‒7; Gamberini (1983), 45‒9; Schenk (1999); Cugusi (2003); Delarue (2004); Schwerdtner (2015), 133‒9; Whitton (2015b). 86 S. S. 116. 87 Zu Epist. 4,29 s. S. 229. 88 Zu Epist. 6,8 vgl. Sherwin-White (1966), 363‒5. Epistolograph quid homini potest dari maius quam gloria et laus et aeternitas? (6), wird jedoch vom Adressaten mit den Worten at non sunt aeterna, quae scripsit (6) unterbrochen. 82 Das Urteil seines Adressaten Paternus auf die Lektüre der Hendecasyllabi antizipiert Plinius am Ende der Epist. 4,14 (10: fortasse posset durum videri dicere ‘quaere, quod agas’; molle et humanum est: ‘habes, quod agas’). 83 Gegen die Gründe des Plinius, auf das Verfassen einer Historie zu verzichten, wendet der Adressat der Epist. 5,8 ein: potes simul rescribere actiones et componere historiam (7). 84 Im Rahmen des Rückblicks, den Plinius in 7,4 über seine Biographie als Dichter bietet, will der Adressat Pontius mehr über die griechische Tragödie wissen, die Plinius als Vierzehnjähriger verfasst haben will (2: ‘qualem? ’ inquis). Gleich zweimal kommt der Adressat Lupercus in Epist. 9,26 zu Wort, wo Plinius ausführlich über rhetorische sublimitas reflektiert: Zunächst hören wir ihn in direkter Rede (8: at enim alia condicio oratorum, alia poetarum), danach in oratio obliqua (10: dices hunc quoque ob ista culpari). 85 Die Fiktion vom Dialog zwischen Briefschreiber und Empfänger über verschie‐ dene Ereignisse, Zustände, Pläne oder Probleme wird auch in vielen weiteren Briefen hergestellt: Auf die Nachricht über das triste Dasein des nach Sizilien verbannten Rhetoriklehrers Valerius Licinianus lässt Plinius seinen Adressaten Cornelius Minicianus in indirekter Rede reagieren (4,11,4: dices tristia et mise‐ randa, dignum tamen illum, qui haec ipsa studia incesti scelere macularit). 86 In Epist. 4,22 wiederum hören wir den Adressaten Sempronius Rufus in direkter Rede sprechen, wenn er die Haltung des Iunius Mauricus gegen ein Sportfest in Vienna lobt (4: ‘Constanter’, inquis, ‘et fortiter’). Der Warnung vor dem strengen Prätor Licinius Nepos wird der Adressat der Epist. 4,29 entgegnen non omnes praetores tam severi, wie Plinius vermutet (3: dices). 87 Mit der Frage quorsus haec? reagiert der Adressat Priscus in Epist. 6,8 zweimal (3‒4) auf Plinius’ Ausführungen über seine Unterstützung für Atilius Crescens. 88 Der Ankündigung des Plinius in 6,23, dass er einen Prozess nicht umsonst führen wolle, hält der Adressat Triarius entgegen 67 2.1 Epistolare Stimmen 89 Dass Plinius üblicherweise auf Bezahlung für seine Tätigkeit als Advokat verzichtete, geht aus Epist. 5,13 hervor; vgl. Sherwin-White (1966), 383. 90 Eine Analyse der Epist. 8,14 bietet etwa Whitton (2010). 91 Vgl. Sherwin-White (1966), 387‒8. 92 Zum Spiel mit dem Namen Praesens in diesem Brief s. S. 28. 93 Zu Epist. 9,6 vgl. Sherwin-White (1966), 485‒6; Keeline (2018b), 318‒20. 94 Zu Buch 10 vgl. etwa Millar (2004); Fear (2006); Méthy (2006); Stadter (2006); Woolf (2006); Botermann (2007); Noreña (2007); Stadter (2007), 200‒4; Fein (2009); Coleman (2012); Gibson/ Morello (2012), 251‒64; Wehmann (2014); Keeline (2018b), 290‒1. 95 Zum Zitieren und verwandten Strategien in der antiken Prosa vgl. Tischer/ Binternagel (2010), 7: „Fremde Rede in der eigenen kann als „fremde Stimme“, aber auch „fremder Text“ in Erscheinung treten“. qui fieri potest…ut non gratis tu? (1). 89 Auf die Bitte des Plinius um juristischen Rat antwortet Titius Aristo, der Empfänger der Epist. 8,14, mit den Worten cur quaeris, quod nosse debebas? (2). 90 In Epist. 6,28 äußert sich Plinius über die allzu üppige Verpflegung auf dem Landgut des Pontius und nimmt dessen Einwand vorweg (3: dices oportere me tuis rebus ut meis uti). 91 Zur Unterbrechung seines ausgedehnten otium in Lukanien und Kampanien fordert der Epistolograph in 7,3 wiederum seinen Freund Praesens auf, der seine Abwesenheit mit den Worten ipse enim… Lucanus, uxor Campana (1) rechtfertigt. 92 Seinem Adressaten Calvisius schreibt Plinius in Epist. 9,6, dass er gerade in Rom seine Zeit in Muße mit literarischen Studien verbringe, woraufhin dieser verwundert fragt quemadmodum…in urbe potuisti? (1). 93 Wie aus den bisherigen Ausführungen deutlich geworden sein sollte, finden sich im Briefkorpus der Bücher 1‒9 neben der Stimme des Epistolographen noch viele weitere Stimmen, die sozusagen zu einer gewissen Polyphonie der Sammlung beitragen: Die Worte der verschiedenen Adressaten vernehmen wir entweder, wenn Plinius den Inhalt ihrer vorausgehenden Briefe referiert, oder wenn er sie als interlocutores auftreten und an der jeweiligen Diskussion teil‐ haben lässt. Einen Sonderfall bildet freilich Buch 10, das im Unterschied zu den vorausgehenden Büchern die Antwortschreiben des Kaisers Trajan enthält, dem als Adressaten dadurch eine besondere Bedeutung zuteil wird. 94 Neben Plinius als Briefschreiber und seinen Adressaten begegnet man sowohl Plinius selbst als auch anderen Individuen häufig als handelnden Figuren in einer Narration und hört bzw. liest ihre Wortmeldungen in direkter oder indirekter Rede. Was die Inklusion anderer Stimmen sowie das Verhältnis von „eigener Rede“ zu „fremder Rede“ in der Briefsammlung betrifft, seien schließlich auch noch literarische Zitate aus anderen Autoren betrachtet, die Plinius als „fremde Texte“ zahlreich in seine Prosabriefe einstreut. 95 Eine umfassende Analyse dieses Phänomens würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit freilich sprengen und wurde ja 68 2 Epistolographie und Narratologie 96 Vgl. u.a. Hagendahl (1947); Neuhausen (1968); Görler (1979); Cugusi (1983), 91‒6; Krasser (1993b); Wenskus (1993); Schenk (1999); Méthy (2004); Marchesi (2008); Schwerdtner (2011) und (2015); Whitton (2019); eine Konferenz mit dem Titel „Pliny’s Epistolary Intertextuality“ wurde von der Autorin dieser Studie zusammen mit Spyridon Tzounakas vom 11.‒12. Mai 2018 an der University of Cyprus organisiert. 97 Eine Diskussion der Techniken, mit denen Plinius Zitate mehr oder weniger deutlich markiert, bietet Schwerdtner (2015), 26‒45. 98 Vgl. Catull. 16,5‒8; zu Epist. 4,14 s. S. 275-7. 99 Vgl. Hom. Il. 2,212. 100 Vgl. Hom. Il. 18,20. 101 Vgl. Verg. Aen. 8,439; zu Epist. 6,33 s. S. 232-7. 102 Neben literarischen Zitaten verwendet Plinius auch griechische termini technici; vgl. Deane (1918); Venini (1952); Rochette (2013). 103 Vgl. Hom. Il. 1,63; 12,243; zu Epist. 1,18 s. S. 132-4. 104 Der Brief 9,26 enthält insgesamt 37 direkte Zitate aus Dichtung und 27 aus Prosa, wie Schenk (1999), 116 beobachtet. 105 Schwerdtner (2015), 48‒58 bietet eine Übersicht über die Zitatquellen des Plinius. auch schon von anderen verschiedentlich umfangreich unternommen, 96 doch sollen die wichtigsten Aspekte der durch Zitate hergestellten Polyphonie kurz diskutiert werden. Damit der Leser das Einsetzen einer „fremden Stimme“ bzw. eines „fremden Texts“ erkennen kann, muss das Zitat auch deutlich als solches markiert sein - indirekte Anspielungen bzw. implizite Zitate, die sich auf den ersten Blick nicht klar vom Kontext abheben, sollen in diesem Rahmen daher zunächst ausgeklammert bleiben. 97 Eine explizite Markierung kann entweder erfolgen, indem die Quelle eindeutig identifiziert wird, wie etwa in Epist. 4,14 (5: …illam esse verissimam legem, quam Catullus expressit: ‘Nam castum esse decet pium poetam…’) 98 oder 1,20 (22: nec vero cum haec dico illum Homericum ἀμετροεπῆ probo), 99 oder zumindest irgendein Signal gesetzt wird, dass es sich um die Worte eines anderen handelt (vgl. 4,11,12: quale est illud: κεῖται Πάτρο κλος). 100 Auch kann sich ein Zitat allein durch seinen Versrhythmus deutlich vom prosaischen Kontext des Briefes absetzen, wie z. B. in Epist. 6,33 (1: ‘Tollite cuncta’, inquit, ‘coeptosque auferte labores! ’). 101 Insbesondere griechische Zitate, ob sie nun aus Dichtung oder Prosa stammen, sind im Kontext der lateinischen Sprache der Briefe relativ einfach zu erkennen, 102 wie etwa in Epist. 1,18 (1: καὶ γάρ τ᾽ ὄναρ ἐκ Διός ἐστιν; 4: egi tamen λογισάμενος illud εἷς οἰωνὸς ἄριστος ἀμύνεσθαι περὶ πάτρης) 103 oder in Epist. 9,26, wo Plinius neben Homer ausgiebig aus Demosthenes und Aischines zitiert. 104 Zählt man alle Stellen, die als explizite Zitate gelten können, zusammen, so fällt auf, dass Plinius deutlich öfter griechische als lateinische Autoren zitiert, wobei Homer, Demosthenes und Aischines als Spitzenreiter gelten dürfen, während aus den lateinischen Quellen Vergil am häufigsten herangezogen wird. 105 Auch ist die Frequenz von 69 2.1 Epistolare Stimmen 106 Zur Verteilung der Zitate vgl. Schwerdtner (2015), 58‒64. 107 S. oben S. 44-9. 108 S. Kap. II.2.3. 109 S. Kap. II.2.2. 110 Vgl. Glücklich (2010), 74; zum Brieftempus vgl. Koskenniemi (1956), 196‒7; Ruben‐ bauer/ Hofmann (1995), 244 (§ 213); zur Kategorie der Zeit in der narratologischen Forschung vgl. de Jong (2014), 73‒103; Weixler/ Werner (2015); zu Reflexionen über die Zeit in der römischen Literatur vgl. Wolkenhauer (2011); aus kulturhistorischer Perspektive Demandt (2015). Zitaten in den einzelnen Büchern unterschiedlich hoch - besonders viele Zitate finden sich in Buch 1, 4 und 9, während Buch 2 arm an Zitaten ist. 106 Dies gilt, wohlgemerkt, nur für explizite und gekennzeichnete Zitationen, wohingegen eine Auswertung indirekter Anspielungen ein anderes Bild ergeben dürfte. Abgesehen von literarischen Zitaten seien am Schluss noch solche Beispiele betrachtet, wo Plinius aus nichtliterarischen Quellen zitiert und auf diesem Weg „fremde“ Stimmen bzw. Texte in sein Briefkorpus integriert. Es wurden in anderem Zusammenhang schon solche Fälle betrachtet, wo sich Plinius auf Briefe anderer bezieht. 107 Neben Briefen zitiert Plinius auch Inschriften in Versen oder Prosa, wie etwa das elegische Selbstepitaph seines Mentors Verginius Rufus (6,10; 9,19) 108 oder die Grabinschrift des berüchtigten libertus a rationibus unter Kaiser Claudius, M. Antonius Pallas (7,29; 8,6). 109 Der Brief 8,6 sticht hier außerdem dadurch heraus, dass Plinius nicht nur die Grabinschrift, sondern auch Passagen aus dem Senatsbeschluss des Jahres 52 v. Chr. zitiert, demzufolge Pallas mit einer Summe von 15 Millionen Sesterzen und der Prätorwürde geehrt werden sollte. 2.2 Zeit in den Briefen Konstitutiv für die Korrespondenz durch Briefe und somit auch für die literari‐ sche Gattung der Epistolographie ist die räumliche Trennung von Adressant und Adressat, womit auch eine zeitliche Verschiebung zwischen dem Abfassen bzw. Senden eines Briefes und dessen Empfang und Lektüre einhergeht. Das in der antiken Epistolographie häufig anzutreffende Brieftempus, wo der Stand‐ punkt des Empfängers vorherrscht und eine Handlung, die in die Gegenwart des Schreibens fällt, in die Vergangenheit gesetzt wird, wendet Plinius aller‐ dings nicht konsequent an. 110 Durch das Medium Brief kann diese Distanz überwunden werden, indem Epistolographen die Vorstellung vom absens gene‐ rieren, der durch die Lektüre zum praesens wird: Literarische Strategien wie die besondere Anschaulichkeit (enárgeia) der Schilderung von Objekten oder 70 2 Epistolographie und Narratologie 111 Vgl. Thraede (1970), 39‒47. 112 Zu Epist. 5,6 vgl. etwa Lefèvre (1977); Förtsch (1993); Bergmann (1995); Myers (2005); Chinn (2007); Gibson/ Morello (2012), 211‒33; Mratschek (2018). 113 Zu Epist. 6,33 s. S. 232-7. 114 S. Kap. I.1. 115 Zur Angabe von Daten in antiken Briefen wie denjenigen Ciceros vgl. White (2010), 75‒6. 116 Gibson/ Morello (2012), 249 sprechen von „almost timeless artefacts“. 117 S. S. 127-30. 118 Sherwin-White (1966), 98. Ereignissen oder aber die Fiktion vom mündlichen Gespräch der Briefpartner, die, wie vorhin betrachtet, durch die Figur des Interlokutors hergestellt wird, vermitteln den Eindruck, dass sich die Briefpartner im selben Gefüge von Raum und Zeit befinden. 111 So zielt etwa die Ekphrasis von Plinius’ Villa in Etrurien in Epist. 5,6 an Domitius Apollinaris darauf ab, einen gemeinsamen Spaziergang von Briefschreiber und Empfänger durch das Anwesen zu ersetzen (41: nisi proposuissem omnes angulos tecum epistula circumire), die Lektüre entspricht gleichsam einem Besuch (41: legenti…visenti). 112 Mit der Schilderung des Prozesses der Attia Viriola in 6,33 will Plinius seinen Adressaten in die Rolle des Zusehers versetzen (7: si…interesse iudicio videreris). 113 Jeder Brief friert sozusagen einen Moment innerhalb der Korrespondenz zwischen den Briefpartnern ein und kann, wie bereits in anderem Zusammen‐ hang diskutiert wurde, als Fragment einer Narration der sozialen Interaktion zwischen Plinius und seinen Adressaten gelesen werden. 114 Auf eine explizite Datierung seiner Briefe verzichtet Plinius, 115 in vielen Fällen sind weder Zeit noch Ort der Abfassung klar angeführt und können bestenfalls implizit er‐ schlossen werden, 116 etwa wenn von einem bestimmten Ereignis die Rede ist, das nicht weit von der Gegenwart des Briefes entfernt liegt. Dies ist etwa der Fall in Epist. 1,5 und 2,1, die beide an Voconius Romanus gerichtet sind. 117 Der Brief 1,5 beginnt mit der Frage vidistine quemquam M. Regulo timidiorem, humiliorem post Domitiani mortem? (1), wodurch suggeriert wird, dass Plinius ein relativ aktuelles Ereignis thematisiert, und verweist später auf ein Treffen mit Regulus bei der Amtseinführung des Prätors (11: ipse me Regulus convenit in praetoris officio), die sich auf den 1. Januar des Jahres 97 n. Chr. datieren lässt. 118 Man gewinnt als Leser den Eindruck, dass Plinius seinem Freund nicht allzu lange danach über Regulus berichtet. Ähnlich verhält es sich in Brief 2,1, für den das Staatsbegräbnis für Verginius Rufus den Anlass bildet (1: publicum funus Vergini Rufi); durch die Erwähnung des Konsuls Tacitus als Lobredner (6: laudatus est a consule Tacito) lässt sich das Begräbnis auf das Ende des Jahres 97 n. Chr. 71 2.2 Zeit in den Briefen 119 Whitton (2013a), 74‒5. 120 S. oben S. 17-8. 121 Genau lässt sich dieses Gespräch nicht datieren, das Jahr 97 n. Chr. darf als terminus post quem gelten; Sherwin-White (1966), 248. 122 Zu Epist. 3,16 vgl. Illias-Zarifopol (1994), 46‒68; Carlon (2009), 43‒8 und 179‒80; Fögen (2015), 33‒6. 123 Die Herrschaft Domitians ist nach Epist. 1,5,2‒7 noch dramatisches Datum in 1,12,6‒8; 1,18; 3,9,28‒35; 3,11,2‒5; 4,11,4‒14; 5,1; 7,27,12‒14; 7,33,4‒9. 124 S. S. 200-1. 125 S. Kap. II.4.2. 126 S. Kap. II.4.5. 127 Zu diesem Brief vgl. Illias-Zarifopol (1994), 46‒68. 128 S. Kap. II.2.2. datieren, 119 und auch hier scheint es so, als würde Plinius seinem Freund nicht allzu lange danach davon erzählen (10: quibus ex causis necesse est tamquam immaturam mortem eius in sino tuo defleam). Zudem lässt der Bericht über politisch bedeutsame Ereignisse in Epist. 1,5 und 2,1 darauf schließen, dass sich Plinius in Rom befindet, wohingegen der Aufenthaltsort des Voconius Romanus unbekannt bleibt. Auch gehen beide Briefe gleich medias in res und geben keinen Hinweis auf ein vorausgehendes Schreiben des Adressaten. Von der Gegenwart eines Briefes, die freilich nicht gleichzusetzen ist mit dem Publikationsdatum, 120 ist das dramatische Datum der Erzählungen zu unterscheiden, die Plinius in den jeweiligen Brief integriert. In Epist. 1,5 spielt die Handlung, wie schon erwähnt, teilweise nicht allzu lange vor der Abfassung des Briefes (1; 8‒16), teilweise jedoch im Rahmen einer Analepse mehrere Jahre zuvor während der Schreckensherrschaft Domitians (2‒7). Auch Epist. 3,16 erzählt von mehreren Zeitebenen: Der Brief an Nepos wurde offenbar einen Tag nach einem Gespräch des Plinius mit Fannia abgefasst (2: hesterno Fanniae sermone), 121 die einiges über das Schicksal ihrer Großmutter Arria während der Zeit des Claudius zu erzählen wußte (3‒12). 122 Die im gesamten Briefkorpus erzählte Zeit umfasst größtenteils das Leben des Plinius als Erwachsener unter den Kaisern Trajan, Nerva und Domitian, 123 wobei der Tod Domitians den ersten im Briefkorpus explizit erwähnten zeitlichen Marker bildet, der die Sammlung der Bücher 1-9 gleichsam einklammert (1,5,1: post Domitiani mortem; 9,13,2: occiso Domitiano). 124 Einzelne Briefe gehen weiter zurück als die Regierung des letzten Flaviers, etwa wenn in den Vesuv-Briefen das Jahr 79 n. Chr. das dramatische Datum bildet, 125 das in Epist. 9,33 geschilderte Delphin-Wunder in die Regierungszeit Vespasians fallen dürfte, 126 in Epist. 7,19,4‒10 vom Schicksal der Fannia und des älteren Helvidius unter Nero, Vespasian und Domitian erzählt 127 oder in Epist. 7,29 und 8,6 das Verhalten des Senats unter Claudius im Jahre 52 n. Chr. kritisiert wird. 128 Die Regierungszeit des Claudius bildet 72 2 Epistolographie und Narratologie 129 S. Kap. II.4.3. 130 Vgl. 2,11,18: pulchrum et antiquum; 3,20,4‒7: adeo desciveramus a consuetudine parentum…supersunt senes, ex quibus audire soleo…quae nunc immodico favore cor‐ rupta…decucurrerunt; 9,2,2: neque enim eadem nostra condicio quae M. Tulli; zu den exempla antiquitatis und der Klage über den Verfall alter Formen vgl. Lefèvre (2009), 23‒110. 131 Vgl. Riggsby (2003); Hinds (2005), 215 zur Zeitkonstruktion bei Ovid. 132 Vgl. Stein-Hölkeskamp (2002) und (2005). 133 Vgl. Wolkenhauer (2011), 113 mit Anm. 341; zur otium-Thematik bei Plinius vgl. Panti (1996); Wagner (2010). 134 Riggsby (2003), 180 mit Anm. 25. außerdem den Hintergrund einer Anekdote in Epist. 1,13,3 sowie in der Erzäh‐ lung über die ältere Arria in 3,16 und in der Geschichte über Curtius Rufus in 7,27,2‒3. Einen zeitlosen Charakter hingegen hat die in Epist. 7,27 eingelegte Anekdote über den Philosophen Athenodorus und das Gespenst in Athen (5‒11). 129 Außerdem bezieht sich Plinius mehrmals im Kontext der Kritik an zeitgenössischen Mißständen auf eine nicht näher definierte „gute alte Zeit“, die zur Gegenwart in Kontrast gesetzt wird und teilweise noch die Zeit der römischen Republik mit einschließt. 130 Neben der Frage nach der Gegenwart des Briefes und ihrem Verhältnis zur erzählten Zeit bzw. zum dramatischen Datum, an dem eine Handlung spielt, lassen sich noch weitere Formen der Zeit im Briefkorpus bestimmen: 131 So kann man etwa von der natürlichen Zeit - Tag, Nacht, Jahreszeiten -, auf die in einzelnen Briefen hingewiesen wird, die kulturelle oder offizielle Zeit unterscheiden, die sich etwa in der Angabe von Stunden, Kalender-, Fest- und Gerichtstagen sowie Jahren oder sonstigen offiziellen Daten ausdrückt und auch gesellschaftliche Konventionen wie Tagesmahlzeiten einschließt, von denen bei den Römern der cena als sozialer „Event“ sicherlich die wichtigste Bedeutung zukam. 132 Dann gibt es noch die persönliche Zeit, die bei Plinius eine besonders wichtige Rolle spielt in Form von individuellen Tagesabläufen und in der Dichotomie zwischen otium und negotium, die eine unterschiedliche Zeitordnung in der Stadt bzw. auf dem Forum und in den Villen mit sich bringt. 133 Auch die Lebenszeit an sich in Gegensatz zu Tod und Nachleben spielt bei Plinius in mehreren Briefen eine wichtige Rolle. Konkrete Datumsangaben sind selten in den Briefen und finden sich außerhalb von Buch 10 nur in Epist. 1,7,4 (idus Octobris), 6,16,4 (nonum Kal. Septembres hora fere septima), 8,6,13 (X Kal. Februarias) und 9,39,2 (idibus Septembribus). 134 Als Beispiel für eine Narration, in der nahezu all die genannten Formen von Zeit wichtige Strukturelemente bilden, sei Epist. 3,5 betrachtet, wo Plinius die 73 2.2 Zeit in den Briefen 135 Zu Epist. 3,5 vgl. Sallmann (1984); Lefèvre (1989); Henderson (2002c); Pagán (2010); Gibson/ Morello (2012), 108‒23; Canobbio (2017); Keeline (2018a). 136 Vgl. Sherwin-White (1966), 215. 137 Der ältere Plinius war offenbar u.a. Prokurator in den kaiserlichen Provinzen und Mit‐ glied des kaiserlichen Beraterkreises sowie zuletzt Flottenkommandant in Misenum; Sherwin-White (1966), 219‒23. 138 Sie fanden am 23. August statt; Gibson/ Morello (2012), 111‒2; s. S. 330 Anm. 104. 139 Vgl. Sherwin-White (1966), 223‒4. 140 Epist. 3,5,9‒16: reddebat…sumebat…iacebat…legebatur, adnotabat excerpebatque…solebat… lavabatur…gustabat dormiebatque…studebat…legebatur, adnotabatur…erat…surgebat…exi‐ mebatur…audiebat…dictabat…vacabat…muniebantur…vehebatur…arbitrabatur. 141 Es handelt sich wohl um das Mittagessen, vgl. Sherwin-White (1966), 224. Tagesroutine seines Onkels schildert (7‒16). 135 Während das Datum der Gegenwart des Briefes unklar bleibt, 136 fällt das dramatische Datum der Handlung in die Lebenszeit des älteren Plinius als Erwachsener. Die Beschreibung beginnt mit dem unbestimmten Zeitadverb aliquamdiu, das sich auf die Tätigkeit des älteren Plinius als Advokat bezieht (7), und geht über zur Lebenszeit bzw. dem Lebensende des Onkels (7: decessisse anno sexto et quinquagesimo), der in der Zeit dazwischen (7: medium tempus) durch wichtige Verpflichtungen und die amicitia principum in Anspruch genommen worden sei. 137 Auch ein offizielles Datum findet sich in der Beschreibung, wenn der jüngere Plinius erzählt, dass sein Onkel an den Vulkanalien (8: Vulcanalibus) 138 schon mitten in der Nacht (8: statim a nocte multa) mit seinen literarischen Studien begonnen habe, im Winter hingegen um die siebte, achte oder auch sechste Stunde (8). 139 Das Imperfekt (8: lucubrare…incipiebat) drückt hier den iterativen Aspekt aus, ebenso wie der Satz ante lucem ibat ad Vespasianum imperatorem (nam ille quoque noctibus utebatur) (9), der von der bereits in der Nacht einsetzenden Arbeitsroutine von Kaiser und Plinius maior berichtet. Auch die weitere Narration ist im Imperfekt gehalten, 140 wenn erzählt wird, dass der Onkel nach seinen negotia die restliche Zeit zuhause den Studien gewidmet habe (9: quod reliquum temporis studiis reddebat). Nach ante lucem (9) ist mit post cibum (10) ein weiterer temporaler Marker gesetzt, 141 durch den der Tagesablauf des Plinius maior gegliedert wird, wobei hier eine Differenzierung der Gewohnheiten im Sommer (10: aestate) gegenüber dem Rest des Jahres erfolgt. Mit si quid otii (10) wird auf die Qualität der Zeit nach dem Essen verwiesen, denn das otium als freie Zeit ermöglichte ein Sonnenbad sowie weitere literarische Studien. Die Junktur post solem (11) leitet den nächsten Abschnitt der Tagesroutine ein, den der ältere Plinius zum kalten Bad, Imbiss und kurzen Schlaf nutzte, wobei für ihn nach diesem Nickerchen gleichsam ein neuer Tag einsetzte (11: mox quasi alio die), den der Onkel erneut bis zum Abendessen den Studien widmete (11: in cenae tempus). Die im Imperfekt gehaltene Narration über den Tagesablauf unterbricht der Epistolograph 74 2 Epistolographie und Narratologie 142 S. S. 60-5. 143 S. S. 36-9. 144 S. S. 18. durch eine kurze Anekdote über einen Vorfall bei einer cena, der ein punktuelles Ereignis darstellt, durch memini (12) eingeleitet und somit als vom Briefschreiber selbst Erlebtes charakterisiert wird. Der ältere Plinius, der einen seiner Freunde für die Unterbrechung des Vorlesers tadelte, äußert sich hier gar in direkter Rede, was die Szene lebendiger macht und vom Rest der Narration abhebt. 142 Die Schilderung der täglichen Routine setzt daraufhin wieder ein mit der Bemerkung, dass der Onkel sich im Sommer noch bei Tageslicht von der cena erhoben habe, im Winter während der ersten Nachtstunde (13). Erst nach diesen Ausführungen erfahren wir, dass es sich bei den bisher erzählten Gewohnheiten um die Zeitordnung handelt, die der ältere Plinius während seiner Aufenthalte in der Stadt Rom befolgte (14: haec inter medios la‐ bores urbisque fremitum). In einem deutlich gesteigerten Erzähltempo berichtet der jüngere Plinius im Anschluss von der Routine seines Onkels in secessu (14) und in itinere (15). Auch hier ist die Narration wieder vom Imperfekt geprägt, wird jedoch abermals durch eine kurze Anekdote abgerundet, die uns ebenfalls als persönliche Erinnerung des jüngeren Plinius präsentiert wird (16: repeto) und eine direkte Rede des Onkels enthält, der seinem Neffen die Vergeudung wertvoller Studienzeit durch Spazieren vorwirft. Die an Epist. 3,5 beobachteten Kategorien der Zeit spielen natürlich auch in anderen Briefen eine wichtige Rolle bei der Strukturierung der Narration, wie anhand der Interpretation einzelner Briefe noch deutlicher gezeigt werden soll. Zunächst sei jedoch noch die Chronologie des Briefkorpus betrachtet: Wie schon in anderem Zusammenhang erläutert wurde, verzichtet Plinius in seiner ersten Epistel programmatisch auf eine chronologische Anordnung seiner Briefe, um sich einerseits von der Historiographie abzugrenzen, diese jedoch gleichzeitig als Folie zu nutzen, vor deren Hintergrund das eigene literarische Projekt steht. 143 Wenngleich die Briefe in den einzelnen Büchern nicht in einer chronologischen Reihenfolge organisiert, sondern dem Prinzip der variatio verpflichtet sind, finden sich in den Büchern dennoch „Zeitcluster“, die ein temporales Voranschreiten der Sammlung suggerieren. 144 Es handelt sich hier somit um immanente Buchdaten, die nicht notwendigerweise mit dem tatsächlichen Publikationsdatum der einzelnen Bücher bzw. des Korpus gleichzusetzen sind. Den Eindruck einer temporalen Progression seiner Samm‐ lung vermittelt Plinius auch durch die Wahl der Adressaten in Epist. 1,1 und 9,40: Mit dem Namen Septicius Clarus („der Helle“) wird die Vorstellung vom Sonnenaufgang evoziert, während der letzte Brief an Pedanius Fuscus („der 75 2.2 Zeit in den Briefen 145 Barchiesi (2005), 330‒2; Marchesi (2008), 250; Gibson/ Morello (2012), 238; Gibson (2013b). 146 Der Großvater von Plinius’ Gattin Calpurnia; Sherwin-White (1966), 264‒5. 147 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 419; Gibson/ Morello (2012), 147‒9. 148 S. ausführlicher Kap. II.1.4. 149 Zur simultanen Narration vgl. etwa de Jong (2014), 74‒5. 150 S. ausführlicher Kap. II.3. Dunkle“) an den Sonnenuntergang denken lässt und außerdem den Winter als Jahreszeit thematisiert. 145 Ein temporales Fortschreiten wird auch durch Briefzyklen suggeriert, die sich über einzelne oder mehrere Bücher erstrecken und die Entwicklung einer Handlung nachzeichnen, wobei sich in diesem Rahmen natürlich auch narrative Analepsen und Prolepsen finden können. So enthält etwa Buch 7 drei Briefe an Calpurnius Fabatus, 146 in denen der Besuch des Calestrius Tiro 147 bei Fabatus in Comum thematisiert wird (7,16, 7,23 und 7,32): In Epist. 7,16 berichtet Plinius zunächst von seiner Freundschaft mit Calestrius Tiro, mit dem er zusammen Militärdienst leistete, Quästor war und nahezu gleichzeitig Tribun und Praetor (1‒2). Tiro, der auf dem Weg als Prokonsul nach Baetica ist, will über Ticinum reisen und macht, wie Plinius hofft, bei Fabatus in Comum Halt, um bei einer manumissio zugegen zu sein (3‒5). Aus dem kurzen Brief 7,23 geht hervor, dass Fabatus Calestrius Tiro nach Mediolanum entgegenreisen will, doch Plinius rät ihm, den Freund in Comum zu empfangen. In Epist. 7,32 ist der Aufenthalt des Tiro bei Fabatus in Comum bereits vergangen und die Freilassung mehrerer Sklaven vollzogen (1: delector iucundum tibi fuisse Tironis mei adventum). Einen Briefzyklus bzw. juristischen Briefroman, der sich über die Bücher 4‒7 erstreckt, bildet die Verteidigung des Iulius Bassus (4,9) und Rufus Varenus (5,20; 6,5; 6,13; 7,6; 7,10; vgl. 6,29), wobei wir als Leser den Verlauf der Handlung gleichsam „live“ mitzuverfolgen glauben, da die Gegenwart der betreffenden Briefe sich eng mit dem dramatischen Datum der Narration berührt. 148 Während die ein‐ zelnen Briefe in diesem Zyklus von Ereignissen aus der jüngsten Vergangenheit berichten, bildet der gesamte Zyklus eine simultane Narration. 149 Auch der Briefzyklus über Plinius als Dichter, der von Buch 4 bis Buch 9 reicht, vermittelt uns in Buch 4 und 5 zunächst den Eindruck, dass wir zu Zeugen der ersten Versuche des Plinius auf dem Gebiet der Kleinpoesie werden, während Epist. 7,4 im Rahmen einer Analepse die Vorgeschichte zur Produktion der Hendecasyllabi präsentiert. 150 76 2 Epistolographie und Narratologie 151 Aus der mittlerweile umfangreichen Forschung zum Raum in der Literaturwissenschaft und als Kategorie der narratologischen Forschung vgl. Dünne/ Günzel (2006); Piatti (2008); Dennerlein (2009); aus der Klassischen Philologie vgl. de Jong (2012) und (2014), 105‒131; Skempis/ Ziogas (2014); Kirstein (2018); zur Raumkonstruktion und Topographie in Ciceros Briefen siehe Rühl (2018). 152 Champlin (2001), 121. 153 Prosopographische Studien zu den Adressaten wurden insbesondere durch Syme (1958), 86, (1968) und (1985a) betrieben; vgl. Champlin (2001). 154 Zu Calestrius Tiro s. oben S. 76. 155 Zu Epist. 6,1 vgl. Sherwin-White (1966), 356. 156 Quint. Inst. 11,2,17: Nam cum in loca aliqua post tempus reversi sumus, non ipsa agnoscimus tantum, sed etiam, quae in his fecerimus, reminiscimur personaeque subeunt, nonnunquam tacitae quoque cogitationes in mentem revertuntur; s. auch unten S. 91. 2.3 Der Raum der Briefe Räumlichkeit 151 spielt in der Epistolographie schon insofern eine zentrale Rolle, als die Briefpartner sich in der Regel an verschiedenen Orten befinden, die manchmal konkret benannt, häufig indirekt identifiziert werden oder aber auch unbekannt bleiben. Das Briefkorpus des Plinius entwirft gleichsam eine „Geographie der Freundschaft“, 152 die sich v. a. dort nachzeichnen lässt, wo wir etwas über die Herkunft der Adressaten oder ihren Aufenthalt an einem bestimmen Ort - sei es in offizieller Funktion oder während eines secessus - erfahren oder zumindest aus anderen Quellen erschließen können. Das soziale Netzwerk des Plinius, das sich in der Korrespondenz der Bücher 1‒9 widerspiegelt, erstreckt sich, wie etwa Syme und Champlin gezeigt haben, neben Rom insbesondere auf Comum und Italia Transpadana sowie die Region um Tifernum Tiberinum an der Grenze zwischen Umbrien und Etrurien. 153 Bisweilen erwähnt Plinius explizit, wo er oder seine Adressaten sich während des Briefwechsels aufhalten, häufig können wir es aus indirekten Andeutungen erschließen oder bleiben in völliger Unkenntnis über den Aufenthaltsort des einen oder anderen Briefpartners. So enthält etwa Epist. 6,1 an Calestrius Tiro 154 klare Hinweise, wo die beiden Korrespondenten gerade weilen (1: quamdiu ego trans Padum, tu in Piceno, minus te requirebam; postquam ego in urbe, tu adhuc in Piceno, multo magis…), 155 und variiert zugleich das Motiv des desiderium absentium, indem der mittlerweile nach Rom zurückgekehrte Plinius seinem Freund in Picenum schreibt, dass ihn die Orte, an denen die beiden üblicherweise zusammen sind - Orte in Rom, die jedoch nicht mehr genauer lokalisiert werden -, an Tiro erinnern (1: seu quod ipsa loca, in quibus esse una solemus, acrius me tui commonent). Die Passage ähnelt einerseits Quintilians Ausführungen zur Mnemotechnik, denen zufolge das Aufsuchen bekannter Orte mit der Erinnerung an Handlungen, Personen und Gedanken einhergeht; 156 andererseits 77 2.3 Der Raum der Briefe 157 Zu diesem Brief vgl. Sherwin-White (1966), 108‒10; Pausch (2004), 129‒41. 158 Das dramatische Datum des Briefes und das Datum seiner Komposition liegen also eng beieinander; Sherwin-White (1966), 108 datiert den Brief auf 98 n. Chr. 159 Sherwin-White (1966), 109‒10. 160 Zur symbolischen Funktion eines Raumes vgl. de Jong (2014), 124‒6. 161 Vgl. dazu Leach (2003); Hindermann (2016); Neger (2016). 162 Dies dürfte allerdings an mehreren Tagen der Fall gewesen sein, als Plinius uns hier suggerieren möchte; vgl. Sherwin-White (1966), 485: „The number of days on which racing was held in the Circus is too great to allow identification“. 163 Vgl. Whitton (2013a), 89. scheint der Ausdruck der Sehnsucht nach dem Freund, die angeblich von bestimmten Örtlichkeiten hervorgerufen wird, ein Motiv aus der Liebeselegie aufzugreifen und in einen epistolaren Kontext zu transferieren: So rät etwa Ovid in seinen Remedia amoris davon ab, Orte, die der Schauplatz eines unglücklichen Liebesverhältnis waren, erneut aufzusuchen (Rem. 725‒6: et loca saepe nocent: fugito loca conscia vestri / concubitus: causas illa doloris habent). Bei Plinius stehen die nur vage genannten loca, an denen er und Tiro sich in Rom zu treffen pflegen, in auffälligem Kontrast zur expliziten Angabe der Örtlichkeiten, die für die Trennung der beiden Freunde verantwortlich sind. In Rom befindet sich Plinius auch bei der Abfassung der Epist. 1,10 an Attius Clemens (1: si quando urbs nostra liberalibus studiis floruit, nunc maxime floret), in der ein Porträt des Philosophen Euphrates geliefert wird. 157 Anders als in Epist. 6,1 erfahren wir hier nicht, wo sich der Adressat aufhält - Plinius fordert ihn nur auf, möglichst bald zu kommen, um sich Euphrates als Schüler anzuvertrauen (11: quo magis te, cui vacat, hortor, cum in urbem proxime veneris…illi te… permittas). 158 Die Stadt Rom wird in Epist. 1,10 nicht nur als Ort, an dem die freien Künste erblühen, charakterisiert, sondern auch als Ort der negotia, die Plinius, der gerade das Amt des praefectus aerarii Saturni innezuhaben zu scheint, 159 an einem intensiveren Kontakt mit Euphrates hindern (9: nam distringor officio ut maximo sic molestissimo). Somit ist die Stadt Rom im Briefkorpus auch ein symbolisch aufgeladener Raum 160 der negotia, der den Villen bzw. secessus auf dem Land als otium-Raum gegenübersteht. 161 Dies geht ex negativo etwa aus Epist. 9,6 hervor, die beginnt mit den Worten omne hoc tempus inter pugillares ac libellos iucundissima quiete transmisi. ‘quemadmodum’ inquis, ‘in urbe potuisti? ’ (1). Nur wegen der gerade stattfindenden Zirkusspiele (1: circenses erant), für die sich Plinius nicht im geringsten Maße zu interessieren vorgibt, ist literarisches otium in der Hauptstadt möglich. 162 Lediglich aus indirekten Anhaltspunkten lässt sich etwa in Epist. 2,3 er‐ schließen, dass Plinius seinen Brief von Rom aus sendet: Mit seinem Lob auf den Rhetor Isaeus bildet der Brief ein Pendant zu Epist. 1,10 163 und variiert das 78 2 Epistolographie und Narratologie 164 Weder das Datum der Abfassung noch das dramatische Datum der Epist. 2,3 lässt sich bestimmen; Sherwin-White (1966), 146. 165 Zu seiner Person vgl. Whitton (2013a), 90. 166 Zu Epist. 2,3 s. S. 145-6. 167 S. die Kap. II.1. und II.2. 168 S. Kap. II.4.2. 169 S. Kap. II.4.3. 170 S. Kap. II.4.5. 171 Zu diesen Briefen s. S. 219-20 und 232-7. Thema der in Rom florierenden Wissenschaften; 164 auch hier fordert Plinius seinen Adressaten Nepos 165 dazu auf, zu kommen, um Isaeus zu hören (8: proinde…veni! ), wobei uns der Aufenthaltsort des Nepos vorenthalten wird. Eine Anekdote über einen Mann aus Gades, der einst ab ultimo orbe terrarum (8) gekommen sei, um Titus Livius „live“ zu erleben, und anschließend gleich wieder zurückkehrte, soll den Adressaten motivieren. 166 In anderen Briefen wiederum wird die räumliche Distanz zwischen Plinius und seinen Adressaten nur durch deiktische Pronomen oder Adverbien wie hic und istic angedeutet (vgl. Epist. 8,17,1). Neben der räumlichen Dimension der brieflichen Kommunikation an sich sind noch die Räume zu berücksichtigen, die eine bestimmte Funktion im Text des Briefes erfüllen, etwa indem sie als Schauplatz einer Handlung dienen, wie z. B. der Senat oder das Zentumviralgericht in mehreren Prozess-Berichten, 167 der Golf von Neapel in den beiden Vesuv-Briefen (6,16; 20), 168 Athen in der Gespenster-Geschichte in Epist. 7,27,5‒11, 169 die Kolonie Hippo in Afrika in Epist. 9,33, 170 Sizilien, Rom und Domitians Villa Albana in Epist. 4,11 oder das Landgut des Larcius Macedo in Formiae sowie ein öffentliches Bad in Rom in Epist. 3,14. In Epist. 7,27,2‒3 fungiert die Provinz Africa nicht nur als Schauplatz für eine unheimliche Begegnung sondern auch als Personifikation und somit handelnde Figur. Zusammenhängende Darstellungen von Räumen liefert Plinius insbesondere in seinen Villen-Ekphraseis (Epist. 2,17; 5,6; 9,7) und Natur-Beschreibungen (4,30; 8,8; 8,17; 8,20; 9,33), wohingegen die Hinweise auf das räumliche Setting in Briefen, die eher handlungsorientiert sind, oft nur sehr kurz erfolgen. So ist in vielen narrativen Briefen der Fokus stärker auf die handelnden Charaktere, ihre Aussprüche und Gedanken als auf ihre räumliche Umgebung gerichtet, wie v. a. in solchen Erzählungen, die im Senat oder im Zentumviralgericht spielen. Räumliche Aspekte werden in diesen Prozess-Briefen etwa dann thematisiert, wenn Plinius von der großen Anzahl der Personen berichtet, die sich im Gerichtssaal drängen (Epist. 4,16; 6,33). 171 Überhaupt geht Plinius bei der Beschreibung von Orten, die außerhalb der Stadt Rom liegen, stärker ins Detail, während Rom selbst weniger in seiner 79 2.3 Der Raum der Briefe 172 Fuhrer/ Mundt/ Stenger (2015), 3; ähnlich Schmitzer (2016), 14 zum Rombild in der lateinischen Dichtung, insbesondere in Satire, Elegie und Epigrammatik: „Diese Texte konstituieren ein eigenes, nämlich ein satirisches, elegisches oder epigrammatisches Rom, das von bewusster Ausblendung und Zuspitzung geprägt ist. Auf diese Weise entsteht ein jeweils spezifisches Rom, das sich aus der Aneignungs- und Gestaltungs‐ leistung dieser Literaturformen herleitet.“ 173 Siehe Fuhrer/ Mundt/ Stenger (2015), 3: „…individuals and groups living in a city…do participate in the larger area of the city, but they each experience, use, functionalise and shape no more than a ‘space within a space’.“ 174 Zur Topographie Roms siehe Ashby/ Platner (1929); Coarelli (2000). 175 Vgl. etwa Sullivan (1991), 147‒55; Schmitzer (2016), 209‒48. 176 S. S. 272-5. 177 Zu Epist. 1,3 siehe Ludolph (1997), 121‒32; Hoffer (1999), 29‒44; Neger (2016), 139‒41; zu Caninius Rufus s. S. 354-5 und Kap. II.4.5. Materialität durch topographische und architektonische Elemente als durch seine politischen und sozialen Institutionen wie Senat oder Zentumviralgericht und andere mit dem Bereich negotium verbundene Tätigkeiten evoziert wird. Die Darstellung der Stadt Rom durch Plinius erfolgt nach dem Muster, das Fuhrer, Mundt und Stenger (2015) am „Cityscaping“ in Kunst, Film und Literatur beobachten: „…for the most part all that is used is a selection of urban ‘props’, or reductions.“ 172 Der Epistolograph präsentiert uns lediglich Fragmente der Stadt, sozusagen „Räume im Raum“, 173 was natürlich auch für andere Regionen und Orte innerhalb der Geographie der Briefsammlung zutrifft. Nur wenige Male finden wir explizite Erwähnungen der Topographie Roms, wie etwa der Basilika Julia (5,9,3), des Esquilin (3,21,5) und Palatin (1,13,3), der Säulenhalle der Livia (1,5,9), des Concordia-Tempels (5,1,9) und der Regia (4,11,6). 174 Im Zusammenhang mit Szenen im römischen Senat nennt Plinius zudem mehrmals die Curia Julia auf dem Forum Romanum als Versammlungsort des Gremiums (5,13,2; 8,6,5; 8,14,5.8). Vergleicht man die Briefe des Plinius mit den Epigrammen seines älteren Zeitgenossen Martial, die häufig auf Roms Topographie rekur‐ rieren, 175 sticht die Sparsamkeit des Plinius in dieser Hinsicht noch deutlicher ins Auge. Es ist auch bezeichnend, dass Plinius in Epist. 3,21, wo er Martials Epigramm 10,20[19] auf ihn zitiert, die erste Hälfte dieses Gedichts mit der Wegbeschreibung zu seinem Haus auf dem Esquilin auslässt. 176 Betrachtet man die Räume, die im Briefkorpus explizit thematisiert werden, dann fällt auf, dass es sich beim ersten konkret genannten Ort um Comum handelt, wo Caninius Rufus, der Adressat der Epist. 1,3, sein Landgut hat. 177 Die Ekphrasis dieses locus amoenus erfolgt im Rahmen einer Reihe von durch quid eingeleiteten Fragen (1), die gleichsam einen imaginären Spaziergang durch das Anwesen nachzeichnen (1: Comum…suburbanum…porticus…platanon…eu‐ ripus…lacus…gestatio…balineum…triclinia…cubicula), das von Plinius als Ort des 80 2 Epistolographie und Narratologie 178 Zu Epist. 1,2 vgl. Ludolph (1997), 107‒20; Keeline (2018b), 292‒7. 179 Vgl. Sherwin-White (1966), 92‒3; zur Villa selbst vgl. 5,6; 9,36; s. S. 86-95. 180 Zu diesem Brief vgl. Whitton (2013b), 52‒4; zu den Orten der Inspiration bei Plinius vgl. Hindermann (2009); zur Villeggiatur im stadtrömischen Suburbium vgl. Mayer (2005). 181 Vgl. Cic. Rep. 1,14: feriis Latinis in hortis; De orat. 1,24: ludorum Romanorum diebus L. Crassum…se in Tusculanum contulisse; Fin. 1,14: in Cumanum; Tusc. 1,7: in Tusculano; Steel (2013), 223‒6. 182 Hier die explizit genannten Orte in alphabetischer Reihenfloge: Albana villa Domitiani: 4,11,6; Alsium (Etrurien): 6,10,1; Altinum (Venetien): 3,2,1; Ameria (Umbrien): 8,20,3; Anio: 8,17,3; Apennin: 5,6,2.14.29; Arpinum (Latium): 3,21,5; Asisium (Umbrien): 6,15,1; Baiae (Campania): 9,7,3; Brixia (Transpadana): 1,14,4; Campania: 3,7,6; 5,14,9; 6,4,1; 6,16; 6,20; 6,28,1; 6,30,2; 7,3,1; Capreae: 6,20,11; Carsulae (Umbrien): 1,4,1; Centum Cellae (Etrurien): 6,31; Clitumnus (Umbrien): 8,8; Comersee: 2,8,1; 4,30; 6,24,2; 7,11,5; 9,7,1; Comum: 1,3,1; 1,8,2.10; 1,19; 3,6; 4,13,3; 5,7; 5,14; 7,18,2; Firmum (Picenum): 6,18; Formiae (Latium): 3,14,2; 6,14; Hispellum (Umbrien): 8,8,6; Italia: 2,11,19; 4,7,2; 6,19,4; 9,23,2; Laurentum (Latium): 1,9,4; 2,17; 4,6; 7,4,3; 5,2,1; 9,40; Lucania: 7,3,1; Mediolanum (Transpadana): 4,13,3; 4,28,1; 7,23; Misenum (Campania): 6,16,4.21; 6,20; Narnia (Umbria): 1,4,1; Neapolis (Campania): 3,7,1.8; Ocriculum (Umbrien): 1,4,1; 6,25,1; Ostia (Latium): 2,17,2.26; Patavium (Transpadana): 1,14,6; Perusia (Umbria): 1,4,1; otium und der studia charakterisiert wird (3‒4). Einen metaphorischen Spazier‐ gang unternimmt Plinius auch in Epist. 1,2 in einem stilistischen Zusammen‐ hang, wo das Bild des Abschweifens vom Weg aufgrund von Annehmlichkeiten (4: paulum itinere decedere non intempestivis amoenitatibus) die Nachahmung des ciceronischen Redestils illustriert. 178 Schließlich suggeriert die Nennung meh‐ rerer Ortschaften in Epist. 1,4 eine Reise an einen weiteren für Plinius wichtigen Ort der Muße: Der Epistolograph lobt die Landgüter seiner Schwiegermutter Pompeia Celerina in Ocriculum, Narnia, Carsulae und Perusia (1), die alle auf dem Weg nach Tifernum Tiberinum lagen, wo Plinius selbst seine Villa hatte 179 - sie wird in diesem Brief allerdings nicht explizit erwähnt. Beim letzten Ort, den das Briefkorpus thematisiert, handelt es sich mit dem Laurentinum abermals um eine otium-Villa (9,40), wobei hier der zeitliche Aspekt im Vordergrund steht, wenn Plinius seinen Tagesablauf im Winter schildert. 180 Während, wie zuvor betrachtet, Domitians Tod als zeitlicher Marker das Korpus der neun Briefbücher rahmt, sind es auf räumlicher Ebene Mußeorte, die Plinius an Anfang und Ende der Sammlung imaginiert. Dies erinnert an die literarische Praxis Ciceros, seine Dialoge an ähnlichen Mußeorten zu lokalisieren, 181 und stellt möglicherweise eine bewusste Reminiszenz an das Vorbild Cicero und den Dialog als „Schwestergattung“ der Epistolographie dar. Unter den Ländern und Regionen, die eine Rolle in den Briefbüchern 1‒9 spielen - seien sie Schauplätze von Handlungen und Ereignissen, Gegenstand einer Beschreibung oder Aufenthaltsort der Briefpartner während der Kommu‐ nikation - hat zweifellos Italien die Spitzenstellung inne. 182 Die Geographie der 81 2.3 Der Raum der Briefe Picenum: 6,1,1; Po: 6,1,1; Praeneste (Latium): 5,6,45; Rom: 1,7,4; 1,17,4; 2,3,1; 2,11,19; 2,17,2; 3,9,27; 3,14,6; 3,16,7; 4,18,4, 4,22,3; 5,4,4; 5,6,4; 6,1,2; 6,6,1; 6,9,1; 7,27,2; 7,29,2; 8,20,2; Stabiae (Campania): 6,16,12; Tiber: 4,2,5; 5,6,11; 8,17; Tibur (Latium): 5,6,45; 7,29,2; Ticinum (Transpadana): 7,16,3; Tifernum Tiberinum (Umbrien): 3,4,2‒3; 9,39,1; 4,1,4‒5; 10,8,2.4; Tusci: 3,4,2; 4,1; 4,6,1; 5,6; 5,18,2; 8,2; 9,15; 9,16; 9,36; 9,40; 10,8; Tusculum (Latium): 4,13,1; 5,6,45; Vadimon (Umbrien): 8,20; Verona (Transpadana): 6,34; Vesuvius (Campania): 6,16; 6,20; Vicetia (Venetia): 5,4,1. 183 Achaia: 1,20,19; 8,20,2; 8,24,2; Athen: 4,3,5; 7,25,4; 7,27,5; 8,24,4; 9,26,8.11; Attica: 9,23,5; 9,26,8; vgl. 2,3,1; 4,3,5; Euboea: 9,26,8; Icaria: 7,4,3; Rhodos: 2,3,10; 4,5; Sparta: 8,24,4. 184 Africa: 2,11; 3,7,12; 3,9,2; 6,34,3; 7,27,2; Carthago: 7,27,3; Hippo: 9,33; Leptis Magna: 2,11,23; 185 Aegyptia: 5,19,6; 8,20,2; 9,1,1. 186 Asia: 3,7,3; 4,3,1; 8,20,2; Ephesus: 6,31,3. 187 Bithynien: 4,9,2; 5,20; 6,13; 7,6,1; 7,10,1; 8,24,8. 188 Syrien: 1,10,2; 3,11,5. 189 Forum Iulii: 5,19,7; Gallia Narbonensis: 7,25,2; Lugdunum: 9,11,2; Vienna: 4,22. 190 Bructeri: 2,7,2; Germania: 2,7,2; 3,5,4; 8,23,5. 191 Baetica: 1,7,2; 3,4; 3,9; 6,22,7; 6,29,8; 7,16,3; 7,33,4; Gades: 2,3,8; Hispania: 2,13,4; 3,5,17; 6,20,5.10. 192 Dacia: 6,27,5; 6,31,8; 8,4,2. 193 Illyricum: 3,16,7; Pannonien: 8,23,5; Sizilien: 4,11,1.14. 194 De Jong (2014), 107‒8. 195 Ausführlicher wird dieser Brief auf S. 223-8 behandelt. Episteln wird ergänzt durch Griechenland und einige griechische Inseln 183 sowie die Provinzen Africa, 184 Ägypten, 185 Asia, 186 Bithynien, 187 Syrien, 188 Gallia Nar‐ bonensis, 189 Germanien, 190 Spanien 191 und Dakien. 192 Lediglich einmal werden die Provinzen Illyricum, Pannonien und Sizilien erwähnt. 193 Neben dem geo‐ graphischen Raum der Briefe sind noch weitere Aspekte der Räumlichkeit zu berücksichtigen, wie etwa die Unterscheidung von Außen- und Innenräumen sowie die Funktion von Objekten bzw. Requisiten im Rahmen einer Narration. Auch lassen sich von Räumen, die als Schauplätze von Handlungen und Ereig‐ nissen fungieren („spaces“), solche unterscheiden, die in Träumen, Gedanken und Erinnerungen auftauchen („frames“). 194 Im Folgenden seien die epistolaren Konstruktionen von Räumen sowie ihre Funktionen am Beispiel von Buch 5 der Plinius-Briefe betrachtet. 2.3.1 Raumkonstruktionen in Buch 5 Das Buch wird eröffnet durch einen Brief, der von einem Rechtsstreit um das Vermögen der Pomponia Galla berichtet, nachdem diese ihren eigenen Sohn Asudius Curianus enterbt und Plinius zusammen mit einigen anderen als Erben eingesetzt hat. 195 Ein erstes Vier-Augen-Gespräch zwischen Plinius und Curianus, der Plinius darum bittet, ihm seinen Anteil zu schenken, wird räum‐ lich nicht näher lokalisiert (2‒5). Im Unterschied dazu macht Plinius konkretere 82 2 Epistolographie und Narratologie 196 Sherwin-White (1966), 314. 197 Corellius Rufus dürfte nicht allzu lange nach Domitian gestorben sein, vgl. Sherwin-White (1966), 111‒2 zu Epist. 1,12. 198 Vgl. die Gefahr im Zentumviralgericht durch Regulus in Epist. 1,5,4‒7; Sherwin-White (1966), 314. 199 Sherwin-White (1966), 314; Bloch (1997). 200 Ovid ist die einzige Quelle zu dieser aedes Concordiae; Bömer (1957‒58), II, 379; Littlewood (2006), 186‒90. 201 Vgl. Littlewood (2006), 187. Angaben zum Ort seines darauf folgenden Beratungsgesprächs (5: consilium) in Anwesenheit von Corellius und Frontinus, das in seinem Wohnzimmer stattfand (5: his circumdatus in cubiculo meo sedi). Man kann sich vorstellen, wie Plinius inmitten der beiden spectatissimi (5) Curianus gegenübersaß, sich anhörte, was dieser zu sagen hatte, einiges entgegnete und sich dann mit seinen beiden Men‐ toren zu einer Konsultation zurückzog (5: deinde secessi). Von der Szenerie eines „domestic tribunal“ 196 wechselt der Schauplatz dann zum Zentumviralgericht, wo Curianus Klage einreicht (6‒8). Zwar liefert schon die vorherige Erwähnung des spectatissimus civitatis Corellius (5) ein Indiz dafür, dass das dramatische Datum der Narration in die Zeit Domitians fällt, 197 doch erst die Formulierung metu temporum (7) im Zusammenhang mit der bevorstehenden Verhandlung vor dem Zentumviralgericht, der Plinius’ Miterben gerne entgehen wollten, verschafft Klarheit. Hatte der Brief etwas unspektakulär mit einem Bericht über einen Erbschaftsstreit begonnen, gewinnt die Erzählung nun an Dramatik (7: verebantur…ne ex centumvirali iudicio capitis rei exirent). 198 Nachdem die Miterben Plinius gebeten haben, mit Curianus zu sprechen und einen Vergleich zu erwirken, treffen sich die beiden Männer im Tempel der Concordia (9: con‐ venimus in aedem Concordiae), einem Ort, der hier Symbolkraft besitzt, geht es doch um die Abwendung drohender Gefahr durch einen Prozess. Man denkt hier sicherlich in erster Linie an den Concordia-Tempel im Nordwesten des Forum Romanum, der von Tiberius im Jahr 7 v. Chr als Concordia Augusta restauriert wurde. 199 Allerdings berichtet Ovid in seinen Fasti noch von einem weiteren Concordia-Heiligtum, das sich in oder bei der Portikus der Livia befunden haben soll (6,637‒8): Te quoque magnifica, Concordia, dedicat aede / Livia, quam caro praestitit ipsa viro. 200 Die Säulenhalle der Livia mit ihrem Concordia-Heiligtum, das Ovid zufolge die eheliche Eintracht des Kaiserpaars symbolisieren sollte, lag wie auch das Stadthaus des Plinius auf dem Esquilin (vgl. Epist. 3,21,5) 201 und wäre von dort aus wohl schneller zu erreichen gewesen als das Forum Romanum. Dass es sich bei dem in Epist. 5,1 erwähnten Concordia-Tempel um das von Ovid beschriebene Heiligtum handeln könnte, suggeriert auch die Ähnlichkeit der Szene mit Epist. 1,5, wo sich Plinius und Vestricius Spurinna 83 2.3 Der Raum der Briefe 202 Zu dieser Szene s. ausführlicher S. 226-7. 203 Vgl. Diod. 54,23,1‒4. 204 Vgl. Littlewood (2006), 187: „Augustus … obliterated the embarrassing monument to Pollius’ luxuria which he had inherited“; Fast. 6,647‒8: sic agitur censura et sic exempla parantur, / cum iudex, alios quod monet, ipse facit. 205 Ähnlich wie Augustus gingen auch die Flavier vor, als sie die domus aurea Neros durch das Amphitheater und Thermen, d. h. Monumente für die Öffentlichkeit, überbauten; vgl. Mart. Sp. 1‒3; Littlewood (2006), 190. 206 Vgl. Epist. 2,17,2: decem septem milibus passuum ab urbe secessit; siebzehn römische Meilen entsprechen etwa einer Distanz von 25 km; vgl. Whitton (2013a), 224‒5. 207 Vielleicht der Suffektkonsul des Jahres 96 n. Chr.; Sherwin-White (1966), 316. in der Portikus der Livia treffen (9: coimus in porticum Liviae), die offenbar auf halbem Weg zwischen den Häusern der beiden lag und in der Spurinna als Fürsprecher für Regulus auftritt. 202 Wie bereits erörtert, gibt Plinius äußerst selten konkrete Hinweise auf die Topographie Roms, und so fällt die parallele Gestaltung der betreffenden Szenen in Epist. 1,5 und 5,1 umso deutlicher auf. Falls der Leser in Epist. 5,1,9 an den Concordia-Tempel bei der porticus Liviae denken soll, stellt Plinius möglicherweise eine implizite Verknüpfung zwischen Epist. 1,5 und 5,1 über Ovids Fasti als Prätext her. Abgesehen von der Symbolkraft der Concordia als Göttin der Eintracht - sei es im politischen oder familiären Bereich - ist die Anlage der porticus Liviae auch über das Motiv der Erbschaft von Bedeutung: Vor der Errichtung der Säulenhalle befand sich an der Stelle das luxuriöse Anwesen des durch Extravaganz und Grausamkeit berüchtigten P. Vedius Pollio, 203 der Augustus sein Haus vererbte, das dieser jedoch abreißen ließ, um sich den Römern als positives Exemplum zu präsentieren (vgl. Ov. Fast. 6,639‒48). 204 Sowohl das architektonische Monument der porticus Liviae als auch der das fünfte Buch eröffnende Brief des Plinius propagieren den Erbauer bzw. Verfasser als exemplum für das angemessene und altrömische Verhalten eines Erben im Angesicht einer problematischen Erbschaft, und so könnte in Epist. 5,1 die aedes Concordiae in der Livia-Säulenhalle als Erinnerungsort evoziert sein: Wandelte Augustus die verschwenderische domus des Pollio in eine der Öffentlichkeit zugängliche Säulenhalle um, 205 erzählt uns Plinius von seinen Bemühungen, sich mit dem enterbten Curianus zu einigen, was ihm angeblich nicht nur Ruhm einbrachte (10: tuli fructum…famae), sondern auch das Lob des Curianus selbst, der Plinius’ Tat als factum antiquum bezeichnete (11). Während die Handlung in Epist. 5,1 in Rom spielt, begegnet uns Plinius als Briefschreiber in Epist. 5,2 auf seinem Laurentinum in der Nähe der Haupstadt, 206 von wo aus er als Gegengabe für Drosseln, die ihm der Adressat Calpurnius Flaccus 207 geschickt hat, lediglich epistulae steriles (2) senden kann. Dabei handelt es sich freilich um eine scherzhafte Unterminierung der Qualität dieser Briefe, 84 2 Epistolographie und Narratologie 208 Zu Epist. 5,3 s. ausführlicher S. 278-9. 209 Zur Evokation von räumlichen Gegebenheiten durch die Rollenidentität von Figuren vgl. Dennerlein (2009), 95‒6. 210 Zur Dichotomie öffentlich vs. privat am Beispiel des cubiculum vgl. Riggsby (1997). 211 Briefdatum und dramatisches Datum fallen zusammen; Sherwin-White (1966), 318 datiert den Brief auf das Jahr 105 n. Chr. 212 Vgl. Sherwin-White (1966), 319. 213 Dazu s. auch S. 76; zum Adressaten vgl. Epist. 2,15 und Sherwin-White (1966), 184. hatte Plinius doch in Epist. 4,6 den reichen Ertrag seines Laurentinum gepriesen (1: solum mihi Laurentinum meum in reditu), allerdings nicht den landwirtschaft‐ lichen, sondern den literarischen (2: aliis in locis horreum plenum…ibi scrinium). Mit den von Plinius in Brief 5,2 erwähnten epistulae dürften nicht nur die Briefe an Calpurnius Flaccus gemeint sein, sondern zugleich diejenigen des fünften Buches, als dessen zweite Einleitung Epist. 5,2 fungiert. Der folgende Brief 5,3 versetzt uns dann gedanklich ins nicht näher lokalisierte Haus des Titius Aristo (1: apud te), bei dem es, wie es heißt, eine angeregte Diskussion über Plinius’ Gedichte und deren Rezitation gegeben habe. 208 Plinius rechtfertigt sich in diesem Brief ausführlich für seine Aktivität als Dichter und Rezitator und imaginiert in diesem Zusammenhang die Reaktion der Zuhörer bei einem Vor‐ trag (9): quid quisque sentiat, perspicit ex voltu oculis nutu manu murmure silentio. Lediglich der kurze Hinweis auf Mimik, Gestik und Laute oder Schweigen der Anwesenden könnte dem Leser suggerieren, sich einen Raum vorzustellen, in dem eine solche Rezitation stattfand 209 - am Ende des Briefes enthüllt Plinius, dass es sich dabei nicht um ein öffentliches Auditorium, sondern ein Zimmer bei ihm zuhause handelt (11: haec ita disputo, quasi populum in auditorium, non in cubiculum amicos advocarim). 210 Der suburbanen otium-Villa in Epist. 5,2 und dem privaten Rahmen der Gedichtrezitation in cubiculo in Epist. 5,3 steht in Epist. 5,4 der Senat gegenüber, in dem zwischen dem Prätor Sollers und den Gesandten von Vicetia über die Abhaltung eines Wochenmarktes auf den Gütern des Sollers verhandelt wurde. 211 Der Geographie der Briefe in Buch 5 wird somit auch die regio X Venetia, in der das Gebiet von Vicetia (heute Vicenza) lag, hinzugefügt. 212 Plinius berichtet von dieser Verhandlung als aktuelles und noch nicht abgeschlossenes Ereignis (1: res parva, sed initium non parvae; 3: sed, quantum auguror, longius res procedet) und liefert mit Epist. 5,4 und ihrer Fortsetzung in 5,13 - beide Schreiben sind an Iulius Valerianus gerichtet - sozusagen eine simultane Narration. 213 Bereits am Ende von Epist. 5,4 kündigt Plinius ein Sequel seines Berichts an (4: quam blande roges, ut reliqua cognoscas) und hält es sogar für möglich, dass sein Adressat, nun neugierig geworden, nach Rom kommen und lieber spectator als lector sein wolle (4: si tamen non ante ob haec ipsa veneris Romam spectator 85 2.3 Der Raum der Briefe 214 Zum Traum-Motiv bei Plinius vgl. Baraz (2012); Neger (2018b). 215 Sherwin-White (1966), 320 vermutet eine Verbindung des C. Fannius zur Familie des P. Fannius Thrasea Paetus. 216 Vgl. Dennerlein (2009), 123‒4. 217 Vgl. Sherwin-White (1966), 321: „This is an early instance of the biographical method of writing by categories that dominates Suetonius“ mit Verweis auf Suet. Nero 19,3 und Cal. 22. 218 Vgl. Gibson/ Morello (2012), 213; die Literatur zu Epist. 5,6 sowie ihrem Pendant 2,17 ist umfangreich, genannt seien etwa Tanzer (1924); Maselli (1955); Lefèvre (1977); malueris esse quam lector) - vom Aufenthaltsort des Iulius Valerianus erfahren wir allerdings nichts. Nach dem römischen Senat als Schauplatz („space“) einer Verhandlung wird in Brief 5,5 der Raum eines Traumes 214 („frame“) entworfen: Plinius beklagt zunächst die mors immatura des Gaius Fannius, der sich zu Lebzeiten u. a. als Historiker durch drei Bücher über die Opfer Neros hervorgetan (3) 215 und seinen Tod aufgrund einer nächtlichen Vision vorausgeahnt habe (5): Fannius, der bei seinem Traum wohl tatsächlich in seinem Bett gelegen sein dürfte, träumte auch von seinem Bett (5: visus est sibi…iacere in lectulo suo), in dem er in Studier-Haltung mit seiner Bücherkapsel vor sich saß (5: compositus in habitum studentis, habere ante se scrinium). Das cubiculum bzw. die Objektregion des Bettes 216 werden zu einer Art Bühne, wenn Kaiser Nero auftritt (5: mox imaginatus est venisse Neronem), sich aufs Bett setzt, das erste Buch De sceleribus eius hervorholt, 217 vom Anfang bis zum Ende liest und in derselben Manier mit Buch 2 und 3 verfährt, bevor er wieder von der „Bühne“ abtritt (5: tunc abisse). Abgesehen von dieser Traum-Szene ist Epist. 5,5 relativ arm an räumlichen Elementen, setzt sich dagegen umso intensiver mit dem Thema Zeit auseinander, insbesondere mit der (zu kurzen) Lebenszeit in Relation zur Unsterblichkeit durch literarisches Schaffen. Plinius bemerkt unter anderem, dass ihm der frühe Tod einer Person insbesondere dann als besonders bitter erscheint, wenn jemand gerade dabei war, etwas Unsterbliches (4: immortale aliquid) zu erschaffen. Am Ende des Briefes macht sich Plinius auch über seine eigene Sterblichkeit und literarischen Bemühungen Gedanken (7: occursant animo mea mortalitas, mea scripta) und fordert sich selbst und seinen Adressaten dazu auf, dem Tod möglichst wenig zu überlassen, was er vernichten kann (8), d. h. literarische Werke zu schaffen, die überdauern. Es scheint, als würde Plinius mit der unmittelbar folgenden Epist. 5,6 dieses Vorhaben gleich in die Tat umsetzen wollen, denn es handelt sich bei dieser descriptio der tuskischen Villa sowohl um den längsten Brief im Korpus als auch ein Konkurrenz-Projekt zu epischen Ekphraseis wie den Schildbeschreibungen bei Homer oder Vergil. 218 Beide Dichter, so konstatiert Plinius im Rahmen 86 2 Epistolographie und Narratologie Mansuelli (1978); Förtsch (1993); Du Prey (1994); Bergmann (1995); McEwen (1995); Henderson (2003); Mielsch (2003); Riggsby (2003); Myers (2005); Chinn (2007); Ha‐ rich-Schwarzbauer/ Hindermann (2010); Marchesi (2015b); Schollmeyer (2015); Mrat‐ schek (2018). 219 Es handelt sich um L. Domitius Apollinaris, den Suffektkonsul des Jahres 97 n. Chr., an den Plinius auch den Brief 2,9 richtet; vgl. 9,13,13; er zählte auch zu den Freunden und Gönnern Martials und taucht in mehreren der Epigramme auf (4,86; 7,26; 10,30; 11,15); Sherwin-White (1966), 156‒7; Whitton (2013a), 141. 220 Vgl. Sidon. Epist. 1,5,8. 221 Zu diesem Epigramm siehe Fabbrini (2007), 117‒80. einer Rechtfertigung des ungewöhnlichen Umfangs seines Briefes, befolgen trotz der Länge ihrer Darstellung (43: quot versibus) noch immer das Prinzip der brevitas (43): brevis tamen uterque est, quia facit, quod instituit. Bleibt ein Autor bei seinem Gegenstand, könne man ihn nicht der Weitschweifigkeit bezichtigen, sehr wohl aber dann, wenn er etwas Sachfremdes herbeizieht (42). Der die Villa beschreibende Brief gewinnt selbst eine räumliche Dimension, wenn Plinius erläutert non epistula, quae describit, sed villa, quae describitur, magna est (44). Anlass für dieses Schreiben ist, so wird uns suggeriert, eine Äußerung des Adressaten Domitius Apollinaris, 219 der von einer Reise nach Etrurien im Sommer abriet, da das Klima dort seiner Meinung nach ungesund sei (1‒3). 220 Mit seinem Brief will Plinius nun die Sorge seines Freundes zerstreuen (3): …ut omnem pro me metum ponas, accipe temperiem caeli, regionis situm, villae amoenitatem; quae et tibi auditu et mihi relatu iucunda erunt. Am Ende des Briefes greift Plinius die Einleitung nochmal auf mit den Worten habes causas, cur ego Tuscos meos Tusculanis, Tiburtinis, Praenestinisque praeponam (45). Gerade diese Passage enthält eine auffällige Parallele zu Martials Epigramm 10,30, das ebenfalls eine Villen-Ekphrasis bietet - es handelt sich dort um die Villa von niemand anderem als Plinius’ Adressaten Domitius Apollinaris in Formiae. 221 Martials Gedicht beginnt mit einem Lobpreis auf Formiae, das Apollinaris anderen Erholungsorten vorzieht (1‒7): O temperatae dulce Formiae litus, vos, cum severi fugit oppidum Martis et inquietas fessus exuit curas, Apollinaris omnibus locis praefert. non ille sanctae dulce Tibur uxoris, nec Tusculanos Algidosve secessus, Praeneste nec sic Antiumque miratur. 87 2.3 Der Raum der Briefe 222 Vgl. Sherwin-White (1966), 329‒30. 223 Mratschek (2018), 225. 224 Vgl. auch Plin. Epist. 5,6,5: semper aer spiritu aliquo movetur; frequentius tamen auras quam ventos habet und Mart. 10,30,12‒13: viva sed quies ponti / pictam phaselon adiuvante fert aura. 225 Zum Begiff des „generischen Wanderers“ im Rahmen einer Ekphrasis vgl. Schweinfurth (2005), 49; Fuhrer/ Mundt/ Stenger (2015), 4‒5 stellen einen Vergleich mit „phantom rides“ im Film an; grundlegend zur Ekphrasis in der antiken Literatur und Theorie ist Webb (2009). Die Ähnlichkeit zwischen diesen Versen und dem Briefschluss bei Plinius 222 dürfte kaum auf Zufall beruhen, sondern, wie unlängst von Mratschek (2018) argumentiert wurde, eine bewusste Reaktion des Plinius auf den Martial-Text für den gemeinsamen Freund Apollinaris darstellen: „Pliny’s celebrated letter…was designed as a response and a contrast piece to Martial’s epigram.“ 223 Ziel der Epist. 5,6 ist es nicht nur, den Sorgen des Adressaten entgegenzuwirken - dem milden Klima in Formiae (Mart. 10,30,1: temperatae…Formiae) wird die temperies caeli in Etrurien gegenübergestellt (Epist. 5,6,3) 224 -, sondern diesen durch die detaillierte Beschreibung gleichsam zu einem virtuellen Spaziergang durch die Villa einzuladen, wie Plinius am Ende seiner Ekphrasis erläutert (41): Vitassem iam dudum, ne viderer argutior, nisi proposuissem omnes angulos tecum epistula circumire. neque enim verebar, ne laboriosum esset legenti tibi, quod visenti non fuisset, praesertim cum interquiescere, si liberet, deposita epistula quasi residere saepius posses. Die Lektüre des Briefes entspricht also einem Besuch des Anwesens, durch das Plinius seinen Freund als „generischer Wanderer“ oder „Wanderführer“ geleitet. 225 Bevor Plinius mit der Schilderung der Landschaft beginnt, in der seine Villa liegt, beschreibt er das Klima, das im Winter zwar kalt sei (4), im Sommer aber erstaunlich mild (5), weshalb man in dieser Gegend viele alte Leute antreffe (6). Es ist denkbar, dass Plinius auch mit der Formulierung hinc senes multi (6) auf Martials Epigramm anspielt, wo von den senes mulli die Rede ist (10,30,24), die sich im Fischbecken des Apollinaris tummeln und die Plinius in Form einer Assonanz mit seinen senes multi zu evozieren scheint. Während Martial in seine Ekphrasis der Villa Formiana auch Menschen und Tiere integriert - neben den ianitores und vilici, die sich in Abwesenheit des Apollinaris an der Villa erfreuen (28‒29), ist insbesondere der Katalog erlesener Fische in der piscina zu nennen (21‒24) -, werden bei Plinius lediglich die alten Menschen in Etrurien erwähnt, wohingegen uns im Rahmen der eigentlichen Villen-Beschreibung keinerlei 88 2 Epistolographie und Narratologie 226 Vgl. Riggsby (2003), 175: „Certain types of people will inhabit those spaces throughout the day and year. By contrast, we do not encounter single individuals, not even…Pliny’s wife“. 227 In der antiken Luxuskritik sind künstliche Fischteiche ansonsten eher negativ konno‐ tiert und zeugen von übertriebener Genußsucht (vgl. Sen. Epist. 90,7; Val. Max. 9,1,1); vgl. Mart. 4,30; Fabbrini (2007), 140‒50. 228 Vgl. Bergmann (1995), 409; Gibson/ Morello (2012), 212: „The interiors of Pliny’s villas contain little in the way of luxury materials or commodities, so conspicious in the encomia of Statius (e.g. Silv. 1.3.37‒7, 47‒57; 2.2.63‒72; 83‒97)“; bemerkenswert ist auch, dass Plinius, der sich wiederholt als vielseitiger Literat präsentiert, die Bibliothek seiner Villa nicht näher beschreibt; zur Kritik am Sammeln von Büchern und Kunstwerken als Zurschaustellung des Reichtums vgl. Sen. Tranqu. 9,4‒7; Brev. vit. 12,2; Plinius setzt sich dadurch von Zeitgenossen wie etwa Silius Italicus ab, dessen Sammelwut er in Epist. 3,7,8 erwähnt (multum ubique librorum, multum statuarum, multum imaginum). 229 Zur „characterizing function“ des Raumes in Erzählungen vgl. de Jong (2014), 216‒7; vgl. Sen. Epist. 86,4 über die Villa des Scipio Africanus in Liternum: magna ergo me voluptas subiit contemplantem mores Scipionis ac nostros; Bodel (1997), 5‒6; Henderson (2003), 120‒4; Gowing (2005), 80; Gibson/ Morello (2012), 202 und 216‒7. 230 Der Brief 9,36 bildet das Gegenstück zu Epist. 3,1 und 3,5 über die Tagesroutine Spurinnas und des älteren Plinius; Epist. 9,36 und 9,40 sind zudem von Senecas Epist. 83 inspiriert; Gibson/ Morello (2012), 117‒8; vgl. Henderson (2002a), 63‒5 und 195 Anm. 7. Lebewesen mehr begegnen. 226 Luxuriöse Elemente wie die piscina maritima des Apollinaris werden bei Martial positiv dargestellt, 227 während Plinius jegliches lebendige sowie leblose Inventar seines tuskischen Anwesens ausspart, wohl um dem Vorwurf der luxuria keine Angriffsfläche zu bieten. 228 Auch Plinius besitzt eine piscina, in der man sich vermutlich auch Fische vorstellen soll, doch erwähnt der Epistolograph dieses Becken lediglich als Blickfang vor den Fenstern eines Zimmers, der sowohl die Augen als auch Ohren erfreue (5,6,23‒ 24): piscinam, quae fenestris servit ac subiacet, strepitu visuque iucundam. Anstatt uns von Tieren und Menschen in seiner Villa zu berichten, weist Plinius auf die in der Region lebenden senes multi hin, von denen man alte Geschichten und Erzählungen der Vorfahren hören könne (6: audias fabulas veteres sermonesque maiorum), was dazu führe, dass man sich dort in einem anderen Jahrhundert geboren wähnt (6: putes alio te saeculo natum). Mit seiner Ekphrasis versetzt Plinius den Leser somit nicht nur an einen anderen Ort, sondern auch in ein anderes Zeitalter. Abgesehen von ihrer Funktion, den Adressaten gleichsam zu einem virtuellen Spaziergang einzuladen, dient Epist. 5,6 auch zur Charakterisierung des Villen‐ besitzers 229 und liefert ein Porträt, das durch Epist. 9,36 ergänzt wird. Dort schildert Plinius seine Tagesroutine auf dem tuskischen Landgut im Sommer, wobei unter allen Aktivitäten insbesondere die literarische Beschäftigung her‐ vorsticht. 230 Anders als in Epist. 5,6, wo uns nahezu keine Menschen begegnen, 89 2.3 Der Raum der Briefe 231 Vgl. Sherwin-White (1966), 386 und 517; zu Epist. 7,9 s. S. 292-5. 232 Lefèvre (1977), 532; Bergmann (1995), 409; Gibson/ Morello (2012), 213. 233 Vgl. Bergmann (1995) zu Förtsch (1993); die Rekonstruktionsversuche werden diskutiert bei du Prey (1994); dass die Villa tatsächlich existierte, belegen archäologische Unter‐ suchungen bei Pitigliano etwa 10 km nördlich von Città di Castello, wo man unter anderem Ziegel mit den Initialen des Plinius (CPCS) fand; vgl. Branconi/ Uroz Sáez (1999) und (2008); Gibson/ Morello (2012), 228‒30. 234 Vgl. Riggsby (2003), 169: „Instead of direction, Pliny merely notes adjacency“. werden in Epist. 9,36 sowohl ein notarius (2), die Ehefrau und Gäste beim Abendessen (4: si cum uxore vel paucis), Schauspieler und Musiker (4: comoedia aut lyristes) sowie gebildete Sklaven und Freigelassene erwähnt, mit denen Plinius verschiedene Gespräche führt (4: cum meis ambulo, quorum in numero sunt eruditi…variis sermonibus vespera extenditur); außerdem tauchen Freunde aus den Nachbarstädten auf (5) sowie Gutspächter (6), die Plinius’ Zeit in Anspruch nehmen wollen. Zusammen konstruieren Epist. 5,6 und 9,36 das Bild einer otium-Villa, in der Plinius die meiste Zeit seinen literarischen Studien widmet; während Epist. 5,6 die Lage und Architektur dieses Mußeortes schildert, wird er in Epist. 9,36 mit Leben und sozialen Interaktionen befüllt. Der Brief 9,36 an Pedanius Fuscus korrespondiert zudem mit Epist. 7,9, die ebenfalls an diesen Adressaten gerichtet ist, 231 insofern als der Beginn von Epist. 9,36 (1: quaeris, quemadmodum in Tuscis diem aestate disponam) den Anfang von Epist. 7,9 (1: quaeris, quemadmodum in secessu…putem te studere oportere) aufgreift. Plinius empfiehlt seinem Adressaten in Epist. 7,9 unter anderem, sich mit kanonischen Autoren zu messen (3: licebit interdum et notissima eligere et certare cum electis), und legt Fuscus damit einen Versuch ans Herz, den auch er selbst mit seiner Ekphrasis in Epist. 5,6 wagt (5,6,43: Homerus…Vergilius…Aratus). Bei der Beschreibung seiner Villen geht Plinius äußerst selektiv vor, in der Forschung weist man häufig auf die fehlende Präzision hin, was die Schilderung architektonischer Elemente angeht. 232 Archäologische Rekonstruk‐ tionsversuche, die auf dem Wortlaut der Briefe basieren, stoßen rasch an ihre Grenzen, 233 und man ist sich mittlerweile mehr oder weniger einig, dass Plinius keine „Baupläne“ liefern wollte, sondern mit seinen Ekphraseis andere Ziele verfolgte. Anstelle von architektonischen Details präsentiert uns Epist. 5,6 insbesondere die Relationen verschiedener Räume zueinander, meist in Form von bloßer Aneinanderreihung, 234 durch Ortsadverbien wie ante, inde, deinde, contra, die Präpositionen ab, ex, sub und in usw. Plinius bietet eine Liste von Bereichen und Räumen mit unterschiedlicher Funktion (15‒32: porticus, atrium, xystus, ambulatio, triclinium, diaeta, dormitorium cubiculum, cenatio, balineum, sphaeristerium, cryptoporticus, hippodromus) und erwähnt, ob sie Sonne, Schatten oder besondere Ruhe genießen. Häufig beschreibt Plinius die 90 2 Epistolographie und Narratologie 235 Vgl. Bergmann (1995), 409; Gibson/ Morello (2012), 216; zur antiken Mnemotechnik vgl. Müller (1996). 236 Vgl. Quint. Inst. 9,2,40‒3; 6,2,32; 8,3,62; s. auch die in Kap. II.4.4 diskutierte Epist. 8,20. 237 Vgl. Chinn (2007), 271. Aussicht durch die Fenster, während er, wie bereits gesagt, kaum auf das Inventar dieser Räume - Wandverzierung, Möbel, Kunstobjekte, Bücher etc. - eingeht. Man wandelt als Leser geistig durch die Villa von einem Raum zum anderen und fühlt sich ähnlich wie in einem Labyrinth. Während der Epistolograph zunächst die Landschaft, in der sich die Villa befindet, aus einer Panorama-Perspektive von oben schildert (7‒12) und explizit den Blick von einer höher gelegenen Position aus hervorhebt (13: si…ex monte prospexeris), der dem Blick auf ein schönes Gemälde entspreche (13: formam…pictam videberis cernere), bietet er uns die Architektur der Villa selbst als Serie von Räumen dar (14‒40). Es wurde bereits mehrfach beobachtet, dass die Ekphrasis des Anwesens Parallelen aufweist zu rhetorischen Ausführungen zur Mnemotechnik, wie sie sich etwa bei Quintilian finden. 235 Dieser empfiehlt seinen Lesern, sich ein großes Haus mit zahlreichen Winkeln und Zimmern vorzustellen (Inst. 11,2,18: domum forte magnam et in multos diductam recessus) und in jedem ein besonderes Kennzeichen einzuprägen (11,2,18: quidquid notabile), mit dem man die Abschnitte einer schriftlich oder gedanklich konzipierten Rede verknüpft. Man solle dann im Zuge des Memorierens geistig vom vestibulum zum atrium, den impluvia, cubicula, exedrae usw. voranschreiten (11,2,20). Abgesehen von Parallelen zur Lehre der Mnemotechnik scheint Plinius, wie Chinn (2007) gezeigt hat, mit seinem Text nicht nur ein Beispiel für die antike Kunst literarischer Ekphrasis zu liefern, sondern auch auf theoretische Ausfüh‐ rungen zu dieser Tradition anzuspielen, insbesondere auf Quintilians Kapitel über die rhetorische Technik der sub oculos subiectio sowie der evidentia. 236 Epist. 5,6 weist somit einiges an Selbst-Referentialität auf, und oft scheinen die Grenzen zwischen beschreibendem Text und beschriebenem Objekt zu verschwimmen: Einerseits spiegelt der Text durch seinen Umfang die Größe der Villa wider (44) und zieht im Kontext des Briefbuchs selbst als Objekt von unge‐ wöhnlicher räumlicher Ausdehnung die Aufmerksamkeit auf sich. Andererseits kann auch die Villa wie ein Text „gelesen“ werden, etwa wenn Plinius von den Buchsbäumen in seinem Garten berichtet, deren kunstvolles Arrangement die Namen des Besitzers und des Künstlers angeben (35): buxus…in formas mille discripta, litteras interdum, quae modo nomen domini dicunt, modo artificis. 237 Für den Entwurf der Anlage und des Gartens hat Plinius offensichtlich einen artifex beauftragt, dessen Namen dann durch die Bepflanzung verewigt wurde, ähnlich einer Künstler-Signatur, wie man sie etwa in der antiken Vasenmalerei 91 2.3 Der Raum der Briefe 238 Zu antiken Künstlersignaturen vgl. Marcadé (1953/ 57); Berthold (2013); Kreikenbom (2013). 239 Vgl. Henderson (2003), 121: „P.L.I.N.Y.’s Letters, the letters of an artifex“. 240 Zum Sphragis-Motiv in der antiken Dichtung vgl. Kranz (1961). 241 Inst. 9,2,43: ut cerni potius videantur quam audiri; 6,2,32: non tam dicere quam ostendere; 8,3,62: non enim satis efficit…oratio si usque ad aures valet, atque ea sibi iudex de quibus cognoscit narrari credit, non exprimi et oculis mentis ostendi; vgl. Chinn (2007), 275. 242 S. S. 368-76. 243 Zu diesem Gedicht vgl. Coleman (2006), 1‒13; auch in Epist. 8,20 scheint der Liber spectaculorum Martials evoziert zu werden; s. S. 372-4. Neben dem Amphitheatrum und Plastik findet. 238 Als Schöpfer der literarischen Villa im Brief darf allerdings Plinius selbst gelten, der hier als dominus und artifex in Personalunion auftritt 239 und uns mit dem Hinweis auf den der Villa eingeschriebenen Namen eine Art Binnensphragis liefert, die sich in jenem Buch findet, das die Mitte des Briefkorpus bildet. 240 Quintilian thematisiert in seinen Ausführungen zu Ekphrasis und evidentia wiederholt den Unterschied zwischen Sprechen und Hören bzw. Zeigen und Sehen, wenn es um die lebhafte Schilderung von Sachverhalten und ihre Rezeption geht. 241 Eine Narration, die bloß usque ad aures vordringt (Inst. 8,3,62), hat nicht dieselbe persuasive Kraft wie wenn die Dinge dem Zuhörer gleichsam vor Augen gestellt werden. Es fällt auf, dass auch Plinius in seinem Brief 5,6 den Leser mit zwei verschiedenen Modi der Narration konfrontiert: Vor der eigentlichen descriptio und den darauf folgenden Reflexionen (41‒44) erzählt er von den fabulae veteres und sermones maiorum, denen man in der Region zuhören könne (5: audias fabulas veteres sermonesque maiorum), und macht den Leser so indirekt auf den Unterschied zwischen akustischer und visueller Wahrnehmung aufmerksam. Dies lässt sich auch, wie in einem anderen Kapitel noch ausführlicher gezeigt wird, in Epist. 8,20 beobachten, wo Plinius vor der Ekphrasis des Vadimoner Sees die unglaublichen Geschichten erwähnt, die man ihm über das Gewässer erzählt habe (8,20,3: simul quaedam incredibilia narrantur). 242 Nach der Schilderung des Klimas in Etrurien (4‒6) beginnt Plinius seine Ekphrasis mit einer Beschreibung der Landschaft (7: regionis forma pulcherrima), die einem riesigen Amphitheater gleiche, wie es nur die Natur erschaffen könne (7: imaginare amphitheatrum aliquod immensum et quale sola rerum natura possit effingere). Man mag hier politische Untertöne mithören, steht doch das natürliche Amphitheater in auffälligem Kontrast zu dem von den Flaviern errichteten Gegenstück, das insbesondere von Martial zu Beginn des Liber spec‐ taculorum gepriesen wird (Sp. 1,7‒8: omnis Caesareo cedit labor Amphitheatro / unum pro cunctis fama loquetur opus). 243 In der Raumkonstruktion der Briefe 92 2 Epistolographie und Narratologie Flavium könnte der Leser auch an das Amphitheater Neros denken, das in der siebten Ekloge des Calpurnius Siculus beschrieben wird. 244 Wie Lefèvre (1977), 523 betont, wird die Natur bei Plinius nur ästhetisch aufgenommen; vgl. Bergmann (1995), 413; zu forma im Sinne von „Kunstwerk“ vgl. Cic. Nat. deor. 2,145: in pictis fictis caelatisque formis; Leg. 2,45: formae ab uno pictore uno absolutae die; ThLL VI,1,1078,45ff.; 1082,16ff.; OLD, 722, s.v. forma (14). 245 Vgl. Whitton (2013a), 115; zur descriptio in der Rhetorik vgl. Halsall (1994). 246 Vgl. Whitton (2013a), 117: „…varietas is famously a hallmark of P.’s letters“; Fitzgerald (2016); Mratschek (2018), 223. wird dieses künstliche Weltwunder in Rom ersetzt durch eine beeindruckende Naturkulisse außerhalb der Hauptstadt. Von Anfang an bezieht Plinius seinen Adressaten mit ein bei der Visualisierung von Landschaft und Villa, indem er ihn zunächst einlädt, die alten Leute vor dem geistigen Auge zu betrachten (6: videas), ihren Erzählungen zu lauschen (6: audias) und sich das natürliche Amphitheater vorzustellen (7: imaginare). Den Blick auf die Landschaft, in der sich die Villa befindet, lenkt Plinius von oben nach unten, indem er bei den Berggipfeln und ihren Wäldern beginnt und sich dann nach unten über Weinberge, Wiesen und Bäche zum Tiber vorarbeitet, der durch die Felder fließt, sie gleichsam durchschneidet (7‒12). Die Aussicht auf die Landschaft von oben vergleicht der Epistolograph mit dem Blick auf ein Gemälde (13: formam aliquam ad eximiam pulchritudinem pictam videberis cernere) 244 und steuert damit zugleich die Lektüre seines Briefes, indem er ihn indirekt als Ekphrasis charakterisiert. Plinius thematisiert in diesem Zusammenhang auch das ästhetische Vergnügen seines Adressaten beim Anblick der Naturkulisse (13: magnam capies voluptatem, si…prospexeris; …tibi…videberis cernere) und weist auf den Abwechslungsreichtum (varietas) und die Gliederung (descriptio) hin, durch die die Augen des Betrachters erfreut werden (13). Die Schönheit dieser gleichsam gemalten Landschaft wird dabei mit Begriffen ausgedrückt, die sich in anderem Zusammenhang auf die Qualität eines literarischen Werks beziehen: So findet sich descriptio als Terminus technicus für eine Ekphrasis etwa bei Quintilian (Inst. 9,2,44), und auch Plinius wendet ihn in zwei weiteren Briefen in diesem Sinne an: In Epist. 2,5,5 geht es um Ortsbeschreibungen (descriptiones locorum) in einer Rede im Stile von Historikern und Dichtern, und Epist. 7,9,8 handelt ebenfalls vom Einfügen solcher descriptiones in eine Rede. 245 Auch den Begriff der varietas verwendet Plinius in stilkritischem Zusammenhang, etwa in Epist. 2,5 über die Mannigfaltigkeit einer Rede (7: ita videmur posse confidere, ut universitatem omnibus varietas ipsa commendet) oder in Epist. 4,14 über abwechslungsreiche Poesie (3: ipsa varietate temptamus efficere, ut alia aliis quaedam fortasse omnibus placeant); zudem ist varietas das die Briefbücher prägende Prinzip der Anordnung von Einzeltexten. 246 93 2.3 Der Raum der Briefe 247 5,6,19: triclinium…valvis xystum desinentem et protinus pratum multumque ruris videt, fenestris hac latus xysti, et quod prosilit villae, hac adiacentis hippodromi nemus comasque prospectat; 21: cenatio…areolam illam, porticum aliam eademque omnia, quae porticus, adspicit; 23: cubiculum…aliis fenestris xystum, aliis despicit pratum, sed ante piscinam… Nach der Schilderung der Landschaft (4‒13) fokussiert Plinius den Blick auf die nähere Umgebung der Villa bzw. ihre Lage am Fuße eines Hügels mit dem Apennin im Rücken und der Ausrichtung einer langen Portikus nach Süden (14‒ 15). Bevor Plinius näher auf die Innenräume seiner Villa eingeht - er erwähnt kurz das traditionelle Atrium in der Portikus (15: ex more veterum) -, beschreibt er die vor der Säulenhalle liegende Terrasse (16: xystus) und angrenzende Spazierwege (17: ambulatio…gestatio) mit kunstvollen Bepflanzungen sowie Wiesen und Felder (18) und betont das Wechselspiel zwischen Natur und Kunst in diesem Arrangement (18: non minus natura quam…arte visendum). Sodann wird der Blick auf das Innere der Villa gelenkt, wenn die descriptio der Portikus und ihrer Räume erfolgt (19‒24), zu denen mehrere triclinia, diaetae und cubicula gehören sowie ein Innenhof (areola). Detailliert schildert Plinius die Aussicht aus den einzelnen Zimmern, die mal auf die Landschaft, dann wieder auf architektonische Elemente der Villa gerichtet ist. 247 Lefèvre (1977) erkennt in diesen Durch- und Fernblicken Parallelen zur römischen Wandmalerei, wo ebenfalls Perspektiven auf Architektur und Natur konstruiert werden. Im Rahmen seiner Ekphrasis spricht der Epistolograph alle Sinne an, indem er nicht nur das geistige Auge bedient, sondern auch die Wärme bzw. Kühle der Räume imaginiert (20: leni adspergine fovet; 21: diem…excludit; 22: umbrosum; 24: cubiculum…hieme tepidissimum) und akustische Elemente einbaut (21: clamorem, sonum; 23: iucundissimum murmur…strepitu iucundam). Nur einmal werden uns Informationen zur Innenausstattung eines Zimmers geliefert, wenn Plinius ein mit Marmor ausgekleidetes cubiculum beschreibt (22: marmore excultum podio tenus), in dem sich ein Gemälde von Vögeln, die auf Zweigen sitzen, befindet (22: ramos insidentesque ramis aves imitata pictura). Es handelt sich hier um die einzigen Lebewesen, die der Epistolograph im Rahmen seiner Villen-Führung erwähnt, wohlgemerkt um eine Nachahmung (imitata) der Natur; dieses Bild korrespondiert mit der am Anfang der Ekphrasis geprie‐ senen Landschaft, die ihrerseits als die Imitation eines Gemäldes bezeichnet wird (13: formam…pictam). Nach der Portikus und ihren Räumlichkeiten folgt eine Ekphrasis der angren‐ zenden Bade-Anlage mit ihrem hypocauston, apodyterium und verschiedenen Wasserbecken sowie einem sphaeristerium (25‒27). Von dieser Badeanlage zweigt dann eine Kryptoportikus mit weiteren Zimmern ab (27‒28), von denen eines die Villa mit dem Hippodrom verbindet (28). Zwei weitere Kryptoportiken 94 2 Epistolographie und Narratologie 248 Vgl. Mart. 12,57,21; Andreae (1996). 249 Vgl. Quint. Inst. 6,3,102: his adiciit Domitius Marsus, qui de urbanitate diligentissime scripsit, quaedam…eleganter dicta et proprio quodam lepore iucunda; quae sunt quidem urbana sed risum tamen non habent; OLD, 2105 s.v. urbanus. 250 Aufschlussreich ist hier Epist. 4,28, wo Nachahmung (imitatio) im Zusammenhang mit dem Abmalen von Autorenporträts thematisiert wird: Plinius leitet an seinen Adressaten Vibius Severus die Bitte des Herennius Severus weiter, die Porträts (1: imagines) des Cornelius Nepos und Titus Catius abmalen zu lassen (1: exscribendas pin‐ gendasque); Vibius Severus solle hierfür aber einen pictor diligentissimus (2) auswählen, da die Nachahmung einer Nachahmung besonders schwierig sei (3): longe difficillima est imitationis imitatio; zu diesem Brief vgl. Sherwin-White (1966), 307‒8; abgesehen von der Erschaffung von Kunstwerken ist der Begriff der imitatio auch wichtig im Rahmen der rhetorischen literarischen Kunstfertigkeit, wenn es um die Nachahmung der Besten geht: vgl. Epist. 5,15 über imitatio in bildender Kunst und Dichtung; 1,5,13; 7,9,2: imitatione optimorum similia inveniendi facultas paratur; Plinius bekennt sich etwa zur imitatio eines Demosthenes (Epist. 1,2,2; 7,30,5) und Tacitus (Epist. 7,20,4); vgl. Vogt-Spira (2003); zur imitatio in der Rhetorik vgl. Kaminski/ De Rentiis (1998). (29‒30) sowie eine Portikus (31) vollenden die Beschreibung der Gebäude, auf die Plinius seine Ausführungen zum Hippodrom folgen lässt (32‒40). Eine Besonderheit dieser Anlage sind die oben schon erwähnten „Inschriften“ aus Buchsbaum, die den Namen des Eigentümers und Gartenkünstlers wiedergeben (35). Zudem verdient eine paradoxe Aussage des Plinius über die kunstvolle Gestaltung des Hippodroms und seine Bepflanzung Aufmerksamkeit (35): et in opere urbanissimo subita velut inlati ruris imitatio. Wenngleich sich die Villa auf dem Land befindet, gilt sie Plinius als opus urbanissimum - die Stadt wird sozusagen aufs Land verpflanzt, das Motiv des rus in urbe  248 in sein Gegenteil verkehrt. Die Natur wiederum findet sich keineswegs „ungefiltert“ in diese urbane Anlage integriert, sondern nur in Form einer Nachahmung (ruris imitatio). Überdies lässt sich die Junktur opus urbanissimum - ähnlich wie im Fall der oben diskutierten Begriffe descriptio und varietas - nicht nur auf die Villa, sondern auch auf den von Plinius verfassten Text beziehen, dem hier indirekt die rhetorische Qualität der urbanitas attestiert wird. 249 Ähnliches gilt für den Begriff der imitatio, mit dem Plinius nicht nur die Nachahmung der Natur in seinem Garten, sondern auch seine epistolare Ekphrasis meinen dürfte, die - einem Gemälde vergleichbar - die Villenanlage nicht mit Farben, sondern Worten nachzeichnet und sich darüber hinaus mit den Ekphraseis kanonischer Autoren misst. 250 Hat uns Plinius in Epist. 5,6 geistig nach Etrurien versetzt und durch die Räumlichkeiten seines Anwesens schreiten lassen, führt er uns in Epist. 5,7 wieder in seine Heimat Comum, allerdings in einer weitaus weniger anschau‐ lichen Weise als im Brief zuvor. Epist. 5,7 diskutiert die Frage, ob eine Gemeinde 95 2.3 Der Raum der Briefe 251 Zu diesem Brief vgl. Sherwin-White (1966), 330‒3. 252 Zu Calvisius Rufus vgl. Sherwin-White (1966), 202. 253 Mit ähnlichen Argumenten stellt Plinius den Unterschied zwischen einer mündlich gehaltenen und niedergeschriebenen Rede bzw. Rezitation heraus; Epist. 2,3,9‒10; 2,19,4; s. S. 144-7; zur Figur des malignus interpres vgl. Mart. 1 praef. 7. Die Überlegenheit der mündlichen Rede gegenüber der schriftlichen wird in Platons Phaidros im Rahmen der Kritik an der Schrift diskutiert (274b3‒279b3); vgl. Yunis (2011), ad loc. 254 S. S. 23. 255 Zu Epist. 5,8 vgl. Cova (1969); Ussani (1971); Gamberini (1983), 58‒79; Ash (2003), 218‒21; Baier (2003); Morello (2003), 202‒6; Marchesi (2008), 153‒71; Solaro (2008); Gibson/ Morello (2012), 115‒6; Woodman (2012); Schwerdtner (2015), 109‒22; Keeline (2018b), 325‒9; Whitton (2019), 136‒51. - in diesem Fall die Heimatstadt des Plinius - als Erbe eingesetzt werden kann, wie es der verstorbene Saturninus in seinem Testament verfügt hat, und ob die Rechtslage oder der Wille des Verstorbenen höher gewichtet werden soll. 251 Der Epistolograph bittet seinen Adressaten Calvisius Rufus, das Problem bei der nächsten Versammlung der Dekurionen in Comum zu erörtern (4). 252 Während wir in diesem Brief erfahren, dass sich der Adressat in Comum aufhält, bleibt der Aufenthaltsort des Plinius unerwähnt. Epist. 5,7 endet mit einer Rechtfertigung, warum Plinius keinen offiziellen Brief an Calvisius in seiner Funktion als Dekurio schreiben wollte, sondern lieber einen inoffiziellen, in dem er seinen Landsmann dazu zu bewegen versucht, seine Argumente vor der Versammlung vorzutragen (6): nam sermonem vultus, gestus, vox ipsa moderatur; epistula omnibus commendationibus destituta malignitati interpretan‐ tium exponitur. Neben Comum als gemeinsamer Heimat von Adressant und Adressat thematisiert der Brief das Problem von Nähe und Distanz: Anders als eine mündliche Rede (sermo), die durch Mimik, Gestik und Stimme begleitet werden könne, entbehre ein Brief dieser Mittel und sei der böswilligen Deutung der Leser ausgeliefert. 253 Wird ein Brief ansonsten oft als halber Dialog oder Gespräch auf Distanz charakterisiert, 254 führt uns Plinius in diesem Fall die Defizite schriftlicher Kommunikation gegenüber mündlicher vor Augen. Abgesehen von den Strategien der Raumkonstruktion sind die bisher be‐ trachteten Briefe auch insofern bemerkenswert, als sie mehrere literarische Gattungen „durchdeklinieren“: In Epist. 5,2 sind es die epistulae steriles, in 5,3 die versiculi parum severi, in 5,5 die Historiographie bzw. exitus-Literatur, in 5,6 die Tradition der Ekphrasis und in 5,7 der Unterschied zwischen Brief und Gespräch bzw. Rede. In Epist. 5,8 schließlich erklärt Plinius seinem Adressaten Titinius Capito, warum er sich trotz mehrfacher Aufforderung noch nicht bereit fühle, eine Historie zu schreiben, und vergleicht in diesem Zusammenhang die Historiographie mit der Redekunst. 255 Anders als Epist. 5,7 gibt Epist. 96 2 Epistolographie und Narratologie 256 Vgl. OLD, 728 s.v. forum. 257 Verg. Aen. 5,195; der Brief ist überhaupt reich an direkten Zitaten und indirekten Anspielungen, wie etwa auf Cic. Leg. 1,5‒8 und Att. 14,14,5; Woodman (2012). 258 Vgl. Schwerdtner (2015), 112‒5. 5,8 überhaupt keine Hinweise darauf, wo sich die Briefpartner während der Korrespondenz gerade befinden. Auch sonst enthält der Brief kaum räumliche Elemente und konzentriert sich eher auf unterschiedliche Aspekte der Zeit, etwa wenn Plinius auf die häufigen Aufforderungen zur Komposition verweist (1: saepe), die Unsterblichkeit sowohl des Verfassers als auch der im Werk darge‐ stellten Personen vor Augen hält (1: aeternitas; 2: diurnitatis amor…posteritatis memoriam; 7: rationem posteritatis; 11: κτῆμα), vom ständigen Nachdenken über literarischen Ruhm spricht (3: diebus ac noctibus), den älteren Plinius als Vorbild auf dem Gebiet der Geschichtsschreibung anführt (5: avunculus meus… historias…scripsit), auf seine eigenen Anfänge als Redner im Alter von neunzehn Jahren zurückblickt (8: unodevicensimo aetatis anno), über seine gegenwärtige Rolle als Redner reflektiert (8: nunc demum) und schließlich seinen Adressaten bittet, jetzt schon zu überlegen, mit welcher Epoche sich Plinius in einer Historie befassen könnte (12: iam nunc cogita, quae potissimum tempora adgrediar), damit er keine weiteren Gründe zum Zögern finde (14: cunctationis et morae iusta ratio). Während in diesem Brief also verschiedene Facetten der Zeit dominieren, weist lediglich die Junktur in foro (8) auf einen Raum hin, wobei mit dem Begriff forum wohl eher die Tätigkeit als Redner vor Gericht als das Forum als konkreter Ort gemeint sein dürfte. 256 Durch Zitate aus Vergil, wie insbesondere die Aposiopese quamquam o (3), 257 evoziert Plinius die Schiffsregatta im fünften Aeneis-Buch und assoziiert dadurch literarisches Streben mit einem sportlichen Agon. 258 Die Charakterisierung der Gattung Historiographie in Epist. 5,8 dürfte zudem einen Bezug zu Epist. 5,6 enthalten: Plinius zufolge zeichnet sich die Historiographie gegenüber der Dichtung und Redekunst durch Beliebtheit aus, die unabhängig ist von der literarische Qualität des Werks; dies liege daran, dass die Menschen von Natur aus neugierig seien (4): sunt enim homines natura curiosi et quamlibet nuda rerum cognitione capiuntur, ut qui sermunculis etiam fabellisque ducantur. Derartigen sermunculi und fabellae kann man auch in der Gegend um das tuskische Landgut lauschen, wie Plinius seinem Freund Apollinaris schildert (5,6,6: fabulas…sermonesque); die in den beiden Briefen thematisierten kunstlosen Formen mündlichen Erzählens stehen in Kontrast zur eloquentia summa von Rede und Gedicht (5,8,4) und zur Ekphrasis in der Tradition Homers, Vergils und Arats, wie sie in Epist. 5,6 geboten wird. Wenngleich die räumlichen Aspekte, die im Zentrum des vorliegenden Kapitels stehen sollen, in Epist. 5,8 in den Hintergrund treten, ist der Brief 97 2.3 Der Raum der Briefe 259 Vgl. auch Sherwin-White (1966), 334; Ussani (1971), 83‒96; Trisoglio (1972), 247‒8; Gam‐ berini (1983), 58‒79; Beutel (2000), 167‒9; Whitton (2019), 137‒51: der umgekehrten Lesart - haec für die Historiographie und illa für die Redekunst - folgen Traub (1955), 221 Anm. 27; Syme (1958), 202 Anm. 3; Cova (1966), 28; Baier (2003); Marchesi (2008), 165‒7; Keeline (2018b), 327. 260 Woodman (2012), 234‒6; Gamberini (1983), 59 hingegen schlägt vor, dass mit den drei Kontrastpaaren die Kategorien Thema, Stil und Wirkung abgedeckt werden; vgl. Baier (2003), 74. aus narratologischer Sicht dennoch aufschlussreich, da er eine Synkrisis der narrativen Techniken in Rede und Historiographie liefert. Der Text sei hier vollständig zitiert (9‒11): habet quidem oratio et historia multa communia, sed plura diversa in his ipsis, quae communia videntur. narrat illa, narrat haec, sed aliter: huic pleraque humilia et sordida et ex medio petita, illi omnia recondita, splendida, excelsa conveniunt; hanc saepius ossa, musculi, nervi, illam tori quidam et quasi iubae decent; haec vel maxime vi, amaritudine, instantia, illa tractu et suavitate atque etiam dulcedine placet; postremo alia verba, alius sonus, alia constructio. nam plurimum refert, ut Thucydides ait, κτῆμα sit an ἀγώνισμα: quorum alterum oratio, alterum historia est. Trotz ihrer vielen Gemeinsamkeiten unterscheiden sich Gerichtsrede und His‐ toriographie im Hinblick auf ihre Erzähltechnik. Über diese Passage hat man in der Forschung viel diskutiert, da nicht ganz klar ist, auf welche der beiden Gattungen die Pronomen haec und illa verweisen. Der Ansatz, haec auf die Rede und illa auf die Historiographie zu beziehen, wurde in jüngerer Zeit von Woodman (2012) mit plausiblen Argumenten gestützt. 259 Im Rahmen von drei Kontrastpaaren erläutert Plinius drei Aspekte, in denen sich die beiden Gattungen unterscheiden, wobei es sich hier um die im Fazit (10: postremo) aufgelisteten Kategorien verba, sonus und constructio handeln dürfte. Während sich die Rede durch humilia, sordida und ex medio petita auszeichnet, sind für die Historiographie recondita, splendita und excelsa angemessen (9) - die hier aufgezählten Adjektive scheinen das jeweilige Vokabular (verba) zu betreffen. 260 Beim zweiten Kontrastpaar - ossa, munusculi, nervi auf Seiten der Redekunst, tori und iubae auf Seiten der Historiographie (10) - ist auf den ersten Blick nicht so eindeutig, worin die Antithese besteht, da ja munusculi und tori mehr oder weniger dasselbe bezeichnen. Woodman hat vorgeschlagen, dass hier das Bild zweier Pferdearten im Hintergrund steht, da Pferde oft als Metaphern für Literatur auftreten; im Fall der Rede sei ein „Schlachtpferd“, bei der Histo‐ riographie ein „Paradepferd“ imaginiert, und mit diesem Gegensatz werde die Kategorie sonus abgedeckt, da man sich hier die verschiedenen von Pferden 98 2 Epistolographie und Narratologie 261 Woodman (2012), 236‒7. 262 Vgl. Peterson (1967), ad loc.; die intertextuellen Bezüge in Plin. Epist. 5,8 zu Quint. Inst. 10,1,31‒34 arbeitet Whitton (2019), 139‒51 heraus. 263 Vgl. OLD, 1952 s.v. torus (3). 264 Vgl. OLD, 976 s.v. iuba (2). 265 Woodman (2012), 237‒8. 266 Vgl. Cic. Rep. 6,18: dulcis sonus; Stat. Theb. 10,553: sonitu…amaro. 267 Vgl. Cic. Luc. 86: constructionem hominis; OLD, 422 s.v. constructio. 268 Thuc. 1,22,4; vgl. Hornblower (1991), 61‒2. verursachten Geräusche im Kampf oder bei einer Parade vorstellen könne. 261 Mann muss sich hier m. E. nicht unbedingt zwei Pferdearten vorstellen, sondern kann auch an einen Krieger denken, dessen Körper bzw. Erscheinungsbild in einer Rede mit Begriffen der Alltagssprache, in der Historiographie hingegen mit hochtrabendem Vokabular geschildert wird. Im Hintergrund dürfte eine Passage bei Quintilian stehen, in der Anleihen an der Historiographie in einer Gerichtsrede diskutiert werden (Inst. 10,1,33): licet tamen nobis in digressionibus uti vel historico nonnunquam nitore, dum in his, de quibus erit quaestio, meminerimus, non athletarum toris, sed militum lacertis opus esse. 262 Während der Redner in Digressionen bisweilen vom nitor historicus Gebrauch machen dürfe, sei dies für die eigentliche Argumentation unpassend. Dem historischen Stil entspricht hier das Bild eines muskulösen Athleten (athletarum toris), während Quintilian für den kämpferischen Ton der Rede das Bild der Soldatenarme wählt (militum lacertis). Bei Plinius verkörpert der zähe Soldat (ossa, musculi, nervi) die Gerichtsrede, der Athlet mit ausgeprägten Muskeln (tori) 263 oder der Krieger mit dem Helmbusch (iubae) 264 hingegen die Geschichts‐ schreibung. Als drittes Kontrastpaar stellt Plinius die für die Rede typische vis, amaritudo und instantia den für die Historiographie angemessenen Elementen tractus, suavitas und dulcedo gegenüber (10), was sich Woodman zufolge auf die const‐ ructio, d. h. Wortfolge und Periodenbau, bezieht. 265 Es wäre m. E. auch denkbar, das letzte Kontrastpaar mit dem Bereich des sonus in Verbindung zu bringen - der bittere Ton einer Rede stünde dann im Gegensatz zum angenehmen Klang einer Historie 266 - und das vorletzte, in dem von Muskeln, Sehnen und Knochen die Rede ist, mit der constructio im Sinne von „Körperbau“ zu assoziieren. 267 Mit den aus Thukydides’ Methodenkapitel entnommenen Begriffen κτῆμα und ἀγώνισμα, die beim griechischen Historiker zwei verschiedene Formen der Geschichtsschreibung (beständiger Nutzen vs. kurzzeitige Unterhaltung) charakterisieren, 268 stellt Plinius Historiographie und Gerichtsrede gegenüber 99 2.3 Der Raum der Briefe 269 Vgl. Whitton (2019), 138. 270 S. S. 37-8. 271 S. S. 228-30. und bezieht κτῆμα auf die Geschichtsschreibung und ἀγώνισμα auf die oratio. Wie es scheint, überspitzt Plinius einerseits im Rahmen seiner Antithese be‐ wusst die Merkmale der jeweiligen Gattung und ignoriert die in der antiken Redekunst und Historiographie zu beobachtende stilistische Bandbreite. 269 An‐ dererseits ist in diesem Zusammenhang auffällig, wie unklar sich Plinius bei der Gegenüberstellung der beiden Gattungen ausdrückt und wie viel Raum er für unterschiedliche Interpretationen lässt. Man hat bei der Lektüre das Gefühl, dass der Epistolograph die Grenzen zwischen den beiden Genres absichtlich verschwimmen lässt, zumal er ja auch mit seinen Reden etwas Dauerhaftes zu schaffen beabsichtigt, indem er sie überarbeitet und damit von einem ἀγώνισμα in ein κτῆμα zu verwandeln sucht (6: egi magnas et graves causas; has…destino retractare, ne tantus ille labor meus…mecum pariter intercidat). Auch sei auf Epist. 5,5 verwiesen, wo Plinius die von Fannius komponierten Bücher über Neros Opfer als inter sermonem historiamque medios charakterisiert (3). Überhaupt stellt sich die Frage, ob Plinius jemals ernsthaft eine Historie schreiben wollte oder nicht vielmehr mit seiner Briefsammlung bereits ein alternatives Projekt liefert. 270 Mehrere der Aspekte, über die Plinius in Epist. 5,8 theoretisch reflektiert, finden sich in der narrativen Epist. 5,9 wieder. Schauplatz der Handlung ist die Basilika Julia in Rom, wohin Plinius gegangen war, um sich die Reden seiner Gegner anzuhören, denen er beim nächsten Gerichtstermin (1: proxima comperendinatione) antworten sollte. Der Brief bildet somit eine kleine „Ge‐ richts-Historie“ und ist zudem, wie in einem anderen Kapitel noch genauer ausgeführt werden soll, Teil eines juristischen „Briefromans“, der sich um den strengen Prätor Licinius Nepos dreht. 271 Plinius beschreibt in Epist. 5,9 das Warten der Richter, decemviri und Advokaten in der Basilika Julia, bis ein Bote vom Prätor kommt und verkündet, dass der Prozess aufgeschoben wird (2). Das Motiv des Aufschubs bzw. der Verzögerung verbindet Epist. 5,9 mit 5,8, denn im vorherigen Brief warnt Plinius seinen Adressaten, dass er mit der Komposition einer Historie abermals zögern könnte (5,8,14: cunctationis et morae iusta ratio), und in Epist. 5,9 freut er sich als handelnde Figur über die Vertagung des Prozesses (2: numquam ita paratus…ut non mora laeter). Wie Plinius in Epist. 5,9 weiter berichtet, war ein Edikt des Prätors Nepos Grund für die Verschiebung (3‒5), und in der ganzen Stadt (6: tota civitate) sei daraufhin eifrig über dieses Edikt kontrovers diskutiert worden (6: carpitur, laudatur; 7: tales ubique sermones). Mit diesen sermones, die Plinius teilweise in 100 2 Epistolographie und Narratologie 272 Zu den direkten Reden s. S. 60-5. 273 S. ausführlicher S. 280-2. 274 Sherwin-White (1966), 339: „a gateway of the ‘triumphal’ type is probably intended“. 275 Auch Plinius selbst präsentiert sich wiederholt als Wohltäter seiner Heimat: Epist. 1,8; 3,3; 4,13; 5,7; 7,18; zur liberalitas bei Plinius vgl. Manuwald (2003); Page (2015), 326‒41. 276 Vgl. Sherwin-White (1966), 332. 277 Plinius greift damit die magnas gravesque causas in Epist. 5,8,6 auf, die er zu überarbeiten bebasichtigt; Sherwin-White (1966), 339. direkter Rede wiedergibt, 272 wird das in den vorhergehenden Briefen variierte Motiv der mündlichen Gespräche (Epist. 5,8,4: sermunculis…fabellisque; 5,7,6: sermonem; 5,6,6: fabulas…sermonesque; 5,5,3: inter sermonem historiamque und 5,3,1: multum copiosumque sermonem) aufgegriffen und weitergeführt. Über das Motiv des Aufschubs wiederum sind Epist. 5,8‒10 miteinander verkettet, denn in 5,10 fordert Plinius Sueton dazu auf, endlich seine scripta zu veröffentlichen (2: tu tamen meam quoque cunctationem tarditatemque vicisti). 273 Weder der Adressant noch der Adressat werden in diesem Brief räumlich näher verortet, lediglich der Wunsch des Plinius, dass Suetons Schriften verbreitet werden mögen, impliziert eine räumliche Dimension (3: audire describi legi venire volumina). Im Unterschied dazu imaginiert Epist. 5,11 wieder einen konkreten Raum, wenn Plinius seinen Schwiegergroßvater Calpurnius Fabatus dafür preist, dass er in Comum (2: patria nostra) in seinem Namen und in dem seines verstorbenen Sohnes eine Säulenhalle eingeweiht und Geld für die Verschönerung der Stadtportale 274 versprochen habe (1: te porticum…dedi‐ casse…in portarum ornatum pecuniam promisisse). 275 Während der Raum des Adressaten und der Erzählung konkretisiert wird, bleibt der Aufenthaltsort des Briefschreibers unerwähnt. Ziel der Stiftung in Comum ist nicht nur, den Euergetismus des Fabatus öffentlich zur Schau zu stellen - die porticus und portae dienen demnach der Charakterisierung des Stifters - sondern auch das Andenken an den verstorbenen Sohn bzw. Schwiegervater des Plinius zu festigen (2: memoriam soceri mei…proferri). Epist. 5,11 ist sowohl über den Ort Comum als auch das Motiv der liberalitas mit Epist. 5,7 verknüpft, wo Plinius - allerdings eher beiläufig - seine eigene Großzügigkeit gegenüber der Heimat erwähnt, dieses Selbstlob jedoch versteckt, indem er ein juristisches Problem zum zentralen Thema des Briefes macht. So erfahren wir mehr oder weniger nebenher, dass Plinius seiner Heimatstadt bereits 1600000 Sesterze habe zukommen lassen (5,7,3: sestertium sedeciens). 276 Anders als Epist. 5,11 ist der folgende Brief 5,12 nahezu „raumlos“: Plinius berichtet hier von einer Rezitation, zu der er einige Freunde eingeladen hat - diesmal sind es nicht Gedichte, wie in Epist. 5,3, sondern eine nicht näher identi‐ fizierte oratiuncula (1). 277 Weder erfahren wir, wo sich die beiden Briefpartner 101 2.3 Der Raum der Briefe 278 S. ausführlicher S. 230. 279 Zu Person und Amt vgl. Sherwin-White (1966), 343‒4; die Via Aemilia führte von Ariminum nach Placentia. 280 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 343. gerade befinden, noch, wo diese Rezitation stattgefunden hat - möglicherweise soll man sich wie in Epist. 5,3,11 das private cubiculum als Schauplatz vorstellen. Im Gegensatz zu Epist. 5,12 ist die Handlung des nächsten Briefes wieder eindeutig im römischen Senat (2: in senatu) verortet, wenn Plinius eine Fortsetzung von Epist. 5,4 liefert und vom Fall der Vicetiner und ihrem Anwalt Nominatus erzählt. 278 Nominatus, der von seinen Klienten Geld für den Rechtsbeistand angenommen, sie dann aber im Stich gelassen hatte, wurde auf Befehl des Prätors Nepos in den Senat geführt (1: inductus) und hielt dort eine Verteidigungsrede, in der er sein Verhalten rechtfertigte - insbesondere die sermones amicorum hätten ihn davor abgeschreckt, weiter gegen einen Senator vorzugehen, dem es nicht nur um die Abhaltung eines Wochenmarktes in Vicetia, sondern um Einfluss, Ruf und Ansehen ging (2). Wie auch aus dieser Stelle deutlich wird, bietet Buch 5 eine Palette an sermones unterschiedlicher Ausprägung (Gespräche, Erzählungen, Reden, Gerede), die verschiedene Reaktionen nach sich ziehen. Ähnlich einer Bühnenfigur verließ Nominatus nach seiner Rede den Saal unter mäßigem Beifall und weiteren Bitten und Tränen (3: erat sane prius, a paucis tamen, acclamatum exeunti. subiunxit preces multumque lacrimarum), woraufhin es im Senat zur Abstimmung und zum Freispruch kam (4‒7). Nachdem in Epist. 5,13 Rom als Ort des Erzählers und der Erzählung im Zentrum stand, führt uns Epist. 5,14 wieder nach Comum, wo sich Plinius für einen kurzen Urlaub im secessus befindet (1: secesseram in municipium; 9: includor angustiis commeatus) und von der Ernennung des Cornutus Tertullus zum curator Aemiliae viae erfahren hat. 279 Den Hauptteil des Briefes bildet ein Lob auf Tertullus, mit dem Plinius eine lange Freundschaft verbindet (2‒6). Der Epistolograph ruft sich nach dieser laudatio selbst zur Ordnung, um seinen Brief nicht übermäßig auszudehnen (7: in infinitum epistulam extendam, si gaudio meo indulgeam), und kommt wieder auf die Einleitung zurück, indem er die Situation näher schildert, in der er von Tertullus’ Beförderung erfahren hat: In Begleitung seines Schwiegergroßvaters, der Tante seiner Frau und einigen Freunden habe er sich der Inspektion der Ländereien gewidmet (8: circumibam agellos), sich die Klagen der Bauern angehört, Rechnungen durchgesehen und schon seine Rückreise vorbereitet (8: coeperam etiam itineri me praeparare). Am Ende des Briefs erfahren wir, dass sich der Adressat Pontius Allifanus 280 gerade in Kampanien befindet, wenn sich Plinius wünscht, dass die beiden zur gleichen 102 2 Epistolographie und Narratologie 281 Vgl. Epist. 4,3; 4,18; 4,27,5; s. S. 276-7. 282 Die Urne und Grabinschrift des verstorbenen Mädchens wurden im Familiengrab bei Monte Mario außerhalb Roms gefunden (ILS 1030); Sherwin-White (1996), 346‒8; zu diesem Brief vgl. auch Niemann (2007); Carlon (2009), 148‒57; Klodt (2012); Shelton (2013), 275‒82; Epist. 5,16 korrespondiert mit Epist. 5,5 hinsichtlich der Thematik (Nachruf) und der beinahe symmetrischen Position im Buch. 283 Dieses Motiv findet sich in der antiken Literatur seit der Antigone des Euripides; vgl. Carlon (2009), 155 mit Anm. 27. 284 Quinn (1973), 96; vgl. Carlon (2009), 150, die zudem darauf hinweist, dass es sich bei Epist. 5,16 um das einzige Enkomium auf eine Frau bzw. ein Mädchen innerhalb der Briefsammlung handelt (148). Zeit in Rom eintreffen mögen (9: cupio te quoque sub idem tempus Campania tua remittat…cum in urbem rediero). Im Gegensatz zu anderen secessus ist der in Epist. 5,14 geschilderte nicht von literarischen Aktivitäten geprägt, sondern der Lektüre von pragmatischen Schriftstücken wie Rechnungsbüchern gewidmet (8: rationes legebam invitus et cursim - aliis enim chartis, aliis sum litteris initiatus). Einen auffälligen Kontrast zu dieser Tätigkeit bildet der Brief 5,15, in dem sich Plinius zu seiner aemulatio mit den griechischen Epigrammen des Arrius Antoninus bekennt. 281 Seinen Wetteifer mit diesen Gedichten vergleicht Plinius mit dem erfolglosen Versuch eines Malers, ein schönes und perfektes Gesicht angemessen wiederzugeben und verweist so auf die Kunst des Porträtierens (1: ut enim pictores pulchram absolutamque faciem raro nisi in peius effingunt). Da in Buch 5 ansonsten nur in Epist. 5,6 die Rede von Malerei ist - dort ahmt die Landschaft ein schönes Ge‐ mälde nach (13) und ein Wandgemälde imitiert die Natur (22) -, wird dem Leser nahegelegt, einen Zusammenhang zwischen künstlerischer, ekphrastischer und poetischer imitatio herzustellen. Eine Verbindung besteht auch zu Epist. 5,16, wo es um eine andere Form der Nachahmung geht: Plinius betrauert in diesem Brief die mors immatura der Tochter des Minicius Fundanus 282 und bedient hier den Topos der Hochzeit, die sich in ein Begräbnis umwandelt. 283 Im Rahmen seiner laudatio auf das Mädchen (2‒5) bietet Plinius eine bewegte descriptio des Charakters, in dem sich die Würde einer reifen Frau mit mädchenhafter Anmut vereinigten (3): ut illa patris cervicibus inhaerebat! ut nos amicos paternos amanter et modeste complectebatur! …quam studiose, quam intellegenter lectitabat! ut parce custoditeque ludebat! Es wurde bereits beobachtet, dass diese Schilderung Catulls passer-Gedicht c. 3 evoziert, bei dem es sich ebenfalls um eine Art Nachruf handelt. 284 Der Tod ereilte die Tochter des Fundanus offenbar im Haus ihres Vaters, wo sie bis zuletzt tapfer gegen eine Krankheit ankämpfte, den Anweisungen der Ärzte folgte und sogar noch den Vater und die Schwester ermutigte (3‒5). Am Ende des Briefes bemerkt Plinius, dass das Mädchen seinem 103 2.3 Der Raum der Briefe 285 Vgl. 5,16,9: exscripserat und 4,28,1: imagines…exscribendas pingendasque. 286 Zu diesem Mentor des Plinius vgl. Epist. 1,5,8‒10; 2,7; 3,1; 3,10; 4,27,5; Syme (1991b). 287 Der griechische Titel καταστερισμῶν wurde von Aldus aus der rätselhaften Wortfolge TACTAE PIGMON konjiziert; vgl. Sherwin-White (1966), 349; eine Schrift mit dem Titel Καταστερισμοί ist von Eratosthenes überliefert; vgl. Pàmias/ Geus (2007); das Gedicht des Calpurnius Piso war wohl in griechischer Sprache abgefasst; vgl. Fein (1994), 135‒6. 288 Vgl. Epist. 1,13 über zahlreiche Rezitationen in Rom; zur Frage, ob die in Epist. 5,17 erwähnte Mutter des Calpurnius Piso bei der Rezitation anwesend war, vgl. Shelton (2013), 187‒8. Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war (9): non minus mores eius quam os vultumque referebat totumque patrem mira similitudine exscripserat. Während ein Künstler beim Abzeichnen oder Abmalen eines Gesichts die angestrebte Ähnlichkeit oft nicht zustande bringt, wird mira similitudo durch natürliche Reproduktion und moralisches Bemühen geschaffen. 285 Der Trauer über den Tod in Epist. 5,16 (1: tristissimus) steht in Epist. 5,17 an Vestricius Spurinna 286 Freude über literarische Leistungen der Lebendigen gegenüber (1: quantum gaudium). Kompositionsdatum und dramatisches Datum des Briefes fallen auf denselben Tag (1: hodierno die), an dem Plinius im Audi‐ torium des Dichters Calpurnius Piso weilte, als dieser ein elegisches Gedicht mit dem Titel Περὶ τῶν καταστερισμῶν („Verstirnungen“) 287 vortrug. Das Spektrum der literarischen Gattungen, über die Plinius in Buch 5 bislang reflektiert hat (Briefe, Epigramme, Ekphrasis, Reden, Historiographie), wird hier um die Elegie erweitert. Wo diese Rezitation stattfand, wird nicht ausdrücklich erwähnt - man soll sich vermutlich das Haus des Calpurnius Piso als Ort der Vorlesung vorstellen, denn am Ende des Briefes wünscht sich Plinius, dass die Adeligen in ihren Häusern mehr schöne Dinge haben mögen als ihre berühmten Vorfahren (imagines), womit er insbesondere literarisch talentierte Nachfahren meint (6: cupio, ne nobiles nostri nihil in domibus suis pulchrum nisi imagines habeant). 288 Nach der Schilderung in Epist. 3,1, wie Vestricius Spurinna sein Alters-otium in seiner Villa verbringt, soll man ihn vielleicht auch in Epist. 5,17 dort verorten, wobei uns nirgendwo im Briefkorpus Hinweise auf die Lage seines Anwesens gegeben werden. Eine auffällige Parallele zum Titel „Verstirnungen“ des in Epist. 5,17 gerühmten Werks bildet der Hinweis in Epist. 3,1, dass Spurinnas Tagesroutine in ihrer geregelten Abfolge dem Lauf der Gestirne gleiche (2: ut certus siderum cursus). Die Ekphrasis der Tagesroutine Spurinnas in Epist. 3,1 entspricht als literarisches Projekt somit dem in Epist. 5,6 genannten Werk des Arat über die Gestirne (43: vides, ut Aratus minutissima etiam sidera consectetur 104 2 Epistolographie und Narratologie 289 Zu Arat vgl. AP 9,25,1‒2 (Leonidas von Tarent): γράμμα τόδ᾽ Ἀρήτοιο δαήμονος, ὅς ποτε λεπτῇ / φροντίδι δηναιοὺς ἀστέρας ἐφράσατο; AP 4,1,49; 9,507; 9,541; 11,318; Quint. Inst. 10,1,46; 55. 290 Auch in Epist. 3,15,3 lobt Plinius die angenehme Vortragsweise des Silius Proculus; zur Röte im Gesicht vgl. Epist. 1,14,8; Pan. 48,4, und 73,4; Trisoglio (1973), I, 574 Anm. 412‒3. 291 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 349‒50. 292 Vgl. Epist. 1,6. 293 Lefèvre (2009), 181‒94; Leach (2012); Schwerdtner (2015), 221 Anm. 46 mit weiteren Literaturhinweisen. et colligat). 289 Wie die Phainomena des Arat, so ist auch Epist. 3,1 nicht nur excursus, sondern opus ipsum (vgl. 5,6,43), und ähnliches dürfte für das Gedicht des Calpurnius Piso gelten. Neben dem in Epist. 5,17 imaginierten Himmelsraum liefert Plinius auch eine descriptio personae, wenn er Stimme und Haltung des jungen Dichters bei seinem Vortrag schildert (3): commendabat haec voce suavissima, vocem verecundia: multum sanguinis, multum sollicitudinis in ore, magna ornamenta recitantis. Calpurnius Piso zeichnete sich nicht nur durch seine angenehme Stimme und zurückhaltende Vortragsweise aus, sondern auch die Röte und Aufregung in seinem Gesicht. 290 Es wird deutlich, dass Plinius in der Briefserie 5,15‒18 das Motiv der descriptio oris bzw. faciei variiert, indem er zuerst ein von einem Künstler gemaltes Gesicht (5,15,1) imaginiert und dann die von der Natur bewirkte Ähnlichkeit zwischen Vater und Tochter herausstreicht (5,16,9), bevor er in Epist. 5,17 selbst eine descriptio oris liefert. Vom auditorium einer Rezitation versetzt uns Plinius in Epist. 5,18 zunächst in das nicht näher lokalisierte Landgut des Calpurnius Macer, 291 der zusammen mit Frau und Sohn die Annehmlichkeiten seiner villa amoenissima genießt, zu denen Meer, Quellen, Gärten und Felder gehören (1: frueris mari, fontibus, viridibus, agro, villa amoenissima). Plinius selbst befindet sich in Tuscis (2) und ist mal abwechselnd, mal gleichzeitig mit Studien und Jagd beschäftigt. 292 Innerhalb des fünften Buches ist dies der zweite Brief, in dem Plinius sich auf seinem tuskischen Landgut verortet, und die Kürze dieses Schreibens steht in auffälligem Kontrast zum Umfang der Epist. 5,6. Zudem bildet Epist. 5,18 das Gegenstück zu Epist. 5,2, wo wir Plinius auf seinem Laurentinum begegnen. Mit dem in Epist. 5,18 entworfenen Bild der Erholung kontrastiert Epist. 5,19, wo Plinius seiner Sorge um den erkrankten libertus Zosimus Ausdruck verleiht, ein Brief, der in der Forschung insbesondere als Quelle für die humanitas des Pli‐ nius gegenüber Sklaven und Freigelassenen Aufmerksamkeit erregte. 293 Plinius beschreibt Zosimus als hochgebildeten Mann, der sozusagen als sein „Etikett“ die Kunstfertigkeit des Schauspielers beherrsche (3: et ars quidem eius et quasi inscriptio comoedus). Zosimus verstehe sich insbesondere auf das Vortragen (3: pronuntiat acriter, sapienter, apte decenter), spiele auch ausnehmend gut Zither 105 2.3 Der Raum der Briefe 294 In Epist. 9,34 charakterisiert sich Plinius als schlechter Vorleser von Versen; s. S. 300-3. 295 Es dürfte sich um Tuberkulose handeln; vgl. Sherwin-White (1966), 350‒1. 296 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 146. 297 Die Therapie mit frischer Luft und Milch wurde u. a. von Celsus (3,22) und Galen (12 Kühn) beschrieben; auch Seefahrten nach Ägypten wurden empfohlen; Sherwin-White (1966), 351; Trisoglio (1973), I, 579 Anm. 444 mit weiteren Belegstellen. 298 Vgl. Epist. 3,21,2: prosecutus eram viatico secedentem. 299 Zum Ende literarischer Werke bzw. Bücher vgl. Herrnstein-Smith (1968); Fowler (1989); Grewing/ Acosta-Hughes/ Kirichenko (2013). und könne sowohl Reden, Geschichtswerke als auch Poesie äußerst geschickt vorlesen. Innerhalb von Buch 5 bildet der libertus somit das Gegenstück zu Calpurnius Piso, dessen Vortrag Plinius in Epist. 5,17,2‒3 beschreibt, sowie zu Plinius selbst, der seine Gedichte rezitiert (Epist. 5,3). 294 Nach der Charakterisie‐ rung des Zosimus kommt Plinius auf das eigentliche Problem, die Krankheit, zu sprechen: Bereits vor einigen Jahren (6: ante aliquot annos) habe Zosimus sich bei einem Vortrag sehr verausgabt und Blut gespuckt, weswegen Plinius ihn für längere Zeit nach Ägypten schickte, von wo er kürzlich gut erholt zurückgekehrt sei (6: confirmatus rediit nuper). Nachdem er jedoch abermals mehrere Tage seine Stimme überanstrengte, habe er einen Rückfall erlitten und wieder Blut ausgeworfen (6: rursus sanguinem reddidit). 295 Anstelle seinen Freigelassenen erneut nach Ägypten zu schicken, will Plinius ihn nun nach Forum Iulii in der Gallia Narbonensis senden, wo sein Adressat Valerius Paulinus 296 ein Landgut besitzt (7: qua ex causa destinavi eum mittere in praedia tua, quae Foro Iulii possides). Häufig nämlich habe Plinius von Valerius Paulinus gehört, dass die Luft dort besonders gesund und die Milch für die Behandlung besonders geeignet sei (7: audivi enim te saepe referentem esse ibi et aera salubrem et lac eius modi curationibus accommodatissimum). 297 Die mündlichen Erzählungen des Paulinus über die Vorteile seines Anwesens entsprechen der schriftlichen Beschreibung, die Plinius seinem Freund Apollinaris über seine Villa in Etrurien liefert (5,6,2: saluberrimo montium subiacent). Offenbar befindet sich Paulinus während der Korrespondenz selbst nicht in Forum Iulii, da Plinius ihn bittet, seinen Leuten zu schreiben, damit sie vor Ort die nötigen Vorkehrungen treffen (8: rogo enim scribas tuis). Plinius schließt den Brief mit der Ankündigung, dass er Zosimus mit so viel Reisegeld (9: tantum viatici) ausstatten werde, wie es für die Fahrt nach Forum Iulii nötig sei. 298 Mit den in Epist. 5,19 kombinierten Bildern von Krankheit und Reise rückt das Ende des Buches in die Nähe, und zusammen mit dem Thema des Todes finden sich die beiden closure-Motive vereint in Epist. 5,21, dem letzten Brief des Buches. 299 Doch vor dem Ende kommt es noch einmal zu einem Anfang, wenn Plinius mit Epist. 5,20 den „Briefroman“ über den Prozess der Provinz 106 2 Epistolographie und Narratologie 300 Zu diesem Briefzyklus s. Kap. II.1.4. 301 Sherwin-White (1966), 354 vermutet, dass das dramatische Datum des Briefes der späte Sommer ist und sich Plinius auf seinem tuskischen Anwesen befindet. 302 In Epist. 1,16 wird Pompeius Saturninus als vielseitiger Literat gepriesen. 303 S. S. 77-8. 304 Vgl. Ov. Met. 1,776‒9; 2,869‒75; 6,719‒21; 13,966‒8; 14,845‒51; Fowler (1989), 95‒7 und (1995a), 13; Holzberg (1998), 88‒95. 305 Über ihn ist Sherwin-White (1966), 354 zufolge nichts bekannt; handelt es sich hier um ein bewusstes Wortspiel, in dem der Name Valens in Kontrast zu seinem schlechten Gesundheitszustand steht? Bithynien gegen den Prokonsul Rufus Varenus eröffnet. 300 Wurden wir in Epist. 5,19 gedanklich nach Ägypten und Forum Iulii versetzt, so finden wir uns in Epist. 5,20 im römischen Senat, wo Plinius als Anwalt des Varenus gegen die Bithynier auftritt. Der Fall des Varenus bildet in der Briefsammlung eine der magnae et graves causae, derer sich Plinius in Epist. 5,8,6 rühmt, und die für Varenus gehaltene Rede will Plinius publizieren (5,20,2: liber indicabit). In diesem Zusammenhang kommt es wieder einmal zur Gegenüberstellung von einer Rede, die vor Gericht gehalten wird, und der Lektüre einer verschriftlichten oratio (5,20,3). Vor Gericht werde der Erfolg einer Rede durch Faktoren wie fortuna, memoria, vox, gestus, tempus und amor bzw. odium rei beeinflusst, was auf eine publizierte Rede nicht zutreffe. Mündlichkeit und Schriftlichkeit kontrastiert Plinius auch am Ende seines Briefes, wo er der inhaltsleeren Ge‐ schwätzigkeit seines Gegenanwalts (4‒5: respondit…plurimis verbis, paucissimis rebus…aliud esse eloquentiam, aliud loquentiam) die loquacitas seines Briefes gegenüberstellt (8), der die Neugierde des Adressaten auf die Rede zu mindern droht. Aus dem letzten Brief des fünften Buches (5,21) geht hervor, dass sich der Adressat Pompeius Saturninus in Rom befindet (1: te in urbe teneri), während Plinius an einem nicht näher konkretisierten Ort außerhalb weilt 301 und bereits in der Haupstadt erwartet wird, wo Saturninus anlässlich seiner Rückkehr eine Rezitation veranstalten will (1: quod recitaturum, statim ut venissem, pollicebantur; ago gratias, quod exspector). 302 Tatsächlich begegnen wir in Epist. 6,1 einem Plinius, der inzwischen in Rom eingetroffen ist (1: ego in urbe) und dort seinen Freund Calestrius Tiro vermisst. 303 Der Übergang zwischen den Büchern 5 und 6 erinnert dadurch an eine literarische Technik, wie sie etwa Ovid in mehreren Metamorphosen-Büchern anwendet, wenn er am Ende eines Buches von einer Reise erzählt, die am Beginn des folgenden Buches vollendet wird. 304 Abgesehen von der für Plinius erfreulichen Nachricht, dass sich sein Adressat in Rom aufhält, beinhaltete der Brief des Saturninus auch traurige Mitteilungen, wie diejenige von der Krankheit des Iulius Valens (2) 305 sowie vom Tod des 107 2.3 Der Raum der Briefe 306 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 354‒5; er ist nicht mit Iunius Avitus zu verwechseln, dessen Tod Plinius in Epist. 8,23 betrauert. 307 Shelton (2013), 215 schätzt sein Alter auf 25‒26 Jahre. 308 Zum Motiv des Todes auf See fernab der Heimat vgl. Hom. Od. 5,306‒12; Verg. Aen. 1,94‒101; AP 7,271‒279; 392 und öfter. 309 Man kann die Junktur sine fructu posteritatis auch als Hinweis auf die Kinderlosigkeit des Verstorbenen verstehen; vgl. Sherwin-White (1966), 355. 310 Zur dieser closure vgl. Whitton (2013b), 47‒8. 311 In diesem Sinn die Übersetzungen von Radice (1969); Trisoglio (1973); Philips/ Giebel (2010); vgl. Epist. 4,7,7: ut risum magis possit exprimere quam gemitum; 5,6,36 aqua… expressa; 8,8,2. 312 In diesem Sinn (d. h. etwas sprachlich oder künstlerisch ausdrücken) verwendet Plinius das Verb exprimere häufiger: Epist. 1,20,10; 2,13,10; 2,14,13; 3,6,1; 3,10,6; 4,3,5; 4,7,5; 4,14,5; 4,18,1; 4,27,5; 4,30,11; 5,3,4; 5,14,2.3; 5,16,7; 6,16,5; 6,19,1; 7,8,1; 7,33,2; 8,2,5; 9,22,1; 9,23,3; 9,26,4; vgl. OLD, 652‒3 s.v. exprimo. Iulius Avitus (3). 306 Ähnlich wie in Epist. 5,16 handelt es sich auch bei Avitus um eine mors immatura, die den jungen Mann als Quästor während der Rückreise aus der Provinz ereilte (3: decessit, dum ex quaestura redit, decessit in nave, procul a fratre amantissimo, procul a matre, a sororibus). 307 Diese kurze Narration vom Tod des Avitus ist stilistisch ausgefeilt durch die Anapher von decessit sowie procul und der Präposition ab, was dem Satz einiges an Pathos verleiht. Während die junge Tochter des Fundanus zuhause starb und noch während ihrer schweren Krankheit dem Vater und der Schwester Trost spendete und sie ermutigte (5,16,3‒5), ist das Schiff fernab von Heimat und Familie der Schauplatz für den Tod des Iulius Avitus. 308 Aus welcher Provinz er zurückkehrte, verrät uns Plinius nicht - wie in vielen anderen Briefen interessiert sich Plinius weniger für die räumlichen Aspekte als vielmehr für die Charaktereigenschaften der dargestellten Personen: So erfahren wir einiges über die vielversprechenden Anlagen des jungen Mannes, dessen Vorzüge - zu denen die Liebe zur Literatur zählte - durch den Tod zusammen mit ihm dahingerafft wurden (4‒5). Besonders tragisch ist es für Plinius, dass all die Talente des Avitus sine fructu posteritatis (5) dahingegangen sind, er also offenbar trotz seiner literarischen Studien nichts Schriftliches hinterlassen hatte. 