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Entwicklungslinien des Dolmetschens im soziokulturellen Kontext

2021
978-3-8233-9352-8
Gunter Narr Verlag 
Sonja Pöllabauer
Mira Kadric

Dieser Sammelband, der Beiträge von Expert:innen aus dem Bereich Dolmetschen umfasst, präsentiert Entwicklungslinien des Dolmetschens in einem gesellschaftlichen und behördlichen Umfeld im DACH-Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz). Es handelt sich dabei um die erste Publikation, die die Entwicklung eines lange vernachlässigten Bereichs des Dolmetschens umfassend für den deutschsprachigen Raum skizziert. Damit bietet diese Publikation sich auch als Referenzwerk an, das einen breiten Überblick über zentrale Entwicklungen und Themen des Felds liefert.

TRANSLATIONSWISSENSCHAFT BAND 17 ENTWICKLUNGSLINIEN DES DOLMETSCHENS IM SOZIOKULTURELLEN KONTEXT Translationskultur(en) im DACH-Raum Sonja Pöllabauer / Mira Kadri´ c (Hrsg.) Entwicklungslinien des Dolmetschens im soziokulturellen Kontext TRANSLATIONSWISSENSCHAFT · BAND 17 herausgegeben von Klaus Kaindl und Franz Pöchhacker (Universität Wien) Gyde Hansen (Kopenhagen) Christiane Nord (Heidelberg) Hanna Risku (Wien) Christina Schäffner (Birmingham) Robin Setton (Paris) Sonja Pöllabauer / Mira Kadrić (Hrsg.) Entwicklungslinien des Dolmetschens im soziokulturellen Kontext Translationskultur(en) im DACH-Raum © 2021 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Satz: pagina GmbH, Tübingen Druck: CPI books GmbH, Leck ISSN 1614-5909 ISBN 978-3-8233-8352-9 (Print) ISBN 978-3-8233-9352-8 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0263-6 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. 9 31 49 63 77 113 127 143 Inhalt Sonja Pöllabauer Einleitung: Berufssoziologische Dimensionen einer Translationskultur . . Translationspolitik und barrierefreie Kommunikation Peter Sandrini Von Kommunikationsprothesen zu Wegbereitern der Mehrsprachigkeit . . Judith Purkarthofer Spracherleben, Verständigung und Kommunikationsbedarf in multilingualen Kontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ivana Havelka Zur technikgestützten Translationskultur im DACH-Raum. Video- und audiobasiertes Dialogdolmetschen im Gesundheits- und Gerichtswesen . . Judith Platter Barrierefreie Kommunikation - Aspekte der Professionalisierung im DACH-Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklungslinien der Forschung Bernd Meyer Entwicklungslinien der deutschen Forschung zum Dolmetschen im soziokulturellen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Pöchhacker Entwicklungslinien der Forschung in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tobias Haug & Gertrud Hofer Perspektiven zum Gebärden- und Lautsprachendolmetschen aus der Deutschschweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 185 205 223 249 273 293 309 331 Entwicklungslinien der Ausbildung Şebnem Bahadır Dolmetschen für Gleichbehandlung und Teilhabe - aber bitte möglichst umsonst! oder: Am Anfang war die Bringschuld - Dolmetschen im öffentlichen Raum in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vera Ahamer „Ich weiß nicht, was es noch gibt, das ich nicht weiß“ - Entwicklungslinien der Ausbildung in Österreich im Bereich Dolmetschen für öffentliche Einrichtungen und Gerichtsdolmetschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Müller Professionalisierung des Dolmetschens im öffentlichen Bereich am Beispiel der Schweiz. Entstehung und aktuelle Situation des Qualifizierungssystems für interkulturelles Dolmetschen in der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklungslinien der Berufspraxis Elvira Iannone Dolmetschen im Gemeinwesen. Rahmenbedingungen und Praxis in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alexandra Marics & Aleksandra Nuč Der österreichische Kommunaldolmetschmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nives Grenko Curjuric & Barbara Strebel Die Praxis des interkulturellen Dolmetschens in der Schweiz . . . . . . . . . . . Translationskultur verortet Katia Iacono Von der Theorie zur Praxis. Ausgewählte Praxisprojekte aus dem DACH-Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mira Kadrić Formung einer Translationskultur im DACH-Raum: Handlungen, Strukturen und ein Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beiträger: innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt 333 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt 1 DACH dient als Akro- und Apronym für den Sprach- und Wirtschaftsraum, in dem Deutsch eine der Landessprachen ist (Deutschland, Österreich, Schweiz) und wird aus den Nationalitätenkürzeln der genannten Länder gebildet. In dieser Publikation werden andere an den DACH-Raum angrenzende Länder, in denen Deutsch Landessprache ist oder deutschsprachige Minderheiten leben (z. B. Liechtenstein, Luxemburg, Italien, Bel‐ gien, Dänemark) nicht miterfasst. 2 Als Herausgeberinnen danken wir dem Team des Forschungsbereichs Dolmetschen am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien für die engagierte und umsichtige Mitarbeit an diesem Buchprojekt. Unser herzlicher Dank ergeht in diesem Sinn an Ivana Havelka, Dalibor Mikić, Harald Pasch, Sylvi Rennert, Anna Sourdille und Maria Zwischenberger! Einleitung: Berufssoziologische Dimensionen einer Translationskultur Sonja Pöllabauer Dieser Sammelband, zu dem verschiedene Expert: innen aus dem DACH 1 -Raum beigetragen haben, zeigt vor dem Hintergrund des Konzepts der „Translations‐ kultur“ (Prunč 1997, 2008) sowie professionssoziologischer Überlegungen „Ent‐ wicklungslinien“ (Prunč 2012a) des Dolmetschens in einem gesellschaftlichen und behördlichen Umfeld im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Öster‐ reich, Schweiz) auf. 2 1 Verständigung in verschiedenen Lebensrealitäten Der Ausgangspunkt für dolmetscherisches Handeln ist das Erfordernis aufseiten von Bedarfsträger: innen in verschiedenen Lebensrealitäten Verständigung zu ermöglichen, was manchmal nur unter Beiziehung von Dolmetscher: innen re‐ alisierbar ist. Derartiger „Kommunikationsbedarf “ (Pöchhacker 2000: 13 f.) be‐ stand seit jeher in verschiedenen internationalen oder innergesellschaftlichen Zusammenhängen. Ein Blick auf translatorisches Handeln aus gegenwärtiger Perspektive vernachlässigt häufig die Tatsache, dass die Tätigkeit von Dolmet‐ scher: innen eine alte ist und sich über ein weites zeitliches Kontinuum erstreckt, und dass jene Faktoren, die für Dolmetscher: innen heute maßgebende Kriterien für ihr Handeln sind, Dolmetscher: innen wohl auch schon vor Jahrtausenden beschäftigten. Abseits der Aufarbeitung dieses Feldes in der Fachliteratur be‐ legen etwa geschichtliche Quellen die jahrhundertelange Tätigkeit von Dol‐ metscher: innen in verschiedenen gesellschaftlichen Feldern (z. B. Woodsworth & Delisle 2012, Cáceres Würsig 2017). Seit der innerstaatlichen Krise in Syrien, die ab 2015 Millionen Menschen zu Binnenflüchtlingen machte und darüber hinaus zu massiven Fluchtbewegungen in Richtung Europa führte, waren Dolmetscher: innen und ihr Handeln zuneh‐ mend sowohl durch Medienberichte als auch infolge persönlicher Begegnungen in Kontexten präsent, in denen dies zuvor nicht der Fall gewesen war. Im deutschsprachigen Raum waren v. a. Deutschland und Österreich mit einem plötzlich angestiegenen Kommunikationsbedarf konfrontiert, der nicht immer ausreichend gedeckt werden konnte. Dringlichkeit und Ausmaß an Kommuni‐ kationsbedarf führten dazu, dass die Notwendigkeit des Einbezugs von Dolmet‐ scher: innen verstärkt erkannt wurde. Infolge dessen und zur weiteren Bewältigung dieser veränderten gesell‐ schaftspolitischen Gesamtsituation wurden verschiedene (Ad-hoc-)Maß‐ nahmen zur Bewältigung dieses Kommunikationsbedarfs ergriffen, u. a. die Be‐ stellung von Dolmetscher: innen für bislang wenig benötigte Sprachkombinationen, für die auch keine Ausbildungen existieren, neue Ver‐ zeichnisse („Dolmetscherlisten“) und Zusammenschlüsse („Pools“) von Dolmet‐ scher: innen, Entwicklung neuer Schulungsmaßnahmen oder die Reaktivierung bereits bestehender Qualifizierungsangebote. „Qualität“ stand dabei nicht immer im Zentrum; vielmehr wurde und wird - wie die Beiträge in diesem Band in teilweise ernüchternder Form belegen - der Dolmetschbedarf häufig unter der nach wie vor tradierten Devise „Sprachkompetenz = Dolmetschkompetenz“ gedeckt. Die aus fachlicher Sicht grundsätzlich positiv zu wertende Sichtbar‐ machung von Dolmetscher: innen ist also gleichzeitig teilweise negativ gekop‐ pelt an eine gewisse Gefahr einer Institutionalisierung von „Ad-hoc-Lösungen“. Zu beobachten war in den letzten Jahrzehnten des Weiteren ein Neuaufflammen der Diskussion um die Benennung der Tätigkeit von Dolmet‐ scher: innen in einem derartigen innergesellschaftlichen Lebenszusammenhang, wie sie bereits Ende der 1990er-Jahre (z. B. Bahadır 2000, Pöchhacker 2000: 34 ff., Pöllabauer 2002) und auf ähnliche Weise noch früher in den sogenannten Pio‐ nierländern des Community Interpreting (z. B. Roberts 1997, Gentile 1993) statt‐ gefunden hatte. Augenscheinlich war diese Diskussion etwa im Rahmen einer Fachtagung 2018 am Universitätsklinikum Eppendorf ( UKE ) in Hamburg, die der Qualifizierung von Sprachmittler: innen in der sozialen Arbeit gewidmet war (vgl. ZwischenSprachen 2018) und in teilweise heftige Kontroversen zu den 10 Sonja Pöllabauer Möglichkeiten, Sinnhaftigkeiten und Widersinnigkeiten verschiedener Benen‐ nungen mündete. 2 Tradition der Sprachmittlung Der subjektive Eindruck, der vor diesem Hintergrund entstehen könnte, wonach das Dolmetschen in einem innergesellschaftlichen Kontext im DACH -Raum erst in den letzten Jahren vermehrt notwendig geworden ist, trügt allerdings. Dieses spezifische Handlungsfeld von Dolmetscher: innen findet bereits seit mehr als 20 Jahren unter dem Stichwort Community Interpreting oder anderen dafür ge‐ bräuchlichen Benennungen Eingang in die einschlägige (auch deutschspra‐ chige) Literatur, anfangs eher in Form von Darstellungen subjektiven Charak‐ ters, später mit einer Entwicklung hin zu einer zunehmenden Verwissenschaftlichung des Themas (vgl. Grbić & Pöllabauer 2008). Mit Bezug auf Deutschland thematisierten etwa bereits Mitte der 1980er-Jahre Rehbein (1985) „Verfahren der Sprachmittlung“ sowie Knapp (1986) und Knapp & Knapp-Potthoff (1985, 1986, 1987) verschiedene Aspekte der „Sprachmitt‐ lung“, die sie als „nicht professionelle, alltagspraktische Tätigkeit“ in „face-to-face-Interaktionen“ (Knapp & Knapp-Potthoff 1985: 451) definierten und so vom (professionellen) „Dolmetschen“ abgrenzten. Insgesamt ist die Literatur zur Thematik durch eine interdisziplinäre Per‐ spektive gekennzeichnet. Frühe Publikationen, v. a. aus Deutschland und der Schweiz, gehen v. a. auf Autor: innen aus den Bereichen der Psychiatrie und Psychotherapie (Knoll & Roeder 1988, Leyer 1988, Haenel 1997, Westermeyer 1990, Grube 1993, Steiner 1997) bzw. der Medizin (Flubacher 1994, Eytan, Bi‐ schoff & Loutan 1999, Bischoff et al. 1999) zurück. Der allgemeine Paradigmen‐ wechsel in der Dolmetschwissenschaft hin zu einer „sozialen Wende“ (Pöchha‐ cker 2006) und einem intensivierten Blick auf dialogische bzw. „triadische“ (Wadensjö 1998, Mason 2001) Interaktionskonstellationen ab den 1990er-Jahren zeigt sich auch im DACH -Raum, wo ab 2000 ein Anstieg an Publikationen zum Thema zu beobachten war (Grbić & Pöllabauer 2008). In der Schweiz befassten sich etwa Kälin (1986) und Monnier (1995) früh mit dem Dolmetschen im Asylverfahren. Vor dem Hintergrund der oben erwähnten Publikationen aus dem medizinischen und therapeutischen Bereich erwiesen sich hier v. a. die Universitätskliniken in Basel und Genf ( HUG , Hôpitaux uni‐ versitaires de Genève) als Zentren der Forschung zum Medizindolmetschen. Bereits 1999 wurde auch der Schweizer Berufsverband INTERPRET gegründet, der bis dato im DACH -Raum immer noch einzige spezifische Berufsverband für Dolmetschen in einem sozialen Kontext (siehe dazu auch Müller in diesem 11 Einleitung: Berufssoziologische Dimensionen einer Translationskultur Band). Gar noch früher wurden erste Dolmetschdienste an Kliniken (1987 Basel, 1990 Bern) sowie von gemeinnützigen oder kirchlichen Organisationen einge‐ richtet (z. B. Hilfswerk der Evangelischen Kirche der Schweiz HEKS , Schweizer-Arbeiter-Hilfswerk SAH , Caritas, Rotes Kreuz) (vgl. Flubacher 2013: 128, siehe dazu auch Grenko & Strebel in diesem Band). Maßgebend, auch für die Benennung dieses Feldes in der Schweiz (Interkulturelles Übersetzen bzw. Interkulturelles Dolmetschen und Vermitteln), scheint ein Sammelband von Weiss & Stuker (1998) mit dem Titel Übersetzung und Interkulturelle Medi‐ ation. In Deutschland leisteten ein Team von Forscher: innen am UKE Hamburg (Albrecht 1999, 2002) und das Ethnomedizinische Zentrum in Hamburg (Salman & Tuna 1997), das bereits 1989 gegründet wurde, Pionierarbeit. Ab Mitte der 1990er-Jahre war im Bereich Medizindolmetschen auch das Team des Sonder‐ forschungsbereichs Mehrsprachigkeit der Universität Hamburg präsent (Bührig & Meyer 1998, Meyer 2000) (siehe dazu auch Meyer in diesem Band). In Österreich war das Thema ab 1989 vor dem Hintergrund eines WHO -Pro‐ jekts zur Gesundheitsversorgung von Migrant: innen präsent (Pöchhacker 1997a). Federführend in der Lancierung dieses Feldes sowohl in der Forschung als auch im Rahmen eines ersten Praxisprojekts (Pilotkurs Dolmetschen im Kran‐ kenhaus) war Franz Pöchhacker von der Universität Wien (Pöchhacker 1997b, 2000). Das Gerichtsdolmetschen wurde 2001 von Kadrić erstmals umfassend thematisiert. Ab 2000 wurde das Thema auch im Forschungsprofil des Instituts für Translationswissenschaft der Universität Graz verankert (Pöllabauer 2000, Pöllabauer & Prunč 2003, Pöllabauer 2005), wo seit 2001 niederschwellige Uni‐ versitätslehrgänge zum Thema angeboten werden (Prunč 2012b) (siehe dazu auch Pöchhacker in diesem Band). Seit 2016 werden an der Universität Wien auch postgraduale Universitätslehrgänge, seit 2018 auch als Masterprogramme für Behörden- und Gerichtsdolmetschen (Postgraduate Center 2019) wie auch Lehrgänge für Schriftdolmetschen und Dolmetschen mit Neuen Medien ange‐ boten. Damit lässt sich feststellen, dass diese Domäne des Dolmetschens im deutsch‐ sprachigen Raum seit mehr als 30 Jahren von unterschiedlichen Interessensträger: innen (Praxis, Lehre, Forschung) und in unterschiedlichem Ausmaß wahrgenommen, lanciert und vorangetrieben wurde. Von einem anfangs stark vernachlässigten Bereich, mit suboptimalen Bedingungen und geprägt vom Nimbus der Minderwertigkeit, war in den letzten Jahren eine gewisse Konsoli‐ dierung zu erkennen, mit einem wachsenden Angebot an extrauniversitären Ausbildungs- und Qualifizierungsangeboten, einer stärkeren Einbindung auch in das curriculare Angebot an traditionellen Ausbildungseinrichtungen für 12 Sonja Pöllabauer 3 In der Tagungsankündigung der oben erwähnten Fachtagung ZwischenSprachen (Zwi‐ schenSprachen 2018) sind etwa folgende Benennungen angeführt, die sich noch weiter ergänzen ließen (z. B. Community Interpreters, Kommunaldolmetscher, Fachdolmet‐ Übersetzen und Dolmetschen, einer zunehmenden Akzeptanz derartiger „sozi‐ aler“ Themen in der Translationswissenschaft und einem gewissen Maß an Sensibilisierung für die Bedürfnisse von Dolmetscher: innen vonseiten der Be‐ darfsträger: innen und daran gekoppelt mehr Austausch und Synergien zwi‐ schen den verschiedenen Interessensgruppen. Und dennoch wird das Commu‐ nity Interpreting weiterhin auf dem C-Markt des Dolmetschens (Kutz 2010: 82) angesiedelt und auch noch in jüngerer Zeit als wenig professionalisiert wahr‐ genommen (Neff 2015: 220). Derartige Negativbefunde ebenso wie persönliche Beobachtungen zu aktu‐ ellen Entwicklungen im Feld sind die Triebfedern für diese Publikation, die auf einer Makroebene Dimensionen der „Translationskultur“ (Prunč 1997 und später) in diesem Feld zu skizzieren und diese auf einer Mikroebene mithilfe professionssoziologischer Faktoren zu verorten sucht. Bevor eine Darstellung des Konstrukts der Translationskultur und des pro‐ fessionssoziologischen Grundgerüsts, die die im Rahmen dieser Publikation vorgenommenen Darstellungen der Situation im DACH -Raum speisen, vorge‐ nommen wird, scheint eine Modellierung des sozialen Raums, in dem derartige innergesellschaftliche Dolmetschhandlungen stattfinden, zweckmäßig. 3 Modellierung des sozialen Raums Dolmetschen in einem nationalen gesellschaftlichen Umfeld wird im Fall von Lautsprachen oft mit den Begriffspaaren „Flucht“ und / oder „Migration“ in Ver‐ bindung gebracht, im Fall von Gebärdensprachen mit innergesellschaftlichen sprachlichen Minderheiten. In beiden Kontexten ist (erfolgreiche, transparente, faire) Kommunikation ein bestimmender Faktor für individuelle Bedürfnisse und Befindlichkeiten auf der Subjektebene ebenso wie für das soziale Mitei‐ nander in einem größeren gesellschaftlichen Rahmen. Sprachbarrieren ebenso wie divergierende Wissensbestände erschweren oder verhindern den Zugang zu Informationen und Anschlussmöglichkeiten. Dolmetscher: innen können in diesem Gefüge eine Schlüsselfunktion übernehmen, als gatekeeper fungieren, indem sie Türen zur Verständigung zwischen Menschen mit oft sehr unter‐ schiedlichen lebensbiografischen und soziokulturellen Hintergründen öffnen. Der Objektbereich dieses Feldes, das, wie oben erwähnt, nach wie vor - und in jüngster Zeit wieder verstärkt - unter verschiedenen Benennungen beschrieben wird 3 , lässt sich wie folgt weiter bestimmen: 13 Einleitung: Berufssoziologische Dimensionen einer Translationskultur scher, Dialogdolmetscher): ehrenamtliche Dolmetscher, Flüchtlingslotsen, Flüchtlings‐ paten, Gemeindedolmetscher, Integrationslotsen, Integrationsmentoren, Interkultu‐ relle Begleiter, Kulturdolmetscher, Kulturlotsen, Kulturmediatoren, Kulturmittler, Sprachlotsen, Sprachmittler, Sprach- und Integrationsmittler, Sprach- und Kultur‐ mittler. Dolmetschen in • einem bestimmten innergesellschaftlichen Umfeld (z. B. behördliche, me‐ dizinische, therapeutische Settings), • zwischen professionellen Bedarfsträger: innen und privaten Klient: innen, • häufig in dialogischen Situationen von unmittelbarer und zentraler Re‐ levanz für die persönliche Befindlichkeit und die Bedürfnisse der Klient: innen, • in denen die unmittelbare Präsenz und Angreifbarkeit von Dolmet‐ scher: innen stärker als in anderen, etwa monologisch geprägten Settings, sich auch auf das Handeln und Rollenverständnis der dolmetschenden Personen auswirken. Vor diesem Hintergrund schreibt Prunč (2017: 23) mit Bezugnahme auf das Be‐ griffsinstrumentarium von Bourdieu dem Feld des Community Interpreting im Gegensatz zum Konferenzdolmetschen, das meist mit einem höheren symboli‐ schen Kapital ausgestattet ist, ein „niedriges bis negatives symbolisches Kapital“ zu, was sich v. a. daraus erklärt, dass die Klientel von Dolmetscher: innen in diesem Feld Randgruppen wie Flüchtlinge, Minderheiten und Migrant: innen oder „andere Verlierer der Globalisierung“ (ibid.) sind, die oft weder über ent‐ sprechendes ökonomisches Kapital, noch über soziale Handlungsressourcen (z. B. umfassende Einbindung in ein soziales Netzwerk und die damit einherge‐ hende Anerkennung), noch über kulturelles Kapital (z. B. Bildungstitel) ver‐ fügen. Mit Bezug auf die Dolmetscher: innen lässt sich diese Negativspirale in be‐ stimmten Fällen auch auf diese selbst übertragen, zumal sie unter Umständen ebenso wenig über das nötig Sozial- oder Kulturkapital verfügen, etwa wenn das „Kommunikationsproblem“ durch die Bestellung von nicht ausgebildeten und für dieses Feld qualifizierten Dolmetscher: innen erfolgt. Hier handelt es sich um eine Vorgehensweise, die nach wie vor vielerorts gängig und in der weiterhin tradierten Annahme begründet ist, dass Sprachkompetenz, die oft nur unzurei‐ chend gegeben ist, für derart „einfache“ Kommunikationssituationen ausreicht und dass derartige Situationen auch von Begleitpersonen oder zufällig Anwe‐ senden gut bewältigt werden können. Für Dolmetscher: innen bieten derartige Handlungsgefüge daher oft wenig Handlungsspielraum: „Durch den Umgang 14 Sonja Pöllabauer mit diesen Randgruppen geraten die Dolmetscher selbst in den Bannkreis der Ohnmacht“ (Prunč 2017: 25). In diesem Band wird vor diesem Hintergrund der soziale Raum des Dolmet‐ schens in derartigen nationalen innergesellschaftlichen Gefügen mit Fokus auf den DACH -Raum ausgeleuchtet. Erfasst werden dialogische gedolmetschte In‐ teraktionen abseits des Konferenz- und Verhandlungsdolmetschens: Dolmet‐ schen in verschiedenen gesellschaftlichen Kontaktsituationen, einschließlich des Gerichtsdolmetschens. Auch auf aktuelle technologische und gesellschaft‐ liche Entwicklungen (Ferndolmetschen, Formen der barrierefreien Kommuni‐ kation) wird eingegangen. 4 Translationskultur und Superdiversität Als Rahmen für die Darstellung dient, wie erwähnt, Prunčs Konstrukt der Translationskultur (u. a. 1997, 2008, 2017). Prunčs Überzeugung, dass Transla‐ tion auch immer eine „gesellschaftssteuernde und ideologische Funktion“ (2000: 20) hat, spiegelt sich in seiner Modellierung von „Translationskultur“, die definitorisch wie folgt erfasst werden kann: […] das historisch gewachsene System einer Kultur […], das sich auf das Handlungs‐ feld Translation bezieht und das aus einem Set von gesellschaftlich etablierten, ge‐ steuerten und steuerbaren Normen, Konventionen, Erwartungshaltungen und Wert‐ vorstellungen aller in dieser Kultur aktuell oder potentiell an Translationsprozessen beteiligten Handlungspartner besteht. (Prunč 1997: 107) Translationskulturen sind nicht ahistorisch, sondern zeitlich geprägte, gewach‐ sene Konstrukte, die dem in einem gesellschaftlichen Rahmen vorherrschenden Wertegefüge unterliegen (Prunč 2017: 33). Translator: innen sind in diesem System „selbstverantwortliche Handlungspartner“ (ibid.: 111), die auch an der Aushandlung der das System steuernden Normen und Konventionen beteiligt sein können / sollten. Neben den Translator: innen werden auch die anderen Ak‐ teur: innen in die Pflicht genommen: Im Rahmen einer „demokratischen Trans‐ lationskultur“ (Prunč 2017: 33), in deren Zentrum das Prinzip der „Egalität“ ver‐ ankert ist, sind alle Handlungsbeteiligten gleichermaßen für die Gestaltung der Rahmenbedingungen verantwortlich. Aufgabe der Ausbildungsstätten wäre es, durch eine Verschränkung von Theorie und Praxiswissen Translator: innen auf ein „reflektiertes“ translatori‐ sches Handeln vorzubereiten und für in diesem Feld tätige Dolmetscher: innen das nötige Kulturkapital im Sinne von Zertifizierung und Graden / Titeln be‐ reitzustellen. Aufgabe der Translationswissenschaft wäre das analytische Auf‐ 15 Einleitung: Berufssoziologische Dimensionen einer Translationskultur zeigen von Interessenskonstellationen und Entwicklungspotenzialen, das Translator: innen damit die argumentative Basis für die Aushandlung der aus ihrer Sicht erforderlichen Geltungsprozesse und damit eine Optimierung des Systems erlaubt (ibid. 107; 2017: 33). Dieses Zusammenspiel von Forschung und Lehre ergänzt Prunč später (2017: 35) noch um die Kategorien „Öffentlichkeits‐ arbeit“ und „Solidarität“. Durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit kann erst sym‐ bolisches Kapitel für die Dolmetschenden generiert werden. Die Kategorie So‐ lidarität kann als Voraussetzung für das Zusammenspiel dieser Faktoren betrachtet werden. Im Zentrum sieht Prunč (2017: 35) hier den Abbau von Stan‐ desdünkeln vonseiten professioneller Dolmetscher: innen gegenüber den oft als minderwertig betrachteten Laien, der nötig erscheint, damit alle in dem Feld tätigen Akteur: innen mit Hinblick auf eine Optimierung der Handlungsbedin‐ gungen an einem Strang ziehen, da sich „Fehlleistungen negativ auf das Image de(s) gesamten Berufsstandes auswirken“ (2017: 35) (s. dazu weiter unten auch das Konstrukt der „berufsständischen Solidarität“). Als „Konstruktionsprinzipien“ (Prunč 2017: 33) für eine konkrete Mitgestal‐ tung der Translationskultur durch die Translator: innen definiert Prunč die fol‐ genden: • Kooperativität als kooperative Arbeitsteilung ist „ökologisch“ und „res‐ sourcensparend“, wenn sie auf einem klar vereinbarten Handlungs‐ rahmen basiert (2017: 33). • Loyalität umfasst die „Fähigkeit und Bereitschaft, die Interessen der Handlungspartner zur Kenntnis zu nehmen, zu reflektieren und ange‐ messen darauf zu reagieren“ (ibid.) und impliziert eine vierfache reziproke Loyalität der Translator: innen gegenüber den 1) Autor: innen der zu über‐ tragenden Redebeiträge, 2) den Initiator: innen der Interaktion, 3) den Ad‐ ressat: innen und 4) gegenüber sich selbst in Hinblick auf persönliche ethische Werte und berufsethische Prinzipien (2017: 34). • Transparenz bedingt die Offenlegung von Handlungsrollen und die Ver‐ pflichtung, Abweichungen von bestehenden translatorischen Hand‐ lungsnormen transparent zu machen und wirkt damit vertrauensbildend. • Ökologizität soll einen „sparsamen Umgang mit Ressourcen“ sichern (2017: 34), indem translatorische Entscheidungen abhängig von den Ziel‐ vorgaben und der Translatfunktion, aber auch von Kriterien wie der „Nachhaltigkeit“, d. h. der längerfristigen Auswirkung des translatori‐ schen Handelns, getroffen werden. Stark verknüpft mit diesen Ausführungen ist auch die persönliche, moralische Verpflichtung von Translator: innen bei Missständen zu intervenieren: 16 Sonja Pöllabauer In einem solchen ethischen Konzept strebt Translation als trialogischer Beitrag zur Enttarnung von Hegemonialisierungsstrategien, zur Konfliktminimierung, zur Wah‐ rung der Menschenrechte und der persönlichen physischen und geistigen Integrität des Individuums sowie zur Friedenssicherung als bewusste Alternative zum Krieg der Worte […]. Das ist das Gewebe, aus dem Aschenbrödels Schuh gefertigt ist, mit dem sie sich als ebenbürtige Prinzessin neben die Prinzessin Konferenzdolmetschen stellen kann. (Prunč 2017: 35) Mit dem Konstrukt der Translationskultur lassen sich veränderte Rahmenbe‐ dingungen gut abbilden. Eine generelle Veränderung, die nicht nur Translation, sondern verschiedenste Bereiche des gegenwärtigen Lebens prägt, ist (neben den Auswirkungen der Globalisierung und wachsenden Technologisierung un‐ serer Lebensrealität) auch die zunehmende gesellschaftliche Transkulturalität. 2007 wurde von Vertovec mit Fokus auf die damalige Situation in Großbritan‐ nien der Überbegriff „super-diversity“ eingeführt. „Super-diversity“ dient als Umschreibung für durch veränderte Migrationsprozesse (mehr und unter‐ schiedliche Ethnien, Sprachen, Religionen, Herkunftsländer, Migrationsver‐ läufe) bewirkte vielschichtige Veränderungen innerhalb einer Gesellschaft, die sich auf verschiedene Dimensionen des Zusammenlebens auswirken (neue Formen von Ungleichheit, Vorurteilen, Rassismus, Segregation, räumlicher Prä‐ senz, Kontakt, Creolisierung, etc.), von verschiedenen Faktoren (Alter, Ge‐ schlecht, Rechtsstatus, Arbeits- und soziale Bedingungen, etc.) geprägt sind und zu einer Neudefinition von sozialem Status, Identitäten und Schichten führen können (vgl. auch Meissner & Vertovec 2015). Das Konzept der Superdiversität wurde in Bezug auf verändertes Sprachverhalten und damit für Dolmet‐ scher: innen einhergehende Herausforderungen u. a. von Jacquemet (2011) auf‐ gegriffen. Derart veränderte Rahmenbedingungen gelten auch für das Dolmetschen in einem gesellschaftlichen Kontext im DACH -Raum, der besonders in den letzten Jahren von migrationsbedingten Veränderungsprozessen geprägt war. Die auf zunehmende Mobilität, aber auch auf Migration und Flucht zurückzuführende ethnische Vielfalt im DACH -Raum werden ebenso wie neue Entwicklungen in‐ folge der zunehmenden Technologisierung einleitend dargestellt. Auch wenn der Fokus der vorliegenden Publikation auf Entwicklungen im Bereich des Laut‐ sprachendolmetschens liegt, wird in einem Beitrag von Haug & Hofer in diesem Band ein Brückenschlag zur Forschung und Praxis im Bereich des Gebärden‐ sprachdolmetschens vorgenommen. 17 Einleitung: Berufssoziologische Dimensionen einer Translationskultur 4 Der Übergang von „Arbeit“ über „Beruf “ (bezahlte Arbeit) hin zu einer „Profession“ zeigt sich dabei v. a. in einer zunehmenden „Wissenssystematisierung“ und „Verwis‐ senschaftlichung“ und einer damit verbundenen Prestigesteigerung (Schmidt 2008: 839). 5 Dolmetschen aus professionssoziologischer Warte Für eine detailliertere Analyse von Dolmetschsituationen in einem derart hyb‐ riden gesellschaftlichen Gefüge, die den Blick auf die im Rahmen der Transla‐ tionskultur umrissenen Bereiche Forschung, Ausbildung und Praxis auf einer Mikroebene erlaubt, erweisen sich des Weiteren professionstheoretische An‐ sätze als fruchtbar. Ab den 1990er-Jahren wurden professionstheoretische Erklärungsmodelle zu Prozessen der Professionalisierung auch in der Dolmetschwissenschaft zur Ana‐ lyse und Skizzierung der „Professionalisierung“ dolmetscherischen Handelns und der Ausgestaltungen von „Professionalität“ herangezogen (für einen Über‐ blick siehe z. B. Grbić 2015). Untersucht wird dabei, inwieweit Dolmetschen als spezifisches Handlungsfeld sich durch die zunehmende „Verberuflichung 4 “ und „Wissenssystematisierung“ (Schmidt 2008: 836) hin zu einer „Profession“ entwi‐ ckelt. Struktur-funktionalistische Professionstheorien beschreiben Professi‐ onen, oft in Abgrenzung zu oder am Beispiel klassischer Professionen (etwa Medizin, Recht, Theologie), unter Bezugnahme auf deren spezifische prototy‐ pische Merkmale. Als eine Weiterentwicklung dieser funktionalistischen An‐ sätze können Modelle betrachtet werden, die Professionalisierung als Prozess auf einem Kontinuum beschreiben, der verschiedene Phasen durchläuft und auf dessen Basis berufliches Handeln als nicht-professionell, semiprofessionell oder professionell beschrieben werden kann. Anwendung in der Dolmetschwissen‐ schaft fand hier v. a. Tsengs (1992) Phasenmodell, das Ausgangspunkt für die Darstellung von Professionalisierungsprozessen in verschiedenen Feldern des Dolmetschens war und ist (vgl. Grbić 2015). Ab den 1980er-Jahren steht infolge eines Paradigmenwechsels hin zu hand‐ lungstheoretischen Ansätzen (Schmidt 2008: 840 ff.) verstärkt das konkret be‐ obachtbare professionelle Handeln als dynamischer Aushandlungsprozess im Zentrum der Professionsforschung. Im Fokus stehen die interne professionelle „Handlungslogik“ (Schmidt 2008: 843) professionellen Handelns und die dafür typischen widersprüchlichen Handlungsanforderungen und -muster an Profes‐ sionsvertreter: innen in der Interaktion mit Klient: innen oder anderen Professi‐ onen. Exemplarisch für die Dolmetschwissenschaft sind hier etwa Arbeiten zu Formen von „boundary work“ durch Dolmetscher: innen (Grbić 2010, Grbić & Kujamäki 2019), zu interprofessionellen Beziehungen (Tipton 2016), Prozessen der Deprofessionalisierung (García-Beyart 2015) und der Ausbildung hybrider 18 Sonja Pöllabauer Professionen (vgl. Colley& Guery 2015 für eine Anwendung auf das Public Ser‐ vice Interpreting). Im Zentrum derartiger Darstellungen steht, was professio‐ nelles Handeln in konkreten, von bestimmten Strukturen geprägten Hand‐ lungsfeldern ausmacht und wie Professionalität durch das Handeln der Professionsangehörigen „reproduziert“ wird (vgl. Schmidt 2008: 843). Professi‐ onen werden von Schmidt (2008: 846) vor diesem Hintergrund als „Strukturorte der verwissenschaftlichten Krisenbewältigung resp. der Vermittlung von The‐ orie und Praxis“ definiert, die von der „Dialektik universalisierter Regelanwen‐ dung und hermeneutischem Fallbezug“ bestimmt sind. Vor dem Hintergrund dieser verschiedenen Ansätze zur Modellierung von Professionalisierungsprozessen können unter Bezugnahme auf das Begriffs‐ system von Schmidt (2008) für die vorliegende Publikation verschiedene Di‐ mensionen der professionellen Handlungslogik beschrieben werden, die sich für das Dolmetschen im innergesellschaftlichen Bereich im DACH -Raum be‐ obachten lassen. Dabei wird versucht, sowohl Strukturelemente des Feldes als auch Elemente der inneren Handlungslogik zu beschreiben. 6 Zu den Beiträgen in diesem Band Vor dem Hintergrund der oben angerissenen Themen ist der Sammelband in fünf Teile gegliedert. Unter der Rubrik „Translationspolitik und barrierefreie Kommunikation“ stecken einleitende Beiträge zunächst den gesamtgesellschaft‐ lichen Rahmen und die durch Migration und Flucht bedingte ethnische Vielfalt (Super-Diversität) im DACH -Raum ebenso wie Entwicklungen infolge der zu‐ nehmenden Technologisierung ab. Das Dolmetschen in diesem Feld ist durch eine Ausdifferenzierung verschiedener Wissensvorräte (Alltagswissen, Ex‐ pert: innenwissen) und Handlungsformen gekennzeichnet (vgl. Schmidt 2008: 837). Im Hauptteil der Publikation werden daher unter dem Überthema „Translationskultur(en) im DACH -Raum“ Entwicklungen und der Status quo in Deutschland, Österreich und der Schweiz für die folgenden drei Ebenen darge‐ stellt: „Wissenshervorbringung“ (Forschung), „Wissensvermittlung“ (Ausbil‐ dung) und „Wissensanwendung“ (Praxis). Vor der Folie dieser Darstellung werden im Weiteren ausgewählte innovative Praxisprojekte dargestellt und ab‐ schließend eine vergleichende Zusammenschau präsentiert. Gerahmt und eingeleitet werden die diesen drei Abschnitten zugeordneten Ausführungen von Beiträgen, die sich aus translations- und sprachpolitischer Sicht und unter Einbezug des stetig zunehmenden Bedarfs an barrierefreier Kommunikation dem Feld nähern. So skizziert Peter Sandrini vor dem Hinter‐ grund der zunehmenden Automatisierung und Digitalisierung der Berufswelt 19 Einleitung: Berufssoziologische Dimensionen einer Translationskultur unseren Umgang mit Mehrsprachigkeit und damit verbundene Herausforde‐ rungen und Zukunftsaussichten für die Sprachmittlung. Judith Purkarthofer beschreibt aus soziolinguistischer Perspektive Spracherleben, Verständigung, sprachliche Identität und Kommunikationsbedarfe in multilingualen und von Diversität geprägten Gesellschaften. Vor dem Hintergrund der technischen Er‐ rungenschaften moderner Informations- und Kommunikationstechnologien be‐ schreibt Ivana Havelka die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf die inter‐ personale Kommunikation sowie die Konturen und den Handlungsrahmen einer technikgestützten Translationskultur für das video- und audiobasierte Dialog‐ dolmetschen. Dem Abbau von Kommunikationsbarrieren in unterschiedlichen Bereichen und Möglichkeiten der barrierefreien Kommunikation zur Inklusion und Integration von Menschen mit unterschiedlichen Sinnes- oder kognitiven Beeinträchtigungen und Sprachkenntnissen widmet sich Judith Platter. Dem Feld der Wissenshervorbringung sind drei Beiträge gewidmet. Die Be‐ zugnahme auf wissenschaftsbasiertes Theoriewissen, die zunehmende Spezia‐ lisierung und einschlägige Fachwissensbestände sowie das Vermögen zur prak‐ tischen Anwendung von Theoriewissen sind Merkmale der Professionalisierung einer Tätigkeit (Schmidt 2008: 840). Im Abschnitt Entwicklungslinien der For‐ schung skizzieren Bernd Meyer, Franz Pöchhacker und Tobias Haug & Gertrud Hofer vor diesem Hintergrund die Entwicklung und zentrale Themen der For‐ schung zum Community Interpreting und Gerichtsdolmetschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Meyer resümiert sozial-, sprach- und translations‐ wissenschaftliche Forschung der letzten drei Jahrzehnte mit Fokus auf Deutsch‐ land zu diesem Themenfeld. Pöchhacker thematisiert die Entstehungsbedingungen und konzeptuellen Grundlagen der Forschung zum Kommunaldol‐ metschen in Österreich und Haug & Hofer gehen neben Untersuchungen zum Lautsprachendolmetschen im Gesundheits- und Sozialbereich in der deutsch‐ sprachigen Schweiz auch auf Entwicklungen im Bereich des Gebärdensprach‐ dolmetschens ein. Die Sektion Entwicklungslinien der Ausbildung schlägt die Brücke zum The‐ menkreis der Wissensvermittlung: Werden bzw. in welcher Weise werden Wis‐ sensbestände an die handelnden Personen weitervermittelt (formalisierte Aus‐ bildungssysteme, teil-formalisierte Strukturen zur Wissensvermittlung vs. informell-„naturwüchsige“ Ausbildung und Anwendung von Wissen)? Er‐ werben die professionell Tätigen einen „sachgebundenen“ Habitus (Schmidt 2008: 842), der die sachliche Bearbeitung von Problemen ohne Berücksichtigung subjektiver Interessen erlaubt? Werden die wissensvermittelnden Akteur: innen („Ausbildner: innen“) ebenfalls in Bezug auf die Weitergabe und Anwendung dieser spezifischen Wissensbestände geschult (etwa in Form von 20 Sonja Pöllabauer 5 Die Frage, ob eine Tätigkeit überhaupt „professionalisierungsbedürftig“ oder „profes‐ sionalisierbar“ und damit gesellschaftlich relevant ist, ist v. a. bei neu entstandenen Professionen oft strittig (Schmidt 2008: 838). „Train-the-trainer“-Angeboten)? Ist die Tätigkeit an staatliche Lizensierung und Qualifikation (Berechtigung zur Berufsausübung) bzw. an Exklusivität (Mono‐ polstellung) gebunden, die mit einem gewissen Berufsprestige einhergehen? Die zuletzt genannten Kriterien sind auf einer „vertikalen Ebene“ der Einbettung von Professionen in gesellschaftliche Strukturen (Schmidt 2008: 840 f.) Struktur‐ merkmale, die die Abgrenzung zu „einfacheren“ Berufen erlauben. Den oben genannten Themen nähern sich Şebnem Bahadır, Vera Ahamer und Michael Müller. Bahadır verortet die in Deutschland gegenwärtige Lage der Ausbildung und Praxis kritisch in einem migrations- und translationspolitischen Kontext. Mit Aspekten der Ausbildung und Professionaliserung des Community Inter‐ preting in Österreich befasst sich Ahamer, und Müller skizziert das vergleichs‐ weise wesentlich ausgereiftere System der Qualifizierung für interkulturell Dol‐ metschende in der Schweiz. In Bezug auf die berufspraktische Wissensanwendung in konkreten Hand‐ lungssituationen lassen sich ebenfalls verschiedene Dimensionen skizzieren: Steht in der Ausübung der Tätigkeit das Wohl der Klient: innen und die Orien‐ tierung an der Sache im Zentrum („Kollektivorientierung“ als auf das Gemein‐ wohl hin abzielende Orientierung, vgl. Schmidt 2008: 840)? Der sogenannte „Zentralwertbezug“ kann beispielsweise (Schmidt 2008: 840) als Merkmal einer Profession definiert werden, das beschreibt, ob Professionen als gesellschaftlich relevant erachtete Leistungen erbringen, die an universelle gesellschaftliche Zentralwerte gebunden sind (etwa Recht auf Information und Zugang zu Leis‐ tungen) 5 . Ist die Ausübung der Tätigkeit durch eine „doppelte Autonomie“ ge‐ kennzeichnet (d. h. sind Professionelle nicht direkt staatsabhängig oder wei‐ sungsgebunden und können Entscheidungen damit sachgebunden treffen, und haben die Klient: innen das Recht auf autonome Wahl der Professionist: innen)? Diese Begriffe können auf einer Ebene der „horizontalen“ Einbettung von Pro‐ fessionist: innen in gesellschaftliche Strukturen verortet werden (Schmidt 2008: 840). Als professionsinterne Strukturdimension kann auch noch be‐ schrieben werden, ob Professionen „korporativ organisiert“ (Schmidt 2008: 841) sind und Ausübende damit in ihrer beruflichen Autonomie an gewisse berufs‐ ständische Normen gebunden sind (etwa Vorhandensein von Berufsverbänden und (verpflichtende oder freiwillige) interne Kontrolle durch diese, Kodifizie‐ rung der Tätigkeit durch berufsethische Standards, Berufs- und Standesethos („Eid“), berufsständische Solidarität). Als ein weiteres Merkmal auf einer Hand‐ lungs- und Habitusebene formuliert Schmidt (2008: 842) eine „Wissensasym‐ 21 Einleitung: Berufssoziologische Dimensionen einer Translationskultur metrie“ zwischen Professionellen und Klient: innen, die die Schaffung und Ak‐ zeptanz einer „temporären Vertrauensbeziehung“ erforderlich macht, in der Klient: innen sich darauf verlassen müssen, dass sachorientiert und zu ihrem Wohle gehandelt wird. „Verschleiert“ (Schmidt 2008: 848) wird bei dieser Orien‐ tierung am Klient: innenwohl die Tatsache, dass Professionist: innen sehr wohl auch von Eigeninteressen (Verdienst, berufliches Fortkommen) motiviert sind. Marktverbundene „Gefahren“ (Schmidt 2008: 848) auf einer Praxisebene sind des Weiteren eine mögliche Instrumentalisierung der Professionellen sowie Büro‐ kratisierung und „Technologisierung“ in Form von routinisierten, „eingefah‐ renen“ und nicht mehr hinterfragten Handlungsmustern (Schmidt 2008: 849). Fragen wie den oben genannten gehen Elvira Iannone, Alexandra Marics & Aleksandra Nuč und Nives Grenko Curjuric & Barbara Strebel nach. Iannone umreißt den Status quo des Dolmetschens im Gemeinwesen in Deutschland und geht vor allem auf rechtliche Rahmenbedingungen und fi‐ nanzielle, strukturelle und organisatorische Aspekte ein. Marics & Nuč be‐ schreiben die österreichische Marktlage und den daraus ableitbaren Grad an Professionalisierung des Kommunaldolmetschens. Und Grenko Curjuric & Strebel skizzieren die Praxis des interkulturellen Dolmetschens in der Schweiz, die sie als vergleichsweise gut aufgestellt verorten, und umreißen dabei auch die Tätigkeit der etablierten und professionell agierenden regionalen Vermitt‐ lungsstellen sowie das Wirken von INTERPRET , der Interessensgemeinschaft für interkulturelles Dolmetschen und Vermitteln. Im abschließenden Abschnitt Translationskultur verortet stellt zunächst Katia Iacono die Ergebnisse einer Analyse ausgewählter Praxisprojekte im DACH -Raum vor und beleuchtet organisatorische und strukturelle Unter‐ schiede wie auch Ähnlichkeiten. Eine abschließende Zusammenschau der im Rahmen der Beiträge dargestellten Entwicklungslinien nimmt Mira Kadrić vor, die die Strukturen der sich in diesem Band abzeichnenden Translationskultur und besonders die gesellschaftliche Verantwortung von Dolmetscher: innen ins Zentrum rückt. Dabei legt sie dar, dass translatorisches Handeln idealiter die Kommunikationsbedürfnisse aller Beteiligten wahren sollte, aber auch zum „Empowerment schwächerer Gesprächsbeteiligter“ beitragen kann. Literatur Albrecht, Niels-Jens (1999). Institutseigener Dolmetscherdienst. In: Beauftragte der Bun‐ desregierung für Ausländerfragen / Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis (Hrsg.) Gesund‐ heit und Migration. Handlungsbedarf und Handlungsempfehlungen. 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(Chinesisches Sprichwort) 1 Umbruch der Arbeitswelt Im Zusammenhang mit Veränderung wird oft der Gemeinplatz der Globalisie‐ rung genannt, die durch wirtschaftliche, soziale und vor allem technologische Entwicklungen zu einem „Global Village“ geführt habe. Intensiver Kontakt und Austausch zwischen unterschiedlichen Kulturen und Sprachen mit einhergeh‐ ender Hybridisierung, Homogenisierung und Monopolisierung führe zu einer Verdichtung von Raum und Zeit, von Globalisierungstheoretikern auch „com‐ pression of the world“ genannt (Robertson 1995: 40). Im zweiten und dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts kann teilweise eine gegenläufige Entwicklung bzw. eine Art Deglobalisierung beobachtet werden, die ausgelöst durch natio‐ nalistische und protektionistische Tendenzen ein Einbremsen und Verringern der globalen Verflechtung und Integration nach sich zieht. Von Globalisierung und Deglobalisierung gleichermaßen betroffen ist vor‐ nehmlich die Translation, deren Hauptgegenstand Sprach- und Kulturmittlung zur Unterstützung von Kommunikation darstellt (vgl. Prunč 2012), und die dabei auch insbesondere den Veränderungen durch technologische Entwicklungen ausgesetzt ist. Datenflut, zeit- und ortsunabhängige Erreichbarkeit, weitge‐ hende Automatisierung sind Folgen einer zunehmenden Digitalisierung von Umwelt und Arbeitswelt, denen das Individuum oft machtlos gegenübersteht. Denn in der Praxis fühlen sich viele Menschen, unabhängig von ihrer Füh‐ rungsstufe, ihrem Alter oder Geschlecht, übergeordneten Paradigmenverände‐ rungen ausgesetzt, die sie als Einzelne nicht initiiert und, hätte man sie gefragt, vielleicht auch nicht gewollt hätten (Wörwag & Cloots 2018: 6). Ein unbestimmtes Unwohlsein und häufig auch die Furcht vor einem Verlust des Arbeitsplatzes kennzeichnen die Reaktion auf den Wandel, und dies trotz der Tatsache, dass empirische Studien das Gegenteil belegen: So spricht bei‐ spielsweise die Weltbank in einer Studie zur Veränderung der Arbeitswelt von einer weltweiten Zunahme der Arbeitsplätze: „Total labor force has been incre‐ asing across the globe“ (Weltbank 2019: 7). Belegt wird dies anhand empirischer Statistiken, wonach sich die Arbeitsplätze weltweit im Zeitraum 1993 bis 2017 trotz Digitalisierung beinahe verdoppelt haben. Untersuchungen zur Lage im Bereich der Sprachmittlung bestätigen diesen Trend: Eine etwas ältere Studie der Generaldirektion Übersetzen der Europä‐ ischen Kommission sah für diese Branche bereits 2009 ein Mindestwachstum von 10 % pro Jahr voraus: „Annual compounded growth rate was estimated at 10 % minimum over the next few years“ ( EU 2009: iv), wodurch die Sprachmitt‐ lung eine der höchsten Wachstumsraten aufweisen konnte: „Research shows that the language industry has the highest growth rate of all European industries in Europe“ ( EU 2009: iv). Rückblickend konnte den statistischen Erhebungen zu‐ folge ein stetiger Anstieg der in diesem Bereich arbeitenden Personen in den Jahren 2003-2008 verzeichnet werden. Dieser positive Trend wird durch neuere Untersuchungen bestätigt: Gemäß der jährlichen Studie des Marktforschungs‐ unternehmens Common Sense Advisory ( CSA 2018) zu Sprachdienstleistungen („market for outsourced language services and technology“) wuchs dieser Be‐ reich in den letzten Jahren kontinuierlich auf 46,52 Mrd. Dollar weltweit im Jahr 2018, für das Jahr 2021 wird gar ein globales Volumen von 56,18 Mrd. Dollar vorausgesehen ( CSA 2018). Für den regionalen Markt der USA sieht das United States Bureau of Labor Statistics sogar einen Anstieg der Nachfrage nach Dol‐ metscher: innen und Übersetzer: innen von 29 % bis zum Jahr 2024 voraus (Toolbox 2019). Angesichts dieser Zahlen steht fest, dass Sprachmittlung ein Beruf mit guten Zukunftsaussichten bleibt. Es gibt zwar eine erhöhte Nachfrage und mehr Ar‐ beit, doch unterliegt diese großen Veränderungen. Die Wirtschaftsdaten belegen etwa eine erhöhte Konzentration des Marktes: Der Anteil kleiner Sprachmitt‐ 32 Peter Sandrini lungsunternehmen mit einem Umsatz unter 250 000 € fiel von 34 % im Jahr 2018 auf 25 % im Jahr 2019 ( ELIA 2019: 5), wobei 2019 nur mehr 56 % aller Sprach‐ dienstleister: innen gegenüber noch 60 % im Jahr 2018 weniger als 10 Angestellte aufwiesen. Hierbei treten aber starke geografische Unterschiede auf, so dass der Anteil kleiner Unternehmen in Westeuropa nur 13 % beträgt, während in Nord-, Süd- und Osteuropa diese Zahl bis zu 40 % ausmacht. Zugleich stieg der Anteil großer Unternehmen mit einem Umsatz über 1 Mio. € von 30 % auf 43 % an ( ELIA 2019: 5). Andere Kennzahlen der Sprachmittlungsbranche bleiben hingegen unverän‐ dert: Zu beobachten ist nach wie vor ein starker Gender-Gap: Bei einem insge‐ samt sehr hohen Frauenanteil ist dieser in Übersetzungsabteilungen, Ausbil‐ dungsinstitutionen und Einzelunternehmen übermäßig hoch, in größeren Unternehmen mit mehreren Angestellten aber einigermaßen ausgeglichen. Be‐ stätigt wird dies durch die statistische Einkommensverteilung: Je höher das in‐ dividuelle Einkommen, desto geringer der Frauenanteil ( ELIA 2019: 4). Aus der‐ selben Studie geht hervor, dass Unternehmen einen erheblichen Ausbau der Bereiche Maschinelles Übersetzen, Projektablaufautomatisierung und Telear‐ beit planen ( ELIA 2019: 10) und dafür auch entsprechende Investitionen vor‐ sehen ( ELIA 2019: 21). Insgesamt bleibt eine positive Erwartungshaltung: „In‐ vestment sentiment remains convincingly positive throughout Europe and other indicators such as hiring expectations also point to strong confidence in the industry“ ( ELIA 2019: 39). Wirtschaftszahlen und individuelle Befindlichkeit divergieren jedoch häufig: Trotz allgemein guter Aussichten können Wandel und notwendige Anpassung beim Einzelnen zu Entfremdung und Furcht führen und den Beruf obsolet er‐ scheinen lassen. Nach Karl Marx (1844 / 2017) hat Entfremdung vier Ursachen: Entfremdung vom Produkt, Entfremdung von der eigenen Tätigkeit, Entfrem‐ dung von anderen Menschen, Entfremdung vom menschlichen Gattungswesen; alles Themen, die durch die digitale Veränderung neue Aktualität erlangen. 2 Wandel durch Technologie Im Globalen Innovationsindex finden sich die deutschsprachigen Länder der DACH -Region auf den ersten Rängen wieder: Schweiz Rang 1, Deutschland Rang 7, Österreich Rang 13 (Global Innovation Index Report 2019: 35) und im Allgemeinen wird Technologie überaus positiv wahrgenommen (vgl. Weltbank 2019: 2). Trotzdem herrscht angesichts der zunehmenden Digitalisierung häufig Verunsicherung, insbesondere unter älteren Kollegen, was zu dem falschen Schluss führen könnte, Digitalisierung sei ein Generationenproblem. Die Fä‐ 33 Von Kommunikationsprothesen zu Wegbereitern der Mehrsprachigkeit higkeit, neue Technologien zu erlernen, sie kritisch zu hinterfragen und allen‐ falls erfolgreich einzusetzen, ist keine Frage des Alters. Sie darf nicht älteren Sprachdienstleistern, den sogenannten ‚digital migrants‘ pauschal abgespro‐ chen werden und gleichzeitig den jüngeren Generationen, den mit digitalen Medien aufgewachsenen ‚digital natives‘, pauschal zugesprochen werden. Viel‐ mehr liegt die Voraussetzung dafür in der Bereitschaft, sich Neuem zu öffnen und die entsprechenden Kenntnisse jeweils zu erarbeiten. Geeigneter erscheint daher das Diffusionsmodell (Rogers 2003: 247), das nach dem Zeitpunkt der Anwendung zwischen Innovator: innen, frühen An‐ wender: innen (‚early adopters‘), der Mehrheit (‚early and late majority‘) und Nachzügler: innen (‚laggards‘‚ ‚late adopters‘) unterscheidet. Innovator: innen bilden zunächst die kleinste Gruppe der Anwender: innen: Sie suchen Neues und sind bereit es auszuprobieren. Die frühen Anwender: innen entscheiden sich für einen Einsatz, sobald die Technologie Vorteile bringt, während die Mehrheit erst bei einem entsprechenden Erfolg der ‚early adoptors‘ zur Anwendung schreitet. Zeitpunkt und Ausmaß der Anwendung unterliegen verschiedenen subjektiven Kriterien: Die wahrgenommene Verbesserung gegenüber dem Bisherigen, die Vereinbarkeit mit den eigenen Erfahrungen und Anforderungen, die Komple‐ xität der anzuwendenden Technologien, die Erprobbarkeit sowie die mediale Präsenz der Technologie (Rogers 2003: 248). Abb. 1: Diffusionsmodell nach Rogers 2003: 247 Vertikal gesehen sind die weltweit agierenden großen Sprachdienstleistungs‐ unternehmen zu den Innovatoren bzw. zu den frühen Anwender: innen zu zählen. Oft sind sie auch zugleich die erfolgreichsten Softwareanbieter im Be‐ reich der Translationstechnologie (zum Beispiel Lionbridge, SDL , Star-Group, 34 Peter Sandrini u. a.). Mittelgroße und mittlere Anbieter: innen können der großen Mehrheit der Pragmatiker und Konservativen zugerechnet werden, während Nach‐ zügler: innen und Skeptiker: innen eher unter den Einzelübersetzer: innen zu finden sind. Digitalisierung und Unterstützung durch den Computer haben sich historisch gesehen zuerst für das Übersetzen etabliert: Professionelles Übersetzen, Web- und Softwarelokalisieurng, Untertitelung sowie viele andere Bereiche des Über‐ setzens sind heute ohne digitale Werkzeuge nicht mehr denkbar (Biau-Gil & Pym 2006, Bowker & Corpas Pastor 2015, Cronin 2013, Sandrini 2017). Erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung haben sich auch für das Dolmetschen entsprechende Werkzeuge durchgesetzt, die den Menschen während und ins‐ besondere vor der eigentlichen Dolmetschleistung unterstützen. Das compu‐ tergestützte Dolmetschen (Computer Aided Interpreting CAI ) (vgl. Ziegler 2019: 310) wird von Fantinuoli (2018: 5) in prozessorientierte Technologie („de‐ signed to assist human interpreters in their work“), die direkten Einfluss auf das Dolmetschen hat, sowie in die sogenannte ‚settings-oriented technology‘ un‐ terteilt, die indirekt die Arbeit von Dolmetscher: innen beeinflusst („designed to change the way they deliver their service“), wie beispielsweise Telefon- oder Videodolmetschen. Letztere hatte durch den Einsatz einfacher Technologie wie Mikrophon, Kopfhörer und Tonübertragung bereits sehr früh das professionelle Konferenz‐ dolmetschen ermöglicht. Das ortsunabhängige Remote Interpreting ( RI ), durch Informations- und Kommunikationstechnologie ermöglichte Dolmetschleis‐ tungen, definiert als „interpreter mediated communication delivered by means of information and communication technology“ (Fantinuoli 2018: 4), begann mit Hilfe des Telefons als ‚Over-the-Phone Interpreting ( OPI )‘. In einer Studie zum US -amerikanischen Markt verwendeten 68 % der befragten Dolmetschunter‐ nehmen solche Systeme ( CSA 2018). Eine etwas geringere Verbreitung ver‐ zeichnete in derselben Studie das Video Remote Interpreting ( VRI ), das 58 % der Befragten benutzten. Technologischer Fortschritt in der Video- und Tonüber‐ tragung über das Web nach der Jahrtausendwende führte dazu, dass eine neue Qualität des RI erreicht werden konnte, das Remote Simultaneous Interpreting ( RSI ). Darunter versteht man eine virtuelle Dolmetschkabine mit geographisch unabhängigen Dolmetscher: innen, die Gespräche und Konferenzen in Echtzeit dolmetschen können. Ermöglicht werden dadurch virtuelle Konferenzen, bei denen sich neben Dolmetscher: innen Vortragende und Teilnehmer: innen räum‐ lich unabhängig voneinander zu Konferenzen und Diskussionen zusammen‐ finden können. In der bereits zitierten US -Umfrage verwendeten 2018 lediglich 23 % diese Form der Unterstützung. Bis vor kurzem wurde noch darüber ge‐ 35 Von Kommunikationsprothesen zu Wegbereitern der Mehrsprachigkeit stritten, ob diese Form des RI überhaupt zugelassen werden darf. Heute hin‐ gegen diskutieren Berufsverbände (zum Beispiel AIIC 2019) darüber, welche Standards dabei eingefordert bzw. wieweit bestehende Standards angepasst werden müssen (vgl. Fantinuoli 2018: 5). Auch in diesem Bereich sind die Innovator: innen bzw. die frühen An‐ wender: innen unter den großen Technologiekonzernen aus Kalifornien zu finden. So wurden RSI -Plattformen an Entwicklerkonferenzen dieser Unter‐ nehmen zum ersten Mal mediengerecht zur Anwendung gebracht: 2018 vom Dienstleistungsanbieter Interprefy.com, 2019 durch das Unternehmen KUDO an der Facebook Entwicklerkonferenz F8. 3 Automatisierung Nach diesem ersten Schritt der Unterstützung des Menschen durch Technologie scheint nun die nächste Stufe der Entwicklung vor der Tür zu stehen: Die Ma‐ schine nicht mehr als Hilfsmittel, sondern als vollständiger Ersatz des Menschen in zentralen Aufgabenfeldern. Das als technologische Singularität bezeichnete Phänomen markiert den Zeitpunkt, an dem die Maschine die Intelligenz des Menschen erreicht und in der Folge übertrifft (vgl. Kurzweil 2001; TAUS 2016). Erste Versuche, den Menschen in der Sprachmittlung zu ersetzen, gehen zu‐ rück auf die Zeit des Zweiten Weltkrieges und der darauffolgenden Ära des Kalten Krieges, einer Zeit des Misstrauens zwischen den großen Mächten, das man u. a. auch durch maschinelle Übersetzungssysteme zu überbrücken ver‐ suchte. Die ersten Systeme, die auf einfachen lexikalischen und syntaktischen Regeln beruhten, erfüllten aber nicht die hohen Erwartungen. Auch die stetige Weiterentwicklung brachte nicht den erhofften Durchbruch, bis Anfang der 1990er-Jahre IBM einen grundlegenden Wandel von linguistischen Regeln hin zu datenbasierten statistischen Grundlagen wagte und damit den Weg für eine breitenwirksame webbasierte Maschinenübersetzung bereitete (1997 Altavista, 2006 Google Translate). Für Lai: innen und für berufliche Übersetzer: innen unterscheidet sich die Zeitkurve der Anwendung maschineller Übersetzungssysteme erheblich: Lai: innen haben sich rasch an die Leichtigkeit von Google Translate und Mic‐ rosoft Translator gewöhnt, da diese kostenlosen Online-Systeme sehr schnell mühelos große Mengen an Text übersetzen können, auch wenn die Qualität nur zum groben Verständnis reichte. Frühe Anwender: innen dieser Form von MÜ lassen sich etwa gegen Ende des zweiten Jahrtausends ansiedeln, eine allge‐ meine und breite Durchsetzung fand ungefähr zehn Jahre später statt. So wurde für das Jahr 2010 angenommen, dass ab diesem Zeitpunkt ein größeres Volumen 36 Peter Sandrini an Text durch die Maschine übersetzt wurde als durch menschliche Übersetzer ( TAUS 2016: 18). Zunächst aber waren im Bereich des professionellen Übersetzens die Vorbe‐ halte gegenüber der Qualität der ersten regelbasierten maschinellen Überset‐ zungssysteme sehr groß, was zu einer allgemeinen Ablehnung und Abgrenzung führte. Erst nach der breiten Einführung und Durchsetzung der statistischen maschinellen Übersetzungssysteme - Google Translate stellte sein On‐ line-System 2007 um - und der Verfügbarkeit entsprechender Software, die sich auf der Basis eines umfangreichen Korpus an Textmaterial relativ einfach zu maßgeschneiderten maschinellen Übersetzungssystemen trainieren ließen (zum Beispiel Moses), sowie einer Steigerung der Qualität wurden diese für be‐ stimmte Zwecke auch von Übersetzungsunternehmen eingesetzt. Rund 30 % der Unternehmen sehen 2019 in einer Umfrage zu den Erwartungen und Sorgen der europäischen Sprachdienstleister: innen Maschinenübersetzung als positiv, 2018 waren es noch 15 %, während 20 % gegenüber 22 % 2018 sie als negativ ein‐ schätzen ( ELIA 2019: 37). Wesentlich negativer werden in dieser Studie die Aus‐ wirkungen der Maschinenübersetzung von Einzelübersetzer: innen einge‐ schätzt, 28 % beurteilen diese negativ und nur 8 % positiv. Eine deutliche Steigerung der Anwendungskurve kann im professionellen Umfeld nach der Optimierung der maschinellen Übersetzung durch das Ein‐ binden Künstlicher Intelligenz in neuronalen maschinellen Übersetzungssys‐ temen (zum Beispiel 2016 DeepL) beobachtet werden. Die dadurch erreichte Qualitätssteigerung ermöglichte den erfolgreichen Einsatz neuronaler Systeme in immer zahlreicheren Kontexten und brachte mit sich, dass sich kaum jemand mehr diesen Werkzeugen entziehen kann. Beigetragen hat dazu vor allem eine verringerte Erwartungshaltung gegenüber dem Output maschineller Überset‐ zung im Allgemeinen. Im berühmten ALPAC (American Language Processing Advisory Comitee) Bericht des Jahres 1966, der ein ernüchterndes Fazit zu den ersten maschinellen Übersetzungssystemen gezogen hatte, war noch die Rede vom erstrebenswerten Ziel der vollautomatischen hochqualitativen Überset‐ zung („fully automated high quality translation“, FAHQT ), während dies in den letzten Jahren relativiert wurde und TAUS (2016) heute von der vollautomati‐ schen verwendbaren Übersetzung („fully automated usable translation“, FAUT ) spricht. Neuronale Maschinenübersetzung bindet Künstliche Intelligenz durch das maschinelle Lernen aus zweisprachigen Textkorpora ein, was zu einer deutli‐ chen Verbesserung der Lesbarkeit des Zieltextes führte. Je höher die Qualität der vorliegenden Übersetzungen, je konsistenter Terminologie und Überset‐ zungen, desto besser wird auch das Produkt solcher Systeme sein. 37 Von Kommunikationsprothesen zu Wegbereitern der Mehrsprachigkeit MT language is all retrospective, based on past language production, whereas human language use is creative and adaptable dependent on entirely different rules to those used in the algorithms that re-create past language. (Griffin-Mason 2018: 76) Die Übersetzung ist jedoch fehleranfällig, wenn ein Ausgangstext nicht durch entsprechende Beispiele im Trainingskorpus abgedeckt wird oder gegensätz‐ liche Übersetzungen bzw. Fehler im Dateninput vorkommen. Der Einsatz der Maschine beim Dolmetschen erweist sich als komplexer Vor‐ gang, da in Echtzeit zuerst gesprochene Sprache anhand von Spracherken‐ nungsalgorithmen in Text umgewandelt, dieser dann von der Maschine über‐ setzt und schließlich durch automatische Sprachsynthese wieder in gesprochene Sprache umgewandelt werden muss. Trotz einiger einfacher Anwendungsbei‐ spiele konnte für den professionellen Dolmetscheinsatz bisher noch keine zu‐ friedenstellende Anwendung entwickelt werden. Bisher gibt es noch keine Technik, die menschliche Dolmetscher ersetzen kann, von Apps, mit denen sich Touristen und Geschäftsleute kurze Sätze übersetzen lassen können, einmal abgesehen. (Gätjens et al. 2019: 363) Neuere Forschungsanstrengungen versuchen mit Hilfe Künstlicher Intelligenz und neuronaler Übersetzungssysteme das maschinelle Übersetzen gesprochener Sprache („speech to speech translation“, S2 ST ) zu verbesseren und damit die Automatisierung des Dolmetschens voranzutreiben. Innovatoren sind dabei auch hier die großen Technologiekonzerne (Google Translate Conversation Mode, Microsoft Skype Translator, Tencent Mr. Translator-Interpreter). Als klei‐ nere Unternehmen versuchen TranslateLive mit seinem Instant Language As‐ sistant ILA und Wordly for Conferences, automatisierte Dolmetschdienstleis‐ tungen auf den Markt zu bringen. TranslateLive erstellt beispielsweise sogenannte ‚online rooms‘, die mit Hilfe einer spezifischen App auf dem Smart‐ phone orts- und sprachunabhängig zur Teilnahme und Diskussion betreten werden können. Von der technischen Funktionsweise her gesehen, nennt man diese Art der S2 ST den Cascading-Ansatz, da mehrere Prozesse nacheinander ablaufen: Von der Spracherkennung über die maschinelle Übersetzung zur Sprachsynthese. Ein anderer Forschungsansatz besteht darin, diesen Ablauf durch den Verzicht auf die beiden Schritte der Spracherkennung und -synthese zu vereinfachen, und wiederum mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (Google AI ) ein direktes Dol‐ metschen („end-to-end speech-to-speech translation model“) von Sprache zu Sprache zu ermöglichen. Dazu werden die aufgenommenen Sprachdaten in Form von Schallwellen („Waveform“) ohne verschriftlichten Text direkt über‐ setzt, d. h. in Schallwellen einer anderen Sprache transformiert, wobei zusätzlich 38 Peter Sandrini eine gewisse Ähnlichkeit zur Ausgangsrede (Modulation, Stimmlage, Emotion) gewährleistet werden soll. Die Forschung in diesem Bereich steckt noch in den Kinderschuhen, zeigt aber bereits das darin verborgene Potential, rednerspezi‐ fische Zusatzinformationen wie emotionalen Kontext mit einzubeziehen. Anhand dieser Entwicklungen lässt sich zumindest eine Annäherung an die technologische Singularität auch für das Dolmetschen beobachten. Insgesamt könnte der Zusammenhang zwischen Mensch und Maschine im Dolmetschen sowie die entsprechende Entwicklung folgendermaßen tabellarisch skizziert werden. Mensch Mensch + Maschine Maschine Dolmetscher ortsgebunden Dolmetscher über Internet Maschine über Internet Maschine zur Recherche Maschine zur Datenübertragung Maschine zum Dolmetschen Simultan-, Konsekutivdolmetschen RSI Remote Simultaneous Interpreting S2ST Speech-to-Speech Transla‐ tion Tab. 1: Zusammenhang Mensch-Maschine im Dolmetschen Dies ist aber nicht zwingend als lineare Weiterentwicklung zu sehen, sondern präsentiert sich zur Zeit eher als ein Nebeneinander der verschiedenen Bereiche, die in jeweils anderen Kontexten und in jeweils unterschiedlicher Frequenz in der Praxis oder experimentell mit all den damit verbundenen Vor- und Nach‐ teilen eingesetzt werden. Dabei gilt es aber, die Auswirkungen und Folgen dieser Entwicklungen auf die mehrsprachige Kommunikation im Allgemeinen und letztlich auf Berufsprofile und Berufschancen im Besonderen zu beachten. 4 Folgewirkungen Offensichtlich besteht ein Bedarf nach einer effizienten technologischen Lösung für das Problem der Mehrsprachigkeit, das den kostenintensiven Faktor Mensch reduziert bzw. ausklammert. Doch solange automatisierte Lösungen keine deut‐ liche Verbesserung gegenüber dem Einsatz ausgebildeter Sprachmittler: innen aufweisen können, solange der Einsatz dieser Entwicklungen nicht nahtlos und einfach mit den Erwartungen und Anforderungen der Kommunikationsteil‐ nehmer: innen in Einklang gebracht werden kann, bleibt menschliche Sprach‐ mittlung unabdingbar. Die Gefahr, dass die Arbeit ausgeht, besteht zwar kurz‐ 39 Von Kommunikationsprothesen zu Wegbereitern der Mehrsprachigkeit fristig nicht, wie das die oben zitierten Statistiken und Umfragen zeigen, bleibt aber längerfristig in Hinsicht auf das Eintreten der technologischen Singularität mit all ihren sozialen Folgen bestehen. Was uns bevorsteht, ist die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit aus‐ gegangen ist, also die einzige Tätigkeit, auf die sie sich noch versteht. Was könnte verhängnisvoller sein? (Hannah Arendt 1960: Vita activa oder Vom tätigen Leben) Bis dahin wird sich die Arbeitswelt kontinuierlich weiterentwickeln und dabei die menschliche Arbeit von einfacheren Tätigkeiten befreien und auf höher‐ wertige kognitive Leistungen fokussieren, die sich einer Automatisierung weit‐ gehend entziehen. Der Schwerpunkt im Bereich der Sprachmittlung verschiebt sich dadurch von automatisierbaren Aufgaben hin zu Aufgaben der Planung, Organisation und Evaluierung, wodurch der Lern- und Vorbereitungsaufwand, aber auch die Verantwortung deutlich steigen. Es kommt zu verstärktem Wett‐ bewerbs- und Preisdruck, der in Verbindung mit den Schwierigkeiten des RI für zusätzlichen Stress im Beruf sorgt. RI bedeutet darüber hinaus eine Isolierung vom Ort des Geschehens: Anstatt am Kongress aktiv vor Ort beteiligt zu sein, sitzt die Dolmetscherin zuhause vor dem Bildschirm in einer virtuellen Kabine. Reisen und Auslandsaufenthalte, zufällige Gespräche, Interaktion mit Konfe‐ renzteilnehmer: innen sowie Kontakte zu wichtigen Persönlichkeiten außerhalb der zu dolmetschenden Reden fallen weg und viele Dolmetscher: innen, die sich unter anderem auch aus solchen sozialen Gründen für den Beruf entschieden haben, würden dies bei ausschließlichem RI nicht mehr tun. Neben dieser Art der Entfremdung (vgl. Marx 1844 / 2017) von anderen Menschen bzw. vom menschlichen Gattungswesen durch das RI fügt die maschinelle Übersetzung beim S2 ST die Entfremdung vom Produkt hinzu, das der Algorithmus ohne Zu‐ gabe des Menschen fertigt, bzw. ohne kreativen Umgang des Menschen mit Sprache aus Versatzstücken bestehender Übersetzungen zusammenstellt. Diese vom Menschen produzierten Übersetzungen werden lediglich im Trainingssta‐ dium des maschinellen Übersetzungssystems und daher unabhängig vom Zeit‐ punkt des automatischen Dolmetschens eingebunden. Noch dazu ist den Be‐ nutzer: innen eines solchen Systems nicht bekannt, von wem, wann und unter welchen Bedingungen die zugrundeliegenden Übersetzungen zustande ge‐ kommen sind. Zur Entfremdung vom Werkzeug, das andere herstellen, kommt damit auch die Entfremdung von der eigenen Tätigkeit, die durch die Maschine aus der Arbeit unbekannter anderer entsteht. Grundsätzlich führt das maschi‐ nelle Übersetzen zu einem ungelösten Konflikt zwischen Mensch und Maschine, da kein System ohne Daten, d. h. ohne menschliche Übersetzungen, funktio‐ 40 Peter Sandrini nieren kann. Damit ist die Maschine gerade von dem abhängig, was sie vorgibt zu ersetzen. Translation als Remix aus Input-Daten (vgl. Sandrini 2013) ist eigentlich nichts Neues, hatte doch schon Nida (1959) angesichts komplexer Äquivalenz‐ beziehungen Informationsverlust, Informationsgewinn und Informationsände‐ rung als Konstanten des Übersetzens beschrieben (Prunč 2012: 104). Ein maschi‐ nelles Übersetzungssystem kann Informationen ausschließlich aus bestehenden Übersetzungen lernen und keine anderen Informationsquellen wie Kontext und Skopos einbeziehen, wodurch Informationsverlust und Informationsänderung, gewollt oder ungewollt, immer wieder vorkommen. Was die Maschine aber grundsätzlich nicht kann, ist eine an den Kommunikationszweck angepasste Informationsanreicherung. Darin liegt die Stärke des Menschen, die durch eine entsprechende Ausbildung gewährleistet werden muss. 5 Erweiterung der Anforderungsprofile Die besten Zukunftsaussichten werden allgemein zwei Arten von Tätigkeiten zugesprochen: Zunehmender Technologieeinsatz erfordert erstens hochspezia‐ lisierte Arbeitskräfte, die mit Daten umgehen können und entsprechende Qua‐ lifikationen besitzen: „Data analysts, which companies expect will help them make sense and derive insights from the torrent of data generated by techno‐ logical disruptions“ (World Economic Forum 2016 zitiert in Wörwag & Cloots 2018: 46). Dies gilt auch für die Translation: Alle Arten von Daten, die im Zu‐ sammenhang mit Übersetzungen und Mehrsprachigkeit anfallen, von Transla‐ tion-Memories über Terminologie und Textkorpora bis hin zu Segmentierungs‐ regeln und Auftragsspezifikationen (Melby et al. 2013), müssen für eine optimale Nutzbarkeit in verschiedenen Formaten aufbereitet, gespeichert und verwaltet werden. Eine weitere zukunftsträchtige Tätigkeit liegt darin, komplexe Dienst‐ leistungen und technologische Angebote verständlich zu machen und eine be‐ ratende Vermittlerrolle zwischen automatisierter Produktion und Kund: innen einzunehmen: To become skilled in commercializing and explaining their offerings to business or government clients and consumers, either due to the innovative technical nature of the products themselves or due to new client targets with which the company is not yet familiar, or both. (World Economic Forum 2016 zitiert in Wörwag & Cloots 2018: 46) Gemeinsam ist beiden Tätigkeiten, dass es sich um kreativ-gestaltende Arbeit handelt, die sich von der reinen Produktion emanzipiert hat. Genau in diese 41 Von Kommunikationsprothesen zu Wegbereitern der Mehrsprachigkeit Richtung sind die neuen Kompetenzen moderner Sprachdienstleister: innen zu definieren: Den Kommunikationsprozess zu planen und zu gestalten, den Ziel‐ text mit kontextspezifischen Informationen anzureichern, damit die zentrale Aufgabe, effiziente Kommunikation zu gewährleisten, erfolgreich übernommen werden kann. Furthermore, the space for the human translator will always stand where the question asked is not: ‚Is this a good translation? ‘ but rather ‚Is this effective communication? ‘, something that no machine will be able to answer for the foreseeable future. (Griffin-Mason 2018: 79) Effektive mehrsprachige Kommunikation wurde in den einzelnen Kommuni‐ kationsbereichen u. a. durch eine zunehmende Auffächerung und Diversifizie‐ rung der zentralen Aufgabenbereiche angestrebt. Bei größeren Übersetzungs‐ aufträgen ist eine vertikale Diversifizierung bereits Standard: Projektmanager: innen, Übersetzer: innen, Korrektoren: innen, fachliche Prüfer: innen, Terminolog: innen übernehmen jeweils spezifische Aufgaben des Projektes. Daneben erfordert die Art der Berufsausübung jeweils eigene Vo‐ raussetzungen und Kompetenzen: Freischaffende, in ein Unternehmen integ‐ rierte Sprachdienstleister: innen, Sprachdienstleister: innen als Teil eines Teams oder eines Sprachendienstes, innerhalb einer öffentlichen Institution oder Or‐ ganisation angesiedelte Sprachdienstleister: innen benötigen jeweils spezifische Kompetenzen. Auf horizontaler Ebene lässt sich ebenfalls eine Aufsplitterung von Sprach‐ dienstleistungen in autarke Bereiche mit eigenen, spezifischen Anforderungen beobachten: Web- und Softwarelokalisierung, Untertitelung, Voice-Over, Syn‐ chronisierung, Konferenzdolmetschen, Gesprächsdolmetschen, Konsekutivdol‐ metschen, RI , RSI , Community Interpreting, literarisches Übersetzen, Über‐ setzen von Rechtstexten, Übersetzen von technischen Texten, mehrsprachige technische Redaktion, um nur die wichtigsten zu nennen. Diese zunehmende Segmentierung erschwert eine einheitliche Definition von Translationskompe‐ tenz. Zwei Alternativen bieten sich daher für eine Ausbildung im Bereich der Sprachmittlung an: Entweder sehr spezifisch auf einen der genannten Kommu‐ nikationsbereich zugeschnitten, mit einem exakt für diesen Aufgabenbereich definierten Kompetenzraster. In diesem Sinne sind in den letzten Jahren einige spezifische Ausbildungsgänge entstanden, etwa durch Auffächerung und Spe‐ zialisierung der Masterstudiengänge im Rahmen des Bologna-Prozesses, aber auch durch spezifische Postgraduate-Angebote. 42 Peter Sandrini Alternativ dazu könnte der Schwerpunkt auf allgemeine Problemlösungs‐ kompetenz durch Translation gelegt werden, fokussiert auf komplexe Problem‐ lösungskompetenz und spezifisch ausgerichtet auf das Vermitteln von kog‐ nitiv-kreativen Fähigkeiten im Bereich der Mehrsprachigkeit. Dazu stellt der Bericht der Weltbank 2019 Folgendes fest: Three types of skills are increasingly important in labor markets: advanced cognitive skills such as complex problem-solving, sociobehavioral skills such as teamwork, and skill combinations that are predictive of adaptability such as reasoning and self-effi‐ cacy. (Weltbank 2019: 3) Prozesse verstehen und planen, Wissen verarbeiten und kreativ einsetzen bleibt eine wesentliche Aufgabe des Menschen: „Insofern wird von Wissensarbeiter‐ Innen zunehmend strukturiertes, konzeptionelles, ideenreiches und prozessori‐ entiertes Arbeiten verlangt werden“ (Imbacher 2018: 38). Von Übersetzungspro‐ duzenten werden Sprachdienstleister: innen künftig zu „creative agents in the multilingual text production chain“ (Massey & Ehrensberger-Dow 2017: 304), da es Nachfrage vor allem nach „Transcreators, Spoken Content Specialists, Brand Ambassadors, Local Storytellers, Conversational Agent Consultants“ (Whitty 2019: 25) geben wird. Die Anforderungen an Absolventen: innen universitärer Ausbildungsgänge steigen dadurch erheblich und müssen sich für Themenbe‐ reiche wie kreatives Schreiben, internationales Marketing, Medienvielfalt und Projektmanagement öffnen: „If translators are to survive, they must make the transcreational turn” (Katan 2016: 378). Menschliche Fähigkeiten bleiben unverzichtbar, sie müssen nur an richtiger Stelle eingesetzt werden, und nicht durch sinnlose Konkurrenz mit den Pro‐ duktionsmöglichkeiten effizienter Maschinen verheizt werden. Eine Spaltung des Übersetzungsmarktes lässt sich davon ableiten: Ein zunehmend der Auto‐ matisierung und dem Preisverfall unterworfener Bereich der Produktion und ein wachsender Bereich des Managements, der Qualitätssicherung und der Be‐ ratung. For human translators and interpreters, and the companies that employ them, the surviving paid roles will be those that require soft skills and the application of quality markers beyond the scope of the machines. (Griffin-Mason 2018: 76) Letzterer ist nicht nur auf einzelne Übersetzungsaufträge oder Übersetzungs‐ projekte beschränkt. Organisationen, Unternehmen und Institutionen benö‐ tigen spezifisches Knowhow, wie Mehrsprachigkeit und Translation langfristig organisiert werden können. Dies beinhaltet vor allem den Einsatz von Techno‐ logie, aber auch Qualitätskontrolle und Projektmanagement. Der Aufbau einer 43 Von Kommunikationsprothesen zu Wegbereitern der Mehrsprachigkeit geeigneten translatorischen Infrastruktur mit der Planung von Software, Da‐ tenmanagement, Projekt- und Qualitätsrichtlinien sowie Personalplanung be‐ dingt entsprechende Entscheidungen, die unter den Begriff der Translations‐ politik zusammengefasst werden können. Translationspolitik wird nicht nur als der gesetzlich vorgegebene Rahmen für Translation verstanden (vgl. Meylaerts 2011: 165), sondern beinhaltet jedes bewusste und / oder unbewusste Gestalten bzw. Steuern von Translation unabhängig von einzelnen Personen sowie unab‐ hängig von spezifischen Übersetzungen oder Übersetzungsaufträgen (Sandrini 2019: 67). Translationspolitische Entscheidungen wirken sich auf die Infra‐ struktur, die Ausbildung und die Praxis aus und spielen überall dort, wo Mehr‐ sprachigkeit durch Translation bewältigt werden muss, insbesondere auch in Gebieten und Organisationen mit offizieller Mehrsprachigkeit, eine wichtige Rolle. Dies stellt umfassende Herausforderungen an das Kompetenzprofil von Sprachdienstleister: innen, die zu Sprachberater: innen bzw. ‚Language Advisors‘ (Melby & Hague 2019) und Expert: innen der Translationspolitik ausgebildet werden. 6 Ausblick Der Mensch wird erst durch den wohlüberlegten Einsatz der technologischen Möglichkeiten zum Problemlöser. In diesem Sinne wird Technologie in all ihren Formen sowohl für das Übersetzen als auch für das Dolmetschen künftig eine natürliche Erweiterung seiner Fähigkeit (vgl. Clark 2003) darstellen, mit Mehr‐ sprachigkeit umzugehen. Das Vermitteln der dazu nötigen Kompetenzen ersetzt die einseitige Ausbildung zu Produzent: innen von Übersetzungen oder Dolmet‐ schleistungen. Auf das spezifische Knowhow der Sprachdienstleister: innen kann auch angesichts der technologischen Neuerungen kaum verzichtet werden. Eine optimistische Sichtweise in die Zukunft lässt Sprachdienst‐ leister: innen damit von lästigen, als notwendiges Übel angesehenen Kommuni‐ kationsprothesen zu freudig eingesetzten Wegbereitern und Katalysatoren einer bewusst gewählten, gewinnbringenden Mehrsprachigkeit werden. 44 Peter Sandrini Literatur Arendt, Hannah (1960). Vita activa oder Vom tätigen Leben. Stuttgart: Kohlhammer. AIIC (2019). AIIC Position on Distance Interpreting. International Association of Con‐ ference Interpreters. Abrufbar unter: https: / / aiic.org/ document/ 4837/ AIIC_position_ on_TFDI_05.03.18.pdf (Stand: 11 / 12 / 2020) Biau-Gil, José Ramón / Pym, Anthony (2006). Technology and translation (a pedagogical overview). 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Als sozio‐ linguistisch orientierte Grundlage für die beobachtbaren translationskultu‐ rellen Verschiebungen beleuchtet der Beitrag die Rolle multilingualer Kontexte für die Möglichkeiten mehrsprachigen Ausdrucks aber auch für ein potentiell gesteigertes Bewusstsein mehrsprachigen Kommunikationsbedarfs in superdiversen Gesellschaften. 