309 Das Ende des Briefes und zugleich des fünften Buches ist deutlich markiert, wenn sich uns Plinius als jemand präsentiert, der seine Trauer und seine Tränen zu zügeln versucht (6): finem epistulae faciam, ut facere possim etiam lacrimis, quas epistula expressit. 310 Mit dem Ende des Briefes soll auch das Ende der Tränen einhergehen, wobei man das Verb expressit hier in doppeltem Sinn verstehen kann: Einerseits hat der Brief dem Verfasser die Tränen 311 abgerungen, andererseits macht der Brief durch Worte und Ausdruck die Tränen für den Adressaten anschaulich bzw. bildet sie sozusagen sprachlich nach. 312 Im Kontrast zur Geschwätzigkeit des vorhergehenden Briefes 5,20 steht 108 2 Epistolographie und Narratologie 313 Dazu etwa Riggsby (1998); Edmunds (2015), 316; zu Figuren in Erzähltexten aus narratologischer Sicht siehe Jannidis (2004). 314 Vgl. Syme (1968) und (1985); Birley (2000); eine Untersuchung der Adressaten nach literarischen Kriterien bieten Gibson/ Morello (2012), 136‒68; Neger (2020). 315 Zu Tacitus vgl. etwa Griffin (1999); Edwards (2008); Marchesi (2008), 97‒206; Whitton (2012); Eisner (2014); zu Sueton Lefèvre (2009), 160‒8; Méthy (2009); Rutledge (2009); Power (2010); Gibson (2014b). somit in Epist. 5,21 die Vorstellung, dass durch sprachliche Mittel das für den Adressaten nicht sichtbare physische Phänomen der Tränen nachgezeichnet wird. Im Rahmen einer linearen Lektüre des fünften Buches wurden die Strategien der Raumkonstruktion aus narratologischer Perspektive analysiert. Neben den Aufenthaltsorten der Briefpartner während der Korrespondenz wurden auch Räume als Schauplätze von Handlungen und Ereignissen sowie als Gegenstand von Beschreibungen in den Blick genommen. Zudem konstruiert Plinius in seinen Briefen Räumlichkeit auch durch die Darstellung verschiedener Objekte oder körperlicher Aspekte sowie visueller und akustischer Phänomene. Es hat sich dabei herausgestellt, dass seine Angaben zumeist sehr selektiv sind, was sogar auf die Villen-Ekphrasis in Epist. 5,6 zutrifft, die alles andere als das Ziel einer vollständigen Beschreibung des Anwesens verfolgt. Sowohl in Hinblick auf den Ort, an dem sich die Briefpartner während der Kommunikation jeweils befinden, als auch auf die Schauplätze von Handlungen und Ereignissen, über die Plinius berichtet, muss der Leser oft selbst die räumlichen Details ergänzen, während Plinius nur kurze Hinweise gibt. Nach der Betrachtung der Raumkonstruktion soll sich das nächste Kapitel mit den Personen befassen, die uns im Briefkorpus begegnen und sozusagen das epistolare Figurenarsenal bilden. 2.4 Adressaten und Figurenarsenal Die Briefsammlung präsentiert uns ein breites Spektrum an Personen, von denen die meisten als Adressaten der Briefe fungieren, andere als handelnde Figuren und viele in beiden Rollen. Plinius konstruiert in seinen Briefen eine soziale „community“, mit der er auf verschiedene Weise interagiert und vor deren Hintegrund er seine eigene Persönlichkeit profiliert. 313 Was die Adres‐ saten der Briefe betrifft, hat man sich bisher weniger mit literarischen als prosopographischen Fragen beschäftigt 314 oder prominenteren Briefpartnern wie Tacitus und Sueton die Aufmerksamkeit geschenkt. 315 Im Unterschied zu 109 2.4 Adressaten und Figurenarsenal 316 Gibson/ Morello (2012), 139; eine spätantike Handschrift (New York, Pierpont Morgan M.462) überliefert eine Inhaltsangabe zu den Briefbüchern, die aus einer Liste der Adressatennamen und dem Incipit des jeweiligen Briefes besteht; Gibson (2014a) vermutet, dass Plinius selbst diesen Index nach dem Vorbild Quintilians und des älteren Plinius erstellt haben könnte; dem Leser werde durch dieses Hilfsmittel eine Lektüre nach Adressaten ermöglicht. 317 Mit elf Briefen nimmt Tacitus die Spitzenposition ein, während Calpurnius Fabatus neun und Voconius Romanus acht Schreiben erhält. 318 Einen nützlichen Überblick bieten Gibson/ Morello (2012), 274‒92. 319 S. S 134-44. 320 Zu diesem Brief vgl. Sherwin-White (1966), 238‒9. 321 Epist. 1,4 an Pompeia Celerina; 2,4 an Calvina; 3,3 an Corellia Hispulla; 7,14 an Corellia; 4,19 und 8,11 an Calpurnia Hispulla; 6,4, 6,7 und 7,5 an Calpurnia; vgl. Carlon (2009); Shelton (2013). Briefsammlungen wie etwa denjenigen Ciceros und Senecas sind die neun Briefbücher des Plinius nicht nach Adressaten arrangiert oder nur an einen Adressaten gerichtet, sondern spiegeln das in Epist. 1,1 formulierte Prinzip der zufälligen Anordnung wider, indem jeder Brief für einen anderen Empfänger bestimmt ist, was der Sammlung einen „reality effect“ verleiht. 316 Manche Adres‐ saten, wie etwa Tacitus, Calpurnius Fabatus oder Voconius Romanus, 317 erhalten mehrere Briefe, während andere seltener oder gar nur einmal als Empfänger auftauchen. 318 Sowohl thematisch als auch hinsichtlich der Empfänger ist die Briefsammlung dem Prinzip der Abwechslung verpflichtet, wobei folgende Ausnahmen bzw. Besonderheiten ins Auge stechen: In Epist. 2,11‒12 sowie 2,20 und 3,1 wird in zwei unmittelbar aufeinander folgenden Schreiben derselbe Adressat angesprochen. 319 Der Brief 3,10 wiederum ist an zwei Empfänger gerichtet, nämlich Vestricius Spurinna und seine Frau Cottia. 320 Während die Mehrzahl der Plinius-Briefe an Männer von unterschiedlicher sozialer Stellung adressiert ist, gibt es auch eine Reihe von Frauen, die uns als Empfängerinnen begegnen. 321 Gibson und Morello (2012: 141) weisen darauf hin, dass die meisten für Plinius wichtigen Personen bereits in Buch 1 der Briefe auftreten und später in der Sammlung erneut in Erscheinung treten. Da Plinius sein Briefkorpus sorgfältig komponiert hat, dürfte auch das Auftreten der verschiedenen Adres‐ saten keineswegs dem Zufall geschuldet sein, sondern auf kompositorischen Prinzipien basieren. Während manche Personen bereits als handelnde Figuren agieren, bevor sie in die Rolle des Briefempfängers schlüpfen, verhält es sich bei anderen umgekehrt. Für den modernen Leser mag es ungewöhnlich erscheinen, dass Plinius als ersten Adressaten und gleichzeitig Widmungsträger der Sammlung Septicius Clarus gewählt hat, der zur Zeit der Veröffentlichung noch relativ unbedeu‐ 110 2 Epistolographie und Narratologie 322 Er wurde 118 n. Chr. Prätorianerpräfekt und war Widmungsträger der Kaiserviten Suetons; vgl. Johannes Lydus, De mag. 2,6; Sherwin-White (1966), 85; Gibson/ Morello (2012), 157. 323 Gibson/ Morello (2012), 160: „There are remarkably few letters to this (relatively) modest addressee…These letters encompass, then, the private friendship between two men who ought to share simple meals and bookish chat, the wide circle of unnamed friends, and the writer’s affection even for his social inferior - a good sample, in other words, of Pliny’s friendly interactions“. 324 S. S. 75-6. 325 Vgl. neben Epist. 1,5 noch 1,20,14; 2,11,22; 2,20; 4,2; 4,7; 6,2: Ludolph (1997), 142; Ash (2013a); zu Epist. 1,5 s. S. 127-30. 326 An Caecilius Celer ist Epist. 7,17 gerichtet; Fabius Iustus erhält die Briefe 1,11 und 7,2; Vestricius Spurinna ist auch in Epist. 2,7, 3,1 und 4,27 handelnde Figur, in 3,10 und 5,17 hingegen Adressat; Iunius Mauricus ist noch handelnde Figur in Epist. 3,11 und 4,22, Adressat in 1,14, 2,18 und 6,14; vgl. Neger (2020). 327 Zu seiner Rolle in den Briefen vgl. Gibson/ Morello (2012), 149‒54. tend gewesen sein dürfte und sich erst unter Hadrian politisch etablierte. 322 Sherwin-White (1966: 85) vermutet, dass Plinius es vermeiden wollte, andere Senatoren vor den Kopf zu stoßen, indem er jemanden aus dem Rittestand an den Anfang des Briefkorpus stellte. Hoffer (1999: 22) interpretiert die Wahl des Widmungsträgers als Ausdruck dessen, dass Plinius - anders als etwa sein Zeitgenosse Martial - keiner Widmung „nach oben“ bedurfte und Septicius Clarus lediglich ein „Platzhalter“ sei und beliebig ausgetauscht werden könne. Gowers (1993: 272) hingegen argumentiert, dass Plinius den zukünftigen Erfolg des Clarus vorausgeahnt und sozusagen in die Zukunft „investiert“ habe. Gibson und Morello (2012) wiederum sehen die Wahl des Widmungsträgers vor dem Hintergrund der Selbstdarstellung des Plinius, in dessen Briefkorpus die Interaktion mit sozial niedriger gestellten Personen großen Raum einnimmt. 323 Wie schon in anderem Zusammenhang besprochen wurde, bietet sich der Name Clarus auch für ein Wortspiel an, indem er am Beginn der Briefsammlung Pedanius Fuscus, dem Adressaten des letzten Briefes, gegenübersteht. 324 Mehreren Figuren, die in anderen Briefen als Adressaten auftauchen, be‐ gegnen wir innerhalb der Narration in Epist. 1,5, wo mit Marcus Aquilius Re‐ gulus eine Kontrastfigur zu Plinius eingeführt wird, die der Epistolograph auch anderweitig negativ charakterisiert. 325 Regulus erscheint in der Briefsammlung stets als handelnde Figur, niemals jedoch als Adressat. Anders verhält es sich mit Caecilius Celer, Fabius Iustus, Vestricius Spurinna und Iunius Mauricus, die allesamt in der Handlung der Epist. 1,5 „mitspielen“ und in späteren Briefen auch die Rolle der Adressaten übernehmen. 326 Voconius Romanus wiederum, der Adressat von Epist. 1,5, erhält seinerseits eine Reihe an Briefen mit einem breiten inhaltlichen Spektrum und überwiegend bedeutenden Themen: 327 Epist. 2,1 über 111 2.4 Adressaten und Figurenarsenal 328 Vgl. Frass (2008); Whitton (2013a),193‒4 identifiziert den Adressaten mit L. Neratius Priscus; vgl. Camodeca (2007). 329 Gibson/ Morello (2012), 150. 330 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 138‒9 und 429, der Epist. 7,22 auf 106/ 7 n. Chr. datiert. das Staatsbegräbnis für Verginius Rufus, 3,13 über den Panegyricus, 6,15 über einen peinlichen Vorfall bei einer Rezitation, 6,33 über die Rede für Attia Viriola, 8,8 über den Fons Clitumnus, 9,7 über Plinius’ Villen am Comersee und 9,28 mit dem Dank für drei Briefe, die Voconius aus Spanien gesendet hat; Voconius wird außerdem in Epist. 2,13 einem gewissen Priscus empfohlen und in diesem Rahmen näher charakterisiert, 328 und in Epist. 10,4 bittet Plinius Kaiser Trajan, Voconius Romanus in den Senatorenstand zu erheben. Als Figur, die neben Tacitus und Calpurnius Fabatus zu den häufigsten Adressaten im Briefkorpus zählt, fungiert Voconius Romanus als eine Art „navigational landmark“ für den Leser, 329 der sich innerhalb einer Vielzahl von bekannten und weniger bekannten Individuen zu orientieren versucht. Zu den für heutige Leser vermutlich weniger bekannten Zeitgenossen des Plinius dürfte etwa Cornelius Minicianus gehören, der insgesamt drei Briefe erhält (3,9; 4,1; 8,12) und selbst Gegenstand der Epist. 7,22 ist, wo er von Plinius für das Amt des Militärtribuns empfohlen wird. Die betreffenden Briefe sind inhaltlich und formal unterschiedlich gestaltet, insofern als es sich bei 3,9 und 4,11 um narrative Texte handelt - ein Prozessbericht und eine Art „Sensations‐ geschichte“ -, während Epist. 8,12 stärker dem Prinzip des loqui verpflichtet ist, wenn Plinius seine Gründe für den Besuch bei einer bevorstehenden Rezitation des Titinius Capito darlegt. Die kurze Epist. 7,22, in der Minicianus als dritte Person erscheint, ist als Empfehlungsschreiben gehalten. Im Folgenden sei die Charakterisierung des Minicianus in dieser Briefserie und seine Funktion im Rahmen der literarischen Gestaltung der einzelnen Briefe betrachtet. Beginnen wir bei Epist. 7,22 an Pompeius Falco, 330 wo wir konkretere Informationen über die Figur des Minicianus erhalten. Plinius, so erfahren wir hier, hatte bereits in einem früheren Brief an Falco um das Tribunat für einen Freund gebeten und verrät nun in diesem Schreiben, um wen es sich dabei handelt (1: quis ille qualisque). Cornelius Minicianus wird daraufhin folgendermaßen beschrieben (2): est Cornelius Minicianus ornamentum regionis meae seu dignitate seu moribus. natus splendide abundat facultatibus, amat studia, ut solent pauperes. idem rectissimus iudex, fortissimus advocatus, amicus fidelissimus. 112 2 Epistolographie und Narratologie 331 Seine Laufbahn ist auch inschriftlich belegt (ILS 2722); Sherwin-White (1966), 429‒30. 332 Er gehörte offenbar zum Ritterstand, wie die Formulierung splendide natus suggeriert; Sherwin-White (1966), 430. 333 Page (2015), 152‒3. 334 Vgl. Beck (2012), 130. 335 S. Kap. II.1.3. Wie Plinius stammt auch Minicianus aus der Transpadana, genauer gesagt aus Bergamum, 331 und ehrt dem Epistolographen zufolge seine Heimat durch dignitas und mores. Zudem zeichne sich Minicianus durch eine angesehene Her‐ kunft 332 und sein Vermögen sowie die Liebe zu den Studien aus. Als Richter sei er äußerst gewissenhaft, als Anwalt sehr mutig, als Freund besonders zuverlässig - man könnte meinen, es handle sich hier um ein Spiegelbild des Plinius. Auffällig an dieser laudatio ist, dass Plinius keinerlei militärische Qualifikationen nennt, die für das angestrebte Amt relevant gewesen wären. 333 Stattdessen streicht er allgemeine Charakterzüge heraus, die Minicianus für eine Führungsposition empfehlen. Minicianus sei, so betont Plinius am Ende des kurzen Briefes, allen Ehrungen und Auszeichnungen gewachsen (3: hominem omnibus honoribus, omnibus titulis…parem) und sei dennoch ein äußerst bescheidener Mann (3: de modestissimo viro). Über diese Wesenszüge des Minicianus und die Tatsache, dass er offenbar jünger ist als Plinius, 334 weiß der Leser noch nichts, wenn er ihm zum ersten Mal in Epist. 3,9 begegnet, wo Plinius einen umfangreichen Bericht über den Repetundenprozess der Provinz Baetica gegen Caecilius Classicus an ihn adres‐ siert. 335 Der Epistolograph verzichtet hier auf eine längere Einleitung, die sein Verhältnis zum Adressaten in irgendeiner Weise näher beleuchtet, und beginnt gleich mit der Narration über den Fall (1: possum iam perscribere tibi, quantum in publica provinciae Baeticae causa laboris exhauserim). Im weiteren Verlauf dieser Erzählung wird die Person des Adressaten vorübergehend ausgeblendet, und erst am Ende integriert ihn Plinius wieder, indem er Minicianus mit Formulierungen wie concipere animo potes (24) und coniectabis ex hoc (26) direkt anspricht und dazu animiert, sich die mit dem Prozess verbundenen Mühen und Schwierigkeiten vorzustellen. Ziel der Narration war es, fährt Plinius fort, Minicianus gleichsam in die Position des Prozessbeobachters zu versetzen, ihn vom absens zum praesens zu machen (26: non potui magis te in rem praesentem perducere). Im Anschluss daran inszeniert Plinius eine Diskussion mit seinem Adressaten, indem er diesen als Interlokutor gegen die Länge des Briefes pro‐ testieren lässt (27: dices: ‘non fuit tanti; quid enim mihi cum tam longa epistula? ’) und ihm dann antwortet, er möge nicht dauernd fragen, was in Rom geschehe (27: nolito ergo identidem quaerere, quid Romae geratur). Plinius spielt hier auf 113 2.4 Adressaten und Figurenarsenal 336 Vgl. Mart. 2 praef. 1: ‘quid nobis’ inquis ‘cum epistula? ’ S. S. 164-5. 337 S. S. 86-95. 338 Vgl. Whitton (2013b), 45‒6. Martials Prosavorrede zum zweiten Buch der Epigramme an, wie in einem späteren Kapitel noch ausführlicher besprochen wird. 336 Während bei Martial der Widmungsträger des liber, ein gewisser Decianus, die Kombination eines Epigrammbuches mit einer Prosaepistel kritisiert und mit seiner Beschwerde verhindert, dass der Dichter seine Prosavorrede noch weiter in die Länge zieht, verhält es sich bei Plinius genau umgekehrt: Hier trägt der fingierte Einwand des Adressaten dazu bei, dass Plinius den Brief noch weiter ausdehnt, nachdem er Minicianus - ähnlich wie Apollinaris in Epist. 5,6,44 - darüber belehrt hat, dass die Länge des Briefes durch die komplexe Struktur des Falles gerechtfertigt sei (27: memento non esse epistulam longam, quae tot dies, tot cognitiones, tot denique reos causasque complexa sit). 337 Plinius ist der Ansicht, dass er alles sowohl breviter als auch diligenter geschildert habe (28), muss sich dann aber gleich korrigieren (28: temere dixi ‘diligenter’), da ihm nun ein Detail einfällt, dass er vergessen hat und nach dem Vorbild Homers nachtragen will (28‒35). Auf diese erste false closure folgt noch eine weitere, wenn Plinius abermals etwas ausgelassen zu haben bemerkt (36: rursus paene omisi) und erst nach dem zweiten Nachtrag seinen Brief tatsächlich beendet (37). 338 Als Adressat dieses Briefes bleibt Minicianus eine relativ stereotype Figur, die sich offenbar irgendwo außerhalb Roms aufhält und von Plinius als neugierig bezüglich der Ereignisse in der Hauptstadt charakterisiert wird. Die Aussage, Minicianus wolle ständig wissen, was in Rom passiert (27), suggeriert dem Leser, dass Minicianus und Plinius bereits in einem längeren Austausch stehen, wenn‐ gleich man innerhalb der Briefsammlung diese Konstellation von Adressant und Adressat zum ersten Mal in Epist. 3,9 antrifft. Plinius konstruiert seinen Adressaten als Dialogpartner, mit dem er über Aspekte wie angemessene Länge und Reihenfolge einer Erzählung diskutiert. Durch die Anspielung auf Martial, dessen zweite Prosaepistel größtenteils aus der Protestrede des Interlokutors besteht, wird Minicianus einerseits in die Tradition dieser Figuren gestellt, andererseits indirekt als Kenner der Epigrammbücher charakterisiert, wenn er mit denselben Worten spricht wie Martials Adressat der Epistel am Beginn von Buch 2. Nach dem Prozessbericht in Epist. 3,9 begegnet uns Minicianus erneut in Epist. 4,11, diesmal als Rezipient einer Skandal-Geschichte, die sich um den Ver‐ bannten Valerius Licinianus und die unter Domitian wegen Inzests verurteilte 114 2 Epistolographie und Narratologie 339 Zu diesem Brief vgl. Traub (1955), 213‒17; Illias-Zarifopol (1994), 28‒45; Pigoń (1999); Beck (2012); Schwerdtner (2015), 164‒73; Whitton (2019), 26‒7 und 447‒8; während es für das Kompositionsdatum des Briefes keine konkreten Anhaltspunkte gibt, spielt der Hauptteil der Erzählung (4‒13) in der Regierungszeit Domitians, vermutlich um das Jahr 90/ 1 n. Chr.; Sherwin-White (1966), 280‒85; Licinianus ist nur aus diesem Brief bekannt. 340 Illias-Zarifopol (1994), 30: „…impression of a spontaneous exchange of gossip“; Beck (2012), 145 vergleicht Plinius mit einem Journalisten. 341 Aufgegriffen wird dieser Ausspruch bei Juvenal (7,197‒8): si Fortuna volet, fies de rhetore consul; / si volet haec eadem, fiet de consule rhetor; Trisoglio (1973), I, 452 Anm. 154. 342 Vgl. Sherwin-White (1966), 281. Vestalin Cornelia dreht. 339 Nach Epist. 3,9 behandelt auch 4,11 zunächst eine Geschichte aus der Welt der Redner, wodurch suggeriert wird, dass der Adressat sich besonders für diese Themen interessierte. Der Beginn des Schreibens 4,11 vermittelt den Eindruck einer gewissen Sensationslust, die die beiden Briefpartner vereint (1: audistine Valerium Licinianum in Sicilia profiteri? ), wenn Plinius zunächst vom sozialen Abstieg des nach Sizilien verbannten Licinianus erzählt (1‒3). 340 Bei der Tätigkeit des Licinianus als Redelehrer handle es sich einerseits um eine Neuigkeit (1: recens nuntius), andererseits um ein tragisches Schicksal, da nicht nur aus einem einstigen Senator und „Staranwalt“ (1: inter eloquentissimos causarum actores) ein Verbannter, sondern aus einem orator gleichzeitig ein rhetor wurde (2). Seinen Adressaten unterhält Plinius außerdem mit dem Zitat eines Ausspruchs des Licinianus, den dieser in der Vorrede zu einem Vortrag getätigt haben soll (2): quos tibi, Fortuna, ludos facis? facis enim ex senatoribus professores, ex professoribus senatores. Bemerkenswert sei dieses bon mot  341 nicht nur wegen seines Pathos (2: dolenter et graviter), sondern insbesondere wegen seiner Bitterkeit (2: tantum bilis, tantum amaritudinis), wodurch man den Eindruck gewinne, dass Licinianus nur deshalb Redelehrer geworden sei, damit er Sentenzen wie diese zum Besten geben könne (2: ut mihi videatur ideo professus, ut hoc diceret). Mit dieser pointierten Feststellung liefert Plinius zugleich sein eigenes rhetorisches Gegenstück zum geistreichen Ausspruch des Licinianus. Eine weitere Anekdote, von der Plinius dem Adres‐ saten berichtet, besteht darin, dass der verbannte Licinianus nicht in der Toga auftreten durfte, sondern ein griechisches pallium trug, 342 jedoch trotz seiner Montur verkündete, auf Latein vortragen zu wollen (3: ‘Latine’, inquit, ‘decla‐ maturus sum’). Der Widerspruch zwischen dem griechischen Habitus und der lateinischen Deklamation erinnert an die schon in Epist. 3,9 evozierte Vorrede zu Buch 2 der Martial-Epigramme, wo der Interlokutor Decianus die Kombination von Epigrammen und Prosaepistel mit dem Auftritt eines Tänzers in einer 115 2.4 Adressaten und Figurenarsenal 343 Mart. 2 praef. 8‒9: noli ergo…rem facere ridiculam et in toga saltantis inducere personam. 344 Vgl. etwa Lefèvre (1999). 345 Vgl. Aristot. Poet. 6, 1449b. 346 Vgl. Sen. Oed. 21; 645; 1026; Töchterle (1994), ad loc.; Boyle (2011), ad loc.; vgl. Rank (1912). 347 Vgl. Illias-Zarifopol (1994), 29: „a prolepsis in narrative terms“. 348 S. S. 60-5. 349 Auf die Nähe dieses Briefes zur Historiographie weist bereits Traub (1955), 213‒7 hin. 350 Vgl. Ov. Rem. 375: tragicos decet ira cothurnos. Toga vergleicht und als lächerlich bezeichnet. 343 Zudem lässt der Gegensatz zwischen pallium und toga an die in fabula palliata und fabula togata unterteilte römische Komödie denken, 344 wodurch der Auftritt des Licinianus demjenigen eines komischen Schauspielers ähnelt. Nicht als komisch, sondern tragisch dürfte der Adressat, so mutmaßt Plinius, das Schicksal des Licinianus empfinden (4): dices tristia et miseranda, dignum tamen illum, qui haec ipsa studia incesti scelere macularit. Mit dem Gerundiv miserandus wird der in der aristotelischen Tragödientheorie diskutierte Begriff des ἔλεος evoziert, 345 und auch das scelus incesti ist - freilich in einer etwas anderen Ausprägung - ein in der Tragödie beheimatetes Motiv, insbesondere im Ödipus-Drama. 346 Die Überleitung von den jüngsten Neuigkeiten über Licinianus zu einem Vorfall in der Zeit des Domitian legt Plinius seinem Adressaten in den Mund, der sich hier als Interlokutor in indirekter Rede äußert und meint, Licinianus habe sein Schicksal verdient, da er die studia durch das scelus incesti entehrte. Mit dieser Äußerung wird dem Leser suggeriert, dass der Adressat die Geschichte über den Inzest-Skandal bereits kennt und dass seine Zwischenbemerkung die weitere Narration motiviert. Nachdem Plinius die neuesten Informationen über Licinianus präsentiert und mit der Geschichte an ihrem Ende begonnen hat (1‒3), 347 fingiert er nun eine Diskussion mit dem Adressaten, der Licinianus für schuldig hält, während Plinius dies zunächst infrage stellt (5: confessus est quidem incestum, sed incertum, utrum quia verum erat, an quia graviora metuebat, si negasset) und dann mit der Erzählung über die Verurteilung der Vestalin Cornelia fortfährt. Illias-Zarifopol (1994: 34) interpretiert diese von Plinius geäußerten Zweifel über die Schuld des Licinianus als Versuch, die Lektüre der weiteren Erzählung zu steuern und dem Leser zu suggerieren, dass auch die Vestalin unschuldig sei. Die von diesem Skandal handelnde Narration des Briefes (5‒13) lässt sich, nicht zuletzt wegen der vielen Figurenreden, 348 als tragische Geschichtsschreibung in epistolarem Format interpretieren, 349 in deren erster Szene ein wutentbrannter Domitian auftritt (5: fremebat enim Domitianus aestuabatque in ingenti invidia destitutus), 350 der uns in der gesamten Briefsammlung nur hier als handelnde 116 2 Epistolographie und Narratologie 351 Vgl. Illias-Zarifopol (1994), 28; Beck (2012), 131. 352 Vgl. Plin. Pan. 52,3; Suet. Dom. 22; Iuv. 2,29‒34; Cass. Dio 67,3; Sherwin-White (1966), 283; der Hinweis auf das Schicksal der Julia bildet eine narrative Analepse, wie Illias-Zarifopol (1994), 34 bemerkt. 353 Mit vicit triumphavit dürfte der Sieg Domitians über die Germanen (83 n. Chr.) und Daker (89 n. Chr.) gemeint sein; Sherwin-White (1966), 283. Tacitus und anderen Quellen zufolge handelt es sich beim Triumph über die Germanen um einen „fake“ (Tac. Agr. 39,1: derisui fuisse nuper falsum e Germania triumphum; vgl. Plin. Pan. 16,3; Cass. Dio 67,4,1); Woodman/ Kraus (2014), 286. 354 Eur. Hec. 569; zu diesem Zitat und seiner Integration in den Brief vgl. Schwerdtner (2015), 164‒6; vgl. Illias-Zarifopol (1994), 37: „The scene has indeed the grandeur of a Greek tragedy“. Figur begegnet. 351 Domitians Albaner Landhaus ist der Schauplatz des ersten Aktes (6), wo der Kaiser die Vestalin Cornelia in ihrer Abwesenheit wegen Inzest verurteilt und lebendig begraben lassen will. Als Erzähler spart Plinius hier nicht mit Bewertungen, wenn er diese Tat als Zeichen der immanitas tyranni und als Verbrechen bezeichnet, das demjenigen, über das geurteilt wurde, um nichts nachstand, zumal Domitian selbst seine eigene Nichte nicht nur geschändet, sondern sogar getötet haben soll, da sie an den Folgen einer Abtreibung verstarb. 352 Der zweite und mittlere Akt (7‒10) bildet zweifellos die Klimax der Erzählung und handelt von der Hinrichtung der Vestalin in einer unterirdischen Kammer sowie von der Bestrafung ihres angeblichen Liebhabers Celer auf dem Comitium. Beide Figuren betonen ihre Unschuld in direkter Rede (7: me Caesar incestam putat, qua sacra faciente vicit triumphavit! ; 10: quid feci? nihil feci! ), wobei sich Plinius bei den Worten der Cornelia fragt, ob sie ernst gemeint waren oder Domitian verspotten sollten (8). 353 Auch über Schuld oder Unschuld der Vestalin will der Erzähler kein Urteil fällen (8: nescio an innocens), hält aber fest, dass sie tamquam innocens (8) abgeführt worden sei. Als man sie nämlich ins subterraneum hinabführte, blieb sie mit der Stola hängen, und als der Henker ihr helfen wollte, wies sie seine Berührung energisch zurück, quasi plane a casto puroque corpore (9), was Plinius mit einem Zitat aus Euripides kommentiert (9): omnibusque numeris pudoris πολλὴν πρόνοιαν ἔσχεν εὐσχήμων πεσεῖν. Plinius greift hier einen Vers aus der euripideischen Hekabe heraus, der zum Bericht des Herolds Talthybios über den Tod der Polyxena durch die Hand des Neoptolemos gehört, 354 und signalisiert dadurch abermals die Nähe seiner Erzählung zum Drama sowie die seiner eigenen Person zu einem tragischen Berichterstatter. Der dritte und letzte Akt dieses epistolaren Dramuletts handelt von der Verwicklung des Licinianus in den Fall (11‒14): Wurde am Beginn des Briefes suggeriert, dass er selbst für die Entehrung der Vestalin verantwortlich war (4: 117 2.4 Adressaten und Figurenarsenal 355 Sherwin-White (1966), 284 zufolge handelt es sich dabei um eine Zeugin für die Schuld des Licinianus; vgl. Illias-Zarifopol (1994), 41 Anm. 28; Beck (2012), 146‒51 argumentiert, dass Licinianus selbst keinen incestus begangen habe. 356 Mit der Junktur ardebat ergo Domitianus (11) wird der Beginn der Cornelia-Handlung ringkompositorisch aufgegriffen (5: fremebat enim Domitianus aestuabatque); vgl. Illias-Zarifopol (1994), 39. 357 Zu seiner Person s. S. 127. 358 Hom. Il. 18,20; vgl. Schwerdtner (2015), 168‒70. 359 Quintilian zufolge sei der Bericht über den Tod des Patroklos in der Ilias ein Muster‐ beispiel für die brevitas einer Erzählung (Inst. 10,1,49): narrare vero quis brevius quam qui mortem nuntiat Patrocli; Schwerdtner (2015), 169‒70. 360 Vgl. Epist. 1,5,3; 3,11,3; 7,19,5; 7,33. 361 Vgl. Illias-Zarifopol (1994), 40: „…symbolism of the encounter between Senecio and Domitian…prefiguring what was soon going to be the worst chapter in Domitian’s reign“. incesti scelere macularit), so stellt sich nun heraus, dass ihm nur vorgeworfen wurde, eine Freigelassene der Cornelia auf seinem Landgut versteckt zu haben (11). 355 Mit der Verurteilung der Vestalin hatte Domitian sich den üblen Ruf der Grausamkeit und Ungerechtigkeit zugezogen, 356 und die Anwälte des Licinianus rieten diesem, zu einem Geständnis Zuflucht zu nehmen, um der Auspeitschung auf dem Comitium zu entgehen. Licinianus befolgte diesen Rat (11: fecit) und wurde in seiner Abwesenheit vor dem Kaiser von niemandem geringeren als Herennius Senecio 357 vertreten, der vom Geständnis seines Mandanten mit Worten im Sinne des homerischen κεῖται Πάτροκλος berichtet haben soll (12): ait enim: ‘ex advocato nuntius factus sum; Licinianus recessit.’ Durch das Homer-Zitat wird Senecio indirekt mit Antilochos verglichen, der Achill im 18. Gesang der Ilias die Nachricht vom Tod des Patroklos überbringt, 358 wobei die lateinische Junktur Licinianus recessit die berühmten Worte aus dem Epos in chiastischer Folge imitiert. 359 Nach Senecio kommt auch dessen evil counterpart Domitian in direkter Rede zu Wort, wenn er sich selbst in seiner Freude über das Geständnis des Licinianus verrät und sagt absolvit nos Licinianus (13). Dies ist die einzige Stelle im Briefkorpus, wo wir Domitian sprechen hören - seine weitere Rede, in der der Kaiser den Angeklagten mit einer milden Verbannung sozusagen „belohnte“ (13: exsiliumque molle velut praemium dedit), gibt Plinius in oratio obliqua wieder (13: adiecit etiam non esse verecundiae eius instandum…). Senecio und Domitian sind somit die Hauptprotagonisten des dritten Aktes, in dem Licinianus als Figur abseits der Bühne erscheint. Angesichts des weiteren Schicksals des Senecio, über das der Leser der Briefsammlung an diesem Punkt bereits Bescheid weiß, 360 gewinnt diese Szene einiges an dramatischer Spannung. 361 Die Narration über den Inzest-Skandal endet mit einem kurzen Hinweis auf die clementia Nervas, durch die Licinianus später nach Sizilien 118 2 Epistolographie und Narratologie 362 Die negativen Züge kommen ab Kap. 10 zum Tragen (Dom. 10,1): sed neque in clementiae neque in abstinentiae tenore permansit, et tamen aliquanto celerius ad saevitiam descivit quam ad cupiditatem. 363 Suet. Dom. 8,3‒4: incesta Vestalium virginum, a patre quoque suo et fratre neglecta, varie ac severe coercuit, priora capitali supplicio, posteriora more veteri. nam cum Oculatis sororibus, item Varionillae liberum mortis permisisset abitrium corruptoresque earum relegasset, mox Corneliam maximam virginem absolutam olim, dein longo intervallo repetitam atque convictam defodi imperavit stupratoresque virgis in comitio ad necem caedi, excepto praetorio viro, cui, dubia etiam tum causa et incertis quaestionibus atque tormentis de semet professo, exilium indulsit; die Unterschiede zwischen den Versionen bei Sueton und Plinius und die Rolle Domitians diskutiert ausführlich Beck (2012); vgl. Traub (1955), 213‒32; Illias-Zarifopol (1994), 42‒5; Stepper (2003), 147‒55; Pigoń (1999) identifiziert die bei Plinius und Sueton genannte Cornelia mit der bei Tacitus (Ann. 15,22,2) erwähnten Cornelia ex familia Cossorum. 364 Auch die Figur des carnifex, der Cornelia beim Abstieg in die unteridrische Kammer helfen will (9), spielt bei Sueton keine Rolle, ebenso wie die pontifices, die bei Plinius als anonyme Helfer des Tyrannen auftreten. gebracht wurde, wo er nun als Redelehrer tätig sei und sich in seinen praefationes am Schicksal räche (14: ubi nunc profitetur seque de fortuna praefationibus vindicat). Mit nunc ist die Brücke zum Beginn des Briefes geschlagen, wo Plinius seinem Adressaten aktuellen „Klatsch“ zu berichten vorgibt, den er anschließend im Rahmen einer Analepse zu einer dramatischen Mini-Historie ausweitet. Die Version des Plinius über die Verurteilung der Vestalin Cornelia unter‐ scheidet sich auffällig von derjenigen Suetons, die wir in der Domitian-Vita lesen. Sueton berichtet von dem Vorfall im Kontext der Darstellung von Domi‐ tians juristischen Maßnahmen, die noch in den Abschnitt vor der Veränderung des Prinzeps zum grausamen Tyrannen gehören (8,1: ius diligenter et industrie dixit). 362 Sueton, der von Cornelias Fall im für ihn typischen Protokollstil be‐ richtet, liefert uns ein wichtiges Detail, das Plinius in seiner Version verschweigt, nämlich dass Cornelia in einem früheren Prozess schon einmal wegen incestum angeklagt und freigesprochen worden war, viele Jahre später jedoch erneut belangt und verurteilt wurde. 363 Im Unterschied zu Sueton ist Plinius überhaupt nicht daran interessiert, die Rolle des Kaisers in irgendeiner Form positiv oder zumindest neutral zu beleuchten, sondern spitzt die Handlung auf einen Punkt - den zweiten Prozess - zu und lässt Domitian in seinem Brief als Musterexemplar des grausamen Tyrannen auftreten, komponiert gleichsam eine fabula praetexta in Prosa. Anders als Sueton, der Licinianus nicht namentlich erwähnt, sondern nur von einem vir praetorius spricht, und auch die Personen des eques Romanus Celer und des Anwalts Herennius Senecio nicht näher identifiziert, greift Plinius diese Charaktere heraus 364 und funktionalisiert den einen als Gegenstand des 119 2.4 Adressaten und Figurenarsenal 365 Epist. 3,11,3: septem amicis meis aut occisis aut relegatis, occisis Senecione, Rustico, Helvidio…; 7,33,4: dederat me senatus cum Herennio Senecione advocatum. 366 Zu Epist. 7,33 s. Kap. II.1.5. 367 In den Prozess-Briefen (s. Kap. II.1) sowie Naturschilderungen (s. Kap. II.4) tritt Plinius als Augenzeuge der Geschehnisse bzw. daran beteiligte Figur auf, während andere Erzählungen wie etwa in Epist. 3,16 über die ältere Arria, in 6,24 über den Selbstmord eines Ehepaars oder in 9,33 über den Delphin (s. Kap. II.4.5) als von anderen Gewährsleuten übernommen ausgewiesen werden. Gesprächs mit dem Adressaten Minicianus, die anderen beiden als handelnde bzw. sprechende Figuren im epistolaren Domitian-Drama. Nachdem Minicianus, der Adressat des Briefes, durch eine Zwischenbemer‐ kung die Narration über den Cornelia-Fall motiviert hat (4), danach jedoch aus der Erzählung ausgeblendet worden ist, wird er am Schluss wieder integriert und von Plinius direkt angesprochen (15): vides, quam obsequenter paream tibi, qui non solum res urbanas, verum etiam peregrinas tam sedulo scribo, ut altius repetam. Bereits in Epist. 3,9 wurde Minicianus als jemand charakterisiert, der sich neugierig nach den Ereignissen in Rom erkundigt (27), und in Epist. 4,11 führt Plinius diese Charakterisierung weiter, indem er nun neben den res urbanae auch res peregrinae liefert und dabei sogar weiter ausholt, wie die narrative Analepse in Epist. 4,11 verdeutlicht. Plinius war davon ausgegangen, dass sein Adressat aufgrund seiner damaligen Abwesenheit (15: quia tunc afuisti) nur von der Verbannung des Licinianus ob incestum gehört habe, das heißt nur über Hörensagen, das ja nur den Ausgang des Geschehens, nicht aber seinen Hergang berichte (15: summam enim rerum nuntiat fama, non ordinem). Diese Aussage wirft die Frage auf, inwieweit Plinius, der seinem Freund von dem Geschehen erzählt, selbst als Augenzeuge daran beteiligt war - der Fall wurde ja außerhalb Roms in Domitians Villa Albana verhandelt und spielt dann im subterraneum, lediglich Celer wird öffentlich ausgepeitscht. Da Plinius in seiner Narration die Person des Herennius Senecio herausstreicht, den er an anderer Stelle als Freund und Kollegen charakterisiert, 365 lässt sich vermuten, dass dieser als Verteidiger des Licinianus die Quelle für Plinius ist. Oder gehörte etwa Plinius selbst, der mit Senecio zusammen auch gegen Baebius Massa auftrat, 366 zu den Anwälten des Licinianus (4,11,11: quibus erat curae)? Während der Epistolograph in anderen Narrationen durchaus deutlich macht, ob er eine Geschichte selbst miterlebt oder aus anderer Quelle erfahren hat, 367 fehlen solche Anhaltspunkte in Epist. 4,11. Auffällig ist auch der Hinweis auf den Hergang einer Geschichte (ordo), den ein Gerücht angeblich nicht beibehalte. Die Frage der Reihenfolge in einer Narration wurde auch in der ebenfalls an Minicianus gerichteten Epist. 3,9 aufgeworfen, wo Plinius das Problem nicht nur mit Verweis auf Homer thematisiert, sondern auch mit dem Kunstgriff des 120 2 Epistolographie und Narratologie 368 Zu diesen beiden Kategorien in der Narratologie vgl. etwa Martinez/ Scheffel (1999), 32‒44. 369 Zu diesem Brief vgl. Ludolph (1997), 77‒8; zu Titinius Capito vgl. Epist. 1,17 und 5,8; seine Zugehörigkeit zum Ritterstand und seine Karriere sind durch eine in Rom gefundene Inschrift (CIL 6, 798 = ILS 1448) belegt; unter Domitian, Nerva und Trajan hatte er das Amt des ab epistulis et a patrimonio inne; spätestens 102 n. Chr. wurde er zum praefectus vigilum ernannt; Sherwin-White (1966), 125; Fein (1994), 151‒5. Hysteron-Proteron spielt, indem er gleich zweimal Informationen nachträgt, die chronologisch an einem früheren Punkt der Erzählung hätten geliefert werden müssen. Auch in Epist. 4,11 ist die chronologische Ordnung verkehrt, indem Plinius den Brief mit den jüngsten Ereignissen beginnt und erst danach die Vorgeschichte erzählt. Der Vergleich mit Sueton hat zudem gezeigt, dass auch Plinius den ordo rerum keineswegs so verlässlich nachzeichnet, wie er behauptet, da er die erste Verhandlung, in die Cornelia involviert war, überhaupt nicht erwähnt. So gesehen ist auch seine Version eher eine auf bestimmte Aspekte zugespitzte summa rerum und kein historisch akkurater Bericht. Es zeigt sich, dass Minicianus in den Briefen 3,9 und 4,11 als epistolares Du erscheint, mit dem Fragen diskutiert werden, die in der modernen Narratologie den Kategorien der Reihenfolge und Dauer bzw. Erzählzeit entsprechen; 368 zudem hat Minicianus als Interlokutor auch einen direkten Einfluss auf die Gestaltung der jeweiligen Narration, die als Teil eines epistolaren Dialogs präsentiert wird. So wünscht sich Plinius am Ende der Epist. 4,11 auch eine Gegenleistung für seinen Bericht und fordert Minicianus dazu auf, seinerseits Neuigkeiten aus seinem oppidum und dessen Umgebung zu schreiben (16: mereor, ut vicissim, quid in oppido tuo, quid in finitimis agatur - solent enim quaedam notabilia incidere -, perscribas). Wo dieses oppidum liegt, erfahren wir hier noch nicht - erst aus Epist. 7,22 geht hervor, dass es sich um die Heimatregion des Plinius handelt (2: regionis meae). Falls sich dort gerade nichts Bemerkenswertes ereignet, soll Minicianus wenigstens einen auf Zeile und Silbe gleich langen Brief über ein beliebiges Thema verfassen (4,11,16). War Cornelius Minicianus in Epist. 7,22 selbst Gegenstand eines Charakter‐ porträts, so erhält er mit Epist. 8,12 einen Brief, in dem Plinius den Literaten Titinius Capito porträtiert. 369 Auf den ersten Blick unterscheidet sich dieses Schreiben insbesondere formal von den Briefen 3,9 und 4,11, doch bei näherem Hinsehen wird deutlich, dass hier wie dort das Thema Erzählen eine wichtige Rolle spielt. Plinius beginnt den Brief 8,12 mit der Ankündigung, dass er sich „nur für diesen Tag“ entschuldige, um die Rezitation des Titinius Capito zu besuchen (1: hunc solum diem excuso); warum sich Plinius gegenüber Minicianus zu entschuldigen hat, bleibt offen. Der Epistolograph fügt hinzu, dass er den 121 2.4 Adressaten und Figurenarsenal 370 Vgl. Epist. 5,5,3; 6,16. 371 Zu diesem Brief und seiner Juxtaposition mit Epist. 1,16 vgl. Krasser (1993a); Ludolph (1997), 76‒82. 372 Der Name wird von der Handschriftengruppe β überliefert, während der Codex Veronensis deperditus (γ) die Lesart Iccianus aufwies, was sich möglicherweise als Verschreibung für Minicianus erklären lässt; in α fehlt die Epist. 1,17; ein Titianus ist Adressat der Epist. 9,32, wo das nomen nicht angeführt wird; Sherwin-White (1966), 124; es wäre zudem möglich, dass in β das cognomen Titianus versehentlich infolge einer Verwechslung mit dem im Haupttext genannten Titinius Capito abgeschrieben wurde. 373 Beim Kaiser dürfte es sich um Nerva handeln; auch Tacitus schildert den Prozess gegen L. Silanus nach der pisonischen Verschwörung und sein Lebensende (Ann. 16,7‒9); vgl. Sherwin-White (1966), 125‒6. Vortrag Capitos sowohl besuchen muss als auch will (1: quem ego audire nescio magis debeam an cupiam), und fährt dann fort mit einem Lob auf diesen Mann, der die Studien liebt, pflegt und fördert (1), sein eigenes Haus für Rezitationen zur Verfügung stellt und selbst eifrig die Vorlesungen anderer besucht, zu denen auch Plinius gehört (2: mihi certe, si modo in urbe, defuit numquam). Plinius sei deshalb dazu verpflichtet, zu Capitos Rezitation zu gehen, und tue dies auch gerne (3‒4), sowohl wegen Capitos literarischem Talent als auch des von ihm gewählten Stoffes: exitus inlustrium virorum (4). 370 Zu diesen viri illustres, deren Lebensende Capito beschreibe, gehören auch einige, die von Plinius sehr geschätzt wurden (4: in his quorundam mihi carissimorum), wobei wir keine konkreten Namen erfahren. Der Besuch der Rezitation ersetze für Plinius die Teilnahme an den Begräbnissen der Männer, gleiche sozusagen der Erfüllung einer frommen Pflicht, (5: fungi pio munere) und schaffe die Möglichkeit, zwar verspäteten, aber umso aufrichtigeren laudationes funebres beizuwohnen (5: seris quidem, sed tanto magis veris). Dieser Akt der Pietät entspricht demjenigen, was wir in Epist. 1,17 über Titinius Capito erfahren, wo Plinius diesen Mann ebenfalls porträtiert 371 - als Adressat dieses Briefes findet sich in den modernen Editionen ein ansonsten unbekannter Cornelius Titianus. 372 Über Titinius Capito schreibt Plinius in Epist. 1,17, dass er ein Musterbeispiel sei für jemanden, der sich Verstorbenen gegenüber pflichtbewußt verhält, da es ihm gelungen sei, vom Kaiser eine Genehmigung für die Errichtung eines Standbildes des L. Silanus, eines der Opfer Neros, auf dem Forum zu erwirken (1). 373 Überhaupt sei es ein besonderer Wesenszug Capitos, berühmte Männer zu verehren (2: est omnino Capitoni in usu claros viros colere), was auch darin zum Ausdruck komme, dass er bei sich zu Hause die Standbilder eines Brutus, Cassius und Cato in Ehren halte (3) und dem Leben eines jeden berühmten Mannes hervorragende Gedichte widme (3: idem clarissimi cuiusque vitam egregiis carminibus exornat). Durch sein löbliches 122 2 Epistolographie und Narratologie 374 Der Interpretation von Ludolph (1997), 78, dass sich „hinter vorgeblichem Wohl‐ wollen…harsche Kritik“ am literarischen Talent Capitos verbirgt, kann ich hier nicht folgen. 375 S. S. 97-100. Verhalten sorge Capito nicht nur für die Unsterblichkeit von Männern wie Silanus, sondern auch für seine eigene (4). Capitos Würdigungen von viri illustres durch Standbilder und literarische Werke entsprechen die Plinius-Briefe 1,17 und 8,12, in denen Capito, freilich als noch lebender Zeitgenosse, selbst den Gegenstand einer Huldigung bildet. 374 Es dürfte kein Zufall sein, dass die beiden Briefe, in denen das literarische Wirken und historische Pflichtbewusstsein Capitos gepriesen werden, einen Brief rahmen, in dem Capito die Rolle des Adressaten übernimmt und uns noch dazu als jemand begegnet, der Plinius zum Verfassen einer Historie rät (Epist. 5,8,1: suades, ut historiam scribam). Wie schon in anderem Zusammenhang erörtert wurde, liefert Plinius hier u. a. eine Synkrisis der narrativen Techniken in Historiographie und Redekunst und bittet Capito, sich über einen geeigneten Stoff für ein Geschichtswerk Gedanken zu machen. 375 Indem Plinius seinen Adressaten in Epist. 1,17 schon vorab charakterisiert hat und dies in Epist. 8,12 wiederholt, suggeriert er, dass diese Aufforderung aus besonders berufenem Mund erfolgt. Im Brief 8,12 überschneidet sich die Minicianus-Serie mit der Capito-Serie, beide Figuren tauchen im Briefkorpus sowohl als Adressaten als auch handelnde Figuren bzw. Gegenstand kürzerer Charakterporträts auf. Zudem spielen in beiden Zyklen die Themen des Erzählens und der historischen Erinnerung eine wichtige Rolle und werden in den einzelnen Briefen aus unter‐ schiedlicher Perspektive und mit unterschiedlicher Beteiligung der Adressaten reflektiert. Nach den hier angestellten Überlegungen zu den narratologischen Aspekten wie Stimme, Zeit, Raum und Figurenarsenal sollen im nächsten Abschnitt einzelne Briefe, Briefpaare und Briefzyklen interpretiert und ihre Narrativität näher untersucht werden. Es werden in weiterer Folge vier Themenfelder herausgegriffen, die für die Selbstdarstellung des Plinius zentral sind: Den Beginn macht ein Kapitel über die im Briefkorpus häufig zu findenden Berichte über Prozesse vor dem Senat und Zentumviralgericht, in denen Plinius zumeist selbst die Hauptrolle spielt und uns als Erzähler der Briefe seine rhetorischen Fertigkeiten als handelnde Figur am Schauplatz Gericht vor Augen führt (II.1). Es folgt ein Kapitel über Briefpaare, in denen verschiedene Formen von Schrift‐ lichkeit diskutiert werden und zugleich das Standesbewusstsein des Plinius als Senator zum Ausdruck kommt (II.2). Plinius’ Aktivitäten im otium stehen wiederum in Kapitel II.3 und II.4 im Vordergrund, wenn der Epistolograph 123 2.4 Adressaten und Figurenarsenal seine Biographie als Dichter von Kleinpoesie konstruiert und sich als Perieget, Naturbeobachter und Paradoxograph präsentiert. 124 2 Epistolographie und Narratologie II Narrative Strategien 1 Den Versuch, die im Briefkorpus erwähnten Reden des Plinius chronologisch aufzu‐ schlüsseln, unternimmt Kemper (1992), 18‒9. 2 An ihn sind auch die Briefe 2,1, 3,13, 6,15, 6,33, 8,8, 9,7 und 9,28 gerichtet; vgl. Sherwin-White (1966), 93. 3 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 93‒4. 4 Vgl. die Analyse des Briefes bei Illias-Zarifopol (1994), 79‒87; Ludolph (1997), 142‒66; Hoffer (1999), 55‒91; Beutel (2000), 201‒7; Ash (2013a), 214‒21; Balbo (2017), 94‒8; Keeline (2018b), 297‒9; zu Regulus als Ankläger vgl. Tac. Hist. 4,42,1; Suet. Nero 37,1; Cass. Dio 62,27,1; 63,18,2‒3. 5 Regulus befürchtete wohl einen Angriff durch Plinius, wie er im selben Jahr (97 n. Chr.) auch gegen Publicius Certus in der Rede De Helvidi ultione erfolgte; vgl. Epist. 9,13; Sherwin-White (1966), 491; s. Kap. II.1.6. 6 Arulenus Rusticus, der Bruder des Iunius Mauricus (Epist. 1,5,10; 1,14; 2,18; 6,14), und Herennius Senecio wurden 93/ 94 n. Chr. verurteilt und hingerichtet, weil sie Lobschriften auf Thrasea Paetus bzw. Helvidius Priscus verfasst hatten; vgl. Tac. Agr. 2,1; Suet. Dom. 10,3; Cass. Dio 67,13,2; Sherwin-White (1996), 95 und 444‒5. 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 1.1 Gerichtsverhandlungen unter Domitian in Buch 1 Das erste Mal begegnet uns Plinius vor Gericht 1 in Epist. 1,5 an Voconius Romanus 2 , wo er mit M. Aquilius Regulus 3 abrechnet, den er als berüchtigten Delator unter Nero und als Günstling Domitians charakterisiert. 4 Hatte Regulus unter Nero und Domitian noch alle möglichen Schandtaten verübt, so zeigt er sich nach dem Tod des letzten Flaviers als ängstlich und feige, ja insbesondere fürchtet er sich vor Plinius’ Zorn, wie es heißt (1: coepit vereri, ne sibi irascerer; nec fallebatur, irascebar). 5 Während der Regierungszeit Domitians setzte Regulus insbesondere Arulenus Rusticus und Herennius Senecio 6 hart zu (2-3). Zu diesen Opfern des Domitian-Regimes hätte beinahe auch Plinius selbst gehört, wie uns der folgende Abschnitt suggeriert (4‒8): Praeterea reminiscebatur, quam capitaliter ipsum me apud centumviros lacessisset. aderam Arrionillae Timonis uxori, rogatu Aruleni Rustici; Regulus contra. nitebamur nos in parte causae sententia Metti Modesti optimi viri: is tunc in exsilio erat, a Domitiano relegatus. ecce tibi Regulus ‘Quaero’, inquit, ‘Secunde, quid de Modesto sentias.’ vides quod periculum, si respondissem ‘bene’; quod flagitium si ‘male’. non possum dicere aliud tunc mihi quam deos adfuisse. ‘respondebo’ inquam ‘si de hoc centumviri iudicaturi 7 Sherwin-White (1966), 93 datiert das Schreiben auf Januar 97 n. Chr., da vom Amtsantritt des Prätors die Rede ist (1,5,11). 8 Zur Gliederung der Erzählung in fünf Abschnitte vgl. Ludolph (1997), 152‒3. 9 Vgl. Illias-Zarifopol (1994), 82. 10 Plinius dürfte ungeachtet des Terminus adesse hier nicht als Anwalt, sondern als Zeuge aufgetreten sein, wie aus 1,5,6 hervorgeht; vgl. Sherwin-White (1966), 97; Ludolph (1997), 153. 11 Ash (2013a), 216 weist auf die auffällige Häufung visueller Elemente in diesem Brief hin: vidistine (1), ecce (5), vides (5), vide (13). 12 Zu Modestus s. S. 45. 13 Während andere Oppositionelle gegen Domitian tatsächlich zum Tode verurteilt oder verbannt wurden, suggeriert Plinius dem Leser, dass er sich in Lebensgefahr (vgl. 1,5,4: capitaliter) befunden habe, sich aber durch seine Gewandtheit aus dieser befreien konnte; vgl. Beutel (2000), 204‒5; eine kritisch Analyse zur Selbstdarstellung des Plinius als Beinahe-Opfer Domitians bietet Strobel (2003). sunt.’ rursus ille: ‘quaero, quid de Modesto sentias.’ iterum ego: ‘solebant testes in reos, non in damnatos interrogari.’ tertio ille: ‘non iam quid de Modesto, sed quid de pietate Modesti sentias quaero’. ‘quaeris’ inquam ‘quid sentiam; at ego ne interrogare quidem fas puto, de quo pronuntiatum est.’ conticuit; me laus et gratulatio secuta est, quod nec famam meam aliquo responso utili fortasse, inhonesto tamen laeseram, nec me laqueis tam insidiosae interrogationis involveram. nunc ergo conscientia exterritus adprehendit Caecilium Celerem, mox Fabium Iustum; rogat ut me sibi reconcilient… Von der Gegenwart des an Voconius Romanus geschriebenen Briefes post Domitiani mortem  7 (1‒4a) richtet Plinius den Blick zurück auf die Herrschaftszeit Domitians (4b‒7); der Verlauf der hier geschilderten Handlung gleicht in seiner Struktur 8 und aufgrund der vielen direkten Reden einem Drama in nuce. Durch die Formulierung reminiscebatur quam capitaliter ipsum me…lacessisset wird der Leser schon in einer Art Prolepse auf das Folgende eingestimmt. 9 Zunächst schildert Plinius die Ausgangssituation im betreffenden Prozess (5: aderam… relegatus) ‒ auf Bitte des Arulenus Rusticus vertrat Plinius die Arrionilla 10 ‒ und leitet dann mit ecce (5) zum direkten Wortwechsel mit Regulus über, in dem sich Frage und Antwort dreimal wiederholen (5‒7: ecce tibi Regulus…rursus ille…tertio ille). 11 Plinius hebt das periculum hervor, dem er durch die Frage seines Kontrahenten über den verbannten Mettius Modestus 12 ausgesetzt war (5), und zieht dadurch eine Parallele zwischen sich selbst und dem zuvor genannten Arulenus Rusticus (2: Rustici Aruleni periculum foverat). 13 Zweifellos stellt die schlagfertige Antwort des Plinius auf die dritte Frage seines Gegners die Klimax der Episode dar, da Regulus nun zum Verstummen gebracht wurde (7: conticuit). Plinius hat den Spieß umgedreht und seinerseits die Loyalität des Regulus 128 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 14 Vgl. Bartsch (1994), 64. 15 Vgl. Ludolph (1997). 16 Zu diesem Brief als Modell vgl. auch S. 166-7. 17 Zu dieser Passage vgl. Shackleton Bailey (1965‒70), I, 320‒1; Rühl (2010), 143‒4. 18 Ash (2013a), 218 vermutet in der Fallstrick-Metapher (7: laqueis tam insidiosae interro‐ gationis) sowie im Hinweis auf die begeisterte Reaktion der Zuhörer eine Reminiszenz an Ciceros erste Rede Pro Cornelio (fr. 4 Crawford: eius modi mihi duos laqueos in causa esse propositos), die Quintilian zufolge begeisterten Applaus auslöste (Inst. 8,3,3: ut populus Romanus admirationem suam non acclamatione tantum, sed etiam plausu confiteretur); vgl. Crawford (1994), 102‒3. 19 In 1,5,10 verkündet Plinius als handelnde Figur in einer Unterredung mit Vestricius Spurinna, dass er auf Mauricus warten wolle (exspecto Mauricum) und fügt dann aus der Perspektive des Briefschreibers die Parenthese nondum ab exilio venerat hinzu; Murgia (1985), 196 sieht darin einen Hinweis für den allgemeinen Leser, da der Adressat des Briefes ja über das Exil des Mauricus Bescheid gewusst haben dürfte: „…the parenthesis has the look of a later addition, clarifying for the general reader what would not have needed clarification for the adressee of the letter.“ 20 Neben Epist. 1,5 gehören dazu Epist. 1,20,14; 2,11,22; 2,20; 4,2; 4,7; 6,2; eine Analyse des invektivischen Charakters dieser Briefe bietet Ash (2013a). 21 Dass Regulus schwer zu fassen sei, begründet Plinius mit seinem Reichtum und den zahlreichen nützlichen Beziehungen (1,5,15); vgl. Illias-Zarifopol (1994), 85. gegenüber dem Kaiser angezweifelt. 14 Indem Plinius in dieser „Paradeepistel“ 15 seine altercatio mit Regulus im Zentumviralgericht so anschaulich wiedergibt, dürfte er Ciceros Brief 1,16 an Atticus imitieren, 16 wo wir im Zusammenhang mit dem Bona-Dea-Skandal vom verbalen Schlagabtausch Ciceros mit Clodius während einer Senatssitzung lesen (10). 17 Wie Plinius gelingt es auch Cicero, seinen Gegner durch seine Schlagfertigkeit verstummen zu lassen (Att. 1,16,10: magnis clamoribus adflictus conticuit et concidit), und der Leser ist somit animiert, Regulus mit Ciceros Erzfeind Clodius zu assoziieren. Plinius lässt die Gerichts-Episode mit einer conclusio enden, in der wir von den positiven Reaktionen der Zuhörer erfahren (7: me laus et gratulatio secuta est, quod nec…involveram), 18 schließt die Rückblende in die Zeit des letzten Flaviers ab und kehrt mit nunc (8) wieder in die Gegenwart zurück, in der sich Regulus angeblich vor Plinius’ Zorn fürchtet. So handelt dann auch der Rest des Briefes von weiteren Versuchen des Regulus, Plinius zu besänftigen (8‒14), der jedoch die Rückkehr des Iunius Mauricus aus der Verbannung abwarten will, um über seine Vorgangsweise gegen Regulus zu entscheiden (10; 15‒16). 19 Wenn‐ gleich der Epistolograph im restlichen „Regulus-Zyklus“ der Briefsammlung 20 mehrmals verschiedene negative Charaktereigenschaften seines Kontrahenten hervorhebt, ist in keinem der betreffenden Briefe von einer Anklage durch Plinius die Rede. Dass womöglich zu wenig Belastendes gegen Regulus vorlag, blendet Plinius gekonnt aus; 21 stattdessen dient der Brief an Voconius Romanus 129 1.1 Gerichtsverhandlungen unter Domitian in Buch 1 22 S. S. 237. 23 An ihn ist auch Epist. 2,10 gerichtet; vgl. Sherwin-White (1966), 101. 24 Vgl. die Analyse bei Ludolph (1997), 173‒8; Schwerdtner (2015), 186‒95. 25 Wie die Ausgangslage in diesem Prozess beschaffen ist, wird von Plinius nicht näher erläutert. Möglicherweise hat Octavius Rufus Plinius gebeten, den in 1,7,4 erwähnten Gallus gegen die Baetiker zu vertreten, was Plinius aufgrund seiner Verbundenheit mit dieser Provinz nicht zusagen will; vgl. Ludolph (1997), 173 Anm. 232; Schwerdtner (2015), 186. 26 Murgia (1985), 194‒5. 27 Auch in Epist. 3,4,6 weist Plinius nochmal auf die für die Provinz Baetica aufgenom‐ menen Gefahren hin, ohne die näheren Umstände zu erläutern: quanta pro isdem Baeticis superiore advocatione etiam pericula subissem; s. S. 158. dazu, am Anfang der Sammlung Plinius als positives Kontrastbild zu Figuren wie Regulus zu stilisieren. Die erste Szene vor Gericht in der Briefsammlung führt uns also in die Herr‐ schaftszeit Domitians zurück und ist zudem äußerst anschaulich gestaltet, der Leser wird gleichsam zum Zuschauer der Auseinandersetzung zwischen Plinius und Regulus - diesen Kunstgriff der enargeia thematisiert der Epistolograph in anderen Prozessbeschreibungen sogar explizit, wie wir später noch sehen werden. 22 Was die restlichen in Buch 1 geschilderten Szenen vor Gericht betrifft, fällt auf, dass sie mehrheitlich in der Regierungszeit Domitians zu verorten sind, bevor wir dann in Buch 2 von aufsehenerregenden Verhandlungen unter Kaiser Trajan lesen. In der an Octavius Rufus 23 gerichteten Epistel 1,7 24 befindet sich Plinius, anders als in 1,5, außerhalb Roms (4: me circa idus Octobris spero Romae futurum) und erklärt seinem Adressaten, dass er die Entscheidungsfreiheit habe, die Provinz Baetica in einem nicht näher beschriebenen Prozess contra unum hominem (2) weder zu vertreten noch anzuklagen. 25 Der Brief eröffnet den Zyklus über verschiedene Repetundenprozesse, der sich über die Bücher 1‒7 erstreckt 26 und in den folgenden Kapiteln noch näher analysiert werden soll. Seine Weigerung, gegen die Provinz Baetica aufzutreten, rechtfertigt Plinius damit, dass er sich die Provinz durch frühere Dienste verpflichtet habe (2): provinciam, quam tot officiis, tot laboribus, tot etiam periculis meis aliquando devinxerim. Besonders das dritte Glied innerhalb dieser tot-Anapher dürfte den Leser, der auch mit Epist. 1,5 vertraut ist, aufhorchen lassen: Als pericula waren in 1,5 die Gefahren, denen man sich unter dem Domitian-Regime als Vertreter der stoischen Opposition ausgesetzt sah, bezeichnet worden; 27 eine lineare Lektüre des Briefkorpus macht deutlich, dass hier abermals auf die Herrschaftszeit Domitians angespielt wird. Wann genau und unter welchen Umständen sich Plinius für die Provinz Baetica eingesetzt hat, ist in 1,7,2 durch 130 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 28 Sherwin-White (1966), 101‒2; Ludolph (1997), 174‒5. 29 Zu den Repetundenprozessen bei Plinius vgl. Kemper (1992); Bablitz (2009). 30 Zu diesem Brief s. Kap. II.1.5; zwar bemerkt Murgia (1985), 197 hinsichtlich der vagen Andeutungen auf ein periculum in 1,7,2 und 3,4,6 zu Recht „the general reader of Ep. 1.7 and Ep. 3.4 must await Ep. 7.33 for clarification“, doch wird m. E. schon durch die in Brief 1,5 geschilderte Situation die Imagination des Lesers angeregt. 31 Kontext ist hier das Gebet des Achill an Zeus (Il. 16,233‒252), in dem der Gott gebeten wird, Patroklos bei der Vertreibung der Troer von den Schiffen zu unterstützen und ihn wohlbehalten aus dem Kampf zurückkehren zu lassen - die zweite, wichtigere Bitte wird bekanntlich nicht erhört. Eine analoge Situation könnte bei Plinius darin bestehen, dass er dem Adressaten Octavius Rufus zwar zusagt, die Baetiker diesmal nicht zu vertreten, ihm aber auch die Bitte abschlägt, die Verteidigung des in 1,7,4 erwähnten Gallus zu übernehmen; vgl. Schwerdtner (2015), 187. 32 Hintergrund ist Zeus’ Reaktion auf die Bitte der Thetis, er möge Achills Entehrung durch Agamemnon nicht ungestraft lassen; vgl. Schwerdtner (2015), 189. 33 Guillemin (1929), 115; Weische (1989), 380; Marchesi (2008), 220; Schwerdtner (2015), 193‒5; vgl. Enn. Med. fr. 4,259‒261; 8,273 Vahlen; zu Zitaten bei Cicero vgl. Stahlenbre‐ cher (1957); Behrendt (2013). aliquando wohl mit Absicht nur vage angedeutet; in dem an Tacitus gerichteten Brief 7,33 wird das Geschehen dann zeitlich konkreter verortet: 28 Dort lesen wir von Plinius’ heldenhaftem Auftreten zusammen mit Herennius Senecio, durch das die Interessen der Provinz Baetica im Repetundenprozess 29 gegen den Statthalter und Domitian-Günstling Baebius Massa im Jahr 93 n. Chr. vertreten werden sollten 30 - ein Ereignis, von dem Plinius sich wünscht, Tacitus möge es in seine Historien aufnehmen (7,33,1: illis…inseri cupio). Octavius Rufus, der Adressat von 1,7, ist ähnlich wie Tacitus Schriftsteller (Epist. 1,7,5 und 2,10 charakterisieren ihn als Dichter), und so passt es, dass Plinius seine Korrespondenz mit ihm durch Homer-Zitate anreichert. In seinem Schreiben an Plinius hatte Octavius seinen Freund anscheinend scherzhaft mit Zeus bei Homer verglichen, der Bitten entweder gewähren oder abschlagen kann (1,7,1 = Il. 16,250): τῷ δ᾽ ἕτερον μὲν ἔδωκε πατήρ, ἕτερον δ᾽ ἀνένευσεν. 31 Plinius greift das von Octavius gebrauchte Zitat auf und verleiht seiner Entscheidung im Zusammenhang mit dem Prozess um die Provinz Baetica somit episches Kolorit; dieses literarische Spiel wird im Verlauf des Briefes weitergeführt (1,7,4; vgl. Il. 1,528): Ἦ καὶ κυανέῃσιν ἐπ' ὀφρύσι νεῦσε. Cur enim non usquequaque Homericis versibus agam tecum?   32 Indem Plinius seine Unterhaltung mit Octavius Rufus durch Homerzitate anreichert, evoziert er womöglich ein Schreiben Ciceros an Trebatius, wo wir ein ähnliches Spiel mit Zitaten aus der Medea Exul des Ennius beobachten können (Fam. 7,6,2: et quoniam Medeam coepi agere). 33 Während Cicero zu Trebatius sozusagen in der theatralen Rolle Medeas spricht (Medeam agere), verwendet Plinius das Verb 131 1.1 Gerichtsverhandlungen unter Domitian in Buch 1 34 Vgl. OLD, 87‒90 s.v. ago. 35 Plinius und Sueton sollten vermutlich zusammen vor einem iudex privatus in einem Zivilstreit auftreten, weshalb es - anders als vor dem Zentumviralgericht - möglich ist, eine Verschiebung zu bewirken; vgl. Sherwin-White (1966), 128; zu Epist. 1,18 vgl. Merwald (1964), 26‒8; Bütler (1970), 19 f. 58; Offermann (1975), 128‒30; Schenk (1999); Baraz (2012); Schwerdtner (2015), 196‒207; Balbo (2017), 89‒94. 36 Mit diesen Worten fordert Achill vor der Heeresversammlung, dass man einen Seher befragen soll, warum Apollo den Griechen zürnt (Il. 1,59‒67); vgl. Epist. 6,8, wo aus demselben Kontext (Il. 1,88) zitiert wird; Schwerdtner (2015), 196‒7. 37 Über ihn ist kaum etwas bekannt, er könnte identisch sein mit dem bei Martial 9,22 angesprochenen Pastor; vgl. Sherwin-White (1966), 128. 38 Laut Sherwin-White (1966), 128 die Mutter von Plinius’ erster Frau; andere Gelehrte identifizieren sie mit Pompeia Celerina, der Adressatin von Epist. 1,4 und Mutter von Plinius’ zweiter Frau; Shelton (2013), 260. 39 Vgl. Gibson/ Morello (2012), 24; anders Sherwin-White (1966), 128, der für Titus argu‐ mentiert; die Tatsache, dass Plinius hier nicht explizit auf Domitians Terror-Regime agere im Sinne von „mit jemandem Umgang pflegen“, bzw. „kommunizieren“ 34 - die Korrespondenz über einen bevorstehenden Repetundenprozess gewinnt damit sozusagen eine epische Dimension. Sowohl das Thema des Prozessierens vor Gericht als auch das Einstreuen von Homer-Zitaten bilden eine Verbindung zur Epistel 1,18 an Sueton. Plinius antwortet hier auf ein Schreiben Suetons, in dem dieser von einem schlechten Traum berichtet (1: scribis te perterritum somnio vereri) und Plinius gebeten hat, eine bevorstehende Gerichtsverhandlung zu verschieben, da er den Traum als schlechtes Omen deutet. 35 Plinius willigt ein, es zu versuchen, mit der Begrün‐ dung καὶ γάρ τ' ὄναρ ἐκ Διός ἐστιν (1,18,1 = Il. 1,63). 36 Es folgt eine Passage, in der Plinius Sueton davon zu überzeugen versucht, dass man schlechte Träume auch positiv auslegen könne, so wie er selbst es einmal vor dem Prozess des Iunius Pastor 37 gemacht habe: Plinius sei im Schlaf die Schwiegermutter 38 erschienen und habe ihn angefleht, nicht vor Gericht aufzutreten (3). Plinius war damals noch ein ganz junger Mann, und der Fall hatte einiges an politischer Brisanz (3): Et eram acturus adulescentulus adhuc, eram in quadruplici iudicio, eram contra poten‐ tissimos civitatis atque etiam Caesaris amicos; quae singula excutere mentem mihi post tam triste somnium poterant. Die drei durch anaphorisches eram eingeleiteten Glieder dieser Aufzählung heben die Schwierigkeiten hervor, mit denen Plinius adulescentulus bei dem bevorstehenden Prozess konfrontiert war. Um welchen Kaiser es sich hier handelt, gegen dessen Freunde Plinius vorzugehen beabsichtigte, ist nicht näher erwähnt, jedoch dürfte der Leser nach der bisherigen Lektüre von Buch 1 auch hier an Domitian denken. 39 Indem sich Plinius als junger Mann präsentiert, 132 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht eingeht, muss allerdings nicht bedeuten, dass dessen Vorgänger gemeint ist („Hence this should be Titus - there is no hint of the terror of Domitian“) - vielmehr dürfte der Leser hier aufgefordert sein, den Hintergrund mithilfe der Informationen aus den anderen Prozess-Briefen in Buch 1 zu ergänzen. 40 Vgl. Schenk (1999), 125‒6; Schwerdtner (2015), 205‒6. 41 Vgl. Dyck (1996), 436. 42 Dass aus dem adulescens bei Cicero ein adulescentulus bei Plinius wird, lässt sich womöglich implizit als Wetteifern mit Cicero hinsichtlich der Altersstufen, in denen wichtige Sprossen auf der Karriereleiter erklommen wurden, verstehen; in Epist. 4,8,5 etwa rühmt sich Plinius, er habe das auguratum im selben Alter wie Cicero, das Konsulat sogar multo iuvenior erreicht. 43 Diesen Satz äußert Hektor gegenüber Polydamas, der seines Erachtens allzu viel auf Vorzeichen achtet. Auch Cicero in Att. 2,3,4 zitiert diesen Homer-Vers im Kontext seiner Überlegungen, ob er einen Ausgleich mit Caesar suchen soll, sodass man von einer „window-reference“ sprechen kann; auch Arist. Rhet. 1395a, Diod. 15,52,4, Plut. Pyrr. 29,2 und Mor. 333b‒c sowie Athen. 6,271a zitieren diesen Vers aus der Ilias; vgl. Schenk (1999), 127‒8; Marchesi (2008), 221; Baraz (2012), 107‒12; Schwerdtner (2015), 198‒207. Der epischen Warner-Figur Polydamas steht bei Plinius die Schwiegermutter gegenüber, und das Motiv der Warnung stellt zudem eine Verbindung zu Epist. 9,13 über De Helvidi ultione her. 44 Plinius zitiert in diesem Zusammenhang die Phrase quod dubites ne feceris (5) und bezeichnet sie als cautissimi cuiusque praeceptum; damit spielt er auf Cic. Off. 1,30 an (quocirca bene praecipiunt, qui vetant quicquam agere, quod dubites aequum sit an iniquum); Schenk (1999), 129 beobachtet, dass die ethische Entscheidung zwischen der vor Gericht gegen mächtige Männer kämpfte, spielt er auf Ciceros Selbst‐ darstellung in Off. 2,51 (vgl. S. Rosc. 1) an: 40 Maxime autem et gloria paritur et gratia defensionibus, eoque maior, si quando accidit, ut ei subveniatur, qui potentis alicuius opibus circumveniri urgerique videatur, ut nos et saepe alias et adulescentes contra L. Sullae dominantis opes pro Sex. Roscio Amerino fecimus, quae, ut scis, extat oratio. Ähnlich wie Cicero, der als adulescens erfolgreich für Sextus Roscius Amerinus gegen Sullas Günstling Chrysogonos gekämpft hatte, 41 setzte sich Plinius als adulecentulus  42 für Iunius Pastor ein gegen die einflussreichen Freunde des Kaisers. Ungeachtet seines Traumes und der genannten Hürden beschloss Plinius, in Erinnerung an ein Homer-Zitat, vor Gericht zu erscheinen (4): Egi tamen λογισάμενος illud εἷς οἰωνὸς ἄριστος ἀμύνεσθαι περὶ πάτρης (vgl. Il. 12,243). 43 An die Stelle der homerischen πάτρη trat für Plinius die fides gegenüber seinem Mandanten, und so ging dieser Prozess denn auch erfolgreich aus (4): illa actio mihi aures hominum, illa ianuam famae patefecit. Zum Schluss fordert Plinius Sueton dazu auf, seinem exemplum zu folgen (5) - andernfalls 44 werde er schon 133 1.1 Gerichtsverhandlungen unter Domitian in Buch 1 Richtigem und Falschem, um die es bei Cicero geht, von Plinius auf rein pragmatische Fragen reduziert wird. 45 Vgl. Schenk (1999), 127‒8. 46 Dazu Pflips (1973), 16‒181; Drecoll (2006), 61; Whitton (2013a), 154‒92. 47 Zu ihm vgl. Sherwin-White (1966), 160‒1; Whitton (2013a), 154; vgl. Pan. 76,1; Iuv. 1,47‒8; 8,119‒20. 48 Siehe die zuvor diskutierte Epistel 1,7 sowie 7,33,4‒8; vgl. Whitton (2013a), 158. 49 Zur Herrschaftsdarstellung Trajans siehe Seelentag (2004). 50 Er ist außerdem Adressat von Epist. 4,8; 4,12; 6,2; 8,21 und wird in Epist. 3,2 dem Vibius Maximus anempfohlen; vgl. Sherwin-White (1966), 86 und 211; Whitton (2013a), 158; zu Plinius‘ „Paradebriefen“ 1,1‒8 vgl. Ludolph (1997). für eine Aufschiebung der Verhandlung sorgen (6). Der Brief ist vordergründig als Diskussion über Möglichkeiten der Traumdeutung „getarnt“, behandelt jedoch als eine Art narrative Analepse im Kontext von Buch 1 eine wichtige Phase in Plinius’ Biographie als Prozessredner ‒ seine ersten Anfänge auf diesem Gebiet ‒ und stellt überdies seine Unerschrockenheit und Charakterstärke heraus. Zudem parallelisieren die Anspielungen auf Homer und Cicero Plinius’ Auftreten vor dem Zentumviralgericht mit Heldentaten aus der Welt des Epos und der römischen Republik. 45 1.2 Prozesse unter Trajan: Szenen vor Gericht in Buch 2 Mit dem Briefpaar 2,11‒12 46 begegnen wir zum ersten Mal der ausführlichen Schilderung einer Verhandlung, die unter Kaiser Trajan stattfand: dem Repetun‐ denprozess gegen Marius Priscus, den Statthalter der Provinz Africa. 47 Plinius stilisiert diesen Prozess zum ersten großen Fall in der Briefsammlung, obwohl er davor schon Baebius Massa in einem Repetundenprozess angeklagt hatte - eine nähere Beschreibung dieses Falles folgt allerdings erst in Epist. 7,33. 48 Hatte sich Plinius in Buch 1 vermehrt als Sympathisant der Opposition gegen Domitian charakterisiert, begegnet er uns in Buch 2 als jemand, der die Ideologie des neuen Kaisers Trajan tatkräftig unterstützt: „2.11 displays in its central panel Trajan overseeing exemplary justice, with P. as avenger. The implication is subtle but clear: the return of good governance, and the cardinal role of P. in its execution“ (Whitton 2013a: 156). 49 Die beiden Briefe über Priscus stechen innerhalb der Sammlung formal schon insofern heraus, als hier unmittelbar hintereinander derselbe Inhalt behandelt wird und derselbe Adressat auftaucht: Maturus Arrianus, an den Plinius bereits den „Paradebrief “ 1,2 gerichtet hatte. 50 Wurden in dem früheren Brief an Arrianus nur stilkritische Fragen zu einer ansonsten nicht näher identifizierten 134 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 51 Vgl. die Analyse bei Ludolph (1997), 107‒20. 52 Das Briefpaar 2,11‒12 korrespondiert in seiner Länge mit 8,14, wo es ebenfalls um eine Senatsverhandlung unter Trajan geht; vgl. Whitton (2013a), 186. 53 Der Brief 2,17 umfasst 1086 Wörter, 2,11‒12 bestehen aus 1084 Wörtern; vgl. Gibson/ Morello (2012), 218‒9: „Together they give a full portrait of the two sides of Pliny’s life: preoccupation with legal affairs versus the leisure of the Laurentine villa”; Whitton (2013a), 154. 54 Der vorhergehende Brief 2,10 ist an Octavius Rufus gerichtet und befasst sich mit dem Thema „Unsterblichkeit durch Dichtung“; in diesem Zusammenhang wird auch der monumentum-Topos bedient (4: hoc uno monimento), sodass sich der Vergleich mit Hor. c. 3,30 anbietet und Epist. 2,10 als eine Art „Binnen-closure“ verstanden werden mag. 55 Er befindet sich vermutlich in Altinum, vgl. Epist. 3,2,2. 56 Vgl. 2,11,10; Sherwin-White (1966), 160 zur Datierung des Briefes. 57 Zu diesem Trikolon vgl. Whitton (2013a), 159. 58 Der zeitliche Ablauf, den uns der Brief suggeriert, dürfte etwa folgendermaßen ausge‐ sehen haben: Nach seinem Prokonsulat 97/ 98 wurde Marius Priscus angeklagt und Plinius zusammen mit Tacitus gegen Ende 98 als Anwalt der Provinz bestimmt; im Jahr 99 fanden dann zwei Vorverhandlungen statt (vgl. §§ 2‒7 und 8‒9), bevor man sich vom 13.‒15. Januar 100 zur Hauptverhandlung traf (§§ 10‒22); während dieser Verhandlung geriet auch Hostilius Firminus, ein Gefolgsmann des Priscus, ins Visier der Ankläger Rede erörtert 51 , so erfahren wir in Epist. 2,11‒12 viel über die Hintergründe des Prozesses, jedoch kaum etwas zu Inhalt und stilistischer Ausgestaltung der Rede, die Plinius bei dieser Gelegenheit hielt. Außerdem handelt es sich bei Epist. 2,11 um den zweitlängsten Brief in Buch 2 52 , sodass es naheliegt, diese Erzählung vom spektakulären Priscus-Prozess dem längsten Brief des Buches, Epist. 2,17 über Plinius’ laurentinische otium-Villa, gegenüberzustellen. 53 Überdies leitet Epist. 2,11 die zweite Buchhälfte ein (Buch 2 umfasst 20 Briefe) und steht auch in dieser Hinsicht an exponierter Stelle. 54 Der Brief beginnt mit einer Einleitung, in der zunächst die kommunikative Situation zwischen Plinius und seinem Adressaten thematisiert wird (1): Plinius, der sich in Rom aufhält, schreibt an den zwar im secessus befindlichen aber dennoch an politischen Ereignissen interessierten Arrianus 55 von einer kürz‐ lich abgehaltenen Senatsverhandlung (per hos dies) ‒ sie fand im Januar 100 statt 56 ‒, die aufgrund der Stellung der Person in aller Munde (personae claritate famosum), durch das abschreckende Beispiel heilsam (severitate exempli salubre) und wegen der Bedeutung des Streitfalls unsterblich (rei magnitudine aeternum) sei. 57 Mit dem letzten Glied in diesem Trikolon knüpft Plinius motivisch an Epist. 2,10 an, wo es um die Unsterblichkeit durch Dichtung ging - nun ist Plinius drauf und dran, sich als Redner in einer denkwürdigen Senatsverhandlung zu profilieren. Nach diesem Proömium folgt die narratio, innerhalb derer Plinius zunächst das Vorgeplänkel zur Hauptverhandlung schildert (2‒9): 58 Marius Priscus wurde 135 1.2 Prozesse unter Trajan: Szenen vor Gericht in Buch 2 (§§ 23‒24) und man vertagte seinen Prozess auf den 3. Februar 100, wovon Plinius dann in Epist. 2,12 berichtet; vgl. Sherwin-White (1966), 160; Whitton (2013a), 155. 59 Hier käme die lex Iulia de vi publica zum Tragen; zu den juristischen Hintergründen vgl. Sherwin-White (1966), 160‒1; Pflips (1973), 18‒21; Whitton (2013a), 161. 60 Zu Tacitus als Redner vgl. Epist. 2,1,6. 61 Vgl. Epist. 10,3a‒b, wo Plinius als Ärarpräfekt Kaiser Trajan um Erlaubnis bittet, die Anklage gegen Priscus übernehmen zu dürfen, und der Kaiser ihm positiv antwortet. 62 Vgl. Whitton (2013a), 167 ad loc.: „The single word <sc. venerunt> bridges several months between the indictment and the next hearing in December 99“. 63 Zu den juristischen Hintergründen vgl. Sherwin-White (1966), 164‒5; die Empörung des Plinius wird weniger vom Schicksal der betroffenen Personen selbst als vielmehr durch ihren Status als römische Ritter entfacht; vgl. Whitton (2013a), 168. von der Provinz Africa, deren Prokonsul er 97‒98 n. Chr. gewesen war, an‐ geklagt, bekannte sich des Repetundenvergehens schuldig und bat um die Einsetzung einer Senatskommission (d. h. eines Kollegiums von fünf Richtern) gemäß dem SC Calvisianum. Damit wollte er vermeiden, dass der Senat eine umfassendere Untersuchung anstellte, in der auch von Priscus begangene Kapitalverbrechen - v. a. Todesurteile gegen Geld ‒ geahndet würden. 59 Plinius und Tacitus (2: ego et Cornelius Tacitus adesse provincialibus iussi) 60 vertraten die Interessen der Provinz 61 und argumentierten, dass die von Priscus begangenen Verbrechen die Befugnisse der Senatskommission überschritten. Es kam zu einer lebhaften Debatte (3‒4), an deren Ende sich der Antrag des designierten Konsuls Iulius Ferox durchsetzte, dass man Priscus zwar die Senatskommission bewilligen solle, aber auch seine Handlanger, denen er angeblich die Bestrafung Unschuldiger verkauft habe, herbeiholen müsse (5‒6). Plinius schließt die Beschreibung der ersten Vorverhandlung mit Gedanken zum unterschiedlichen Verhalten des Einzelnen während des Geschreis der Masse bzw. während diese schweigt (7). Die zeitliche Distanz, die zwischen dieser Senatssitzung und der nächsten liegt, wird von Plinius stark gerafft, wenn er den folgenden Abschnitt mit den Worten venerunt, qui adesse erant iussi (8) einleitet: Aus Afrika hat man Vitellius Honoratus und Flavius Marcianus vorgeladen, ein Vorgang, der vermutlich einige Monate in Anspruch genommen haben dürfte. 62 Diesen beiden Handlangern des Marius Priscus wird vorgeworfen, für Geld die Verbannung, Bestrafung und Hinrichtung römischer Ritter erkauft zu haben (8). 63 Den Honoratus ereilt eine mors opportuna noch vor der Senatsverhandlung, Marcianus wird in den Senat geführt, doch man beschließt, den abwesenden Priscus herbeizuholen, damit sich beide in der nächsten Senatssitzung gemeinsam verteidigen können (9). Besonders anschaulich beschreibt Plinius die Hauptverhandlung im Januar 100 (10‒22), in die auch sein eigener Auftritt als Redner fällt. Im Gegensatz 136 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 64 Im Panegyricus lobt Plinius, dass Trajan sich für den Verlauf der Senatssitzung nur auf die Rolle des Konsuls nach republikanischem Vorbild beschränkt habe (76,1: cum interea nihil praeter consulem ageres; 76,6: ille vero ita consul, ut si tantum consul foret, nihil infra se putabat, nisi quod infra consulem esset; 76,9: ipsius quidem officium tam modicum temperatum, ut antiquus aliquis magnusque consul sub bono principe incedere videretur) und jeder in der Verhandlung frei seine Meinung äußern konnte, was unter dem Regime Domitians nicht der Fall gewesen sei (76,2‒5). 65 Vgl. Pflips (1973), 101; Whitton (2013a), 169. 66 Vgl. Kaster (2006), 280‒1. 67 Quintilian rühmt Cicero in Inst. 8,3,64 als Meister der evidentia; vgl. Whitton (2013a), 169. 68 Auch an dieser Stelle spielt Plinius auf Cicero an, wie Whitton (2013a), 152‒3 heraus‐ stellt: vgl. Cic. Div. in Caec. 42: iam nunc mente et cogitatione prospicio quae tum studia hominum, qui concursus futuri sint, quantam exspectationem magnitudo iudici zum vorangegangenen Abschnitt, in dem der Epistolograph das Geschehen eher nüchtern erzählt, wird nun stärker auf seine eigene Wahrnehmung als handelnde Figur fokalisiert. Der Leser beobachtet den Prozess-Auftakt sozu‐ sagen durch die Augen des Plinius, wenn dieser vom conspectus augustissimus berichtet, den nicht zuletzt die Anwesenheit des Kaisers in seiner Funktion als Konsul, der die Sitzung leitet, bewirkt 64 , und von der zahlreich im Senat versammelten Menge erzählt (10): ad hoc Ianuarius mensis cum cetera tum praecipue senatorum frequentia celeberrimus; praeterea causae amplitudo auctaque dilatione exspectatio et fama, insitumque morta‐ libus studium magna et inusitata noscendi, omnes undique exciverat. Mehrere Faktoren tragen dazu bei, dass der Gerichtssaal zum Platzen voll ist: Der Monat Januar als ein in Rom besonders geschäftiger Zeitraum, die Bedeutung des Falles, die durch seine Vertagung bewirkte Spannung, das Gerede darüber und die Neugierde der Leute auf Großes und Ungewöhnliches. Deutlich sind die Bezüge zu Ciceros Rede Pro Sestio (72): 65 veniunt Kalendae Ianuariae. vos haec melius scire potestis, equidem audita dico: quae tum frequentia senatus, quae exspectatio populi, qui concursus legatorum ex Italia cuncta, quae virtus, actio, gravitas P. Lentuli consulis fuerit, quae etiam conlegae eius moderatio de me. 66 Plinius eröffnet die Ekphrasis der Gerichtshalle in ciceronischem Stil 67 und schafft überdies einen Rückbezug zur Epistel 2,10 an Octavius Rufus, wo sich der Epistolograph dessen Erfolg beim Rezitieren seiner Gedichte ausmalt (2,10,7): Imaginor enim qui concursus quae admiratio te, qui clamor quod etiam silentium maneat. 68 Auch durch das Bild der durch den Aufschub des Prozesses 137 1.2 Prozesse unter Trajan: Szenen vor Gericht in Buch 2 sit allatura, quantam auditorum multitudinem infamia C. Verris concitatura, quantam denique audientiam orationi meae improbitas illius factura; vgl. Tac. Dial. 6,4. 69 Die Angst des Redners ist ein verbreiteter Topos, und Plinius scheint hier insbesondere auf Cic. Cluent. 50‒1 anzuspielen; vgl. Pflips (1973), 105‒6; Whitton (2013a), 171. 70 Vgl. das Motiv der Angst vor einer Gerichtsverhandlung in Epist. 1,18. 71 Vgl. Whitton (2013a), 172: „having been shown the scene, we now enter P.’s mind“. 72 Vgl. Whitton (2013a), 173. gesteigerten Spannung des Publikums ist ein Bezug zur Epist. 2,10 hergestellt, denn die noch unveröffentlichten Gedichte des Octavius Rufus werden bereits mit Spannung erwartet (2,10,2): Magna et iam longa exspectatio est, quam frustrari adhuc et differre non debes. Was Plinius dem Dichter Octavius Rufus in Aussicht stellt, wenn er denn endlich einmal seine Verse vorzulesen geruht, wird für ihn selbst als Redner in Epist. 2,11 zur Realität - man kann somit die in Epist. 2,10 artikulierten Gedanken als eine Art foreshadowing zum folgenden, die zweite Buch-Hälfte eröffnenden Brief über den Priscus-Prozess interpretieren. Nachdem Plinius den Rahmen, innerhalb dessen die Verhandlung stattfindet, visualisiert hat, fokalisiert er im folgenden Abschnitt stärker auf seine Gefühle und Gedanken kurz vor seiner Rede (11‒12). Während in Epist. 2,10 Plinius selbst derjenige ist, der sich vor seinem geistigen Auge eine in der Zukunft liegende Szenerie ausmalt (7: imaginor), fordert er in Epist. 2,11 seinen Adressaten Arrianus dazu auf, sich die vergangene Situation vorzustellen (11): Imaginare quae sollicitudo nobis, qui metus, quibus super tanta re in illo coetu praesente Caesare dicendum erat…tunc me tamen ut nova omnia novo metu permovebant. Der Leser ist nun angehalten, sich in den vom Lampenfieber ergriffenen Plinius 69 hineinzuversetzen und das Geschehen aus dessen Perspektive mitzuerleben. Die Angst des Plinius 70 steht in Spannung zu der vorher beschriebenen Erwartung und Neugier der Zuhörer. Auch die ehemalige Stellung des Angeklagten Marius Priscus (12: modo consularis, modo septemvir epulonum, iam neutrum), dessen Sturz einiges an Mitleid hervorrufen konnte, bereitet Plinius Sorgen (12‒13) - er antizipiert die möglichen Reaktionen vor seinem geistigen Auge (12: obver‐ sabatur) 71 und entspricht somit als handelnde Figur seinem Adressaten bzw. Leser im Hinblick auf das Imaginieren einer bestimmten Situation. Die eindrucksvolle Schilderung von Prozess-Kulisse und Innensicht des Plinius als handelnde Figur dient im narrativen Zusammenhang nicht zuletzt der Steigerung der Spannung beim Leser auf die Rede des Plinius vor Kaiser und Senat. Von dieser actio wird uns ziemlich genau in der Mitte des Briefes 72 berichtet (14‒15): Utcumque tamen animum cogitationemque collegi, coepi dicere non minore audientium adsensu quam sollicitudine mea. dixi horis paene quinque; nam duodecim clepsydris, 138 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 73 Innerhalb der Briefsammlung weist Plinius wiederholt auf seinen Erfolg beim Publikum hin: 4,5,2; 4,19,3; 7,6,13; 8,21,4; 9,13,7; vgl. Pflips (1973), 115‒6. 74 Für die Anklage waren sechs, für die Verteidigung neun Stunden Redezeit üblich, vgl. Sherwin-White (1966), 167; Pflips (1973), 118. 75 Auf die moderne Zeitmessung umgerechnet dürfte eine Stunde bei Plinius etwa 45‒50 Minuten umfasst haben, vgl. Whitton (2013a), 173. 76 Vgl. Ker (2009), 293. 77 Mit dem Begriff praevaricatio ist Handeln gemeint, das den Interessen der eigenen Partei widerspricht; vgl. Sherwin-White (1966), 446; OLD, 1449 s.v.; das Verb praevaricari bezeichnet ursprünglich den Bauern, der mit dem Pflug keine gerade Furche ziehen kann (vgl. Plin. Nat. 18,179), und wird dann auf das Gerichtswesen übertragen; Cicero definiert in Part. 126 den praevaricator folgendermaßen: nomen praevaricatoris…quod significat eum qui in contrariis causis quasi vare esse positus videatur; vgl. Pflips (1973), 264‒5. quas spatiosissimas acceperam, sunt additae quattuor. adeo illa ipsa, quae dura et adversa dicturo videbantur, secunda dicenti fuerunt. Caesar quidem tantum mihi studium, tantam etiam curam (nimium est enim dicere sollicitudinem) praestitit, ut libertum meum post me stantem saepius admoneret voci laterique consulerem, cum me vehementius putaret intendi, quam gracilitas mea perpeti posset. Wir erfahren hier nichts über Inhalt oder Argumentationsstruktur der Rede, sondern werden gleich im ersten Satz - in Form eines Hysteron-Proteron - auf die Reaktion der Zuhörer hingewiesen: Natürlich findet Plinius’ Rede positive Resonanz beim Publikum (adsensu). 73 Außerdem geht Plinius näher auf die Redezeit ein, die man ihm gewährte: Anstelle des in Repetundenprozessen der Kaiserzeit üblichen Zeitmaßes von insgesamt sechs Stunden für die Anklage (d. h. je drei für Plinius und Tacitus) 74 durfte Plinius alleine fast fünf Stunden sprechen. 75 Dies wird indirekt als Verdienst des Kaisers dargestellt 76 und steht in inhaltlichem Kontrast zum Brief 6,2, der ebenfalls an Arrianus gerichtet ist und in dem sich Plinius über die gängige Praxis seiner Zeitgenossen, nur wenig Redezeit zu gewähren oder zu verlangen, beschwert und diesem Vorgehen dasjenige der maiores entgegenhält, bei denen mehrere Stunden, Tage und Vertagungen für Gerichtsverhandlungen vorgesehen wurden (6: tot horas, tot dies, tot comperendinationes). Ähnlich wie Kaiser Trajan in Epist. 2,11 stellt auch Plinius als Richter den Rednern so viel Zeit zur Verfügung, wie sie brauchen (6,2,7): equidem quotiens iudico, quod vel saepius facio quam dico, quantum quis plurimum postulat aquae, do. Zumindest indirekt können wir über die stilistische Ausgestaltung der oratio Mutmaßungen anstellen, wenn wir uns an den Inhalt der Epistel 1,20 zurückerinnern: In diesem an Tacitus gerichteten Brief kriti‐ siert Plinius allzu begeisterte Anhänger rhetorischer brevitas und bezeichnet unangebrachte Kürze sogar als Pflichtverletzung (2: praevaricatio): 77 alioqui 139 1.2 Prozesse unter Trajan: Szenen vor Gericht in Buch 2 78 Zu Plinius’ Selbstaussagen über seine körperliche Konstitution vgl. 4,9,10; 7,1,4; 10,5,1; 10,8,3. 79 So wird offenbar direkt auf Cic. Brut. 313 angespielt; vgl. Plut. Dem. 4,5‒8; Pflips (1973), 119; Whitton (2013a), 175. 80 Als rhetorischer Terminus bezeichnet gracilitas die einfache Eleganz des Stils; OLD, 769 s.v.; es wäre denkbar, dass die Formulierung cum me vehementius putaret intendi, quam gracilitas mea perpeti posset (2,11,15) auch eine metaliterarische Deutung zulässt, inso‐ fern Plinius als Epistolograph die gracilitas seiner Gattung sozusagen überbeansprucht, indem er sich an Genres wie Gerichtsrede und Historiographie anlehnt; vgl. Demetr. De eloc. 235. 81 Zu Fronto Catius und Salvius Liberalis vgl. Sherwin-White (1966), 170‒1. praevaricatio est transire dicenda, praevaricatio etiam cursim et breviter attingere, quae sint inculcanda, infigenda, repetenda. Der gedankliche Inhalt dieser Aussage wird stilistisch umgesetzt, indem Plinius durch die Wiederholung des Begriffs praevaricatio und das asyndetische Trikolon inculcanda, infigenda, repetenda das Motiv des Einhämmerns und Wiederholens rhythmisch untermalt. Nachdem sich Plinius in 2,11 über die Reaktion der Zuhörer sowie seine Redezeit geäußert hat, rückt als drittes die Person des Kaisers in den Blick, der sich angeblich um Plinius’ Gesundheit sorgte - ein Freigelassener musste Plinius immer wieder ermahnen, es nicht zu übertreiben. Wenn sich Plinius in diesem Zusammenhang als gracilis charakterisiert, 78 soll man hier sicherlich berühmte Redner wie Cicero und Demosthenes assoziieren, deren Körperbau ebenfalls nicht besonders robust gewesen sein soll. 79 Die körperliche gracilitas des Plinius steht, so dürfen wir vermuten, wohl in Kontrast zur Länge und stilistischen Ausgestaltung seiner Rede. 80 Nachdem wir erfahren haben, dass die erzählte Zeit der Rede, die Plinius vor Kaiser und Senat hielt, beinahe fünf Stunden umfasste, lohnt sich auch ein Blick auf die Erzählzeit, die der Epistolograph diesem Auftritt widmet: Über die Antwortrede seines Kontrahenten erfahren wir nur in einem kurzen Satz (16): respondit mihi pro Marciano Claudius Marcellinus - dann bricht auch schon die Nacht ein und der Senat wird entlassen. Mit keinem Wort äußert sich Plinius über Inhalt, Länge oder Wirkung der Rede seines Gegners. Auch die Erzählung des zweiten Verhandlungstags erfolgt in ähnlich raffender Weise: Immerhin sind es nun ein paar kurze Bemerkungen, die Plinius zu den Reden der Verteidiger des Priscus, Salvius Liberalis und Fronto Catius, 81 sowie zu seinem Kollegen Tacitus macht (17‒18): Salvius Liberalis ist ein vir subtilis, dispositus, acer und disertus, der all seine Kunstgriffe anzuwenden versteht, Tacitus antwortet ihm eloquentissime et…σεμνῶς (17); in dem Adjektiv subtilis ist möglicherweise ein Hinweis auf die von Salvius Liberalis bevorzugte Stilart, das genus subtile, 140 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 82 Zur stilkritischen Bedeutung dieser Begriffe vgl. Whitton (2013a), 176. 83 Vermutlich spielt Plinius hier auf die rhetorische Theorie über die deprecatio („Bitte um Nachsicht“) an: Kann die Tat an sich nicht mehr geleugnet werden, führt der Verteidiger verschiedene Gründe an, um sie zu entschuldigen; vgl. Cic. Inv. 2,104: deprecatio est, in qua non defensio facti, sed ignoscendi postulatio continetur; vgl. 1,15: Deprecatio est, cum peccasse et consulto peccasse reus se confitetur et tamen, ut ignoscatur, postulat; quod genus perraro potest accidere. Quint. Inst. 7,4,15: ultima est deprecatio, quod genus causae plerique negarunt in iudicium umquam venire; vgl. Peters/ Kalivoda (1994). 84 Vgl. Pan. 76,1: Iam quam antiquum quam consulare, quod triduum totum senatus sub exemplo patientiae tuae sedit, cum interea nihil praeter consulem ageres! Auch das consilium Traiani tagte drei Tage lang in Centumcellae, wie wir aus Epist. 6,31 erfahren. 85 In Epist. 5,14 charakterisiert ihn Plinius als seinen Amtskollegen in der cura viae Aemiliae, als praefectus aerarii und Konsul sowie als exemplum antiquitatis (3); vgl. 4,17,9; 10,13,15‒16; zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 171; Whitton (2013a), 177‒8. enthalten, dem Tacitus mit seiner rhetorischen σεμνότης bzw. gravitas  82 gegen‐ übersteht. Auf diese beiden positiv charakterisierten Rednerfiguren folgt Fronto Catius, der zwar insigniter spricht, jedoch zu viel Zeit auf Bitten als auf die eigentliche Verteidigung 83 verwendet (18). Abermals beendet der Abend die Verhandlung, und man fährt am nächsten Tag mit der Beweisaufnahme fort. Vor der Beschreibung dieses Tages konstatiert Plinius erfreut: iam hoc ipsum pulchrum et antiquum, senatum nocte dirimi, triduo vocari, triduo contineri (18) - die Senatsverhandlung unter Trajan mit ihrer spezifischen zeitlichen Struktur (Redezeit, Verhandlungszeit) läuft ganz nach dem Ideal der antiquitas  84 : „Thus the use of time in its many different dimensions makes the trial a rare throwback to the tempora of the republic, a throwback partly mediated through the memory of Augustus as the exemplary princeps“ (Ker 2009: 293). Am dritten Tag stellt der designierte Konsul Cornutus Tertullus 85 den An‐ trag, man solle Marius Priscus zu einer Zahlung von 700000 Sesterzen an die Staatskasse verurteilen und ihn aus Rom und Italien verbannen, seinen Helfer Marcianus außerdem noch aus Afrika. Am Ende seines Antrags hebt er hervor quod ego et Tacitus iniuncta advocatione diligenter et fortiter functi essemus, arbitrari senatum ita nos fecisse, ut dignum mandatis partibus fuerit (19) ‒ durch die Wiedergabe von Tertullus’ Worten über den gemeinsamen Auftritt von Plinius und Tacitus ist der Rückbezug zum Anfang des Briefes hergestellt (2: ego et Cornelius Tacitus). Es folgt dann die Schilderung der Debatte, innerhalb welcher Pompeius Collega einen Gegenantrag stellt, und der Abstimmung, bei der sich Tertullus durchsetzt (20‒22). Plinius schließt die Erzählung der Hauptverhandlung ab mit einem Bericht über das Verhalten des M. Regulus, der sich bei dieser Abstimmung als äußerst unzuverlässig erwies 141 1.2 Prozesse unter Trajan: Szenen vor Gericht in Buch 2 86 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 171; Whitton (2013a), 179. 87 Vgl. Whitton (2013a), 180‒1. 88 Zu dem Wortspiel mit λιτούργιον (aus λιτός und ἔργον) und non leve sowie dem Namen Firminus vgl. Whitton (2013a), 181‒2. 89 Zu solchen Briefzyklen, in denen der Fortgang einer Handlung nachgezeichnet wird, s. S. 40-4; vgl. Marchesi (2008), 25. 90 Circumcidere und adradere sind eigentlich Begriffe aus der Landwirtschaft und be‐ zeichnen das Beschneiden von Bäumen und Reben; mit diesem Bild greift Plinius das Ende von Epist. 2,11 auf, wo Arrianus’ Tätigkeiten auf dem Land thematisiert wurden (25); vgl. Pflips (1973), 160‒1; Whitton (2013a), 187‒8. 91 Vgl. die in Epist. 1,20,4 diskutierten circumcisae et breves orationes des Lysias, Cato und der Gracchen und die circumcisa et amputata eloquentia in Tac. Dial. 32,4. 92 Die Senatsverhandlung über Firminus dürfte am 3. Februar 100 stattgefunden haben, wie Sherwin-White (1966), 169 vermutet; vgl. Whitton (2013a), 187; mit proxime in 2,12,1 wird verbal an proximo senatu in 2,11,24 angeknüpft. (22: mobile ingenium), nachdem er zuerst auf der Seite des Pompeius Collega 86 war, dann aber zu Tertullus überlief. Dies ist die einzige Stelle, wo Plinius seinen Antagonisten Regulus im Senat auftreten lässt - mit seiner Erwähnung schließt die Haupterzählung des Briefes sowie später auch das zweite Buch (vgl. 2,20). 87 In einem Epilog (23‒24) spricht Plinius dann von einem λιτούργιον non leve (23) 88 , das noch zu leisten übrig sei: Im Verlauf der Verhandlung trat belastendes Material gegen Priscus’ Legaten Hostilius Firminus zutage, dessen Fall in der nächsten Senatssitzung (24: proximo senatu) verhandelt werden solle. Der Schluss des Briefes (25) führt uns dann ringkompositorisch an den Anfang zurück, indem hier erneut die Person des Adressaten ins Spiel kommt (habes res urbanas). Nachdem wir zusammen mit Plinius (und Arrianus - vgl. 11: imaginare) geistig den römischen Senat betreten haben, lenkt Plinius den Blick jetzt wieder aufs Land (invicem rusticas scribe - vgl. 1: secesseris), erkundigt sich nach arbusculae, vineae, segetes und oves und fordert Arrianus auf, mit einem ebenso langen Brief (aeque longam epistulam) zu antworten - andernfalls werde Plinius nur mehr kurze Briefe (brevissimam) schreiben. Dem Motiv der Kürze begegnen wir auch am Anfang des folgenden Briefes wieder, der die Fortsetzung zu 2,11 bildet und so den juristischen Briefroman über die Priscus-Verhandlung komplettiert. 89 Das in 2,11,25 angekündigte λιτούργιον über den Fall des Firminus ist kürzer ausgefallen als erwartet (2,12,1: circumcisum tamen et adrasum) 90 , und auch der Brief an Arrianus ist diesmal deutlich weniger umfangreich als der vorhergehende Text 91 - offenbar hat Arrianus noch nicht geantwortet (vgl. 2,12,7). Den zeitlichen Abstand zwischen diesem und dem letzten Brief deutet Plinius durch das Adverb proxime (1) an, womit ein Zeitraum von etwa drei Wochen gemeint sein dürfte; 92 in 2,12,6 vermutet Plinius aus der mittlerweile verstrichenen Zeit (ex spatio temporis), 142 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 93 Als Briefpartner begegnet uns Arrianus erst wieder in Epist. 4,8, wo wir lesen, dass er Plinius zum Augurat beglückwünscht hat, das Sherwin-White (1966), 79‒80 allerdings auf das Jahr 103/ 104 datiert. 94 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 172; Whitton (2013a), 188. 95 Plinius wechselt hier offenbar ins genus grande, das in der rhetorischen Theorie u. a. zum Ausdruck der Entrüstung in der peroratio empfohlen wurde (vgl. Quint. Inst. 1,6,52); vgl. Whitton (2013a), 186: „not just appendix, then, 2.12 is the climax of the para-oratorical performance in the diptych.” Zu den sprachlichen Parallelen mit Cicero vgl. Pflips (1973), 165‒73. 96 Vgl. Cic. Rep. 6,4 Powell (= Nonius 519,17): et vero in dissensione civili, cum boni plus quam multi valent, expendendos civis, non numerandos puto; vgl. Pflips (1973), 173; Whitton (2013a), 191. 97 Vgl. Plin. Epist. 9,5,3; Cic. Rep. 1,43 und öfter, vgl. Pflips (1973), 174‒5; Whitton (2013a), 191. 98 Vgl. besonders die Epist. 5,14; die Rolle des Cornutus Tertullus in Plinius’ Briefen analysieren Gibson/ Morello (2012), 154‒7. dass Arrianus den Brief 2,11 schon erhalten hat, und bittet ihn abermals um eine ausführliche Antwort, diesmal auf beide Briefe (7: tuae nunc partes, ut primum illam, deinde hanc remunereris litteris, quales istinc redire uberrimae possunt). 93 Die eigentliche narratio über die Senatssitzung, in der über Firminus verhan‐ delt wird, fällt relativ kurz aus: Wir erfahren, dass Cornutus Tertullus den Antrag stellt, Firminus aus dem Senatorenstand auszuschließen, und Acutius Nerva 94 vorschlägt, ihn bei der Auslosung der Provinzen nicht zu berücksich‐ tigen (2). Diesmal siegt der scheinbar mildere Antrag des Acutius Nerva, was Plinius dazu veranlasst, im Hauptteil des Briefes seiner indignatio über diese Entscheidung Ausdruck zu verleihen (3‒5): In einer Reihe von quid-Fragen (3‒4) 95 argumentiert er, dass es in Wahrheit die härtere Bestrafung sei, zwar Mitglied des Senatorenstandes zu bleiben, aber von den Privilegien dieses ordo abgeschnitten zu sein. Zum Schluss wird der Ton wieder etwas ruhiger, wenn Plinius in Anlehnung an den Staatsphilosophen Cicero pointiert resümiert, dass in der gängigen Abstimmungspraxis die Stimmen zwar gezählt, jedoch nicht gegeneinander abgewogen würden (5: numerantur enim sententiae, non ponderantur) 96 und in einer öffentlichen Versammlung nichts so ungleich sei wie die Gleichheit (nihil…tam inaequale quam aequalitas ipsa). 97 Im Unterschied zu Epist. 2,11 fällt auf, dass Plinius in 2,12 überhaupt nicht als Akteur in der Verhandlung über Firminus auftritt; stattdessen begegnet er uns als Prozess-Beobachter und -Kommentator. Zumindest aus dem positiven Bild, das Plinius in 2,11,19 und an anderer Stelle von Cornutus Tertullus zeichnet 98 , können wir schließen, dass er zu der Gruppe von Senatoren gehörte, die in der Abstimmung auf der Seite des Tertullus standen und unterlagen. Begegnet uns in Epist. 2,11 der erfolgreiche Plinius, thematisiert das companion piece 2,12 seinen 143 1.2 Prozesse unter Trajan: Szenen vor Gericht in Buch 2 99 Vgl. Whitton (2013a), 186. 100 Aus Epist. 3,9,2 geht hervor, dass beide ihr Prokonsulat im selben Jahr innehatten; vgl. Sherwin-White (1966), 56‒60; Whitton (2013a), 186. 101 Vgl. Whitton (2013a), 186. 102 Vgl. Sherwin-White (1966), 201; Whitton (2013a), 260‒1. 103 So Sherwin-White (1966), 201; Whitton (2013a), 261 hingegen identifiziert den Adres‐ saten mit dem ansonsten nicht näher bekannten Velius Cerialis, an den auch der Brief 4,21 gerichtet ist. Wenngleich auch dies denkbar ist, so dürfte sich der Leser jedoch bei Lektüre von Buch 2 zuerst an den Cerialis aus 2,11 erinnern, bevor er nach Lektüre von Buch 4 eine Verbindung zwischen 4,21 und 2,19 herstellen kann. Misserfolg. 99 Hat Epist. 2,11 die Form einer langen narratio, ist der folgende Brief wieder stärker im loqui-Stil gehalten, und Anspielungen auf Werke wie Ciceros De re publica rufen die Theorie vom Brief als Hälfte eines Dialogs ins Gedächtnis. Obwohl Plinius schon vor dem Prozess gegen Marius Priscus im Repetun‐ denverfahren gegen Baebius Massa (vgl. 1,7 und 7,33) aufgetreten war und der Prozess gegen Caecilius Classicus (vgl. 3,4 und 3,9) etwa zur selben Zeit stattfand wie derjenige gegen Priscus 100 , verteilt der Epistolograph die betreffenden Briefe über diese Ereignisse auf verschiedene Bücher ohne Rücksicht auf die Chronologie. 101 Wir bekommen hier - natürlich in sehr selektiver Weise - Hintergrundinformationen zu den Reden, die Plinius bei diesen Anlässen hielt: „Pliny becomes, in effect, a sort of commentator, his own Asconius“ (Mayer 2003: 230). Die Kommentierung eines Autors ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu seiner Kanonisierung; indem Plinius epistolare Kommentare zu seinen eigenen Reden liefert (dazu lassen sich auch Briefe über stilkritische Fragen zählen) und diese als nur für den betreffenden Adressaten bestimmte Neuigkeiten aus der Stadt (res urbanae) „tarnt“, betreibt er indirekt seine Selbstkanonisierung als Redner. Wie schon zuvor erwähnt, geht Plinius in Epist. 2,11 mit keinem Wort auf den Charakter seiner Rede ein, wohingegen der Redestil des Tacitus sowie der gegnerischen Anwälte zumindest kurz umrissen wird (2,11,17‒18). Erst die Lektüre des Briefes 2,19, in dem Plinius von einer Rede, die er in einem Repetundenprozess gehalten hat (8), berichtet, suggeriert dem Leser einen Zusammenhang mit Epist. 2,11. 102 Der Brief 2,19 ist an einen Cerialis gerichtet, bei dem es sich um den in 2,11,9 erwähnten Konsular Tuccius Cerialis handeln könnte 103 , sodass auch über den Adressatennamen ein Rückbezug zu dieser Epistel bestünde. Cerialis hatte Plinius aufgefordert, eine Rede vor Freunden zu rezitieren (1: hortaris, ut orationem amicis pluribus recitem), was den Epistologra‐ phen dazu veranlasst, den Unterschied zwischen vor Gericht gehaltenen und im 144 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 104 Vgl. Epist. 5,20,3 über den Unterschied zwischen einer im Gerichtssaal gehaltenen und einer verschriftlichten Rede. 105 Vgl. Whitton (2013a), 261; zu Prosa- und Gedichtrezitationen bei Plinius vgl. Starr (1990); Roller (1998), 289‒98; allgemein vgl. Dupont (1997). 106 Der Brief 2,20 als letzte Epistel in Buch 2 bildet durch die Figur des Adressaten eine Überleitung zu Buch 3: Sowohl 2,20 als auch 3,1 ist an Calvisius Rufus gerichtet. 107 Zu diesem Brief vgl. Whitton (2013a), 110‒20; Gibson/ Morello (2012), 244‒5. 108 Zur stilistischen Ausgestaltung dieser Liste vgl. Whitton (2013a), 262. 109 Plinius spielt hier auf die Ausführungen Quintilians in Inst. 11,3,134‒5 an; vgl. Whitton (2013a), 263. Rezitationssaal vorgetragenen Reden zu erörtern 104 und auf die Beschaffenheit seiner Gerichtsrede näher einzugehen. Der Brief steht innerhalb des Buches an vorletzter Stelle und behandelt zum ersten Mal innerhalb des Korpus Plinius’ Rolle als Rezitator seiner eigenen Reden, 105 was wohl nicht zufällig wenige Briefe nach der Schilderung des spektakulären Priscus-Prozesses erfolgt. Zudem verweist das Brief-Incipit hortaris ut verbal zurück auf den Beginn der ersten Epistel (1,1,1: frequenter hortatus es, ut), sodass Buch 1 und 2 durch das Motiv des Aufforderns zum Publizieren bzw. Rezitieren gerahmt sind. 106 Auch der Anfang von Epist. 2,5 wird aufgegriffen (1: actionem et a te frequenter efflagitatam et a me saepe promissam exhibui tibi), wo Plinius als Lobredner auf seine Heimat Comum in Erscheinung tritt und seinen Adressaten Lupercus um Emendation dieser Rede bittet. 107 Das Briefpaar 2,11‒12 über den Priscus-Prozess wird also von zwei jeweils durch fünf bzw. sechs Briefe getrennten Episteln über theoretische Fragen zu Stil, Lektüre und Rezitation von Reden eingerahmt. In Epist. 2,19 legt Plinius dar, dass sich eine vor Gericht gehaltene Rede durch folgende Faktoren gegenüber einer vorgelesenen auszeichne (2): iudicum consessus, celebritas advocatorum, exspectatio eventus, fama non unius actoris diductumque in partes audientium studium, ad hoc dicentis gestus, incessus, discursus etiam, omnibusque motibus animi consentaneus vigor corporis. Neben den hier aufgezählten 108 Rahmenbedingungen, die eine bestimmte Atmo‐ sphäre im Gerichtssaal erzeugen (Versammlung der Richter, große Zahl der An‐ wälte, Neugierde auf den Ausgang, Berühmtheit der Redner, geteilte Sympathien der Zuhörer) sind es vor allem der Körperausdruck und die Bewegungen des Redners, die den Unterschied zu einer im Sitzen vorgetragenen Rede (3) ausma‐ chen. 109 Bei letzterer seien die wichtigsten Hilfsmittel des Redners, seine Augen und Hände, stark eingeschränkt (4). Ähnliche Ausführungen zur stärkeren Wirkung einer gehaltenen bzw. gehörten Rede gegenüber einer gelesenen oder vorgetragenen hatte Plinius in Epist. 2,3 im Rahmen des Porträts vom Redner 145 1.2 Prozesse unter Trajan: Szenen vor Gericht in Buch 2 110 Diesen Brief analysiert Pausch (2004), 129‒41; vgl. Whitton (2013a), 89‒102. 111 Vgl. Aischin. Or. 3.167; Plin. Epist. 4,5; Cic. De orat. 3,213; Val. Max. 8,10,ext.; Plin. Nat. 7,110; vgl. Whitton (2013a), 100; zu Plinius und Demosthenes vgl. Tzounakas (2015). 112 Vgl. Val. Max. 8,10,ext.: quid si…ipsum audissetis? Quint. Inst. 11,3,7; auch über Vergil heißt es, dass er selbst seine Verse am besten vorlas und niemand vox, os und hypocrisis des Dichters nachahmen konnte (VSD 29). 113 Vgl. Tzounakas (2015), 211; die Bewertung des Aischines als λαμπροφωνότατος über‐ nimmt Plinius aus Demosthenes’ Kranzrede 313, wo der Begriff allerdings in einem polemischen Kontext gebraucht wird, den der Epistolograph hier ausblendet; vgl. Schenk (1999), 121 Anm. 16. Polemische Konnotationen schwingen dann in Epist. 2,20,12 mit, wo Plinius aus derselben Rede des Demosthenes (142) den Ausruf ἀλλὰ τί διατείνομαι zitiert, nachdem er sich über die Schlechtigkeit, die sich im Staat durch Figuren wie Regulus breit macht, entrüstet hat; dadurch schlägt er einerseits eine Brücke zurück zur Epist. 2,3 und überträgt andererseits den kämpferischen Ton zwi‐ schen Demosthenes und Aischines auf sein eigenes Verhältnis zu Regulus, wie sich auch in Epist. 4,7,6 zeigt, wo Plinius die Schrift des Regulus auf seinen verstorbenen Sohn verspottet und dabei abermals aus der Kranzrede (291) zitiert; vgl. Whitton (2013a), 278‒9. In Epist. 6,33,11 schließlich vergleicht Plinius seine Rede für Attia Viriola explizit mit Demosthenes’ ὑπὲρ Κτησιφῶντος. 114 Zur stilkritischen Terminologie vgl. Whitton (2013a), 264‒5. In Epist. 3,18 über seinen Panegyricus Traiani verleiht Plinius seiner Hoffnung Ausdruck, ut quandoque veniat dies…quo austeris illis severisque dulcia haec blandaque vel iusta possessione decedant (10); Cicero bezeichnet in Orat. 42 mit dulce und sonans die epideiktische Rede der Sophisten. Kritik an übertriebener verbaler Süße übt auch Martial in 7,25, wo die dulcia epigrammata eines Konkurrenten verspottet werden, in denen man sal und fel vermisse. Isaeus 110 gemacht (9): altius tamen in animo sedent, quae pronuntiatio, vultus, habitus, gestus etiam dicentis adfigit. Um dies zu exemplifizieren, bringt Plinius im selben Brief die berühmte Anekdote von Aischines, der bei den Rhodiern unter großer Bewunderung die Kranzrede des Demosthenes vorgelesen hatte 111 und dann zugestehen musste (10): τί δέ, εἰ αὐτοῦ τοῦ θηρίου ἠκούσατε; et erat Aeschines si Demostheni credimus λαμπροφωνότατος. Dieselbe Episode lesen wir bei Cicero in De orat. 3,213, wo das Apophthegma des Aischines allerdings auf Latein zitiert wird: quanto…magis miraremini, si audissetis ipsum! 112 Indem Plinius Aischines auf Griechisch sprechen lässt, scheint er insinuieren zu wollen, dass seine Version höhere Authentizität besitzt. 113 Die Ausführungen des Epistolographen über den stärkeren Effekt der actio gegenüber der recitatio in Epist. 2,19 lassen den linearen Leser somit an den Anfang des zweiten Briefbuches zurückdenken und eine Parallele zwischen den Reden des Plinius und denjenigen des Demosthenes herstellen. Nach den theoretischen Überlegungen zu actio und recitatio äußert sich Plinius zur stilistischen Ausgestaltung seiner Rede: sie sei pugnax et quasi contentiosa (5) sowie austera et pressa (6), was dem Geschmack des Publikums einer Rezitation, das dulcia et sonantia (6) vorziehe, nicht entgegenkomme. 114 146 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 115 Vgl. Quint. Inst. 7,7 über leges contrariae bzw. antinomia; Whitton (2013a), 266‒7. 116 Vgl. Harris (2013), 266‒8. 117 Vgl. Sherwin-White (1966), 202: „This fits the In Priscum (Ep. 11) much better than the In Classicum (III.9). In the former he had to show that acts of Priscus, criminal under another law, were also criminal under the Lex Repetundarum“. 118 Zu diesem Brief vgl. Sherwin-White (1966), 180‒4; Beutel (2000), 253‒8; Lefèvre (2009), 102‒5; Whitton (2013a), 201‒13; Whitton (2019), 173‒88. 119 Es handelt sich hier wohl um L. Neratius Priscus, Suffektkonsul 97 n. Chr. und Statthalter von Germania Inferior (98/ 99‒101) und Pannonia (102/ 03‒106); vgl. Whitton (2013a), 193. Ungeachtet dieser Schwierigkeiten, so fährt Plinius fort, können seine Rede vielleicht durch ihre Neuartigkeit bei den Römern (7: novitas apud nostros) Gefallen finden, da er hier in umgekehrter Analogie (7: quamvis ex diverso, non tamen omnino dissimile) eine Strategie aus der griechischen Gerichtspraxis adaptiert habe: Dort sei es üblich gewesen, Gesetze, die mit älteren Gesetzen im Widerspruch standen, durch Vergleich mit anderen Gesetzen zu widerlegen ‒ eine Anspielung auf die γραφὴ παρανόμων, wie sie etwa im Prozess zwischen Demosthenes und Aischines um den von Ktesiphon für Demosthenes vorge‐ schlagenen Kranz im Zentrum steht; 115 Demosthenes argumentiert in seiner Verteidigungsrede für Ktesiphon u. a. durch den Verweis auf Präzedenzfälle, dass der Angeklagte den Kranz für ihn nicht gesetzeswidrig beantragt habe. 116 In Anlehnung an diese griechische Praxis habe Plinius nachzuweisen versucht, dass seine Anklage nicht nur durch das Repetundengesetz, sondern auch andere Gesetze gestützt würde (8). 117 Eine Anklage wie diejenige gegen Marius Priscus wird somit zu einem Fall stilisiert, wie ihn die großen attischen Redner hätten behandeln können. Plinius’ Vorgehensweise, so erfahren wir, stelle innerhalb des römischen Gerichtswesens eine Neuheit dar, wie sie nur von wahren Kennern der Materie (8: apud doctos) goutiert werden könne. Neben den intradiegetischen Zuhörern, die Plinius für seine Rezitation vorschweben, dürfte auch der allgemeine lector doctus der Briefsammlung gemeint sein, der - hinreichende Bildung in griechischer Rhetorik vorausgesetzt - die Anspielung auf Rechtsfälle wie denjenigen um Ktesiphon zu erkennen und einen Bezug zu der in Epist. 2,3 erzählten Demosthenes-Anekdote herzustellen vermag. Als Kontrastbild zur Senatsverhandlung des Priscus-Falles, die Plinius zufolge dem Ideal der antiquitas entsprechend abgehalten wurde, begegnen wir einer Szene im Zentumviralgericht, von der wir in Epist. 2,14 lesen. 118 Nur durch einen Brief - 2,13 an einen Priscus (! ) 119 - sind die beiden völlig unterschiedlichen Schilderungen zeitgenössischer Gerichtspraxis getrennt. Wurde in Epist. 2,11- 12 von einem „Highlight“ aus Plinius’ juristischer Karriere erzählt, zeichnet 147 1.2 Prozesse unter Trajan: Szenen vor Gericht in Buch 2 120 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 180‒1; Whitton (2013a), 202. 121 Der Brief 2,14 sticht insofern heraus, als Plinius ansonsten seine Auftritte vor dem Zentumviralgericht eher positiv darstellt: vgl. 4,16; 4,24; 5,9; 6,12,2; 6,33; 9,23,1; Sherwin-White (1966), 181; Beutel (2000), 255; Whitton (2013a), 201; s. Kap. II.1.7. 122 Epist. 10,3a,1: ut primum me, domine, indulgentia vestra promovit ad praefecturam aerarii Saturni, omnibus advocationibus, quibus alioqui numquam eram promiscue functus, renuntiavi, ut toto animo delegato mihi officio vacarem. Auch in seiner Zeit als Tribun habe Plinius auf Tätigkeiten vor Gericht verzichtet, wie aus Epist. 1,23,2 hervorgeht; vgl. Sherwin-White (1966), 140. 123 Vgl. Whitton (2013a), 202. 124 Epist. 2,14 ist der drittlängste Brief in Buch 2 und steht wohl nicht zufällig genau zwischen den langen Briefen 2,11 und 2,17; vgl. Whitton (2013a), 201. 125 Vgl. Crassus in Cic. De orat. 1,173‒84 und 3,94; Tac. Dial. 35,1; Plin. Epist. 8,23,3; Whitton (2013a), 203. der Brief 2,14 an Maximus 120 ein Porträt vom tristen Alltag. 121 Anders als der Aufsehen erregende Priscus-Fall (2,11,1: actum…personae claritate famosum, severitate exempli salubre, rei magnitudine aeternum), spielt sich im Zentumvi‐ ralgericht nichts Spannendes ab (2,14,1): Die meisten Fälle (causae) seien parvae et exiles; raro incidit vel personarum claritate vel negotii magnitudine insignis; deutlich sind hier die Anklänge an den Beginn von Epist. 2,11. Durfte Plinius die Anklage gegen Priscus zusammen mit einem Redner wie Tacitus bestreiten, so gibt es im Zentumviralgericht kaum mehr Kollegen, mit denen er plädieren will (2: ad hoc pauci, cum quibus iuvet dicere). Die Anordnung der Briefe im Buch suggeriert dem Leser somit eine zeitliche Progression bzw. vermittelt den Eindruck von einer Art Verfall der Redekunst. Die in Epist. 2,14 geschilderten Verhandlungen dürften jedoch vor dem Priscus-Fall anzusetzen sein: In Epist. 10,3a lesen wir, dass Plinius die praefectura aerarii Saturni übernommen hat und für die Zeit seiner Amtsausübung - diese wird von Sherwin-White (1966: 75‒8) auf Januar 98 bis Ende August 100 n. Chr. datiert ‒ auf Tätigkeiten als Advokat verzichtet; 122 lediglich für die Anklage gegen Marius Priscus bittet Plinius um eine Ausnahme beim Kaiser. In Brief 2,14 wiederum sagt Plinius von sich, dass er von Prozessen im Zentumviralgericht stark beansprucht werde (1: distringor centumviralibus causis), was sich dann eigentlich auf die Zeit vor der praefectura aerarii Saturni beziehen müsste. 123 Die Platzierung dieses Briefes innerhalb des Buchkontextes suggeriert dem linearen Leser jedoch eine Antiklimax in Plinius’ Tätigkeit als Anwalt, wozu auch der lange otium-Brief 2,17 sowie das negative Charakterporträt des Regulus in 2,20 beitragen. 124 Nachdem Plinius in Epist. 2,14 seinem Unmut über die unerfahrenen jungen Leute, die voller Selbstvertrauen im Zentumviralgericht agieren, 125 Luft gemacht (2) und die althergebrachte Praxis des tirocinium fori dagegengehalten hat (3‒4: ante memoriam meam…nunc), geht er dazu über, in Manier eines Satirikers 148 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 126 Alliterationen (refractis…reverentia; pudoris…patent; inducuntur…inrumpunt), Poly‐ ptoton (omnia…omnibus) und rhythmische Antiklimax (auf viersilbiges inducuntur folgt dreisilbiges inrumpunt) unterstreichen den Gedanken; vgl. Lefèvre (2009), 104; mit demselben Bild waren zuvor die vom Plagiat bedrohten Verse des Octavius Rufus beschrieben worden (2,10,3: invito te claustra sua refregerunt); der Metapher von flüchtigen Sklaven steht in 2,14 die von feindlichen Eindringlingen gegenüber; vgl. Whitton (2013a), 205. 127 Vgl. Whitton (2013a), 205. 128 Zum Verhältnis von Rhetorik und Schauspielerei vgl. etwa Schulz (2014), 364‒8. 129 Die Handschriften überliefern eine Erklärung zum griechischen Wortspiel: ἀπὸ τοῦ σοφῶς καὶ καλεῖσθαι; es dürfte sich jedoch um eine spätere Interpolation handeln; vgl. Sherwin-White (1966), 182; Whitton (2013a), 206. Das Verb καλεῖσθαι in der Bedeutung „(zum Essen) gerufen/ geladen werden“ korrespondiert mit dem lateinischen vocantur, das kaum zufällig unmittelbar nach Σοφοκλεῖς steht. In der lateinischen Variante Laudiceni steckt laus und cena, darüber hinaus klingen auch die Einwohner der syrischen Stadt Laodicea an. 130 Der Begriff μεσόχορος bezeichnet den Chorführer, vgl. Whitton (2013a), 208. bzw. Scheltredners das zeitgenössische Claqueur-Wesen zu kritisieren (4‒13). Zunächst vergleicht er im Ton der Entrüstung (3: at hercule) das Eindringen der jungen Redner ins Zentumviralgericht mit dem Aufbrechen von Schranken (4: nunc refractis pudoris et reverentiae claustris omnia patent omnibus, nec inducuntur, sed inrumpunt), 126 bevor er anschließend in einen knapperem Stil wechselt, wenn er das Gebaren der Claqueure skizziert (4): sequuntur auditores actoribus similes, conducti et redempti. Im Rahmen dieser chiastischen s- und a-Alliteration werden die auditores mit Schauspielern (actores) verglichen, da sie sich mieten lassen und den Applaus nur vorspielen, 127 was auch durch den schleppenden Rhythmus in der Junktur conducti et redempti unterstrichen wird. Theatrale Elemente prägen auch die weitere Charakterisierung dieser Leute: 128 Man bezeichne sie non inurbane als Σοφοκλεῖς bzw. als Laudiceni (5), ein Wortspiel, das auf ihr Bestreben, für Applaus zum Essen geladen zu werden, anspielt. 129 Für die Choreographie des Beifalls ist ein mesochorus zuständig 130 , der den Claqueuren mit einem Zeichen den Einsatz des Applauses signalisiert (6) - die Ignoranz der Claqueure (7: non intelligentes) steht in deutlichem Kontrast zu der gebildeten Zuhörerschaft, die sich Plinius in Epist. 2,19 wünscht (9: adhibituri sumus eruditissimum quemque). Wie sehr sich die Zustände in der zeitgenössischen Beredsamkeit verschlech‐ tert haben, illustriert Plinius mit einer Anekdote, die einen Vorfall des Vortags behandelt (6): here duo nomenclatores mei (habent sane aetatem eorum, qui nuper togas sumpserint) ternis denariis ad laudandum trahebantur. Für drei Denare, die man etwa fünfzehnjährigen Jünglingen bezahlt, könne man bereits als disertis‐ simus gelten. Plinius beschließt den Abschnitt über die gegenwärtige Krise mit 149 1.2 Prozesse unter Trajan: Szenen vor Gericht in Buch 2 131 Zusammen mit Asinius Gallus soll er einen Ciceromastix verfasst haben, wie Aulus Gellius empört berichtet (17,1,1: ut scribere ausi sint M. Ciceronem parum integre atque inproprie atque inconsiderate locutum); in Epist. 3,5,17 erfahren wir, dass er die commentarii des Älteren Plinius kaufen wollte; vgl. Sherwin-White (1966), 183; Whitton (2013a), 208‒9. Zur julisch-claudischen Epoche als noch „gute alte Zeit“ in den Briefen vgl. Beutel (2000), 254, der für eine differenzierte Betrachtung dieser Epoche plädiert. 132 Abgesehen von Quintilian tritt nur Tacitus in Epist. 9,23,2 (narrabat) als Erzähler einer vergleichbar langen Geschichte auf; vgl. Whitton (2013a), 209. 133 Er starb 59 n. Chr., das dramatische Datum der Erzählung Quintilians liegt also davor; zu Afer als Redner vgl. Quint. Inst. 10,1,118; 12,11,3; Tac. Dial. 13,3; Ann. 14,19; vgl. Plin. Epist. 8,18,5; Sherwin-White (1966), 183; Whitton (2013a), 209. 134 Memoria korrespondiert mit memini in 2,14,9. 135 Bablitz (2007), 62‒3 zufolge waren die vier Kammern, in denen jeweils 45 Richter tagten, visuell voneinander abgetrennt, wie u. a. die Frage des Domitius Afer in Epist. 2,14,11 nach dem Redner nebenan suggeriert (quis diceret quaesiit). 136 Vgl. Austin (1948), 104; Sherwin-White (1966), 183; Trachalus wird von Quintilian auch in Inst. 10,1,119 gelobt; vgl. Schulz (2014), 366‒7. der pointierten Formulierung scito eum pessime dicere, qui laudabitur maxime (8), bevor er zu einer Art aitiologischen Erzählung von den Anfängen dieser Unsitte übergeht (9‒11). Als primus inventor wird Larcius Licinus, ein Redner aus der julisch-claudischen Epoche, 131 überliefert, so hat es Plinius zumindest von seinem Lehrer Quintilian gehört (9). Diesen lässt der Epistolograph sodann als intradiegetischen Erzähler ersten Grades auftreten 132 und von einem Erlebnis mit seinem Mentor Domitius Afer 133 berichten (10‒11): narrabat ille: ‘adsectabar Domitium Afrum. cum apud centumviros diceret graviter et lente (hoc enim illi actionis genus erat), audit ex proximo immodicum insolitumque clamorem. admiratus reticuit; ubi silentium factum est, repetit, quod abruperat. iterum clamor, iterum reticuit, et post silentium coepit. idem tertio. novissime quis diceret quae‐ siit. Responsum est: “Licinus.” tum intermissa causa “centumviri”, inquit, “hoc artificium periit”’. Das hier entworfene Bild von Quintilian, der Domitius Afer ins Zentumviralge‐ richt begleitet, greift die zuvor von Plinius geschilderte altehrwürdige Praxis des tirocinium fori (3: ante memoriam meam) 134 wieder auf. In der Basilica Iulia, wo die centumviri tagten, konnten vier verschiedene Verhandlungen gleichzeitig stattfinden, sodass offenbar auch die Geräuschkulisse entsprechend laut war. 135 Quintilian selbst berichtet in Inst. 12,5,6 von einem Vorfall, in den der über eine besonders imposante Stimme verfügende Redner Trachalus involviert gewesen sein soll: 136 150 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 137 Wenngleich alle Anwesenden Trachalus gut hören konnten, wurde er wohl nur von den Teilnehmern seiner eigenen Verhandlung gesehen; vgl. Bablitz (2007), 63: „Significantly, Quintilian does not say that he was seen by the other courts.“ 138 Der Dreischritt in der Handlung erinnert an den in Epist. 1,5 inszenierten Dialog zwischen Plinius und Regulus vor dem Zentumviralgericht, s. S. 127-30. 139 Heldmann (1982), 251 sieht in Epist. 2,14 zwar ein convicium saeculi, jedoch keine These über den Verfall der Beredsamkeit. certe cum in basilica Iulia diceret primo tribunali, quattuor autem iudicia, ut moris est, cogerentur, atque omnia clamoribus fremerent, et auditum eum et intellectum et, quod agentibus ceteris contumeliosissimum fuit, laudatum quoque ex quattuor tribunalibus memini. Ähnlich wie Plinius in seinem Brief liefert auch Quintilian eine Ekphrasis der Akustik in der Basilica Iulia (vgl. clamoribus - clamorem…clamor; auditum - audisse…audit) 137 und erinnert sich hier an eine Szene, die er dort offenbar selbst miterlebt hat (memini); Plinius wiederum erinnert sich (memini) an eine Erzählung seines Lehrers, wobei das Hören in diesem Kontext eine besonders wichtige Rolle zu spielen scheint: Plinius hat von Quintilian gehört (9: audisse), was der Redner Domitius Afer im Zentumviralgericht gehört hat (10: audit). Die Erzählung Quintilians in Epist. 2,14 weist folgende Struktur auf: Eine kurze Exposition (10: adsectabar Domitium Afrum) leitet zum ersten Akt des kleinen Dramas vor Gericht über (cum apud centumviros…repetit, quod abru‐ perat), in dem von Afers Rede, ihrer ersten Unterbrechung durch benachbartes Lärmen und ihrer Wiederaufnahme erzählt wird. Der zweite Akt, in dem sich die Handlung des ersten wiederholt, zeichnet sich durch gesteigerte Kürze der Narration aus (iterum…coepit), die im dritten Akt sogar noch überboten wird (11: idem tertio). 138 Zum Schluss fragt Afer als interner Sprecher zweiten Grades, wer der andere Redner sei, bricht sein Plädoyer ab, nachdem er die Antwort vernommen hat, und konstatiert in direkter Rede, dass es nun vorbei sei mit der Kunst der Beredsamkeit. Mit Afers Worten endet auch die Erzählung Quintilians. In der Zeit Afers habe, so fährt Plinius fort, der Verfall der Beredsamkeit eigentlich erst eingesetzt (12: perire incipiebat), jetzt hingegen sei der Tief‐ punkt erreicht (nunc vero prope funditus exstinctum et eversum est) 139 - diesen Befund malt Plinius in satirischer Anschaulichkeit aus, wenn er die fracta pronuntiatio der jungen Redner, die teneri clamores ihrer Zuhörer (12) sowie das verweichlichte und theatrale Gebaren verspottet (13): plausus tantum ac potius sola cymbala et tympana illis canticis desunt; ululatus quidem (neque enim alio vocabulo potest exprimi theatris quoque indecora laudatio) large supersunt. 151 1.2 Prozesse unter Trajan: Szenen vor Gericht in Buch 2 140 Vgl. auch Liv. 39,8,8 und 39,10,7 über ululatus, cymbala und tympana im Zusammenhang mit den Bacchanalien; Whitton (2013a), 211‒2. 141 Zu dieser Metapher bei Ovid vgl. Hinds (2007), 148ff. 142 Mit der Wendung theatris quoque indecora laudatio scheint Plinius Quint. Inst. 2,2,10 zu variieren: illa vero vitiosissima, quae iam humanitas vocatur, invicem qualiacunque lau‐ dandi, cum est indecora et theatralis et severe institutis scholis aliena; vgl. Whitton (2013a), 212. Während das Theater hier negativ konnotiert ist, liefert das Staatsbegräbnis für Verginius Rufus ein Schauspiel im positiven Sinn (Epist. 2,1,1: insigne atque memorabile spectaculum). 143 Epist. 2,3 bildet überdies ein Pendant zu Epist. 1,10 auf den Philosophen Euphrates, vgl. Pausch (2004), 130. 144 Er ist auch Adressat von Epist. 3,16, 4,26 und 6,19; zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 146‒7; Whitton (2013a), 90. Die Wortwahl an dieser Stelle legt nahe, dass Plinius Ovids Darstellung der Mänaden, die den Gesang des Orpheus mit ihrem Lärmen übertönen, evozieren will (Met. 11,15‒22): 140 cunctaque tela forent cantu mollita, sed ingens clamor et infracto Berecyntia tibia cornu tympanaque et plausus et Bacchei ululatus obstrepuere sono citharae… […] innumeras volucres anguesque agmenque ferarum maenades Orphei titulum rapuere theatri. Von den mythischen Wäldern Thrakiens, die das Theater für Orpheus’ Gesang bilden, 141 hat sich das bacchantische Treiben bei Plinius in die Basilica Iulia verlagert, die mittlerweile den Schauplatz bietet für ein Verhalten, das sogar im Theater unangemessen wäre. 142 Der indignierte Ton, mit dem Plinius die jungen Redner seiner Zeit sowie deren Gefolge verspottet, steht in auffälligem Kontrast zum Enkomion auf den Redner Isaeus in Epist. 2,3. Die beiden Briefe sind. m. E. aufeinander bezogen, 143 da sie sich auch in ihrer Struktur stark ähneln: In Epist. 2,14 kritisiert Plinius zunächst die adulescentuli obscuri (2‒4a) und dann ihr gemietetes Publikum, das nur für Geld applaudiert (4b‒13); eine Anekdote über Larcius Licinus und Domitius Afer (9‒11) soll die Argumentation veranschaulichen. Demgegenüber steht in Epist. 2,3 das Enkomion auf Isaeus (1‒7), der sich an großem Ruhm erfreut (1: magna fama), bereits sechzig Jahre alt ist (5) und dessen sermo Atticus (1) sich von dem asianischen Gebaren abhebt, das Redner und Zuhörer in Epist. 2,14 an den Tag legen. Im zweiten Teil des Briefes 2,3 steht dann das Motiv des Zuhörens im Zentrum, wenn Plinius seinen Adressaten Nepos 144 dazu bewegen will, nach Rom zu kommen und Isaeus „live“ zu erleben (8‒11). 152 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 145 Diese Anekdote findet sich nur bei Plinius und wird später bei Hier. Epist. 53,1 aufgegriffen; vgl. Sherwin-White (1966), 148; Whitton (2013a), 98. Falls Plinius diese Episode gar selbst erfunden hat, würde das der einleitenden Wendung numquamne legisti einen besonderen Witz verleihen. Überdies steht das Motiv des Lesens hier im Gegensatz zur mündlichen Überlieferung der Afer-Anekdote in Epist. 2,14,9 (audisse memini). 146 Vgl. Aristot. Rhet. 1,3,3: ἐπιδεικτικοῦ δὲ τὸ μὲν ἔπαινος τὸ δὲ ψόγος; Fuhrmann (2003), 81‒2. 147 Zu diesem Brief vgl. Pausch (2004), 114‒29; Marchesi (2013), 115‒7. Auch hier werden zwei Anekdoten eingestreut: Zunächst eine über einen Mann aus Gades, der nach Rom kam, nur um Livius zu sehen, und danach gleich wieder zurückkehrte (8), 145 sowie die zuvor schon betrachtete Geschichte über Aischines und Demosthenes. Die beiden Briefe 2,3 und 2,14 transformieren somit das rhetorische genus epideiktikon bzw. demonstrativum, das der antiken Theorie entsprechend aus Lob oder Tadel besteht, 146 in einen epistolaren Kon‐ text. Sie haben rhetorisches Können bzw. Unvermögen zum Inhalt und stellen ihrerseits als Texte das rhetorische Können ihres Verfassers zur Schau. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Buch 2 eine Galerie an Redner-Fi‐ guren aus post-domitianischer sowie „der guten alten“ Zeit liefert, zu denen sich Plinius auf verschiedene Weise in Bezug setzt: Eröffnet wird das Buch mit Tacitus als laudator eloquentissimus (2,1,6), gefolgt vom griechischen Kon‐ zertredner Isaeus, den Klassikern Livius, Aischines und Demosthenes (2,3), alsdann Plinius als Lobredner seiner Heimat (2,5), Tacitus und insbesondere Plinius selbst als Ankläger des Marius Priscus gegenüber dessen Verteidigern im Zentrum des liber (2,11‒12), ferner zeitgenössische Dilettanten und ihre Claqueure in der Tradition des Larcius Licinus, denen Quintilian und Domitius Afer gegenüberstehen (2,14) und schließlich wieder Plinius selbst (2,19). Auch M. Regulus, der im gesamten Korpus immer wieder als Kontrastfolie zu Plinius fungiert, geistert durch dieses Buch (2,11,22; 2,20), wenngleich seine Tätigkeit als Redner hier eine auffallend untergeordnete Rolle spielt. 1.3 Der Prozess gegen Caecilius Classicus in Buch 3 Nachdem Plinius das dritte Buch mit dem Porträt des Vestricius Spurinna und einem Entwurf des im Alter anzustrebenden otium eröffnet hat, 147 sind die folgenden Briefe wieder stärker den negotia sowie dem Thema der Beredsamkeit gewidmet. Epist. 3,2 an Vibius Maximus ist ein Empfehlungsschreiben für Arrianus Maturus, der uns bereits als Adressat des stilkritischen Briefes 1,2 153 1.3 Der Prozess gegen Caecilius Classicus in Buch 3 148 S. S. 134-44. 149 Vgl. Epist. 1,12. 150 Vgl. die thematisch verwandte Epist. 2,18. 151 Er wird hier sozusagen in die Sammlung eingeführt und ist in der Folge Adressat der Briefe 3,11, 7,30 und 9,17; vgl. Sherwin-White (1966), 213 und 239. 152 Im Jahre 97/ 98 n. Chr., vgl. Epist. 3,9,2: eodem anno quo in Africa Marius Priscus; Sherwin-White (1966), 231. 153 Es handelt sich vermutlich um denselben Macrinus, der auch die Briefe 2,7, 7,6, 7,10, 8,17 und 9,4 erhält; vgl. Sherwin-White (1966), 153. 154 Zu seiner Person und Funktion als Adressat s. S. Kap. I.2.4. 155 In Buch 3 findet sich der Senat noch in Epist. 3,13,1 und 3,18,1 als Schauplatz für die Dankesrede an Trajan sowie in Epist. 3,20 für Beamtenwahlen; vgl. 3,7,12. 156 Vgl. Pflips (1973), 182‒3. sowie des Briefpaares 2,11‒12 über den Prozess des Marius Priscus begegnete. 148 In Epist. 3,3 steht dann der Sohn der Corellia Hispulla bzw. Enkel des von Plinius bewunderten Corellius Rufus im Zentrum: 149 Für den Knaben muss ein geeigneter Redelehrer gesucht werden (3: circumspiciendus rhetor Latinus, cuius scholae severitas, pudor, in primis castitas constet) 150 , und Plinius empfiehlt für diese Aufgabe Iulius Genitor 151 , dem er moralische Integrität und ausgezeichnete rhetorische Fähigkeiten attestiert (5‒7). Die positive Charakterisierung Genitors erfolgt wohl mit Bedacht an dieser Stelle: Nachdem Plinius ihn in Epist. 3,3 zur moralischen und rhetorischen Autorität stilisiert hat, lässt er ihn später als Adressat der Epistel 7,30 auftauchen und Plinius’ Rede De Helvidi ultione mit Demosthenes’ κατὰ Μειδίου vergleichen (4: qui libellos meos de ultione Helvidi orationi Demosthenis κατὰ Μειδίου confers). Dem Leser wird somit suggeriert, dass dieser Vergleich aus berufenem Mund erfolgt sei. Auf Epist. 3,3 folgt mit 3,4 der erste Teil eines Briefpaares, in dem Plinius seine Rolle als Ankläger im Repetundenprozess der Provinz Baetica gegen Caecilius Classicus beschreibt; Classicus war dort im selben Jahr Prokonsul wie Marius Priscus in Africa. 152 In 3,4 legt Plinius gegenüber Caecilius Macrinus 153 die Vorgeschichte dar sowie seine Beweggründe, die Provinz zu vertreten, während Epist. 3,9 an Cornelius Minicianus 154 eine umfangreiche Schilderung dieses Prozesses enthält, dessen Schauplatz der Senat ist. 155 Anders als beim Priscus-Prozess in Buch 2 handelt es sich nicht mehr um einen Fortsetzungsbericht an denselben Adressaten, sondern an verschiedene Empfänger. Während im Bericht über den Fall Priscus auf den langen Brief 2,11 der kurze Brief 2,12 in Form eines Nachtrags folgte, lesen wir in Buch 3 zuerst den kürzeren Brief 3,4 über das Vorspiel und dann den langen Brief 3,9 über den Prozess-Verlauf. 156 In Epist. 3,4 wird suggeriert, dass die Hauptverhandlung noch in der Zukunft liegt, während davon in 3,9 schon als vergangenes Ereignis die Rede ist (1: Possum iam perscribere) - bei 154 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 157 Laut Sherwin-White (1966), 58‒60, 213 und 230 fällt das dramatische Datum der Epist. 3,4 in den Herbst 98 oder 99 n. Chr., dasjenige der Epist. 3,9 in das Jahr 100 n. Chr.; vgl. Pflips (1973), 182. 158 Vgl. Henderson (2002a), 126. 159 Die zweite Hälfte von Buch 3 wird zudem eingerahmt durch die Briefe 3,11 und 3,21, in denen Plinius seine finanzielle Unterstützung für einen Philosophen bzw. Dichter thematisiert. 160 Zu diesen Briefen s. S. 185-91 und 363-8. linearer Lektüre des Briefpaares überspringt der Leser somit einen Zeitraum von mehreren Monaten. 157 Epist. 3,9 sticht, wie schon das Pendant 2,11, durch ihren Umfang heraus - es handelt sich um den mit Abstand längsten Brief in Buch 3. 158 Zugleich dürfte dieser Brief als Abschluss der ersten Buchhälfte fungieren, da mit 3,10 über den verstorbenen Sohn Spurinnas wieder deutlich auf den Beginn des Buches (3,1) zurück verwiesen wird (3,10,1: cum proxime apud vos fui). Während die erste Buchhälfte Plinius’ Rolle als Ankläger im Repetundenprozess in den Vordergrund rückt, tritt er in der zweiten Hälfte insbesondere als Lobredner auf Kaiser Trajan hervor. Betrachtet man Epist. 3,10 als den Beginn der zweiten Buchhälfte, dann fällt auch auf, dass die Briefe 3,13 und 3,18 über den Panegyricus symmetrisch zu 3,4 und 3,9 angeordnet sind: Epist. 3,4 und 3,13 stehen demnach jeweils an vierter Position, 3,9 und 3,18 an neunter, wobei in beiden Hälften vier Briefe zwischen den betreffenden Briefpaaren liegen. Eine zweite Möglichkeit wäre allerdings auch, den Beginn der zweiten Buchhälfte mit Epist. 3,11 über Plinius’ Freundschaft mit dem Philosophen Artemidor und die Gefahren unter Domitian anzusetzen, wodurch die erste Buchhälfte durch das Spurinna-Thema ringkompositorisch eingerahmt würde und Epist. 3,11 als Rückblende in die Domitian-Zeit dann genau in der Mitte stünde zwischen Epist. 3,9 und 3,13 über rhetorische Aktivitäten unter Kaiser Trajan. 159 Epist. 3,4 ist an Caecilius Macrinus gerichtet, der schon als Adressat von Brief 2,7 über die Ehrenstatuen für Vestricius Spurinna und dessen Sohn begegnet ist und später die Briefe 7,6 und 7,10 über den Prozess der Bithynier gegen Varenus erhält sowie Epist. 8,17 über die Überflutung des Tiber und Anio. 160 Plinius eröffnet den Brief 3,4 mit der Nachricht, dass sowohl seine Freunde in seiner Anwesenheit als auch die Äußerungen anderer Leute ihm signalisiert hätten, in einer zunächst nicht näher konkretisierten Angelegenheit richtig gehandelt zu haben (1: …et amici, quos praesentes habebam, et sermones hominum factum meum comprobasse videantur). Nun komme es Plinius aber besonders darauf an, nachträglich auch die Meinung (2: iudicium) des Macrinus zu erfahren, den er gerne schon vorher, als die Sache noch nicht entschieden war, als Berater herangezogen hätte (2: consilium exquirere). 155 1.3 Der Prozess gegen Caecilius Classicus in Buch 3 161 Zu diesem Amt s. S. 78. 162 Sherwin-White (1966), 571‒2 argumentiert für das spätere Datum. 163 Vgl. 10,8,1: statuas…in municipium transferre; der Vergleich mit Epist. 4,1,4‒5 legt nahe, dass es sich um das dort erwähnte Tifernum Tiberinum handelt; vgl. Sherwin-White (1966), 573. 164 Somit steht der Brief 3,4 indirekt in Bezug zu 3,6, wo explizit von einer Statue die Rede ist, die Plinius im Jupitertempel seiner Heimatstadt Comum aufstellen lassen will; vgl. Henderson (2002a), 37‒8 und 155‒94. 165 Es fällt auf, dass Plinius zu dieser Angelegenheit dem linearen Leser die Information schrittweise liefert: Auf Andeutungen und vage Angaben in Epist. 3,4,2 (publicum opus mea pecunia…in Tuscos) folgen konkretere Informationen in 4,1,4‒5 (oppidum…nomen Tiferni Tiberini…templum pecunia mea extruxi…dedicationem), bevor das Briefpaar 10,8‒9 die restlichen Hintergründe der Reise aufklärt; zugleich ist dieser Zyklus in chronologisch umgekehrter Reihenfolge angeordnet: In 3,4 ist die Reise bereits Vergangenheit, in 4,1 steht sie unmittelbar bevor, während in 10,8‒9 das Urlaubsgesuch begründet bzw. genehmigt wird. 166 In Epist. 5,14,5 nennt Plinius Cornutus Tertullus als seinen Amtskollegen; vgl. Sherwin-White (1966), 214. Auf dieses exordium folgt die narratio über den Auftritt der Gesandten aus Baetica im Senat: Plinius hatte gerade in seiner Funktion als praefectus aerarii  161 Urlaub vom Kaiser erhalten und war in das Gebiet der Tusker gereist, um den Grundstein für ein öffentliches Gebäude zu legen, das er selbst finanziert hatte (2: cum publicum opus mea pecunia incohaturus in Tuscos excucurrissem accepto, ut praefectus aerari, commeatu…). Genaueres erfahren wir hier nicht über dieses Vorhaben, doch ein Vergleich mit Epist. 4,1,4‒5 und 10,8‒9 liefert uns nähere Informationen: In Epist. 10,8 erbittet Plinius bei Kaiser Trajan Urlaub für den Monat September des Jahres 98 oder 99 n. Chr., 162 um nach Tifernum Tiberinum 163 zu reisen und dort einen Tempel zu errichten, der mit Kaiserstatuen (1: statuas principum), darunter auch denjenigen Nervas und Trajans (4: opus… exornare et tua statua), geschmückt werden soll. 164 Das Anliegen wurde von Trajan gewährt mit der Begründung ne impedisse cursum erga me pietatis tuae videar (10,9), und in Epist. 3,4 lesen wir nun aus der Retrospektive von dieser Reise, deren genauer Zweck an dieser Stelle jedoch unerwähnt bleibt. 165 Während Plinius’ Abwesenheit aus Rom kamen Gesandte der Provinz Bae‐ tica in den Senat und forderten Plinius für ihre Klage gegen den Prokonsul Caecilius Classicus als Rechtsbeistand (3,4,2: legati provinciae Baeticae questuri de proconsulatu Caecili Classici advocatum me a senatu petiverunt). Nachdem die Amtskollegen 166 zunächst versuchten, Plinius von dieser Aufgabe zu ent‐ schuldigen, fasste der Senat den Entschluss, Plinius die Entscheidung selbst zu überlassen (3). In einer zweiten Senatssitzung nach Plinius’ Rückkehr (4: me iam praesentem) bringen die Gesandten erneut ihr Anliegen vor und erinnern Plinius an seinen früheren Beistand gegen Baebius Massa (4: fidem meam, quam essent 156 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 167 S. Kap. II.1.5. 168 Zum Aufbau dieser Rede vgl. Sternkopf (1904/ 05); Stroh (1975), 174‒87; Craig (1985). 169 Cic. Div. in Caec. 2‒5; vgl. Stroh (1975), 175. contra Massam Baebium experti) 167 sowie das bestehende Patronatsverhältnis (patrocini foedus). Auf die hier in indirekter Rede berichteten Worte der Baetiker folgte deutliche Zustimmung des Senats (4: senatus clarissima adsensio), und Plinius schließt diesen narrativen Abschnitt ab, indem er seine eigene Reaktion in direkter Rede wiedergibt (4: ‘desino’, inquam, ‘patres conscripti, putare me iustas excusationis causas attulisse’), ein Ausspruch, dessen modestia und ratio bei den Zuhörern gut angekommen sei. Nach dieser narratio über die Ereignisse im Senat fokalisiert Plinius im Rest des Briefes auf seine eigene Perspektive und die Beweggründe für seine Entscheidung, die Provinz zu vertreten. Dies erfolgt durch eine Häufung von Verben des Denkens, Überlegens und Einschätzens: compulit…ad hoc consi‐ lium…veniebat in mentem…arbitrabar (5), recordarer…videbatur (6), ducebar…vi‐ debam (7), computabam (8). Die Art und Weise, wie Plinius in Epist. 3,4 seinen Entschluss, als Ankläger gegen Caecilius Classicus zu fungieren, rechtfertigt, erinnert an Ciceros Aussagen in der Divinatio in Q. Caecilium, die sozusagen das Präludium zum Prozess gegen Verres bildet. 168 Cicero argumentiert in dieser Rede, warum er ein geeigneterer Ankläger sei als Q. Caecilius, und mehrere Punkte seiner Ausführungen ähneln denjenigen des Plinius. Ja es scheint sogar, als habe Plinius seinen Brief 3,4 als epistolographisches Pendant zur Divinatio komponiert, während Epist. 3,9, wie zu zeigen sein wird, den Verres-Reden entspricht. Es fällt zunächst auf, dass Plinius den Brief mit der Bemerkung rahmt, er wolle das iudicium seines Adressaten erfahren (3,4,2; 9), wodurch er diesen zur Richter-Instanz stilisiert; in einer Rede wie Ciceros Divinatio sind die Angesprochenen ebenfalls iudices. Ähnlich wie Plinius nennt Cicero die Gründe, die ihn zur Übernahme der Anklage veranlassten (Div. in Caec. 5: adductus sum, iudices, officio, fide, misericordia, multorum bonorum exemplo, vetere consuetudine institutoque maiorum…). Außerdem betont Cicero mehrmals, dass man sein Handeln gutheißen müsse, wenn man die Begründung dafür gehört habe (Div. in Caec. 1: is, si mei consili causam rationemque cognoverit, una et id quod facio probabit; 6: quis tandem esset qui meum factum aut consilium posset reprehendere? ). Plinius seinerseits eröffnet, wie wir gesehen haben, den Brief mit der Behauptung, sein Handeln habe bereits mehrfach Zustimmung erhalten (3,4,1: factum meum comprobasse videantur). Cicero integriert in sein exordium eine narratio, 169 in der er erzählt, wie es zu seiner persönlichen Verbundenheit mit den Sizilianern kam (Div. in Caec. 2: cum quaestor in Sicilia fuissem…), und auch Plinius beginnt seinen Bericht über die Baetiker mit einem narrativen 157 1.3 Der Prozess gegen Caecilius Classicus in Buch 3 170 Cic. Div. in Caec. 66: clarissimi viri nostrae civitatis temporibus optimis hoc sibi amplissimum pulcherrimumque ducebant, ab hospitibus clientibusque suis, ab exteris nationibus, quae in amicitiam populi Romani dicionemque essent, iniurias propulsare eorumque fortunas defendere; cf. Plin. Epist. 3,4,5: veniebat in mentem priores nostros etiam singulorum hospitum iniurias voluntariis accusationibus exsecutos; quo deformius arbitrabar publici hospitii iura neglegere; vgl. Sherwin-White (1966), 215. 171 Es handelt sich also um seinen dritten Repetundenprozess nach der Anklage gegen Baebius Massa und Marius Priscus; vgl. Sherwin-White (1966), 215. 172 Sherwin-White (1966), 101‒2 schließt aus, dass es sich bei dem in Epist. 1,7 erwähnten Prozess ebenfalls um denjenigen gegen Classicus handelt. 173 Vgl. 1,5,2.5 (Regulus); 7,27,14 (Mettius Carus); vgl. 7,33,7‒8; s. S. 130-1. 174 S. Kap. II.1.5. cum-Satz (Plin. Epist. 3,4,2: cum…excucurrissem). In seiner Divinatio rekapituliert Cicero zudem, wie die Sizilianer ihn an sein früheres Versprechen erinnerten, er werde ihnen jederzeit beistehen (Div. in Caec. 2-3), und auch Plinius wird von den Baetikern auf fides und patrocini foedus hingewiesen (Epist. 3,4,4). Zunächst wollte Cicero die Anklage an Q. Caecilius, seinen Nachfolger als quaestor, abtreten (Div. in Caec. 4), und auch bei Plinius findet sich ein anfänglicher Versuch, der Sache zu entkommen - allerdings ist es nicht er selbst, der ablehnt, sondern die collegae optimi versuchen, ihn zu entschuldigen (3,4,3). Sowohl Plinius als auch Cicero weisen schließlich darauf hin, dass schon die Vorfahren freiwillig die Rolle des Anklägers übernommen haben, wenn einem Gastfreund oder Schutzbedürftigen Unrecht widerfuhr. 170 Wie sich zeigt, zieht Plinius indirekt eine Parallele zwischen seiner Situation und derjenigen Ciceros vor dem Verres-Prozess. Abgesehen davon lässt er auch die Gelegenheit nicht ungenutzt, auf sein Verhalten während der Herrschaft Domitians anzuspielen. Wir erfahren, dass Plinius die Rolle des Anklägers im Repetundenprozess nun schon zum dritten Mal übernehmen würde (3,4,8: si munere hoc iam tertio fungerer) 171 und dass ihn ein früherer Rechtsbeistand für die Baetiker - derjenige gegen Baebius Massa ‒ in bedeutende Gefahr gebracht habe (3,4,6: quanta pro isdem Baeticis superiore advocatione etiam pericula subissem). Von pericula war auch schon in Epist. 1,7, ebenfalls im Zusammenhang mit den Baetikern, die Rede (2: provinciam, quam tot…periculis meis aliquando devinxerim), 172 ein Begriff, den Plinius häufig zur Beschreibung der Zeit Domitians verwendet. 173 In Epist. 7,33 werden wir dann Genaueres über die gefährlichen Umstände erfahren. 174 So viel sei zumindest schon gesagt: Die lineare Lektüre von Epist. 1,7, und 3,4 suggeriert dem Leser, dass zwischen Plinius und der Provinz ein enges Band der Verpflichtung bestehe (1,7,2: devinxerim; 3,4,4: fidem…patrocini foedus); erst in Epist. 7,33 lesen wir, dass zuvor auch zwischen Herennius Senecio und den Baetikern ein solches Verhältnis 158 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 175 Zu diesem Brief vgl. Henderson (2002a), 126‒9. 176 Pflips (1973), 193 erkennt hier eine Parallele zu Cic. Cluent. 2. Zwar findet sich die Wendung laborem exhaurire in der Kaiserzeit relativ häufig - vgl. die Belegstellen bei Pflips (1973), 194 ‒, doch ist es m. E. angesichts der Position von Epist. 3,9 in der Mitte von Buch 3 denkbar, dass Plinius hier auf Ovid Ars 1,771 anspielt, wo mit der Junktur der Übergang von Buch 1 zu Buch 2 der Ars amatoria signalisiert wird: pars superat coepti, pars est exhausta laboris. 177 Es handelte sich also um einen Massenprozess, der etwa eine Zeitspanne von vier Wochen beanspruchte; vgl. Graf (1940), 79; Sherwin-White (1966), 231. 178 Der Ausspruch dedi malum et accepi taucht ähnlich auch in Donats Kommentar zu Terenz, Phorm. 21 auf (proverbiale est: quod dedit, recepit), vgl. Otto (1890), 106; Pflips (1973), 201. 179 Vgl. Cic. Verr. 2,4,95: numquam tam male est Siculis quin aliquid facete et commode dicant, velut in hac re aiebant in labores Herculis non minus hunc immanissimum verrem quam illum aprum Erymanthium referri oportere; 2,1,121: hinc illi homines erant qui etiam ridiculi inveniebantur ex dolore; quorum alii, id quod saepe audistis, negabant mirandum esse ius tam nequam esse Verrinum; alii etiam frigidiores erant, sed quia stomachabantur ridiculi videbantur esse, cum Sacerdotem exsecrabantur qui Verrem tam nequam reliquisset. quae ego non commemorarem - neque enim perfacete dicta neque porro hac severitate digna sunt -, nisi vos illud vellem recordari, istius nequitiam et bestand (5: natus ibi et quaestor in ea). Als patronus der Provinz hat Plinius den Senecio also mehr oder weniger „beerbt“. Steht in Epist. 3,4 die Hauptverhandlung gegen Caecilius Classicus noch bevor, ist sie in Epist. 3,9 bereits Vergangenheit und Gegenstand einer längeren narratio. 175 Plinius eröffnet den Brief mit dem Hinweis an Cornelius Minicianus, dass ihm der Prozess viel Mühe bereitet habe (1: quantum…laboris exhau‐ serim), 176 da die Sachlage kompliziert gewesen sei und viele Reden gehalten wurden (2: nam fuit multiplex actaque est saepius cum magna varietate). 177 Es folgt eine Beschreibung des Angeklagten Classicus, der bereits vor dem Prozess verstorben war (2‒5): Plinius charakterisiert ihn im besten Stil einer rhetorischen Invektive als homo foedus et aperte malus, der sein Prokonsulat, das ins selbe Jahr fiel wie dasjenige des Marius Priscus - der Leser wird dadurch an Epist. 2,11 erinnert -, non minus violenter quam sordide ausübte (2). Die Parallele zwischen Caecilius Classicus und Marius Priscus spitzt Plinius auf eine pointierte Formulierung zu (3): erat autem Priscus ex Baetica, ex Africa Classicus, inde dictum Baeticorum, ut plerumque dolor etiam venustos facit, non inlepidum ferebatur: ‘dedi malum et accepi’. Mit dem Hinweis auf die witzige Bemerkung bzw. den „Galgenhumor“ der Provinzbewohner 178 dürfte Plinius auf Cicero anspielen, der in seiner zweiten Rede gegen Verres ebenfalls unterhaltsame Aussprüche der Einwohner von Sizilien zum Besten gibt (vgl. Verr. 2,1,121: hinc illi homines erant qui etiam ridiculi inveniebantur ex dolore). 179 159 1.3 Der Prozess gegen Caecilius Classicus in Buch 3 iniquitatem tum in ore vulgi atque in communibus proverbiis esse versatam; Mayor (1880), 139; Pflips (1973), 198‒9. 180 Durch das Motiv des Selbstmordes ist ein Bezug hergestellt zu Epist. 3,16 über die ältere Arria und Paetus, deren Suizid als positives Kontrastbild zu demjenigen des Classicus fungiert; zur Selbsttötung bei Plinius vgl. Fögen (2015). 181 Vgl. Vell. 2,102,1: cuius mors intra paucos dies fortuita an voluntaria fuerit ignoro. 182 Zum rechtlichen Hintergrund vgl. Sherwin-White (1966), 232. 183 Er verteidigt zusammen mit Plinius auch Iulius Bassus (4,9,13) und ist vermutlich Adressat der Epist. 6,10; vgl. Sherwin-White (1966), 232. 184 Er ist also offenbar ein Vertreter des genus grande; vgl. Pflips (1973), 209‒10 mit Verweis auf Cicero Orat. 97, wo der Redner des genus grande charakterisiert wird: tertius est ille amplus copiosus gravis ornatus, in quo profecto vis maxima est; vgl. Cic. Orat. 91; Plin. Epist. 9,26 über rhetorische sublimitas. 185 Vgl. Mayor (1880), 144; Pflips (1973), 213‒4. Classicus, der anders als Priscus von der gesamten Provinz angeklagt wurde (4), kam einer Verurteilung durch den Tod zuvor - auch hier zeigt sich Plinius schonungslos (5): Ille accusationem vel fortuita vel voluntaria morte praevertit. nam fuit mors eius infamis, ambigua tamen: ut enim credibile videbatur voluisse exire de vita, cum defendi non posset, ita mirum pudorem damnationis morte fugisse, quem non puduisset damnanda committere. Der Epistolograph lässt offen, ob Classicus Selbstmord begangen hatte 180 oder zufällig vor dem Prozess aus dem Leben geschieden war. 181 So oder so, Plinius betrachtet seinen Tod als infamis und beendet die Kurzbiographie, indem er in einer durch Parallelismus und polyptoton (pudorem…puduisset; damnationis…damnanda) angereicherten Sentenz einen möglichen Suizid des Angeklagten mit seinen Taten zu Lebzeiten kontrastiert. Ungeachtet des Todes ihres ehemaligen Statthalters forderten die Baetiker seine Anklage - laut Plinius zwar ein gesetzeskonformes, jedoch seit langer Zeit erstmals wieder durchgeführtes Verfahren; 182 zudem zeigten sie auch die Helfer (socios ministrosque) des Classicus an (6). Plinius führt seine Erzählung fort, indem er auf sein Verhältnis zu seinem Mitankläger Lucceius Albinus 183 näher eingeht: Er bezeichnet ihn als vir in dicendo copiosus ornatus (7), 184 mit dem er bei gegenseitiger Wertschätzung (7: cum olim mutuo diligerem…amare ardentius coepi) einträchtig und ohne Rivalitäten die schwierige Aufgabe in Angriff genommen habe (8: nullum certamen, nulla contentio…non pro se, sed pro causa). Es wurde bereits beobachtet, dass diese Darstellung einiges gemeinsam hat mit der Beziehung zwischen Cicero und Hortensius, wie sie bei Cornelius Nepos in der Atticus-Vita geschildert wird (Att. 5,4): 185 160 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 186 Vgl. Hor. Epist. 2,1,45; Front. Strat. 1,10,1; Plut. Sert. 16; Mayor (1880), 147; Sherwin-White (1966), 233; Pflips (1973), 222. utebatur autem intime Q. Hortensio, qui iis temporibus principatum eloquentiae tenebat, ut intellegi non posset, uter eum plus diligeret, Cicero an Hortensius; et, id quod erat difficillimum, efficiebat, ut, inter quos tantae laudis esset aemulatio, nulla intercederet obtrectatio essetque talium virorum copula. Plinius und Lucceius Albinus begegnen dem Leser sozusagen als Reinkarnation der beiden großen Redner aus der späten Republik. Der im vorausgehenden Abschnitt behandelten Schlechtigkeit des Caecilius Classicus steht somit das Bild der Eintracht zweier Anwälte gegenüber, die dem Ideal eines Cicero und Hortensius entsprechen. In der folgenden Passage (9‒11) legt Plinius dar, warum er und sein Kollege Lucceius Albinus davon absahen, die zahlreichen Vergehen in einer einzigen actio zu behandeln (9: si tot crimina, tot reos uno velut fasce complecteremur). Stattdessen habe man sich dazu entschlossen, die Angeklagten einzeln ins Visier zu nehmen (11: tam numerosum agmen reorum ita demum videbamus posse superari, si per singulos carperetur). Zu diesem Entschluss gelangen Plinius und sein Mitstreiter, indem sie sich das Exemplum des Sertorius ins Gedächtnis rufen (11): erat in consilio Sertorianum illud exemplum, qui robustissimum et infirmissimum militem iussit caudam equi - reliqua nosti. Mit einer Aposiopese deutet Plinius an, dass seinem Adressat das Beispiel des Sertorius wohlbekannt ist - u. a. wird es bei Valerius Maximus erzählt (7,3,6): 186 Sertorius vero corporis robore atque animi consilio parem naturae indulgentiam expertus, proscriptione Sullana dux Lusitanorum fieri coactus, cum eos oratione flectere non posset ne cum Romanis universa acie confligere vellent, vafro consilio ad suam sententiam per‐ duxit: duos enim in conspectu eorum constituit equos, validissimum alterum, <alterum> infirmissimum, ac deinde validi caudam ab imbecillo sene paulatim carpi, infirmi a iuvene eximiarum virium universam convelli iussit. obtemperatum imperio est. sed dum adulescentis dextera irrito se labore fatigat, senio confecta manus ministerium exsecuta est. Der Einfall des Sertorius, bei einem Pferdeschwanz die Haare einzeln ausreißen zu lassen, um damit zu demonstrieren, dass man als unterlegener Gegner das Heer der Römer nur in seinen Einzelteilen überwinden könne, wird bei Valerius Maximus in die Kategorie vafre dicta aut facta integriert bzw. als vafrum consilium bewertet. Indem Plinius seine mit Lucceius Albinus ersonnene Strategie mit dem Sertorius-Exemplum in Verbindung bringt, schreibt er auch sich selbst indirekt in die Beispielreihe der vafre dicta aut facta ein. Zudem 161 1.3 Der Prozess gegen Caecilius Classicus in Buch 3 187 Plinius verwendet sogar Militärsprache: vgl. 3,4,11: agmen reorum…carperetur; zur Junktur agmen reorum in militärischen Kontexten vgl. Pflips (1973), 224 mit Verweis auf Caes. Civ. 1,63,2; Bell. Afr. 75,3; Liv. 22,32,2; 31,40,8; 31,42,9; Tac. Ann. 12,32,1. 188 Sie sind ansonsten unbekannt, vgl. Sherwin-White (1966), 233. 189 Vgl. Epist. 2,11,23; 7,6,2; Sherwin-White (1966), 233. 190 Zur probatio inartificialis und artificialis in der rhetorischen Theorie siehe etwa Fuhrmann (2003), 90‒5. 191 Zum Thema „Brief im Brief “ bzw. „embedded letters“ s. S. 44-9; vgl. Sidon. Epist. 1,7,5. 192 Ihre Verteidigung erfolgte demnach im status qualitatis durch remotio criminis; vgl. Fuhrmann (2003), 107. 193 Aus einer quaestio finita macht er somit eine quaestio infinita; vgl. Quint. Inst. 3,5‒7. 194 Er ist vermutlich Adressat der Epist. 6,17 sowie des Martialgedichts 10,87; zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 233. wird der Auftritt bei einem Prozess mit der Vorbereitung auf eine militärische Auseinandersetzung parallelisiert. 187 Plinius und sein Kollege beschlossen, im Rahmen der actio prima (12‒17) zuerst die Schuld des Classicus zu beweisen und zusammen mit ihm seine Helfer Baebius Probus und Fabius Hispanus 188 anzuklagen. Was Classicus betraf, so gab es kaum Schwierigkeiten (12): et circa Classicum quidem brevis et expeditus labor. Als Beweise für seine Schuld erwähnt Plinius zwei schriftliche Dokumente (13): sua manu reliquerat scriptum, quid ex quaque re, quid ex quaque causa accepisset; miserat etiam epistulas Romam ad amiculam quandam, iactantes et gloriosas his quidem verbis: ‘Io io, liber ad te venio; iam sestertium quadragiens redegi parte vendita Baeticorum.’ Es dürfte aus narratologischer Sicht nicht unerheblich sein, dass Plinius in seinem Brief ausgerechnet zwei von Classicus verfasste Schriftstücke ins Zen‐ trum rückt. Zunächst geht Plinius eher nüchtern auf die Rechnungsbücher des Statthalters ein, 189 die dessen Einnahmen dokumentierten und Plinius zur probatio inartificialis dienten. 190 Um einiges lebhafter wird die Darstellung dann bei der Erwähnung des bereits in anderem Zusammenhang betrachteten Briefes, den Classicus zu seiner Geliebten nach Rom geschickt haben soll, um seine Rückkehr anzukündigen. 191 Im folgenden Abschnitt (14‒17) legt Plinius dar, wie er mit Fabius Hispanus und Baebius Probus verfahren ist. Die beiden Helfer des Classicus stritten gar nicht ab, Verbrechen begangen zu haben, beriefen sich jedoch auf ihre Zwangs‐ lage (15: ut necessitati veniam precarentur…ad omne proconsulum imperium metu cogi). 192 Daher musste Plinius beweisen, dass auch Beihilfe ein Verbrechen sei (14: ut constaret ministerium crimen esse). 193 So wurde dem Gegenanwalt, Claudius Restitutus, 194 die gesamte Basis seiner Argumentation entzogen, wie er sogar selbst zugegeben haben soll (16): 162 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 195 Vgl. Sherwin-White (1966), 233: „This suggests the reviser’s hand, or a longer interval after the event than s. I implies.“ 196 Pflips (1973), 236 sieht in der Wendung numquam sibi tantum caliginis…offusum eine Anspielung auf Cicero, der sich Quintilian zufolge im Cluentius-Prozess gerühmt haben soll, die Richter „in Dunkel gehüllt“ zu haben (Inst. 2,17,21): nec Cicero, cum se tenebras offudisse iudicibus in causa Cluenti gloriatus est, nihil ipse vidit; vgl. Mayor (1880), 151. 197 Die Stelle ist der erste Beleg für eine Frau als Angeklagte in einem Repetundenprozess; vgl. Marshall (1990), 365; Carlon (2009), 193. 198 Quintilian zufolge waren derartige Vergleiche zwischen Gerichtsreden und Kampfes‐ handlungen häufig (Inst. 8,6,51); vgl. Pflips (1973), 250. solet dicere Claudius Restitutus, qui mihi respondit, vir exercitatus et vigilans et quam‐ libet subitis paratus, numquam sibi tantum caliginis, tantum perturbationis offusum, quam cum praerepta et extorta defensioni suae cerneret, in quibus omnem fiduciam reponebat. Plinius hat offenbar einen nachhaltigen Eindruck (solet dicere) bei seinem Kontrahenten - einem ansonsten versierten und schlagfertigen Anwalt ‒ hin‐ terlassen, der noch nach dem Prozess 195 eingesteht, völlig aus dem Konzept gebracht und „in Dunkel gehüllt“ worden zu sein. 196 So lautete das Urteil denn auch, dass das Vermögen des Classicus auf seine Tochter und die Provinzbe‐ wohner aufzuteilen sei, Hispanus und Probus für fünf Jahre verbannt werden sollten. Die actio prima endete also mit einem durchschlagenden Erfolg für Plinius (17): adeo grave visum est, quod initio dubitabatur an omnino crimen esset. Nur kurz berichtet Plinius von der actio secunda (18), die wenige Tage später stattfand (post paucos dies) und in der der Schwiegersohn des Classicus angeklagt und freigesprochen, ein Tribun namens Stilonius Priscus hingegen verbannt wurde. Etwas ausführlicher schildert Plinius die actio tertia (19‒21), in der mehrere unbedeutendere Angeklagte (19: minores rei) zusammengenommen wurden. Aus dieser anonymen Menge sticht die Ehefrau des Classicus heraus, die Plinius zufolge verdächtig, jedoch schwer zu überführen war (19: sicut implicita suspicionibus ita non satis convici probationibus visa est), 197 sowie die Tochter, gegen die Plinius am Schluss der Verhandlung keine Vorwürfe erheben wollte (20‒21). Was die Erzählzeit der actio tertia betrifft, befasst sich Plinius am längsten mit der Begründung, warum er Classicus’ Tochter nicht weiter zusetzen wollte: honestissimum credidi non premere immerentem (20). Im Rahmen einer rhetorischen Frage an den Senat argumentiert Plinius, dass er seine Rednergabe nicht gegen eine Unschuldige gleichsam wie eine Waffe richten wolle (21): consilium a senatu petebam, putaretne debere me, si quam haberem in dicendo facultatem, in iugulum innocentis quasi telum aliquod intendere. Durch das Bild der gegen den Hals einer Person gerichteten Waffe 198 stellt Plinius einen Bezug 163 1.3 Der Prozess gegen Caecilius Classicus in Buch 3 199 Zum Begriff der praevaricatio s. S. 139-40; vgl. Sherwin-White (1966), 235. 200 Formal korrespondiert diese Passage mit 3,9,13, wo Plinius den Abschnitt über Classicus mit einem Zitat aus dessen Brief beendet (s. o. S. 46-7). 201 Die Wendung in rem praesentem („an Ort und Stelle“) kommt aus der juristischen Sprache, vgl. Pflips (1973), 256 mit Belegen. 202 S. S. 86-95. her zu Epist. 1,20, wo Regulus seine Prinzipien als Redner durch eine ähnliche Metapher illustrierte (14): dixit aliquando mihi Regulus, cum simul adessemus: ‘tu omnia, quae sunt in causa, putas exsequenda; ego iugulum statim video, hunc premo.’ premit sane, quod elegit, sed in eligendo frequenter errat. Im Unterschied zu eine Figur wie Regulus attackiert Plinius seine Opfer nicht wahllos - andernfalls könnte er sich dem Vorwurf der praevaricatio aussetzen, wie es später über Norbanus Licinianus erzählt wird (29‒34). 199 Die Schilderung der actio tertia beschließt Plinius dann mit einem Selbstzitat aus der conclusio seiner Rede (21): 200 postremo totum locum hoc fine conclusi: ‘dicet aliquis “iudicas ergo? ”; ego vero non iudico, memini tamen me advocatum ex iudicibus datum.’ Mehrere Ebenen der Kommunikation sind hier zu unterscheiden: Plinius als Sprecher des Briefes (postremo…conclusi) zitiert Plinius den Redner (dicet… datum), der wiederum einen Interlokutor zu Wort kommen lässt (iudicas ergo? ). Das Motiv der conclusio taucht im weiteren Verlauf des Briefes noch häufiger auf: Zunächst betont Plinius, dass dies das Ende des Massenprozesses gewesen sei (22: hic numerosissimae causae terminus fuit), bevor er von den anerkennenden Worten des Senats (23: industria, fides, constantia nostra…comprobata est) sowie den zahlreichen Mühen, die der Prozess bereitet habe, berichtet (24‒26). Den Zweck seiner ausführlichen Schilderung kommentiert Plinius schließlich mit den Worten non potui magis te in rem praesentem perducere (26) - der Adressat soll also durch die Anschaulichkeit der Darstellung bei der Brieflektüre sozu‐ sagen zum Prozessbeobachter werden, der absens zum praesens. 201 Mit ähnlichen Argumenten begründet Plinius auch die Länge des Villenbriefes 5,6, in dem der Leser bei der Lektüre in die Rolle eines Besuchers und Spaziergängers schlüpft (5,6,41). 202 Auf diese Überlegungen lässt Plinius dann abermals einen Einwand des Adressaten als fiktiver Interlokutor folgen (3,9,27): dices: ‘non fuit tanti; quid enim mihi cum tam longa epistula? ’ nolito ergo identidem quaerere, quid Romae geratur. et tamen memento non esse epistulam longam, quae tot dies tot cognitiones tot denique reos causasque complexa sit. 164 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 203 Zu dieser Prosavorrede vgl. Johannsen (2006), 78‒87; Neger (2012), 105‒8. 204 Vgl. Neger (2015b), 140; s. auch Kap. I.1. 205 Zu dieser false closure s. S. 114. 206 Vgl. Mart. 2,77,7: non sunt longa quibus nihil est quod demere possis; zur Brieflänge bei Plinius vgl. Pflips (1973), 256‒9. Die Worte, die Plinius seinem Adressaten Minicianus in den Mund legt, sind nahezu identisch mit denjenigen, die Martial seinen Adressaten Decianus in der praefatio zu Buch 2 der Epigramme äußern lässt: Val. Martialis Deciano suo sal. ‘Quid nobis’ inquis ‘cum epistola? parum enim tibi praestamus, si legimus epigram‐ mata? …noli ergo, si tibi videtur, rem facere ridiculam…’ quid si scias cum qua et quam longa epistula negotium fueris habiturus? Decianus, der Widmungsträger von Buch 2 der Epigramme, stellt eine Kombi‐ nation von Epigrammbuch und Prosaepistel infrage und bezeichnet überdies auch die Lektüre der Epigramme selbst, für die ja Kürze ein Charakteristikum ist, als mühevoll. 203 Auch bei Plinius unterminiert der Adressat den literarischen Wert des Briefinhalts (non fuit tanti). Plinius scheint die Korrespondenz Martials mit Decianus bewusst zu evozieren, wenn er das Problem umfangreicher Briefe diskutiert. 204 Für Martial bietet der Einwand seines Interlokutors den Anlass, die Epistel abzubrechen und zum eigentlichen Inhalt, den Epigrammen, überzuleiten. Der mit dem Martial-Text vertraute Leser könnte nun erwarten, dass Plinius seinen Brief hier ebenfalls abbrechen wird, doch weit gefehlt: Plinius täuscht die Erwartungen, indem er noch zwei Nachträge zu seinem Prozessbericht anhängt. 205 Sowohl in Epist. 3,9,27 als auch 5,6,41 ist es nicht der Verfasser, der mit der Komposition eines zu langen Briefes die Gattungskonventionen sprengt, sondern der geschilderte Gegenstand (Prozess bzw. Villa), der die Länge des Textes rechtfertigt. Gemessen an seiner materia könne daher auch ein langer Brief dem Ideal der brevitas entsprechen (3,9,28): quae omnia videor mihi non minus breviter quam diligenter persecutus (vgl. 5,6,43 über Homer und Vergil: brevis tamen uterque est, quia facit, quod instituit). 206 Wenn Plinius kurz darauf eine Einschränkung hinsichtlich seiner diligentia machen muss, da er etwas zu erwähnen vergessen hat (28: temere dixi ‘diligenter’: succurrit, quod praeterieram, et quidem sero), suggeriert er den Eindruck eines mündlichen Gesprächs, bei dem das voreilig Gesagte gleich wieder korrigiert werden kann. War der Prozessverlauf bisher chronologisch erzählt worden, so soll jetzt in Form eines Hysteron-Proteron ein Nachtrag erfolgen (28: sed quamquam praepostere, 165 1.3 Der Prozess gegen Caecilius Classicus in Buch 3 207 Vgl. Quint. Inst. 7,10,11: ubi ab initiis incipiendum, ubi more Homerico a mediis vel ultimis; vgl. Shackleton Bailey (1965‒70), I, 313; eine literarische Analyse des Briefes Att. 1,16 liefern Hutchinson (1993); Rühl (2010); s. S. 129. 208 Vgl. Mayor (1880), 165; Sherwin-White (1966), 235; Pflips (1973), 260‒1. reddetur), ein Stilmittel, das Plinius nun in Anlehnung an Homer anwenden will (28: facit hoc Homerus multique illius exemplo). Zu den multi, die Homers Beispiel gefolgt sind, gehört auch Cicero, der in Epist. 1,16 an Atticus auf dessen Bitte ebenfalls einen langen Bericht über einen Prozess liefert ‒ hier ist es der Bona-Dea-Prozess, in dem Cicero als Zeuge auftrat und Clodius überraschend freigesprochen wurde ‒ und diesen mit den Worten respondebo tibi ὕστερον πρότερον, Ὁμηρικῶς (1) einleitet. 207 Atticus hatte gebeten, Cicero möge dar‐ legen, wie der Prozess so unerwartet ausgehen konnte (1: quaeris ex me, quid acciderit de iudicio, quod tam praeter opinionem omnium factum sit) und warum er selbst weniger als gewohnt „mitgekämpft“ habe (quo modo ego minus, quam soleam, proeliatus sim). Cicero antwortet zunächst auf die zweite Frage und geht erst im Anschluss auf die erste ein (2: ut iam πρὸς τὸ πρότερον revertar). Plinius dürfte diese Stelle bewusst imitieren 208 und zugleich den narrativen Duktus bei Cicero umkehren: Während dieser das Hysteron-Proteron an den Beginn seines Briefes an Atticus stellt, baut es Plinius am Ende seiner Erzählung ein. Es fallen noch weiter Parallelen zwischen Ciceros Brief über Clodius und Plinius Epist. 3,9 auf: Beide haben das (freilich brieftopische) Motiv des absens-praesens gemeinsam, wenn Cicero bemerkt, dass er sich bei der Verhandlung die Anwesen‐ heit seines Freundes als Zuschauer gewünscht hätte (1: te non solum auctorem consiliorum meorum, verum etiam spectatorem pugnarum mirificarum desideravi), und Plinius, wie bereits erwähnt, ähnliches durch seine Erzählkunst bewirken will (3,9,26). Beide Autoren weisen zudem auf die brevitas hin, mit der sie dem jeweiligen Adressaten die Ereignisse schildern (Plin. Epist. 3,9,28: quae omnia videor mihi non minus breviter…persecutus; Cic. Att. 1,16,6: habes, ut brevissime potui, genus iudici et causam absolutionis) bzw. stellen die Länge der im Senat gehaltenen Rede dem Umfang des Briefes gegenüber (Cic. Att. 1,16,10: sed quid ago? paene orationem in epistulam inclusi; vgl. Plin. Epist. 3,9,27). Auch das Motiv der Ohnmacht, die bei den Gegnern ausgelöst wurde (Cic. Att. 1,16,5: fractus reus et una patroni omnes conciderunt; vgl. Plin. Epist. 3,9,16), taucht in beiden Texten auf. Betrachtet man Ciceros Epist. 1,16 an Atticus als einen Prätext für die Erzählung vom Classicus-Prozess bei Plinius, dann gewinnt auch die zuvor betrachtete Passage 3,9,21 über die Tochter des Classicus eine zusätzliche Pointe: Plinius fragt die Senatoren, ob er seine Beredsamkeit wie eine Waffe (telum) gegen den Hals einer Unschuldigen richten solle (in iugulum innocentis). Bei Cicero findet sich eine ähnliche Metapher, wenn er das übereilte Handeln und die Selbstsicherheit 166 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 209 Zur praevaricatio s. S. 139-40. 210 Die übliche Vorgangsweise war durch die Lex Acilia 75 geregelt; vgl. Sherwin-White (1966), 236; Pflips (1973), 265. 211 In Epist. 2,11,17 ist Salvius Liberalis der Verteidiger des Marius Priscus; zu seiner politischen Karriere unter den Flaviern vgl. Sherwin-White (1966), 171 und 237. 212 Das Strafmaß für praevaricatio wurde durch das SC Turpilianum festgelegt und bestand in der Regel in einem Verbot, die Tätigkeit als Advokat zu praktizieren; somit erscheint die Strafe für Norbanus ungewöhlich hoch, vgl. Sherwin-White (1966), 238; Pflips (1973), 270. des Anklägers Hortensius kritisiert, der meinte, Clodius könnte sogar „mit einem Schwert aus Blei“ vernichtet werden (1,16,2): ductus odio properavit rem deducere in iudicium, cum illum plumbeo gladio iugulatum iri tamen diceret. Vergleicht man die beiden Stellen, dann setzt sich Plinius durch sein besonnenes Vorgehen deutlich von Hortensius ab, der sich seiner Sache offenbar allzu sicher war. Das von Plinius angekündigte Hysteron-Proteron besteht in einem Nachtrag über Norbanus Licinianus, einen Untersuchungsrichter der Provinz Baetica, der als Ankläger der Ehefrau des Classicus von einem Zeugen wegen praevaricatio belangt wurde (29‒34). 209 Die Angelegenheit erwähnt Plinius zum einen deshalb, weil man im Fall des Norbanus gegen die üblichen Konventionen vorging: Ließ man den Betroffenen in der Regel zuerst seine Anklage durchführen und untersuchte anschließend eine mögliche praevaricatio (30), 210 musste sich Norbanus sofort verantworten (32) ‒ die Episode hätte Sherwin-White (1966: 236) zufolge chronologisch in den Kontext der prima actio gehört. Zum anderen trägt Plinius die Erzählung über Norbanus wohl bewusst an dieser Stelle nach, da sie ihm die Gelegenheit schafft, wieder einmal mehr oder weniger beiläufig die Herrschaftszeit Domitians ins Spiel zu bringen und ein Kontrastbild zu seiner eigenen Person zu konstruieren. Norbanus war angeblich u. a. deshalb verhasst, weil man sich im Senat noch gut an sein Verhalten während der Zeit Domitians erinnerte (31: tanta conflagravit invidia homo alioqui flagitiosus et Domitiani temporibus usus), in der er etwa die Ankläger des Salvius Liberalis unterstützt haben soll (33). 211 So wird er, dessen ingenium Plinius als malum pravumque bezeichnet (32), letztendlich auf eine Insel verbannt (34) 212 , und Plinius konsta‐ tiert den paradoxen Ausgang, dass der Ankläger verurteilt, die Angeklagte freigesprochen wurde (34: accidit enim res contraria et nova, ut accusatore praevaricationis damnato rea absolveretur). Mit dem Motiv des überraschenden Ergebnisses dürfte sich Plinius abermals an Ciceros Atticus-Brief 1,16 anlehnen, wo ebenfalls vom iudicium…incredibili exitu die Rede ist (3). Auch scheint Plinius mit der Überleitung zum nächsten Abschnitt (35: quaeris, quid nos, dum haec aguntur? ) eine ähnliche Formulierung in Ciceros Brief nachzuahmen (6: quaeris deinceps qui nunc sit status rerum et qui meus). 167 1.3 Der Prozess gegen Caecilius Classicus in Buch 3 213 Zur destitutio causae vgl. Sherwin-White (1966), 238. 214 Vgl. die Interpretation bei Henderson (2002a), 126‒9. 215 Zu perscribere „ausführlich beschreiben“ bzw. auch „protokollieren“ vgl. OLD, 1353 s.v. 216 Vgl. Hom. Od. 1,1 πολύτροπος; Mart. 14,184 auf einen Homerus in pugillaribus mem‐ branis: Ilias et Priami regnis inimicus Ulixes / multiplici pariter condita pelle latent sowie 14,192 auf Ovidi Metamorphosis in membranis: Haec tibi multiplici quae structa est massa tabella, / carmina Nasonis quinque decemque gerit; das Adjektiv multiplex bezeichnet hier zwar die Materialität der Kodex-Ausgabe, lässt sich aber auch auf die narrative Struktur von Odyssee und Metamorphosen beziehen; vgl. Neger (2012), 37 und 43. 217 Zu varietas als Kompositionsprinzip der Briefe vgl. etwa Fitzgerald (2016). 218 Zum kallimacheischen labor limae vgl. Hor. Ars 289‒91: nec virtute foret clarisve potentius armis / quam lingua Latium, si non offenderet unum / quemque poetarum limae labor et mora. Plinius beendet die Episode mit einer Schilderung seiner eigenen Reaktion auf die Vorwürfe gegen Norbanus sowie dessen Verhalten während des weiteren Verfahrens (35). Norbanus habe die Untersuchung bis zum Ende verfolgt und dieselbe selbstsichere und verwegene Haltung an den Tag gelegt (35: eandemque usque ad extremum vel constantiam vel audaciam pertulit). Die constantia des Norbanus steht dabei als negatives Gegenbild derjenigen des Plinius gegenüber, wie sie vom Senat nach Abschluss der Verhandlung gelobt wurde (23: industria, fides, constantia nostra…comprobata est). Nachdem hier abermals das Ende des Prozesses explizit hervorgehoben worden ist (usque ad extremum), könnte man nun endlich mit dem Schluss des Briefes rechnen, doch Plinius zögert ihn erneut hinaus (36): interrogo ipse me, an aliquid omiserim rursus, et rursus paene omisi. Diesmal trägt er einen Vorfall nach, der sich am letzten Prozesstag (summo die) ereignet hat: Plinius musste den Gesandten aus Baetica gegen den von Salvius Liberalis geäußerten Vorwurf zu Hilfe kommen, dass sie dem Auftrag der Provinz, alle Beschuldigten zur Verantwortung zu ziehen, nicht hinreichend nachgekommen seien. 213 Das epistolare „Epos“ (vgl. 28: Homerus) über die juristischen Kämpfe im Senat enthält zum Abschluss sogar eine Seesturm-Szene: mihi certe debere se praedicant, quod illum turbinem evaserint. Damit ist der Brief tatsächlich zu Ende (37: hic erit epistulae finis, re vera finis) und soll trotz möglicher Lücken in der Narration keinen weiteren Buchstaben mehr enthalten (litteram non addam, etamsi adhuc aliquid praeterisse me sensero). Abgesehen von seiner Funktion als Prozessbericht lässt sich der Brief 3,9 auch auf einer metaliterarischen Ebene deuten: 214 So finden sich bereits im exordium mehrere Begriffe, die darauf hinweisen, dass der folgende Text epische Ausführlichkeit und kallimacheische Ausgefeiltheit miteinander kombiniert: Umfang (perscribere; vgl. 27: longa epistula) 215 , Komplexität (multiplex), 216 Vielfalt (varietas) 217 und Mühe (labor) 218 lassen sich neben dem dargestellten Prozess auch auf den Akt des Schreibens bzw. Erzählens beziehen. Indirekt wird zudem 168 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 219 S. S. 155-9. 220 Möglicherweise ließ sich Plinius hier von Martial anregen, der seinem Leser ebenfalls eine Lektüre in Etappen empfiehlt (14,2,1‒2): Quo vis cumque loco potes hunc finire libellum: / versibus explicitumst omne duobus opus. 221 Vgl. Sherwin-White (1966), 483‒4; Gibson/ Morello (2012), 240. 222 Zu diesem Brief vgl. Carlon (2009), 85‒88; Shelton (2013), 208‒11; s. S. 220-1. über narrative Aspekte wie Chronologie, Vielschichtigkeit, enárgeia, Vollstän‐ digkeit und Abgeschlossenheit einer Erzählung reflektiert. Diese Thematik greift Plinius am Ende seiner Sammlung nochmal auf: Epist. 9,4 ist wieder an Macrinus, den Empfänger der Epist. 3,4, adressiert, und gibt sich als Begleitbrief zu einer Rede aus (1‒2): vererer ne immodicam orationem putares, quam cum hac epistula accipies, nisi esset generis eius, ut saepe incipere saepe desinere videatur. nam singulis criminibus singulae velut causae continentur. poteris ergo, undecumque coeperis ubicumque desieris, quae deinceps sequentur et quasi incipientia legere et quasi cohaerentia, meque in universitate longissimum, brevissimum in partibus iudicare. Wie bereits in Epist. 3,4 219 tritt Macrinus auch hier als iudex-Figur auf (2: iudicare), diesmal ist sein literarisches Urteilsvermögen gefordert. Die hier geschilderte Rede sei zwar lang, so Plinius (1: immodicam; 2: in universitate longissimum), enthalte jedoch mehrere Anfänge und Schlüsse (1: saepe incipere saepe desinere), wodurch die Einzelteile wiederum dem Ideal der brevitas ent‐ sprechen (2: brevissimum in partibus) 220 ‒ neben einer oratio trifft dies auch auf die Textualität der Briefsammlung zu. Es bietet sich an, einen Bezug zur Epist. 3,9 herzustellen, wo die Hintergründe zur Rede In Caecilii socios dargelegt wurden und wir ähnlichen literarische Motiven begegnet sind. 221 Das diesen Brief prägende Spiel mit Leser-Erwartungen, Schlüssen und Anfängen setzt sich fort, indem Plinius dem Classicus-Zyklus noch ein weiteres Element in Buch 9 hinzufügt. 1.4 Der Bithynien-Zyklus Nachdem sich Plinius in Buch 3 unter anderem als Lobredner für Trajan sowie als Ankläger im Repetundenprozess gegen Caecilius Classicus hervortat, führt er uns in Buch 4 seine Fähigkeiten als Verteidiger vor Augen. Dies erfolgt in dem gleich näher zu behandelnden Brief 4,9 über den Prozess der Bithynier gegen Iulius Bassus sowie in Epist. 4,17 über den Rechtsbeistand für Corellia Hispulla, die Tochter des Corellius Rufus. 222 Abgesehen davon wird dem Leser 169 1.4 Der Bithynien-Zyklus 223 Das am Ende von Buch 3 zitierte Martial-Epigramm 10,20[19] bereitet schon darauf vor, wenn es Plinius als Redner vom Format eines Cicero vor dem Zentumviralgericht preist. 224 Vgl. Epist. 5,4; 9; 13; 6,5. 225 Vgl. Tzounakas (2015), 211‒2. 226 S. S. 129 und 166-7. in Buch 4 suggeriert, dass Plinius nun bereits auf eine beachtliche Karriere als Anwalt zurückblicken kann: In 4,5 lesen wir vom Erfolg des auf zwei Tage aufgeteilten Vortrags einer nicht näher identifizierten Rede, in 4,16 von der Begeisterung, die Plinius bei seinen Zuhörern im Zentumviralgericht auslöst, und 4,24 enthält einen Rückblick auf Plinius’ langjährige Karriere in diesem Gerichtshof. 223 Zudem schildert Epist. 4,22 Plinius’ Tätigkeit als juristischer Be‐ rater im consilium Traiani, und im „Vorschlussbrief “ 4,29 führt der Epistolograph die Figur des strengen Prätors Licinius Nepos in die Sammlung ein, dem wir in den Prozessberichten der Bücher 5 und 6 noch häufiger begegnen werden. 224 Ein düsteres Kontrastbild zu den genannten Briefen liefert Epist. 4,11 über den Inzest-Vorwurf gegen die Vestalin Cornelia unter Domitian. Wie schon in den Beschreibungen von Repetundenprozessen in Buch 2 und 3 zu beobachten war, handelt es sich auch bei Epist. 4,9 um den längsten Brief innerhalb des betreffenden Buches. Bevor der lineare Leser diesen Text rezipiert, begegnet er zwei Briefen, in denen Plinius sich mit berühmten Rednern der Vergangenheit vergleicht. In 4,5 greift er die schon in 2,3 erzählte Anekdote von Aischines auf, 225 der vor den Rhodiern unter großem Beifall zuerst seine Ankla‐ gerede gegen Ktesiphon vortrug und darauf die Kranzrede des Demosthenes folgen ließ (4,5,1). Während laut Plinius für die Rhodier sowohl die Qualität der Reden als auch der agonale Rahmen des Vortrags ausschlaggebend für ihre Begeisterung waren, habe er selbst eine zweitägige Rede gehalten, die auch ohne den Kontext einer aemulatio großen Anklang gefunden habe (2-3: quamvis intentionem eorum nulla hinc et inde collatio, nullum quasi certamen accenderet…nostra oratio sine aemulationis gratia probabatur). Diese Bemerkung erinnert an eine Stelle in Ciceros Atticus-Brief 1,16, 226 wo ebenfalls über den Reiz des Wetteifers reflektiert wird - dort ist er allerdings ein wichtiger Teil des Briefes, der von Ciceros Wortgefecht mit Clodius berichtet (8): nam cetera non possunt habere eandem neque vim neque venustatem remoto illo studio contentionis, quem ἀγῶνα vos appellatis. Es scheint, als würde Plinius die Worte Ciceros korrigieren wollen, wenn er von seiner oratio schreibt, die auch ohne certamen reizvoll war. Explizit genannt wird Cicero in Epist. 4,8, wo es um die Ernennung des Plinius zum Augur geht und dieser seine eigene öffentliche und literarische Karriere 170 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 227 Zu Epist. 4,8 vgl. Gibson/ Morello (2012), 89‒91; Page (2015), 126‒7; Keeline (2018b), 305‒8. 228 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 269. 229 S. S. 164-5. 230 Vgl. Sherwin-White (1966), 269. 231 Vgl. Tzounakas (2015), 211 Anm. 21. 232 Zu diesem Brief vgl. Winsbury (2014), 85‒7. mit derjenigen Ciceros vergleicht (5): ut sacerdotium idem, ut consulatum multo etiam iuvenior quam ille sum consecutus, ita senex saltem ingenium eius aliqua ex parte adsequi possim! Rühmt sich Plinius damit, in jüngeren Jahren als Cicero das Priesteramt und die Konsulwürde erlangt zu haben, kompensiert er dieses Selbstlob mit dem Wunsch, sich wenigestens als alter Mann mit Ciceros ingenium messen zu können. 227 Das in Epist. 4,5 thematisierte Motiv der aemulatio taucht hier in etwas abgewandelt Form wieder auf, und auch der auf Epist. 4,8 folgende Brief über den Prozess des Iulius Bassus führt den Gedanken des Wetteifers mit kanonischen Rednern zumindest indirekt fort. Am Ende des Briefes 4,5, den Plinius als Begleitschreiben für seine Rede an Iulius Sparsus 228 richtet, äußert er sich über Kürze der Epistel und Länge der Rede (3‒4): …cum legeris librum, cuius amplitudo non sinit me longiore epistula praeloqui. oportet enim nos in hac certe, in qua possumus, breves esse, quo sit excusatius, quod librum ipsum, non tamen ultra causae amplitudinem, extendimus. Einer ohnehin schon umfangreichen Rede soll kein übertrieben langes Begleit‐ schreiben hinzugefügt werden. Wie wir schon im Rahmen der Analyse von Epist. 3,9 beobachten konnten, lehnt sich Plinius hier abermals an Martials praefatio zu Buch 2 der Epigramme an, wo das Problem einer zu langen Prosaepistel diskutiert wird. 229 Sowohl Plinius als auch der Epigrammatiker sehen ihren Adressaten zuliebe davon ab, die Epistel zu sehr in die Länge zu ziehen. Der Leser hat nun mehrere Möglichkeiten, die in Epist. 4,5 nur vage beschriebene Rede zuzuordnen, und könnte etwa durch die Anspielung auf Martial einen Rückbezug zur oratio in Caecilii socios in Epist. 3,9 herstellen. 230 Denkbar ist jedoch auch, dass hier auf die in 4,9 geschilderte Rede für Bassus vorausverwiesen wird, 231 wobei sich die Chronologie ihres mündlichen Vortrags (als Rezitation in 4,5 bzw. actio vor Gericht in 4,9) allerdings umkehrt. Mit Epist. 4,9 beginnt ein Briefzyklus über Repetundenprozesse, die von der Provinz Bithynien gegen ihre ehemaligen Statthalter angestrebt wurden. 232 Mit Ausnahme von Epist. 4,9, wo Iulius Bassus in der Rolle des Angeklagten auftritt, ist es in den restlichen Briefen dieser Serie (5,20, 6,5, 6,13, 7,6 und 7,10; vgl. 171 1.4 Der Bithynien-Zyklus 233 Zum Varenus-Prozess vgl. Hanslik (1932). 234 So Gibson/ Morello (2012), 58. 235 Er ist außerdem Adressat von Epist. 8,9; vgl. Sherwin-White (1966), 274; Pflips (1973), 273. 236 Sherwin-White (1966), 274‒5 datiert den Prozess auf Anfang 103 n. Chr., das Prokonsulat des Bassus auf 100/ 1 oder 101/ 2 n. Chr. 237 Möglicherweise auch ein Repetundenverfahren gegen Bassus als praetorius, wie die Parallele zu Epist. 3,9,4 (privati) nahelegt; vgl. Sherwin-White (1966), 275. 238 Zum Verhältnis Titus-Domitian vgl. Suet. Tit. 9,3; Dom. 2,3. 6,29,11) Rufus Varenus, den Plinius gegen die Bithynier verteidigen muss. 233 Wie sich zeigt, nimmt das Bithynien-Thema und die Frage nach der korrekten Verwaltung dieser Provinz bereits in den Büchern 1‒9 der Briefsammlung einen nicht unerheblichen Raum ein, sodass man von einer Art „prequel“ zu Buch 10 sprechen kann, 234 in dem uns Plinius dann selbst als Statthalter begegnen wird. Indem Plinius sich ausgerechnet im Zusammenhang mit Bithynien nicht als Ankläger, sondern als Verteidiger präsentiert, bereitet er den Leser darauf vor, dass die Administration einer Provinz mit beträchtlichen Schwierigkeiten verbunden sein kann, und dass ein Repetundenverfahren auch Personen treffen konnte, die sich nichts Gravierendes zu Schulden hatten kommen lassen. Man gewinnt sogar den Eindruck, dass es den Bithyniern geradezu ein sportliches Vergnügen bereitete, ihre Statthalter nach deren Amtszeit wegen Repetunden‐ vergehens anzuklagen (vgl. 5,20,1: Iterum Bithyni: breve tempus a Iulio Basso, et Rufum Varenum proconsulem detulerunt…). Epist. 4,9 ist an Cornelius Ursus gerichtet, der auch die Briefe 5,20, 6,5 und 6,13 über den Varenus-Fall erhält. 235 Im Unterschied zu den bisher betrach‐ teten Prozess-Briefen hält sich Plinius hier mit keiner Einleitung auf, die den Adressaten in den Bericht einbindet, sondern kommt gleich zur Sache (1): causam per hos dies dixit Iulius Bassus. Die Junktur per hos dies suggeriert, dass die Abfassungszeit des Briefes und das dramatische Datum seines Inhalts nur wenige Tage auseinander liegen. 236 Nach diesem kurzen Hinweis auf das Thema des Briefes liefert Plinius Hintergrund-Informationen zu Iulius Bassus, insbesondere sein wechselhaftes Schicksal zur Zeit der Flavier und danach (1‒2): Unter Vespasian wurde Bassus von zwei Privatleuten angeklagt 237 und nach zunächst ungewissem Ausgang des Verfahrens freigesprochen, Titus musste er fürchten wegen seiner Freundschaft mit Domitian, 238 der ihn später jedoch verbannte. Von Nerva wurde er zurückgeholt und erlangte später durch das Los Bithynien, aus dem er nun als Angeklagter zurückkehrte. Bevor Plinius mit einer ausführlicheren Beschreibung des Prozesses beginnt, fasst er dessen Verlauf in wenigen Worten zusammen (2): accusatus non minus acriter quam fideliter de‐ fensus. varias sententias habuit, plures tamen...mitiores. Den heftigen Vorwürfen 172 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 239 Zur hier verwendeten Bau-Meatphorik vgl. Quint. Inst. 1,4,5 und Pflips (1973), 282‒4 mit weiteren Belegstellen. 240 Plinius greift hier auf einen rhetorischen Topos zurück, wenn er die positiven Eigen‐ schaften der Person hervorhebt; vgl. dazu Cic. Inv. 1,34‒7; Fuhrmann (2003), 95. 241 Vgl. Dion Chrys. Or. 43,6‒7 über Denunzianten aus der Provinz. 242 Sherwin-White (1966), 276 denkt hier an Beschuldigungen wegen saevitia, wie sie Plinius in Epist. 2,11,2 gegen Marius Priscus vorbringt. 243 Zu den juristischen Hintergründen vgl. Sherwin-White (1966), 277. der Ankläger (acriter) steht in chiastischer Anordnung die Zuverlässigkeit der Verteidigung (fideliter) gegenüber. Über den Inhalt der Anklage verliert Plinius zunächst nicht viele Worte, statt‐ dessen geht er kurz auf die Person seiner Kontrahenten ein (3): Egit contra eum Pomponius Rufus, vir paratus et vehemens; Rufo successit Theophanes, unus ex le‐ gatis, fax accusationis et origo. Viel ausführlicher hingegen schildert Plinius seine eigene Rede (4‒12): Zunächst berichtet er, dass Bassus ihm aufgetragen habe, als grundlegende Argumente der Verteidigung (4: defensionis fundamenta) 239 sowohl über seine Vorzüge als Person zu sprechen (4: de ornamentis…et ex generis claritate et ex periculis ipsis) 240 als auch eine Verschwörung gegen ihn ins Feld zu führen (5): dicerem de conspiratione delatorum, quam in quaestu habebant, dicerem causas, quibus factiosissimum quemque, ut illum ipsum Theo‐ phanen, offendisset. Das Motiv der conspiratio, die aus Geldgier und persönlichen Animositäten von bithynischen Denunzianten 241 und Parteigängern um die Figur des Theophanes herum initiiert worden sei, steigert die Dramatik der Erzählung. Indem Plinius hier von den niedrigen Beweggründen der delatores berichtet, die zur Anklage des Bassus führten, animiert er den Leser dazu, auch in der Fortsetzung des Bithynien-Zyklus in Epist. 5,20 über Varenus einen ähnlichen Hintergrund zu vermuten, wenn es heißt Bithyni…et Rufum Varenum proconsulem detulerunt (1). Nur andeutungsweise spricht Plinius dann von Vorwürfen, die sich zwar schlimm anhörten (5: auditu gravioribus), 242 aber sogar zum Vorteil des Ange‐ klagten gedeutet werden konnten (non absolutionem modo, verum etiam laudem merebatur). Eine Sache jedoch, die Bassus tatsächlich belastete (5: crimini, quo maxime premeretur; 6: hoc illum onerabat), musste der Verteidigung mehr Kopf‐ zerbrechen bereiten: Er hatte von den Provinzialen Geschenke angenommen (6), obwohl dies vom Gesetz her verboten war (7: sed lex munera quoque accipi vetat). 243 Plinius versuchte nun, dieses Verhalten mit dem arglosen und unvorsichtigen Charakter des Bassus zu begründen (6: homo simplex et incautus quaedam…ut amicus acceperat) und der Version der Anklage, die das Ganze zu Diebstahl und Raub stilisierte (6: haec accusatores furta et rapinas, ipse munera 173 1.4 Der Bithynien-Zyklus 244 Vgl. Kemper (1992), 25‒30; zur Statuslehre vgl. Fuhrmann (2003), 99‒113; Hoppmann (2007). 245 Pflips (1973), 291 erkennt hier eine Anspielung auf Cic. De orat. 3,177: tum graves sumus, tum subtiles, tum medium quiddam tenemus; während es bei Cicero darum geht, den passenden Stil zu wählen, überträgt Plinius die Junktur auf die richtige Argumentationslinie. 246 Kemper (1992), 28 zufolge bildet hier die constitutio assumptiva den Hintergrund. 247 Vgl. etwa Hom. Il. 7,282; 293; 14,77‒9; 18,267‒8; Lucan. 4,472‒3. vocabat), entgegenzuhalten. Doch es blieb immer noch das Problem, dass sich auch die Annahme von Geschenken nicht mit dem Gesetz vereinen ließ. Im Rahmen seines Berichts über die Suche nach der richtigen Verteidigungs‐ strategie fokalisiert Plinius dann wieder stark auf seine eigene Person (7‒9). Innerhalb einer Reihe von Deliberativen spielt er die verschiedenen Möglich‐ keiten durch, die sich aus der rhetorischen Statuslehre ergeben: 244 Den Tatbe‐ stand gänzlich zu leugnen (7: negarem? ) gemäß dem status coniecturalis hätte vielleicht den Vorwurf des Diebstahls noch bekräftigt (7: verebar, ne plane furtum videretur, quod confiteri timerem), zumal die Tat zu offensichtlich war (rem manifestam) und der Angeklagte selbst mehreren Leuten von der Geschenkan‐ nahme erzählt hatte (multis atque etiam principi dixerat…munuscula…accepisse). Auch die Option der deprecatio, d. h. der Bitte um Nachsicht bzw. Gnade (8: veniam ergo peterem? ), musste Plinius verwerfen, da ein solches Vorgehen den Anschein eines besonders schwerwiegenden Verbrechens noch verstärkt hätte (8: iugulassem reum, quem ita deliquisse concederem, ut servari nisi venia non posset). Hätte Plinius die Tat wiederum der constitutio absoluta entsprechend als gerechtfertigt verteidigt (8: tamquam recte factum tuerer? ), wäre dadurch seine eigene Glaubwürdigkeit unterminiert worden (8: non illi profuissem, sed ipse impudens extitissem). Angesichts dieser Schwierigkeiten entschied sich Plinius für einen Mittelweg (9: placuit medium quiddam tenere), 245 den er jedoch nicht mehr genauer erläutert; aus den vorhergehenden Ausführungen lässt sich vermuten, dass er das Verhalten des Bassus zwar nicht gutheißen, jedoch als kein wirklich schlimmes Vergehen darstellen wollte. 246 Anstatt näher auf die gewählte Taktik einzugehen, berichtet Plinius im Folgenden von den Rahmenbedingungen seiner Rede. Wurde durch die zuvor betrachtete Reihe der Deliberative unsere Neugier darauf geweckt, für welche Argumentationslinie Plinius sich nun entschieden hatte, ist im nächsten Satz ein guter Teil der Rede schon gehalten und durch die Nacht unterbrochen worden (9: actionem meam, ut proelia solet, nox diremit) - möglicherweise eine Reminiszenz ans Epos, wo öfters Kampfparteien durch die hereinbrechende Nacht getrennt werden. 247 Was die einzelnen officia oratoris betrifft, macht Plinius hier also einen weiten Sprung: Während die Statuslehre, auf die der Epistolograph in 174 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 248 Vgl. Fuhrmann (2003), 78. 249 S. S. 134-44. 250 Das Wort sesquihora ist ein erstmals hier belegtes hapax legomenon; vgl. OLD, 1749 s.v. 251 Möglicherweise steht hier die lex iudiciaria des Augustus im Hintergrund; vgl. Sherwin-White (1966), 167; Pflips (1973), 277. 252 Mit ihm hatte Plinius schon die Anklage gegen Caecilius Classicus bestritten, vgl. Epist. 3,9,7. 253 Auch in Epist. 2,11,14 spricht Plinius länger als sein Kollege Tacitus. 254 Der successus erscheint hier personifiziert als Ratgeber, wie durch die Alliteration sucessus…suadebat verdeutlicht wird; vgl. Pflips (1973), 293. 255 Vgl. Epist. 2,11,15. 256 Vgl. Tac. Dial. 36,1; Pflips (1973), 296‒7; Fairweather (1981), 264‒6. 4,9,7‒9 anspielt, von den antiken Lehrbüchern meistens im Zusammenhang mit der inventio, d. h. dem ersten Arbeitsschritt, behandelt wird, 248 lesen wir als nächstes schon von der actio sowie den Reaktionen darauf. Wie schon in Epist. 2,11 zu beobachten war, 249 spielt auch hier wieder das Thema der Redezeit eine wichtige Rolle. Plinius habe bereits dreieinhalb Stunden gesprochen, als die Nacht einbrach (9: egeram horis tribus et dimidia), und eineinhalb Stunden wären ihm noch übrig geblieben (supererat sesquihora). 250 Von den insgesamt neun Stunden, die für die Verteidigung vorgesehen waren (für die Anklage dagegen sechs), 251 wurden Plinius vom Angeklagten fünf zugewiesen, seinem Kollegen Lucceius Albinus 252 dagegen die restlichen vier (ita diviserat tempora reus inter me et eum, qui dicturus post erat, ut ego quinque horis, ille reliquis uteretur). 253 Der Erfolg seiner noch unvollendeten Rede, so Plinius, habe ihn dazu be‐ wogen, von einer Fortsetzung am zweiten Tag der Verhandlung abzusehen (10: mihi successus actionis silentium finemque suadebat). 254 Detailliert schildert er seine Überlegungen, die ihn zu diesem Entschluss führten (10‒11): die bereits erzielte positive Wirkung, die nachlassenden Körperkräfte 255 sowie der mögliche Überdruss beim Publikum (11: frigus…et taedium), nach einer Unterbrechung dem Redner noch einmal zuzuhören. Ein Vergleich mit einer Fackel, deren Feuer nur mühsam wieder entfacht werden kann, wenn es einmal erloschen ist, illustriert den Gedankengang (11): ut enim faces ignem assidua concussione custodiunt, dimissum aegerrime reparant, sic et dicentis calor et audientis in‐ tentio continuatione servatur, intercapedine et quasi remissione languescit. Es ist denkbar, dass Plinius das Fackel-Gleichnis an dieser Stelle mit Bedacht einfügt, wurde es doch, wie Seneca der Ältere berichtet, bereits vom berühmten Redner Porcius Latro gebraucht und von dessen Bewunderer Ovid aufgegriffen (Contr. 2,2,8). 256 adeo autem studiose Latronem audit ut multas illius sententias in versus suos transtu‐ lerit…memini Latronem in praefatione quadam dicere (quod scholastici quasi carmen 175 1.4 Der Bithynien-Zyklus 257 Vgl. McKeown (1989), ad loc. 258 Anstelle wie Pflips (1973), 296 hier einen „abgegriffenen Vergleich aus den Rhetoren‐ schulen“ zu erkennen, sollte die Passage eher als subtile Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Rhetorik und Poesie gelesen werden, zumal ja auch mehrere der Pliniusbriefe als eine Art „Dichtung in Prosa“ interpretiert werden können. didicerunt): ‘non vides, ut immota fax torpeat, ut exagitata reddat ignes? mollit viros otium, ferrum situ carpitur et rubiginem ducit, desidia dedocet.’ Naso dixit: vidi ego iactatas mota face crescere flammas et rursus nullo concutiente mori. Das von Latro im Kontext der rhetorischen Deklamation verwendete Bild von der Fackel, deren Feuer durch Bewegung am Leben gehalten wird, bei Stillstand jedoch erlischt, hatte Ovid offenbar inspiriert, es in den erotischen Zusammenhang des Amores-Gedichtes 1,2 zu übertragen (vv. 11‒12). 257 Plinius wiederum verwendet das simile in einem rhetorischen Zusammenhang, jedoch nicht in dem der scholastici Latros und Senecas, sondern des „richtigen Lebens“ bei einem Repetundenprozess im Senat unter Trajan. 258 Es genügt Plinius nun nicht, nur auf den Erfolg seiner zum Teil gehaltenen Rede hinzuweisen, sondern er schildert auch die Reaktion des Bassus auf sein Vorhaben, nicht mehr weiter zu plädieren: Unter vielen Bitten und beinahe mit Tränen (12: multis precibus, paene etiam lacrimis) habe dieser Plinius angefleht, weiterzumachen, was er dann auch tat. Anders als zunächst befürchtet ging die Fortsetzung gut aus (12): bene cessit. inveni ita erectos animos senatus, ita recentes, ut priore actione incitati magis quam satiati viderentur. Anstatt frigus et taedium (11) zu verursachen konnte Plinius, so erfahren wir hier, den Appetit bei den Zuhörern sogar noch steigern. Nach dieser ausführlichen Darstellung von Konzeption und actio seiner Rede Pro Basso erhöht Plinius das Erzähltempo deutlich, wenn es um die Schilderung der restlichen am Prozess beteiligten Redner geht. Sein Kollege Lucceius Albinus habe nach ihm gesprochen und das vorhergehende Plädoyer wunderbar ergänzt (13: tam apte, ut orationes nostrae varietatem duarum, contextum unius habuisse credantur). Während auf der Seite der Anklage zunächst Herennius Pollio instanter et graviter gesprochen habe, tat sich der schon zu Beginn des Briefes als delator charakterisierte Theophanes durch sein unverschämtes Auftreten hervor (14): Nach zwei redegewandten Konsularen habe er für sich noch zusätzliche Redezeit beansprucht, und damit nicht genug, verhielt er sich beim Hereinbrechen der Nacht ganz anders als Plinius tags zuvor: dixit in noctem atque etiam nocte inlatis lucernis. Es handelt sich hier sozusagen um nächtliche 176 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 259 Zum lucubratio-Motiv in der römischen Literatur vgl. Ker (2004). 260 Er ist Adressat der Epistel 3,5 über Plinius den Älteren und wird in den Fasti Ostienses als Konsul des Jahres 103 n. Chr. angeführt; Martial preist ihn in mehreren Epigrammen (5,28,5; 10,18[17]; 12,98); vgl. Sherwin-White (1966), 215‒6 und 274. 261 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 278. 262 Vgl. Epist. 2,11,2, wo Tacitus und Plinius ebendies im Fall des Marius Priscus verhindern wollen. 263 Zu ihm vgl. Sherwin-White (1966), 279. 264 Valerius Paulinus begründete seinen Antrag damit, dass Theophanes während seiner Anklage vieles getan habe, was gerade unter das Gesetz fiel, nach dem er Bassus belangen wollte (20: arguebatur enim multa in accusatione fecisse, quae illa ipsa lege, qua Bassum accusaverat, tenerentur). lucubratio im negativen Sinn. 259 Auffällig ist zudem, dass Plinius im Verlauf dieses Briefes wiederholt das Bild einer Fackel bzw. eines Lichts evoziert: Theophanes wird zunächst als fax accusationis bezeichnet (3), danach assoziiert Plinius den „drive“ einer Rede mit dem Leuchten bzw. Erlöschen einer Fackel (11), und schließlich müssen während Theophanes’ überzogenem Plädoyer Lampen in den Gerichtssaal gebracht werden (14). Der Name Theophanes (aus θεός und φαίνω) bietet sich an für ein derartiges Spiel mit dem Bild von Licht und Feuer. Angesichts des vorhergehenden metaphorischen Gebrauchs des fax-Motives könnte man hier zudem interpretieren, dass das Feuer von Theophanes’ oratio sozusagen künstlich am Leben gehalten werden musste. Die Ereignisse am dritten Tag der Verhandlung fasst Plinius nur sehr summarisch zusammen (15: postero die egerunt pro Basso Homullus et Fronto mirifice), bevor er sich wieder ausführlicher dem vierten Tag (15: quartum diem probationes occuparunt) und den in der finalen Abstimmung gestellten Anträgen widmet (16‒21). Während der designierte Konsul Baebius Macer 260 forderte, Bassus nach dem Repetundengesetz zu belangen (16), schlug Caepio Hispo 261 als mildere Alternative vor, man solle den Angeklagten unter Wahrung seiner Senatorenwürde vor eine Richterkommission stellen (16) 262 und setzte sich damit durch (18). Ein weiterer Antrag des Valerius Paulinus, 263 der Caepio zustimmte und darüber hinaus noch eine Untersuchung gegen Theophanes erwirken wollte, 264 wurde zwar von den meisten Senatoren gebilligt, von den Konsuln jedoch abgewiesen (20‒21). In Form einer Ringkomposition greift Plinius am Ende des Briefes wieder Elemente aus der Einleitung auf (22): Nachdem der Senat entlassen worden war, habe eine große Menschenmenge Bassus unter viel Jubel empfangen, und zwar unter anderem deshalb: fecerat eum favorabilem renovata discriminum vetus fama notumque periculis nomen et in procero corpore maesta et squalida senectus. Wie schon am Anfang des Briefes, so erscheint Bassus auch hier als ein Opfer der 177 1.4 Der Bithynien-Zyklus 265 S. S. 130-1. 266 Vgl. Pflips (1973), 308. 267 Sherwin-White (1966), 279 schätzt sein Alter zu diesem Zeitpunkt auf mindestens 55 Jahre; vgl. die Beschreibung des Gespenstes in Epist. 7,27,5: senex macie et squalore confectus. 268 Vgl. Deane (1918), 43. 269 Auch der Brief 4,10 behandelt eine juristische Thematik, allerdings geht es hier um das Problem der Interpretation eines Testaments. Es ist vielleicht kein Zufall, dass im Zentrum dieses Briefes die Freilassung eines Sklaven mit dem sprechenden Namen Modestus steht, bevor wir in 4,11 mit Domitians invidia, immanitas und licentia konfrontiert sind. 270 Zu diesem Brief s. S. 114-21. flavischen Kaiser - dies legt der Begriff pericula nahe 265 - und genießt dadurch das Wohlwollen seiner Zeitgenossen. 266 Sein wechselvolles Schicksal spiegelt sich offenbar in der maesta et squalida senectus. 267 Der letzte Teil des Briefes hingegen, in dem Plinius seinen Adressaten direkt anspricht (23: habebis) und das vorliegende Schreiben als ein πρόδρομον 268 zur später folgenden, weitaus reichhaltigeren Rede (23: exspectabis orationem plenam onustamque, exspectabis diu) ankündigt, hat am Beginn des Briefes keine Entsprechung. Wie sich gezeigt hat, spielt insbesondere am Ende des Briefes 4,9 das Thema der Milde im Senat gegenüber einem Angeklagten, an dessen Drangsal unter den Flaviern man sich noch erinnern konnte, eine zentrale Rolle. So wird etwa dem für Bassus günstigeren Antrag des Caepio schon applaudiert, als dieser sich erst zu seiner Rede erhebt (18). Einen starken Kontrast zu dieser Schilderung einer Senatsverhandlung in trajanischer Zeit bildet die übernächste Epistel 4,11, 269 in der vom Inzest-Skandal um die Vestalin Cornelia erzählt wird. 270 Der Willkür des Domitian (6: immanitate tyranni), der von Zorn erfüllt ist (5: fremebat enim…aestuabatque in ingenti invidia destitutus) und Cornelia ohne Anhörung verurteilt (6: absentem inauditamque damnavit incesti), steht das besonnen Vorgehen der Senatoren um Plinius in Epist. 4,9 gegenüber. Der Bithynien-Zyklus setzt sich fort mit Epist. 5,20 über das Repetundenver‐ fahren gegen Rufus Varenus, von dem außerdem noch die Briefe 6,5, 6,13, 7,6 und 7,10 handeln. Eine Verbindung zur Epist. 4,9 ist einerseits durch denselben Adressaten, Cornelius Ursus, gegeben und wird andererseits auch von Plinius selbst explizit betont (5,20,1): Iterum Bithyni: breve tempus a Iulio Basso, et Rufum Varenum proconsulem detulerunt, Varenum, quem nuper adversus Bassum advocatum et postularant et acceperant. Mit den Begriffen breve tempus und nuper wird suggeriert, dass zwischen der Anklage des Bassus und derjenigen des Varenus nur wenig Zeit verstrichen ist, tatsächlich dürften aber etwa drei Jahre 178 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 271 Sherwin-White (1966), 61 und 351 argumentiert für eine Datierung der Statthalterschaft des Varenus auf 105/ 6 und des Prozesses auf 106/ 7 n. Chr.; vgl. Pflips (1973), 319. Zu Varenus als Statthalter Bithyniens vgl. auch Dion Chrys. Or. 48. 272 Die Spekulationen über die Gründe für Varenus’ Rücktritt von der Anwaltschaft reichen von seiner Designierung als Prokonsul Bithyniens bis zu gesundheitlichen Problemen; vgl. Hanslik (1932), 198; Sherwin-White (1966), 352; Pflips (1973), 319‒20. 273 S. ausführlicher S. 223-8. 274 Grundlage ist das SC Calvisianum, vgl. Sherwin-White (1966), 352; Pflips (1973), 313‒4. 275 Vgl. Epist. 2,19 über actio vor Gericht und Rezitation im Hörsaal; s. S. 144-7. vergangen sein. 271 Überdies haben die Bithynier Varenus als Rechtsbeistand im Prozess gegen Bassus angefordert, wovon wir jedoch in Epist. 4,9, nichts er‐ fahren. 272 Im Unterschied zu den bisherigen Berichten über Repetundenprozesse in Buch 2‒4 fällt der Brief 5,20 vergleichsweise kurz aus, was jedoch dadurch kompensiert wird, dass Plinius den weiteren Prozessverlauf in einer auf die Bücher 6 und 7 verteilten Briefserie bzw. in einer Art juristischer „Briefroman“ schildert. Was seine Position in Buch 5 betrifft, steht der „Vorschlussbrief “ 5,20 mit seinem Inhalt über eine Gerichtsverhandlung unter Trajan in auffälliger Opposition zu Epist. 5,1, wo Plinius von einem Erbschaftsstreit unter Domitian und den damit verbundenen Gefahren für die Beteiligten (5,1,7: metu temporum) berichtet. 273 Die in Epist. 5,20 beschriebene erste Phase der Verhandlung 274 teilt sich auf zwei Tage auf: Zunächst fordern die Bithynier im Senat eine Untersuchung gegen Varenus, woraufhin dieser beantragt, zu seiner Verteidigung ebenfalls Zeugen vorladen zu dürfen (2) - ein ungewöhnlicher und vom Gesetz nicht geregelter Wunsch, wie Plinius später bemerkt (7: rem nec lege comprehensam nec satis usitatam). Diesem Antrag folgt der Einspruch der Bithynier sowie die Rede des Plinius, von der diesmal auffällig knapp berichtet wird (2): egi pro Vareno non sine eventu; nam bene an male liber indicabit. Ohne auf seine oratio und deren Argumentationslinien näher einzugehen, nimmt Plinius hier schon ihren Erfolg vorweg, überlässt jedoch das Urteil über ihre Qualität dem Leser der publizierten Version. Wie am Ende des Briefes nochmal betont wird, soll dieser als eine Art „Teaser“ für die Lektüre der Rede dienen (8: ut desideres actionem). Anstatt konkretere Ausführungen zu seiner Rede zu machen, stellt Plinius theoretische Reflexionen über die Unterschiede zwischen einer actio vor Gericht und einer verschriftlichen, für die Lektüre bestimmten Rede an (3): 275 Während bei einer actio der Zufall in beide Richtungen herrsche (utramque in partem fortuna dominatur) und auch Aspekte wie memoria, vox, gestus, tempus ipsum sowie amor vel odium rei den Ausgang beeinflussen, sei eine Buchversion frei von diesen Dingen (liber offensis, liber gratia, liber et secundis casibus et adversis caret). 179 1.4 Der Bithynien-Zyklus 276 Er übernimmt die Funktion des offiziellen Anklägers: vgl. Sherwin-White (1966), 353; Pflips (1973), 323. 277 Vgl. den HWRh-Artikel von Margolin (1994). 278 Zu den Begriffen perihodos und frigidus sowie dem Bild des reißenden Baches in der rhetorischen Tradition vgl. Pflips (1973), 324‒7. 279 Pflips (1973), 324. 280 Vgl. Quint. Inst. 11,3,52; bei Petron (124,3) wird das Bürgerkriegsgedicht des Eumolp mit diesem Begriff charakterisiert: cum haec Eumolpos ingenti volubilitate verborum effudisset… 281 Vgl. Wardle (2014), ad loc. 282 Vermutlich der Konsul des Jahres 105 n. Chr.; vgl. Sherwin-White (1966), 353. 283 Laut Cicero unterschied M. Antonius zwischen diserti und eloquentes (Orat. 18): M. Antonius…disertos ait se vidisse multos, eloquentem omnino neminem; vgl. De orat. 1,94; Quint. Inst. 8 praef. 13; 12,1,21; Pflips (1973), 328‒9. Aulus Gellius berichtet, dass der Gelehrte Valerius Probus die Wortprägung loquentia (statt eloquentia) dem Sallust Mehr als über Plinius erfahren wir diesmal über die Rede seines Kontrahenten Fonteius Magnus 276 aus Bithynien (4): respondit…plurimis verbis, paucissimis rebus. Dass Magnus zwar, wie die parallele Wortstellung hier unterstreicht, wortreich, jedoch ohne inhaltliche Substanz plädiert, macht ihn für Plinius zu einem typischen Vertreter griechischer Beredsamkeit: est plerisque Graecorum, ut illi, pro copia volubilitas: tam longas tamque frigidas perihodos uno spiritu quasi torrente contorquent. Bei vielen Griechen, so Plinius, sei anstelle der copia („Redefülle“) 277 nur volubilitas („Zungenfertigkeit“) vorhanden, durch die sich die Worte in langen Perioden in einem einzigen Atemzug rasend schnell ergießen. 278 Während der Begriff volubilitas bei Cicero noch nicht negativ kon‐ notiert ist, verwenden ihn kaiserzeitliche Autoren häufiger, um jemandes Stil zu kritisieren. 279 So dürfte Plinius die Antithese zwischen copia und volubilitas insbesondere Quintilian entnommen haben (Inst. 10,1,8: nobis autem copia cum iudicio paranda est, vim orandi, non circulatoriam volubilitatem spectantibus), 280 die Kritik an griechischen Rednern wiederum findet sich auch in Suetons Beschreibung des Augustus. Dieser habe, so Sueton, Marcus Antonius kritisiert, weil dieser die inanis volubilitas asianischer Redner nachahmte (Aug. 86,3: an potius Asiaticorum oratorum inanis sententiis verborum volubilitas in nostrum sermonem transferenda? ). 281 Seinen Ausführungen über den Redestil des Fonteius Magnus fügt Plinius ein geistreiches Bonmot des Iulius Candidus 282 hinzu, der zwischen loquentia und eloquentia zu unterscheiden pflege (5: non invenuste solet dicere aliud esse eloquentiam, aliud loquentiam) und sich dabei auf den berühmten Redner Marcus Antonius bezieht (si M. Antonio credimus): Nur wenige oder sogar niemand verfüge über eloquentia, während viele und insbesondere die Unverschämtesten (multis atque etiam impudentissimo cuique) die sogenannte loquentia besitzen. 283 180 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht zugeschrieben habe (1,15,18): Valerium Probum, grammaticum inlustrem, ex familiari eius, docto viro, comperi Sallustianum illud: ‘satis eloquentiae, sapientiae parum’, brevi antequam vita decederet, sic legere coepisse et sic a Sallustio relictum affirmavisse: ‘satis loquentiae, sapientiae parum’, quod ‘loquentia’ novatori verborum Sallustio maxime congrueret, ‘eloquentia’ cum insipientia minime conveniret; bei der betreffenden Sal‐ lust-Stelle handelt es sich um Cat. 5,4, wobei hier die Handschriften jedoch einhellig eloquentiae überliefern; vgl. Ramsey (2007), 70. 284 Er hatte mit Plinius auch Iulius Bassus verteidigt, vgl. 4,9,15; s. S. 171-8. 285 Vgl. Bütler (1970), 70 Anm. 51 und 145 Anm. 58; Pflips (1973), 330‒1. 286 Vielleicht ist er mit jenem Rufus identisch, den die Fasti Ostienses als Suffektkonsul des Frühjahres 107 n. Chr. anführen; vgl. Sherwin-White (1966), 353. 287 An ihn ist die Epistel 3,21 gerichtet; vgl. Sherwin-White (1966), 262‒3. 288 Die Funktion dieses Zitats wird bei Schwerdtner (2015), 91‒6 diskutiert. Zu diesen impudentissimi zählt sich auch Plinius selbst am Ende des Briefes in scherzhafter Weise, da er angeblich Gefahr laufe, die Neugierde seines Adres‐ saten auf die Rede durch die Geschwätzigkeit des Briefes (epistulae loquacitate) zunichte zu machen. Die am zweiten Tag des Prozesses gehaltenen Reden werden nur kurz zusam‐ mengefasst (6): Für Varenus habe Homullus 284 callide, acriter, culte gesprochen, sein Gegner Nigrinus presse, graviter, ornate; der Redestil des zweiten Anklägers steht hierbei in auffälligem Kontrast zur loquacitas des Fonteius Magnus. 285 Ebenfalls knapp berichtet Plinius von den Anträgen des designierten Konsuls Acilius Rufus 286 und des Konsulars Cornelius Priscus 287 (6‒7): Ersterer wollte den Bithyniern eine Untersuchung gewähren, ohne auf die Forderung des Varenus einzugehen, zweiterer gestand beiden Parteien zu, was sie forderten, und setzte sich damit durch. Dazu bemerkt Plinius, dass er und sein Mandant mit ihrer Forderung nach Zeugen zwar eine ungewöhnliche, jedoch gerechte Lösung erreicht hätten (7: impetravimus rem nec lege comprehensam nec satis usitatam, iustam tamen). Warum sie gerecht war, will Plinius im Brief nicht verraten (8): quare iustam, non sum epistula exsecuturus, ut desideres actionem. Nam si verum est Homericum illud: τὴν γὰρ ἀοιδὴν μᾶλλον ἐπικλείουσ᾽ ἄνθρωποι, ‹ἥ τις ἀκουόντεσσι νεωτ›άτη ἀμφιπέληται, providendum est mihi, ne gratiam novitatis et florem, quae oratiunculam illam vel maxime commendat, epistulae loquacitate praecerpam. Mit einem Homer-Zitat, das deutlich als solches markiert ist (Homericum illud), will Plinius belegen, dass insbesondere neue Geschichten (gratiam novitatis) das Interesse des Publikums entfachen. 288 Es handelt sich hier um Od. 1,351‒2, wo Telemachus seine Mutter Penelope zu überzeugen versucht, den Sänger Phemios weiter von der Heimfahrt der Griechen aus Troja (326‒7: νόστον ἄειδε 181 1.4 Der Bithynien-Zyklus 289 De Jong (2001), 38 ad loc. konstatiert eine metapoetische Bedeutung dieser Passage: „Telemachus’ statement…is an indirect advertisement for the Odyssey itself, which will offer an even newer ʽnostos’ story than that of Phemius“. 290 Dazu vgl. Schwertner (2015), 93. 291 Die Gefahr, durch die Geschwätzigkeit des Briefes den Reiz des Neuen in der Rede zu zerstören, drückt Plinius im Rahmen einer botanischen Metaphorik aus (florem… praecerpam); vgl. Pflips (1973), 333. 292 Whitton (2013b), 47‒8; gestorben wird allerdings auch an Buchanfängen: In Epist. 6,2 kommt Plinius auf den Tod des Regulus zu sprechen, den er angeblich schon fast vermisst (6,2,1: desiderare); vgl außerdem 2,1; 5,1; 9,1. 293 Der Varenus-Zyklus in Buch 6 und 7 (6,5; 6,13; 7,6; 7,10) ist mit dem Zyklus der Briefe an Plinius’ Frau Calpurnia (6,4; 6,7; 7,5) verwoben, sodass eine narrative Sequenz über den öffentlichen Plinius parallel zu einer über den privaten verläuft; vgl. Gibson/ Morello (2012), 53‒68. 294 Laut Sherwin-White (1966), 359‒60 fand die folgende Senatssitzung etwa 14 Tage später statt. 295 Er war Prätor des Jahres 105 n. Chr. und begegnet als solcher in Buch 4 und 5 (4,29; 5,4; 5,9; 5,13), sodass der Varenus-Zyklus auch mit dem Nepos-Zyklus verwoben ist; s. S. 228-30. λυγρόν) singen zu lassen, da dieser neue Stoff die Zuhörer besonders erfreue. 289 Bemerkenswert ist hier nicht nur, dass Plinius wieder einmal Gedanken aus dem epischen Kontext in seine juristische Lebenswelt überträgt, 290 sondern auch, dass er auf kommunikativer Ebene eigentlich das gegenteilige Ziel zu Telemachos verfolgt, sozusagen durch imitatio e contrario: Während der junge epische Held mit diesen Worten für eine Fortsetzung des Phemios-Gesangs plädiert, dienen sie Plinius zur Rechtfertigung, seinen Brief abzubrechen. 291 Wenn Plinius seiner loquacitas Einhalt gebietet, lässt sich dies zugleich als closure-Motiv nicht nur für den Brief, sondern auch Buch 5 interpretieren, da Epist. 5,20 an vorletzter Stelle im Buch steht und der folgende Brief über den Tod des Iulius Avitus ebenfalls ein verbreitetes Schluss-Motiv beinhaltet. 292 Am Beginn der abermals an Cornelius Ursus gerichteten Epistel 6,5, die den Varenus-Zyklus 293 fortsetzt, wird deutlich auf Brief 5,20 zurückverwiesen und auch die zeitliche Nähe zwischen den beiden Schreiben betont (6,5,1): Scripseram tenuisse Varenum, ut sibi evocare testes liceret; quod pluribus aequum, quibusdam iniquum et quidem pertinaciter visum, maxime Licinio Nepoti, qui sequenti senatu, cum de rebus aliis referretur, de proximo senatus consulto disseruit finitamque causam retractavit. Was Plinius hier berichtet, ereignete sich in der Senatssitzung, die nicht lange auf die in Epist. 5,20 beschriebene folgte (sequenti senatu): 294 Der ehemalige Prätor Licinius Nepos 295 übte Kritik am zuletzt gefassten Senatsbeschluss (de proximo senatus consulto), der dem Varenus das Aufrufen von Zeugen gestattet hatte, und 182 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 296 Zu den juristischen Implikationen vgl. Sherwin-White (1966), 360. 297 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 360‒1. 298 Vgl. Sherwin-White (1966), 361. 299 Vgl. Iuv. 1,79: facit indignatio versum; s. Kap. II.2.2 zu Epist. 7,29 und 8,6. 300 Vgl. den Volkstribun Nigrinus in 5,13,6. rollte die Angelegenheit noch einmal auf. Nepos forderte, die Konsuln mögen nach dem Vorbild der lex ambitus auch für die lex repetundarum beantragen, das Vorladen von Zeugen durch die beklagte Partei gesetzlich zu verankern (2). 296 Daraufhin kam es zu einer hitzigen Debatte im Senat, die in einem Streit des Nepos mit dem Prätor Iuventius Celsus 297 kulminierte (3‒7). Plinius schildert das Geschehen diesmal weniger aus der Perspektive des Beteiligten als des Beobachters, dem das Verhalten seiner Kollegen im Senat mißfällt. Nicht nur, dass durch die altercatio zwischen Nepos und Celsus die übliche Abfolge der Redner und Reden gestört wurde, 298 auch die Wortwahl der beiden Kontrahenten sorgte für Empörung bei Plinius (4‒5: neuter contumeliis temperavit. nolo referre, quae dici ab ipsis moleste tuli). Wie ein durch indignatio angetriebener Satiriker 299 kritisiert er dann auch das Verhalten der im Senat Anwesenden, die bald diesen, bald jenen unterstützten und die Sitzung zu einer Art Schauspiel (5: ut in ludicro aliquo) entarten ließen. Besonders bitter war für Plinius jedoch Folgendes (6‒7): mihi quidem illud etiam peracerbum fuit, quod sunt alter alteri, quid pararent, indicati. Nam et Celsus Nepoti ex libello respondit et Celso Nepos ex pugillaribus. tanta loquacitas amicorum, ut homines iurgaturi id ipsum invicem scierint, tamquam convenisset. Da Celsus und Nepos nicht aus dem Gedächtnis sprachen, sondern sich schriftliche Notizen machten, 300 wurden diese Aufzeichnungen dem jeweiligen Gegner durch die Geschwätzigkeit ihrer Anhänger bekannt; so kam es zu der grotesken Situation, dass jeder vorher schon wusste, was der andere sagen würde und der Streit sozusagen „verabredet“ war und geradezu nach einem Skript geführt wurde. Hatte Plinius schon in der Einleitung des Briefes 6,5 direkt an 5,20 angeknüpft, so stellt er den Bezug auch am Ende her, indem er das Motiv der loquacitas aufgreift: Der geschwätzige Brief (epistulae loquacitas) in 5,20,8 findet auf intradiegetischer Ebene sein Pendant in den geschwätzigen Senatsmitgliedern (loquacitas amicorum), durch die ebenfalls der Inhalt einer Rede zu früh verbreitet wird. Während in Epist. 5,20 dem Adressaten (und auch dem allgemeinen Leser) eine schriftliche Rede angekündigt, jedoch noch vorenthalten wird (8: ut desideres actionem), haben Celsus und Nepos in Epist. 6,5 etwas Schriftliches zur Hand. 183 1.4 Der Bithynien-Zyklus 301 Vgl. Hom. Od. 1,1‒2: Ἄνδρα…ὃς μάλα πολλὰ πλάγχθη; 4: πολλὰ δ’ ὅ γ’ ἐν πόντῳ πάθεν ἄλγεα; 18: οὐδ’ ἔνθα πεφυγμένος ἦεν ἀέθλων; vgl. de Jong (2001), ad loc. 302 Während Plinius die Rede des Capito als irreverenter magis quam constanter kritisiert, da er vor dem Senat einen Senatsbeschluss beklagte, sprach Fronto Catius graviter et firme; in 2,11,3 hatte Plinius hingegen angemerkt, dass Fronto Catius als Anwalt des Marius Priscus mehr auf das Erregen von Mitleid denn eine eigentliche Verteidigung setzte. 303 6,13,5: septem an octo, septem immo. 304 Er hatte den Antrag des Varenus in 5,20,6 abgelehnt. 305 Zur hier gebrauchten Militärsprache vgl. Pflips (1973), 341‒2. 306 Verbal knüpft Plinius an den Beginn des Briefes an, vgl. 6,13,1: quod summa contentione impetraverat. Der „Varenus-Roman“ wird fortgesetzt in Epist. 6,13, deren Beginn dem Leser suggeriert, eine Parallele zwischen dem vielgeplagten Varenus und dem home‐ rischen Odysseus herzustellen (1): Umquamne vidisti quemquam tam laboriosum et exercitum quam Varenum meum?   301 Plinius’ Mandant ist deshalb laboriosus et exercitus, weil die Bithynier den in 5,20 erwähnten Senatsbeschluss, der Varenus das Recht einräumte, Zeugen vorzuladen, anfochten (2). Nach einem Rededuell zwischen Claudius Capito, dem Anwalt der Bithynier, und Fronto Catius 302 verhielt sich der Senat diesmal anders, als in Epist. 6,5 im Zusammenhang mit der Kritik des Nepos am selben senatus consultum geschildert wurde: Hatten sich die Senatoren bei der internen Debatte in 6,5 durch Streitsucht, Schmähungen und Geschwätzigkeit ausgezeichnet, bilden sie nun eine Einheit gegen die Bithynier: senatus ipse mirificus (3); sogar diejenigen, die damals bei der Abstimmung gegen den Antrag des Varenus gestimmt hatten, waren nun der Ansicht, dass der vom Senat gefasste Entschluss befolgt werden müsse (3‒4). Lediglich eine kleine Gruppe 303 um den designierten Konsul Acilius Rufus 304 hielt noch immer an ihrer früheren Meinung fest, dass Varenus keine Zeugen vorladen dürfe (5). Nicht nur, dass es sich hier um eine kleine Zahl von Abweichlern handelte (5: in hac paucitate), man belächelte auch ihre nur vorübergehende oder sogar vorgetäuschte Charakterfestigkeit (5: quorum temporaria gravitas vel potius gravitatis imitatio ridebatur). Nachdem wir in nunmehr drei Briefen über den Varenus-Fall unterrichtet worden sind, kündigt Plinius am Ende der Epist. 6,13 an, dass der eigentliche Prozess noch gar nicht angefangen habe (6): Tu tamen aestima, quantum nos in ipsa pugna certaminis maneat, cuius quasi praelusio atque praecursio has contentiones excitavit. Die Entscheidungsschlacht stehe noch bevor, doch allein das Vorgeplänkel (praelusio atque praecursio) 305 habe bereits derartige Ausein‐ andersetzungen (contentiones) 306 entfacht. Damit ist beim Leser die Neugier geweckt auf die Fortsetzung des „Varenus-Romans“ und die Rede, mit der 184 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 307 Der Brief gehört zeitlich in die Nähe der anderen Varenus Briefe (106/ 7 n. Chr.), wie aus 6,29,11 (dixi proxime pro Vareno) hervorgeht; vgl. Sherwin-White (1966), 388. 308 Bei der Aufzählung der Prozesse geht der Epistolograph nicht nach der Reihenfolge der Bücher vor, sondern nennt zuerst Baebius Massa (vgl. 1,7; 3,4,4; 6; 7,33) und Caecilius Classicus (vgl. 3,4; 3,9), dann Marius Priscus (vgl. 2,11‒12), und schließlich, wieder der Buchfolge entsprechend, Iulius Bassus (vgl. 4,9) und den aktuellen Fall des Varenus (vgl. 5,20; 6,5; 6,13; 7,6; 7,10). Sherwin-White (1966), 389‒90 verweist auf die rhetorische Stilisierung der Liste: Plinius verwendet Anaphern (adfui…adfui - quaesitum est…quaesitum est), Antithesen (accusavi…tuitus sum), Polyptoton (danda… data) und formuliert stakkatoartig die Ergebnisse der einzelnen Fälle (data est…poenas luerunt…relegatus est…in senatu remansit…impetratum est), deren Klimax wohl die in der Mitte genannte Relegation des Marius Priscus darstellt. 309 Es dürfte sich um denselben Adressaten wie bei Epist. 3,4 handeln; vgl. Sherwin-White (1966), 407; s. S. 155-9. Plinius wieder einmal brillieren wird. Bevor das nächste Kapitel dieses „Romans“ beginnt, streut Plinius einen Brief ein, in dem er allgemein über das Auftreten bei Prozessen reflektiert und einen Rückblick auf seine Tätigkeit als Advokat im Auftrag des Senats anstellt. Angeblich habe Thrasea Paetus, so erfahren wir in 6,29, 307 drei Arten von Prozessen aufgelistet, die man übernehmen solle: ent‐ weder die von Freunden, oder aussichtslose oder beispielhafte (1: suscipiendas esse causas aut amicorum aut destitutas aut ad exemplum pertinentes). Zur letztgenannten Kategorie zählt Plinius diejenigen Fälle, die er erfolgreich im Auftrag des Senats vertrat (7: egi enim quasdam a senatu iussus, quo tamen in numero fuerunt ex illa Thraseae divisione, hoc est ad exemplum pertinentes) und zählt sie dann auf (8‒11): adfui Baeticis contra Baebium Massam: quaesitum est, an danda esset inquisitio; data est. adfui rursus isdem querentibus de Caecilio Classico: quaesitum est, an provinciales ut so‐ cios ministrosque proconsulis plecti oporteret; poenas luerunt. accusavi Marium Priscum, qui lege repetundarum damnatus utebatur clementia legis, cuius severitatem immanitate criminum excesserat; relegatus est. tuitus sum Iulium Bassum, ut incustoditum nimis et incautum, ita minime malum; iudicibus acceptis in senatu remansit. dixi proxime pro Vareno postulante, ut sibi invicem evocare testes liceret; impetratum est. Nach diesem im Stile einer Aristie gehaltenen Katalog 308 der Erfolge vor Gericht erwartet der Leser nun, auch im Fall des Varenus mehr über die rhetorischen Strategien zu erfahren, mit denen Plinius, wie zuvor in den anderen Repetun‐ denprozessen, sein Ziel erreichen konnte. Umso mehr werden wir überrascht, dass in Epist. 7,6 nicht Reden, sondern Schweigen zum Erfolg führt. In Buch 7 nimmt der „Varenus-Roman“ eine unvorhergesehene Wendung (7,6,1): Rara et notabilis res Vareno contigit, si licet adhuc dubia - so eröffnet Plinius den an Macrinus 309 gerichteten Brief 7,6. Die Bithynier haben ihre zu voreilig 185 1.4 Der Bithynien-Zyklus 310 Pflips (1973), 344 weist auf die emphatische Anfangsstellung von adest hin. 311 Mit decretum concilii ist ein Beschluss des Landtages der Provinz gemeint; vgl. Sherwin-White (1966), 407; Pflips (1973), 344‒5. 312 Sherwin-White (1966), 407 zufolge fällt auf, dass der Senat offenbar keine Abschrift dieses Dekretes erhält. 313 Seine inhaltsleere loquentia wurde bereits in Epist. 5,20,4 kritisiert. 314 Seinen Redestil lobt Plinius in Epist. 5,20,6. 315 Ob dies vor dem Tribunal der Konsuln oder bei einer Vorverhandlung des Senats stattfand, bleibt laut Sherwin-White (1966), 408 offen; zur Vorlage von Rechnungsbüchern vgl. Epist. 2,11,23; 3,9,13; Pflips (1973), 317. 316 Dem decretum der Bithynier entspricht Plinius’ Entschluss (decreveram) zu schweigen. begonnene Anklage zurückgezogen, so wird erzählt (1: Bithyni accusationem eius ut temere incohatam omisisse narrantur). Dass es sich bei der Information um Hörensagen handelt, mag den Adressaten überraschen (‘narrantur’ dico? ), und so erläutert Plinius, wie er davon erfahren hat: Ein Gesandter der Provinz sei in Rom (1: adest) 310 und habe ein entsprechendes Dekret 311 dem Kaiser, mehreren angesehenen Männern und auch den Anwälten des Varenus und somit auch Plinius selbst überbracht, 312 wie der Epistolograph rhetorisch effektvoll darlegt (attulit…attulit…attulit). Doch unter den Bithyniern herrscht offenbar Uneinigkeit, da Fonteius Magnus hartnäckig auf der Anklage besteht (2: perstat tamen idem ille Magnus) 313 und seinen Kollegen Nigrinus 314 dazu gedrängt hat, von den Konsuln zu forden, dass Varenus seine Rechnungsbücher vorlegen solle. 315 Im Folgenden (3‒7) schildert Plinius, mit welcher Strategie er dem Varenus beistand: Adsistebam Vareno iam tantum ut amicus et tacere decreveram (3). 316 Als Grund für seine Schweigetaktik führt Plinius an, dass es widersinnig gewesen wäre, jemanden zu verteidigen, der erst gar nicht als Angeklagter auftreten sollte. Der Moment, in dem Plinius seine Zuhörer bei der Verhandlung überraschte, wird folgendermaßen beschrieben (4‒5): cum tamen finita postulatione Nigrini consules ad me oculos rettulissent, ‘scietis’ in‐ quam ‘constare nobis silentii nostri rationem, cum veros legatos provinciae audieritis.’ contra Nigrinus: ‘ad quem missi sunt? ’ ego: ‘ad me quoque: habeo decretum provinciae.’ rursus ille: ‘potest tibi liquere.’ ad hoc ego: ‘si tibi ex diverso liquet, potest et mihi quod est melius liquere.’ Die Konsuln richteten ihren Blick erwartungsvoll auf Plinius, der jedoch auf ein Plädoyer für seinen Mandanten verzichtet; dennoch hören wir als Leser seine Stimme in diesem Brief: In direkter Rede trägt Plinius die Gründe für sein Schweigen vor und inszeniert damit sozusagen einen performativen Wider‐ spruch auf narrativer Ebene. Die Konsuln hatten das Dekret der Provinz offenbar noch nicht erhalten und werden von Plinius auf die veri legati verwiesen. 186 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 317 So wird die Junktur ex diverso entweder mit „auf der Gegenseite/ in der Gegenpartei“ oder „im gegenteiligen Sinn“ übersetzt; vgl. Pflips (1973), 347; Trisoglio (1973), II: „in senso contrario“; Philips/ Giebel (2010): „als Anwalt der Gegenpartei“; Guillemin (1962), ad loc. sieht in liquet…liquere…liquet eine Anspielung auf die juristische Formel non liquet für Freispruch; vgl. Sherwin-White (1966), 408. 318 Beim Zurückziehen einer Anklage musste der Kläger mit dem Vorwurf der destitutio oder calumnia rechnen; vgl. Sherwin-White (1966), 408. 319 Die Wortwahl und das Motiv des Schweigens verweisen zurück auf Epist. 4,17,8, wo sich Corellius vor Kaiser Nerva durch silentium hervortut: nam, cum forte de bonis iuvenibus apud Nervam imperatorem sermo incidisset et plerique me laudibus ferrent, paulisper se intra silentium tenuit, quod illi plurimum auctoritatis addebat; vgl. Pflips (1973), 349; Plinius eifert der auctoritas seines Vorbildes Corellius ebenfalls durch Schweigen im richtigen Moment nach. 320 Vgl. Cic. Att. 13,42,1: hoc loco ego sumpsi quiddam de tua eloquentia; nam tacui; Pflips (1973), 350; möglicherweise stellt Plinius mit accepi einen direkten Bezug zu dieser Stelle (sumpsi) her. 321 Der Exkurs stellt eine inhaltliche Einheit dar und ließe sich aus dem restlichen Brief herausnehmen, ohne dass dessen Sinn beeinträchtigt würde, wie Sherwin-White (1966), 15 beobachtet. Darafhin folgt eine kurze altercatio mit Nigrinus, deren Pointe die Interpreten dieser Passage unterschiedlich deuten, 317 in der aber offenbar die Beweiskraft bzw. Gültigkeit des decretum provinciae gegen die Argumente des Nigrinus ausgespielt wird; für Plinius hat das Dekret stärkeres Gewicht (quod est melius). Nach diesem Wortwechsel trug der Gesandte Polyaenus die Gründe vor, warum man die Anklage fallen lassen wolle, und forderte, eine Entscheidung über das weitere Prozedere dem Kaiser zu überlassen (6). 318 Auch in dieser Debatte, die hauptsächlich zwischen den Bithyniern Fonteius Magnus und Polyaenus geführt wurde, hielt sich Plinius mit Wortmeldungen sehr zurück (6: ipse raro et breviter interlocutus multum me intra silentium tenui). 319 Eine Reflexion über beredtes Schweigen vor Gericht (7: accepi enim non minus interdum oratorium esse tacere quam dicere) 320 stellt den Übergang her zu einer Art Gerichtsanekdote, durch die Plinius seinen Entschluss zu schweigen begründet. Der Epistolograph ruft sich einen Kapitalprozess in Erinnerung, bei dem er die Angeklagten verteidigte und ihnen durch Schweigen angeblich mehr nützte als durch eine ausgefeilte Rede (7: repeto me quibusdam capitis reis vel magis silentio quam oratione accuratissima profuisse). Dieser dem Varenus-Brief eingelegte Bericht (8‒13) 321 stellt inhaltlich eine deutliche Klimax dar, da es sich hier um einen Mordprozess handelte, während bei Varenus erst geklärt werden muss, ob er überhaupt eines Repetundenvergehens angeklagt wird. Sherwin-White (1966: 19‒20) vermutet, dass die eingelegte Erzählung folgende Funktion erfüllen könnte: „It is possible that since the Varenus case did not allow Pliny to present himself in the Ciceronian role that he assumes for himself in the 187 1.4 Der Bithynien-Zyklus 322 Aufgrund der Erwähnung von Iulius Servianus und Sextus Attius Suburanus, zweier bedeutender Personen unter Trajan, plädiert Sherwin-White (1966), 410 für eine Datierung des Prozesses nicht vor 101 n. Chr. 323 Zu bekannten Fällen von Testamentsfälschung in der Kaiserzeit vgl. Champlin (1986). 324 Giftmischerei fiel unter die lex Cornelia de sicariis et veneficiis, Urkundenfälschung unter die lex Cornelia de falsis; zu den komplexen juristischen Hintergründen vgl. Sherwin-White (1966), 409‒10; Iulius Ursus Servianus war Konsul 90 und 102 n. Chr.; vgl. Champlin (1986), 248. 325 Vgl. in 2,11,10 die Schaulustigen beim Prozess gegen Marius Priscus. 326 Wie genau diese Untersuchung ablief, bleibt hier dunkel und elliptisch: Auf die cognitio durch Servianus folgte möglicherweise eine quaestio vor dem Prätor; vgl. Sherwin-White (1966), 410; Radice (1969), 496 Anm. 1; Pflips (1973), 352 gibt quaestio mit „Folter“ wieder. trials of II‒IV, he has expanded this letter to make the most of his achievements.“ Nicht nur innerhalb des betreffenden Briefes, sondern auch des Varenus-Zyklus, der nach 7,6 nur mehr mit dem kurzen Brief 7,10 abgerundet wird, kommt die spannendste Erzählung zum Schluss und handelt eigentlich gar nicht mehr von der Angelegenheit um Varenus. Plinius gestaltet diese embedded narrative, deren dramatisches Datum eben‐ falls in die Regierungszeit Trajans fallen dürfte, 322 folgendermaßen: Auf eine kurze expositio (7: repeto…profuisse) folgt eine narratio (8‒12), die in zwei Abschnitte zerfällt (8‒9 und 10‒12), sowie eine conclusio (13), in der mit dem Motiv des Sich-Erinnerns ringkompositorisch auf die expositio zurückverwiesen wird (13: non facile me repeto…). Die narratio beginnt mit den Worten mater amisso filio (8) und wird dann durch eine Parenthese unterbrochen, in der Plinius seine Erzähltechnik rechtfertigt: quid enim prohibet, quamquam alia ratio scribendae epistulae fuerit, de studiis disputare? So wird dem Leser suggeriert, der Epistolograph habe sich während des Schreibens spontan und durch die aufkommende Erinnerung dazu entschieden, ein anderes Thema zu integrieren. Plinius setzt daraufhin seine Erzählung mit der Darstellung des Sachverhalts fort: Nach dem Tod ihres Sohnes hatte eine Mutter dessen Freigelassene, die zugleich ihre Miterben waren, wegen Testamentsfälschung 323 und Giftmischerei beim Kaiser angezeigt, der dem Fall Iulius Servianus als Richter zuwies (8). 324 Auf der Gegenseite hatte Plinius die Angeklagten verteidigt, und zwar vor einer riesigen Menschenansammlung (9: ingenti quidem coetu), die wegen des aufsehenerregenden Falles (causa notissima) und der ingenia clarissima auf beiden Seiten zusammengekommen war. 325 Nachdem Plinius die Kulisse so eindrucksvoll geschildert hat, fallen die Ausführungen zur ersten Verhandlung sehr spärlich aus, denn wir erfahren lediglich das Ergebnis (9): finem cognitioni quaestio imposuit; quae secundum reos dedit. Am Ende der Untersuchung wurden die Angeklagten entlastet, womit der Fall entschieden war. 326 188 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 327 Sherwin-White (1966), 409 nimmt an, dass der Kaiser in diesen Mordprozess dehalb involviert war, weil es sich bei der Klägerin um eine Frau handelte. 328 Zum älteren Iulius Africanus vgl. Tac. Dial. 15; Quint. Inst. 10,1,118; 12,10,11. 329 Zu seinen geistreichen Bonmots vgl. Tac. Ann. 6,20,1; Sen. Benef. 1,15,5. 330 Hieronymus berichtet in Contra Ioh. Hier. 5 dieselbe Anekdote wie Plinius (vetus narrat historia), allerdings ohne die Protagonisten namentlich zu nennen; stattdessen bezeichnet er den Großvater des Africanus als quidam und Passienus Crispus als prudens auditor et iudex. Im Unterschied zu Plinius geht Hieronymus auch auf den Anlass des Diktums näher ein: quidam cum diserte diceret ferreturque impetu ac volubilitate verborum causamque omnino non tangeret…; vgl. Cameron (2016), 472. 331 Vgl. die exempla in der Rubrik vafre dicta aut facta bei Val. Max. 7,3. Im zweiten Teil dieser Binnen-narratio berichtet Plinius von den Versuchen der Klägerin, das Urteil anzufechten: Nach einem nicht näher bestimmten Zeitraum suchte die Frau den Kaiser 327 auf und behauptete, neue Beweise gefunden zu haben (10: postea mater adiit principem, adfirmavit se novas proba‐ tiones invenisse). Dieser beauftragte Suburanus damit, die Verhandlung wieder aufzurollen, sollte es tatsächlich neue Erkenntnisse geben. Den folgenden Abschnitt (11) widmet Plinius dann einer Charakterisierung des Gegenanwalts Iulius Africanus, in die er ein Bonmot aus der Rhetorik-Geschichte einstreut. Über die Redegabe von Africanus’ Großvater 328 habe Passienus Crispus 329 einmal gesagt bene mehercule, bene; sed quo tam bene?   330 und den jüngeren Iulius Africanus bezeichnet Plinius als einen iuvenis ingeniosus sed non parum callidus. In dem betreffenden Prozess habe Iulius Africanus seine Redezeit ausgeschöpft und beim Vorsitzenden Suburanus noch mehr Zeit beantragt: ‘rogo’, inquit, ‘Sub‐ urane, permittas mihi unum verbum adicere’. Auch hier warteten die Zuhörer auf eine ebenso wortreiche Antwort des Plinius (12: tum ego, cum omnes me ut diu responsurum intuerentur), der jedoch nur so viel sagte: respondissem…si unum illud verbum Africanus adiecisset, in quo non dubito omnia nova fuisse. Durch diese schlagfertige Bemerkung konnte Plinius zeigen, dass die Gegen‐ partei trotz langer Rede keine neuen Argumente vorzubringen hatte und eine Verteidigungsrede seinerseits daher hinfällig war. Damit nimmt er eine ähnliche Haltung ein wie der zuvor zitierte Passienus Crispus, der den älteren Iulius Africanus zwar für sein Redetalent gelobt, die Zweckmäßigkeit dieser Rede jedoch infrage gestellt hatte; so schreibt sich auch Plinius, dem wir hier als handelnder Figur begegnen, in die Reihe jener Redner ein, die man in der Antike als Exempla für rhetorische Schlagfertigkeit betrachtete. 331 Die conclusio dieser Digression knüpft verbal und gedanklich an den Beginn an, wenn Plinius resümiert, er könne sich nicht erinnern, für eine Rede so viel Beifall erhalten zu haben wie damals für sein Schweigen (13: non facile me repeto 189 1.4 Der Bithynien-Zyklus 332 Vgl. 7,6,7 tacere…dicere…repeto; Pflips (1973), 356. 333 Sherwin-White (1966), 413 datiert diesen Brief auf Ende 106/ Anfang 107 n. Chr. und vermutet, dass die Anklage gegen Varenus fallen gelassen wurde, da das Thema in Buch 8 und 9 keine Rolle mehr spielt. 334 Zu ähnlichen Fällen, wo Adressaten die Inhalte von an andere Personen gerichteten Briefen kennen, vgl. Epist. 6,10 und 9,19 sowie 2,2 und 9,2; s. Kap. II.2.3. 335 Vgl. Epist. 3,10,6; 7,9,6; 8,4,7; zur Metaphorik vgl. Whitton (2013a), 118‒9; das Problem der Einzelteile eines Werks, die sich nicht zu einem kohärenten Ganzen zusammenfügen wollen, diskutiert Horaz in Ars 1‒5. tantum adsensum agendo consecutum, quantum tunc non agendo). 332 Auf das Ende dieser eingelegten Erzählung folgt sodann die conclusio der rahmenden Narration, in der Plinius ebenfalls von den Reaktionen auf seine Schweigetaktik berichtet (14: similiter nunc probatum et exceptum est, quod pro Vareno hactenus tacui). Trotz dieses Erfolges bleibt der weitere Verlauf der causa Vareni offen, wie es am Schluss heißt: Plinius wartet nun auf das Untersuchungsergebnis durch den Kaiser (cognitionem…exspecto), das ihm entweder securitas und otium oder neue Mühen und Sorgen bereiten werde (14). Auch im ebenfalls an Macrinus gerich‐ teten Brief 7,10, dem Epilog zum Varenus-Zyklus, erfahren wir kaum etwas Konkretes über den Ausgang der Verhandlungen. 333 Plinius leitet diese Epistel zunächst mit einem Gedanken über die Geschlossenheit seines Berichts ein (1): quia ipse, cum prima cognovi, iungere extrema quasi avulsa cupio, te quoque existimo velle de Vareno et Bithynis reliqua cognoscere. Diese Überlegungen zu Anfang (prima) und Ende (extrema) einer Geschichte lassen sich natürlich auf den gesamten Varenus-Zyklus beziehen, zu dem die Briefe 5,20, 6,5, 6,13, 6,29,11, 7,6 und 7,10 gehören; allerdings sind an Macrinus nur die letzten beiden Briefe dieser Serie gerichtet, sodass er den Anfang der Varenus-Narration eigentlich gar nicht kennen kann - es sei denn, wir sollen ihn hier bereits als Modell-Leser der an andere Empfänger gerichteten und in Buch 5 und 6 publizierten Briefe imaginieren. 334 Plinius bezeichnet das Ende des „Varenus-Romans“ als etwas gleichsam vom Rest Abgetrenntes (quasi avulsa) und greift damit eine Metaphorik auf, die er im Zusammenhang mit der Komposition und Lektüre von Texten schon mehrmals gebraucht hatte: So wurden etwa in Epist. 2,5 einzelne Teile einer Rede, wie z. B. der Anfang, mit dem abgetrennten Kopf bzw. den Gliedmaßen einer Statue verglichen (11: avolsum statuae caput aut membrum aliquod). 335 Die in Epist. 2,5 behandelte Thematik der Fragmentierung sowie des Verhältnisses eines Teils zum Gesamtkunstwerk lässt sich neben Reden auch auf die Briefsammlung beziehen, und so interpretiert Whitton (2015a: 131‒8) diesen Text plausibel als zweites Proömium zum Gesamtkorpus. In Epist. 7,10 bezieht sich das Motiv der Fragmentierung auf den sich über mehrere Bücher erstreckenden Briefzyklus, 190 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 336 Es handelt sich um Ereignisse aus den Jahren 93/ 94 n. Chr., vgl. Sherwin-White (1966), 444. 337 Vgl. 1,7; 3,4,4; 6,29,8. 338 S. S. 232-7; Fitzgerald (2007), 201 erkennt außerdem Bezüge zwischen den thematisch verschiedenen Briefen 7,1 und 7,33, da Plinius in beiden seine Rolle als exemplum hervorhebt. 339 Vgl. 1,12,8, wo Corellius den Kaiser Domitian als latro bezeichnet und ihn um wenigs‐ tens einen Tag überleben will. dessen offenes Ende den Leser erwarten lässt, dass noch weitere Episoden der Varenus-Geschichte folgen werden. Denn Plinius berichtet in diesem Epilog nur kurz von der Auseinandersetzung der beiden Bithynier Polyaenus und Magnus (1) und dem Versprechen Trajans, den eigentlichen Willen der Provinz bezüglich einer Anklage zu eruieren (2: explorare provinciae voluntatem). Ob es zu einer Anklage kommt, bleibt ungewiss (3: dubium est…incertum est), und Plinius schließt den Brief stilistisch effektvoll mit der Befürchtung, dass die Bithynier ihre Reue wieder bereuen könnten (3: superest, ne rursus provinciae, quod damnasse dicitur, placeat, agatque paenitentiam paenitentiae suae). 1.5 Plinius und Baebius Massa (Epist. 7,33) Nachdem die Erzählung von der noch schwebenden Verhandlung des Varenus die erste Hälfte von Buch 7 geprägt und ein aktuelles Ereignis beleuchtet hat, endet das Buch mit einem weiteren Prozessbericht, der jedoch eine nar‐ rative Analepse darstellt, da das Geschehen mehr als ein Jahrzehnt vor der Verhandlung des Varenus stattfand; 336 zudem stand Plinius damals zusammen mit Herennius Senecio auf der Seite der klagenden Provinz. Auf diese Konfron‐ tation mit Baebius Massa hatte Plinius in früheren Briefen schon mehrmals hingewiesen, 337 und in der an Tacitus gerichteten Epist. 7,33 rühmt er sie als seine größte Heldentat. Die Position dieses Briefes im Buch bzw. Gesamtkorpus ist in mehrfacher Hinsicht auffällig: Zunächst korrespondiert Epist. 7,33 thematisch mit Epist. 6,33, wo sich Plinius seiner Rede für Attia Viriola rühmt. 338 Auch wird der Leser sukkzessive auf das Thema der Epist. 7,33 - Plinius als Freund der Opposition gegen Domitian - eingestimmt. Die Briefe 7,11 und 7,14 stellen Plinius als Freund der Familie des mittlerweile verstorbenen Domitiangegners Corellius Rufus dar, 339 und in 7,19 hebte er seine enge Verbindung zu Fannia, der Frau des Helvidius Priscus, hervor; Anlass für diesen Brief ist der schlechte Gesundheitszustand Fannias, doch Plinius kommt auch auf die Tugenden der Frau zu sprechen: Fannia hatte, wie Plinius bewundernd schildert, beim Prozess des Herennius Senecio ‒ dieser war aufgrund seiner Biographie des Helvidius 191 1.5 Plinius und Baebius Massa (Epist. 7,33) 340 Vgl. Epist. 1,5,3; Tac. Agr. 2,45; Cass. Dio 67,13,2. 341 Vgl. Epist. 7,19,5: cum Senecio reus esset…quaerente minaciter Mettio Caro…nullam vocem cedentem periculo emisit. 342 Dazu s. Kap. II.4.3. 343 7,27,14: …non fui reus, futurus, si Domitianus…diutius vixisset. nam in scrinio eius datus a Caro de me libellus inventus est; wie Gibson (2015), 205‒8 herausarbeitet, dominiert in Buch 7 eine düstere Stimmung, die durch die Themen Domitian, Krankheit, Tod und Angst (vgl. 7,1; 19; 21; 26) erzeugt wird. 344 Vgl. 7,20,3: …duos homines aetate, dignitate propemodum aequales, non nullius in litteris nominis. 345 Whitton (2013b), 48‒9 weist darauf hin, dass mit der historia-Thematik ein Bezug zwischen Epist. 7,33 und 1,1 hergestellt ist: „7.33 makes a superb conclusion to Books 1‒7 as a set.“ Zur Juxtaposition der Briefe 7,33 und 8,1 vgl. auch Eisner (2014), 54; zu Septicius Clarus s. S. 110-1. 346 Wie Eisner (2014), 60 bemerkt, ist Epist. 7,33 der letzte Brief an Tacitus, in dem die Gattung Historiographie thematisiert wird; zu den Vesuv-Briefen s. Kap. II.4.2. 347 Dazu s. Kap. II.4.5. 348 Vgl. Bütler (1970), 62; Leach (1990), 19; Beutel (2000), 216‒7; Gauly (2008); Keeline (2018b), 330‒2. 349 Deutlich ist hier der Rückbezug zum Anfang der Epist. 6,16 und die Rühmung des Älteren Plinius durch Tacitus (1‒2): immortalem gloriam esse propositam…multum tamen perpetuitati eius scriptorum tuorum aeternitas addet; Lefèvre (2009), 153 sieht in Priscus angeklagt 340 ‒ dem Verhör durch den Ankläger Mettius Carus tapfer standgehalten. 341 Schließlich porträtiert die wie beiläufig erzählte Anekdote vom „Friseurgespenst“ in Epist. 7,27 342 Plinius als jemanden, der durch den‐ selben Mettius Carus beinahe zu einem weiteren Opfer des Domitian-Regimes geworden wäre. 343 Zwischen 7,19 und 7,27 wiederum steht ein Brief an Tacitus (7,20), der uns den Eindruck einer sehr engen Freundschaft zwischen diesem und Plinius vermitteln soll. 344 Während Epist. 7,33 mit ihrer Rückschau in die Vergangenheit, dem Adressaten Tacitus und der Hoffnung auf Rühmung in dessen historiographischem Werk einen markanten Buchschluss bildet, enthält Epist. 8,1 deutliche Anfangsmotive: Dieser Brief ist wieder an Septicius Clarus, den Adressaten der Epist. 1,1, gerichtet 345 und thematisiert u. a. eine Reise auf ein Landgut (1: iter commode explicui). Wie schon in den an Tacitus gerichteten Vesuv-Briefen (6,16 und 6,20) 346 sowie dem Delphin-Brief 9,33 an Caninius Rufus 347 gibt Plinius vor, dem Adressaten mit seinen Ausführungen Rohmaterial für eine literarisch kunstvollere Darstel‐ lung liefern zu wollen. Doch wie in den drei genannten Briefen wird auch im Fall von 7,33 eine Ausschmückung durch Tacitus eigentlich obsolet, da Plinius’ eigene Version weit mehr als eine bloße Vorlage für die Historien bietet. 348 Der Epistolograph eröffnet den Brief mit einer Lobeshymne auf Tacitus und dessen Historien, denen er Unsterblichkeit verheißt (1: immortales futuras) 349 und in die 192 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht der Unsterblichkeitsverheißung eine Parallele zu Properzens Lob auf die Aeneis (Prop. 2,34,65‒6): cedite Romani scriptores, cedite Grai; / nescioquid maius nascitur Iliade. 350 Anders als in Epist. 6,16 und 6,20 reagiert Plinius hier nicht auf eine Bitte des Tacitus, sondern handelt sozusagen eigenmächtig, wie Eisner (2014), 55 beobachtet. 351 Epist. 7,33,2: ut facies nostra ab optimo quoque artifice exprimatur. 352 Vgl. Marchesi (2008), 222‒3. 353 Wie ich an anderer Stelle zu zeigen versucht habe, spielt Plinius auf Hor. Epist. 2,1 an, wo Vergil und Varius als Verherrlicher des Augustus mit hervorragenden bildenden Künstlern verglichen werden und der römische princeps Alexander dem Großen insofern überlegen ist, als er sich bei der Wahl seiner Dichter geschickter verhält (vv. 232‒50); vgl. Neger (2015a), 331‒3. 354 Verginius Rufus starb 97 n. Chr. unter Nerva; vgl. Sherwin-White (1966), 142; Epist. 6,10 und 9,19 handeln vom Grabmal des Verginius; s. Kap. II.2.3. 355 Vgl. Tac. Hist. 1,8‒9; 52‒53; 77; 2,49; 51; 68; 71; 3,62; 4,17; 69; Sherwin-White (1966), ad Epist. 2,1; s. S. Kap. II.2.3; Plinius’ Nachruf auf Verginius Rufus erinnert außerdem an die Darstellung des Agricola durch Tacitus; vgl. Syme (1958), 121; Krasser (1993a); Pausch (2004), 99‒113; Whitton (2013a), 65; Eisner (2014), 25. 356 Zu Plinius und Verginius vgl. Gibson/ Morello (2012), 126‒35. 357 Zu den acta publica über wichtige Ereignisse in Rom vgl. Epist. 5,13,8 mit Sherwin-White (1966), 342 ad loc. er gerne aufgenommen werden möchte (illis - ingenue fatebor - inseri cupio). 350 Gleichzeitig nimmt Plinius die Historien des Tacitus in seine Briefsammlung auf und macht sie ihrerseits unsterblich. Die captatio benevolentiae wird weiter‐ geführt durch einen Vergleich zwischen Tacitus’ Qualitäten als Schriftsteller und hervorragenden Künstlern, denen man die Erschaffung eines Porträts anvertraut. 351 Mit den optimi artifices, bei denen man wohl an Künstler wie Lysipp und Apelles denken soll, 352 kann sich Tacitus als scriptor praedicatorque von Plinius’ Ruhmestaten messen. 353 Indem er Tacitus als praedicator preist, schlägt Plinius einen Bogen zurück zu Epist. 2,1, wo uns Tacitus als Lobredner des Verginius Rufus bei dessen Staatsbegräbnis begegnet war (6: laudatus est a consule Cornelio Tacito; nam hic supremus felicitati eius cumulus accessit, laudator eloquentissimus). 354 Verginius Rufus genoss angeblich schon zu Lebzeiten die Verherrlichung durch andere (2: triginta annis gloriae suae supervixit: legit scripta de se carmina, legit historias…) und wurde von Tacitus nicht nur beim Begräbnis gelobt, sondern auch in die Historien aufgenommen. 355 Ähnliches erhofft sich nun auch Plinius etwa zehn Jahre nach dem Tod des Verginius für sich selbst. 