1 Spracherleben und mehrsprachige Sprecher: innen Sprecher: innen, mit ihrem diversen, auch mehrsprachigen Spracherleben, ge‐ stalten ihren Alltag in verschiedenen Sprachen und Sprachformen, sprechen mit ihren Eltern anders als mit ihren Kolleg: innen, auf Ämtern anders als im Verein oder in der Glaubensgemeinschaft. Die Kriterien der nur wenig bewussten Sprachwahl in bestimmten Situationen werden selten explizit formuliert, und folgen doch komplexen Regeln, die im Laufe eines Lebens erworben werden und sich je nach Biographie verändern. Selbst Sprecher: innen, die sich als einspra‐ chig verstehen, nutzen interaktions- und situationsadäquat verschiedene Teile ihres sprachlichen Repertoires: Fachbegriffe oder Kosewörter, Dialekte, Um‐ gangs- oder Standardsprachen, aber auch bedeutungstragende nonverbale Ele‐ mente. Das sprachliche Repertoire (Busch 2017a, b) umfasst alle diese Res‐ sourcen, die Sprecher: innen in ihrem Alltag zur Verfügung stehen oder aber als symbolische Ressourcen von Bedeutung sind. Es ergibt sich aus individuellen 1 Siehe www.heteroglossia.net (Zugriff April 2020). Voraussetzungen und Vorlieben wie auch aus geteilten Vorerfahrungen, biogra‐ phischem Spracherleben, aber auch ideologisch geprägten Einschätzungen und Imaginationen von geteiltem Wissen oder divergierender Kompetenz bezüglich Sprachen. Es setzt die verschiedenen Einflüsse und Erlebnisse miteinander in Beziehung und ist daher keine Werkzeugkiste, deren Elemente sich nicht beein‐ flussen, sondern ein gewachsenes, dynamisches Gefüge, das für Veränderungen offen bleibt. Forschungen zu mehrsprachigem Erleben haben sich in den letzten Jahren mit den von Sprecher: innen erlebten Wechselwirkungen zwischen Sprachen und Gesellschaft beschäftigt 1 : Ziel dabei war / ist, zu verstehen, wie sich Spre‐ cher: innen mit ihren Sprachen fühlen, welche ihnen als Ressource dienen, aber auch welche Erlebnisse von Ausgrenzung oder Konflikten sie damit verbinden. In meiner eigenen Forschung stehen Familien und Bildungskontexte im Zentrum, wobei ich besonders die Frage interessant finde, wie sich Spre‐ cher: innen ihre sprachliche Zukunft ausmalen und wie das ihre gegenwärtigen Entscheidungen beeinflusst. Am Beispiel einer Sprecherin aus einem aktuellen Projekt zu deutschsprachigen Familien in Norwegen (Purkarthofer & Steien 2019), soll hier mehrsprachiges Spracherleben illustriert und ein Beispiel für die komplexen Zusammenhänge des linguistischen Repertoires gegeben werden: Abb. 1: Bild Sprachporträt Frau A ist als junge Erwachsene mit ihrem Partner aus beruflichen Gründen von einem DACH -Land nach Norwegen ausgewandert, wo sie mit ihren zwei Kin‐ 50 Judith Purkarthofer 2 Die Interviewexzerpte werden im Sinne der Lesbarkeit orthographisch bearbeitet wie‐ dergegeben. / steht für Abbruch oder Reformulierung, DIESE Großbuchstaben für be‐ sondere Betonung. Beistriche / Punkte stehen für kurze Pausen. dern leben. Ihre Sprachbiographie beginnt mit dem Zeichnen eines Sprachport‐ räts (Busch 2017a), indem sie die Sprachen, die für sie relevant sind, in eine leere Körpersilhouette einzeichnet und beschreibt, in welchem Verhältnis diese zuei‐ nanderstehen bzw. mit welchen Emotionen diese verbunden sind. Deutsch, Englisch und Norwegisch werden als die Sprachen ihres Alltags zentral im Kopf und Körper positioniert. Frau A beschreibt, wie jede dieser Sprachen eine be‐ sondere Bedeutung für sie hat - die bildliche Darstellung übereinander oder parallel steht also nicht für Austauschbarkeit, sondern für die sprachliche Funk‐ tion, die nur durch das Zusammenwirken der Sprachen erfüllt werden kann. Als mehrsprachige Sprecherin in einem Beruf, der sehr großen kommunikativen Anteil hat, beschreibt Frau A im folgenden Ausschnitt ihre Wahrnehmung als mehrsprachige Sprecherin, mit einem besonderen Fokus auf Sprecher: innen der Mehrheitssprache, u. a. ihre Kolleg: innen in der Arbeit: Exzerpt 1 2 : Vielleicht [erlebe ich das, Anm.] auch, weil ich so aussehe wie ich aussehe und Norwegisch spreche, also ich mein jeder hört, dass ich Ausländer bin, aber trotzdem, ich sprech natürlich gut und, dass eigentlich der Umstand, dass ich Migrant bin, ist etwas was grundsätzlich nicht wahrgenommen wird, also die meisten Leute denken NIE daran, dass ich jeden Tag mit denen ja‚ ne Fremdsprache sprech. Und das ist schon ok, aber ich finde manchmal/ also das hat ja sehr viele Vorteile, aber ich finde der Nachteil ist, sozusagen, das eigene Migrantendasein ist so mein Privatvergnügen. Die hier formulierte Wahrnehmung macht zwei Aspekte des Spracherlebens deutlich, einmal die erlebte Einordnung oder auch Nicht-Einordnung als Mig‐ rantin und zweitens die Anstrengung des Agierens in einer Zweit-, Dritt- oder Viertsprache und die Nicht-Wahrnehmung dieser Anstrengung durch Kolleg: innen. Während Frau A sich des Privilegs einer gewissen Unsichtbarkeit sehr bewusst ist (u. a. wenn sie die Vorteile erwähnt), formuliert sie doch auch eine Unzufriedenheit, die sich aus der Unkenntnis (und der von ihr empfun‐ denen Interesselosigkeit an) ihrer Situation speist. Neben den drei Sprachen im Zentrum stehen auf der linken Seite im Porträt außerdem die Sprachen, die Frau A selbst in der Schule erlernt hat. In Rahmen des Projekts, in dem ich mit Frau A spreche, steht mehrsprachiges Familienleben im Zentrum und dementsprechend ist auch die eigene Herkunftsfamilie rele‐ vant. Aber auch die Sprachen der Arbeit werden immer wieder thematisiert. Frau A ist jedoch die einzige TeilnehmerIn, die in ihrem Sprachporträt gedol‐ metschte Sprachen erwähnt: Auf der rechten Seite sind jene Sprachen aufge‐ 51 Spracherleben, Verständigung und Kommunikationsbedarf in multilingualen Kontexten führt, die ihr in ihrem Beruf teilweise nur durch Dolmetschung zugänglich werden: Somali, Farsi, Pashto, Dari, Thai, Französisch und Englisch. Dabei sind Norwegisch und Englisch als Sprachen aufgeführt, in die gedolmetscht wird bzw. die als Verständigungssprachen mit Sprecher: innen anderer Sprachen ge‐ nutzt werden. Im weiteren Verlauf des Gesprächs kommt die Rede auf Fragen der Sprach‐ wahl und unter anderem auch auf die Entscheidung für eine zweisprachige Schule für die eigenen Kinder. Exzerpt 2: Wenn wir jetzt an der norwegischen Schule wären, dann wär halt/ unser Sohn würde da halt mitlaufen [mhm] und dass wir halt jetzt Migranten sind, das wär halt so ein bißchen 'ja mei' und in der deutschen Schule sind ja alle Migranten, [mhm] oder nicht mal, viele sind ja auch diese Expatriots, ja aber, auf jeden Fall aber alle leben irgendwie nicht zuhause und das find ich unglaublich, also sowohl sprachlich [mhm] find ich das angenehm, weil man halt zum Beispiel schon Verständnis dafür hat, dass man mehrere Sprachen spricht, und so, aber auch einfach so/ als so ‚ne Bewusstheit, dass sozusagen das nicht selbstverständlich ist, dass ich Sachen mach wie du. Die Unsichtbarkeit, die Frau A in Bezug auf ihre eigene Position wahrnimmt, antizipiert sie auch für die Kinder: In einer (nur) norwegischsprachigen Schule würden sie einfach wie alle anderen sein. Dies stützt sie auch auf bisherige Er‐ fahrungen aus dem norwegischsprachigen Kindergarten, in dem der sprachliche Hintergrund ihres Kindes kaum wahrgenommen wurde. Als ein relevanter Faktor für die Wahl der deutsch-norwegischen Schule wird also das geteilte Spracherleben der Migrationserfahrung gesehen, das abstrahiert wird zu einer generellen größeren Offenheit der zweisprachigen Schule gegenüber dem mehr‐ sprachigen Alltag der Familien. Und schließlich auch gegenüber unterschiedli‐ chen Lebensentwürfen. 2 Mehrsprachige Kontexte Diese kurzen Gesprächsausschnitte geben bereits Einblicke in die zahlreichen Weisen, wie sich mehrsprachige Kontexte für Sprecher: innen gestalten: in der Familie, in Arbeit oder Schule, in der Wohnumgebung, um nur einige zu nennen. In allen diesen sozialen Räumen beeinflussen spezifische sprachliche Erwar‐ tungen und Anforderungen die sprachliche Wahl von Sprecher: innen, aber auch ihre Möglichkeiten und eventuelle Bedürfnisse nach Dolmetschung. In der linguistischen Forschung lassen sich an der Begriffsgeschichte des ‚Kontexts‘ relevante Paradigmenwechsel feststellen, da die Verschiebungen der als relevant erachteten Analyseeinheiten immer auch mit einem veränderten 52 Judith Purkarthofer Verständnis von Kontext einhergingen. Duranti & Goodwin (1992) fassen vier Aspekte von Kontext zusammen: setting, behavioural environment, language as context und extrasituational context. Sie weisen darauf hin, dass neue Kontexte sich aufgrund veränderter Aktivitäten ergeben (neue Tätigkeiten, Orte, etc.), aber auch, indem im Gespräch verschiedene Kontexthinweise (zeitliche, räum‐ liche Orientierung durch sprachliche und nonverbale Mittel) gegeben werden. Damit sind Kontexte also nicht per se gegeben, sondern werden von handelnden Sprecher: innen bewusst oder unbewusst gestaltet. Schon Malinowski bezog sich in frühen Arbeiten (2002 [1935]) auf den Kontext einer Situation als relevant für das Verständnis sprachlichen Handelns und soziolinguistische Studien haben zunehmend die Bedeutung des sozialen Kontexts wahrgenommen. Goffman (1980) hat diese interaktionale Arbeit als framing bezeichnet, das dazu dient, Gesprächsbeiträge in ein verständliches Format zu bringen, auf die Wissens‐ stände der Interaktanten einzugehen und eventuell notwendige Kontexthin‐ weise zu geben. Schließlich geben Duranti & Goodwin aber auch noch ein Beispiel, das die Abgrenzung zwischen Sprecher: innen und Kontext problematisiert: Der Blin‐ denstock, den ein Mann verwendet, kann als Teil des Kontexts verstanden werden. In dem Maß, wie der Stock aber der verlängerten Sinneswahrnehmung dient, kann er als Teil des Sprechenden gelesen werden. Die Mittel, die uns als Sprechenden zur Verfügung stehen, um uns in einem bestimmten Kontext zu bewegen, sind also analytisch nicht leicht zu erfassen. Die Autoren kommen zu dem Schluss: „One of the great difficulties posed in the analysis of context is describing the socio-historical knowledge that a participant employs to act within the environment of the moment“ (Duranti & Goodwin 1992: 4 f.). In mehrsprachigen Kontexten stellt sich die Frage nach dem Bedarf an Wissen oder Kenntnissen mit noch größerer Dringlichkeit, unter anderem, weil die sprachlichen Repertoires von Sprechenden nicht gleichartig gestaltet sind. An‐ nahmen von speech communities (Gumperz 1964), also Gruppen von Spre‐ cher: innen, die regelmäßig über längere Zeiträume in relativ stabilen Zusam‐ menhängen agieren, gingen von relativ geteilten Repertoires aus. Aktuelle Befunde sehen hingegen, dass Sprecher: innen sich in diversen Gesellschaften bewegen und in lokaler Umgebung, ebenso wie über medial vermittelte größere Entfernung Kontakte in verschiedenen Sprachen pflegen und daher Anteil an mehreren communities haben, von denen nur wenige unmittelbar sichtbar sind (Kramsch & Zhu 2020). Im nächsten Abschnitt möchte ich an einigen Beispielen aufzeigen, wie sich mehrsprachiger Kommunikationsbedarf in bestimmten Kon‐ texten zeigt, wissend, dass diese Auswahl niemals der Komplexität menschlicher Lebenswelten entsprechen kann. 53 Spracherleben, Verständigung und Kommunikationsbedarf in multilingualen Kontexten 3 Kommunikationsbedarf in diversen Gesellschaften - Beispiele aus der Praxis Forschung zu mehrsprachigen Sprecher: innen geht davon aus, dass die meisten Menschen im Alltag in verschiedenen Sprachen (oder auch Sprachformen einer Sprache) interagieren, sich in mehreren sozialen Räumen bewegen und sich dabei in vielen Bereichen entspannt und gut ausgestattet fühlen. In anderen Bereichen bedarf es jedoch sprachlicher oder kommunikativer Unterstützung, und bisweilen sind diese Interaktionen sogar schambehaftet, etwa wegen als defizitär wahrgenommener sprachlicher Voraussetzungen. Die folgende Aus‐ wahl von Kommunikationskontexten gibt demgemäß ein Kontinuum wieder: Es reicht von lebensweltlicher Mehrsprachigkeit in Familien zu Sprachentschei‐ dungen von Gemeinschaften, in denen Minderheiten oder Mehrheitssprachen vertreten sind. In anderen Fällen muss der Zugang zu sprachlichen Ressourcen wieder erworben werden, wie bei ‚verlorenen / verdrängten‘ Kindheitssprachen in Fällen von Traumatisierung. Wiederum anders stellt sich die Situation für Menschen dar, die geflüchtet oder migriert sind, und sich nun in noch neuen sprachlichen Zusammenhängen wiederfinden. Dazwischen bzw. darum gibt es natürlich noch viele andere Kontexte, in denen sprachliches Handeln stattfindet und in denen Anforderungen unterschiedlicher Art an Sprecher: innen gestellt werden. Manche Kontexte, etwa in der Familie aber auch im Bereich traditioneller Minderheitensprachen, sind wenig prädestiniert für den Einsatz von Dolmet‐ schung. Auch der Einsatz von Sprachen, die als lingua franca verwendet werden können (in Österreich etwa oft Englisch), minimiert etwa im Feld von Journa‐ list: innen und Medien den sichtbaren Bedarf. In anderen hingegen ist der Bedarf von Dolmetschung mit großer Dringlichkeit gegeben: In jedem Fall können wir jedoch davon ausgehen, dass Dolmetschen in komplexen mehrsprachigen Kon‐ texten stattfindet, in denen sich alle Beteiligten ihrer linguistischen Repertoires bedienen, um gemeinsame kommunikative Ziele zu erreichen. 4 Vier Kontexte, viel Kommunikationsbedarf 4.1 Mehrsprachige Familien und lebensweltliche Mehrsprachigkeit Statistiken in europäischen Ländern, ebenso wie im DACH -Raum, bestätigen, dass nicht nur die Anzahl der verwendeten Sprachen pro Person steigt, sondern auch eine Diversifizierung der sprachlichen Ressourcen stattfindet. Exempla‐ risch führen die Zahlen der österreichischen Schulstatistik zu dem Schluss, dass ein Viertel aller Kinder in den Pflichtschulen im Alltag zusätzlich zu Deutsch 54 Judith Purkarthofer noch mindestens eine weitere Sprache verwendet ( BMB 2017), und ähnliches ist für Deutschland und die Schweiz anzunehmen. Das bedeutet also, dass in Familien mehrsprachige Praktiken an der Tagesordnung sind: in der alltäglichen Kommunikation in der Wohnumgebung, aber auch durch die größere Verfüg‐ barkeit medialer Formate des unmittelbaren Austauschs mit Verwandten und Freund: innen über größere Distanzen. Untersuchungen zu Familiensprachpoli‐ tiken zeigen, wie alltäglich sprachliches Handeln in mehr als einer Sprache in Familien verhandelt wird (siehe Special Issues von King & Lanza 2019 oder Lanza & Curdt-Christiansen 2018). Dolmetschung zwischen Familienmitgliedern und externen Personen findet meist durch Familienmitglieder statt und umfasst so‐ wohl Lautals auch Gebärdensprachen ( Johnson 2020). In den letzten Jahren konnten vor allem auch Studien zur Nutzung von On‐ line-Plattformen oder Kommunikationsapps zeigen, wie die sprachliche Gestal‐ tung von familiären Netzwerken sich in der Diaspora entwickelt (Lexander & Androutsoupoulos 2019). Am Beispiel polnischsprachiger Jugendlicher, die mit ihren Familien nach Norwegen migriert sind, zeigt Obojska (2017), wie die Tee‐ nager Englisch, Norwegisch und Polnisch nutzen, um sich in der Familie, aber vor allem auch als Produzent: innen von Videoblogs zu positionieren. Während das Norwegische vor allem durch die Schule sehr schnell die im Alltag relevan‐ teste Sprache wird und das Englische wie in vielen Bereichen als zukunftswei‐ sendes Kommunikationsmittel wahrgenommen wird, erfüllt das Polnische on‐ line eine wichtige Rolle (u. a. durch das im Vergleich zum Norwegischen potentiell viel größere polnischsprachige Publikum). Eine der befragten Jugend‐ lichen erlebt sich in diesem Sinn auch als Botschafterin, die für Jugendliche aus Polen aus einem neuen Land berichtet und sich zwar nicht als Dolmetscherin, aber doch als kommunikative Mittlerin erlebt. Kontext und Wissen um das er‐ reichte Publikum spielen dabei auch in virtuellen Räumen wie Foren und Kom‐ mentarbereichen noch eine wichtige Rolle (Szabla & Blommaert 2018). Relevant werden die von Deumert (2014) als mobile practices bezeichneten Kommunika‐ tionsformen, wenn sie aufgreifen, was Jacquemet (2005) als transidiomatische Praktiken beschrieben und Pennycook mit Sprache als lokal verortete Praxis theoretisiert hat (2010 sowie 2016). Sprecher: innen nutzen ihre mehrsprachigen Ressourcen parallel bzw. wechseln je nach Bedarf zwischen verschiedenen Spra‐ chen, Registern oder Sprachformen. Wunsch und Wirklichkeit sind dabei na‐ türlich nicht immer deckungsgleich, d. h. es ist durchaus wahrscheinlich, dass Sprecher: innen manche ihrer Ressourcen gern öfter nutzen würden, und sich andererseits zur Verwendung anderer eher gezwungen fühlen. Die Möglichkeit, in der eigenen Sprachwahl handlungsfähig zu bleiben (als agency in der For‐ schung untersucht), ist nicht nur individuell verhandelt, sondern stets auch an 55 Spracherleben, Verständigung und Kommunikationsbedarf in multilingualen Kontexten soziale Zusammenhänge gebunden. Dieser Bereich soll im nächsten Beispiel beleuchtet werden. 4.2 Veränderungen des Repertoires bei Sprecher: innen von heritage languages Die linguistischen Repertoires von Sprecher: innen verändern sich über die Zeit, durch individuelle Bewegung, durch Ausbildung oder Beruf und auch aufgrund sozialer Bewertungen verschiedener sprachlicher Ressourcen. Damit befinden sich Sprecher: innen mit ihren Sprachen bisweilen in der Mehrheit (etwa mit Deutsch in Österreich), aber auch manchmal in Situationen, in denen manche ihrer Sprachen Minderheitensprachen darstellen. Der Begriff heritage languages verweist auf das mehrsprachige Spracherleben der Sprecher: innen, das unab‐ hängig von der Zugehörigkeit zu einer (in einem spezifischen Gebiet rechtlich anerkannten) Gruppe ist. Der Status der Sprachen, etwa die traditionelle Un‐ terteilung in Regional- und Minderheitensprachen (wie etwa Slowenisch in Kärnten und der Steiermark oder Romani im Bundesgebiet) und Migranten‐ sprachen (wie etwa Türkisch oder Polnisch) ist für manche Fragen natürlich nach wie vor relevant, erscheint in der Komplexität des Spracherlebens vielen aber nicht mehr passend. Sprecher: innen des Kärntner Slowenischen sind in Wien etwa nicht als Sprecher: innen einer Minderheitensprache anerkannt. Als Sprecher: innen von heritage languages können also jene bezeichnet werden, die aufgrund ihrer eigenen oder der mehrsprachigen Biographie ihrer Familie mit Sprachen aufwachsen, die nicht die Mehrheitssprache in ihrer Umgebung dar‐ stellen. Dabei kann auch Deutsch, etwa in den USA , eine heritage language sein. Die Vielfalt der Sprachen und die Diversität der mehrsprachigen Situationen lassen schon erahnen, dass man sich hier keine homogene Sprecher: innen‐ gruppe vorstellen kann - aber auch, dass es keine einfachen Linien zwischen sprachlich homogen imaginierten Gruppen gibt. Sprachwechsel oder auch Spracherhalt, der üblicherweise nicht alle sprachlichen Aspekte, sondern be‐ stimmte Interaktionen und Situationen betrifft, sind relevante Themen für Spre‐ cher: innen, deren Familienbiographien mehrsprachig verlaufen: Unter welchen Umständen sehen sich Eltern in der Lage, Sprache weiterzugeben und unter welchen Umständen werden Sprecher: innen ihre verschiedenen Ressourcen ausbauen oder weiter nutzen? Der US -amerikanische Anthropologe Paul Kros‐ krity (2018) stellt am Beispiel von zwei indigenen Gemeinschaften dar, wie sich Sprachideologien, also die Vorstellung, welche Sprachen zukunftsweisend, welche unabdingbar und welche eventuell mit Erfahrungen von Unterdrückung verbunden sind, auf den Erhalt von Sprachen auswirken. In jenem Dorf, das in der eigenen indigenen Sprache Möglichkeiten für zukünftige Projekte, u. a. 56 Judith Purkarthofer nachhaltigen Tourismus, sah, wurde der Weitergabe und Verwendung größerer Stellenwert eingeräumt. Er unterstreicht aber auch, dass diese Ideologien nicht notwendigerweise von allen geteilt werden bzw. dass auch einander widerspre‐ chende Ideologien zur selben Zeit koexistieren können und je nach Bedarf ak‐ tiviert werden. Für den Sprachunterricht, aber auch für Institutionen und Be‐ hörden ist ein Verständnis der hegemonialen Sprachideologien von großer Bedeutung, können sie doch erklären, warum sich Sprecher: innen etwa im Kon‐ takt mit Behörden nicht ihrer Erstsprachen, sondern z. B. ehemaliger Kolonial‐ sprachen bedienen bzw. generell die Sprachwahl in verschiedenen Situationen nicht nur utilitaristisch motiviert ist. Gleichzeitig stärken Initiativen, die z. B. Dolmetschung aus Erstsprachen ermöglichen und diese nicht als nur lokal re‐ levante Dialekte abqualifizieren, das Ansehen von Heritagesprachen und trans‐ portieren auch die Botschaft, dass diese gesehen und gehört werden (können). Für manche Sprecher: innen erscheint die Verwendung ihrer Erst- oder He‐ ritagesprachen an einem bestimmten Punkt unmöglich, etwa als Folge traum‐ atischer Erfahrungen. Busch und Reddemann (2013) beschreiben den Fall einer Frau, die als Kind die Sprache ihres kriegstraumatisierten Vaters eng verbunden mit Misshandlungen erlebte und sich daraufhin in andere Sprachformen zu‐ rückzog bzw. versuchte, die Familiensprache so vollständig wie möglich zu ver‐ drängen. Im Zuge einer therapeutischen Behandlung konnten andere sprach‐ liche und kommunikative Ressourcen, etwa spirituelle Ausdrucksformen und auch Kommunikation mit Tieren, aktiviert werden und über diese gewählten Mittel konnte dann auch die Sprache der Kindheit wieder zugänglich werden. Auch in therapeutischen Settings ist die Bedeutung von Sprachen also zu ver‐ handeln und auch die Erstsprache bietet bisweilen nicht privilegierten, sondern im Gegenteil sehr problematischen Zugang. 4.3 Zugang zu neuen kommunikativen Ressourcen - gewollt oder erzwungen Durch individuelle Mobilität aber auch veränderte Rahmenbedingungen finden sich Sprecher: innen in Situationen, in denen sie für sie neue sprachliche Res‐ sourcen erschließen möchten oder müssen. Im Fall von Gerichten oder Be‐ hörden, die mit Asylangelegenheiten oder Aufenthaltsrechtssachen befasst sind, aber auch im Gesundheitswesen sind diese Ressourcen ausschlaggebend für das weitere Wohlergehen (Pöllabauer 2013). Bereits Duranti & Goodwin (1992) be‐ schreiben die Herausforderungen, die das Gesprächsereignis Verhandlung an die Beteiligten stellt und aktuelle Forschung zu Dolmetschungen in Gerichts‐ verfahren (Inghilleri 2011, für Österreich auch Dorn et al. 2014) unterstreicht diese Analysen: Handlungsmöglichkeiten, Rederecht und Informationserhalt 57 Spracherleben, Verständigung und Kommunikationsbedarf in multilingualen Kontexten sind unmittelbar an Zugang zu den relevanten sprachlichen Ressourcen ge‐ bunden, entweder durch Dolmetschung, durch Beratung oder eigene Kennt‐ nisse. Für mehrsprachige Sprecher: innen, die auf ein einsprachig vorgestelltes System treffen, ergeben sich Schwierigkeiten aus der ungenügenden Passung und viele schildern ihr Erleben von unzureichender Ausstattung (Maryns 2005). Für Dolmetscher: innen bietet wiederum die Rolle als gate-keeper (Pöllabauer 2012) besondere Herausforderungen. Das wiederholte Erleben von kommuni‐ kativen Ausschlüssen stellt einen wesentlichen Faktor dar, warum mehrspra‐ chige Sprecher: innen gegenüber manchen Sprachen aber auch Kommunikati‐ onssituationen Widerstände entwickeln. In der Frage, wie Zugang zu sprachlichen Ressourcen selbstbestimmt erfolg‐ reich sein kann, können wir von Initiativen wie Community Medien (Steinert et al. 2006, COMMIT 2016) lernen: In der Studie Spaces of Inclusion (Bellardi et al. 2018) standen die Vermittlungsleistungen im Zentrum, die sich durch Mit‐ arbeit und Engagement in nicht-kommerziellen Medieninitiativen ergeben. Dabei waren unerwartete sprachliche Allianzen zu beobachten, die vor allem die Relevanz situationsadäquater Angebote unterstrichen. Translokale sprach‐ liche ‚Mittlungshilfen‘ (etwa in Form von Onlinewörterbüchern) nehmen Ein‐ fluss auf das mehrsprachige Erleben von Sprecher: innen, aber auch die erlebte Verbindung von aktueller Umgebung und Herkunftsland. Für Menschen, deren Lebensmittelpunkt sich erst kürzlich verlagert hat, können transnationale Me‐ dienangebote demgemäß auch eine über das Internet hergestellte Verbindung zu bisherigen sozialen Netzwerken sein. Als besonders relevant hat sich in diesem Zusammenhang der selbstbestimmte Umgang mit Anfragen, aber auch die Möglichkeit und nicht Verpflichtung zu sprachlicher Unterstützung heraus‐ gestellt. Fachliche Kenntnisse und Expertisen können leicht durch unbedachte Angebote, die auf sprachliche Hilfestellung abzielen, entwertet werden - gleich‐ zeitig beschreiben Trainer: innen in den Freien Radios aber auch, dass gerade Informationstage und Workshopangebote sprachlich herausfordernde Situati‐ onen darstellen, in denen Mittlung, aber auch Zeitreserven und die Bereitschaft zur gemeinsamen Kommunikation notwendig für das Gelingen der Angebote sind. Aus Rückmeldungen von Teilnehmer: innen lässt sich schließen, dass Per‐ sonen ihre fehlenden Sprachkenntnisse als Hindernis erleben und als erfolglos beurteilte Interaktions- oder Bildungsangebote sich in der Wiederholung sehr demotivierend auf weitere Angebote und Unternehmungen auswirken. Für An‐ bieter: innen von Kursen stellt sich also die praktische Frage, wie Kommunika‐ tions- und Vermittlungsbedarf realistisch eingeschätzt, aber vor allem auch si‐ tuationsadäquat organisiert werden kann. 58 Judith Purkarthofer 5 Verständigung in mehrsprachigen Gesellschaften Wir sehen, wie divers sich der Zugang zu mehrsprachigen Kontexten gestaltet, wenn wir an die kommunikativen Bedürfnisse mehrsprachiger Jugendlicher denken, die sich über mediale Kanäle als Sprecher: innen verschiedener Sprachen ausprobieren, oder auch an Medienmacher: innen, die im Rahmen ihrer ehren‐ amtlichen Tätigkeit Zugang zu sprachlichen Ressourcen erhalten, während sie wiederum als Akteure des Zugangs für Neuankömmlinge wirken. Sprache wirkt dabei als interaktives Phänomen, nicht nur als Medium einer Botschaft, sondern als komplexer Träger von Bedeutung und sozialer Bewertung. Die Anforde‐ rungen an sprachlichen Austausch, und noch mehr an Dolmetschung, sind also zu lesen in einem Verständnis davon, nicht zwischen zwei Sprachen, sondern zwischen Kommunikationskulturen zu übersetzen, in der ganz in Prunčs (2017) Überzeugung relevant wird, dass alle Handelnden an der Aushandlung beteiligt und für die Rahmenbedingungen verantwortlich sind. Kommunikationspraktiken verändern sich mit den veränderten Bedürf‐ nissen, teilweise in rasanter Geschwindigkeit, während die prinzipiellen An‐ sprüche an gelungene Kommunikation sich wenig ändern. Die gesellschaftliche Bewertung von Sprachen, Verständigung und Mehrsprachigkeit hat hingegen über die Zeit doch entscheidende Veränderungen erfahren. Unter den relevan‐ testen Herausforderungen ist wohl die Abkehr von der Vorstellung, dass eine einzige gemeinsame Sprache als Garant für gelungene Kommunikation gesehen werden kann. Forschung im Bereich Translation, aber auch zur institutionellen Kommunikation, war u. a. ausschlaggebend dafür, zu verstehen, dass sprachliche Bedürfnisse nicht standardisiert zu beantworten sind und Verständnis nur in‐ teraktiv und damit kontextsensitiv geschehen kann. Für die Forschung bedeutet das auch, zu überdenken, mit welchen Benennungen oder Gruppenvorstel‐ lungen wir agieren, wo wir Sprecher: innen agency über ihre eigene sprachliche Zugehörigkeit einräumen - und etwa wahrnehmen, dass mehrsprachige Spre‐ cher: innen bisweilen in ihrer Mehrsprachigkeit wahrgenommen, aber nicht dauerhaft und unabwendbar damit identifiziert werden möchten - und welche Vorstellungen von Sprachkenntnissen wir einsetzen und als ‚gut genug‘ akzep‐ tieren. Literatur Bellardi, Nadia / Busch, Brigitta / Hassemer, Jonas / Peissl, Helmut / Scifo, Salvatore (2018). 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Abschließend wird im Ländervergleich die audio- und videoba‐ sierte Translationskultur umrissen. 1 Vielfalt durch Technik Ereignisse wie wirtschaftliche Krisen und gesellschaftliche Umbrüche sind die treibende Kraft des technischen Wandels beim Dolmetschen. Fantinuoli (2018b) nennt in Bezug auf die Dolmetschpraxis folgende Meilensteine: 1) die Etablie‐ rung der Simultandolmetschanlagen nach den Nürnberger Prozessen, 2) Kom‐ munikation und Austausch über das Internet, 3) Entwicklung technikgestützter Dolmetschformen sowie dolmetschrelevanter Technik - Computer-assisted in‐ terpreting tools ( CAI -Tools). Im Zuge der dynamischen Entwicklungen der letzten fünf Jahre können zwei weitere geopolitische Ereignisse, die den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien ( IKT ) in der interperso‐ nalen Kommunikation deutlich verstärkt haben, hervorgehoben werden. Zum 1 Bedingt durch Kriegshandlungen im Nahen Osten stieg der Bedarf nach nichteuropäi‐ schen Sprachen wie beispielsweise Arabisch, Farsi, Dari. einen wurde die Sprachenlandschaft durch starke Migrationsströme in den Jahren 2015 und 2016 geprägt 1 . Zum anderen hat die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung, verursacht durch die weltweite Covid-19-Pandemie, gezeigt, wie die Kommunikationskultur maßgeblich verändert werden kann. Aufgrund der Ansteckungsgefahr durch das Virus wurde im DACH -Raum in Einrichtungen des Gerichts-, Sozial- und teilweise auch Gesundheitswesens zunehmend das Ferndolmetschen als Alternative zum Dolmetschen vor Ort eingesetzt. Als einer der Wegbereiter der allgemeinen Translationstheorie stellte bereits Kade fest, dass aufgrund des kontinuierlich steigenden Bedarfs an Sprachmitt‐ lung eine „Intensivierung und Effektivierung“ (Kade 1980: 10) des Angebots not‐ wendig ist, die unter anderem mit der „Schaffung praxisgerechter und praxis‐ wirksamer Hilfsmittel bis hin zu automatischen Übersetzungshilfen“ (Kade 1980: 11) zu bewältigen ist. Trotz großem Interesse seitens der Auftrag‐ geber: innen war lange Zeit der Einsatz von Ferndolmetschtechnik für Dolmet‐ scher: innen nicht vorstellbar (vgl. Mouzourakis 2003). Jüngste Entwicklungen brachten aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung der Dolmetschpraxis eine Vielfalt an technikgestützten Dolmetschformen hervor. Hiervon umfasst sind sowohl dolmetschrelevante Arbeitsprozesse in der Vor- und Nachbereitung unterstützt durch CAI Tools (vgl. Kalina & Ziegler 2015, Fantinuoli 2018a) als auch die Wiedergabe des Ausgangstextes per Video oder Audio aus der Ferne (vgl. Braun & Taylor 2012), die schriftliche Wiedergabe eines gesprochenen Textes beim Schriftdolmetschen (vgl. Platter 2019) oder als Live-Untertitelung mittels automatischer Spracherkennung (vgl. Romero-Fresco 2019). Selbst die Dolmetschausbildung ist auf den Technikeinsatz angewiesen. Mit der allge‐ meinen Digitalisierung nehmen Terminologiedatenbanken, digitale Notizenge‐ räte und andere Hilfsgeräte eine immer größere Rolle in der Dolmetschausbil‐ dung und -praxis ein. Schließlich ist auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz beim maschinellen Dolmetschen als technikgestützte Dolmetschform zu nennen. 2 Grundsätze der technikgestützten Dolmetschung Mit dem zunehmenden Einsatz der Ferndolmetschformen ist eine Auseinander‐ setzung mit den grundlegenden Unterschieden zwischen den verschiedenen Ausführungsarten erforderlich. Das video- oder telefonbasierte bidirektionale Dolmetschen verlangt aufgrund der technikbedingten Realisierungsform ge‐ 64 Ivana Havelka zielte und auf die jeweils eingesetzte Technik angepasste Dolmetschstrategien. Im Vergleich zum Dolmetschen vor Ort können für das audio- und videobasierte Dolmetschen folgende vier Grundsätze vorgeschlagen werden (Havelka 2020). Grundsatz: Anders als vor Ort Als kommunikative Handlung ist das Dolmetschen an die Realisierungsbedin‐ gungen des eingesetzten Kommunikationsmediums gebunden. Die technisch bedingte interpersonale Kommunikation unterliegt anderen Gegebenheiten als jenen vor Ort (vgl. Friebel et al. 2003: 4). Hierbei ist unter anderem der Einsatz von nonverbaler Kommunikation und Backchannel-Signalen als Feedback zur Wahrnehmungsbereitschaft zu nennen (vgl. Havelka 2018b: 114). Demzufolge ist das Dolmetschen aus der Ferne als eine eigene Dolmetschform zu verstehen. Grundsatz: Digitale Kompetenzen Digitale Kompetenzen stellen einen Bestandteil des ganzheitlichen Dolmetsch‐ kompetenzmodells (vgl. Kadrić 2011) dar. Beim Dolmetschen aus der Ferne, z. B. audio- und videobasiertem Dolmetschen, werden die Anforderungen an die di‐ gitalen Kompetenzen von Dolmetschenden deutlich erweitert (vgl. Havelka 2019b: 170). Um die dolmetschrelevanten digitalen Kompetenzen zu erfassen, kann der Referenzrahmen für Digitale Kompetenzen (DigComp) der Europäischen Union (2018) herangezogen werden, der grundsätzlich aus fünf Kompetenzbe‐ reichen besteht: Informations- und Datenkompetenz, Kommunikation und Ko‐ operation, Erstellung digitaler Inhalte, Sicherheit und Problemlösung. In Bezug auf das Dolmetschen mit IKT sind die genannten Kompetenzbereiche auf fol‐ gende Weise zu verstehen: • Informations- und Datenkompetenz Die terminologische Vorbereitung ist vor jedem Dolmetschauftrag un‐ umgänglich. Dieser Kompetenzbereich umfasst jene Fähigkeiten, die eine auftragsbezogene Internetrecherche zur Terminologie, das Filtern, das Auswählen von relevanten Hintergrundinformationen sowie das Spei‐ chern und Verwalten der Terminologie ermöglichen. • Kommunikation und Kooperation Der technikgestützte Austausch, die digitale Zusammenarbeit und Nut‐ zung von IKT für die audio- und videobasierte Dolmetschung sind von diesem Kompetenzbereich umfasst. Grundlegend sind hierbei der Einsatz technikbedingter Dolmetschstrategien sowie eine an die eingesetzte Technik angepasste Vorgehensweise. 65 Zur technikgestützten Translationskultur im DACH-Raum • Erstellung digitaler Inhalte Anders als bei einer Dolmetschung vor Ort entstehen durch die audio- und videobasierte Dolmetschung neue digitale Inhalte, die über digitale Wege verbreitet werden können. Der Umgang mit auditiven und visuellen Daten ist in diesem Kompetenzbereich zentral. • Sicherheit Die geltenden Datenschutzbestimmungen in Hinblick auf die Datensi‐ cherheit von Geräten und den Datenschutz von Inhalten und personen‐ bezogenen Daten und auch auf den Schutz des sozialen, physischen und psychischen Wohlbefindens (engl. digital wellbeing) sind von diesem Kompetenzrahmen umfasst. • Problemlösung Der Kompetenzbereich Problemlösung umfasst sowohl die Lösung von technischen Problemen als auch den kreativen Einsatz von technikge‐ stützten Lösungen im Dolmetschprozess. Grundsatz: Wahrnehmung Die Realisierungsbedingungen der audio- und videobasierten Gesprächssitua‐ tion sind grundlegend von den jeweiligen technikbedingten Wahrnehmungs‐ möglichkeiten abhängig. Die Wahrnehmung erfolgt in der Gesprächssituation über zwei Informationsquellen: die auditive und die visuelle Informationsquelle. Situative Hinweise werden durch den Kontext der Dolmetschung generiert. Auditive, visuelle und situative Hinweise aus der technikgestützten Gesprächs‐ situation können getrennt voneinander oder als ganzheitliches Phänomen auf den translatorischen Handlungsauftrag umgelegt werden. Die hier zum Tragen kommende referentielle Kompetenz ist als eine metakommunikative Kompetenz zu verstehen (vgl. Havelka 2018b: 158 ff.). Grundsatz: Höhere Belastung Bisherige Untersuchungen zum videovermittelten Dolmetschen zeigen, dass Ferndolmetschen bei Dolmetscher: innen zu Stressgefühlen führen, die Ermü‐ dung beschleunigen (vgl. Moser-Mercer 2003) und Entfremdungsgefühle (vgl. Mouzourakis 2003) sowie ein Gefühl von Kontrollverlust (vgl. Moser-Mercer 2005) verursachen kann. Die höhere Belastung kann auf zwei Formen von Ein‐ flussfaktoren zurückgeführt werden: interne und externe Einflussfaktoren. Als externe Einflussfaktoren sind umgebungs- und technikbedingte Störfaktoren zu verstehen. Interne Einflussfaktoren hängen direkt mit der Person der Dolmet‐ scherIn zusammen und können durch mangelnde terminologische Vorbereitung oder fehlende digitale Kompetenz, aber auch nicht technikangepasste Dol‐ 66 Ivana Havelka 2 Ein aktuell an der Universität Mainz laufendes Forschungsprojekt (2019-2021) unter der Leitung von Bernd Meyer zum Telefondolmetschen untersucht anhand des Spra‐ chenpaares Arabisch-Deutsch das Turn-Taking ohne visuelle Hinweise in der Dol‐ metschsituation. metschstrategien verstärkt werden. Implikationen der Ferndolmetschung, wie die räumliche und soziale Distanz, können den Vertrauensaufbau zwischen den Gesprächsbeteiligten erschweren (vgl. Braun 2004: 23, Havelka 2018b: 115 ff.). 3 DACH-Länderüberblick nach Einsatzbereichen Anhand ausgewählter Bereiche, in denen das Ferndolmetschen im Einsatz ist, wird ein Länderüberblick geboten, um die derzeitige technikgestützte Transla‐ tionskultur zu skizzieren. Hierbei wird der Fokus vor allem auf das video- und audiobasierte Ferndolmetschen im Gerichts- und Gesundheitswesen gesetzt. 3.1 Gesundheitswesen Das medizinische Dolmetschsetting ist vor allem durch die hohe Spontanität des Dolmetschbedarfs gekennzeichnet. Als eine Lösung zur Überwindung von spon‐ tanen sprachlichen Hürden kann das Telefondolmetschen eingesetzt werden (vgl. Bischoff & Grossmann 2007). In Österreich wird Telefondolmetschen über Sprachedirekt seit 2009 im medizinischen Setting angeboten (vgl. SpracheDirekt GmbH 2020), während in der Schweiz das Telefondolmetschen seit 2011 von‐ seiten des Bundesamtes für Gesundheit ( BAG ) und AOZ eingesetzt wird und stetig steigt (vgl. BAG 2020). Der videobasierte Einsatz hingegen wird in der Schweiz erst seit 2019 eingesetzt und dokumentiert (vgl. Interpret 2019). Auf‐ grund des hohen Bedarfs ist das video- und audiobasierte Dolmetschen in Deutschland in zahlreichen medizinischen Einrichtungen (vgl. Harrer & Kupfer 2017, Borde 2018) sowie in der medizinischen Beratung zu einer notwendigen Alternative für das Dolmetschen vor Ort geworden. Auf den zunehmenden Ein‐ satz des Ferndolmetschens im Gesundheitswesen hat sogar der größte deutsche Berufsverband für Dolmetschen und Übersetzen mit Empfehlungen in Form eines Positionspapiers reagiert (vgl. Bundesverband der Übersetzer und Dol‐ metscher - BDÜ 2018). Der Forschungsstand zum video- und telefonvermit‐ telten Dolmetschen im DACH -Raum hingegen ist noch gering 2 . Der Überbegriff Ferndolmetschen oder auch Teledolmetschen (engl. remote in‐ terpreting) umfasst sowohl das audioals auch das videobasierte Dolmetschen. Das audiobasierte Dolmetschen ohne visuelle Hinweise zur gedolmetschten Gesprächssituation ist primär in Form des Telefondolmetschens (engl. telephone 67 Zur technikgestützten Translationskultur im DACH-Raum 3 Vergleichbare Dolmetschbedingungen finden sich im Rahmen der Dolmetschtätigkeit bei der Telekommunikationsüberwachung. Hierbei erfolgt die konsekutive oder simul‐ tane Verdolmetschung ebenfalls auf Basis auditiver Informationen. interpreting, over-the-phone interpreting) bekannt 3 . Das Telefondolmetschen, als älteste Form des Ferndolmetschens, ist aufgrund seiner weiten Verbreitung und einfachen Handhabung, bei der nur minimale technische Voraussetzungen er‐ forderlich sind, flexibel einsetzbar. Folglich wurde der erste Telefondolmetsch‐ dienst bereits 1973 in Australien (vgl. Ozolins 1991), später in den USA und Großbritannien (vgl. Ozolins et al. 1999, Ko 2006) eingeführt und ist bis heute in den öffentlichen Einrichtungen dieser Länder etabliert. Langer & Wirth (2014) untersuchten den Einsatz des Telefondolmetschens in einer deutschen Kinderklinik im Rahmen einer Pilotstudie mittels quantitativer Fragebogenbefragung (2010-2011). Dabei wurde die Zufriedenheit bzw. das In‐ teresse an einer Telefondolmetschung erhoben (n=479). Obwohl das medizini‐ sche Personal mit der spontanen Verfügbarkeit und die befragten Eltern mit der hohen Kommunikationsqualität durch das Telefondolmetschen zufrieden waren, gaben nur 8,7 % der Befragten konkretes Interesse am Telefondolmet‐ schen an. Dabei kann das Telefondolmetschen im Vergleich zum Dolmetschen vor Ort den Einsatz von qualifizierten Dolmetscher: innen ermöglichen, die nicht nur die sprachliche Verständigung gewährleisten, sondern auch die Einhaltung der Therapie unterstützen und dazu beitragen können, dass Untersuchungen und lange Aufenthalte in medizinischen Einrichtungen vermieden werden (vgl. Langer & Wirth 2014: 279). Bedingt durch die starken Migrationsbewegungen in den Jahren 2015 und 2016 war die medizinische Versorgung in Deutschland sowie die damit verbun‐ dene notwendige sprachliche Verständigung, mitunter auch wegen der unklaren Kostenübernahme, überlastet. In der Erstversorgung der Migrant: innen wurden unterschiedliche Lösungsstrategien zur Bewältigung der Sprachbarrieren ein‐ gesetzt. Neben dem Dolmetschen vor Ort wurden in zeitknappen Situationen sowie nachts das Videodolmetschen und webbasierte Übersetzungsprogramme eingesetzt (vgl. Heer 2016: 336). In zehn Erstaufnahmeeinrichtungen Hamburgs wurde neben dem Dolmet‐ schen vor Ort auch das Videodolmetschen eingesetzt. Die Studie von Mews et al. (2017) zur ambulanten Versorgung in Hamburg zeigt anhand einer quanti‐ tativen Querschnittserhebung wie unterschiedlich die Strategien zur Bewälti‐ gung der sprachlichen Barrieren ausfallen können. Niedergelassene Ärzt: innen (n=178) gaben in der Onlinebefragung an, dass sprachliche Probleme in medi‐ zinischen Gesprächssituationen mehrheitlich über Familienangehörige (n=94), bzw. auch über die Fremdsprachenkenntnisse der Praxisangestellten (n=59), den 68 Ivana Havelka Einsatz nonverbaler Kommunikation (n=40) sowie mit Übersetzungsapps oder anderen technischen Mitteln (n=14) gelöst werden (vgl. Mews et al. 2017: 463). Der Einsatz von Videodolmetschen wäre für 61 % der befragten Ärzt: innen (n=108) vorstellbar, auch wenn datenschutzrechtliche Bedenken bestehen. Derzeit sind in Deutschland qualifizierte Sprach- und Integrations‐ mittler: innen telefon- und videobasiert in medizinischen und sozialen Einrich‐ tungen über den Verein SprInt gemeinnützige eGenossenschaft im Einsatz (vgl. SprInt 2020, siehe auch Iacono in diesem Band). Die angestellten Sprach- und Integrationsmittler: innen arbeiten in eigens dafür eingerichteten internen Dol‐ metschhubs (vgl. Havelka 2018a). Mit den pandemiebedingten Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung des Covid-19-Virus wurden neben dem Video- und Telefondolmetschen auch Mehrpunktschaltungen zwischen drei Stand‐ orten durchgeführt. Aufgrund der alltäglichen Sprachbarrieren im medizin‐ ischen Setting wird in Deutschland und Österreich auch der Telefondolmetschdienst Triaphon gemeinnützige UG (vgl. Triaphon 2020) ange‐ boten. Das Konzept der Sprachmittlung im medizinischen Setting basiert jedoch auf überwiegend nicht professionellen, ehrenamtlich tätigen Zweisprachigen. Aus Österreich stammen zwei Primärstudien zum Videodolmetschen im Ge‐ sundheitswesen. Korak (2010) beschreibt die Machbarkeit des Skype-Dolmetschens in einem österreichischen Landeskrankenhaus. Die qualitative Untersuchung umfasst die leitfadengestützte Befragung von Dolmetscher: innen und Ärzt: innen. Das ös‐ terreichische Pilotprojekt „Videodolmetschen im Gesundheitswesen“ (2013-2014) untersuchte, inwiefern sprachliche Barrieren in medizinischen Ge‐ sprächssituationen durch professionelle Videodolmetscher: innen abgebaut werden können. Am Pilotprojekt nahmen elf österreichische Gesundheitsein‐ richtungen teil. Die dolmetschwissenschaftliche Untersuchung (vgl. Havelka 2018b) zeigte anhand einer Analyse von fünf authentischen Videodolmet‐ schungen sowie einer Befragung der Dolmetscher: innen, dass das videovermit‐ telte Dolmetschen angepasste Dolmetschstrategien erfordert und vielfache Be‐ lastungen für die Dolmetscher: innen verursacht. Nach Ablauf des Pilotprojektes wurde das Videodolmetschangebot über das Unternehmen SAVD Videodolmet‐ schen GmbH (vgl. SAVD 2020) fortgesetzt, das mittlerweile das video- und te‐ lefonvermittelte Dolmetschen in zahlreichen sozialen und medizinischen Ein‐ richtungen sowie in Justizanstalten in Österreich und Deutschland anbietet. In Deutschland sind Ärzt: innen aufgrund des Patientenrechtegesetzes ver‐ pflichtet, die sprachliche Verständigung im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht gegenüber Patient: innen zu sichern. Bei sprachlichen Barrieren ist jedoch die Kostenlast für die Dolmetschung nicht geklärt. Als Konsequenz dieser Unge‐ 69 Zur technikgestützten Translationskultur im DACH-Raum wissheit und des allgemeinen strukturellen Mangels an professionellen Dol‐ metscher: innen im Gesundheitswesen werden zweisprachige Angehörige der Patient: innen oder nicht-medizinisches Krankenhauspersonal im Patient: in‐ nengespräch für die Dolmetschung eingesetzt. Dabei könnte das Video- und Telefondolmetschen eine Alternative für das Dolmetschen vor Ort darstellen. Die von Langer & Wirth (2014) vorgeschlagene Implementierung eines struk‐ turellen Dolmetschangebots als Teil der notwendigen Gesundheitsversorgung bleibt weiterhin aktuell. 3.2 Gericht und Behörden In Einwanderungsländern wie den USA , Australien und Großbritannien ist das audio- und videobasierte Dolmetschen in Behörden und Gerichten zu einem großen Teil etabliert. Als Folge des hohen Mobilitätsgrades innerhalb der Eu‐ ropäischen Union sehen sich die Gerichte mit einer ständig wachsenden Zahl mehrsprachiger Verfahren konfrontiert, die Anhörungen erfordern (vgl. van der Vlis 2012: 15). Die Richtlinie 2010 / 64 EU des Europäischen Parlamentes und des Rates über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafver‐ fahren ermöglicht den Einsatz von internet-, audio- und videobasierten Kom‐ munikationstechnologien in europäischen Gerichten, solange die Unmittelbar‐ keit des Verfahrens gewährleistet ist. Anders als beim Dolmetschen in medizinischen Settings ist in strafrechtlichen Verfahren die für die Betroffenen kostenfreie Bereitstellung von Dolmetscher: innen gesetzlich vorgesehen (vgl. Kadrić 2019: 26). Beim videovermittelten Dolmetschen (engl. video-mediated interpreting) werden über die synchrone Übermittlung von Ton und Bild sowohl auditive als auch visuelle Daten der Gesprächssituation übertragen. Je nach Standort der DolmetscherIn beim Dialogdolmetschen wird daher zwischen Videokonferenz‐ dolmetschen (engl. videoconference interpreting) und Videodolmetschen (engl. remote interpreting via video link) unterschieden (vgl. Braun & Taylor 2012: 32 f.). Im Rahmen der Videokonferenzschaltung im Gerichtswesen befinden sich zu‐ mindest eine Gesprächsbeteiligte bzw. ein Gesprächsbeteiligter und der / die DolmetscherIn an einem gemeinsamen Standort, z. B. im Gerichtssaal oder in der Justizanstalt, während sich mindestens eine weitere Gesprächsbeteiligte bzw. ein Gesprächsbeteiligter an einem zweiten Standort befindet. Ursprünglich wurde der Einsatz von Videokonferenzschaltungen zum Schutz von gefährdeten Opfern eingesetzt, um eine Konfrontation im Gericht zu ver‐ meiden. Der Einsatz von Fernkommunikation schafft neue Möglichkeiten, z. B. können potenzielle Fluchtgefahren und Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Überstellung von Gefangenen minimiert werden (vgl. van der Vlis 2012: 12). 70 Ivana Havelka Insgesamt hat sich der Zugang zur Justiz durch den Technikeinsatz in Form von Gerichtssaaltechnologie, Videokonferenzanlagen und des elektronischen Rechtsverkehrs (elektronischer Akt) gewandelt. Diese technischen Maßnahmen ermöglichen eine Effizienzsteigerung in Gerichtsverfahren bei gleichzeitiger Kosten- und Zeitersparnis (vgl. Koulu 2018: 6). In Deutschland und Österreich sind Gerichte mit Videokonferenzanlagen ausgestattet, um die Zuschaltung von Zeug: innen, Sachverständigen oder An‐ geklagten aus einer anderen Justizanstalt, Stadt oder einem anderen Land in den Gerichtssaal zu ermöglichen. Bis März 2011 wurden in allen österreichischen Gerichten, Staatsanwaltschaften und Justizanstalten Videokonferenzeinrich‐ tungen für länderübergreifende und nationale Verfahren eingerichtet. Seit ihrer Einführung steigt die Zahl der Videokonferenzschaltungen in Österreich kon‐ tinuierlich. Während im Jahr 2008 gerade einmal 47 länderübergreifende und 166 inländische Zuschaltungen vermerkt wurden, waren es im Jahr 2019 bereits 501 länderübergreifende und 4016 inländische Zuschaltungen. Da keine Doku‐ mentation zu den Dolmetscheinsätzen im Rahmen der Videokonferenzschal‐ tungen vorhanden ist, wird der Anteil mit Dolmetscher: innen auf 10-20 % aller Videokonferenzen geschätzt (vgl. Havelka 2018b: 41). Das Videodolmetschen wird hingegen überwiegend in Justizanstalten eingesetzt. Eine Online-Umfrage (vgl. Havelka 2019a) zum Einsatz österreichischer Ge‐ richtsdolmetscher: innen in Videokonferenzdolmetschungen (n=199) ergab, dass Schwierigkeiten in Bezug auf technische, organisatorische und psychosoziale Aspekte bestehen (vgl. Johannsen 2002: 200). Belastungen durch das videover‐ mittelte Dolmetschen wurden mehrheitlich mit technischen Aspekten wie Akustik und mangelnder Tonqualität verbunden. Weitere Belastungen sind auf soziopsychologische Aspekte aufgrund des fehlenden persönlichen Kontakts zurückzuführen. Der Einsatz erfolgt überwiegend im Rahmen der internatio‐ nalen Strafrechtverfolgung sowie in strafrechtlichen Verhandlungen bei Haft‐ prüfungen, Verhängung der Untersuchungshaft sowie bei Anhörungen zu be‐ dingten Entlassungen, aber auch während kontradiktorischer Vernehmungen. Auch wenn die videovermittelte Dolmetschung viele Erschwernisse und Belas‐ tungen mit sich bringt, überwog insgesamt eine positive Haltung gegenüber der technikgestützten Dolmetschung. Die kleine Stichprobe ist nicht repräsentativ, trotzdem ist aufgrund der Ergebnisse dieser Untersuchung die hohe Anpas‐ sungsfähigkeit von Dolmetscher: innen zu erkennen (Havelka 2019a). Die Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID -19 wurden im DACH -Raum Anfang März 2020 in nur wenigen Wochen eingeführt. Ge‐ richtsverhandlungen wurden auf ein Minimum reduziert und nur noch für Haft- und unaufschiebbare Verhandlungen zugelassen. Vor diesem Hintergrund kann 71 Zur technikgestützten Translationskultur im DACH-Raum videovermitteltes Dolmetschen Gerichtsverfahren und damit auch den Zugang zum Recht nicht nur unterstützen, sondern überhaupt erst ermöglichen. 4 Fazit Angetrieben durch die rasante technologische Entwicklung und begünstigt durch die allgemeine Zugänglichkeit, rückt die technikgestützte Kommunika‐ tion immer mehr in den Vordergrund. Die Einbettung der technikgestützten translatorischen Arbeitsprozesse unterliegt den jeweiligen gesellschaftlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten und bildet damit die jeweilige technik‐ gestützte Translationskultur eines Landes. IKT haben in den letzten Jahrzehnten nicht nur das Kommunikationsver‐ halten, sondern auch die Translationskultur nachhaltig verändert. Einerseits haben die IKT das technikgestützte Dolmetschen ermöglicht und andererseits bewirken gesellschaftliche Ereignisse einen dynamischen Dolmetschbedarf. Ein Zusammenhang zwischen Migration und Translation (vgl. Inghilleri 2017) ist daher zu erkennen. Je nach Grund für die Migration, ob EU -Freizügigkeit, An‐ werbung von Mangelarbeitskräften, Bildungs- und Ausbildungsmigration oder Fluchtzuwanderung (vgl. Hanewinkel & Oltmer 2017: 16 ff.), sind unterschied‐ liche Auswirkung auf den translatorischen Markt im DACH -Raum zu erwarten. Personelle, finanzielle und zeitliche Ressourcen können durch Technikeinsatz schonend eingesetzt und die Kommunikation allgemein effizienter gestaltet werden. Der Technikeinsatz ermöglicht auch den Zugang zu professionellen Dolmetscher: innen und kann damit die Dolmetschqualität steigern. Bei dyna‐ mischem Bedarf können die translatorischen Arbeitsprozesse mit Ferndol‐ metschtechnik überbrückt werden. Der Einsatz von Technik bedingt jedoch auch, dass alle Gesprächsbeteiligten verstehen müssen, wie technologische Hilfsmittel für die jeweilige Kommunikationssituation eingesetzt werden können. Allgemeine digitale Kompetenzen sind daher bei allen Gesprächsbe‐ teiligten erforderlich. Literatur BAG, Bundesamt für Gesundheit (2020). Telefondolmetschen. Abrufbar unter: https: / / w ww.bag.admin.ch/ bag/ de/ home/ strategie-und-politik/ nationale-gesundheitsstrategie n/ gesundheitliche-chancengleichheit/ interkulturelles-dolmetschen/ nationaler-telefo ndolmetschdienst.html (Stand: 10 / 12 / 2020) Bischoff, Alexander / Grossmann, Florian (2007). Telefondolmetschen - eine Chance zur Überwindung von Sprachbarrieren? Schweiz Ärzteztg 88: 3, 102-5. 72 Ivana Havelka Borde, Theda (2018). Kommunikation und Sprache. Gynäkologische Endokrinologie 16: 1, 3-9. Braun, Sabine (2004). Kommunikation unter widrigen Umständen? Fallstudien zu einspra‐ chigen und gedolmetschten Videokonferenzen. Tübinger Beiträge zur Linguistik 475. Tübingen: Narr. Braun, Sabine / Taylor, Judith (2012). Video-Mediated Interpreting: An Overview of Cur‐ rent Practice and Research. In: Braun, Sabine / Taylor, Judith L. 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Im vorliegenden Beitrag werden anhand ausgewählter Parameter, die im Rahmen der Professionalisierungsmodelle von translatorischen Betätigungsfeldern er‐ hoben wurden, die Rahmenbedingungen für „barrierefreie“ Translations‐ formen - konkret Gebärdensprachdolmetschen, Schriftdolmetschen und Leichte Sprache - im DACH -Raum beschrieben. Damit soll veranschaulicht werden, in welchem Umfang und Detailliertheitsgrad diese translatorischen Anwendungsbereiche in geltenden Rechtsvorschriften verankert sind und in‐ wiefern Translator: innen in diesem Sinne mit einer Grundlage für ihre Tätig‐ keit, etwaig verankerten Vergütungstarifen, anerkannten und akademischen Ausbildungsmöglichkeiten und sich einer möglicherweise daraus ergebenden Sensibilisierung der Allgemeinheit gegenüber ihrer Tätigkeit rechnen können. 1 Grundlagen und Elemente der Bestandsaufnahme zur Professionalisierung Ausgangspunkt für die vorliegende Analyse sind Elemente und Entwicklungs‐ abläufe soziologischer und translationssoziologischer Professionalisierungsmo‐ delle. In diesen werden Zusammenhänge und Wechselbeziehungen von berufs‐ ausübenden Translator: innen, ihre Dienstleistungen in Anspruch nehmenden Akteur: innen unterschiedlicher Art - etwa Vermittlungsinstitutionen, Auftrag‐ geber: innen, Rezipient: innen der Dienstleistung selbst, Entscheidungs‐ träger: innen und Interessensvertreter: innen auf politischer Ebene - beleuchtet. Am Ende eines Professionalisierungsprozesses steht dabei aus soziologischer Sicht die Weiterentwicklung einer Tätigkeit zu einem Beruf, der über Ansehen, organisatorische Strukturen, berufsspezifische Attribute und Eigenschaften sowie soziales Renommee verfügt, sodass die ihn ausübenden Personen ausrei‐ chendes Interesse daran haben, sich berufsspezifisch fortzubilden, im erarbei‐ teten Berufsbild auch weiterhin tätig zu sein und daraus auch genügend finanz‐ ielle Mittel generieren können. Dabei bedienen sich die Modelle Elementen sowohl der „trait theory“ als auch der „theory of control“ (vgl. Pym et al. 2012: 80). Im Rahmen der „trait theory“ werden in erster Linie Eigenschaften und Gegebenheiten von in der Berufspraxis tätigen Translator: innen untersucht: Dies sind beispielsweise die Einhaltung eines Verhaltenskodex, das Bestehen von theoretischem Grundwissen, die Eintragung oder Zertifizierung von Trans‐ lator: innen und die Loyalität gegenüber Kolleg: innen. Die „theory of control“ knüpft wiederum das entstehende Berufsbild an den Arbeitsmarkt, die Gesell‐ schaft und Institutionen an. Mikkelson definiert translationssoziologisch in ihrem Beitrag über das Com‐ munity Interpreting bereits unterschiedliche Stadien der Anerkennung im US -amerikanischen Raum und stellt insofern fest, dass das Gerichtsdolmetschen als Teil des Community Interpreting „is just beginning to emerge as a recognized profession […], albeit with obvious growing pains, other types of community in‐ terpreting are far behind“ (Mikkelson 1996: 88). Witter-Merithew und Johnson fo‐ kussieren in ihrer Analyse der Sign Language Interpreter auf ein Professionali‐ sierungskontinuum von marginalized professions, über emerging professions bis hin zu fully professionalized professions, indem sie die Gebärdensprachdolmet‐ scher: innen in den Vereinigten Staaten in etwa auf dieselbe Stufe wie Lehrer: innen, Sozialarbeiter: innen, Krankenpfleger: innen sowie Rehabilitiationstherapeut: innen setzen (Witter-Merithew & Johnson 2004). Sie empfehlen dies‐ bezüglich, dass für die Professionalisierung berufspraktische Gruppierungen, die Abgrenzung von Kompetenzdefinitionen, klare Ausbildungs- und Mindest‐ anforderungen für die Berufsausübung und die Bildung einer größeren Com‐ munity umzusetzen seien. Tseng untersucht in seinem Professionalisierungs‐ modell das Berufsbild der Konferenzdolmetscher: innen in Taiwan vor dem Hintergrund vierer Professionalisierungsphasen. Phase I ist dabei von undurch‐ sichtigen Marktkräften, einer hohen Fluktuationsrate und einem ständigen 78 Judith Platter Wettbewerb unter den tätigen Translator: innen geprägt und es kann auch der Fall sein, dass die Tätigkeit ausübende Personen ohne berufsrelevante Vorbil‐ dung in die Berufspraxis starten. Es gibt in dieser Phase bereits Ausbildungs‐ institutionen: Diese tragen einerseits zu einer stärkeren Kohäsion bei, buhlen aber andererseits auch um Absolvent: innen, was wiederum den Mitbewerb unter den Translator: innen negativ beeinflussen könnte. In Phase II gibt es kla‐ rere Ziele für Ausbildung und Berufsentwicklung, die Qualität von Ausbil‐ dungsprogrammen nimmt zu, sodass diese den Anforderungen der Berufspraxis zunehmend besser entsprechen. Der Fokus der erbrachten translatorischen Dienstleistung verlagert sich zunehmend auf die Qualität. In dieser Phase II unterstützen Ausbildungsinstitutionen die Entwicklung von Berufsverbänden, denen beim Übergang zu Phase III eine Schlüsselrolle zukommt (Tseng 1992: 48). Phase III kennzeichnet sich durch die Entstehung formaler Netzwerke, eine bessere Zusammenarbeit unter den Translator: innen als gleichwertige Kolleg: innen sowie eine Präzisierung in den Berufsbildern, sodass Verhalten und Auftreten der gesamten Berufsgruppe genauer definiert werden können. Durch entstandene Berufsverbände ist eine Zugangskontrolle zum Beruf möglich: Dies wiederum ist für die Anerkennung des Berufsbildes und für das Engagement von Berufsverbandsmitgliedern förderlich. In diesem Sinne werden berufsethi‐ sche Standards formuliert, es findet ebenso Öffentlichkeitsarbeit zu Gunsten des Berufsbildes statt. Schlussendlich können in Phase IV die Berufsverbände im Anschluss an erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit die rechtliche Anerkennung und etwaige Genehmigungsverfahren beeinflussen - das Ergebnis wären klare, formalisierte ethische Standards und eine geeignete Zugangskontrolle für Per‐ sonen, die den entsprechenden Beruf ausüben möchten. Damit können Kund: innen und Öffentlichkeit von der Professionalität der tätigen Trans‐ lator: innen überzeugt und ein Berufsschutz auf rechtlicher Basis umgesetzt werden. Ju adaptiert das Professionalisierungsmodell nach Tseng vor allem im Hinblick auf die Zusammenarbeit spezifischer Institutionen und ergänzt diese um Professional Conference Organisers ( PCO s), denen sie eine besondere Be‐ deutung in den Beziehungen zwischen Auftraggeber: innen bzw. die Sprach‐ dienstleistung in Anspruch nehmenden Rezipient: innen und ausführenden Translator: innen beimisst. PCO s, also Sprachdienstleistungsunternehmen, Ver‐ mittlungsinstanzen und Agenturen, können als Vermittler in der Berufspraxis agieren und die Kosten bei der Suche nach qualifizierten und geeigneten Trans‐ lator: innen verringern. Ebenso unterstreicht sie, dass Zertifizierungsmaß‐ nahmen „have played an important role in the process of professionalization“ ( Ju 2009: 120); öffentlichen Einrichtungen - in Jus Analyse handelt es sich hierbei 79 Barrierefreie Kommunikation - Aspekte der Professionalisierung im DACH-Raum um das Bildungsministerium - und Ausbildungseinrichtungen auf akademi‐ scher Ebene kommt ebenso eine Schlüsselrolle zu. Tseng und Ju definieren ihrerseits auch sogenannte Professionalisierungs‐ hindernisse, also Faktoren, die einer progressiven Professionalisierung eines Berufsbildes zuwiderlaufen können - darunter verstehen sich Uneindeutig‐ keiten bei der Berufsbezeichnung, das Fehlen eines systematisch aufbereiteten und gesammelten Wissens in Bezug auf den Beruf, falsche Vorstellungen der Öffentlichkeit und somit potentieller Rezipient: innen oder Auftraggeber: innen über das Berufsbild selbst und die entsprechenden Aufgaben und Kompetenzen sowie die fehlende Sensibilisierung von Kund: innen betreffend die Suche qua‐ lifizierter Translator: innen. Im Umkehrschluss ergeben sich aus den genannten Modellen und deren unterschiedlichen Darstellungsformen - ob mittels Konti‐ nuum oder Phasen - grundlegende Parameter der Professionalisierung, die die Entwicklung von einzelnen Translator: innen hin zu einer Berufsgemeinschaft, deren Tätigkeit gesellschaftlich als gewinnbringend anerkannt wird, kenn‐ zeichnen: rechtliche Rahmenbedingungen sowie damit einhergehender Schutz des beruflichen Tätigkeitsgebietes, aktive Berufsverbände, von den Berufsausübenden gelebte Berufs- und Ehrenordnungen, möglichst einheitliche Definiti‐ onen der beruflichen Aufgabenbereiche, Vermittlungsinstanzen sowie, soweit möglich, akademische Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Pym konstatiert in seiner Forschung zu den translationssoziologischen Un‐ tersuchungen eine starke Fokussierung auf den US -amerikanischen bzw. chi‐ nesischen Raum (Pym et al. 2012: 80 f.), aber auch eine allgemeine Übertragbar‐ keit der von Witter-Merithew und Johnson formulierten Empfehlungen auf Translator: innen (ibid.) allgemein; dasselbe trifft auf Tseng zu: „It is relevant to the development of the translation profession in general“. Er schlussfolgert da‐ rüber hinaus, dass translatorische Berufsbilder durch eine „prevalence of part-time work or multitasking“ (Pym 2013: 10) definiert seien. Viele Segmente befänden sich an der Schwelle zwischen Phase I - Market Disorder - und Phase II - Consensus und Commitment. Das Schlagwort „Barrierefreiheit“ oder entsprechende Berufsbilder treten in seiner Bestandsanalyse noch nicht auf. 2 Barrierefreie Kommunikationsformen - rechtliche Grundlagen und Definitionen Rechtliche Rahmenbedingungen im Kontext der Professionalisierung zeigen sich in drei Einflussgrößen. So gibt es den allgemeinen Rechtsrahmen, der bar‐ rierefreien Kommunikationsformen zu Grunde liegt und in erster Linie die An‐ spruchsberechtigung von entsprechenden Rezipient: innen regelt, indem sich 80 Judith Platter daraus konkret der Anspruch auf barrierefrei zugängliche Informationen (u. a. Mälzer 2016, Helmle 2017: 39, Maaß 2018: 273) ableiten lässt. Auf einer zweiten Ebene finden sich rechtliche Regelungen zur Förderung bzw. finanziellen Un‐ terstützung von barrierefreien Kommunikationsformen. Zu guter Letzt können in diesem Zusammenhang auch Regelungen und Schriftstücke erwähnt werden, die der Berufspraxis konkret zu Grunde liegen. Rechtliche Rahmenbedingungen dienen insofern als Dreh- und Angelpunkt in allen Phasen der Professionalisie‐ rungsmodelle - zum einen sind sie die Grundvoraussetzung für die Erreichung der höchstmöglichen Professionalisierungsstufe, zum anderen schützen sie Be‐ rufspraxis und Berufsbild - also den Beruf an sich, indem sie den Zugang zur Ausübung entsprechender Tätigkeiten regeln und die Absolvierung einer ent‐ sprechenden Ausbildung seitens der Interessent: innen attraktiv machen (u. a. Mikkelson 1996, Pym et al. 2012, Witter-Merithew & Johnson 2004, Platter 2015). Die entsprechenden Rechtsakte sind Bezugsquelle aller in den Professi‐ onalisierungsmodellen genannten Akteur: innen und Institutionen (u. a. ÖSB 2020, ÖGLB 2020, DSB 2018, DGB 2020, Inclusion Handicap - Dachverband der Behindertenorganisationen Schweiz 2017, BMSGPK 2020, SMS 2019, BMAS 2016, SGB - FSS 2020, BSD 2020, ÖSDV 2020, Netzwerk Leichte Sprache 2020, Capito 2020, Procom 2020, Sonos 2020), wenngleich sie nicht immer im selben Detailliertheitsgrad genannt werden und die begriffliche Eindeutigkeit in der Benennung von translatorischen Dienstleistungen zur Barrierefreiheit ebenso nicht durchgängig gegeben ist. 2.1 Die internationale Ebene Das Konzept der Barrierefreiheit ist auf mehrere Rechtsakte zurückzuführen; zum einen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948, zum anderen das Übereinkommen der Vereinten Nati‐ onen über die Rechte von Menschen mit Behinderung, Convention of the United Nations on the rights of persons with disabilities ( UNCRPD ). Letztere wurde am 13. Dezember 2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen ver‐ abschiedet und trat am 03. Mai 2008 in Kraft. In der amtlichen, gemeinsamen Übersetzung von Deutschland, Österreich, Schweiz und Lichtenstein (sic! ) ( UN - BRK 2006) werden in den allgemeinen Grundsätzen (Artikel 3) nebst der Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Au‐ tonomien, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit die Chancengleichheit und die Zugänglichkeit genannt, welche unmittelbar in das Konzept der Barrierefreiheit im Sinne der Kommu‐ nikationsoptimierung zur Überwindung von Sinnes-, Fach-, Kultur-, Kogni‐ tions-, Sprach- und Fachsprachenbarrieren (Schubert 2016) einfließen. Spezielle 81 Barrierefreie Kommunikation - Aspekte der Professionalisierung im DACH-Raum Erwähnung finden im Rechtsakt ebenso die Begrifflichkeiten „Kommunikation“ und „Sprache“ (Artikel 2). […] „Kommunikation“ [schließt im Sinne dieses Übereinkommens] Sprachen, Textdarstellung, Brailleschrift, taktile Kommunikation, Großdruck, leicht zu‐ gängliches Multimedia sowie schriftliche, auditive, in einfache Sprache übersetzte, durch Vorleser zugänglich gemachte sowie ergänzende und alternative Formen, Mittel und Formate der Kommu‐ nikation, einschließlich leicht zugängli‐ cher Informations- und Kommunikations‐ technologie, ein; „Sprache“ [schließt] gesprochene Spra‐ chen sowie Gebärdensprachen und an‐ dere nicht gesprochene Sprachen ein. Tab. 1: Definition der Termini „Kommunikation“ und „Sprache“ nach UN-BRK (Hervor‐ hebungen im Original) In weiterer Folge wird der Begriff „Zugänglichkeit“ in Artikel 9 im Sinne eines gleichberechtigten Zuganges nicht nur zur physischen Umwelt definiert, son‐ dern auch zu Information und Kommunikation, im Zusammenhang mit Infor‐ mations- und Kommunikationstechnologien sowie -systemen. Es werden in dieser Hinsicht genauer Beschilderungen in Brailleschrift und in leicht lesbarer und verständlicher Form (Artikel 9 d), menschliche Mittelspersonen, professio‐ nelle Gebärdensprachdolmetscher: innen (Artikel 9 e) sowie andere geeignete Formen der Hilfe und Unterstützung zur Gewährleistung des Zugangs zu In‐ formationen (Artikel 9 f) genannt. Nebst der genannten Zugänglichkeit von Informationen und Informations‐ systemen finden sich im Übereinkommen auch noch gesonderte Bestimmungen zur Umsetzung des Rechts der freien Meinungsäußerung, der Meinungsfreiheit und des Zugangs zu Informationen (Artikel 21): Auch hier wird erneut auf translatorische Betätigungsbereiche eingegangen, wobei ebenso unterstrichen wird, dass den entsprechenden Nutzer: innen alle von ihnen gewählten Formen der Kommunikation im Sinne des Artikels 2 ohne zusätzliche Kosten in zugän‐ glichen Formaten und Technologien - je nach Eignung entsprechend der Art der Behinderung -, die Verwendung von Gebärdensprachen, Brailleschrift, er‐ gänzenden und alternativen Kommunikationsformen und allen sonstigen selbst gewählten zugänglichen Mitteln, Formen und Formaten der Kommunikation zu gewährleisten sind. Es wird darüber hinaus auch noch darauf hingewiesen, dass die Verwendung von Gebärdensprachen anzuerkennen und zu fördern ist (Ar‐ tikel 21 e). 82 Judith Platter 1 Im Vergleich dazu findet sich der Begriff „Brailleschrift“ fünf Mal im Dokument, „blind“ zwei Mal. Ein weiterer Abschnitt ist dem Bereich Bildung gewidmet (Artikel 24). Auch in diesem wird darauf hingewiesen, dass Menschen mit Behinderungen inner‐ halb des allgemeinen Bildungssystems die notwendige Unterstützung zu leisten ist, um eine erfolgreiche Bildung zu ermöglichen - insofern sollten die Mit‐ gliedsstaaten des Übereinkommens das Erlernen der Brailleschrift, der Gebär‐ densprache oder alternativer Schrift, ergänzender und alternativer Formen, Mittel und Formate der Kommunikation erleichtern und die sprachliche Iden‐ tität der Gehörlosen fördern. An dieser Stelle wird ein weiteres Mal betont, dass Kommunikationsmittel und Kommunikationsformen für den Einzelnen unter‐ schiedlich gut geeignet sein können und insofern die Wahl auf das am besten geeignete zu fallen hat. Artikel 30 wiederum widmet sich der Teilhabe am kul‐ turellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport, wobei in Abschnitt 4 erneut unterstrichen wird, dass die kulturelle und sprachliche Identität von Menschen mit Behinderungen anzuerkennen und zu unterstützen ist und ge‐ eignete Maßnahmen zu treffen sind, um sicherzustellen, dass die Möglichkeit zur Organisation, Entwicklung und Teilnahme an Sport- und Erholungsaktivi‐ täten besteht. Es ist also an mehreren Stellen ersichtlich, dass der Status der Gebärdenspra‐ chen und der entsprechenden professionellen Translator: innen zum Zeitpunkt der Erstellung des Dokumentes in den späten 2000er-Jahren bereits derart ge‐ stärkt war, dass mit den Begrifflichkeiten „Gebärdensprache“ und „gehörlos“ in der vorhandenen Exaktheit agiert werden konnte und die Begriffe sieben bzw. drei Mal in dem insgesamt 42 Seiten umfassenden Dokument erwähnt wurden. 1 Der Rechtsakt selbst ist als Übersetzung in Leichte Sprache unter dem Titel Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Erklärt in Leichter Sprache verfügbar (Beauftragter der Bundes‐ regierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen 2019). Der Terminus „Barrieren“ findet sich im Dokument insgesamt vier Mal - der Terminus „Barrierefreiheit“ selbst findet sich explizit in der Richtlinie des Euro‐ päischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungs‐ vorschriften der Mitgliedstaaten über die Barrierefreiheitsanforderungen für Pro‐ dukte und Dienstleistungen ( EU ) 2019 / 882, auch European Accessibility Act ( EAA ) genannt. Bereits in dem Vorschlag zur Richtlinie aus dem Jahr 2015 heißt es dazu wie folgt: Barrierefreiheit bedeutet, dass Hindernisse bei der Nutzung gängiger Produkte und Dienstleistungen beseitigt werden bzw. gar nicht erst entstehen. Sie ermöglicht es 83 Barrierefreie Kommunikation - Aspekte der Professionalisierung im DACH-Raum Menschen mit funktionellen Einschränkungen, darunter auch Menschen mit Behin‐ derungen […], solche Produkte und Dienstleistungen ebenso wie andere Menschen wahrzunehmen, zu bedienen und zu verstehen. (COM / 2015 / 0615 final - 2015 / 0278 (COD)) In der Richtlinie selbst wird in Bezug auf Barrierefreiheit detailliert definiert, dass etwa Ferndienstleistungen möglich sind. Eine konkrete Nennung der Be‐ grifflichkeiten „Schriftdolmetschen“ oder „Leichte Sprache“ findet sich nicht, es wird aber in Anhang I (Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen, Abschnitt IV ) explizit festgeschrieben, dass Folgendes zu ge‐ währleisten ist: i) Bereitstellung von Text in Echtzeit zusätzlich zur Sprachkommunikation; ii) wenn Video bereitgestellt wird, zusätzlich zur Sprache Bereitstellung von Gesamt‐ gesprächsdiensten; iii) Gewährleistung, dass Notrufkommunikation über Sprache, Text (einschließlich Text in Echtzeit) synchronisiert ist und - sofern Video bereitgestellt wird - auch als Gesamtgesprächsdienst synchronisiert ist und von den Anbietern elektronischer Kommunikationsdienste an die am besten geeignete Notrufabfragestelle übermittelt wird. (RL 2019 / 882) Im direkt daran anschließenden Unterpunkt zur Zugänglichkeit zu audiovisu‐ ellen Mediendiensten wird Folgendes eingefordert: ii) Gewährleistung, dass die Barrierefreiheitskomponenten (Zugangsdienste) der au‐ diovisuellen Mediendienste wie Untertitel für Gehörlose und Schwerhörige, Audio‐ deskription, gesprochene Untertitel und Gebärdensprachdolmetschung, vollständig, in für eine korrekte Anzeige angemessener Qualität und audio- und videosynchroni‐ siert gesendet werden und dem Nutzer ermöglichen, ihre Anzeige und Verwendung selbst zu regeln. (RL 2019 / 882) Des Weiteren gibt es auch noch einen Abschnitt mit indirekter Bezugnahme auf Schriftdolmetschleistungen, wenn bei Nutzung bei fehlendem oder einge‐ schränktem Hörvermögen eingefordert wird, dass das Produkt oder die Dienst‐ leistung im Falle auditiver Bedienungsformen mindestens eine Bedienungsform aufweisen muss, die kein Hörvermögen erfordert bzw. durch eine erweiterte Audiofunktion auch mit eingeschränktem Hörvermögen nutzbar ist (ibid.). 2.2 Die nationale Ebene - Gesetze zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung Auf nationaler Ebene erfolgte die Umsetzung der in der Richtlinie vorgegebenen EU -Bestimmungen im österreichischen Bundesgesetz über die Gleichstellung von 84 Judith Platter Menschen mit Behinderungen (Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz, BGS tG): In diesem wird der Begriff der Barrierefreiheit vier Mal erwähnt und definiert. Hierbei zeigt ein Vergleich mit dem seit 2002 geltenden deutschen Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsge‐ setz, BGG ), dass letzteres etwas detaillierter ist. (5) Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Ge‐ brauchsgegenstände, Systeme der Infor‐ mationsverarbeitung sowie andere gestal‐ tete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der all‐ gemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind. Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Ge‐ brauchsgegenstände, Systeme der Infor‐ mationsverarbeitung, akustische und visu‐ elle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie an‐ dere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne beson‐ dere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Hierbei ist die Nutzung be‐ hinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel zulässig. Tab. 2: Detailliertheitsgrad des Terminus „Barrierefrei“ im Ländervergleich Österreich (BGStG) - Deutschland (BGG) (Hervorhebungen seitens der Autorin) Im BGG folgt auf die Definition der Barrierefreiheit ein eigener Paragraph zur Gebärdensprache und Kommunikation von Menschen mit Hör- und Sprachbe‐ hinderungen (Paragraph 6), und die Begrifflichkeit der Hörbehinderung wird genauer mit gehörlos, ertaubt oder schwerhörig definiert, was im österreichi‐ schen Gesetzestext nicht der Fall ist. Zwar wird im deutschen Gesetzestext der Terminus „Dolmetscher: innen“ nicht erwähnt - im österreichischen Bundes-Be‐ hindertengleichstellungsgesetz ist das der Fall, allerdings in einem anderen Zu‐ sammenhang, nämlich dem der Schlichtung, bei der solche beizuziehen sind - es ist aber von geeigneten Kommunikationshilfen die Rede: (3) Menschen mit Hörbehinderungen (gehörlose, ertaubte und schwerhörige Men‐ schen) und Menschen mit Sprachbehinderungen haben nach Maßgabe der einschlä‐ gigen Gesetze das Recht, die Deutsche Gebärdensprache, lautsprachbegleitende Ge‐ bärden oder andere geeignete Kommunikationshilfen zu verwenden. (BGStG, Paragraph 6) In Paragraph 9 wird des Weiteren ganz explizit das Recht auf Verwendung der Gebärdensprache und anderer Kommunikationshilfen unterstrichen und ebenso betont, dass letztere berechtigten Personen kostenfrei zur Verfügung zu stellen sind. 85 Barrierefreie Kommunikation - Aspekte der Professionalisierung im DACH-Raum Das in Deutschland geltende Gleichstellungsgesetz wurde im Jahr 2016 über‐ arbeitet und beinhaltet vor allem im Hinblick auf die translatorisch gemittelte Barrierefreiheit relevante Begrifflichkeiten. So wird etwa der Terminus „Leichte Sprache“ im Rechtsakt sowie dem Sozialgesetzbuch verankert und in Paragraph 11 Verständlichkeit und Leichte Sprache über eine Kommunikation auf einfache und verständliche Weise hinaus eingefordert. (2) Ist die Erläuterung nach Absatz 1 nicht ausreichend, sollen Träger öffentlicher Gewalt auf Verlangen Menschen mit geistigen Behinderungen und Menschen mit seelischen Behinderungen Bescheide, Allgemeinverfügungen, öffentlich-rechtliche Verträge und Vordrucke in Leichter Sprache erläutern. (BGG, Paragraph 11) Im deutschen Gesetzestext wird auch eine Bundesfachstelle Barrierefreiheit er‐ wähnt. Ihr ist Abschnitt 3 des Behindertengleichstellungsgesetzes bzw. Para‐ graph 13 gewidmet. Die genannte Bundesfachstelle hat in erster Linie beratende Funktion gegenüber Behörden, Wirtschaftsinstitutionen, Verbänden und Zivil‐ gesellschaft, was die Umsetzung der im Gesetzestext verankerten Rechte und Pflichten anbelangt. Ein weiterer zentraler Tätigkeitsbereich der Bundesfach‐ stelle ist der Austausch mit Interessensverbänden und Expert: innen im Bereich Barrierefreiheit und somit auch mit Translator: innen, die Dienstleistungen im Rahmen der Barrierefreiheit anbieten. Auf der Homepage der Bundesfachstelle Barrierefreiheit findet sich unter anderem ein Glossar, das Einträge zu den Be‐ griffen Gebärde, Gebärdensprachdolmetscher: in, Gebärdensprache, Gebärden‐ video, Leichte Sprache und Schriftdolmetscher: in bzw. Schriftmittlung enthält: Gebärdensprachdolmet‐ scher: innen Leichte Sprache Schriftdolmet‐ scher: innen Gebärdensprachdolmet‐ scher: innen übersetzen Laut‐ sprache in Gebärdensprache bzw. umgekehrt Gebärden‐ sprache in Lautsprache. Ei‐ nige Gebärdensprachdolmet‐ scher/ -innen übersetzen auch von einer Gebärdensprache in eine andere, zum Beispiel von der deutschen in die französi‐ sche oder umgekehrt. Es gibt taube und hörende Ge‐ bärdensprachdolmet‐ scher/ -innen. Die Leichte Sprache ist ein feststehender Begriff für eine besonders einfache Form der Schriftsprache. Sie besteht - vereinfacht gesagt - aus ein‐ fachen kurzen Sätzen, die in der Regel zusätzlich durch Bilder erläutert werden. Die Leichte Sprache verlangt ein größeres Schriftbild und einen hohen Leuchtdichte‐ kontrast. Texte in schwerer Sprache werden zunächst nach diesen Regeln in Leichte Sprache übertragen. Die Ver‐ ständlichkeit der Texte wird anschließend von Menschen mit Lernbehinderungen ge‐ Schriftdolmet‐ scher: innen schreiben die auf einer Veran‐ staltung gesprochene Sprache mit. Über einen Bildschirm können die Teilnehm‐ enden die Mitschrift des gesprochenen Wortes mitlesen. 86 Judith Platter Gebärdensprachdolmet‐ scher: innen Leichte Sprache Schriftdolmet‐ scher: innen prüft. Das Netzwerk Leichte Sprache schreibt die Regeln fort. Mittlerweile gibt es erste Ansätze und universitäre Forschungseinrichtungen, die die Leichte Sprache wis‐ senschaftlich erforschen. Die Barrierefreie-Informations‐ technik-Verordnung (BITV 2.0) verlangt, dass grundle‐ gende Informationen einer Internetseite in Leichter Sprache verfügbar sein müssen. Nach dem Behinder‐ tengleichstellungsgesetz (BGG) sollen Bundesbe‐ hörden Menschen mit geis‐ tiger und seelischer Behinde‐ rung Bescheide und ähnliche Dokumente im Verwaltungs‐ verfahren in Leichter Sprache erläutern. Tab. 3: Einträge zu den Schlagwörtern Gebärdensprachdolmetscher: in, Leichte Sprache und Schriftdolmetscher: in (Bundesfachstelle Barrierefreiheit 2020) In der Schweiz gibt es das Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteili‐ gungen von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz, BehiG) vom 13. 12. 2002, das am 1. 1. 2004 in Kraft trat. Die drei darin beinhalteten Verordnungen haben das Ziel, Benachteiligungen von Menschen mit Behinde‐ rungen zu verhindern, zu verringern und zu beseitigen. In Artikel 14 werden gezielt Maßnahmen für Hörbehinderte genannt, die unter besonderer Berück‐ sichtigung der Anliegen von Hörbehinderten umzusetzen sind. Nach einer Nen‐ nung der Förderung zur Erlernung der Gebärdensprache in Abschnitt 3a des genannten Artikels findet sich im darauffolgenden Abschnitt b ein indirekter Bezug auf Schriftdolmetschleistungen, wenn es heißt, der Bund könne: […] b. nicht gewinnorientierte Organisationen und Institutionen von gesamtschwei‐ zerischer Bedeutung unterstützen, die sich um sprach- und verständigungspolitische Anliegen Sprach-, Hör- oder Sehbehinderter bemühen. (BehiG) In Artikel 19 der gesetzlichen Regelung wird auch die Schaffung des EBGB - des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Menschen mit Behinde‐ rungen genannt, das über die bestehenden Gesetzesgrundlagen, Programme und 87 Barrierefreie Kommunikation - Aspekte der Professionalisierung im DACH-Raum Kampagnen informieren, Analysen und Untersuchungen im Bereich Gleich‐ stellung und Integration fördern und die Tätigkeit der auf diesem Gebiet tätigen öffentlichen und privaten Einrichtungen koordinieren soll. In der Verordnung über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsverordnung, BehiV) vom 19. 11. 2003, die seit 1. 1. 2004 in Kraft ist, verfügt der Schweizerische Bundesrat in Ausführung des Behinder‐ tengleichstellungsgesetzes darüber hinaus, dass das EBGB für Bundesaufgaben im Zusammenhang mit der Gleichstellung der Menschen mit Behinderungen zuständig ist, soweit diese nicht von anderen besonderen Fachstellen der Bun‐ desverwaltung wahrzunehmen sind. In Artikel 16 heißt es in näherer Definition und damit noch konkreterer Bezugnahme auf Gebärden- und Schriftdolmetschleistungen und an Gebärdensprach- und Schriftdolmetscher: innen aus‐ bildende Institutionen - wenngleich ohne diese zu benennen -, dass Finanz‐ hilfen an nicht gewinnorientierte Organisationen und Einrichtungen von nati‐ onaler Bedeutung ausrichtbar sind, die: a. sprach-, hör- oder sehbehinderten Personen Hilfestellungen anbieten, welche die Kommunikation untereinander und mit anderen Personen er‐ möglichen; b. sich an der Ausbildung von spezialisierten Personen für die Kommuni‐ kation mit sprach-, hör- oder sehbehinderten Personen beteiligen. (BehiV 2003) Auf der Internetseite des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen findet sich ein eigener Bereich, in dem die Tä‐ tigkeit des Büros in Leichter Sprache erklärt wird ( EBGB 2020). Darüber hinaus finden sich unterschiedliche Themenbereiche, jeweils aufgegliedert in die Un‐ terseiten Gesetzliche Grundlagen, Umsetzung und Erfolge und Herausforde‐ rungen. Einer dieser Themenbereiche ist Dienstleistungen und Kommunikation gewidmet: Darin wird betont, wie wichtig eine angepasste Kommunikation zwischen Behörden und Dienstleistungsnutzenden mit Behinderungen ist. Als konkrete Beispiel werden Gebärdensprachdolmetscher: innen für gehörlose Menschen erwähnt sowie die Tatsache, „dass Menschen mit geistigen Behinde‐ rungen die leichte Sprache für die schriftliche Kommunikation“ benötigen (ibid.). Die genannte Verordnung weist in Anhang 1 ein Verzeichnis der nach BehiG beschwerde- und klageberechtigten Behindertenorganisationen auf: Darunter finden sich mit pro audito schweiz, dem Schweizerischen Verband für Gehör‐ losen- und Hörgeschädigten-Organisationen (Sonos), dem Schweizerischen Ge‐ hörlosenbund ( SGB - FSS ) drei Interessensvertretungen, die Adressat: innen von 88 Judith Platter Gebärdensprach- und Schriftdolmetschleistungen in institutionalisierter Form vertreten. 2.3 Die Zuständigkeit der Behörden für Soziales Die Zuständigkeit für die Ausführung und die Übernahme von Kosten für Dienstleistungen im Sinne der Barrierefreiheit wird sowohl im deutschen Bun‐ desbehindertengesetz als auch im österreichischen Bundes-Behindertengleich‐ stellungsgesetz an die Ministerien für soziale Angelegenheiten übertragen. So wird im deutschen Gesetz explizit erwähnt, dass Anlass und Umfang des An‐ spruchs auf Bereitstellung von geeigneten Kommunikationshilfen, die Grund‐ sätze für eine angemessene Vergütung und die Kommunikationshilfen selbst in die Verfügungsgewalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales fallen ( BMAS 2016). Im österreichischen Gesetzestext wird allgemeiner darauf ver‐ wiesen, dass die / der Bundesminister: in für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz mit der Vollziehung des Bundesgesetzes betraut wird. So‐ wohl in Deutschland als auch in Österreich gibt es gesonderte Anwendungsbe‐ stimmungen für die Umsetzung von Dolmetschleistungen im Sinne der Barrie‐ refreiheit. Konkret sind dies die vom Sozialministeriumservice ( SMS ) erlassenen Umsetzungsregelungen Dolmetschleistungen - Gebärdensprache sowie Um‐ setzungsregelungen Schriftdolmetsch-Leistungen ( SMS 2019a, 2019b). Darin wird zunächst die Dolmetschleistung definiert. In der Umsetzungsrichtlinie werden die Ausbildungsabschlüsse genannt, die Dolmetscher: innen vorweisen müssen, um förderfähige Einsätze absolvieren zu können - darunter finden sich mit Stand 2019 bereits akademisch angebundene Ausbildungsinstitutionen sowie eine seitens des entsprechenden Berufsverbandes eingerichtete Zulas‐ sungsprüfung, ebenso wie die Möglichkeit, Dolmetschungen vor Ort oder unter Verwendung technischer Kommunikationsmittel - gemeint ist eine entspre‐ chende Übertragungsplattform - zu erbringen. Nicht zuletzt werden auch Tarife und der Ersatz von Reisekosten genannt, die Dolmetscher: innen für derartige Leistungen in Rechnung stellen können, sowie die Tatsache, dass Dolmet‐ scher: innen ab einer Einsatzdauer von 90 Minuten im Team zum Einsatz kommen, bzw. bei kürzeren aber anspruchsvolleren Einsätzen bereits bei einer geringeren Dauer eine Teamdolmetschung bezahlt wird. In Österreich ist in Bezug auf die Barrierefreiheit noch das Gesetz vom 13. Dezember 2017 über die Unterstützung zur Teilhabe von Menschen mit Behin‐ derungen am gesellschaftlichen Leben (Tiroler Teilhabegesetz, TTHG ) erwähnens‐ wert, das am 1. 7. 2018 in Kraft trat. Auf Grund dessen werden zur Umsetzung einer inklusiven Gesellschaft, zur vollen, wirksamen, gleichberechtigten und nicht diskriminierenden Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesell‐ 89 Barrierefreie Kommunikation - Aspekte der Professionalisierung im DACH-Raum schaftlichen Leben und zur Überwindung entsprechender Barrieren Leistungen und Zuschüsse seitens des Bundeslandes Tirol gewährt. Als Leistungen in diesem Sinne werden in Paragraph 5 und 7 nebst mobilen Unterstützungsleis‐ tungen, pädagogischer Förderung, Therapien und psychologischen Behand‐ lungen auch „Leistungen der Kommunikation und Orientierung“ ( TTHG 2017) genannt - mit diesen sollen die kommunikativen Möglichkeiten erweitert, Ver‐ ständigung sichergestellt und eine selbständige Orientierung im Alltag ermög‐ licht werden. Konkret werden Gebärdensprach- und Schriftdolmetschleis‐ tungen in Abschnitt c) erwähnt. Die verrechenbaren Stundensätze werden in der 81. Verordnung der Landesregierung 2018 aufgelistet (Tarif- und Abrech‐ nungsverordnung 2018). Gebärdensprachdolmetschungen Schriftdolmetschungen Definition der Leis‐ tung SMS 2019a und b Als Dolmetschtätigkeit wird aus‐ schließlich das Dolmetschen von Gebärdensprache in Lautsprache und von Lautsprache in Gebär‐ densprache anerkannt. Hierbei handelt es sich um einen Übersetzungs‐ dienst, der gesprochene Sprache in Schrift um‐ wandelt. Die Übertra‐ gung erfolgt in Echtzeit. Hörbeeinträchtigte Menschen können „live“ mitlesen und damit mög‐ lichst aktiv am Ge‐ schehen teilnehmen. Definition der Leis‐ tung TTHG 2017 c) Dolmetschleistungen: Diese Leistungen unterteilen sich in 1. Gebärdensprachdolmetsch: Beim Gebärdensprachdolmetsch wird die gesprochene Ausgangs‐ sprache (Deutsch) in die Ziel‐ sprache (österreichische Gebär‐ densprache) und umgekehrt gedolmetscht, um die Verständi‐ gung zwischen Menschen mit Hörbehinderungen und Men‐ schen ohne Hörbehinderungen si‐ cherzustellen; c) Dolmetschleistungen: Diese Leistungen unter‐ teilen sich in […] 2. Schriftdolmetsch: Beim Schriftdolmetsch wird von der gespro‐ chenen Ausgangs‐ sprache (Deutsch) in die Zielsprache (schriftli‐ ches Deutsch) gedol‐ metscht, um die Verstän‐ digung zwischen Menschen mit Hörbe‐ hinderungen und Men‐ schen ohne Hörbehinde‐ rungen sicherzustellen; Anerkannte Ausbil‐ dungsabschlüsse SMS 2019a und b Qualifizierte Gebärdensprachdol‐ metscher: innen mit geeigneter Ausbildung • Dolmetschstudium mit Ge‐ bärdensprache am Institut für Theoretische und Ange‐ Zertifizierte Schriftdol‐ metscher: innen mit Aus‐ bildungsabschluss • des ÖSB - Österrei‐ chischer Schwerhö‐ 90 Judith Platter Gebärdensprachdolmetschungen Schriftdolmetschungen wandte Translationswissen‐ schaft (ITAT) an der Univer‐ sität Graz; • Fachausbildung Gebärden‐ sprachdolmetschen an der Fachhochschule Linz; • Berufseignungsprüfung, durchgeführt vom Österrei‐ chischen Gebärden‐ sprach-dolmetscher‐ Innen-Verband; rigenbund-Dachver‐ band; • der BFI Tirol Bil‐ dungs GmbH; • des Ausbildungs‐ lehrgangs „Barriere‐ freie Kommunika‐ tion; Schriftdolmetschen“ der Universität Wien, Zentrum für Translationswissen‐ schaft Tarife SMS 2019a und b • pro halbe Stunde Gebärden‐ sprachdolmetschtätigkeit 29 € • bei Remote-Einsätzen 1 € pro Minute • pro halbe Stunde Schriftdolmetschtä‐ tigkeit 25 € • bei Remote-Ein‐ sätzen 1 € pro Minute TTHG 2017 pro Stunde 56 €, mit Mindestverrechnungssatz von 30 Mi‐ nuten und Überstundentaktung von 15 Minuten Tab. 4: Gebärdensprach- (SMS 2019a) und Schriftdolmetschleistungen (SMS 2019b) laut Umsetzungsrichtlinie des österreichischen Sozialministeriumservice sowie nach dem TTHG 2017 Ähnlich detailliert in der Nennung von Translator: innen, die für Menschen mit Hörbehinderungen tätig sind, ist auch die seitens des deutschen Bundesminis‐ teriums der Justiz und für Verbraucherschutz erlassene Verordnung zur Verwen‐ dung von Gebärdensprache und anderen Kommunikationshilfen im Verwaltungs‐ verfahren nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (Kommunikationshilfenverordnung, KHV ). Darin wird auf das zu Grunde liegende Behindertengleichstellungsgesetz Bezug genommen (Paragraph 1) und explizit erwähnt, dass eine Anspruchsberechtigung gegenüber jeder/ jedem Träger: in öffentlicher Gewalt sowie ein Wahlrecht hinsichtlich der zu benutzenden bzw. als geeignet erachteten Kommunikationshilfe gegeben ist. In Paragraph 3 erfolgt dann eine Aufzählung, welche Kommunikationshilfe als geeignet anzusehen ist - nämlich, „wenn sie im konkreten Fall eine für die Wahrnehmung eigener Rechte im Ver‐ waltungsverfahren erforderliche Verständigung sicherstellt“. Gebärdensprach‐ dolmetscher: innen sind hiernach Kommunikationshilfen, Schriftdolmetscher: innen werden als Kommunikationshelfer: innen eingestuft. Ebenso er‐ wähnt werden die Grundsätze für eine angemessene Vergütung und Erstattung. Dabei wird im deutschen Verordnungstext auf das Justizvergütungs- und -ent‐ 91 Barrierefreie Kommunikation - Aspekte der Professionalisierung im DACH-Raum 2 In Paragraph 14 wird bei häufiger Inanspruchnahme von Sachverständigen, Dolmetsch‐ enden und Übersetzer: innen eine Vereinbarung über die zu gewährende Vergütung festgelegt, also eine Art Rahmenvertragsregelung. Der im Dezember 2019 zur Novel‐ lierung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz nach Beratungen mit dem deutschen Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer e. V. vorgelegte Referen‐ tenentwurf (2019) sieht insofern eine Streichung des Paragraphen 14 vor. Der Bundes‐ verband der Dolmetscher und Übersetzer e. V. nennt dies „die zentrale Forderung des BDÜ im Rahmen der Beratungen zum Referentenentwurf “ (BDÜ 2019). Darüber hinaus ist im Referentenentwurf auch eine Anhebung der Vergütungstarife enthalten: Diese waren im August 2013 letztmals an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst worden. Das erklärte Ziel des Referentenentwurfs ist es nicht zuletzt, die Honorarsätze des JVEG an die auf dem freien Markt erzielten anzunähern, um sicherzustellen, dass weiterhin qualifizierte Translator: innen in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen und „künftig wieder verstärkt Aufträge der Justiz“ annehmen (BDÜ 2020b). schädigungsgesetz ( JVEG ) Bezug genommen. Die Vergütung von Sachverstän‐ digen, Dolmetscher: innen und Übersetzer: innen findet sich in Abschnitt 3 und umfasst jeweils das Honorar für die erbrachte Leistung, Fahrtkostenersatz, Ent‐ schädigung für den Aufwand sowie Ersatz für sonstige und für besondere Auf‐ wendungen. 2 Auch die Grundsätze zur Finanzierung von Schriftdolmetsch-Leis‐ tungen nach dem Sozialgesetzbuch ( SGB ) IX sind ähnlich detailliert: Darin wird eine Schriftdolmetschung zunächst definiert; des Weiteren werden die Tech‐ niken, die für die Umsetzung einer Schriftdolmetschung (vgl. Platter 2019) he‐ rangezogen werden können, sowie etwaige Ausbildungsbzw. Zertifizierungs‐ nachweise aufgelistet (Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration des Bundeslandes Hamburg 2015). In der Regelung finden sich ebenso Angaben zur Vergütung von Dolmetschzeiten. Gebärdensprachdolmet‐ schungen Schriftdolmetschungen Definition der Leis‐ tung KHV (2) Als Kommunikationshilfen kommen in Betracht: 1. Gebärdensprachdolmet‐ scherinnen und Gebärden‐ sprachdolmetscher, 2. Kommunikationshelfer‐ innen und Kommunikati‐ onshelfer, 3. Kommunikationsme‐ thoden sowie Kommunikationshelferinnen und Kommunikationshelfer nach Satz 1 Nummer 2 sind insbesondere 1. Schriftdolmetscherinnen und Schriftdolmetscher 3 , 2. Simultanschriftdolmet‐ scherinnen und Simultan‐ schriftdolmetscher, 92 Judith Platter 3 Eine Differenzierung zwischen Simultanschriftdolmetscher: innen (Übertragung der gesprochenen Sprache mittels computerkompatibler Stenographie in die Schriftform (dem Inhalt nach vollständig, in der Schriftform weitgehend wortwörtlich)) und Schrift‐ dolmetscher: innen (Übertragung der gesprochenen Sprache mittels computerkompa‐ tibler Stenografie oder Normaltastatur in die Schriftform (dem Inhalt nach nahezu voll‐ ständig, in der Schriftform zusammenfassend)) (DSB e. V. 2020) scheint aus wissenschaftlicher und praktischer Sicht nicht mehr schlüssig: Die Leistung von Schrift‐ dolmetscher: innen besteht in der quasi-simultanen Übertragung von mündlichen Äu‐ ßerungen sowie anderen, für die Kommunikationssituation notwendigen Elementen in einen lesbaren, an die Kommunikationssituation und somit an die entsprechenden An‐ forderungen, unter anderem des / r entsprechenden Adressaten / Adressatin ange‐ passten schriftlichen Text. Dabei gilt es, situationsadäquate und adressat: innengerechte translatorische Entscheidungen unter Berücksichtigung der verwendeten Schriftdol‐ metschmethode (tastaturbasierte Systeme wie Stenographie, Velotype oder Stan‐ dard-QWERTZ-Tastatur, Spracherkennungsmethode) zu treffen. Dass es insofern zu entsprechenden Adaptierungen auf unterschiedlichen Ebenen - inhaltlich und sprach‐ lich, makro- und mikrostrukturell - kommt, ist selbstredend. Gebärdensprachdolmet‐ schungen Schriftdolmetschungen 4. Kommunikationsmittel 3. Oraldolmetscherinnen und Oraldolmetscher, 4. Kommunikationsassis‐ tentinnen und Kommuni‐ kationsassistenten oder 5. sonstige Personen des Vertrauens der Berech‐ tigten. Definition der Leis‐ tung SGB Folgende Techniken zur Übertragung von gespro‐ chener Sprache in die lesbare Schriftsprache gelten als Schriftdolmetschen: • Konventionelles Com‐ puter-Verfahren […] • Maschinenstenogra‐ phie-Verfahren […] • Spracherkennungs-Ver‐ fahren […] Anerkannte Ausbil‐ dungsabschlüsse KHV • mit nachgewiesener abgeschlossener Berufsausbildung oder staatlicher Anerkennung für das ausgeübte Tätig‐ keitsfeld (a) • mit nachgewiesener abgeschlossener Qualifizierung für das ausgeübte Tätigkeitsfeld (b) Anerkannte Ausbil‐ dungsabschlüsse SGB Zertifikate von: 93 Barrierefreie Kommunikation - Aspekte der Professionalisierung im DACH-Raum 4 Laut Referentenentwurf ist ein einheitlicher Stundensatz von 95 € gefordert (Referen‐ tenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (2019)). 5 Für die nicht gesetzlich geregelten und somit seitens Anbieter: innen von Schriftdol‐ metschleistungen auf dem freien Markt angebotenen Tarife wird für die Schweiz auf Gebärdensprachdolmet‐ schungen Schriftdolmetschungen • Deutscher Schwerhöri‐ genbund e. V. • Akademie Z&P • Kombia GbR • Paulinenpflege Winn‐ enden Tarife KHV bzw. JVEG 75 € pro geleistete Dolmetschstunde (a) bzw. in Höhe von 75 % davon (b) 4 Tarife SGB für zertifizierte Schriftdol‐ metschende • bis zu 55 € pro Stunde bzw. bis zu 27,50 € pro halbe Stunde • für nicht zertifizierte Schriftdolmetschende bis zu 35 € pro Stunde bzw. bis zu 17,50 € pro halbe Stunde Tab. 5: Dolmetschleistungen laut KHV und Grundsätze zur Finanzierung von Schrift‐ dolmetsch-Leistungen nach SGB IX In der Schweiz werden invaliditätsbezogene Mehrkosten für besondere, von Dritten erbrachte Dienstleistungen, die notwendig sind, um Beruf, Aus- und Weiterbildung oder die Aufgaben im Tätigkeitsbereich auszuüben, nach der Verordnung des EDI über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversi‐ cherung ( HVI ) von der Invalidenversicherung ( IV ) übernommen. Darunter fallen Dolmetschleistungen, für deren Vermittlung die Stiftung Kommunikations‐ hilfen für Hörgeschädigte (Procom) zuständig ist (Procom 2020). Diese werden bis zu einem Maximalbetrag von 1763 Franken bei vollem Leistungsanspruch übernommen. In der entsprechenden Tarifvereinbarung zwischen dem Bun‐ desamt für Sozialversicherung und Procom wird definiert, in welcher Art und welchem Umfang Gebärdensprachdolmetschungen zu erbringen sind, welche Grundlagen es für Einzel- und Doppelbesetzung gibt und welche Tarife schla‐ gend werden 5 . Schriftdolmetschleistungen werden in der Regelung nicht er‐ 94 Judith Platter pro audito schweiz (pro audito schweiz 2020) und Swiss Txt AG (Swiss Txt AG 2020) verwiesen. wähnt, werden aber nach demselben Prinzip als von Dritten erbrachte Dienst‐ leistung abgegolten (Swiss Txt AG 2020). Gebärdensprachdolmetschungen Definition der Leistung Die Dolmetscherleistungen dienen ausschliesslich dem Führen anspruchsvoller Gespräche und zum Vermitteln von anspruchsvollem Lernstoff, auf die / den die versi‐ cherte Person im Rahmen der Erwerbstätigkeit, der Tä‐ tigkeit im Aufgabenbereich oder Ausbildung angewiesen ist. Tarife 119 Fr. pro Stunde bei Einzelbesetzung 90 Fr. pro Stunde bei Doppelbesetzung Tab. 6: Dolmetschleistungen laut Tarifvereinbarung in der Schweiz (BSV 2005) 2.4 Zusammenfassender Vergleich der Rechtsgrundlagen in Deutschland, Österreich und der Schweiz Im deutschen BGG lässt sich in der aktualisierten Version aus dem Jahr 2016 bereits eine Detailliertheit in Bezug auf Kommunikationshilfen und somit Translator: innen feststellen, die Begrifflichkeiten Leichte Sprache und die Er‐ richtung einer Bundesfachstelle Barrierefreiheit sind einzigartig im DACH -Ver‐ gleich. Eine klare Zuständigkeit des Sozialministeriums wird im deutschen Ge‐ setzestext formuliert. Für die Vergütung von Gebärdensprach- und Schriftdolmetscher: innen wird auf das JVEG verwiesen. Durch Tarifstaffe‐ lungen für zertifizierte und nicht-zertifizierte Dolmetscher: innen ist ein mone‐ tärer Anreiz zur Weiterbildung bzw. Zertifizierung gegeben. Im österreichischen BGS tG beschränkt man sich auf die Definition von Bar‐ rierefreiheit, Translator: innen finden nur in einem anderen Kontext, nämlich im Rahmen einer Schlichtung, sollte der Anspruch der Barrierefreiheit nicht erfüllt werden, Erwähnung. Ebenso wie im deutschen Gesetzestext wird jedoch die Zuständigkeit des Sozialressorts erwähnt. Konkrete Umsetzungsregelungen finden sich in der Umsetzungsrichtlinie für Gebärdensprach- und Schriftdol‐ metsch-Leistungen, die seitens des Sozialministeriums in mehrmaligen Aktua‐ lisierungen herausgebracht wurde; die letztgültige Version datiert vom No‐ vember 2019 und schreibt darin auch zum Teil akademische 95 Barrierefreie Kommunikation - Aspekte der Professionalisierung im DACH-Raum Ausbildungsmöglichkeiten bzw. vom Berufsverband organisierte Zulassungs‐ prüfungen fest, die seitens der öffentlichen Hand anerkannt werden. Im Schweizerischen BehiG und der entsprechenden BehiV wird das Erlernen der Gebärdensprache explizit erwähnt; Schriftdolmetscher: innen und Leichte Sprache finden sich in einem indirekten Bezug, wenn Institutionen erwähnt werden, die hörbehinderten Personen Hilfestellung im Sinne einer Ermögli‐ chung von Kommunikation anbieten oder Ausbildungsmaßnahmen für Per‐ sonen forcieren, die für die Kommunikation mit hörbehinderten Personen he‐ rangezogen werden können. Hinweise auf die Vergütung finden sich im schweizerischen Gesetzestext nicht; es gibt allerdings entsprechende Tarifver‐ einbarungen mit öffentlich geförderten Stellen. Mit der Schaffung des EBGB in der Schweiz bzw. der Bundesfachstelle Barrierefreiheit in Deutschland gibt es zwei gesetzlich verankerte, mit entsprechenden Zuständigkeiten betraute In‐ stitutionen, die Adressat: innen von Gebärdensprach- und Schriftdolmetschleis‐ tungen und Leichter Sprache gezielt informieren können. Auf der deutschen Seite werden dabei sowohl Leichte Sprache als auch Schriftdolmetschen er‐ wähnt, in der Schweiz nur letztere. Translator: innen, die sich im etablierten Bereich des Gebärdensprachdolmetschens und in den relativ rezenten Betäti‐ gungsfeldern Schriftdolmetschen und Leichte Sprache bewegen und entspre‐ chende Dienstleistungen anbieten, haben demzufolge eine solide Rechtslage, was die Verpflichtung zur Bereitstellung von barrierefreien Kommunikations‐ mitteln und -systemen anbelangt (u. a. Maaß 2018: 273, Helmle 2017: 39 f.). In Bezug auf die konkrete Umsetzung der entsprechenden Dienstleistungen zeigen sich aber noch differierende Bedarfe zur Sensibilisierung von Institutionen, die mit der Umsetzung bzw. der Abwicklung von barrierefreien Kommunikations‐ angeboten betraut sind, etwa um eindeutige Begrifflichkeiten auszuarbeiten - so ist etwa die Differenzierung von Simultanschriftdolmetscher: innen und Schriftdolmetscher: innen fragwürdig; auch die Bezeichnung von Schriftdolmet‐ schen als Übersetzungsdienst ist zu hinterfragen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist zweifelsohne auch die tarifliche Gestaltung im Sinne „auskömmlicher“ trans‐ latorischer Tätigkeit durch Translator: innen „mit hoher Qualifikation und Er‐ fahrung“ ( BDÜ 2020b), die im Bereich Gebärdensprach- und Schriftdolmetschen an die marktüblichen Stundensätze angeglichen werden sollten, im Bereich Leichte Sprache grundsätzlich noch festzusetzen sind. 3 Vergleichende Zusammenschau barrierefreier Translation Aus den rechtlichen Grundlagen der Barrierefreiheit bzw. der barrierefreien Kommunikation und den vorig dargelegten Begrifflichkeiten, Rahmenbedin‐ 96 Judith Platter gungen und Ausgestaltungen ergibt sich zwangsläufig die Notwendigkeit, Kom‐ munikationsmittel bzw. Translator: innen einzusetzen, die über entsprechende Ausbildung, Qualifikation, Erfahrung und Routine verfügen. Eine Anknüpfung an die angewandte und theoretische Translationswissenschaft ist demnach die logische Konsequenz im Rahmen der Professionalisierung. Deren Fortschreiten wird anhand der eingangs geschilderten Phasen und ausgewählter Institutionen ohne Anspruch auf Vollständigkeit abschließend verglichen. Das Gebärdensprachdolmetschen ist dabei in der Wahrnehmung als transla‐ torische Tätigkeit voraus, weil es sich - auch für den Laien erkennbar - um die Mittlung zwischen zwei Sprach- und Zeichensystemen handelt. Der Bereich Schriftdolmetschen ist in den skandinavischen Ländern seit den 1970-er Jahren etabliert und „recognised as on a par with spoken or sign language interpreting“ (Norberg & Stachl-Peier 2017: 130). Leichte Sprache als intralinguale Form der Übersetzung und das Schriftdolmetschen als intra- und interlingual angebotene Dolmetschleistung rücken aber erst seit einiger Zeit in den Fokus und die Wahr‐ nehmung von Translationswissenschaft, Translationspraxis und Öffentlichkeit (Norberg et al. 2015: 37, Maaß 2018: 273-277, Tiittula 2009 und 2018). Dies ist darauf zurückzuführen, dass Aus- oder Weiterbildungsmöglichkeiten im deutschsprachigen Raum dazu generell noch nicht allzu lange bestehen und auch im Hinblick auf ausbildende Institutionen sehr unterschiedlich sind: So wurde die erste Ausbildung für Schriftdolmetscher: innen in Österreich im Rahmen eines EU -Projektes mit Laufzeit 2009-2011 implementiert; seit 2018 gibt es ein weiteres Angebot am BFI Tirol. In Deutschland ist der Deutsche Schwerhörigenbund ( DSB ) seit den späten 1990-er Jahren auch als Ausbildungs‐ institution für angehende Schriftdolmetscher: innen tätig; daneben gibt es aber auch Institutionen, die Schriftdolmetscher: innen ausbilden und vermitteln - etwa Kombia oder Audio.Scribo GbR. Im Bereich Leichte Sprache hat sich im deutschsprachigen Raum das Social Franchise Capito einen Namen gemacht. Es bezeichnet sich als Netzwerk mit 20 Standorten in Deutschland, Österreich und der Schweiz und bietet sowohl Ausbildungen für Leichte Sprache, etwa im Rahmen eines 10-tägigen Workshops, als auch Übersetzungsdienste in Leichte Sprache an. Akademisch angebundene Angebote unter Berücksichtigung translations‐ wissenschaftlich fundierter Forschungserkenntnisse und entsprechend vermit‐ telter Strategien zeugen zunehmend davon, dass sich diese Betätigungsfelder als translatorische Disziplinen etablieren. Ein Vergleich dieser zeigt - ganz ähnlich zur Berufspraxis - oftmals eine enge Verknüpfung barrierefreier Translations‐ formen, bedingt durch die Institutionen, die diese anbieten. So gibt es etwa am Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft ( ITAT ) der 97 Barrierefreie Kommunikation - Aspekte der Professionalisierung im DACH-Raum 6 Im Frühjahr 2020 gab es etwa eine dreiteilige Seminarreihe mit folgenden Schwer‐ punkten: Grundlagen Leichter Sprache, Intralinguale Übersetzung als Dienstleistung sowie Fachübersetzen in Leichte Sprache im Kontext von Barrierefreiheit (BDÜ 2020a). Karl-Franzens-Universität Graz, wo auch Gebärdensprache belegt werden kann, in den Masterstudien „Übersetzen und Dialogdolmetschen“ und „Übersetzen“ ein aus zwei Kursen bestehendes Modul mit je zwei Kontaktstunden und 4 ECTS „Schriftdolmetschen“ ( ITAT 2020). Am Institut für Übersetzungswissenschaft und Fachkommunikation der Universität Hildesheim ist das Übersetzen in Leichte Sprache seit 2011 Teil der Masterstudiengänge „Medientext und Medi‐ enübersetzung“ (Universität Hildesheim 2018) und „Internationale Fachkom‐ munikation: Sprache und Technik“ (Universität Hildesheim 2015). Seit Herbst 2018 gibt es einen Masterlehrgang für Barrierefreie Kommunikation, unter an‐ derem mit dem Schwerpunkt Übersetzen in Leichte Sprache (Universität Hil‐ desheim 2019). Seit 2014 ist dort die Forschungsstelle Leichte Sprache ( FLS ) aktiv, die 2015 auch das erste Regelwerk zur Leichten Sprache veröffentlichte, das sich explizit an Translator: innen richtet. Hinzu kommen regelmäßige Se‐ minarangebote und ein elektronischer, frei abonnierbarer Newsletter ( FLS 2020). Ebenso in Deutschland befasste sich das Forschungsprojekt Leichte Sprache im Arbeitsleben (Lei SA ) an der Universität Leipzig für einen Zeitraum von drei Jahren mit Leichter Sprache (Lei SA 2020). Breiter gefasst ist wiederum der Tätigkeitsbereich des Kompetenzzentrums Barrierefreie Kommunikation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ( ZHAW 2020a): Dort wird unter anderem in den Bereichen Schriftdolmetschen und Leichte Sprache geforscht und eine jährliche Sommerschule angeboten. Seit Herbst 2016 kann man dort den Masterstudienlehrgang Angewandte Linguistik mit Vertiefung Fachübersetzen und Spezialisierung in Barrierefreier Kommunikation belegen ( ZHAW 2020b). Seit Oktober 2019 gibt es am Postgraduate Center ( PGC ) und dem Zentrum für Translationswissenschaft ( ZTW ) der Universität Wien einen berufsbegleitenden Zertifikatskurs „Barrierefreie Kommunikation: Schriftdol‐ metschen“ ( PGC 2020). Ein ähnliches Format bietet die Hochschule für Ange‐ wandte Sprachen in München ( SDI 2020). Auch in den berufsrelevanten Vertretungen ziehen diese Themenfelder ihre Kreise. Die Attraktivität der entsprechenden Nischen zeigt sich etwa in den Weiterbildungsangeboten des Bundesverbands der Dolmetscher und Übersetzer ( BDÜ ), der mit Seminarreihen und Fachpublikationen zur Leichten Sprache wirbt ( BDÜ 2020a, Helmle 2017) 6 und ein Zertifizierungsprogramm für Über‐ setzer: innen implementiert hat, die ihre berufliche Tätigkeit auf den Bereich Leichte Sprache ausdehnen wollen. Auch auf der Internetseite des Berufsver‐ bandes für Dolmetschen und Übersetzen Universitas Austria kann man sich über 98 Judith Platter das Gebärdensprach- und Schriftdolmetschen informieren; Mitglieder haben die Möglichkeit, derartige Zusatzqualifikationen auf den individuellen Informati‐ onsseiten anzugeben. Die Schweizer Dolmetscher- und Übersetzervereinigung ( DÜV ) versammelt unter ihren Mitgliedern Absolvent: innen der Translations‐ studien in der Schweiz und somit auch jene, die sich über das Masterstudium für Barrierefreie Kommunikation qualifizieren. Hinzu kommen auf nationaler Ebene die Interessensvertretungen in den spezifischen Fachbereichen, etwa der Bundesverband der Schriftdolmetscher Deutschlands ( BSD ), der Österreichi‐ sche SchriftdolmetscherInnen-Verband ( ÖSDV ), der Österreichische Gebärden‐ sprach-DolmetscherInnen- und -ÜbersetzerInnen-Verband ( ÖGSDV ), der Bun‐ desverband der GebärdensprachdolmetscherInnen Deutschlands ( BGSD ), der Bundesverband der Dozenten für Gebärdensprache ( BDG ) sowie der Bundes‐ verband der tauben GebärdensprachdolmetscherInnen ( TGSD ). Die Berufsver‐ bände verfügen über eine Berufs- und Ehrenordnung und stellen so das profes‐ sionelle Verhalten ihrer Mitglieder sicher. Darüber hinaus fungieren sie auch als vermittelnde Instanz, indem sie über Verzeichnisse in gedruckter oder digitaler Form Expert: innen an Kund: innen und die Öffentlichkeit vermitteln. Sie können gezielte Öffentlichkeitsarbeit betreiben und dadurch auch zur Sensibilisierung gegenüber dem Berufsbild beitragen. Ähnliche Funktion haben im Bereich der Barrierefreien Kommunikation auch Interessensvertretungen von Menschen mit Einschränkungen, etwa die Gehör‐ losen- oder Schwerhörigenverbände für den Bereich Gebärdensprach- und Schriftdolmetschen. Sie verfügen in vielen Fällen über Informationsstellen an der Schnittstelle von Angebot und Nachfrage, an die sich ihre Mitglieder und somit Personen, die potentiell barrierefreie Translationsleistungen in Anspruch nehmen können, wenden. Dort liegen Expert: innenlisten auf, in die sich Trans‐ lator: innen mit entsprechendem Portfolio eintragen lassen können. Nicht selten sind derartige Interessensvertretungen auch in Aus- und Weiterbildungsange‐ bote involviert. Dies zeigt sich etwa auch in der Leichten Sprache: Inclusion Europe ist die Europäische Vereinigung von Menschen mit geistiger Behinde‐ rung mit 72 Mitgliedern in 38 Ländern und hat auch ein Regelwerk zur Leichten Sprache veröffentlicht. Sie vergibt darüber hinaus das Siegel „Easy to Read“. Auch das Netzwerk People First hat im Jahr 2000 eine der ersten Publikationen zur Leichten Sprache in Form eines Wörterbuches herausgebracht (Mensch zu‐ erst 2020). Das Netzwerk Leichte Sprache besteht seit 2006 und befasste sich als eines der ersten mit den Regeln für Leichte Sprache. Im Bereich Leichte Sprache führt die FLS der Universität Hildesheim eine Liste zertifizierter Übersetzer: innen für Leichte Sprache (Universität Hildesheim 2020). Auch der BDÜ hat für seine Mitglieder ein Zertifizierungsprogramm für 99 Barrierefreie Kommunikation - Aspekte der Professionalisierung im DACH-Raum Leichte Sprache umgesetzt. Im Bereich Schriftdolmetschen gestaltet sich die ös‐ terreichische Ausbildungspraxis so, dass die angebotenen Ausbildungsangebote mit Zertifizierungsprüfungen enden, die seitens des Sozialministeriumservice anerkannt sind. Auch die in Deutschland vorhandenen Ausbildungsmöglich‐ keiten enden mit einer Zertifikatsprüfung, die großteils vom DSB anerkannt werden. In Hessen gibt es seit 2019 erstmals eine Staatliche Prüfung für Über‐ setzer: innen, Dolmetscher: innen, Lehrer: innen für Gebärdensprache, Schrift‐ dolmetscher: innen ( ÜDPVO ); eine ähnliche Zertifizierung ist derzeit für die Deutsche Gebärdensprache und entsprechende Dolmetscher: innen an der Hum‐ boldt-Universität Berlin in Planung. Dass Barrierefreie Translationsformen auch inklusiv ausgerichtet sein können, zeigt das Angebot der Universität Salzburg in Zusammenarbeit mit dem ÖGLB und dem ÖGSDV : Dort werden im Universitätslehrgang „Dolmet‐ schen und Übersetzen für österreichische Gebärdensprache, Deutsch und In‐ ternational Sign“ taube und hörende Gebärdensprachdolmetscher: innen und -Übersetzer: innen ausgebildet. Am SDI München kann der Zertifikatskurs für Schriftdolmetscher: innen auch von blinden Personen besucht werden und ist aus zwei Blickwinkeln barrierefrei. Dasselbe gilt auch für das Ausbildungs‐ angebot „Barrierefreie Kommunikation: Schriftdolmetschen“ am PGC der Universität Wien. Gebärdensprachdolmetschen Leichte Sprache Schriftdolmetschen Phase I Erste Ausbildungsinstitutionen Capito BFI Wien DSB Phase II Ausbildungsinsti‐ tutionen FH Gesundheit Inns‐ bruck FH Linz BDÜ BFI Tirol Kombia Audio.Scribo Absolvent: innen-/ Expert: innenlisten Siehe Berufsverbände Siehe Informations‐ stellen Dolmetschzentrale für Gebärdensprache SMS-Liste GESTU-Liste Siehe Berufsver‐ bände Siehe Informati‐ onsstellen Siehe Berufsver‐ bände Siehe Informati‐ onsstellen Dolmetschzent‐ rale für Gebärden‐ sprache SMS-Liste GESTU-Liste DSB-Liste 100 Judith Platter Gebärdensprachdolmetschen Leichte Sprache Schriftdolmetschen Phase III Berufsverbände mit Berufs- und Eh‐ renordnung BDÜ Universitas DÜV ÖGSDV BGSD BDG TGSD BDÜ Universitas DÜV BDÜ Universitas DÜV ÖSDV BSD pro.audito Vermittlungsinsti‐ tutionen Siehe Berufsverbände Dolmetschzentrale für Gebärdensprache Siehe Berufsver‐ bände Capito Siehe Berufsver‐ bände VerbaVoice Kombia Audio.Scribo Swiss TxT DSB samt Lan‐ desverbänden Dolmetschzent‐ rale für Gebärden‐ sprache Informations‐ stellen / Interessensvertretungen ÖGLB DGB Inclusion Handicap SGB-FSS Procom Sonos pro.audito BFSUG GIB Inclusion Han‐ dicap Inclusion Europe Netzwerk People First Netzwerk Leichte Sprache BFSUG ÖSB DSB Inclusion Han‐ dicap SGB-FSS Procom Sonos pro.audito BFSUG GIB Phase IV Zertifizierung ÜDPVO DGS-Sprachzertifizie‐ rung Easy to Read FLS-Zertifizie‐ rung Universität Hildesheim BDÜ-Zertifizie‐ rung SMS-Zertifizie‐ rung DSB-Zertifizie‐ rung Ausbildungszerti‐ fikate ÜDPVO Akademisch ange‐ bundene Aus- und Weiterbildungsins‐ titutionen ITAT Universität Graz Universität Salzburg FLS Universität Hildesheim LeisA Universität Leipzig Kompetenz‐ zentrum Barriere‐ freie Kommuni‐ kation ZHAW PGC / ZTW Uni‐ versität Wien SDI München ITAT Universität Graz Kompetenz‐ zentrum Barriere‐ 101 Barrierefreie Kommunikation - Aspekte der Professionalisierung im DACH-Raum Gebärdensprachdolmetschen Leichte Sprache Schriftdolmetschen freie Kommuni‐ kation ZHAW Tab. 7: Übersicht über die Professionalisierungsphasen nach Tseng (1992) und Ju (2009) für barrierefreie Translationsformen (Platter 2015: 198-265, Platter 2019, Maaß 2018: 273 f., Helmle 2017, Tiittula 2018) Barrierefreie Kommunikation bzw. barrierefreie Translationsformen zeigen sich im Vergleich zum Status quo der Translation nach Pym im Jahr 2012 demnach in einigen Fällen auf höheren Professionalisierungsstufen - beispielhaft dafür sei die Zertifizierung seitens öffentlicher bzw. fördernder Stellen gegeben. Dies mag unter anderem damit zusammenhängen, dass es sich derzeit in vielen Fällen um Professionsnischen mit einer überschaubaren Zahl an praktizierenden Translator: innen handelt. Mit den sich zunehmend diversifizierenden Ausbil‐ dungsmöglichkeiten und den allgemeinen Rahmenbedingungen - etwa einer sich intensivierenden Migration, weiteren Anwendungsgebieten der Konzepte von Inklusion, Integration und Barrierefreiheit - gewinnen diese aber zweifels‐ ohne mehr und mehr an Bedeutung. Literatur AEMR (1948). Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. A / RES / 217, UN-Doc. 217 / A-(III). BDG - Bundesverband der Dozenten für Gebärdensprache e. V. (2020). Abrufbar unter: h ttp: / / www.bdg-gebaerdensprache.de/ (Stand: 10 / 12 / 2020) BDÜ - Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer e. V. (2019). JVEG-Novellierung: Referentenentwurf veröffentlicht - BDÜ sieht wesentliche Empfehlungen umgesetzt. 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Während aus den Sozial- und Sprachwissenschaften neben Grundlagenforschung zum Ge‐ sprächsdolmetschen vor allem Untersuchungen zu bestimmten institution‐ ellen Kontexten vorgelegt wurden, ist translationswissenschaftliche For‐ schung nur teilweise empirisch fundiert und überwiegend auf die Frage nach den verschiedenen Beteiligungsrollen von Dolmetscher: innen konzentriert. Die besprochenen Untersuchungen bilden ein breites Spektrum institution‐ eller Bereiche ab, Krankenhäuser, Polizei, Schulen, Psychotherapie, industri‐ elle Schulungen, aber auch sozialwissenschaftliche Untersuchungen mit Dolmetschbeteiligung. Sie dokumentieren damit die vielfältige Forschungstradition zu diesem Thema in Deutschland. 1 Einleitung Die deutsche Forschung zum Dolmetschen im soziokulturellen Kontext lässt sich in einem sozialbzw. sprachwissenschaftlichen Feld und einem translati‐ onswissenschaftlichen Feld verorten. Beide Felder haben jeweils unterschied‐ liche Zugänge zu diesem Gegenstandsbereich, unterscheiden sich hinsichtlich ihres theoretischen und methodologischen Rahmens und weisen nur teilweise einen Austausch und Überschneidungen auf. Aus diesen Unterschieden ergeben sich jeweils auch unterschiedliche Entwicklungslinien, die im Folgenden skiz‐ ziert werden. Der chronologisch angelegte Überblick über die Forschungen in diesem Bereich ist dabei nicht vollständig. Vielmehr versuche ich, wesentliche Beiträge überblicksartig darzustellen. Graue Literatur sowie Veröffentlichungen auf der Basis von Master- oder Diplomarbeiten usw. wurden dabei nicht be‐ rücksichtigt, ebenso wenig das Gerichtsdolmetschen. Sozial- und sprachwissenschaftliche Arbeiten interessieren sich für die Frage, wie Kommunikation in verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen unter der Bedingung stattfinden kann, dass nicht alle Akteure dieselbe Sprache spre‐ chen. Aus dieser übergreifenden Fragestellung ergeben sich dann Teilfragen, etwa danach, wie zweisprachige Personen in solchen Interaktionen als Mittler: innen tätig werden, welche Rollenauffassung sie haben, wie sie den Um‐ gang mit der Sprachbarriere steuern, welche konkreten kommunikativen An‐ forderungen bestimmte Handlungskontexte an diese Mittler: innen stellen usw. Die sozial- und sprachwissenschaftliche Herangehensweise ist dabei überwie‐ gend empirisch orientiert und fußt in der Regel auf der Analyse von authenti‐ schen Gesprächsdaten. Demgegenüber sind die translationswissenschaftlichen Forschungen zum Dolmetschen im soziokulturellen Kontext in Deutschland vor allem kulturwissenschaftlich orientiert und diskutieren Fragen des Rollenvers‐ tändnisses und Berufsbildes, der Dolmetschdidaktik sowie der spezifischen Si‐ tuation in einzelnen Einsatzbereichen, wie etwa der Polizei. Dabei werden auch normative oder berufsständische Perspektiven diskutiert, wie etwa die Hierar‐ chisierung verschiedener Dolmetscharten (Konferenzdolmetschen vs. Dolmet‐ schen im kommunalen Bereich) oder die Problematik des überwiegenden Ein‐ satzes von ehrenamtlich tätigen Dolmetscher: innen, Angehörigen oder Personen ohne erkennbare Qualifikation. Methodologisch changiert das trans‐ lationswissenschaftliche Feld zwischen Introspektion und theoretischen Über‐ legungen einerseits sowie empirischen Untersuchungen andererseits, wobei häufig Interviewdaten oder Eindrücke aus der Praxis verarbeitet werden und selten Gesprächsaufzeichnungen. Neben den skizzierten wissenschaftlichen Entwicklungslinien gibt es schon seit den 1980er Jahren immer wieder Veröffentlichungen, in denen praktische Erfahrungen reflektiert werden, wie etwa Knoll & Roeder (1988) oder Leyer (1988). Borde (2002) zeigt anhand einer Fragebogenuntersuchung, dass die Zu‐ friedenheit von Patient: innen und Mitarbeiter: innen im Gesundheitswesen er‐ heblich durch den unprofessionellen Umgang mit Sprachbarrieren beeinträch‐ tigt wird. Langer et al. (2016) untersuchen, wie Kinderkrankenhäuser in Nordrhein-Westfalen auf anderssprachige Patient: innen vorbereitet sind und stellen fest, dass die Mehrzahl der Kliniken keine systematischen Verfahren hat, um Kommunikation über Sprachbarrieren hinweg sicherzustellen. Trotz der nicht nur im Gesundheitswesen offenkundigen Kommunikationsprobleme be‐ steht laut einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages für Flüchtlinge und Migrant: innen im Rahmen der Verwaltungs‐ 114 Bernd Meyer kommunikation nur in bestimmten Fällen ein Anspruch auf Dolmetschleis‐ tungen, wie etwa dem Asylverfahren, nicht jedoch in sozial- oder verwaltungs‐ rechtlichen Kontexten (Wissenschaftliche Dienste 2017). Obwohl man zwischen dieser Rechtsauffassung und der gesellschaftlichen Realität durchaus eine Lücke feststellen kann, wird sie von deutschen Behörden gerne vorgetragen, um in‐ novative Ansätze zur Verbesserung der Kommunikation mit anderssprachigen Bürger: innen zu blockieren. Unterschiedliche Ansätze zum besseren Umgang mit Sprachbarrieren sind in Deutschland jedoch durchaus vorhanden, wie eine Studie im Auftrag der Be‐ auftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration zeigt (Wächter & Vanheiden 2015). Dabei kristallisieren sich seit der Jahrtausend‐ wende zwei Tendenzen heraus: Auf der einen Seite wird die Entwicklung eines eigenen Berufs propagiert, der allerdings über die Ermöglichung der Kommu‐ nikation zwischen Klient: innen und Institutionsvertreter: innen hinaus auch an‐ dere, nicht immer klar definierte Tätigkeiten beinhalten soll, wie etwa „Kultur‐ mittlung“ (Morales 2005), „Co-Beratung“ (Di Bernardo 2005) oder „Integrationsmittlung“ ( Junge & Schwarze 2013). Die Entwicklung eines Be‐ rufsbildes wird vor allem von Bildungsträgern betrieben, die entsprechende Ausbildungen anbieten und diese Kurse über die Jobcenter und die Agentur für Arbeit finanzieren, da die Ausbildung als Qualifizierungsmaßnahme für Be‐ zieher: innen von Transferleistungen wie Arbeitslosengeld II gilt. Im Unter‐ schied zu solchen aufwändigen Ausbildungsprojekten plädieren andere Autor: innen dafür, das Dolmetschen im soziokulturellen Kontext als eine ne‐ benberufliche Tätigkeit anzusehen, da nicht für alle Sprachen eine konstante Nachfrage besteht und darüber hinaus auch aus fachlichen Gründen eine nicht-ständige Beschäftigung von Dolmetscher: innen erforderlich sein kann, z. B. um Näheverhältnisse zu den institutionellen Auftraggeber: innen zu ver‐ meiden (Meyer & Steinke 2014). Dementsprechend liegt der Fokus dann nicht auf der Ausbildung mit dem Ziel einer hauptberuflichen Tätigkeit, sondern auf der Fortbildung schon aktiver Dolmetscher: innen, die zeitweilig und für ver‐ schiedene Einrichtungen tätig werden. Dolmetschen im soziokulturellen Kontext unterliegt generell und unab‐ hängig von diesen konzeptionellen Überlegungen dem Paradox, dass es einer‐ seits in einer mehrsprachigen Gesellschaft ständig benötigt wird, der Bedarf an konkreten Sprachkombinationen (und damit konkreten dolmetschenden Per‐ sonen mit ihren individuellen mehrsprachigen Kompetenzen) in der Praxis aber kaum detailliert vorhersagbar ist. Eine wichtige praktische Rolle spielen daher Vermittlungsstellen, die Angebot und Nachfrage in Einklang bringen, den Be‐ darf ermitteln und Qualitätssicherung betreiben (Meyer 2014, Meyer 2015). 115 Entwicklungslinien der deutschen Forschung zum Dolmetschen Neben der Qualitätssicherung sind für die weitere Professionalisierung der Tä‐ tigkeit auch Datenschutzaspekte (Cebulla 2015) sowie arbeits- und vergabe‐ rechtliche Fragen relevant, die aufgrund der vorherrschenden ad hoc-Lösungen von den nutzenden Institutionen, aber auch von Dolmetschbüros und anderen Vermittlungsstellen weitgehend ignoriert werden. So werden Dolmet‐ scher: innen auch dann, wenn sie für das Funktionieren einer Institution und die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags unverzichtbar sind (z. B. in Erstaufnahme‐ lagern für Geflüchtete oder im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) in der Regel als ehrenamtlich tätige Dolmetscher: innen oder Honorarkräfte geführt und nicht in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse über‐ nommen - eine Praxis, die Gerüchten zufolge aktuell juristisch geprüft wird und möglicherweise nicht zulässig ist. 2 Sozial- und sprachwissenschaftliche Untersuchungen Am Anfang der sozial- und sprachwissenschaftlich orientierten Untersu‐ chungen zum Dolmetschen im soziokulturellen Kontext stehen in Deutschland die Beiträge des Autorenpaars Karlfried Knapp und Annelie Knapp-Potthoff, die in verschiedenen Publikationen (Knapp & Knapp-Potthoff 1985, 1986, 1987) die Besonderheiten von „Mittlerdiskursen“ diskutieren. „Sprachmittler“ sind in diesem Sinne Personen, die das Gespräch zwischen primären Gesprächspart‐ nern („primary interlocutors“) allein aufgrund ihrer eigenen Zweisprachigkeit ermöglichen. Sie werden von den Autoren explizit von professionellen (= be‐ zahlten bzw. geschulten) Dolmetscher: innen abgegrenzt - eine Dichotomie, die bis heute an vielen Stellen praktisch wirksam ist, aber aus wissenschaftlicher Sicht vielfältig kritisiert wird. Hauptpunkt der Kritik ist, dass mit der Gegen‐ überstellung von Sprachmittler: innen und Dolmetscher: innen ein wesenhafter Unterschied behauptet wird, der nur dadurch zustande kommen soll, dass Sprachmittler: innen nicht professionell seien (ohne dass „Professionalität“ je‐ doch genauer definiert wird). Möglicherweise sind jedoch die für den „Mittler‐ diskurs“ typischen Phänomene, wie etwa die Verwendung von Verfahren der Redewiedergabe („Er/ Sie sagt, dass …“), auch Teil des Repertoires von geschulten oder bezahlten Dolmetschern und daher nicht einschlägig für „Sprachmittlung“, sondern abhängig von inhärenten Gesprächsdynamiken, die unabhängig vom Status der dolmetschenden Person wirksam sind. Ähnliches gilt für Verfahren des zusammenfassenden Dolmetschens oder für den Umgang mit kulturellen Unterschieden. Trotz der Kritik an der Dichotomie „Sprachmittler / Dolmet‐ scher“ sind diese frühen Untersuchungen, ebenso wie die Untersuchungen von Rehbein (1985, 2020) zum Dolmetschen in der Präventionsmedizin, inhaltlich 116 Bernd Meyer und methodologisch weiterführend, weil sie bis dahin unbeachtete sprachliche Phänomene aufgezeigt haben und die wissenschaftliche Diskussion insgesamt hin zu einer nicht-normativen und empirisch-deskriptiven Perspektive geführt haben. Zudem konnten in weiteren Untersuchungen auch subtile Beobachtungen etwa zu Phänomenen wie Höflichkeit (Knapp-Potthoff 1992) oder dem Ver‐ hältnis von Gesprächsorganisation und kulturellen Hintergründen (Chen 2012) gemacht werden, die ohne die Vorarbeiten wohl so nicht entstanden wären. Eine weitere Pionierarbeit ist die von Frank E. Müller (Müller 1989), der an‐ hand von narrativen Interviews mit italienischstämmigen Arbeiter: innen be‐ schreibt, wie sich die komplexe Sprachbarriere (unterschiedliche Deutsch- und Italienischkenntnisse seitens der Interviewpartner und eines ebenfalls anwe‐ senden, zeitweilig dolmetschenden Kollegen) auf die Interaktion auswirkt und verschiedene Beteiligungsformate ermöglicht. Wie Meyer (2012) hervorhebt, wird eine zwischen Opazität und Transparenz changierende Sprachbarriere auch in anderen Dolmetschdaten sichtbar und ist möglicherweise als eine ge‐ nerelle Bedingung der Dolmetschtätigkeit in Migrationskontexten anzusehen. Dies wäre dann auch ein fundamentaler Unterschied zum Dolmetschen bei Konferenzen, wo Dolmetschleistungen weitgehend ohne Berücksichtigung et‐ waiger eigener Sprachkenntnisse des Publikums erbracht werden. Grundsätzliche Aspekte des Dolmetschens im soziokulturellen Kontext werden auch in den Untersuchungen von Birgit Apfelbaum (1999, 2004, 2005) deutlich, die anhand von gedolmetschten Schulungen aus der Automobilin‐ dustrie zeigt, wie sich dolmetschende Personen in einem hochprofessionellen Kontext auf vielfältige Weise subtil oder explizit in den Gesprächsverlauf ein‐ schalten, etwa um Turnübernahmen oder Klärungssequenzen zu initiieren. Diese Beobachtungen widersprechen der strengen Unterscheidung von profes‐ sionellen Dolmetscher: innen und nicht-professionellen Sprachmittler: innen und konterkarieren zugleich mechanistische und reduktionistische Vorstel‐ lungen der Dolmetschtätigkeit an sich. Ausgehend von diesen Untersuchungen plädiert die Autorin dafür, diese Formen der Beteiligung am Gespräch anhand von empirischen Beispielen zum Gegenstand der Dolmetscher: innenausbildung zu machen (Apfelbaum 1997). Im Rahmen zweier DFG -Projekte zum „Dolmetschen im Krankenhaus“ an der Universität Hamburg untersuchen Kristin Bührig und Bernd Meyer in verschie‐ denen Veröffentlichungen die Auswirkungen der Dolmetschtätigkeit auf das sprachliche Handeln in verschiedenen institutionellen Gesprächstypen (Bührig & Meyer 1998, Bührig & Meyer 2004, Meyer 2004, Meyer 2006, Bührig 2009). Ein zentraler Gedanke in diesen Arbeiten ist, dass die Einbettung der Gespräche in 117 Entwicklungslinien der deutschen Forschung zum Dolmetschen einen institutionellen Ablauf und Handlungszusammenhang jeweils einen be‐ sonderen Sprachgebrauch seitens des medizinischen Personals hervorbringt, dessen Zweckmäßigkeit von dolmetschenden Personen nicht unbedingt nach‐ vollzogen wird (insbesondere, wenn diese ad hoc als Dolmetscher: innen tätig werden). Neben der medizinischen Fachsprache transportieren demnach auch alltagssprachliche Formen, wie etwa Modalverben oder Pronomina, institutio‐ nelle Zwecke, die für die Interaktion wichtig sind und zugleich von dolmetsch‐ enden Personen in ihrer Relevanz für die Kommunikation nur schwer einge‐ schätzt werden können. Ausgehend von diesen Beobachtungen konzipieren die Autor: innen eine Fortbildung für Krankenhausdolmetscher: innen, in der an‐ hand von Transkriptionen authentischer Gespräche die Besonderheiten von verschiedenen Gesprächstypen für die Kommunikation im Krankenhaus von den Teilnehmer: innen erarbeitet und in ihrer Relevanz für das Dolmetschen eingeschätzt werden (Meyer 2003, Bührig & Meyer 2009, Meyer et al. 2010). Eine gesprächsanalytische Studie zu einem anderen institutionellen Kontext ist die Untersuchung von Mareike Martini (2008) zum Dolmetschen in Hoch‐ schulkooperationen, die zeigt, wie in diesem Zusammenhang institutionelle und interkulturelle Anforderungen zusammenwirken. Kooperationen zwischen deutschen und kubanischen Hochschulen sind demnach von asymmetrischen Beziehungen geprägt, die in spezifischen kommunikativen Gattungen vollzogen werden, wie etwa beim Berichten, in Planungs- oder Kritikgesprächen. Dolmet‐ schende Personen verfolgen in diesen Settings zwei Strategien: die „erwar‐ tungskongruente Darstellung“, mit der die Akzeptabilität eines Beitrags gestei‐ gert wird, und die „Konzentration auf den Informationskern“ (Martini 2008: 302 ff.), bei der Beziehungsaspekte zugunsten der Inhalte zurückgestellt werden, die seitens der dolmetschenden Person als relevant eingeschätzt werden. Wie Martini anhand von parallelen Befragungen zeigt, erwarten die primären Gesprächspartner dabei von den dolmetschenden Personen kulturelle Anpassungen, die sie selbst zwar als nötig empfinden, in der Situation jedoch aufgrund von mangelndem Hintergrundwissen nicht vornehmen können. Zwengel (2010, 2015) untersucht anhand von vier aufgezeichneten Gesprä‐ chen aus Grundschulen, wie sich die Beteiligung von dolmetschenden Kindern und Angehörigen auf die Kommunikation zwischen Lehrer: innen und Eltern im Rahmen des Elternsprechtages auswirkt. Während zunächst vermutet wurde, dass die Dolmetscherrolle für Kinder die Position der Eltern schwächen und das Spektrum möglicher Themen einengen würde, zeigte sich in der Praxis, dass Eltern und Kinder kooperativ mit der Situation umgingen und die Autorität der Eltern durch die besondere Konstellation nicht erkennbar unterminiert wurde. Zwengel vermutet, dass dies jedoch zentral von der Haltung der Lehrpersonen 118 Bernd Meyer abhängt, die das Dolmetschen nicht negativ als Ausdruck mangelnder Deutsch‐ kenntnisse der Eltern interpretieren, sondern als Möglichkeit für die Eltern, ei‐ gene Interessen und Erziehungsvorstellungen im Gespräch zu artikulieren. Kornbach-Zorn (2015) untersucht ebenfalls Elterngespräche mit Fokus auf den Umgang mit unterschiedlichen Rollenerwartungen von Lehrpersonal und Eltern. Einige der von ihr untersuchten Gespräche werden ad hoc von Begleit‐ personen gedolmetscht, etwa durch ältere Geschwisterkinder oder Ehepartner. Dabei zeigt sich, dass die Beteiligung dieser Personen als Dolmetscher: innen im Verbund mit den eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten der anders‐ sprachigen Eltern durchaus deren Status als „Laien“ in Bezug auf schulische Themen unterstreicht und es ihnen damit schwerer fällt, die eigene Expertise ins Gespräch einzubringen (Kornbach-Zorn 2015: 178). Für eine besondere Thematik stehen die Arbeiten von Marta Estévez Grossi (2017, 2018), die in ihrer Dissertation regionale historische Praktiken des Com‐ munity Interpreting mit Methoden der Oral History untersucht und damit für diesen Bereich methodologisches Neuland betritt. Während in Bezug auf das Konferenzdolmetschen (insbesondere in politischen Kontexten) oftmals histo‐ rische Darstellungen und persönliche Zeugnisse von Dolmetscher: innen vor‐ liegen, sind Dolmetscher: innen im soziokulturellen Kontext in der Regel unter‐ halb der öffentlichen Wahrnehmung tätig und werden bestenfalls erwähnt, wenn sie selber als Akteure in historische Prozesse eingreifen. Grossis Unter‐ suchung zeigt jedoch, wie Strategien der Integration und Segregation in hohem Maße auch mit den selbst organisierten Möglichkeiten neu ankommender Mig‐ rant: innen zusammenhängen, mit der Mehrheitsgesellschaft trotz bestehender Sprachbarrieren zu kommunizieren. Nebenbei belegt die Untersuchung damit auch, dass das Dolmetschen im soziokulturellen Kontext keineswegs Segrega‐ tionstendenzen unterstützt, sondern vielmehr Integration fördert. Damit hat die Untersuchung historischer Kommunikationsformen auch Bedeutung für die Gegenwart. Neben Untersuchungen zu verschiedenen institutionellen Kontexten sind im sozial- und sprachwissenschaftlichen Spektrum auch Arbeiten zu methodolo‐ gischen Fragen vorgelegt worden. Meyer (1998) thematisiert die Notwendigkeit des Einsatzes von elaborierten Transkriptionsverfahren, um die verschiedenen Dimensionen mehrsprachiger mündlicher Kommunikation zu erfassen. Anger‐ meyer, Meyer & Schmidt (2012) sowie Meyer (2019) diskutieren die Möglich‐ keiten von korpusbasierten Untersuchungen, in denen die sonst übliche Ge‐ genüberstellung von qualitativen und quantitativen Methoden tendenziell aufgehoben werden kann. Die Nutzung von Korpustechnologien in Untersu‐ chungen zum Dolmetschen im soziokulturellen Kontext erscheint auch deshalb 119 Entwicklungslinien der deutschen Forschung zum Dolmetschen weiterführend, weil mit ihrer Hilfe sensible Daten geschützt zur Nachnutzung in Lehr- und Forschungszusammenhängen bereitgestellt werden können. Ein anderes methodologisches Problem sprechen Lauterbach (2014) und En‐ zenhofer & Resch (2013) an: Anthropologische Forschung basiert häufig auf der Befragung anderssprachiger Informanten oder auf Feldaufenthalten in einem Umfeld, dessen Sprache von den Forschenden nicht beherrscht wird. In solchen Untersuchungen werden zweisprachige Personen zur Ermöglichung der Kom‐ munikation, Transkription und Datenauswertung eingesetzt, ohne dass dabei der Einfluss der (mündlichen und schriftlichen) Translationen auf den Gang der Untersuchung und die Ergebnisse reflektiert würde. Die Einbeziehung dritter Personen in die Untersuchung wird vielmehr häufig überhaupt nicht themati‐ siert. Rückübersetzungen von gedolmetschten Informatenbefragungen zeigen jedoch den erheblichen Einfluss, den die dolmetschenden Personen ausüben können. 3 Translationswissenschaftliche Untersuchungen In der translationswissenschaftlichen Forschung zum Dolmetschen im sozio‐ kulturellen Kontext in Deutschland stehen rollentheoretische und berufsstän‐ dische Fragestellungen im Vordergrund. Bahadır (2004) formuliert im Stil eines Essays ihre Definition des „professional community interpreter“, die / der aus ihrer Sicht eine kritische Ethnografie von Gesprächssituationen betreiben müsse, um die eigene Positionierung in diesen Situationen bewusst und gezielt vorzunehmen. Diese Reflektion möglicher Beteiligungsrollen habe, so Bahadır, auch eine Relevanz für die Ausbildung von Dolmetscher: innen generell, weil auf diese Weise „a sound and conscious experiential and critical training“ (Bahadır 2004: 815) konzipiert werden könne. Das Ziel dabei sei, Dolmetscher: innen für die verschiedenen sozialen Rollen zu sensibilisieren, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit einnehmen (ibid.: 817). Diese Überlegungen münden in ihrer Disser‐ tation (Bahadır 2007) in ein Konzept für die Dolmetscherausbildung, bei dem theaterpädagogische Konzepte des „Theater der Unterdrückten“ des brasiliani‐ schen Regisseurs und Theatertheoretikers Augusto Boal im Mittelpunkt stehen. Das Format erfordert kleine Gruppen und mehrtägige intensive Theaterworks‐ hops, wobei klassische Formen akademischer Lehre integriert werden können (Berichte, Terminologierecherchen). Im Mittelpunkt steht jedoch die Auffas‐ sung: „Dolmetscher sind Körper, die handeln“ (Bahadır 2010: 11). Mit dieser Auf‐ fassung werden die Selbstwahrnehmung sowie die soziale und räumliche Posi‐ tionierung der Dolmetschenden in den Blick gerückt und zugleich die kognitiv orientierten Methoden der akademischen Wissensvermittlung kritisiert. In 120 Bernd Meyer einer späteren Textsammlung (Bahadır 2010), in der frühere Beiträge erneut veröffentlicht werden, werden verschiedene Aspekte dieses Konzepts formuliert und ergänzt. Während Bahadır ihre Überlegungen zur Dolmetscherrolle in einem kultur‐ anthropologischen Paradigma verortet, kombiniert Sami-Sauerwein (2006) in einer Untersuchung zu grenzpolizeilichen Befragungen rollentheoretische Überlegungen und berufspraktische Perspektiven mit gesprächsanalytischen Methoden. Sie dokumentiert in ihrer Dissertation detailliert den Feldzugang und die erhobenen Daten, um auf dieser Basis wesentliche Merkmale des Gesprächs‐ typs zu erfassen. Auf diese Weise ist sie in der Lage, bestimmten Gesprächs‐ phasen unterschiedliche Ritualisierungsgrade zuzuweisen und zu zeigen, dass eine Beziehung zwischen dem Ritualisierungsgrad und den Rollen besteht, die Dolmetscher: innen in den Gesprächen tatsächlich einnehmen. Anders als Bahadır und Sami-Sauerwein arbeitet Jiang (2011) am Beispiel eines gedolmetschten Gesprächs im Rahmen einer Gerichtsverhandlung zent‐ rale sprachliche Handlungen dolmetschender Personen heraus und prägt den Begriff des „discourse interpreting“, mit dem deutlich gemacht werden soll, dass die Rollenproblematik (Vermittlung oder eher verbatime Translation) im We‐ sentlichen von verschiedenen Diskursparametern (Kohärenz, shared know‐ ledge, purpose usw.) abhängt. Die in dieser Arbeit vertretene Auffassung von verschiedenen kognitiven Filtern, die die Entscheidungen dolmetschender Per‐ sonen steuern, ist jedoch in der wissenschaftlichen Diskussion nicht aufge‐ griffen worden. Neuere Arbeiten aus dem translationswissenschaftlichen Spektrum sind zudem eine Dissertation zur Bedeutung nonverbaler Kommuni‐ kation beim Dolmetschen im psychotherapeutischen Setting (anhand von Be‐ fragungen, Blumenthal 2016) und ein Artikel von Conchita Otero Moreno (2018), in dem die Relevanz des Dolmetschens im soziokulturellen Kontext für die bar‐ rierefreie Kommunikation von Behörden herausgestellt wird. 4 Zusammenfassung Die deutsche Forschung zum Dolmetschen im soziokulturellen Kontext deckt ein breites Spektrum zwischen Grundlagen und möglichen Anwendungen ab. Oft stehen Ansätze nicht im Dialog miteinander, sondern betrachten denselben Phänomenbereich, wie etwa die medizinische Kommunikation, aus verschie‐ denen Blickwinkeln. Sozial- und sprachwissenschaftliche Ansätze sind dabei grundsätzlich empirisch orientiert und zeigen insgesamt ein größeres Interesse an methodischer Reflektion. Ein gemeinsames Merkmal dieser Untersuchungen ist das Interesse für die Besonderheiten der kommunikativen Kontexte, in denen 121 Entwicklungslinien der deutschen Forschung zum Dolmetschen gedolmetscht wird. Translationswissenschaftliche Beiträge sind demgegenüber in ihren Methoden und Erkenntnisinteressen sehr stark auf die Rollenthematik fokussiert, wobei eine gewisse Redundanz in der Rede von der aktiven Beteili‐ gung dolmetschender Personen am Gespräch liegt. Zudem thematisieren trans‐ lationswissenschaftliche Beiträge oft Konflikte innerhalb der Disziplin (Domi‐ nanz des Übersetzens, Ansehensvorsprung des Konferenzdolmetschens) oder formulieren ihre Auffassungen aus berufsständischen Interessen heraus (pau‐ schale Ablehnung von ungeschulten Dolmetscher: innen), die für eine wissen‐ schaftliche Behandlung des Themas unerheblich sind. Festzuhalten bleibt, dass trotz umfangreicher Forschungen zum Dolmetschen im soziokulturellen Be‐ reich und vielen Einzelprojekten bis heute keine wesentlichen institutionellen Veränderungen in Bezug auf das Dolmetschen zu erkennen sind. Obwohl auch in Deutschland viele soziale und medizinische Einrichtungen ihren Zweck und ihren gesetzlichen Auftrag ohne Dolmetschen und Übersetzen nur einge‐ schränkt erfüllen können, sind Improvisation und Ignoranz gegenüber den An‐ forderungen mehrsprachiger Kommunikation weiterhin vorherrschend. Literatur Angermeyer, Philipp / Meyer, Bernd / Schmidt, Thomas (2012). Sharing community in‐ terpreting corpora - a pilot study. In: Schmidt, Thomas / Wörner, Kai (Hrsg.) Multi‐ lingual Corpora and Multilingual Corpus Analysis. Amsterdam u. a.: John Benjamins, 275-294. Apfelbaum, Birgit (1997). Zur Rolle der Diskursanalyse in der Ausbildung von Ge‐ sprächsdolmetschern. In: Fleischmann, Eberhard / Kutz, Wladimir / Schmitt, Peter A. (Hrsg.) 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Neben den Entstehungsbedingungen im wissenschaftlichen Umfeld und der Frühphase werden auch die konzeptu‐ ellen Grundlagen und (inter)disziplinären Perspektiven aus der Sicht des Au‐ tors thematisiert. Darauf aufbauend wird die fachliche Entwicklung in den beiden universitären Zentren der Kommunaldolmetschforschung in Öster‐ reich, in Wien und Graz, skizziert. Neben den Beiträgen der aktivsten For‐ scherInnen (Grbić, Kadrić, Pöchhacker, Pöllabauer, Prunč) werden Projekte und wissenschaftliche Abschlussarbeiten beschrieben und auch zukünftige Entwicklungsschwerpunkte, etwa im Bereich des technikgestützten Dolmet‐ schens, angesprochen. 1 Einleitung In diesem Kapitel wird der Versuch unternommen, die Entwicklung der For‐ schung zum Dolmetschen in innergesellschaftlichen Handlungsfeldern in Ös‐ terreich nachzuzeichnen. Dafür soll zunächst der epistemologische und metho‐ dische Ansatz erläutert werden, bevor in weiterer Folge verschiedene Phasen der Entwicklung, disziplinäre Perspektiven, methodische Ansätze und thema‐ tische Schwerpunkte beschrieben werden. Der besagten Aufgabenstellung lässt sich auf verschiedene Art nachkommen, üblicherweise wohl auf Basis einer Analyse der verfügbaren Literatur, gegebe‐ nenfalls sogar anhand von quantitativen bibliometrischen Indikatoren. Auch die Erhebung von qualitativen Daten in Form von Experteninterviews, in denen Zeitzeugen zu Wort kommen (Oral History), würde sich anbieten, ist doch der Kreis der Personen, die über relevantes Wissen verfügen, ebenso wie der zu überblickende Zeitraum durchaus überschaubar. In gewisser Weise kommen diese beiden Ansätze - Literaturüberblick und Zeitzeugensicht - hier in Ver‐ bindung miteinander zur Anwendung, liegt doch die Autorenschaft bei je‐ mandem, der an der gegenständlichen Forschungsentwicklung maßgeblich be‐ teiligt war. Der damit gegebene Zugang zu relevantem Wissen und weniger bekannten Hintergründen und Zusammenhängen hat freilich seinen Preis in der unvermeidlichen Subjektivität, oder zumindest Perspektivität, mit der die Ent‐ wicklungsgeschichte präsentiert und der Gegenstand insgesamt konzipiert wird. 2 Genese Um die Frühphase einer Entwicklung nachzuzeichnen, muss zunächst die epis‐ temische Ausgangslage verständlich gemacht werden. Dabei zeigt sich, dass sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem (neuen) Phänomen schwer auf einen nationalen Kontext beschränken lässt, sondern stark von der inter‐ nationalen fachlichen Entwicklung geprägt ist. Vor diesem Hintergrund werden erste Schritte in der Forschungsentwicklung behandelt. Diese umfassen neben empirischen Arbeiten auch die Konzeption des Gegenstandes und die Frage seiner Benennung. 2.1 Ausgangslage Die wissenschaftliche Erforschung eines Gegenstandes setzt voraus, dass er als solcher gesehen wird bzw. in den Augen einer Forschergemeinde existiert. Dem wiederum geht die Frage voraus, welche Disziplin im Gefüge der Wissen‐ schaften für eine solche Betrachtung zuständig wäre. Für das Dolmetschen ge‐ nerell, das erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermehrt Beachtung fand, blieb diese Frage bis in die 1980er Jahre weitgehend unklar. Nachdem es zunächst im (kognitions)psychologischen und sprachwissenschaftlichen Zu‐ sammenhang betrachtet wurde, wurde es erst Anfang der 1990er Jahre nach‐ haltig unter dem Dach der Translationswissenschaft verankert. Geprägt durch die Pionierarbeit der sogenannten Pariser Schule um Danica Seleskovitch seit Mitte der 1970er Jahre, wurde der Begriff Dolmetschen von der jungen Dol‐ metschwissenschaft vor allem auf das bis dahin professionell bereits gut etab‐ lierte Konferenzdolmetschen bezogen. Wenngleich davor auch das Dolmetschen im juristischen und militärischen Bereich Erwähnung gefunden hatte (z. B. van Hoof 1962: 24), wurde offenbar der hohe Professionalisierungsgrad des Konfe‐ renzdolmetschens - mit universitären Ausbildungsgängen und eigenem For‐ schungsparadigma - zum maßgeblichen Definitionskriterium, womit andere Erscheinungsformen aus dem Blickfeld verschwanden. Diese Sichtweise war 128 Franz Pöchhacker auch für Österreich bestimmend, wo sich nach Pionierarbeiten von Hildegund Bühler und Ingrid Kurz an der Universität Wien das Profil einer Dolmetschwis‐ senschaft erst Anfang der 1990er Jahre abzuzeichnen begann. Neben dem Kon‐ ferenzdolmetschen gab es in Österreich seit langem auch die Sparte des soge‐ nannten Gerichtsdolmetschens, das kraft gesetzlicher Regelung auch das Anfertigen von beglaubigten Übersetzungen miteinschließt. Angesichts der vielen Sprachen, für die es ‚beeidete‘ DolmetscherInnen, aber keine einschlägige Ausbildung gab, blieb das Gerichtsdolmetschen hinsichtlich seiner Professio‐ nalität jedoch vergleichsweise unbestimmt und unterlag gleichsam dem Kon‐ ferenzdolmetschen als Maß aller Dinge. Bis in die frühen 1990er Jahre machte man sich somit in Fachkreisen, und nicht nur in Österreich, kaum (mehr) einen Begriff davon, dass Dolmetschen auch jenseits von internationalen Konferenzen und Organisationen praktiziert wird. Einen besonderen Anstoß, den Blick auf solche Erscheinungsformen zu richten, gab die erste Critical Link-Konferenz in Kanada im Jahre 1995, die neben dem juristischen Bereich (legal settings) explizit auch das Dolmetschen im Ge‐ sundheits- und Sozialwesen thematisierte (Carr et al. 1997). 2.2 Anfänge Aus meiner Sicht nahm die Forschung zum Dolmetschen im Kontext innerge‐ sellschaftlicher Institutionen hierzulande ihren Anfang mit meinem Vorhaben, für die Konferenz unter dem Motto „The Critical Link: Interpreters in the Com‐ munity“ einen Beitrag unter der Rubrik Länderberichte auszuarbeiten. Der Titel des später veröffentlichten Aufsatzes (Pöchhacker 1997a) war zugleich (Ar‐ beits-)Programm: Um die Frage „Is there anybody out there? “ zu beantworten, führte ich 1994 / 1995 telefonische Recherchen in österreichischen Behörden, Sozial- und Gesundheitseinrichtungen durch. Es sollte in Erfahrung gebracht werden, wie das Personal besagter Einrichtungen mit Situationen umgeht, in denen keine sprachliche Verständigung mit den KlientInnen bzw. PatientInnen möglich ist. Bei Letzteren war damals primär an Angehörige der größten Zu‐ wanderergruppen gedacht, die zum überwiegenden Teil aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien stammten. In den meisten Einrichtungen - von Ar‐ beitsmarktzentren und Sozialämtern über Krankenhäuser und Schulen bis zu Versicherungen und Justizvollzugsanstalten - wurden, zumindest von leitender Stelle, keine Verständigungsprobleme gesehen, die sich nicht durch da und dort verfügbare zweisprachige MitarbeiterInnen bzw. hausinterne Listen von Fremd‐ sprachenkundigen lösen ließen. Einzig im Bereich der Wiener Ämter für Jugend und Familie und der Spitäler des Wiener Krankenanstaltenverbundes wurde von Dolmetschbedarf berichtet, der von insgesamt 14 Personen, allesamt ohne ein‐ 129 Entwicklungslinien der Forschung in Österreich schlägige Ausbildung, in den Arbeitssprachen Türkisch und Bosnisch / Kroa‐ tisch / Serbisch gedeckt wurde. Der Kontakt zu den Verantwortlichen dieser kommunalen Dolmetscherpro‐ jekte bzw. die Rückmeldung an sie nach der Critical Link-Konferenz gab den entscheidenden Impuls für den nächsten Forschungsschritt - eine Bestandsauf‐ nahme zur Kommunikationspraxis mit Nichtdeutschsprachigen in Wiener So‐ zial- und Gesundheitseinrichtungen. Die sogenannte Community Interpreting-Studie wurde 1996 im Auftrag zweier Institutionen der Gemeinde Wien ( MA 15 / Dezernat für Gesundheitsplanung und Wiener Integrationsfonds) durchge‐ führt und im Jahr darauf publiziert (Pöchhacker 1997b). Neben 16 Dolmetsch‐ enden, die vor allem zu ihrem Rollen- und Anforderungsprofil befragt wurden, konnten im Rahmen der Studie die Erfahrungen und Einschätzungen von ins‐ gesamt 638 MitarbeiterInnen Wiener Sozial- und Gesundheitseinrichtungen zum Umgang mit Nichtdeutschsprachigen erhoben werden. Die aus der frage‐ bogengestützten Umfrage abgeleiteten Handlungsempfehlungen konzentrierten sich auf den Aufbau eines kommunalen Dolmetschdienstes, für den ei‐ nige Jahre später ein detailliertes Konzept in Auftrag gegeben und ausgearbeitet wurde. In der weiteren Forschung galt das Augenmerk dem in der Studie erhobenen Befund, dass in Krankenhäusern vor allem fremdsprachige Reinigungskräfte und Kinder der PatientInnen zur Vermittlung der Kommunikation herange‐ zogen wurden. Auf der Grundlage von Videoaufnahmen authentischer Ge‐ spräche mit ‚Sprachmittler‘-Beteiligung wurde die Praxis der Verständigung mit nichtdeutschsprachigen PatientInnen in diskursanalytischen Fallstudien er‐ forscht. In Verbindung mit den quantitativen Daten aus der Community Inter‐ preting-Studie bildeten diese Untersuchungen den empirischen Teil meiner 1998 fertig gestellten und später publizierten Habilitationsschrift (Pöchhacker 2000a), die somit weitgehend dem Dolmetschen in gesellschaftlichen Institutionen ge‐ widmet war und damit wissenschaftliches Neuland für die Dolmetschwissen‐ schaft erschloss. 2.3 Kommunaldolmetschen Für die oben skizzierten empirischen Untersuchungen über die Praxis der Kom‐ munikation mit Nichtdeutschsprachigen in österreichischen gesellschaftlichen Einrichtungen mangelte es weitgehend an einer soliden Konzeptualisierung. Zwar war mit dem Ausdruck community interpreting, der in den frühen 1980er Jahren im englischen Sprachraum geprägt worden war, ein prägnanter Leitbe‐ griff vorhanden, doch war man sich über dessen Inhalt und Abgrenzung kei‐ neswegs einig. Während der Begriff in der Einladung zur Critical Link-Konfe‐ 130 Franz Pöchhacker renz sehr weit gefasst wurde und neben Behörden (government) auch Einrichtungen des Rechts-, Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesens explizit angeführt wurden (vgl. auch Roberts 1997), gab es zugleich starke Bestrebungen, den Bereich des Gerichtsdolmetschens aus diesem Rahmen herauszulösen (siehe Mikkelson 1996). Argumentiert wurde dies mit dem Verweis auf den unter‐ schiedlichen Professionalisierungsgrad: Während für das Gerichtsdolmetschen oft spezifische gesetzliche Regelungen und Interessensvertretungen existieren, haftet dem Dolmetschen in anderen kommunalen Settings, in denen oft Laien‐ dolmetscherInnen zum Einsatz kommen, der Nimbus des Nichtprofessionellen an. Eine konzeptuelle Zwischenposition, die den begrifflichen Unschärfen dieses Praxisfeldes besser gerecht wird, zeigt das Modell der überlappenden Kreise von Garber (2000). Eine weitere verbindende Komponente stellt das Gebärden‐ sprachdolmetschen dar, das in juristischen, medizinischen und vielen anderen kommunalen Settings praktiziert wird und von Anfang an einen integrierenden Bestandteil der Critical Link-Community darstellte. Diese begriffliche Problematik hat weitreichende praktische Konsequenzen und ist auch im österreichischen Kontext nach wie vor akut. So wird etwa das Dolmetschen für Gerichte und Behörden zunehmend eigens und ohne Bezug auf den Oberbegriff bzw. Nebenbegriff Kommunaldolmetschen thematisiert, und es bleibt sowohl im wissenschaftlichen als auch im professionellen Umfeld oft unklar, ob mit ‚Community Interpreting‘ (oft kurz ‚ CI ‘) das Dolmetschen in der Sprachkombination Österreichische Gebärdensprache / Deutsch mitgemeint ist. Während diese Thematik von Grbić und Pöllabauer (2006) explizit themati‐ siert wird, findet zum Beispiel in dem an der gleichen Institution herausgege‐ benen, aus einem CIUTI -Symposium hervorgegangenen Band mit dem Titel „Modelling the Field of Community Interpreting“ (Kainz et al. 2011) das Gebär‐ densprachdolmetschen nur sporadisch und in der Einleitung der Herausgebe‐ rInnen mit keinem Wort Erwähnung. Neben dem Begriffsinhalt erwies sich jedoch selbst im englischsprachigen Raum auch die Benennung als instabil. Neben der am längsten etablierten Be‐ zeichnung community interpreting (siehe insbesondere Hale 2007) erschienen anfänglich cultural interpreting (im kanadischen Kontext) und liaison interpreting als Alternativen, bevor der Terminus public service interpreting ausgehend von Großbritannien stark in den Vordergrund trat. Für die Forschungs- und Entwicklungsarbeit mit lokalen InteressensträgerInnen erwiesen sich die unscharfe Konzeptualisierung und der Mangel an einer klaren Bezeichnung als wesentliches Hemmnis. Während Ausdrücke wie ‚Übersetzungsdienste‘ oder ‚Sprachmittler‘ (Knapp 1986) in Fachkreisen zu missverständlich waren und sich die direkte Übernahme von ‚Community In‐ 131 Entwicklungslinien der Forschung in Österreich terpreting‘ im Deutschen als zu fremd und zum Teil irreführend erwies, wirkte im universitären Umfeld der starke Professionalisierungsanspruch selbst der Verwendung des Ausdrucks Dolmetschen entgegen. (Das betraf auch bundes‐ deutsche Prägungen wie ‚Gemeindedolmetschen‘ und umso mehr den an der Universität Mainz in Germersheim propagierten Vorschlag ‚Fachdolmetschen‘.) Die in Pöchhacker (2000a) favorisierte Neuprägung ‚Kommunaldolmetschen‘ sollte somit eine eng an das Englische angelehnte und zugleich einigermaßen transparente neue deutsche Benennung für einen damals noch sehr neuen Ge‐ genstand schaffen. Dass dieser Terminus auch von WissenschaftlerInnen an der Universität Graz aufgegriffen und nicht zuletzt von Erich Prunč (2011) zum Ge‐ genstand einer gründlichen theoretischen Analyse gemacht wurde, zeugt von seiner Brauchbarkeit für die Zwecke der konzeptuellen Fundierung. Und dass unter diesem Titel auch Fortbildungsangebote konzipiert und erfolgreich um‐ gesetzt wurden, belegt auch die - ursprünglich intendierte - Nützlichkeit des Ausdrucks in interessierten gesellschaftlichen Kreisen. Andererseits ist einzu‐ räumen, dass im stark vom Englischen bestimmten wissenschaftlichen Diskurs das Lehnwort Community Interpreting besondere Attraktivität genießt und der aktuelle Sprachgebrauch im professionellen Umfeld ohnehin zu englischen Ent‐ lehnungen tendiert. 3 Entwicklungsstränge Die oben beschriebenen Beiträge zum Kommunaldolmetschen stammen von wenigen AutorInnen aus einer vergleichsweise kleinen wissenschaftlichen (Teil-)Disziplin. Zwar deutet diese erste Skizze bereits auf die verschiedenen thematischen Orientierungen und methodischen Ansätze hin, doch bedarf sie hier der Ergänzung um weitere disziplinäre Perspektiven. In weiterer Folge wird auch das Methodenspektrum der Forschung zum Kommunaldolmetschen um‐ rissen, bevor die wichtigsten Entwicklungsstränge und ihre Vernetzung nach‐ gezeichnet werden, um ein Gesamtbild der Forschungsentwicklung entstehen zu lassen. 3.1 Disziplinäre Perspektiven Die Einbettung des Kommunaldolmetschens in verschiedene gesellschaftliche Institutionen, insbesondere des Rechts-, Gesundheits-, Sozial- und Bildungswe‐ sens, schafft ein hohes Potenzial für Interdisziplinarität, zumal der Gegenstand nicht nur aus der Sicht des Dolmetschens, sondern auch aus der Perspektive der jeweiligen Wissenschaftsdisziplin, die dem betreffenden Handlungsbereich zu‐ grunde liegt, betrachtet werden kann. Rechtswissenschaft und Medizin er‐ 132 Franz Pöchhacker scheinen hierfür als Paradebeispiele. Allerdings wurde und wird dieses Potenzial kaum systematisch ausgeschöpft, da dem Dolmetschen im größeren diszipli‐ nären Zusammenhang naturgemäß ein geringer Stellenwert zukommt und nur wenige FachvertreterInnen darin ihren, wenn auch nur zeitweiligen, Arbeits‐ schwerpunkt sehen. So gibt es im österreichischen Kontext kaum Beispiele für JuristInnen, MedizinerInnen, Pflege- oder GesundheitswissenschaftlerInnen, die sich nachhaltig wissenschaftlich mit dem Dolmetschereinsatz in ihrem Ar‐ beitsbereich auseinandergesetzt haben. Als Beispiel aus neuerer Zeit wäre die (Medizin-)Juristin Maria Kletečka-Pulker (z. B. 2013) am interdisziplinären In‐ stitut für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien zu nennen. Neben den Disziplinen, die mit dem Dolmetschen direkt in dem von ihnen erforschten gesellschaftlichen Handlungsbereich befasst sind, bieten auch solche wie die Soziologie und die Sprachwissenschaft mit ihrem jeweils ge‐ nuinen Zugang zum Gegenstand großes Forschungspotenzial. Im österreichi‐ schen Kontext sind hier vor allem die Medizinsoziologie und die Diskursanalyse bzw. Gesprächsforschung sowie weitere Bereiche der Angewandten Sprach‐ wissenschaft zu nennen. Das 1979 von Jürgen Pelikan gegründete und bis zu seiner Auflassung im Jahr 2008 geleitete Ludwig Boltzmann Institut für Medizin- und Gesundheitssozio‐ logie führte unter anderem Studien zum Thema Migration und Gesundheit durch, in denen auch die Problematik der Kommunikation mit Nichtdeutsch‐ sprachigen thematisiert wurde. Dies erfolgte insbesondere im Rahmen des eu‐ ropäischen Projekts „Migrant-friendly hospitals“ (2002-2005), in dem die Wiener GesundheitsforscherInnen Evaluierungsstudien zur Dolmetschpraxis im Krankenhaus durchführten (Novak-Zezula et al. 2005). Für den gesprächsanalytischen Zugang zur Kommunikationspraxis in Insti‐ tutionen spielte wiederum die stark von Ruth Wodak geprägte Wiener Schule der Diskursanalyse eine zentrale Rolle. Im Bezug auf die Kommunikation mit Nichtdeutschsprachigen gipfelte diese Forschungstradition in dem Band „Mig‐ ration und medizinische Kommunikation“ (Menz 2013), in dem neben Beiträgen des 2017 allzu früh verstorbenen Florian Menz vor allem die vergleichende Fall‐ studie von Marlene Sator (2013) zum Laien- und professionellen Dolmetschen für eine türkische Patientin in einer Kopfschmerzambulanz hervorzuheben ist. Im Rahmen der Angewandten Sprachwissenschaft wurde unter besonderer Berücksichtigung von juristischen Aspekten auch das Dolmetschen im Asyl‐ verfahren fokussiert und zum Gegenstand eines interdisziplinären Workshops im Rahmen der Österreichischen Linguistiktagung 2003 gemacht (de Cillia 2004). Dieser Ansatz ist bis heute im 2003 gegründeten „Netzwerk Sprachen‐ Rechte“ präsent. 133 Entwicklungslinien der Forschung in Österreich Während somit festgestellt werden kann, dass das Dolmetschen in innerge‐ sellschaftlichen Institutionen neben der Translationswissenschaft auch von an‐ deren Disziplinen thematisiert wurde, bleiben Letztere insgesamt gesehen sehr im Hintergrund. Zum einen wurde das Thema dort meist nur phasenweise, im Rahmen einzelner Projekte bearbeitet, und zum anderen wurde der Gegenstand nur fragmentarisch in einzelnen Settings behandelt, ohne ein Bild des größeren Ganzen zu sehen. Auf dieser Basis konnten kaum nachhaltige interdisziplinäre Verbindungen entstehen, die der Erforschung des Kommunaldolmetschens zu einer „kritischen Masse“ verholfen hätten. Beispielhaft war diesbezüglich im Jahr 2014 die Initiative von Florian Menz, eine interdisziplinäre Forschungs‐ plattform zur transkulturellen Arzt-Patient-Kommunikation mit VertreterInnen der Rechts-, Sozial-, Sprach- und Translationswissenschaft an der Universität Wien aufzubauen, der letztlich die entsprechende Förderung seitens der Uni‐ versität versagt blieb. 3.2 Methodische Zugänge Nicht nur, aber vor allem im interdisziplinären Zusammenhang wird deutlich, dass es für die Erforschung des Kommunaldolmetschens eine Reihe von me‐ thodischen Ansätzen gibt, die sich grob gesprochen unter sozialwissenschaft‐ liche und sprachwissenschaftliche Zugänge subsumieren lassen. Unter ersteren nehmen Befragungen eine Vorrangstellung ein; unter letzteren diskursanalyti‐ sche Fallstudien, wie sie im Werk von Wadensjö (1998) grundlegend in die Dol‐ metschforschung eingeführt wurden. Im Gegensatz zum breiter gefächerten Methodenkanon der internationalen Forschung, wie er in Pöchhacker (2006) dargestellt wurde, dominieren im österreichischen Kontext zunächst fragebo‐ gengestützte Umfragen und diskursbasierte Analysen auf der Grundlage von authentischen Gesprächsaufnahmen, während ethnographische Feldstudien und Auswertungen von juristischen Fällen oder großen klinischen Datensätzen nur selten bis gar nicht zu finden sind, ganz zu schweigen von experimentellen oder corpuslinguistischen Untersuchungen. Ausgehend von den frühen Beispielen, wie sie in Pöchhacker (2000a) zu finden sind, lassen sich im Laufe der weiteren Forschungsentwicklung einige Tendenzen erkennen. Im Bereich der sozialwissenschaftlichen Methoden ver‐ lagert sich der Schwerpunkt von quantitativen Umfragen mittels Fragebögen hin zu qualitativen Interviewstudien. Diskursanalytische Arbeiten werden da‐ gegen zunehmend unter Einbeziehung von (passiv) teilnehmender Beobachtung wie auch Befragungen und somit zumindest ansatzweise mit ethnographischen Methoden durchgeführt. Diese Entwicklungen hinsichtlich der eingesetzten 134 Franz Pöchhacker Methoden spiegeln sich auch in der nachfolgenden Skizze der verschiedenen thematischen Forschungsstränge im Bereich Kommunaldolmetschen wider. 