356 Obwohl Tacitus die Heldentat des Plinius aus den amtlichen Nachrichten (3: cum sit in publicis actis) 357 kennen dürfte, weist Plinius nochmals nachdrücklich darauf hin (3: demonstro ergo…demonstro tamen), damit Tacitus der Angelegen‐ heit durch seine Darstellung Auszeichnung verleiht (3: si factum meum…tuo ingenio, tuo testimonio ornaveris). Es gibt also Plinius zufolge drei Stufen der schriftlichen Dissemination seiner Tat: Die nichtliterarischen acta publica, die 193 1.5 Plinius und Baebius Massa (Epist. 7,33) 358 Vgl. Beutel (2000), 217. 359 Vgl. Illias-Zarifopol (1994), 102‒3; Beutel (2000), 215. 360 Sein Prokonsulat dürfte spätestens 92/ 93 n. Chr. anzusetzen sein; vgl. Tac. Hist. 4,50 (Baebius Massa e procuratoribus Africae, iam tunc optimo cuique exitiosus et inter causas malorum quae mox tulimus saepius rediturus); Iuv. 1,35‒6; Sherwin-White (1966), 445. 361 Zu den juristischen Hintergründen vgl. Sherwin-White (1966), 445; Lefèvre (2009), 154. 362 Vgl. Sherwin-White (1966), 446: „Pliny’s doubt was just. The exaction of penalties was not the duty of the advocate, but of the magistrates.“ eigene Darstellung im Brief sowie - als literarisch anspruchvollste Form - die Historien des Tacitus, wobei die Erwähnung der acta publica nicht zuletzt der Authentifizierung des Erzählten dienen dürfte. 358 Bevor wir überhaupt etwas Konkretes über die Tat erfahren, auf die Plinius so stolz ist, lesen wir von der mit ihr einhergehenden Gefahr (3: factum meum, cuius gratia periculo crevit). Auf narrativer Ebene handelt es sich dabei um eine Prolepse, durch die die Lektüre der folgenden Erzählung gesteuert und die Spannung gesteigert wird. 359 Die narratio der Ereignisse (4‒9) setzt ein mit dem Ende des Prozesses gegen Baebius Massa und beginnt mit einer Schilderung der Ausgangslage: Plinius und Herennius Senecio waren im Auftrag des Senats als Vertreter der Provinz Baetica zusammen gegen Baebius Massa aufgetreten 360 und hatten dessen Verurteilung bewirkt; ein Senatsbeschluss unterstellte daraufhin Massas Vermögen staatlichen Treuhändern (4). Das folgende Geschehen beschreibt Plinius stark mimetisch durch den Einbau mehrerer direkter Reden. Als Senecio in Erfahrung gebracht hatte, dass die Konsuln Bittstellern Audienz gewährten, sagte er zu Plinius (4): qua concordia… iniunctam nobis accusationem exsecuti sumus, hac adeamus consules petamusque, ne bona dissipari sinant, quorum esse in custodia debent. Senecio selbst ist es hier, der die concordia zwischen ihm selbst und Plinius betont, wenn er diesen auffordert, sein Ansuchen bei den Konsuln zu unterstützen. Über die eigentliche Anklage hinaus will Senecio sich noch dafür einsetzen, dass das unter staatlichen Schutz gestellte Vermögen Massas nicht von den Verantwortlichen missbraucht wird. 361 Plinius reagiert zunächst vorsichtig (5): respondi: ‘cum simus advocati a senatu dati, dispice, num peractas putes partes nostras senatus cognitione finita’. Mit seinem Hinweis auf die bereits erfüllte Pflicht deutet Plinius an, dass es möglicherweise zu Schwierigkeiten kommen könnte, sollte Senecio vor die Konsuln treten. 362 Dieser jedoch beharrt und stellt Plinius frei, an diesem Punkt aufzuhören (5): et ille: ‘tu, quem voles, tibi terminum statues, cui nulla cum provincia necessitudo nisi ex beneficio tuo, et hoc recenti; ipse et natus ibi et quaestor in ea fui’. Das ist für den loyalen Plinius keine Option, und so antwortet er (6): si fixum tibi istud ac deliberatum, sequar te, ut, si qua ex hoc invidia, non tantum tua. Mit dem Stichwort invidia ist schon angedeutet, was auf Senecio und Plinius noch zukommen wird. Da Plinius den Leser schon in Epist. 1,5, 3,11 und 7,19 von der Anklage und Verurteilung Senecios 194 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 363 Manche Gelehrte haben sogar - wohl von der Darstellung bei Plinius animiert ‒ einen Zusammenhang zwischen dem Massa-Prozess und Senecios Verurteilung vermutet; vgl. Beutel (2000), 217‒8 mit Anm. 601. 364 Anstelle von laesa maiestas deutet Sherwin-White (1966), 446‒7 den Begriff impietas als das Gegenteil der von einem Anwalt geforderten fides, d. h. als Pflichtvergessenheit bzw. Pflichtverletzung; vgl. OLD, 846 s.v.; Lefèvre (2009), 154 hingegen interpretiert impietas m. E. zurecht als „Majestätsbeleidigung“, da ja Senecio den vom Senat bestellten Treuhändern unterstellt, sie würden ihre Aufgabe nicht gewissenhaft ausführen bzw. wären bestechlich; in Pan. 33,3‒4 verwendet Plinius den Begriff impietas im Zusam‐ menhang mit dem crimen maiestatis, wenn er von den Gefahren spricht, denen man unter Domitian bei Zirkusspielen ausgesetzt war, falls man die falschen Gladiatoren anfeuerte: nemini impietas ut solebat obiecta, quod odisset gladiatorem…demens ille verique honoris ignarus, qui crimina maiestatis in harena colligebat. 365 Tac. Ann. 13,16: trepidatur a circumsedentibus, diffugiunt imprudentes. 366 Zur praevaricatio s. S. 139-40. 367 Vgl. Illias-Zarifopol (1994), 111: „the stage belongs to him alone“. unter Domitian im selben Jahr informiert hat, erscheint sein eigenes Verhalten in Epist. 7,33 noch mutiger; der Rezipient dieses Briefes verfügt ja nicht zuletzt dank der Anordnung der Briefe bereits über ein Mehrwissen über das, was Senecio nach der Auseinandersetzung mit Baebius Massa noch bevorsteht. 363 Nach diesem von direkten Reden geprägten, mimetischen Abschnitt wird die folgende Handlung wieder stärker gerafft erzählt: Im historischen Präsens berichtet Plinius von der Audienz bei den Konsuln, denen Senecio und er selbst ihr Anliegen vorbringen (7: venimus ad consules; dicit Senecio…aliqua subiungo). Die Reaktion Massas wird sodann in indirekter Rede vermittelt: Senecio habe sich nicht als pflichtbewusster Anwalt, sondern bösartiger Feind erwiesen (7: Senecionem non advocati fidem, sed inimici amaritudinem implesse), den Massa nun seinerseits wegen impietas, d. h. Majestätsbeleidigung, 364 belangen möchte. Diese Forderung bewirkt kollektives Erschrecken: Das elliptische horror omnium (8), mit dem die Angst der Umstehenden geschildert wird, hat theatralen Charakter und erinnert an ähnliche Szenen bei Tacitus - man denke etwa an die Reaktionen auf die Ermordung des Britannicus in den Annalen. 365 Die Atmosphäre des Schreckens durchbricht nun Plinius mit seiner schlagfertigen Antwort (8): vereor…clarissimi consules, ne mihi Massa silentio suo praevaricationem obiecerit, quod non et me reum postulavit. Nachdem Massa Senecio lauthals der impietas beschuldigt hatte, lässt sein Schweigen über Plinius vermuten, dass er diesem ebenfalls Pflichtverletzung (praevaricatio) vorwirft - allerdings im Sinne von Handeln im Interesse der Gegenpartei, d. h. im Interesse Massas. 366 Der couragierte Ausspruch des Plinius - hier wieder in direkter Rede wiedergegeben - ist zweifellos die Klimax der narratio, Plinius ist nun der einzige Sprecher in dieser Szene. 367 195 1.5 Plinius und Baebius Massa (Epist. 7,33) 368 In seiner Schrift über das Selbstlob kritisiert Plutarch, dass eitle Zeitgenossen gerne erzählen, wie sie von anderen, bedeutenden Männern gelobt wurden (Mor. 546d‒e); vgl. Gibson (2003), 242‒3; Neger (2015a), 325‒6; zum periautologia-Diskurs in der Antike vgl. Pernot (1998). 369 Zum Topos historischer Objektivität vgl. Tac. Ann. 1,1; Hist. 1,1; Janson (1964), 67; Luce (1989); Tzounakas (2007), 47‒8. 370 Traub (1955), 226‒7; Marchesi (2008), 221‒3; Lefèvre (2009), 156; Neger (2015a), 326‒9. Mit diesem bon mot bricht die Erzählung der Haupthandlung auch schon ab, denn wir erfahren keine weiteren Details mehr über Massa und Senecio. Stattdessen schildert Plinius, wie viel Lob ihm seine Schlagfertigkeit eingebracht habe (8): quae vox et statim excepta et postea multo sermone celebrata est. Plinius’ Bravourstück war nicht nur Thema vieler Gespräche, sondern auch der spätere Kaiser Nerva drückte seine Anerkennung in einem Brief aus (9): Divus quidem Nerva…missis ad me gravissimis litteris non mihi solum, verum etiam saeculo est gratulatus. Aus diesem Brief zitiert Plinius sogar wörtlich (sic enim scripsit), dass Nerva ihn als exemplum simile antiquis gerühmt habe. 368 Nach den acta publica (3) bringt Plinius somit noch einen zweiten Beleg zur Authentifizierung seiner Heldentat ins Spiel - eine Heldentat, bei der es sich, wie wir gesehen haben, weniger um facta als um dicta memorabilia handelt. Der letzte Abschnitt der Epist. 7,33 kehrt aus der Zeit Domitians wieder in die Gegenwart des Schreibens zurück und greift den Beginn des Briefes und die Anrede an Tacitus auf (10): haec, utcumque se habent, notiora, clariora, maiora tu facies. Dabei fordert Plinius nicht, dass Tacitus etwas dazu erfinden soll (non exigo, ut excedas actae rei modum), da eine historia an die veritas gebunden sei 369 und diese allein für ehrbare Taten ausreiche (honeste factis veritas sufficit). Wie wir gesehen haben, liefert Plinius selbst verschiedene Belege, die diese veritas untermauern sollen: der Verweis auf die acta publica, das Zitat aus Nervas Brief sowie nicht zuletzt die vielen direkten Reden, die den Leser gleichsam zum Zeugen des Geschehens werden lassen. Man hat bereits mehrfach beobachtet, dass Plinius am Ende der Epist. 7,33 auf Ciceros Brief an Lucceius (Fam. 5,12) anspielt. 370 Nachdem Cicero den Historiker darum gebeten hat, seine Taten in einer eigenen Monographie zu würdigen, versucht er ihn auch dazu zu bringen, es mit der historischen Wahrheit nicht allzu genau zu nehmen (3: ut et ornes ea vehementius etiam, quam fortasse sentis, et in eo leges historiae neglegas…plusculum etiam, quam concedet veritas). Plinius scheint Cicero mehr oder weniger zu korrigieren, und auf den ersten Blick mutet Ciceros Bitte um Beschönigung anmaßender an als die Forderung des Plinius, Tacitus möge bei der Wahrheit bleiben; auf den zweiten Blick jedoch zeigt sich Plinius als der Selbstbewusstere, dessen Tat angeblich keiner weiteren Ausschmückung 196 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 371 Vgl. Gauly (2008), 199. 372 Whitton (2013b), 56 bezeichnet diesen Brief als „political closure“ der Briefsammlung. 373 Zur Datierung siehe Whitton (2015c); es handelt sich um den jüngeren Helvidius Priscus, Sohn des älteren Helvidius, der unter Vespasian hingerichtet wurde. Über den Prozess gegen den jüngeren Helvidius ist wenig Konkretes bekannt; vgl. Tac. Agr. 45: mox nostrae duxere Helvidium in carcerem manus; Suet. Dom. 10; Sherwin-White (1966), 491. 374 Vgl. 1,5; 3,11; 4,21; 7,19; 7,33. 375 Lefèvre (2009), 66 Anm. 77 vermutet, dass die publizierte Rede mindestens 2 Bücher umfasste. 376 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 482‒3. 377 S. S. 33-5 zur Länge von Briefen. 378 In Epist. 9,2 wird Cicero erstmal explizit als Vorbild auf dem Gebiet der Epistolographie benannt, während er zuvor als Redner, Dichter, Patron und Staatsmann auftaucht; vgl. mehr bedarf. Zudem stellt sich überhaupt die Frage, ob eine Darstellung in Tacitus’ Historien jemals ernsthaft avisiert wurde - durch die Publikation dieser narrativ ausgefeilten Epistel in seiner Sammlung hat Plinius bereits selbst für die Verbreitung seines Ruhmes gesorgt. 371 1.6 De Helvidi ultione (Epist. 9,13) Die Darstellung der Umstände, unter denen Plinius kurze Zeit nach Domitians Tod seine Rede De Helvidi ultione gehalten hat, ist die letzte Erzählung von einem Prozess bzw. einer Verhandlung im Senat innerhalb des Korpus der Bücher 1‒9. 372 Helvidius Priscus war zusammen mit Herennius Senecio und Arulenus Rusticus im Jahr 93/ 94 n. Chr. unter Domitian verurteilt und hingerichtet worden, 373 der Brief bildet somit den Abschluss und Höhepunkt des Zyklus, in dem Plinius sich als Freund der stoischen Opposition präsentiert. 374 Im letzten Buch, das im Vergleich zu den vorhergehenden acht libri eher kurze Briefe enthält, sticht Epist. 9,13 deutlich durch ihren Umfang hervor, der Plinius zufolge beinahe der Länge der Rede 375 selbst entspricht (26: modum epistulae…libris, quos legisti, non minorem). Zudem wird über das Thema Länge in diesem Buch mehrmals reflektiert: In Epist. 9,2 etwa rechtfertigt sich Plinius seinem Adressaten Sabinus 376 gegenüber, warum er seiner Bitte, sehr lange Briefe zu schreiben (1: non solum plurimas epistulas meas, verum etiam longissimas flagitas), 377 nicht nachkommen könne (1‒2): praeterea nec materia plura scribendi dabatur. neque enim eadem nostra condicio quae M. Tulli, ad cuius exemplum nos vocas. Für längere Briefe existiere, so Plinius, kein geeigneter Stoff mehr, anders als es zu Ciceros Zeiten der Fall gewesen sei. 378 Dieser habe nicht nur 197 1.6 De Helvidi ultione (Epist. 9,13) Gibson/ Morello (2012), 96‒8; Keeline (2018b), 308‒10 weist auf Bezüge zu Cic. Att. 1,12,4 und Sen. Epist. 118,1‒2 hin. 379 Über ihn ist ansonsten nichts bekannt; vgl. Sherwin-White (1966), 504. 380 Immerhin folgt mit der Erzählung vom Delphin in Hippo (9,33) dann noch der drittlängste Brief im Buch; s. Kap. II.4.5. 381 Auf beide Briefe folgt zudem jeweils ein Brief an (9,14) bzw. über (9,27) Tacitus; vgl. Whitton (2013b), 58 mit Anm. 98; zu Epist. 9,26 vgl. Whitton (2015b). 382 Sherwin-White (1966), 481‒2 identifiziert ihn mit Novius Maximus, an den auch die thematisch verwandten Briefe 4,20 und 5,5 gerichtet sind. 383 Vgl. außerdem Epist. 9,23,1: Frequenter agenti mihi evenit… eine überdurchschnittliche Begabung besessen (2: copiosissimum ingenium), sondern sein Talent auch an bedeutenden Ereignissen beweisen können (2: qua varietas rerum qua magnitudo largissime suppetebat). Plinius selbst hingegen seien enge Grenzen gesetzt (3: nos quam angustis terminis claudamur…). Vor dem Hintergrund dieser Bemerkungen in Epist. 9,2 müssen dem Rezipienten, sofern er das Buch linear weiterliest, die im langen Brief 9,13 geschilderten Ereignisse umso denkwürdiger, ja geradezu mit der Epoche Ciceros vergleichbar erscheinen. Wieder einmal wird deutlich, wie Plinius die Lektüre seiner Briefe durch ihre Anordnung steuert. Was das Verfassen langer Briefe betrifft, fällt auf, dass es in der zweiten Hälfte von Buch 9 vor allem Plinius’ Briefpartner sind, die ihm umfangreichere Episteln senden: In 9,20 erfahren wir, dass Plinius von Venator 379 einen Brief erhalten hat, in dem dieser auf Plinius’ Schriften einging (1: epistula…longior…cum de libellis meis tota loqueretur), und in 9,32 verkündet Plinius gegenüber Titianus, dass er lange Briefe zwar lesen, aber nicht mehr schreiben wolle (1: quo fit, ut scribere longiores epistulas nolim, velim legere). 380 Es ist vermutlich nicht unbeabsichtigt, dass wir genau zwischen den Briefen 9,20 und 9,32 mit Epist. 9,26 den zweitlängsten Text in Buch 9 vorfinden; auch hier geht es, wie in 9,13, um Beredsamkeit, jedoch aus theoretischer Perspektive, insofern als das Thema rhetorischer sublimitas diskutiert wird. Dieser Text korrespondiert sowohl thematisch als auch durch seine Position mit Epist. 9,13: Diese beiden von Buchanfang und -ende etwa gleich weit entfernten Briefe bilden sozusagen „rhetorische Säulen“ im letzen Buch der Privatkorrespondenz. 381 Das Thema Beredsamkeit findet sich auch an prominenter Stelle zu Beginn von Buch 9: Plinius fordert in 9,1 den Adressaten Maximus 382 dazu auf, seine Rede in Plantam endlich zu veröffentlichen (1): Saepe te monui, ut libros, quos vel pro te vel in Plantam…composuisti, quam maturissime emitteres. Der verbale Anklang an Epist. 1,1,1 frequenter hortatus es, ut epistulas…colligerem publicaremque ist deutlich, 383 Buch 1 und 9 sind über das Thema der Publikation miteinander verklammert. Während es in Epist. 1,1 um die Briefsammlung ging, 198 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 384 Murgia (1985), 198: „Ep. 9.1 starts with an exact reversal of the situation in Ep. 1.1: in 1.1 Pliny has often been urged by the addressee to publish, in 9.1 Pliny has often urged the addressee to publish…virtual mirror-image of the situation at the beginning of Book 1.“ 385 Es könnte sich um Pompeius Planta, der von 98‒100 n. Chr. Präfekt in Ägypten war, handeln; möglicherweise stand er den von Plinius verehrten stoischen Heroen, etwa Arulenus Rusticus, kritisch gegenüber; Guillemin (1962), ad loc.; vgl. Sherwin-White (1966), 482. 386 Bereits in 4,21 erwähnt Plinius diese Rede, jedoch noch ohne Titel: Anlässlich der Trauer über den kürzlichen Tod der beiden Töchter des Helvidius (wohl 105 n. Chr.) betont er auch seine Liebe zu ihrem Vater (3): nam patrem illarum defunctum quoque perseverantissime diligo, ut actione mea librisque testatum est; vgl. Sherwin-White (1966), 297‒8; vielleicht soll der Leser auch bei der in Epist. 1,2 nicht näher identifizierten Rede an De Helvidi ultione denken, zumindest nach Lektüre des gesamten Briefkorpus; vgl. Whitton (2013b), 56. 387 Er ist auch Adressat der Epist. 3,11; vgl. Sherwin-White (1966), 439. wird dem Leser nun suggeriert, dass in Buch 9 die Publikation von Reden eine wichtige Rolle spielt. 384 Über die Umstände dieser oratio in Plantam wissen wir leider kaum etwas, 385 doch ihre Erwähnung am Beginn des neunten Buches dürfte einem programmatischen Zweck dienen und auch für die Lektüre von Epist. 9,13 von Bedeutung sein. Plinius mahnt seinen Adressaten Maximus deshalb zur raschen Herausgabe der Rede, weil Planta kürzlich gestorben ist und niemand den Eindruck bekommen soll, Maximus habe seine Schrift erst nach Plantas Tod begonnen (2: nolo tamen quemquam opinari defuncto demum incohatos, quos incolumi eo peregisti). Maximus dient offenbar als Kontrastfolie für Plinius selbst, denn wie wir sehen werden, geht es auch im Zusammenhang mit Plinius’ eigener Rede De Helvidi ultione um den Tod des Attackierten: In Epist. 9,13 stirbt der Betroffene, Publicius Certus, jedoch erst nachdem (oder gar weil? ) Plinius ihn angeklagt hat. Noch bevor wir in Epist. 9,13 über die Entstehungsumstände der oratio de Helvidi ultione aufgeklärt werden, erfahren wir in Buch 7 schon vom positiven Anklang dieser Rede bei zeitgenössischen Spezialisten - unsere Neugierde ist also geweckt: 386 Epist. 7,30 ist an Julius Genitor gerichtet, den Plinius bereits in Epist. 3,3 in sein „Figurenarsenal“ eingeführt hatte, indem er ihn der Corellia als überaus kompetenten Redelehrer für ihren Sohn empfahl (3,3,6: dicendi facultas aperta et exposita statim cernitur). 387 Wenn nun dieser Genitor Plinius mit einer Größe wie Demosthenes vergleicht, erfolgt das ‒ so sollen wir wohl annehmen ‒ aus berufenem Munde (7,30,4): licet tu mihi bonum animum facias, qui libellos meos de ultione Helvidi orationi Demosthenis κατὰ Μειδίου confers. Wie Plinius hinzufügt, habe er die betreffende Demosthenes-Rede bei der Komposition von De Helvidi ultione tatsächlich in Händen gehabt, jedoch nicht, um mit dem attischen Redner zu wetteifern (5: non ut aemularer ‒ improbum enim ac 199 1.6 De Helvidi ultione (Epist. 9,13) 388 Zu diesem Brief vgl. Illias-Zarifopol (1994), 116‒48; Lefèvre (2009), 66‒76; Whitton (2013b), 56‒60; Beck (2018). 389 Vgl. Epist. 6,29; 7,24; Ummidius Quadratus war 118 n. Chr. zusammen mit Hadrian Konsul; Sherwin-White (1966), 431. 390 Vgl. Sherwin-White (1966), 491; vgl. Epist. 7,24,3: intra quartum et vicesimum annum maritus. 391 Laut Fasti Ostienses und Suet. Dom. 17,3 starb er a.d. xiv Kal. Octob. anno aetatis quadragensimo quinto, imperii quinto decimo, d. h. am 18. September 96 n. Chr.; vgl. Sherwin-White (1966), 491. paene furiosum), sondern um ihn nachzuahmen (sed tamen imitarer). Durch die Wiedergabe eines iudicium alienum sowie den Zusatz, eine aemulatio mit Demosthenes gar nicht anzustreben, ja überhaupt kein vergleichbares Talent zu besitzen (5: diversitas ingeniorum, maximi et minimi) vermeidet Plinius, allzu prahlerisch zu wirken. Dennoch hat sich beim Leser dieser Korrespondenz der Eindruck festgesetzt, dass Plinius’ Zeitgenossen ihn auf eine Stufe mit kanonischen Größen der Beredsamkeit stellten. Auch der Brief 9,13 liefert ein gutes Beispiel dafür, wie Plinius narrative Strategien dazu einsetzt, ein möglichst positives Licht auf sich zu werfen. 388 Abermals begegnen wir einem begeisterten Leser von Plinius’ Rede - diesmal ist es der junge Ummidius Quadratus, den Plinius in Buch 6 als aufstrebenden und hochtalentierten Redner präsentiert hatte, dem er selbst als Mentor und Vorbild gilt (6,11,1‒2: summae spei, summae indolis iuvenes, Fuscum Salinatorem et Ummidium Quadratum…litteris ipsis ornamento futurum…me ut rectorem, ut magistrum intuebantur…me aemulari, meis instare vestigiis videbantur). 389 Wie aus dem Beginn von Epist. 9,13 hervorgeht, hatte dieser junge Mann Plinius’ Schrift De Helvidi ultione gewissenhaft studiert und eindringlich um eine Beschreibung der Hintergründe dieser Rede gebeten, der er aufgrund seines Alters noch nicht persönlich beiwohnen konnte (1): Quanto studiosius intentiusque legisti libros, quos de Helvidi ultione composui, tanto impensius postulas, ut perscribam tibi, quaeque extra libros quaeque circa libros, totum denique ordinem rei, cui per aetatem non interfuisti. Die Zeit, zu der Plinius diesen Brief verfasste, wird von Sherwin-White auf etwa 106‒08 n. Chr. datiert, und der Adressat Quadratus dürfte da etwa Mitte zwanzig gewesen sein. 390 Im Unterschied zur Gegenwart der Briefkommunikation ist das dramatische Datum der erzählten Ereignisse zehn Jahre früher anzusetzen: Die narratio beginnt mit der präzisen Zeitangabe occiso Domitiano (2) und schildert die ersten Tage und Wochen nach der Ermordung des letzten Flaviers (4: primis…diebus redditae libertatis…in dies). 391 Mit seinem Inhalt würde der Brief somit eigentlich in den Kontext von Buch 1 gehören, wo der betreffende 200 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 392 Vgl. Gibson (2015), 196. 393 Vgl. Whitton (2013b), 57: „Pliny…establishes at the very outset the death of Domitian as the definitive temporal marker of the collection…It is from Domitian’s death, more than any other, that Pliny’s collection takes its vital force“; s. S. 127-30. 394 Während Plinius gegen Regulus keine konkreten Maßnahmen ergriffen zu haben scheint - zumindest erfahren wir nach Epist. 1,5 nichts mehr darüber -, geht er im Senat gegen Publicius Certus vor; vgl. Murgia (1985), 199; Whitton (2013b), 58: „The unfulfilled revenge for Arulenus finds an answer in the fulfilled vengeance for Helvidius.“ 395 Während der geschilderten Senatsdebatte war er praefectus aerarii Saturni und An‐ wärter für das Konsulat (9,13,11); vgl. Lefèvre (2009), 67 Anm. 82. 396 Nach römischem Verständnis war das offenbar nichts Anstößiges; Cicero zufolge (Off. 2,47‒8) kann eine Anklagerede gar Ruhm einbringen; vgl. Lefèvre (2009), 68. 397 Sherwin-White (1966), 492: „Possibly Certus had proposed the sententia of condemna‐ tion“; Beutel (2000), 194 Anm. 538 hingegen bezweifelt, dass Certus bei der Anklage gegen Helvidius eine so bedeutende Rolle gespielt hatte, wie Plinius uns suggeriert; Fall allerdings unerwähnt bleibt - die Erzählung wurde offenbar bewußt für Buch 9 aufgespart. 392 Der Hinweis auf Domitians Tod stellt einen Bezug zu Epist. 1,5 her (1: post Domitiani mortem), wo Plinius von seiner ira gegenüber Regulus erzählt hatte 393 ‒ man kann die beiden Briefe somit als companion pieces lesen, die von Plinius’ „Abrechnung“ mit Domitians Günstlingen handeln, sodass das Motiv des gerechten Zorns die Briefsammlung sozusagen umrahmt. 394 Der narrative Teil des Briefes 9,13 lässt sich in folgende Abschnitte gliedern: Zunächst schildert Plinius seine Beweggründe und Vorbereitungen für die Attacke gegen Publicius Certus (2‒5), der allerdings erst in der Mitte des Briefes namentlich erwähnt wird (13), 395 während im deutlich längeren Teil (6‒23) die betreffende Senatssitzung im Zentrum der Ausführungen steht; am Schluss (24‒25) erfahren wir von der späteren Publikation der Rede sowie vom Tod des Certus, bevor Plinius wieder in die Gegenwart der Briefkommunikation zurückkehrt (26). Zu Beginn der narratio ist Plinius bemüht, sein Verhalten während der ersten Tage der wiedergewonnenen Freiheit möglichst heroisch darzustellen: insec‐ tandi nocentes, miseros vindicandi, se proferendi (2) ‒ durch Antithesen, Chiasmus und Homoioteleuta werden Plinius’ Beweggründe, sich hervorzutun, 396 unter‐ malt. Düstere Begriffe prägen zudem diesen Abschnitt über Domitian und seine Sympathisanten (2: occiso…nocentes, miseros…multa scelera multorum…nullum atrocius), durch Polyptoton, Parallelismus, Chiasmus und Klimax werden die Untaten der Zeitgenossen unterstrichen: quod in senatu senator senatori, prae‐ torius consulari, reo iudex manus intulisset. Die Schilderung der Zustände unter Domitian erinnert an Anfang und Schluss des taciteischen Agricola (2; 45), doch wir erfahren an keiner Stelle etwas Konkretes darüber, was Publicius Certus vorgeworfen wurde 397 und wie sich Plinius selbst zur Zeit der Verurteilung 201 1.6 De Helvidi ultione (Epist. 9,13) Plinius und Certus hatten im Jahr 97 überdies einen ähnlichen Rang inne, beide waren zuvor praetor gewesen und Certus war gerade consul designatus. 398 Vgl. Sherwin-White (1966), 491‒2; Lefèvre (2009), 67. 399 Eine kleine narrative Analepse, vgl. Illias-Zarifopol (1994), 126. 400 Zum Schlagwort metus temporum vgl. Epist. 5,1,7; 7,19,6; Tac. Hist. 1,49,3; 2,72,1; Lefèvre (2009), 68. 401 Carlon (2009), 60 zufolge will Plinius hiermit eine in Wahrheit eher oberflächliche Freundschaft erklären: „…feels more like an explanation for Pliny’s superficial friend‐ ship than a true characterization of Helvidius (II).“ 402 Vgl. Illias-Zarifopol (1994), 127: „The reader…is led to believe by implication rather than direct statement that Pliny showed courage and loyalty to keep such an association in spite of the ‘reign of terror.’“ 403 Arria war die Frau des Nero-Kritikers Thrasea Paetus; Fannia, ihre Tochter, war mit dem älteren Helvidius verheiratet; vgl. 3,11,3; 7,19; in 3,16 erzählt Fannia zudem von ihrer heroischen Großmutter, der älteren Arria; vgl. Sherwin-White (1966), 492. 404 Vgl. 9,13,3: sed non ita me iura privata ut publicum fas et indignitas facti et exempli ratio incitabat. des Helvidius im Jahr 93/ 94 n. Chr. verhielt. 398 Stattdessen geht Plinius auf seine Freundschaft mit Helvidius und dessen Familie ein (3: fuerat alioqui mihi cum Helvidio amicitia); 399 diese Freundschaft sei allerdings durch den metus tem‐ porum  400 und Helvidius’ Zurückgezogenheit (secessus) beeinträchtigt worden. 401 Indem Plinius hier die Atmosphäre der Angst unter Domitian in Erinnerung ruft, lässt er seine Loyalität gegenüber Helvidius besonders lobenswert erscheinen. 402 Auch mit Fannia und Arria, der Stiefmutter und Stiefgroßmutter des Helvidius, sei Plinius befreundet gewesen - die beiden Frauen waren in der Briefsammlung bereits mehrmals als stoische Heroinen dargestellt worden. 403 Nachdem Plinius seine Verbundenheit zu Domitians Opfern hervorgehoben hat, kontrastiert er sein eigenes Vorgehen mit der nach Domitians Tod herr‐ schenden Stimmung in Rom: Während es in den ersten Tagen (4: primis quidem diebus) zu zahlreichen, auf persönlichem Haß beruhenden Anklagen gegen unbedeutendere Personen kam, wollte Plinius selbst besonnener vorgehen (4): Ego et modestius et constantius arbitratus immanissimum reum non communi temporum invidia, sed proprio crimine urgere. Nicht der allgemeine Hass, sondern ein konkreter Vorwurf (proprium crimen) gab für Plinius den Ausschlag für sein Handeln; 404 allerdings wird auf diesen Vorwurf an keiner Stelle im Brief näher eingegangen - der allgemeine Leser kann nun schließen, dass der Adressat in der Rede selbst bereits ausführlich genug darüber informiert wurde; denkbar wäre jedoch auch, dass das Verbrechen des Certus vielleicht weniger schwer wog, als Plinius es darstellen wollte. Dem Rezipienten jedenfalls wird in diesem Abschnitt das Bild von einem Plinius vermittelt, der nicht nur trotz der Gefahren unter Domitian loyal zu dessen Opfern hielt, sondern auch während der turbu‐ 202 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 405 Dieses kollektive Gefühl des Hasses (impetus) personifiziert Plinius als Tier, das sich „austobt“ bzw. „ausbrüllt“ und allmählich beruhigt (defremuisset). Es fällt auf, dass in Buch 1, das ja zeitlich nicht weit von Domitians Tod entfernt ist, von diesen Wirrnissen keine Rede ist und ein eher positives Bild der Regierung Nervas gezeichnet wird; vgl. Gibson (2015), 198. 406 Es handelt sich Sherwin-White (1966), 493 zufolge um Plinius’ zweite Ehefrau, die ansonsten nirgends in der Briefsammlung auftaucht und die Tochter von Pompeia Celerina, der Adressatin von Epist. 1,4, sein dürfte; Birley (2000), 2 hingegen hält sie für die erste Ehefrau. 407 Anteia scheint nach dem Tod des Helvidius wieder geheiratet zu haben, wie aus 9,13,16 hervorgeht; zu ihrer Person vgl. Shelton (2013), 74‒9. 408 Es wäre eigentlich zu erwarten gewesen, dass Plinius Anteia in ihrem Haus aufsucht, doch die frische Trauer um seine verstorbene Gattin rechtfertigt diese Ausnahme (9,13,4); vgl. Shelton (2013), 77. lenten Zeit nach dem Tod des verhassten Kaisers 405 objektiv und prinzipientreu zu bleiben vermochte - man fühlt sich an Tacitus’ Motto sine ira et studio zu Beginn der Annalen (1,1,3) erinnert. Nach diesem Blick auf die öffentliche und politische Lage kommt als nächstes die private Situation des Epistolographen zur Sprache: Ein weiterer Punkt, der Plinius’ Handeln besonders selbstlos erscheinen lässt, ist die Trauer um seine kurz zuvor verstorbene Ehefrau (4: tum maxime tristis amissa nuper uxore); 406 nicht einmal dieser Rückschlag konnte Plinius daran hindern, die nötigen Schritte zur Attacke gegen Certus einzuleiten. Vom ersten konkreten Handlungsschritt, den Plinius setzte, erfahren wir am Ende der langen Satzpe‐ riode, in der vom Abklingen des kollektiven Hasses und vom Verlust der Gattin berichtet wird (4: ego…arbitratus…urgere, cum…defremuisset et … redisset, quam‐ quam…amissa nuper uxore): Vom Präteritum wechselt Plinius ins historischen Präsens, wenn er vom Treffen mit Anteia, der Frau des Helvidius, 407 bei sich zuhause erzählt (mitto ad Anteiam…rogo, ut veniat). 408 Von dieser Besprechung gibt Plinius nur seine eigenen Worte in direkter Rede wieder, was der Szene einen dramatischeren Charakter verleiht (5): ut venit, ‘destinatum est’ inquam ‘mihi maritum tuum non inultum pati. nuntia Arriae et Fanniae’ - ab exsilio redierant -, ‘consule te, consule illas, an velitis ascribi facto, in quo ego comite non egeo; sed non ita gloriae meae faverim, ut vobis societate eius invideam.’ Plinius ist also fest entschlossen, Helvidius zu rächen, und beauftragt Anteia, auch Arria und Fannia darüber zu informieren und mit ihnen zusammen zu überlegen, ob sie Plinius gemeinsam unterstützen wollen; seine Aussage, er wolle den Frauen ihren Anteil am Ruhm nicht missgönnen (ut vobis societate eius invideam) steht in Kontrast zur communis temporum invidia, die vorhin 203 1.6 De Helvidi ultione (Epist. 9,13) 409 Anders als Plinius waren Arria und Fannia durch die Ereignisse des Jahres 93/ 94 selbst betroffen, indem sie verbannt wurden; eine direkte Beteiligung der Frauen an der Anklage war rechtlich allerdings nicht möglich; vgl. Beutel (2000), 189; Carlon (2009), 62; Sherwin-White (1966), 493 verweist auf die ähnliche Funktion des Mauricus in Epist. 1,5,15‒16. 410 Wie Shelton (2013), 77 darlegt, impliziert Plinius, dass die Frauen von seinem Vorhaben bisher nichts wussten, was jedoch unwahrscheinlich ist; der Epistolograph blendet ihre Beteiligung wohl größtenteils aus, um seine eigene Rolle stärker hervorzukehren. 411 Vgl. Epist. 1,22; 4,17,6; 5,1,5. 412 Ein Rückbezug zu Epist. 4,17,8‒9 ist hergestellt: Dort wird von einem Gastmahl bei Nerva berichtet, bei dem Corellius selbst zugibt, dass er Plinius nicht zu sehr loben dürfe, weil dieser stets seinen Rat befolge; die Episode spielt also in derselben Zeit wie die Handlung der Epist. 9,13. 413 Dieser dürfte nicht lange nach der Attacke gegen Publicius Certus erfolgt sein - vgl. Sherwin-White (1966), 111‒2. erwähnt wurde. 409 Anteia selbst bleibt in dieser Unterredung eine muta persona, und im Gegensatz zur Wiedergabe von Plinius’ eigenen Worten wird ihre Reaktion sowie diejenige Arrias und Fannias stark gerafft erzählt (5): perfert Anteia mandata, nec illae morantur. 410 Der Hauptteil der narratio beginnt mit der elliptischen Formulierung oppor‐ tune senatus intra diem tertium (6). Es erfolgt somit ein Szenenwechsel von Plinius’ Haus (4: limine) in den Senat, der drei Tage nach der Besprechung mit Anteia zusammentrat. Doch bevor der Epistolograph seinen Auftritt vor den Senatoren schildert, geht er näher auf sein Verhältnis zu Corellius Rufus ein (6: providentissimum aetatis nostrae sapientissimumque) 411 und legt die Gründe dar, warum er ausgerechnet in diesem Fall auf den Rat seines Mentors verzichtete: 412 aus Angst, Corellius könne abraten (6: veritus, ne vetaret), da er angeblich zögerlicher und vorsichtiger war als Plinius (6: cunctantior cautiorque), und weil Plinius seinen Rat hätte befolgen müssen (6: non esse consulendos, quibus consultis obsequi debeas). Es stellt sich nun die Frage, warum Plinius diese Infor‐ mationen überhaupt einbaut, da Corellius ja gar nicht aktiv an der Handlung beteiligt ist - wir erfahren hier sozusagen von einer Nicht-Handlung. Der Leser kennt Corellius Rufus bereits aus Epist. 1,12, wo Plinius von seinem Freitod berichtet 413 und ihn als überzeugten Gegner Domitians charakterisiert hat: Warum er seine starken Schmerzen so lange erduldet habe, erklärt Corellius in diesem Brief folgendermaßen (1,12,8): ut scilicet isti latroni vel uno die supersim; Corellius möchte den verhassten Domitian wenigstens um einen Tag überleben. Wenn nun ausgerechnet dieser Mann Bedenken gehabt hätte in Hinblick auf ein Vorgehen gegen einen Domitian-Sympathisanten wie Publicius Certus, dann muss das tatsächlich ein gefährliches Unternehmen gewesen sein - das soll 204 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 414 Vgl. Illias-Zarifopol (1994), 132: „Pliny’s main reason for mentioning Corellius…here is to impress upon the reader the realization of just how daring his decision was and how courageous his behaviour since this one time…“. 415 Der Satz ist dennoch stilistisch kunstvoll gebaut und enthält ein tricolon crescens (venio…peto…dico), einen Chiasmus (venio…peto) sowie eine Antithese zwischen den wenigen Worten (dico paulisper), die Plinius spricht, und dem großen Beifall (maximo adsensu), den er erhält. 416 Die dreifache Anapher alius…alius…alius sowie die Assonanz von salvi simus und supersumus macht die Darstellung besonders lebhaft. 417 Lefèvre (2009), 70 vergleicht die hier artikulierte Angst derjenigen, die Domitians Regime überlebt haben, mit den Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. 418 Vgl. den horror omnium in Epist. 7,33,8; s. S. 195. der Leser zumindest annehmen. 414 Durch die Erwähnung des Corellius in Epist. 9,13 wird die Handlung außerdem retardiert und zugleich die Spannung auf das Folgende gesteigert. Nach der Fokalisierung auf Plinius’ Überlegungen zur Haltung des Corellius nimmt die Erzählgeschwindigkeit wieder zu und das Tempus wechselt vorüber‐ gehend vom Präteritum ins historische Präsens (7): venio in senatum, ius dicendi peto, dico paulisper maximo adsensu. Mit dieser knappen Information 415 ist der Hauptteil der Erzählung eröffnet. Die Beifall der Senatoren geht allerdings in Zwischenrufe über, sobald Plinius das Verbrechen anspricht (7: ubi coepi crimen attingere) und auf den Schuldigen noch ohne Nennung des Namens anspielt (7: reum destinare adhuc tamen sine nomine): Der historische Infinitiv undique reclamari (7) veranschaulicht diese Szene, welche durch die Wiedergabe der Zwischenrufe in direkter Rede noch an Dramatik gewinnt (7: alius: ‘sci‐ amus, quis sit, de quo extra ordinem referas’; alius: ‘quis est ante relationem reus? ’; alius: ‘salvi simus, qui supersumus’). 416 Im Kontrast zur Atmosphäre der Angst unter den Senatoren 417 steht Plinius’ eigenes Verhalten (8): audio imperturbatus interritus. 418 Diese kurze asyndetische Formulierung entspricht dem vorhergehenden venio…peto…dico und untermalt Plinius’ Entschlossenheit, sein Vorhaben durchzuführen. Für seine damalige Selbstsicherheit, so Plinius, sei die honestas der Tat ausschlaggebend gewesen: Es mache einen Unterschied, ob die Leute eine Sache nur nicht geschehen lassen wollen (8: nolint) oder aber missbilligen (8: non probent). Von seiner Funktion als handelnde Figur wechselt Plinius wieder in die des Erzählers, wenn er seine Ausführungen abbricht mit den Worten longum est omnia, quae tunc hinc inde iacta sunt, recensere (8). Die Aposiopese überlässt es dem Leser, sich das übrige Hin- und Her vorzustellen; lediglich seinen Wortwechsel mit dem Konsul gibt Plinius in direkter Rede wieder (9-10): Dieser forderte Plinius auf zu warten, bis er mit dem Sprechen an der Reihe 205 1.6 De Helvidi ultione (Epist. 9,13) 419 Der Konsul hatte Plinius zuvor gestattet, extra ordinem zu sprechen, beruft sich jetzt aber wieder auf die Senatsordnung, um die Angelegenheit später zu behandeln; vgl. Shwerin-White (1966), 494; Talbert (1984), 260; Lefèvre (2009), 70. 420 Vgl. Plin. Pan. 7,2; 88,4; Epist. 2,13,8; 3,13,1; 4,22,1; auf Münzen erscheint das cognomen ab 103 n. Chr.; vgl. Sherwin-White (1966), 178‒9. 421 Vgl. Woodman/ Kraus (2014), 302. 422 Auf diesen intertextuellen Bezug weist Marchesi (2008), 37 Anm. 62 hin; auch Stat. Theb. 8,84‒5 scheint die Vergilstelle aufzugreifen; zur Junktur quid audes vgl. Hor. Epist. 1,3,20, dort allerding in einem anderen Kontext. ist (9: Secunde, sententiae loco dices, si quid volueris), worauf Plinius antwor‐ tete permiseras…quod usque adhuc omnibus permisisti (9). 419 Mit dem knappen Hinweis resido, aguntur alia (10) endet dieser narrative Abschnitt, über die weiteren Verhandlungspunkte in dieser Senatssitzung erfahren wir nichts. Auf erzähltechnischer Ebene dient das Einschreiten des Konsuls, der Plinius das Wort entzieht, abermals als Retardation. Die Spannung und Dramatik wird weiter dadurch gesteigert, dass Plinius im Folgenden zwei Warner-Figuren auftreten lässt, die ihn während der Sitzung diskret aber eindringlich (10: secreto curatoque sermone) mahnen, von seinem Vorhaben abzulassen. Die Perspektive wechselt somit von der Diskussion im Plenum zum Vier-Augen-Gespräch. Auch diesen Wortwechsel gibt Plinius in direkter Rede wieder: Der erste der beiden namentlich nicht genannten konsularischen Freunde gibt zu bedenken notabilem te futuris principibus fecisti (10), woraufhin Plinius schlagfertig antwortet esto…dum malis (11). Nachdem er bereits einen malus princeps wie Domitian überlebt hat, fürchtet sich Plinius auch nicht vor künftigen mali principes. Dieser in der dramatischen Zeit der Erzählung artikulierte Gedanke dürfte eine besondere Pointe enthalten, insofern er in Kontrast steht zur Gegenwart des Briefes, in der Kaiser Trajan vom Senat den Beinamen optimus erhalten hatte. 420 Überdies stilisiert sich Plinius zu einer Figur vom Format eines Agricola, indem er Tacitus’ Formulierung posse etiam sub malis principibus magnos viros esse (Agr. 42,4) evoziert. 421 Der zweite Warner weist Plinius auf den Status der von ihm attackierten Person hin - Ärarpräfekt und baldiger Konsul - sowie deren mächtige Freunde (11). Eine Serie von Fragen im Rahmen eines wachsenden Tetrakolon drückt die Bestürzung des Warners über Plinius’ Handeln aus (11): quid audes? quo ruis? quibus te periculis obicis? quid praesentibus confidis incertus futurorum? Möglicherweise spielen diese Fragen auf die Warnung des Aeneas an Lausus in Verg. Aen. 10,811 an: quo moriture ruis maioraque viribus audes?   422 Denkbar ist dies insofern, als Plinius auch mit einem Aeneis-Zitat antwortet (12): ad haec ego ‘omnia praecepi atque animo mecum ante peregi’. Plinius versetzt sich in die Rolle des Aeneas, der auf die Prophezeiung der Sibylle von Cumae, dass ihm noch schwere Kämpfe in 206 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 423 Marchesi (2008), 37‒8 erkennt in diesem Vergil-Zitat eine Verbindung zur folgenden Epist. 9,14, wo die Worte pergamus modo itinere instituto (2) auf Aen. 6,384 ergo iter inceptum peragunt anspielen; wie Schwerdtner (2015), 174 zutreffend bemerkt, handelt es sich in Epist. 9,13 genaugenommen um ein Doppelzitat, da Plinius in diesem Brief sowohl Vergil (bzw. Aeneas) als auch sich selbst zitiert. 424 Schwerdtner (2015), 178‒9. 425 Während Aeneas von der Sibylle in seinem Tun ermutigt wird (Aen. 6,95‒96), sieht sich Plinius mit Warnern konfrontiert; Schwerdtner (2015), 176‒7. 426 Vgl. Illias-Zarifopol (1994), 138‒9. 427 Es dürfte sich dabei nicht um die tatsächliche Reihenfolge der Sprecher handeln, sondern um eine bewusste Kontrastierung der Unterstützer und Gegner, wie Illias-Za‐ rifopol (1994), 140 beobachtet. Latium bevorstehen, mit eben diesem Vers antwortet (Aen. 6,105). 423 Denselben Aeneis-Vers macht sich auch Seneca in Epist. 76,33 zur Untermauerung seiner Ausführungen über Voraussicht und Gleichmut des stoischen Weisen zunutze. 424 Ähnlich wie der epische oder stoische Held will sich auch Plinius den Gefahren stellen und seinem fatum folgen (12): 425 nec recuso, si ita casus attulerit, luere poenas ob honestissimum factum, dum flagitiosissimum ulciscor. Mit diesen Worten endet der narrative Abschnitt über die heimliche Konversation während der Senatssitzung. Indem Plinius den Großteil dieser Szene in direkter Rede, d. h. im mimetischen Modus wiedergibt, lässt er den Leser zum Zuschauer bzw. Zeugen der Unterredung werden, 426 die durch ihr Pathos sowie das Auf- und Abtreten der beiden Warner (11: vix ille discesserat, rursus alter) einem theatralen Dialog ähnelt. Es folgt der Zeitpunkt der Abstimmung (13: iam censendi tempus) und eine Auflistung der Sprecher für und gegen Certus (13‒17). 427 Obwohl Pinius seine eigentliche Rede noch gar nicht gehalten und dementsprechend auch noch keine konkreten Vorwürfe geäußert, ja den Namen des Angeklagten noch nicht einmal genannt hat, setzen schon mehrere Senatoren zur Verteidigung des Certus an (13): omnes Certum nondum a me nominatum ut nominatum defendunt crimenque quasi in medio relictum defensione suscipiunt. Es dürfte sich um einen bewussten Kunstgriff handeln, wenn Plinius den Namen des Certus, der auch im Brief bisher unerwähnt geblieben und eigentlich noch ein reus incertus ist, ausgerechnet dort zum ersten Mal nennt, wo es eigentlich darum geht, dass er ihn noch nicht preisgegeben hat. Auf die Argumente der Unterstützer des Certus will Plinius in seinem Brief nicht ausführlicher eingehen, da sie angeblich wortwörtlich in der Rede enthalten sind (14): quae praeterea dixerint, non est necesse narrare: in libris habes; sum enim cuncta ipsorum verbis persecutus. Während uns am Anfang der Epistel suggeriert wird, dass der Adressat Quadratus diese Rede zur Hand hatte, bleibt das Wissen 207 1.6 De Helvidi ultione (Epist. 9,13) 428 In Epist. 1,5,11 wird Satrius Rufus von Regulus als jemand charakterisiert, der - anders als Plinius - Cicero nicht nacheifere und mit der Beredsamkeit seiner eigenen Zeit zufrieden sei (Satrius Rufus, cui non est cum Cicerone aemulatio, et qui contentus est eloquentia saeculi nostri); zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 99. 429 Zu dieser Strategie der Lektüresteuerung vgl. auch Illias-Zarifopol (1994), 143‒44. 430 Epist. 1,20; 2,11; 6,2. 431 Vgl. Illias-Zarifopol (1994), 145. des allgemeinen Lesers hier lückenhaft; zumindest für die zeitgenössischen Rezipienten der Plinius-Briefe dürfte diese Passage - ähnlich einem „Teaser“ - als Anregung zur Lektüre der betreffenden oratio dienen. Es fällt auf, dass Plinius, nachdem er zunächst die Gegner des Certus aufgelistet hat (15‒16), trotz der vorangegangenen Aposiopese dann doch einen Befürworter des Angeklagten in direkter Rede sprechen lässt (17): Satrius Rufus, 428 dessen Worte von Plinius als unklar und zweideutig bewertet werden (medio ambiguoque sermone), plädiert zunächst dafür, dass Certus freigesprochen werden soll, da sein Name nun schon von beiden Seiten genannt wurde, und drückt dann seine Zuversicht aus, dass es zu diesem Freispruch auch kommen werde, wenn Certus unschuldig ist, wovon Satrius Rufus auch ausgeht (si innocens est, sicut et spero et malo et, donec aliquid probetur, credo, poteritis absolvere). Dass Plinius auf die Schilderung der Sprecher pro Certo (13‒14) dann die der Gegner (15‒16) folgen lässt, um dann wieder das Plädoyer eines weiteren Unterstützers wiederzugeben (17), ist erzähltechnisch insofern motiviert, als im Anschluss der Bericht über Plinius’ eigene Rede contra Certum folgt, deren Erfolg vor dem Hintergrund der von Satrius Rufus geäußerten Zuversicht natürlich umso beeindruckender wirkt. 429 Über die tatsächliche Dauer der von Plinius gehaltenen Rede wissen wir kaum etwas; seine Reflexionen über die stärkere Überzeugungskraft von langen Reden an anderer Stelle 430 sowie der Umfang des Panegyricus und der Hinweis, dass Plinius in seiner oratio de Helvidi ultione auf jedes einzelne Argument seiner Gegner antwortete (9,13,18), lassen vermuten, dass es sich auch hier um eine längere Rede handelte. Während die erzählte Zeit dieser actio also mehrere Stunden umfasst haben dürfte, ist es umso bemerkenswerter, dass die Erzählzeit im Brief relativ knapp ausfällt (18‒19): Haec illi, quo quisque ordine citabantur. venitur ad me. consurgo, utor initio, quod in libro est, respondeo singulis. mirum, qua intentione, quibus clamoribus omnia exceperint, qui modo reclamabant: tanta conversio vel negotii dignitatem vel proventum orationis vel actoris constantiam subsecuta est. finio. Historisches Präsens und asyndetische Aufzählung von Verben und Substan‐ tiven erhöhen das Erzähltempo. 431 Da uns der Adressat Quadratus ja schon 208 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 432 Dem. Or. 18,169‒188; die Passage wurde von antiken Rhetoren als Musterbeispiel für diatyposis bzw. evidentia/ enargeia angeführt; vgl. Wankel (1976), 846‒8; Slater (1988); Serafim (2015). 433 Wankel (1976), 868 führt als vergleichbare Passagen Dem. Or. 6,20‒25 sowie Aischin. Or. 2,103‒105 und Or. 3,119‒121 an und bemerkt: „Der hier wiedergegebene Auszug ist als Staatsrede glänzend stilisiert; daß er kein wörtliches Zitat im modernen Sinn ist, bedarf keiner Erörterung…Die Passage wird als zusammenhängendes Stück geboten, doch ist die Argumentation…viel zu knapp, als daß sie in dieser Form vorgebracht worden wäre.“ 434 Es ist auffällig, dass der Name des Konsuls, der die Senatssitzung leitet, in diesem Brief hartnäckig verschwiegen wird; vgl. Illias-Zarifopol (1994), 145. Es wäre verlockend, bei diesem consul tacitus an Tacitus zu denken, den Adressaten der folgenden Epistel 9,14. Dass sein Konsulat ins Jahr 97 n. Chr. fiel, legt Epist. 2,1 über das Staatsbegräbnis für Verginius Rufus nahe (6: laudatus est a consule, Cornelio Tacito), allerdings dürfte Tacitus das Amt erst nach Oktober 97 angetreten haben, wie Whitton (2013a), 74‒5 darlegt. Sherwin White (1966), 492 jedoch setzt die Senatssitzung vor dem Konsulat des in 9,13,13 erwähnten consul designatus Domitius Apollinaris (der das Amt vermutlich als Kenner der Rede präsentiert wurde, muss der Logik der epistolaren Kom‐ munikation entsprechend über ihren Inhalt nicht mehr viel gesagt werden. Stattdessen werden nach einer kurzen Bemerkung über Anfang (utor initio), Argumentation (respondeo singulis) und Schluss (finio) die Reaktionen der Zuhörer geschildert: gespannte Aufmerksamkeit, Beifall und ein plötzlicher Gesinnungswandel derer, die eben noch die Gegenposition vertraten. Der hier geschilderte Auftritt des Plinius im Senat erinnert ein wenig an die Erzählung des Demosthenes in seiner Kranzrede über seine „Epiphanie“ nach der Nachricht über die Besetzung Elateias durch Philipp: 432 Während in Athen allgemeine Be‐ stürzung herrschte, erhob sich einzig Demosthenes und schritt zur Rednerbühne (Or. 18,173: ἐφάνην τοίνυν οὗτος ἐν ἐκείνῃ τῇ ἡμέρᾳ ἐγὼ καὶ παρελθὼν εἶπον εἰς ὑμᾶς); während Plinius für den Inhalt seiner Rede auf das publizierte Buch verweist, gibt Demosthenes in seiner Kranzrede den Wortlaut seiner früheren oratio wieder (Or. 18,174‒178) 433 und berichtet nach dem direkten Zitat seiner eigenen Worte ebenfalls von der breiten Zustimmung durch seine Zuhörer (Or. 18,179: συνεπαινεσάντων δὲ πάντων καὶ οὐδενὸς εἰπόντος ἐναντίον οὐδέν). Viel ausführlicher als sein griechischer Voränger beschreibt Plinius den persuasiven Effekt seiner Rede, die einen völligen Sinneswandel beim Auditorium bewirkte (tanta conversio); als Schlagwörter, mit denen Plinius sich und sein Vorgehen charakterisiert, werden dignitas, proventus und constantia aufgelistet. In starkem Kontrast zu diesem durchschlagenden Erfolg steht der Versuch des Veiento, eine Gegenrede zu halten (19: incipit respondere Veiento), was von den anwesenden Senatoren jedoch sabotiert wird (19: nemo patitur; obturbatur, obstrepitur…tunc quoque reclamatur), sodass Veiento nach der inzwischen vollzogenen Abstim‐ mung 434 mehr oder weniger alleine dasteht (20: consul…mittit senatum ac paene 209 1.6 De Helvidi ultione (Epist. 9,13) zwischen Mai und August 97 antrat) sowie der Adoption Trajans im September 97 an. Von Plinius erfahren wir jedenfalls nicht mehr, als dass die Senatssitzung occiso Domitiano (9,13,3) stattfand, nachdem einige Zeit verstrichen war und die Gemüter sich beruhigt hatten (9,13,4) 435 Vgl. Tac. Ann. 14,50; Iuv. 4,113; 123‒9; zur Person des A. Didius Gallus Fabricius Veiento vgl. Sherwin-White (1966), 300. 436 Auch hier liegt wieder ein Doppelzitat vor, vgl. Schwerdtner (2015), 180‒1. 437 Vgl. Schwerdtner (2015), 181‒2; Rache und Zorn sind zudem Triebfedern der Handlung im Epos: vgl. Hom. Il. 1,1: Μῆνιν; Verg. Aen. 1,11: tantaene…irae. adhuc stantem temptantemque dicere Veientonem reliquit). Der lineare Leser kennt Veiento bereits aus Epist. 4,22, wo er als zwielichtige Gestalt eingeführt wurde, deren Karriere unter den Flaviern bzw. Domitian der Epistolograph vielsagend verschweigt (4: dixi omnia, cum hominem nominavi). 435 Ebendieser Veiento muss nun im Senat eine herbe Schmach über sich ergehen lassen (20: contumelia), über die er sich mit einem Homer-Vers beklagt (20): ὦ γέρον, ἦ μάλα δή σε νέοι τείρουσι μαχηταί. Nach Plinius zitiert nun auch sein Gegenspieler einen Dichter, diesmal handelt es sich um einen Vers aus Buch 8 der Ilias, wo Diomedes zu Nestor spricht, als dieser gerade von Hektor bedroht wird (Il. 8,102). 436 Als Greis, der von νέοι μαχηταί wie Plinius bedrängt wird, bezeichnet sich Veiento nun selbst, und sein Zitat signalisiert, dass er als Nestor aus der Zeit Domitians zu einer Art „Auslaufmodell“ geworden ist. Die beiden direkten Zitate aus der Aeneis (12) und Ilias (20) bilden insofern deutliche Einschnitte in der Narration des Briefes, als sie den Beginn und positiven Ausgang der Rache für Helvidius markieren und dem Unternehmen eine epische Rahmung verleihen. 437 Der negativen Reaktion der Senatoren auf die Rede des Veiento, die zuvor durch das Trikolon nemo patitur; obturbatur, obstrepitur (19) beschrieben wurde, steht die Begeisterung der Anwesenden für Plinius gegenüber, die ebenfalls in einem Trikolon zum Ausdruck kommt (21): Non fere quisquam in senatu fuit, qui non me complecteretur, exoscularetur, certatimque laude cumularet. Von den Glückwünschen und Komplimenten der Senatoren berichtet Plinius in oratio ob‐ liqua im Rahmen einer dreifachen quod-Anapher (21: quod…reduxissem…quod… liberassem…quod…parceret): Trotz persönlicher Anfeindungen habe Plinius die alte Sitte, sich für das Gemeinwohl einzusetzen, wieder eingeführt und den Senat von dem Vorwurf durch die anderen Stände befreit, dass er zwar gegenüber anderen Strenge walten lasse, die eigenen Standesgenossen jedoch schone. Was auf diese Schilderung folgt, mag dem Leser als aprosdóketon erscheinen: Erst nachdem die lange narratio über die Senatssitzung mehr oder weniger abgeschlossen ist, erfahren wir, dass die von Plinius attackierte Person gar nicht an der Sitzung teilnahm: haec acta sunt absente Certo (22). Innerhalb einer 210 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 438 Vgl. Illias-Zarifopol (1994), 145‒6. 439 Vgl. Sherwin-White (1966), 76 und 498: „It is not easy to gather just what Pliny had proposed, or why the emperor was involved…Pliny…presumably proposes the indictment of Certus“. 440 Sherwin-White (1966), 76 schlussfolgert, dass Nerva das für ehemalige Inhaber der prafectura aerarii Saturni vorgesehene Konsulat nicht an Certus vergab, während sich etwa zur selben Zeit sowohl Plinius als auch Bittius Proculus, Tertullus und Catilius Severus dieses Amt sichern konnten; dies verschweigt Plinius in Epist. 9,13 jedoch wohl u. a. deshalb, um den Eindruck zu vermeiden, er habe vom Schaden eines anderen profitiert. 441 Zu dieser Tradition vgl. Hor. Epod. 6; Mart. 7,12; AP 7,71 (Gaetulicus); Degani (1973); Rosen (2007). Analepse liefert uns Plinius die Information nach, 438 dass Certus dem Senat ferngeblieben war, weil er entweder ahnte, was auf ihn zukam, oder tatsächlich krank war, wie er offiziell behauptete (22). Nach diesem kurzen Einschub fährt Plinius wieder chronologisch fort und berichtet, dass Nerva den Fall zwar nicht mehr an den Senat zurück verwiesen habe (22: relationem quidem de eo Caesar ad senatum non remisit) - vermutlich hatte Plinius in seiner Rede dafür plädiert, Certus offiziell anzuklagen 439 -, doch immerhin konnte Plinius erreichen, dass der als Konsul vorgesehene Certus das Amt dann doch nicht antreten durfte (23): nam collega Certi consulatum, successorem Certus accepit. 440 Dieses Ergebnis kommentiert Plinius schließlich mit einem Selbstzitat aus der conclusio seiner Rede (23): planeque factum est, quod dixeram in fine: ‘reddat praemium sub optimo principe, quod a pessimo accepit’. Durch die chiastische Antithese von reddere und accipere bzw. optimus (Nerva) und pessimus princeps (Domitian) lässt Plinius sowohl die oratio als auch - beinahe - seinen Brief enden, der jedoch noch einen Epilog enthält, mit dem ein weiterer Rückbezug zu Buch 1 hergestellt ist: Wir erfahren, dass Plinius seine Rede später (24: postea) - wie viel später, konkretisiert er nicht - niederschrieb, überarbeitete und publizierte, woraufhin Certus nach wenigen Tagen - durch Zufall oder auch nicht (24: fortuitum, sed non tamquam fortuitum) - an einer Krankheit verstarb (24: editis libris Certus intra paucissimos dies implicitus morbo decessit). Der temporale ablativus absolutus (editis libris) ließe sich auch kausal auflösen, sodass von der Rede des Plinius eine ähnlich tödliche Wirkung ausginge wie etwa von den Jamben des Archilochos, denen angeblich Lykambes und seine Töchter zum Opfer fielen. 441 Außerdem wurde erzählt (25: audivi referentes), dass Certus vor seinem Tod einen Traum bzw. eine Vision von Plinius gehabt habe, der ihn mit einem Schwert bedrohte (25: hanc imaginem menti eius, hanc oculis oberasse, tamquam videret me sibi cum ferro imminere). Plinius als Rächer entspricht einem 211 1.6 De Helvidi ultione (Epist. 9,13) 442 Vgl. Hom. Il. 18,91‒3: αἴ κε μὴ Ἕκτωρ / πρῶτος ἐμῷ ὑπὸ δουρὶ τυπεὶς ἀπὸ θυμὸν ὀλέσσῃ, / Πατρόκλοιο δ᾽ ἕλωρα Μενοιτιάδεω ἀποτεíσῃ; auch an die Rache des Aeneas für Pallas ist zu denken, die sich zudem ähnlich wie bei Plinius im letzten Buch des Werks abspielt. 443 Zu den Träumen in Plinius’ Briefen vgl. Baraz (2012); Neger (2018b); s. S. 132-4; Träume sind auch ein wichtiger Bestandteil der Epik; vgl. Pollmann (1993); Walde (2001). 444 Vgl. Illias-Zarifopol (1994), 146: „There probably could not have been a more dramatic and appropriate symbolic image that could better represent how Pliny saw himself: … Pliny the ultor.“ 445 Zu diesem Brief s. Kap. II.4.3. 446 Anders als hier bekräftig Plinius in Epist. 6,16 an Tacitus, dass er den Tod des Onkels beim Vesuv-Asubruch wahrheitsgetreu beschrieben habe (22: omnia me, quibus interfueram, quaeque statim, cum maxime vera memorantur, audieram, persecutum), und postuliert in Epist. 7,33, dass eine Historie sich an die Wahrheit halten müsse (10: nam nec historia debet egredi veritatem, et honeste factis veritas sufficit); sogar die in Epist. 9,33 geschilderte Delphin-Geschichte bezeichnet Plinius als materia vera (1; 11). epischen Helden wie etwa Achill, der den Tod des Patroklos rächt. 442 Diese Szene erinnert einerseits an das in Epist. 5,5,5‒6 geschilderte Erlebnis des Historikers Gaius Fannius, der kurz vor seinem Tod eine nächtliche Vision von Kaiser Nero hatte, und stellt andererseits einen Rückbezug zu Epist. 1,18 her, in der Plinius erzählt, wie er als junger Mann trotz der warnenden Traum-Epiphanie seiner Schwiegermutter am nächsten Tag einen wichtigen Prozess gegen Freunde des Kaisers führte, gewann und so seinen Durchbruch als Anwalt feierte. 443 Somit sind wichtige Phasen von Plinius’ Biographie als Redner und Advokat über das Motiv des Traums bzw. der Vision miteinander verknüpft; in Epist. 9,13 nimmt er selbst die Rolle eines Rachegeistes ein, 444 nachdem er in Epist. 7,27 Trajans Berater Licinius Sura zunächst gefragt hatte, ob es seiner Meinung nach tatsächlich phantasmata gebe (1), und anschließend eine Reihe an Vorfällen referierte, durch die die Existenz von Geistern nahegelegt werden sollte (2‒14). 445 In allen Briefen, die das Traumbzw. Gespenster-Motiv variieren (1,18; 3,5; 5,5; 7,27; 9,13), spielen politische Aspekte eine Rolle, die schließlich in dem Bild von Plinius als Erinye kulminieren, die einem Helfer des Domitian-Regimes zusetzt. Bei dieser Vision des Certus handelt es sich laut Plinius um ein Gerücht, dessen Wahrheitsgehalt er nicht bestätigen möchte (25: verane haec, adfirmare non ausim), doch des guten Beispiels wegen wäre es wichtig, dass man es für wahr hält (25: interest tamen exempli, ut vera videantur). 446 Durch die Motive des Hörensagens (25: audivi) einerseits und Bezeugens (adfirmare) andererseits knüpft Epist. 9,13 an den „Gespensterbrief “ 7,27 an und setzt die Reihe der dort geschilderten Ereignisse sozusagen fort: Zunächst erzählt der Epistolograph, was er von anderen über Curtius Rufus und Athenodorus gehört haben will (2: quod audio accidisse Curtio Rufo; 4: illud…exponam, ut accepi) und leitet 212 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 447 Träume und Visionen im Zusammenhang mit dem Tod eines Kaisers spielen auch in den Biographien Suetons eine wichtige Rolle, so etwa in Dom. 23; vgl. Nero 46. 448 Zur immanenten Gattungs-Theorie bei Plinius s. Kap. I.1. 449 Als handelnde Figur taucht Tacitus in Epist. 9,23 auf und steckt möglicherweise hinter dem anonymen Historiker, von dessen Rezitation Plinius in Epist. 9,27 berichtet. 450 Vgl. Sherwin-White (1966), 499; Whitton (2012), 345; Eisner (2014), 71. 451 Zu diesem Brief s. Kap. II.1.5. dann über zur Erzählung vom „Frisör-Gespenst“, für die er sich selbst als Gewährsmann verbürgt (12: et haec quidem adfirmantibus credo; illud adfirmare aliis possum). Nachdem einige von Plinius’ Sklaven geträumt hatten, dass ihnen in der Nacht die Haare geschoren wurden, stellte sich dies als Vorzeichen dafür heraus, dass Plinius einer Anklage durch Mettius Carus unter Domitian nur deshalb knapp entging, weil der Kaiser rechtzeitig verstarb (14: reus…si Domitianus, sub quo haec acciderunt, diutius vixisset). Zusammengenommen bilden die Briefe 7,27 und 9,13 sozusagen eine Narration über Visionen und Träume kurz vor und nach dem Tod des letzten Flaviers. 447 Nach dem fulminanten Schluss der Erzählung über seine Rache an Publicius Certus im Jahr 97 macht Plinius wieder einen Zeitsprung über etwa zehn Jahre und kehrt in die Gegenwart des Briefes zurück: Für die ungewöhnliche Länge des Schreibens macht er seinen neugierigen Adressaten Quadratus verantwortlich, der sich mit der Rede allein nicht zufrieden geben wollte (26): habes epistulam, si modum epistulae cogites, libris, quos legisti, non minorem; sed imputabis tibi, qui contentus libris non fuisti. Durch die Schuld des jungen Freundes habe der Brief selbst nun den Umfang der Rede angenommen. 448 In auffälligem formalem Kontrast zu dem langen Brief an Quadratus steht das folgende, kurze Schreiben an Tacitus; handelt es sich bei Epist. 9,13 um den letzten Brief im Korpus, der Plinius als Advokat und Redner vor Gericht bzw. im Senat präsentiert, so liegt mit Epist. 9,14 der letzte an Tacitus gerichtete Brief vor, 449 in dem Plinius seinen Freund dazu auffordert, mit ihm gemeinsam den Weg zum Nachruhm fortzusetzen (2: pergamus modo itinere instituto). Auch wird mit den einleitenden Worten nec ipse tibi plaudis (1) das Thema Selbstlob angerissen, das Tacitus möglicherweise - so wird uns zumindest suggeriert - in einem vorausgehenden Schreiben angesprochen hatte. 450 Die Juxtaposition der Epist. 9,13 mit 9,14 lässt vermuten, dass Plinius auch seine Rache für Helvidius als potenziellen Stoff für ein Geschichtswerk betrachtete, ähnlich wie er sein Auftreten zusammen mit Herennius Senecio gegen Baebius Massa in Epist. 7,33 explizit als Gegenstand für die Historien angepriesen hatte. 451 Da Plinius seine Briefe kunstvoll komponierte und für eine breitere Leser‐ schaft publizierte, bedurfte er nicht unbedingt eines Historikers wie Tacitus, der 213 1.6 De Helvidi ultione (Epist. 9,13) 452 Während Sherwin-White (1966), 39‒41 die Publikation von Buch 9 der Briefe auf 106‒ 108 datiert, wird als Jahr der Vollendung von Tacitus’ Historien zumeist 110 genannt; vgl. Schmal (2005), 50; Plinius dürfte zumindest erste Entwürfte des Werks schon gekannt haben; neben den in Epist. 6,16 und 7,33 erwähnten Ereignissen unter Titus und Domitian dürfte ihm auch die Darstellung der Anfänge der Flavier-Dynastie in Buch 4 vertraut gewesen sein; vgl. Sherwin-White (1966), 444 ad 7,33,1: „Pliny has been stirred by a first reading of a volume of the Histories“; in Epist. 7,20 und 8,7 erwähnt Plinius jeweils ein nicht näher identifiziertes Buch (liber), das ihm Tacitus zur Lektüre gesandt habe. 453 Vgl. Whitton (2012), 360‒2. 454 Vgl. Tac. Ann. 16,34‒35; Heubner (1963‒82), IV, 21; Schmal (2005), 57‒8. 455 Zum Motiv der ultio vgl. Hist. 4,10,1: motis ad ultionem animis; 40,4: signo ultionis in accusatores dato. 456 Zur Junktur agmen reorum verweist Heubner (1963‒82), IV, 25 auf Plin. Epist. 3,9,11 als Parallele. 457 Vgl. Heubner (1963‒82), IV, 25. das in den Briefen gelieferte Material in einem Geschichtswerk ausschmücken sollte - ungeachtet der Aussagen des Epistolographen in den Briefen 6,16 und 7,33. Inwiefern sich die Darstellung des Plinius zu derjenigen bei Tacitus verhält, lässt sich nicht mehr beurteilen, da die betreffenden Passagen über den Vesuvausbruch im Jahr 79 sowie die Ereignisse des Jahres 93 in den Historien nicht mehr erhalten sind und der uns überlieferte Text im Jahr 70 abbricht. Allerdings findet sich in Historien Buch 4, das dem Beginn der flavischen Herrschaft gewidmet ist, eine Parallele zum Inhalt der plinianischen Epist. 9,13 - zwar nicht in Bezug auf die genaue Chronologie der Ereignisse, jedoch in motivischer Hinsicht. Überdies steht das Ende des flavischen Kaiserhauses als Dreh- und Angelpunkt für die Narration in Epist. 9,13 der Erzählung vom Anfang dieser Dynastie bei Tacitus diametral gegenüber. 452 Buch 4 der Historien berichtet von mehreren Senatssitzungen im Vierkaiserjahr und unter Vespasian, in denen man über den Umgang mit den Delatoren, die unter Nero ihr Unwesen getrieben hatten, debattierte. In diesem Kontext spielt auch das Motiv der ultio eine wichtige Rolle: 453 Nachdem der ältere Helvidius Priscus unter Galba aus dem Exil zurückgekehrt war, griff er im Senat Marcellus Eprius, den Denunzianten seines Schwiegervaters Thrasea Paetus scharf an (4,6,1): 454 Marcellum Eprium, delatorem Thraseae, accusare adgreditur. ea ultio, incertum maior an iustior, senatum in studia diduxerat. 455 Diese Attacke löste bei den anwesenden Senatoren geteilte Reaktionen aus, zumal für viele einiges auf dem Spiel stand, sollte Marcellus Eprius schuldig gesprochen werden (nam si caderet Marcellus, agmen reorum sternebatur). 456 Der Erzähler Tacitus überlässt es dem Leser, zu beurteilen, ob Helvidius aus Prestigeverlangen (maior) oder (übertriebenem) Streben nach Gerechtigkeit (iustior) handelte. 457 214 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 458 Zu dieser Passage vgl. Pigoń (1992). 459 Es würde sich bei dieser Gruppe wohl um eine Art consilium für den neuen princeps handeln; vgl. Birley (1962), 198; Pigoń (1992), 236. 460 Whitton (2012), 360 weist auf die lautliche Ähnlichkeit durch s-Alliteration im Ausruf bei Plinius (salvi simus qui supersumus) und in den von Tacitus referierten Worten des Marcellus Eprius (se unum esse ex illo senatu, qui simul servierit) hin. Im Unterschied zum taciteischen incertum bekennt sich Plinius gleich am Beginn seines Briefes dazu, sowohl der Gerechtigkeit (9,13,2: insectandi nocentes, miseros vindicandi) als auch der Selbstprofilierung (se proferendi) wegen die Anklage vorbereitet zu haben. Als es zwischen dem älteren Helvidius und Marcellus Eprius zunächst zu einem heftigen, aber rhetorisch anspruchsvollen Wortgefecht kam (Hist. 4,6,2: minax certamen et egregiis utriusque orationibus testatum), machte Helvidius schließlich einen Rückzieher (omisit), weil Galba sich nicht entscheiden wollte (dubia voluntate Galbae) und mehrere Senatoren Fürsprache für den Angeklagten einlegten (multis senatorum deprecantibus). Während das Verhalten des Helvidius von den einen als moderatio gelobt wurde, kritisierten andere seine mangelnde constantia. Demgegenüber ließ sich Plinius nicht vom anfänglichen Gegenwind bei der Attacke gegen Publicius Certus aufhalten und führt den Erfolg seiner Rede unter anderem auf seine constantia zurück (9,13,18). Zu einem weiteren Streit zwischen dem älteren Helvidius und Marcellus Eprius kam es auch in der Senatssitzung am 21. Dezember 69, als man über die Herrschaft Vespasians abstimmte und über die Frage, ob die vom Senat zum neuen princeps geschickten Gesandten gewählt oder durch Los bestimmt werden sollten (Hist. 4,6,3‒8,5). 458 In einem heftigen Wortwechsel (4,6,3: acre iurgium), den Tacitus in indirekter Rede wiedergibt, spricht sich Helvidius für die Wahl aus, da nur die untadeligsten Männer Vespasian gegenübertreten sollten, 459 Marcellus hingegen befürwortet das Los; Helvidius wirft Marcellus vor, dass er wohl deswegen Angst vor einer Wahl durch den Senat habe, weil er sich seiner früheren Schandtaten bewusst sei (4,7,1: memoria flagitiorum), woraufhin Marcellus kontert, nicht er alleine habe den Sturz des Thrasea Paetus unter Nero herbeigeführt, sondern auch der Senat trage eine Mitverantwortung (4,8,3: non magis sua oratione Thraseam quam iudicio senatus adflictum…se unum esse ex illo senatu, qui simul servierit). Abermals zieht Helvidius bei der anschlie‐ ßenden Abstimmung den Kürzeren, die Rede seines Kontrahenten kann einen größeren Teil des Gremiums überzeugen, da bei den Senatoren offenbar das Eigeninteresse gegenüber den moralischen Prinzipien des Helvidius überwog. In Kontrast hierzu steht das Ergebnis bei Plinius, der zwar zunächst auf ähnliche Ressentiments seiner Kollegen stößt (9,13,7: salvi simus, qui supersumus! ), 460 doch am Ende dank seiner persuasiven Kraft bei den Zuhörern die anfängliche 215 1.6 De Helvidi ultione (Epist. 9,13) 461 Auch wenn die Historien etwas später publiziert worden sein dürften als Buch 9 der Briefe, lässt sich hier m. E. von einer art „reziproker Intertextualität“ sprechen; Plinius scheint den taciteischen Helvidius als Folie für seine Selbstdarstellung in Epist. 9,13 zu nutzen. 462 Zur Frage der Datierung vgl. Heubner (1963‒82), IV, 87‒90. 463 Vgl. Hist. 4,10 und 4,40,3 mit Heubner (1963‒82), IV, 31 und 96‒7. 464 Zu seiner Darstellung in den Plinius-Briefen s. S. 111 und 129. 465 Vgl. Birley (1962), 199: „If the imperial commentaries could be consulted, payments to delatores would be published and the whole idea of delatio would be emphatically discredited.“ 466 Mit religio ist hier die „gewissenhafte Eidesleistung“ gemeint, wie Heubner (1963‒82), IV, 98 bemerkt. 467 Regulus hatte u. a. M. Licinius Crassus Frugi, L. Calpurnius Piso Licinianus und Ser. Cornelius Scipio Salvidienus Orfitus unter Nero wegen Majestätsvergehen belangt und ins Verderben gestürzt; vgl. Heubner (1963‒82), IV, 100. Haltung des Selbstschutzes in Zustimmung für die bessere Sache umwandeln kann (18: tanta conversio). So übertrifft Plinius im Hinblick auf seine rhetorische Durchsetzungskraft sogar einen der früheren Helden der Senatsopposition. 461 Auch die Narration über die Senatssitzung vom 1. Januar 70 in den Historien (4,39‒43) 462 lädt zum Vergleich mit Epist. 9,13 ein. Nachdem der Stoiker Musonius Rufus ein Verfahren gegen Publius Celer angestrengt und dessen Verurteilung bewirkt hatte, 463 war, so Tacitus, das Zeichen für die Rache an den Anklägern und Denunzianten unter Nero gegeben (4,40,4: signo ultionis in accusatores dato). Daraufhin habe Iunius Mauricus 464 von Domitian, der in dieser Sitzung zum ersten Mal seinen Senatssitz einnahm (4,40,1: quo die senatum ingressus est Domitianus), für die Senatoren Einsicht in die kaiserlichen Akten beantragt, damit man sehen könne, wer damals für wen eine Anklage erbeten habe (4,40,4: quem quisque accusandum poposcisset), doch Domitian verwies ihn weiter an den abwesenden princeps (consulendum tali super re principem respondit). 465 Der Senat verfasste sodann eine Eidesformel, unter der alle Magistrate bei den Göttern schwören sollten, weder als Delatoren tätig gewesen zu sein noch vom Unglück anderer profitiert zu haben (4,41,1), und im Zuge dieser Prozedur wurden die einen gelobt, andere jedoch des Meineids bezichtigt und hart attackiert (4,41,2: probabant religionem patres, periurium arguebant). 466 Zu den Betroffenen gehörte in dieser Sitzung auch M. Aquilius Regulus (4,42,1: Regulum subversa Crassorum et Orfiti domus in summum odium extulerat), 467 der von seinem Bruder Vipstanus Messala trotz dessen Jugend gegen die Anfeindungen verteidigt wurde (4,42,1: magnam eo die pietatis eloquentiaeque famam Vipstanus Messala adeptus est, nondum senatoria aetate, ausus pro fratre… 216 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 468 Vipstanus Messala gehört auch zu den Gesprächsteilnehmern in Tacitus’ Dialogus; vgl. Mayer (2001), 44‒7. 469 Martin (1967); vgl. Whitton (2012), 361. 470 So bereits Martin (1967). 471 S. S. 127-30. 472 Whitton (2012), 361. 473 Es fällt auf, dass die Schlussworte des Montanus bei Tacitus (Hist. 4,42,6: optimus est post malum principem dies primus) und in Plinius’ Rede De Helvidi ultione (9,13,23: reddat praemium sub optimo principe quod a pessimo accepit) sich mit ihren Antithesen von optimus und malus bzw. pessimus sehr ähneln. deprecari). 468 Messala konnte tatsächlich einige Senatoren umstimmen (4,42,2: flexerat quosdam), doch ihm antwortete Curtius Montanus in einer grimmigen Rede (4,42,2: truci oratione), die Tacitus in oratio recta wiedergibt (4,42,3‒6). Diese Rede ist insofern eine Besonderheit in den Historien, als sie ciceronische Klauseln enthält, was Tacitus bei anderen in die Narration eingelegten Reden ansonsten vermeidet. 469 Curtius Montanus wirft Regulus unter anderem vor, dass er als Denunziant Neros nicht aus einer Zwangslage heraus das Unglück anderer verschuldet habe, sondern aus Blutdurst und Geldgier (4,42,4: libidine sanguinis et hiatu praemiorum), und gerne gleich den ganzen Senat ausgerottet hätte (4,42,4: posse universum senatum una voce subverti). Voller Ironie fordert Montanus die Senatoren auf, diesen Mann ruhig zu schützen, damit er von der Jugend nachgeahmt werden könne (4,42,5: iuvenes Regulum imitentur), und warnt dann davor, dass Nero nicht der letzte Tyrann gewesen sein dürfte (4,42,5: an Neronem extremum dominorum putatis? ). Zwar müsse man vor Vespasian keine Angst haben, doch sei der Senat schlaff geworden und nicht mehr derselbe Senat, der unmittelbar nach Neros Tod (occiso Nerone) die Bestrafung der Denunzianten gefordert habe (4,42,6). Mit der Sentenz optimus est post malum principem dies primus (4,42,6) beschließt Montanus seine Rede; von einer Antwort durch Regulus selbst berichtet Tacitus nichts mehr. Die ciceronisch anmutende oratio des Montanus in den Historien lässt sich als taciteisches Gegenstück zu den epistolaren Attacken auf M. Aquilius Regulus bei Plinius lesen; 470 dieser charakterisiert Regulus ja bereits in Epist. 1,5 nicht nur als einen Denunzianten unter Nero und Domitian, sondern auch als einen „Anti-Cicero“, da er Plinius wegen seiner Cicero-aemulatio verspottet hatte (Epist. 1,5,11‒12). 471 Whitton zufolge handelt es sich beim taciteischen Montanus sogar um eine bewusste Homage an Plinius: „Here, then, we see a rare instance of Tacitus paying homage to Pliny beyond verbal allusion…he seems to have given Pliny a cameo in the Histories’ most forthright - and unrefuted - attack on delators.“ 472 Denkbar ist natürlich auch, dass sich Plinius und Tacitus hier wechselseitig beeinflusst haben; 473 auf der chronologischen Ebene der 217 1.6 De Helvidi ultione (Epist. 9,13) 474 Ein solches Spiel mit der Chronologie von Texten und Ereignissen lässt sich bei Tacitus auch an anderer Stelle beobachten: In Ann. 3,53‒4 gibt Tacitus einen Brief des Tiberius an den Senat wieder, in dem sich der Kaiser zum Luxus-Problem äußert; in ihrer Analyse dieser Passage weist Ash (2013b) auf die satirischen Elemente in diesem Schreiben hin und beobachtet zudem Anspielungen auf die erste Satire des Persius (443): „Despite the obvious anachronism of Tacitus’ Tiberius alluding to the Neronian satirist Persius here, this is apparently what he does.“ 475 Vgl. Plin. Epist. 9,13,18; 21. 476 Tacitus verwendet das Intensivum coeptare, um anzudeuten, dass es sich bei dem Streben der Senatoren um libertas lediglich um einen schwachen Versuch handelte, der bei ersten Widerstand auch gleich wieder aufgegeben wurde; vgl. Heubner (1963‒82), IV, 105‒6: „Auch der kurze Zwischensatz postquam obviam itum nach dem hochtrabenden Wort libertatem zeichnet die Willfährigkeit des Senats.“ Ereignisse sind die Plinius-Briefe 1,5 und 9,13 mit dem dramatischen Datum 97 eine Fortsetzung der Bemühungen von Männern wie Montanus im Jahre 70, gegen Leute wie Regulus vorzugehen und eine Anklage zu bewirken. Auf der chronologischen Ebene des Textes jedoch würde es sich um einen raffinierten literarischen Kunstgriff handeln, wenn Tacitus mit seiner Darstellung, deren dramatisches Datum siebenundzwanzig Jahre früher anzusetzen ist, die in späterer Zeit spielenden Plinius-Briefe evoziert. 474 Die Rede des Montanus bleibt trotz ihrer rhetorischen Schärfe und des Beifalls, den sie von den Senatoren erhält (4,43,1: tanto cum adsensu senatus auditus est Montanus) 475 letztendlich erfolglos: Zwar beflügelt sie den älteren Helvidius, es nochmal mit einer Attacke gegen Marcellus Eprius zu versuchen (4,43), doch schließlich intervenieren Domitian und Mucianus im Sinne der De‐ latoren, und die Senatoren geben ihre Versuche auf, ehemalige Denunzanten zur Rechenschaft zu ziehen (4,44,1: patres coeptatam libertatem, postquam obviam itum, omisere). 476 Es ist zu vermuten, dass Tacitus in den nicht mehr erhaltenen Büchern der Historien auch davon berichtete, wie die Denunzianten unter Domitian weiterhin munter ihr Unwesen trieben. Wie wir in Epist. 9,13 gesehen haben, kann auch Plinius mit seiner Rede gegen Publicius Certus keine Anklage bewirken, verursacht aber zumindest indirekt den Tod des Attackierten. Indem Plinius den betreffenden Brief im letzten Buch plaziert und an den Schluss seines Zyklus über Prozesse und Senatsdebatten stellt, suggeriert er dem Leser, dass seine ultio ein beachtenswerter Erfolg war und dem delator seine gerechte Strafe zuteil wurde. 218 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 477 Zu diesem Gerichtshof vgl. Bablitz (2007), 61‒70: „While a variety of ancient authors speak of the court, by far the richest sources are the letters of Pliny the Younger“ (62). 478 S. S. 127-30. 479 S. S. 132-4. 480 Plinius agiert neben 1,5, 1,18 und 2,14 auch in den folgenden Briefen vor dem Zentu‐ mviralgericht: Epist. 4,16; 4,24; 5,1; 6,33; vgl. Bablitz (2007), 71 und 221. 481 S. S. 147-53. 482 Siehe Kap. II.3.1. 483 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 146; er ist auch Empfänger der Briefe 2,2 und 5,19; vgl. 10,104. 484 Sherwin White (1966), 294 bezeichnet Epist. 4,16 zutreffend als „counterpart“ zu Epist. 2,14. 485 Auch eine Klimax steckt in dieser Periode, da Plinius zuerst von seiner Person, dann der des Adressaten und schließlich der Öffentlichkeit spricht. 1.7 Verhandlungen im Zentumviralgericht Neben dem Senat ist auch das Gericht der centumviri ein Schauplatz, an dem Plinius sein rhetorisches Können in Szene setzt. 477 Nachdem bereits einige Briefe aus dem Zyklus, in dem Plinius seine Tätigkeit vor diesem Gerichtshof thematisiert, schon in anderem Zusammenhang behandelt wurden, seien noch weitere Beispiele betrachtet, in denen der Epistolograph von seinen Erfolgen als Redner erzählt. Wie bereits erörtert wurde, ist die erste Szene, in der Plinius vor den centumviri auftritt, im Rahmen eine narrativen Analepse in der Zeit Domitians angesiedelt und schildert die gefährliche Auseinandersetzung mit M. Aquilius Regulus (Epist. 1,5,5‒7). 478 In Epist. 1,18 wiederum lesen wir von einer bevorstehenden Verhandlung und Suetons Bitte an Plinius, sich für eine Verschiebung des Termins einzusetzen, da Sueton einen schlechten Traum hatte. 479 In Buch 2 präsentiert sich Plinius dann als jemand, der gerade stark von Prozessen im Zentumviralgericht beansprucht wird, 480 und beklagt sich über das moderne Claqueur-Wesen (2,14). 481 Durch Martial als Sprachrohr stilisiert sich Plinius zudem in der später noch genauer zu behandelnden Epist. 3,21,5 als neuer Cicero vor den centumviri. 482 Im Folgenden seien jene Narrationen in Buch 4-6 betrachtet, in denen Plinius mit teilweise großer Anschaulichkeit seine Auftritte vor diesem Gerichtshof schildert. Während sich Plinius in Epist. 2,14 über un‐ bedeutende Prozesse und junge Anwälte, die sich selbst überschätzen, beschwert sowie ein satirisch gefärbtes Bild vom Treiben der Claqueure zeichnet, hat Epist. 4,16 an Valerius Paulinus 483 einen ganz anderen Charakter: An die Stelle der indignatio tritt gaudium (1): gaude meo, gaude tuo, gaude etiam publico nomine. 484 Grund für den hier in anaphorischem Trikolon 485 bekundeten Freudentaumel ist die Beobachtung, dass literarische bzw. rhetorische Studien immer noch in Ansehen stehen (1: adhuc honor studiis durat). Mit einer kurzen Narration über 219 1.7 Verhandlungen im Zentumviralgericht 486 Bablitz (2007), 65‒8 nimmt diese Passage zum Anlass, von der im Brief geschilderten Ausnahmesituation auf die übliche Ausrichtung der tribunalia im Mittelschiff der Basilika Julia zu schließen und stellt dies auch grafisch dar (Fig. 2.9 und 2.10); „Pliny’s remark suggests that the judges did sit together as a block“ (68). 487 Zu dieser Verbindung zwischen Epist. 4,13 und 4,16 vgl. Gibson/ Morello (2012), 167 Anm. 94. 488 Zur Länge von Reden vgl. Epist. 1,20 und 6,2. 489 Der Schluss-Satz des Briefes ist stilistisch durch die Anaphern sunt, qui…sunt, qui bzw. dignum…dignum sowie die parallel angeordneten Begriffe audiant…auribus und legant…chartis untermalt. 490 Auf diese Anspielung weist Whitton (2019), 107 Anm. 173 hin. ein Ereignis aus der jüngeren Zeit (1: proxime) belegt Plinius die einleitende Feststellung: Bei einem Auftritt vor dem Zentumviralgericht war die Menge der anwesenden Zuhörer so groß (1: tanta stipatione), dass Plinius als Sprecher seinen Platz nur vom Tribunal aus und durch die Reihen der Richter einnehmen konnte (1: adeundi mihi locus nisi a tribunali, nisi per ipsos iudices non fuit). 486 Als Redner ist Plinius offenbar schon bekannt genug, um ganze Scharen von „Fans“ zu den Verhandlungen zu locken; vermutlich soll der Leser hier eine Verbindung zu dem in Epist. 4,13 angesprochenen Tacitus ziehen, den der Epistolograph um Hilfe bei der Suche nach Lehrern bittet und als jemanden, den eine große Anzahl von Studenten umringt, charakterisiert (10: copia studiosorum, quae ad te ex admiratione ingenii tui convenit). 487 Nachdem Plinius in 4,16 den geistigen Blick des Lesers auf die Menge der Zuhörer im Zentumviralgericht gelenkt hat, „zoomt“ er anschließend eine Einzelfigur heran (2): Einem jungen Mann aus gutem Haus (ornatus adulescens) wurde im Gedränge die Tunika zerrissen, doch unbeirrt blieb er stehen, nur mehr von der Toga bedeckt (scissis tunicis…sola velatus toga perstitit) und hörte zu - und zwar sieben Stunden lang, wie Plinius innerhalb eines Nachklapps hinzufügt (et quidem horis septem). 488 So lange habe Plinius nämlich geredet, zwar unter großer Anstrengung (3: magno cum labore), dafür aber mit umso größerem Erfolg (maiore cum fructu). Diese Anekdote nimmt Plinius schließlich zum Anlass, seinen Adressaten zur Beschäftigung mit den Studien anzuspornen, da immer noch interessierte Zuhörer und Leser vorhanden seien, solange man etwas Hörens- oder Lesenswertes verfasse (3: sunt, qui audiant, sunt, qui legant; nos modo dignum aliquid auribus, dignum chartis elaboremus! ), 489 wobei er mit auribus und chartis die Martial-Verse 10,20[19],15‒17 evoziert, die bereits in Epist. 3,21,5 zitiert wurden (dum centum studet auribus virorum / hoc quod saecula posterique possint / Arpinis quoque conparare chartis). 490 Auch der unmittelbar folgende Brief 4,17 beginnt mit einem Hinweis auf Plinius als Advokat, wobei hier allerdings nicht konkretisiert wird, in welchem 220 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 491 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 294. 492 Zu Corellia Hispulla und den Corellii vgl. Carlon (2009), 68‒99; Shelton (2013), 203‒11. 493 Sein Konsulat wird durch die Fasti Ostienses auf 105 n. Chr. datiert, vgl. Sherwin-White (1966), 294. 494 Stattdessen erzählt Plinius ausführlicher von seinem Verhältnis zu Corellius Rufus; vgl. Shelton (2013), 208‒9. 495 Als temporaler Marker taucht in beiden Briefen das Adverb proxime auf (4,16,1; 4,24,1). 496 Vgl. Sherwin-White (1966), 302: „The judical case is probably that of Ep. 16“. 497 Er diente möglicherweise unter Plinius in Bithynien; vgl. Sherwin-White (1966), 302. 498 Das quadruplex iudicium bildet auch den Hintergrund der Verhandlungen in 1,18,3 und 6,33,3; vgl. Sherwin-White (1966), 399; Gibson/ Morello (2012), 69 mit Anm. 102. 499 S. S. 132-4. Zusammenhang der erwähnte Prozess erfolgt. Das Schreiben ist als Antwort auf die Bitte des Clusinius Gallus 491 konzipiert, Plinius möge Corellia Hispulla, die Tochter des Corellius Rufus, 492 gegen den designierten Konsul C. Caecilius 493 vertreten, wobei wir hier wenig über den Gegenstand des Prozesses erfahren. 494 Epist. 4,24 scheint die Narration von 4,16 fortzusetzen bzw. zu ergänzen, da Plinius hier von seinen Gedanken während einer kürzlich erfolgten Verhand‐ lung 495 vor den Hundertmännern erzählt (1): Proxime cum apud centumviros in quadruplici iudicio dixissem, subiit recordatio egisse me iuvenem aeque in quadruplici. 496 Während Plinius in Epist. 4,16 die Situation im Gericht aus einer eher distanzierten Sicht schildert, fokalisiert er in Epist. 4,24 auf seine Perspek‐ tive als handelnde Figur, die sich während des Prozesses an ihre mittlerweile lange Karriere im Zentumviralgericht zurückerinnert. Somit steht zwischen den Briefen 4,16 und 4,24, die von einer Verhandlung aus der Retrospektive erzählen, mit 4,17 ein Brief, in dem vielleicht dasselbe Ereignis noch bevorsteht und der die Informationen der beiden anderen Briefe ergänzt. Zu Beginn der Epist. 4,24 an Fabius Valens 497 weist Plinius darauf hin, dass er im quadruplex iudicium gesprochen habe, d. h. im Rahmen eines der seltenen Fälle, wo alle vier Kammern des Zentumviralgerichts involviert waren. 498 Schon als junger Mann habe Plinius bei einer solchen Sondersitzung plädiert (1: egisse me iuvenem); es liegt nahe, hier den Bezug zu Epist. 1,18 herzustellen, wo der Epistolograph ebenfalls aus der Retrospektive von seinem Beistand für Iunius Pastor vor dem quadruplex iudicium erzählt (3: eram acturus adulescentulus adhuc, eram in quadruplici iudicio). Der Fall war damals politisch nicht ohne Bri‐ sanz und barg für Plinius offenbar einige Risiken, da er gegen mächtige Freunde des Kaisers - gemeint ist wohl Domitian - auftrat (3: eram contra potentissimos civitatis atque etiam Caesaris amicos). 499 Auch in Epist. 4,24 deutet Plinius die aus seiner Tätigkeit vor Gericht resultierenden persönlichen Gefahren an (4: studiis periclitati sumus). Auf narrativer Ebene ist die Rückblende in diesem 221 1.7 Verhandlungen im Zentumviralgericht 500 Brief 4,24 wird von Sherwin-White (1966), 302 auf 104‒5 datiert, während der in 1,18 beschriebene Prozess irgendwann in die frühe Regierungszeit Domitians fallen dürfte, jedenfalls vor das kritischen Jahr 93/ 94, in dem Plinius Prätor war; vgl. Epist. 3,11. 501 Sherwin-White (1966), 303 erkennt hier eine Anspielung auf mehrere Personen: Vale‐ rius Licinianus (exulant alii), Regulus (hic…otio fruitur), Fabius Iustus (alius exercitum regit) sowie Nerva, Fabricius Veiento, Frontinus und Spurinna (principis amicitia). 502 Anapher und Epipher (studiis…studiis; processimus…processimus), Alliteration (pro‐ cessimus…periclitati sumus…processimus), Parallelismus und Antithese (studiis proces‐ simus, studiis periclitati sumus) sowie tricolon crescens verleihen dem Satz Nachdruck. 503 Vgl. Epist. 1,5,2.5; 1,7,2; 3,4,6; 3,11; 7,27,14; 7,33,7‒8; Pan. 90,5; 95,3‒5; Sherwin-White (1966), 303‒4; s. S. 130-1. Brief insofern bemerkenswert, als Plinius das Sich-Erinnern nicht im Moment des Schreibens verortet („Lieber Fabius Valens…Ich erinnere mich, wie ich als junger Mann…“), sondern auf seine Gedanken als handelne Figur im Gerichtssaal fokalisiert. Allerdings verschwimmen im Laufe der Ausführungen die Grenzen zwischen den Gedanken der Figur und jenen des Briefschreibers, da Plinius von einem narrativen (2‒5a) in einen eher reflexiven (5b‒6) Modus wechselt und am Ende des Briefes der Unterschied zwischen der Figur im Gericht und dem Verfasser des Briefes nicht mehr deutlich markiert ist, sodass man hier genaugenommen von einer Art Metalepse sprechen kann. Plinius beschreibt den Vorgang seiner recordatio schrittweise: Nach der Erinnerung an die Zeit als iuvenis greifen die Gedanken weiter aus (2: pro‐ cessit animus, ut solet, longius: coepi reputare…) und Plinius überlegt, welche Mitanwälte er im gegenwärtigen Prozess hat (2: in hoc iudicio) und welche damals (in illo) an seiner Seite standen. Zwischen den beiden Verhandlungen liegen inzwischen mehrere Jahre, 500 und Plinius ist mittlerweile der Einzige, der an beiden Prozessen teilnahm (2: solus eram, qui in utroque dixissem). Für diese Veränderung (2: conversio) sei sowohl die menschliche Hinfälligkeit (fragilitas mortalitatis) als auch das unbeständige Schicksal (fortunae mobilitas) verantwortlich. Die Gründe, warum ehemalige Kollegen ihre Tätigkeit als Advokaten beendet haben, sind vielfältig (3): Tod, Verbannung, Alter und Krankheit, Ruhestand, militärische Verpflichtungen oder die Freundschaft des Kaisers. 501 Von seinen socii wendet Plinius dann den Blick auf seine eigene Person, die ebenfalls mit zahlreichen Veränderungen konfrontiert wurde (4): studiis processimus, studiis periclitati sumus rursusque processimus; innerhalb dieser stilistisch ausgefeilten Periode 502 stechen die Begriffe studia und pericli‐ tari hervor, wodurch ein Zusammenhang zwischen Plinius’ literarischer bzw. rhetorischer Tätigkeit und den pericula unter Domitian 503 suggeriert wird. Einen ähnlichen Aufbau weist der folgende Satz auf, der Plinius’ Freundschaft mit den boni herausstreicht (5: profuerunt nobis bonorum amicitiae, bonorum obfuerunt 222 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 504 Diesmal verwendet Plinius Polyptoton (profuerunt…prosunt), Antithese (profuerunt…obfu‐ erunt), Anadiplose (bonorum…bonorum) und Chiasmus (profuerunt bonorum…bonorum obfuerunt). 505 Plinius nennt weder konkrete Namen noch Situationen, sondern bleibt absichtlich vage; vgl. Beutel (2000), 223. 506 vgl. Sen. Epist. 6,5; 12; 53,3‒5; 54,7; 63,14‒14; 76,5; 87,4‒5; 98,13. 507 Zu philosophischen Elementen bei Plinius vgl. André (1975). 508 An ihn richtet Plinius auch die Briefe 2,16 und 3,6 über Erbschaftsfragen; vgl. Sherwin-White (1966), 185. 509 Der Tod umrahmt als Motiv das fünfte Briefbuch: Der verstorbenen Pomponia Galla in Epist. 5,1 steht die Trauer über den Tod des Iulius Avitus in 5,21 gegenüber; zu Buch 5 s. S. 82-109. iterumque prosunt) 504 und wieder auf die Gefahren dieser Verbindung - gemeint sind wohl Männer wie Arulenus Rusticus, Herennius Senecio, Helvidius Priscus, Iunius Mauricus usw. - hinweist. 505 Von der inneren Rückschau auf seine wechselvolle Vergangenheit geht Plinius über zu Reflexion bzw. gar philosophischer Didaktik. Was in Jahren gerechnet eine relativ kurze Zeitspanne ausmacht (5: exiguum tempus), scheint wie eine Ewigkeit, wenn man den Wechsel der Ereignisse betrachtet (5: si vices rerum, aevum putes). Seine eigene Biographie bringt Plinius mit philosophischen Überlegungen zum Kreislauf der Dinge in Verbindung, wenn er sich selbst als Exemplum dafür präsentiert, dass man weder an etwas verzweifeln noch einer Sache zu sehr trauen soll (6): quod potest esse documento nihil desperare, nulli rei fidere, cum videamus tot varietates tam volubili orbe circumagi. Erst das Ende des Briefes enthüllt den eigentlichen kommunikativen Zweck der Korrespondenz (7: ratio huius epistulae): Der Adressat Fabius Valens soll durch Lehren und Beispiele ermahnt werden (7: praeceptis vel exemplis te monere). In Bezug auf den Gebrauch von Exempla in der philosophischen Tradition hat Griffin (2007: 468) darauf hingewiesen, dass Philosophen wie etwa Seneca zwar häufig Beispiele zur Untermauerung ihrer Argumentation heranziehen, sich selbst jedoch meist nur dann als Exemplum anführen, wenn es um die Exposition eigener Fehler und Schwächen geht; 506 Plinius hingegen präsentiert sich seinen Adressaten und dem Leser überwiegend als positives Paradigma. 507 Nachdem in Epist. 4,24 die mit juristischer Tätigkeit verbundenen Gefahren in der Regierungszeit Domitians angedeutet wurden, schildert der Buch 5 eröffnende Brief einen Fall aus dieser Epoche sowie die Ängste der beteiligten Personen. Allerdings erfährt der Leser erst in der Mitte des Briefes, dass die Ereignisse in der Zeit des letzten Flaviers anzusiedeln sind. Zunächst wirkt das Schreiben an Annius Severus 508 relativ unscheinbar, da von einer Erbschafts-Streitigkeit berichtet wird: 509 Plinius ist in den Genuss eines kleinen 223 1.7 Verhandlungen im Zentumviralgericht 510 Sowohl Mutter als auch Sohn sind nur aus diesem Plinius-Brief bekannt; vielleicht war Pomponia Galla die Tochter des C. Pomponius Gallus Didius Rufus, wie Sherwin-White (1966), 312 vermutet; vgl. Carlon (2009), 129‒32; Shelton (2013), 219‒24. 511 Champlin (1991), 5‒28; Shelton (2013), 219‒20. Das Legat, das Plinius erhielt, ist von der Erbschaft der Pomponia Galla zu unterscheiden, wie der weitere Verlauf des Briefes zeigt; vgl. Mratschek-Halfmann (1993), 357: „Der zum Haupterben eingesetzte jüngere Plinius erstattete ihm <sc. Curianus> ein Viertel seines Erbes freiwillig zurück und wurde dafür beim Tod des Curianus um 104 mit einem Legat bedacht.“ 512 Vgl. Epist. 2,16; 4,10; 5,7; 7,11. 513 Als Kontrastbild zu Plinius fungiert auch in dieser Hinsicht Regulus, der in Epist. 2,20 als Erbschleicher charakterisiert wird; vgl. Hoffer (1999), 58: „Regulus the captator resembles Pliny the loyal friend who is always rewarded with legacies from his friends“. 514 Shelton (2013), 222‒3 erläutert die juristischen Hintergründe; vgl. Sherwin-White (1966), 312‒3; Gulina (2009). Legats gekommen, das zwar bescheiden, aber umso willkommener sei (1: legatum…modicum, sed amplissimo gratius); wie es dazu kam, erklärt Plinius im Folgenden: Pomponia Galla hatte ihren Sohn Asudius Curianus 510 enterbt und Plinius zusammen mit dem ehemaligen Prätor Sertorius Severus und einigen Rittern als Erben ihres Grundbesitzes eingesetzt (1). Es sei an dieser Stelle ange‐ merkt, dass eine Erbschaft in der römischen Oberschicht nicht nur den Wechsel von Vermögen oder Besitztümern bedeutete, sondern auch Auswirkungen auf den Ruf und Status des Erben bzw. Enterbten in der Gesellschaft hatte, da durch den letzten Willen verdeutlicht wurde, wen der Erblasser/ die Erblasserin als vertrauenswürdig ansah und wen nicht. 511 Umso schwerwiegender war es daher für den Sohn, von der Erbschaft ausgeschlossen zu werden und an Ansehen einzubüßen, wohingegen der Brief zusammen mit anderen Passagen, in denen sich Plinius als Erbe charakterisiert, 512 die soziale Reputation des Epistologra‐ phen vergrößern soll, insbesondere als zwischen ihm und der Erblasserin keine Verwandtschaftsbeziehungen vorlagen. 513 Wie Plinius weiter berichtet, kam es nach dem Tod der Pomponia Galla zu einem Vieraugen-Gespräch zwischen ihm selbst und Asudius Curianus (2‒5): Dieser habe darum gebeten, Plinius möge ihm seinen Anteil schenken und ihn so beim praeiudicium unterstützen (2); den Anteil würde Plinius jedoch einer geheimen Übereinkunft entsprechend wieder zurückerhalten (2: tacita conventione). Mit dem Begriff praeiudicium ist in diesem Zusammenhang wohl eine gerichtliche Voruntersuchung gemeint, in der die rechtliche Situation des enterbten Sohnes abgeklärt werden sollte und die, sofern sie (mit Hilfe der Geste des Plinius) positiv für den Enterbten verlief, diesen ermutigen konnte, den letzten Willen seiner Mutter im Rahmen einer querela inofficiosi testamenti offiziell anzufechten. 514 Seine Reaktion auf diese Bitte gibt Plinius zunächst in indirekter Rede wieder (3): Sein Charakter ließe es nicht zu, das Eine 224 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 515 Zum Problem der Schenkungen im antiken Rechtssystem vgl. Sherwin-White (1966), 312‒3. 516 Vgl. Carlon (2009), 130: „Pliny…is determined to reveal his character as immutable, regardless of the circumstances in which he is called upon to act“; seine constantia hebt Plinius auch in anderen Briefen hervor: 1,7,2; 3,9,23; 5,3,7; 6,20,5; 9,13,18. 517 Sherwin-White (1966), 314. 518 Vom Tod des Corellius Rufus wurde in Epist. 1,12 berichtet, von demjenigen Frontins in 4,8; Corellius dürfte nicht lange nach 97 verstorben sein, Frontin lebte möglicherweise noch bis 104; vgl. Sherwin-White (1966), 111‒2 und 273. 519 Zum Terminus subscribere vgl. Sherwin-White (1966), 314. öffentlich (palam), das Andere geheim (secreto) zu betreiben, und überhaupt seien Geschenke an Kinderlose und Reiche unehrenhaft. 515 Zudem würde es Curianus mehr nützen, wenn Plinius von seiner Erbschaft zurücktrete (si cessissem), was er auch zu tun beabsichtige, sofern Pomponia Galla ihren Sohn tatsächlich unrechtmäßig enterbt hat (si inique exheredatum mihi liqueret). Von der oratio obliqua wechselt Plinius sodann in die direkte Rede (4‒5): Curianus bittet Plinius, die Angelegenheit zu prüfen (4: rogo cognoscas), was Plinius nach kurzem Zögern auch verspricht, jedoch nicht ohne den Hinweis, dass er über genug constantia verfüge, 516 auch zugunsten der Mutter zu entscheiden, sollte er eine Veranlassung dazu sehen. Die Worte des Curianus am Ende der Unterredung gibt Plinius wieder, um durch den Mund eines anderen seinen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hervorzustreichen (5): ‘ut voles’ ait; ‘voles enim, quod aequissimum.’ Vom Vieraugen-Gespräch mit Curianus wechselt der Schauplatz zu einem privaten consilium bei Plinius zuhause (5: in cubiculo meo). Erst an dieser Stelle kann der allgemeine Leser langsam Rückschlüsse auf das dramatische Datum des Briefes ziehen: Während man aus dem bisher Gesagten den Eindruck gewinnt, Plinius berichte von einem relativ aktuellen Ereignis, wird durch die Erwähnung der zu diesem „domestic tribunal“ 517 hinzugezogenen Berater Corellius und Frontinus klar, dass schon einige Jahre vergangen sein müssen. 518 Umgeben von diesen beiden spectatissimi (5) hört sich Plinius die Argumente des Curianus an, dem er daraufhin einiges im Sinne der Pomponia Galla entgegnet (6: neque enim aderat alius, qui defunctae pudorem tueretur). Nach einer Besprechung mit Corellius und Frontinus (6: deinde secessi) verkündet Plinius die sententia consilii zugunsten der Verstorbenen (6): videtur…Curiane, mater tua iustas habuisse causas irascendi tibi. Worin das Fehlverhalten des Sohnes bestand, erfahren wir allerdings nicht. Stattdessen verlagert sich das Geschehen nun von Plinius’ cubiculum ins Zentumviralgericht, wo Curianus Klage gegen die Erben seiner Mutter einreicht, Plinius selbst jedoch von der Klage ausnimmt (6: non subscripsit mecum). 519 Den zeitlichen Abstand zwischen 225 1.7 Verhandlungen im Zentumviralgericht 520 Vgl. Sherwin-White (1966), 314: „The reference dates the story to the last three years of Domitian.“ 521 Vgl. Sherwin-White (1966), 314. 522 Dem metus temporum zur Zeit Domitians in Epist. 5,1 steht der metus temporum eines ehemaligen Domitian-Günstlings in Epist. 1,5 gegenüber, der nach dem Tod des letzten Flaviers Vergeltung durch die Geschädigten fürchtet; zum Concordia-Tempel in Epist. 5,1 s. S. 83-4. dem consilium zuhause bei Plinius und dem Einreichen der Klage im Gericht deutet Plinius zunächst mit der Junktur post hoc (6) an, wodurch die Erzählung gerafft wird; erst später wird deutlich, dass zwischen den beiden Ereignissen bereits ein Zeitraum von zwei Jahren vergangen ist (10: iam biennium transisse). Etwa in der Mitte des Briefes stellt sich außerdem heraus, dass weniger das Problem der Erbschaft das zentrale Thema bildet - die Gründe für die Enterbung des Sohnes bleiben, wie gesagt, ausgespart ‒, sondern die Zeit, in die die Ereignisse fielen: Als sich der Tag der Verhandlung näherte, wollten die Miterben des Plinius einen Vergleich (7: componere et transigere) mit Curianus bewirken, und zwar aus folgendem Grund (7): non diffidentia causae, sed metu temporum. verebantur, quod videbant multis accidisse, ne ex centumvirali iudicio capitis rei exirent. Nicht die Überzeugung, sich im Unrecht zu befinden, sondern der metus temporum ist ausschlaggebend für die Beklagten. Ohne Domitian direkt erwähnen zu müssen, reicht der Hinweis auf die unter seiner Regierung herrschende Angst für Plinius aus, das Geschehen zu datieren. 520 Auch gelingt es Plinius zu suggerieren, dass selbst das Zentumviralgericht für die Beteiligten zu einem gefährlichen Pflaster werden konnte: Unter Domitian war es offenbar denkbar, dass man aus einem Zivilprozess bei den centumviri als Angeklagter eines Kapitalverbrechens hervorging, insbesondere wenn man mit Personen wie Arulenus Rusticus oder dessen Frau Gratilla befreundet war (8) - etwas Derartiges wäre Plinius beinahe selbst widerfahren, wie er durch die in Epist. 1,5 dargestellte Auseinandersetzung mit Regulus zu verdeutlichen sucht. 521 Der Brief 5,1 bestätigt sozusagen die gefährliche Situation, in der sich Plinius selbst in Epist. 1,5 präsentiert, und man kann sich außerdem fragen, ob die Numme‐ rierung der beiden Briefe auf einem absichtlichen Zahlenspiel basiert - 5,1 als Spiegelbild von 1,5. Die beiden Briefe ähneln sich auch noch in anderer Hinsicht: In Epist. 5,1 bitten die verängstigten Erben Plinius darum, mit dem Kläger Curianus zu sprechen, woraufhin es zu einem Treffen der beiden im Tempel der Concordia kommt (9‒10). Die Szene hat ihr Gegenstück in Epist. 1,5,8‒10, wo der verängstigte Regulus den Konsular Spurinna um Fürsprache bei Plinius bittet und die beiden sich in der Säulenhalle der Livia treffen. 522 Angesichts der wenigen Passagen im Briefkorpus, wo explizit auf die Topographie Roms 226 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 523 S. Kap. I.2.3. 524 Zu den juristischen Hintergründen der Lex Falcidia und der usucaptio pro herede vgl. Sherwin-White (1966), 314‒5. 525 Also etwa 104/ 5 n. Chr., das Datum von Buch 4 der Briefe; vgl. Sherwin-White (1966), 312. verwiesen wird, 523 stechen die Ortsangaben in Epist. 1,5 und 5,1 umso mehr heraus. Von der Unterredung im Tempel der Concordia gibt der Epistolograph nur seine eigenen Worte in direkter Rede wieder, während Curianus persona muta bleibt. Plinius argumentiert zunächst, dass sich Curianus als enterbter Sohn damit zufrieden geben müsse, wenn ihm die anderen Erben ein Viertel des Erbes abtreten (9), und bietet ihm zusätzlich noch seinen eigenen Anteil an, der durch Verjährung inzwischen schon zu seinem Eigentum geworden ist (10: scis te non subscripsisse mecum et iam biennium transisse omniaque me usu cepisse…offero pro mea parte tantundem). 524 Ohne auf die unmittelbare Reaktion des Curianus auf dieses Angebot einzugehen, nimmt Plinius schon das Resultat seines Vorstoßes vorweg (10): tuli fructum non conscientiae modo, verum etiam famae. Nicht nur der Wille der Verstorbenen wurde berücksichtigt (conscientia), sondern auch das eigene Ansehen vergrößert (fama), da Plinius zum Wohle der Miterben auf seinen eigenen Anteil verzichtete. Damit ist der narrative Abschnitt zu den mit der Erbschaft der Pomponia Galla verbundenen Ereignissen in der Zeit Domitians beendet und Plinius kehrt, in Rückgriff auf den Beginn des Briefes, in die Gegenwart der Korrespondenz mit Annius Severus zurück (11): ille ergo Curianus legatum mihi reliquit. Abermals ist die chronologische Lücke zwischen dem unmittelbar zuvor Gesagten (10) und dem Hinweis auf das Legat (11) nicht deutlich markiert, doch müssen einige Jahre, inklusive eines Wechsels der Kaiserdynastie, vergangen sein, da es sich beim Tod des Curianus offenbar um ein aktuelles Ereignis handelte, das zum zeitlichen Rahmen des vorausgehenden vierten Buches passt. 525 Es wurde zuvor schon angedeutet, was eine Erbschaft in der römischen Elite für die soziale Reputation einer Person bedeutete, und nun kommt Plinius abermals zu der Ehre, von einem Verstorbenen bedacht zu werden, ja mehr noch: Über das Legat hinaus habe Curianus (wohl in seinem Testament) noch festgehalten, dass Plinius damals ein altrömisches Verhalten an den Tag gelegt habe (11): factum meum, nisi forte blandior mihi, antiquum notabili honore signavit. Am Schluss des Briefes bekennt sich der Epistolograph selbstironisch dazu, dass er keineswegs ein sapiens sei und ihm durchaus etwas an Lob und Anerkennung (13: testificatio quaedam et quasi praemium) durch andere für seine Taten liegt, auch wenn er selbst von deren Richtigkeit überzeugt ist. 227 1.7 Verhandlungen im Zentumviralgericht 526 Durch die Erwähnung des Prätors Licinius Nepos lassen sich die Ereignisse auf 105 n. Chr. datieren; Sherwin-White (1966), 308‒9 und 335. 527 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 298; er ist auch Adressat der Epist. 4,22 über das consilium Traiani. 528 Zusammen mit Epist. 6,33 gehört dieser Brief zu den wichtigsten Quellen über die Organisation des Zentumviralgerichts; vgl. Sherwin-White (1966), 336. 529 Kroon (2002), 192‒3 zufolge sind historisches Präsens, Ellipse von Verben oder Anfang‐ stellung des Verbs sowie Asyndeton charakteristische Elemente des „mimetic mode“ einer Narration. Wie sich zeigt, erfüllt der programmatisch an den Beginn von Buch 5 gestellte Brief eine wichtige Funktion im Rahmen des „Großprojektes“ der plinianischen Selbstdarstellung. Einerseits charakterisiert sich Plinius durch die Wertschät‐ zung, die ihm Personen wie Pomponia Galla und Asudius Curianus erwiesen, sowie durch das Verhalten der Miterben, die in einer prekären Situation auf ihn zählten. Andererseits kommt über Umwege wieder die Domitian-Thematik ins Spiel, und wir erleben Plinius einmal mehr als jemanden, der trotz der allgemeinen Atmosphäre der Angst mutig und rational handelt. Nach Epist. 1,5 und 1,18 ist hier erneut das Zentumviralgericht unter Domitian Schauplatz des Geschehens, wobei es in Epist. 5,1 aufgrund der geschickten Verhandlungsstra‐ tegie des Plinius erst gar nicht zu einem richtigen Prozess kommt. Auch Epist. 5,9 erzählt von einer Sitzung der centumviri, die allerdings in der jüngeren Vergangenheit unter Trajan stattfand: 526 Seinem Adressaten Sempronius Rufus 527 berichtet der Epistolograph, wie er in die Basilica Iulia gegangen war, um sich die Reden seiner Gegner, denen er beim nächsten Termin antworten sollte, anzuhören (1). Eine kurze Ekphrasis schildert die Situation im Gerichtssaal (2): 528 Sedebant iudices, decemviri venerant, obversabantur advocati, silentium longum; tandem a praetore nuntius. dimittuntur centumviri, eximitur dies me gaudente, qui numquam ita paratus sum, ut non mora laeter. In einer chiastisch angeordneten Serie von kurzen, parataktischen und asyn‐ detischen Satz-Kola, teilweise im historischen Präsens gehalten, 529 beschreibt Plinius die Spannung unmittelbar vor der Verhandlung, wobei er zunächst in einer Klimax vom Sitzen der Richter über das Eintreten der Zehnmänner zum Hin-und-Herlaufen der Anwälte übergeht und schließlich alle in langem Schweigen verstummen lässt. Ein vom Prätor gesandter Bote durchbricht die Stille und verkündet, dass die centumviri entlassen werden und die Sitzung vertagt ist. Worum es in dieser Verhandlung gehen sollte, erfahren wir nicht, wohl aber, dass Plinius über den Aufschub erfreut war und dieser durch den Prätor Nepos verursacht wurde (3: causa dilationis Nepos praetor). Ihn hatte 228 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 530 Licinius Nepos war also offenbar nicht der für das Zentumviralgericht zuständige Prätor, wie Sherwin-White (1966), 336 und 320 („praetor of a criminal court“) betont; in Epist. 5,4 ist Nepos Teilnehmer einer Senatsverhandlung. 531 Vgl. Sherwin-White (1966), 308‒9. 532 Gemäß der Lex Cincia aus der Zeit der Republik sollten Advokaten kein Geld für ihre Dienste annehmen, ein Senatsbeschluss aus der Zeit des Claudius erlaubte jedoch eine Summe von 10000 Sesterzen, die auch in Epist. 5,9,4 genannt wird; vgl. Sherwin-White (1966), 320. Plinius bereits in anderen Briefen als besonders streng (4,29,2: Licinius Nepos praetor acer et fortis; vgl. 5,4,2) charakterisiert, und nun heißt es über ihn, er habe ein kurzes Edikt erlassen, das die Umsetzung eines Senatsbeschlusses über das Verbot von Kauf oder Verkauf von Anwaltsleistungen ankündigte (3‒4). Da der Prätor, der das Zentumviralgericht leitete (5: praetor, qui centumviralibus praesidet), 530 überlegte, ob er dem Beispiel des Nepos folgen sollte, kam es zum Aufschub der Verhandlung (5: inopinatum nobis otium dedit). Von der anschließenden kontroversen Diskussion in der Stadt über das Edikt des Nepos gibt Plinius sodann einige Auszüge in direkter Rede wieder (6: ‘…quis autem hic est, qui emendet publicos mores? ’…‘rectissime fecit…rem pulcherrimam turpissime venire non patitur’). Derartige sermones finden offenbar gerade zur Zeit der Abfassung des Briefes statt (7: tales ubique sermones), und wie Plinius voraussagt, werde der Ausgang des Prozesses (über dessen Inhalt wir noch immer im Unklaren bleiben) zeigen, ob die Kritiker oder Befürworter des Nepos sich durchsetzen. Die Epist. 5,9 ist Teil eines Briefzyklus, der eine simultane Narration bildet und in dem sowohl der Prätor Licinius Nepos als auch das Thema der Käuflichkeit von Advokaten eine wichtige Rolle spielen. Bereits in Epist. 4,29 warnte Plinius seinen Adressaten Romatius Firmus vor der Strenge des Nepos, der sogar einen Senator mit einer Strafe versah, weil dieser seine Verpflichtungen als Richter vernachlässigte (1: et praetor multam dixit etiam senatori! ). 531 In Epist. 5,4 ist Nepos dann an einer Senatssitzung beteiligt, in der der vir praetorius Sollers um Erlaubnis für die Ausrichtung eines Wochenmarktes auf seinen Gütern in Vicetia bittet, die Gesandten der Vicetiner sich aber dagegen aussprechen (1). In der folgenden Senatssitzung (2: alio senatu), wo das Problem weiter verhandelt werden sollte, glänzt der Rechtsbeistand der Vicetiner, Tuscilius Nominatus, durch Abwesenheit (2). Nepos erkundigt sich bei den Vicetinern nach der Summe, die sie dem Anwalt für seine Dienste bezahlt hätten - insgesamt 6000 Sesterze und 1000 Denare 532 -, und veranlasst daraufhin, dass man Nominatus in den Senat führe (3). Damit endet der narrative Teil des Briefes (3: hactenus illo 229 1.7 Verhandlungen im Zentumviralgericht 533 Der ansonsten unbekannte Julius Valerianus ist auch Adressat der Epist. 2,15 und 5,13; vgl. Sherwin-White (1966), 184; Whitton (2013a), 213. 534 Zu den acta publica vgl. Epist. 7,33,3; Sherwin-White (1966), 342; s. S. 193-4. 535 Während Nominatus mehr oder weniger als feige charakterisiert wird, da er aus Angst vor dem Einfluss des Gegners die Sache der Vicetiner nicht mutig zu Ende führte (5,13,2‒4), rühmt sich Plinius mehrfach seiner eigenen constantia selbst bei schwierigen Fällen. die), und Plinius, der seinem Adressaten Iulius Valerianus 533 schon zu Beginn des Schreibens eine res parva, sed initium non parvae (1) in Aussicht gestellt hatte, kündigt nun an, dass sich die Sache wohl noch weiter ausdehnen werde (3: longius res procedit). Epist. 5,13 bildet die Fortsetzung zu Epist. 5,4, der Brief 5,9 ist also etwa in der Mitte zwischen diesen beiden Teilen eines juristischen „Briefromans“ plaziert, wobei der Schauplatz vom Senat aufs Zentumviralgericht ausgeweitet wird. In Epist. 5,13 suggeriert uns Plinius, von Iulius Valerianus um ein „Update“ zum Fall der Vicetiner und ihres Anwalts gebeten worden zu sein (1: et tu rogas… scripturum me tibi, quem habuisset eventum postulatio Nepotis circa Tuscilium Nominatum). In einer weiteren Senatssitzung habe Nominatus sein Verhalten unter vielen Tränen zu entschuldigen versucht (1‒3) und wurde freigesprochen, da man ihm keine böse Absicht unterstellen konnte (4). Jedoch kam es im Zuge der Debatte zu einem Vortrag des Volkstribunen Nigrinus, der sich über die Unsitte der Käuflichkeit von Rechtsbeiständen beklagte (6: questus est venire advocationes, venire etiam praevaricationes, in lites coiri et gloriae loco poni ex spoliis civium magnos et statos reditus) und dazu aufforderte, den Kaiser um die Eindämmung dieser Mißstände zu bitten (7). Dieser habe dann auch binnen weniger Tage reagiert mit einer Verordnung, die in den acta publica veröffentlicht wurde (8). 534 Durch den Mund des Nigrinus, dessen libellus er als disertus und gravis bezeichnet (6), entwirft Plinius ein Sittenporträt seiner Zunft, dem er dann ein umso wirkungsvolleres Selbstporträt entgegenhält (8): Quam me iuvat, quod in causis agendis non modo pactione, dono, munere, verum etiam xeniis semper abstinui! Es bereite ihm große Freude, dass nun öffentlich verboten werde, was er sich selbst schon immer untersagt habe (9). Vor diesem Hintergrund gewinnt auch der Brief 5,9 ein neues Sinnpotenzial, denn nun wird klar, dass auch Plinius zu den Befürwortern der Maßnahmen des Prätors Nepos gehört. Anwälte wie der in Epist. 5,4 und 5,13 charakterisierte Tuscilius Nominatus 535 sowie die anonymen Kritiker des Nepos-Edikts in Epist. 5,9 werden in diesem Briefzyklus als Kontrastfiguren konstruiert, von denen sich Plinius - entsprechend altrömischer Tugenden - deutlich abzusetzen versucht. 230 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 536 Regulus wurde zuletzt in Buch 4 (Epist. 4,2 und 4,7) verspottet und taucht in Buch 5 nicht mehr auf; Sherwin-White (1966), 356 vermutet daher, dass sein Tod etwar ein Jahr vor Epist. 6,2 (d. h. um 105 n. Chr.) anzusetzen ist. Zum Regulus-Zyklus s. S. 129. 537 Vgl. Riggsby (2009). 538 Sherwin-White (1966), 357: „Pliny is speaking here…of private suits, where it was left to the two parties to fix the length of speeches…But in criminal cases there were fixed rules“. Zu Regulus vor den centumviri vgl. Epist. 1,5,4‒7; Mart. 6,38. 539 Von allen antiken Quellen über das Gerichtswesen berichtet nur dieser Brief über die Verwendung von Schminke bei den Rednern; Bablitz (2007), 191‒2. Neben anderen juristischen Schauplätzen spielt das Zentumviralgericht auch in Buch 6 eine wichtige Rolle, wo mit dem Prozess um Attia Viriola am Ende des Buches (6,33) zum letzten Mal in der Briefsammlung dieser Gerichsthof im Zentrum einer epistolaren Narration steht. Doch werfen wir vor der Ana‐ lyse dieses Schreibens noch einen kurzen Blick auf den Kontext des Buches: Nachdem Plinius Epist. 6,1 aus Rom an den in Picenum weilenden Calestrius Tiro geschrieben und seiner Sehnsucht nach dem abwesenden Adressaten Ausdruck verliehen hat (1: desiderium absentium), handelt Epist. 6,2 von dem mittlerweile verstorbenen Regulus, 536 den Plinius - für den Leser nach dem zuvor über Regulus Gesagten einigermaßen überraschend - nun ebenfalls mehr oder weniger vermisst, wenngleich er keine Sehnsucht nach ihm verspürt: Soleo non numquam in iudiciis quaerere M. Regulum, nolo enim dicere desiderare (1). Der Brief beinhaltet daraufhin eine beinahe nostalgische Rückschau auf die gemeinsame Aktivität von Plinius und Regulus vor Gericht sowie insbesondere die damals noch unbeschränkte Redezeit (3: libera tempora). 537 Obwohl das Zentumviralgericht in Epist. 6,2 nicht explizit genannt wird, dürfte es doch den Hintergrund der Ausführungen bilden. 538 Etwas kurios mutet in diesem Zusammenhang die Beschreibung von Regulusʼ Gewohnheit an, sich die Augen mit Farbe zu bestreichen: Je nachdem, ob Regulus die Anklage oder Verteidigung übernommen hatte, schminkte er sich das rechte oder linke Auge oder klebte ein Schönheitspflästerchen über die rechte oder linke Augenbraue (2). 539 Diese An‐ ekdote, durch die Regulusʼ Exzentrik und Aberglaube illustriert werden sollen, fungiert zugleich als Beleg für den Respekt, den er für die Beredsamkeit hegte. Zu den Vorzügen, die Plinius seinem Kontrahenten in Epist. 6,2 (dem letzten Brief im Regulus-Zyklus) nun doch zugesteht, gehört neben der Forderung unbegrenzter Redezeit auch die Gewohnheit des Regulus, Zuhörer - d. h. wohl Claqueure - zu den Verhandlungen zu bitten. Hatte Plinius diese Praxis in Epist. 2,14 mit der indignatio eines Satirikers noch scharf kritisiert, konnte er offenbar trotzdem einige Vorteile für sich selbst daraus ziehen, wie er in 6,2,3 zugibt: 231 1.7 Verhandlungen im Zentumviralgericht 540 Zur Datierung dieses Epigramms auf 90 n. Chr. vgl. Grewing (1997), 266; der hier noch kleine Sohn des Regulus, dem Martial eine ähnlich erfolgreiche Karriere als Redner wünscht, starb um 104 n. Chr. im Alter von etwa siebzehn Jahren (Plin. Epist. 4,2 und 4,7); Sherwin-White (1966), 266. Die von Martial geschilderte Begeisterung des kleinen Regulus für den rhetorischen Erfolg seines Vaters hat ihre Parallele bei Plinius in Epist. 4,19,3, wo die junge Calpurnia sich eifrig für die Reden ihres Gatten interessiert; vgl. Marchesi (2013). 541 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 368. 542 S. S. 127-30. 543 Zu Epist. 6,33 vgl. Carlon (2009), 132‒4; Gibson/ Morello (2012), 71‒3; Shelton (2013), 231‒4; 292‒4; Schwerdtner (2015), 84‒90; Whitton (2019), 96‒9. iam illa perquam iucunda una dicentibus, quod libera tempora petebat, quod audituros corrogabat. quid enim iucundius quam sub alterius invidia quamdiu velis, et in alieno auditorio quasi deprehensum commode dicere? Die unbeschränkte Redezeit sowie das erweiterte Publikum schaffen für Plinius den Rahmen bzw. die Bühne, zum Ärger seines Gegners die eigene Beredsamkeit ungehindert zu entfalten. Auch der Epigrammatiker Martial erwähnt im Kontext seiner Regulus-Panegyrik die Massen von Bewunderern, die dem Meister beim Deklamieren im Zentumviralgericht zuzuhören pflegten (6,38,5‒6): iam clamor centumque viri densumque corona / volgus et infanti Iulia tecta placent. Der kaum dreijährige Sohn des Regulus findet schon Gefallen an den rhetorischen Aktivitäten des Vaters in der Basilika Iulia. 540 Martials Panegyrik wird von Plinius ins Gegenteil verkehrt, indem dieser in seinem Brief suggeriert, dass es sich bei den dichtgedrängten Zuschauerscharen (densum corona volgus) um angemietete Claqueure handelt, auf die Plinius noch dazu mehr Eindruck machen konnte als Regulus selbst, dessen Auditorium sie eigentlich bildeten. Dass Plinius die vier Kammern der centumviri als eine Art Theater ansah, in dem er häufig die Hauptrolle zu spielen pflegte, macht er in Epist. 6,12 an Calpurnius Fabatus deutlich. Dieser hatte Plinius um Rechtsbeistand für Bittius Priscus gebeten, 541 was der Epistolograph gerne übernahm (2): praesertim in harena mea, hoc est apud centumviros. Die kurze Bemerkung über das Zentumviralgericht als „Arena“, in der sich Plinius zuhause fühlt, bereitet vor auf den Höhepunkt und Abschluss des Briefzyklus, in dem dieser Gerichtshof den Schauplatz der Handlung bildet. Anfang und Ende des Zyklus sind über die Wahl des Adressaten miteinander verklammert, da sowohl Epist. 1,5 als auch 6,33 an Voconius Romanus gerichtet ist. 542 Der Brief 6,33 präsentiert sich als ein Begleitschreiben zur Rede Pro Attia Viriola, 543 einem Werk, das Plinius zu seinen besten rhetorischen Erzeugnissen zählt (1) - auch Sidonius Apollinaris schließt sich diesem Urteil an (Epist. 8,10,3): Gaius Plinius pro Attia Viriola plus gloriae de centumvirali suggestu domum rettulit, quam cum Marco Ulpio 232 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 544 Vgl. Epist. 6,2; 6,5; 6,12; 6,13; 6,18; 6,22; 6,23; 6,29; 6,31. 545 Verg. Aen. 8,439. 546 Die Funktion des Vergil-Zitats wird von Schwerdtner (2015), 84‒90 untersucht; ähnlich wie in der Aeneis, wo Venus durch erotische Verführung ihren Gatten Vulkan zum Schmieden der Waffen bewegen kann (8,388‒415), ist ein senex amore captus der Auslöser für den Prozess der Attia Viriola. 547 Epist. 1,16; 2,13; 9,28; S. S. 31. 548 Vgl. Schwerdtner (2015), 85. 549 Schwerdtner (2015), 88 verweist auf den ringkompositorischen Effekt; zu Demosthenes in Epist. 6,33 vgl. Tzounakas (2015), 213. 550 Verg. Aen. 8,608‒731. 551 S. S. 86-95. incomparabili principi comparabilem panegyricum dixit. Als Vorschluss-Brief des sechsten Buches korrespondiert Epist. 6,33 thematisch mit Epist. 6,2, sodass das Buch, in dem juristische Fragen eine bedeutende Rolle spielen, 544 vom Gerichtshof der Hundertmänner sozusagen eingerahmt wird. Seinen Brief eröffnet Plinius mit einem Vergil-Zitat aus Buch 8 der Aeneis (1: ‘Tollite cuncta’, inquit, ‘coeptosque auferte labores’) 545 und imitiert damit den epischen Gott Vulkan, der die Zyklopen auffordert, ihre begonnenen Arbeiten ruhen zu lassen und mit dem Schmieden der Waffen für Aeneas zu beginnen. 546 Anders als die Zyklopen ist Voconius Romanus nicht mit dem Bearbeiten von Eisen beschäftigt, sondern - so mutmaßt Plinius - mit literarischen Aktivitäten (1: seu scribis aliquid seu legis), die er nun für die Lektüre der oratio unterbrechen soll. Das literarische, insbesondere epistolographische Talent des Voconius Romanus rühmt Plinius auch in anderen Briefen, 547 und somit eignet sich der Adressat gut als (Modell-)Leser eines mit Zitaten angereicherten Schreibens. 548 Plinius bezeichnet seine Rede als ebenso „göttlich“ (1: divinam) wie die Waffen des Aeneas (1: ut illa arma) und unterminiert sein Selbstlob im selben Atemzug mit der scherzhaften Frage num superbius potui? (1). Dem mit epischen Szenen angereicherten Beginn entspricht der Schluss des Briefes, wo Plinius sich in die rhetorische Tradition einschreibt, wenn er behauptet, einige seiner Freunde würden diese Rede mit der Kranzrede des Demosthenes vergleichen (11). 549 Indem Plinius eine Parallele mit den Waffen des Aeneas bzw. der damit implizierten Schildbeschreibung in der Aeneis  550 zieht, stellt er einen Rückbezug zu Epist. 5,6 her, wo diese berühmte epische Passage ebenfalls erwähnt wird. Im Rahmen der umfassenden Beschreibungen seiner Villa in Etrurien 551 nennt Plinius unter anderem die Schildbeschreibungen bei Vergil und Homer als Beispiele für Ekphraseis, die trotz ihrer zahlreichen Verse das Ideal der brevitas nicht verletzen, da alles stimmig und ohne unnötige Zusätze ist (5,6,43: brevis tamen uterque est, quia facit, quod instituit). Bei einer literarischen Darstellung 233 1.7 Verhandlungen im Zentumviralgericht 552 Dies legt auch die Bemerkung über den Umfang der Rede in 6,33,7 nahe: quam, sit licet magna, non despero gratiam brevissimae impetraturam. 553 Auf diese intratextuelle Verbindung weisen Gibson/ Morello (2012), 71‒2 hin. 554 Vgl. Sherwin-White (1966), 398. 555 Die Junktur splendide nata deutet möglicherweise eine Zugehörigkeit zum Ritterstand an; Sherwin-White (1966), 399. 556 Zum quadruplex iudicium vgl. Epist. 1,18,3; 4,24,1; Sherwin-White (1966), 399; s. S. 221. 557 Eine querela inofficiosi testamenti, wie sie auch die Epist. 5,1 zum Thema hat; Sherwin-White (1966), 399. 558 Carlon (2009), 133 weist darauf hin, das die Junktur amore captus das Motiv der captatio („Erbschleicherei“) evoziert und die noverca indirekt mit Figuren wie dem Erbschleicher Regulus (Epist. 2,20) parallelisiert; vgl. Shelton (2013), 232. ist demzufolge zwischen bloßer Länge und Qualität zu differenzieren, und die comparatio mit den epischen Schildbeschreibungen lässt vermuten, dass die Rede Pro Attia Viriola aus Plinius’ Sicht ebenso stimmig komponiert wurde wie die Villen-Ekphrasis in Epist. 5,6. 552 Die Briefe 6,33 und 5,6 haben Plinius zufolge auch ähnliche Funktionen: Während die Lektüre der Epist. 5,6 den Spaziergang durch das Anwesen in Etrurien ersetzen soll (5,6,41: omnis angulos tecum epistula circumire), zielt die Schilderung des Prozesses in Epist. 6,33 darauf ab, dem Leser den Eindruck vermitteln, selbst an der Verhandlung teilgenommen zu haben (6,33,7: si non legere tibi, sed interesse iudicio videreris). Im Rahmen einer kurzen narratio (2) erläutert Plinius den Gegenstand der Rede (est haec pro Attia Viriola) sowie die herausragende Bedeutung ihres Falles: et dignitate personae et exempli raritate et iudicii magnitudine insignis. Damit bildet der Prozess der Attia Viriola ein Kontrastbeispiel zu jenen Verhandlungen im Zentumviralgericht, die Plinius in Epist. 2,14 ob ihrer Nichtigkeit kritisiert hatte; die beiden Briefe sind zudem durch deutliche verbale Entsprechungen miteinander verknüpft, denn in Epist. 2,14,1 heißt es: sunt enim pleraeque parvae et exiles; raro incidit personarum claritate vel negotii magnitudine insignis. 553 Weder über das Datum des Prozesses der Attia Viriola noch die Abfassungszeit des Briefes erfahren wir Genaueres, 554 und die Vorgeschichte zur Verhandlung erzählt Plinius in einem einzigen Satz: Als Frau von angesehener Herkunft 555 und Ehegattin eines ehemaligen Prätors sei Attia Viriola von ihrem achtzigjährigen Vater enterbt worden innerhalb eines Zeitraums von nur elf Tagen, nachdem dieser amore captus eine Stiefmutter ins Haus gebracht hatte. Daraufhin habe Attia Viriola vor den vier Kammern des Zentumviralgerichts 556 ihr väterliches Erbe zurückgefordert. 557 Mit den Figuren des verliebten Greises und der bösen Stiefmutter 558 lässt uns Plinius hier ein wenig in die Welt des komischen und tragischen Dramas eintauchen und inkorporiert auch ein Thema in seinen Brief, das offenbar in den zeitgenössischen Deklamationen 234 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 559 Gray-Fow (1988) bietet einen Überblick zu Gemeinplätzen über die Stiefmutter in der römischen Literatur; Shelton (2013), 228‒31; aus der rhetorischen Tradition wäre etwa Antiphons Rede Gegen die Stiefmutter (Antiph. 1) zu nennen. 560 Der Ausdruck latissimum iudicium bezeichnet vermutlich die ungewöhnlich große Gruppe der in den Prozess aktiv involvierten Personen; vgl. Bablitz (2007), 69. 561 Bablitz (2007), 69 schlägt vor, den Ausdruck tribunal hier nicht auf die Plattform des vorsitzenden Beamten zu beziehen, sondern allgemeiner auf den Gerichtssaal. 562 Zur Galerie in der Basilika Julia vgl. Suet. Cal. 37,1; Sherwin-White (1966), 399‒400. gerne behandelt wurde. 559 So fordert etwa Quintilian von den angehenden Rednern, in ihren Übungsreden wirklichkeitsgetreue Stoffe zu wählen (Inst. 2,10,4: quam simillimae veritatis); böse Stiefmütter hingegen, wie man sie aus Tragödien kenne, würde man vergeblich im juristischen Alltag suchen (Inst. 2,10,5: saeviores tragicis novercas…frustra inter sponsiones et interdicta quaeremus). In seinem Brief verrät Plinius weder den Namen des Vaters noch der Stiefmutter, was er vielleicht deshalb unterlässt, weil die beiden in der Rede ohnehin genauer identifiziert werden, oder aber weil er sie im Brief bewusst als stereotype Charaktere auftreten lassen will. Auf diese kürzere erste narratio der Vorgeschichte zum Fall folgt eine etwas längere zweite, die vom Ablauf der Verhandlung selbst erzählt (3‒6). Die erste Hälfte dieser Prozess-Schilderung ist dabei stark ekphrastisch geprägt, da Plinius hier die räumliche Situation im Gericht und insbesondere die große Menge sowohl an Richtern und Anwälten als auch an Zuhörern beschreibt (3‒4): sedebant centum et octoginta iudices (tot enim quattuor consiliis colliguntur); ingens utrimque advocatio et numerosa subsellia, praeterea densa circumstantium corona latissimum iudicium multiplici circulo ambibat. ad hoc stipatum tribunal, atque etiam ex superiore basilicae parte qua feminae qua viri et audiendi, quod difficile, et, quod facile, visendi studio imminebant. magna exspectatio patrum, magna filiarum, magna etiam novercarum. Während Plinius in seinem Brief über die juristischen Implikationen des Falls relativ wenig an Information liefert, bietet er eine umso ausführlichere Dar‐ stellung der Atmosphäre in der Basilika Julia. Die Beschreibung erfolgt dabei von innen nach außen, indem der Epistolograph zuerst die 180 versammelten Richter der vier Kammern nennt, sodann die zahlreichen Rechtsbeistände der beiden Parteien anführt und danach die große Schar der Zuschauer er‐ wähnt, die die Akteure in mehreren Reihen umringen. 560 Somit gleicht das Geschehen in der Basilika Julia einem Schauspiel, da nicht nur der Gerichts‐ saal 561 dicht gefüllt ist, sondern auch von der Galerie aus vom Publikum der Versuch unternommen wird, die Verhandlung zu verfolgen. 562 Man kommt kaum umhin, bei der Schilderung der dichtgedrängten Scharen an Epist. 4,16 235 1.7 Verhandlungen im Zentumviralgericht 563 Epist. 5,6,7: amphitheatrum immensum. 564 Zu Epist. 6,33,3 densa circumstantium corona latissimum iudicium multiplici circulo ambibat vgl. Epist. 5,6,17: ambit hunc ambulatio pressis varieque tonsis viridibus inc‐ lusa; ab his gestatio in modum circi, quae buxum multiformem humilesque et retentas manu arbusculas circumit…; 32: hippodromus…platanis circumitur…exteriores buxos circumvenit laurus; 33: cupressis ambitur…interioribus circulis (sunt enim plures) purissimum diem recepit; 34: vario illo multiplicique curvamine. 565 Ulpian zufolge waren diversae sententiae in ein und demselben Fall möglich (Dig. 5,2,24); Sherwin-White (1966), 400. 566 Shelton (2013), 232: „Pliny’s account of the verdict is unfortunately confusing.“ zurückzudenken (1: tanta stipatione cetera tenebantur), wo eine einzelne Figur aus der Masse herausgegriffen wurde. Auch dort fehlen jegliche Anhaltspunkte über das Datum der Verhandlung, und so kann der Leser eine Verbindung zwischen 4,16 und 6,33 herstellen und sich fragen, ob es sich vielleicht um zwei Tableaus desselben Prozesses handelt. Die Klimax der Gerichts-Ekphrasis in Epist. 6,33 bildet das anaphorische Trikolon magna exspectatio patrum, magna filiarum, magna etiam novercarum, durch das den drei Hauptpersonen des Prozesses jeweils ihre repräsentative Gruppe unter den Beobachtern gegen‐ übergestellt ist. Die Beschreibung der Zuseher, die in mehrfachen Kreisen um Richter, Anwälte und Parteien herumstehen, greift in ihrer Wortwahl abermals Epist. 5,6 auf und bietet sozusagen das menschliche Gegenstück zu den leblosen Objekten der Villa: Diese wird einerseits als Teil eines gigantischen natürli‐ chen Amphitheaters bezeichnet, 563 andererseits ist wiederholt von Bäumen und Pflanzen die Rede, die verschiedene architektonische Besonderheiten des Anwesens kreisförmig umringen. 564 In Epist. 6,33,4 hebt Plinius explizit die Spannung der an der Verhandlung teilnehmenden Zuseher hervor, doch auch beim Leser des Briefes dürfte die Erwartung geweckt sein, vor diesem Hintergrund nun eine detailliertere Schil‐ derung von Plinius’ actio vor den Hundertmännern zu erhalten. Doch der Brief klammert diesen Auftritt aus und geht gleich zum Ausgang (5: eventus) der Verhandlung über (5‒6): Während Plinius und Attia Viriola in zwei Kammern siegten, unterlagen sie in den anderen beiden, 565 doch immerhin verlor auch die Stiefmutter, die zuvor als Erbin eines Sechstels des Vermögens (6: heres ex parte sexta) vorgesehen war. 566 Die Information über die doch überraschend geringe Höhe des von Attia angefochtenen Erbes liefert der Epistolograph offenbar bewußt erst im Nachhinein, um zu Beginn der narratio ein möglichst negatives, den üblichen noverca-Klischees entsprechendes Bild der Stiefmutter zu konstru‐ ieren. Nachdem Plinius zu Beginn der narratio nur Attia Viriola, ihren Vater und die noverca als Protagonisten genannt hat, erfahren wir nun von einem weiteren Prozessteilnehmer: Ein gewisser Suburanus war als Sohn eines anderen Vaters 236 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 567 Es handelt sich wohl nicht um den Konsul und Prätorianerpräfekten Trajans, Sextus Attius Suburanus, sondern um einen mit diesem irgendwie verwandten Cousin, Neffen oder Onkel der Attia Viriola; Shelton (2013), 233; vielleicht war er auch der Sohn der Stiefmutter aus erster Ehe; die Erwähnung dieses Suburanus dient möglicherweise dazu, die Verbindung zwischen Attia Viriola und Sextus Attius Suburanus zu betonen, wie Carlon (2009), 134 vermutet. 568 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 401. 569 Dem Motiv des desiderium zu Beginn des sechsten Buches sowie dem Tod des Regulus (6,2) steht also die memoria in Epist. 6,34 gegenüber. von diesem enterbt worden und erhob daraufhin ebenfalls Ansprüche auf das Erbe des Vaters der Attia Viriola (6). Auf das Verwandtschaftsverhältnis zwischen Attia und Suburanus geht Plinius jedoch nicht näher ein, 567 stattdessen hebt er lieber die impudentia dieses Mannes hervor, der es auf das Vermögen eines fremden Vaters abgesehen hatte. Im Anschluss an die Erzählung über den Prozess äußert sich Plinius zum Zweck seines Schreibens, das dem Adressaten einerseits Informationen liefern soll, die aus der Rede nicht ersichtlich werden (7: ut ex epistula scires, quae ex oratione non poteras), und ihn andererseits selbst in die Rolle des virtuellen Beobachters zu versetzen sucht (interesse iudicio). Während wir zuvor innerhalb der epistolaren narratio eine Schilderung von Plinius’ Auftritt vermisst haben (wir erfahren dort nur, was vor und nach seiner Rede passiert ist), liefert er am Ende des Schreibens einige Details zu Aufbau und Stil der oratio pro Attia Viriola nach (8‒10). Neben der copia rerum, arguta divisio und eloquendi varietas hebt Plinius auch mehrere narratiunculae hervor, mit denen er seine Rede bereicherte (8). Angesichts der brisanten Personenkonstellation von Tochter, senex amore captus und noverca würde man natürlich gerne mehr über den Charakter dieser erzählerischen Einlagen wissen. Plinius dürfte sein zahlreich versammeltes Publikum nicht enttäuscht haben, da er in seiner Rede auch Emotionen wie indignatio, ira und dolor zum Ausdruck gebracht haben will (10). Mit der Vorstellung von einem abwechselnd entrüsteten, zornigen und von Schmerz erfüllten Plinius endet der Vorschluss-Brief des sechsten Buches somit in einem emotionalen Crescendo, bevor der letzte Brief mit dem Thema der Leichenspiele ein passendes Schluss-Motiv enthält und den Ton wieder beruhigt. Zudem scheinen sich die epischen Reminiszenzen, mit denen Plinius Epist. 6,33 eröffnet hat, in Epist. 6,34 fortzusetzen: Der Epistolograph lobt dort einen gewissen Maximus 568 dafür, dass er in Verona ein Gladiatorenspiel zum Gedenken an seine verstorbene Ehefrau, 569 die von dort stammte, ausgerichtet hat - einerseits verlagert sich das Geschehen von der juristischen Arena in diejenige der Zirkusspiele, andererseits wird in Epist. 6,34 das fünfte Buch der Aeneis mit dem Thema der Leichenspiele sozusagen in einen epistolaren Kontext 237 1.7 Verhandlungen im Zentumviralgericht 570 Vgl. Ciceros Briefe Fam. 2,11,2; 8,8,10; 8,9,3; Sherwin-White (1966), 401. 571 Zum Seesturm in der Epik vgl. etwa Ratkowitsch (1986). 572 Als tirones werden auch neue Gladiatoren bezeichnet, wodurch der Bezug zwischen dem Adressaten von Epist. 6,1 und dem in 6,34,1 erwähnten munus gladiatorium hergestellt ist; vgl. OLD, 1943 s.v. transferiert. Zudem erwähnt Plinius gegen Ende des Schreibens, dass die von Maximus bestellten afrikanischen Tiere 570 wegen eines Seesturms nicht recht‐ zeitig eingetroffen waren (3: tempestate detentae), und inkorporiert dadurch ebenfalls ein Standardmotiv der Epik in seinen Brief. 571 Anfang und Ende des sechsten Buches sind zudem über die Namen der Adressaten miteinander verknüpft: War Epist. 6,1 an einen Tiro („Anfänger, Neuling“) gerichtet, ist der Empfänger des letzten Briefes ein Maximus, wodurch bei linearer Lektüre des Buches ein Fortschreiten von jung zu alt oder auch vom Anfänger zum „alten Hasen“ suggeriert wird. 572 238 1 Narrationen über rhetorische Performanz am Schauplatz Gericht 1 Seine genaue Identität ist unbekannt; Sherwin-White (1966), 259‒60 vermutet, dass es sich bei ihm um keinen Senator handelt, da er an den in Epist. 3,20 und 4,25 erwähnten Wahlen offenbar nicht teilnahm. 2 Zu den beiden Briefen vgl. Lefèvre (2003) und (2009), 93‒102; Page (2015), 105‒7; zu 3,20 vgl. Beutel (2000), 241‒53. 3 Mit at nunc (2) wird der Kontrast zwischen der früheren Zeit und der Gegenwart des Plinius deutlich gemacht; vgl. Beutel (2000), 242; Sherwin-White (1966), 260 datiert die in Epist. 3,20 erwähnte Senatssitzung auf Januar 103 oder 104 n. Chr. 2 Eingelegte Schriftlichkeit: Briefe über Stimmtäfelchen und Inschriften Im vorausgehenden Kapitel wurden Narrationen über verschiedene Prozesse in den Blick genommen, wobei in diesem Zusammenhang auch der Aspekt der Mündlichkeit eine wichtige Rolle spielte, wenn Plinius von seinen actiones am Schauplatz Gericht erzählte und dabei auch öfters direkte Reden einstreute, nicht selten seine eigenen, durch die er seine rhetorische Schlagfertigkeit demonstrierte. Das vorliegende Kapitel soll nun solche Narrationen analysieren, die sich um verschiedene Formen von Schriftlichkeit drehen, etwa wenn es um die Einführung von Stimmtäfelchen bei Abstimmungen im Senat geht (Kap. 2.1) oder über die Grabinschriften des Freigelassenen Pallas (Kap. 2.2) und des Verginius Rufus (Kap. 2.3) diskutiert wird. Es handelt sich in den genannten Fällen jeweils um Briefpaare, die kürzere simultane Erzählungen über das betreffende Thema bilden. 2.1 Plinius über die geheime Abstimmung im Senat (Epist. 3,20 und 4,25) Der Senat, Schauplatz spektakulärer Prozesse in mehreren der bereits betrachteten Briefe, steht auch in Epist. 3,20 und 4,25 im Zentrum. Dieses Briefpaar bildet eine Art Fortsetzungsgeschichte, in der Plinius seinem Freund Maesius Maximus 1 über die Wiedereinführung der lex tabellaria, d.h. der geheimen Abstimmung, im Senat berichtet. 2 Das erste der beiden Schreiben beginnt mit der Frage meministine te saepe legisse, quantas contentiones excitarit lex tabellaria quantumque ipsi latori vel gloriae vel reprehensionis attulerit? (1). Obwohl dieses Gesetz in der Vergangenheit umstritten gewesen sei, habe man es nun im Senat sine ulla dissensione wieder eingeführt (2). 3 Dadurch, dass Plinius seinen Adressaten zu Beginn des Briefes 4 Zum Begriff der alexandrinischen Fußnote vgl. Ross (1975), 78: Hinds (1998), 1‒5. 5 Auf diese Parallele weist bereits Kukula (1916), II, 38 hin; vgl. Sherwin-White (1966), 260; Beutel (2000), 242; Lefèvre (2003), 190; zur Passage bei Cicero vgl. Dyck (2004), 525‒37. 6 Im folgenden Satz beschwichtigt Cicero allerdings die Befürchtungen seines Bruders und versichert ihm, derselben Meinung zu sein, nämlich dass die offene Abstimmung zu bevorzugen sei (Leg. 3,33: nihil ut fuerit in suffragiis voce melius). 7 Sie wurde 139 v. Chr. eingeführt; Lefèvre (2003), 190. direkt anspricht bzw. ihm eine Frage stellt, lässt er deutlich werden, dass es sich um einen Dialog handelt, wenngleich auf Distanz, und eine Antwort des Maesius Maximus zu erwarten ist. Ein Dialog ist es auch, der den Prätext für den Brief 3,20 bzw. das Briefpaar liefern dürfte, und den Plinius sozusagen mit einer Art alexandrinischer Fußnote (meministi te saepe legisse) 4 in Erinnerung ruft: In Ciceros Schrift De legibus diskutieren Cicero, sein Bruder Quintus und Atticus im dritten Buch die Vor- und Nachteile geheimer Abstimmungen (Leg. 3,33‒39). 5 Nachdem Cicero angekündigt hat, er werde sich mit der schwierigen und oft diskutierten Frage befassen, ob bei der Übertragung eines Amtes, dem Urteil über einen Angeklagten sowie der Beantragung oder Verabschiedung eines Gesetzes geheim oder offen abzustimmen sei (Leg. 3,33: suffragia…clam an palam ferri melius), fragt Quintus verwundert: an etiam id dubium est? vereor, ne a te rursus dissentiam (Leg. 3,33). Vor dem Hintergrund der dissensio, die Quintus seinem Bruder in Aussicht stellt, 6 ist es umso auffälliger, dass Plinius vom Fehlen jeglicher dissensio im Senat erzählt. Im weiteren Verlauf der Diskussion in De legibus tut sich insbesondere Quintus hervor, dessen Rede ein Beispiel für eine reprehensio liefert, wie sie von Plinius am Beginn des Briefes in Erinnerung gerufen wird. Quintus unterscheidet zwischen vier leges tabellariae (Leg. 3,35) und charakterisiert jeweils kurz den dazugehörigen Antragsteller. So sei die lex Gabinia de magistratibus mandandis, um die es dann auch bei Plinius geht, 7 von einem homo ignotus et sordidus eingebracht worden. Die zwei Jahre später eingeführte lex Cassia de populi iudiciis stamme von einem Mann, der sich als homo nobilis von den Optimaten lossagte und lieber Gerede im Sinne der Popularen aufgriff (omnes rumusculos populari ratione aucupante). Nicht viel schmeichelhafter ist die Charakterisierung des C. Papirius Carbo, der als Beantrager der lex Carbonis de iubendis legibus ac vetandis von Quintus als aufrührerischer und unverschämter Mitbürger bezeichnet wird (seditiosi atque improbi civis). Eine ähnliche reprehensio der lex tabellaria liefert Plinius insbesondere in Epist. 4,25 an einem konkreten Beispiel, während er in Epist. 3,20 die Konse‐ quenzen dieser Neuerung noch abwarten will. Anstelle der geheimen Abstim‐ mung erfolgt hier eine Kritik an der Durchführung von offenen Wahlen, bei denen die Senatoren zu Plinius’ Zeit angeblich die Zügellosigkeit der Volksver‐ 240 2 Eingelegte Schriftlichkeit: Briefe über Stimmtäfelchen und Inschriften 8 Die Häufung und Betonung des i-Vokals (magni…clamores) erweckt den Eindruck einer gewissen Hysterie. 9 Das Verb procurrere wird auch als militärischer terminus technicus gebraucht; vgl. OLD, 1471 s.v. procurro. 10 Lefèvre (2003), 192 weist auf die Parallele zwischen der indecora confusio bei Plinius und die von Cicero in Off. 2,65 beklagte confusio temporum hin. 11 So etwa Sherwin-White (1966), 260; Beutel (2000), 243‒4; die Kritik an den Ehrungen, die der Senat laut Epist. 7,29 und 8,6 dem Freigelassenen Pallas hat zukommen lassen, spricht allerdings dagegen; s. Kap. II.2.2. 12 Bütler (1970), 146 spricht von „romantischer Schwärmerei“, die wenig mit „kritisch-his‐ torischem Denken“ zu tun habe; Lefèvre (2003), 191 dürfte wohl recht haben, wenn er konstatiert: „Es ist wohl nicht eine bestimmte Zeit gemeint“. sammlung (3: licentiam contionum) noch überschritten. In stilistisch ausgefeilter Manier schildert der Epistolograph das undisziplinierte Gebaren der Senatoren, wenn er etwa in einem tricolon crescens mit non-Anapher und Homoioteleuton des Gerundiums die ungeordneten Wortmeldungen kritisiert (3: non tempus lo‐ quendi, non tacendi modestia, non denique sedendi dignitas custodiebatur). Das im Brief beschriebene Geschehen gleicht eher dem Treiben auf einem Markt oder einer Schlachtszene als einem Treffen des ordo senatorius (4): magni undique dissonique clamores, procurrebant omnes cum suis candidatis, multa agmina in medio multique circuli et indecora confusio. Lautes Geschrei, 8 Vorstürmen der Proponenten mit ihren Kandidaten 9 und das Bilden verschiedener Grüppchen führt zu einer des Senats unwürdigen Verwirrung. 10 Im Unterschied dazu habe man zur Zeit der Väter noch Ehrfurcht für die Würde des Ortes empfunden (4: maiestatem loci pudoremque) und sich wohlgeordnet, maßvoll und ruhig verhalten (4: omnia disposita, moderata, tranquilla). Für die als vorbildhaft angesehene consuetudo parentum (4), von der man in der Gegenwart abgewichen sei (4: desciveramus), führt Plinius als Beleg den mündlichen Bericht einiger senes an, die vom Ablauf der Wahltage in der „guten alten Zeit“ erzählen (5‒6). Da es sich offenbar um noch lebende Zeitzeugen handelt (5: ex quibus audire soleo), haben manche Forscher angenommen, dass die julisch-claudische Ära dieses positiv aufgeladene „Seinerzeit“ darstellt; 11 an‐ dere wieder bezweifeln, dass Plinius seinen Lesern tatsächlich einen konkreten Zeitabschnitt der Vergangenheit vor Augen führen will, da die senes ebefalls mündlich Überliefertes weitererzählt haben könnten; der Epistolograph kon‐ struiert wohl ein absichtlich vage bleibendes „Früher“, das ihm als Kontrastbild zu den Sitten seiner Gegenwart dient. 12 Plinius zufolge berichten seine älteren Zeitgenossen, dass früher die Amtsbewerber während allgemeiner Stille im Senat für sich selbst sprachen, ihre Biographie präsentierten und ihre Bürgen und Unterstützer nannten, die ihrerseits kurz und nachdrücklich für ihren 241 2.1 Plinius über die geheime Abstimmung im Senat (Epist. 3,20 und 4,25) 13 Die lex Visellia schloss Abkömmlinge von Sklaven vom Senat aus, die lex annalis regelte das Mindestalter für die Ämterlaufbahn, und infames und indigni wurden ebenfalls von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen; Sherwin-White (1966), 261. 14 Auf diese Parallele weist Lefèvre (2003), 193 hin. 15 Vgl. Ogilvie (1965), ad loc.; Burton (2008). Kandidaten sprachen (5: graviter et paucis loquebantur). Bisweilen wurden von einem Kandidaten auch Herkunft, Alter und Charakter seiner Mitbewerber getadelt, 13 wobei der Senat gravitate censoria zuhörte (6). Seine laudatio temporis acti beschließt Plinius mit der pointiert zugespitzen Feststellung ita saepius digni quam gratiosi praevalebant (6). Mit nunc (7) greift Plinius einerseits den Beginn seiner Darstellung wieder auf (vgl. 2: at nunc) und kehrt in die Gegenwart des Briefes zurück; seine im vorigen Satz artikulierte Kritik am Aufstieg der gratiosi führt er mit der Bemerkung weiter, dass das ehemals würdevolle Wahlprozedere jetzt durch un‐ mäßige Günstlingswirtschaft (7: immodico favore) verfälscht werde. Aufgrund dieser beklagenswerten Zustände habe man die lex tabellaria gleichsam als Heilmittel (7: remedium) wieder eingeführt, das anfänglich dank seiner Neuheit tatsächlich gewirkt haben soll. Doch ein Nachlassen dieser Wirkung bzw. gar eine Verschlechterung sei zu befürchten, wie Plinius in livianischer Manier zum Ausdruck bringt: sed vereor, ne procedente tempore ex ipso remedio vitia nascantur. est enim periculum, ne tacitis suffragiis impudentia inrepat (8). Sowohl die vor‐ angehende narratio über den Sittenverfall im Senat als auch die hier artikulierte Befürchtung evoziert die praefatio des Livius zu seinem Geschichtswerk, und zwar insbesondere die folgende Passage (praef. 9): 14 labente deinde paulatim disciplina velut desidentes primo mores sequatur animo, deinde ut magis magisque lapsi sint, tum ire coeperint praecipites, donec ad haec tempora quibus nec vitia nostra nec remedia pati possumus perventum est. Neben den verbalen Parallelen scheint Plinius auch die Alliteration am Ende der livianischen Satzperiode (pati possumus perventum est) durch die Wortfolge impudentia inrepat zu imitieren. Während Livius in seinem monumentalen Werk die römische Geschichte ab urbe condita erzählt, bietet Plinius Zeitgeschichte in nuce, indem er anlässlich eines aktuellen Anlasses das Verhalten der Senatoren unter Trajan im begrenzten Rahmen eines Briefes anprangert. Die in 3,20,5 gelobte Gewohnheit der Vorfahren, im Senat graviter et paucis zu sprechen, spiegelt sich im Thema und der formalen Beschaffenheit des vorliegenden Briefes. Anders als Livius, der den Tiefpunkt der Entwicklung in seiner eigenen Zeit festmacht, 15 sieht ihn Plinius noch in der Zukunft, wenn er fehlenden Anstand der Senatoren bei geheimen Abstimmungen und um sich greifende 242 2 Eingelegte Schriftlichkeit: Briefe über Stimmtäfelchen und Inschriften 16 Januar 104 oder 105 n. Chr.; Sherwin-White (1966), 259‒60. 17 Bereits Schultz (1899), 4 erkennt hier ein vaticinium post eventum und schlägt vor, dass Plinius bei der Abfassung von Epist. 3,20 den in 4,25 geschilderten Vorfall bereits kannte; vgl. Lefèvre (2003), 196. 18 Vgl. Bütler (1970), 141; Beutel (2000), 248‒53; Lefèvre (2003), 193‒5; Gibson/ Morello (2012), 253‒6; Page (2015), 170‒1. 19 Vgl. Epist. 9,2,3: nos quam angustis terminis claudamur. 20 Zur Junktur humile et sordidum vgl. Epist. 1,3,3; 5,8,9; 8,24,6; Lefèvre (2003), 194. 21 Vgl. Senecas Kritik and Ciceros Briefen in Epist. 118,1: nec faciam, quod Cicero, vir disertissimus, facere Atticum iubet, ut etiam ‘si rem nullam habebit, quod in buccam venerit’ scribat; vgl. Cic. Att. 1,12,4: si rem nullam habebis, quod in buccam venerit scribito; Thraede (1970), 65‒8. 22 Vgl. Traub (1955), 222‒3; zur Synkrisis der Gattungen in Epist. 5,8 s. S. 97-100. impudentia prophezeit (8). Mit der Formulierung sed nimis cito de futuris (9) schränkt Plinius diese negative Zukunftsmalerei ein und kehrt zurück zu den gegenwärtig noch positiven Aspekten der lex tabellaria. Der Brief 4,25, den Sherwin-White auf ein Jahr nach Epist. 3,20 datiert, 16 berichtet dann von einem Vorfall, der mit seinem exemplum impudentiae die in 3,20 ausgedrückten Befürchtungen voll und ganz bestätigt. Erweist sich Plinius nun als „Hellseher“ in Epist. 3,20, oder lässt sich der Satz sed nimis cito de futuris als eine Art narratives foreshadowing der Erzählung im folgenden Buch auffassen? M.E. trifft die zweite Alternative zu und wir haben es hier mit einer epistolaren Fortsetzungsgeschichte zu tun, die Buch 3 und 4 miteinander verklammert. 17 Das Ende des Briefes 3,20, in dem Plinius über das Verfassen von Briefen sowie die politische Situation seiner Zeit reflektiert (10‒12), hat bislang das meiste Interesse der Forscher auf sich gezogen. 18 Im Inhalt seines Schreibens sieht Plinius etwas Neues und politisch Relevantes (10: aliquid novi…de re publica) und bemerkt, dass die gegenwärtige Zeit kaum mehr Möglichkeiten biete, solche Themen zu behandeln. 19 Den üblichen, inhaltsleeren epistolaren „Smalltalk“ (quid agis? ecquid commode vales? ) bezeichnet Plinius als illa vulgaria sowie als humile, sordidum und privatis rebus inclusum (11), 20 d. h. als eine Art banale Kommunikation, von der sich der vorliegende Brief unterscheiden soll. 21 Die Junktur humile et sordidum verwendet Plinius auch in Epist. 5,8, wo er die Unterschiede zwischen Historiographie und Redekunst erläutert und in diesem Zusammenhang ausführt, dass für die eine Gattung pleraque humilia et sordida et ex medio petita typisch seien, während die andere sich durch recondita, splendida, excelsa auszeichne (9). Wie bereits in anderem Kontext erläutert wurde, dürfte es sich im ersten Fall um die Gerichtsrede, im zweiten um die Historiographie handeln. Dieser intratextuelle Bezug sowie die vorhin diskutierten Anspielungen auf Livius legen nahe, dass Plinius in Epist. 3,20 mit der Historiographie wetteifern will. 22 Mit den Worten sunt quidem cuncta 243 2.1 Plinius über die geheime Abstimmung im Senat (Epist. 3,20 und 4,25) 23 Vom eigentlichen Panegyricus handeln im selben Buch die Briefe 3,13 und 3,18. 24 Mit einem ganz ähnlichen Wortlaut beschreibt Plinius in Epist. 2,17,9 die Beheizung seiner Zimmer in der laurentinischen Villa: …transitu interiacente, qui suspensus et tubulatus conceptum vaporem salubri temperamento huc illuc digerit et ministrat. 25 Während Beutel (2000), 249 hier eine „offene Kritik an den politischen Verhältnissen unter Trajan“ erkennt, sieht Page (2015), 170‒1 in dieser Passage eine positive Bewer‐ tung der Stellung Trajans an der Spitze. 26 Vgl. Hor. Ars. 291: limae labor; Plin. Epist. 3,5,3: pari ingenio curaque composuit; 3,7,5: scribebat carmina maiore cura quam ingenio. 27 Auf die beabsichtigte Juxtaposition der Briefe 3,20 und 3,21 am Ende des Buches weist auch Lefèvre (2003), 195 hin, der einen Vergleich zu Horaz c. 3,29 und 3,30 zieht und in beiden Fällen von einer „Doppelsphragis“ spricht, da jeweils nach der Darlegung der Weltanschauung die persönliche Leistung des Autors hervorgehoben werde. sub unius arbitrio (12) leitet Plinius den Schluss der Epistel ein, der sich als ein kleiner Panegyricus Traiani lesen lässt. 23 Zwar unterliege jetzt alles der Entscheidung eines Einzelnen, doch habe dieser im Sinne des Gemeinwohles alle Sorgen und Mühen (curas laboresque) auf sich genommen. Der Kaiser wird schließlich mit einer freigebigen Quelle (ex illo benignissimo fonte) verglichen, die wohltemperierte Bäche hervorbringt (quidam…salubri temperamento…rivi); aus diesen könne Plinius selbst schöpfen (haurire ipsi) und daraus brieflich seinen Freunden etwas zukommen lassen (absentibus amicis quasi ministrare epistulis). 24 Diese Quellen-Metaphorik lässt sich freilich zunächst auf die politi‐ sche Lage und das Verhältnis von Senatoren wie Plinius zu Trajan beziehen, 25 dürfte jedoch auch auf metaliterarischer Ebene zu verstehen sein. So weisen Gibson und Morello (2012: 255‒6) auf die Bedeutung von cura und labor bei der Produktion literarischer Werke 26 hin und sehen in Trajan hier eine Art Muse der Epistolographie. Folgt man dieser Interpretation und deutet den Kaiser als Inspirationsinstanz zumindest für Briefe mit politischem Inhalt, die sich über die Sphäre des humile und sordidum erheben, dann wäre auch eine Verbindung zu Epist. 3,21 gegeben, wo der „ernsten“ Muse der Epistolographie die spielerische Muse der Epigrammatik gegenübertritt. 27 Der ebenfalls an Maesius Maximus gerichtete Brief 4,25 handelt erneut von der geheimen Abstimmung und verweist am Beginn deutlich auf Epist. 3,20 zurück: Scripseram tibi verendum esse, ne ex tacitis suffragiis vitium aliquod exsisteret (1) greift 3,20,8 auf (sed vereor, ne procedente tempore ex ipso remedio vitia nascantur). Tatsächlich ist aus der früheren Befürchtung nun Realität geworden, wie Plinius konstatiert (4,25,1: factum est). Auf die kurze Einleitung folgt eine narratio, die vom Treiben eines Scherzboldes während einer geheimen Beamtenwahl im Senat erzählt und in diesem Zuge auch die Empörung des Plinius zum Ausdruck bringt (1‒4). Das aus 3,20 und 4,25 bestehende Brief-Diptychon thematisiert somit einmal das Fehlverhalten der Senatoren bei offenen und einmal bei geheimen 244 2 Eingelegte Schriftlichkeit: Briefe über Stimmtäfelchen und Inschriften 28 Vgl. Lefèvre (2003), 196. 29 Lefèvre (2003), 196 sieht das Skandalöse in den Namen der (ohnehin bekannten) Fürsprecher des Kandidaten darin, dass „dadurch zum Ausdruck gebracht werden soll, ein unfähiger Kandidat habe nur durch die entsprechende Protektion eine Chance, so daß er gebrand‐ markt wird“, und weist zudem auf eine Überlegung Karl Strobels hin, dass auch der Name Trajans auf dem Täfelchen gestanden haben könnte; diese „böse Pointe“ würde auf vorherige Absprache der Ämtervergabe abzielen. 30 Mit domi ist wohl die Rolle des Betreffenden als pater familias angedeutet, wie Lefèvre (2003), 197 erörtert. 31 Vgl. Roller (1998), 287. Abstimmungen. 28 Ähnlich wie in Epist. 3,20 fallen auch in 4,25 die Gegenwart des Briefes und das dramatische Datum der Erzählung eng zusammen, da Plinius seinem Adressaten von einem relativ aktuellen Ereignis zu schreiben scheint (1: proximis comitiis). Am Ende seiner Narration bemerkt der Epistolograph, dass der anonyme Senator mit seinem Verhalten eher in ein Possentheater gehöre (4: inde ista ludibria scaena et pulpito digna), wodurch - ungeachtet der indignatio des Sprechers - ein indirekter Hinweis gegeben ist, mit welchen Gattungen sich der Brief 4,25 berührt: Der hier geschilderte Vorfall könnte auch im Rahmen eines komischen Dramas wie des Mimus oder in einer Satire erzählt werden. Am Beginn der Narration hat man den Eindruck, dass es sich um mehrere Senatoren handelt, die sich bei der Abstimmung einen Spaß erlaubten, da es heißt in quibusdam tabellis multa iocularia atque etiam foeda dictu, in una vero pro candidatorum nominibus suffragatorum nomina inventa sunt (1). Der Mißbrauch der Stimmtäfelchen schloss anscheinend neben Scherzen und ungültigen Namen 29 auch Obszönitäten ein (foeda dictu), wodurch der Senat in Zorn geriet (2: excanduit senatus). Vom Plural wechselt Plinius in den Singular, wenn er fortfährt, dass der Senat auf denjenigen, der solches geschrieben hatte, Trajans Zorn herabwünschte (2: ei, qui scripsisset, iratum principem est comprecatus); der Übeltäter (ille) blieb trotz allem verborgen, ja befand sich möglicherweise sogar unter den indignantes (2). Auf die kurze Narration des Vorfalls im Senat folgt der entrüstete Kommentar des Sprechers, der sich (und seinen Adressaten) fragt, wie sich der Mann wohl zuhause verhalte (3: quid hunc putamus domi facere? ), 30 der zu einem so wichtigen Anlass den Possenreißer spiele (3: qui…tam scurriliter ludat) und überhaupt im Senat als dicax et urbanus et bellus auftrete. Plinius’ Kritik an seinem anonymen Kollegen evoziert den Spott Catulls auf den untalentierten Dichter Suffenus, der mit ähnlichen Worten charakterisiert wird (c. 22): 31 Suffenus iste…homo est dicax et urbanus (1‒2)…bellus ille et urbanus (9)…hoc quid putemus esse? qui modo scurra…videbatur (12‒13). Während die Attribute dicax, urbanus und bellus bei Catull auf den ersten Blick positiv konnotiert zu sein scheinen und Suffenus als geistreichen Zeitgenossen beschreiben, solange er nur keine Gedichte schreibt - dann ist er nämlich infaceto infacetior rure (14) 245 2.1 Plinius über die geheime Abstimmung im Senat (Epist. 3,20 und 4,25) 32 Zu Catull. c. 22 vgl. Watson (1990); Adamik (1995). 33 Adamik (1995), 80‒2 führt in seiner Analyse von c. 22 aus, dass die Begriffe bei Catull doppeldeutig und ironisch sind und verweist in diesem Zusammenhang auf die Diskussion von urbanitas und dicacitas bei Quintilian (Inst. 6,3,13‒14) und bei Cicero (De orat. 2,244: scurrilis oratori dicacitas magno opere fugienda est). 34 Vgl. exemplarisch Catull c. 50,1‒5: Hesterno, Licini, die otiosi / multum lusimus in meis tabellis…scribens versiculos uterque nostrum / ludebat numero modo hoc modo illoc; Mart. 1,3,10 (an das Buch): neve notet lusus tristis harundo tuos; Plin. Epist. 7,9,10: lusus vocantur. 35 Vgl. Epist. 4,14,3: his iocamur ludimus amamus…; 4,27,3: quod ego interdum versibus ludo; 5,3,2: aliquando praeterea rideo iocor ludo…; s. Kap. II.3. 36 Vgl. Roller (1998), 287: „Pliny expressly denounces an incursion of Catullan values into a ‘serious’ domain of activity“; dass urbanitas nicht in den Senat gehört, geht aus Epist. 8,6,3 hervor: dicerem urbanos, si senatum deceret urbanitas; s. S. 251. 37 Vgl. Epist. 7,27,7 über den Philosophen Athenodorus im Geisterhaus: poscit pugillares, stilum…ad scribendum animum, oculos, manum intendit. 38 Als Heilmittel bzw. Heilender wird Trajan auch in Epist. 5,13,7 charakterisiert, wo es um die Käuflichkeit von Anwälten und damit einhergehende Mißachtung von Gesetzen und Senatsbeschlüssen geht: petendum ab optimo principe, ut…ipse tantis vitiis mederetur. -, 32 verwendet Plinius diese Begriffe eindeutig in einem negativen Sinn. 33 Auch das scurriliter ludere bei Plinius lässt an epigrammatischen lusus bei Dichtern wie Catull und Martial denken, 34 sodass der Kontrast zwischen der Welt der Neoteriker und der des römischen Senats durch diesen intertextuellen Dialog deutlich zutage tritt; lusus gehört für Plinius eindeutig in die Sphäre des otium, nicht in den Senat. 35 Vernehmen wir in Epist. 4,25 nun die empörte Stimme des historischen Senators Plinius oder handelt es sich vielleicht auch oder gar vielmehr um ein literarisches Spiel mit einem poetischen Prätext, dessen literarkritischer Diskurs in den politischen Kontext des Briefes transferiert wird? Sowohl Catulls Suffenus als auch der anonyme Senator bei Plinius werden in ihrer Rolle als Schreibende verspottet - der eine verliert seine urbanitas, wenn er selbstverliebt lange Gedichte verfasst (c. 22,3: idemque longe plurimos facit versus), der andere zeigt sich im falschen Moment als dicax, urbanus und bellus, indem er Scherze (möglicherweise in der subversiven Art eines Neoterikers) 36 auf seine Stimmtäfelchen schreibt (4: poposcit tabellas, stilum accepit, demisit caput…). 37 Auch das Ende des Briefes ist von intertextuellen Anspielungen geprägt: Auf die Fragen quo te vertas? quae remedia conquiras? folgt die Diagnose ubique vitia remediis fortiora (5), wodurch abermals die praefatio des Livius evoziert wird (9: nec vitia nec remedia pati possumus). Ein Heilmittel für die gegenwärtigen Mißstände (iners et tamen effrenata petulantia) sieht Plinius im Kaiser, auf den er im Rahmen eines griechischen Zitats verweist: ἀλλὰ ταῦτα τῷ ὑπὲρ ἡμᾶς μελήσει (5). 38 Quelle dieses Zitats ist Platons Phaidon, wo Sokrates im Zusammenhang mit bösem Zauber (βασκανία), der die Diskussion negativ beeinflussen könnte, 246 2 Eingelegte Schriftlichkeit: Briefe über Stimmtäfelchen und Inschriften 39 Auf Platon als Quelle weist Mynors (1963) im textkritischen Apparat hin; vgl. Lefèvre (2003), 198 mit Anm. 44. 40 Vgl. Plin. Pan. 2,3: nusquam ut deo, nusquam ut numini blandiamur: non enim de tyranno sed de cive, non de domino sed de parente loquimur; vgl. Mart. 10,72,1‒3: Frustra, Blanditiae, venitis ad me…dicturus dominum deumque non sum; Lorenz (2002), 225‒7. 41 Vgl. Sherwin-White (1966), 438; zu Pallas vgl. Oost (1958); Pavis d’Escurac (1985); Nutton (1996); Chelotti (2008); Analysen des Briefpaares bieten Lefévre (2009), 80‒93; Leach (2013). 42 Buch 7 und 8 werden von Sherwin-White (1966), 41 in die Jahre 107/ 108 n. Chr. datiert, wobei es für die Abfassungszeit der Briefe 7,29 und 8,6 keine konkreten Anhaltspunkte gibt; der Senatsbeschluss über die Ehrungen für Pallas wurde 52 n. Chr. gefasst, sein Tod fiel in das Jahr 62 n. Chr.; vgl. Tac. Ann. 12,53; Sherwin-White (1966), 438‒9. 43 Sherwin-White (1966), 438 führt den Konsul des Jahres 81. n. Chr., T. Iunius Montanus, als potenziellen Kandidaten an, wogegen Birley (2000), 73 jedoch Einwände hat. die Worte ἀλλὰ δὴ ταῦτα μὲν τῷ θεῷ μελήσει (95b) spricht. 39 Plinius wandelt den griechischen Text ein wenig ab und ersetzt τῷ θεῷ durch τῷ ὑπὲρ ἡμᾶς, wohl um die Bezeichnung Trajans als Gott und damit Anklänge an die Titulatur Domitians zu vermeiden. 40 Es dürfte deutlich geworden sein, dass Plinius seine Schilderung der Miß‐ stände im Senat bei den Beamtenwahlen als epistolare Fortsetzungsgeschichte komponiert hat, durch die Buch 3 und 4 miteinander verklammert sind. Die beiden Briefe sind weniger als Dokumente zur persönlichen Haltung des Epis‐ tolographen bezüglich des zeitgenössischen Sittenverfalls zu verstehen, sondern bilden literarisch anspielungsreiche Texte, in denen Diskurse aus anderen Gattungen wie Historiographie und skoptischer Poesie in einen epistolaren Kontext transferiert werden. 2.2 Ridere und indignari: die Grabinschrift des Pallas (Epist. 7,29 und 8,6) Eine Art „Briefroman“, der von vornherein als solcher komponiert sein dürfte, bilden auch Epist. 7,29 und 8,6 über die Ehrungen und die Grabinschrift für den Freigelassenen Pallas, der unter Kaiser Claudius das Amt des a rationibus innehatte. 41 Während wir in Epist. 3,20 und 4,25 einen geringen zeitlichen Abstand zwischen dem dramatischen Datum der Narration und der Gegenwart des Schrei‐ bens beobachten konnten, liegt zwischen dem Kompositionsdatum der Briefe 7,29 und 8,6 und dem dramatischen Datum der darin geschilderten Ereignisse über ein halbes Jahrhundert. 42 Beide Schreiben sind an einen gewissen Montanus gerichtet, dessen Identität sich nicht eindeutig klären lässt. 43 Während der erste der beiden Briefe (7,29) relativ kurz ist, handelt es sich beim zweiten (8,6) um 247 2.2 Ridere und indignari: die Grabinschrift des Pallas (Epist. 7,29 und 8,6) 44 Vgl. den Überblick bei Fögen (2020) in der Appendix. 45 Bei Horaz ist ridentem dicere verum das Programm seiner Satiren (1,1,24), während bei Juvenal die indignatio als Antrieb dient (Sat. 1,79); vgl. Braund (1996), 17‒8; Holzberg (2009), 65‒6. 46 Vgl. Leach (2013), 130; zu den Grabmälern von Freigelassenen in der Kaiserzeit vgl. Mouritsen (2005). 47 So etwa in CEG 1,28, der Grabinschrift für einen Thrason aus dem 6. Jh. v. Chr., wo der Wanderer aufgefordert wird, stehenzubleiben und zu trauern (2: οἴκτιρον); vgl. CEG 1,159; AP 7,166,6 (δάκρυα χεῖτε); Mart. 6,28,10 auf den Knaben Glaucias: qui fles talia, nil fleas, viator; 11,91; vgl. Meyer (2005), 65‒8; eine Parodie auf einen fiktiven Epitaph und den weinenden Leser findet sich bei Lukillios (AP 11, 312, 4‒6): ‘κλαύσατε δωδεκέτη Μάξιμον ἐξ Ἐφέσου.’ / οὐδὲ γὰρ εἶδον ἐγώ τινα Μάξιμον· εἰς δ᾽ ἐπίδειξιν / ποιητοῦ κλαίειν τοῖς παριοῦσι λέγω; vgl. Floridi (2014), ad loc.; Höschele (2010), 86‒8. den zweitlängsten Brief in Buch 8. 44 Wie bereits aus dem Beginn von Epist. 7,29 hervorgeht, werden ridere und indignari als zu erwartende Reaktionen auf das Geschilderte in Aussicht gestellt, wodurch die Nähe dieser Briefe zur Gattung der Satire angedeutet ist (7,29,1): Ridebis, deinde indignaberis, deinde ridebis, si legeris, quod nisi legeris, non potes credere. 45 Es folgt auf diese kurze Einleitung eine Beschreibung der Grabinschrift für Pallas, auf die Plinius angeblich kürzlich bei einer Reise auf der Via Tiburtina aufmerksam geworden ist (2): est via Tiburtina intra primum lapidem (proxime adnotavi) monimentum Pallantis ita inscriptum: ‘huic senatus ob fidem pietatemque erga patronos ornamenta praetoria decrevit et sestertium centiens quinquagiens, cuius honore contentus fuit.’ Dass M. Antonius Pallas im Jahre 52 durch Beschluss des Senats mit den Insignien eines Prätors sowie fünfzehn Millionen Sesterzen geehrt werden sollte, wobei Pallas den Geldbetrag ablehnte und nur die Prätorwürden annahm (vgl. Epist. 8,6), dürfte Plinius schon vor der Autopsie des Grabsteins bekannt gewesen sein - immerhin äußert sich bereits der Ältere Plinius sarkastisch über diesen Akt, den er als insigne venaliciis gregibus und obprobrium insolentis fortunae (Nat. 35,201) bezeichnet. Das Motiv der Autopsie hat Plinius wohl der dramatischen Anschaulichkeit wegen gewählt, 46 und abgesehen davon evoziert die Vorstellung von Plinius als wanderndem Leser einer Grabinschrift die Tradition der Epigrammatik. Was uns Plinius in diesem Brief präsentiert, ist gewissermaßen die Umkehrung der zu erwartenden Reaktion auf die Lektüre eines Epitaphs: Während in Grabinschriften der Wanderer/ Leser in der Regel um eine pietätvolle Geste für den Verstorbenen gebeten wird, indem er etwa seinem Mitgefühl oder seiner Trauer Ausdruck verleiht, 47 löst der Text auf dem Grabmal des Pallas Lachen und Empörung aus. Auf seinen Autopsie-Bericht und das Zitat der Inschrift lässt Plinius einen Kommentar folgen (3), in dem es unter anderem heißt: maxime tamen hic me 248 2 Eingelegte Schriftlichkeit: Briefe über Stimmtäfelchen und Inschriften 48 Zur Satzkonstruktion …quae abicerentur, quae…recipere…prodere bemerkt Lefèvre (2009), 82: „Wenn der Römer über diese Konstruktion ebenso stolpert wie jedenfalls der moderne Leser, will der sonst so elegant formulierende Plinius ihn bei dem beispiellosen Vorgang stolpern lassen“. 49 Das Wort ist besonders in der Komödie häufig zu finden; vgl. Plaut Amph. 285; 539 (nonne ego possum, furcifer, te perdere? ); Ter Andr. 618; OLD, 748 s.v. 50 Es fällt auf, dass Epist. 7,29 auf einen Brief folgt, in dem vom übermäßigen Lob des Plinius auf seine Freunde die Rede ist (7,28). 51 Zum Diskurs über die senatorische Standesidentität bei Plinius vgl. Page (2015), 144‒71. titulus admonuit, quam essent mimica et inepta, quae interdum in hoc caenum, in has sordes abicerentur; während antike Epitaphien üblicherweise zur memoria an Leben und Leistungen der verstorbenen Person errichtet wurden, bewirkt der titulus für Pallas bei Plinius lediglich die Erinnerung (admonuit) an das Possenhafte und Alberne (mimica et inepta), das in der Ehrung eines Freigelas‐ senen besteht, der hier noch dazu wenig schmeichelhaft als caenum et sordes bezeichnet wird. 48 Die Ehrung für Pallas, den Plinius überdies noch einen furcifer (3) nennt, 49 ist im selben Maße eines Possentheaters würdig, wie es für das in Epist. 4,25 beschriebene Verhalten des anonymen Senators bei der geheimen Abstimmung konstatiert wurde (4,25,4: scaena et pulpito digna). Ihr eigentliches Ziel hat die Inschrift deutlich verfehlt, indem sie den Epistolographen nicht zum ehrenvollen Gedenken, sondern zu Hohn und Spott anregt. Sowohl die Initiative des Senats als auch der Versuch des Pallas, sich in der Nachwelt durch das Ablehnen der Geldsumme als moderationis exemplum (3) zu verewigen, liefert Plinius den Stoff für einen skoptischen Brief. 50 Epist. 7,29 kann einerseits als Ausdruck des Ressentiments eines Angehörigen des ordo senatorius gegen mächtige Freigelassene gelesen werden, 51 liefert andererseits jedoch auch einen Beleg dafür, dass sich Plinius epigraphischer Gattungkonventionen durchaus bewusst war, wenn er in diesem Brief die zu erwartende Leserreaktion auf ein Epitaph ins Gegenteil verkehrt. Der Schluss des Briefes greift den Wortlauf des Anfangs wieder auf, wenn es heißt (4): sed quid indignor? ridere satius; Lachen sein angemessener als Empörung, damit diejenigen sich nicht einbilden, etwas Großes erreicht zu haben, wenn sie durch Glück dazu gekommen sind, dass man sie auslacht (4). In Epist. 8,6, wo das Thema fortgesetzt wird, geht Plinius schließlich doch vom ridere zum indignari über, wenn er seinen Adressaten nicht nur mit der Grabinschrift für Pallas, sondern auch mit dem senatus consultum, in dem die Ehrungen für den Freigelassenen beschlossen wurden, konfrontiert. Den Umfang und Ton seines Schreibens rechtfertigt der Epistolograph am Ende damit, dass seine Empörung ihn bisweilen das Maß eines Briefes übersteigen habe lassen (8,6,17: quamquam indignationem quibusdam in locis fortasse ultra 249 2.2 Ridere und indignari: die Grabinschrift des Pallas (Epist. 7,29 und 8,6) 52 S. S. 248. 53 Zur Juxtaposition des Briefes 8,6 mit Epist. 8,5 über den Tod der Frau des Macrinus bemerkt Morello (2015), 158: „The two letters…offer contrasting commemorations of the dead.“ 54 Zum accidental reader als Leser von Inschriften vgl. Höschele (2007) und (2010), 111‒22. 55 Senatsbeschlüsse und Gesetze wurden im aerarium Saturni und im tabularium auf dem Kapitol aufbewahrt; vgl. Tac. Ann. 3,51,2: igitur factum senatus consultum ne decreta patrum ante diem decimum ad aerarium deferrentur; Schmal (2005), 109. 56 Vgl. Tac. Ann. 15,74,3: reperio in commentariis senatus; Sherwin-White (1966), 453; Leach (2013), 131; zu Tacitus und seinen dokumentarischen Quellen vgl. Schmal (2005), 108‒11. 57 Auf diese Parallele weist Leach (2013), 131 hin; auch Tacitus imitiert am Beginn seiner Annalen (1,1,1) den hexametrischen Rhythmus des Incipits der Livius-Vorrede; vgl. Conte (1986), 78‒9. 58 S. Kap. II.2.1. 59 Zu Epist. 7,4 s. S. 282-92. epistulae modum extulerim), wodurch abermals ein Hinweis auf die Interaktion dieses Briefes mit der Tradition von Satire und Invektive gegeben ist. 52 Der Beginn von Epist. 8,6 suggeriert einen nicht allzu großen Zeitraum, der seit der Besichtigung des Grabmonuments für Pallas vergangen ist, wobei Plinius explizit auf Brief 7,29 zurückverweist, den Montanus inzwischen schon erhalten haben dürfte (1): Cognovisse iam ex epistula mea debes adnotasse me nuper monumentum Pallantis. Abermals zitiert der Epistolograph die Inschrift (1) 53 und fährt dann fort mit einem Bericht, was sich seit dem Abschicken des ersten Briefes an Montanus ereignet hat: postea mihi visum est pretium operae ipsum senatus consultum quaerere (2). Vom accidental reader einer Grabinschrift 54 hat sich Plinius in einen gezielt recherchierenden Forscher verwandelt, der das Archiv aufsucht, um den Senatsbeschluss einzusehen. 55 Damit geht er einerseits vor wie der Historiker Tacitus, von dem man annimmt, dass er für seine Werke ebenfalls die acta senatus konsultierte, 56 andererseits klingt die Formulierung mihi visum est pretium operae an die praefatio bei Livius an (1: facturusne operae pretium sim), 57 wodurch der Anfang der Narration über den Senatsbeschluss gleichsam ein historisches Proöm darstellt; über Livius als Prätext ist zudem ein Rückbezug zu Epist. 3,20 und 4,25 geschaffen, wo sich im Rahmen der Kritik am Senat ebenfalls Reminiszenzen an die Livius-Vorrede finden. 58 Im Vergleich zum senatus consultum sei das Epitaph für Pallas noch maßvoll gewesen (2): inveni tam copiosum et effusum, ut ille superbissimus titulus mo‐ dicus atque etiam demissus videretur. Dem Motiv vom Auffinden eines Textes begegnen wir auch in Epist. 7,4,6, wo es heißt lascivum inveni lusum Ciceronis (v. 3). Während die Entdeckung eines Cicero-Epigramms Plinius angeblich zum Verfassen seiner Hendecasyllabi inspirierte, 59 regt ihn der Wortlaut des aus der Zeit des Claudius stammenden Senatsbeschlusses zu einer Invektive in 250 2 Eingelegte Schriftlichkeit: Briefe über Stimmtäfelchen und Inschriften 60 Mit der Briefsatire über den Senat unter Claudius korrespondiert in Buch 8 die Kritik am Senat unter Domitian in Epist. 8,14,8‒10. 61 Polyptoton (urbanos…urbanitas), Assonanz (dicerem…deceret) und Alliteration (si se‐ natum) prägen diesen Satz; zu den Sentenzen bei Plinius vgl. Gallent-Kocevar (1933); Vielberg (2003). 62 Goldene Ringe durften nur Angehörige des Ritterstandes tragen; vgl. Sherwin-White (1966), 453. 63 Vgl. Lefèvre (2009), 85. 64 Vgl. Lefèvre (2009), 86. Prosa an. 60 Sarkastisch kommentiert Plinius, dass politische und militärische Größen der Republik (2: Africani, Achaici, Numantini…Marii, Sullae, Pompei) weit hinter dem Ruhm eines Pallas zurückstehen. Als mögliche Gründe für eine derartige Lobhudelei auf einen Freigelassenen durch den Senat führt Plinius urbanitas, Erbärmlichkeit (miseros) oder Gunsthascherei (ambitio) an, um diese Möglichkeiten gleich wieder zu verwerfen (4); insbesondere urbanitas sei für den Senat unangemessen, wie der Epistolograph in einer stilistisch ausgefeilten Sentenz bemerkt (3: dicerem urbanos, si senatum deceret urbanitas); 61 damit ist abermals der Rückbezug zum „Spaßvogel“ in Epist. 4,25 hergestellt. Im Rahmen einer praeteritio (4: mitto…mitto) will Plinius die übertriebenen Ehrungen des Freigelassenen - prätorische Insignien und goldene Ringe 62 - übergehen, nur um sie dann doch anzuführen, bevor er auf das seiner Ansicht nach besonders Skandalöse zu sprechen kommt (5): illa memoranda, quod nomine Pallantis senatus (nec expiata postea curia est), Pallantis nomine senatus gratias agit Caesari. Die Empörung des Epistolographen darüber, dass der Senat im Namen des Pallas dem Kaiser dankte, drückt sich aus in der chiastischen Wiederholung nomine Pallantis senatus…Pallantis nomine senatus - hier wird Entrüstung in einem mündlichen Gespräch nachgeahmt 63 - sowie in der Parenthese über eine nicht durchgeführte, aber notwendige religiöse Reinigung der Kurie nach einem derartigen Frevel. Die Dankesworte des Senats referiert Plinius zuerst in indirekter Rede - der Kaiser habe dem Senat die Möglichkeit gegeben, gegenüber Pallas sein Wohlwollen zu demonstrieren (5) -, um im Anschluss die ironische Frage zu stellen quid enim senatui pulchrius, quam ut erga Pallantem satis gratus videretur? (5). In einem ähnlichen Stil ist auch der restliche Brief abgefasst, in dem Plinius teilweise in oratio recta, teilweise in oratio obliqua aus dem Senatsbeschluss zitiert und die betreffenden Worte dann mit satirischer Schärfe kommentiert (6‒16). Mehrmals wiederholt der Epistolograph die Höhe der Summe von 15 Millionen Sesterzen mit dem umständlichen Ausdruck sestertium centies quinquagies (8; 9; 10; 11; 12) 64 und bemerkt zu dem Ansinnen des Senats, das Vermögen des Pallas zu mehren: hoc tunc votum senatus, hoc praecipuum gaudium populi, haec liberalitatis materia gratissima, si Pallantis 251 2.2 Ridere und indignari: die Grabinschrift des Pallas (Epist. 7,29 und 8,6) 65 Anaphorisches Trikolon (hoc…hoc…haec), Parallelismus (votum senatus…gaudium po‐ puli), Chiasmus (gaudium populi…liberalitatis materia), Klimax (praecipuum…gratis‐ sima) und Antithese (Pallantis facultates…publicarum opum egestione) schmücken diese Satzperiode. 66 Das Polyptoton und Ellipse (ne…sperneret; sprevit) untermalen das unangemessene Verhalten auf beiden Seiten. 67 Der erste Beschluss wurde laut Sherwin-White (1966), 455 am 23. Januar 52 n. Chr. gefasst, der zweite in der folgenden Sitzung. 68 Montanus wird gleichsam zum virtuellen Zeugen des Geschehens; vgl. Leach (2013), 134. 69 Er nimmt - zumindest in der Darstellung des Plinius - damit gleichsam die Befugnisse eines Volkstribuns für sich in Anspruch; vgl. Lefèvre (2009), 87. facultates adiuvare publicarum opum egestione contingeret (7). 65 Außerdem habe der Senat den Kaiser darum gebeten, Pallas dazu zu drängen, dem Senat nachzugeben (8) und den Geldbetrag nicht zurückzuweisen (9: ne sestertium centies quinquagies sperneret), was der libertus dennoch getan habe (9: sprevit) und dadurch noch anmaßender erschien, als wenn er den Betrag angenommen hätte. 66 Auf die Ablehnung der Geldsumme reagierte der Senat in einer zweiten Sitzung 67 mit einem Beschluss, in dem das Gremium Plinius zufolge similis querenti (10) - ein Seitenhieb auf die Unaufrichtigkeit der Senatoren - die Entscheidung des Pallas gelobt und in diesem Zusammenhang seinen Gehorsam gegenüber dem Kaiser, der diese Entscheidung mitteilte, bekräftigt habe (10: voluntati tamen principis sui, cui in nulla re fas putaret repugnare, in hac quoque re obsequi). Im weiteren Verlauf seiner Kommentierung dieses Textes bezieht Plinius seinen Adressaten wieder stärker in den epistolaren Dialog ein, wenn er ihn innerhalb einer dreifachen Anapher von imaginare (11‒12) dazu auffordert, sich sowohl das arrogante Verhalten des Pallas, den Gehorsam eines Kaisers gegenüber seinem Sklaven sowie des Senats gegenüber beiden vorzustellen. 68 Pallas habe gleichsam von einem ius intercedendi Gebrauch gemacht, um gegen das senatus consultum einzuschreiten 69 und die Geldsumme abzulehnen, wohingegen er die Prätorwürden annahm, als ob sie weniger wert wären (11: tamquam minus). Über den Kaiser spottet Plinius, er habe vor dem Senat den Bitten eines Freigelassenen wie einem Befehl Folge geleistet (12: vel potius imperio…obtemperantem). Der Senat wiederum sei nur durch die Zurückhaltung des Pallas (12: verecundia ipsius) und seinen eigenen Gehorsam gegenüber dem Prinzeps (12: obsequio) davon abgehalten worden, 15 Millionen Sesterzen aus der Staatskasse an einen Freigelassenen auszuzahlen. Wenngleich Montanus dies schon für das Ende des Berichts gehalten haben mag, fordert ihn Plinius dazu auf, noch auf den Höhepunkt zu warten (13): finem 252 2 Eingelegte Schriftlichkeit: Briefe über Stimmtäfelchen und Inschriften 70 Dort hatten die Beamten des Fiskus (procuratores a loricata bzw. ad loricatam), bei denen es sich vor Trajan um Sklaven und Freigelassene gehandelt haben dürfte, offenbar ihre „Büros“; Sherwin-White (1966), 455. 71 Das ehrende Gedenken in der Stadt Rom bzw. auf dem Forum war mit größerem Prestige verbunden als entsprechende Denkmäler außerhalb der Stadt; vgl. Mouritsen (2005), 55 mit Anm. 87 zu Plin. Epist. 8,6: „Thus, the Younger Pliny…seems far more incensed by the fact that the extensive honours granted to Pallas were advertised in a bronze inscription put up at a ‘celeberrimus locus’ in central Rome, than by Pallas’ own immodest references to them in his epitaph“. 72 Syme (1958), 660; Sherwin-White (1966), 153‒6; Birley (2000), 74‒5; Whitton (2013a), 129‒30; vgl. Epist. 1,17,1: Titinius Capito ab imperatore nostro impetravit, ut sibi liceret statuam L. Silani in foro ponere. existimas? mane dum et maiora accipe. Ein weiteres Zitat aus dem Beschluss der zweiten Senatssitzung enthüllt, dass nicht nur die Kurie den Schauplatz der Schande darstellte, sondern diese auch an einem hochfrequentierten Ort, nämlich dem Forum Iulium, schriftlicht verewigt werden sollte: parum visum tantorum dedecorum esse curiam testem: delectus est celeberrimus locus (14). Man beschloss, Pallas mit seiner Zuverlässigkeit und Redlichkeit (13: Pallantis spectatissima fides atque innocentia) zum nachahmenswerten Exemplum für die restlichen Finanzbeamten zu machen (13: exemplo provocare studium tam honestae aemulationis), indem man die Rede des Kaisers vom 23. Januar 52 und die damit zusammenhängenden Senatsbeschlüsse in Erz gießen und bei der Panzerstatue des Julius Caesar aufstellen ließ (13: idque aes figeretur ad statuam loricatam divi Iulii). 70 Der celeberrimus locus als Schauplatz für die in Erz verewigte Schande steht hier in auffälligem Kontrast zu anderen Beispielen, wo man für jemanden an einem zahlreich besuchten Ort ein Denkmal errich‐ tete: 71 So beschloss der Senat auf Vorschlag des Kaisers die Errichtung einer Ehrenstatue für Vestricius Spurinna und seinen Sohn Cottius (2,7): Here a senatu Vestricio Spurinnae principe auctore triumphalis statua decreta est (1) …filio eius Cottio, quem amisit absens, habitus est honor statuae (3) …in celeberrimo loco (7). In Epist. 2,7 an Macrinus liegen die Gegenwart des Briefes und das Datum des Senatsbeschlusses eng beieinander, wie durch das Temporaladverb here deutlich gemacht wird. Es dürfte sich bei dem hier erwähnten Kaiser um Nerva handeln und bei dem nicht konkreter lokalisierten celeberrimus locus um das Forum Romanum oder eines der Kaiserforen. 72 In diesem Fall freut sich Plinius sowohl über den Beschluss (6: laetor) als auch darüber, dass durch die Statuen des Spurinna und seines Sohnes nicht nur species et vultus, sondern auch honor et gloria der beiden Männer ins Gedächtnis gerufen werden. Mit dieser Freude über ein zeitgenössisches Ereignis kontrastiert die in 8,6 artikulierte Freude, 253 2.2 Ridere und indignari: die Grabinschrift des Pallas (Epist. 7,29 und 8,6) 73 Vgl. Koestermann (1963‒68), III, 198‒200; die Annalen dürften später entstanden sein als die Plinius-Briefe, wenngleich die genaue Datierung nach wie vor umstritten ist; vgl. Schmal (2005), 21; Ash (2018b), 2. 74 Während bei Tacitus der Leser von Anfang an über die Rolle des Kaisers bei dieser Ehrung informiert wird, hält Plinius diese Information in seiner Erzählung länger zurück; vgl. Lefèvre (2009), 90‒1. 75 Pallas wird von Scipio mit dem gleichnamigen mythischen Vorfahren Euanders in Verbindung gebracht; Koestermann (1963‒68), III, 199. 76 Vgl. OLD, 1314 s.v.; mit paupertas wird ein Kapitel zuvor die finanzielle Situation jener Senatoren beschrieben, die Claudius aufgrund ihres zu geringen Vermögens aus dem Senats ausschließt (12,52,3: …motique, qui remanendo impudentiam paupertati adicerent); das Mindestvermögen für den Senatorenstand betrug eine Million Sesterzen; vgl. Alföldy (1984), 101; Pallas besaß antiken Quellen (Tac. Ann. 12,53,3; 14,65,1; Cass. Dio 62,14,3; Iuv. 1,109; Suet. Claud. 28) zufolge ein Vermögen von 300 Millionen Sesterzen, und so setzt der Historiker die paupertas der ausgeschlossenen Senatoren mit derjenigen des Freigelassenen wirkungsvoll in Kontrast. nicht in der Zeit des Claudius gelebt zu haben (17): quam iuvat, quod in tempora illa non incidi, quorum sic me, tamquam illis vixerim, pudet! Mit weniger persönlicher Entrüstung, jedoch durchaus ironischen Unter‐ tönen, berichtet auch Tacitus in Buch 12 der Annalen von der Ehrung für Pallas (12,53). 73 Anders als Plinius erwähnt Tacitus weder das Grabmonument, noch geht er genauer auf den Wortlaut des senatus consultum ein. Dafür liefert er uns mehrere Details zum Kontext des Senatsbeschlusses: Nachdem Pallas von Claudius im Senat als Urheber (repertor) eines Antrags auf Bestrafung von Frauen, die sich auf eine Liebschaft mit Sklaven eingelassen hatten, angeführt worden war, habe der designierte Konsul Barea Soranus die praetoria insignia sowie die Summe von 15 Millionen Sesterzen für Pallas beantragt. 74 Zudem habe Cornelius Scipio noch hinzugefügt, man müsse Pallas öffentlich dafür danken, dass er trotz seiner Abkunft von arkadischen Königen sich in den Dienst des Staates und des Kaisers stelle. 75 Darauf habe Claudius geantwortet, Pallas sei mit der Ehrung zufrieden (contentus honore) und wolle seinen bisherigen bescheidenen Vermögensstand - hierfür verwendet der Kaiser den Begriff paupertas - beibehalten. 76 Auch die Erztafel mit dem Senatsbeschluss erwähnt Tacitus, wobei er anders als Plinius den Aufstellungsort nicht konkretisiert (et fixum est <in aere> publico senatus consultum), seine Erzählung jedoch ähnlich wie der Epistolograph mit einer ironischen Pointe abschließt, wenn er berichtet, dass die Inschrift den Freigelassenen, der über ein Vermögen von 300 Millionen Sesterzen verfügte (sestertii ter miliens possessor) mit Lob auf seine antiqua parsimonia überhäufte. Der Ironie und Kürze, mit der Tacitus die Angelegenheit schildert, steht die wortreiche indignatio des Sprechers in Epist. 8,6 gegenüber. Durch die 254 2 Eingelegte Schriftlichkeit: Briefe über Stimmtäfelchen und Inschriften 77 Vgl. die gleichsam als mündlich artikuliert zu denkende Aposiopese in Epist. 8,6,15: tanta principis, tanta senatus, tanta Pallantis ipsius - quid dicam nescio, ut vellent in oculis omnium figi Pallas insolentiam suam, patientiam Caesar, humilitatem senatus! 78 Damit ähnelt der Brief ein wenig der Apocolocyntosis, deren saturnalischer Charakter in der Forschung ebenfalls diskutiert wird; vgl. Nauta (1987); die Autorschaft Senecas bezweifelt Holzberg (2016); zum Fest der Saturnalien im Dezember vgl. Distelrath (2001). 79 Angesichts der Juxtaposition von 8,6 und 8,7 sind die Historien naheliegend; vgl. Sherwin-White (1966), 456; Griffin (1999), 143; Marchesi (2008), 103. 80 Vgl. Marchesi (2008), 107. 81 S. S. 43. 82 Zu Plinius und Verginius Rufus vgl. Syme (1991a); Pausch (2004), 99‒113; Marchesi (2008), 158‒60 und 189‒99; Lefèvre (2009), 23‒36; Gibson/ Morello (2012), 126‒35; Leach (2013); Klodt (2015). Charakterisierung von Kaiser und Senat als Instanzen, die sich nach dem Willen eines libertus richten, ja geradezu auf dessen Befehle hören, 77 lässt sich der Brief auch als ein Stück Saturnalien-Literatur interpretieren, da hier ja mehr oder weniger von der Umkehrung der sozialen und politischen Ordnung unter Claudius erzählt wird. 78 Zudem folgt auf Epist. 8,6 über ein historisches Thema wohl nicht zufällig ein an Tacitus adressierter Brief, in dem davon die Rede ist, dass Tacitus seinem Freund Plinius ein Buch zur Lektüre gesandt habe (8,7,1: librum misisti). 79 Plinius bezeichnet Tacitus in diesem Zusammenhang als seinen Lehrer, sich selbst hingegen als Schüler, und bemerkt: adeo tu in scholam revocas, ego adhuc Saturnalia extendo (1). Dies bezieht sich freilich in erster Linie auf die in Epist. 8,7 thematisierten sozialen Rollen von magister und discipulus, 80 kann aber m. E. auch als impliziter Kommentar zu Epist. 8,6 und der dort geschilderten saturnalischen Sozialordnung unter Claudius gelesen werden; das Verb extendo mag zudem als Anspielung auf die Länge des Briefes 8,6 verstanden werden. Sowohl Plinius als Verfasser eines satirischen Briefes als auch der in Epist. 8,6 kritisierte Senat ziehen die Saturnalien in die Länge, wenn das ehrwürdige Gremium bei einer Sitzung im Januar noch Scherze treibt (3: urbanos), die dann eigentlich schon unangemessen sind. 2.3 Das Selbstepitaph des Verginius Rufus (Epist. 6,10 und 9,19) Es wurde an anderer Stelle schon darauf hingewiesen, dass das Diptychon über Pallas (7,29 und 8,6) als negatives Gegenstück zu einem Briefpaar auf das Grabmal des Verginius Rufus (6,10 und 9,19), von dem es umrahmt wird, konzipiert ist. 81 Auch die Briefe über Verginius bilden, zusammen mit Epist. 2,1, eine Art Fortsetzungsgeschichte, 82 wobei hier jedes Schreiben an einen 255 2.3 Das Selbstepitaph des Verginius Rufus (Epist. 6,10 und 9,19) 83 Zu seiner Person s. S. 111-2. 84 Sherwin-White (1966), 142; Whitton (2013a), 65. 85 S. S. 17-8. 86 Vermutlich der in Epist. 3,9,7‒9 und 4,9,13 als redegewandt charakterisierte Advokat Lucceius Albinus; Sherwin-White (1966), 365; Klodt (2015), 365 mit Anm. 103. 87 Alsium lag an der Küste Etruriens; bei der Schwiegermutter dürfte es sich um die aus Epist. 1,4 bekannte Pompeia Celerina handeln; Sherwin-White (1966), 365 vermutet, dass Plinius hier einen Zwischenstopp auf dem Weg zum consilium Traiani in Centum Cellae, das in Epist. 6,31 geschildert wird, eingelegt hat; es handelt sich innerhalb von Buch 6 um die erste Reise außerhalb Roms, wie Gibson/ Morello (2012), 62 hervorheben: „Pliny’s first trip out of Rome in the linear sequence of Book 6 is not to see Calpurnia in Campania, but rather to stay at the house of the mother of his (dead) former wife.“ Die Sehnsucht nach Calpurnia ist das Thema von Epist. 6,4 und 6,7; vgl. 7,5; Häger (2019). 88 Die Handlung der Epist. 6,10 spielt also 107 n. Chr.; vgl. Sherwin-White (1966), 365. 89 Vgl. Horsfall (2008), ad loc. 90 Siehe Kap. II.4.2. anderen Adressaten gerichtet ist: Epist. 2,1 an Voconius Romanus 83 erzählt vom Staatsbegräbnis für Verginius Rufus in Rom, das sich unter anderem aufgrund der Erwähnung des Konsuls Tacitus als Lobredner (6: laudatus est a consule Cornelio Tacito) auf das Jahr 97 n. Chr. datieren lässt; als Leser hat man den Eindruck, als schildere der Brief ein relativ rezentes Ereignis. 84 Der öffentlichen laudatio funebris durch Tacitus entspricht die persönliche Würdigung des Verginius in der Privatkorrespondenz des Plinius, die freilich ungeachtet des epistolaren Rahmens um nichts weniger auf eine breitere Öffentlichkeit abzielt als die Rede des Tacitus. 85 Von der Stadt Rom verlagert sich der Ort der memoria in der an Albinus 86 gerichteten Epist. 6,10 nach Alsium in das Anwesen von Plinius’ Schwiegermutter, 87 das einst Verginius Rufus gehört haben soll. Neben der räumlichen Veränderung ist seit dem dramatischen Datum der Epist. 2,1 auch ein Zeitraum von zehn Jahren verstrichen (6,10,3: post decimum mortis annum). 88 Die Villa in Alsium habe, so Plinius, seine schmerzhafte Sehnsucht nach Verginius wieder aufleben lassen (1): ipse mihi locus optimi illius et maximi viri desiderium non sine dolore renovavit. Verbal spielt Plinius hier auf Vergil an, der Aeneas mit ähnlichen Worten am Hofe Didos von seiner schmerzvollen Erinnerung an den Untergang Trojas sprechen lässt (Aen. 2,3: infandum, regina, iubes renovare dolorem) 89 - Vergilius steht also im Hintergrund der Reflexionen über Verginius. Durch den intertextuellen Bezug wird indirekt die Erzählung des Plinius über das Grab des Verginius mit der intradiegetischen Narration über die Troiae halosis in der Aeneis parallelisiert, die Plinius wenige Briefe später in der Darstellung des Vesuvausbruchs (Epist. 6,16/ 20) abermals evoziert. 90 Verginius habe, so lesen wir weiter, den secessus in Alsium als senectutis suae nidulum (1) zu bezeichnen gepflegt, und daher suchte Plinius überall 256 2 Eingelegte Schriftlichkeit: Briefe über Stimmtäfelchen und Inschriften 91 Polyptoton (videre…vidisse) und den Satz einrahmende Antithese von Wunsch und Reue (libuit…paenituit) untermalen die Aussage; vgl. Klodt (2015), 358. 92 Der Erbe wird hier nicht namentlich genannt; aus Epist. 2,1,9 geht hervor, dass Verginius keinen leiblichen Sohn hatte; Klodt (2015), 358‒9 führt epigraphische und literarische Belege an für das Schicksal, das viele Verstorbene, die in villa oder in hortis bestattet wurden, mit Verginius teilten; so sollte die Formel H(oc) M(onumentum) H(eredem) N(on) S(equetur) auf Grabsteinen die Unversehrtheit des Monuments gewährleisten; vgl. Petron. 71,7 mit Schmeling (2011), 294. 93 Verginius war schon zu Lebzeiten berühmt, wie aus Epist. 2,1,2 hervorgeht: legit scripta de se carmina, legit historias et posteritati suae interfuit; vgl. Whitton (2013a), 69. 94 Über das Motiv der indignatio sind die Inschriften-Briefpaare über Verginius und Pallas aufeinander bezogen: Während im einen Fall die fehlende Inschrift für Empörung sorgt, ist es im anderen Fall ihr prahlerischer Wortlaut. nach Anzeichen für die Präsenz des Verstorbenen (2: illum animus, illum oculi requirebant). Seinen Wunsch, das Grabmal des Verginius aufzusuchen, bereute Plinius allerdings gleich wieder, wie er in einer stilistisch ausgefeilten Satzpe‐ riode formuliert (2): libuit etiam monimentum eius videre, et vidisse paenituit. 91 Damit ist Spannung beim Leser geweckt, für den diese Information nach dem Bericht in Epist. 2,1 einigermaßen überraschend sein mag. Trotz der verstri‐ chenen Zeitspanne von 10 Jahren ist das Grabmal noch immer unvollendet (3: imperfectum), was nicht an der Schwierigkeit der Errichtung des bescheidenen Monuments (3: modici ac potius exigui) liegt, sondern an der Trägheit (3: inertia) des verantwortlichen Erben. 92 Über das genaue Aussehen des Grabmals erfahren wir - abgesehen von der bescheidenen Größe - nichts Genaues, unvollendet ist es aufgrund der fehlenden Inschrift, die auf die Identität des Verstorbenen hinweisen und sein Leben und seine Leistungen ins Gedächtnis rufen müsste (3: sine titulo, sine nomine). Das vergleichsweise kleine, inschriftenlose Monument wird von Plinius in Kontrast gesetzt zur memoria an Verginius, die sich über den ganzen Erdkreis ausbreitet (3: cuius memoria orbem terrarum gloria pervagetur). 93 Auch die inertia des anonym bleibenden Erben steht in Kontrast zu dem denkwürdigen Schauspiel (2,1,1: insigne atque etiam memorabile spectaculum), das den Zusehern in Rom durch das öffentliche Begräbnis des Verginius geboten wurde und das überdies dem Kaiser, dem Zeitalter und der politischen Elite großen Glanz verliehen habe (2,1,6: magnum ornamentum principi, magnum saeculo, magnum etiam foro et rostris). Das vernachlässigte Grabmal erfüllt Plinius mit miseratio und indignatio (6,10,3), 94 und dies umso mehr, als Verginius selbst noch zu Lebzeiten seine Grabinschrift entworfen habe (4): 257 2.3 Das Selbstepitaph des Verginius Rufus (Epist. 6,10 und 9,19) 95 Vgl. Sherwin-White (1966), 142‒3; Leach (2013), 138: „…Rufus’ epigram…conceals as much as it tells“; über Verginius Rufus äußern sich Tac. Hist. 1,8‒9; 1,51‒53; 1,77,2; 2,49,1; 2,51; 2,68; 2,71,2; 3,62,2; 4,17,3; 4,69,2; Iuv. 8,221‒2; Plut. Galba 4; 6; 10; Otho 18,3‒4; Cass. Dio 63,22‒29; 68,2,4; Suet. Nero 40‒49; Galba 9‒11; CIL V 5702; VI 2051,63; zur Einschätzung des Verginius in der althistorischen Forschung vgl. Klodt (2015), 349‒55. 96 Spondeen im zweiten, dritten und vierten Versfuß des Hexameters verleihen dem Inhalt Nachdruck und Schwere. 97 Dazu trägt auch der Gebrauch der Cognomina Rufus und Vindex bei, wie Klodt (2015), 356‒7 hervorhebt; die Junktur qui Vindice quondam erinnert zudem durch ihre metri‐ sche Position nach der Hepthemimeres an quae vindice nullo aus der Erzählung vom Goldenen Zeitalter in Ovids Metamorphosen (1,89), was möglicherweise beabsichtigt ist. 98 Die Einteilung von Epigrammen bzw. „Sinngedichten“ in „Erwartung“ und „Aufschluss“ geht nicht auf antike Literaturkritiker, sondern auf Gotthold Ephraim Lessings Zer‐ streute Anmerkungen über das Epigramm zurück; zu Lessings Epigrammtheorie vgl. Lausberg (1982), 84‒6. 99 Vgl. OLD, 187 s.v. assero; die Begriffe adserere und adsertor waren politische Schlag‐ wörter für die Befreiung von der Tyrannei Neros im Vierkaiserjahr; vgl. Suet. Galba 9,2; Plin. Nat. 20,160; Klodt (2015), 355‒6. At ille mandaverat caveratque, ut divinum illud et immortale factum versibus inscribe‐ retur: Hic situs est Rufus, pulso qui Vindice quondam imperium adseruit non sibi, sed patriae. Auf die „göttliche und unsterblichen Tat“ des Verginius wurde bereits in Epist. 2,1 mit dem Hinweis, dass Verginius die Kaiserwürde abgelehnt hatte (2: ut summum fastigium privati hominis impleret, cum principis noluisset), angespielt. Als Legat in Obergermanien hatte Verginius 68 n. Chr. die Revolte des Julius Vindex gegen Nero niedergeschlagen und nach dem Tod Neros und dann erneut nach dem Selbstmord Othos die ihm von den Truppen angetragenen Kaiserwürden zurückgewiesen. 95 Diese recusatio imperii stellt im Epitaph den Höhepunkt in der Vita des Verstorbenen dar: Nach dem deiktischen Hinweis auf das Grab (hic situs est), der Nennung des Cognomen (Rufus) und der ersten Heldentat, von der fast beiläufig innerhalb eines Ablativus absolutus (pulso…Vindice) berichtet wird, 96 folgt im Rahmen eines Enjambements die Narration der zentralen Handlung; mit quondam ist das Geschehen in einer nicht näher definierten Vergangenheit verortet, wodurch es gleichsam eine epische Dimension gewinnt. 97 Das Gedicht entspricht der für Epigramme typischen Struktur in „Erwartung“ und „Aufschluss“ insofern, 98 als mit imperium adseruit in der ersten Pentameter-Hälfte noch offen bleibt, ob Rufus „das Reich befreit“ oder „die Herrschaft für sich beansprucht“ hat. 99 Die Lösung des Rätsels liefert 258 2 Eingelegte Schriftlichkeit: Briefe über Stimmtäfelchen und Inschriften 100 Der Inhalt des Epigramms wird bei Cassius Dio (68,2,4) in Prosa wiedergegeben, allerdings ist anders als bei Plinius von einer auf dem Grabmal befindlichen Inschrift die Rede: ἐφ᾽ οὗ τῷ μνήματι τελευτήσαντος ἐπεγράφη ὅτι νικήσας Οὐίνδικα τὸ κράτος οὐχ ἑαυτῷ περιεποιήσατο ἀλλὰ τῇ πατρίδι. War die Inschrift inzwischen angebracht worden oder bezieht sich Cassius Dio ungenau auf den Plinius-Brief ? Vgl. Sherwin-White (1966), 366; Lefèvre (2009), 32. 101 Selbstepitaphien dienen v. a. der Selbstdarstellung von Dichtern: vgl. AP 7,718 (Nossis); AP 7,415 und 7,525 (Kallimachos); AP 7,417‒419 und 7,421 (Meleager); Ennius fr. var. 17 f. V.; Tib. 1,3,55‒56; Prop. 2,13,35‒36; Ps.-Tib. 3,2,29‒30 [Lygdamus]; Ov. Trist. 3,3,73‒76; zu dieser epigrammatischen Subgattung vgl. Suerbaum (1968); Männlein-Robert (2007); Bettenworth (2016). 102 Zu Epist. 5,3 s. S. 278-9. 103 S. Kap. II.3. 104 Das Adjektiv privatus ist hier wohl im Sinne von „nicht kaiserlich“ zu verstehen; vgl. OLD, 1461 s.v. 105 In Epist. 7,4,6 wird der Inhalt dieses Gedichts in Versen paraphrasiert; s. S. 282-92. erst die zweite Pentameter-Hälfte mit der Antithese non sibi sed patriae. Rufus hat also die Herrschaft nicht für sich selbst, sondern für seine patria, die hier den markanten Schlusspunkt des Distichons bildet, beansprucht. 100 Es stellt sich nun die Frage, ob Verginius Rufus das Epigramm nur in Auftrag gegeben, jedoch nicht selbst komponiert hat, oder ob es sich tatsächlich um ein Selbstepitaph handelt. 101 Aus dem Wortlaut der Briefe 6,10 (4: mandaverat caveratque, ut…inscriberetur) und 9,19 (1: iussisse…inscribi) geht dies leider nicht deutlich hervor. In Epist. 5,3 erfahren wir allerdings, dass Verginius auch poetisch aktiv war, da ihn Plinius im Rahmen der Rechtfertigung seiner Hendeca‐ syllabi in einer langen Liste an ehrwürdigen Vorgängern nennt, die neben ihren öffentlichen Funktionen auch Kleinpoesie betrieben haben (5: an ego verear…ne me non satis deceat quod decuit M. Tullium, C. Calvum…et proxime Verginium Rufum). 102 Daraus lässt sich immerhin folgern, dass Verginius ähnliche poetische lusus verfasste, wie Plinius es von sich selbst behauptet, 103 wenngleich wir über Titel, Umfang und Charakter der epigrammata Verginii nichts Näheres erfahren. Klodt (2015: 379) schlägt in ihrer Analyse der Briefe auf Verginius vor, dass dieser sein Epitaph bereits in seiner Gedichtsammlung publiziert haben könnte und es von dort den Weg in die spätere historiographische Tradition über Verginius gefunden haben mag. Dies ist m. E. durchaus denkbar, zumal Plinius in Epist. 5,3 die Liste der exempla privata (5) 104 mit Cicero eröffnet, von dem er in Epist. 7,4 ebenfalls ein Epigramm indirekt zitiert, 105 und diesen Katalog mit Verginius abschließt (proxime), bevor er sich den poetisch aktiven Kaisern zuwendet. Nach der Erwähnung des Verginius als jüngster poetischer Vorgänger in Epist. 5,3 bringt Plinius in Buch 6 nicht nur dessen politisches, sondern auch literarisches Vermächtnis in Erinnerung. 259 2.3 Das Selbstepitaph des Verginius Rufus (Epist. 6,10 und 9,19) 106 Vgl. Marchesi (2008), 158‒9; Klodt (2015), 360‒1, die außerdem hinzufügt, dass Plinius durch die Verbreitung der literarischen Produkte des Verginius auch als eine Art Verleger fungiert. 107 Vermutlich Ciceros Anwesen in Cumae; vgl. Kay (1985), 174‒5; Capasso (1983); Neger (2012), 310‒11. 108 Text nach Kay (1985). 109 VSD 36: Ossa eius Neapolim translata sunt tumuloque condita, qui est via Puteolana intra lapidem secundum, in quo distichon fecit tale: ‘Mantua me genuit, Calabri rapuere, tenet nunc / Indem Plinius das Selbstepitaph des Verginius in seinen Brief integriert, ersetzt dieser die Funktion des Grabmals und vollendet es gleichermaßen, ja überbietet das monumentum sogar insofern, als das publizierte Briefkorpus eine breitere Leserschaft erreicht als der Grabstein auf dem Anwesen in Alsium 106 - durch die Einbettung in einen Brief wird die Grabinschrift sozusagen mobil. Auf narrativer Ebene bildet das Selbstepitaph eine Art mise en abyme, da es durch seine Funktion, an Leben und Leistungen der betreffenden Person zu erinnern, dem Zweck des Briefkorpus entspricht, das ebenfalls - neben der Würdigung verschiedener Persönlichkeiten - insbesondere zur Selbstdarstellung des Ver‐ fassers und Gewährleistung seines Nachruhms dient. Die enge Verbindung zwischen Brief und Epigramm in Epist. 6,10 (und 9,19) sowie das Auftreten eines Nachfolgers, der die memoria an eine berühmte Persön‐ lichkeit über den Grabkult bewahrt, lässt an eine ähnliche Konstellation in Buch 11 der Epigramme Martials denken. Die Gedichte 11,48 und 11,50[49] handeln von Silius Italicus, der als Eigentümer eines ehemaligen Landgutes Ciceros in Kampanien das dort befindliche Grabmal Vergils verehrt. 107 Silius wird hier sowohl als Erbe als auch literarischer Nachfolger Ciceros und Vergils gerühmt (11,48,3‒4: heredem dominumque sui tumulive larisve / non alium mallet nec Maro nec Cicero) sowie als Retter der Erinnerung an den berühmten Epiker (11,50[49]): Iam prope desertos cineres et sancta Maronis nomina qui coleret pauper et unus erat. Silius orbatae succurrere censuit umbrae, et vates vatem, non minor ipse, colit. 108 Der Plinius-Brief und die beiden Martial-Epigramme beinhalten ähnliche Motive: Bei beiden Autoren wird das betreffende Grab auf einem Anwesen lokalisiert, das früher im Besitz einer Berühmtheit (Cicero bzw. Verginius) war. Ähnlich wie im Plinius-Brief ist auch bei Martial die Rede von desertos cineres (1; vgl. Plin. Epist. 6,10,3: neglectumque cinerem) und von dem in Vergessenheit geratenen nomen des Verstorbenen (2; vgl. Plin. Epist. 6,10,3: sine nomine), dem Silius durch seinen Vergil-Kult zur Hilfe eilt. In der biographischen Tradition zu Vergil wird überliefert, dass dieser sein Epitaph selbst verfasst habe, 109 und bei Verginius könnte dies, wie 260 2 Eingelegte Schriftlichkeit: Briefe über Stimmtäfelchen und Inschriften Parthenope; cecini pascua rura duces’; während man in der Antike von einer Autorschaft Vergils, der hier als Ich-Sprecher auftritt, ausging, sind moderne Philologen skeptisch; vgl. Suerbaum (2007), 68‒70. 110 Epist. 3,7,8: multum statuarum…venerabatur, Vergili ante omnes, cuius natalem religiosius quam suum celebrabat, Neapoli maxime, ubi monimentum eius adire ut templum solebat; Stoffel (2017) erkennt in Epist. 3,7 intertextuelle Bezüge zum Martial-Epigramm 4,14 auf Silius Italicus. 111 Zu Plinius und Martial s. S. 272-5. 112 Vgl. insbesondere Epist. 9,3,1: ac mihi nisi praemium aeternitatis ante oculos, pingue illud altumque otium placeat; 3,21,6: quid homini potest dari maius quam gloria et laus et aeternitas? ; 5,8,1: aliorumque famam cum sua extendere; Lefèvre (2009), 36; Klodt (2015), 361. 113 Vgl. Epist. 8,6,9: sestertium centies quinquagies…sprevit, quod solum potuit tantis opibus publice oblatis arrogantius facere, quam si accepisset. 114 Zu dieser Passage vgl. Schmeling (2011), 292‒303. vorhin erörtert, ebenfalls der Fall gewesen sein. Es ist m.E. denkbar, dass Plinius die Martial-Epigramme auf Silius kannte - er äußert sich ja auch selbst in Epist. 3,7 über die Vergil-Verehrung des Silius Italicus 110 - und sich von ihnen zur Abfassung seiner Briefe auf das Grab des Verginius anregen ließ. 111 Nach dem narrativen Teil über den Besuch beim Grabmal endet Epist. 6,10 mit einer Reflexion über die um sich greifende oblivio mortuorum (5) und die daraus resultierende Notwendigkeit, dass man noch zu Lebzeiten sein eigenes Grabmal errichten und die Pflichten der Erben vorwegnehmen müsse (5: ut ipsi nobis debeamus etiam conditoria exstruere omniaque heredum officia praesumere). Was Plinius am Beispiel des Verginius illustriert hat, befürchtet er offenbar auch für sich selbst, und so fügt sich dieser Brief in die Reihe von Passagen, in denen Plinius sich zu seiner Hoffnung auf Nachruhm bekennt. 112 Sowohl in den Briefen über den Freigelassenen Pallas (7,29 und 8,6) als auch über den dreifachen Konsul Verginius lokalisiert Plinius die Grabmäler zunächst (7,29,2: via Tiburtina intra primum lapidem; 6,10,1: in socrus meae villam Alsiensem) und konzentriert sich dann auf deren Inschriften, während er nichts Konkretes über die Architektur des Monuments, wie z. B. bildliche Darstellungen, verrät. Die im Selbstepitaph des Verginius verherrlichte recusatio imperii steht in deutlichem Kontrast zu der recusatio pecuniae des Pallas, die von Plinius und seinen senatori‐ schen Zeitgenossen als ein Akt der Anmaßung empfunden wird. 113 Eine komische Parallele zu Pallas und Verginius bildet bei Petron der neureiche Freigelassene Trimalchio, der während der cena seinem Freund Habinnas ausführliche Anwei‐ sungen zur Errichtung des Grabmonuments und zum Wortlaut der Inschrift gibt (Petron. 71). 114 Anders als bei Plinius liefert Trimalchio in diesem Zusammenhang auch eine detaillierte Ekphrasis der Bilder, die er sich auf seinem Grabmal wünscht. Mit Pallas und Verginius hat Trimalchio gemeinsam, dass er die Nachwelt ebenfalls 261 2.3 Das Selbstepitaph des Verginius Rufus (Epist. 6,10 und 9,19) 115 Vgl. Schmeling (2011), 301: „Freedmen could buy membership on some of these panels (decuriae), located in Rome, of subordinates of Roman magistrates“. 116 Mouritsen (2005), 56‒7. 117 Vgl. Schmeling (2011), 301: „Only people of the highest position seem to wish to appear reluctant“, mit dem Beispiel des Vaters von P. Sestius (Cic. Sest. 6) und Maecenas (Elegiae in Maecenatem 1,31‒2); vgl. Klodt (2015), 374; zur Selbstdarstellung in inschriftlichen Denkmälern vgl. Alföldy/ Panciera (2001); während die Mehrzahl der Forscher Petrons Satyrica nach wie vor in die Zeit Neros datiert und den Autor mit dem bei Tacitus charakterisierten arbiter elegantiae identifiziert (Ann. 16,17,1; 18‒20,1), sprechen sich manche Gelehrte für eine spätere Datierung ins 2. Jh. n. Chr. aus; vgl. Laird (2007); Holzberg (2006a), 90‒1. 118 Sherwin-White (1966), 384 und 502 zufolge handelt es sich um Cremutius Ruso, den in Epist. 6,23 erwähnten jungen Protegé des Plinius, während Syme (1991a) und Leach (2013), 137 den Adressaten mit P. Calvisius Ruso Iulius Frontinus (cos. 79), dem Neffen des im Brief erwähnten Iulius Frontinus, identifizieren; vgl. Klodt (2015), 362; zu Brief 9,19 siehe König/ Whitton (2018), 16‒28. über seinen Verzicht auf Ehrungen informieren will, denn die von ihm in Auftrag gegebene Inschrift soll unter anderem lauten: cum posset in omnibus decuriis Romae esse, tamen noluit (71,12). 115 In seiner Untersuchung des Grabkults der Freigelassenen in der Kaiserzeit kommt Mouritsen (2005) zu dem Schluss, dass liberti auf ihren Gräbern viel mehr Wert auf Status und Ehren legten als Angehörige der sozialen Oberschicht: „Freedmen’s monuments and inscriptions generally reveal a far stronger degree of status awareness and competition than the élite’s monuments…far more freedmen commissioned their own monuments than did members of the élite…while the élite might leave out references to their honours and offices, freedmen would go to considerable lenghts to ensure they were recorded…“ 116 Dem Möchtegern-Aristokraten Trimalchio in den Satyrica entspricht bei Plinius der Freigelassene Pallas, der in seiner Grabinschrift auf seine Ehrungen sowie deren Ablehnung hinweist und damit ein Verhalten nachahmt, das man von hochgestellten Persönlichkeiten wie Verginius Rufus erwarten bzw. als legitim ansehen würde. 117 Dass manche Zeitgenossen auch das Selbstepitaph eines Konsulars wie Verginius als problematisch empfanden, geht aus Epist. 9,19, dem zweiten Teil des Brief-Diptychons, hervor, wo das Thema Selbstdarstellung noch intensiver diskutiert wird. Nach Albinus in 6,10 ist nun Ruso 118 der Adressat des Briefes, und wie am Beginn des Schreibens signalisiert wird, hat er Epist. 6,10 offenbar gelesen (9,19,1: Significas legisse te in quadam epistula mea iussisse Verginium Rufum inscribi sepulcro suo…). Wie schon in anderem Zusammenhang diskutiert wurde, dürfte es sich hier um einen bewusst inszenierten reader-response 262 2 Eingelegte Schriftlichkeit: Briefe über Stimmtäfelchen und Inschriften 119 S. S. 44. 120 Sherwin-White (1966), 502 geht von „a late date“ aus, ohne dieses zu spezifizieren. 121 Sextus Iulius Frontinus, Autor der Strategemata und der Schrift De aquaeductu urbis Romae sowie dreifacher Konsul, taucht mehrmals in den Briefen auf, unter anderem als Vorgänger des Plinius als Augur (4,8) sowie als spectatissimus civitatis zusammen mit Corellius Rufus (5,1,5); vgl. Sherwin-White (1966), 273; Klodt (2015), 366‒8. 122 Ludolph (1997), 63 gliedert den Brief folgendermaßen: Einleitung (1), These (2), argu‐ mentatio pro Verginio (3‒5) und in Frontinum (6), Schluss (7‒8). 123 Zur narratio in der antiken Rhetorik vgl. Knape (2003). 124 Cluvius Rufus war vermutlich Konsul 39/ 40 n. Chr. und später als Statthalter von Hispania Tarraconensis ebenfalls in die Wirrnisse des Vierkaiserjahrs involviert; Tacitus nennt ihn als eine seiner Quellen für die Herrschaft Neros (Ann. 13,20: Plinius et Cluvius nihil dubitatum de fide praefecti referunt; 14,2: tradit Cluvius…); Cluvius soll außerdem die musikalischen Auftritte Neros angekündigt haben (Suet. Nero 21,2: ‘Niobam se cantaturum’ per Cluvium Rufum consularem pronuntiavit); Plutarch zufolge habe sich Cluvius auch mit der Geschichte des Theaters befasst (Mor. 289c‒d); vgl. Plut. Oth. 3; Ios. Ant. 19,1,13; Cass. Dio 63,14,3; über Umfang und Inhalt seines Geschichtswerks ist ansonsten kaum etwas bekannt; vgl. Sherwin-White (1966), 503‒4; Schmal (2005), 111‒2. handeln, der Ruso im letzten Buch der Briefsammlung nicht nur als Adressaten, sondern auch in der Rolle des Lesers der publizierten Briefbücher auftreten lässt. 119 Während sich Epist. 6,10 auf das Jahr 107 n. Chr. datieren lässt, gibt es in Epist. 9,19 keine konkreteren Anhaltspunkte für eine Datierung, 120 und so erfahren wir auch nichts über den zeitlichen Abstand zwischen dem Besuch in Alsium (6,10) und der Diskussion mit Ruso (9,19). Nach dem Hinweis auf das vorausgehende Schreiben des Ruso, in dem dieser auf Epist. 6,10 Bezug genommen hat, zitiert Plinius abermals das Selbstepitaph des Verginius und paraphrasiert daraufhin die von Ruso an Verginius geübte Kritik (1: reprehendis, quod iusserit); nach Rusos Ansicht habe Frontinus 121 richtiger gehandelt, indem er verboten habe, dass ihm ein Grabmal errichtet werde (1: melius rectiusque Frontinum, quod vetuerit omnino monimentum sibi fieri). Seinem Adressaten, der Plinius um seine Meinung zu Verginius und Frontinus gebeten hat, antwortet Plinius mit einer defensio Verginii (2‒8). 122 Der Brief 9,19 hat also weniger den Charakter einer Erzählung als den einer Verteidigungsrede, doch beinhaltet er im Mittelteil eine kleine Narration (5), die der Bekräftigung des Arguments pro Verginio dienen soll. 123 Nachdem Plinius seinem Adressaten erörtert hat, dass er bei denjenigen, die Großes geleistet haben, das Streben nach immortalitas für durchaus legitim, ja sogar lobenswert halte (3), und auf die Bescheidenheit des Verginius, was dessen Selbstdarstellung betrifft, hingewiesen hat (4: tanta in praedicando verecundia), fügt er als Beleg einen kleinen Dialog zwischen Verginius Rufus und dem Historiker Cluvius Rufus ein (5). 124 Für den Wortlaut dieses Gespräch weist Plinius auf Verginius selbst als Quelle hin: 263 2.3 Das Selbstepitaph des Verginius Rufus (Epist. 6,10 und 9,19) 125 Vgl. Klodt (2015), 369. 126 Eine ähnliche Konstellation findet sich in Ciceros De oratore: In der Vorrede an seinen Bruder Quintus sagt Cicero, man habe ihm von der Unterhaltung auf dem Tusculanum des Crassus berichtet (1,24): dici mihi memini ludorum Romanorum diebus L. Crassum quasi conligendi sui causa se in Tusculanum contulisse; der Gewährsmann für den Dialog ist C. Aurelius Cotta (1,26‒9); in De re publica erfüllt Cottas Onkel, P. Rutilius Rufus, diese Funktion (1,13): disputatio…quae mihi tibique quondam adulescentulo est a P. Rutilio Rufo, Smyrnae cum simul essemus compluris dies, exposita; vgl. Steel (2013). 127 Vgl. Epist. 6,16,22; 7,17,3; 7,33,10. 128 S. S. 196-7. ipse sum testis, familiariter ab eo dilectus probatusque, semel omnino me audiente pro‐ vectum, ut de rebus suis hoc unum referret, ita secum aliquando Cluvium locutum: ‘scis, Vergini, quae historiae fides debeatur; proinde, si quid in historiis meis legis aliter ac velis, rogo ignoscas.’ ad hoc ille: ‘tune ignoras, Cluvi, ideo me fecisse, quod feci, ut esset liberum vobis scribere, quae libuisset? ’ Wir sehen uns hier mit drei verschiedenen Ebenen der Kommunikation (im Folgenden a‒c) konfrontiert: Plinius der Epistolograph berichtet seinem Adres‐ saten Ruso (a) von einem Gespräch zwischen ihm selbst und Verginius Rufus als handelnde Figuren (b), in dem Verginius von einer früheren Unterhaltung mit Cluvius Rufus berichtet hat (c). 125 In den epistolaren Dialog sind also zwei intradiegetische mündliche Dialoge eingebettet. Plinius ist nicht unmittelbarer Zeuge (testis) für die zuletzt genannte Unterredung zwischen Verginius und Cluvius, sondern erfährt von dieser aus einer Erzählung des Verginius (b), 126 die zudem als die einzige Gelegenheit (semel) bezeichnet wird, bei der Verginius in Gegenwart des Plinius von sich selbst (de rebus suis) gesprochen habe. Dies ist umso bedeutender, als sich Plinius als enger Vertrauter des Verginius charakterisiert (familiariter ab eo dilectus probatusque) und man daraus wohl schließen soll, dass er häufig mit seinem Mentor kommunizierte. Die beiden in den Brief eingelegten mündlichen Gespräche erfolgen in einer nicht näher konkretisierten Vergangenheit, die lediglich im zweiten Fall durch das Adverb aliquando umschrieben wird. Cluvius Rufus weist Verginius auf die von der Historiographie geforderte fides hin, d. h. die der Wahrheit entsprechende Darstellung, auf die auch Plinius in seinen Briefen wiederholt hinweist. 127 Man fühlt sich hier an Ciceros Korrespondenz mit dem Historiker Lucceius erinnert, den Cicero zum Abweichen von geschichtlicher Objektivität auffor‐ dert, wenn es um die Schilderung seiner Leistungen geht (Fam. 5,12,3: leges historiae neglegas…plusculum etiam, quam concedet veritas). 128 Anders verhält sich Verginius Rufus, der sich über sein „Image“ in der Historie des Cluvius Rufus offenbar keine Sorgen macht. Mit seiner hier erwähnten Tat, bei der es 264 2 Eingelegte Schriftlichkeit: Briefe über Stimmtäfelchen und Inschriften 129 Diese Freiheit bezieht sich insbesondere auf die Darstellung des Verginius, der als Kaiser vermutlich mit mehr panegyrischer Verzerrung hätte rechnen können als in seiner Rolle als Privatmann; vgl. Ludolph (1997), 65‒6. 130 Eine stilitische Analyse dieses Wortwechsels liefert Klodt (2015), 369‒70; König/ Whitton (2018), 21 entdecken einen hexametrischen Rhythmus in der Antwort des Verginius: „coincidence, or a delicate hint of that notorious feature of historiographical openings? “ 131 Vgl. Tac. Hist. 1,8,1: vir facundus; 4,43,1: eloquentia clarus. 132 Vgl. Ludolph (1997), 65 mit Anm. 196: „Ob der historische Verginius an seinem Nach‐ ruhm so desinteressiert war, wie Plinius es hier idealtypisch darstellt, muss naturgemäß offenbleiben.“ sich um die Ablehnung der Kaiserwürde handeln dürfte, habe er gewährleisten wollen, dass die Schriftsteller schreiben konnten, was ihnen beliebte. 129 Freilich ist die Historizität dieses nur von Plinius überlieferten Dialogs sowie seines Wortlauts höchst fragwürdig. Nach dem Selbstepitaph, das in der dritten Person abgefasst ist, vernehmen wir nun die Stimme des Verginius in der ersten Person, wenn er seinem Zeitgenossen Cluvius eine schlagfertige Antwort erteilt. Verginius nimmt die direkte Anrede sowie den Vokativ (scis, Vergini) mit der Formulierung tune ignoras, Cluvi auf und durchsetzt seine Replik überdies mit mehreren Stilfiguren: Ignoras bildet eine Assonanz zu ignoscas, dem Polyptoton historiae…historiis entsprechen bei Verginius die Wortstammfiguren fecisse…feci und liberum…libuisset; die Antithese zwischen facere und scribere charakterisiert Verginius zudem als Mann der Tat, während Cluvius Rufus als Mann des Wortes erscheint. 130 Dem als eloquent geltenden Cluvius Rufus 131 antwortet der plinianische Verginius somit nicht minder wortgewandt. Wenngleich es tatsächlich irgendwann nach den politischen Ereignissen des Vierkaiserjahrs zu einem Gespräch zwischen den beiden Männern gekommen sein mag, spricht doch einiges dafür, dass Plinius diesen Dialog seinen rhetorischen Zielen entsprechend ausschmückt bzw. zuspitzt. 132 Somit komplementieren sich die direkte Rede des Verginius und sein zuvor zitiertes Selbstepitaph, die beide sowohl als Belege für die Haltung des Verginius angeführt als auch im Medium des publizierten Briefes gleichsam für die Nachwelt verewigt werden. Nach der Einbettung des mündlichen Dialogs behält Plinius auch auf der Ebene der Kommunikation mit seinem Adressaten Ruso die Fiktion einer mündlichen Rede bei, wenn er mit der Junktur age dum (6) zu einem Vergleich mit Frontinus auffordert. Auch Frontinus kommt im Brief in direkter Rede zu Wort und artikuliert sein Verbot, ihm ein Grabmal zu errichten (6): impensa monumenti supervacua est; memoria nostri durabit, si vita meruimus. Plinius zufolge zeuge diese Aussage keineswegs von größerer Bescheidenheit, da Frontinus die ganze Welt habe lesen lassen, dass sein Nachruhm überdauern 265 2.3 Das Selbstepitaph des Verginius Rufus (Epist. 6,10 und 9,19) 133 Für das Testament plädiert u. a. Sherwin-White (1966), 503; für ein literarisches Werk Ludolph (1997), 66 Anm. 199; Lefèvre (2009), 35; Marchesi (2008), 160; unentschieden bleibt Klodt (2015), 377. 134 Auf den parallelen Gedanken bei Horaz und Frontin weist Meyer (1990), 77 Anm. 21 hin. 135 Zum Wortlaut vgl. Cic. Tusc. 1,117 und Cato 73; Suerbaum (2002), 122; zu Horaz und Ennius vgl. Holzberg (2009), 148. 136 Rodgers (2004), 188‒9 nennt weitere Paralleltexte: Plin. Nat. 36,75; 121‒3; Mart. Sp. 1; 8,36,1; vgl. Klodt (2015), 376; zu Frontin vgl. König (2018). werde (6: per orbem terrarum legendum dare duraturam memoriam suam); demgegenüber sei Verginius’ Selbstrühmung durch zwei Verslein auf einem räumlich begrenzten Grabmal (6: uno in loco duobus versiculis) deutlich zurück‐ haltender. Der Epistolograph lässt offen, in welchem Kontext Frontinus das monumentum-Verbot artikuliert hat und in welcher Schrift er seinen Nachruhm ankündigte. Handelt es sich um sein Testament oder ein literarisches Werk? 133 Dass sich die Leserschaft eines Testaments per orbem terrarum erstreckt, ist wohl auszuschließen, sodass es sich tatsächlich um ein publiziertes Werk des Frontinus handeln dürfte, auf das Plinius anspielt. Hierfür spricht, dass der von Plinius zitierte Ausspruch des Frontinus Reminiszenzen an die Ode 2,20 des Horaz enthält, insbesondere an deren Ende (21‒24): absint inani funere neniae / luctusque turpes et querimoniae; / conpesce clamorem ac sepulcri / mitte supervacuos honores. 134 Ähnlich wie der Odendichter, der im Epilog zu Buch 2 die sepulcri supervacuos honores ablehnt, will auch Frontinus auf die impensa monumenti supervacua verzichten. Die Ode 2,20 des Horaz, in der dieser seine Verwandlung in einen Schwan inszeniert, rekurriert auf das Selbstepitaph des Ennius, wo ebenfalls Begräbnis und Weiterleben als geflügeltes Wesen miteinander kontrastiert werden (fr. var. 117 f. V.): Nemo me lacrimis decoret nec funera fletu / faxit. cur? volito vivos per ora virum. 135 Es scheint, als greife Frontinus diese poetologischen Motive auf, um sie in den pragmatischen Kon‐ text seiner Prosa einzubetten. Diese Strategie lässt sich auch an einer Passage aus De aquaeductu urbis Romae erkennen, wo Frontinus nach der Beschreibung verschiedener Aquädukte folgenden Zwischenkommentar einfügt (1,16): Tot aquarum tam multis necessariis molibus pyramidas videlicet otiosas compares aut cetera inertia sed fama celebrata opera Graecorum? Was sich auf den ersten Blick wie ein Vergleich der nützlichen Wasserleitungen Roms mit den inertia opera der ägyptischen Pyramiden und griechischen Weltwundern liest, lässt sich auf den zweiten Blick auch als ein selbstbewusstes Statement des Autors Frontinus interpretieren, der hier insbesondere die Ode 3,30 des Horaz aufgreift (c. 3,30,1‒2: Exegi monumentum aere perennius / regalique situ pyramidum altius) und den monumentum-Topos im Rahmen seiner Poetologie der Pragmatik variiert. 136 266 2 Eingelegte Schriftlichkeit: Briefe über Stimmtäfelchen und Inschriften 137 Lefèvre (2009), 36 weist darauf hin, dass Epist. 9,19, wo diese beiden Formen diskutiert werden, zwischen zwei kürzeren Briefen steht, die von Plinius’ Schriften und deren Beliebtheit bei seinen Freunden handeln (9,18 und 9,20); diese Gruppierung ist m. E. insofern bemerkenswert, als im ersten dieser Schreiben von der memoria des Adressaten Sabinus die Rede ist, der sich bei der Lektüre der plinianischen Schriften durch sein gutes Gedächtnis auszeichnet (1: qua denique memoria legeris libellos meos); die Juxtaposition mit Epist. 9,19, wo der frühere Brief 6,10 nochmals ins Gedächtnis gerufen wird, dürfte dabei beabsichtigt sein: Sabinus in 9,18 verkörpert sozusagen das literarische Gedächnis des allgemeinen Lesers, der sich bei der Lektüre von Epist. 9,19 an 6,10 zurückerinnert. Der Vergleich mit der Passage in De aquaeductu urbis Romae verleitet zumindest zu der Spekulation, dass Frontinus in einer verlorenen Schrift, aus der Plinius in Epist. 9,19,6 zitiert, die Horaz-Ode 2,20 in prosaischem Rahmen imitierte und die lyrische Metaphorik in den pragmatischen Kontext einer Fachschrift übertrug. Denkbar ist natürlich auch, dass Plinius selbst eine von Frontinus getätigte Aussage mit Anspielungen auf Horaz anreicherte. Eindeutig lässt sich diese Frage leider nicht beantworten. Seine defensio Verginii beschließt Plinius mit dem Fazit, dass keiner der beiden Männer getadelt werden dürfe, sondern jeder mit gleichem Verlangen, aber auf unterschiedlichem Weg, Ruhm anstrebte (8): alter, dum expetit debitos titulos, alter, dum mavult videri contempsisse. Während Verginius die ihm zustehende Grabinschrift gefordert habe, wollte Frontinus den Anschein erwecken, sie zu verschmähen, habe jedoch tatsächlich um nichts weniger auf Nachruhm gehofft. Epigraphische und literarische memoria interagieren im Briefpaar 6,10 und 9,19 miteinander, beide Medien sind für Plinius gleichermaßen zulässig. 137 Es zeigt sich zudem, dass die hier behandelten Briefe über Verginius Rufus, Frontinus sowie den Freigelassenen Pallas nicht nur über das Thema der memoria und Grabinschrift miteinander verknüpft sind, sondern auch über das Leitmotiv des Verzichtens auf verschiedene Formen der Ehre (Kaiserwürde, Grabinschrift oder Millionen‐ betrag), wodurch der Betroffene der Öffentlichkeit ein bestimmtes Image von sich präsentieren will. Den beiden Konsularen, von denen Plinius zufolge jeder legitim gehandelt habe, steht hierbei als negative Kontrastfigur der libertus Pallas gegenüber. 267 2.3 Das Selbstepitaph des Verginius Rufus (Epist. 6,10 und 9,19) 1 Farrell (2002) unterscheidet vier Typen von literarischen Karrieren: 1. „compliticious“ (der Dichter unterstützt durch seine literarische Karriere die politische Position des Patrons), 2. „competitive“ (die Karriere des Dichters wetteifert mit derjenigen des Patrons), 3. „complementary“ (der Patron verfasst selbst Poesie in der Freizeit als Ausgleich zu seiner politischen Tätigkeit) und 4. „antithetical“ (die literarische Karriere ist für den Patron eine Alternative zur politischen); Farrell zufolge handelt es sich bei der Dichterkarriere des Plinius um Typ 3 „complementary“ (43); cf. Gibson/ Steel (2010). 2 Aus seinen Dichtungen zitiert Plinius in Epist. 7,4,6 und 7,9,11; umstritten ist die Echtheit des Gedichts AL 710 R; vgl. Courtney (1993), 367‒70; Hershkowitz (1995), 173; zu Plinius als Dichter vgl. außerdem Prete (1948), 14‒31; Cova (1966), 48‒59 und 72‒94; Winniczuk (1968); Cugusi (1974), 3‒27; Gamberini (1983), 82‒121; Roller (1998); Auhagen (2003); Aricò (2008); Marchesi (2008), 53‒96; Höschele (2010), 46‒52; Edmunds (2015); Janka (2015); Keeline (2018b), 310‒6. 3 Gamberini (1983), 82‒121 rekonstruiert anhand der Briefe 4,14 und 5,3 ein erstes Buch Hendecasyllabi, aus Epist. 7,9 und 8,21 einen zweiten libellus mit metrisch und thematisch unterschiedlichen Gedichten sowie eventuell eine dritte Gedichtsammlung, von der in Epist. 9,10, 9,16 und 9,25 die Rede ist; vgl. Marchesi (2008), 58. 4 S. S. 17. 3 Konstruieren einer Dichter-Biographie Wie in den vorhergehenden Kapiteln gezeigt wurde, versucht sich Plinius durch narrativ ausgefeilte Briefe und Briefzyklen, die von seinen Auftritten vor Gericht, verschiedenen Vorfällen im Senat oder seiner Verbundenheit mit politisch bedeutenden Persönlichkeiten handeln, als erfolgreicher und versierter Redner zu profilieren und als pflichtbzw. standesbewusster Senator zu charakterisieren. Dem gegenüber stehen jene Episteln, in denen Plinius von sich das Bild eines Freizeitdichters zeichnet, der im otium Gelegenheitspoesie verfasst. 1 Während uns von den Reden immerhin noch der Panegyricus Traiani erhalten ist, besitzen wir von Plinius’ poetischen Erzeugnissen nur mehr wenige Fragmente, 2 wobei sein poetisches Talent nicht immer besonders schmeichelhaft bewertet wurde. So konstatiert etwa Auhagen (2003: 12), dass man sich Plinius nicht etwa als einen tenerorum lusor amorum à la Ovid vorstellen dürfe, da er „auch in seinen poetischen versiculi letztlich Dilettant“ bleibe. Angesichts der spärlichen Reste von Plinius’ Gedichten sind solche Spekulationen freilich müßig und dürften auch größtenteils auf den Aussagen beruhen, die Plinius selbst über sich als Dichter macht. Gamberini (1983) etwa vermutet im Rahmen seiner Analyse der betreffenden Briefe, dass Plinius mindestens zwei Gedicht‐ sammlungen, vielleicht sogar drei, publizierte. 3 Wie bereits an anderer Stelle 4 erörtert wurde, imitiert Plinius auch bei der Anordnung seiner Briefbücher die Kompositionsprinzipien antiker Gedichtbücher, ja verleiht seinen Episteln 5 Wie Cameron (2016), 470 vermutet, dürfte der spätantike Dichter Ausonius mit der erotischen Poesie des Plinius weniger aus einer Gedichtausgabe denn aus den Briefen selbst vertraut gewesen sein: „It is unlikely that Pliny’s verses ever had a wide circulation, and highly improbable that any survived till Ausoniusʼ day“. 6 Sherwin-White (1966), 32‒4. 7 Auf seine Dankesrede, den Panegyricus, nehmen Epist. 3,13 und 3,18 bezug. 8 Vgl. Epist. 1,13. 9 Vgl. Epist. 2,10. 10 Er ist auch Adressat der Epist. 1,8 und gehörte vermutlich dem Ritterstand an; vgl. 5,21; 7,7‒8; 15; 9,38; Sherwin-White (1966), 102‒3. sogar häufig den Charakter von „Prosagedichten“. Darauf, dass Plinius mit der poetischen, insbesondere kallimacheisch-neoterischen Tradition gut vertraut war, wurde bereits mehrfach hingewiesen. Wenn im Folgenden ein näherer Blick auf jene Briefe geworfen wird, in denen Plinius sich als Verfasser von Kleinpoesie präsentiert, geht es weniger darum, die nicht mehr erhaltenen Gedichte zu rekonstruieren, als um die Analyse der narrativen und literarischen Strategien, mit denen der Epistolograph seine Dichterkarriere darstellt und die Lektüre dieser Briefserie steuert. 5 3.1 Plinius als Leser poetischer Produkte in der ersten Triade Über seine eigenen Aktivitäten als Dichter äußert sich Plinius zum ersten Mal in Buch 4 (4,14), das Sherwin-White auf 104/ 5 n. Chr. datiert. 6 Zu diesem Zeit‐ punkt hatte Plinius den Höhepunkt seiner politischen Karriere bereits erreicht, nämlich das von Trajan verliehene Amt des Konsuls (100 n. Chr.), worauf insbesondere zwei Briefe in Buch 3 verweisen. 7 Die Bücher 1‒3 beinhalten abgesehen davon auch mehrere Episteln, in denen sich Plinius bereits als Freund der Dichtung und Dichter präsentiert und in denen viele Elemente seiner eigenen „Dichter-Vita“ antizipiert werden. Neben allgemeineren Aussagen über Rezitation 8 und Publikation 9 literarischer Werke findet sich etwa in Epist. 1,16 eine Würdigung des talentierten Literaten Pompeius Saturninus, 10 der laut Plinius neben Reden, Historiographie und Briefen auch ganz ausgezeichnete Gedichte verfasse; diese seien, so Plinius, eines Catull oder Calvus würdig (5): Praeterea facit versus, quales Catullus meus aut Calvus, re vera quales Catullus aut Calvus. Quantum illis leporis dulcedinis amaritudinis amoris! Inserit sane, sed data opera, mollibus levibusque duriusculos quosdam; et hoc quasi Catullus aut Calvus. Mit dem Adjektiv duriusculus spielt Plinius vermutlich auf die Bewertung der Catull-Verse 1,3‒4 (…namque tu solebas / meas esse aliquid putare nugas) durch 270 3 Konstruieren einer Dichter-Biographie 11 Gibson (2011b), 189‒93. 12 Dazu vgl. Hor. Epist. 2,1,18‒92; Mart. 5,10; 8,69; Tac. Dial. 18,3. 13 Über diese beiden Briefe vgl. Krasser (1993a); Ludolph (1997), 76‒7. 14 Bereits in Epist. 1,7,5 hatte Plinius seinem Verlangen nach Octaviusʼ Versen Ausdruck verliehen; möglicherweise handelt es sich bei ihm um den Suffektkonsul von 80 n. Chr., C. Marius Marcellus Octavius Publius Cluvius Rufus; vgl. Sherwin-White (1966), 101. 15 Über ihn wissen wir kaum etwas, vgl. Sherwin-White (1966), 248. 16 Zu diesem Brief vgl. auch Gibson/ Morello (2012), 88; Keeline (2018b), 303‒4. den älteren Plinius in der Vorrede zur Naturalis Historia an (Nat. praef. 1: namque tu solebas nugas esse aliquid meas putare…ille enim, ut scis, permutatis prioribus syllabis duriusculum se fecit). 11 Das vielseitige Talent des Saturninus liefert Plinius dann den Anlass, über das Problem fehlender Anerkennung von Literaten zu ihren Lebzeiten 12 zu reflektieren (8): neque enim debet operibus eius obesse quod vivit. An si inter eos quos numquam vidimus floruisset, non solum libros eius verum etiam imagines conquireremus, eiusdem nunc honor praesentis et gratia quasi satietate languescit? Der unmittelbar folgende Brief 1,17 hat wohl nicht zufällig die Verehrung bereits verstorbener Größen zum Thema: Plinius preist Titinius Capito dafür, dass er eine Statue des L. Silanus, eines der politischen Opfer Neros, auf dem Forum aufgestellt habe, darüber hinaus auch die Bildnisse von Republikanern wie Brutus, Cassius und Cato verehre und überdies noch Gedichte De viris illustribus verfasse. Die Briefe 1,16‒17 scheinen als companion-pieces zu interagieren, 13 indem sie das Thema der Bewunderung für Zeitgenossen bzw. Verstorbene aus zwei Perspektiven beleuchten. Vom Bewunderer verwandelt sich Pliniusʼ persona dann in einen Förderer und Mentor anderer Dichter: In Epist. 2,10 fordert er seinen Adressaten Octavius Rufus zur Publikation seiner Verse auf, 14 in Epist. 3,15 präsentiert sich Plinius dann als kritischer Leser der Gedichte des Silius Proculus, 15 nachdem dieser ihn darum gebeten hat. Sein Adressat habe ihn, so Plinius, mit folgendem Argument zur Lektüre motiviert (1‒2): rogas enim, ut aliquid subsicivi temporis studiis meis subtraham, impertiam tuis, adicis M. Tullium mira benignitate poetarum ingenia fovisse. sed ego nec rogandus sum nec hortandus; nam et poeticen ipsam religiosissime veneror et te valdissime diligo. Durch die Wiedergabe der Worte des Adressaten stilisiert sich Plinius zum zweiten Cicero, der eigentlich Wichtigeres zu tun hat, von seiner Zeit aber etwas „abschneidet“ für die Beschäftigung mit Poesie. 16 Doch auch ein anderes Vorbild wird durch einen intertextuellen Bezug evoziert: Mit der Junktur subsicivi temporis scheint Plinius abermals auf die praefatio seines Onkels zur Naturalis Historia anzuspielen, wo der ältere Plinius bekundet, dass er sein 271 3.1 Plinius als Leser poetischer Produkte in der ersten Triade 17 Zur lucubratio beim älteren Plinius vgl. Ker (2004), 232‒6. 18 Zu Plinius und Martial vgl. Adamik (1976); Lefèvre (1989); Pitcher (1999); Henderson (2001); Ker (2009); Marchesi (2013); Janka (2014); Tzounakas (2014); Canobbio (2015); Edmunds (2015); Neger (2015b); Fitzgerald (2018); Keeline (2018b), 304‒5; Mratschek (2018). 19 Vgl. Lefèvre (1989), 125‒6; Prior (1994), 95; Henderson (2001), 65‒8 and 81‒3; Marchesi (2008), 106‒8 und (2013), 106‒7. 20 Vgl. Janka (2014), 11‒5; Neger (2015b), 138. Werk in der Nacht verfasst habe, wohingegen der Tag den Aktivitäten für Kaiser Titus gewidmet sei (18): subsicivisque temporibus ista curamus, id est nocturnis…dies vobis impendimus. 17 Während der ältere Plinius in der Nacht an seiner Naturgeschichte gearbeitet hat, widmet sich der Neffe der Poesie, wie auch aus dem letzten Brief des dritten Buches hervorgeht (3,21), der einen Nachruf auf den Epigrammatiker Martial enthält und wohl nicht zufällig an den Buchschluss gesetzt ist. 18 In Martials Epigramm 10,20[19] an die Muse Thalia, dessen zweite Hälfte Plinius in Epist. 3,21,5 (= Mart. 10,20[19],12‒21) wörtlich zitiert, beschreibt der Epigrammatiker den Tagesablauf seines patronus und preist ihn als zweiten Cicero des Zentumviralgerichts, der am Abend jedoch auch für scherzhafte Poesie zugänglich ist: sed ne tempore non tuo disertam pulses ebria ianuam videto; totos dat tetricae dies Minervae, dum centum studet auribus virorum hoc, quod saecula posterique possint Arpinis quoque comparare chartis. seras tutior ibis ad lucernas; haec hora est tua, cum furit Lyaeus, cum regnat rosa, cum madent capilli. tunc me vel rigidi legant Catones. Plinius konzentriert sich in seinem Brief auf die bei Martial imaginierte Szene der Ankunft Thalias - der Epistolograph bezeichnet sie lediglich als Musa (5) - bei seinem Haus auf dem Esquilin. Während die erste Hälfte des Martial-Epi‐ gramms aus einer Wegbeschreibung von der Subura zu diesem Domizil besteht, fasst Plinius den Inhalt der Verse 1‒11 nur kurz zusammen: adloquitur Musam, mandat, ut domum meam Esquiliis quaerat, adeat reverenter (5). Über die Gründe, warum der Epistolograph nur das halbe Gedicht zitiert, wurde viel spekuliert: Enthielten die betreffenden Verse Passagen, die Plinius unpassend erschienen, 19 oder animiert er seine Leser dazu, den fehlenden Teil geistig zu ergänzen? 20 Da Plinius in Epist. 3,21 seinen Adressaten explizit auf das Epigrammbuch 272 3 Konstruieren einer Dichter-Biographie 21 Epist. 4,14,4: erit eruditionis tuae. 22 Während White (1974) und (1996) die Epigramme unter dem Aspekt ihrer sozialen Funktion betrachtet und von ihrer Verbreitung als libelli unter Freunden und Gönnern ausgeht, plädiert Fowler (1995b) dafür, den Sitz der einzelnen Gedichte im Buch bzw. Gesamtwerk stärker zu berücksichtigen. 23 Zur Publikation von Buch 10 und der Frage der Zweitauflage vgl. Holzberg (2002b), 140‒ 8; Lorenz (2002), 219‒20; zu Anspielungen auf Martials Buch 10 bei Plinius vgl. Neger (2015b); das Verhältnis zwischen Martials Buch 10 und Tacitus’ Agricola beleuchtet Rimell (2018). 24 Edmunds (2015), 321‒33 diskutiert die archäologischen Zeugnisse zu dieser Topogra‐ phie: Bei den in vv. 6‒9 beschriebenen Figuren des Orpheus und der ihn bewundernden Tiere handelt es sich wohl um ein unter Augustus errichtetes Brunnen-Akroterion. Mit seiner Ekphrasis dürfte Martial insbesondere den Orpheus in Buch 10‒11 in Ovids Metamorphosen evozieren: „…miniature ecphrasis that wittily pictures the Orpheus of the fountain as Ovid’s Orpheus“ (331). 25 Die Publikation des angeblich überarbeiteten 10. Epigrammbuches unter Trajan und Plinius’ Anfänge als Epistolograph fallen in dieselbe Zeit. verweist (4: remitterem te ad ipsum volumen; 5: ceteros in libro requires) und auch in Epist. 4,14 einen gelehrten und mit der Gattungstradition vertrauten Gedicht-Rezipienten voraussetzt, 21 scheint mir die zweite Möglichkeit nahelie‐ gender zu sein. Zuletzt hat Edmunds (2015) die Frage aufgeworfen, in welcher Form Plinius als Leser Martials das betreffende Epigramm 10,20[19] rezipierte - als Einzelgedicht, das vielleicht in einem kleineren libellus unter Freunden des Dichters zirkulierte, oder im Kontext der publizierten Epigrammsammlung? 22 Es ist natürlich nicht auszuschließen, ja sogar naheliegend, dass Martial das Epigramm 10,20[19] seinem Patron zuerst gesondert oder im Rahmen eines kleineren libellus zukommen ließ, doch legen wiederholte Anspielungen bei Plinius auf Martial, insbesondere auf dessen unter Trajan veröffentlichtes Buch 10 nahe, 23 dass wir bei der Lektüre von Martials in Epist. 3,21 zitiertem Gedicht an das publizierte Epigrammbuch (bzw. Epigrammkorpus) denken sollen. Für Plinius scheint es zudem wichtig zu sein, darauf hinzuweisen, dass er nicht nur in einem Gedicht, sondern in einem Buch gerühmt wurde (4‒5: volumen…in libro). In der ersten, von Plinius nicht zitierten Hälfte des Epigramms wird Thalia instruiert, wie sie von der Subura über den lacus Orphei und das Haus des Epigrammdichters Pedo zu Plinius gelangt. 24 Wenngleich dieser in der zweiten Gedichthälfte insbesondere als Redner präsentiert wird, dürfte die erste Hälfte indirekt auf seine anderen literarischen Interessen hinweisen: So evozieren die Anfangsverse das Genre der Epistolographie, da Martial seiner Thalia die Funktion einer Botin zuschreibt, die das Büchlein zu Plinius bringen soll (2‒4: libellum / facundo mea Plinio Thalia / i perfer). 25 Auch die poetischen 273 3.1 Plinius als Leser poetischer Produkte in der ersten Triade 26 Damit kontrastiert Martial seinen libellus mit Werken wie etwa demjenigen des Dichters Suffenus, den Catull in c. 22 verspottet (14): idem infaceto est infacetior rure. 27 Zu Martials Praxis, mehrere Personen als Widmungsträger zu charakterisieren, siehe Nauta (2002). 28 So etwa in Epigramm 10,72,1‒3: Frustra, Blanditiae, venitis ad me…dicturus dominum deumque non sum; zu Trajan in Martials Buch 10 vgl. Lorenz (2002), 219‒31. 29 Edmunds (2015), 332‒3 argumentiert, dass Plinius nicht im Hause Pedos gewohnt haben dürfte, sondern in unmittelbarer Nähe. 30 Während Martial Pedo zusammen mit Catull, Marsus und Gaetulicus wiederholt als epigrammatisches Vorbild nennt (vgl. 1 praef.; 2,77; 5,5), wird er bei Plinius nicht erwähnt; vgl. Edmunds (2015), 338. 31 Zur poetologischen Bildersprache in diesem Epigramm vgl. Neger (2015b), 137. 32 Epist. 3,1; 3,5; 3,7; 3,16; Personen-Charakterisierung ist zudem ein wichtiges Element in Empfehlungsschreiben: 3,2; 3,3. Zu den Kompositionsprinzipien von Buch 3 vgl. Mayor (1880); Radicke (1997), 449‒62; Henderson (2002a). Interessen des Plinius, insbesondere in Bezug auf Catull, klingen an, da Martial die Personenkonstellation in Catulls c. 1 zu imitieren scheint und sich auch desselben Versmaßes bedient: Der lepidus novus libellus, den der Neoteriker seinem Freund Cornelius Nepos widmet (c. 1,1), wird bei Martial zu einem Büchlein, das zwar nicht gelehrt (1: nec doctum) und zu wenig ernst (1: parum severum), jedoch auch nicht ganz plump (2: sed non rusticulum) 26 sein will. Plinius figuriert somit als einer der Widmungsträger von Martials trajanischem Buch 10, 27 in dem sich der Epigrammatiker zudem deutlich von der Regierungszeit Domitians distanziert. 28 Im Rahmen seiner Topographie zwischen Subura und Esquilin hebt Martial überdies zwei Orientierungspunkte hervor, die man als Symbole für Poesie interpretieren kann: die mythologische Gestalt des Orpheus (6-9) und den augusteischen Dichter Albinovanus Pedo bzw. seine parva domus (10‒11). Abgesehen von einer geographischen Nähe der domus Pliniana zu diesen beiden Dichter-Figuren 29 könnte hier auch die geistige Nähe des Plinius zur poetischen Tradition versinnbildlicht sein. 30 Zudem suggeriert Vers 3 eine enge Verbindung zwischen Thalia und Plinius (facundo mea Plinio Thalia), die durch die Wortstellung hier miteinander verschlungen sind. Außerdem weisen mehrere Signalwörter auf die Tradition der Kleinpoesie hin, so etwa brevis labor (4), altus trames (5) und parva domus (10). 31 Am Ende seines dritten Brief-Buches zitiert der Epistolograph aus einem Martial-Epigramm, das aus einem explizit trajanischen Gedichtbuch stammt und die Bedeutung des Plinius als Redner hervorkehrt sowie seine Tagesroutine thematisiert. Buch 3 der Plinius-Briefe wiederum beinhaltet seinerseits mehrere Personen-Porträts und Schilderungen von Tagesabläufen, 32 und eine lineare Lektüre animiert uns dazu, Plinius nun mit Vestricius Spurinna (3,1) und dem älteren Plinius (3,5) in eine zu Reihe stellen; wie sich zeigt, wird Martials 274 3 Konstruieren einer Dichter-Biographie 33 In dem formal als Nachruf auf Martial gestalteten Brief 3,21 erfahren wir eigentlich mehr über Plinius als den verstorbenen Epigrammatiker. 34 Sherwin-White (1966), 135 identifiziert ihn mit Plinius Paternus, der vermutlich eben‐ falls aus Comum stammt, und an den auch die Briefe 1,21, 8,16 und 9,27 gerichtet sind. 35 Vgl. Janka (2015), 603. 36 Die Rechtfertigung obszöner Sprache unter Berufung auf Catull in 4,14,4‒5 greift insbesondere Martials erste praefatio auf; in 4,14,8 spielt Plinius auf Mart. 2 praef. an; vgl. Canobbio (2015); Janka (2015); Neger (2015b). Das intertextuelle Spiel wurde womöglich von Ausonius bemerkt, der im Epilog zu seinem Cento Nuptialis eine Verbindung zwischen Plinius und Martial herstellt, indem er dem Epistolographen einen Martial-Vers (1,4,8) in den Mund legt (‘lasciva nobis est pagina, vita proba’, ut Plinius dicit) und so aus dem Catull-Zitat in Plinius’ Epist. 4,14,5 ein Martial-Zitat macht; vgl. Cameron (2016), 469‒70. Epigramm in Epist. 3,21 geschickt zur Selbstdarstellung des Epistolographen funktionalisiert; 33 zwar tritt dieser hier noch nicht explizit als Verfasser, sondern nur als Rezipient von Epigrammen auf, doch kann man Epist. 3,21 als Overtüre zu jenem Briefzyklus betrachten, in dem Plinius seine eigene Dichter-Biographie konstruieren wird. 3.2 Plinius als Dichter in Buch 4 Die in Epist. 3,15 und 3,21 betonte Doppelrolle von Plinius als Redner und Freund der Kleinpoesie wird zu Beginn von Epist. 4,14 an Paternus 34 aufgegriffen, wo wir zum ersten Mal von Plinius’ eigenen poetischen Aktivitäten lesen (1‒2): Tu fortasse orationem, ut soles, et flagitas et exspectas; at ego quasi ex aliqua peregrina delicataque merce lusus meos tibi prodo. accipies cum hac epistula hendecasyllabos nostros, quibus nos in vehiculo in balineo inter cenam oblectamus otium temporis. Anstelle einer Rede sendet Plinius seinem Freund poetische lusus in Form von Hendecasyllabi, und in seinem Brief rechtfertigt sich Plinius für das Verfassen dieser Art von Poesie. Was auf den ersten Blick wie ein okkasionsgebundenes Begleitschreiben wirkt, ist sorgfältig in den Buch- und Werkkontext integriert: Brief 4,14, der wohl nicht zufällig die Mitte des vierten Buches bildet, 35 enthält mehrere intertextuelle Anspielungen auf Martials Prosavorreden zu seinen Epigrammbüchern, 36 und somit setzt sich Plinius nach dem Nekrolog auf Martial in Epist. 3,21 auch indirekt mit dem Epigrammdichter und dessen poetologischen Reflexionen auseinander. Zudem greift Epist. 4,14 auf die Charakterisierung des älteren Plinius in Epist. 3,5 zurück: Wenn der Epistolograph von sich sagt, dass er in vehiculo in balineo inter cenam Poesie verfasse, erinnert das an die Art 275 3.2 Plinius als Dichter in Buch 4 37 Nach Gibson/ Steel (2010) konstruiert Plinius die literarische Karriere seines Onkels nach dem vergilischen Aszendenz-Modell. 38 So Gibson/ Morello (2012), 114 zu den Vesuvbriefen. 39 Zu diesem Brief vgl. Sherwin-White (1966), 267‒8; Lefèvre (2009), 46‒7; Neger (2016), 153‒5. 40 Motivisch ähnelt dieser Brief stark dem Martial-Epigramm 4,23, möglicherweise spielt Plinius sogar direkt darauf an: Martial würdigt einen zeitgenössischen Dichter namens Bruttianus, der auf dem Gebiet der griechischen Epigrammatik angeblich Kallimachos übertrifft, und reflektiert ebenfalls über einen möglichen Wechsel des Bruttianus in die lateinische Epigrammatik; vgl. Neger (2012), 77‒80; vermutlich zirkulierte im und Weise, wie das literarische Schaffen des älteren Plinius geschildert wurde (3,5,11‒16): Post solem plerumque frigida lavabatur, deinde gustabat dormiebatque minimum; mox quasi alio die studebat in cenae tempus. super hanc liber legebatur adnotabatur, et quidem cursim…in secessu solum balinei tempus studiis eximebatur - cum dico balinei, de interioribus loquor; nam dum destringitur tergiturque, audiebat aliquid aut dictabat. in itinere quasi solutus ceteris curis, huic uni vacabat…qua ex causa Romae quoque sella vehebatur. repeto me correptum ab eo, cur ambularem: ‘poteras’ inquit ‘has horas non perdere’. Der jüngere Plinius animiert uns bei der Konstruktion seiner eigenen Dichter‐ biographie also indirekt zum Vergleich sowie zur (humorvollen) Kontrastierung mit dem älteren Plinius: Hatte dieser bei den hier angeführten Gelegenheiten ernsthafte Schriften über militärische Techniken, biographische, historiographi‐ sche sowie grammatische Werke und schließlich die monumentale Historia naturalis verfasst 37 , handelt es sich bei den Produkten des jüngeren Plinius lediglich um poetische nugae. Die Briefe 3,5 und 4,14 über die literarischen Aktivitäten der beiden Plinii haben somit einen ähnliche Funktion wie das Briefpaar über den Vesuv-Ausbruch (6,16 und 20), wo zuerst der ältere und dann der jüngere Plinius im Zentrum steht und beide Briefe zusammen eine Art epistolare Parallel-Vita 38 ergeben. Der Leser, der Buch 4 der Briefe bzw. das gesamte Korpus linear liest, wird auf Plinius’ ersten Auftritt als Dichter gezielt vorbereitet: Bereits in Epist. 4,3 lesen wir eine Huldigung auf Arrius Antoninus, der als ehemaliger Konsul und Prokonsul in seiner Freizeit (1: in remissionibus) griechische Epigramme verfasst, und zwar auf dem Niveau eines Kallimachos (4: Callimachum me vel Heroden…tenere credebam) und in perfektem Attisch (5: non medius fidius ipsas Athenas tam Atticas dixerim). 39 Was wäre erst, wenn er lateinische Gedichte verfassen würde (5: neque enim coniectura eget, quid sermone patrio exprimere possis)? 