3.3 Dolmetschwissenschaftliche Entwicklungen Ausgehend von der oben beschriebenen Konzeption des Gegenstandes ergeben sich Gerichte und Behörden (einschließlich des Asylwesens) sowie das Gesund‐ heits- und Sozialwesen als die wichtigsten institutionellen Handlungsfelder, die es in der Forschung (und ebenso in der Lehre) zum Kommunaldolmetschen ab‐ zudecken gilt. Eine Sonderrolle spielt das Gebärdensprachdolmetschen, das ei‐ nerseits in den erwähnten Hauptbereichen vorkommt, darüber hinaus aber eine Vielfalt weiterer Settings umfasst. Neben dem zentralen Stellenwert des Dol‐ metschens im Bildungswesen erfordert auch die Kommunikation von und mit Gehörlosen am Arbeitsplatz und im persönlichen Alltag (Kultur, Religion, Sport, etc.) Beachtung. In der österreichischen Forschungslandschaft, die durchaus überschaubar ist, wurden im Verlauf des letzten Vierteljahrhunderts, über das sich dieser Überblick erstreckt, alle diese Handlungs- und Forschungsfelder be‐ arbeitet. Man könnte vereinfacht von vier Schwerpunkten sprechen, die jeweils mit einem Namen in Verbindung zu bringen sind: Gebärdensprachdolmetschen in kommunalen Settings - Nadja Grbić; Gerichts- und Behördendolmetschen - Mira Kadrić; Dolmetschen im Gesundheitswesen - Franz Pöchhacker; Dolmet‐ schen im Asylwesen - Sonja Pöllabauer. Darüber hinaus sind neben der er‐ wähnten übergreifenden Arbeit von Pöchhacker (2000a) vor allem die theore‐ tischen Beiträge von Erich Prunč (z. B. 2011, 2012) zu Themen wie Translationskultur, Berufsethik und Macht im Kommunaldolmetschen als fünfte Säule zu nennen. Deutlichere Konturen gewinnt dieser personenbezogene Ansatz in Verbin‐ dung mit den Forschungsstätten, an denen diese WissenschaftlerInnen verortet sind. Es sind dies zwei Universitäten, an denen der Fachbereich Dolmetschwis‐ senschaft vertreten und der Schwerpunkt Kommunaldolmetschen in Forschung und Lehre verankert ist: die Karl-Franzens-Universität Graz mit ihrem Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft ( ITAT ) und die Universität Wien mit ihrem Zentrum für Translationswissenschaft ( ZTW ) im organisationsrechtlichen Rang einer Fakultät. Neben den Forschungsaktivitäten der oben angeführten und einiger weiterer Personen an diesen beiden akade‐ mischen Institutionen sind auch die dort betreuten wissenschaftlichen Ab‐ schlussarbeiten (Diplombzw. Masterarbeiten sowie Dissertationen) von be‐ sonderer Bedeutung. Dem ITAT kommt in der Entwicklung des Kommunaldolmetschens in For‐ schung und Lehre eine Vorreiterrolle zu. Wie Prunč (2006) als treibende Kraft 135 Entwicklungslinien der Forschung in Österreich hinter den Grazer Initiativen selbst erläuterte, wies die Schwerpunktsetzung auf Gebärdensprachdolmetschen Anfang der 1990er Jahre den Weg in Richtung Kommunaldolmetschen. Mit der 1994 fertig gestellten Dissertation von Nadja Grbić wurde die Forschung etabliert, und projektbasierte Weiterbildungsange‐ bote führten schließlich 2002 zur Integration der Österreichischen Gebärden‐ sprache ins Regelstudium. Analog dazu wurde das Kommunaldolmetschen in Lautsprachen in den Blick genommen und bereits 1998 in der Diplomarbeit von Sonja Pöllabauer aus der Sicht von NGO s empirisch untersucht. Einige Jahre später rückte Pöllabauer das Dolmetschen im Asylverfahren in den Fokus und verschaffte ihm durch ihre 2003 abgeschlossene Dissertation eine solide diskursanalytische Fundierung (Pöllabauer 2005). Daneben wurden in der Vortragsreihe „Brücken bauen statt Barrieren“ Kontakte zu NGO s und relevanten außeruniversitären Institutionen geknüpft und weitere Themenbereiche er‐ schlossen. Unter demselben Titel wurde von Pöllabauer und Prunč (2003) ein Sammelband herausgegeben, der die institutionelle Vernetzung und Zusam‐ menarbeit in eindrucksvoller Weise demonstriert. Mit Erich Prunč als Spiritus Rector und wissenschaftlichem Verantwortlichen entstanden am ITAT zahlreiche Masterarbeiten zu Themen des Kommunaldol‐ metschens, das im Jahr 2000 im Forschungsprofil des Instituts verankert wurde. Der Sammelband von Grbić und Pöllabauer (2008) versteht sich diesbezüglich als eine Leistungsschau und enthält neben einer bibliometrischen Analyse der Herausgeberinnen neun Aufsätze, die ein breites Themenspektrum abdecken. Neben dem Dolmetschen für türkische Patientinnen (Uluköylü 2008) befassen sich je zwei Beiträge mit dem Dolmetschen in der Psychotherapie für traumatisierte Flüchtlinge (Cagala 2008, Nuč 2008) und dem Laiendolmetschen, ins‐ besondere durch Kinder (Rajič 2008). Ebenfalls untersucht wird das Dolmet‐ schen für Angehörige indigener Sprachen (in Guatemala) sowie das Angebot einschlägiger Ausbildungsprogramme. Zum Thema Ausbildung ist der ab 2004 am ITAT angebotene Universitäts‐ lehrgang Kommunaldolmetschen als erste universitäre Ausbildungsinitiative in Österreich zu würdigen. Einige Jahre später wurde im Rahmen des europäischen Kooperationsprojektes „MedInt“ ein Curriculum für die Ausbildung von Dol‐ metscherInnen im Gesundheitswesen entwickelt; in der Forschung ist diesbe‐ züglich die als Diplomarbeit verfasste und als Buch veröffentlichte Pilotstudie von Christina Korak (2010) zum videokonferenzgestützten Dolmetschen im Krankenhaus hervorzuheben. Ihre Doktorarbeit widmete Korak auf der Basis von ethnographischer Feldforschung in Ecuador dem Übersetzen und Dolmet‐ schen in einer indigenen Gemeinschaft. 136 Franz Pöchhacker Insgesamt zeichnet sich die Forschungstätigkeit am ITAT sowohl durch ein breites Themenspektrum als auch durch einen kohärenten und in mehrfachem Sinn integrativen Ansatz aus: In einem grundsätzlich modalitätsübergreifenden Ansatz, der Laut- und Gebärdensprachen einschließt, werden theoretische Kon‐ zepte (etwa zum Thema Rolle und Ethik) mit empirischen Untersuchungen ver‐ knüpft; ebenso steht die Forschung im Wechselspiel mit Ausbildungsinitiativen und werden die akademischen Zielsetzungen in einem intensiven Austausch mit den Aufgabenstellungen der gesellschaftlichen Institutionen (wie NGO s, Be‐ hörden, Ambulanzen und Berufsverbänden) abgestimmt. Die Forschung zum Kommunaldolmetschen am ZTW der Universität Wien zeigt im Vergleich dazu sowohl Parallelen als auch Unterschiede. Im Zeitverlauf folgte die translationswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Dolmet‐ schen bei Gericht (Kadrić 2001) auf die ersten Untersuchungen im Bereich Ge‐ sundheitswesen (Pöchhacker 1997b, 2000a, 2000b), wobei sich hinsichtlich der Methodik sowohl die fragebogengestützte Erforschung von Rollenaspekten als auch die diskursanalytische Fallstudie wiederfinden. Weitere Berührungs‐ punkte lagen in der Zusammenarbeit an der Fallstudie zum Laiendolmetschen in der Therapie (Pöchhacker & Kadrić 1999) und im Wiener Pilotprojekt zur Schulung von „KrankenHausdolmetscherInnen“ (2000 / 01). Insgesamt verlief die Entwicklung in den beiden Arbeitsbereichen aber weitgehend autonom und ohne die integrative Verdichtung, wie sie in Graz dem von der Institutsleitung mitkonstituierten Kernteam gelungen war. Zwar wurde am ZTW in einem ko‐ operativen Projekt ab 2005 auch das Thema Dolmetschen im Asylverfahren be‐ arbeitet (Kolb & Pöchhacker 2008, Pöchhacker & Kolb 2009), doch blieben ko‐ ordinierte Aktivitäten zur Förderung der Sichtbarkeit und Breitenwirkung, wie etwa Vortragsreihen oder die Herausgabe von Sammelbänden, aus. Vergleichsweise viel Gewicht kam und kommt am ZTW der Betreuung von Masterarbeiten und Dissertationen zu Themen im Bereich des Kommunaldol‐ metschens zu, wobei dafür bis 2009 nur ein Habilitierter zur Verfügung stand. Seither hat sich durch die Habilitation von Mira Kadrić - zum Thema Dialog‐ dolmetschpraxis in Österreich und Dolmetschdidaktik (Kadrić 2011) - die dol‐ metschwissenschaftliche Betreuungskapazität verdoppelt und mit Berufung von Sonja Pöllabauer auf die Professur für Kommunaldolmetschen an der Uni‐ versität Wien im Jahre 2019 zuletzt sogar verdreifacht. Die zahlreichen daraus resultierenden Masterarbeiten, von denen viele auf leitfadengestützten qualita‐ tiven Interviews mit BedarfsträgerInnen und Dolmetschenden in verschiedenen Settings basieren, liefern wertvolle empirische Beiträge zu einem breiten The‐ menspektrum, fanden aber bislang kaum weitere Verbreitung in Form von Fachpublikationen. Im Unterschied dazu fanden die an der Universität Wien im 137 Entwicklungslinien der Forschung in Österreich Rahmen von Dissertationen geleisteten Forschungsbeiträge der „2. Generation“ sehr erfolgreich Eingang in den fachlichen Diskurs. Hervorzuheben sind dabei die umfassenden qualitativen Interviewstudien von Marija Ahamer (2013) und Vera Dabić (2020) über Kinder und Jugendliche als DolmetscherInnen bzw. über Dolmetschen in der Psychotherapie sowie die Studie zum Videodolmetschen im Gesundheitswesen von Ivana Havelka (2018), die auf ein besonders zukunfts‐ trächtiges Forschungsthema verweist. In ähnlichem Sinn ist neben der Arbeit von Katia Iacono (2019) zum Dolmetschen im Medizintourismus die Dissertation von Judith Platter (2015) zum Schriftdolmetschen für Menschen mit Hörbeein‐ trächtigung zu erwähnen, durch die - neben ähnlichen Initiativen am ITAT - ein für Österreich neuer Themenschwerpunkt im Bereich der barrierefreien Kommunikation etabliert wurde. 3.4 Vernetzungen Wie aus der obigen Skizze hervorgeht und schon eingangs betont wurde, ist das Kommunaldolmetschen als Forschungsgegenstand per definitionem in gesell‐ schaftliche Handlungsfelder und deren Basisdisziplinen eingebettet. Kontakte und Vernetzung sind somit zunächst zwischen den Forschungsstätten und den betreffenden Institutionen nötig, um zumindest Zugang zum Feld und zu rele‐ vanten Daten zu gewinnen und im Idealfall nachhaltige Kooperationsbezie‐ hungen aufzubauen, die interdisziplinäre Forschung ebenso begünstigen wie interprofessionelle Ausbildungsinitiativen. Diese sowohl in Wien als auch in Graz praktizierte Vernetzung wird meist von den einzelnen ForscherInnen ge‐ tragen und bleibt als Entwicklungsarbeit oft im Verborgenen. Als Beispiel in Wien ist hier etwa die Arbeit von Mira Kadrić mit JuristInnen und Rechtswis‐ senschaftlerInnen zu nennen, die unter anderem dem europäischen Projekt „TransLaw“ (2018-2019) zugrunde liegt. Der für solche Kooperation nötige Ein‐ satz lässt dabei im breit gefächerten Gegenstandsbereich des Kommunaldol‐ metschens wenig Spielraum für Setting-übergreifende Zusammenarbeit inner‐ halb einer Forschungsstätte. Als eine Ausnahme ist hier die Mitwirkung von Kadrić und Pöchhacker in der vom Institut für Ethik und Recht in der Medizin koordinierten Arbeitsgruppe zum „Umgang mit nicht-deutschsprachigen Pati‐ entInnen“ (2011-2013) zu nennen, in deren Rahmen das Pilotprojekt zum Vi‐ deodolmetschen (Kletečka-Pulker 2013, Pöchhacker 2014, Havelka 2018) entwi‐ ckelt wurde. Relativ bescheiden ist auch das Ausmaß der Kooperation zwischen Angehö‐ rigen verschiedener universitärer Zentren. Zwar fehlt es etwa im Fall von ITAT und ZTW nicht an Kontakten und kollegialem Austausch, doch spielt die wis‐ senschaftliche Vernetzung auf europäischer und globaler Ebene eine zumindest 138 Franz Pöchhacker ebenso große Rolle. Für den deutschsprachigen Raum wird das durch die Bei‐ träge im vorliegenden Band deutlich erkennbar; auf europäischer und globaler Ebene kommt der Vernetzung der österreichischen Kommunaldolmetschwis‐ senschaftlerInnen mit den Forschergemeinden der Konferenzreihen „Critical Link“, „ PSIT Alcalá“ und „InDialog“ besondere Bedeutung zu. Erwähnenswert sind hier auch Beiträge zu modalitätsübergreifenden Buchpublikationen im Verlag der Gallaudet University (z. B. Kolb & Pöchhacker 2008, Pöchhacker 2014) sowie die Zusammenarbeit mit ForscherInnen in Israel. Insgesamt zeigt sich, dass sich wissenschaftliche Entwicklungen, wie ein‐ gangs erwähnt, nur schwer unter Beschränkung auf einen nationalen Kontext nachvollziehen lassen. Selbst die Forschung zum Kommunaldolmetschen, die im vorliegenden Kapitel im Überblick zu beschreiben war, ist stark international ausgerichtet, obwohl dieser Gegenstandsbereich weitaus mehr als jedes andere translationswissenschaftliche Themenfeld in den lokalen gesellschaftlichen Kontext eingebettet ist. Dieses Spannungsfeld prägt letztlich auch die zu diesem Thema vorliegende Literatur, die Beiträge zu internationalen Sammelbänden und Fachzeitschriften ebenso umfasst wie Veröffentlichungen in der Landes‐ sprache, denen für den fachlichen Diskurs im Umfeld konkreter gesellschaftli‐ cher Institutionen ein besonderer Stellenwert zukommt. 4 Schlusswort Die hier skizzierte Entwicklung der Forschung zum Kommunaldolmetschen in Österreich seit den frühen 1990er Jahren zeigt in groben Linien, wie thematische und methodische wie auch institutionelle Schwerpunkte zustande kamen und im disziplinären Kontext etabliert wurden. Die massive Expansion dieses The‐ menfeldes steht dabei ebenso außer Zweifel wie sein großes Potenzial für die Zukunft. Während vor einem Vierteljahrhundert noch eine ausgeprägte Trans‐ lations-Unkultur zu konstatieren war (Pöchhacker 1997a, 2001), ist das Kom‐ munaldolmetschen mittlerweile nicht nur in Forschung und Lehre verankert, sondern auch in professionellen Kreisen (Berufsverbänden wie auch gesell‐ schaftlichen BedarfsträgerInnen) zunehmend etabliert. Ein weiterer Entwick‐ lungsschub ist durch die vermehrte Nutzung digitaler Kommunikationstechno‐ logien zu erwarten, deren Setting-übergreifender Einsatz dazu beitragen kann, die stark fragmentierte Sichtweise des Kommunaldolmetschens als Forschungs‐ gegenstand zu überwinden. 139 Entwicklungslinien der Forschung in Österreich Literatur Ahamer, Vera S. (2013). Unsichtbare Spracharbeit: Jugendliche Migranten als Laiendolmet‐ scher. Integration durch „Community Interpreting“? Bielefeld: transkript-Verlag. Cagala, Elfi (2008). Eine Frage der Menschlichkeit? Psychotherapie traumatisierter Flüchtlinge mit Dolmetscherinnenbeteiligung. 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Wir beziehen uns bei beiden Perspektiven auf den Deutschschweizer Kontext, da Forschung, Praxis und Ausbildungen über die Sprachregionen hinweg sehr unterschiedliche Traditionen haben, die in diesem Beitrag nicht abgebildet werden können. Im ersten Teil geht es um das Dolmetschen im Justiz- und im Gesundheits‐ wesen, im Bildungssowie im Sozialwesen, im zweiten Teil um Gebärden‐ sprachdolmetschen. Im dritten Teil stellen wir Unterschiede und Gemein‐ samkeiten beider Bereiche gegenüber. 1 Dolmetschen im Justiz- und im Gesundheitswesen: Ausgangslage Seit den 1960er Jahren gibt es in der Schweiz zunehmend Menschen mit den verschiedensten Erstsprachen, die für die Kommunikation mit Vertreter: innen des Bildungs-, des Gesundheits-, des Justiz- und des Sozialwesens auf Dolmet‐ scher: innen angewiesen sind. Aus diesem Grund wurden Menschen als Dol‐ metscher: innen eingesetzt, die keine dolmetschspezifische Ausbildung haben. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts konkretisierten sich in der Schweiz vor allem im Justiz- und im Gesundheitsbereich die Bemühungen um Ausbildungspro‐ gramme und Standards in unterschiedlicher Weise. 1.1 Dolmetschen im Justizwesen: Ansätze zur Weiterbildung Im Jahr 2004 initiierte der Kanton Zürich zusammen mit dem Institut für Über‐ setzen und Dolmetschen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissen‐ schaften ( ZHAW ) einen zweitägigen Einführungskurs, der je zur Hälfte ausge‐ wählten juristischen Themen und einführenden dolmetschspezifischen Übungen gewidmet war. Nach dem Kurs wurden Mindestkenntnisse im juristi‐ schen Fachwissen und die Eignung zum Dolmetschen getestet. Da zum Be‐ hörden- und Gerichtsdolmetschen in der Schweiz keine Forschungsarbeiten vorlagen, dienten die Publikationen von Driesen (2003) und Kadrić (2009) als wissenschaftliche Basis für die Konzeption des Kursangebots. Von 2004 bis 2014 bot das Institut für Übersetzen und Dolmetschen für Teilnehmer: innen mit den verschiedensten Erstsprachen einen dreistufigen Ausbildungszyklus mit insge‐ samt 200 Lektionen an (Hofer & General 2012). Inzwischen bietet die Zentral‐ stelle Sprachdienstleistungen (Obergericht Zürich) einen zweitägigen Grund‐ kurs interkantonal an. Schweizweit einheitliche Zulassungsbedingungen für Behörden- und Gerichtsdolmetscher: innen haben sich jedoch nicht etabliert (zur Organisation des interkulturellen Dolmetschens im Justizbereich siehe N. Grenko in diesem Band). 1.2 Zur Vielfalt der Ansichten über das Profil der Dolmetscher: innen im Justizwesen Zahlreiche Gespräche mit den Expert: innen sowie mit den Dolmetscher: innen, die bereits für die Behörden und Gerichte tätig waren, gaben während der Ent‐ wicklung des Kursprogramms Einblick in die Einschätzungen der Beteiligten über sich und über einander. Der Fokus der Aus- und Weiterbildung lag auf der Bedeutung der detailgetreuen Wiedergabe und auf der neutralen Haltung. Für einen vertieften Einblick in die Problematik wurde im Zeitraum von 2005-2007 eine schriftliche Umfrage durchgeführt. 72 Expert: innen (Polizeibeamt: innen, Staatsanwält: innen, Richter: innen) sowie 231 Dolmetscher: innen beantwor‐ teten u. a. Fragen zu Auslassungen und zur Einschätzung ihrer Position den Be‐ teiligten gegenüber: Lediglich 29 % der Expert: innen waren der Ansicht, dass die Dolmetscher: innen die Inhalte vollständig wiedergeben. Dagegen waren 58 % der Dolmetscher: innen überzeugt, dass sie die Inhalte detailgenau übertragen. Zudem sahen die Expert: innen die Dolmetscher: innen zu 74 % als Vertrauens‐ personen der Behörden und Gerichte. Mit 34 % bestätigten die Dolmet‐ scher: innen diese Ansicht in geringfügigerem Ausmass (Hofer 2009: 27 f.). 144 Tobias Haug & Gertrud Hofer 1.3 Dolmetschen im Gesundheitswesen Das Dolmetschen im Gesundheitswesen ist schweizweit organisiert. 1999 wurde der Dachverband „ INTERPRET , die schweizerische Interessengemeinschaft für interkulturelles Dolmetschen und Vermitteln“ gegründet (mehr dazu bei M. Müller in diesem Band). INTERPRET beschreibt die Aufgaben der Dolmet‐ scher: innen als mündliche Übertragung sowie als interkulturelle Vermittlung. Die interkulturell Vermittelnden „(…) übernehmen bis zu einem gewissen Grad auch eine (Teil-) Verantwortung für Inhalte und Prozesse“. Im Vergleich mit den Vorgaben im Justizwesen haben die Dolmetscher: innen im Gesundheitswesen nach dieser Definition fallweise weit mehr Spielraum, den Gesprächsverlauf mitzugestalten ( INTERPRET 2020a). INTERPRET vertritt ausserdem die Mei‐ nung, dass ein Trialog entsteht, wenn Dolmetscher: innen hinzugezogen werden ( INTERPRET 2020b). Diese Meinung ist nicht unbestritten. Morina et al. (2010) vertreten die Ansicht, dass sich im psychotherapeutischen Setting am dialog‐ ischen Kommunikationsmuster nichts ändern soll; die Dolmetscher: innen nehmen lediglich die Rolle des sprachlichen Mediums wahr (2010: 108). 1.3.1 Zur Vielfalt der Ansichten über das Profil der Dolmetscher: innen im Gesundheitswesen Die Umfrage der ZHAW im Justizwesen stiess 2007 beim Kinderspital Zürich auf Interesse und mündete 2010 in ein von der schweizerischen Kommission für Technologie und Innovation ( KTI ) unterstütztes Forschungsprojekt mit der Abteilung Psychosomatik der Universität Basel. In der Erhebung des Kinderspitals wurde der leicht angepasste Fragebogen von 75 Expert: innen und 49 Dolmetscher: innen, die bei den regionalen Vermitt‐ lungsstellen registriert sind, beantwortet. Die Expert: innen im Gesundheits‐ wesen hielten die Verdolmetschungen lediglich zu 26 % für vollständig. Dagegen gaben 85 % der Dolmetscher: innen an, dass sie alle Inhalte wiedergeben. Die Expert: innen sahen die Dolmetscher: innen mit 34 % als Vertrauenspersonen der Patient: innen; die Dolmetscher: innen lagen mit 41 % bei einem ähnlichen Wert (Hofer 2009: 27 f.). Der deutlichste Unterschied zwischen den beiden Bereichen besteht darin, dass die Dolmetscher: innen im Gesundheitswesen von ihrer De‐ tailtreue in der Wiedergabe überzeugter sind als die Dolmetscher: innen im Jus‐ tizwesen. Die Expert: innen sind in beiden Bereichen um einiges skeptischer. In der Frage zur Loyalität sind die Standpunkte im Gesundheitswesen ausgegli‐ chener als im Justizwesen. Bischoff et al. (2012) untersuchten ebenfalls das Rollenprofil der Dolmet‐ scher: innen. Aufgrund von Interviews in einer Schweizer Frauenklinik sehen sich die Dolmetscher: innen als Sprachmittler: innen (Wort-für-Wort-Wieder‐ 145 Perspektiven zum Gebärden- und Lautsprachendolmetschen aus der Deutschschweiz gabe) sowie als Vertrauenspersonen der Patient: innen. Ausserdem empfinden sie es als ihre Aufgabe, kulturelle Aspekte zu erklären, für konfliktfreie Bezie‐ hungen zwischen den Gesprächsparteien zu sorgen und die Integration der Pa‐ tient: innen in die Gesellschaft zu fördern. Ähnlich widersprüchliche Standpunkte werden in einer Studie der Berner Fachhochschule formuliert: Das Autorinnenkollektiv (Origlia Ikhilor et al. 2017) untersuchte anhand von Interviews mit Hebammen, Pflegefachfrauen, Mütterberaterinnen, Ärztinnen, Patientinnen und Dolmetscherinnen kommu‐ nikative Herausforderungen in der geburtshilflichen Versorgung von Migran‐ tinnen. Die Meinungen der Befragten zum Dolmetschen variieren zwischen einer wortwörtlichen Übersetzung und einer adressatengerechten Umwandlung der Gesprächsinhalte (2017: 48). 1.3.2 Analysen von authentischen Ärzt: innen-Patient: innen-Gesprächen: Das KTI-Projekt Das KTI -Projekt ist am Schnittpunkt zwischen der Dolmetschforschung, der Gesprächsanalyse und der medizinischen Gesprächsforschung angesiedelt. Auf‐ grund des Bedarfs an albanisch- und türkischsprachigen Patient: innen wurden diese beiden Sprachen ausgewählt. Die Expert: innen zogen Dolmetscher: innen der kantonalen Vermittlungsstellen hinzu. Im Rahmen des KTI -Projekts wurden mit einem weiteren Fragebogen 373 Dolmetscher: innen sowie 391 Expert: innen zur Einschätzung ihrer Tätigkeit und ihrer Rolle schriftlich befragt. Die Dol‐ metscher: innen gaben an, dass sie überwiegend den Inhalten der ausgangs‐ sprachlichen Redebeiträge folgen und sich neutral verhalten. Bei den Ex‐ pert: innen ergaben sich ähnliche Resultate. Der Fokus dieses Projekts lag auf der qualitativen Analyse des Gesprächsmaterials, das 19 Videoaufzeichnungen von authentischen gedolmetschten Ärzt: innen-Patient: innen-Gesprächen aus verschiedenen Abteilungen der Universitätsspitäler Basel, Bern und Zürich um‐ fasst. 1.3.3 Schwierigkeiten und Herausforderungen in der realen Situation Die Analysen des KTI -Datenmaterials haben gezeigt, dass es neben flüssig und adäquat gedolmetschten Passagen zu gravierenden Verständigungsschwierig‐ keiten kommt. Das sprachliche Verhalten ist weit weniger adäquat, als die Ein‐ schätzungen der Dolmetscher: innen in den Umfragen erwarten liessen (Slept‐ sova et al. 2015). Insbesondere führen folgende Aspekte zu regelmässig auftretenden Verste‐ hensproblemen: 146 Tobias Haug & Gertrud Hofer 1. Aktives Rollenverhalten der Dolmetscher: innen 2. Auslassungen von Inhalten und emotionalen Anteilen 3. Fehlende Wissensvoraussetzungen Ein statisches Rollenverhalten als Ko-Therapeut: innen oder Kulturmitter: innen (Leanza 2005) ist in keinem der 19 Gespräche zu erkennen. In neueren linguis‐ tischen Arbeiten wird anstelle der Rollendebatte für eine intensivere Beachtung der kognitiven Anforderungen an Dolmetscher: innen plädiert (Albl-Mikasa 2019). Und doch sind die verschiedenen Rollenauffassungen in den Verdolmet‐ schungen in subtiler Weise präsent (1). Mit einem „erweiterten“ Rollenver‐ ständnis (Pöchhacker 2007) beeinflussen Dolmetscher: innen den Gesprächsver‐ lauf. Sie fühlen sich dazu legitimiert, Inhalte der ausgangssprachlichen Redebeiträge zu variieren oder bestimmte Themen nach eigenem Gutdünken ganz zu vermeiden. In den 865 Minuten umfassenden Videoaufzeichnungen fallen zahlreiche se‐ lektive Wiedergaben auf (2). Systematische inhaltliche Auslassungen oder Re‐ levanzrückstufungen betreffen häufig Schmerzen, Symptome und Ängste. In einem Gespräch einer Ärztin mit einem Diabetes-Patienten werden in der Ver‐ dolmetschung aus Schmerzen „kleine Probleme“ (Hofer et al. 2017). In einer anderen Konsultation fordert die Dolmetscherin die Patientin auf, der Ärztin den Hinweis auf ihre Lähmung zu verschweigen. Ein weiterer Dolmetscher un‐ terlässt es, der Diabetes-Beraterin die mehrfach geäusserten Ängste der Pati‐ entin zu übermitteln. In diesen drei Fällen können die Dolmetscher: innen durch die Auslassungen den Gesprächsverlauf auf das aus ihrer Sicht Wesentliche be‐ schränken. Es scheint sich um ein bewusstes Abweichen vom Original zu han‐ deln (Napier 2015). Davidson (2000) beobachtet solche Verhaltensweisen bei ge‐ dolmetschten medizinischen Gesprächen in einem amerikanischen Spital ebenfalls und spricht von gatekeeping. In der Diabetes-Beratungsstunde lässt der Dolmetscher auch die Äusserung der Patientin „ich möchte nur das Problem loswerden“ aus. An dieser Stelle könnte er befürchten, dass die Expertin dies als gesichtsbedrohende Forderung auffasst. Das Konzept des recipient design aus der Gesprächsanalyse (Deppermann & Schmitt 2007) kann zur Erklärung dieser Auslassung herangezogen werden. Wenn der Dolmetscher den Redebeitrag so einschätzt, dass die Beraterin negativ darauf reagieren könnte, dann vermeidet er eine ausgangstextnahe Wiedergabe, um die Diabetes-Beraterin (oder sich selbst? ) zu schützen. Bei Auslassungen im Sinne des recipient design handelt es sich ebenfalls um bewusste Abweichungen. Solche Stellen finden sich in den analysierten Gesprächen mehrfach. Anhand desselben Korpus beobachten Albl-Mikasa et al. (2015) die in verschiedenen Gesprächen regelmässig vor‐ 147 Perspektiven zum Gebärden- und Lautsprachendolmetschen aus der Deutschschweiz kommenden Auslassungen von Heckenausdrücken und phatischen Anteilen, die hingegen darauf hinweisen, dass die Dolmetscher: innen sich der gesprächs- und beziehungssteuernden Bedeutung nicht bewusst sind. Eine weitere Problemquelle sind Anzeichen von fehlenden Wissensvoraus‐ setzungen und mangelnden terminologischen Kenntnissen (3) . In einer Dia‐ betes-Konsultation versteht die Dolmetscherin das Schema der unterschiedli‐ chen Insulindosierung bei Mahlzeiten und ausserhalb der Mahlzeiten nicht. Wie schwer es für Dolmetscher: innen ist, medizinische Zusammenhänge wiederzu‐ geben, wenn ihnen die erforderlichen Kenntnisse fehlen, zeigen die wieder‐ holten Erklärungen der Diabetologin zur Insulindosierung zuhanden der Dol‐ metscherin. Die kommunikativen Folgen des fehlenden Wissens sind Nachfragen der Dolmetscherin und anschliessende Zwiegespräche zwischen der Ärztin und der Dolmetscherin, die unverdolmetscht bleiben. Die Dolmet‐ scherin verfolgt eine bottom-up-Strategie, mit der sie dem Wortlaut der aus‐ gangssprachlichen Redebeiträge folgt, ohne die Zusammenhänge zu verstehen. In den etwa 10 Minuten der Zwiegespräche wird in der 3. Person Singular über den Patienten gesprochen. In den Videoaufzeichnungen lässt sich aufgrund der Körperhaltung und der Blickkontakte erkennen, dass die Verschiebungen der 1. Person Singular zur 3. Person Singular nicht nur eine Besonderheit des Ge‐ sprächsdolmetschens sind, sondern ein Ausdruck für die Adressierung in der Interaktion. Der Patient wird über die Sprache, über die Körperhaltungen, über die Blickrichtung sowie über die pronominale Adressierung ausgeschlossen. In derselben Konsultation, in der aus „Gefässen“ vermutlich aufgrund des Gleich‐ klangs „Füsse“ werden, kommt es zu einem wahrnehmbaren Bruch zwischen dem ausgangssprachlichen Redebeitrag und der Verdolmetschung, die von der Ärztin nicht hinterfragt wird (Hofer et al. 2017). 1.3.4 Zusammenarbeit zwischen Expert: innen und Dolmetscher: innen Den Expert: innen entgehen die inhaltlichen Verschiebungen in der Regel. Ob‐ wohl zahlreiche Verständigungsprobleme auf inadäquates Dolmetschen zu‐ rückzuführen sind, liegt nicht die ganze Verantwortung für das Fehlschlagen der Kommunikation bei den Dolmetscher: innen. Die Expert: innen geben sich verschiedentlich zufrieden mit einem inkohärenten Gesprächsverlauf und ver‐ trauen den Dolmetscher: innen ohne Nachfragen bei den Patient: innen. Bei ge‐ nauerem Hinsehen könnten multimodale Handlungen der Patient: innen und der Dolmetscher: innen die Expert: innen darauf hinweisen, dass Äusserungen und Gesten nicht zusammenpassen oder dass die Dolmetscher: innen als Helfer: innen der Expert: innen agieren, wenn sie den diagnostischen Befunden nickend beipflichten. In den letzten Jahren haben multimodale Analysen von 148 Tobias Haug & Gertrud Hofer Videoaufzeichnungen offengelegt, dass körperliche Handlungen wie Zeige‐ gesten, Blickpraktiken oder Nicken Teil der (gedolmetschten) Kommunikation sind (Vranjes et al. 2018). Die Beispiele zeigen einmal mehr, dass es gut ausgebildete Dolmetscher: innen braucht, die ethisch verantwortlich agieren, sowie Expert: innen, die sich der Komplexität der Dolmetschprozesse bewusst sind und Allianzen zwischen sich und den Dolmetscher: innen vermeiden (Pöllabauer 2005). 2 Forschungsstand zum Gebärdensprachdolmetschen in der Deutschschweiz 2.1 Ausgangslage und Hintergrund Durch die zunehmende Erforschung von Gebärdensprachen weltweit als eigen‐ ständige linguistische Systeme, unabhängig von gesprochenen Sprachen (Pfau et al. 2012), hat sich in vielen Ländern der rechtliche Anspruch auf Dolmetsch‐ dienstleistungen in unterschiedlichen Bereichen des Alltags durchgesetzt (Wheatley & Pabsch 2012). Dadurch sind gehörlose Menschen und Gebärden‐ sprachen mehr ins gesellschaftliche Bewusstsein gelangt (Haug et al. 2017). Der Beruf von Gebärdensprachdolmetscher: innen wurde seit den 1960er-Jahren zu‐ nehmend durch den Auf- und Ausbau von entsprechenden Ausbildungsange‐ boten professionalisiert (Leeson 2008), die sich in Form und Umfang (z. B. Deutschschweiz 1986: 180 Lektionen) sehr unterschieden von heutigen BA -Stu‐ diengängen (sechs bis acht Semester Vollzeitstudium; De Wit 2016). Der Beruf des Gebärdensprachdolmetschens ist eine sehr junge Profession im Vergleich zum Dolmetschen von gesprochenen Sprachen (Napier 2010). Wis‐ senschaftlich verortet zwischen den Translationswissenschaften, Gebärden‐ sprachlinguistik, Kulturwissenschaften, Soziologie und angrenzenden wissen‐ schaftlichen Disziplinen, hat sich international in den letzten Jahrzehnten auch eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin der Forschung zum Gebärden‐ sprachdolmetschen und -übersetzen etabliert (Haug et al. 2017). Beispielsweise wurde 2018 zum zweiten Mal eine internationale Konferenz zur Forschung ums Gebärdensprachdolmetschen an der Gallaudet University in Washington DC durchgeführt. In der Deutschschweiz wird zwar seit den 1980er-Jahren projektbasiert lin‐ guistische Forschung zur Deutschschweizerischen Gebärdensprache ( DSGS ) betrieben (z. B. Boyes Braem 1995), allerdings ist diese Sprache im Vergleich zu vielen gesprochenen Sprachen wie Englisch oder Französisch sehr wenig er‐ forscht. Auch stehen kaum gebärdensprachliche Ressourcen wie ein Lerner‐ korpus, ein allgemeines Gebärdenlexikon oder eine Referenzgrammatik zur 149 Perspektiven zum Gebärden- und Lautsprachendolmetschen aus der Deutschschweiz Verfügung, die sowohl für die Forschung als auch die Lehre relevant wären. Die Situation zur Forschung zum Gebärdensprachdolmetschen mit Fokus auf die Deutschschweiz gestaltet sich ähnlich: In der Vergangenheit wurden beispiels‐ weise Forschungsprojekte zur präferierten Dolmetschrichtung (Audeoud & Haug 2013, Haug & Audeoud 2013) oder zur Zusammenarbeit von gehörlosen Kund: innen und Gebärdensprachdolmetscher: innen (Haug et al. 2017) durch‐ geführt. Des Weiteren wurden auch immer wieder Dolmetschthemen durch Ba‐ chelorarbeiten beforscht, die zum Teil online verfügbar sind oder als Artikel in Zeitschriften publiziert wurden. Jedoch ist die Forschungslage spezifisch zum Gebärdensprachdolmetschen eher dünn. Professionelle Gebärdensprachdolmetscher: innen, die zwischen dem Hoch‐ deutschen bzw. einem schweizerdeutschen Dialekt und der DSGS übersetzen, werden seit 1986 an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH) in Zürich ausgebildet (Boyes Braem et al. 2012b). Seit 2006 wird die Ausbildung auf Bachelor-Stufe durchgeführt. Des Weiteren werden an der HfH Gebärden‐ sprachlehrer: innen (bis 2019 als Weiterbildung) und Schulische Heilpä‐ dagog: innen, die den Schwerpunkt „Hören“ wählen können, ausgebildet. Im Folgenden werden Ergebnisse unterschiedlicher Forschungsprojekte zum Gebärdensprachdolmetschen in der Deutschschweiz vorgestellt. 2.2 Situation zum Dolmetschen im Justizwesen in der Deutschschweiz: Das Projekt Justisigns Im Rahmen des EU -Forschungs- und Entwicklungsprojektes Justisigns (2013-17) wurde eine europaweite Umfrage zum Dolmetschen bei Gericht und Polizei durchgeführt (Napier & Haug 2016). Im Rahmen der Umfrage wurde u. a. folgenden Themen nachgegangen: 1. Settings im Kontext Gericht und Polizei, in denen Gebärdensprachdol‐ metscher: innen am häufigsten arbeiten; 2. Qualifikationen, die verlangt werden, um in solchen Settings dolmetschen zu können; 3. Zertifizierung für das Dolmetschen im Justizwesen; 4. Spezifische Aus- oder Weiterbildungsangebote zum Dolmetschen im Jus‐ tizwesen. Insgesamt nahmen 49 Gehörlosen- und Dolmetschverbände, Dolmetschagen‐ turen (Vermittlungsstellen bzw. Arbeitgeber) und Ausbildungsstätten aus 21 europäischen Ländern an der Umfrage teil. Da die meisten Themen nicht län‐ derspezifisch vorgestellt wurden, lassen sich die Ergebnisse nur allgemein zu‐ sammenfassen und nicht für den Deutschschweizer Kontext vorstellen. Am 150 Tobias Haug & Gertrud Hofer häufigsten arbeiten Gebärdensprachdolmetscher: innen im Gericht, gefolgt von Polizei. Die erforderlichen Qualifikationen sind sehr unterschiedlich in den ver‐ schiedenen europäischen Ländern und rangieren von keiner bis hin zu „nor‐ malen“ Qualifikationen, die Gebärdensprachdolmetscher: innen im Rahmen eines Studiums erwerben. Kein Land verlangt jedoch eine spezifische Qualifi‐ kation für das Dolmetschen im Justizwesen. Hierzu ist noch anzumerken, dass in Deutschschweizer Kantonen, wie beispielsweise im Kanton Zürich, eine spe‐ zifische Schulung Voraussetzung ist, um auf eine Dolmetschliste des Oberge‐ richts zu kommen. Dies ist Voraussetzung für Dolmetschanfragen bei Polizei oder Gericht. Keines der Länder bietet spezifische Qualifikationsangebote für Gebärdensprachdolmetscher: innen an, aber einige greifen dieses Thema im Rahmen der grundständigen Bachelorausbildung auf. In keinem der teilnehm‐ enden Länder gibt es eine spezifische Zertifizierung für diesen Themenbereich; dementsprechend mangelt es an einer solchen Spezialisierung in diesen 21 eu‐ ropäischen Ländern. Des Weiteren wurden im Justisigns-Projekt Schulungs- und Sensibilisie‐ rungsmaterialien erstellt, die auf der Projektwebsite frei zugänglich sind und auch rege genutzt werden. 2.3 Die richtige Gebärde finden: Ansätze zur Bildung von Gebärden bei lexikalischen Lücken Lexikalische Lücken sind kein dolmetschspezifisches Thema, dennoch stellen sie eine grosse Herausforderung in Dolmetschsituationen dar. Basierend auf linguistischer Forschung (Boyes Braem et al. 2012a) wurden unterschiedliche Techniken bzw. Strategien von Muttersprachlern der DSGS im Umgang mit le‐ xikalischen Lücken beschrieben. Beispielsweise wird die Technik „Mundbild“ verwendet, also das stimmlose Artikulieren eines deutschen Wortes oder Wort‐ teils, das zusammen mit einer manuellen Gebärde produziert wird. Die manuelle Gebärde GELD zusammen mit dem gleichlautenden Mundbild trägt die gleiche Bedeutung wie das deutsche Wort Geld. Wird allerdings das Mundbild geändert, kann die Gebärde u. a. auch Kredit, Preis oder Finanzen bedeuten (Boyes Braem et al. 2016). Eine andere Technik betrifft den Fall, dass bereits zwei etablierte Gebärden existieren, wie zum Beispiel für das deutsche Wort Mietzins: Hier werden die Gebärden MIET und ZINS kombiniert und ergeben eine neue lexi‐ kalische Einheit MIETZINS . In der Regel werden höchstens zwei und nicht mehr Gebärden bei der Entstehung neuer Gebärden aneinandergefügt (Boyes Braem et al. 2016). Gebärdensprachdolmetscher: innen berichten von einer wei‐ teren Technik, um Fachbegriffe in der DSGS darzustellen: produktive Gebärden. Produktive Gebärden entstehen in einer bestimmten Situation und sind eine 151 Perspektiven zum Gebärden- und Lautsprachendolmetschen aus der Deutschschweiz kurzfristige sprachliche Konvention, um Gegenstände, Vorgänge, räumliche Gegebenheiten oder Handlungen im entsprechenden Kontext darzustellen (Langer 2005). Bei der Anwendung einer produktiven Gebärde achten DSGS -Benutzer: innen auf die auffälligsten Merkmale eines Begriffes; beispiels‐ weise kann das eine spezielle Eigenschaft sein, eine Form, wie etwas ver‐ wendet / gehalten wird, oder ein Ort. 2.4 Zusammenarbeit zwischen gehörlosen Kund: innen und hörenden Gebärdensprachdolmetscher: innen In einem weiteren Projekt ging es um die Zusammenarbeit zwischen gehörlosen Personen, die beruflich stark mit ihrem hörenden Umfeld interagieren, und hörenden Gebärdensprachdolmetscher: innen (Haug et al. 2017). In dieser qua‐ litativen Studie, an der Forscher: innen aus Australien, Belgien (flämischer Teil), Grossbritannien, Irland, Niederlande, Deutschschweiz und den USA teil‐ nahmen, wurden pro Land zwei halb-strukturierte Interviews durchgeführt. Folgenden Forschungsfragen wurde im Rahmen der Studie nachgegangen: 1. Wie sehen die Erfahrungen Gehörloser unterschiedlicher Länder aus in Bezug auf die Zusammenarbeit mit Gebärdensprachdolmetscher: innen? 2. Was sind die Kriterien, die Gehörlose bei der Auswahl von Gebärden‐ sprachdolmetscher: innen ansetzen? 3. Was sind die häufigsten Strategien, die Gehörlose für eine Zusammenar‐ beit mit Gebärdensprachdolmetscher: innen anwenden? Durch die Auswertung der 14 Interviews ergaben sich folgende vier Haupt‐ themen, die für die Zusammenarbeit zwischen gehörlosen Kund: innen und Ge‐ bärdensprachdolmetscher: innen relevant sind: 1. Heterogenes Bild in Bezug auf die Einschätzung des Dolmetschniveaus in Laut- oder Gebärdensprache der Gebärdensprachdolmetscher: innen, mit denen die Interviewten zusammenarbeiten. Unsere Annahme war, dass die Gehörlosen die Dolmetschrichtung in Gebärdensprache höher einstufen würden als in die andere Richtung. 2. Kriterien zur Auswahl von Gebärdensprachdolmetscher: innen: Auch wenn sich hier ein sehr heterogenes Bild ergab, waren die am häufigsten genannten Kriterien eine hohe Kompetenz, um von Gebärdensprache in Lautsprache dolmetschen zu können, und hohe rezeptive Kompetenz von Gebärdensprache. Ein weiteres Thema war, dass Vertrauen ein wichtiges Auswahlkriterium ist. 3. Strategien in der Zusammenarbeit: Die am häufigsten genannte Strategie der gehörlosen Kund: innen war, dass sie angaben, langsamer und klarer 152 Tobias Haug & Gertrud Hofer zu gebärden, wenn sie nicht verstanden werden. Eine andere Strategie bestand in regelmässigem Blickkontakt mit dem / der Gebärdensprach‐ dolmetscherIn, um zu sehen, ob er oder sie folgen kann, oder darin, nach dem Einsatz Rückmeldung zu geben, was gut oder nicht gut gelaufen ist. Dies war die erste internationale Studie, die das Thema der Strategien in der Zusammenarbeit von Gehörlosen und Gebärdensprachdolmetscher: innen aus Sicht der Gehörlosen untersuchte. 2.5 Schwierigkeiten und Herausforderungen in den unterschiedlichen Dolmetschrichtungen Die bevorzugte Dolmetschrichtung von Gebärdensprachdolmetscher: innen ist ein sehr spannendes Phänomen, welches bereits für die Niederländische (Van Dijk et al. 2011), die Amerikanische (Nicodemus & Emmorey 2015) und die Deutschschweizerische Gebärdensprache (Audeoud & Haug 2013, Haug & Au‐ deoud 2013) ansatzweise erforscht wurde - auch wenn das Phänomen noch nicht abschliessend geklärt ist. Zur DSGS wurde 2012 ein Projekt zu dem Thema durchgeführt. Mit einem quantitativ-qualitativen Forschungsdesign wurden folgende zwei Forschungs‐ fragen bearbeitet: 1. Wird das Dolmetschen von einer L2 (Gebärdensprache) in eine L1 (Schweizerdeutsch, Hochdeutsch) von Gebärdensprachdolmet‐ scher: innen als schwieriger wahrgenommen als umgekehrt? Welche Dol‐ metschrichtung wird präferiert? 2. Was sind mögliche Erklärungsansätze, warum das Dolmetschen von der Gebärdensprache in eine gesprochene Sprache schwieriger ist? Um die erste Forschungsfrage zu beantworten, wurden Interviews mit Gebär‐ densprachdolmetscher: innen durchgeführt (N = 45), und für die zweite For‐ schungsfrage wurden neben den Telefoninterviews auch noch vertiefende qua‐ litative Interviews (N = 4) mit Dolmetschausbildner: innen geführt. Zusammenfassend in Bezug auf die erste Forschungsfrage lässt sich sagen, dass die Gebärdensprachdolmetscher: innen ihre eigene Dolmetschkompetenz in Gebärdensprache, also in ihre L2, als höher beurteilen als in Lautsprache, ihre L1 (Audeoud & Haug 2013). In Bezug auf eine Präferenz gaben rund 42 % (n = 19) an, dass sie eine präferierte Dolmetschrichtung in Gebärdensprache haben, 9 % (n = 4), dass sie eine Präferenz in Lautsprache haben, und 49 % (n = 22), dass sie keine Präferenz haben. In Bezug auf die zweite Forschungsfrage gibt es unterschiedliche Erklärungs‐ ansätze, die das Dolmetschen in die gesprochene Sprache (in einen schweizer‐ 153 Perspektiven zum Gebärden- und Lautsprachendolmetschen aus der Deutschschweiz deutschen Dialekt oder Hochdeutsch) schwieriger machen (oder erscheinen lassen): 1. Negative Erfahrung bei einem Dolmetscheinsatz, der nicht gut gelaufen ist: Diese Erfahrung wird bei einem erneuten Dolmetschauftrag mit hohem Dolmetschanteil in die Lautsprache aktiviert und blockiert mög‐ licherweise den / die Dolmetscher: in. 2. Schwierigkeit in der Rezeption von Gebärdensprache: Gehörlose Kund: innen haben sehr unterschiedliche sprachliche Hintergründe bzw. Gebärdensprachkompetenzen, u. a. bedingt durch das Alter des Zugangs zu einer Gebärdensprache. Dies kann dazu beitragen, dass Gebärden‐ sprachdolmetscher: innen nicht alle Gebärdenstile verstehen (aber sollten). 3. Die Richtung in Gebärdensprache erscheint einfacher, da sich Gebärden‐ sprachdolmetscher: innen nicht selber kontrollieren können (d. h. ich kann nicht sehen, was ich gebärde, aber ich kann hören, was ich spreche) 4. Je länger die Berufserfahrung, desto ausgeglichener ist eine Präferenz. 3 Unterschiede und Gemeinsamkeiten Der Beitrag gewährt einen Einblick ins Lautsprachendolmetschen sowie ins Gebärdendolmetschen. Beleuchtet werden Resultate aus Umfragen zu rele‐ vanten Forschungsfragen in beiden Bereichen sowie das Problem der interve‐ nierenden Wiedergabe im Lautsprachendolmetschen anhand von authentischen Ärzt: innen-Patient: innen-Gesprächen und das Thema der Dolmetschrichtung bei Gebärdensprachdolmetscher: innen. Beide Berufsfelder haben in der Schweiz erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts mehr Bedeutung erlangt, die Forschung hat im Gebärdendolmetschen in den 1980er Jahren eingesetzt, die Arbeiten im Laut‐ sprachendolmetschen erst im 21. Jahrhundert. Die Gebärdensprachdolmetsch‐ forschung ist international vernetzter als die Forschung im Lautsprachendol‐ metschen. Der grösste Unterschied besteht in der Ausbildung: Das Gebärdensprachdolmetschen ist in die Hochschulbildung integriert (auf Stufe Bachelor in der Deutschschweiz), die Aus- und Weiterbildung im Lautsprachen‐ dolmetschen wird von Berufsverbänden und / oder einzelnen Institutionen über‐ nommen und ist entsprechend fragmentiert. Die Schweizer Hochschulen haben es bisher unterlassen, Lehrgänge für Dolmetscher: innen, die im Bildungs-, Ge‐ sundheits-, Justiz-sowie im Sozialwesen tätig sind, zu initiieren. 154 Tobias Haug & Gertrud Hofer Literatur Albl-Mikasa, Michaela (2019). Interpreters’ roles and responsibilities. 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Da sie die Anerkennung der einwanderungsgesellschaftlichen Realität als Ausgangspunkt nimmt und das Versprechen der Gleichheit - in diesem Sinne auch Zugänge zu ge‐ sellschaftlichen Ressourcen, definiert als Chancengleichheit für alle - in den Mittelpunkt rückt, entfernt sie sich vom Assimilationsdruck und von der Vorstellung einer Bringschuld der Migrant*innen.“ (Foroutan 2019: 40) 2. Bringschuld wird auf der Webseite DWDS (Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache - Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute), einem Projekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, im übertragenen Sinn folgendermaßen definiert: „die moralische Verpflich‐ tung, eine bestimmte, gesellschaftlich erwartbare Leistung von sich aus zu erbringen“. Bei den Beispielen für Kollokationen steht beim Genitiv‐ attribut an erster Stelle der Migrant: „mit Genitivattribut: die Bringschuld der Migranten, der Arbeitgeber, der Unternehmen, der Wissenschaft, der Politik, des Staates“. ( DWDS 2020) 1 In diesem Beitrag wird die weibliche Form als generisches Femininum verwendet. 2 Der Beitrag von Elvira Iannone in diesem Band kann gerne komplementär zu diesem Artikel gelesen werden. 3 Ähnliche Diskussionen finden seit einiger Zeit in der Pädagogik statt: In dem 57. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik, herausgegeben 2011 von Werner Helsper und Rudolf Tippelt, mit dem Titel Pädagogische Professionalität kann auf 288 Seiten einiges über das Entstehen und den Kampf um Anerkennung der pädagogischen Profession, Pro‐ fessionalisierung und Professionalität als Handlungsweisen und Ethos gelesen werden, das Verknüpfungspunkte mit den Entwicklungen im Bereich des Dolmetschens als professionelle bzw. professionalisierte Tätigkeit bietet. Es ist ratsam, über den eigenen Tellerrand zu schauen und die Parallelen zu anderen Tätigkeitsbereichen und ihren Professionalisierungsbewegungen, ganz besonders zur Pädagogik und Sozialar‐ beit / Sozialpädagogik zu sehen. Lehrkräfte lehren, Sozialarbeiterinnen beraten, Psy‐ chotherapeutinnen behandeln, aber alle drei betreuen, bauen Beziehungen auf, be‐ gleiten, etc. Die Tätigkeitsbereiche vieler sozialer, pädagogischer und therapeutischer Berufe überlappen und überschneiden sich heute. Dies führt oft dazu, dass Konzepti‐ 1 Dolmetscherinnen als Erfüllungsgehilfinnen des neoliberalen Bürgerschaftsstaats oder Garantinnen der (post)migrantischen Gesellschaft? Der vorliegende Beitrag bietet keine umfassende Darstellung der Entwicklungs‐ linien von Qualifizierungs- und Ausbildungsprojekten für Dolmetscherinnen 1 im öffentlichen Bereich in Deutschland. 2 Er ist vielmehr ein Versuch, die aktuelle Lage in Praxis und Ausbildung in einem migrations- und translationspolitischen Rahmen zu verorten, um daraus eine kritische und gesellschaftspolitisch infor‐ mierte Forschungsperspektive für die Untersuchung von Ausbildung, Praxis und Akteurinnen im Feld zu entwickeln. Ich gehe in diesem Zusammenhang von einem partizipativen Forschungsansatz aus, der die Stimme möglichst vieler Akteurinnen hörbar machen und sie eventuell auch als Forschungspartnerinnen miteinbeziehen möchte (vgl. von Unger 2012, 2014). Im Vordergrund stehen dabei die Dolmetscherinnen als Akteurinnen. ‚Dolmetscherinnen‘ verwende ich als generische Form für alle anderen Be‐ zeichnungen wie Sprach-, Kultur-, Integrations-, Kommunikationsmittlerinnen. In der Dolmetschforschung hat Pöchhackers Buch mit dem programmatischen Titel Dolmetschen den Weg dafür geebnet (vgl. Pöchhacker 2000): Für alle Be‐ nennungen ist das Dolmetschen die zentrale Tätigkeit (auch wenn noch andere ‚Tunwörter‘ mitgedacht werden, wie z. B. das Gespräch moderieren, führen, un‐ terbrechen, die Gesprächsbeteiligten beraten, betreuen, Inhalte erklären, um‐ schreiben etc.). Ich werde nicht diskutieren, ob das Dolmetschen diese Tätig‐ keiten in sich birgt oder ob diese Handlungen ‚flankierend‘ oder ‚unterstützend‘ sind. 3 Ich setze hiermit voraus, dass die grundlegende Aktion aller mittlerischen 162 Şebnem Bahadır onen von Profession und Professionalität inzwischen eher entkoppelt werden. Profes‐ sionalität wird immer mehr eher als ein allgemeines, professionsgrenzenüberschrei‐ tendes Regelwerk von Handlungs- und Verhaltensweisen betrachtet (vgl. Helsper & Tippelt 2011: 271 f.). Betätigungen ‚Dolmetschen‘ und somit die Querschnittsbezeichnung für alle mittlerisch Tätigen ‚Dolmetscherin‘ sei. Ich gehe auch nicht auf die unter‐ schiedlichen Ab- und Eingrenzungsversuche diverser Qualifizierungsprojekte in Deutschland mittels unterschiedlicher Namengebung ein. Es handelt sich dabei größtenteils um projektbzw. in gewissem Sinne auch migrationspoliti‐ sche Positionierungen - und um den Ausdruck eines starken Abgrenzungsbe‐ dürfnisses gegenüber der akademischen Dolmetscherausbildung (vgl. Bahadır 2007). Die (Nicht)Verwendung von ‚Kultur‘ in der Bezeichnung für die Dolmet‐ scherinnen und / oder für die Qualifizierungen / Schulungen hat oft keine große Auswirkung auf Inhalte, Methoden oder Dauer der Qualifizierungen und auf die Praxis der Dolmetschtätigkeit. Die Hervorhebung von Kultur verweist eher auf einen migrationspolitischen Diskurs, der DIE Kultur von Migrantinnen als ein essentialistisches, abgrenzbares, somit (er)fassbares Charakteristikum in den Vordergrund rückt und damit gern Kulturalisierungen und sogenannte Kultur‐ standards oder Kulturmerkmale als pseudowissenschaftliche Identifikations‐ schemata legitimiert. So gehen viele Projekte, ganz im Sinne der bundesdeut‐ schen Migrations-/ Integrationspolitik, von einer eher nativistischen Vorstellung von Kulturkompetenz und interkultureller Kommunikationskompetenz aus. Die Behauptung, alle Migrantinnen seien potentielle Mittlerinnen und durch ihre Mehrsprachigkeit und Multikulturalität die idealen Mittlerinnen, wird als Grundlage eines ressourcenorientierten Ansatzes propagiert. Diese nur auf den ersten Blick aus pädagogischer Perspektive zu Empowerment führende Einstel‐ lung bedient eine politisch unkritische, gesellschaftlich exotisierende und damit ausgrenzende, ökonomisch ausbeuterische Haltung gegenüber vermeintlich an‐ geborenen Ressourcen von Migrantinnen, die zwar anerkannt und genutzt, aber schlecht oder gar nicht vergütet werden (vgl. auch Bahadir 1998, 2000, 2009). Leider werden diese Vorstellungen auch durch wissenschaftliche Studien verfestigt, die sich der freiwilligen Integrationsarbeit von Migrantinnen widmen, mit dem Ziel, das Potential des Migrationshintergrunds für den Einsatz in der Aufnahmegesellschaft hervorzuheben. Neben Dolmetschen als ‚Integra‐ tionsmittlung‘ gewinnt die Tätigkeit der Integrationslotsinnen immer mehr Aufmerksamkeit. Auch bei dieser Tätigkeit scheint die Abgrenzung zum ‚ei‐ gentlichen‘ Dolmetschen die wichtigste Daseinsberechtigung zu sein: In seiner Studie von 2017 versucht Lietz mit translationswissenschaftlich kaum haltbaren Unterscheidungskriterien die Konkurrenzsituation zu „akademisch“ ausgebil‐ 163 Dolmetschen für Gleichbehandlung und Teilhabe - aber bitte möglichst umsonst! deten Dolmetscherinnen auszuräumen. Auch wenn er immer wieder namhafte Dolmetschforscher und -forscherinnen (wie Pöchhacker, Pöllabauer oder An‐ gelelli) anführt, entziehen sich ihm doch die neuesten Entwicklungen in der Translationswissenschaft gänzlich. Lietz spricht von einer „inbegriffenen Kul‐ turmittlung“ als unterscheidendes Kriterium (2017: 82) und führt folgende Pau‐ schalbewertung als Argument an: „In der Praxis bedeutet dieses, dass zum Bei‐ spiel ein Franzose, der Dolmetscher für Französisch und Deutsch ist, nicht unbedingt dafür geeignet ist, in einer Gesprächssituation zwischen einem Deut‐ schen und einem senegalesischen Einwanderer zu dolmetschen, obwohl er so‐ wohl Deutsch als auch Französisch fließend beherrscht“ (2017: 82). Die Studie von Lietz ist in zweierlei Hinsicht bedenklich - einerseits durch ihre Pauschal‐ isierungen, was die Aufgaben und Kompetenzen von universitär ausgebildeten Dolmetscherinnen und als Gegenpol dazu Sprach- und Kulturmittlerinnen an‐ geht, und andererseits durch die wiederum undifferenzierte Zusammenführung jeglicher Sprach- und Kulturmittlerprofile, egal ob das nun Integrationslot‐ sinnen mit einer Minimalqualifizierung oder SprInt mit einer 18-monatigen Vollzeitausbildung sind. Auch wenn in diesem Zusammenhang die Studie von Querfurt 2016 mit einem praxeologischen Ansatz das Selbstgestaltungspotential von Integrationslot‐ sinnen in Relation zu ihrem gesellschaftlichen Teilhabe- und Mitgestaltungs‐ potential nicht ethnisierend und nicht kulturalisierend untersucht und mit einer poststrukturalistischen Perspektive auf die verflüssigten und bastlerischen Sub‐ jekt- und Identitätskonstruktionen der Mittlerinnen blickt (vgl. Querfurt 2016: 35-40), bleibt auch hier eine Spur von Unbehagen: Es ist immer wieder die Verquickung zwischen Migrationserfahrung/ -hintergrund und Migrantin-Sein als Ressource, Potential und Auszeichnung und einer beinahe zwanghaften doppelten Empowerment-Kompetenz, die den (selbst)reflexiven Gut-Integ‐ rierten zugeschrieben wird. Zweifelsohne sind wissenschaftliche Untersu‐ chungen der Ressourcen und des Potentials dieser „Mittlersubjekte“, in denen Migrantinnen nicht mehr nur als passive, (er)leidende und den Bedingungen unterworfene Bedürftige dargestellt, sondern anhand umfassender empirischer Analysen als Subjekte identifiziert werden, deren Identitäten sich durch ihre Beziehungen mit anderen Menschen und in Reaktion auf die sie umgebenden Faktoren und Räume formen (Querfurt 2016: 333), wichtige Beiträge für einen Perspektivenwechsel in der Migrationsforschung. Aus migrationspolitischer und -ökonomischer Sicht wird dieser wissenschaftlich-pädagogische Empower‐ ment-Diskurs allerdings oft vom Diskurs über die Bringschuld der Migrantinnen einverleibt: Immer wieder werden in den öffentlichen Einrichtungen, ob kirch‐ lich, kommunal oder staatlich, Vorbilder unter den Migrantinnen bemüht, um 164 Şebnem Bahadır 4 Sprach- und Integrationsmittlerinnen des bundesweiten SprInt-Netzwerks (vgl. SprInt Servicestelle o. J. b) sind zwar keine ehrenamtlich tätigen Dolmetscherinnen, ihr Einsatz ist und bleibt aber im Verhältnis zum Umfang und zum Anspruch der Qualifizierung (18-monatige Vollzeitqualifizierung mit drei Praktika und vier Wochen Dolmetschtrai‐ ning) eine schlecht bezahlte und wenig gewürdigte Tätigkeit. Zudem geht das SprInt-Projekt auch im Rahmen ihrer Professionalisierungsbemühungen immer noch gern mit der Mission der SprInt als Integrationsassistentinnen hausieren - die Bundes‐ fachtagung von SprInt 2018 stand unter dem Motto „Flächendeckend und innovativ: SprInt als Integrationsmotoren“ (vgl. SprInt Netzwerk 2018). zu zeigen, dass die Gut-Integrierten sich ihrer Bringschuld bewusst sind und diese moralische Verpflichtung, der Aufnahmegesellschaft ‚etwas‘ zurückzu‐ geben (als Gegenwert / aus Dankbarkeit für die eigene gelungene Integration) auch gern annehmen. So erscheint die Feststellung Foroutans, dass wir uns heute „vom Assimila‐ tionsdruck und von der Vorstellung einer Bringschuld der Migrant*innen“ ent‐ fernen, doch eher als Utopie: Diese moralische Haltung der Gut-Integrierten wird weiterhin und besonders in Zeiten vermehrter und krisenbehafteter Ein‐ wanderung (wie z. B. 2014 / 2015) als eine gesellschaftliche Mission (‚Berufung‘) aller Migrantinnen inszeniert. Ehrenamtliche migrantische Dolmetscherinnen werden gern als „Integrationsmotoren“ dargestellt. 4 Aus meiner langjährigen Erfahrung als Gutachterin und Prüferin kann ich hier in Anbetracht mehrerer Hundert Dolmetschabschlussprüfungen, die ich in den letzten 10 Jahren an di‐ versen SprInt-Standorten konzipiert, durchgeführt und abgenommen habe, be‐ richten, dass in den Reflexions- und Feedbackgesprächen nach den Prüfungen (aber auch schon in den Prüfungen in Form von Dolmetschinszenierungen) immer wieder die Rollenüberfrachtung und Überforderung der SprInt auffällt. Die im Tätigkeitsprofil vorgesehene Funktion der „Integrationsassistenz“ (vgl. SprInt Servicesstelle o. J. a) wird oft nur einseitig in Richtung migrantischer Kli‐ entin / Patientin ausgeführt: Die SprInt sind meist sehr bemüht darum, die Mig‐ rantin zu informieren, vorzubereiten, zu integrieren, also der Fachkraft, der Aufnahmegesellschaft ‚näher‘ zu bringen. Als wäre Dolmetschen nicht anstren‐ gend genug, aber als Integrationsmotor agieren zu müssen / wollen ist noch um einiges anstrengender, verantwortungsvoller und belastender. Der Motor soll die Noch-Nicht-Integrierten darin unterstützen, ihren Integrationsprozess zu beschleunigen und auch zu einem Erfolg zu machen. Deswegen ist es den SprInt oft ein Bedürfnis, ihre Aufgabe „Missverständnisse“ zu vermeiden oder aus dem Weg zu räumen, also „aufzuklären“ als besonders vorrangig hinzustellen. Vor‐ dergründig geht es dabei immer um Erklärungen und Erläuterungen von kul‐ turellen Aspekten und kulturspezifischen Handlungs-, Sprech- und Denkweisen (eben um diese ominöse Kulturmittlung, die sie von den ‚anderen‘ Dolmet‐ 165 Dolmetschen für Gleichbehandlung und Teilhabe - aber bitte möglichst umsonst! 5 Ob dieses Zögern und Zaudern, was von Zeit zu Zeit in Widerstand oder Angst um‐ schlägt, Konflikte und Brüche in den verdolmetschten Gesprächen zuzulassen, zu ak‐ zeptieren und eben zu verdolmetschen, mit der Rollenüberforderung und dem Druck des ‚Integrationsauftrags‘ verbunden oder eher auf persönliche ‚Migrationswunden‘ der SprInt zurückzuführen ist, d. h. Erfahrungen, Erlebnisse, Geschichten aus ihrer ei‐ genen Migrationsbiographie, die noch nicht verarbeitet sind und in bestimmten Dol‐ metschsituationen immer wieder ‚hochkommen‘, ist eine der zentralen Fragestellungen eines Teilprojekts innerhalb eines größeren Forschungsvorhabens, das ich in den nächsten Jahren mit einem interdisziplinären Team angehen werde. 6 Vgl. KATH.NET (2018), Zschunke (2014), AfD Nordhausen (2019). scherinnen unterscheiden soll). SprInt werden gern als kulturelle Brücken in‐ szeniert - und sie inszenieren sich auch gern selbst als Brückenbauer (vgl. SprInt-Webseite, SprInt Servicestelle o. J. a). Die Einladung, die ich in meinen Feedbackgesprächen den SprInt gegenüber ausspreche, gemeinsam über den einseitigen Einsatz dieser Brücken zu reflektieren, fällt schwer: Sie bauen Brü‐ cken, um die Migrantin möglichst passgenau an die Fachkraft, an die Gesprächs‐ situation und somit auch an die Institution heranzuführen. Die Brücke wird vielmehr in Richtung Fachkraft und Behörde genutzt. Die sprachmittelnde In‐ tegrationsarbeit wird dabei oft als ein unidirektionaler, möglichst reibungsloser Informationsfluss verstanden und praktiziert. Störungen, Reibungen, Brüche, Konflikte werden als auszubügelnde und zu harmonisierende Faktoren be‐ trachtet. 5 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Migrantinnen selbst, die es ‚geschafft‘ haben und nun in ‚Expertenpositionen‘ sind, das Bild der Bringschuld gern bemühen, z. B. nehmen sogenannte Personen des öffentlichen Lebens wie der „Psychologe, Islamismusexperte und nichtpraktizierende Muslim Ahmad Mansour“ dieses Wort offen und freizügig in den Mund (vgl. Untertitel des Ar‐ tikels mit dem Titel „Ahmed Mansour: Integration ist eine Bringschuld der Mi‐ granten“ in den Katholischen Nachrichten, KATH . NET 2018). Die Forderung, die erwähnte Bringschuld einzulösen, kann zum Beispiel eine baden-württem‐ bergische Integrationsministerin, Bilkay Öney, die selbst Migrationshinter‐ grund hat, aussprechen: „Zum diesjährigen ‚Tag des Flüchtlings‘ dankte Öney den Helfern in Baden-Württemberg und bat die schon länger im Land lebenden Migranten, ‚sich ehrenamtlich für die Flüchtlinge zu engagieren, beispielsweise als Dolmetscher.‘“ In diesem Zusammenhang muss aber auch erwähnt werden, dass „Integration ist eine Bringschuld“ eine offizielle Forderung der rechtspo‐ pulistischen Partei AfD im Umgang mit Migration ist. 6 Angesichts der medial inszenierten Selbstzuschreibung einer Bringschuld und des Bedürfnisses, eine Vorbildfunktion zu übernehmen, um Deutschland etwas zurückzugeben, ist es besonders wichtig, Foroutans Vorstellung der postmigrantischen Gesellschaft 166 Şebnem Bahadır noch einmal als eine wichtige Vision in den Mittelpunkt zu rücken: Für einen derartigen Paradigmenwechsel benötigen wir allerdings eine sachliche und ent‐ moralisierte Diskussion über die Rechte und Pflichten von Migrantinnen. Das Recht auf Asyl und die Zuerkennung eines gesicherten Status für Migrantinnen sind Menschenrechte. Politische und gesellschaftliche Anerkennung bedeutet Chancengleichheit und Teilhabe, die im Grundgesetz verankert sind. Die Pflichten der migrantischen Bürgerinnen wiederum umfassen keineswegs die Verpflichtung, sich ständig in der Bringschuld zu sehen und ewige Dankbarkeit zu zeigen. Migrantinnen haben keine „moralische Verpflichtung, eine be‐ stimmte, gesellschaftlich erwartbare Leistung von sich aus zu erbringen“ (vgl. nochmal die Definition aus Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache). Es ist selbsterklärend, dass ehrenamtliches Engagement „gemeinwohlorientiert“, somit „öffentlich“ und „bürgerschaftlich“ ist (vgl. Meusel 2016) - und eben frei‐ willig. Es kann und darf nicht als moralische Verpflichtung eingefordert oder suggeriert werden. Wenn das geschieht, läuft da etwas schief in einem Migra‐ tionsland: Es bedeutet nämlich, dass die Integrationslast zu einem gehörigen Teil auf die Schultern der Ehrenamtlichen und darunter prominenterweise auf die der gut-integrierten Mit-Migrantinnen geladen wird. Wenn die Vorstellung vom ehrenamtlichen Dolmetschen als Bringschuld der bilingualen Gut-Integrierten sowohl in der Aufnahmegesellschaft als auch unter den Migrantinnen zur Selbstverständlichkeit, gar zur gesellschaftlich-moralischen Norm wird und die Professionalisierung der Dolmetschtätigkeit im öffentlichen Bereich unmöglich oder auch unnötig macht, benötigt es schon längst eine kritische Lektüre dieser Entwicklungen aus ökonomischer und (translationswie auch migrations)poli‐ tischer Sicht. Dafür muss die Situation des ehrenamtlichen oder schlecht be‐ zahlten Dolmetschens zur Gewährleistung von Teilhabe und Gleichbehandlung aus der Perspektive und unter aktivem Einbezug der Dolmetscherinnen selbst näher beleuchtet werden. Genau hier muss ein partizipatives Forschungsvor‐ haben zur Untersuchung der Entwicklungen des Dolmetschens in öffentlichen Einrichtungen ansetzen. 2 Die große Verheißung oder die große Illusion: Von Engagement über Qualifizierung zu Professionalität Mein Ausgangspunkt war Naika Foroutans Analyse unserer Migrationsgesell‐ schaft, die recht utopistisch anmutet. Foroutan betrachtet die postmigrantische Gesellschaft aber eigentlich nicht als Utopie, sondern eher als eine Chance un‐ seren Blick für die bestehenden Paradoxien und Ungleichheiten zu schärfen, „die aus dem Weg geräumt werden müssen, um der Utopie ein Stück näher zu 167 Dolmetschen für Gleichbehandlung und Teilhabe - aber bitte möglichst umsonst! 7 „Wenn ich sage ‚Ich verspreche‘, beschreibe ich nicht etwas anderes, ich sage nichts, ich tue etwas, es handelt sich um ein Ereignis. Das ‚Ich verspreche‘ bezieht sich nicht auf ein vorhergehendes Ereignis, sondern es konstituiert selbst ein Ereignis. […] Ich wäre dagegen versucht zu sagen, dass jeder Satz, jedes Performativ, ein Versprechen enthält, dass das Versprechen also kein Performativ unter anderen ist. Sobald ich mich an den anderen wende, sobald ich ihm sage, ‚ich spreche zu dir‘, bewege ich mich schon in der Ordnung des Versprechens. ‚Ich spreche zu dir‘, das heißt, ich verspreche dir weiter‐ zusprechen, bis zum Ende des Satzes, ich verspreche dir die Wahrheit zu sagen, selbst wenn ich lüge“ - denn um zu lügen, muss man ja versprochen haben, die Wahrheit zu sagen. […] Ich halte dagegen, dass ein Versprechen, das nicht in sich selbst pervertierbar ist, das nicht gebrochen werden kann oder bedroht ist von der Möglichkeit, unaufrichtig oder nicht ernst gemeint zu sein, kein Versprechen ist. Ein Versprechen muss gebrochen werden können, sonst ist es kein Versprechen; es ist eine Vorhersage oder eine Ankün‐ digung.“ (Derrida & Lüdemann 2003: 52-55) kommen“ (2019: 224). Wir benötigen diesen geschärften politischen Blick, um den aktuellen Zustand der Arbeit, Ausbildung und Stellung von Dolmetscher‐ innen im öffentlichen Bereich gegen den Strich zu lesen. Die postmigrantische Gesellschaft, die ambivalent und vielstimmig ist, bildet den Hintergrund, in dem ich ein Versprechen der Qualifizierungen und der Dolmetscherinnen selbst ver‐ orte, das einen großen Bogen von Engagement über Qualifizierung bis zu Pro‐ fessionalität spannt. Dieses Versprechen ist dabei in der Doppeldeutigkeit von Derridas Verwendung zu lesen (Derrida & Lüdemann 2003): 7 Deutschland ver‐ spricht Migrantinnen die Gewährleistung von Partizipation und Gleichbehand‐ lung als Pfeiler einer demokratischen Aufnahmegesellschaft, die sich zu Plura‐ lität und Diversität bekennt. Dieses große politische Narrativ, das seit dem performativen Akt Deutschlands, sich qua Zuwanderungsgesetz im Jahre 2005 auch de iure zu dem de facto schon seit mehreren Jahrzehnten existierenden Zustand ‚Einwanderungsland‘ zu bekennen, einerseits gehegt und gepflegt und andererseits verteufelt wird, weist seither Ambivalenzen und Ambiguitäten auf. Nach Foroutan werden Migrantinnen und ihren Nachkommen „gesellschaft‐ liche Anerkennung, Chancengleichheit und Teilhabe“ versprochen, aber gleich‐ zeitig verfestigt sich eine „strukturelle, soziale, kulturelle und identifikative Un‐ gleichheit zwischen migrantischen und nicht migrantischen Bürger*innen“ (2019: 111). Foroutan untersucht in ihrer Studie Umgangsformen von Migran‐ tinnen mit dieser kognitiv und emotional dissonanten Situation und geht dabei besonders auf Polarisierung und Radikalisierung bei migrantischen und auf Ab‐ wehr bei nichtmigrantischen Gruppen ein (2019: 173 ff.). Mit dem Blick einer kritischen politischen Translationsforschung lässt sich hier das Recht auf Trans‐ lation bzw. die Gewährleistung von Translationen als eine unabdingbare Vo‐ raussetzung identifizieren (die natürlich in Foroutans sozialwissenschaftlicher Analyse keine Erwähnung findet): Damit dieses Versprechen eingelöst (oder 168 Şebnem Bahadır auch gebrochen) werden kann, müssen sich die beiden Parteien, die Mi‐ granten-Communities und die politischen Entscheidungsträger der Mehrheits‐ gesellschaft in Deutschland, erst einmal verständigen können - sprachlich, unter Umständen auch kulturell. Ohne gemeinsame Sprache kann es keine auf Gleichbehandlung, Anerkennung und Teilhabe basierende plurale Demokratie geben. Ohne sprachliche Unterstützung kann keine (noch) nichtdeutschspra‐ chige Migrantin von diesem Versprechen profitieren - oder gar erst mal wissen, dass es so ein Versprechen gibt. Deswegen wird (im ersten Augenblick berech‐ tigterweise) diese Verheißung, sich für die Gleichberechtigung und Nichtdis‐ kriminierung von Migrantinnen einzusetzen, seit Jahrzehnten von den meisten Projekten, Maßnahmen und Initiativen in Deutschland, die Dolmetscherinnen organisieren, vermitteln, schulen oder qualifizieren, als das oberste Prinzip ihres Tuns deklariert: Ob nun einer der vielen kommunalen oder kirchlichen Pools von Ehrenamtlerinnen mit minimalen Schulungsangeboten oder umfangreiche Qualifizierungsprogramme - Empowerment wird in diesen Projekten auf meh‐ reren Ebenen groß geschrieben. Durch den Einsatz von minimal oder auch ma‐ ximal aus-/ fort-/ weitergebildeten Dolmetscherinnen (wobei die Bandbreite von einem 2-stündigen Infotreffen bis zu einer 18-monatigen Vollzeitausbildung reicht) sollen Migrantinnen aus ihrer Sprach- und somit Machtlosigkeit heraus‐ geholt werden, dazu befähigt werden, sich gegen Unrecht, Machtmissbrauch, Unterdrückung zu wehren und ihre Rechte kennenzulernen und wahrzu‐ nehmen, also an gesellschaftlichen Prozessen teilzunehmen, bei gesellschafts‐ politischen Themen aktiv zu werden. Das Empowerment soll dann idealerweise nicht nur die Mündigkeit der Bürgerinnen mit Migrationshintergrund hervor‐ rufen, sondern auch gleichzeitig zu einem Empowerment, einer Anerkennung der Mittlerinnen führen, die in diesen Initiativen, Maßnahmen, Projekten ak‐ kreditiert, also befähigt und (oft nur minimal und am Rande) professionalisiert werden sollen. Das Dolmetschen soll einerseits aus sprachlosen und somit ohn‐ mächtigen Migrantinnen mündige und aktive Bürgerinnen machen und ande‐ rerseits die Dolmetscherinnen mit einer gewissen ‚Expertenmacht‘ adeln, was ebenfalls zu Selbstbewusstsein, Selbstreflexivität und Handlungsfähigkeit führen soll. Immer wieder wird diese doppelte Schleife bemüht: Einerseits werden Dolmetscherinnen als Garanten gegen Benachteiligung und Ungleich‐ behandlung betrachtet. Andererseits wird im gesellschaftspolitischen Diskurs über diese Dolmetscherinnen, die gern als ‚Allheilmittel‘ gegen Diskriminierung von Migrantinnen inszeniert werden, auch immer wieder suggeriert, dass dieser (Dolmetsch)Einsatz für sprachlose und ohnmächtige Migrantinnen gleichzeitig eine Medizin gegen die eigene Ohnmacht, Rechtlosigkeit und gesellschaftliche und politische Nichtanerkennung der Dolmetschenden ist. 169 Dolmetschen für Gleichbehandlung und Teilhabe - aber bitte möglichst umsonst! Allerdings verweisen die Versprechen des Einwanderungslands auch immer auf ein Ver-Sprechen, ein Falsch-Sprechen. Nach Derrida enthält jedes Sprechen, jede performative Geste des Sprechens, diese Gefahr des Ver-Sprechens. Ich be‐ trachte die Situation in Ausbildung und Praxis der Dolmetscherinnen in öffent‐ lichen Einrichtungen in Deutschland eben aus dieser Perspektive: Professiona‐ lisierungsbewegungen und professionalisierte Dolmetscherinnen weisen die gleiche Doppelbödigkeit auf wie die Migrations- und Integrationspolitik, die die Rahmung dieser Ausbildungsprojekte darstellt, d. h. sie versprechen und ver-sprechen sich gleichzeitig. In dem Augenblick, in dem Dolmetscherinnen und politische Entscheidungsträger Integration, Partizipation und Gleichbe‐ handlung versprechen, ist auch die Möglichkeit des Sich-Versprechens und des Falsch-Sprechens eingeschrieben: Diese Doppelbödigkeit können wir nur he‐ rausarbeiten, wenn wir an die Migrationsgesellschaft aus der Perspektive einer „postmigrantischen Gesellschaftsanalyse“ (vgl. Foroutan 2018) herantreten. Fo‐ routan betont, dass wir erst durch eine derartige Perspektive erkennen können, dass der „Kernkonflikt heterogener Gesellschaften“ (Foroutan 2018: 271) nicht Migration ist - es geht eher um die Aushandlung und Anerkennung von Gleichheit als zentralem Versprechen der modernen Demokratien, die sich auf Pluralität und Parität als Grundsatz berufen. Die Omnipräsenz des Migrationsdiskurses verdeckt diesen zentralen Aushandlungskon‐ flikt. (Foroutan 2018: 271) Sobald Dolmetscherinnen als Professionelle auftreten und somit das Verspre‐ chen der Professionalität artikulieren, tragen sie auch gleichzeitig die Spuren des Nichteinhaltenkönnens dieses Versprechens in sich. Diese Potentialität kennzeichnet alle Ebenen ihrer Tätigkeit. Es umfasst einerseits die individuelle Ebene des verbalen Outputs der einzelnen Dolmetscherin in einer spezifischen Einsatzsituation, wenn sie den Mund aufmacht und (ver)spricht: „Ich werde alles dolmetschen, was hier gesagt wird. Ich werde vollständig und genau dolmet‐ schen.“ Und sie geht bis zur Ebene der Empowerment-Mission der Initiative / des Projekts weiter - z. B. im Falle von SprInt, die sich mittels folgender Verheißung auf die Fahne schreibt: „Sprach- und Integrationsmittelnde leisten einen kon‐ kreten Beitrag zur Chancengleichheit im Gemeinwesen und zur Integration von Flüchtlingen und Migrierten“ (SprInt Servicesstelle o. J. c). Es geht also zunächst einmal nicht darum, dass in manchen Qualifizierungen vielleicht zu wenig Dolmetschtrainings stattfinden oder Dolmetschtechniken und -strategien nicht genug oder gar nicht gelehrt werden. Natürlich spielen didaktische Ansätze und Methoden, die wissenschaftliche Fundierung von Cur‐ ricula eine Rolle und machen sicherlich einen Unterschied. Dieser Unterschied 170 Şebnem Bahadır muss allerdings erst noch beforscht werden und seine Auswirkung in der Praxis der Dolmetschtätigkeit, z. B. in Form von Social-Impact-Studien, analysiert werden. Allerdings können auch die bestausgebildeten Fachdolmetscherinnen in diesen Einsatzbereichen scheitern, weil sie in ihren Verdolmetschungen nicht nur bestimmte Techniken und Strategien zur Übertragung von Inhalten, Emo‐ tionen, Verhaltensweisen, Meinungen, Gedankengängen etc. besser oder schlechter beherrschen, sondern diese Verdolmetschungen auch immer der Ge‐ fahr ausgesetzt sind, leere Verheißungen zu sein. Dolmetscherinnen ver-spre‐ chen sich, weil aus ihrem Mund das Ordnungssystem, das Gleichbehandlung und Partizipation verspricht, falsch spricht. Die Dolmetscherin leiht ihre Stimme einer Gesellschaft und einer Bürokratie, die (sich) durch ihre Stimme und ihren Mund ver-spricht. Natürlich leiht sie ihre Stimme auch der Migrantin, die sie unterstützen soll bei der gesellschaftlichen Integration, die gesellschaftliche und politische Teilhabe ermöglichen soll. Das tut die Dolmetscherin meist als Viertel-, Halb- oder auch Dreiviertelprofessionelle, der von der Aufnahmege‐ sellschaft die Macht verliehen wird, das Problem der sprachlichen und politi‐ schen Ohnmacht der Migrantin zu lösen. Diese Problemlösungskompetenz (wie auch die zuvor erwähnte Kulturmittlungskompetenz) wird oft im gleichen Atemzug mit der Professionalität bzw. als Merkmale der Professionalisierung der Dolmetscherinnen genannt: Es steht dabei weniger die Profession der Dol‐ metscherin im Vordergrund und ihre professionseigene Ethik, die in der Dol‐ metschforschung und auch in der Translationswissenschaft seit einigen Jahren vielseitig und kritisch diskutiert wird und für die auch diverse Konzepte und Ansätze entwickelt wurden (vgl. z. B. Boéri & Jerez 2011, Bahadır 2007, 2010, Grbić 2010, 2015, Grbić & Kujamäki 2019). Hier handelt es sich um eine marke‐ tingtechnisch einsetzbare und eher ‚kosmetische‘ Mindestprofessionalisierung, im Rahmen derer Professionalität durch die Qualifizierungsträger als Legitima‐ tionsinstrument für die Vorgehensweisen und Problemlösungen von ehrenamt‐ lichen oder minimal ausgebildeten und schlechtbezahlten Dolmetscherinnen genutzt wird. In funktional hochdifferenzierten Gesellschaften bestimmen his‐ torisch gewachsene Inklusions- und Exklusionsregeln den Zugang zu und den öffentlichen Gebrauch von Berufs- und Professionsbezeichnungen (vgl. Stichweh 2014, 2016). Beim Dolmetschen in öffentlichen Einrichtungen (wobei ich hier neben Behörden auch dezidiert Gesundheits- und Bildungseinrich‐ tungen mit einbeziehen möchte), wie auch bei anderen ‚unterstützenden Maß‐ nahmen‘ für Migrantinnen (im Bereich Sozialarbeit z. B.), regelt ein simples ökonomisches Kriterium die Exklusion und die Inklusion und das Ausmaß der Professionalisierung: die Nachfrage. Bei einigen SprInt-Standorten können wir diesen recht kruden Regulierungsmechanismus gut beobachten: Prinzipiell soll 171 Dolmetschen für Gleichbehandlung und Teilhabe - aber bitte möglichst umsonst! die qualitätssichernde und in Deutschland umfangreichste Qualifizierung und das SprInt-Profil zwar flächendeckend verbreitet werden. Das Projekt will einen Beitrag für eine für die Gesellschaft nachhaltige und für die SprInt zukunftssi‐ chernde Professionalisierung und Standardisierung leisten. Sobald allerdings der Markt (und die Migrationspolitik) Druck ausübt, z. B. die Zuwanderung steigt oder andere Sprachen benötigt werden, drängen Quereinsteigerinnen in die SprInt-Pools, die nur kurz oder auch gar nicht geschult und sofort in den Einsatz geschickt werden - neben den ausgebildeten SprInt, die mit dem Qua‐ litätsversprechen einer wissenschaftlich fundierten und ständig weiterentwi‐ ckelten Qualifizierung im Feld agieren. Es geht mir hier nicht darum, die All‐ tagsdolmetschkompetenz und die natürlich gewachsenen Mittlerfähigkeiten mancher Migrantinnen grundsätzlich in Frage zu stellen. Es ist mir aber ein Anliegen, hier die Doppelzüngigkeit aufzuzeigen: Einerseits wird Qualität, Stan‐ dardisierung und Zertifizierung versprochen. Und andererseits kann dieses Ver‐ sprechen sofort und folgenlos gebrochen werden. Das Professionalitätsverspre‐ chen in diesem Kontext scheint je nach politischer und gesellschaftlicher Lage ein- und ausgeschaltet werden zu können. Die Forderung nach Professionalisierung des Dolmetschens in öffentlichen Einrichtungen scheint mir nicht so sehr die Belange der Migrantinnen und der Dolmetscherinnen vor Augen zu haben. Es geht eher um eine gewisse Kontrolle und Ordnung. Nach Esteva wurde der Einfluss von „gewöhnlichen Menschen in den modernen Demokratien […] auf die öffentlichen Angelegenheiten […] sanft und kaum merklich durch Professionalität abgeschafft“ (Esteva 2017: 157). Die Professionellen unserer Zeit erscheinen als „neue Klasse von geschulten Experten“, die ihr Dasein durch den Anspruch, die Bedürfnisse der Menschen zu kontrollieren, legitimieren (Esteva 2017: 156). Esteva warnt auch davor, dass Professionelle eigentlich nur die Krisen und Konflikte lösen, die durch profes‐ sionelle Interventionen verursacht wurden. Es wird hier eine Selbstreferentia‐ lität und eine Nachhaltigkeit an Bedürfnissen produziert, die das System des Expertentums verfestigt: „Professionell ist eine Person, die jede Situation in ein ‚Problem‘ verwandeln kann, um dann eine Lösung anzubieten, an der sie maß‐ geblich beteiligt ist“ (Esteva 2017: 155). Bauman beschreibt dieses Paradoxon unseres Bedürfnisses nach Ethik-Experten, also Experten mit „ethischer Kom‐ petenz“ im Gegensatz zu „gewöhnlichen Menschen unter gewöhnlichen Um‐ ständen“, die eigentlich ja auch ohne die Leitung durch Expertinnen Dinge tun, damit, dass Expertentum immer Gewissheit und Fundierung suggeriert - ob‐ wohl alle Menschen meist sehr gut „ohne einen Kode und ohne offiziellen Stempel seiner Richtigkeit“ leben und agieren können (Bauman & Suhr 1997: 24 f.). Baumans Reflexionen zur (Nicht)Notwendigkeit von Expertentum 172 Şebnem Bahadır und besonders deren Festschreibung in Form von professionellen ethischen Ko‐ dizes zeigen für uns eine interessante Lesart für die Generierung und gesell‐ schaftliche Etablierung des Bedarfs an Professionalisierung von Dolmetschtätigkeiten im öffentlichen Raum auf: Es geht also kaum um die Qualitätssiche‐ rung für die Dolmetschleistungen oder die Aufwertung der Dolmetschenden durch Qualifizierung oder die Gewährleistung einer korrekten und kompletten Verdolmetschung und dadurch einer möglichst vollständigen Übertragung der Migrantinnenstimmen im Sinne der Menschen- und vielleicht auch Bürger‐ rechte. Auch Bauman zeigt uns, wie vielmehr ein moralisch-politisch-ökono‐ misches Bedürfnis der modernen Gesellschaft im Vordergrund steht: Standar‐ disierung, Normierung, Zertifizierung machen ehrenamtliche Tätigkeiten überschaubar und kontrollierbar. Es soll der Eindruck von Ordnung und Ge‐ wissheit erweckt werden (vgl. Bauman, Bielefeld & Boxberger 1995: 22). Dieser ‚kosmetische‘ Umgang mit Professionalität und Professionalisierung ist neben der aktiven Einbindung des Diskurses um eine Bringschuld der Migrantinnen eine zweite translations- und migrationspolitisch prekäre Besonderheit der Dol‐ metschdienste und -projekte, die öffentliche Einrichtungen versorgen. 3 Bürgerschaftliches Engagement der Gut-Integrierten oder die (Un)Heiligkeit des Ehrenamts Mit dem beinahe exponentiellen Anstieg der Dolmetscherpools und -initiativen im Rahmen des freiwilligen Engagements von Ehrenamtlichen setzt also para‐ doxerweise auch eine Art Relativierung und Infragestellung der absoluten und engagierten Laienarbeit an: Bei DOOR z. B., einem regionalen Dolmetscherpool (der als „Projekt“ von Arbeit & Leben gGmbH, einem staatlich anerkannten Weiterbildungsträger, etabliert wurde) werden die Dolmetscherinnen als „eh‐ renamtlich tätig“ aber „im Vorfeld qualifiziert“ bezeichnet (vgl. Infoflyer, ab‐ rufbar Arbeit & Leben o. J.). Die Institutionen, die seit vielen Jahren in Deutsch‐ land die Migrantenversorgung in einer Art outgesourcter Dienstleistungspakete für den Staat übernehmen, die Caritas und die Diakonie, positionieren sich beim Einsatz von ehrenamtlichen Dolmetscherinnen ganz vorne: Als professionelle Beratungszentren für Geflüchtete und Migrantinnen, die selbstverständlich ausgebildete und professionelle Beraterinnen (Sozialpädagoginnen, Sozialar‐ beiterinnen, etc.) in ihren Beratungsstellen einsetzen, hantieren sie bei den Dol‐ metscherinnen immer noch gern mit der Ehrenamtspauschale. Kurzzeitschu‐ lungen mit großer Außendarstellung und Niedrighonorare sind oft Merkmal der Dolmetschpools und -projekte, die an der Diakonie oder Caritas angesiedelt 173 Dolmetschen für Gleichbehandlung und Teilhabe - aber bitte möglichst umsonst! 8 Vgl. z. B. das Projekt „Alltagsdolmetscher“ der Caritas Worms (o. J. a, o. J. b) oder das Projekt „Kulturdolmetscher“ der Caritas Mannheim (2019, o. J.). 9 Es ist mir keine wissenschaftliche Studie über die ‚Ausbeutung‘ von ehrenamtlichen Dolmetscherinnen bekannt, auch in den Mainstream-Medien finden sich kaum Berichte darüber. Lediglich in politisch linksorientierten oder gewerkschaftlichen Webseiten finden sich hie und da Nachrichten, wie z. B. der Artikel „Das Geschäft mit der Aus‐ beutung von migrantischen DolmetscherInnen“ in der Perspektive Online (2019). Es gibt immer wieder Stellungnahmen des BDÜ, die auf die Gefahren von Verdolmet‐ schungen durch Laien hinweisen, die defizitäre Qualität erwähnen und auch die po‐ tentielle Überforderung der Laiendolmetscherinnen betonen (vgl. BDÜ 2015). Aber auf die prekären Beschäftigungsverhältnisse wird meist nur indirekt verwiesen: „Der Be‐ darf an Dolmetschern im Gesundheitswesen ist groß und die Nachfrage wächst. Im Moment bilden viele Gemeinden deshalb Dolmetscherpools und auch Krankenhäuser fragen in den eigenen Reihen nach Personal, das weitere Sprachen spricht. Diese Ent‐ wicklung kann der Verband verstehen, sieht sie jedoch kritisch. Die Ansätze der Dol‐ metscherpools hinsichtlich der nötigen Qualifikation und der Honorierung der Dol‐ metschleistungen sind sehr unterschiedlich. Die Mehrheit der Dolmetscherpools arbeitet rein auf ehrenamtlicher Basis, manchmal werden die Fahrtkosten erstattet.