40 Auf der direkten Kommunikationsebene zwischen Plinius und Arrius 276 3 Konstruieren einer Dichter-Biographie 1. Jh. n. Chr eine unter dem Namen des Kallimachos publizierte Epigrammsammlung; vgl. Gutzwiller (1998), 19 mit Anm. 12; Citroni (2003), 14; Meyer (2005), 128‒30. 41 Auch im Hinblick auf die Balance zwischen severitas und iucunditas (4,3,2) ist Arrius Antoninus ein Vorbild: vgl. Epist. 8,21,1: severitatem comitatemque miscere; Bereits in Epist. 3,1,7 erfahren wir, dass auch Vestricius Spurinna in seinem Alters-otium Gedichte verfasst. 42 Außerdem wird der Begriff opusculum bei Plinius stets im Zusammenhang mit Poesie gebraucht, wie Sherwin-White (1966), 287 bemerkt. 43 Mit dem Verbum exprimere ist eine Verbindung zur in Epist. 4,3 gepriesenen Dichtkunst des Arrius Antoninus hergestellt (5): neque enim coniectura eget, quid sermone patrio exprimere possis. Plinius will das lateinische Pendant zu Arrius Antoninus sein, und die Aussage, es bedürfe keiner coniectura, trifft insofern zu, als Plinius anstelle des Arrius Antoninus auf Latein gedichtet hat; somit sind auch die in Epist. 4,14 zum Ausdruck gebrachten Selbstzweifel relativiert. 44 Der Begriff venustas bzw. venustus evoziert Catull als Vorbild: vgl. Hartz (2007), 157: „Venustus kommt insgesamt siebenmal bei Catull vor und ist eines der Signalwörter des Ideals des urbanen way of life und damit nicht zuletzt neoterischer Lebensart.“ Vgl. Catull. 3,2; 13,6; 22,2; 31,12; 35,17; 89,2; 97,9; vgl. 86,3 (venustas). Antoninus hat dieser Brief die Funktion eines Kompliments für das literarische Talent des älteren Konsulars, doch im Kontext des Buches bzw. Briefzyklus erfüllt das Schreiben einen weiteren Zweck: Durch die Positionierung des Briefes 4,3 vor Epist. 4,14 wird Plinius’ eigenes Tun durch eine Autorität bzw. ein role model legitimiert. 41 Unmittelbar vor Epist. 4,14 stoßen wir möglicherweise in Brief 4,13 an Tacitus auf einen versteckten Hinweis auf Plinius’ Gedichte. Der Epistolograph befindet sich gerade auf seinem tuskischen Landgut, wo er noch einige Tage verweilen will (1: pauculis diebus in Tusculano commorabor), und feilt an einem nicht näher konkretisierten opusculum (1: ut opusculum, quod est in manibus, absolvam), bei dem es sich um die in Epist. 4,14 beschriebene Gedichtsammlung handeln könnte. 42 Während in Epist. 4,14 allein der Briefadressat Paternus als Leser der hendecasyllabi imaginiert ist (1: lusus meos tibi prodo), erweitert in Epist. 4,18 der bereits zuvor erwähnte Arrius Antoninus den Leserkreis: Plinius versucht nun, mit dessen griechischen Epigrammen wettzueifern und sie auf Lateinisch nachzubilden (1: quaedam Latine aemulari et exprimere temptavi). 43 Wenngleich Plinius sein literarisches Talent hier demonstrativ unterminiert (1: in deterius tamen…imbecillitate ingenii), will er nicht ausschließen, dass Arrius an dem einen oder anderen Gedicht Gefallen finden mag (2: quodsi haec, quae sunt et Latina et mea, habere tibi aliquid venustatis videbuntur). 44 Epist. 4,14 ist somit gerahmt von zwei Briefen an Arrius Antoninus (4,3; 4,18), in denen über die Qualität poetischer Produktion im sermo patrius reflektiert wird. Während Plinius an die Reaktion seines Lesers Arrius Antoninus noch bescheidenere Erwartungen stellt, werden andere Rezipienten als weitaus 277 3.2 Plinius als Dichter in Buch 4 45 Vgl. die literarisch gebildete Gattin des Pompeius Saturninus, die angeblich Briefe wie Plautus und Terenz in Prosa verfasst (Epist. 1,16,6); vgl. Carlon (2009), 160‒1. 46 Epist. 4,27,1: Tertius dies est, quod audivi recitantem Sentium Augurinum cum summa mea voluptate, immo etiam admiratione. poematia appellat… 47 Vgl. Epist. 4,27,3: nam lemma sibi sumpsit, quod ego interdum versibus ludo; zu Plinius und Catull vgl. Gunderson (1997); Roller (1998). 48 Zu dem Gedicht des Sentius Augurinus vgl. Courtney (1993), 365‒6; vgl. Dahlmann (1980); Gärtner (2009). 49 Vgl. unus - uno, mihi - mihi, priores - priores. 50 Zum intertextuellen Dialog des Augurinus-Gedichts mit Mart. 10,78 vgl. Neger (2015b), 142‒4. 51 Zu diesem Brief vgl. Krasser (1993c); Auhagen (2003); Morello (2007), 176‒7; Power (2014); zur Person des Titius Aristo, dessen Krankheit Plinius in Epist. 1,22 beschreibt und der den langen Brief 8,14 erhält, vgl. Sherwin-White (1966), 136‒7. begeisterungsfähiger charakterisiert: Die Briefe 4,19 und 4,27 berichten vom Enthusiasmus, den Plinius’ Verse bei anderen Lesern auslösen: In 4,19,4 ist es Plinius’ Ehefrau Calpurnia, von der es heißt versus quidem meos cantat etiam for‐ matque cithara, non artifice aliquo docente, sed amore qui magister est optimus. 45 In 4,27 berichtet Plinius von einer Rezitation des talentierten Dichters Sentinus Augurinus 46 und zitiert ein Gedicht, in dem Plinius von Augurinus bereits mit Catull und Calvus verglichen wird, 47 ja die beiden Neoteriker angeblich schon ersetzen kann (4,27,4: unus Plinius est mihi priores). 48 Im linearen Verlauf von Buch 4 nimmt Plinius’ Erfolg als Dichter kontinuierlich zu, sodass er gegen Ende des Buches den jüngeren Vertretern der Epigrammatik bereits als Vorbild gilt. Das von Plinius zitierte Gedicht des Augurinus enthält sogar einen kleinen Seitenhieb auf Martial: Am Ende des Epigramms 10,78 hatte dieser verkündet, er sei einzig Catull unterlegen (15‒16: nec multos mihi praeferas priores / uno sed tibi sim minor Catullo), worauf die Verse des Augurinus anspielen, 49 wenn sie die von Martial entworfene literarische Hierarchie sozusagen korrigieren und Plinius an die Spitze setzen. 50 3.3 Verbreitung der Hendecasyllabi in Buch 5 Wieder einmal ist es in Epist. 4,27 ein iudicium alienum, durch das sich Plinius als Dichter in Szene setzt. Während es in Buch 4 noch einzelne Personen sind, die sich an Plinius’ Gedichten erfreuen, wird im nächsten Buch in Epist. 5,3 an Titius Aristo 51 vorausgesetzt, dass die Hendecasyllabi bereits rezitiert worden sind und bei einer größeren Gruppe von Zuhörern für Diskussion gesorgt haben (1‒2): 278 3 Konstruieren einer Dichter-Biographie 52 Mit der in Mart. 1,35 artikulierten lex, dass Epigramme ohne mentula nicht gefallen können (5) und nur erfreuen, wenn sie sexuell erregen (10‒11), wird das von Plinius in Epist. 4,14 zitierte Catullgedicht 16 variiert; vgl. Obermayer (1998), 260‒1; Lorenz (2007), 427; Holzberg (2002b), 110‒1. 53 Zur Theater-Metaphorik in Martials Epigrammen vgl. Gaffney (1976); Neger (2012), 223‒35. 54 Zur obszönen Sprache bei Martial vgl. Holzberg, (2002b), 109‒21; Lorenz (2007). Cum plurima officia tua mihi grata et iucunda sunt, tum vel maxime quod me celandum non putasti, fuisse apud te de versiculis meis multum copiosumque sermonem, eumque diversitate iudiciorum longius processisse, exstitisse etiam quosdam, qui scripta quidem ipsa non improbarent, me tamen amice simpliciterque reprehenderent, quod haec scriberem recitaremque. Quibus ego, ut augeam meam culpam, ita respondeo: ‘facio non numquam versiculos severos parum…’ Nachdem Plinius in Epist. 4,14,5 Catulls c. 16 zur Verteidigung zitiert hatte, rechtfertigt er den freizügigen Charakter seiner Hendecasyllabi nun mit einem Katalog von gravissimi homines, angefangen mit Cicero, die ebenfalls sowohl seria als auch lusus betrieben haben (5). Unabhängig von der möglichen Histo‐ rizität einer Diskussion im Hause des Titius Aristo dürfte deutlich sein, dass Plinius hier im Kontext seines publizierten Briefkorpus einen reader response auf seine Gedichte inszeniert. Auch in diesem poetologischen Brief finden sich wieder einige Anspielungen auf Martial: Nachdem in Epist. 4,14 die ersten beiden praefationes zu Martials Epigrammen evoziert wurden, scheint nun die argumentative Struktur in dessen an Domitian gerichteter Vorrede zum achten Epigrammbuch im Hintergrund zu stehen (8 praef. 11‒14): Quamvis autem epigrammata a severissimis quoque et summae fortunae viris ita scripta sint, ut mimicam verborum licentiam adfectasse videantur, ego tamen illis non permisi tam lascive loqui quam solent. Wenn Plinius überdies seinen Kritikern antwortet, er verfasse manchmal versi‐ culos severos parum, spielt er verbal auf den Beginn des Martial-Epigramms 10,20[19] an (1‒2: nec doctum satis et parum severum…libellum), der in Epist. 3,21 nicht zitiert wurde, und greift überdies das poetologische Martial-Gedicht 1,35 auf, in dem sich der Epigrammatiker ebenfalls einem Kritiker gegenüber rechtfertigt (1‒3): Versus scribere me parum severos…Corneli quereris. 52 Ähnlich wie Martial vergleicht auch Plinius seine scherzhafte Poesie mit Komödien, Mimen, Lyrik und Sotadeen (2), 53 wobei er jedoch anders als der Epigrammatiker, der nur in wenigen Büchern auf obszöne Sprache verzichtet, 54 verba nuda gänzlich vermeiden will, wie er in Epist. 4,14,4 ankündigt. 279 3.3 Verbreitung der Hendecasyllabi in Buch 5 55 Vgl. Macé (1900), 66‒77; Gibson/ Morello (2012), 222; Gibson (2014b); anders Sherwin-White (1966), 338 ad loc.: „The implication favours a volume of verses, rather than the lost prose work De Viris Illustribus…“; vgl. Wallace-Hadrill (1983), 52‒3 und 59; Kaster (1995), xliv. 56 Vgl. Sherwin-White (1966), 337 ad loc. 57 Catull. 42; der in Mart. 7,26 genannte Empfänger des scazon, Apollinaris, ist auch Adressat der Plinius-Briefe 2,9 und 5,6; vgl. Epist. 9,13,13; s. S. 86-95. 58 Vgl. Roller (1998), 287‒8; Power (2010), 149‒50. Das Thema der Verbreitung und Publikation von Literatur wird weitergeführt in Epist. 5,10. Dort fordert Plinius seinen Adressaten Sueton dazu auf, endlich seine unveröffentlichten scripta herauszugeben: [1] Libera tandem hendecasyllaborum meorum fidem, qui scripta tua communibus amicis spoponderunt. Appellantur cotidie, efflagitantur, ac iam periculum est ne cogantur ad exhibendum formulam accipere. [2] Sum et ipse in edendo haesitator, tu tamen meam quoque cunctationem tarditatemque vicisti. Proinde aut rumpe iam moras aut cave ne eosdem istos libellos, quos tibi hendecasyllabi nostri blanditiis elicere non possunt, convicio scazontes extorqueant. [3] Perfectum opus absolutumque est, nec iam splendescit lima sed atteritur. Patere me videre titulum tuum, patere audire describi legi venire volumina Tranquilli mei. Aequum est nos in amore tam mutuo eandem percipere ex te voluptatem, qua tu perfrueris ex nobis. Vale. Mehrere Interpreten, zuletzt Power (2010), vermuten, dass hier Suetons Werk De viris illustribus gemeint ist. 55 Zu Beginn des Briefes lesen wir, dass Plinius in seinen Hendecasyllabi Suetons Schriften angekündigt habe (1), was wohl bedeutet, dass die in Epist. 4,14 und 5,3 erwähnten Hendecasyllabi nun offenbar schon unter Plinius’ und Suetons gemeinsamen Freunden zirkulieren. 56 Sowohl der Hinweis auf Plinius’ Gedichte als auch das Motiv des Einforderns eines literarischen Werks - vgl. 5,10,1 efflagitantur und 4,14,1 flagitas - suggerieren dem Rezipienten, einen Bezug zwischen den Briefen herzustellen und die Entwicklung in Pliniusʼ eigener Dichterbiographie wahrzunehmen. Auch in Epist. 5,10 sind Catull und Martial als Prätexte präsent; diesmal knüpft Plinius an die von ihnen geprägte Tradition der Personifikation von Gedichten bzw. genauer scazontes  57 an. Was seine Sprechhaltung in diesem Brief betrifft, ahmt Plinius v. a. diejenige Catulls in c. 42 nach 58 , wenn er Sueton scherzhaft warnt, dass die schmeichlerischen Elfsilbler, mit denen Plinius die Schriften Suetons fordert, sich in schmähende Hinkjamben verwandeln könnten (3). In c. 42 fordert Catull bekanntlich seine hendecasyllabi dazu auf, eine moecha putida zur Rückgabe seine codicilli zu bewegen (11‒12: moecha putida, redde 280 3 Konstruieren einer Dichter-Biographie 59 Catull liefert hier eine poetische Version des Sprechakts der flagitatio, einer Form der Volksjustiz zur Rückgewinnung von entwendetem Eigentum; Fraenkel (1961); Roman (2006), 354. 60 Dazu Swann (1994); Holzberg (2002b), 109‒21; Lorenz (2007); Neger (2012), 54‒73. 61 Vgl. Syme (1980), 426 und (1981), 115; Power (2010), 143; zum dichten Netz intertextu‐ eller Bezüge der Epist. 5,10 siehe Canobbio (2018); Whitton (2019), 99‒101. 62 Zu Suetons Vergil-Vita und ihren späteren Zusätzen vgl. Bayer (2002). 63 Zur Bezugnahme auf Briefe bei antiken Biographen vgl. Trapp (2007); Neger (2018a). 64 Power (2010), 153. codicillos, / redde putida moecha, codicillos! ). 59 Am Ende des Gedichts gibt der Sprecher seinen hendecasyllabi den Rat, es mit Schmeicheleien zu versuchen, da die Schmähungen offenbar keinen Erfolg haben (21‒24): sed nil proficimus, nihil movetur. mutanda est ratio modusque vobis, siquid proficere amplius potestis: ‘pudica et proba, redde codicillos.’ Während Catull also von convicia zu blanditiae übergeht, will Plinius genau umgekehrt verfahren und von blanditiae zu convicia wechseln. Wie Roller (1998: 288) beobachtet hat, verschwinden in Plinius’ Version des Catull-Gedichtes die obszönen Elemente - ganz ähnlich wie wir es auch in Epist. 4,14 beobachten konnten, wo der obszöne Teil des zitierten Catull-Gedichtes 16 ausgespart ist. Im Unterschied zu seinem Vorgänger Martial, der das obszöne Potenzial Catulls voll ausschöpft, ja sogar zu überbieten versucht - bei ihm ist die obszöne Sprache geradezu ein generisches Merkmal der Epigrammatik 60 ‒, scheint Plinius diesen Rezeptions-Prozess wieder umzukehren und einen anderen Catull zu rezipieren als sein älterer Zeitgenosse. Neben Catull spielen, wie Power (2010) gezeigt hat, auch Vergils Werke bzw. die Vergil-Biographie als Prätexte für diesen Brief eine wichtige Rolle. So evoziert Plinius etwa mit der Aufforderung rumpe iam moras die Worte Merkurs an Aeneas in Aen. 4,569 bzw. der Iris an Turnus in Aen. 9,13. 61 Der mit der Publikation zögerliche Sueton wird in diesem Brief von Plinius zudem in einer ähnlichen Art und Weise charakterisiert wie Vergil in Suetons Vita: 62 So erinnert Pliniusʼ Behauptung, das Werk seines Adressaten werde von den Freunden schon dringend verlangt (1: efflagitantur), an Suetons Bericht über Augustus, der ähnlich wie Plinius in einem Brief 63 forderte, Vergil möge ihm eine Kostprobe der Aeneis schicken (VSD 31): 64 281 3.3 Verbreitung der Hendecasyllabi in Buch 5 65 Power (2010), 151; zu dem in der Vita zitierten Halbvers vgl. Verg. Aen. 3,340; zu den versus imperfecti bei Vergil vgl. Baldwin (1993). 66 Auch bei Martial werden in den Epigrammen erwähnte Literaten wiederholt mit den Hauptprotagonisten ihrer eigenen Werke assoziiert, vgl. Neger (2012). 67 Vgl. Gibson/ Morello (2012), 169‒70 und 187‒99. 68 Es könnte sich um den ehemaligen Konsul Fabius Iustus handeln, der auch Adressat von Epist. 1,11 ist; als zweite Möglichkeit schlägt Sherwin-White (1966), 403 den in Epist. 7,11,4 genannten Minicius Iustus vor. Für die erste Variante spricht m. E., dass formal und inhaltlich ein enger Bezug zwischen Epist. 1,11 und 7,2 besteht, da in beiden das Verfassen kurzer Briefe thematisiert wird und diese Texte tatsächlich sehr kurz sind. Augustus vero, nam forte expeditione Cantabrica aberat, supplicibus atque etiam minacibus per iocum litteris efflagitaret, ut sibi de Aeneide, ut ipsius verba sunt, ‘vel prima carminis ὑπογραφὴ vel quodlibet κῶλον mitteretur’. Wie Plinius durch die oben erwähnte Anspielung auf Catulls c. 42 deutlich macht, fordert auch er Sueton minacibus per iocum litteris auf, sein Werk zu publizieren. Wenn Plinius zudem seinem Adressaten versichert, perfectum opus absolutumque est (3), evoziert er möglicherweise eine Stelle in Suetons Vergil-Vita, wo es im Zusammenhang mit der postumen Veröffentlichung der Aeneis durch Varius um die versus imperfecti geht (VSD 41): 65 quos multi mox supplere conati non perinde valuerunt ob difficultatem, quod omnia fere apud eum hemistichia absoluto perfectoque sunt sensu, praeter illud ‘quem tibi iam Troia’. Angesichts dieser Parallelen liegt es somit nahe zu vermuten, dass Plinius seinen Adressaten Sueton mit dem Vergil der Biographie assoziiert. 66 Als jemand, der die Herausgabe einer Schrift fordert, kombiniert Plinius die Rolle des bei Sueton geschilderten Augustus mit der des Ich-Sprechers in Catulls c. 42. Wie aus dem Brief 5,10 hervorgeht, enthielten Pliniusʼ Hendecasyllabi offenbar auch Gedichte auf zeitgenössische Literaten. 3.4 Dichtung und Dichterbiographie in Buch 7 Nach den Aussagen über seine poetischen Aktivitäten in Buch 4 und 5 äußert sich Plinius erst wieder in Buch 7, in dem das Thema otium eine besonders wichtige Rolle spielt 67 , zu seinen poetischen Spielereien. Der Brief 7,2 ist an den vielbeschäftigten Iustus 68 gerichtet, dem Plinius seine nugae als Lektüre für den Winter verspricht. Wenig später lesen wir dann sozusagen das Prequel zum 282 3 Konstruieren einer Dichter-Biographie 69 Er ist auch Adressat der Briefe 5,14 und 6,28; zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 343. Zyklus über Pliniusʼ Dichter-Karriere: Epist. 7,4 an Pontius Allifanus 69 berichtet vom Aition der Produktion von Kleinpoesie: [1] Ais legisse te hendecasyllabos meos; requiris etiam quemadmodum coeperim scribere, homo, ut tibi videor severus, ut ipse fateor non ineptus. [2] Numquam a poetice ‒ altius enim repetam ‒ alienus fui; quin etiam quattuordecim natus annos Graecam tragoediam scripsi. ‘qualem? ’ inquis. nescio; tragoedia vocabatur. [3] mox, cum e militia rediens in Icaria insula ventis detinerer, Latinos elegos in illud ipsum mare ipsamque insulam feci. expertus sum me aliquando et heroo, hendecasyllabis nunc primum, quorum hic natalis haec causa est. legebantur in Laurentino mihi libri Asini Galli de comparatione patris et Ciceronis. incidit epigramma Ciceronis in Tironem suum. [4] dein cum meridie (erat enim aestas) dormiturus me recepissem, nec obreperet somnus, coepi reputare maximos oratores hoc studii genus et in oblectationibus habuisse et in laude posuisse. [5] intendi animum contraque opinionem meam post longam desuetudinem perquam exiguo temporis momento id ipsum, quod me ad scribendum sollicitaverat, his versibus exaravi: [6] Cum libros Galli legerem, quibus ille parenti ausus de Cicerone dare est palmamque decusque, lascivum inveni lusum Ciceronis et illo spectandum ingenio, quo seria condidit et quo humanis salibus multo varioque lepore magnorum ostendit mentes gaudere virorum. nam queritur quod fraude mala frustratus amantem paucula cenato sibi debita savia Tiro tempore nocturno subtraxerit. his ego lectis ‘cur post haec’ inquam ‘nostros celamus amores nullumque in medium timidi damus atque fatemur Tironisque dolos, Tironis nosse fugaces blanditias et furta novas addentia flammas? ’ [7] Transii ad elegos; hos quoque non minus celeriter explicui, addidi alios facilitate corruptus. deinde in urbem reversus sodalibus legi; probaverunt. [8] Inde plura metra, si quid otii, ac maxime in itinere temptavi. Postremo placuit exemplo multorum unum separatim hendecasyllaborum volumen absolvere, nec paenitet. [9] legitur describitur cantatur etiam, et a Graecis quoque, quos Latine huius libelli amor docuit, nunc cithara nunc lyra personatur. [10] sed quid ego tam gloriose? quamquam poetis furere concessum est. et tamen non de meo, sed de aliorum iudicio loquor; qui sive iudicant sive errant, me delectat. unum precor, ut posteri quoque aut errent similiter aut iudicent. Vale. 283 3.4 Dichtung und Dichterbiographie in Buch 7 70 Dadurch ist der Bezug zu Epist. 4,14 und 5,3 hergestellt, wo Adressaten und Freunde ebenfalls überrascht bzw. sogar etwas irritiert reagieren auf die poetischen nugae, da sie Plinius eigentlich als homo severus kennen; vgl. Marchesi (2008), 80. 71 Vgl. Epist. 5,3,2: aliquando praeterea rideo, iocor, ludo, utque omnia innoxiae remissionis genera breviter amplectar: ‘homo sum’. 72 Tzounakas (2012), 302; vgl. Marchesi (2008), 78‒88. 73 D.h. um 76 n. Chr.; vgl. Sherwin-White (1966), 405. 74 Sherwin-White (1966), 405 datiert ihn auf etwa 81 n. Chr. 75 Vgl. Marchesi (2008), 81 Anm. 44. 76 S. S. 280-2. Wieder einmal ist es der Adressat, der, angeblich neugierig durch die Lektüre der Hendecasyllabi, mehr über deren Entstehung wissen will, insbesondere als er Plinius eigentlich zu den severi zählt (1). 70 Erst in Buch 7 erfahren wir, dass Plinius sich schon als Knabe poetisch betätigte, eine biographische Information, die uns in den vorangehenden Büchern vorenthalten wurde. Seine narratio eröffnet Plinius mit der Formulierung numquam a poetice…alienus fui (2), die den Terenz-Vers homo sum: humani nihil a me alienum puto (Ter. Haut. 77) imitiert; mit dieser Anspielung ist, wie Marchesi (2008: 80) beobachtet hat, ein Bezug zu Epist. 5,3,2 hergestellt, wo Plinius die Produktion und Rezeption leichter Poesie mit den Worten homo sum gerechtfertigt hatte. Es folgt ein Katalog von Gattungen, in denen sich der Epistolograph im Laufe der Jahre versucht hatte: eine griechische Tragödie im Alter von 14 (2), lateinische Elegien auf die Insel Icaria und das dazugehörige Meer (3) und ein nicht näher definiertes hexametrisches Gedicht (3). Plinius, der sich zwar als non ineptus charakterisiert (1), besitzt durchaus Humor, 71 wie die Aufzählung seiner poetischen Versuche verdeutlicht: 72 Über die Tragödie, die Plinus als Vierzehnjähriger verfasste, 73 fragt der Interlokutor qualem? (2), d. h. er will wohl Inhalt und Titel wissen, woraufhin Plinius antwortet: tragoedia vocabatur ‒ nicht nur der Titel, sondern auch der literarische Wert des Textes war offenbar eine Tragödie. In weiterer Folge werden die Zeitangaben immer ungenauer: Auf der Rückkehr vom Militärdienst - wohl in Syrien 74 - verfasste Plinius auf der Insel Icaria lateinische Elegien (3); die Formulierung mox…Latinos elegos…feci ähnelt dabei der Sprache Suetons in seiner Vergil-Biographie (VSD 19): Mox cum res Romanas inchoasset, offensus materia ad ‘Bucolica’ transiit.  75 Wie zuvor ausgeführt, kannte Plinius möglicherweise Suetons Schrift De viris illustribus und spielt in Epist. 5,10 vielleicht darauf an 76 ; wenn dies zutrifft, ist es auch denkbar, dass Plinius in Epist. 7,4 den Vergil-Biographen imitiert bei der Konstruktion seiner eigenen Dichter-Biographie. Es ist nun zu überlegen, ob es sich dabei um Anmaßung handelt oder wir es mit einer scherzhaften Abwandlung der Tradition von Dichterbiographien zu tun haben. 284 3 Konstruieren einer Dichter-Biographie 77 Vgl. VSD 21‒25; 30‒35; 39‒42 über Vergils Aeneis. 78 Sen. Suas. 6,14; Quint. Inst. 12,1,22; Gell. 17,1,1; Sueton zufolge habe Kaiser Claudius eine gelehrte Schrift verfasst, in der er Cicero gegen Asinius Gallus verteidigte (Claud. 41: item Ciceronis defensionem adversus Asini Galli libros satis eruditam). 79 Vgl. Sherwin-White (1966), 406; Kubiak (2010) bietet einen Überblick zu den Argu‐ menten pro und contra; die poetischen Fragmente Ciceros sind gesammelt bei Soubiran (1972); vgl. Ewbank (1933). 80 Shackleton Bailey (1982), 72; Kubiak (2010), 122‒4 setzt den von Quintilian erwähnten libellus mit einem Werk namens Uxorius gleich, das in der Historia Augusta Cicero zugeschrieben wird (Gord. 3,2) und vermutet, dass es sich dabei um eine Sammlung von Epigrammen auf den Charaktertyp des uxorius handelt. Noch weniger konkret als bei seinen lateinischen Elegien ist Plinius mit der Zeitangabe für die Entstehung seiner versus heroi: Wir erfahren lediglich, dass er sie „irgendwann einmal“ (3: aliquando) verfasste, was insofern bemerkenswert ist, als bei einem Dichter ein Epos normalerweise den Höhepunkt der Laufbahn bildet und in einer Vita daher eine ausführlichere Behandlung zu erwarten wäre. 77 Anstelle über seine epische Dichtung berichtet Plinius jedoch lieber über die Hendecasyllabi: Die Wendung hendecasyllabis nunc primum (3) ähnelt der Formulierung novissime Aeneidem inchoavit in Suetons Vergilvita (VSD 21) und weist die Elfsilbler als das jüngste Produkt in der bisherigen Aufzählung aus. Das Aition dieser Gedichte (3: hic natalis, haec causa) wird vergleichsweise ausführlich geschildert. Auf seinem Laurentinum sei Plinius im Zuge seiner studia auf ein Cicero-Epigramm auf Tiro gestoßen, das ihn zum Verfassen von hendecasyllabi inspiriert habe (3‒6). Plinius entdeckte das Gedicht angeblich, während man ihm die Bücher des Asinius Gallus vorlas, der seinen Vater Asinius Pollio mit Cicero verglich und als überlegen darstellte. Es ist denkbar, dass das Epigramm von Asinius Gallus in einem polemischen Zusammenhang zitiert wurde, da andere Quellen Asinius Pollio und seinen Sohn als erbitterte Kritiker Ciceros nennen. 78 In der Forschung wurde die Echtheit des homoerotischen Ci‐ cero-Gedichts immer wieder angezweifelt 79 bzw. argumentiert, dass zumindest Tiros Name später von Ciceromastiges in ein Epigramm eingebaut wurde, um Cicero eine homosexuelles Verhältnis anzulasten, wie etwa Kubiak (2010: 120) vorschlägt: „Cicero’s original poem could then be explained as an exercise in generic imitation involving a first person speaker and a fictional ἐρώμενος, modified by an enemy for invective purpose“. Quintilian erwähnt einen iocularis libellus Ciceros, aus dem er ein scherzhaftes Distichon zitiert (Inst. 8,6,73) und mit dem einige Forscher auch das von Plinius paraphrasierte Gedicht in Verbin‐ dung bringen. 80 Da sich über Fragen wie Echtheit, nachträgliche Modifikation oder Fälschung des Cicero-Gedichts leider nur mehr Spekulationen anstellen 285 3.4 Dichtung und Dichterbiographie in Buch 7 81 Vgl. Marchesi (2008), 82; ob der reine Hexameter ein zulässiges Metrum für Epigramme ist, wird bei Martial im Gedichtpaar 6,64‒65 thematisiert; vgl. Roller (1998), 271‒2 Anm. 12; Neger (2012), 101‒2. 82 Vgl. Gibson/ Morello (2012), 94‒5 und 100. 83 Zu Catull. 50 vgl. etwa Holzberg (2002a), 84‒6 84 Vgl. Plat. Phaidr. 229a‒238d2; damit wäre über Platon als Prätext auch eine Verbindung zu Epist. 1,3 hergestellt, wo Plinius im Rahmen der Ekphrasis von Caninius’ Villa in Comum mit ihrem Bächlein und Platanenhain ebenfalls auf die Passage im Phaidros anzuspielen scheint; vgl. Cic. De orat. 1,28‒29; Neger (2016), 140‒1. lassen, dürfte es sinnvoller sein, zunächst die Funktion des Gedichts im Brief des Plinius näher zu betrachten. Dass Plinius in einem Hexameter-Gedicht von der Genese seiner Hendecasyl‐ labi berichtet, ist insofern bemerkenswert, als in Epist. 4,14 noch vom engen Zusammenhang zwischen Titel und Metrum der betreffenden nugae die Rede war (4,14,8: cogitare me has meas nugas ita inscribere hendecasyllabi, qui titulus sola metri lege constringitur). 81 Nachdem Plinius bisher Gedichte anderer (3,21; 4,14; 4,27) zitiert hatte, lesen wir hier zum ersten Mal ein von ihm selbst verfasstes Gedicht. Deutlich ist der Rückbezug zu Epist. 3,21: Wurde Plinius dort durch Martial als Redner vom Format Ciceros gerühmt, beschreibt Epist. 7,4 den Moment der Inspiration durch Ciceros Dichtung. Das Bild von einem Plinius, der sich zur Mittagszeit zur Siesta zurückzieht, jedoch nicht schlafen kann (4), evoziert mehrere Modelle: Mit den Zeitangaben meridie und erat enim aestas (4) spielt Plinius durch die Paronomasie von aestas und aestus auf Ovids Amores-Gedicht 1,5 an (1: Aestus erat mediamque dies exegerat horam). 82 Anstelle der erotischen Begegnung zwischen dem amator und seiner Corinna, wie Ovid sie beschreibt, kommt es bei Plinius zur Mittagsstunde jedoch zur Lektüre eines erotischen Gedichts. Auch Catulls c. 50 steht im Hintergrund, wo der Neoteriker nach den poetischen Scherzen mit Licinius infolge seiner Schlaflosigkeit zu dichten beginnt (16: hoc, iucunde, tibi poema feci). 83 Ähnlich wie Catull verfasst auch Plinius, allerdings perquam exiguo temporis momento (5), ein Gedicht über den Moment seiner Inspiration. Zudem hat Edmunds (2015: 311) darauf hingewiesen, dass die von Plinius beschriebene Szene zur Mittagszeit auf dem Land auch jene Passage in Platons Phaidros evozieren dürfte, wo Sokrates und Phaidros sich in der Sommerhitze am Fluss Ilisos niederlassen und Sokrates zu einer Rede inspiriert wird. 84 Während die im Prosateil des Plinius-Briefes erzählte Rahmenhandlung zu Mittag spielt, ist die im eingelegten Cicero-Epigramm geschilderte Szenerie offenbar in der Nacht anzusetzen (v. 9: tempore nocturno). Das Epigramm lässt sich in drei Abschnitte gliedern: Die Verse 1‒6 berichten von der Auffin‐ dung des epigramma Ciceronis, 7‒9a paraphrasieren dessen Inhalt und 9b‒13 286 3 Konstruieren einer Dichter-Biographie 85 Hershkowitz (1995), 173 mit Anm. 17; Roller (1998), 281 Anm. 30 sieht auch einen Bezug zu Catull. 16,7; Kubiak (2010) 114‒7. 86 Zu Ciceros Epigramm und der Tradition hellenistischer homoerotischer Poesie vgl. Kubiak (2010), 116‒21. 87 Wobei es sich bei Alexis natürlich um ein literarisches Konstrukt handelt, da man in der Antike Vergils 2. Ekloge biographisch zu deuten pflegte; zu Mart. 8,55[56] vgl. Obermayer (1997), 44 ff.; Schöffel (2002), ad loc.; Neger (2012), 282‒9. 88 Keeline (2018b), 315‒6 sieht hier ein Spiel mit dem Topos der Initiation als Dichter und entdeckt in Vers 1 des Gedichts (cum libros Galli legerem) eine Reminiszenz an Verg. Ecl. 6,3‒4 (cum canerem reges et proelia, Cynthius aurem / vellit et admonuit…). 89 Vgl. Stat. Silv. 1 praef.: …hos libellos, qui mihi subito calore et quadam festinandi voluptate fluxerunt; zu dem Motiv vgl. Johannsen (2006), 316‒22; Merli (2017); auch bei Statius sind die praefationes formal als Briefe gehalten, im Fall der ersten Vorrede ist L. Arruntius Stella der Adressat (Statius Stellae suo salutem). Statius’ Selbstverständnis als Kleindichter steht demjenigen des Plinius insofern näher als dasjenige Martials, als er in 1 praef. seine Silven dem Bereich des otium bzw. stilus remissior zuweist und das Werk als Ablenkung von seiner Ependichtung charakterisiert; vgl. Johannsen (2006), 241‒61. beschreiben Pliniusʼ Reaktion auf die Lektüre. Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass abgesehen von Catulls c. 50 insbesondere die Gedichte 5, 7 (basia) und 99 (an Iuventius über gestohlene Küsse) die bei Plinius geschilderte Entdeckung des Cicero-Epigramms inspiriert haben dürften. 85 Wie aus den im Brief zitierten Versen hervorgeht, ist es offenbar die Lektüre eines homoeroti‐ schen Gedichts, 86 die Plinius zur Komposition seiner eigenen lusus animierte. Die Dichter-Vita des Epistolographen ähnelt dadurch in auffälliger Weise der Vergil-Biographie, die Martial in Epigramm 8,55[56] konstruiert und in der Vergil beim Anblick des schönen Knaben Alexis alles andere vergisst und sofort mit der Komposition der Aeneis beginnt (19‒20): protinus ITALIAM concepit et ARMA VIRUMQUE, / qui modo vix Culicem fleverat ore rudi. Als Epistolograph ist Plinius freilich weniger explizit als Martial, wenn es um sexuelle Themen geht: Anders als in Martials Vergil-Vita bildet nicht ein richtiger Knabe, 87 sondern die Lektüre eines homoerotischen Textes den Anreiz zur literarischen Produktion; das Medium Buch spielt bei der Inspiration des Plinius somit die zentrale Rolle. 88 Wenn Plinius zudem behauptet, er habe sowohl das hexametrische Epigramm als auch die anschließend komponierten Elegien (7) in ganz kurzer Zeit (5: exiguo temporis momento; 7: celeriter) verfasst, scheint er das poetische Ideal der celeritas, das Statius für seine Silven propagiert und das dort wohl als Topos der dissimulatio artis zu verstehen ist, 89 zu imitieren. Mit dem im Mittelteil des Briefes geschilderten, einschneidenden Erlebnis der Inspiration durch Cicero (3‒6) ist eine zweite Phase des poetischen Schaffens eingeleitet, die sich von den ersten poetischen Versuchen zeitlich absetzt (5: post longam desuetudinem) und in elegischen (7) und polymetrischen (8) Gedichten sowie der Publikation eines 287 3.4 Dichtung und Dichterbiographie in Buch 7 90 Vgl. Marchesi (2008), 83. 91 Vgl. VSD 26 über Vergil: Bucolica eo successu edidit, ut in scaena quoque per cantores crebro pronuntiarentur. 92 Plinius, der in Epist. 4,18 die griechischen Gedichte der Arrius Antoninus nachahmt und übersetzt (1: quaedam Latine aemulari et exprimere temptavi), ist nun selbst ein Vorbild für die Griechen. 93 Zum Topos des poetischen furor vgl. Marchesi (2008), 85‒8. 94 Zu diesem Brief vgl. Ludolph (1997), 179‒93; Gibson (2003), 237‒8; Neger (2015a), 321‒2; vgl. die epistulae iactantes et gloriosae des Caecilius Classicus in Epist. 3,9,13; in Epist. 4,2,5 ist Regulus in summa infamia gloriosus. 95 Zu diesem Gedicht vgl. Banta (1998), 99‒102; Neger (2012), 207‒9; Mindt (2013), 248‒9. 96 Vgl. Marchesi (2008), 84. Buches Hendecsyllabi (8: unum…hendecasyllaborum volumen) besteht. 90 Dieses, so erfahren wir, ist derart beliebt, dass es nicht nur eifrig gelesen, kopiert und sogar zu Zither und Laute gesungen wird, 91 sondern auch die Griechen zum Erlernen der lateinischen Sprache anregt (9). 92 Nachdem hiermit die Klimax des Selbstlobes erreicht ist, ruft sich Plinius zunächst selbst zur Ordnung mit dem Worten sed quid ego tam gloriose? (10), räumt dann allerdings ein, dass es Dichtern erlaubt sei zu rasen (furere). 93 Das Adjektiv gloriosus hatte Plinius schon in Epist. 1,8 im Zusammenhang mit einer Rede gebraucht, die zu publizieren er sich scheut, da sie zu viel Selbstlob enthalte (5: est enim paulo quasi gloriosius). 94 Es spricht m. E. viel dafür, dass der Leser diese epistolare Dichter-Vita nicht allzu ernst nehmen soll, sondern darin eine Parodie oder zumindest scherzhafte Va‐ riation verschiedener poetischer Motive sowie der Gattung Dichterbiographie erkennen kann. Neben einzelnen selbstironischen Signalen lassen sich etwa auch Parallelen zum humorvollen Umgang mit dem Thema Dichterkarriere bei Martial erkennen, wie z. B. in dem schon erwähnten Epigramm 8,55[56], oder auch in 12,94, wo Martial ebenfalls ein Aiton dafür liefert, warum er mit der Epigrammdichtung begonnen hat: 95 Hier ist es allerdings nicht die Lektüre eines Vorbildes wie Cicero, sondern ein lästiger Konkurrent namens Tucca, der beim Epos beginnend in allen Gattungen (Tragödie, Lyrik, Satirendichtung und Liebeselegie) als Rivale auftritt, bis Martial nur mehr das Verfassen von Epigrammen übrig bleibt (9‒10): quid minus esse potest? epigrammata fingere coepi: / hinc etiam petitur iam mea palma tibi. Im Unterschied zum vergilischen Aszendenz-Modell vom Kleinen zum Großen trifft für Martial also sozusagen das der Deszendenz zu. Sowohl Martial als auch Plinius greifen anscheinend das Modell Vergils auf, um es dann ihren eigenen literarischen Prinzipien ent‐ sprechend abzuwandeln. Anstelle einer Antiklimax von Gattungen findet sich bei Plinius eine Art Spiegelung: 96 Der in der ersten Phase verfassten tragischen, 288 3 Konstruieren einer Dichter-Biographie 97 Vgl. Quint. Inst. 9,4,41, wo der Cicero-Vers als Beispiel einer missglückten Wiederholung einer Silbenfolge in zwei nebeneinander stehenden Wörtern zitiert wird. 98 Vgl. Kurczyk (2006), 116‒8 mit weiteren Belegstellen; vgl. Gowing (2013). 99 Vgl. Soubiran (1972), 71‒2; Kurczyk (2006), 116‒7. 100 Ausnahme sind die Aratea, vgl. Kubiak (2010), 125. 101 S. S. 287. 102 Tiro ist Adressat der Briefe in Buch 16 der Epistulae ad familiares. elegischen und hexametrischen Poesie entsprechen die (wohl hauptsächlich erotischen) Elegien, Polymetra und Hendecasyllabi der zweiten Phase. Angesichts der mehrheitlich negativen Bewertungen, die von antiken Lesern über das poetische Talent Ciceros geäußert wurden - allerdings primär in Hinblick auf seine Ependichtung -, stellt sich überdies die Frage, wie ernst wir die Funktion Ciceros als Inspirationsinstanz in Epist. 7,4 nehmen sollen. So bemerkt der ältere Seneca etwa Ciceronem eloquentia sua in carminibus destituit (Contr. 3), und Juvenal zufolge wäre Cicero der Ermordung durch Antonius entgangen, wenn er sich überall (v. a. in den Philippica) so ungeschickt ausgedrückt hätte wie in dem Vers o fortunatam natam me consule Romam (Iuv. 10,122‒4). 97 Im Dialogus des Tacitus bemerkt Aper, dass auch Caesar und Brutus Gedichte verfasst und in Bibliotheken zugänglich gemacht haben, zwar nicht besser als Cicero, jedoch mit geringerem Schaden, da sie weniger bekannt wurden: non melius quam Cicero, sed felicius, quia illos fecisse pauciores sciunt (Dial. 21,6). Die Qualität der Poesie Ciceros wurde im 1./ 2. Jh. n. Chr. offenbar rege diskutiert, denn Autoren wie Quintilian (Inst. 9,1,23‒24) und Plutarch (Cic. 2,4‒5) versuchen, die negativen Aussagen zu relativieren. 98 Insbesondere die Ependichtung und die damit einhergehende Selbstrühmung standen in der Kritik, 99 während über die scherzhaften lusus Ciceros anscheinend weniger debattiert wurde. Anders als Plinius, der uns in Epist. 7,4 seine „Jugendwerke“ auflistet, geht Cicero nirgendwo auf seine in jüngeren Jahren verfasste leichte Poesie ein. 100 Was das in der Forschung kontrovers diskutierte homoerotische Verhältnis zwischen Cicero und Tiro betrifft, könnte es sich hier m. E. um einen ähnlichen Rezeptions-Mechanismus handeln wie im Falle Vergils, dem man ein Verhältnis mit dem Knaben Alexis nachsagte, das uns etwa Martial 8,55[56] als biographisches Faktum präsentieren will. 101 Ebenso dürfte es antiken Lesern nicht schwergefallen sein, aus literarischen Zeugnissen wie etwa den Briefen Ciceros an Tiro 102 und vielleicht sogar Epigrammen, die uns nicht mehr überliefert sind, ein homoerotisches Verhältnis herauszulesen. Intensiver als mit dem erotischen Inhalt des Cicero-Gedichts (vv. 7‒9) befasst sich Plinius in seinem Epigramm mit dessen literarischer Qualität (vv. 3‒6): Anders als die meisten Kritiker der Kaiserzeit, die einen deutlichen Niveau-Unterschied 289 3.4 Dichtung und Dichterbiographie in Buch 7 103 Zu Epist. 3,5 s. Kap. I.2.2. 104 Der Bezug zwischen 7,4 und 3,5 ist m. E. stärker als von Gibson/ Steel (2010), 136 Anm. 60 in Betracht gezogen wird: „If these strong contrasts between Epist. 3.5 and 7.4 constitute an invitation to compare literary careers, then it will be seen that 7.4 deliberately eschews the upward generic ascent implicitly attributed in 3.5 to the Elder“. 105 Gibson/ Steel (2010), 126 und 128: „a classic Virgilian style ascent from low to high“; vgl. Henderson (2002a), 97‒100. zwischen Ciceros Prosa und Dichtung konstatierten, betont Plinius, dass die lascivi lusus des Arpinaten durchaus mit seinen ernsten Werken mithalten konnten (vv. 3‒4: et illo / spectandum ingenio, quo seria condidit). Dies fügt sich freilich in Plinius’ Bemühungen insgesamt ein, seine eigene Rolle als homo severus mit dem Verfassen scherzhafter Poesie in Einklang zu bringen. Indem er von seiner Entdeckung des Cicero-Epigramms berichtet, präsentiert sich Plinius zudem als jemand, der einen neuen Beitrag zur literarkritischen Debatte seiner Zeit leisten kann. Was uns Plinius in Epist. 7,4 liefert, ist im Grunde genommen nichts anderes als seine poetische Bibliographie, wodurch der Brief als companion piece zu Epist. 3,5 über den älteren Plinius und seine literarischen Werke gelten darf. 103 In dieser Liste sind freilich keinerlei dichterische Erzeugnisse enthalten, sondern ein Buch De iaculatione equestri (3), zwei Bücher De vita Pomponi Secundi (3), zwanzig Bücher Bellorum Germaniae (4), drei Bücher mit dem Titel Studiosi, die jedoch auf sechs Volumen aufgeteilt werden mussten (5), acht Bücher Dubii sermonis (5) und schließlich einunddreißig Bücher A fine Aufidi Bassi (6) sowie die siebenunddreißig Bücher der Naturalis historia (6). 104 Der vom jüngeren Plinius dargebotene Katalog reiht die Prosawerke in Form einer Klimax aneinander: „The Younger Pliny fashions for his uncle…a literary career which moves upwards through the prose genres, culminating in the latter’s master work, the Natural History“. 105 Ähnlich wie im Falle seiner eigenen poetischen Werke gibt Plinius auch in Epist. 3,5 jeweils kurze Informationen zu den Umständen, unter denen der ältere Plinius seine Schriften verfasste. Besonders die Entstehung der bella Germaniae verdient eine nähere Betrachtung: Wie der jüngere Plinius berichtet, habe sein Onkel, als er gerade in Germanien seinen Militärdienst versah, von Drusus Nero geträumt (4: …somnio monitus: adstitit ei quiescenti Drusi Neronis effigies), der ihn um Würdigung seines Andenkens bat (commendabat memoriam suam orabatque, ut se ab iniuria oblivionis adsereret). Die Inspiration des älteren Plinius zu seinem historischen Werk ist der in Epist. 7,4 geschilderten Szenerie diametral entgegengesetzt: Während der ältere Plinius sich im Kriegsdienst befindet, genießt der Jüngere sein otium auf dem Laurentinum; dem in der Nacht bzw. im Traum spielenden Geschehen in 290 3 Konstruieren einer Dichter-Biographie 106 Zum recusatio-Motiv ist noch immer Wimmel (1960) grundlegend. 107 Zum Topos der Dichterweihe in der antiken Dichtung vgl. Kambylis (1965); Bütler (1970), 19 hingegen geht davon aus, dass der jüngere Plinius diese Traum-Geschichte hinzugefügt hat. 108 Vgl. Epist. 6,4; 6,7; zu den Briefen an Calpurnia vgl. Pretis (2003); Häger (2019). 109 Vgl. Verger (1997/ 98); Carlon (2009), 169‒71; Baeza-Angulo (2015) und (2017); Häger (2019), 389‒421; zur Nähe der Briefe zur Epigrammatik vgl. Di Risio (2006). 110 Der Begriff ist erstmals bei Plutarch Mor. 753a‒b belegt. 111 In dieser Hinsicht lässt sich der Brief vergleichen mit den Gedichten der von Martial gerühmten jüngeren Sulpicia (Mart. 10,35; 38) sowie des L. Arruntius Stella auf seine Gattin Violentilla bzw. Ianthis; vgl. Neger (2012), 162‒95. Epist. 3,5 steht die Mittagszeit (4: meridie) und der ausbleibende Schlaf (4: nec obreperet somnus) in Epist. 7,4 gegenüber; zudem stellt das traurige Schicksal des Drusus in Epist. 3,5 einen scharfen Kontrast zum homoerotischen Geplänkel in Ciceros Epigramm dar. Die beiden Passagen über den Moment der literarischen Inspiration sind als Antithese aufeinander bezogen und lassen sich wie eine geteilte recusatio lesen: 106 Auf der einen Seite steht die Welt der militia und bella (Epist. 3,5), auf der anderen Seite die homoerotische militia amoris (Epist. 7,4). Wenn die Vermutung Sallmanns (1984: 580) zutrifft, dass der ältere Plinius selbst in der praefatio zu seinen bella Germaniae von diesem Traum berichtete und damit sozusagen den Topos der Dichterweihe variierte, 107 verweist der Brief 7,4 nicht nur auf 3,5 zurück, sondern spielt auch auf die Schrift des älteren Plinius an, indem er ihre „Berufungsszene“ sozusagen konterkariert. Nachdem in Epist. 7,4 ein homoerotisches Epigramm im Zentrum stand, ist der Brief 7,5 dem Thema der ehelichen Liebe gewidmet. Plinius schreibt hier an seine Ehefrau Calpurnia, die sich aus gesundheitlichen Gründen in Kampanien befindet, 108 und bedient sich dabei mehrerer Motive aus der römischen Elegie - man könnte hier fast von einer Liebeselegie in Prosa sprechen: 109 Wir lesen von der Liebe und Sehnsucht des Gatten (amor, desiderium), die aus der Trennung von Calpurnia resultieren; wie ein elegischer amator sei Plinius außerdem schlaflos (vigil) und in einem krankheitsähnlichen Zustand (aeger). Beschreibt sich Plinius als similis excluso, der vor der Schlafzimmertür der Gattin steht und traurig (maestus) wieder kehrt macht, greift er mehr oder weniger in wörtlicher Übertragung das Paraklausithyron-Motiv („bei der Tür weinen“) 110 auf (1). Calpurnia wird so zur epistolaren variatio von elegischen puellae wie Cynthia, Delia, Nemesis oder Corinna, wobei es sich bei dem hier dargestellten Liebesverhältnis um ein legitimes zwischen zwei Eheleuten handelt. 111 Offenbar hat Plinius neben Werken wie Ovids Amores auch dessen Remedia amoris gelesen, denn er weiß, wie er sich selbst vom Liebeskummer befreien kann: Ovid hatte in den Remedia amoris geraten, otium zu vermeiden (151‒2): Sunt fora, sunt 291 3.4 Dichtung und Dichterbiographie in Buch 7 112 Literarische Themen spielen in Buch 7 eine auffallend wichtige Rolle, wie Keeline (2013), 231 mit Verweis auf die Briefe 7,2, 7,4, 7,9, 7,12, 7,19, 7,20 7,25, 7,30, und 7,33 beobachtet. 113 Zu Fuscus Salinator s. S. 41. 114 Zu Anklängen an Quintilian vgl. Keeline (2013) und (2018), 278‒80; Whitton (2019), 272‒321; vgl. Whitton (2018); Boccuto (1990). 115 Vgl. Epist. 7,4,1: requiris etiam, quemadmodum coeperim scribere; mit der Junktur quaeris quemadmodum beginnt auch die an Fuscus gerichtete Epist. 9,36; vgl. Keeline (2013), 240. 116 Vgl. Quint. Inst. 10,5,15. 117 Vgl. Epist. 7,9,8: volo epistulam diligentius scribas und 1,1,1: epistulas, si quas paulo curatius scripsissem. 118 Die Wortfolge non historica modo sed prope poetica descriptionum necessitas (7,9,8) ist durch die Enallage (die Adjektive historica und poetica beziehen sich der Logik nach eigentlich auf die descriptiones) selbst ein Beispiel für poetischen Stil; vgl. Keeline (2013), 251. 119 Zur immanenten Brieftheorie bei Plinius s. Kap. I.1. 120 Mit dem Adjektiv argutus preist etwa Martial (1,1,2‒3) seine Epigrammbücher an: toto notus in orbe Martialis / argutis epigrammaton libellis; die Gegenüberstellung von leges, sunt, quos tuearis, amici: / vade per urbanae splendida castra togae. Tätigkeit auf dem Forum und Rechtsbeistand für die Freunde (1: in foro et amicorum litibus) dienen auch bei Plinius als solacium. Hatte Plinius in 7,4 seine poetischen nugae gerühmt, so lässt er mit 7,5 eine prosaische Version solcher Spielereien folgen. Nachdem wir in Epist. 7,4 bereits eine Kostprobe von Plinius’ poetischen lusus erhalten haben, beinhaltet auch der Brief 7,9 ein Gedicht des Epistolographen. 112 Dieses Schreiben an Fuscus Salinator 113 unterscheidet sich von der narrativen Epist. 7,4 durch die Sprechhaltung des Verfassers, der sich hier als Lehrer bzw. praeceptor im Stile Quintilians präsentiert. 114 Wieder einmal ist es der Adressat, der die Entstehung der Abhandlung motiviert hat (1): Quaeris, quemadmodum in secessu…putem te studere oportere. 115 Im Folgenden listet Plinius eine Reihe von literarischen Aktivitäten auf, die für Fuscus bei seinen studia im otium nützlich seien: Übersetzen vom Griechischen ins Lateinische und umgekehrt (2), Nach‐ ahmen großer Autoren (3‒4), Überarbeiten von gehaltenen Reden (5‒6) sowie die Beschäftigung mit anderen Gattungen als der Redekunst (7‒14). Zu diesen Genres gehört neben der Historiographie (8) 116 auch die Epistolographie (8), 117 von der man sowohl die Kunst der poetica descriptio  118 als auch den sermo pressus purusque erlernen könne. 119 Den längsten Abschnitt dieses Gattungskatalogs nimmt dann die Dichtkunst ein, mit der sich ein Redner bisweilen beschäftigen solle (9‒14): fas est et carmine remitti (9) - das Verfassen von Gedichten dient also der remissio, was nicht auf Epik oder Drama zutrifft (dafür braucht man längeres otium), sondern für kurze und geistreiche Epigramme gilt (hoc arguto et brevi). 120 Zwar würde diese Art von Gedichten als lusus bezeichnet, doch könne 292 3 Konstruieren einer Dichter-Biographie Redekunst und Kleinpoesie bzw. carmen continuum und breve erinnert an Statius’ Ausführungen zu seinen Silvae in Silv. 1 praef.: Diese Gedichtsammlung sei, ähnlich wie die Batrachomyomachie oder der Culex, für den Epiker eine Spielerei stilo remissiore; vgl. Johannsen (2006), 241‒61. 121 Plinius spielt hier möglicherweise auf Quint Inst. 10,5,9 an; vgl. Keeline (2013), 255; in Epist. 4,7,1 lässt Regulus - als negative Kontrastfigur - in seiner übertriebenen Trauer u. a. Wachsbildnisse seines verstorbenen Sohnes anfertigen; zu dem Gedicht vgl. Boccuto (1991). 122 Ov. Am. 1,1,3‒4: par erat inferior versus - risisse Cupido / dicitur atque unum surripuisse pedem; vgl. McKeown (1989), ad loc. 123 Auch das Enjambement in v. 1‒2 dürfte den Prozess des Wachsknetens nachahmen. 124 Auch die m-Alliteration in v. 3 bewirkt eine gewisse Schwere; der casta Minerva in diesem Gedicht enspricht die tetrica Minerva im Martial-Epigramm, das in Epist. 3,21 zitiert wird. man sich auch damit bisweilen einen ähnlich großen Ruhm erwerben wie mit ernsten Schriften (10). Zum Verfassen von Versen will Plinius seinen Adressaten nun seinerseits durch Verse ermuntern (10: cur enim te ad versus non versibus adhorter? ) und legt das folgende Epigramm in den Brief ein (11): ut laus est cerae, mollis cedensque sequatur si doctos digitos iussaque fiat opus et nunc informet Martem castamve Minervam, nunc Venerem effingat, nunc Veneris puerum; utque sacri fontes non sola incendia sistunt, saepe etiam flores vernaque prata iuvant, sic hominum ingenium flecti ducique per artes non rigida doctas mobilitate decet. Die Verse 1‒4 beinhalten ein Gleichnis vom Wachs, das von kundigen Händen zu unterschiedlichen Figuren geformt werden kann. 121 Dabei werden die im vorausgehenden Prosateil angestellten Reflexionen über ernsthafte Literatur (seria) und poetische Spielereien (lusus) im Rahmen des Gleichnisses durch die Nennung zunächst der ernsten Gottheiten Mars und Minerva im Hexameter (v. 3) und dann der Liebesgötter Venus und Cupido im Pentameter (v. 4) aufgegriffen. Wohl nicht zufällig nehmen die beiden Kriegsgottheiten den versus herous ein, während die beiden Schutzgötter erotischer Dichtung im Pentameter auftauchen, der Ovid zufolge ja seine Genese Cupido verdankt, weil dieser dem Elegiker, als er eigentlich ein Epos schreiben wollte, vom Hexameter einen Versfuß stahl. 122 Bei Plinius sind die ersten beiden Hexameter von Spondeen geprägt und untermalen durch den schweren Rhythmus einerseits das Bild vom Wachs, das geformt wird 123 und andererseits von Mars und Minerva als ernste Gottheiten, 124 wohingegen der Pentameter in v. 4 mehrere Daktylen enthält und 293 3.4 Dichtung und Dichterbiographie in Buch 7 125 Die nunc-Anapher bewirkt ebenfalls eine Tempo-Steigerung: Auf das einfache nunc im Hexameter folgen zwei nunc jeweils am Anfang der beiden Pentameter-Hemiepes, kombiniert mit dem Polyptoton Venerem…Veneris. 126 Der überlieferten Junktur non rigidas docta dürfte Burmans Konjektur non rigida doctas vorzuziehen sein, sodass wir es mit artes doctae und non rigida mobilitas zu tun haben; vgl. Burman (1759‒73), I, 452; Keeline (2013), 258; denkbar wäre allerdings auch, dass Plinius hier absichtlich eine etwas verwirrende Enallage verwendet, um zu veranschaulichen, dass das ingenium beweglich bleiben muss. 127 Insofern, als sie beide dem Wortfeld „Lob, Zierde“ angehören. 128 Seine Rechtfertigung beruht allerdings auf rein ästhetischen Argumenten und wird durch den Befund der Überlieferung nicht gestützt. 129 Zur Definition der Gattung prosimetrum vgl. Pabst (1994), 11‒7. so die Götter Venus und Cupido mit mehr Schwung und Leichtigkeit einführt. 125 Würden nun die Verse 7-8 unmittelbar anschließen, wäre der Gedankengang des Epigramms geradlinig und stringent: Das menschliche ingenium muss wie das Wachs flexibel und beweglich gehalten werden, wobei sich ringkomposi‐ torisch die Junkturen flecti ducique (v. 7) und cedensque sequatur (v. 1), non rigida…mobilitate (v. 8) und mollis (v. 1), sowie artes…doctas (v. 7‒8) und doctos digitos (v. 2) entsprechen; 126 zudem sind das Substantiv laus am Gedichtanfang und das Verb decet am Ende diagonal aufeinander bezogen. 127 Nun ist allerdings noch ein weiteres Distichon überliefert, das einen anderen Gedanken ins Spiel bringt und durch ein zweites ut nach dem Wachsein Wassergleichnis einführt: In v. 5‒6 lesen wir von heiligen Quellen, die nicht nur Feuer löschen, sondern auch Blumen und Wiesen bewässern. Angesichts der Sorgfalt, mit der das restliche Gedicht komponiert wurde, stellt sich nun die Frage, wie die beiden Verse in den Kontext passen. Keeline (2013: 257) bezeichnet dieses Verspaar als „utter nonsense“, vermutet eine spätere Interpolation und tilgt das Distichon. 128 Unter denjenigen Briefen im Corpus des Plinius, wo Gedichte in den Prosatext eingelegt sind, dürfte am ehesten die Epist. 7,9 der Textsorte prosimetrum entsprechen, wie sie etwa von Pabst (1994) definiert wird. Während es sich in Epist. 3,21, 4,14, 4,27 und 7,4 um Zitate bzw. Selbstzitate handelt, ist in Epist. 7,9 das Gedicht offenbar direkt für den betreffenden Brief geschrieben, dient der adhortatio und hat kein wie auch immer geartetes „Vorleben“; Prosa- und Versabschnitt komplementieren sich hier, bilden eine Sinneinheit. 129 Das Epigramm gilt Plinius zudem als Beispiel dafür, dass auch summi oratores und viri sich an derlei Spielereien erfreuten und übten (12: sic se aut exercebant aut delectabant, immo delectabant exercebantque) und setzt zugleich Plinius’ Improvisationskunst als Dichter in Szene. Durch kurze Gedichte werde der Geist sowohl angespannt als auch entspannt (13: animus intendatur, remittatur), und überdies könne man insofern für die rhetorische Praxis profitieren, als man 294 3 Konstruieren einer Dichter-Biographie 130 Dadurch ist der Rückbezug zu Epist. 4,14,3 hergestelt, wo Plinius zufolge in den Hendecasyllabi ähnliche Emotionen variiert werden: his iocamur ludimus amamus dolemus querimur irascimur. 131 Das Verb aiunt wäre dann als eine Art alexandrinische Fußnote aufzufassen; zu diesem Phänomen vgl. Keeline (2013), 120‒1; das Thema der gezielten Lektüre wird auch bei Seneca in Epist. 2 diskutiert (2): illud autem vide, ne ista lectio auctorum multorum et omnis generis voluminum habeat aliquid vagum et instabile. certis ingeniis immorari et innutriri oportet, si velis aliquid trahere quod in animo fideliter sedeat. nusquam est qui ubique est; vgl. auch den Rat zur Beschäftigung mit Literatur in der Consolatio ad Polybium (Dial. 11,8). 132 Er ist auch Adressat der Briefe 1,2, 2,11‒12, 4,8, 4,12 und 6,2; vgl. Sherwin-White (1966), 86. durch Gedichte den Ausdruck verschiedener Emotionen wie amores, odia, irae, misericordia, urbanitas usw. trainiere (13). 130 Schließlich führe die Gewöhnung an den Zwang des Versmaßes dazu, dass einem das Verfassen von Prosa wieder einfacher scheint (14). Nach diesen Anweisungen zur literarischen Produktion geht Plinius am Ende seines Briefes noch auf diejenigen Autoren und Gattungen ein, die sein Adressat lesen soll: Es handelt sich um die bereits zuvor angeführte Liste (15). Fuscus solle die Vertreter der jeweiligen Gattungen sorgfältig auswählen, denn: aiunt enim multum legendum esse, non multa (15). Der Katalog der betreffenden Schriftsteller ist angeblich zu bekannt, als dass Plinius hier ins Detail gehen müsste (16: adeo notum probatumque). Insbesondere dürfte Plinius hier auf Autorenkataloge anspielen, wie sie Quintilian in Inst. 10,1,46‒131 bietet, sowie den dort aufgestellten Lehrsatz multa magis quam multorum lectione formanda mens et ducendus color (Inst. 10,1,59). 131 Während Quintilian in seinem berühmten Autorenkatalog zwar die poetischen Genres Epik, Drama, Lyrik, Elegie und Satire behandelt, jedoch nicht die Epigrammatik, scheint Plinius mit seinen vergleichsweise ausführlichen Gedanken zum carmen argutum et breve diese Liste ergänzen zu wollen. 3.5 Reflexionen über Dichter und Rezipienten in Buch 8‒9 Die in Epist. 7,9 diskutierte Antithese zwischen geistiger Anspannung und Entspannung bzw. Scherz und Ernst wird in Epist. 8,21 an Arrianus 132 wieder aufgegriffen, wenn Plinius zu Beginn des Briefes bemerkt, dass er sowohl im Leben als auch bei seinen Studien auf ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen severitas und comitas achte, damit er nicht auf der einen Seite in übertriebene tristitia, auf der anderen in petulantia verfalle (1). Sowohl durch den Adressaten 295 3.5 Reflexionen über Dichter und Rezipienten in Buch 8‒9 133 Vgl. Epist. 7,9,9 zum kurzen Epigramm: quantas libet occupationes curasque distinguit. 134 In Epist. 1,13 hingegen wird der Monat April als für Dichter-Rezitationen besonders günstig hervorgehoben; vgl. Sherwin-White (1966), 473. 135 Vgl. Epist. 4,14,3; aus einem anderen Blickwinkel erklärt Martial das Mischungsver‐ hältnis seiner Epigramme (1,16): Sunt bona, sunt quaedam mediocria, sunt mala plura / quae legis hic: aliter non fit, Avite, liber; ein aequalis liber ist Martial zufolge auch malus (7,90); auch das Motiv des gelangweilten Lesers findet sich bei Martial häufig, wie etwa in 2,6; vgl. Höschele (2010), 38‒46; Gibson/ Morello (2012), 45. 136 Vgl. Epist. 3,18,4, wo von einer dreitägigen Rezitation des Panegyricus die Rede ist, und 9,27, wo die für zwei Tage anberaumte Rezitation eines Geschichtsbuches unterbrochen wird; Sherwin-White (1966), 474. als auch das Motiv der tristitia ist ein Rückbezug zu Epist. 1,2 hergestellt, in der Plinius seine Anlehnung an den Stil Ciceros (4: Marci nostri ληκύθους) damit rechtfertigt, dass er zwar acer, jedoch nicht tristis sein wolle. Dafür, dass er seine graviora opera mit leichter Poesie abwechseln lässt (2: distinguo), 133 gibt Plinius sodann ein konkretes Beispiel im narrativen Teil des Briefes 8,21. Im Monat Juli, d. h. zu einer Zeit, in der die Gerichte eine Pause machen, 134 lud Plinius seine Freunde zu sich ins Triklinium ein, um seine lusus vor ihnen zu rezitieren (2). Nun habe es sich jedoch ereignet, dass Plinius am selben Morgen als Rechtsbeistand angefordert wurde (3: forte accidit, ut eodem die mane in advocationem subitam rogarer). Dies habe ihm die Gelegenheit gegeben, sich vor den Freunden zu rechtfertigen, dass er trotz seiner geplanten Rezitation die Verpflichtungen vor Gericht nicht vernachlässigen wolle. In ähnlicher Weise habe auch beim Schreiben Ernstes Priorität vor Scherzhaftem (3: ut necessitates voluptatibus, seria iucundis anteferrem). Anschließend geht Plinius auf die eigentliche Rezitation und den Charakter des Gedichtbuches ein: liber fuit et opusculis varius et metris (4). Mit dem Prinzip der varietas wollte Plinius bewirken, dass das Publikum sich nicht allzu schnell langweilt (4: satietatis periculum fugere), 135 eine Gefahr, die angesichts einer Rezitation von zwei Tagen (4: recitavi biduo) 136 offenbar nicht zu unterschätzen war. Plinius’ Zuhörer, die trotz der Tatsache, dass er kein einziges Gedicht ausließ (4: ego nihil praetereo), ihre Begeisterung kundtaten (4: hoc adsensus audientium exegit), stehen in auffälligem Kontrast zum Publikum, über das sich Plinius bei den in Epist. 1,13 geschilderten Rezitationen beklagt: ad audiendum pigre coitur (1), heißt es dort, und die meisten Leute bleiben gar nicht die gesamte Rezitation hindurch im Saal, sondern vertreiben sich die Zeit in Lokalen oder bei Plaudereien und hören sich bestenfalls einen Teil der Vorträge an (2). Nicht so die in 8,21 eingeladenen Freunde des Plinius: quid praestant sodales, si conveniunt voluptatis suae causae? (5). Anstelle sich nur zurückzulehnen und einen bonus liber anzuhören, sei es Zeichen wahrer Freundschaft, alles über sich ergehen zu lassen 296 3 Konstruieren einer Dichter-Biographie 137 Es könnte sich hier auch um eine metapoetische Aussage handeln, insofern als Arrianus die Funktion eines Modell-Lesers der Briefsammlung übernimmt, der inzwischen die in Buch 7 integrierten Epigramme des Plinius gelesen hat. 138 Vgl. Höschele (2010), 49‒50. 139 Die an Tacitus gerichtete Epistel 9,10 schlägt verbal und inhaltlich eine Brücke zurück zu Epist. 1,6, dem ersten Brief an Tacitus; Gibson/ Morello (2012), 162‒3; Eisner (2014), 65. 140 Zur Person des Rosianus Geminus vgl. Sherwin-White (1966), 489. 141 Vgl. Epist. 6,16; 6,20; 7,33; 9,33. 142 Zum antiken Buchwesen vgl. Birt (1913), 245‒366; Sherwin-White (1966), 490. 143 Vgl. Mayer (2003), 233, der in Bezug auf die Reden eine „campaign of advertisement and an insurance policy“ erkennt. und durch ehrliche Kritik an der Entstehung eines guten Buches mitzuwirken (5). Nicht nur der Wunsch, für möglichst alle Gedichte Verbesserungsvorschläge zu erhalten, scheint hier ausschlaggebend zu sein, sondern auch das Medium Buch insgesamt, für dessen Erfolg eine solche Rezitation die Voraussetzungen schafft. Für den Adressaten Arrianus, der einige Teile dieses Gedichtbuches angeblich schon kennt (6: non nulla iam ex eo nosti), 137 wird Plinius zufolge die Lektüre des nach der Rezitation überarbeiteten liber einige Neuheiten bieten (6: legere hunc adhuc musteum librum…quasi nova rursus et rescripta cognosces); der Buchkontext beeinflusst somit die Rezeption der Einzeltexte, 138 ein ästhetisches Prinzip, das auch auf die Briefsammlung übertragbar sein dürfte. Auch in Buch 9 äußert sich Plinius mehrmals über seine poetischen Aktivi‐ täten, wobei hier der erste Brief, der das Thema behandelt, genaugenommen die vorübergehende Untätigkeit auf diesem Gebiet betont (9,10,2: itaque poemata quiescunt). 139 Im Gegensatz zu dieser Bemerkung steht die Aussage im folgenden Brief 9,11, dass Plinius’ libelli sogar in Lugdunum verkauft werden. Dieses an Geminus 140 gerichtete Schreiben zeichnet sich u. a. dadurch aus, dass es für den allgemeinen Leser kaum konkrete Anhaltspunkte liefert und eine Art „Insider‐ wissen“ der beiden Briefpartner voraussetzt oder vielmehr inszeniert: In einem früheren Brief habe Geminus darum gebeten, Plinius solle ihm etwas schreiben, das er dann in seine Bücher aufnehmen kann (1: aliquid ad te scribi volebas, quod libris inseri posset). 141 Da werde sich schon ein geeigneter Stoff finden, so Plinius, vielleicht sogar der von Geminus vorgeschlagene (1: …materia vel haec ipsa, quam monstras) - worum es sich da handelt, erfahren wir jedoch nicht. Von Geminus habe Plinius auch erfahren, dass seine Bücher bereits in Lugdunum zirkulieren (2): Bibliopolas Lugduni esse non putabam, ac tanto libentius ex litteris tuis cognovi venditari libellos meos. 142 Welcher Gattung diese libelli zuzuordnen sind, bleibt ein Geheimnis zwischen Plinius und dem Adressaten. Der allgemeine Leser mag nun an die ebenfalls in Epist. 9,10 erwähnten Reden denken, 143 oder an 297 3.5 Reflexionen über Dichter und Rezipienten in Buch 8‒9 144 Vgl. Galán Vioque (2002), ad loc. 145 Bei Plinius spielt Vienna in Epist. 4,22 im Zusammenhang mit der Beratung im consilium Traiani über einen dort abgehaltenen gymnicus agon eine Rolle; vgl. Sherwin-White (1966), 298‒301. 146 Vgl. Thomas (1988), 156‒7; Mynors (1990), 101. 147 Es handelt sich um den Konsular T. Pomponius Mamilianus, an den auch Epist. 9,25 gerichtet ist; Sherwin-White (1966), 500. 148 Man soll vermutlich an das in Epist. 9,15 erwähnte tuskische Anwesen denken, auf dem Plinius neben anderen Tätigkeiten einige Reden überarbeitet; vgl. Sherwin-White (1966), 500. Gedichte, oder gar an die bisher publizierten Briefbücher 1-8. Es wird zumindest deutlich, dass Plinius hier eine ähnliche Strategie der Eigenwerbung verfolgt wie vor ihm Martial, der etwa in Epigramm 7,88 auf seine Popularität außerhalb Roms, und zwar ebenfalls in Gallien, verweist (1‒2): Fertur habere meos, si vera est fama, libellos / inter delicias pulchra Vienna suas. 144 Das von Martial erwähnte Vienna 145 befindet sich nicht allzu weit von Lugdunum entfernt, wo sich Plinius’ Werke verkaufen; an die Stelle der fama, die von Martials Popularität in Vienna kündet, tritt bei Plinius ein konkreter Adressat, der von einem Aufenthalt in dieser Region berichtet. In Epist. 8,21 hatte Plinius dem Adressaten gegenüber das neue Gedichtbüchlein als musteus liber (6) bezeichnet und mit jungem Wein bzw. Most verglichen. Diese Wein-Metaphorik dürfte Plinius aus Vergils Proömium zum zweiten Geor‐ gica-Buch aufgegriffen haben, wo ebenfalls die Produktion von Literatur mit derjenigen von Wein gleichgesetzt wird (Georg. 2,7‒8: huc, pater o Lenaee veni nudataque musto / tingue novo mecum dereptis crura cothurnis). 146 Ein ähnliches Bild gebraucht Plinius in Epist. 9,16 an Mamilianus, 147 wo er zunächst davon berichtet, dass er gerade mit der Weinlese beschäftigt ist - auf welchem Landgut, bleibt offen 148 - und aufgrund der spärlichen Erträge seinem Freund statt des neuen Mostes lieber neue Verslein mitbringen will (2: devehimus tamen pro novo musto novos versiculos). Sobald diese „ausgegoren“ seien (2: defervisse), werde Plinius sie Mamilianus schicken. Es liegt nahe zu vermuten, dass dieser Prozess des literari‐ schen „Ausgärens“ in einer Rezitation und anschließenden Emendation besteht, wie sie in Epist. 8,21 beschrieben wurde. Die beiden Briefe dürften abgesehen vom Motiv des Mostes noch durch eine intertextuelle Anspielung aufeinander bezogen sein: In seiner Schrift De re rustica gibt Columella Anweisungen, wie man Most Haltbarkeit verleiht, und bemerkt Folgendes (12,21,2): patimur autem, cum de lacu mustum sublatum est, biduo defervescere et purgari; tertio die defrutum adicimus. deinde interposito biduo, cum id mustum pariter cum defruto deferbuerit, purgatur. Wie aus der Passage hervorgeht, sind beim Vorgang des Ausgärens (defervescere… deferbuerit) immer wieder Zeiträume von zwei Tagen (biduo) abzuwarten, bis der 298 3 Konstruieren einer Dichter-Biographie 149 Wie Marchesi (2008) an mehreren Beispielen zeigt, verknüpft Plinius immer wieder Briefe miteinander durch intertextuelle Bezüge auf einen gemeinsamen Prätext; so dürfte auch Columella im Hintergrund der Briefe 8,21 und 9,16 stehen, was allerdings erst klar wird, wenn man sie zusammen liest. 150 Vgl. den novus libellus bei Catull. 1,1; zur Bezeichnung νεώτεροι bzw. poetae novi vgl. Cic. Att. 7,2,1 und Orat. 161. 151 Möglicherweise befand er sich in Britannien, vgl. Sherwin-White (1966), 500. 152 Vgl. Epist. 7,9,10: hi lusus non minorem interdum gloriam quam seria consequuntur. 153 Das Incipit von Catull. 2 - passer - galt in der Antike offenbar als Buchtitel, ungeachtet des vorausgehenden Widmungsgedichts carm. 1 an Cornelius Nepos; in Anlehnung an Catull dichtete L. Arruntius Stella ein Gedicht bzw. eine Gedichtsammlung mit dem Titel Columba, die Martial zufolge Catulls Werk übertraf (1,7); vgl. Buchheit (1977); Marchesi (2008), 63‒5; zu Stella als Dichter vgl. Neger (2012), 162‒86; Mindt (2013), 217‒20. 154 Die Deminutive passerculi und columbuli lassen sich einerseits als Ausdruck der Bescheidenheit gegenüber Catull und Stella auffassen, ahmen jedoch auch die Sprache Catulls nach; vgl. Marchesi (2008), 63. Most sich reinigt (purgari…purgatur). Ähnlich dient auch die zweitägige Rezitation in Epist. 8,21 (4: recitavi biduo) zur Emendation der Verse (6: emendata). 149 Dass seine Verse einem jungen Most entsprechen (9,16,2: pro novo musto), dürfte sich nicht nur auf ihre geringe Reife beziehen, sondern auch die literarische Tradition andeuten, in die sich Plinius als Dichter stellt: Das Adjektiv novus lässt an die Neoteriker um Catull denken, die Plinius wiederholt als seine Vorbilder anführt. 150 Der an denselben Adressaten wie 9,16 gerichtete Brief 9,25 setzt voraus, dass Mamilianus die in 9,16 versprochenen Gedichte trotz seiner militärischen Verpflichtungen 151 bereits gelesen hat, da er in einem Schreiben begeistert weitere Verse fordert (1: lusus et ineptias nostras legis, amas, flagitas meque ad similia condenda…incitas). Als hochgebildeter und aufrichtiger Mann habe Ma‐ milianus sogar behauptet, dass Plinius seine Dichtung nicht nur zum Vergnügen betreibe, sondern damit auch Ruhm anstrebe (2). 152 Der Epistolograph antwortet nun in 9,25, dass er momentan mit gerichtlichen Aktivitäten ausgelastet sei, danach aber weitere Gedichte senden werde (3: in istum benignissimum sinum), und gebraucht dabei die folgende Metapher (3): Tu passerculis et columbulis nostris inter aquilas vestras dabis pennas, si tamen et tibi placebunt; si tantum sibi, continendos cavea nidove curabis. Von der Önologie ist Plinius nun zur ornithologischen Bildersprache gewechselt, um den Lektüreprozess seiner Ge‐ dichte im Feldlager des Mamilianus zu veranschaulichen. Mit den Deminutiven passerculi und columbuli sind Verse gemeint wie die passer-Gedichte Catulls oder die columba des flavischen Dichters L. Arruntius Stella. 153 Diesen „kleinen Sperlingen und Täubchen“ 154 werde Mamilianus inmitten seiner Legionsadler „Flügel verleihen“, sofern sie ihm gefallen. Sollte dies nicht der Fall sein, möge er 299 3.5 Reflexionen über Dichter und Rezipienten in Buch 8‒9 155 Zu den Begriffen sinus, cavea, nidus etc. im Zusammenhang mit der Aufbewahrung von Büchern siehe Birt (1913), 332‒41. 156 Vgl. Ov. Met. 15,875‒9; Bömer (1969‒86), VII, ad loc. 157 Zu dieser literarischen Technik bei Plinius vgl. Whitton (2013b). 158 Es handelt sich nach Epist. 1,18, 3,8 und 5,10 um den letzen Brief an Sueton. 159 S. S. 132-4. 160 Anstelle von orationes steht in der Ausgabe von Mynors (1963) rationes, wohl ein Druckfehler; vgl. Lefèvre (2009), 167. 161 S. S. 275-7. sie in ihrem „Käfig“ bzw. „Nest“ lassen. 155 Das Bild vom Fliegen als poetologische Metapher hat freilich eine lange Tradition, angefangen mit dem Grabepigramm des Ennius (fr. var. 17 f. V.), über Vergils Georgica (3,8‒9), die Horaz-Ode 2,20 oder Epist. 1,20 (20‒21: me…maiores pinnas nido extendisse), 156 und passt außerdem gut ans Ende der Briefsammlung bzw. des Briefzyklus über Plinius als Dichter. Die Junktur pennas dare greift somit eine altbewährte poetische Metapher auf und transferiert sie in einen im wahrsten Sinne des Wortes prosaischen Kontext: Zwar bezieht sich das Bild im Rahmen der epistolaren Kommunikation auf Mamilianus’ Gedichtlektüre im Feldlager, bringt jedoch im Kontext des gesamten Briefzyklus Plinius’ literarischen Anspruch zum Ausdruck. Die Vorstellung vom Dichterflug in Epist. 9,25 würde an sich ein geeignetes Schluss-Motiv für den Briefzyklus über Plinius als Poet liefern, doch es folgt noch ein weiterer Brief zu diesem Thema, sodass wir es im Falle von Epist. 9,25 offenbar mit einer Art false closure  157 zu tun haben. Dem Enthusiasmus des Mamilianus über Plinius’ Verse steht in Epist. 9,34 an Sueton 158 Plinius’ eigene Aussage gegenüber, dass man ihn als schlechten Gedichtvorleser bezeichnet habe. War Sueton in Epist. 1,18, dem ersten der an ihn gerichteten Briefe, derjenige, der aufgrund eines schlechten Traumes Rat bei Plinius suchte, 159 so ist die Situation nun umgekehrt und Plinius bittet seinen Freund um Hilfe in seiner Verlegenheit (1): Explica aestum meum: audio me male legere, dumtaxat versus. Während es an den Rezitationen von Gerichtsreden offenbar nichts auszusetzen gibt (1: orationes enim commode), 160 nehmen die hier nicht näher genannten Kritiker angeblich an den Gedichtvorträgen Anstoß (1: tanto minus versus). Angesichts dieser Reaktionen denkt Plinius nun daran, einen Freigelassenen als lector einzusetzen, der zwar ein besserer Vorleser als Plinius ist (1: melius), jedoch offenbar unter Lampenfieber leidet (1: perturbatus), da er auf dem Gebiet der Gedichtlektüre noch unerfahren ist (2): est enim tam novus lector quam ego poeta. Analog dazu präsentiert sich Plinius hier als poeta novus, er ist also ein Neoteriker im doppelten Sinn: Hinter der Bescheidenheitstopik steht erneut ein Bekenntnis zur poetischen Tradition, in die sich Plinius stellt. 161 Müssen wir die in Epist. 9,34 artikulierten Sorgen des Briefschreibers über seine Qualität als 300 3 Konstruieren einer Dichter-Biographie 162 Möglicherweise soll man auch in der Formulierung recitavi biduo in Epist. 8,21,4 an den rezitierenden Vergil denken. 163 Zu dieser Passage vgl. Hägg (2012), 217. 164 S. S. 280-2. Vorleser tatsächlich ernst nehmen oder handelt es sich, wie Lefèvre (2009: 167‒8) m. E. zurecht vermutet, um bewusste Übertreibung, damit das Thema Rezitation - ähnlich wie in Brief 1,13 - aus einer satirischen Perspektive beleuchtet werden kann? Dafür spricht die Wahl Suetons als Adressaten, der in diesem Zusam‐ menhang eine wichtige Rolle spielen dürfte: Plinius scheint in Epist. 9,34 eine Anekdote über Vergil zu variieren, von dem in der Vita Suetoniana-Donatiana berichtet wird, er habe Kaiser Augustus seine Georgica vier Tage lang vorgelesen (27: Georgica…per continuum quadriduum legit) 162 und sei bei der Rezitation von Maecenas abgelöst worden, wenn seine Stimme Erholung brauchte (27: suscipiente Maecenate legendi vicem, quotiens interpellaretur ipse vocis offensione). Anders als Plinius, der einen Freigelassenen heranzuziehen beabsichtigt, weil man ihn selbst als schlechten Vorleser kritisiert habe, soll Vergil seine eigene Poesie am besten von allen vorgetragen haben (VSD 28‒29): 163 Pronuntiabat autem cum suavitate, cum lenociniis miris. [Ac] Seneca tradidit Iulium Montanum poetam solitum dicere, involaturum se Vergilio quaedam, si et vocem posset et os et hypocrisin: eosdem enim versus ipso pronuntiante bene sonare, sine illo inanes esse mutosque. Wenn es zutrifft, dass Plinius bereits in Epist. 5,10 auf Suetons Werk De viris illustribus anspielt, 164 dann dürfte das auch in Epist. 9,34 der Fall sein, wo er sich scherzhaft als eine Art „Anti-Vergil“ charakterisiert, der seine eigenen Verse schlecht vorträgt. Als Verfasser der betreffenden Passage über Vergils Vorlese-Kunst eignet sich Sueton wunderbar als Briefpartner, den Plinius um Rat bittet. Auf den einleitenden Teil der Epist. 9,34 folgen einige Gedanken, wie man sich als Autor bei einem Votrag während der Lesung des eigenen Textes durch eine andere Person zu verhalten habe: Soll man unbeweglich und teilnahmslos dasitzen (2: sedeam defixus et mutus et similis otioso) oder, wie es einige Leute zu tun pflegen, die Rezitation mit Murmeln, Mimik und Gesten begleiten (2: an, ut quidam, quae pronuntiabit, murmure, oculis, manu prosequar)? Die zweite Option erscheint für Plinius kaum attraktiv, da er nach eigenem Ermessen die Kunst der Pantomimik ebenso wenig beherrscht wie die des Gedichtvortrags (2: sed puto me non minus male saltare quam legere). Pointiert schließt Plinius den 301 3.5 Reflexionen über Dichter und Rezipienten in Buch 8‒9 165 Die Wiederholung der Formulierung explica aestum meum (2) bewirkt einen ringkom‐ positorischen Effekt. 166 Stilistisch ist der Schluss-Satz durch Oxymoron (melius pessime) sowie Anapher und Antithese (vel non facere vel facere) abgerundet. 167 Zu diesem Gedicht vgl. etwa Holzberg (2002a), 58‒9; Kilpatrick (2002). 168 Vgl. Mart. 1,29; 38; 52; 63; 2,20; 88; 3,18; 45; 50; 4,41; 5,78,25; 6,48; 7,52; 8,20; 76; 9,83; 10,70,10; 11,52,16‒18; 12,63; Burnikel (1990); Binder (1995). 169 Vgl. in Kontrast dazu Plin. Epist. 9,34,1: elegi non bene, sed melius (scio) lecturum. 170 Zu Martials Epigrammzyklus auf Plagiatoren vgl. Spahlinger (2004); Neger (2012), 108‒26; Mindt (2013), 250‒1. 171 Mart. 3,18: Perfrixisse tuas questa est praefatio fauces. / cum te excussaris, Maxime, quid recitas? In 4,41 empfiehlt der Epigrammatiker dem Rezitator, sein Halstuch lieber um die Ohren der Zuhörer zu wickeln. 172 Das Motiv der Wahrheit bzw. Aufrichtigkeit verbindet Epist. 9,34 mit 9,33, wo Plinius dem Dichter Caninius Rufus die Delphin-Geschichte als materia vera (1) präsentiert, damit dieser sie poetisch ausschmücke. Brief mit der erneuten Bitte ab, Sueton möge ihm aus der Verlegenheit helfen 165 und aufrichtig mitteilen, ob es besser sei, schlecht vorzulesen als eine der zuvor genannten Alternativen zu wählen (2: num sit melius pessime legere quam ista vel non facere vel facere). 166 Die wiederholte Selbstabwertung des Plinius als malus bzw. pessimus lector erinnert auch an Catull, der sich etwa in carm. 49 Cicero gegenüber selbstironisch als pessimus omnium poeta (5‒6) bezeichnet. 167 Schlechte Rezitatoren sind zudem ein Motiv, das auch in Martials Epigrammen häufig variiert wird: 168 So kann sich eine mißglückte Rezitation durch eine vom Autor verschiedene Person auch auf die Frage der Autorschaft auswirken (1,38): Quem recitas meus est, o Fidentine, libellus: / sed male cum recitas, incipit esse tuus. Die Situation ist hier derjenigen bei Plinius diametral entgegengesetzt, denn der lector liest schlechter als der auctor  169 und macht durch seine mangelhafte Vorlesekunst das gestohlene Werk zu seinem eigenen Besitz. 170 An anderer Stelle wird jemandem, der nichts rezitiert, der Status als Dichter abgesprochen (2,88: Nil recitas et vis, Mamerce, poeta videri. / quidquid vis esto, dummodo nil recites) - schließlich kann niemand wissen, ob der angebliche Dichter tatsächlich etwas schreibt. Auch die captatio benevolentiae mancher Rezitatoren, die in ihren praefationes ihre erkältungsbedingte Heiserkeit entschuldigen, nimmt Martial aufs Korn. 171 Plinius, der seinen Adressaten Sueton um eine aufrichtige Antwort bittet (Epist. 9,34,2: vereque rescribe), 172 wurde möglicherweise von Martials Epigramm 8,76 inspiriert, das eine ähnliche Form der Kommunikation bzw. des Ratsuchens nachzeichnet: ‘Dic verum mihi, Marce, dic, amabo; nil est quod magis audiam libenter.’ sic et cum recitas tuos libellos, 302 3 Konstruieren einer Dichter-Biographie 173 Zu diesem Epigramm vgl. Schöffel (2002), ad loc.; vgl. Mart. 5,63; thematisch verwandt ist auch die Phaedrus-Fabel App. 9 (De malo scriptore se laudante). et causam quotiens agis clientis, oras, Gallice, me rogasque semper. Durum est me tibi quod petis negare. vero verius ergo quid sit audi: verum, Gallice, non libenter audis. Plinius nimmt in seinem Brief 9,34, der von epigrammatischer Kürze ist, eine ähnliche Position ein wie der im Spottepigramm charakterisierte Gallicus, der Martial um sein kritisches „Feedback“ bittet, die Wahrheit jedoch nicht gerne hören wird. 173 Ob auch Sueton seinem Plinius eine ähnliche Antwort erteilt hat, geht aus der Briefsammlung nicht hervor - vielleicht ist der mit Martial vertraute Leser dazu animiert, den durch Epist. 9,34 in Gang gesetzten literarischen Dialog zu ergänzen. Wie sich zeigt, taucht das Motiv des schlechten Dichtens bzw. Vorlesens in der neoterischen Tradition vor Plinius bereits mehrmals auf, sodass wir wohl auch Epist. 9,34 an den gelehrten Sueton als eine humorvolle Variation dieses Themas betrachten dürfen, mit der der Briefzyklus über die Dichterkarriere des Plinius seinen Ausklang findet. 303 3.5 Reflexionen über Dichter und Rezipienten in Buch 8‒9 1 Zu seiner Person vgl. ILS 2721; Sherwin-White (1966), 264; in Epist. 4,1 wird Calpurnia zum ersten Mal erwähnt, allerdings nicht namentlich, sondern nur als neptis des Fabatus; vgl. Carlon (2009), 157. 2 Comum wird in Epist. 4,1 noch nicht explizit erwähnt; die Verbindung des Calpurnius Fabatus zu Comum geht erst aus den folgenden an ihn gerichteten Briefen deutlicher hervor: Epist. 5,11 (2: patria nostra); 6,12; 6,30; 7,11; 7,16; 7,23; 7,32; 8,10. 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene Nachdem in den vorangehenden Kapiteln epistolare Narrationen über Plinius’ Aktivitäten als Redner, seine Haltung als Mitglied des Senatorenstandes sowie der Zyklus über seine Karriere als Freizeitdichter analysiert wurden, soll das folgende Kapitel untersuchen, wie der Epistolograph verschiedene Naturphäno‐ mene und übernatürliche Ereignisse beschreibt und damit sozusagen in die Rolle des Periegeten und Paradoxographen schlüpft. Während Plinius in mehreren der betreffenden Briefe vorgibt, seine Darstellung gründe auf Autopsie, wird das Erzählte in anderen Fällen als Bericht aus zweiter Hand ausgewiesen. Was die Naturerscheinungen betrifft, so fällt auf, dass sich loci amoeni wie die Quelle am Comer See (4,30), der fons Clitumnus (8,8) und der Vadimoner See (8,20) mit Naturkatastrophen wie dem Vesuv-Ausbruch (6,16 und 6,20) und der Überschwemmung des Tiber und Anio (8,17) abwechseln, bevor in der Erzählung über den Delphin (9,33) anmutige und tragische Elemente mitein‐ ander kombiniert werden. In seiner epistolaren Naturgeschichte folgt Plinius einerseits den Spuren seines Onkels, der mehrere dieser Phänomene in seiner Naturalis Historia behandelt und in Epist. 6,16 sogar selbst als Hauptprotagonist auftritt, integriert andererseits jedoch auch andere Gattungstraditionen und Prätexte in seine Mirabilien in Briefgestalt, wie in weiterer Folge verdeutlicht werden soll. 4.1 Die Quelle am Lacus Larius (Epist. 4,30) Das vierte Buch der Briefe ist topographisch durch Plinius’ Heimat Comum gerahmt: In Epist. 4,1, die an Calpurnius Fabatus, den Großvater von Plinius’ Gattin Calpurnia, 1 gerichtet ist, wird ein baldiger Besuch des Ehepaares bei Fabatus in Comum angekündigt (1): Cupis post longum tempus neptem tuam meque una videre. 2 Durch das Motiv, dass sich etwas nach längerer Zeit (post 3 Zu diesem Brief und seiner Position in Buch 3 vgl. Henderson (2002a). 4 So auch Sherwin-White (1966), 226: „Since there is no other trace of a visit to Comum between that of 96 (I. 8 pref.) and that of IV. I…it is reasonable to identify this project with the latter.“ 5 Zu Epist. 4,13 vgl. Augoustakis (2005/ 06); Vössing (2006); Niemann (2007); Eisner (2014), 28‒33. 6 Zu dieser wichtigen Persönlichkeit an der Seite Trajans vgl. Sherwin-White (1966), 309‒10; Eck (1999); Licinius Sura ist auch Adressat der Epist. 7,27; eine bildliche Darstellung findet sich auf der Trajanssäule; bereits Martial erwähnt seine spanische Herkunft in 1,49,40, charakterisiert ihn als Leser der Epigramme in 6,64,13 und feiert in 7,47 seine Genesung. longum tempus) ereignet bzw. ereignen soll - in diesem Fall das Wiedersehen mit dem prosocer -, ist der Beginn des vierten Buches mit dem Anfang der Bücher 1 und 2 verknüpft, wo Plinius von seiner langen literarischen Untätigkeit spricht, aus der er nun wieder erwacht ist (1,2,3: quod me longae desidiae indormientem excitavit) sowie auf die vielen Jahre hinweist, die vergangen sind, seit dem römischen Volk wieder ein so glänzendes Schauspiel wie das Staatsbegräbnis des Verginius Rufus geboten wurde (2,1,1: post aliquot annos). Die Junktur post longum tempus dürfte neben der langen Zeit seit dem letzten Treffen mit Fabatus auch die zeitliche Distanz zwischen Buch 3 und 4 markieren: In Epist. 3,6 beschreibt Plinius eine korinthische Bronzestatue, die er dem Jupitertempel in Comum stiften will, und beauftragt den Adressaten Annius Severus, einen Sockel für die Statue mit seinem Namen und seinen Ehrenämtern zu versehen. 3 Am Ende dieses Briefes kündigt Plinius an, selbst nach Comum zu kommen, sobald es seine Verpflichtungen zuließen, doch im Moment sei das noch nicht möglich (7): neque enim diutius abesse me eadem haec quae nondum exire patiuntur. Eine lineare Lektüre der Bücher 3 und 4 suggeriert dem Leser, dass es sich bei der in Epist. 3,6 angekündigten Reise um denselben Heimat-Besuch handelt, den Plinius in Epist. 4,1 in Aussicht stellt, 4 wobei dieser Besuch im zweiten Brief schon in deutlich nähere Zukunft rückt. Etwa in der Mitte des vierten Buches liegt der Aufenthalt offenbar schon in der jüngeren Vergangenheit (4,13,3: proxime cum in patria mea fui), wenn der Epistolograph seinen Freund Tacitus um Hilfe bei der Suche nach geeigneten Lehrern für Comum bittet. 5 Auch der Schlussbrief des vierten Buches setzt voraus, dass Plinius bereits dort war, da er dem Adressaten Licinius Sura 6 die Schilderung eines Naturphänomens - die intermittierende Quelle am Comer See - sozusagen als Geschenk aus seiner Heimat mitgebracht hat (4,30,1): Attuli tibi ex patria mea pro munusculo quaestionem altissima ista eruditione dignissimam. Drei wohl nicht zufällig auf Anfang, Mitte und Ende verteilte Briefe über Comum, die zudem noch an bedeutende Adressaten gerichtet 306 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 7 Davor spielt die Natur auch schon in Epist. 1,6, 2,8, 2,17 und 4,6 eine Rolle; vgl. auch 5,6; 5,18; 9,7; 9,10; Lefèvre (1988), 238; der locus amoenus in Epist. 4,30 kontrastiert mit dem Vorschlussbrief 4,29, der den Zyklus über Gerichtsverhandlungen unter dem strengen Prätor Licinius Nepos eröffnet. 8 Die Quelle existiert auch heute noch im Bereich der sogenannten „Villa Pliniana“ bei Torno und war unter anderem Leonardo da Vinci, Giovanni Maria Cataneo, Joseph II. und Napoleon bekannt; vgl. Sherwin-White (1966), 310; Lefèvre (1988), 239‒42. 9 Lefèvre (1988), 245 führt als Parallelen das Nymphäum des Kaisers Claudius in Baiae an sowie das Marmorbecken, das Plinius als eine architektonische Besonderheit seiner Villa in Etrurien beschreibt; dort werden schwerere Speisen am Beckenrand abgestellt, leichtere hingegen schwimmen auf kleinen Booten auf dem Wasser umher; eine technische Vorrichtung bewirkt, dass das Becken zwar angefüllt wird, aber nicht überlaufen kann (5,6,36‒7). 10 Vgl. Lefèvre (1988), 243‒4; Shannon (2013), 9. 11 Für eine naturwissenschaftliche Erklärung von besonders in Karstgebieten häufig anzutreffenden intermittierenden Quellen vgl. Lefèvre (1988), 242‒3. sind, bilden somit die Tragsäulen des Buches, an dessen Ende Plinius sich zudem erstmals in größerem Umfang als an naturwissenschaftlichen Fragen interessiert präsentiert. 7 Der Brief 4,30 geht nach einer kurzen Einleitung (1) gleich medias in res, indem er eine Ekphrasis der Quelle und des Vorgangs von wiederholtem Anschwellen und Versiegen des Wassers bietet (2‒4). 8 In kurzen Sätzen beschreibt Plinius, wie die Quelle im Berg entspringt, durch die Felsen strömt, in einer künstlichen cenatiuncula aufgefangen wird und dann weiter in den Comer See fließt (2). Bei der cenatiuncula handelt es sich offenbar um eine Art Grotte, in der man ein exklusives „Picknick“ veranstalten konnte, indem man sich am Rande des Wassers niederließ, Speisen verzehrte und aus der fließenden Quelle trank (3). 9 Indem Plinius auf die mira natura (3; vgl. 11: tantum miraculum) der Quelle eingeht, deutet er an, dass sein Brief der Tradition der Mirabilienliteratur zuzuordnen ist. 10 Dreimal täglich, so heißt es, steige der Wasserspiegel an und sinke wieder ab (2), wodurch dem Betrachter ein ästhetischer Genuss geboten werde (3: cernitur id palam et cum summa voluptate deprenditur). Wenn man einen Gegenstand wie etwa einen Ring ins Trockene lege, werde er allmählich bespült, schließlich bedeckt und dann wieder langsam freigelegt, was sich bei längerem Verweilen zweibis dreimal beobachten ließe (4). 11 Durch sprachliche und stilistische Kunstgriffe lässt Plinius, der die Quelle aus eigener Anschauung zu kennen versichert, seinen Adressaten ebenfalls zum imaginären Betrachter des Naturschauspiels werden. So ahmt die Beschreibung des Wasserlaufs vom Ursprung bis zum See durch wechselnden Rhythmus das Tempo des Wassers nach: Zuerst heißt es in stakkatoartigen Satzkola fons oritur in monte, per saxa decurrit (2), während sich beim Einfließen des Wassers in das künstliche 307 4.1 Die Quelle am Lacus Larius (Epist. 4,30) 12 Vgl. Shannon (2013), 9: „Pliny recreates the phenomenon in words“. 13 Vgl. Sherwin-White (1966), 310. 14 Vgl. Gibson (2011b), 189: „…the Younger was…a close and careful reader of the Natural History, and…expected his best readers to be similarly inclined“. 15 Neben dem älteren Plinius ist natürlich auch Seneca zu nennen, der in Buch 3 der Naturales Quaestiones von Gewässern (de aquis terrestribus) handelt; außerdem scheinen auch hellenistische und neoterische Dichter an der Darstellung von Gewässern inter‐ essiert gewesen zu sein: Martial erwähnt in seinen Apophoreta zudem eine Schrift des von Plinius bewunderten Neoterikers Calvus (vgl. Epist. 1,16,5: qualis Catullus meus Becken der Satzrhythmus unter anderem durch Partizipien etwas verlangsamt (2: excipitur cenatiuncula manu facta; ibi paulum retentus), um dann wieder schneller zu werden, wenn das kühle Nass sich schließlich in den See ergießt (2: in Larium lacum decidit). Das dreifache Ansteigen und Absinken des Wassers wird im Brief durch die dreifache Beschreibung dieses Phänomens imitiert (2‒4): ter in die statis auctibus ac diminutionibus crescit decrescitque…interim ille certis dimensisque momentis vel subtrahitur vel adsurgit. anulum seu quid aliud ponis in sicco, adluitur sensim ac novissime operitur, detegitur rursus paulatimque deseritur. Visuelle Elemente bekräftigen den Eindruck der Autopsie (3: cernitur…depren‐ ditur), in die auch der Adressat einbezogen ist (4: si diutius observes, utrumque iterum ac tertio videas). 12 Von der intermittierenden Quelle am Comer See berichtet auch der ältere Plinius, wobei seine Beschreibung weitaus weniger ausgefeilt ist als diejenige seines Neffen (Nat. 2,232): in Comensi iuxta Larium lacum fons largus horis singulis semper intumescit et residit. 13 Während der ältere Plinius den fons bei Comum nur kurz im Rahmen eines Quellenkatalogs erwähnt, zeichnet sich die Darstellung des jüngeren Plinius, der mit keinem Wort auf die Naturalis Historia verweist, durch größere Freude am Detail und mehr Anschaulichkeit aus. Warum aber verschweigt uns der Epistolograph, dass sich bereits sein Onkel mit der Quelle befasst hat, und suggeriert dem Leser, dass es sich hier um seine eigene Entdeckung handelt, von der er seinem hochgebildeten Adressaten (1: altissima ista eruditione) erzählt? Ist Licinius Sura gebildet genug, um sich an die Passage beim älteren Plinius erinnern zu können? 14 Weniger als um Ignoranz der Naturalis Historia dürfte es sich um eine Form literarischer aemulatio handeln, durch die sich der jüngere Plinius hier in die Tradition der Wissenschafts- und Mirabilienliteratur einreiht. Das literarische Selbstbewußtsein des Epistolographen dürfte sich auch in der Positionierung des Briefes innerhalb des Buches ausdrücken: Nach der Würdigung des Onkels in Epist. 3,5 wird in Epist. 4,30 nun ein Teil seines literarischen Hauptwerks, der in der Aufzählung wundersamer Quellen und Flüsse besteht, aufgegriffen und ausgefeilt. 15 Zudem scheint auch die Zahl drei, 308 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene aut Calvus), die den Titel De aquae frigidae usu trägt und die Namen von Quellen und Gewässern behandelt (14,196), in den Augen Martials jedoch besser „in ihren eigenen Gewässern schwimmen sollte“ (2: ipsa suas melius charta natabat aquas); auch von Kallimachos sind Flussbeschreibungen bezeugt; vgl. Leary (1996), 262; Neger (2012), 47‒8. 16 S. Kap. II.3.2. 17 Zur kallimacheischen Wassermetaphorik vgl. Asper (1997), 109‒34. 18 Plinius folgt hier offenbar den Ausführungen seines Onkels über den Weltatem in Nat. 2,102ff.; vgl. Sen. Nat. 6,16‒7; Sherwin-White (1966), 310‒1. 19 Vgl. Sherwin-White (1966), 311: „Here and in s. 10 Pliny applies a superficial knowledge of aquaeducts to the question. He may have witnessed the checking of the water-supply at the central points, when the gaugings, mensurae, were taken“ mit Verweis auf Frontin. Aqu. 66ff. die bei der Schilderung des Quellenphänomens eine wichtige Rolle spielt (2: ter in die; 4: iterum ac tertio), sich in der Buchkomposition wiederzufinden: Der betreffende Brief ist Nummer 30 in Buch 4, das vierte Buch ist zugleich der Anfang der zweiten Triade des an verschiedene Adressaten gerichteten Briefkorpus. Auch das Quellenmotiv selbst lässt sich möglicherweise poetolo‐ gisch interpretieren, zumal Plinius in Buch 4 ja zum ersten Mal von seinen Gedichten in der Tradition Catulls spricht (Epist. 4,14) und auch andere Dichter, die in der kallimacheisch-neoterischen Tradition stehen, ausgiebig lobt (Epist. 4,3; 4,27). 16 Bei Kallimachos symbolisiert die reine Quelle, die dem schlammigen Fluss gegenübergestellt wird, hellenistische Dichtungs-Ideale in Kontrast zur epischen und tragischen Dichtung. 17 Vielleicht deutet auch Plinius mit seiner Quellen-Ekphrasis am Ende des vierten Buches an, dass er sich nicht nur als Dichter, sondern auch als Verfasser von Prosabriefen hellenistischen Idealen verpflichtet fühlt. Nach der Schilderung dieses locus amoenus und seiner Besonderheit (2‒4) wird der zweite Teil des Briefes 4,30 von fünf Fragen dominiert, durch die Plinius eine Erklärung für das Phänomen sucht und die er zum Teil mit analogen Naturphänomenen kombiniert. Ist ein verborgener Lufstrom dafür verantwortlich, vergleichbar mit Flaschen, die man schräg nach unten hält und aus denen das Wasser nur etappenweise ausströmt (5‒6)? 18 Oder sind hier Gezeiten am Werk wie bei einem Ozean (7)? Oder hindert etwas anderes die Quelle am Austreten, wie bei Flüssen, die ins Meer fließen und durch Gegenwind und Strömungen gehemmt werden (8)? Oder liegt es am Volumen (mensura) der verborgenen Wasseradern, dass beim Sammeln des Wassers der Bach kleiner ist und er sich im Anschluss daran stärker ergießt (9)? 19 Oder gibt es irgendeine verborgene Wasserwaage (libramentum), die, wenn sie leer ist, die Quelle hervortreibt, und sie zurückhält, wenn sie voll ist (10)? Plinius will es seinem Adressaten überlassen, die Ursachen für das miraculum zu erforschen (11: 309 4.1 Die Quelle am Lacus Larius (Epist. 4,30) 20 Bardon (1952‒56), II, 179‒80 und 183 vermutet, dass Licinius Sura ein Werk über mirabilia verfasste. 21 Vgl. Gibson/ Morello (2012), 296 und 306; Beck (2013a), 1‒2 mit Literaturhinweisen; Keeline (2018a). 22 Dass es sich um die Historiae handelt, legen der Hinweis auf die Gattung historia (6,16,21 und 6,20,20) und der Wunsch des Plinius in Epist. 7,33,1 nahe, selbst einen Platz in den immortales historiae des Tacitus zu finden; Sherwin-White (1966), 371 datiert Buch 6 auf 106/ 07 n. Chr.; zur Entstehung der Historien vgl. Schmal (2005), 19‒21 und 50‒61. scrutare tu causas), während er selbst sich angeblich mit dessen ausführlicher Beschreibung begnügen will (11: mihi abunde est, si satis expressi, quod efficitur). Ob die Untersuchung des Licinius Sura in schriftlicher Form erfolgen soll, 20 wird aus dem Brief nicht deutlich; es fällt jedenfalls auf, dass Epist. 4,30 mit anderen Briefen über Naturphänomene wie Epist. 6,16 und 9,33 gemeinsam hat, dass Plinius vorgibt, seinem Adressaten lediglich das Rohmaterial für eine breitere literarische Ausgestaltung zu liefern - in Epist. 4,30 könnte es sich um eine wissenschaftliche Analyse handeln. Da Plinius hier aber durch seinen Fragenkatalog in der zweiten Hälfte des Briefes - ungeachtet der Sura zugewiesenen Expertenrolle - seine eigene Bildung auf diesem Gebiet schon in Szene gesetzt hat, liefert er bereits selbst einen Erklärungsversuch für die Erscheinung und betreibt Wissenschaft in epistulis. 4.2 Die Vesuv-Briefe (Epist. 6,16 und 6,20) Neben den Christen-Briefen in Buch 10 gehört das Briefpaar über den Vesuv-Ausbruch im Jahr 79 n. Chr. sicherlich zu den sowohl in Schule als auch Forschung am meisten gelesenen und analysierten Episteln. 21 Interpretiert man die Naturbeschreibungen des Plinius als Zyklus, dann fällt auf, dass nach dem locus amoenus in Epist. 4,30 nun die destruktive Kraft der Natur im Zentrum steht und die Ekphrasis in einen narrativen Kontext eingebettet ist, der durch die handelnden Figuren in Epist. 6,16 und 6,20 an Dramatik gewinnt. Wurde Epist. 4,30 als Geschenk für den an naturwissenschaftlichen Fragen interessierten Licinius Sura präsentiert, ist der Brief 6,16, so erfahren wir, auf Bitten des Tacitus entstanden, der gerade Material für seine Historien sammelte. 22 Der einleitende Satz petis, ut tibi avunculi mei exitum scribam, quo verius tradere posteris possis (1) paraphrasiert die Worte des Tacitus, mit denen dieser - so sollen wir zumindest glauben - in seinem dem Brief vorausgehenden Schreiben seine Bitte formuliert hat. Wäre Epist. 6,16 nur für die Lektüre durch Tacitus bestimmt, könnte Plinius auf die Wiederholung dieser Worte verzichten, doch für den allgemeinen Leser ist die Information wichtig, dass Plinius vom Historiker um eine Darstellung 310 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 23 Epist. 1,6; 1,20; 2,1; 2,11; 4,13; 4,15; 6,9; vgl. Eisner (2014). 24 Berry (2008), 299 weist darauf hin, dass Plinius seinen Onkel dadurch mit Tacitus’ berühmten Schwiegervater Cn. Iulius Agricola parallelisiert, gibt jedoch auch zu bedenken, dass die Junktur posteris tradere „a common phrase“ sei; vgl. etwa die Rede Othos in Tac. Hist. 1,84,4 (sic posteris tradamus). 25 Vgl. Woodman/ Kraus (2014), 67‒8. 26 Als Verfasser von exitus-Literatur nennt Plinius in Epist. 5,5 C. Fannius (3: scribebat…ex‐ itus occisorum aut relegatorum a Nerone), von dessen Lebensende er in diesem Brief ebenfalls berichtet, sowie Titinius Capito in Epist. 8,12,4 (scribit exitus inlustrium virorum, in his quorundam mihi carissimorum); weitere Todesdarstellungen beinhalten Epist. 3,14 (Larcius Marcedo) und 4,11 (Vestalin Cornelia) sowie die das Thema Selbst‐ mord behandelnden Briefe 1,12 (Corellius Rufus), 1,22 (Titius Aristo), 3,7 (Silius Italicus), 3,16 (die ältere Arria) und 6,24 (ein anonymes Ehepaar); in den Annalen des Tacitus sind exitus-Narrationen besonders häufig, zu den berühmtesten zählen diejenigen über Seneca (Ann. 15,60‒65), Petron (Ann. 16,18‒19), Messalina (Ann. 11, 37‒38), Agrippina (Ann. 14,5‒8), Octavia (Ann. 14,63‒64) sowie Otho (Hist. 2,46‒49); vgl. Marx (1937); Sallmann (1979), 215‒6; Ash (2003), 223; Fögen (2015). 27 Auch der erste Teil des biographischen bzw. bibliographischen Brief-Diptychons soll auf Bitten des Adressaten, in diesem Fall des Baebius Macer, enstanden sein, der um eine vollständige Liste der Werke des älteren Plinius gebeten hat (3,5,1); Lefèvre (1989), 115 sieht die Aussparung des Todes bzw. den nur kurzen Hinweis darauf in Epist. 3,5 (7: des Todes seines Onkels gebeten wurde. Berry (2008: 299) argumentiert, dass Tacitus seinen Zeitgenossen zu diesem Zeitpunkt insbesondere als Redner und noch nicht als großer Geschichtsschreiber bekannt war, und dass es sich daher bei den Vesuv-Briefen um „letters from one famous advocate to another“ handle; dies ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen, doch der Tacitus, den Plinius als Adressaten von Epist. 6,16 und 6,20 präsentiert, ist eindeutig als Historiker charakterisiert. In dieser Rolle erscheint Tacitus hier überdies zum ersten Mal in der Briefsammlung, während er in den vorausgehenden Briefen, die an ihn gerichtet sind oder ihn erwähnen, in erster Linie als Redner und Advokat auftritt. 23 Man hat in dem einleitenden Satz der Epist. 6,16 verbale Bezüge zum Anfang des taciteischen Agricola erkannt, der mit den Worten clarorum virorum facta moresque posteris tradere (Agr. 1,1) eröffnet wird. Falls es sich hier um eine bewusste Anspielung handelt, 24 wiederholt Plinius nicht nur die Worte aus dem Brief des Tacitus, sondern ahmt gleichzeitig dessen Sprache im Proömiem zur Agricola-Biographie nach. Stehen bei Tacitus die facta moresque eines vir clarus im Zentrum, 25 gibt Plinius im ersten Satz ein Signal, dass sich der Brief der Gattung der exitus-Literatur annähert und einen Ausflug in das Gebiet der Historiographie unternimmt. 26 Die scripta und mores seines Onkels hatte Plinius bereits in Brief 3,5 geschildert, der zusammen mit Epist. 6,16 eine epistolare Biographie des älteren Plinius liefert. 27 311 4.2 Die Vesuv-Briefe (Epist. 6,16 und 6,20) decessisse anno sexto et quinquagensimo) als Indiz dafür, dass Plinius bei der Komposition des Briefes 3,5 bereits eine eigene Darstellung über den Tod des Onkels geplant hatte. 28 Z.B. Etienne (1974), 34‒5; Sigurdsson/ Carey (2002); Scarth (2009), 44 warnt zwar davor, antike literarische Darstellungen von Vulkanausbrüchen als Quellen heranzuziehen, scheint Plinius jedoch als glaubwürdig zu betrachten: „As evidence of environmental events - as opposed to works of literature - accounts of eruptions in antiquity are too brief and too fanciful to be at all reliable. Some of them are poetic, most are entangled with tales of gods and mythical beasts, and many are crazy. But Pliny the Younger’s two letters about the eruption in AD 79 are of an entirely different calibre. His vivid descriptions shine out like beacons of clarity among all the accounts of eruptions.“ 29 Gokel (1920) stuft Epist. 6,16 als fingierten Brief ein; vgl. Haywood (1952); Copony (1987); Eco (1990); Winkler (1998); Riemer (2005); Beck (2013a); zu Literarisierung und intertextuellen Anspielungen vgl. Lillge (1918); Traub (1955), 229‒31; Gigante (1979); Görler (1979); Sallmann (1979); Marchesi (2008), 171‒89; Luisi (2010); Gibson/ Morello (2012), 108‒15; Schwerdtner (2015), 147‒61; Lorenz (2018); Holzberg (2019). 30 Siehe auch Beck (2013a). 31 Sallmann (1979), 209. 32 Das Proömiem zu den Historien deutet zumindest daraufhin, dass der Vesuvausbruch Gegenstand der Darstellung war (1,2): haustae aut obrutae urbes, fecundissima Campaniae ora; Heubner (1963‒82), I, ad loc. Wichtig ist auch der den Brief 6,16 eröffnende Hinweis, dass Tacitus selbst gesagt habe, mithilfe des Plinius-Berichts seiner eigenen Darstellung einen höheren Wahrheitsgehalt verleihen zu können (verius tradere). Gerade über den Wahrheitsgehalt der Vesuv-Briefe wird in der Plinius-Forschung intensiv diskutiert: Während insbesondere Gelehrte, die keinen philologischen Ansatz verfolgen, die Plinius-Briefe als Belege für den Ablauf des Vesuv-Ausbruchs im Jahre 79 n. Chr. heranziehen und sich kaum mit der narrativen Struktur der betreffenden Episteln auseinandersetzen, 28 hat man von philologischer Seite mehrmals auf intertextuelle Bezüge sowie logische Brüche in der Erzählung aufmerksam gemacht und sogar vermutet, dass zumindest einige Elemente der Darstellung fingiert seien. 29 So argumentierte niemand geringerer als Umberto Eco (1990), dass Plinius durch seine Narration darüber hinwegtäuschen wollte, dass sich sein Onkel als Flottenkommandant während des Vulkanausbruchs doch nicht so heldenhaft verhielt, wie der Leser glauben sollte. 30 Keeline (2018a) hingegen vertritt die These, dass das Porträt des jüngeren Plinius von seinem Onkel keineswegs auf dessen Heroisierung abziele, sondern höchst ambivalent sei und das Versagen des älteren Plinius als Kommandant während der Kata‐ strophe aufzeige. Auch die Frage, wie ausführlich Tacitus den Tod des älteren Plinius überhaupt behandelt hätte, wurde aufgeworfen, da der Historiker in den erhaltenen Werken hauptsächlich auf politisch relevante Todesfälle genauer eingeht. 31 Da uns die betreffenden Bücher der Historien nicht erhalten sind, lässt sich hierüber freilich nur spekulieren. 32 Anstelle einer Narration bei Tacitus ist 312 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 33 Der Text wurde neu ediert von Reeve (2011), der auch die Frage nach der Autorschaft Suetons diskutiert; sowohl Roth (1858) als auch Reifferscheid (1860) gehen von Sueton als Autor aus. 34 Der ältere Plinius schildert in Buch 3 der Historia Naturalis die liebliche Landschaft Kampaniens (60: hinc felix illa Campania) und erwähnt auch die Gegend um den Vesuv, dessen Gefährlichkeit ihm offenbar nicht bewusst war (62: litore autem Neapolis…Her‐ culaneum, Pompeii, haud procul spectato monte Vesuvio); vgl. Scarth (2009), 40‒1; die antiken Quellen über den Vesuv-Ausbruch sind gesammelt bei Herrlich (1904); Plinius’ Worte ut populi ut urbes memorabili casu…occiderit (Epist. 6,16,2) erinnern an Ovids Beschreibung der Auswirkungen des von Phaethon verursachten Weltenbrandes (Met. 2,214‒6): magnae pereunt cum moenibus urbes, / cumque suis totas populis incendia gentes / in cinerem vertunt; Bömer (1969‒86), ad loc. 35 Vgl. 3,21,6: quid homini potest dari maius quam gloria et laus et aeternitas? ; 5,8,1: quia mihi pulchrum in primis videtur non pati occidere, quibus aeternitas debeatur, aliorumque famam cum sua extendere; 9,3,1: Ac mihi nisi praemium aeternitatis ante oculos; Lefèvre (2009), 285‒9. uns immerhin eine Vita Plinii überliefert, die Sueton zugeschrieben wird und über den Tod des älteren Plinius Folgendes berichtet: 33 Periit clade Campaniae; nam cum Misenensi classi praeesset et flagrante Vesuvio ad explorandas propius causas liburnica pertendisset nec adversantibus ventis remeare posset, vi pulveris ac favillae oppressus est vel, ut quidam existimant, a servo suo occisus, quem deficiens aestu ut necem sibi maturaret, oraverat. Die Sueton zugeschriebene Version weicht in mehreren Details von derjenigen des Plinius ab, wie später im Laufe der Analyse noch deutlicher gezeigt werden soll. Doch kehren wir zunächst zur Narration bei Tacitus zurück, wie sie uns Plinius in Aussicht stellt: Dem Epistolographen zufolge werde dem Tod seines Onkels unsterblicher Ruhm (1: immortalem gloriam) zuteil, sollte Tacitus ihn verherrlichen (1: si celebretur a te). Obwohl der Onkel zusammen mit Völkern und Städten bei der Zerstörung einer der schönsten Landschaften in einem denkwürdigen Vorfall (2: memorabili casu) 34 umgekommen sei und schon deshalb gleichsam ewig weiterlebe (2: quasi semper victurus), und obwohl er selbst sehr viele unsterbliche Werke (2: plurima opera et mansura) verfasst habe, werde die Unvergänglichkeit der taciteischen Schriften (2: scriptorum tuorum aeternitas) viel zur Unsterblichkeit des älteren Plinius (2: perpetuitati eius) beitragen. Die Häufung von Vokabeln, die das Fortleben im Gedächtnis der Menschen ausdrücken, ist in der Einleitung des Briefes nicht zu übersehen. Zudem parallelisiert der jüngere Plinius die literarischen Werke des Tacitus und seines Onkels insofern, als man sie auch in der Nachwelt noch lesen werde (opera mansura bzw. scriptorum…aeternitas). Derartigen literarischen Nachruhm strebt auch der jüngere Plinius an 35 - wenngleich er das hier nicht explizit ausdrückt -, 313 4.2 Die Vesuv-Briefe (Epist. 6,16 und 6,20) 36 Plinius scheint hier auf Sallusts Catilina-Proömium anzuspielen (3,1‒2): et qui fecere et qui facta aliorum scripsere, multi laudantur. ac mihi quidem, tametsi haudquaquam par gloria sequitur scriptorem et auctorem rerum, tamen in primis arduom videtur res gestas scribere; Schönberger (1990), 533; Lefèvre (1996a), 195‒6. 37 Zur Identität dieses Maximus vgl. Sherwin-White (1966), 401. 38 S. Kap. II.2.3. 39 Vgl. auch Epist. 7,5. 40 Verger (1997/ 98); Carlon (2009), 165‒71; Hindermann (2010); Baeza-Angulo (2015) und (2017); Häger (2019), 311‒421. und das Briefpaar 6,16 und 6,20 beansprucht wohl ebenfalls eine entsprechende Wirkung, wie die noch näher zu betrachtende literarische Fabrikatur der beiden Texte nahelegt. Das exordium zu Brief 6,16 endet mit der Überlegung des Epistolographen, dass diejenigen für glücklich zu halten seien, denen durch göttliche Hilfe ermöglicht wurde aut facere scribenda aut scribere legenda (3); zu den beatissimi, auf die beides zutrifft, gehöre der Onkel sowohl durch seine eigenen Bücher als auch die des Tacitus (3: et suis libris et tuis). 36 Abschließend betont Plinius noch einmal die Rolle des Tacitus bei der Entstehung des Briefes (3: quo libentius suscipio, deposco etiam, quod iniungis). Vor der Analyse des narrativen Abschnittes, in dem Plinius vom Schicksal des Onkels während des Vulkanausbruchs berichtet (4‒20), sei noch die Position der Epist. 6,16 innerhalb des Buches betrachtet: Die beiden Vesuv-Briefe sind die längsten Briefe im sechsten Buch, bei dem überdies auffällt, dass es von der Todesthematik gerahmt wird; in Epist. 6,2 erfahren wir vom Tod des Regulus, den Plinius - ganz im Gegensatz zum bisherigen Duktus der Briefe über seinen Kontrahenten - nun plötzlich vor Gericht zu vermissen vorgibt (1: soleo non numquam in iudiciis quaerere M. Regulum), und ein Brief an Maximus, der anlässlich des Todes seiner Frau ein Gladiatorenspiel in Verona veranstaltet hat (6,34), 37 schließt das Buch ab. In 6,10 beklagt Plinius das unvollendete Grabmal des Verginius Rufus, 38 und zehn Briefe vom Buchschluss entfernt erzählt er vom Selbstmord eines anonymen Ehepaars am Comer See (6,24) sowie vom mysteriösen Verschwinden eines gewissen Robustus und Metilius Crispus (6,25). Somit bildet Epist. 6,16 über den älteren Plinius die Mitte dieser exitus-Briefe. Auch die Landschaft Kampaniens, in der die Handlung der Epist. 6,16 und 6,20 spielt, ist in Buch 6 noch häufiger vertreten: In Epist. 6,4 und 6,7 tauchen wir ein in die Korrespondenz des Plinius mit seiner Gattin Calpurnia, die sich aus gesundheitlichen Gründen in Kampanien aufhält und um deren Wohlergehen sich Plinius Sorgen macht. 39 Man hat bereits erkannt, dass der Zyklus der an Calpurnia gerichteten Briefe die Konventionen der Liebeselegie in einen epistolaren Rahmen überträgt, 40 wodurch das hier gezeichnete Kampanien 314 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 41 Epist. 6,4,2: ecquid denique secessus voluptates regionisque abundantiam inoffensa trans‐ mitteres; in der elegischen und epigrammatischen Poesie wird mehrmals die Untreue, zu der ein Aufenthalt in Kampanien und insbesondere Baiae puellae und matronae verleitet, thematisiert: Prop. 1,11; Ov. Ars. 1,255ff.; 2,355ff.; Mart. 1,62. 42 Sherwin-White (1966), 387‒8 identifiziert den Adressaten mit dem Pontius Allifanus der Epist. 5,14 (9: Campania tua) und 7,4 und geht davon aus, dass Plinius nach Kampanien gereist ist, um seine Frau zu besuchen: „Pliny evidently joined his wife for a brief period…“ (388). 43 Zu Epist. 6,15 vgl. Laughton (1971); Yardley (1972); Hiltbrunner (1979); Schröder (2001); Beck (2013b). 44 Zu Voconius Romanus s. S. 111-2. 45 Sein Name (C. Passenus Paullus Propertius Blaesus) ist auch inschriftlich bezeugt (ILS 2925); Sherwin-White (1966), 370. 46 Vgl. Mart. 2,6,1 und 6: i nunc, edere me iube libellos; 4,17,1: facere in Lyciscam, Paule, me iubes versus; 11,42,3: mella iubes Hyblaea tibi vel Hymettia nasci. 47 Ein angesehener Jurist, der eine Responsen- und Quästionensammlung mit dem Titel Epistulae in 14 Büchern verfasste; vgl. Sherwin-White (1966), 370; Trisoglio (1973), I, 618 Anm. 174; Eckardt (1978). 48 Sueton Claud. 41,1 berichtet von einem ähnlichen Vorfall, wo Claudius beim Vortrag seiner eigenen Historie in Gelächter ausbrach, als eine Zuschauerbank aufgrund der Fettleibigkeit eines der Anwesenden zusammenbrach. - Plinius verweist etwa auf die Gefahren des dortigen Luxuslebens 41 - in deutlichem Kontrast steht zu jenem der Briefe 6,16 und 6,20, die eher der epischen Tradition verpflichtet sind, wie noch zu zeigen ist. Eine erfreuliche Seite Kampaniens bringt schließlich Epist. 6,28 zum Vorschein, wo sich Plinius der großzügigen Gastfreundschaft auf dem Landgut des Pontius erfreut. 42 Somit rahmt eine Gruppe von Briefen über Kampanien als Ort der Regeneration und des otium die Vesuv-Briefe, wo die Landschaft der Schauplatz einer Katastrophe ist. Schließlich seien noch die Epist. 6,16 umgebenden Briefe 6,15 und 6,17 betrachtet, die beide das Thema der Rezitation bzw. des literarischen Austauschs variieren: Im ersten der beiden Texte 43 erzählt Plinius von einer mirifica res (1), bei der weder er selbst noch sein Adressat Romanus 44 anwesend war, von der er aber unmittelbar nach dem Vorfall gehört hat (1: me recens fabula excepit). Es handelt sich um eine Rezitation des Elegikers Passenus Paulus, 45 eines Landsmannes und Nachfahren des Properz (1: est enim municeps Properti atque etiam inter maiores suos Propertium numerat), der seinen Vortrag mit den Worten Prisce, iubes (2) eröffnet habe. 46 Daraufhin antwortete sein bei der Rezitation anwesender Freund Iavolenus Priscus, 47 an den das Gedicht offenbar gerichtet war, ego vero non iubeo (2), wodurch er bei den restlichen Zuhörern großes Gelächter auslöste. 48 Plinius jedoch findet das überhaupt nicht amüsant, sondern stellt den geistigen Zustand des Priscus infrage (3: est omnino Priscus dubiae sanitatis) und bezeichnet sein Verhalten als lächerlich (3: ridiculum). Der 315 4.2 Die Vesuv-Briefe (Epist. 6,16 und 6,20) 49 Vgl. Gibson/ Morello (2012), 67. 50 Eco (1990), 128: „The Tacitus we are interested in, however, is not the “real” Tacitus; it is the planned addressee of Pliny’s letter, that is, what I have elsewhere called the Model Reader of a text“. 51 Eine Rekonstruktion des Ablaufs der Eruption aus vulkanologischer Sicht unter Einbeziehung der Plinius-Briefe bieten Sigurdsson/ Carey (2002); vgl. Sigurdsson/ Cash‐ dollar/ Sparks (1982); Sigurdsson/ Carey/ Cornell/ Pescatore (1985); Maturano/ Varone (2005). Brief 6,15 bildet insofern ein Gegenstück zu Epist. 6,16, als er ebenfalls von einer mirifica res (1) berichtet, die dem miraculum in 6,16,5 entspricht; außerdem gibt Plinius vor, den Vorfall kurz nachdem er sich zugetragen hat, zu schildern (1: recens fabula), was an die Aussage am Ende des Vesuvbriefes erinnert, wo Plinius behauptet, alles so erzählt zu haben, wie er es selbst erlebt bzw. kurz nach dem Ereignis gehört hat (6,16,22: omnia me, quibus interfueram, quaeque statim, cum maxime vera memorantur, audieram, persecutum); schließlich han‐ delt Epist. 6,15 ebenfalls von einem literarischen Auftrag (2: Prisce iubes - vgl. 6,16,1 petis, ut). Außerdem steht die mißlungene Interaktion zwischen Passenus Paulus und Iavolenus Priscus in Kontrast zum positiven Bild, das Plinius von seiner literarischen Freundschaft mit Tacitus zeichnet. 49 Auch der Brief 6,17 behandelt das unangemessene Verhalten der Zuhörer bei einer Rezitation; diesmal ist es nicht eine unpassende Bemerkung, die Lachen erregt, sondern die Teilnahmslosigkeit und Arroganz der Anwesenden, von der sich Plinius selbst nachdrücklich distanziert (6,17,5): equidem omnes, qui aliquid in studiis faciunt, venerari etiam mirarique soleo. Die Briefe 6,15‒17 behandeln verschiedene Arten von Mirabilien, wie aus der verbalen concatenatio durch Begriffe, die Wunder bzw. Bewundern ausdrüchen, hervorgeht (6,15,1: mirificae rei; 6,16,5: miraculum illud; 6,17,5: mirarique). Dass Plinius begabte Literaten bewundert und verehrt, wie er in 6,17,5 verkündet, wird nicht zuletzt in der Einleitungspassage des Briefes 6,16 deutlich. Auch Tacitus, der Plinius zuerst um die Schilderung des exitus avunculi bittet und dann noch nach einer weiteren Beschreibung des persönlichen Schicksals von Plinius und seiner Mutter verlangt (6,20,1), steht in Kontrast zu den desinteressierten amici, die Plinius in Epist. 6,17 kritisiert. Abgesehen von seiner Rolle als Adressat mehrerer Briefe dürfte Tacitus somit wohl auch als ein Modell-Leser im Sinne Ecos (1990) fungieren. 50 Im Folgenden soll nun die Narration über den Vesuvausbruch 51 und Tod des Onkels in Epist. 6,16,4‒20 näher analysiert werden. Es sei schon vorweg darauf hingewiesen, dass die Erzählung des Plinius einige logische Brüche enthält, die mit dem tatsächlichen Verlauf der Ereignisse - soweit man ihn denn mit naturwissenschaftlichen und archäologischen Methoden rekonstruieren 316 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 52 Eine Diskussion dieser Widersprüche liefern u. a. Copony (1987); Riemer (2005), 103: „Doch einer Überprüfung der Fakten hält seine rhetorisch meisterhafte Konstruktion genauso wenig Stand wie der Kern mancher Cicero-Rede“; Beck (2013a). 53 Sigurdsson/ Carey (2002), 41: „The veracity of Pliny’s report is supported by the fact that it can be reconciled to a high degree with the geologic evidence in the volcanic deposits“. 54 Lillge (1918) liest den Brief sogar als Drama in fünf Akten. 55 Zur classis Misenensis vgl. Sherwin-White (1966), 371, der auf den lockeren Gebrauch des Begriffs imperium durch Plinius hinweist: „Pliny uses the term loosely here. The prefect had not the powers of an imperial legate.“ 56 Das Jahr 79 n. Chr. ist u. a. aus Cass. Dio 66,21 bekannt; das Datum des 24. August wurde mehrfach angezweifelt, zuletzt von Stefani (2011), die an eine Verschreibung von Septembres statt Novembres denkt; der kürzliche Fund einer Kohle-Inschrift in Pompeij scheint die These vom Ausbruch im Oktober 79 zu besträrken (zu diesem Fund siehe etwa den FAZ-Artikel vom 17.10.2018: https: / / www.faz.net/ aktuell/ feuilleton/ kunst/ pompeji-wann-brach-der-vulkan-vesuv-tatsaechlich-aus-15842539.html). Buch 6 wird von Sherwin-White (1966), 371‒2 auf etwa 106/ 07 n. Chr. datiert, was natürlich nicht bedeuten muss, dass Epist. 6,16 nicht schon früher entstanden sein kann. 57 Sie wird hier nur als mater mea bezeichnet und auch im restlichen Briefkorpus niemals namentlich genannt; Carlon (2009), 107‒8. kann - schwer in Einklang zu bringen sind. 52 Was jedoch die Beschreibung des Naturphänomens an sich betrifft, wird Plinius von Vulkanologen, die den Vesuv-Ausbruch zu rekonstruieren versucht haben, als glaubwürdig einge‐ stuft. 53 Die Handlung spielt an vier Schauplätzen, beginnend in Misenum, wo der ältere Plinius sein Quartier als Kommandant der kaiserlichen Flotte hat (4‒8). Es folgt eine Episode auf dem Meer im Golf von Neapel (9‒11), an die sich der Aufenthalt des älteren Plinius in der Villa eines gewissen Pomponianus in Stabiae anschließt (12‒16); die Narration endet mit einer Szene am Strand von Stabiae, wo der ältere Plinius schließlich den Tod findet (17‒20). 54 Am Anfang der Erzählung macht der Epistolograph ziemlich genaue An‐ gaben, was Zeit und Ort des Geschehens betrifft (4): Erat Miseni classemque imperio praesens regebat präsentiert sowohl den Schauplatz als auch die öffent‐ liche Stellung des Hauptprotagonisten, 55 während mit der Junktur nonum kal. Septembres hora fere septima das Datum festgelegt ist, an dem die Narration beginnt: der 24. August gegen 13 Uhr nachmittags, d. h. etwa 27 Jahre vor der Gegenwart des Briefes 6,16. 56 Die Handlung wird in Gang gebracht durch die Mutter des jüngeren Plinius, 57 die auf die ungewöhnliche Wolke hinweist, was hier im historischen Präsens zum Ausdruck kommt (4: indicat). Zu diesem Zeitpunkt verhält sich der ältere Plinius gerade so, wie wir ihn aus der Schilderung seines Tagesablaufes in Epist. 3,5 bereits kennen - das Imperfekt beschreibt sozusagen den Hintergrund zum Auftritt der Mutter: usus ille sole, mox frigida, gustaverat iacens studebatque (5; vgl. 3,5,11: post solem plerumque 317 4.2 Die Vesuv-Briefe (Epist. 6,16 und 6,20) 58 Vgl. Jones (2001), 36: „…impression that we are receiving trough the medium of the writer’s words the Elder’s own observations“. 59 Mit der Parenthese Vesuvium fuisse postea cognitum est (5) wird die Wahrnehmungs‐ ebene der handelnden Figur durchbrochen durch das retrospektive Mehrwissen des Erzählers Plinius; vgl. Eco (1990), 134. 60 Es handelt sich wohl um die mediterrane pinus pinea bzw. Steinkiefer; Sherwin-White (1966), 373; Trisoglio (1973), I, 622. 61 Sherwin-White (1966), 373: „…Pliny shows himself as a worthy pupil of his uncle. His speculation is as careful as his observation…“. frigida lavabatur; deinde gustabat dormiebatque minimum; mox…studebat). Die Meldung über die Wolke kann den älteren Plinius immerhin dazu veranlassen, seine tägliche Routine zu unterbrechen und das Naturphänomen näher zu betrachten (5: poscit soleas, ascendit locum ex quo maxime miraculum illud conspici poterat). Er sucht sich also einen geeigneten Platz, von dem aus sich das miraculum am besten beobachten lässt - auch hier verwendet der Erzähler wieder das historische Präsens. Wir erfahren nichts darüber, ob der Onkel alleine zum Aussichtspunkt aufbricht oder von seinem Neffen begleitet wird. Diese Information wäre für den Leser insofern hilfreich, als nun eine Ekphrasis der Wolke geboten wird (5‒6) und nicht ganz klar ist, aus wessen Perspektive diese Beschreibung erfolgt. Zwar könnte man sicherlich implizieren, dass der jüngere Plinius seinem Onkel gefolgt ist und als Augenzeuge später in seinem Brief vom Aussehen der nubes berichtet. Da er seine eigene Person an diesem Punkt der Erzählung jedoch ausblendet, gewinnt man eher den Eindruck, als würde die Wolke durch die Augen des älteren Plinius geschildert. 58 Für den Betrachter aus der Ferne, so heißt es, sei es ungewiss gewesen, aus welchem Berg sich die Wolke erhob, und erst im Nachhinein sei klar geworden, dass es sich um den Vesuv handelte (5). 59 Von Gestalt und Bewegung der nubes wird im Imperfekt berichtet (oriebatur…diffundebatur…vanescebat): Ihre Form habe derjenigen einer Pinie (5: pinus) entsprochen, die sich zuerst durch einen langen Stamm (6: longissimo velut trunco) in die Höhe erstreckt und dann ihre Äste seitwärts ausbreitet (6: quibusdam ramis diffundebatur). 60 Für dieses Phänomen liefert Plinius, der durch das Verb credo (6) wieder seine eigene Perspektive als Erzähler ins Spiel bringt, folgende Erklärung: Der frische Luftstrom (6: recenti spiritu), der die Wolke in die Höhe trieb, habe weiter oben nachgelassen (6: senescente eo), sodass die Wolke sich in die Breite (6: in latitudinem) verflüchtigte, was vielleicht auch an ihrem eigenen Gewicht lag (6: aut etiam pondere suo victa). Je nachdem, ob sie Erde oder Asche mit sich trug, war die Wolke weiß oder schmutzig bzw. fleckig (6). Die Schilderung des Aussehens der nubes zeichnet sich durch wissenschaftliche Exaktheit aus, 61 und während es auf der Ebene der Narration der ältere Plinius zu sein scheint, durch dessen Augen wir die Wolke sehen - auch nach der 318 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 62 Vgl. Jones (2001), 36: „Pliny here attributes to himself a scientific curiosity and descriptive power paralleling and mirroring the exemplum of his uncle“. 63 Vgl. Lefèvre (1996a), 197: „Insofern des älteren Plinius’ Naturalis historia im weiteren Sinn der Mirabilien-Literatur zugerechnet werden kann, wird an dieser Stelle sein besonderes Interesse herausgestellt und damit…gewürdigt“. 64 Als jemand, der sich den Studien widmet (7: studere) entspricht der jüngere Plinius seinem Onkel (5: studebatque); der Hinweis et forte ipse quod scriberem dederat (7) lässt sich auch selbstreflexiv - gleichsam als mise en abyme - auf das Verfassen der Epist. 6,16 beziehen, für die der Onkel ja den Stoff liefert; für diesen Hinweis danke ich Dorothea Weber. 65 Sherwin-White (1966), 373 vermutet, der Ehemann Rectinas sei identisch mit dem später erwähnten Pomponianus; vgl. Syme (1968); Lefèvre (1996), 199‒200; Jones (2001), 38; Beck (2013a), 7 hingegen weist zu Recht auf den „bloß spekulativen Charakter solcher Vermutungen“ hin. Ekphrasis ist er wieder die zentrale Figur, wie aus dem Satz magnum propiusque noscendum ut eruditissimo viro visum (7) hervorgeht -, schaltet sich immer wieder der jüngere Plinius als allwissender Erzähler ein, der die Beobachtungen seines Onkels wissenschaftlich kommentiert (6: credo, quia…); die Überlagerung der beiden Perspektiven erfolgt hier wohl bewußt und lässt nicht nur den älteren Plinius, sondern auch seinen Neffen als Wissenschaftler erscheinen, 62 der durch die in Epist. 6,16 eingelegten Ekphraseis und die Bezeichnung des Vulkanausbruchs als miraculum seinen Brief nicht nur in die Tradition der Historiographie, sodern auch der Mirabilienliteratur stellt. 63 Der nächste Handlungsschritt des älteren Plinius erfolgt wieder im histori‐ schen Präsens und besteht in dem Befehl zum Bereitmachen einer Liburne (7: iubet liburnicam aptari). Auf die Einladung an den Neffen, ihn auf der Expedition zu begleiten (7: facit copiam), antwortet dieser, er wolle sich lieber weiter den Studien widmen (7: respondi studere me malle) - hier fällt der Wechsel vom Präsens ins Perfekt auf, ebenso wie der Zusatz im Plusquamperfekt et forte ipse quod scriberem dederat (7). 64 Von der Unmittelbarkeit des Geschehens wird die Aufmerksamkeit des Lesers wieder auf die retrospektive Sicht des Epistologra‐ phen gelenkt. Der Hinweis auf die „Hausaufgabe“, die der ältere Plinius seinem Neffen gegeben hatte, ist im Zusammenhang mit der Interpretation von Epist. 6,20 noch von Bedeutung. Mit dem Imperfekt egrediebatur domo (8) schildert der Erzähler dann den Moment, in dem der ältere Plinius gerade das Haus verlassen will, als ihm der Brief einer gewissen Rectina, der Frau eines Tascius, zugestellt wird (8: accipit codicillos Rectinae Tasci). 65 Den Inhalt dieses Schreibens paraphrasiert der Erzähler zunächst mit dem Hinweis, dass die Frau wegen der drohenden Gefahr in Panik gewesen sei (8: imminenti periculo exterritae), bevor er ihre Bitte um Hilfe in indirekter Rede zusammenfasst (8: ut se tanto discrimini eriperet orabat). Im Rahmen einer Parenthese liefert er uns zudem die für das 319 4.2 Die Vesuv-Briefe (Epist. 6,16 und 6,20) 66 Copony (1987), 219; Sallmann (1979), 211. 67 Copony (1987), 218‒20 argumentiert, dass der Bote per Schiff bei 20 km Luftlinie Distanz mindestens drei Stunden unterwegs gewesen wäre, also schon zwischen 8 und 9.30 Uhr hätte losfahren müssen; vgl. Sallmann (1979), 211; Riemer (2005); der einzige literarische Bericht über die frühe Phase des Vulkanausbruchs findet sich bei Cassius Dio (Xiphilinus) 66,21‒24; Scarth (2009), 58 weist daraufhin, dass Rectina aus Neapel schneller und einfacher hätte Hilfe anfordern können. 68 Sigurdsson/ Carey (2002), 47 vermuten, dass Rectinas Villa am Fuße des Vesuvs von kleineren vulkanischen Aktivitäten betroffen war, die schon am frühen Morgen des 24. August begonnen hatten und von Misenum aus noch nicht wahrnehmbar waren; sollten diese Vorzeichen des großen Ausbruchs Rectinas Hilfegesuch veranlasst haben, dann hätte der Bote noch auf dem Landweg nach Misenum gelangen können. 69 Berry (2008), 304 weist auf die ciceronische Klausel (doppelter Creticus) dieses Satzes hin. 70 S. S. 44-9. 71 Vgl. Neger (2018a), 130‒7. Folgende wichtige Information, dass Rectinas Villa am Fuße des Vulkans lag (8: subiacebat) und eine Flucht nur mehr über das Meer möglich war (8: nec ulla nisi navibus fuga). Man fragt sich nun, auf welchem Weg der Brief von Rectina - ihr Anwesen lag wohl in der Gegend zwischen Herculaneum und Pompeji 66 - nach Misenum gelangen konnte; offenbar musste er per Schiff überbracht werden, da es auf dem Landweg keine Möglichkeit mehr gab, doch warum hat Rectina angesichts der gefährlichen Lage dieses Boot dann nicht gleich selbst bestiegen und stattdessen nur einen Briefboten vorausgeschickt? Diesen logischen Bruch in der Erzählung haben bereits mehrere Forscher erkannt, 67 und es ist nicht einfach, die Darstellung mit der historischen Situation in Einklang zu bringen. 68 Es dürfte lohnender sein, die Funktion Rectinas bzw. ihres Briefes auf narrativer Ebene zu analysieren: Das Schreiben lässt sich als eine Art Requisit interpretieren, durch das der Handlungsverlauf eine neue Richtung nimmt, es dient also insbesondere der Dramaturgie. Wollte der ältere Plinius zuerst aus wissenschaftlicher Neugier mit einem Schnellsegler das Naturphänomen inspizieren, ändert er nun seinen Entschluss (9: vertit ille consilium) und zugleich auch seine Gesinnung, die sich an diesem Punkt von Wissbegier in Heldenmut verwandelt (9: et quod studioso animo incohaverat obit maximo). 69 Es wurde schon in anderem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass in Gattungen wie Histo‐ riographie und Drama Briefe häufig als die Handlung vorantreibende Elemente integriert werden, 70 und dieser Technik bedient sich auch der jüngere Plinius in Epist. 6,16. Vielleicht sollte Tacitus als Adressat bzw. gar Modell-Leser weniger dazu angehalten werden, aus dem Brief historische Fakten zu rekonstruieren, als vielmehr eine literarische Technik, derer er sich auch selbst mehrmals bediente, 71 bei seinem Zeitgenossen zu würdigen. 320 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 72 Die Größe dieser Flotte erwähnt der jüngere Plinius nicht; Copony (1987), 220 rechnet aus, dass ein Vierruderer maximal um die hundert Personen aufnehmen konnte, vorausgesetzt, es handelte sich dabei um trainierte Soldaten; im Falle von verängstigten Zivilisten müsse diese Zahl deutlich verringert werden. 73 Zum Golf von Neapel als Urlaubsdestination in der Antike vgl. D’Arms (1970). 74 Sigurdsson/ Carey (2002), 57 weisen darauf hin, dass bei archäologischen Ausgrabungen der Kammern, die am Ufer von Herculaneum wohl als Bootshäuser gedient haben dürften, keine Boote gefunden wurden: „Had they all been put out to sea by people fleeing the impending disaster? “ 75 Sallmann (1979), 209 vergleicht die Narration mit einem Stummfilm; bei Cassius Dio (Xiphilinus) 66,22,4 hingegen ist die Rede von einem gewaltigen Knall, der zu hören war: κἀκ τούτου κτύπος τε ἐξαίσιος ἐξαπιναίως ὡς καὶ τῶν ὀρῶν συμπιπτόντων ἐξηκούσθη; vgl. Riemer (2005), 101: „Konnte die lautstarke Explosion des Vesuvs unbemerkt bleiben? Plinius erwähnt sie nicht.“ Erst nach dem Erhalt von Rectinas Schreiben, so scheint es, wird sich der ältere Plinius in seiner Rolle als Flottenkommandant der Gefahr bewusst, der die Küstenbewohner in der Nähe des Vulkans ausgesetzt sind. Er verwirft seinen Plan, eine liburnica bereitmachen zu lassen, und lässt größere Vierruderer (9: quadriremes) vom Stapel laufen, 72 von denen er auch selbst einen besteigt - auch dieser Handlungsschritt, der die zweite Szene auf dem Meer eröffnet, ist im historischen Präsens gehalten (9: deducit…ascendit). Ziel ist es nun, so erfahren wir weiter, nicht nur Rectina, sondern vielen Menschen Hilfe zu bringen, die in zahlreicher Schar die liebliche Küstenregion besuchten (9: erat enim frequens amoenitas orae). 73 In der Sueton zugeschriebenen Vita Plinii wird eine derartige Rettungs-Mission durch Vierruderer mit keinem Wort erwähnt, es ist lediglich die Rede von der wissenschaftlichen Expedition mit der liburnica. Dem Brief 6,16 zufolge flüchteten aus der gefährdeten Region offenbar etliche Menschen mit Schiffen, 74 denn der Heldenmut des älteren Plinius wird mit den Worten properat illuc unde alii fugiunt (10) eindrücklich in einem antithetischen Chiasmus hervorgehoben. Der Kommandant lässt die Flotte geradewegs auf die Gefahrenquelle zusteuern und ist dabei selbst völlig frei von Angst (10: solutus metu), sodass er - seinen Prinzipien als Wissenschaftler treu bleibend - das Naturschauspiel beobachtet und Aufzeichnungen machen lässt (10: ut omnes illius mali motus omnes figuras ut deprenderat oculis dictaret enotaretque). Sowohl in der bisherigen Darstellung des Vulkanausbruchs als auch im Folgenden fällt auf, dass der Epistolograph nur die visuellen Aspekte, jedoch keinerlei akustische Phänomene beschreibt, die es im Zusammenhang mit einer Eruption und aufkommender Panik zweifellos gegeben haben muss. 75 Der später noch eingehender zu betrachtende Brief 6,20 hingegen bringt auch die Akustik der Katastrophe zum Ausdruck. 321 4.2 Die Vesuv-Briefe (Epist. 6,16 und 6,20) 76 Vgl. Sallmann (1979), 213: „Durch sein “Wegtreten” in § 7 bis hin zum Epilog gelingt es dem Erzähler, seinen Leser vergessen zu lassen, aus welcher Perspektive heraus berichtet wird…Der Leser aber hat unversehens den Eindruck, als werde er auf die gefährliche Seefahrt durch den Golf von Neapel mitgenommen und als erlebe er mit dem Chronisten alles selbst aus nächster Nähe“. 77 Zur Klimax in dieser Aufzählung vgl. Lefèvre (1996a), 198. 78 Nur der ältere Plinius ist in Epist. 6,16 akustisch präsent; vgl. Beck (2013a), 16; in Epist. 3,5 vernehmen wir den älteren Plinius sogar zweimal in direkter Rede; einmal im Zu‐ sammenhang mit der Unterbrechung des Vorlesers durch einen Freund (12: ‘Intellexeras nempe? ’ cum ille adnuisset, ‘Cur ergo revocabas? decem amplius versus tua interpellatione perdidimus’) und einmal mit einer Zurechtweisung des Neffen, weil er durch Spazieren Zeit für Studien vergeude (16: ‘poteras’, inquit, ‘has horas non perdere’); s. S. 73-5. 79 Otto (1890), 144; vgl. Ov. Ars 1,608; Fast. 2,782; Cic. Tusc. 2,4,11. 80 Zu dieser Parallele vgl. Bütler (1970), 81; Görler (1979), 431: „Kein antiker Leser konnte den Anklang an Caesars berühmten Ausspruch auf der stürmischen Adria überhören“; Lefèvre (1996a), 199; auch Terenz Phorm. 203 (fortes fortuna adiuvat), Ennius Ann. 233 Skutsch (fortibus est fortuna viris data) und Verg. Aen. 10,284 (audentis fortuna iuvat) sind als Parallelen zu nennen; vgl. Berry (2008), 305. Da der jüngere Plinius nach dem Aufbruch des Onkels in Misenum geblieben ist, kann er von den Ereignissen auf dem Meer sowie in Stabiae nicht als Augenzeuge berichten; stattdessen vernehmen wir die Stimme des Epistologra‐ phen als eines allwissenden Erzählers, der in großer Anschaulichkeit die mit der Eruption einhergehenden Widrigkeiten schildert. 76 Mit einer dreifachen iam-Anapher (11) stellt uns Plinius die immer größer werdende Gefahr plastisch vor Augen: Ascheregen, immer heißer und dichter, je mehr man sich dem Vesuv näherte; ein Regen aus Bimssteinen und anderem Gestein; plötzliche Untiefen und eine durch den Einsturz des Berges unerreichbare Küste (11: ruinaque montis litora obstantia). 77 Vom Blick auf die Katastrophe schwenkt die Perspektive auf die Sicht des älteren Plinius, der nun auf die Hindernisse reagieren muss: Nach einem kurzen Gedanken an Rückkehr (11: cunctatus paulum an retro flecteret), zu der auch der Steuermann - hier in der Funktion eines Warners - rät (11: mox gubernatori ut ita faceret monenti), vernehmen wir das einzige Mal in diesem Brief die Stimme des älteren Plinius in direkter Rede (11): Fortes…fortuna iuvat: Pomponianum pete. 78 Es handelt sich hier um ein Sprichwort, 79 doch die Szene erinnert auch an Caesars Schiffahrt in der Mündung des Flusses Aoos in die Adria im Jahr 48 v. Chr., wovon Plutarch erzählt (Caes. 38): Als sich Caesar unerkannt auf dem Schiff befindet, kommt es wegen eines ungünstigen Windes an der Flussmündung zu einem so starken Wellengang und entgegengesetzten Strömungen, dass der Steuermann nicht in die Adria einfahren kann und umkehren will. In diesem Moment gibt sich Caesar zu erkennen und sagt: ἴθι…γενναῖε, τόλμα καὶ δέδιθι μηδέν. Καίσαρα φέρεις καὶ τὴν Καίσαρος Τύχην συμπλέουσαν (Plut. Caes. 38,5). 80 Obwohl die Besatzung 322 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 81 Vgl. Plut. Caes. 38,2‒3: τοῦ δὲ Ἀώου ποταμοῦ τὴν ναῦν ὑποφέροντος εἰς τὴν θάλασσαν, τὴν μὲν ἑωθινὴν αὔραν, ἣ παρεῖχε τηνικαῦτα περὶ τὰς ἐκβολὰς γαλήνην ἀπωθοῦσα πόρρω τὸ κῦμα, πολὺς πνεύσας πελάγιος διὰ νυκτὸς ἀπέσβεσε· πρὸς δὲ τὴν πλημμύραν τῆς θαλάττης καὶ τὴν ἀντίβασιν τοῦ κλύδωνος ἀγριαίνων ὁ ποταμός, καὶ τραχὺς ἅμα καὶ κτύπῳ μεγάλῳ καὶ σκληραῖς ἀνακοπτόμενος δίναις…; Pelling (2011), ad loc. 82 Lefèvre (1996a), 199‒200 glaubt nicht an eine Kursänderung, sondern geht davon aus, dass Pomponianus entweder tatsächlich mit dem Ehemann Rectinas gleichzusetzen ist oder die Villen der beiden nahe beieinander lagen; ansonsten sei die Anspielung auf Caesar, der eine Kursänderung ja verhindern wollte, als „erzähltechnischer Fehler“ zu werten. Dem ist entgegenzuhalten, dass Plutarch nach dem Caesar-Zitat von den vergeblichen Versuchen der Weiterfahrt und der anschließenden Umkehr berichtet, die Situationen sich also durchaus ähneln; außerdem heißt es über Rectinas Villa, dass sie nahe am Vulkan lag (8: periculo exterritae…nam villa eius subiacebat), während die des Pomponianus weiter entfernt zu sein scheint (12: ibi quamquam nondum periculo adpropinquante); Keeline (2018a), 189 sieht in der Kursänderung keine erzähltechnische Inkonsistenz des jüngeren Plinius, sondern ein Beispiel für das inkonsistente Verhalten des älteren Plinius. 83 Zu den Spekulationen über seine Identität s. S. 319 Anm. 65. 84 Mit der Junktur Stabiis erat (12) wird erat Miseni (4) am Anfang der Narration chiastisch aufgegriffen und zugleich signalisiert, dass nun die zweite Hälfte der Erzählung einsetzt. dadurch zunächst ermutigt wird, weiter gegen die Wogen anzukämpfen, muss sie am Ende doch umkehren. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass der jüngere Plinius genau das Problem, mit dem sich Caesars Schiffsmannschaft beim Versuch der Einfahrt in die Adria konfrontiert sah, in seiner Schilderung der Quelle am Comer See thematisiert (4,30,8): flumina, quae in mare deferuntur, adversantibus ventis obvioque aestu retorquentur. 81 Es ist denkbar, dass Plinius bereits in Epist. 4,30 auf die Anekdote von Caesars Fahrt auf dem Fluss Aoos anspielt und so einen Bezug zwischen diesem Brief und der Schiffsexpedition des Onkels in Epist. 6,16 herstellt. Anstelle eines Gegenwindes und damit einhergehenden Strömungen sind es beim älteren Plinius die Auswirkungen der Vulkaneruption, die ihn dazu zwingen, den Kurs zu ändern, um wenigstens in Stabiae zu helfen. 82 Von der Fokalisierung auf den Onkel wechselt der epistolare Erzähler nun wieder auf eine Panorama-Perspektive, wenn er den Blick auf Stabiae lenkt und von den Vorbereitungen des Pomponianus 83 zur Flucht berichtet (12). In Stabiae 84 sei Pomponianus durch den dazwischenliegenden Golf abgesondert gewesen (12: diremptus sinu medio), und die Form dieses Golfes von Neapel beschreibt der Erzähler in der Parenthese nam sensim circumactis curvatisque litoribus mare infunditur (12). Wenngleich Stabiae von der Gefahr noch nicht unmittelbar betroffen war (12: nondum periculo adpropinquante), konnte man diese schon sehen (12: conspicuo) und musste sich auf ihr schnelles Herannahen gefasst machen (12: proximo). Die Maßnahmen des Pomponianus zur Flucht stehen 323 4.2 Die Vesuv-Briefe (Epist. 6,16 und 6,20) 85 Bütler (1970), 81 Anm. 43 weist auf Aeneas als Vorbild hin (Verg. Aen. 1,209): spem vultu simulat, premit altum corde dolorem; Seneca zufolge täuschen große Anführer in widrigen Lagen absichtlich hilaritas vor (Dial. 11,5,4): Quod duces magni faciunt rebus affectis, ut hilaritatem de industria simulent et adversas res adumbrata laetitia abscondant, ne militum animi, si fractam ducis sui mentem viderint, et ipsi collabantur; Trisoglio (1973), I, 624; Gigante (1979), 343 nennt auch Mart. 6,53 als Parallele (1‒2: Lotus nobiscum est, hilaris cenavit, et idem / inventus mane est mortuus Andragoras), wo wir einen ähnlichen Handlungsablauf finden wie bei Plinius, jedoch in komprimierter Form; zu diesem Epigramm vgl. Grewing (1997), 354‒8. 86 Zur Darstellung des älteren Plinius als stoischen Weisen vgl. Lillge (1918), 232, 273‒7 und 293 ff.; Gigante (1979), 342‒3; Sallmann (1979), 215; Sauer (1983); Copony (1987), 215‒7; Lefèvre (1996a), 200‒2; Berry (2008), 311; Marchesi (2008), 176; dagegen sieht Keeline (2018a), 189 diese Gelassenheit als unpassendes Verhalten im falschen Moment. in Kontrast zur Szenerie der Muße, die uns am Anfang der Narration in der Plinius-Villa in Misenum geboten wurde (4). Im Gegensatz zu Pomponianus, den der Gegenwind am Auslaufen hindert (12: contrarius ventus), landet der ältere Plinius mit Rückenwind (12: secundissimo) in Stabiae. Weder über das Verhältnis seines Onkels zu Rectina noch zu Pomponianus liefert der Epistolograph nähere Informationen, doch auf narrativer Ebene dient Pomponianus in erster Linie als Kontrastfigur zum älteren Plinius, da sein Verhalten durch und durch von Angst geprägt ist. Bei seiner Ankunft umarmt ihn der ältere Plinius, tröstet ihn, ermun‐ tert ihn, und versucht mit seiner securitas dem Freund die Angst zu nehmen (12: complectitur trepidantem consolatur hortatur, utque timorem eius sua securitate leniret); dass der ältere Plinius eisern an seiner Tagesroutine festhält, kann nicht einmal der Vulkanausbruch verhindern, denn er lässt sich ins Bad bringen und legt sich anschließend zu Tisch (12: deferri in balineum iubet, lotus accubat cenat), wobei er Heiterkeit demonstriert oder zumindest deren Anschein erwecken will (12: aut hilaris aut…similis hilari). 85 Auch dieser narrative Abschnitt steht im historischen Präsens, das dem Leser das Geschehen in größerer Unmittelbarkeit nahebringt; diese wird jedoch durch die Parenthese quod aeque magnum (12), mit der der Erzähler die möglicherweise nur vorgetäuschte Heiterkeit des Onkels kommentiert, kurz durchbrochen. Über den Verbleib der restlichen Flotte, mit der der ältere Plinius aufgebrochen war, erfahren wir nichts, die Erzählung ist nun ganz auf das Verhalten des Kommandanten fokussiert. Auch über das Schicksal der Rectina, zu deren Rettung man eigentlich in See gestochen war, schweigt der Erzähler. Stattdessen steht die stoische Gelassenheit 86 des Onkels im Vordergrund, von dessen Person der Blick vorübergehend auf den Vesuv schwenkt, auf dem nun gewaltige Feuer lodern (13: interim e Vesuvio monte…latissimae flammae). Mittlerweile herrscht bereits Nacht, wie aus dem Hinweis auf die Helligkeit der Flammen hervorgeht (13: quorum fulgor et claritas tenebris noctis excitabatur). Kurz darauf tritt wieder der Onkel ins Bild (13: ille), 324 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 87 Furchtlos ist der ältere Plinius auch in Epist. 3,5, als ihm im Traum der Geist des Drusus Nero erscheint und ihn zur Komposition der zwanzig Bücher bella Germaniae auffordert (3,5,4); während andere Figuren wie Sueton (1,18) und C. Fannius (5,5) angstvoll auf Traumerscheinungen reagieren, trifft dies auf den älteren Plinius nicht zu; vgl. Neger (2018b). 88 Görler (1979), 432 mit Verweis auf Curtius Rufus 4,13,49; Plutarch Alex. 32,1; Cato min. 70; Otho 17. wenn er die Brände als von ängstlichen Bauern zurückgelassene Feuer erklärt, um die Angst der Hausbewohner zu lindern (13: in remedium formidinis). Es fällt auf, dass statt des historischen Präsens, das die Handlungen des älteren Plinius bislang dominiert hat, nun das Imperfekt dictitabat (13) steht, das die mehrmalige Wiederholung dieser Beschwichtigungsversuche zum Ausdruck bringt. Die Furchtlosigkeit des Onkels kommt auch darin zum Vorschein, dass er sich einem tiefen Schlaf hingibt (13: tum se quieti dedit et quievit verissimo quidem somno), 87 wovon nun im Perfekt erzählt wird. Dass sein Onkel keine Mühe hatte, jederzeit und überall einzuschlafen, berichtete Plinius bereits in Epist. 3,5 (8: erat sane somni paratissimi, non numquam etiam inter ipsa studia instantis et deserentis), und der Brief 6,16 illustriert diesen Charakterzug an einem konkreten Beispiel, das sich kontrovers interpretieren lässt. Es wurde bereits von Görler (1979) darauf hingewiesen, dass der ältere Plinius durch sein „kaltblütiges Schnarchen“ (13: meatus animae…audiebatur) an Figuren wir Alexander den Großen, den jüngeren Cato oder Otho erinnern soll, von denen ebenfalls verschiedene „Schnarch-Anekdoten“ zirkulierten und die Gelassenheit dieser Männer vor wichtigen Ereignissen wie Schlachten oder gar Selbstmord illustrieren sollten. 88 Der Epistolograph ergeht sich hier sogar in Details, indem er das Schnarchen mit der Leibesfülle des Onkels erklärt (13: meatus animae, qui illi propter amplitudinem corporis gravior et sonantior erat), was angesichts des bisher eher schnellen Erzähltempos als retardierendes Element dienen dürfte, bevor sich die Handlung ihrem Ende nähert. Keeline (2018a: 190) wiederum erkennt im schnarchenden Plinius maior kein positives Beispiel, sondern offenkundiges Fehlverhalten, das zudem in auffälligem Kontrast stehe zum Ausspruch vita vigilia est, den der ältere Plinius selbst zu seinem Motto erklärt (Nat. praef. 18). Mit sed (14) wird übergeleitet zur nächsten Szene, die sich im Freien abspielt: Im Hof vor dem Schlafzimmer hat sich bereits so viel Asche und Lavagestein angesammelt, dass bei längerem Verweilen der Ausgang blockiert zu werden drohte (14: ut…exitus negaretur). Vom Präteritum wechselt der Erzähler nun wieder ins historische Präsens, wenn er vom Erwachen des Onkels und der Beratung mit Pomponianus berichtet (14: excitatus procedit, seque Pompo‐ 325 4.2 Die Vesuv-Briefe (Epist. 6,16 und 6,20) 89 Dikolon, Anapher (apud…apud), Polyptoton, Chiasmus (ratio rationem…timorem timor) und Antithese (illum…alios) schmücken diese Sentenz. 90 In der Apocolocyntosis werden solche poetischen Zeitangaben parodiert (2): iam Phoebus breviore via contraxerat arcum…puto magis intellegi si dixero: mensis erat October, dies III idus Octobris. horam non possum certam tibi dicere…iam medium curru Phoebus diviserat orbem; Eden (1984), 68‒72; vgl. das Gedicht über die Troiae halosis bei Petron (89, vv. 1‒2): iam decuma…Phrygas obsidebat messis; Habermehl (2006), 161‒2 führt mehrere Belege aus der Dichtung an, wie etwa Verg. Aen. 4,584‒5; 9,459‒60; 11,139. 91 Chiasmus (dies alibi, illic nox), Polyptoton (nox…noctibus) und n-Alliteration verleihen dem Gesagten Nachdruck; die Situation der Schicksalsgemeinschaft in Stabiae ist vergleichbar mit der des Aeneas und seiner Gefährten beim Seesturm in Buch 1 der Aeneis (1,88‒9): Eripiunt subito nubes caelumque diemque / Teucrorum ex oculis; ponto nox incubat atra; angesichts des bevorstehenden Todes lässt sich auch an die Katabasis in Buch 6 denken (Aen. 6,268): Ibant obscuri sola sub nocte per umbram. niano…reddit); man wägt ab, ob man im Hause warten oder ins Freie gehen solle (15: in commune consultant intra tecta subsistant an in aperto vagentur). Hierauf folgt im Imperfekt eine kurze Ekphrasis der Erdstöße, die das Haus ins Wanken geraten ließen (15: tecta nutabant…abire aut referri videbantur), und dann ebenfalls im Präteritum die Entscheidung, zu der die Beteiligten kamen: Zwar fürchtete man im Freien den Niederschlag des Lavagesteins, doch man entschied sich dennoch für die Flucht nach draußen (16: quod tamen periculorum collatio elegit). Den Abschluss dieser Beratungs-Szene bildet eine stilistisch kunstvoll ausgedrückte Gegenüberstellung der ratio des Onkels und der Furcht der übrigen Beteiligten (16): et apud illum quidem ratio rationem, apud alios timorem timor vicit. 89 Wieder im historischen Präsens wird von den Schutzmaßnahmen gegen den Gesteins-Hagel berichtet (16: cervicalia capitibus imposita linteis constringunt), eine Erklärung dazu aus der Erzähler-Perspektive steht im Perfekt (16: id munimentum…fuit). Den letzen Abschnitt der Narration leitet der Epistolograph mit den Worten iam dies alibi (17) ein und verleiht dem Text damit eine poetische Nuance. 90 Während anderswo bereits der nächste Tag (der 25. August) angebrochen ist, herrscht in Stabiae noch dunkle Nacht (17: illic nox omnibus noctibus nigrior densiorque), 91 die allerdings durch mehrere Lichter erhellt wird. Am Strand (17: litus) warten der ältere Plinius und seine Gefährten auf eine Gelegenheit, abzusegeln, was jedoch immer noch nicht möglich ist (17: mare…vastum et adversum), und so lässt sich der Onkel auf einer Decke nieder und bittet um Wasser. Vom Präteritum (17‒18: solvebant…placuit…permanebat…poposcit haus‐ itque) wechselt der Erzähler wieder ins historische Präsens, wenn er die letzen Momente im Leben des älteren Plinius schildert: Flammen und Schwefelgeruch treiben die anderen in die Flucht (18: alios in fugam vertunt), während sie 326 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 92 Vgl. Sigurdsson/ Carey (2002), 50: „Pliny the Elder was at the distal edge of the largest surge (S-6) when he died at Stabiae in the morning of August 25“. 93 Zudem greift excitant (18) das Partizip excitatus (14) auf, sodass man den Eindruck gewinnt, der ältere Plinius sei sogar am Strand eingenickt, bevor ihn Hitze und Schwefel aufweckten. 94 Vgl. Copony (1987), 226‒8. 95 Über die genaue Todesursache wurde eifrige spekuliert: Asthma, Vergiftung, Herzin‐ fakt, Diabetes, Schlaganfall etc.; vgl. Beck (2013a), 15 mit Literaturhinweisen. 96 S. S. 256. 97 Die Parenthese is ab eo quem novissime viderat tertius bezieht sich auf den dritten Tag seit dem 24. August, an dem das Tageslicht noch nicht von der Eruption verdunkelt worden war; Sherwin-White (1966), 374; Trisoglio (1973), 626. den Onkel zum Aufstehen veranlassen (18: excitant illum). 92 Selbst in diesem Moment scheint der ältere Plinius noch seine Gelassenheit zu bewahren, wie der Rückgriff auf die Antithese von ille und alii (vgl. 16: apud illum…apud alios) suggeriert. 93 Offenbar bestand noch die Möglichkeit zur Flucht, denn der Onkel starb der Version des Plinius zufolge nicht an den unmittelbaren Auswirkungen der Eruption, sondern an einer bereits vorhandenen körper‐ lichen Schwäche (19): Innitens servolis duobus adsurrexit et statim concidit, ut ego colligo, crassiore caligine spiritu obstructo, clausoque stomacho qui illi natura invalidus et angustus et frequenter aestuans erat. 94 Auch hier ist der Erzähler um eine wissenschaftliche Haltung bemüht, wenn er - nun wieder im Präteritum - den Tod des älteren Plinius auf eine durch den Qualm verursachte Atemnot zurückführt, zu der auch maßgeblich die verengte und bereits anfällige Luftröhre beigetragen haben soll. 95 Es fällt auf, dass der jüngere Plinius bei der Schilderung des Todes seines Onkels, der ja immerhin auch sein Adoptivvater war, auf jegliche Emotionalität verzichtet und keinerlei Trauer erkennen lässt. Die persönliche Sicht des Erzählers ist innerhalb der Narration auf solche Kom‐ mentare beschränkt, die sich mit wissenschaftlich interessanten Phänomenen auseinandersetzen, wie z. B. mit der Gestalt der aus dem Vesuv aufsteigenden Wolke (6: credo quia) oder dem Gesundheitszustand des Onkels (19: ut ego colligo). Mit viel mehr emotionaler Beteiligung erzählt Plinius vom Tod seines Mentors Corellius Rufus (1,12,1‒2: iacturam gravissimam feci…dolorem meum exulcerat…luctuosissimum…insanabilis dolor) oder von seiner Sehnsucht nach dem bereits seit zehn Jahren verstorbenen Verginius Rufus (6,10,1: desiderium non sine dolore). 96 Auch von der Entdeckung der Leiche seines Onkels berichtet Plinius auffällig distanziert und eher aus der Haltung eines Paradoxographen denn eines Verwandten: Als am 26. August das Tageslicht zurückkehrte, 97 sei der Körper unversehrt und vollständig bekleidet vorgefunden worden (20: corpus inventum integrum inlaesum opertumque ut fuerat indutus), und habe eher einem 327 4.2 Die Vesuv-Briefe (Epist. 6,16 und 6,20) 98 Insbesondere Eco (1990); Beck (2013a). Schlafenden als einem Verstorbenen geglichen (20: quiescenti quam defuncto similior). Der ältere Plinius, der in seiner Naturgeschichte unter anderem über wundersame Todesfälle und Scheintode berichtet hat (Nat. 7,51‒4), ist hier selbst Gegenstand einer vergleichbaren descriptio. Keeline (2018a) weist zu Recht auf das Fehlen von Emotionen und Bekundungen persönlicher Zuneigung hin, das in den Briefen des jüngeren Plinius über seinen Onkel auffällt. Andere Mentoren (Keeline nennt auch Spurinna) werden vom Epistolographen mit weitaus warmherzigerem Ton charakterisiert. Die Annahme, dass der jüngere Plinius das Image seines Onkels tatsächlich unterminieren wollte, geht m. E. aber zu weit. Viel eher scheint mir Plinius sowohl in Epist. 3,5 als auch 6,16 die Erzähltechnik eines Biographen zu imitieren, der aus einer eher distanzierten Perspektive auch kuriose Details präsentiert und den älteren Plinius als etwas skurillen Gelehrten charakterisiert. Ob der Gegensatz zwischen dem Motto vita vigilia est beim älteren Plinius (Nat. praef. 18) und den Schlaf-Anekdoten beim jüngeren tatsächlich als implizite Kritik zu werten ist, wage ich zu bezweiflen. Viel eher handelt es sich hier m. E. um ein unterhaltsames intertextuelles Spiel, das eher ein Schmunzeln bewirken als Empörung hervorrufen soll. Keeline (2018a) ist aber sicherlich darin rechtzugeben, dass der ältere Plinius für den jüngeren nur bedingt ein geeignetes role model darstellte, was den Lebensstil, die literarischen Prinzipien sowie politische Ambitionen betraf. Hierfür eigneten sich andere Persönlichkeiten besser, insbesondere solche, die die höchsten Ämter im Staat bekleideten und auf eine Balance zwischen negotium und otium bedacht waren, wie etwa Vestricius Spurinna in Epist. 3,1. Während der jüngere Plinius die Unversehrtheit des Leichnams seines Onkels betont - die Alliteration inventum integrum inlaesum…indutus (20) verleiht der Aussage Nachdruck -, erzählt die Sueton zugeschrieben Vita Plinii von damals zirkulierenden Gerüchten, dass der ältere Plinius einen Sklaven gebeten habe, seinen Tod zu beschleunigen (ut quidam existimant, a servo suo occisus, quem aestu deficiens, ut necem sibi maturaret, oraverat). Unter anderem aufgrund der Unterschiede zur Version in der Vita Plinii wurde dem jüngeren Plinius vorge‐ worfen, er habe das Verhalten seines Onkels während des Vulkanausbruchs und sein Versagen als Flottenkommandant während der Katastrophe beschönigen wollen. 98 Zumindest was die Vita Plinii betrifft, muss man jedoch auch deren darstellerische Absichten hinterfragen: Sollte sie tatsächlich auf Sueton zurück‐ gehen, dann ist zu bedenken, dass dieser auch in anderen Biographien Ereignisse überspitzt erzählt oder Anekdoten und Gerüchte integriert, um seine Leser zu 328 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 99 Vgl. Müller (1972); Hägg (2012), 214‒32; Holzberg (2015). 100 Sallmann (1979), 218 liegt m. E. richtig, wenn er davor warnt, diese epitomierte Biographie „dazu zu benutzen, die Rettungsaktion als Erfindung des jüngeren Plinius zu entlarven“ und so „ein argumentum ex silentio als Erweis des Gegenteils zu mißbrau‐ chen“; anders Beck (2013a), 9 Anm. 21, der dies als „beschönigend, nicht überzeugend“ abtut. 101 Im ersten der Diogenes Laertios zugeschrieben Gedichte heißt es, dass Empedokles nicht freiwillig hineingefallen sei (AP 7,123,3‒4): οὐκ ἐρέω δ᾽ ὅτι σαυτὸν ἑκὼν βάλες ἐς ῥόον Αἴτνης, / ἀλλὰ λαθεῖν ἐθέλων ἔμπεσες οὐκ ἐθέλων; vgl. AP 7,124; Diog. Laert. 8,74‒75; Hor. Ars 463‒6; Lucian. Icar. 13; Beispiele für den freiwilligen Tod durch Sklavenhand sind bei Valerius Maximus unter der Rubrik de fide servorum (6,8) zu finden: C. Marius (6,8,2), C. Gracchus (6,8,3) und C. Cassius (6,8,4) werden durch ihre Skaven davor bewahrt, in die Hände der Feinde zu geraten. 102 Vgl. Radt (2002‒11), VI, 193. 103 Zu seiner Person vgl. S. 177. unterhalten 99 - in unserem Beispiel wird dies etwa durch ut quidam existimant deutlich. Dem Biographen erschienen vielleicht eine bewusste Reduktion der Erzählung auf die wissenschaftliche Neugierde des älteren Plinius, die letztend‐ lich zu seinem Tode führte, sowie Spekulationen über die Todesumstände - ob es dafür überhaupt zuverlässige Zeugen gab, muss ohnehin offen bleiben - als literarisch besonders vielversprechend. 100 Somit ähnelt der kurze Text einer Reihe von Anekdoten über spektakuläre Tode verschiedener Gelehrter, wie etwa des Empedokles, der angeblich in den Krater des Ätna fiel bzw. sich freiwillig hineinstürzte (AP 7,123‒124). 101 Der Geograph Strabon etwa diskutiert die Legende, dass Empedokles in den Vulkan sprang und lediglich seine Sandale wieder ausgespuckt wurde, wobei er diese Geschichte dem Bereich der Mythen zuweist (6 p. 274 C.: πολλὰ μυθεύεσθαι). 102 Im Plinius-Brief 6,16 stellt der ältere Plinius als Naturforscher eine Art Gegenentwurft zu Empedokles dar, insofern als sein Tod nicht freiwillig erfolgt, man ihn unversehrt und voll bekleidet findet und die Ereignisse als maxime vera (6,16,22) bezeichnet werden; unsterblichen Ruhm erlangt er nicht durch einen spektakulären Selbstmord, sondern durch die literarische Darstellung bei seinem Neffen. Am Ende seines Briefes 6,16 setzt der Epistolograph kurz dazu an, von seinen eigenen Erlebnissen zusammen mit seiner Mutter in Misenum zu erzählen (21: interim Miseni ego et mater), bricht dann aber seine Ausführungen ab, da dies kein für eine Historie geeignetes Thema sei und Tacitus lediglich vom Tod des Onkels habe wissen wollen (21: sed nihil ad historiam, nec tu aliud quam de exitu eius scire voluisti). Plinius verfolgt hier offenbar eine umgekehrte Strategie als in Epist. 3,5, worin er von Baebius Macer 103 um eine Liste der literarischen Werke des älteren Plinius gebeten wird (3,5,1: tam diligenter libros avunculi mei lectitas, ut habere omnes velis quaerasque qui sint omnes). Der Bibliographie (3,5,3‒6) fügt 329 4.2 Die Vesuv-Briefe (Epist. 6,16 und 6,20) 104 Ein weiteres Verbindungselement ist das Datum der Ereignisse: Während die Handlung der Vesuvbriefe vom 24.‒26. August 79 n. Chr. spielt, erwähnt Plinius in Epist. 3,5,8 das Fest der Vulcanalia, das jährlich auf den 23. August fiel: lucubrare Vulcanalibus incipiebat, non auspicandi causa, sed studendi, statim a nocte multa; vgl. Sherwin-White (1966), 223; Gibson/ Morello (2012), 112. Der ältere Plinius dürfte demnach auch an den Vulkanalien vor dem Vesuvausbruch non auspicandi, sed studendi causa nachts aufgestanden sein, was den seiner wissenschaftlichen Neugierde geschuldeten Tod bei der Eruption noch dramatischer erscheinen lässt; sollte das in Epist. 6,16,4 überlieferte Datum (nonum kal. Septembres) tatsächlich fehlerhaft sein (s. S. 317), könnte es jemand an das in Epist. 3,5 erwähnte Datum der Vulcanalia angepasst haben. 105 Ash (2003), 215‒6 führt als Beispiel Ann. 4,71,1 an: ni mihi destinatum foret suum quaeque in annum referre, avebat animus antire statimque memorare exitus, quos Lucanius atque Opsius…habuere; vgl. Ann. 1,58,6 (in tempore memorabo); 2,4,3 (in loco reddemus); 6,22,4 (in tempore memorabitur, ne nunc incepto longius abierim); 11,5,3 (in tempore memorabo). der jüngere Plinius eine viel ausführlichere Schilderung der Lebensweise seines Onkels hinzu (3,5,7‒19), um dann am Ende festzustellen, dass er in seinem Brief über das vom Adressaten geforderte Werkverzeichnis weit hinausgegangen ist (3,5,20): extendi epistulam cum hoc solum quod requirebas scribere destinassem, quos libros reliquisset. Dennoch werde Baebius Macer auch die Beschreibung der Tagesroutine zu schätzen wissen, da sie ihm als stimulus aemulationis (20) dienen könne. Während Epist. 3,5 also genaugenommen zwei Themen beinhaltet, verteilt Plinius die Ereignisse rund um den Vesuvausbruch auf zwei separate Schreiben. Baebius Macer, dem mehr geboten wird als er erbeten hat, steht Tacitus gegenüber, der Plinius zu einer Fortsetzung der Narration ermuntert. Somit sind die Briefe 3,5, 6,16 und 6,20 nicht nur über die Figur des älteren Plinius, sondern auch durch die spielerische Einbeziehung der Adressaten miteinander verbunden. 104 Durch die Aposiopese am Ende der Epist. 6,16 weckt Plinius die Neugierde des Rezipienten auf eine Fortsetzung der Narration und wendet, wie von Ash (2003) beobachtet wurde, eine Strategie des „fractured narrative“ an, wie sie auch Tacitus in seinen Annalen gebraucht, wenn er der annalistischen Berichterstattung wegen den Faden einer Erzählung unterbricht und an späteter Stelle wieder aufnimmt. 105 Nachdem Plinius in Epist. 6,16 das Ende der Narration verkündet hat (21: finem ergo faciam), fügt er noch Folgendes hinzu (22): unum adiciam, omnia me quibus interfueram quaeque statim, cum maxime vera memorantur, audieram, persecutum. Die Darstellung, so erfahren wir, beruht sowohl auf Autopsie als auch besonders wahrheitsgetreuen Berichten unmittelbar nach dem Ereignis. Marchesi (2008: 172) hat auf die Anklänge in dieser Passage an Thukydides (1,22,2) hingewiesen: 330 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 106 OLD, 1014 s.v. lego. 107 Livius dürfte hier auch aufgrund der vielen exempla virtutis, die seine Historie beinhaltet (vgl. Liv. praef. 10), als Lektüre gewählt sein; Schönberger (1990), 535; Lefèvre (1996a), 208: „Der Jüngere ist - auf Weisung des Älteren - auf dem Weg zu der Haltung, die dieser bereits verkörpert“; in Nat. praef. 16 bezeichnet der ältere Plinius den Historiker Livius als auctor celeberrimus. τὰ δ᾽ ἔργα τῶν πραχθέντων ἐν τῷ πολέμῳ οὐκ ἐκ τοῦ παρατυχόντος πυνθανόμενος ἠξίωσα γράφειν, οὐδ᾽ ὡς ἐμοὶ ἐδόκει, ἀλλ᾽ οἷς τε αὐτὸς παρῆν καὶ παρὰ τῶν ἄλλων ὅσον δυνατὸν ἀκριβείᾳ περὶ ἑκάστου ἐπεξελθών. Ich hielt es jedoch für richtig, über die tatsächlichen Geschehnisse im Krieg nicht beim Erstbesten Erkundigungen einzuholen und sie niederzuschreiben, und auch nicht nach meinem Dafürhalten, sondern das, wo ich selbst dabei war und was ich von anderen möglichst genau über jedes Detail in Erfahrung gebracht habe. Anfang und Ende der Epist. 6,16 sind durch Reflexionen geprägt, die uns bereits in der historiographischen Tradition begegnen. Wenngleich Plinius immer wieder den Unterschied zwischen Epistolographie und Geschichtsschreibung betont (22: aliud est enim epistulam aliud historiam aliud amico aliud omnibus scribere), bedient er sich historiographischer Elemente und verfolgt offenbar selbst den Anspruch, es mit dieser Gattung aufnehmen zu können, nicht zuletzt durch die Publikation seiner Briefe. Dies geht auch aus der Bemerkung hervor, dass Tacitus das Wichtigste aus dem Brief exzerpieren möge (22: tu potissima excerpes). In der Rolle des Exzerptors entspricht Tacitus auf der extradiegeti‐ schen Ebene in der Gegenwart des Briefes dem jungen Plinius in Epist. 6,20, der auf der intradiegetischen Ebene der Erzählung in der Villa in Misenum aus Livius exzerpiert (6,20,5): posco librum Titi Livi, et quasi per otium lego atque etiam ut coeperam excerpo. Wie aus dem zweiten Vesuv-Brief hervorgeht, war es also die Livius-Lektüre, die dem jungen Plinius von seinem Onkel aufgetragen wurde und ihn von der Expedition abhielt (6,16,7: et forte ipse quod scriberem dederat). Marchesi (2008: 188) hat darauf hingewiesen, dass die Junktur per otium lego auf eine Livius-Stelle anspielt und so den im Brief erwähnten Vorgang des Exzerpierens zugleich performativ umsetzt: Bei Livius heißt es in Buch 27 über die römischen Soldaten nach der Schlacht gegen Hannibal bei Numistro spolia per otium legere (27,2,9). Indem sich Plinius die livianische Junktur aneignet und mit der Doppelbedeutung des Verbums legere spielt, 106 liest er Livius nicht nur, sondern „plündert“ den Text des Historikers auch in einer ähnlichen Weise, wie es die römischen Soldaten mit den Körpern ihrer Feinde tun. Abgesehen davon lässt sich die Szene vom jungen Plinius, der ganz in Livius vertieft ist und sich dessen Text aneignet, 107 als mise en abyme interpretieren, die auch für die Lektüre der historisch gefärbten Briefe 6,16 und 6,20 steht und 331 4.2 Die Vesuv-Briefe (Epist. 6,16 und 6,20) 108 Lefèvre (1996a), 208: „Man könnte…annehmen, daß gleich zu Beginn casus 6,20 als ‘episch’ ausweise wie exitus 6,16 als historisch“; Aeneas wird bei seinem ersten Auftritt in der Handlung und während seiner ersten dirketen Rede von Angst erfüllt gezeigt (Aen. 1,92: extemplo Aeneae solvuntur frigore membra); vgl. Holzberg (2006c), 129‒30; die direkte Rede des älteren Plinius, der während der Seefahrt in Epist. 6,16,11 seine Furchtlosigkeit beweist, ist vermutlich bewusst in Kontrast dazu gestaltet. 109 So schon Lillge (1918), 289; vgl. Verg. Aen. 3,300: casus cognoscere tantos; Marchesi (2008), 182; Schwerdtner (2015), 155 weist darauf hin, dass Plinius hier die Worte des Tacitus wiedergibt, der sich in seinem Schreiben bereits vergilisch ausgedrückt haben könnte, worauf Plinius dann mit einem Vergil-Zitat antwortet; der Leser wird somit Zeuge eines „Spiels unter Literaten“. 110 Vgl. Marchesi (2008), 176‒7 und 185 mit dem Hinweis auf die Ironie, die in diesem Vergleich mit Aeneas steckt: „Pliny…is like Petronius’ hidden author, looking from an ironic self-aware distance at his own first-person character while he is engaging in literary mythomaniacal imitations“; eine ausführliche Analyse des Zitats aus Aen. 2,12‒ den Adressaten Tacitus spiegelt, der uns als interessierter Leser dieser Briefe begegnet. Durch das Bild des Exzerpierens sowohl auf extradiegetischer als auch intradiegetischer Ebene wird zugleich verdeutlicht, wie Historiographie und Epistolographie sich gegenseitig bereichern. Mit Epist. 6,20 findet der „Briefroman“ über den Vesuv-Ausbruch seine Fortsetzung: Dem Leser wird suggeriert, dass seit Epist. 6,16 eine kurze, nicht näher definierte Zeitspanne verstrichen ist, in der Tacitus den ersten Brief gelesen und sein Antwortschreiben verfasst hat. Nach dem exitus des älteren Plinius interessiere sich Tacitus nun für metus und casus, die der jüngere Plinius in Misenum während der Abwesenheit seines Onkels erlebt habe (1): Ais te adductum litteris quas exigenti tibi de morte avunculi mei scripsi, cupere cognoscere, quos ego Miseni relictus (id enim ingressus abruperam) non solum metus verum etiam casus pertulerim. Mehrfach wird in dieser Passage die Rolle des Tacitus bei der Entstehung der beiden Briefe hervorgehoben (ais te adductum…exigenti tibi…cupere cognoscere), dem Plinius nun ein episches Pendant zu Epist. 6,16 liefert: Die Stichworte casus und metus erinnern an das Schicksal epischer Helden wie Aeneas, der einen Vielzahl von casus erleiden (Aen. 1,9: tot volvere casus; 2,10: sed si tantus amor casus cognoscere nostros) und zahlreiche Ängste durchleben muss. 108 Mit der Alliteration cupere cognoscere scheint Plinius sogar casus cognoscere in Aen. 2,10 zu imitieren, 109 und ein direktes Zitat aus der Aeneis bestätigt den Eindruck, dass nun eine ähnliche Erzählung wie diejenige von der Troiae halosis folgt, denn mit den Worten quamquam animus meminisse horret…incipiam (1) leitet Plinius von der Einleitung zur narratio über und stilisiert sich damit als Ich-Erzähler zu einem zweiten Aeneas und weist seinem Adressaten die Rolle der Dido zu. 110 332 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 13 (quamquam animus meminisse horret luctuque refugit, / incipiam) bietet Schwerdtner (2015), 147‒61; vgl. Augoustakis (2005), 269: „…the epistolographer places the second letter on Vesuvius into the wider context of a war narrative“. 111 Berry (2008), 302‒3 sieht auch in dem Prisce, iubes aus Epist. 6,15,2 eine Anspielung auf Aen. 2,3 (regina, iubes) und hält fest: „Epistles 6.15, 6.16 and 6.20, then, are bound together in a network of Virgilian allusion“; die Verbindung zu Epist. 6,10 übersieht er allerdings. 112 Seneca denkt vermutlich an Verg. Aen. 3,570‒84; Ov. Met. 15,340‒55; vgl. das pseudo‐ vergilische Aetna-Gedicht; Volk (2005); Newlands (2010), 107. 113 Auf Grundlage dieser Passage hat man sogar vermutet, dass Lucilius das Aetna-Gedicht verfasst habe; Volk (2005), 70‒1. 114 Vgl. Stärk (1995), 227‒8. 115 Poetische Schilderungen des Vesuvausbruchs finden sich bei Martial (4,44) und Statius (Silv. 5,3 und 4,4), dessen Vater vermutlich als erster die Katastrophe in Versen behandelte (Silv. 5,3,205‒8: iamque et flere pio Vesuvina incendia cantu / mens erat et gemitum patriis impendere damnis, / cum pater exemptum terris ad sidera montem / sustulit et late miseras deiecit in urbes); vgl. Stärk (1995), 227‒33; Newlands (2010). Über das Vergil-Zitat, das der Rahmenhandlung zur Binnen-Erzählung in Buch 2 und 3 der Aeneis entstammt, ist Epist. 6,20 mit Epist. 6,10 verbunden, in der Plinius von seinem Besuch am Grab des Verginius Rufus berichtet und in diesem Zusammenhang vom Wiederaufkommen schmerzlicher Erinnerung (6,10,1: maximi viri desiderium non sine dolore renovavit) an den Verstorbenen spricht, wodurch er Aen. 2,3 (infandum, regina, iubes renovare dolorem) evoziert. 111 Dass ein Vulkan einen geeigneten Stoff für ein Epos bietet, erläutert Seneca in Epist. 79,5 wo er den Aetna als locus sollemnis für alle Dichter bezeichnet und Ovid, Vergil und Cornelius Severus als Beispiele nennt. 112 Für unseren Zusammenhang ist dabei interessant, was Seneca über das Verhältnis der verschiedenen Aetna-Darstellungen sagt: Omnibus praeterea feliciter hic locus se dedit et qui praecesserant non praeripuisse mihi videntur, quae dici poterant, sed aperuisse. Anstelle einer erschöpfenden Bearbeitung des Themas haben frühere Autoren Seneca zufolge ihren Nachfolgern, zu denen in diesem Brief auch Lucilius gezählt wird, 113 das Feld für eine Weiterführung der Aetna-Dichtung geebnet. Zwar behandelt Plinius in seinen Briefen nicht den Aetna, sondern den Vesuv - ihn hielt man vor seinem Ausbruch im Jahr 79 für inaktiv 114 -, doch reiht er sich mit Epist. 6,16 und insbesondere 6,20 ebenfalls in die illustre Reihe der von Seneca angeführten Autoren ein. 115 Die narratio der Epist. 6,20 hat dasselbe dramatische Datum wie Epist. 6,16, setzt ein in der Zeit nach dem Aufbruch des Onkels (2: profecto avunculo), also gegen Mittag bzw. am frühen Nachmittag des 24. August, und fasst die restlichen Ereignisse dieses Tages zunächst relativ kurz zusammen: Wegen seiner Studien sei Plinius zuhause geblieben und habe sich danach dem Bad 333 4.2 Die Vesuv-Briefe (Epist. 6,16 und 6,20) 116 Man vergleiche die Tagesabläufe des älteren Plinius in Epist. 3,5 und des Vestricius Spurinna in Epist. 3,1. 117 Möglicherweise handelt es sich um eine Terrasse über dem Meer; Sherwin-White (1966), 379. 118 Vgl. Lefèvre (1996a), 207: „Trotz der räumlichen Trennung ist die Beschäftigung der beiden Plinii vergleichbar…Beide Plinii gehen ihren Beschäftigungen nach - der große großen, der kleine kleinen“. 119 Dadurch verhält sich der junge Plinius ähnlich wie der Philosoph Athenodorus, der sich auch von der Erscheinung eines Gespenstes nicht von seinen Studien ablenken lässt (Epist. 7,27,7‒8); s. Kap. II.4.3; Görler (1979), 430 sieht hier eine Anspielung auf Livius’ Erzählung von Archimedes während der Eroberung von Syrakus im Jahr 211 v. Chr. und Abendmahl gewidmet, bevor er zu Bett ging (2: mox balineum cena somnus inquietus et brevis). 116 Ausführlicher als über den Tag des 24. August (von dieser Zeitspanne handelt Epist. 6,16,4‒12) erzählt Plinius über die Nacht zum folgenden Tag. Im Gegensatz zu seinem Onkel, der in derselben Nacht in Stabiae einen tiefen Schlaf genießen konnte (6,16,13: quievit verissimo quidem somno), war derjenige des Neffen unruhig und kurz. Die bereits mehrere Tage andauernden, für Campanien nicht untypischen Erdbeben, waren in jener Nacht so stark geworden, dass alles zusammenzubrechen schien (3: tremor terrae… illa vero nocte ita invaluit, ut non moveri omnia sed verti crederentur). Wird der ältere Plinius von Pomponianus oder dessen Mitbewohnern aufgeweckt (6,16,14: excitatus), ist es beim jüngeren die Mutter, die in sein Schlafzimmer kommt, um ihn, der gerade dasselbe vorhatte, aufzuwecken (4: inrupit cubiculum meum mater; surgebam invicem, si quiesceret excitaturus). Ähnlich wie in Stabiae beschließt man auch in Misenum, das Freie aufzusuchen - der jüngere Plinius und seine Mutter lassen sich in der area zwischen dem Haus und dem Meer nieder. 117 Offenbar ist es noch Nacht, als sich der achtzehnjährige Plinius ein Buch des Livius bringen lässt und quasi per otium zu lesen und exzerpieren beginnt, was sich aus der Retrospektive des Erzählers sowohl als constantia als auch imprudentia deuten lässt (5). Die hier im historischen Präsens (5: posco…lego…excerpo) geschilderte Szene entspricht, wie schon zuvor erwähnt, nicht nur als mise an abyme dem exzerpierenden Tacitus am Ende von Epist. 6,16, sondern auch dem älteren Plinius, der auf seiner Bootsfahrt am Golf von Neapel das Naturphänomen schriftlich genau dokumentiert (6,16,10); während der Jüngere sein Wissen aus Büchern bezieht, betreibt der Ältere sozusagen „Feldforschung“. 118 Im historischen Präsens ist auch die Rede vom Auftritt des spanischen Gastfreundes (5: ecce amicus avunculi…ut…videt…corripit), der die Mutter für ihre Gleichgültigkeit und Plinius für seine Sorglosigkeit tadelt, wovon sich letzterer jedoch nicht zur Unterbrechung seiner Lektüre bewegen lässt (5: nihilo segnius ego intentus in librum). 119 334 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene (Liv. 25,31,9): Archimeden memoriae proditum est in tanto tumultu…intentum formis quas in pulvere descripserat ab ignaro milite quis esset interfectum. 120 S. S. 326; vgl. Verg. Aen. 2,801‒2: iamque iugis summae surgebat Lucifer Idae / ducebatque diem. 121 Berry (2008), 309. 122 Wie schon durch miraculum in 6,16,5 ist auch durch miranda in 6,20,8 die Nähe der Darstellung zur Mirabilienliteratur signalisiert. Mit der poetisch gefärbten Zeitangabe iam hora diei prima (6) 120 leitet der Erzähler zum nächsten Abschnitt über, der von der Flucht aus Misenum handelt (6‒17). Während das Tageslicht sich nur mühsam durchsetzt, kommt es zu weiteren heftigen Erschütterungen - hier abermals mit iam eingeleitet -, die zum Auszug aus der Stadt veranlassen (7: tum demum excedere oppido visum). Eindrücklich berichtet Plinius von der Massenpanik sowie den mit der Eruption einhergehenden Naturerscheinungen. Von der Reaktion der Menschen wird zunächst im historischen Präsens erzählt: sequitur vulgus attonitum, quodque in pavore simile prudentiae, alienum consilium suo praefert, ingentique agmine abeuntes premit et impellit (7). Das Bild der verängstigten Menge, die hier dem consilium des Plinius und seiner Begleiter folgt, entspricht der Szene in Epist. 6,16, wo der ältere Plinius von ratio, der Rest hingegen von timor geleitet wird (6,16,16). 121 Von der Unmittelbarkeit des Präsens wechselt der Erzähler ins Imperfekt, wenn er eine Ekphrasis der Naturphänomene liefert, die als miranda und formidines bezeichnet werden (8) 122 und zunächst in die Kategorien Erdbeben (8), Meer und Wolke (9) unterteilt sind. Bei einem ersten Innehalten außerhalb der Stadt (8: egressi tecta) wird Plinius Zeuge davon, wie die Wagen auf ebenem Untergrund in verschiedene Richtungen wegrollen und sich auch nicht durch Steine bremsen lassen (8: in contrarias partes agebantur ac ne lapidibus quidem fulta…quiescebant). Außerdem wurde das Meer zurückgedrängt (9: mare in se resorberi et…quasi repelli videbamus), wodurch sich der Küstenstreifen vergrößerte (9: certe processerat litus) und Meeresgetier im Sand festhielt (9: animalia maris siccis harenis detinebat). Was hier als Augenzeugenbericht einer Naturkatastrophe präsentiert wird, hat auch ein mythologisches Äquivalent, das vermutlich den Hintergrund der Darstellung bildet: In Buch 2 der Meta‐ morphosen erzählt Ovid vom durch Phaethon verursachten Weltenbrand und schildert in diesem Kontext auch die Auswirkungen der Hitze auf das Meer (2,262‒66): et mare contrahitur, siccaeque est campus harenae quod modo pontus erat: quosque altum texerat aequor, exsistunt montes et sparsas Cycladas augent. ima petunt pisces, nec se super aequora curvi 335 4.2 Die Vesuv-Briefe (Epist. 6,16 und 6,20) 123 Vgl. Bütler (1970), 72‒3; Lefèvre (1996a), 210; Trisoglio (1973), 638 Anm. 275 zufolge könnte diese pietas-Szene in der narrative Chronologie genau mit dem Tod des älteren Plinius in 6,16,19 zusammenfallen. 124 Gigante (1979), 351‒2 und (1989), 41‒2 vergleicht die Szene mit der Androgeos-Episode in Vergils Aeneis (2,370‒95); Marchesi (2008), 181 argumentiert dagegen und schlägt Aen. 3,311 und 343 als Prätext vor; Berry (2008), 309‒10 hingegen hält den Spanier für einen reale Person, deren Verhalten der jüngere Plinius missbilligte und daher ohne namentliche Nennung in seinem Brief dokumentierte. 125 Vgl. Sallmann (1979), 218. tollere consuetas audent delphines in auras; Einer Brandkatastrophe, wie sie Ovid in der Phaethon-Episode darstellt, gleicht auch die Ekphrasis der aus dem Vesuv hervortretenden Wolke bei Plinius: Diese sei atra et horrenda und durch gewundene, mit Blitzen vergleichbaren Feuer-Li‐ nien durchbrochen gewesen (9: ignei spiritus tortis vibratisque discursibus rupta in longas flammarum figuras dehiscebat). Anders als in Epist. 6,16 enthält der Brief 6,20 gleich zwei direkte Reden: Nachdem der Erzähler den imaginären Blick des Lesers auf die drohende Wolke gerichtet hat, leitet er mit tum vero (10) wieder zur Handlung über - wobei er ins historische Präsens zurückkehrt -, lässt den bereits zuvor erwähnten Gastfreund aus Spanien als Warner-Figur auftreten und folgende Worte sprechen (10): Si frater…tuus, tuus avunculus vivit, vult esse vos salvos; si periit, superstites voluit. Proinde quid cessatis evadere? Angesichts der Tatsache, dass sich die handelnden Figuren auf der Flucht vor einer Katastrophe befinden und in Lebensgefahr schweben, fällt auf, wie stilistisch ausgefeilt der Spanier seine mahnenden Worte formuliert: Anapher (si…si), Chiasmus mit Iteration (frater tuus, tuus avunculus), Alliteration (vivit, vult), Paromoiose (vos salvos) und Polyptoton (vult…voluit) verleihen dem Gesagten Nachdruck. Als Plinius und seine Mutter antworten, dass sie, solange sie im Ungewissen über die Sicherheit des Onkels seien, sich nicht um ihre eigene würden kümmern wollen (10), stürzt der Spanier ohne weiteres Zögern davon und rettet seine Haut (11: effusoque cursu periculo aufertur). Die Reaktion des amicus avunculi (5) steht in deutlichem Kontrast zur derjenigen des Plinius und seiner Mutter, die sich um das Schicksal des älteren Plinius Sorgen machen, und soll wohl deren pietas verdeutlichen. 123 Einige Forscher haben vermutet, dass der stets anonym bleibende Spanier gar eine fiktive Figur sei, die als charakterliches Gegenbild zum jüngeren Plinius konstruiert ist. 124 Wie im Falle der Rectina in Epist. 6,16 ist auch hier eine eindeutige Entscheidung zwischen Realität und Fiktion schwierig zu fällen; 125 es steht zumindest fest, dass der Epistolograph diese Figuren, auch wenn sie 336 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 126 Nur in Epist. 7,27 und 9,33; Augoustakis (2005), 267 mit Anm. 10. 127 So bereits Lillge (1918), 289‒90, seither communis opinio; vgl. Lefèvre (1996a), 210‒1; Marchesi (2008), 177‒8; Schwerdtner (2015), 150‒1; vgl. Aen. 2,638‒40: ‘vos o, quibus integer aevi / sanguis,’ ait, ‘solidaeque suo stant robore vires, / vos agitate fugam…’; 647‒8: ‘iam pridem invisus divis et inutilis annos / demoror’; 657‒8: ‘mene efferre pedem, genitor, te posse relicto / sperasti…? ’; 707: ‘ergo age, care pater, cervici imponere nostrae’. 128 Vgl. Horsfall (2008), ad loc. tatsächlich existierten, für seine erzählerischen Zwecke zu funktionalisieren weiß. Die Dramatik der Ereignisse spitzt sich im nächsten Abschnitt zu, als die Wolke auf die Erde und das Meer niederzusinken beginnt (11: nec multo post illa nubes descendere in terras, operire maria) und sowohl Capri als auch den Kap von Misenum verhüllt. Nun kommt Plinius’ Mutter in indirekter Rede zu Wort (12): tum mater orare hortari iubere, quoquo modo fugerem. Wie aus dem dreigliedrigen und in der Intensität sich steigernden Asyndeton orare hortari iubere hervorgeht, werden die Bitten der Mutter immer eindringlicher; sie selbst, schon vom Alter gezeichnet, könne beruhigt sterben, wenn sie nur den Sohn nicht aufhalte und dadurch auch seinen Tod verursache. Hier sticht die gehäufte Verwendung historischer Infinitive ins Auge (descendere…operire…orare hortari iubere), von denen Plinius in seinen Briefen ansonsten selten Gebrauch macht. 126 Augoustakis (2005: 268) zufolge imitiert der Epistolograph hier eine Technik, die auch Tacitus mehmals anwendet, etwa im Agricola (37,2‒3; 38,1) und in den Historien (1,62,1): „Tacitus also uses historic infinitives forming asyndeta in important descriptions of battles, especially in the Agricola or the Historiae“. Plinius bedient sich also literarischer Strategien, die wir ansonsten aus war narratives kennen, und lehnt sich dabei nicht nur an die historiographische Prosa an, sondern auch an das Epos. Auf das Flehen seiner Mutter antwortet der junge Plinius, dass er nicht ohne sie weiterziehen werde (12: ego contra salvum me nisi una non futurum), ergreift ihre Hand und drängt sie, den Schritt zu beschleunigen, was die Mutter nur widerwillig tut (12: paret aegre incusatque se, quod me moretur). Man hat längst erkannt, dass diese Szene den Dialog des Aeneas und Anchises in der Aeneis nachahmt, wie er in Buch 2 des Epos geführt wird (Aen. 2,634‒70). 127 Während bei Vergil die beteiligten Akteure in längeren direkten Reden zu Wort kommen, 128 verkürzt Plinius den epischen Prätext auf wenige Sätze in indirekter Rede. Mit iam leitet der epistolare Erzähler zum nächsten Abschnitt über, wo zunächst vom Ascheregen und sich ausbreitenden Qualm berichtet wird (13: iam cinis, adhuc tamen rarus), den wir durch die Augen des jungen Plinius wahr‐ nehmen (13: respicio: densa caligo tergis imminebat). Hierauf folgt die zweite 337 4.2 Die Vesuv-Briefe (Epist. 6,16 und 6,20) 129 Er führt die Zerstörung von Alba Longa bei Livius 1,29 als Beispiel an; vgl. Marchesi (2008), 187‒8. direkte Rede innerhalb des Briefes, diesmal aus dem Mund des achtzehnjährigen Plinius (13): Deflectamus…dum videmus, ne in via strati comitantium turba in tenebris obteramur. Formal entspricht diese Rede derjenigen des älteren Plinius in Epist. 6,16,11, ihr Inhalt ist allerdings weniger heroisch als pragmatisch. Der Vorschlag des jungen Plinius, vom Weg abzubiegen, erweist sich als vernünftig, da kurz darauf der Tag zur Nacht wird, ähnlich einem geschlossenen Raum ohne Licht (14: qualis in locis clausis lumine exstincto). Wie schon weiter oben erwähnt, erfolgt die Schilderung der Naturkatastrophe in Epist. 6,16 ohne jede Akustik, und auch Epist. 6,20 war bisher - abgesehen von den Figurenreden - von visuellen Elementen dominiert. Dies ändert sich mit dem Anbrechen der künstlichen Nacht, wenn der Erzähler - nun im Imperfekt - die Reaktionen der Menschen beschreibt (14‒15): Audires ululatus feminarum, infantum quiritatus, clamores virorum; alii parentes alii liberos alii coniuges vocibus requirebant, vocibus noscitabant; hi suum casum, illi suorum miserabantur; erant qui metu mortis mortem precarentur; multi ad deos manus tollere, plures nusquam iam deos ullos aeternamque illam et novissimam noctem mundo interpretabantur. Nec defuerunt qui fictis mentitisque terroribus vera pericula augerent. Aderant qui Miseni illud ruisse illud ardere falso sed credentibus nuntiabant. Mit dem Konjunktiv audires wird der Adressat Tacitus dazu eingeladen, sich die akustische Kulisse des Schreckens vorzustellen, die dominiert ist von verzweifeltem Klagen, Weinen und Rufen. Zahlreiche Stilmittel schmücken die Beschreibung, so etwa Chiasmus und Trikolon (ululatus…virorum; parentes…li‐ beros…coniuges), Anapher (alii…alii…alii; illud…illud), Geminatio (vocibus…vo‐ cibus; deos…deos), Homoioteleuton (requirebant…noscitabant) und Polyptoton (suum…suorum; mortis mortem). Berry (2008: 311) bezeichnet diese Stelle als „most rhetorical passage in either letter“, da sie vor nahezu jedem Satzzeichen einen ciceronischen Rhythmus aufweise und aus der Feder des Livius stammen könne. 129 Verbal und inhaltlich lassen sich jedoch auch Parallelen zwischen dieser epistolaren Ekphrasis der Panik und ähnlichen Szenen in den taciteischen Annalen beobachten, wie etwa der Einsturz des Theaters bei Fidena (Ann. 4,62,3): Miserandi…qui per diem visu, per noctem ululatibus et gemitu coniuges aut liberos noscebant; iam ceteri fama exciti, hic fratrem, propinquum ille, alius parentes lamen‐ tari…nequedum comperto, quos illa vis perculisset, latior ex incerto metus. 338 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 130 Vgl. Lucr. 3,79‒81; Berry (2008), 311‒2. 131 Während Plinius seine Schilderung als Augenbzw. Ohrenzeugenbericht präsentiert, ist Koestermann (1963‒68), IV, 237 zufolge die Erzählung bei Tacitus „so lebendig wie der dokumentarische Bericht eines Augenzeugen“. 132 Die taciteische „Rumor-Technik“ diskutiert ausführlich Suerbaum (2015), 192‒220; vgl. Schönberger (1990), 547; Lefèvre (1996a), 212; Trisoglio (1973), 636 Anm. 268 und 641 Anm. 293 sowie Görler (1979), 428‒9 sehen außerdem Bezüge zu Lucan 1,469‒98, wo die in Rom aufkommende Panik beim Anmarsch Caesars beschrieben wird; vgl. Marchesi (2008), 179‒80. 133 Tacitus dürfte nach Meinung der Forscher frühestens 108 n. Chr. mit dem Werk begonnen haben; Schmal (2005), 21; Ash (2018b), 2: „The dates of composition and publication remain elusive“. 134 Vgl. Ash (2018b), 178. 135 Lefèvre (1996a), 212 Anm. 95. Auch die Schilderung vom Brand Roms bei Tacitus erfolgt nach einem vergleich‐ baren Muster (Ann. 15,38,4‒6): ad hoc lamenta paventium feminarum, fessa aetate aut rudis pueritiae aetas, quique sibi quique aliis consulebant, dum trahunt invalidos aut opperiuntur, pars mora, pars festinans, cuncta impediebant…postremo, quid vitarent quid peterent ambigui, complere vias, sterni per agros; quidam amissis omnibus fortunis, diurni quoque victus, alii caritate suorum, quos eripere nequiverant, quamvis patente effugio interiere. Sowohl Plinius als auch Tacitus variieren den Topos der Stadtzerstörung durch Feuer, wie er insbesondere das zweite Buch der vergilischen Aeneis prägt, und beschreiben in diesem Zusammenhang das Weinen von Frauen und Kindern, die Versuche der Menschen, im Chaos ihre Angehörigen zu finden, ihre Verzeiflung sowie die paradoxe Situation, dass man sich aus Todesangst den Tod wünscht 130 bzw. sich trotz bestehender Fluchtmöglichkeiten dem Tod ausliefert. 131 Auch das Einstreuen von Gerüchten, die in der unüberschaubaren Situation verbreitet werden, ist eine Technik, die sowohl Plinius als auch Tacitus anwenden. 132 Die Entstehung der Annalen wird in der Regel später angesetzt als die der Plinius-Briefe, 133 doch es wäre natürlich denkbar, dass Plinius einige Entwürfe dieses Werks bereits kannte; umgekehrt ist es freilich genauso möglich, dass Tacitus sich bei seinen Katastrophen-Narrationen von Plinius’ Vesuv-Brief anregen ließ. 134 Wie auch immer man sich das Verhältnis zwischen den beiden Autoren vorstellen mag, durch den Vergleich der beiden Passagen wird zumin‐ dest deutlich, dass Plinius literarische Elemente einstreut, die sich auch in einem historiographischen Werk finden. Nach einem kurzen Aufflackern des Vulkanfeuers (16: paulum reluxit) kehrt die Dunkelheit und mit ihr heftiger Ascheregen zurück, wie der Erzähler elliptisch und mit einer „sallustischen Schleppe“ 135 bemerkt (16: tenebrae rursus 339 4.2 Die Vesuv-Briefe (Epist. 6,16 und 6,20) 136 Zu den stoischen Anklängen vgl. Sen. Nat. 6,2,6: nullum solacium maius est mortis quam ipsa mortalitas; Lillge (1918), 294; Lefèvre (1996a), 213. 137 Sherwin-White (1966), 380. 138 Verg. Aen. 7,377 über Amatas Rasen: furit lymphata per urbem; Luc. 1,496; Val. Fl. 3,46; 422; 6,166; Stat. Theb. 7,113; 662; 8,766; 10,160; 557; Sil. 5,224; 7,357; 8,153; Liv. 7,17,3: velut lymphati; 10,28,10; Tac. Ann. 1,32,1; Hist. 1,82,1; OLD, 1056 s.v. lymphatus. 139 Marchesi (2008), 180: „Both the Virgilian original and its recasting in Lucan offer themselves as plausible intertexts“. 140 Zu Tacitus als „epic successor“ vgl. Joseph (2012). 141 Mart. 14,194; Quint. Inst. 10,1,90; Serv. ad Aen. 1,382; vgl. Neger (2012), 44‒5. cinis rursus, multus et gravis). Durch wiederholtes Aufstehen habe man die schwere Asche von sich abgeschüttelt, um nicht begraben zu werden (16). Seine narratio unterbricht Plinius mit dem Hinweis, dass er sich seines tapferen Verhaltens (17: non gemitum mihi non vocem parum fortem) rühmen könnte, wenn er damals nicht geglaubt hätte, zusammen mit allen anderen sterben zu müssen, was zwar ein kläglicher, im Angesicht des Todes jedoch bedeutender Trost gewesen sei (17: misero, magno tamen mortalitatis solacio). 136 Mit tandem (18) leitet der Erzähler dann zum Schlussteil über, der von der Verflüchtigung des Qualms (18: caligo tenuata) und der Rückkehr des Tageslichts (18: mox dies verus) berichtet. Unter dem fahlen Licht der Sonne tat sich vor den unsicheren Augen (18: trepidantibus oculis) eine von Asche bedeckte Landschaft auf, einer Schneedecke vergleichbar. Nach der Rückkehr nach Misenum (19: regressi Misenum) habe man die Nacht - es ist diejenige vom 25. auf den 26. August 137 - unruhig zwischen Hoffnung und Furcht schwankend zugebracht, wobei die Furcht aufgrund der andauernden Erdstöße überwog (19: metus praevalebat). Hinzu kam, dass die Menschen völlig außer sich waren (19: lymphati) und mit schauderhaften Prophezeiungen ihr eigenes Unglück und das der anderen verspotteten. Der Begriff lymphati ist bei Plinius ein hapax und findet sich seit Vergil in der Epik sowie seit Livius in der Historiographie ,138 sodass sich für Plinius mehrere Anknüpfungspunkte bieten. Während Augoustakis (2005: 270‒ 1) hier eine Parallele zu Tacitus Hist. 1,82,1 (lymphatis caeco pavore animis) sieht, schlägt Marchesi (2008) eine Anspielung auf Lucan 1,495‒8 (sic turba per urbem / praecipiti lymphata gradu…inconsulta ruit) vor, der seinerseits die vergilische Amata-Episode aufgreift. 139 Auch die Passage bei Tacitus ist vermutlich nicht nur von Livius, sondern auch vom Epos beeinflusst, 140 und Lucan galt antiken Kritikern bekanntlich sowohl als Epiker als auch Historiker. 141 Trotz der angsterfüllten Stimmung und der weiterhin bestehenden Gefahr (20: nobis…expertis periculum et expectantibus) bleiben Plinius und seine Mutter in Misenum, um auf Nachricht vom Onkel zu warten (20: donec de avunculo nuntius). Diese Information beschließt den narrativen Teil der Epist. 6,20, deren 340 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 142 Vgl. Jones (2001), 47; Augoustakis (2005), 271‒2; Berry (2008), 312; Marchesi (2008), 173. 143 S. Kap. II.1.5. Leser zu diesem Zeitpunkt nach der Lektüre der Epist. 6,16 bereits mehr weiß als die handelnden Figuren. Mit der Formulierung haec nequaquam historia digna (20) kehrt der Erzähler in die Gegenwart der epistolaren Kommunikation zurück und erwartet von Tacitus, dass er den Brief zwar lesen, jedoch keinesfalls in seinen Historien rezipieren werde (20: non scripturus leges); auch sei Tacitus selbst daran schuld, wenn die von ihm geforderte Narration nicht einmal einen Brief verdiene (20: digna ne epistula quidem). Die meisten Forscher sind sich einig, dass es sich hier um einen Ausdruck falscher Bescheidenheit handelt, der den Leser geradezu animiert, nach Gemeinsamkeiten zwischen Brief und Historiographie zu suchen. 142 Dem Sprecher der Briefe zufolge verdiene zwar das Schicksal des älteren Plinius, nicht jedoch das des achtzehnjährigen Neffen und seiner Mutter einen Platz in den taciteischen Historien. Es fällt jedoch auf, dass eine weitere Ich-Erzählung im nächsten Briefbuch durchaus als Stoff präsentiert wird, den Tacitus in sein Geschichtswerk aufnehmen soll. In der bereits in anderem Zusammenhang betrachteten Epist. 7,33 erzählt Plinius, wie er in der Domitian-Zeit, als er zusammen mit Herennius Senecio vor Gericht gegen Baebius Massa auftrat, sich dank seines Mutes und seiner Schlagfertigkeit der von Massa drohenden Gefahr entziehen konnte. 143 Während sich Plinius in Epist. 6,20 übertrieben bescheiden gibt, was den historischen Wert der Darstellung betrifft, erscheint er in Epist. 7,33 als außergewöhnlich unbescheiden (4: factum meum, cuius gratia periculo creverit; 10: honeste factis veritas sufficit). In den Briefen 6,16 und 6,20 ist die Schilderung eines Naturphänomens nicht nur Gegenstand einer gelehrten Diskussion, wie etwa derjenigen mit Licinius Sura in Epist. 4,30, sondern gewinnt durch die Einbeziehung handelnder Figuren den Charakter von Historiographie und (Prosa-)Epos en miniature. Wie in den meisten Briefen über Naturerscheinungen, spielt auch in den Vesuv-Briefen Autopsie eine zentrale Rolle, denn in Epist. 6,16 suggeriert uns der Erzähler, dass wir die Ereignisse durch die Augen des älteren Plinius betrachten, während sie in Epist. 6,20 aus der Ich-Perspektive des jüngeren Plinius präsentiert werden. In seiner praefatio zur Naturalis Historia hatte der ältere Plinius seinem Widmungsträger Titus das Werk mit folgenden Worten beschrieben (12): neque admittunt excessus aut orationes sermonesve aut casus mirabiles vel eventus varios. Plinius maior macht darauf aufmerksam, dass die Bücher seiner Naturgeschichte keine Abschweifungen (excessus), Reden und Unterhaltungen (orationes sermonesve), wundersame Ereignisse (casus mirabiles) oder verschiedenartige Schicksale (eventus varios) enthalten, 341 4.2 Die Vesuv-Briefe (Epist. 6,16 und 6,20) 144 Vgl. Beagon (1992), 11‒13. 145 Zu seiner Person s. S. 306. 146 Zu Epist. 7,27 vgl. Calboli (1986); Römer (1987); Offermann (1993), 83‒5; Felton (1999); Kroon (2002); Glücklich (2003), 68‒78; Suerbaum (2004); Buisel (2006); Fitzgerald (2007), 205‒10; Lorenz (2011); Baraz (2012). sondern die Natur und damit das wahre Leben (13: rerum natura, hoc est vita) schildern. 144 Wie wir gesehen haben, beinhalten Epist. 6,16 und 6,20 sowohl orationes als auch casus und eventus, und so scheint es, als wolle der jüngere Plinius, der zumindest in ausgewählten Briefen den Spuren seines Onkels folgt, die Vesuv-Briefe durch jene narrativen Elemente bereichern, die dem älteren Plinius zufolge keinen Platz in seinem Monumentalwerk haben. 4.3 Von Begegnungen mit Gespenstern (Epist. 7,27) Innerhalb des Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene werden die Vesuvbriefe gerahmt von zwei Briefen an Licinius Sura. 145 Während Plinius in der schon betrachteten Epist. 4,30 die Ursachen für die intermittierende Quelle am Comer See zur Diskussion gestellt hat, möchte er in Epist. 7,27 von seinem Adressaten wissen, ob es seiner Ansicht nach Gespenster gibt. 146 Den Rahmen für diese gelehrte Unterhaltung bildet Plinius zufolge das otium, das beiden Korrespondenten die Möglichkeit zu Lernen und zu Lehren gibt (1: et mihi discendi et tibi docendi facultatem otium praebet). Plinius schlüpft hier in die Rolle des Schülers, während er Licinius Sura die des Lehrers zuweist und knüpft damit an Epist. 4,30 an, wo er die hohe Gelehrsamkeit Suras gepriesen hatte (4,30,1: altissima ista eruditione; 11: scrutare tu causas). Wurde in den Vesuv-Briefen Tacitus als derjenige charakterisiert, der Plinius um eine Darstellung der Ereignisse gebeten hatte, so ist es in den Briefen an Licinius Sura nun Plinius selbst, der sich in der Rolle des Wissbegierigen präsentiert (4,30,1: attuli…quaestionem; 7,27,1: perquam velim scire). Im zweiten der beiden Briefe wirft Plinius die Frage auf, ob Sura an die Existenz von Geistern glaube (1: esse phantasmata et habere propriam figuram numenque aliquod) oder sie für Einbildung halte, die der Furcht entspringt (1: inania et vana ex metu nostro imaginem accipere). Plinius selbst hält, wie er behauptet, die erste Alternative für wahrscheinlich (2: ego ut esse credam) und erzählt zur Begründung in weiterer Folge drei unterschiedlich lange Geschichten über Begegnungen verschiedener Personen mit Gespenstern. Während er sich für die ersten beiden Fälle auf Hörensagen beruft (2: quod audio accidisse Curtio Rufo; 4: quod exponam ut accepi), kann er sich beim dritten Beispiel selbst als 342 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 147 Tac. Ann. 11,21; die Frage, ob es sich bei diesem Curtius Rufus um den Verfasser der Historiae Alexandri handelt, muss nach wie vor offen bleiben; vgl. Suerbaum (2004), der einen Vergleich der Narrationen über Curtius Rufus bei Plinius und Tacitus bietet. 148 Vgl. Koestermann (1963‒68), III, ad loc. 149 Zwei stoische Philosophen aus Tarsos, die Zeitgenossen Ciceros, Octavians sowie des jüngeren Cato waren, und ein Athenodorus von Soli aus dem 3. Jh. v. Chr. sind bekannt; Sherwin-White (1966), 436; Felton (1999), 67‒8; Baraz (2012), 119 Anm. 40; Shannon (2013), 7. 150 Eine ähnliche Geschichte wie diejenge über Athenodorus erzählt Lukian im Philopseudes (29‒32); antike Gespenster-Geschichten werden bei Felton (1999) analysiert. 151 Das genaue Datum des Konsulats und Prokonsulats ist nicht bekannt; Sherwin-White (1966), 436; Suerbaum (2004), 502 vermutet, dass das Prokonsulat in die Jahre 57‒ 58 n. Chr. und damit in die frühe Regierungszeit Neros fiel. Gewährsmann anführen (12: illud adfirmare aliis possum). Die ersten beiden Episoden spielen außerhalb Roms und werden von Plinius zeitlich nicht näher eingegrenzt: Curtius Rufus, über den auch Tacitus berichtet, 147 macht seine unheimliche Erfahrung in Afrika (2-3), während der Philosoph Athenodorus einem Gespenst in einem verlassenen Haus in Athen begegnet (4‒11). Aus der Passage bei Tacitus geht hervor, dass die politische Laufbahn des Curtius Rufus in die Regierungszeit der Kaiser Tiberius und Claudius fiel, 148 während es sich bei Athenodorus um mindestens drei verschiedene Philosophen zwischen dem 3. und 1. Jh. v. Chr. handeln könnte; es ist auch denkbar, dass Athenodorus bei Plinius keine konkrete Person, sondern einen Typus verkörpert. 149 Anders als die ersten beiden Geschichten ist die dritte zeitlich genau markiert (14): Domitianus sub quo haec acciderunt. Obwohl insbesondere der mittlere Teil des Briefes über Athenodorus, der unseren Vorstellungen von einer klassischen Gespenster-Geschichte am ehesten entspricht, 150 die ausführlichste und narrativ anspruchsvollste Sequenz bildet, dürfte es doch das dritte Gespenster-Beispiel sein, das die eigentliche Klimax des Briefes bildet, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Plinius beginnt seine Gespenster-Anekdoten mit Curtius Rufus, von dem er gehört haben will, dass er als noch unbekannter Mann (2: tenuis adhuc et obscurus) den Statthalter von Africa in seine Provinz begleitete (2: obtinenti Africam comes) und eines Tages beim abendlichen (2: inclinato die) Spaziergang in einer Säulenhalle einer übernatürlichen Frauengestalt begegnete (2: offertur ei mulieris figura humana grandior pulchriorque). Diese stellte sich dem Verängs‐ tigten (2: perterrito) als Personifikation der Provinz (2: Africam) und Künderin der Zukunft (2: futurorum praenuntiam) vor und sagte Curtius Rufus voraus, dass er nach Rom zurückkehren, die Ämterlaufbahn einschlagen und cum summo imperio in dieselbe Provinz zurückkehren und dort sterben werde (2). 151 Nachdem das alles tatsächlich so geschah (3: facta sunt omnia), soll Curtius der 343 4.3 Von Begegnungen mit Gespenstern (Epist. 7,27) 152 Zur Junktur futura praeteritis…auguratus vgl. Epist. 1,5,16 qui futura possit ex praeteritis providere (über Iunius Mauricus); Trisoglio (1973), I, 750 Anm. 365; ähnlich wird Themistokles bei Cornelius Nepos und Thukydides charakterisiert (Nep. Them. 1,4: quod et de instantibus, ut ait Thucydides, verissime iudicabat et de futuris callidissime coniciebat; vgl. Thuk. 1,138,3). 153 Vgl. Suerbaum (2004), 497. 154 Häufig ist er Objekt im Dativ (2‒3): accidisse Curtio Rufo; offertur ei; perterrito…dixit; accedenti…egredientique…occurrisse; vgl. Baraz (2012), 119; die einzige aktive Handlung des Curtius ist das frühzeitige Aufgeben der Hoffnung auf Genesung (3: spem…proiecit); vgl. Suerbaum (2004), 497. 155 Curtius Rufus ist hier sozusagen eine „mindere Parallele“ zu Domitius Corbulo, dem ebenfalls die ornamenta triumphalia ohne militärische Erfolge verliehen werden (Ann. 11,20,1‒2); Suerbaum (2004), 500. Frauengestalt später an der Küste Karthagos abermals begegnet sein und habe, als ihn eine Krankheit befiel, seine Zukunft und das ihm drohende Unheil schon vorausgeahnt (3: futura praeteritis, adversa secundis auguratus); 152 obwohl von seinen Begleitern noch niemand an seiner Genesung zweifelte, habe Curtius Rufus die Hoffnung verloren (3: spem…proiecit). Die Erzählung über Curtius Rufus, den Plinius in seinem Briefkorpus nur an dieser Stelle erwähnt, erfolgt in kurzen und syntaktisch einfachen Sätzen, wodurch sie den Charakter eines Protokolls gewinnt, das allerdings zum Teil märchenhafte Züge trägt. 153 Plinius fasst hier, so scheint es, lediglich das zusammen, was ihm andere über das Schicksal des Curtius Rufus erzählt haben (2: audio accidisse; 3: narratur), wobei er seine Gewährsleute nicht näher identifiziert. Es fällt zudem auf, dass der Hauptprotagonist dieser Anekdote eine relativ passive Rolle spielt, 154 wohingegen die personifizierte Afrika, deren Worte hier in indirekter Rede wiedergegeben werden, den aktiven Part über‐ nimmt. Ein anderes Bild zeichnet Tacitus, der in seinen Annalen ebenfalls von der wundersamen Begegnung des Curtius Rufus mit der weiblichen Erscheinung berichtet, diese Geschichte jedoch in einen anderen Kontext einbettet als Plinius. In den erhaltenen Büchern der Annalen wird Curtius Rufus ebenfalls nur einmal erwähnt, und zwar im Zusammenhang mit der Kriegsführung in Germanien im Jahr 47 n. Chr., wo er als Kommandant auftritt, der seine Soldaten zum müh‐ samen Ausheben von unterirdischen Schächten für die Suche nach Silberadern zwingt (Ann. 11,20,3: recluserat specus quaerendis venis argenti) und aufgrund eines geheimen Bittschreibens der Heere an den Kaiser die Triumphinsignien erhält (Ann. 11,20,3). 155 Das folgende Kapitel über die Biographie des Curtius Rufus und seine Erlebnisse in Afrika hat bei Tacitus die Funktion eines Exkurses, der die Haupthandlung des elften Annalen-Buches unterbricht und zur näheren Charakterisierung der Figur dient (Ann. 11,21). Auf Gerüchte über die niedrige Abkunft des Curtius Rufus (1: quem gladiatore genitum quidam prodidere) 344 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 156 Suerbaum (2004), 501 zufolge hatte er die Funktion eines Hilfsbeamten des Quästors inne, möglicherweise als Schreiber. will Tacitus angeblich nicht näher eingehen, suggeriert jedoch durch seine Wortwahl, dass sie einen wahren Kern enthalten (1: neque falsa prompserim et vera exsequi pudet); im Anschluss daran erzählt er von den Begebenheiten in Afrika. Was die Funktion des Curtius Rufus bei seinem ersten Aufenthalt in der Provinz betrifft, macht Tacitus nähere Angaben als Plinius, indem er Curtius als sectator quaestoris bezeichnet (1) 156 und als Ort der ersten Begegnung mit der Frauengestalt Hadrumentum anführt (1: in oppido Adrumento). Auch insofern unterscheidet sich Tacitus von Plinius, als er die Handlung in der Mittagszeit ansetzt und von einer leeren Säulenhalle spricht (1: vacuis per medium diei porticibus secretus agitat). Die Worte der Erscheinung, die Plinius in indirekter Rede anführt, gibt Tacitus in direkter Rede wieder (1: tu es, Rufe, qui in hanc provinciam pro consule venies). Anstelle der kurzen Bemerkung facta sunt omnia bei Plinius geht Tacitus näher auf die Reaktion und weitere Karriere des Curtius Rufus ein, wenn er von dessen aufkeimenden Hoffnungen erzählt (2: tali omine in spem sublatus) sowie von den verschiedenen Faktoren, die Curtius im Anschluß beim Erklimmen der Karriereleiter - vom Quästor bis zum Prokonsul - halfen (2: largitione amicorum, simul acri ingenio quaesturam et mox…praeturam principis suffragio assequitur). Auch eine direkte Rede des Tiberius, der die niedrige Abstammung des Curtius zu verschleiern versuchte (2: Curtius Rufus videtur mihi ex se natus), baut Tacitus ein, bevor er die negativen Charaktereigenschaften des Curtius auflistet (3: adversus superiores tristi adulatione, arrogans minoribus, inter pares difficilis). Anders als bei Plinius enthält die Weissagung der taciteischen Afrika keinen Hinweis auf den Tod des Curtius in der Provinz, sondern bezieht sich lediglich auf dessen cursus honorum; erst am Ende seiner eingelegten Narration resümiert der Historiker, dass Curtius mit seinem Tod als Statthalter in Afrika ein fatale praesagium erfüllt habe (3: ibi defunctus fatale praesagium implevit), ohne jedoch auf eine zweite übernatürliche Begegnung und eine damit verbundene Vorahnung des Curtius über sein bevorstehendes Lebensende einzugehen. Suerbaum (2004: 502‒4) liegt sicherlich richtig, wenn er die Version bei Plinius gegenüber derjenigen bei Tacitus als stringenter und rinkompositorisch besser abgerundet bezeichnet, doch geht er m. E. etwas zu weit, dies als narrative Schwäche des Tacitus zu deuten und als Beleg dafür selbst eine „ideale“ Version der Erzählung zu konstruieren, wo der taciteische Text durch Versatzstücke aus Plinius und eigene Zutaten Suerbaums erweitert wird. Für die beiden Autoren sind, wie ich meine, unterschiedliche Aspekte der Vita des Curtius Rufus wichtig im erzählerischen 345 4.3 Von Begegnungen mit Gespenstern (Epist. 7,27) 157 Suerbaum (2004), 498 geht selbst davon aus, dass Tacitus den Plinius-Brief 7,27 kannte; Sherwin-White (1966), 41 datiert Buch 7 der Briefe auf 107 n. Chr.; die Annalen dürften einige Jahre später verfasst bzw. publiziert worden sein; s. S. 339. 158 Vgl. Epist. 6,16,22. 159 Man vergleiche die sich nähernde Gefahr beim Vesuv-Ausbruch (6,16,12): ibi quamquam periculo nondum adpropinquante, conspicuo tamen et cum cresceret proximo. Kontext: Während Curtius Rufus in den Annalen zum Panoptikum der negativen Charaktere gehört, macht Plinius keinerlei Andeutungen zur Abkunft oder Wesensart seines Protagonisten, sondern filtert aus dessen Lebensgeschichte einzig die unheimliche Begegnung mit der Frauengestalt in Afrika heraus. Für Plinius dient die Anekdote über Curtius in erster Linie als Beleg für die in der Einleitung des Briefes formulierte These, dass Gespenster tatsächlich existieren. Eines kann Suerbaums Konstrukt der „idealen“ Narration über Curtius Rufus jedoch gut verdeutlichen: Zusammen ergeben die Texte des Plinius und Tacitus eine Erzählung, die sowohl den zweimaligen Auftritt der unheimlichen Frauen‐ gestalt schlüssig beschreibt als auch Curtius Rufus näher charakterisiert. Eine solche Narration konstruierte womöglich auch der antike Leser der taciteischen Annalen, indem er bei der Lektüre der betreffenden Passage die Version des Plinius geistig mitlas. 157 Sowohl hinsichtlich der Länge als auch der narrativen Technik stellt die zweite Anekdote in Epist. 7,27 eine Steigerung gegenüber der ersten Erzählung dar. Plinius bezeichnet das Folgende in einer kurzen Einleitung als magis terribile et non minus mirum (4) im Vergleich zum ersten Beispiel und kündigt an, alles so erzählen zu wollen, wie er es gehört hat (4: quod exponam ut accepi). 158 Mit erat Athenis (5) beginnt die Narration, deren Schauplatz nun eine spatiosa et capax domus mit unheilvollem Ruf (5: infamis et pestilens) bildet, wo man in der Nacht das Geklirre von Eisen und Gerassel von Fesseln hören konnte. War die Geschichte über Curtius Rufus haupsächlich von visuellen Aspekten geprägt (2: offertur ei…figura; eadem figura…occurrisse), liefert Plinius nun zunächst eine akustische Ekphrasis des Spuks, bevor er die visuelle Erscheinung beschreibt (5): Die unheimlichen Geräusche habe man zunächst weiter entfernt (longius primo), dann aus der Nähe (deinde e proximo) vernommen. 159 Hierauf sei dann das Gespenst erschienen (mox adparebat idolon), ein magerer und von Schmutz bedeckter Greis (senex macie et squalore confectus) mit langem Bart und struppigem Haar, der an Beinen und Händen Ketten trug und mit diesen rasselte. Dieser Geist habe den Hausbewohnern angsterfüllte und schlaflose Nächte bereitet, sodass die anhaltende Schlaflosigkeit und wachsende Furcht sogar zu Krankheit und Tod führte (6: vigiliam morbus et crescente formidine 346 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 160 Vgl. Lorenz (2011), 248. 161 Zum Polyptoton timoris timor vgl. Epist. 6,16,16 timorem timor vicit. 162 Epist. 7,27,5‒6: Erat…reddebatur: …adparebat…gerebat quatiebatque; …vigilabantur; … sequebatur; …inerrabat…erat; …proscribebatur; siehe Rosén (1980), 43‒8. 163 Epist. 7,27,7: Venit…legit…docetur…conducit…iubet…poscit…dimittit…intendit; zum Tem‐ pusrelief vgl. Glücklich (2003), 74‒8; Kroon (2002), 195‒6 weist nach, dass in der Athenodorus-Epistode der mimetische Modus der Narration dominiert. 164 Der sprechende Name (Ἀθῆναι „Athen“ bzw. Ἀθηνᾶ „Athene“ und δῶρον „Geschenk“) passt gut zum Inhalt der Geschichte, derzufolge der Philosoph gleichsam als „Geschenk“ die Athener vom Gespenst befreit; Felton (1999), 68; Baraz (2012), 119. 165 Epist. 6,20,5: posco librum Titi Livi…lego…excerpo…ego intentus in librum; vgl. auch C. Fannius in Epist. 5,5,5; s. S. 331-2. mors sequebatur). Hinzu kam, wie Plinius in wissenschaftlichem Ton erläutert, 160 dass den Bewohnern auch tagsüber die memoria imaginis vor Augen schwebte und dadurch die Angst länger währte als ihre Ursache (6: longiorque causis timoris timor erat). 161 Letztendlich wurde das Haus verlassen, ungeachtet des Spuks jedoch wieder zur Miete oder zum Kauf ausgeschrieben, sollte sich ein unwissender Interessent finden. Nach dieser Exposition, deren Erzähltempus das Imperfekt bildet, 162 folgt nun die Haupthandlung zunächst im historischen Präsens, 163 wobei der Anfang dieses Abschnitts und die Einführung des Antagonisten des Gespenstes verbal deutlich auf den Beginn der Anekdote rekurrieren (5: erat Athenis - 7: venit Athenas): Der Philosoph Athenodorus 164 kommt nach Athen, liest den günstigen Preis, zu dem das Haus vermietet wird, erfährt die Gründe dafür und mietet das Haus trotzdem, ja sogar dann erst recht (7: nihilo minus, immo tanto magis). Athenodoros bezieht das Haus offenbar zusammen mit Familie und Sklaven (7: suos omnes), von denen er sich am Abend im vorderen Teil des Hauses ein Lager errichten sowie Schreibutensilien und Licht bringen lässt und die er dann in die inneren Räumlichkeiten wegschickt. Diese Begleiter bleiben anonym und spielen im weiteren Verlauf der Erzählung keine Rolle mehr. Es wurde schon in anderem Kontext darauf hingewiesen, dass der auf seine Studien konzentrierte Athenodorus (7: poscit pugillares stilum lumen…ad scribendum animum oculos manum intendit) eine Parallele zum jüngeren Plinius darstellt, der sich beim Ausbruch des Vesuv seiner Livius-Lektüre widmet. 165 Führte der Erzähler das Verhalten seines achtzehnjährigen alter ego auf constantia oder imprudentia zurück, betreibt Athenodorus seine Studien als Mittel gegen unbegründete Ängste, die sein unbeschäftigter Geist sich aufgrund der zuvor gehörten Geschichten über das Gespenst einbilden könnte (7: ne vacua mens audita simulacra et inanes sibi metus fingeret). Anders als im Fall des in Epist. 6,20 erwähnten Livius-Texts erfahren wir in Epist. 7,27 nicht, womit sich 347 4.3 Von Begegnungen mit Gespenstern (Epist. 7,27) 166 Zur Verwendung historischer Infinitive bei Plinius s. S. 337. 167 Lorenz (2011), 250‒1 sieht in dem Wechsel von der akustischen zur visuellen Wahrneh‐ mung eine Vorwegnahme der „Technik des Horrorfilms“. 168 Trisoglio (1973), I, 752 Anm. 374: „Il filosofo vuole fare un’ultima prova della realtà del fenomeno: diffida ancora dei sensi per timore di un’allucinazione“; Römer (1987), 30 zufolge wird das Gespenst hier sogar zu einer komischen Figur, indem Athenodorus es warten lässt. 169 Die c-Alliteration verstärkt den akustischen Effekt. Athenodorus konkret beschäftigt. Exzerpiert er, wie der jüngere Plinius, aus einem Werk, oder macht er, wie der ältere Plinius beim Vesuvausbruch, Notizen über das, was er hört und sieht? Die Maßnahmen des Philosophen rufen den Beginn des Briefes ins Gedächnis, wo Plinius die These von Gespenstern als leere Angstvorstellungen (1: inania et vana ex metu nostro imaginem accipere) formulierte. Dass solche phantasmata jedoch tatsächlich existieren (wovon Plinius auszugehen vorgibt), belegt der folgende narrative Abschnitt, in dem es zur Konfrontation zwischen Philosoph und Gespenst kommt: Während zunächst (8: initio) die Stille der Nacht herrscht, macht sich der Geist allmählich (8: dein) akustisch bemerkbar, wie der Epistolograph nun besonders anschaulich durch historische Infinitive erzählt (8: concuti ferrum, vincula moveri). 166 Obwohl Athenodorus dies zu ignorieren versucht (8: ille non tollere oculos, non remittere stilum), sondern seinen Geist wappnet (8: offirmare animum) und ihn gleichsam „als Schutzschild vor die Ohren hält“ (8: auribusque praetendere), wird der Lärm immer größer und nähert sich der Schwelle (8: tum crebrescere fragor, adventare et iam ut in limine, iam ut intra limen audiri). Prägen historische Infinitive diese akustische Ekphrasis, wechselt Plinius bei der Schilderung der visuellen Erscheinung wieder ins historische Präsens und Imperfekt zurück: In einem Trikolon von Aufblicken, Sehen und Erkennen (8: respicit, videt agnoscitque narratam sibi effigiem) ist der Höhepunkt der Spannung erreicht, wenn der Philosoph das ihm aus Erzählungen bekannte Gespenst nun mit eigenen Augen wahrnimmt. 167 Doch anstatt zu erschrecken, begibt er sich in eine Art Dialog der Gesten und bedeutet dem Geist, der mit dem Finger Zeichen gibt (9: innuebatque digito similis vocanti), seinerseits mit der Hand, ein wenig zu warten, um sich wieder seinen Studien zu widmen, wohl immer noch im Glauben, dass er einer Einbildung unterliegt. 168 Doch das Gespenst macht sich erneut akustisch bemerkbar (9: scribentis capiti catenis insonabat), 169 woraufhin der Philosoph abermals aufblickt, die winkende Erscheinung immer noch sieht und ihr mit seiner Lampe folgt. Nachdem der Geist ihn in den Hof des Hauses geführt hat und dort plötzlich verschwunden ist, markiert Athenodorus die Stelle mit Blättern und Gräsern (10). Am Ende dieser Spuk-Novelle kehrt der Erzähler wieder in die pragmatische Welt der Realität zurück, wenn er berichtet, dass 348 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 170 Vgl. Sherwin-White (1966), 437: „The burial of an unknown man could only be done by the representative of the community“; Baraz (2012), 121: „…the folktale encounter is integrated into the public life of the city, and belief in ghosts is reconciled with the everyday“. 171 Der Satz inveniuntur ossa inserta catenis et implicita, quae corpus aevo terraque putre‐ factum nuda et exesa reliquerat (11) weist eine etwas komplizierte Wortstellung auf, die Lorenz (2011), 252 zufolge „einerseits die Verstrickung von Knochen und Ketten und andererseits die durch Verwesung kaum mehr erkennbare Struktur des Körpers“ nachbildet. 172 Zu den ruhelosen Seelen der Unbestatteten vgl. Verg. Aen. 6,325‒30; Johnston (1999), 7‒16. 173 Zum Zyklus der Traum-Narrationen vgl. Baraz (2012); Shannon (2013); Neger (2018b). 174 Epist. 1,18,1: scribis te perterritum somnio vereri; 5,5,6: expavit; 7,27,2: perterrito; 9,13,24: Certus intra paucissimos dies implicitus morbo decessit; somit entsprechen diese Figuren den verängstigten Hausbewohnern in Epist. 7,27,5‒6, bei denen der Spuk zu Krankheit und Tod führt. 175 Sallmann (1984) analysiert den „Traum des Historikers“ in Epist. 3,5. 176 Vgl. zu den angeführten Beispielen auch den jüngeren Plinius in Epist. 7,33,8: horror omnium; ego autem…; s. S. 195. Athenodorus am nächsten Tag die Behörden aufgesucht (11: postero die adit magistratus) und sie zum Graben an der gekennzeichneten Stelle veranlasst habe. 170 Tatsächlich fand man dort ein von Ketten umgebenes Skelett 171 und bestattete die Gebeine auf öffentliche Kosten (11: collecta publice sepeliuntur), woraufhin das Haus vom Spuk erlöst war (11: domus postea rite conditis manibus caruit). 172 Athenodorus, der sich durch studia gegen leere Angstvorstellungen wappnet und sich im Geisterhaus seine Schreibutensilien bringen lässt, entspricht nicht nur dem jüngeren Plinius beim Vesuv-Ausbruch, sondern auch einigen an‐ deren Figuren, die in der Briefsammlung mit übernatürlichen Phänomenen konfrontiert werden, darauf jedoch in unterschiedlicher Weise reagieren: Zu diesen gehören neben Curtius Rufus etwa Gaius Fannius, der in Epist. 5,5 im Traum den Geist Neros sieht, der ältere Plinius, dem Drusus Nero im Traum erscheint (Epist. 3,5,4), Publicius Certus, der eine Vision von Plinius als ihn bedrohendem Rächer hat (Epist. 9,13,24‒25), sowie Sueton und Plinius selbst, denen vor wichtigen Prozessen schlechte Träume widerfahren (Epist. 1,18). 173 Während Sueton, Fannius, Curtius Rufus und Certus angstvoll reagieren oder gar von Krankheit und Tod heimgesucht werden, 174 legen der ältere und jüngere Plinius einen rationalen Umgang mit dem Übernatürlichen an den Tag und lassen sich davon sogar zu literarischen und juristischen Aktivitäten und Erfolgen anspornen. 175 Sowohl Athenodorus als auch der ältere und jüngere Plinius stehen als rational handelnde und mutige Charaktere zu verschiedenen anderen Individuen in Kontrast, die von Furcht ergriffen werden. 176 Es dürfte in 349 4.3 Von Begegnungen mit Gespenstern (Epist. 7,27) 177 Suet. Dom. 14,2: Quare pavidus semper atque anxius minimis etiam suspicionibus praeter modum commovebatur. 178 S. S. 333-41. 179 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 402. 180 Vgl. Epist. 1,22,1: perturbat me longa et pertinax valetudo Titi Aristonis; 4,21,2: angor infantium sorte…angor optimorum maritorum, angor etiam meo nomine; 5,5,2: angit me super ista casus ipsius: decessit veteri testamento; 7,19,1: angit me Fanniae valetudo. 181 Vgl. Epist. 6,16,8: accipit codicillos Rectinae Tasci imminenti periculo exterritae. 182 Carlon (2009), 166‒7 weist auf die intertextuellen Bezüge zu Ciceros Briefen an Tiro in Buch 16 der Epistulae ad familiares hin; Trisoglio (1973), I, 596 Anm. 51 führt u. a. Hor. Epod. 1,17‒18 als Parallele an; vgl. Häger (2019), 340‒50. diesem Zusammenhang auch nicht unerheblich sein, dass niemand geringerer als Kaiser Domitian, der in der dritten Geistergeschichte des Briefes 7,27 eine wichtige Rolle spielt, dem Biographen Sueton zufolge als ausgesprochen ängstlich und abergläubisch galt. 177 Erhellend ist zudem ein kurzer Blick auf jene Passagen, in denen wir einem Plinius begegnen, der sich als ängstlich charakterisiert: Wie bereits erörtert wurde, 178 empfindet der jüngere Plinius als handelnde Figur beim Vesuvausbruch ebenfalls Furcht - Auslöser ist hier allerdings kein übernatürliches Phänomen, sondern die Auswirkungen einer Naturkatastrophe. Als Verfasser von Briefen verleiht Plinius seiner Angst meist aus Empathie Ausdruck, wenn er etwa um das Wohlergehen oder die Gesundheit von Freunden oder nahestehenden Personen fürchtet: Bereits im ersten Brief des siebten Buches an Rosianus Geminus 179 heißt es terret me haec tua tam pertinax valetudo (1), und so wird deutlich, dass Plinius sich nicht von Gespenstern und schlechten Träumen erschrecken lässt, sondern von alltäglichen Gefahren, die das Wohl seiner Freunde und Familienmitglieder beeinträchtigen. 180 Eine auffällige Parallele zu dem in Epist. 7,27 thematisierten Problem der Furcht, die durch Einbildung entsteht, findet sich in Epist. 6,4, wo Plinius seiner in Kampanien weilenden Gattin Calpurnia Folgendes schreibt (4): nunc vero me cum absentiae tum infirmitatis tuae ratio incerta et varia sollicitudine exterret, vereor omnia, imaginor omnia, quaeque natura metuentium est, ea maxime mihi, quae maxime abominor, fingo. Die Abwesenheit Calpurnias und das Wissen um ihre Krankheit versetzen Plinius in Angst und Schrecken (exterret), 181 und, wie es der natura metuentium entspricht, malt er sich gerade die Schrecknisse aus (fingo), die er sich am meisten hinwegwünscht. Ähnlich wie Athenodorus, der seine inanes metus durch Schreiben zu bekämpfen versucht, erhofft sich Plinius Linderung seiner Ängste durch die Lektüre von Briefen seiner Gattin (5): quo impensius rogo, ut timori meo cotidie singulis vel etiam binis epistulis consulas. ero enim securior, dum lego, statimque timebo, cum legero. 182 Mit dem Brief an 350 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 183 Zu elegischen Elementen in den Calpurnia-Briefen vgl. s. S. 291-2. 184 Fitzgerald (2007), 208‒9 weist zwar überzeugend auf Bezüge zwischen Epist. 7,27 und 7,5 hin und bezeichnet die Athenodorus-Geschichte als eine Art Parodie der Epist. 7,5, lässt aber den ersten Brief an Calpurnia (6,4) unberücksichtigt. 185 Römer (1987), 31; Lorenz (2011), 253. 186 Baraz (2012), 125: „We can read the protagonists of the first and second tales as embodying two aspects of Pliny as we know him from the correspondence, Pliny the statesman, Pliny the thinker“. 187 Vgl. die Vision des Fannius vom Geist Neros (5,5,5): visus est sibi…iacere in lecto…mox imaginatus est venisse Neronem, in toro resedisse. Calpurnia liefert Plinius ein lebensweltliches, geradezu elegisches Gegenstück 183 zur märchenhaften Geschichte über Athenodorus und das Gespenst in Athen. Zudem erscheint die abwesende Calpurnia in Epist. 7,5 als imago (vgl. 7,27,6: imago), die den liebeskranken Plinius wach hält (1: magnam noctium partem in imagine tua vigil exigo) und wie ein Geist in seinem Haus präsent zu sein scheint. 184 Als längste, kunstvollste und spannendste (4: magis terribile) Narration in Epist. 7,27 scheint die Erzählung über Athenodorus den Höhepunkt des Briefes zu bilden, doch sie dient auch, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, der Lektü‐ resteuerung der dritten Anekdote, von der Plinius seinem Adressaten berichtet. Von der Passage über Athenodorus leitet Plinius zum nächsten Beispiel mit der Bemerkung über, dass er für das Vorausgehende seinen Gewährsleuten Glauben schenke (12: et haec quidem adfirmantibus credo) und das Folgende sogar selbst bezeugen könne (12: illud adfirmare aliis possum). Wie sich jedoch herausstellt, ist Plinius nicht selbst der Augenzeuge einer übernatürlichen Erscheinung, son‐ dern sein libertus non illiteratus (12), bzw. genauer gesagt dessen jüngerer Bruder (12: minor frater), der mit diesem zusammen im selben Bett schlief. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass Plinius die Bildung seines Freigelassenen her‐ ausstreicht, wodurch dieser wohl als vertrauenswürdig charakterisiert werden soll. 185 Die Bildung ist möglicherweise auch das Bindeglied zu Plinius selbst, der sich ansonsten eher mit den Protagonisten der ersten beiden Narrationen vergleichen lässt. 186 Der jüngere Bruder hatte nun, wie es heißt, einen Traum oder eine nächtliche Vision von einer Gestalt, die sich an sein Bett setzte 187 und ihm mit einem Messer Haare vom Kopf abschnitt (12: is visus est sibi cernere quendam in toro residentem, admoventemque capiti suo cultros…amputantem capillos). Als er aufwachte, war er am Scheitel tatsächlich geschoren und man fand die Haare verstreut herumliegen (12). Vergleicht man die Schilderung dieses Gespenstes mit derjenigen in der vorhergehenden Anekdote, so fällt auf, dass in der Version, die Plinius angeblich selbst bezeugen kann, lediglich von 351 4.3 Von Begegnungen mit Gespenstern (Epist. 7,27) 188 Vgl. Römer (1987), 32: „völlig unprofiliert“. 189 Darauf lässt die Formulierung hunc quoque (13) schließen. 190 Zum delator Mettius Carus vgl. Epist. 1,5,3; 7,19,5; Tac. Agr. 45; Mart. 12,25; Sherwin-White (1966), 96. einer undefinierten Gestalt (quidam) die Rede ist, 188 während der Geist, der sein Unwesen in Athen trieb, relativ ausführlich beschrieben wurde (5) - und hiervon hatte Plinius ja nur vom Hörensagen Kenntnis, wie er behauptet. Etwas detaillierter schildert Plinius die Gespenster, deren Erscheinen wenig später bei einem zweiten, ähnlichen Vorfall den ersten als glaubwürdig erwiesen haben soll (13: et rursus simile aliud priori fidem fecit): Diesmal schlief ein Knabe - es dürfte ein anderer sein als der zuvor erwähnte 189 - zusammen mit mehreren anderen im paedagogium, als zwei Gestalten in weißen Tuniken (13: in tunicis albis) durchs Fenster kamen, ihm die Haare schoren, und auf demselben Weg wieder entschwanden. Vermutlich handelt es sich bei dem puer, der von diesem Vorfall erzählt (13: ita narrat) ebenfalls um einen von Plinius’ Sklaven, doch genauere Informationen werden uns vorenthalten. Auch bei ihm habe man, so heißt es, am nächsten Tag das Fehlen der Haare bemerkt. Dass es sich in den beiden Fällen, wo das „Friseurgespenst“ aktiv war, auch um Streiche von Altersgenossen gehandelt haben könnte, zieht der Epistolograph offenbar nicht in Erwägung. Nachdem Plinius von diesem letzten Spuk-Beispiel erzählt hat, versucht er den Leser mit der Wendung nihil notabile secutum (14) darüber hinwegzutäuschen, dass das Folgende eigentlich die zentrale Information des Briefes bildet: Hier tauchen nun mit Domitian und seinen Denunzianten Gespenster auf, die Plinius in seiner gesamten Briefsammlung verfolgen. Nur dem bald auf die zuvor geschilderten Ereignisse folgenden Tod des letzten Flaviers sei es zu verdanken, dass Plinius nicht angeklagt wurde (14: nisi forte quod non fui reus, futurus, si Domitianus sub quo haec acciderunt diutius vixisset), nachdem der Kaiser bereits eine Anklageschrift des Carus 190 gegen Plinius erhalten hatte (14: nam in scrinio eius datus a Caro de me libellus inventus est). Die nächtlichen Erlebnisse der Knaben und ihre abgeschnittenen Haare seien demnach als Omen für die abgewendete Gefahr zu deuten, wie Plinius schlussfolgert (14: ex quo coniectari potest), da Angeklagte sich üblicherweise die Haare wachsen ließen (14: reis moris est summittere capillum). Mit der Erwähnung des Domitian-Regimes be‐ kommt auch die dritte Gespenster-Anekdote eine politische Färbung, wodurch der Bezug zum ersten Beispiel über Curtius Rufus hergestellt ist; während dieser sich aufgrund der Vision seinem Schicksal ergibt, hat die übernatürliche Erscheinung für Plinius erfreulichere Konsequenzen. Zudem entspricht die Anklageschrift, die man im scrinium des toten Domitian entdeckt habe (14: libellus inventus est), dem Skelett, das im Hof des Spukhauses in Athen gefunden 352 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 191 Siehe Edwards (2000), xviii‒xix. 192 Dazu insbesondere Beutel (2000). 193 Es ist vermutlich keine zufällige Parallele, wenn Plinius hier die Metapher vom Blitz verwendet, um die Todesgefahr unter Domitian zu veraunschaulichen, und Sueton in wurde (11: inveniuntur ossa). Wie Fitzgerald (2007: 208) beobachtet, ist die Frage nach der Existenz von Gespenstern kunstvoll verwoben mit der Frage nach Plinius’ politischer Rolle unter Domitian: „Applying Athenodorus’ story metaphorically to Pliny’s anecdote, we might see his career under Domitian as a haunting source of unease that needs to be dug up and reburied once and for all.“ Besonders durch die Kombination der Motive Vision und Traum mit dem Hinweis auf den Tod Domitians scheint Plinius die biographische Arbeitsweise Suetons zu antizipieren, der in seinen Viten häufig verschiedene Omen und Vorzeichen vor dem Tod eines Kaisers auflisted, 191 so auch im Falle Domitians (Dom. 15). Die drei Gespenster-Anekdoten in Epist. 7,27 bilden insofern eine Klimax, als die erste mit dem Tod des Curtius Rufus endet, die zweite mit der Bestattung des Gespenstes bzw. seiner Gebeine und die dritte mit der „Erlösung“ des Plinius von den Gefahren unter Domitian durch dessen Tod. Trajans rechte Hand Licinius Sura, den Plinius abschließend um seine wissenschaftliche Expertise bittet (15: eruditionem tuam intendas) und dem er sogar zugesteht, utramque in partem zu argumentieren (16), muss sich somit nicht nur mit der Existenz von phantasmata im Allgemeinen, sondern auch mit politischen Gespenstern aus der Domitian-Zeit auseinandersetzen. Es dürfte deutlich geworden sein, dass Epist. 7,27 sowohl für sich selbst eine anspruchsvolle Narration bildet und als Einzeltext den Leser zu unterhalten vermag, als auch mit anderen narrative Zyklen, die sich über mehrere Briefbü‐ cher erstrecken, interagiert und einen Teil davon bildet: Hierzu gehören neben den Briefen, in denen die Domitian-Zeit thematisiert wird, 192 etwa Erzählungen über Träume sowie andere Mirabilien. Überdies haben die in Epist. 7,27 auftau‐ chenden Gespenster mehrere Parallelen in der Lebenswelt des Epistolographen, wie etwa den Kaiser Domitian oder die Gattin Calpurnia. Auch das Motiv der Vorahnung, die in Epist. 7,27 durch eine übernatürliche Erscheinung geweckt wird, findet sich im sozio-politischen Kontext der Briefe wieder: So entspricht Curtius Rufus, der die Zukunft aus der Vergangenheit und Unglück aus glück‐ lichen Umständen vorausahnt (3: futura praeteritis, adversa secundis auguratus), Plinius selbst, der sich in Epist. 3,11,3 nach der Hinrichtung und Verbannung mehrerer Freunde als eines der nächsten Opfer Domitians wähnt: cum…tot circa me iactis fulminibus quasi ambustus mihi quoque impendere idem exitium certis quibusdam notis augurarer. 193 Schließlich bildet das Verbum augurari eine 353 4.3 Von Begegnungen mit Gespenstern (Epist. 7,27) der Vita Domitians von den Blitzeinschlägen erzählt, die das Lebensende Domitians ankündigten (Dom. 15,2). 194 Zum Augurat des Plinius vgl. Epist. 4,8 und 10,13; Sherwin-White (1966), 79‒80; zu Epist. 7,33 s. Kap. II.1.5. 195 Abgesehen von der Reise-Thematik spielt auch Sklaverei eine wichtige Rolle in Buch 8; Whitton (2010). 196 Somit wird hier ein Neubeginn signalisiert, vgl. Gibson (2013b), 352. 197 Sherwin-White (1966), 448 vermutet, dass es sich um die Villa bei Tifernum Tiberinum handelt; Hauptthema des Briefes ist nicht die Reise selbst, sondern die Krankheit des Vorlesers Encolpius. 198 Sherwin-White (1966), 448‒9 datiert den Brief auf die Zeit nach der Rückkehr des Plinius von seiner tuskischen Villa; die Juxtaposition der Briefe 8,1 und 8,2 suggeriert dem Leser, dass es sich um dasselbe Landgut handelt. 199 Epist. 8,4,3: Graecis versibus; der zweite Dakerkrieg endete 106 n. Chr.; vgl. Cass. Dio 68,6‒15; Sherwin-White (1966), 450‒1; zu Epist. 8,4 vgl. Egelhaaf-Gaiser (2002); Morello (2015), 156‒7; zu den Dakerkriegen Strobel (1984); der Beginn des Briefes mit optime facis (1) spielt wohl auf die Bezeichnung Trajans als optimus princeps an; vgl. Plin. Epist. 2,13,8; 3,13,1; Pan. 2,7; 88,4 und 7; Sherwin-White (1966), 178‒9. Brücke zum letzten Brief des siebten Buches, der ebenfalls der Domitian-Zeit gewidmet ist und an dessen Beginn Plinius den taciteischen Historien, in denen er gerne von sich selbst lesen würde, Unsterblichkeit prophezeit (7,33,1: auguror nec me fallit augurium historias tuas immortales futuras). 194 4.4 Wasser-Wunder in Buch 8 Wie sich in der Analyse der Epist. 7,27 herausgestellt hat, fungiert das Motiv der Angst in Buch 7 als eines der Leitmotive, über das aus verschiedenen Perspektiven und in unterschiedlichen Kontexten reflektiert wird. In Buch 8 tritt nun das Thema des Reisens in den Vordergrund, indem Plinius in mehreren Briefen seine eigenen Reisen oder diejenigen anderer diskutiert und in diesem Zusammenhang auch wundersame Gewässer beschreibt (Epist. 8,8; 8,20). 195 So liest sich die Wendung iter commode explicui am Anfang der ersten Epistel an Septicius Clarus (8,1,1), der auch Adressat der Epist. 1,1 ist, 196 wie ein program‐ matisches incipit, das auf den weiteren Inhalt des Buches vorausweist. Über das Ziel seiner Reise gibt Plinius in diesem Brief keine nähere Auskunft, wir erfahren lediglich, dass es sich um einen secessus handelt. 197 Auch Epist. 8,2 berichtet von einer Reise aufs Landgut (1: in praedia), dessen Lage ebenfalls nicht näher lokalisiert wird. 198 Brief 8,4 handelt daraufhin von Trajans bellum Dacicum, über das der Dichter Caninius Rufus ein griechisches Epos verfassen will. 199 Plinius imaginiert hier, wie Caninius die Landschaft in Dakien beschreiben wird, derer sich Decebalus und Trajan zu militärischen Zwecken bemächtigten 354 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 200 Cassius Dio (bzw. Xiphilinus) zufolge hat Decebalus den Fluss Sargetia umgeleitet (Dio 68,14,4: τόν τε ποταμὸν ἐξέτρεψε) und Trajan eine Brücke über die Donau errichten lassen, die sich als Wunder beschreiben lässt (Dio 68,13,1: Τραϊανὸς δὲ γέφυραν λιθίνην ἐπὶ τοῦ Ἴστρου κατεσκευάσατο, περὶ ἧς οὐκ ἔχω πῶς ἂν ἀξίως αὐτὸν θαυμάσω); Sherwin-White (1966), 451. 201 S. Kap. II.2.2. 202 Sherwin-White (1966), 456. 203 Vgl. Sherwin-White (1966), 467. 204 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 467. (2: dices immissa terris nova flumina, novos pontes fluminibus iniectos, insessa castris montium abrupta). 200 Wie wir im Folgenden sehen werden, stehen die in Caninius’ Epos geschilderten künstlichen Eingriffe in die Natur im Kontext der Kriegsführung in auffälligem Kontrast zur friedlichen Atmosphäre, die Plinius bei der Ekphrasis der Gewässer in Epist. 8,8 und 8,20 erzeugt. Bilden Trajans kriegerische Handlungen am Rande des Imperiums den Stoff für ein Epos, entwirft der Verfasser der Briefe friedliche Landschaftsbilder in Italien und widmet sich der ruhigen, ästhetisch-wissenschaftlichen Kontemplation von Naturphänomenen. Nach Epist. 8,4 bildet dann eine Reise des Plinius den Hintergrund der bereits betrachteten Epist. 8,6, in der der Epistolograph von seiner Besichtigung der Grabinschrift für Pallas auf der Via Tiburtina berichtet (vgl. Epist. 7,29). 201 Der invektivische Ton sowohl gegen ein Individuum als auch den Senat unter Claudius in diesem Brief steht wohl nicht unbeabsichtigt in Kontrast zur Panegyrik auf Trajan in Epist. 8,4. Nur zwei Briefe nach Epist. 8,6 begegnen wir der Beschreibung des fons Clitumnus (Epist. 8,8), der in Umbrien zwischen Trebiae und Spoletium zu lokalisieren ist und den Plinius wohl auf seinem Weg von Rom über die Via Flaminia nach Tifernum Tiberinum passierte. 202 Das Gegenstück zu diesem locus amoenus bildet die Ekphrasis des lacus Vadimonis in Epist. 8,20, den Plinius im Rahmen seines Aufenthalts auf dem Landgut des prosocer bei Ameria besucht hat (3). Am Anfang dieses Briefes stellt Plinius das Reisen in die Ferne (1: iter ingredi, transmittere mare) der Besichtigung von Sehenswürdigkeiten in Italien gegenüber. Zwischen den Schilderungen friedlicher Gewässer in Epist. 8,8 und 8,20 findet sich ein Brief, der von einer weiteren Naturkatastrophe handelt: In Epist. 8,17 erkundigt sich Plinius, der sich offenbar in Rom oder seiner Umgebung befindet, 203 bei seinem Adressaten Macrinus 204 nach dessen Wohlergehen, nachdem durch heftige Regengüsse sowohl Tiber als auch Anio über ihre Ufer getreten sind. Zwar keine Reise, doch eine metaliterarische Frage thematisiert Epist. 8,21, deren Position als vierter Brief vor Buchschluss mit Epist. 8,4 über das Trajan-Epos des Caninius Rufus korrerspondiert: Plinius bekennt sich hier dazu, sowohl im Leben als auch in seinen Studien die Balance zwischen Scherz und Ernst 355 4.4 Wasser-Wunder in Buch 8 205 S. S. 295-7. 206 Zum Adressaten und seiner Funktion vgl. Sherwin-White (1966), 477‒8; von Zucker (1928) wurde beobachtet, dass der letzte Brief in Buch 8 verbal und inhaltlich auf den Beginn der Epistulae ad Quintum fratrem Ciceros (ad Q. fr. 1,1) anspielt. 207 Zu Epist. 8,8 vgl. Lefèvre (1988); Albanesi/ Picuti (2009); Egelhaaf-Gaiser (2012). 208 Zu seiner Person s. S. 111-2. 209 Vgl. Lefèvre (1988), 258‒9; Morello (2015), 163. 210 Vgl. Egelhaaf-Gaiser (2012), 220. 211 S. S. 127-30. halten zu wollen und aus diesem Anlass seine graviora opera mit poetischen lusus und ioci abwechseln zu lassen (1‒2). Der Brief über die Rezitation eines liber opusculis varius et metris (4) in der Tradition der Kleinpoesie 205 steht somit dem Epos des Caninius in symmetrischer Position und inhaltlicher Antithese gegenüber. Abgerundet wird das achte Briefbuch schließlich mit einer weiteren Reise, diesmal derjenigen des Adressaten Maximus in die Provinz Achaia (8,24,2: te missum in provinciam Achaiam, illam veram et meram Graeciam) als kaiserlicher Legat; Plinius ermahnt seinen Adressaten in diesem Schreiben zum respektvollen Umgang mit der altehrwürdigen Provinz und ihren Bewohnern. 206 Im Folgenden seien die Briefe über Gewässer in Buch 8 in linearer Reihenfolge betrachtet: Epist. 8,8, enthält eine Schilderung des malerischen fons Clitumnus, den Plinius im Rahmen einer nicht näher konkretisierten Reise besucht hat. 207 Die Gegenwart des Briefes an Voconius Romanus 208 sowie das dramatische Datum seines Inhalts liegen offenbar nicht weit auseinander, da Plinius in der Einleitung bemerkt, er habe den fons erst kürzlich gesehen (1): Vidistine aliquando Clitumnum fontem? Si nondum (et puto nondum: alioqui narrasses mihi), vide; quem ego (paenitet tarditatis) proxime vidi. Durch das Polyptoton von videre hebt Plinius nicht nur die Autopsie des Gewässers durch seine Person hervor, 209 sondern fordert auch den Adressaten auf, die Quelle mit eigenen Augen zu betrachten. Voconius muss dazu wohl nicht unbedingt selbst zum fons Clitumnus reisen, sondern kann mit Hilfe der Ekphrasis, die Plinius in seinem Schreiben liefert, im Rahmen der Lektüre des Briefes eine geistige Reise in die betreffende Gegend in Umbrien antreten. 210 Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass die den Brief eröffnende Frage den Anfang der Epist. 1,5 in Erinnerung ruft, die ebenfalls an Voconius Romanus gerichtet ist und mit den Worten vidistine quemquam M. Regulo timidiorem humiliorem post Domitiani mortem (1) beginnt. 211 Über den verbalen Bezug wird der Leser dazu eingeladen, die beiden Briefe als Kontrastpaar zu rezipieren, in dem die dunkle Domitian-Zeit und das negative Charakterporträt des Regulus einem heiteren locus amoenus unter Trajan gegenüberstehen. 356 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 212 Zur sakral-idyllischen Landschaftsmalerei bei den Römern vgl. Hinterhöller (2007). 213 Man vergleiche etwa die idyllische Landschaft aus der Villa dei Quintili in Rom, ca. 60 n. Chr. (heute in der Villa Albani in Rom); Andreae (1999), 152 Abb. 65; ein Wandgemälde aus dem Atrium der Villa San Marco in Stabiae im vierten Stil (Castellamare di Stabia, Antiquarium, Inventarnr. 2455); Cerulli Irelli et al. (1990), Taf. 165; die Sakrallandschaft auf den Wänden der Villa des Agrippa Postumus in Boscotrecase im dritten Stil (Neapel, Museo Archeologico Nazionale, Inventarnr. 147501); De Angelis/ Muth (1999), 95 Abb. 11; vgl. auch die bei Blanckenhagen/ Alexander (1990), Taf. 1 und Taf. 32 Abb. 2 abgebildeten Wandgemälde. 214 Vgl. Ov. Met. 3,155‒6; Verg. Aen. 2,713‒5; Bömer (1969‒86), I, 491‒2 und V, 48‒53 zur Symbolik der Zypresse bei den Griechen und Römern: Neben ihrer Eigenschaft als heiliger Baum galt die Zypresse insbesondere bei den Römern auch als „Baum der Trauer und der Toten“ (50). 215 Vgl. die Quelle am Comer See in Epist. 4,30,2: excipitur cenatiuncula manu facta; s. Kap. II.4.1. Nach der kurzen Einleitung geht Plinius zur Ekphrasis des fons Clitumnus und dessen Umgebung über, wobei er zunächst den Ursprung der Quelle, ihren weiteren Verlauf als Fluss sowie dessen Ufer beschreibt (2‒4) und anschließend auf architektonische Elemente wie das nahegelegene Heiligtum des Gottes Clitumnus und den angrenzenden Badeort eingeht (5‒6), bevor er zum Fazit des Briefes kommt (7). Der Leser folgt Plinius sozusagen auf einem Spaziergang vom Ursprung der Quelle bis zum unteren Abschnitt des Flusses. Lefèvre (1988: 259) hat beobachtet, dass die briefliche Ekphrasis der Beschreibung eines Gemäldes ähnelt und der Epistolograph „wie bei einem Gemälde am Rand“ beginnt, wenn er zunächst den sanften, von alten Zypressen bewachsenen Hügel erwähnt, aus dem die Quelle entspringt (2). Vergleicht man die Ekphrasis bei Plinius mit Darstellungen von sakral-idyllischen Landschaften auf römischen Wandgemälden, 212 so ist m. E. auch denkbar, dass Plinius bei seiner Beschreibung mit der Flusslandschaft als Hintergrund beginnt und sich nach und nach zum Vordergrund durcharbeitet, der stärker von architektonischen Elementen ge‐ prägt ist. 213 Von den Zypressen, die in der Antike häufig im Zusammenhang mit sakralen Orten stehen, 214 lenkt Plinius den imaginären Blick auf die ungleichen Wasseradern, die aus dem Hügel hervorquellen, einen Strudel bilden und sich dann in einem breiten Becken versammeln (2: lato gremio); 215 die Klarheit des Wassers, so heißt es daraufhin, ermögliche es dem Betrachter, Münzen und Steinchen am Grunde des Beckens zu zählen (2: purus et vitreus, ut numerare iactas stipes et relucentes calculos possis). Hatte Plinius den Verlauf der Quelle am Comer See in Epist. 4,30 relativ zügig geschildert (2) und sich mehr auf das Phänomen des Ansteigens und Sinkens des Wasserspiegels konzentriert, so nimmt er sich in Epist. 8,8 mehr Zeit, den Übergang vom Ursprung der Quelle bis zum Fluss und der Umgebung des Gewässers zu beschreiben. Durch seine Menge 357 4.4 Wasser-Wunder in Buch 8 216 Vgl. Lefèvre (1988), 260; Neger (2016), 156; s. S. 295-7. 217 Eine Interpretation dieses Gedichts, dessen Spiegel-Motiv anders als bei Plinius auch sexuelle Konnotationen zu enthalten scheint, bietet Kreuz (2016), 355‒405. 218 Vgl. Egelhaaf-Gaiser (2012), 221. und sein Eigengewicht, so führt Plinius aus, werde das Wasser vorangetrieben und vergrößere sich von der Quelle zu einem sehr breiten Strom (3: amplissimum flumen), auf dem auch Schiffe fahren können (3: navium patiens). Anschaulich schildert der Epistolograph, wie die Schiffe in entgegengesetzte Richtungen zu fahren pflegen (3: in diversa tendentes), wobei aufgrund der starken Strömung flussabwärts auf den Einsatz von Rudern verzichtet werden könne, die Fahrt flußaufwärts hingegen kaum mit Rudern und Ruderstangen zu bewältigen sei. Beides, so Plinius, habe für diejenigen, die den Fluss zum Vergnügen befahren, seinen Reiz, da man durch den Richtungswechsel Anstrengung und Entspan‐ nung abwechseln lassen könne (4: laborem otio, otium labore variare). Was Plinius im Rahmen eines chiastischen Polyptotons am Beispiel der Touristen am fons Clitumnus beschreibt, liest sich gleichsam als Metapher für seinen eigene Lebensentwurf und sein literarisches Programm, das er in seinem epistolaren Korpus präsentiert, nämlich das Abwechseln von otium und labor/ negotium, die Balance zwischen Scherz und Ernst (Epist. 8,21,1) sowie das Prinzip der variatio, dem die Anordnung der Briefe verpflichtet ist. 216 Die Ekphrasis des Gewässers endet mit dem Hinweis, dass seine Ufer von zahlreichen Eschen und Pappeln bewachsen seien, die sich im klaren und kalten Wasser des Flusses spiegeln (4: quas perspicuus amnis velut mersas viridi imagine adnumerat). Ein ganz ähnliches Bild, wenngleich im Rahmen einer mythologischen Erzählung im ovidischen Stil, kreiert Statius in seinem Silven-Gedicht über den Baum des Atedius Melior (Silv. 2,3), dessen bizarr geformter Stamm sich im Wasser des Teiches, an dessen Ufer der Baum wächst, widerspiegelt (59‒60): veluti descendat in imos / stirpe lacus alia. 217 Mit der Erwähnung der Bäume am Flussufer in Epist. 8,8,4 stellt Plinius einen ringkompositorischen Bezug zum Beginn der Ekphrasis her, die von einem mit Zypressen bewachsenen Hügel ausgegangen war. Wurde die sakrale Atmosphäre des Ortes im ersten Teil des Briefes nur andeutungsweise evoziert, ist seine zweite Hälfte nun den Gottheiten gewidmet, die hier verehrt werden. Der Übergang von der Flusslandschaft zur architekto‐ nischen Sakrallandschaft erfolgt mit den Worten adiacet templum priscum et religiosum (5), durch die einerseits auf die Zusammengehörigkeit von Fluss und Tempelbezirk verwiesen, andererseits an den Beginn der Beschreibung durch die Betonung des Altehrwürdigen angeknüpft wird (5: priscum 2: antiqua). 218 In einfachen Sätzen zählt Plinius Heiligtümer und Götter auf, wobei er mit Clitumnus, dem wichtigsten numen loci, den Anfang macht: stat Clitumnus ipse 358 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 219 Zur toga praetexta als Gewand der römischen Magistraten und Priester sowie zum Kult des Jupiter Clitumnus vgl. Sherwin-White (1966), 457; Lefèvre (1988), 261 mit Anm. 71. 220 Zu Losorakeln bei den Römern vgl. Sherwin-White (1966), 457‒8. 221 Man vergleiche etwa die Wandgemälde in der Villa des Agrippa Postumus in Bos‐ cotrecase, wo Heiligtümer die Darstellung im Vordergrund dominieren, wie die bei Blanckenhagen/ Alexander (1990) gesammelten Abbildungen zeigen. 222 Vgl. Egelhaaf-Gaiser (2012), 222. 223 Diese kleinerern Quellen korrespondieren mit den am Anfang erwähnten plures venae (2), von denen sie jedoch verschieden sind; Lefèvre (1988), 262 mit Anm. 76. 224 Hispellum lag allerdings nicht direkt am Fluss, vgl. Sherwin-White (1966), 458. amictus ornatusque praetexta (5). Analog zum Flussufer, das von Eschen und Pappeln „bekleidet“ wird (4: ripae…vestiuntur), ist das Standbild des Gottes in eine toga praetexta gehüllt. 219 Nach wie vor ist die Darstellung von visuellen Elementen dominiert, und dass sich der Leser bei der Lektüre des Briefes das Gemälde einer Sakrallandschaft vorstellen kann, geht auch aus den Ausfüh‐ rungen über das Wirken der Gottheit hervor: Auf ihre Gegenwart und Funktion als Orakel weisen Lostäfelchen hin (5: praesens numen atque etiam fatidicum indicant sortes). 220 Clitumnus, der ziemlich genau in der Mitte der Ekphrasis erwähnt wird, könnte zusammen mit seinem Tempel auch auf einer bildlichen Darstellung das Hauptelement sein, das vom landschaftlichen Hintergrund abgehoben ist. 221 Umgeben wird Clitumnus von mehreren kleineren Heiligtümern verschie‐ dener Gottheiten (5: sparsa sunt circa sacella complura, totidemque di), die alle ihren eigenen Kult genießen (5: sua cuique veneratio suum nomen), jedoch neben Clitumnus eine anonyme Gruppe ohne nähere Schilderung spezifischer Attribute bleiben. 222 Einige dieser numina haben sogar ihre eigenen Quellen, die wiederum, so Plinius, gleichsam die Kinder der Hauptquelle sind (5: illum quasi parentem), jedoch mit ihren eigenen Ursprüngen (5: capite discreti), 223 und in denselben Fluss münden, den man auf einer Brücke überqueren kann (5: flumini miscentur, quod ponte transmittitur). Diese Brücke bildet die Grenze zwischen dem heiligen und weltlichen Bereich (6: is terminus sacri profanique), wobei im oberen Abschnitt des Flusses nur Boote erlaubt sind, während im unteren auch Schwimmen gestattet ist. An dieser Stelle wandelt sich nun das Bild der Sakrallandschaft in das eines Touristenortes, wenn Plinius das öffent‐ liche Bad erwähnt, das die Einwohner von Hispellum (heute Spello), nachdem ihnen das Territorium von Augustus überlassen worden war, 224 zusammen mit Unterkünften für Reisende errichteten (6: balineum Hispellates…publice praebent, praebent et hospitium). Auch Villen befinden sich, so Plinius, am Ufer des unteren, malerischen Flusslaufes (6: villae…secutae fluminis amoenitatem). Der Schwerpunkt liegt am Ende des Briefes auf den Motiven der Anmut (6: 359 4.4 Wasser-Wunder in Buch 8 225 Als vergleichbares Beispiel für diese Art der Individualreligion führt Egelhaaf-Gaiser (2012), 232‒5 die Graffiti im Heiligtum des Hercules Curinus in Sulmo an; Albanesi/ Pi‐ cuti (2009) vergleichen die im umbrischen Aisillo di Bevagna gefundene Kultanlage einer bislang unbekannten Gottheit mit derjenigen des Clitumnus, wie sie von Plinius beschrieben wird. 226 Zur „Hortopoetik“ der Priapeen vgl. Höschele (2010), 273‒82. amoenitas) und des Vergnügens (7: voluptas), das ein Besuch am fons Clitumnus bereitet. Nach dessen Beschreibung (2‒6) bezieht Plinius nun erstmals wieder den Adressaten ein, der am Schluss in der zweiten Person angesprochen wird (7: capias…studebis…leges…laudabis…ridebis…ridebis). Was Plinius hier schildert, liest sich gleichsam als mise en abyme seines Briefes: Sollte Voconius Romanus einmal den Ort aufsuchen, werde er unter anderem auch Gelegenheit zum Studieren haben (7: studebis quoque) und an Säulen und Wänden der Heiligtümer zahlreiche Inschriften verschiedener Verfasser vorfinden, in denen Quelle und Gottheit gepriesen werden (7: leges multa multorum omnibus columnis omnibus parietibus inscripta, quibus fons ille deusque celebratur). 