“ (Vgl. BDÜ 2016). Ich bin mir darüber im Klaren, dass Ausbeutung ein harter Begriff ist, der eine moralische Wertung mit sich bringt. Wir können auch von ‚Prekariat‘ und ‚prekären Beschäftigungsverhältnissen‘ sprechen, Begriffe, die uns die liberale Markt‐ wirtschaft beigebracht haben - die allerdings auf die gleiche Praxis verweisen. sind. 8 So sind diese kirchlichen wie auch etliche kommunale Einrichtungen mit verantwortlich dafür, dass sich die prekären Arbeitsverhältnisse der zwar überaus engagierten, aber nur halbherzig oder sporadisch qualifizierten Dol‐ metscherinnen als eine Norm in Deutschland etabliert haben. 9 Im Vordergrund steht dabei stets die Apologie, dass es sich ja hauptsächlich um Sprachen handle, für die es keine universitäre Ausbildung gibt - und dass bei diesen Dolmet‐ scherinnen das Engagement und der kulturelle Hintergrund (also diese ange‐ borene Kulturmittlungskompetenz) im Vordergrund stehen (vgl. auch Bahadır 2007). Es gibt einige Studien zum Ehrenamt, die auf negative Aspekte, meist auf persönlicher oder menschlich-biografischer Ebene eingehen, wie das Helfer‐ syndrom oder die Beziehung zwischen freiwilligem Engagement und sozialer Benachteiligung (vgl. z. B. Meusel 2016). Aber für eine migrationspolitische Ver‐ ortung des Ver-Sprechens der Qualifizierungen für Dolmetscherinnen im öf‐ fentlichen Raum in Deutschland benötigen wir einen kritischen systemischen und politischen Blick, der das Ehrenamt ‚entheiligt‘, wie das die Politikwissen‐ schaftlerin Pinl in ihrer Studie tut: Die Not - die Löcher in den sozialen Netzen, die finanzielle Austrocknung der Kom‐ munen - wird so zur gleichermaßen verwaltungstechnischen wie demokratischen Tugend umgedeutet. Mehr Teilhabe, mehr Einfluss, mehr Integration Ausgegrenzter, 174 Şebnem Bahadır 10 In diesem Zusammenhang ist ein Projekt an der Politischen Soziologie der Universität Jena, das von der Hans Böckler Stiftung gefördert wird, sehr interessant: „Eine neue Kultur des Helfens oder Schattenökonomie? Engagement und Freiwilligenarbeit im Strukturwandel des Wohlfahrtsstaats“ (Hans-Böckler-Stiftung 2020); vgl. auch das aus‐ führliche Interview mit den Projektleiterinnen mit dem Titel „Die Schattenseiten des Engagements“ in Soziopolis (Dowling et al. 2018). Folgende Aussage aus dem Interview ist besonders wichtig, was die Beforschung der ehrenamtlichen Dolmetschtätigkeit in sozialen und gesundheitlichen Einsatzbereichen angeht: „Viel zu wenig wird darüber gesprochen, dass und warum in diesem Zusammenhang nicht nur die Zukunft des So‐ zialstaats verhandelt wird, sondern dass auch der Wandel von Geschlechterverhält‐ nissen und Familienstrukturen wesentlich dazu beiträgt, dass nach neuen Quellen un‐ bezahlter (oder geringfügig entschädigter) Arbeit Ausschau gehalten wird, gerade weil diese Quellen für das Funktionieren der kapitalistischen Ökonomie grundlegend sind. Dass überhaupt realisiert und anerkannt wird, dass es eine politische Ökonomie des Helfens gibt, das ist die große Leerstelle.“ So denke ich, dass die Forschungsergebnisse dieses Projekts eine gute Ausgangslage für eine Untersuchung der Situation von eh‐ renamtlichen Dolmetscherinnen bieten könnte, die auch die wirtschaftlich-politische Dimension kritisch mit einbezieht (vgl. van Dyk 2019, van Dyk & Haubner 2019, Haubner 2019). mehr Partizipation, größere Chancen, individuelle Kreativität einzubringen, Quali‐ tätssteigerung der öffentlichen Dienste durch Innovationspotenzial der Freiwilligen - wenn die Bürgerschaft vor Ort aktiv wird, sind laut Governance-Konzepten die se‐ gensreichen Folgen zahlreich. Religiös oder philanthropisch begründete Rechtferti‐ gungen für Engagement spielen demgegenüber nur noch eine Nebenrolle. (Pinl 2015) Pinl führt das Florieren des Ehrenamts auf den Untergang des Sozialstaats zu‐ rück und spricht von einem Pardigmenwechsel in den 1980er und 1990er Jahren, als mit staatlicher Förderung viele Sozialleistungen ins Ehrenamt ausgelagert werden und der Sozialstaat recht erfolgreich durch die idealisierte Vorstellung einer partizipativen und freiheitlichen Bürgergesellschaft ersetzt wird (ibid). In Deutschland sind Qualifizierungen und der Einsatz von Dolmetscherinnen im öffentlichen Bereich in diesem allgemein ökonomisch-politischen Rahmen zu verorten. Die Veredelung der Gratis- und / oder Billigarbeit unter dem Heili‐ genschein des Ehrenamts hat eine lange Tradition in Bereichen wie Pflege, Ge‐ sundheit, Soziale Dienste und auch Bildung in Deutschland. Hier fügen sich die Dolmetscherpools und Sprachmittlerinitiativen wunderbar in ein Gesamtbild ein, in dem neben gesellschaftlicher Anerkennung und Preisung des Ehrenamts auch immer eine Gegenbewegung pro Forma mitläuft, die sich mit den Bezeich‐ nungen Professionalisierung, Optimierung oder auch Qualitätssicherung schmückt. Aber hinter diesem Schmuck verbirgt sich die Instrumentalisierung und Deprofessionalisierung des Tätigkeitsbereichs Dolmetschen. 10 175 Dolmetschen für Gleichbehandlung und Teilhabe - aber bitte möglichst umsonst! Das Dolmetschen in öffentlichen Einrichtungen in Deutschland kann dem‐ nach nur in einem gesamtgesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Rahmen untersucht werden, der die Transformationen vom Wohlfahrtsstaat Deutsch‐ land in den 1970ern in Richtung ‚aktivierenden Sozialstaat‘ in den 1990ern um‐ fasst. Der Widerspruch zwischen Ehrenamt, Gut-Integriertheit, Bringschuld und Integrationshilfe versus Professionalisierung, Professionalität, Effizienz und Leistungsorientierung liegt in dem neuen Verhältnis zwischen Staat und Bürgerinnen seit Ende der 1990er begründet: Die Topoi „Aktivierung“, „Keine Leistung ohne Gegenleistung“, „Fördern und For‐ dern“ sowie das Postulat des neuen Gleichgewichts von Rechten und von Pflichten sind Ausdruck eines neo-sozialen Verständnisses von Wohlfahrtsstaatlichkeit, das ganz bewusst jenseits neo-liberaler Privatisierungsstrategien und auch jenseits tradi‐ tioneller Daseinsvorsorgepolitik einen „Dritten Weg“ beschreiten will. Gemeint ist eine „zivilgesellschaftliche Private-Public-Partnership", in der der Staat auf ein neues Bündnis mit den Bürgern setzt, die angesichts von Sozial- und Wirtschaftskrisen ge‐ fördert werden sollen, die entstandenen Probleme vorrangig selbst zu lösen. (Trube 2004: 62) Der moralisierende Diskurs über das Ehrenamt ist also nicht nur historisch ge‐ wachsen und eine gesellschaftliche Errungenschaft einer demokratischen Kultur der Teilhabe (oder gar ein kulturell-religiöser Wert), sondern staatlich und wirtschaftlich gewollt und gefördert. Das Ehrenamt beschreibt Schultz mit „Schenken“ ohne eine Gegenleistung zu erwarten: Eine freiwillige Schenkung, in der „die persönliche Haltung zur vorrangigen Quelle ehrenamtlichen Enga‐ gements“ wird (2017: 85). In der gesellschaftlichen Außendarstellung wird diese Eigenschaft bei ehrenamtlichen Dolmetscherinnen, besonders im Hinblick ihrer Bereitschaft ihre Bringschuld zurückzuzahlen, stets in den Vordergrund gerückt. Ehrenamtliche Dolmetscherinnen werden gern als Samariterinnen und somit als Gegenpol zu Dolmetscherinnen inszeniert, die nach bestimmten Effizienz- und damit Professionalitätskriterien arbeiten (vgl. z. B. Andres 2009). Diese Ge‐ genüberstellung funktioniert aber nur so lange, wie das ehrenamtliche oder niedrighonorierte Dolmetschen nach den Prinzipien des Gutmenschtums aus‐ geführt und nicht nach den Kriterien der professionellen Verdolmetschung be‐ urteilt wird. Schultz plädiert für eine klare Trennung der beiden Auffassungen, wenn er betont, dass die freiwillige Schenkung Unprofessionalität aushalten können sollte bzw. immer „hinkend“ und nicht „gradlinig“ ist und somit nicht nach Effizienzkriterien funktionieren kann - er geht hier von der Verwandt‐ schaft des Verbs „schenken“ mit „einschenken“ aus und reflektiert über das Bild des Einschenkens als eine „schiefe“ Tätigkeit, wobei er auch eine Verwandt‐ 176 Şebnem Bahadır schaft mit dem Verb „hinken“ feststellt. Er nutzt diese Verwandtschaften als Denkfiguren, die uns zeigen sollen, wie weit Ehrenamt von professioneller Dienstleistung entfernt ist (2017: 85-89). Das Wort „Ehrenamt“ besteht nach Schultz zunächst einmal aus einer Komponente, die mit Geschenk, Gnade, Mys‐ terium, Samaritertum und eben Hilfe verbunden ist. Aber „Amt“ bedeute auch „eine von einem Höheren anvertraute Verrichtung“ (2017: 86). Hier kommt nun also die öffentliche Einrichtung, Behörde, das Ministerium, der Staat auf die Bühne. Es ist ein Schenken auf Anordnung einer Bürokratie, in der eigentlich Professionelle schalten und walten. Schultz führt den Bereich der freiwilligen Hospizarbeit an, die mit dem Anspruch einer Optimierung in Form einer Insti‐ tutionalisierung und Professionalisierung das „hinkende“, nichtstandardisierte, nichtzertifizierte, also schenkende Ehrenamt immer mehr in den Hintergrund drängt und zu einer Konkurrenzsituation zwischen der professionalisierten Hospizarbeit und dem Engagement der Ehrenamtlichen führt. Schultz eröffnet eine Perspektive, in der Ehrenamtliche nicht in Konkurrenz mit den Professio‐ nellen gesehen werden: In seiner Lesart hat das Ehrenamt ein anarchisches Po‐ tenzial, „gerade weil seine schräge und hinkende Haltung nicht zur Übernahme eines regulierten und regulierenden Amtes qualifiziert“ (2017: 89). Der Schluss‐ satz seines provokativen Texts übers Ehrenamt lautet: „Hinkend und schenkend bleiben die Ehrenamtlichen von aller effizienten Professionalität uneinholbar.“ Diese Ausführungen eröffnen uns eine neue Perspektive: Über jeder ehrenamt‐ lichen und engagierten Dolmetschhandlung hängt das Schwert der Neutralität - die Supernorm, die ursprünglich für das Konferenzdolmetschen festgelegt wurde (vgl. Zwischenberger 2015) und inzwischen aber fast den Status eines universellen Merkmals aller ‚seriösen‘ Dolmetschhandlungen erlangt hat. So‐ bald von Schulung, Qualifizierung, gar Zertifizierung von ehrenamtlichen Dol‐ metscherinnen die Rede ist, wird das Neutralitätsgebot in den Vordergrund ge‐ rückt. Es ist wie eine ewige Sehnsucht nach wenigstens ein bisschen Professionalität. Das Paradoxon ist geboren: Sobald den Dolmetscherinnen in öffentlichen Einrichtungen der Boden des Engagements und des aktiven Helfens entzogen wird, entsteht eine Entfremdung und Infragestellung ihres Auftrags. Nun werden (ehrenamtliche) Dolmetscherinnen vor die Herausforderung ge‐ stellt, sich, oft nur minimal geschult, möglichst professionell zu geben. Ich plä‐ diere hier für ein Umdenken auf mehreren Ebenen und will dazu abschließend festhalten: Empowerment und Engagement als Daseinsberechtigung für ehren‐ amtliche, niedrigschwellig geschulte sowie geringverdienende Dolmetscher‐ innen funktioniert nur so lange bis ein Diskurs über eine Professionalisierung einsetzt, der zwar oft ‚nur‘ eine marketingtechnische Ausrichtung hat und für Kundenakquise und Außendarstellung des Projekts / Pools eingesetzt wird, aber 177 Dolmetschen für Gleichbehandlung und Teilhabe - aber bitte möglichst umsonst! eine Ambivalenz in das Selbst- und Fremdbild von Dolmetscherinnen im öf‐ fentlich Bereich aufpfropft. Diese Ambivalenz gründet einerseits auf dem Neut‐ ralitätspostulat als DIE größte Norm des professionellen Dolmetschens, die fast jede Schulung, auch wenn sie nur ein paar Stunden dauert, als Allheilmittel gegen Involviertheit, Betroffenheit, Subjektivität und zu viel Interventionismus beim Dolmetschen zelebriert - da professionelles Dolmetschen Engagement, Empowerment und Aktivismus nicht duldet. Andererseits ist und bleibt das Dolmetschen in öffentlichen Einrichtungen ein schlechtbezahlter Job ohne Si‐ cherheiten, meist durchgeführt unter dem Dach von kirchlichen, staatlichen oder kommunalen Einrichtungen, die sich durch eine Doppelzüngigkeit in ihrem Umgang mit Professionalität und Freiwilligenarbeit auszeichnen. 4 Drei Schlusspunkte Vorschlag für ein partizipatives und interdisziplinäres Forschungsprojekt zur kri‐ tischen Evaluierung der Qualifizierungen und der Praxis von Dolmetscherinnen im öffentlichen Raum in drei Schritten So stehe ich nun am Ende meines Beitrags wieder am Anfang meines Auf‐ trags: Meine obige migrations- und translationspolitische Verortung des Felds Dolmetschen im öffentlichen Raum in Deutschland ist als Rahmung für ein For‐ schungsprojekt zu betrachten, das in drei Schritten durchgeführt werden kann: 1. ‚Kartographie‘ der Einsatzbereiche (Mapping der Settings und Erstellen einer Gesprächstypologie) und der Qualifizierungen für Dolmetscher‐ innen im öffentlichen Raum: a. Kooperation zwischen translationswissenschaftlichen Forschungs- und Ausbildungsstätten und den Qualifizierungsträgern in Form von Lehrevaluationen und Begleitforschung: Entwicklung von theorie- und empiriegestützten Kriterien für eine Staffelung der Qualifizie‐ rungen (niedrig-, mittel-, und hochschwellig) b. Quantitative Erhebungen (Umfragen zu Einsatzbereichen, Pools und Projekten) trianguliert mit qualitativen Interviewstudien mit den Ak‐ teurinnen im Feld zur gemeinsamen Evaluierung der Qualifizie‐ rungen: Dolmetscherinnen, Projektbeteiligte, Lehrende, Klientinnen. 2. Einbindung der Evaluationsergebnisse in ein partizipatives Forschungs‐ projekt, in dem alle Stakeholder ins Gespräch miteinander gebracht werden und besonders die Dolmetscherinnen an der Interpretation der Evaluationsergebnisse und der Ableitung von Handlungsrichtlinien (Leit‐ linien) sowie von Forderungen an Politik und Gesellschaft beteiligt werden. 178 Şebnem Bahadır 3. Einbezug der politischen Entscheidungsträger: Zusammenführung der wissenschaftlichen Ergebnisse und die Beurteilungen der Forschungs‐ partnerinnen als Grundlage für die Entwicklung von Forderungen an Po‐ litik, Auftraggeberinnen und die eigene Community. Rückführung der wissenschaftlichen Ergebnisse in die Gesellschaft und in die Community der Dolmetscherinnen in Form von Aktionen wie: a. Beitrag der akademischen Ausbildungs- und Forschungseinrich‐ tungen: Know-How-Transfer aus Forschung und Didaktik durch Lehr- und Forschungskooperationen b. Beitrag der Berufsverbände (eventuell auch Gewerkschaften): Fest‐ legen und Verhandeln von Mindeststandards in Honoraren, Arbeits‐ bedingungen, Qualifizierungen, Supervision und regelmäßigen Fort‐ bildungen sowie Zertifizierung, Führung eines Registers von zertifizierten Dolmetscherinnen (vgl. z. B. National Register of Public Service Interpreters in Großbritannien; Dolmetscher- und Überset‐ zerdatenbank im Justizbereich in Deutschland) c. Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung in Gesellschaft und Politik durch Konferenzen, Vortragsreihen, Workshops, Fortbildungen für die breite Öffentlichkeit, für Mitarbeiterinnen öffentlicher Einrich‐ tungen und für Entscheidungsträgerinnen in Politik und Wirtschaft Das Dolmetschen im öffentlichen Raum in einem Migrationsland kann nur in einem kritischen translationspolitischen Rahmen diskutiert und beforscht werden. Es handelt sich um ein gesellschaftliches Phänomen, das in den migra‐ tionspolitischen Debatten meist nicht genug Beachtung bekommt. Das Dolmet‐ schen ist somit auch ein zentraler Aspekt der postmigrantischen Gesellschaft, in der nach Foroutan die „Demokratiefrage entlang der Migrationsfrage“ ver‐ handelt wird: „Migration dient dabei als Platzhalter für zentrale gesellschaftliche Debatten um Gleichheit, Anerkennung, Teilhabe - also die Versprechen der pluralen Demokratie“ (2019: 226). In einer ähnlichen Platzhalterposition sehe ich das Dolmetschen im öffentlichen Raum: Mehr gesellschaftlich wie auch politisch engagierte Forschung über diese Dolmetschsettings, zusammen mit den Akteu‐ rinnen dieses Dolmetschens, wird nicht nur eine Bereicherung für die Transla‐ tionswissenschaft/ Dolmetschforschung sein. Sie kann auch einen wichtigen Beitrag für die kritische Migrationsforschung leisten. 179 Dolmetschen für Gleichbehandlung und Teilhabe - aber bitte möglichst umsonst! Literatur Alternative für Deutschland (AfD) - Regionalverband Landkreis Nordhausen (2019). In‐ tegration ist eine Bringschuld. Abrufbar unter: http: / / www.afd-nordhausen.de/ 2019/ 0 8/ 30/ integration-ist-eine-bringschuld/ (Stand: 09 / 12 / 2020) Andres, Dörte (2009). Kommunal-Samaritertum - eine weibliche Domäne? Dolmetschen im medizinischen Bereich am Beispiel Österreichs. In: Görtschacher, Wolfgang / Pöckl, Wolfgang / Pöll, Bernhard (Hrsg.) Moderne Sprachen. Wien. Edition Praesens. 137-151. 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Die hier zitierten Ge‐ sprächspassagen sind den Interviewtranskripten entnommen. „Ich weiß nicht, was es noch gibt, das ich nicht weiß“ - Entwicklungslinien der Ausbildung in Österreich im Bereich Dolmetschen für öffentliche Einrichtungen und Gerichtsdolmetschen Vera Ahamer Abstract: In diesem Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, wie es um Ausbildung und Professionalisierung im Bereich des Community Interpreting ( CI ) in Österreich bestellt ist. Zunächst werden einzelne Lehrgänge nach As‐ pekten wie Zielgruppen und Zielsetzung, Kursstruktur und -inhalten, Teil‐ nahmevoraussetzungen sowie Abschlussmodalitäten beschrieben. Da Akteur: innen staatlicher Behörden in translatorische Handlungen des für den Beitrag relevanten Settings involviert sind, bildet die Frage, inwieweit Kurslandschaft, Motivation der Teilnehmer: innen und symbolischer Wert von Zertifikaten vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Sprachenbzw. Integ‐ rationspolitik miteinander in Zusammenhang stehen und wie sich dies auf die weitere Entwicklung auswirken könnte, Gegenstand eines abschließ‐ enden hypothetischen Ausblicks. 1 „Ich weiß nicht, was es noch gibt, das ich nicht weiß“ Diese Worte wurden von einem Teilnehmer eines Lehrganges für Laiendolmet‐ scher: innen geäußert. 1 Zu dieser Erkenntnis gelangte er erst im Zuge einer Aus‐ bildung, in deren Folge auch sein Wunsch nach weiteren Kursangeboten he‐ ranwuchs: 2 Dazu gehört etwa die Facebook-Gruppe „Dolmetscher / Innen für Flüchtlinge.“ نيمجرتم نيئجالل Es sollte mehr geben. Und es ist sehr sehr sehr notwendig. Also meine Einstellung wurde total geändert, obwohl es war wirklich keine vollständige Ausbildung, aber es hat mich wirklich geholfen eigentlich. Eine richtige Einstellung und Vorstellung zu haben und ich denke es gibt noch viele Sachen, die ich nicht weiß und die ich noch brauche. „Ich weiß nicht, was es noch gibt, das ich nicht weiß“, dachte sich aber auch die Verfasserin dieses Beitrags bei der Recherche nach Ausbildungsmöglichkeiten für das Feld Kommunaldolmetschen. Über Internetrecherchen sowie direkte Kontaktaufnahme mit Anbietern waren insgesamt zwölf, je nach Zugangsbe‐ schränkungen mehr oder weniger allgemein zugängliche Lehrgänge ausfindig zu machen. Nicht berücksichtigt wurden zwei Bereiche, deren Erforschung ein Desiderat darstellt: interne Weiterbildungsangebote von Organisationen mit Bedarf nach gedolmetschter Kommunikation sowie Weiterbildung und Vernet‐ zung „von unten“ etwa in Form von Erfahrungs- und Wissensaustausch in ein‐ schlägigen Laiendolmetscher: innen-Foren sozialer Medien. 2 2 Dieselben Befunde wie eh und je? Der Besuch eines Dolmetsch-Lehrgangs bedeutet auch für eine weitere inter‐ viewte Absolventin einen Wendepunkt in ihrer Tätigkeit als Laiendolmet‐ scherin, in die sie zufällig „hineingerutscht“ war. So absolvierte sie über Jahre einen Dolmetscheinsatz nach dem anderen, ohne zu wissen, dass unter Anwen‐ dung entsprechender Kompetenzen manche Schwierigkeiten gar nicht erst ent‐ stehen müssten: Vor allem nach dem Lehrgang macht es mir Spaß. Früher ich habe immer Kopf‐ schmerzen gekriegt nach einer Verhandlung. Ich musste mich so konzentrieren, ich habe nicht gewusst, darf ich, was darf ich, was darf ich nicht, es war bisschen kom‐ pliziert. Nach dem Lehrgang ist es alles einfacher geworden. Diese von Lai: innen mitunter intuitiv, mittels Erfahrung oder erstmaligem Kon‐ takt mit einer formalisierten Ausbildung gewonnene Erkenntnis, wonach pro‐ fessioneller Zugang sowie Reflexionsvermögen unabhängig vom Einsatzfeld essentielle Variablen einer erfolgreichen Dolmetschung darstellen, bestätigt einmal mehr die zahlreichen (translations-)wissenschaftlichen Befunde der letzten Jahre und Jahrzehnte. An dieser Stelle seien lediglich exemplarisch einige genannt: So machen Pöchhacker (2003), Pöllabauer & Schumacher (2004), Pöl‐ 186 Vera Ahamer labauer (2005) oder Schicho et al. (2009) auf eklatante, u. a. auf fehlende Ausbil‐ dung zurückzuführende Mängel im Bezug auf gedolmetschte Asylverfahren aufmerksam und unterbreiten teils konkrete Vorschläge für einen Professiona‐ lisierungsprozess in diesem Bereich (vgl. Pöchhacker 2003). Die Implikationen fehlender Ausbildung von Dolmetschenden bei Gericht und Polizei sind bei Kadrić (2012 und 2019) oder Slezak (2010) nachzulesen. Pöchhacker (2009 und 2010) untersuchte gedolmetschte Kommunikation im Gesundheitsbereich und konzipierte auf dieser Basis einen Universitätslehrgang für Krankenhausdol‐ metscher: innen. Dass in sämtlichen Bereichen des Community Interpreting immer wieder auch Kinder eingesetzt werden, belegen Rajič (2008), Kuljuh (2003) sowie Ahamer (2013). Konkret der Ausbildung im Bereich Kommunal‐ dolmetschen widmen sich z. B. Pöllabauer (2009) sowie Iannone & Redl (2018). Auch Berichte von Akteur: innen aus dem Gesundheitsbereich zeugen von ne‐ gativen Folgen für die Gedolmetschten als Resultat mangelnder Qualitätsstan‐ dards (Huemer 2008, Evrensel & Höbart 2004, Wimmer & İpşiroğlu 2001). 3 Von „Zwei- oder Mehrsprachigen“ über „bereits Tätige“ bis hin zu künftigen „Expert: innen“ - Zielgruppen und Zielsetzungen Im Folgenden werden zunächst Lehrgänge für Lai: innen vorgestellt, die, so etwa die Kursbeschreibung des seit 2016 bestehenden Universitätskurses Kommu‐ naldolmetschen Basiskurs ( ITAT 2020a) des Instituts für Theoretische und An‐ gewandte Translationswissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz ( ITAT ), „bereits in Einsatzfeldern des Kommunaldolmetschens tätig sind, jedoch über keine einschlägige Ausbildung verfügen“. Vermittelt werden sollen „praxiszent‐ riert und auf wissenschaftlich fundierter Basis grundlegende Kenntnisse im Be‐ reich des Dolmetschens in behördlichen, sozialen, medizinischen und therapeu‐ tischen Einrichtungen und Einsatzfeldern (‚Kommunaldolmetschen‘)“. Der von der Koordinationsstelle für universitäre Weiterbildung der Univer‐ sität Innsbruck angebotene Kurs „Community Interpreting - Professionalisie‐ rung von Laiendolmetscherinnen und Laiendolmetschern im sozialen, medizin‐ ischen, psychotherapeutischen und kommunalen Bereich“ (Univ. Innsbruck 2020a) richtet sich an eine ähnliche Zielgruppe, nämlich „Personen, die zwei- oder mehrsprachig sind und die ohne einschlägige Vorbildung bereits als Com‐ munity Interpreter arbeiten […] bzw. arbeiten möchten“. Hier wird mit „Kli‐ niken, Bezirkshauptmannschaften, Kinder- und Jugendhilfe, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ( BFA ), NGO s usw.“ ebenfalls ein breites Spektrum an potenziellen Einsatzfeldern angeführt. 187 Entwicklungslinien der Ausbildung in Österreich im Bereich Dolmetschen Während oben erwähnte Angebote sich nicht auf bestimmte Felder des CI beschränken, bildet die Diakonie Eine Welt - Akademie in Wien etwa im „Kurz‐ lehrgang für Dolmetscher*innen im Sozial- und Gesundheitsbereich“ „bereits im Gemeinwesen tätige Laiendolmetscher*innen, die ihre beruflichen Kompe‐ tenzen verbessern möchten“, weiter (Diakonie 2020). Kofinanziert vom Europäischen Flüchtlingsfonds sowie dem Bundesministe‐ rium für Inneres bietet der Verband Österreichischer Volkshochschulen ( VÖV ) ebenfalls Lai: innen mit Dolmetscherfahrung seit Herbst 2015 in Wien und Salz‐ burg die fachspezifische Qualifizierungsmaßnahme für Dolmetscher: innen im Asylverfahren ( QUADA -Lehrgang) an, allerdings mit Einschränkung im Bezug auf das Feld: Er richtet sich „in erster Linie an Personen, die bereits in Asylver‐ fahren dolmetschen und ihre Qualifikationen verbessern wollen bzw. solche, die schon Dolmetscherfahrung in anderen Bereichen haben und zukünftig auch bei Asylverfahren dolmetschen wollen“ ( VÖV 2019). Ebenfalls im Kontext der allgemein zugänglichen Erwachsenenbildung wurde von der VHS Oberösterreich / Institut Interkulturelle Pädagogik mit plus.Mehrsprachigkeit ein Lehrgang für „mehrsprachige Personen, die als Lai‐ endolmetscherInnen für verschiedene Einrichtungen tätig sind oder tätig sein möchten, bzw. […] die mehrsprachigen MitarbeiterInnen im öffentlichen Dienst“ konzipiert. Absolvent: innen können in einen seit 2011 bestehenden Lai‐ endolmetscher: innenpool der VHS OÖ bzw. der jeweiligen Kooperationsge‐ meinde aufgenommen werden, der Dolmetscher: innen für verschiedene Ein‐ richtungen zur Verfügung stellt ( VHS OÖ 2020). Bei den „BrückenbauerInnen“ der Vorarlberger Einrichtung „okay.zusammen‐ leben / Projektstelle für Zuwanderung und Integration“ handelt es sich um ein explizit niederschwelliges Ausbildungsprogramm für Sprecher: innen migrati‐ onsrelevanter Sprachen mit Dolmetscherfahrung, die in weiterer Folge aus einem Dolmetschpool für „interkulturell sensible Dolmetschung“ an Kinder‐ gärten und Pflichtschulen vermittelt werden sollen (Projektstelle okay.zusam‐ menleben 2020a). Während Interessent: innen für oben erwähnte Lehrgänge weder Hochschul‐ reife noch einschlägige akademische (Vor-)Bildung nachweisen müssen und die Aufnahme in den Lehrgang (weitgehend) unabhängig von der jeweiligen Be‐ rufserfahrung erfolgt, sind folgende universitäre Programme bzw. Lehrgänge in Wien und Graz teils auf eigene Studierende, teils externe Teilnehmer: innen mit akademischem Hintergrund beschränkt. Für reguläre Dolmetschstudierende bietet das Zentrum für Translationswis‐ senschaft der Universität Wien ( ZTW ) im Rahmen des Masterstudiums neben drei anderen Schwerpunkten (Fachübersetzen und Sprachindustrie, Übersetzen 188 Vera Ahamer in Literatur - Medien - Kunst, Konferenzdolmetschen) den Schwerpunkt „Di‐ alogdolmetschen“, der „professionelle Kompetenz im Gesprächs- und Verhand‐ lungsdolmetschen in verschiedenen Einsatzbereichen wie Gericht und Be‐ hörden (Gerichtsdolmetschen, Polizeidolmetschen, Asyldolmetschen) sowie medizinischen und sozialen Einrichtungen“ vermitteln soll ( ZTW 2020). Das am Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft der Universität Graz ( ITAT ) angebotene Masterstudium „Übersetzen und Dia‐ logdolmetschen“ umfasst ebenfalls mehrere Dolmetschfelder, wobei die Studier‐ enden sowohl auf Einsätze in Bereichen des prestigereicheren Segments wie „international oder multikulturell tätigen Unternehmen“ „Wirtschaft und Technik, Kultur- und Medienanstalten, usw.“ als auch in „privaten und öffent‐ lichen Institutionen und Organisationen, Nichtregierungsorganisationen, Ge‐ richten, Behörden und Verwaltung, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen“ vorbereitet werden ( ITAT 2020b). Im Curriculum des Bachelorprogramms werden mit „Nicht-Regierungsorganisationen, Migrations- und Integrations‐ einrichtungen, Öffentliche Verwaltung“ als potenzielle Tätigkeitsbereiche für Absolvent: innen zumindest typische Settings des CI erwähnt ( ITAT 2020c). Studierende des ITAT sowie der Amerikanistik / Anglistik, Romanistik und Sla‐ wistik sowie mit C1-Nachweis für eine Reihe weiterer Sprachen können aller‐ dings ein „Zertifikat für Gesprächsdolmetschen“ im Rahmen freier Wahlfächer erwerben, und der oben erwähnte Basiskurs Kommunaldolmetschen des ITAT steht neben Lai: innen auch bereits ausgebildeten Dolmetscher: innen sowie Stu‐ dierenden der Translationswissenschaft offen ( ITAT 2020d). Im Gegensatz zu den translationswissenschaftlichen Abteilungen der Uni‐ versitäten Wien und Graz sieht jene der Universität Innsbruck in ihrem Curri‐ culum für das Masterprogramm Translationswissenschaft keine Ausbildung für Gesprächs- oder Kommunaldolmetschen vor. Das Qualifikationsprofil für Stu‐ dierende umfasst mit „Fachkommunikation“, „Literatur- und Medienkommuni‐ kation“ sowie „Konferenzdolmetschen“ Bereiche der konventionellen akademi‐ schen Dolmetschausbildung. Neben dem oben erwähnten Universitätskurs Community Interpreting bietet die Koordinationsstelle für universitäre Weiter‐ bildung aber speziell für diesen Bereich die viertägige berufsbegleitende Quali‐ fizierung „Train the Trainer“ auf Basis der von Şebnem Bahadır entwickelten Methode von Dolmetschinszenierungen an (Univ. Innsbruck 2020b). Zur Ziel‐ gruppe gehören Dolmetschlehrende für Gesprächs- und Dialogdolmetschen sowie ausgebildete Dolmetscher: innen, also Interessent: innen mit entsprech‐ ender Qualifikation, aber auch „Trainerinnen und Trainer, die im Bereich Com‐ munity Interpreting tätig sind oder sein werden“, ohne näher auf einen not‐ wendigen akademischen Hintergrund zu verweisen. 189 Entwicklungslinien der Ausbildung in Österreich im Bereich Dolmetschen Die derzeit wohl umfassendste postgraduale Weiterbildungsmöglichkeit für Interessent: innen, die als „DolmetscherInnen und ÜbersetzerInnen im Justizbe‐ reich, bei Polizei und Asylbehörden sowie in Gesundheits-, Bildungs- und So‐ zialeinrichtungen tätig sind bzw. sein wollen“, bietet seit 2016 die Universität Wien in Form eines berufsbegleitenden Grundlehrgangs „Dolmetschen für Ge‐ richte und Behörden“ im Umfang von zwei Semestern an. Seit 2018 kann auf‐ bauend auf diesen ein Masterlehrgang absolviert werden (Postgraduate Center der Universität Wien 2020). 4 Ob minimal oder maximal - stets modular: Lehrgangsinhalte und Kursstruktur Gemeinsam ist den meisten Lehrgängen, mit Ausnahme der regulären Studien, eine auf ähnliche Schwerpunkte abgestimmte modulare Struktur. Unterschiede lassen sich, wie bereits aus der obigen Beschreibung hervorgeht, im Hinblick auf Zielgruppe (Lai: innen / akademischer Kontext) sowie Setting (spezi‐ fisch / allgemein) ausmachen, des Weiteren hinsichtlich Dauer, die sich auf ei‐ nige Tage, mehrere Wochenenden, permanente Weiterbildungsangebote, bis hin zu mehrsemestrigen Universitätslehrgängen erstrecken kann, sowie das Spra‐ chenangebot (sprachpaarbezogen / ohne Einschränkung). Das an vier Tagen stattfindende Train-the-Trainer-Seminar an der Univer‐ sität Innsbruck ist in zwei Teile gegliedert: An den ersten drei Seminartagen werden theoretische Grundlagen der Methode „Dolmetschinszenierungen“ erarbeitet, am abschließenden vierten Seminartag werden die zuvor erworbenen Kenntnisse in Form einer videodokumentierten „Dolmetschinszenierung“ prak‐ tisch umgesetzt. Auf Basis der Videoaufnahmen werden ein Selbst- und ein Fremdreflexionsprotokoll erstellt, abschließend erfolgt eine persönliche schrift‐ liche Evaluierung durch die Seminarleitung. Eher vage formuliert sind die in einem Folder präsentierten Kursziele des von der VHS OÖ angebotenen Laiendolmetscher: innenlehrgangs mit „Förderung der Dolmetsch-Kompetenzen bei mehrsprachigen Personen“, „Mobilisierung der vorhandenen sprachlichen Ressourcen in der Gesellschaft“, „Vernetzung der LaiendolmetscherInnen auf kommunaler Ebene“, „Bedienstete der Landes- oder Gemeindeverwaltung befähigen, die Aufgaben eines / r Laiendolmetschers / in ausführen zu können“, „Stärkung der sozialen und interkulturellen Kompe‐ tenzen bei allen Beteiligten“, „Stärkung des Bewusstseins, die Mehrsprachigkeit als Chance zu sehen“ sowie „das Miteinander und den gesellschaftlichen Zu‐ sammenhalt stärken“. Der Lehrgang bietet „viele nützliche Informationen, Tipps 190 Vera Ahamer 3 Information lt. Informationsblatt der VHS OÖ / Institut für Interkulturelle Pädagogik (auf Anfrage zugesandt). 4 Das ECTS (European Credit Transfer System) kommt im europäischen Hochschulraum zwecks Vergleichbarkeit der Studienleistungen (Umfang, Arbeitsaufwand) zur Anwen‐ dung. Die ECTS-Anzahl wird in diesem Text nur angeführt, wenn sie bei den beschrie‐ benen Kursen spezifiziert ist. und Tricks wie man als DolmetscherIn arbeitet und worauf man achten soll“ 3 im Rahmen von vier Modulen zu jeweils acht Unterrichtseinheiten. Laut Website sowie schriftlicher Auskunft auf Anfrage der Verfasserin umfassen diese eine Einführung und Begriffsklärung, Techniken des Dolmetschens und Übersetzens, Rollenklärung und Konfliktbewältigung sowie praxisbezogene Beispiele und bieten eine „ausreichende Einschulung“ für die Lai: innen, um im Anschluss daran in den Dolmetscher: innen-Pool des Projektes „plus.Mehrsprachigkeit“ aufgenommen und für Beratungsgespräche an Schulen beigezogen werden zu können ( VHS OÖ 2020 sowie Anfragebeantwortung). Ebenfalls aus vier Modulen mit insgesamt 32 UE setzt sich der „Kurzlehrgang Kommunaldolmetschen“ der Diakonie zusammen. Diese umfassen ebenfalls Aspekte wie Berufsprofil und Einsatzbereiche sowie Dolmetscharten und Be‐ sonderheiten der verschiedenen Settings; Notizen- und Recherchetechnik; Anforderungen und Rollenerwartungen sowie Umgang mit Belastungen und praktische Übungssequenzen, allerdings unter Leitung ausgewiesener Transla‐ tionswissenschafterinnen. Der an der Universität Innsbruck im Umfang von drei Semesterwochen‐ stunden an insgesamt sechs Tagen angebotene Kurs Community Interpreting entspricht 2,5 ECTS . 4 Die Schwerpunkte liegen hier ebenfalls auf vier Aspekten: Grundkenntnisse des Dolmetschberufs (Geschichte und Entwicklung) Dol‐ metschstrategien (Dolmetschmodi, Notizentechnik, Stegreifübersetzen, Ge‐ dächtnisübungen, Techniken zum Wissenserwerb); Rolle des Community In‐ terpreters (Umgang mit Rollenkonflikten, Abgrenzung, Stressmanagement); Strukturen und Abläufe in verschiedenen Einsatzgebieten (Krankenhaus, Psy‐ chotherapie, Behörden). Der Basislehrgang des ITAT Graz gliedert sich ebenfalls in vier Bereiche: Einführung in das Kommunaldolmetschen (Grundlagen, Geschichte, Berufs‐ ethik, Rollenbilder); Kultur und Interkulturalität (Interkulturelle Kommunika‐ tion, Kulturkonzepte, non- und paraverbale Kommunikation, Sprache und Kultur); psychosoziale Aspekte (belastende Situationen, sekundäre Traumati‐ sierung, vulnerable Beteiligte); Einführung in Dolmetschtechniken und Notiz‐ entechnik, geht aber mit 20 ECTS weiter in die Tiefe. 191 Entwicklungslinien der Ausbildung in Österreich im Bereich Dolmetschen Im Bezug auf die für diesen Beitrag relevanten Masterstudien an den Uni‐ versitäten Graz und Wien, beide im Ausmaß von vier Semestern und 120 ECTS , finden sich kaum einschlägige Lehrveranstaltungen im Bereich des CI . An der Universität Graz sind im Rahmen des Masterstudiums „Übersetzen und Dialog‐ dolmetschen“ sieben Module im Angebot, von denen zwei explizit auf einen CI -relevanten Einsatzbereich abzielen: Übersetzen bei Gericht und Behörden sowie Public Service Interpreting ( ITAT 2020e). Allerdings sind aus den sieben Modulen fünf so zu wählen, dass jeweils zwei in den Bereich Übersetzen und Dolmetschen fallen. Theoretisch können diese so gewählt werden, dass CI -re‐ levante Module nicht enthalten sind ( ITAT 2020b). Für das Studienjahr 2019 / 20 wird die Lehrveranstaltung „Übersetzen - Gericht, Behörden“ in den Sprachen Italienisch, Russisch, Spanisch, Türkisch, Englisch sowie Ungarisch angeboten, „Public Service Interpreting“ für Arabisch, Italienisch, Russisch, Ungarisch, BKS , Englisch, Spanisch und Türkisch. Das Gros der Lehrveranstaltungen er‐ streckt sich auf Aspekte wie Sprach-, Text-, Kulturkompetenzen sowie Dol‐ metschtechniken, die zwar auch im Bereich des CI notwendig sind. Der Kon‐ text CI wird, zumindest soweit dies aus dem Vorlesungsverzeichnis hervorgeht, jedoch nicht in jener Intensität behandelt wie im Zertifikatskurs für Studierende desselben Instituts mit 23 ECTS : Ethik und Berufspraxis, Analyse- und Dol‐ metschtechniken, Notizentechnik für Deutsch sowie die jeweilige Sprache, Public Service Interpreting bzw. Verhandlungs-/ Vortragsdolmetschen stehen hier im Mittelpunkt. Ähnlich verhält es sich mit dem Masterstudium mit Schwerpunkt Dialogdolmetschen am ZTW der Universität Wien, das wenige für das Feld explizit einschlägigen Lehrveranstaltungen aufweist und keine Stu‐ diengänge in migrationsrelevanten Sprachen wie etwa Türkisch oder Arabisch anbietet. Die Universität Wien bietet neben dem ordentlichen Studium (Schwerpunkt „Dialogdolmetschen“) in 14 Sprachen am Zentrum für Translationswissenschaft seit 2016 auch ein außerordentliches Studium mit einer Ausbildung im Gerichts- und Behördendolmetschen in Bedarfssprachen am Postgraduate Center an. Der‐ zeit werden vier Bedarfssprachen angeboten, das Sprachenangebot soll sukzes‐ sive ausgebaut werden bzw. auf kurzfristigen Bedarf reagieren. Diese postgraduale Ausbildung hat zwei Stufen: ein Grundlehrgang mit 60 ECTS führt zum Abschluss „Akademische / r Behördendolmetscher / in“, danach besteht die Möglichkeit eines weiterführenden Masterstudiums. Der Grundlehrgang besteht aus sechs Modulen (60 ECTS ): Angewandte Translationswissenschaft (Einführung und Basiskompetenz Übersetzen / Dol‐ metschen); Institutionelle Kommunikation (Gericht und Verwaltungsorganisa‐ tion, Textproduktion); Dolmetschen (Asylverfahren, Gericht und Polizei, 192 Vera Ahamer Gesundheits- und Bildungswesen); Übersetzen (Recherche und Terminologie‐ arbeit, institutionelles Übersetzen); sprachenpaarspezifisches Dolmetschtrai‐ ning (Albanisch, Arabisch, Dari / Farsi, Türkisch) sowie abschließend ein Dol‐ metschpraktikum. Der darauf aufbauende Masterlehrgang führt durch die drei weiteren Module Prozessorientierte Dolmetschwissenschaft, Dolmetschen mit neuen Medien, Rechtsübersetzen und Übersetzungstools mit 30 ECTS . Mit sechs ECTS ist der QUADA -Lehrgang zwar weit weniger umfassend, beschränkt sich allerdings auch nur auf ein Setting im CI und steht somit in der inhaltlichen Intensität kaum nach. Drei Kursblöcke umfassen jeweils vier Mo‐ dule, die wiederum in jeweils eine Präsenz- und eine Onlinephase gegliedert sind. Block 1 vermittelt allgemeines Kontextwissen bzgl. Asylverfahren, Asyl‐ werbende sowie die rechtlichen Aspekte des Dolmetschens in diesem Kontext (Asyl und Flüchtlingsschutz; Einvernahme im Asylverfahren, Einvernahme‐ techniken, Rechte und Pflichten der Asylwerbenden, Grundlegende Aspekte des Dolmetschens); Block 2 „Grundlegende Kompetenzen und Herausforderungen für DolmetscherInnen im Asylverfahren“ (Rolle, psychisches Erleben, Berufs‐ ethik, Mehrsprachigkeit und transkulturelle Kommunikation); Block 3 umfasst Translationstechniken (wichtigste simultane und konsekutive Dolmetschtech‐ niken, Vom-Blatt-Dolmetschen, Niederschrift, Notizentechnik, Wissenserwerb und Recherche). Basierend auf einem nicht modularen, in sich abgeschlossenen Konzept bilden die von der Vorarlberger Projektstelle okay.zusammenleben in Koopera‐ tion mit dem Institut für Übersetzen und Dolmetschen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur ca. alle zwei Jahre durchge‐ führten umfassenden fachspezifischen Workshops wie „Prinzipien und Tech‐ niken des interkulturell sensiblen Dolmetschens“ für die im Dolmetschpool der Institution tätigen Lai: innen sowie laufende inhaltliche Intervision unter Bei‐ ziehung externer Referent: innen ein einmaliges Format und besonderes Beispiel für die nachhaltige Verschränkung von Ausbildung und Praxis. 5 Alte, alte neue und geplante Lehrgänge Einer der jüngst als Folge der Fluchtbewegungen 2015 zwei Jahre später vom Franziskushaus der Diözese Linz in Ried im Innkreis ins Leben gerufene Lehr‐ gang „Dolmetschen im Kommunalbereich“ mit den drei Modulen Berufsprofil, Kompetenzanforderungen sowie Dolmetscharten und -techniken im Umfang von 33 Stunden wurde bereits 2018 wegen rückläufigen Interesses bzw. Vernet‐ 193 Entwicklungslinien der Ausbildung in Österreich im Bereich Dolmetschen 5 Telefonische und schriftliche Auskunft des Franziskushauses auf Anfrage der Verfas‐ serin. zungs- und Marketingschwierigkeiten wieder eingestellt. 5 Dieser war als „grundlegende, praxisnahe Qualifizierungsmaßnahme“ für Lai: innen mit Min‐ destniveau B2 konzipiert, die „oftmals Ad-hoc oder Laiendolmetscher/ -innen für öffentliche Einrichtungen (Kindergärten, Schulen, Spitäler etc.), aber auch als sprachkundige Personen für Behörden (Ämter, Polizei, etc.) tätig sind“ und in Ermangelung einer einschlägigen Ausbildung mit der „Komplexität (…) von Beratungssituationen“ überfordert sind (Diözese Linz 2017). Der immer wieder in Beiträgen zum CI in Österreich erwähnte, vor gut 20 Jahren konzipierte Universitätslehrgang für einen krankenhausübergreif‐ enden Dolmetschdienst sei an dieser Stelle schließlich als „Pionierlehrgang“ er‐ wähnt. Diesem war eine 1996 an Wiener Krankenhäusern durchgeführte quan‐ titative Erhebung zum Dolmetschen vorausgegangen, die „ein ernüchterndes Bild“ zeigte (Pöchhacker 2003: 1). Dennoch wurde dieser so vielversprechende Professionalisierungsimpuls von Auftraggeberseite nicht aufgenommen und weiterentwickelt. Erst 2013 tat sich erneut etwas im Gesundheitsbereich, als auf Initiative des Bundesministeriums für Gesundheit die Österreichische Plattform Patientensicherheit mit dem Institut für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien sowie u. a. dem Zentrum für Translationswissenschaft das Pi‐ lotprojekt zu „Videodolmetschen im Gesundheitswesen“ durchführte, an dessen Beginn eine spezielle dreitägige Schulung der Video-Dolmetscher: innen „mit Bezug zur universitären Ausbildung“ steht, die neben der Ausbildung „einen der wesentlichsten Bausteine zum Gelingen des qualitätsgesicherten Videodolmet‐ schens dar[stellt]“ (Kletečka-Pulker & Parrag 2015: 19). Dieser umfasst die Er‐ stellung eines fachterminologischen Glossars, die „Auffrischung“ theoretischer Basiskompetenzen (u. a. transkulturelle Kompetenz) sowie eine „praktische Trainingseinheit mit dem E-Dolmetscher“ (Kletečka-Pulker & Parrag 2015: 19). In Planung befindet sich laut Online-Auskunft der Ausbau des Angebotes am ITAT Graz mit einem Universitätskurs „Kommunaldolmetschen Aufbaukurs: Arbeits- und Einsatzfelder und dolmetschrelevante Techniken“ sowie „Kom‐ munaldolmetschen Vertiefung: Dolmetschpraxis“. 6 „Danke, dass du mir das sagen konntest“ - Einbeziehung der Auftraggeber Dolmetschlehrgänge im Kontext Professionalisierung allein hinsichtlich Aufbau und Inhalt zu betrachten, wäre allerdings zu kurz gegriffen. Sie dienen ja letzten 194 Vera Ahamer Endes nicht der individuellen Wissensakkumulation, sondern sollen auf eine Praxis vorbereiten, deren Wesensmerkmal gerade in der permanenten Interak‐ tion mit anderen Akteur: innen im Feld, also Klient: innen, Auftraggeber: innen sowie Kolleg: innen besteht. Lehrgänge könn(t)en somit eine Reihe weiterer Funktionen erfüllen, die zum Professionalisierungsprozess beitragen. Ein auch von der interviewten Lehrgangsabsolventin angesprochenes Po‐ tenzial besteht in der Vernetzung der Teilnehmer: innen: Eine gute Dolmetscherin muss außer Erfahrung mindestens eine Ausbildung oder Workshops machen und andere Dolmetscherinnen anschauen mit anderen Sprachen, gibt es Unterschiede, wie machen die das, also kommunizieren ist wichtig unter den Dolmetschern. […] Also sich vernetzen. Nach wie vor gibt es für den Bereich des CI in Österreich keinen Berufs- oder Interessensverband. Lehrgänge ersetzen zwar keine derartige Infrastruktur, können aber durchaus Raum für kollegialen Austausch bieten. Bislang war nur von der Ausbildung späterer Dolmetscher: innen die Rede, nicht aber von dem jeweiligen behördlichen Pendant, wie etwa jenem Bezirksrichter, auf den die Absolventin traf: Ein Richter hat Dialekt gesprochen. 20 Minuten waren wie 20 Stunden. Ich habe gar nichts mitbekommen, ich habe gesagt […] bitte können Sie normale Sprache Hoch‐ deutsch sprechen […] es war massiv schwer. Das zweite Mal mit ihm habe ich gesagt, wenn Sie nicht normale Sprache sprechen, kann ich nicht übersetzen. Dann hat er normal gesprochen. […] Dann hat er gesagt, danke, dass du mir das sagen konntest. Weil manche Dolmetscherinnen sagen gar nicht, und sie übersetzen wie sie verstehen. Und ich habe gesagt, das kann ich nicht, weil das ist sehr gefährlich, wenn ich falsch übersetze, es geht einfach nicht. Besonders couragiert zeigte sich ein weiterer Teilnehmer, aufgrund dessen feh‐ lerhafter Übersetzung ein Beschuldigter verurteilt wurde. Im Anschluss an das Gerichtsverfahren reflektierte er die Dolmetschung, identifizierte einen ent‐ scheidenden Fehler und nahm Kontakt zum Richter auf, um das Missverständnis erfolgreich zugunsten des Verurteilten zu klären. In beiden Fällen nahmen sich die Dolmetschenden der Sensibilisierung der behördlichen Akteur: innen bzw. Aufklärung einer Fehlleistung an. Ob diese tatsächlich Verantwortung über‐ nehmen können oder wollen, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Dem könnte mit eigenen Workshops oder Seminaren für Repräsentant: innen staat‐ licher Institutionen begegnet werden, wie etwa Schumann (2019) am Beispiel von Vernehmungsübungen gemeinsam mit Dolmetschstudierenden an der Fachhochschule Polizei Sachsen-Anhalt zeigt. Erwägenswert wäre die Einbe‐ 195 Entwicklungslinien der Ausbildung in Österreich im Bereich Dolmetschen 6 Danke an Mira Kadrić für diesen Hinweis. 7 Information lt. Auskunft von UNHCR Österreich, A. Bergunde (April 2020). ziehung in bereits bestehende Lehrgänge oder Kurskonzeptionen: Als einer von wenigen Lehrgängen richtet sich der Kommunaldolmetschen Basiskurs der ITAT auch an „MitarbeiterInnen von behördlichen, sozialen, medizinischen und therapeutischen Einrichtungen, die spezifisches Wissen über den Umgang mit KommunaldolmetscherInnen und über die besonderen Anforderungen gedol‐ metschter Interaktionen erwerben möchten.“ Die Universität Wien bietet diese Möglichkeit auch, sowohl im ordentlichen Studium am ZTW als auch im au‐ ßerordentlichen am Postgraduate Center. Des Weiteren umfasst die Ausbildung von Richter: innen und Staatsanwält: innen ein Modul zur Arbeit mit Dolmetsch‐ enden, Strafverteidiger: innen organisieren regelmäßig Seminare, an denen Dol‐ metscher: innen vortragen. 6 In die Konzeption des QUADA -Lernmaterials, des Handbuchs für Dolmet‐ scher: innen im Asylverfahren, wurden Expert: innen des Bundesamts für Frem‐ denwesen und Asyl des Bundesverwaltungsgerichts mit einbezogen. Darüber hinaus wurde seit 2019 der UNHCR , der QUADA mitträgt, bereits zwei Mal zu Referent: innenschulungen des BFA eingeladen, um einen inhaltlichen Block zum Umgang mit Dolmetscher: innen zu gestalten. 7 Beispielhaft für eine erfolgreiche Kooperation zwischen Schulen sowie Dol‐ metschpools ist die Projektstelle okay.zusammenleben, welche Dolmet‐ scher: innen unter der Voraussetzung vermittelt, dass diese ein 15-minütiges Vorgespräch mit dem / r Pädagog: in führen, in dem Ablauf des Gesprächs / der Veranstaltung, Vorstellung des / der Dolmetscher: in, Organisation des Dolmet‐ schens, Bedürfnisse des / der Dolmetscher: in und der Institution geklärt werden. Nach dem Einsatz hat die Institution einen ausgefüllten Feedbackbogen an die Projektstelle zu senden. Die Nachfrage ist inzwischen auf etwa 400 Einsätze im Jahr gewachsen (Projektstelle okay.zusammenleben 2020b). Wie die Erfah‐ rungen der vergangenen Jahre aber gezeigt haben, wären in manchen Fällen unter Umständen Dolmetschungen gar möglicherweise obsolet und könnten durch „einfache Sprache in der Beratung“ ersetzt werden. Die Projektstelle er‐ wägt sogar, nach Überprüfung dieser Hypothese für Pädagog: innen diesbezüg‐ liche Workshops anzubieten. Aus diesen Rückmeldungen geht hervor, dass sich das elterliche Engagement wesentlich erhöht und die Gesprächsatmosphäre verbessert hat (Projektstelle okay.zusammenleben 2017). Für den überwiegenden Bereich des CI sind solche Befunde mangels Einbe‐ ziehung der behördlichen Repräsentant: innen als Akteur: innen im Trialog aber noch in weiter Ferne. So auch für den Asylbereich, für den sich die befragte 196 Vera Ahamer Absolventin wünscht, „dass sie [die Referent: innen] sachlich bleiben. Nicht sagen, wir sind besser als sie, wir sind Hauptdarsteller, sondern dass sie das gleiche Gewicht haben. Ohne Dolmetscher funktioniert nicht die Einvernahme, oder Schriftführerin, wir sind alle Menschen, es muss das sein: menschlich.“ 7 Woher wissen Lai: innen, was Lai: innen wissen? Wenn hier von „Lai: innen“ die Rede ist, denkt man sofort an die Dolmetsch‐ enden. Um Lai: innen handelt es sich aber in diesem Kontext auch bei den auf‐ traggebenden Behörden bzw. deren Repräsentant: innen. Nun ist bereits für Kenner: innen des Feldes das Kursangebot recht unübersichtlich. Selbst wenn Beamt: innen gleichzeitig translationswissenschaftliche Expert: innen wären, böten ihnen Zertifikate in Ermangelung eines allgemeinen Akkreditierungs‐ verfahrens für Kursanbieter außer der Anzahl von ECTS kaum Anhaltspunkte. Und auch diese sagen nur bedingt etwas über die Dolmetschqualität aus: So kann etwa das Lehrveranstaltungsangebot für CI in Universitätsstudien mit einer hohen ECTS -Anzahl sehr klein sein, gleichzeitig können niederschwellige Pro‐ gramme wie etwa okay.zusammenleben aufgrund der engen Zusammenarbeit mit Institutionen und permanenten Supervision eine hohe Qualität vorweisen. Bisher unerwähnte Kriterien, die bei einer Vereinheitlichung der Standards eine wesentliche Rolle spielen würden, sind Aufnahmebedingungen oder Ab‐ schlussmodalitäten. In den beschriebenen Kursen sind die Voraussetzungen in erster Linie sprachlicher Natur und reichen von „guten Sprachkenntnissen“ sowie „Bereitschaft zur Weiterbildung“ (BrückenbauerInnen) oder „mehrspra‐ chig“ ( VHS OÖ ) über B2 des Europäischen Referenzrahmens aufgrund von Selbsteinschätzung (Diakonie, Universität Innsbruck und QUADA , wobei in letzterem Fall Teilnehmer: innen ohne C1-Nachweis pro Block einen „Praxis‐ vertiefenden Deutschkurs“ im Ausmaß von 24 Stunden zu besuchen haben) bis hin zu B2 mit kommissioneller Sprachbeherrschungsprüfung (Basiskurs Graz), C1 (Zertifikatskurs Graz) sowie C1 mit schriftlicher und mündlicher Aufnah‐ meprüfung. Sind die Sprachkompetenzen für Deutsch sowie die jeweilige zweite Sprache in sprachpaarbezogenen Kursen wie dem Zertifikatskurs in Graz (Arabisch, BKS , DaF, Englisch, Französisch, Italienisch, ÖGS , Russisch, Slowenisch, Spa‐ nisch, Türkisch und Ungarisch) sowie dem Postgraduate Center Wien (Alba‐ nisch, Arabisch, Dari / Farsi oder Türkisch) noch messbar, so besteht in nicht-sprachpaarbezogenen Lehrgängen für die kombinierten Sprachen über‐ haupt keine Überprüfungsmöglichkeit. Ozolins (2000: 25) führt als wesentliches Kriterium der Professionalisierung ein möglichst breites Sprachenspektrum in‐ 197 Entwicklungslinien der Ausbildung in Österreich im Bereich Dolmetschen 8 Absteigend nach Einsatzhäufigkeit / Monat 2019: Türkisch (142), Arabisch, Farsi / Dari, Rumänisch, Russisch, Ungarisch, BKS, Tschetschenisch, Bulgarisch, Polnisch, Slowa‐ kisch, Chinesisch, Spanisch, Mongolisch, Portugiesisch (2); die Daten wurden von okay-zusammenleben zur Verfügung gestellt. 9 Lässt diese bereits in offiziellen Statistiken wie der Volkszählung 2001 zu wünschen übrig (Kategorie „westafrikanische Eingeborenensprachen“), so ist diese bei Lai: innen wohl kaum vorauszusetzen. 10 Werden „Sprachgutachten“ bereits in der Forschung (Afrikawissenschaften, Zweitspra‐ cherwerbsforschung) per se als ungeeignete Instrumente zur Feststellung der „wahren“ Herkunft Geflüchteter abgelehnt, so lässt sich deren Problematik erahnen, wenn in der Praxis Dolmetscher: innen (ungeachtet des Qualifikationsgrades) ohne einschlägige Ex‐ pertise diese zu erstellen haben. Von Kursabsolvent: innen wurde berichtet, dass sie immer wieder um solche „Gutachten“ gebeten werden. Je nachdem, wie professionell der / die Betreffende agiert, wird dies dann abgelehnt - oder auch nicht (oft aus Angst, keine weiteren Aufträge zu bekommen). Detaillierter dazu z. B. Plutzar 2001. klusive „seltener“ Sprachen an, das von konventioneller akademischer Ausbil‐ dung nicht abgedeckt wird. Nun wäre dies angesichts der mittlerweile enormen Sprachenvielfalt (bei Wiener Volksschulkindern wurden insgesamt 110 Famili‐ ensprachen erfasst, vgl. Brizić & Hufnagl 2011: 27) eine solche Kompetenzmes‐ sung natürlich unmöglich. Umso wichtiger ist in CI -Lehrgängen die Sensibili‐ sierung für das Erkennen sprachlicher Grenzen und den Umgang mit diesen (vgl. Pöchhacker 2003: 4), wie dies bei den BrückenbauerInnen auch geschieht, deren Sprachenrepertoire derzeit 15 Sprachen umfasst. 8 Eine solche wäre selbst‐ verständlich auch für die Auftrag gebenden Behörden 9 wünschenswert, zumal von diesen mitunter auch „Sprachexpertisen 10 von den Dolmetschenden einge‐ fordert werden, denen aus Angst vor dem Verlust weiterer Aufträge auch mit‐ unter nachgekommen wird. 8 Vorwärts an den Start Genauso wenig wie die Teilnahmebedingungen sind die Abschlussmodalitäten reglementiert: Ob Abschlussgespräch, Prüfung oder kommissionelle Prüfung, verpflichtendes Praktikum oder nicht: Die Teilnehmer: innen erhalten ein Pa‐ pier - eine Teilnahmebestätigung, ein Zertifikat, oder es wird ihnen gar ein Diplom sowie der akademische Grad „AkademischeR BehördendolmetscherIn“ bzw. MA verliehen, wie etwa nach Abschluss des Universitätslehrgangs „Dol‐ metschen für Gerichte und Behörden“. Solange diese nicht vereinheitlicht sind, solange eine Ausbildung nicht Kriterium für einen Auftrag ist, bleiben diese reines symbolisches Kapital, auch für die - möglicherweise trotz Ausbildung - reflexions- und weiterbildungsresistenten Dolmetscher: innen sowie Behörden („wir haben ja einen Profi beigezogen“). Dieses hat allerdings nichts mit jenem 198 Vera Ahamer 11 Schriftliche Auskunft von Eva Grabherr (Geschäftsführerin) an die Verfasserin. von Prunč (2017: 35) beschriebenen „institutionalisierten Kulturkapital in Form von Zertifikaten und akademischen Graden“ zu tun, das erst durch das „Zu‐ sammenwirken von Lehre und Praxis und einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit zu symbolischem Kapital valorisiert wird“. Die untersten in der Hierarchie, die Klient: innen, profitieren jedenfalls nicht von einem Papier mit Symbolkraft, das in der jetzigen Praxis zum Selbstzweck verkommen kann. Diese Problematik sprechen mitunter auch Lehrgangslehrende hinter vorgehaltener Hand an, re‐ lativiert durch: „Aber sie würden ansonsten auch so dolmetschen. Zumindest haben sie ein bisschen etwas mitbekommen“. Mit QUADA und dem Lehrgang am Postgraduate Center der Universität Wien hat sich in den letzten Jahren das Ausbildungsspektrum um zwei Player mit hohem qualitativen Anspruch erweitert. Bei einem ganz anderen Format, den BrückenbauerInnen, ist wiederum die Anfrage dermaßen angestiegen, dass mittlerweile eine Obergrenze für Einsätze gezogen werden musste. 11 Ihnen allen ist gemeinsam, dass es sich um Lehrgänge auf wissenschaftlicher Basis handelt. Dem steht diametral die Praxis gegenüber, wie nur einige von vielen Beispielen aus einem Bereich veranschaulichen, über den man meinen möchte, es handle sich um das normierteste CI -Setting: Seit einem Erlass des BMI 2009 kann das „amtshandelnde Organ der Kriminalpolizei“ translatorische Kompetenzen messen, indem es beim Rückgriff auf nicht zertifizierte Personen „die für die Übersetzungstätigkeit erforderliche Sachkunde“ beurteilen kann (zit. in Kadrić 2012: 106 f.), seit 2011 können Justizministerium und Justizbetreuungsagentur Dolmetscher: innen für Strafverfahren ohne Qualitätskriterien entsenden (ibid.: 107). Jabloner (2019: 3) diagnostiziert für den Justizbereich „allgemein ein[en] Mangel an Dolmetscherinnen und Dolmetschern, beides als Folge einer unzureichenden Dotierung deren Leistungen“. Der ÖVGD ergriff angesichts dessen kurz vor seinem 100-jährigen Bestehen erstmals Kampfmaßnahmen und sah sich anlässlich eines Medienberichts über eine bei Behörden dolmetschende nicht-alphabetisierte Reinigungskraft sogar zu folgender Forderung genötigt: „Zertifizierte GerichtsdolmetscherInnen müssen lesen und schreiben können“ ( ÖVGD 2019). Dolmetschbedarf und Sprachenspektrum steigen stetig. Es gibt seriöse Kurs‐ angebote. Expert: innen für Qualitätsstandards sind vorhanden. Und die Situa‐ tion ist weitgehend gleichbleibend, wenn nicht punktuell schlimmer. Sprachen- und migrationspolitisch ist die Ausgangslage denkbar ungünstig, lautet doch der Primat im politischen, medialen und öffentlichen Kurs „Deutsch lernen“. Hier die Forderung nach qualitativen Dolmetschungen unterzubringen ist 199 Entwicklungslinien der Ausbildung in Österreich im Bereich Dolmetschen schwierig. Zwar ist im Regierungsprogramm bezüglich Dolmetschen von „Verbesserung der Qualität, Ausbildung und Weiterbildung, Monitoring und Feedback“ und für die Ausbildung von Exekutivbeamt: innen von einem Spezi‐ almodul „Umgang mit DolmetscherInnen“ die Rede (Österreichische Bundesre‐ gierung 2020). Dennoch trägt auch dieser Beitrag angesichts der gegenwärtigen Lage den Basso Continuo der eingangs erwähnten Befunde der letzten Jahrzehnte weiter. Es wäre wünschenswert, wenn auch staatliche Institutionen zur Einsicht kämen, nicht zu wissen, was es gibt, das sie nicht wissen. Vielleicht könnte man hier dem Rat des eingangs zitierten Absolventen folgen: „Eine Schulung braucht man mindestens. Weil wir waren wirklich in einem dunklen Raum. (…) Wir haben wirklich bei Null begonnen.“ Literatur Ahamer, Vera (2013). Unsichtbare Spracharbeit. Jugendliche Migranten als Laiendolmet‐ scher. Integration durch „Community Interpreting“. Bielefeld: Transcript. 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Modellhaft an seiner Entstehungsgeschichte ist das Zusammenwirken unterschiedlichster Akteure auf verschiedenen Ebenen, insbesondere aber die wichtige Rolle des Bundes‐ amts für Gesundheit ( BAG ) beim Aufbau nationaler Standards. Viele der in‐ ternational geteilten Normen und Empfehlungen sind im Schweizerischen Kontext des interkulturellen Dolmetschens erfolgreich umgesetzt, auch wenn in Bezug auf die Qualitätssicherung sowie eine nachhaltige Verankerung und Finanzierung der Dolmetschleistungen nach wie vor Optimierungsbedarf be‐ steht. 1 Interkulturelles Dolmetschen Interkulturelles Dolmetschen bezeichnet in der Schweiz ein Gesamtkonzept be‐ züglich der Dolmetschleistungen im öffentlichen Bereich - also in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales sowie zunehmend auch im Asyl- und Justiz‐ wesen. Es beinhaltet das konkrete Dolmetschangebot im Netzwerk regionaler Vermittlungsstellen bzw. die von den interkulturell Dolmetschenden geleistete Arbeit ebenso wie ein standardisiertes, in die nationalen Strukturen der Höheren Berufsbildung eingebettetes Qualifizierungssystem. 2 Wer dolmetscht? Die Nachfrage nach „formalisierten“ Dolmetschleistungen hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Gedolmetscht wird nicht mehr nur im Gericht und in den Verfahren des Asylwesens, sondern auch in Spitälern, im Gefängnis, auf Sozialdiensten, an Elterngesprächen, in der Beratung und Betreuung. Be‐ hörden, Fachorganisationen und Mitarbeitende von öffentlichen Diensten for‐ dern vermehrt eine Standardisierung für die Zusammenarbeit mit Dolmetsch‐ enden, so zum Beispiel zum wiederholten Mal die Bundesärztekammer, welche in ihrem Beschlussprotokoll des 122. Deutschen Ärztetages den Gesetzgeber auffordert, „eine zusätzliche Finanzierung für die Bereitstellung von Dolmet‐ scherinnen und Dolmetschern sowohl in der stationären als auch in der ambu‐ lanten Versorgung sicherzustellen“ (Bundesärztekammer 2019: 212), oder die Schweizerische Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin ( NEK ), welche 2017 in einem Positionspapier festhielt: Interkulturelles Dolmetschen ist zur Wahrung der Menschenrechte im gesamten Ge‐ sundheitssystem erforderlich, wenn es Sprachbarrieren gibt. Der Zugang zu diesem Dienst muss gewährleistet sein. Ein Angebot an interkulturellen Dolmetsch- und Ver‐ mittlungsdiensten, das die Bedürfnisse der Migrationsbevölkerung decken kann, sollte schweizweit homogen aufgebaut werden. Die Ausbildung von interkulturellen Dol‐ metscher / innen und Vermittler / innen muss sichergestellt sein. (NEK 2017: 7) In die gleiche Richtung zielt auch das Positionspapier des Deutschen Bundes‐ verbands der Dolmetscher und Übersetzer ( BDÜ ), welches eindeutig einen drin‐ genden Handlungsbedarf „für eine bundesweit einheitliche Regelung zur Fi‐ nanzierung, Abrechnung und Qualitätssicherung von Dolmetschleistungen im Gesundheitswesen“ feststellt ( BDÜ 2019: 2). Diese Forderungen rücken Fragen zur Definition des Dolmetschens und zur Qualifizierung der Ausübenden in den Vordergrund, umso mehr als die Berufs‐ bezeichnung „Dolmetscher“ nicht geschützt ist. Wer sind die Dolmetschenden, die in den Spitälern, Beratungsstellen, Sozialdiensten oder Schulen Gespräche mit fremdsprachigen Personen ermöglichen? Wie sind sie qualifiziert und wer ist zuständig für die Qualitätssicherung? In der Schweiz hat sich die Bezeichnung „interkulturell Dolmetschende“ etabliert. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen um Migrant: innen mit nachgewiesenen Sprach- und Dolmetschkompetenzen, die in der Regel aber nicht über einen Studienabschluss im Dolmetschen verfügen. Für einen Großteil der Sprachkombinationen existieren auch gar keine Dolmetsch-Studiengänge. Häufig sind gerade dies aber die am meisten nachgefragten Sprachkombinati‐ 206 Michael Müller 1 Der Verein INTERPRET ist die Schweizerische Interessengemeinschaft für das inter‐ kulturelle Dolmetschen und Vermitteln. Mit Unterstützung des Bundes (Staatssekreta‐ riat für Migration und Bundesamt für Gesundheit) zeichnet INTERPRET verantwort‐ lich für den Betrieb des nationalen Kompetenzzentrums (Öffentlichkeitsarbeit, Sensibilisierung, Koordination, Projektarbeit und Weiterentwicklung) sowie der Qua‐ lifizierungsstelle (Durchführung von Sprachprüfungen, Modulanerkennungen, Gleich‐ wertigkeitsbeurteilungen, Vergabe des Zertifikats INTERPRET, Qualitätssicherung im Aus- und Weiterbildungssystem sowie Durchführung der eidgenössischen Berufsprü‐ fung). onen. So finden in der Schweiz die meisten Einsatzstunden von interkulturell Dolmetschenden in den Sprachen Tigrinya, Arabisch, Albanisch, Tamil und Farsi (Persisch) statt. In diesen fünf Sprachen wurden 2018 in der Schweiz 134 500 Dolmetscheinsätze geleistet, was knapp 50 % des gesamten erfassten Einsatzvolumens entspricht ( INTERPRET 2019: 12). Ein entsprechendes Dol‐ metschstudium ist in der Schweiz einzig in der Kombination Arabisch-Franzö‐ sisch an der Universität Genf möglich. Welche Qualifizierung für Dolmet‐ schende im öffentlichen Bereich kann in der Praxis also verlangt werden? Welche Ausbildungsstandards sind sinnvoll und realisierbar? Das Qualifizie‐ rungssystem für interkulturell Dolmetschende und Vermittelnde in der Schweiz liefert mögliche Antworten auf diese Fragen. 3 Das Schweizerische zweistufige Qualifizierungssystem im Überblick Seit 20 Jahren setzt sich INTERPRET 1 , die Schweizerische Interessengemein‐ schaft für das interkulturelle Dolmetschen und Vermitteln, für die Professiona‐ lisierung und nachhaltige Verankerung von qualitativen Dolmetschleistungen im öffentlichen Bereich ein. Im Zentrum der diesbezüglichen Aktivitäten steht das vor rund 15 Jahren ins Leben gerufene Ausbildungs- und Qualifizierungs‐ system, als dessen Träger INTERPRET fungiert. Dieses ist eingebettet in das Schweizerische System der Höheren Berufsbildung. Es kombiniert Ausbildung und praktische Erfahrung und führt zu zwei Abschlussniveaus: • Schweizerisches Zertifikat INTERPRET für interkulturell Dolmetschende (entsprechend Stufe 4 des Europäischen Qualifikationsrahmens EQR ); • Eidgenössischer Fachausweis für interkulturell Dolmetschende und Vermit‐ telnde (auf Stufe 5 des EQR angesiedelt). Die Ausbildung zur oder zum interkulturell Dolmetschenden ist praxisorientiert und findet berufsbegleitend statt. Teilnehmende der Lehrgänge verfügen in der Regel bereits vor Beginn der Ausbildung über erste Praxiserfahrungen. Sie ar‐ 207 Professionalisierung des Dolmetschens im öffentlichen Bereich am Beispiel der Schweiz 2 Die Vermittlung von interkulturell Dolmetschenden findet in der Schweiz in der Regel über regionale Vermittlungsstellen statt. Eine Übersicht über die Vermittlungsstellen findet sich bei www.inter-pret.ch > Regionale Vermittlungsstellen. Eine ausführliche Darstellung der Vermittlungsstellen findet sich auch im Artikel von Nives Grenko und Barbara Strebel in dieser Publikation. beiten zum Beispiel bei einer regionalen Vermittlungsstelle für interkulturelles Dolmetschen 2 oder werden direkt von einem Spital oder einer Schule für Ein‐ sätze angefragt. Neben dieser Praxiserfahrung bringen sie gute Kenntnisse in mindestens einer Amtssprache und mindestens einer Dolmetschsprache mit. In der Regel verfügen sie über eigene Migrationserfahrung und somit über fun‐ dierte Kenntnisse bezüglich Konzepten und Strukturen in der Schweiz wie auch im Herkunftsland der Personen, für die sie dolmetschen. Vorzugsweise können sie außerdem eine höhere Schulbildung sowie Arbeitserfahrungen im Bildungs-, Gesundheits- oder Sozialwesen in der Schweiz oder im Herkunftsland vor‐ weisen. Abb. 1: Das Ausbildungs- und Qualifizierungssystem von INTERPRET Das Zertifikat INTERPRET ist die Basisqualifikation und attestiert Inhaber: innen die Fähigkeit, durch Dolmetschen in Trialog-Situationen die Verständigung zwischen Gesprächsteilnehmenden unterschiedlicher Herkunft zu ermöglichen. Voraussetzungen für das Zertifikat INTERPRET sind die Kompetenznachweise der Ausbildungsmodule 1 und 2 (Umfang beider Module zusammen: rund 208 Michael Müller 250 Stunden Lernzeit), die Nachweise der Sprachkompetenzen in der Dol‐ metschsprache (mündlich mind. Niveau C1, Überprüfung durch eine von IN‐ TERPRET entwickelte und durchgeführte standardisierte Dolmetsch-Sprach‐ prüfung) und in der lokalen Amtssprache (formeller Sprachnachweis wie Goethe- oder telc-Zertifikat, mündlich und schriftlich mind. auf Niveau B2), 9 Stunden Praxisreflexion sowie mindestens 50 Stunden Praxiserfahrung ( IN‐ TERPRET 2014). Die wichtigsten Elemente dieser Basisqualifikation ergeben sich aus dem Berufskodex ( INTERPRET 2015), der für alle Inhaber: innen des Zertifikats INTERPRET verpflichtend ist. Gemäß diesem dolmetschen sie „beid‐ seitig, vollständig, sinngenau und für die Adressaten verständlich“ (ibid.: 2). Von ebenso zentraler Bedeutung sind die Aspekte Transparenz, Rollenverständnis, bewusster Umgang mit professioneller Distanz, allparteiliche Haltung sowie Schweigepflicht. Für die berufliche Weiterentwicklung zentral sind die konti‐ nuierliche Weiterbildung, die Reflexion der eigenen Berufspraxis und eine pro‐ fessionelle Begleitung in Form von Austauschgruppen, Inter- und Supervision (ibid.). Eidgenössische Fachausweise sind Qualifikationen der Höheren Berufsbil‐ dung und werden vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation ( SBFI ) nach dem Bestehen der eidgenössischen Berufsprüfung ausgestellt. Der Eidgenössische Fachausweis für interkulturell Dolmetschende und Vermittelnde zeichnet erfahrene Berufsleute aus, welche auch in anspruchsvollen Situationen einen hohen professionellen Standard garantieren können. Dafür braucht es vertiefte Kompetenzen in den Bereichen Dolmetschen und Vermitteln ( INTER‐ PRET 2019). Diese werden über Weiterbildungsmodule (mind. 4 Module und andere Weiterbildungen von mind. 26 Stunden, insgesamt mind. 275 Stunden Lernzeit nach dem Erwerb des Zertifikats INTERPRET ), über fundierte Praxis‐ reflexion (u. a. mind. 26 Stunden Supervision) und über Praxiserfahrung (mind. 500 Stunden) erworben. Ausserdem wird ein formeller Nachweis der Sprach‐ kompetenzen (mündlich und schriftlich) in der jeweiligen Amtssprache (Deutsch, Französisch oder Italienisch) mindestens entsprechend dem Niveau C1 verlangt. 3.1 Merkmale des Qualifizierungssystems: Inhalte, Lernformen und Kompetenzüberprüfungen Mit dem Berufskodex als berufsethischer Orientierung ( INTERPRET 2015), den Kompetenzbeschreibungen zum Zertifikat INTERPRET ( INTERPRET 2014) sowie dem Qualifikationsprofil für den eidgenössischen Fachausweis gemäss der Wegleitung zur Prüfungsordnung ( INTERPRET 2020) liegen klare Zielfor‐ mulierungen vor, die es im Rahmen der Ausbildung zu erreichen und in Form 209 Professionalisierung des Dolmetschens im öffentlichen Bereich am Beispiel der Schweiz von Kompetenznachweisen zu überprüfen gilt. Auch die Lerninhalte ergeben sich größtenteils aus diesen Grundlagen: Neben den „handwerklichen“ Kompe‐ tenzen (Dolmetschtechniken, Notizentechnik, Mnemotechniken, Recherche- und Dokumentationstechniken etc.) sowie den einsatzbezogenen Inhalten (Grundwissen zu den wichtigsten Einsatzbereichen, Fachbegriffe, Kontext‐ wissen, Institutionen, rechtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen etc.) stellen auch die weiteren Berufskompetenzen wichtige Inhaltselemente dar. So setzen sich die angehenden Dolmetschenden mit (transkultureller) Kommu‐ nikation, Kulturkonzepten, Diskriminierung, Migration, Integration etc. ausei‐ nander, immer sowohl in Bezug auf die berufspraktische Bedeutung für die Dol‐ metschtätigkeit als auch vor dem Hintergrund der eigenen (Migrations-)Biografie. Auf der methodisch-didaktischen Ebene muss dem Umstand Rechnung ge‐ tragen werden, dass es sich gewissermassen um eine berufsbegleitende, auf die (bereits erworbene) Praxis abstützende Qualifizierung handelt. Eine entschei‐ dende Rolle spielen deshalb unterschiedlichste Formen der Reflexion. Fallbe‐ schreibungen, Analysen, Lerntagebücher, praktische Übungen mit Beobach‐ tungs- und Reflexionsaufgaben, Übungen und Peer-Bewertungen in (gleichsprachlichen) Lerntandems etc. stellen darum wichtige Instrumente dar. Diese bedingen, dass ein großer Teil der Ausbildung „analog“ stattfindet: Dem direkten Austausch mit Trainer: innen und Kolleg: innen, Praxis- und Reflexion‐ sübungen, Beobachtungsaufgaben, Inszenierungen etc. kommt eine große Be‐ deutung zu. Andere Inhalte, wie beispielweise das Erarbeiten von Basisinfor‐ mationen zu Konzepten und Grundlagen oder auch der Aufbau von Recherche- und Dokumentationstechniken, erfolgen hingegen zunehmend individuell und digital, so dass immer mehr Ausbildungsangebote als „blended learning“ be‐ zeichnet werden können. Auf der Ebene der Kompetenzüberprüfung kommt eine klare Rollenteilung zum Tragen: Als Träger des Qualifizierungssystems definiert INTERPRET die Vorgaben bezüglich der Ziele, der Inhalte, des Umfangs sowie der Kompetenz‐ nachweise. Die Durchführung der Kompetenzüberprüfung innerhalb der ein‐ zelnen Ausbildungsmodule liegt jedoch in der Verantwortung der von INTER‐ PRET im Rahmen eines Anerkennungsverfahrens akkreditierten Ausbildungsanbieter. Dies erlaubt eine gewisse Flexibilität und die Einbindung der Kompetenznachweise in den Lernprozess, erschwert im Gegenzug tendenziell aber die Sicherstellung eines einheitlichen Anforderungsniveaus innerhalb des standardisierten Qualifizierungssystems. Vollständig national geregelt ist nur die eidgenössische Berufsprüfung, deren Durchführung direkt in der Verant‐ wortung von INTERPRET liegt. Dabei handelt es sich um eine äußerst aufwän‐ 210 Michael Müller dige und anspruchsvolle Abschlussprüfung, die aus vier Prüfungsteilen besteht: Eine schriftliche Fallanalyse (Teil 1) legt den Fokus auf die Reflexionsfähigkeit und das Rollenverhalten; die Präsentation der praktischen Arbeit mit anschließ‐ ender Fachdiskussion mit zwei Expert: innen (Teil 2) vertieft und ergänzt die Einschätzung der Reflexions- und Analysefähigkeit; Teil 3 besteht aus einem weiteren Fachgespräch mit den Prüfungsexpert: innen, in welchem das (Rollen-)Verhalten in besonders herausfordernden Situationen und der Umgang mit Vorurteilen und kulturellen Prägungen diskutiert und evaluiert wird; Teil 4 schliesslich besteht aus einer praktischen Dolmetschprüfung. Dabei werden das Rollen- und Kommunikationsverhalten in der konkreten Praxis, die linguisti‐ schen Kompetenzen (in beiden Arbeitssprachen) sowie die Qualität der Verdol‐ metschung (Exaktheit, Vollständigkeit, Angepasstheit) beurteilt. 3.2 Aktuelle Bedeutung der Qualifizierung für die Einsatzpraxis der interkulturell Dolmetschenden Aufbau und Betrieb eines aufwändigen nationalen Qualifizierungssystems sind gerechtfertigt, wenn die daraus resultierenden Abschlüsse in der Einsatzpraxis auch tatsächlich eine Bedeutung haben. Dies ist einerseits dann der Fall, wenn die erworbenen Kompetenzen von den Absolvent: innen als wichtig oder zu‐ mindest hilfreich empfunden werden, sie also durch den Erwerb der Qualifizie‐ rung effektiv und praxiswirksam zur Ausübung ihrer Tätigkeit befähigt werden. Andererseits spielt aber auch die Wahrnehmung und Berücksichtigung der Qualifizierung durch die weiteren Akteure des Berufsfelds eine Rolle: Welchen Wert hat die Qualifizierung auf dem „Dolmetschmarkt“? Wird der Abschluss von den Nutzer: innen und Kund: innen wahrgenommen? Wird er gar explizit nachgefragt? Und welche Rolle spielt er im Prozess der Einsatzvermittlung? Der erste dieser beiden Aspekte lässt sich für die Bedeutung des Schweizer‐ ischen Qualifizierungssystems ziemlich klar beantworten. Ältere Dolmet‐ schende, die bereits vor Einführung des Qualifizierungssystems tätig waren und sich über diverse punktuelle Weiterbildungen und mehr oder weniger regel‐ mässige Praxisreflexion weiterentwickelt haben, erachten den Erwerb des Zer‐ tifikats INTERPRET teilweise als überflüssig. Ebenso Dolmetschende, die in sehr selten gebrauchten Sprachkombinationen dolmetschen oder für die das Dolmetschen ohnehin und gewollt nur eine vernachlässigbare Nebenbeschäfti‐ gung darstellt. Die Dolmetschenden hingegen, die das interkulturelle Dolmet‐ schen (für sich oder allgemein) als Beruf betrachten, Ausbildungsmodule besu‐ chen und Abschlüsse auf einem oder beiden Niveaus erwerben, schildern übereinstimmend den großen Wert der Qualifizierung für ihre fachlichen Kom‐ petenzen sowie ihr professionelles Selbstverständnis. Sie erachten die Inhalte 211 Professionalisierung des Dolmetschens im öffentlichen Bereich am Beispiel der Schweiz und Kompetenzen des Zertifikats INTERPRET als Basis, um überhaupt in „pro‐ fessionellem“ Rahmen als Dolmetschende aktiv zu sein bzw. zu werden. Schwieriger ist die Beantwortung der Frage nach dem Wert der Qualifizierung auf dem Arbeitsmarkt der Dolmetschenden. Dazu muss leider festgehalten werden, dass die Qualifizierung nicht grundsätzlich einen Wert auf dem Dol‐ metschmarkt darstellt. Die Mehrheit der Vermittlungsstellen macht ihren Kunden gegenüber nicht transparent, über welche Qualifikationen die vermit‐ telten Dolmetschenden verfügen. Somit haben die Fachpersonen oft gar keine Möglichkeit, ein Bewusstsein für die unterschiedlichen beruflichen Niveaus zu entwickeln und allenfalls auch gezielt nach einer Qualifikation für bestimmte Einsätze nachzufragen. Die Vermittlungsstellen wiederum haben aus finanz‐ ieller Perspektive wenig Interesse an der Qualifizierung der Dolmetschenden, da sie den höher Qualifizierten auch höhere Honorare bezahlen müssten (was größtenteils gemacht wird, wenn auch mit sehr geringen Zuschlägen). Und schließlich wird von Seiten der subventionierenden Stellen (siehe Kapitel Qua‐ litätssicherung) noch zu wenig konsequent darauf geachtet, dass die Vermitt‐ lungsstellen den Anteil an qualifizierten Dolmetschenden erhöhen. Tendenziell lässt sich festhalten, dass das Zertifikat INTERPRET als Basisqualifikation zu‐ nehmend an Beachtung gewinnt und vermehrt auch eingefordert wird, dass aber die Bedeutung des eidgenössischen Fachausweises noch viel zu stark auf der privaten Ebene der Dolmetschenden liegt. Er stellt eine Bestätigung ihrer Kom‐ petenzen und ihrer Professionalität dar und eröffnet ihnen allenfalls Möglich‐ keiten für andere Studien oder Tätigkeitsfelder; für die konkrete Tätigkeit als Dolmetschende hat er aber noch eine geringe Bedeutung. Dass sich dies mittel‐ fristig ändert, ist eine der aktuell vordringlichsten Aufgaben für INTERPRET . Darauf zielt unter anderem auch die 2020 lancierte Totalrevision der Berufs‐ prüfung ab, die ausserdem sicherstellen soll, dass das Qualifizierungssystem die Anforderungen von allen Einsatzbereichen angemessen berücksichtigt und die Berufsbezeichnung die Kernaufgaben und -kompetenzen der professionellen Dolmetschenden korrekt und verständlich abbildet. 3.3 Qualitätssicherung im Gesamtsystem des interkulturellen Dolmetschens Wie bereits dargelegt, fehlt es dem interkulturellen Dolmetschen in der Schweiz trotz des standardisierten Qualifizierungssystems an einheitlichen Strukturen und Vorgehensweisen. Dies gilt leider auch für die Qualitätssicherung. Qualität im Dolmetscherwesen muss auf drei getrennten Ebenen betrachtet (und gesichert) werden ( INTERPRET 2018: 2 ff.): auf der Ebene der Einsatzver‐ mittlung, der Ebene der konkreten Dolmetscheinsätze sowie der Ebene der Aus- 212 Michael Müller 3 Siehe dazu auch Abschnitt „Bezug des ‚Gesamtsystems Interkulturelles Dolmetschen‘ zu internationalen Standards“. und Weiterbildung. Auf Letzterer spielt INTEPRRET als Träger des Qualifizie‐ rungssystems via Anerkennungsverfahren, Ausbildungsmonitoring und diversen Prüfungen eine zentrale Rolle, die diesbezüglichen Massnahmen sind einheitlich geregelt und folgen nationalen Standards. Auf den anderen beiden Ebenen kommt den regionalen Vermittlungsstellen die wichtigste Rolle zu. Sie pflegen den Kundenkontakt, garantieren einen reibungslosen Ablauf und stellen sicher, dass für jeden Einsatz die oder der „richtige“ Dolmetschende vermittelt wird. Sie sind auch für die Begleitung, Betreuung und Weiterbildung der Dol‐ metschenden verantwortlich, beispielsweise über die Bereitstellung an Gefäßen für Austausch und Beratung sowie über Inter- und Supervision. Diese zentrale Bedeutung der Vermittlungsstellen für die Qualitätssicherung anerkennt auch die Norm ISO 13 611 3 ( ISO 2014). Auch wenn verschiedene Vermittlungsstellen die Qualität ihrer (Dolmetsch-)Leistungen regelmäßig mittels Kundenbefra‐ gungen erheben, so muss festgehalten werden, dass Fachpersonen naturge‐ mäss - weil sie ja eben nicht über die entsprechenden Sprachkompetenzen ver‐ fügen - die Qualität der Verdolmetschung kaum einschätzen können. Was die Fachpersonen als Kund: innen der Vermittlungsstellen letztlich beurteilen können, ist die Qualität der Dolmetschervermittlung: Wie anspruchsvoll ist der Bestellvorgang, wie gut ist die Vermittlungsstelle erreichbar, wie verständlich sind die Informationen, wie lange dauert es von der Aufgabe der Bestellung bis zur Bestätigung etc. Gerade auf dieser Ebene fehlt es jedoch an einheitlichen Strukturen und Prozessen, welche wiederum notwendig wären, um im Gesamt‐ system ein einheitliches Vorgehen in Bezug auf die Sicherstellung und Weiter‐ entwicklung der Qualität zu ermöglichen. Das Fehlen einheitlicher Abläufe und Prozesse erschwert es letztlich auch, Klarheit über die Qualität der einzelnen Dolmetschleistungen zu haben. Erfah‐ rene Fachpersonen dürften über ein recht gutes Gespür verfügen, um die Exakt‐ heit und Vollständigkeit der Übertragung einschätzen zu können. Eine tatsäch‐ liche Beurteilung der Dolmetschqualität ist aber nur mittels aufwändiger Analysen möglich, wie sie exemplarisch im Rahmen der Berufsprüfung realisiert werden. Der wichtigste Qualitätsaspekt des Dolmetschens - die Qualität der Übertragung in die andere Sprache - entzieht sich also weitgehend der Ein‐ schätzung durch die beteiligten Parteien. Damit erhält die Qualifizierung der Dolmetschenden eine umso größere Bedeutung. 213 Professionalisierung des Dolmetschens im öffentlichen Bereich am Beispiel der Schweiz 3.4 Die Entstehungsgeschichte des Qualifizierungssystems: Modell für die Etablierung von Qualifizierungen in anderen Ländern oder doch einzigartig? Die Entwicklung des interkulturellen Dolmetschens, sowohl bezüglich Ausbil‐ dung und Qualifizierung als auch der Strukturen und Angebote, ist eng mit dem Engagement des Bundes, insbesondere des BAG verbunden. Gleichzeitig ver‐ läuft sie weitgehend parallel mit der Entstehungsgeschichte des Vereins IN‐ TERPRET . Als Reaktion auf die massive Zunahme der Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlinge entstehen in den 1980er und 1990er Jahren zahlreiche Initiativen und Angebote im Bereich der interkulturellen Verständigung bzw. der Sprach- und Kulturvermittlung. Allen gemeinsam ist das Bestreben, eine qualitativ hochstehende Dienstleistung zur Verfügung zu stellen, welche die sprachliche Verständigung sicherstellt, gleichzeitig aber auch der „kulturellen Verständi‐ gung“ dienen soll. Eine Vielzahl dieser lokalen Akteure engagiert sich von Be‐ ginn weg auch in der Ausbildung der in diesen Angeboten zum Einsatz komm‐ enden Dolmetschenden. Initiiert vom BAG wird 1996 eine Arbeitsgruppe gebildet, mit dem Ziel, eine Analyse der bestehenden Praxis vorzunehmen sowie eine Koordination der verschiedenen Angebote zu ermöglichen. Die erste nati‐ onale Tagung zum Thema Interkulturelles Dolmetschen und Mediation von 1998 stellt einen Meilenstein in den Koordinationsbemühungen dar. 1999 gründen interkulturell Dolmetschende gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern von Spitälern, Sozialdiensten, Schulen und Hilfswerken den Verein INTERPRET , welcher 2000 vom BAG damit beauftragt wird, Ausbil‐ dungsstandards für interkulturelle Dolmetschung und Vermittlung im Gesund‐ heits-, Sozial- und Bildungsbereich auszuarbeiten. Auf der Basis dieser Stan‐ dards entwickelt die schweizerische Vereinigung für Weiterbildung ( SVEB ) ein Zertifizierungs- und Anerkennungssystem für Ausbildungen für interkulturell Dolmetschende. Das BAG überträgt INTERPRET die Verantwortung für die Qualitätssicherung der Ausbildungen und schliesst mit INTERPRET einen ersten Leistungsvertrag ab. INTERPRET übernimmt damit national die Verant‐ wortung für die Anerkennung von Ausbildungen, das Zertifikat INTERPRET ist geboren (2004). 