225 Es fällt auf, dass Plinius dieses Detail nicht im Kontext der Beschreibung des Heiligtums in der Ekphrasis erwähnt hat (5), sondern für das Resümee am Ende des Briefes aufspart (7). Die Anonymität der Besucher, von denen diese inhaltlich nicht spezifizierten und ihrerseits ohne Autorenangabe genannten Graffiti stammen, entspricht zudem der Anonymität der vorhin erwähnten Götter um Clitumnus. Wie sich Clitumnus in der Ekphrasis von den anderen numina absetzt, so sticht auch Plinius durch seinen Brief aus der Masse der Verehrer des Gottes heraus, dem er seine epistolare Votivgabe nicht als Inschrift auf einer Tempelwand, sondern im Rahmen eines publizierten Werkes widmet. Mit Egelhaaf-Gaiser (2012: 224) lässt sich somit festhalten, dass sowohl Plinius als auch sein Leser „durch die Brieflektüre die Lob- und Dankinschriften der Heiligtumsbesucher erneut aktivieren und in ihr polyphones Lob auf Clitumnus einstimmen“. In dieser Hinsicht berührt sich der Brief 8,8 auch mit der Gattung Epigramm, wo ebenfalls häufig über das Verhältnis von Buchgedichten zu Inschriften auf einem Objekt reflektiert wird. Besonders deutlich geschieht dies etwa in den Carmina Priapea, wo die Buchepigramme scherzhaft als kunstlose Graffiti präsentiert werden (c. 2,1‒3: Ludens haec ego teste te, Priape, / horto carmina digna, non libello / scripsi non nimium laboriose), die der Dichter angeblich auf die Wände des Heiligtums gekritzelt haben will (10: templi parietibus tui notavi). 226 Anders als Clitumnus, der laut Plinius in eine toga praetexta gehüllt ist (5), tritt der Gartengott Priap nackt auf (c. 1,6: qui tectum nullis vestibus inguen habet). Die Frage nach der Datierung des Corpus Priapeorum ist leider nach wie vor nicht eindeutig geklärt, doch gehen mittlerweile mehrere Forscher davon aus, dass der 360 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 227 Für eine Datierung nach Martial plädieren Buchheit (1962); Holzberg (2002b), 52‒3; vgl. Kloss (2003); Citroni (2008); anders Tränkle (1999), der von einer Gedichtsammlung verschiedener Autoren ausgeht, die um Christi Geburt entstanden ist. 228 Zu Epist. 4,14 s. S. 275-7. 229 Damit ist der Bezug zur von Plinius in Epist. 7,29 antizipierten Reaktion auf die Lektüre des Pallas-Epitaphs hergestellt (1: ridebis, deinde indignaberis, deinde ridebis); zudem ist Epist. 8,6, in der das Thema fortgesetzt und satirisch zugespitzt wird, nur durch einen Brief von der Clitumnus-Epistel 8,8 getrennt; dem indignierten Lachen über eine politische Angelegenheit im römischen Senat steht in Epist. 8,8 das amüsierte Lachen über eine Kuriosität in einer Sakrallandschaft außerhalb Roms gegenüber; s. Kap. II.2.2. Dichter sich von Martials Epigrammen hat anregen lassen. 227 Es ist somit nicht ausgeschlossen, dass die Carmina Priapea etwa um dieselbe Zeit entstanden sind wie das Briefkorpus des Plinius. Sollte der Epistolograph diese obszöne Gedichtsammlung sogar gekannt haben, dann ist es denkbar, dass er mit seiner epistolaren Votivgabe an Clitumnus - den in Epist. 4,14 formulierten Prinzipien entsprechend 228 - eine harmlose Version komponiert hat: Verzichtet Plinius in seinen Gedichten auf verba nuda (Epist. 4,14,4), von denen sowohl Catull als auch Martial und der Priapeendichter ausgiebig Gebrauch machen, so präsentiert er uns in Epist. 8,8 folgerichtig auch einen Gott, der mit einer Toga bekleidet ist und richtet sich somit an eine Leserschaft, die in Kontrast steht zu derjenigen, die der Priapeendichter zu seinem Zielpublikum erklärt (c. 1,7‒8): aut igitur tunicam parti praetende tegendae, / aut quibus hanc oculis adspicis, ista lege. Ein wie auch immer gearteter Bezug zwischen Plinius Epist. 8,8 und den Carmina Priapea muss natürlich reine Spekulation bleiben und lässt sich auch nicht nachweisen, doch würde der auf den ersten Blick ernste Brief einer gewissen Komik nicht entbehren, wenn er eine derartige Gedichtsammlung evoziert und dadurch sozusagen auf intertextueller Ebene das Prinzip des severitatem comitatemque miscere (Epist. 8,21,1) praktisch umsetzt. Dazu würde auch die von Plinius antizipierte Reaktion des Voconius Romanus auf die Lektüre der Inschriften passen (7): plura laudabis, non nulla ridebis. Könnte der Adressat vielleicht deshalb lachen, weil ihn (sozusagen als Modell-Leser) einige der Graffiti an Epigramme à la Carmina Priapea erinnern? Zwar korrigiert sich Plinius, wenn er fortfährt, dass Voconius Romanus aufgrund seiner humanitas wohl ernst bleiben werde (7: nulla ridebis), doch lädt die nachdrückliche Wiederholung von ridebis den Leser dazu ein, sich die Tradition scherzhafter Epigraphik und Epigrammatik zu vergegenwärtigen. 229 In ihrer Analyse der Epist. 8,8 widerspricht Egelhaaf-Gaiser (2012: 227) der Interpretation Lefèvres, dass die von Plinius gebotene Ekphrasis sozusagen in Worten das Gemälde einer zeitlosen Sakrallandschaft nachzeichnet, und beob‐ achtet stattdessen „konsequente Fokalisierung“, durch die ein „persönlicher Er‐ 361 4.4 Wasser-Wunder in Buch 8 230 S. Kap. I.2.1. 231 Verg. Georg. 2,147‒9; Prop. 2,19,25‒6; 3,22,23‒4; Stat. Silv. 1,4,128‒31; Sil. 4,544‒6; Iuv. 12,13‒7; Sherwin-White (1966), 456; Egelhaaf-Gaiser (2012), 225. 232 Egelhaaf-Gaiser (2012), 225 vermutet, dass diese Rinder sogar speziell für den Gebrauch im religiösen Kult gezüchtet wurden. 233 Vgl. Cass. Dio 68,10,2; 15,1; Sherwin-White (1966), 451. innerungsort“ beschrieben wird. Die beiden Interpretationsversuche schließen sich m. E. jedoch nicht gegenseitig aus, da ja ein gewisser Grad an Fokalisierung auf die Perspektive des Briefschreibers konstitutiv für das epistolare Genre ist: 230 Eine Ekphrasis, die beim zeitgenössischen Leser mit hoher Wahrscheinlichkeit die Erinnerung an vergleichbare bildliche Darstellungen in römischen Villen hervorrief und möglicherweise den Rezeptionsmodus solcher Bilder durch das geistige Auge imitierte, ist durch den Rahmen der Briefkorrespondenz in die Erfahrungswelt des Epistolographen eingebettet. Der Brief 8,8 besitzt eine intermediale Dimension, indem er zunächst die malerische Fluss- und Sakralladschaft mit dem Blick von außen wie ein Gemälde beschreibt und am Ende das Innenleben des Clitumnus-Heiligtums schildert, wobei er den Leser/ Betrachter sozusagen über die Schwelle in den Tempel führt und in diesem Zusammenhang die Tradition der Votivinschrift evoziert. Während am Ende des Briefes 8,8 der Fokus auf Studieren und Lesen (7: studebis…leges) gerichtet ist, steht am Anfang, wie schon gesagt, das Motiv der Autopsie im Vordergrund (1: vidistine…vide…vidi). Plinius behauptet, den fons Clitumnus selbst besucht zu haben, und berichtet dem Adressaten von diesem Erlebnis, doch dürften ihm auch die literarischen Quellen zu diesem Ort bekannt gewesen sein - immerhin wird er sowohl von Vergil als auch Properz und danach von Statius und Silius Italicus erwähnt. 231 Berühmt ist der Clitumnus in der antiken Literatur insbesondere für seine schneeweißen Rinder, die von den Römern als Opfertiere bei Triumphzügen eingesetzt wurden (vgl. Verg. Georg. 2,146‒8: hinc albi, Clitumne, greges…Romanos ad templa deum duxere triumphos). 232 In seinem Brief blendet Plinius, ähnlich wie vor ihm etwa Properz, gerade dieses lokale Markenzeichen und somit auch jegliche Assoziation des Ortes mit römischen Triumphzügen aus und präsentiert stattdessen eine idylli‐ sche Landschaft, deren Besuch literarisch Gebildeten Vergnügen bereiten soll. Somit steht sein Brief in Kontrast zum Trajan-Epos des Caninius Rufus, von dem sich Plinius erwartet, dass er auch die beiden Triumphe des Kaisers nach dem Sieg über die Daker besingen wird (8,4,2: super haec actos bis triumphos, quorum alter ex invicta gente primus, alter novissimus fuit). 233 Es ist denkbar, dass bei diesen Triumphzügen auch die Rinder vom Clitumnus von Caninius entsprechend gepriesen wurden. 362 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 234 Sherwin-White (1966), 467 identifiziert den Adressaten mit Caecilius Macrinus, an den auch Epist. 3,4 gerichtet ist; s. S. 155-9; zu Epist. 8,17 vgl. Rocchi (2015). 235 Vgl. Rocchi (2015), 393. 236 Plinius hatte möglicherweise kurz vor der Abfassung dieses Briefes (um 107/ 08 n. Chr.) das Amt des curator alvei Tiberis et riparum et cloacarum urbis inne; Sherwin-White (1966), 79 und 467. 237 Es könnte sich sogar um die fossa Traiana handeln, vgl. CIL 14,88 (ILS 5797): Tra[ianus…] Dac[icus…] fossam [fecit q]ua inun[dationes Tiberis a]dsidue u[rbem vexantes rivo] perenn[i instituto arcerentur]; Sherwin-White (1966), 468; Rocchi (2015), 391‒2 mit Anm. 6. 238 Zur Stelle vgl. Bömer (1969‒86), I, 108‒9. Ein ganz anderes Bild als das in Epist. 8,8 beschriebene entwirft Plinius in Epist. 8,17 an Macrinus, wo er anstelle eines locus amoenus einen locus horribilis schildert und eine epistolare Version literarischer Sintflut-Szenerien liefert. 234 Die beiden Briefe sind offenbar als Kontrastpaar symmetrisch angeordnet, da sie jeweils an achter Stelle vom Beginn bzw. Ende des Buches stehen. 235 Plinius, der sich in Epist. 8,17 in Rom oder seiner Umgebung zu befinden scheint, macht sich angesichts der heftigen Regengüsse, die den Tiber und Anio zum Überlaufen gebracht haben, Sorgen um das Wohl seines Adressaten, dessen Aufenthaltsort im Brief nicht genannt wird. 236 Auf die räumliche Trennung der beiden Brief‐ partner wird in der Einleitung mit den Ortsadverben hic und istic verwiesen (1): Num istic quoque immite et turbidum caelum? Hic adsiduae tempestates et crebra diluvia. Die auf die Eröffnung folgende Ekphrasis der Sintflut (2‒5) steht in auffälligem Gegensatz zu den friedlichen Gewässern, von denen wir in Epist. 8,8 und 8,20 lesen. Plinius beginnt mit dem Tiber, der über seine Ufer getreten ist und alles überflutet, wogegen auch der von Kaiser Trajan errichtete Kanal nichts mehr ausrichten kann (2: quamquam fossa, quam providentissimus imperator fecit exhaustus). 237 Hatte Plinius in Epist. 8,4 in Aussicht gestellt, dass Caninius Rufus die Kontrolle über die Natur in seinem Epos über die Dakerkriege preisen und in diesem Kontext vergleichbare fossae rühmen würde (8,4,2: dices immissa terris nova flumina), so entwirft Epist. 8,17 das Bild von einer Natur, deren Gewalt auch ein providentissimus imperator nichts entgegenzusetzen vermag. Dort, wo vorher noch der ebene Boden sichtbar war, sieht man jetzt nur mehr Wasser (2): quaque planum solum, pro solo cernitur. Der Epistolograph variiert hier in Prosa den berühmten Vers Ovids über das Ausmaß der Sintflut in den Metamorphosen (1,292: omnia pontus erant, deerant quoque litora ponto), 238 indem er das Polyptoton pontus - ponto durch solum - solo imitiert. Während Plinius, wie im weiterer Folge noch zu zeigen sein wird, auf die ovidische Erzählung der Sintflut in indirekter Form anspielt, zitiert Seneca in Buch 3 seiner Naturales Quaestiones, wo er den dies diluvii diskutiert (3,27‒28), mehrmals direkt aus 363 4.4 Wasser-Wunder in Buch 8 239 Dazu vgl. Levy (1928); Pierini Degl’Innocenti (1990). 240 Rocchi (2015), 397‒400. 241 Vgl. Epist. 8,17,5: imber assiduus. 242 Vgl. Waiblinger (1977), 44‒52; zu den Naturales Quaestiones vgl. auch Gauly (2004). 243 Guillemin (1929), 120‒1; vgl. Tac. Hist. 1,86,2: remeante flumine. 244 Vgl. Nisbet/ Hubbard (1970), 24‒5. den Metamorphosen; Ovid gilt ihm als poetarum ingeniosissimus (3,27,13), dessen oben angeführter Metamorphosen-Vers der Größe seines Stoffes entspreche (3,27,13: pro magnitudine rei), wohingegen der Vers nat lupus inter oves, fulvos vehit unda leones (Met. 1,304) von kindischer Albernheit zeuge (3,27,13: pueriles ineptias). 239 In einer Analyse der Epist. 8,17 hat Rocchi (2015: 397‒400) mehrere intertextuelle Bezüge zwischen dem Plinius-Brief und der Abhandlung Senecas herausgearbeitet: 240 So evozieren etwa die crebra diluvia bei Plinius (1) den dies diluvii mit seinen crebri sine intermissione imbres (Nat. 3,27,1), 241 der über sein Flussbett getretene Tiber (1: Tiberis alveum excessit et demissioribus ripis alte superfunditur) entspricht der Rhone, dem Rhein und der Donau, die sich bei Seneca neue Ufer schaffen und neue Bahnen suchen (Nat. 3,27,8: cum superfusi novas sibi fecere ripas ac scissa humo simul excessere alveo? ). Sowohl für Seneca als auch Plinius ist Ovids Darstellung in den Metamorphosen der grundlegende Hypotext, sodass man in Epist. 8,17 von einer Fenster-Intertextualität sprechen kann: Wurde die mythologische Sintflut-Narration Ovids von Seneca in den philosophischen Kontext einer stoischen Diskussion über periodische Weltun‐ tergänge - in diesem Fall durch Überschwemmung - integriert, 242 überträgt Plinius die Sintflut-Beschreibung in den pragmatischen Kontext der Privatkor‐ respondenz, wenn er seinem Adressaten von der gegenwärtigen Wetterlage in Latium berichtet. Neben Seneca und Ovid inspirierte möglicherweise auch die Horaz-Ode 1,2 die Beschreibung des Tibers bei Plinius: Wenn der Epistolograph berichtet, dass der Tiber sich den Flüssen, die in ihn einströmen, gleichsam entgegenstellt und sie zurückdrängt (2: flumina…velut obvius retro cogit), dann erinnert das an Horazens Verse vidimus flavom Tiberim retortis / litore Etrusco violenter undis (c. 1,2,13‒14). 243 Der politische Kontext bei Horaz - hier will der Tiber den Mord an Julius Caesar rächen 244 - ist bei Plinius freilich völlig ausgeblendet. Abgesehen von der tatsächlichen Sorge um den Freund, der durch den Brief Ausdruck verliehen werden soll, dient das Schreiben auch als ein literarisches Schaustück für den gebildeten Leser, der die Prätexte kannte und die epistolare Sintflut-Ekphrasis vor dem Hintergrund dieser Darstellungen rezipieren konnte. Nach der Schilderung des Tiber (2) geht Plinius zum Anio über, der ansonsten als delicatissimus amnium gilt und von zahlreichen Villen gesäumt ist (3: 364 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 245 Zu Stat. Silv. 1,3 vgl. die Analyse bei Kreuz (2016), 479‒544. 246 Die Stelle ist allerdings textkritisch nicht unproblematisch, da die direkte Anrede an die Villa in der bei Shackleton Bailey (2003) und anderen abgedruckten Junktur te mitissimus (v. 24) sehr überraschend kommt; Kreuz (2016), 482 Anm 201 spricht sich für die Konjektur clementissimus aus, wodurch die parallele Charakterisierung von Fluss und Villenbesitzer als sanftmütig gewahrt bliebe. 247 Vgl. Plin. Epist. 8,8,4. 248 Das Bild spiegelt sich auch in der verschränkten Wortstellung inserto geminos Aniene penates wider. adiacentibus villis velut invitatus retentusque), jetzt aber alles mit sich reißt, unter anderem auch die an seinen Ufern wachsenden Bäume (3: magna ex parte nemora quibus inumbratur fregit et rapuit). Man kommt hier nicht umhin, an Statius’ Silven-Gedicht auf die tiburtinische Villa des Manilius Vopiscus zu denken, die vom Anio durchströmt wird (Silv. 1,3,2: inserto geminos Aniene penates). 245 Statius betont in diesem Zusammenhang, wie friedlich der Anio sich auf dem Anwesen des Vopiscus verhält, während er sich außerhalb durch rabies und spumosa murmura auszeichnet (Silv. 1,3,17‒25): …nemora alta citatis incubuere vadis; fallax responsat imago frondibus et longas eadem fugit umbra per undas. ipse Anien (miranda fides! ) infraque superque saxeus, hic tumidam rabiem spumosaque ponit murmura, ceu placidi veritus turbare Vopisci Pieriosque dies et habentes carmina somnos. litus utrumque domi, nec te mitissimus amnis dividit… Auf dem Anwesen des Manilius Vopiscus, so schreibt Statius, spiegeln sich die Bäume im schnellfließenden Wasser (17‒19), und der Anio legt seine sonstige Wildheit ab und fließt sanft dahin (20‒22), um nicht die musenerfüllten Tage und Nächte des Hausherren zu stören (23‒24) - dem placidus Vopiscus (22) entspricht der mitissimus amnis (24), 246 der zwar durch die Villa fließt, diese aber nicht entzwei teilt. Entwirft Statius das Bild von einer idyllischen Flusslandschaft, wo sich die Schatten der Bäume (17‒19: nemora…umbra) im Wasserlauf spiegeln, 247 beschreibt Plinius, wie der außer Kontrolle geratene Anio die angrenzenden Wälder (Epist. 8,17,3: nemora quibus inumbratur) mit sich reißt. Die Vorstellung vom friedlichen Anio, der bei Statius dem „doppelten Heim“ (2: geminos…penates) gleichsam „eingefügt“ wurde (2: inserto…Aniene), 248 findet sich auch bei Plinius in der Bemerkung, dass der Fluss von den Villen „eingeladen und gezügelt“ wurde (Epist. 8,17,3: adiacentibus villis velut invitatus 365 4.4 Wasser-Wunder in Buch 8 249 Giuliani (1970), 267‒87. 250 Kreuz (2016), 483‒5. 251 Auf diese Anspielung weist Rocchi (2015), 400 hin; vgl. Dyck (2013), 172. 252 Sherwin-White (1966), 467: „…oddly he says nothing about the havoc within the city itself “; vgl. dagegen Horaz in c. 1,2,4: terruit urbem. retentusque). Während es bei Statius der Fluss selbst ist, der Vopiscus zuliebe seine Wildheit aufgibt, sind es bei Plinius die Villen, die für eine Beruhigung der Wasserfluten sorgen. Abgesehen von der Panegyrik auf den Villenbesitzer, an dessen milden Charakter sich bei Statius der Anio freiwillig angleicht, könnte hier sowohl beim Silven-Dichter als auch beim Epistolographen eine konkrete architektonische Besonderheit im Hintergrund stehen: Wenn es zutrifft, dass das Anwesen des Manilius Vopiscus auf dem Gelände der Villa Gregoriana in Tivoli zu lokalisieren ist 249 und es sich bei dem die Villa durchfließenden Wasserlauf um einen Entlastungs-Kanal des Anio handelt, der heute unter dem Namen La Stipa bekannt ist, 250 dann geht es sowohl in Silv. 1,3 als möglicherweise auch in Epist. 8,17 um einen Kanal, der durch Menschenhand geschaffen wurde, um die Gewalt des Flusses einzudämmen. Falls Plinius, wie ich hier vorschlagen möchte, in seiner Ekphrasis des Anio tatsächlich das Statius-Gedicht evoziert, würde dieser Kanal eine Parallele zu der von Trajan angelegten fossa Tiberis (Epist. 8,17,2) als auch zu den Fluss-Umleitungen im Dakergebiet (Epist. 8,4,2) darstellen. Verfasst Statius in mythologisch erhöhter Form ein Lob auf die Leistungen zeitgenössischer Baukunst, kehrt Plinius dieses Bild um, wenn er uns einen Fluss schildert, der Berge unterspült (3: subruit montes), ganze Häuser zu Fall bringt und diese unter sich begräbt (3: impulit tecta ac se super ruinas eiecit atque extulit). Die Junktur se…eiecit atque extulit dürfte Plinius zudem aus Ciceros Rede Pro Caelio übernommen haben, wo es über den Befreiungsschlag des Caelius aus den Fängen der Clodia heißt ex eo quicquid erat emersit totumque se eiecit atque extulit (Cael. 75); 251 der Anio wird dadurch gleichsam zu einem lebendigen Wesen personifiziert, das sich aus den auferlegten Schranken befreit und über Hindernisse hinwegsetzt. Hatte Plinius bisher in der Haltung eines allwissenden Erzählers ein Pan‐ orama der Tiber- und Aniolandschaft geboten - die Stadt Rom ist auffälliger‐ weise ausgenommen -, 252 folgt nun der Wechsel zur Sichtweise derjenigen, die das Unglück aus höher gelegenen Regionen betrachten konnten (4: viderunt quos excelsioribus terris illa tempestas deprehendit). Vom erhöhten Standpunkt aus, so heißt es, sah man alle möglichen Gegenstände und sogar Menschen und Tiere im Wasser treiben (4): 366 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 253 Durch den intertextuellen Bezug auf Ovid lässt sich möglicherweise auch die Junktur atque culmina stützen, die nur in der editio Aldina (a) sowie im handgeschriebenen Text eines Kopisten Budés (I) in margine zu finden ist und vielleicht schon im vetustissimus Parisinus (Π) stand; sie könnte durch Ovids Hexameter-Ende culmina villae (Met. 1,295) angeregt sein; Rocchi (2015), 393‒7. 254 Vgl. die bei Horaz c. 1,2,9‒12 imaginierten Fische auf Baumwipfeln und schwimmenden Rehe; c. 3,29,36‒41; zur Kritik an Ovid vgl. Morgan (2003). 255 Die von Plinius genannten monumenta (5) evozieren möglicherweise Hor. c. 1,2,15 ire deiectum monumenta regis; Guillemin (1929), 120‒1; dagegen Sherwin-White (1966), 468. 256 In der stoischen Lehre zählen neben Schmerz und Furcht auch Lust und Begierde zu den vier Hauptaffekten, wobei sich die Lust auf Gegenwärtiges, die Begierde auf Zukünftiges bezieht; vgl. Pohlenz (1992), 141‒53; Trisoglio (1973), II, 836 Anm. 283 führt Senecas Vers peior est bello timor ipse belli (Thy. 572) als Parallele an. alibi divitum adparatus et gravem supellectilem, alibi instrumenta ruris, ibi boves aratra rectores, hic soluta et libera armenta, atque inter haec arborum truncos aut villarum trabes atque culmina varie lateque fluitantia. Plinius variiert hier in Prosa die entsprechenden Verse bei Ovid (z. B. Met. 1,286‒ 7: cumque satis arbusta simul pecudesque virosque / tectaque cumque suis rapiunt penetralia sacris), 253 ohne jedoch die von Seneca kritisierten pueriles ineptiae über schwimmende Wölfe, Löwen und Tiger (Met. 1,304‒5) zu übernehmen. 254 Wenngleich man an höher gelegenen Orten vor den Wassermassen der Flüsse sicher war, setzte einem - so fährt der Epistolograph fort - der beständige Regen zu, der zum Einsturz von Mauern und Grabdenkmälern führte (5). 255 Die Ekphrasis der Katastrophe endet schließlich mit dem Hinweis auf das Leid der Menschen, von denen viele entweder allen Halts beraubt (debilitati), verschüttet (obruti) oder gar zermalmt wurden (obtriti), wie Plinius im Rahmen einer Klimax berichtet (5). So seien die Schäden an sich noch durch die Trauer um Freunde und Angehörige verschlimmert worden (5: aucta luctibus damna). Mit dem Fokus auf die Situation der Menschen ist der Übergang von der Ekphrasis zur persönlichen Betroffenheit des Plinius hergestellt, der um das Wohl seines Freundes Macrinus besorgt ist und ihn um einen Lagebericht bittet (6: vereor…sollicitudini meae consulas). Mit dem deiktischen istic (6) ist zugleich die Brücke zum Beginn des Briefes (1: num istic) geschlagen, doch während der Adressat am Anfang nur kurz in Form einer Frage angesprochen wurde, streicht das Ende des Briefes seine Bedeutung stärker heraus. In seiner Sorge um Macrinus reflektiert Plinius in Anlehnung an die stoische Affektenlehre über den Unterschied zwischen Schmerz und Furcht: Während der Schmerz begrenzt sei und sich auf das beziehe, was schon geschehen ist, empfinde man Furcht über das, was noch geschehen kann (6: doleas enim quantum scias accidisse, timeas quantum possit accidere). 256 Mit dem auf die Motive Tod, Schmerz und 367 4.4 Wasser-Wunder in Buch 8 257 Sherwin-White (1966), 452 plädiert für eine Identifikation als Caecilius Macrinus; zu Rosianus Geminus vgl. ders. 402. 258 Sherwin-White (1966), 472; zu Epist. 8,20 vgl. Saylor (1982); Lefèvre (1988); Hindermann (2011), 352‒4; Shannon (2013), 10‒11; Ash (2018a), 133‒40. 259 Sherwin-White (1966), 471; Whitton (2013a), 222‒3; Ash (2918a), 139 mit Anm. 41; vgl. Epist. 2,17,1: miraris…mirari. 260 In Trist. 1,2,77‒80 kontrastiert Ovid seine Seefahrt an den Exilort mit Bildungs- und Vergnügungsreisen an die erwähnten Orte: nec peto, quas quondam petii studiosus, Furcht konzentrierten Schluss interagiert Epist. 8,17 mit dem vorausgehenden Brief 8,16, in dem Plinius von seiner Trauer über Krankheit und Tod junger Sklaven berichtet (8,16,1: confecerunt me infirmitates meorum, mortes etiam, et quidem iuvenum). Neben Macrinus, dem Adressaten der Epist. 8,17, taucht in der an Rosianus Geminus gerichteten Epist. 8,5 noch ein weiterer Macrinus in Buch 8 auf, bei dem es sich um dieselbe Person handeln könnte. 257 Dieser Macrinus habe einen schweren Verlust erlitten, da nach 39 glücklichen Ehejahren seine Frau verstorben sei. Auch hier ergeht sich Plinius in Überlegungen zum Thema Schmerz (2: nam fruendis voluptatibus crescit carendi dolor) und bringt seine persönliche Sorge um den trauernden Macrinus zum Ausdruck (3: ero ergo suspensus pro homine amicissimo), wodurch ein Bezug zum Schluss der Epist. 8,17 hergestellt ist und der Leser dazu animiert wird, die beiden Macrini gleichzusetzen. Ein freundlicheres Bild als in Epist. 8,17 zeichnet Plinius in Epist. 8,20, wo er den Lacus Vadimo (Lago di Bassano) schildert. 258 Gallus, der Adressat dieses Briefes, ist auch der Empfänger der Epist. 2,17 über ein architektonisches Wunder, und ihm wird nach der laurentinischen Villa nun ein Naturwunder vor Augen geführt. 259 Anders als in den zuvor betrachteten Briefen 8,8 und 8,17, wo Plinius nach einer relativ kurzen Einleitung gleich mit der Beschreibung beginnt, geht der Ekphrasis in diesem Brief eine etwas längere Vorrede voran, in der die Mirabilien Italiens denjenigen in der Ferne gegenübergestellt werden (1‒2). Während man zur Besichtigung besonderer Orte weite Reisen in Kauf zu nehmen pflege, vernachlässige man das, was vor Augen liegt (1: ea sub oculis posita neglegimus…proximorum incuriosi), und so komme es, dass man viele Sehenswürdigkeiten in Rom und seiner Umgebung nicht nur nicht gesehen hat, sondern nicht einmal vom Hörensagen her kennt (2: permulta in urbe nostra iuxtaque urbem non oculis modo sed ne auribus quidem novimus). Ganz anders verhält es sich Plinius zufolge mit Ländern wie Griechenland, Ägyten oder Asien, die nicht nur reich an Wundern sind, sondern diese auch zu bewerben verstehen (2: miraculorum ferax commendatrixque terra) - von den dortigen Mirabilien würde man nicht nur hören und lesen, sondern sie auch besuchen (2: audita perlecta lustrata). 260 Mit seinem Brief über ein Naturphänomen in 368 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene Athenas, / oppida non Asiae, non loca visa prius, / non ut Alexandri claram delatus ad urbem / delicias videam, Nile iocose, tuas; zum touristischen Reisen in der Antike vgl. Sherwin-White (1966), 471‒2; Weeber (2001), bes. 863‒4. 261 Zu Vergils laudes Italiae vgl. Thomas (1988), ad loc.; Mynors (1990), ad loc.; zu Properz 3,22 vgl. etwa Putnam (1977); Fedeli (1985), 624‒56. 262 Paus. 9,36,5: Ἕλληνες δὲ ἄρα εἰσὶ δεινοὶ τὰ ὑπερόρια ἐν θαύματι τίθεσθαι μείζονι ἢ τὰ οἰκεῖα, ὁπότε γε ἀνδράσιν ἐπιφανέσιν ἐς συγγραφὴν πυραμίδας μὲν τὰς παρὰ Αἰγυπτίοις ἐπῆλθεν ἐξηγήσασθαι πρὸς τὸ ἀκριβέστατον, θησαυρὸν δὲ τὸν Μινύου καὶ τὰ τείχη τὰ ἐν Τίρυνθι οὐδὲ ἐπὶ βραχὺ ἤγαγον μνήμης, οὐδὲν ὄντα ἐλάττονος θαύματος; vgl. Frazer (1898), V, ad loc. 263 Sherwin-White (1966), 471‒2; zu Calpurnius Fabatus s. S. 305. 264 Zu Epist. 8,10‒11 und ihrer Position in Buch 8 vgl. Morello (2015). Italien macht Plinius dieses Manko sozusagen wett. Bei seiner Gegenüberstel‐ lung heimischer und auswärtiger Mirabilien ließ sich Plinius vermutlich von Vergils laudes Italiae anregen (vgl. Georg. 2,136‒76); auch Properz verkündet in Elegie 3,22 omnia Romanae cedent miracula terrae: / natura hic posuit, quidquid ubique fuit (17‒18). 261 Plinius liefert in Brief 8,20 sozusagen seine epistolare laus Italiae. Die Überlegungen des Epistolographen zum mangelnden Interesse für heimische Sehenswürdigkeiten werden später vom Periegeten Pausanias aufgegriffen, der ähnliches über seine griechischen Landsleute zu sagen hat. 262 Von den einleitenden Reflexionen zur eigentlichen Ekphrasis des Lacus Vadimo geht der Epistolograph mit einer kurzen narratio über, in der er davon berichtet, wie es dazu kam, dass er den See besichtigen konnte (3): Der Besuch erfolgte offenbar nicht lange vor der Abfassung des Briefes an Gallus, und somit erzählt Plinius, wie auch in Epist. 8,8 (1: proxime) und 8,17, von einem kürzlichen Erlebnis (3: nuper). Von den in der Vorrede kritisierten Zeitgenossen schließt sich Plinius selbst gar nicht aus, da auch er zuvor nie vom Lacus Vadimo gehört oder ihn gesehen habe (3): ipse certe nuper, quod nec audieram ante nec videram, audivi pariter et vidi. Der Schwiegergroßvater (prosocer) des Plinius, Calpurnius Fabatus, hatte ihn gebeten, sein Landgut in Ameria zu inspizieren, das, wie auch der fons Clitumnus, in Umbrien gelegen ist. Plinius könnte dort auf seinem Weg nach Tifernum Tiberinum halt gemacht haben, wie Sherwin-White vermutet. 263 Mit dem hier genannten Fabatus, der ebenfalls aus Comum stammt, ist einerseits der Bezug zu der in Epist. 4,30 beschriebenen Quelle hergestellt als auch zu Epist. 8,10, wo Plinius ihm über die Fehlgeburt der Calpurnia schreibt (vgl. 8,11). 264 Bei einem Spaziergang auf dem Anwesen in Ameria habe man Plinius den See gezeigt und zugleich unglaubliche Geschichten über ihn erzählt (3: haec perambulanti mihi ostenditur subiacens lacus nomine Vadomonis; simul quaedam incredibilia narrantur), woraufhin sich Plinius zu einer Autopsie entschloss (4: perveni ad ipsum). Plinius näherte sich dem Lacus Vadimo offenbar von oben 369 4.4 Wasser-Wunder in Buch 8 265 Vgl. Lefèvre (1988), 249; die runde Form ist typisch für die Kraterseen in der Gegend; Sherwin-White (1966), 472. 266 Vgl. Lefèvre (1988), 249; zu den von antiken Theoretikern empfohlenen Themen für Ekphraseis vgl. Webb (2009), 61‒86. 267 Vgl. Bömer (1969‒86), I, 29‒31. 268 Zu seiner Person vgl. Sherwin-White (1966), 150; Whitton (2013a), 111. her (3: subiacens), und auch die Ekphrasis des Gewässers erfolgt zunächst aus der Vogelperspektive, wenn der imaginäre Blick als erstes auf die Form des Sees gelenkt wird, die derjenigen eines ebenmäßigen Kreises entspricht (4): Lacus est in similitudinem iacentis rotae circumscriptus et undique aequalis. 265 Dem Epistolographen zufolge seien keinerlei Unregelmäßigkeiten zu beobachten, sondern es herrsche völlige Symmetrie (4: omnia dimensa paria), sodass der See dem Werk eines Künstlers gleiche (4: quasi artificis manu cavata et excisa). Hier ist der Kontrast zwischen dem mit einem künstlichen Teich vergleichbaren Lacus Vadimo und den in Epist. 8,17 über ihre Ufer getretenen Flüssen besonders auffällig. Ähnlich wie in Epist. 8,8 oszilliert auch in Epist. 8,20 die Ekphrasis zwischen derjenigen eines besonderen Ortes und eines Kunstwerks. 266 Der von Plinius gerühmte artifex erinnert zudem an den mythischen Schöpfer der Welt in Ovids Metamorphosen, von dem es heißt principio terram, ne non aequalis ab omni / parte foret, magni speciem glomeravit in orbis (1,34‒5) und addidit et fontes et stagna inmensa lacusque (1,38). 267 Wurde uns in Epist. 8,17 eine epistolare Version der ovidischen Sintflut-Erzählung geboten, so evoziert Epist. 8,20 die Narration über die Weltentstehung. Die explizite Erwähnung einer Künstler-Instanz sowie der Hinweis auf die aequalitas des „Kunstwerks“ in Epist. 8,20 animieren den Leser auch, über die Rolle des Epistolographen als Beschreiber dieses Phänomens in seinem Brief nachzudenken. In Epist. 2,5 reflektiert Plinius ebenfalls über das Ideal der Gleichmäßigkeit, jedoch in einem anderen Zusammenhang: Der Brief wird als Begleitschreiben zu einer Rede präsentiert, die Plinius seinem Freund Lupercus 268 auf dessen Bitte hin zusendet, allerdings nicht in ihrer vollständigen Form (1: nondum tamen totam; adhuc enim pars eius perpolitur). Es handelt sich offenbar um eine Lobrede des Plinius auf seine Heimat (3: dum ornare patriam et amplificare gaudemus), in die er auch mehrere Ortsbeschreibungen integriert hat (5: descriptiones locorum, quae in hoc libro frequentiores erunt); über diese descriptiones loci sagt Plinius, dass sie den Ohren der jungen Zuhörer zuliebe nicht nur in der Art der Geschichtsschreiber, sondern auch der Dichter gehalten sind (5: non historice tantum, sed prope poetice prosequi fas est). Die Lektüre der noch unvollendeten Rede durch Lupercus vergleicht Plinius mit dem Betrachten von einzelnen Körperteilen einer noch nicht vollendeten Statue, 370 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 269 Vgl. Mart. 7,90,4 über Gedichtbücher: aequalis liber est, Cretice, qui malus est; Galán Vioque (2002), 482‒3. 270 Whitton (2015a), 131‒8 erkennt in den literarischen Themen, über die Plinius in Epist. 2,5 reflektiert - unter anderem Fragmentierung eines Werks und varietas - einen Bezug zum Programm des Briefkorpus und bezeichnet Epist. 2,5 als ein zweites Proömium zur Sammlung; bittet Plinius in Epist. 2,5 seinen Adressaten Lupercus um die Lektüre der unvollendeten Rede, so möchte er seinerseits in Epist. 8,4 das noch unvollendete Epos des Caninius Rufus lesen und verwendet dabei ähnliche Argumente wie in Brief 2,5; vgl. Neger (2018b), 197‒8. deren Harmonie und Gleichförmigkeit (11: congruentiam aequalitatemque) als Gesamtwerk man zwar nicht beurteilen könne, wohl aber die Qualität ihrer Teile. Wie aus dieser Passage hervorgeht, verwendet Plinius den Begriff der aequalitas in einem stilkritischen Zusammenhang, 269 sodass sich auch in Epist. 8,20 eine metaliterarische Bedeutungsebene zu eröffnen scheint: Dem artifex, der den Lacus Vadimo geformt hat, entspricht der Epistolograph, der eine kunstvolle Beschreibung dieses Naturwunders liefert. Durch das Motiv der laus patriae und descriptiones locorum ist Epist. 2,5 mit den Natur-Ekphraseis in Epist. 4,30, 8,8 und 8,20 verbunden, ja kann vielleicht sogar als Einleitung zu diesem Zyklus gelesen werden; auch ein Bezug zum Trajan-Epos des Caninius Rufus in Epist. 8,4 ist vorhanden, dessen Erzählung über die Dakerkriege - hierzu gehören auch Ortsbeschreibungen (8,4,2) - ebenfalls eine auf historischen Ereignissen fußende poetica et fabulosa materia enthält (8,4,1: quae denique tam poetica et quamquam in verissimis rebus tam fabulosa materia? ). 270 Nach der Form geht Plinius auf die dunkelgrüne Farbe des Lacus Vadimo ein (8,20,4) und lässt seine Rezipienten den See nicht nur mit dem geistigen Auge betrachten, sondern auch mit anderen Sinnen wahrnehmen, wenn er den Schwefelgeruch und mineralischen Geschmack erwähnt (4); sogar über eine heilsame Wirkung auf Knochenbrüche verfüge das Gewässer, das trotz seines geringen Umfangs die Winde spüre und Wellen anwachsen lasse (4). Ähnlich wie der Clitumnus ist auch der Lacus Vadimo ein heiliger See (5: sacer), auf dem Bootsfahrten jedoch untersagt sind. Statt durch Menschen belebt zu werden, weist der See eine andere Besonderheit auf: Auf ihm schwimmen unterschiedlich große Inseln wie Boote (5: innatant insulae…in speciem carinae humili radice descendunt), die häufig Lastschiffe mit Beibooten imitieren (7: saepe minores maioribus velut cumbulae onerariis adhaerescunt) und sich dann wieder in Wettfahrten miteinander messen (7: saepe inter se maiores minoresque quasi cursum certamenque desumunt). Je nach Wind hängen die Inseln manchmal zusammen und bilden eine Art Festland oder werden auseinander getrieben und schwimmen einzeln umher (6), wobei sie durch ihre Bewegungen der Wasser‐ fläche immer andere Formen verleihen (7). Was Plinius hier beschreibt, ist eine 371 4.4 Wasser-Wunder in Buch 8 271 Martial nennt die Pyramiden, die hängenden Gärten von Bayblon, den Artemis-Tempel in Ephesos, den Horn-Altar auf Delos und das Mausoleum von Halikarnassos; vgl. AP 9,58 (Antipater von Thessalonike); Coleman (2006), 1‒13. 272 Mart. Sp. 3,1‒2: Quae tam seposita est, quae gens tam barbara, Caesar, / ex qua spectator non sit in urbe tua? ; vgl. Coleman (2006), 37‒53. 273 Zu Plinius’ Vorbehalen gegen Zirkusspiele vgl. Epist. 1,8,10; 9,6,1: Circenses erant, quo genere spectaculi ne levissime quidem teneor. Art Naumachie in einer natürlichen Arena, wie von Ash (2018a) beobachtet wurde, die zudem vorgeschlägt, den Plinius-Brief vor dem Hintergrund des Liber spectaculorm Martials zu lesen und den epistolaren mit dem epigrammatischen Wunder-Diskurs zu vergleichen. Bereits im ersten Gedicht dieses Büchleins (Sp. 1) streicht Martial das amphitheatrum Flavium als den übrigen Weltwundern überlegen heraus und nennt in diesem Zusammenhang auch Mirabilien aus Ägypten, Griechenland und Kleinasien, deren Glanz nun von der römischen Arena überstrahlt wird. 271 In dieser Hinsicht ähneln sich also das architekto‐ nische Wunder der Flavierzeit und der Lacus Vadimo, als sie den ausländi‐ schen Mirabilien als überlegen bzw. zumindest ebenbürtig angepriesen werden. Während Martial jedoch im dritten Gedicht des Liber spectaculorum von den zahlreichen Völkern spricht, die zur Eröffnung der Arena nach Rom strömen, 272 erfolgt die Bewegung bei Plinius in umgekehrter Richtung, wenn er die Reisen seiner Zeitgenossen in die Ferne kritisiert (Epist. 8,20,1‒2). Der Freude der Zuschauer im Liber spectaculorum an grausamen Szenen und mythologischen re-enactments im flavischen Rom steht bei Plinius die ruhige Kontemplation eines natürlichen locus amoenus außerhalb der Hauptstadt gegenüber, der als Schauplatz des Friedens das flavische Weltwunder sozusagen ablöst. 273 Martials Panegyrik auf die Flavier wird durch den Plinius-Brief gleichsam überschrieben, die damnatio memoriae neronischer Architektur durch flavische Bauwerke (Mart. Sp. 2) verwandelt Plinius in eine implizite damnatio memoriae des amphitheatrum Flavium, dessen Schauspiele er einerseits evoziert, andererseits durch das beschriebene Naturwunder ersetzt. Dem Bericht des Plinius zufolge warten die schwimmenden Inseln auf dem Lacus Vadimo noch mit einer weiteren Besonderheit auf: Treiben sie am Ufer des Sees, werden sie häufig von grasendem Tieren betreten, die die Inseln mit dem Uferrand verwechseln (8: constat pecora herbas secuta sic in insulas illas ut in ext‐ remam ripam procedere solere); erst später, wenn sich die Inseln wieder bewegen, geraten diese unfreiwilligen Passagiere (8: quasi inlata et imposita) angesichts des sie plötzlich umgebenden Wassers in Furcht und gehen schließlich dort wieder an Land, wo sie von den schwimmenden Inseln hingetragen werden, ohne wirklich zu verstehen, was geschehen ist (8: non magis se descendisse sentire 372 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 274 Vgl. Saylor (1982). 275 Die Nummerierung der Gedichte im Liber spectaculorum erfolgt nach Coleman (2006); zur Frage, wie solche aquatic displays in der Arena tatsächlich inszeniert wurden, vgl. Coleman (1993). 276 Beim göttlichen Schutzherren der Spiele handelt es sich um den Kaiser; Coleman (2006), 199; bei Plinius ist in Epist. 8,20 die Person des Kaisers hingegen ausgeblendet; vgl. Ash (2018a), 138. 277 Vgl. Ash (2018a), 136: „Certain features of Pliny’s imagery strongly hint that making comparisons with the Flavian amphitheatre is a valid way to read the letter.“ quam senserint ascendisse). Das seefahrende Vieh bildet ein komisches Pendant zu den in der Einleitung des Briefes kritisierten menschlichen Zeitgenossen, die das ihnen vor Augen Liegende ebenfalls nicht wahrnehmen. 274 Darüber hinaus lassen sich die schwimmenden Inseln zusammen mit ihren Passagieren als eine idyllische Entsprechung zu den Naumachien und Wasser-Spielen lesen, die Martial zufolge im römischen Amphitheater stattfanden: So erinnert der Hinweis des Plinius, dass die schwimmenden Inseln die Wasserfläche des Sees bald sichtbar machen, bald verdecken (7: et modo hac modo illa lacum reddunt auferuntque) an das von Martial gerühmte technischen Wunder, in der Arena, Land in Wasser und wieder in Land zu verwandeln (Sp. 27[24]): 275 Si quis ades longis serus spectator ab oris, cui lux prima sacri muneris ista fuit, ne te decipiat ratibus navalis Enyo et par unda fretis: hic modo terra fuit. non credis? specta, dum lassant aequora Martem: parva mora est, dices: ‘hic modo pontus erat’. Das Epigramm spricht hier einen aus der Ferne angereisten Zuseher an, der das heilige Schauspiel (2: sacri muneris) 276 zum ersten Mal mitverfolgt. Auch Plinius präsentiert sich in Epist. 8,20 als jemand, der zum ersten Mal das miraculum des Lacus Vadimo (3) betrachtet, der ebenfalls als heilig gilt (5: sacer enim). Dem Zuseher erklärt der epigrammatische Sprecher, dass dort, wo man jetzt Wasser sieht, gerade noch Land gewesen sei (4: hic modo terra fuit) und man nach dem Ende der „Seeschlacht“ über das schnelle Verschwinden des Wassers staunen werde (6: hic modo pontus erat); Plinius spielt bei der Schilderung seines aquatic display möglicherweise mit modo hac modo illa auf die Anapher von hic modo bei Martial an. 277 In einem anderen Epigramm (Sp. 30[26]) preist Martial ein Wasserballett, bei dem schwimmende „Nereiden“ verschiedene Formationen bilden (1‒2: Lusit Nereïdum docilis chorus aequore toto / et vario faciles ordine pinxit aquas) und sich dabei durch besondere Kunstfertigkeit aus‐ 373 4.4 Wasser-Wunder in Buch 8 278 Vgl. Coleman (2006), 212‒7. 279 Vgl. Mart. Sp. 30(26), 3‒6: fuscina dente minax recto fuit, ancora curvo: / credidimus remum credidimusque ratem, / et gratum nautis sidus fulgere Laconum / lataque perspicuo vela tumere sinu; Lefèvre (1988), 250 weist auf die menschlichen Züge hin, die Plinius den schwimmenden Inseln verleiht. 280 Sherwin-White (1966), 472; Lefèvre (1988), 246; Ash (2018a), 138. 281 Eine Diskussion dieser Passage bietet Gauly (2004), 90‒6. zeichnen (7: quis tantas liquidis artes invenit in undis? ). 278 Plinius, der den Lacus Vadimo ebenfalls als Werk eines artifex rühmt (8,20,4), schildert ganz ähnlich die Bewegungen der schwimmenden Inseln, die sich zunächst vereinigen (6: interdum iunctae copulataeque), dann wieder auseinandertreiben (6: digeruntur) und einzeln umherschwimmen (6: singulae fluitant) oder ganze Verbände von Schiffen nachahmen (7: velut cumbulae onerariis adhaerescunt) 279 und so dem Betrachter ebenfalls eine Art Wasserballett darbieten. Plinius scheint mit seinem Brief 8,20 einerseits Martials Arena-Panegyrik zu evozieren und sie andererseits aus der Haupstadt in einen post-flavischen Kontext der natürlichen Idylle außerhalb Roms zu transferieren. Mehrere Forscher haben zudem bereits darauf hingewiesen, dass Plinius die politische Bedeutung, die dem Lacus Vadimo insbesondere in der Historiographie anhaftet, völlig ausblendet: Der See war sowohl 310 v. Chr. als auch 283 v. Chr. Schauplatz römischer Siege gegen die Etrusker, wie Livius (9,39,4‒11) und Polybios (2,20) berichten. 280 Im Rahmen der Analyse von Epist. 8,17 wurde bereits die Rolle von Senecas Naturales Quaestiones als Prätext für Plinius diskutiert, und es ist denkbar, dass diese Abhandlung auch auf Epist. 8,20 einen gewissen Einfluss ausgeübt hat. Das auffällige Verschweigen politischer bzw. militärischer Ereig‐ nisse im Zusammenhang mit der Ekphrasis des Lacus Vadimo (und auch des Clitumnus in Epist. 8,8) könnte mit Senecas praefatio zu Buch 3 der Naturales Quaestiones in Verbindung stehen, wo politische Geschichtsschreibung und philosophische Betrachtung der Natur miteinander kontrastiert werden (Nat. 3 praef. 5‒18) und Seneca die Naturphilosophie als für die Entwicklung des Charakters nützlichere Beschäftigung herausstellt: Consumpsere se quidam, dum acta regum externorum componunt quaeque passi invicem ausique sunt populi (5) …Ad hoc proderit nobis inspicere rerum naturam (18). 281 Im selben Buch erwähnt Seneca auch die schwimmenden Inseln bei Cutiliae und im Lacus Vadimo (Nat. 3,25,8: ipse ad Cutilias natantem insulam vidi, et alia in Vadimonis lacu vehitur), wobei er der Insel von Cutiliae eine ausführlichere Beschreibung widmet, die derjenigen bei Plinius über den Lacus Vadimo nicht unähnlich ist: Auch Seneca berichtet vom Bewuchs der Insel (25,8), ihrem Umhertreiben auf dem mineralhaltigen Wasser und den Gründen dafür (25,8‒9), sowie von 374 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 282 Vgl. Lefèvre (1988), 248. 283 Plin. Nat. 2,209: quaedam insulae semper fluctuantur, sicut in agro Caecubo et eodem Reatino, Mutinensi, Statoniensi, in Vadimonis lacu, ad Cutilias aquas opaca silva, quae numquam die ac nocte eodem loco visitur, in Lydia quae vocantur Calaminae, non ventis solum, sed etiam contis quo libeat inpulsae, multorum civium Mithridatico bello salus. 284 Vgl. Hindermann (2011), 352‒3; Shannon (2013), 10‒11; Ash (2018a), 139. 285 Zu Quintilians Diskussion über phantasia und enargeia vgl. Watson (1994), 4774‒7; Otto (2009), 108‒27; Webb (2009), 87‒106. porösem Gestein, das man auf der Insel finden kann (10). 282 Nach Seneca nennt auch der ältere Plinius den Lacus Vadimo innerhalb einer Liste von Gewässern mit schwimmenden Inseln, von denen er allerdings nur diejenigen von Cutiliae sowie die Calaminae insulae in Lydien ein wenig näher beschreibt. 283 Plinius der Jüngere bietet seinem Adressaten Gallus, den er wie sich selbst als Liebhaber von Naturwundern charakterisiert (8,20,10: nam te quoque ut me nihil aeque ac naturae opera delectant), eine ausgefeiltere Version als Seneca und der ältere Plinius, in der der Gegenstand vor allem mit dem Blick des Ästheten betrachtet wird. 284 Der Hinweis auf das Interesse des Gallus für die naturae opera suggeriert, dass er auch mit den Schriften Senecas und des älteren Plinius vertraut war. Vor dem Hintergrund der literarischen Vorgänger, die hier evoziert werden, stellt sich allerdings die Frage, ob der Lacus Vadimo für Plinius tatsächlich ein so unbekanntes Phänomen darstellte, wie er im Brief behauptet (8,20,3: quod nec audieram ante nec videram), oder ob das Motiv des Entdeckens von Unbekanntem hier aus kompositorischen Gründen gewählt wurde, um den Brief (ähnliches gilt für Epist. 8,8) zu einem Stück Reiseliteratur in nuce zu machen und die eingebettete Ekphrasis effektvoller zu rahmen. Es fällt zudem auf, dass insbesondere die einleitende Passage des Briefes verbal an rhetorische Abhandlungen zum Thema evidentia und enargeia anklingt: So darf Quintilian (Inst. 8,3,62) zufolge eine überzeugende Rede nicht nur die Ohren der Zuhörer erreichen (oratio si usque ad aures valet), sondern müsse das Geschehen auch dem geistigen Auge präsentieren (res…ut cerni videantur, enuntiare…et oculis mentis ostendi). 285 Akustische und visuelle Wahrnehmung werden auch von Plinius in Epist. 8,20 im Zusammenhang mit den Mirabilien in und außerhalb Italiens thematisiert (2‒3: non oculis modo sed ne auribus quidem…audita perlecta lustrata…quod nec audieram ante nec videram, audivi pariter et vidi). Als intradiegetisches Pendant zu Plinius dem Epistolographen tauchen im Brief die Begleiter auf, die Plinius als handelnder Figur den See zeigen und einige Geschichten darüber erzählen (3: simul quaedam incredibilia narrantur); während diese Erzählungen insbesondere die Ohren des Zuhörers erreicht haben dürften, schafft es der Epistolograph mit seiner Beschreibung, auch das geistige Auge seiner Leser zu erfreuen und den abwesenden Adressaten 375 4.4 Wasser-Wunder in Buch 8 286 Zu diesem Brief vgl. McAlindon (1956); Niemann (2007); Citroni-Marchetti (2008); Stevens (2009); Hindermann (2011); Williams (2013); Beck (2016). 287 Zu seiner Person s. S. 354-5. 288 Man vergleiche etwa Diskussionen über mirabilia in Plutarchs Quaestiones convivales und Convivium septem sapientium oder die Werwolf- und Hexengeschichte bei der Cena Trimalchionis (Petr. 61‒63); vgl. Meeusen (2014), 4: „Plutarch is most probably relying on traditional beliefs in such cases rather than on personal observation and autopsy. In several cases he explicitly…signals that he studies what other people claim to know from experience rather than that he experienced it himself “; zu Petron vgl. Schmeling (2011), ad loc. gleichsam selbst zum Betrachter zu machen. Im Rahmen seiner Diskussion der evidentia zitiert Quintilian auch Cicero, der von einer sub oculos subiectio spricht (Inst. 9,2,40; vgl. Cic. De orat. 3,202: sub aspectum paene subiectio), wenn von einem Ereignis nicht nur berichtet, sondern es gleichsam gezeigt wird (Inst. 9,2,40: cum res…ut sit gesta ostenditur) - diese rhetorische Qualität könne neben anderem auch bei Ortsbeschreibungen zur Anwendung kommen (Inst. 9,2,44: locorum quoque dilucida et significans descriptio eidem virtuti adsignatur a quibusdam, alii τοπογραφίαν dicunt). Es ist m. E. denkbar, dass Plinius in Epist. 8,20 mit dem vorhin diskutierten Kontrast zwischen Hören und Sehen sowie mit den Formulierungen ea sub oculis posita (1) und subiacens lacus (3) auf die rhetorische Theorie zur evidentia anspielt und seinem Leser damit nicht nur signalisiert, dass er ein auf Autopsie beruhendes Phänomen beschreiben, sondern auch eine epistolare Version ekphrastischer Kunst bieten will. 4.5 Delphin und Knabe (Epist. 9,33) Ekphrastische Elemente prägen auch Epist. 9,33, die sich als Fortsetzung bzw. Abschluss des Briefzyklus über Naturphänomene lesen lässt. Im Gegensatz zu den Wasserphänomenen in Epist. 4,30, 8,8, 8,17 und 8,20, wo das Motiv der Autopsie durch den reisenden Plinius eine zentrale Rolle spielt, und den Vesuv-Briefen 6,16 und 6,20, wo Plinius ebenfalls teilweise selbst Erlebtes berichtet, ist die Erzählung über Delphin und Knabe in Epist. 9,33 286 in einen anderen Rahmen eingebettet: In diesem Brief an den Dichter Caninius Rufus 287 führt Plinius aus, dass er die Geschichte nicht selbst erlebt, sondern bei einem Gastmahl gehört habe, als man dort verschiedene mirabilia austauschte (1: dum super cenam varia miracula hinc inde referuntur); mit diesem Hinweis signalisiert Plinius, dass sein Brief sowohl in der Tradition der Mirabilien-Literatur als auch derjenigen literarischer Tischgespräche steht. 288 Zwar handle es sich um einen realen Vorfall (1: incidi in materiam veram), den man jedoch auch für 376 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 289 Vgl. Sherwin-White (1966), 513; Stevens (2009), 175‒6; s. S. 354-5. 290 Zu Octavius Rufus vgl. Epist. 1,7 und 2,10; Sherwin-White (1966), 522. 291 Der liber absolutus des Rufus wird wohl nicht zufällig am Ende des 9. Buches erwähnt, das ebenfalls kurz vor seiner Fertigstellung steht; zudem findet sich das Motiv vom opus absolutum mehrmals in Buch 9: in Epist. 9,1,4 fordert Plinius seinen Adressaten Maximus dazu auf, seine Rede In Plantam endlich zu publizieren: hoc perfice, quod nobis qui legimus olim absolutum videtur; in Epist. 9,11,2 sagt Plinius über seine eigenen Schriften, die sogar in Lugdunum verkauft werden: incipio enim satis absolutum existimare, de quo tanta diversitate regionum discreta hominum iudicia consentiunt; vgl. Epist. 5,10,3: perfectum opus absolutumque est. 292 S. Kap. II.1.5 und II.4.2. 293 Vgl. Stevens (2009), 162 und 174: „…Caninius is not really being asked to write anything at all“; Beck (2016), 65. Fiktion halten könne (1: sed simillimam fictae), wodurch er dem poetischen Talent des Adressaten gerecht werde (1: dignamque isto laetissimo, altissimo planeque poetico ingenio). Mit ihrem Stoff, der sich sowohl für eine faktuale als auch fiktionale Erzählung eignet, entspricht die Delphin-Geschichte somit dem Epos über Trajans Dakerkriege, das Caninius Rufus zu komponieren beabsichtigte, wie aus Epist. 8,4 hervorgeht (1: tam poetica et quamquam in verissmis rebus tam fabulosa materia). 289 Zusammengenommen vermitteln die Briefe 8,4 und 9,33 somit den Eindruck, dass Caninius sich als Dichter auf die poetische Ausschmückung historischer bzw. realer Ereignisse spezialisiert hat, zumal Plinius in Epist. 9,33 auch noch hervorhebt, dass sein anonymer Gewährsmann äußerst zuverlässig sei (1: magna auctori fides) und man sich sogar als Historiker auf ihn berufen könne (1: cui bene vel historiam scripturus credidisses). Caninius Rufus ist möglicherweise auch Thema des Briefes 9,38 an Pompeius Saturninus, wo Plinius ein Buch des gemeinsamen Freundes Rufus erwähnt, das in jeder Hinsicht vollkommen sei (1: librum omnibus numeris absolutum). Nach der Lektüre von Epist. 8,4 und 9,33 dürfte der Leser den hier erwähnten Rufus eher mit Caninius Rufus als Octavius Rufus, der nur in Buch 1 und 2 auftaucht, identifizieren, 290 wobei wir über den Charakter des liber absolutus nichts Konkretes erfahren. 291 Handelt es sich um das in Epist. 8,4 erwähnte Epos auf Trajan oder sollen wir annehmen, dass Caninius Rufus den Delphin-Stoff in irgendeiner Weise verarbeitet hat? Anders als in Epist. 8,4, wo Plinius das literarische Vorhaben seines Freundes lobt und kommentiert, liefert er in Epist. 9,33 selbst eine Erzählung und tritt somit eigentlich in Konkurrenz mit seinem Adressaten, wie es sich auch in den Vesuv-Briefen (6,16 und 20) sowie in Epist. 7,33 an Tacitus beobachten ließ. 292 Da wie dort dienen die Adressaten wohl in erster Linie als Aufhänger, die Plinius zur Demonstration seiner eigenen Fähigkeiten als Erzähler funktionalisiert. 293 So liefert er in Buch 9 mit seiner 377 4.5 Delphin und Knabe (Epist. 9,33) 294 Vgl. Plin. Nat. 9,8,24‒33; Sherwin-White (1966), 514: „This well fits Pliny the Elder…“. 295 Sherwin-White (1966), 513 datiert Brief 9,33 ähnlich wie 8,4 auf die Zeit um 107 n. Chr. 296 Vgl. Epist. 6,16; 6,20; 7,33. 297 Zu Epist. 9,34 s. S. 300-3. 298 S. S. 370. 299 Hindermann (2011), 346‒52; Stevens (2009), 163‒70; anders Sherwin-White (1966), 514: „One doubts whether Pliny could have endured to read his uncle’s immense and inelegant book“; Beck (2016), 69‒70 warnt vor einer Überinterpretation durch moderne Intertextualitäts-Forscher, geht jedoch auch davon aus, dass der jüngere Plinius „bei seinem Onkel nachgelesen“ habe (70). unterhaltsamen Delphin-Geschichte eine epistolare Alternative zum Epos, das Caninius auf Kaiser Trajans Abenteuer in Dakien dichtete. Man hat viel darüber spekuliert, wer sich hinter dem von Plinius erwähnten auctor verbergen könnte: Sollen wir an den älteren Plinius denken, der in Buch 9 der Naturalis Historia ebenfalls mehrere Delphin-Wunder behandelt? 294 Dagegen spricht, dass es sich der Logik der Narration zufolge um einen Teil‐ nehmer des Gastmahls handelt, das wohl Jahrzehnte nach dem Tod des älteren Plinius stattfand. 295 Könnte sich Tacitus dahinter verbergen, der im Briefkorpus mehrmals als Historiker gerühmt wird 296 und außerdem in Buch 9 als Erzähler einer kleinen Anekdote im Zirkus auftaucht (9,23)? Denkbar wäre auch Sueton, an den Plinius den unmittelbar folgenden Brief 9,34 richtet. Hierbei fällt auf, dass der Rühmung von Caninius’ poetischem Talent in Epist. 9,33 die Selbstab‐ wertung des Plinius gegenübersteht, der von sich behauptet, seine eigene Poesie schlecht zu rezitieren. 297 Plinius überlässt es in Epist. 9,33 offenbar bewusst den Spekulationen des Lesers, den anonymen auctor mit einer konkreten Figur zu identifizieren. Als jemand, der historischen Stoff und poetische Freiheiten mit‐ einander zu kombinieren versteht, ist der anonyme Gewährsmann vergleichbar mit Plinius selbst, der in Epist. 2,5 von sich behauptet, Ortsbeschreibungen in einer Lobrede auf seine Heimat sowohl nach Art der Historiker (5: historice) als auch der Dichter (5: poetice) eingestreut zu haben. 298 In Epist. 9,33 spiegeln sich somit zwei kommunikative Ebenen: Auf der intradiegetischen Ebene enstpricht die Erzählung des anonymen auctor, deren Rezipient Plinius als handelnde Figur ist, der epistolaren Kommunikation des Plinius als auctor und Caninius als Leser des Briefes; dem schriftlichen (halben) Dialog auf Distanz ist ein mündliches Gespräch beim Gastmahl eingelegt. Worüber m. E. kein Zweifel besteht, ist, dass der Epistolograph mit seiner Themenwahl zumindest indirekt die Historia Naturalis des älteren Plinius und dort insbesondere den Abschnitt über Delphine evoziert, wenngleich direkte verbale Parallelen nur vereinzelt auftauchen. 299 Wie schon in anderem Zusammenhang diskutiert wurde, greift der jüngere Plinius auch hier ein Thema auf, das sein Onkel im Rahmen eines gelehrten 378 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 300 Zur Instanz des unzuverlässigen Erzählers siehe Booth (1983), 158‒9; Martinez/ Scheffel (1999), 95‒107. 301 Sherwin-White (1966), 435 datiert Epist. 7,27 in die Zeit nach dem Amt des Plinius als curator Tiberis, das er vermutlich bis 106/ 07 n. Chr. innerhatte; somit würde das Entstehungsdatum der Briefe 7,27 und 9,33 nicht allzuweit auseinander liegen; zu Epist. 7,27 s. Kap. II.4.3. Katalogs abhandelt, integriert es in den Kontext epistolarer Konversation und demonstriert anhand eines einzelnen Beispiels seine Kunstfertigkeit als Erzähler einer Novelle. Wie lässt sich jedoch die Behauptung des Plinius, von der Delphin-Geschichte zufällig beim Gastmahl gehört zu haben (1: incidi…incidi), mit der Tatsache vereinbaren, dass bereits der ältere Plinius eine Version dieses Vorfalls in seiner Naturgeschichte (9,8,26) geschildert hat? Stevens (2009: 164) liegt vermutlich richtig mit der Annahme, dass es sich um eine fiktive cena handelt und der gelehrte Leser den Widerspruch zwischen der angeblich neu aufgeschnappten Erzählung und ihrer schriftlichen Darstellung beim älteren Plinius aufdecken soll: „I take it that this insistence on coincidence is meant to seem exaggerated and to make the reader question the letter’s “honesty” as a first step to acknowledging its artistry.“ Plinius schlüpft hier demnach in die Rolle des unzuverlässigen Erzählers 300 und animiert auf diese Weise seine Leser dazu, seine Version mit derjenigem beim älteren Plinius zu vergleichen. Mit dem Satz est in Africa Hipponensis colonia mari proxima (2) beginnt der narrative Teil des Briefes (2‒10), dessen Handlung, wie schon die Erzäh‐ lung über Curtius Rufus (7,27,2‒3), in Afrika angesiedelt ist. Es wäre m. E. durchaus denkbar, dass man zu den varia miracula, die Plinius zufolge beim Gastmahl erzählt wurden (1), auch die im Gespenster-Brief 7,27 referierten Geschichten über Curtius Rufus und Athenodorus zählen soll, bei denen Plinius ebenfalls hervorhebt, dass er sie von anderen Personen gehört habe (7,27,2: quod audio accidisse; 4: quod exponam, ut accepi). 301 Unter Anwendung einer Art „Zoomtechnik“ führt der epistolare Erzähler den Leser nach und nach an das Geschehen heran: Zuerst erfahren wir, dass der Handlungsschauplatz in Afrika, genauer in der Kolonie Hippo liegt, die sich am Meer befindet. Sodann wird der Blick auf eine schiffbare Lagune gelenkt (2: navigabile stagnum), von der aus ein Kanal (2: in modum fluminis aestuarium) zum Meer führt, wobei die Strömung in diesem Kanal regelmäßig ihre Richtung ändert (2: nunc infertur mari, nunc redditur stagno). Nach dieser descriptio loci wird der Ort von lebendigen Figuren erfüllt, wenn Plinius von Menschen jeglichen Alters (3: omnis…aetas) spricht, die sich hier mit Fischen, Segeln und Schwimmen die Zeit vertreiben. Aus dieser Gruppe greift der Epistolograph die pueri heraus, die sich beim Schwimmen zum Spaß miteinander messen und versuchen, sich möglichst weit vom Strand 379 4.5 Delphin und Knabe (Epist. 9,33) 302 Damit wendet Plinius eine Technik an, die ansonsten für historiographische Werke typisch ist, und betont somit indirekt den Wahrheitsgehalt seiner Erzählung; vgl. Beck (2016), 72; s. S. 337. 303 Zur Gestaltung des Briefes als Drama vgl. Miller (1966); Beck (2016), 72‒5. 304 Das Motiv des Herbeiströmens von Schaulustigen findet sich auch in der Novelle von der Matrone von Ephesus bei Petron: Matrona quaedam Ephesi tam notae erat pudicitiae, ut vicinarum quoque gentium feminas ad spectaculum sui evocaret (111); Schmeling (2011), ad loc. zu entfernen (3: victor ille, qui longissime ut litus ita simul natantes reliquit). Abermals verengt Plinius den Blick, indem er sich nun auf einen puer quidam audentior ceteris (4) konzentriert, der sich besonders weit ins Meer hinaus wagte (4: in ulteriora tendebat) und dort einem Delphin begegnete (4: delphinus occurrit) - vom rahmenden Imperfekt wechselt Plinius nun zu historischem Präsens und historischem Infinitiv, 302 um das Spiel des Delphins mit dem Knaben zu veranschaulichen (4): Delphinus occurrit et nunc praecedere puerum, nunc sequi, nunc circumire, postremo subire, deponere, iterum subire trepidantemque perferre primum in altum, mox flectit ad litus redditque terrae et aequalibus. Nach der Exposition lässt sich diese Schilderung der ersten Begegnung zwi‐ schen Knabe und Delphin gleichsam als erster Akt eines epistolaren Dramas lesen, 303 wobei im Brief auch explizite Vergleiche zwischen dem miraculum und einem Schauspiel gezogen werden (5: tamquam miraculum adspicere; 7: tantum spectator; 10: ad spectaculum). Von der Einzelszene auf dem Meer, die das Spiel des Delphins mit dem Knaben präsentiert, weitet sich der Blick wieder auf die ganze Kolonie, in der sich die Nachricht über das Naturwunder verbreitet (5: serpit per coloniam fama) und es zum Zusammenströmen von Schaulustigen kommt, die das miraculum nicht nur sehen wollen (5: concurrere omnes, ipsum puerum tamquam miraculum adspicere), 304 sondern den Knaben auch befragen und ihrerseits das Gesehene und Gehörte weitererzählen (5: interrogare, audire, narrare). Auch hier verwendet der Erzähler historisches Präsens und historischen Infinitiv, um die Unmittelbarkeit der Handlung zu verstärken. Durch das Motiv des Hörens und Weitererzählens wird auf der intradiegetischen Ebene die Rahmenhandlung mit Plinius als auditor eines narrator beim Symposium gespiegelt. Während Plinius die cena, bei der er von der Geschichte erfahren haben will, weder zeitlich noch räumlich konkret verortet, wird die Erzählung selbst genau lokalisiert und lässt sich durch einen Hinweis beim älteren Plinius auf den Prokonsul Flavianus in die Zeit Vespasians 380 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 305 Nat. 9,8,26: intra hos annos…perunctus a Flaviano proconsule Africae; zu Tampius Flavianus vgl. Sherwin-White (1966), 515. 306 S. S. 368-76. 307 Mart. 1,6; 22; 48; 51; 60; 104; vgl. 44. 308 Vgl. Lorenz (2002), 126‒34. 309 S. S. 278. datieren. 305 Mit der Junktur serpit per coloniam fama dürfte Plinius auf Vergils extemplo Libyae magnas it Fama per urbes (Aen. 4,173) anspielen, was insofern naheliegt, als die Handlungsschauplätze in Epist. 9,33 und Buch 4 der Aeneis in derselben Region liegen. Die „Liebesgeschichte“ zwischen Knabe und Delphin (6: amari putat, amat ipse) entspricht derjenigen zwischen Dido und Aeneas, in beiden Fällen kommt es zum Tod eines der beiden Partner. Was den theatralen Charakter der Delphin-Novelle bei Plinius betrifft, so ist vielleicht auch hier - wie in Epist. 8,20 - ein Vergleich mit dem Liber spectaculorum Martials aufschlussreich, wenngleich man nicht unbedingt von einer direkten intertextu‐ ellen Abhängigkeit ausgehen muss. 306 Abermals liegt bei Plinius der Schauplatz des Spektakels außerhalb Roms, diesmal an der tunesischen Küste. Der fama des Naturwunders entspricht die fama des amphitheatrum Flavium (Mart. Sp. 1,8), zu dem Menschen aus aller Welt zusammenströmen (Sp. 3), ebenso wie bei Plinius zunächst die Bewohner der Kolonie (5), danach alle Magistrate zum Schauspiel herbeieilen (10: confluebant omnes ad spectaculum magistratus). Die Art und Weise, wie Delphin und Knabe mehrere Tage lang miteinander spielen (6), erinnert ein wenig an einen Epigrammzyklus bei Martial, in dem das Spiel eines Löwen und Hasen in der Arena geschildert und ebenfalls als miraculum bezeichnet wird (1,6,5; quae maiora putas miracula? ). 307 Während in Martials Arena-Epigrammen Kaiser Domitian als Urheber der Wunder gerühmt wird, 308 spielt Vespasian in der Erzählung des Plinius keine Rolle - er ist lediglich indirekt durch den legatus proconsulis und die magistratus präsent, die im Brief als handelnde Figuren auftauchen. Plinius hebt im Rahmen seiner Beschreibung die Zuneigung zwischen dem Knaben und dem Delphin hervor (6): amari putat, amat ipse. Damit dürfte ein intratextueller Bezug hergestellt sein zu Epist. 4,27, wo ein Gedicht des Sentius Augurinus über Plinius als Dichter zitiert wird, 309 das unter anderem den Vers et quaerit, quod amet, putatque amari (4,27,4, v. 6) enthält. Plinius als poetischer amator, wie er von Sentius Augurinus charakterisiert wird, befindet sich in einer ähnlichen Situation wie der mit dem Delphin spielende Knabe. Durch den intratextuellen Rückverweis wird m. E. suggeriert, Epist. 9,33 als „Prosagedicht“ 381 4.5 Delphin und Knabe (Epist. 9,33) 310 Auch Stevens (2009), 161 sieht in Epist. 9,33 ein „experiment in prose ‘poetry’“, ohne jedoch den verbalen Bezug zu Epist. 4,27 zu berücksichtigen. 311 Vgl. Beck (2016), 74‒5. 312 Cf. Sherwin-White (1966), 515 („This is our Pliny’s own comment“) mit Verweis auf Epist. 10,96,8 und 6,20,15. zu lesen, das sich als Variation der poetischen Produkte des Plinius und seiner Zeitgenossen interpretieren lässt. 310 Etwa zwei Drittel der Erzählung sind von detaillierten Beschreibungen und einer steigenden Handlung geprägt, die nach der ersten Begegnung von Knabe und Delphin das Heranströmen von Schaulustigen, das sich wiederholende Spiel von Delphin und puer sowie die wachsende fiducia beim Knaben und mansuetudo beim Tier und die Kühnheit der anderen Knaben umfasst, die sich nun auch auf das Spiel mit dem Delphin einlassen (4‒8). Zudem kommt es zu einem „Spiel im Spiel“: Während die Zuschauer den Knaben bei ihrem Treiben mit dem Delphin beobachten, wird dieser von einem seiner Artgenossen beobachtet, was Plinius als weiteres miraculum bezeichnet (7): ibat una - id quoque mirum - delphinus alius, tantum spectator et comes. Begriffe, die das Wundersame des Vorfalls betonen, prägen diesen Abschnitt (5: miraculum; 7: mirum; 8: incredibile, tam verum tamen quam priora), der darin kulminiert, dass sich der zutrauliche Delphin sogar an Land ziehen lässt und dann wieder ins Meer zurückwälzt (8). Nach dieser vergleichsweise ausführlichen Schilderung der ungewöhnlichen Interaktion zwischen Mensch und Tier, die zugleich eine Retardierung der Handlung bewirkt, kommt es zur Peripetie 311 und dem Punkt, an dem die Handlung fällt: Octavius Rufus, der Legat des Statthalters, habe den Delphin religione prava mit Salböl übergossen, 312 woraufhin das Tier erschrak, ins Meer floh und erst viele Tage später erschöpft und traurig wieder erschien; allmählich habe es dann zu seiner früheren Ausgelassenheit zurückgefunden (9). Man könnte sich an diesem Punkt schon ein „Happy End“ wünschen, doch die weitere Narration steuert mit erhöhtem Erzähltempo auf den Tod des Delphins zu, wobei auffällt, dass nach der Erwähnung des Octavius Rufus, mit dem sozusagen eine Figur des öffentlichen Lebens die imaginäre Bühne betritt, der Knabe keine Rolle mehr spielt. Durch das Zusammenströmen der Magistrate, die das Schauspiel ebenfalls bewundern wollten, und ihren Aufenthalt in der Kolonie wurde diese finanziell schwer belastet (10: modica res publica novis sumptibus atterebatur) und man entschloss sich angesichts des Verlustes der gewohnten Ruhe kurzerhand, den Delphin heimlich zu beseitigen (10): placuit occulte interfici, ad quod coibatur. 382 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 313 Zu Delphinen als Träger von Göttern und Menschen vgl. Stebbins (1929). 314 Vgl. Beck (2016), 75. 315 Vgl. Ov. Am. 3,9,3: flebilis indignos, Elegia, solve capillos; zur volksetymologischen Herleitung der elegia von e e légein („‘Wehe, wehe’ rufen“) vgl. Holzberg (2015b), 5. 316 S. Kap. II.1.5. 317 Perutelli (2003); Beck (2016); vgl. Ov. Fast. 2,79‒118; Plin. Nat. 9,8,28; Gell. 16,19; Fronto p. 241 van den Hout; Plut. Conv. sept. sap. 18. Der größte Teil der Erzählung in Epist. 9,33 ist von beschreibenden Elementen geprägt, liefert eine Ekphrasis vom Spiel des Knabens mit dem Delphin und bietet damit die literarische Version eines Motivs, das auch in der antiken Kunst häufiger variiert wird in bildlichen oder plastischen Darstellungen von Eroten oder Knaben, die auf Delphinen reiten. 313 Die von enargeia geprägte Schilderung der Interaktion von Delphin und Knabe steht in einem gewissen Widerspruch zur Rahmenhandlung des Briefes, derzufolge Plinius gar nicht selbst Augen‐ zeuge des Geschehens war. Obwohl die Narration der Epist. 9,33 als Wiedergabe dessen charakterisiert wird, was Plinius bei einem Gastmahl als mündliche Erzählung gehört haben will, und obwohl mündliche Erzählungen auch auf intradiegetischer Ebene eine Rolle spielen (5: fama…interrogare, audire, narrare), enthält der Brief keinerlei direkten Reden. 314 Der Epistolograph überlässt es, so wird suggeriert, seinem Freund Caninius, das „Rohmaterial“ entsprechend auszubauen (11): haec tu qua miseratione, qua copia deflebis, ornabis, attolles! quamquam non est opus adfingas aliquid aut adstruas: sufficit, ne ea, quae sunt vera, minuantur. Mit den Begriffen miseratio und deflere wird möglicherweise ein elegisches Gedicht angedeutet, das Caninius verfassen wird. 315 Wenngleich er den Stoff durch literarische Qualitäten wie miseratio, copia und ornatus veredeln könne, solle er nichts hinzu erfinden oder auch wegnehmen. Deutlich ist hier der Rückbezug zu Epist. 7,33,10, wo Plinius von Tacitus ähnliches fordert. 316 Spielte in Epist. 7,33 die Handlung in Rom mit Plinius selbst als einem der Hauptprotagonisten in einem Prozess unter Domitian, ist sie in Epist. 9,33 an den Rand des Imperiums ausgelagert und wird von Plinius nicht als selbst Erlebtes, sondern als Bericht aus zweiter Hand präsentiert. Während der Inhalt der Epist. 7,33 explizit als Stoff für ein historiographisches Werk ausgewiesen wird, eignet sich derjenige von Epist. 9,33 sowohl für eine Historie als auch ein poetisches Werk. Ein literarisches Modell, das Plinius sicherlich bekannt gewesen sein dürfte und das er mit seinem Brief 9,33 vielleicht sogar variiert, ist die Erzählung von Arion und den Delphinen bei Herodot (1,23‒4), wo nicht zuletzt durch die Figur des mythischen Dichters ebenfalls historiographische und poetische Elemente miteinander verschmelzen. 317 Ein Aspekt, der in der Forschung zu Epist. 9,33 383 4.5 Delphin und Knabe (Epist. 9,33) 318 Zur Arion-Geschichte bei Plutarch und Herodot vgl. Corti (2009); Durán Mañas (2010/ 11); Newmyer (2017); Schirren (2018), 57‒8. 319 Vgl. Thuk. 3,96; Certamen Hom. et Hes. 215‒254; Plut. Mor. 969e; 984d. bisher nur wenig berücksichtigt wurde, ist die Einbettung der Narration in den Kontext der Unterhaltung bei einer cena. Es ist vielleicht in diesem Zusammen‐ hang nicht unerheblich, dass auch Plinius’ Zeitgenosse Plutarch die Erzählung von Arion in den Kontext von Tischgesprächen integriert, wenn er sie im Convi‐ vium septem sapientium von Gorgos als Augenzeugen berichten lässt (Conv. sept sap. 18 = Mor. 160e‒162b). 318 Gorgos, der die Ankunft Arions auf dem Rücken der Delphine an der Küste bei Tainaron selbst gesehen haben will, erzählt zunächst nur seinem Bruder Periander davon, der sich beim Zuhören bald betrübt, bald empört, bald ungläubig, dann wieder verwundert und schließlich lachend zeigt (Mor. 160d), und wird dann von diesem aufgefordert, auch den anderen Teilnehmern am Symposium von seiner Begegnung mit Arion zu berichten. Die von Gorgos in direkter Rede erzählte Handlung spielt in der Nacht (Mor. 160 f), als er und seine Begleiter den auf Delphinen reitenden Arion sahen, ihn vom Strand ins Zelt führten und seiner Geschichte zuhörten, die allen unglaublich erschien außer denjenigen, die den Vorfall mit eigenen Augen gesehen hatten (Mor. 161a‒b). Den Bericht des Arion über den Anschlag der Schiffer auf sein Leben und die Rettung durch die Delphine gibt Gorgos in indirekter Rede wieder (Mor. 161 b‒f). Nachdem Gorgos seine Erzählung beendet hat und von Periander aufgefordert worden ist, die verbrecherischen Seeleute in Gewahrsam nehmen zu lassen, wendet der am convivium ebenfalls teilnehmende Aesop ein, dass man seine Fabeln über Krähen und Raben zwar verspotte, Delphinen aber solche Scherze zugestehe (Mor. 162b: τοιαῦτα νεανιεύονται). Anschließend gibt Solon eine Legende über den ermordeten Hesiod zum Besten, dessen Leichnam von Delphinen nach Rhion bei Molykreia getragen worden sein soll (Mor. 162c‒e) - eine bekannte Geschichte, wie Solon vermutet (Mor. 162c: ἀκήκοας γὰρ ἴσως τὸν λόγον; ). 319 Delphine seien, so Solon, den Menschen freundlich gesonnene Tiere, die an Musik sowie am Wettschwimmen mit Kindern ihre Freude haben (Mor. 162f: χαίρει δὲ καὶ νήξεσι παίδων καὶ κολύμβοις ἁμιλλᾶται). Auf die Rede des Solon folgt sodann eine Wortmeldung des Pittakos, der von der wundersamen Errettung des Enalos und seiner Geliebten, die der Amphitrite und den Nereiden geopfert werden sollte, durch Delphine erzählt (Mor. 163a‒d). Das zeitliche Verhältnis zwischen Plutarchs Convivium septem sapientium und Plinius’ Brief 9,33 lässt sich leider nicht eindeutig bestimmen: Ziegler (1951) vermutet ein Entstehungsdatum des Gastmahls der Sieben Weisen wäh‐ rend der Regierungszeit Domitians und somit vor der Briefsammlung des 384 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 320 Ziegler (1951), 884‒5 setzt ein Datum Ende der 80er-Jahre des 1. Jh. n. Chr. an; vgl. Hershbell (2008), 489‒90. 321 Vgl. Hdt. 1,23: ἐόντα κιθαρῳδὸν τῶν τότε ἐόντων οὐδενὸς δεύτερον, καὶ διθύραμβον πρῶτον ἀνθρώπων τῶν ἡμεῖς ἴδμεν ποιήσαντά τε καὶ ὀνομάσαντα καὶ διδάξαντα ἐν Κορίνθῳ; Plut. Mor. 160e. 322 Dazu vgl. Münzer (1897), 392‒4. Plinius. 320 Inwiefern eine direkte Abhängigkeit zwischen den beiden Autoren bestehen könnte, ist schwierig zu beurteilen, doch stechen mehrere Parallelen ins Auge: Den Delphin-Mirabilien, die Gorgos, Solon und Pittakos bei Plutarch abwechselnd beim Symposium erzählen, entspricht bei Plinius der Hinweis dum super cenam varia miracula hinc inde referuntur (1). Betont Plinius die Glaubwürdigkeit seiner Quelle (1: magna auctori fides), präsentiert sich auch Gorgos bei Plutarch als besonders glaubwürdig, da er ja als Augenzeuge berichtet (Mor. 161b: ἡμῶν τῶν θεασαμένων). Vermutlich soll auch der Leser des Plinius-Briefes davon ausgehen, dass der auctor zu den Besuchern gehörte, die das Delphin-Wunder in Hippo selbst beobachtet haben. Über das Verhältnis von Wahrheit und Fiktion, das Plinius am Beginn seines Briefes thematisiert (1: materiam veram, sed simillimam fictae), reflektiert auch Pittakos am Ende seiner Erzählung (Mor. 163d). Wenn es zutrifft, dass Plinius mit seinem Brief 9,33 die von Herodot, Plutarch und anderen überlieferte Legende von Arion und den Delphinen evozieren will, dann steht der mythische Dichter und Erfinder des Dithyrambus, den Herodot zudem als den besten Kitharöden seiner Zeit bezeichnet, 321 in auffälligem Kontrast zu Plinius, der sich in Epist. 9,34 als schlechter Rezitator seiner Verse präsentiert. Anders als bei Plinius und Plutarch, die ihre Delphin-Mirabilien in den Rahmen von Symposialgesprächen einbetten, gestaltet sich die Auflistung mehrerer Delphin-Anekdoten beim älteren Plinius in der Naturalis Historia (9,8,24‒33). 322 Auf eine Einleitung, in der Plinius maior das freundschaftliche Verhalten der Delphine gegenüber den Menschen und ihre Liebe zur Musik thematisiert (9,8,24), folgt eine Reihe von Exempla über verschiedene Vorfälle, die das in der Einleitung Gesagte illustrieren (9,8,25‒33). Es fällt dabei auf, dass der ältere Plinius anders als sein Neffe das Geschehen meist zeitlich verortet und auch mehrere Gewährsleute namentlich anführt, von denen er die jeweilige Ankedote übernommen hat. So spielt das erste Beispiel in der Regierungszeit des Augustus und ist auch von Maecenas, Fabianus, Alfius Flavus und vielen anderen überliefert worden (9,8,25: Divo Augusto principe…pigeret referre, ni res Maecenatis et Fabiani et Flavi Alfii multorumque esset litteris mandata). Das zweite Delphin-Exemplum, von dem auch der jüngere Plinius berichtet, wird von seinem Onkel intra hos annos datiert (9,8,26). Zwei weitere 385 4.5 Delphin und Knabe (Epist. 9,33) 323 Zu C. Licinius Mucianus als Quelle des älteren Plinius vgl. Münzer (1897), 392‒8. 324 Nat. 9,8,26: vescens praebensque…adludens nantibus inpositosque portans…perunctus …fluctuatusque…fugatus…reversus; die Anekdote gliedert sich in einen langen Satz mit mehreren Partizipien, der das Geschehen bis zur Salbung des Tiers durch den Prokonsul Flavianus und seine Flucht beinhaltet; zwei kürzere Sätze erzählen von der Rückkehr und Tötung. Anekdoten spielen Plinius maior zufolge in der Stadt Iasos, eine davon zur Zeit Alexanders des Großen, die andere mit einem gewissen Hegesidemos als Gewährsmann (9,8,27); von Theophrast werde ein Vorfall in Naupaktos überliefert, und überhaupt gebe es unzählige Beispiele (9,8,28: nec modus exemplorum). All dies lege nahe, dass man auch die Legende über Arions Rettung durch Delphine glauben könne (9,8,28: quae faciunt, ut credatur Arionem quoque…exceptum ab uno). Auf diese Reihe von Mirabilien folgt eine längere Passage mit etwas technischerem Charakter, in der Plinius maior detailliert beschreibt, wie Menschen und Delphine in einem See in der Nähe der gallischen Stadt Nemausus gemeinsam Jagd auf Meeräschen machen (9,8,29‒32). Mucianus zufolge werde eine ähnliche Art des Fischfangs auch in der Bucht von Iasos betrieben (9,8,33). 323 Mit der Formulierung magna auctori fides imitiert der jüngere Plinius in Epist. 9,33,1 einerseits den wissenschaftlichen Stil seines Onkels, weicht jedoch zugleich davon ab, indem er den Namen seines Gewährsmannes verschweigt. Die Anekdote vom Delphin in Hippo Diarrhytus, die der ältere Plinius eher protokollartig und mit höherem Erzähltempo präsentiert - unter anderem tragen zahlreiche Partizipien dazu bei 324 - verwandelt der jüngere Plinius in eine kunstvolle und detailliertere Narration mit stark ekphrastischem Charakter, der in Spannung steht zur Rahmung der Anekdote, die Plinius von einem anderen Gast gehört haben will. Die Art und Weise, wie der Epistolograph als Erzählinstanz das Spiel von Delphin und Knaben schildert, lässt beim Leser vergessen, dass Plinius die Geschichte aus zweiter Hand kennt, und erweckt den Eindruck von Autopsie. 386 4 Der Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene 1 Zum Problem der periautologia siehe Pernot (1998); Gibson (2003), Neger (2015a). Epilog Das Ziel der vorliegenden Studie war es aufzuzeigen, dass die Briefsammlung des jüngeren Plinius, wenngleich sie keine durchgehende Erzählung im tradi‐ tionellen Sinn bildet, über einen hohen Grad an narrativem Potenzial verfügt und sich sowohl auf Mikroals auch Markoebene als narratives Konstrukt lesen lässt. Die moderne Narratologie mit ihrem Fokus auf Kategorien wie Stimme, Konstruktion von Zeit und Raum sowie Charakterisierung von Figuren bietet hierbei nützliche Hilfsmittel für die Analyse der Erzähltechnik des Epistolographen sowohl innerhalb einzelner Briefe als auch in Briefzyklen und schließlich im Rahmen des gesamten Briefkorpus. Betrachtet man letzteres nicht nur als Sammlung von Einzeltexten, sondern als bewusst komponierten Makrotext, dann lassen sich die Epistulae als Gegenstück zu anderen Werken aus dem Bereich der nicht-fiktionalen narrativen Prosa des 1./ 2. Jh. n. Chr. betrachten, wie insbesondere den historiographischen Schriften eines Tacitus oder den Biographien eines Sueton und Plutarch. Da in Briefen die Person des Verfassers den Konventionen des Genres gemäß eine zentrale Rolle spielt, bietet eine Briefsammlung das geeignete Mittel zur Selbstdarstellung im Rahmen einer fragmentierten Autobiographie; aufgrund der Präsentation ihrer einzelnen Bestandteile als Privatkorrespondenz des Verfassers, die erst in einem späteren Schritt publiziert wurde, ist diese Form des Schreibens über sich selbst in geringerem Maße der Gefahr ausgesetzt, als unangemessenes Selbstlob kritisiert zu werden. 1 Wie sich herausgestellt hat, weist die Briefsammlung des Plinius eine spe‐ zifische Narrativität auf, etwa in Bezug auf das Dominieren der Sicht des Briefschreibers, der uns als „internal primary narrator“ bzw. autodiegetischer Erzähler begegnet und niemals aus einer völlig distanzierten Perspektive er‐ zählt. Die verschiedenen Adressaten lassen sich als „internal primary narratees“ betrachten, die zudem häufig aktiv in die Entfaltung einzelner Erzählungen eingebunden sind, indem sie entweder eine Darstellung angeregt haben, wie etwa Tacitus in Epist. 6,16 und 6,20, oder in der Rolle des Interlokutors im Verlauf der Erzählung Fragen stellen oder Einwände vorbringen, die den Fortgang der Narration beeinflussen. Als weitere Besonderheit der Plinius-Briefe (und vergleichbarer Briefsammlungen) lässt sich anführen, dass einzelne Adressaten oft in Briefen an andere Empfänger in die Rolle handelnder Figuren schlüpfen 2 Siehe Kap. I.1. 3 Siehe etwa Titchener (2003). 4 Zum Rubriken-Schema in der Atticus-Vita des Cornelius Nepos und in den Kaiserviten Suetons siehe etwa Hägg (2012), 188‒97 und 214‒32. und so aus einer zusätzlichen Perspektive als Mitglieder von Plinius’ sozialem Netzwerk charakterisiert werden. Was die Konstruktion von Raum und Zeit betrifft, so ist festzuhalten, dass das gestalterische Prinzip der variatio in den Briefbüchern bei linearer Lektüre ein häufiges Hin-und-Her-Wechseln zwischen Raum- und Zeitkonstellationen bewirkt und der Leser mit jedem Brief ein neues Raum- und Zeitgefüge (manchmal gar ein räumliches oder zeitliches Vakuum) betritt, sowohl hinsichtlich der Verortung der jeweiligen Korrespondenz als auch der darin erzählten Handlungen und Ereignisse. Otium und negotium bilden in diesem Zusammenhang besonders bedeutsame Zeitqualitäten, die zudem auch räumlich konnotiert sind, wenn die Zeit der negotia hauptsächlich in der Stadt Rom verortet wird und otium an verschiedenen Landgütern au‐ ßerhalb der Metropole. Da sich räumliche und temporale Marker im Kontext der gesamten Briefsammlungen wiederholen, kann der Leser Verbindungen herstellen und verschiedene narrative Linien rekonstruieren. Unter den antiken nicht-fiktionalen narrativen Genres stehen die Historio‐ graphie sowie die Biographie der Briefsammlung am nächsten, wie gleich zu Beginn in Epist. 1,1 sowohl explizit als auch implizit signalisiert wird. 2 Indem Plinius behauptet, keine historia (Epist. 1,1,1) verfasst zu haben, da seine Briefe nicht chronologisch geordnet seien, lenkt er die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Frage, in welchem Verhältnis sein Werk denn abgesehen vom Aspekt der Chronologie zur Gattung der Historiographie steht. Mit der recusatio der Historiographie nähert sich Plinius zudem der Biographie an, wo sich ebenfalls Reflexionen über die Unterschiede zur historia finden lassen, wie etwa bei Plinius’ Zeitgenossen Plutarch (Alex. 1) oder zuvor schon bei Cornelius Nepos (praef. 1; Pelop. 1,1). 3 Anders als eine Biographie liefert die Briefsammlung des Plinius keine Informationen über Geburt und, was hier selbstverständlich ist, den Tod des Individuums, doch können die einzelnen Briefe als dem Prinzip der variatio entsprechende und sich in regelmäßigen Abständen wiederholende „Rubriken“ gelesen werden, die zusammengenommen das Leben des Plinius als Erwachsener und seinen Charakter sowohl als öffentliche als auch private Figur illustrieren. 4 Den Konventionen der Epistolographie entsprechend steht die Person des Briefschreibers im Zentrum der Darstellung und auch dort, wo der Fokus auf andere Individuen gerichtet ist (insbesondere in Personenporträts oder Nekrologen), wird die betreffende Person in der Regel in ihrem Verhältnis zu Plinius charakterisiert. 388 Epilog Vier dieser epistolaren „Rubriken“, die in der Briefsammlung für die Selbst‐ porträtierung des Plinius besonders wichtig sind und sich in jedem Buch miteinander abwechseln, wurden in Teil II der Studie systematisiert und näher analysiert: In Kapitel II.1 sind wir Plinius hauptsächlich in seiner Rolle als Senator und Advokat begegnet, der vor Gericht Erfolge feiert oder sich durch rhetorische Schlagfertigkeit aus schwierigen Situationen hinaus manövriert und sich als Freund der stoischen Opposition gegen Domitian sowie als Unterstützer Trajans charakterisiert. Zudem lassen sich die Briefe, in denen Plinius die Hin‐ tergründe zu seinen Gerichtsreden schildert, als Selbstkommentare zu diesen orationes lesen. Es wurde deutlich, dass Plinius in diesen Prozess-Narrationen seine eigenen Auftritte detaillierter schildert, während von denen seiner Mitan‐ wälte und Gegner meist eher gerafft erzählt wird. Plinius versteht es zudem, mit großer Anschaulichkeit die Kulissen seiner Auftritte zu konstruieren, wenn er etwa in Epist. 2,11 die Atmosphäre im Senat oder in 6,33 die Spannung bei den Zusehern im Zentumviralgericht schildert. Plinius’ Erfolge werden häufig durch die Reaktionen der Anwesenden illustriert, wohingegen Mißerfolge vor Gericht eher ausgeblendet bleiben. In der Narration über den Varenus-Prozess, wo es gar nicht zur Hauptverhandlung und somit auch zu keinem spektakulären Auftritt des Plinius kommt, da die Bithynier ihre Anklage zurückgezogen hatten, ersetzt Plinius seinen Nicht-Auftritt in Epist. 7,6 durch die Erzählung von einem früheren Fall. Nach dem „Bithynien-Roman“, der sich als simultane Erzählung über Buch 4‒7 erstreckt, wendet Plinius am Ende von Buch 7 in Epist. 7,33 den Blick wieder zurück in die Domitian-Zeit, wenn er seinen Auftritt zusammen mit Herennius Senecio gegen Baebius Massa schildert. Dass sich der Epistolograph darauf versteht, die Spannung auf seine actiones vor Gericht und im Senat zu steigern, wird in Epist. 9,13 deutlich, wo Plinius von den Vorbereitungen zu seiner Rede De Helvidi ultione erzählt und dabei Warner-Figuren auftreten lässt und retardierende Momente einbaut. In den Briefpaaren, die in Kap. II.2 untersucht wurden, begegnen wir Plinius als Mitglied einer post-flavischen Senatsaristokratie, wenn er sich über das Verhalten anonymer Senatoren, sowohl aus seiner eigenen Zeit als auch der Vergangenheit unter Claudius, empört, die senatorische Standes-Identität gegen einen Aufsteiger wie Pallas verteidigt oder sein Verhältnis zu einem wichtigen role model und Mentor wie Verginius Rufus schildert. Stand in Kapitel II.1 das Thema der rhetorischen Peformanz, insbesondere durch mündliche Rede, schlagfertige Aussprüche oder gar kalkulieres Schweigen im Zentrum, so dominiert in Kapitel II.2 der Aspekt der Schriftlichkeit, um den die betreffenden Brief-Narrationen kreisen. Die Satire auf den anonymen Senator in Epist. 4,25 spiegelt durch Anspielungen auf Catull sozusagen die intradiegetische Hand‐ 389 Epilog 5 Für diesen Hinweis danke ich Claudia Klodt. 6 Zur Intermedialität der antiken Literatur sei etwa auf Dinter/ Reitz-Joosse (2019) verwiesen. 7 Hier ist freilich festzuhalten, dass das Verfassen von Kleinpoesie im legitimen Rahmen des otium von standesbewussten Römern als weniger problematisch angesehen wurde als das Ausüben von Musik und Tanz, wie es bei Cornelius Nepos diskutiert wird (praef.; Epam. 1); Titchener (2003), 92‒3. 8 Möglicherweise erfolgt auch dies in bewusster Abgrenzung zu Domitian, der später bei Sueton als besonders abergläubisch charakterisiert wird (Dom. 14‒15); den Aberglauben des Regulus als Repräsentant des Domitian-Regimes verspottet auch Plinius selbst, etwa in Epist. 2,20 und 6,2. 9 Gleichwohl lässt sich Epist. 8,8, wie in Kap. II.4.4 argumentiert wurde, als Votivgabe in Briefform lesen. lung, wo ein anonymer Senator die Stimmtäfelchen mit Witzen beschreibt (Kap. II.2.1). Mit seinen Briefen über Pallas wiederum bekämpft Plinius die Schrift‐ lichkeit des Freigelassenen, 5 Brief und Inschrift stehen sich hier sozusagen als Kontrahenten gegenüber (Kap. II.2.2). Die Briefe über Verginius Rufus hingegen, in denen dessen Epitaph gleich zweimal wörtlich zitiert wird, präsentieren sich als Alternative zur Erinnerungskultur in Form von Grabinschriften, wenn sie dem Leser die Inschrift präsentieren, die angeblich auf dem Grabmal fehlte (Kap. II.2.3). Neben dem narrativen Potenzial der Briefe kommt insbesondere hier, jedoch auch im Kapitel über Plinius als orator sowie in den Ekphraseis von Villen und Naturphänomenen (Kap. II.4) das intermediale Potenzial der Briefe zum Vorschein, auf das diese Arbeit freilich nur andeutungsweise eingehen konnte und das ebenfalls eine systematische Untersuchung verdienen würde. 6 In Kapitel II.3 und II.4 wiederum stand Plinius otiosus im Zentrum, der auf subtile Weise seine Biographie als (Freizeit-)Dichter konstruiert und verschie‐ denen Adressaten im Stile eines Paradoxographen von Mirabilien erzählt sowie als Perieget Naturphänomene in Italien beschreibt. Wenn Cornelius Nepos in der praefatio zu seinem Liber de excellentibus ducibus exterarum gentium ankündigt, dass seine Biographien unter anderem auch von den musikalischen Fähigkeiten einer Figur wie Epaminondas handeln (1), so ist diese biographische Information vielleicht vergleichbar mit den Selbstauskünften des Plinius über seine poetischen Kompositionen im otium. 7 Im Briefzyklus über Mirabilien und Naturphänomene wiederum fällt auf, dass Plinius’ persönliche Religiosität kaum eine Rolle spielt, geschweige denn irgendeine Form von Aberglauben. Plinius tritt stets rational und unerschrocken auf, 8 übernatürliche Phänomene wie Geister und Visionen werden eher als Kuriositäten geschildert denn als etwas Bedrohliches, und ein Heiligtum wie dasjenige des Clitumnus beschreibt Plinius aus der Perspektive des Ästheten und nicht - jedenfalls nicht explizit - als aktiver Verehrer der Gottheit. 9 In den Briefen 4,30, 8,8 und 8,20 präsentiert 390 Epilog 10 Vgl. Rhet. Her. 1,12‒16; Cic. Inv. 1,27‒30; Quint. Inst. 4,2; Fuhrmann (2003), 86‒9. sich Plinius als epistolarer Perieget, der verschiedene Naturwunder in Italien entdeckt und dabei das Motiv der Autopsie in den Vordergrund stellt. Autopsie spielt auch in den Vesuv-Briefen 6,16/ 20 eine wichtige Rolle, die Ekphrasis des Vulkanausbruchs ist jedoch anders als in den zuvor erwähnten Briefen in eine dramatische Handlung eingebettet. In Epist. 7,27 und 9,33 bietet uns Plinius wie‐ derum unterhaltsame Novellen, die hauptsächlich an Schauplätzen außerhalb Italiens spielen (Afrika und Athen) und Plinius durch Hörensagen vermittelt wurden. Während die Gespenster-Geschichten in 7,27 als Gegenstand einer gelehrten Diskussion mit Trajans Vertrautem Licinius Sura in eine Erzählung über Plinius als Beinahe-Opfer Domitians münden und somit einer politischen Botschaft dienen, wird die Geschichte vom Delphin in Epist. 9,33 dem Dichter Caninius Rufus als Wiedergabe eines Tischgeprächs präsentiert und ist somit in einen symposialen Kontext eingebettet. Es dürfte im Verlauf dieser Studie deutlich geworden sein, dass sich Plinius in seiner Briefsammlung die narrativen Strategien verschiedener Gattungen aneignet und den Konventionen der Briefsammlung entsprechend adaptiert: Neben der Historiographie und Biographie sind natürlich die Redekunst und Rhetorik zu nennen, in der die Kunst der narratio einen zentralen Bestandteil bildet, 10 doch haben manche Briefe auch den Charakter von Novellen, wie man sie eher in einem Roman erwarten würde - insbesondere Epist. 7,27 und 9,33. Darüber hinaus sind auch Dialog und Drama en miniature vertreten, wenn Plinius in mehreren Briefen die Wortwechsel verschiedener Figuren in direkter Rede wiedergibt. Das Epos wiederum ist in den Briefen insbesondere durch Zitate und intertextuelle Anspielungen präsent, die den narrativen Kontext des Prätextes abrufen, wie insbesondere in Epist. 6,20 über den Vesuvausbruch, jedoch auch in mehreren Prozessberichten, in denen eine juristische Auseinan‐ dersetzung sich durch intertextuelle Bezüge sozusagen mit epischen „Hinter‐ grundgeräuschen“ entfaltet. Die Epik wird in Epist. 5,6 überdies auch explizit als Modell für Plinius’ ekphrastische Darstellungen genannt. Schließlich erlaubt es die formale Natur der Briefsammlung auch, die narrativen Mechanismen antiker Kleinpoesie zu adaptieren, wenn Plinius Briefzyklen mit einer fortschreitenden Handlung komponiert und damit dem Beispiel augusteischer Gedichtbücher und antiker Epigrammsammlungen folgt. Neben Erzählungen von Ereignissen, die in der näheren oder ferneren Vergangenheit liegen, lässt sich im Briefkorpus des Plinius auch mehrmals die Technik der simultanen Narration beobachten, die de Jong (2014: 74) zufolge in der Literatur ansonsten sehr selten vorkomme („very rare“). Indem sie dem Leser 391 Epilog 11 Hier ist Keeline (2018b), 288‒9 zuzustimmen: „His letters absolutely have an author, and they have real recipients as well…they have a foundation in reality as well as a literary function“. suggerieren können, als stummer Zeuge die Korrespondenz des Plinius mit verschiedenen Adressaten zu „belauschen“, sind die Briefbücher prädestiniert für die Entfaltung simultaner Narrationen, insbesondere im Rahmen von Brief‐ zyklen wie etwa denjenigen über den Varenus-Prozess (II.1.4) sowie in den in Kap. II.2 besprochenen Briefpaaren oder auch im Zyklus über Plinius’ Versuche auf dem Gebiet der Kleinpoesie (II.3), wo entweder derselbe Adressat oder mehrere Empfänger über „work“ bzw. „events in progress“ in Kenntnis gesetzt werden. Plinius wendet in seinen Briefzyklen zudem mehrmals die Technik der allmählichen Enthüllung oder gar Überraschung an, wie etwa in der Briefserie über seine poetischen Aktivitäten, die den Leser erst spät in Epist. 7,4 darüber informiert, dass Plinius bereits als Vierzehnjähriger zu dichten begonnen hatte, wohingegen Epist. 4,14 den Eindruck vermittelt, er hätte seine ersten poetischen Versuche erst nach seinem Amt als Konsul unternommen. Im Verlauf der Analyse narrativer Strategien in den Briefen wurde auch immer wieder der Aspekt der Intertextualität miteinbezogen, nicht nur, weil die Briefsammlung des Plinius sich generell durch Anspielungsreichtum und eine große Fülle von Zitaten auszeichnet, sondern auch, weil dadurch der polyphone Charakter verschiedener Erzählungen deutlich gemacht werden konnte. Durch das direkte oder indirekte Evozieren eines Prätextes erweitert Plinius das Sinnpotenzial seiner Narrationen, deren Inhalt entweder denjenigen seiner literarischen Modelle variiert oder gar kontrastiert (oppositio in imitando), wie etwa in Epist. 4,25 (Kap. II.2.1), wo der für den Senat geforderte Ernst durch Anspielungen auf Catull in Kontrast gesetzt wird zu den subversiven lusus der Neoteriker, oder auch in Epist. 5,20, wo aus Homer zitiert wird. Im Zusammenhang mit der Literarisierung der Briefe, die sowohl durch die Anwendung narrativer Strategien als auch das Herstellen intertextueller Bezüge erfolgt, seien auch nochmals einige Überlegungen angestellt zum Verhältnis von Realität und Fiktion, das bereits in der Einleitung diskutiert wurde. Trotz aller literarischer Kunstgriffe, die sich in der Briefsammlung beobachten lassen, dürfte es sicherlich zu weit gehen, hier von einem fiktionalen Werk zu sprechen. Ein nicht unerheblicher, wenn freilich schwer zu bestimmender Teil der in den Briefen geschilderten Ereignisse und Situationen dürfte auf der Lebenswelt des historischen Autors und seiner Korrespondenz mit verschiedenen Zeitgenossen basieren. 11 Als literarisch hochgebildete und ambitionierte Persönlichkeit dürfte der historische Plinius jedoch in der Lage gewesen sein, für jede Lebenslage das passende literarische Modell abzurufen und so verschiedene Mischzustände 392 Epilog 12 Siehe auch Wagner-Egelhaaf (2013); Neger (2020); auch Häger (2019), 24 greift diesen Begriff in Bezug auf die Plinius-Briefe auf. zwischen realen Ereignissen und literarischer Fiktion herzustellen. Inwieweit diese Literarisierung bereits Bestandteil der nur für bestimmte Adressaten vorgesehenen Versionen der Briefe war oder erst im Zuge der Überarbeitung für die Publikation erfolgte, muss leider Spekulation bleiben. Der Charakter des uns überlieferten Briefkorpus lässt sich vielleicht mit dem modernen Begriff der Autofiktion beschreiben, der von Doubrovsky (2008) geprägt wurde und die Interaktion von autobiographischen und fiktionalen Elementen in einer Erzählung beschreibt. 12 Sowohl auf narrativer als auch diskursiver Ebene laufen verschiedene Stränge antiker Literaturgattungen in der Briefsammlung des Plinius zusammen, werden darin absorbiert und zu einem Werk verarbeitet, das sich einerseits durch hohe literarische Flexibilität auszeichnet und andererseits ein facettenreiches Porträt des epistolographischen Ich und seiner Welt bietet. 393 Epilog Bibliographie Adamik, T. (1976): „Pliny and Martial“, AUB(class) 4, 63‒72. — (1995): „Catullus’ Urbanity: c. 22“, AAntHung 36, 77‒86. Albanesi, M./ Picuti, M. (2009): „Un luogo di culto d’epoca romana all’Aisillo di Bevagna (Perugia)“, MEFRA 121, 133‒79. 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Att. 1.16.8 170 Att. 2.3.4 133 Att. 5.5.1 23 Att. 7.2.1 299 Att. 13.42.1 187 Att. 14.14.5 97 Brut. 313 140 Cael. 75 366 Cato 73 266 Cluent. 2 159 Cluent. 50‒1 138 Corn. fr. 4 Crawford 129 De orat. 1.24 81, 264 De orat. 1.26‒9 264 De orat. 1.28‒9 286 De orat. 1.173‒84 148 De orat. 2.244 246 De orat. 3.94 148 De orat. 3.177 174 De orat. 3.202 376 De orat. 3.213 146 Div. in Caec. 1 157 Div. in Caec. 2‒5 157f. Div. in Caec. 5 157 Div. in Caec. 6 157 Div. in Caec. 42 137 Div. in Caec. 66 158 Fam. 2.4.1 23 Fam. 5.12 196 Fam. 5.12.3 264 Fam. 7.6.2 131 Fam. 9.8.1 65 Fam. 16 289, 350 Fin. 1.14 81 Inv. 1.15 141 Inv. 1.34‒7 173 Inv. 2.104 141 Leg. 1.5‒8 97 Leg. 3.33 240 Leg. 3.33‒9 240 Leg. 3.35 240 Off. 1.30 133 Off. 2.47‒8 201 Off. 2.51 133 Off. 2.65 241 Orat. 18 180 Orat. 42 146 Orat. 97 160 Orat. 161 299 Part. 126 139 Rep. 1.13 264 Rep. 1.14 81 Rep. 6.4 143 S. Rosc. 1 133 Sest. 6 262 Sest. 72 137 Tusc. 1.7 81 Tusc. 1.117 266 Verr. 2.1.121 159 Verr. 2.4.95 159 Columella 12.21.2 298 Corpus Iuris Civilis Dig. 5.2.24 236 Corpus Priapeorum c. 1.6 360 c. 1.7‒8 361 c. 2 360 Demetrios De eloc. 223 65 De eloc. 227 59 De eloc. 228 33 De eloc. 235 140 Demosthenes Or. 6.20‒5 209 Or. 18 147 Or. 18.142 146 Or. 18.169‒88 209 Or. 18.173 209 Or. 18.174‒8 209 Or. 18.179 209 Or. 18.291 146 Or. 18.313 146 Or. 21 154 Diogenes Laertios 8.74‒5 329 Dion Chrysostomos Or. 43.6‒7 173 Or. 48 179 Elegiae in Maecenatem 1.31‒2 262 Ennius fr. var. 17 f. Vahlen 300 fr. var. 117 f. Vahlen 266 Med. fr. 4.259‒61 Vahlen 131 432 Stellenindex Med. fr. 8.273 Vahlen 131 Euripides Hec. 569 64, 117 Frontinus Aqu. 16 266 Aqu. 66ff. 309 Gellius, Aulus 1.15.18 180 17.1.1 150, 285 Herodot 1.23 385 1.23‒4 383 Hieronymus Contra Ioh. Hier. 5 189 Epist. 53.1 153 Historia Augusta Gord. 3.2 285 Homer Il. 1.1 210 Il. 1.59‒67 132 Il. 1.63 69, 132 Il. 1.88 132 Il. 1.528 131 Il. 2.212 69 Il. 7.282 174 Il. 7.293 174 Il. 8.102 210 Il. 12.243 69, 133 Il. 14.77‒9 174 Il. 16.233‒52 131 Il. 16.250 131 Il. 18.20 64, 118 Il. 18.91‒3 212 Il. 18.267‒8 174 Od. 1.1 168 Od. 1.1‒4 184 Od. 1.18 184 Od. 1.326‒7 181 Od. 1.351‒2 181 Horaz Ars 1‒5 190 Ars 289‒91 168 Ars 291 244 c. 1.2.4 366 c. 1.2.9‒12 367 c. 1.2.13‒4 364 c. 1.2.15 367 c. 2.20 267, 300 c. 2.20.21‒4 266 c. 3.29/ 30 244 c. 3.29.36‒41 367 c. 3.30 135 c. 3.30.1‒2 266 Epist. 1.3.20 206 Epist. 1.20.20‒1 300 Epist. 2.1 193 Epod. 1.17‒8 350 Epod. 6 211 Sat. 1.1.24 248 Juvenal 1.79 43, 183, 248 8.221‒2 258 10.122‒4 289 12.13‒7 362 Kallimachos Aet. fr. 1.1‒3 Pf. 37 Livius 9.39.4‒11 374 25.31.9 335 27.2.9 331 39.8.8 152 39.10.7 152 praef. 1 250 praef. 9 242, 246 praef. 10 331 Lucan 1.469‒98 339 1.495‒8 340 433 Stellenindex 4.472‒3 174 Lukian Philops. 29‒32 343 Lukrez 3.79‒81 339 Martial 1.1.2‒3 292 1.4.8 275 1.6.5 381 1.7 299 1.16 296 1.35.1‒3 279 1.38 302 1.49.40 306 1 praef. 275 1 praef. 7 96 2.6 296, 315 2.77.7 165 2.88 302 2 praef. 36, 114f., 165, 171, 275 3.18 302 4.14 261 4.17.1 315 4.23 276 4.41 302 4.44 333 5.28.5 177 5.63 303 6.28.10 248 6.38.5‒6 232 6.53 324 6.64/ 65 286 6.64.13 306 7.12 211 7.25 146 7.26 280 7.47 306 7.88 298 7.90 296 7.90.4 371 8.55[56] 287ff. 8.76 302f. 8 praef. 11‒4 279 9.22 132 10.18[17] 177 10.20[19] 66, 80, 170, 272ff. 10.20[19].1‒2 279 10.20[19].15‒17 220 10.30 87f. 10.35/ 38 291 10.72.1‒3 247, 274 10.78.15‒6 278 10.87 162 11.42.3 315 11.48/ 50[49] 260 11.48.3‒4 260 11.50[49] 260 12.94 288 12.98 177 14.2.1‒2 169 14.184 168 14.192 168 14.194 340 14.196 309 Sp. 1 372 Sp. 1.7‒8 92 Sp. 1.8 381 Sp. 2 372 Sp. 3 372, 381 Sp. 27[24] 373 Sp. 30[26] 373 Nepos, Cornelius Att. 5.4 160f. Att. 16.3 26, 39 Epam. 1 390 Pelop. 1.1 388 praef. 390 praef. 1 388, 390 434 Stellenindex Them. 1.4 344 Ovid Am. 1.1.3‒4 293 Am. 1.2.11‒12 176 Am. 1.5 286 Am. 3.9.3 383 Ars 1.771 159 Fast. 6.637‒8 83 Fast. 6.639‒48 84 Met. 1.34‒8 370 Met. 1.286‒7 367 Met. 1.292 363 Met. 1.295 367 Met. 1.304 364 Met. 1.304‒5 367 Met. 1.776‒9 107 Met. 2.214‒6 313 Met. 2.262‒6 335 Met. 2.869‒75 107 Met. 6.719‒21 107 Met. 11.15‒22 152 Met. 13.966‒8 107 Met. 14.845‒51 107 Met. 15.340‒55 333 Met. 15.875‒9 300 Pont. 3.9.53‒54 38 Rem. 151‒2 291 Rem. 725‒6 78 Trist. 1.2.77‒80 368 Pausanias 9.36.5 369 Petron 61‒3 376 71 261f. 71.7 257 89. vv.1‒2 326 111 380 124.3 180 Phaedrus App. 9 303 Platon Phaid. 95b 246 Phaidr. 229a‒238d2 286 Phaidr. 274b3‒279b3 96 Plinius der Ältere Nat. 2.102ff. 309 Nat. 2.209 375 Nat. 2.232 308 Nat. 3.60 313 Nat. 3.62 313 Nat. 7.51‒4 328 Nat. 9.8.24‒33 378, 385 Nat. 9.8.26 379, 386 Nat. 18.179 139 Nat. 35.201 248 Nat. praef. 1 271 Nat. praef. 12‒3 341 Nat. praef. 16 331 Nat. praef. 18 271f., 325, 328 Plinius der Jüngere Epist. 1.1 17, 27, 36-39, 55, 58, 75, 110f., 132, 192, 354, 388 Epist. 1.1.1 30, 32, 145, 198, 292 Epist. 1.2 81, 134, 153, 199, 296 Epist. 1.2.1 39 Epist. 1.2.3 306 Epist. 1.3 80, 286 Epist. 1.4 81, 110, 132, 203, 256 Epist. 1.5 45f., 60f., 71, 111, 127-130, 151, 194, 201, 217, 219, 226, 228, 232 Epist. 1.5.1 60, 72, 356 Epist. 1.5.9 80, 83 Epist. 1.5.11 208 Epist. 1.5.15‒6 204 Epist. 1.5.16 344 Epist. 1.5.17 28 Epist. 1.6 65, 297 435 Stellenindex Epist. 1.7 130ff., 144, 158 Epist. 1.7.4 73 Epist. 1.7.5 271 Epist. 1.8 270 Epist. 1.8.5 288 Epist. 1.8.10 372 Epist. 1.10 78, 152 Epist. 1.10.9 30 Epist. 1.11 282 Epist. 1.11.1 65 Epist. 1.12 64, 204, 225, 311 Epist. 1.12.1 60 Epist. 1.12.1‒2 327 Epist. 1.12.8 191 Epist. 1.13 104, 296, 301 Epist. 1.13.3 73, 80 Epist. 1.15.1 59 Epist. 1.16 31, 107, 122, 270f. Epist. 1.16.5 308 Epist. 1.16.6 31, 278 Epist. 1.17 122f., 271 Epist. 1.17.1 253 Epist. 1.18 60, 69, 132ff., 138, 212, 219, 221f., 228, 300, 325, 349 Epist. 1.20 139 Epist. 1.20.4 142 Epist. 1.20.14 164 Epist. 1.20.22 69 Epist. 1.20.25 34 Epist. 1.22 278, 311 Epist. 1.22.1 60 Epist. 1.23.2 148 Epist. 2.1 71, 111, 182, 193, 255-258 Epist. 2.1.1 152, 306 Epist. 2.1.6 136, 153, 209 Epist. 2.1.12 29 Epist. 2.2/ 9.2 190 Epist. 2.3 78, 145ff., 152f., 170 Epist. 2.3.9 66 Epist. 2.3.9‒10 96 Epist. 2.4 110 Epist. 2.5 145, 153, 190, 370f., 378 Epist. 2.5.5 93 Epist. 2.5.7 93 Epist. 2.5.10 66 Epist. 2.5.13 34 Epist. 2.6 63 Epist. 2.7 155, 253 Epist. 2.10 131, 135, 137f., 271 Epist. 2.10.3 149 Epist. 2.10.5 66 Epist. 2.11 148, 159, 175, 389 Epist. 2.11/ 12 40, 110, 134-145, 147, 153f., 185 Epist. 2.11.2 173, 177 Epist. 2.11.10 188 Epist. 2.11.11 60 Epist. 2.11.15 175 Epist. 2.11.17 167 Epist. 2.11.23 162, 186 Epist. 2.11.25 29 Epist. 2.13 112, 147 Epist. 2.13.7 31 Epist. 2.14 147-153, 219, 231, 234 Epist. 2.14.10‒11 64 Epist. 2.17 135, 148, 368 Epist. 2.17/ 5.6 79 Epist. 2.17.9 244 Epist. 2.19 144-147, 153, 179 Epist. 2.19.4 96 Epist. 2.19.9 149 Epist. 2.20 60, 110, 142, 145, 148, 153, 224, 234, 390 Epist. 2.20.12 146 Epist. 3.1 104, 110, 153, 155, 274, 328, 334 Epist. 3.1.7 277 Epist. 3.2 153 436 Stellenindex Epist. 3.3 110, 154, 199 Epist. 3.4 144, 154-159, 169, 185, 363 Epist. 3.4/ 3.9 185 Epist. 3.4.6 130 Epist. 3.4.11 162 Epist. 3.5 64, 73ff., 177, 212, 274, 290f., 308, 311, 317, 322, 328ff., 334 Epist. 3.5.3 244 Epist. 3.5.4 325, 349 Epist. 3.5.8 325 Epist. 3.5.11‒6 276 Epist. 3.5.17 150 Epist. 3.5.20 29 Epist. 3.6 156, 306 Epist. 3.7 261, 311 Epist. 3.7.5 244 Epist. 3.7.8 89 Epist. 3.8 300 Epist. 3.9 46f., 61, 112-115, 120, 144, 154f., 159-169, 171 Epist. 3.9.1 28 Epist. 3.9.2 144 Epist. 3.9.4 172 Epist. 3.9.7 175 Epist. 3.9.7‒9 256 Epist. 3.9.11 214 Epist. 3.9.13 186, 288 Epist. 3.9.27 35, 66, 120 Epist. 3.10 110, 155 Epist. 3.11 155, 194 Epist. 3.11.3 202, 353 Epist. 3.13 112 Epist. 3.13/ 18 155, 244, 270 Epist. 3.14 79, 311 Epist. 3.14.1 30 Epist. 3.15 271, 275 Epist. 3.15.3 105 Epist. 3.16 63, 72f., 120, 160, 202, 311 Epist. 3.18.4 296 Epist. 3.18.10 146 Epist. 3.20 42, 154, 213, 239ff., 243f. Epist. 3.20/ 4.25 239, 247 Epist. 3.20.10‒11 30 Epist. 3.21 80, 155, 181, 244, 272-275, 279, 286, 294 Epist. 3.21.5 80, 83, 219f. Epist. 3.21.6 66, 261, 313 Epist. 4.1 156, 305f. Epist. 4.1.4‒5 156 Epist. 4.2 231f. Epist. 4.2.5 288 Epist. 4.3 276f., 309 Epist. 4.5 146, 170f. Epist. 4.5.3‒4 34 Epist. 4.5.4 35 Epist. 4.6 85 Epist. 4.7 231f. Epist. 4.7.1 293 Epist. 4.7.6 30, 146 Epist. 4.8 143, 170, 225, 263, 354 Epist. 4.8.5 133 Epist. 4.9 76, 169-179, 185 Epist. 4.9.13 160, 256 Epist. 4.9.16 66 Epist. 4.10 178 Epist. 4.11 64, 79, 112, 114-121, 170, 178, 311 Epist. 4.11.4 67 Epist. 4.11.6 80 Epist. 4.11.12 69 Epist. 4.11.15 30 Epist. 4.13 63, 220, 277 Epist. 4.13.3 306 Epist. 4.14 270, 273, 275ff., 281, 284, 286, 294, 309, 361, 392 Epist. 4.14.1 280 Epist. 4.14.3 93, 295f. Epist. 4.14.4 279 437 Stellenindex Epist. 4.14.5 69, 279 Epist. 4.14.8 34 Epist. 4.14.10 67 Epist. 4.16 79, 170, 219f., 235 Epist. 4.17 169, 220f. Epist. 4.17.8 187 Epist. 4.17.8‒9 204 Epist. 4.17.11 33 Epist. 4.18 277, 288 Epist. 4.19 110 Epist. 4.19.3 232 Epist. 4.19.4 278 Epist. 4.21 144, 199 Epist. 4.22 64, 170, 210, 228, 298 Epist. 4.22.4 67 Epist. 4.24 170, 221ff. Epist. 4.24.7 29 Epist. 4.25 42, 240, 243-247, 249, 251, 389, 392 Epist. 4.26 66 Epist. 4.27 278, 286, 294, 309, 381 Epist. 4.28 95 Epist. 4.29 170, 229, 307 Epist. 4.29/ 5.4/ 5.9/ 5.13 182 Epist. 4.29.2 229 Epist. 4.29.3 67 Epist. 4.30 305-310, 341f., 357, 369, 371, 376, 390 Epist. 4.30/ 8.8/ 8.17/ 8.20 79 Epist. 4.30.8 323 Epist. 5.1 61, 82ff., 179, 182, 223-228, 234 Epist. 5.1.9 80 Epist. 5.2 84, 96, 105 Epist. 5.3 85, 96, 101, 106, 259, 269, 278ff. Epist. 5.3.2 284 Epist. 5.3.5 259 Epist. 5.4 85, 102, 229f. Epist. 5.4.2 229 Epist. 5.5 86, 96, 100, 212, 311, 325, 349 Epist. 5.5.5 347, 351 Epist. 5.5.5‒6 212 Epist. 5.6 86-97, 103, 105, 109, 233f., 236, 391 Epist. 5.6.2 106 Epist. 5.6.36‒7 307 Epist. 5.6.41 28, 71, 164f. Epist. 5.6.43 104, 165 Epist. 5.6.44 35, 114 Epist. 5.7 95f. Epist. 5.8 96-100, 123, 243 Epist. 5.8.1 261, 313 Epist. 5.8.6 107 Epist. 5.8.7 67 Epist. 5.9 100, 228ff. Epist. 5.9.3 80 Epist. 5.10 101, 280ff., 284, 300f. Epist. 5.11 101 Epist. 5.12 101 Epist. 5.13 102, 230 Epist. 5.13.1 28 Epist. 5.13.2 80 Epist. 5.13.6 183 Epist. 5.13.7 246 Epist. 5.13.8 193 Epist. 5.14 102f., 141, 143, 315 Epist. 5.14.5 156 Epist. 5.14.7 35 Epist. 5.15 103 Epist. 5.16 103f., 108 Epist. 5.17 104f. Epist. 5.17.2‒3 106 Epist. 5.18 105 Epist. 5.19 105ff. Epist. 5.20 42, 106ff., 178-183, 392 Epist. 5.20/ 6.5/ 6.13 172 Epist. 5.20/ 6.5/ 6.13/ 7.6/ 7.10 76, 171, 178, 190 438 Stellenindex Epist. 5.20.1 173 Epist. 5.20.3 145 Epist. 5.20.4 186 Epist. 5.20.6 186 Epist. 5.20.8 34 Epist. 5.21 106-109, 223 Epist. 6.1 77, 107, 231, 238 Epist. 6.2 139, 182, 231f., 314, 390 Epist. 6.4 350 Epist. 6.4/ 6.7/ 7.5 110, 256, 314 Epist. 6.5 42, 182f. Epist. 6.5/ 6.7/ 7.5 182 Epist. 6.8 132 Epist. 6.8.3‒4 67 Epist. 6.10 160, 256-262, 267, 314, 333 Epist. 6.10/ 9.19 43f., 70, 190, 193, 255 Epist. 6.10.1 327 Epist. 6.11.1‒2 200 Epist. 6.12 232 Epist. 6.13 184f. Epist. 6.15 112, 315f. Epist. 6.15.2 333 Epist. 6.16 60, 63, 214, 310 Epist. 6.16/ 20 29, 40, 72, 79, 192, 256, 276, 305, 310-342, 376f., 387, 391 Epist. 6.16.1‒2 192 Epist. 6.16.4 73 Epist. 6.16.8‒9 48 Epist. 6.16.11 64 Epist. 6.16.12 346 Epist. 6.16.16 347 Epist. 6.16.21‒22 30 Epist. 6.16.22 212, 346 Epist. 6.17 162, 315f. Epist. 6.20 63, 391 Epist. 6.20.5 347 Epist. 6.20.15 382 Epist. 6.20.20 30 Epist. 6.22 47 Epist. 6.22.7 29 Epist. 6.23 262 Epist. 6.23.1 67 Epist. 6.24 120, 311, 314 Epist. 6.25 48, 314 Epist. 6.28 315 Epist. 6.28.3 68 Epist. 6.29 185 Epist. 6.31 47f., 141, 256 Epist. 6.33 79, 112, 191, 228, 231-238, 389 Epist. 6.33.1 69 Epist. 6.33.3 221 Epist. 6.33.7 28, 71 Epist. 6.33.11 146 Epist. 6.34 237f., 314 Epist. 7.1.1 60, 350 Epist. 7.1.7 29 Epist. 7.2 36, 282 Epist. 7.3.1 28, 68 Epist. 7.4 76, 259, 282-291, 294, 315, 392 Epist. 7.4.1 292 Epist. 7.4.2 67 Epist. 7.4.6 250, 269 Epist. 7.5 291, 351 Epist. 7.5.1 60 Epist. 7.6 61, 155, 185-190, 389 Epist. 7.6.2 162 Epist. 7.7.1 60 Epist. 7.8.1 60 Epist. 7.9 31f., 90, 269, 292-295 Epist. 7.9.8 32, 93 Epist. 7.9.10 299 Epist. 7.9.11 269 Epist. 7.9.16 35 Epist. 7.10 155, 188, 190f. Epist. 7.11 191 Epist. 7.11.4 282 Epist. 7.13.2 31 439 Stellenindex Epist. 7.14 110, 191 Epist. 7.16 76 Epist. 7.19 191, 194, 202 Epist. 7.19.1 60 Epist. 7.19.4‒10 72 Epist. 7.20 192, 214 Epist. 7.22 112f., 121 Epist. 7.23 76 Epist. 7.24.3 200 Epist. 7.27 73, 79, 192, 212f., 306, 337, 342-354, 379, 391 Epist. 7.27.5 178 Epist. 7.27.7 246 Epist. 7.27.7‒8 334 Epist. 7.28 249 Epist. 7.29 247-250, 355 Epist. 7.29/ 8.6 42f., 70, 72, 241, 247, 255, 261, 361 Epist. 7.29.1 60 Epist. 7.30 154, 199 Epist. 7.30.1 60 Epist. 7.32 76 Epist. 7.33 29, 62, 131, 134, 144, 158, 185, 191-197, 213, 341, 377, 383, 389 Epist. 7.33.1 310, 354 Epist. 7.33.3 230 Epist. 7.33.8 205, 349 Epist. 7.33.9 48 Epist. 7.33.10 212 Epist. 8.1 192 Epist. 8.1.1 354 Epist. 8.2 354 Epist. 8.4 354f., 363, 371, 377 Epist. 8.4.2 362, 366 Epist. 8.5 250, 368 Epist. 8.6 249-255, 355 Epist. 8.6.3 246 Epist. 8.6.5 80 Epist. 8.6.9 261 Epist. 8.6.13 73 Epist. 8.7 214, 255 Epist. 8.8 112, 305, 356-362, 368-371, 376 Epist. 8.8/ 20 354f., 390 Epist. 8.8.4 365 Epist. 8.9 172 Epist. 8.10/ 11 369 Epist. 8.11 110 Epist. 8.12 112, 121ff. Epist. 8.12.4 311 Epist. 8.14 80, 135, 278 Epist. 8.14.2 68 Epist. 8.14.8‒10 251 Epist. 8.16 368 Epist. 8.17 155, 305, 355, 363-370, 374, 376 Epist. 8.17.1 79 Epist. 8.18.11 30 Epist. 8.18.12 29 Epist. 8.20 92, 305, 363, 368-376, 381 Epist. 8.21 269, 295ff., 299, 355 Epist. 8.21.1 277, 358 Epist. 8.21.4 301 Epist. 8.21.6 298 Epist. 8.23 108 Epist. 8.23.1 60 Epist. 8.23.3 148 Epist. 8.24 356 Epist. 9.1 182, 198f. Epist. 9.2 197 Epist. 9.2.2 27 Epist. 9.2.3 243 Epist. 9.2.5 35 Epist. 9.3.1 261, 313 Epist. 9.4 169 Epist. 9.6 78 Epist. 9.6.1 68, 372 Epist. 9.7 79, 112 440 Stellenindex Epist. 9.10 297 Epist. 9.10/ 16/ 25 269 Epist. 9.11 297 Epist. 9.12.2 29 Epist. 9.13 18, 35, 60, 62, 127, 133, 197- 218, 389 Epist. 9.13.1 28 Epist. 9.13.2 72 Epist. 9.13.24‒5 349 Epist. 9.13.26 34 Epist. 9.14 198, 207, 209, 213 Epist. 9.15 298 Epist. 9.15.3 30 Epist. 9.16 298f. Epist. 9.16.1 32 Epist. 9.18 267 Epist. 9.19 259f., 262-267 Epist. 9.20 267 Epist. 9.20.1 198 Epist. 9.21/ 24 41 Epist. 9.23 64, 213, 378 Epist. 9.23.1 198 Epist. 9.23.2 150 Epist. 9.25 298ff. Epist. 9.26 33, 67, 69, 198 Epist. 9.27 198, 213, 296 Epist. 9.28 31, 112 Epist. 9.32 122 Epist. 9.32.1 198 Epist. 9.33 29, 72, 79, 120, 192, 198, 212, 302, 305, 310, 337, 376-386, 391 Epist. 9.34 106, 300-303, 378, 385 Epist. 9.36 89 Epist. 9.36/ 40 41 Epist. 9.36.1 292 Epist. 9.38 377 Epist. 9.39.2 73 Epist. 9.40 75, 81 Epist. 10 68, 172 Epist. 10.3a 148 Epist. 10.3a‒b 136 Epist. 10.4 112 Epist. 10.8/ 9 156 Epist. 10.13 354 Epist. 10.96/ 97 310 Epist. 10.96.8 382 Pan. 2.3 247 Pan. 33.3‒4 195 Pan. 76 137 Pan. 76.1 141 Plutarch Alex. 1 37, 388 Caes. 38 322 Cic. 2.4‒5 289 Dem. 4.5‒6 140 Galba 4‒10 258 Mor. 160d‒163d 384f. Mor. 289c‒d 263 Mor. 546d‒e 196 Mor. 753a‒b 291 Quaest. Conv. 2.1 38 Polybios 2.20 374 Properz 2.19.25‒6 362 2.34.65‒6 193 3.22.17‒8 369 3.22.23‒4 362 Quintilian Inst. 1.4.5 173 Inst. 1.6.52 143 Inst. 1.12.19 34 Inst. 2.2.10 152 Inst. 2.10.4‒5 235 Inst. 2.17.21 163 Inst. 3.5‒7 162 Inst. 6.2.32 91f. Inst. 6.3.13‒4 246 441 Stellenindex Inst. 6.3.102 95 Inst. 7.4.15 141 Inst. 7.7 147 Inst. 7.10.11 166 Inst. 8.3.3 129 Inst. 8.3.62 91f., 375 Inst. 8.3.64 137 Inst. 8.6.51 163 Inst. 8.6.73 285 Inst. 9.1.23‒4 289 Inst. 9.2.40 376 Inst. 9.2.40‒3 91 Inst. 9.2.43 92 Inst. 9.2.44 93, 376 Inst. 9.4.41 289 Inst. 10.1.8 180 Inst. 10.1.31 56 Inst. 10.1.33 99 Inst. 10.1.46‒131 295 Inst. 10.1.49 118 Inst. 10.1.59 295 Inst. 10.1.90 340 Inst. 10.1.99 31 Inst. 10.1.118 189 Inst. 10.1.119 150 Inst. 10.5.9 293 Inst. 10.5.15 292 Inst. 11.2.17 77 Inst. 11.2.18‒20 91 Inst. 11.3.52 180 Inst. 11.3.134‒5 145 Inst. 12.1.22 285 Inst. 12.5.6 150 Inst. 12.10.11 189 Sallust Cat. 3.1‒2 314 Cat. 5.4 181 Seneca der Ältere Contr. 2.2.8 175 Contr. 3 289 Suas. 6.14 285 Seneca der Jüngere Apoc. 2 326 Benef. 1.15.5 189 Brev. vit. 12.2 89 Dial. 11.5.4 324 Dial. 11.8 295 Epist. 2 295 Epist. 76.33 207 Epist. 79.5 333 Epist. 86.4 89 Epist. 118.1 243 Epist. 118.1‒2 27, 198 Nat. 3.8‒10 374 Nat. 3.27‒8 363f. Nat. 3 praef. 5‒18 374 Nat. 6.2.6 340 Nat. 6.16‒7 309 Thy. 572 367 Tranqu. 9.4‒7 89 Servius Aen. 1.382 340 Sidonius Apollinaris Epist. 1.1.1 19 Epist. 1.7.5 162 Epist. 5.17.2 35 Epist. 8.10.3 232 Epist. 8.11.14 35 Silius Italicus 4.544‒6 362 Statius Silv. 1.3.2 365 Silv. 1.3.17‒25 365f. Silv. 1.4.128‒31 362 Silv. 1 praef. 287, 293 Silv. 2.3.59‒60 358 Silv. 4.4 333 Silv. 5.3 333 442 Stellenindex Theb. 8.84‒5 206 Strabon 6 p. 274 C. 329 Sueton Aug. 86.3 180 Cal. 37.1 235 Claud. 41 285 Claud. 41.1 315 Dom. 8 119 Dom. 10 197 Dom. 14.2 350 Dom. 14‒5 390 Dom. 15 353 Dom. 17.3 200 Dom. 23 213 Galba 9‒11 258 Nero 21.2 263 Nero 40‒9 258 Nero 46 213 Plin. 313, 321, 328 Tacitus Agr. 1.1 311 Agr. 2 201 Agr. 37‒8 337 Agr. 39.1 117 Agr. 42.2 206 Agr. 45 197, 201 Ann. 1.1 196 Ann. 1.1.1 250 Ann. 1.1.3 203 Ann. 1.58.6 330 Ann. 2.4.3 330 Ann. 3.51.2 250 Ann. 3.53‒4 218 Ann. 4.62.3 338 Ann. 4.71.1 330 Ann. 6.20.1 189 Ann. 6.22.4 330 Ann. 11.5.3 330 Ann. 11.20.1‒2 344 Ann. 11.20.3 344 Ann. 11.21 343ff. Ann. 11.37‒8 311 Ann. 12.52.3 254 Ann. 12.53 247, 254 Ann. 13.16 195 Ann. 13.20 263 Ann. 14.2 263 Ann. 14.5‒8 311 Ann. 14.63‒4 311 Ann. 15.38.4‒6 339 Ann. 15.60‒5 311 Ann. 15.74.3 250 Ann. 16.7‒9 122 Ann. 16.17‒20 262 Ann. 16.18‒9 311 Dial. 6.4 138 Dial. 15 189 Dial. 21.6 289 Dial. 32.4 142 Dial. 35.1 148 Hist. 1.1 196 Hist. 1.2 312 Hist. 1.8.1 265 Hist. 1.8‒9 193, 258 Hist. 1.51‒3 258 Hist. 1.52‒3 193 Hist. 1.62.1 337 Hist. 1.82.1 340 Hist. 1.84.4 311 Hist. 1.86.2 364 Hist. 2.46‒9 311 Hist. 4.6 214 Hist. 4.6.3‒8.5 215 Hist. 4.7.1 215 Hist. 4.8.3 215 Hist. 4.10.1 214 Hist. 4.39‒43 216 443 Stellenindex Hist. 4.40.1 216 Hist. 4.40.4 214, 216 Hist. 4.41.1‒2 216 Hist. 4.42 216f. Hist. 4.43.1 265 Hist. 4.43‒4 218 Hist. 4.50 194 Terenz Haut. 77 284 Phorm. 21 159 Thukydides 1.22.2 330 1.22.4 99 1.138.3 344 Valerius Maximus 6.8 329 7.3 189 7.3.6 161 8.10.ext. 146 Velleius Paterculus 2.102.1 160 Vergil Aen. 1.9 332 Aen. 1.11 210 Aen. 1.88‒9 326 Aen. 1.92 332 Aen. 1.209 324 Aen. 2.3 256, 333 Aen. 2.10 332 Aen. 2.12‒3 332 Aen. 2.370‒95 336 Aen. 2.634‒70 337 Aen. 2.801‒2 335 Aen. 3.300 332 Aen. 3.311 336 Aen. 3.340 282 Aen. 3.343 336 Aen. 3.570‒84 333 Aen. 4.173 381 Aen. 4.569 281 Aen. 5.195 97 Aen. 6.95‒6 207 Aen. 6.105 207 Aen. 6.268 326 Aen. 6.325‒30 349 Aen. 6.384 207 Aen. 8.388‒415 233 Aen. 8.439 69, 233 Aen. 8.608‒731 233 Aen. 9.13 281 Aen. 10.811 206 Ecl. 2 287 Ecl. 6.3‒4 287 Georg. 2.7‒8 298 Georg. 2.136‒76 369 Georg. 2.147‒9 362 Georg. 3.8‒9 300 Vita Suetoniana-Donatiana 19 284 21 285 21‒42 285 26 288 27‒9 301 31 281 36 260 41 282 444 Stellenindex Classica Monacensia Münchener Studien zur Klassischen Philologie herausgegeben von Martin Hose und Claudia Wiener Die Classica Monacensia verstehen sich als Präsentationsforum für aktuelle Ergebnisse von Forschungsprojekten zur antiken Literatur, die an der LMU München entstanden sind. Seit mehr als 25 Jahren erscheinen in der Reihe Monographien, kommentierte Textausgaben und Sammelbände aus Themenbereichen der Griechischen und Römischen Antike. Der Schwerpunkt liegt dabei auf literaturwissenschaftlicher Forschung in Verbindung mit historischen und philosophischen Fragestellungen. Bisher sind erschienen: Band 26 Markus Schauer Tragisches Klagen Form und Funktion der Klagedarstellung bei Aischylos, Sophokles und Euripides 2002, 381 Seiten €[D] 54,00 ISBN 978-3-8233-4885-6 Band 27 Karl Bayer Suetons Vergilvita Versuch einer Rekonstruktion 2002, XIV, 361 Seiten €[D] 56,00 ISBN 978-3-8233-4886-3 Band 28 Christian Zgoll Phänomenologie der Metamorphose Verwandlungen und Verwandtes in der augusteischen Dichtung 2004, 405 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-6025-4 Band 29 Hellmut Flashar Spectra Kleine Schriften zu Drama, Philosophie und Antikerezeption 2004, 348 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-6118-3 Band 30 Niklas Holzberg (Hrsg.) Die Appendix Vergiliana Pseudepigraphen im literarischen Kontext 2005, XX, 294 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6202-9 Band 31 Regina Höschele Verückt nach Frauen Der Epigrammatiker Rufin 2005, XII, 156 Seiten €[D] 48,00 ISBN 978-3-8233-6205-0 Band 32 Gunther Martin Dexipp von Athen Edition, Übersetzung und begleitende Studien 2006, XII, 287 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6242-5 Band 33 Patrizia Marzillo Der Kommentar des Proklos zu Hesiods „Werken und Tagen“ Edition, Übersetzung und Erläuterung der Fragmente 2010, LXXXVIII, 458 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6353-8 Band 34 Helmut Löffler Fehlentscheidungen bei Herodot 2008, X, 242 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6381-1 Band 35 Gregor von Nazianz Über Vorsehung Περὶ Προνοίας Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Andreas Schwab 2009, 142 Seiten €[D] 39,9,00 ISBN 978-3-8233-6418-4 Band 36 Peter Grossardt Achilleus, Coriolan und ihre Weggefährten Ein Plädoyer für eine Behandlung des Achilleus-Zorns aus Sicht der vergleichenden Epenforschung 2009, XII, 159 Seiten €[D] 39,9,00 ISBN 978-3-8233-6483-2 Band 37 Regina Höschele Die blütenlesende Muse Poetik und Textualität antiker Epigrammsammlungen 2010, X, 375 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-6552-5 Band 38 Alexander Müller Die Carmina Anacreontea und Anakreon Ein literarisches Generationenverhältnis 2010, VIII, 300 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-6575-4 Band 39 Andreas Patzer STUDIA SOCRATICA Zwölf Abhandlungen über den historischen Sokrates 2012, X, 370 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6579-2 Band 40 Maria Gerolemou Bad Women, Mad Women Gender und Wahnsinn in der griechischen Tragödie 2011, X, 442 Seiten €[D] 98,00 ISBN 978-3-8233-6580-8 Band 41 Karin Mayet Chrysipps Logik in Ciceros philosophischen Schriften 2010, 340 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-6581-5 Band 42 Nikolaos Vakonakis Das griechische Drama auf dem Weg nach Byzanz Der euripideische Cento Christos Paschon 2011, 184 Seiten €[D] 48,00 ISBN 978-3-8233-6582-2 Band 43 Evanthia Tsigkana Studien zu Euripides’ Elektra Das Motiv der Erwartung im griechischen Drama 2012, 320 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-6724-6 Band 44 Margot Neger Martials Dichtergedichte Das Epigramm als Medium der poetischen Selbstreflexion 2012, 392 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6759-8 Band 45 Isabella Wiegand Neque libere neque vere Die Literatur unter Tiberius und der Diskurs der res publica continua 2013, XIV, 362 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6811-3 Band 46 Sophia Bönisch-Meyer/ Lisa Cordes/ Verena Schulz/ Anne Wolsfeld/ Martin Ziegert (Hrsg.) Nero und Domitian Mediale Diskurse der Herrscherrepräsentation im Vergleich 2014, VIII, 485 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6813-7 Band 47 Fabian Horn Held und Heldentum bei Homer Das homerische Heldenkonzept und seine poetische Verwendung 2014, IV, 388 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6837-3 Band 48 Jan-Markus Pinjuh Platons Hippias Minor Übersetzung und Kommentar 2014, 264 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-6849-6 Band 49 Olga Chernyakhovskaya Sokrates bei Xenophon Moral - Politik - Religion 2014, XII, 279 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6863-2 Band 50 Lukians Apologie Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Markus Hafner 2017, 159 Seiten €[D] 38,00 ISBN 978-3-8233-8071-9 Band 51 Manuel Caballero González Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur 2017, 628 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6991-2 Band 52 Philipp Weiß Homer und Vergil im Vergleich Ein Paradigma antiker Literaturkritik und seine Ästhetik 2017, 392 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-8110-5 Band 53 Andreas Patzer Von Hesiod bis Thomas Mann Dreizehn Abhandlungen zur Literatur- und Philosophiegeschichte 2018, 245 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-8190-7 Band 54 Vicente Flores Militello tali dignus amico Die Darstellung des patronus-cliens- Verhältnisses bei Horaz, Martial und Juvenal 2019, 366 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-8296-6 Band 55 Alexander Schütze, Andreas Schwab Herodotean Soundings The Cambyses Logos 2021, ca. 275 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-8329-1 Band 56 Margot Neger Epistolare Narrationen Studien zur Erzähltechnik des jüngeren Plinius 2021, 448 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-8345-1 ISBN 978-3-8233-8345-1 www.narr.de www.narr.de www.narr.de Der jüngere Plinius erweist sich nicht nur in seinen berühmten Briefen über den Vesuv-Ausbruch, verschiedene Gespensteranekdoten oder spielende Delphine als Meister der Erzählkunst. Auch zahlreiche weitere Einzelbriefe sowie Briefpaare und Briefzyklen sind als kunstvolle Erzählungen gestaltet. Die vorliegende Studie bietet erstmals eine systematische Analyse der narrativen Techniken des jüngeren Plinius und der damit verbundenen Strategien der Lektüresteuerung. Neben der Frage, wie antike Autoren und Leser das narrative Potenzial von Briefen einschätzten wird auch untersucht, inwieweit sich die Ansätze der modernen Narratologie auf eine antike Briefsammlung anwenden lassen. Im Zentrum der Analyse stehen insbesondere Briefe und Briefzyklen über Plinius als Anwalt bzw. erfolgreicher Redner, als prinzipientreuer Senator sowie schließlich als Freizeitdichter. Auch die Erzählstrategien des Epistolographen in Briefen über Mirabilien und Naturphänomene werden untersucht.