2005 verabschiedet die Mitgliederversammlung von INTER‐ PRET den Berufskodex für zertifizierte interkulturell Dolmetschende. 2008 genehmigt das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie ( BBT , heute Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI ) die Prü‐ fungsordnung für die Berufsprüfung für interkulturell Dolmetschende, die bei erfolgreichem Bestehen zu einem eidgenössischen Fachausweis führt. Diese Anerkennung auf Bundesebene wertet den Beruf der interkulturell Dolmetsch‐ 214 Michael Müller enden zusätzlich auf. 2014 überarbeitet INTERPRET die Berufsprüfung und setzt das aktuelle Qualifizierungssystem in Kraft. Aktuell ( Januar 2020) verfügen insgesamt über 1400 Dolmetschende über das Zertifikat INTERPRET , und mehr als 130 interkulturell Dolmetschende und Vermittelnde haben die eidgenössi‐ sche Berufsprüfung erfolgreich absolviert und sind im Besitz des eidgenössi‐ schen Fachausweises. Modellhaft an dieser Entstehungsgeschichte dürfte das Zusammenwirken unterschiedlichster Akteure auf ganz verschiedenen Ebenen sein: Dass mit dem BAG von Beginn weg ein wichtiger nationaler Akteur eingebunden bzw. sogar federführend war, hat den Aufbau nationaler Standards massgeblich verein‐ facht. Ohne die sorgfältige Einbindung der bereits bestehenden lokalen und re‐ gionalen Initiativen wäre die rasche Etablierung dieser Standards aber trotzdem nicht möglich gewesen - auch wenn gerade die Rücksichtnahme auf diese un‐ terschiedlichen Ausgangssituationen zahlreiche Kompromisse bedingte, die das Qualifizierungssystem teilweise heute noch prägen. Dieses Vorgehen dürfte auch in anderen Kontexten hilfreich sein, um unterschiedlichste lokale Initia‐ tiven in ein breit abgestütztes, standardisiertes, möglichst national verankertes und anerkanntes Qualifizierungssystem zu integrieren resp. zu überführen. Nur bedingt übertragbar ist hingegen die Einbettung in das System der (hö‐ heren) Berufsbildung. Diese ist in der Schweiz überdurchschnittlich stark ver‐ ankert und stellt in den allermeisten Arbeits- und Ausbildungsbereichen eine mindestens gleichberechtigte Alternative zu universitären Bildungsgängen dar. Berufspraxis-orientierte Qualifizierungen sind in der Schweiz weit verbreitet und anerkannt. Den fehlenden Dolmetschstudiengängen in den wichtigsten Sprachkombinationen kann für das Dolmetschen im öffentlichen Bereich somit eine vollwertige, anerkannte Qualifizierungsmöglichkeit - ebenfalls auf ter‐ tiärem Niveau notabene - entgegengesetzt werden. Dass bezüglich Umfang, Sprach- und Kompetenzniveau teilweise deutliche Unterschiede zwischen diesem Qualifizierungsweg und beispielsweise einem Masterstudiengang Kon‐ ferenzdolmetschen bestehen, soll hier keinesfalls in Abrede gestellt werden. Entscheidend ist jedoch die Tatsache, dass dank der Einbindung in die Berufs‐ bildung und dem Aufbau des eidgenössischen Fachausweises eine Qualifizie‐ rungsmöglichkeit geschaffen werden konnte, die einen breit abgestützten, im nationalen Bildungssystem verankerten und international verorteten (Stufe 5 EQR ) Berufsabschluss ermöglicht, welcher den Anforderungen an professio‐ nelles Dolmetschen im öffentlichen Dienst in den allermeisten Belangen ent‐ spricht. 215 Professionalisierung des Dolmetschens im öffentlichen Bereich am Beispiel der Schweiz 4 Bezug des „Gesamtsystems Interkulturelles Dolmetschen“ zu internationalen Standards Internationale Standards bzw. Empfehlungen zum Dolmetschen im öffentlichen Bereich (oder Dolmetschen im Gemeinwesen bzw. Community Interpreting) liegen in Form der Norm ISO 13 611 vor ( ISO 2014). Diese ist aktuell in Überar‐ beitung, gibt aber auch in ihrer ersten Fassung aus dem Jahr 2014 zahlreiche wertvolle Hinweise auf die verschiedenen Elemente, die ein ganzheitliches, auf Professionalität ausgerichtetes Dolmetscherwesen berücksichtigen sollte. Die Norm beschreibt das Dolmetschen im Gemeinwesen als beidseitiges Dolmet‐ schen in einer Kommunikationssituation zwischen Personen unterschiedlicher Sprache mit dem Ziel, eine Kommunikation und den gleichberechtigten Zugang zu Dienstleistungen zu ermöglichen ( ISO 2014: 2). Die Richtlinien kommen dann zur Geltung, wenn vom Dolmetschen als Beruf die Rede ist. Um professionelle Dolmetschende handelt es sich gemäss ISO 13 611 dann, wenn diese über die in der Norm beschriebenen Kompetenzen und Qualifikationen verfügen, sich an einem Berufskodex orientieren und für ihre Dienste entschädigt werden ( ISO 2014: 6). Zusammengefasst werden folgende Kompetenzen vorausgesetzt, welche mittels formeller Qualifikationen und Nachweise dokumentiert werden sollen ( ISO 2014: 7 ff.): • Mitteilungen sind sinn- und funktionstreu zu übertragen. Dafür sind nicht nur Dolmetschkompetenzen, sondern ebenso ein klares Rollenver‐ ständnis notwendig; • Die sprachlichen Fähigkeiten sind mittels valider Testverfahren über‐ prüft; • Mittels Recherche- und Dokumentationstechniken eignen sich Dolmet‐ schende rasch linguistische und terminologische Kompetenzen an; • Soziale und kommunikative Kompetenzen ermöglichen einen höflichen, respekt- und taktvollen Umgang in interkulturellen Settings, jedoch muss die notwendige Distanz und Unparteilichkeit jederzeit gewährt sein. Die wesentlichen Aspekte der Grundhaltung, der Rechte und Pflichten sowie der beruflichen Kompetenzen von interkulturell Dolmetschenden und Vermit‐ telnden sind ebenso im Berufskodex INTERPRET festgehalten ( INTERPRET 2015). Die wichtigsten Elemente des Qualifizierungssystems wiederum decken sich mit den in der ISO -Norm vorgeschlagenen Standards und Empfehlungen. Unsicherheiten bestehen hingegen noch in Bezug auf die Rollen und Aufgaben der Qualitätssicherung (siehe oben). Insgesamt kann aber festgehalten werden, dass ein grosser Teil der Standards, die in der Norm ISO 13 611 aufgeführt 216 Michael Müller 4 Zum Beispiel Empfehlungen der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesund‐ heitsdirektorinnen und -direktoren (GDK 2010), der Konferenz der kantonalen Sozial‐ direktorinnen und Sozialdirektoren (SODK 2016) oder der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK 2017). werden, dank der Etablierung eines standardisierten Qualifizierungssystems in der Schweiz bereits umgesetzt sind. 5 Standardisierung und Finanzierung In den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales ist die Zusammenarbeit mit interkulturell Dolmetschenden schweizweit schon seit Jahren bekannt und ge‐ schätzt. Der Mehrwert einer professionellen Verdolmetschung wird allgemein anerkannt, was sich unter anderem in stetig steigenden Einsatzzahlen manifes‐ tiert. Damit diese Zusammenarbeit jedoch nicht spontan und sporadisch bleibt, sind eine nachhaltige Verankerung bzw. Institutionalisierung, eine Vereinheit‐ lichung in Bezug auf Strukturen, Abläufe und Maßnahmen der Qualitätssiche‐ rung sowie die Sicherstellung der Finanzierung notwendig. Heute sind in der Regel einzelne Institutionen und Auftraggeber für die Klärung der Finanzierung zuständig, die föderale Struktur der Schweiz erschwert die Schaffung einer ge‐ samtschweizerischen Lösung. Dahingehende Empfehlungen von interkanto‐ nalen Konferenzen und Fachorganisationen liegen zwar vor 4 , eine konsequente Umsetzung steht jedoch aus. Im Gesundheitsbereich mehren sich beispielsweise die Stimmen, die eine nationale Lösung der Finanzierung zum Beispiel über das Bundesgesetz über die Krankenversicherung ( KVG ) und damit der Kostenüber‐ nahme durch die Krankenkassen fordern. Für eine Standardisierung der Zusammenarbeit mit interkulturell Dolmetsch‐ enden und für eine echte Anerkennung der Profession bleibt also auch in der Schweiz noch viel zu tun. Mit dem Qualifizierungssystem von INTERPRET ist es aber gelungen, zumindest auf der Ebene der Qualifizierung der Dolmetsch‐ enden eine praxistaugliche, breit abgestützte und weithin anerkannte Norm zu etablieren. Dies stellt zweifellos einen entscheidenden Schritt in die angestrebte Richtung dar. Literatur BDÜ (Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer) (2019). Zur Finanzierung und Qualitätssicherung von Dolmetschleistungen im Gesundheitswesen: Positionspapier. Berlin: BDÜ. Abrufbar unter: https: / / bdue.de/ fileadmin/ files/ PDF/ Positionspapiere/ B 217 Professionalisierung des Dolmetschens im öffentlichen Bereich am Beispiel der Schweiz DUe_PP_Dolmetschen_Gesundheitswesen_Finanzierung_Qualitaet_2019.pdf (Stand: 10 / 12 / 2020) Bundesärztekammer (2019). 122. Deutscher Ärztetag: Beschlussprotokoll, Münster, 28. bis 31. Mai 2019. Berlin: Bundesärztekammer. Abrufbar unter: https: / / www.bundesae rztekammer.de/ fileadmin/ user_upload/ downloads/ pdf-Ordner/ 120.DAET/ Beschluss protokoll_120_DAET.pdf (Stand: 10 / 12 / 2020) GDK (Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direk‐ toren) (2010). Interkulturelles Übersetzen im Gesundheitsbereich: Empfehlung vom 26. 5. 2010. Bern: GDK. Abrufbar unter: https: / / www.gdk-cds.ch/ fileadmin/ docs/ publi c/ gdk/ aktuelles/ empfehl/ rs_traduction_interculturelle_20100526_d.pdf (Stand: 10 / 12 / 2020) INTERPRET (2014). Kompetenzprofil der interkulturell Dolmetschenden mit Zertifikat INTERPRET. Bern: INTERPRET. Abrufbar unter: https: / / www.inter-pret.ch/ admin/ data/ files/ marginal_asset/ file/ 299/ zert_kompetenzprofil_d.pdf (Stand: 10 / 12 / 2020) INTERPRET (2015). Berufskodex für interkulturell Dolmetschende und Vermittelnde. Bern: INTERPRET. Abrufbar unter: https: / / www.inter-pret.ch/ admin/ data/ files/ mar ginal_asset/ file/ 300/ berufskodex_2015_d.pdf (Stand: 10 / 12 / 2020) INTERPRET (2018). Qualitätssicherung im interkulturellen Dolmetschen und Vermit‐ teln: Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Bern: INTERPRET. Abrufbar unter: https: / / www.inter-pret.ch/ admin/ data/ files/ editorial_asset/ file/ 363/ qualitaetssicherung_gr undlagenpapier_interpret_2018.pdf (Stand: 10 / 12 / 2020) INTERPRET (2019). Einsatzstatistiken zum interkulturellen Dolmetschen und Vermit‐ teln 2018. Bern: INTERPRET. Abrufbar unter https: / / www.inter-pret.ch/ admin/ data / files/ marginal_asset/ file/ 441/ 2018_einsatzstatistik_dt.pdf (Stand: 10 / 12 / 2020) INTERPRET (2020). Wegleitung zur Prüfungsordnung über die Berufsprüfung für Fach‐ mann/ Fachfrau für interkulturelles Dolmetschen und Vermitteln mit eidgenössischem Fachausweis. Bern: INTERPRET. Abrufbar unter: https: / / www.inter-pret.ch/ de/ ausb ildung-und-qualifizierung_0/ ausbildung-und-qualifizierung/ eidgenoessischer-facha usweis-161.html (Stand: 10 / 12 / 2020) ISO (International Organization for Standardization) (2014). ISO 13 611: Interpreting - Guidelines for community interpreting. Genf: ISO. Abrufbar unter: https: / / www.iso.o rg/ standard/ 54082.html (Stand: 10 / 12 / 2020) NEK (Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin) (2017). Migrants allo‐ phones et système de soins: Enjeux éthiques de l'interprétariat communautaire. Po‐ sitionspapier Nr. 27 / 2017. Bern: NEK. Abrufbar unter: https: / / www.inter-pret.ch/ adm in/ data/ files/ infolib_asset/ file/ 55/ def_nek_stellungnahme_migranten_a4_fr_web-(00 2).pdf (Stand: 10 / 12 / 2020) SODK (Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren) (2016). Empfehlungen der SODK zu unbegleiteten minderjährigen Kindern und Jugendlichen 218 Michael Müller aus dem Asylbereich. Abrufbar unter: https: / / ch-sodk.s3.amazonaws.com/ media/ files / 2016.05.20_MNA-Empfehlungen_farbig_d.pdf (Stand: 10 / 12 / 2020) 219 Professionalisierung des Dolmetschens im öffentlichen Bereich am Beispiel der Schweiz Entwicklungslinien der Berufspraxis 1 Vgl. Bahadır 2020a: 55 ff., 2010b: 140 f.; vor diesem Hintergrund ist das Forschungsprojekt ZwischenSprachen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf in Kooperation mit bikup und der Diakonie Hamburg entstanden (ZwischenSprachen o. J. a), bestätigt z. B. Dolmetschen im Gemeinwesen Rahmenbedingungen und Praxis in Deutschland Elvira Iannone Abstract: Im Vergleich zu anderen Sprachmittlungsberufen ist der status quo für das Dolmetschen im Gemeinwesen in Deutschland, über 65 Jahre nach den ersten Abkommen zur Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte der BRD bzw. über 50 Jahre für die ehemalige DDR , kein Ruhmesblatt. Die Problem‐ stellungen, die sich in der Triade aus Macht, Status und Rolle ergeben und mit denen sich alle Dolmetscher: innen, aber auch Klient: innen und Fachkräfte konfrontiert sehen, sind in der Literatur ausführlich beschrieben worden. Diese Komplexität wird aufgrund der kaum vorhandenen nationalen Regel‐ ungen erhöht. Dieser Beitrag fokussiert sich auf die je nach Setting teils sehr unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen, wirtschaftliche, insbe‐ sondere die Finanzierung betreffende Strukturen und organisatorische As‐ pekte. 1 Begriffsverwirrung Als Vorbemerkung zu diesem Beitrag muss zunächst auf die Bezeichnung für die Dolmetschsettings in Deutschland eingegangen werden, die in Österreich oft Kommunaldolmetschen, in der Schweiz meist interkulturelles Dolmetschen genannt werden, denn es gibt keine, die sich in der Praxis allgemein für das „community interpreting“ durchgesetzt hätte. Vielmehr ist die von Gentile et al. (1996: 110) für Australien festgestellte „situation of termonological confusion“ 25 Jahre später in Deutschland nach wie vor manifest 1 , und natürlich spiegeln auch durch die hitzigen Diskussionen während der Abschlusstagung am 18. 06. 2018 in Hamburg (ZwischenSprachen o. J. b). 2 Sofern in diesem Beitrag nicht eine spezifischere Bezeichnung angezeigt ist, wird der Begriff Dolmetschen verwendet, ausgehend von der Tätigkeit an sich in der Fiktion der Kontextlosigkeit, Pöchhacker (2007) folgend und Ozolins’ (2014: 14 f.) Postulat nach‐ kommend. 3 Realistischer - auch aufgrund der in der Schweiz gemachten Erfahrungen - scheinen Fortschritte in besonders exponierten Settings wie dem Gesundheitswesen erzielbar zu sein, auf die sich die Verbandsarbeit fokussiert (Eichner 2015a, 2015b, BDÜ 2019). Dies spiegelt sich auch in der pleonastischen Bezeichnung Dolmetschen im Gesundheits- und im Gemeinwesen als zwei vermeintlich getrennte Settings (BDÜ 2018). die unterschiedlichen Benennungen unterschiedliche wissenschaftliche Diszip‐ linen, inhaltliche, berufsständische oder ideologische Strömungen wider (Ian‐ none 2020: 31 ff.). Dieses ‚Begriffsbabel‘ ist ein Gradmesser für den Fortschritt nach Pöllabauers Professionalisierungsmodell - angezeigt für Phase I von ins‐ gesamt sechs Phasen (Pöllabauer 1998: 51 ff., Grbić 1998: 613 f.). 2 Ursache und Wirkung sind hierbei nicht klar voneinander abzugrenzen, die Lage ist unübersichtlich. Auch aufgrund der Fläche der Bundesrepublik und des Föderalismus kam es im Laufe der Zeit zu sehr unterschiedlichen regionalen Entwicklungen und Erfahrungen - noch dazu in einem Land, das lange geteilt war und so unterschiedliche gesamt- und gesellschaftspolitische Vorgänge er‐ fahren hat. Um die aktuelle komplexe Situation verstehen zu können, müssen deren Rahmenbedingungen penibel entflochten werden. 2 Rechtliche Rahmenbedingungen Der aktuellen Situation liegt die Tatsache zugrunde - oder daraus folgt, je nach Betrachtungs- und Herangehensweise -, dass es für die Ausübung der Dol‐ metschtätigkeit in Deutschland keine rechtlichen oder anderen formalen Zu‐ gangsbeschränkungen gibt. Denn weder die Bezeichnungen Dolmetscher: in (oder Übersetzer: in) noch eine der vielen anderen Bezeichnungen sind geschützt (mit Ausnahmen der Studientitel und der Bezeichnungen für Beeidigte bei Ge‐ richt). Auch wenn es beispielsweise seit den 1960er-Jahren viele Anstrengungen vonseiten des Bundesverbandes der Dolmetscher und Übersetzer e. V. ( BDÜ ) als mit Abstand größtem Branchenverband in Deutschland gab - durch Gespräche mit Abgeordneten und Ministerien auf Bundes- und Landesebene und sogar durch Erarbeitung eines Gesetzesentwurfs (Seubert 2011) -, so wird mittlerweile wegen auch in Zukunft nicht realisierbarer Umsetzung davon Abstand ge‐ nommen, das Ziel eines allgemeinen Schutzes der Berufsbezeichnung(en) 3 weiter zu verfolgen (Bauch & Cremerius 2017, Körber 2017). Auch der Versuch 224 Elvira Iannone 4 Als Pool ist hier nicht ein loser Zusammenschluss mehrerer Kolleg: innen zu verstehen, sondern von staatlichen oder nichtstaatlichen Organisationen geleitete Vermittlungs‐ stellen. Sie unterscheiden sich dahingehend von Agenturen, dass sie (meist) nicht ge‐ winnorientiert bzw. öffentlich und / oder durch Spendengelder finanziert sind. 5 Angaben zu weiteren Regelungen mit Verweis auf die entsprechenden Gesetze, insbe‐ sondere in den Sozialgesetzbüchern, finden sich im Positionspapier der BAGFW (2020). einer Berufsanerkennung für Absolvent: innen der Ausbildungsgänge zur/ zum Sprach- und Integrationsmittler: in (darunter SprInt und bikup, SprInt o. J. a) scheint keine Fortschritte zu machen, nachdem die Webseite der entsprech‐ enden Arbeitsgruppe zur Berufsbildentwicklung nicht mehr verfügbar ist. 2.1 Rechtsanspruch auf Dolmetschleistungen Wenig überraschend ist dementsprechend die Tatsache, dass es keinen allge‐ meinen Rechtsanspruch auf Verdolmetschung in diesem Bereich gibt ( BAGFW 2020). Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund zu betrachten, dass in Deutschland laut Grundgesetz ( GG , Art 3 Abs 3 GG 1949) „[niemand] wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen An‐ schauungen benachteiligt oder bevorzugt werden [darf]“ (Hervorhebung durch die Autorin). Diesen Anspruch gibt es selbst im medizinischen Bereich nicht pauschal, wo die Folgen einer mangelnden oder mangelhaften Verdolmetschung für die Gesundheit, die körperliche Unversehrtheit oder gar das Leben der Pa‐ tient: innen auf der Hand liegt (Borde 2017, Handicap International 2020). Aber weil der Staat eben keinen Anspruch auf Verdolmetschung verankert hat, fehlt es auch an Regelungen zur Finanzierung und zur Tarifstruktur, und weil der Staat wiederum nicht direkt finanziell involviert ist, gibt es im Allgemeinen auch keine Vorgaben zu Mindestanforderungen an Qualifikation bzw. an Qualitäts‐ sicherung. Wenn in Deutschland auf kommunaler Ebene oder bei Wohlfahrts‐ verbänden Dolmetschpools 4 angesiedelt sind - und hierüber werden die meisten Aufträge vermittelt werden, auch wenn es hierzu keine quantitative Erhebung gibt -, so erfolgt die Beauftragung von Dolmetscher: innen freiwillig, mit den entsprechenden Folgen für das Honorar, Qualifikationsanforderungen u. a. Aber es gibt Ausnahmen von dieser allgemein beschriebenen Situation: in und aus deutscher Gebärdensprache, im Strafverfahren (auf beides wird näher eingegangen werden), im und während des Asylverfahrens (Handicap Interna‐ tional 2020: 8 ff.) sowie bei den vorgeschriebenen Informations- und Beratungs‐ gesprächen nach dem Prostituiertenschutzgesetz (§ 7-8 ProstSchG 2016). 5 Über‐ spitzt zusammengefasst: Wenn man nicht gehörlos ist, muss in Deutschland erst etwas passiert sein, man also kriminell bzw. Opfer oder Zeug: in einer Straftat, 225 Dolmetschen im Gemeinwesen 6 Darin sind auch pauschaler Ersatz für Reisekosten und Diäten enthalten. Das Honorar lag bis Ende 2020 bei 70 €/ h für das Konsekutiv-, 75 €/ h für das Simultandolmetschen (§ 5-14 JVEG). Ab 2021 beträgt es 85,- €/ h, wobei dann nicht mehr nach Modus unter‐ schieden wird (BDÜ 2020b); die Änderungen liegen insgesamt unter dem ursprünglich vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegten Referen‐ tenentwurf (Eichner 2020b, 2020c). 7 Das GDolmG bezieht sich explizit nicht auf Übersetzer: innen, da sie eine andere recht‐ liche Funktion haben (MDÜ 2019a: 40 f.). 8 Es gibt weitere Versuche, diesen bestehenden Standard zu umgehen, wie ein Projekt im Bundesland Nordrhein-Westfalen zeigt (NRW 2020: 30, BDÜ 2020a). Sexarbeiter: in sein oder einen Asylantrag gestellt haben, um (in definierten Kommunikationssituationen) Dolmetschleistungen und deren Kostenüber‐ nahme vom Staat bzw. der Solidargemeinschaft der Steuerbürger: innen in An‐ spruch nehmen zu können. 2.1.1 Sonderstellung Justiz Auch wenn allgemein oft von ‚in der Justiz‘ oder ‚vor Gericht‘ als Gesamtheit gesprochen wird, so gilt der Rechtsanspruch auf Verdolmetschung - auf der Grundlage der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ( AEMR 1948) und der Europäischen Menschenrechtskonvention ( EMRK 1950) - lediglich für das Strafverfahren sowie die damit zusammenhängenden und von der Staatsan‐ waltschaft beauftragten Kommunikationssituationen, wie polizeiliche Ermitt‐ lungen oder psychiatrische Begutachtungen (Chapman 2019: 66 f., 74, 77 ff.) sowie eine besondere Form des Verwaltungsverfahrens, nämlich das Asylver‐ fahren (§ 17 Abs 1 AsylG 1992). Für das Gerichtsdolmetschen in Deutschland sind das Honorar im Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz ( JVEG 2004) 6 und die Zugangsvoraussetzungen durch die allgemeine Beeidigung (in jeweils einzelnen Gesetzen der 16 Bundesländer; BDÜ o. J. a) geregelt. Diese Vorausset‐ zungen sind in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich: Während im Bundesland Hamburg u. a. rechtsspezifische Dolmetschprüfungen abgelegt werden müssen (HmbDolmG 2005, Tollmien 2018), reicht in Baden-Württem‐ berg der Nachweis über eine langjährige Tätigkeit aus (Verwaltungsvorschrift 2010, BaWü o. J.). Um die Vorgaben der Bundesländer zur allgemeinen Beeidi‐ gung von Dolmetscher: innen 7 zu harmonisieren ( MDÜ 2019a), ist Ende 2019 das Gerichtsdolmetschergesetz ( GD olmG 2019) verabschiedet worden. Es sollte zum 01. 07. 2021 in Kraft treten, aufgrund weiteren Anpassungsbedarfs ist dieser Termin auf 2023 verschoben (Eichner 2020a, 2020c: 49). Nichtsdestotrotz sind und bleiben ad hoc-Beeidigungen ohne Prüfung von Qualifikationen möglich. 8 Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben zu Beeidigung und Honorar wird dieses Setting in Deutschland separat betrachtet und zählt nicht zum Gemeinwesen. 226 Elvira Iannone 9 Zur komplexen Thematik Amts-, Gerichts-, Verwaltungssprachen in Deutschland auf Bundes- und Länderebene s. den allgemein verständlichen Überblick über die Rechts‐ lage auf Wikipedia (2020). Grenzfälle sind hierbei Dolmetschaufträge von der Polizei für ihre eigenen Er‐ mittlungen und in der Justizvollzugsanstalt ( JVA ), auch Notar: innen und Be‐ hörden werden manchmal dazu gerechnet oder nicht, oder nur, wenn für die entsprechende Kommunikationssituation eine Beeidigung notwendig ist (z. B. standesamtliche Eheschließungen). Insofern findet das JVEG an diesen Stellen teilweise, und je nach Bundesland wieder unterschiedlich Anwendung (Chapman 2019: 77 f.). 2.1.2 Sonderstellung Gebärdensprachdolmetschen Die deutsche Gebärdensprache ist in Deutschland seit 2002 als eigenständige Sprache rechtlich anerkannt 9 (§ 6 BGG ). Dem Bundesgleichstellungsgesetz ( BGG 2002) und auch der UNO Behindertenrechtskonvention ( UN - BRK 2006) folgend besteht der Anspruch auf Teilhabe und daraus folgend Verdolmet‐ schung, die aber noch nicht vollständig gelebt wird (Riegert et al. 2019: 126 ff.). Man kann das Gebärdensprachdolmetschen ( GSD ) dennoch als professionali‐ sierter als Lautsprachendolmetschen im Gemeinwesen bezeichnen, da es durch eine Qualitätskommission des Bundesverbandes der Gebärdensprachdolmet‐ scherInnen Deutschlands e. V. (bgsd) eine Liste an Kriterien für die Anerken‐ nung von berufsqualifizierenden Ausbildungsgängen gibt, die wiederum Vo‐ raussetzung für Bestellung ist, wenn die Kosten von der öffentlichen Hand übernommen werden ( BGSD o. J., Riegert et al. 2019: 128 ff.). Dies ist u. a. bei Ärzt: innen, in der Schule, bei Behörden der Fall. Die Abrechnung erfolgt dann - also weit über Einsätze bei Gericht hinaus - nach JVEG ( KHV 2002), um keine parallele Kostenstruktur entwickeln zu müssen. 2019 ist mit dem sog. MDK -Re‐ formgesetz eine lange bestehende Regelungslücke, die für viel Unsicherheiten gesorgt hatte, geschlossen worden: die Kostenübernahme für GSD im Kran‐ kenhaus auch bei stationärem Aufenthalt durch die Krankenkasse ab 2020 ( BGSD 2020). Auch wenn einige der folgenden Problemstellungen auch auf das GSD zutreffen, so wird es aufgrund der besonderen Regelungen im Weiteren nicht näher betrachtet. 2.2 Weitere rechtliche Rahmenbedingungen Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl an rechtlichen Themen, die Dolmet‐ scher: innen in ihrer Berufsausübung betreffen. Sie sollen hier lediglich erwähnt, 227 Dolmetschen im Gemeinwesen 10 Einen Überblick bietet Cebulla (2012), teilweise aktualisiert bei Bauch (2019), Denzer (2019), Gec (2019). 11 Erläuterungen, Abgrenzungen und Folgen von Scheinselbständigkeit in Deutschland finden sich z. B. bei der Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main (IHK 2020). aber nicht - auch aufgrund ihrer Komplexität - näher behandelt werden 10 : Haf‐ tung, Geheimhaltung und Datenschutz, insbesondere mit Blick auf das Telefon-/ Videodolmetschen, Steuern, Sozialversicherung und hier insbesondere Schein‐ selbständigkeit. 11 Gerade bei Steuern, Haftung und Scheinselbständigkeit ist zu betonen, dass unter Dolmetscher: innen wie unter Auftraggeber: innen viele Halbwahrheiten kursieren oder gar Feststellungen, die in einer spezifischen Si‐ tuation richtig sein mögen, aber nicht (ohne Weiteres) auf die Mehrheit der Dolmetscher: innen übertragbar sind. Geradezu gefährlich wird es, wenn solche Aussagen aus dem Kontext gerissen und als auf alle Dolmetscher: innen zutref‐ fend von Pool-Mitarbeiter: innen kommuniziert und nicht hinterfragt werden. 3 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen Die fehlenden rechtlichen Regelungen sind direkt mit der wirtschaftlichen Si‐ tuation der Dolmetscher: innen verknüpft. Dies gilt nicht nur für die sofort wahrnehmbare Remuneration, sondern auch für die dahinterliegenden Struk‐ turen, die den Zugang zur Dolmetschtätigkeit und die Funktionsweise dieses Marktes bestimmen. 3.1 Zugang zum Markt Die Ausbildungssituation in Deutschland spiegelt sich in der Lebensrealität der Berufsausübung wider (bzw. umgekehrt, wenn man an die Heterogenität der Teilnehmer: innen solcher Aus-/ Weiterbildungsformate denkt). Wie bereits be‐ schrieben sind rechtlich keine formalen Qualifikationen notwendig, jedoch legen Pools unter Umständen welche fest, auch wenn sie sehr niedrig sein mögen. Diese Voraussetzungen unterscheiden sich von Ort zu Ort oder inner‐ halb von (größeren) Städten, in denen es oft mehrere Pools gibt, auch innerhalb eines Ortes. Oft hängt es vom beruflichen oder sozialen Hintergrund, also der jeweils individuellen Lebenswirklichkeit und -erfahrung der Dolmetscher: innen ab, in welchen Settings (und damit für welchen Pool bzw. für welche Einrich‐ tungen) sie tätig sind. 3.2 Zugang zum Markt? An dieser Stelle muss der Begriff des Marktes diskutiert werden, wie er übli‐ cherweise von universitär ausgebildeten Dolmetscher: innen verstanden wird, 228 Elvira Iannone 12 Serinkoz-Acar untersucht in ihrem Promotionsvorhaben zum Dolmetschen als (Lohn-)Arbeit das Verhältnis zwischen ökonomischen Bedingungen der Arbeit von Dolmetscher: innen und dem vorherrschenden Verständnis von Professionalität und beschäftigt sich in diesem Rahmen auch mit dem Thema Markt (Acar 2018). nämlich als Markt, auf dem Dolmetscher: innen ihr Honorar individuell und frei mit den Kund: innen aushandeln. Im Gemeinwesen sind die Auftraggeber: innen kleinere und größere Einrichtungen und Institutionen, die entweder als Teil der öffentlichen Verwaltung direkt steuerfinanziert sind oder als Wohlfahrtsver‐ band, gemeinnütziger Verein oder in einer ähnlichen Struktur indirekt (auch) steuerfinanziert sind, da sie sich zum (großen) Teil aus Förder- und Projektgel‐ dern speisen. Das hat zur Folge, dass das Honorar eben nicht zwischen Auf‐ traggeber: in und Auftragnehmer: in frei verhandelt wird, vielmehr geben die Auftraggeber: innen einen Preis vor, den die Auftragnehmer: innen akzeptieren (oder auch nicht, dann aber auch nicht beauftragt werden). 12 Mit Punkten wie Abrechnungsmodalitäten und Schweigepflicht wird das Honorar in Rahmen‐ verträgen festgehalten, die insbesondere mit der Asylbehörde (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF ), Wohlfahrtsverbänden, Vereinen und einigen Städten und Gemeinden geschlossen werden. Von letzteren sind gerade in den letzten Jahren Aufträge zur Vermittlung von Dolmetschleistungen für ein bestimmtes, meist sehr umfassendes Sprachreper‐ toire und einen definierten Zeitraum öffentlich ausgeschrieben worden. Dies lässt den Schluss zu, dass einzelne Dolmetscher: innen als Auftrag‐ nehmer: innen - wie dies in anderen Dolmetschbereichen durchaus üblich ist - von vornherein ausgeschlossen sind und für kommunale Ämter, Schulen, Kin‐ dergärten und soziale Einrichtungen ausschließlich als Sub-Auftragnehmer: in eines Pools tätig werden können. Nach den entsprechenden regionalen Schwer‐ punkten der Ausbildungs- und Vermittlungsstellen für Sprach- und Integrati‐ onsmittler: in (bikup bzw. SprInt) finden sich bei diesen Ausschreibungen auch entsprechende Formulierungen zur Mindestqualifikation, dass also die gene‐ rierten Aufträge nur an entsprechende Absolvent: innen vergeben werden dürfen (Loerzer 2018, Ausschreibungsplattform 2020). Oder es wird ausschließ‐ lich das Videodolmetschen ausgeschrieben, was zwar andere technische, orga‐ nisatorische usw. Rahmenbedingungen aufweist, aus der Perspektive einzelner Dolmetscher: innen jedoch auch nur ein (gewinnorientierter) Pool wie jeder an‐ dere ist. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang das „Landesprogramm Dol‐ metschen“ des Bundeslandes Thüringen, Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz, das im Mai 2019 als erstes die Verantwortung für alle öf‐ fentlich vergebenen Dolmetschaufträge von der kommunalen auf die Landes‐ 229 Dolmetschen im Gemeinwesen ebene gehoben hat, weniger wegen der Vergabe an eine Videodolmetschfirma, sondern wegen der Kostenübernahme des Bundeslandes für alle einschlägigen Einrichtungen und Bereiche (Thüringen 2019a, 2019b, 2020a). Das Programm wurde erfolgreich angenommen, sodass es verlängert wird (Thüringen 2020b). Solange es keinen gesetzlich verankerten Rechtsanspruch auf Verdolmetschung gibt, ist die Frage, die sich bei allen von öffentlicher Seite vergebenen Aufträgen stellt, unabhängig davon, ob sie mit oder ohne Ausschreibungen erfolgen, auf lokaler oder Landesebene, jedoch die nach dem politischen Wind. 3.3 Zugang zu Aufträgen Sowohl die oben skizzierten Ausschreibungen als auch die etablierteren Projekte in Deutschland (siehe dazu auch Iacono in diesem Band) bilden nach wie vor eine Ausnahme, wenn man die Situation in der Fläche - und damit insbesondere auch außerhalb der Metropolen - betrachtet, und erst recht über alle Settings hinweg. Die Vielzahl der Initiativen ist (auch aufgrund des Projektcharakters) unüberschaubar, eine vollständige Auflistung aller Dolmetschpools unmöglich. Um als Dolmetscher: in bei einem Pool gelistet zu werden, der nicht zu einem der bekannten mittelschwelligen Ausbildungsprojekte gehört, genügt meist ein Lebenslauf, evtl. der Nachweis der Sprachkenntnisse, meist nur des Deutschen (so auch für Asylanhörungen; BAMF o. J.) und ein Vorstellungsgespräch. Je nach Setting, z. B. in Kommunikationssituationen mit Minderjährigen, kann die Vor‐ lage eines polizeilichen Führungszeugnisses verlangt werden. Neben den einzelnen Pools gibt es - je nach Setting oder Stadt - weitere, private Unternehmen, die sich meist Dolmetschbüro nennen. Diese sind ent‐ weder auf eine große oder die großen ‚Asylsprachen‘ spezialisiert oder listen gleich alle seltenen Sprachen auf. Aus deren Internetauftritten geht zumeist nicht deren Größe hervor, also inwiefern die Inhaber: innen selbst für eine oder für mehrere Sprachen im Einsatz sind, ob und wie Aufträge für andere Sprachen weitervermittelt werden (mit Provision oder als gegenseitige Gefälligkeit unter Kolleg: innen), oder ob für größere Sprachen Dolmetscher: innen angestellt sind. Auch diese Dolmetschbüros sind so zahlreich, dass sie nicht einzeln genannt werden können. 3.4 Über Geld spricht man nicht Systematische bundesweite unabhängige Untersuchungen zum Honorar für das Dolmetschen im Gemeinwesen in Deutschland liegen nicht vor. Aufgrund der heterogenen Situation liegt jedoch auf der Hand, dass es je nach Ort / Pool bzw. Setting variiert, in den meisten Fällen ist es bekanntermaßen (weit) unterhalb 230 Elvira Iannone 13 Lebensunterhalt, Kranken- und andere Versicherungen, Altersvorsorge, Steuern, Wei‐ terbildung u. a. 14 Siehe Fußnote 6. 15 Vgl. etwa das Förderprogramm des Bundeslandes Hessen WIR (Hessen 2019). dessen, was Freiberufler: innen brutto verdienen müssten, um rentabel 13 arbeiten zu können. Dies ist auch bei Aufträgen von Behörden so: In den Verwaltungs‐ verfahrensgesetzen der Bundesländer und des Bundes ist zwar festgelegt, dass bei Beauftragung von Dolmetscher: innen das JVEG zur Anwendung kommt. Nach § 14 JVEG sind aber Rahmenverträge unterhalb der aufgeführten Sätze 14 möglich, und zwar ohne Untergrenze. Rahmenverträge enthalten oft Verschwie‐ genheitsklauseln zu den Vertragsinhalten wie eben dem Honorar, sodass ein Austausch der Dolmetscher: innen untereinander und damit mögliche Forde‐ rungen unterbunden werden. In sehr vielen Bereichen des Alltags ist das Ehrenamt stark verbreitet, so auch beim Dolmetschen im Gemeinwesen. Wenn von „ehrenamtlichen Dolmet‐ scher: innen“ die Rede ist, wird meist nicht (öffentlich) kommuniziert, ob da‐ runter keine, eine symbolische Bezahlung (in nicht definierter Höhe) oder die sog. Ehrenamtspauschale zu verstehen ist. Wenn von dieser Ehrenamtspau‐ schale die Rede ist, ist eigentlich kein Stundensatz gemeint, sondern ein Frei‐ betrag, für den weder Sozialversicherungsabgaben noch Einkommenssteuer zu entrichten sind („sozialversicherungsfreier Steuerfreibetrag“) zur Unterstüt‐ zung von ehrenamtlichem Engagement in kirchlichen oder öffentlichen Ein‐ richtungen und gemeinnützigen Vereinen ( BMF 2017). In der Praxis ist dieser Betrag das pauschale Maximalhonorar, das einer Dolmetscher: in in einem Jahr von einem Pool gezahlt wird. Spesen werden unterschiedlich gehandhabt: Manchmal werden Reisekosten gegen Beleg kompensiert, manchmal pauschal abgegolten, manchmal in Arbeitszeit umgerechnet, manchmal erfolgt keine Er‐ stattung. Pools der Wohlfahrtsverbände oder von Vereinen geben dabei meist ‚nur‘ den finanziellen Druck weiter, dem sie sich selbst ausgesetzt sehen 15 , denn sie sind meist projektfinanziert, also auf ein bis drei Jahre oder eine Legislaturperiode befristet und mit einer Gesamtsumme für die gesamte Projektlaufzeit ausge‐ stattet. Die Frage ist dabei, wie realistisch das Auftragsvolumen für den ge‐ samten Projektzeitraum vorhergesehen werden kann, und vor allem, welche Stundensätze der Berechnung zugrunde gelegt werden. Manchmal scheint es, als ob ein Gesamtbetrag ohne Berechnung und allein nach dem finanziellen Spielraum der Gemeinde oder eines anderen Sponsors eingeworben würde, von diesem Gesamtbetrag die Bruttogehälter (prekär) angestellter Projektma‐ 231 Dolmetschen im Gemeinwesen 16 Beispielhaft hierfür kann die Gründung eines gemeinsamen Pools von Diakonie, Caritas und der Stadt Weil am Rhein gelten (Ounas-Kräusel 2019). nager: innen abgezogen und dieser Restbetrag durch die Anzahl der Projektmo‐ nate und die hochgerechnete Anzahl der Einsätze dividiert würde. 16 In Bezug auf das Honorar bzw. die Aufwandspauschalen müssen einige un‐ bequeme Fragen gestellt werden, nicht nur die nach dem viel zitierten Aus‐ kommen mit dem Einkommen und wie dieses sich wiederum als (verpasste) Chance zur Integration von Migrant: innen auswirkt. Eine davon ist, inwiefern innerhalb bestimmter Strukturen die Pflicht zur (Angabe in der) Einkommens‐ steuererklärung überhaupt thematisiert wird bzw. Expertise dazu aufseiten der auftraggebenden Angestellten / Beamt: innen vorherrscht. Dies gilt umso mehr, da viele Dolmetscher: innen in diesem Bereich, insbesondere wenn sie noch nicht lange in Deutschland leben, durchaus mehrere unterschiedliche Einkommens‐ quellen haben. Insofern bleibt die Tätigkeit für lediglich einen Pool ohne weitere Einkommensquellen evtl. unterhalb der Einkommenssteuerpflicht, was aller‐ dings meist nicht mehr gilt, sobald jemand für mehrere Pools oft im Einsatz ist und / oder mehrere Einkommensquellen hat. Eine andere unbequeme Frage bezieht sich auf hauptberuflich tätige Dolmet‐ scher: innen, und davon wiederum eher auf diejenigen, die aus unterschiedlichen Gründen, darunter auch die Sprachkombination, relativ wenige Aufträge an‐ nehmen (können). Es ist die Frage nach der Langzeitrechnung, die der Staat als direkter oder indirekter Finanzier machen sollte: Wenn Selbständige aufgrund der zu niedrigen Honorare im Laufe des aktiven Arbeitslebens zwar über die Runden kommen mögen, aber nicht ausreichend für das Alter vorsorgen können und dann staatlich unterstützt werden müssen, was hat der Staat dann ge‐ wonnen? 4 Organisatorische Rahmenbedingungen Neben den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wird das Dol‐ metschen im Gemeinwesen durch weitere Faktoren charakterisiert, wie die Art der Einsätze, die Qualitätssicherung und die Vernetzung der Dolmetscher: innen untereinander. 4.1 Vor Ort vs. Ferndolmetschen Dolmetschgestützte Gespräche, bei denen sich nicht alle an der Triade Betei‐ ligten im gleichen Raum befinden, sind mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Festzustellen sind zwei unterschiedliche Lösungen: Zum einen Auftrag‐ 232 Elvira Iannone 17 Dies geht aus der Auflistung der Ausschreibungen und Kunden der Anbieter (z. B. SAVD 2020, Triaphon 2019, Videodolmetschen 2019) und aus der Presse (z. B. Gräber 2019) hervor. 18 Zum Ferndolmetschen siehe Havelka 2018, Kelly 2008, Korak 2010, Napier et al. 2018, VKD 2019. geber: innen und Pools, die vor allem Präsenzdolmetschen nutzen und im Laufe der Zeit zusätzlich Ferndolmetschen anbieten (SprInt o. J. b; Bikup 2019); auch Asylanhörungen finden mittlerweile zum Teil über einen Video-Hub statt ( BAMF 2019a: 16 ff.). Zum anderen sind es Dienstleister: innen, die sich als Videobzw. Telefondolmetschanbieter: innen gegründet haben, meist mit Sitz im Aus‐ land. Genutzt werden diese Dienstleistungen von Behörden, Krankenhäusern oder der Polizei. 17 Per Onlinevideo- oder Telefonverbindung zugeschaltet sind in der Regel nur die Dolmetscher: innen. Die für das Dolmetschen im Gemeinwesen bekannten und skizzierten Fragestellungen zu Qualifikation, Honorar, Nutzer: innenschulung usw. bleiben auch beim Ferndolmetschen bestehen, wei‐ tere Aspekte kommen hinzu 18 : in Bezug auf die Technik (Stabilität und Sicherheit der Verbindung), die Kommunikation in der Triade (turntaking und einge‐ schränkter / fehlender visueller Kanal) und nicht zuletzt auf die Dolmet‐ scher: innen selbst (Stressempfinden und Entfremdung). Inwiefern es sich ins‐ gesamt um ein Verdrängen oder Ergänzen des Vor-Ort-Dolmetschens handelt, kann (noch) nicht festgestellt werden. Ebenfalls (noch) nicht bestätigt werden kann die These, dass mit dem Verbreiten dieser Technik nun vermutlich auch in Situationen (öfter) gedolmetscht wird, in denen dies zuvor nicht der Fall war, z. B. in der Notaufnahme oder in der JVA (bei der Aufnahme oder mit Ärzt: innen). Dieser sich schon länger abzeichnende Trend zum Ferndolmetschen nahm in den vergangenen Jahren an Fahrt auf und erfuhr 2020 einen starken Schub be‐ dingt durch die sogenannte Coronakrise. Gerade Settings, in denen es um eine konstante Betreuung von Klient: innen geht, wie etwa der Sozialberatung oder Psychotherapie, bestand der dringende Handlungsbedarf, diese weiter anzu‐ bieten. Daher wurde von einigen Einrichtungen improvisiert und auf Telefon‐ dolmetschen umgeschwenkt (z. B. Bayzent 2020) oder (datenschutzrechtlich bedenkliche) Konferenzvideoanrufe über WhatsApp oder Zoom dolmetschge‐ stützt abgehalten. Über diese improvisierten Videokanäle kommt verschärfend ein weiterer Faktor hinzu, nämlich die Tatsache, dass Klient: in und Fachkraft sich nicht im gleichen Raum befinden. Zum einen erhöht das die Anfälligkeit der Onlineverbindungen und beeinträchtigt die Übertragungsqualität, was die Arbeit der Dolmetscher: innen weiter erschwert. Zum anderen wird die Kom‐ 233 Dolmetschen im Gemeinwesen 19 Auflistung über die Prüfungsämter der Bundesländer unter BDÜ o. J. b. Bei seltenen Sprachen, für die keine staatliche Prüfung angeboten wird, gibt es ein sog. Überprü‐ fungsverfahren (Hessische Lehrkräfteakademie o. J. a, o. J. b). 20 Die Anforderungen sind je nach Bundesland unterschiedlich und haben sich im Laufe der Zeit teils stark verändert / verbessert. Es ist also nicht ohne weiteres möglich bei einer vorliegenden Beeidigung festzustellen, welche die Voraussetzungen für diese konkrete Beeidigung waren. 21 Vgl. Initiative ZwischenSprachen (Breitsprecher et al. 2020), bei der Mindeststandards für die Qualifikation von Dolmetscher: innen im Gemeinwesen ermittelt wurden. munikationssituation, die sonst „auf neutralem Boden“ stattfindet, ins Private verschoben. Dies gilt teilweise für die Fachkräfte und Dolmetscher: innen im Homeoffice, dies gilt aber umso mehr für die Klient: innen, deren Privatsphäre (noch stärker) eingeschränkt ist - Asylbewerber: innen in Gemeinschaftsunter‐ künften oder Menschen, die zu Hause durch die Umstellung auf Telearbeit und -schule nun durchgehend von ihrer Familie oder anderen Mitbewohner: innen umgeben sind - und so nicht frei sprechen können (Dabić 2020). 4.2 Qualifikation Die Heterogenität der Ausbildungssituation spiegelt sich in der (formalen) Qua‐ lifikation derjenigen wider, die im Gemeinwesen dolmetschen. Hierzu liegen für Deutschland - wie für alle anderen folgenden Aspekte zur Qualifikation - keine belastbaren bundesweiten bzw. skalierbaren Studien vor. Im Feld anzutreffen sind Dolmetscher: innen mit sehr unterschiedlichem Qualifikationshintergrund: universitär ausgebildete Konferenzdolmetscher: innen mit und ohne theoreti‐ schen und / oder praktischen Studienschwerpunkt Dolmetschen im Gemein‐ wesen (in Germersheim nach Bahadır (2010a) Fachdolmetschen genannt; FTSK 2018), universitär ausgebildete Übersetzer: innen mit und ohne Dolmetschkurse, staatlich geprüfte Dolmetscher: innen 19 , staatlich geprüfte Übersetzer: innen (beide mit oder ohne (sprachenpaarspezifische oder sprachübergreifende) Vor‐ bereitungskurse), allgemein beeidigte Dolmetscher: innen 20 , allgemein beeidigte Übersetzer: innen, Absolvent: innen der Fachakademien im Bundesland Bayern, Absolvent: innen der Ausbildungsgänge der Industrie- und Handelskammern, Absolvent: innen einer mittel- oder niedrigschwelligen Qualifizierung (siehe auch Bahadır in diesem Band), Menschen ohne formale Ausbildung, sondern mit in Anzahl, Inhalt und Umfang stark variierenden anderen Fortbildungen, je mit oder ohne abschließende Dolmetsch- oder andere Prüfung, sowie von Men‐ schen, die noch nie irgendeine Form der Aus- oder Weiterbildung absolviert haben. 21 Außerdem wird das Dolmetschen von Menschen übernommen, die mit einem anderen Rollenprofil und in einer anderen Funktion vor Ort sind, z. B. als In‐ 234 Elvira Iannone tegrationshilfe (wie dies bei Integrationslots: innen (Gesemann 2015), Stadtteil‐ müttern/ -vätern (z. B. Diakoniewerk Simeon o. J.), MIMI s (Ethno-Medizinisches Zentrum e. V. o. J.) der Fall ist), je nach den lokalen Gegebenheiten teils ange‐ stellt, teils freiberuflich, teils ehrenamtlich. Ebenfalls als mit einem anderen Rollenprofil Anwesende anzusehen sind sprachkundige Vertrauenspersonen (Vertrauensanwält: innen o. ä.) sowie Bekannte, Freund: innen, Partner: innen oder Familienangehörige. Diese Personen sind im Gegenzug zu den Integrati‐ onshelfer: innen nicht nur nicht für die Aufgabe sensibilisiert, sondern stehen auch in einem besonderen Näheverhältnis, dessen problematische Folgen viel‐ fach in der Literatur beschrieben sind. In welchem Ausmaß immer noch Kinder als Dolmetscher: innen (wie von Pöchhacker 2000, Ahamer 2013 beschrieben und von Pohl 2006 zusammengetragen) eingesetzt werden, ist nicht bekannt. Es ist davon auszugehen, dass dies insbesondere in Settings ohne Kostenübernahme wie im Gesundheits- oder Bildungswesen nach wie vor Realität ist (Arens 2020: 113, Rebmann 2020). Auch aufseiten der anderen Gesprächspartei, den jeweiligen gesprächsführ‐ enden Fachkräften, kann sich die Rolle hin zum Dolmetschen entwickeln: Zwei‐ sprachige Fachkräfte, die für die Kolleg: innen dolmetschen oder das Gespräch übernehmen, um es selbst in der anderen Sprache zu führen. Oder andere sprachkundige Mitarbeiter: innen der gleichen Organisation, die einer anderen Tätigkeit nachgehen (wie die viel zitierte Reinigungskraft bei Pöchhacker 2007). Bei den Fachkräften wie bei allen anderen Formen von (ad hoc oder ge‐ planten) nicht ausgebildeten Dolmetschenden ist die Frage zu stellen, inwiefern nicht nur Dolmetschtechniken und -strategien (unreflektiert) beherrscht werden oder berufsethische Prinzipien und die aus deren Verletzung folgenden Komplikationen bekannt sind, sondern allein inwiefern die Sprachkenntnisse in beiden Sprachen ausreichen, um korrekt verstehen und genau formulieren zu können. Die verhältnismäßige Zusammensetzung dieser Gruppe an Dolmetschenden wird von unterschiedlichen Faktoren abhängen, wie der Nähe eines (universi‐ tären oder mittelschwelligen) Ausbildungsstandortes, der nachgefragten Ar‐ beitssprachen, dem Organisationsgrad der Poolstrukturen vor Ort, der Sensibi‐ lität der anfordernden Fachkräfte sowie der Prominenz, mit dem dieses Thema lokalpolitisch behandelt wird. Innerhalb der Gruppe der ‚bestellten‘ Dolmet‐ scher: innen wird auch der Anteil derjenigen variieren, die dieser Tätigkeit haupt-, nebenberuflich oder ehrenamtlich nachgehen, abhängig von Faktoren wie der individuellen Erwerbssituation, der Einstellung zum Dolmetschen (Ar‐ beit, Pflichtgefühl oder netter Zeitvertreib), aber auch von der Nachfrage der entsprechenden Arbeitssprache. 235 Dolmetschen im Gemeinwesen 4.3 Qualität(ssicherung) Vor diesem Hintergrund wird die Frage nach der Qualitätssicherung umso drängender. Auch hierzu liegen keine systematischen bundesweiten Studien vor. Große Organisationen übertragen die Verantwortung dafür auf die Vermitt‐ lungsstellen, inwiefern bei den nicht unternehmerischen Pools in der Fläche ein Bewusstsein dafür vorherrscht, ist nicht bekannt. Einige Pools haben zusätzlich zur Rahmenvereinbarung Ehrenkodizes oder eine ähnliche Aufstellung an Grundsätzen, auf die verwiesen wird, wenn es um Qualitätssicherung geht. Manchmal sind darin nicht nur berufsethische Prinzipien, sondern weitere or‐ ganisatorische Aspekte enthalten (Pünktlichkeit u. ä.), die eher Teil einer Rah‐ menvereinbarung sind. Eine Form von ‚Neutralität‘ ist meistens aufgeführt, aber wenn Begriffe wie dieser nicht definiert und mit den Dolmetscher: innen disku‐ tiert und reflektiert werden, besteht die Gefahr, dass alle etwas anderes darunter verstehen, insbesondere wenn die Dolmetscher: innen keine einschlägige Aus‐ bildung haben. Dies gilt umso mehr bei der konkreten Umsetzung in Handlung in einer spezifischen Situation in der Triade. Ein Grund dafür mag sein, dass ein solcher Ehrenkodex oft von den Poolverantwortlichen erstellt wird, und damit Expertise und Erwartungshaltungen zu hinterfragen sind. Eine Weiterbildungspflicht besteht meist nicht. Je nach Art des Pools werden einzelne Veranstaltungen angeboten, von inhaltlicher Systematik kann jedoch meist nicht gesprochen werden. Dies spiegelt die Ausbildungssituation wider, für einige Dolmetscher: innen ist die Weiterbildung eigentlich die Ausbildung. Es ist nicht zu erkennen, dass Supervision systematisch angeboten oder gar thematisiert würde. Am ehesten ist dies noch bei psychosozialen Beratungs‐ stellen, die gedolmetschte Beratung und / oder Psychotherapie anbieten, auf‐ grund der eigenen beruflichen Sensibilisierung für dieses Thema der Fall. Kos‐ tenlose Angebote der Weiterbildung und Supervision könnten - je nach Art des Rahmenvertrags und der Honorarstruktur - bereits die Gefahr der Scheinselb‐ ständigkeit in sich bergen. Einen ersten Schritt in die richtige Richtung hat diesbezüglich das BAMF in den letzten Jahren gemacht, das unbestätigten Gerüchten zufolge der größte Auftraggeber für Dolmetscher: innen in Deutschland ist. Insbesondere mit dem starken Anstieg der Asylantragszahlen ab 2015 sind einige strukturelle Mängel öffentlich geworden, die, wenn nicht quantitativ, so qualitativ doch länger be‐ standen haben müssen (z. B. Pro Asyl 2016, pamu 2016, Klovert 2017). Auch wenn die ersten Weichen vorher gestellt worden sind, so sind ab 2017 immer mehr Qualitätssicherungsmaßnahmen umgesetzt worden, beginnend mit einer On‐ line-Schulung, die in mehreren Videos einen Überblick über die für Dolmet‐ scher: innen im Asylverfahren relevanten Themen bietet und in Kooperation mit 236 Elvira Iannone 22 ADÜ Nord, AIIC, ATICOM, BDÜ, DVÜD, TDÜ, VbDÜ, VVDÜ, VVU. Der BDÜ ist der einzige Verband, der sich erkennbar systematisch mit dem Dolmetschen im Gemein‐ wesen beschäftigt (eigene Referate, Sensibilisierungsmaßnahmen, politische Positions‐ papiere). Die Verbände QSD und VdÜ wurden aufgrund der Zielgruppe nicht berück‐ sichtigt. dem BDÜ entwickelt wurde ( BAMF 2017). Darauf aufbauend wurden 2017-19 bundesweit Präsenzschulungen des BDÜ zum Thema Berufsethik angeboten, ebenso wie Kurzseminare zu weiteren Themen ( MDÜ 2019b). In Nordost‐ deutschland fand 2017 / 18 zudem ein Evaluations- und Mentoringprogramm für Dolmetscher: innen in Asylanhörungen statt ( BI 2020). Seit 2017 ist außerdem ein Nachweis für die Beherrschung der deutschen Sprache auf Niveau C1 nach GERS zu erbringen (o. A. 2018, BAMF 2019b). Die Einführung eines Qualitäts‐ sicherungssystems umfasst eine standortübergreifende Projektmanagement‐ software, ein Feedbacksystem und weitere Maßnahmen, auch zur Korruptions‐ prävention (Greulich 2018, BAMF 2019a). Als nächster Schritt wäre ein Kompetenznachweis auch über die andere(n) Arbeitssprache(n) sowie eine Ver‐ gütung, die dem besonderen Setting gerecht wird, wünschenswert. 4.4 Berufsständische Organisation In Deutschland gibt es keinen Verband, in dem sich ausschließlich oder schwer‐ punktmäßig Dolmetscher: innen im Gemeinwesen organisieren. Von den Bran‐ chenverbänden 22 wäre von außen betrachtet eine Aufnahme von Laiendolmet‐ scher: innen in den DVÜD möglich, da für eine Mitgliedschaft keine formale Voraussetzung außer der Berufsausübung erfüllt werden muss; eingeführt wurde ein abgestuftes System an Qualitätssiegeln als Nachweis für Weiterbil‐ dung ( DVÜD 2019, o. J.). Alle anderen Berufsverbände fordern eine erfolgreich abgelegte Prüfung (einschlägiger Studienabschluss oder Staatliche Prüfung) und haben damit hohe Zugangsvoraussetzungen, für die eine mittelschwellige Aus‐ bildung allein nicht ausreicht. Bei den Spartenverbänden Vb DÜ , VVDÜ und VVU ist u. a. eine allgemeine Beeidigung Voraussetzung. Neben Berufsverbänden gibt es informelle Möglichkeiten zu Vernetzung und Austausch. Eine Recherche auf Facebook am 21. 05. 2020 hat keine größere ein‐ schlägige Gruppe ergeben. Jedoch sind bei anderen privaten Gruppen, die offen für alle Dolmetscher: innen sind, auch solche Mitglied, die ausschließlich oder überwiegend im Gemeinwesen dolmetschen, wie sich aus der Beschreibung und Posts schließen lässt. Es ist davon auszugehen, dass, wie dies in anderen Berei‐ chen auch üblich ist, Dolmetscher: innen, die sich bei einer Aus-/ Fortbildung kennengelernt haben oder für den gleichen Pool im Einsatz sind, ihre Telefon‐ 237 Dolmetschen im Gemeinwesen nummern austauschen und so in mehr oder weniger losem Kontakt zueinan‐ derstehen, z. B. über Messengerdienste wie WhatsApp. 5 Conclusio Auch wenn das Dolmetschen im Gemeinwesen mittlerweile mehr Beachtung bei Städten und Gemeinden, NGO und Branchenverbänden findet und an ei‐ nigen Stellen Verbesserungen erzielt wurden, so liegt neben den systemischen Problemstellungen, die sich durch die Kommunikation in der Triade, insbeson‐ dere bei fehlender bzw. nicht ausreichender Ausbildung, ergeben, vieles im Argen. Wie anhand der vielen Aspekte und unterschiedlichen Perspektiven aufgezeigt wurde, ist für das Dolmetschen im Gemeinwesen in Deutschland festzustellen, dass die aktuelle Situation diffus ist, und zwar für alle Ak‐ teur: innen. Dies betrifft die Dolmetscher: innen in Hinblick auf Qualifikation, Arbeitsbedingungen mit allen Rechtsfolgen sowie Honorare. Wenn auch in einem anderen Grad der persönlichen Involviertheit, so berührt dies auch die Leiter: innen und Projektmanager: innen der auftraggebenden Pools hinsichtlich Finanzierung, Verwaltungsaufwand und Qualitätssicherung. Kaum thematisiert wird zudem die fehlende einschlägige Qualifikation von Leitungs- und Assis‐ tenzfunktionen der Pools, was insbesondere im Vergleich zu anderen Branchen auffällt. Die gesprächsführenden Fachkräfte und Klient: innen sind von dieser Unübersichtlichkeit natürlich auch betroffen, denn sie können vor dem Ge‐ spräch selbst oder bei der Terminvereinbarung dafür nicht sicher sein, dass die Kommunikation funktionieren wird. Mitzudenken - und als Desiderat: zu belegen - ist auch die Anzahl der Ge‐ spräche, die aufgrund fehlender qualitativ zuverlässiger Strukturen zu Miss‐ verständnissen führen oder abgebrochen werden und somit, abgesehen von persönlichen Reaktionen wie Enttäuschung, Verzweiflung, Frustration und Res‐ sentiments, zu einem höheren Verwaltungs-, Beratungs- und Versorgungsauf‐ wand führen. Bahadırs zwanzig Jahre alte Feststellung zum Rückgriff auf Kom‐ munikationskrücken für die Funktion echter Kommunikationsbrücken hat immer noch Gültigkeit (Bahadır 2010a: 51 f.). Erforderlich ist eine Vernetzung der Akteur: innen und ständige Kommunikation untereinander sowie das Definieren von Standards. Wie die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, ist neben der Arbeit an vielen Stellenschrauben insbesondere die Schaffung von rechtlich verbindlichen Vorgaben zur einheitlichen Regelung von Kostenübernahme und Zertifizierungssystem notwendig. 238 Elvira Iannone Literatur Acar, Birsen (2018). 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Trotz rezenter Bemühungen um die Verbesserung von einschlägigen Qualitätsstandards sieht sich diese Subdisziplin des Dolmetschens in Österreich weiterhin mit einiger Kritik konfrontiert. Der vorliegende Aufsatz stellt den Versuch dar, die aktuelle ös‐ terreichische Marktlage im Bereich des Kommunaldolmetschens (unter Be‐ rücksichtigung des Gerichts- und Behördendolmetschens) in groben Zügen zu erfassen. Um den Ausreifungsgrad des entsprechenden Handlungsfeldes nachzeichnen zu können, wird auf das Konzept der Translationspolitik von Erich Prunč (2008, 2017) zurückgegriffen. Im Vordergrund steht dabei die Frage, inwiefern positive Entwicklungen der Rahmenbedingungen in diesem (erweiterten) Dolmetschbereich stattgefunden haben, vor allem im Hinblick auf gesetzliche Regelungen, institutionseigene Qualitätsstandards, Fortbil‐ dungsangebote und somit einen höheren Professionalisierungsgrad der Ak‐ teur: innen. 1 Einleitung Das Kommunaldolmetschen, von Bancroft als „one of the most exciting and dynamic professions in the world“ (2015: 231) beschrieben, stellt eine häufig verkannte, dennoch äußerst wichtige Subdisziplin des Dolmetschens dar. Täg‐ lich werden in diesem Bereich weltweit tausende Dolmetschaufträge ausge‐ führt, dies in Ämtern und Behörden, Gerichten, Krankenhäusern, Polizeistellen etc. Die Komplexität des Kommunaldolmetschens zeigt sich vor allem im Ver‐ gleich seiner Rahmenbedingungen mit jenen des Konferenzdolmetschens. Letzt‐ eres wird nicht zuletzt wegen seiner starken Repräsentation durch internatio‐ nale und nationale Berufsorganisationen mit ihren strengen Qualitätsstandards und der mächtigen Klientel als die prestigeträchtigste Disziplin des Dolmet‐ schens wahrgenommen. Hierbei ist der kognitive und soziale Hintergrund der Kommunikationspartner: innen relativ homogen; Asymmetrien sind lediglich im Bereich der Sprachen und Kulturen vorhanden (vgl. Prunč 2017: 25 ff.). Das Kommunaldolmetschen unterliegt jedoch anderen Prämissen. Die Klientel be‐ steht vor allem aus gesellschaftlichen Randgruppen, wie z. B. Migrant: innen und Flüchtlingen (vgl. Prunč 2010: 266). Kommunaldolmetscher: innen sind bei ihren Einsätzen häufig mit einem asymmetrischen Beziehungs- und Machtgeflecht konfrontiert. Staatliche bzw. kommunale Vertreter: innen verfügen über insti‐ tutionelle Macht, elaborierte Sprachcodes und umfassende Expertise. Die Klient: innen sprechen hingegen vorwiegend Sprachen mit einem in unserer Gesellschaft oft als niedrig eingestuften Status und besitzen ein analog als be‐ schränkt empfundenes Welt- und Allgemeinwissen (siehe auch Prunč 2017: 27). Ein weiteres Merkmal ist die Überfrachtung der Rolle von Kommunaldol‐ metscher: innen, denn einerseits wird von ihnen v. a. im behördlichen Bereich verlangt, ihre Aktivitäten strikt auf das Dolmetschen zu begrenzen; andererseits sollen sie bisweilen die Rolle von Mediator: innen einnehmen, indem sie Klient: innen während oder außerhalb des Dolmetscheinsatzes helfen (s. a. Bancroft 2015: 225). Globalisierung und Zuwanderung haben auch in Österreich zu einem Anstieg der Nachfrage nach Kommunaldolmetscher: innen geführt. Seit Ende der 1990er Jahre wird ihr Tätigkeitsbereich zunehmend erforscht. Den ersten österreichischen Studien zum Dolmetschen in Gesundheits-, Sozial- und Rechtssettings (Pöchhacker 1997a, 1997b) folgten weitere Ausdifferenzierungen, wie länder‐ übergreifende Marktstudien (z. B. Tine 2014, Petrova 2015) oder auf Einsatzbe‐ reiche bezogene Analysen, wie z. B. Asylwesen (Pöllabauer 2005, Kadrić 2014), Videodolmetschen im Gesundheitsbereich (Havelka 2018) etc. (siehe dazu auch den Beitrag von Pöchhacker in diesem Band). Trotz des wachsenden Interesses an der Erforschung des österreichischen Kommunaldolmetschmarktes und der damit einhergehenden Bemühungen um die Professionalisierung desselben kommt Pöllabauer Ende der ersten Dekade der 2000er Jahre nicht umhin, diesen Bereich noch als „Wilden Westen des Dolmetschens“ (2009) zu bezeichnen. Das Heranziehen von Laiendolmetscher: innen, das mangelnde Bewusstsein bzgl. Dolmetschqualität und eine unklare Rollenbzw. Aufgabenzuweisung werden als Gründe für diese Beschreibung genannt. Auch bemängelt Pöllabauer 2009 das Ausbleiben einschlägiger berufsorganisatorischer Maßnahmen und die feh‐ lende Qualitätskontrolle. 250 Alexandra Marics & Aleksandra Nuč Die hier skizzierten Grundlagen deuten darauf hin, dass das Handlungsfeld Kommunaldolmetschen vor zahlreichen Herausforderungen steht. Um im Fol‐ genden die aktuelle österreichische Marktlage erfassen zu können, wird auf das Konzept der Translationskultur von Prunč zurückgegriffen. Das Vorliegen eines soziohistorischen Konstrukts der Translationskultur als „der Niederschlag des machtgeleiteten Kräfteausgleiches aller an Translation interessierten Indivi‐ duen und Institutionen“ (Prunč 2017: 33) kann als Ausreifungsmerkmal eines bestimmten translatorischen Handlungsfeldes betrachtet werden. Nach Prunč ist das Hauptdesiderat bei der Ausformung eines translatorischen Handlungs‐ feldes die Schaffung einer demokratischen Translationskultur, für die alle Hand‐ lungspartner: innen im gleichen Ausmaß sowohl die Verantwortung als auch ihre diesbezüglichen Pflichten wahrnehmen. Die Handlungspartner: innen legen in diesem Sinne entsprechende Normen, Konventionen und Rahmenbe‐ dingungen fest und gewährleisten eine reibungslos ablaufende Translationstä‐ tigkeit. Sie stehen für nachhaltige gesellschaftliche Konsequenzen auf der Grundlage der konsensual festgelegten Formen der transkulturellen Kommu‐ nikation ein (vgl. ibid.). Das Konzept der Translationskultur ermöglicht es somit, „das gesamte Beziehungsgeflecht des translatorischen Handelns“ (Prunč 2008: 28) zu betrachten. Die einleitend dargestellten Rahmenbedingungen des Kommunaldolmet‐ schens sowie das Konzept der Translationskultur bilden den Ausgangspunkt für die vorliegende Untersuchung des österreichischen Marktes. Hierbei sollen konkrete Wirkungsbereiche von Kommunaldolmetscher: innen im Rahmen von staatlichen und nicht-staatlichen Institutionen untersucht werden. 2 Untersuchungsgrundlagen Zunächst wurden im Rahmen einer umfassenden Internetrecherche zwischen Dezember 2019 und März 2020 lokal und / oder bundesweit im kommunalen Be‐ reich tätige Institutionen eruiert, die Dolmetscher: innen einsetzen oder vermit‐ teln. Hierbei diente Stofners (2006: 11-21) Auflistung gesundheitsbezogener In‐ stitutionen als Grundlage. Diese wurde aktualisiert und um weitere dolmetschrelevante Bereiche wie etwa Asyl, Migration und Soziales erweitert. Es wurden neben Einrichtungen österreichweit vertretener Organe (Gerichte, diverse Behörden des Innen- und Arbeitsministeriums, Österreichischer Integ‐ rationsfonds - ÖIF ), Organisationen (Caritas, Diakonie, Volkshilfe) und Dach‐ verbänden (Netzwerk für Interkulturelle Psychotherapie nach Extremtrauma‐ tisierung - NIPE ) zusätzlich ca. 144 auf regionaler Ebene agierende Institutionen erfasst, großteils NGO s, auf deren Webseiten es Hinweise gibt, dass sie Trans‐ 251 Der österreichische Kommunaldolmetschmarkt lator: innen, vor allem Dolmetscher: innen, einsetzen. Nicht nur aufgrund der Vielfalt und der 2019 / 20 im Umbruch befindlichen Migant: innenbetreuungsre‐ gelungen gestaltete sich die so begonnene Marktanalyse relativ schwierig. Über‐ dies veröffentlichen viele Stellen oft nur wenig Informationen über Einsatz, Qualifikation von und Qualifizierungsmaßnahmen für Kommunaldolmet‐ scher: innen auf ihren Webseiten. Zwecks Befüllung dieser „Lücken“ wurden im Zeitraum von Anfang Februar bis Anfang März 2020 elf Fragen per E-Mail an österreichweit vertretene Institutionen wie NIPE , ÖIF , Caritas (Steiermark und Kärnten), AMS und Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleis‐ tungen ( BBU ) gerichtet, worauf lediglich drei Institutionen antworteten; nur zwei Antwortschreiben boten ausreichend Informationen, um in die Analyse miteinbezogen werden zu können. Allen drei Institutionen wurden weitere Klarstellungsfragen geschickt, die jedoch nicht beantwortet wurden. Zeitgleich wurden Informationen über in Frage kommende rechtliche Bestimmungen des Kommunaldolmetschmarktes eingeholt, um als dritte Untersuchungsgrundlage einen Ausgleich zu den schwer fassbaren Informationen beider erstgenannten Parameter zu bieten. Für die Bewertung der aus diesen drei Grundlagen möglichen Schlussfolge‐ rungen wurde auf das translationskulturelle Instrumentarium von Prunč (2008, 2009a, 2009b, 2017) zurückgegriffen. Dabei kann nur stichprobenartig auf ein‐ zelne Handlungspartner: innen am österreichischen Markt des Kommunaldol‐ metschens eingegangen werden, denn für eine aussagekräftigere Studie wäre eine eingehendere Befragung in Bezug auf verfügbare Ressourcen und deren Wirkungsmodi vonnöten. Im folgenden Kapitel soll lediglich auf den möglichen Einfluss der beschriebenen Institutionen auf die Gestaltung der Translations‐ kultur eingegangen werden. Dabei werden insbesondere folgende Fragen erör‐ tert: Besteht im Bereich des Kommunaldolmetschens ein gesetzlich vorgege‐ bener Handlungsrahmen für den Einsatz von Dolmetscher: innen? Der Staat kann nämlich durch gesetzliche Vorgaben sowohl das Erbringen von Dolmet‐ schleistungen ermöglichen bzw. Bedarfsträger: innen hierzu verpflichten als auch die entsprechenden Rahmenbedingungen hierfür festlegen. Auch institu‐ tionseigene Qualitätsstandards oder Fortbildungsangebote sind dabei von Inte‐ resse, denn diese können Regel- und Kompetenzsysteme definieren und maß‐ geblich beeinflussen. Des Weiteren wird der Frage nachgegangen, ob einzelne Institutionen die Rahmenbedingungen für den konkreten Dolmetscheinsatz so gestalten, dass eine Erbringung hochwertiger Dolmetschleistungen gewähr‐ leistet wird. Ist die Rolle der Dolmetscher: innen klar definiert? Werden institu‐ tionsintern ausgebildete, externe professionelle Dolmetscher: innen oder Laien‐ dolmetscher: innen rekrutiert? Werden sie alle gleichermaßen bezahlt? Wird bei 252 Alexandra Marics & Aleksandra Nuč 1 Hier ist vor allem das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu erwähnen, an dem Be‐ schwerden über Bescheide der unter Kap. 3.2.2 beschriebenen Asylbehörde behandelt werden. Zum BVwG siehe Kadrić 2019: 42. belastenden Themen eine spezielle Betreuung angeboten? Überprüft wird auch, ob Institutionen auf ihren Webseiten Dolmetscher: innen namentlich oder in ihrer Funktion erwähnen, ob es Dolmetschpools oder -listen gibt (siehe dazu auch den Beitrag von Iacono in diesem Band), die gegebenenfalls auch anderen Institutionen zur Verfügung gestellt werden und dadurch die Sichtbarkeit der Dolmetscher: innen gesteigert wird. Und schließlich, ob ein Austausch zwischen Dolmetscher: innen ermöglicht wird. 3 Wirkungsbereiche von Kommunaldolmetscher: innen in Österreich Folgende Wirkungsbereiche von Kommunaldolmetscher: innen werden skiz‐ ziert: Gerichte, Ämter und Behörden, Betreuung von Asylwerber: innen / Migrant: innen, Gesundheitsbereich, Psychotherapie, Gewaltschutz und geschlech‐ terspezifische Beratung, Schulwesen und Jugendwohlfahrt. Dabei wird vor allem dem gesetzlichen Handlungsrahmen einzelner Bereiche Rechnung ge‐ tragen; weitere Themen werden je nach Verfügbarkeit der entsprechenden In‐ formationen miteinbezogen. 3.1 Straf-, Zivil- und Verwaltungsgerichte Zu den wesentlichen Bestimmungen, die den Einsatz von Dolmetscher: innen an österreichischen Straf- und Zivilgerichten, aber auch an Verwaltungsgerichten 1 regeln, zählen § 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschen‐ rechte und Grundfreiheiten ( EMRK ), die Geschäftsordnung für Gerichte (Geo) (konkret § 82 Abs 1) und das Bundesgesetz über die allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen und Dolmetscher ( SDG ). Demnach sollten bei Gericht vor allem beeidete Dolmetscher: innen zum Einsatz kommen, dies auch für andere Sprachdienstleistungen (s. a. Kadrić 2019: 35 f.). Nach er‐ folgter Prüfung und Beeidigung werden Gerichtsdolmetscher: innen in die Ge‐ richtssachverständigen- und Gerichtsdolmetscherliste ( SDGL iste) eingetragen, die im April 2020 ca. 730 Eintragungen aufweist (s. a. §§ 3 ff SDG , SDGL iste). Sie werden durch den seit 1920 existierenden Österreichischen Verband der Allge‐ mein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher ( ÖVGD ) beruflich vertreten (vgl. ÖVGD 2019). Die Vergütung der Sprachdienstleistungen bei Ge‐ richt, auch bei Polizei und Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ( BFA ) erfolgt nach dem Gebührenanspruchsgesetz (Geb AG ) (s. a. Geb AG 1975). 253 Der österreichische Kommunaldolmetschmarkt 2 Die Gebühren aus dem GebAG, das aus den 1970er Jahren stammt, haben seit mindes‐ tens 12 Jahren keine Anpassung, sondern vor allem durch eine Gesetzesnovelle im Juli 2014 vielmehr eine Reduktion erfahren (vgl. Scheidl 2019: 2, s. a. Wammerl 2017: o. S.). Derart muss selbst einE gerichtlich beeideteR DolmetscherIn im schlimmsten Fall mit einem Netto-Stundenlohn von € 15,rechnen (s. a. ibid: 3). Trotz dieser Dispositionen war und ist das Gerichtsdolmetschen in letzter Zeit häufig Gegenstand von Diskussionen. Hierbei ist zunächst der Mangel an Nachwuchs zu erwähnen: In den letzten 13 Jahren ist die Zahl der beeideten Gerichtsdolmetscher: innen um die Hälfte zurückgegangen; deren Durch‐ schnittsalter liegt derzeit bei ca. 60 Jahren (vgl. Kroisleitner 2019: o. S.). Die Gründe hierfür dürften u. a. in der mit einer Durchfallrate von 65 % weithin als schwierig eingestuften (bzw. als kostspielig geltenden) Beeidigungsprüfung liegen (einhergehend mit einer Rezertifizierung alle fünf Jahre) und wohl auch in den verhältnismäßig niedrigen Gebührenansprüchen 2 (vgl. Béal 2020). Hoch‐ qualifizierte Dolmetscher: innen können lt. Berufsverband Universitas weitaus mehr auf dem freien Markt verdienen, dies - im Gegensatz zu vielen bei Gericht Tätigen - zeitgerecht bezahlt (vgl. Scheidl 2019: 3). Auch folgender Umstand mag zum Schwund von qualifizierten Nachwuchskräften beitragen: Die Beeidigung von Laiendolmetschern mit fraglicher Qualifikation, jeweils für eine Verhandlung, ist bei den Gerichten […] gängige Praxis. ‚Wenn ich sag, die kann das, dann kann die das‘, sprach ein mir bekannter Richter […] und beeidete ad hoc eine Laiendolmetscherin, die er […] schon für vier verschiedene Sprachen eingesetzt hat. ( Jäger 2018: 25) Der Trend, dass Richter: innen vermehrt Ad-hoc-Vereidigungen vornehmen, sei es aufgrund der Nicht-Verfügbarkeit von beeidigten Dolmetscher: innen oder aus anderen Gründen, trägt wenig zur Schaffung von Anreizen bei, sich einer Be‐ eidigungsprozedur zu unterziehen. Auch der Genuss verschiedener Vorzüge, wie etwa die Ausweitung der eigenen Erreichbarkeit, scheinen (noch) nicht zu überzeugen (s. a. Scheidl / Eisenprobst 2019: o. S.). Im Moment laufen die Bemü‐ hungen des ÖVGD auf Hochtouren, diesem Phänomen beizukommen und be‐ reits tätige Dolmetscher: innen oder Absolvent: innen zur Ablegung der Beeidi‐ gungsprüfung zu animieren, etwa durch Lockerung der Prüfungsmodi, Vorsprache beim Justizministerium und Abhaltung von Diskussionrunden etc. (s. a. Aufner 2020). 3.2 Ämter und Behörden Generell obliegt es den Behörden laut Allgemeinem Verwaltungsverfahrensge‐ setz 1991 ( AVG ) nur im Ermittlungsverfahren, bei Bedarf einen Dolmetsch 254 Alexandra Marics & Aleksandra Nuč 3 „AmtsdolmetscherInnen sind sprachkundige, aber nicht notwendigerweise als Dolmet‐ scherInnen bestellte OrganwalterInnen. Sie sind der Behörde beigegeben, wenn sie or‐ ganisatorisch in sie eingegliedert sind, bzw. stehen zur Verfügung, wenn die Behörde sich der AmtsdolmetscherInnen bedienen kann, obwohl sie in einer anderen Behörde eingegliedert sind“ (Maurer-Kober 2006: 19). 4 Je nach Handlungsfeld kommen Bestimmungen des AVG, der Geo oder der StPO, aber auch Art 6 EMRK zum Tragen (s. a. Bickel 2012: 17 ff., Kadrić 2019: 43, Maurer-Kober 2006: 18 f.). 5 Dies wird auch für die Vorjahre in den Medien bestätigt (s. a. Wammerl 2017: o. S.). („Amtsdolmetscher“ 3 ) zur Verfügung zu stellen (vgl. §§ 39 und § 39 a AVG ). Ein Bedarf ist gegeben, wenn Parteien „der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig, stumm, gehörlos oder hochgradig hörbehindert“ sind (§ 39 a AVG ). Es ist hier zwar vorgesehen, bevorzugt gerichtlich beeidete Dolmetscher: innen he‐ ranzuziehen (vgl. Kadrić 2019: 41); de facto kann man aber aus anderen Para‐ graphen des AVG schlussfolgern, dass auch der Einsatz nichtamtlicher, jedoch hinlänglich qualifizierter Dolmetscher: innen möglich ist, wovon im Regelfall Gebrauch gemacht wird (vgl. § 52 Abs 2 ff, § 53 iVm § 7 Abs 1 ff AVG , s. a. Maurer-Kober 2006: 19). 3.2.1 Polizei Neben diversen anderen Rechtsvorschriften 4 ist im Zusammenhang mit der Be‐ stellung von Dolmetscher: innen im Rahmen polizeilicher Handlungen (aus den Bereichen Strafrecht, Verwaltungsstrafrecht und Fremdenrecht) vor allem Art 5 EMRK zu nennen, wonach jede festgenommene Person schnellstmöglich über die vorliegenden Haftgründe und Beschuldigungen in einer ihr verständlichen Sprache, d. h. nicht zwingend der Muttersprache, unterrichtet werden muss (vgl. Art 5 Abs 2 EMRK , s. a. Wammerl 2017). Hieraus können auch unterschiedliche Voraussetzungen für das Heranziehen von gerichtlich beeideten oder nicht-be‐ eideten Dolmetscher: innen abgeleitet werden (s. a. Kadrić 2019: 43). Derzeit beziehen Stellen des Innenministeriums ( BMI ) Dolmetscher: innen, deren Kontaktdaten auf einer Liste mit ca. 3000 Eintragungen zu finden sind (vgl. Hodoschek 2018). Allein aus der Tatsache, dass im Jahr 2018 40 % der aus‐ geforschten Tatverdächtigen keine österreichische Staatsbürgerschaft besaßen, ergibt sich die Annahme, dass der Bedarf an Dolmetscher: innen im auch von der Polizei abgedeckten strafrechtlichen Bereich recht hoch ist; 5 dies dürfte vor allem für die Sprachen Rumänisch, BKS , Türkisch, Persisch und Paschto der Fall gewesen sein (vgl. Bundeskriminalamt 2019: o. S.). Nicht nur in der Steiermark gibt es seit 2018 vereinheitlichte Richtlinien bzgl. Dolmetschen bei der Polizei, wonach nur mehr „sicherheitsgeprüfte“ Dolmet‐ scher: innen eingesetzt werden dürfen (vgl. ORF Steiermark 2018). Laut Sicher‐ 255 Der österreichische Kommunaldolmetschmarkt 6 Teilweise gelangen auch Bestimmungen des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) zur Anwendung (siehe hierzu §§ 12a und 29 BFA-VG). 7 Wohl aber sprachübergreifende Universitätslehrgänge, bis 2017 an der Universität Graz und weiterhin an der Universität Wien angeboten (s. a. Iannone / Redl 2017: 128 ff.). heitspolizeigesetz handelt es sich bei einer Sicherheitsüberprüfung, die das Ein‐ verständnis der zu überprüfenden Person erfordert, um „die Abklärung der Vertrauenswürdigkeit eines Menschen anhand personenbezogener Daten, die Aufschluß [sic] darüber geben, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, daß [sic] er gefährliche Angriffe begehen werde“ (§ 55 Abs 1 SPG , s. a. § 55b Abs 1). Diese wird durch das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ausgeführt (vgl. BVT o. J. : 2). Man erkennt hierbei, dass die Abklärung des per‐ sönlichen Hintergrundes von Dolmetscher: innen im Verhältnis zu gesetzlichen Regelungen über die Erbringung von anderen Qualifikationsnachweisen eine vordergründige Position im polizeilichen Bereich einnimmt. Gleichzeitig wird hierauf bezogen immer wieder der Einsatz von Laiendolmetscher: innen mo‐ niert, vor allem durch den ÖVGD . Besonders problematisch sei die laienhafte Verdolmetschung von zu protokollierenden Aussagen, deren Bewertung später bei Gericht einen wesentlichen Teil der Urteilsfindung darstellt (s. a. Wammerl 2017: o. S.). Polizeidolmetscher: innen werden auch für die Erstbefragung nach Ein‐ bringen eines Asylantrages herangezogen (s. a. § 19 Abs 1 AsylG), während der Einsatz von Dolmetscher: innen beim BFA separat geregelt ist (siehe Kap. 3.2.2). 3.2.2 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) Im Rahmen des Asylverfahrens wurde per BMI -Erlass angeordnet, in sämtlichen Fällen von Amts wegen Dolmetscher: innen zu bestellen und somit die Bestim‐ mungen des AVG 6 auszuweiten (vgl. Kadrić 2019: 41). Derzeit besonders gefragt sind Sprachen wie Arabisch und solche, für die es in Österreich (noch) kein einschlägiges Universitätsstudium 7 gibt: Farsi / Dari, Paschto, Somali (s. a. BMI 2019: 5). Mittlerweile werden im Rahmen des Projekts QUADA sprachübergrei‐ fende Schulungen für BFA -Dolmetscher: innen angeboten (s. a. Iannone / Redl 2017: 135 f.). Dolmetscher: innen werden vor Aufnahme in das Dolmetschregister des BFA ( DMR ) einer Sicherheitsprüfung unterzogen (vgl. Rechnungshof 2019: 95). Sie alle gelten im Verfahren als „beeidigt“ (s. a. BMI 2020: o. S.). Für einen regelmäßigen Einsatz beim BFA werden „Vertrauenswürdigkeit, Unparteilich‐ keit, Genauigkeit bei der Übersetzung und ausreichende Sprachkenntnis“ ge‐ nannt (Rechnungshof 2019: 95), wobei per Erlass beim Bestellen von Dolmet‐ scher: innen u. a. auf die Kriterien der Mehrsprachigkeit, möglichst kurzen 256 Alexandra Marics & Aleksandra Nuč 8 Und das tut es, zum Leidwesen professioneller Dolmetscher: innen, deren Image da‐ durch auch in Mitleidenschaft gezogen wird, z. B. bei mangelnder Sprachkompetenz und Verfälschung von Gebührenanspruchsangaben, wie etwa durch ein Urteil des BVwG vom 30. 6. 2016 verdeutlicht wird (vgl. BVwG 30. 06. 2016, W146 2 119 255). Anfahrtszeiten und Streuung von Bestellungen zu achten sei. Es könne aber auch zu Bestellungsverboten 8 gegen Dolmetscher: innen kommen (vgl. ibid.). Anfang Februar 2018 waren 2241 in Österreich und Deutschland lebende Dolmetscher: innen beim BFA registriert (vgl. ibid.: 96). Ihr Haupteinsatzgebiet liegt im so genannten inhaltlichen Verfahren, welches durch eine Einvernahme der Asylwerber: innen zu ihren Flucht- und Asylgründen vervollständigt wird (s. a. § 19 Abs 2 AsylG). Auch hier fungieren Dolmetscher: innen als Über‐ setzer: innen von persönlichen Dokumenten der Asylwerber: innen (s. a. § 29 BFA - VG ), wobei hier nachzuprüfen wäre, ob alle eingesetzten Dolmet‐ scher: innen auch über ausreichende schriftliche Kenntnisse in der jeweiligen Fremdsprache verfügen. Auch ist der Einsatz von Dolmetscher: innen des BFA in der Schubhaft und bei der Altersdiagnose möglich (s. a. Rechnungshof 2019: 98). Die Bezahlung der Dolmetscher: innen erfolgt nach dem Gebührenan‐ spruchsgesetz; die Einbringung von Honoranoten wird mittlerweile elektro‐ nisch abgewickelt (vgl. ibid: 96 ff.). Aufgrund des massiven Anstiegs der Dol‐ metschkosten (von € 3,57 Mio. 2014 auf € 7,35 Mio. im Jahr 2017) wird die Einführung eines zentral geregelten Videodolmetschdienstes überlegt (vgl. ibid.: 98 f.). 3.2.3 Arbeitsmarktservice (AMS) Entsprechend den Vorgaben des AVG (siehe Kap. 3.2) stellt das AMS nur im Ermittlungsverfahren Dolmetscher: innen, daher z. B., wenn sich Arbeitslose weigern, eine zumutbare Arbeit anzunehmen oder dies mutwillig verhindern (s. a. § 10 Art 2 Al VG ). In anderen Fällen gibt es die österreichweit einheitliche Regelung, dass eine vorsprechende Person eine sprachmittelnde Begleitperson mitbringen kann, wenn sie nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt. Bei Bedarf können einzelne Geschäftsstellen auf Videodolmetschdienste zu‐ rückgreifen. Auch gibt es regional bisweilen zweisprachige Berater: innen; das AMS Wien z. B. hat in Kooperation mit dem ÖIF eine Erstberatungsstelle für Schutzberechtigte eingerichtet, in welcher Berater: innen u. a. für Persisch, Ara‐ bisch und Russisch beschäftigt sind (vgl. AMS Pressestelle 2020). Keine genauen Informationen konnten bezüglich Qualifikation und Qualifizierung von Dol‐ metscher: innen beim AMS eruiert werden, die entsprechende Rahmenbedin‐ gungen für einen erfolgreichen Einsatz sicherstellen würden. 257 Der österreichische Kommunaldolmetschmarkt 9 Das BFA-VG lässt die Schlussfolgerung zu, dass evtl. Dolmetscher: innen des BFA bei der BBU zum Einsatz kommen werden (vgl. § 49 Abs 2 BFA-VG). 3.3 Betreuung von Asylwerber: innen / Migrant: innen 3.3.1 Grundversorgung und Rechtsberatung Im Frühjahr 2019 wurde die Errichtung einer staatlich geführten GmbH, der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen ( BBU ), durch die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes ( BBU -G) beschlossen (s. a. Par‐ lament 2019). Diese soll zunächst ab 1. Juli 2020 die Betreuung von Personen in Grundversorgung übernehmen, ab 1. Januar 2021 auch die durch das BFA - VG geregelte Rechts- und Rückkehrberatung von Flüchtlingen sowie damit in Zu‐ sammenhang stehende Menschenrechtsbeobachtungen (vgl. § 2 Abs 1 BBU -G, s. a. § 49 ff BFA - VG , Fairlassen o. J.). Das BBU -G sieht auch den Einsatz von weisungsungebundenen Dolmetscher: innen 9 im Rahmen der Aufgabenbereiche der BBU vor (s. a. §§ 2 Abs 1 Z 5 und 15 BBU -G), wobei auf Anfrage bei der gerade im Aufbau befindlichen BBU keine weiteren Details zur Verwendung von Dolmetscher: innen mitgeteilt wurden. Die nunmehr der BBU zufallenden Aufgaben sind bis dato von verschiedenen Trägerorganisationen (Diakonie, Caritas, Helping Hands u. a.) durchgeführt worden, die in vielen Fällen eigene Dolmetschlisten führen und, gerade in der Grundversorgung, in diversen Bun‐ desländern wie z. B. in Kärnten auch auf freiwillige Dolmetscher: innen zurück‐ greifen. Nicht nur aufgrund dieser bereits vorhandenen Infrastruktur sprechen sich zahlreiche NGO s gegen die Übertragung der eigentlich ihnen zukomm‐ enden Aufgaben an ein staatlich geführtes Unternehmen aus (vgl. Standard 2019: o. S., s. a. Posratschnig 2020). Es bleibt demnach abzuwarten, welche Ent‐ wicklungen sich in diesem Feld weiter ergeben. 3.3.2 Spracherwerb und Integration - ÖIF Laut AsylG § 68 Abs 1 ist Personen mit Asyl- oder Subsidiärschutzstatus Integrationshilfe zu gewähren, die aus den Mitteln des BMI finanziert wird. Diese können u. a. in den Leistungen des ÖIF bestehen (vgl. Abs 2 Zi 4), der in seinen Integrationszentren Beratungen sowie Sprach- und Orientierungskurse auf un‐ terschiedlichen Niveaus anbietet. Er verfügt über ein eigenes Team für „Training und Dolmetschung“. Im Jahr 2016 umfasste dieses österreichweit 46 angestellte Trainer: innen und Dolmetscher: innen (vgl. ÖIF 2016: 77). Im Rahmen der Werte- und Orientierungskurse werden derzeit Dolmetscher: innen für Arabisch, Farsi / Dari und Englisch eingesetzt; bei Bedarf zudem im Rahmen der mehr‐ stündigen Integrationsberatung und diversen Informationsveranstaltungen of‐ fenbar auch für andere Sprachen (vgl. ÖIF o. J.). Konkrete Informationen über 258 Alexandra Marics & Aleksandra Nuč 10 Freiwillige werden vorwiegend in der alltäglichen Kommunikation mit den Betreuten eingesetzt. Außerdem übersetzen sie Info-Blätter für Klient: innen. Professionelle Dol‐ metscherInnen hingegen werden bei Beratungsgesprächen/ -therapien in der Lebens‐ beratung und Männerberatung engagiert (vgl. Posratschnig 2020). interne Qualifizierungsmaßstäbe und -maßnahmen sind über Online-Quellen nicht zugänglich; eine entsprechende Anfrage der Verfasser: innen beim ÖIF blieb bis dato unbeantwortet. 3.3.3 Migrant: innen- und minderheitenspezifische Beratung - NGOs und Initiativen Das Angebot an migrant: innen- oder minderheitenspezifischen Beratungs- und Betreuungseinrichtungen und -projekten ist trotz mittlerweile rückläufiger Mi‐ grationszahlen und diverser politischer Entscheidungen nach wie vor groß. Be‐ reiche, die nicht gesetzlich geregelt sind, werden weiterhin von NGO s oder sogar Privatinitiativen betreut. Es können angesichts der großen, jedoch Fluktuati‐ onen unterworfenen Zahl an derartigen Institutionen bzw. Projekten, aber auch aufgrund der geringen „Webpräsenz“ von hier tätigen Dolmetscher: innen, nur Annahmen anhand von Einzelbeispielen getroffen werden. Generell ist dieser Bereich, nicht zuletzt aufgrund fehlender monetärer Ressourcen, v. a. in der tag‐ täglichen Kommunikation mit Migrant: innen und in Begleitungssituationen, meist auf Laiendolmetscher: innen angewiesen, deren Leistungen kaum bis gar nicht entlohnt werden. Jedenfalls werden in vielen Fällen freiwillige Dolmetscher: innen gesucht (z. B. INTO Salzburg 2020; Caritas 2020; Interface Wien 2020). Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass Freiwillige wie auch „in‐ terne“ Dolmetscher: innen geschult und in die Arbeitsweise der jeweiligen Organisation eingeführt werden. Die Caritas z. B. regelt dies zwar nicht ein‐ heitlich; von einer Caritas-Kontaktperson in Kärnten wurde aber bestätigt, dass man dort eigene Qualitätsstandards entwickelt hat, auch für freiwillige Dolmetscher: innen, die dort gegenüber „selbst mitgebrachten“ Laiendolmet‐ scher: innen bevorzugt eingesetzt werden. Für erstere organisiert man jährlich oder nach Bedarf intern Fortbildungen (vgl. Posratschnig 2020). Iannone und Redl vermuten zwar, dass derartige Maßnahmen nicht über „Kurzsensibilisie‐ rungen oder Einweisungen“ (2017: 128) hinausgehen und verorten das Ideal der Aus-/ Weiterbildung von Dolmetscher: innen vorwiegend im universitären Lehr‐ gangsformat (Universitätslehrgänge - ULG s bzw. Universitätskurse - UKs an den Universitäten Graz und Wien, vgl. Iannone / Redl 2017: 130 ff.); dennoch sind wohl, gerade im Freiwilligenbereich, einfache Maßnahmen sicher besser als gar keine. Im Fall der Caritas Kärnten werden die Einsatzbereiche von Freiwilligen und auf Honorarbasis tätigen, „professionellen“ Dolmetscher: innen zudem recht genau getrennt 10 (vgl. Posratschnig 2020). Auch in anderen migrationsspezifi‐ 259 Der österreichische Kommunaldolmetschmarkt 11 Hierzu zählen u. a. einzelne Krankenhäuser in Tirol, drei Kärntner LKHs, das Klinikum Linz u. a. oberösterreichische Krankenhäuser, die Einrichtungen der AUVA und diverse Wiener Krankenhäuser (vgl. SAVD o. J.). schen, nichtamtlichen Settings konnten im Rahmen der Recherchen erste An‐ zeichen für ein verstärktes Bewusstsein über den Einsatz von zumindest „ge‐ schulten“ Dolmetscher: innen wahrgenommen werden, was im Vergleich zur Situation vor einigen Jahren sicher einen ersten Schritt in die richtige Richtung darstellt (s. a. Kap. 3.4). Aufschluss über die Richtigkeit dieser Vermutung könnte eine bis dato aus‐ ständige themenspezifische Erhebung bundesweit geben, in deren Rahmen Or‐ ganisationsvertreter: innen und Dolmetscher: innen befragt werden sollten. Hierbei bleibt wohl auch die Perzeption des Begriffes „Schulung“ und „Höhe der Entlohnung“ eine uneinheitliche und somit problematische, was jedoch in an‐ deren Bereichen des Kommunaldolmetschens ebenso der Fall ist. 3.4 Dolmetschen im Gesundheitsbereich Während der Einsatz von Vertrauenspersonen oder muttersprachlichem Per‐ sonal als Sprachmittler: innen in österreichischen Krankenhäusern nach wie vor möglich und üblich ist und keine gesetzlichen Bestimmungen bzgl. Einsatz von Dolmetscher: innen im Gesundheitsbereich bestehen (s. a. Havelka 2018: 93 f.), hat das Dolmetschen im Gesundheitsbereich in den letzten zwanzig Jahren dennoch eine gewisse Institutionalisierung erfahren. Diese nahm in der Schaffung von muttersprachlichen Begleitdiensten ab den 1990er Jahren ihren Anfang (z. B. jene der Grazer Vereine ISOP und Omega, vgl. ISOP o. J., Iacono in diesem Band). Besonders auffällig ist die seit etwa 2014 / 15 bemerkbare Etablierung des Videodolmetschens in Krankenhäusern. Dies kann zum einen darauf zurückzuführen sein, dass die Haftungsfrage im medizinischen Bereich die Absicherung ärztli‐ cher Diagnosen vorsieht und somit je nach Krankenanstalt durchaus ein Budget für die Deckung der Dolmetschkosten verfügbar ist (s. a. Kletečka- Pulker / Parrag 2018: 56); zum anderen sind die wichtigsten auf dem österreichi‐ schen Markt verfügbaren Videodolmetschdienste ( SAVD , Sprache Direkt) aus Gesundheitsprojekten hervorgegangen. Während Sprache Direkt Dienste von „professionellen“ Dolmetscher: innen anbietet, setzt SAVD 11 nach eigenen An‐ gaben weitgehend Diplomierte ein und hat mit dem BDÜ einen Zertifikatskurs für Dolmetscher: innen für seltenere Sprachen entwickelt. Auch können sich SAVD -Dolmetscher: innen auf einer internen Plattform austauschen und um Supervision ersuchen (vgl. Plattform PatientInnensicherheit 2020, Sprache Di‐ rekt 2020). Kassenärzt: innen müssen, je nach Bundesland, die minutengenau 260 Alexandra Marics & Aleksandra Nuč 12 Mindestens 1 Euro / Minute (exkl. Grundentgelt von 9 Euro / Monat). Krankenhäuser bezahlen eine Grundgebühr von 99 Euro / Monat (vgl. Ärztekammer Steiermark o. J.). abgerechneten Dolmetschkosten 12 und das technische Equipment selbst bereit‐ stellen (vgl. Ärztekammer Steiermark o. J.). Das Thema der Bezahlung ist im Allgemeinen ein heikles, sie liegt nach Erfahrung der Verfasserinnen zwischen 20 und 45 Euro / Std. (brutto); kostenlose Krankendienste greifen auch auf eh‐ renamtliche Dolmetscher: innen zurück (z. B. Marienambulanz Graz oder Am‐ berMed Wien; siehe auch Iacono in diesem Band). 3.5 Dolmetschen in der Psychotherapie Der geschlechts- und kultursensible Bereich der interkulturellen Psychothe‐ rapie hat sich in Österreich vor allem seit der Verstärkung der Migrationsströme in 1990er Jahren etabliert und wird von zahlreichen Einrichtungen abgedeckt (Hemayat, Zebra, Paraplü, s. a. Iacono in diesem Band). Er ist wesentlich auf den Einsatz von Dolmetscher: innen angewiesen. Obwohl das Dolmetschen auch hier durch keine spezifischen gesetzlichen Vorschriften geregelt ist, überdies als extrem belastend beschrieben wird, nach wie vor prekäre Arbeitsverhältnisse (Brutto-Stundenhonorare von € 20,ohne weitere Ansprüche, Werkverträge etc.) und ein Konkurrenzverhältnis zwischen ausgebildeten Dolmetscher: innen und Laien vorherrschen (s. a. Nigitz-Arch 2018: 20 f.), sind in der dolmetschge‐ stützten Psychotherapie auch positive Entwicklungen zu bemerken. Hierzu zählt die ernsthafte Auseinandersetzung mit Rolle und Bedürfnissen von Dol‐ metscher: innen innerhalb des Fachbereichs, was sich u. a. in den Standards des österreichweiten „Netzwerks für interkulturelle Psychotherapie nach Extremt‐ raumatisierung ( NIPE )“ widerspiegelt. Demnach werden Dolmetscher: innen zu Reflexion, Supervision, Intervision und Teilnahme an Fortbildungen ermuntert; Psychotherapeut: innen mögen sich bestmöglich auf die Kooperation mit Dol‐ metscher: innen einstellen (vgl. NIPE 2012). Dies lässt auf ein aktives Bemühen um ein egalitäres Berufsbild schließen. Keine Auskunft gibt die Webseite des NIPE hingegen über genaue Qualifikationsansprüche an Dolmetscher: innen, auch nicht über Bezahlung und Beschäftigungsverhältnisse, worin man das weitere Bestehen oben genannter Problemfelder bestätigt sehen kann. 3.6 Dolmetschen im Bereich Gewaltschutz und geschlechterspezifischer Beratung Die österreichische Strafprozessordnung räumt Opfern von Gewalt besondere Rechte ein. Hierzu zählt das Recht, noch vor der Vernehmung über Ermittlungs‐ gegenstand und Opferrechte informiert zu werden (vgl. St PO : § 66 Abs 3, § 70). 261 Der österreichische Kommunaldolmetschmarkt 13 Sie erstreckt sich auch auf zivilrechtliche Ansprüche (vgl. § 73b Abs 1 f ZPO). 14 Hierunter wird hier vor allem die allgemeine Betreuung in Frauenwohneinrichtungen sowie Frauen- und Männerberatung in nicht-strafrechtlichen Belangen verstanden. 15 In den Frauenhäusern Wien z. B. wird seit dem Jahr 2015 auf Videodolmetschungen mit diplomierten DolmetscherInnen zurückgegriffen (vgl. SAVD o. J.); in Graz engagiert man z. B. beim Verein Danaida bevorzugt ULG-Absolvent: innen (telefonische Auskunft Danaida, 27. 1. 2020). 16 Das Wiener Kinder- und Jugendhilfegesetz z. B. sieht zwecks Umsetzung der Aufgaben der Hilfsträger vor, „dass auch Dienste in den Herkunftssprachen angeboten werden“ (§ 3 Abs 2 WKJHG). Im Zeitraum von 2014 bis 2017 waren in der zuständigen MA 11 neben einer angestellten Dolmetscherin auch Mitarbeiter: innen eines Vereins sowie Zu diesem Zweck wird dem Opfer zudem das Recht auf Dolmetschleistungen eingeräumt (vgl. § 66 Abs 5). Auswahl und Zurverfügungstellung von Dolmet‐ scher: innen für diese so genannte psychosoziale Prozessbegleitung 13 werden meist von hiermit betrauten Opferschutzeinrichtungen wie Frauenhäusern, Ge‐ waltschutzzentren oder Mitgliedsorganisationen des Bundes autonomer Frau‐ enberatungsstellen bei sexueller Gewalt ( BAFÖ ) vorgenommen; die Finanzie‐ rung dieser Leistungen erfolgt über das Justizministerium (s. a. BMJ 2018). Das Bereitstellen von Dolmetscher: innen ist in anderen Bereichen geschlech‐ terspezifischer Beratung 14 weniger einheitlich geregelt. Zwar wird auch hier vermehrt auf die Qualifizierung von Dolmetscher: innen geachtet, 15 jedoch wird aufgrund knapper Mittel oft nur etwa die Hälfte des Stundensatzes, der für die Prozessbegleitung vorgesehen ist, bezahlt (d. h. zwischen 20 und 30 Euro brutto), was selbstständige bzw. höher qualifizierte Dolmetscher: innen naturgemäß ab‐ schreckt. Auch das Thema Gewaltschutz war 2019 / 2020 angesichts vermehrter Gewaltakte, die sich vor allem gegen Frauen richten, häufig Gegenstand von Medienberichten. Es bleibt zu hoffen, dass die angekündigte Erhöhung des Frauenbudgets im Februar 2020 (im Übrigen die erste seit 10 Jahren) trotz ihrer verhältnismäßigen Spärlichkeit neben einer effizienten Bekämpfung der Gewalt auch eine Verbesserung der Bezahlung von Dolmetscher: innen und eine Sensi‐ bilisierung für deren Qualifizierungsmaßstäbe mit sich bringt (s. a. Bundeskanz‐ leramt 2020). Angesichts der spärlichen Webpräsenz von Dolmetschdiensten im Zuge von Männerberatungen muss zudem von einem entsprechenden Mangel ausgegangen werden. 3.7 Dolmetscher: innen im Schulwesen und in der Kinderwohlfahrt Während in der Kinder- und Jugendwohlfahrt je nach Bundesland andere ge‐ setzliche Bestimmungen für den Einsatz von Dolmetscher: innen in der Be‐ treuung durch die Hilfsträgerorganisationen gelten, hier aber jedenfalls in Wien, der Steiermark und in Salzburg 16 Dolmetscher: innen zum Einsatz kommen, ge‐ 262 Alexandra Marics & Aleksandra Nuč externe Dolmetscher: innen tätig. Auch habe man im Jahr 2017 ein Videodolmetsch‐ system angeschafft (vgl. Stadtrechnungshof Wien 2018: 2 ff.). In Salzburg wird bereits seit 2015 auch auf Videodolmetschungen zurückgegriffen (vgl. SAVD o. J.), in Graz werden im Rahmen der städtischen Jugendarbeit nach Möglichkeit qualifizierte Dol‐ metscher: innen herangezogen (private Kommunikation). langen im österreichischen Bildungssystem hierüber keine gesetzlichen Bestim‐ mungen zur Anwendung. Angesichts des migrationsbedingten Bedarfs wird je‐ doch im Bereich des Schulwesens vor allem im Zusammenhang mit Elterngesprächen vermehrt über den Einsatz von professionellen Dolmet‐ scher: innen nachgedacht. So äußerten Lehrer: innen an Neuen Mittelschulen ( NMS ), unter denen häufiger so genannte „Brennpunktschulen“ zu finden seien, den Wunsch, dass in der Kommunikation mit Eltern öfters Dolmetscher: innen zum Einsatz gelangen sollten (vgl. Mayr / Schmidt 2018: o. S.). Auch vonseiten der Ombudsstelle für Wertefragen und Kulturkonflikte wird gefordert, qualifi‐ zierte Dolmetscher: innen zum fixen Bestandteil des schulischen Supportperso‐ nals zu machen (vgl. Wiesinger 2019: 29 ff.). Neben dem Vorarlberger Programm „BrückenbauerInnen“ wurde bis Anfang 2020 ein Videodolmetsch-Pilotprojekt in Kindergärten und Schulen in Wien und Niederösterreich durchgeführt (vgl. Okay 2020: 75, s. a. Iacono in diesem Band). Dieser Bereich ist bis dato nach Wissen der Verfasserinnen in Österreich kaum je Gegenstand von Untersu‐ chungen gewesen und sollte im Sinne einer stärkeren Instutitionalisierung und Professionalisierung vermehrt in die Forschung miteingebunden werden. 4 Conclusio Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zeichnen ein recht differenz‐ iertes Bild des österreichischen Kommunaldolmetschmarktes. Anhand der er‐ hobenen Daten wurden hier zunächst sieben teilweise miteinander verflochtene Einsatzbereiche für Kommunaldolmetscher: innen identifiziert und beschrieben: Gerichte, Ämter und Behörden, Betreuung von Asylwerber: innen / Mig‐ rant: innen, Gesundheitsbereich, Psychotherapie, Gewaltschutz und geschlechterspezifische Beratung, Schulwesen und Jugendwohlfahrt - ein potentiell durchaus breites Aufgabenfeld mit unterschiedlichen fachlichen und persönli‐ chen Anforderungen. Die Bereitstellung von Dolmetscher: innen wird in vielen dieser Bereiche grundlegend durch bundes- oder landesweit gültige Gesetze ge‐ regelt, worunter in einigen Fällen auch deren (so zumindest augenscheinlich „gesicherte”) Bezahlung (z. B. nach dem Gebührenanspruchsgesetz) fällt. Auch werden neben dem MA -Universitätsstudium Dolmetschen vermehrt über‐ sprachliche Lehrgänge für Kommunaldolmetscher: innen angeboten, um kon‐ 263 Der österreichische Kommunaldolmetschmarkt kret auf Dolmetscheinsätze in diesem Feld vorzubereiten und um Sprachkom‐ binationen abzudecken, die vorwiegend nicht an österreichischen Universitäten gelehrt werden. So betrachtet lässt die Situation des österreichischen Kommu‐ naldolmetschmarktes darauf schließen, dass hier eine solide Grundlage für eine demokratische Translationskultur nach Prunč gegeben zu sein scheint. Bei ge‐ nauerem Hinsehen treten jedoch auch jene Parameter zutage, die Zweifel hierüber aufkommen lassen. In diesem Zusammenhang ist etwa darauf hinzu‐ weisen, dass der Fokus von dolmetschspezifischen Gesetzen und Regelungen bzw. deren Interpretation nicht unbedingt auf der Definition der tatsächlichen (fachlichen) Qualifikation von Dolmetscher: innen, sondern insgesamt eher auf deren grundlegender Zurverfügungstellung zu liegen scheint, wie u. a. das oben angeführte Beispiel der Ad-hoc-Vereidigungen bei Gerichten vor Augen führt. Bei Polizei und BFA werden Dolmetscher: innen zwar einer Sicherheitsüber‐ prüfung unterzogen, die eine Abklärung des persönlichen Hintergrundes um‐ fasst; gleichzeitig werden hierbei die Qualifikationen bezüglich des Dolmet‐ schens per se in vielen Fällen außer Acht gelassen. Die Heranziehung von Dolmetscher: innen in amtlichen und gerichtlichen Bereichen erfolgt somit fach‐ lich gesehen häufig nach äußerst arbiträr gewählten Kriterien. In nicht-amtli‐ chen Bereichen hingegen, die traditionell einen eher „zweifelhaften” Ruf in punkto Einsatz von professionellen Dolmetscher: innen genießen (z. B. in di‐ versen geschlechter- und migrant: innenspezifischen Betreuungs- und Bera‐ tungsbereichen, im Gesundheitsbereich) macht sich, wenn auch kaum ein Fort‐ schritt in der Bezahlung, zumindest ein proportional immer stärker werdendes Bewusstsein bzgl. der Wichtigkeit von Dolmetscher: innen und deren Wahrneh‐ mung als professionell agierende „Kommunikationsmanager: innen” bemerkbar, womit auch die Organisation und Durchführung von einschlägigen Qualifika‐ tionsmaßnahmen einhergeht - und seien diese aufgrund teilweise beschränkter Mittel auch nur limitiert umsetzbar. Neben der beauftragungstechnischen Be‐ vorzugung von Absolvent: innen von akademisch getragenen Bildungsmaß‐ nahmen werden selbst freiwillige Laiendolmetscher: innen mittlerweile in zahl‐ reichen Institutionen zumindest „gebrieft”, was durchaus auch als Fortschritt im Vergleich zu früheren Gegebenheiten gesehen werden kann. Besonders hervor‐ zuheben ist in diesem Zusammenhang der Trend zum Videodolmetschen im Gesundheitsbereich, der nicht nur durch den Einsatz modernster Technik, son‐ dern auch durch den (selbst veranschlagten) Anspruch, möglichst diplomierte Dolmetscher: innen in sensiblen Settings einzusetzen, aufhorchen lässt und be‐ reits in weitere Bereiche des Kommunaldolmetschens expandiert. Dennoch ist es ein Faktum, dass im Bereich des Kommunaldolmetschens in Österreich weiterhin in zahlreichen Settings noch immer auf Laiendolmet‐ 264 Alexandra Marics & Aleksandra Nuč scher: innen bzw. auf Ad-hoc-Vereidigte zurückgegriffen wird. Selten greifen die hier untersuchten Organisationen bzw. Institutionen auf eigene, als solche an‐ gestellte Dolmetscher: innen zurück, wie dies beim ÖIF der Fall ist; häufig werden auch eigene Mitarbeiter: innen (z. B. beim AMS oder in Krankenhäusern) oder freiwillige Dolmetscher: innen ( INTO Salzburg, Caritas, Interface Wien) in der Kommunikation mit Klient: innen eingesetzt. Ein wesentlicher Faktor, der trotz durchaus zahlreicher Bemühungen um Bereitstellung und Qualifizierung von Dolmetschleistungen weiterhin zu einer gewissen Benachteiligung des Kommunaldolmetschbereiches im Verhältnis zu traditionell prestigeträchti‐ geren Formen der Translation führt, ist sicher die stagnierende Vergütungsent‐ wicklung in diesem Bereich. Hier sei an die längst ausständige Überarbeitung des Gebührenanspruchsgesetzes und die nur äußerst geringfügigen Ände‐ rungen in den Bezahlungsumfängen in diversen nicht-gesetzlich geregelten So‐ zialbereichen erinnert. Auch stehen für aktuell im Kommunaldolmetschbereich verstärkt benötigte Sprachen trotz intensivierten einschlägigen Lehrangebots (noch) verhältnismäßig wenige höherqualifizierte bzw. diplomierte Dolmet‐ scher: innen zur Verfügung. Im Sinne des einleitend skizzierten Konzeptes der Translationskultur von Prunč kann auf der Grundlage der vorliegenden Untersuchung des österreichi‐ schen Marktes des Kommunaldolmetschens festgestellt werden, dass durchaus ein gewisser Ausreifungsgrad dieses translatorischen Wirkungsbereiches zu beobachten ist. Trotzdem kann von einer wahrlich demokratischen Translationskultur noch nicht gesprochen werden. Entsprechende Normen, Konventionen und Rahmenbedingungen sind im Sinne von Prunč (2017: 33) nach wie vor für die einzelnen Einsatzbereiche von Kommunaldolmetscher: innen nicht ein‐ heitlich und konsensual festgelegt. Insgesamt kann der Bereich des Kommu‐ naldolmetschens nur insofern als demokratisch eingestuft werden, als er ver‐ schiedene Lösungen zulässt und Verbesserungen durchaus erkennbar sind (z. B. im Gesundheits- und Beratungsbereich). Es bleibt zu hoffen, dass die bereits eingeleiteten Bemühungen um wissenschaftlich gestützte Erforschung und Qualifizierung des Kommunaldolmetschbereiches das Bewusstsein für die in derart lebensnahen Settings notwendige Dolmetschqualität bei allen Mitwirk‐ enden weiter sensibilisieren und zu einer für qualifizierte Dolmetscher: innen überlebenswichtigen Erhöhung ihrer Entlohnung führen. Literatur AlVG - Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, (AlVG) BGBl 609 / 1977. 265 Der österreichische Kommunaldolmetschmarkt AMS Pressestelle (2020) E-Mail mit Betreff: Studie - Kommunaldolmetschen - Dolmet‐ scherInnen beim AMS vom 6. Februar 2020. Ärztekammer Steiermark (o. J.). Dolmetsch am Monitor. 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Wie die Beispiele der im vorliegenden Artikel porträtierten interkulturell Dolmetschenden zeigen, führt die Ausbildung zum interkulturellen Dolmetscher bzw. zur interkulturellen Dolmetscherin und die Tätigkeit als solcher bzw. solche bei den betreffenden Personen in der Regel zu einem Zuwachs an kulturellem, sozialem und symbolischem Kapital. Zu wünschen übrig lässt dagegen der Zuwachs an ökonomischem Kapital, der für viele interkulturelle Dolmetscherinnen und Dolmetscher trotz abge‐ schlossener Ausbildung und arbeitsrechtlich korrekter Anstellung weiterhin unbefriedigend ist. Um hier nachhaltige Verbesserungen zu erzielen, müssten wohl neue Anstellungsformen gefunden werden, die es den interkulturell Dolmetschenden ermöglichen, ein regelmäßigeres und vor allem höheres Einkommen zu erwirtschaften. 1 Einleitung Im vorliegenden Artikel wird die Praxis des Community Interpreting in der Schweiz beschrieben. Der Objektbereich wird dabei unter Bezugnahme auf Erich Prunč folgendermaßen definiert (Prunč 2017: 22): Das Dolmetschen von Interaktionen zwischen A) Vertreter / innen staatlicher Institu‐ tionen oder Organisationen der Mehrheitsgesellschaft und B) anderssprachigen Ein‐ zelpersonen oder sozialen Gruppen, die deren Leistungen in Anspruch nehmen / zu nehmen gezwungen sind. Als Settings für die von uns hier behandelte Dolmetschtätigkeit dienen, wie‐ derum in Anlehnung an Prunč, alle institutionalisierten und nicht institutionalisierten Kommunikationssituationen zwischen A) und B), insbesondere bei der sozialen, medizinischen, psychotherapeu‐ tischen und schulischen Versorgung; im Polizei- und Asylwesen; bei individuellen und kollektiven Integrations- und Hilfsmaßnahmen; im Gerichtswesen (Prunč 2017: 22). Prunč verwendet für das Dolmetschen in diesen Bereichen anstelle des engli‐ schen Begriffs „Community Interpreting“ die deutsche Bezeichnung „Kommu‐ naldolmetschen“. In der Schweiz hat sich dafür der Begriff „interkulturelles Dolmetschen“ etabliert, der in diesem Artikel deshalb vorzugsweise verwendet wird. Das „interkulturelle Dolmetschen“ im schweizerischen Verständnis um‐ fasst traditionell das Dolmetschen im Gemeinwesen, d. h. im Bildungs-, Ge‐ sundheits- und Sozialwesen. In neuerer Zeit werden, unter Berücksichtigung der spezifischen Anforderungen, auch Dolmetscheinsätze in anderen Bereichen, z. B. bei Behörden und im Asylwesen, dazu gezählt ( INTERPRET 2014). Der Artikel gliedert sich in zwei Teile. Im folgenden Abschnitt 2 wird näher auf die Organisation des interkulturellen Dolmetschens in der Schweiz einge‐ gangen, wobei die regionalen Vermittlungsstellen als Haupterbringerinnen in‐ terkultureller Dolmetschleistungen im Zentrum stehen. Im abschließenden Ab‐ schnitt 3 kommen die Arbeits- und Lebensbedingungen der interkulturell Dolmetschenden zur Sprache. Zu deren Analyse greifen wir - wiederum in An‐ lehnung an Prunč - auf Bourdieus Begriffe „ökonomisches Kapital“, „kulturelles Kapital“, „soziales Kapital“ sowie „symbolisches Kapital“ zurück (Bourdieu 1999, zitiert nach Prunč 2017: 23 f, vgl. dazu auch Bourdieu 2015). Gemäß Prunč (2017: 22 ff.) genoss das Kommunaldolmetschen lange ein ge‐ ringeres Ansehen bzw. besaß ein geringeres Kapital im Bourdieuschen Sinne als das Konferenzbzw. Simultandolmetschen. Prunč führt diesen Umstand vor allem darauf zurück, dass das Klientel des Kommunaldolmetschens aus „Mig‐ 274 Nives Grenko Curjuric & Barbara Strebel rant / innen, Flüchtlingen und anderen Verlierer / innen der Globalisierung“ be‐ steht, die als gesellschaftliche „Randgruppen“ selber über wenig ökonomisches, soziales und symbolisches Kapital verfügen, sodass die Dolmetschenden durch den Umgang mit ihnen ihrerseits in den „Bannkreis der Ohnmacht“ geraten. Dieses Ungleichgewicht wird laut Prunč dadurch verstärkt, dass Konferenzdol‐ metscherinnen und Konferenzdolmetscher im Unterschied zu Kommunaldol‐ metscherinnen und Kommunaldolmetschern in zahlreichen, starken Berufsver‐ bänden organisiert sind. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wollen wir im vorliegenden Ar‐ tikel untersuchen, wie es um die gesellschaftliche Anerkennung des interkul‐ turellen Dolmetschens in der Schweiz bestellt ist und über welche (Ver‐ bands-)Unterstützung interkulturell Dolmetschende in der Schweiz verfügen. Darüber hinaus wollen wir uns den ethischen Fragen widmen, welche von Prunč in Bezug auf das Kommunaldolmetschen aufgeworfen werden (Prunč 2017: 28): Können / dürfen / sollen Dolmetscherinnen und Dolmetscher kraft ihrer Mitt‐ lerfunktion vorhandene Asymmetrien ausgleichen? Haben sie ihre Dolmet‐ schung an die Erwartungshaltung eines der Partner anzupassen? Haben sie selbstverantwortlich das Risiko eines Konflikts mit den Codes of Ethics (Berufs- und Ehrenordnungen, BEO ) ihrer Berufsvertretungen, die sie zur „Neutralität“ verpflichten, auf sich zu nehmen? Diese Fragen sind nach Prunč zentral, weil Kommunaldolmetscherinnen und Kommunaldolmetscher ungleich häufiger als Konferenzdolmetscherinnen und Konferenzdolmetscher in Kommunikations‐ situationen dolmetschen, in denen asymmetrische Macht- und Wissensverhält‐ nisse herrschen, d. h. in denen die gesprächsleitenden Fachpersonen über mehr Macht und Wissen als die Klientinnen und Klienten verfügen. Um unsere theoretischen Überlegungen plastischer zu machen, illustrieren wir sie mit Fallbeispielen. Anhand dreier Porträts von Dolmetschenden wollen wir einerseits darstellen, wie sich deren beruflicher Werdegang über die Jahre entwickelt, d. h. wie sich ihr ökonomisches, soziales, kulturelles und symbol‐ isches Kapital im Verlauf ihres Berufslebens verändert hat. Andererseits wollen wir anhand der Fallbeispiele untersuchen, welchen ethischen und anderen He‐ rausforderungen interkulturell Dolmetschende in der Praxis begegnen und wie sie diese meistern. Ziel ist es, vor diesem Hintergrund einen möglichst konkreten Einblick in die Praxis des interkulturellen Dolmetschens in der Schweiz geben zu können. 275 Die Praxis des interkulturellen Dolmetschens in der Schweiz 2 Organisation des interkulturellen Dolmetschens in der Schweiz 2.1 Ein Blick in die Geschichte Das interkulturelle Dolmetschen als professionelle Dienstleistung kann in der Schweiz auf eine mehr als 20-jährige Geschichte zurückblicken. 1999 wurde auf Initiative des Bundesamtes für Gesundheit ( BAG ) die Schweizerische Interes‐ sengemeinschaft für interkulturelles Übersetzen (ab 2013 „interkulturelles Dol‐ metschen“) und Vermitteln, kurz: INTERPRET , gegründet. Ziel der Vereins‐ gründung war es, die Ausbildung von interkulturell Dolmetschenden zu fördern sowie deren Einsatz zu koordinieren ( INTERPRET 2020b). Das interkulturelle Dolmetschen wurde in den Anfängen primär vom Bund gefördert. Neben dem BAG trat dabei auch das Staatssekretariat für Migration ( SEM ) als Förderer in Erscheinung. 2008 wurde in der von 2002 bis 2017 umge‐ setzten Bundesstrategie „Migration und Gesundheit“ das Ziel „Professionelles Übersetzen wird bedarfsgerecht eingesetzt“ formuliert (vgl. dazu BAG 2019). Um dieses zu erreichen, wurde unter anderem der Nationale Telefondolmetsch‐ dienst ( NTDD ) ins Leben gerufen, der rund um die Uhr zur Verfügung stand und eine Alternative zum interkulturellen Dolmetschen vor Ort bieten sollte. Seit 2014 sind in erster Linie die Kantone für die Förderung des interkultu‐ rellen Dolmetschens zuständig, wobei ein bedeutender Teil der hierfür verwen‐ deten Fördergelder weiterhin vom Bund stammt. Im Kantonalen Integrations‐ programm ( KIP ) des Kantons Zürich - um nur ein Beispiel zu nennen - wird festgehalten, dass „für anspruchsvolle Gespräche mit Migrant / innen (zum Bei‐ spiel komplexe Sachverhalte, Situationen mit weitreichenden Konsequenzen etc.) […] den Mitarbeiter / innen der Regelstrukturen ein professionelles An‐ gebot im Bereich des interkulturellen Dolmetschens und Vermittelns zur Ver‐ fügung“ steht (Fachstelle Integration Kanton Zürich 2018: 71). 2.2 Die regionalen Vermittlungsstellen 2.2.1 Übersicht Wie es der föderalistischen Struktur der Schweiz entspricht, wird das interkul‐ turelle Dolmetschen hierzulande mehrheitlich von regionalen Vermittlungs‐ stellen erbracht. Dabei gibt es organisatorische Unterschiede zwischen den ein‐ zelnen Stellen wie auch zwischen den Sprachregionen der Schweiz. Die regionalen Vermittlungsstellen sind Teil des INTERPRET -Netzwerks und ver‐ pflichten sich zur Offenlegung ihrer Statistiken. Darüber hinaus macht IN‐ TERPRET Empfehlungen zu Qualitätsstandards bezüglich Einsatzvermittlung, 276 Nives Grenko Curjuric & Barbara Strebel 1 Mehr Informationen zum Verein und dessen Dolmetschangeboten finden sich unter: https: / / www.appartenances.ch. 2 Die hier und im Folgenden zitierten statistischen Angaben zu den Vermittlungsstellen stammen aus den von INTERPRET jährlich erhobenen Einsatzstatistiken. Sie können eingesehen werden unter: https: / / www.inter-pret.ch/ de/ service/ statistiken-77.html (Stand: 10 / 12 / 2020). 3 Während gemäß Bundesamt für Statistik 23 % der Wohnbevölkerung Französisch als Hauptsprache angeben, wurden gemäß INTERPRET-Statistiken 2018 48 % aller Ein‐ sätze schweizweit von einer Herkunftssprache in die Amtssprache Französisch verdol‐ metscht. 4 Mehr Informationen zu den genannten Firmen finden sich unter: www.bhaasha.ch (Stand: 10 / 12 / 2020) bzw. www.connexxion.ch (Stand: 10 / 12 / 2020). 5 Mehr Informationen zur AOZ und zu Medios finden sich unter: www.aoz.ch (Stand: 10 / 12 / 2020). 6 Mehr Informationen zu SOS Derman Ticino finden sich unter: www.sos-ti.ch (Stand: 25 / 11 / 2020). Dolmetschleistung sowie Supervision und Aus- und Weiterbildung der Dol‐ metschenden ( INTERPRET 2012, INTERPRET 2018). Die größte regionale Vermittlungsstelle der Schweiz ist die Vermittlungsstelle des in Lausanne (Kanton Waadt) beheimateten Vereins Appartenances 1 (2018: knapp 48 500 Einsätze 2 ). Die französische Schweiz, in der sich das interkulturelle Dolmetschen früher etablierte und bis heute weiter verbreitet ist als in der Deutschschweiz 3 , weist interessanterweise auch die einzigen zwei privatwirt‐ schaftlichen Anbieter - nämlich die Firmen Bhaasha und Connexxion 4 - auf, welche im Bereich des Community Interpreting (und z. T. auch als Software-An‐ bieterinnen für andere Vermittlungsstellen) tätig sind. Alle übrigen Stellen werden von gemeinnützigen Organisationen getragen. Die Vermittlungsstelle AOZ Medios, in deren Kontext der vorliegende Artikel verfasst wurde, ist die zweitgrößte Vermittlungsstelle der Schweiz und die größte Vermittlungsstelle in der Deutschschweiz (2018: rund 32 200 Einsätze). Sie deckt mit der Region Zürich das bevölkerungsreichste Gebiet des Landes ab. Geführt wird sie von der Zürcher Fachorganisation AOZ , welche eine breite Palette von Integrationsangeboten für Migrantinnen und Migranten mit oder ohne Fluchthintergrund anbietet. 5 In der italienischen Schweiz gibt es eine ein‐ zige Vermittlungsstelle für interkulturelles Dolmetschen, SOS Derman Ticino 6 , welche die auf diese Sprachregion entfallenden 2 % der schweizweiten Dol‐ metscheinsätze abdeckt. 2.2.2 Angebotene Dienstleistungen Wie die Einsatzstatistiken von INTERPRET zeigen ( INTERPRET 2020a), ver‐ mitteln die regionalen Stellen der Kundschaft mehrheitlich interkulturelle Dol‐ 277 Die Praxis des interkulturellen Dolmetschens in der Schweiz 7 Siehe dazu auch den Schlussbericht über die Betriebsjahre 2011-2017 des NTDD (AOZ Medios 2018). 8 Siehe dazu auch die Begleitstudie, welche das Büro Brägger 2019 zum Pilotprojekt Vi‐ deodolmetschen erstellt hat (Büro Brägger 2019). metscheinsätze vor Ort (2018: 94 % Dolmetschen vor Ort, 5 % Dolmetschen via Telefon, 1 % interkulturelles Vermitteln). Das Ferndolmetschen per Telefon oder Video ist in der Schweiz nach wie vor von untergeordneter Bedeutung und dient im Wesentlichen als Ergänzung zum Vor-Ort-Dolmetschangebot (siehe 2.2.2.1). Der Anteil der am Telefon geleisteten Einsätze hat zwischen 2017 und 2018 zwar zugenommen (von 3 auf 5 % des gesamten Einsatzvolumens), der Zuwachs ist jedoch vor allem auf das Dolmetschen in der Rechtsberatung und Rechtsver‐ tretung von Asylsuchenden zurückzuführen, das vornehmlich am Telefon statt‐ findet (siehe dazu 2.2.4.1 in Abschnitt 2.3.). 2.2.2.1 Ferndolmetschen in der Schweiz Seit einigen Jahren versuchen verschiedene Vermittlungsstellen in der Schweiz, das interkulturelle Dolmetschen via Telefon oder Video als Angebot bei der Kundschaft zu verankern. Bisher mit begrenztem Erfolg. Der vom BAG sub‐ ventionierte Nationale Telefondolmetschdienst ( NTDD ) musste 2019 nach acht Betriebsjahren eingestellt werden, weil sich herausstellte, dass die insgesamt bescheidene Nachfrage nach der Dienstleistung Telefondolmetschen den kos‐ tenintensiven Betrieb des NTDD nicht rechtfertigte. 7 Heute wird Telefondol‐ metschen von mehreren Vermittlungsstellen, darunter AOZ Medios, dezentral in Ergänzung zum Vor-Ort-Dolmetschen angeboten, wobei die Vermittlungs‐ stellen auf Digitalisierung bzw. Automatisierung setzen, um die Kosten in einem angemessenen Verhältnis zum Aufwand zu halten. Auch im Bereich des Vide‐ odolmetschens experimentierten (und experimentieren) verschiedene Vermitt‐ lungsstellen mit Angeboten. Ein von INTERPRET koordiniertes Pilotprojekt, an dem neben mehreren Deutschschweizer Vermittlungsstellen auch der österrei‐ chische Videodolmetsch-Anbieter SAVD beteiligt war, zeigte, dass es im kleinen bzw. kleinräumigen und mit Vor-Ort-Angeboten gut abgedeckten Schweizer Markt auch mit neuester Videotechnologie schwierig ist, ein für die Kundschaft attraktives Ferndolmetschangebot zu entwickeln. 8 Trotz der insgesamt geringen (Wachstums-)Zahlen ist davon auszugehen, dass Ferndolmetschangebote im Zuge der Digitalisierung auch hierzulande an Attraktivität und damit an Wichtigkeit gewinnen werden. Dasselbe gilt für die Bereiche Vermittlung und Verrechnung von Einsätzen, in denen die Vermitt‐ lungsstellen zunehmend auf digitale Lösungen setzen (siehe 2.2.2.2). AOZ Me‐ dios stellt der Kundschaft zur Auftragserteilung ein Online-Formular zur Ver‐ 278 Nives Grenko Curjuric & Barbara Strebel 9 Die Statistiken sind publiziert unter: https: / / www.inter-pret.ch/ de/ service/ statistiken-7 7.html (Stand: 10 / 12 / 2020). 10 Dagegen ist das Gerichtsdolmetschen in der Schweiz von Kanton zu Kanton anders organisiert und wird in der Regel nicht von den Vermittlungsstellen abgedeckt. Im Kanton Zürich führt die Zentralstelle Sprachdienstleistungen eine Liste akkreditierter fügung, welches von den vermittelnden Personen anschließend per Knopfdruck ins elektronische Vermittlungssystem Calingua importiert werden kann. 2.2.2.2 Digitale Instrumente in der Vermittlung / Verrechnung Im Zuge der Digitalisierung sind in den vergangenen Jahren neue Instrumente zur Dolmetschervermittlung entstanden. In der Romandie arbeiten inzwischen fast alle Vermittlungsstellen mit Apps und / oder Web-Plattformen, über welche die Kundinnen und Kunden interkulturell Dolmetschende direkt buchen und die angefragten Personen den Einsatz selbst bestätigen können. Kundinnen und Kunden können über die Apps bzw. Web-Plattformen Dolmetschende nach be‐ stimmten Kriterien (zum Beispiel nach Sprache, Verfügbarkeit und Geschlecht) suchen und eine Anfrage an alle dem Suchprofil entsprechenden Personen starten. AOZ Medios setzt seit 2018 eine App ein, die es der Kundschaft erlaubt, den Dolmetscheinsatz auf dem Smartphone des Dolmetschers oder der Dolmet‐ scherin zu quittieren. Die Angaben werden danach via Cloud ans Vermittlungs‐ system übermittelt; das zeitaufwändige Erfassen der papierenen Einsatzbestä‐ tigungen, welches bis dahin Standard war, entfällt. 2.2.3 Einsatzsprachen und Einsatzbereiche Wie die INTERPRET -Statistiken der jüngeren Vergangenheit belegen 9 , ist die Liste der bei den regionalen Vermittlungsstellen am häufigsten nachgefragten Dolmetschsprachen seit einigen Jahren mehr oder weniger dieselbe, auch wenn es Verschiebungen in der Rangfolge gibt. Darin vertreten sind neuere Migrati‐ onssprachen wie Tigrinya und Arabisch ebenso wie ältere (zum Beispiel Portu‐ giesisch oder Albanisch). Abhängig von den Siedlungsmustern der Migrations‐ bevölkerung gibt es regionale Unterschiede. Das Einsatzvolumen der am häufigsten nachgefragten 12 Sprachen machte 2018 fast 80 % aller vermittelten Einsätze aus. Allein die fünf häufigsten Sprachen (Tigrinya, Arabisch, Albanisch, Tamil, Farsi) deckten fast die Hälfte (49.5 %) aller geleisteten Einsätze ab ( IN‐ TERPRET 2020a). Die Einsatzbereiche der regionalen Vermittlungsstellen umfassen das Bil‐ dungs-, Gesundheits- und Sozialwesen, wobei teilweise auch Einsätze bei Be‐ hörden (zum Beispiel bei den Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden, KESB ) vermittelt werden. 10 Mit 55 % aller Einsätze war das Gesundheitswesen 2018 wie 279 Die Praxis des interkulturellen Dolmetschens in der Schweiz Dolmetschender, die bei Bedarf von den Behörden (z. B. Strafverfolgungsbehörden) und den Gerichten direkt aufgeboten werden. Mehr Informationen zur Zentralstelle finden sich unter: www.gerichte-zh.ch/ organisation/ obergericht/ sprachdienstleistungswesen (10 / 12 / 2020). 11 Die Ausführungen in diesem Kapitel basieren im Wesentlichen auf Informationen der folgenden Expert: innen: Kathrin Kilambya, Staatssekretariat für Migration (SEM), stv. Sektionschefin Anhörungsmanagement, Direktionsbereich Asyl; Christof Maag, Caritas Schweiz, Leiter Fachstelle Integration; Katja Pfohl, Schweizerisches Arbeiterhilfswerk (SAH) Schaffhausen, Bereichsleitung Dolmetschen und Vermitteln. in den Vorjahren der größte Einsatzbereich von interkulturell Dolmetschenden, gefolgt vom Sozialwesen mit 28 % (ibid.). Im Bildungsbereich wurden und werden dagegen vergleichsweise wenig Dolmetscheinsätze vermittelt, was damit zusammenhängen könnte, dass manche Schulen ihre eigenen Netzwerke (Listen) von Dolmetschpersonen pflegen. Diese Dolmetscheinsätze werden in der Einsatzstatistik von INTERPRET nicht erfasst. Ebenfalls nicht in den Zahlen enthalten sind Dolmetscheinsätze, welche im Rahmen der Anhörungen im Asylverfahren geleistet werden. Dieser Bereich ist anders organisiert und wird im folgenden Abschnitt separat beleuchtet. 2.2.4 Interkulturelles Dolmetschen im Asylbereich 11 Das Dolmetschen im Asylverfahren stellt in der schweizerischen Commu‐ nity-Interpreting-Landschaft einen Spezialfall dar, da es zentral durch das Staatssekretariat für Migration ( SEM ) organisiert wird. Das SEM verfügt über einen Pool von rund 480 Dolmetschenden, welche die Schweizer Amtssprachen (ohne Romanisch) sowie ca. 130 Herkunftssprachen abdecken. Die Dolmetsch‐ enden sind als Honorarempfängerinnen / Mandatsnehmer gemäß Schweizer‐ ischem Obligationenrecht beim SEM unter Vertrag. Sie werden im Stundenlohn bezahlt und bei Bedarf durch das SEM angefragt. Die Einsätze dauern, je nach Gesprächsart, unterschiedlich lang - von weniger als einer Stunde bis zu einem Tag; dabei werden die Dolmetschenden für Kurzgespräche telefonisch zuge‐ schaltet, ansonsten erfolgt ihr Einsatz vor Ort (an einem der Standorte des SEM ). Von den Dolmetschenden werden einerseits sehr gute Sprachkenntnisse und ein hohes Maß an Wortgenauigkeit in der Verdolmetschung gefordert, anderer‐ seits wird von ihnen ein neutrales, selbstreflektiertes und zurückhaltendes Ver‐ halten und Handeln erwartet. Da die Diaspora-Gemeinden in der Schweiz in der Regel klein und überdies auf mehrere Sprachregionen verteilt sind, sieht sich das SEM mit der Schwierigkeit konfrontiert, für alle Amtssprachen genügend Dolmetschende zu finden, die diesen hohen Anforderungen gerecht werden. Um hier Abhilfe zu schaffen, strebt das SEM eine Berufsqualifizierung für Asylbzw. 280 Nives Grenko Curjuric & Barbara Strebel Behördendolmetschende an, wobei es mit verschiedenen nationalen und inter‐ nationalen Partnern zusammenarbeitet (Kilambya 2020). Am 1. März 2019 ist in der Schweiz ein neues Gesetz in Kraft getreten, welches schnellere Asylverfahren, kürzere Rekursfristen sowie eine kostenlose Rechts‐ beratung und Rechtsvertretung für die Asylsuchenden während des Verfahrens vorsieht. In der von Hilfswerken geleisteten Rechtsberatung und Rechtsvertre‐ tung werden ebenfalls interkulturell Dolmetschende eingesetzt, wodurch ein neuer Einsatzbereich mit spezifischen Anforderungen für diese entstanden ist (siehe 2.2.4.1). 2.2.4.1 Interkulturelles Dolmetschen in der Rechtsberatung / Rechtsvertretung Die Rechtsberatung / Rechtsvertretung im Asylverfahren stellt einen neuen Ein‐ satzbereich für interkulturell Dolmetschende dar. Es ist zudem einer der we‐ nigen Bereiche (wenn nicht sogar der einzige Bereich), in denen häufiger am Telefon gedolmetscht wird als vor Ort. Die Dolmetschenden stehen bei den Hilfswerken (bzw. deren Vermittlungsstellen) unter Vertrag, welche vom SEM für die Rechtsberatung und Rechtsvertretung im Asylverfahren mandatiert worden sind. Aufgrund des anspruchsvollen Settings (Einsätze am Telefon, die überdies oft kurzfristig erfolgen) und der hohen sprachlichen Anforderungen (Verdolmetschung schwieriger juristischer Fachtermini) müssen Professionis‐ tinnen und Professionisten, die in diesem Bereich tätig sein wollen, spezifische Ausbildungsmodule besuchen sowie über das Niveau C1 des Gemeinsamen Eu‐ ropäischen Referenzrahmens für Sprachen ( GER ) und über einen einwandfreien Leumund verfügen. Zudem ist es ihnen nicht erlaubt, gleichzeitig als Dolmet‐ scher oder Dolmetscherin für Anhörungen im Asylverfahren tätig zu sein. Emp‐ fohlen wird außerdem, dass die verdolmetschten Gespräche nicht mehr als 30 Minuten dauern. 3 Arbeits- und Lebensbedingungen der interkulturell Dolmetschenden 3.1 Kontext: Anforderungen und Anstellungsbedingungen Als Folge des Professionalisierungsprozesses, den das interkulturelle Dolmet‐ schen in der Schweiz durchgemacht hat - 2018 wurden bei den beiden größten Schweizer Vermittlungsstellen Appartenances und AOZ Medios mehr als 70 % der Einsätze von qualifizierten Dolmetschenden geleistet -, sind die Anforde‐ rungen an Personen, die diese Tätigkeit ausüben wollen, kontinuierlich ge‐ stiegen. Neben einer Ausbildung im Dolmetschbereich, zum Beispiel einem Zertifikat INTERPRET oder einem Eidgenössischen Fachausweis für interkultu‐ 281 Die Praxis des interkulturellen Dolmetschens in der Schweiz 12 Bei den porträtierten interkulturell Dolmetschenden handelt es sich um Personen, die bei AOZ Medios angestellt sind. Die Verfasserinnen führten mit ihnen jeweils ein rund 1-stündiges Interview und schrieben die Fallbeispiele aufgrund der Gesprächsprotokolle zusammenfassend nieder. relles Dolmetschen und Vermitteln, und guten Kenntnissen der Zielsprache(n) (mindestens Niveau B2 des GER ), wird bei der Einstellung heute auch vermehrt auf einen Tertiärabschluss im Heimatland bzw. auf gute Qualifikationen in den Ausgangssprachen geachtet. Immer wichtiger werden überdies „weiche“ Faktoren wie Haltung und Rol‐ lenbewusstsein sowie die Fähigkeit der Kandidatinnen und Kandidaten, ihre beruflichen Perspektiven realistisch zu beurteilen. Letzteres ist insbesondere deshalb relevant, weil mit interkulturellem Dolmetschen allein nur die we‐ nigsten Berufsleute ein ausreichendes Lohneinkommen erwirtschaften können. Die Dolmetschenden sind in der Regel im Stundenlohn bei den Vermittlungs‐ stellen angestellt und arbeiten auf Anfrage. Ihr Einsatzvolumen schwankt in Abhängigkeit von der Nachfrage der Kundschaft und der Zahl der pro Sprache verfügbaren Dolmetschenden, die von den Vermittlungsstellen aus Flexibili‐ tätsgründen tendenziell (zu) hoch angesetzt wird. Wie die Fallbeispiele im nächsten Abschnitt zeigen, verlangen die beruflichen Bedingungen den inter‐ kulturell Dolmetschenden einiges an Einsatzwillen und Kreativität ab und stellen eine große Herausforderung für sie dar. 3.2 Fallbeispiele 12 3.2.1 Fallbeispiel 1: Dolmetscher aus Syrien Der erste porträtierte Dolmetscher ist aus Syrien und gut 40 Jahre alt, spricht Arabisch, Kurdisch Kurmanci und Badiny und hat in Damaskus Rechtswissen‐ schaften studiert, ehe er mit seiner Frau und seinem erstgeborenen Kind als Asylsuchender in die Schweiz kam. Nach Erhalt der Aufenthaltsbewilligung war er auf freiwilliger Basis als Kursleiter für Deutsch als Fremdsprache tätig und absolvierte vor einigen Jahren die Ausbildung für interkulturelles Dolmetschen. Mit der Anstellung als Dolmetscher erhielt er erstmals eine Arbeitsbewilligung, was für ihn, wie er sagt, sehr wichtig war, weil es ihm schwergefallen sei, den ganzen Tag untätig zu Hause zu sitzen und von der Sozialhilfe abhängig zu sein. Zurzeit arbeitet er als Vor-Ort-Dolmetscher bei zwei Vermittlungsstellen sowie als Telefondolmetscher in der Rechtsberatung und Rechtsvertretung für Asylsuchende. Darüber hinaus ist er als Integrationsberater, Kursleiter und So‐ zialbegleiter tätig. Trotz dieser Kombination von Tätigkeiten ist es für ihn schwierig, ein genügend hohes und stabiles Familieneinkommen zu generieren. 282 Nives Grenko Curjuric & Barbara Strebel Deshalb sucht er eine Festanstellung. In Zukunft möchte er gerne als Anwalt arbeiten, denn er liebt seinen in Syrien studierten Beruf und möchte diesen auch in der Schweiz ausüben. Er liebt aber auch den Beruf des Dolmetschers, in wel‐ chem er, wie er sagt, ständig Neues dazu lerne. Er findet, dass sich die Dol‐ metschausbildung für ihn gelohnt habe. Er ist der Meinung, dass sein sozialer Status dadurch besser geworden ist. Je mehr Ausbildungen man absolviere, so seine Überzeugung, desto höher sei der soziale Status. Dieser Dolmetscher dolmetscht für Arabisch und Kurdisch sprechende Per‐ sonen aus verschiedenen Ländern, vor allem für Asylsuchende und Personen im Familiennachzug. Er ist in diversen Bereichen im Einsatz mit Ausnahme von Anhörungen im Asylverfahren, in denen er nicht dolmetschen darf, weil er in Syrien politisch aktiv war. Eine Herausforderung beim Dolmetschen sieht er darin, dass die Klientinnen und Klienten oftmals hohe Erwartungen an die Dol‐ metschenden haben, weil diese dieselbe Sprache sprechen und oft auch aus demselben Land stammen wie sie. Manche Klientinnen und Klienten sagten zum Beispiel zu ihm: „Wenn ich etwas sage, das nicht gut ist, dann dolmetsche es bitte nicht.“ Es genüge oft nicht, dass er auf seine Neutralität als professioneller Dolmetscher oder auf Verbote seines Arbeitgebers hinweise, um sich abzu‐ grenzen. Auch wenn er seine Rolle zu Gesprächsbeginn kläre, fragten manche Klientinnen und Klienten während des Gesprächs: „Soll ich das sagen oder nicht? “ Dann müsse er das dolmetschen. Die Fachperson merke ja, dass ein Ge‐ spräch zwischen dem Dolmetscher und der fremdsprachigen Person stattfinde. Er nennt seinen Namen nach Möglichkeit nicht, wenn er zum ersten Mal für jemanden dolmetscht. So könne die fremdsprachige Person nachher nicht in der Diaspora-Community herumerzählen, er sei ein „hochnäsiger Dolmetscher“. Für ihn ist wichtig, dass er seinen Job gut macht. Sein Job sei, alles zu dolmetschen und gut zu dolmetschen. Er sei nicht der Anwalt der Klientinnen und Klienten. Deshalb frage er auch nach, wenn er etwas nicht verstehe. Er sagt, er habe auch schon Unrecht in seinen Dolmetscheinsätzen erlebt, zum Beispiel einen Sozialberater, der arrogant gewesen sei, oder eine Sozialberaterin, die dem Klienten falsche Informationen zur Aufenthaltsbewilligung gegeben habe. Er habe in diesen Situationen aber weder interveniert, noch habe er nach dem Gespräch der Gesprächsleitung ein Feedback gegeben. Er glaubt, das sei nicht sein Job. Während des Gesprächs „stressten“ ihn solche Vorkommnisse ein wenig, aber am Abend könne er das Erlebte ablegen und es beschäftige ihn nicht mehr. Er gibt sich Mühe, neutral zu bleiben; wenn dies nicht möglich ist, bricht er den Einsatz ab bzw. nimmt er keine Folgeaufträge für die gleiche Gesprächs‐ leitung an, aber er mischt sich nicht ein. 283 Die Praxis des interkulturellen Dolmetschens in der Schweiz 3.2.2 Fallbeispiel 2: Dolmetscher aus Eritrea Der zweite porträtierte Dolmetscher ist knapp 40 Jahre alt, in Eritrea geboren und hat dort neun Jahre die Schule besucht. Er ist das fünfte von insgesamt neun Kindern in der Familie und spricht neben seiner Muttersprache Tigrinya ein wenig Amharisch und Englisch. Nach seiner Flucht in die Schweiz und dem Erhalt der Aufenthaltsbewilligung vor gut 10 Jahren nahm er an verschiedenen Integrationsprogrammen teil und arbeitete freiwillig als Dolmetscher bei Bera‐ tungsstellen für Asylsuchende. Später absolvierte er die Dolmetschausbildung und begann, professionell als Dolmetscher zu arbeiten. Er leistete während mehrerer Jahre drei bis fünf Dolmetscheinsätze täglich. Trotzdem reichte der Lohn kaum für ein ordentliches Monatseinkommen. Des‐ halb entschloss er sich, eine Lehre als Lebensmitteltechnologe anzutreten. Er merkte jedoch schnell, dass ihm dieser Beruf nicht zusagte, und beschloss, sich auf dem zuvor eingeschlagenen Weg weiterzuentwickeln. So lernte er stetig weiter Deutsch (heute hat er die GER -Stufe C2 abgeschlossen) und absolvierte einen Hochschullehrgang für interkulturelle Kommunikation. Seither hält er an zwei Hochschulen regelmäßig kleine Lehrveranstaltungen zu interkulturellen Themen ab. Daneben ist er als Integrationsberater, Kursleiter sowie als Integ‐ rationsbegleiter für minderjährige Flüchtlinge tätig. Er ist zurzeit dabei, die Ma‐ turität für Erwachsene nachzuholen, weil er Soziale Arbeit studieren möchte. Den Besuch der Dolmetschausbildung und die Tätigkeit als Dolmetscher er‐ achtet er als ausschlaggebend für sein berufliches Fortkommen. Am Dolmet‐ scherberuf schätzt er, dass er sein Wissen bei jedem Einsatz erweitern kann. Dieser Dolmetscher dolmetscht hauptsächlich für Eritreer und Eritreerinnen aus dem Asylbereich. Manchmal ärgert er sich über sie, zum Beispiel wenn er sieht, dass sie sich weigern, mit Schweizer Fachpersonen zu kooperieren und beispielsweise an einem Integrationsprogramm teilzunehmen. Aber auch die Sprache hat aus seiner Sicht ihre Tücken: Wenn ein Sozialberater oder eine So‐ zialberaterin einen Flüchtling fragt, ob er oder sie an einem Integrationspro‐ gramm teilnehmen möchte, so sei das eine rhetorische Frage bzw. eine Auffor‐ derung, die als Frage formuliert werde und deshalb irrtümlich wie eine freie Wahlmöglichkeit klinge. Mittlerweile dolmetscht er solche Fragen etwas freier und erklärt den Flüchtlingen, dass es wichtig sei, an den Programmen teilzu‐ nehmen und Kooperationsbereitschaft zu zeigen. Über seine Vorgehensweise informiert er die Gesprächsleitung. Dieser Dolmetscher hat auch schon rassistische Äußerungen von Sozialar‐ beitenden gehört. Er sagt, dass er beim ersten Mal nicht reagiert habe, aber als sich dies bei einem anderen Dolmetscheinsatz bei der gleichen Fachperson wie‐ 284 Nives Grenko Curjuric & Barbara Strebel derholte, habe er interveniert und gesagt, seines Erachtens sei dies nicht die korrekte Wortwahl. Daraufhin habe sich die Fachperson entschuldigt. 3.2.3 Fallbeispiel 3: Dolmetscherin aus dem Iran Die dritte porträtierte Dolmetscherin ist Mitte 30, in Teheran, Iran, geboren und hat dort das Gymnasium sowie das erste Studienjahr an der Universität besucht, das sie wegen der Ausreise in die Schweiz jedoch abbrechen musste. Als ältestes von fünf Kindern berufstätiger Eltern musste sie früh Verantwortung für ihre Geschwister übernehmen. Mit 20 Jahren kam sie als Asylsuchende in die Schweiz. Noch während des Besuchs von Deutschkursen absolvierte sie ein Pflegepraktikum in einem Spital und konnte in der Folge eine Lehre als Fachfrau Gesundheit machen. Danach bildete sie sich zur diplomierten Pflegefachfrau weiter und schloss parallel dazu die Ausbildung zur interkulturellen Dolmet‐ scherin ab. Heute dolmetscht sie neben einer Vollzeit-Tätigkeit als Teamleiterin Pflege in einem großen Spital in verschiedenen Einsatzbereichen, hauptsächlich jedoch im Gesundheitswesen, und zwar in der Psychotherapie von traumatisierten Flüchtlingen, eine Tätigkeit, die sie als sehr spannend und trotz aller emotio‐ nalen Betroffenheit sogar als erholsam erlebt. Sie ist der Meinung, dass sie das Vertrauen, welches die Patientinnen ihr schenken, auch ihrer Ausbildung als Pflegefachfrau zu verdanken hat. Im Erstgespräch teilt sie den Patienten jeweils mit, dass sie sowohl Dolmetscherin als auch Krankenschwester ist. So erlebt sie, dass sogar männliche Patienten in ihrer Anwesenheit über Liebe und Sexualität sprechen können. Als wichtigen Faktor bei der Vertrauensgewinnung bewertet sie die Tatsache, dass sie beim Dolmetschen nie die Mimik verändere. Sie hält kaum Blickkontakt mit den Patientinnen. Das mache ihr Leben einfacher, stärke ihre Neutralität und helfe ihr, sich besser abzugrenzen. Sie nimmt an, dass die Patienten so (eher) vergessen, dass noch eine Dolmetscherin anwesend ist und stärker auf den Therapeuten oder die Therapeutin fixiert sind, was ja wichtig und auch ihr Ziel sei. Wenn sie weiß, dass in einer Sitzung eine Traumabear‐ beitung geplant ist, drückt sie außerdem die Finger „wie Angela Merkel“ zu‐ sammen. Dadurch spürt sie sich selber stärker und kann sich besser konzent‐ rieren. Auch eine bewusste Atmung helfe, wenn Patientinnen und Patienten weinten oder kollabierten. Um Belastendes aus ihrer Dolmetschtätigkeit verar‐ beiten zu können, besucht sie regelmäßig die Supervision und verlangt von den gesprächsleitenden Psychotherapeutinnen und -therapeuten nach der Sitzung ein Debriefing. Seit sie als Dolmetscherin arbeitet, verfügt sie nach eigenem Bekunden über ein größeres Selbstwertgefühl. Die Tätigkeit als Dolmetscherin gibt ihr sogar 285 Die Praxis des interkulturellen Dolmetschens in der Schweiz mehr Selbstwertgefühl als die Tätigkeit als Teamleiterin Pflege im Krankenhaus. Finanziell lohne sich das Dolmetschen für sie, weil sie dank des Zusatzeinkom‐ mens häufiger in die Ferien fahren könne. Außerdem gebe ihr das Dolmetschen Sinn im Leben. Auch der soziale Status sei gewachsen durch die Tätigkeit als Dolmetscherin. Sie erfahre von Bekannten und Kolleginnen viel Anerkennung für diesen Beruf, sogar mehr als für ihren Beruf als diplomierte Pflegefach‐ person. Diese Dolmetscherin dolmetscht sowohl für Iraner und Iranerinnen als auch für Afghaninnen und Afghanen. Letzteres sei für sie fast einfacher, weil sie als Nicht-Afghanin weniger ethnischen Stigmatisierungen ausgesetzt sei. Wegen der zahlreichen ethnischen Konflikte in Afghanistan hätten zum Beispiel Pasch‐ tunen große Mühe, einem Landsmann oder einer Landsfrau zu vertrauen, der oder die nicht Paschtune oder Paschtunin ist. Seitens ihrer iranischen Landsleute erlebe sie mehr Misstrauen als von Afghanen und Afghaninnen. Ungerechtig‐ keiten hat sie in den Dolmetscheinsätzen gemäß ihren eigenen Aussagen selten erlebt, manchmal jedoch mangelndes interkulturelles Fingerspitzengefühl und mangelnde Kommunikationskompetenz seitens der Gesprächsleitungen. In sol‐ chen Situationen ärgert sie sich zwar, lässt sich jedoch nichts anmerken und interveniert auch nicht. Dabei hilft ihr wieder, dass sie auf Blickkontakt ver‐ zichtet. 3.3 Kommentar zu den Fallbeispielen und Fazit Alle drei porträtierten Dolmetschenden halten fest, dass sich die Dolmetsch‐ ausbildung (konkret: der Erwerb des Zertifikats INTERPRET ) und die Aufnahme der beruflichen Tätigkeit als Dolmetscher oder Dolmetscherin für sie gelohnt habe. Die Tätigkeit als Dolmetscher oder Dolmetscherin ermöglicht ihnen ei‐ nerseits ein (bescheidenes) Einkommen, ist aber auch interessant für sie, weil sie ihr Wissen und ihr Netzwerk dabei erweitern können. Darüber hinaus er‐ leben sie die Tätigkeit als persönlich bereichernd und als sinnvollen gesell‐ schaftlichen Beitrag, für den sie Anerkennung und Wertschätzung erhalten. Mit Bourdieu können wir also sagen, dass sich das kulturelle, soziale und symboli‐ sche Kapital der interkulturell Dolmetschenden erhöht hat. Und Prunč können wir entgegenhalten, dass der Abschluss einer anerkannten Dolmetschausbil‐ dung und die Aufnahme einer Tätigkeit als professioneller Dolmetscher oder professionelle Dolmetscherin wesentlich dazu beitragen können, dass Dolmet‐ schende sich aus dem „Bannkreis der Ohnmacht“ befreien und sozial aufsteigen können. Unterstützung erfuhren und erfahren die Dolmetschenden in diesem Prozess durch die Professionalisierungsbemühungen, die in der Schweizer Commu‐ 286 Nives Grenko Curjuric & Barbara Strebel nity-Interpreting-Landschaft stattgefunden haben und weiterhin stattfinden. Dank dem Qualifizierungssystem, dem Berufskodex und den Empfehlungen zur Qualitätssicherung von INTERPRET sowie dank der regionalen Vermittlungs‐ stellen, welche den Dolmetschenden die Möglichkeit geben, ihrem Beruf in ge‐ regelten vertraglichen Verhältnissen nachzugehen, ist es vielerorts gelungen, dem interkulturellen Dolmetschen ein hohes symbolisches Kapital angedeihen zu lassen. Das gilt zum Beispiel für das Gesundheitswesen und hier ganz be‐ sonders für die Psychotherapie von traumatisierten Flüchtlingen, wie das Fall‐ beispiel 3 zeigt. Mit der schweizerischen Interessengemeinschaft INTERPRET verfügen die Dolmetschenden in der Schweiz überdies über eine starke berufs‐ ständische Interessenvertretung, die hilft, das von Prunč in dieser Hinsicht ge‐ ortete Ungleichgewicht zwischen Kommunal- und Konferenzdolmetschen zu verringern. Anders als das kulturelle, soziale und symbolische Kapital bleibt das ökono‐ mische Kapital des interkulturellen Dolmetschens allerdings gering; alle Port‐ rätierten üben neben dem Dolmetschen noch andere Tätigkeiten aus, um ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Damit auch das ökonomische Ka‐ pital für die Dolmetschenden erhöht werden könnte, müssten wahrscheinlich andere Anstellungsformen gefunden werden - etwa Festanstellungen mit fixen Arbeitspensen (d. h. einer vertraglich festgelegten wöchentlichen oder monat‐ lichen Arbeitsstundenzahl), höhere Stundensätze und / oder kleinere Dolmet‐ scher-Pools bei den Vermittlungsstellen, um eine höhere Auslastung der ein‐ zelnen Dolmetschenden zu erreichen. Solche Maßnahmen würden es mehr Interessenten erlauben, hauptberuflich als Dolmetscher oder Dolmetscherin tätig zu sein. Bezeichnenderweise sind es die beiden männlichen Dolmetscher in den Fallbeispielen 1 und 2, welche die mangelnde finanzielle Sicherheit in diesem Beruf als belastend hervorheben. Ein größeres ökonomisches Kapital würde sich zweifellos auch in einem erhöhten symbolischen Kapital der inter‐ kulturell Dolmetschenden niederschlagen, was auch dem bei den männlichen Interviewten spürbar werdenden Streben nach (vermeintlich oder tatsächlich) angeseheneren Berufen (Anwalt, Sozialarbeiter) gegensteuern würde. Angesprochen auf die ethischen Fragen, die Prunč aufwirft, bleiben die port‐ rätierten Personen zurückhaltend: Es wird deutlich, dass sie sich eher gegenüber den eigenen Landsleuten abgrenzen müssen und Ungerechtigkeit seitens der Gesprächsleitung selten erleben und noch seltener bekämpfen. Sie betonen, dass für sie die Grundregeln der Neutralität bzw. der Allparteilichkeit, wie im Be‐ rufskodex von INTERPRET formuliert ( INTERPRET 2015) und der Transparenz über allem stehen (siehe zur Transparenz die Fallbeispiele 1 und 2). In Rechnung gestellt werden muss hier allerdings auch, dass die Kommunikationssituation 287 Die Praxis des interkulturellen Dolmetschens in der Schweiz im Gesundheitswesen, wo medizinische Fachpersonen ohne die Einwilligung der Patientinnen und Patienten keine eigenen Entscheidungen treffen können, etwas weniger asymmetrisch ist als zum Beispiel bei Beratungsgesprächen auf Sozialämtern, wo es um die Bewilligung finanzieller Leistungen geht. So über‐ rascht es denn auch wenig, dass der einzige in den Fallbeispielen greifbare Fall einer Intervention durch einen Dolmetscher (siehe Fallbeispiel 2) im Kontext der Sozialberatung stattfand. Literatur AOZ Medios (2018). Bericht über die Betriebsjahre 2011-2017 des Nationalen Telefon‐ dolmetschdienstes (mit Schwerpunkt 2014-2017). 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Berlin: Frank & Timme, 21-42. 289 Die Praxis des interkulturellen Dolmetschens in der Schweiz Translationskultur verortet Von der Theorie zur Praxis Ausgewählte Praxisprojekte aus dem DACH -Raum Katia Iacono Abstract: In den letzten Jahrzehnten ging die ursprüngliche „Gastarbeiter‐ migration“ nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz in eine konti‐ nuierliche Zuwanderung über, die zu einem langfristigen oder permanenten Aufenthalt dieser Arbeitskräfte in den Zielländern führte. In Folge dieser neuen Herausforderung entstanden Praxisprojekte, die auf die Überbrückung von Kommunikationsbarrieren im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen und somit auf die Erreichung einer nachhaltigen Integration von Menschen mit Migrationshintergrund abzielen. Dieser Beitrag beschreibt eine kleine Auswahl an Praxisprojekten aus dem DACH -Raum und versucht, Unter‐ schiede und Ähnlichkeiten hinsichtlich der Art und Weise, wie Dolmet‐ schende innerhalb dieser Projekte eingesetzt werden, zu beleuchten. 1 Rahmenbedingungen der Untersuchung Die Auswahl der vorgestellten Praxisprojekte wurde ausgehend von der Häu‐ figkeit der Projektnennung in der Literatur zum Community Interpreting im DACH -Raum (u. a. Allaoui 2005, Stofner 2006, Wolfsgruber 2007, Ahamer 2013, Flubacher 2013, Wächter & Vanheider 2015, Brägger 2019, INTERPRET 2019) vorgenommen. Die Suche erfolgte zwischen Juli und November 2019 auf der Basis öffentlich zugänglicher Informationen im Internet und in der Literatur unter Einbeziehung der folgenden drei Kategorien: 1) Informationen zum Pro‐ jektträger und zur Projektfinanzierung; 2) Informationen zum Praxisprojekt: Startdatum des Praxisprojektes bzw. Gründungsjahr des Projektträgers, geo‐ grafischer Wirkungsbereich, Angebot und Zielgruppe; 3) Informationen zum Dolmetschdienst: Kriterien für die Dolmetschendensuche, Arbeitsverhältnis 1 Aufgrund unvollständiger Informationen in den angeführten Kategorien konnten ei‐ nige anspruchsvolle Praxisprojekte wie beispielsweise das AusländerInnen-Integrati‐ onsbüro der Stadt Linz und der Dolmetschdienst des St. Anna Kinderspitals in Wien für Österreich oder die bikup gGmbH, der Fördern&Wohnen-Dolmetschpool und SPUK für Deutschland nicht berücksichtigt werden. Der vorliegende Beitrag stellt somit nur eine exemplarische Auswahl dar und erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit weder hinsichtlich der Praxisprojekte noch der dargestellten Informationen. Alle beschrie‐ benen Projekte bestehen seit längerer Zeit und weisen Erfahrung in der Aufstellung von Projektfinanzierungen seitens ihrer Träger auf. Daher wurde angenommen, dass diese Projekte auch in Zukunft existieren werden. Nichtsdestotrotz kann sich die Pro‐ jektlandschaft aufgrund der Förderlage, die u. a. von der politischen Situation abhängt, relativ schnell ändern und die erfassten Daten können somit rasch an Aktualität ver‐ lieren. 2 Im gesamten Artikel werden dolmetschende Personen als Dolmetschende bezeichnet. Abweichende Formen (DolmetscherInnen, Integrationsmittler- und Kultur‐ mittler*innen) werden immer dann verwendet, wenn im jeweiligen Praxisprojekt dol‐ metschende Personen explizit anders genannt werden. sowie Begleitung der Dolmetschenden und Organisation der Dolmetschein‐ sätze. 1 In den folgenden Abschnitten werden die ausgewählten Praxisprojekte län‐ derweise in alphabetischer Reihenfolge vorgestellt: in Deutschland der Gemein‐ dedolmetschdienst Berlin, der Gemeindedolmetscherdienst des EMZ in Han‐ nover, der Gemeindedolmetscher-Service für München, SprInt sowie der UKE -Dolmetscherdienst; in Österreich die BrückenbauerInnen, die Dolmetsch‐ enden 2 des Diakonie Flüchtlingsdienstes und der Vereine Hemayat, OMEGA und ZEBRA ; in der Schweiz AOZ Medios, Caritas Luzern, Comprendi, Lingua‐ dukt HEKS und verdi. Abschließend werden landesweite Unterschiede und Ähnlichkeiten zusammengefasst. 2 Praxisprojekte 2.1 Ausgewählte Praxisprojekte in Deutschland Der Gemeindedolmetschdienst Berlin ( GDD ) (Wächter & Vanheider 2015: 31 ff., GDD 2019) wurde 2003 vom Verein Gesundheit Berlin Brandenburg e. V. ge‐ schaffen und vermittelt sogenannte Honorardolmetscher*innen als Sprach- und Kulturmittler*innen an Berliner Einrichtungen aus dem Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen. Der Gemeindedolmetschdienst zeichnet sich durch einen kurzen aber informativ gehaltenen Webauftritt aus und wird von der Senats‐ verwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung finanziert. Die speziali‐ sierten Honorardolmetscher*innen werden an Institutionen aus dem öffentli‐ chen Gesundheitsdienst sowie freie Träger des Berliner Gesundheits- und 294 Katia Iacono Sozialwesens kostenpflichtig vermittelt: Das Honorar wird mit den Instituti‐ onen direkt verhandelt, wobei der GDD derzeit ein Mindesthonorar von EUR 30,- pro Stunde empfiehlt. Für den medizinischen Bereich besteht die Möglich‐ keit einer Kostenerstattung durch das Landesamt für Flüchtlingsangelegen‐ heiten. Die ca. 150 freiberuflichen Sprach- und Kulturmittler*innen decken über 50 Sprachen ab. Alle Dolmetscheinsätze können von den anfragenden Institu‐ tionen per E-Mail, Telefon oder mittels Online-Formulars gebucht werden. Auch das 1989 gegründete Ethno-Medizinische Zentrum e. V. ( EMZ ) verfügt über einen Gemeindedolmetscherdienst (Wächter & Vanheider 2015: 33 ff., EMZ 2019). Der Webauftritt des Projektes ist zwar nicht besonders detailliert, im Web verstreut finden sich aber zahlreiche Informationen zum Dolmetschdienst. Der gemeinnützige Verein mit Hauptsitz in Hannover und drei Landesfilialen in Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen versteht sich als nationales Kompetenz- und Referenzzentrum für Gesundheit und leitet diverse Projekte, die auf die Verbesserung der Gesundheit von Migrant: innen abzielen. Förderer des Gemeindedolmetscherdienstes, dessen geografischer Wirkungsbereich über die Stadt Hannover hinausgeht, sind das Niedersächsische Sozialministerium, die Stadt Hannover und die Region Hannover. Die ca. 180 freiberuflichen (zum Teil auch gerichtlich beeideten) Dolmetscher/ -innen decken 50 Sprachen ab und werden für Einsätze in Zusammenarbeit mit Institutionen und Fachkräften aus den Bereichen Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen ausgebildet. Die Dol‐ metschhonorare werden auf Stundenbasis exkl. Fahrtkosten berechnet (laut Wächter & Vanheider 2015: 35 EUR 24,-/ Stunde im Jahr 2015), wobei die ge‐ wünschte Leistung telefonisch oder per E-Mail gebucht werden kann. Manche Institutionen gelten als „Großkunden“ und haben zusätzlich eine Vermittlungs‐ gebühr zu entrichten (ca. EUR 15,im Jahr 2015). Neben dem eigenen Gemein‐ dedolmetscherdienst bildet das EMZ im Rahmen verschiedener Projekte Laien‐ dolmetschende aus. Ein Beispiel stellt das durch das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung geförderte Projekt „Gemeindedolmetschen in Niedersachsen“ dar ( NIDO 2019a). Dabei wurden 21 gut integrierte Migrant: innen im Rahmen eines 60-stündigen Kurses als Dol‐ metschende für eine kleine Auswahl an Bedarfssprachen ausgebildet ( NIDO 2019b). Darüber hinaus wurden im Rahmen dieses Projekts auch Fachkräfte für die Zusammenarbeit mit den Dolmetscher/ -innen geschult. Ein ähnliches Praxisprojekt ist der Gemeindedolmetscher-Service für München (Zeman 2012: 461, GDS 2019a sowie 2019b). Projektträger ist das Bayerische Zentrum für Transkulturelle Medizin e. V., ein 1996 gegründeter Verein, der auf die Verbesserung der transkulturellen Arbeit im medizinischen, sozialen, psy‐ chologischen und ethnologischen Bereich abzielt. Der Gemeindedolmet‐ 295 Von der Theorie zur Praxis scher-Service verfügt über eine Website mit detaillierten Informationen zum Dolmetschangebot und wird vom LH München, vom Bezirk Oberbayern und vom Landratsamt München gefördert. Die eingesetzten freiberuflichen Dolmet‐ scherInnen sind Migrant: innen, die 80 Sprachen abdecken, im Rahmen einer achttägigen Ausbildung in Zusammenarbeit mit dem EMZ geschult wurden und Einrichtungen aus dem sozialen und medizinischen Bereich zur Verfügung stehen. Für sie ist die Teilnahme an Supervisionen und eine verpflichtende Wei‐ terbildung vorgesehen. Die Beauftragung der DolmetscherInnen erfolgt mittels Kontaktformulars, telefonisch oder per E-Mail. Für jeden Dolmetscheinsatz - ob vor Ort oder am Telefon - stehen den Fachkräften der jeweiligen Einrich‐ tungen ein fünfminütiges Vorgespräch sowie ein Nachgespräch mit der dol‐ metschenden Person zur Verfügung. Der Dolmetscher-Service ist zwar kosten‐ pflichtig, die Gebühren sind laut Angaben der Trägereinrichtung aber kostendeckend. Die Dolmetschkosten setzen sich aus einem Stundenhonorar, einer Fahrtkostenpauschale und einer Vermittlungsgebühr zusammen. Vor ca. zehn Jahren wurde auf Initiative der Diakonie Wuppertal das beson‐ ders renommierte Projekt SprInt - Sprach- und Integrationsmittler/ -innen ins Leben gerufen (Wächter & Vanheider 2015: 21 ff., SprInt 2019). Ende 2015 wurde SprInt durch die Gründung der Trägergenossenschaft SprInt gemeinnützige eG aus der Diakonie ausgegliedert. Die Dolmetschleistungen werden auf der Web‐ site des Projekts ausführlich dargestellt und richten sich an Einrichtungen aus dem Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich in und außerhalb Wuppertals. Alle Projektmitwirkenden sind Bestandteil der Genossenschaft und werden Voll-, Teilzeit oder mittels eines Minijobs angestellt. Die Sprach- und Integrati‐ onsmittler/ -innen decken zahlreiche Sprachen ab und werden durch SprInt Wuppertal im Rahmen einer 18-monatigen Vollzeitausbildung geschult. Nach der Abschlussprüfung, die u. a. in Zusammenarbeit mit dem UKE erfolgt, er‐ halten sie ein bundesweit anerkanntes Zertifikat. Durch Kundenfeedback, Su‐ pervision und ständige Weiterbildung wird für hohe Qualität gesorgt. Die Kosten für die Dolmetschleistungen, die online gebucht werden können, be‐ laufen sich derzeit auf EUR 42,pro Stunde, wobei pro Einsatz mindestens eine Stunde berechnet wird. Je nach Einsatzgebiet wird ein Zuschlag für die An- und Abfahrt sowie für Notfalleinsätze, Wochenendbzw. Früh- und Spätdienste in Rechnung gestellt. Neben dem Dolmetschen vor Ort werden auch Telefondol‐ metschen für Arabisch, Dari, Farsi und Kurdisch (Kurmancî und Soranî) und Videodolmetschen angeboten. Der UKE -Dolmetscherdienst (Allaoui 2005: 52 f., Schmidt-Glenewinkel 2013: 95 f., UKE 2019) wurde als eines der ältesten Praxisprojekte Deutschlands bereits 1994 im Rahmen des Projektes „Migrantenversorgung im UKE , Sprach- 296 Katia Iacono 3 Unabhängig vom Dolmetscherdienst leistet das UKE einen wichtigen Beitrag zum In‐ tegrationsdiskurs. Derzeit ist das UKE z. B. am EU-Projekt „ZwischenSprachen. Quali‐ tätsstandards zur Qualifizierung von Sprachmittlern in der sozialen Arbeit“ beteiligt (ZwischenSprachen 2019). 4 Dabei handelt es sich um ein Klinik-Informationssystem, das auch als klinisches Ar‐ beitsplatzsystems (KAS) bekannt ist. Das System ermöglicht die Umsetzung von elekt‐ ronischen Patientenakten (Caspar 2010). und Kulturmittlung“ durch das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf ge‐ gründet. 3 Der Webauftritt des Dolmetscherdiensts ist überschaubar und bietet nur einen knappen Überblick zu den Dolmetschleistungen. Ursprünglich für die Frauen- und Kinderklinik vorgesehen wurde der Dolmetscherdienst in den fol‐ genden Jahren auf alle Krankenhauskliniken ausgeweitet und zwischen 2002 und 2004 an ein Privatunternehmen ausgelagert. Seit 2004 ist er wieder in das International Office des UKE eingegliedert. Für in Deutschland wohnhafte und sozialversicherte UKE -Patient: innen kann derzeit ausschließlich das Kranken‐ hauspersonal mittels einer Soarian-Beauftragung 4 die Dolmetschleistungen an‐ fordern. Derzeit besteht der Dolmetschservice aus etwa 160 Dolmetschenden, die ca. 70 Sprachen inklusive der deutschen Gebärdensprache abdecken. Sie sind größtenteils im Rahmen des Projektes „Migrantenversorgung im UKE “ ge‐ schulte freiberufliche Migrant: innen mit Sprachkenntnissen, professionelle bzw. vereidigte Dolmetschende und Medizinstudierende. Ihre Abrechnung er‐ folgt auf Stundenbasis zuzüglich einer Fahrtkostenpauschale. Die Dolmetsch‐ enden können an einem breiten Angebot von Fortbildungen, Vorträgen und Se‐ minaren teilnehmen. 2.1.1 Zusammenfassung der deutschen Praxisprojekte Abgesehen vom UKE -Dolmetscherdienst, der von einem Gesundheitsbetrieb in die Wege geleitet wurde und ausschließlich medizinisches Dolmetschen an‐ bietet, stellen die restlichen Praxisprojekte Initiativen von gemeinnützigen Ver‐ einen dar, die ihren Fokus auf Institutionen aus dem Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen legen. Mit der Ausnahme des Projekts SprInt, welches von Sprach- und IntegrationsmittlerInnen spricht, tragen die restlichen Projekte ähnliche Bezeichnungen: Dolmetscherdienst, Gemeindedolmetscherdienst, Ge‐ meindedolmetschdienst bzw. Gemeindedolmetscher-Service. Fast alle deut‐ schen Projekte verfügen über einen detaillierten Webauftritt: Nur beim UKE -Dolmetscherdienst finden sich auf der Website des Krankenhauses wenige Informationen, obwohl das Projekt einen besonders großen Bekanntheitsgrad und eine lange Geschichte aufweist. Die im Rahmen der Projekte eingesetzten DolmetscherInnen sind hauptsächlich Personen mit Migrationshintergrund. 297 Von der Theorie zur Praxis Nur im Rahmen von SprInt sind sie als Angestellte Teil der Vereinsstruktur, während sie in allen anderen Fällen freiberuflich tätig sind. Ein gemeinsamer Nenner ist das Engagement der Initiativen im Bereich der Ausbzw. Weiterbil‐ dung und Begleitung der Dolmetschenden: Neben der Qualifizierung und Be‐ gleitung (u. a. in Form von Supervision) der eigenen Dolmetschenden beteiligen sich die Projektträger auch an Ausbildungsprogrammen weiterer Projekte und scheinen gut miteinander vernetzt zu sein. 2.2 Ausgewählte Praxisprojekte in Österreich Der Dolmetschpool BrückenbauerInnen (Ahamer 2013: 131 f., Brückenbaue‐ rInnen 2019) stellt ein Projekt des 2011 in Vorarlberg gegründeten Kompetenz‐ zentrums okay.zusammen leben dar. Träger von okay.zusammen leben ist der Verein Aktion Mitarbeit e. V.. Die BrückenbauerInnen entstanden nach dem Vorbild des Schweizer verdi und des Dolmetschdienstes der Stadt Winterhur und werden seitens der Vorarlberger Landesregierung finanziell unterstützt. Die angebotenen Dolmetschleistungen stehen kostenlos für die Elternarbeit in Spiel‐ gruppen, Kindergärten und Schulen zur Verfügung. Die BrückenbauerInnen sind Dolmetschende mit Migrationshintergrund, die laut Angabe des Träger‐ vereins über gute Sprach- und Kulturkenntnisse, institutionelle Kompetenz und Dolmetscherfahrung verfügen. Den auf Honorarbasis arbeitenden Dolmetsch‐ enden wird ein umfassendes Weiterbildungs- und Intervisionsprogramm zur Verfügung gestellt; wissenschaftliche Unterstützung erhält das Projekt vom In‐ stitut für Übersetzen und Dolmetschen der Hochschule Winterthur. Die Dol‐ metscheinsätze können mittels Online-Formulars für insgesamt 18 verschiedene Sprachen gebucht werden. Die Kosten werden für eine maximale Dauer von 2 Stunden vom Projektträger übernommen; zusätzlich steht den Einrichtungen ein 15-minütiges Vorgespräch mit den Dolmetschenden zur Verfügung. Für das Angebot von Psychotherapie, Sozial-, Rechts- und medizinischer Be‐ treuung greift auch der Diakonie Flüchtlingsdienst (Stofner 2006: 21, Diakonie 2019) auf die Zusammenarbeit mit Dolmetschenden zurück. Vor 30 Jahren ins Leben gerufen, ist der Diakonie Flüchtlingsdienst in allen österreichischen Bun‐ desländern im Rahmen verschiedener Einrichtungen, die sich an Migrant: innen, Flüchtlinge, Asylsuchende sowie Österreicher: innen richten, aktiv. Träger des Praxisprojektes ist die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH. Die Sprachen, in denen der Diakonie Flüchtlingsdienst Dolmetschungen anbietet, orientieren sich am momentanen Bedarf. Für die Dolmetschendensuche werden auf der Website Ausschreibungen veröffentlicht, die Kriterien wie z. B. sehr gute Sprachkenntnisse, Dolmetscherfahrung, emotionale Belastbarkeit und Rollen‐ klarheit enthalten. Manche Dolmetschende - wie jene, die in den ARGE Rechts‐ 298 Katia Iacono 5 AmberMed wird darüber hinaus von Studierenden des Masterstudiums der Universität Wien Translation unterstützt. beratungsstellen dolmetschen - werden auf der Basis eines freien Dienstvert‐ rages angestellt. Andere - wie etwa jene, die für AmberMed 5 (Wien) im medizinischen Bereich dolmetschen - verrichten ihre Arbeit wie alle anderen Mitarbeiter: innen des Diakonie Flüchtlingsdiensts ehrenamtlich. Dolmetsch‐ vermittelte Psychotherapie wird im Zentrum für interkulturelle Psychotherapie ANKYRA (Tirol) sowie im Interkulturellen Psychotherapiezentrum (Niederös‐ terreich) JEFIRA angeboten. Beide Zentren werden durch den Asyl-, Migra‐ tions- und Integrationsfonds, das Bundesministerium für Inneres und das Land Tirol gefördert. Dolmetschende, die in der Psychotherapie eingesetzt werden, werden geschult und begleitet. Alle Dolmetschenden können den sogenannten kostenpflichtigen „Kommunaldolmetsch-Kurzlehrgang für Dolmetscher*innen im Sozial- und Gesundheitsbereich“ besuchen, der durch ausgebildete Dolmet‐ schende geleitet wird. Im Wiener Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende, Hemayat (Stofner 2006: 21, Ahamer 2013: 126, Hemayat 2019) liegt der Fokus auf dem Dol‐ metschen in der Psychotherapie. Hemayat ist ein 1995 gegründeter gemeinnüt‐ ziger Verein, dessen Aktivitäten von verschiedenen staatlichen Einrichtungen, u. a. vom Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds, vom Bundesministerium für Inneres sowie unabhängigen Organisationen und privaten Spendenden unter‐ stützt werden. Hemayat bietet anderssprachigen Menschen, die Folter- und Kriegstraumata erlitten haben, kostenlose medizinische, psychologische und psychotherapeutische Betreuung (ungeachtet der Staatsangehörigkeit, des Vor‐ handenseins einer Versicherung und der persönlichen finanziellen Situation der Betroffenen). Voraussetzung für eine Betreuung ist ein Wohnsitz in Wien, falls ein Befundbericht vorhanden ist, werden aber auch Menschen aus anderen Bundesländern aufgenommen. Die Zuweisung kann entweder über andere Ein‐ richtungen oder über eine persönliche Anmeldung erfolgen. Damit das psycho‐ therapeutische Angebot kostenlos bleiben und das Prinzip der Sparsamkeit er‐ füllt werden kann, bieten die in der transkulturellen Psychotherapie eingesetzten DolmetscherInnen - wie alle anderen Mitarbeitenden - ihre Dienste zu reduzierten Tarifen an. Hemayat ist sich der besonderen psychischen Belastungen des Dolmetschens im psychotherapeutischen Bereich bewusst und geht auf der Website des Vereins auf die Herausforderung dieser Interaktionen ein. Den DolmetscherInnen wird darüber hinaus eine begleitende Supervision angeboten (Gamperl 2015). 299 Von der Theorie zur Praxis 6 Laut Angaben des Trägervereins war die Basis für Dolmetscheinsätze in den Grazer Pflichtschulen ein Vertrag mit dem Integrationsreferat der Stadt Graz, der dann nicht mehr verlängert wurde. Ein weiteres Praxisprojekt stellt der Dolmetschpool des Vereins OMEGA dar (Stofner 2006: 17 f., Wolfsgruber 2007: 30, Ahamer 2013: 126, Ausländer.at 2019, OMEGA 2019). Gegründet im Jahr 1995, versteht sich OMEGA als transkultu‐ relles Zentrum für psychische und physische Gesundheit und Integration. OMEGA ist sowohl in Graz als auch durch ein 2009 eröffnetes Projektbüro in Hartberg tätig. Zu den fördergebenden Stellen von OMEGA zählen u. a. das Land Steiermark, die steiermärkische Gebietskrankenkasse, die Stadt Graz und einige Bundesministerien. Die angebotene transkulturelle Psychotherapie ist kos‐ tenlos und kann auf Deutsch, Bosnisch, Englisch, Kroatisch, Russisch oder Ser‐ bisch erfolgen. Für andere Sprachen wird - laut der oben angeführten Literatur - auf einen 1997 gegründeten Dolmetschpool zurückgegriffen, dessen professio‐ nelle und nicht-professionelle, interne und externe DolmetscherInnen nicht nur in Graz, sondern auch in der gesamten Steiermark eingesetzt werden (Antrag Nr. 550 / 2014 (2019) - Angebote für Flüchtlingskinder). Das Angebot des Dol‐ metschpools wird als kostenloser Dienst für den Gesundheitsbereich und bis vor kurzem auch für Schulen 6 beschrieben. Auf der Website kann ein Formular zur Buchung von Dolmetschleistungen in 50 Sprachen heruntergeladen werden. Auch die vom Verein ZEBRA - Interkulturelles Beratungs- und Therapie‐ zentrum - (Stofner 2006: 17 f., Ahamer 2013: 130 f., ZEBRA 2019) eingesetzten DolmetscherInnen sind im Rahmen von psychotherapeutischen Sitzungen sowie im sozialen Bereich (z. B. Sozial-, Familien- und Rechtsberatung) tätig. Der 1986 gegründete gemeinnützige Verein mit Sitz in Graz und Wirkungsbereich in der gesamten Steiermark engagiert sich für die Durchsetzung der Menschen‐ rechte und die Förderung einer nachhaltigen Integration. Die angebotene in‐ terkulturelle Psychotherapie richtet sich an traumatisierte geflüchtete Men‐ schen aller Altersstufen und erfolgt in der Erstsprache der Klient: innen unter Einbeziehung geschulter Dolmetschender. Diese werden durch Stellenaus‐ schreibungen, die auf der Website des Vereins veröffentlicht werden, rekrutiert. Voraussetzungen für einen freien Dienstnehmervertrag als Dolmetschende sind u. a. ausgezeichnete Deutschkenntnisse und Erfahrung im Dolmetschen bzw. im Umgang mit zugewanderten Menschen. Den Dolmetschenden wird zu Beginn ihrer Tätigkeit eine interne Schulung angeboten, die durch Weiterbildungs‐ maßnahmen ergänzt wird. Seit 2011 stellt ZEBRA auch Dolmetschleistungen im sozialen Bereich an Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Kinder der Fachabteilung 6 „Bildung und Gesellschaft“ des Landes Steiermark zur Verfü‐ gung, wobei der Kontakt mit dem Verein durch die Kindergartenpädagoginnen 300 Katia Iacono 7 Das Angebot einer Weiterbildungsmaßnahme „Dolmetschen über das Telefon, inkl. Einführung in das Videodolmetschen“ im Dezember 2019 lässt vermuten, dass in Zu‐ kunft auch das Videodolmetschen angeboten werden könnte. und -pädagogen erfolgen soll. Seit 2016 stehen die genannten Dolmetschdienste auch den steirischen Schulen zur Verfügung. Für die Koordination der Dol‐ metscheinsätze an den steirischen Schulen ist ein eigenes Team zuständig. 2.2.1 Zusammenfassung der Praxisprojekte in Österreich Fast alle ausgewählten Praxisprojekte sind privater Natur und ihre Träger sind gemeinnützige Einrichtungen, die als Verein oder GmbH auftreten. Mit Aus‐ nahme der BrückenbauerInnen werden die Projekte nicht offiziell als Dol‐ metschpool oder -dienst bezeichnet. Ihre Webauftritte enthalten eher knappe Informationen zu den Dolmetschleistungen, die zumeist nur auf Unterseiten ohne genauere Konditionen angeführt werden. Der Fokus liegt überwiegend auf der Psychotherapie geflüchteter, traumatisierter Menschen. Der soziale Bereich (Kindergärten, Schulen und andere Bildungseinrichtungen) ist durch die Brü‐ ckenbauerInnen und die Dolmetschenden von OMEGA und ZEBRA vertreten. Seltener werden Dolmetschungen auch im medizinischen Bereich zur Verfü‐ gung gestellt (Hemayat, Diakonie Flüchtlingsdienst). Zumeist können die Dol‐ metschleistungen sowohl von den Migrant: innen selbst als auch von den jewei‐ ligen Einrichtungen, die mit Migrant: innen arbeiten, beansprucht werden. BrückenbauerInnen und OMEGA erlauben eine rasche Abwicklung der Dol‐ metscheinsätze durch Online-Formulare, für die restlichen Praxisprojekte sind diesbezüglich weder im Internet noch in der Literatur genaue Informationen zu finden. In allen Fällen arbeiten die Dolmetschenden entweder auf der Basis eines freien Dienstvertrags oder eines Werkvertrags. Beinahe immer werden sie durch begleitende Fortbildungen, die laut den konsultierten Quellen zumeist als „in-house“-Schulungen organisiert werden, sowie Supervisionen und Intervisi‐ onen unterstützt. 2.3 Ausgewählte Praxisprojekte in der Schweiz Der AOZ Medios-Pool (Wächter & Vanheider 2015: 39 ff., Brägger 2019: 2, Medios 2019) ist der Dolmetschpool der Vermittlungsstelle AOZ Medios, die für die nicht-gewinnorientierte Fachorganisation für Integration und Migration im Auftrag von Bund, Kantonen und Gemeinden tätig ist. Der Pool, der seit zehn Jahren existiert, umfasste 2018 ca. 500 interkulturelle Dolmetscher/ -innen, die insbesondere in Zürich Dolmetschleistungen sowohl vor Ort als auch am Te‐ lefon 7 anbieten. Der Pool wird von der AOZ und vom Bundesamt für Gesundheit gefördert. Die Dolmetscher/ -innen verfügen über das INTERPRET -Zertifikat 301 Von der Theorie zur Praxis 8 Dabei handelt es sich um ein offizielles Förderprogramm des Bundesamts für Migration (BFM), durch das Initiativen zur Förderung der Integration unterstützt werden. (siehe auch Grenko & Strebel und Müller in diesem Band) oder den eidgenössi‐ schen Fachausweis für interkulturelles Dolmetschen, sind selbstständig tätig und unterzeichnen einen Rahmenvertrag mit der Vermittlungsstelle. Ihnen stehen verschiedene Weiterbildungsangebote zur Verfügung. Die Dolmetsch‐ einsätze können mittels Onlineformulars oder telefonisch gebucht werden und richten sich an die Bereiche Bildung, Gesundheit, Soziales und Wirtschaft, wobei in letzterem Bereich allerdings höhere Tarife verrechnet werden (derzeit CHF 146,pro Stunde exkl. MwSt. und Fahrtkosten im Vergleich zu CHF 89,pro Stunde für gemeinnützige Bereiche). Das Engagement der Caritas (Flubacher 2013: 128) im CI -Bereich ist z. B. am Praxisprojekt Dolmetschdienste Zentralschweiz (Wolfsgruber 2007: 15, Dol‐ metschdienst 2019) ersichtlich. Der Dolmetschdienst wird von den Kantonen Luzern, Nidwalden, Obwalden, Schwyz, Uri und Zug und mit Hilfe des Integ‐ rationskredits 8 des Bundes gefördert. Seit zehn Jahren bietet er sowohl Institu‐ tionen und Einrichtungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Soziales, Ver‐ waltung und Kirche als auch privaten Auftraggebenden in den oben erwähnten Kantonen interkulturelle Dolmetschende und Vermittelnde an. Die freiberufli‐ chen Dolmetschenden verfügen über das INTERPRET -Zertifikat bzw. den eid‐ genössischen Fachausweis oder eine äquivalente Ausbildung. Ihnen werden Weiterbildungen, Supervision und Intervision angeboten. Einsätze können on‐ line in einem speziellen Kundenbereich erfasst werden. Die Dolmetschkosten variieren je nach Einsatzbereich: Für subventionierte Bereiche werden derzeit ab CHF 75,pro Stunde, für nicht subventionierte Bereiche ab CHF 100,pro Stunde und für Zivilstandsämter CHF 125,verrechnet; dazu kommen Reisezeit und -spesen. Der Dolmetschdienst Comprendi (Wolfsgruber 2007: 65, Brägger 2019: 2, Com‐ prendi 2019) wird von der Caritas Bern betriebenen, richtet sich an Kranken‐ häuser, Schulen, Sozialdienste, Justiz- und Verwaltungsorgane sowie Einrich‐ tungen aus dem Flüchtlingsbereich und wird vom Kanton Bern und der Stadt Bern gefördert. Der Dolmetschdienst besteht aus 300 selbstständigen interkul‐ turellen Dolmetschenden, die über 60 Sprachen abdecken. Diese verfügen über das INTERPRET -Zertifikat oder den eidgenössischen Fachausweis oder eine äquivalente Ausbildung. Die Dolmetscheinsätze können mittels Online-Formu‐ lars gebucht werden. Die Kosten belaufen sich derzeit auf CHF 80,pro Stunde exkl. Fahrt- und Reisespesen sowie Zuschläge, wobei für subventionierte Ein‐ richtungen reduzierte Beträge verrechnet werden. 302 Katia Iacono Der Linguadukt HEKS -Dolmetschdienst (Wolfsgruber 2007: 15, Flubacher 2013: 130, Brägger 2019: 2, HEKS 2019) entstand 1987 aus einem Pilotprojekt für Türkisch im Universitätsspital Basel. Gefördert wird der Dolmetschdienst, dessen Träger die Regionalstellen Aargau / Solothurn und beider Basel (Basel-Stadt und Basel-Landschaft) des Hilfswerks der evangelischen Kirchen Schweiz (kurz HEKS ) sind, durch die Einnahmen aus den Dolmetschaufträgen sowie durch die jeweiligen Kantone. In Aargau / Solothurn werden ca. 40, in beiden Basel ca. 60 Sprachen abgedeckt. Die freiberuflichen interkulturellen Dolmetscherinnen und Dolmetscher werden unter Migrant: innen ausgewählt und an Institutionen aus den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales ver‐ mittelt. Sie werden vom Dolmetschdienst nicht nur ausgebildet, sondern auch mit Hilfe von Supervision, Teamaustausch und Weiterbildungen unterstützt. Für Dolmetschleistungen werden CHF 89,bis CHF 94,pro Stunde (bzw. CHF 109,für Firmenkunden) exklusive Fahrtkostenpauschale verlangt. verdi - Interkulturelles Dolmetschen in der Ostschweiz (Brägger 2019: 2, VERDI 2019) ist ein Dolmetschprojekt des privatrechtlich organisierten Trägervereins ARGE Integration Ostschweiz, der bereits in den 1960er Jahren gegründet wurde. Das Projekt wird von verschiedenen kantonalen Fachstellen gefördert und vermittelt über 250 freiberufliche interkulturelle DolmetscherInnen für mehr als 70 Sprachen. Diese verfügen über einen eidgenössischen Fachausweis oder ein INTERPRET -Zertifikat, wobei letzteres auch im Rahmen einer vom Verein angebotenen Ausbildung erlangt werden kann. Die Dolmetscheinsätze sind für den Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich vorgesehen und die Ta‐ rife variieren von CHF 20,bis CHF 110,pro Auftrag exkl. Zuschläge und Spesen. Neben dem Vor-Ort-Dolmetschen werden auch Telefonsowie Video‐ dolmetschen und Übersetzungen angeboten. 2.3.1 Zusammenfassung der Praxisprojekte in der Schweiz Die beschriebenen Schweizer Praxisprojekte weisen zahlreiche vergleichbare Eigenschaften aus. Ihre Träger sind gemeinnützige Einrichtungen privater (kirchliche Vereine, ARGE ) oder öffentlicher Natur (wie die Fachstelle AOZ ). Die Projekte selbst werden immer als Pool bzw. Dienst für das interkulturelle Dolmetschen bezeichnet. Zu allen Projekten finden sich auf den jeweiligen Webseiten detaillierte Informationen zu den Qualifikationen der eingesetzten Dolmetschenden und zu den Konditionen sowie Formulare für die Online-Bu‐ chung der Dolmetschleistungen, die den anfragenden Institutionen die Beauf‐ tragung erheblich erleichtern. Abgesehen von verdi und Linguadukt HEKS -Dolmetschdienst werden fast immer Dolmetschende vermittelt, die be‐ reits über eine anerkannte Qualifizierung verfügen. Alle ausgewählten Praxi‐ 303 Von der Theorie zur Praxis 9 Für seine Untersuchung bezieht sich Ozolins auf Österreich und Deutschland, aber nicht auf die Schweiz. In diesem Beitrag wurde versucht, auch die Schweiz anhand seiner Parameter zu analysieren. sprojekte richten sich an öffentliche Einrichtungen, wobei diese in den meisten Fällen auch von Privatkunden oder Unternehmen zu höheren Tarifen in An‐ spruch genommen werden können, und legen ihren Fokus auf alle CI -Bereiche. Die Dolmetschenden sind immer selbstständig tätig, ihnen stehen aber Weiter‐ bildungsmaßnahmen und Superbzw. Intervision zur Verfügung. Die Dol‐ metscheinsätze werden fast immer pro Stunde verrechnet, darüber hinaus werden Fahrtkosten und -zeiten sowie Mehrarbeit extra vergütet. 3 Länderübergreifender Vergleich In Anlehnung an Ozolins‘ Parameter 9 (2010) können die beschriebenen Praxi‐ sprojekte wie folgt verglichen werden: Alle stammen aus föderalistischen Län‐ dern mit einer ursprünglichen Gastarbeitermigrationspolitik und einer eher ne‐ gativen Einstellung gegenüber der Einwanderung. Da der Staat das Thema „Einwanderung und Integration“ lange Zeit vernachlässigte, führte dies zu Ini‐ tiativen von privaten Trägerorganisationen. Auch die Vielfalt bzw. Fragmentie‐ rung der Bezeichnungen für CI -Dolmetschende, die generell den Konferenz‐ dolmetschenden zugeordnet werden, kann laut Ozolins (2010: 200) als Indikator für eine negative Einstellung gegenüber Migration angesehen werden. Die österreichische Praxisprojektlandschaft ist besonders heterogen. Hier scheinen Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung mit Ausnahme des Brückenbau‐ erInnen-Projektes, das allerdings mit den Schweizer Projekten kooperiert, im Vergleich zu den anderen Ländern verhältnismäßig weniger Relevanz zu be‐ sitzen. So ist der Internetauftritt der Projekte sehr reduziert und auch in der Literatur sind nur knappe Informationen zu diesen zu finden. Nur die Brücken‐ bauerInnen bezeichnen ihr Praxisprojekt als „Pool“, während in allen anderen Fällen lediglich von der Heranziehung von Dolmetschenden gesprochen wird. In Österreich steht die Psychotherapie im Vordergrund: Vier von fünf Ange‐ boten richten sich an traumatisierte Menschen mit Migrationshintergrund, während drei Praxisprojekte den translatorischen Bedarf in anderen Instituti‐ onen berücksichtigen. Der fehlende Hinweis auf die Honorare der Dolmetsch‐ enden sowie die Tatsache, dass sie häufig ehrenamtlich arbeiten, lässt auf pre‐ käre Arbeitsbedingungen schließen. Trotz ursprünglicher Gastarbeitermigrationspolitik und Föderalismus sticht die Schweiz durch eine vorbildhafte flächendeckende Präsenz von miteinander sehr gut vernetzten Vermittlungsstellen hervor, die sich durch einen professio‐ 304 Katia Iacono nellen Onlineauftritt mit transparenten Informationen zu den Qualitätskriterien und zu den Buchungsformalitäten auszeichnen und den Eindruck einer landes‐ weit durchdachten Strategie vermitteln. Die Standards, Arbeitsbedingungen und Angebote - inklusive Dolmetschkosten - sind durch die Zusammenarbeit mit dem nationalen Verband INTERPRET gut vergleichbar. Die beschriebenen deutschen Praxisprojekte sind ähnlich der Schweiz zwar zum Teil miteinander vernetzt und zeigen eine starke Präsenz nach außen, die Qualitätskriterien und Arbeitsbedingungen sind aber nicht einheitlich, wobei die Festanstellung der Dolmetschenden in manchen Projekten positiv bewertet werden kann. Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz scheint der Projektfokus vor‐ wiegend auf der Professionalisierung von Laiendolmetschenden zu liegen. In Deutschland und in der Schweiz werden darüber hinaus alle CI -Bereiche ver‐ treten. In der Schweiz können auch Privatunternehmen zu höheren Tarifen auf die Dolmetschdienste zurückgreifen. Diese zusätzlichen Einkünfte können wie‐ derum dabei helfen, Teile der Schweizer Praxisprojekte mitzufinanzieren. Die kurze Darstellung der für diesen Beitrag ausgewählten Projekte zeigt, dass die meisten von ihnen auf öffentliche Fördergelder angewiesen sind. Wird die Finanzierung abgebrochen, was häufig mit einem politischen Wechselkurs in Verbindung gebracht werden kann, kann es zu Veränderungen des Dolmet‐ schangebots kommen. Diese prekäre finanzielle Situation - zusammen mit den sich schnell verändernden Sprachen und Herkunftsländern der Migrant: innen - üben einen starken Einfluss auch auf die Personal- und Preispolitik aus. Aus‐ gehend von diesem Beitrag könnte eine umfangreichere Untersuchung, für die auch Interviews mit den Projektverantwortlichen geführt werden, hilfreich sein, die Beweggründe zur Gründung solcher Projekte sowie die Schwierigkeiten im Rahmen ihrer Umsetzung tiefgreifender zu verstehen. Literatur Ahamer, Vera (2013). Unsichtbare Spracharbeit. Jugendliche Migranten als Laiendolmet‐ scher. Integration durch „Community Interpreting“. Bielefeld: transcript. Allaoui, Raoua (2005). Dolmetschen im Krankenhaus. Rollenerwartungen und Rollenvers‐ tändnisse. Göttingen: Cuvillier. Antrag Nr. 550 / 2014 (2019). 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Die Beiträge zeigen, dass sich die Entwicklungen im DACH -Raum im internationalen Kontext bewegen, nicht nur im Bereich der Forschung, sondern auch der Ausbildung oder Technikanwendung, seien es neue Er‐ kenntisse zu kognitiven oder interaktiven Fragen oder zu Ausbildungsfor‐ maten. Sowohl Forschung als auch Lehre und Praxis weisen heute internati‐ onal starke Parallelen auf. 1 Wie überall, befruchten und ergänzen Lehre und Praxis einander, ziehen einen Nutzen aus den Wissensständen der internati‐ onalen wissenschaftlichen Gemeinschaft und versuchen, der Forschungswelt Input zu liefern. 1 Translationspolitik im gesellschaftlichen Kontext Dieser abschließende Beitrag versucht, wichtige Erkenntnisse der Beiträge des Bandes zusammenzutragen und Schlussfolgerungen für das Dolmetschen im öffentlichen Bereich zu formulieren. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Berücksichtigung der Interaktion der Dolmetscher: innen mit den anderen an der Kommunikation und dem Setting Beteiligten. Die Dolmetschtätigkeit im öffentlichen Bereich und, wie es der Titel des Bandes formuliert, des Dolmet‐ schens im soziokulturellen Kontext, ist durch die hochgradige Einbettung in gesellschaftliche und kulturelle Zusammenhänge charakterisiert. Dementspre‐ chend zeichnen die Beiträge zur Entwicklung der Forschung im DACH -Raum eine Kurve, die sich zwischen sprach-, kultur-, sozial- und translationswissen‐ schaftlichen Ansätzen bewegt oder diese berücksichtigt. Dolmetscher: innen arbeiten in unterschiedlichen juristischen und nichtju‐ ristischen Kontexten (vgl. Kadrić 2021). Im privaten Auftrag sind die End‐ nutzer: innen der Dolmetschungen Personen, die in eigener Sache eine Ex‐ pert: innendienstleistung benötigen. Im behördlichen Kontext arbeiten Dolmetscher: innen in dem durch die Institution bzw. das Gesetz vorgegebenen strukturellen Rahmen. Sie dolmetschen zwischen den Vertreter: innen der Be‐ hörde, die sich durch ihre jeweilige Expertise und die vom Gesetz verliehene Autorität, somit strukturelle Macht, auszeichnen, und Personen, die in der Regel in einem Abhängigkeits- oder zumindest Unterordnungsverhältnis zur Behörde stehen. Die Interessen der Gesprächsparteien divergieren. Die Gesprächspar‐ teien können im behördlichen Kontext an einem gemeinsamen Ziel arbeiten oder aber unterschiedliche Interessen verfolgen. Alle Formen des Dolmetschens mit Rechtsbezug haben gemeinsam, dass sie für einen Teil der Beteiligten den Zugang zum Recht sicherstellen sollen. Die Schlüsselbegriffe, die in diesem Kontext mit dem Dolmetschen in Verbindung gebracht werden, sind Zugang zum Recht und zur Information, Gleichheit, Ba‐ rierrefreiheit und faires Verfahren. Spezielles Augenmerk schenken die Gesetz‐ geber auf nationaler und internationaler Ebene besonders schutzbedürftigen Personen. Kinder, Alte, gehörlose, hochgradig hörbehinderte oder sprachbehin‐ derte Menschen werden zu diesen vulnerablen Gruppen gezählt und erhalten den besonderen Schutz des Gesetzes, auch in Bezug auf die Verständigung (vgl. Kadrić 2019 und 2021 sowie Platter in diesem Band). Was die Notwendigkeit der Dolmetschung betrifft, so übertragen die meisten Rechtsordnungen den Be‐ hörden die Prüfung, ob eine Partei die Kommunkationssprache ausreichend be‐ herrscht bzw. ob sie in den Genuss der Dolmetschung kommt. Das macht deut‐ lich, dass dem Staat bzw. der Behörde die Wahrung des fairen, gleichberechtigten Verfahrens obliegt. Mit Hilfe der Dolmetschung werden nicht nur die Rechte der Personen ge‐ wahrt, die die Kommunikationssprache nicht beherrschen, sondern auch die Rechte anderer Beteiligter und der an der Interaktion beteiligten Expert: innen. So kann auch eine Zeugin nur bestmöglich aussagen, wenn ihr die Frage des fremdsprachigen Angeklagten richtig übertragen wird; und der Sachverständige kann das Gutachten nur nach bestem Wissen erstellen, wenn seine Fragen an die fremdsprachigen Zeuginnen und Zeugen korrekt gedolmetscht werden. Die Behörde kann ihre Aufgabe nur erfüllen, wenn die reibungslose Kommunikation 310 Mira Kadrić mit den Rechts- oder Leistungsnutzer: innen gesichert ist. Die Dolmetschung dient also gleichzeitig allen Endnutzer: innen, unabhängig von der jeweiligen Funktion, in der sie in die Interaktion tritt. Das gilt grundsätzlich für alle Inter‐ aktionen, in denen Entscheidungen besondere Tragweite haben. Die Dolmet‐ schung dient also dem Anspruch von schutzsuchenden, rechtssuchenden oder kranken Menschen, sich in der eigenen Sprache mitzuteilen. Die Dolmetschung dient aber gleichzeitig den institutionellen Expert: innen dazu, den Grundsatz eines fairen Verfahrens sicherzustellen, die richtige Diagnose zu finden oder die zweckmäßigste Therapie anzuordnen. Dolmetschungen werden von privaten Einrichtungen, also etwa im Rahmen der Wirtschaft, genau so benötigt wie von NGO s oder öffentlichen Stellen. Die Endnutzer: innen und Bedarfsträger: innen von Dolmetschungen bilden somit keine homogene Gruppe. Auch im DACH -Raum besteht, so wie weltweit, die Dolmetschlandschaft sowohl aus öffentlichen als auch privaten Aufträgen. Ein Anspruch auf Dolmetschungen ist bisher nur für wenige Bereiche oder Personengruppen gesetzlich festgelegt, im Wesentlichen für den Bereich von Gerichts- und Behördenverfahren. Innerhalb dieses Bereichs wurden diese An‐ sprüche in den letzten Jahren immer umfassender und strenger ausformuliert. Da die Bedeutung der Dolmetschung den Institutionen zunehmend bewusst wird, ist für die Zukunft damit zu rechnen, dass die Gesetzgeber die Anprüche auf Dolmetschungen in- und außerhalb des Behördenkontexts ausdehnen werden - jedenfalls entspräche das den Entwicklungen der letzten Zeit. Aktuell gilt, dass außerhalb des Behördenkontexts, also in den meisten Le‐ bensbereichen, von Bildung bis Gesundheitswesen, weder ein klarer Anspruch auf Dolmetschleistungen besteht noch Dolmetschungen organisatorisch oder inhaltlich geregelt sind. Das gilt selbst dann, wenn die Lebenssituation für die betroffenen Menschen sehr wichtig ist, etwa im Falle eines Krankenhausaufenthalts. Für die Zukunft wäre es daher naheliegend, einen Anspruch auf Dol‐ metschung für wichtige Lebensbereiche gesetzlich zu verankern, also etwa auch Dolmetschungen auf Krankenschein für den Bereich des Gesundheistwesens vorzusehen. Manche Bereiche sind für die Öffentlichkeit und den einzelnen Menschen von hoher Bedeutung, unabhängig davon, ob sie nun privat oder öffentlich organi‐ siert sind - das gilt im Gesundheitsbereich für die öffentlichen und privaten Krankenhäuser oder im Bildungsbereich für öffentliche und private Schulen. Unabhängig von der Organsisationsform sind diese Sektoren dem öffentlichen Interesse besonders verpflichtet. Idealiter sind in öffentlichen Einrichtungen - unabhängig von der Organisationsform der Einrichtung und unabhängig von 311 Formung einer Translationskultur im DACH-Raum 2 Zur (Super)Diversität der Gesellschaft vgl. Vertovec 2007 und Meissner & Vertovec 2015. der Herkunft oder den Sprachkenntnissen der Betroffenen - die Belange des Gemeinwohls im Vordergrund und Individualinteressen aller gewahrt. Auffallend ist, dass zwar ein großer Teil der gesellschaftlich besonders wich‐ tigen Aufgaben - Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Arztpraxen - auf kommunaler Ebene organisiert ist, dass für diesen Bereich aber trotz der hohen Bedeutung für die Bevölkerung kaum Regelungen zur Dolmetschung bestehen und in der Regel schon gar keine Ansprüche auf Dolmetschung. 2 Organisierte oder instutionalisierte Dolmetschungen kommen in diesem Bereich nur durch das Engagament von Institutionen oder einzelnen Verantwortungsträger: innen zustande; das Allgemeine Krankenhaus der Stadt Wien oder das St. Anna-Kin‐ derspital in Wien etwa schaffen Stukturen, die ihren Patient: innen, aber auch ihrem medizinischen Personal die Kommunikation durch Dolmetschungen oder muttersprachliche Beratungsgespräche ermöglichen. Vor allem auf kommunaler Verwaltungsebene liegt die Organisation von Dolmetschungen im Ermessen der lokalen Behörden und Einrichtungen. In den weiten Bereichen, wo von institutioneller Seite keine Dolmetschung angeboten wird, sind viele Menschen auf Dolmetschungen durch Angehörige und Be‐ kannte angewiesen: bei Elternsprechtagen an Schulen, beim Arbeitsamt, am Meldeamt, beim Beantragen des Reisepasses oder in der Ordination des Haus‐ arztes. Selbst im Bereich der Gemeindeverwaltung besteht nur selten ein gesetzlicher Anspruch oder eine Regelung für Dolmetschungen, sieht man von den verfas‐ sungsrechtlich garantierten Minderheitenrechten ab. Das Dolmetschen auf kommunaler Ebene ist damit im Ergebnis - obwohl gesellschaftlich und für den Alltag der Menschen von größter Bedeutung - nur schwach ausgebildet, recht‐ lich kaum reguliert und stark von Engagement einzelner Personen abhängig. 2 Handlungen und Strukturen im Zusammenwirken Die gesetzlichen Ansprüche auf Dolmetschungen, die wir zumeist im Gerichts- und Behördenbereich vorfinden, beruhen zum Teil auf internationalen Konven‐ tionen bzw. auf dem Europarecht. Die wichtigsten supranationalen Garantien sind die Europäische Konvention für Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie die Genfer Flüchtlingskonvention. Im EU -Recht gibt die so genannte Dol‐ metschrichtlinie aus dem Jahr 2010 den Verdächtigen und Angeklagten nicht nur einen Anspruch auf Dolmetschungen in Verhandlungen und bei Bespre‐ 312 Mira Kadrić 3 Vgl. etwa Art. 5 Abs. 2 EMRK, die als kommunikative Garantie eine „verständliche Sprache“ vorsieht. chungen mit ihren Rechtsvertreter: innen, sondern regelt auch das Recht auf Übersetzungen aus den Akten und auch, besonders wichtig, die Qualität der Dolmetschungen. Auf nationaler Ebene ist für die gerichtlichen Verfahren und Verwaltungsverfahren in der Regel die Beiziehung von Dolmetscher: innen ge‐ regelt - es betrifft zumeist die Gerichts- und Verwaltungsverfahren auf Bundes- und Länderebene bzw. kantonaler Ebene. Zum Teil ergibt sich das Recht auf Dolmetschung aus verfassungsrechtlich bestimmten Minderheitenrechten. Je nach föderalistischer Ausprägung des Landes finden wir unterschiedliche Re‐ gelungen und Umsetzungsformen. 2.1 Handlungsarten und Strukturalität des Handelns Wo das internationale oder nationale Recht Dolmetschungen vorsieht, da ent‐ steht einerseits ein Anspruch der Menschen und Verfahrensparteien auf die Dolmetschung, zugleich eine Verpflichtung des Staates, die Dolmetschung zu gewährleisten. Wie schon ausgeführt, beschränkt sich dieses gesetzliche Recht auf Dolmetschung nach wie vor auf vergleichsweise wenige Bereiche des staat‐ lichen Handelns. Dolmetschen im öffentlichen Bereich bedeutet die Einbettung in eine breite Erscheinungsform der sozialen Wirklichkeit. Es finden sich verschiedenste Modi, Zugänge oder Handlungs- und Diskursarten, die Dolmetschung geschieht überwiegend in Echtzeit und bidirektional. Im Behörden- und Gerichtskontext ist die Sprache meistens durch die gesetzlichen Regelungen zur Amtssprache bzw. durch europäisches Recht 3 bestimmt. Die Behörde gibt die Sprache auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen vor. Im Gemeinwesen wird die Sprache zumeist vereinbart. Auch wenn Dolmetschaufträge als einmalige oder temporäre Zusammenar‐ beit gebildet werden, weisen sie dennoch eine hohe Rekursivität auf. Struktur‐ theoretisch betrachtet (Giddens 1984) beziehen sie sich auf geltende Regeln und Ressourcen, produzieren und reproduzieren diese. Sie stützen sich dabei auf Kontexte, die sich aus früheren Einsätzen, den Handlungen des Fachbereichs bzw. dem jeweiligen Tätigkeitsrahmen ergeben. Handlungen und Strukturen setzen sich also in jedem Fall wechselseitig vo‐ raus. Die Strukturen eines sozialen Systems stecken den Rahmen für mögliches Handeln ab. Das konkrete Handeln der Akteur: innen ist wiederum nicht ohne Einfluss auf die Strukturen. Dies bedeutet, dass der Einfluss des sozialen Systems auf das Handeln und umgekehrt der Einfluss des Handelns auf das soziale 313 Formung einer Translationskultur im DACH-Raum 4 Diese Kategorisierung ist in Anlehnung an handlungstheoretische Konzepte ent‐ standen, insbesondere an die Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Ha‐ bermas (1981). System wechselseitig sind und eine Dualität der Struktur schaffen (Giddens 1984: 19). Sowohl die Strukturen in gedolmetschten Interaktionen als auch die Art und Weise der Interaktion zwischen Dolmetscher: innen und den übrigen Ak‐ teur: innen bestimmen den Erfolg der Interaktion. In den meisten Konstellationen des Dolmetschens im öffentlichen Bereich treffen Expert: innen mit Nichtex‐ pert: innen zusammen. Die Expert: innen leisten vor allem einen Beitrag zum Fachlichen, die Nichtexpert: innen zum Tatsächlichen, etwa als Patient: in in einem Diagnosegespräch, in dem Beschwerden beschrieben werden, oder Asylantragsteller: innen in einem Asylverfahren, wenn sie die Verfolgungshand‐ lungen im Herkunftsland berichten. Schließlich sind auch Settings denkbar, in denen keine Expert: innen anwesend sind; etwa wenn bei einer Hausversamm‐ lung oder einem Elternvereinsabend Dolmetschungen erfolgen. Dolmetscher: innen werden als Expert: innen für das Verständlichmachen des Fachlichen und des Tatsächlichen zugezogen. Für die Dolmetschleistung macht es keinen Unterschied - oder sollte es nicht machen - ob die Endnutzer: innen Serviceleister: innen, Vertreter: innen staatlicher und nichtstaatlicher Stellen oder Privatpersonen sind. Die Endnutzer: innen sind für die Kommunikation und letztlich für das Er‐ gebnis der Handlung verantwortlich, zugleich aber in der Kommunikation auf Dolmetscher: innen angewiesen, deren Arbeit sie nur bedingt beurteilen können. Sie müssen den Dolmetscher: innen vertrauen. Das ideale Verhältnis zwischen Endnutzer: innen und Dolmetscher: innen ist die wechselseitige Transparenz und Loyalität (vgl. Prunč 2011: 170) mindestens dreier für den Kommunikationsver‐ lauf und -ausgang entscheidender Akteur: innen. Für Dolmetscher: innen wichtig sind die verschiedenen Dimensionen des Handelns in öffentlichen Einrichtungen. Das Handeln in öffentlichen Einrich‐ tungen lässt sich in Handeln strategischer oder kommunikativer Art unterteilen (vgl. Kadrić 2001, 2019). 4 Strategisches Handeln betrifft vor allem die Handlungen der Expert: innen und verfolgt Ziele, ohne sie mit den Zielsetzungen anderer koordinieren bzw. ohne das Einverständnis anderer betroffener Personen suchen zu müssen. Im ge‐ richtlichen Kontext fällt der Großteil der Handlungen der juristischen Ex‐ pert: innen in diese Kategorie, wie etwa der Vortrag der Anklage durch Ver‐ treter: innen der Staatsanwaltschaft in einem Strafprozess. Im Rahmen ihres Handelns verfolgen sie ein bestimmtes Ziel, nämlich die Verurteilung und die 314 Mira Kadrić 5 In etwa, wie es Kalina (1998) in der Beschreibung der Prozessphasen behandelt. Siehe dazu auch das role space-Konzept von Lee & Llewellyn-Jones (2011) sowie die Beiträge zu Beteiligungsgrad der Dolmetscher: innen bei Baraldi & Gavioli (2012). Durchsetzung der im Gesetz vorgesehenen Strafandrohung. Die dabei primär verwendete Sprachform ist der Monolog. Etwaige Repliken (z. B. die Gegenäu‐ ßerung der Verteidigung) haben wenig Einfluss auf den Vortrag der Anklage. Zum strategischen Handeln zählen etwa auch die Entscheidung in einem Ver‐ waltungsverfahren, die Anordnung einer Untersuchung und einer Behandlung in einem medizinischen Setting. Kommunikatives Handeln impliziert Diskurse, in denen nach einer Einigung gesucht wird. Es ist vorwiegend dialogischer Art und bestrebt, die Zielsetzungen aller Akteur: innen zu koordinieren. Kommunikatives Handeln findet sich in Si‐ tuationen, in denen die Erörterung eines Sachverhaltes in dialogischer Form stattfindet und in denen die Akteur: innen für ihre Entscheidungen die laufenden Entwicklungen berücksichtigen, etwa bei einem Diagnose- oder Therapiege‐ spräch, einer Befragung in einem Verwaltungsverfahren und im polizeilichen oder gerichtlichen Kontext oder bei Verhandlungen zu einem Täter-Opfer-Aus‐ gleich nach einer Sachbeschädigung. Das kommunikative Handeln umfasst Sprechhandlungen mit Sprecher: innenwechsel, z. B. Frage und Anwort, Vorhalt und Rechtfertigung, Rede und Gegenrede - also vorwiegend Sprechhandlungen, in denen eine Reaktion erwartet wird. Translatorisches Handeln wiederum ist per definitionem verständnisorientiert und bestrebt, die ausgangssprachlichen Informationen so aufzubereiten, dass einwandfreies Verstehen und Verständigung stattfinden. Dolmetscher: innen be‐ rücksichtigen die laufenden Enwicklungen und koordinieren die eigenen Hand‐ lungskonzepte mit denen anderer, wobei sich dieses Handeln auf das Verstän‐ digungsinteresse der einzelnen an der Interaktion Beteiligten bezieht. Das dazu benötigte Handlungswissen umfasst dabei nicht nur die bloße Wiedergabe der Texte, sondern vielmehr die Fähigkeit, beurteilen zu können, wo sich einzelne an der Interaktion Beteiligte in ihren verschiedenen Funktionen so verhalten und handeln, dass das für die jeweils Anderssprachigen nicht verständlich ist, und dieses Wissen und Empfinden sach- und funktionsgerecht aufzubereiten oder transparent zu machen (Prunč 2011, Kadrić 2019). Dieses Handeln ge‐ schieht vor dem Hintergrund der Rollenauffassungen und -räume, die den ein‐ zelnen Akteur: innen zugestanden werden. Die Handlungsarten innerhalb eines Rollenraums können selbst-referenzielle oder interaktionale Handlungen sein, die sich immer am jeweiligen Bedarf de Endnutzer: innen orientieren. 5 315 Formung einer Translationskultur im DACH-Raum 2.2 Kooperativität Gedolmetschte Interaktionen sind durch die Beteiligung mehrerer Personen ge‐ kennzeichnet, die in der Regel zumindest das Ziel der störungsfreien Kommu‐ nikation gemeinsam haben. Dieses Ziel der erfolgreichen Kommunikation wird umso eher erreicht, je besser die einzelnen Akteur: innen zusammenwirken. Der Grad der Kooperativität in einem Setting oder einer Einrichtung hängt aber auch von Strukturen ab. Die Ärzt: innen-Patient: innen-Konstellation etwa ist grundsätzlich auf eine kooperative Interaktion angelegt; damit ist auch der Handlungsspielraum für Dolmetscher: innen weiter. Gegenstück wäre die stark geregelte Struktur einer Asylanhörung, die wenig auf kooperative Interaktion angelegt ist und damit auch den Handlungsspielraum der Dolmetscher: innen enger hält. Andererseits sind solche Settings durch eine klar strukturierte Ar‐ beitsteilung gekennzeichnet und können als nachhaltig betrachtet werden. Die gute Kooperation der Beteiligten schlägt auf alle Bereiche durch - in einem behördlichen Verfahren sichert die gute Kommunikation das faire Ver‐ fahren ab und führt letztlich zu besser fundierten Entscheidungen. Daher ist im Interesse aller Akteur: innen, also auch im Interesse von individuellen Verfah‐ rensbeteiligten, von den Behördenvertreter: innen und Dolmetscher: innen, eine möglichst gute Kooperation herbeizuführen. Öffentliche Einrichtungen sind nach moderner Auffassung Serviceleister, die sich der Anliegen der Bürger: innen annehmen und einen diskriminierungsfreien Zugang zu Informa‐ tionen oder Dienstleistungen garantieren. Unabhängig davon, ob es ein privat oder institutionell motiviertes Anliegen ist, das einzelne Bürger: innen betrifft und unter Einsatz von Expert: innen bearbeitet wird. Manchmal begegnen wir fixen Teams von Expert: nnen, die für verschiedene Personen in derselben Konstellation tätig werden: etwa eine Ärztin mit ihrer Ordinationsgehilfin, ein Richter mit anderen Senatsmitgliedern in einem Ver‐ fahren bzw. mit seinem Schriftführer oder ein interdisziplinäres Team aus Po‐ lizeibeamt: innen und Sozialarbeiter: innen; in vielen Konstellationen wechseln die Teams häufig, in wieder anderen Fällen tritt eine Behördenvertreter: in allein auf. Dolmetscher: innen wiederum können immer wieder in neue Teams eintreten; vielfach arbeiten Dolmetscher: innen aber auch regelmäßig für dieselbe Einrich‐ tung bzw. dieselben Behördenvertreter: innen, sodass auch hier sowohl wech‐ selnde als auch konstante Arbeitsumgebungen vorkommen. Dolmetscher: innen gehen also eine vorübergehende oder längere Kooperationsform ein, die zu‐ mindest aus zwei weiteren Akteur: innen besteht. Zweck ist die Erbringung einer Dienstleistung an Dritte. 316 Mira Kadrić 6 Für das Dolmetschen ist das etwa in Berufskodizes und Normierungen festgelegt (vgl. ISO 13 611: 2014 für Community Interpreting oder ISO 20 228: 2019 für Legal Interpre‐ ting. Im Übrigen: auch der vorliegende Beitrag verwendet die Begrifflichkeit aus den ISO-Empfehlungen. Die Konstanz in Teams kann qualitätssteigernd wirken, weil sich die betei‐ ligten Akteuer: innen schneller koordinieren bzw. aneinander orientieren und zusammenspielen können. Ein Wechsel von Personen kann aber auch Vorteile bringen: Neue Teilnehmer: innen an der Interaktion bringen auch neue Ansätze und Ideen ein und können zu Innovationen führen. Egal wie das Setting im Detail aussieht, das Gebot der Kooperation besteht im Interesse aller Akteuer: innen immer. Es wurde bereits festgehalten, dass Dolmetscher: innen in Interaktionen mit unmittelbarer Anwesenheit, Aktivität und allfälliger Entscheidung, in denen sie u. a. als gatekeeper fungieren (vgl. Pöllabauer in diesem Band), angreifbarer sind als in anderen Settings. Diesen Befund kann man dahingehend ergänzen, dass das potenziell auch auf andere an der Interaktion beteiligte Expert: innen zutrifft. Unter Berücksichtigung der zunehmenden Professionalisierung des öffentlichen Bereichs und der dort tä‐ tigen Expert: innen im Sinne eines neuen Verständnisses von (Service)Leis‐ tungen für Bürger: innen soll hier eine positive Zukunftsprognose gewagt werden: Auch Behördenvertreter: innen werden sich vermehrt zu gatekeeper zwischen Menschen und Institutionen entwickeln. Zu diesem neuen Aufgaben‐ verständnis des öffentlichen Bereichs wird es gehören, dass die Expert: innen besonderes Augenmerk auf Verständlichkeit legen, dass sie bei allen wichtigen Entscheidungen und Verfahrensschritten zusätzliche Erläuterungen vornehmen bzw. sich im Gespräch laufend vergewissern, dass ihre Ausführungen ver‐ standen wurden (vgl. Scheiber 2019). Erst das Zusammenwirken aller Expert: innen bestimmt den Charakter und die Qualität der Serviceleistung. 2.3 Fazit: Interaktion im superdiversen Gefüge Expert: innen handeln im Allgemeinen mit einer gewissen Autonomie. Sie re‐ flektieren über ihre Handlungen und die Handlungen der anderen und passen sich gegenseitig an. Diese Autonomie ist auf die vorhandenen Strukturen und Dependenzen aufgesetzt. Expert: innen beziehen sich in ihrem Handeln auf gül‐ tige Regeln und Ressourcen und reproduzieren diese. Aus den Handlungen der Expert: innen entwickeln sich (auch neue) soziale Praktiken, die in weiterer Folge zum Standard des Fachbereichs werden können. 6 Dieser Grundsatz gilt allge‐ mein. 317 Formung einer Translationskultur im DACH-Raum 7 Das liegt zum Teil daran, dass sich die Forschung in den klassischen Einwanderungs‐ ländern wie Australien, Kanada oder die U. S.A früher als etwa in Europa oder speziell im DACH-Raum diesem gesellschaftlich relevanten Thema gewidmet hat. 8 Für den Gesundheitsbereich vgl. dazu etwa Pöchhacker & Kadrić (1999), zum Polizei- und Gerichtsdolmetschen Stuefer (2006) sowie Kadrić (2012a und 2019). 9 Natürliches Dolmetschen bzw. Laiendolmetschen wird häufig mit ‚Alltagskommuni‐ kation‘ verbunden. Dieser Ansatz ist problematisch, suggeriert er doch, dass natürliches Dolmetschen in weniger bedeutenden Situationen, in Alltagssituationen, zum Einsatz kommt. Das Vorsprechen bei einer Verwaltungsbehörde, die Einvernahme bei Gericht, aber auch ein Arzttermin oder Elternsprechtag sind aber gerade keine Alltagssituation; unabhängig von der Benennung sind es jedenfalls Lebenssituation, in denen Entschei‐ dungen fallen können und die zumeist nicht unbedeutende Folgen haben oder haben können. Man könnte eher argumentieren, dass solche Situationen für die beteiligten Expert: innen und Institutionenvertreter: innen zur ‚Alltagskommunikation‘ gehören, die täglich ähnlich strukturierte Gespräche mit wechselnden Personen führen. Dennoch ist das sogenannte Laiendolmetschen auch im Lichte des Dienstes am Menschen zu sehen. Es verringert die Benachteiligung, wo keine professionelle Dolmetschung zur Verfügung steht. In bestimmten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, wo Menschen übergreifende Unterstützung benötigen, übernehmen engagierte Mitbürger: innen oder Das kann analog auf die Forschungsaktivitäten umgelegt werden: Obwohl in diesem Band der Fokus auf dem DACH -Raum liegt, sind die entscheidenden Fragestellungen international betrachtet dieselben. Die zentralen Forschungs‐ arbeiten zu verschiedenen Settings des dialogischen Dolmetschens haben rich‐ tungsweisende Erkenntnisse v. a. aus empirischen Studien auf mehreren Kon‐ tinenten bezogen. 7 Die Forschung umfasst aber auch Arbeiten, die sich mit den Fragen des Dolmetschens aufgrund der geltenden Gesetzeslage beschäftigen, als auch berufskundliche Arbeiten praktizierender Dolmetscher: innen, in denen es primär um klassische Rechte und Pflichten der Dolmetscher: innen geht. So ist beispielsweise international allen jüngeren Forschungsarbeiten die - inzwi‐ schen selbstverständliche - Erkenntnis gemeinsam, dass das Dolmetschen weit über die rein sprachliche Tätigkeit hinausgeht, und dass das sprachliche Material nur einen Teil des Ganzen der Translation bildet. Gemeinsam ist der (auch in‐ ternationalen) Forschung auch die Schlussfolgerung, dass Dolmetscher: innen die Kommunikation insgesamt wesentlich beeinflussen und demzufolge defizi‐ täre Dolmetschleistungen nicht nur zu folgenschweren Missverständnissen führen, sondern auch Menschen Schaden zufügen bzw. die betreffende Institu‐ tion diskreditieren können. 8 Insgesamt ist die Dolmetschforschung durch eine starke interdisziplinäre Sicht gekennzeichnet. Die Dolmetschforschung klammert zwar gesellschaft‐ liche Zusammenhänge nicht aus, richtet ihre Ergebnisse aber doch vor allem auf die Erklärung einzelner Phänomene und Dolmetschprodukte aus der Dol‐ metschperspektive, sei es das professionelle oder natürliche Dolmetschen. 9 318 Mira Kadrić Familienmitglieder Aufgaben, die der Staat erfüllen sollte (vgl. u. a. Ahamer in diesem Band). 10 Das frühere Credo der Unsichtbarkeit wurde spätestens seit Wadensjös (1998) Unter‐ suchung zur Sichtbarkeit und Aktivität der Dolmetscher: innen während der Interaktion aufgehoben und die Verständigung durch zwei zeitgleich ablaufende Handlungen be‐ schrieben: Dolmetschende übertragen nicht nur den Inhalt des Gesprächs in eine andere Sprache, sie koordinieren sowohl implizit als auch explizit das Gespräch selbst (Wa‐ densjö 1998: 276). 11 Beispiele für verheerende Folgen in gerichtlichen Verfahren aufgrund falscher Über‐ setzungen der polizeilichen Abhörprotokolle oder falscher Dolmetschungen in der Hauptverhandlung, an denen unterschiedliche (auch Laien)Dolmetscher beteiligt waren, finden sich in Stuefer (2006). Die Mitgestaltung der Interaktion durch Dolmetscher: innen ist gut belegt. 10 Die interaktionale Arbeit bringt Informationen in ein verständliches Format und gleicht unter Umständen die Wissenstände der Interaktant: innen aus. Mit der Zunahme der inter- und transdisziplinären kooperativen Arbeiten eröffnen sich neue Wege, das Dolmetschen im gesellschaftlichen, rechtlichen und bereichsfachlichen Kontext zu untersuchen sowie zu den Abhängigkeiten der an der Interaktion beteiligten Expert: innen zu forschen. Von besonderem Interesse wären kollaborative (experimentelle und feldori‐ entierte) translationssoziologische, translationspsychologische oder translati‐ onsrechtliche Ganzheitsstudien, etwa das Begleiten von Bürger: innen in einem (therapeutischen, rechtlichen) Verfahren vom Anfang bis zum Ende der Inter‐ aktion und die Beleuchtung der Interaktion aus mehreren disziplinären und strukturellen Perspektiven. Zur Illustration ein paar mögliche (gar nicht so fik‐ tive) Themen: Ein polizeilich geführtes Ermittlungsverfahren wird von einem Kriminolog: in-Dolmetschwissenschaftler: in-Tandem begleitet, wobei das ge‐ samte Material der Kommunikation mit dem Verdächtigen untersucht wird; dabei beginnt die Vorarbeit schon mit den Transkripten und deren Übersetzung aus der vorangehenden Kommunikationsüberwachung. Die Untersuchung wird mit Beobachtung, Aufnahme und Auswertung der anschließenden Befragung und deren Protokolls fortgesetzt, und die wissenschaftliche Begleitung des Falls bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens geführt. 11 Ein weiteres hypothetisches, aber durchaus umsetzbares Forschungssze‐ nario: Eine vergleichende Untersuchung der Interaktionen mit zwei, sagen wir rumänischsprechenden Patienten in Innsbruck, die vom selben Exper‐ tinnen-Kernteam betreut werden (Ärztin-Dolmetscherin). Ein Patient ist im Rahmen der europäischen Arbeitsmobilität in Tirol tätig und wird nach einem Arbeitsunfall in ein Innsbrucker Krankenhaus eingeliefert. Der zweite Patient unterzieht sich im Rahmen der europäischen Patientenmobilität einer Behand‐ 319 Formung einer Translationskultur im DACH-Raum 12 Vgl. zur Illustration Iacono (2019) zum Dolmetschen im Medizintourismus. 13 Vgl. dazu z. B. Viljanmaa (2020) zu professioneller Zuhörkompetenz und Zuhörfiltern oder Tiseliuns & Sneed (2020) zum Blickverhalten beim Dialogdolmetschen. lung im selben Krankenhaus und nimmt die Dienste der Ärztin auch in ihrer Privatordination als direkt zahlender Patient in Anspruch. Forschungsgegen‐ stand wäre unter anderem, ob es einen Unterschied in der Qualität und Quantität der Dienstleistung macht, ob der Patient als privat zahlender bzw. Medizintou‐ rist oder als Waldarbeiter auf Krankenschein auftritt. Welche berufsethischen Maßstäbe werden angewandt, welche Begrifflichkeiten verwendet? Wie ist die Zusammenarbeit der Expert: innen für das Bereichsfachliche mit den Ex‐ pert: innen der Translation? Wie sind die Loyalitäten verteilt? Spielt gatekeeping eine Rolle? Die Fragenliste könnte nahezu beliebig fortgesetzt werden. Obwohl mikrokommunikative und -soziale Vorgänge in strukturelle Makro‐ rahmen eingebettet sind, kann davon ausgegangen werden, dass sie unmittel‐ baren Einfluss auf individuelle Interaktionen haben (z. B. Expert: innen unterei‐ nander, Expert: innen und Patient: in). 12 Explorative Studien könnten nicht nur interaktive, sondern auch kollaborative und kognitive Prozesse während der Interaktionen untersuchen. Eine ganzheitliche Untersuchung z. B. einer krimi‐ nologischen Befragung wäre für beide Disziplinen erkenntnisreich: etwa ob Ex‐ pert: innen kollaborativ Wissenslücken ausgleichen und welche Auswirkungen das auf die Interaktion hat. Von besonderer Bedeutung wären etwa Untersu‐ chungen von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit oder Sprache(n) während der Befragung. 13 Wegbereitende, interdisziplinäre Arbeiten in den einzelnen Settings liegen schon vor (vgl. Meyer, Pöchhacker sowie Pöllabauer in diesem Band). Auch die transdiszplinäre Forschung nimmt zu. Ein Mehr an solchen ganzheitlichen Un‐ tersuchungen zu gedolmetschten Interaktionen würde der Fachwelt und der Gesellschaft gleichermaßen dienen. Eine ganzheitliche Betrachtung einer In‐ teraktion und Fortschritte in der Erkenntnis können nur kollaborativ, unter Be‐ rücksichtigung aller für die Interaktion bedeutungstragenden Parameter, erzielt werden. 3 Dolmetschen in Funktion Die demokratische und institutionalisierte Verantwortung der staatlichen und nichtstaatlichen Stellen ihren Bürger: innen gegenüber ist grundsätzlich auch der Maßstab für die Tätigkeit der Dolmetscher: innen. Im Geflecht sozialer Prak‐ tiken bewegen sich Dolmetscher: innen in einem Handlungsspielraum, der in‐ 320 Mira Kadrić 14 Hier wird eine gemeinsprachliche Überbegrifflichkeit verwendet. In Forschung und Lehre finden sich zu Translationstypen verschiedene Benenungen: im DACH-Raum nerhalb eines kulturell-sprachlichen, fachlichen und gesellschaftspolitischen Gefüges stattfindet. Grundsätzlich ist anzuerkennen, dass Dolmetscher: innen strategische Ent‐ scheidungen treffen, so die Kommunikation (auch aktiv) steuern und für den Erfolg der Kommunikation und Ausgang von Gesprächen oder Verfahren mit‐ verantwortlich sind. Dolmetscher: innen setzen diverse verbale und paraverbale Kommunikationsinstrumente ein, um Redebeiträge zu koordinieren. Auf diese Weise legen sie Bedeutungen fest. Das dolmetscherische Handeln kann zum Empowerment schwächerer Gesprächsbeteiligter beitragen. Idealiter berück‐ sichtigen Dolmetschungen sowohl strukturelle Vorgaben als auch individuelle Kommunikationsbedürfnisse der Akteur: innen. 3.1 Nutzer: innenorientierung Insgesamt ergibt sich, dass die Funktion des Dolmetschens nicht nur textorien‐ tiert, sondern vor allem nutzer: innenorientiert ist. Die Informationen werden nicht bloß übertragen, sondern für die Endnutzer: innen funktionsadäquat auf‐ bereitet. Beim Dolmetschen im öffentlichen Bereich kommen simultanes und konse‐ kutives Dolmetschen vor, zunehmend wird, etwa im Gesundheits- oder Justiz‐ bereich, dabei auch von Videotechnik Gebrauch gemacht. Auch das Flüsterdol‐ metschen, Vom-Blatt-Dolmetschen und Schriftdolmetschen wird eingesetzt. Die paraverbale Kommunikation spielt dieselbe große Rolle wie in anderen, etwa monolingualen Interaktionen. Die zeitgemäße Herangehensweise sowie die funktionale Auffassung des Dolmetschens verlangen ein umfassendes Verständnis der Tätigkeit und in diesem Zusammenhang wohl auch eine hohe Qualifikation von Dolmet‐ scher: innen, die den Endnutzer: innen gleichermaßen zur Verfügung stehen. Das ist auch notwendig, denn sowohl Bürger: innen als auch Expert: innen benö‐ tigen - unabhängig von der Natur der Interaktion - die Sicherheit, dass sie die Anliegen der jeweils anderen vollständig und korrekt erreichen. Dolmet‐ scher: innen haben wiederum verschiedene Aufgaben und multiple Funktionen zu erfüllen. Aufgaben und Funktionen verändern sich in der jeweiligen Situa‐ tion, sie entstehen in interaktiven Zusammenhängen. In einem funktional-pragmatischen Zugang kennen Forschung, Lehre und Praxis zwei grundlegende Möglichkeiten des Dolmetschens: abbildend und an‐ passend  14 , wobei sich bei diesen grundlegenden Zugängen weitere Subkatego‐ 321 Formung einer Translationskultur im DACH-Raum etwa wörtlich vs. frei, dokumentarisch vs. instrumentell, verfremdend vs. einbürgernd (vgl. Nord 2011 und Prunč 2 2011). rien in Abhängigkeit vom jeweiligen Diskurs bilden lassen. In diesem Sinne ist auch die ISO -Empfehlung (2014: 7) zu verstehen, die die Dolmetschung als eine sinn- und funktionstreue Übertragung sieht. Die laufenden strategischen Entscheidungen während einer Dolmetschung, wann wie gedolmetscht wird, hängen wohl auch davon ab, wozu die konkrete Dolmetschung dient. In manchen Interaktionen ist es wichtig, dass die Dolmet‐ schung in Form und Inhalt der Originaläußerung möglichst nahe, also abbildend ist. Als Beispiel mag man sich bestimmte Befragungskontexte vorstellen, in denen der genaue Wortlaut für die rechtliche Einordnung von entscheidender Bedeutung ist. In bestimmten Kontexten können jedes Wort und jede Bedeu‐ tungsnuance so entscheidend und folgenreich sein, dass die Dolmetschungen dem Original genau entsprechen sollen. Manchmal ist es sogar notwendig, dass die Dolmetschung nicht nur den Inhalt, sondern auch die grammatikalische Struktur, Wortfolge, Wortart und Stil so direkt wie möglich transferiert, denn jedem Wort, jeder Pause, jedem Nachdenken oder einer Selbstkorrektur kann Bedeutung zukommen. Wenn Aussagen die Grundlage für eine Expert: innenentscheidung bilden, dann treffen Expert: innen auf ihrer Grundlage ihre Feststellungen und ihre Schlussfolgerungen. Das ist etwa in einem Gerichtsverfahren der Fall, wenn die Richterin anhand der Zeugenaussagen den Sachverhalt feststellt und das Urteil fällt. Dasselbe gilt für das Arzt-Patientengespräch, auf dessen Basis Ärzt: innen Diagnose und Therapieplan erstellen. Bei der anpassenden Dolmetschung ist es das Ziel, die Originaläußerung so wiederzugeben, dass sie ohne spezielles Wissen unmissverständlich verstanden wird. Priorität hat hier die unmissverständliche inhaltliche Konsistenz und somit eine störungsfreie Interaktion. In der konkreten Situation ist immer zu prüfen, welche Strategie am zweckmäßigsten ist. Der Ausgangstext enthält die Information, aus der für die Zielsprache eine zweckmäßige, verständnisorien‐ tierte semantische Einheit gebaut wird. Die anpassende Dolmetschung betrifft vor allem Sachverhalte, etwa fachsprachliche Ausdrücke, von denen ange‐ nommen werden kann, dass sie nicht allgemein verstanden werden. Hier können Umschreibungen, Umwandlungen der Fachsprache in die Alltags‐ sprache, Doppelungen oder auch Ergänzungen erfolgen. Diese Dolmetschstra‐ tegie eignet sich insbesondere für Situationen, in denen asymmetrische Wis‐ sensbestände vorherrschen. Doppelungen werden zur Verständnissicherung verwendet, z. B. ein fachsprachlicher Ausdruck wird sowohl fachsprachlich als 322 Mira Kadrić 15 In der Textwissenschaft (vgl. Beaugrande & Dressler (1981)) wird etwa die Kohärenz als Ergebnis kognitiver Prozesse der Textverwender, bei denen eigenes Wissen dem Textwissen hinzugefügt wird, verstanden. Das korrespondiert mit dem Framing-Kon‐ zept, das in Anlehnung an Goffman (1980) zunächst von Wadensjö (1998) vorgestellt wurde und danach in alle relevanten empirischen Arbeiten zu dialogischen Settings Eingang fand und insbesondere die interaktionale Arbeit und die Interventionen der Dolmetscher: innen beschreibt. 16 Das Konzept der Multiparteilichkeit korrespondiert mit der von Nord (2011) und Prunč ( 2 2011) definierten mehrfachen Loyalität, vgl. auch Pöllabauer in diesem Band. auch alltagssprachlich ausgedrückt. Manchmal sind Explikationen - etwa von kulturellen Phänomenen - zweckmäßig und sachgerecht. Studien belegen, dass Dolmetscher: innen beim Dolmetschen die Verständlichkeit des Ausgangstextes im Zieltext verbessern. Allerdings entscheiden sie sich auch bewusst, unverständliche oder redundante Äußerungen genauso unverständlich oder redun‐ dant zu dolmetschen, auch wenn das manchmal ihre eigene Kompetenz infrage stellt. Es sind die Dolmetscher: innen, die für den Erfolg der Kommunikation sorgen, die Verständlichkeit und Verständigung erzeugen. Festgehalten werden kann, dass das Dolmetschen im öffentlichen Bereich verschiedene Variationen einer konstanten Grundstruktur aufweist: Es ist vor‐ wiegend dialogisch und es orientiert sich stark an den Endnutzer: innen der Dolmetschleistung. In ihrem prozeduralen Ansatz berücksichtigen Dolmet‐ scher: innen - gelernt oder natürlich, bewusst oder unbewusst - neben Textori‐ entierung auch den pragmatischen, nutzer: innenorientierten Bedarf an kom‐ munikativen Inhalten. Das Ergebnis bildet somit eine (translatorische) Kohärenz 15 auf der kognitiven, kommunikativen und sprachlichen Ebene. Die kognitive Kohärenz bedingt die Sinnerzeugung innerhalb des Wissens eines Akteurs / einer Akteurin, die kommunikative Kohärenz betrifft den Zusammen‐ hang zwischen den an der Interaktion Beteiligten und die sprachliche Kohärenz das Verhältnis zwischen den involvierten Sprachen. 3.2 Transparenz und Multiparteilichkeit Im Ergebnis ist die Aufgabe der Dolmetscher: innen ein multimodales und mul‐ tiparteiisches Wahrnehmen und Vermitteln. Diese Erkenntnis bedeutet ein ethisch-faktisches Konzept der aktiven Expert: innen, die gleichzeitig mehreren Personen gegenüber verpflichtet sind. Als Expert: innen handeln Dolmet‐ scher: innen zu einem hohen Grad autonom, idealerweise unvoreingenommen. Neben der Textorientierung ermöglicht ihnen die Nutzer: innenorientierung eine balancierte Multiparteilichkeit. 16 Eine Interaktion enthält das „Material“, bestehend aus Texten, Meinungen, Beziehungen, das Dolmetscher: innen zur Übertragung zur Verfügung steht. Der 323 Formung einer Translationskultur im DACH-Raum 17 Ausnahmen können natürlich Aufträge im privaten Auftrag bilden, wenn etwa eine Dolmetscherin für eine Angehörige bei den Verhandlungen über einen Wohnungsver‐ kauf dolmetscht - so wie vielleicht auch eine Angehörige des Käufers als Anwältin den schriftlichen Vertrag errichtet. Dolmetschprozess berücksichtigt idealiter alle Aspekte des Ausgangsmaterials und versucht, alle relevanten Elemente zweck- und situationsadäquat, vor allem aber nutzer: innenadäquat aufzubereiten. Dabei spielen sowohl texttypologische als auch nutzer: innenzentrierte Faktoren eine Rolle: Abhängig von Texttyp, Fachlichkeitsgrad oder Textfunktion in der Kommunikationssituation wird das „Material“ abgebildet oder angepasst. Hier kommt die Offenlegung von Handlungsrollen ins Spiel, die vor allem verlangt, Dinge beim Namen zu nennen - in einer Art und Weise, die den End‐ nutzer: innen die Aufgabe und die Funktion der Dolmetscher: in unmissver‐ ständlich vermittelt. Die Transparenz ist Ausdruck einer Verantwortungsethik (im Sinne von Max Weber (1919)) bzw. folgt einem übergeordneten Regelwerk, das definiert, was als professionell gilt und nach welchen Kriterien sich die Verantwortung der Dolmetscher: innen beurteilt. Das kann die Kerntätigkeit, etwa einen einzelnen Dolmetschauftrag oder eine konkrete Interaktion, betreffen, oder aber den Um‐ gang mit Interessenkonflikten, einer Frage, die mit der Unvoreingenommenheit und Integrität verbunden ist und Konstellationen betrifft, in der der / die Dol‐ metscher: in am Ausgang der Expert: innenentscheidung geschäftlich, finanziell oder sonstig interessiert ist. 17 Wichtig sind in solchen Konstellationen Trans‐ parenz und Offenlegung. Diese und weitere Verpflichtungen - etwa das Prinzip der Verschwiegenheit - sind oft auch gesetzlich postuliert. Das Gesetz erkennt, dass Dolmetscher: innen eine Dienstleistung für Akteuer: innen tätigen, die häufig gegensätzliche Interessen verfolgen. In der persönlichen Dimension be‐ treffen die Regelungen auch die Achtung vor Privatsphäre und Intimität, ethisch gesehen die Ebene der Würde (die auch rechtlich geschützt ist). Als Fazit kann festgehalten werden, dass die für die Dolmetscher: innen bestehenden, vielfach nach außen unsichtbaren Aufgaben und Grenzen für die anderen Beteiligten durch Aufklärung transparent gemacht werden. Für Dolmetscher: innen gilt in diesen Settings im öffentlichen Raum dasselbe wie für die anderen Beteiligten Expert: innen, also etwa Ärzt: innen oder Richter: innen: Es besteht eine Ver‐ pflichtung zu Aufklärung und Transparenz. Diese Aufklärung umfasst mehrere (Kommunikations)Ebenen und erfordert laufende Anpassungen, z. B. der Be‐ rufskodizes, der beruflichen Normierungen (vgl. etwa ISO 13 611: 2014 und ISO 20 228: 2019). Schließlich muss die Verpflichtung zur Aufklärung Eingang in die Ausbildungen der Dolmetscher: innen finden, so wie das heute schon bei 324 Mira Kadrić 18 Wie etwa ehrenamtliche Dolmetscher, Flüchtlingslotsen oder Flüchtlingspaten. Vgl. die Akündigung der Fachtagung ZwischenSprachen (2018) sowie Bahadır und Pöllabauer in diesem Band. 19 So feierte der österreichische Verband der Gerichtsdolmetscher im Jahr 2020 das 100-jährige Jubiläum. Vgl. das Sonderheft „100 Jahre ÖVGD. Festschrift“. Ärzt: innen oder Rechtsberufen der Fall ist. Transparenz und Aufklärung bzw. Information fördern die Kooperativität und stärken Loyalität, in Bezug auf die Expert: innen untereinander, vor allem aber bei den an der Kommunikation be‐ teiligten Patient: innen, Verfahrensparteien und anderen Nicht-Expert: innen. Die Diskussion um die Benennung der Tätigkeit von Dolmetscher: innen im öffentlichen Bereich scheint noch lange nicht abgeschlossen zu sein (vgl. die Einleitung sowie den Abschnitt „Wissenshervorbringung“ in diesem Band). Zu differenziert sind die einzelnen Fachbereiche, in denen Dolmetscher: innen tätig sind, zu unterschiedlich die kommunikativen Settings, zu unterschiedlich die rechtliche Stellung, Qualifikation oder Entlohnung. In der Praxis finden sich professionelle, semi-professionelle oder auch nicht-professionelle Zugänge (vgl. u. a. Kadrić 2012a, 2012b, 2014a und 2014b sowie Ahamer in diesem Band). In den Bennungen finden sich häufig Beschreibungen von Kommt-vor-Situati‐ onen. 18 Grundsätzlich gilt der Transparenzgrundsatz auch bei Benennungen, allerdings verstellt die Überbetonung von einzelnen Kann-vorkommen-Auf‐ gaben den Blick für das Wesentliche oder den Kern der Berufsausübung: das Dolmetschen. Noch zu entwickeln ist ein breiter Zusammenschluss der Berufsausübenden des Dolmetschens im öffentlichen Bereich. Obwohl die Forschung, und zum Teil auch die Ausbildungen, sowohl auf DACH als auch auf europäischer Ebene parallel verlaufen und sich gegenseitig beeinflussen und bereichern und sich leicht gemeinsame Nenner finden, gibt es kein Forum, das die Interessen der Dolmetscher: innen auf DACH - oder europäischer Ebene und das Dolmetschen im öffentlichen Bereich in seiner ganzen Breite vertreten (wie das etwa AIIC , der Internationale Verband der Konferenzdolmetscher, tut). Das Dolmetschen im juristischen Bereich bildet durch die doch klare Reglementierung eine Aus‐ nahme. So hat sich etwa der Europäische Verband der Dolmetscher und Über‐ setzer im juristischen Bereich, EULITA , in seinem 10-jährigen Bestehen sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene sichtbar und wahrnehmbar gemacht. Die nationalen Berufsverbände im Gerichtsdolmetschen haben mitunter eine lange Tradition. 19 Der einzige spezifische Berufsverband im DACH -Raum be‐ findet sich in der Schweiz (vgl. Müller in diesem Band). 325 Formung einer Translationskultur im DACH-Raum 3.3 Einfluss der Technik und neuer Medien Moderne Technik und moderne Medien gewinnen derzeit großen Einfluss auf Interaktionen. Die Anwendung der Technik in sozialen Systemen durch On‐ line-Serviceleistungen (Auskünfte, aber auch online geführte behördliche Be‐ fragungen oder Online-Arzttermine) und der Einsatz von künstlicher Intelligenz werden sich in näherer Zunkunft etablieren (vgl. Reindl-Krauskopf & Grafl 2020 sowie Havelka und Sandrini in diesem Band). Allein durch die Nutzung der Technik und die physische Absenz baut sich eine gewisse soziale Distanz auf. Die voranschreitende Technologisierung und die sich insbesondere seit der Co‐ rona-Pandemie rasant entwickelnde Digitalisierung erfordert in nahezu allen Lebensbereichen immer schnellere und effizientere Anpassungen. Die verän‐ derte Arbeitsweise ermöglicht eine schnellere Reaktion auf die Veränderungen der Gesellschaft. Die Arbeit kann ausgerichtet werden, ohne die notwendigen zeitlichen und materiellen Ressourcen dauerhaft - und damit auch Mehrkosten verursachend - ständig oder längerfristig verfügbar zu halten. Das gilt vor allem für Lehre und Praxis. Im Zusammenhang mit Dolmetschleistungen bringt Ha‐ velka in diesem Band die Anforderungen in vier Thesen auf den Punkt: 1) Fern‐ dolmetschen ist anders als Dolmetschen vor Ort; 2) Ferndolmetschen erfordert digitale Kompetenz; 3) es macht die Wahrnehmung von der jeweiligen Technik abhängig und bringt 4) höhere Belastung mit sich. Nichts anders gilt für andere Bereiche der digitalen Arbeit, so auch für die Lehre. Die Akteur: innen sollen die Tools kennen, diese werden an das konkrete Setting angepasst. Die Herausfor‐ derung für beide Bereiche, Lehre und Praxis, liegt im Anpruch, qualitative Ein‐ bußen zu verhindern. Organisation und Durchführung des Ferndolmetschens sollen in der gleichen Qualität wie vor Ort-Arbeit stattfinden, es soll sich ge‐ genüber der Vor-Ort-Variante nichts am Auftrag, an der Funktion und am Output ändern. 4 Fazit: Mitgestaltung einer Translationskultur als gesellschaftliches Zusammenspiel Dieser Band ist in einer doppelten Umbruchszeit entstanden, die angelaufene Digitalisierung hat durch die COVID -Pandemie einen weiteren Anschub und zusätzliche Herausforderungen gebracht. Wir sind uns bewusst, dass diese Dy‐ namik das Unterfangen einer Beschreibung von Entwicklungen im DACH -Raum zum Risiko macht. Denn das Tempo der voranschreitenden Digi‐ talisierung und der gesellschaftlichen Veränderung kann innerhalb kurzer Zeit neue Formen der Kommunikation und Translation entstehen lassen, die hier nicht berücksichtigt sind. Die Beiträge dieses Bands zeigen dennoch klar, dass 326 Mira Kadrić es übergreifende Handlungrahmen, Strukturen und Erkenntnisse gibt, die für den gesamten Bereich des Dolmetschens im öffentlichen Bereich bzw. im sozi‐ okulturellen Kontext im DACH -Raum und darüber hinaus gelten und die künf‐ tige Forschung, aber auch Ausbildung und Praxis mitbestimmen werden. Theoriebildung und wissensbasierte Erklärungen einzelner Phänomene im gesellschaftlichen, institutionellen und fachlichen Kontext sind eine unabding‐ bare Grundlage für die Lehre, für Spezialisierungen, für die Professionalisierung des Berufes der Translator: innen im öffentlichen Bereich. Sie bestimmen letzt‐ lich die gesellschaftliche Stellung des Berufes wesentlich mit. Im öffentlichen Bereich geht es immer um bestmögliche Serviceleistung im Einzelfall. Gesellschaftspolitisch gesehen dient das Dolmetschen in weiten Be‐ reichen den Bürger: innen. Dolmetschen hat die Funktion, Benachteiligungen von Menschen, die die Kommunikationssprache nicht ausreichend verstehen oder sprechen, zu verhindern. Gleichermaßen dient das Dolmetschen den In‐ stitutionen, die ihre Dienstleistungen ohne vermittelte Kommunikation nicht erfolgreich anbieten könnten. Betrachtet man den Grad der Autonomie der Dol‐ metscher: innen in der Ausübung ihrer Tätigkeit, so ist davon auszugehen, dass sie unabhängig, unvoreingenommen und multiparteiisch agieren (können). Die Interaktionen, somit auch Kommunikationsprozesse, sind stark rekursiv und folgen immer ähnlichen Regeln. Die Gemeinsamkeit aller Berufe im öffentlichen Bereich ist die vorwiegend dialogische Struktur und starke Orientierung an den Beteiligten. Das interdisziplinäre Zusammenwirken erhöht die Qualität, es muss daher bereits in Ausbildungswege der Dolmetscher: innen, aber auch der Berufe, die Dolmetschung nutzen, stärker einfließen. Grundsätzlich sind Kooperation und Transparenz überall wichtig, sie erhöhen die Loyalität und verbessern die Qualität der Interaktion, somit der Dienstleistung als Gesamtpaket. In der Forschung sind tiefere multiperspektivische Untersuchungen des Kol‐ laborativen und der wechselseitigen Abhängigkeiten zu erwarten. Gewinnbrin‐ gend wären sowohl kognitive als auch interaktive Untersuchungen des (natür‐ lichen und professionellen) Dolmetschens, nicht nur im Hinblick auf den Grad der aktiven Beteiligung, sondern auch in Bezug auf die einander ergänzenden Interventionen der Expert: innen untereinander oder auf vergleichende kogni‐ tive Prozesse in der Interaktion. Die Ausbildungs- und Qualifizierungsformate für das Dolmetschen im öf‐ fentlichen Raum sind jetzt schon breit gefächert, das Angebot ist aber insgesamt viel zu gering. Die bestehenden Formate reichen von universitären Regelstudien und Universitätslehrgängen mit akademischem Abschluss bis hin zu kurzen notdürftigen Kursen, die den Anbieter: innen von Dolmetschleistungen zumin‐ dest die grundlegendsten Prinzipien des Berufes näherbringen. Die Ausbil‐ 327 Formung einer Translationskultur im DACH-Raum dungsplätze und -formen erreichen aber insgesamt nicht das notwendige Vo‐ lumen, das dem breiten Bedarf an Dolmetschungen im öffentlichen Bereich entspricht. Auch eher rudimentäre Ausbildungsformate müssen erhalten und vervielfacht werden; auch sie werden dringend benötigt. Gesamtgesellschaftlich gesehen fördert eine Vielfalt an Ausbildungsformaten nicht nur die Professio‐ nalisierung des Berufes, sondern bietet auch vielen (u. a. geflüchteten) Personen eine Berufsperspektive. Es braucht die Weiterführung bzw. Schaffung von un‐ terschiedlichen Ausbildungs- und Qualifizierungsformaten, die das Feld des Di‐ alogdolmetschens und der mehrsprachigen Kommunikation im öffentlichen Bereich gemeinsam stärken und nicht in vermeintlicher Konkurrenz stehen. Das ist die Herausforderung für alle zuständigen Stellen und Akteur: innen. Was wir heute im DACH -Raum vorfinden, ist eine superdiverse, eine Multi‐ minoritätengesellschaft, die durch verschiedene Interaktionsformate ihre kom‐ munikativen Bedürfnisse befriedigt. Die Beiträge zur Mehrsprachigkeit in diesem Band zeigen die Vielfalt an Möglichkeiten auf, die eine multidiverse und multisprachige Gesellschaft bietet. Die zunehmende Superdiversität und Mehr‐ sprachigkeit in beruflichen Kontexten - seien es mehrsprachige Ärzt: innen, Po‐ lizist: innen oder Richter: innen - können auch dazu verhelfen, dem Dolmetschen im öffentlichen Bereich mehr (nicht nur symbolisches) Kapital zu verleihen. Literatur Baraldi, Claudio / Gavioli, Laura (Hrsg.) (2012). 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Abrufbar unter: http: / / sprachmittler-qualifizierung.de/ de/ startseit e/ (Stand: 29 / 12 / 2020) 330 Mira Kadrić Beiträger: innen Mag.Mag.Dr. Vera Sophie Ahamer Zentrum für Translationswissen‐ schaft Universität Wien Kolingasse 14-16 A-1190 Wien vera.ahamer@univie.ac.at Univ.-Prof. Dr. phil. Şebnem Ba‐ hadır-Berzig Institut für Translationswissenschaft Universität Graz Merangasse 70 8010 Graz sebnem.bahadir-berzig@uni-graz.at Mag. Nives Grenko Curjuric AOZ Medios Albisriederstrasse 164 CH -8003 Zürich nives.grenko@aoz.ch Prof. Dr. Tobias Haug, MA in Lang‐ uage Testing Interkantonale Hochschule für Heil‐ pädagogik Schaffhauserstrasse 239 / Postfach 5850 CH -8050 Zürich tobias.haug@hfh.ch Dr. Ivana Havelka, Bakk. MA Zentrum für Translationswissen‐ schaft Universität Wien Kolingasse 14-16 A-1190 Wien ivana.havelka@univie.ac.at Gertrud Hofer, lic. phil Bünishoferstrasse 256a CH -8706 Meilen gert.hofer@bluewin.ch Dott.ssa Dr. Katia Iacono, Bakk. MA Zentrum für Translationswissen‐ schaft Universität Wien Kolingasse 14-16 A-1190 Wien katia.iacono@univie.ac.at Dipl.-Dolm. Elvira Iannone Oberstraße 18b 20 144 Hamburg elvira.iannone@web.de Univ.-Prof. Mag. Dr. Mira Kadrić-Scheiber Zentrum für Translationswissen‐ schaft Universität Wien Kolingasse 14-16 A-1090 Wien mira.kadric-scheiber@univie.ac.at Mag. Dr. Alexandra Marics Institut für Translationswissenschaft Karl-Franzens-Universität Graz Merangasse 70 8010 Graz alexandra.marics@aon.at Prof. Dr. Bernd Meyer Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft Johannes Gutenberg-Universität An der Hochschule 2 D-76711 Germersheim meyerb@uni-mainz.de https: / / ikk.fb06.uni-mainz.de/ Michael Müller Geschäftsleiter INTERPRET Monbijoustr. 61 CH -3007 Bern coordination@inter-pret.ch Mag. Dr. Aleksandra Nuč Department of Translation Studies University of Maribor Askerceva ulica 4 SI -2000 Maribor aleksandra.nuc@um.si Mag. Dr. Judith Platter Zentrum für Translationswissen‐ schaft Universität Wien Gymnasiumstraße 50 A-1190 Wien judith.platter@univie.ac.at Univ.-Prof. Dr. Franz Pöchhacker Zentrum für Translationswissen‐ schaft Universität Wien Gymnasiumstraße 50 A-1190 Wien franz.poechhacker@univie.ac.at Univ.-Prof. Mag. Dr. Sonja Pölla‐ bauer Zentrum für Translationswissen‐ schaft Universität Wien Kolingasse 14-16 A-1090 Wien sonja.poellabauer@univie.ac.at Mag. Dr. Judith Purkarthofer, Institut für Germanistik Universität Duisburg-Essen Universitätsstraße 2 D-45141 Essen judith.purkarthofer@uni-due.de Ao. Univ-Prof. Mag. Dr. Peter Sand‐ rini Institut für Translationswissenschaft Universität Innsbruck Herzog-Siegmund-Ufer 15 A-6020 Innsbruck peter.sandrini@uibk.ac.at Barbara Strebel, lic. phil. AOZ Medios Zypressenstrasse 60 CH -8040 Zürich barbara.strebel@aoz.ch 332 Beiträger: innen Register Ad-hoc-Vereidigung 254, 264 Akkreditierungsverfahren 197 AmtsdolmetscherInnen 255 Arbeitsmarkt 212, 228, 251 Ausbildung 185 Bachelorstudium 151, 189 Masterstudium 42, 98, 188f. praxisorientiert 79, 207 universitär 154, 327 Barrierefreie Kommunikation 81, 96, 102, 138 Beeidigung 226f., 253 Beeidigungsprüfung 254 Berufskodex 209, 214, 216, 218 Berufsschutz 79f., 224 Berufsverband 79, 145, 224, 227, 237, 253, 275, 287, 325 Community Interpreting 10f., 14, 78, 113, 130f., 189 Critical Link-Community 131 Critical Link-Konferenz 129, 131 Datenschutz 66, 228 Debriefing 285 Deglobalisierung 31 Digitalisierung 326 Arbeitsplatz 32, 35, 40, 72 Diffusionsmodell 34 Elektronisches Vermittlungssystem 278f. Entfremdung 33, 40, 66 Künstliche Intelligenz 37f. Maschinelles Dolmetschen 39 Maschinelles Übersetzen 36f., 40 Neuronale Maschinenübersetzung 37 Sprachsynthese 38 Diversifizierung 42, 54 Dolmetschbedarf 255 in der mehrsprachigen Gesellschaft 115 migrationsbedingt 10, 115, 129 pandemiebedingt 71 Dolmetschdidaktik 120, 137, 170 Dolmetschdienst 173, 293f., 297, 302f. Dolmetschen als Ehrenamt 177 als Integrationsassistenz 165 als Interaktion 314, 316f., 319 als kommunikatives Handeln 315 als Sprach- und Integrationsmittlung 69, 163, 165, 296 als Sprach- und Kulturmittlung 164 als strategisches Handeln 314 als translatorisches Handeln 315 als Zugang zum Recht 310 auf kommunaler Ebene 312 bei Gericht 70f., 129, 254 im Asylverfahren 136, 256, 280f. im Bildungswesen 118f., 262 im Gemeinwesen 237f., 274 im Gesundheitswesen 67ff., 114, 117, 146f., 260 im institutionellen Kontext 118 im öffentlichen Bereich 205, 215, 313 im soziokulturellen Kontext 15, 113, 115, 117, 119, 121, 309 in der Psychotherapie 261, 299f. Dolmetschhonorar 226f., 229, 232, 261, 295f., 302ff. Dolmetschliste 10, 255 Dolmetschpool 10, 173, 225, 230, 298, 300f. Dolmetschregister 256 Dolmetschrichtung 153f. Ehrenamt 174ff., 231, 259 Empowerment 321 Empowerment-Diskurs 164 Ferndolmetschen 64, 232, 278 digital wellbeing 66 Dolmetschhubs 69 externe Einflussfaktoren 66 Homeoffice 234 interne Einflussfaktoren 66 Realisierungsbedingungen 66f., 70f. Videokonferenzdolmetschen 71 Forschungsmethode diskursanalytische Fallstudie 130, 134 ethnographische Feldforschung 134, 136 Experteninterview 127 fragebogengestützte Umfrage 134 gesprächsanalytischer Zugang 121, 133 inter- und transdisziplinärer Zugang 318f. korpusbasierte Untersuchung 119 Oral History 119, 127 qualitative Interviewstudie 134 Forschungsprojekte Community Interpreting-Studie 130 KTI-Projekt 146ff. Migrant-friendly hospitals 133 Pilotprojekt zum Videodolmetschen 138 Projekt Justisigns 150 TransLaw 138 Wiener Pilotprojekt "KrankenHausdolmetscherInnen" 137 Gebärdensprachdolmetschen 97, 131, 136, 143, 149, 154, 227 Gebührenanspruchsgesetz 257, 265 Gemeindedolmetschen 132, 294, 296 Globalisierung 31, 250 Grundversorgung 258 Institutionelle Kommunikation 59 Interkulturelles Dolmetschen 216, 273f., 276 Intervision 304 Kommunaldolmetschen 131f., 136, 249f., 263f., 274 kommunaler Dolmetschdienst 130 Kommunikationsverhalten 59 Kompetenzen 42 digitale Kompetenzen 65 Dolmetschkompetenz 153 Fachkompetenz 118 Problemlösungskompetenz 43f., 171 Sprachkompetenz 14, 197 unternehmerische Kompetenz 42 Kompetenznachweis 237 Kooperativität 316, 325 LaiendolmetscherInnen 187f., 190, 295 Leichte Sprache 98 Loyalität 314, 325 Mehrsprachigkeit 53 Migrationsgesellschaft 167, 170 Migrationssprache 279 Multikulturalität 163 Multiminoritätengesellschaft 328 Multiparteilichkeit 323, 327 334 Register ÖVGD Berufsverband 199 Pariser Schule 128 Praxisprojekte 293 Professionalisierung 18, 78, 170ff., 177, 185, 205, 207, 250, 286, 317, 327f. Professionalisierungsgrad 131 Professionalisierungshindernis 80 Professionalisierungsprozess 18f., 187 professioneller Standard 209 rechtliche Rahmenbedingungen 80, 116, 224 Public Service Interpreting 131 Qualifizierung 172, 175, 188-191, 206f., 210-214, 217, 234 Qualitätssicherung 173, 205f., 212ff., 216ff., 225, 236 Rechtsanspruch auf Dolmetschung 225f., 230, 252, 310-313 Recipient Design 147 Rekursivität 313 Remote Simultaneous Interpreting 35 Rollenverhalten 147, 250 Schriftdolmetschen 97 Sicherheitsprüfung 255f. Skopos 41 Sprachbarriere 68f., 117 Spracherleben 51 sprachliches Repertoire 49 Sprachporträt 51 Superdiversität 17, 328 Supervision 236, 299, 304 Technologie Effizienzsteigerung 72 Einsatz 71f., 326 prozessorientierte Technologie 35, 64 settingorientierte Technologie 35, 64 Wandel 33, 63 Telefondolmetschdienst 276, 278 Telefondolmetschen 35, 67f., 233 Transkulturalität 17 Translation 21, 42, 78, 225, 237, 246 als Berufsbild 78f., 115, 225, 227f. als Empowerment 163, 169 als gatekeeping 320 als Kulturmittlung 118 als menschliche Fähigkeit 43 als Sprachdienstleistung 32, 41f., 81, 227 als Sprachmittlung 116 als Wissensarbeit 43, 148 Translationskultur 15, 17, 251, 264f., 326 technikgestützt 72 Translationspolitik 44, 168f., 179, 249 Transparenz 324 Trialog 145 Vermittlungsstelle 229, 276f., 279 Videodolmetschdienst 257, 260, 278 Videodolmetschen 69f., 136, 260, 264 Weiterbildung 189, 191, 199, 259, 296, 327 postgradual 190, 198 Schulung 237 Universitätskurs 187 Universitätslehrgang 136 Zertifikat 189 Wohlfahrtsstaat 176 Zertifizierung 98f. 335 Register Translationswissenschaft herausgegeben von Klaus Kaindl und Franz Pöchhacker Die am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien herausgegebene Reihe versteht sich als offenes, internationales Forum für wissenschaftliche Beiträge zu Forschungsthemen im gesamten Spektrum der Disziplin. Neben zentralen Themenfeldern wie dem Literatur- und Fachübersetzen, dem Konferenz-, Gerichts- und Kommunaldolmetschen sowie dem mehrsprachigen Terminologiemanagement und den damit verbundenen theoretischen, methodischen und didaktischen Ansätzen und Fragestellungen umfasst die Reihe vor allem auch neue Entwicklungen im Zusammenhang mit multimodaler Kommunikation und technologiebasierter Translation. Die in der Reihe erscheinenden Monographien und Sammelbände unterliegen einem Begutachtungsverfahren, um ein möglichst hohes Maß an wissenschaftlicher Qualität wie auch Lesbarkeit zu garantieren. Bisher sind erschienen: Band 1 Hanna Risku Translationsmanagement Interkulturelle Fachkommunikation im Informationszeitalter 3., überarbeitete und erweiterte Auflage 2016, 288 Seiten €[D] 59,90 ISBN 978-3-8233-6983-7 Band 2 Sonja Pöllabauer “I don’t understand your english, Miss” Dolmetschen bei Asylanhörungen 2005, 484 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6175-6 Band 3 Gyde Hansen Erfolgreich übersetzen Entdecken und Beheben von Störquellen 2006, 310 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6256-2 Band 4 Susanne Göpferich Translationsprozessforschung Stand - Methoden - Perspektiven 2008, XIV, 313 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6439-9 Band 5 Martin Will Dolmetschorientierte Terminologiearbeit Modell und Methode 2009, XVIII, 223 Seiten €[D] 49,00 ISBN 978-3-8233-6506-8 Band 6 Mira Kadric Dialog als Prinzip Für eine emanzipatorische Praxis und Didaktik des Dolmetschens 2011, 184 Seiten €[D] 39,00 ISBN 978-3-8233-6561-7 Band 7 Ángela Collados Aís / Emilia Iglesias Fernández / E. Macarena Pradas Macias / Elisabeth Stévaux (Hrsg.) Qualitätsparameter beim Simultandolmetschen Interdisziplinäre Perspektiven 2011, 353 Seiten €[D] 64,00 ISBN 978-3-8233-6637-9 Band 8 Gerrit Bayer-Hohenwarter Translatorische Kreativität Definition - Messung - Entwicklung 2012, XVIII, 362 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-6709-3 Band 9 Karin Reithofer Englisch als Lingua Franca und Dolmetschen Ein Vergleich zweier Kommunikationsmodi unter dem Aspekt der Wirkungsäquivalenz 2013, 308 Seiten €[D] 64,00 ISBN 978-3-8233-6795-6 Band 10 Don Kiraly / Silvia Hansen-Schirra / Karin Maksymski (Hrsg.) New Prospects and Perspectives for Educating Language Mediators 2013, VI, 229 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6819-9 Band 11 Daniela Di Mango The Role of Theory in Translator Training 2018, 440 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-8161-7 Band 12 Larisa Cercel / Marco Agnetta / María Teresa Amido Lozano (Hrsg.) Kreativität und Hermeneutik in der Translation 2017, 469 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-8074-0 Band 13 Mascha Dabi ć Dolmetschen in der Psychotherapie Prekäres Gleichgewicht 2021, 309 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-8234-8 Band 14 Sylvi Rennert Redeflüssigkeit und Dolmetschqualität Wirkung und Bewertung 2019, 204 Seiten €[D] 59,00 ISBN 978-3-8233-8281-2 Band 15 Katia Iacono Dolmetschen im Medizintourismus Anforderungen und Erwartungen an DolmetscherInnen in Deutschland und Österreich 2021, 360 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-8472-4 Band 16 Klaus Kaindl / Sonja Pöllabauer / Dalibor Miki ć (Hrsg.) Dolmetschen als Dienst am Menschen Texte für Mira Kadri ć 2021, 258 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-8433-5 Band 17 Sonja Pöllabauer / Mira Kadri ć (Hrsg.) Entwicklungslinien des Dolmetschens im soziokulturellen Kontext Translationskultur(en) im DACH-Raum 2021, ca. 300 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-8352-9 ISBN 978-3-8233-8352-9 Dieser Sammelband, der Beiträge von Expert: innen aus dem Bereich Dolmetschen umfasst, präsentiert Entwicklungslinien des Dolmetschens in einem gesellschaftlichen und behördlichen Umfeld im DACH-Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz). Es handelt sich dabei um die erste Publikation, die die Entwicklung eines lange vernachlässigten Bereichs des Dolmetschens umfassend für den deutschsprachigen Raum skizziert. Damit bietet diese Publikation sich auch als Referenzwerk an, das einen breiten Überblick über zentrale Entwicklungen und Themen des Felds liefert.